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in 2015
http^://archive.org/details/aesthetikOOjung
y^jx^nSfdl.
Ac|il)dik.
3]on
^uttgmann,
35rieftcr ber ®efeHfd)aft Sefu, Soctor bcr Sbeologie unb otb. sprofcffor bcrfelbcn
an ber Uniberfität äu SSnnSbruct.
3n)iitr, »oU|lSnliig umgcarücllctc unö utcffntlidi rrnicitcrtc Jluflagc ks ßudjca
„Die Sd)önl)cit uni) kc fdjönc fiunfl“.
seit neun ^ITußrattonen.
^frcißttrg tttt '^retöjjatt.
^erber’f^e 3Serlag§]^aitbIung.
1884.
3weigniebcrtagungen in Sirn^burg, iltiindjcn unb St. £ouis, 9JIo.
Sag ber Uekrfe^ung in frentbe Sprachen rairb norbel^alten.
Entered according to Act of Congress, in the year 1884, by Joseph Gümmers-
hach of the firm of B. Herder, St. Louis, Mo., in the Office of the Lihrariat
of Congress at Washington, D. C.
Suctibruderei ber §erber’fctien SBertagäßanblung in greiburg.
3tu(jnll Ketd)tiis})ergtr
gewibtttcfo
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finb nur sroei fünfte, bie bem 93uc^e ooraugge'^eit gu laffen
für nötl^tg fiatte: ber eine betrifft bie ©efc^ic^te beffelben, ber anbere ift
eine furje SSetnerfnng §infid)tlid) be§ barin einge^Itenen SSerfa'^reng bei
<Jitationen.
3n feiner erften ©eftatt nerlieff ba§ 23udö bie '^5reffe furj nor bem
0d)Iuf3 beä 1865, unter bem S:itel: „®ie ©d)ön'^eit unb bie
fd^öne ^nnft". ®ie iJluftage roar freilid) fc^on nor jroötf
griffen; inbe^ ic| fonnte mid) nid)t entfd^tie^en, ba§23udj o'^ne 33erbefferung
mand^er Steile roieber brud'en jn laffen : biefe norjune’^men, ^inberte mi(^
aber eine anbere Slrbeit, bie meiner eigentlichen Slufgabe näljer lag, nnb
barum guerft nollenbet roerben füllte, ©rft nad^bem biefelbe, vor fünf
fahren, abgefchloffen roar, fonnte idh mii^ befeh^lb ber Slefthetif roieber
angfchliefelich ^uroenben, erfannte aber halb, ba^ roenn baä 33uch feinem
3roecEe entfpredhen fodte, bie früher üon mir in 5lu§ficht genommene
Ißerbefferung einzelner S:heite nicf)t genügen fönne, oielmehr eine ootls
ftünbige Umarbeitung be§ ©anjen, oerbnnben mit einer ©rroeiternng ber
jroeiten, fet^t gröfferen §ülfte nothroenbig fep, S)aburd; erflürt e§ fidh,
roefehflib bag 23uch fo lange bem ißudhhanbel oerfdjrounben blieb.
®ie hief oorliegenbe groeite Sluflage hat midh naheju breimal fo lange
befdhäftigt, al§ bie erfte; roer biefe fennt, ber roirb aber and) jugeftehen,
baff bie gegenroürtige groeite, nicht ben 2lu§gang§punften unb ber Dtii^tung
nach, ober unter mehr alä ©iner anberartigen diüdfidjt, faft ein neueg
2Serf barftettt.
SBag bie erfte Stuflage betrifft, fo bradjte bie im ^aljre 1870 in
^Jlabrib gegrünbete La Ciudad de Dios („®ie ©tabt ©otteg")
roährenb ihrer erften Jahrgänge in fortlaufenben Strtifeln eine fponifdje
Ueberfe^ung berfelben, oon illf. Orti p £ara, gegenroürtig if3rofeffor
ber iphilofophie an ber Unioerfitüt jn SRabrib. ®rei ^ahre fpüter
erfd)ien non biefer Ueberfet^ung , glei(^faCtg jn ilRabrib, ein befonberer
VI
5lbj)rutf in groei SSänbc^en , roetcfier ben üKitt^eilungen be§ Ueberfe|er§
jufolge an ber Uninerfität ju (Sranaba ai§ Se^rbuc^ eingefül^rt raurbe,
unb beffen SSerbreitung in ©panien foTOo!^! al§ in ?Ke]cico unb anberen
jpanifc^'-antericanifc^en Staaten, oor einiger e^ne abermalige Sluftage
nerania^te. 2tnberfeit§ neranftattete ber St. @meri(i^;2Serein eine Ueberj
tragnng beg Suc^e§ in§ Ungarifc^e, roetd^e 1874 in Sftaab gebructt mürbe.
3df) ^be bie[e ^^atfad^en nid^t ermäl^nt, um barau§ etroa eine
Folgerung für ben befonberen SBert^ meiner Sirbeit ju gieren. Scgte id^
berfelben einen fotd^en bei, bann mürbe idti e§ ja nid)t feit gmölf
mieberl^olt abgele^nt !^aben, fie in il^rer frü!^eren ©eftalt auf§ neue in
bie i^reffe getien ju taffen, ftatt faft fünf mit Umarbeitung
unb 3Sert)oEtommnung ju befdtiäftigen. dagegen bürfte in ber 2tufnatime
unb SSerbreitung be§ 23ud^e§ aucf) im 2tu§tanbe, aüerbingS ein 33emei§
liegen, baü e§ an ^anbbüd^ern ber äteff^etif bie für ©l^riften
brauchbar finb, einigermaßen fehlt: baß e§ fomit immerhin ber SRühe
merth mar, menn idh eine längere 3ett bafür nermenbete, meinem 33udhe
eine ©eftatt unb einen Umfang gu geben, moburdh e§ feine Seftimmung
ju erfüllen jebenfalt§ beffer fidh eignen bürfte.
^infidhtlidh ber ©itationen motte ber ßefer f^olgenbeS beachten. ®en
Sitet jebeS 2Berfe§ ba§ idh anjuführen oeranlaßt mar, idh ben
9loten menigfteng ©inmat oottftänbig gegeben, unb menn idh m SBiebers
hotungSfütten benfelben abfürjte, ber ©itation in einer ifSarenthefe bie
3ahl ber Seite beigefügt, mo er fid) oottftänbig finbet. Stetten in
fremben Spradhen bie mandhem Sefer ermünfiht fepn tonnten, namentti(h
längeren, mürbe in ben ,,2tnmerfungen'' am ©nbe be§ iBud)e§ (S. 883 ff.)
ihr ifitaß angemiefen; auf fie oermeifen bie 3öhten (1—388), metihe man
auf oerf(^iebenen Seiten in ben 2;ept eingefchattet finbet.
3nn§brurf im gebruar 1884.
Sofepl) Sungmann J.
Keßerfti^f,
®orIiiufigc«.
I. ®ln ffil)aractcrbUti ous Her ©cgtnuiart, ln nnliltct clnffifd)ct 3tld)nung. 1.
n. Sek n)i(fcnfd)rtftlid)c llnlcrfuttjung über bic Sd)önl)cit trgcnb tucld)cr ^rftbetnungen
febt nornus, bo|5 jucrjl ber ßcgrtf ber Sd)cinl)cit fc(l(lcl)c. Unb cs i(l nid)t u)ol)lgctl)nn,
incnn bic U)if|fcn|’d)aft, tno fic fid) ber bcut|’d)cn Sprndje bcblcnf, jlntt bcs ^liisbruthcs
„blc Sd)önl)cit“ ben ©rüctsmus „bns Sd)önc“ nmnenbet. 6.
ni. fflas „eine ßun|l“ fei), ums „bic tlU|fenfd)nft einer fiunfl“, unb ums „bic ®l)Coric einer
fiunfl“. itüci Arien imn fiunßlbeorieit: „med)(inifd)c“ unb „n)i(fcnfd)nftlid)c“. ©. 10.
IV. Die Ac(lbeiilt: il)r ßegriff, il)rc Aufgabe, il)re nntürlid)en jioei £l)cilc. Der IDertl)
biefer ü)i)fenfd)aft, unb iljre ßebeulung für bns ßeben. Ob il)r gcgemmirtiger Stonb
biefer il)rer ßcbeutung entfprcdje. ©. 15.
|)ie ^runbßcgtiffc
. ober
P£f£n ö£t §iljöiili£it imü ö£r übrigm ioiiiig£, öiirtlj iu£ltl]E fidj öi£
i£i|Uin0£n ö£r fdjöiiEn |ün|t£ als l'oidjE |u djarartErtriM pgEgEii.
©rftcr 5Ibfd)ttitt
3iüei iHcrlunnle öer 5(^öiil)cit, ju einer tJorläu|tgen Clinroeteriftik
kerfelben. ©. 23.
#rdlcö ^a))ifer.
2)xc ©egöttbett ift eilte überftmtlidie SSef^offeubeit ber Singe, tnel^e nur bnrtb
bie Üfernnnft erfonnt uiirb. 6. 23.
§. 1.
3ur Crklürung bcs nufgc|lclllcn Snljcs. (Ein ßemeis für benfclbcn nus ber £cl)rc bes
beiligen £l)mnas non Aquin. ©. 23.
vm
Ueberfic^t.
§. 2.
Drei ßciojife aus inneren ©rüniien. ©. 25.
®ie ©d^ön^eit förderlicher Singe ift un§ pgänglich foroohf mit §iUfe be§
@e[idht§= @ef)ör[inne§. Siefelbe umfcE)Iie|t (älemente, meldhe nur bie ®er=
nunft aufäufaffen termag. Ser aKgemeine ©prachgebraudh finbet ni(^t nur förper=
fidhe, fonbern auch unfbrperfiche Singe fdhön. ©. 25.
§. 3.
3u)ci ®inroeniiungen. ©. 30.
^weites j^apifef.
Sie ©^önhcit ift jttar ein genteinfamer iBorjug ber förberlithen unb ber unförfjer=
liehen Singe; ober in ben nnförfierli^en erfcheint fie in biel höherer iBnöenbnngt
bie SBelt ber mit @r!enntnih nnb Freiheit onögeftotteten SSefen, namentlich
beren ethifthe ©eite, ift ihre eigentli^e ©hhöre. ©. 34.
§. 1.
ßeioeis bes Sohes aus inneren (Sriinben. ©. 34.
Sie Schönheit ber förderlichen Singe ift überaus uergänglich. Sie geifiigen
SBefen befi^en jene Sorjüge roeldhe fie mit ben förderlichen Singen gemein hoben,
immer in uiel höherer SSolIenbung, al§ biefe. Sie uorjüglichfie ©eite ber mit SSer=
nunft begabten SBefen ift aber biejenige, burch roelche fie ber ethifchen Orbnung an=
gehören. ®. 34.
§. 2.
Die Crhrt ber focrotifd)en Schulen. ©. 37.
Ob e§ gegrünbet fe^, roenn mir in f^’^agen ber Slefthetif bie^ Slnfdhouungen ber
älteren SSiffenfdhaft berücffichtigen. ipiotin unb bie ilieudlatonifer. ßicero. Sie
©toa; ©eneca. pato. ©. 37.
§. 3.
Die Änfehauung ber chrijUichen PhiloNhie* 41.
®emen§ non Slleranbria. @regor non iRasianj. OrigeneS. (Siemens noch=
malS unb SafiliuS ber ©ro^e. 2lmbrofiuS unb 2luguftin. SSernharb non (Slairnaur.
Johannes (ShrdfoftomuS. ©. 41.
prittes ^a))ifeC.
@iu jweiteS SJicrfmoI her ©chönhcit tritt unö entgegen in her Shotfoche, ho^
fchöne ®rf^einnngen angenehm finb, infofern e§ nnl @enn^ bringt fie jn erlennen,
nnb nnfern ©eift in ihrer Stnfdhonnng bermeilen jn taffen. ©. 47.
ßetneis bes Sahes. ©. 47.
Sie ©toa; ÜKarimuS non SpruS; bie Slefthetifer ber iReujeit; ülriftoteleS.
©t. Sluguftin. Seibnij; ShomaS non Slquin. ©. 47.
Ueberfi^t.
IX
§. 2.
eine i5pi)tl)c|’£ öer Spratl)forftt)itmj über öic ^toniologic öcs Wortes als loettere
ßeltätiguni) unseres Snljes. ©. 50 (ogt. ®. 938).
3ü)cttcr
Btc ©utljeit, Me £tebe, uuJi ber ©enufj. 52.
^apitef.
2) t C @ It 1 1) c i t. ®. 55.
Die ©utljeit im JUlgemetnen. ©. 55.
Ser Ie|ite @runb jeber Siebe tfi bte jeber firebenben Siatur anerfd;aftene Siebe
ju fic^ felber. Sefmition ber ©utijeit, nad; 2triftoteIeä rmb S^oma§ Don 9Iquin.
ber begriff ber ©ut^eit, aber ein roefcntlid;e§ iJKerfntal berfelben liegt in ber
lieb er ei nft immun g i^re§ Srägerä mit einem [trebenben Söefcn. ©. 55.
§. 2.
Die innere 6ntl)eit. ©. 57.
I. üllle Singe melc^e bem nernünftigen @eiftc gegenüber in ber Sejie^ung ber
t'^atfäd^tic^en llebereinftimmung [teilen, [inb eben baburd^ naturgemäß ber (Segen:
ftanb feiner Siebe. ?lud^ unperföntieße Singe fönnen (Sigenfd)aftcn ßaben, auf
roetd^e fid^ bie bejeidlinete SSeäießung grünbet. 3™^' Sefinitionen für bie innere (Sut=
ßeit. S. 57.
II. Sie Sorjüge ber menfcßlid^en ©eele, auf (Srunb bereu äitiif^en ißr unb
anberen Singen bie S8ejiel)ung ber tt>atfä(^IidE)en llebereinftimmung befteßen fann. Sie
(Slemente ber inneren ©utßeit in pcrfönlicßen JBefen unb in unperfönlicßen Singen.
SSSarum in biefer grage nidljt aud; bie gäßigfeit ber @eete, bie 2Befen§form beä
Seibe§ ju fepn, in Setrad^t gejogen roerben müffe. ©. 61.
§. 3.
Die nufere ©utlieit. ©. 69.
Sa§ Slngeneßme nnb ba§ illüßlicße, ober mit (Jinem SSorte baä „rüdfid^tlid;
(Sute". ©. 69.
^meitcö c^aititeC.
Sic Siebe. ©. 7i.
§. 1.
Die eigentliche Ciebe, nnii Me uneigenttid)c. ©. 71.
SSon roelcfier 2lrt pfpdhifdE)er Vorgänge ber begriff ber Siebe ju abftrahiren fep ;
Sefinition berfelben. 2)iit biefer übereinftimmenbe (Srllürungen oon Slriftoteleö, Sßomad
unb Seffiug. Sie uneigentlid£)e Siebe, nadl) Sl;oma§ unb Seffiuä. ÜBarnm mir bie
X
Ueberfi(i^t.
9?amen „eigentliche" unb „uneigentliche" Siebe für beffev halten, al§ anbeve. Definition
ber uneigentlidhen Siebe. Sa§ fpecififdhe Unterfdheibunggnterfinal ber jmei Sitten ber
Siebe. 6ine äroeite SSenterfnng hinfichtlidh einer üblidhen 3lu§bru(f§roeife. ©. 71.
§. 2.
Die cigcntlid)e £icbc als „abfolutc“ unb „rclatiuc“. tloturgcmä^ uiirb fi« »o« b«
uncigentlichcn melflcns an Stärke übertroffen. @. 77.
I. Sludh bie eigentlidhe Siebe fann unperfönliche Dinge junt ©egenftanbe haben.
S3eroei§ biefeS ©ohe§ au§ ber allgemeinen Slnfdhauung, au§ ber analogen Sehre ber
Dheologie »on ber „abfoluten unb relatioen SSerehrnng", nnb au§ ber Sehre be§
DhomaS. (Sine jroeite, Doüftnnbigere Definition ber eigentlichen Siebe. ©. 77.
II. roiefern unb unter roeldhen Umftänben bie uneigentlidhe Siebe fiärfer fep,
al§ bie eigentlidhe, unb beren SBärme unb SBirtfamfeit beeinträchtige, ober fie auch
ganj auSfdhliehe. SBarum , bem SSerfe be§ .^efiob jufolge, „bie Döpfer einanber
groüen". ©. 80.
Der @ c n u f?. ©.83.
Ü)as öer ©enuk feg. ©. 83.
Der ©enuh ift, roie bie Siebe, roefentlich eine Dhätigleit be§ ©trebenermögenS.
Definition be§ ©enuffeS. anbere, mit biefer übereinftimmenbe @rflärungen
non Slriftoteleg. @. 83.
§• 2.
Dicr Wirten ics ©enuffea, u)cld)c ber uncigentlichcn fiiebe entfprechen. ©. 85.
Die greube in fRücfficht anf ba§ Stühliche. < finnliche, negetotine
©enüffe. ©. 85.
§. 3.
Der 6cnuh aus eigentlicher Diebe. ©. 89.
I. Sluch an bie eigentlidhe Siebe fchlieht fidh, nicht roeniger al§ an bie uneigent:
liehe, ber ihrer Statur entfpredhenbe ©enuh- Da§ pfpdhologifche iUloment an roeldheg
biefer ©enuf gefnüpft ift, nach ©t. Slugnftin, bem heiligen Dho^t^“§' unb ißaHa:
nicini. Der eben auSgefprodhene ©ah gilt fo gut für bie „relatine" eigentlidhe Siebe
mie für bie „abfolute". ©. 89
II. Daf ber ©enuh meldher bet eigentlichen Siebe entfpridht, fidh erjeuge, baju
ift feinegroegg ein befonberer ©rab berfelben erforberlidh. Darum ift eg ganj na=
türlidh, menn audh ber SSöfe in ber Slnfchauung ethifdh guter .gianblungen ©enuh
finbet. SBoher eg fomme , baf behungeadhtet biefer ©enuh in mannen gäHen
nidht empfunben roirb. ©. 93.
Uefierfid^t.
XI
2)i'ittcr
€iii brittfö d)aroctcnfttfd)Cß Ülcrkmal öcr 5d)önl)cit bcftcljt bariii,
bttfj fic uns ilircr natur und) ber ©fgeiiftiiub uub ®nuib eigcntlidjer
£tebc ift. ©. 97.
f rdc6 jftopHef.
3)cr t^riftlidjeit 2ßtffcitfcf)aft fmoobl olö bcr focrotifdjcn flolt ötc ©d)öiil)ctt oon
5(ltcrö f)cr alö bcr ©cflcnftanb imb @rimb cigcittlidjEr Siebe. ©. 99.
Öon Alters l)cr gitlt bic Sd)5nl)dt, gerobe u)ic bic innere ®utl)eit, ols bie llornnsieljung
nnb ber nntiirlid)e ©rnnb ber l’iebe; non Alters Ijer umren bie Ausbriitke „idjön“ unb
„gnt“ nnb „lieliensmürbig“, „Sd)onl)eit“ unb „6utl)eit“, ('i)nongin. @. 99.
®a§ ®uct; ber 3Bei§bett; 2boma§ non SKquni; ein grted^ifdjeS ©prüd^raort;
bie ©toa; ber 3Serfa)ier ber ©c^rift „SSon ben dfamen @otte§" ; ®iotima unb
©oerateS, bei ipiato; ßieero; Älopftocf; ißtotin ; ^o^’^neS (J^rpfoftomuä. ©. 99.
§. 2.
lion Alters t)er galten in ber üiiffeiifdinft Sntje mie biefe: „3e tjiilier bie 5d)önl)eit, beflo
gröber bie Cieliensuiiirbiglieit“ ; „nms nidit idiön i(l, bns kann uninöglid) ©egenflnnb ber
tiebe ieijn“; „ffiott i|i bie tjiidjlle Sd)önl)eit, unb bar um ber l)5d)(ten
Ciebe uiürbig“. ©. 103.
ißroeluS; Sluguftin; ißlato. ®ie alte griec[}ifd[;e iß^Uofopl)ie, nad^ 'Jl)eogni§;
ißtato; 2Jiarimn§ non SprnS; ®ionpfiu§ ber 3treopagit nnb ®t)oma§ non Ülquin;
2(uguftin. ißlotin; 91ngu[tin; ®a)'iliu§ ber @ro|e; (5Iemen§ non 2tleranbria;
Üliiguftin; (gitlebert; bie ^eilige ©d^rift; 93afi(iu§. ©. 103.
§. 3.
€s i|l bie eigentlidje Ciebe, unb nid)t bie uneigentlid)e, um bie es fid) in ben nngefiil)rlen
3eugniffen bnnbelt. ©. lll.
^ttpiieC.
Soli bie ©cfiöitöeit ber ©egetiftanb mib Girmtb eigentlicber Siebe ift, bnö ergibt
ficb ber Sedebintg, in weirfjer bie ®ingc, eben infofern fie ftfiön ftnb, bent
uerniinftigen ©eifte gegenüber fteben. ©. 113.
©n jroeifnd^eg SSerfe^en in ben Unterfndt)ungen ber neueren 2ßiffenfdjnft über
ba§ 3Sefen ber ©d;önl^eit. ©runbtage für ben in biefem Jbnpitet ju fü^renben
93eniei§. ©. 113.
§• 1-
Die geirtigen lUefen fteljen, eben infofern fie fd)ön ftnb, bem uerniinftigen (Oeike gegenüber
in bem ßerbnltniffe tl)atfäd)lid)er llebereinitimmnng mit il)m. ©. 116.
XII
Ueberfid^t.
§. 2.
Die liörperlidjctt Dinge (leben, eben inCofern fie (tbön finii, bem netnihtfiigen 6ei(le gegen-
über in bem Derbältnijfe tl)at(5d)lict)er Webereinflimmnng mit il)in. <2. 118.
©ebanfen au§ ber focrati((^en • ^totin; |)terocIe§; ^piutardb- @ang
be§ ju gebenben Seroeifeä. ®. 118.
I. Seroeis be§ 2abe§ in Sftücffidbt auf bie ©dbönbeit ber ©eftalt unb ber
inneren ©inrid^tung förperiidE)er ®inge. ®ie Sorjüge auf roeldbe fid^ btefelbe
grünbet, finb (Regelmä^igfeit , S^ligWt, Sottenbung, Seroegung,
fyreit)eit, Seben. ®ie „©dfiönfieitSlinie" §ogartt)§. ®. 120.
II. Seroeis beS ©a^eS in SRüiJfidf)t auf bie 2(^önt)eit beS ©toffeS. ©. 127.
III. Seroeis beS ©a^eS in SRüctfidbt auf bie ©dbönbeit ber Seroegung.
©. 128.
IV. Seroeis beS ©alseS in SRuctfidbt auf bie ©dbönbeit non unb non
®önen. ©. 129.
§. 3.
mie bie Stt)önl)eit gei|liger iDefen unb ltiirperlid)er Dinge, fo i(l and) bie gonje Sd)önl)eit
bcs iHcnfdjen, objectiu unb ber Snd)e nad), nid)t8 Anberes, ols bie ti)atfiid)lid)e Ueberein-
(limmung iljres SrSgers mit bem nerniinftigen ®ei)le. ©. 133.
©ine Semerfung in Ulüctfid^t auf bie ©d^önl^eit ber Siliere. SOBorin bie ©d^öm
l^eit beS ntenfd§lid^cn ßeibeS beftetje. ®ie ©dfiönf)eit beS iUienfd^en umfaßt brei 9Jlo=
mente: Seroeife nad^ ber ^eiligen ©dfirift, SafitiuS non ©dfarea, ©uljer, ©lemenS
non Slleranbria. 3^ roeid^em Ser^ältniffe, i^rem 2Bertf)e nad§, bie SeibeSfd^ön^eit
unb jene ber ©eele ftefjen; SlarimuS non ®gruS, ©f)afefpeare, iptutaref). ©d^lu§=
folgerung in SRüctfid^t auf ben ju beroeifenben ©a^. ®aS „®ecorum" nad^ ©icero.
©. 133.
priites ,Äaj)WeC.
2)d^ bie ©cbönöeit ber ©egenftonb unb ©ruiib eigcntlidfcr Siebe ift, baö ergibt
au§ ber Sesiebuitg, in melt^er bie Singe, eben infofern fie f^ön finb, ber
äßefenljeit Sottet gegenüber fteben. ©. 139.
Alles morin tl)atfiid)lid)e Ueberein(limmung mit ber Wefenbeit ©ottes beroortritt, hübet für
ben nerniinftigen 6ei)l nnturgemiib ben ©cgcnflnnb feiner rigentltd)en Ciehc. ttun geben
aber bie Dinge, eben infofern fie fd)iin (inb, mit ber tPefenbeit ©ottes in tbatfSd)licber
Uebereingimmung. ©. 140.
§. 2.
Dafj alle Sdib'nbeit, objectin unb ber Sndjc nod), Itebereingimmung mit ber DJefenbeit
©ottes feg, galt non Alfers ber ben Vertretern ber Ö)igenfd)aft als ausgcmnd)te
Ötnbrbeit. ©. 144.
Stotin; ißrocIuS; tpiato. 3°^“”neS ©firgfoftomuS; OrigeneS; ©femenS non
Slteranbria. ©regor non Sfgffa. ©. 144.
Ueberfid^t.
xm
25tcrtcr
Der Degrtflf kr <Sd)ijnl)eit. DDeitere (Eiitiütthclung iiiiJ» ^muenbung
bclfclbtn. ©. 147.
frficö ^apUef.
2>cr ^Begriff ber ©tbönbeit. 147.
§. 1.
Definition. ®. 147.
I. ®rei 5'ormeln, non benen bie erfte fid^ bet ?Iriftote[e§ fiiibet, bie jroeite ber
Sefire be§ l^eiligen St)oma§, imb bie brüte einem ©ebaufen ißIato’§ entfprid^t.
®. 147.
II. ®ie Don im§ gegebene tBefiimmnng be§ 3Befen§ ber ©d^ontjeit entfprict)t
»otitommen ber 2et)re be§ t;eitigen ®f)oma§. @. 152.
§• 2.
Die Sd)önl)cit gegenüber ber ü)nl)rl)eit unb brr öntljrit. ©. 155.
®ie ©dfiönl^eit unb bie SBafirl^eit. ®ie ©uttieit ner^It fiel) jur ©d^önl^eit, roie
bie Siebe äum ®enu§. SJiäfiere Sefthnmnng be§ ®erf)ältniffe§ biefer jroei pfpdf)i|d^en
ißorgänge, nad^ 3triftotete§ unb ®f)oma§ oon Slquin, unb golgerungen t)ierau§ in
iftücffid^t auf ba§ Serl^öltni^ ber jroei in SRcbe ftcl^enben SIttribute. ©. 155.
§. 3.
€ine ße|intigung unferer Anftt)anungen nns ben jmei elnffifetjen Spradjen bes
3Utertl)uin0. ©. 159.
®ie griedE)ifd[}e ©prnd^e bejeidtjuet ben 33cgriff „nn fi^ gut" fet)r häufig burdt>
„xaXds“, bie lateinifd^e umgefef)rt ben begriff „fdf)ön" burd^ honestus. @. 159.
§. 4.
Die Sd)önl)eit nts Srnnfeenbentntbegriff. ©. 161.
I. Sltleg ©epenbe ift fd^ön. ®ie ©dt)ön’^eit mu§ mitl^in al§ ®ranfcenbental=
begriff gelten; inbe^ bie 307etap'^pfit l^at fie barum feinegiuegg, neben ber ©ut^eit,
unter ben ®rnnfcenbentalbegriffen auSbrücflidf) ju nennen. SBeld^e bie (Elemente ber
©d^bn^eit fepen. ®iefe Septeren bei 3triftoteIe§ unb ®l^oma§ non 9tquin. ©. 161.
II. ®a§ SBefen ber ©dt)bnf)eit fann nidü burd^ eine „abfolute" ®efinition
auSgebriieft roerben, lueil bie ©d^ön'^eit roefenttid^ ein „retatiueS" 2lttribut ber
®inge ifl. ®arau§ folgt inbe^ feineSiuegS, baf; fie ctioaS „©nbiectioeg" fep. (5ine
anfdtieinenbe ©d^roierigfeit au§ ©t. 3tuguftin. iReflerionen nadt; .giermann So^e.
©. 164.
§. 5.
Sd)niierigl!etten nnb Anflitnrnngen. Die i^äfitidtkrit. ©. 168.
®er ©a^, „3IIIe§ ©epenbe ift fdfön", ift in analoger SBeife ju neljmen, iriie
bie Sefire ber ilRetapfipfif, nadf) roeld^er „alte§ ©epenbe gut" ift. ©dfbn finben
XIY
UeBerfid^t.
TOtrb man ein ®tng nur bann, menn man feine innere (Sutl^eit flar erfennt.
®ag ein ©egenftanb nid^t al§ fc^ön anerfannt mirb, ba§ f)at nic§t feiten feinen
@runb in einer Segriffänerroed^fetung, ober aud^ in einer Uebereilung be§ Urt§eil§.
UebrigenS ^ei§t ber ©a§, „Me ®inge finb fd^ön", f'eineSroegS fooiel al§, „Me
Singe befi^en oollenbete (gc^önlieit". „Sd^Ied^t^inige" unb „rücffidfitlii^e"
©d^önljeit. Sie ^ä|Iid^feit ift ganj analog aufjufaffen roie bie ©d^led^tigfeit ; Se=
finition ber ©rfieren in brei f^ormeln. rfHid^t fd)led^tl)in ©dl)öne" ift äugleicfi
l)ä|lic|, unb febcS ^ä^lic^e ift äugleidf) „rüdfidlitlid^ fdljön". Seftätigung biefer @e=
banfen burdf) bie Selire ®t. 3tuguftin§. <B. 168.
§. 6.
Sd)5nl)cit unb ^ä^licbkrit im uulgiircn Sinne bes Utortes. lieber bie frage, ob bas Sdjöne
notbroenbig etl)ifd) gut fei)n müffe. (£ine ßefliitigung unfeter ßcl)re non ber Sd)ont)eit aus
ber (£ti)mologie bes IDortes „büblict)“. ®. 115.
^weites
Sic falleologtfdbc fRangorbnmtg ber SBcfcn. lieber bie 55roge bunt 3ibeoI
ber ©(bönbeit. 6. ii9.
Die llangorbnnng ber Dinge in ttüdifidjt auf iljre Sd)önl)eit. ©. 179.
I. 33afiliu§ ber (Sro^e unb ©regor uon iltpffa über bie @dbönbeit @otte§.
Sag i)3rincip nact; roeldbem fid^ ber faHeologifdfie iRang ber erf^affenen Singe be=
ftimmt, unb Folgerungen baraug. Sie jmei fd^önften unter allen ©efd^öpfen ©otteg;
ber laKeotogifcfie IRang ber übrigen ißerltärten unbeftimmbar. @. 179.
II. Sie non ©dbitler, ©oet^e unb 3lnberen oertretene Se^re, bab bag roeiblidbe
©efd^lecbt, mag bie @dl)önbeit betrifft, oor bem männlichen ben Sßorrang l)obe, ftimmt
mit ber Söahrheit nidbt überein, 'f^lato, Miftoteleg , |)uarte, Sliomag oon 3lquin.
©. 182.
§. 2.
lieber bie frage nom 3beal bet Sd)5nl)cit. 0. 188.
iRach ©editier unb Mbeten foK „ber SRenfd^ bag höd^fte 3^^ol ber ©d^öm
heit" fepn. ©ntroicfelung beg Segriffg, ber fief) mit bem Söorte „^beal" uerbinben
läft; Seftimmung beffelben nad^ Üleuherungen oon ©dhiller unb (äicero.
melchem ©inne bag SBort niemalg gebraucht roerben lönne. Sßiberlegung ber oben
be^eidljneten S!ehre. ©ine oerroanbte, gleichfoHg unrichtige Sehre anberer Slefthetifer.
©. 188.
priffcs ,Äapiief.
Sic ©chönheit ©ottcö, ihre Dffenbflritng unb ihr SZBieherfchein. ©. 195.
Der Uin|innb, bah ber iHcnfd) in feinem gegenunutigen 3u|lanbe bie Schönheit ©ottes nicht
emplinbct, kann bie IDirklichkeit ber ßehteren keinesmegs in frage (Icken. IDoraus fidj
jene (Erfcheinung erkläre. ©. 195.
Ueberfid^t.
XV
§. 2.
tPic öic Sd)5nl)cit öottcs nufgcfabl lutröcn könne. 31)rc noUc Offenborung im tmigen
Cclifit. Die Sd)önl)eit nls Ättrilmt iies „iPortes“. ®. 197.
§. 3.
Der DMeöerfdiein ber Sd)5nl)eit (Bottes in feiner ßird)e, unb im fidttbaren
Uniuerfum. ®. 205.
Unter ben fidf)tbarcn SBerfen (SotteS ift bog fdE>önfte feine jtirdie. ®te ©4ön=
fieit ber fid^tboren ©d^öpfung; ippttjogorog, Poto, (Sngel, (Soetl^e. (Sine roefent-
lid^e Dtücffidfit, bie man cor Stngen ^oben mu^, um bie einjelnen 6rf dt; einun gen ber
fid^tboren Drbnung richtig ju beurttjeilen; ©dC;ilter, unb ber fieitige Slugnftin. ©egen
eine einfeitige UeberfcEiäpung ber fidtjtboren 2BeIt unb il^rer ©d§önt)eit ; SBil^elm
SBl^e, @uibo ©örreg. Siefe ©d^ön^eit roirb nur uon benen ridt;tig geroürbigt, roelcfie
oiig berfelben erfennen, „um roie uiel fdCjöner ber .gievr oller SDinge ift, ber fie aüe
erfd^offen" ; SSoetiug, ©regor uon 9ipffo, ©t Sluguftin. ©. 205.
piiftcr
^ubne, üoü ber ^dfönljcit ttEifdjicbnic Dorjüge, burd) uicld)£ Ttd) bic
i?eirtuii0cu ber l'dföiien fünfte glrtdffallö als foldjc ju t^aracteririren
pflegen. ©. 217.
frfles /{apifef.
2>tc Grljflbenltcit. ©. 218.
Utas bie (£rl)nbenl)eit fep; Definition berfelben. ©. 218.
§. 2.
Drei filnffen erljobener (Begenflönbe. „(Erogifdfe“ €rfd)einungen. ©. 223.
I. ©eliingene ®orftelIungen non (äigenfd^often ober uou Jfioten ©otteg. ©. 224.
II. .gjeruorrogenbe ©rfdfieiuungeu ber etl)ifdE)en Orbnung. ©. 231.
III. ©ro^ortige ©puren beg SSirfeng ©otteg in ber fid^tboren 2BeIt. ©. 235.
IV. „Srogifc^e" ©rfcl;einungen. ©. 241.
§. 3.
Ob bie Crbobenlfeit and) bns Attribut non Ijonblungen unb Otjorncteren fepu könne,
meldfe etl)ifd) fd)led)t finb. ©. 242.
I. ®ie 8ef)re ©d^iUerg, 3Sif($erg unb met)rerer Slnberer SBiberlegnng berfelben:
oug bem SBefen ber ©rl^oben'^eit; oug 3ugoftün^'iiffE'^ ©dl^iHerg fclber; oug ber
allgemeinen Slnfi^auung. ®ev ©oton bei DJtilton unb SBpvon; ipromet!^eug unb
onbere gelben ber alten S:ragöbie. ©. 242.
II. Ser toiffenfdfiaftli(^e SSertl) ber 53el)auptungen ©dfjillerg über bie ißerämeif:
luug unb ben ©elbftmorb, unb SSifd^erg über bie ©mpörung gegen ©ott. ©. 249.
XTI
Ueberftd^t.
^miüB ^atiiteC.
2)ic 5lttnt«^^|. ©. 252.
2lnbeutungen über ba§ SBefen ber Hnmut^, au§ ber gried^ifd^en Stefi^etif unb
au§ p^ilologtfd^en Jl^atfad^en. Älaften „focider" 5Jieigungen. SDie 2Intnutl§
ift ein äufammengefe^ter Sorjug; i^re jroei Elemente. @te finbet fid^ jundd^ft in
perfönlid^cn 3Befen; tnbe^ roirb fie ganj mit iRed^t aud^ unperfönlid^en Singen bei=
gelegt. SBie fid^ bie auffaHenb gro^e SBirffamfeit ber 2lnmutli erfidre. 3™“
irrige Slnfd^auungen d§ folgen i^rer S3ern)ed§felung mit ber ©d^ön^eit. ©. 252.
prMfes ^apiUt.
Sie SBa^r^cit unb anberc mit tbr jufommcnbangcnbe Sßorjüge, mcld^c für beit
9Henfd^cn ben ©rttub intellectuden ©cituffcg bilbcn. ©. 258.
Sa§ Verlangen nad) (ärfenntnif ber Singe ijt jebem 2Renfd^en anerfdEmffen
(2triftotele§, If)oma§ non ülquin, ßicero); barum ift bie SB rl^ eit genu^bringenb.
Stuf biefelbe S£)atfad^e ift ber SReij äurüdfjufüEiren, raeld^en bie iJieufjeit, foroie bie
©eltfamfeit unb SBunberb arfeit unb d§nti(|e Gigenfd^aften ben Singen
nerleifien. SBarum bie SHannid^fattigfeit angenelim fep. ©. 258.
^icrfcs ^apxiet.
Sic Snt^crlid^Icit. <3. 266.
§. 1.
3ur ^rklörung bicfcr €igettftt)aft. 3. 266.
Sa§ SBefen ber Sdd^erlid^feit ganj ju beftimmen, ift ber SBiffenfd^aft nod§ nid^t
gelungen; .^ome, (Sicero, Ärug, ipaut. Sie non 2lriftotele§ aufgeftettte (5^a=
racteriftil ber SddE)erIidE)feit. (Sin flarerer 2lu§brucf für biefelbe. 6ine ^ppotl^efe jur
(Srildrung ber pfpd^ologifd^en SBirfung lddE)erlid^er (Srfdfieinungen, im Slnfd^lu^ an
j?ant unb Sl§oma§ ton Slquin. 3. 266.
§. 2.
ölt fiomik unb il)r M^braud). 3. 270.
Sie 3lu§brüdEe „fomifd^" unb „bie Äomif", unb bie Stufgabe ber Sezieren.
3^^r SUUfbraud^: Suljer über bie „ißarobie" ; .g»ome über ben „.^umor"; bie Sor=
liebe für ba§ SddEierlid^e feineSroegä eine empfel^lenbe (Sigenfd^aft. Semü^ungen
neuerer Slefi^etifer, ben ilJliprauc^ ber ßomif roiffenfd^aftlid^ ju legaliftren:
bie Steft^etit be§ ipantl^ei§mu§. 3. 270.
fünftes ^atiifeC.
Sie ftmtli(5c 3lngctteümüeit. 3. 276.
Sefinition biefer ©igenfd^aft. 3^^ miefern fie für bie fd^önen Äünfte SSebeutung
habe. Ob ba§ Sluge unb ba§ Olir mit 3ted^t au§fc§lie^tid^ al§ bie „d)tl§etif(|en"
3inne gelten. SBarum in ben SBerfen ber fd^bnen fünfte nur bie „optifd§e" unb
bie „acuftifd^e" Slngenel^ml^eit nerroenbet roerben fönne. 3. 276.
Uebevfid^t.
XVII
©et^^tcr ?tb)d)iittt
(6tiitgc (Erklöniitgcit bcs JDcj'nis ker .Sdjöiiljeit, uicld)c mit ber non
miö gegebenen nid)t übereinftimmen. e. 281.
§r|ieö jÄapifef.
$cu(iialifttfd)c (f-rflnriiuflcn ber ©djöuöcit. ©. 283.
Sie ©c^ön^eit rtad; Stbbifon iinb SSurfe; be§ Se^tcren (Srflärung ber Qx-
^abenl;eit; §ome. SBaiimgarten: fein SSerfiältni^ jur 2Biffenfd}aft ber fd)Önen
Äünfte, nnb feine Sel^re non ber @d;ön'^eit; dRcier. Sie noltere (äntroidelung ber
Set)re 53aningarten§ bei Sem de. Originelle ©ebanten oon ®erg, im ©inne be§
Sarroini§mn§. Sa§ I)o^e idltcr ber fenfunliftifd;en 3ütffnffung; Sf)eobor „ber
Sttbeift", an§ ber ©djule be§ SIriftipp. 2Bie bie gefunbe ip^ilofop’^ie non je^er
biefe Stnffaffung nerläugnete : ißiato, 2ü'iftotele§, S^emiftiud. ©. 283.
^mcUcö ^tarntet.
Grflärmigett welcfie bte ©djöiibcit nlö ©cgcuftatib intcücctnalcn «nb ftmtlidjcn,
ober blof? intcücctimleit ©cmtffcö aiiffnffcit. ©. 293.
Der ßegrifjf bet 5d|önl)cit nnd) Sulctus nnb frnuj nmt Sides. D«U«i'ici>ii, Umjinrci,
ßnlbinolti, ßlnir. Jnparclli. ©. 294.
§■ 2.
3ur ßelcud)lumj ber im mirigeu ^'orrtgruplieu gegebeneii ßel)re. ©. 299.
Ser 53croei§ '^?ntlnnicini’§; JBibeidegnng. Snpnrelli’S Sßeroeig; ÜEiberlegnng. Sie
Se^re um bie e§ fid) Ijonbelt, ift teine§roeg§ jene be§ t)eUigen S[)omn§. ©. 299.
§. 3.
(fin neuerer ßerfud) und) brrfelbeu ilid)tiing mie bie unrigeii. ©. 306.
Sn§ SSefen ber ©c^ön^eit in einer 2tbf)anblnng ber 9JcnpoIitnnifd;en
fd^rift La scienza e la fede, angeblid; nnd; S^oma§ oon 3lqnin. Sag if^rincip
Don metdiem bie SBerfaffer anggefien, entfprid;t roeber ber 8ef)re beg ^'eiligen Sljomag,
nod^ ift eg iniffenf^aftlid) jnläfjig. 3tad; bem non i!)nen aufgefteilten SBegriffe füllt
bie ©cfiön^eit mit ber 2Baf)rf;eit jufnmmen; ganj mit llnred^t roirb non iljnen biefer
SSerroed^felung ipiato befdljulbigt. 23ef)auptung , nad; ineld)er bie „Orbnung“
nnb üfmlid^e Sßorjüge burd; bag niebere ©rtenntnipnermögen aufgefa^t mürben,
fielet mit jeber guten i)S^i(ofopf)ie, nnb nnmenttid) and; mit ber Se^re beg I;ei(igen
S^omag in USiberfprud;. Ser 3(ugbrnd „finnlid;e ©djön^eit". ©. 306.
prittcö
Scfinitimicn ber ©t^ö«f)cit bie fd)on bariim imgcuiigcitb crf^cincu müffcit, weil fie
ju wenig beftimmt fiub. ©. 313.
ißetaniug. Sefinitionen auf pantl;ei)'tifd;er ©rnnblage: ©d;elling;
iß if cf) er. 31. Äul;n. ©^illerg 8et;re über „bag 30tenfd;Iid;e" unb „bag
©df)öne". ^utd^efon, © f; a f t e gb uri; , (Sorte fing, 3Inbre, nnb „23iele nad;
3ungmanii, Steftfjetit. 2. Stiig. b
xvm
Ueberfid^t.
i|nen", al§ Vertreter bev ftarf nerbreiteten (Srflärung, roonad; bie ©c^ön^eit „bie
(Sinl^eit in ber ®iell§eit unb 9Jianni(|faIttglEcit" fe^n foß. ©. 313.
Sd)lu^ bcs £t(lcn ßudjcs.
Sie ©d^ön^eit gegenüber ben anberen „äftl^etifd^en ffiorjügen". ©. 318.
3tt)eiteg 33uc^,
^ie f(^()tien
iljrE |aifpb£, ipE ob£r|t£n ®£f£p unö ipE pittEl.
©tcBcntcr 5lbft|nttt
(Erhlärungeii uiib Sü^e, ui£ld)£ bie fd)tiiifu fünfte tm ^Ulgemftneii
beti'effeii. ©. 323.
§tfte^ ^apifeC.
2ÖOÖ eine feböne ftmtft, itnb welche bie pönen Äünfte feilen. ©. 323.
Öorhiufigcs. ©. 323.
„5Jded|anifc^e" unb „freie" Äünfte. ©rflärnng ber Slugbrüde „dft^etifd^er
SBertf)" unb „äftf)eti)(^er @enu^". ©. 323.
§• 2.
ülas „eine fd)5ne £un|l“ fei). ©. 325.
Sa§ iprincip, nad§ roeidjem bie üßiffenfd^aft barüber urtfieilt, raet^e unter ben
Äünften n(§ „fd^öne" ju gelten pben. llebereinftimmnng beffetben mit ber 2et)re
be§ atriftoteteä. ©. 325.
§. 3.
Ulcldjc bie fdjiincn fiiin|l£ fcijen. ©. 327.
I. Stnroenbung be§ erften in bem iffrincip geforberten 2Rerfma(§. Srei nerfd^ie:
bene 3tufgaben, beren eine jebe bie i^r bienenben flünfte nerpflidjtet, barnuf bebadtit
jn fepn, baß il)re Seiftungen fid^ burdf) möglidf)ft bebeutenben äpetif^en ißfert§ em=
pfetjten. Siefen brei 2tufgaben entfpred^enb ergeben fid) brei ©ruppen non Äünften:
bie reügiöfen Äünfte, bie cinifen, unb bie eb o nif d; en. ©. 328.
II. Sag jmeite aJtertmal. Unentbebrtii^feit beffetben. ®g ift £)intänglid§ beftimmt,
Idf;t fid^ übrigeng nod^ fcE)drfer ausbrütfen. 2SeId§e Äünfte aug ben norf)er bejei(|:
neten brei ©nippen bie dJdittet befit^en, unter entfpred)enben Umftdnben SBerfe non
^ernorragenber ©c^öntjeit f)crnor3ubringen, unb barum alg „fdjöne Äünfte" 31t getten
pben. Sie generifi^en 9Iamen ber fieben fdjönen Äünfte be3eid^nen nid^t je ©ine
fd)öne Äunft, fonbern mefirere; namentlicb ift jebe retigiöfe Äunft non ber ober
ben gteidfmninigen profanen ber 2lrt unb bem ißfefen nad; nerfd^ieben. ©. 333.
Ueber)'id;t.
XIX
^tucUes jftttpifcf.
2ötc ftcfi, öem öcr pfolgc, Mc fc^önctt Äiinftc tnögcfamntt
jiinn^ft niif bcm SSobcii bc^ reltgtöfcn Scbeiiö entwiddtcn , fo ift cö mic^ eben
btefer, ouf toelc^em fie ihre böcftfte 3^1üte erreicht boben. ©. 338.
§• 1-
Ö fl r l S u f i g e s. © . 338.
Sret allgemeine füi bie 2Babrf)eit be§ au§gefprod;enen @abe§. 3^^
raelcbem Sinne bei ben beibnifdbeii SSölfern ein roirffid)e§ religiöfeS ßeben nnb reti=
giöfe Äünfte ansnerfennen fepen. ©. 338.
§• 2.
Oie Ard)itcctur unb bic Sculpfur unb illnlcrri bei ben l|cibuiCct)cn Dölkcrn. S. 340.
§• 3.
flic Pflcfu, bic ülufilt unb bic brmnntifctic ßunb bei ben l)cibniftl)cn Itölkcrn. ©. 345.
§. 4.
Die fd)flncn fiiinbc bei ben Sfrnelüen unb ben d)ri|Kid)cn Völkern. ©. 352.
Priffcö jftapifer.
©rötere SBcbeiitimg bte brofonen Äiinfte, bnben feit bcm Jöcginn mtferer
rctbniing bic t^riftltcö=religiijfcn: mtb babon bu^ btc)c gcbficgt werben, bongt bic
SBIiitc ber fdjönen Äiinftc wcfcntlicb nnb an erfter Stelle ntn S. 362.
öiefer 5nlj ergibt fid) nls fnlgcrung itus ber iiflrl)ergcl)cnben £l)c|is. 5uiei uieitcre,
npriflri|d)c ßeuiei|c. ©b es uml)r iei), bnfj bic Aelllietik einen iEbeil ber
Pbilflfflpbic bilbe. ©. 362.
§. 2.
Die cin|eitige ©ingcuflimncnbeit für bns Äutik-(£lnflifd)c i|l ein Anndirfluismiis , lueldjcr
bem Aufid)umngc ber fdjöncu fiüuflc nur bemmenb cntgcgcuiuirlmt knuii. S. 367.
■^iertcö jftnpifcf.
^Tae! cigcntlidjc ^'rincib bitrd) welche^ eine .«nnft d)riftlid)=rcligiöfe .'^nnft ift, liegt
nidjt in ben lyorwürfcn benen fie ihre Tbätigfcit wibmet, fonbern in ber
Ucbcrnntiirlicbfcit bcö 3wc(fc!g für ben fie arbeitet. ©. 375.
®er SSegriff einer veligiöfen Ä'unft non nerfdjiebcnen @etebrten tbeilä ignorirt,
tbeilS nnrid;tig beftiinmt; bii^iwon, jnnä^ft für bie Sföiffenfi^aft ber ^Poefic.
Sb^lfntb^n QU§ bem ©ebiete ber 5Jtnfif, roe(d;e auf bie 97otf}it)enbigfeit einer rid);
tigeren SSeftimmung ^imneifen; ein 3^n9tiife .^nnslidS für unfeve 3;^efi§. Ser
roiffenfdjaftlid^e fBeiueig für bie Pelitere. S. 375.
^ünffcs /mpifef.
3wci otlgcnicinc oberfte öiefepe für bic rcligiöfcn «ünftc. S. 382.
§• 1-
€uluiidiclung ber ju'ei ©cfcljc. S. 382.
b*
XX
Ueberfid^t.
§■ 2,
i^illoril’djc ßcifptclc ?ut (frlimtcrung bcs crflctt dJefc^cs. ©. 385.
§. 3.
.But (grlSutcrung öcs jmcitcn djcfc^cs. ©. 391.
I. .^tfiorti'd^e SSeifpiele. ®. 391.
II. 2Ba§ ber Äünftler inSbefonbere ju beobad^ten ^abe, bamit feine Seiftungen
betn Sinne be§ l^eiligen @eifte§ entfpred^en. S. 393.
III. 3Sier ^iftorifd^e ip^afen in ber ©arfteüung ber l^eitigen SKutter @otte§,
als ^ttuflrationen ju ben gegebenen Slnroeifungen. ©. 398.
2>te 2öerfe ber fd^öncn fünfte unb bte SBabrbcit S. 414.
i 1.
jnfofern cs fid) um bic l)cbonifd)cu fiiin|lc l)nnbclt, l|l cs kcincsmcgs notl)U)cnbig, ba^ btc
®rfd)cinungcn mcld)c bcn Snljult iljtcr fficrkc kilbcn, l)i|l®rifd) umljr fcijcn. S. 415.
®ie religiöfen Äünfte ntüffen fid§ in if)rcn 2trbeiten, nm§ baS SBefentlid^e beS
3nf)alt§ betrifft, ftreng nn bie tfiatfäc^nd^e 2ßal^rt)eit f)alten; baffelbe gilt non ben
cinilen fünften, dagegen genügt, bamit fid^ äftl^etifc^er @enu§ erjeuge, bie blo^e
ätnfd^auung be§ dftt)etifd^ bebeutenben ©egenftanbeS, in Sßerbinbung mit einer 21rt non
„Qüufion": bie fjebonifd^en fünfte finb im ©tanbe, biefe fierbeiäufül^ren, unb fo hi-
fi^en fie ba§ iRed^t ber freien ®idf)tung. SBarum il^nen biefeS iRed^t unentbel^rlid^ feg ;
nnb marum i£)nen gegenüber bie ciniten fünfte in ben .^intergrunb treten. ©. 415.
§. 2.
3n fcbcm lücrkc einet fd)Sncn fiunit, unb in allen Sbcilcn eines fold)cn, mn^ noUe
pl)tlofopllifd)c Ü)nl)rl)eit l)frrfd)cn. ©. 420.
I. ®rei Seifpiele non Serftö^en gegen bie pf|ilofop^if(^e SBafir^eit. ®ie Sez-
iere befiehlt barin, ba§ ba§ iprincip ber ßaufalitöt, roie e§ ba§ gefammte ©ebiet
beS „äufälligen" ©egnS mit metapl^gfifdfier iRotfiroenbigfeit befjerrfd^t, aud^ in ben
©rfd^einungen roeld^e bie Äünfte un§ norfüfiren, unter jeber IRüctfid^t noßfommen
beobad£)tet erfdfjeint. ©inige roeitere SBeifpiele. ©ebanfen be§ 21riftotete§ über
biefen ißuntt. ©. 420.
II. SSerftb^e gegen bie pf)i[ofopJ)if(|e SBa^r^eit ftören bie ^ßnfion; norjug§=
roeife au§ biefem ©runbe müffen fie in ^ebonifd^en Äunftroerfen al§ gelter gelten,
^e roeniger inbefi bie bejeicfinete ©tbrung ju beforgen ift, befto el^er fönnen fie nad^
airiftoteleS, unter geroiffen Sebingungen, äulä|ig erfd^einen. UebrigenS fte^en fie in
aßen gäßen in Sßiberfprud^ mit ben gorberungen ber SSernnnft: unb unter biefer
iRüßfid^t nerbienen fie in üBerfen ber religiöfen Äünfte um fo fd^ärferen Sabel, je
me^r ben Segteren bie ©efal^r ferngerüctt ift, folcfie SSerftöBe ju mad^en. lieber
geroiffe pl^ilofopl)ifd§ unsuläpige greil^eiten ber religiöfen ßRalerei. ©. 425.
§. 3.
Amncnliung unk niiljcre ßeflimmung kcc jniei liegriinketen ©cfclje. ©. 429.
3nr ©rflärnng einiger bei nerfd^iebenen 2leß^etifern norfommenber SXuSbrüße.
2ßa§ bie pplofopljifd^e SBal^rtieit erl)eifc^e bei ganj frei erfunbenen Stoffen. 3ln=
lefinung an bie ©efdf)icf)te ober bie Sage ift ber ganj freien ©id^tung norjuäie^en.
Uebei’i'id^t.
XXI
3n roiefern bei ^iftorifd^en ©toffen ber Äünftier buvd^ bie Jtüd'fidjt auf bie
fop^ifd^e 2ßa^r£)eit gebiinben fei) , unb in roiefern bnr^ bie @efd)icf)te. Cb e§ i^m
geftattet fet), frei erbid)tete Cf)atfad)en an I)iftorifd^c 9iamen jn fnnpfcn. 2(nac^roniä:
men; jroei Sebingnngen, unter bereu jeber fie jntäpig finb; ein nad) 9triftotete§ nn=
3idä|iger 3lnad)roni§inu§ au§ ber „ßlectra". ©egen ©d)illerg 8et)re, baff „ber
Cid^ter nur unter bem ©efe^e ber poetifd)en SSa^r^eit ftet)e". ©. 429.
§• 4.
flic ü'al)rl)cit in jrncn (flcmcntcu Imllrutcitjnifdjcr U'crhc, mcldjc öcm fiilijcdiurn ©cbicte
nugrl)iircn. ttatiirlid)licit uuJ .Affcrtntion. ©. 440.
§. 5.
Ob öic fiun|l „Und)nl)iimmj öcr ilntur“ fci). lieber bie ibntundieluug aller fdjönen fuin|le
aus ©inem }.>rineip. @. 443.
^tcßmics ^opiteC.
^luct »^i’dflcu U)cld)c bie fjeboinfdjcu Äiiiifte betreffen. 6. 448.
§■ 1.
Ob es iidbelifd) juliifjig fei), bafi bie l)cbimifd)en fiiin|te neben jener Uiirknng, uieldje ben
eigentUdien 3u)edi il)rer llierlte bilbet, und) mcitere beab|id)tigen. ©. 448.
S)a§ be5eid)nete Cerfa^ren ift nid;t nur noßfommen jnfäpig, fonbern e§ trägt
nad^ -^oraj, @t)atefpeare nnb Seffing fel^r roefentlid) ba^n bei, ben äftl)etifd)en SSertf)
ber ]^ebonifd)en fieiftung jn erl)öf)en. ©inen fd)Iagcnben Sßeroeig f)ierfür liefern bie
©•rjengniffe be§ „9iea[i§mn§" ; bie „©rmorbiing ©äfar§" non Ijßitoti). @. 448.
§. 2.
Ob jeber Uerltofs gegen bie ©efelje ber d)rifUid)en ©tl)il! in ben Uierlten ber l)ebmiifd)en
fiiinfle, and) als ein l>er(tnf5 gegen bie ©efelje ber Aeftbetil! gelten miiffe. ©. 457.
ßnr ©rflärung. llnnmftöj)Iid)e ©H'iinbfäbe ber ©tl^if nnb ber i)3äbagogif, nad^
iplato nnb Caiintilian. 5ßie bie Üleft^etif ber 9ienäeit biefen ©rnnbfä^en gegenüber
nerfäfirt. nerneinenbe Stntroort onf nufere f^rage. Sßon ber 2ßiffenfd)aft fann
bie Seütere nur im bcjat)enben Sinne beantroortet roerben; Seroei§. ©. 457.
^tapitef.
Ctc Ütufgabe ber fdjöncn .fünfte nnb bie moberne 9(cftf)ctif. ©. 465.
®er neueren 2teftf)etif jufotge f)aben bie SBerte ber fd)öncn Ä'ünfte feinen
an^er^alb if)rer felbft liegenben frnnjöfifdje @clef)rte über biefe§
tprincip bad)ten. ©ine practifi^e Folgerung an§ bemfelben, bie nid)t baju angctt)an
ift, e§ ju empfef)Ien. ©. 465.
i3ic i’eljre bet innbernen Acltlitlili luni ber „alifnlnten Uelnliimslofiglieit“ ber liallrnttdinifdien
ü'ttlse uübtrfprid)t ben Uelitrjrugnngtn ber gefammten liergangenlieit. ©. 468.
Cer 93ernf ber fd)önen Äünfte in ber llrjeit, nad) .^oraj. SSojn, nad)
iptutarc^, ber ©efel^geber fipeurgnä bie ijjoefie nnb bie iOhifif nerroanbte. Cer
biefer Äünfte naef) ißpt^agora§, nad) Cimäu§ an§ £ocri§, nad) tpdato nnb 2triftotele§.
2friftoteIe§ nnb 2tri)'topl^anc§ über ben 3’öed ber 'iragöbie. ©in 3f9gnif) be§
xxn
Ueberfid^t.
attifd^en 3lcbner§ S^curgug. Sie SKnfd^auungen ber römifd^en nad| ^oraj.
Ucber.j; eine 2leuferung ©oet^e’g. ®ie Sel^re ber d^riftlid^en SBil'jenfd^aft t)on ber
Seftimmung ber fd^önen fünfte; Seibnij. ®. 468.
§■ 2.
0ie £el)re »on kr „abfolutcn ßclatiottslo|iglifU“ kr kallcfltcd)nifd)cn ffirrke »or kein
forum ker Vernunft unk ker ©cCd)id)tc. ©. 477.
®(|eingrünbe, burc| roeld^e bie moberne Sleff^etif tl§r Striom ju ftü^en fud^t;
©eteud^tung berfelben. @g ift eine unbeftreitbare ^iftorifd^e J^atfad^e, ba^ bie noß:
enbetften SBerfe einer jeben fdf;önen Äunft für beftimmte 3^^^^ 9efd^“ffsn rourben.
Ob bie £ef)re non ber „fRelationgtofigfeit" felber aud^ „refationgfog" feg ; ü§re un=
moralifd^e Oenbenj. ®. 477.
5lr^tcr 5lbf(^nitt
Die ^Irt^üectur ober bie l)öl)ere <5aukun|l. ©. 484.
f r^co ^apUeC.
2)ic reltgtöfc Stre^itectur unk tkre 2tufgabe. ®. 484.
Sie religiöfe Saufunft im (S£)riftent£)um ift mit bem Segteren fetbft begrünbet;
rooju fie berufen feg. <S. 484.
Das gci|lige „t^aus“ unk ker unftd)timrc „fcmpel ®ottes“ und) ker ßcljrc ker
©ffenbarung. <S. 485.
§. 2.
Der 5tb|id)t ker fiirdjc und) foU kic 3t.rd)iteclur kas materielle ®ottesl)aus fo geflalten,
kak es ken „unftd)fbaren lEemgel“ ©oltes fgmbolifd) kar|tellt. ©. 487.
2Bil^eIm Suranbng ; St)omag non 2tquin. 0tetten aug ben liturgifd^en
3Südf)ern. ®t>n ©(Riegel. Sie triumpfiirenbe Äird^e unb bie ßreitenbe finb
Sf)eile eineg einjigen ©anjen. ©. 487.
§. 3.
QUe im Allgemeinen kie Ard}itectur |u rterfakren ktibe, um ker be?eid)neten Abfid)t ker
fiird)e ?u entfpred)en. 6. 491.
^weites jÄetptteC.
Stc rcltgtbfe iBoufirnft, namentlidj kie gotkif^c, kflt ken ©ckanfen ker Äircke,
»onad) kaä ntaierteüe ©otteökuuö kaö fgmboltftke Silk keö unfi^tbaren Sentkelö
Sottet fegn foU, in febr öoüfontmener 2öeife pr 5tuöfüfirung gekrönt ©. 492.
Sie nerfdkiebenen kiftorifdken ©tgle ber religiöfen 3trdkitectur. ©. 492.
§. 1-
ßemeis kes aufgeflellten Saljes. ©. 493.
ffiie bie 3eit beg Bopfeg unb jene beg IRococo über bie gotkifd^e Saufunfi
badkte. ©oetke’g Urtf)eit. Ser 2Bertk ber non iknt bejeid^neten Sorjüge eineg
Ucberfid^t.
XXIII
got^ifd^en 9Äünfter§ liegt ^auptfäd^lid^ in ber 5ß eben tun g, roelc^e fie bemfelben
nerlei^en; biefe SSebentnng entfprid^t aber genau bem ©ebanfen ber Äirc^e. ®. 493.
§• 2.
(Eingcljcniicrc i^usfiilirung lies ßciucifcs. ©. 498.
I. 2Bie bie gotl^ifd^e Sanf'unft eä nevftnnb , bie :^ernorragenb[ten (5igenfd;aften
be§ geiftigen EempetS @otte§ in i^ren retigiöfen ©d^öpfnngen ju nerfinnbilben.
®. 498.
II. 5Bie bie gof^ifd^e Snnfunft e§ nerftnnb, in bem @otte§^anfe bie Dorjiig=
üd^ften dJtomente jum StuSbrnd ju bringen, non benen in feinem 2Berben nnb ©epn
ber geiftige Jempel @otte§ getragen mirb. S. 505.
§. 3.
3ur Ucd)ffcrtigung unfircs Öfrfal)rtns in beit worl)ngcl)cnbcn jmei f3aragrnpl)cn. ©. 510.
Sa§ 23ert)ältni| ber gotl^ifd^en jnr romanifd^en Sanfnnft. ®er ©tpt ber 3te=
naiffance. 6. 510.
§• 4.
Die fircujfurm ber d)rifUid)cn ©uttcsbiiufcr. 'S. 512.
®iefelbe ift roefentlid; nnb an erfter Stette fpmboIifc|. ®ie ißerneinnng biefeä
Safee§ bei Sd;naafe. ^Prüfung ber non i^m aufgefiil^rten ©rünbe, nnb Sffiiber:
tegung berfelben. S. 512.
prifies ,Äai)tier.
®ic ^jrofniie ober cioilc ?lrd)Ucctnr. S. 519.
SeroeiS, ba§ auc§ biefe ben fdjönen fünften beijujäfiten. ®ie am meiften für
fie geeigneten Stple finb ber got^ifd;e, nnb nietleid^t ber romanifd;e. ®ie iRndte^r
jum antifen griec^ifd^en 33auftt;t mar eine SSerirrung; ber f)etlenifd;e Sempet. lln=
abt)ängig non ber religiöfcn ^at ficfi bie profane 2(rd}itectnr niemat§ entroidelt.
S. 519.
Viertes
©ititgc ©cboittcn öiiiftdjtlid) ber «tebereu Söanfimft nnb bc^ Äunftbnubiocrfö. S. 526.
®er 23egriff ber Srfteren; eine ®efinition Äantg. Gdemente ber Sd)önl;eit
roeld^e in i^ren Sßerten l)errfc^en fotlen. ©cero nnb Sot^e über bie 3roedmä|igfeit
al§ Dorjüglid^eg ©tement ber ScE)önt)eit. ®ie eigentlidje ®rägerin be§ Äunft^anb=
roerfä ift bie 2lrc§itectur; e§ pebt fid^ nnb finft nnan§roeid)Iid) mit l^r. S. 526.
'Jicuutcr
Ilic örmnatifdje fiuuft. s. 533.
gür biefen nnb ben folgenben 31bfcf)nitt notfiroenbige ©rflärungen ; ba§ ©ilb,
nnb uier 21rten beffelben. S. 533.
xxrv
Ueberfid;t.
frIJes ^a))iteC.
Söeflriff mit) iffiefeit ber bramotif^c« tunft. S. 535.
31)rc Aufgabe unb iljrc ittittcl; Definition. ©. 535.
§. 2.
Die brnmnfifdje fiunfi ifi nidjt eine unter ben befonberen Uid)tungen ber poefie im engeren
Sinne beo tbortes, fonbern fie fint, neben ber poefie, als eine eigene felbfinnbige finnfi
ju gelten. ©. 538.
®ie bramatifefie (Sompofition für fid; allein ift ein unfertiges 2Berf; feinem
Segriffe entfpred;enb, eriftirt ba§ ®rama einjig burd) bie luffüfirung auf ber SSüfine.
®ie Jbunft ber brarnatifd^en ßompofition bitbet barum mit bet Sdiaufpielfunft ytx-
fammen eine etnjige untfieitbare Ä'unft. (Sine analoge (Srfd)einung bei jroei anberen
fünften; ba§ 93crfaf)reu im 2Utertl)um. ®ie (Seftatt ber bramatifdien ßompofition
müßte eine roefentlicfi anbere fepn, roenn biefe foUte al§ SBerf ber ipoefie angefe^en
loerben fönnen. ©. 538.
§• 3.
©egen brei ©inmenbiingen. S. 546.
„®ramatifd)e (Sompoütionen bieten äfifietifd)en ®enuß and) bem, roeliifier fie
bloß lieft." „@§ gibt (Sompofitionen , roeldfie gar niefit für bie S3üfine gearbeitet
finb." „®ie .^anblung fiat feine Sebeutung ofine bie fRebe ber .g>anbelnben." —
0b bie ©^aufpieltnnft eine „bloß nuSübenbe" Ä'unft fep. ©. 546.
^weites
3)tc brd Strtcu bcö 2)rnma’ö. (Sin no^ nicfit autiquirtcr ©ebonfe ber ©ocratif^en
Söciöficit. äßnnint mir bie bramotifdie Äunft nur alö „Ijebmtiftfic'' bcfianbcln. ©. 550.
®ie ©ragöbie, bie Äomöbie, baS ©dfinufpiet. ®er dRißbraud; ber bramatifdfien
Äunft, unb beffen uerberbliiifie SBirfungen. ®a§ geiftlidje ©dfiaufpiel; fRüdfiefiten,
roeldfie bie bauernbe SSerroertfiung ber Sramatif für übernatürlidfie ßroede unmöglid)
mad;en. ©. 550.
3cf)utcr
JUe 5culptur unb btc Jlalem. ©. 556.
frllcö ^apiteC.
Sic ©enfptnr ober bie ploftifdfe Ännft in ifirem liefen. ©. 556.
§. 1.
Dir Sculptur ifi ifirem Ulcfcn nad) pragmntifd). ®. 556.
®ie ontologifcfie Slnalogie sroifefien ber bramatifefien nnb ber plaftifdfien Äunft;
ba§ ®arftetlung§miüel ber £efiteren. (Srläuternng ber erroäfinten Stnalogie btirdfi
Ueberfic^t.
XXV
bie @ruppe ber ^liobiben, ber (Slectra mit OrefteS, unb ben ißaticnnild^en 3tpoUo.
X*« eigeiitlid^e @egenftanb ber plai'tifcf)en Xarfteßung i[t bie ^anbümg. 556.
§.2.
Die ticrncinung ks vntgmatifdieti (£l)nrncter9 kr Sculptur in kr neueren iVeflltetik. ©. 566.
I. Xie 2ef;re »on ber „abiofuten unb bem ^o^en @Ieid;gen)icf)tc ber
Statue" ftefjt mit beu ©runbld^en ber gried^ifd^en Sleftl^etif in oftenem Sß>ibciiprud^.
S. 566.
II. Xie „Sd^eu uor ber ^arbe", bie uatürtid^e ißerfenuung be§
pragmatifc^en d^aracterg ber ©culptur, roirb burd} baä Xerfo^ren ni^t allein ber
beften mittetalterlid^en , foubern namentlid; audf) ber antificlaffifd^en .ffunft auf ba§
cnti'(|iebeufte oerurt^eilt. ©. 571.
§• 3.
Drei Definitiimen. ®. 576.
5»dte$
Xic SDJalcrci ober bie grnpljifdtc .tiinft in ilircin 2®cfcu. ©. 577.
.§• 1-
Die Jllnlerei ill, mie bie Scnlptur, iljreni Äiefen imd) pragmatifd). S. 577.
Xie na^e ißerroanbt|(^aft ber SRalerei mit ber ©culptur; Uebergang uou bie)er
ju jener, lieber ben Ulamen „grapl)ifd)e Äunft", 3Bie bie ©culptur, jo ftellt aud^
bie lUdalerei drjd^einungen au§ bem el^ifd;en Seben, — .^anbtung, — bar. 23er:
jc^iebene SSort^eile biejer Jlunft r>or ber Ißlaflif. ©. 577.
, §. 2.
Du5 Icljtr 3Uienbmnl)l ntm ffconnrbo bn Dinci, nls SlluHrntimi bes prngmnli)'el)eu (Eliaracfers
ber illnlcrei. ©. 580.
§. 3.
Drei Definitimien. Die „(briinjlinic“ jn)ifd)en ber Seulplur unb ber iJlnlerei nnd; ber
neueren Ae(ll)etili. ©. 584.
prittfs
iüer Sö^e Scjjing« nub ber ncncrcii 3(eftl)ctif über bie btlbcnbcit JSünjtc
intb ibre Stiifgabc. ©. 586.
§. 1.
(Dli in ber (El)iit „bie liiirpcrlid)c Sd)iinl)cit bie eigcntlid)e ßellinnnung ber liilbenbcn
• iiiinllc“ jei). ©. 588.
I. Sie apriorijd;e 2lrgumentation burd; meldbe Sejjing feine, bieje S^’age be=
jabenbe Sebre ju beroeijen glaubt, leibet an einem gebier gegen eine§ ber roejent:
lidbften (jJejebe ber Sogif, unb ift barum nidbtig. ©. 588.
II. Sejjingg Sebre jelbft ftebt mit ber Xßabrbeit in SlBiberjprucb. Sa§ ergibt fidb,
raie au§ anberen dfüdfiebten, jo namentlid; barnuS, baf^ bie non ibm bebauptete Se:
ftimmung bie bilbenben fünfte nerpflidbten mürbe, alle ibre d'eftalten unbcfleibet
erjdbeinen ju lajien. ©. 591.
Suiismnnn, Steftftetit. 2. Seuft. b **
XXVI
Ueberfic^t.
§. 2.
®b in bcr fbrtt „btt bcn Alten bic liörpcrlid)c Sd)iinbtit bns l)öd)ftc 6cfc|5 bcr bilöcnben
iSiinjlc gciDcfen“. 0. 600.
äCud^ biefe ^rage roirb non Seffing bejaht; aber ber SBetceiä ben er für feine
ißel^auptung bringt, ift nac^ ben (Sefe^en ber Sogit burd^au§ ungenügenb. 'iDie
grage ift entfdjieben oerneinenb p beantiDorten. ®enn erfteng tiielten fid^ bie fünfte
in §eHa§ feine§roeg§ für nerpflid^tet , f^re ©cftalten nnbefteibet erfd^einen 51t laffen;
iprariteteg unb bie (Snibifd^e SSenuS. griedtiifd^e Sleft^eti! für bie
bilbenben flünfte ein roefcntlid^ anbereg „^d^fteS @efe^" anf; (äuripibeS, unb (£0=
crateS nad^ 3denopB)on. Unb eben biefeg @cfe^ tritt ung in ben norne^mften @c^öpf=
iingen ber tießenifd^en Äunft entgegen; ber Olpmpifd^e 3^u§ beg ipi^ibiag, feine
ÜJiinerna unb feine SSenug. Epigramme über bie SSenug beg iprariteleg nnb
bie itJtinerna beg ipi^ibiag. (Sine ®ianaftatue, nad) (Sicero. 600.
§. 3.
®b in ber bic- bilbenben £iin|le nid)t (£tfd)tinungen bnr|lelltn biirftn, „bie fid) nid)t
nnbers benn als transitorifd) benktn ln)ftn“. 'S. 610.
®er ©a^ burd^ roeld^en Seffing biefe g-rage nerneinenb beantroortet, ift ein
(Srgebni^ aug unrid^tigen ^rdmiffen. Ueberbieg tritt ber iBerfaffer beg „fiaoeoon"
burd^ benfetben in SKiberfprud^ foroo^I mit fid^ felbet, alg mit ber @efd)idf)te ber
Mnfte. ©. 610.
§. 4.
®b bie Srnlptur fid) „auf bic OatjlcUung cinjclncr ©c|laltcn cinfd)riinlien miiffc“. ©. 612.
®ie Sorfd^rift ber neueren 21eft^etif Ijinfic^tlid^ biefeg ißunfteg ift ein notf)=
roenbigeg (Srgebni^ ifirer fatfdfien iprümiffen, babei aber pgleidE) roilltürtid^ einfeitig.
®ie claffifd^e antife ©culptur fiatte uon berfelben nid^t bie minbefte St^nung. ©ie
finbet überbieg ifire entfdfieibenbe SBiberlegung in ben „lebenben SSilbern". ©. 612.
§. 5.
Das Spflcm Ccffings non bcn bilbenben fiiin|len nad) feiner ßcbentung unb in feiner
lebten ®nluiidtclung. ©. 617.
ffiarum mir bie fiel)re Seffingg eingelienb ing Sluge faffen mußten. Sliodb ein
origineller (Siebanf'e biefeg ©ete^rten über bag „|üftorienmalen". ®er le^te Slugbau
beg Seffing’fcben ©gftemg burd^ ©d)iHer unb bie Sleftbetif beg ißantbeigmug. ®eg
(Srfteren ^been non ber „arcbitectonifcben ©dbonbeit beg IKenfdben" unb ber „gött=
lid^en ©eftalt" ; Seleud^tung berfelben. ®ie ©ötter Sfifd^erg in ben SBerfen ber
©culptur. ©. 617.
■^ierfcs ,^a)tUcC.
®ic ©culfjtur mib bie aWalcrci alö rcligiöfc fünfte. ©. 625.
§. 1.
0ic Stellung biefer imci £iin(le ber religiöfcn Ard;itertur gegennber. ©. 625.
I. 3” ^Jellag galt bag SBerf ber ©culptur nic|t alg bag SSilb beg ©otteg,
fonbern alg ber ©ott felber; SBeroeife aug ber Ijeiligen ©dlirift, fiucian, ©t. Sluguftin,
Ucberfid^t.
XXVII
2:^eoboret uon 6pni§, iiiib ait§ oerfc^iebenen 3^9211 nad; 2(. ^euevbad;. 2tu§ biefem
Umftanbc erftärt fid; foroo^t bie gaitj einjig bafte^enbe 93oltenbung ber grie=
a(§ bie 2:I)atfad^e, ba^ biefeibe fid) unabhängig non ber Slrdhitectnv
unb bnvd;an§ fetbftänbig enhuidelt h«t. ©. 625.
II. ®ie üebre ber Itird^e non ber SBeftimmnng ber reügiöfen Scnlptnr nnb
?!)?alerei. Unter roetdher SRüdfidht , anfjer ben Sh^tfod^en ber übernatüriidhen ^^ft'e''=
barung, auch fofche bie ber ©efd^d^te ber Äirche angehören, ihre red)tmä^igen
23orroürfe bitben. roefentlid;e iBeftimnuing nöthigt bie jinei bilbenben Äünfte,
at§ bie eigentlidhfte nnb norjügüchfte ©tdtte ihrer Shöiigfeit baä ßiotteshanS jn
betrad)ten; anberfeitg inüflen fie [ich berufen fehen, bie religiöfe 2Ird;itectur jii
ganjer SSotlenbung ber ihr eigenen Sd^öpfnngen jn nnterftiigen. ®er non @ott ge.-
festen Orbnung geinäf; ftehen fie fotglid; biefer Äunft gegenüber in bem Serhältniffe
ber Unterorbnnng nnb 2tbhängigfeit: nnb barin, bap fie biefer Orbnung fich fügen,
liegt eine roefentlid;e Sebingiing ihrer Stüte. (5in nnbered;tigter Sorronrf gegen bie
gothifd)e Ülrchitectnr. 0. 629.
§. 2.
lieber bie Sd)3nl)eit ber (bellnlten in ben IPerlten ber religiöfen lUn|Ul! «iib iHnlerei. 0. 634.
9iad;roei§, baff bie religiöfe ipiaftit unb fUialerei 511 ben fchönen Äünften ge=
hören. SEorin roefentlidh ber „äfthetifd;e ®erth" ihrer Oarftettungen beftehe. Si=
greffion über bie fsrage non ber hiftorifd;en äußeren ©rfcheinnng be§ (SrlöferS.
TOeld^er 2Seife bie religiöfe SWaterei unb ijjtaftif bei ihren (Seftalten, um ben äfthe=
tifdhen SJBerth berfelben jn erhöhen , and) auf bie fRegelmähigfeit be§ SSaneä unb
auf bie Garnation bcbad)t fepn fotten. läht fid) feine§n)eg§ behaupten, ba| bie
Äunft beg ‘Wittelatterg biefe jroei (?temente principieü nernachlähigt h^ibe. 6ine
nothrcenbige fRüdfidht für bie rid)tige 23enrtheilung älterer 33ilbicerfe. 0. 634.
§. 3.
(Ob cs Rflhctifd) juliifjig fei), bn6 bie religiöfe Seiilptiir unb illnleret ihre (bellnlfcn onbers
als usUlUinbig bcidcibet erfd)etnen Inffcn. 0. 642.
®a§ bejeidjuete ißerfahren ift nur in fofern jnläpig, al§ bie (grbannng baburd)
in feiner 2Beife beeinträdhtigt roirb. ®a§ Sehtere ift aber fehr Ieid;t ber gatl; bie
23eftimmung ihrer religiöfen Silber für bie ©efannntheit »erpffid)tet behhatb bie
fünfte, in bem Smifte um ben e§ fi^ h<r''^rlt, mit ber größten Umfid)t noräugehen.
0cenen für roeld)e bie phiIofopf)ifd)e iffiahrheit bie geäiemenbe Seffeibnng non @e=
fiatten nidht geftattet, fönnen al§ für religiöfe Silbroerfe geeignet nicht gelten. Oaä
Senbentudh an ben ©arftellungen beä .fierrn am Äreuje: bie religiöfe 2lnfd)aunng
früherer 3<rhrh'">berte, unb bie Oactlofigfeit ber IRenaiffance. 0. 642.
§• 4.
Sie „Uerroclllithung“ ber religiöfen pinlUlt unb illalerci, als folge ihrer „tPicbergchnrl“.
0. 647.
®rei Seifpiele einer roenig religiöfen Sehanblung religiöfer Sorroürfe: bie
Ärenjabnahme non fRubeng, iüiuritlo’g Himmelfahrt DJiariä, bie heilige Slgatha non
bei Sionibo unb IDlidjeUSIngeto. ®ag Ungefchid ber bilbenben Äünfte beg 17. unb
18. 3“hehi>nbertg im 9lugbrud'e übernatürlidhcr ©rö^e unb religiöfer (Gefühle , nad)
Äugler, Sübfe unb 2lmbrog; roorin baffelbe feinen @runb h^iHe. Oer hohe 2:act
beg dRittelalterg in biefem Sm^fle. 0. 647.
XXVIII
Uebei'i'id^t.
^ünffcö
3)tc ©CM^itur imö bic ®?alcm alö ciüile iinb alö bcboitiftfjc fünfte. 6. 654.
§. 1.
öic ciuilc plnfUlt u«b iHalctct, unb bic IjcboniCtbc piaftik. 3. 654.
§• 2.
Die l)cbonlfd)c iJlalcrci. 3. 655.
(Sine intge 2ln)'id;t Sübfe’S über ein Serbienft be§ „mobernen proteftantifi^en
©eifteä". ®ie ^liftorienmalerei, ba§ @enre, ba§ Stitlleben, ba§ J^ierftücf, bte 2anb=
®te »ier gelteren fönnen nur alö niebere Slrten ber TOalcrei gelten; unb
fie finb e§ nid^t, um bereu roiUen biefe atg „fd^öne Äunft" anerfannt ;u roerben be=
redf)tigt ift. 8amennai§, ©uljer, Seffing, i^nebri^ non ©d^Iegel. ©. 655.
,S. 3.
©li cs ii(ll)cti|'d) ?ulii|iiij l’ci), bafi bic bilbcnbcn fiiin|tc, uio |ic nls ciiiUc über als licboitifdic
auftreten, il)rc ©cflaltcn nntkl crld)cincn Inffcn. <B. 665.
®ie bejüglidl} bie)e§ ipimfteä ^errfi^enbe £e^re; ein DJlobell (Sanona’S mit
(Kommentar. (Sine entgegengefe^te Ueberjeugung ; ©anonarola, (51. SSrentano, 2lri-
[toteleg. ®ie iJlactt^eit ber (Seftalten l}cbt ben äft^etifdl;en (Sennp bei ben ÜJieiften
nollftänbig auf, unb ben llebrigen roirb er burd^ biefelbe ftarf beeinträd^tigt; 3ftei^
c^enSpergerg unb ©pbelg ^ preu^ifc^en fianbtage. ®ie fllacftlieit ber @e=
ftalten ift in nielen Serfto| gegen bie pl^ilofop^ifd^e 2Bal)r!^eit. Ser
menfdfilid^e £eib gel)ört raefentlic^ nii^t aüein ber p^fifd^en Crbnung an, fonbern
anc§ ber ettjif^en: in biefer ift er aber l)ä|(id^; mithin roirb burd§ bie fHacfb^eit
non (Seftalten bie @d^önl)eit beg j?unftroerfeg bebeutenb nerminbert, ober aud^ anf=
geljoben. 9Selc^eg ber „rein äftlietifd^e ©tanbpiinft'' fep ; ber jnle^t gegebene @runb
ift übrigeng rein pl;ilofop^ifd^. (Sine unrichtige 2lnficht So^e’g; ein sroeiter, guter
(fiebanfe ton bemfelben, unb ein g(eidl)fallg guter non 3lb. Seidhlein. ©. 665.
Elfter
Dif l)ö!)ere ßerfMI'ornkeit. s. 679.
®ie Sebeutung biefer Äunft nach Urtheile ber 2lltcn. ©ie ift unter ben
fdhönen fünften bie ältefte, — febenfallg bie erfte bie, authentifdhen 3£i>9>iMf®n
jufolge, in ber (Sefdhidhte ber iOtenfdhheit auftritt. ©ie erfdheint, neben ber religiöfen
ifJoefie, in überaug hoh^i’ SSollenbung ein noHeg ^ah'^taufenb früher, alg bie übrigen
fdhönen Äünfte. Sie höh^ce ®erebtfamfeit befiüt bie ÜHittel, „2ßerfe non hcroot^
ragenber ©dhönheit" h^rnorjubringen. SSegreinjung beg in biefem 2lbfchnitte ju be=
hanbelnben ©toffeg. ©. 679.
§xfle6
Sie höhere sjferebtfamfeit alö religiöfe .(Jiinft, ober bie geiftlithe Sßerebtfamfeit. ©. 683.
Sie öroeitheilige roefentlidhe Slnfgabe biefer Äunft. Sie bibafealifdhe unb bie
paregoretifche Serebtf amfeit. Sie ^roet pfpdhologifdhen iöfomente, roeldhe bie geift=
Ueberfid^t.
XXIX
lid^e Serebtl'amteit für i^re 2(iifgabe 511 üerroeuben Sie Dtücffidjt auf bie Sel^tere
üerpflid^tet fie, barauf bebai^t ju fe^n, ba§ ifjre Seifhmgen ficf) buvc^ möglid^ft be=
beutenben äftf)ettfd§en SßcrtJ) empfe^fen. ©. 683.
^wcifcö /lapHef.
Sic i)öl)cre Sßcrcbtfmufcit ol'g cibtic Ämtft, ober btc oratorifebe :i^crebtiomfcit. 'S. 687.
§. 1.
Keller ben ßegriff ber iiriit0rif[i)eii ßerebtfamlseit. £. 687.
Sie Sefinition be§ 3Utevtl)um3; ein miBlungeuev ©erfiid) neuerer Slntoren, fie
bnrd^ anbere ©rflärungen 311 nerbrdngen. Ser ©rfteren feljlt übrigens ein mefent;
Iidf)e§ (äleinent. nnb barnm ift fie unrichtig; 33eroei§. (äine rii^tige Sefinition; loie
fic^ bie lange ..^errfcfiaft ber alten erftären laffe. 3™^*ter 53eroci§ gegen bie SSal^v;
l^eit berfelben. Sie oratorifdje 33crebtfamfeit, rid)tig anfgefapt, erfd^eint nl3 eines
jener @nter, bie nnd) ©t. Slngnftin ,,fid) nid;t miffbrnndjen taffen", dine feineS;
roegS antife (Sinfeitigfeit neuerer SSertreter ber atten Sefinition. ©. 687.
§. 2.
ßic illittfl ber iirnti)rifd)cu ßcrrbtfnmlieit. ©. 697.
Siefe finb äunäd;ft jroei: eine baS Urttjcit ber 3iipi'cr beftimmenbe 33cn)eiS=
fül^rnng, nnb eine Sorftettnng ber @rnnbe, ioetd;e bem befonberen 3raede ber ittebe
gnnftige ©efü^le in i^nen oerantafd. UeberbieS aber mn^ bie oratorifdje 33erebt=
tamfeit um it)rer Ütufgobe loitten bnrnnf bebad)t fepn, it)rcn Seiftnngen inöglic^ft be;
beutenben äftfietiidien ÜBertf) jn geben. SaS Sebtere ift bei ber bibacti|d)en Serebt:
famfeit nid)t ber fvnll: barnm fönnen mir biefelbc nidjt, roie £nfnnlr eS tljut, gteid^
ber orntorifc^en SBerebtf amfeit atS „fdjönc" Ännft anerfennen. ©. 697.
^^üJÖljtcr
tl i c |) 0 f fi c. ©. 701.
frftes /{opUeC.
Sic wcfcntlidjc tftiifflnbc kr ti.'0cftc, iiitb öic Drei 3(rtcn biefer .ftimft. ©. 70i.
SlBorin baS nnterfd;eibenbe 9Jferfmat liege jioifdjen ber I}öfieren tBerebtfamfeit
iinb ber tpoefie. Sic allgemeine roefentlid;e 2lnfgabe biefer Set^teren. Srei Se=
finitionen, für bie retigibfe ipoefie, bie Ißoefie als eioile Ännft, nnb bie t)ebonifd;c
ipoefie. @. 701.
Bwcifcö /{opifeC.
(viit aügcmciitcci 'l'riucip, 5itr (Sbnrnctcriftü Der ÜiJeife, iu mcldicr bic 'i^oefte iörcr
Stufgabc ju cutfprcdjcit bot. ©. 705.
22aS „eine @emütf)5beiocgnng" ober „ein @efül)l" fei). Ser gactor, oon
roeld)em baffelbe pfpd)ologifcb abf)ängt, ift bie anfdiauenbe Stjätigfeit ber tBcrnnnft;
roie biefe, nai^ S£)0'ita§ imb ©nareä, auf bnS Gumrütt) cinroirfe. Sie biefe lSin=
roirfnng begünftigenben (Sigenfdjaften ber intcllectnellen 3lnfd)annng. Sic i)5oefie
XXX
Ueberfid^t.
^at l^ternac^ barauf bebac^t ju fet)n, ba^ fie bie 5pi^antafie unb bte finnlid^e Ur=
t^eilgfraft ju entfprec^enber möglic^ft lebl^after £^ätigfeit rerantalfe. @ine SDes
finition ber Sßoefie oon 3- 3* ®ngel, roeld^e ber unfrigen nal^efömmt, unb ba§ @es
jagte beftätigt. 0. 705.
Ptittes (^apiteC.
2)tc beftmbcren 2WittcI ber 5ßoefie. 0. 709.
§• 1.
Elemente unb illlltcl tBCldje ber J)oc|tc baju bienen, ber pijantalie unb ber |innlid)en
MrtbeUäkraft für tjjre Sljittiokeit eine fülle reid)en Stoffes ?u bieten. 0. 710.
®ie Stuffü^rung ber einselnen £'^eile uon sujammengefe^ten ®ingen; bie 3Ser=
roerü^ung ber @aufalbejiet)ungen unb ber Umjtdnbe; bie ülualogie unb ber @egen=
fa^. ®ie (Soncentrirung , bie ißergieic^ung , bie 0teigerung, unb bie poetifd^e 6rj
roeiterung. 0. 710.
§. 2.
Das t)oetifct)c ©emSlbe. 0. 718.
SBarunt bie ijßoejie jid^ ber „malerifcfien" SDarfteHung ju bebienen f)abe; i8ei:
jpiete. ©ne rid^tige Semerfung Seffingg t)infidi)tlid^ eines ÜJii^nerftänbnijjeS, ^u
roel(f)em ber iltame „©ernülbe" Ieicj)t 2tnla| gibt. 2tber Sejjing f)at Unred^t, roenn
er leiert, „baS @ebiet beS ®idE)terS" fe^ auSjcE|lie§lidfi „bie 3citfolge". 2tuS roelc^em
©runbe eigentlid^e ©d^ilberungen ber SeibeSjcfiönEieit immer abgefd^maett fe^en»
0. 718.
§. 3.
Die tladjaufenfeffung ber geffeigerfen pfi)d)ifd)en Sbütigkeiten in ber poetifdien
Darffellung. 0. 725.
®ie fprac^licfien formen, burd§ roeld^e jid^ bie erl^ö^te 3;f)ätigfeit ber pjgt|i=
jc^en Vermögen naturgemäß foroofil funbgibt, alS auf Slnbere überträgt, finb bie
®ropen unb bie iRebefiguren. ©ne Sefinition ber ijJoefie uon §ugo ®Iair. 0. 725.
§. 4.
Der ü)ol)lklang ber poetifd)en Sprad)e. ©. 728.
■Sorauf fid^ sunäd^ft bie Sebeutung unb bie Sßirffamfeit biefeS 2RomentS
grünbe. Sie jroei ©erneute beS ffioßlftangeS in ber ungebunbenen jRebe. Sie ge=
bunbene gorm: ber 23erS, ber jRßgtbmuS, bie ©tropße. Srei fRüeffießten, auS beuen
fief) ber SSertß beS fRßptßmuS für bie Slufgabe ber ißoefie erflärt. Ser fReim.
'ffiarum bie alte cfaffifdEje if3nefie benfelben uiefit pr üluroenbung brad^te. ©utjerS
abfälliges Urtßeil über ben 9Bertf) beS fReimeS, unb bie richtigere Slnfid^t §erberS.
0. 728.
Viertes ,^aptfeC.
Sic rcitgtöfc iJJoeftc. ©. 737.
jhi|lorifd)e ßemerkungen. ©. 737.
Sie 93ebeutung ber religibfen if3oefie. Slrten religiöfer Sichtungen,
ißoetifche 0tücfe in ber hciliQcn 0dhrift. Sie ülnficht, bie |>ebräifche ißoefie h“^^
Uebcrfic^t.
XXXI
ben rl^pt^mifd^en 33er§ nitf}t gefaimt, ift eine ganj imiDifi'enfct)aftlid^e |)t)pot]^efe;
eine neuefte roertl^node Seiftung in biefer grage. Äurje 2(ngnben ^infid^ttid; bev
religiöfen ißoefie ber älteren d^riftlic^cn ®. 737.
§. 2.
Erläuterungen jum ßegriff öer religiöfen Poefie. i£. 743.
Sen eigentlichen @egenftanb ihrer ®arftellnng bilben für bie religibfe i^oefie nidht
©efühle, fonbern Sh^ifödhen; ber 9ln§brnd non ©efühlen ift mir nl§ eines ber 9JJittel
ju betradhten, roobnreh fie ihrer 9lufgabe entfprid;t. Sefdere fönnen fid)
aber nur 3;hftifdd;en eignen, roeldje ber übcrnatürlid;en Offenbarung angehören.
3n golge beffen fteht ber religiöfen i)3oefie hii'fidhdid) il)reS roefentlid;en Stoffes bie
greiheit ber ©rfinbnng nid;t ju , itnb andj unter biefer SRüdfid;t erfcheint fie foinit
als eine non ber profanen ipoefie inefentlich nerfdhiebene Äunft. ©. 743.
§• 3.
lieber bns metrifd)e Element in bet Inteinifchen religiöfen poefie. S. 749.
3ioei dtüdfidhten, bnrd; ioeld)e für bie religiöfe ißoefie bie 2lmuenbung ber iin
nötigen Äapitel characterifirten Wittel näher beftimint tnirb. Sie Sebeutnng biefer
dlüdfichten tritt namentlid) in bem metvifchen ©lemcnte ber religiöfen ifJoefie hernor.
S. 749.
I. ffiarum baS metrifd^e Spftem ber nntifen clnffifdhen ifJoefie, inSbefonbere ber
Sprit, für bie religiöfe 'poefie nid)t geeignet innr. ®. 750.
II. 3“^ ßhti'^^K^isriftif beS inetrifdjen SpftemS ber religiöfen ipoefie.
füfigen jambifdhen Serfe; ber dteim. Orodjäifihe Perfe; roie fie ben ©eptenariuS
nerfd;önerte, unb feine jroei ijälften in nerfd;iebennrtigen ©trophenbilbungen, halb
mit halb ohne fÄeim, jiir Slniuenbung brnd;te. SaS metrifche ©pjlem ber religiöfen
ipoefie fteht an äfthetif^em 9ßerth jenem ber nntifen in feiner 9Beife nach.
§• 4.
Schöpfungen ber religiöfen fioefie in ungebunbener llebeform. ©. 767.
^rünffcö ^Äaptfef.
Sie ciüilc mtö bic hebouifdje fpocfic. ©. 7 71.
I. Sie brei ©attungen ber profanen 'Poefie: bie epifdhe, bie lprifd)e, bie
bibactifche. Sie SBerfe ber Seliteren gehören ber cioilen ipoefie an; cpifche nnb
Iprifche Sid;tnngen bagegen liefert foroohl bie hebonifche ipoefie als bie cioile. iPei:
fpiele. ©. 771.
II. Sie 9Iefthetif foioof)! als bie Sheorie ber ipoefie roiberfpricht fich felber, loenn
fie bie bramatifd;e Äunft gleichfalls alS eine ©attnng biefer Septeren aufführt. Sie
llnterfcheibung einer „felbftänbigen" unb „unfelbftänbigen" 'poefie ift nnsulähig:
noch mehr aber bie Seftimmung ©ineS „näd;ften unb unmittelbaren" 3m5rf^§ ber
fchönen fünfte, roeldhe ju jener llnterfcheibung geführt höt- ©• 773.
XXXII
UeberficJ^t.
2)rctsc^uter
Die ül it f i b. s. 779.
§vfleB ^apifef.
5nignnctttcg. S. 779.
§• 1-
Die ülufil! uiirlit pl)t)|iolO!)iftt) ouf Mc fimtlidjc ilrtljcUshraft. £. 779.
I. ©cJ^iüer, 5)3Iato, ßicero, <St. Sluguftin, ©l^afefpeave, at§ 3^ugen be§ mäd^=
ügen 6inf(ufje§ ber 2Rvi[if auf bag ©emütf) beg 3J?cnfc^en. ©erfeibe erflärt fid^
burd; bie in ber UeberfcJ^rift auggefprod^ene pfipfiologifd^e Sfjatfadie. ®. 779.
II. SSeroeig ber plipfiologifd^en £I)atfa(^e aitg mef)rfad^en Srfd^eimingen tm
Seben ber Sögel, — aus ben Sßirtungen ber SUIufif bei nielen Stf)ierarten , — unb
aug nerfdfiiebenen antf)ropologifdjen Sorgängen. ©. 782.
§. 2.
Dns Diefen unö ber ßegriff ber JHu|ili. S. 786.
®ie ajiufif in i^rein Serl}ältniffe jur '4>oefie. Sie ÜUelobie. Ser muficalifdfie
9II)ptf)mug , ein niefentlid;eg (Slement ber Sezieren. Sefinition ber dJInfif. Siefe
Ännft roirft pfpd;ologif^=p^pfioIogifd). roeitere golsenmgen. ©. 786.
§. 3.
Die Ijnrmonic. ©. 788.
Ser „Ijomop’^one" unb ber „potppf)one" nielftimmige ©efang. Ser „tedinifd^e"
fül^ijl^mug im (Segenfa^e ju bem „natürlichen". Ser felbftänbige, non ber dJielobie
unabhängige Sthpthmug, unb feine pf)pfioIogifd;e 3öirff amfeit. ©. 788.
^mcifcö jftapifef.
Ser lititrgifdfe ©efang. ©. 791.
■ §■ 1-
Anforbetungen, lucldjc bie Ac(ll)ctil! an jebe liturgifdjc illufilt ftcUcn inub. ©• 792.
Sie liturgifdhe 35hifif roefentlid; nom Serie abhängig 511 fepn, unb fidh
biefem innig anjufd)lief3en. iJfothroenbige ©igenfehaften berfelben, bie fii^
ergeben. Srei roeitere Folgerungen. ©. 792.
§. 2.
Die Schöpfung ©regore bcs ©rofirn. ©. 796.
Ser ©regorianifdhe ©efang entfpridjt in ber oollenbetften Sßeife allen 21nfor=
bmingen ber 31efthetif: 9Imbros, (Karriere, Shibaut, berliner 50fufif=
jeitung, unb nochmalg 91mbrog unb (Jarriere. Ser ©regorianifche ©efang allein ift
im eigentlidjen ©inne ber liturgifche ©efang ber Äirche; Senebict XIV. Sie
Htufif ©regorg beg ©roffen ift überbie^ bie einjige ©runblage, auf roeldher bie ge=
fammte europäifdj=abenblänbifd;e ö?uuftmufif fid; entroidelt hat. ©. 796.
Ueberfic^t.
XXXIII
§• 3.
Der pnli)pl)(mc ©efang im (f)ci(lc öcr römifdint Sd)ulr. 802.
Die 3liiroenbung befjelbcn bei beit liturgil‘c[;en .'patiblungcn ift ^iiläpig; fein
f)o^ev äftfietifcfier 3Bert^. 25>arum fid) be^nngead;tet bev einfad)e ©regorianifc^e
6f|oraI mc^r empfet)Ie, unb und) roet^eu dHidfid^tcn, in ÜSerbinbung mit biefem,
polgp^one (Sompofitionen jnr Stnroenbung fonimen fönnen. ©. 802.
prHfeö jftttpifeC.
Die SDhtfif nlö firoftmc tmift. ®. 806.
§■ 1.
Der ßegrif ber l)clnmifd)eit iHuftl! unb feine lierliel)rung. 6. 806.
dJiorated über bie 33eftimmung ber 9Jinfif im StÜgemeinen. Definition ber
cbilen unb ber fiebonifd^en iDhifif. Die tt)atfäd;[icf)e iprariä nmnenttid^ ber Se^teren
ftetit mit biefem Segriff feine§roeg§ im ©inflange. 2Bie fid; biefe gravid erftäre.
Snrnm fie atä nerfetjlt getten müffe. Der £eim ber (Entartung unb bc§ Serfnüeg
in berfelben. ©. 806.
§. 2.
Dir ©per. S. 811.
I. .^iftorifc^eS über bie @ntftet)ung berfelben. ©§ ift unmöglid;, mit bem Dar=
ftcllnnggmittel ber bramatifd}cn Ädinft, b. b- mit ber nai^bilbenben ^nnblnng, bie
dlielobie jn einer natürtid;en (äinbeit jn nerbinben. Dbotfäcbiid^e g-otgen biefer nn=
natürtidien SSerbinbung in ber Oper, nnd; .'pnngfid unb ©^openbauer. Die 2lb=
gefdbmacftbcit ber grabet ingbefonbere. ©. 811.
II. SBciterc ^e'tgniffe; ©nljer, SUgarotti, 9Iid)arb ffiagner. 9(n§ einem Ober=
fnb non 3Sagner nnb einem llntcrfab non .^nnglid ergibt fid; al§ ©dbtuji , baff bie
Oper ein äftbetifcbeg Unbing ift. ©cftätignng biefe§ ©at?eg burdb dtiel)!. @in mi|:
lungener SSerfnd) Oper jn retten, nnb eine nnrid}tige gotgernng
.gmnglidg an§ einer tnabren 817.
Viertes /tapiteC.
Die Snftriimciitnlmitfif. ©. 824.
§. 1.
Dir 3n(lruinenfnlinufil{ nls ßegleitrrin Des ©efnnges. ©. 824.
Die erfte unb eigentlid;e 93eftimmnng ber ^nftrumentalmnfif. Iitur=
gifdbc 9Jinfif ift ba§ notitommen geeignete 3lnftrnment attein bie Orgel. 2Beld)e
anbere, natb Senebict XIV., neben berfelben unter Umftänben allenfalls nod; ge=
bulbet tnerben fönnen, unb roaS bei ber 21mnenbnng foId;er unerlaubt fep. (Sine
bead^tenSinertbe 9teupcrnng IRicbarb SSagnerS, inelcbe mit bem ©inne ber Äird;e
ganj übereinftimmt. ©. 824.
§. 2.
Die 3nftrumentalniufilt ol)ne Den ©efnng. ©. 827.
(Sine jroeite SBeftimmung ber ^nftrnmentalmnfif ; gülle in benen bie Umftünbe
ben Dort erfe^en. 9Eo fie unabhängig non folchen Umftänben anftritt, ba ift ber
XXXIV
Ucberfid^t.
@enu§ ben fie getcä^rt, üorroiegenb mel^r pat^otogifd^ al§ 9tad^tl§eitige
folgen, roeld^e bie häufige Sef^äftigung mit btefer Äunft mit fid^ bringt. ©. 827.
ipfcitboliturgifdjc 9JJiifif. ©. 83i.
§• 1-
ötts Öcrlrtfl'cn ks Si)(lcms ©rcgors ks ©ro^cn l)k n®tt) immer ?um ÖerfoU kr
Uturgifdien iHufilt geführt. <B. 831.
3eugni)ie non iRod^Ii^, 5tette§'^eim , SinbanuS, 3tmbro§, §an§ti(f, 2Bagner,
3t. 3leic^en§perger. Ob bie Äird^enftiicfe non Stlojart, |>apbn, rmb anberen großen
ütleiftern al§ liturgifd^e 3Jtufif gelten fönnen: |>an§li(f, SBagner, (ärjbifdiof @raf
.^ol^enroart , ißiuS VI. (äntfd^eibung ber g-rage im nerneinenben Sinne. ®. 831.
§. 2.
Oie üblen folgen pfenöolilurgifdjer iHn|il!. S. 839.
^e(ßsfe$ ^a)iiteC.
lieber bie nftbetifdie löebeittintg ber {elbltünbigen Slnftrmneittalinufif. <B. 841.
Die tiftfis i^nnslidis gegen eine ©rnnbleljre ber neueren Äellljetik. S. 842.
3ßa§ bie frühere 3eit unter bem Slamen „ÜJtufif" nerftanb; 3tri[toteIe§. Oie
neuere Steft^etif bejeid^net mit bem ütamen ba§ bto|e tonifd^e Element. Sel^re
binfidf)ttid[; biefeg (Slementg, unb §an§ticfg Stngriff auf biefelbe. S. 842.
§■ 2.
Die ©onkunll uermng beflimmte ©efiiblc meber bnrjuflellen, nod) ju ueranlaffen. ©. 846.
Oie Oonfimft für fid^ allein ift nid)t im Staube, aud^ nur einen einjigen 93e=
griff auSjubrüden. Oa§ jeigt fid; namentlidl) audj an ber tt)atfädf)Iid^en (Srfd^einung,
ba§ einerfeitg bie SBirfüng audl) ber beften ^nftrumentalmufif immer eine burd;au§
iinbeftimmte ift, foroie anberfeitg e§ niete gute SRelobien gibt, bie ju ben nerfc^ieben:
artigften Oerten paffen. Gin beftimmteS ©efü^t fann aber nur baburd;, fep e§ bar=
geftettt, fep e§ l^ernorgerufen inerben, bap ber concrete ©egenftanb beffelben ber an=
fdiauenben Ofiatigteit ber 33ernunft norgefüf)rt ruirb. 3^^ nieiterer SSeftätigung be§
©efagten, nad^ @erninu§. S. 846. ,
§. 3.
Die feili|lnnbige 3n|irumentnlnmrik kann ben „fdjönen“ fiiin|len nidjt beigejäljlt merben.
S. 852.
,3roei nerfd;iebeue SSeifen, bie fieiftungen ber ^nftrumentatmufit ju genießen,
bie „pat^ologifdje" unb bie „anfd}auenbe", nac^ .gianstid. Oer einen inie ber
anberen gegenüber finb jene Seiftungen, auc^ nad; ber augbrüdlic^en Set)re ber for^
maliftifc^en 3teftt}etit, nicf)t§ roeiter a(§ rein materielle @ebitbe ol^ne
9JUtt}in ift bie ^iiftrunientatmufif meber ben anberen '^ebonifdien fünften gleid^artig,
nod^ finbet fid; an ibr bag jroeite ®?erfmal, bag jum SSefen einer „fd^önen" Äunft
Ue6erfid;t.
XXXV
gehört. SBeitere Seftätigung iinfere§ 0al5e§ au§ ©cbanfen Don QSei^e, imb au§
äiDei guten 2tnatogien uon 6b. .f^anelicf. ®er gegcnroärtige ©taub ber Sel^re oon
ber Sonfunft. ©. 852.
^Bicrjcljiitcr 5tb|c^uitt*
tl er ®c frljm atk. e. sei.
ßrfics /tttpitcC.
2£'ßö bev ©cjcbmatf fet). ©. 862.
®er „natürlid;e" ©efd^mad. ®er ©efd^mad „im eigentlichen nnb nolten
©inne be§ ÜBorteS"; ®efinition. ®ev Se^tere ftü^t fich auf ben „abfoluten" @e=
fdimad, nnb bitbet barnm junertäffige nnb fid)ere Urtheite. ©. 862.
^weites /lapWct.
SSortu bic groftc syerfdjiebcitbett ber nftöctifdjcit Urtljcite ihren @rmtb höbe. ©. 867.
®er @efd;mad „im eigentlidjen ©inne be§ SBorte§" finbet fich unter ben
SfJienfchen äuhevft feiten; iiberbie§ roirb ba§ Uvtheil burd) bie flteignng ftarf be=
einftnht. Deicht ba§ Urtheit ber DDienge hat fomit at§ entfclieibenb 51t gelten, fon--
bern jenes ber Sernfenen; ißtato, StriftoteteS, Sh^ntaS non Ülqnin. 3'^ roiefern
e§ inbeh bodj eine bered;tigte 2Serfd)iebenheit ber @efd;mndSridjtungen gebe. ©. 867.
5 d) 1 u h.
®er 6’eift ber 3eit nnb bie fd)önen Äünfte; ihre Dtnsfidhten. ©. 876.
ÄnjncrRttnticn. ©. 883.
fämtßftgttngen unb frgätt5uttgctt. ©. 93S.
^cgifier. ©. 939.
3?er^ei(^niS ber Süuftrationen.
Seite
Dtts Straßburger fal)ucnbilb 401
Dos ffifllncr 0ombUb. SKittelftucf. (tBottbilb) 406
Der Straßburgrr ilUinßrr. (Sßotlbilb) 495
Der Dom ju ffiöln. 5(ufri§. (SSoübilb) 499
Der Dom ?u ffiöln. ©runbrif 503
(örunbriß ber ßariltca St. JJaut ju iiom 514
Das Uotbbaus ju üliinßer in Oteßpbaten 520
©refles unb »ßteetra 560
Das teljte Äbenbmabl. Seonarbo ba Sinei. (Sii^tbrucf) . . . 581
DorUinfigrö«
6tn ^^aradcrßifö aus bcr ^cflcnroad, in antißcr cfaf(t|'(ßcv
^cidjnunj.
nter ben ®ia(oc^eu '^Mato'ä [inbeii fic^ jiuei, „bcr grof^e .s^ippiag''
,/^l)äbru§'', raelc^e in nieten 5tn§gnben al§ jroeitcn 2:itel
beibe bie Uebcvfct)vift tragen: „5>on ber ©diönt)eit" * **)). diacl) ber
neueren Ä'ritit inbep tnntet für ben jrneiten biefer ©iatoge bie jincitc
Ueberfd^rift , „3)on ber ?icbe", nnb fo bteibt bie nnbere, „3}on ber
©c^ön^eit", feinem fjnbatte fetjr entfpred)enb altein bem „gropen ,'T'^ippiaä"
norbe^alten
^n biefem £ep,tercn nun erjütjtt A^ippiad, bcr ©opt)ift an§ @li§, mit
roiberin artiger Stntjmrebigfeit bem ©ocrated unter Sliibsrem, er t}nbe fid)
jnngft in Sacebcimon bnrc^ einen nnnergteid)ticb fdjönen 5l>ortrag über bie
©rjietning attgemeine 23cn)nnberung nerbient. (Ft befit^e nümtid) über
biefen ©egenftanb eine ganj ausgejeidpiete ?tbtjanbtnng in noUenbeter
©prac^e. 9teoptotemnä lege barin, nndjbem 'Jrofa gefaltcn, bem ttieftor
bie fyrage nor, ineldie bie fdjönften Stnfgaben für junge Seute fcpen, bencn
fie fic§ mibmen müpten, inenn i^nen baran liege, fid) tfernorjntljnn nnb
berühmt jn roerben; burd) biefe f^^rage nerantafd, gebe bann itteftor bcr
^ugenb eine fs-ütle fel)r fd)öner Slnineifnngen. „tl^ad) brei S;ageid', fedt
ber ©op^ift ^inju, „tnerbe id) biefe 3tbt)anbtnng and) f)ier, in ifibiboftratns’
©d)nte, öffentlidb uortefen, nnb nod) ^tand)e§ tjinjnfügen, ba§ in t)ot)em
'JJtaape mcrtt) ift geprt jn inerben, ©ndje and) bn bortt)in jn fommen,
nnb bringe nod) 5tnbere mit, ineld)e Singe biefer 5trt jn fd)ät3en iniffen."
©ocrateS nerfprid)t bem '^hm^lcr, „inenn e§ (SJott gefalle", gn fommen.
*) «n^pi zcfXoö“ ißgj. Platoiiis opp. ed. Bipoiit. vol. 11. pag. I. 3.
vol. 10. pag. VII. 279, unb bie lateinifdb^ Ueberfepung oon 3Jlavjüiu§ gicimis.
**) S3gl. Plicotai, @ricd). 8iteraturgefd)id)te (8Jlagbebuvg 1873) 1. @. 489.
3u II 8 mann, 3leftfictit. 2. 3(itfl. 1
2
6tn ß^vacterbitb au§ ber ©egenroart.
„gür jel^t mbei3", fä^^rt er fort, „fönnteft bu mir roo^^I einen Weinen
2luffd£)lufi geben in einer f^i^age, roetc^e benfeiben ©egenftanb betrifft: bu
!^aft mid^ gerabe jur redfiten 3^^ baran erinnert. 2Sor Bürgern l^at ntid;
nömlid) jemanb in nic^t geringe 35erlegenf)eit gebradtit. 3^ tabette geiuiffe
5)inge, raeit i^ fie pfdic^ foub, unb lobte anbere, roeit fie fc^on fe^en.
®a nafim fener ilttann ba§ SBort, unb fugte ju mir mit bitterem §o^ne:
,2Bo!^er roeifd bu beim eigeuttii^, ©ocruteS, rauä fdjön ift unb roa§ l^äftlic^ ?
bift bu im ©taube unjugeben, raorin bie ©cf)ön!^eit (x6 xalov) befte^t?‘
®iefe f^ruge mucfite mid), bei meiner geiftigen ißefd^ränftfieit, fel^r uerlegen,
unb icb muffte il^m nidjtä ju ontroorten. SDoft Slerger über mid^ fetbft
oerlieif ©efellfdjuft, unb getobte, fobulb ic^ einen non eudf) getel^rten
iBiännern ontreffen mürbe, mic^ non i^m über bie ©o^e betetiren ju
taffen, unb bann grünbtic^ unterrii^tet, gu jenem ber midf) gefragt, 5urüd=
jufel^ren unb mir ©enugü^uung ju ’^oten. ©o bift benn bu, roie idb eben
fugte, mir gerabe rect)t gefommen. ©ep atfo fo freunbtict), mir augeim
anberjufeden, rooriu ba§ SBefen ber ©dfiönfieit («’jxo -ö xaUv) beftetit;
unterroeife mic^ barüber erfd^öpfenb, bamit icf) nict)t ein jmeiteg BJiat in
SSertegentjeit fomme unb auggetai^t roerbe. ®enn bu burdjfdfiauft ja Singe
biefer Strt big auf beu @runb, unb eg ift bag fidler nur ein gan^ Weineg
S^eitcfien oon bem reichen ©dfiade beg Sföiffeng über roetc^en bu uerfügft."
^ippiag. „3a roal^rtiaftig, beim ein ganj Weineg S^eildien,
©ocrateg, unb idf) mödfite mo^t fagen, gar nidjt ber fRebe raert^."
©ocrateg. ,,©o rairb mir ja bie ©acbe batb ftar fepn, unb niemanb
mir fortan entgegentreten tonnen."
dpippiag. „©eroifi nidfit; ober meine 3Biffenf(^aft müßte fetir ge=
ringen Söert^ ^aben."
©ocrateg. „23ei ber .^lere, .^ippiag, eg roirb mic^ au^erorbenttic^
freuen, raenn mir über jenen iJRann triump^iren. benfe, eg roirb
bid) nid^t ftören , roenn id) nadj feiner SBeife oerfatire, unb gegen beine
3tntroorteu ©inroenbungen madfie, bamit bu mi(^ fo uottfommen atg mögtid^
aufttöreft. Seun ©inroenbuugen ju mad^en, barauf oerftel^e mid)
einigermafjen. 21>enn eg bir atfo red;t ift, fo roitt ii^ ©inroenbiingen
mad)en, um bie ©adtie befto grünbtidier aufjufoffeu."
i)ippiag. „©0 üiete bu roittft. Senn roie id) fdf)on gefugt ^abe,
beine ?frage ift nii^t oon Sebeutung ; idf) tonnte bid) ganj anbere ^teigen
beantroorten te^^ren, unb jroar fo, bajj tein ilRenfd^ im ©tonbe roäre, bir
ju roiberfpred)en."
©ocrateg. „Wuggejeid^net! ©o übernetime id^ benn bie Stotte jeneg
BRanneg, unb ertaube mir, meine f^ragen ju ftetten. Sf^enn bu il^m beine
Wbtianbtung über bie fi^önften Aufgaben für bie oortüfeft, bereit
bu Dörfer gebadf)teft, fo mürbe er, fobatb bu geenbigt tiötteft, bid^ oor
atten anberen Singen über bie ©d)önfieit xou xct>.ou) frogen, — benn
(Sin ß^aracterbilb au§ ber @egeniuart.
3
jo mad)t er e§ immer, — unb etma jo jpred)ert: ,2Sert'^er @ajt au§ 6ü§,
jinb nidjt bie gered}teu i)Jlenjc^en geredet burd) bie ®ered)tigfeit 5int=
roorte hierauf, §ippia§, at§ ob er jeiber bid) jragte."
^ippiaS. „2lllerbing§, burd) bie @ered)tigfeit."
^ocrated. „^jt mithin uidjt bie ©erec^tigfeit etmad 2öirfli(^e§ ?"
^ippiaä. „©anj geroi^."
©ocrated. ,,©inb nid)t gieidjermaj^en bie raeijen iDlenj^eu raeije
burcb bie Sßei§i)eit? unb 2(de§ mag gut ijt, ijt e§ nic^t gut bur^ bie
©ut^eit (tw ci^otbw)?"
i^ippiag. „2iUe föuute eg anberg jepu?"
©ocrateg. „®auu ijt atjo joroo^t bie SSeig'^eit atg bie ©utt)eit etmag
2iBirnid)eg; beim meun jie bag uid)t roäreu, jo föuute uumöglid) burd)
bie eine ber SSeije raeije, burd) bie aubere bag ©iite gut jei)u."
i^ippiag. „Of)ue etraag 2öirf1id)eg."
©ocrateg. „Söeiter: alte Singe bie jd)öu jiub, jiub uid)t aud) jie
jd)ön burd) bie ©d^önf)eit (xig xaXw)?"
.^ippiag, „3a, burd) bie ©d)öu^eit.''
©ocrateg. „Hub bieje ijt etraag 2öirftid)eg?"
.*pippiag. „©traag 2ßirflid)eg. 2tber mag jott bag Sttteg jt^(iej)Ii(^
©ocrateg. „@r rairb bid) jiiernad) jrageu: ,©o jage mir atjo, bejter
iDiauu, mag ijt benu bag, bie ©d)öuf)eit (xö xaXöv)'^“'
c^ippiag. „2tt)er, ©ocrateg, raiCt bieje jeiue j^rage etraag 2tubereg
l)eijien, atg mag jd)öu (x7.aov) jep?''
©ocrateg. ,,3d) beide lool^t, ^ippiag; er railt raijjeii, mag bie
©d)ön^eit (xö xocXöv) jep."
§ippiag. „2öag ijt beim 3raijd)eu biejeii jraei jy^mgen jür ein
Uuterj^ieb
©ocrateg. „iDieiujt bu, ba§ jie bajjetöe jagen?"
.s^ippiag. „©aiij unb gar bajjetbe!"
©ocrateg. „9hm, bu raei§t eg ot)ue 3>ueijet bejjer. Uebrigeiig jiet)’
raol^t ju, guter jjfreunb; er jragt bid) nic^l, mag jd)öu jep, joiiberu mag
bie ©c^ön^eit jep" *).
ö^ippiag. „©aiij redjt; id) raerbe i^m jagen mag bie ©d)ou^eit jep,
niib er jott geraij; iiic^tg bagegen eiuäuraeubeu fabelt, ©o raijje beim,
©ocrateg, raeuu ic^ bie 2Ba!^rt)eit jagen jott, eine ji^öiie ^ungjrau ijt eine
©c^öubeit."
©ocrateg. „23eim Stnubig, .*gippiag, eine oortrejjtid)e 2(iitraort, uiib
«der ©bi^en raert^. 2ltjo uii^t raa^r, raeuu id) jo jage, raerbe id) bie jyrage
jeneg ilRauueg beautraortet !^obeu, uiib jraar rid)tig, ot)iie baj) id) bejorgeu
muj), St^iberjprud) ju jiiiben?"
*) 'EpuiiS 32 o'j TI IsTt xaXdv, ii)X d Tt IstI tö xaXdv.
1 *
4
(Sin (S^aractevbitb au§ ber (Segenroart.
.^ipptag. „2öte foüteft bu ba§ 51t beforgen |aben, Socrateä, roo bu
ja nur bte attgemeine 2lnfid)t aller Wenjc^en augfpvicl^jt , unb Sille bie e§
l^ören, bir 36ugwB geben inerben, bag bu Dtedjt §aft!"
©ocrateg. tdo^I, fe^r roo^l. ^nbe^ lag mid) bod; no(^ ba§
raag bu fagft, bei mir jelbft furj überlegen. ®er illlann, glaube i(^,
roirb mid) ungefähr jo fragen : ,.^'^öre, ©ocrateg, antraorte mir : roenn bie
©cbönlieit felbft elroag Söirflii^eg ift , bann muf^ boc^ bur(^ fie SlUeg
jd)ön fepn mag bu fc^ön nenn[t?‘ ®arauf roerbe idj i'^m ermiebern:
,j^reilid} , eine jd)öne Jungfrau ift eine ©djön^eit burd) roeldje biefeg
Sllleg fi^ön'ift.‘"
ijippiag. „@laubft bu nun, baß er nod; roagen rairb, bir ju raiber^
fpredjen, alg ob beine Slntraort nid)t ridjtig märe? ober bag er, fallg er
eg magt, fid) nid)t läc^erlid) machen roirb?"
©ocrateg. „®af! er eg roagen roirb , ebler ?Kann , bag roeig id^
beftimmt ; ob er fid^ aber baburd) bann läc^erlicl) ma^en roirb, bag mug
fic§ jeigen. ^i^bef^ roill id) bir jagen, roie er fpredjen roirb."
.!pippiag. „3a, jage eg mir."
©ocrateg. „,SBie geiftreid^ bu bod^ bift, ©ocrateg, ‘ roirb er jagen.
,Slber eine fdjöne ©tute, ift bie nicl)t etroag ©c^öneg, ba ja bod^ ber ©ott
jelber im Orafel i§r fiob jpenbet ?‘ 1) SBag joClen roir i^m liierauf ent=
gegnen, §ippiag? roerben roir nid^t jugeben müjjen, baj3 aud^ eine jd^öne
©tute etroag ©c^öneg ift? ®enn roir tonnen bod) ni(^t in Slbrebe jteden,
baj3 bag ©d)öne roirflic^ j(^ön jep."
^ippiag. „@g ift roa’^r, roag bn jagjt, ©ocrateg, unb aucl) ber
©ott ^at in bem Orafeljprudb uollfommen IRec^t; eg gibt roirflic^ bet
nng in ©lig je^r jd)öne ©tuten."
©ocrateg. „,©e^r roo§l,‘ roirb ber SOlann jortjal^ren; ,aber roie,
eine jd)öne ßpra, ift bie nid)t etroag ©i^öneg?‘ ©inb roir bamit ein=
nerjtanben, i^ippiag ?"
.'öippiag. ,,0 ja."
©ocrateg. „.'piernad^ roirb er roeiter jagen, — id^ je§e eg ooraug,
benn id^ fenne feine iß^eije — ; ,Unt>ergleid^li(^er Stdann, no^ ©ing: eine
jc^öne Äanne, ift bie nidl)t aud^ etroag ©dl)öneg ?‘"
^ippiag. „3d; bitte bid), ©ocrateg, roer ift eigentlidl) ber SSlenj^?
roie tactlog unb ro!§ mu^ er jepn, roenn er bet einer ernjten ©rörterung
jo gemeine ®inge jur ©prad)e bringen tann!"
©ocrateg. „Slun, er ift freilid) nid^t bejonberg fein, jonbern ein
ganj geroö^nlidj)er ilJlann, bem eg einjig iint bie Sßa^rlieit (jh aXvjök)
ju t^un ift. Slber roir müjjen i^m nun einmal bod^ eine Slntroort geben,
unb i(^ roill juerjt jagen, roie idj meine. SSenn bie Äanne non einem
tüd)tigen Jöpfer gebrelit ift, red)t glatt unb runb, unb bann gut gebrannt,
roie eg ja joldje Äannen gibt, mit jroei ^penteln, bie jedt)g SKaag fajjen.
(Sin (Srjavactei'bilb niib ber (Segeninart.
5
ausnetjmenb id)ön, — luenn er, fage id}, eine ^Janne biefev 3(vt iin 9(uge
l^at, fo roerben mir jugebeu inüffen, bnf^ jie fdjön ift. ®enn roie fodteu
TOtr beijaupten, ba^ etraas ©djöned nid)t ld)ön fep?"
^»ippta§. „®a§ inoflen mir freilid) feinesroegs bel^aupten."
Socrated. „®ann mirb nütl)in ber lagen: ,3'ft a()o eine
l'i^one Ännne nidjt etinag ®d)i)ned (xa3ov)?‘ 3tntu)orte jefet."
4'>ippia§. „dtun ja, ©ocrated, e§ mag immer[)in fepn: and) ein
iold)e§ ©efiii) i[t freUid) fd)ön, menn e§ fd)on gearbeitet ift. 3Iber bie
ganje ©d)önt)eit eined fotdjen ©inged ift non gar feiner 33ebentnng im
3>ergleidj jn ber ©d)önt)eit eined '^-^ferbed, einer / (>''b anberer
(S'rfd)einnngen biefer 9lrt.''
©ocrated. „fRid)tig! iel3t fetje id), b^ippiad, inad mir nnferem (Gegner
gn eriniebern f)aben. ,'IRenfd),‘ müffen mir fngen, ,meifd bn benn nid)t,
baff nadj bed i^eractitud mot)rem 35>orte and) ber fdjönfte 2tffe fjnfdid)
ift, menn man i^n mit einem 1Renfd)en nergteid)t; nnb ebenfo bie fd)önfte
.^anne t)af3Üd) im Sergteid) mit einer rcie .S^ippiad ber Söeife
fpric^t?‘ 3f^’d red)t fo, b'^ippiad?"
.'T'iippind. „fffreitid), ©ocrated; bu f)aft i^m bn eine nortrefftii^e
3fntmort gegeben."
©ocrated. „Sann ^öre meiter. (^t mirb mir iel3t, bad meifi id)
gemif), fyotgenbed entgegnen: ,Urtf;eife fetbft, eocrnted: menn jemanb bie
fd)öne '^^it einer ©öttin snfammenftettt, mirb ed berfelben bo
nidit gerabe fo ergefien, mie ber jf’nnne neben ber Snd beifit,
mirb ba nid)t and) bie fd)önfte ^s'inigfvau erfd)einen? Sn b^if^
bid) anf b^eractitiid berufen; aber fagt nid)t gerabe biefer, mit einem @ott
nergtid)en nebme fid) ber meifefte DJtenfd) and mie ein 9Iffe, fomot)t mit
feiner SBeidbeit, atd mit feiner ©d)onbeit nnb allen übrigen ®orjngen?‘
Sterben mir it)m jngeftebeii-, .i^ippiad, bnfi einer ©öttin gegenüber bie
fd)önfte böbtii^
A^ippiad. „2Ser fönnte bagegen luobl etmnd einmenben motten?"
©ocrated. ,,'Ii>enn mir ibm bad aber jngeben, bann mirb er tnd)en,
nnb fagen: ,2Beigt bu and) noch, ©ocrated, um mad id) bid) gefragt
t)abe‘?‘ ^-reittib, merbe id) entgegnen: morin bad Söefen ber ©d)önbeit
(otuTo tö -/7Äövj beftel)e. ,Unb mo id) bid)‘, mirb er meiter fagen, ,nm
bad 95>efen ber ©d)önl^eit frage, nennft bn mir Singe, oon benen bn
]et5t fetber geftet)ft, baff fie eben fo mot)t t)äf)tid) atd fd)ön finb?‘ Sn
fd)einft in ber Sf)at 9ted)t gn tfaben! merbe id) it)in bann antmorten
müffen; ober, guter fyrennb, fott id) etmad 2tnbcred fagen?"
.sbippiad. „jleinedmegd. Senn bafi ein D}fenfd) ben ©öttern gegen-
über nid)t fd)ön ift, barin t)at er oottfommcn 9led)t."
©ocrated. „Sann mirb er mir aber fid)er entgegnen; ,2i'enn id)
bir atfo im 3tnfange bie fyrnge oorgetegt t)ätte, mad fd)ön fei) nnb jit;
6
®er SSegriff ber ©cC;ön^eit für bie Steftl^etif unentbe^vüd;.
glei^ unb bu ptteft mir ba§ iRämiid^e geantraortet roie
roürbeft bu bann mic^t gang richtig geantraortet !^aben? Unb bift bu
be^ungead^tet jet^t immer no^ ber 2lnfi(^t, bie ©c^ön^eit (mm to xaXöv),
ba§ ^ei^t jene ©efd^affen’^eit nermöge beren bie ®inge fdföii finb, fe^ eine
Jungfrau, ober ein ifßferb, ober eine S9ra?‘"*)
II.
§cbc tt>tf{fenf(baftft(be ltntcrfu<b«ng äßcr btc Si^ön^eit irgenb wcf(bcr
nuttgcn fc^t »oraus, ba| jucrfl ber ^Segriff ber ^i^ön^cit fe|i|tc^e. ftnb
cs t|l ni(bt wo^fget^an, n>ctm bie ^ifjfcnfi^ftft, wo |lc (1(6 ber bcut((6cn
|»pra(6c ßebienf, ftatt bcs ilusbrucftcs „bie Sebön^cit“ ben
^räetsntus „bns §dfföne^‘ «nwenbet.
3. Jäd^t gerobe btoft jur Unter^ttung bes SeferS ^ben rair ba§
Fragment au§ bem „grof^en ^ippiaä^' raiebergegeben. SBir raoUten oiet-
mel^r ben ^ocrateg einen ©runbfa^ außfprec^en taffen, ber für bie 9Jietf)obe
unfereß ißorgetienß in biefem Sudfe non ©ebeutung ift; rair raottten
nberbieS bie Umfidft l^eroorl^eben raomit fid^, im ©egenfat^e ju bem ober^
f(öcf)tid^en ©op^iften, ber raeife iKann anßbrüdt, unb baoon 3Serantaffung
nehmen, auf einen ©räcißmuß ber raiffenfdbafttid^en ©prad^e ^injuraeifen,
ber in beutf(^en 2öerfen bie Ätarl^eit unb baß rid^tige ißerftäubniff nic^t
fetten raefentti^ gu beeintrüdjtigen pftegt.
3. 2öer jene unbefannte britte ifSerfon fep, ber ?tRann raetdfem ©ocrateß
raa^renb feiner Unterrebung mit ^ippiaß feine eigenen ©ebanfen in ben
iB'iunb tegt, unb über beffen „Saettofigteit'' fid^ ber ©optfift ereifert**),
baß fpridjt ©ocrateß fetber an einer fpüteren ©telte beß SDiatogß mit
ttaren SÖJorten auß. ©r nennt ben 'üJlnnn „©ocrateß, beß ©opl^ronifcuß
©ofm, ber i^m eben fo raenig ertaube, über eine ©ad)e oberftüc^ti(^ ab^
jufpre(^en bie er nidft grünbtii^ burdt)badf)t l^abe, atß non etraaß baß er
nid^t raiffe, fo p reben, atß ob er eß raü^te“***). ®iefer perftünbige
'üJiann nun, um auf unfern ©egenftanb ju fommen, raürbe freitid^ ju
niet beanfprud)en , raenn er oertangte, bafe jeber ber bereefitigt fepn raitt,
ein ®ing fd^ön ober ^d^tidf) ^u nennen, bie ©c^ön^^eit fetbft ju befiniren
im ©tanbe fep. Ol^ne einigermaßen einen SSegriff ber ©d^önßeit ju
ßaben, rairb oßne ^Töeifet niemanb Urtßeite biefer 2trt ju bitben nermögen;
aber eß genügt ba^u ein uubeuttii^er, unfertiger ^Begriff : eineß nottenbeten
bebarf eß nii^t. S^beß ^fßtato ßat raiffenfd) afttidie ©rörterungen
*) Plat. Hipp. mai. Steph. 286 a — 289 d. Bipont. 11. p. 15 — 22. (Stall-
baum 4. sect. 2. p. 211 — 222.)
**) 3?gl. oben <B. 2 unb ©. 4.
***) Plat. 1. c. Steph. 298 c. Bip. 11. p. 42.
,®ie 0d^ön^eit" unb „ba§ ©d^öne".
7
über fcfjöne ©rfdjcimmgeu im 3(iige: mie benn bte ©op^iften ü6ev alle
®tnge, unb fo audj über bie Äüufte, mit groper 5tuma^ung unb jur
©cbau getragener ©ete^rfamfeit Unterfne^nngen anftettten, unb nnmenttidj
and) .'pippiag fetbft , nad) einer Siotij bei Slt^enäng , eine ©(^rift ücr=
öffenttid^te unter bem Jitet morin er non fd)önen ^^-ranen ge=
I^nnbelt 51t '^aben idjeint*). Um ©otdjeg mit 2(ug|idjt auf ©rfotg ttinn
gn fönnen, roill '^tato jagen, bebarf man jefter unb beftimmtcr ^Begriffe
non jenen ©igenjdiajten , um bie eg jid) ^anbelt; unb in biejem ©inne
tajd er jeinen l'et)rer gegen bag ©nbe jeiner Unterrebung mit .'pippiag
ben nämtid]en ©ebanfen nod^malg betonen. „2Benn ic^ nac^ fomme,''
jo ttagt ©ocrateg bem ©op^ijten mit jeiner ^'ronie nnb mie tjatb oer;
groeijelt barüber, baj; er non biejem feinen 5fnjjd)fnjg erbatten, „meint
id) nach cC'ianje fomme, nnb ba non jd)onen ®ingen jpred)e bie man lernen
nnb üben jolle, bann fragt mid) jener ‘'Ilfann, ob id) mid) benn nid)t
jcbnme, über ©egenjtanbe biejer 2frt gn nrtf)ei(en, nadjbem er mid) jo
nnmiberjtebtid) überführt bajg id) nicht einmtd mijje, morin bie
©d)önbeit bejtebe. ,2Bie milfjt bn erfennen,‘ jagt er, ,ob gnm 33eijpie(
eine dfebe jd)ön ijt ober nid)t, ober irgenb me(d)eg anbere ©ing, mo bn
nid)t mei^t, mag bie ©d)önbcit (x6 '/.rAw') ijt?‘'‘'**')
4. ®ie ©rörternng gmijeben ©ocrateg nnb bem ©opbijten bleibt
ofjne jRejultat: jic bringen eg, mie cg eben ber biejeg 5!)ia(ogg
oerfangt, gn feiner iBejtimmnng beg ÜBejeng ber ©d)önbeit, nnb ©ocrateg
bejdjticht gnleht bie ißejprecbung mit ber iJteuhernng, er habe ang ben
Serfegenbeiten meldje ibm ber fritijd)c Söiberjprud) beg micberbolt cr=
mübnten Ungenannten bereite, nnb ber Unterrebung mit .Spippiag, bod)
©inen ©eminn gegogen, ber ifju über bie ©rjotgtojigfeit ihrer llnterjudönng
trojten müjje: er glaube nämlid) jeüt ben ©inn nnb bie iBcbentnng beg
©prüdimorteg gn oerjtehen , „SUIeg ©cböne ijt jdtmer" 2). ©'ajg bag
©prinhroort auch i» ©inne mnhr ijt in meldjem eg ©ocrateg hiev
anmenbet, bag gn bemeijen bürfte jd)on bie 'Jb‘^tja(he genügen, mcldie
jeiner ©äjar ißalbinotti conjtatirte. „©eit ij.U‘Uo big auf nnjere
Jage jinb über bie ©d)önheit gttblrcid)e nnb jtarfe iBtinbc gcjdjricbcn
morben. ißei bem Umfange beg ©egenjtanbeg nnb jeiner ©d)micrigfeit,
bei ber großen imb ber 23ebentnng ber ©iclebrten, gehört nie! ÜJtiith
bagn, einen neuen ißerjuch biejer ©ad)e gn nnternebmen ***)".
?inn fann eg aber nid)tg meniger afg förbcriid} jepn bei mijjcn=
jd)aftlidicn Untcrjiuhungen , menn bie 3fugbrücfe bereu man jid) für
*) Atlien. Deipnosophistae, 13. c. 89. pag. 609. 2Sgl. (Sbiiarb 'Ptüller, (’’le=
l'chiihte ber Theorie ber Äunft bei ben 3llten (SBreSlau 1834), 1. ©. 22.
**) Plat. Hipp. mai. Steph. 304 d. Bip. 11. p. 56. (Stallbauin p. 263.)
''**) Baldinotti, De Metaphys. gen. c. 6. n. 269.
„Sie Sdjön^eit" unb „ba§ ©c^öne".
roefentlirfje ^Begriffe habet bebient, nidit Dodfomnten be[timint, nainentlii^,
utemi fie boppeUmnig [inb. eine jdjroierige STufgabe,
in iÄüdfic^t auf ba§ SBefen ber ©c^önfieit unb ba§ roa§ bamit jufammen=
pngt, genaue Seftimmungen feftjuftedeu , bann fodte folgti^ bie i|5!^iIo=
fop()ie jebenfadg barauf bebai^t fepn, babei roenigftenS für jenen begriff
auf ben es gerabe anfömmt, für bie Sd)ön^eit fefbft, nid)t einen Sfusbrud
ju gebraud^en, ber unter ber bejeidjneten fRüd'fidjt gan^ unb gar nidjt
jraecfntäfjig erfc^einen fann. 'jirüdiiä mad^t p einer ©tede im fünften
ber jetin ©iatoge 'jitato’d „Ueber bn§ ©emeinroefen" bie ®einerfung:
,„®ie ©c^ön^eit‘ unb ,ba§ ©(^öne‘ finb alfa feinegmegg (äineg unb
baffelbe" 3). fyreitid) nid)t. „®ie ©ct)önt)eit" (-b x^Abv) ift eine 23 e=
f dj nffenl^eit, mithin bag 2Bort ber Stugbrucf für einen abftracten
iBegriff; „bas ®d)öne" (tä xctXa) fiingegen ift bie (Gattung, in roett^e
ade Singe gefiören benen jene 23efd)affenf)eit eignet; bag Sßort nennt
atfo einen a Hg eine inen 23egriff (idea universalis). ^n ben uier
lepten 25erfen ber „üüinie" uon ©i^ider:
oic()e, ba meinen bie @ötter, es meinen bie ©öttinnen ade,
Safi baS ©d)öne uergebt, baf; bns iBodfommene ftivbt.
2(nd) ein Ädaglieb ju fei)n im 'Dhinb ber ©eliebten, ift bendicb:
Senn bnS ©emeine ge()t flanglos gnm Crcus t)inab —
haben mir für bag ^eütere brei iBeifpiete; mie „bag ©d)öne", in berfetben
2.Seife finb „bag 2Sodfommene" unb „bag ©emeine" Flamen für ©attungg;
begriffe; bie entfpreebenben abftracten Shigbrüde mären bagegen „bie
i'odfommenbeit", „bie ©emeintieit". Sie griedjifd)e ©prai^e nnterfebeibet
biefe jmei 2lrten uon 23egriffen ganj greifbar and) im 2Iugbrude (ra
xaXa, TO x7.),ov): unb beimod) fonnte Sdato, ofme für feine fyietion ben
i'ormurf äftbetifdjer Unmabrbeit beforgen ju müffen, ben ©opfiiften, ber
freilid) nid)t atg fOfann ber iS>iffenfd)aft , aber bodb atg idfann uon
„iBitbnng" ouftritt, bie jroei begriffe mit ber uodften
ucvmed)feln taffen (oben, 0. 3 f.); unb bennoi^ fanb oueb 2ßroctug eg
nid}t überftüffig, feine l'efer uor fotdjer 5Bermed;fetung augbrüctticb ju
marnen.
Äann man eg f)iernact) anberg atg in hohem '»IRaajje un^roedmäfüg
finben, menn bie beutfibe ^d)itofophie fidh geroöhnt hat, beibe 23egriffe
mit einem eingigen 2ß>orte gu begeichnen, nnb ftatt „bie ©djönheit^' mit
2)orliebe nnb faft immer gu fagen „bas 0d)öne" ? (ge^er ßefer ber fidh
nid)t etma fdjon burd) eine 2tngaht Unftarheiten unb 20'iifguerftänbniffe
hinburd)genrbeitet , nnb am ©nbe gtücftid) bie ©ntbecfnng gemoi^t hot/
bie ‘jihttofophic uerftehe unter bem ©attunggnamen „bag Schöne" häufig
etmng gang 2tnbereg, ats mag ber ©pra^gebraudj fonft bnrth benfelben
ansbrüdt, fann burd) eine fotche tHebemeife nur irregeführt roerben; um
,®ie ©d)ön^eit" unb „bas (i>d^bne".
9
l'o inel^v, ba er an nnberen Stellen „bas Scl}öne'' roiebev in feiner
eigentlicljen , jebem ©entfcften geläufigen 23ebentung, für „bie fcl)önen
Singe" , angeroenbet finbet. Stojn l)nt beim unfere Spradje für ben
abftracten 23egriff ba§ Snbftantin „bie Sc^önbeit"
5. 2ßir e§ fclfon angebentet: bie grted)ifd)e iißiffenfcbaft führte
biefe @efal)r non 5)tif3nerftcinbniffen nicht
nnferem „Schönheit" entfpred)cnben xd/J.oc nielfad) ben Slnsbrncf xö /aXov
aninenbete, nnb ebenfo, in ganj analoger Sßeife, bie begriffe „3Bahrl)eit"
nnb „@nthcit" mit xö nnb xo d~^a\)w (oben, S. 4. 8) ju be=
jeidjnen geinol)nt mar. Senn biefe gried)ifd)en Slndbrüd'e finb nidjt
©nttungSnninen, mie eg in nuferer Sprache „bag Sd)one", „bag 2ßat)rc",
„bag ©Ute" finb; für ben 33egriff ber ©attnng gebrandhte ber ®ried)e
bie i)3^ehrheit (xi y.rAd. n. f. in.). 5lnd) jene Sh'^ofophie bie fiel) ber
lateinifdhen Spradje bebiente, inie bie ber abcnblänbifd)en .Hirdiennüter
unb bie Sdjolaftif, f'onnte nod) immerhin and) in biefem ')3nn!tc fid) an
if)re gried)ifd)en Snellen anfchliejjen nnb für bie abftracten SSegriffe bie
STmrter pulchrimi, verum, honum fefthalten. Senn inenn biefe,
roeil ohne ben 3lrtifel anftretenb, and) meniger augfd)lief3lid) nnb genau
erfd)einen, alg bie entfpred)enben gried)ifd)en , fo bleibt bei ihnen bie @e=
fahr ber Serraed)felnng -hoch immer nod) hinlnnglid) fern, ba bie lnteinifd)e
Sprache, ob and) nielleidjt nid)t mit jener 3lngfd)lief3lid)feit mie bie
gried)ifd)e, fid) für ben ©attunggbegriff ber ÜJiel)rjat)l (pulckra, vera,
hona) 511 bebienen pflegt.
iDiarfiling ^-icinng l)ie^t übrigeng bag ermähnte Ütentrnm in ber
6injal)l (pulchrimi) offenbar fd)on für minber jmerfnüifiig; bie Ueber^
fd)i'ift ber 3lbl)anbtnng beg ifjlotin, IlHpl xoü xv/.o'j, gibt er befjhalb in
feiner Ueberfel3nng biird) De pidchritudine , unb mo eg in ^)ilato’g
Sialogen Iji^'fit xö x7Äöv, ba überfelct f^icinng nicht einfad) pulchrum,
fonbern ipsum pulchrum. Ülnch i)Jcnret erflürt eg für fcl)r mol)l:
gethan, bafi 3lrgi)ropntug bag xö beg ‘’Äriftoteleg bnrd) ipsum
honum miebergegeben, nnb meift babei auf ben ganj parallelen 5tngbrud
xö xaÄöv hin, meld)er „bie allem Sd)önen gemeinfame 'Sef^)‘^ffcnheit be=
zeichne, nermöge bereu cg eben fdjön fep" 4). nnb ohne Sor=
*) ®aS SBort homo ift ber StuSbnut für ben Segrifj ber 9trt , humanitas be=
jeidjuct ben abftrocten ®egrifj jener (Sigenthümtichteit, burd; luetd^e bnS Ginjelrocfen
biefer 3trt anget)brt; humanitas ift bie forma specifca, roeld)er ber Präger ber=
felben , homo, niS suhiectum gcgcnü&crftc£)t. g<mä analogem ®erl)ältnifje, roic
humanitas 511 homo, ftc()t „bie ©d)önf)cit" 5U „baS ©djbnc'’. Dhin üer)nd)e man
es einmal, in tr>iifen)d)aftlicf)en Unterfnd)nngen ftatt beS ÜBorteS humanitas , unb
nnberer gteid)artigcr, uonuiegenb ben SluSbrnd homo nnb bie biefem ent|gred)enben
511 gebrauihen. 25)äre nid)t bamit bie (ionfnfion jmo ^4’incip erhoben?
10
Begriff ber Äunft.
t^eil roäre e§ tdo^I taum geroefen, raenn aud^ bte 0d^otaftif fic^ entraeber
btefer Sßenbiing, ober ber abftracten ©ubftantioe bebtent ’^ätte.
man aber im 2Infd^(u§, fer) e§ an Strbeiten ber ©d§oia[tif feg e§ an
griedjifcbe Driginate, ben @räcigmu§ aud^ nod^ in beutfd^e 2lb:^anblnngen
über roi[fenfc^aftli(^e f^ragen l^erübergetragen l^at, unb fo fi(^ geraö^nte,
ben SSegriff „bie ©df)önl^eit" bur(^ „ba§ ©d^öne", „bie ©ntlieit'' burd^
„bas @ute" auäjubrücfen , ba§ mufe, meinen mir, alä fel^r unnorfid^tig
unb unüberlegt gelten; jebenfattS ift bie fReberoeife notl^rcenbig eine er=
giebige Ouetfe oon üWißDerftänbniffen unb ^’^rungen, nnb foKte befe^aib,
raeil ganj entbel^rtii^ unb burd^ ni(^t§ motinirt, mit aller ©orgfalt Der=
mieben ra erben.
III.
pJrts „dnc o^unfi“ fetf, was „bie ^iffcnf<baft einer unb was „bie
Ilbeotie einet t^nn|i“. ^wei <Ärien non ^unfttgeorien: „ntecbanifrfje“
unb „tt»irirenf(bttftfi<be“.
6. Um ben 33egriff ber 3Ie[t!^etit mit ftarer Seftimmt^eit feftftelten
p fönnen, ift e§ not^raenbig, ba^ mir junä(^ft brei anbere, bie in ber
Ueberfc^rift be,^eid^neten, ^Begriffe ertlären.
„6ine Jl'unft“, befinirt Striftoteleg, „ift bie gei^igfeit, nac^ rid^tigen
unb oon ber ißernunft aufgefa^ten fRegetn etroas fßeftimmteg ju machen" 5).
Sa§ 2Bort ift l^ier in feiner erften, in ber fubfectioen ober tranäitioen
fBebeutung genommen, in metdjer e§ eine 25efcbaffen:^eit be§ ilRenfcben,
eine bteibenbe (^abituette) fßoCtfommen^eit auSbrüdt.
(5§ liegt in ber Definition offen angebeutet, ba§ nur ein mit 3Ser=
nnnft begabtes SS^efen, junäc^ft alfo ber flRenf^ , ber Dröger einer jiunft
fegn fann. Die 35ögel roenn fie IRefter, bie fßienen raenn fie il^re 3eRen
bauen ober i^ren ^onig bereiten, bie Slmeife unb ber Diber in ber Einlage
i§rer SBo^nungen, üben nic^t eine Äunft ; fie oerfal^ren freilid^ babei no^
uoHfommen ridl)tigen Dftegeln, aber fie l^aben feine 25ernunft roelclfe bie=
felben auffaffen fönnte. ift „bie ilReifterin aller Dinge", bie 2Bei§;
Ifeit be§ ©c^öpferä, raeldbe bie Jl^iere mittelft ber ilmen oerlie^enen
„finnlid^en Urf^eilgfraft" *) leitet, unb fie für bie oon i^r beabfi(^tigten
*) 2Bir roerben biefcS BermögenS auch fpäter toieberbott ju ertüäbnen f)<iben;
barum ift c§ gut, tuenn mir fdf)on gier fugen, rou§ man barunter ju uerfteben b<it.
®ie finuticbe UrtbeilStruft (vis aestimativa) ift eine Boüfommenbeit, mit roeldber in
jebem ©innenroefeu, uudb im SOtenfdbeu, bu§ niebere grteuntnibuermögen uu§geftattet
erfcb^ii't- bient bem ©innenroefen buju, bie Singe, ohne bub e§ non benfelben
unmittelbar eine bem leiblidben Organi§mu§ jufagenbe ober roiberro artige SSirfung
erfahren bnt, al§ für geroiffe 3mecfe bienlicb anfjufaffen, ober umgetebrt al§ biefen
3mecfen gefdbrlicb ober nadbtbeilig. Sie ermähnten 3roecte aber finb im Mgemeinen,
'Jßa§ „bie 3Biffenfd;aft einer Ä'iinft" fe^.
11
^ejultate bie geeigneten iWiittel amnenben let)rt. — Sßenn mand)e 'Itefttte;
tifev ben Unteri(^ieb jinifd)en ber 31atnr unb ber ^nnft barin [inben
rootten, ba^ jene „nac!^ notl^iüenbigen ©efel^en roirfe", bie ^nnft Ijingegen
„nad) frei entraorfenen Siegeln ftanble""")/ l'o ift nngenan nnb
mificerftänblid), nm nid^t jn jagen, unri(^tig. ®ie Hebung feber Ä'nnft
Ijöngt freilid) non ber f^reiljeit bed i)i)ienfd}en ab, aber nid)t i^re Siegeln;
biefe finb inägefainmt notbinenbige ©efet^e, in ber 'iiktnr ber ®inge ge=
grünbet, unb weiter in ber 23?ei§l^eit tiwtteg non uield)er bie ^ilatnr ber
SDinge abljängt. ®enn, um mit ©t. 51nguftin jn reben, „fene oberfte
.^unft bes 3nimä(^tigeu burd) meldje au§ 9iid)t§ alle ®inge geworben,
unb bie man auch bie 2ßei§l^eit @otte§ nennt, fie ift eg and) weld)e bnrd)
ben Zünftler wirft, bamit feine 2ßerfe fc^ön fet)en nnb nngemeffen" 6).
(vin firf) ^t'r Definition be§ 3(riftotete§ ergibt, ift
ber llnterfd)ieb ber j?nnft non ber 2ßiffenfd)aft. Die Set5.tere, gleicbfatfS
im fubjectioen ©inne, ift ba§ @rfennen eines @egenftanbe§ aus ben
©riinben, bnrd) weld)e fein Sßefen beftimmt wirb, ^n ©rfennen,
in biefer 3**ftönblid)feit ber 'Dernunft, ift alfo bie 2Siffenfd)aft abge=
fd)loffen. 3?egriff ber .ffmnft Ijingegen gehört einerfeitö jwar bie
jlenntniff ihrer Otegeln, inbeff nid)t wefentlich bie ©rfenntnif) ber @rünbe
an§ welchen biefelben heiworgehen ; nnberfeitg aber innf; ju biefer üenntnifi
nothwenbig nod) jene habituelle 3?ollfommenheit ber entfpred)enben Kräfte
hinjutreten, burd) weldje ber 5)ienfd) wirflid) im ©taube ift, baS )oa§
je bie Stnfgnbe ber Itunft hübet, ju machen. Diefe il^ollfommenheit wirb
in ben weiften 'i^nllen, um nicht ^u fngen in allen, nicht anberS erlangt
als burdh nielfältige Uebnng.
7. Die Jßiffenfdjaft eineS ©egenftanbeö, wie wir eben fugten, be=
fi^t berjenige, weld)er ba§ 2.1'efen beffelben bnrd) bie @rünbe erfennt, bie
eS beftimmen. Dag 2ßort im objectioen ©inne genommen , ift bemnnd)
bie 2ßiffenfd)aft eineg ©egenftanbeg „bie Darftellnng ober bie (Snünidelung
feineg 3S>efeng ang ben (^ümnben, bnrd) weldje baffelbe beftimmt wirb".
2ßag wirb hici^aad) „bie 2Biffenfd)aft einer .Hunft" fei)n? Stehen
wir junnd)ft, um ung leichter ftar augjubrncfen , non einer beftimmten
Ä'unft, etwa oon ber Sltalerei. Sßorin tritt bag 3ßefen ber SSfalerci
hernor? Stlfgemein, in ihrer befonberen Stufgabe, in ihren oberften @e=
fe^en, unb in ber Slrt ber SJfittel )oeldhe lie anwenbet. Unb wobnrd)
beftimmen fid) biefe (S'lemente? Die 2Irt ber SOtittef weld)e bie Sltalerei
eincrfeit§ bie (Srhaltiing be§ (Jinjetroefenä unb bie görbening feine§ leiblid)en Sebenä,
anberfeitg bie Erhaltung ber 2trt, burd) bie gortpftanäung unb bie Sorge für ba§
(Sräeugte. (ÜOlnn ogl. meine 9lbhanb(ung „®n§ (i'emüth, unb bas (Sefüf)(Söerutögeu
ber neueren ^Pfpehotogie", Dt. 9, ©. 26 ff.)
*) 5ider, 2tcftl)etif (2. 3hifl. '®ien 1840) ,§ 87. Ärng, 2leftt)ctif, § 58.
12
®ie ;,3:t)eorie einer Äunft" ; äroei 2trten berfeiben.
anjitroenben l^at, unb bie obevften ®e)ei^e biefer .ffunft, fangen offenbar
non i'^rer Slufgabe ab. ®icfe Seljtere fe(bft aber beftimmt fid) burd^
nid)tä 21nbere§, a(§ burd) bie ©efammt^eit ber SBirfungen', raeid^e bie
l'ciftungen ber üOdaierei jur g-örberimg beä SBoi^teg ber menfd^lidfien ®e=
feüfd)aft ’^eroorgitbringen im ©tanbe finb. 3^r f^^örberung be§ 2öol)le§
ber 9Jdenfd)l)eit fagen mir; benn einzig Sßirfungen biefer 2lrt fonnte bie
'©eig^eit @otte§ beabfidi)tigen, inbem fie in bie mcnfd)üdf)e 2iatur bie 2ln=
läge jur 2dla(erfunft (egte; eine 3Birfung roe(dbe ben 2(bfid)ten ber eroigen
S©ei§!^eit jiiroibertnuft, fann aber unmöglidb bie Slnfgabe einer Äunft bitben,
roeldje biefer allein i^r SDafer)n oerbanft. ®ie ©iffenfdjaft ber 'üJdalerei
roirb alfo jnnäd)ft bie Sßirfungen in§ 2luge faffen roeld()e non 25>erfen ber
2Dta(erei ausgeljen tonnen, nnb inbem fie biefenige ober biejenigen biefer 2Bir=
fangen, roe(d)e bap anget^an finb, ba§ 2Bo^( ber menfd)(ic^en ©efedf^aft
in irgenb einer (Rid^tnng jn förbern, non ben roertf)Iofen unb ben nadji
tlteiügen fd)eibet, bie eigent(id)e Stufgabe biefer Äunft feftfteden. 2Iu§ ber
Statur biefer Stufgabe mirb fie bann bie oberften ©efe^e ber SDtaterei ent=
raicfeln, unb bie Strt ber SOtittet beftimmen roetd^e biefetbe anjutnenben l^at.
ft-affen mir biefe ©ebanfen jeut adgemein, fo ergibt fi^ für ben
S3cgriff nm ben e§ fid^ ^anbett, biefe Definition: „Die 2Siffenf(^aft einer
Äunft ift bie Darftedung, rae(d)e bie eigenttid^e Stnfgabe biefer Äunft
nad) ben maaftgebenben dtndfid^ten beftimmt, unb au§ biefer Stufgabe
i()re oberften ©efei^e foroie bie Strt i^rer SJtittet entroidett.'^
8. ©g ift nod^ ber britte begriff übrig, „bie ©§eorie einer .ftunft",
ober „eine Ännft im obfectinen ober intransitinen ©inne". b^ierfür finben
mir bei Jboi'wg non Slquin jmei Definitionen; namenttidi) bie eine ber=
felben entfpri(^t genau ber oben (’6. ©. 10) nad) Striftoteteg gegebenen
©rftarung ber Jl'unft im fnbjectinen ©inne. „Die D^eorie einer Äunft“,
fagt nnmtid) ber f)ei(ige jlird)entef)rer, „ift bie ©efammttieit ber rid)tigen
dtegetn, nad) benen etmag S.^eftimmteg gemad)t merben fod" 7). 5tn=
fd)luffe an eine anbere ©tede bagegen fönnen mir ben S3egriff augfüf)r=
tidfer fo evftären. Die Dfieorie einer Ännft ift bie fpftematifd) georbnete
©efammt^eit jener Stnmeifungen, metd)e baju angettmn finb, ben 'ildenf(^en
in feiner Dptigfeit für bie Stermirftidmng ber Stufgabe eben biefer blunft
mit ©icf)ert)eit ;;u (eiten. Die Stnmeifungen unb Stegetn aug benen fidb
bie 'i^eorie jufammenfet^t , finb nidjtg Stnbereg a(g ber Stugbrud ber
SStittet, burcb beren oerftänbige Stnmenbung ber 3’fed ber fünftterifdtien
Dt)ätigfeit oermirf(id)t mirb 8).
©iner meiteren ©rtäuterung bebürfen, iinferer Stufgabe gegenüber,
biefe S3egriffgbeftimmungen nid)t; bagegen er!^eifd)t biefetbe, baf) mir bie
mefent(id)e Derfc^iebent)eit ber jmei Strten ucn btunftf^eorien bartegen,
metd)e beibc unter bie gegebenen Definitionen faden. Die eine biefer
jmei Strten d)aracterifirt ©icero, bie anbere i|.'tato.
Sie „roi)jcnfd)aftiicf)e'' iinb bie „mec^anifd^e" SI)corie einer Ännft. 13
9. bem eri’ten [einev brei Dialoge über bie oratovi)'d)e i^evebt;
l'amfeit (äßt luimlid) ber vömifd&e 9tebner bie Jl^eovie biefer Jlimft in
fotgenber 25>ei1e fid) bilben. ,,-Da§ i^erfafjven unb bie ©runbidi^e uiddie
in ben raivfüd^en Dieben tiidjtiger 9'tebner Ijernortraten, ijaben ^Jiänncr non
©einanbtljeit unb @rfal)ntng buvii^ forgfältige 33eobad)tung anfjufafjen ge=
l'nd)t; l'ic fjaben biefe ©rnnbfät^e gc[ommeit, fie jn beftinunten Siegeln fovmu=
tirt, jie unter allgemeine ©efidjtgpunfte gebracht nnb fpftematije!^ geovbnet.
@0 l)aben atjo bie 9Jtei[ter nnf biefem ©ebiete nicht etroa bnbnvdj il)re
üottenbete 23erebtiainfeit jid) ermovben, bafi fie fiel) bie Jllegeln ber 2:heDrie
jur iJiid)t[d}nitr nahmen: fonbern bie Sföeife be§ i^erfnljrend roeldje ifjr
eigenes ©enie fie lehrte, mürbe beobad)tet, firirt nnb nachgeahmt; nnb
bie 33erebtfamfeit roie fie in ber 21>irftid)feit anfgetreten ift, nerbanft iljr
®afet)u feineSroegS ber Xh^orie, fonbern eS ift nmgefehrt biefe Sehterc
anS ber thatfdchlichen Hebung ber X^erebtfnmfeit heroorgegnngen" '*). X9ie
man leidjt fieht , rairb eine Xh^o^'^c 2trt nid)tö meiter fepn , atS
eine nberfid}ttid) georbnete ©ammlnng oon Dtegeln , roeldje ben Stebner
oerfdjiebenartige angemeffene i)lltittet, Ännftgriffe, fennen lehren, nnb ihn
babnrd) in feiner Xhdtigfeit nnterftühen. ßieero fügt bie Semerfnng
Ijinju, eine foldie Xljeorie fonne jroar nid)t als baS norjnglidffte töcittcl
gelten bnrdj meld)eS man lidj bie 3?erebtfamfeit ermerbe, aber fie l)dbe
anberfeitS bodi ihren Xr'erth, unb nerbiene alle i^eadjtnng.
Ipöhere Slnforbernngen alS in biefer 0telle ber Dtömer, ftellt an
bie Xljeorie ber 23erebtf amfeit i|]lato. ®er Slrjt, roenn er anberS in ber
Hebung feiner .tlunft nid)t blof; mechanifd) nach einer 3lnjal)l empirifcher
Dtegeln oerfahren roolle, fonbern nad) fidieren nnb mohl oerftanbenen
©rnnbfti^en, miiffe mit ber dtatur beS menfdflichen SeibeS betannt fepn,
um urtheilen jn fönnen, na^ metdjen 9tücffid)ten, unter meld)cn Hmftänben
unb 3?ebingnngen , unb in meldfem tlJc'aafie febeS feiner tWtittel ,yir IHin
roenbung ju fommen habe: in ganj gleii^er 35>eife muffe feinerfeitS ber
IRebner bie IRatur nnb 33efd)affenheit ber menfdjlichen Seele ftubirt h«ben,
nnb ihre ißermögen, ihre Xh^tigfeiten nnb 3nf^dnbe, fomie bie X’liomente
roelche ihre Stimmung nnb ihr Streben jn beeinflnffen pflegen, grünblid)
fennen. Senn bie Ulnfgabe beS itlebnerS beftehe fa eben barin, bnrd)
feine Vorträge auf bie Seele jn mirfen, nnb ihr freies Streben entfeheibenb
ju beftimmen. Sie elementaren 2lnmeifnngen ber Dthdoren, über "^'e=
riobenbau nnb DtnmernS nnb anbere Soi\^üge beS StptS , über 23ilber
nnb Utebefiguren nnb oratorifdje dinplification, fönnen beph^'b für fid)
allein ben 3lnfprüd)en ganj nnb gar ni(^t genügen, meldie man an eine
gute Xheorie einer Ännft jn mad)en bered)tigt fep; nnb namentlid), mie
eS bnrd)roeg gefd)ehe, eine Xljeorie ber Serebtfamteit geben mollen ol)ne
*) Cic. de or. 1. c. 23. n. 101). c. 32. n. 146.
14
„SBifferifd^oftlid^e" iinb „mec^anifd^e" Ä'unftt^eorien.
p^i}(^oIogifc^e ©runblage, bas ^ei^e gerabe [o üie(, alS ju eine Steile
machen o!^ne Stugen unb £id}t*).
2öaS ipiato nerlangt, baS läuft, aügemetu gefaxt, offenbar barauf
fltnauS , bafj bie Jl^eorie einer Ännft junädfift baS Oiefnltat , in beffen
il)ern)irfüd)ung je bie Ännft i^re Stufgabe erfennt, unb ioet(^eS mithin
ben Stnroeifungen ber ?.^eorie bitbet, fc^arf inS Stuge faffe
unb altfeitig beteu^te; baj? fie loeiterl^in bann biefe Stnroeifungen fetbft,
nid}t lüie ebenfo niete Stt’ionie einfai^ t)inftette, fonbern fie ju bem ^roed
ben fie reatifiren l^etfen fotten , in tBejie’^ung bringe , fie auS biefem ab=
teite ober auf benfetben jnrücffü^re, unb boburd) foroo^t fie begrünbe,
atS auc^ bem ange^enben Jlünftter eS mögtid) inod)e, fie je nac^ i^rer
S^ebeutung mit notier Jbtar^eit unb SSeftimmt^eit aufjufaffen. Unb e§
roirb ino’^t niemanb in Stbrebe ftetten motten, bafe ein SSerfatiren biefer
Strt überott bort unertäf3Üdj ift, roo baS grünbtid)e SSerftänbni^ ber
te(^nifd)eu Stnroeifnngen, unb i^re rid)tige Stnraenbung auf bie einjetnen
fyätte unb nerfd^iebenartigen Umftänbe fid^ergeftettt roerben fott. ®enn
roie mir fc^on bemerften, bie Stegetn ber J^^eorie finb ja nid^tS anberS,
atS ber StnSbrucf ber dJUttet, non bereu umfic^tiger SSermert'^ung bie
23ermirftid)ung beS ben je bie jtunft auSge^t, bebingt er=
fc^eint. 9iun t)ängt aber bie 9tatur beS SdJittetS gerabe non ber 9latur
beS 3roedeS für metc^en eS bienen fott, immer unb auSf^tiep^ ab : nur
iu feiner S?e^iet)nng ^um i*^^b burc^ biefen, fann mithin baS
Sltittet nott unb mit tßeftimmttjeit begriffen, unb mit @idt)er:^eit ange=
menbet merben.
Offenbar entptt bie nac^ fotdtien ©runbföt^en auSgefü^rte ib^oi'ie
einer Äunft nii^t btof3 bie tKegetn, fonbern in ißerbinbnng mit benfetben
,3iigteid^ bie SBiffenfc^aft ifirer Ä'unft (ngt. 9U 7. 11 f.): mir
merben fie mitl^in am beften „bie miffenfctiaftticbe O^eorie" nennen.
bie anbere, non (äicero d)oracterifirte Strt bürfte bagegen ber geeignetfte
9iame „med^anifc^e O^eorie" fetjn. S3ei ber Unftartieit mit metc^er man,
nac^ einer fetir magren ißemerfung ©utjerS, nietfac^ ju beuten pflegt,
tonnte fid) freitid) jemanb geneigt fügten, für biefe jmeite SIrt ben 9tamen
„practifi^e Ot)eorie“ norjujiel^en. Stber biefe tßejeii^nung mürbe uoll=
ftänbig nerfefitt fepn. Oenn „practifcfi" mu^ jebe O^eorie einer Jlunft
fepn, menn fie anberS nic^t für mertt)loS erftärt merben mitl; unb
es liegt om Oage, baf3 bie „miffenfc^aftlicbe J^eorie" um SSieleS prac=
tifdjer ift, baS tieifjt bie Hebung ber Äunft gu förbern geeigneter, als
bie „med^anifd)e“.
*) Plat. Pliaedr. Steph. 268 a — 271 d. Bipont. 10. pag. 366 — 373.
SSegriff ber Steft^etif; i^re sroei Jbeitc.
15
IV.
pie pcfl^etiß; i^r gjfgriff, tßrc pwfgaßc, tßrc nalörfiißen jwei ^ßdfc. per
55ertß bicfer 5®t('f'enf(ßttft wnb ißrc |3cbe«tung für bas cfcßen. 00 ißr
gegcnwärftger planb bicfcr ißrcr ^ebeufung cntfpretße.
10. SK>te jebevmann mei|l, finb unter ben ilünften mehrere, ruelcße
man at§ „föjßne .fünfte" 511 bejeidjuen pflegt: 3. 33. bie 3lrd)itectur , bie
3Jfnfif, bie ifSoefie, bie 3)^aterei nnb anbere. SDie Sßiffenfdfaft
ber fdjönen ^tiinfte nun, bn§ ift bie Sleftßetif *). ®iefelbe ßat
mithin, in 3Hirffid)t auf febe fd)one ^'nnft, auf @runb ber maaggebenben
iprincipien, beren eigentlidie 3tnfgabe feftjufteden, nnb and biefer ißre
oberften ©efe^e nnb bie 3trt ißrer 3JUttet jn entmicfetn (7. 0. 11 f.).
Saf; bie 0cßönßeit ein SSorjug fet), metcßer in ben Seiftnngen ber
frönen .fünfte ßernorjutreten pflegt, baranf beutet fd)on ber 31ame biefer
Set^teren nnnerfennbnr Ipn. Sie ift inbef^ nur bie norne'^mfte unter ben
©igenfdjaften biefer Seiftungen; mir fagen fn für Slienianben etroad
3tened, roenn mir bemerten, baf^ bie 3Serfe ber 3Jta(erei, ober ber ifSoefie,
ber 33erebtfamMt, ber 3lrd)itectur oft überbied and) burd) 3tnmutl), ober
burd) großartige ©rljabenßeit , ober burcß SS>abrßeit, 3J3anni(^faltigfeit,
3teubeit, nnb ülpilidje ©igenfd)aften fid) andjeidjiten nnb nufer ^ntereffe
in Slnfprnd) nehmen. ®urcß ben „0ol)u bed 0opßronifcnd" bat und
‘'4>lato früher (3. ®. 6) aufmerffam madben laffen , baf5 man fid)
fcbämen müffe, roenn man oon etroad bad man nidöt roiffe, fo rebe ald
ob mon ed roüf3te, nnb über fd)one SDinge jn urtbeilen fid) unterfange,
folange man nii^t einmal Älarl)eit barüber bal>e, wflä bie 0d)bnl)eit fep.
©ad 9tämlid)e gilt offenbar nid)t minber in 3tüdfid)t auf bie übrigen
©igenftbaften , burcb roeld)e fid) bie 3öerte ber fd)önen ibünfte, roie eben
erroabnt ronrbe, ald fold)e ju cbaracterifiren pflegen. ®o ergibt fid)
notbroenbig ald ber erfte 01)2^1 unferer SlHffenfcbaft eine 3lbl)anblung, in
roeli^er roir bad SKefen eined jeben biefer 33orjüge genau jn beftimmen,
ober „bie äftbetifcben ©runbbegriffe" feftjnfteüen fndben. .*niernncb erft
tonnen roir, im jroeiten 33ud)e, bie fd)önen Äünfte felbft ind 3lnge faffen,
um ihre 3lufgabe, ihre oberften ©efet^e, nnb ißre iStittet roiffenfdfaftlid)
jn bebanbeln.
11. 3lber roe)ni bie 3leftl)etif, roie roir oorber befinirten, nid)td
roeiter fei)u roill, ald „bie 3Öiffenfd)aft ber fd)önen fünfte", bann erfd)eint
biefelbe, fo tonnte man benfen, ald etroad fel)r ©ntbel)rlid)ed. ©enn
früher (9. 0. 14) bürten roir, in ber roiffenf(baftli(ben ©b^^rie einer
Äunft fep, in 35erbinbung mit ben tedbnifd)en 3lnroeifungen, je auch bie
3 Heber biefen Dtamen ogt. unten 5t. 204.
16
Cb bie Steft^etif pvacti)’d;en ®ert^ ^abe.
btefer enthalten. 3Bag fann bie 51eft^etif nodj
bieten, ba§ in ber ©efammt^eit ber roi[fenf(^aftüc^en .'(Innftttteorien nid^t
fc^on gegeben roäre?
@ine ^otgerung bieder 21rt roürbe einigermaften noreitig fei)n. >$(^on
barum junöc^ft, roeil fie non ber 3Soran§fe|ung au§ge:^t, baß für jebe
einzelne fd^öne ^unft bereits eine gute roiffenidf)aftiid^e Il^eorie nortiege,
ber biefer 95ornu§fe^ung aber bi§ jur ©tunbe nod) feineSroegS
als roirftidbe Jl^atfad^e getten fann. §iergu fommen aber nodj anbere
tldncfficbteii/ raeld^e non biefer 3:^at|a(^e ganj unabtiängig finb.
(SrftenS finb nämli(^ unter ben roiffeufd^aftlid^ feftjuftellenben ©ät^en
non benen bie einjelnen fd^önen ibünfte be^errfdbt roerben, nii^t raenige,
bie für eine jebe berfelben il^re 3?ebeutung ^aben. 2IIS fold}e ©ü^e finb
nid)t nur biejenigen inSgefantmt ju be,^ei(^nen, roeldfie bie nor^er alS ber
erfte 2;^eil ber 2Ieftf)etif aufgefüfirte ße^re „non ben äft^etifdjen ®runb;
begriffen" entpit, fonbern überbieS andf) ein bebeutenber Slbfd^nitt beS
jraeiten 2:pileS nnferer 2ßiffenf(^aft, in roeldjem non ben fdjönen fünften
im 21Ügemeinen bie 9tebe ift. fjpem Umfange na^ bitbet bie ©ntroidetung
ber l^iermit angebenteten i|3unfte bie gröpre §ötfte ber 2feft^etif; inbem
fie eS auf fidt) nimmt, biefetben mit roiffenfd^afttid^er @rnnblicf)feit fefU
jnftellen, überlebt fie bie roiffenfdjafttpe X^eorie feber einjetnen fd)önen
Ännft ber tJfottjroenbigfeit, biefe feineSroegS nnfd^roere Strbeit fetber t)or=
^^une^men, nnb erteid^tert ip' babnrct) bie ©rfüttung {euer befonberen
SInfgabe roetdie berfetben eigenttinmtp ift.
iIßaS bann, jraeitenS, bie meiteren 2tbfd}nitte betrifft, in roetd^en bie
3teftptif bie ifSrincipien feber einjetnen fct)önen Ännft inSbefonbere feft=
ftettt , fo fann ntterbingS berjenige roetcber eine gute raiffenPaftti(^e
Xporie feber einzelnen in .spuben pt, biefer SIbpnitte entbep'en.
man motte nid)t nberfepn, ba^ eine roiffenf(^aftlidtie Jporie bie befonbere
Sßiffenfdbaft i^rer .^nnft jroar entptt: aber bafe fie biefetbe feineSmegS
für fid), atS reine SBiffenfd^aft entroicfett, fonbern in mögti^ft inniger
3Serfd)metgung mit ben tedbnifdtien Oiegetn ber entfpredbenben „medt)anifd)en"
Xporie. ©o oertangt eS bie tRüdffidbt auf bie tprapiS ber .^iinft, in
bereu §örbernng andf) bie roiffenfd)afttid^e Jporie, um nid^tS meniger
atS bie med^anif(^e, ipen einjigen erfennt. 2Ber eS npt barauf
abgefepn pt, fetbft eine beftimmte Jl'unft ju üben ober 2tnbere jn fold^er
Uebung an^uteiten, oietmep tebigtid) roünfd^en mup bie Mnfte inSge;
fammt ipem Sßefen nad^ jn fennen, ber rairb ben fürjeren 2öeg ope
3meifet oorjiepn, nnb ftatt in einer ^ilfenge oon iporien bie barin an
ocrfdjiebenen ©teilen jerftreuten tf}rincipien müpam aufjufudten unb 51t
fammetn , lieber fic^ an fene (?ine Stßiffenfd^aft roenben , roetdtie i^m bie
nümtidben ^rincipien in metpbifdber ißerbinbnng nnb überfidftlii^er f^otge
bünbig üorfüpd, unb fie überbieS tiefer begrünbet, atS eS audb ber
C-b bie 3teft[)etif praciifdjen Jßevt^ ^abe.
17
iütlien|d)afUidjcn Xfjcorie bic notljraenbige ^lüdfidjt auf l^ren rein pvactU
fd)en i)ie(en gäöeu geftattet.
:i?ei bem unbevedjenbar mächtigen ©infhiffe bev jc^öneii fünfte
unb i^rcr SSerfe auf ba§ Seben, tnäbefonberc auf bic veitgiöfc uub
etljifc^e ^eite beffelben; bei bem 3’'tereffe anberfeitä ba§ jene Ujver
Ceiftuugen mc(d)e bem ©cmtjfe jii bienen beftimmt finb , in iJ(n)pvud)
ju nebmen’ pflegen ; muff man eä nun aber üodfommen begrnnbet
finben, meint ein ^eber bem nidbt bie ju einer miffenfcbaftlidjcn 3Inf=
faffnng notbmenbige i'orbilbnng mangelt, fid) anfgeforbert fiU)tt, bie
.tlenntniy ber eigentticben 5fnfgabe ber fdjönen itnnfte nnb if)rer ©efe^c
fidf anjneignen.
3n biefer 91üdfi(bt ift feit einigen 3db^’äfb"ten nodj bie 'ifjatfadje
binjngetrcten, ba§ nicht nur bie biftorifd)e fyorfdnmg mit nngcmüf)ntid)em
(vifer fi^ ben febönen fünften unb ihrer ißergangenbeit jngcroenbet,
fonbern felbft in ben XageSblnttern fritifetje 23crid)te über fnnftterifebe
Öeiftnngen ber ©egenroart eine ftebenbe dtnbrif ,^n bitben angefangen
haben. ®ie .H'riti! einer fnnftlerifd)en Seiftung ift ein 9tonfcnfc, meint
berfetben nid)t beftimmte 5tnfd)anungen über ba§ iKlefen ber jlnnft metdfer
bie Sciftnng angebört, jn ©rnnbe liegen; nnb nidjt meniger feist fold)e
Dfnfdiannngen bie @efd)id)te einer Ä'nnft norang, c§ märe beim, fie be;
febränfte ficb nnf eine blofi d)ronifenartige Slnffübrnng ber in ben 33ereid)
feiler .ltnnft gebörenben iffierfe. ©arftellnngcn bßben ben be?
neibengmertben 'i>or;!|ng , and) non ber Cberfläd)lid)feit leicht nerftanben
^n merben, nnb finb barum fener großen Dltenge, bic fidi berufen fühlt, ber
„gebilbeten" Jllnffe nnjngehören, immer millfoinmen; bie Seetüre non
Jagesblättern aber bctrndjtct heidsulbge gerabejn faft febermann al§
cineg ber mefentlidiften Sebenöbebürfniffe. 3\>ag fteht jn ermarten, menn
etmn bie äfthetifd)e Ä'ritif in ben Alagesblnttern fo gut mic bic ©arftel;
Inng ber fnnftgefd)id)tlichen 33üd)er non ©rnnbfnlsen anggeben, nnb in
meiteftem Uinfreife 51nfd)annngen angfirenen follten, melcbe gleid)^eitig
ben enibenteften Sahen ber gefnnben '^h^lofophie miberfpredjcn , nnb
iSahrbeiten ber Offenbarung nerlöngnen?
.sbierbitrd) ift, menn mir nidjt irren, bic iBebeutnng ber iJlefthetif
für bie gefnmmtc ©efeltfd)aft bargethan, nnb mit biefer bic lBercd)tignng
ihrer ©riften^.
li. 'ISer biefe i^cbentnng jn mürbigen nerftebt, ber mag mit Dlcdft
fidi mnnbern, menn er ben ©^efdjidjtfdfreibcr „ber Ülefthetif in Oentfd)=
lanb", .viermnnn Sotsc, bie „Ueber^engnng" aiigfprcd)en lib^'l, „baff bie
bcntfd)c Siteratnr an fnnftfritifdien Seiftnngen non norjüglidbem SSertlfe
ynar überreid) ift, baff aber non biefen 'Arbeiten bod) bigber fehr
'iöenigcg ficb jn einem bl eiben ben (fie mimt allgemein ang=
fpr cd) barer äftl)ctifd)er IKefnltate nerbidftet h^t'© 31n einer
Sungmantt, 3Ieftf)etit. 2. SlmX 2
18.
®er gegcnroärtige ©taub ber 2(eftt)etif.
fpoteren ©teile feiner @e|d)ic^te raieber^olt So^e benfelben ©ebanfen.
,,9'cur in unbetract)tlicf)em iJJlaaße fe^ e§ bislier mögtid;, ben ©inbrud
ber Äunftraerfe auf bie einfai^ften nnb flarften Ser^ltniffe jurüdjn=
führen"; fo oft e§ fid^ nm „ben ©eift einer beftiinmten ßunft" Raubte,
„ergeben fi^ über feben einjelnen 33egriff nnb feben ©efic^tdpnnft, ber
gur iBeineigfü^rung ^erongejogen inerbe, enblod nad) rürfrnärt§ ilJleimtng§;
nerfd)ieben^eiten" ; „überaE ino bie ,5lnffaffungen‘ beginnen, ^abe" nun
aber „bie 25^iffenfc^aft norlöufig aufgeprt, nnb bie ©efc^ii^te ber 5left^etif
fonne aus einem ©l)aoS ein an ber minner ft ebenb er ?.Eeinungen
nur einige leiblid) fiii^ergeftellte 23rücfen jum ©innerftnnbniB !^ernor=
lieben" '*■)•
^n noüftem ©inflange mit biefer inenig erfreulid)en ©^aracteriftil
fte^en bie ©ebanfen, raomit ©arl ©t^naafe bie „3(ügemeine ©inleitung"
jn feiner „®efd)id)te ber bilbenben Ä'ünfte" eröffnet, ©eit nielen ^a'^ren,
ftagt biefer ©elc^rte, l)aben fid), befonberS in ©)eutfd)Ianb , bie feinften
unb ebelften ©eifter mit t^eorctifd)en ©rörternngen über ©d)önlieit nnb
Äunft befc^üftigt; galjllofe i'erfud)e fegen unternommen tnorben, ben
©d^önlicitSbegriff ju firiren; febeS ber neu aufgefommenen p^ilofop^ifdfien
©pfteme, unb ade Slbjineigungen berfelben, ^aben fid) baran geinagt;
aber fie ^aben gerabe in biefcm ©egcnftanbe am inenigften ©rfolg unb
3uftimmnng erfialten. 2}3ö^renb in allen anberen g-ätbern bie iniffens
fd)aftlid)e fyeftftellung roenigftenS bei ben ©ad)nerftnnbigen ©ingang jn
finben pflege, roenben fid) hier gerabe bie meld)e alS fold)e gelten, entfdiieben
baton ab: als ob fie bieiDkinnng red)tfertigen raoUten, bafi bie 5leftl)etif eine
müfüge 5lufgobe ber ip^^ilofop^en feg, roeld)e für baS Schöne** ***)) roenig
©inn fabelt, inbef^ bie roa'^ren fyreunbe nnb jtcnner bcS ©d)önen'^**) eS
blof) in ©intelerfdcinnngen unb mit bem ©efül^le ju betrachten lieben.
DlnberfcitS finbe man and) mieber biefe Äenner in ihren ©efül)lSnrtl)eilen
fo abroei^enb non einanber, in ihren ©rünben fo roiberfpred)enb mit fich
felber, bag baS 23ebürfnig aUgemeiner 23etradjtung , unb ber fy^flftedung
Don Gegriffen nnb ©rnnbfüticn, fid) immer anfS neue mieber geltenb
madjef)- Hnb fo fiehl f'd) beim auch 'Schnaafe genöthigt, „biefen
fi^lüpfrigen Soben niifS neue jn betreten" , nm 23egriffe nnb ©ätie feft;
juftellen, bie er jnm rid)tigen l^erftänbnifi feiner beabfichtigten hiftorift^en
©arftellung mit Diecht nnentbehrlid) finbet.
©oEen mir nod) einem brüten 2>3ort geben? 33ielleid)t
ift eS fd)on barnm ber iöiühe roertl), roeil feine ©rflarnng nod) um faft
*) Sofee, @efthi(hte bev Stefthetif in Seutfchlanb ('Elümhcn 1868), ®. 460. 596 f.
**) „bie ©chbnheit", tdEI ©(hnaafe fngeu. 23gt. oben S. S ff.
***) „ber Schönheit".
t) ©chnnafe, ©efdiichte ber bilbenben fünfte (2. 3tnfl. Süffelborf 1866) 1. ©. 1.
Ser gegemoärtige (j^tanb ber Sleft^etif.
19
^raölf jünger ift, al§ bie neiiejte ber jinei bereite angeführten.
„®ie pf)ifofophif(^e 5reftf)etif', fo tüpt fti^ berfelbe nernehinen, „h^t
nie eine§ fetir grofien fRefpects, raeber feitenS be§ @etehrten= nod) be§
£aienpubticnm§, 511 erfreuen gehabt. ®iefe ilRipachtung rairb inan er;
flörtidj nnb gere^tfertigt ftnben, inenn inan bebenft, bap fie non ihren
erften Stnfängen bi§ faft in bie neuefte ih^’c^' ^^vütenfion,
SBiffenfchaft 31t fepn, bod; baiiin etinaä 21nbere§ geroefen ift, at§ eine 2Irt
non nentrntem ©ebiet 3n)ifd)en Ännftbefdjreibung nnb roiffenfdiaftUchein
S)ilettantiäinn§ , auf iueld)ein bie fo nneingefchräntteren
5;uininetptat3 hßitC/ jebermann ein natürlidjes fRedjt 31t haben glaubte,
über ba§ @d)öne*) feine befonberen, 31t feiner (Jontrote nerpfti(bteten,
©efühle nnb 3Infi^ten 311 hegen. Äein 3Snnber, baf3 ba§ ipnblicniii in
ber ,2Biffenfd)aft noin ®d)önen‘ ** ***)) batb nidjtS ineniger, als eine 2Bi ff ein
fd)aft 311 erbliden neriiiod)te; inenn e§ biefelbe audj als eine inandjinal
gan3 poetifche nnb nn3iehenbe, geinöhnlid) freilid) 3ieiiilidj fangineilige,
Unterhaltung für nid)t beffer anS3itfüllenbe ilRnBeftnnben immerhin gelten
fiep"
Sefanntlid) finb es bie philofophifd)en Spfteme ber 9ieii3eit, jene non
SBolf, Äant, (Schelling, .*pegel, ^'^erbart, mit „allen ihren 2lb3ineignngen"
inie nnS ©djitaofe fagte, lueldje feit 130 ^ah^’ea bie Slefthetif alS ihre
Siomaine betradjteten, benen mithin bie in ben brei angeführten ^engniffen
djaracterifirten ©rfolge nnbeftreitbnr 3iifalfen. 0ollte nidjt nielleid)t ber
geringe äBertl) ber l^etpteren für ben inneren ©eljalt btefer 0pfteme nnb
ihre 3anerläf3igfeit ein bebenflidieS ©pmpton fepn? follte berfelbe nicht
bie 5(nfforbernng enthalten 311 einem ißerfiidje, auf bem ©rnnbe luiffein
fd)aftlid)er 3lnfd)anungen bie gl(iii3enbere ©rfolge 311 ner3eid)nen haben nlS
bie 0peculation ber dien3eit , eine 3tnfgabe 31t löfen , an mcld)er btefe
bislang ihre Prüfte nergebenS erfd)öpft hat?
Unfer britter freifidj 3iel)t eine gaii3 nnbere ^yolgernng. ©r
ermartet bet ber traurigen Sage ber 3lefthetif baS .fpeit für biefelbe non
einer Slnroenbnng „ber non Sarin in gemonnenen ©rgebniffe" auf bie
„fehr intereffanten Dfefnltate, 51t ineldjer cnglifche nnb bentfdje ©eiehrte",
burdj ihre „lun^ gaii5 eract natnriniffenfd)aftlid)er 'üDiethobe" nngeftellten
Unterfnd)nngen „über ben Urfprnng, baS ÜSefeit nnb bie QT'irfnng beS
0chönent) bereits gefommen" fepeit. ©inen norlnnfigcn erften i'erfnd)
in biefer iRii^tnng mad)t 33erg fofort felber 3iuüid)ft mit ber Jonfniift,
inbem er „bie g-renbe nnb Snft ineldje mir beim c©ören ber ?Otnfif
*) 33erg roill jagen „bie (S(bönf)eit".
**) So lotrb Don 91tand[)en, roeuig roipenfd;afttic[), bie üleftpetif befiuut.
***) 23evg, Sie Sufi an ber DJlnfif (33evlin 1879), S. 1.
7) „ber Sdhönfieit", ngl. oben 8 ff.
20
®er gegenro artige ©tanb ber äieft^etif.
empftnben", au§ „bem 3ufaittmen^ange btefer mit ber ge[d^ted)t=
licken 2lu§raal^t" erflärt. „Unsere ^albmenft^Ud^en Urerjeuger, bie ge=
meinf aftUc§ en Ureltern ber i)Jienfd^en unb einiger 2tffen=
arten", ptten nämüd; „niete ©enerationen ^inburd^ muficalifc^e Jone
unb iR^pt'^men raa'^renb ber ber SSrautraerbung gebraucht", inbem
„ber ©efang il^nen a(§ Sodmittet biente, burc^ inetd^e§ fie bie Siebe§=
raerbung unterftü^ten" *).
Ä^ätte 33erg in feiner Stnna'^me Otec^t : märe bie Dftettung ber 2teftf)etif
in ber 3;^at an fotd^e Sträume be§ 2ßa§nfinn§ gefnüpft: bann mürbe
bie Jage biefer SSiffenfd^aft nid)t me!^r bto§ eine traurige, fonbern einfad^
eine nerjroeifette fepn. O^^ne fii^ übrigen^ ertauben
bürfen, fotc^en ©rfinbungen gegenüber audö eine Ueberjeugung ju tiaben.
iJtiematä, beffen finb mir gereift, niematS reirb e§ gef(^ef)en, ba^ bie
SBiffenfc^aft, baft in§befonbere bie Steftfietif ju irrere SSeftanbe einer
ijppot^efe bebarf burc^ reeti^e ber Stbet ber 2Renfcf)!§eit unb itire Sföürbe
bef(^impft reirb: e§ müf?te benn norerft )ene§ Jid^t ertöfc^en, ba§ feit
b ein Jage ba ber erfte iltJenfi^ bie @rbe betrat, nict)t aufgetiört ^at,
„einen ^^^en ber in biefe 2®ett fömmt, ju erteud^ten".
*) Serg, a. a. O., ©. 2. 10. 12. 20.
(£rftc§ S3iif()
Die ä|ll)etiid)en (ßnnibhejriffe
ober
Jas Pef£n öer gi^önljeit uitö ö£r übrigen Inrptge öurtlj nielttie
ftdj bte letgungen öer fdiönen iünjte als foldje
ju djaracteririren pflegen.
J)lc Sd)5nl)ctt kr Biiigr t|l krrn iuncte @ntl)rtt,
Infoftrn |i£ iurd) kcfc km nctnünfttgcn ©cijle 6egcii(lanJ>
ks StnuflTes |u fd)» |id) eignen.
Ä r I (l 0 1 e l e s.
Die 5d)Önl)eit kr Dinge i|l kren ®ntl)eit, infofern
fie iinrd) kefe km nernnnftigen ®ei^e, nnf ©rnnö klarer
(frkennlnifi krfclben, ©egenjlanb ks ©ennps jn feijn
pd) eignen.
gleutgen nad) Skomos fon .Aquin.
Die 5d)önl)eit ker Dinge i(l Deren tl)atföd)lid)e lieber-
ein|limmnng mit Dem nernfinftigen ®ei|ie, infofern |te bnrd)
biefe bemfelben ©egenflanb Des ©ennffes ju feqn |id) eignen.
iladj plato.
frflicr
3tiiei Jtcrkmalc ber 5d)(inl)eit, 311 einer norlnnftgen
(£l)ttrocterilHk berfelben.
(5r[tc^ tapitel.
Bic 5d)öiit)eit ift fine übcrfunilidic jßrfd)o|Tfnbfit ber Dinge, inelrbe
nur bnrd) bie Dernnnft erkannt mtrb.
§. 1.
^«r ^rßfärutig bfs aufgcadTlcn Saftes. 6in für i>enfef6en aus ber
^e^rc bes ßetfigen uöomas oon ^Iquin.
13. #s ift befannt, baft bte 'f5ft)d)oIogie ein j^incifacbeS ff-rfenntniB;
nermögen untevfd)cibet, ba§ nicbere ober finnlidje, nnb baö f)öf)eve.
£el3tere ift uidftS anberd a(§ bie 3>enuinft. ®n§ niebeve ('■rfenntiüBocr=
mögen, me(d)e§ oermittetft eine§ teibtidien Cvgan§, nciinlid) be§ (Jevebros
fpinat=f)ierüenft)ftem5 tbeitig ift, bient und bajn, baö jlörperlidje ma^r=
jnnebmen. Ciefcö 2?ermögen mirb „bev innere ©efü^ffinn'' genannt,
infofern mir bnrd) baffetbe unfern eigenen l'eib nnb beffen ^nftiinbe nnb
fOtobifieationen maf)rnebmen; eö erfofd bie nnö nmgebenben förperticben
®inge, fe nad) oerfdiiebenen if)rer (O'igenfdfaften, in ben „fünf änderen
binnen“ nnb bem inneren „@eineinfinn" ; eö f)eifd „bie finntidie llrtf)eitö:
fraft", infofern eö jene C^'igenfdiaften ber J^inge erfennt, uermöge bereu
biefe in förbernber ober binbernber SBe,5ief)nng fteben jnr d'rbaltnng nnb
f^'örbernng, fep eö beö (f'injetnen nnb feineö leibtid)en g^'ebenö, fep eö ber
(föattnng*); eö befit^t enbtid) bie ,‘viibigfeit, bie 33ilber ber einmal luabrge:
nommenen ©egenftünbe jn beroaf)ren, biefetben and) in ber 3(bmefenbeit ber
Setjteren ,^n ernenern nnb fie a(ö bereitö get)abte roiebep^nerfennen, foraie,
*) itgl. £. 10, bie 5tote.
24 Sc^önl^cit ift ein üb erfinnlid^ er ffiorjug.
fie in ^J^eile aufjulöfen, unb burdj rerfdjiebenartige 3}erbinbung biefer
Steile ganj neue Silber ju ]d)affen: unb in &tüd)i^t auf biefe ^-a^igfeit
fü!^rt e§ ben Spanien, einerfeitd, „ba§ niebere @ebäd)tniß'', anberfeitd, „bie
i)3^anlafie", ober „bie C^-inbUbung§fraft" *).
iDie und utngebenbe fidjtbore 2öe(t nun, bie förperlic^en S)inge unb
ifire C^’igenfdjaften, erfennen roir nic^t onberS, al§ mit i^ütfe eben biefe§
nieberen ©rfenntnifmermögenä, ober beftiinmter, mit 4''ülfe ber fünf äuf^eren
©inne unb ber finntidjen Urtl^eitstraft. tlierfür altere
bingg ba§ nnentbet}r(id)e i)JlitteI bitben, fo ift bamit nid)t gefagt, at§
ob fie für bie 3Ba^rnet)mnng atter (Sigenf^aften, mit benen bie 2ßei§t;eit
®otte§ bie förpertictien 3)inge auägeftattet t)at, allein auc^ genügenb mären.
iÖtandje biefer ©genfdjaften, roie idudbe^mtng, @eftalt, f^arbe, Seroegung,
.'T'^ürte, Söärme, ©üf?e, nefimen freitid) anc^ bie ©inne für fid) matir;
aber e§ gibt anbere, roeldie nur bie Sernunft ju erfennen oermag. ®aß
j. S. ein fid)tbare§ ®ing, etroa ein muficalifi^ed ^nftrument, ober eine
Il^r, ober ein 3iaturprobuct, ein Soum ober eine if-^ftanje ober ba§ Singe,
feiner Seftimmung angemeffen eingeri^tet ift; ba^ ein 5)ing ooüfommen
ober bas @egent^ei( bnoon, baf? eä ©ubftan,^ ift ober Stccibenj, Ilrfac^e
ober SBirfnng ; baoon !^at ba§ Silier feine Slbnung ; ba§ müßte unb mürbe
e§ aber !^aben, menn mir nic^t biefe @igenfd)aften unb Sejie^nngen, ob
auc^ mit .fbülfe nnferer ©inne, bod) augfdjüefdid) burd) bie Sernunft
erfafden: mit anberen SÖorten, menn biefelben nid)t überfinntidje,
bem nieberen (rrfennen ungugängtidje Seff^affen^eiten mären.
2.1'ad ift nun unter biefer IRücffic^t oon ber ©c^ön^eit ju !^alten?
gel^ört biefelbe, infofern fie an förper(id)en Gingen ^eroortritt, gu bereu
fiditbaren ©igenfdiaften, ober ift fie eine überfinnlicbe Sefc^affenl^eit, metc^e
jn erfennen nur ber Sernunft gegeben ift?
P’ine SIntmort auf biefe f^rage bie burd) i^ren juoerfi^t(id)en Son
überrafd)t, finbet fid^ in einer Slb^anbtung ©d)itler§. ift eben fo
au§gemad)t, ba^ bad ©d)öne**) ber Sernunft gefäUt, at§ eg entfi^ieben
ift, baß eg auf feiner folc^en (^ngenfcbaft beg Objecteg beruht, bie nur
bur(^ Sernnnft ,^u entbeden märe" ***). Slber ©d)iller fetbft '^at biefe
Se^auptung an anberen ©teden oielfai^ nerläugnet. SBenben mir ung
bnrum lieber an beffere ‘^fJl^Uofopl^en, alg ber ®id)ter mar.
14-. SSeI(^e bie Ueberjeugnng beg Zeitigen S^omag oon Slqnin mar,
bag ergibt fid) ang einem ©nt3e in feinem (Kommentar ^u bem Sßerfe
*) Gingebcnber entroicfelt unb begviinbet b^be icb ba§ t)i^’^ Stngebeutete in ber
Slbbanblnug „Sas ©einütb, unb ba§ @efü£)t§Dermögen ber neueren 5ßl'r)dboIogie",
9t. 5-11. ®. 21—32.
**) ''£d)i[Ier roill fügen „bie ®cf)önf)eit". 35gl. oben ®. 8 ff.
***) 0dbtller, lieber 2lnmntb nnb 'ISürbe (Stuttgart 1836) 33b. 11. 0. 395.
®ie $d;öti()eit ift ein ü b er [i nn I i dj e v SSorjug.
25
„lieber bie Siaineu @ottes". ®er ^ilerfafiev biefeg ©itdjeS fpvidjt bte
Se|re aitg, „bie ed)ön!^eit fei) baffelbe mag bte @utt)eit"9). Tiie
ftänmg beg l)eiligen ^Ijoiiiag ^terjii lautet alfo.
„3brem concreten 0et)it iiad), unb in bem Si'inge betradjtet bag fie
befittt, finb freilid) bie 0d)önbeit unb bie ©utljeit (5'iueg unb baffelbe;
beult forool)l bie uolle (Srfeuubarfeit , nlg bie innere llebereinftiminnng"
unb bie übrigen (Elemente ber 0d)önl)eit*), „finb gleidifallg (^'lemente
ber ©ntljeit. bem ^Begriffe nad) ift bie 0ibcin^eit non ber @nt-
beit nerfd)ieben. ^n bem 23egriffe ber 0d)önl)eit ift niimlid) ber ä^egriff
ber ©utlieit entljalten, aber fo, ba^ 511 biefem nod) ein mefentlid)eg iDlerf;
mal binjntritt; bie ißejiebnng beg ®ingeg 511 einem '■I^ermögen meld)eg bie
(Inttljeit, alg fold)e, jn erfennen im 0tnnbe ift" 10).
9iad) biefen älHirten, obgleidf fie jniüidift eine nnbere fvvage betreffen,
finb mir genötl)igt, anjnnebmen, buft Ibomag non Ülqnin bie 0d)önl)eit
alg eine nberfinnlid)e iPefd)nffenl)eit ber ®inge betraditete. ®enn
feiner l'el)re jufolge fnnn non ber ©d)önl)eit eineg ©ingeg ntir bie iRebe
fei)u, infofern baffelbe einem SBefen gegenüber gebad)t mirb, meldfeg beffen
@ntl)eit, alg folcbe, jn erfennen nermag: abftrncte 5Befd)affenl)eiten nnf=
jnfaffen, bag nermag aber einzig nnb allein bie 3lernnnft; bag niebere
p-rfenntnifmermögen ift bajn nollfommen nnfiibig.
(?-g ift inbeb' nid)t nufere 3lbfid)t, bie pl)ilofopl)ifdje f^rage um bie
eg fid^ banbeit, mit Dlnctoritiitgbemeifen ab', ntl)nn; eg bieten fi<^ buribang
genügenbe innere @rünbe, um fie 51: entfd)eiben.
§. 2.
Prci ISetttetfc aus inneren ^rünben.
0ie 0djönl)eit förpcrlidjcr Tinge i|'t img jiigiinglid) fomobl mit i5ülfe beg
@efid)t' alg beg @el)örfinneg. Ticfelbe iimfd)licfd (Jlemeiite, ineldje nur
bie Vernunft auf^ufaffen nermag. Ter allgemeine 0prad)gebraiid} finbet
ni(bt nur förpevlid)c, fonbern and) unförperlidie Tinge fdiön.
15. Taft mir bnrd) bie brei „nieberen" 0inne, ben ®enidf, ben
©efdnnad, nnb bag ®etaft, bie 0d)önbeit nid)t mabrnebmen, bag ift
eine allgemein berrfdjenbe lleberjetignng, meldie ancb im 0prad)gebrancbe
ihren Slngbrnd finbet. „üOian nennt fotd)e Tinge fd)ön," b^if'd
0t. Tbomag, „roelcbe mir bnreb bag 5lnge ober bnrdj bag Ol)^' mabrnebmen.
*) Tiefer 3n'ap, ben mir nur mad)en um iDtiBoerftänbniffe augjufd;lieben, ift
berechtigt : beim bie (Elemente ber Schönheit finb, aud) nach Thontag, mit ben jroei
hier genannten feineSroegS erfciiöpft. Sßgt. Thom. S. 1. p. q. 39. a. 8. c. (2tn =
merhmgen n. 196) n. unten 9t. 123.
26
Sie Sd^ön^eit ift ein ü b er f inu i i ^ er ißorjitg.
!Den ©cgenftänben ber übrigen ©inne bagegen pfiegt man ba§ iprdbicat
ber ©d^ön^eit nici)t jnjnfpred^en: man rebet ja nic^t non einem ,fc^önen
®efd)macf‘, ober oon ,fd)bnen @erücben‘" ii). ©a§ ^armonifc^e ©eiante
me^rker gnt 5nfammen[timmenber ©foefen, ober ein in ber reci)ten Sßeife
Dorgetragener ©regorianifc^er ß^oral , ober ein gotkl<^ev ©om, ober
bie 'Jici)termannfcf)e ©rnppe ber Slbna^ne be§ Ären^e, ober
ber Oiegenbogen, ober bie Sanbje^aft „im blauen ©rnnbe'' roie jie ber
®id^ter malt:
®interroalb im ©onnenglanje,
Oteicb an ©Über unb ©emanten,
©ie an jebem ^meige blipten,
Tie an jeber Äuo§pe brannten i
©rfd}einnngen biefer 31rt finb e§, ©egenftänbe für ba§ ©eljen ober
bas Iporen, bei benen allein, infofern eä fid) nm förperlic^e ©inge ^anbelt,
bem ©pradigebrand)e gemäp oon ©c^önkit bie Diebe jn fepn pflegt.
3(n§ biefer ©l)atfad)e, bag bie ©cbönfieit förperlic^er SDinge nnd nic^t
mit l^ülfe nur ©ine§, fonbern ntit .^^ülfe jmei öngerer ©inne ;5ngdnglid^
ift, be§ nümlid) nnb beä 51ngeg, ans biefer X^atfac^e ergibt fid)
ober nnn, baff biefelbe roeber oon bem einen nod) oon bem anberen biefer
jraci ©inne erfannt raerben fann. ®enn märe ber ©efic^tfinn fällig, bie
©djönkit eineg lörperlic^en ©ingeg jn erfennen, bann müßten mir ba§
fd^öne ©lodengelänte nidjt bloß l^ören, fonbern oon bemfelben anef) etraag
fefjen, feine ©d)önl)eit nämlicf); fönnte bag Cl)r bie ©djcn^it erfaffen,
bann müfften mir ben Oiegenbogen nid)t blop mit bem Singe ma^me^men,
fonbern, infofern er fdfön ift, anep bnrep bag ©l)r; bann mürbe burep ben
Xüintcrroalb im ©onnenglanje,
©d)öncr atS ein iyrül}ling§garten,
ondj ber 231inbe nid)t nnempfinblid) pinbnrd)jiepen ; nnb miebernm müpte,
and) mer bag ©epör ooüftänbig oertoren pätte, noep im ©tonbe fepn,
eineg (Sporg ang lifmijbng „3apreg,;;eiten" ober ber feierlicpen inarmonien
einer mädptigen Orgel fi^ jn freiten: beim biefer mie jener befä^e ja
nod) immer ©inen ber jmei ©inne, für bereit jeben bie ©cpönpeit erfenn=:
bor märe.
Oem 2i>efentlid)en nadi finbet fid) ber piermit gegebene erfte 3?emeig
fepon bei ij^lato nnb Slriftoteleg **). ©g ergibt fid) ang bemfelben nnmiber*
fprei^lid), baf) bie ©d)önpeit oon feinem ber fünf änderen ©inne erreiept
*) ffieber, Xrei^epnlioben, XV. 2 (S. 203.)
**) Plat. Hipp. mai. Steph. 299 e. sqq. Bip. 11. p. 45. coli. 41. 54.
Arist. Top. 6. c. 7. n, G.
Die ©d}öul)cit ift ein ü b e r f i n n 1 i d; c e Sßorjiig.
27
Töerben !amt. 9htr in 3iürf)id)t auf bic „ftnniid)e Urtl)cU5fvaft'' mag
ber Seireig nod) nid)t gcitügcnb erid)eiuen; uiclleid^t erleiden biefen iXlianget
bie jinei ineidie mir nod) foigen laffen.
lö. Sei bcm ijeiligen Sngnftin le)en mir bie foigenbe 9iefierion.
S>enn an einem @ebänbe ,ynei i^enüer ooii nngieidier @röf)e neben ein=
anber, in (Siner ßinie, angebrad)! mürben, [o fcinben mir ba§ nn)d)ön,
nnb ben Snforbenmgen be§ ®e)d)macf§ ^nmiberlanfenb. liegen jie ba^
gegen über einanber, fo erfd)cint es un§ nid)t tabelnsmertb, menn etma
ba§ obere fieiner ift a(§ bnä untere, l'iegen brei fvenfter über einanber,
fo oeriangen mir, menn baä (Sefet^ ber 0d)önljeit nid)t »erlebt merben
fod, bnf) eutmeber alle gleid) fet)en, ober bie ©röfte beg mittleren 511 ber
be§ unteren genau in bemfelben Serpltniffe ftebe, mic bic. @röfie beg
obcrften t,n ber btg mittleren 12).
Äann nun bie 25>al)rnebmnng foldier Serl)ältniffc, ber ®leic^l)eit,
ober ber Proportion, eine Pbätigfeit allein beg uiebern (Srfenntnißoer;
mögcng fepn, beg 5lngcg, ober and) ber finn(id)en Urtl)ei(gfraft‘? „'Die
üor5Üg(id)ften 0‘lemente ber @d)önl)eit", lel)rt 5lriftoteleg, oon ber 0d^ön=
!^eit fid)tbarer Dinge rebenb, „finb bie Orbnnng, bie opmmetric, nnb bie
Seftimmtl)eit" *). iPenn bem alfo ift; menn bei förperlid)en @egcn=
ftänben bie auf 0d)önl)eit 2lnfprnd) madfen follen, ein ,^eber, fobalb an
benfelben oerfd)iebene Sl)ei(e l)eruortreten , an erfter Dtelle ®benmaaft,
Uebereinftimmnng, iRegelnüif3igfeit , Orbnnng oerlangt: ift eg benfbar,
baß bie 0d)önl)eit bitrd) ein Vermögen erfaftt merbe bng, mie feneg beg
nieberen (Srlenneng, an ein (eiblid)eg Organ gebnnben ift, nnb eben barnm
meber Segriffe bilben, nod) oergleidfen nod) nrtbeilen fann? „Den
Sorjug," l)cif)t eg bei Dbomag oon 9lqnin, „bie Orbnnng mabrne^men
ju fönnen, befii^t angfd)liefilid) bie Sernnnft. Denn bie nieberen Ser=
mögen erfennen mol)( mand)e Dinge fe für fid) allein: aber bie Se;icbnngen
nnb bie Serbältniffe ber Dinge ju einanber nermag allein bag böbere
(Srfenntnifjoermögen, ober bic Sernnnft, jn erfaffen" i3).
17. bem gleid)en 0d)lnffe fül)rt nng enblid) eine britte, oon ben
oorauggel)enbeit ganj nnabl)iingige ®rmngnng. 3Sag ift beim fd)ön?
^d) mill fagen, mag pflegt man fd)ön jn nennen? an mag für Dingen
fann fid) bic 0d)önl)eit finben, bem 0prnd)gebrand)e jnfolge, nnb nad) bcm
übereinftimmenben Urtl)eile aller Sölfer nnb aller ^ridm , bag eben in
ber Steife ju reben fid) funbgibt? Sian fpridft oon fd)önen f^-arben,
oon fd)önen Slnmen, oon fd)önen fytgitrcn, ®eftaltcn, ®egenben, oon einer
fcliönen Dtimmc, oon einer fd)önen 'OJhtfif, oon febönen 'l)icnfd)en; man
finbet einen ®cbanfcn fd)ön, einen matl)cmatifd)en 0al3, eine Ol)eorie ober
*) Arist. Metapli. 13. c. 3. 11. 15.
28
®ie ©d;ön)§eit ift ein übertinnüd; er SSorjug.
ein iüi[fenf(^aft(id}e§ ©gftem; man nennt am^ bie 3:ngenb fc^ön, bte @e=
rec^tigfeit, bie ©etbftbe^errfd^nng, bie Streue *j.
^m nennten feiner ®iatoge „Ueber bie (^efe^e" löjft i|5(ato ben
^Bürger non 3tt^en jn feinen bciben fyveunben, 6tinia§ au§ (£reta nnb
'äRegiCtuä au§ ^acebämon, aifo fpved^en. „2i?as bie @ere(^tigfeit angelet,
fo finb mir bavin rao^l 3t£te einnerftanben, baß gered)te iD^enfc^)en, foinie
eine ©efinnnng ober i^anblungen in benen biefe S^ngenb Ijernortritt, fic^
biirc^ ©cf)ön^eit an§jeicbnen; nnb raenn barnm feinanb fagen roollte, ein
5Rann ber gered)t ift, aber bem l^eibe nad) I)öfdid), fep eben burd) feine
2:ugenb fe^r fd^ön, fo mürbe er feine§roeg§ Unred^t l^aben“ **). Strifto^
tele§ jic^t ans feiner Definition ber ©c^öntjeit (mir geben biefefbe unten,
3^. 109) fofort bie f^otgerung; „SBenn ba§ ber 23egriff ber ©(^önfieit ift,
fo mu^ not^roenbig bie ingenb 51t ben fd^önen Dingen getiören, . . foinie
ni(^t minber, raas bie Dugenb förbert, nnb roas non i^r augge^t, bie
3tnjeii^en ber Dugenb nämlid) nnb itire StBerfe." Unter biefen nennt
bann „ber ifj^itofopl^" in§befonbere ben 3)Uit^, bie ©erei^tigfeit, bie Um
eigennü^igfeit, nnb bie felbftlofe 31rbeit nin 3lnberer roitlen***)-
Unb nid)t etroa ba§ 3lttertl)uin allein Ijegte fold)e 31nfd^auungen.
,,^at fie", fo fragt in ©d)iUer§ „Pjiibra" (1, 1), non ber ^önigstodjter
31ricia rebenb, Dtjerainen ber (Jrjie^er ben ^*iippolpt,
㤟t fie je
Der ©rüber fdiinar^e SJleuterei getl)eitt?
Unb fönnteft bu bie fi^öne Unfd)i:Ib ßaffen?"
3tn einer anberen ©teile beffelben Drauerfpiel§ (5, 3), in einem Dialoge
^raifdjen 'J^efenä nnb 31ricia, ^eißt e§;
„Unb rcie ertrögft bit, baß bie grüßlidie
©efd)ulbignng bas fc^önfte l'eben fd)mäl)t?"
„©ne fd)öne ©eele" ferner ift ein Slusbrnd ben nielleid^t alle ©ölfer
.nerfteben; unb roenn mir bie ©rfdbeinung eine§ ©ienfdben al§ im böcbften
@rabe einnebmenb be.teidjnen inollen, fo ftellen mir fie jener bob^d
*) Plotin. de pulchritudine cap. 1. ed. Basil. 50 A. Creuzer 2. (0. bte
Stmnerfungen, n. 14.)
®te Stbbanbhing be§ ißlotin „lieber bie 0d)önbeit" (llepi xoO xal.oü) bilbet
ba§ )ed)§te 33ucb ber erften ©nneabe, 0. 50 ff. nadb ber StuSgabe non Safet (1580
it. 1615). (Jinen 0eparatabbmd, mit angfübrlidben ©rtlärungen, tie| griebri^
(5reiijer erjdieinen (Ipeibelberg 1814). 2Bir citiren nad; biefem imb nach ber 2tu§gabe
non S3a[el.
**) Plat. de legg. Steph. 859 d. Bip. 9. p. 15.
***) Arist. Rhet. 1. c. 9. n. 3. 14. sqq.
®ie (£d;ön^eit ifi ein ü b e r ( inn ( i d) er SSorjiig.
29
ftellung g(cid), bte luiv t)on ben förperlofeu ©eiftern I)aben. „Sie i[t
fdjön", ruft tu fy. S. Stolbergä ^eiTltd)cv ®alIobe, ba er iu ber Sddofs-
^aUe bie büfseube (rbetfrau erbtidt, ber uauarrefifcJ^e 9titter aud,
„Sic ift fd)ön luic @ngct finb,
Unb gcbulbig mie ein Äinb."
Setbft ber tjeilige Sucad bebieut fid) biefeg ^ugeg, um uug beii erfteu
9Jiärturcr ju maleu; „Uub e§ fieftetcu auf if)u ba§ 3luge 3(dc bie im
^oljeu ißat^e faffeu: uub feilt ^(utgefidjt erfdjieit ifjiteu mie ba§ 3(ugefidjt
eiueg (5mgel§" *).
Ser adegemeitt fjerrfdjeitbeit Srnfdfattuug ttad) fiubet fid) fomit bie
Sd)öubeit uid)t miitber iu reiit geiftigeu Siucgeu, a(§ iu forperlicbeit.
uutt aber ber ®eift für fiitttüd) mabritefjiubare (figeufdjafteu empftiugüd) ?
fault überf)atipt eine geiftige Subftaus afg ber Xrüger materieder 23e=
fdjaffeid)eiteu gebad)t merbeit? Saitit mürbe fie ebett babitrd) auffjöreu,
uufid)tbar, b. f). ber fimtlidjett SSabritebiitttitg iiitjttgüitgfid) jtt fepit ; baitu
müpte meiter 5. iB. ttitfere Seele ebett fo gut meify uub grün, breieefig
ober rttitb fepit föititeit, mie eilt Stüd 2Bad)g. iK>ir iitüffett mitfjiu itotf)?
mettbig ben SdifuB jiefjeu, baf; bie Sdjöufjeit jtt ben überfiititüdieii (5‘igeit=
febafteu ber Singe gefjört; bap fofg(id) lueber bie Sf)iere fie maf)ruefmteit,
itod) and) bag meitfd)fid)e 3(ttge, bag 0fjr, ber innere @emciitfiitit, bie
'^f)antafie, bie fiitttdcf)e Urtfjeifgfraft, mit (riiteiit iffiorte bag gefammtc
uiebere (rrfeitutitifmermögeii , foitberit eiitjig feite SSefeit me(d)e mit Ser;
uunft begabt finb. Sdjoite Singe fiitb bem 3fttge fid)tbnr, bem
C§r Deritef)iitbar, ber ip^aittafie jugäitglid;, aber uid)t bie Sd)önf)eit
ber Singe.
(>-beu biefeg tef)rt, faft mit beitfelbeit Störten, ber beilige 3lugtiftiii.
„ß:g gibt oiele fd)öite Singe bie fid)tbar finb, adeiit bie Sdföitbeit, b. b-
bie Sefdjaffeubeit oermöge bereu fie fd)öit finb, ift bttrd)atig tiitfid)tbar.
(rbeiifo gibt eg niete jmedmäfüge Singe bie fid)tbar finb : aber if)re ^weef;
lucipigfeit fetbft, in metdjer ung bie Sorfef)ung tMotteg eutgegeutritt, ift
bem Sinne uid)t jugnugtid)'' 15). Unb nor if}ttt fjntte eg ^ieero nugge;
fprod)eu: „Sie Sdjöubeit, bie 3tnmtitf), bie barmonifdje (^inridjtung and;
ber bem 3tuge fidjtbareu Singe, uiiitmt fein anbereg Sinitenmefen mnbr,
a(g ber ilSeufdj" le). Idttf biefer Ueberjettgung beruhte ntid) bag bittere
2Sort beg gemattigeu Sebnerg gegen Serreg in ber Sebe „lieber bie
Silber". Serreg bdtte ddf Siciliett bie Jöerfe ber fdjönett Ä'unft mit
einer SSutf) geraubt unb au fid) gebradft, bie fetbft feine fyrettitbe Ä’raitf;
f)eit unb Sßatjttfinn naituteu. „^tuperorbenttid) uiet (Steift freitid) getjört
’) 'dpoftetgefep. 6, 15. 2?g(. Chyrsost. in 2. Cor. hom. 7. n. 5. (tom. 10.)
30
3roei (5'inroenbimgen.
baju gerabe fagt (Sicevo f^neibenb; „aber bennod) l^abe ic^ nie
begreifen fönnen, roie biefer Stäuber für foId)e ®inge Sinn l^aben fodte,
ba id) muffte, baft er gar nii^t§ non. einem i))ienf(^en ^at. (Snblid^ mnrbe
e§ mir ftar, baf? er jn ben ^Räubereien nur feine ^änbe fiergab, nnb fid)
ber 3htgen Sinberer bebietde" 17).
§. 3.
5t»et ftnwmbungcn.
18. 3roei (?inraenbnngen fönnte man etroa no(^ geneigt fegn, gegen
ben non uns in bem 3>orfte!^enben beroiefenen ®at^ gettenb jn machen.
®ie eine beträfe jnnäc^ft ben in ber lebten ?himmer entraidetten tßercei§.
®iefer get)t nämlic^ baron au§, baß bie ©djönfieit forool^I rein geiftigen
at§ förpertidben ®ingen eigen jep. ?iun fönnte man aber behaupten
motten, ber eigenttidten Sebeutung be§ ST'orteS nad) fepen attein bie förpcr;
lidien ®inge fcbön; ba§ Ueberfinnticbe hingegen merbe jmar and) fd)ön
genannt, aber lebiglid) ber 3tnatogie nad), metapborifd), im übertragenen,
nneigentti(^en Sinne bes SBortes.
3nbef) mer uns biefe Sebauptung entgegenfiatten mottte, ber mürbe
oietteidjt in iRrtegenbeit fommen, meint mir it)n erfucbten, fie ju bemeifen.
^ebenfattö ftet)t fie in SSiberfprncb mit ber altgemeinen 2tnfd)auung, mie
fomobt and ben angefübrten ifJlotins, if>tato’g. St. 2(ugu[tin§,
Gicero’s, als and oieten anberen beroorgebt, bie un§ im meiteren 25er;
folge unferer (I-rörterung begegnen merben. Ilnb fie mirb ficb überbie§
entfcbeibenb babnrcb mibertegen, bag mir, ganj unabbängig non bem in
biefem Äapitet bebanbetten Sa^e, ba§ SBefen nnb ben 23egriff ber Scböit;
beit burd) eine Definition beftirnmen merben, nad) meti^er biefer iBorjug
ohne IInterfd)ieb feined 21>efen§ fomobt geiftigen ot§ förpertii^en Dingen
eigen fepn muf).
19. dümas bebentenber als biefer dinmurf fonn fidb auf ben erften
23tid ber jmeite ansnebmen; in fofern menigftenS, atö er fcbtecbtbin bie
IRicbtigfeit bed ganjen Satzes in fyrage 5u ftelten fdbeint, ben mir ner;
tbeibigen. d§ ift eine 3d)atfad)e an§ bem debiete ber 3ootogie auf metd)e
ficb biefer dinmurf grünbet.
9fai^ 9triftotete§ tmt ber 'DRenf^ bei fenen ©enüffen metcbe ibm
bnrd) ba§ ®efid)t nnb burd) ba§ @et)ör gugängtid) finb, nicht gu be=
forgen, baf? er burd) Uebermaaf) fef)Ie. Diefer Sebre ermähnt in if5tutardb§
,,Sifd)gefpräd)eiü' dattiftratus, nnb behauptet, „ber
Unred)t ben iRmeis für biefelbe barin finben motten, baf) attein bie be=
geidineten dRnüffe au5fd)tiefdid) für ben 2Renfcben beftimmt mären, mäbrenb
an ben ©enüffen metd)e bnrd) bie anberen Sinne oermittett merben, auch
bie St)iere iHieit hätten. „Denn mie bie drfabrnng lehrt," fagt dalld
3roei (Finnienbungen.
31
ftvatug, „empfinben allevbtngg aitd) doii ben Set^teren inand]c ben eht=
iief)menben ber 9?hifif: bev i^irfcb roivb burc^ bie y^ivteiiflöte ange=
lodt; ben Stuten pflegt man bet ber '^aarimg eine gerniffe iDielobte nov;
jublafen, lueld^e vo[xo; tr-oDopo; genannt tütrb; unb Ipinbar fagt non fid)
felber, er fep ba er ein £'icb fingen Ijörte, entjüdt roorben tuie ein !T'e(:
pl^in. 3)ie ®elp^ine ntinilic^ fpringen auf, fobalb fie iDiufif l)ören, ridjten
freiibig bie .tböpfe empor, nnb mad)en 33emegnngen luie beim lanje"
^n äl)nlid)er äBeife berichtet, nad) älteren Sd)riftftellern, 9}hiret oon ben
23ären, fie fänben nm ^ylötenfpiel foIc^eS Gefallen, baff eä ben .stiften, loenn
biefe non il^nen bebroljt fepen, oft gelinge, fie bitrd) baffelbe 51t befnnftigen;
unb 51elian er,^äl)lt einen fvflU ber gleid^en 31rt oon ben 25>ötfeir'’*).
S^ie iöhifif roirb 511 ben fdfönen Jl'nnften gerccbnet. SK>ie luerben
loir alfo unfern Sat^, bop bie Sd)önl)eit eine überfinnlidje 33efd}affen^eit
her ®inge fep, unb nur uou uernünftigen SBefen mal)rgenommcn loerbeu
tonne, ben nngefüfirten 3:l)atfadien gegenüber uertljeibigen C’ljite grofte
fDh'ibe. ®ap and) Il)iere für iH>irfungen ber 'üJhifif empfänglid) finb,
anerfennen mir oollfommen; aber e§ ift ein 3^'i'll)um, menn man glaubt,
biefe Söirfungen inüfüen baburd) uermittelt merben, bap fie bie S dj ö n-
^eit ber 9,ltufif erfenneu.
„^ur (''‘rflärung ^unäd;ft einige parallele gleid)fallö au§
bem @ebicte ber Zoologie. „O'in groper Ütaturforfdier befap unter feinen
y?au§tl)ieren eineu 31ffen, ben er einft uermipte, unb nad) langem Sud)eu
in ber iMbliotbef fanb. Sort fap bn§ Xljier au ber C'-rbe, iiub batte
bie jtupfer eine§ ungebitnbeneu uaturgefd}id)tlid)en 2,t>erfe6 um fid) b^^'
jerftreut. O'rftaunt über biefes eifrige Stubium bes .'öaudfreunbeö, nabte
ficb ber .fberr, nnb falj git feiner iüeruninberung unb ju feinem ilerbrup,
bap ber 31ffe bie fnmmtlidien Ä'äfer bie er l)d’ unb ba abgebilbet ge=
funben, berau§gefpeift batte '■*'**)." ®on ber im 311tertbum bod)berübmten
ebernen ,Hub bes IBilbbauers Üilturou mirb beridftet, fie b^be nurflidfcu,
lebenbigen .ttüben bermapen übnlicb gefeben, baft halb ber Stier, halb
ba§ ju fangen begebrenbe Äatb, halb ber beutegierige ^öme, halb bie
3tiuberbremfe, fid) burd] ba§ ,ivunftmerf bnbe täufd)en laffen. 33efauuter
oielleid)t nod) al§ biefe „SUSf/ ifl blf O^rjablung oon ben 'Xrauben bc§
3euriä an betten Sperlinge gepidt haben, ober ooit bem oon 3lpelle§ ge=
malteit i|ifevbe, bas oon eiitetn toirflicben nngeioiebert loorben fcpn foll 7).
Plutarch. Symposiac. sive convival. disputat. lib. 7. quaest. 5.
Muret. Var. lect. 1. 12. c. 15. Aelian. de animalib. 1. 2. c. 28.
***) @oetf)e, lieber 35>abrbeit unb 2öabrf(bemlid^t'eit ber Äunftroerte. SBerfe
(Stuttgart 1869) 5gb. 34. S. 210.
t) 2?gl. ßbiiarb tBtüllcr, @e)d)t^te ber J^eorie ber Äuuft bei beit 3Uten
<33reslau 1834—1837) Sb. 2. S. 261.
32
3roei (äinroenbungen.
f}a6e biefe 3üge beu Dotier auTgefü§rten „parallel" genannt.
3)a§ jinb fie in ber J^at unter jirei Sftüdfidjten : in beiben glätten [inb e§
SBerfe einer fdiönen ^lunft, ber ?0^u|if, ber Slhtlerei, ber ©cnlptur, non
benen 2®irfungen auf nernnnftlofe J^iere ansge^^en; nnb raieberum in beiben
f^ölten liegen biefe SBirfnngen inSgefammt in jenem ©ebiete beä t^ierif(^en
Sebeng, beffen ^leufferungen 511 bem ©epn nnb 2öol)lfepn, fep e§ be§ ein;
jelnen X^iereg fep e§ je feiner 5lrt, in unmittelbarer ißejiel^ung fielen.
3?on ben SBirfnngen min tneld)e bie abgebilbeten Ädfer auf ben
5lffen, ober iB^i)ron§ eherne Äu§, ober ba§ i^ferb beä 3lpelle§, ober bie
strauben be§ 3^^tpi§ ausübten, roirb roo^l niemanb behaupten raollen,
fie -fepen fyolgen ber @djön!^eit biefer Silber geroefen. ©S betätigten
fid^ in benfelben lebiglid) ^Regungen be§ ©trebeoermögens je in ben t3er=
fd^iebenen Spieren, loeld^e Dftegnngen i^rerfeitS je eine entfpred)enbe il)ätig=
feit b-er finnlidjen Urtljeilsfraft*) jnr SorauSfetjnng Ratten.
Unb moburdi mar biefe S^ätigfeit bebingt nnb oeranlafd? ©injig ba;
biird), bafs bie Silber ber jläfer, ber bes '^^ferbeS, ber ©rauben fo
gearbeitet roaren, bag biefelben, oon ben ‘©gieren burd) ben ©efidjtfinn
raalirgenommen, in bereu finnlidier Urt^eilsfraft bie nämlid^e 2lppre^en=
fion nernrfadien mnfden, nnb bamit in iljreni ©trebeuermögen bie näm=
lidien ^Regungen, roeld)e natnrgemiif? in biefer llrt^eilgfraft unb in biefem
©trebeoermögen ber Slnblid rairflid)er .Räfer, einer mirflit^en llul), eines
lebenbigen if^ferbeg, ober mai^rer ©rauben jur pfolge Ijut.
.Rommen mir l^iernndf) mieber auf bie jnerft angefülirten Seifpiele,
oon 2öirfungen ber iSRnfi! auf mandje ©Ijierarten. ilRan braud)t über
baS Öeben ber ©^iere nii^t einmal Seobadjtungen angeftellt ju Ijaben,
man brandet nur ju berüdfic^tigen, bafe bie ©biere mit einem ©ebörfinn
oerfeben finb, um überjengt 511 fepn, ba^ bie Söabrnebmnng be§ ©d)alleS,
ba^ Jl'ante nnb ©öne für baS Seben be§ ©biereS, für bie (Srbaltnng unb
©örberung beS einjelncn mie ber 5lrt, ihre Sebeutung b^ben müffen:
beim bie ^eisbeit ©otteS trifft feine ©inrid)tung, metd)e ihres
entbehrte, .'oaben aber :?autc nnb ©öne für ba§ Seben unb ©epn be§
©biereS ihre Sebentnng, bann muß e§ notbmenbig beftimmte ©öne ober
©onreiben geben, bereu 2Babrnebmung bureb ben ©ebörfinn bagu onge=
tban ift, in ber finnlid)en UrtbeilSfraft bes ©biereS beftimmte 2lppreben=
fionen ober Sorftellnngen ju oeranlaffen oon ©)ingen, roeldje ^n feinem
eigenen SSoblfepn ober ju bem ber 2lrt, überhaupt ju ben natürlichen
fielen feineg ©trebeng in förbernber ober feinbfeliger Sejiebung fteben;
unb an biefe Sorftellnngen ber finnlidien Urtbeilgfraft müffen naturgemäß
je cntfpredienbc ©trebnngen ober fenfitioe ©efüble, Segebren, Suft, f^renbe,
— ©fei, ©cbmerj, g-nrd)t n. f. m., fid) anfdbließen.
*) Sgl. oben S. 10, bie Sote.
3roei (äinTOcnbungen.
33
2Sir I}aku uu§ oietleid)! ctroaS fuvj imb abftract auggebrücft; aber
eä ift l^ier nicht bev Ort, Ohatfachcn cingehcnb ju behanbeln bie einer
anberen 35>ifl'enfct)aft angehören; jnbein h^öen mir bie ^Begriffe roetche
ba§ 33erftnnbni^ be§ ©efagten noranSfei^t , nnberdmo hwlönglich feft=
gefteEt. Oa§ mag h^^^' 94^3^ mürbe, ift aber noEfomtnen genügenb, nm
bie SBirfung ber 9Jiufif auf erftären. 25>enn ber §irfdj biird)
bie Oöne ber .*girtenflöte angejogen, Sären unb SBötfe bnrdj biefelbe ge;
fänftigt merben ; menn ber vouoc tTr-oEopoc bei ber ^aarnng gnnftig auf
bie Otnte mirft, unb einft ben Ätangen ber Zither, mo 2triong 9iEei[ter=
hanb fie fd}tng,
Oetphinc raaren undfgejogen,
3(t§ locftc fie ein Bfmbennovt *) ;
bann fotgt and foId}en Jh^Bfad)en einjig bad: gibt Xonreihen, me(d)c
bie i'^örnernen jener fotdjer SBeife afficiren , baf; babnrd;
beftimmte i'orfteEungen in ihrer finnlichen Urtheilgfraft nerantafd merben;
nnb in natnrlid)em 3lnfd)luffe an biefe iBorfteEnngen erjeugen fidj meiter
in bem Otrebenermögen biefer Ohiere bie entfpred)enben fenfitinen @efühle
ober Strebungen. Oie in Siebe ftehenben iffiirfnngen ber EHnfif erftären
fich mithin au§ benfetben phxjfiotogifdjen 3Soran§fel3nngen , auf bie fich
auch entgegengefet^te (Srfd)einnng grnnbet, bafs inandje .*nnnbe bei ge;
miffen Oonarten, ober bei ©fodengefänte, jn heulen anfangen; ober bie
meiteren lihatfadjcn, ba^ ba§ ‘ifSferb non 3iffern befaEen mirb, menn eg
bag SrüEen beg körnen oerninnnt ober bag ©eheuf ber üi>ölfe; baf^ bie
rothe f^arbe ben ©lephanten jitr 2Bnth reijt, ober bie Oanbe fid) fern;
hätt Don Orten, mo Särm ober übter ©ernd) heerfdE.
Oamit märe bie Sdpuierigfeit meld)e fidj gegen nuferen Sal3 51t
erheben fchien, jiendid) einfad) gelöft. 51>ir fönnten fchtiefEid) nod) \)tv^
Dorheben, ba^ ber Siicfitigfeit beffelben and) Slriftotefeg 3eugni^ gibt.
Oenn er lehrt ja, mie mir oben (S. 30) 'ijjfutard) berid)ten hörten,
„jene ©enüffe mefdje nng burd) bag ©eficht nnb bag ©ehör jngängfid)
finb, fepen augfdjfief^ticb für ben SSienfdjen beftimrnt, unb eg hätten an
benfetben bie Ohiere feinen Sfntheif".
*) 91. 92. Sdhiegel, in ber Siomanje „9Irion".
pungmaiin, Mcftfjetif. 2. 21ufl.
3
34
Sie SBelt ber mit greil^eit au§geftatteten SBefen
Die Stl)önl)cit i)'t juiar ein gemeiufamer Dorjug kr kör^)erlid)en unb
ber unköri)erlid)eu Dinge; aber in ben unkör|>erlid)en erfdieint ftc i«
öiel köljerer DoUenbnng; bie DDelt ber mit Crkenntnip unb Jreiljeit
aiiögelittttetcn DDeren, namentlidj bereu etlji^rke 5eite,
ift iljre eigentlid)e «Spkkf.
20. ^in ©ebante tüie bieder roar e§, ber S. ©tolbergä eble
©eele beraegte, ba er, üor me^r atg !^unbert ^a^ren (1776), in feiner
©be an bie ©djön^eit fang:
©eine bein”f<^e Saube
Slübet unter ben ©ternen nidjt!
5(ber auf ©tra!)len be§ §immel§
©^roebeft oft jn ©terblicben bu ^erab:
i'äcbetteft mir oft
©on purpurnen SSangen be§ 3)7orgen§,
Oft üom ©d)immer beß SJlonbeß
Unb üom ©pieget beß ©eeß ben ber §oin umfrönjt
©anfte dtub’ in bie ©eele,
2ll)nungen unb ^immelßgefübl!
(5§ ift nid^t ein neue§ iöterfmal ber ©d;ön!^eit, um ba§ e§ fic^ in
biefem Kapitel !^anbelt. ©er in ber Ueberf(^rift auSgefproc^ene ©a^
bitbet Dietme^r eine f^otgerung, roetc^e fid) au§ ber im erften Kapitel
feftgeftettten Söa'^r^eit mit iltot^raenbigfeit ergibt, ©iefeä roerben roir
gunödbft jeigeit/ ^iernadj aber in ^roei meiteren ^Paragraphen ben ®eroei§
liefern, baff fomoht t)on ber focratifdi^ii ber chrifttid)en
pt)ie gang biefetbe fie^re norgetragen mürbe, ^n biefer ©ti<itföd)e
mir bann offenbar roieber eine raerthootte Ißeftätigung ber Sßahrheit,
metdhe roir im erften Äapitel gu begrünben fuchtln.
§. 1.
?3cttid5 bcs §a^c5 tttts inneren ^rünben.
©ie ©d)önheit ber förperltd)en ©inge ift überauß oergängIi(h. ©ie geiftigen
Söefen befipen jene ©orgüge, roeld^e fie mit ben förperli(hen ©ingen ge;
mein haben, immer in oiel höherer ©oltenbung, alß biefe. ©ie »orgüg;
lichfte ©eite ber mit Vernunft begabten 2Befen ift aber biefenige, burch
roelche fie ber ethifihen Orbnung angehören.
21. @§ gibt unter ben ißorgügen roeldje roir an ben fichtbaren
©ingen fdhäpen, roohl nicht @inen, ber fo unftät roäre, fo rafch roieber
oerginge, roie ihre ©dhönheit.
ift bie eigentlid^e ©p^re ber ©d;ön^cit.
35
„SBarum bin id) nergnuglid;, o Bens?" fo fragte bie ©d)önf)eit.
,0djuf id) bod}‘, fagte ber @ott, ,nur ba§ 33ergänglid)e fd)ön!‘
llnb bie Siebe, bie 23Iumcn, ber Xf}au unb bie ^'ifle’nb nernal)men’ö,
?nte gingen fie ineg, ineinenb, non Xl)ton.
^yreitidj ift e§ ein faifd)eg '^rincip, au§ ineld)em ©oet^e im jmeiten
35erfe bie '5;l)ntfad)e erflären ju moUen fdjeint; aber bie ‘J;i)atfadje feibft
ift noUfommen inat)r. ®er fvvüf)ling ift unter ben ,2(a^re§jeiten bie nn=
jnnerläßigfte nnb bie fitrjefte. ®ie fdjönften Äränje inelfen am fc^netlften,
bie lieblidjften ißlnmen nerbin^en jnerft. feiner bie Jrndft, befto me^r
bebarf eg nm fie nor g'dnlnift jn fdjüt^en; fe notlfommener ein Orga^
nigmng, nm fo leidjter ift er ber f^erftörung jngönglid). ®ie 3ind)tignd
fd^Ingt nidjt brei ^Konnte beä .^fnijreg. ®ie ert)ebenbften 3tatnrerfd)ei:
nnngen banern faft nur ?tngenblicfe ; ber Siegenbogen, bie g^ata SJiür=
gana, bie lidjte Sitberraolfe, non ben 0traf)len ber fd^eibenben Sonne
mit ©olb umfanmt, ber (cbenöfrofje Sd^metterling in bem ©djinelj feiner
lebenbigen fyarben, ber ©onnenanfgnng mit feiner ißradit, mit feiner
ba§ i^erj erineiternben üöonne, fie jeigen fid) g(eid)fam nur nnt bie
Se^nfnd^t inadtjnrnfen , unb roieber 511 uerfd)ininben ofjue biefelbe be=
friebigt jn ijaben.
iC'ie int betten Sonnenbtide
Sid) ein ffi-nrbenteppid} inebt,
2S>ie cutf it)rer bunten 33rüde
;fsriö bnrd; ben §iinmel fdjioebt.
So ift jebe fcbbne ©nbe
fvtndftig, loie be§ tötitjeg Sdfein;
©d)nett in ibrem büftern @rnbe
Sd)tiegt bie t)ind)t fie toieber ein*).
“ätud) an bem SOicnfd)en bemtibrt ficb bn§, infofern er ber förperlidfen
Srbnung angebört nnb ihren ©efelten nnterinorfen ift. „2ßie ©rag finb
feine 5:age, nnb roie bie 33tnme bcg fyelbeg fprofd er auf nnb nerbtnbt.
Ser 2iUnb gebt bin über fie, unb fie bleibt nid)t ftetjen, nnb man fennt
nid)t tnebr itjre Stelle" ** ). ©oetbe bebanptet , ber SJlenfdj befinbe fidj
auf bem ©ipfet feiner bödjften Sdjonbeit nur einen Slngenbtict; febenfallg
ift bie ^)ieriobe ber nollen ®lüte ancb im nienfdjlidjen Seben meit fürjer,
alg alle übrigen, äioürbe eg ber iBiaterie mobt fo fdjroer fcpn, bie
Sd)önbeit feftjubalten, menn biefe nid)t eine bcffcre .S^eimat Ijätte alg bie
ficbtbare 3©elt?
3*
*) ©dpUer, ®ie Q'nnft be§ 9(ugMiblid§.
*') 'fßf. 102, 15.
36
®te SBett ber mit ouSgeftatteten ®efcn
22. (g§ ift eine befannte Sßa^rl^eit, ba^ bie förperli^e ©ubftanj,
roenn fte gieit^ nerfd^iebene überfinnltc^e ©igenfd^aften mit ber geiftigen
gemein ^at, biefelben bo(^ nie in jener 3Sottfommen§eit befi^t roie bie
Seziere. ©egn, bie ©inbeit, bie SBabrbeit, bie ©utbeit, bie 3SolI=
fommenbeit, finb gemeinjame SIttribute ber ©ieifter unb ber Körper; aber
roenn fie in beiben benjelben Flamen tragen, unb bem Söefen nad) über=
einftimmen, jo jinben jie ficb bocb in oiel gröj^erer Sotlenbung in ber
einjadben ©ubjtanj , al§ in ber gujammengeje^ten , eben roeit jene ihrer
iRatur nadb nie! böb^i^ ©ajjelbe rairb mitbin audb in Sfiücfjidbt
auf bie ©dbönbeit ber j^all fepn. ®ie geiftige ©ubftanj, at§ bie üor=
jügtidbere, muß ihrer Statur uadb für bie ©d)önbeit ein oiet größeres
?Waa^ oon ©mpfonglidbfeit befit^en; bie ©dbönbeit mu^, roie jeber anbere
überfinntidbe SSorjug, in bem ©eifte eine 25ottenbung erreidben tonnen, in
roetd)er ber ©toff fie gar nicht mehr ju f affen im ©tanbe ift.
^ebe oernünftige ©reatur gehört nun überbie§ einer hoppelten
Orbnung an. ^b^^ SBefen, unb bie eine ©eite ibreS SebenS, bie pbpfifdbe,
roirb beftimmt burdb bie notbroenbigen, ihrem eigenen ©inftuffe fidb ooUs
ftanbig ent^iebenben ©efe^e ber iRatur, roeti^e ber 2Iu§brudt be§ ©ebantend
ber fdbaffenben 2öei§beit finb; bie anbere ©eite bagegen, bie etbifcbe, ift
(infofern roir oon ber ©nobe abfeben) ihr eigeneg SBerf. ©iefelbe ge=
ftottet fi^ je noch bem 'üOiao^e ber freien Unterorbnung be§ gefdbaffenen
SKUIeng unter ben 3BiC(en be§ ©dböpferg ; benn ihr SBefen ift bie Ueber=
einftimmung be§ fid) fetbft beftimmenben enbüdben ©eifteS mit ben iRormen
ber lex aeterna, be§ eroigen ©efe^eg, bag oon bem „5tonige ber ©eifter''
auggebt. 3n liefen freien Uebereinftimmung ibreg ©trebeng, unb babur^
ibreg gefammten ©epng, mit bem Söotlen beg unenbtidb ©Uten liegt ber
eigentüdbe ntter 25ermögen ber nernünftigen ©reatur, liegt biefer
©reatiir fetber tet^teg ib^e eigentliche 35ottenbung; roie bie 23tüte
unb bie f^rud)t jum Äeime, fo nerbätt fidb Sebtere ju jenem ©epn,
roetdjeg ber ©reatur burd) bie unabünbertidben ©efe^e ber pbpfifdben
Orbnung ju roirb. Unb eben hierauf, ba^ fie bagjenige atg ihr
eigeneg 3Berf ju fetten oermag unb roirflidb fe^t, roag in ber übrigen
©dböpfung augfcblieBticb bag 2Berf ibreg Urbeberg ift, bie Ueberein=
ftimmung ibreg gefammten ©epng mit ber bödbften SfSeigbeit unb ber
abfoluten ©utbeit, eben auf biefen ihren SSorjug grünbet fidb ®or etilem
ihr hoher 9tang oor ben übrigen Söefen, benen ber ©dböpfer nidbt bie
©abe ber nernünftigen ©rfenntnifi nerlieb, unb barum audb
ißermögen, ju roäbten.
SBcnn mithin ber oernünftige ©eift grof3 erfd;eint in ber pbpfifcben
Orbnung, fo ift er in ber etbifcben nod) um SSieteg gröf^er: unb eg
müffen eben in biefer audb feine 3Sorjüge ihre höhere SSottenbung er=
reichen.
ift bie eigent(id;e (Sphäre ber <ad^ön^eit.
37
3nbem roir biefe Folgerung ^ier insbejonbere in ^inrffic^t auf bie
0d^on^eit geitenb tnad)en, felgen mir fveitid) etroa§ uovaug iua§ wir no(^
nid)t beroiefeu !§abeu: ba[3 niimiidj bie ©d)Ö!d)eit ber etljifdjeu Ovbnuiig
ni(^t freinb ift, uietme^r jroifd)en ber einen unb ber anberen eine inögi
Udjertneife fel^r enge 33ejie^ung befielet. ®af^ biefe SSorauSfetjung inbe^
rceber neu uo^ gesagt ift, baä luirb fid) fe^r batb ergeben, lleberbieä
’^aben mir bereits im erften Kapitel 'f^totiu, Sfriftotetes uub ißtato uou
ber „©c^önl^eit ber ©ugenb" unb üon „fdjönen ^'»anbtungeu" rebeu ^öreu,
unb ©dritter non ber „fi^önen Unfd)ulb" uub „bem fd)önften £eben".
kommen SScnbungeu biefer 3trt überl^aupt pufig nor, raerben fie uon
niemanb beauftanbet, inbef3 mit ber iuteltectuelten ©eite beS ItebenS ber
uernünftigen (Jreatur bie ©(^ön!^eit uiet fetteuer in 35erbinbuug gebracht
roirb: fo gel)t tjierauS ol^ne bevnor, baf3 in ber ®orauSfet^ung
um bie e§ fid) ^nbett, uicbtS roeiter liegt, ats eine adgemeiu I^errfdjenbe
3tnfdbauung. ®afi aud) ©tolberg uon ber iBejietjung ber ©t^cmfieit jur
etbifc^en Orbmmg überjcngt ruar, nnb jiuar uon einer unlösbaren, über=
aus innigen 33ejie^nng, baS ergibt fid) auS ben fotgenben ü>erfen, melc^e
gteid)fatlS ber fd)on ermähnten ©be anget)ören;
.'i5tmmlifd)c Urfd)öid)cit —
Cber uiie nennen bie ©terblid)en bid)
UC'etdie beffer nod) bid) fennen, nIS .^omev,
‘•f.'tato, Ä'topftod nnb ©ffinn —
33 i ft b n ber o 1 1) m p i f d) e n © u g e n b
© d) TO e ft e r , ober fie f e t b ft ?
§. 2.
|)ic ^eßre ber focratifrfjcn S(ßufcn.
Cb es gegrünbet fep, meint mir in Arngen ber 3teftt)etif bie 3tnld)aunngen ber
älteren 3Biffcnfd)aft bcrüdfid)tigen. ‘'fJlotin nnb bie 9tcnpIatonifcr. Picero.
Cie ©ton; ©enccn. C'loto-
23. ^^I)itofopt)ifd)e 2A>at)rßeiten roerben nid)t burd) „Mengen feftgefteltt,
fonbern burd) innere @rünbe : unb nur auf foteße, uii^t auf 3tuctoritätS=
beroeife, fann bie n)iffenfcbaftlid)e ©rfeuntnif; fid) ftüi^eu. iöfan luürbe
bef)ungead)tet irren, tuenu man ber iDfeinung fepn mottte, atS tbäteu
mir etraaS ^^edtofeS , roenn mir bei bem gegenmörtigen , unb nod) bei
manchem anberen ©al^e ber 3teftt)etif ben f)iad)meiS liefern , baf) and)
2lnbere, ja baf) gerabe bie bebeutenbften 33crtreter ber 2öiffenfd)aft in
früheren ^ß^^'^u^berten gerabe fo gebadft ßaben, mie mir. Cber märe
eS beim etma nid)t eine unerträglid)e 3tnmnf)nng, menn mir unS jutrnuen
motiten, allein burd) eigene Äraft fyragen löfen jn fönnen, au bereu
38 SBelt ber mit auSgeftattetcn 2Sefeu
33eanttüortung ron 3(lter§ !^er bie begabteften ©elfter gearbeitet ^aben,
unb bie ni(j^t§be[toroeniger ^eute noc^ , unb l^eute aielteid^t me!^r afö
fematg, al§ f^ragen betrad'tet Tüerbeu? Sßürbe e§ nid^t anberfeitg at§
eine unoerantroortUc^e SSernat^lä^ignng jit bejeic^nen fe^n, raenn roir bei .
©rörterungen über ©egenftänbe non fotc^er ©c^roierigfeit, roie fie unraiber=
fprec^tic^ manct)e i^unfte ber 3teft'^etif bieten, nic^t barauf bebacE)t roaren,
jene ©c^üf^e flarer unb beftimmter ©rbenntnif^ mögtid^ft gu nerraertfien,
roetd^e bie f^orfd[)ung töngft nergangener 3eiten glüdftid^ gu 5;age geforbert
^at? Toenn roir e§ nerfäumten, auf bunflem SBege un§ gu orientiren an
einem ßid^te, roeld^eS bie ißurfe^ung beffen „non bem aüe§ SSiffen au§=
gel^t, bei bem eg roar nor ber SBeltgeit" *) , roeit mel^r um fommenber
©enerationen roiüen ^at aufftammen taffen, atg gum frommen berjenigen
nor bereu Stugen eg guerft fic^ entgünbete?
®agu fömmt gütetet nocE) ber Umftanb, ba^ roo eg fid^ um einen
tßegriff unb fein SBefen, atfo um bie 33ebeutnng eineg SBorteg !^anbett,
über biefe bodt) ü^ne biejenigen gu nernefimen finb, roetc^e fid^
beg Söorteg bebienen, unb mit bem begriffe ret^nen. Unter biefer 9fiüd'=
fid^t ^at mitfiin, in einer Unterfud^nng über bag SBefen ber ©cf)ön]^eit,
bag 3eugnif3 roeifer ?!Jiänner gang eigenttid^e roiffenfdiaftUc^e Seroeigfraft.
3n biefem ©inne roolle man nng nerfte^en, roenn roir §ier, unb
ebenfo nu^ im roeiteren 3Sertaufe unferer ©rörternng, foroü^t ber Sel^rc
ber, mittetbar ober unmittelbar, non ©ocrateg auggegangenen ©deuten,
atg ber 3tnfdl)auung ber d^rifttid^en ijßl^itofop^ie, eingel^enbe ißerücffid^tigung
gu J^eit roerben taffen, ©tettt fidt) atg bag ©rgebni^ biefeg SSerfa^reng
'^eraug, ba^ roir in atten roefentti^en fünften mit jener Söiffenfdtjaft
übereinftimmen, fiir roetdl)e bie 3[Renfd^^eit am meiften ©runb !^at, ©ott
bem §errn banfbar gn fepn, bann ift bag ein Dftefuttat, roetd^eg roir
unferfeitg atg einen ©eroinn non l^ol^em Sßert^e angufe'^en nng ertauben,
roä^renb eg babei ja einem unbenommen bteibt, l^infii^ttid^ ber
33ebeutung beffetben feine eigene Stnfid^t gu l^aben.
24. ifJtotin fprid^t unfere Sel^re roieberl^ott mit ftoren SBorten aug.
3n ber 2tbf)anbtung „Ueber bie ©^önl^eit" gätitt er eine ?(Jlenge fd^oner
©egenftänbe auf , bie f^eitg ber förpertid^en t^eitg ber intettectuetten
Orbnung angeboren; barauf fä^rt er fort: „®ie ©d^ön^eit ber ©eete
ift jegtid^e 2:ugenb ; unb fie ift fdbön in ootterem ©inne beg Sßorteg, atg
alle Dorl^er genannten ®inge" 18). 3^1 berfetben 2lnfid^t befennen fic^
mit i^rem 33ogrünber alte übrigen Stnl^änger ber neuptatonifd^en '^l^itofopl^ie.
33ei ©icero tefen roir, „bie et^ifdie ©(f)cinl^eit fep mit ber 2;ugenb
©ineg unb baffetbe, unb beibe nur bem ^Begriffe nact) nerfcliieben" 19);
*) Omnis sapientia a Domino Deo est, et cum illo fuit semper, et est
ante aevum. Eccli. 1, 1.
ift bie cigentlid^e ®pl^äre bev ©d^ön^eit.
39
barauf gibt er, at§ bie geroöt)ntid)e, biefe ^Definition : „®ct)ön ift baSfenigc,
raa§ mit ber l^o'^en 3Bnrbe be§ ÜRenfdjen übereinftimmt , unb mit feiten
3Sorjügen feiner 9iatur, biirt^ bie er fid) oon ben übrigen ©innenraefen
unterfc^eibet" 20). Sßenn in biefen SDorten nnfer 0att minber nudbrndUc^
auggefproi^en erfc^eint (er lie^e fic^ inbeffcn unft^raer barau§ folgern),
fo trügt (Jicero benfetben an einer anberen ©teile um fo entfd^iebener
üor: „35on bem Söeifen fagt man mit 9led)t, baf5 er fcbön fei^; beim bie
3nge bed @eiftes finb fd)öner, al§ bie be§ ßeibeä" 21).
iJtod) raeiter ging bie ©d^ule be§ meint fie an bem @rnnb;
fatpe feftl)ielt, „allein ber SSeife fei) fd)ön'' 22). „könnten mir fie
fe|en," fd)rieb in biefem ©eifte ©etieca an ben ßnciliiiä, „fönnten mir
fie feigen, bie ©eete bes ©iiten, mie fd)ött, mie oerel^rutiggmürbig, mie
Ieud)tenb jngteid) in S5>ürbe unb 3InmntI) inüfttc fie nor nn§ ftcl)en ! . . .
iRiemanb mürbe feptt, beffen .'perj nid)t I)cifje Siebe 511 i^r entflammte.
3eljt freilid) ^emtnen oielertei ®inge unfern 2?Iicf, blenben nnfer 3Inge
biird) jii ftarfen ©lanj, ober umgeben e§ mit Jinfternif). 3Xber '^at man
nid)t Mittel, mobttrd) man ba§ 3fuge bed Seibed 51t fd)ürfen unb 511
reinigen pflegt? ebenfo mürben mir, meint mir nur ooit nnferm inneren
2Iuge ben ©cf)Icier megne^men mollten, bie Dttgenb jti fd)anen im ©taube
fepit, and) ba, mo noc| ber Seib fie oerbeeft, SIrmutt) fie verbirgt,
'Jtiebrigfeit nnb ©dfinad^ fie innfd)atten. fc^aiten mürben mir fie,
biefe ©d)önl)eit, anc^ unter niebriger ^^ülle''-). 3Iber and) bie @rbärm=
Iid)feit ber fc^Iaffen, d^aracterlofen ©eete mürbe und fid)tbar merben, fo
fel)r fie and) ber ©lanj bed 3'teid)tl)nmd timfd)immert, unb bod fatfd)e
Sid)t, f)ier bed ©elbed, bort ber Madft, intfer 3(uge jn blenben fnd)t.
S^atttt mürben mir oerftel^en, mie nerciebttid) bad ift mad mir bemnnbern,
Äinbern gtei(^, bie febe ©pieterei gtüdtid) mad)t. ©in Dting ober ein
SIrmbanb, bie man inn ein fteined ©tücf ©elb fanft, ift il)iten lieber atd
@efd)mifter nnb ©Iterii . . . 2öir bemnnbern mit bünneni Marmor be-
fteibete 2öanbe: mir betrügen nufere 9Iugett, inbem mir fa miffen mad
barunter liegt. Unb meint mir bie ®eden nuferer ©nie oergolben, freuen
mir und bn nid)t ber Süge? ed ift und fa nid)t nnbefannt, baft bad
©otb nur faiiled ,'^olj bebeeft. ®od) nid)t SSnttbe nnb iDedcit allein
pflegt man mit einem bünnen ©tanje 31t überjieben; fdbaif alle feite, bie
in ber SBett etmad gelten ; i^re gnttje ^errlii^feit ift ®ergoIbung. ©effne
bie Singen, nnb btt mirft felgen, mieoiel ©rbünntidifeit unter ber bünnen
©lanjfd)id)t ficb birgt'' *"*().
*) Cernemus , inquam, pulchritudinem illam, qiiamvis sordido ob-
tectam.
'’*) Nec tantum parietibus aiit laciinaribus ornamentum tenue practen-
ditur: omnium istorum qiios incedere altos vides, bracteata felicitas est. In-
40
®te 2BeIt ber mit ^rei^eit auSgejiatteten Sßefen
2S>ir laben aljo für unferen @al^ f(i|ün bte Slfuctoritüt t)on brei ber
Dorjügüd)ften p|iIofop|ifdjen 3fbid|tungen be§ |eibnifc|en 2ntert|um§. 2Bie
üielfadl aucf) bie ©egenfä^e traren in raetc|en fti^ bie ©toa, bie neue
Skabemie unb ber 9kupIatoni§mu§ befämpften, in biefem ifSunfte ftimmten
fie überein; unb roie mand)en ©a^ fie uietteicfit au§ ben 2:|eorien if5lato’§
nerioerfen ju inüffen glaubten, in ber 8e|re non ber ©^ön|eit |ielten
fie an ben @runbfä|,en i|re§ 9Jieifter§ feft. ®enn bie focratifd|e ip|iIo=
fop|ie, raie ^lato fie in feinen ©ialogen niebergelegt , bitbete allerbingg
unnerfennbar bie gemeinfd)aftlic|e ClueCte, au§ u)etd|er fie i|re 2tnfic|ten
über bie ©(^ön|eit geft|öpft |atten, unb unter biefen auc| ben ©a^ non
rDeldjem roir tianbeln. 5tt§ SSeteg bafür nur einige ©tetten.
25. „©taatgntann" roirb einfac| bie Se|re auggefpro^en , bap
bie untörpertidjen Singe „an 3öert|, 33ebeutung unb ©c|ön|eit" atte
übrigen überragen, aber ben ©innen unjugänglic|, unb nur für bie 2Ser=
nunft erfenitbar fepen*).
3nt ©ingange be§ „i]3rotagora§" fagt ©ocrateg einem f^reunbe, er |abe
fo eben einen ^DJann gefe|en, einen f^remben aug Stbbera, ber niet fd)öner
fep atg Sttcibiabeg. Ser f^reunb ift barüber fe|r erftaunt: „unb biefer
fyrembe mar fo fc|ön, baf; bu über i|n ben ©o|n beg ©liniag nergeffen
fonnteft?" „SSefter ÜJiann," ontroortet ©ocrateg, „tnie fottte benn nic|t,
rao bie |ö(^fte 2Beig|eit ift, bort aud) bie |öd)fte ©c|ön|eit fepn?""^'*)
S|eätet ift nad) ber 33efc|reibung im ©ingange beg Siatogg ber
feinen i)tamen trägt, feinem 2teuf5eren nac| |äf3Üc|; er |at eine aufge=
raorfene iRafe, unb |eroorfte|enbe Stugen, beibeg roie ©ocrateg fetbft, „nur
nid)t fo ftarf rote biefer". 3SerIauf ber Unterrebung aber fagt
©ocrateg gu i|m: „Su bift roirftict) f(^ön, S|eätet, unb ganj unb gar
nidjt |ü^tic|, roie S|eoborug oon bir gefagt |at. Senn roer oerftdnbig
gu reben oerfte|t, ber ift fd)ön unb gut" ***).
©old)en 2tnfd)auungen entfprid)t beun aud| bie Stnroeifung roetd|e im
„©aftma|te" Siotima, bie roeife f^rau aug iDiantinea, bem ©ocrateg gibt.
„2Ser in ber reiften SBeife üorge|en roitt, ber mu^ ... bie ©c|ön|eit roie
fie ber ©eele eigen ift, für etroag ißorgügü(^ereg |atten, atg jene beg
Seibeg. Unb roenn barum femanb eine ebte ©eete |at, fic| aber babei
burc| fein dufjereg 5tugfe|en roetiig empfie|tt, fo mup i|m bag bennod)
genug fepn, einem ©ot(^en feine Steigung unb feine Siebe jujuroenben" f).
spiee , et disces sub ista tenui membrana dignitatis quantum mali lateat.
Seiieca, ep. 115.
*) Plat. Polit. Steph. p. 285 e. 28ö a. Bip. vol. 6. p. 64 sq.
**) Plat. Protag. Steph. p. 309 b. c. Bip. 3. p. 85.
***) Plat. Tbeaetet. Steph. p. 143 e. 185 e. Bip. 2. p. 51. 142.
-[■) Plat. Conviv. Steph. p. 210 b. Bip. 10. p. 245 sq.
ift bie eigenttid)e Sphäre ber ©d^bn^eit.
41
Unb roteber au§ ben gleidjen 2Infd)auungen gd^t, am ©c^Iitffe be§
„^H)äbrii§“, ba§ fd}öne ©ebet bed <£ocrate§ Ijeroov; „O guter ^an, unb
i^v anberen ©ötter biefed Orteä affe, uerleil^et mir, bafe meine oeele
f^öu merbe, unb mein Slenfiereä mit bem ^dnern nbereinftimme; unb
laffet micb für reid) ben Sßeifen l^atten" 23).
§. 3.
5« ^llnfcbauung ber (brifffitfien
6’temenä non ^JUernnbria. ©rcgor non Dta^ianj. Origcne§. (Stemenä nod);
mat§ unb )Bafitiu§ ber ©ro^e. 5(mbrofiu§ unb 5tuguftin. iöerntjnrb
üon ßtairnnur. ^ob^nucä Ct)njfoftomu§.
26. ®a§ julet^t gegebene ©ebet, fomie bie jmei Steffen and '^^Into’g
„i]3rotngora§" unb „Stjeatet“, filiert (Slemeng non SUenanbria an, unb fugt
bann, erflnrenb, bie 23emerhing I)injn: „®enn ©ocrateä leierte, bie 2:ngenb
fe^ bie Sd)ön^eit ber Seele, unb nmgefel)rt if)re .'päffUdjfeit bad Safter" 24).
Unb inie bie befferen OUcfttungen ber l^eibnifd)en Specutation inägefammt,
fo belannte fid) and) bie d)rifttid)e ipbitofopt)ie ju biefer Jel^re. ßtemenä
beruft fid) auf jene brei SBorte be§ Socrate§, unb bie if)nen jn ©runbe
liegenbe 3lnfd)annng ••fJIato’ä, inetc^e and) bie Ueberjengung ber Stoa ge=
inefen fei), eben in ber 5lbfid)t, um jn beroeifen, baf) bie ©ried)en niete
ü^rer Se’^ren ber J^eotogie ber .fpebräer unb if)ren t)eitigen 33nd)ern, ber
„ßdpßotpoc cpiXoaocpta", cnttel^nt t)aben. ©r betrad)tete atfo bie in ffiebe
ftebenbe 3tnfd)auung at§ eine fotd)e, bie bem ©eifte ber göttlid)en Offem
barnng burd)an§ gemäf) fep, an inetd)er mitt)in and) bie d)rifttid)e '4^t)ito=
fop^^ie feftt)atten müffe. Unb ba§ tonnte inot)t aui^ feinem nnter=
liegen. ®enn berfelbe ©eift ber in ben Sprnclßen (31, 30) bnrd) Satomon
un§ betebrt fiatte, baf) „ßeibeäanmntt) halb nergef)t unb Sd)ön^eit eitel
ift", berfelbe erfüllte ja ben 3Serfaffer bed 2?ni^e§ ber SBeiS^cit, ba er
(4, 1) beinnnbernb an§rief: „O mie fd)ön ift ein feufd)e§ ©efcbledjt in
feiner Ätarl^eit!" ®arum tritt biefe fie'^re, baf) bie Sd)ön^eit in ber
Spf)üre ber mit ©‘rfenntni^ nnb fyvei^eit andgeftatteten SSefen it)ren eigenO
li^en Sitj habe, bap fie nirgenbg in nofferem ©tanje leud)te alä in ber
et^ifi^en Orbnnng, bei ben S^ertretern ber d)riftlic^en 3rüffenfd)aft ino
möglich mit nod^ gröf^erer ©ntfd)iebenl)eit ^eroor, at§ bei ben t)eibnifd)en
ipbitofop^en.
„©in ))}iann, inetd)er fd)ön fepn iniff," fagt abermatd ©leinend, „ber
fd)müd'e bad tnad in bem ‘OJtenfd)en bad Sd)önfte ift , ben ©eift , unb
laffe ü^n mit jebem Sage an Sd)önl)eit jnnel)men" 25). 5lndfül)rlid)er
legt er raieberl)olt biefelbe 2Bal)rl)eit ben fyranen and .f;ierj. „9Ud)t mit
ben ©aufeleien einer trügerifd)en jlnnft follen fie fid) bad ©iefid)t ein=
42
®ie ®elt ber mit greil^eit auSgeftatteten 2ßefen
reiben; roir rooCfen fte eine anbere, eine nerftänbige Jtunft teuren, fic^ ju
gieren. ®ie p(^[te ©c^ön^eit ift bie innere, mie roir oft gefagt; roenn
ber ^eilige ®eift bie Seele fdimücft, unb feinen @Ianj über fie au§gie§t:
©ered^tigfeit, SSefonnenl^eit, @etbftbe!^errf^ung, Siebe ju Stttem
roa§ gut ift, unb baju ©djanil^aftigfeit, bie liebü^fte f^arbe bie je ge;
felgen rourbe*). 3*^ affo folten fie i^ren ©c^tnud tragen, burd^
©cf)önl^eit be§ inneren ^Renfd^en fidt) enipfe'^Ien. ®enn allein in ber Seele
l)at bie Sdliön^eit unb bie ^ä^lid^Mt i^ren Si^; barum ift allein ber
3;ugenb^fte in 2Bal)r!^eit fd^ön unb gut" 26).
®ie treue ^Befolgung biefer SSorfd^rift ber d^riftlid^en ©tl)i! rül^int
©regor uou iRajianj an feiner ilJiutter unb an feiner Sd^roefter. „Sie
liebte nicl)t ben i]3u^," fagt er oon ber letzteren, ber ^^eiligen ©orgonia;
„ol^ne Sdlnnutf ju fepn, ba§ roar i'^re S(^ön!^eit" 27), 2Son ber ^eiligen
9tonna aber, feiner ^Jiutter, rebet er alfo. „2lnbere f^rauen finb ftolj
auf i^re Sd^önl)eit, mag fie nun SBerf ber Statur fepn ober ber Äunft.
Sie fannte nur ©ine Sd^önl)eit, bie Sd§ön!^eit ber Seele, ba§ Streben,
in i^rem ^erjen nad^ .prüften ba§ ©benbilb ©otte§ ju beroa^ren ober
roieber aufjufrifdben; burd^ Sc^minfe unb anbere .fünfte fic^ ju gieren,
überlieft fie ben Sd^aufpielerinnen" **).
S(^lecl)t!^in menfd^lidlie Jugenb, roelc^e ber natürli^en Orbnung am
gehört, l^at ber c^riftlid^en Selire gufolge feinen befonberen 2Bert!§: bie
5tugenb be§ ©l^riften, unb bepl^alb audb feine eigentlid^e Sc^öu^eit, ift
übernatürlid^. ®arum ^örten roir fd^on oor^er ©lemenS bie S^önl^eit
ber Seele al§ ba§ Sßerf be§ l^eiligen ©eifteä barfteClen. 3Serne!^men roir
fetjit be§ groften 2llepanbriner§ größeren Sdl)üler, roie er begeiftert biefe
übernatürliche Sdhönheit ergebt. „2Ber eg erfaßt hat," fpri(^t er, „roa§
jene Sdhönheit ber 23raut ift, roelche ber Ißräutigam liebt, ber Sohn
©otteg felbft, jene ^errlidhfeit ber Seele jage idh, bie ba leuchtet in über;
irbifcher, in mehr alg h^otmlifcher Schöne; ber roirb fidh fdhämen, mit
bemfelben Dramen, ber Sdhönheit, noch bie Seibegfdhönheit eineg SKeibeg,
eineg ^ünglingg, eineg ?Konneg gu ehren; benn bie eigentlidhe S^önheit
fapt ja bag f^leifdh nid)t ***), bag nidhtg ift alg .^ä^lidhfeit. ®enn alleg
f^leifch ift roie ©rag, unb feine ^errlidhfeit, jene bie alg bie fo genannte
Schönheit am Sßeibe ober am Jüngling bag Stuge feffelt, ift einer ißlume
gleich, roie ber ifSrophet fpricht: ,2llleg f^leifdh ift roie bag ©rag, unb all’
feine ijerrlidhfeit roie bie 2?lume beg f^elbeg. 5)ag ©rag roirb roelf unb
bie 95lume föllt ab ; aber bag SSort beg ^errn bleibt in ©roigfeit‘" f).
*) Clem. Alex. Paedag. 3. c. 11. Potter. 291.
**) Greg. Naz. or. 18. al. 19. funebr. in patr. n. 8. ed. Maur. 335.
***) Tö ydp X’jpt'w; xdXXo; actp? O'j yiupEb
t) Orig, de orat. n. 17. ed. Maur. p. 226.
ift bie eigentüd^e ©p^äre bcr ©c^ön^cit.
43
(5-ine foldje 5Uiffo|luiig dou bem SBert^e ber ©c!^önf)eit be§ i-etbcd
üoraiiSgefet^t, fann e§ uns nicht feht befremben, inenn nnä bet inehvercn
ftrd)Iti^en ®d)riftfteüern, namentüd) bei ben äiteren, bie 5tnfici)t begegnet,
bev menfihgenjorbene ®obn @otte§ )et) feiner leibtidjen ©eftalt nad) nid)t
fd)ön geraefen. ®ie SBovte beä 53, 2. 3. beziehen fie
nidtt auäfdiliefilid) auf bie £'eiben§, fonbern überhaupt auf
feine ©rfcüeinung bem Seihe nad). dii^t atS ob ber A^err, and) in feiner
nnperen ©rfcheinnng, nid)t not! üßürbe unb ‘üJiafeftät, noU heb'JSCtüinnenber
Siebendmürbigfeit geroefen märe; aber jenen 35or);ug, ober nietmehr jenen
'2d)atten eined 5ßorjuge§ lüoöte er nad) ihrer 2lnfid)t nid)t an fid) tragen,
inetd)er in ben 5fngen bed fteifd)Iid) gefinnten '^0^enfd)en btt§ it'ödtfte jn
fepn pflegt. „®er ,*gierr fetbft'', fagt (StemenS non Slteranbria, „mar feiner
änderen ©eftatt und) unfd)on , mie bnrd) ^fi^iag und ber heilige ®eift
bezeugt; ,2Sir höben ihn gefehen, unb eg mar nid)t Sßohlgeftalt an ihm
noch ©dhönheit; ohne 3lev mar feine ©eftalt, nnfd)einbar uor ben iD^en:
fd)en‘ (3f. 53, 2. 3 ). Unb bod), mag ift tiebengmnrbiger a(g ber .^^err?
ütber nidjt bnrd) ©d)onl)eit beg ?fteifd)eg jeidtnete er fich ang, meld)e ja
nur 0d)ein ift, fonbern bnrd) bie mahre ©d)onheit ber ©eele nnb beg
Seibeg; jene ift bie Siebe, bie beg jlfleifd)eg ift Unfterblidifeit“ 28). 3ln
einer anberen ©teile heifd eg; „i)tid)t ohne ©rnnb mollte ber öerr in
unfdheinbarer ©e)*talt erfreuten; bamit niimlid) nicht etma feine 2Sol)l=
geftalt unb ändere ©d)önheit nufere Singen fo auf fid) jöge, baff mir
barüber feine SBorte nnbead)tet liegen; bamit mir nidht baS Unfid)tbare
nergcif)en, inbem mir nufere Siebe bem jnmenbeten, mag nergänglid) ift" *).
3n bemfelben ©eifte erftärt ber heilige IBafiliug bie SSorte eineg anberen
‘Propheten (ipf. 44, 5), in meld)en bie ©d)önheit beg menfd)gemorbenen
©ohneg ©otteg gefeiert mirb. „piRit beiner ©dhönheit‘ fpricht er; bag
mill fngen, mit beiner nnfid)tbaren ©ottheit. ®enn bog ift bie mirflid)e
©chönheit **) , jene, melcl)e über alle menfd)lid)e 'iSahrnehmnng nnb
iyaffunggfroft hinangUegt, nnb nur bem betrad)tenben ©eifte fid) offem
hart. ©)ie ^l’^Ser erfannten feine ©^önheit, menn er ihnen bie ©leich=
niffe erflärte; )petrng nnb bie ©ohne beg ©onnerg fdjnuten biefelbc
fid)tbar auf bem iperge, ba fie hevüorbrad) ftrahlenber nlg ber ©lanj ber
©onne, ba fie gemürbigt mürben, mie bog erfte Sencl)ten feiner glorreid)en
©rfd)einung mit il)ren Singen jn fehen" ***).
*) Clem. AL Strom. 1. 6. c. 17. Potter. 818.
**) TO o^Tiu; y.otXov.
***) Bas. in ps. 44. n. 5.
®ic 3lnficht über ba§ 3teugeve be§ iperrn, me[d)e in ben angeführten 3oigni)ien
Gtemenä nnb SafiliuS nertreten, haben mir nicht in bem ©inne hift ermähnen
rooüen, als ob mir biefetbe für maaffgebenb hietten. Sie ©teilen foUten lebiglich
44 2öelt ber mit grei^eit auägeftatteten 3Befen
(S’g ge§t au§ biefen ©teilen flar genug ferner, roie bie i^eroen ber
roa^ren SBiffenfe^oft int d^riftlic^en Stltert^um non ber ©c^on'^eit ba(^ten :
gan^ fo, roie roir e§ in ber Ueberfc^rift biefeg ÄapiteB au§ge[pro(^en
l^aben. S)ie eigentliche, bie roirflich^/ roa^re ©thönbeit, ro xupteue
xaUo? roie [ich ©rigeneg, xö ovxtu; xoeXov roie fi(^ SSafiliug ber ©ro^e,
xo ctXvjöiv&v xaXXo? roie ficb ©lemeng augbrütft unb mit ihnen aÜe dti^'
tungen ber focratifdhen SBei§beit, bag ift bie ©chönbeit ber ©eifter; unb
fie beftebt norjuggroeife in ber roabren SSoIIenbung ber nernünftigen
©reatur, bag ift in ber noUen Harmonie ibreg ©inneg unb ibreg ©tre;
beug mit ber SBeigbeit unb Siebe ©otteg. freilich , ber ©enfualigmug
unb ber iHlaterialigmug , bie ipb^^ofopbie beg nermag ficb gn
foicben nidjt gu erfebroingen; fie befi^t fein Singe für Sßefen bie
fi(b nicht mit i^änben greifen laffen, unb eg fömmt ibr nor roie ein
2:raum, roenn fie non einer unfid)tbaren ©cbönbeit reben böft. SIber
roer bat geträumt, jene großen ©eifter, bereu Siebt fe^t febon bureb
taufenbe ber ^^enfebbeit leuchtet, ober biefe roortreid^en gebanfenarmen
SOianner ber SBiffenfebaft non geftern, bie ung gu beroeifen fueben (unb
eg gelingt ihnen fürroabr), bafe fie allen ©eifteg baar finb, unb roie bie
2biei>e feilt b^beeeg SSermögen b®ben alg eine träumenbe ipbantafie?
®0(b eg ift biet nod) nicht ber Ort, auf ihre Sehren eingugeben.
21. iJiiebt anberg alg bie grieebifdjen 33äter baebten über unferen
©iegenftanb bie beiben ©äulen ber abenblänbifcben Kirche in §ippo unb
iBiailanb. Sindb bem heiligen Sluguftin ift „bie gange ©(bönbeit ber
©eete Ougenb nnb Söeigbeit" 29) ; nach SImbrofiug ift „bie ©cbönbeit ber
©eele aufrichtige Ougenb, ©rfenntni^ ber bimmlifcben SBabrbeit ihre
3ier" 30). ©cbönbeit beg Seibeg bnt ib^en SBertb- „2öir fagen geroi§
nidbt, ba^ Seibegf^önbeit Ougenb fep; aber roir neraebten barum nicht
bie SInmutb : pflegt fa auch bie ^üibtisfeit felbft bie SBangen mit ©d)am=
rötbe gu übergie^en, bag Sluge gu nerfchönern. Unb gleidjroie ber Äünftler
beffer arbeitet im gefügigeren ©toff, fo leuchtet jene fchöner in ber fchöneren
gorm" 31). SIber unnergleichlid) bobe^ alg fie ftebt boch immer bie
©cbönbeit ber ©eele. „Oem ©itberfpieler gleich, aber roenn fie anberg
nüchtern ift nur mit ber ©pi^e ber fähiger, rührt bie ©eele roie mufi=
califche ©aiten bag ©emütb unb bie ©innlichfeit , unb Id§t in bnTino=
nifd)en SIccorben bie eblen ©efüble unb bie Iftegungen beg ^ergeng er;
tönen, inbem fie bei febem ©ebanfen, bei jebem SBerfe ©orge trägt,
ba^ all ihr ©treben unb ad ihr Obun ben ©inflang roabre. ©0 ift
beim bie ÜtJieifterin bie ©eele, ber Seib bag ^nfUument; fo ift eg ein
unferen ®atj beftätigen, ba| bie ©hönbeit ber etbifcbfix Orbnung, bejkbungSroeife
ber übernatürlidf)en , jene roeit überrage, roetebe bie förperlihm ®inge jiert. 2Sg(.
unten 5t. 423.
ift bie eigentlid^c ©p^äre bcr ©d;ön[)eit.
45
STnbereg ba§ gebietet, ein Slnbereä ba§ bient: ein 5Inbere§ raaS roiv finb,
ein STnbereä raa§ roir nnfer nennen. Siebt einer bie ©d^önl^eit bev 0eele,
fo liebt er nn§; liebt einer bie reijenbe ©eftatt be§ Seibe§, fo liebt er
ni(i^t ben iDtenfd^en felbft, fonbern bie ©d)önl)eit be§ ,^leifc^e§, bie fo
halb oerbln^t nnb abfätit" 32).
Unb roeil fie fo halb oerblüljt nnb abfüllt, fd)on barum ift biefe
Sel),tere nach ®t. Slngnftin ni(^t roa!^re fonbern „fnlfd)e" ©d^önl^eit * ),
„ber niebrigfte, ber nnterfte @rab ber ©djön^eit'' *"*•), „ein Dergcingti(^e§,
fleifcfilidfed @nt, überaiig roert^lod unb fteiiS' ***)? ,,f)äfetid) im 3Sergleic^
mit ber ©cbön^eit ber Seele" 33). ©arum „Icifd @ott fie and) ben
33öfen ju 2;i^eil rcerben, bamit bie ©Uten nid)t glauben, fie fei) ein bol)e§
©nt" 34). ®arum nennt ber ^eilige ©eift fie ©itelfeit. Diit^t alä ob fie
e§ i^rer tliatnr nai^ rcäte: fonbern „in f^olge ber 3SerM)rtl)eit ber Seele,
roeld)e bie Siinbe ift unb bie Strafe ber Siinbe, roirb febe törperlidfe
(Jreatnr ba§ roa§ Salomon fagt: , ©itelfeit ber eitlen ©elfter unb nid)t§
ald ©itelfeit . . .‘ -Rii^t o^ne ©runb §at er ^injngefet^t ,ber eitlen
©eifter‘; benn nimmft bu bie eitlen ©elfter roeg, roeld)e bem 3tiebrigften
nad)lanfen roie loenn e§ baä .©öcbfte märe, bann ift ber Selb nid)t ©itet=
feit, fonbern e§ lendetet and) an il)m entfprecbenbe Sd)önl)eit, aber freilid)
bie niebrigfte" 35). SDarum enblic^ ift e§ nid)t 5nnäd)ft bie Sd)önl)eit
be§ Seibeg, fonbern bie oiel uorjüglidfere ber Seele, bie ©ered)tigfeit,
burd) roelc^e roir ©ott ä'^nlic^ finb nnb feiner Sd)önl)eit SBieberfdiein.
„iS>a§ ift bie ©erei^tigfeit , fo fie in nuferem .'©erjen roo^nt, roa§ ift
jeglid)e 2:ugenb burd) bie roir red)t unb roeife leben anberd, ald bie
Sd)önl)eit bed innern iD^enfd)en 'd Unb fürroa^^r, uiel mel)r burd) biefe
Sd)önbeit, ald bem Selbe nach, finb roir gefd)affen nad) bem 33ilbe
©otted . . . 3Benn roir alfo bie Sdbönl^eit bed ©eifted nid)t in förperlidicr
Slndbe^nung finben , nid)t in ber angemeffenen Stellung uerfd)icbencr
Steile, fonbern in einem ®orjuge roelcfien ber Sinn nid)t erfennt, nnmlic^
in ber ©ereditigfeit, unb roenn eben biefe Sd)önl)eit ed ift, bie und roieber
ju ©benbilbern ©otted mod)t: bann bürfen roir fidfer and) bie Sd)önl)eit
©otted felb)'t, ber und nad) feinem Silbe gemad)t l)at, unb fo oft anfd
neue biefed fein Silb in und roicber^erftetlt, nid)t in irgenb einer förper=
lid)en ilRaffe unb 9lndbe^nung fud)en; bann müffen roir and) nberjengt
fepn, ba§ er eben barum nnoergleid)lid) fd)öner ift ald bie Seelen ber
©ered)ten, roeil er nnoergleid)lid) l)eiliger ift ald fie" 36).
Dlic^t Diel roeniger ald ad^t 3a^rl)unberte fpäter fprad) biefelbe 2Sa;^r=
*) „Falsa“. Epist. 3. al. 151. ad Nebridium n. 4.
**) „Pulchritudo ima, extrema.“ De vera relig. c. 40. n. 74. 75.
*’**) „Bonum minimum, temporale, carnale, infimum.“ De civit. Del 15.
c. 22. — Contra epist. Manichaei c. 42.
46
®ie eigentlic[;e ©ppre ber ©d^ön^eit.
§eit, bie Se^re beg 2tuguftinuä imb be§ Slmbroftug , beä ©regoriug unb
SSafitiug, beg ©lemeitg unb Origeneg, beg ©ocratcg unb feiner ©d^üler,
mit berfelben ©ntfdiieben^eit ber le^te Äird^ennater aug, ber .^eilige non
(Slairoaur. „3Kag ift unter allen öujferen SSorjügen beg ÜJtenfd^en, bag
im 23erglei(^ mit ber ©i^ön^eit irgenb einer gottegfürditigen Seele nidit
gering unb erfc^iene bem, ber richtig fd)a^en gelernt liat? Unb
mag l^at fie aufjuroeifen , bie @eftalt biefer ÜBelt bie bal|ingel)t, bag
gleit^ fäme ber @cf)önl^eit jener Seele, raelcöe bag Äleib beg alten iKen;
fcf)en nun (5rbe abgelegt, unb mit ber beffen fid^ umlleibet ^at, ber
üom ^immel ftammt; ber Seele, rael^e ftatt beg ©ef^meibeg 3:ugenb
fd)mü(ft, bie ^öl^er ift unb reiner alg ber ^immel, unb lieller alg bie
Sonne leuchtet?" 37)
28. ®ie i'orfdirift für bag geben roel(^e aug bem in 9tebe fte^^enben
Sal^e fließt, mar fd)on in mehreren ber non ung gegebenen ^eus^iffe
angebeutet. (Singelienber entraicfelt biefelbe aber ein .R'ir(f)ente§rer ben mir
big!^er noc^ nicht nernommen haben, ^ohanneg 6l)vt)foftomug. ,„So ein=
nelimenb ift bag @efi(ht,‘ fagft bu, ,eg ift fo rounberfdiön !‘ Tüunber=
fct)ön nicht audh bie iBlume ber @rbe? mujf fie nicht bennodh mellen? So
fi^aue benn amh auf bag blühenbe @efidht, fonbern bringe
tiefer ein mit beinern @eifte; menbe ab ben Sinn non jener fcfiönen Ober=
ftodhe, unb frage, mag fidh barnnter birgt . . . ,2lber bag Singe ift fo
noü Slugbruct unb fo roeich, fo fein gefchnitten finb bie SSrauen, bie
SBimper fo reijenb gefärbt, ber SSlicf fo fanft, bie 309^ fo w^^lb unb
feffelnb.‘ SSebenle abermalg, ba^ alleg bieg nidhtg Stnbereg ift, alg §aut
unb Sehnen, Slbern unb SOhigleln. ®ann benle bir biefeg fchöne Singe
nor Sllter raelf unb matt, burch ^ranfheit ober nor Äummer trübe, im
3orn gefdhmolten unb entjünbet; ift eg ba ni^t raiberroärtig? roirb eg
nicht rafdh entfteüt, nerliert eg feinen @lanj nicht fchneller alg einS3ilb?
Unb je^t erhebe beinen @eift ju jener Schönheit , roelche bie roahre
Schönheit ift*). ,Slber iih fehe ja bie Schönheit ber Seele nicht ,‘ er=
roieberft bu. ®u fiehft fie, fobalb bu nur roiKft. ®enn gleichmie man
f^öne SJtenfihen im @cifte fich norftetlen unb berounbern lann, auch roenn
fie nicht gegenmärtig finb, fo lann man auch Schönheit ber Seele
ohne leibliche Singen flauen. .Spaft bu nicht oft fchon im (Seifte bir eine
fd)öne (Seftalt gemalt, unb füljlteft bu bich ba non bem (Sebilbe nicht
angejogen? So male bir je^t au^ bie Schönheit ber Seele, unb freue
bid) ihrer giebengroürbigleit. ,S(ber mag leinen Ä'örper hat,‘ fagft bu,
,bng lann man ja nicht fel)en.‘ Jürroahr, nottlommener fchaut unfer
(Seift Solcheg, alg lörperlidje ®inge. SSerounbern mir nicht auch bie
(Sngel unb bie ©rjengel, bie mir hoch nicht fehen? berounbern mir nicht
i::t TO /.i'lXfj;, t6 C(?.r|i}tvdv.
Sie ©rfenntnip fd^öner Singe i[t gemtpringenb.
47
ein ebleä unb eine tugenbl^afte Seele? ®n felbft roir[t einen i)Jien=
fc^en ben @ered)tigfeit jiert unb Selbftbeprrfdjung, mep‘ berounbern, als
jenes f(^öne ®efid)t. So bu barum einen jie^^ft ber Unterbrücfnng leibet,
ber Unbill nnb 3}erfotgung gebulbig trägt, bann liebe fotcbe iSienlpen,
ftatt fie bIo§ ju berounbern, unb jotiten jie aud^ oor SUter gebeugt unb
jc^road) jei)n. O geu)i^, eine joId)e Sc^ön^eit ber Seele finbet and) im
Snter nocfi oiele j^reunbe unb 33 eu) unb er er ; beim jie mirb niemals raetf,
prt nimmer auf ju btüpn. 'Jtad) joldier Sc^ön^eit lafet unS SUIe
tradjten; nnb um jetbjt il)rer t^eib^aftig 511 roerben, ta^t nnS jene Seelen
aufjuc^en unb lieben, bie jie bejipn*).
2)rittcö topitcl*
^tn juJEitfö Jtfrkmal ki* Sd)öiil)fit tritt uns fiitgegcu in ber (ll)at-
fod)E, bn(] fd)öiiE (£rrd)eimingru oiigEiielim liiib, iKföferu cs uns ©nuijj
bringt fte ju rrkemifu, unb uuferii ©eift in iljrer ^Anfdjnnnng
nenneiten jn lalfm.
§. 1.
|3cttieis bcö
iSie Stoa ; 3Jtarimu§ oon Si;ru§ ; bie 3leftl)etifer ber Dteujeit ; 3(rtftoteIe§.
St. 9liigu[tin. Setbing; 3lquin.
29. „^njg SdjöneS unS raoi^lgejällt, ijt jolaiige bie 25>ett ftel)t, bie
urjprüiiglid)e 2Serantajjnng geroejen, eS oon ©leidjgiiltigem ober ^läp
lidjem git unterjdjeiben" **). ^n ber Sliat erjdjeint bie in ber Ueberjdjrift
biejeS jtapitelS begeidjiiete ©igenje^ajt ber Sd)önl)eit unter nllen iljreii
^Urfmalen als baSjeiiige, meines nnS auj ip- ®ajepn überlpnpt anj=
merfjam madjt: unb baS ®rjte nnb baS Selpe inoran mir benfen ba
mir einen ©egenjtanb „jd)ön“ nennen, ijt ber ®emip ben unS berjelbe
geradp't. 2Bie bie Stoa lep-te, ijt bie Sd)onpit „iper lliatnr nac^
genupringenb , unb man roirb iper niemals jatt" 38). „Ob bu auc^
ben iJtamen Sc^önpit gebrandjjt,'^ jd)reibt ber dlenplatoiüfer iÖiapimiiS
Don OpruS, „immer brüdjt bu bodj ben ©eniijg anS. Oenii bie Sd)ön=
pit mürbe nii^t mep Sd)öiil)eit jepn, roenn jie nidjt ber ©egenjtaiib
bebeutenben ©enujjeS märe" 39). @ang biejelbe Slnjjajjnng üertreten in
DoUjter Uebereinjtimmnng aUe 3lejtptifer ber Drengeit, menn mir non
*) Chrys. in epist. 2. ad Corinth. hom. 7. extr.
**) Sope, S. 25. (Gitirt 18.)
48
®ie ©rfenntni^ fd^öner ®incje ift genuPringenb.
Saumgarten abfe:^en. S^nen SlEett „roar eine 0cE)ön^eit bie nic^t gefiele,
unä nid^t nergnügte, tnie fie fid) augbrüdten, eben fo unbenfbar, al§
eine SBa^r^eit bie fid^ nid^t einfel^en Iie|e" *).
Unter biefer oEgenteinen 9fiüdEfidE)t fann ber ©a^ non bem roir
fianbeln, am raenigften ber ©egenftanb einer eigentlid^en 23eroei§fü;^rung
fe^n. ®enn einen ^eben bem nidtjt aEeg @efüf)I für ©d^ön^eit abgel^t,
le^rt e§ fa bie eigene innere ($rfal^rung, ba§ mir fdfiöne ®inge gern
fe!^en, ba^ eg nng fyreiibe ma(^t fie gu betrai^ten, ba§ i^re Sinfdtiauung
ung ongenel^m ift unb mir baran SSergnügen finben. 2Ber bag nid^t
roei§, ben fann man nid^t banon überzeugen. Sfriftotefeg mürbe einmal
gefragt, marum man mit fd^önen 'DDfenfd^en gern tange nerfe^^re. ,,©o
fragt ein 93ünber," roar feine 2tntroort40).
$Der fd^öne @efang ber ©irenen bejauberte nac| bem alten 3)f^t^ug
3lEe bie i^n nerna^^men, fein ©terblid^er fonnte ber l^inrei^enben ?Etad^t
feineg SBol^Itautg roiberftefien **). 2fn äl^nlid^en 3^9^*^ ®on bem feffefn=
ben 9ffeize ber ©dtjön^eit ift bie grie(^ifdE)e 3tft)t!^otogie befanntlid§ reid^.
Stber roir übergefien lieber bie ®icf)tungen einer Söelt, roeld^e, bei aEer
geinlieit ilireg ®efü!^lg für bie ©dliön^eit, im §intergrnnbe bod^ faft
immer bie gröberen 9teije beg finnlid^en ©enuffeg finben mufete. iJfid^t
aEein (^riftlid^er, fonbern in ber Xl^at aud^ roeit me^r geeignet, ung nor
ber 3Serroei^felung roefentlidl) nerfcf)iebener ©)inge fidlier ju fteEen, ift bie
(Erinnerung an einen 3ug aug bem irbifd^en Seben beg §errn, ben fa
aud^ bie religiöfen ^fünfte fd^on oft für t^re Slufgabe oerroertl^et fiaben.
2llg ber l^eilige ifSetrug, roie roir oben 25afitiug ben (Sro^en fagen prten,
„Don bem (Srlöfer geroürbigt rourbe, auf bem 33erge mit ben ©ölmen
beg ®onnerg bag erfte 3lufleud^ten feiner (Slorie ju feilen", unb nun,
Don v^reube trunfen, aEeg Slnbere nergeffenb unb „nid§t roiffenb mag er
fagte" ***) augrief: „§err, liier ift gut fei)n für ung, !§ier la|f ung .SQÜtten
bauen !" — ba roar eg ja eben nidlitg Slnbereg , mag i^n überroältigte,
alg bag ©ntjüden, bie ^o!^e ©eligfeit beg (Senuffeg, ben er im Slnfdfiauen
ber überirbif^en ©d^önl^eit beg (Sottmenfdlien empfanb.
i^ören roir nod^ ben lieiligen Sluguftin. „2Bag roartet unfer im
^immel?" I|eif3t eg in einer i|3rebigt, bie er in ber 23afilica ber ^eiligen
'Perpetua ju ßart^ago ^ielt; „roag roartet unfer im .^immel? iHid^tg
roeniger, alg ®erfenige felbft, meiner ben §immel erfd^affen l^at. ®er
*) 2ope, S. 25. — 3'^ ben angeführten ^Sorten hat 8ope freilidh nur bie
3te[thetifer bi§ auf Seffing im Stuge; ba§ ber ©ap inbeffen audh in iRütffidht auf bie
©pöteren roahr ift, ausgenommen hö^ftenS bie ftrengeren SSertrcter ber ©chute §er=
bartS, ergibt ficf; au§ bem ganzen erften Sönche oon Sope’S „©efchidhte".
**) §omer, Obpffee 12, 39 ff.
***) Enc. 9, 33.
®ie (ärfenntniß frf^öner ®inge ift gemipringenb.
49
■ilßreiS beineg ®Iauben§ ift bein @ott; iljn inirft bu befit^en, er felber
raiil ber Soljii berer fe:)n roeldfe i^m bienen, ©c^auet vingg ntn eucf)
l^er, (^bi^ificn, baä ganje gefdjnffene Uninerfnm an, .'pimmel, ($rbe, ÜJteer,
nnb 5nte§ mag i^r fe!^t nm i^immet, unb anf ber @rbe, nnb int ?0teere :
roie fdjön ift Sttteg bag , tnie beronnbernnggtunrbig, roie entfprecf)enb nnb
angenieffen eingerichtet! ©rgreift euch f^renbe nnb 33erminbernng bei
biefetn 3Inbücf? Ot)ne 3TOcifet. Sfönrnm? 2öeit bag Uninerfnm
fd)bn ift. 3Iber mag ift bann ber, roetcher eg ing ®dfet)n rief! 3^)r
mürbet non ©innen foinmen, gtanbe idj, roenn it)r bie ©dfönheit ber
©ngel fäbet. 3(ber mag mn§ bann ber ©diöpfer ber @nget fepn!
0 .'pnbfndft, mag fnnn bir genug fepn, menn @ott fetbft bir ni^t
genug ift?" *)
30. 35>eniger Uar nielleicbt, atg ber bigfier junä(^ft bernctfidjtigte
allgemeine ©ebnnfe, mag in bcm IBetnnfitfepn ber ÜOteiften bie nähere
23eftimmung hevnortreten, me(d)e im jroeiten Ueberfd)rift biefeg
.tt'apitelg anggebrücft ift; and) in ben roiffenfd)nftlid)en 3(rbeiten ber
netteren 3^it mirb biefc 3_\>ftimmnng, menn mir nid)t irren, minber ftarf
betont. 0agegeit finben mir biefelbe bei Scibnij fdjarf l)ernorgel)oben,
nnb nod) entfd)iebener bei 0bontag non 3lquin.
3lad) Seibnij ift bie ©dfönheit ber 0inge il)re ©olltommenljeit , in=
fofern biefelbe, ba mir fie erfeniten, tittg ©ennjf gemabrt; eben in
biefetn ©ennffe ber fich 3tnfd)annng beg ©egenftnnbeg ner=
binbet, liegt feiner ©rflärnng Si'folge bag 30terfmnl, meldfeg bie ©d)önl)eit
non anberen gennpbringenben ©igenfdjnfteit tmterfd)eibet 4i). 3’^ noller
Uebereinftimmnng hiermit (mag ben !f}uitft betrifft nm ben eg fich bftnbelt),
lehrt ber h^dige fdfön bezeichnet man bngfenige, meldfeg
a n z n f d) a n e n ©entif) bringt" 42).
©ingehenber aber nnb beftimmter fpridft fid) 0hü"^t^§ <^dter ait;
beren 3Seran(affting ang. (5r h^t bort ben ©at^ anfgeftedt : „®er eigenU
li(he ©rnnb ber f^iebe ift bie ©utheit ber ®inge" 43). 0ie brüte ©in^
menbnng hi^^gegen lantet: „dtndf ber Sehre beg 3treopngiten nimmt nicht
allein bie ©ditheit nnfere Siebe in 9(nfprnd), fonbern nnch bie ©d)on=
heit" 44). 3lnf biefe ©inmenbttng ntin antmortet ber heüige Kirchenlehrer
folgenbermafien. „Slllerbingg ift and) bie ©d]önl)eit ©irnnb ber Siebe.
3lber eg finb auch, concret nnb in ihrem obfectinen ©epn genommen, bie
©chönheit nnb bie ©httheit ibentifd); nnr betn 93egriffe nad) nnterfcheiben
fie fid). 0ie ©utl)eit ber ®inge nnmlidf ift jene ®efchaffenl)eit bcrfelbcn,
nermöge bereit fie fidh eignen, ber ©egenftanb beg ©trebeng gn merben:
bartttn mirb jebeg 0ing meld)eg gnt ift, mefentlid) fo befchnffen fepn,
ba^ in bemf eiben bag ©trebeoermögen ©iemtf; finbet.
"') Aug. de Scripturis serm. 19. al. 4. n. 5.
Sungmann, SCeft^etif. 2.
4
50
Sa§ SSSort „fc^ön" na^ feiner etpmologifd^en Sebeutung.
gegen ein S)ing fc^ön ift , mufe e§ roefentüc^ jo kj(^affen fer)it , ba§ ba§
©trebenermögen @enu^ barin jinbet, ba§ roir e§ anjd^auen ober
erfennen. ®arum fielen au^ non unferen ©innen jene norjuggroeije
jur ©c^ön^eit in Sejiejiung, burd^ bie n>ir nor^uggroeife erfennen, ba§
Singe nämlic^ nnb ba§ OI)r injofern fie ber SSernunjt bienen; jid^tbare
2)inge jinb eg ja befanntlid^ nnb ^öne, benen man ©d£)ön^eit jujujd^reiben
pflegt, roälfrenb man ben Objecten ber anberen ©inne biejen SSorjug
nidft jujpri^t; einen ©ejd^madf ober @erud^ nennt niemanb ,jdf)ön‘. @g
tritt mitlfin in bem ^Begriffe ber ©d^önfieit ju jenem ber ©nt^eit ein
ijJderfmat Ijinju, eine geraijje 23ejie^ung beg Oingeg nämtidl) jum ©r^
fenntnijfoermögen ; ,gut‘ ^eijjt ein Oing, injofern einjat^ eg jelbjt bem
©trebeoermögen angenelfm ift; ,jd)ön‘ I)ingegen, injofern jdlion feine
bloßc ©rfenntni^ (bem ©trebeoermögen) angenelfm ift" 45).
SBie in bem in ber oorigen Sfummer be^nbetten allgemeineren ©es
banfen, jo ift auc^ in biejer neueren SSeftimmung beg ©enujjeg ben jc^öne
©rjctieinungen nng geroölfren, eine O^tjad^e auggejproi^en n3etd^e ber
inneren ©rfaffrnng angelfört. Oieje Ofiatjai^e mag freitid^, roie roir
jdfon jagten, in bem Seronjftjepn SSieter faum Iferoortreten ; burd^ einen
eigenttidjen Seroeig tagt jie ji(^ ^ier nod^ nid^t roeiter jejtjteHen; aber eg
bürfte roo^I audt) jdiroerti^ jemanb ilfr jeine SInerfennung gu oerjagen
geneigt jepn, ber übertfaupt im ©tanbe ijt, bie SSorgänge beg inneren
ßebeng mit einanber gu oergleic^en, nnb über i^re eigentpmtic|e 33es
jdfajjen^eit gn urt^eilen.
§. 2.
fine ^\)pot^efe ber ^pradflorffftung «6er bie fitjmofogie bes gSortes
ttfs weitere pefiätigwng ««fers §tt^es.
31. SBenn übrigeng, roie roir oor^er bemerften, bie gide^t !§eroors
getfobene nülfere SSejtimmung beg ©enujjeg ben bie ©d^ön^eit geroä!§rt,
gegenroürtig jetbjt oon ber beutjdien 2Bijjenjdt)aft roenig berüdfjicfitigt gu
roerben jctieint, jo fann mon bag nm jo aujfadenber finben, alg, einer
jeljr begrünbeten ^ppotljeje ber ©prac|forjd)ung gujolge, gerabe bie beutjd^e
©prad^e in bem 2öorte „j(^ön" eben bieje ißejtimmung on erjter ©teile,
nnb unmittelbar jogar bieje adein, gum Slugbrudt bringt. roeldlier
Söeije?
,,©(bön" ^ei§t mittet^odf)beutj(^ schoene (aud^ schöne), alf^odfibeutjd^
seöni unb scaoni, got^i jd) skauns*). Oie gemeinjame 2BnrgeI aller
*) asgl. gJtüUer unb ^arnde, 2KitteIbocbbeutfcf)e§ StBörterbmb (1866). ©d^abc,
2tltbeutfd)e§ SBörterbucji (1866). ©iefenbad^, SSergtcicbenbeS Sßörterbuc^ ber gotbi=
fc^cn ©prndf)e (1851).
®a§ 2Bort „fd^bn" nad^ feiner etpmologifd^en Sebeiitnng.
51
biefer 2©örter i[t ba§ tubogermaiüjdfe skav, raelc^eS in bern a(t^od)beutfc^en
scawon ober scauwon (mittd^odjbeutfc^ schomven, got^ifdj skavjan^
„am beutüd)[ten oovliegt", unb beffen „®runbbebeutung im beutfc^en
SBorte ,f(^auen‘ erhalten i[t" *). Ser llmj'tanb , bafs |ic^ in ben ange=
füljrten Stbjectioen {schoene n. f. ro.) ber 23nd)[tabe n [inbet, roetc^en
bie ent[pred)enben ^eiii^örter {sclmiwen u. f. ra.) nic^t ffaben, tä^t [i(^
gegen biefe SIbleitung t'einegroegS gettenb madjen. Senn bie ©infdfiebung
eine§ jolc^en n finbet ji^ in ganj gteidjer 2Bei[e bei fröne (Stbjectio,
= mag bem §errn get)ört, xopiaxoc) oon frö (^err) nnb frowe ober
frouwe (f^ran, domina)\ bei grüene oom al)b. gruoan, m^b. grüejen
(grün raerben) ; bei dienen non diu (leibeigene ÜRagb).
Sag angefütirte inbogermanifdje skav brndt, roie bie oon d)m [taim
menben, gleidjfatig fd)on genannten 3^’d^’örter, bng bebäd)tige ©e^en
ang, bag 95 er m eiten beg 2tngeg bei einem ©egenftanbe **) : eg i[t,
ganj mie unfer „fdfanen“ ober „anfdiauen", fooiet mie „befetfen", „be=
tradjtenb anfetien", tateini[c| considerare, contemflari, speculari. Siefe
tBebeutnng tritt and] in ben raeiteren dbteitnngen ganj offenbar fjeroor:
roie (atttfoc^bentfd)) scawida ober scaiiwida Setradftung, scawöd 2tn=
fdianung intuitus, scawunga („©dfauung") 93etrad)tnng , tat. conside-
ratio, contemplatio ***').
©oraie nnn ber in skav no(^ attgemeine nnb meitere 23egriff in bem
gottfifdfcn us-skavs ober skaus {caidus oorfidftig) fid) oerengert,
inbem jn bem generifdfen „©dfanen" bag iD^erfmat ber ©orge (95orfid^t)
^injutritt: ebenfo oerengert fidj in bem gottjifdfen skauns (fdfön) ber
nämtidje attgemeine 23egriff na(^ einer anberen Ütic^tnng ; eg oerbinbet fic^
nämti(| mit bemfetben bag iSierfmat ber tßefriebignng, ber g-renbe,
roet^e bag ©c^anen geroiitjrt t). Skauns nennt man bag, mag mit
35ergnngen gefc^ant rairb.
3n biefem tRefnttate ber ©prad)forfdfung tiegt offenbar eine be=
a^tengraert^e ®eftätigung beg ©a^eg, ben mir in biefem jtapitet be^an^
betn. Sie germanifdjen ©prad^en brüd'en, nm ben ^Begriff ber ©d^öntfeit
ju bejeidfinen, eben feneg ilRerfmat biefer 33efd)affent)eit ang, bng nn ber=
fetben am ftarften tferoortritt, nnb bnrdj metdjeg mir Stfomag oon 2Iquin
unb ßeibnij i^r eigenttidfes SSefen djarncterifiren Ijörten. Senn „fdfön",
schoene, scaoni, skauns, t)ei^t ein ©egenftanb in fofern, atg „eg nng
©ennff bringt i'^n ju erfennen, unb in feiner Slnfdjanung jn oermeiten".
*) 6urtiu§, ©runbjüge ber griecfjifcben ©tpinotogie (4. Stufl. 1873) ©. 97. 151.
**) 6urtiu§, 0. a. O. ®. 98.
***) 5ßgl. @(babe, 3ütb. SBörterbutb.
t) 2tad^ (5urthi§, a. a. O. 0. 98.
§miUx
Bte (15tttl)ett^ btc £tebe, unb ber (öenu^.
32. „fine vorläufige Gi^aracteriftif" ber e-c^ön^eit rooUten roir
geben, inbent mir fene brei ©ä^e auSfü^rten roeldje ben be§
üor'^ergebenben 2lbfdjnitt§ bilben. ®enn ba§ SBefen ber ©cbön^eit
genau ju beftimmen, bajn genügen biefe ©ä|e freilid) noc^ feine§=
raeg§. fann fic^ aderbingS roie eine S)e[inition augne^men, roenn
mir, ben im letzten Jlapitel angeführten ©ebanfen oon Seibnij unb
bem hetzen ©houtaä entfpredienb , fagen, bie ©d}önheit fep „jene 23es
fchaffenl)eit ber ®inge, vemnöge bereu biefelben, nur infofern mir fie
betrachten, un§ gefallen", ober „vermöge bereu ihre ©rfenntni§, an unb
für fidh unb ohne jebe onberroeitige Dfiüdfi^t, un§ ©enu^ gemährt".
2lber eine volle flare ©infidjt in ba§ SBefen ber ©chönheit fönnen un§
biefe SSeftimmungen hoch nicht vermitteln. 3^tnter erhebt fith ihnen gegem
über bie f^rage; morin befteht benn fchtie^lich iene 33efchoffenheit ber
®inge? maä ift biefelbe ihrem eigentlichen SBefen nadh? mar um ge=
mährt fd)Ou bie blo^e Slnfchauung ober ©rfenntuif? fchöner ®iuge un§
©euup ?
©§ ift intereffant ju hören, in melcher Steife nach So^e’§ ©arftellung
für bie bentfch^ iph^^öfophie , nad) 2lllem unb tro^ Slllem mag für bie
5lefthetib Saumgarten, SBinfelmann, ßeffing, .^ant, §erber unb ©chiller
geleiftet hatten, bejügtich beg Söefeng ber ©chönheit bie f^ragen biefer 2lrt
fid) hnnften. ®ie' ©rörterungen ber ©enannten inggefammt „fprai^en
jmar von einem ?dtaafeftabe in ung, an bem gemeffen bie eine ©rfchei=
nung fchön, bie anbere h^M^ mirb; aber bie döatur biefeg ilJlaa^ftabeg
unb ben Inhalt feiner f^orbernngen gaben fie nid)t an. döur barin
maren fie einig, ba^ fie ihn nicht in bem fuchten, mag nur bem eiujelnen
©eift in feiner ©injelheit nnb 9Seränberlid)feit gufommt, fonbern in irgenb
einem beftänbigen 3nse ber allgemeinen geiftigen Organifation , bie fich
SRotl^roenbigfeit ber junäd^ft fotgenben Unterfud^ung.
53
in allen ©injeinen mit g(eid)förmiger Stntage, oBraotjt nic^t mit gteidjer
^einf)eit ber (Jmtmidetung raieberI)ott.
„5tber jetbit über ben 2Bert^ biefe§ Sttigemeinen büeb 3ii>eifel. 2Bar
e§ am (?nbe nid)t bod) nur bie atigemeine 23efd}ränft^eit be§ menjc^Iid)en
@eifte§, roetdje bie 23ebingungen für bie (f-mpfinbung ber ©c^önt)eit er=
jeugt? fo bajf nid)t mir niebere ©efc^öpfe, fonbern auc^ pfjere ©eifter
be§ @efüf)t§ für fie entbetjren, unb 2ttte§ roa§ mir unter bem itfamen
ber ©d)önt)eit neretjren, üfmlid) raie ber ©tanj be§ iÄegenbogenä , eine
nur für beftimmte ©tanbpunfte ber geiftigen ©ntmid'elung norfmnbene
©rfc^einung ift? tiefer ©ebanfe gefit auggefprodfen unb unauSgefprodjen
üielfad) biird] bie Unterfudjungen ber t)ort)er genannten
unbefangenen ©efüfite eutfpridjt er fel)r roenig; ftet§ roirb biefeS feine
eigene Snft an ber ©djönl)eit burd) ben 9ladjmei§ ju red)tfertigen fndjen,
ba§ raa§ un§ begeiftere, entfpredje einem ntfgemeinen 23ebürfniffe alter
©eifterroett, unb fd)ineid)ete unä feine§meg§ nur burdj eine befonbere
:f!iä)tbred^ung, bie unferm befc^rünf'ten ©inne raot)ttt)ue.
„3lber aud) ba§ ©elingen biefeg itiad^meifeg mürbe un§ nid)t uötlig
befriebigen, fonbern ein jmeiteg SBebürfniff meden. ®enn and) fo märe
bie ©d)ön!^eit nod) nii^t ju bem i)ied)te gefommen ba§ mir für fie be=
getjren: fie märe jmar ein allgemeiner ©diein ben bie ©)inge für alte
©eifter merfen; aber mag märe fie für bie ®inge fetbft, atg bereu 2}er-
bienft unfer unmittetbareg ©efütjt fie bodj ju oere'^ren liebt? ©d)eiuen
ber ©eiftermelt bie ®inge fd)ön nur burd) einen für biefe fetbft gteid^=
gültigen ©igenfc^aften, unb oiet=
leicht bie unbcbentenbften oon aUen, in günftige 23ejie!^uugen 511 ber auF
faffenben St)ätigfeit ber ©eifter bringt? ermed'en bie ®inge gteic^fam
nebenher unb im SSorüberftreifcu in ung ben ©inbrud ber ©d)ön!^eit,
nid)t burd^ i^re mefenttid)e itlatur, fonbern burd) irgeub einen 9iebenjug,
ber für fie bebeutunggtog ift, aber ung motjltl^ut, ober burd) irgeub eine
5U ung eingenommene oeränbertid)e ©tettung, bie ot)ue Söertf) für i^re
eigene ©ntmidetung, aber günftig ift für bie ©rregung unfereg SBefeng?
unb ift eg enbtic^ t)ier biefer bort jener morauf fotd)ergeftatt bie
©inbrüde ber oerfd)iebenen ©c^önt)eiten beru^^en, inneren
3ufommenbang, unb ot)ne nubere atg biefe formale 3lel)ulid)feit , eben
biefe S;l)atfad)e einer augenblidlic^en 'Uebereinftimmung beg ©inbrudeg
mit ber auf il)n martenbeu ©mpfängtid)feit ju erzeugen ?" *)
©hier fo üielfeitigen Uufic|erl)eit in lRüdfid)t auf bag SBefen ber
©c^on^eit, mie fie £ol^e in biefen f^ragen d)araeterifirt, mürbe bie neuere
if3!^itofopl)ie fidier nii^t an^eimgefatlen fepn, menn fie etmag meniger
©elbftgefil^t gel^abt, unb fi^ l)ätte entfd)tief)en fonnen, auf beu g-unba;
*) Sope, ©. 114 f. (ditirt 18.)
54
5Rot^roenbigfeit her junäd^ft folgenben Untevfud^ung.
menten raet(i^e l^ernovragenbe 'üJtetfter früherer SeteQt/ tüftig meiter
gu bauen, ftatt biefetben ju ^erftören unb 2lße§ non ®runb au§ neu
ma(i^en ju motten. ®enn roa§ mir im britten Kapitel be§ erften 2Ib=
fcbnitteg non bem l^eiligen ^!^oma§ gehört, ba§ entplt ja bereits auf
atte jene — für eine SSiffenfd)aft bie me^r benn jmei ^^^i^taufenbe
jünger ift al§ @ocrate§, mal^rlii^ nicfit e^^rennotten — f^tagen bie be;
ftimmtefte Slntmort.
33. ttlur @in 23ebürfnip unfereS @eifte§ mag aud^ burc| bie 2luf-
fd)tüffe beS i?'irc^entef)rer§ attein nid)t ganj befriebigt erf(^einen.
Sol^e gibt bemfelben StuSbrucf menn er, batb nad^ ber oben angeführten
©tette, fagt: „9iidht in nerfd^iebenen f^ätten möchten mir bie ©dhönheit
non nerfdhiebenen @rünben, fonbern in otten non ©nem unb bemfelben
©runbe he^leiten, ber nur reidh unb biegfom genug märe, um in unzählig
mannichfaltigen Unterfdhieben immer berfelbe ju fepn.“ Slngebeutet freilich
ift in ben Sßorten beS 2;homag auch „(Sine unb berfelbe
(Srunb" : aber nidht mit fo tlarer Ißeftimmtheit , ba^ bie furj gefaxte
Belehrung, meldhe S^h^tnag überbieg nur gelegentli^ gibt, für fidh attein
genügen fönnte, ung bag SBefen ber ©dhönheit mit notier ^unertöfjigMt,
unb fomeit es angeht erfdljöpfenb, erfennen ju laffen.
Offenbar finb mir, infofern mir hierzu gelangen motten, barauf am
gemiefen, jene Seftimmung meiter ju entmicfeln unb ju nertiefen, bie mir
am ©dhtuffe beg erften 2lbf(hnitteg gemonnen, unb in ben jmei oben
(©. 52) gegebenen Slugbrücfen für bie ©dhönheit jufammengefnßt hoben.
Um bag mit ©rfolg thun ju fönnen, ift eg aber unertäjjlich , bap mir
junodhft eine Unterfuchung anftetten über bag SBefen beg ©enuffeg,
unb bie nerfd)iebenen 3lrten beftimmen, meldhe unter biefen @attungg=
begriff fallen. §at hoch felbft ©chitter erfannt, ba^ bie f^ragen ber
Slefthetif ohne „eine bünbige 33ergnügeng" fidh beant:
morten taffen*), „©ine bünbige Oheorie beg SSergnügeng" aber fe^t
ftare unb ridhtige 2lnfchauungen über bie Siebe unb bie ©utheit ooraug.
©ine Unterfuchung über biefe ')?unfte bilbet be^h^lb ben 3“^ott ber ju=
nächft folgenben j?'apitet.
*) SBgl. ©dritter, lieber ben ®rimb be§ 23ergnügen§ an tragifdlien ©egenftänben.
(SBerfe, ©tnttgart 1836, Sb. 11. ©. 511.)
©rftc# Kapitel.
Bit ® it 1 1) E i t.
55
§. 1-
3>tc ^ut^cil im Affgemeinen.
®er leiste ©runb jeber £icbe ift bie iebev ftvebenben 3iatur anaidjaffcite 2iebe
jit fid) felbcr. Definition ber ©ntijcit, nnd) 5(viftoteIe§ nnb 'itjoma§ non
Üiqnin. i)fid)t ber 23egriff bev ©ntf)cit, aber ein ioefentnd)eö 9Jlerfinat
berfetben , Hegt in ber U e b e r e i n ft i m m n n g ibre§ 'irngerS mit einem
ftrebenben 35>efen.
34. ^ie jebem @efd)5pfe ba§ er in§ Seben rief, fo ^at ©ott auc^
ber fflntur be§ Dienfdjen eine mit if)rem innerften Ü9efen nerroaebfene
©runbridjtung auf fie fetbft eingepffnnjt, eine Denbenj ober einen nn=
übern)inb(i(J)en S^anQ, eine innere ‘'Jiötbignng, oermöge bereu fie fidf fetbft
nnb ifjre nllfeitige 35otIenbung, i^re ©tüdfetigfeit , unauägefebt unb
babituelt fo ju fagen befabt, biefetbe fooiet an if)r ift, beftnnbig geroiffer=
tnaben febt, nnb loie bnrib ein unroiberftebtidfeg ©eroidjt gejogen, fid)
511 berfetben immer unb unter atten Umftänben neigt unb t)inbrängt.
itJiit anberen SS^orten; ber itJfenfd) tann nid^t anberd, at§ fid) fetbft
tieben; benn mit bem ®orte „Siebe" ©prad)e eben bnd 2©efen
ber bejeid)ueten ©rnnbridftung nnferer diatnr bejeiebnen motten, ^eber
ftJi'enfd) tiebt ficb mit einer 5Jlott)roenbigfeit , roetd)e in bem SBefen feiner
iRatur Hegt, unb er mürbe nur bann anfbören, fid) jn tieben, menn er
oufbörte, ju fepn. Unb biefe Siebe be§ i)Jfenfd)en 511 fid) fetber ift bie
augfdbtiebtid)e ÜSnrjet, oon meteber atte ®trebett)ätigfeiten bereu er föt)ig
ift, anggeben; fie ift bie 33ebingnng, ohne metd)e feine eingige Strebung
in ibm entfteben fann; fie ift ber teilte ©runb, auf metdfen fnmmU
ti(be 9tenf)erungen feineg Strebeoermögeng fid) gurücfbegiet)en , unb oon
roetdfem getoft feine meitere Siebe, and) nid)t bie „nneigennübigfte" nnb
fetbfttofefte, fein Sertangen, feine .^offnnng, fein Sebmerg, fein .'»paf;,
feine '5iird)t, feine grenbe benfbar ift. ®od) mir mottten oon ber Siebe
erft in einem fpöteren Änpitet bnnbetn; bitm ffdte gniüid)ft oon ber ®nU
beit bie 9febe fepn.
95?ag ift bie ©utbeit, bag t)Et[5t ©igentbümtid)feit ber Dinge,
um bereu mitten mon fie atg „gut" begeidbnet? Dag eben d)aracterifirte
ung anerfdbaffene Streben, beffen nncbften ©egenftanb nnfere eigene iRatnr
unb bie 93ottenbnng berfetben bitbet, mnf! fi^ natnrgemfifg auf atte fene
Dinge ansbebnen, metdfe eine 9?efd)affeni)eit geigen, oermöge bereu fie
56
Sie ©utl^eit im SlHgemeinen.
feiner natürlidjen 9lid)tung entfprec^eii unb gteii^fam innerl^atb berfelben
liegen, ober oermöge beren fie e§ unterftül^en , unb bie ißerrcirflid^ung
feines begünftigen. alfo, baä ift bie 2lntraort auf bie
eben ausgefprodjene fyrage, infofern ein ®ing ber ©egenftanb unfereg
©trebeng roirb, ober baju anget^an ift eg ju werben, in fofern nennen
wir eg „gut", ©oinit ift bie @ud^eit ber ®inge jene ibte iBefcfiafi
fenl^eit, oermöge beren fie fid) eignen, ber (^egenftanb beg
©trebeng ju iuerben46).
35. ®iefe ©efinition erfldrt freilich bag eigentUdje SBefen ber ®ut=
lieit nid^t erf^öpfenb ; fie dbaracterifirt baffelbe nur burd) feine Sejie^ung
gur 2;^ötigfeit beg ©trebeng, inbem fie eg alg ben eigentlidien unb ein=
jigen ©egenftanb berfelben bejeii^net. Slber biefeg Sföefen oottftäubig ju
buri^fd^auen, unb eg unmittelbar, unb unabhängig oon jener iBejieliung
auggubrüden, bag ift ber menfdjlidhen Vernunft nun einmal nidjt gegeben.
3nbef3 finb mir bodj im ©tanbe, nodh einen fleinen ©dhritt roeiter gu
thun, inbem mir bie „33efd)affenbeit" um bie eg fidh b^nbelt, nähei^
beftimmen.
®er erfte, unb ber eigentliche ©egenftanb unfereg ©trebeng ift, roie
mir gefügt haben, je unfere eigene Statur, unb beren SSotlenbung; in ber
ung anerfdjaffenen Stöthigung oermöge beren mir ung felbft lieben, grüubet
barum jebmebe 2leufjerung unfereg ©trebeng irgenb einem ®inge gegen=
über: unb eg ift feine Siebe benfbar, meldje oon biefer Siebe unfer felbft
unabhängig unb gelöft märe. ®araug folgt aber, baff fein ®ing bag
Dbject unfereg ©trebeng werben fann, weld)eg uidht in irgenb einer äSeife
©ineg ift mit nuferer Statur; ober anberg, bag nidht unferer Statur
gegenüber, in irgenb einer SBeife, in ber 2Segiehung ber Uebereim
ftimmuug fteht. „^ebeg Söefen", lehrt ^honmg oon Slquin, „ridhtet
naturgemäß fein ©treben unb feine Siebe auf fidh felber, unb auf bag
wag ihm gut ift. Stun gehört eg aber gum SLßefen ber Siebe, baß,
wer liebt, fein ©treben auf bag ridf)te, wag gut ift für ben ©egenftanb
feiner Siebe. ®araug folgt, baß ber welker liebt, mit bem ©egenftanbe
feiner Siebe in irgenb einer Sßeife ©ineg bilben muß" 47).
SSir fönnen hiei'nach bie oorßer gegebene Definition in biefe anbere
umwanbeln: „Die ©utheit ber Dinge ift ihte Uebereinftim=
mutig mit einem anberen SSefen, infofern fie baburdi) fidh
eignen, für biefeg ber ©egenftanb beg ©trebeng gu fepn."
©ingehenber begrünbet haben wir bag h^^i^ ©efagte in ber 2lb;
hanblung „Dag ©emüth, unb bag ©efühlgoermögen ber neueren ^fpcho-
logie", dt. 16 f. 22 ff,, auf wellte wir hiwoiit oerweifen.
®ie innere ©ntrjeit.
57
§. 2.
3>tc inttfrc
I.
?(fle ®inge i«eld}e bem uevnünftigcn @eifte gegenüber in ber 33c3tel)ung ber
tbjatiöcblicijen llebereinfttmmnng ftefjen, finb eben baburd) natnrgemnji ber
©egenftanb feiner ^iebe. Sind) unpeijönndje ®inge fönnen (Jigenfdjüften
l)nben, auf ineldjc fid) bie be3eic^nete 33ejief)img grünbet. Definitionen
für bie innere ®ntf)eit.
36. 2-Ifir '^aben jroei Definitionen ber @nll)eit im 2fllgemeinen ge=
geben, in bereit jineitev übrigeng bie erfte nad) einer geroiffen Seite mir
roeiter entmidelt roirb. ift jebt not^roenbig, baft mir bie brei be=
fonberen 9büdfid}ten in§ 2bnge faffen, unter meldten bie Dinge fidj eignen
fönnen, ber ©egenftanb unferg ©trebeng jn fegn, unter meldjen fie
barum, aber je in oerfd)iebenein ©inne, afg „gut" bejeidjnet jn merben
pffegen.
iBJenn eg roaf)r ift, mag mir in Uebereinftimmung mit ber ßelfre
beg 3triftoteteg nnb beg Zeitigen Dtjomag anggefproc^en tjaben: baff nämtid)
bie unferer 9catur anerfd)affene ßiebe 51t fid) felbft bag i^rincip, bie
SSurjel, bie mefentlid)e ißebingnng, bie beraegenbe ©rnnbfraft bitbet in
jeber nnb in alten ©trebnngen bereu mir fiitjig finb; bann mufj eben
biefe Siebe unferer fftatnr ju fid) felbft ol)iie nberaug ftarf,
überaug lebenbig, mtrffam, energifi^ fepn. 3®er bag bebenft, ben mirb
eg nid)t munber nehmen, menn mir meiter folgern : Üöeil mir notnrgemäft
unfer eigeneg SLSefen lieben, borum richtet fidj natnrgemäft unfer be;
ja!§enbeg ©treben, unfere Siebe, ouf alle Dinge, in meld)en mir SBorjüge
unfereg eigenen SSefeng ma!^rnel)men , — meld)e fid) ung barftetten olg
mit unferer Statur tl)atfnc^li(^ übereinftimmenb, afg nng äljntid), alg ü)rer
gorm nnb 23efcbaffent)eit nad) ibentifd) mit nng, alg unter biefer fRüd=
fidjt gemiffermapen (Sineg mit ung.
Diefe 2Bal)r^eit l)at bie SBiffenfc^aft non Sllterg !^er getel)rt. „^egtidj
Söefen liebt, mag il)m äl)nlid) ift," tefen mir im 23ud)e ©irad) (13, 19);
nnb nadb Striftoteleg „freut Sltleg fid) beffen mag il)m gleitet, nnb ift
barnm bem SOtenfdjen ber SStenfc^ bag Siebfte" 48). ’lcrö-r|C
„©leic^^eit ift Siebe," tautet ein gried)ifd)eg ©prüd)mort, bag gleicl)fallg
Slriftoteleg anfül)rt*). iptato aber tüfet in feinem Dialoge „lieber bie
f^reunbfd)aft" ben ©ocrateg ju Spfig nlfo fpred)en: „Die Dichter, menn
id) nid)t irre, fagen;
*) Arist. Ethic. Nicorn. 9. c. 8.
58
®ie innere ©utl^eit.
^rniner führet ben @Ietcf)en ber @ott jum ©letd^en, unb tä^t fie
Äennen lernen einanber . . .
Unb ift bir nic^t berfelbe ©ebanfe au^ fd^on in ben ©c^riften ber Sßeifen
begegnet, ba^ namüd; jebe§ SBefen naturgemäß ba§ lieben muß, mag ißm
äßnU(^ ift?" 49) iIJiit 2IriftoteIe§ unb i]}Iato ftimmt ©icero überein:
„iRid^tg fd^üngt bag 53anb ber Siebe fefter, alg bie Harmonie ebter ©eeten.
®enn raeit fie einerlei Steigungen ßaben unb gteid^eg ©treben, barum
liebt feber ben anbern ganj roie ficß felbft; unb eg tritt bag ein, roag
ip^tßagorag alg bie SSollenbung ber f^reunbfctiaft betrad^tete: cg mirb
ang mehreren ©iner" 50). 33ei ißoetiug enblid^ §eißt eg : „SSerfc^iebenßeit
ftößt immer ab, 2leßnlicf)feit jießt an. Unb rao immer ein Söefen non
einem anbern angejogen mirb, ba fteßt eg offenbar mit bemfelben in bem
SSerpItniffe natürlidjer Uebereinftimmung . . . Sldeg ftrebt bem ju mag
ißm gleicht" 5i).
37. 2lber gilt ber ©aß ben mir ßiermit feftgeftedt pben, nur in
DUidfidjt auf nernünftige SBefen, ober ift berfetbe aud^ map, toenn eg
fp um unperfönlicße, rein förperlid^e ®inge ßonbett? Sßenn mir be=
roeifen, baß nicfit bloß nernünftige Sßefen, fonbern oud^ förperlpe ®inge
bem' erfennenben ©eifte gegenüber in bem 25erpltniffe ber tptfäc^tidtien,
actueClen Uebereinftimmung fteßen fönnen, bann mirb bie Slntroort auf
biefe ffirage npt mep jmeifelpft fepn. ©g ift aber npt fd^roer, jenen
SSeroeig prjufteKen.
®er 2lrt unb bem äöefen nad^ ganj biefelbe, roie fie jroifc^en bem
nernünftigen ©eifte unb anberen glei(^artigen äßefen beftep, fann freilich
bie Uebereinftimmung jroifclien jenem unb rein förperlicßen ©ingen nipt
fepn. ®enn gleidliartige ©ubftanjen finb einanber „äplidl)" in bem
notlen ©inne biefeg SBorteg: bag pißt eg finben fid^ geroiffe SSorjüge
in ber einen, nnb eg ßnben fic^ ber Slrt nad) bie nämlidben SSorjüge,
mepere berfelben ober aip nur ©iner, gleii^fallg in ber anberen 52). —
®ag, jagen mir, ift, too auf ber einen ©eite ein oernünftiger ©eift, unb
auf ber anberen ein förperlpeg ®ing ftep, ni^t möglid^. Slber roenn
bie förperlicben 5)inge berfelben ©igenfdliaften , mie bie geiftigen ©ub=
ftanjen, aucß nidlit tpilßaftig fepn fönnen, fo finben fidl) bodb in ben
©rfteren mancbe SSorjüge, n)elcbe mit ben ©igenfdbaften ber geiftigen
äßefen geroiffermaßen in ^Proportion ftepn, unb alg eine 2lrt oon ©opien
berfelben in nerjüngtem SOtaaßftnbe erfcßeinen, infofern fie ipen analog,
unb fo ju jagen parallel finb 53). ©o ift in ber piligen Saufe bie
Slbroafcbung beg Seibeg mit Sßaffer bag ooüfommen entfpredlienbe
ber Sßirfung biefeg ©acramentg; benn gleicßraie bag SBaffer bie frieden
beg Seibeg, fo tilgt in bem ©acramente bie ©nabe bag, mag bie ©eele
unrein mad^t, bie ©ünbe: eg beftep alfo jroifctien ber materiellen Steinü
®ie innere (Sut^eit.
59
gung burc^ SBafler itnb bev geiftigen SBtrfvtng bev ©nabe Uebereinftim=
mung unb rcal^re 3(el^nlic^feit, roemt and) nur jene ber Slnalogte 54). Unb
roenn ber ^eUige ©eift in ber ©eftalt non Si^^gen au§ f^euer über bte
Slpoftet fotnmen, am ^orban bagegen mte eine 5;aube l^erabfteigen rooltte ;
roenn 3^l)ona bem ^rop'^eten auf i^oreb feine gnabenreid)e iUcifje offem
barte burdj ba§ ©üufetn fanfter Suft (3. ^lön. 19, 12); röenn 3ol)anne§
in ber gel)eimen Offenbarung (5, 6) ben ©rtöfer nor bem Ob^one ©otteä
fteben fnl) unter ber ©rfdjeinung eine§ Samme§ bag gefcbladftet ift : bann
mar ber ©rnnb, metdber bie 2i'af}l biefer oerfd)iebenen Silber beftimmte,
fein anberer aB eben biefe Slnalogie , biefer if3aralleli§mug , jmifdjen ben
befonberen ©igentbümlidbfeiten ber genannten förperlidjen Oinge einerfeiB
unb ben rein geiftigen ©igenfd)aften ober SBirfungen ber göttlid)en ^)5er:
fonen anberfeitg, roeltbe burd^ fene uerfinnlidbt, bargeftellt merben follten.
^n biefer Sileife fann mitbin ba§ Äörperlidje ein mehr ober minber uoll'
fommeneg Silb be§ ©eiftigen, mit biefem ,,©ine§" fepn nnb in lleber-
einftimmung fteben; ber ©eift fann barin fid) felbft roieberfinben, infofern
er an bemfelben, mebr ober roeniger auggeprngt, feine eigenen
erfennt.
3lber nod) eine jroeite Sejiebung ber Uebereinftimmung jmifdjen bem
©icbtbaren nnb bem llnfidjtbaren müffen mir bernorljeben. Oaä SSerf
gibt immer feinem ilJfeifter, in ber SEirfung erfdfeinen notb=
raenbig bie ©puren ber Itrfacbe roeldje fie fetzte. ©§ roirb alfo and) ber
©eift in bem ^örpertid)en fid) felbft finben, Uebereinftimmung mit feiner
eigenen 9fatur barin roabrnebmen, fo oft fid) bag Sefetere bnri^ irgenb
eine befonbere Soltfommenl)eit nnjroeibeutig genug aB bag 2Scrf beg
oernnnftigen ©eifteg funbgibt. „^ene älUrfungen roelcbe einer nieberen
Orbnnng ober 31rt angeboren, aB il)re Urfad)en, b^ben mit biefen bag
SSefen nnb ben iHamen nid)t gemein: aber eg roirb jroifcben beiben notl):
roenbig immer irgenb eine Uebereinftimmung beftel)en. Oenn eg liegt in
ber 9fatur ber 2;bätigfeit, baf) bagfenige mag bnrd) bag tl)ätige ')3rincip
gefetzt roirb, bem SEefen biefeg Set^teren äl)nlid) ift." ©o ber l)<^ilisc
Obomag 55).
©g ift fomit geroif): nid)t bto|) unter ben mit Sernunft begabten
SSefen, fonbern and) jroifcben biefen nnb rein förperlid)en Oingcn fann
bie Segiebung ber roirflicben, actuellen Uebereinftimmung befteben, unb
beftebt biefetbe tbatfäcblidb überaiB oft, — um nid)t gu fagen immer.
Sind) auf biefe roirb fit^ nntf)in naturgemaf) nufer befabenbeg ©trcben,
nufere Siebe rid)ten, fo oft roir bie Uebereinftimmung roabrnebmen: nnb
eg roirb befgbalb unter biefer 9U"icffid)t ancb ben förperlid)en Oingen
„©utbeit" gugefprodben roerben müffen.
38. ©g ift eine befonbere 2lrt ber ©nitbeit, roeld)c roir bnrd) bag
©efagte näber beftimmt b^ben. Oenn feber ©egenftanb roetd)er bem
60
®ie innere Out^eit; jroei ©eftnitionen.
Dernünftigen ©elfte gegenüber in ber Sßejiel^ung ber Uebereinftimmung
fielet, eignet fict) !^ierbnrc^, für ben Set^teren ba§ Obfect feine§ beja^enben
©trebenä gn fei)n, mu^ mithin, bem f^rül^eren (34. 35. 55 f.)
folge, al§ »gut" gelten. Offenbar ift aber ber SSegriff ber hiermit
bejeidineten ©uttieit nerfd)ieben non bem SSegriffe ber ©ut^eit im 2111=
gemeinen, ben ruir in bem oor^erge^enben ^Paragraphen feftftellten : er ift
enger, roeil er ein befonbereS ilRerfmat aufnimmt, bie Uebereinftimmung
be§ Oinge§ mit bem oernünftigen ©eifte; mir fagen barum mit
9techt, ba^ er einer befonberen 2lrt ber ©utheit angetiört.
Ourch roelchen 2tamen roerben mir biefe 2trt jroe(fmäi3ig uon ber
©utheit im 2tllgemeinen unterfdheiben '? OaSjenige mag, inbem fi<h ben
mit unferer 25ernuuft tl)atfü(hlict} übereinftimmenben Oingen unfere Siebe
jnroenbet, ben eigenttidien ©egenftanb biefer Siebe bilbet, ba§ unfereg
©trebeng, ift nii^t, roie aug bem fyrüheren beroorgeht, eine burd) biefe
Oinge ju uermittelnbe Sßirfnng, ober fonft etroag, bag non ihnen felbft
üerfdhieben märe unb außerhalb ihreg Söefeng beftünbe: fonbern ber
eigenttiche ©egenftanb nnb bag tepte unferer Siebe finb eben biefe
Oinge felbft, ihre eigene 23efchaffenheit unb ihr innereg Sföefen. Oarum i
bürfte für bie in dtebe ftehenbe 2lrt ber 2lame innere ©uttjeit j
(bonitas interna) ganj entfprechenb fepu. 2Iu(h atg „abfotute ©utheit" ;
(ho7iitas absoluta) pftegt fie bejei(hnet jn roerben*). Oiefer 2tame
grünbet fidh auf bie gleiche ©rroügung, roie ber erfte: er roid anbeuten,
bap eg nidjt ein 2tnbereg, oon bem Oinge felbft ®erfchiebeneg ift, roorauf
unfer ©treben, inbem eg fich bem Oinge juroenbet, fich eigentlich rietet
fonbern augfdh lieblich bie ©igenthümlichfeit beg Oingeg felbft, für fich
nnb an fid) betrachtet, ©ben barum, unb in bem gleichen ©inne, nennt
man bie Oinge, infofern fie fich ^ur(h innere ©ntheit empfehlen, ,,an
fid) gut".
'^affeu roir hiernach bag ©eroonnene in furge fyormeln jufammen,
fo ergeben fich, ^en früheren 23eftimmnngen für bie „©utheit im 2111=
gemeinen" analog, biefe jroei Definitionen:
Die innere ©utheit ber Dinge ift ihre thatfüchlid;e
Uebereinftimmung mit bem oernünftigen ©eifte, infofern
fie burd) biefe Uebereinftimmung fich eignen, für ben=
fclben bag Object beg ©trebeng ju fepn; ober
Die innere ©uttjeit ber Dinge ift jene ihre 23efchaffen=
heit, oermöge beren fie fich eignen, felbft unb für fich,
unb nidjt einer bur^ fie ju oermittelnben Söirfung roegen,
für ben oernünftigen ©eift bog Object beg ©trebeng ju
fepn.
*) Petav. de Deo, 6. c. 1. n. 7.
Die (Elemente ber inneren ©nt^cit.
61
II.
Tie Torjüge bcv menid)iidien 0eele, auf @vimb bereit jroifcfjen i()r unb nnbercn
Tiit(]en bie ^ejte^iing ber tf)atläd;(id^en Uebereinftimmung beftcf}cn fnnn.
Tie (Jfcmcnte ber inneren @nt§eit, in perlönüdjcn SBefcn nnb in nit'-
perfönlidjcn Tingen. STHtrum in biefer 5^'agc nidit and) bie ^•ä()igfcit
ber ©ecte , bie i'3efen€form bc§ £eibe§ 31t fepn , in 23etrad)t gezogen
inerben müffe.
39. Tie ilfücfiidjt nuf ba§ roelc^eS roir iin 3(itgc f)aben, mndjt
e§ notfjtüenbig , bafe inir uu§ mit ber inneren ©ntfjeit nod) lueiter bc;
l'djäftigen, unb tljre (5te mente jn beftimmen fnd}en: idj mitt fngen
jene ©genfdjaften, metc^e ben Tingen innere ©nttjeit uerlei^en, ober ben
3tnfprnd) barnuf, für mit 23ernnnft begabte SBefen in ber uorf^er bejeicf):
neten Steife ber ©egenftanb ber lüebe ju fcpn. Tem ©efagten jufolge
finb ©igenfd)aften biefer 3(rt alte biejenigen, burd) metc^e bie Tinge 511
bem erfennenbcn ©eifte in bem 25ert)ti(tniffe ber ttjntfnd)tid)en Uebereim
ftimmnng [teilen. Um biefe ©igenfd)aften bejeidmcn ju fönnen, f)nben
roir folglich bie dlatur unb bie Sorjüge be§ ßet^eren, be§ erfennenben
©eifte§, ober junädjft, ron§ einfnd)er unb jroecfmngiger ift, bie Üßorjüge
unferer eigenen ©eete in§ 2tnge ju fnffen. 25>ir bringen biefetben nm
gemeffen in uier befonbere ©nippen.
40. Tie menfdjUdbe Seele ift
I. eine roefent)afte Äraft, b. t). eine lebenbige, tbntige Sub=
ftanj, bie non innen t)erauä fidj felbft nnb ben it)r gel;örenben fietb be=
roegt; fie ift überbieg eine freie, nnd) eigener 2ßa!)t tbcitige Jbraft.
II. Tie mcnfc|tidje ©eete ift eine unoergnngtidfe, ni^erftörbare
Subftanj; fie trügt in fic^ fetbft bie 3(l)nung it)rer Unfterblictjfeit , bie
entfd)iebenen ®eftimmnng für eroige Tauer.
III. Tie meufdjtic^e Seete ift eine „intedigibte" unb „intelligente"
Snbftanj: b. fj. ein d3efen roetc^eg (geiftig) fid)tbar ift, nnb 3(nbereg
(geiftig) fid]tbar madft, (mit geiftigem Sidjte) er t endetet nnb erlcud)-
tenb; fie ift bett in fid), unb ftrafilt überbieg niig fid) fetber Vidft aug
über bag an fid) Tnidle.
©rftüren roir biefen ©ebanfen fo furj n(g möglid). ©ine unferer
Seete, infofern fie mit t)öberer ©'•rfenntnifdraft begabt ift, ganj eigen=
tbümtidje nnb roefentlid)e Tt)ütigfeit beftef)t barin, baf; fie im ''Iltaterietten
bag 23efentlid)e , im Stoff bie fyorm erfennt, im 3?efonbcren, ©injelnen
bag 3t(tgemeine, im 53ed)felnben unb ilerünbertidjen bag 23tcibenbc, im
finnlid) roabrnet)mbaren Äörpertid)en bag, mag bie finnlid)e ©rfenntnif)
barin nidjt erfaßt: mit ©inem 3Borte, baff fie non bem concreten Sid)t=
boren ben unfid)tbaren 33egriff feineg 3öefeng „nbftratjirt". @g gibt für
62
®ie Sfemente ber inneren ©ut^eit.
biefeä (Srfeunen ber ©eete, für biefe§ geiftige 0e^en, feine geeignetere
3fnatogie, alä bie 'J^tigfeit ber finnü(|en Söal^rnefiniung burc§ ba§
2luge, ober ba§ leiblidje ©e^en. ©oraie nun ein Körper, bamit ba§
Ieibli(^e 2luge i§n roa^rne'^men fönne, fic^tbar, b. i). befeud)tet fepn mufe,
ebenfo ift geiftige ©idjtbar-feit, ©rfennbarfeit, „^i^f^ttigibititüt", eine not^-
roenbige Sebingung, Toenn ein ©egenftanb oon ber 33ernunft erfannt
roerben fott. Siefe geiftige ©id)tbarfeit fiat aber ba§ ^'orperfi^e feiner
9iatur nad) nidit. SBeber roie fie in fid) felber finb, noi^ auc^ raie fie
in ber finnfic^en 3Baf)rne^mung finb, fönnen barum bie förperlidjen S)inge
in ber 35ernunft 33orftelfungen erjeugen: benn ni^t blop in fid), fonbern
audj in ber finnlit^en SBa^rnefimung finb fie nur nad) ber SBeife ifire§
ftofffidjen ©epn§. (5'ä inu^ mithin irgenb ein ifJrincip geben, raefdieg bei
ber ©egenroart be§ ©innegbifbeg (beä phantasma), bag ben förperli^en
©egenftanb immer nur nat^ feiner concreten unb ouperen ©rfc^einung
miebergibt, in ber SSernunft bag geiftig fii^tbare, „intefligibfe“ 33ifb er=
jeugt, in meldjem fid) bag 3flfgemeine, bag Sffof^raenbige, bag Sßefentfid)e
beg ©egenftanbeg augbrücft. 2)iefeg ifJrincip nun ift fein anbereg, afg
ber erfennenbe @eift felbft; bie ©diolaftifer nennen ifin, infofern er in
biefer 2Beife t^ütig ift, ben intellectus agens, unb fie pffegen be^^afb
ju fagen, bag eigent^ümfidje SBirfen beg Sezieren beftel^e barin, bie för?
perfid)en Singe, ober oielme^r bie benfelben entfpre^enben ©innegbitber,
für bie 35ernunft erfennbar, „inteffigibef'' ju mad)en *).
v'^iernac^ ift eg fidjer oofffommen gegrünbet, roenn ber fieilige Sl^o=
mog 56), unb oor i^m 3(riftotefeg 57), biefe Sl^ätigfeit beg ©eifteg mit
einem 23eleud)ten oergleidjen, mit einem 3fugftro!^fen non 8id)t, oermöge
beffen bag an fic^ Sunfte fid)tbar roirb. Ser menfd|Ii(^e ©eift erfc^eint
barin mie ein 2fuge, bag nidit nur bag Object roa^rnimmt, fonbern gu;
gleicf), geroifferma^en roie in ber förperlic^en Söelt bie ©onne, aug fi(^
felbft bag Sic^t augftra’^ft, beffen bag Object bebarf um gefe^en roerben
jn fönnen. 3^^ biefem ©inne i^aben mir gejagt, bie menfdifif^e ©eefe
fei eine erfeud)tenbe ©ubftanj.
©rfeud)tet aber, ober l^eff unb feudjtenb ift fie, roeif fie i^rer
t)fatur nad) geiftig, barum „intefligibel", in ber geiftigen Orbnung
fidjtbar ift.
lY. Sie menf(^Iid)e ©eele ift eine oernünftige ©ubftanj. Sie
35ernünftigfeit ift ber roefentfic^fte, ber eigentficfifte SSorjug unferer ©eele;
fie ift eg, in roel(^er aud) bie in ben oor'^erge'^enben brei ijßunften fdion
ermül^nten SSorjüge berfelben rourjeln, unb mit metc^er biefe gleidifatfg
gegeben finb. SSBenn mir biefetben, unb ingbefonbere aud) bag SSermögen
*) „Facere phantasmata actu intelligibilia“. Sßgt. Äteutgen, Sie ißfido-
fopbie bev Sorjeit, 1. 3t. 72.
®ie Elemente ber inneren @nti;eit.
63
„abfiraljiren", für fid) berüdfid)tigt Ijaben, unb jei3t dou ber 3Ser;
nünftigbeit in einem engeren Sinne l^anbetn, fo gefd)a^ baä nnr ber
gröfferen ^larljeit ber ®ar[tellung megen, nnb mit befonberer 9lüd[id}t
auf nuferen ^med; nnb man mürbe un§ mißnerfteljen, meint man barauS
ben Sdjluff jief;en modte, atd ob mir etmn, mit nieten neueren ©etetjrten,
in bem „Sterftanbe" nnb ber „iBernunft" gmei nerfd}iebene 93ermogen
fü^en. — ift noü^menbig, ba§ mir eben biefen eigentlidjften 23orjng
ber menfd)lidjen Seele fel^t etma§ eingetjenber betjanbetn.
41. 23etrad)ten mir bie ißernünftigfeit junüdjft in itjrer SBnrjel, in
ifirem S&?efen, infofern fie ba§ attgemeine 3tttribnt ber menfdjlidjen 9iatnr
ift. 2Ba§ tieifft bn§, bie menfd)tid)e Seele ift nernünftig?
gibt gemiffe ©rnnbbegriffe nnb f^^nnbamentalfiidc , metdje, at§
bie einfod)ften 3tuöbrüd'e ber götttid)en 2öei§üeit/ t)öd)ften dtorm atter
Sßat)rbeit 58) nnb atte§ Segng , bie ©runbjüge nnb bie erften Umriffe
atter Singe enttjütten, bie ©rnnbtinien atteS beffen mag ift. Sotd)e
©rnnbbegriffe finb bie ^Begriffe beg Seqng, ber ©intieit, ber SBa^r'^eit,
ber ©nttjeit; fotd)e fvnnbamentatfüt^e finb ber Sat), beg Jioiberfprndjg,
beg auggefdjtoffenen Sritten, beg jnreid)enben ©rnnbeg. dtnn t)at ®ott
nufere Seete, nad) bem 33itbe feiner eigenen äDeig^eit, fo gefdjaffen, it)r
Sßefen unb it)re Sintur fo eingerid)tet, baü fie bei ber erften ©ntmidetung
if)rer ^ntettigenj mit 9Uitt)menbigfeit fid) biefe ©runbbegriffc bitbet, biefe
gunbnmentatfiiüe ernennt, unb fie bann in f)abituetler ©rfenntnif) fefU
tjätt nnb bemat)rt, um bnrd) fie nnb it)uen gemäf) atteg jn benfen unb
atteg aufjufaffen, um ang it)uen unb mit itjrer ^^itfe nnb nad) itjrer
9^orm atte übrigen Söatjr'^eiten ju erfennen 59). Sarnm bitben fidj beim
in nuferem ©eifte, bei meiterer ©ntmidetung unter ben entfprcdjenben
äußeren ©inftüffen, mit 9iottjmenbigfeit bie begriffe oon Uebereinftimmnng
unb 3Serfd)iebentjeit , oon Urfadje unb Söirfung, oon ildittet,
oon 3iü£diniif3igfeit , Stngemeffentjeit, Orbtiung, iproportion, Sijinmetrie
unb i^armonie, iBolIfommentjeit nnb ®ottenbnng, fomie bie ©rfenntnifj
©otteg; in ber practifdjen Drbnung aber jette ber ptjtjfifdjen Soltfoinmeit:
Ijeit, ber etljifdjcn ©inttjeit, ber i^ftidjt, beg ftiedjteg, beg Sittengefet^eg
unb feiner einjetnen ißorfdjriften, äiinädjj't ber pdjften nnb attgemeineren,
bann and) ber metjr befonberen, metdje ang jenen fidj tjerteiten. 2ttlc
biermit gegebenen 2Satjrt)eiten ftetten fidj überbieg nng bar atg bie be=
ftimmenben fyormen unb ©runbregetn atteg mirftidjen Seijiig, atg bie
fyunbamentatgefet^e ber gefammten Sdjöpfung, ber etbifdjen Orbnung mie
ber ptjpfifdjen*). 2ltleg morin biefetben fidj erfüCten, 2ltteg mag biirdj
*) Cela nous mene enfin au dernier fondement des vdrites, savoir ii cet
esprit suprSme ef universel , qui ne peut manquer d’exister, dont l’entende-
ment, ä dire vrai, est la region des vdrites dternelles , comme St. Augustin
64
®ie Elemente ber inneren ©nt^eit.
fte be^errfc^t er[c§etnt, ertennen ratr barum at§ mit ben not'^raenbigen
©efet^en feine§ @ep§ übereinftimmenb, at§ feine 3^ee 'Derroirftiij^enb.
2tber bie bejeic^neten begriffe unb ©rfenntniffe ober Urt^eite liegen
in unferer SSernunft nid^t roie eine leere t^eoretifd;e ©peculation über
Singe, bie fie felber nid)t§ ange'^en; fie finb i^r nicf)t etroa§ f^rembeä,
roie etroa bem tobten ©ranit eine ^nfcbrift, roelc^e ber iUlei^el in ben=
felben eingegraben ^at. Senn fie felbft ^at ja biefe Urtl^eile ou§ fid^
erjengt; biefelben finb betüorgegangen au§ i^rem eigenften, tiefften ©runbe,
fie finb ber 3lu§brncf ilire§ innerften ©epn§ unb SBefeng, ba§ urfprüng=
lid^fte D^efultat i^reä SBirfeng, bie ©efelje all il^rer S'^ütigfeit, bie burdl)
nidl)t§ ju nmgel)enbe, burdl) ni(^t§ erfepare 33ebingung ipeäSebenS: mit
ipen fie^t fie i^r eigene^ SBefen gefep, ipe 95erläugnung ift bie diegation
ipe§ eigenen ®e:)n§, bie 2lufpbung ip'er felbft and) bem ^Begriffe nad^.
2luf ©runb ber nämlid^en nnroiberftepi(^en dlötpgung, fraft bereu fie
fort unb fort ip’ eigenes Sßefen fep, mit ber gleidljen ©nergie unb ©n©
fdjiebenpit mit ber fie fiel) felbft liebt, mu^ barum bie oernünftige dtatur
bie be,«i(^neten ©runbroappiten unb f^unbamentalfäp umfaffen. ©§
ift ip' mitpn mit ber SSernütiftigfeit nid^t nur bie fyäpgfeit gegeben,
biefe f^unbamentalfät^e ju erfennen; nid;t nur bie dtötpgung, in bem
felben baS notl)roenbige iUtaaff unb bie eigentlid^en 9iormen alleS natür=
lidjen ©epnS, foroie bie roefentlit^e diid^tf(^nur unb bie unabünberlpen
©efep ade§ etpfdben ^anbelnS anjuerfennen; fonbern e§ ift ip eben
in ber Sernünftigfeit aud^ bie natürlidlie Slnlage für ba§ ©ute unb
iBoUfommene anerpaffen, b. p ber non ipem ©epn untrennbare §ang,
bie ans ip’em 2Befen proorroapfenbe 9Hdf)tnng beS ©trebenS auf adeS
baS, roaS fid^ alS ben erroäpten noproenbigen ©Irunbnormen unb f^um
bamentalgefepen entfpre(^enb barftetlt, mag eS nun ber pledjtpn ppfi=
fd^en Srbnung, ober ber moralifd^en angepren.
©0 lepen SlriftoteleS nnb SpmaS non 3lquin, roo fie auf bie f^rage
eingepn, ob bie Sugenben bem iXlienfi^en angeboren fepen. Söeber bie
inteUectualen *) Sugenben, tautet bie Slntroort, nodb bie etpf(^en finb unS
l’a reconnu , et Texprime d’une maniere assez vive. Et afin qu’on ne pense
pas, qu’il n’est point nöcessaire d’y recourir, il faut considörer, que ces verites
necessaires contiennent la raison determinante et le principe regulatif des
existences niemes, et en un mot les loix de l’univers. Ainsi ces vörites neces-
saires, ötant antörieures aux Existences des etres contingens, il faut bien
qu’elles soient fondees dans l’existence d’une substance necessaire. C’est lä
oü je trouve l’original des idEes et des vEritEs, qui sont gravEes dans nos
ames, non pas en forme de propositions, mais comme des sources dont l’appli-
cation et les occasions feront naltre des Enonciations actuelles. Leibniz, Nou-
veaux essais sur l’entendement humain 1. 4. chap. 11.
*) ®te intellectualen Sugenben (Sorsüge) finb nach 2lriftotele§ , SBpenfd^aft,
®te ©(einente ber inneren @ut^eit.
65
im wollen (Sinne be§ SK>orte§ angeboren. 216er „mir ^aben poi'ilioc
gäl^igfeit für fie, mir finb bafnr gemad)t, bie 3iatnr Ijnt bie jteime, f)at
ben ©amen berfetben in nnfere ©eete gelegt; fie finb in iin§, beoor mir
fie bnrd) freie Uebnng jnr 2SoUenbimg bringen, gleid}fnm in i^rer i^nrjel,
ihren erften Slnfüngen nnd), in ber ilöeife einer uon ber dbatur gegebenen
.(öinneignng , einer iirfprünglid)en 9fiid)tnng ber ftrebenben Äraft auf
aUe§ ba§, ma§ ben oorher bejeidfneten @rnnbfäl3en ber Vernunft ent=
fpricht'' 60).
3n biefer boppelfeitigen, mefentlidfen iinb anerfd)nffenen, (Sigenthüm=
lidffeit ber menfd)licl)en ©eele alfo beftel)t jener nnterfdjeibenbe Sforjng
berfelben, nai^ beffen 23ebentnng mir fragten, il)re 2Sernnnftigfeit. ©ie
ift oernünftig, meil il)r (5rfennen bnrd) bie nnuernnberlichen (frfenntnif)=
gefep,e ber emigen Sß>ei§heit notlimenbig beftimmt mirb, meil il)r ©treben
eine natnrlidje iRid)tnng anf bad pbpfifd) 23ollfommene fomie auf bad
moralifch ®nte l)at; fie ift oernünftig, meil fie ben ©trahl bed emigen
SBorted reflectirt, meld)ed „bad Sidjt oom Sid)te" ift unb „jeben ''Hiem
fd)en ber in biefe JC'elt fömmt erlendjtet" ; nnb biefe il)re (5ngentl)ümlid)=
feit ift ed oorjngdmeife, bie fie oon 2tatnr @ott tihnlid), nnb jn feinem
23ilbe macht. ®arnm-heifd in bem baf) „nnferer ©eele ber
@lanj bed 2tngefid)ted @otted anfgeprägt ift", „mie bad 23ilb bed f^-ürften
ber iUtünje" 6i) ; btmnn rebet ber heiligt’ ©Ipcntad oon „bem ©iegel ber
göttli(^en SSBahrheit, bad nnferer ©eete eingebrüeft ift", oon „ber ©timme
@otted in nnd, metd)e und tel)rt ridjtig nnb iid)er ,;n erfennen" 62) ; barum
lehrt ber heilige ^''leronpmnd, baf; „allen ‘DJt'enfdien bie l^rfenntnif; ©otted
natürlid) fep", nnb fetbft baf; „niemanb ohne O'hriftnd geboren merbe,
baf) jeber in fid) bie I'eime nnb bie ©rnnbriffe ber Jl'eidheit, ber ©e?
red)tigfeit, nnb aller übrigen Sngenben trage, mie einen oon ber i5anb
©otted eingeftrenten ©amen" 63) ; barnm behauptet Safilind ber ©rope,
baf) ber tlJienfd) oon dtntnr jene Einlage nnb jene dtidjtnng befit^e, bie
ihn jnr 23eobad)tnng bed d)riftlid)en ©efetted leite 64); barnm meift Ori=
gened ben Eingriff bed (felfnd anf bie djriftlicl)e ©ittenlehre , biefelbe fei)
nid)t neu nnb oon feiner 23ebentung, inbem fie fiel) auch in ben ©pftemen
anberer ^|'htlofopl)en finbe, mit ber 23emerfnng jnrücf, bnf; allerbingd „in
allen ?Utenfd)en fid) oermöge ihrer 9tatnr bie allgemeinen ©rniibfnlie nnb
2lnfd)aunngen ber natürtid)en ‘5f)flid)tentehre bitben; bnf) ©ott in jebed
2!Jtenfd)enher5 ben ©amen jener '©ahrl)eiten gelegt höbe, bie er bnrd) bie
^Propheten nnb bnrd) feinen ©ol)n oerfünbigte" 65) ; barnm enblid) ruft
iertntlian bie 25erfolger ber Stönhrheit oor bad ,yornm ihrer eigenen
befferen ©rfenntnip, unb appettirt mit 3i(W£^'Utht an bad Urtheil ber
23ei§t)cit, ©injicht, Äimft. ©te heiht" „iugenben" nicht jct)led)thin, fonberu in gc=
Toiffem Sinne, secundum quid. 3Sgt. S- 1- 2. p. cp 56. a. 3. c.
Sunginann, saeftf)etit. 2. SCuff. 5
66
®ie Elemente ber inneren ©ut^eit.
anima naturalüer chrisüana, ber oon 9Jatur djrtftlidj benfeuben, in
d)riftüd)en Slnidjammgen ftd) beroegenbcu, barum ber 2ßaljr!^ett be§
(i^riftent^ums gebeuben ©eeteee).
^3. Sag ift bte SSernünftigfeit ber menj’djtidjeu Seele in i^rem
®efen, nad) roeicijem Sille l'ie gemein l^aben; benn fie madjt eben jum
SDienfdien. ^n ber Söirfüdjfeit inbeji erfd)eint fie freilidj in ben (S'im
jelnen feineSmegs in gleidjer 35oiienbung. Ser erfte ®runb biefer inbi=
üibnelien Sierfdjieben^eit liegt in ber nerft^iebenen SSolifommen^eit be§
leiblichen Organidmng. Sie Seele i[t faft in allen ihren Shätigfeiten
uom Seibe abhängig, an bie i^ülfe, an bie mitroirfenbe Shätigfeit feiner
Organe gebnnben; barnin mu[3 bie gröfsere ober geringere SSollfommenheit
ber leiblidjen g'ähisieileii/ be§ inneren SinneSorgang, beg Sberoenft)ftemg,
felbft ber äuf^eren Sinne, mit Ginem SBorte bie gefammte lieiblidjfeit roie
fie ber Seele bient, nnb roeiterhin Stiles mag auf jene ph^fiologifch eim
mirft, auf bie '-Ifollfommenheit, in meld)er bie anerfchaffenen SSorjüge ber
Seele hei'ooi'treten , ben größten (Sinftufs haben 67). Singer biefem aber
gibt eg nod) eine SJlenge anberer SSlomente, non roetdjen ber ®rab ihrer
Stngbilbiing nnb Oottenbung nothmenbig beftimmt roirb. Sahin gehören
d'rjiehung, Umgang, Seetüre, bie mannidjfattigen (Sreigniffe nnb Schiefe
fale beg Sebeng, bie herrfi^enbe fftid)tung (ber @eift) ber 3£il/ öie pofitioe
iSeroollfommnung ber angebornen Prüfte burd) äßiffenfehaft nnb ilunft,
ermorbene ©eraohnheiten namentlid) beg moralifdjen Sebeng, im Sill;
gemeinen SlUeg, mag auf bie ©ntraicfelung ber natürlidjen f^ähigfeiten
irgenbmie pfpdjologifdjen ©influ^ hat-
fyortgefetUe Unterfuchnng nnb S3etrad)tung ber SbJahrheit, anhaltenbe
S3efdjäftigung mit bem mag in ber phi)fifd)en Orbnung ootlfommen ift,
beharrlidje Hebung ber Sugenb, oollenbet bie SSernünftigfeit nai^ beiben
Seiten, ueroielfältigt bie Summe ber ridjtigen S3egriffe nnb ber mähren
Urtheile, befeftigt nnb grünbet immer tiefer bie fRit^tung beg Strebeng
auf bag phpfifd) nnb moralifd) @ute, oeroollfommnet mit ber Siebe beg=
felben sugleid) bag ©efühl bafür. Sie übernatürliche ©rfenntnijj nnb
bie übernatürlidje Siebe, burd) bie geoffenbarte Sehre nnb bie eingegoffenen
Sngenben nnb ben 33eiftanb ber actuellen ©nabe, h^öt jene natürlidjen
Oorjüge in feiner Sffieife auf, ergänzt fie oielmehr für eine ganj neue
Orbnung , nnb führt fie auch in ber alten rafdjeren Sdh^itteg einer un=
gleich höh^’^^a Sfollenbnng entgegen.
Umgefehrt mirft bie Ißernadjläfjigung tl)eoretifcher Siusbilbung ber
Vernunft, nnb bie Oerläugnung ber Setjteren auf bem practifdjen ©ebiete
burd) bag Safter, allerbingg ganj entgegengefei^: aber oernii^ten fönnen
fie bie Oernünftigfeit nidjt. Sie ©rfenntnifj ber SSahrheit mirb bur(^
anhaltenb fehlerljafteg unangemeffeneg irianbeln in ber phpfifchea Orbnung,
burch fortgefeljteg fittlid) böfeg .^anbeln in ber etljifchen, in Ijoh^ac ©rabe
®te dkmente bev inneren ©nt^eit.
67
gei'd)raäd;t unb nerbinifed; bie natürüd)e dJidjtung beg (Stvebeng auf bag
fittüd) @utc namentUd) fdieint oft uolleiibg uerfoven ju geljeu, unb fid)
in bie eutgegcugefedte 511 uerfct)ren. 2(ber tu bev ift bag Sedtevc
teiuesroegg bev 'fs-aü. 'Jief im @eifte beg uerfuufeufteu 3?öfemid)tg brennt
nnauglöld)Iid) bag Sid)t maljver (?rbenntnifi , mögen nod) fo bidjte hiebet
eg i^m feibft nnfic^tbar mad)eit; tief in feiner 33rnft tebt nod) immer,
menigfteng atg nntür(id)c tBeftimmung bafür, jener bem Söefen ber uer=
nünftigeu ßreatnr eigene Srteb , ber if)n nött)igt bag @nte ju billigen
nnb ju tieben. j'reitid) nidjt fo, atg ob fein oerfet)rtcr üBiüe nid)t ftnrfer
märe, ober and) nur befonbere i)}hibc batte, jene diötbignng jn nber=
minben. ittber mürbe bie abfotnte @ntf)eit, mürbe @ott fid) it)m 5cigen,
and) nur in jener ütnfdjannng bereu bie 9uitnr atg foicbe fütjig ift, eg
ift ganj gemif-!, baf) er nid)t anberg tonnte atg it)n lieben.
43. ©ie in ben brei tcljten dtnmmern enttjattene (rrörternng über
bie ißor-iüge nuferer Seele bnben loir angeftettt, um beftimmen ju fönnen,
burdj metebe @igenfd)aftcn bie Singe in tt)at)ädjtid)er llebcreinftimmnng
mit nuferer dtatur ftel)cn, unb babnrd) ber natürtid)e ©egenftanb nuferer
Biebe fegen; ober mit anberen SBorten, um bie (Stemente ber inneren
©utbeit angeben jn tonnen. Slntmort auf biefe grage tcid)t.
9inmtid)
1. üttleg morin fid) Beben, Stjütigteit, iBemegnng, g-reibeit tunbgibt;
2. 2ttteg mag feinem Stoffe, feiner ©eftatt, feiner inneren ©inrid)=
tnng nadj bag ©epräge ber fveftigteit, bie iBürgfd)aft ber Sauer nnb beg
33eftanbeg an fid) trägt;
3. 3liteg mag beü »nb ttar, ertend)tct nnb erteud)tenb erfd)eint,
ftct)t nuferer Seete gegenüber in bem 2>ert)ättniffc tt)atfäd)ticber 9tebn=
Iid)feit unb Uebereinftimmnng; menigfteng, mo eg fidj um förpertid)c
Singe bai'bett, infofern eg fid) atg 93itb, atg 9tnatogie, ober atg bag
SBert eineg uernünftigen ©eifteg barftettt.
4. ütoeb entfd)iebener tritt biefeg 'lierbättnif; ber tt)atfäd)tid)en lieber;
einftimmung b^foor, nnb nod) ftärtcr mad)t eg fid) füt)tbar, bei nUen
jenen ©rfd)einnngen, in roeld)en bie mefenttidjen 9iormen beg natürtid)en
Sepng, ober bie ett)ifd)en ©efel?e beg freien .sbanbetng anggeprägt nnb
Dermirftid)t finb.
Sie ©temente ber inneren ©nitbeit finb fomit , mag jnnäd)ft bie
perföntid)en Söefen betrifft, fämmttid)e tBorjüge ber intetteetnnten, nnb
ganj befonberg ber etl)ifd)en Orbnnng; infofern eg ficb ober um unper;
föntid)e Singe bnnbett, finb atg fotd)e ©temente jn bejeid)nen f^eftigfeit
nnb Sauerbaftigteit , Beben nnb ißeroegnng, Bid)t nnb Jltart)eit, dtege©
mäfjigfeit, 3TOecfmäpigteit, Crbnung, St)mmetrie, Sflvmonie, Sottftänbig;
feit, ©inbeit in ber Siett)cit Derfd)iebennrtiger Sf)eite, nnb eine 'Dienge
anberer, mit biefen oerroanbte ©igenfd)aften.
68
Sie (älemeute ber inneren (Sut^eit.
44. Unter ben l^iermit angebeuteten (Elementen behaupten bie 3Jorjüge
ber etl^if(^en Orbnung unbebingt ben erften Dftang: roiCt fagen, bie
innere ©ub^eit roetc^e buriib fie ein SBefen befi^t, fte^t niet bö^er, at§
jebe auf anbere ©temente ficb grünbenbe innere ©ntbeit. SDer ©runb biefer
Sbatfobbe liegt nabe, ©oroie eg nämticb feinen böberen 33orjug gefcbaffener
SBefen gibt, alg bie 3Sernünftigfeit, ebenfo bitbet nernunftgemä^eg ^anbetn
aug eigener SBabt, unb mehr nodb bie bteibenbe, burcb bebarrlicbe Hebung
gefeftigte tRicbtung beg ©emütbg auf fotd}eg i^anbetn, b. b- bie Sugenb, —
bie eigentlirfie 3Sottenbung, bag ebelfte fyrucbt ber SSernünftigfeit.
3n bem S^ugenbbaften unb in ben ibm atg fotcbem eigenen Steten, in etbif(^
guter ©efinnung unb etbifeb guten ^anbtnngen, tritt ung mitbin bie ner;
nünftige Siatnr entgegen in ber eigenttiebften unb nottften ©ntfattung
ibreg ©epng ; barum fann unter alten SJtomenten burcb ein 2öefen
mit nuferer eigenen Statur tbatfacbtict} nbereinftimmt , feineg unfere fiiebe
entfebeibenber unb mit gröfjerer S3erecbtigung in Sfnfprucb nehmen, atg
bie SSorjüge ber etbifetjen Orbnung.
.^ierin tiegt ber ©irnnb, roef?bat() gerabe jene Strt ber inneren @nU
beit bie ficb auf etbifetje Storj^iige grünbet, atg bie ebetfte unter alten,
antonomaftifdj mit bem Stamen ber ©attung bejeiebnet ju roerben pftegt.
2Bo einem SSefen bag ber etbifetjen Orbnung angebört, einfadb unb o'f)M
23eifab bag if3räbicat „gut" jugefproeben roirb, ba nerftebt jeber barunter,
nidbt innere ©ntbeit überbanpt, fonbern etbifetje ©utbeit; um
intettectueCter 35orjüge mitten attein rairb bagegen niemanb einen SStenflben
„gut" nennen, fo febr and), ber rid)tigen roiffenfdjaftticben Stuffaffung
jufotge, biefe Sßorjüge gteid)fattg roabrbaft ©temente ber inneren ©ut=
beit finb.
45. ißietteidjt nermibt jemanb unter ben SSorjügen ber menfcbtid}en
©eete, bie mir in ber norbergebenben Unterfud^ung berüeffiebtigt bflf>en,
jene gäbigfeit berfetben, nermöge bereit fie im ©taube ift, fi<b atg 2Befeng=
form mit bem ©toffe ju oerbinben, unb benfetben atg tebenbigen oon
ibr gebitbeten Organigmng, atg ibr eigenen \*eib, ju befi|en.
äöag biefe ©dbmierigfeit angebt, fo ift pnädjft ju beachten, ba^ bie
bejeiebnete f^äbigfeit ber menfdjticben ©eete jebenfattg auf bie enbticbe
SSeftimmung berfetben, auf ihren testen 3^^^' feinen ©inftu^ b^t: benn
biefer tehte 3^2*^ nuferer ©eete bängt augfebtiefdieb Don ihrer 3Sernünf=
tigfeit ab, unb ift mit biefer gegeben, ©araug fotgt aber, ba§ foroobt
bie tbatfädjticbe Serbinbiing ber ©eete mit bem Seibe, atg bie gäbigfeit
roetebe biefe SSerbinbung in ber ©eete ooraugfebt, für ficb attein / unb
unabhängig oon ber ißernünftigfeit nuferer ©eete, feine 23ebeutung unb
feinen äöertb bat; ©egenftanb unfereg bejobenben ©trebeng ju fepn,
oerbient fie mithin nur, infofern fie einerfeitg ber SSernunft gemä§ ift,
anberfeitg ber SSernunft unb ihren SbäüS^eiten bient. ®arum fann bie
■Sie äußere ©iif^eit.
69
üon ©Ott unferer 9tatuv onevfdjaffetie Siek ju fid) jelber nii^t fo geartet
fei)n, ba[5 fie unmittelbar unb in erfter Sinie aiic^ bie 33ejiet)iuig ber
©eele ^um Seibe umfaf^t, unb e§ fanu biefe 23ejiebimg feiueSroegS um
iljrer felbft roilteu bereu ©egenftanb bitbeu; folglid) aud) feine 33erüd=
fidjtiguug beaufprudjeu, menu eä fid) um bie grnge ^aubelt, biird) metc^e
©igeufd)afteu bie SDiuge mit uulerer ©eele in tl)at)nd)lidjer Uebereiu)tim=
muug ]tel)eu, unb in i^yolge Ijieruoii unter bie kidjtuug ber uu§ an=
erfd)aifeueu Siebe ju uu§ felbft fallen.
§. 3.
pic öttkrc
©a§ 5lngenel}me unb ba§ kübtidje , ober mit ©inem äSoxIc ba§ ,,rüdfid)ttid)
©Ute".
46. ®er inneren ©nitl)eit ftel)t, alä bie anbere Sfrt ber ©hitbeit im
5lllgemeinen , bie ändere gegenüber: unb biefe nmfafjt bie jmei nod)
übrigen non jenen brei küdfidjten, nai^ meldjen bie ©>inge fidj eignen
fönnen, ba§ Object beg ©trebenä ,ni fepn, unb bnrnm gleidjfndg nl§
„gut" bejeii^net raerben. Oiefe jroei küdfid)ten finb bie 2lngenet)ml)eit,
ober roenn man lieber mill bie 2lnneljmli(^feit, unb bie 9iüt^lidyteit. „^nr
©■rfltirnng fyolgenbeg.
47. „allfeitige ®oUenbnng" nuferer diatnr, meld)e nad) bem
früher (34. @. 55) ©lefagten Oen natürlidjen unb notf)menbigen ©egen;
ftanb nnferg bejnkuben ©trebenö, nuferer Siebe unb nnferä tBertangeng
bitbet, ift nid)tg 2lnbere§, ald nufere nollfommene ©Hü dfeligf eit.
„Oarin," leljrt O^omag oon 5lgnin, „baf^ eg gtücflid) ift, befteljt bie
i'otlenbnng jebeg mit iöernunft begabten SSefeng" 68). ißegriffe
nadj liegt nümlid) bie SSollenbung eineg Söefeng in ber oollfommenen,
bnrd) nid)tg ge^inberten ober beeinträcfjtigten O^ätigfeit aller ikrmögen,
mit benen eg auggeftattet ift. kun gel)t aber ang ber unge^inberten
naturgemüpen J^ätigfeit eineg jeben ®ermögeng ber biefem ißermögen
cntfpred)enbe ©enup l)eroor* **)): folglid) mnf) in ber ooUen unb freien
Ol)iitigfeit aller nuferer isermögen bie ganje fvülle alleg ©Jemiffeg liegen
beffen mir fäljig finb; ober loie mir oor^er fagten, bie ganje ®ollenbnng
nuferer dlatur ift baffelbe, mie nufere ooUlommene ©lüdfeligfei©'"''').
3ft aber nufer ©treben mit kotl)menbigfeit unb jeberjeit auf nufere
©lüdfeligfeit gerid)tet, unb befteljt biefe in ber nngeljemmten Optigtcit
alter unferer ißermögen, bann muf) fi^ naturgemüf; nufer ©treben jebem
*) Arist. Ethic. Nicom. 7. c. 12. 2Sgt. unten Ol.
**) Thom. S. 1. 2. p. q. 3. a. 2. c.
70
®ie äußere ©iit^eit.
®inge juroenben , ba§ fid^ un§ al§ geeignete^ Object eine§ imferer 33er=
mögen barfteüt; mit anbereu ©orten, ba§ un§, at§ genuprtngenb , at§
angenehm erj(heint. i^iermit ergibt [ich ber ^Begriff ber Stngenehmheit:
„angenehm" i[t ein ®ing, injofern e§, al§ ber angemeffene ©egenftanb
eine§ nnferer 35erm5gen, geeignet i[t, un§ ben biefem ißermögen ent=
fprechenben ©enug ju bereiten.
48. Äommen mir hiernach auf bie britte iRncfficht, nach Toetcher
bie ®inge „gut" erfcheinen fönnen, bie Ütnhtichfeit. ©ä h^t ber ©ei§=
heit @otte§ gefallen, ihre ©erfe fo einjurichten , baff bie ®inge nielfach
biird) ba§ ©anfaloerhöltnifi , roie Urfache unb ©irfnng, mit einanber
nerfnüpft finb; bah geeignet ift, ba§ anbere hcrnorjubringen,
ju erhalten, 511 nernollfommnen. dtehmen mir raahr, baff ein ®ing ju
einem ©iegenftanbe, ber entroeber feiner inneren ©ntheit raegen, ober roeil
er angenehm erfcheint, unfer Streben bereits in Slnfpruch genommen h^tf
in folcher ©aufalbejiehung fteht, unb baju angethan ift, benfelben irgenb;
roie 511 förbern, fo mup biefer 9tüctfi(ht roegen unfer Streben natnrgemäh
fich and) auf eben biefes Sing richten, ba baffelbe baju mitroirfen fann,
fene§ jn befriebigen. Siefe SSefchaffenheit ber Singe, nermöge bereu
fie geeignet finb, unfer Streben in dtüdficht auf ein anbere§ Sing j^u
unterftnhen, einen angeftrebten „3roed" oerroirflichen gu h^ifen, nennt
man ihre ^TOfiiinähigfeit ober ihre dt üblich feit; bie Singe felbft aber,
infofern mir eine§ roegen auf fie unfer Streben richten,
„dJtittel".
49. 3m ©^egenfahe 3U ber Semerfnng roetd)e im norhergehenben
^4>aragraphen (38. S. 60) bejnglid) be§ „an fi^ ©mten" unb ber „inne=
reu ©ntheit" gemadjt rourbe, haf>2u roir hier hcroorjnheben, bah, fo off
fich unfer Streben einem „angenehmen" ober „nühtid}en" Singe
roenbet, nicht biefeä felber ben eigentlidjen ©egenftanb unferer !t*iebe, bad
unfer Streben abfd)liehenbe 3lel bilbet, fonbern etroag oon bem Singe
dSerfchiebeneä , anher ihm Siegenbeä: bie ©irfnng nämlich roelche eä
uns uermitteln foll. Ser ©ein j. 33. ift bem dJeenfehen non ®ott ge=
geben ju feiner Stärfnng unb jur ©rheiterung (Sir. 31, 32 ff.); er
ift mithin foroohl nühlidj , al§ angenehm: unb roenn ber dJtenfch bem-
felben unter biefer 9tncffid)t fein Streben unb feine Sorge juroenbet, fo
ift ba§ letzte 3l^f eigentlidje ©egenftanb biefeg feineg Strebeng
nidjt ber ©ein felbft, fonbern bie eben bejeidfneten ©irfungen, bie
Stärfnng unb bie ©rheiteriing beg ©emüth^, roelche ber nerftänbige ®e=
bramh beg ©eineg geroährt.
©^anj entfprechenb bem dlugbrucfe, burd) roeldjen roir bie in bem
porigen '^Paragraphen behanbelte 3lrt ber ®utheit unterfd)ieben
müffen roir bemnach bie dlngenehmheit foroohl nlg bie dtühlidjfeit, infofern
fie gleidjfallg ©igenfehaften finb burch roeldje bie Singe unfer Streben
$ie (iuBcve jroci ©efinitionen.
71
in '3lnlprud) nefjineu, bie „äußere nennen (honitas externa )\
ober cind^ bie „refpectinc ©ntljeit" (honitas respectiva), infofern bie
innere jn and) „abfointe ©ntfieit'' genannt luirb. Unb raenn bie Dinge,
infofern fie fid) biirc^ innere ®ntf)eit empfeljten, mit JKec^t „an fi(^ gut"
Ijeipen, fo loerben fie auf ®rnnb itjrer äuf3eren ©utfjeit angemeffen für
„in 91üdfid)t auf ein iJlnbered gut" erftärt loerben, ober für „rüdfidft=
lid) gut".
51t§ Definition ber änderen. ®ntl)eit ergibt fid) nad) bem ©efagten
fotgenber Slnsbrnd: Die iiupere ©ntpeit ber Dinge ift jene
2? efdb Offenheit berfetben, n er möge bereu fie fid) eignen,
einem anberen Söefen eine biefem gufagenbe ä*üir!nng 511
0 e r m i 1 1 e l n , n n b um b i e f e r ro i H e n b a § O b f e c t f e i n e § ® t r e=
ben§ 311 fepn. SBotlen mir aber aiic^ I)ier ben in ben beiben uorber;
ge^enben ifüaragraptjen berücffid)tigten begriff ber llebereinftimmung in
bie Definition anfnet)men, fo müffen mir fagen; Die iinfsere @nt=
t)eit ber Dinge ift ü)re potentielle llebereinftimmung mit
einem anberen e f e n , i n f 0 f e r n fie b a b u r d) f i cf) eignen, für
b a f f e 1 b e b a § Object b e d O t r e b e n S 5 n fepn.
^üjcitcü
Bif
§. 1.
pic ctgcntfidic ^idic, uttl» bic uncigentfidje.
2?on iocld)cr 2lrt pfpclnfcber 2>orgnnge ber Oegviff ber Viebe 511 abftvapiveu fep ;
Definition bcrfelbcn. 3Jlit öiefer iUicrcinftimmenbe (i'rflärnngcn uon 2lri;
ftotetcö, Dt)omas nnb Veffinö. Die uneigentUebe üiebe, nad) Xl)omo§ unb
l'effinä. SiHU'um mir bic Dannen „cigentlid)e" nnb „nneigcntlicpe" £icbe
für beffer palten, atd anbere. Definition ber uneigcnttid)en 2iebe. Dad
fpecififd)e Unterfd)eibnngmnerfinal ber 3iuei Dtvten ber 2iebe. (5'ine 3iocite
23emerfnng pinficptlid) einer übliepen Dluöbnufmucife.
50. "^Jon Siebe rebet nnb träumt alle SSelt; aber ed tgibt oerl)ält=
nißmäpig 3iemlid) SSenige, melcpe miffen, load eigeiitüd) bie mapre Siebe
ift. Die DJleiften paben uon ipr einen fepr uagen, unbeftimmten, um
rieptigen 23egriff: nnb bad fömmt, menn id) niept irre, baper, meil bie
DDteiften biefen Oegriff uon jener pfpd)ifd)en Otimmnng ober ®emütl)ö=
rieptung entlepnen, meld)e bie ©prad)e bed gemöpnlid)en Sehend uorjugd:
raeife, mo nidjt nudfeptie^tiep, unter bem Diamen „Siebe" 311 fenneu fd)eint,
id) mill fagen uon ber gefcpled)tlicpen Siebe. Die DJterfmale uon benen
72
Sie eigentlic[;e Siebe.
fie btefe, fe^ es auf @runb eigener (S’rfai)rung , fe^ e§ nad^ ben ®ar=
fteOungen ber i|3oefte, begleitet Toiffen, tiatten fie für ba§ eigentüc^e SBefen
ber ^iebe; ba^er fömmt e§ j. iß., ba^ niete t^:^riften fic^ mit bem ©ebote
ber Siebe, 5u ©ott fo fdjmer jurecfitfinben , unb nie red)t iniffen, roie fie
bemfetben in i'^rer ©efinnung genügen foüen; ba'^er au(^ bie Ueber=
fc^roengtidifeit, bie roeidte, fitfee, jürtlic^e ©entimentatitat , tnie fie init=
unter, in feltfamem ©egenfai^e ju ber einfachen SSeife ber Eirene unb
itjrer liturgifdjen ißüd^er, in geifttic^en 23ortrügen, in ©ebeten unb ©r=
bonnngäfc^riften un§ entgegentritt, unb nid)t SSenige einnimint.
ba§ getiört nid)t ju unferem S;^ema. ©g ift un§ um ben
ißegriff ber Siebe jn tt)un: unb biefer mn§ febenfallg nic^t non ber ge=
fdftec^ttic^en Siebe abftral^irt inerben, and) nid}t etina non ber Siebe jum
©etbe, ober jum ÜSeine, ober jur SSiffenfe^aft unb Äunft, and) nic^t
non ber Ültuttertiebe , ober non ber Siebe beg jtinbeg ju feinen ©ttern,
andj nid)t non ber Siebe ju ©ott; fonbern unferer 2tnfic|t nad) nerfatiren
mir nur bann iniffenfdjaftUd) unb rid^tig, inenn mir i^n non jener X^ätig=
feit nnferg ©trebeng abftraf)iren , non inel(^er alte jene nerfd)iebenen
©trebe;Steu^erungen bie ben Sfamen Siebe fütiren, bebingt unb abhängig
fiub, non ber fd)on raieber'^ott erroü!^ntcn, uuferer inie feber anberen ner=
nünftigen iUatnr onerfd)affenen Siebe 31t fid) felbft. ®enn roie biefes
fortinätjrenbe „©et^en'' unb „ißejatjeu" unferer eigenen 97atur unb i^rer
ganzen ißotlenbung, biefe „Siebe" 311 ung fetbft, in ber ontofogift^en unb
in ber p^i)fifd)eu Orbuung alten anberen, gteidjuamigen unb ungteic^;
uamigeu , ©trebuugeu norauggetjt , fo muf^ baffetbe ou(^ in ber togifdien
Crbnung atg bie t'iorm getteu, nad) roetc^er bag SSefen ber Siebe fef©
3uftetten, uai^ roeld)er atte anberen ©trebuugeu 3U beurtf)eiten , unb ing-
befonbere 31t entfd)eibeu ift, ob jene anbereu ©efü^te unb ^Regungen bie
gteid)fattg „Siebe" f)eif3en, bag roirftid) fiub, ober nietmel^r nur non
einer geroiffeu ©eite fid) auguefnnen roie Siebe.
©ben biefer ©hmnbfat^ begegnet ung bei 3triftoteteg. „2Bag bie
Siebe gegen f^reunbe, unb überfiaupt bie fyreuubfdjaft betrifft, bag !^at
man, meine id), nad) ber 9ftüd'fid)t auf jene ©efinnung feftgeftettt , bie
einem gegenüber eigen ift. ®enn Siebe ber f^reunb=
fd)uft , !^ei^t eg , "^egt berjenige roetd)er bem Stnberen ©uteg roünfd)t unb
©ntteg tf)ut, bamit eben biefem rool^t fep; ober aud), roetdjem baran tiegt,
baf) ber 2lnbere fep unb tebe, eben bamit bemfetben roo^t fep. ®ag ift
aber gerabe jene ©efinnung , bie jeber nerftänbige . iUtenfe^ fic^ fetber
gegenüber ^egt" *).
fvaffen mir aber mithin, um ben ^Begriff ber Siebe 3U bitben, bie
be3eid)uete, unferer roie jeber anberen neruünftigen 9iatur non ©ott eim
*) Arist. Ethic. Nicom. 9. c. 4. init.
®ie cigentticf^e £ic6e.
73
gepftanjte Siefie ju i(}v in§ 5(uge, jo tritt uu§ in bevjclben at§ i'^v
roefentlict)e§ iDierfmal bieje§ entgegen: ber eigenttid)e ©egenjtanb be§ be=
jal^enben ©trebenS, inoinit bie nernünftige 5tatnr, joniel an i’^r ift, fid)
jetber jet^t, unb ba§ letzte banon, ift eben jie felber nnb ihre eigene
l'ottenbnng , ni^t aber etioaS non fetbjt SBerjd)iebene§, cmjjer^atb
itjreä eigenen Sßejens £iegenbe§. .jpievnad) mni'j fid) bie Definition nad)
ber roir fragen, fo geftatten: Die Siebe ift bae bejafienbe,
febenbe ©treben eine§ oernünftigen SBefeng, beffen eigent=
tid)en ©egenftanb nnb beffen te^teä Object fetbft
bitbet, auf ba§ e§ fid) rid)tet.
51. Diefen ^Begriff ber Siebe brüefte 3triftoteteä au§, inenn er fagte ;
„Die Siebe beftef)t barin, baff man ba§ mooon man glaubt, baf) e§ it)m
gut ift, aufrichtig nnb mit mirffamem ©treben bem 3lnberen roünfdit,
nnb jmar eben infofern eä feine S^otlenbnng unb ©tüdfeligfeit förbert,
nid)t aber, infofern man in biefer f^örberung ein IHiittet fiel)t, bag eigene
2i'Ot)t ju förbern" g9). Denfelben roieberfiotte DI)oma§, ba er fdjrieb;
„3ene Siebe, bereu tet^eä 3^*^^ Sßotjt beffen ift morauf fie fidh rid)tet,
ift bie eigentlid)e Siebe" 70); ober: „Die eigentlid)e Siebe ift nur ba,
100 bas ©treben auf baS gebt maS bem 3tnberen gut ift, nnb stuar
eben infofern nnb loeit eS biefem gut ift"7i); ober: „Die
cigenttid)e Siebe beftebt barin, baf) bie tf^erfon metd)e ihren ©egenftanb
bilbet, fetbft unb für fid) geliebt mirb: mie j. 33. menn jemanb
bem 3tnberen ©uteS ioünfd)t, nnb jmar fo, baf) eben biefer Stnbere
baS eigenttid)e 3^^^ biefer ©efinnung ift" 72); benfelben abermatS
SeffiuS, inbem er befinirte: „Sieben h^if3tf jemanben ©uteS münfdjen
einjig boju, baf; it)m fetber moht fei), bnS ift, baf) ihm fetbft
33ortt)eit, ©t)^’'-’ ober ©ennf) jii Df)eit loerbe" 73).
52. ©rinnern mir unS ber jioei ©rftnrungen , biird) roeld)e mir
früher (38. ©. GO) baS ÜSefen ber inneren ©nitt)eit nuSgebrüdt haben,
fo ergibt fid) anS ber eben aiiSgefprod)enen Definition ber Siebe, baf)
baS natürtid)e Object ber Setzerei: atteS „an fidj ©ute" ift, ober alle
Dinge, infofern fie fid) bnrd) innere ©nitheit empfebten. Denn bie innere
©utt)eit ift ja, loie mir an jener ©tette jagten, eben bie 23efd)affent)eit
ber Dinge, oermöge bereu fie fid) eignen, „fetbft nnb für fid), nnb nid)t
einer bnrd) fie ju oermittelnben ÜSirfnng locgeii", für ben oernünftigen
©©ift baS Objeet beS ©trebenS ,^ii fepn.
3tber ber attgemeine ©prai^gebrand) nennt „Siebe" fet)r l)öi©S oitd)
jenes bejahenbe ©treben, iüetd)eS fid) auf Dinge rid)tet bie nid)t atS „an
fid) gut", fonbern atS „in tRüdfid)t auf ein 3tnbereS gut" nnfgefafit
loerben. ©o „liebt" ber Ärante bie Strjnei, ber ©etehrte feine 33ibliothef,
ber ©pieter harten nnb SSürfet, ber jiiaufmann — unb nidjt er attein —
baS ©etb, tebigtid), loeil eS it)m bie ‘i))7ittet jum ©eioinn, nnb babnreh
74
Sie uneigentüd^e Siebe.
3U einem angenehmen fieben bietet, weit e§ i^m SSortheit bringt unb ©e^
nu^. Offenbar bitben in allen biefen f^äHen „ben eigenttii^en ©egenftanb
nnb ba§ letzte 3ict" bes befahenben ©trebenä ni(ht bie bejeidineten Oinge
fetbft, fonbern etroaS non ihnen ganj Serfdhiebene§ : eine 3Btrfung
nömtii^, inet(^e 311 nermitteln fie fid) eignen. Oenn roenn ber SSortheit
ober ber ®enu^, n)etd)en bem Kaufmann ba§ @etb, bem ,^ranfen bie
2Ir3nei, bem ©etehrten feine Sibliothef gemährt, ihnen unabhängig non
biefen Oingen gerabe fo noltfommen 3U Oh^if roerben fönnte, bann mürben
bie Oinge fetbft fofort anfhören, ihre Sorge unb ihre „Siebe'' in 2tm
fprud) 3U nehmen, unb ihnen fo gteidjgnttig fepn, mie Sanb unb
Ä’iefetfteine.
„Stöenn femaiiben", tehrt OhomaS non 2tquin, „bie @}:iften3, bie
©rhattnng, bie ä>ernottfommnung einer i]3erfon ober einer Sache tebig=
tich in fofern am ^^er3en liegt, atd burch biefe ober bnrch jene ein 2tn=
bere§ geförbert mirb , bann ift eine fotdje ©efinnung nur uneigenttich
Siebe. SiSem 3. 23. an ber ©rhattnng be§ 2Seine§ liegt, bamit er bem
fetben trinfen fönne, ober an ber ©rhattnng etne§ ÜJtenfi^en, bamit er
bnrd) benfetben 2iortheil ober ©enuf; tjcibe, ber liebt ben 2Qein ober ben
').')^enfd)en nur nneigentlid), eigentli(^ bagegen fich fetber" 74). „Uneigen©
lid)e Siebe ift es," fagt Oh^mad anberdmo, „menn femanb in folt^er
25>eife feine Siebe auf einen ©egenftanb ridjtet, bap nicht biefer ©egem
ftanb fetbft nnb für fidj ba§ Object ber Siebe bitbet, fonbern bie Sefetere
oietmehr and ber Stbficht hei^oorgeht, baf; bie f^örberung jened ©egen=
ftanbed ihm fetber, nämlich bem metcher liebt, 3U ©tute fomme"
3tudführti(her fpridjt benfetben ©ebanfen Seffiud and. „2Senn ich
bad SBoht eined 2tnberen münfche, bamit mein eigened babnrch geförbert
merbe, fo liebe ich eigentlid) nicht ihn, fonbern mich fetber, meit ich bad
2Sot}t bed Stnberen atd bad iUUttet meiner eigenen f^örberung im 2tuge
habe. 35on biefer 3Irt ift bie Siebe ber SJienfd)enfinber meiftend. Ober
mieoiet ‘D^enf^en gibt ed benn, bie ihren g-ürften, ihren 25orgefe^ten,
ihren Oienftherrn, ober ihre ÜJiitbürger lieben unb nm bereu SBoht bes
forgt finb, nnb babei bnrd) etmad 2tnbered beftimmt merben , atd burch
bie 9tüdfi(^t auf bad eigene ift föfi immer ber Äern
ber f^rennbfdiaften unter ben SJcenfdjen; biefetben finb fi^mu^ig, bloßer
Schein, auf ben ©teminn beredhnet, nott non einer ©igentiebe metdje 2ttted
für ben perföntidjen 23ortheit andbeutet, an biefem 2ttted mifet. So mie
bie 3tndficht auf ben ©teminn bahin ift, hat ber f^^'eunb alt feinen SSerth
nertoren Oie mahre Siebe mitt bad 2Sefte bed 3Inbern in ber 2Ibfid)t,
*) Thom. S. 2. 2. p. q. 17. a. 8. c.
**) .gioher greiinbfi^aft Spmpatf)im fingen
Sönet ebct; in ben ©dien dingen
®te imeigentlidje Siek.
75
bal3 rao'^l fei), mag aud) ber meldjer tiebt, perfönüd) ntd)t ben
minbeften ©eraiiin bauou ^aben; imb menn bem 2lnbern etroad ®d}Um=
me§ mtberfä{)rt, fo fd)merjt \k ba§, ob fie gteidi felbft in 'ivotge beffeu
gar fein 97ndjt^eil trifft. 2)enn mer im eigentlid)en ©inne liebt, ber
fie^t in bem ißorttjeil mie in bem iRad)tf)eil beffen ben er liebt, feinen
eigenen , roeil ba§ 2?anb ber ,iUebe and 23eiben gemiffermnpen ®ine§
mad)t" "*•■).
53. bie hiermit d)aracterifirte Siebe non ber frntjer bel)anbelten
ifjrem ganjen Söefen, atfo ifirer 2lrt nad) nerfdfieben, fo bebnrfen mir
and) einer nngemeffenen 2?e3jeid)nung, nm fie non einonber jn nnterfdjeiben.
®ie am meiften geeignete bnrfte biejenige fepn, bereit mir nn§ in ber
Ueberfel3nng ber nngefnfirten ©teilen bereite bebicnt fiaben. IRicbtet fid)
nnmlid) ba§ befnljenbe ©treben be§ nerniinftigcn Öieifted auf ein „an fid)
t^uted", nnb bilbet biefed felbft nnb für fid) ben mafjren @egenftanb
unb bad letzte foId)en ©trebend, bann ift biefcd ©treben eigent=
lid)e Siebe, b. 1). Siebe im eigentlidjen ©inne bed SSorted; grnnbet fid)
bagegen baffelbe auf bie üuf3ere @ntl)eit, fo ift ed nneigentlic^e Siebe**)-
®ie eigentlicbe Siebe pflegt man and) bie ma^re, bie reine, bie nolI=
fommene, bie nneigennnl^ge (felbftlofe) Siebe 311 nennen; nnter Umftnnben
and) bie Siebe ber fs'tennbfdfaft, ober bed iß^of)Imollend; bie nneigentlid)e
f)ingegen f)eif3t bie bcgel)renbe ober begef)rlid)e, bie nnuotlfommene , bie
eigennnt^ge Siebe, ober bie Siebe ber 23egierbe. ®ad finb Ucberfettungen
ted)nifd)er 2ludbrücfe ber ©d)o(aftif; gmei inbefs bürftcn bem Onietidmnd
entftammen ***). 2Bir fönnen nid)t nm^in, bie angeführten bcntfdien
Ajet)r unb ftotj bie Snute „®t)'upatf)ie
,f)of)er lyrennbfchaft" ; bod) roo atl)mcn fie?
3td), fie fdjieben Inngft nu§ unfern .Jütten,
2tu§ bem Taumel unfrer 3lffenfitten,
(Srämten ficb 311 Siift, unb mürben ®d)nü,
Unb finb fept — mag nod) alg äSieberljaU ?
©ieberbatl, ben jebe Sipp’ entmcif)et,
33ieberhaII, auf ®opt)Ci’ö l}ingcftreuet;
®inb ber ©pradie ©pieUSBerloden, finb
Unfrer fdjö'im Äreife gäd)crroinb.
^erber, „®er 9tad)t)nn ber g'rennbfd)oft".
Less. de summo bono 2. c. 13 n 99.
SBir batten für gut, aubbrüctlid) ju bemerfen, bab mir in biefem jbnpitel,
unb namenttii^ f)i^tU tmr bie Siebe roetebe fidb “lü erfd;affenc ®inge ridjtet, im
Ütnge buben, unb non ber Siebe jn (Sott nbfeben.
***) Amor punis, xmrfectus, gratuitus, amor amicitiae , benevolentiae, —
amor imperfectus, mercenarius, conciipiscentiae ; l’amour dfesinteresse, l’amour
intbresse.
76
Unsroecfmäpige Söejeicfinungen für bie jroei 9Wen ber Siebe.
2(u§brücfe für ungere(^tfertigte 33arbari§inen fiaiten: fie geben SBörtev
roteber, aber fie finb nict)t ber geeignete beutfcfie Sluäbrucf für bie ent=
fprei^enben Segriffe. . 2Bag ingbefonbere bie am meiften übliche SSejeicf);
nung „nollfommene" nnb „unnoüfommene" Siebe betrifft, fo mirb ber
nic^t p'^ilofopfiifi^ ©ebttbete baburc^ faft not^raenbig ju ber ganj irrigen
Stuffaffung nerteitet, a(§ ob bie eine oon ber anberen bem ©rabe ber
©törfe nad; nerf(^ieben, nnb „oottfommene Siebe" eben foüiel märe,
ai§ eine fe^r intenfioe Siebe. iJlun '^anbett e§ fid) aber bei ber Unter=
fcbeibnng fa gar ni(^t um ba§ SRaaff ber ^nt^nfitüt, fonbern um bie
2t rt nnb ba§ äöefen ber ©trebung. ©injig nnb attein bie eigentliche
Siebe ift rairttich nnb mahrfiaft Siebe, ba nur fie jene iJJlerfmale in§=
gefammt befitjst bie ba§ iffiefen ber Siebe augma^en; bie uneigentliche
Siebe hingegen ift nur ein ©treben, bag in feinen Söirfungen ber raahren
Siebe mehr ober roeniger — nid)t feiten and) jum 25erroechfeln — ühn=
lidh fieht. liefen ©ebanfen augjubrüden, bajn, meinen mir, ift bag
2Sort „DoUfommen", bie ißerbalüberfehung beg perfectus ber mittel;
alterlichen SSiffenfdjaft, ni^tg roeniger alg bag rechte: unb bie ©rfahrung
bürfte biefe unfere 2tnfidjt entfdjieben beftütigen.
©)ie ^Definition ber uneigentlichen Siebe muff nach bem ©efagten alfo
lauten: ©ie uneigentliche Siebe ift bag bejahenbe ©treben,
beffen eigen tlidfen ©egen ft an b unb beffen tet^teg
bag Object felbft bilbet auf bag eg fich richtet, fonbern
eine 2Birfnng, roeldfe jn oermitteln biefeg geeignet er;
f d) e i n t.
54. Oag fpecififche iDterfmal roorin fich befprochenen 2lrten
ber Siebe unterfdieiben, ift hiernach lurj biefeg. Oie eigentliche Siebe hßt
bag Object auf roeldjeg fie fich unmittelbar richtet, unb beffen görberung,
aud) roirflich f|U ihrem eigentlid)en unb testen ©egenftanbe. 23ei ber
nneigentlidjen Siebe hingegen bilbet bereu unmittelbareg unb nachfteg Ob;
ject nidjt ihren eigentlidfen ©egenftanb; biefer, nnb ihr leljteg 31^^^
üielmehr in einer 2Sirfung, roelche burch jeneg nüdhfte Object unb beffen
yvörbernng bem, roelcher biefelbe roünfdft unb bafür thütig ift, oermittelt
roerben foll.
fvügen roir nod) eine furje Semerfung hl>^5U- 2lriftoteleg höeten
roir früher fagen, bnp roir jemanben im eigentlichen ©inne beg SBorteg
lieben, roenn roir bie görbernng feineg SDohleg roünfchen „ocü-ou Ivsxa“,
eins causa, roie 23uhle überfeljt *). 2lnbergroo braucht 2lriftoteleg für
benfelben 23egriff ben 2lngbrud ,,'zutou '/dptv“ 75). Oer heilige Jh^mag
bebient fich ber SSenbitng secundum se, unb anberer, roelche noch flarer
*) Arist. Rhet. ed. Biilile (Bipont. 1793) 2. c. 4. n. 2. ('S:;, bie 2itimer=
hingen nm (änbe be§ 33nd;e§, n. 69.)
3t6)oIute" unb „relatice" eigentliche Siebe.
77
jinb* **)'). 35>enn man bagegen nietfad) geroöhnt jn fagen, baf^
rair ben ^reunb „feiner feUift inegen" lieben, ober „nm feiner felbft
lüiüen'', fo fcheint mir biefe 5(n§brncf§raeifc feineämegS fe^r nmfid}tig
geronhlt jn fepn: beim fie ift nid)t beftimmt genug, nnb barnm inif^oer^
ftänblid); fie ift nberbieä and) feinedroegd eine treue Ueberfeljnng ber
non 3lriftotefe§ nnb gebrauchten SBorte"^*). iJtii^t jnnädtft baä
„ifRotio" be§ 5tcte§ ber eigenttidfen Siebe motten 9triftotete§, 'XhonwS »nb
Seffin§ in ben (0. 73) angeführten 0tetlen bezeichnen, fonbern bie 93 e-
fd)affenheit biefeg 3tcteg, feine causa formalis; bie SBenbnng „feiner
fetbft roegen" roeift aber an erfter ©tette anf bn§ iDfotio hin- äSeitere
©ebanfen melche fid) an biefen anfdjtiefzcn, gehören nid)t in bie 9(efthetif;
gefüttt e§ ©ott bem .Vierrn, fo bietet fi(^ nn§ uielleid)t eine nnbere ©e=
tegenheit, biefetben jn entroiefetn.
|»ic eigcntfiffic cJtcßc nfs „aßfol'utc“ nnb „rcfalivtc“. ■2Tafurgcmä(j toirb ßc
»on ber nncigcntfitßcn meiftens an |itnrUe üßertroffen.
I.
9tud) bie cigenttidje Siebe fann impcrfön(id)c ©ingc jnm ©egeuftanbe haben.
93eracig biefc§ ©nhc§ nu§ ber atlgemeinen 9tnfd)aunng, au§ ber aunlogcu
Sct)ve ber ^oii ber „nbfohiten nnb vetcitioen 33evehrnng", nnb
nng ber Set)rc be§ heitigen Xhomng. Ginc zioeite, ootlftänbigcre ©efinition
ber eigentlichen Siebe.
55. 9triftoteteg forootd, a(§ S^homog oon Stqnin nnb Seffing brücten
ftth in ben ©teilen auf bie mir eben nodh oerraiefen hoben, in einer SSeife
ang, bnfi eg ben 9tnfdjein hoben fönnte, a(g ob fie bie eigenttiche Siebe
nur perföntichen SSefen gegenüber für benfbor hietten. 3^^ SOieiointg,
eg fönne in ber ©hot nur in IRücffidjt anf fotdje oon einer eigenttidjen
Siebe bie fRebe fepn, mag nod) teidjter ber oon iing ermähnte Umftonb
oeranloffen, baf; bie eigentlidie Siebe and) „bie Siebe ber ^rennbfdjoft"
ober beg „SSohtmoIleng'' genannt 51t merben pflegt. ®enn „Jrennbfcboft"
ift freilid) nur jmifchen oernünftigen 95>efen möglid); nnb menn bag
„9öohImotIen" audi nid)t, mie bie g^reunbfdjoft, bie ©egenfeitigfeit ein=
*) 3Jtan Dcrgteidjc bie äliunerhingen n. 70. 71. 72. 75.
**) „A'jtoü £v£-/,ct“ ober „aÖToü ipsius gratia, t)ei|t „ju feinem tßor=
theit", „5u feinem SSeften", ober, roie mir oorßer (©. 73) gefagt haben, „infofern
feine Sotlenbnng ober (Stüctfetigteit babnreh geförbert roirb". „©einetiucgen" ober
„um feiner felbft mitten" fann immerhin benfetben ©hin haben; aber e§ fnnn ge=
rabe fo teidht in einem anberen, feineSroegg gnn’, richtigen genommen merben.
78
2(uc^ imperföntt^e ®inge föimeix
fc^Uefet, [o frf)eint eö boc^, nad) bem ©prai^gebrauc^e ju urt^eiten, al§
ob man roirfü^eg SBo^lmoUen nur gegen ^^Jerfonen §egen fönnte, unb
nic^t audb gegen unperföuücbe ‘Singe.
©egen baä ©nbe be§ norigen 'Paragraphen mailten mir bie ®e=
merfung, mir fänben bie ißerbalüberfet^ungen ber iateinifchen 2fu§bnic!e
ber ©d)oia[tif für bie ^inei oerfchiebenen 2Irten ber Siebe raenig geeignet,
bie Ädarheit unb dUd)tigfeit ber begriffe ju förbern; in bem ^ulet^t er;
mahnten ©ebanfen liegt ein ißeroeiä bafür, bap biefe ®emerfung gegrünbet
mar. ©in Ännftter liebt feine ©emälbe, ein 'Sd)riftfteder feine SBerfe,
ein Sidüer feine Sieber, meil fie bie f^rndit ibre§ ©eifte§, il)re§ l^erjenS
finb; ber fv^ennb liebt bas 33ilb feines f^reunbeS; ein guter ©ohn hält
ein 5lnbenfen in ©hren baS ihm fein fterbenber SSater hinterlaffen hat,
er liebt ein ©erntlj, eine Uhr, eine Sofe, bereu biefer fich ju bebienen
pflegte, mag fie and) an fid) gar nid)t non befonberem Sßerthe fepn. 2Son
bem gro[3en 3lntoninS mirb erzählt, bnf3 er bie aus Palmenblättern ge;
flodjtene Sunica beS erften ©remiten roie ein Jlleinob beroahrte; faft ein
^ahrtaufenb fpöter nahm bie heilige ©lifabetl) ben abgetragenen iDiantel
beS .^eiligen non Slffifi mit hohev $reube als ©efdhenf an, unb glaubte
in bemfelben einen foftbaren ©chat^ jn beulten; noih um biefelbe 3eit
mar bie 23egeifternng nid)t ertofdjen, mel^e mehr alS ein ^uh^^^abert
lang bie 5>ölfer ©uropa’S nadf 2lfien getrieben, unb fie nermo(ht Ijutle,
ültleS baranjnfel^en, um baS ©rab beS ©rlöferS unb bie ©tätten feiner
©ieburt unb feineS ©obeS ben i^änben ber Ungläubigen mieber gu ent;
reif3en. 3il>irb femanb behaupten moKen, biefe 23egeifternng, ober bie Siebe
metd)e il)r mie allen übrigen angebeuteten ©hulfud)en ju ©runbe lag ober
liegt, fep nid)t eigentlidfe Siebe, fonbern uneigentli(he ?
Sie Äird)e nerpflid)tet unS, nicht allein bie ^eiligen ju nerehren,
fonbern and) ihre IHeliqnien unb ihre 23ilber. Unb bie SBiffenfi^oft, um
biefe ißerehrung, ihren 23egriff nnb ihren ÜSerth, riditig barjuftelten, lehrt
nnS eine jmeifache IBerehrung nnterfdjeiben : bie „abfolute" unb bie „rela;
tioe". Sie übernatürlichen iUorjüge melche ben ©egenftanb unferer SSer;
ehrnng bilben, finb ben i^eUigen mirflich eigen; barnm ift unfere 3}er;
ehrnng gegen biefe eine abfolnte'’'"). Sie ^Reliquien bagegen unb bie Silber
ber qjeiligen haben in fid) felbft, für fid] betrachtet, gar nichts, um beffen
mitten fie unfere Verehrung in Snfprud) nähmen. 2lber bie ©rfteren
flehen in einer befonberen moratifdjen Sejiehung jn ben ^eiligen, unb
bie Silber ftellen unS bie ©eftalt nnb bie 8uS£ berfelben bar: bephalb
merben beibe mit 9bed)t ber ©egenftanb unferer Serehrung; febod) nicht,
mie bie heiligen felbft, einer abfotuten Serehrung, fonbern einer relatioen.
*) greilid} nicht in bem ©inne, al§ ob ba§ lepte ßiel berfelben je ein anbereS
feijn fönntc, al§ bie Urqncüe aller erfchaffenen Sollfommenheiten, @ott felbft.
bcn ©egniftanb eigentlicher Siebe bilben.
70
Sa§ mifere SBevelinmg ift allerbingg uniiüttdbar unb junädjft auf
bte iReliquteu unb bte 23Uber geridjtet, aber fie bleibt nicht bei ifiueu
fteheu, foubern fie getjt über auf bie 3?erherrtid)teu ®otte§, beueu jene
einft augeljörteu, iuetd;e burih biefe bargeftedt luerbeu. 2öir u er ehren
bie 9fleliquien unb bie Silber int eigenttidjen Sinne be§ SJorteg, aber
nicht um ihrer felbft inilten, foubern einjig roegen ihrer Sejiehnng ju ben
unferer Serehrnng innrbigen Sei'fonen, unb in Dtncffidjt auf biefe.
@erabe fo nerhätt e§ fid) mit ber eigentlichen Siebe non roelcher
mir hanbeln. Sernnnfttofe, rein förperliche 5Dinge fonnen m-irflich ben
unmittetbaren ©egenftanb unferer eigentlidien Siebe bitben: baä h^ifit eö
fann nn§ ihre ©miftenj, ihre ©rhattnng, ihre ScrooIIfommnung am
.iperjen liegen, mir tonnen nng ihrer Sefd)affenheit unb ihrer Sorjnge
freuen, ohne baff un§ bie dtncffidjt auf irgenb metd^e uns jm
fagenbe Sßirfnng beftiminte, meld)e fie un§ nermitteln fotten. 2tber biefe
Siebe mirb eine retatine feqn , b. h- eüte foldje, bereu eigenttidjer
©egenftanb nnb bereu tehteS j^iet nid)t ba§ nnperfönüd)e S)ing ift,
fonbern ba§ perfönliche SBefen ^n metd)em feneS in ber Se^iehnng irgenb
einer ethifchen ober ontotogifdjen Sbhüngigteit fteht, ba§ e§ j. S. bar=
fteitt, beffen ®9mboI, ober beffen 2I^erf e§ ift, beffen
Sorjnge barnm, mie in ber ©opie ba§ Original, nn§ in bemfelben
entgegentreten.
'»Dean bnrfte biefem nuferem Snt^e bie Slnerfennnng fnum nerfagen
tonnen, ohne jugleid) bie Sehre non ber 9teliqnien= nnb Sitbernerehrung
ernftlidj 51t gefiihrben. ÜSenn man mit fvng nnb iRed)t nnperfönliche
Oinge nerehrt, bann muffen nnperfönliche Oinge and) ben ©egenftanb
eigentlicher Siebe bitben tonnen; beim nur ma§ geeignet ift, geliebt jn
merben, nnb gmar im eigenttid)en Sinne biefes 2Borte§, tann ©egenftanb
ber Serehrnng merben.
56. Uebrigens lehrt gernj ba§ 9cämlid)e and) Ohomo§ uon Slqnin.
3n unmittelbarem 2lnfd)tnffe an gmei Sät^e, in benen er bie gmei 5lrten
ber Siebe, bie eigentlid)e unb bie nneigentlidje, einanber gegennberftell©*')/
fahrt ber heilige Sehrer fort; ,,©ott mitt für ein febeS ©efdjopf
bas roa§ bemfelben gut ift, nnb gmar eben infofern eä bemfelben
gut ift. Oenn er mill, ba^ ein febe§ beftche mit ber bemfelben eigenen
inneren ©utheit; menngteich er freilich anberfeitä and] mieber ba§
eine ©efchöpf i)3iittel feqn löfd gnr f^örbernng eined anberen. §olglid]
liebt ©Ott mit eigenttidjer Siebe forooht fid) felbft, al§ bie Singe
außer ihm" 76). 2Senn hiernach thatfadjlid) alle Singe, mithin and] bie
unperfönlidjen, felbft non ©ott bem .fperrn mit eigenttidjer Siebe geliebt
*) ffiir haben bie Ueberfehnng biefer jroci Sdpe oben gegeben, ©. 73 3- 18 ff.
D. 0. nnb ®. 74 3- 12 fi- o- 0.
80
3Barum „bie Töpfer einanber grollen".
roerben, bann nni^ offenbar bie Se^tere aud^ nnperfönUc!^en ©rfc^einnngen
gegenüber noltfommen benfbar unb mögüd^ fepn.
3^61 ©ebanten raeldie J.'^omaS anberSnio, nätnlicf) in ber t^eos
logifcben „©nmma" ongfpric^t, fdjeinen freilid^ mit biefer Se^^re in SBibers
fpruc^ ju fte'^en*). 2tber fc^on be ©ploeftrig ^at in feinem berühmten
©ommentar bnrcf) eine einge^^enbe ißetend^tung beiber ©teilen biefen an=
fdjeinenben Sßiberfprud) ooUftänbig gehoben 77). ©erfelbe grünbet ftd)
lebiglid) auf bie nerfd^iebene ißebeutung, in roeli^er 2^oma§ tl)eil§ ibem
tifdie, tfieilS ü^nlid^ lautenbe Sluäbrüde in ben jroei ©teilen gebraud)t.
Söoden Toir bie l^iermit feftgeftellte Sßnbrl^eit in ber ^Definition ber
eigentlichen ßiebe h^^-'i^ortreten laffen, fo müffen mir an bie ©teile ber
früher (50. ©. 73) gegebenen biefe fehen: ©)ie eigentliche Siebe ift
ba§ bejahenbe ©treben eine§ oernünftigen 2Sefen§, beffen
eigentlichen ©egenftanb unb beffen let^teg 3^^^ entroeber
ba§ Object felbft bilbet, auf ba§ e§ fid) richtet, ober ein
oon biefem 3)erfdhiebene§, ju roelt^em ba§ ©rftere in ber
iSe^iehnng ethifdiet ober ontologif^er 3lbhängigfeit fteht.
II.
3n raiefem unb unter roel(heu Umftänben bie uneigeutlid^e Siebe ftärfer fep,
al§ bie eigentliche, unb beren SBärme unb SSirtfnmfeit beeinträchtige, ober
fie and) ganj nuäfdjtie§e. Slßarum, bem iBerfe be§ .'Qefiob zufolge, „bie
Döpfer einanber grollen".
57. ©dhliefilidj müffen mir noch berüdfic^tigen , auf
bie mir halb 5urücfjufommen hoben: bie uneigentlidhe Siebe, roo fie fid)
auf einen ©egenftanb richtet ber nicht für ein Oritteg, fonbern für und
felbft gut erf^eint, ift naturgemäß ftärfer nnb roirffamer, al§ bie
eigentliche.
©S ift nid)t feßmer, biefe Ohotfoche ber ©rfahrung ju erflären. 2öo
ben ©egenftanb ber uneigentlichen Siebe ein Oing bilbet, nidht meil e§
einem ©ritten, fonbern meil e§ un§ fetber gut ift, b. h- nieit mir baoon
für un§ felbft ißortheil ober ©ennß erraarten, bo fteht biefe uneigentlidhe
Siebe im ©ienfte jener Siebe, mit ber mir ber Orbnung ber Sfatur ju-
folge uns felbft umf offen, unfer eigeneg SBefen unb unfere ©lücffeligfeit;
mit biefer unferer notürlidien Siebe ju ung felbft ift fie geroiffermaßen
ibentifdj , nnb erfd)eint eigentlidh nur alg eine Slusbehnung berfelben auf
ein außer ung liegenbeg Object. „2Sem an ber ©rhaltung beg SSBeineg
liegt," fagten mir früher mit bem h^i^'^S^n ^h^mag, „meil er baoon
*) Thom. S. 1. p. q. 20. a. 2. ad 3.
Sarum „bie Jöpfev einauber grollen".
81
trinfen möchte, ber liebt eigentlidj fid) felber, ben üßein aber nur im=
eigentlich." iUnn behauptet aber bie nng anerfchaffene Siebe ju nn§ felbft,
inaä ihre Störte unb ihre 2ßirffamf'eit betrifft, naturgemäß immer ben
erften Dtang: beim unfer eigenes ÜSefen liegt nn§ am nöchftcn, nnb
einzig baburdj baß mir biefeS lieben, finb mir ja im Staube unb geneigt,
auch fülche ©egenftönbe ju lieben meldje mit nuferer ißernunft nberein=
ftimmenb, b. h- fid) gut" finb. 2ßo beßljfllb bie „eigentliche" Siebe
eines außer unS liegenben „an fidj @uten" mit ber „uneigentlidjen" Siebe
ju bem uns 31ngenehmen ober ßtüßlidjen in ©ollifion geröth, ba mirb
on unb für fidj bie Seßtere immer ben Sieg baoontragen: e§ fep benn,
baß ber freie 2Biüe, non höheren 31ncffid)ten geleitet, eine anberc ©nt=
fiheibung träfe.
58. .^riierin liegt nun bie ©rflärung einer ©rfcheinnng, roelche bem
früher angeführten unb begrünbeten Soße, birß Steljulichteit ober lieber;
einftimmnng Siebe erjenge, 511 miberfpredien fdjeint. IBereitS ifßloto er;
raähnt biefer Sdjioierigteit. ,,3d) erinnere mich", f^gt im SDialoge „lieber
bie fyreunbfdjaft" SoernteS jn SpfiS, ,,id) erinnere midh noch
roie idj einmal femanben behaupten hörte, baß ein ^ebeS bem ilpn 3tehu;
lidjen, unb bie ©Uten ben ©nten, bnrdjanS feinblicö gegenüberftünben. Ser
iSlann berief fid) babei auf baS 3'^^'S'^ß beS Sefiob , bei bem e§ hrifß-
,'ßflegt jn ber Töpfer bem Söpfer 311 grollen, bem Sänger ber Sänger,
Unb bem ''llrmen ber '3trmc‘*);
nnb fo führte er loeiter ben SladfraeiS, baß überhaupt immer, mo baS
ißerhältniß ber 91ehnlid}feit beftehe, ßteib, ©iferfiidft nnb geinbfeligfeit
herrfche" **). Ser non ‘■f^lnto h^rr angeführte ®er§ beS alten SidjterS
ift gerabejn fprüchroörtlich gemorben : 3lriftotele§ roenigftenS nnb ShomaS
oon Slqnin erinnern miebei'holt an baS „/spotp-iuc xspaaEi“ unb „figulus
ßgiilum“. Ser hriligr Äirdjenlehrer mad)t fid), mo er ben Saß bc;
hanbelt, baß bie 5tehnlid)feit alS ©runb ber Siebe gelten muß, biefe
©inroenbung. „3lehnlichfeit erjengt 31bneignng. Senn e§ hrißl in öen
Spriidjen (13, 10), baß ,hoffärtige iötenfdjen beftünbig Streit h^öen
unter einanber‘; nnb ber ifohüofoph fagt (©thif 8, 1), baß ,bie Söpfer
einauber jn grollen pflegeiß" 78).
Sie Slntmort mit melcher ShoinaS biefe ©inmenbnng gegen feine
Seßre jurüdroeift, enthält jngleid) bie 3?eftätignng beffen roaS mir in
ber üorhergehenben ßhunmer gefagt hnben. „SiSer einem ©egenftanbe
gegenüber bie nneigentliche Siebe ßrgt, ber liebt im ©rnnbe fid)
*) Kctt v.Epcffj.co; '/.epapeT y.cct äoioö; cioiOiij.
Kc(t ~7ioy6; zT(oytp.
**) Plat. Lysis, Steph. p. 215 c. d. Bip. 5. p. 236.
3ungmann, 2Ceftt)etit. 2. 2(ufl.
6
82
XBarum „bie Söpfer einanber groEen".
f e ( b [t , ba er für fi^ feneä ®ute roiCt auf ba§ fein ©treben gerichtet ift.
©in ^eber liebt nun aber fic^ felbft nte^r at§ einen 2lnberen; benn mit
fic^ felber ift er bem SBefen nad) ©ine§, mit bem Slnberen bagegen nnr
uermöge irgenb einer gleicf) artigen Sefii^affen^eit bie fid) in beiben finbet.
SBenn barum eben in f^olge biefer ©emeinfamfeit ber gleichartigen 33e=
fdiaffenheit ber Slnbere il)m im Söege fte^t, unb il)n hinbert, eine§ @ute§
theilliaftig gu merben nadj roelcliem er ftrebt, bann rairb il)m berfelbe
roiberroortig feijn: nic^t be^lifl^^ äl)nli(h, fonbern roeil er il)m
hinberlid) ift, baö roorin er feinen eigenen tßortheil fie^t, ju erreichen.
2lu§ biefem ©runbe , grollen einanber bie ©öpfer‘, roeil jeber bem an=
bereu an feinem ©eroinn ©intrag tl)ut; unb glei(hfatl§ barum , haben
hoffärtige ÜJlenfdjen unter einanber beftünbig ©treit‘, roeil ihr S^rachten
auf ©hre unb Slnfehen gerichtet ift, unb in biefer iftüdficht jeber bem
anbern im Söege fteht" 79).
®er ©ebanfe ben roir hie^tEit au§geführt haben, hübet eine unent=
behrli(he ©rgänjung ber früher, theil§ bei ber ©rörterung über bie innere
©utheit, theilä auch in biefem Kapitel, au§gefpro(henen ©ühe. „Unfere
Siebe'', fagten roir, „riihtet fich naturgemäß auf alle ®inge, in roeld)en
roir bie 55orjüge unfereg eigenen SffiefenS roahrnehmen, roelche fich fomit
al§ thatfächlid) mit un§ übereinftimmenb barftellen;" unb roieber: „®a§
natürli^e Object unferer Siebe ift atleg an fich ©ute." Oiefe ©ähe finb
üoüfommen roahr; nur barf man fie nicht fo oerftehen, al§ ob ber
''JJtenfch atleg an fich ©ute, 2ltle§ roa§ mit feiner eigenen oernünftigen
))latur in tljatfächtidjer Uebereinftimmung fteht, nothroenbig unb unter
aUen Umftünben liebte, ober al§ ob biefe Siebe, roa§ ihre ©tärle betrifft,
lieh iunner in jenem ©rabe erzeugte unb fühlbar machte, roelcher bem
))}^aaße ber inneren ©utheit be§ ©egeuftaubeg genau entfprechenb roäre.
Oenn nicht blof) hängt ja, enblihen ©ütern gegenüber, bie Siebe beg
))i)ienfhen in jebem einzelnen f^aüe üon feinem freien Sßitlen ab: fonbern
eg ift, roie roir nahgeroiefen haben, auh gang natürlih, roenn oielfah
bie uneigentlihe Siebe bie eigentlihe beeinträdjtigt,' fie herabftimmt, ober
and) fie im i^eime erftidt, unb gar niht auffommen läßt.
SSegriff be§ ©emtfieg.
83
2)nüc^ tnpitd.
Der ® r n u |i.
§• 1.
bcv ^cnu^ fc^.
S^cr @emij^ ift, lute bic Siebe, raeientiiclj eine Ü)ätigfeit bes otvebenennögeng.
3^cfinition bes ©ciiufieg. 3>uei nnbeve, mit biefev übeveiuftimmenbe, (Sv:
ttäningen non ülriftotclcg.
59. Sefevu btci'eö 53ud)eg raeWte gemof)nt fiiib , mit ber
beutfdten '-]3)gd)otogie bev leijiten Ijunbert
bie 5‘Ui'djt unb bie .^üffnung, beu ®tf)inerj unb bie '^reube, mit (5‘inem
'Sorte bie „©efü^te" ober ©emütltgbemctguugeu , al§ 5Ieu^eriiiigen eines
eigenen „©efü^tSuermögenö" jn betradjten, ba§ nom t'-rfenntnife= nnb
•oom 0trebeoermogen mefentlid) oerfdjieben fei) : foldjen Sefern, fagen mir,
bürfte e§ l'd)on metjr atS (Sinmni nnffntlenb unb feltfam oorgefommen
fep, roenn fie un§ bie Siebe bnrd) ben Segriff be§ „©trebenS" befiniren,
ober StriftoteleS, SeffinS, nnb ben t)eiligen 3d)omaS jagen I)örten, bie Siebe
beftetie barin, baf) unfer Sotten auf baS geridftet feg, roaS für ben
©egenftanb berfetben gut ift. 3tm [tärfften inbef) muff fid) biefe iier=
fd)iebent)eit ber pfi)d)otogifd)en Stnfdfanungen in bem gegenmärtigen Ä'apitet
fütjtbar madfen, roo nom ©enng bie Ütebe fepn folt. ®enn „Suft nnb
Untuft" merben ja non ber neueren 'jolpdfotogie gernbe atS bie eigent=
tidif'ten 2teuf3erungen ihres „@efüt)t§üermögen§" bejeidjnet; unb eben barum,
weit bie „Suft", bie ba§ Stergnngen, ber (Mennf), offenbor meber
ein ©rfennen fei), nod) ein ©treben, uietmetir non biefem mie non jenem
fpecififd) oerfd)ieben , eben barum h^tt fie fid) für nerp[tid)tet, brei
©eetenoermogen , unb nidjt, mie bie Siffenfd)aft e§ jmeitaufenb
taug getfian, btof) jmei, jn nnterf^eiben.
ift uns teiber nnmögtid), in biefer Ütejiehnng ben ©egenfau, ju
ben pfpd)otogifd)en 2]orausfeb,nngen ber bejeichneten Ä'taffe nuferer Sefer
jn nermeiben. „3üaf) 2triftoteteS nnb bie ©dhotaftifer mir non (jTfenntnif)= '
unb SittenSuermögen rebeten, fam bat)er, meit fie mot)t mufften, mie nuS
ben ftürteren Gefühlen gemöl)ntidj 23eget)rnngen unb Seftreben entftet)en,
nnb biefe jmei auS nnb nai^ einanber entftet)enben ÜRegiingen ber ©eete
für mir eine einzige anfahen, ftntt fie uon einanber gn nnterfd)eiben, nnb
jebe einem befonberen ©eetenuermögen ,3njiifd)reiben." ©o beifft eS in
einem 23nd)e bas 1877, gerabe hmibert 3at)ve nad) ber erften 'promnU
gation beS „®efüt)t§uermögenS", bie '^h-effe oertief). meine, menn
2triftotetes unb ©t. Stuguftin, 2ttbert ber @rof)e unb ber heilige ©t)oma§,
6*
84
Segriff bc§ ©cmiffeS.
©uarej unb Öeibni^, bevma^en fc^fec^te ?p:§tlo[op!^en gerae[en roären, baf?
fte ftc^ in fo arger 3Bet[e nerfe’^en fonnten, bann roürben t^re Spanien
im neunje'^nten ^a^r^^nnbert roo^i faum me^r genannt werben. iRein,
nic^t ba§ mar ber @runb, mef^'^atb bie (Srroä^^nten, unb eine ganje
0d^aar anberer dürften ber SBi[len[c^aft, nur groei 35ermögen, roie nber=
^aupt nur jroei nerf(^iebene 2trten non J^ätigfeiten in jebem ®ei[te an-
erfannten. fam ba^er, meit fie ein ;^u gute§ Stuge l^atten, um ni(|t
ju fe’^en, baj3 „fiuft unb Unluft" not^roenbig Jl^ätigfeiten be§ nämlichen
25ermögen§ fepn müßten welchem ba§ ißegel^ren, unb nberl^aupt jebe
©trebung jugefcfirieben roirb, unb baf^ eine raa^re ifSl^ilofopl^ie roeber
non pfp(^ifd)en Vorgängen „rein teibenber 3trt" träumen, nod^ bie „Siift
unb Unluft" mit ben Steten be§ ©etbftberouf3tfepn§ uermedEifetn bürfte,
inbem fie bie @efü§te für „ba§ ^nnemerben eine§ erregten
ber ©eele" erftärte. ®a§ mir bered^tigt finb, ^ier in biefer SBeife ju
reben, bafür f)aben roir ben ®eroei§ f(^on nor geliefert*).
60. 2©enn man ein ©tüct ßifen in bie SM^e eine§ iIRagnete§ !
bringt, fo jiet)t er e§ an fid^; unb nad^bem er e§ an fid^ gezogen, ^ätt ■
er e§ feft, mit grof3erer ober geringerer Äraft je nadt) feiner ©tärfe.
ift, inenn roir nic^t irren, nod^ nie einem ifS^pfifer in ben ©inn ge^
fommen, in bem iÖ^agnet jroei nerfd^iebenartige Ärdfte finben gu roollen,
eine rooburdt) er ba§ ®ifen on fidtj gie^e, unb eine groeite rooburd^ er
baffelbe feft^atte. notlfommen analogem SSerpttniffe roie biefe groei
Sßirfungen ber @inen magnetifd^en Äraft, fielen gu einanber jene groei
SSorgänge in nuferer ©eete, roetdje man „Sege^ren" (SSertangen) unb
„®enup" (Suft, S?ergnügen, f^reube) gu nennen pflegt.
®ie @ine ®runbtf)ötigfeit be§ ©trebeoermögenS , fein rabicater Stet,
ift bie Siebe; au§ i^r gef)en, roie roir fdtjon einmal fagten, atte anberen
©trebungen unb ©efiü^te tjeroor. ©)ie SSerfdtiiebenl^ett berfetben ergibt
fi^ lebigtii^ auf @rnnb ber oerfdtiiebenen SSegie^ung, in roetd^er ber
©egenftanb ber Siebe fidb nn§ gegenüber barftetlt. „®enn barum," le^rt
2.1^oma§ non Stqnin, „roeit roir einen ©egenftanb lieben, ^egen roir SSer=
langen nadb bemfelben folange roir il^n entbel^ren, freuen roir un§
roenn er für nn§ ba ift, fd^mergt e§ un§ roenn roir i^n gu erreii^en
ge^inbert roerben, Imffen roir bie Urfa(^e biefer q^inberung, unb gürnen
roir berfelben" 80). @erabe fo fpridjt ©t. Stnguftin : „®ie Siebe ift j
SSerlangen, roo fie trachtet na(^ bem roa§ i^ren ©egenftanb bilbet; fie |
ift ©enuB, roo fie i^ren ©egenftanb errei(^t §at unb um^ i
faf3t ’^ält; fie ift fynrd)t, infofern fie fc^eut roa§ benfelben beeinträd^tigt; |
fie ift enblid) ©d)merg, infofern fie roaf)rnimmt, baß roa§ fie fürd^tete, :
*) 3n „®a§ @emütb, imb bo§ ®efübl§t)ermögen ber neueren qgfpd^ologie"
(1868) Sl. 83—99. <S. 231—280.
®efinition be§ @emille§.
85
eingetreten t[t" 8i). „28as man ©ennfe nennt/' jagt abermals bet/elbe
Äirc^ente^rer, „ma§ ift bas anbers, al§ ber SSefit^ beffen roaS man
liebt?" 82)
Stuf bie f^rage , mag ber ©enuf; fet) , antraorten mir ^iernac^ , im
S(nfcf)tuffe an bie jmei genonnten fjeiligen Se^rer, burd) biefe S)efiniti£m:
®er ©enufs ift fener Stet beS ©trebenermogenS, metdjer
fid) erzeugt, roenn baS ftrebenbe SBefen ben ©egenftanb
feiner Siebe erreid)t tjat, unb if)u umfafftss).
®iefe§ SOtoment, baf) bas ftrebenbe Söefen ben ©egenftanb feiner
Siebe erreidit t)at, nifo nidjt inetir „fii^ ju bemfelben ’^inberoegt",
fid) nid)t met)r nad) b^m ju feljuen t)at, biefeS ift eS, baS bie ©c^olaftif
ausbrücfen roill, menn fie ben ©enuf) „bie 9but)e" beS ©trebenS nennt.
Sagegen inar fie roeit entfernt, biefe 23ejeid)nung in bem ©inne nnjm
raenben, atS ob ber ©enuf) nid)t mirflid) eine St)ätigfeit märe 84).
61. ©ine anbere Sefinition gibt StriftoteleS in feiner Stjeorie ber
S3erebtfamfeit : „Ser ©ienuf) ift jener Stet beS ©trebenermögens , metdier
fid) erjengt, roenn baS ftrebenbe äSefen fid) actuett in einem feiner 3batur
rei^t entfprecbenben firfjt“ 85). äSefentlid) oerfd)ieben oon ber
unfrigen ift biefe ©rflcirnng nid)t. Senn eben in fofern, unb nur in
fofern, als ba§ ftrebenbe SiSefen einen „©egenftanb feiner Siebe erreidit
I)at unb it)n umfaf)t", „fiet)t eS fi^ actuett in einen 3uftß”^ nerfet^t,
roetd)er feiner Siatnr red)t entfprid)t".
©hier brüten ©rftärung, auS ber ©t^^if' beS StriftoteleS, l^aben roir
bereits früher ermähnt: „Ser ©ennf) ift bie unge^inberte, naturgemäf)e
Sil^ätigf'eit eineS S>ermogenS" 86). 3” biefen 25>ortcn ift 5unnd)ft ber
pfpd)otogifc^e ©runb jebeS ©enuffeS auSgebrnctt. älHr jid^en es uor,
nuferer roeiteren Unterfnd)ung bie an erfter ©tette, nad) ©t. Stuguftin nnb
bem l^eitigen Stomas, non uns gegebene Sefinition ju ©runbe ju legen.
§• 2.
^ier Arten bcs ^enuffes, wcfc^c ber uneijientfitben j£ie6e entfjtrecben.
Sie f)Teube in dtüdfid)t auf baS 3iüblid)c. .^atettcctuale , finnlid)c, uegetntioe
©enüffe.
62. Ser ©rftärung gegenüber burd) roeld)e roir (60) ben S3egriff
beS ©enuffeS beftimmt t)aben, entftet)t fofort bie fvrage; ÜSann nnb roo=
burc^ gef(^ie’^t eS benn, baff „baS ftrebenbe SBefen ben ©egenftanb feiner
Siebe erreidit unb umfaf)t" ? roie l)aben roir un§ biefeS „Umfaffen" ju
benfen, unb roorin befielt eS? SiefeS „Umfaffen" ift nerfd)iebenartig,
je nach ber S)erfd)iebent)eit ber Siebe an roetd)e ber ©enuf? fid) anfd)liefü,
unb ber 9tndfid)t , um bereu mitten ber ©iegenftanb geliebt roirb. itSir
86
iTie A-reiibe in Dtücfnd^t auf bae O^Rd^e.
I6a6en in bem norberge^enben .Kapitel bie eitgentüdie Siebe unb bie ihr
etgentiidie untevfdiieben ; bei ber uneigentlitfien, meidie fidb auf bie „äußere
C^nitbeit" grünbet, mürben ferner ^roei befonbere dtncffid^ten ermähnt,
um bereu miden ein ^Ting biefelbe in ütnfprnd) nebinen fann: bie 5tn-
genebmbeit, unb bie ?lü^Iicbfeit. (Eomobl biefe ^mei Otücffidbten , a(§
jene ^mei Ütrten ber Siebe, müffen mir nor Gingen haben, menn mir e§
une ffar madfien moden, in meldier 2[Seife fid) bas „©rreid^en unb Um=
faffen" bes (^^egenftanbes ber Siebe imdjiebe, auf metd^es jeber @enuB
fidb grünbet.
63. dSas Rinädbft jene 5(rt ber uneigentüd^en Siebe angebt, bie fidb
auf einen (l^egenftanb ridfitet feiner ülüBüdifeit megen, b. b- barum,
meil berfetbe fid^ als geeignetes S^^ittel barftedt für einen ciR
beffen 'i'ermirtlidmng bem ftrebenben ^iSefen (iegt, fo bat bas SeBtere in
biefer tBejiebung ben @egenftanb feiner Siebe erreicht, unb mirb beübalb
fid) freuen ober @enuB empfinben, fobatb es bas S^Httel in entfprecbenber
5Seife mirffam fiebt für ben d<^) fobatb
es, menn biefe 'ISirffamfeit nodö ber 3tittinft angebört, mehr ober meniger
fi(i]ere 5tusfidbt hat, baf; fie Rir rechten 3^^i^ eintreten merbe. ^I^iefe
fvreube fädt offenbar ^ufammen mit ber \>offnung auf jene§ @ut, um
beffen miden bas ?h"iBticbe geliebt mirb, ober mit ber 3ti^srfid)t, (rrfteres
^n befipen.
3n foteber dSeife freut ficb 3. 3?. ber Sanbmann, menn ber 0tanb
ber eaaten ihm eine ergiebige (rrnte oerbeipt; ber ^tboocat, menn er
nadb tanger SMbc bas 5!)ocument finbet, bas für ben '-j^roceB entfdbeibenb
ift ; in biefer 3Ü^eife freut fid) , mer immer , fei) es biirdb ein gtüdtid)es
.N^anbetsunternebmen, ober burd) eine teftamentarifdie t^eftimmung, ober
burd) einen ©erninn irgenb metdier 5trt, ben etanb feines i^ermogens
beträdjttid) gehoben fietit. S^iefer 5trt gehörte bie ^^reube an, metdbe
nadb bem i^erid)te ber (roangetiften'^) bie 75einbe bes .^errn empfanben,
als ber 3}errätber oor ihnen erfdjien, unb fidb bereit erftärte, feinen
S?teifter in ihre >^änbe 311 tiefem, — unb nicht minber jene gau3 anbere
fvreube, mit melcber bie dSeifen, bei ihrem 5tustritte aus ^^rufatem, ben
etern mieberfaben, ber ihnen im ü^^orgentanbe erfebienen mar, unb jefet
als treuer Rührer oor ihnen b^i^ 30g (S3^attb. 2, 10).
64. S^^ebr ^ead)tung als biefe, nimmt nuferer 5tufgabe gegenüber
bie anbere dfücffid)t in 5tniprud) , auf metebe fid) uneigenttid)e Siebe 311
grünben pflegt. „5t n genehm ift uns ein 'I^ing", haben mir (47. 3. 70)
getagt, „infofern e§, als ber angemeffene (^^egenftanb eines nuferer 5}er^
mögen, geeignet ift, uns ben biefem Qiermögen entfpreebenben @enuB 311
bereiten." ^as ftrebenbe dSefen h^^ ^öm als angenehm
*) Oltarc. 14, 11. 5uc. 22, 5.
^ntellectuale, finnUd^e, unb Degetatbe @enüjje.
87
geüebteu (S5egenftanb „erreid)t", unb „umfafjt'' benfdben, raenu biefer
üon bem 3}ermögen beffen natürütfjeä Object er bilbet, ergriffen wixh,
nnb i|m ^n natnrgemäf^er Optigfeit bient. Oer @enuB 33- raelc^en
ber 2öo^Igernd^ ber D^ofe geraä^ren fann, entfielt in bein 3(ngenb(tde,
Tt»o bte (^5ern(ineröen non ben ber D^ofe entftrömenben (S5a§tt)eit(^en be=
rü^rt inerben; ber ©eniiB it>etc[)en 0petfe nnb Oran! bieten, infofern fie
drittel jnr ©r^attnng nnb görbernng be§ teibüd^en Sebent finb , ift
babnrc^ bebingt, bap biefelben mit ben Organen be§ negetatben 33er^
mögen§, belief) nng^meife mit jenen Ofieiten beg @anglien=3^ert)enfpftem§
in 3Serbinbnng treten, non metd^en biefe Organe bebient merben.
Oie an bie nneigenttid^e Siebe fid^ anfd^tiejsenben ©eniiffe, infofern
fie biefer .^(affe angepren, b. ^). alte nii^t aib ber Siebe ^nm D^ül^üd^en
tjeroorge^enben , merben mir bem (Sefagten gufolge mit ^lecbt in ner=
fd^iebene ^'rten t^eilen je nad^ bem Vermögen, auf beffen natnr=
gemäßer O^ätigfeit fie berufen. Orei 3]ermögen ber menfd^üdien 5)btnr
tonnen in biefer iBejie^nng noi\3ing§meife in 33etra^t fommen: ba§ tjöl^ere
(ÄTfenntnipnermögen , ba§ niebere ober ba§ finnlid)e ^Ttenntnipoermögen,
unb ba§ negetatbe 3]ermögen. Oiefe§ Se^tere ift jene £raft ber 0eete
oermöge beren fie, mittetft ber non @ott bafür beftimmten teibtid^en
Organe, bie ^T^attung nnb ^örberung be§ teibü(^en Seben§ mirtt, in
9^üdfi(^t auf ben ©in^etnen mie auf bie 3Irt; mit anberen ^Sorten, ner=
möge beren fie jene ^^nnctionen nod^ie^t, an metd)e ba§ ©ebeitjen, ba§
33>o'^tfei)n , ba§ 2Sac^§t^um, bie 3®ieberl)efftednng , bie ©rnätjrnng, nnb
bie gortpftan^nng be§ 30lenfd)en nad) ber teiblid}en Oeite feiner S^latnr,
getnüpft ift. ©§ ergeben fid) tjiernad), anper ber in ber oorigen tRnmmer
befprodf)enen , nod) brei 3(rten non „©enüffen an§ nneigenttidjer Siebe":
„intedectnale" ©enüffe, „finnüc^e", nnb „negetatioe".
(>5. ©in intellectnaler ©ein© er^^engt fic^, menn nnfere ^er=
nnnft, mit entfpredöenber Seid^tigteit nnb .^tlarl^eit, irgenb eine 3©a^r^eit
ertennt. Oenn 3nte§ ma§ ertennbar ober ma^r ift, bitbet ja ben natür^
tid^en ©egenftanb nnfer§ ^ö^eren ©rtennenö: barum ge^t ba§ Otreben
jebe§ mit pl^erer ©rtenntnipraft ansgeftatteten 3tSefen§ auf bie 3[Sa5r=
^eit, nnb barnm finbet e§ in ber ©rtenntnif^ berfetben bie feiner natür?
(icf)en 33eftimmnng für fie cntfpredjenbe 33efriebignng. biefem Oinne
fagt O^omaS oon 3(qnin, „bie ©ntf^eit ber Oinge bem ^ö^eren ©rtenntniB=
nermögen gegenüber befiele in ber Sßatjr^eit berfetben" 87). Unb ang
bemfetben ©rnnbe te^rt driftoteteg, baf3 eg „gcmiBbringenb für ung fep,
etmag ^n ternen, meit mir babiirc^ in einen oerfet^t merben ber
nnferer dtatnr entfpridjt"
6(). 0innti(^e ©enüffe finb atte biejenigen, metdjc bie angemeffene
*) Arist, Rhetor. 1. c. 11. n. 21.
88
Sinntid^e unb oegetatioe ©cnüfie.
Xljätigfeit be§ nieberen (JrfenntinßDermögenS , genauer, ber fünf öu^ern
Sinne mit fidj Bringt. (Einrichtung unb Sefcfiaffenheit unferer
finntidjen if5erceptionsürgane angemeffene 2ßahrnehmnngdtf)ätig!eit ift un§
angenehm. „®ie iKenfchen", tefen mir Bei (?5oethe, „empfinben im 2lff=
gemeinen eine gro^e fvi’cuBe an ber f^arBe. ®a§ Singe Bebarf ihrer, raie
e§ bed £ichte§ Bebarf. ilRan erinnere fi(^ ber ©rquidung, raenn an einem
trüBen S;age bie Sonne auf einen einjetnen Shed ber (gegenb fdh^int unb
bie :f5^arBen bafelBft fi^tBar mad)t. . . 5)ie f^arBen, bie mir an ben
.ftörperu erBüd'en, finb ui(^t etroa bem Sluge ein nottig f^rembed, rooburdh
c§ erft jn biefer (Empfinbung gteidjfam geftempelt mürbe; dtein. ®iefe§
Organ ift immer in ber Oidpofition, felBft f^arBen he^^oorjuBringen, unb
geniefft einer angenehmen (Empfinbung, roenn etroaS ber eigenen dlatur
(5iemaf3e§ ihm non auf^en geBrai^t roirb; menn feine SSeftimmBarteit nach
einer geroiffen Seite hin Bebeutenb Beftimmt roirb" *). 2Bie ba§ Ohr
burd) üBermäf^ig ftarfe, ober burd} grette, ober fatfdie Oöne fich nerleht
fühtt, fo gibt e§ onbere bie ed Befonberd gern nernimmt, roeil fie bie
@ehörnernen in einer benfelBen jufagenben SBeife Berühren. Oie
taftung roeid^er, glatter, runber OBerftäd)en geroährt finntiched Vergnügen,
roährenb bie entgegengefehten (Eigenfeh aften in entgegengefe^ter Steife em=
pfunben roerben. (San^ (Emtfprechenbed gilt non ben Sinnen bed (Se=
fehmaefd unb bed (SieruiBd. Stur ftehen freilich forooht biefe groei, ald
and) ber Oaftfinn, in gu ua^er SSegiehung gn ben f^unctionen bed nege=
tatinen £'eBend, atd bafg bie ihnen eigenen „finnlichen" ©enüffe nicht
meiftend fid) mit negetatinen nerBänben; eben barum taffen fie fich in
ber iffiirtlichfeit non biefeu oft nidjt recht nnterf^eiben.
(>7. Oie negetatinen (Senüffe tonnte mau au^ „organifdhe", ober
„fomatifd)e" nennen. So nielfach fie am^, in fyotge ber eben ermähnten
Sihnifndje, mit ben „finnlii^en" (Senüffen nerroedjfett roerben — Begeichnet
man fie meiftend fa fetbft mit bem Stamen ber Weiteren — , fo forbert
bodj nicht nur bie Statur ber Sache, fonberu auch Stüdficht auf
fyragen non practifcher ißebeutung, bag man fie non biefeu unterfi^eibe.
Oer ©runb biefer Unterfcheibung rourbe norher Bereitd augebeutet: ber=
felBe liegt in ber thatfäd)tid)en SSerfchiebenheit ber groei SSermogen unb
ihrer Organe, nämlidj einerfeitd ber Organe bed nieberen (Erfeunend unb
bed in biefeu roirfenben (EereBrofpinadSternenfpftemd , anberfeitd jener
bed negetatinen SeBend unb bed (S)angtien=Sternenfpftemd , non roeli^em
biefe abhängig finb.
(Ein negetatinen (55enu^ fnüpft fidj an jebe feiner ißeftimmuug gang
entfpredjenbe Ohötigfeit eined negetatinen Organd : negetatin (ober fomatifch)
angenehm ift g. S3. bad (Einathmen ber reinen, fauerftoffhaltigen SSergtuft
*) ©oettje, Farbenlehre, 23b. 1. §. 759. 760.
®er @enu^ au§ eigentUi^ev' 2ie6e.
89
in einem J-ic^tenroatbe , ober bie evfrifd)enbe jlü^te nad) bem ©emitter
an einem ^ei^en ©ommevtage, ober bie Sßärme bed menn im
©ecember ber Söinb bie ©c^neefloden bnrd^ einanber roirbeit; oegetatiner
®enu|3 ift e§, gnnädjft roenigfteng, menn „ber SBein be§ i)i)Zenfi^en ©inn
erfreut, unb bie 9tal)rnng feinem .^^^rgen ©tärfe gibt" (ipf. 103, 15).
®ie SöeiSl^eit ®otte§ unb feine @nte l^at freitidj ben ©ingen raeldje bie
3raede be§ negetatioen SebenS förbern, gröf^tentfjeilg eine foldje 23efd)affen=
Ijeit gegeben, ba§ biefetben nnä jugleicb anc^ finntidjen ©ienuft oers
mittein ; 91a^rung§mittel bie ber ©efunbl^eit juträgliii^, finb meiftenS and)
für ben ®efc|madfinn angenel;m, unb eine ®y!^alation roeld^e für ben
OrganiSmug nort^eil^aft ober nngünftig roirft, berüfjrt fe in analoger
25>eife, angeneljin ober roibermörtig , and) bie ©ernc^neroen. ^ft l^iermit
immerljin roieber bie ißermedjfelnng beg finnlid^en ©enuffeg mit bem fo=
matifdjen naliegelegt, fo gibt eg bod) nod) ©rfdjeinungeit genug, tneldie tlar
auf bie 9]erfd)iebenljeit beiber ^inmeifen. .^ünfttic^ ergengter 2©ein fann
mitunter bem ©anmen oollfommen jufagen , aber babei l)erbei=
führen roeldie für bag leiblidje 23efinben feinegmegg uortljeill)aft , unb
nid)tg roeniger alg angeneljin finb; eg gibt füfje ©ifte; eg gibt 2Sol)0
gerüdje bie betünbenb mirfen; nnb „roer jnoiel b^onig geniefd, bem be;
tömmt berfelbe nidjt gut" (©pr. 25, 27); ber finnlidie ©enuf? befielt
neben negetatioer Unlnft.
§. 3.
5>cr ^fnu^ aus cigcntfiibcv o^icßc.
I.
51iid) an bie cigentlidje l'iebc fdjtiefü fid), uidjt meniger alg an bie nncigentlidje,
ber ihrer 9tatnr entfpredjcnbe ©enup. ®ag p)nd)oIogi|d)e 31toment an
mcldieg biefcr ©cnnf; gefnüpft ift, nad) ©t. 3lnguftin, bem heiligen ‘0)0=
mag, unb djallnoicini. ©er eben anggefprodjene ©ap gilt fo gut für bie
„relatioe" eigentlid)e f'iebe mie für bie „abfolnte".
68. ©g ift mäh^nb ber leisten jmeihunbert ungemöhnlid)
oiel üon einer „uneigennützigen" £iebe gcrebet raorben, roeldhe non aller
iBejieljung ju bem eigenen ©eroinn gelöft, nnb um fo „reiner" fep, fe
ooUftänbiger fie jebe eigene Sfefriebignng angfd)lief3e: nnb bie immer anfg
neue angeftellten ©rörterungen , oft oon ganj folfdjen 2lorangfeh>ungen
auggehenb, hoben bie 3lnfdhaunngen bermapen nerroirrt, baf; ifiele bie
fJJleinung h^S^o, ber ©enuf; fönne nur mit ber „eigennützigen", b. h- mit
ber uneigentlichen Siebe in 3ufommeid)ang ftehen, bei ber eigcntlidjen
Siebe bagegen bürfe oon 53efriebigung, f^renbe, i^ergnügen nie nnb nimmer
bie 9tebe fei)n. ©iefe 2lnfd)annng ift unrichtig. 3lud) an bie eigentlid)e
90
®a§ pfpd;oIogif(^e SJiomeut bur(^ roeld^eS
Siebe [d)Iießt [ic^, um nic^tg roeniger al§ an bte uneigentl^i^e , natur-
gemä^ ber i^rer 6tgentpmii(^feit nnb ihrem 2ße)en entfprechenbe ©enufe.
„®ie Siebe ift n or juggro eife bie Urfache beg ©enuffeg" 88), heifd
eg bei -Eho^tag non 2tquin; eg ift aber bort augfchliej^Iid) non ber
eigentlid)en Siebe bie iRebe, roie ber 3ufammenhang bemeift. SDem
feiben ©ebanfen roiebertiott Xhontag, in Sftüdficht auf beibe Strten ber
Siebe, iu bem uumittetbar folgenben StrtifeP). 3^^ einem anbern StrtiM
berfelben Ouaftion aber (efen mir f^olgenbeg. „®ie .^anblungen 2lnberer
fönnen ung f^reube machen, . . unter 2(nberem auch, «infofern mir
biefetben, raenn eg gute §anblungen finb, alg unfer eigeneg ©ut be;
trad)ten: benn biefeg eben ift bie f^oige ber Siebe, ba^ fie ung biejenigen
bie mir lieben, anfehen täfd, atg ob fie mir fetber rodren" 89).
2Bag 2;homag hi^i^ bemerft in Sflüdficht auf gute „^anblungen"
ootcher gegen bie mir eigenttidhe Siebe h^S^n, bag gilt offenbar oon febem
anberen SSorjuge ber ihnen eigen ift : benn ber ©runb roelchen er angibt,
ift gang aUgemein, unb trifft feinegroegg btofg bie ,,^'^anbtungen". Uebri^
geng fpricht auch biefeg ber hedige Sehrer in bemfetben SIrtifel augbrücfUch
aug. Unter ben ©inmenbungen ndmtich bie er anführt, lautet bie groeite
fo. ,,3ebe (gute) .^anbluug fdttt unter bie ©üter beffen, uou bem fie
gefegt roirb. 2Senn folgtith bie i^anblungen 3tnberer ung 3‘reube machen,
bann müffen in gleicher Steife auch übrigen ©üter (ober SSorgüge)
inggefammt für ung ©runb beg ©enuffeg fepn" 90). Shomag erroiebert
auf biefe ©inroenbung, bafg bag, infofern eg fi(h um ©enufe aug eigen©
tiiiher Siebe hdnbte, aber nur unter biefer iRücfficht, uodfommen roahr
fep 91).
69. Stber faffen mir roieber ben im erften ^Paragraphen biefeg
Äapitelg feftgefteltten Segriff beg ©enuffeg ing 2tuge, unb beantroorten
mir, in unmittelbarem Slnfi^Iufg on biefen ißegriff, gundc^ft bie fyrage,
roie eg gefchehe, baig „bag ftrebenbe Söefen", beftimmter, bafg ber mit
ißernunft begabte ©Rift „ben ©egenftanb feiner eigentlichen Siebe erreicht
unb umfafgt“; bann roirb fidi bie Söahrheit beg ©apeg um ben eg fich
hanbelt, bafg ndmtid) auch bie eigentliche Siebe ber ihrem 2Befen unb
ihrer 3lrt entfprechenbe ©enufg fich anfdhliepe, non felbft ergeben.
^ebermann roeife, bafg ber ©enu^ roel(hen bie fyreunbfchaft gerodhrt,
Dorguggroeife bur(h bog 2?eifammenfepn , burd) ben Umgang unb ben
gegenfeitigen 2Serfehr berer bie fi(h lieben, empfunben roirb. ®er ©runb
hiernon liegt nach Slriftoteleg*) **) barin, roeil feber non ihnen nur burch
ben roirtlii^en 25erfehr mit bem anberen, befonberg aber burdh beffen
perfönliche ©egenroart, bie lebenbige actuelle ©rfenntnifg unb bie node
*) S. 1. 2. p. q. 32. a. 7. Contra est.
**) Ethic. Nicom. 9. c. 9.
bie Siebe be§ „an fic^ @uten" jum ©enuffe tütrb.
91
@etDiBl)eit t)on ienen 35orjügen beffelben, raelcf)c eben ben @et3en[taub
feiner Siebe biiben, itnb auf bereu 2öirfiid)feit itnb Sßertf) fidj ber ©enuf?
ber f^reiinbfi^aft grünbet. 9iid)t anberd a(§ mit ber 7yrennbfd)aft, ner=
pIt e§ |id) aber mit ber eigentlid^en Siebe überhaupt. Sber ©egenftanb
biefer Siebe ift bie t^atfäd^tid^e Uebereinftimmnng , in roeti^er ber üer=
nünftige @ei[t ein nnbere§ ©eyenbeS, i^nt fetber gegenüber, crbtidt. ©ie
erjengt fid) aifo nur, infofern biefe t^otfä(^lid)e Uebereinftimmnng er=
bannt rairb; fie rcüdift, fe me^r biefelbe erfannt mirb; i^r natürtid)e§
3iet befte^^t einjig barin, ba^ biefe Uebereinftimmnng inirbtid) fei) nnb
befiele, ©ie ^at mitfiin i'^r 3^^^ erreid)t, ber uernünftige ®eift „nmfafit
ben ©egenftanb feiner Siebe", nnb feine Siebe mirb folgüd) ©einig, info=
fern er biefen ©egenftanb mit jenen iBorjügen, auf roeldjen beffen tljaU
fücblid^e Uebereinftimmnng mit i§m fetber nd)t, r)inläng(id) noCfommen
fd)ant, b. f). infofern er benfelben al§ „an fid) ®ute§" Uar erfennt.
®ie blare ©rbenntnif! ber inneren ®utl)eit it)re§ ©egenftanbed
aIfo ift ba§ pfi)d)otogifd)e Woment, burcf) raetd)e§ bie Siebe be§ „an fid)
©Ilten" 311m ©ennffe mirb*).
70. 3n bem nämticf)en Ütefnttate getangen mir non einer anberen
©eite. ©t. 2lnguftin befinirt in einem feiner Werfe bie Siebe, inbem er
fagt; „©ie ift jene Scbengougernng , roeld)e jmei Wefen mit einanbcr
uereint, ober 311 uereinen trad^tet, badjenige nnmiid) raeld)ed Hebt, nnb
ba§ auf roefd)e§ fid) bie Siebe rid)tet" 92). 2fe!^nlid)e§ te^rt, mit 2lri=
ftoteted, ber !^eilige 'i£f)omad; „©in Wefen me(d)eg liebt, ftrebt immer
nad) ber ^Bereinigung mit bem ©iegenftanbe feiner Siebe; nnb jroar nad)
einer foId)en, mie fie fe ber ©igentf)ünilidjfeit beiber, nnb anberfeitS ber
3lrt ber Siebe felbft, entfprid)t" 93). ittüffcn rcii'
fagen, ber nernünftige ©eift „erreidje nnb nmfaffe" ben ©iegenftnnb feiner
Siebe, roenn er benfelben in jener Weife mit fid) felbft uereinigt, mcld)e
foroof)! ber 97atur ber eigentlidjen Siebe, ol§ ber 9fatur be§ ©©ifteS felbft
nnb bes ©egenftanbe§ feiner Siebe angemeffcn ift. ©ie nollfommenfte
©inigung roelc^e biefen 9füdfid)ten entfpred)enb möglid) ift, uottjiebt fid)
nun aber baburd), bafe ber uernüiiftige ©eift ben ©legenftanb in actnelter,
flarer ©rfenntnifi erfafjt. ©enn barin beftel)t ja roefentlid) ba§ ©r=
fennen, bafi ba§ ©rfannte, feinem ibealen ©epn und), in ben ertennem
ben ©eift eingef)t, inbem fidj in biefem ba§ 23ilb be§ ©rfannten er=
5eugt. ©d ergibt fid) mitf)in ber nämlid)e ©d)Iuf3 ben mir nor^er
fd)oii au§fpracben; ©er nernünftige ©ieift „erreid)t nnb umfaf)t" ben
©egenftanb feiner eigentlid)en Siebe babiird), bag er mittelft flarer 9fm
fc^auung i^n in fid) aiifnimmt; nnb ba§ pfi)cbologifct)e Woment, biird)
meld)e§ bie Siebe bes „an fid) ©uten" ©©nng mirb, ift bie flare
®gl. IßallaDicini, Del bene 1. c. 40. 42.
92
®a§ ©efagte gilt auc^ Don ber „veiatiDen" eigentlichen Siebe.
Gvfenntni^ ber inneren ©ut^eit beg ®inge§ anf roelc^es jich
bie Siebe riij^tet.
®iefer ©aij i[t roieber genau bie Se'^re beg ^heiligen S^omag. „©oiüie
ber beffen SSerlangen auf @elb gerichtet ift, bag 3^2! feineg ©trebeng
erreidit, inbeni er bag @elb mit ber §anb fafit,, unb bann fi(^ beg er=
langten ®efii^eg freut; gerabe fo erreii^en rair, mo eg fid^ um über=
finnlidje ©uttieit lianbelt, ben ©egenftanb unfereg ©trebeng baburd^, ba^
berfetbe fidt) ung im ©rfenntnifiacte barfteHt; unb hieran fi^Uefet fidh
bann im ©trebenermögen ber ©enufe" 94).
9iur, roer bie ilRögtidjfeit einer flaren ©rfenntnife beg ©egenftanbeg
ber eigenttichen Siebe in 2tbrebe ftellen raitt, fann hiefnad) bem ©at^e,
bafe aui^ mit biefer fid) ber ihrer 9iatur entfpredhenbe ©enu^ nerbinbet,
bie Stnerfennung nerfagen.
71. Unb eben fo raenig bürfte fidh in jiehen taffen, bafi
bag andh ba ber f^alt ift, mo ung „innere ©utheit“ in nnperföntidhen
©ingen entgegentritt, unb biefe barum nnfere eigentti(^e Siebe, aber bie
„retatioe" (55. ©. 77 ff.) in 3lnfprudh nehmen. ®enn rair hoben in
nuferem ißcraeife bie eigenttid)e Siebe gang allgemein ing 2tuge gefaxt,
nnb teinegraegg augfd)Ue^lidj infofern fie fi^ auf oernünftige 3Befen
ri(^tet. 2Sag aber, auf ©runb ihrer raefentlidhen ®efi^affenheit, oon ber
eigenttidhen Siebe fd)techthin raahr ift, bag muff offenbar andh non ber
„retatinen" eigenttidhen Siebe getten. ®ag 23itb einer ifSerfon raetdhe ber
©egenftanb unfereg SiBohtraoUeng ift, ober ein ©eräth bag biefetbe gu
gebrain^en pftegte, ober ein SÖerf bag non ihr ftammt, raedt in ung bie
©rinnerung an biefetbe, erneuert in ung bie 33orftettung ihrer SSorgüge
unb ihreg SSertheg; bie pfpd}o(ogifch=natürtid)e 3'°tge hic’^oon ift, bag
in ung bie Siebe gu ihr tebenbig rairb, unb mit biefer bie g^reube,
ber ©enu^. Sßürbe ber Sertuft beg SSitbeg eineg greunbeg, bie
ftörung eineg Stnbenfeng non einer ung raerthen i^erfon ung raoht
fdhmergtidh fetjn, raenn fein Sefit) unb feine Stnfdhauung ung nicht
i^reube madjte?
^Ihomag non Stquin tehrt ansbrudtich, ,,©ott freue fidh fi^tedhthin
atter ®inge, raeit febeg mit feinem SBefen in thatfä^tidher Ueberein=
ftimmnng ftehe" 95). 2öie berfetbe mithin bem früher (56. ©. 79) ©es
fagten gufotge übergengt raar, bag ©ott auc^ gegen bie unperföntic^en
Singe eigenttidhe Siebe hegC/ fo hi^tt oudh feft, bag biefetben ihrem
©d)öpfer, eben in f^otge biefer Siebe, ©egenftanb beg ©enuffeg finb.
33arum auc^ btr ®öfe naturgemäß ficß be§ @utcn freue.
93
II.
bev @emtß roefdier ber eigentlidten Siebe entfpridft , [id) eiyiige, baju i[t
feinesroegd ein befoubcver @rab berfefben erfovbevlidj. ®avum ift ed
ganj nntürlid), luenn and) bev ißöfe in bev üfnfdjnnung etf)ifd) gntcv
ibanbfnngen @enu[t finbet. 2I>of)ev e§ f'omnte, ba§ be§nngead)tet biefev
@cnn§ in mandjen J-äden nicßt cmpfunben luivb.
72. ®ian bönnte geneigt fegn 511 benfen, eä roevbe, bamit fid) mit
ber Siebe be§ an fid) @nten ©eniijs nerbinbe, ober menigften§, bamit
biefev @ennB in§ Semnfftfepn trete, ivgenb ein befonberer ®rab biefev
Siebe erfovbert. ®ag ber @ennf3 ber Statur ber @adfe nac^ um fo fnljd
barer fet}u roirb, je ftiirfer bie Siebe ift, baä nntertiegt freilid) feinem
^meifet: aber ba.^n, baf; ber SJtenfd) in ber ftaren Stnfdjaunng einer „an
fid) guten" (Srfdjeinnng @ennfi finbe, baju ift nid)t§ raeiter nötbig, a(§
bab fid) berfelben gegenüber in feinem ®emnt()e eigentüd)e Siebe erjcnge,
mag biefe Siebe and) fo fcßroad) fet)u, baf) fie gar feine anbermeitigen
ilSirfnngen beroorbringt. biefer 0nb gef)t au§ bcm ron§ mir gefügt
haben, unroiberfpredjiid) f)eroor; beim mir haben nirgenbd einen beftimmten
@rab ber Siebe noransgefebt.
Stirn finb aber jene in ber Statur bcä uernünftigen ®eifte§ mur=
jetnben Sßorjüge, auf ®rnnb bereu atfe§ „an fid) ®ute" mit bcmfelben
in thatfnchfidjer llebereinftimmnng ftef)t, auf ®rnnb bereu e§ beffhalb
ben natnrüchen ©egenftanb feiner Siebe, nnb barum auch feiner
bitbet, nun finb aber, fagen mir, biefe SSorjnge jebem S)tenfd)en
roefenttid) eigen; nnb menn ber iBöfe, ber Safterhnfte, bnrd) fort=
gefegte Hebung ber Siebe be§ „an fid) 0d)(edjten", in feiner 0ce(e
namenttich einen 'Jh^ü biefer ißorgüge and) in hohem ?0taaf3e fd)mäd)t
nnb oerbnnfett, fie mit ber Sl'nrset nn§ feiner Statur herau^reifien fann
er bod) niematä (42. 0. 66). ®§ liegt mithin nid)t§ ?tuffaltenbe§ barin,
e§ ift oietmehr ganj natnrtid) , menn auch bem SSöfen bie Stnfdjauung
oon an fi(^ guten ®rfd)einnngen, nnb jmar and) fotd)cr bie ber ethifd)en
Orbnnng angehören, fyrenbe nnb ®ennf3 gemährt. Unb e§ fann biefe
Sihoifocho w feiner SScife a(§ 33emei§ bafür gettenb gemad)t merben
motten, at§ ob nufere Sef)re nid)t ridjtig, nnb ber ©ennf) ben bie 3tn=
fd)auung ethifd) oollenbeten tpanbetnä gemährt, nid)t eine ?(otge ber eigent=
tithen Siebe fep, fonbern an§ irgenb einem nnberen pfi)d)otogifd)en SStoment
her geleitet merben müffe.
Stenn menn man un§ ba§ Strgument entgegenfteltte;
„Ster 33ofe hot feine Siebe ju bem ma§ ett)ifd) gut ift: fonft mürbe
er in feinem §anbeln fid) nid)t fort unb fort für ba§ entgegengefet)te
0(ihtechte entfcheiben; e§ fann mithin ber ©ennf) ben anth er barin
finbet, menn er fid) burd) bie 'jßoefie ober bnrd) bie bramatifd)e .(tnnft
94 SCBarum aud^ ber ©öfe naturgeinä| fic^ be§ @uten freue.
gro[3e (J^aracteve Dorgefül^rt fielet, nic^t bie §otge ber eigentlichen
Siebe fet)n:"
bann raürben mir mit 2:homa§ non Stquin evroiebern: Ser 23öfe
befit^t bie Siebe ju bein, mag et^ifch gut i[t, freilich ni(i)t in jenem @rabe
ber ©tärfe, beffen ber ÜKenfch bebarf, um bie nerfehrten ilieignngen feiner
Statur, bie ©etbftfucht unb bie ©enufffucht, ju überroinben, unb ihrem
Srange entgegen ba§ ethifd) @ute felber gu üben; aber bie ihm anerfchaffene
9iid)tung feiner iJlatnr auf ba§ an fich @ute ift feinegmegg aufgehoben,
ihrem 2®efen unb ihrer Sföurjet nai^ finbet fi(^ biefetbe ancf) in ihm noi^.
^n alten f^öüen mo eg feine 33erlängnung ber ©efbftfu(f)t foftet, rairb
beffhalb auch feinem .^erjen bem ethifch ©Uten gegenüber fidh eigentliche
Siebe erzeugen, unb mit biefer, bei ftarer ©rfenntnif? beffetben, fich
ihr entfprechenbe ©enuß oerbinben 96).
2Bie jebe anbere .^raft, fo fann eben au^ bie eigentliche Siebe in
oerfdfiebener ©törfe anftreten:
e§ l)ot ihr ©cift
©in Sängenmnafi non hunbcrttaufenb ©raben,
i'on bcnen jeber Siebe hcipt*).
Sticht btof), menn fie bag ©ifen f^milgt, ift bie Sßürme SBärme: bem
SSefen nach nämliche Jl'raft ift auch roirffam, mo bag ©ig fich in
SSaffer auflöft, ober bag Quecffilber in feinem tropfbar ftüffigen 3u=
ftanbe erhalten mirb. SJtan fann mithin fehr rooht eine Shat non hohen:
ethifchem SSerthe atg folche anerfennen, fie lieben, fie bercunbern , an ber
Sarftetlung berfelben, namentlich in ben f^ictionen ber ißoefie ober beg
Sroma’g, ©enuf; finben, unb hoch nichtg roeniger alg geneigt fepn, fie
nun aubh felbft augjnführen. ©rfcheinungen biefer 2lrt roerben eintreten,
fo oft eine anbere, ftärfere Siebe bag .fperg beherrfd)t, roetche burch bie
nnfrudjtbare Siebe beg ethifch ©niten, unb ben mit biefer fich t)er=
binbenben ©enuf), fich nicht beeinträchtigt fieht, hingegen bei ber roirflid)en
Stotljiehung ber guten Sl)at nertäugnet roerben müfjte.
73. Slber, fo fönnte man fragen, roenn eg feinegroegg irgenb einer
befonberen ©tärfe ber Siebe bebarf, bamit ber ©enu^ bem an fich lauten
gegenüber fich en^euge; roenn hierzu feine höhere Sollfommenheit beg
©injelnen nöthig ift alg biejenige, ohne roelche bie menfd)liche Statur
überhaupt nicht fepn fann, unb fein roeitereg pfpchologifcheg SJtoment
gefegt roerben mufj, alg ber Stet einer flaren ©rfenntnih beg ©egenftanbeg :
rooher fömmt eg bann, baff roir Singen foroohl alg f)3erfonen gegenüber,
roetdje roahre „innere ©ntheit", oft auch in oorjüglid)em SJtaa|e, befi^en,
bennoih fehr Ijüufig gar feinen ©enu^, gar feine f^reube empfinben?
'■) 3oh®nne§ '2ct;rott, Sieneu, ©. 132.
3u weiterer (ärftärimg be§ ©efagten.
95
®iefe 2;^atfa(^^e erftärt fitf) Doüfommen unb einfach aus jTuei ©rünben,
üon beneii jeber auf je eine befonbere 9^eU)e uon fyöHen feine 2Iuroen'
bung finbet.
@rften§ nmnüd) gibt e§ uerfd}iebene iD^omente, luetcbe beroirfen, baf^
ein @ennf3 ber fid) in nuferer ©eele erzeugt, unferer Seadjtung entgeljt,
nnb un§ nidjt jnm iBeiüufjtf eijn fömmt. ©affelbe ift fa in 9tüd=
fid^t auf alle übrigen pft)d)ifc§en SSorgänge ber fyaü; nidjt jeber 3tet
unferer ©eele, and) itjrer tjöl)eren SSermogen, roirb non unferent 23erouf3t=
fepn aufgefafjt. 0inb rair an einen @enu^ burd) fioufige 2Biebert)oIung
geroöfjnt, bann muff berfelbe jebenfatlg fdjon eine geroiffe ©tärfe l^aben,
luenn er luatjrgenouiiuen luerbeu foll. ©benfo luirb ein nid)t ungeinö^nlid)
intenfiuer ©enidj fdjiuerlid) bead)tet luerben, roeuu bie Siptigfeit ber
iüernunft augenbüdüc^ mit ©nergie einem anberen ©egenftanbe jugemenbet,
über ba§ ©iemütl), burdj iueld)e§ ÜJiümeut immer, in unangenehmer StBeife
in 3tnfprud) genommen ift. 3lud) leben i^t ©enug, unb jranr ,,©5enu§
au§ eigentlicher Siebe“ 97) : unb bod) mirb un§ biefer ©enuf) feine§meg§
in jebem Slugenblide fühlbar; ber Slerraunbete aber, ober ber uon Dfieue,
üon 0orge ober uon bitterem jlummer ©ebeugte „empfinbet“ nidjt nur
feine greube, fonberu nur tiefen ©(^merj. ißotlfommeu, unb gauj un=
getrübt, pflegt überhoupt ber ©enuf; auf biefer ©rbe fo luenig 001311=
fommen, al§ ein 3nfl<in^; iinb ouäfdjliefjlidj ©djinerj ift; ber
ÜJlenfdj erfafjt unb bezeichnet bie ©timmung feiner ©eele al§ Suft ober
Uuluft, al§ ©enufj ober ©djinerj, je nach iDlomente roeldjed in ber=
felben ba§ uorherrfdjenbe ift.
®urdj biefe 33emerf'ungeu erflärt fich bie dteilje jener fvalle, in benen
mir „an fich guten“ Gingen ober ijderfonen gegenüber feinen ©enujj
empfinben. 3ltle nod) übrigen f^ülte aber finben ihre ©rftärung barin,
bafj häufig genug „au fidj guten“ ©iugeu ober ijßerfonen gegenüber fiel)
in un§ eben gar fein ©ienufj erzeugt. 3)euu berfelbe f nun fidj nur bann
bilben, luenu fidj folchen ©egenftünben gegenüber in nn§ zuundjft ein 3lct
ber eigentlidjen Siebe bilbet. Üfun Ijuben mir aber bereite um ©djluffe
be§ uorigen .^'apiteld (58. ©. 81) auäeinanbergefet^t , rooljer e§ fomme,
ba^ nicht fetten ©rfcheinungen bie ihrer Sfatur nadj nufere eigentlidje
Siebe in Stnfprudj nebmen müpten, nn§ bejjnugeachtet gleichgültig, ober
oudj roiberroürtig finb: roeil ncimtidj in ©ottifiouSfällen bie uneigeutlidje
Siebe, old bie uaturgemüfj ftürfere, bie eigentlidje beeintrüdjtigt, fie ljcrab=
ftimmt, ober audj fie im .ileime erfticft unb gar nidjt entftcljen lä^t.
2Befen“, lehrt 3;hoiua§ uon 2lquin, „finbet naturgemäfj ©ienufj
in jebem 2lnberen ba§ mit iljin in Uebcreinftimmuug fteht, meil e§ ber
natürlichen Dtidjtung feined ©trebend entfpridjt. ©ine 3lu§nahme hieruon,
bereu ©runb aber ber ermähnten Uebereinftimmung ganz fvcmb ift, tritt
nur ein, roenn ba§ ©rftere burch biefeg Slubere feinen eigenen 25ortljeit
96
3u ro eiteret (ärflärung be§ ©efagten.
beeinträd^tigt ®enn bann roirb t!^m ba§ Wnbere @egen[tanb ber
Stbnetgung unb be§ 2terger§: nic^t, infofern e§ mit i^m in Uebereim
ftimmung fte^t, fonbern infofern e§ ba§ roa§ i!^m nod^ na^^er liegt, be=
einträd^tiget. ®o , grollen einanber bie S:öpfer‘ : nid^t einfad^ at§ 2;öpfer,
fonbern roeil ber eine bem anbem, roa§ @^re, Stbfa^ unb ©eroinn betrifft,
im Sßege fte’^t" 98).
n
prittcr
(Ein brittes d)orartcn(lt|'d)es illerkmol bcr Jd)iinl)cit be|lcl)t
bttritt, ba^ (te uns tl)rer J^otnr nnd) bcr Cöegenjlanb nnb
(ßrunb etgentlid)er £tcbc ifi.
n. Jluf (Sjrunb ber tm festen 2(b[d^nitt feftgeftedten tonnen
TDtr je^t unfere Unterfnd^nng über ba§ 2Be[en ber ©c^önbeit inieber anf=
nel^men. ®a§ uorjügltd)fte D^efnltat ber früher gegebenen Dorliinftgen
G^aracteriftif faf^ten lotr (32. 0. 52), in Heberetn[timmung mit Seibnij
unb bem fieiligen 0!^oma§, äitfammen in bem ©alje: „0)ie ©d)önfjeit ift
iene ißef(^affen!^eit ber 3^inge, oermöge beren biefelben, nnr in[ofern mir
fie betrad^ten, un§ gefallen," ober „oermoge beren i^re (h'fenntnif; , nn
unb für fid^ unb o’^ne febe anberroeitigc Dtinf fidf)t , ung ©enub ge=
raafirt." SBolIen mir raeiter uorbringen, fo muffen mir offenbar feft;
juftetlen fudljen, roeld^er uon ben oier befonbercn Slrten beg ©enuffeg,
bie mir im jroeiten ?lbftf)nitt unterfd[)ieben tjaben, ber talleologifc[)e ©eiiuf;
angeprt.
25>ir liaben aber oben (60. ©. 85) befinirt: „®er @enu§ ift feuer
3lct beg ©trebenermögeng, raeld^er fid) erjeugt, roenn bng ftrebenbe 2öefen
ben ©egenftanb feiner Siebe erreidbt ^at, unb if)u umfaßt." @emäl)reu
fd^oue ©rfdf)einungen ung @enuf3, bann müffeu mithin biefelben, eben
burcl) i'^re ©cfiön^eit, nnfere Siebe in 3lufprn(^ nel)inen. llnb roenn mir
bie Statur unb bie 2lrt biefer Siebe, alg beren ©runb unb ©egenftanb
bie ©(^ön’^eit fiel) barftedt, genau beftimmeu, bann ift bie eben bejeidjiicte
f^rage, uad^ ber 3lrt unb bem SSefen beg falleologifdjen ©enuffeg, uon
felbft gelöft.
i©er ©0^ ben mir in biefer 2lbfidl)t fel^t beroeifen roolten, fteljt alg
Ueberfctirift an ber ©pit^e biefeg 3lbfd^nitteg : „®ie ©diönljeit ift ung ber
©runb unb ©egenftanb eigenttid)er Siebe."
75. 2Sielleidl)t tonnten mir ung ber “iDtü^e, biefen ©at^ einge^^eub
ju begrünben, roenigfteng mag ©ine ©eite beffelben angelt, uberl^oben
Sungmann, 3leftf)etit. 2. Slufl. 1
98
3ur ß’^aracteriftif ber ju gebenben Seroeife.
glauben. ®enn ba§ fc^öne Singe unfer §erj feffeln unb unfere Siebe
in 5lnfpru(^ nehmen, ba§ ift einem au§ ber @r[a^rung eben fo
wenig unbefannt, al§ bie anbere Sl^at[a(^e welche mir früher auggefproc^en
I}aben, ba^ i^re 33etrad)tung un§ ©enufe gemalert. Sie bem 2lriftotele§
geftedte §rage, raelc^e wir bort nad^ Siogeneä non Saerte anfü’^rten,
lautete na(^ ©tobdus, „roarum mir 2ltle§ roaä fd^ön ift, lieben"; unb
aud^ !^ier antroortete ber ipiiilofopl), ba§ nur SSlinbe fold^e f^ragen [teilen 99).
Slber e§ fömmt un§ barauf an, e§ auper fteden, ba^ ba§
©dböne ganj -eigentlid^ ber ©egenftanb unfereg 2öol)ln)otten§ , bafe bie
unmittelbare unb bie ndd^fte SBirfung ber ©rfenntni§ ber ©dbön^eit auf
ung bie Siebe ift, unb jroar bie eigentli^e Siebe; ba^ mithin bie
©d^ön^eit ber Singe ni(^t ju unferer ^ntelligenj, wie bie 2Ba^r!^eit, fon=
bern ju unferem ©trebeoermögen , in nd(^fter unb eigentlid^er 23ejie!^ung
fielet. Senn um eg fdtion !^ier ju fagen, mir fönnen ung mit ber
namentlidt) au(^ in neuefter uerfc^iebenen ©ele^rten mieber ent^
midelten 2lnfi(^t nid^t befreunben, raonad^ bie ©djönlieit ber Singe in
einer befonberen 2tngemeffen^eit ber Sezieren’ für unfere ©rfenntnifefraft
beftelien, unb baburd^ mit ber Sföa^rl^eit fo jiemlii^ ibentifd^ fepn, ber
©enuf) aber ben i^re 23etradf)tung ung gerod^rt, eben aug ber oollfommen
naturgemd^en, burd^aug entfpred^enben, unb barum angenehmen Slidtigfeit
ber erfennenben Ä'rdfte erlldrt roerben fott. Sag ift ber ©runb, n)e^=
halb mir ung h^ei^ nidht furj auf bie innere ©rfahrung berufen, fonbern
eg für nothmenbig halten, ben ©at^ um ben eg fidh hnnbelt, mit alter
©orgfatt ju beraeifen. 2öir roerben jundd)ft roieber bie iUleifter ber
SSiffenfdhaft reben taffen, unb barthun, roie ihre unb ihrer 3eitgenoffen
5tnfdhauung oon ber Sejiehung ber ©dhönheit ju bem oernünftigen ©eifte
unferem ©at^e 3eugnip gibt; unb an biefeg ihr 3eugnip folten fidh ^nnn
groci 23eroeife ang inneren ©rünben anf^tie^en.
99
(£*rftcö Kapitel.
Der djriftlidjcn UDiireuCdjaft fuiDoljl als kr foerftUfdjeu 901t ke Sdjöul)eU
DOii Alters l)cr als 5er ©ejjeu(inii5 uiiö örmi5 eigeiitlidjer Diebe.
S. 1.
■^Jon tftners ^et ^aft bic 5djön^cit, flcrabc wie bic innere ^nt^eii, nfs bic
^oransfefenng nnb ber nainvfii^e ^rnnb ber c^ieße; non Jitters ßer waren bie
Jlusbrüdic ,,fd}ön‘‘ nnb „gnt^^ nnb „fießenswürbifl“, „^(^ön^eit“ nnb
,,6ntßeii“, f^nom^nt.
33ucf) ber 2Bci§()ett; Ti)omn§ iwn 'Jlqiitn; ein griec|il'c[je§ 0prüd)wovt;
bie @toa; ber ©erfahr ber ©dirift „5?on beii Spanten @otte§" ; “IDiotima
itnb 0ocrate§, bei G’icero; Äiopftoif; ')3Iotin; ;Jof)anneS
foftomuS.
76. ift ein ^(^)ön^b beneiben§iüertl)cä , ba§ ber
'Zeitige @eift im 23iid)e ber 23?eigfjeit bem roeifeften ber Äonige non ^fraef
«usitelü, inbem er, eben in 9bndnd)t auf bie 25>eidkit, il)n fagen iä^t:
„0ie liebte idj non meiner ttdb erfor fie mir, fie ljeimjnfnl)ren
mir al§ 23raut, in Siebe für fie entbrannt ob iljrer ®d)onbeit" 100).
iCer .'perr batte ibm, mie er früher fagt, „trnglofe @rlenntnif3 gegeben alles
■beffen inaS ift; er fd)ante 3llleS maS nnfid)tbar ift nnb ben binnen uer=
borgen, ineil fie felber il}n unterinieS, bie iföeiSbeit, bie 5Jieifterin aller
Singe" (SSeiSl). 7, 17. 21). Sarnm inar eS nidjt 51t nerinnnbern, inenn
feiner erfte nnb bödjfte Siebe bie SSeiSbeit mar. Senn „fie ift
f i^öner als bie @onne nnb als baS ganje Ipeer ber Sterne, nnb neben baS
Sidjt geftellt, trägt ihre Sdjönbeit ben 'f^reiS banon" (®eiSl). 7, 29). IRun
tebrt tinS aber SboniaS non 3lqnin, bag, „gleidnnie nad) tJlriftoteleS baS
‘2lnfd)ouen mit bem 3luge beS SeibeS bie irbifd)e Siebe inecft, ebenfo bnr^
t)oS geiftige Sdiauen ber ©d)önbeit ober ©ntbeit beS Unfidbtbaren
fid) bie böljere Siebe erjengt" 101). 3luS biefem @mnbe, meinen mir,
mar eS ganj natürlid), meint ber (ärlendftete ber „3llleS fdfante maS
unfid)tbar ift", berjenigen fein Serj jnmenbete, bie „fdjöner als bie Sonne"
fo frül) fd)on nor feiner Seele ftanb.
Sagt bodj bereits ein nlteS Sprüd}inort ber ©riechen, ba^ „bie
Schönheit Siebe erzeuge" 102); mnfite bodj bie Stoa fdfon, baf; „bie
Sdjönheit ihrer Dtatnr naih nnS ©ieniif; bringt, baft fie feberjeit burdj
ihren eigenen inneren iSerth nufere Siebe in 9lnfprnd) nimmt, nnb man
ihrer niemals fatt mirb" 38); nerfid)ert nnS bod) and) ber Serfaffer ber
Sdirift „lieber bie Dccunen ©otteS", baft „aUc SlSefen ber Sdjonheit nnb
©utheit jnftreben, alle baoon angejogen merben, alle fie lieben, llnb in
100 ©d^önl^eit ift ber @egen[tanb unb (Sninb eigentlicher Siebe;
aßen 2Be[en", fetjt er, feinen ©ebanfen nod) erroeiternb, f)tnju, „in aßen
SBefen liegt bie treibenbe £raft aß i^reS SBirfenä unb ©trebeng eben in
biefer i^rer Dftichtung auf bie ©(^on^eit unb ©utl^eit" i03). ®arunt roiß
er and) bie SBurjel be§ griecbifd)en ißameng ber ©chöntieit, xdXXoc, in
/cz)i(u finben, „roeit biefelbe 2tße§ ju fic^ t)in rufe" 104), 2tße§ anjiehe*).
77. ®en SBertt) biefer fpratihraiffenfc^afttidhen (^onfectnr fönnen n)ir
batiingefteßt fepn taffen; eg tnerben ung nod^ anbere begegnen. 2tber
ißeadhtung nerbient, baji ber Streopagit bie SBörter ©chönl^eit unb ©ut^eit
fd)ted)tbin fpnonptn gebraucht, unb bafi, inie in ber Dorier angeführten
©teße 2;homag uon Stquin „bie ©d)önf)eit ober ©utheit", gerabe fo auch
er atg ben ©runb unb ©egenftanb ber Siebe jene ©ine tBefchaffenheit
betrachtet, roetche ihm ber ?tugbrud „bie ©chönheit nnb ©utheit" be^
jeichnet. ©g ift übrigeng freilich befannt genug, ba§ bie jroei SBörter
biefe innige ®ebeutunggoerraanbtfchaft in ber ©pra^e ber ©riedhen ju
aßen 3£iten behaupteten.
Unb roie bag ©nte, fo mar auch Sieb engraürbige mit bem
©dhönen ber ©adhe nadh unb an fii^ ©ineg nnb baffetbe. jenem
ber jroei ®iatoge ijJtato’g „lieber bie Siebe", roetdher auch ~itet
führt „®ag ©aftmaht", tefen mir, raie ©ocrateg bie Wnfidht gehabt,
©rog (2tmor, ber ©ott ber Siebe) fep überaug fdhön. Stber S)iotima
aug ’iJJtantinea (ehrt ihn bag ©egentheit: ©rog fep feinegroegg fdhön, roie
bie meiften ?i)tenfdhen glauben, fonbern oietmehr rauh, unanfehntidh, arm,
ohne ©dhuhe, ohne Sagerftütte unb Obbach. erftärt ihm bie
roeife f^rau, roie fein ^mthum in einer ißerroedhfetung feinen ©runb hnbe,
freilidh in 2^erbinbnng mit einer Stnfdhauung, bie ooßfommen ber 3Bahr=
heit entfpredhe. „®u roarft ber SJdeinung," fagt Oiotima, „©rog roare
bag 35>efen, roetdheg geliebt roirb, unb nicht oietmehr bagjenige
roetdheg liebt; idh fchtieüe bag aug bem roag bu fo eben gefugt haft-
Oag ift, glaube idh, ber ©runb, roe^h^^^* ben ©rog für unoergteichlidh
fihön hielteft- Oenn bag ift freilich ooßfommen roahr; bag Siebeng=
roürbige ift immer and) bag ro ahrhaft ©dhöne, bag ©bte, bag
3Soßenbete unb Vortreffliche; bag SBefen roetcheg liebt hingegen mu^t bu
bir gang anberg benfen, fo nämlich, roie ich vorher gefügt httlie" 105).
*) ®ah®tonpfiu§ „2treop agita", ber 23erfoper ber pier erahnten (Sd^rift
„lieber bie Vamen CSotteg", foroie ber anbereu „lieber bie pimmlifche Hierarchie",
„lieber bie firihtiche Hierarchie", „Ueber bie mpftifche Rheologie", nicht, roie man
lange 3eü annahm, fener ®ionpfiu§ 3(reopagita ift roelcher in ber 2lpofteIgefchichte
(17, 34) ermähnt roirb, ift betannt. ®er tieffinnige unb heilige ©helftfieller unt
ben e§ fich h<mbelt, fcheint ißriefter geroefen ju fepn, ju Slteranbria gelehrt, unb bort,
roährenb ber 3ahre 350 — 370, jene SSerfe nerfabt ju hoben. (Vach Virfcht
in „Hift.=pol. SBlätter" S3b. 91 <3. 257 ff.)
93en)ei§ au§ ber Se^ve ber focratifc^en unb ber d^rifUic^en aBifjenfdjaft. 101
®iefer Slnf^auung entfpvec^enb rcerben roiv in meijreren ber
niffe, bie roir in biefem roie in anberen Kapiteln biefeä erften ®U(^e§
nod) anjufüljten !^aben, bie äöörter xaKov nnb ipoc5p.tov, pidchrum unb
amabile, raiebev^olt al§ gleic^bebeutenb gebrandjt feigen, ©inb nid)t auc^
in unferev ©prat^e „fc^ön" nnb „UebenSroürbig" fe!^r nal)e nern)anbt,
fo gut inie jpnomjin? unb pffegen roir, rcenigfteng ruo non i|^erfonen
bie 'Jtebe i[t, bie SiebenSmnrbigfeit non ber ©d)önl)eit rool)I ju trennen?
flingt fieser feinem ®ent[f^en fremb, tnenn ßicero fd)reif)t, ed fep
„nid^td einnefjmenbh’ , nid)td fd)öner, nid)td Uebensmürbiger ald bie
©ngenb" loo); inenn mir i^n beftfjaib feinem ©o^ne iDiarcnd nerfidfern
f)ören, „bie ©ngenb mürbe, tnenn fie beut iStenfe^en in fidjtbarer ©eftatt
erfdjiene, i^n nntniberfte[)Ud) ^inreipen, fie jn lieben" 107); ober raenn
Älopftocf, im nierten ©efange bed „iÖteffiad", ben iJiicobemnd ju ben
fyeinben bed ©riöferd fpred)en läfd ;
(Jin ©dtaucr nor 9}fenfd}en, ein ©vait’n oor benen bie ®ott fdpif,
Ueberfädt mid), fo oft id) ed benfe, mie menig it)V biefed
33ei eud) empfinbet, mie niebvig ibr fept, nur menfd)Iid) 511 füblen,
2T'ie obnmöd)tig, gu fonbent bie dteligion unb bie iDforbfud)t,
Unb mie pöbelbnft f'tein, bie Iid)ten @tral)Ien ber f d) ö n e n
Unb ber lieben droürbigeu Unfd)ulb nur bnnfel 51t feben!
78. ©inen febr flaren iBetneid nnfered ©atjied bilben mieber bie
folgenben 2X>orte ifSIotind. „®ie ©efnble ]neld)e in nuferer ©eele fd)önen
©ingen gegenüber natnrgemüf3 entfteben, finb 23emunberung nnb füped
©taunen, ißerlangen, Siebe, eine ^renbe bie und ganj einnimmt *). ©otdje
©mpfinbungen erregen and) bie überfinnlidjen !©inge, man fann fagen in
ben b^erjen 2nier, aber norjngdmeife in fenen, in roeid^en bie Siebe bed
Unfidjtbaren lebenbigcr ift." „2Bad empfinbeft bu," führt er gleid) baranf
im folgenben Äapilei fort, „road fübtft bu in beinern ^iin^rn gegen eine
fdjone ©bf^i/ feböned ©iemütb, überbanpt
gegen bie Jugenb unb ihre 2lenf3ernngen, gegen bie ©d)önbeit ber ©eele? . . .
Unb raad ift ber eigentUdbc ©iegenftanb biefer ©efübte? iJlidjt ©eftatt
ift’d , nicht fyarbe , nid)t 2fudbebnnng , fonbern bie ©eele , bie ba feine
f^arbe bat» in metd)er, farbtod auch fie, bie 2BeidI)eit mobnt nnb bie
anbern ©ugenben mit ihrer Jltarbeit ... ®a f^anft bu -^todtberjigfeit
unb geredjten ©inn, ba bie reine ©ntbaltfamfeit unb ben i)i>cutb mit feinen
odjtunggebietenben ^ügen, ba bie SSürbe nnb bie „i^üd}tigteit, mie fie in
ruhig ernfter i^attnng beiteven 3Ingefid)ted einbergebt; unb über fie alle
fiebft bu audgegoffen bad Sii^t bed gottnbnfid)en ©eifted. ®iefe ©igen=
febaften Rieben nufere 23emnnbernng auf ficb nnb nufere Siebe, unb
*) Cfr. Plat. Conviv. Steph. p. 206 d. Bip. 10. p. 238.
102
®ie ©d^önl^eit i[t ber ©egenftanb unb @rutib eigentlid^er Siebe ;
in biefer 9^ürf[ic^t nennen roir fie [c^ön; itarum? ©ie [inb,
unb man erfennt fie; unb jeber ber fie betrautet, roirb fagen, bajs fie
ba§ raal^r^aft ©et^enbe finb. 2Tber roa§ finb fie, eben infofern fie roal)re§
©e^n l^aben? ©c^ön, antroortet man; aber unfere SSernunft möd^te i’^r
eigentlic^eg iffiefen lennen; fie möd^te ben ©runb roiffen, raarum fie bie
©eete liebenSraürbig mad^en, unb roas ba§ ift, ba§ in feber 2:ugenb
raie £i(^t fo l^errücb leuchtet" *).
®anj non berfelben 35orauäfe^ung raie in biefen ©d^en ipiotin, ba^
ndmti(^ bie ©c^ön^eit im eigentüd^en ©inne unb jundcfift ber ©egenftanb
ber Siebe, bafe „lieben§mürbig" unb „fd^ön“ bem ®efen nadb baffelbe
finb, gel)t offenbar ber !^eiüge ^o^anneä (5'^rpfoftomug au§, roenn er
am ©d^Iuffe einer ,^omiIie bie f^rauen non (Sonftantinopel alfo ermafint.
„23ietfeid^t l^ört il^r ungern rao§ ic^ fage; nielleidf)t 5Ürnt i'^r mir, unb
fnget, ,er bringt bie ‘üWdnner auf gegen i^re f^ranenS S^ictjt um eure
ilRänner gegen eud^ aufjubringen , rebe idf) atfo; fonbern bamit itir au§
eigenem 2lntriebe beobadf)tet ma§ id^ eucf) fage, unb jmar um euer felbft
raillen, nidt)t eurer iXRdnner roegen. iKödt)teft bu gern fdt)ön fepn? ^d^
mödt)te es au(b; aber id^ raünfi^e mir jene ©df)önt)eit nad^ roelc^er @ott
fid^ umfie^^t, bie ,ber Äönig Iiebt‘ ('fßf. 44, 12). 2Son ment nerlangft
bu geliebt gu raerben, non ®ott ober non iUtenfdt)en ? ©cE)ön'
l^eit bicf), bann rairb ®ott beine ©djön'^eit lieben; l^nft bu nur biefe, fo
Toirb er bid^ nerabfd^euen, unb bie bid^ lieben, roerben lafter^^afte 'ülRenfd^en
fepn; beim in ein ner^eirat^eteg Sßeib nerliebt fiel) fein red)tfd^affener
iUtann. Unb eben fo roie mit ber ©dtiön'^eit, nerplt e§ fidl) aucl) mit
bem ©cf)mucf beg Seibeg. 3^ner, ber ©^mud ber ©eete, jiel^t bag §erj
®otteg an, ber nuf3ere bagegen nur lafterlmfte ültenfd^en. ©e!^t i§r nun
atfo, bof; id^ eg gut mit eudl) meine, baff aufrid^tige ©orge für euer
eigeneg 2Bo!^t mid^ treibt, unb ba^ i(^ enc^ non i'perjen inünfdie ba^ i^r
f(^ön fepet, roal^rl^aft fcl)ön, raa^rl^aft tiebengroürbig , bamit ftatt lafter=
l)after illtenfd^en ber .'Qerr ber SSelt, ®ott felbft, ein^ liebe?"**)
*) Plotin. de pulchritud. c. 4. 5.
26. sqq. (©tirt 28.)
**) Chrys. in ep. ad Hebr. hom.
ed. Basil. p. 53 D. E. F. 54.
28. n. 7.
Grenzer
SeroetS au§ ber Sel^re ber focratifd^en unb ber c^rifttidjen iffiificnfd;aft. 103
§• 2.
■^on «ftttcrs ^cr gaftm in ber piiffenft^afi |»öfec wie biefc: „3>e ^ö^er bic
^(fiönöctt, befio größer bic j^icücnswürbigftcitj“ „toas nic^t fc^ön ift, bas
Kann nntnögrir^ ^cgcnflnnb ber ofieße fe^n;“ ,,6ott i(l bic ^öd)(ic Sdiön^cit,
Mttb bar um ber ßöc^fien d^ießf «türbig.“
?^.H-odu§; 3tuguftin; 5pIato. ®te alte gried)ifc|e '^'()itofogi)ic, iiad) ti)cogniä;
DJki'imuS dou JijvuS; S)iong[iu§ bev 'Jircopagit unb üjoinaä büii
3iquiu; 3lugu[tin. 3iuguftin; 33afiliuä ber@vo[^e; ^(emenä düu
3(Ieranbvia; 3lugu[tin; ©iticbevt; bic Ijciltge 'Sdjvift; Safiliuö.
79. 0d}öii^eit in ber 3Sorau§fetuing, ©riinb, @cgcu=
ftanb ber l^iebe, bann innf; eine ©rfdjeinnng al§ um jo liebcngmürbiger
gelten, je p^ere Sd)önl)cit fie befit^t; bann mufi bie ©röf^e ber ©djönljeit
unb ber @rab ber entlpredjenben Siebe in gerabem ißer^nttniffe jteben;
bann mufe ba§ ©d)6nfte and) baö Sieben§roürbig|tc fepn. bie 2öif[en=
fdbdft mit biefem ©rnnbfal^ einnerftanben ?
„®a§ ©Ute in nuferer ©eete", fdjreibt '^rocius, neben ifJtotin ber
^onptüertreter be§ 3tenp(atoni§mu§, „erregt niel [tärfere Siebe, ate bie
fic^tbaren fd)önen Singe." Unb ber ©runb banon ift i|m fein anberer,
nf§ ber roeldjen mir eben bejei^net f)aben: „Senn roa§ gibt eä ©djönereS
an un§ al§ Sugenb nnb ©infidjt? nnb road ift ^fdit^er al§ ba§ ®egen=
tfieit banon?" 108)
©erabe fo badete ©t. Stuguftin. „Slefnnen mir an," fagt er in
einer iprebigt, „bn l^aft jinei Siener; ber eine ift Ijä^Iid) non ©eftatt,
ber anbere fef)r fd)ön: aber ber '^äf3(id)e ift treu, ber fc^one nicE)t. ©age
mir, inefd)er non beiben bir lieber ift, unb bii beineifeft, baf^ bu bag
Unfid)tbore lieb ft. Unb roenn bu nun ben treuen Siener, ungead)tet
fetneg f)ä^tid)en 3tenfieren, mef)r lieb ft afg ben fd^önen ber untreu ift,
l^aft bu ba ettna nnnernünftig geurtf)ei(t unb .S>n^Iid)eg bem ©diöncn
norgejogen? ©eroip nid)t, fonbern umgefe^rt, bag ©d)önere bem i^äfi=
lidfien. Sn fjaft bie Singen beg f^leifc^eg befragt, unb mag ^aben fie
bir geantinortet? Siefer ift fd)ön, jener ift pfdid^. Slber bn I)aft auf
fie nidjt geprt, bu '^aft il)r 3eugni^ nerrnorfen, nnb bein innereg Singe
auf bie Ereile beg einen unb bie Untreue beg anbern geriditet; jener
erfdfiien bir bafflid) oon ©eftatt, biefer fd^ön; aber bu Ijaft bein Urt^eil
gefpro(^en nnb gefagt; SBag ift fd^öner alg bie Sreue, mag pfitid^er
als Untreue?" lOS))
,^ören mir noch, roie ij^lato mit ftaren SiSorten nuferen ©al3 ang=
fpric^t.
©ocrates. „SSag meinft bu, ein fd^öneg ©emntl), nnb ein bamit
^rmonirenbeg Slenfiereg, bag ganj bag ©epräge ber fdjönen ©eele trüge,
104 ®te @c!^önl^eit ift ber ©egenftanb unb @runb eigentlicher Siebe;
müfite ba§ nicht bie jchönfte ©rft^einung [erju für jeben ber ein Stuge
bafür hätte?
@Iauco. @anj geroiji.
©ocrate§. Sinn ift aber ba§ ©chönfte immer auch
Siebengmürbigfte.
©tauco. Sßie fönnf e§ anberä [ei^n?
©ocrateä. ©oldje 3Jienfchen aifo mürbe ber ?(Jtann ber fidh bem
©c[)önen geraeiht hat, am meiften lieben" iio).
S)a§ i^rincip ba§ un§ in biefen brei ©teilen entgegentritt, fteht in
nnibgbarem bialectifchem 3ufammenhange mit bem ©al^e, ben mir in
biefem SIbfdhnitte ju beraeifen unternommen haben, ©nthält biefer unfer
©alj nicht noEe Söahrheit, bann haben i]3rodu§, Sluguftin unb ipiato
nicht geraufit, raa§ Siebe fep, unb raa§ ber Siebe raerth-
80. ®och eä fann hi^i^ ^iaer erflörenben Sirgumentation ja nicht
bebürfen; um fo raeniger, al§ mir eben unferen ©a^ no^ entfchiebener
unb fchärfer auggefprochen finben. Slllein bie ©chonheit, lehrt un§ bie
ältere Söeighdt ber ©riedhen, lehrt ung nadh ihr bie focratif^e SBiffem
fdhaft, unb in Uebereinftimmung mit biefer ber lEeupIatonigmug unb
©t. Sluguftin, allein unb einzig bie ©chonheit ift ©egenftanb ber
Siebe; lieben mir ein ®ing, fo ift bag ein 23eraeig bafi mir eg f^ön
finben: benn mag nicht fi^on ift, bag fann man nicht lieben*).
2)er Sehre ber älteren griedhifd)en if^h'^afophie gibt 2lug=
brucf, ber dichter aug ?tRegara (um 600 oor 6hr-)- S^bem er nämlich
im Ißeginne feineg ©ebichteg bie ©rasien unb bie ?Efufen anruft, „bie
unfterblidhen Softer beg 3^ug", erinnert er biefelben, raie fie, bei ber
4''odhgeit beg (Sabmug oon 2;heben unb ber i^armonia erfcheinenb, „fo
fcljön" einft gefungen:
Siebengroürbig immer ift ba§ ©dhöne,
©och mag nicht f^ön ift, fcinn niemanb lieben 111).
©anj bag Slämliche lefen mir in ^lato’g ©ialog „®ag ©aftmahl".
„?lEeg mag bie ©ötter gerairft," fo belehrt bort ©ocrateg ben Slgatho,
„bog haben fie gerairft aug Siebe ^u bem mag fdhön ift; benn ^ä^licheg
ift nicht ©egenftanb ber Siebe. Unb fo ift jebe Siebe, Siebe ber
©djönheit" 112). ©c^ärfer nod) alg fein EJfeifter, brüdt ben ©ebanfen
ber 9leuplatonifer oon ©prug aug. „Sftidjtet fich bie Siebe raohl ouf
ctraag Slnbereg, alg auf bie ©chonheit? 9Ue unb nimmer; benn bag
mürbe nidjt mehr Siebe fepn, bie einen anberen ©egenftanb hätte alg bie
©d)önheit" ii3). 33olb barauf fährt EJfarimug olfo fort. „2Bir haben
*) 3ufofcrn nämlidh tm (Srunbe einjig unb allein bie „eigentliche Siebe" toirf=
licpe unb joahre Siebe ift. IBgl. oben 91. 53. ®. 75 f.
SBeroeig au§ ber 2el)vc ber locvatifd^en imb bec rf^riftlid^cit 2öitien)d}aft. 105
gel'el)en, ba^ bie £iebe immer Siebe ber ©djon^eit i[t, unb baji, mer elroag
3tnbere§ liebt al§ bie 0djönl)eit, ben @emi[5 liebt. Slenbern mir niin
audj ben 9lameu, unb nennen mir bie ®e[innung be§ Set^teren nidjt mefjr
Siebe im eigentlid)en ©inne, fonbern uneigentlidje Siebe; bamit mir und
nii^t burd) bie @leid)l)eit be§ 9tamen§ nerleiten Uifjen, and) bie ^Begriffe
felbft 3U nerrae(^[etn. Unter Siebe al)o nerfte^en mir bie iHid)tung be§
©trebenä auf bie ©d)önl)eit; bie Dticbtnng beä ©trebenä auf ben @enuf3
bagegen foll nneigentlid)e Siebe ^eifsen" lu).
2Sir l^aben rooljl nid)t nötf)ig, einer unri(^tigen 2lnffafinng biefer
3lengerungen norjubengen. ^Jtnrimnä unb ^lato benbfid)tigen nid;t etma,
in Stbrebe 511 [teilen, ba[i ben ©egenftanb ber eigentlid}en Siebe bie innere
@utl;eit bilbe; unb eben [0 menig mürbe biefe 2Sal)rl)eit non ber älteren
gried^i[d)en SSeisljeit nerfannt, bereu 3ln[d)aunng mir S^lieogniä in [einen
®er[en 3lusbrnd geben l)brten. ‘©ie[e mie jene gelten lebiglidj non bem
©al?e an§, ber un§ and) bei ©l)oma§ non 2tqnin bereite [rüber begegnete,
ba^ nämlid) bie innere ©utbeit unb bie ©djönbeit, objectin nnb in
ibrem concreten ©ei)u genommen, non einanber nid)t üer[d)ieben
[inb. 3^^ 3‘O^S^ [inb ihnen, ber Siebe gegenüber,
bie 3tnmen „innere ©ntbeit" unb „©djönbeit" gleid)bebentenb. 23oll=
[tänbiger, unb babnrd) [ebe DDtijibeutung ang[d)liei3enb , brüd't [icb in
bie[er 33ejiebnng ber eben nod) genannte bfilui^ jtirdjenteljrer nuö, mo
er, in [einer (5'rflnrnng ber ©cbri[t „lieber bie Dtamen ©otted", mit
bem 3Ser[a[[er ber[erben bie nämlidje Sebre oorträgt, mie ©beogniä, i[3lato
nnb 3iRaj:imu§. „SSie ©ott [elber [d)ön i[t nnb gut, [0 oerleibt er and)
ben Sße[en bie er in§ ®a[ei)n ru[t, ba§ ißermögcn lieben in 3tüd[icbt
au[ bie ©djönbeit unb ©ntbeit, melcbe eben ben eigen tlid^en ©egem
[taub ber Siebe bilbet. SDenn an[ fein ©)ing ridjtet [icb
Siebe anbers, alö in[o[ern eä [d)ön unb gut i[t“ ii5).
Ütiir unter iloranä[et^nng eben bie[er 2ln[djaunngen haben bie [oU
genben SSorte be§ Äird)enlebrer§ oon lüiippo einen ©inn. „,it>fllig i[t
bein ©empel,‘ [prid]t ber i^rophet, ,bemnnbernng§mürbig in [einer ©e;
red)tigfeit‘. ©a§ i[t bie 3ier be§ .*pan[e§ ©otteö. ,33emnnberung§mürbig‘,
[agt er, ,in [einer ©ered)tigfeit‘ ; nid)t, bemnnbernngämürbig um [einer
©äulen, um [eined Siiarmorg, um [einer uergolbeten ©eden millen. ®u
ba[t ein äu[3ere§ Singe, mit meldjem bu ben iUtarmor [ieb[t nnb baä
©olb ; brinnen i[t ein anbereä, ba§ [djaut bie ©d)önbeit ber ©eredjtigfeit.
3[t [ie ni(^t [cbon, bie ©eredjtigf eit, mie lieben mir ben
6rei§, ber ba geredjt i[t? 3Ba§ bat er an [einem Seibe, bas
iin[eren Singen ge[aUen fönnte ? ©eine ©lieber [inb frnmm , bie ©tirn
DoU IRunjetn, baS ,'oaar gebleidjt, gebüdt unb mit groper 33e[d)merbe
gebt er einber. Slber menn er bein Singe nid)t er[reut, oietleid)t bein
Cb^^- 2So i[t beim [eine ©timme? ein[t üielleid)t, in [einer ^i’S^ab,
106 ®>e ©d^önl^eit ift ber ©egenftanb unb @runb eigentlicher Siebe;
fang er fd}5n; mit ben fi'i) nertoren. Ober füngen
etraa feine ®orte angenefim, bie ber jatmlofe SJinnb taum metir noßs
ftänbig bUben fann? Unb boc!h, roenn er gerecht ift, raenn il^n ni^t
gelüftet nadj frembein @ute, roenn er non bem ©einen ben 2Irmen mit=
t^eitt, roenn er 2Tnbere juin @uten anleitet, roenn er roeife ift unb ein
iOiann be§ ©taubeng, unb um ber SBa^h’^tieit mitten au^ bie gebrochenen
©tieber noctj ju opfern bereit, — roaren ja and) niete iBiartprer ©reife, —
fo Heben mir i^n. SBarum? roa§ fie^t ba§ Singe unfereg Seibeg an
itjm ber Siebe SBertheg? ©ar nichtg. ©o hat benn aifo bie ©e=
reihtigfeit i^re ©dhonheit, bie mir flauen mit bem Stuge beg
©eifteg, bie roir lieben, bie ung tiiwei^t. Oiefe ©chöntieit hatien ^ie
SJienfchen innig geliebt in ben SKärtprern, ba it)re ©lieber non ben roitben
Of)ieren jerfteifd)t rourben. Sltg fie ba tagen, mit ihrem eigenen ®tute
beftedt, bie ©ingeroeibe non ben Oh^^ten herauggeriffen unb umtiergeftreut,
jeigte fidh ba bem Stuge etroag Stnbereg, atg Stbfcheu ©rregenbeg? 2Bag
roar bort ber Siebe SBertheg, hätte nii^t in jener abfto^en-
ben ©rfcheinung jerf teifchter ©lieber bie notte ©dhönheit
ber ©erechtigfeit getenihtet? ©eht, bag finb bie ©d)atje beg
.'Qaufeg ©otteg; an biefen nertanget rei(h ju fepn. . . . , Zeitig ift bein
Oempel,‘ fpricht er, ,berounberunggronrbig in feiner ©ere(htigfeit‘. Oenfet
ni(ht, ißrüber, er fep auf^er eud), biefer Oempet. Siebet bie ©erechtigfeit,
unb ihr fetber feijt ©otteg Oempet" ii6).
©g roar eine an bag 25otf gerichtete ifJrebigt, in roetcher ©t. Stuguftin
biefe SSorte fprach*). SSerftanb man ihn, roar feine SSeroeigführung eim
teuchtenb unb übergeugenb, bann mußten feine 3«hofe^ non ber ©chönheit
unb non ber Siebe feine anberen Stnfichten haäen atg jene, bie roir norher
non Sh^ognig, 5Jfapimug, ijßlato unb bem heifise« Oho>tt<i§ nernahmen,
nnb bie in nicht minber floren ^Sorten audj ©t. Sluguftin fetbft in einem
früheren SSerfe atg gar feinem unterroorfen aufgeftettt h“fd-
„3ft eg benn möglich," fefen roir in feinem Oiatog über bie Sdinfif,
„ift eg benn möglich, bafe roir etroag Heben bag nicht fchön
ift? freilich gibt eg iKenfchen, roetche häBü<he Oinge gu lieben fcheinen,
— bie ©riechen nennen fie aotTtprS^doi — ; aber in ber Ohut ift eg nicht
bag lieben, fonbern nur ein nieberer ©rab non ©chön=
heit. Oenn bag ift offenbar, baff niemanb Oinge liebt, bereu ^a^tichfeit
Stbfcheu erregt" H7).
81. Stug fotchen Slnfchauungen muhte benn mit tRothroenbigfeit für
bie ©thif jene Sehre he^^Dorgehen , nermöge bereu fie bag für bie Siebe
gefchaffene, ben ©egenftanb feiner Siebe rafttog fuchenbe ^erg nicht foroohl
auf ein höchftes ©ut, fonbern nietmehr auf bie höchfte ©chönheit, atg
*) „Sermo ad plebera“ ift bie Ueberfihrift ber erflärung be§ ipfatmeS.
SBeroei§ au§ ber Sel^re ber focratifd^cn imb ber d^rifttidjen Sßtffenfd^aft. 107
auf ba§ bcv pd)ften ?icbe 5[öürbige I)ttuuie§; uermöge bereu fie beu allein
roa^rbaft ©dföuen at§ beu uerfüubigte, beffen ?iebe aüeiu bie gaujc
Sß>eite be§ iöieufdbenberjeng auSfütte, uor beffeu ißotigtanj nde aubere
©diönbeit erbietdje, in beffen 51nfd)annng nnb @ennf! allein nolle ©e(ig:
feit jn finben fei). 25^ir foinen an fein (F'nbe, inoflten mir f)ier ade bie
©teden 6erncffid)tigen , in ir)eld)en fd)on bie beibnifd)e
Sebre norträgt. fynbfte bod) and) fie ed tief genug, baf? „bn§ 3tnge nom
©eben nid)t fatt inirb, nnb ba§ Obr nicbt nod non bem roa§ ed ner:
nimmt".
i|?fotin adein mag und ald i^ertreter ber ptatonifdben ©dniten ge=
nügen. „S5>ieber anffd)roingen mnf? man fid)", fpridjt er, „jn jener
©iitbeit, ber Sfded jnftrebt mad Seben bat. ... ©o einer biefe fd)ant,
roe(d)’ b^ft’de ben ergreifen, metd)’ beipei' ®rang mit ibr ficb
ganj jn uereinigen, roeld)e nberraöttigenbe fvrenbe! ®enn raer fie noch
nid)t fd)ant, ber ftrebt natnrgemäp ibr jn, ald ber @ntbeit; bem ©d)anenben
bagegen ift fie bie ©d)önbeit, bei bereu 5tnbfid er fid) non füper 58e=
ronnbernng, non ©ntjnrfen bingeriffen fnbd, bie er mit inabrer Siebe
nmfapt, bie ibn jeber anberen Siebe nnb ber ftnrfften Segierbe fpotten,
bie ibn 3fded ueracbten lef)rt mad er früher für fd)ön bi^^d
bad nicht and) bei jenen mel(ben bie ©eftntt eined @otted, ober eined
bimmüfd)en @eifted erfd)ien, nnb bie nun ade Seibedfdjönbeit oerad)ten‘?
2©ad mnf) a(fo gefd)eben, menn jemnnb bie ©d)önbeit felbft fcbant, mie
fie ift in ficb, nid)t bnrd) einen Seih, nid)t burd) ben ©toff nernnftattet,
nid)t umgrünjt non ©rbe ober ipdnmet, ganj rein mie fie ift? . . . ©ie
gibt aden ®ingen ihre fd)enft öden ohne and fid) b^vondju;
geben, fie empfangt non feinem; barnm, mer fie fd)ant, nnb ruht im
©ennffe ihrer 3tnfd)onnng, atfo bafi er ihr felbft übnlid) mirb, mad für
©d)öned fann ber nod) bebürfen? ®enn meil fie bie böd)fte, bie ITr:
fdbönbeit felbft ift, barnm mad)t fie ade bie fie lieben, and) felber fcbön
nnb liebendmürbig. ©o ift beim fie ber i|>reid bed Äampfed, bed gropen,
bed oerbangnipDoden, ben jebed ^^erj jn fümpfen bat; fo mnfi benn
barauf ad’ nnfere d}fübe fielen , bnp mir nicht etma biefer bcb^'^a 3ln=
fcbaiumg nerlnftig roerben: benn mer jn ihr gelongt ift felig, unglücflicb
jeber ber banon andgefcbloffen mirb. ®enn nid)t, mer fd)one fs-arben
ober fd)öne ©eftalten nid)t fein nennt, nid)t, mer feine i)Jtad)t befiht.nnb
feine v<perrfd)aft nnb feine Ärone, ift nngliuflid); fonbern ber adein ber
biefe ©eligfeit oerliert" *). konnte ber ‘ftnntbeift mobl grofte .*ooffnnng
haben, biefem Unglücf, in ber 'Xbat bem einzigen, jn entgehen?
ÜSir fühlen ed, ed ift ber ©dbimmer ber ©ahrbeit, ber in ben
Plotin. de pnichritud. c. 7. ed. Basil. p. 55 F. 56. Cre\izer 46 sqq.
(6it. 28.)
108 ©d^ön^eit ift her ©egenftanb unb @runb eigentUd^er üiebe;
SBorten be§ Reiben leuchtet. Ilnb boc^, roie armfelig unb matt, rote fo
eiStalt ift btefer ©d^immer, ba er mie nerloren in ber 3^ad^t be§
tf)um§, gelöft non ber einzigen ClueCte beä maleren £i^te§, bem fuc^enben
2tuge begegnet! SBie beroegt e§ fo ganj anber§ ba§ §er;^, menn bie
gottliebenbe ©eele be§ großen Sü§er§, non berfetben 2Ba'^r!^ett, ba§ nur
©iner ber Siebe raürbig, ergriffen, in bie ^tage auäbric^t; ,,©o fpät
erft !^ab’ ic^ angefangen bic^ gu lieben, bu eraige ©c^ön!^eit, uralt, unb
bennoc^ immer neu! fo fpät erft fiab’ i^ angefongen bi(^ ju üeben!
®u raarft in meinem §erjen, unb idb mar au^en, unb au^en fud^t’ id^
bi(^ ; unb auf bag ©d^öne ftürjt’ i^ midt) , felbft fiafelidf) , ba§ id^ um
mi(^ fa^, non beiner §anb gemacht. ®u marft bei mir, unb id^ mar
fern non bir. widb, fern oon bir, gefeffelt, roa§ gar nid^t
märe, mär’ e§ nid^t in bir" ii8).
82. 3Sertieren roir unfern ©at^ nid^t au§ ben Singen, ben mir ju
beroeifen !^aben; „bie ©d)ön^eit galt ber SSiffenfdbaft oon fe^er at§ ber
©runb unb ®egenftanb eigentli(^er Siebe", ^ft @ott bar um tieben§:
raürbig, raeit er fc^ön ift, barum ber allein SiebenSraürbige, raeil er ber
aüein ©dböne ift, bann mug iener ©a^ raa!^r fepn. ©erabe baä liörten
rair nun aber non bem Sieuplatonifer unb oon ©t. Sluguftin.
Unb raie fie in fRücffid^t auf ©ott an fi(^, fo fagen e§ un§ 23afiliu§
unb tflemens, unb mit i^nen gleid^fallä raieber ber .üird^enle^rer oon .^ippo,
nadl) bem SSorgange beg !^eiligen ©eifteg in 0fiü(ffidbt auf ®en, in raeld^em
fid^ bie ©d^önl)eit, bie Siebengraürbigfeit, bie ^errlid^feit ber unfid^tbaren
©ottbeit ung offenbarte. Slucb ^efug (5l)viftug ift über Sllleg liebeng'
raürbig, raeit er über SlUeg fd^ön ift. „^errlidb in beiner ©dbönbeit
bift bu," baite ju ibm ber Ifßropbet gefprodben, „berrlidb oor ben Äinbern
ber SOienfcljen." Unb ber groüe SSifdbof non (Jäfarea erftärt. ,,^errli(^
in feiner ©cbönbeit preift er ben ©rtöfer, inbem er bag Sluge auf feine
©ottbeit 'lidü Seibegfdbbnbeit ift’g bie er befingt. ®enn ,rair
haben ilin ja gefeben, unb er b<iWe Hi<bt SBoblgeftalt nodb ©dbönbeit, fein
Sleuf3ereg raar ohne SSorjüge, raar unfdbeinbar oor ben £inbern ber
iDienf(^en‘ *). Offenbar mu^te eg alfo bie göttli(be Siebe ber unfidbtbaren
^^errlidbfeit fepn, non raeldjer ber lf3ropbet fidb bwQeviffen fühlte, ba er
ihre .iilarbeit fdbaute, ba ihre ©trabten ihn trafen, unb ihre ©dbönbeit feine
©eele entjüdte. Unb rao immer biefe fidb öem illlenfcbenberjen offenbart, ba
finbet eg Sltleg bäfllidb unb ber 3ßera(^tung raertb, mag eg früher liebte **).
Ober artete ni(bt audj ber Slpoftel SlCleg für Ä'otb um (Sbriftug ju be=
fitzen, feitbem er ihn gefeben, ber ba , herrlich ift in feiner ©dbönbeit‘?" ***)
*) 3f- 53, 2. 3. Sgl. oben 9t. 26. @. 43.
**) Sgl. ©. 107, bie ©teile au§ Sl°dn.
***) Bas. in ps. 44. n. 4. Maur. p. 162 A.
58eiDci§ au§ ber Se^re ber focratifd^en iinb bcr c^riftlid;en SBiiieuid^nft. 109
„Uiil'ev ©liöfer", fä^rt 6lemen§ fort, „übevtrifft alte menfd)licf)e
3^atitr. @r ift fo fi^öu, baf^ er allein ooit un§ geliebt gu roerben oer;
bient, bie roir ja nidjt anberd fönnen al§ bie ina!^re ©d)ön=
l)eit lieben. 6"r ift bie loalire ©d)önl^eit: beim ,er ronr ba§ malere
fiid)t‘" 119). „©0 la§t nn§ beim i^n lieben," fet3t ber ^eilige Slngnftin
f)ingn. ,,©el)t, er tarn gn nnd, nnb fanb niel an nn§, bad pfflid^ nmr,
nnb liebte nnd; la^t nn§ i^n niieberlieben : ober, fo mir an i^m etniad
3jnpdjed finben, lafft und i^n nid^t lieben . . . 3lber er erfi^eint nnä
überall fd^ön, beim mir glauben, ©c^ön in feiner ©otf^eit, al§ ba§
2ßort ba§ bei @ott mar; fd^ön im ©d^oofte ber ^imgfrau, rao er bie
göttlid)e 3iatnr nic^t oerlor nnb bie inenfdl)lidie annal)in ; fd)ön im §iinmel,
fdl)ön auf ber tjrbe ; fd)ön al§ jbiiib in ber Grippe, fdl)ön auf ben Firmen
feiner i))tntter; fd^ön in feinen SSmibern , fdbön unter ben (Steifiel^ieben ;
fd)ön ba er und gum ßeben ruft, fd)ön ba er für uns ben 'lob nid)t
ad^tet; fdjön ba er feine ©eele Ijingibt, fdiön ba er fie loieber nimmt;
fdjön am Jbreuge, fd^ön im @rabe, fd)ön in feiner i^ierrlidjfeit" 120).
83. 2Bir liaben e§ f^on angcbentet, nm§ ben Sötern bie Onelle
foldier ©ebanfen mar. dtid^t an§ focratifdier S^eidbeit fd)öpften fie bie=
felben, fonbern baber, roober naib ßlemend oon 3llepanbria and) eben
biefe, in ber Scitte eiiied finftern .fieibentbumS allerbingd beimmbernngd:
roürbige Sebre, felbft groptentbeilg ftammte, au§ bcr göttliiften Offem
borung. ®enn in bcr Sb^^l/ »nb liiermit roollen mir bie Seibe nuferer
3engen befdbliefien , in ber ibat finben mir nin^ in ber bcitigm ©dirift
nu§brüdli(^ gerabc bie ©(^önbeit be§ (F'rlöferg ald fpnonpm mit feiner
Siebenäroürbigfeit oufgefnfgt, nl§ baS 3Jlittel mobnrd) er fid) bie i^crgen
geroinnt, al§ eigentlidben (Siegenftonb nnb ©rniib nuferer Siebe. (5r felbft
batte e§ uerbei^en, roenn er erböl)t fepn mürbe oon ber @rbe 2llle§ an
fidb gu gtcben * **)), bod) mol)l bnrd) nidits 3lnbere§ old bnrd) bie Siebe ;
barnm flebte er gn feinem Sater am 3lbenbe oor feiner (Srbobnng, bnfg
er ibn nun enblid) oerflören möge oor ben SJcenfdien mit jener ö^errlidb=
feit, ba§ beijit mit jener ©d)önbeit, meld)e oor bem SJlorgenftern im
©d)oo§e ber @ottbeit il)n nmfloffen ***)• ®enn ift oollfommen ge=
grünbet, meint ^dlopftorf, im oiertcn ©efange be§ „SSeffiaä", biefen @e=
banfen im @ebete be§ (Jrlöferd fo miebcrgibt:
©ie ©tunb’ ift gcfommen,
Seinen ©ingebornen in feiner ©diönbeit gn geigen;
3eig’ ibn mm, Sater, baü bii bnreb il)n oevbervlid)et loerbeft.
*) 30b. 12, 32.
**) Noli cogitare te invitum trahi; trahitur aiiimus et amore. xVug. in
Io. tract. 26.
***) 30b. 17, 1. 5; ugl. 12, 23. 28.
110 ©d^ön^eit ift ber ©egenftanb unb @runb eigentfic^er Siebe;
2l6er eg finb no(^ üavere 2lu5brü(ie, bie lüiv im 0inne :^atten. ©t^on
ein ^a^rtaufenb benor er alfo betete, ^tte ber @e^er im @ei[te biefe
^errlid^feit beg ©räutigamg gefc^aut, ba er bie Sraut ju i^m fprec^en
tie^: „@ie^e bu bi[t fctjön, ben i(^ üebe, unb noU 2tnmutV'*)i er
bie SßJirfung biefer ©c^ön^eit auf bag i^erj ber 33raut nerftanben, ba
er fie barfteßte raie fie nor ©ei^nfuc^t nad) bem 2lbroefenben nergef)t, unb
ben Jöc^tern if)re Siebe funbgibt unb bag iißaap it)rer Siebe:
,,^ctj befdiroöre euct), Stödjter ^e^ufatemg, fo i^r finbet meinen ©eliebten,
ba fünbet eg i^m, bafi id) franf bin nor Siebe." Unb bie Jo(^ter 3^=
rufatemg antroorten if)r: „2Bag ift bein ©etiebter uor Stnbern, o ber
fyrauen f^önfte, ba^ bu atfo ung bef(^moren?" **) „®ie glü^enbe
©e^nfuc^t ber 33raut," bemerft baju ein ^eitgenoffe unb ©eiftegt)er=
roanbter beg fieiUgen 23ernarb ***), „i^r bringenbeg Sitten, fiat in ^ol^em
©rabe il)re 2tufmerffamfeit gefpanut unb ifire 2:f)eilna§me erregt. Unb
roie foßten fie nid;t mit ©pannung forf^en nad) ber ©d;önt)eit beg ©e;
liebten, ba fie bie Srant nor Siebe nergelien, nor ©ef)nfud)t nad^ i^m
faft fterben fe^en? ®er ©runb einer fo l^ei^en Siebe, banon finb fie
überzeugt, fann nur im Sräutigam liegen. iDarum forfd^en fie noß
S^eilnaljme nad) feiner ©d)öni^eit: benn fie fönnen nid^t anberg benfen,
— fie l^aben ben Seroeig bafür jugleid^ in ber ©dt)ön^eit ber Sraut, —
alg ba^ er raunberbar fi^ön fei)n müffe" 121).
2Sof)l mar er raunberbar f^ön, ber „fonnenreine Slugfluji ber l^o^en
©d)ön!^eit beg 2tßerpd)ften , unb feiner ©ut^eit Silb" 122): ber, alg
„bie Silie beg ©^algrunbeg" ***"''0 unb „bie Slume aug ber SBurgel
^effe" t) aufblü^enb nor bem ©eifte ber , „bie Hoffnung ber
Söller" geraefen, unb „bag Serlangen ber einigen beffen
©rfc^einung, mit „bem Äleibe geraafdjen im Stute ber Sraube, mit ben
Sugen, fd)öner alg 2Sein, unb ben ^ölinen, raeißer alg iÖUtdt)" fff),
in grauer Sorjeit fi^on, feine ©eele entjüdenb, nor bem erteud)teten Sluge
beg fterbenben ^Patriarchen geftanben; bem, nießeii^t gleid^jeitig mit bem
5)id)ter beg bo^en Siebeg, ein anberer i]iropl)et gefungen:
Umgürte, ©einaltiger, bie §üfte mit bem ©cbroerte bir,
mit beiner Slnmutl), bciner ©cbönf)cit!
©panne ben Sogen,
^iebe fiegenb einlicr nnb t)errfd)e ftttJ-
*) Jpof). 8. 1, 15. **) IJot). 8. 5, 8. 9.
***) O'iltebert, 2tbt eines 6iftercien)ertto[terS in (änglanb, f 1172.
ipob. 8. 2, 1. t) 3f. 11, 1.
tt) 1. 9Jtoi)l. 49, 10. 26.
fff) Lavabit in vino stolam suam, et in sanguine uvae pallium suum.
Pnlchriores sunt oculi eins vino, et dentes eius lacte candidiores. Gen. 49, 11. 12.
t'itt) 44, 4. 5. 23gf. bie 2lnmerfungen, n. 123.
S8eroei§ auä ber £el;re ber focratifc^en imb ber c^riftlid;en Sffiii|enf(^aft. Hl
Unb rote fein 23ogen traf unb rate fein '^feil nerraunbete, bag leierte ung,
neben Slnbern o^ne ^dg burdjbo^rte §erj nnb bie nerjelirenbe Siebeg;
gtut ber ferap^ifd)en ^ungfrou non Slnita*); nnb raie er iiegreid) raar
bnrd^ feine 0djönf)eit unb raie er l)errfd)te, bag f)atten niei fridjer fdfon
bie begeifterten Sßorte jeneg niraergleidilic^en Äinbeg beraiefen, bag, fautn
breije^njnljrig , bie graue SBeig^eit beg Ijödjften Süterg in feinem enget;
reinen -iperjen trug**): allein raitt id) tieben, i§m bteibe id) treu,
bem @otteg ©nget bienen, ber eine feine 'd3cutter nennt, beffen
®d)önt)eit ber i)Jtonb unb bie ©onne beraunbern" gneran^r, „fie
finb fd)arf, feine ifJfeite," fd)Iie§t Safitiug ber ©rofie. ,,©ie finb eg,
raetdje bie gtänbigen .t^erjen bnrd)büt)ren, alfo, bafi fie in gtülfenber Siebe
it)reg ©otteg entbrennen, unb fpredien mit ber 33raut, ,id) bin nerraunbet
burdj bie SiebeS ®enn unaugfprcc^Ui^ , über atten Stngbruct ^errtic^,
ift bie ©djon'^eit beg SSorteg, bie Siebengraürbigfeit ber Sßeigt)eit, ber
©tanj ber ©otttjeit in i^rem raefenggteid)en 33itbe. ©elig barum, bie
i^re ilSonne finben im ©d)auen ber raat)ren ©d)ön|eit! ©)enn raie an
fie gefeffelt bnrd) bie Siebe, in Siebe ben umfaffenb ber bie SiSonne beg
i^immetg ift, nergeffen fie ißerraanbte nnb fvreunbe, nergeffen b'bang unb
23efitH nergeffen fetbft auf bie leiblichen 33ebürfniffe non ©peife unb
©ranf, ganj ©ing geraorben, nnb raie üerfdjmoläen, mit ber göttlid)en,
mit ber reinen Siebe" f).
§. 3.
^5 ift bic cigcntfitßc «nb nidjt btc uncigcntfidjc, um btc cs ftd) in ben
angeführten ^eugniffen httibeft.
84. Sßer gu urtheiten uerftetjt, bem biirfte biefer brüte iparagraplj
überflüffig erfcheinen. 3n raeld)e rair bigtjer
angeführt hat>eiü inggefammt non ber 3lrt, bnfi non einem ^et'cn, raeld)er
bag barin non ber Siebe ©efagte auf bie uneigentlidje Siebe bejietjen
*) Sed te manet suavior
Mors, poena poscit dulcior :
Divini amoris ciispide
In vulniis icta concides.
3(u§ bem Officunn ber heiligen £f)erefia.
**) Infantia quidem computabatur in annis , sed erat senectus- mentis
immensa. 2Iu§ bem Officium ber heiligen 3tgne§.
*’**) Ipsi sum desponsata, ipsi soll servo fidem, cui angeli serviiint, cuius
mater virgo est, cuius pulchritudinem sol et luna niirantur.
2tu§ bem Officium ber heiligeu 2lgue§.
f) Bas. in ps. 44. n. 6. Maur. p. Iü4.
112
Dtecapitulation.
rooCte, otelme|r imferfeitS rair junac^ft ben SeraeiS unb bie 9tec^tfertigung
einer foI(^en 21u§Iegung ju erwarten ^aben feilten.
„Jtngenb unb SBeiSl^eit", hörten wir non (Sicero, ifJIotin, ©t. Slugu:
ftin, ipiato, „ein fc^öneä @entüb^, ein ebler Sfiaracter, giel^t unfere iBe=
raunberung auf fit^ nnb unfere Siebe, unb unter biefer Dftürffic^t nennen
wir fie fd^ön" (77. 78. 79). „S)a§ Siebengroürbige" , lafen wir bei
ifilato, „ift immer and) bag roa^rl^aft ©c^öne, bag @ble, bag 3Sortreff=
lidie" ; „je !^öl^er bie ©diön^eit, befto größer bie Siebengraürbigfeit, befto
inniger bie Siebe: unb U3ag bag ©^önfte ift, bag ift immer auch bag
ber Siebe SBürbigfte'' : fo leierten ung ifSrocIug, Sluguftin, unb abermalg
ipiato (77. 79). „iliur bie ©d^ön^eit ift liebengraürbig, unb mag nid^t
f(^ön ift, bag fann niemanb lieben", erfidrten noc^ entfd^iebener , mit
i^eognig unb ifSIato, ilRarimug non ^:prug unb ©t. Sluguftin, unb mit
ü^nen ftimmte ber 31reopagit unb fein 21ugleger, ber^ lieiüge 2!^omag,
überein (80). ©oUten mir benn nod^ alle biefem nod^ argumentiren
müffen? ,,©d)ön^eit" unb „Siebengraürbigfeit" finb raie fgnonpm (77);
rao fiat benn femafg bag „liebengraürbig" ge^ei^en raag bie ©elbftfuc^t
reijt? ®ere(^tigfeit , 3üdf)tigfeit , l^o^fierjiger ©inn, jene innere ©dböra
l^eit „raefd^e bag .^erg ©otteg einnimmt", „bie ber ^önig liebt" (78),
„bag ©Ute in unferer ©eefe", 2;ugenb unb ©infid^t, bie 2;reue, „eine
fd)öne ©eefe" in einem bamit ^armonirenben Seibe (79), jener 2lbef beg
©eifteg raeld^er ben jal^nlofen ©reig e'^rraürbig mad^t unb ber Siebe raerti^,
ber ^elbenmut^ ber ?07ärtt)rer enbfid^ unb i^^re Eingebung (80), ift bag
21fleg ber ©egenftanb uneigentli^er Siebe, ober nimmt eg bie „raa^^re",
bie eigentlidbe Siebe in 3fnfprudf|?
3la^ S!^omog non 3fquin „bilbet bie ©i^önfieit unb ©ut'^eit ben
eigentli(^en ©egenftanb ber Siebe", unb „erzeugt fidf) burd) bag
geiftige ©(^auen ber ©i^önl^eit ober ©nt^eit beg Unfid^tbaren bie |o^ere
Siebe" (80. 76); fann bag oon ber uneigentlid^en Siebe gefagt fepn?
ifiad^ iödapimug non S^prug unterfdtieibet fi(^ eben barin non ber um
eigentlichen Siebe bie eigentliche, bajf „biefe fidh auf bie ©dbönheit riditet,
jene bagegen bie eigene Sefriebigung fucht": unb „beßfialb", fdfitoB mit
bem ilieuplatonifer ber heilige Sluguftin, „nerbient ben iJlamen ,Siebe‘
allein bie Siebe ju bem mag fdhön ift" (80); lü§t fidh bie ©adhe nodb
flarer augbrüden? Unb non raag für einer Siebe rebet bag Such ber
SSeigheit, ba eg ung non ber „erften Siebe" beg ^önigg ©afomon be=
richtet (76)? non raag für einer ©t. Sfuguftin, raenn eg ihn fchmerjt,
„bie uralte unb bennoch immer neue ©d)önheit" fo fpät erft geliebt gu
haben (82)? non raag für einer Safifiug unb ©lemeng nnb abermafg
aiuguftin, ba fie ung auf bie ©dhönheit beg ©ohneg ©otteg hinraeifen,
bie überfd)raenglid)e, bie affen Segriff überfteigenbe , auf ba§ rair, him
geriffen non ihrem ©lanje, alfeg Sfnbere neradhten, nergeffen lernen?
®ie ©d^ön^eit ift bcr ©cgenftanb unb @nmb eigentlicher Siebe
113
Siebe btefer ©(^hön^eit war e§, roeicbe bie ©eele ber 53raut im ^o^en Siebe
oerrounbet hatte; Siebe biefer ©djonheit burchglühte ba§ ^erj ber römi;
fdheit Jungfrau , ber breijehiijährigen 'üJlärtprin , aB fie , wie Slmbrofiiiä
fagt, in ^reiibe bem 9^idhtpta^e jueitte, üiet fetiger aB bie SSraut
bie jum ?ntare tritt*). 2Bar e§ uneigentliche Siebe, raa§ )ie begeifterte?
2Ber ba§ jn glauben nerfucbt ift, bem fehlt für bie Siebe baä OSerftänbniB
foroohl als baä .^erj, ber begreift nur @goBmu§.
^o^tteL
Haß bic 5d)öul)EU bcr OScgciiftaub uub ©raub cigcutUdicr i^iebc ift,
boö ergibt fid) aus ber ßfjicljung, ia iacld)cr bie Hiagc, eben iafofera
fie fdjöa fiab, bem neraäaftigea ©eifte gegenüber fteljea.
@in jroeifacheg SSerfchen in ben Unterfiichuugcn ber neueren 2ßiffenfd)aft über
bo5 Sßefen ber ©ct)önheit. ©rnnbtnge für beit in biefem Ä'apitel 511
fütirenben ®eroeiö.
85. pie in bem üorhergehenben Ä'npitel angeführten ^leufeernngen
ber üorjüglidiften Sirager ber SBiffenfdjaft bürften mehr aB genügenb
fepn, einen ^eben ju überjengen, baß biefelben in ber 'Jhat non jeher bie
©(hönheit aB ben @runb unb @egenftanb eigentlicher Siebe betrad)teten ;
baß fie bie nädhfte, bie natürlidje itnb unmittelbare Söirt'nng ber ©djön=
heit auf ben nernünftigen ©eift barin fahen, baß fie benfelben einnehme,
unb fi(h fein .^erj geminne. .könnte man ben 5luctoritäten bie mir gehört
haben, eine entfpreihenbe ,3ahl nid)t minber gemid)tiger ©timmen entgegen;
ftetlen, bann möihte bie .liraft nuferer SeraeBführnng allcrbing§ gebradjen
fdheinen; aber mo finb fie benn, bie 'ildleifter auf bem ©ebiete be§ ©eiftcä,
roelche mit gleidier ©inftimmigfeit fich für eine anbere '^tuffaffung and;
gefprodben haben? Unb roenn man uergebetB nach ihnen fragt, rooher
fömmt e§, baß man ber 2lnfid)t über bag SBefen ber ©djönheit, roeldje
fid) au§ ber üluffaffung ber älteren üöiffenfchaft nothraenbig ergeben muß,
roie mir fie oben (75) angebentet haben nnb im nädjften 2lbfd)nitte ooU=
ftänbiger entroideln inerben, baß man, fagen mir, biefer 2lnfd)aunng in
ben Toiffenfchafttichen Seiftungen ber neueren nie mehr begegnet?
©eit mehr aB hnnbert ^aheen haben mir unä bnrin gefallen , bie ©t;
rungenfdhaften ber SSorjeit auf bem ©iebiete ber ®iffenfd)aft oornehm 511
ignoriren; mir haben geglaubt, überall non norn anfangen, unb febeg
*) Non sic ad thalamum nupta properaret, ut ad supplicii locum, laeta
succesBu, gradu festina virgo processit. Ambr. de virg. 1. 1.
3tu§ bem Officium ber heiligen 3lgne§.
8
Sungmann, 2(eftf)etit. 2. Stufl.
114 ©cJ^önl^ett ift ber (Segenftanb unb @tunb eigentlicher Siebe;
9iiefultat unferer eigenen „^orfd^ung" oerbanfen ju muffen. ®iefer unferer
33efd)eibenheit bürfen mir eg jufchreiben, bajf mir in mandhen fragen ber
©peculation roeit ^hinter ben ©tanbpunft unferer 3ßorfa'hren jurüdfgeratf)en
finb; unb fie hat «n ber Unfiar'heit unb nielfadh an ber nollfommenen
Unhattbarfeit unferer ^Begriffe über bie ©i^önfieit fidler ifiren Slntheil.
@g lä^t fidh inbeji nodt) ein me^r fpecieüer ©runb hierfür angeben.
23ei ber Sefung beg letzten Äapitelg mag fidh iIJdandf)em fdi)on ber ©ebanfe
nahegelegt haben, ba§ in ben 0ü^en ber alten ÜReifter bie mir angeführt,
nerhättni§mä^ig roeniger non ben förperU^en frönen Gingen bie Dftebe
ift, eg fi^ üietmehr norroiegenb um jene ©rfdheinungen hanbett, roetdhe
ber Orbnung ber mit ©rfenntni^ unb f^^reiheit auggeftatteten SGBefen, ober
auch ber rein geiftigen ©phäre angehören. Unb oietteicht hatten ©ingetne
gegen ung aud) fdhon bie ©inroenbung bereit, in 9fiüdüfi(^t auf bie Se^=
teren möge bie 2tnf(^auunggroeife ber ültereu SBiffenfdhaft immerhin ihre
tßeredjtigung haben: auf bag ©dhöne ber fidhtbareu SSett hingegen taffe
fi(^ biefetbe nidht anraenben, unb barum in ber SBiffenfdhaft ber fdhönen
Äünfte fidh au^ nidht oerraerthen. 2öag biefe ©dhraierigfeit betrifft, fo
haben mir burdh bie Unterftheibung jroifchen „abfotuter" unb „retatioer"
£iebe (55. 56. ©.77 ff.) ben ©dhlüffet ju ihrer Söfung bereitg gegeben,
unb hoffea fie in bem batb ^otgenben gan^ ju befeitigen. ©erabe
bag ift ber SSorjug ber älteren SBiffenfdhaft, ba§ fie in
ber Unterfudhung über bag SBefen ber ©d;önheit ben
redhten ©tanbpunft einnahm: gerabe bag ift bag 25erfehen
ber ^tdeujeit, bafj fie biefen uertaffeu hat. SBir haben
im erften 2tbf(hnitte (Äap. 2) nadhgeroiefen, ba^ bie ©(^önheit nur in
ber Orbnung ber mit 33ernunft unb f^reiheit begabten Sßefen in ihrer
ganjen 55ottenbung erfdheint, ba^ ihre eigenttidje ©phäre bie geiftige SBett
ift, unb in biefer namenttidh bag ethifdhe ©ebiet. ttiun ift eg aber bodh
ein unbeftrittener ©runbfat^, ba§ mir einen ©egenftanb in feiner
ä^ottenbung ing Stuge faffen müffen, in jenem ^uf^anbe, roo atte
feine ©igenthümtidhfeiten oolltommen auggebitbet erfdheinen, menn mir ung
über benfetben rid)tige Urtheite bilben, roenu mir fein SSBefen ganj oer;
ftehen motten 124). tßetradhten mir nur einen fleinen 2:heit baoon, ober
nur feinen ©^attenri^, nur fein 23itb, oietteidht gerabe feine unoottfommenfte
©rfdheinung, fo finb mir jebenfatig ber augenf^eintidhften ©efahr beg
(srrthumg auggefet^t. 2tuf bem ©efidhte beg ?Dienfdhen prägt fi(h immer=
hin fein ^nnereg aug: aber finb mir barum moht in jebem f^atte be=
redhtigt, ben ©haracter eineg ^Kanneg nach feinem i^ortrait mit ©ntfd;ie=
benheit ju beftimmen? müffen mir ihn nidht, um fi(her ju urtheiten, in
feinem 9^eben unb $hua, in feinem mirftidhen Beben, burdh tangere
beobadjten ? Uub menn fidh au ber ©iegettacfftange ober an ber einfachen
©tagfdheibe atlerbingg gemiffe 3tnfänge etectrifd;er ©rfdheinungen heroor=
elfter sBeioei§ qu§ inneren ©rünben.
115
rufen (affen, fann man barnm, o^ne nnbeve a(§ biefe, fd)on
alle 33eobad)tnngen anfteüen, bi'e erforberUd) finb um eine Jt^eovie ber
(Edectricität ju geben? Infft fid) au§ febem anfgefnnbenen Ä'nodjenftüd
etneä antebilnoianifd^en S;^iereg fd;on bie ganje 91aturgef(^id)te beffelben
fd)vetben? ijnt aber bie ermähnte Siegel auf biefen ©ebieten i()re an^
erfannte ©ettung, begnügt man fid) meiäUd) mit ®ermut()ungen nnb
bef^eibenen i^t^pof^efen , folange man nollfommnerer 'SOdittel entbe()ren
muff: raa§ bered)tiget beim biefelbe ju ignoriren, mo e§ fidj um einen
©egenftanb tianbett , ber , mie bie ©d)ön()eit , in feiner ißoUenbnng einem
ganj anberen ©ebiete angeliürt a(§ bemfenigen, auf roetdjem man feine
Beobachtungen nnb Boranäfet^ungen gefammelt hat?
E)Bit ©inem SBorte, moden mir über bas 2Befen ber ©djönheit
urtheiten, bann müffen mir fie junüdfft nnb nament(idj in ber geiftigen
Orbnnng in§ 2(nge faffen. ®a§ thnt nnfere ?Oiateriel( mie
fie ift, ftellt fie nur über fchöne Singe ber materieUen 25>ett ihre Be^
übadjtnngen an, nnb oerfünbigt bag Befnltat bas fie ou§ biefen gemonnen
gu haben glaubt, al§ bie untrügliche ©runblage eineg ©ijftemg ber 21efthetif.
Sa ift eg beim freilich nidjt mehr möglidh, baß man mit ben 2(nfd)annngen
ber Borjeit, bie eben auf ridjtigen Boraugfeljungen ruhten, nod) Übereim
ftimme, ober biefelben anclj nur begreife; ba h^l »'an aber and) feinen
©runb fich 511 mnnbern, menn bie neuen Sl)eorien faft inggefannnt im
Sienfte beg Senfualignmg fteljen, menn fie felbft, mehr ober meniger, bie
unreine g-arbe beg Bfoterialignuig an fid) tragen, nnb eg aucl) bei bem
beften Brillen auf bie Sauer fd)mer mirb, gemiffe tl)eo(ogifd) nnb philo=
.fophifch offenbar falfd)e, aber logifd) nothmenbigc, ©onfei)uen5en fold)er
iprämiffen jnrücfjumeifen.
Sag ift freilid) oollfonnnen mahr: ift bie ©d)önheit eine gemeim
fame Befd)affenf)eit förperlid)er nnb geiftiger Singe, bann müffen bie
©rtlfirnngen nnb bie ©üt^e, me(d)e nng bienen follen il)r 2öefen 51t be=
ftimmen, ihre ©igentl)ümlid)feiten 51t characterifiren, nid)t nünber in Bütf=
fii^t auf bie fid)tbare SBelt ber f5rperlid)en Singe nlg onf bie geiftige
ihre 9lnmenbnng finben. 9did)tnngen ber neueren 3^'! me(d)e mir
eben bejeichneten, entfpreihen feinesmegg biefer f^orbernng ; fie miffen allein
Don einer ©d)önheit fiimlii^ mahrnehmbarer ©egenftünbe, nnb eg ift
logifche Bot()menbigteit, menn fie ben ©at), monndh bie ©d)önheit and)
ein Slttribut ©mtteg ift, alg fonberbar nnb miberfinnig oermerfen. Saß
bagegen nnfere Slnffaffung on biefem fehler ber ©infeitigfeit nid)t leibe;
baß nnfere Beftimmungen in beiben ©phüreii, in ber fid)tbaren mie in
ber nnfichtbaren , ihre oolle 2(nmenbnng finben: bag hoffen mir jeljt nnb
im folgenben 2lbfthnitte überjengenb barjut()un, jnnüchft , inbem mir ben
in ber Ueberfdirift anggefprod)enen ©at) bemeifen.
86. Sag Se^tere aber tl)uen mir eben fo oollftünbig alg einfad)
8*
116 ©d^ön^eit ift ber ©egenftanb unb @runb eigentlid^er Siebe;
baburc^, bay rotr biefen anberen begrünben: fd^öne ®v;
fdietnung eben infofern fie f(^ön ift, bem üernünf=
tigen @eifte gegenüber in bem 35erpltniffe t^atfdct)ti(^er
Uebereinftimmung mit il^m.
2®ie man fi^ erinnern roirb, l^aben mir nämlic^ früher gefeiten, ba^
alte ®inge rocIiSe bem oernünftigen ©eifte gegenüber in ber 33ejiet)ung
t'^atfäd^Iit^er Uebereinftimmnng ftel^en, eben babnrd) für i^n naturgemäß
ber ©egenftanb ber Siebe finb *). Unb roer etraa raieber jroeifetn motzte,
ob bie Siebe oon roetd^er in biefem @a^e bie Dftebe ift, and) roirflid^ bie
„eigentti(^e" Siebe fep, ber oerne^me, ju ben früher gegebenen, f)ier noc^
ben fotgenben 33eraei§ be§ ^eiligen 2:^oma§. M on jraei Singen
tf|atfä(^tid) biefetbe ©igent^ümlid^feit , 5. bie meiße f^arbe, fo befielt
unter itjnen tl^atfäd^tid^e Uebereinftimmnng. Surd) biefe finb beibe, in
Dftücfficßt auf bie ©igentßümtic^feit bie fie gemein ßaben, geroiffermaßen
©ine§: roie j. 33. jroei ilJtenfi^en in 9(tüdfid)t auf bie beiben gemeinfame
menfd)tid)e Statur, ober jraei Jünglinge in 9tüdfi(^t auf bie ^ugenb.
„Siefe 3Irt ber Uebereinftimmung aber erzeugt naturgemäß eigentliche
Siebe: beim eben infofern jeber bem anberen aB ©ine§ mit ihm felbft
erfcheint, muß er ihm ba§ roünfdhen raa§ ihm gut ift, mie er e§ fid)
fetber roünfd}t" 125). Unb „non je größerer 33ebeutung bie 9tüdfi(ht ift
unter roelcher beibe ©ineä finb, befto intenfioer ift bie Siebe" 126),
ißemeifen mir mithin ben eben angegebenen 0a^, bann fteht e§ un=
roiberfprechlich Mt- unb groar a priori, baß bie Schönheit in ber 2;hat
©runb unb ©egenftanb eigentlicher Siebe ift. Um mit ^tarheit oorjm
gehen, faffen mir bie fchönen ©rfcheinungen na^ ben brei Orbnungen.
benen fie angehören fönnen, getrennt in§ 3tuge: nämlich bie geiftigen
3Befen, bie förpertidhen Singe, unb bie (Einheit ber geiftigen unb törper^
liehen Subftanj in bem iFtenfdien.
§. 1.
|>ie gcifligctt SSefen (iehen, eßm infofertt (ic f(hön finb, bent »ernunftigm
^ci(Jc gcflcnüßer in bem ^erhäftniffc i^atfä<üfüd)ev ^cßcrcinfitmmnng
mit ihm.
87. 2Borin bie ©dhönheit eine§ geiftigen 3Befen§ beftehe, ba§ tarnt
ung nai^ bem uteßr nerborgen fepn**). „Sie Schönheit
ber Seele", hu^>en mir mit (Jicero, 3lmbrofiu§, 3luguftin, in Uebereim
ftimmung mit ber gefammten älteren SS^iffenfdhaft, gefagt, „bie Sdhönheit
*) Oben, 9t. 36. 57 ft- 3SgI. 9t. 52. ®. 73.
**) 9Jtan oergteidhe namentlich 9t. 20 — 28 (©. 34 ff.) nnb ba§ erfte Äapitet
biefe§ 2lbfchnitte§ (©. 99 ff.).
crftev 33eroei§ au§ inneren @rünben.
117
ber ©eele i[t aufridjtige lugenb unb Söeig^cit, (h'fenntni[3 ber 3ßa!^vl)eit
üjve *'od) eine neue ©timine uevne^men raoden:
„®ie ©djöni^eit bev ©eele i[t überaus gro^/' inal)nt ber ernfte OrigeneS :
„unb raenn barum ein ‘»Dtenfd^ fidj aud) nii^t ber fd)timinften ©iinben
f(^ulbig gemad)t l)at, fdjon Heinere genügen, fie ju uerunftalten. 'iD^an
eriüäge nur, luaS für ilorjüge (^5ott ber ©eele uerlieljeu ^at: bie' iljr
eigene (JrfinbungSgabe, baS ilermögen, ju orbnen, bie ©ebanfen in
fprad)lid)e f^ormen ^n gieren, fie ini ©ebädftniffe feftjn^alten , fie uor^ii:
tragen; man gebenfe ber uerfd)iebenen 2,l}ätigfeiten ber 3Sernunft, roie fie
23egriffe unb Urtfjeile bilbet, nnb baS SBal^re nom f^alfdien fd)eibet; man
berücffid^tige, rone für ©efül^le bie ©eele erzeugt, roie fie biefelben im
©ienfte beS ©eifteS uerroert^et, roo^in il)r ©treben gerid}tet ift , roeldje
©rfenntnip ©otteS fie befit^t unb roaS für ©efinnungen il)m gegenüber
fie ju Ijegen uermag. ®iefe Sßorjüge finb eö, roeld)e i§r ^ol^e ©d)ön^eit
uerleil^en" 127).
©inb nun aber alle biefe 23orjüge, bie etljifdjen roie bie intellectnalen,
etroaS SlnbereS, alä bie ^'erroirflidjung, bie concrete ©rf(^einung ber in
jebem uernünftigen ©eifte liegenben einigen Siormen ber intellectnalen
5^1jntigfeit unb beS etl)ifd)cn ^''uubelnS? etroaS 51nbcreS, nlS ber lebenbige
5lnSbrncf jener ©efeüe in bcnen eben i^rem SBefen nnd) feine lb'ernünftig=
leit befielet (41. ©. 63 ff.)? 31^ Jngenb nnb 2Beiöl)eit etroaS 21nbere§
als bie ^rudit jeneS ©amenS, ben nad) .'pierom)mnS unb OrigeneS unb
‘Jl^omaS uon 31quin bie .s(ianb beS ©d)öpferS im tiefften ©runbe jebeS
3)lenfd)enl;erjenS auSgeftrcut? finb bie 21)ätigfeiten ber Vernunft, ift bie
©rfenntnife ber SBaljrljeit, im 23efit^ ber 2Uiffenfd)aft nnb ber Äunft, ctroaS
SlnbereS als baS Ijellere l'eud)ten beS ©langes, ber nom 31ngefid)te ©otteS
auSgd^enb jeben nernünftigen ©eift nerflärt?
mann fül}lt, baü bie ingenb, baf; jebe etl)ifd) gute ^'^anblnng, uernünftig
unb nernunftgemüf;, baf; l'nfter nnb ©ünbe uernnnftroibrig, nnuernünftig
finb. ©omit befteljt alfo bie nollfte Uebereinftimmnng 5roifd)en ber ©(ibön=
^eit ber geiftigen 2i>efen unb ber roefentlid)en 33efd)affen^eit beS nernünf=
tigen ©eifteS, ber fie jum ©egenftanbe feiner 33etrad)tung l)at; nnb eS
roar tief begrünbet, roenn bie 311ten leierten, „fd)ön fep baS, roaS mit
ber l^oljen Si>ürbe beS ?[Jlenfd)en übereinftimmc, nnb mit jenen i^or;
jügen feiner Diatur, burd) roeldje er fidb non ben übrigen ©innenroefen
nnterfdieibe" *).
‘) Cie. de off. 1. e. 27. n. 96. (Cben, ?i. 24. ®. 39.)
118 ®ie ®dC}ön!^eit ift bcr (gegenftanb unb @runb eigentlid^er Siebe;
§. 2.
|)te dörperfit^cn |Unge fitzen, eben tnfofcrtt |tc f(^ön /inb, bcm tJcrnünfUflett
0cific gegenüber in bem ’^er^äftniffe i^tfät^fit^er ftebereinütmmung
mit t^m.
©ebanten au§ ber focratifi^en '^§Uofop^ie : ^iotin; .'QterodeS; ^tutavd). @ang
be§ ju gebenben Seroetfed.
88. 3^ jroetten Äapitet feiner raieber^oit erroä^^nten 2lbt)anblung
fiK^t if3iotin ba§ SBefen ber ©c^ön^eit förperiid^er ®inge ju beftimmen,
unb . d^aracterifirt ju biefem @nbe junäc^ft ben ©inbrurf, Tnel(^en bie
25>al^rnef)mung berfelben auf uu§ ju mad)en pflegt. „®ie ©djön’^eit
förperUcbcr ©egenftänbe faßt un§ beim erften ®ü(f auf; unfere ©eele,
fo roie fie biefetbe roafirnimmt, empfinbet f^reube, fie umfängt fie mie
etma§ bag man roiebererfennt , fie rairb geroifferma^en @in§ mit if|r.
begegnet i^r bagegen etraaS Äpä^Ud)eg, fo fä!^rt fie jurüct, oertäugnet
e§, miß e§ nii^t anerfennen, raeit fie bamit nid)t ^armonirt,
roeit e§ i^r ein f^fembeg ift*). SS^ir erflären bieg alfo. ®ie
©eete ift unter aßen 3©efen bag noßfommenfte. Stimmt fie nun etroag
ma^r bag i^r nerraanbt ift, ober aud) nur eine ©pur fot(^er
ißermanbtfd^aft trägt, bann fü^tt fie unb füpe 23eraunberung ;
benn fie bejie^t bag mag fie fiefit, auf ficb, fie gebenft i'^rer felbft unb
it)rer SSorjüge" i28).
®er roeiteren ©rftärung, melc^e i|]{otin für biefe gang richtig dia=
racterifirten pfpd^ifd)en ißorgänge gibt, liegt bie ptatonifd)e Se!^re non
ben unb ber ifßräerifteng ber ©eeten ju ©runbe; barum übergel^en
mir fie, unb führen ftatt beffen nod) eine anbere ©teße an, roo Idiotin
in dtüdfid^t auf bie g-arbe (bag Sic^t) unb bag f^euer bie Stnalogie ober
bie Uebereinftimmung oon ber mir reben nac^meift. „®ie ©c^ön^eit ber
fvarbe ift i^rer Statur nad) einfad); fie ^at i§ren ©runb barin, ba^ bag
;S'unfte beg ©toffeg überrounben rairb burd) bie ©egenraart beg ßic^teg,
raetc^eg geraiffermapen unfö rperl id), raie geiftig, ibeat ift. 2lug
bemfetben ©runbe ift and) bag fy^uer oor aßen anberen förperlid^en
gingen fd)ön, raeit eg ben übrigen ©tementen gegenüber gteid)fam bie
®ebeutung ber formgebenben 3b^£ ^29). ©g ftrebt aufraärtg, eg ift
unter aßen Körpern ber feinfte, unb ftel^t fo ber unforperlii^en iJiatur
*t @anj äbnlid§ fprtd)t 33afiliu§ oon Gäfarea: ,,'JBdd^em 3Jlenfd^en, ber 2tugen
bat, tann bie ©d)önbeit ber fii^tbaren Singe entget;en? (5§ ift roie eine nnroiber;
ftebticf)e, natiirlicbe Äraft, mit roet(ber bie ©pmmetrie ber nerbunben mit
entfpred}enber igärbnng, un§ anjiebt, rodbrenb umgefebrt ber 2tnblid bäbßdber Singe
abftofienb roirtt." Comment. in Is. Proph. c. 5. n. 173. Maur. p. 505.
crfter 33cit>ci§ ou§ inneren @vünben.
119
am nadelten. ^at allein bie (ätgenfe^aft , feinen anberen Jlörper in
fi(^ anfjunel^men , roä^renb e§ felbft non allen anfgenontmen roirb; benn
e§ ermärmt biefelben, aber e§ nimmt [elbft feine Äälte an. SDie "Jarbe
erfd^eint jnerft an i^m, non i^m empfangen fic bie übrigen. (?§ leitd)tet
unb e§ glänjt, al§ ob eg etroag roäre" *).
3n ä^nlid}er Söeife faben bie Sitten and) in bem @otbe ein S3ilb
ber menfcblidien Seele nnb i^rer etbifd)en SSollfommenbeit, ilirer ©d)önbeit.
„®ag @olb", fdireibt ber iRenplatonifer ,S>ierocleg, „ift etroaS ganj lliu
gemifd)te§, ni(üt oerfebt mit (Srbe, roie bie anberen Jd'örper.
mm in bem erbigen Stoff ba§ S3itb ber böfen SJfaterie finbet, legt man
mit 9fed)t bem i*Qeiligen, bem fianteren, bem non allem Sßofen reinen ®e=
mütbe, ben Sfamen beg golbenen bei''**). SJfebrere anbere Stellen,
bie mir l)ief nid)t anfnbren mollen, gibt ßrenjer in ber eben ermäbnten
©rflnrnng beg ‘')ilotin: fie beroeifen fämmtlid), bafi bie Sitten bag ®olb
alg eine bnr(^ang gebiegene, non allen frembnrtigen Stoffen freie Snb:
ftanj betra^teten, nnb bap eg i'^nen ang biefem @rnnbe bie menfc^lid)e
Seele oerfinnbilbete, bie oon Statur reine, lautere, „bnrd)ang gute" i3o).
SBenn eg mm sngleid) befannt genng ift, roie ben Sitten bie Sd)önl)eit
nid)t minber alg bie obfectioe @ntbeit oorjnggioeife ein Slttribnt beg
©olbeg roar***), bürfte eg bann roo^l alg ein imbegrnnbeter Sdjluff er=
fdieinen, roenn roir mit 9lndfid)t auf bie oorl^er nngefnl)vten Stenfiernngen
i|>loting bafnr balten, bnp il)iien eben fene Uebereinftimmimg, fene Slna=
logie beg ©olbeg mit ben Störungen ber oernnnftigen Seele, alg ein
@rnnb feiner Sd)önl^eit galt?
®iefe ©ebanfen ang ber focratifdjen ipljilofopljie mögen junäd)ft alg
S3eleg bienen, ba[5 roir bod) nid)t gerabe eine ganj neue, bnrd) feine
2S^iffenfd)aft geftüt^te Stnfid)t nufftetten, roenn roir fagen, sroifd)en bem
oernnnftigen ©eifte nnb ben fdionen ©ingen ber Jtörperroelt beftebe, eben
infofern biefelben fd)ön finb, bag Serbältnifi ber Slel)nlid)feit , ber tbat;
föcblidien Uebereinftimmimg. „S®ir finb oon Statur oernnnftig nnb
ber .flnnft geneigt," fdjreibt ifUutard); „bar um erfd)eint ung Sllleg
roorin ung bie ©efet^e ber Siernunft unb bie üfnrfnngen ber Ännft ent=
gegentreten, alg ob eg jn nng geljörte" i3i).
89. ^n Uebereinftimmnng mit nnferer Seele, unb nberl)anpt mit
bem oernünftigen ©eifte, ftel)en alle 3)inge, in roeldben bie roefentlii^en
*) Plotin. de pulchrit. c. 3. Basil. p. 52 F. Creuzer 20. (Sit. 28.)
**) Hierocl. in anrea Pythagorae carmina, ed Londin. p. 7. (Creuzer
p. 270.)
***) (Aureus) „translate ponitur pro eximie pulchro,“ fagt l^ovceUini
(Lexic. tot. Latinit. v. Aureus), unb fü£)rt jitm ®eroeis mehrere ©teilen an; nn=
bere ). bei Srenjer, a. a. C. ©. 271. 272.
120 ©c^ön^eit ift bev (Segenftanb unb @runb eigentlicher Siebe;
SZormen be§ natürlit^en ©epnä ausgeprägt unb nerroirfUct)t erft^einen:
atfo tnSbefonbere btejentgen, in benen rair öiegettnä^igfeit, 3^^e‘^n^ü§ig!eit,
Orbnung, ©pmmetrie, Harmonie, SSoUftänbigfeit, Einheit in ber SSiet^eit
nevfchiebenartiger 2^eite, unb ähnliche ©genfc^aften biefer 2trt roa^r=
nehmen. ®er 9>iatur beS nernünftigen ©eifteS analog, unb barum gteic^=
falls mit ifim übereinftimmenb , finb ferner folche ®inge, in benen fid)
Seben, ober boS SBirfen einer lebenbigen jtraft funbgibt, ober bie fid)
burd) geftigfeit unb ©auerfiaftigfeit, ober buri^ S^id^t unb Klarheit auS=
geid)nen. ®iefe ©ebanfen fielen burd) frül^er ©efagteS bereits feft*).
©erabe biefe ^orjüge bitben nun aber bie Elemente unb ben ©runb ber
©djonfieit, mie fie in förperti^en ©ingen unfer 2Bo^lgefalIen in Stnfprui^
nimmt. SBenn mir baS na^rceifen, bann ift bamit für ben ©a^' um
ben eS fidh in biefem i|Jaragrapf)en i^anbett, ber SeroeiS geliefert.
©S taffen fii^ mehrere D^üdfidjten unterfdjeiben, unter benen törper;
tic^e ®inge ft^ön finb, ober mei^rere ©igenfc^aften ber Äörper, in roetdhen
beren ©d)önt)eit gleid)fam i^ren ©i^ ^at. SBir motten nadh einanber bie
fotgenben inS 2tuge foffen;
bie ©eftatt unb bie innere ©inrii^tung,
bie iDiaffe ober ben ©toff,
bie 23eraegung,
bie f^nrben unb bie 3;öne.
I.
S3eroeiö beS ©apes in 9tüd'fid)t auf bie ©d^önheit ber ©eftolt unb ber
inneren ©inrichtung förpertid)er ©inge. ®ie SSorgüge auf roelt^e
fii^ biefelbe grünbet , finb iRegelmäpigfeit , 3i®«dmöüigfeit , f^eftigfeit,
SSottenbung, 53eroegung, fyi^eiheit, Seben. T>ie ,,©d)önt)eitelinie" ^ogart^S.
90. SKaS juerft bie ©eftatt ber fid)tbaren iDinge betrifft, fo er=
f(^eint bei biefer, roie §ugo iBtair bemerft, atS ein ©tement i^rer ©d)ön;
!^eit junä^ft bie ttt egetmd^igf eit. ®ie ©eftatt einer f^tädhe ift reget=
mä^ig, roenn foraotit bie Sänge ber fie umgränjenben Sinien, atS bie
Steigung berfetben gegen einanber, fid) atS burdb ein ©efe| beftimmt unS
barftettt; bie ©eftatt eines ÄorperS, raenn in bem SSerpttniffe feiner
2:t)eite gu einanber, foroo^t roaS i^re ©rofie atS maS i^re Sage angelt,
gteid)erroeife unS ein ©efet) entgegentritt, ©efe^e biefer 2trt finb offenbar
nid)tS 3tnbereS, atS ber StuSbrud oon ©ebanfen beS nernünftigen ©eifteS,
barum ©puren feiner J^ötigteit unb feineS äöirtenS; roo ftatt eines
©^efet^eS biefer 2trt bie ©ebanfentofigfeit ober ber 3ufött ewe ©eftatt
beftimmt hfli/ ©t fie nur me^r baS SS$erf jener primären ©efe^e.
') 'Dgl. oben 43. 0. 67.
erfter Serociä au§ inneren ©rnnben.
121
roetd)e in bem (eblofen Stoffe roatten. Unter ber angej^ebenen 9lüdfi(^t,
ber Otegehnäf^igfeit raegen, gefällt un§ 5. 35. ein glei(^feitigeg ©reietf,
ein Onabrat, ein vegetmäfngeä ©ec^§= ober 2ld)terf, ein Ärei§.
©ben bie Stegelmäfjigfeit einer ©eftatt läf^t un§ aber loeiter in ber=
felben bie ©igenfdjaft ber Slngeineffen^eit für einen beftimmten
ober ber ^ finben. 2)enn roo ber oernnnftige ©eift
nacfj beftimmten ©efet^en tl^ätig ift, ba l^at er immer aud^ ein 3ici int
3luge ba§ er erreicfien loill, ba rairb er oon einer Slbfic^t geleitet. 33ei
©eftaltnngen bagegen benen alle IRegelmäfeigfeit abgel^t, lonnen mir nii^t
anneljmen, bafe fie für irgenb einen 3i^^c^ geeignet fei)en.
3;t)üren nnb g-enftern gibt man immer eine regelmäßige ©eftalt, beren
©runblage ber SSürfel nnb baä re^trainflige ^^^aratlelogramm bitbet,
nnb beren i£l)eile nad) beftimmten 3Serßättniffen abgemeffen merben: nnb
fie gefallen und in biefer ©eftalt; and bem guten ©runbe, roeil fie gn
beftimmten 3iweden bed tägtidien Sehend bienen fotlen, nnb meil fie für
biefe 3’®^*^^ bejeid)nete ©eftalt am meiften geeignet finb*).
©ine breiecfige Jßür roirb fiißer niemanb fdjön finben: marnm nicßt?
roeil fie unjroedmäßig, mitl)in unoernünftig roäre.
3u ben angegebenen ©igenfc^aften tömmt, ald roeitered ©lement ber
©cbönßeit namentlid) bei ftereometrifdjen ober ©eftalten oon Äörpern,
nod) bie fyeftigleit. ,,©rl)öl)en mir bad Ouabrat 3um Äorper, fo
entfielt ber SEürfel: er liegt ober fteßt, l)ält nnb trägt, auf jeber 33afid
gleid) feft, unberoeglid). . . 33aiten mir ben üöürfel in bie .ipolie, fo
bilbet fid) bad i]5arallcleptpebum ; fo Ijodb ed am^ geführt roerben mag,
feine ißafid ber fveftigfeit bleibt ilim. führen mir ben Äörper auf ber
33afid bed SSürfeld jur Spifee, fo roirb er bad ©iebäube ber l}öd)ften
fyeftigfeit, bie eroige ifßbvamibe. ©0 lange ißre ©irunbfläd)e bauert, rußt
jeber ©tein über il)r, bid jnm oberften ©d)lnßftein, nnberoeglic^. 31eßin
lid^ed gilt oon bem ^ridma, ber ßfllben ©runbftäd)e
bed SSürfeld" **).
„9iel)men mir ftatt ber geraben bie Irumme Sinie, j. 23. ben Äreid,
unb erroeitern mir il)n förperlicb jnr Äugel, fo erfdjeint und neben ber
IHegelmäßigfeit bie 25 0 1 1 e n b n n g nnb bie 23 e ro e g u n g. 9iur auf
©inem ipunft rul)t bie Ringel, immer bereit ju freifcn, immer im Sauf.
2lUe IRabien ftreben jum 2)Uttelpunft ; mit ficß felbft umfd)loffen, ift fie
ein Äorper ber regelmäf3igften gleid)mäßigften 23e=
roegung. ©ine jlugel, auf einem 233ürfel rnßenb, ift barnm ein feßr
bejeid)nenbed 23ilb: ber 2Bürfel ein 23ilb ber bödbßc'^ ^eftigleit, bie
*) 2Sgl. Blair, Lectures on Ilhetoric and heiles l'ettres fBasil. 1878) lect. 5.
(vol. 1. p. 95.)
**) §erber, itatligone, 1. <2. 45 ff.
122 Sd^ön^eit ift ber ©egenftanb unb @runb eigentlid^er Siebe;
,^ugd ein leib^fteä 0^)mbol ber lei(^teften gtei^mä^tg[ten Seroegung;
beibe bie regelmäfeigften , in fic^ befi^toffenften Körper. — ©rpl^en wir,
roie frül^er bie S3afi§ beä SBürfelS jur i^pramibe, fo !^ier bie Äuge! jur
0pi^e be§ .Hegels, geben rair i^m ber ^eftigfeit megen eine ffat^e ®afi§.
9Son ber ße^teren abgefel^en, beplt bie ©eftalt il^ren früheren (Sl^aracter.
0ie eilt in ber fdineffften ©(^roingung, roie bie f^larome, aufroart§ jur
©pi^er ü^r S^aracter roar unb bleibt alfo 33eroegung, ßeben. ©§ gibt
überhaupt für biefen SSorjug be§ ©eifteä fein au§bru(fgnoEere§ 35ilb in
ber fltatur, al§ bie flamme bie jur ©pi^e l^inaufeilt" *).
®er eben angeführte ©ebanfe ^erber§, roonach „eine Äugel, auf
einem SBürfel ruhenb, ein fe^r begeichnenbeä 3Silb" ift, roirb non §er=
mann ßo^e getabelt. „33ollfommen f^oftig finb Slllegorien, bie einen
beftimmten ©ebanfen nerfinnlic^en follen, ber burdi fie niclitd geroinnt,
fonbern fiel) ohne bie 35erfinnti(^ung eben fo gut, oielleicht beffer al§
burd) fie auäbrüden lä§t. 3?or biefem Slbroege h<it Berbern allerbingä
im ©anjen fein poetif(^eg ©efühl gefdhüt^t; bodh neigt er ihm ju. ©ine
^ugel auf einen SBürfel geftettt finbet er fehr au§brüdenb; aber roeld)en
©ebanfen er auch in biefer Slllegorie finben mod)te, er roare flarer im
bloßen SföortauSbrud geroefen, unb geroinnt nidhtd burd) ba§ ber
tafie jugemuthete äquilibriftifdhe ^uuftftütf, fidh in bag ®atancement be§
fRunben auf bem ©beneu ju oerfe^en" **). ÜRir fcheint, ßo^e thut in
biefer SSemerfung bem ißerfaffer ber „Äalligone" Unrei^t. ®en ©ebanfen
melden nach Berber bie Jlugel auf bem SBürfel fpmbolifiren foll, mag
immerhin bie i^oefie ober bie 23erebtf amfeit burdh Sßorte flarer nnb ooCler
^um 2Iu§brud bringen; aber gibt e§ benn nicht audh .fünfte benen ba§
*) ^erber, a. a. O. ©. 47 f. 3“ ben lepten SBorten jgibt gerbet folgenbe
intereijante ©tcHe au§ einem itatienifdhen ©chriftftelter. E perchö in questo loco
cade molto a j>roposito un precetto di Michel Angelo, non lascierö di riferirlo
semplicemente, lasciando poi 1’ interpretazione e 1’ intelligenza di esso al pru-
dente lettore. Dicesi adunque che Michel Angelo diede una volta questo
avvertimento a Marco da Siena pittore suo discepolo, che dovesse sempre fare
lu figura firamittale , serpentinata e moltiplicata per uno , doe e tre. E in
questo precetto parmi che consista tutto il secreto de la pittura. Imperoche la
maggior grazia e leggiadria che possa haver una figura 6, che mostri de mo-
versi, il che chiamano i pittori furia de la figura. E per rappresentare questo
moto non vi 6 forma piü accomodata, che quella de la ßamma del foco, il
quäle , secondo che dicono Aristotele e tutti i filosofi , k elemento piü attivo
di tutti, e la forma de la sua fiamma e piü atta al moto di tutte. Perchü ha
il cono e la punta acuta, con la quäle par che voglia romper 1’ aria e ascender
a la sua sfera. Si che quando la figura havrü questa forma, sarä hellissima.
Lomazzo , Trattato dell’ Arte della Pittura, Scoltura e Architettura, 1. 1.
c. 1. p. 22.
**) So$e, ©. 81 f. ((Sitirt 18.)
erftcr Seroetä au§ inneren Ovünben.
123
SBort nid^t ju ©ebote fielet, lüdd^e bepatb für i^re ©ebanfen fidj na^
fid)tbaren ©^mbolen umjufe^en genöt^igt ftnb?
91. 2In einer anberen ©teile beffelben 25>erfe§ fc^reibt Sotje: „©in
auf feiner ©eite rul^enbeä Qnabrat ift nid)t fo intereffant, alä ein anbereä,
beffen ©iagonale fenfred^t fte^t" *). ®iefer ©lebanfe ift nollfomnien
roa!^r; unb ganj 2lnaloge§ gilt ancb non bem ©ubuö. ®en ©rnnb für
bie non il)m angeführte i£bfltfad)e finbet Öot^e barin, bafj bie bejeid)netc
©teltung bed Qnabratö und ben ©ebanfen an ben i0littelpunft ber
f^ignr näl)er lege, unb in ?fotge hiernon un§ bie ©pnnnetrie, bie fliege©
niüfiigfeit berfelben tlarer fel}en Inffe. SDiefe ©tedung, fagt er, „forbert . .
jur 21ufeinanberbejiel)ung ber biagonal entgegengefeüten ©den burdj Linien
auf, bie fid) im 'üllittelpnnfte fcEineiben mürben"; bag auf feiner ©eite
rnbenbe Duabrat „enthält bicfe 21nfforbernng, ben ü-ltittetpunft ju fnd)en,
nid)t, unb mirft burd) ben fel)r offenbaren 'paralleligmns ber ©eiten
unbebcutenber , al§ bag anbere bnrdh ben mehr nerftedten, obgleid) füh©
baren, ber fd)räg gerid)teten" ©eiten. ®ie ©^rftärnng halten mir für
rid}tig; aber fie f(^eint einer ©rgänjung jn bebürfen. iUiehr nod), glaube
i(^, a(g roegen ber in fol(^er ©teHung flarer hci'öottretenben 31egelmäfng=
feit (©pmmetrie) , finben mir bag Quabrat mit ber fenfredht ftehenben
diagonale, ober ben auf ©ine ©pil3e erhobenen ©ubng, barnm fchöner,
alg biefelben fffignren menn fie auf ihrer ©eite ruhen, meil in fcner
Sage bag ©efet^ ber ©dhmere übermunben erfcheint, nnb biefelbe fomit
fid) offenbar alg bag 2Berf unb jugleii^ alg ein 2?ilb beg non bem ©toffe
unabhängigen unb ihn beherrfdienben oernünftigen ©cifteg barftellt.
92. 91id)tg 2Inbereg, alg bie 3Serbinbnng ber oorher bereitg er=
mähnten Slorjüge, ber freien 23emegnng, beg Sebeng, mit ber 3™^d;
mäfeigfeit, ift ber ©Irunb ber '^hatfad)e, meld)C 331air in ben folgenben
^Sorten jufammenfafd. „©ine meit reichere Ouelle ber ©dfönheit alg
bie fRegelmäfdgfeit , ift bie 2}lannid)faltigfeit. ®ie lUatur, oljue
bie Dorjüglidjfte ÜJleifterin mo eg fidh um ©d)önheit hnnbelt, geht überall
mo fie oerfdjönern mill, auf ''Ulaunichfaltigfcit aug, mit anfdjeinenber
25ernad)täfdgung ber fRegelmäfsigfeit. ffiflanjen, ben Slnmen
unb IBlättern tritt ung eine ilfülle oon 2]erfd)iebenheit unb SK>ed)fel en©
gegen, ©in gerabliniger ©anal nimmt fid) ben ©d)langenminbiingen eineg
f^luffeg gegenüber redht armfelig aug. ®er Äegel, bie 'pnramibe ift fd)ön ;
aber in ihrer natürlid)en flöitbheit aufgefdhoffene 33äume finb ungleid)
fchöner, alg menn fie in ber fyorm beg jtegelg ober ber ippramibe jm
gefdhnitten mären. 5}ie flläume eineg Ipaufeg müffen regelmäßig angelegt
fepn, bamit fie ben 3?ebürfniffen ber 2?emol)ner entfpred)en; aber ein
©arten ber bloß fd)ön fepn füll, mürbe fid) überoug mif^fällig augnehmen,
*) 9ope, ®. 313.
124 ®ic (gd^ön^eit ift ber ©egenftanb unb @vunb eigenttid^er Siebe;
rcenn barin biefelbe (Sinfövmigfeit unb ©leic^förnügbeit ^errfc^te, wie in
ben Sfiäumen eine§ 2Bo!^n'^aufe§" * **)). SBir meinen, ber fd^ottifc^e ©ele'^rte
l^at Unred^t, menn er biei' „reid^ere Ouelle ber ©d^önl^eit" bie
ü)dannid[)faltigfeit an unb für fidf) begeidfmet. ®er eigentUdfie @rnnb ber
pfieren ©^oni^eit ber non ifim angefül^rten ©egenftänbe ift fein anberer
at§ biefer, raeil bie ‘3)iannidbfaltigfeit ifirer ©eftalt, ba§ frei Söedtifelnbe
in i^rer ißitbung, al§ ba§ 33ilb ber Seroegung, at§ bie ©pur unb bie
2©irfiing tätiger IJebenäfraft fid^ barftettt. ^n ber blo^ regelmäßigen
©eftalt reftectiren fid^ bem erfennenben ©eifte bie ©efeße feiner eigenen
33ernunft: in ber mannidfjfaltig unb frei, unb bodf) babei burdt)an§ an=
gemeffen unb jroecfmäßig gebilbeten, fd^aut er nidfit nur eine noUfommnere
Jtjötigfeit ber orbnenben 23ernunft, fonbern er fießt barin jugleid^ ba§
®itb feiner eigenen f^rei^eit unb feineä l*eben§. Unb roa§ bie „in ber
fvorm be§ Äegetä ober ber il^pramibe gugefd^nittenen Säume" betrifft,
fo finb fie nid^t barum unfd£)ön, roeit ißre ©eftatt roeniger 2Ranni(^=
faltigfeit geigt, fonbern roeit fie ben Unoerftanb gur ©d^au ftellen unb
bie UrttieiBtofigfeit, mit roeldt)er ber 'äJfcnfdE) bem lebenbigen Organigmul
eine nacß fotzen ©efeßen geformte ©eftalt aufgroingen raitt, toie fie ber
Slßeigßeit ©otte§ gemäß nur bie ©ebilbe aus unbelebtem ©toff beßerrfdlien.
2luf bie nämlichen Iftüd’fid^ten roeld^e loir eben erroälinten , grünbet
fiel) audt) bie 2:l)atfa(^e raeteße in feiner „3lnatpfe ber ©eßon^eit" ^ogart^
^eroorl^ebt, baß man nämtid^ oon frummen Sinien begrängte ©eftatten
fd^öner gn finben pflegt, atg foteße bie oon geraben Sinien unb SBinfeln
eingefdt)loffen finb. „^ogartß begeießnet gtoei Sinien, oon benen bie ©d^öm
fieit oon ©eftalten oorgugäroeife abfiange . . ®ie eine ift bie ,2Bellen=
linie‘, ober eine na(^ oorn nnb nad^ rücfroärtg gebogene ©uroe, ungefähr
roie ein toteinifdlieg S. ®iefe nennt er ,bie Sinie ber ©dbönßeit‘, unb
loeift naeß, roie biefelbe in ÜJtufdßeln, Slumen, unb anberen fdßönen ©e=
bilben ber lltatur ßäufig oorfomme, foroie nidßt minber in ben becoratioen
3eicßnungen ber 3l)^alerei unb ©culptur. ®ie onbere, roeteße Ipogartß
,bie Sinie ber 2lnmutß‘ nennt, entfteßt, roenn bie eben erioäßnte , Stellen;
linie‘ fidß um einen feften Körper roinbet. ®er gemunbene 2;ßeit beg
getooßnlidßen ißfropfengießerg ift eineg ber Seifpiele bie er bafür anfüßrtg
ebenfo erfdßeint biefe Sinie an gerounbenen ©äulen , ober gerounbenen
^■'örnern"
Oßne biefe ©ebanfen gerabe unbegrünbet finben gu loollen, fönnen
mir bodß nidßt umßin, Berber beiguftimmen , ber einer einfeitigen, aug=
f(ßließlicßen 2tuffaffung ber ^ogartß’fdßen 3^een entf(ßieben entgegentritt.
„3lt[e Sinien ber ©(ßönßeit loerben fidß groifdßen ber .Rreiglinie unb ber
*) niair, lect. 5. vol. 1. p. 95. 96. (6it. 121.)
**) Blair, lect. 5. vol. 1. p. 96. (6it. 121.)
elfter SeroeiS aii§ inneren @riinben.
125
geroben finben, unb iebe in bem ?lRaa^e, al§ fie an §e[tigfeit ober au
33ett)egitng nimmt, ber einen ober ber anberen fiel) nähern.
me^r fictj bie ßinie ber geraben näl^ert, um fo fd)raerer unb ftanbbafter
rairb fie; je leicE)ter fie fid^ fd^roingt unb fortfd^roingt, befto ansbrüefenber
roirb fie für 33eroegnng. . . SBarum fotl idf) mir bei 5ltlem roa§ fid)
fnnft roenbet unb rcinbet, roa§ fid^ ^ebt unb auffteigt, ober fenft unb
nieberftie^t , bei Verjüngungen an ©tenget unb Stamm, an Sleften unb
Vanrn, bei ßonDotneln, Änoäpen, Äeldjen, Vlöttern unb f^rüdbten immer
nur bie Sdüange benfen? Un,^ä^lige Biegungen, oon ber Spirallinie
unb (Jondboibe an, alle llnbulationen binbnrd), finb nadb Vefdjaffenlfeit
be§ Veroegnng ben oerfdtiebenen ©eftalten ber tltatur auf
eine fo eigene 2lrt jngemeffen, boff jebe nur an ihrem id'örper bebentet
roa§ fie bebenten foll. Steine Viegung bie jroifch^i^ (Jirfel unb ber
geraben Sinie liegt, mödfte id) il)re§ größeren ober fleineren 2lntheil§ am
31usbru(f fd)öner Veraegnng berauben" *). Sem 2i>efenttichen nadb bie=
felbe Ueberjeugung anpert ßot3e. „Vian Don einer abfoluten
Sdtönljeitglinie gefprodfen, ohne fie üerjeidjnen ju fönnen; fie eviftirt
geroiß nid)t; aber bie oerfchiebenen Ärümmunggrceifen hö^fn allerbingä
an fidh oerfebiebene äfthetifd)e SBerthe" **).
Sodh e§ ift nnä ja nidht um bie „SdhönheitSlinie" ju thnn, fonbern
mir haben nadjgnraeifen, baff non frummen Sinien nmgränjte ©eftalten
baritm fdhöner finb, rceil fidh an§ in ber ßnroe non ben Vorjügen be§
oernünftigen ©eiftes mehr barftellt, alä in ber geraben £inie. ©§ be=
barf aber nicht niel, um bie§ ju jeigen. Sie gerabe Vinie ift ftarr unb
unberoegtidh, fie bilbet fidh aad) einem fel)r einfadjen ©efet^e; bie ijSarabel
bagegen, bie ©llipfe, bie ©pcloibe, beroegen fid) frei unb roie lebenbig,
unb bo^ jugleich ootlfommen regelmäßig, nad) ©efeßen in benen fid) bie
orbnenbe Vernunft oiel größer jeigt, al§ in ber geraben Sinie unb in
ben Verhältniffen be§ V>inM€. Sinb nid)t bie gerabe Sinie unb ber
SBintel bie ©lemente, nadh roeld)en, in ber Vitbnng fefter Körper bnrd)
Ärpftnüifation , alle ©rfdheinungen ber tobten anorganifd)en 9iatur fid)
geftalten? aber fo roie ba§ Seben beginnt, in ben nnterften Greifen ber
Begetabilifd)en Drbnung, tritt bie ©uroe on ißre Stelle.
93. Sie fd)on roieberholt genannten Vorjüge finb in gleid)er SVeife
bie ©lemente ber Schönheit, roelthe roir in ber 3afammenfeßnng förper=
üdher ©egenftänbe, unb ihrer barauS hf^uorgehenben inneren ©inrid)-
tung, berounbern. Sie Vebingung unb ber ©nninb beö V>ohtgefaden§
ba§ roir baran finben, ift Srbnnng, 3TOed'ttäßigteit, ©inheit im Viannidt=
faltigen, Symmetrie, unb havmonifd)e Verbinbnng ber Sheile, b. h- eine
*) .^evber, Äatligone, 1. ®. 51. 54.
**) Sope, ®. 315. (6itirt 18.)
126 ©d^önl^eit ift ber ©egenftanb unb @runb eigenttic^er Siebe;
foic^e ©teffung berfelben ju einanber, oermöge bereu fie fic!^ gegenfeitig
unterftü^en, ergänzen, unb uereint jum 3roe(fe be§ ©anjen jufammeu;
roirfen. ©ebilben be§ negetabilifc^en unb be§ animatifc^en 9fiei(^e§
fojumen ^u jenen SSorjügen nod} Seben unb non innen beroegenbe Ä'raft
^inju; in manchen 2Berfen ber ilRei^anif hingegen ba§ 33ilb ber letzteren,
burd) finnreidje SSerbiubung ber natürlidien Kräfte namentlich ejrpanfin
flüjfiger Körper, ober jener ©lemente, roelche bie unrodg=
baren" nennt.
SBenn mir ein mäi^tigeö ©cbiff, eine Socomotioe ober eine anbere
funftooUe ?Kaf(^ine, ein ^erfchel’fdheg Setejcop, einen eIectromagnetif(^en
Stpparat für jlelegraphie betrad)ten; roenn mir on einer U^r bie 33e=
fchaffenheit ber f^eber ober ber treibenben Äraft, ben feinen Sou ber in
einanber greifenben Dftäber unb ^riebrcerfe, bie Harmonie ber inneren 3u=
fammenfetjung unterfud)en ; raenn mir bei ber Setrad)tung einer ipftanje,
eines SaumeS mohrnehmen, mie bie SBur^etn, ber ©tamm, bie iJiinbe,
bie Slötter, furj ade 2:heile jur ©rhaltung unb jum SßachS;
thum beS ©anjen bienen; noch meit mehr, menn mir bie ändere unb
innere ©inrichtung eineS thierifchen SeibeS fennen lernen: bann erfdheinen
unS ade biefe ©egenftänbe fd)ön, unb mir nennen fie fo, unb ber ©runb
baoon ift fein anberer afS ber, meil unS bie ©puren ber orbnenben Ser=
nunft, beS tebenbigen ©eifteS, unuerfennbar baran entgegenleudhten.
2Sir begreifen uidht, mie ^ugo Slair*) fidh oeranIa|t fehen fonnte,
bie ©djönheit biefer‘®inge alS eine ganj „anbere 2lrt" gu bejeidhnen,
bie Don jener , oon ber oorhin bie diebe mar , burchauS oerf^ieben fep,
ba er ja bo^ fefbft, mie mir gefehen haben, einen ©runb ber ©chönheit
oon ©eftatten in ber diegelmä^igfeit unb ber fidh bamit oerbinbenben
©igenfchaft ber 3™f*S»iädigfeit finbet. i^ier mie bort ift eS bie orbnenbe
Sernunft, meldhe mir in ihren SBerfen f(hauen unb lieben. ®er Untere
fchieb liegt nur in ber höheren Sodenbung ber SßeiSheit, in ber größeren
©törfe ber bie dJiittel für einen 3«>ecf mählenben unb gufammenftedenben
©infidjt, bie fid) in bem auS jahllofen 3:heiten unb 5:heil^ett munberbar
jufammengefügten Sau eines tebenbigen Organismus freili^ oiel grofe=
artiger offenbart, als in ber angemeffenen ©onftruction eineS SßohnhaufeS,
aber bem SBefen nach öodh immer biefelbe bleibt.
Unb fo ift eS beim gleidhfadS mieber biefe Sernunft, metche in ben
fpmmetrifdhen Serhättniffen uon Ohüren unb ^enftern, in ber ©eftalt
unb ben angemeffenen Serbinbungen oon SBölbungen, Sogen unb ©äuten,
überhaupt in ben oerfdhiebenen l'eiftungen ber Saufunft, unfer SSohd
gefaden auf fidh uab mie ben ©runb, fo bie nothmenbige Se=
bingung beffetben bitbet. „Oie Sergierungen an einem ©ebäube mögen
*) Lect. 5. vol. 1. p. 100. (6it. 121.)
crfter SßcroetS au§ tnneven @rünbeu.
127
je für fid^ nodj fo fc^ön unb Dollenbet fetju; irenn fie gegen unfeven
©inn für Stngemeffenljeit unb ^lan rerftofeen, fo oerlieren fie t^re ©d)ön:^
l^eit, unb oerlel^en fiü^Ibar ba§ Sluge. ©eraunbene ©oulen 5. 23. nel^ineu
fic^ ol^ne jugleid)
ben ©iubrud: ber @d)roä(fte machen, fo tni^fnüen fie, fo oft fie uerraeubet
loerben, einen 'Xljeil eine§ ©ebäubed ju tragen ber maffio ift, unb baruin
eine ftärf'ere ©tüt^e ju forbern f(^eint. 2Bir fönnen überhaupt fein @r=
jeugnip, raeld^er 3trt ed and) fepn mag, in§ 2luge faffen, o^ne fofort,
oermöge einer natürlichen SSerbinbung unferer 2?egriffe*), an bie 23e=
ftimmung unb ben 3^^*^ beffelben ju benfen, unb bamit jugleid) bie
2fngemeffenl)eit feiner ^theite, eben biefem 3'^^^^ gegenüber, ju unter=
fudjen. iritt foldje 2lngemeffenheit ttar fo fpredjen mir bem
2i>erfe immer irgenb einen ©rab oon ©chönfjeit ju; roenn bagegen bie;
felbe ben $h^ilen oollftänbig abgeht, fo fann fidh ba§ ©anje nie anber§
af§ h^Üfi«^ auSnehmen" **).
2loch einen anberen ©runb müffen mir enblid} nennen, oermöge
beffen mir in ber ©eftalt ber ®inge ©djönheit finben. 21Mr feljen
nomIi(^ in berfetben oietfad) Sfnalogien, ©pmbofe, ißitber, oon fdjöncn
Singen ber überfinnli(ften Orbnung, nomenttidj oon ethifdjen 2>orjügen
be§ ©eifteä; unb bo ift ed benu bie ©djöuheit ber Seigeren, um beren
milleu jene unfer 2i>ohtgefaüen erregt. 2Sir fommen auf biefe tÄüdficht
an einer anberen ©teile gurücf.
II.
^Beroeiä be§ ©apcs in 9tüdfid)t auf bie ©djönhcit be§ ©toffee.
94. ©ben ber angebeutete ib'orjug bürfte in 9füdficht auf
ben ©toff ober bie 'äliaffe förperü^er ©ubftanjen ber einjige fepn, ber
unä biefelbe unter ben entfpredh^'^^f'^ 23ebingungen fdjön erfdjeinen lüpt.
2lu§ ioeI(^em ©ruube bie mitten bem ©olbe ©chönheit jufprad)en, höben
mir oben (88. ©. 119) gefehen: loegen feiner fiauterfeit unb ©ebiegenljeit
mar e§ ihnen ein 23 üb ber non aller 23eimifchung unreiner 2JIaterie
freien, barum fd)önen, ©eete. 2Iu§ einem ähnlid)en ©runbe erfdjeinen
un§ SRarmor, ©ranit, ©benholg, ©Ifenbein, ©tahl, auch ber Siamant,
fchou allein in tRüdfid;t auf ihre 'äfioffe al§ fdhöne Äörper: ihre i^ärte,
ihre geftigfeit, bie jerftöreuben ©inflüffen fiegreidh bietet, ift uug
ba§ 23ilb ber Unnergänglidjfeit unferer eigenen ©ecle. ©in Senfmal
oon ©rj ober iSlarmor, eine Äirche au§ feften ©teinmaffen oufgebant,
*) 331air t)ätte lagen ioPen; „in 5oIge ber natnrlidhen Sefdhaljeuheit unferS
Q'eifteä, roeil roir nämlidf) üernünftig finb".
**) Blair, lect. 5. vol. 1. p, 101. 102. (®t. 121.)
128 ©li^ön^eit ift ber ©egenftanb unb @runb eigcntlid^er Siebe;
ftnben roir fidler t)td fc^öner, al§ raetin biefelben ©egenftänbe au§ §olj
oerfertigt ober au§ ju[ammengefe^t raären, möd^ten aud)
©inri(^tung, ©eftalt unb f^arbe oollfotmnen biefetben fepn. Unfer ©eift
ift beftimmt, eraig ju fe^n unb ju leben, unb er fü^tt e§, bafi er ba§
ift: er mu^ barunt bem ißergängtidtien bag Unoergänglid^e , bem f^tüd^=
tigen ba§ ootjie^en raag ber 2tuf(öfung roiberftetit, mag bleibt unb bauert.
III.
ißeroeig be§ ©atjeg in iRücffi^t auf bie ©dbönbeit ber ißeraegung.
95. 2ltg eine brüte 9fiücffidE)t nad^ roetdfier förpertid)e ®inge fd^öu
fepn tonnen, fiaben roir bie 23eroegung genannt, „©dbon an unb für
fid^", l^ei^t eg bei §ugo ißlair, „ift bie Seroegung etroag bag ung ge=
fällt; förperüd^e ®inge roeldfie in 33eroegung finb, jiel)t man, unter
übrigeng gleid)en Umftänben, foldien oor bie fid^ in 3fiul)e befinben."
Sffiir l^aben ben ©runb ^ieroon fd^on erroä^nt. ^ebe Seroegung ift ent=
roeber Sleufeerung beg öebeng, ober bod^ ©i)mbol beffelben; förperlid^e
SDinge in 23eroegnng erinnern barum an bie immerroä^renbe 2:^ätigfeit
nnfereg ©eifteg , ber niemalg rul^en fann. „®ie ißeroegung eineg in ber
ßuft bal^infdfiroebenben ißogelg ift in ^o^em 5Raa^e fd^ön;" riefelnbe
ißä(^e tragen oiel baju bei, eine Sanbfd^aft ju oerfd^önern, unb „ein
T^lu^ mit fünftem ©efäüe ift eine ber fd^onften ©rfd^einungen in ber
iliatur. . . 3*1^ Slllgemeinen bürfte man mit iRed^t fagen tonnen, baü
ißeroegung in geraber Sinie roeniger f(^ön ift, alg roallenbe, roeltenartige
ißeroegung; anberfeitg, ba^ ißeroegung in auffteigenber Sftid^tung ge;
roöl^nti(^ me^r gefällt, alg ®eroegung nadt) unten. ®ie leidste fid^ träu;
felnbe Seroegung ber f^tamme unb beg Dftaud^eg gilt mit 9fted^t alg be;
fonberg fdbon; unb roir felgen ung auc^ !§ier roieber an §ogart^g Söellen;
linie, alg ein ©lement ber ©d^on^eit, erinnert. Siefer Äünftler mad^t
aud^ bie fd^arffinnige 23emerfung, ba^ aüe ben geroö^nlid^en IBebürfniffen
beg Sebeng bienenben 33eroegungen oou ung in geraber unb ^orijontaler
Sinie auggefü^rt roerben, alle gefälligen, mit SSürbe unb Slnmuti^ in
3Serbinbung ftel^enben bagegen in SSellenlinien" (allgemeiner, in ©uroen),
. „eine 5:i^atfadt)e , roeld^e namentlid^ bie SBead^tung berer oerbienen bürfte,
roeld^e auf ©efälligteit ilirer iBeroegungen uub i^reg äu^ereu Sluftreteng
bebadit fepn müffen" *).
®ie iRücffidbten ber Uebereinftimmung ber l)ier erroäl^nten ©rfdl)ei=
nungen mit ben 3Sorjügen beg oernünftigen ©eifteg finb lei(^t ju entbeden,
unb rourben oon ung audl) bereitg berührt, ba roir über bie ©d^ön^eit
*) Blair, lect. 5. vol. 1. p. 97. 98. (6it, 121.)
crfter Seioetg dii§ inneren @rünben.
129
ber ©eftalt l^anbelten. ®enu bie fvovm einer 23erüegung ift ja nid)t§
21nbere§ al§ eine ?figuv, bie fid^ nacf) nnb nad^ hübet, unb fogleid)
Toieber oerfd^rcinbet. bem leid)ten t^luge be§ 31blerä, in bem ©mpov;
ftreben ber ^-laintne, erfcheint un§ bie ?frei|eit ber geiftigen Äraft, roeldlie
bie f(^iüere ilRaterie helierrfd^t nnb bie f^effeln i^rer ©efet^e nid)t fennt.
IV.
Seioeig be§ 0Qlje§ in iÄü(ffid)t auf bie 0d)öul)eit non fVarben unb dou
i ö n e n.
96. ©in nierteg ©lement ber ©d}önl)eit förperlid)er 5>inge liegt in
ber fijarbe. Unter getniffen iBebingnngen finben mir alle ^färben fd^ön.
t).lian fpri^t non einem fdjönen 331an , non einem fd)önen IRotl) , non
einem fdjönen ©h-iin; fcbön ift bie blenbenbe IRein^eit be§ ©d}tieeg: „S)ie
@d)bnl)eit feiner SSeipe beiminbert bag Singe" 132). ©d^öner alg alle
garben glanjt bag einfadje ungebrod^ene l'id^t, „uield)eg anggegoffen ift
über 3111eg mag mir feljcn, bie Ä'önigin unter ben färben" 133). 23Jeld)e
finb nun bie SSorjnge, uermöge bereu bag £'id)t unb bie ?^-arben „fd)ön"
genannt ju merben nerbienen , unb in roiefern fteben fie buri^ biefe 35or=
jüge in tljatfäd^lid)er Uebereinftimmnng mit bem uernünftigen ©eifte?
IBafiliug ber ©rojfe mad)t in feiner ©rflärnng ber ©d)öpfnngg;
gefd)id}te einen S^erfud), bie erfte biefer beiben fyragen jn löfen. ,„Unb
©ott fa!^ bag ßid)t, bap eg fd)ön mar‘ i34). 25tag tonnen mir nod)
fagen jum if?^'eife beg Sid^teg, bag feiner mürbig märe, ba eg fdjon non
bem ber eg fi^nf, bag i’efüi't, bap eg fdbön fep?.. JÖenn
aber bie ©d^önljeit förperlidjer ®inge in ber ©pmmetrie iljrer ©l^eile
unb entfpredjenber (angenelpner ) '^ärbnng beftebt, mie foüen mir in
dtüdfi(^t auf bag Sidjt bag 35>efen ber ©d)önbeit auffaffen, ba eg fa
feiner Statur nad) einfa^ ift, nnb teine oerf^iebenartigen 3:l)eile b«t?
33ietlei^t fo, bajf mir bei bemfelben bie ©pmmetrie nidpt in feinen eigenen
Xpeilen finben, fonbern in feinem Ijarmonifcben 35erl)öltniffe jum 3(nge,
nermöge beffen eg auf bag Se^tere einen fanften, mol)ltl)nenben ©inbrurf
mad)t? ®enn barin beftept ja and) bie ©cpönbeit beg ©olbeg; eg ift
fd)ön, meil eg, nicpt burd) ©pmmetrie feiner 5;l)eile, fonbern bnrd) ben
©lan?i feiner iyarbe, bag Singe anjielit nnb eg erfreut, ©affclbe gilt in
Stüdfidü auf ben Slbenbftern *) ; er ift ber fd)önfte unter ben ©ternen,
nid)t megen beg parmonifdpen SSerpältniffeg non 2;peilen ang benen er
*) ''Eazcpo?. o; -/.ccW.iOTo; £v oupctvijj 'h-t-zii oisTrjp.
.g)eipcro§, unter ben ©ternen ber [dpönfte am nncpttidicn .'pimmet.
§om. 3L 22, 318.
9
Sunfliiianii, 3tcftfiettt. 2. 2lufl.
130 Sd^önl^ext ift ber ©egenftanb unb @tunb eigentlid^er Siebe;
jufammengefel^t roäre, fonbern tdcU fein Sid^t angenel^m ift, unb bem
?tuge root)It§ut" *). 2öir geftefien, ba^ un§ biefe Stuffaffung, at§ au§=
fd)Uef3Üd^e roenigften§, nic^t anfprecEien raitt. @ie erfcfieint offenbar al§
ba§ 9tefultat be§ 33eftrebenä, ben einmal angenommenen SSegriff ber
0d}ön|eit, roonoi^ fie, bei förperlic^en Gingen, oorgugSroeife in ber ^ro=
Portion beftef)en fod, audb in 9ftücfficf)t auf Körper feftjul§alten, an benen
man !eine S;!^eile bemertt, alfo auc^ lein SSer^ältnifi berfelben unter ein=
anber. ®iefe 3luffaffung galten mir aber, unb mir glauben fel^r mit
Dtec^t, für einfeitig unb ungegrünbet. ^^lotin roiberlegt biefelbe eben
au§ ber ^liatfadje, ba§ bie ©(^önl)eit ja auc^ ©ubftanjen ober @r=
fdjeinungen eigen ift, in benen fid) oerfd^iebene Sbeite nidt)t unterfdf)eiben
laffen, roie bem Sidlite, ben f^arben, ben ©ternen, bem @olbe, ben
3:önen**). 2Serfud)en mir barum, auf unfere f^rage eine me^r ent*
fpred)enbe 2lntrcort gu geben.
SBir !^aben fc^on oorlier (88. ©. 118) oon ipiotin gehört, baf; ba§
Sid^t „geroiffermaf5en unförperli^, mie geiftig, ibeal ift", bajf e§ „glängt
unb l^etl erf^eint, al§ ob e§ etroaS (5ntetligible§ roäre". 3ln berfelben
©teKe fa^^en roir, ba^ ben Sllten ba§ ®olb, feiner 9tein!^eit, feiner mit
feinem fremben ©toff oerfe^ten Sauterfeit roegen, al§ f(^ön unb al§ ein
33ilb ber menfd^lid^en ©eele galt. ®erfelbe 3?orjug ift aber bem Siebte
in no(b iKaabe eigen. ®urdb bie biet angebeuteten (Sigenfdbaften
alfo, roelcbe es in einem ®rabe roie fein onberer Körper befiel, burdb
feine .Rlarbeit, feinen @lanj unb feine IReinbeit, burdl) bie ©ibnettigfeit
feiner 35eroegung unb feine f^einbeit, bie e§ gleidbfam al§ immateriell
erfdbeinen löfd, ift un§ ba§ Sidbt unter allen förperlid)en ©ubftangen bie
oornebmfte, biejenige roelcbe, roenn man fo reben fann, ber ©pbäre ber
©elfter am nädbften ftebt, roel^e barum mehr al§ irgenb eine anbere
fidb eignet, al§ 3lnalogie, al§ ißilb für 2llle§ ju bienen, roa§ bie unficbt=
bare 2Belt 25oEfommene§, Sieben§roürbige§, ©dboneg umfcbliebt. SDarum
Ijorten roir früher (40. ©. 62) ben ©tagiriten unb ©t. S^bomaS bie
erfennenbe jtraft unfereg ©eifteg mit bem Sidbte oergleicben 135) ; barum
bei^t bie SSabrbeit, barum beifit ber ©taube Sidbt; barum ift bag ©ute
Sidjt , bag 25öfe f^infternib ***) , bie ©Uten „^inber beg Sidbteg" f) , bie
Hebung ber 2ugenb „SBerfe beg Sidjteg", bie ©ünbe „2Berf ber §infter=
ni§" tt) i barum umgibt Älarbeit bag ©efdbtec^t ber Steinen fff) ; barum
*) Bas. in Hexaem. hom. 2. n. 7. ed. Maur. p. 19. 20.
**) Plotin. de pulchrit. c. 1. Basil. p. 51 A. B. Creuzer p. 6. (6it. 28.)
***) 3oI}. 3, 19. 20.
t) 12, 36. (5pb- 8. 1. 5, 5.
tt) 3ftöm. 13, 12. (5pb- 5, 11. 1. 2, 11.
ttt) 4:, 1.
elfter SBeroeiä auä inneren ©rünben.
131
„Ieud)tet" nad) SlntbrofiiiQ „bev ©laube, glüfjt bie 2(nbad)t, ftra!^Ü bie
Siebe, glängt bie ©eredjtigfeit , ift ba§ Slngeficbt ber ©elbftbe^errfdjung
unb ber ©nt^ltfamleit l^cü unb roß be§ Sid)teä'' 136): barum enbßd)
gibt eg unter ben fii^tbaren Gingen fein roUfommnereö 23ilb für ba§
üBefen unb bie nnerfdfaffene b^errfid;feit beffen, ben fein fterbtidf Sfuge
je gefe^en, af§ ba§ Sidft; „@ott ift ba§ Sid)t, unb fvinfternift ift nicht
in ihm'' *). ^ft e§ ein Sßnnber, trenn baä roüfommenfte iBilb beg
©chönen in nng felbft, bag ©tfinbof beg ©dfönften unter 5lßem trag
ift, atn^ felbft nng fchött erfdfeint? Unb bebarf eg ttodö einer ©rör;
terung, um bag 3Serhättnif3 ber 5>ertranbtfdtaft nadhsunteifen , ber lieber^
einftiminnng , jtrifdjett beitt rernünftigen ©eifte unb betn Sichle, eben in;
fofern eg fdhön ift?
97. ®ie fyarben, atg rerfchiebette ©rfdfeittuttgen ober integrirenbe
©lemente beg ©itien reinen Sidjteg, betrahren, febe in ihrer 2frt, biefelben
Sorjüge; bartitn finb and) fie fdfön, rorouggefetjt, bafe fie in ber ihnen
eigenen ©djattirnng roßfomnten erfdheinen, ihrer ^bee, ihrer ©teßung in
ber f^arbenfcata, eittfpredfen. Unb ntie bag Sid)t int Slßgetneinen nng
ben über ben ©toff erhabenen, reinen, lebenbigen ©eift barfteßt, mit ber
©efammtheit feiner ethifdfen unb inteßectualen 3Sorjüge, fo finb nng ein;
,jelne befottbere garben gteidffaßg, alg SIttalogien ober ©pinbole, bag
3eidien rott befottberen fdhönett ©egenftänben nametitUch ber ethifdfen
©rbttung, ron getriffett S^ttgetibett uitb ber ihnen entfpredfenben ©e;
finnnttg. ©o ift treifj bie g-arbe ber Uitfdfttlb, ber i^eiligfeit ** ***)) ; bie
riolette rerfinnbilbet nng ®emnth unb iBuf^e, bie blaue bie ©infatt unb
ben ©rnft beg ©ßaubettg, bie grüne bie Hoffnung; '^urptir ift bag 3eidfen
ber SBürbe, ber iDfaieftät .t^armoniren biefe ethifdfen 3Sorjüge mit
bem SBefen uttfereg tternünftigen ©eifteg anfg noßfommenfte , tuie mir
eg gezeigt hfiben, bann beftefjt offenbar ein ähnlidjeg SSerhältnif^ gmifdfett
* bem Sezieren unb lenen ©tftnboten : unb biefe müffen ttitfer Sßohlgefaßen
erregen nm beffen toißeit, moran fie nng erinnern.
9fette fRücffidften ber Uebereiitftimtnung tnit bem oernünftigen ©kifte
treten jn ben bejeichneten hinjii in ber iBilbung gufammengefehter fdhötier
Grfcheinungett, biirch bie tBerbinbtutg nerf^iebener f^arben. „©dhatie ben
Siegettbogen ," fpridjt ber SBeife, „nnb preife ben ber ihn gemad)t; mutt;
berbar fd)ön ift er itt feinem Sendften" f). 35oßfotttntene ütngemeffenheit
*) 1. 3oh- 1, Ö. ißgt. ®an. 2, 22. ^oh- 8, 12. 1. Sim. 6, 16.
**) „Unb c§ roarb t[)r (ber Sraut be§ Sammes) gegeben, fiel; ju fteiben in
gtänjenb roethen Spffus ; benn ber S3p)fu§ ift bie ©erechtigfeit ber Zeitigen."
Cffenb. 19, 8.
***) 3Sgt. ©oett)e, S'^’^^’fnlefjre, Sb. 1. §. 758 ff. 915.
t) Sir. 13, 12.
9
132 (©c^ön^eit ift ber ©egenftanb unb @runb cigcntHd^er ßiebe;
unb Harmonie, lebenbtger äBec^fel in notfenbeter ©inl^eit, ba§ finb bie
35orjüge, raet(i^e un§, au^er ben fd^on genannten, am Dtegenbogen er=
freuen. ®ie 3Serbinbung nerfd^iebener f^arben ift fd^ön, infofern ber
orbnenbe ©eift fie angemeffen ju mälzten unb l^armonifi^ ju ftellen mei^,
b. t). fo, baff bie einzelnen einanber forao’^l al§ jum ©anjen paffen,
einanber gegenfeitig ergänzen unb ftü^en, nnb oereinigt ba§ beabfi^tigte
ooüfommene ©anje bilben. biefer ^armonifd^en iJJiifdEiung ift bie
iRatur unerrei(^te üReifterin. ^eine Äunft afimt baä unnergleic^ü(^e
©olorit nad^, roie mir e§ g. 5B. in bem ©piele ber f^arben am ^patfe
ber jtaube, im ©(fimeife be§ if^faueä, in ber ©efteibnng mancher ^nfecten,
in nerfcfiiebenen SStumen berannbern, ober u)ie e§ in ben fanft in ein-
anber oerfdimotjenen f^arben be§ §imme(§, in ber ißeteud^tung einer
gebirgigen ©egenb, beim 2tufgange ober beim Untergange ber Sonne
un§ entgegentritt.
98. ®ie ÜSorjüge enbtid^, auf roeld^e fic^ bie Sc^önfieit ber 3:öne
grünbet, finb benen gro^ent^eitS analog, rceldie noc^ in ben jraei testen
iRummern erroäl^nt mürben. ®er einjetne 2;on, etroa einer Orgel, einer
©lodfe, ober einer menfdt)licben Stimme, ift fd^ön, infofern an bemfelben
9iein!^eit, Älar^eit, SSollenbung in feiner 51rt l^eroortritt , b. 1^. jene
„f^arbe'', iene 21u§bilbung unb jene be§ Mange§, roelc^e feiner
Stellung in ber Tonleiter eutfpric^t. ®aju fömmt überbieg nod^ bie
33emegung, roeld^e in febem Oone liegt, roie bie Urfac^e in berSBirfung:
beim „roaä ift ber Sd^all anberg alg bie Stimme aller beroegten Körper
aug i^rem Innern i^eroor" *) ? ®ag ilRaa^ biefer Sd^önl^eit ift freilid^
nod^ Hein; bie .^unft erroeitert eg, inbem fie oiele 2öne mit einanber
oerbinbet, unb biefelben t^eilg gleidijeitig , t^eilg nad^ einanber, in ent=
fprecbenb beftimmtem ^citmaafie, erflingen läpt. 2Bag ung in fold^en
3}erbinbungen non Jonen anjiel^t, bag finb — non 3lnberem abgefel^en —
au^ roieber bie in benfelben gur ©rfcbeinung fommenben Sorgüge ber^
2lngemeffen!^eit unb Orbnung, ber ©in!^eit im 3Bed}felnben unb ^Sielen,
ber ^ormonie, ber ®eroegung unb beg Sebeng.
2llg Slnbeutung beg 23eroeifeg für unfern Sa^ aud^ in Dfiüdffidijt
ouf biefen '’Uunlt, bürften biefe furjen ©ebanfen genügen, ©inge'^enber
roirb non ben Jonen fa o^nebieg bie IRebe fepn, roenn mir bie fd^onen
fünfte felbft be^anbeln.
*) Berber, Äattigone 1. ©. 102.
erfter S3eroci§ nu§ inneren ©rünben.
133
§• 3-
pic bic ^i^ön^eit ()et(ltgrr picfcn «nb ßörpcrne^cr fo i(i tt«($ bic
flttitic ^(^önßcit bes p:en(($eti, oOicdiw unb ber §a<ffe nai^, n'u^ti jVnbercs,
af$ bie ißatfäi6fi($e flebminflimmung t^tre$ ’^rägers mit bm
»crnunftigen
(Jine ©emerfung in 9tüdfic^t auf bie 0d)ön^eit ber ©^iere. ©?ovin bie @d}ön;
t)eit beö inenfd)nd)en SeibeS beftefje. 3)ie @d^öid)eit be§ 2Jie nf d)en um-
fajft brei ©tomente: ©eraeife nac^ ber f}eiligeu @d}rift, ©afiliu§ noii
(fäfnreo, 'Sidjer, (Fiemeud non ^Uefaubria. n)etci)em ©er()ältnif)e,
il)rem ©>erti)e und), bie £eibe§fcf)öid)eit unb jene ber 0eele [te^eu; ©inri'-
mu§ non ©i)ru§, vBljafefpenre , ©lutnrd). @d)lu{)foIgeruug iu ©üdfid)t
auf beu ju bemeifeuben ®nl). ®nö „'©ecorum", und) (Jicero.
99. bcm tetjten iparagrapl^en biirften mir fo jiemlid) alle ®fe=
mente berücffid)tigt t)aben, auä raetdien fi(^ bie 0d)önt)eit förderlicher
®inge jufammenfcht , unb au§ bereu ©ereiuigung bie ©chöuheit ber ge;
fammten neruuufttofen ©alur hei'üorgef)t. ®euu oubere (Jfemente atä
bie biähei' ermäfjuteu, umfafd aud) bie ©d)öuheit ber 2:hiere nid)t. ®ie=
fefbe liegt uaiueutlid) in @efta(t uub ©au, fyarbe, ©erceguug, unb Sfeufte;
ruugeu beä Sebeuä; aufterbem erfcfieint iu maudjeu nofh jeueg
(Element, ba§ uug and) bei beu lebfofeu ®iugen bereits begegnete: fie
haben ©igeufchaften meli^he fidh uiig alS Sfualogien, afä ©pnibofe ethift^er
©orjüge beS erfenueubeu uub freien @eifte§ barftelfeu. ©o tritt iu
ber 2aube uns bie (Finfaft unb bie ffteinheit entgegen , in ber ©iene bie
i'iebe 511 Orbuung unb nühticher Xhätigfeit , in bent gamnte bie ©anft=
heit, in bem Slbter, bem gömen, bie .'podiherjigfeit uub ber Sfbel ber
©efinuuug, ber auf ba§ (^iemeine mit ©erad)tuug herabfieht. 3'* gleicher
Sgeife jeigeu fich umgefehvt iu bem fidh brüfteubeu if^fau, ber gefd)roäi^igeu
6’Ifter, ber (fmte, bem 5fffen, bem fvaulthiere, 5tbbilber etljifch fd)techter
(figenfdiafteu , unb unter biefer 9füdfid)t finben mir biefe ©h'ere häftlic^.
©ans 2fehnfid)eS ift iu bem üegetabilifd)en 9feid)e ber man benfe
nur an bie gitie, baS ©eildjeu, beu gorbeer, bie ^rauermeibe, — bie
,,©prad)e ber ©lumeu".
100. ^Teu ©fenfd)eu muftteu mir in unferer ©emeigführuug non
ber fid)tbareu iJfatur forooht, atS non ber ©phäre ber @eifter trennen:
beim er bilbet ja mirftid) eine gau,t eigene Orbuuug für fi(^. ®er
’ifJfenfd) ift bie ^-iuheit au§ ti^eift uub ©toff, auS ©eefe uub geib; luie
er fetbft, fo muff aud) feine ©d)öuheit etnmS 3c*lmnmengefet5teS fepu.
Unb fo nerhält eS fidh c” 2^^höt. ®ie ©eefe be§ ©c'enfchen
einerfeitS, atS erfeunenbeS uub freies Sfgefeu, ift fi^ön burd) biefelben
©orjüge, raie bie reinen (Meifter. 2)er geib beS ©lenfchen ouberfeitS, afS
btopeS ©innemnefeu betrachtet, ift fi^öu burd) bie ©ollftäubigf'eit uub
134 ©d^önl^eit ift ber ©egcnftanb unb @runb eigentli(|er üiebe;
bie jroecfmä^ige unb ^rmonifc^e 39übung feiner ©lieber, foraie burci^
ben Sigor ber SebenSfarbe bie über fein 2teu^ere§ auSgegoffen ift 137).
2lber roeber bie ©cf)on!^eit ber ©eele nod^ bie ©d^önfieit be§ Seibe§
je für fic^ allein, bie ©^önlieit be§ ^Jienfd^en au§, raie ja tneber bie
geiftige ©ubftanj nodb ba§ forperliclie ©lement für fic^ allein ber ?Kenfc^
ift. jDie ©d^önl^eit be§ 'ütRenfdien beftel^t in ber SSereinigung , in ber
gegenfeitigen SDurc^bringung unb SSerfc^meljung biefer jroei .klaffen non
3Sorjügen: fie ift nur baburd^ notlftänbig gefegt, baf^ bie ©d^bnl^eit
ber ©eele in bem fd^önen Äörperlidfien fid^ offenbart unb in bie ©rfd^eU
nung tritt.
„®ie f^reube beä ^erjen§", fpriclit ber 2Beife, „nerflart baä Sln^
gefid^t"* **) ***)); „ba§ $»erj be§ Sßeifen belel^ret feinen ?(Jtunb, unb gie^t 3ln=
muf^ au? über feine Sippen"'*'*); „bie SSeiSl^eit be§ ?Kenfd^en mad^t
lendeten fein Slngefid^t , aber Jro^ entftellt e?" '*"*"*') ; „ba§ §erj be§
^enfd^en änbert beffen 9ln§fe^en, foraol^l jum ©Uten al§ gum 93öfen" f) ;
„au§ feiner äußeren ©rfdbeinung ertennt man ben 2Rann, unb an? ben
3ügen feine? Slngefii^te? ben 35erftanbigen ; ber Slnjug be? Seibe?, ba§
ßädl)etn be§ ^unbe?, ber ©ang be? 9lltenf(^en gibt .Kunbe oon i^m" ff).
9Rit ©inem 2öorte, bie naturein^eitlid^e SSerbinbung groifd^en ©eele unb
ßeib bringt e? mit fid^, ba^ ba§ ^^i^ere be§ 'iJJtenfd^en, bie 93efd^affen^eit
be§ ©^aracter?, bie 23ilbung feine? ©eifte?, bie oorübergel^enbe forcol^l
al? bie l^abituetle ©timmung be? ©emütp, feine guten mie feine böfen
©igenfd^aften in feinem 25licf unb feinem 2lnge, in ber f^ärbung unb
ben ©efidlit?, in ber .Spaltung be? Seibe? unb ben SSercegungen
ber ©lieber , in feinem ganjen 3Senel)men , oor Slllem in feinem IReben,
im Jon unb im 9lu?bru(f ber ©timme, l^eroortreten unb fic^tbar roerben.
„2öer mag einen ^D^enfc^en, roeldber ber Unmä^igteit , ber SSoUuft er-
geben ift, ober ben l^eftiger ©dtireden entftellt, aud^ nur anfelien? J)enn
biefe inneren ^^ftönbe brürfen ber gefammten äußeren ©rfd^einung i!^r
roiberlidbe? ©epräge auf, foraie umgefe^rt aud^ bie ©d^öni^eit ber ©eele
in bem Sleu^eren eine? eblen 'DO'tenfc^en burdl)fdE)eint" ftt)-
©uljer be^anbelt biefe Jliatfad^e jiemlidl) au?fül^rli(^, unb oert^eibigt
bie 9Bal)rl^eit berfelben namentli(^ gegen geraiffe ©inroenbungen unb 9lu?;
nahmen, roel^e berfelben entgegengufte^en fdjeinen. „©? lä§t fidl) gar
nid^t in Slbrebe ftellen," f(^lie^t er, „baß e? nerftänbige unb unoerftäm
*) (»pr. 15, 13.
**) Spr. 16, 23.
***) ^reb. 8, 1 (nad^ bem §ebt.).
t) Sir. 13, 21.
ft) Sir. 19, 26. 27.
fff) Bas. in ps. 29. n. 5. Maur. p. 129.
crfter SBeroetä au§ inneren ©rünben.
135
btge, frfiarf [innige nnb einfältige, gntl^evgige unb boStjafte, eble, ^od}ndt-:
tungdraürbige , unb niebvige, redbt nevroorfene ^I^pfiognomien gebe, nnb
ba§ ba§, road man au§ bem 2teu§ern non bem (S^aracter bev i)Jien[d)en
urt^eilt, nid^t bto^ au§ ben ©efidjtäjügen, fonbern au§ ber ganjen
fd^einiing gefdjtoffen raerbe. SDie unläugbaren 93eifpiete, ba entfdjeibenbe
3nge be§ (5!^aracter§ fic^ non aufsen jeigen, finb nötlig l^inreid)enb , bie
?[Rögtid^feit ju berceifen, baf; bie ©eele im Jlörper [ic^tbav gemad)t roerbe.
@ben [o untängbar ift ed and), ba§ ba§ roa§ in ber äufteven (Srfc^einnng
gefällt, niematd etma§ non bem ^nnern be§ ilRenfdjen anjeigt mag 'ü[Rift=
fatlen erroed'te, eg fet) beim, bap biefeg Se^tere aug ober 3?or=
urt^eit entftänbe* **)). . . . Sltfo fann bie äuffere 6-rfd)einnng ben inneren
ß^racter beg iDienfc^en augbrüden; unb roenn eg gefd)iet}t, fo t)at bag
SBol^Igefatten , bag mir an bem inneren SSerttj beg i)}tenfd)en fjabcn, ben
ftärfften Slnt^eit an ber gefälligen SBirfung, metc^e bie änf3ere
auf ung madjt; mir fd)ät^en bag an ber äußeren @eftatt, mag nng in
ber inneren 2?efd)affen^eit gefällt. 2Bir erfennen in bem Körper bie
©eele, ben @rab i^rer ©tärfe unb SBirffamfeit, unb
Unter bem i'idjt ber 'Itugeu unb unter ben Dlofen ber äC'nngen
©et)’n mir ein t)öt)ereS ein Ijettereg ©d)öneö t)eröorget)n.
?iod^ efie ber ilTlnnb fid) öffnet, elfe ein ©lieb fi(^ bemegt, fel)en mir
fc^on, ob eine fanftere ober eine lebhaftere ©ntpfinbung jenen öffnen unb
biefeg bemegen mirb. ^n oollfommenften 9iuhe aller ©lieber bc=
merfen mir jum ooraug, ob fie fid) gefchminb ober langfam, mit Slnftanb
ober ungefchidt betoegen merbeid'
.^ören mir nod) einen ^lieifter gröjseren dlameng. „2lndh in ber
©dhönheit beg Seibeg", fd)reibt (Jlemeng oon 5llevanbria, nad)bem er bie
grauen ermahnt h^t» edlen ©d)mud gu taffen, unb nad) ber mähren,
b. h- nad) ber ©dhönheit ber ©eele gu ftreben, „audh in ber ©d)önl)cit
beg Seibeg ift eg nid)tg Slnbercg alg bie 3;ugenb, meld)e im 51ngefid)te
fidhtbar mirb unb über baffelbe il)re Stnmuth auggiept, nid)tg 51nbereg
alg bie Öiebengmürbigfeit ber Unfdulb, bie ©üte beg .tiep^eng, meld)e
bag 2leu^’ere beg iÖienfd)en uerflärt. „gi^eifelt bod) niemanb, baf) bei ber
ifjflanje, beim ©hdve, bie ©dhönheit eben in jener il'OÜlommenhcit beftet)t,
bie ihrer illatur entfpridht. 2Bag ben 20^enfchen oollfommen mad)t, bag
ift ©ered)tigfeit, SKeigheit, ©tärfe, ©ottegfurcht. ©dhön alfo ift ber
*) Suljer t)ütte fagen fotlen: „e§ fcp beim, bap'jcneg Wohlgefallen ober biefe§
iSiiBfallen au§ ^rrthmn, ißorurtheil ober Seibenfdhaft hcroorginge".
**) Suljer, 2lÜg. Theorie ber fdhönen Äimfte, 3lrt ®d)önheit. 3Jtit Suljer
llimmen in biefem ifSuntte §itgo 33lair (lect. 5. vol. 1. p. 99. (5it. 121) unb
.^erber (Äatligone 1. ®. 164 ff.) überein.
136 Sd^ön^eit ift ber ©egenftanb unb @runb eigentlii^er 2tebe;
©ereilte, ber äöeife, mit ©inem SBorte ber ©ute, nid^t, ber bie ©d^äl^e
btefer ©rbe befiljt" *).
SBal^rl^aft fc^ön matt un§ ©^afefpeare bie (Jorbeüa, be§ ungtücfUc^en
^önig§ Sear jüngfte ioc^ter, in itjrer finblic^en Siebe gegen ben 315ater,
ber fie ungerecht enterbt hatte, in ihrem tiefen Schmer^ um feinen Jammer
unb ben ftuchroürbigen Unbanf ihrer ©chmeftern. 5Der treue ©raf Ä'ent
hat fie burd) einen 25rief non ber niebertrachtigen SHohheit ber Sezieren,
unb bem 3i^ftanbe be§ hiaauSgeftoffenen greifen Äönigg benachrii^tigt ;
ber 33ote fehrt surüct unb erftattet ihm 23eridht:
Äent.
— Üiührte euer ®rief bie Königin
gu einiger ©etrübni^?
9t i 1 1 e r.
i^a, §err; in meinem ißeifepn ta5 fie ihn,
unb bann unb mann rotti’ eine noHe ihi’äue
bie garte 2Bang’ h^rab; eö bäudpe mir,
fie fei) 23eherrf(herin non ihrem ©ram,
ber, fehl' rebetlifd), fie beherrfd)en rooUte.
Ä e n t.
00 raarb fie beim beroegt?
9t i 1 1 e r.
0)od) nid)t gum 3oi'a-
©ebulb unb 0d)merg roetteiferten, mer ihr
ben fd)önften 3tudbrud gäbe. 0nht ihr bodh
mit 9tegenf(hauern ©onnenf^ein gepaort.
3hv Sächetn, untermifd)t mit Jhfänen, glid)
bem f(hönen 9Jtai; bie§ feelennotte Söcheln,
bas um bie reife Sippe fpielte, fd)ien
bie ©äff in ihren 9tugen nicht gu fennen,
bie fid) non bort entfernten, fo roie if^erlen
üon diamanten träufeln. Ä'urg, ber ©ram
rcürb’ etroa§ 0d)öneä roerben, roenn er Slden
fo fleibete.
Ä e n t.
Unb that fie feine f^ragen ?
9titter.
(Sin 9-^aor 9JtaI feufgte fie ben 9tamen 53ater
auö fdjioerer iSruft, alä mär’ ihr §erg gebrüdt.
*) Clem. Al. Paedag. 1. 2. c. 12. ed. Potter. p. 243.
erfter SSeroets aii§ inneren ©rünben.
137
rief, 0djn)c[tern ! ©d^roeftern! — ©d;mnd) bev grauen! ©d^ineftern!
Äent! 3Sater! ©d)n)e[tevn! äBie? tu ©türm unb 3kd)t?
gibt fein SOJitfeib meiter! — T>nnn crgofj [ie
ba§ beil’ge 25>affev au§ ben f)ef}ren klugen,
unb feud)tete ben Vant; bann ftürjte [ie fort,
nm einfnin auS^nroeinen *).
33ief [d^oner nod^, roeif ^ugleid) [df)ön burdf) übernatüi1id)e ißorjüge, ev=
[d)eint bie ^eilige 5(gne§ in bem 35ilbe, ba§ eine neuere geniale [veber
non i^r entroorfen Ijot;
©ijra bnö @emad) Derlafjen modte , erfdjrnt [ie [a[t, nl§ [ie in
l^cdem @lnnjc nor bem bnnfelrotfjen Jf)ürDorf)ange eine @e[talt erbtid'te, raefdje
[ie gleid) erfannte, bie mir aber fnrj befdjreiben mü[[en. rcnr eine 3>mg'
[ran ober eigentlid) ein Äinb oon ätt)öl[ ober breijeljn in reineä unb
[ledenlofeä SBeiß gefleibet ohne alle ©d)mncf[ad)en. .[^Sn it)ren
bie @in[alt ber Äinb^eit mit ber (Jin[id)t eineö reiferen 9UterS nereinigt. 3n
ihren 3lugen root)nte nid)t nur bie iaubenun[d)nlb , »on roeldfer ber heilige
'dichter rebet**), [onbern oft [tralflte mtä ben[elben eine .^nnigfeit reiner Viebe,
als ob [ie über alle @egcn[tänbe ihrer Umgebung h>>nni5[ahen , nnb auf
jemanb ruhten, ber für ade anbern un[id)tbar, für [ie aber ronhrhaft gegen--
roartig, unb ihr im hödh[ten @rabe thener märe, ©tirn mar ber ©it?
ber 3lnfrid)tigfeit, of’f’en nnb [trahlenb oon 2Bnhrha[tigfcit ohne ndc^ .'Öchl;
ein frennbli^eö Sädjetn [piefte um ihre Vippen, nnb bie [ri[d)en jngcnblidfen
3üge brüdten immer [predfenb nnb ohne 3)er[tednng bie mcdifelnben (fmp[in;
bnngen ihres iimrmen nnb 3ai1en .'^erjens au§. 'diejenigen roetd)e [ie fnnnten,
glaubten [ie benfe nie an [id) , [onbern [ep glcid)[am gniif getheilt ,3miid)en
@üte gegen ihre Umgebung, unb li'iebe 311 bem Unjidftbaren an bem ihre ©ecte
hing" ***).
101. die ©dfönheit bed ?dien[dhen i[t aI[o ald bn§ (äTgebni^ au§
brei [Uiomenteit aufjajaften. ©ie [elU in jebem ber beiben
beiien ber [)Jien[d) be[teht, bie bem[elben eigenthümlidje ©dfönheit norans;
aber überbied mu[f, ba ja ber 30[en[d[ ein [idhtbared SBejen i[t, bag Sidft
ber höheren ©chönheit ber ©eele in ber änderen (^^e[talt, [oroie in ber
gejammten 6T[d)eiming bnrd)[dheinen. diejed britte [B7oment tutrb natnr=
gemäß niemaB [elflen, rao bie jroei er[ten uorhanben [inb. „©leidjinie",
fdireibt [Btapimnä non dpritg, „gleidftnie nnter bem frpf'tadbeden 2f>a[[er
eines ©tromeg ber über eine 35>ie[e hinfliefft , bie 33lnmen , [d)on an [id)
lieblich nnb [d)ön , bem Singe nod) [dföner er[d)einen , [o geigt [idf bie
©dhönheit ber ©eele in uollerem Jidfte, rao [ie in einem [dfönen Seibe
*) ShnMpt’ove, Äönig £car, 4, 3.
**) „Seine 3tngen finb 'taubenaugen." ^oh- £• 1, 14.
***) 5St[eman, gabiola, £ap. 5.
138 ©d^ön^eit ift ber ©egenftanb unb @runb eigentlid^er Siebe;
rool^nt unb il^n oerfldtt. ®te ficJ^tbare ©d^ön^eit be§ iugenbtic|en 2lUer§
ift in ber 3;bot md§t§ 3Inbere§, at§ bte SBIume ber einftigen 5tugenb,
gleid^fam ba§ 35orfptel einer reiferen ©c^onl^eit. 2Bir felgen e§ gern,
trenn frü"^ am ÜRorgen bie auffteigenbe 0onne einen ©tra’^t ror fid^
augfenbet, unb bie 0pi^en ber 35erge rergolbet: benn e§ ift un§ ba§
Unterpfanb be§ fommenben ßid^te§. ©o ge|t bem SSottglanje ber inneren
©dbon^eit ein ßend^ten roran§, ba§ Sleu^ere be§ ilttenfd^en rerfd^önernb ;
unb ber SBeife freut fi^ beffelben, um be§ §ö!^eren triffen bo§ e§ rer^
Reifet" *).
®ie innere ©dbönl^eit ift, irie mir fd^on im erften Stbfd^nitt (^ap. 2)
gefe^en !^aben, ron ungteid^ pl^erem SBerf^e, at§ bie andere: fie bitbet
in ber ^ufontmenfe^ung treitau§ ba§ rorjügtid^fte iJJtoment; bennod^ ift
ein 'SJtenfd), at§ fotd^er, nid^t roHfommen fdt)ön, roo bie fd^öne Seele
in einer unfdbönen §ütte rrol^nt. ßeibeSfd^önl^eit allein bagegen, ol^ne
bie innere, rerbient faum nod^ ©d^ön!^eit genannt p roerben. IRid^t fo
freitidb, at§ ob bie l^armonifd^e 23itbung ber ©lieber, bie btül^enbe fifarbe
be§ ßebenä, ba§ ©efällige ber 2?etregung, bei innerer IBerirorfenl^eit auf=
l^örten, im tra'^ren Sinne be§ 2Borte§ fd^ön jn fepn. 2lber biefe 2lrt
ber Sdbonl^eit befit^t auch ba§ 2;i^ierreid^ ; fie ift, trie mir ben l^eitigen
2Iuguftin fd^on früher fagen fiörten, „bie niebrigfte Sd^ön^eit, ü^r unterfter
®rab'', unb „trie ein gotbener 3Hng in ber iHafe be§ Sd^treineg, fo
nimmt fid^" barum „bie Sd^önl^eit eine§ t^örid^ten 3Beibe§ au§" **).
2öer in bem nad^ feiner 2trt fdl)önen ßeibe ein tafter!^afte§ ^erj, eine
l^äfelidbe Seele trogt, ift ron ber Sdliönl^eit fo treit entfernt, mie ber
ron taufenb, bem 999^*/ioo baran fehlen; unb ba§ erbärmlid^e ißrud^=
t^eildben trirflidlier Sdliönl^eit ba§ er befi^t, bient ju nid^t§, al§ bie innere
.s^öftlid^feit nod^ abfto^enber unb tribertrdrtiger ju madl)en.
„©efinnung fcbönbet einzig bte Utotur,
Unb bö§li(b b^i§t mit 9te(bt ber ©öfe nur,
Jugenb ift ©d^önbeit; bodb ber IRet^enb^'Jlrge
©leicbt einem glänjenb übertündbten Sarge" ***).
2ßie Ißtutardb in feinen „2lnroeifungen für ben berid^tet, gab
Socrate§ jungen ßeuten bie fidb im Spiegel befaben, ben IRatb, — trenn
fie traren, fie mödbten Sorge tragen, burdb Jugenb fdbön ju fepn,
— trenn fie aber fdbon traren, fie mödbten ihre Sdbönbeit nidbt burdb
fdbledfjte ©efinnung rerunftalteu. „^n gleicher Steife", fe^t l|5lutardb
binju, „mag auch bie iöiatrone, ba fie ben Spiegel in ber §anb b<it.
*) Maxim. Tyr. Dissert. 25. al. 9. n. 2.
**) Spr. 11, 22.
***) roollt, 3, 5.
jrociter SeiueiS au§ inneren ©riinben.
139
ju fid) [elber fagen, — roeim fie ift; SBa§ nn"if3te e§ cr[t fei)u,
roenn nidjt tugenbl^aft bin! — roenn |ie bagegen fei^ön ift: 2öa§
mu^ e§ erft fe^n, raenn id^ nnd) tugenb^aft bin! ®enn e§ bringt einer
l^äfelid^en g^rau größere @l^re, roenn fie um i^re§ 6!^aracter§ mitten ge=
tiebt mirb, at§ raenn ba§ änf^erer 0d^önbeit roegen ber f^att rocire'' *).
102. -)^ac^bem mir hiermit feftgeftettt I^aben, in roetd)en i^orjügen
bie ©d)ön!^eit be§ iIJtenfd)en beftefit, ergibt fidb ber ©al^ ben mir ju be=
meifen l^nben, ganj non fetbft. Umfafit bie ©djon'^eit be§ 'üdienfeben
fomobt jene (vigenfebaften burd; metd^e bie geiftigen SBefen, at§ biefenigen
biird; metd)e förpertid)e ®inge fd^ön finb; ftet)t e§ anberfeit§ burdb ba§
grünere bereits feft, ba§ bie ©d)önt)eit ber förpertidjen SKett mie jene
ber @eifter, obfectin unb ber ©ad^e nad^, nid)tS StnbereS ift, atS
bie ttjatfädjtidbe Itebereinftimmung ber @inen mie ber Slnberen mit bem
nernünftigen @eifte: bann fann eS feinem untertiegen, baf?
biefeS i^et^tere oudb in 9tüctfid)t auf bie ©d)önt)eit beS Wenfdjen gitt.
Um nur ©inen ^unft ficvoorjubeben : jene 3Sorjüge ber onf^eren ©r=
febeinung be§ ilttenfdfien , met^e man 5tnftanb, 3Bürbe, i'^attung, ©itt=
famfeit, 2!act, mit ©inem Sporte „baS ©ecorum“ nennt, ma§ finb fie
anberS atS bie ^'ernünftigf eit beS äußeren 9Jtenfct)en, b. b-
Cffenbarung be§ nernünftigen ©eifteS in bem Seibe ber fein ift, ben
er nottfommen bel^errfctit unb attfeitig bilbet, in beffen 33cmegungen unb
2;ptigfeiten , in beffen gefammtem ©epn er ift unb er fd^ eint mie in
ifirem ©toffe bie f^orm? „®ie ©d)onl^eit beS SeibeS", fagt ©icero ganj
in biefem ©inne, „bie ©dbönl^eit beS SeibeS jief)t nufere 5tngen auf fid^
bur^ bie 5tngemeffent)eit , metdtie in ber 5tnorbnung unb iierbinbung ber
©tieber l^ernortritt, unb geföttt uns burd) bie natürtidje unb ungejmungene
.*^armonie atter 2!l^eite unter einanber: in ganj gteidjer Sföeife ift cS bei
bem ,©ecorum‘ in ber ©rfd)einung beS 'JJtenfd^en bie Orbnung, baS ner=
ftänbige iDtaa^ unb bie ©onfeguenj in attem tReben nnb ©^nn, mobnrd^
man fid) beS iBeifatteS feiner ^Dtitmenfd^cn mürbig madfit'' 138).
2>nttcö
Dttß bie 5d)öul)fU 5er ©egciirtaub uii5 ®nni5 rtgeutUdjcr £iebe ift,
5tts ergibt fid) aus 5er ßejieljung, in uieldjer 5ie Biiige, eben iufoferu
fie fd)öit fiu5, 5er tUefeiiljeit Lottes gegenüber fteljeii.
^em im teilen Äapitet gegebenen apriorifd^en iBemeife für bie
25>at)r!^eit beS ©at^eS, metd)er bas Xtiema biefeS ganjen 2tbfd)uitteS bilbet,
(affen mir l^ier nodf) einen jmeiten, gteid)fattS apriorifct)eu folgen. 2Bir
') Plutarch. Conhigial. praecept. (Francofurt. 1620.) tom. 2. p. 141 d.
140
®ie ©d^önl^eit ift ber ©egenftanb unb @runb eigenttid^cr Siebe;
fönnen ung habet, mit 9iücf[tcbt auf ba§ fd)on 6ntroicfelte , uiet fürjer
faffen; anberfeitä roirb biefer ®eraei§, obgleich feiner Einlage nad^ bem
Dovigen ganj analog, baju bienen, un§ ba§ 3ßefen ber 0dbön!^eit oon
einer neuen ©eite jur Slnfd^anung gu bringen.
S. 1.
worin tbatfacbfic^e l(e6erein|litntnung mit ber ^^efenbeit Rottes ^eroor-
tritt, ßifbct für ben »crnünftigcn ^cift nafnrflemö^ ben ^eflcnltnnb feiner
eigentfi(ben ^iebe. flun fielen aber bie ?inge, eben infofern fie fi^ön finb,
mit ber p^efen^eit Rottes in t^alfäi^ncber itebereinftimmung.
103. ®er oernünftige ®eift ift ein 23itb ©otteä, feiner S^iatur na^-
gebitbet; unb er ift e§ eben burc^ ben SSorgug ber 'Bernünftigfeit , burc^
bag 3Sermögen gu erfennen unb gu rootlen, fönnen mitf)in in ber
oernünftigen (Jreatur bie ©efet^e beg ©rfenneng feine anberen fet)n, afg
bie ©efet^e ber göttlii^en &leigbeit, unb bie ©efe^e beg ©trebeng feine
anberen, afg jene beg götttict)en SBoßeng. Slber ©ott liebt mit iRotl)=
menbigfeit fi^ felbft alg bag abfolute ©ut, unb er liebt mit berfelben
ütotl^roenbigfeit, um ©einer felbft roillen, 2llleg mag il^m äl^nlict) ift, mag
aud^ nur bie minbefte ©pur ber Uebereinftimmung mit i^m, ber ifiadt);
al)mung feiner unenblidjen 25oltfommenl^eit an fidi) trägt*). ®ag gleiche
©efet^ rairb folglich feiner illatur nat^ auc^ bag SBollen ber oernünftigen
Kreatur beftimmen. ©ie roirb mit IRotfiroenbigfeit , infofern fie i^n alg
foli^en erfennt, ben abfolut ©Uten, bie unenblii^e ib'otlfommenl^eit lieben;
nicEit minber notbroenbig roirb naturgemäß febeg ®ing ißre eigentli^e
Siebe in Slnfprud) nelimen, in roeldbem ein Silb beg unenblit^ 3Sollfom=
menen, ein ©(Ratten ber Uebereinftimmung mit ißm, eine roenn au(^ nodb
fo entfernte 3;iieitnabme an feiner ©utlieit erfd^eint**).
iliur ©in Unterft^ieb finbet ftatt groift^en bem SBoKen ©otteg unb
ber entfprect)enben 3:i)ätigfeit beg menft^lidben ©eifteg. ©olange ber Seßtere
*) oerftefjt fid) oon l'elbft , baß wir bi« nur bie Siebe @otte§ eine notb=
roenbige nennen, roetdte ba§ 2ße)en ber ®inge jum ©egenftanbe bat, nidbt jene,
beren Object bie eriftenj ber Sefeteren ift.
**) 91id)t, atä ob e§ ju bem Stete biefer Siebe einer SSergteidbung be§ ®inge§
mit ber göttliiben Soatommenbeit, unb eineg UrtbeiB bebürfte, baä bie in SRebe
ftebenbe Uebereinftimmung anertännte; ein fotdbeg mürbe ja bie entroidelte 3bee
@otte§ ooraugfepen. 3m SCBefen beg oernünftigen ©eifteg liegt oon iRatur jene
urfprünglidbe iRi^tung beg ©trebeng, oermöge beren ibn aEeg anjicbt, äur Siebe
roedt, mag, objectio, göttlid) ober ©ott äbnticb ift. ®o umfa|t ja audb bie ©r=
fenntniBtraft , oermöge ihrer Statur, mit Stotbroenbigfeit bie ®abrb«t, b. b- bag
mit ber göttlidien ^nteüigenä Uebereinftimmenbe , alg Söabrbeit, ohne barum an
©ott JU beuten, ohne felbft audb «i« 5«^ ©rfenntiüB ©otteg gelangt ju fepn.
jroeiter ©eroeiS au§ inneren (^H'iinben.
141
ba§ pc^fte @ut nic^t üoUfonunen fd^aiit unb in fid) fdbft raie e§ i[t,
fo lange i[t fein ©rfennen nor bem nic^t gefid)evt, unb fein
freied SS^olIen ni(^t nor bem ‘üJli^braud^. ®avum fann er allerbingS bie
unenblidie Siebendrcürbigleit be§ ^öc^ften @ute§, baä er nur bnnfel unb
röie au§ roeiter f^^i^ne fielet , au§ ben Singen fe^en , unb , feine f^-rei^eit
mi^braud^enb , fid) felbft, unb um feiner felbft millen bie Kreatur, jum
l^öd^ften ©egenftanbe feiner Siebe mäl^len; er fann feine ®ottäl)nIid)feit
unb bie baraud l^eruorge'^enbe natürlid^e 9tid)tnng feined Strebend auf
bad roa'^r^aft Siebendinürbige nerläugnen, um feine Siebe audfdjliefflid)
bem jnjuroenben, raad norübergel^enb feinem eigenen ÜSo^lfeijn bient, mad
i^m 2>ortl)eil unb ©enufe nerfpric^t. Slber ein fold)ed @id):;Slbmenben
Dou bem abfoluten ©ute, non bem uncnblid) Siebendmürbigen , ift eben
Slnomalie unb naturmibriger iUfiftbraud). ©d bleibt immer ma^r, baf^
©Ott unb bad ©Ott 31e!^nlid)e, ino immer ed erfd)eint, naturgemäfj bie
eigentlidie Siebe bed mit ©rfenntnifj begabten ©efd}öpfed erregen muB,
unb feined ift im ©taube, biefe nrfnriinglic!^e anerfd)affene dfid)tnng feiner
ftrebenben Äraft je ganj 51t nerniditen.
104. 3>erbinben mir mit biefem ©ab,e einen jrodten , ber nid)t
minber geroif? ift. 3111c ©d)ön'^eit ift, obfectin unb ber ©ad^e und),
Sle^nlic^feit , llebereinftimmnng , mit ©ott, bem abfolnt ©uten; alle
fi^önen iSinge tragen an fidb, eben infofern fie fd)ön finb,
llebereinftimmnng mit i^m, ©puren feiner unenbli(^en Slollfommenbeitcn.
3'ft bad roaljr, bann ergibt fi(^ barand roieber mit dlot^menbigfeit ber
©d)luB um ben ed fid) ’^anbelt.
©er ©eroeid bafitr liegt aber nic^t fern, ©ine ftel)enbe Se^^re feber
roa!§ren i|?'^ilofopl)ie bilbet ber ©at^: ©ie innere ©ntljeit ber ©inge, obs
jectiü unb ber ©ai^e nad^, bcftc'^t in ber t^tfad)lid)en llebereinftimmnng
berfelben mit ber S5>efen^eit ©otted. „Äein ©ing ift gut ober erfdjeint
gut," l^eifd ed bei ©l^omnd non 31qnin, „auper infofern ed irgenbmie
31nt!^eit bat an ber 3lebnlid)feit mit ber l)öd)ften ©utl)eit, bad beifd mit
©Ott" 139) ; „einzig in fofern l)at ein ©ing ©Ijeil an ber ©ntbeit, ald ed
mit ber llrgutl)eit, bad beifd mit ©iott, in llebereinftimmnng fteljt" 140) ;
„niebtd fann ,gnt‘ genannt roerben, ald infofern ed irgenbmie übereim
ftimmt mit ber ©ntbeit ©iotted" m). „^ebed SSefen meldjed mirft,"
fdbreibt in andbrücflid)er llebereinftimmnng mit ipioto nnb Slriftotcled
©bomad an einer nierten unb fünften ©teile, „fann nur ibm 3lebnlid)ed
mirfen. fomit bie llrgntbeit bie mirfenbe llrfadie atled beffen mad
gut ift, bann muf? fie febem ©inge bad fie bei'üorbringt , folcbe 3i>gc
einbrüefen, baß ed ibr äbi>^i'^ 'fl- Witbin ift, ber allgemeinen 31n-
f^aunng jufolge, febed ©ing gut, einerfeitd, in IRüdficbt auf bie ibm
anerfd)affene ©ntbeit, bie 51t feinem SBefen geljört, nnb oermöge bereu
es mit ber bödjften ©ntbeit in Ucbereinftimmnng ftebt; nnberfeitd in
142 ®ie ©d^ön^eit ift ber ©egenftanb unb @runb eigentü^er Siebe;
9lü(f[ic^t auf bie unerfcfiaffene Urgut^eit, infofern e§ biefer nac^gebUbet
ift'' 142).
iJiun finb aber bie 35orjüge roetd^e loir im lebten Äapitet al§ bie
(Elemente ber ©d^önl^eit anerfennen mußten, ganj bie nämlid)en, bie fic^
un§ im gmeiten 2tbf(^nitt at§ bie ©temente ber inneren ©utl^eit ergaben*),
gotgtid^ mu§ , roa§ bem eben ©efagten jufolge non ber inneren @ut^eit
gilt, aud^ in Otüctfi^t auf bie ®df)ön§eit roa!^r fepn; mit anberen SBorten:
audt) bie ©dtiön^eit ber ®inge, objectin unb ber ©adfie nad^ genommen,
muß in beren t^otfäd^Iidber Uebereinftimmung mit ber 2Befenf)eit ®otte§
befte'^en. 2(ud^ biefe nnfere g-otgerung trogt raieber ber l^eilige Si^omag
mit ougbrü (füllen SBorten nor, ®er SSerfaffer beg S3u(^eg „lieber bie
iRamen @otteg" fagt nämtid^ an einer ©teile feiner ©(^rift, „fd^ön
(xa};ov) nenne man bagjenige, mag an ber ©dtiön^eit S^eil !^at, bie
©(^önl^eit (xGtlloc) hingegen fep eben bog J^eit^aben an ber Urf^on^eit,
roeld)e atteg ©ct)öne fiernorbringt" **). ©rflarung beg genannten
S5udt)eg bemerft Jfiomag ju biefer ©telte: „®ie ©dt)ön^eit ber erfd^affenen
®inge ift eben nicE)tg 3Inbereg, alg bag 9tad^bilb ber ©dtiön^eit ©otteg,
an roeti^em jebeg berfetben Jfieil ^at" i43),
105. ©ölten mir biefem ißeineife für unfern Unterfa^ nod^ einen
^roeiten l^injufngen? ®ie ^orjüge ouf raeld^e fidj bie ©^ön^eit grünbet,
finb, bem grüneren gufolge, in ben perföntid^en 2Befen Uebereinftimmung
beg freien ©trebeng mit bem ©ittengefel^ , mit ben iRormen ber einigen
SSeig^eit, mit ben ©eboten ©otteg, — neben biefer, in jroeiter Sinie, bie
intettectnalen SSorjüge, ©infi(^t, ©rfenntniß, iffieig^eit, 25erftünbigleit ; in
ben fid)tbaren Singen bagegen ßeben ober ©puren beg Sebeng, Sid^t,
Sauer unb geftigfeit, Orbnung, 9tegetmö^igfeit, Slngemeffen^eit für einen
3med, ©pmmetrie, 'Sottenbung, ^ormonie, mit ©inem Sß}orte SKirfungen
beg erfennenben, beg orbnenben ©eifteg, ober Silber beffelben. SBenn nun
alte biefe SSorjüge, raie mir gefe^en ^aben, bie Singe benen fie eigen
finb in bag Serpttnifj ber 2te!^nli(^feit mit bem oernünftigen ©eifte fe|en,
ift bieg bann nidf)t in gtei(^er SKeife ber f^att, mag auc^ ber Stbftanb
nnenbtidt) grofj feijn, in 9tüdfi(^t ouf bie erfte Sernunft, auf bie un=
erfi^affeue SBeig^eit, oon rceti^er jeber gef(^affene ©eift feiner iRatur noct)
nidt)tg Stnbereg olg bie treue ©opie ift?
Saji bie geiftige ©ubftanj i^re 2Ie^ulid^Ieit mit i^rem ©df)öpfer burd^
nid^tg 2tnbereg jur SoCtenbung bringt, atg burdt) Stugbitbung jener 3^9^'
ioet(^e fie itirer iRatur nad^ jum Silbe ©otteg mo(^en, bebarf feiner ©r=
innerung; biefe 3üge finb aber bie anerfc^affene gät)igfeit beg ©eifteg
jur ©rfenntniß ber SBal^rfieit, bie anerfd^affene Seftimmung (©eftattung
*) ^ßgt. oben ?t. 87 — 100 ©. 116 fj., unb 5R. 43 ©. 67.
**) Dionys. Areop. de div. nomin. c. 4. §. 7.
jroeiter 33eroei§ au§ inneren ©rünben.
143
ober (5inrid}tung möi^ten toir jagen) beä 2ötUen§ für freie Siebe be§ an
fid) ©Uten. 2tber ain^ in 9tüd'fid)t auf bie törperüdjen ®inge ift bie
©ad)e ftar genug. 2Bo immer fid; Seben offenbart ober ©puren bed
Sehend, ba ift llebereinftimmung mit bem, beffen ®efen baä Seben, ber
allein bie nie oerfiegenbe Urquelle alled Sehend ift unb aller 33eroegnng.
Sßo immer ®auer unb 23eftanb fidj uerlieifd, ba ift menigftend ein fd}mad)ed
33ilb bed ©rcigen, bed nie fid) Slenbernben. 2Bo immer ein Sidjtftraljl
bad ®unM jerftreut, ba finben mir ein 3^'dfen, menigftend einen ©djatten,
beffen, ber felbft fein bejeidjnenbered ®ilb erfinben f'onnte, um feine nn=
erforfd)lid)e i)Zatur und finntid) andjubrncten, ald bad Sii^t. S5>o immer
SSirt'ungen ber orbnenben ®ernnnft roa^rgenommen roerben, ba offenbart
fid) unjmeibeutig bad Original nad^ roeldjem jebe 2Sernnnft benft nnb
roirft, bie eroige SSeidl^eit, „alter Oinge 'DJleifterin" *), „bie 2tlled orbnet
nac^ ©eroic^t unb IDlaafj unb **)•
„SKenn ein groffed ©pielmerf fel^r fdjöne SJiufifftücfe anffül;rt, roie
j. fold)e felbftfpielenbe Orgelroerfe auf bem ©d)raarjroalb nerfertigt
merben, fo prt bad Op unb oernimmt bad ©emüt^ mit Suft bie lieb=
lid^en ^Jlelobien, obfc^on ber SSerftanb fid; fagen mip, baf; Sllled nur
ifjrobuct ber iScec^anif ift. Unb ^uletp füpt bad bemegte ©emüt^ perbei
richtiger, ald ber 23erftanb reflectirt: beim bie 'iDielobie roelpe bad ©e=
mütl^ beraegt, fbmmt eben bop nipt and ber 5)led)anif ber ©pielup-,
fonbern fie ift bad ©rjeugni^ einer ^lenfpenfeele, roelpe bie ^elobie
erfunben nnb felbft gefüpt pt. Oie 'DJiepanif ift nur bad materielle
SSerfjeug , roobnrd) bie oon einer ©eele gefiiljlte '©cufitempfinbnng an=
bereu ©eelen mitgetpilt loirb. 9hin oerplt ed fid; mit ber 9latur and;
fo; bad ©d)öne, Sieblid;e, 3Boptptige, ©roprtige nnb ©djredlid)e, bad
diaturerfpeinungen und barftellen, finb bie 3^een nnb 'SRelobien ©otted
felber, roelpe er nuferer ©eele bnrp bie 5Jled)anil ber 3laturgefep bar=
ftettt. 2Bir oernepien alfo burd; bie 9latur bad Seben ©otted, raie mir
in ber 'Slufif ber ©pielup- bad fyiipen einer 'i)!}lenfd)enfeele oernepnen.
9lur ift in bem 5f3robuct ber ©pielup- eine ©etpiltpit: ber 'DJfufifer
nnb ber iDledbanifer finb uerfpiebene iperfonen; mäpenb in ben 9latur=
probucten bie materielle ©inriptung nnb bie barin liegenbe 93ebentnng
unb ©eiftigfeit, 23eibed oom ©pöpfer fommt" ***).
*) 2Bei§f). 7, 21.
**) ®eigb- 11, 21.
***) 9IIban Stolj, ®ürre Äräuter, @. 116. (3. Slprtl 1870.)
144 ©d)ön^eit ift bev ©cgenftanb unb @runb eigentlicher Siebe;
§. 2.
Pag ttffc pfgöngeit, oßjccllw unb bcr paegc nadj, UeOerctndiunnunfl tuif bcr
ISefengcU ^otUs jeif, galt non pffers gcr ben Vertretern ber gSiffenfegaft
af$ auagemaegte pfagrgeit.
'^rodu§; iplato. 6f)’^gfo[tomu§ ; Ovtgene§; (Slemen§ dou
SHej-anbria. @regor non S'itjffa,
106. ®en llnterfa^ unferg SSeroetfeg bürfen lüir roohl at§ burc^
bag in ben groei lebten 9^ummern ©efagte hiniänglid) begvünbet betrachten,
unb barum ben ©eroeig felbft alg abgefdhtofjen. ®efüungea(ihtet finben
roir eg bev 'üJiühe roerth, bei ienem Unterfa^e nodh ju nerroeilen, um
barguthun, ba^ bie 3lnf(^auung, ni(^t nur, roie ft^on gegeigt mürbe, beg
heiligen Xhoumg, fonbern überhaupt ber älteren S®iffenf(^aft, in iRücfficht
auf bag ©erhältni^ ber ©(^önheit gur äSefenheit ©otteg, feine anbere
mar alg biejenige, roelche roir uuferfeitg begeii^net haben. ®ie ©ebanfen
ber alten ©'ieifter finb ja fa[t immer an unb für fi(^ fchon reidh genug
an ©ehalt unb ©eift, um unfer ^ntereffe lebhaft in Slnfprudh gu nehmen;
anberfeitg aber ift auf geroiffen ©ebieten, unb gu biefen gehört bag
unfrige, bie ilieuheit einer Sehre für biefelbe eine fehr groeifelhafte ©m=
pfehlung.
107. iJiach ^lotin ift bie Schönheit ber Seele f(^lechthiu 2lehnlich=
feit mit ©ott. „2Rit 3fte(^t lehrt mau, bie Seele roerbe gut unb f(^ön,
infofern fie fidh gur Slehnlichfeit mit ©ott erhebe; benn er ift aller Sdhöro
heit Urquell" 144). Unb bie Si^önheit ber nitht geiftigen ^inge? „2Ber
ba oerlangt, bie unermefelithe S^öuheit gu flauen, ber muß nicht ben
fidhtbaren fdhönen Singen nachlaufen, fonbern in ber Uebergeugung , bofe
fie nichtg alg ©ilber finb unb fcl)roadhe Spuren unb Sdhatten, gu jener
fliehen roeldhe in biefen fidh offenbart" i45). Senn „in Sittern mag fchöu
ift," fe^t iproclug h^JW/ r/auch in bem 97iebrigften , erfdheint nichtg Slro
bereg alg ein ©itb ber göttli(^en Schönheit" *).
©g roar audh hteo roieber bie focratifche Sluffaffung, roetche bie ©r;
neuerer beg ^latonigmug auggebitbet hatten unb fefthielten. „^ch fe^e
üoraug," fo tn^t 5plato feinen ehrroürbigen SDteifter in ber teilten Untere
haltuug uor feinem Jobe, im „^häbo", gu feinen Schülern fprechen,
„ich fe^e ooraug, roie ich aft gefugt habe, ba^ eg eine S^önheit gibt
bie ihrem SSefen na(^ fdhön ift, unb burch fich felbft . . . 3ft nun, aufeer
biefer Urfchönheit, auch Slnbereg fchöu, bann muß eg bag nach meiner
Sluficht burdh Jtidhtg Slnbereg fepn, alg burch 2:heitnahme an jener Ur=
fd)öuheit . . . i^reitich ift mir bieg big auf bie testen ©rüube noch ni^t
*) Procl. Comment. in Plat. Alcib. prior. Cod. Leid. p. 220.
jroeiter Seioctä au§ inneren @rünben.
145
»ollfommen f(av. 31ber lueim jemanb mir al§ beu (^H'iinb, roannii irgcnb
ein ©egenftanb fd)ön fei), etraa bcn Udften @lan^ feiner f^arbc bejeidfnet,
ober feine @eftalt, ober loeicben i'orjng biefer 31rt immer, bann pflege
id) mid) ouf Üllleg ba§ nid)t cinjnlaffen; beim ed oerroirrt mic^ mir;
bn§ allein batte id) cntfd)ieben feft, — inclleid)t ift’g (rinfalt, — baf)
jcned ®ing biird) nid)td 31nbere§ fcbön ift, al§ biird) bie ©egenroart bcr
llrfd)önbeit , ober bnrd) Jibeilnabme baran, ober bnrd) ißermanbtfd)aft
mit berfelben, oon rocldier 31rt fie mm and) fepn mag'' u«).
2i>ad 0ocrate§ mir bnnfel al)iite, mag feine 0d)ü(er jmar ooll:
fommener entmicfelt batten, aber ohne nod) ben ?id)tfern ber 2öal)rl)eit
ron ben Üiebeln ihrer ^i'^'lbnmer ganj löfen ju fönnen, bag erfannten
nnb (ehrten bie <ftird)emiäter , bnrd) bag Sid)t beg ©lanbeng erleuchtet,
in noUfommener .S>armonie mit bem übrigen , Inhalte ber göttlichen Cffeii;
banmg. ®er mnl)ren 0d)önheit, oerfünbigt ©l)^'^if*-‘'flo’»i*Q feinen 3^^=
horern, fann feber fid) theilhnftig mad)en, menn er mir mid: „beim bie
'Seele roirb babiird) fdiön, bap fie mit bem Villen ©otteg überein=
ftimmt" 147). dlod) llarer fpridft Origeneg. „®ie Seele beg 30ienfd)en
ift non onf)erorbentlid)er, non gaii); mimberbnrer Sd)önheit. ®enn ber;
jenigc beffen ‘iOieifterl)aiib fie bilbete, fprnd) bei ihrer Schöpfung: ,Saf)t
iing ben iSienfdten madien nad) Unferem Silbe nnb ©(cid)iüf3‘. ÜSag ift
fd)öner alg biefeg SUb, mag miiiiberbarer alg biefe Sd)önl)eit?" i48)
©lemeng non 3lleranbria nennt ben ''l’)lenfd)cn felbft und) feiner cinperen
@rfcheiimng bag Silb beg Sohneg ©otteg. Sag rechte iötaaf? in Sranf
nnb Speife Ipiltcm, fagt er, fep bag hefte Slittel, bem Seihe Sd)önl)eit
ju geben ; babiird) erlange berfelbe Ä'raft nnb Slännlichfeit, Slmimtl) nnb
bie frifdie fvarbe ber ©efiinbl)cit: „nnb bag finb bie ©lemente ber Sd)ön=
heit biefer gelimgenen fdfönen Silbfiinle beg Sogog" i40).
108. 3lnbere hi^vher gehöreiibe 3(enf!ernngen ber Äird)enniiter merben
ung fpäter nod) begegnen; l)iei' um nod) einige Stellen ang bem heiligen
©regor oon 3h)ffa, bie migeadftet ihrer xHiigbehmmg auf ben dlamit bcn
fie nerlangen, mn fo größeren 3lnfprnd) haben, alg mir biefen «©eiligen
higher nod) nidit nernal)incn.
3(m Sdflnffe beg nierten Äapitclg feiner Sd)rift „lieber bie Sdiöpfnng
beg Slenfdien" fagt ©iregor, ©iott hnbe bie menfd)lid)c Ülatur fo einge=
rid)tet, „bap fie nnfg genanefte mit ber llrfd)önl)eit, a(g il)rem Original,
übereinftimmte" irm). Siefen Sag führt er in bem folgenbcn )i?apitcl
aug. „©Heidimie ber Idaler bie menfch(id)c ©ieftalt auf ber Safel bar=
(teilt, inbem er bie befonberen ciitfprechenben A-arben in ber 'iScife anf=
trügt, bap bag Silb nollfommcn bie Sd)önheit beg Originalg miebergibt,
alfo bienten unferem Sdiöpfer bie geiftigen Sorjüge gemiffermapen alg
fyatben, bnrd) meldie er fein Silb mit feiner eigenen Schönheit fd)müdtc,
um feine «©frrlidifcit in ung jn offenbaren. Smit nnb mannid)faltig
3unginann, Slcftfjctif. 2. Sliifl. 10
146 ©(^ön^eit i|'t ber 6'egenftanb imb @ninb eigentlid^er Siebe.
finb biefe färben: iüd)t rot^ imb lüei^ iinb buiiM, noi^ ‘»Diifi^ungen
baoon..; jonbern Steinzeit, üoUfoinmeite .S^armoiüe ber Kräfte, ©elig;
feit, ^rei^eit üon allem Hebel, unb anbere älorjüge biefer 5lrt, roe'ld^e
ben 9Jlenfcl)en jur 5le^nlicl)feit mit @ott erljeben. iDiit folc^en ivarben
malte ber 4")err, ba er in unferer Statur fein eigenes S^ilb fic^ fi^uf.
iyaffeft bu nod} bie übrigen 3i'9^ Sd)önl;eit ©otteS ins Singe, fo
inirft bn auc^ in Süicffidjt auf biefe in bem ißilbe, baS mir finb, bie
uoKfte Hebereinftimmnng entbecfen. ©ott ift ®ernnntt nnb ©rfenntnifi . . ;
and) in bir lieljft bn ©rfenntnifelraft nnb 23ernnnft, bie ©opie ber roefem
Ijaften ©rfenntnifs. Söiebernm ift ©^ott bie £'iebe, nnb ber Siebe Urquell;
fo le'^rt nnS ber gro^e 3ol)anneS; ,bie Siebe ift anS @ott‘ unb ,©ott ift
bie SiebeS Sluc^ biefen 3^'S 9*^^ '5d)öpfer nuferer Scatnr.
®enn ,baran‘, fpric^t er, ,roirb man erfennen ba^ il)r meine jünger
fept , mcnn il;r einanber liebt‘. barnm biefer 3n9 wd)t fit^tbar,
bann erfd)einen alle übrigen loie oerjerrt. (Sott enblid) fieljt SllleS, Ijört
SllleS, bnrc^forfd}t SlKeS. Sind) bn nimmft bnrd) Oljr nnb Singe bie
®inge loal^r, unb bein (Seift erforfdit fte nnb bnrd)bringt fie" *).
3ft bie ©d)önl)eit beS S}lenfd)en in feber Siütffidjt iüd)ts Slnberes
als feine 3lel^n(id)feit mit ©mtt, bann mnü fie nerloren geben, fobalb bie
Slbfebr oon ©iott, bie ©ünbe, bie 3iige beS göttlidjen UrbilbeS oermifdjt.
,,©d)ön ift SldeS'^ fäl)rt barnm ©regor loeiter unten fort, „roaS mit
ber llrgutbeit Ijarmonirt; ma§ bagegen ber Uebereinftimmnng nnb ber
Slebnlidjfeit mit ibr oerluftig mirb , bas bat an ber ©dbönbeit feinen I
Ibeil mehr i5i). äSenn nun nad) bem ©efngten ©ine bie roefenbafte |
©ntbeit, wenn ber ©eift baburd) fd)ön ift, bafj er nadj bem S3ilbe biefer t
Urfdjonbeit gefdjaffen mürbe; menn enblidi bie non ibm abbängige Statur :
gemiffermaf;en roieber ein S3ilb biefes 33ilbes, beS ©eifteS, ift: bann mnfj |
offenbar ber ©toff im redjten iw S^efit^e feiner entfpredbenben *
S3oUfommenbeit bleiben, menn bie Statur ibn beljerrfdjt; bagegen biefelbe i
oerlieren, fobalb er ber Jlraft bie ilju bilbete entzogen, nnb baS natür=
lidje 23anb j;erriffen mirb , bas ibn mit ber Urfd)önbeit oereinigte. ®aS ;
gefd)iebt, menn bie Statur ilire red)te ©tellnng nid)t behauptet, menn
nufer ©treben nid)t rnel^r auf bie ©tbönljeit fid) richtet, fonbern abmärtS
auf baS, roaS felbft ber il'er)^önernng bebarf. ®enn maS fidb ber an
fid) geftall: unb formlofen SSkterie gleich wadjt, baS nimmt notbroenbig
felbft ihre abftofjenbe .<bofdid)feit an" 152).
Greg. Nyss. de hom. opif. c. 5.
Vierter
Der Degrif ber ^diönbeit. ttleiterc (Entwitkclung mib
^muenbung bcffclbcn.
Ber Begriff ber S'd)öiil)eit.
§• 1.
_ Definition.
I.
!Trei ^-onnelit, Don benen bic evftc fid} bei ?(viltoteleQ finbet, bic jiueite ber
Sef)re be§ Ijeiligen i^omaö, unb bie brittc einem ©ebaufeu ''f.Uato’ä
entfprid)t.
109. ^ermann Vot^e Ijövten mir im ?(nfangc uufereä jmeiten
fd)nitte§ in ben Seiftungen ber beutfdfen 5leftt)etif ein Ofefnltat uermiffen,
o^ne roelc^eS non einer „2Siffenfd)nft ber fdjönen fünfte'' nlterbingS luobl
eigentüd) nidft bie fRebe fepn fann. ®enn eS ift nidjtsi ineniger nie ein
beftimmter, fefter, brauchbarer ^Begriff ber ©d)önl)eit felbft, beffen 5lbgang
ber @ef(hid)tfdjreiber ber „5teftf)etif in ©)eutfd)Innb" ju eonftatiren fid)
genöthigt fat). fyür nn§ ergibt fid) und) ben noraudget)enben (frörternngen
unb ^tachineifen biefer ^Begriff ot)ne befonbere ©d)inierigfeit.
„®inem ^seben mnf) e§ einleud)ten fo bürfen mir nninlid) auf
@rnnb ber namenttid) im testen 2ibfd)nitte gegebenen iBeiueife inot)t mit
if^roctus bein 9ieuptntonifer fagen, „einem ^^ben mnf) e§ einteud)ten, bag
bie ©d)önf)eit ifirer diatur nad) ©egenftanb ber Siebe ift: inbem ja and)
bie minbefte ©d)önf)eit, roeil in if)r ein ©d)immer ber ©d)onI)eit ©otted
glänjt, bnrd) il)re blope (5rfd)eiming nufere Siebe geminnt, nufer ,s>evj
einnimmt nnb feffett. ®enn atfo fprid)t im ,'Bf)äbriig‘ ©ocrated; ,©er
©d)önheit '}(ntt)eit ift e§ , bap fie mehr at§ nUe§ 'Rnbere bie 3tugcn auf
10*
148
Definition ber «Sd^önl^eit (2inftoteIe§).
[id^ uub bie Siebe'*). ?Kag barutn ba§ @(^öne (xa)wfjv) feinen
■Jiamen bafier !^aben «eil e§ anjie^t (xaXsfv), ober rneit e§ Stile bie eg ,
fcEiauen einnintmt (xTjXsiv) unb i^nen @enuß bringt, eg ift feinem iffiefen
nacf) ©egenftanb ber Siebe: rce^l^alb man ja ancf) ju fagen pflegt, bie
Siebe treibe ben rcelcl)er liebt jur ©dbönl^eit liin" 153). ?Kit (ginem
SBorte, eg ftel)t feft, ba^ bie ©cfiönl^eit ber ©egenftanb unb @runb ber
Siebe ift, unb jraar ber ei g ent litten Siebe.
!Daraug folgt nun unmittelbar, — mir !^aben ben ©ebanfen fc^on
im letzten Slbfdfnitte berührt, — ba^ bie ©(^ön^eit, objectb unb ber
©acbe nac^, baffelbe ift roie bie innere ©utlieit. ®enn biefer -Raine
bezeichnet eben jene 33efcbaffenheit ber ®inge, nermöge beren fie ficb eignen,
für ben uernünftigen ©eift ben ©egenftanb eigentlicher Siebe ju bilben:
bag ergibt fich flar aug ben ^Begriffen ber inneren ©utheit unb ber
eigentlichen Siebe, bie mir früher feftgeftellt haben**).
iRicht minber offenbar ergibt fidf) überbieg, alg ©rlebigung ber beim
SSeginn uufereg brüten Slbfchnitteg allein noch offenen §rage, ba^ ber
©enufz roeldfen bie Stnfchauung fdböner ©rfcheinungen , eben infofern fie
fchön finb, ung geroühi^t, nidft „fv^eube in Dtüdficht auf bag ?lü^lid)e"
fepn fann, ni^t „negetatioer" ©enuf), niiht „finnlicher", aud) nid)t „im
tetlectualer", fonberu einjig „©enuft aug eigentli^er Siebe''. ®enn bie
üier juerft genannten Slrten bes ©enuffeg haben nidü bie innere, fonbern
bie üupere ©utheit jum ©egenftanbe, unb fie grünben fid) nicht auf
eigentli^e Siebe, fonbern auf uneigentliche***).
2Sir müffen folglid) fo befiniren : ®ie ©chönheit ber Singe
i ft beren innere ©utheit, i n f o f e r n fie b u r d) b i e f e b e m n e r=
n ü n f t i g e n © e i ft e © e g e n ft a n b b c g ©enuffeg j u f e p n f i ch
eignen.
Siefe Sefinition ift uralt. ,,©^ön", fo lehrt nämlich bereitg 2lri=
ftoteleg, „fd)ön ift bagjenige, roog baju angethan ift, felbft unb für fich
ben ©egenftanb unfereg ©trebeng ju bilben, unb barum tßeifall nerbient;
ober anberg: fchön ift bag an fidi ©ute, infofern eg eben
burih feine ©utheit ©enup gemährt iö4). Sie erfte biefer jmei
©rflärungen ift für ben proctifd]en ©ebrauch in ber Sheorie ber ißerebü
famfeit berechnet; bie jroeite ift ftrenger unb allgemeiner: unb „eine
beffere alg biefe bürfte fdiraerlich gefunben roerben", hat baju, oieUeicht
nicht mit Unredit, in neuefter 3fit eia ©elehrter bemerft-j-). ©ben biefe
Septere enthält aber offenbar ganj benfelben ©iebanfen, roie bie uufrige.
*) Plat. Phaedr. Steph. 250 d. Bip. vol. 10. p. 329.
**) SSgl. m. 38. 50. 52. 56. 6. 60. 72. 73. 80.
***) Oben, 9t. 62 ff. ®. 85 ff.
f) .^ermann Saumgart, „3lriftotcte§, Seffing unb Cgoethe" (2eipÜ3 1877) @. 72.
®efinition ber ©d^ön'^eit (‘i^omag Don 9(quin).
149
110. 23ebingung unter tüddjer bie Siebe ber inneren ©ut^eit
jnm ©enuffe inirb, Ijaben mir im jroeiten dbfd^nitte nab^ ©t. Slnguftin,
©^omaö nnb i^^atlaüicini beftimmt. ®ie flare ©rfenntnifj ber
inneren ©nt'^eit be§ ©egenftanbeä, fügten mir bort, bitbet bag pfi)(^o=
togifd)e SlJoment, nn metrf)e§ ber „©eniif^ nuä eigenttid^er Siebe" ge=
bunben ift*). 3htn ift e§ aber altein nnb ansf^tief3lidt) bie innere
©uttjeit, roetdje babnrd), bafi ber nernünftige ©eift fie erfennt, bemfelben
©ennfi geraät^rt; bei ber änderen ©nt^eit bagegen bebarf e§, bamit fie
genufibringenb merbe, ganj anberartiger Ülorangfetjiungen, inie ba§ au§
bem frntjer ©efagten ftar tjeroorge^t **).
©iefe jmci iSatjrtjeiten bieten uns bie i)}iögtic^feit, bie eben gegebene
^Definition bem 2ln§brnde nad) nmjngeftatten, o!^ne baf3 i^ren
eine 3(enberung trifft. ilSenn loir ncimtibb ba§ eben bejeib^nete pfpt^O;
logifdje 93ioment, — bie ©rlenntnif^, — in bie ®efinition anfne^men,
fo roirb babnrd) bie nötjere Seftimmung ber ©utt)eit bnrd) baä 2öort
„innere" nberftnffig: eben rneil fene§ 91toment an§fdjtief3ti^ in 9tüd=
fid)t auf bie innere ©utfjeit Stnmenbnng finbet. 2tt§ ein ^meiter 2tu§=
brnd für ba§ SBefen ber ©d)önbeit ergibt fid) mitt)in biefe f^ormet:
©I i e 0 d) ö n b e i t ber ® i n g e i ft bereu © u 1 1) e i t , i n f o f e r n
fie bnrbb biefe bem nernnnftigen ©eifte, auf ©rnnb flarer
© r f e n n t n i 13 b e r f e l b e n , © e g e n ft a n b b e § © e n n f f e ä 5 n f e i) n
fi(^ eignen.
trSer es ber Si>tüt)e mertb finbet, bie erfte 3lnftage biefes 23nbbeä
äur tpanb jn nef)men, ber fnnn fid) überzeugen, baf) bie 2lnffaffung be§
SS>efen§ ber 0d)önt)eit metd)e mir bort an§fprad)en, gonj biefetbe ift, roie
bie namenttid) in ber oorigen Shmtmer gegebene. 3^^ einer brei ^a^re
fpäter oeröffentlibbten 2tbbanbtnng***) roieberbotten mir biefe 2tnffaffnng,
nnb fanben zngteid) 'ilerantaffnng, fie nod) fefter zn begrünben; bie zmei
^Definitionen mel^e mir bort anfftettten, ftimmen mit ber bi^^' in iti. 109
gegebenen nnb ber in di. 111 no(^ Z“ gebenben bem nad) Dott=
fommen überein; bie zmei Sebteren bnben oor jenen nur ben diorzug
einer präciferen fyaffnng. ®ie jetit in biefer dinmmer, at§ bie zmeite,
non un§ cntmidette f^-ormet finbet fid) and) in ber eben genannten 2tb=
banbtung noch ni(bt; aber bas ©tement moburd) fie fii^ (^aracterifirt,
ift bort gteidjfattä fbbon b^nnorgeboben nnb bennbt. SBeber nor abbtzebn
Sabren in ber erften 2tnftage biefer unferer „dteftbetif", nobb brei ^nb^c
fpüter in ber ermähnten pfnd)otogifd)en dlbbanbtnng, maren mir in ber
*) eben, 9t. 69. 70. 0. 90 ff.
**) eben, 9t. 62 ff. 0. 85 ff.
***) ®a§ @emütb, nnb ba§ ©efüblänennögen ber neueren 'l^fb'botogie (3nng=
bruct 1868) 0. 84—86.
150
Definition ber ©d)ön£)eit (iflßlato).
Sage, einen S^riftfteller an§ neuerer 3«t nennen ju fönnen, burc^ melden
bie non un§ l^inüc^lltc^ beä äSefenS ber ©d^önl^eit feftgebaltene Stnfdfauung
gleic^foHä nertreten crfdftene. fönnen mir ba§; unb mir l^aben um
^0 mel^r ©rnnb, un§ baruber ju freuen, ai§ e§ einer ber ^ernorragenbften
unb nerbienteften @eief)rten unfereg ^o^^^unbertg ift, ben mir auf unferer
©eite felgen. ®ie eben in biefer 91nmmer non un§ gegebene fyormel ift
nämlic^ genau jene ^iT'efinition, met^e Äteutgen in feinem neneften Sföerfe
al§ ,,5:^efi5'' fiinftellt i55).
®iefe 2^atfad)e fönnte fd)on genügen, um ju beroeifen, bajj unfere
Se^re non bem 2Sefen ber ©^öntfeit jener bes ^eUigen 3^bonta§ notI=
fommen entfprid)t: benn Äleutgen gibt in feinem t^eoIogifd)en i^anbbudie
genau eben bie Sefire biefeg Äird)enlel}rerg raieber*). ©eftungead^tet
motten mir ni^t untertaffen , aud) biefe Uebereinftimmung fetbftünbig
nadfjumeifen , aber erft, nai^bem mir in ber folgenben 9lummer junäd)ft
unfere brüte f^ormet für ben 23egriff ber ©(^önbeit entmicfett ^aben.
111. 'Xiefe ergibt fid), menn mir in unferer erften ^-ormet (tR. 109)
jene etmag nertiefte 55)efinition ber inneren ©ut^eit nermert^en, bie mir
im jmeiten ?tbfd)nitte, mo eben non biefer bie 9^ebe mar, an erfter ©tette
anfgefül^rt t}aben**). 5^ie bejcidntete ©ubftitution fü^rt ung nämtid) ju
biefem 5tngbrnde;
®ie ©d)önf)eit ber ©in ge ift bereu ttf atfäc^tid^e Ueber=
einftimmnng mit bem nernünftigen ©eifte, infofern fie
burd) biefe b ein f et ben ©egenftanb beg ©enuffeg ju fei)n
fid) eignen.
f\n feinen nerbicnftnotlen „©rlöuterungen'' ju ber ©d)rift ©t. Uu'
gufting „Heber bie erfte retigiöfe llntermeifung" *** ) mai^t Stuguftin
©ruber einmal bie SBemerfung: ,,©ie 2Beig§eit ©otteg atg ,bag .staben
ber nottfommenften 9lbfi(^ten unb bag 2tnmenben ber nottfommenften
ilRitteO jtinbern barfteden motten, ift nertorene itJütöe; it)nen mirb
©otteg 2Seigf)eit nur baburd) erfennbor, baff ©ott 3ttteg fd)ön einge^
rid)tet l^at." ©ie tBemerfung ift o^ne burdjang gegrünbet unb
mat)r. äSenn fie aber bag ift; menn fomit bie Äinber — unb in gteid^er
2Seife überhaupt 3ttle bereu ©eift nid)t an abftracteg ©enfen gemö^nt
ift — ben begriff ber 2Seigt)eit ©otteg am teic^teften unb am fii^erften
eben in ber ©d)önbeit feiner iBerfe erfaffen: bann müffen in bem
urfprüngtid)ften unb mefentticfiften intetlectuetten tßefiüe ber i)}2enfd)t)eit bie
23egriffe ,,©d)önt)eit" unb „ißernünftigfeit" ober „Uebereinftimmung mit ben
f^orberungen beg oernünftigen ©eifteg" überaug na^e bei einonber tiegen.
*) Cfr. Kleutgen, Instit. Theol. vol. 1. pag. IV. V.
**') rben, 'It. 38. ©. 60.
***) De catechizandis riidibns.
®efinition ber £c|ön^eit (5]3(ato).
151
llnb überaus nal^e bei einanber lagen biefe jiuei ^Begriffe gleidjfallS
im @eifte ber focratii'd)en iBeisl)cit. Sei beu fpracbmi[jenicljaftUd}eu Unter:
fudinngen, lueldie ^Mnto in fcincin ©ialogc „ßratrjUis" ben 0ocrateS mit
jroei anberen Steifen anftellen lä(d, fömmt and) ber Uri'prnng unb bic
erfte Sebentnng beS 2Borte§ xaXov (fd)ön') jnr eprac^e. @ocratc§ ge:
[tebt, baü e§ fd)iDer fep, bieictben fcftjnftellen ; aber er ift ber Snficbt,
„ba§ 35>ort v.oXw brnde nrfprnnglid) nnb jnnäd)[t ein Jlttribut beS ner:
nünftigen @ei[te§ nnS. ®ie)er lüimlid), bic Sernnntt ber Götter ober
ber SU’nl'dien ober beibcr, fep cS, roaS ben 'Sbingen ihre , Samen gebe‘,
fie ,nenne‘ (xaXsiv), nnb barnm to x^AoOv Ijeipe, baS ,namengebenbe‘
i^tincip. ühm fep aber, anberfeitS, gerabe inaS bie Ser nun ft unb
ber erfenncnbe dkift loirft, immer baSfcnige, loaS mir nnfereö
SeifallS mürbig finbcn, maS mir ,fdfön‘ nennen nnb um feiner 0d)önf)eit
roülen lieben; fomic nmgelebrt DllleS mißfalle, maS nid)t ber Sernnnft
gemäg fep. SJeil alfo bic Sernnnft, anS bem norbcr angegebenen ©runbe,
ben Seinamen *ö xoXnw führe, bepbalb Ijabe man baS mit ber Ser:
nun ft llebereinftimmenbe alS xctKov, fdjön, bejeid)net" *). Son ber
etmnologifdjeu ^''bpolhefc mcldfe "f^dato in biefen SJorten nnfftellt, mag
man halten ma§ man mit! ; and) ben ,,?lrcopagiteid' nnb ifJroclnä fal)en
mir xctXov auf xotXoOv jnrüdführen, nur mit anberer Sjcntnng; un§ ift
e§ 1)^^^' gried)ifd)e S3ortbilbiing jn thnn, fonbern um ben @e:
banfen ben '^dato an feine \M)potl)efe fnüpft, ober wielmehr, biirdf loeldjcn
er auf bicfelbc geführt mnrbe. ®iefer ©ebanfe ift aber offenbar fein
anberer, als ber i£al3 melcher in ber snletjit gegebenen Definition h^voor:
tritt, nnb ben loir überbieS im jmeiten ^bapitcl beS brüten SbfehnitteS
eingehenb beioiefcn haben, bap lüimlid) bic edfönheit ber Dinge, objectio
nnb ber Dad)c nad) , niditS SnbereS ift , als bie Uebcreinftimmnng ber:
felben mit bem nernünftigen (fünfte. „Dap SlIcS", fd)reibt ©biiarb 9SülIer,
nadfbem er bic fprad)miffcnfchaftlid)c Dppothefc für einen Scherj erflürt
hat, „bap UlllcS maS bie Sernnnft mirfe, nnb mir roaS bie Sernnnft
roirfe, fdiön fep, bieS mar ohne ‘‘^Uüo’S ernfthafte Sicinnng'' **).
ed)leicrmad)cr bemerft jn ben angeführten Sdirten beS DocrateS,
bie non bemfelbcn nnfgeftellte 51bleitnng „meid)c fo fehr ab imn bem ge:
meinen ©ebrand)c beS SJorteS (xaXov), bap fie eine anbere alS bie fitt:
It^e 51nmenbnng beffelbcn gar nid)t nmfaffen fönne" ***). 35>ir müffen
biefe 51nficht eben fo nnridjtig alS ungegrünbet finbcn. 3’^ ben fd)önen
(ärfdieinnngcn ber phpfifdien Drbnnng, fep cS ber intellcctnnlen ober fener
ber Körper, tritt nnS bereu Uebcreinftimmnng mit ben Sorjügen nnb
*) Plat. Cratyl. Steph. p. 416 b — d. Bipont. 3. p. 296. 297.
**) eb. 'müPer, 1. S. 70. (©tirt 31.)
'**'*) @d)fetermad)er, iptotonS SBcrfe, ipl. 2. 23b. 2. (23erliu 1857) ©. 327.
152
Xl^omag Don Stquin über ba§ SEBefen ber @(^ön^eit.
ben ^orberungen bev Vernunft ni(^t minbev iinüerlennbar entgegen, at§ in
ber Sugenb, bem Schönen bev „fittltd[}en" Orbnung; imb gerabe in 9iü(f=
fic^t auf bie fi^önen förperlic^en ®inge prten roir früher (88. 118 f.)
bie brei Slnpnger ber 21nf(^auungen i]5Iato’§ biefe Uebereinftimmung tiernor^
tieben. SDie Ueberfet^ung ber ©teüe luelc^e Sctileierinac^er (a. a. D. ©. 55)
auf ©ruttb feiner irrigen 3Sorau§fe^ung gibt, läfet fic^ nur aB ganj mife'
tungen bejeic^nen,.
II.
5)ie Don un§ gegebene iöefttmmung be§ 2Befen§ ber ©(^önbeit entfpricbt rott;
fomtnen ber Jefire be§
112. ®ie 2Bat)rt)ett biefe§ ®at^e§ fönnte fd)on baburc^ ^intongü(^
erroiefen erfc^einen, baf^ rair unfere Unterfucbung norjugäraeife auf bie
Set)re beä l^eiligen Il^omaä gegrünbet, iinb in diücffid^t auf aüe ^ra=
miffen au§ benen gütetet uufere ©efinitionen l^ernorgingen , fort unb fort
barget^an tjaben, ba^ fie nid^tä 3tnbere§ entbielten, al§ eben feine Slits
fc^onnngen. ^nbef; luir l^aben @rünbe, für ben ®at^ hier überbie§ aud^
nod^ ben unmittelbaren nnb birecten ©etocig folgen ju laffen.
®ie jioei oorjüglidbften unter ben menigen ©teilen, roo 3^^oma§ ftd^
oeronlofd fie^t, ben Segriff ber ©(^ön^eit jn bernbren, rourben bereits
im erften Slbfi^nitt angeführt *). ^n beiben leljrt XbomaS gunädbft, ba§
„bie ©ntbeit unb bie ©dbönbeit objectio nnb ber ©ad^e nach @ineS unb
baffelbe fepen". SDer Sefer roeiß, baft ba§ ancb nnfere Jebre ift. ©b^ütaS
fpridbt bie nämlidbe SBabrbeit andb an einer brüten ©teüe anS, beren mir
bisher no(^ nidü ermähnt haben 156).
„Dinr bem SSegriffe nadh", heijil eS meitev, „unterfdheibet fid) bie
©diönljeit oon ber @utheit" 157). Sföie beim? Ünüheit roirb einem ®inge
jugefprodhen, infofern „in bemfelben baS ©trebeoermögen ©enufi finbet",
ober, infofern „einfadh baS ©ing felber bem ©trebeoermögen ange^
nehm ift" 158), 3llS fd)ön bagegen bejeidjiiet mon ein ®ing, infofern
„boS ©trebeoermögen barin @ennfi finbet, bafj roir eS anfdhauen
ober ertennen", ober, infofern „fd)on bie blope ©rfenntniß
beS Ringes" bem ©trebeoermögen „angenehm ift" 159).
©ie ©utheit eineS ®inge§, lel)rt alfo Jh^maS, befteht barin, ba^
„ba§ ©ing felber" bem ©trebeoermögen jufagt, ober bafe biefeS ißermögen
(^jennfe finbet „in bem ©)inge felber". (sn roiefern finbet unfer ©trebe=
*) tneine bie ©tettcn: In libr. B. Dionys. Areop. de div. tiomin. c. 4.
lect. 5. extr., nnb S. 1. 2. p. q. 27. a. 1. ad 3.
®ie erfte finbet fid) oben ©. 25, bie jroeite ®. 49 f. ; ngt. bie Stnmerhingen
n. 10 nnb n. 45.
'I^oma§ Don 3lquiu über ba§ ®efen ber @dE)öii^eit.
153
rermogen „in einem 5)inge felber'' (5>eiuif3? fofern, unb einjig in
fofern, als ba§ iT'ing entroeber alä geeignete^ 'OJiittel für einen unä er^
TOÜnfd)ten mivffam ift, ober ben angemeffenen (^^egenftanb bilbet
für eines nuferer 'l'ermögen, — feg e§ für ba§ uegetatioe ikmiögen, feg
eS für baS finnlidie (Srfenntniüoermögen , ober enblidj für boS l^ö^ere
(h-fenntnifmerinögen ; mit nnberen Si'Orten, einzig in fofern, alS bnS Ting
ünffere (itntl^eit befit^*). fvafd bagegen nnfer ©eift. ein '®ing ni(^t
als ^Jiittel für irgenb einen oon nnS gemoUten 3*^*^'^ 51nge, noch
als bo§ geeignete Object für eineS ber genannten brei iBermögen; faffen
mir es lebiglid) feiner inneren ©ntbeit mid) auf, inbem mir erfennen,
mie e§ mit nuferer 3>ernnnft nnb ben it)r onerfdjaffencn 'illormen beS
®en!en§ nnb OtrebenS in Ilebereinftimmnng ftet;t; bann erjengt fii^
gteiii^fads ©ennfi: aber nid)t „in bem Oinge felber'' finben mir biefen,
b. I). nid)t in ber Srnrifamfeit beS Oinges, nid)t in bem ©ebrand)e be§=
felben nnb ber ÜBefd^üftignng bnmit, fonbern fd)on „barin ba^ mir eS
blo^ nnfdjanen nnb erfennen" loo).
93?oUte man l)iernad) , ansfdiliefslid) auf ©rnnb ber befprod^enen
©ebanfen beS großen ilirdjenlebrers, eine Definition ber Od}önl}eit bilben,
fo fonnte fidf feine anbere ergeben, als jene bie mir oorfjer in nuferer
jmeiten fyovmel (110. ®. 149), alS anS nuferen eigenen ^)3rämiffen ^er=
Dorgeöenb, bereits anfgeftellt, nnb mit ÄlentgenS 5t)cfiS ibentifdi ge=
fnnben haben.
113. i'on ber erften ber oben (0. 152) beneid) neten 5fenfiernngen beS
beiligen S^bomaS bnben mir biSber nnr ©inen ©lebonfen bennbt. Sollen
mir jet3t nndi ben anberen berüd'fidjtigen , fo mirb fid) baranS nnr eine
33eftätignng beS eben ©tefngten ergeben.
„3n bem 23egriffc ber 0d)onbeit", fo lautet biefer ©)ebanfe, „tritt
ju jenem ber ©nitl)eit ein DDferfmal biion; bie 'Dejiebnng (beS DingeS)
jn einem 'i^ermögen, melcbeS bie ©nttbeit, alS fold)e, jn erfennen im
0tanbe ift" **).
©ine gemiffe Dejiebnng nun (iim ©rfennen nnb 511 einem ©rfenntni3=
vermögen liegt bereits in bem if3egriffe ber ©nitbeit felbft. Denn als
gilt, b. b- als geeigneter ©iegenftnnb beS 0trebenS, fann ein Ding niebt
gebadjt merben, ot)ne bag eS ,^nglcidb alS erfennbar gebnd)t mürbe: eS
gibt fein Dtreben, feine l'iebe, bie nid)t biird) irgenb ein ©rfennen bebingf
märe, nnb mo ein 0trebeoermögen gebadjt mirb, ba mirb biermit allein
and) fd)on ein erfennenbeS ^firincip (irgenb meld)er illrt) gebad)t loi).
®on biefer 33e5iebnng jum ©rfennen fann nütbin Dboii^^ ’^'djt fagen
mollen, „fie trete in bem 53egriffe ber Debönbeit jn jenem ber ©hitbeit
*) i'gl. 01. C2 ff. S. 85 ff.
**) ®er DoUftänbige Jert finbet fid) oben, ©. 25, unb in ber Olnmerhmg n. 10.
154 Jl^oinaS oon 31quin über ba§ SEcfen ber Sd^ön^eit.
; benn ber Sel^tere rairb aufgehoben, loeun man ftc uon if)m
megnimmt.
5lber aud) fene 23ejiehimg jum (SrfeimtiüBoermögen fann er nicht
im 2üige höben, oermöge bereit jebeg ®ing, unb barum auch S^tc
®ing, ber natürlid)e (föegenftanb beä höhci^fö @rfeunen§, baä Object ber
^nteüigenj ju feim ficb eignet, unb unter biefer 3iüctficht ai§ „mahr"
(im metaphbfiftfl'^n Oiune be§ SBortes') bezeichnet mirb. Denn ber 25e=
griff ber „ii'abrheit" entfteht ja nicht, inbcm bas OJtcrfmat ber iBegiehung
zum höheren (5-rfennen zu bem ^Begriffe ber ©utheit, fonbern inbem ba§=
felbe eiufadj zum ^Begriffe beä ©et)u§ h'uzutritt i6^).
2hir ©iue „iBeziehung zu einem erfeunenben iBermögen" bleibt
nad) übrig, uou ber bie SBorte bes heiligen Ohomad gelten tonnen. 2Bir
haben biefelbe im z'ueiten 2lbfd)uitte fennen gelernt. Oer oernünftige
©eift, jagten mir bort, erreid)t unb umfafit beu ©egenftanb feiner „eigent=
tid)en" £'iebe baburdj, baf; er ihn mittelft tlarer 2lnfchauung in fidf auf=
nimmt, inbem er benfclben ald „an fid) ©utes'' tlar erfennt; unb ba§
pft)d)ologifdhe iDtoment burd) meldjes bie (üebe be§ „an fich ©Uten" zunt
©enuffe mirb, ift barum bie flare ©rfeuutnifz ber inneren
©utheit bed Oinged, auf meldjed fidj bie Siebe ridjtet*'). ©inzig bie
hiermit bezeid)uete iBeziehuug zu einem höhcfen ©rtenueu, jagen mir, fann
ed fegit, meldie Ih^utad im 2luge hnl, menu er lehrt, „ed trete in bem
^Begriffe ber Ochöuheit zu jenem ber ©utheit hiuzu bad iUtcrfmal ber
^Beziehung bed Oinged zu einem iBcrmögeu, meldied bie ©utheit, ald
foldie, zu erfeunen im Otnnbe fei)". Oad ift aber mieber genau
unfere Sehre.
114. ©ben biefe ber Odiönheit fpecififch cigenthümliihe, unb fie bem
^Begriffe nod) non ber ©iutheit unterfd)eibenbc iBeziehuug zu bem höheren
©rfennen mar es aiidj , meldje bie Odmlaftif. ind 3luge fafzte , menn ed
fid) um bie Jragc huubelte, meld)e 2trt Don ©aufalität ber Schönheit
Zugefprod)en merbcii müffe.
3(Id ber ©Iutheit eigen erfnnnte fie nämlich bie j^inafcaufalität 163).
„Oie ©nitheit", heifd ed mieber bei Ohomad, „ift jene iBefchaffenheit ber
Oinge, rooburdj fie fid) eignen, ©iegenftanb bed Strebend zu fepn. 11(1111
ift bad Streben gleidjfam eine SBemeguug nad) bem ©egenf'tanbe
hin, beßhuib eignet ber ©iutheit bie J'iuatcaiifalität" i64).
Oad 3(ämlid)c lief? fidj oon ber Schönheit offenbar nicht jagen.
2lud) biefe ztuar ift ben Oingen eigen , iitfofern biefelben bem Strebe^
Dermögen gegenüber gebacht merben; aber ber il)r entfprechenbe 2tct bed
Strebenermögend ift ber ©enufz, unb biefer erzeugt fidj, „menn bad ftre^
benbe 2Sefen ben ©iegenftaiib feiner Siebe erreid)t hut nnb ihn um;
*) Oben, 5i. 69. 70. 90 ff.
3)ie ©dfjöu^eit xmb bie 3Bat)r()cit.
155
faBt"*). >f'ier üeB fid) atfo ba§ iBUb bev „33ciuegimg nad) bem
(Megenftanbe l]tn" nidit melir feftbalten; bejeidinete |a, eben in Jltüdfid^t
auf ba§ erraiifinte ‘•liioment , bie 0d)olaftif ben (MenuB ald „bie 9iu^e"
bed etvebcn§**'). So fonnte mau beim nid)t anbcrd, a(§ ieneö pii)d}o=
logifd)e üO^oment berürfiid)tigen , an melc^es bcr falleologifc^e (MenuB ge=
bunben erfdjeint, nnmlidi bie flnve (vvfenntniB be§ ©egenftnnbed unb
feiner (^nitfieit. 55'cm Cf-vfcnntniBacte aber ftebt fein (fiegenftanb , unter
einer bcftiininten tRncffidd, a(§ beffcn causa formalis gegenüber i65) :
ed ergab fid) mitt)in non fetbft, baft alS bie ber Sdjön^eit jnjnfpredjenbe
(Janfalität bie fs-orinatcnnfo(itcit jn gelten habe i66).
51nd) biefe 31nfd)annngcn bed l)ciligen ilirdfcnlebrerd entfjalten nid)t§,
bad nid)t mit ben non und norgetrngenen in nollftem ©inflange ftnnbe.
§. 2.
pic |>(6ön^cit geocttüßcr bcr 55abrbcit unb bcr ^utbcif.
Sie Scbönbcit unb bic li>n()rf)cit. Sic @utbcit nerbnlt fid) jitr ®d)ön()cit, raie
bie Webe pim @cnuB. 3täl}erc Scftimmung be§ Scr()ättniffed biefcr jinci
pfi)diifd)en i'orgiinge, nad) 3triftotclc§ nnb Tl)oma§ non 3(qnin, unb
fS'otgcrnngcn bicrmid in iRnrffid)t auf ba§ Scrbattniji ber 5inei in ittcbe
ftcl)cnbcn 'Itttribiite.
115. STde fid) bie Sd)ön^eit jn fencn jinei t^or^^ingen bcr Singe
nerl)alte, ineld)e fo bänfig neben il)r genannt inerben, ober niclmebr, inie
fie fidj non bem einen nnb bem anbern nnterfdfeibe , bad innrbe groBem
tbeitd bei nerfdfiebenen 31nläffen fd)on angebentet. SeBniigead)tet inollen
mir hier, nad)bem mir ben Segriff bcr ©cbönbeit feftgcftellt l)abcn, biefe
f^roge nod) für ficb bebaiibcln , namentlid) and), nm nid)t (^'injclned uns
gefagt jn (affen, bad gcrabe für bic 3Süffenfd)aft bcr fd)önen Äünfte
feinen 3©ert() Ijat.
Sie bmetapbbfifdic) 2i?a()rl)eit ,^nuäd)ft ift bad 31ttribnt bed
Sepeiiben gegenüber bem (SrfenntniBnermögen bed nernünftigen
(^eifted 167). (J'iit Sing ift „maljr'', infofern cd mit feinem Urbilbe in
ber l^^otted übcrcinftimmt; ein „inabrer Stein" j. 33. ift
bericiiigc .Körper, ineldjcr alle Ö'igenfd)aften befit^t, bie nad) ber 3bee
@otted jnm 3Sefen bed Steined gcl)ören 168). Sie metapbpfifd)c 25>a!^r=
l^cit ber Singe märe l)icrnad) jn befiniren nid „bic Uebcreinftimmnng
berfelben mit ber 2©eidl)eit (Smttcd" ; beim biefe ift bic oberfte 3iorm
alled Sepnd.
*) eben, 9t. 60. 0. 84 i.
**) Cbcn, a. a. 0.
156
®ie 0d)bn^eit unb bie ©ut^eit.
®er Untevf(^ieb jroif^en ber Söa^r^ett ber Singe iinb bet @(^ön=
!§eit berfelben ergibt fic^ ^iernac^ non jelbft. Ser erfi^affene @ei[t ift
nadj bem 33itbe @otte§ gemailt: aüeg ©er)enbe bitbet barnm, infofern
unb roeil i^nt Söa'^r^eit eigen ift, ben natürti(^en ©egenftanb feine§ (Sr^
tenneng. @g ftetien atfo bie Singe, nermöge il^rer 2Ba!^rt)eit, nur jum
(SrfenntniBoermögen in unmittelbarer nnb birecter Sejie^nng, nic^t aber
jum ©trebenermögen.
116. 35iel nä'^er alg ber Söa^r^eit fte§t bie ©ijönl^eit ber @utt)eit,
aber teinegmegg fo, bafe fie mit i^r ibentifd) märe. „Sie ©(^ön^eit bet
Singe", tiaben mir in unferer Sefinition junäc^ft gefagt, „ift bereu
innere @ut^eit." Sie ©uf^eit ift bem ©etjenben eigen in feiner ißejiel^ung
jum ©trebenermogen 169) , unb bie innere ©ut^eit ingbefonbere bem
©treben beg nernünftigen ©ei ft eg gegenüber; bag Se^tere gilt mit=
l)in anc^ non ber ©d)ön!§eit. 3lber barnm finb biefe jraei 35orjüge noc^
nid)t ©ineg unb baffetbe. Ser 5tct beg ©trebenermögeng ber ©uf^eit
gegenüber ift, allgemein, bie Siebe; unb jroar ber inneren ©iutfieit gegem
über bie eigentlid)e, ber üufteren gegenüber bie uneigentti(^e Siebe. 2tud^
ber ©d)ön^eit gegenüber erzeugt fid) naturgemäß eigentlidie Siebe, — benn
fie ift fa raefenttid) innere ©iutfieit; aber ber eigentlit^e pf:)cßift^e ißorgang,
auf ©runb beffen eben biefe Seßtere atg „©(^önßeit" anerfannt, unb mit
biefem 9tamen bejei(^net tnirb, ift nid;t biefe Siebe, fonbern ber ©enuß,
rceldjer fi(^, infofern ißr ©egenftanb unb feine ©utfieit tlar erfannt roirb, ;
gteid)fattg mit natürtid^er Stotßraenbigfeit an biefe Siebe anfc^ließt. ©g
nerßält fic^ fomit bie ©diönßeit jur inneren ©iutßeit, raie jnr eigenttid^en
Siebe ber aug biefer, unter ber eben nod) ermähnten Sebingung, l^eroor= i
geßenbe ©ienuß.
3n ber 3Senug Urania pcrfonificirte ber alte iJJtptßug nicßt allein i
bie ©cßönßeit, fonbern nacl) mehreren if3latonifern jugleidt) bie innere j
©utßeit*). Siefer Urania ©oßn mar ber ältere ober ber ^immlifd^e ;
Stmor, ’'Epa>c oüpdvio?, bie eigentlidbe nnb eble Siebe ju bem an fi(^ i
©Uten unb ©cßönen; alg bie 2:o(^ter aber biefeg Slmor unb ber ifßfpd^e
nennt ber iDtptl^ng bie fy i e » b e **). ©ollten mir Unrecßt ßaben, roenn
*) Pallavicini, del bene 1. 2. c. 12.
**) ißgt. Apuleii Metamorphos. 1. 6. c. 24. ed. Bip. 135.
2tu§ ^tato (Conviv. Steph. 180 d. e. Bip. 10. p. 182) [eben rair, baß sä
jroei 3Scnu§ gab: bie altere roar bie Xod;ter be§ .§immel§ (be§ Uranu§, barum
Urania, bie binunlifdbe) , ohne dllutter (dprjTiup) , bie jüngere bie Sod^ter be§
nnb ber Sione; biefe bi^b i>a ©egenfaße jur erften „bie gemeine" , vul-
garis). 3^^ berfciben SBeife unterfdiieb man einen boppetten ütmor: ber 0obn ber
Urania fteltte bie „eigentliche“ Siebe be§ ©uten unb ©dbönen bar, bie geiftige Siebe
(spw; o’jpctvio;) , ber ©obn ber gemeinen ißenuS roar bie ifSerfonification ber finn=
lieben Siebe, riebtiger ber 33egierbe (t'piuc irdvorjp.o;). 3^ ber befannten f^abel non
Die 0c^bn'^eit unb bie
157
rotr in biefcr ®i(^tung nidjtS Stnbereg finben, al§ ben aüegorifd)en 21u§=
brucf unferer 2(uffaffimg üon bcm 3Ser^ä(tni^ bev @ut^eit ititb ber
6d)önfieit, ber £'iebe unb bcs ^enuffeg?
117. 2lnl)attgpunfte ju einer eingef)enberen ©rlänterung beg gegen;
fettigen 3Serlf)ä(tniffeg ber @nt^eit nnb ©d)önf)eit inüffen fidi bein ©efagten
gnfotge offenbar ergeben, toenn mir bag 35erbäUnifj ber jinei eben nod)
genannten pft)d)ifd)en 58orgiinge, ber Siebe nnb beg ©enuffeg, beibe ganj
adgentein gefafd, nä^er beftimmen.
3(riftote(eg djarncterifirt baffetbe mit ©inein iSorte, menn er fagt,
ber ©enup „bilbe ben iJlbfddnfi ber Sii^ätigfeit", ober er „ooüenbe" bie=
felbe, „lüie bag btül^enbe Slugfeben ben ^üngUng nnb bie no).
©ine febr gute ©rftärnng biefer Seftiinmnng gibt mieber
5tqnin. „®er ©enuff", fo börcn mir oon ibm, „uollenbet bie 3:1)0;
tigfeit in jmeifad)er dind'fid)t. ©inerfeitg nämtid) tritt jn feuern ©inte
bag in ber Xbätigfeit liegt, mit bem ©iennffe, atg ber iRnbe beg ©tre;
beug in ber ©nitbeit morauf eg fid) riditet, ein jmeiteg ©int bi>©u: 'i»b
fo bitbet berfetbe für bie 3batigteit bag fie crgänjenbe Moment, lieber;
bieg aber oottenbet anberfeitg ber ©iennff bie Jbätigfeit and) nod) mittelbar,
burd) feinen ©inftup auf bag tbätige ‘^irineip. ©iefeg nöm(id) menbet
fidb, eben mcit eg in feiner 3t)ätigfeit ©iennf) finbet, mit größerer 9tnf-
merffamfeit berfelben gn, nnb oollgiebt fie mit intenfiuerer ©nergie. 3)ag
bat 2triftoteteg im 3tnge menn er (©tbif, 10, 5) fagt, ber ©einiK ber
fid) mit einer Jb^Ogleit uerbinbet, mnd)e bicfelbe intenfioer, inbef; er
gleii^geitig feber anberartigcn ‘ibütigfeit binbertid) fep" iTi).
©ebr bienlid) gn meiterer ©rftärnng, namenttidi beg erften biefer
gmei ©iebanfen, ift eine anbere ©teile. ®ie
nnb ber fid) an biefetbe anfcbliefgenbe ©ennfg, „finb nid)t atg gmei ©nter
gu betrachten, fonbern atg ein eingigeg. iKMe nämtid) bag Moment meld)eg
einem ©inge feine l'ollenbnng gibt, unb bicfeg ®ing felber, gnfammen
©ineg finb, inbem fie gnfammen eben bag ©ing in feiner '©oltenbnng
Stmor iinb tßft)d)e nun, lüclcbe nainentlid) ber 2Ienplatonifcr Jtpulcjuä in feinen
iPIetamorpbofen (1. 4. c. 28 — 1. 6. c. 24) erjäblt, ift bie fRebe non ber Seiuig
Uranin unb bcm it)r eiüfpred^cnbcn „tjimmlifdjcn" 3tmor: bn§ get)t an§ nerfebie:
benen ©teilen (5. ?3. 1. 4. c. 28. 30. ed. Bip. 90. 91) flar beroor. Sßenn e§ nüt=
bin nm ©d;tuB ber Grjäblnng (6, 24) beiflt: „Nascitnr Ulis filia, quam Vohipta-
tem nominamus“, fo fann unter biefem DInmen nur bie geiftige g-renbe, nidjt bie
niebere Suft oerftanben fepn. 3lncb gorccUini (Lexic. totins Latinit.) fagt oon ber
©Öttin Voluptas: „Narrant eam fuisse filiam Cupidinis prinü ex Psyche filia
Apollinis.“ Die Voluptas bereu (Sicero (de nat. deor. 2. e. 23) enoäbnt, ift
freilicb eine anbere. 31bcr roo finbet fid) in ben gabeln ber bcibnifd)en ÜRptbologie,
an benen fo Diele Seibenfdjaften nnb fo uiele ipb^^otafien bid)teten, Uebereinftimmnng
unb (Sonfeqnenj?
158
®ie imb bte ©ut^eit.
auämac^en: fo bilbet audj ber ©erniB mit ber J^ätigfeit jufammen bie
®ne 3;^ätigteit in i^rer iBoUenbung, (unb biefe ift bie (Blüdfeligfeit).
®enn, raie im jetjnten 33ud^e feiner (Stl^if Slriftoteieä lefirt, ber @enu^
ift bie 3}otIenbung ber £t)ätig!eit. ®ie fyrage aber, roa§ non biefen
Seiben man nm be§ 31nberen mitten ju beabfic^tigen tiabe, — ob man
nömli^ um ber ilptigfeit mitten ben @enuf^ fud^en fotte, ober umge=
te^rt, — biefe f^rage läfet ittriftoteleä an ber bejeicfineten Stette ungetöft.
®ie richtige ?Xntmort übrigen^ bürfte biefe fe^n, baf^ bie Sptigfeit bem
(^ennffe gegenüber ben bilbet. ®enn alte i'orgüge jmeiten ttiangeg
^ben feine anbere 33eftimmung, als biefe, bem ®inge moju fie gef)ören,
feine le^te iBottenbnng ju geben. '311111 ift aber ber @enuß ein ÜSorgug
biefer 21rt: er tritt jn ber iifiätigfeit t)injii, um berfelben i^re letzte
®ottenbung 311 geben, mie ber btüfienbe SluSfe^en i^re
let^e iKottenbnng gibt. Somit bilbet bie Sptigfeit ben
nuffeS" 172).
Siefe ©ebanfen, bei benen ber üttann aus Stagira fomo^t alS ber
Äircfientetjrer non 21quin ben ©enuf) gang alt gern ein im 21nge fmben,
fottten unS eine tiefere ©inficbt oermitteln in baS ißerfjattnif) jener gmei
inneren Vorgänge, biird) meldje fid) baS 2öefen ber inneren ©ut^eit unb
ber Sd)önfjeit beftimmt, baS 23ert)ü[tnif! ber eigenttidjen Siebe namüd)
unb beS an fie fi(^ anfd)tiefjenben ©enuffeS. llebertragen mir je|t bie
erbattenen Stnbeutnngen auf unferen ©egenftanb, fo ergibt ficb f^otgenbeS.
1. 255ie bie eigenttidie Siebe unb ber ©enufg, fo finb aucb bie innere
©uttjeit unb bie S(^onbeit nid)t jmei je für ficb abgefdjtoffene, fetbftäm
bige ®orgüge ber ®inge, fonbern ein einjiger.
2. ®er inneren ©utbeit geljt etmaS ab, folange fie blop ©egenftanb
ber Siebe ift, nnb nid)t auch beS ©ennffeS. '3fidit fo, atS ob i^r Söefen
aufgetjoben märe, mo jenes Se^tere febtt; aber fie befit^ o^ne baffelbe
nid)t bie gange i^r guftebenbe 'Xßottenbung. Üiämüd), maS bie innere
©utfjeit gnr Si^önfjeit mad)t, baS ift it)r gegenüber ungefäbr baS, raaS
an ber 9fofe ber iISot)tgernd) , nm ©olbe ber ©lang, am ^üngtinge baS
blüf)enbe '2(nsfeben nnb ber 93igor ber ifi-
3. ülur, menn fie atS Sdjönfjcit gebad)t mirb , erfcbeint bie innere
©ntfjeit in ihrer 2Sottenbung; mit anbefen SS^orten, nur in fofern, atS
fie einem oernünftigen ©eifte gegenüber gebadjt mirb, ber fie ftar er=
fennen, unb baburd) in if)r ©ennfg finben fann.
4. 2Sie ber ®uft ber 23lume megen ba ift, — bamit fie nämtid)
üottenbet feq in ihrer 2frt , — fo bie Sibbnheit um ber ©utheit mitten,
unb nidjt nmgetef)rt. ittiit anberen Söorten: ®ie SöeiSheit ©otteS täpt
mit ber Siebe beS an fich ©nten, menn baffetbe in feiner ©utheit ftar
erfannt mirb, beu ©enup fid) oerbinben eben um jener Siebe mitten.
3)er ©ennp ben er in ber Sd)önheit finbet, fott bem oernünftigen ©eifte
(?tne fpradjTOi)jenfc[jaftlid;e öeftätigimg imferer Se'^re.
159
ein 0poru fepn, fic^ bev Siebe bes nn fidj @uten jimunenben , iinb [idj
mit bemfelben, um e§ ganj unb nott jn fe^en, einget^enb 511 befd)tiftigen ;
ber @emtg jod überbie§ bcr Siebe gvögere Äraft, ftörfeve
federe Sauer unb feue ^'uergie geben, moburd) fie geeigneter ift, ba§ Sbun
ju leiten, unb auf ba§ gefammte Seben beftimmenben (?'inftnd ju üben.
§. 3.
fine ^Seftätigung «nfctcr ^nfrf;auungfn aus bcit jtoci cfafitffficn ^pratben
bes ^ftcrtljums.
Sie gvied)ild}e 0prnd;e bejcidjnct bcn 23egriff „cm fid) gut" fcl)r büiifig burd)
„xaX6?-‘, bie trtteiuild}c umgcfebrt ben ©egriff „fd_)ön" burd) honestus.
118. Sie innere Ünitijeit nnb bie Sc^onfjeit, fagten mir uorfier, finb
nicht jmei non einanber gefdjiebene, je für fid) felbftänbige (?'igenfd)aften
ber Singe, fonbern eine einzige; bie 0d)önljeit ift bie innere (Rüdheit felbft,
ober in itjrer Ü'üIIenbnng , nnb bie @ntt)eit ift nnnoUenbete 0d)önt)eit.
9tur, menn fie non foldten iUn-audfet^nngen ansging, fonntc bie gricd)ifche
0prad)e jiir iBejeidimmg be§ Segriffd „an fich gut" mit !i)orliebe bas
SSort gebrand)en, beffen erfte iBebentnng „fdjön" ift, nämtid) x.aXoc; nnb
nur auf @rnnb ber gteidien Ülnfdjannngen fonnte umgefehrt bie Sprache
Satinms it)ren eigentlichen "dnSbrucf für „fdiön", nämtid) pulcher, in
ber Steife mie fie c§ tt)at, burd) benfenigen nertreten taffen, ber jnnnchft
nnb eigentlid) ben 2.^egriff „an fid) gut" bejeid)net, burd) bad Söort
honestus nämtid).
119. Sie jnerft ermäbnte ^t)atfnd)e, baf) bie gried)ifd)C 0prad)e it)r
„xaXor- fel)r häufig anmenbet, um bcn 3.^egriff „an fid) gut" angju=
brücfen, nnb namentlid) jenen 3:1)^’'^ biefeä 23egriffed meld)er ba§ 5tttribut
bes 3.'Or5Üglid)ften unter altem „an fid) ®nten" bilbet, nämtid) ben 33e=
griff „ett)if(h gut", biefe Sl)fltf‘^d)e, fugen mir, ift attgcmein befannt i73).
@anj nnoerfennbnr bicfen leideren 0inn, nnb fcinedmegd bie Sebentnng
„fdjön", hat xa/.ov 3. 33, im fiebentcn .dnpitct be§ 33riefeS nn bie Üiömer,
roo cs nicht nur imttfommen fpnonpm mit nngemcnbet, fonbern
auäbrüdtidj and) bem „33öfen", xoexov. entgegengefeid mirb 174). 3tnbcre
IBeifpicte, fomoht and bem neuen Seftament alä ans ber nteranbrinifdjen
llebcrfehung bes alten, merben nn§ fpäter nod) begegnen. Sie gricd)ifd)en
Äird)em)äter gebrnuct)en xct/dc, mie Cd'eujer*) bcjeiugt, indgefnmmt ganj
in berfelben 2Seife. 23etege bie er anfüt)rt, mögen hifv ihi''^ Stelle
finben. Ser erfte ift bem heitigea ^ofiaanes uon Samafend entnommen,
meld)er „ben 33anm ber (Srfenntnif) bed Oniten nnb ixifen" im i|3arabiefe
') Ad Plotini libr. de pulcliritudine praeparatio, §. 4. pag. X. ((Eitirt 28.)
160 fprad^tt)ifienfdt)aftUd^e Seftätigung unferev Se^ve.
„TÖ trj? tou xaXou t£ xal xa/ou 'j-vwaeü)? $u^ov“ nennt. 3^
mevfnngen ju ben xE'faXsta Trapcaveiixot be§ l^eiügen tyiün§ aber ratrb bie
Sfteue, ober bie ©inneöänbernng (y-exavota) erflärt at§ „bte Umfe^r ooin
25ö[en juin @nten", ,,^1 «ttö xo5 xor/oS st; x6 xa>.öv
120. SBoIIfommen bie gteid)e Ueberjeugung non ber innigen ißer=
inanbtfd^aft ber 'Sc^önl^eit nnb inneren @nt!^eit tritt nnä in ber lateinifd^en
©prad^e entgegen; nur föinmt [ie, inie ft^on angebentet mürbe, in unt=
gefebrter 25teife jum 3tn§brucf, nnb erfd^eint eben baburd} ganj fetbftänbig,
nnb non bem gried^ifd)en @ebrand)e nnabl^ongig.
eigentlii^e 2©ort für „an fic^ gut'' ift honestus. ®enn nid^t
etma „etl^ifd) gut'' ober „fittlid^ gut" bebeutet biefer 2Iu§brnc£ gunüc^ft,
fonbern eben allgemein „an ficb gut", b. f). jene 33efd]affenl^eit , nermöge
bereu ein ®ing „fetbft nnb für fid) ben O'iegenftanb bed ©trebenä bit=
bet" 175), ober roie (Jicero fagt, nermöge bereu es „burdi) feinen eigenen
inneren 2Bertf) nufere Siebe in 3lnfprud^ nimmt, nnb nid)t burd) bie
iRücffidbt auf irgenb einen 33ort^eit ben eS nnS oermittein fonnte" i76).
®iefeS SiSort nun ^at bei ben iateinifi^en (Jiaffifern an groeiter ©teile
bie ®ebeutnng „fd)ön". ©o gebraut^t eS SSirgü non ber ©c^öniieit beS
iÖtenfc^en 177), unb non ber ©d)öut)eit ber f^'ttfbe on 'fJferben i78), (Sicero
non ber arc^itectonifdjen ©d)önl^eit 179) , foroie non ber oratorif^en i80),
(JorneiinS iüepoS, ©ueton nnb Vereng raieber non ber ©^önl^eit beS
Dienfc^en i8i).
Sefonbere 23eac^tung nerbienen nod) ginei Steufgerungen , non benen
bie eine fid) bei (Cicero, bie onbere bei ©t. 5inguftin finbet. „^i’^ei ebten
aiten 3tömern, bem & fyabriciuS unb bem 3)i. C^ornncaniuS, lü^t 6icero
ben greifen (?ato baS e^rennoile 3fi*9iiifi anSfteüen: ,,©ie raufgten, bafg
eS einen 3lbel gebe unb eine ©d)ön!^eit, meidie an fid) nnb b.urc^ fid)
feibft ber Siebe inürbig fet), auf roeidfe barum, mit notier i^intan=
fefeung ber Suft, febeS ebte @emüt^ fein ©innen rid)te" i82). biefen
'ffiorten ^ören mir Cicero aiS boS fpecififdge iSterfmai ber ©d^ön^eit
(pidchrum) genau baS uömtid^e anfüf)ren, burd) roeidf)eS er in einer ber
norl^er gegebene)! ©teilen baS Sßefen ber inneren \\i)) t'ii (honestum)
beftimmte: biefe mie jene (^aracterifirt fid) baburdj, bafg fie „burd^ ben
eigenen inneren 2Serti) nufere Siebe in 3lufpruci) nimmt", ober „an fid)
unb bnr^ fid^ fetbft ber Siebe tnürbig ift" *). Cine groeite ©teile rnodten
mir nuS bem beiügen 3tngnftin bringen. „5liieS rechte 2}erfahren", hcifei
es in beffen ©chrift „83 nerfd)iebene fvragen", „aüeS rechte Verfahren,
baS man and) Jngenb nennt, beftei)t barin, bajg tnir @enu^ finben in
beut inaS ©egenftanb beS CCnuffeS fepu foii, unb baS gebraudhen raaS
gnm @ebrand)c gegeben ift. @egenftanb beS @enuffeS foU aber baS an
*) 3)tan uergleid)e bte Slnmcrtiingen n. 182 unb 176.
®ie ©c^ön^eit al§ iranfccnbcntalbegriff.
161
ficfi @ute fet)u, jum ©etiraudje bagegen bnsienige bienen, ina§ feiner
üiatnr nadj Wittel für ein 51nbere§ ift. Unter ber ,inneren
f)eit‘ nerfte^e id) !^ier bie Sd)önljcit, roelcfie nur bie ißernitnft
erfennt" 183), i)tod) unmittelbarer, afö in ber norbergefjenben ©teile
Cicero, läßt ©t. Slngnftin ^ier bie 3tnfd}annng liernortreten roeld]e mir
anSgefprodjen liaben, ba^ nämlid) bie ©diönbeit nnb bie @utt)eit nidit
jraei fe für fid) beftel)enbe, non einanber nnabljängige 3Sorjüge, baß fie
nieline^r innig nerroanbt, nnb ber ©ad)e nad) gerabejn @ine§ nnb bn§=
felbe finb.
§. 4.
pic |»(fjön^dt ttfö %vanfcent>cntaf6cgriff.
I.
2Uteö ©eijcnbe ift fdjön. ©ie ©djöubeit muß mitl}iu alg 'itvanfcenbcutatbcgviff
gelten; inbeß bie 3Jtctapl)i)fif l)nt fie barum feineämegö, neben ber ®ut;
beit, unter ben Xranfcenbentalbegriffen auöbvüdlid} jn nennen. 2Seld)e
bie (ätemente ber ©cbönbeit fepen. ©iefe Hepteren bei 31riftotelcö nnb
2;bomn€ Don 31qnin.
131. „3llle§ ®ntc ift fdjöiü'', laßt iplato ben ©imäns fagen, in fenem
©ialoge ber non biefem ben 3iamen bfil gleid)en Ueberjengnng
gibt ifJlato im „®aftmal)le" 3(nsbrncf, inbem ©ocrateö bem 3lgntl}0 bie
f^rage fteClt; „Wcinft bit nid)t, baß ba§ ®nte immer and) fd)ön ift?" i85)
©enn ©ocrateg ermartet auf feine fine befnbenbe 3tntroort, nnb
2lgatl)o ftimmt il)m mirllid) bei. Unb bie nämlidfe ^et)rc bifÜ bie ©ton
feft: nad) 21ntiftl)ene§, )i)ie' ©iogenes non Üaerte berid)tet, ift „aUeä ®nte
fcbön, nnb alles ©d)led)te bnßtid)" iso). noller llebereinftimmung
enblid) mit ber focratifd)en 3©eiSbeit lebrt 33a)ilinS ber @roße: ,,©ic
Siebe beS Wenfd)e)i rid)tet fid) naturgemäß auf baS ©d)öne.
üintnr nad) fdfön nnb tiebenS)uürbig ift aber bie ©lUljeit" i87).
3hir bie uier 3engniffe bie mir l)ier aufgcfübrt haben, fi)tb nnS nod)
neu, nid)t and) ber ®ebn)ife ben fie enthalten, ©enn baß „alleS @ute
f(hön ift", baS ift offenbar eine f^olgerung bie fid) aiiS allem fyrüheren,
unb inSbefonbere nuS nuferer ©efinition ber ©djönhcit (3c\ 10!) — 111)
non felbft ergibt. 9lUr l)fben ben (^)ebanfen l)iff nur beßhalb hernor,
um bamit einen anberen ©nt? ber Wetaphnfif jn nerbinben, nnb bann
aus beiben einen ©thlnß jn jiehen. „2111eS ©enenbe ift gut" i88), fo
lautet biefer jroeite ©aß; berfelbe ift eineni 3f*^fn geläufig, bem bie
Wctaphßfif nicht fremb ift. 31uS beiben ;^nfnmmen aber ergibt fid) mit
ütothmenbigteit ber ©djlnß: „fvolglid) ift alleS ©epenbe fd)ön".
©ber roenn )uir nnS ber ÜSorte beS „31reopagiten" bcbienen inoUen;
3iingmann, 2. JCtifC. 11
162
®ie ©d;ön^eit a(§ Sranfcenbcntalbegriff.
„®ie @ut^eit unb bte ©djön^ett i[t" (objectiü uub ber ©ac^e nai^)
„(SineS unb baffelbe; beim bte ©ct)önf)eit unb bte ®utf)eit i[t unter jeber
ber ©egenftanb be§ ©trebenä; unb eg gibt nic^tg unter
2ntem mag ift, bag ber ©c^önl^eit uub @ut^eit nic^t t!^eU;
l^aftig ntüre" i89).
"^■ügeu roir bteietn Seroeife uod^ einen jroeiten ^inju, ber fid) auf
bie Sel^re beg l^eiligeu 3Lt)otnag, unb auf bie brüte ber non uug gegebenen
©efinitioueu grünbet. ^ebeg Söefen fte^t, infoferu eg ift, mit ber SKefen=
beit ©otteg in tbatfäd)litber llebereinfiiiniuuttg 190) ; uub jebeg 2öefeu bilbet,
eben auf ©runb biefer Uebereinftimmung, für ©ott einen ©egenftanb ber
^reube, unb jroar ber ^reube aug eigeutUd^er iedebe i9i). 9iun ift aber
bie ©d)önbeit ber ©iiige uid)tg 2Inbereg, atg „bereu Uebereinftimmung
mit bem uernünftigen ©eifte, infofern fie burt^ biefe bemfetben ©egenftanb
beg ©euiiffeg aug eigentlid)er Siebe ju fepn fid) eignen (lll. ©. 150).
fS'Olglid) mufe jebein 5Befen, infoferu eg ift, ©(bönbeit jugefprodben raerben.
fOiau mag eg uidbt gerabe atg eine 23eftätigung unferer 3tnfd)auungen
betradjten, eg ift jebenfaüg eine intereffaute a»(b ttad)
©dteltingg if^bilofopbie bie ©d)önbeit ein 3lttribut atteg ©enenbeu bitbet*).
122. ,,'Jranfcenbentatbegriffe" nennt bie 3Jietapbpfif befaunttidb bie=
ienigen, „metd)e unter feinen ©attunggbegriff fotlen"**), infoferu fie
2tttribute ibreg ©rägerg augbrüden metd)e lüditg meiter ooraugfeben,
atg einfacb bag btoBe ©epii, unb bariiin notbiuenbig in jebem ©epenbeu
ficb finben 192). ©otd)e 23egriffe pftegt biefetbe, nuBer jenem beg ©epng
fetbft, fünf aufjufübren; jebeg ©epenbe, tebrt fie, ift ein ®iug, ift
©in eg, ift ©traag, ift roabr, ift gut i93). 3ff bem eben ©efagten
jufotge nttcb „jebeg ©eijenbe fd)öu", fo gehört offenbar and; bie ©ibön;
beit 5U beu ©raufcenbentatbegriffeu.
©ajj bie ipbiioffPps i'iüer beiifetbeu nid)t augbrücftid) 31t nenueti
pftegt, ift gau3 uatürlid). SBir bdben ja früber (117. 1.3. ©. 158)
aug ber Sebre beg b^fffS^n ©b^'^ag bie fyotgerung gejogeu, baB bie
©djöubeit uub bie ©utbeit nid)t jroei felbftänbige, je für fid) abgefcbloffene
©igeuftbaften ber ®inge finb, fonbern eine einzige; ba^ bie innere ©utbeit
mir bann in ihrer ‘i'otleubung erfdjeint, roenu fie atg ©cböubeit gebacbt
mirb. ©g ift fomit bie ©cböubeit in ber ©utbeit entbalten; unb foraie
fie mit biefer gefegt ift, fo muB fie aud) atg mit berfelben genannt gelten.
Ueberbieg faben mir (116. ©. 156), baf) bie ©iutbeit unb bie ©cbönbeit
ju einanber in anntogem Üferbüttniffe fteben, roie bie Siebe unb ber ©enuB-
©inb biefe jmei pfp^ifdien üforgäuge Sibütigfeiten ©ineg unb beffelben
il^ermögeng, uämtid) ber ftrebenben Jlraft beg uernünftigeu ©eifteg, bann
*) i^gt. Sope, S. 137—139. (6it. 18.)
**) (ideae) „quae transcendimt omne genus“.
®ie ©femente ber ©c^ön^eit.
163
fann jene 33ejdjaffenl}eit bes ©enenben, nermöge bereu es für benfelben
(^^egenftanb beS ©etniffeS ift, neben berjenigen burd) roeld)e e§ fein 33er;
langen ober feine Siebe in 3lnfprucb nimmt, feinesroegS nod^ alS befom
bereS, eigenartiges 21ttribnt unter ben S;ranfcenbentalbegriffen aufgefü^rt
merben. 9hir jene 99tetnpljpfif mürbe fii^ Ijierjn, raie beredjtigt, fo auc^
genött)igt feigen, roeldje ben ber neueren ^j3fp(bologie nboptirt,
unb fic^ geroöl^nt l;ätte, für ben ©ennf^ ober bie Snft ein eigenes, oon
bem bes 0treben§ oerfdjiebeneS 33cr mögen jn poftnliren, boS bentfcbe
„©efübtSoermögen".
123. SS3eld)e bie (F’ 1 erneute ber ©i^önljeit fepen, b. Ij. bie (tigern
fünften, ober bie 33or;^üge, bnrd) melcbe bie ®inge f(^ön finb, bas ergibt
fi^ auS ben bisher feftgeftellten SBahrheiten oon felbft. ®ie (Elemente
ber Sd)önbeit finb ja^lloS nnb mannid)faltig : beim olle 33orjüge meli^e
einem ®inge innere ©utheit oerleiben, ober anbers, alle ©igenfdjaften,
bnrd) loeldie ein ®ing bem oernünftigen ©eifte gegenüber im 33erbältniffe
ber thatfädjtid)en Uebereinftimmnng mit bemfelben fteljen fnnn, finb offen;
bar auch nts ©lemente ber ©d)önl)eit ^n betrad}ten. ®a mir bie ©lemente
ber inneren ©intbeit fdjon im jmeiten 2[bfd)nitt (43. ©. 67) nnfgefülirt
haben, fo ift es nnnötbig, biefelben hier, ols ©lemente ber ©diönljeit, ju
mieberbolen.
21riftoteleS nnb ©bomas oon 91quin berühren bie j\rage nndj ben
©lementen ber ©d)önheit nur gelegenttid); barum ift es erflärlid), menn
fie nidjt bnranf bebad)t finb, biefelben immer erfd)öpfenb anjugeben: fie
nennen in jebem jyalle nur biejenigen, melcb^ gerabe ihrem 3roecfe bienen.
Unb bie 91nsbrüde meldje fie anmenben, bejeidpten 23egriffe bie fid)
ncicbft auf bie ©cbönbeit förperlidfer ©inge bejieben. 21m meiften 23e;
ad)tung, maS 2lriftoteleS betrifft, bürfte eine ©teile feiner 927etapbpfif
oerbienen: ,,©ie oorjüglid)ften ©lemente ber ©(^onbeit finb bie ©rb;
nung, bie ©pmmetrie, nnb bie 23eftimmtbeit" 194). ©bontas oon
21quin aber fagt ©inmal, „bie ©d)önl)eit beftebe in ber ridjtigen 33er;
bültni^mäbigf eit" 195), ober in ber ©qmmetrie. 33ei einer anberen
©elegenbeit lehrt er alfo: „3ur ©djönbeit finb brei ©tüde nothmenbig.
©rftenS ©anjbeil ober 33ollftänbigteit , (beim menn oon einem ®inge
etmaS meggenommen ift, fo ift eS fd)on babnrd) böfilid); ) jmeitenS ridjtige
33erböltnibmä6igfeit ober ©nmmetrie; brittenS flare ©iditbar;
feit; mie man ja, menn ein ©ing eine lidjte jvovbe bat, eS ,fd)ön‘
finbet" 196). 3ii feiner ©rUnrung enblicb ber ©djrift „lieber bie Dlainen
©otteS" nennt ©bomaS, im 21nfdilnffe on ben 33erfaffer berfelben, mir
bie jmei lebten oon ben brei eben ermübnten 33orjügen, nämlid) bie
„©pmmetrie" unb bie „flare ©idbtbarfeit" 197).
©ie in biefen ©teilen gebraudjten 2(u§brüde hoben eine feljr unt;
faffenbe i^ebeutung, mie fich namentlid) anS ben jmei suletit angeführten
11*
164
®ie ©d^önl^eit ift roefentlid^ ein retatineS Stttribut ber ®inge,
©teilen ergibt, n)enn man [ie im 3ufflntmen^ange lieft. Unb roer fid^
bie geben rcoUte, bem bürfte e§ nnfdircer gelingen, biefelben auf
jene brei jurücfjufü^ren, raelc^e Jfiomaä anberSroo al§ bie (Elemente ber
©utljeit bejei^net, „i)JJaüjf, f^orm, unb Orbnung" 198).
II.
2Befeit ber ©d)ön^cit fann nirf)t burcf) eine „abfolute" Definition au§;
gebrinft roerben, meil bie ©cbön^eit raefentli(b ein „refatioeS" Slttribut
ber Dinge ift. Darou§ folgt inbe^ teine§n)eg§, ba§ fie etroa§ ,,©ub;
jcctioes" fei), ^ine anfc^einenbe @d)n)ierigfeit au§ ©t. 2Iuguftin. ilte;
flej'ionen nod) ^ermann Jobe.
124. 3l(§ „(Sigenfdiaften burd^ rceld)e bie Dinge fi^ön fet)en^\ l^aben
mir im 2Infange ber leisten Stummer bie (S'Iemente bejei(^net, roeld^e mir
bort beftimmen raollten. (5ine ganj irrige 2Infd)auung märe e§ aber,
roenn jemanb glauben raoUte, allein burd) jene (Sigenfc^aften, ober burd)
bie SSerbinbnng non 'Dorjügen, rceld)e unter einem ^ö^eren ®efid)t§punfte
bie roefentlid)eren berfelben gnfammenfa^te, ba§ 2Befen ber ©d)ön^eit be=
ftimmen unb augbrüden gu fönnen. (Sine irrige Stnfc^auung, roid id)
fagen, mürbe e§ fenn, roenn man etroa bie Definition anfftellte: „Die
©c^ön^eit ift bie 2]erl)ältnif3mä^igfeit ober ©pmmetrie, oerbunben mit
ber iloHftänbigfeit unb ber flaren ©idjtbarfeit", nnb glaubte, bamit
etroag geleiftet ju ^aben, — roeil biefe Definition bod) eine „abfolnte"
fei) unb nic^t eine „relatioe", b. ni(^t eine fold^e, nad) roelc^er bie
©d)öni^eit ber Dinge oon einer 2?e5iel)ung biefer Vetiteren jum oernünf=
tigen ®eifte ab^öngig erf^eint. Die ©c^önl)eit ift eben roefentlid) ein
relatioeg 3Ittribut ber Dinge; barum roirb eine Definition roeld;e fie
als ein abfoluteä barftellt, immer falfd) fei)ii.
STür !^aben oorfier nadigeroiefen , baf) bie ©c^ön^^eit p ben Dran=
fcenbentalbegriffen gehört. 9hin gibt eg aber, neben bem ©epn felber,
nur jroei 3tttribute beg ©epenben roetdje abfolut finb, unb barum, außer
jenem, nur jroei abfolute Dranfcenbentalbegriffe, bie ber ^^ea^ität nümlid;
nnb ber ®in!^eit. Die übrigen brei („ctroag“, „roafir'', „gut") finb
relatioe Ü3egriffc. Unb mag ingbefonbere bie jroei lebten berfelben, ben
ißegriff ber SBa^r^eit unb ben ber ©utl^eit betrifft, fo finb bie if)nen
entfpred)enben jroei 'Attribute bem ©epenben nur eigen, infofern eg ben
Dbütigf'eiten beg pernünftigen ®eifteg gegenüber gebadjt roirb 199). ®g
gibt aber nur jroei befonbere 91rten non 3:I)ätigf eiten beg pernünftigen
®eifteg, 511 roeicben alleg ©epenbe in 33ejiel)ung treten fann, ®rfennen
nnb ©treben; nnb ebenfo gibt eg nur jroei iBermögen, jn roeldien eg
fi(b in 53ejiel)ung benfen läßt, bag ©rfenntnißpermögen unb bag ©trebe=
permögen, ©injig unb allein auf ©ruub feiner 23ejief)nng aifo je
aber teine§roeg§ barum etma§ ©ubjectiocg.
165
ju einem biefev jroei ilermögen, (ober bev iljnen entfpvec^enben 51cte,)
befiel ba§ ©epenbe 25>al^v^eit unb ©ut^eit; iinb mer eine viii^tige ®efi=
nition biefer ^roei 3(ttvibnte geben mill, bev mn^ notl^roenbig ben
brucf biefer 23ejie!^img in biefelbe aufne^men 200). i^ollfommen bnfidbe
gilt aber non ber ©(^önljeit: beim bng fie mit ber S5>af)r^eit nnb ber
@utt)eit anf (5’iner Sinie ftelit, ba§ bebarf nn biefer ©teile raobl nicht
mehr be§ 9lad)meife§. ©ie ift bem ©epenben mir eigen, infofern bnffelbe
in Sejiehung gebadft roirb jn einer beftimmten ©trebethätigfeit be§ üer=
nünftigen @eifte§ , nämlidf jiim „(Menuft fiu§ eigentlicher Siebe'' : eine
riclitige Definition ber ©chönheit mnfi mithin nothirenbig biefe 3?e,5iehnng
ansbrncfen*').
135. ©oll alfo bie ©cl}önheit nid}t ein obfectioer ^Ilorjng ber Dinge
fepn, fonbern etionä ©nbiectioes? — ^ene belehrten melclje nn§ uor
fahren biefe (^‘imuenbung machten, oermedifelten, fo fd}eint nn§, jroei
^Begriffe, „dbfolut" nnb „obfectio", „relatin" nnb „fnbjectin", finb fa
nidit je baffelbe. §reilid) ift bie ©d)önheit nicht eine innere ©e^nng
bes ©nbjects, nid)t ein 5lct ober eine ''dffection bc§ nernnnftigen @eifte§;
freilii^ ift unb befteht bie Sefdjaffenheit, nermöge bereu ein Ding fid) in
thotfäd)lid)er llebereinftimmnng mit bem oernünftigen d^eifte befinbet, unb
in fyolge beffen für ihn ber dniinb talteotogifdjen (fiennffeS roirb, aufiers
halb be§ ®eifte§, unabhängig oon ilfm, unb in bem Dinge felber; freilich
hat fogar bie gefammte ©d)önheit ber forperlidien ®elt ihren 2?eftanb unb
ihre Dolle objectioe 3ßirflid)feit, unabhängig, nidjt nur oon feber einjelnen
enblid)en Dernnnft, fonbern and) oon ber (^lefammtheit aller enblichen
©elfter. 5lber in ber allerbingä toiberfinnigen iBoranSfetiung, bie förper=
lid)e 2Belt loäre ba loie fie ift, aber olfne einen @ott, bag h^M'd dlfo,
ohne ircgenb loeldfen oernünftigen ©eift, ber fie fd)auen, il)re Uebereim
ftimmung mit ihm felber loahrnehmen, unb barnm fii^ ihrer freuen tonnte :
in biefer iBorangfepung mürbe ganj gemift, raie oon feiner 2Bahrl)eit nnb
feiner ©utheit, fo and) oon feiner ©dmnheit berfelben mehr bie Diebe
fepn fönnen 2on. Sllfo ein obfectioer i'orjug ber Dinge ift bie ©dmnheit
ohne relatioer 'Borjng, unb nidü ein abfolnter,
b. h- nicht ein foldier, ber ihnen unabhängig oon irgenb meld)em oer;
nünftigen ©elfte, genauer, anper aller 53ejiehung 511 einem ©oldjcn, eigen
fepn fönnte.
DJian hnt gegen biefe Sehre, mie biefelbe fd)on in ber erften Dluflnge
biefe§ 33u(he§ enthalten mar, ein Söort ©t. 2Inguftin§ geltenb machen
loollen. „üßenn id)", fo fdhreibt nämlid) biefer Alirdienlehrer, „menn id)
einem DDianne ber ba§ Dinge be§ ©eifte§ offen hnt? ^'e fy^age ftelle, ob
*) 2lu§führticher finbet fid) ber hi^r gegebene SeroeiS in meiner ülbhnnbiung
„®a§ ©emüth . . Df. 26. 32. ©. 66 ff. 86 f.
166
®ie ©d^önl|cit ijl rocfentlid^ ein relatineS SIttribiit ber ®inge,
ba§ roa§ fc^on ijt, barum fd^ön fer), raeil e§ un§ gefällt, ober ob e§
oielmel^r barum un§ gefalle, roeil e§ fdt)ön ift: fo rairb er mir ganj
gerct^ antraorten, e§ gefalle un§, roeil e§ fc^ön ift" 202). 2Ber
biefe 2Borte für fic^ iu§ 21uge fa^t, ber fann fie freilief) miperftefien,
uub barauS folgern rooUen, nai^ bem I^eiligen Sluguftin fetj bie ©c^öu^eit
feinegroegg eine relatioe ©igenfe^aft ber ®inge, fonbern eine abfolute.
Sieft man aber bie ©teile im 3ufcnnm'en^ange, fo erfennt man fofort,
ba§ Slnguftin genau jene iß>a^r!^eit feftfiielt, bie roir eben naci^ bem
l^eiligen Sfiomag auSgefproc^en ^aben. 33 on uns, roill nämlicf) ©t. 21u=
guftin fagen, oon ber en blieben 33ernnnft, erfebeint bie ©eljönbeit ber
®inge offenbar oollfommen unabbängig. 5)enn bie Üformen unb bie @e=
fe^e, naeb benen roir bie ©(^önbeit beurtbeilen unb anerfennen, ftammen
nidbt üon un§; fie finb etroaä .^oberes alä roir; beim fie finb unoer=
änberli(b unb bleibenb, inbep nnfer ®enfen bem ^i^rtbum, mitbin ber
Slenbernng unterroorfen ift. i^olglitb mup e§ eine böcbfte 3Sernunft
geben, eine unneränberliebe , roelcbe ben @runb unb ba§ fJERaafe
aller ©cbönbeit bilbet: unb biefe bö<bfte 23ernunft ift ®ott, ber
llrfprnng atleS f?eben§ unb alle§ ©epn§, roic er ber Urfprung aller
redbten ^-rfenntnif! ift ,203). ^ef) [benfe, ein folcbeS ^^ugniß fpriebt ni(bt
gegen unfere 31nffaffung, fonbern e§ beftätigt biefelbe.
126. (Einige febr treffenbe Jteflerionen über bie julet^t bebanbelte
j^roge finben roir in ber „©efdjicbte ber Sleftbetif in ®eutfcblanb" ; unb
roir rooUen um fo roeniger unterlaffen, biefelben, mit einigen Slenberungen,
hier roieberjugeben , alg ber 33erfaffer biefer „©efebiebte" ju ben norjüg;
lidjeren unter ben 35ertretern jener SiUffenfcbaft gehört, roelcbe leiber no^
immer glaubt, ber 25>iffeufcbaft be§ ilRittelalterg roo nicht feinbfelig, boeb
fremb gegenüberfteben gu müffen. 2Bir febiefen nur bie 33emerfung oorau§,
baf3 ?ot3e bei biefeu 3teflerionen allein bie ©cbönbeit ber förperlicben Sßelt
im 31uge bat.
®er genannte ©elebrte erflärt fidb jnnäcbft einoerftanben mit bem
©atje; „25>enn au^ bas 3S>oblgefalIen an bem febönen ©egenftanbe nur
bie barmouifebe ^Ibätigfeit unfereS ^nnern ift, ber ©runb ber biefe 5;bätig=
feit anregt, liegt boeb in bem ©egenftanbe felbft." 91ber, fährt er fort,
man bat roobl nicht baS Dftecbt, biusajufügen, biefer ©runb liege in bem
©egenftanbe allein, nicht in nn§. ©r liegt oielmebr einjig barin, baß
bie ®inge unb roir juf am men paffen. ©§ gibt feine ©^önbeit
als folcbe, außer burd) ba§ ©efübl bes ©eifte§ ber fie genießt unb be=
rounbert; aber bie ®iuge fiub fo eingerichtet, unb ihr ^afammenbang
ift fo egeorbnet, baß fie in bem oernünftigen ©eifte jene 21rt ber 33e;
roegung oeranlaffen fönnen, in roelcber ihm jener ©enufe ju S^beil tüirb^
unb bie Swinge ©egenftanb feiner Serounberung roerben.
Jf>er ängftlicb barnad) ftrebt, eine außer un§ fepenbe ©cbönbeit na^=
aber feineeroegg bariim etroag ©ubjecticcg.
167
jurocifen , bte wir al§ fd}on beftc^enb nur ina^rne^mcn , oljiie fie bnrd)
unfer Sßa^tne^inen ju erzeugen, ber ^ulbigt bem geroö^nlid)cn 3Sorurt§eiIe,
nad) roe(d)cm bte eigentliche iföelt nur in ben Gingen befielt bie nid)t
@eift finb, ber @ei[t aber bloß at§ eine ^alb tnüiuge ^injufömmt,
^öc^fteng beitimmt, ben and) ol)ne i^n fertigen unb Dollftänbigcn 3:l)at=
beftanb ber Sßirflic^feit in ©cbanfen nod] einmal abjubilben. Unter
fold^er ®orangfel3ung freilid^ mürbe bie 0d)önl)eit roenig Uöcrt!^ l)aben,
fie mürbe felbft nur ein ©djein fegit, menn fie nidit au[terl}alb be§
©eifteg, unb benor er bie it>elt abbilbet, in biefer uollftünbig nlg 0d)ön=
!^eit üorl)anben märe, — ein möglicher ©egenftanb einftigen (^umuffeg
für ung, aber fcinegmegg , nm gan^ jn fegn mag fie ift, nuferer üöaljr;
ue^innng bebürftig. 31ber ber ©ei ft ift nid)t ein 3ln bangfei
einer mabvbaft fei)enben nngei lügen 2ßelt; er ift nid)t ein
©piegel, beffen SSertl) in ber i'ortrefflicI)feit beftänbe, momit er bie einzig
tbcnre Sßirflidifeit eineg ©efd)ebeng unb ^afepiig abbilbete, bng uidjtg
non fid) felbft b‘^ü 'uc'il eg fid) nid)t meift nnb nicbt geniefü: foubern
bie ©eiftermelt ift ber mefentlid)ftc ißeftanbtb eil beg Uni=
Dcrfnm, unb bie Xbatfndie baf; fie bie 2®irflid}feit auffafft, ober bag
©rfd)eiueu ber i'ßirflid)feit für fie, ift ber mefeutlid)fte ‘Jbeil nlteg ©e=
fd)ef)eng, obue ben ber Sffieltlauf nicht fertig, nid)t in fid) felbft abge=
fdiloffen fenii mürbe. 2ßer mit biefer 2Bal)rl)eit fid) burd)briugt, mirb
nor 5111cm nid)t mcl)r barüber flogen, baf; bie 'id)önl)cit nur bnrd) bag
fubfectinc ©cfül)l beg ©cifteg il)r nolleg Tafcnu habe. .
,}reilid), bag ©cfübl ber ©d)bnt)cit mill bemunberu fouuen mag nid)t
mir felbft finb. 5lber biefem iBebürfniffe fel)lt fcinegmegg feine 53efrie=
bigung btrrnm, meil erft bnrd) nnfere 51uffaffnng jur 0d)önf)cit mirb,
mag ohne bicfc unb für fid) nur eine fallcologifd) *) bebeutnngglofc 33e=
fd)nffenheit ift. ®er ein.^elne fd)öne ©egenftanb allerbingg büfet jncrft
ein, menn eine ihm felbft glcid)gültige 5?cfd)affcnl)cit blog bnrd) jufölligeg
3ufammentreffcn mit einer 5tuffaffuuggfraft für meld)e fie angcmeffeu ift,
il)u nur für ben auffaffeuben ©eift fd)öu crfd)eineu läf;t. 51ber baf) bie
äßirtlidhfcit im ©roftcu baju angethau ift, ein fold)eg 3i>i‘'^»"i't'iüi'effen
möglich Jii machen; baf) bag ©efüge ber anf)er ihm feneuben SBelt ber
©mpfänglid)feit bes ©eifleg cntfpricht; baf) bie i>crfnüpfnntgen ber ®inge
in fyormen gefd)chcu unb gefd)eheii fönnen, bereit ©inbrnd bie i'ermögen
ber 0eele jn l)arntonifd)cr Ihätigfcit anregt; bi cf cg ganje fvüreiit=
auberfepn noit Iförpcrmclt unb ©eift ift bie grope ih^^lfode,
bie mir im ©cfühle ber 3d)önheit geniepen, eine Xhatfad)c ber allgemeinen
*) „'llefthetiid)", fidpt e§ bei öope. 3d) halU’ e§ aber für gegrünbet, loenu
e§ Dorjiehe, biefeg SSort nur ba 511 gebrauchen, roo uou 'Ißerfeu ber jehöueu
Äünfte bie diebe ift.
168
©c^roierigfeiten imb Stufflärungen.
SBeltovbnuug , bie ben objectioen ©egenftanb unferer ißerounberung unb
uiiferev falfeologifc^en Su[t bilbet* **)).
§. 5.
|i(ftt»terigßcUcn «nb jUtifftforungett. |»U
®er @ab, „31He§ @ei)enbe ift fd)ön", ift in analoger SBeife ju nehmen, mie
bie £ebre ber 9}letapbi)fif , nach roelcher „at(e§ ©epenbe gut" ift. @^ön
finbcn mivb man ein ®ing nur bann, menn man feine innere ©utheit
ftar erfennt. 5)aß ein ©egenftanb nictjt als fchön anerfannt rcirb, ba§
bat ni^t fetten feinen ©runb in einer iöegriffäüenoecbfelung , ober auch
in einer Uebereitung be§ Urtbeit§. Uebrigenä b^ifei ber @ab , „31[(e
®inge finb fcijön", feine§roeg§ fooiet at§, „3ttle ®inge befi^en üoU;
enbete ©cbönbeit". „©dblecbtbinige" unb „rüdfi(^tticbe" ©cbönbeit- ®ie
fbäglidjfeit ift ganj anatog aufjufaffen mie bie ©djtecbtigfeit ; Definition
ber ©rfteren in brei ff-ormeln. 3ebe§ „nid)t fd)ted}tbin ©d)öne" ift
gleid) iiiib jebeg §äfelid)e ift jugteid) „rüdficbtlid) fd)ön". iße^
ftätigung biefer ©ebanfen bnrcb bie iiebre ©t. 3tuguftinö.
127. Die g-olgerung roel^e mir in ber erften iJhimmer be§ letzten
ifoarngrapben (©. 161) auä ben bi§ babin getnonnenen flfefultaten jogen,
bann mond^en Sefer einigermaf3en überrafdjt haben. „211Ie§ ©epenbe, ober
aüe Dinge finb fcbön", lautete biefelbe. ©teilt biefe iPebanptung nicht
in STnberfprm^ mit ber allgemeinen lleberjengung? gibt e§ benn nichts
lf)äfeli(^eS? ift alfo ein alter bürrer einöugiger bünnbebaarter lenbenlabmer
©aut au^ fcbön'? Sroeiten 33ncbe ber ^lias erjäblt Ipomer;
31Cte§ fa§ nun ruhig, unb hielt bie gereibeten ©ibe;
9htr iberfiteS allein nod) frächjt’ unmäjfig ©efdjroäb her:
Deffen ,i;)erj mit nieten unb tböricbten ©orten erfüllt mar,
^nuner nerfebrt, nicht ber Orbnung gemäfe, mit ben fyürften ^u babern,
©so ihm nur etmaS erfd)ien, ba§ läd)erlii^ nor ben 3lrgeiem
©üre. Der büftlidifte 9Jlann nor fjlioS mar er gefommen:
©d)ielenb mar er, unb lahm am anberen ffinf!; iinö bie ©cbuttern
Döderig, gegen bie ©ruft ihm geengt, unb oben erl)ub ficb
©pite fein §aupt, auf ber ©d)eitet mit bünnlid)er ©olle befüet'^’^).
©ollen etma folche fDfif^geftalten auch als ©cbönbeiten gelten? Unb ferner:
menn Stiles fd)ön ift, bann muff alfo audh ba§ erfte befte ©tüd i^olj,
auch ein unförmlicher ^liefet für fdön erllärt merben. Unb baS ^ameel,
bie itröte, bie gefräßige fRaupe, ber lüfterne ifßanian, ber tröge jtneifingrige
Sli, follen baS lauter fd)öne, liebenSinürbige Dbierdten fepn?
*) 31011) Sopc, ®. 66 f. ((äitirt 18.)
**) §omer, ^tiaS 2, 211 ff. (31ad^ 33ofi.)
©djiDierigfehen imb 9iiiff(anmgen.
169
2öiv fönuten auf fold)e f^vageu mit parallelen fragen bie 31ntmort
geben. ift ein 0at^ ber 'f3l)ilofopl)ie, nnb fein 'OJfetapbpfifev sroeifelt
baran, baf^ alle ®ingc gut finb. Älingt etran ba§ bem 91icl)tpbilofop^en
nidft and) pnvabop? Hub gibt eg bnrnin nid)tg bas fd)le(^t mcire? läugnet
man bavnm bie 25>irflid)feit beg Uebelg? ift bnmit beljauptet, baft mir
gegen ben evften beften ®ad)jiegel, gegen febe f^lebevmang, eigentlidbe Siebe
fiegen, roeld)e bo(^ bie innere @ntl)eit il)rer 91atnr nacb in Slnfprud)
nimmt? — 3lbcr mir müffen eg freilidi alg nufere 31nfgabe betrad)ten,
0d)roierigfeiten nid)t fnrj jnrüdjnmeifen, fonbern gn löfen, nnb babnrd)
bie Älarbeit ber ©efammtanffaffnng jnr iHtllenbnng jn bringen.
128. 3Sag alfo jnnädjft ben ibiefel nnb bng 0tnd .'polj betrifft,
an benen man feine 0c^önl]cit finben fann, fo haben mir fa nidit gefagt,
baf3 mir befdjriinfte, an bie 0inne gebnnbene ?01enfd)en in febem ®inge
0d)ünheit finben, fonbern bap febeg 0)ing fdmn ift, b. h- baf^ febeg
®ing innere (fnitbeit befit^t, nnb babnrd) bem uerniinftigen ©eifte ber
eg flar erfennt, ©rnnb ber fvvenbe mirb. 2Bir nehmen fo oin^h bie
förperlidfen Swinge nur ber iinfieren ©rfcheinnng und) mahn bag SBcfen,
ber Präger ber ©rfd)einung , ber ©rnnb ber ©igenfd)aften , entjieht fid)
nuferer unmittelbaren 21nfd)annng. .s^at bie ,*oanb beg 0d)bpferg 31tleg
gebilbet „nad; ©emid)t nnb t)3iaaf) nnb 3oht“/ ^onn finben fid) ©emid)t
nnb 9i)iaaf; nnb 3oW/ iDal)re ©lemente ber 0d)5nl)eit, and) im Ätefel
nnb im Älolse; nnb gleid)mie eben barnm ber S>err felbft nad) ben
ili'orten ber 0d)rift „fid) freuet aüer feiner 3Berfe'' *), fo fann er febem
©eifte nerleil)cn, bie nerborgenen 3>orjnge feiner 0d)öpfnng jn fd)anen,
alfo baf) fid) an ihm bag anbere 3Bort ber 0d)rift erfüllt: „®n er=
freueft mid), o , bnrd) bein ÜSurfcn, über bie iSerfe beiner .Stäube
frohlocfe id)"
Um bann bem Jfnmeel nnb bem 31ffen, ber Äreujfpinne nnb ber
Dfanpe, nnb meld)em fonft nod) nlg 'iDinfter non i>üfdid)feit anjnfül)renben
©etl)ier immer, feinen 31nfprnd) auf bag ifJrabicat ber 0d)önl)eit jn fidjern,
erinnern mir nor 3tllem baran, baf) man nidft feiten bag 3Bort hüfilti^
mit einem anberen finnoermanbten , aber nidft gleii^bebeutenben , jn ner^
med)feln pflegt, ©g ergibt fid) fdfon ang bem fyrüheren ***) , nnb mir
merben fpnter nod) baranf äitrüdfommen , bap bie begriffe f d) o n nnb
finnlid) angenehm bitrd)ang uerfd)ieben finb: eben fo oerfd)ieben ift
bie .ipäfilidffeit non bem finnlid) Unangenehmen. 0)ie ^röte, ber 3®iebe=
hopf, bie ^lebermang, bie ÜSanje, nnb nhnlidfe, finb nng lüftige, eM=
*) Laetabitur Dominus in operibus suis. Ps. 103, 31.
**) Quia delectasti me, Domine, in factura tua, et in operibus manuum
tuarum exultabo. Ps. 91, 5.
***) 51. 66. 67. 109. ©. 87 p. 148.
170
©c^Tüierigfeiten unb 91uffldrungni.
I^afte, finnlid) unangenehme Jl)iere; ba§ fd)n)e6t nn§ nor, roenn mir fie,
freUich nidht ben rechten 3lu§brud mähtenb , nennen. 31nbere
3:hiere erf(^einen un§ höB^id), raeit mir in ihrem 2Befen, in ihrer @r=
fd)einung, ben 3(u§brncf eineä ,^äfdid)en ber ethifchen Crbnung finben,
eined iittli(^en iDtangetä, einer Untngenb (99. ©. 133). gi(t 5. 33.
non bem gautthier, non ber 9iatte, non ber Staupe, non bem '^anian
mit feiner Süfternheit, nom Jtrofobit, „beffen ganjer Sei6 nur gemacht
fcheint, bem ungeheuren 3It[e§ jnfammenfaffenben Stadien al§ 3;räger jn
bienen'', unb ba§ barnm ben ©inbrncf macht, a(§ ob e§ „nicht frä^e
um jn (eben, fonbcrn lebte um jn freffen" *).
SStitunter enblidi fmhen mir in einem nidjt bie i'orjnge ber
21rt jn ber e§ gehört, fonbern bie i'or.c^üge einer anberen 3Irt, ober fetbft
einer anberen Omttnng; unb roeil mir biefc nermiffen, barnm fcheint e§
un§ fehlerhaft, höfllich ju fein. iDaS Äameel jeigt freilich nicht fenen
eblen 3Sau, feneä (5-benmaafi ber OUieber, mie ba§ ')3ferb; in ber ©eftalt
ber ©pinne nermiffen mir baä redite i'erbältnif;; ber 31ffe fteht nor un§
mie eine ©atire auf bie SJtenfd)engeftalt : mir fnchen in ihm bie ipro=
Portionen, nielleicht felbft ben 31näbrncf, nnfereä eigenen Seibe§, unb meil
mir banon bo§ gerabe ©egentheil finben, ift er nn§ mibermartig**).
Slber baö h^öen mir nur ber 33efdirnnftbeit nnfereä eigenen Urtheilä ju=
gufchreiben. ©äheu mir ben Ornngutang, bad Äameel, unb fo mancheg
anbere S©erf ba§ bie .vcanb ©otteg gebilbet, fäheti mir fie an, nid)t mit
bem blöben 3(nge unfereg enblidien ©eifteg, fonbern mit bem 33licf ber
einigen ißJeigheit, fie mürben nng fürmabr nicht mehr häBl'<i) erfcheinen.
©ie hat febem ©efdiöpfe feine eigcnthnmlidie 33eftimmimg gegeben, eg auf
feine befonbere ©tufe geftellt, ihm feinen '■^Hap angemiefen in bem großen
©efammtorganigmng ber SSiefen, nnb eg anfg genauefte biefer 33eftimmung
entfpredienb einjurichten gemiipt; barnm erfannte fie, ba fie fid) anf^iefte
jti ruhen non ihrem iK?erfe, bornm fprad) fie eg ang, „bafe alleg gut,
baff oUeg fd)ön fen, mag fie gemacht hatte". Äann eg nng nicht ent;
gehen, baft nng ber cigenthümlidie ^meef nnb überhaupt bie Statur ber
meiften ®inge nerborgen ift, bann müffen mir nng and) nicht anma^en,
über ihre ©ntheit ein enbgültigeg Urtheil gti füllen, ihnen feite ©dhönheit
ab,5tiipred)en, bie mir nur nidit jn fd)ül3cn im ©tanbe finb.
*) 2?gl. Sope, 340. (C5it. 18.)
**) „Simia quam similis, turpissima bestia, nobis.“
Ennius, ap. Cic. de nat. deor. 1. c. 35.
Stad) 3Si[d)cr (lieber bas (Srt)abcne unb l?omtfd)e ©. 31) rütirt bie .'pdptichfeit
beS Slft'en baper, roeit berfelbe „ein üeruugtüdter oorldufiger Sßerfuch ber Statur ift,
eS Dom 'ih'fre 5um 3Steufd)cn ju bringen". @in genialer @ebanfe. rodre inter:
effant p roiffen, roieniel neue Stuldufe bie arme „Statur" pat nehmen muffen, bis
il)r ber 0alto mortale „oom Jh'fr äum SStenfhen" gelang.
SSolle" unb „mangel^fte" ©d^ön{)cit.
171
129. ©iel’e Slutroorteu fönrten nun freiltd) nod) iiid)t für alle (Sin-
inenbimgen genügen, bie rair im Slnfange nnfgefül)vt üaben. 2Bir beab:
fid)tigen feinesroegs, bie (Sriftenj roirflid) tjäfdicber 'Swinge in Slbrebe jn
ftellen; man fönnte fn fonft nerfnd)t fei)n, nns ju fenen aot-porstXot jn
rechnen, non bcnen mir friÜ^er (80. e. 106) ben fieiligen 31ngnftin be^
rid)ten l)i)rten. 31ber es fömmt baranf an, baf; mir nnS non ber .s^äfdid)=
feit ben red)ten 33egviff bilben. Unb nm 511 biefem gn gelangen, müffen
mir gunädjft mieber bie ®d)önl}eit ins 31nge faffen, nnb eine jmeifad)e
letnfe berfelben nnterfdieiben.
2Bie mir gefeben haben, ift bie 'Sdiönbeit ber ®inge „bereit innere
(5)ntl)eit, infofern fic bnrd) biefe bem nernünftigen (Seifte (S^egenftanb beS
(SennffeS 511 fenn fid) eignen" (109. 'S. 148 ). ®ie 30tetapbt)fif fennt aber
einen hoppelten (SU-ab, eine groeifacbe ©ttife ber inneren (Sntbeit. ^^beS
®ing, lehrt fie, befiht innere (Snttfeit : aber menn ein ®ing ber 21rt gegen=
über betrachtet mirb ber eS angehört, fo ftellt fid) feine innere ©ntheit enU
roeber als oolle (Sntheit bar ober alS mangelhafte, alS ooUenbete ober
als nnooUenbetc; febeS 'X'ing ift barnm entroeber „fd)led)tl)in gut", ober
„rüdf ichtlid) gnt" 204). „ed)le(^thin gnt" ift eS, loenn eS alle ®or=
güge befit^t bie eS befipen foHte, nnb ade in fener iiolienbnng, in ber eS
foHte. f^ehlt ihm bagegen einer ber ihm gebührenben ^Borgüge, ober gel)t ben=
felben an ilioer entfpred)enben Üollenbiing etmaS ab, bann ift eS „rüdfid)U
lieh gut". ®en (Sn-ab ber (Sntheit, raeld)e baS il^ing befi^t menn eS „fd)led)t=
hin gut" ift, fönnen loir ben (Srab ber einfad) en ollen bung nennen.
3lber monach beftimmen fid) bie i'orgüge meld)e baS üT'ing hoben
follte, nm „fd)led)tl)in gut" gu fepn, nnb bie ihnen gebührenbe i'ollenbnng?
Dkch bem beS ®ingeS, ober nad) ben 3wctf2it be)*felben, menn
eS mehrere hot. ®enn ber ift tiie 9fid)tfd)nur , nad) melclter bie
SBeiSheit beS '2d)öpferS ben Swingen je ihre eigentl)ümlid)en ißorgüge gn=
mifd, nad) meld)er barnm and) bie i^ernunft biefelben forbert, menn fie
über bie Onttheit ber 5"inge nrtheilt. ®ie einfad)e i'oUenbung, bie oolle
ober fd)led)thinige (Snitheit, begreift alfo in iid) alle fene iBorgüge, unb jenen
(Srab ber eingelnen, mobiird) baS 'Ding feinem 3'oed fd)lechthin entfprid)t.
2BaS mir l)ie^' io 9iüdficht auf bie (Snitheit gefagt hoben, baS gilt
offenbar in gteid)er äBeife oon ber 0d)önl)ett. Ü9ic eine gmeifad)e 0tufe
ber (J-rfteren, fo müffen mir mitl)in and) eine gmeif ad)e 0tufe ber 0djön=
heit unterfd)eiben, oolle nnb mangelhafte 0d)önheit, ooUenbete nnb nn=
ooUenbete, fchted)tl)inige nnb rüdfid)tlid)e. 3fi ^io Diog „fchled)thin gut",
fo mirb eS and) „fd)led)thin fd)ön" feon; ift eS nur ,,rücffid)tlid)
gut", fehlt il)m mehr ober meniger on jener DoUenbung bie eS, feinem
3mede ober feiner 33eftimmung gegenüber, haben foUte, fo mirb feine
0d)önheit in gleiclier 29eife nnooUenbet erfd)einen, eS mirb „r ücf fid)tlid)
fcl)ön" ober „mangelhaft fd)ön" fepn.
172
®te |)aB(id;fett.
130. 9^odfj einen jroeiten, nid)t großen Schritt ^aben rotv ^ternad)
äu innd^en, um auf ben 33egriff ber §äßti(^feit jn f'ommen. 2Baä ift
bte ©c^Iedjtigfeit ? 91id)t ein roivflid) ©e^enbeS, nidit eine pofitine (ä'igen;
fc^aft be§ ®inged non bem fie audgefagt inirb, fonbern eine 5Jkngel=
l^aftigfeit beffetben, eine „prinatine f^orin“ 205). 3)er 2®ein S. ift
(nte^^r ober roeniger) fd)le(^t, wenn ibm jener ü^o'^lgefc^mad abge^t, ober
jene ben Organidmnd roo^lt^uenb erregenbe, bad ©emütl) erfiebenbe S®irf;
famfeit, roetc^e er nad) ber 2lbfi(^t bed Urt^eberd ber ii^atur fiaben foU.
0d)tec^t im '^tdgemeinen ift ein ®ing, infofern ed eined ^^^orjugd ent^
bebrt, ben ed ber 6"igent^ümlid)feit feiner iRatur gemtifj, um feinem
jii entfpre(^en, befi^en fotite. iDiit anberen SSorten: fd)tecbt ift jebed
2)ing raetdjed nid)t fdjted)tt)in gut ift; unb bie 3tudbrütfe „fd)Iec^t"
unb „ni(^t f(^Ied)t^in gut" ober „rüdfii^tlid) gut" bejeid^nen ooltfommen
baffelbe. ®enn ein Sing bod nur fd)(ed)t märe, ift nid)t benfbar 206);
audfd)tieptid)e 0d)led)tigfeit märe ja bie Stuf^ebung aßed ©epnd.
SSietmel^r ift jebed ©djtecfjte jngteid) gut; nidjt „fc^ted^t^in gut", fonbern
„rücffid}t(idj (ober mangelfiaft) gut".
äBieberum gonj analog raie ber ©nt^eit gegenüber bie ©dbtedjtigfeit,
ift nun ber @d)ön^eit gegenüber bie .'»‘■^üfjlicbfeit aufgufaffen. Senn roenn
bie (J'temente ber ©dbönbeit nidbtd Jtnbered finb atd jene 'Sorjüge, auf
melc^e fid) bie innere ©utbeit eined Singed grünbet, bann mu^ ber
@egenfat3 ber ©^önt^eit, bie i^äf3lid)feit , eben in jener ÜRangetfiaftigbeit
liegen, in fvotge bereu bnd Sing „fdt)ted}t" erfd^eint 207). 5tu(^ bie
Hd^feit mittjin ift nidjt etraad toirfUcf) ©epenbed, nidjt eine pofitioe 35e=
f dt) aff enfieit bed pfjlict)en Singed, fonbern eine priootioe jyorm beffetben.
Unb für l^a^lidj roirb barnm jebed Sing 31t erflären fepn, bad nid^t
„fdbled^tfjin fcf)ün" ift, fonbern „rüdfidjtlidj ober mangelhaft fdhön". Unb
jebed häßtidje Sing mirb jugteidj fdjön feiju unb f^ön, infofern
ed ^orjüge befit^t bie jur ©igenthümlidjfeit feined SBefend unb feiner
Seftimmnng gehören; höfdidh, infofern ihm babei bodh irgenb raetche 3Sor;
güge biefer 5trt mangeln.
IBitben mir auf @runb biefer SBahrheiten eine förmlii^e Sefinition.
Sad „nidjt fdjledjthin @ute" nennt bie iJRetaphpfif „an fidj gut", info=
fern ed burch bie 'Sor^üge bie ed befiljt, Object ber eigentlichen ßiebe
fepn lann; fie begeidjuet ed anberfeitd ald „an fidh fdhledjt", infofern ed,
atd eined ober mehrerer ber ihm nadj ber Orbnung ber SBeidheit ©otted
gebührenben ißorjüge ermangetnb, ©egenftanb, nicht ber Siebe, fonbern
bed Sföiberraittend gu roerben fidj eignet, ©enau entfprechenb oerbient
alted „nicht fchledhthin ©chöne" bad i^räbicat „fdjön", infofern ed burdh
bie ii^orgüge bie ed befit^t, bem oernünftigen ©eifte ©runb ber f^^reube
fepn fnnn; ed mufi bagegen „hüfjlidh" genannt toerben, infofern ed, ald
gerciffer ihm gebührenber 2?orgüge entbehrenb , atd „mangelhaft" unb
®ie ^ä^lidjfeit.
173
imnollenbet, baju angctban ift, bemfelbcn ücvm'infttgen @eifte ju mi^=
fallen, fein ‘DUitpergnügen ju erregen, ifjin ©egenftanb ber Unlnft ju
fenn. ®enn foroie bie innere ©utbeit etne§ S)inge§ naturgemäß nufere
eigentliche Siebe in Slnfprnd) nimmt, nnb bnrdj biefe nn§ ba§ ®ing,
menn mir feine i>orgüge flnr erfennen, jnm ©egenftanbe ber grenbe
madjt, nid)t anberä erregt il)r ©egenfaß, bie innere ©d)led)tigfeit, natur=
gemäß unfern SBiberroillen , unfern geiftigen 3lbfd)en, non rocldjem ba§
OJiißnergnügen , bie Unlnft, in glei(ßer äSeife nnjertrennlidj ift mie non
ber Siebe ber ©ennß. ©§ ift alfo bie iß>äßlid)feit eineg JDingeg nid^tg
Slnbereg, alg bie innere ®cßled)tigteit beffelben, infofern eg
bnreß biefe bajn angetßan ift, bem uernnnftigen ©eifte
©egenftanb beg i)3iißüergnngeng 511 fegn.
®iefe Definition entfprid)t genau ber im ’2lnfange biefeg jlapitelg U09)
für ben ©egriff ber ®d)önbeit an erfter Stelle gegebenen, ©g ift nid)t
feßroer, ang berfelben ?;ii)ei anbere jn entmid'eln, meldje fiiß je an bie
jmeite nnb bie britte fyormel anfcßließen, in bie mir fene erfte bnlb bnr=
auf *1 nmgeftalteten ;
Die D n ß l i d) f e i t e i n e g D i n g e g i ft b e f f e n S d) l e di t i g f e i t,
infofern eg bnrdi biefe bajn angetban ift, bem nernnn©
tigen ©©ifte, auf ©rnnb flnr er ©rfenntniß berfelben,
©egenftanb beg iDH ßoer gnügeng jn fepn; ober
Die ä ß l i d) f e i t e i n e g D i n g e g i ft ber b a r n n ß e r 0 0 r^
tretenbe ©Mangel an tbatfäd)lidKv Uebereinftimmnng mit
bem uernnnftigen ©U’ifte, infofern eg bnrd) biefen ba^n
a n g e t Ij a n i ft , b e m f e l b e n © e g e n ft a n b beg f).\' i ß u c r g n n g e n g
jn fei)n.
131. So gibt eg beim allerbingg nid)t nur Sd)öncg, fonbern eg
gibt andi fT'iäßlidieg ; nnb nid)tgbeftoiueniger bleibt nufer Saß maßr;
„üllle Dinge finb fd)ön'^ b. ß. entroeber „fd)ted)tbin fdjöiS', ober „rüd=
fiditlid) fcßöiS'. Denn foroie, nad) bem uorßer ©efagten, ein Ding bag
nur fd)led)t, nnb unter feiner ÜUidfießt gut roäre, nießt benfbar ift, eben
fo roenig gibt eg, nnb eben fo roenig fann eg ein Ding geben bag nur
ßäßlicß roäre, nnb unter feiner Ütncffidit fd)ön. Dag ßäßlid)fte iSefen '
ift nadj ber allgemeinen 5lnffaffnng ber f^-ürft ber abgefallenen ©elfter,
ber Senfei. Diefe 3luffaffung ift uoUfommen begrnnbet; beim bng .s^äß=
lidje ber etßifdien, nnb ^ngleidf ber übernatürlidfen Orbimng erreid)t in
ißm feine ßödifte ©oUenbimg, nnb roie bag Sdiönfte unter bem Sdjönen,
fo muß bag .©äßlidifte unter bem ^^äßlid)en fid) eben in biefer Drbmmg
finben. 3lber and) ber Senfel ift nid]t fcßlecßtßin ober abfolnt ßnßlid):
er ift immer nod) „rüdfid)tlidj fdfön" nnb „nicffidjtlid) ßnßlid)''. Seßön
yi. 110. 111. 8. 149 f.
174
3ebe§ Sing ift jugteid^ fd^ön.
ift unb bleibt ev, roie jebeS anbere öenüinftige Siefen, in Tüel^cm bie
0ünbe fi(^ incarnirt, in allen feinen (?igenfcf)aften roeli^e tl^rer 9^atur
nad) nnv ber pl)t)fifdien Orbnitng angepren ; unb mögen felbft am^ biefe
in ?fOlge ber et^ifc^en ißerraüftung bie SSotlenbnng i§rer @ut!^ett, unb
bamit bie 3Sollenbung iljrer ©(i^ön'^eit nerlieren, fie bleiben gut uub fd)ön,
jo lauge unb infofevn fie nic^t auf^ören gu fepn. „®em ©d)Ied)ten'',
fagt Slt^annfiud ber ©rofte, „mangelt ba§ @et)n; ba§ ©t^öne bagegen
ift fenenb ; beim e§ ift geroorben burc^ @ott, unb ©ott ift'' 208).
f^iiermit batten mir and) ben letzten Jbeil ber oben (127. ®. 168)
angebeuteten ecbroierigfeiten ertebigt. 3lucb ba§ .'»Jäplicbfte K^e
©cbönbeit. ®en einäugigen abgelebten ©aul, unb ben fcbielenben labmen
boderigen unoerfdjämten 0direier im gried)ifcben Säger oor jlroja, roirb
jebermann b^fllidj finben; aber bamit ift nid)t gefagt, ba^ biefelben
buribaug unb fdilecbtbin unb in jeber ißejiebung böWid) fev^n, ba^ fie
unter feiner 9füdfid)t für febön erflärt raerben mufften.
21u§ ben SBorten bed b^iligen 21uguftin roeld)e mir btev folgen laffen,
mögen unfere Sefer felbft urtbeilen, ob bad road mir gefagt hoben, mit
ber ifJbilofopbie bed großen Seljrerd oon Jipippo übereinftimmt. „5)er
äuffere 8Jfenfdf mirb jerftört, entroeber bureb bie ©rbebung bed inneren
81lienfd)en , ober bnreb feine eigene .^infälligfeit. 3^’^f^ört ibn bie ©r^
bebung bed inneren ÜRenfeben, bann foU er bereinft, roenn am füngften
“sage bie 'V'ofowoe erfcballt, nmgebilbet, unb in böbe^'ev SSollfommenbeit
mieberbergeftellt roerben, um oon nun an nid)t mehr jerftört ju raerben,
unb nid)t mebr 511 jerftören. IRidttet iljn bagegen feine eigene hinfällig;
feit jn ©runbe, bann ftürjt er binab in nodj oerraedlicbere ©cbön=
beit, b. b- io bad 9feid) ber ©träfe. Stiemanb raunbere ficb, ba^ mir
and) bier nod) oon ©djönbeit reben. 2Bo immer Orbnung bevrfebt,
ba ift ©d)önf)eit; unb ber 51poftel lebrt und, bnf3 febe Orbnung oon
©Ott fömmt. ©id)er erfd)eint ein böber«v ©i'ob oon ©utbeit in einem
Dfenfiben ber leibet, ald in einem 2Burme ber fidj freut. Unb boeb fann
man ol)ne Unraabrbeit bie ©cbönbeit bed 2Snrmed erbeben, raenn man
feinen fcblanfen 2?au ins 31nge fapt, unb ben ©lan,5 feiner f^arbe, unb
bie bttvmonifdje Uebereinftimmnng , bie ©pmmetrie, feiner Ob^if^ unter
einanber. Unb raad follen mir erft oon ber ©eele fagen, bie einen folcben
Seib belebt: raie fie ibn gefällig beraegt, raie fie bem juftrebt raad bem
Obiere augemeffen ift, bad raad ibm jnraiber überrainbet, ober ibm aud=
raeid)t fo oiel fie fann, raie fie 2flled einjig auf bie ©rljaltung unb bad
SSSoblfepn bed Obiered beliebt, unb babureb, oief offenbarer ald ber Seib,
auf fene ©inbeit uud bioraeift, bie alle 2Befen ind Oafepu ruft, ©d gibt
felbft ©dji'iftfteller, raeld^e, mit ooller Söabrfjeit, bie ©i^önbeit ber 21fdbe
unb bed Oüngerd gepriefen bo^'fo. Oie menfd)lidje ©eele, rao fie audb
fepn, raie fie fid) and) befinben mag, befi^t immer böbei’e ©utbeit, ald
(£d)bnl;eit imb |>dßtid;feit im mdgären ©inne be§ ÜBorteä.
175
jebeS JTövperUc^e; fann man e§ alfo ionberbar ftnben, meim mir jagen,
bajj bie inenjdfjltdje Seele, and) wo fie il)ve Strafe leibet, nod; fd^ön, imb
(Element eines groj^eren S^önen fei) . 3[Ran muf? fid) eben l;ier nov
einem 3vftb)um l^üten. SBa§ immer mau fjäßlid) finbet, e§ er jd) eint
jo nur im 33ergleid) mit einem 23ejjeren; jebeS 25>efen, and)
ba§ niebrigfte, ift jdjön im 3>ergleid) mit bem 9iid)t§" 209).
§. 6.
^(^önßeit Mttb ^ä^fitßßeit im vufgaren $innc bes p^ortcs. ^eßcr btc ?trogc,
o6 bas ^(ßöne notßmcnbig dOitd) gut fenn möflfc. ^‘inc |3eftätigung unterer
;iel)re non ber Scfiönßeit aus ber ftnmofogte bes piortes „ßäßlidi“.
13‘-2. Sem gegenüber mad mir in ben brei leibten 'lininmern gejagt
Ijaben, briingt jitjb und nun non jelbjt bie 23emerfnng anj, bajj bie Dtebe:
roeije bes gemöbniidjen Sehend, roo ed jid) nm bie Sd)önl}eit banbeit,
non ber pbilojopbijdien ilSabrljeit abn)eid}t. 'iliidjt ald ob ber Sprndj:
gebraneb, injojern er mnbrbajt ein joldjer, nnb allgemein ijt, mit ber
SSabrbeit in ÜSibcrjprudi jtänbe. 51ber mir bnrjen in bemjelben nid)t
immer mijjenjd)ajtlid)e Sd)cirfe jnd)en, mir bürfen nidjt ermarten, baj3 er
in jebem jvalle bie tiejjten metapbnjijd)en @rünbe ber Singe nnb iljre
nnjberjten (Jonjeqnen^en nmjajje. SSir mollen bie @ejebe nad) melcben
man jid) in lHüdjid)t auf bie Sebönbeit nnb jd)öne Singe im täglidjen
Seben andgubrnrfen pflegt, fnrj angeben.
(>Heid))ine man gemobnt ijt, nur bas „jd)led)tbin @ute" gut jn
nennen*), jo mirb and) bad 'j3rnbicat ber Sd)önbeit nur jenen Singen
jngejtnnben, meld)e il)re oollenbete Sd)5nt)eit bejiben, ober bodj ju
bejiben jd)einen.
3?emerten mir an einem Singe einen “i)Jtnngel, ber aber feinen be=
jonberd fnblbaren (J'inbrnrf auf undmad)t; ijt bad luad bem „rüdjid)tlid)
guten" Singe an ber llollenbiing feiner (qhitl)eit 511 fel)len jd)eint, minber
bebeutenb: bann fajjen mir bad Sing ald meber gut nod) jd)ted)t, ald
meber jd)ön nod) bäjdidj auf. C^'d erregt nid)t nnjer SSoblgejallen , aber
and) nid)t unfern SSibermillen ; feine ^•rfdjeiinmg bringt und feinen ©enuj^,
aber jie uerurfadjt und and) fein DDiij^oergnügen : ed ijt und in Dfncf fidjt
auf Sdjinibeit gleidjgültig.
®a)i5 bajjelbe ijt ber gntlf, menn jid) bie innere @utf)eit bed Singed,
nnb bnmit and) feine Sdbönf;eit, bem 5lnge nnjerd bejd)rnnften t^leijted
jo gilt nfd ganj eiitjiej)t.
(Silanben mir bngegen einen bebentenben Dlbjtanb mal)rjunef)nien
*) Bonum ex Integra causa, malum ex quocunque defectu. Sßgl. bie 3ln=
merfuug n. 204.
176
©d^önl^eit unb |)ä|lic^teit im Dutgären Sinne be§ ®ortc§.
jn)if(j^en ber inneren (^utl^eit ineid^e ba§ Sing befi^t, unb jener bie eä
beji^en jottte; fc^etnen bebeutenbe ißorjüge bie i^m gebühren ab;
juge^en; ift ber ©inbrucf welchen jeine iDiangel^aftigfeit auf un§ mad)t,
Dorroiegenb unb ftarf: bann erflören rair e§ einfad^ für fcf|ied)t unb
barum aud^ für i^ü^iicb, e§ erregt unfern ilBiberrailfen , unb uerurfadjt
und barum aud^ ilJiiiföergnügen.
SBei biefer 2lbit)eid)uug ber atltagiidjeu 21uffaffuug, unb ber i§r ent;
fpred)enben gemöfmüd^en 2lu§brud§u)eife , non ber ptiilofop^if^en 2Bal^r;
!^eit ift e§ offenbar gegrünbet, ober oietme^r not^roenbig, ba^ mir eine
hoppelte 23ebeutung be§ SBorted „©(^önl^eit" unterfd^eiben , bie p'^ilo=
fop^ifd^e unb bie oulgöre. ?tid)t, roie mir fd^on bemerften, al§ ob
beibe einanber entgegcngefet^t mären: ber pl)ilofopl)ifd)e @inn be§ S[ßorte§
ergänzt unb oollenbet nur bie Sebeutung, roeldie ba§ 2Bort im geroö^m
lid^en Seben l)at, inbem er fie ju notier llebereinftimmnng mit ber onto;
logif(^:obiectinen SSabrbeit ermeitert. @an; baffetbe, mir ^aben f(^on
mel^r ot§ Einmal barauf ^ingeroicfen, tl)ut fa bie Söiffenfdliaft aud^ in
ütücffid^t auf beu 23egriff ber ©utlieit. pbiIofopf)ifdf)en ©inue gut
foroo^l ald f(^ön ift 3lUe§, ma§ ift; im nulgären ©inne gut bagegeu
ift nur ba§ „fc§lec^t§iu @ute", baä in feiner 3lrt racnigftenS 93oUenbete,
unb in glei(^er Steife im nulgären ©inne fd^ön nur bas menigftenä
„f<^lecbtbin ©d)öne'^
®iefeu Segriff ^atte rao^l (Ziemend non Sltepanbria nor 3tugeu, ba
er fd^rieb , „eä fep allgemein anerfannt, baß bie ©dbönbeit ber ifSflanje,
bed Jbiered, überl)aupt jebed ü^inged in ber feiner iRatur entfprec^enben
'•ßoHenbung befiele" 210); biefen, lange nor (Ziemend, ol^ne
ber ©)id)ter oud 6ea in jenem 3Serfe, roetd;en ifStato im „'f^rotagorad"
beu ©ocrated anfül)ren täf3t:
©djön ift 2Uled bcm nidjt .^äplidjed fid) beimifd)t 211).
Senn, roie ©ocrated erfläreub biip^ufügt: ©imonibed initl jagen, ed fep,
bamit ein Sing „fdbön" unb bed Sobed roertl; erflehte, feinedroegd not^;
roenbig, baft ed-über alle anberen feiner 3lrt l^ernorrage; baju genüge
nietme^r, roeun ed nur jenen geroöl^ntid)en 2i>erb^ bcfii^e, ber feiner 3iatur
unb feiner 33eftimmung entfprid^t, unb fo „bie iD^itte" l^alte. biefem
©inne genommen, ift bie ©djönljeit fein Sranfcenbentalbegriff : beim ed
gibt ja ja^tlofe Singe, roeld)e bie ihrer ilfntur gebührenbe 35otIenbung
feinedroegd befit^en. Hub roie man , bie ©utfieit im nulgären ©iune
nehmenb, gan^ mit 9fed)t halb ein Siug für „gut" erflärt, halb ein am
bered für „fd)te^t", unb ein britted für ineber gut nodf) fi^ledht, fo unter;
fdjcibet man, auf ©ninb bed nulgären 33egriffd ber ©djönheit, gleidhfalld
mit noUem Ofechte Singe roetdhe „fd)ön", auberc bie roeber fi^ön nod)
häf^tid), unb roieber anbere roeldje nur h^Blid) finb.
Ob auc^ ba§ Unfittlidje fd)tn feijn tonne.
177
'Denn bem uulgärcn 3.x'gvif[ ber ©djönljeit fte^t natürtidj ein ent-
fpredjenbcv ber i)ci^(id)feit gegenüber, ber gietc^fadä enger t[t a(§ jener
ber .öiüßlidifeit im pl^Uoiopljifdjen 0inne. 'Jbndj bem pl^i(ofop^ijd)en Se;
griff ift 3lUed büplid), raad mir „rücffiditüd)'^ gut unb fdjön ift; eben
baffeibe ift nidjt immer and) im mitgiiren Sinne ^äfüid), e§ ift pnfig
btof) „nidjt f(^ön", e§ fann fogar nod) für fdjön gehalten roerben, menn
feine SJtangel^aftigfeit raenig bemerfbar ift. (?rft roo biefe bebentenb
erfdieint nnb ftiirfer ^ernortritt , roo barnm bie Unluft roelc^e bie @r-
fdbeimtng be§ Singeä oerurfad)t, füljlbar roirb, erft ba ift ba§ SetUere
^ÜBlid) in ber milgären Sluffaffung.
133. IBcbeutenb ift nun aber bie ®d)lecbtigfeit eineä ©ingeg
namentlidj immer, alg bebentenb muß fie l)eri)ortreten, unb bem nernünf;
tigen "Btenfdjen ber @rnnb fül)lbarer, uorroiegenber Unluft roerben, fo
oft bem Singe (^■igenfd)often abgeben, roeld)e unter ben ibm gebül)renben
ben erften IRang einneljinen. Solche 6igenfd)aften finb in bem ner=
nünftigen @efd)öpfe nnb feinen freien .*pnnblungen oor 3lllem etbifdje
@ntl)eit, b. b- Uebereinftimmung mit bem Sittengefelje; foldje ©orjüge
finb in ben meiften förperlid)en Singen Dlngemeffenbeit nnb
feit ber ^•inridjtnng, Srbnung iljrer Jbeile- Sarum b*U >'öngo Slair
üollfommen Dtecbt, roenn er bemerft, bag „und jeber ©egenftanb b^felid)
üorfömmt, bem biefe ber (5inrid)tung uotlftftnbig fet)tt"*);
barnm ift e§ aber aui^ nicht minber roabr nnb nid)t minber geroifj, baf)
ein nernünftigeä @efd)öpf, eine freie .'öanblnng, nie nnb nimmer fd)ön fepn
fann, roenn bem einen ober ber anbern bie Sittlicbfeit abgel)t. Senn
roic e§ in bem freien 2i>efen feine böbeven ^Borjüge gibt tilg jene, roetcbe
ber etbifd)en Srbnung angeboren, fo ift an bemfelben fein iUiangel fübl=
barer al§ eben biefer. Sarum bebicnen roir nnä ja be§ an fid) gene=
rifd)en 2Sorte§ „fd)led)t'', roo oon freien iß>efen bie Dtebe ift, augf^tief^tid)
nur jnr Ü3e,^eicbnung biefer ?lrt oon '^jlinngelbaftigfeit. „Sdjledjter 2Bein"
ift ein fold)er, bem bie entfpredjenben 33orjüge ber pbpfifiben Srbnung
abgeben, „ein fd]led)te§ '^ferb", „ein fd)led)te§ Sd)iff" ift bagjenige,
roeldieg für feinen 3>üed nid)t brand)bar ift; aber „ein fd)led)ter ‘OJfenfd)"
beigt nid)t ber geiftig 33efd)rcinfte , nidjt ber (Unüngige, :tjabme, Saube
ober ißerftümmette, fonbern ber Söfe.
Äann man mitl)in nod) im (?-rnft bie fyrage anfroerfen, ob ba§
Sdjöne notbroenbig fittlid) gut fepn müffe? jengt e§ nidjt non einer 3ßer=
roirrnng aller ^Begriffe, ftellt fidj eine ipijilofopljie nidbt bag tranrigfte
Ülrmutbgjeugnif) ang, roenn fie (bie Scbönljeit feinegroegg im metapljpfU
fdjen Sinne nebmenbj) biefe fyrage ju nerneinen, nnb ben Satj jn leljren
fid) nid)t fdjamt, audj bag Unfittlidje fönne f(bön fepn ? iyürroaljr, roenn
*) Blair, lect. 5. vol. 1. p. 102. (6itirt 121.)
3ungmaitn, 2Iettf)etif. 2. SJiifl.
12
178
Ob auc^ baä Unfitttic^e fc^ön fepn fönne.
fid) ein Unterfc^ieb benfen tie^e, ba§ ©ittengefet^ läge tiefer im menfd;=
licken §erjen alg fetbft baä @efe| be§ jureid^enben @runbe§; unb niet
leiditer roirb ber nernünftige ÜKenfd) in einer unproportionirten ®e;
ftalt, ober in ber jroedroibrigen ©inrid^tnng eineä ®ebäube§, eine fianb;
greiftidbe SSerlet^img be§ jmeiten ertragen, al§ raaliren tatteotogifc^en
@enu^ in ber ©rfc^einung eine§ freien äßefenS finben, raeldieS burd^ fein
^anbetn bas ©ittengefe^ oerläugnet, unb ben pdt)ften, ben eigentlid^ften
ißorgug feiner Statur preiägibt.
SBenn bie ©d^önl^eit im pt)iIofopI)ifd^en ©inne genommen roirb, fo
mu^ man freiUd^ audt) ba§ Unfittlidbfte immer für t)äfeli(^ nnb fd^ön ^n-
glei(^ erllären (131. ©. 173 f.). ^ft bagegen non ©dt)önl^eit im oulgären
©inne bie Siebe, bann ift ©i^ön'^eit oline ©ittUd^feit nur in jenen SDingen
benfbar, roeldtie ber et^ifd^en Orbnung übertiaupt nid^t angefiören; eine
freie ^anblung aber, ein oernünftigeg ®ef(^öpf, fann nie unb nimmer
fdf)5n fepn o^ne fitttid^ gut ju fepn: nnb mögen beibe nod^ fo reid^ er=
fdf)einen an rein p^pfifd^en SSorjügen, fie finb liä^lid^, fo roie fie mit bem
©ittengefe^e in SGßiberfprudf) treten*). S)ie greunbe be§ 23otIet§ roie
baffelbe gegenroärtig aufjutreten pflegt, roürbe man in ^ella§ o^ne
ju ben aaTrpo'^doi gejä'^lt l^aben (oben, 80. ©. 106).
134. ^m britten i^oragrapl)en biefeg Ä'opitelä (©. 159) l^oben roir
gezeigt, roie unfere Sluffaffung oon bem Söefen ber ©dliönlieit burd) bie
*) Stic^täbeftoroeniger ift ba§ (Jntgegengefe^te bie Sepre Dieter 2teftbetifer, toenn
fie auc^ pufig nur nerblümt unb ni^t mit Ätartjeit auSgefprocpen mirb. „®a§
SBoptgefatlen am ffiapren unb @uten", fo folgert fetbft Ärug (2teftbetif §. 8), „ift
atfo burd^ bie Ueberjeugung non ber tpeoretifd^en ober fpeculatben, unb practifd^en
ober moratif(^en ©ültigfeit beffen, roa§ man für roapr nnb gut pött, bebingt: ba
hingegen ba§ 2Bof)IgefatIen am @(^önen audt) unabhängig ron jener Ueberäeugnng
ftatlfinben fann.“ Unb in ber (Erläuterung hi^^ju f)ei6t (2tnmerfung 3): „®a§
®dt)öne fann änjar auch roahr unb gut fepn. fann j. ®. ein fchöneö
@ebidht ober eine fdhöne iRebe ihrem ^nh^tte nadh mit ben ©efepen ber SBahrheit
unb ©üte fehr rooht übereinftimmen. Sittein biefe ©inftimmung ift feine§roeg§
nothroenbig, um ein äfthetifdhe§ SBohlgcfflll^n ju beroirfen. 3Siet=
mehr fann biefeS audh ohne jene (Einftimmung ftattfinben." §erber httU^ roahrtidh
iRedht, roenn er über fotcpe SSerfehnmg alter iPhitofophiE/ i»if namenttidh in
Äant’ö „Äritif ber äfthetifdhen Urtheit§fraft" begrünbet roar, entrüftet auSrief: „Oie
©Uten alter 3dten beftrebten fidh, ba§ ©chöne at§ eine Oarftettung be§ SSahren unb
©Uten aufbaubar ju madhen, unb burch feinen IReiä ba§ iRein^Sitttidhe ju förbern;
unb roir ftrecfen eine fatteiferne §anb au§, roa§ bie Sffatur in un§ jart nerfdhtungen
hat, unerbitttidh ju trennen; tobjaudhäen auf bem gefunbenen fahten gtecf, ,auf bem
ba§ ©dhöne roeber roahr no(h gut fein muh‘, barüber atä über bie hödhfte 6nt=
becfung, at§ über ba§ gefunbene 9lein=©ötttidhe , b. i. hödhft Stuptofe, burdhauä
^ormetle, mithin höthÜ Seere. SBenn bie§ nicht ©ntroeihung be§ ©betften ber
SRenfdhheit, ber fünfte, ber ©aben, be§ ©efühtä, ber SSernunft helft, fo fenne idh
feine.“ (ÄnUigone 3. ©. XIV.)
®ie faUeoIogifd^e SRangorbnuug ber Singe.
179
giüei dafftfd^en ©pradjen be§ 5((tert^umQ beftätigt rairb; l^iev, roo üon
ber 5'äpd^feit bie Diebe roar, fönnen roiv auf eine äl^ntic^e iSeftätigimg
l^iniueifen, bie iinfever eigenen ©prai^e ange^ört. ®er SBortbebeutung
nadj ift offenbar ba§, road „4''a^ erregt", ober „oerbient".
S)er eigentUd)e ©egenftanb beg ^affeä ift aber ba§ ©ij^ leckte. ®ie
beutfdie ©pradie betrachtet folglid; bie ©d^Ie^tigfeit unb bie ^äf3tid}feit
al§, objectio unb ber ©adie nadh {in suhiecto), ibentifd^: fie geht oon
bem ©ebanlen au§, ba^ bie nämliche iBefd^affenheit , burch roeldhe ba§
Sj^ing „fdhlecht" ift, e§ auch „häf3lidj" mndht. aber bem alfo, bann
mu| aiuih ber (Segenfat^ ber ^''ä^lichfeit , bie ©chönheit, objectio unb ber
©ache nach ibentifch fepn mit bem ©egenfat^e ber ©dhlechtigleit , mit ber
©ntheit. Unb rcenn ber ©egenfat^ ber ©(^hönheit angemeffen bejeidjnet
Töirb bur(^ ba§ DT'ort, loeldjed ihn für „bed i^affed roerth" erHört, bann
mnf; ber ©djonheit felber fein begriff fo nahe liegen toie „ber Siebe
mnrbig", Contrariorum contraria est conditio.
tapitcL
Ulf kttUeologifdie Uoiigorkmiiig brr llDefEn. Kfbcr btf iroge t>om
3bfttl bfi' 5d)ijni)eit.
§. 1.
3)ic ^langorbnung ber 3>tngc in ftürftfltßt auf ihre ^i^önheit.
I.
^afiliuQ ber ©rope unb ©regor oon Dtpffa über bie ©djönheit ©ottes.
il3rincip nad) loeli^em fid) ber talIeoIogifd)e Dlnng ber erfd^nffenen ®inge be;
ftimmt, unb jvolgerungen barmid. ®ie jroei fdjönften unter allen ©efd)öpfen
©otted; ber talleologifd)e Dtnng ber übrigen 3Serflärten unbeftimmbar.
135. ^ie loeife f^ran and DDiontinea h«be ihn belehrt, fo hbden
roir früher ben ©ocrated erzählen, ba^ ©rod, bie Siebe, nid)td loeniger
ald fchön fep; bie ©^önheit oielmehr ben ®orjug beffen bilbe, looranf
fidh bie Siebe ridjtet. Dlüdfidjt auf ben enblidjen ©leift, namentlidh
in ber rein natürlichen Orbnung, h^il ©ebanfe ohne
Sßahrheit; aber nicht mehr, loenn ed fid) um „jenen getoaltigen ©eift"
hanbelt, ber, um mit ©t. Slnguftin ju reben, „nidjt burlh ©d)ledhtigfeit hodh
jn ftelien trachtet, fonbern hoi^ fteht raeil er überreich ift an ©ntheit" *).
*) . . . non malitia sublimis esse vult, sed bonitate sublimis est. Aug.
de catechiz. rud. c. 4. n. 7.
12
180
®ie falleobgifc^e O^angorbmmg ber ®inge.
ilon i^m fte^t ge)d)rieben, baß er „bie l!iebe" t[t: unb er ift bod;
jugteic^ eben fo |e()v bie roefenl^afte 'Sdjön^eit. „®ie roal^re @(^ön!^eit/'
fcbreibt ®a[üiu§ ber ©roBe, „bie liebengrcürbigfte ©c^ön^eit, aber
mir reinen «iperjen fid^tbar, ba§ ift jene raetc^e ben einig ©eligen nm=
gibt'' 212). „itein i)Jtenfd) ift fo ftumpffinnig /' fe^t ©regor non itlpffa
^injn, „um nic?^t non fetbft einjufe^en, ba^ bie inefenl^afte , bie erfte, bie
allein ina^re ©i^önpeit nnb ©utl^eit unb itlar^^eit niemanb anberä fepn
fann al§ ©ott, ber ij^rr aller ®inge" 2i3). ®er ©a^, ben un§ in
biefen SBorten ba§ :^errlic^e ißrüberpaar au§ (Jäfarea al§ an§gemad)te
Sföal^r^eit bejeic^net, ift nn§ in ben 2lu§fprüd^en anberer Sßeifen, au§
bem !^eibnifd^en foino^l al§ au§ bem c^riftlid)en Sllterl^nm, f^on nietfad)
begegnet, ©erfetbc ergibt fid) jugleid^ mit ©nibenj au§ ber ©efinition^
bie mir at§ ba§ Dtefultat unferer Unterfliegung aufgeftellt ^aben. ©inb
©diön^eit nnb ©ut^eit objectin nnb ber ©ad^e nad^ eine unb biefelbe
$Befd)affen^eit be§ ®inge§, nur nerfdl)ieben je nad) ber IBejie^ung be§
Selpteren jnm nernünftigen ©eifte, bann mujj offenbar ber abfotut ©ute,
ber allein bnrd) fidl) ©ute, ber Urquell atle§ ©nten, auc^ ber abfolut
©d)öne, ber allein bnrd) fid) ©d)öne, ber Urquell alle§ ©d^önen, — bann
muß ©Ott, bie inefen^afte ©ntl)eit, ouc^ bie inefenliafte ©cl)ön§eit fepn.
Sir inerben im ncid^ften Äapitel augfül)rlid)er auf biefe Sa^r^eit jurüd^
fommen.
©ine iiergleidmng nun ^rnifd)en ber ©c^önl)eit ©iotte§ unb ber feiner
©iefc^öpfe ift nid^t m.ögtid). ®enn ber Unenbtid)e täf)t fic^ mit enblicfien
'l'itnapen nict)t meffen, ber allein buri^ fi(^ felber ©d)öne nii^t mit bem,
ina§ non ibm nid)t nur bie ©d)öni^eit, fonbern fd)led)t^in ba§ ©epn l^at,
fid) jnfammen^alten, bie rnefen^afte ©d^ön^eit fi(^ nii^t auf ©ine Sinie
fteden mit Sefen, inetd)e nid)t bie ©i^önl^eit felbft finb, fonbern nur
ein gröjjereS ober geringeres iBtaaB erfdmffener ©^önl^eit befi^en. ®a;
gegen fönnen mir allerbingS nadj einer Stangorbnung ber fdbonen ®inge
fragen, infofern mir nur ba§ ©rfd^affene im Singe ^aben. Unb bie
Slntroort auf biefe f^rage roirb, bem ^Begriffe ber ©d^ön^eit entfpred^enb,
junädift im Slllgemeinen biefe fepn muffen; größer bie fyülle innerer
©nt^eit ift ineli^e ein Sefen befit^t, befto fdliöner ift e§.
136. ©S laffen fid) inbef) l)ier nod) einige nä!^ere 33eftimmungen
geben.
Sie mir frü'^er (104 ff. ©. 141 ff.) nad)geiniefen ^aben, ba^ alleS
©d)bne, eben infofern e§ fd)ön ift, in tl)atfäct)lid)er Uebereinftimmung
fte^t mit ber Sefenl^eit ©iotteS, fo fönnen mir, nadb bem in ber oorigen
Stummer ©efagten, je^t biefen ©atj umfel^ren. 3ft nämlid^ ©ott bie
©djön^eit fetbft, bonn mitf) alteS anfier il)in ©epenbe genau in fofern
fd)ön fepn, alS e§ an feiner ©(^oni^eit nnb ©utl)eit 2;^eil nimmt, alS eS
il^m ä:^nti(^ ift. ©a§ fd)önfte unter ben nid)t abfolut fd^önen Gingen
®ie faHeotogifd^e Siangorbnung ber !Dinge.
181
lüirb basjenige fegn, iveld)C5 üou bev freigebigen .*panb @otte§
bas reidjfte 5)Jan^ innerer (Bnti^eit empfangen Ijat, tneldjes barnm bem
abfülnt 0(i^ünen am nöd)ften fteljt; menn man anberä fi(^ biefeg 3(n§-
brud'es bebienen fann, roo ber Slbftanb immer nnenbiit^ bleibt. Unb
barnm mufi beim offenbar bie 0d)önbeit ber oernünftigen 81atnr l^o^
über jener ber bloft lörperlidjen fteljen; barnm mnft bie ©i^önbeit ber
reinen (f^eifter, infofern mir non ber übernatürlicben Orbnnng
abfei) en, oollfommener fepn als bie menfi^lidie; barnm miip bie 0d)ön=
!^eit bem monnlidjen ©efc^ledjte in l)öl)erem ^Dtanpe eigen fepn, als bem
roeiblicben; barnm mnf) bie 0dbönl)eit ber animalifd)en Orbnnng jene
ber uegetabilifdjen übertreffen, unb biefe roieber ben 2]orrang bel)anpten
nor ber Orbnnng ber anorganifd)en Oinge. 3’^ befonberer üiüetficbt
auf bie mit Sernnnft begabten Söefen aber mirb bie ®d)önl)eit in ber
etl)ifd)en Orbnnng in meit Ijöberer iHollenbung erfcbeinen al§ in ber in=
tellectnnlen ; e§ mirb bie 0d)önl)eit ber übernatürlid)en Orbnnng nngteiii^
oiel l)öl)er ftei)en a(§ jene ber natürlidjen, fo mie enblid) bie 0d)önl)eit
ber im eroigen Seben bereitg ooUenbeten 31atur bie ©d)önl)eit eben ber=
felben meit übertreffen mufi, fo lange fie nod), im 3i'firtnbe ber 3?e=
mäl)rung, il)rer ä'ollenbung l)arrt.
137. Oa§ finb allgemeine ©rnnbfät^e. i^anbelt eg fid) l)ingegen
barnm, in tRücffidjt auf inbioibnelle ?laturen ben lalleologifd)en 91ang
gu beftimmen, fo finb nur ^mei ©tipe gemif). ^n unoergleid)lid)er ©djöne,
er!^aben, nidjt nur mie eg im ifjfalm oon il)r Ijeipt über bie .ilinber ber
“dllenfc^en , fonbern fd)led)tl)in über 9IIleg mag nidjt @ott ift, tljront jur
91ed)ten beg Snterg jene menfd)lid)e 91ntur, meldje ber ©oljii @otteg um
unfereg §ei(eg millen angenommen. Oie erfte ©teile und) iljreni ©oljtte
aber, in einer fyiille ber iKeinljeit unb ^;^eiligfeit bie nur @ott .^n beulen
uermag*), in einer ©d)önl)eit barnm, bie auper @ott lein SBcfen mie
fie eg uerbient 511 lieben, bereu 2I>onne feine Cfreatnr 511 erfdjöpfen im
©taube ift, nimmt bie ^utigf^'nn ein f^noll ber @nabe", bie ©ebenebeite
unter ben iBJeibern, meld)e „ben gebar ber fie erfdjaffen, unb anbetete
ben fie geboren''. „Oie ©rftgeborene oor aller (freatur" nennt fie bie
.^irdje, „burdj bie am i*nimmel ein nie oerfiegenb £id)t aufging"; mit
©ternen gefrönt, ben 81ionb unter iljren jvüüen, mit ber ©onne angefljan,
fa^ iie ber ©eljer beg neuen 93unbeg; 9111eg bag ift menig, beim eg ift
menfdjlid). ©ie Ijat bie ©onne beg 4‘^immelg mit ber iiJolfe beg {yleifdjeg
umfleibet, fpridjt ber Ä'irdjenle^rer oon (Jlairoaur, bafür umfleibet bie
©onne beg .'pimmelg fie mit bem 'Oollglan^e iljrer eigenen ©c^ön'^eit **j.
*) ^iii§ IX. in ber bogmatil'd^en Suite Ineffahilis Deus, oom 8. ®ec. 1854.
**) Valde decora „überaus fd^ön", iota formosa, tota pulchra „uoüfommen
f^öu", quasi aurora valde rutilans, gloriosa, super onines speciosa, „in golbeuent
182
Ob bo§ SBeib fc^öner feg al§ bev SOlann.
Unter ben übrigen nerflärten Serool^nern be§ §immel§ eine Stufen^
fotge angugeben, fte^t un§ nid^t gu. ®ott ’^at un§ ben pl^eren ober
nieberen @rab ber ^eiligleit nnb ber i^r entfpred^enben ©lorie feiner
2lugern)äl^lten nerborgen. 2Ba§ bie ©ngel betrifft, fo ftel^en fie jroar,
tüie mir gefagt ^ben, in ber natürlichen Orbnung alä ber ütRenfdh :
aber bie 35ertheilung ber übernatürlidhen ®aben hat bie göttUdie S!öei§heit
an biefeg @efe^ nicht gebunben. ®urch t)ie ©nabe erhebt fie fXRenfchett
über bie (änget, nnb in f^otge beffen rcerben bann bie Sezieren non fenen
auch an Schönheit übertroffen. „‘DD'lenfchen nnb ©ngel bitben int etoigen
fieben nicht jioei gefchiebene ©emeinben, fonbern ©ine: benn 3UIer ge=
nteinfante ©eligleit ift, ©ott in Siebe onäiihangeiS'. So lehren St. 2IU'
guftin unb ber heilige 3^honta§ 214),
II.
®ie Don Schiller, ©oethe unb 3lnberen oertretene Sehre, ba§ ba§ toetbliche
©efchlecht, mag bie Schönheit betrifft, oor bem männlichen ben SSorrang
habe, ftimmt mit ber 3Bahrheit nicht überein, iplato, 3lriftoteleg, Quarte,
Jhomag non 5lquin.
138. Unter ben ©ebonfen burch roelche mir norher (136) ben
falleologifchen fRang ber nerfchiebenen jllaffen non SBefen characterifirt
haben, fteht namentlidh ©iner mit ben Slnfchauungen oerfdhiebener ^orp-
phüen ber fReujeit in gerabem ©egenfat^.
„®ie Klarheit unb .^armonie beg äöefeng", fchreibt, oon Schiller
rebenb, ©eroinng, „ift überall bag eble 3^el, raohin ber dichter bie
ÜRenfchheit rceift; unb rcie er bem IRenfchen bag geben ber ©ötter non
biefer Seite preift, fo bem 'ilRanne bag SSeib. Diicht nur ber tneiblidhen
Jorm ift in ben Slnfichten Schillerg, §umbolbtg unb iBurbachS bag
©lement ber Schönheit norjuggraeife eigen, fonbern audh geiftig fteht bag
ilBeib in jener .^armonie ber Kräfte, bie bie SSebingung ber Sdhönheit
ift, bem 'äRanne noran, bem eg fonft überall roeicht. ®ie ,2S>ürbe ber
fyrauen‘ ift in biefem Sinne gebichtet'' * *). 2Ber bag hier bejeichnete ©e=
bicht lieft, namentlich mit ben acht Strophen ber erften Sluggabe, tnelche
in ben fpüteren raeggelaffen ober unter ben Strich gefegt finb, ber bann,
ber Slnficht fepn, bap ©erninug faft noch etraag ju tnenig fagt, unb eg
feinegraegg eine Uebertreibnng mar, roenn an Schillerg hunbertfährigem
©eburtgtage ein f^^eftrebner bie SSerfammlung belehrte, ba§ Schiller „ähnlich
ÖidEjte ftrat)lenb loie bie ÜRorgenrötbe , oolt ber .gierrtihteü, fhön über Sitte", f)ei|t
bie Jungfrau im fircblid^en Officium; unb felbft ba§ Stttribut ber bttpoftatifihen
®ei§bcü ™irb if)r äuerfannt: fie ift „bie SRiitter ber fdf)önen Siebe".
*) ®eroinu§, ©efchihtc ber beutfd^en Oichtung (5. Sücft.) ®b. 5. S. 496 f.
Ob baä 2Seib fd^önev fei; al§ ber 9JJann.
183
rate @oet§e bie üoUenbete 'lli en f d; ^ eit , mit ber i^m bie 3^ec ber
5d;ön^eit jufammeniiet , oorraattenb in ber raeiblic^en 91atur unb il^rer
^armonifdfen 3:i^ätigfeit auSgebrüdt'' fanb*). 9Iuc^ ßinbemann berid^tet
in notier Uebereinftimmung t}iermit: „Sen jtrang be§ fd^önen ,3^eal§
legt ber Sid^ter in ber ,2Bürbe ber ^ranen‘ ju ben §üpen be§ [litten
ineiblidfen Seben§" **). ©teid^artige 2ln[d;annngen tnerben inel^rfad^ au^
fjente nod; tniebertfott: [o erftärt [id^ j. fß. (Sart Semd'e in [einer „fpo=
putären 2le[tf)etit'' (©. 201) geneigt, jn nermntl^en, „ba§ ber flJiann
tie[er [te^e at§ ba§ 2ßeib, ba[; er bie er[te, nodf) me^r tt;ieri[d)e, bie
^ran bie nerbe[[erte Stuftage [ep".
139. fUiänner inbefi bereit ©tiniine in f^^ragen biefer ülrt ganj an=
bered ©eroidft b^t/ öt§ jene ber fünf ©enannten, haben nidjt [o genrtt)eitt:
unb bie ©rünbe inetdhe [ie anfübren, beroeifen entfdheibenb, baf; bie Stnfidht
ber Sel3teren mit ber Sfßabrheit feinesroegd im ©inftange [teht. Stad;
)]Iato i[t ba§ männtidhe ©e[d;tedf)t „non Siatur ebter, nnb mit einem
notieren SOiaafte non ©infidbt nnb geiftiger Jlraft audgeftattet" 2i5).
Striftoteted betradftet ed otd audgcmadhte männtidbe
©efdftedjt non Statur and norjnglidfer i[t atd bad raeibtidhe" ***) ; ba§
bad Vettere „jinar ©infidbt befibt, aber [ehr geringelt); baß „and;
bad fß>eib non eblem ©haracter [epn fann, im Stttgemeinen inbeß bod;
ineniger [itttidhe SiidUigfeit, atd ber SStann, befi^t" 7t). ©ben auf [otdhe
*) SSilbauer, g^fttebe ju 'Odhüler§ I}unbcrtjähvigem (Scbuvtstag (^imsbnicf
1859) O. 18.
3n ber Opat fd^Iie^t ba§ Webicpt „iMrbe ber gfoaen" in ber crfien 3tii5go6e
mit fotgenben ©troppen:
2tu§ ber Unfd;ulb ©ct;oop geriffen,
Jtlimmt jum ber DJtann
Onrd) ein emig [treitonb SCiffen,
ibo fein ijerj nid^t rnf;en fnnn;
©cproanft mit nngcroiffcm ©cfiritte
3niifd^en @lücf nnb iRcd;t getpeilt,
Unb Derliert bie fdfröne Sttitte,
®o bie 'Utenfchpcit fropticp roeilt.
3lber in tinbtidf; unfd;ulbigcr .pütte
iBirgt fid; ber t;o!)e getnnterte Sfi>iite
3n be§ 9Seibe§ nerflärter (Meftalt.
3ln§ ber bejmibernben ©infnlt ber ßnSf
2 e u d) t e t ber 9Jt e n f d; t; e i t 33 0 i 1 e n b n n g nnb 35?icge,
.^errfcpet be§ ÄinbeS, be§ (?nget§ ©eroalt.
(3hidg. non ©tnttgart, 1835, 33b. 1. ©. 411.)
**) Sinbemann, (iiefcpidite ber bentfd;en Literatur (5. 31nfl.) ©. 604.
***) Arist. Polit. 1. c. 2. n. 12.
f) Arist. Polit. 1. c. 5. n. 6.
■ff) Arist. de arte poet. ed. Buhle c. 16. vulg. c. 15. n. 3.
184 iJttS Sffieib fd^öner d§ ber Üliann.
Ueber^eugungen gvünbete fi(^ o'^ne 3n)eifet bie für bas roeiblidie @ef(^Ied)t
bei ben SHten gebräud)Iic^e Sejeidjiiung sexus sequior, b. i). ba§ feiner
natürlichen 2lu§ftattung unb barum bem 9^ange nad) jtneite, ba§
minbere @efd)ted)t. hiermit nerg(eid)e man junü^ft bie angeführte
^ermuthung Semde’ä.
2lber nernehmen mir audh S^ertreter ber ^rifttithen 25>iffenfd;aft.
^otge ber natürliihen 35efct)affenheit feine§ ©etiirnS", fchreibt ber
fpanifche Strgt unb Quarte, „befi^t ba§ SBeib für ein
bebentenbeä iDiaafi geiftiger Stntage, ober für tiefeä unb grünblid)e§ SBiffen,
nid;t bie nothroenbige (Jmpfänglichfeit." Unb an einer anberen ®teüe:
„^nfofern nur bie ihrer Statur eigenthümliche Sefchaffenheit in betracht
fömmt, fann bei fyvauen oon Xiefe ber Stuffaffung nidht bie iRebe fepn,
unb ihre geiftige Einlage f^Iiefft febe 3lrt oon roiffenfdjaftti(^er “ShätigMi
au§. ©ie uerftehen mir mit einer geroiffen anfi^heinenben ©eroanbtheit
5U reben, roo e§ fid) um ®inge hanbelt bie teicht aufjufaffen, uub nid)t
oon 33ebeutung fiub. ift barum uoltfommeu gegrünbet, roenn bie
Äirdje eg unterfagt, bajf ein SK>etb femalg 33eid)t höre, ober lehrenb auf=
trete*): beim einfid)tige SSerftöubigfeit unb gefehmüffigeg Vorgehen finb
ihnen oermöge ihreg ©efi^te^teg fremb" **).
©anj in bemfelben ©inne hatte bereitg breihunbert ^ah^^ Quarte
©homag oon Slquin fiih anggefprod)en. „®ag Süteib fteht oon iRatur
aug an Sßerth unb SS^ürbe bem 'ätianne nad): roie beim, nach Stuguftin,
bag actioe iprincip immer oor bem paffioen ben Storrang h®t. ®ag
2i>eib ift oon Statur aug bem SStanne untergeorbnet , rceit biefer oon
Statur aug ein höh^i-’^^ SRaaf^ oon ©infid}t unb Urtheit befiljt" 216).
Unb biefe Unterorbnung hat ih^en ©runb nicht bto^, roie eg nad) biefen
Sßtorten uub nach .'puarte fchemen tonnte, in ber geringeren intedectuellen
^Befähigung beg loeiblid^en @efch(ed}teg, fonbern eben fo fehr barin, baf)
baffetbe in Stüdficht auf bie Stutage ju ethifd)er tilraft unb Gonfequenj
bem männlichen nachfteht. ®ie ©eele bes S3tanueg freilich hat nidhtg,
lüoburi^ fie fii^h oon ber beg SfBeibeg unterfchiebe 217) , roie ja überhaupt
bie ©eeien oder SStenfchen, oon Statur aug unb in bem Stugenblide roo
cirott fie erf^offt, einanber ooUfommen gleich finb. „2lber bie ©eele ift
bie Sffiefengform beg £eibeg, unb fie hat unter ihren iRrmögen auch folche,
bie ihre '^hätigf eiten mittelft leiblidher Organe oodjiehen. Unb biefe Ohätig=
feiten“, ingbefonbere bie fenfitioen, „haben ihre 3?ebeutung am^ für jene
*) Sefanuttidf) bat nid)t bie Äivd)e biefe ©nridbtimg getroffen, fonbern ber
(Srünber ber Äird)e.
**) Juan Huarte, Examen de ingeniös para las sciencias. (En la Oficina
Plantiniana, 1593.) Prohemio pag. 6. Cap. 15. pag. 250. 260. ®er (nicht ge=
nannte) ®rudort ift ot)ne älntroerpen.
Ob baä älJeib fdjöner fe^ al§ bev 3Jianu.
185
Sptigfciten , u)eld)e bie Seele nidjt buvdi letblidje Organe fel^t, für ba§
l^ö^ere (f-rfennen nnb Streben niimlid) ; beim bas erftere nolljie^t fid) mir
mit i^ilfe ber Sinnesbilber , nnb auf bad ÜCmllen anberfeits l^aben bie
Dlegungen be§ nieberen Strebenerinögenä i^ren (f'influfs. 29eil mm bei
bem SBeibe bie leibliche Organi)ation fd)rond) i[t nnb nachgiebig, baber
bömint es, bag ba§ ät>cib 3Üles mofür cs ficb cnti'dieibet, mir mit ge;
ringer (Jntldbiebenbeit feftbält. (5s gibt frcilid) in biefem ^'imfte 3(ns;
nabmen, aber fie finb feiten; roie es in bem ißndie ber Sprnd)e b^tfdt
,(ä-in SBeib mit ftarlem .tierjen, mer mag e§ finben?‘ 2Seil mm, ma§
unbebeutenb nnb Oeftnnb ift, fo nngefeben rairb, alö ob e§ gar
ni(^t ba märe, barnm fagt Slriftoteles , man pflege bei bem ÜC'cibe non
Selbftbeberrfd)img nid)t jn reben: inbem man nämlid) non ber 3ln=
fdiammg ansgebt, bnf3 ihnen, 3lnsnabmen abgerecb^'^t, bie C^-ntfd)iebenbeit
ber Ueberjengnng nnb bie fyeftigfeit be§ 2,l'0llen§ fehlt, unb fie fidj leicht
uom (Mefübte leiten taffen" *). Oenfelben O^ebanfen finben mir noch an
brei anberen Stellen inieberbott **).
(S§ fleht nlfo, ba§ biirfte hici'nacb mobl anerfannt merben miiffen,
bas raeiblidje (53efd)ledit bem mcinnlid)cn nad), jnnädift in 9(iidfidbt
bie teiblid)e Orgnnifation, infofern biefe im Sioeibe ineniger bajn angetban
ift, ben norjüglidjeren, eblcrcn 9tnfgaben ber mit 35ernnnft ansgeftatteten
Seele gu bienen nnb fie gu förbern; in fyi^lge bievnon aber ftebt es ilpn
nothmenbig andi nad) in 9(üdfid)t auf inteltectnelle IBegnbnng, fo mie
anf bie natiirlid)e Einlage für bie ber etbifdjen Orbmmg. iÖtit
anberen S9orten; bas meiblidje diefdbted)t befibt non 91atnr nnS, bem
männlichen gegenüber, ein geringeres 9)laaf! innerer (^utbeit; eS ftebt,
in lRüdfid)t anf tbntfädjtidje Uebcreinftimnmng mit bem nernünftigen
(Reifte, minber hoch alS ber Dliann. Oie innere (^nitbeit, ober bie tbat=
fädjlidie Uebereinftimnmng mit bem nernünftigen (fieifte, ift mm ober,
obfectin nnb ber Sadjc nad), mit ber Sd)5nbeit ibentifd). Oer 91innn
non Stagira nrtbcilte mithin gang rid)tig, ba er ben Sab auSfpradf:
„3e notier baS 'Scaap non 3(ntoge nnb (■'•ncrgie ift, baS einem 9Befen
bie Diatnr nerlicbcn b^t, befto böb^^^c Sd)önbeit tritt feinen
ißorgügen unb feinem Sbi''’; barnm übertrifft g. 5^. ber 91iann an Sd)öm
beit bas SBeib" 21 8).
Sollen mir nod) baranf bidiueifen, baf; nur biefe Sluffaffuug mit
ber Sehre ber Offenbarung '®lnnn ift baS ißilb
(imttes," lehrt unS biefelbe, „unb bnrdj itin mirb @ott nerberrlidjt;
bnrd) bas SSeib 9Jumn nerberrlid)t. Oenu nid)t ift
*) Thom. S. 2. 2. p. q. 156. a. 1. ad 1.
**) Thom. in II. Dist. 21. q. 2. a. 1. ad 2. S. 2. 2. p. q. 149. a. 4. c.
q. 165. a. 2. ad 1.
186
Ob ba§ äßeib fd^öner feg al§ ber SlRann.
ber f0lann au§ bem Sßeibe ^eroorgegangen , fonbern ba§ 2Beib au§ bem
•D^anne; unb nidft be§ SBeibeä raegen raarb ber 'üJiann erfc^affen, fonbern
be§ ?SJianne§ luegen ba§ SBeib" (1. ©or. 11, 7 — 9). anberen fSBor^
ten; „2ßie ®ott ber Urfprung unb ber 3™^*^ gefammten @d)öpfung
ift , fo bUbet ben Urfprung unb ben 3^^*^ 2®etbe§ ber fOtonn" *).
2ßer benfen gelernt ^t, ber bürfte unf(i^tüer erfennen, baff mit biefer
SBafirl^eit bie 31nfid)t ber frül^er genannten 5Did)ter unb ©ele^rten fi(^
feinegroegg in (Sintlang bringen läfft.
140. ^an TOoUe un§ übrigeng nid^t mi^oerfte^en. 3Bir fiaben
lebiglicf) bie eben noc^ begeid^nete Slnfid^t im 21uge, nad^ rceldfier bag
meibli(^e @efd)led^t, alg fol^es, non bem Urljeber ber Statur bag
noüere flJlaa^ non ©c^önlfeit alg fBlitgift erhalten §aben foU. 5)ie
Söa^rl^eit biefeg ©at^eg ift eg, bie mir in 21brebe fteKen; infofern eg
fidb um nou ber 91atur gegebene, angeborne, non bem eti^ifdien 3:i^un
beg (S'injelnen unabliängige ©cl)önl^eit l^anbelt, nimmt unferen Seraeifen
jufolge ber fülonn bie erfte ©teile ein. ®amit ift offenbar teinegroegg
gefagt, baff nii^t mandbe 6in, feine ficf) nor nielen iSiännern burd^ Sugenb
unb eblen ©inn augfeidjnen, fomit, non ber ©nabe ©otteg unterftü^t,
burd^ i^r freieg 3;.^un fid^ eine !^öl^ere ©d^ön^^eit erringen fann: nocl)
aud^, baß nid^t fBiele, unb felbft auc^ fel^r fßiele biefeg tonnen. ®ie
.^irdfengefdjid^te le^rt ja unTniberfpredflid), ba^ fie eg mirflid^ get^an.
Unb Toenn Quarte ung fagte, „eg tonne bei f^rauen non 2:iefe ber
21uffnffung nid^t bie fRebe fepn, unb il^re natürlicfie Einlage fdflie^e febe
')lrt non roiffenfi^aftlicber Sf^ätigteit aug", fo fe^te biefer ©elel^rte felber
augbrüdlid^ ^inju, bas gelte, „infofern bie ber meibli(^en 9'latur eigen;
tl^ümlic^e 33efdl)affen^eit in 3?etrad^t tomme", ober raie er frcanfig 32*^^«
frül^er fid^ nodb beftimmter augbrüdft, „infofern nid^t eine übernatürlidfie
©nabengabe fie befäl^ige, rebenb unb le^^renb auff utreten" . fHiu^te ja
fdl)on bag fBirten ber großen fyi^au, roeld^e eben bamalg i^r fBaterlanb
unb bag feinige burd^ bie ©iefe i^rer SBeigi^eit roie burdl) bie ©ro^artig;
feit il^rer Unterne!^mungen ner^errlic^te **), i^n barauf ^inroeifen, baff ber
*) Vir est principium mulieris et finis, sicut Deus est principium et
finis totius creaturae. Thom. S. 1. p. q. 93. a. 4. ad 1.
301tt ben StSorten, „ber lOlann ift bn§ Sitb @otte§", roiCt ber Stpoftel nid^t
etroa bem rociblid^en @efcbtcd;te biefen Slang abfpred^en; er miß nur fagen, ba§ in
bem Silbe ®otte§, infofern e§ in bem SJlanne tjeroortritt, fid^ ein minber roefent;
Heber finbet, roetd^en biefeä Silb im SSeibe nid^t bat: jener nämlidb, ben mir
eben mit ben SOBorten be§ beidgen £boma§ angebeutet haben. „Quantum ad ali-
quid secundariuni imago Dei invenitur in viro, secundum quod non invenitur
in muliere,“ fagt Obo”'“^ unmittelbar oor bem äulept angeführten ®abe.
**) Oie b^idge Ob^’^Efio fdbieb an§ biefem ßeben im 1582, unb um
biefelbe 3^t ftarb aitdb löuarte.
Ob ba§ 3Beib fd^öner fc^ ab§ bcr
187
llri^eber ber 97atur nid^t an bie @efe^e gebunben i[t bie er felbev in fic
gelegt ^at, unb barum, jo oft e§ il^m gefällt, „ba§ 2:bbrtd)te ber 2Belt
augenoä^len" unb mit bem ßict)te feinet @eifte§ erfüllen fann, „um bie
Steifen ju befd)ämen" *).
UeberbieS — ba§ ift eine jroeite IRürffic^t, burdb raelcbe fiel) ba§
©efagte naiver beftimmt — überbieS bejieljt fid) nufere SBiberlegung einjig
auf ben ißeroäl)rung, in meld}em fid) bieffeit be§ @rabe§ bie
iD7enfd)l^eit befinbet, nic^t and) auf ben ber einftigen ißollenbnng im ewigen
ßeben; ansfd)lief;lid) uon jenem fpreeften ja am^ unfere @egner. 3'”
3nftanbe ber ißolfenbung am Sibrone @otte§ roirb bie gegenroärtige 2lb=
bängigfeit ber eeele oon bem Seibe ber ibr gehört, in feiner 25>eife mel)r
befteben: „e§ mirb oielmebr nmgefebrt", lebrt mieber 5:boma§ oon ülquin,
„bie ganje iBefd)nffenbeit be§ Veibeä fid) nad) ber geiftigen Äraft ber
oernünftigen Seele unb ihrem ®ertbe rid)ten. 3^ oerfdjiebenen
®röfee ber 23erbienfte roirb barnm bie Seele be§ (Jinen bie eine§ Slnberen
an iffiürbe übertreffen , unb ber i'eib be§ (Jinen ben be§ Slnberen an
Sd)önbeit. Somit roirb bann bie 3?erfcbiebenbeit be§ @efcble(^te5 in
biefer IBejiebung feinen Unterfd)ieb mehr begrünben'' 219). ülnalogeg
haben loir oorf)er in Ütüd'fidit auf bie Sd)önbeit ber ßngel unb ber
oerflärten fSlenfdien gejagt. 51 Hein ba§ oon bem ©njelnen mit ber
@nabe @otte§ erroorbene 5?erbienjt ijt e§, roa§ im eioigen Seben ben
5lu§jd)lag gibt, ober „bie Siebe roel^e niemals anfbört'^
*) 1. 6or. 1, 27.
Unlerer 2et)re, ba^ etbifd^e äDorjüge unb ^ernorragenbe 2ngenb natur;
gemä| bem roeiblicben ©efcblecbte ferner liegen, al§ bem männticben, gibt in ihren
liturgifdben 'Jormularien mebrfacb auch bie Ä'ircbe ÜtusbruU. So, roenn fie für bie
^•eile non sroei norjugsroeife belbenmütbigen Jungfrauen, ber beiligeu 3Igne§ nämlicb
unb ber bdligen 3tgatbc, jene ißfaimen Dorfebreibt, roeldbe ionft an ben geften non
23Iutjeugen au§ bem männticben @efdbled)te gefungen roerben; menn fie an bem
gefte ber (Jrfteren in ihrem @ebete fagt: „Omnipotens sempiterne Deus, qui in-
firma mundi eligis, ut fortia quaeque confundas“, an jenem ber 3™eiten unb
anberer IRärtprinnen aber: „Deus, qui inter cetera potentiae ttiae miracula
etiam in sexu fragili victoriam martyrii contulisti“; roenn fie ben .^pmmi§ für
ba§ 5^ft bdtiger ^rmien mit ben Sorten beginnt:
Fortem virili pectore
Laudemus omnes feminam,
unb an @ebädbtni|tagen be§ d)tarti}rium§ oon Jungfrauen ben ßboi" fingen läfet:
Haec enim palmae duplicis beata
Sorte, dum gestit fragilem domare
Corporis sexiim, domuit cruentum
Caede tyrannum.
188
§. 2.
bic ^frage »om g^bcaf ber ^i^ön^eit.
91ad; 0(^iüer iinb 5lnberen foU „ber Sllenfd) ba§ l}öd)fte ber ©c^ön'^eit"
fei;n. (5ntroideUing bes 23egriff§, ber [tdj mit bem SBorte „3beat" »er;
btnben Iä(d; SSeftimmung befjetben nad) 3teufüerungen »on 0d)iüer imb
©cero. meldjem 0inne ba§ 25>ort niemals gebrandet roerben fönne.
SSibertegung ber oben bejeid^neten Set)re. (?ine »eriüanbte , gteic^faUs
nnrid)tige Sel^re anberer 9(e[tl)etifer.
141. nod^ entfd^iebenerem SBiberfpritd^ mit bev Söa'^r'^eit, a(§
bie im jroeiten Slrtifei be§ lebten ^^aragrapi^en ^urüdgerctefene, fte^^t eine
anbere Seijre, roelc^e mit jener bie 9Sertreter nnb ben Urjpvung gemein
gu Ijttben fd)eint. 0djider gibt berjetben 3tu§brncf, roenn er in bem
Iprifdjen 0piele „SDie c^ntbigung ber jlünfte" eine biefer Sezieren, bie
ipoejie, Ujre 2Iutod)arncteri[tif mit biejen 95?orten bejdjlief^en läjjt:
0od) 0d)ön’res finb’ id) nid)ts, roie lang’ id) roöbie,
9Uö in ber ji^önen jyorm bie jdjöne 0eele.
9)?it anberen SBorten, in ber nüd)ternen 0prod^e ber SBiffenjcfiaft ; „®er
?0lenj(^ in feiner »ollfommenften ©rfd^einung ift ba§ pd)[te ^sbeal ber
0d)ön^eit". 0o fd)reibt n)enig[ten§ 2ßUt)elm ©ffer, ber, mie er felbft
anbentet, in feiner Se’^re über bie 0d^öni)eit nnb bie Äunft norjugSraeife
ben ©runbfälten SeffingS nnb 0c^it[erg folgt; nnb er fügt ^injn, biefeibe
Ueberjengung, ba^ ber ‘DJienfd) ba§ böcbfte 5^bea( ber 0c^ön!t)eit, fep and^
bei ben @ried)en bie ^errfd^enbe geroefen’^0- iS'rtnnern mir un§ aber, roie
mir früher einen g^eftrebner ^n bes ®id)terS ^nnbertjül^rigem ©eburtS;
tage beri(^ten prten, bap 0^iÜer, „aptid) mie @oetp, bie »ottenbete
91ienfc^pit, mit ber i^m bie ^bee ber 0d)önbett jnfammenfiel , »or=
raaltenb in ber roeiblid^en 91atur nnb i^rer prmonifcfien 0otatitat
nnSgebrücft" fanb; erinnern mir uns, mie in llebereinftimmung hiermit
Sinbemann nnS erjagte, „ben Äranj beS fd)önen 3^ealS @dt)iüer
jn ben f^üpn beS ftilten meib ticken gebenS niebergetegt" *) **) : fo ner;
manbett fid) ber nad) 0d]itler nnb geffing »on (Jffer gegebene 0a^, be=
ftimmter auSgebrüdt, in biefen onberen : ,,©aS pd)fte 3^eat ber ©c^önpit
ift baS SBeib in iper »oüfommenften ©rfdbeinung." ^er S;pt
bitbet ber ©ebanfe ben bie »orpr onS ber „^ulbigung ber fünfte“ ange=
füp'ten i8erfe entpiten, ein (äomptiment baS fidt) an eine fifran rid^tet***).
*) dtier, 'l^fodptogie (1854) §. 109. 470; »gl. 0. 463.
C-ben, 9t. 138. ®. 182 f.
***) ®a§ Iprifcbe ©picl ©(^iPer§ ift ber (frbprinjeffin »on SCBetmar, Warta
'Sa§ fe:)en.
189
btefev (Raffung fvci(icf) erfdjdnt bev iSalji fdion buvd) basjenigc uer^
urt^^eUt, luad lüir im erften 'Paragraphen biefeS Jl'apitelä (139. 183 ff.)
gefagt ho&f»- bagegeu ben SBerth beffetben in feiner allgemeineren
’^orm entfpredhenb befeuchten ju fönnen, nach mefd)er „ber 'Dlenflh in
feiner pofffommenften (Srfcheinnng'' ba§ höd)fte ((beal ber ©djönheit bitben
fofl, müffen mir jnnädfft feftfteffen, roaä ber 3htsbrncf „,3beal" bebeutet.
142. Ginjefne (Steffen gerabe in ©diifferä 2®erfen fmb ganj ge=
eignet, und für biefen jn bienen. 5)ie 51nfforberung jnnöd)ft:
■JHehet au§ bcm engen bnmpfen Seben
()n be§ ,'sbcnfe§ dleid) * *),
fel3t offenbar Poran§, baf3 bie Sieett ber 3^eafe eine anbere ift, cif§ bie
ipirffidje in ber mir nnd bemegen, nnb nberbieS, ba[3 fie eine beffere ift,
eine erftrebenSmerthere, eine fdmnere, eine mehr befefigenbe. ®iefen ®e=
banfen beftätigt eine Strophe an§ einem nnberen Stüde:
(fi'fofhen finb bie heitern Sonnen
Sie meiner ^ugenb 'h'fnb erhefft,
Sie ^benfe finb jerronnen
Sie cinft bns trnnfne f?ei3 gefdnoefft;
C^T ift bahin, ber fn§e ©faitbc
'Ifn äC'efen bie mein Sramn gebar,
Ser ranhen 3®irffid)feit ^nm dtnnbe
'Ji'aö einft fo fd}ön, fo göttfid) nmr**).
Sie „ranffe äBirffid^feit" fteht affo tief, überonä tief unter jener Sphäre
in raefdter bie feinhten. Sie 3iiü2i‘ficht, einft in ihren thatfädj=
fid)en Pefih jn gefangen, fie jn erringen nnb feftjnhaften, begeifterte ben
^üngfing jn frenbigem Streben, jn ben fühnften ©-ntmürfen; aber e§
mar nur ein fdjöner Sranm: bie (Srmartnng bfeibt nnerfütft,
Unb immer ftitfer mirb’s nnb immer
i'erfnff’ner auf bem rantjen Steg;
.t?aum mirft nod) einen bleidjen Sd}immer
Sie .^offnnng auf ben finftern 2Beg.
iSaä h'iäen mir nn§ hiernad) unter „^beafen" jn benfen? (f'r=
fcheinnngen, — fepen eä nun 'Perfonen, ^i'ftänbe. Sagen, 23ejiehnngen,
Shatfadien, (rigenfdjaften, 'Sor^fuge, — non ben gfeid)namigen (ärfdjeinnngen
‘Pautorona, ©robfürftin uon dtiiptanb, geroibmet, unb rourbe ju it)ver 33egrübung
am 12. DftoDember 1804 auf bem .^oftbeater 511 3Eeimav aufgefüt)rt.
*) Sdjitter, ®a§ ^bcat unb ba§ ßeben.
**) Spider, Sie ffbeate.
190
2Sa§ „gbeale" feiert.
roie jie „bie rau^e 2£'ir!ü(^feit" umfc^üe^t, ber 2Irt unb bem SBefen nO(^
nic^t Derfc^ieben, aber oon gang anberer SSoIIenbung, in einer ©eftattung,
nie! noHfomniener , nie! pl^er, ntel reiner, nie! ebler, nie! fd^oner, nie!
begtücfenber al§ jene ift, in raelcfier „bas enge biimpfe ^eben" fie auj;
guroeifen ^at.
3u bem gleichen Diefultate gelangen mir, wenn mir einige ®ät^e
in einer fleinen Sd^rift (^icero’s in§ 3luge fafjen, in rceld^er er bem
'äRarcul ißrutu§ bas 3^eal ber oratorijd^en Serebtjamleit geid^nen roill.
(Sicero nerftel^t unter biejem, raie er jelbjt jagt, „bie 33erebtjamfeit in
i^rer noltenbetjten ©ejtalt" 220); „ein nor ber Slnfdtiauung be§ ®eijte§
jtelienbe§ 35ilb berjelben, bem nidf)t§ mel)r abge^t" 221); „jene 2©eije ber
23erebtjamfeit, bie feiner Sjernollfommnung me!^r fä^ig ijt, roeld^e barum
al§ bie üorgügimte, al§ bie nottenbetjte gelten muß" 222). Unb ein
3beal im Slltgemeinen ijt i^m „ba§jenige, über ba§ ^inau§ e§ (in ber^
jelben 2lrt) nid^tä ®ejjere§ geben fann" 223).
©ingel^enber, al§ in biejen furgen Söorten, erflärt Cicero jeinen ©e^
bauten etroa§ jpater. „©d^öner, al§ irgenb rceld^e jdfiöne ©rjdlieinung,
ijt immer ba§ Urbilb, ba§ in jener, roie in bem ijßortrait ba§ Original,
nadligebilbet ijt. OiejeS Urbilb ijt feinem 2luge jid^tbar, fein O^r oer;
nimmt e§, e§ roirb oon feinem unjerer Sinne erjagt: nur ber benfenbe
©eijt entroirjt e§ unb jdtiaut e§. 33otlenbetere ©ebilbe al§ jene be§
ijjl^ibiaä, Dollenbetere SBerfe ber “Dlialerei al§ bie jrü^er erroä!^nten, jinb
auj ber gangen ©rbe nid^t gu jelien: aber unjer ©eijt fann jid§ jcfiönere
benten. Unb alg i|3^ibia§ jeinen Jupiter arbeitete, ober jeine 'äRineroa,
ba jdf)aute er nidlit auf irgeub ein jii^tbareä Söejen, um biejeä na(^gu=
bilbeu: jonbern in feiner Seele trug er ein ^beal oon I^o^er Sdliönl^eit;
auf bieje§ !^iett er jeiu 2luge uiroerroanbt gerii^tet, oon biejem roar er
bemüht, mit feiner j^ünftlerl^anb ba§ 3lbbilb l^ergujtellen" *).
33ilben roir nac^ biejen Eingaben ben ollgemeinen SSegrijf be§ ^beall,
jo ergibt jid^ etroa bieje Oejinition: „®a§ 3^eal eineä Oingeg ijt ein
00m ©eijte gebadl)te§ ®ing ber gleid^en 2lrt, roeld^e§ bie bemjelben eigenen
3>orgüge in ungeroölmtii^er, überaug lio^er 3}ollenbung beji^t.'' @§ roar
ein 3^eal in biejem Sinne, bag 3^eal eineg 33ilbeg ber l^eiligen ^^^ng-
jrau, bag oor bem ©eijte beg finnigen 9fooalig jtanb, ba er bie befannten
äf>orte ji^rieb:
3ct) jebe bict) in toufeixb SSitbem,
SRaria, lieblicb aiiggebrücf t :
Ooct) fein’g non alten fann bict) jct)ilbern
2öie meine Seele btdj erblicft;
') Cic. Or. c. 2. n. 8. 9
2Sas „3beale" feiert.
191
löeif! nur, ba§ bev 3Bett ©etümmel
Seitbem mir wie ein Jvaum nennest,
Unb ein unnennbar füfeer §imind
iöJir einig im @emütl)e fte’^t.
143. ®ie eben gegebene ®efinition be§ ^beal§ entfpric^t ganj bem
begriffe, ben mir normet aud^ ©djiller mit bem SBorte nerbinben fa^en.
?lber roarum, fragt man nietteidit, erbtären mir ba§ 3i^ea( nid)t lieber
al§ baäfenige ®ing, mld^eä bie feiner 2lrt entfpre^enben SSorjnge in
ab fohlt er ißodenbimg befil^t, ba§ l)ei^t in fenem ®rabe ber SSoffenbung,
über roelc^en l^inaiiS fid) lein böserer benlen läßt? 3Serfd)iebenen ber
angeführten ©ebanfen (Sicero’S mürbe ja biefe ®efinition mehr jn ent'
fpredben fd)eincn, a(g bie raeld)e mir anfgeftellt haben.
S)a§ Se^tere ift ni^t nnroahr. (hcero lehnt feine Sluffaffung, mie
er felber anbeutet, an ipiato’ä Sehre non ben ^been an 224). 9lad) biefer
gibt e§ nidjt ein llrbilb (eine „(sbee") für jebeä einzelne ®ing, fonbern
nur für febe 21 rt non Singen, ober für jebe Orbnung. ipiato bod)te
fich S- 23. eine (sbec ber Sugenb , eine 3bee ber ©inficht , eine (sbee ber
0dhönheit, bereu febe ein für fich fepenbeä roirflicheä 2Sefen märe. Siefer
ganj irrigen Sehre entfprach freilid) ber @ebanfe ben mir bei ©icero
fonben, ein 3beal KP baSfenige, „über melcheg hiaauS e§ in berfelben
Orbmmg nid)ts 23efferes geben lönne'K ober „ba§ feiner 23er=
nollfom Innung mehr fähig fep". 2lber menu mir in biefem @inne
2llleä auälegen mollteu ma§ ©icero in ben angeführten ©äheu fagt,
— mähreub er felbft feiue§meg§ fo confequeut nerfährt, — fo mürben
mir feiner Sarftellnng einen 23egriff be§ (jbealä entnehmen ber philo=
fophifch gau5 nnjnläfng märe, nämlidj ben oorhcr ermähnten : ®a§ ^beal
eineä Singeg ift ein Sing ber glcid)en 2lrt, mel^eä bie ber Sefeteren
entfpredhcnben Sorj^üge in ber a b f 0 1 u t h ö ch ft e n 2?ollenbnng befitit.
SSarum märe biefer 23egriff philofopl)ifd) nnjuläfeig? Söeil, auffer
©Ott, fein 2Sefen gebod)t merben fann, melcheS einen 'Sorjng in ber
abfolnt hod}ften 23otlenbnng befä§e. Sag abfolnt 2Sollcnbete, jener ©rab
ber SSollenbnng über ben hüuiug fid) fein höherer benfen lä^t, finbet fich
augfchlieglich in ©ott. ^e K<h ih'^ ein erfchaffeneg 2Befen nähert,
befto höhev fteht eg an ©ntheit, befto oollenbeter ift eg ; aber ber 2lbftanb
gmifd)en ©ott unb bem non ihm ©iemad)ten bleibt immer unenblid) gro§:
ohne ©nbe fann barum ein üöefen ihm an 23ollenbung näher rüden, eg
erreid)t ihn bennodj nie; eg fann immer mieber ein anbereg 2Befen ge=
bacht merben, bag an Sollenbung höhei^ fhht bag oormiggehenbe 225).
144. 2)füffcn mir hiernach jene Sefinition fefthalten, meldhe mir
am 0d)luffe ber oorlehten 2fnmmer anggefprodhen haben, fo bejeid)net
offenbar ber 2tngbrnd „bag (cbeal" feinegmegg eine beftimmte, genau
192 Unit)iffenfd[;aftlid§e SBe^auptungen übev „ba§ S^ön^eit".
abgegränjte imb feftfte^enbe Ocovin, fonbern etroaS buvc^auä 3}eränber^
lic^eS. ^enn bie „imgerabbnüc^e, überaus l^o^e QSoüettbung“, in roelc|er
an einem ,3beate bie ißovjüge ber 2Irt jn ber ba§ i^m entfpreii^enbe ®ing
gehört, ^eruortreten foUen, hübet ein ganj nnbeftimmteä ÜRaaß, ba§ me!^r
nnb roeniger ©rabe untfaffen fann, unb bavum not^roenbig nidbt nur
je in ben nerfc^iebenen ©eiftern ein anbereg ift, fonbern aut^ in jebem
einjetnen ©ei[te beftänbigen Sc^manfungen unterüegt.
©ben beß^atb burften mir and) in nuferer ©efinition bie Söorte
„ein üom ©eifte gebac^teg ®ing" ni(^t roegtaffen. ®enn roirllic^
fepn, eriftiren, fann nur bagjenige, mag noüe, genau abgegränjte S5e=
ftimmtfjeit ^at. STarnm fönnen beim and) rairflif^ fepenbe ®inge, f)ifto=
rifdje i^erfonen, afg „bag" 3ib£<^^ 2lrt ober Orbnung melier fie
' angeboren, niematg bejeidjuet roerben ; auf fie fä^t fid) ber 2tugbrucf nur
in einem nneigenttidien ©inne anrcenben, unb bep^alb nur mit bem un;
beftimmten 2(rtiM. 0o fann man aüerbingg j. 25. ben Sfbra^am „ein"
3beaf beg ©efforfamg unb beg ©fanbeng nennen, ober ben
3beal ber ©ebulb, ober ben l^eitigen 2]incenä oon '4^au( „ein" ^beat
eineg 'Pricfterg; aber in 3Serbinbungen biefer 2trt ^at bag SSBort nid)t
bie oorfjer befinirte ißebeutnng, fonbern eg folf mit benfetben mir gefagt
fepn, bag fofdie iperfonen jenem iBitbe oon „überaug l^o^er 25otIenbung"
bag ber ©eift ficb entroirft, befonberg nal^e fommen, eg geraiffermafeen
,:;u erreii^en f^einen, unb barnm ber Seraunberung mert^, unb afg raa^re
2}tufter ber SRai^a^mung 51t betrauten finb.
145. SBenben mir nng jet^t ju jener Betöre neuerer 2feft^etifer jurüd,
inctcbe nng nöt^igte, auf bie f)iermit abgefi^Ioffene ©rörterung einjuge^en.
©g mar bag ber ©aö, „ber 20fenfd) in feiner ooüfommenften ©rfdjeinung
fei) bag ^öd)fte 3^eal ber ©djön^eit". Ser ©upertatio „in feiner oolü
fommenften ©rfc^einnng" fann nac^ bem oor^er (143) ©efagten, menn
ber ^Begriff nid)t p^ifofop^ifd) unjulägig fepn foü, nur ben ©inn ^aben:
„ber ‘iOtenfc^ in überaug oollfommener ©rfcbeinung". 25>ag ^aben mir
ung aber unter bem 3tugbrucfe „bag ^beaf ber ©i^önl^eit" ^u benfen?
Ser gegebenen Sefinition (142) jufolge fann berfetbe nif^tg 2tnbereg
bebeuten, atg „eine ungeraö^nlicbe , überaug §of)e f^üüe oon ©d)öiil^eit
roefd^e ber ©eift fid) benft" ; mit anberen Sßorten, „bag (j^eaf ber ©c^öm
^eit" ift fooiet atg „ber begriff einer ünperft ^ofien jyütte non ©c^ön=
beit". Sag ift offenbar etinag SIbftracteg, bag für ficb, unb aufeerbatb
beg ©eifteg ber eg gerabe benft, nicht nur nid)t roirfticb ift, fonbern auch
nid)t roirfticb fepn fann; beim einem abftracten Segriffe roirflidbeg, fetb=
ftänbigeg Safepn ju geben, bag uermag fetbft bie 2tltmacbt beg ©dböpferg
nicbt. „Ser 2Wenfcb" bagegen „in überaug notffommener ©rfcbeinung"
ift ein concreteg 2öefen, bag für ficb, nnb unabbüngig non bem ben=
fenben ©eifte, febr roobt roirfticbeg ©epn bnben fann, fobalb eg ©ott
UnTDifienid^afttid^e Behauptungen über „ba§ 3*5eat ber Schönheit". 193
bem .s>errn gefällt, ihm fotd)eä ju Dcrleihen. Ser ®at3 uou bem mir
rebeu, behauptet fotgüd) bte ^beutität etneS möglichen coucreten iK>efen§
mit einem abftracteu 3?egriff. 35>irb man ©ebanten biefer 2Trt nod)
eine§ mürbig finben raollen?
i)i)ian entgegnet nn§ uietteid}t, roir nähmen bie Sadhe jn genau.
Sie Stefthetifer um bie ed fid) hanbett, hätten nid)t§ roeiter fagen mollen,
als „ber iDeenfdh in überaus üolltmnmener (frfdjeinnng fep ba§ ®d)önfte
ba§ fich beulen läf^t, ober ba§ überhaupt fepn fann“. 2Benn jene @e=
lehrten in ber Shat beabfichtigten, biefen @ebanfen auSjnfpredjen , bann
hätten fie e§ eben and) thun füllen; beim eine ungenaue 2ln§brud'§roeife
f'ann bie Söiffenfchaft nid)t anberS alS perhorrefeiren , roeil fie noth=
roenbig eine Duelle falfcher 5tnfd)aunngen mirb. Saju fömmt aber
nod), ba^ ber ©aü in ber gegebenen j^-nffnng allerbingS einen ©inn hat,
aber einen fotd)en, ber mit ber iß>ahrheit nidjt übereinftimmt. ©o fehr
nnfer @eift fid) on bie ©inne gebunben fül)ft, fo beft^hränft ift er bod)
nid)t, bie ©djät^e feiner ©rfenntnif) finb bod) nodh niel jn grofj, alS bap
er fid) nii^t ben 3?egriff einer meit höheren gütle non ©t^hönheit bilben
füllte, einer fijülle bie meit hinanSliegt über jenes Srud)tl)eilchen, baS
ond) bie notlfommenfte (Jrfd)eimtng eineS einjelnen ‘'H?enfd)en in ber
natürlid)en Srbnnng nmfaffen fonn. SaS ift ein niel ju enger IRahmen
für ein 2?ilb non folcher ®röf)e, inie „baS ©djonfte baS fith benfen läfd".
Ober fann nnfer @eift fid) nid)t ein än^erft noUfommeneS 23ilb entinerfen
etina non ber d)riftlidhen f^amilie, nom ©tnate, non ber jb'ird)e @otteS?
nnb liegt in folchen Silbern nid)t eine niel reichere "Jülle non ©d)önhcit,
als in ber nod) fo noüfommenen @rfd)einnng eineS einjelnen i)i)tenfchen ?
Söir fteüen geinif) nidht in Slbrebe, ba^ ber ‘iOienfdj unter ben fidhtbaren
(^■injelinerfen ©otteS baS fd)öufte ift: aber and) in ber natürtid)en Orb;
nung bilbet er hoch nur einen integrirenben ©hell elneS fd)önen ©nnjen,
ber fichtbaren ©d)öpfnng, beS ,,/oa;xoc‘-, nnb bnS Silb biefeS ©anjen ift
fürmahr ein niel ©d)önereS, alS baS Silb beS fd)önften feiner ©hede*
Siefe ©ebanfen bleiben inal)r, and) inenn man ben fnlfchen Segriff
©fferS non ber ©d)önl)eit, ineld)e ihm inie ©d)iller „bie ^neinSbilbnng
beS Vernünftigen nnb ©innlid)en, ber f^orm nnb beS ©toffeS" ift, be=
ftehen täjft. Unb inenn man bnrcl)anS nid)t (inteinohl ol)ne allen ©runb)
eine moralifd)e ober eine pl)t)fifd)c ©efammtheit, fonbern mir ein ©insel=
bing alS ein ^sbeal anerfennen inill, inol)er ineif) beim bie ^>hdofopl)le,
baf! „bie ^üeinsbilbnng ber f^orin nnb beS ©toffeS" fid) nid)t noll;
fommener nerroirflid)en lüf3t, alS eS in ber mich ^'^d) fo fehr nernoCl;
fommneten ©rfcheinnng beS Vtenfehen ber märe? SBürben etma
iiid)t jene ©ngel höh^fe ©d)önheit befielen, bie nadj ,f\nfifn bem i)Värti)rer
unb anberen Jbircheiinätern anS ©eift nnb Viaterie beftehen folltcn ?
9lid)t als ob mir biefe 2tnfid)t für mal)r hielten : aber ficher fann ©otteS
Sungmann, Sleftljctif. 2. Slitfl. 13
194 Unroiffenfd^aftlid^e Sel^auptungen über „ba§ 3^eat ber <2c|bn^ett".
SÖeiSl^eit au§ @eift unb ©toff Sßefen hüben, rae^e über bie noüfontmenfte
menf(^ücf)e Slatur roeit ersahen finb.
146. mtnber unroifjenj^afüic^er gafjung al§ ber his!§er be=
iprod^enen, jprec^en anbere ©^riftfteüer einen anberen ©ebanfen auä, ber
mit jenem offenbar bie Quelle gemein !^at. „Unter allen f^ormen ber
©rfa^^rungggegenftänbe" , leiert Ärug, „bietet fi^ un§ bie ©eftalt be§
iöZenfc^en alä bie jur ißilbung unb SDarftetlung eine§ ^beal§ ber ©d^öii;
lieit taugtid)fte an" *). faft auffatlenber Uebereinftimmung liiermit
!^ei^t e§ bei f^icfer; „Qie ?0ienfcf)engeftatt ift oorjüglid) fä:^ig, bie 3^ee
ber abfoluten ©d}5n!^eit ju oerfinnlic^en, mithin unter allen un§ befannten
iHaturformen bie tauglicbfte Jur SSübnng unb QarfteÜung eine§ 3^eal§
ber ©dliönl^eit" **). Saff ein mirflic^eS ©injelbing, ober eine l^iftorifd^e
iperfon, immer'^in al§ „ein" Qrbnung bejeii^net roerben fann,
unb roel(^e 33ebeutung in biefem fyalle, mit bem unbeftimmten Slrtüel,
ba§ SSort „^beal" ^abe, ba§ mürbe oben (144) bereits gefagt. ®ie
jroei angefülirten ©ä^e entl^alten barum atterbingS einen richtig auSge=
brürften ©ebanten: „(^nfofern eS fiel) barum l)anbelt, eine ©rfc^einung
oorjufü^ren , beren ©c^önl^eit jener l^o^en f^ülle non ©i^ön^eit, roelcfie
ber ©eift fic^ ju benfen nermag, möglic^ft na'^e fömmt, finbet fi(^ in
ber fic^tbaren 3Bett nichts für biefe 3lufgabe me^r ©eeigneteS, alS bie
©eftalt beS ilJlenfd^en."
35erftänblic^ , fagen mir, ift freilich biefer ©at^; aber mir fönnen
mieber ni(^t anberS, alS i^n für unroa^r galten. 1'^ttte man
boc^ nit^t mit einer ganj ungegrünbeten ^UiSfd^lieplii^feit bie ©e ft alt
beS 'üRenfclien, fonbern ben iÖlenfc^en in feiner gefammten ©rfd^einung,
in feinem Seben unb ^anbeln, als baSjenige ^inftellen, roorin fid) eine
ungeroö^nli(^ !^ol)e j^ülle oon ©i^ön^eit am geeignetften jur 2lnf(^auung
bringen lief^e. Ober erfd^öpft etraa febon bie bloße ©eftalt alle ©lemente
ber ©cbönbeit roelcbe bie menfcblicbe 9i;atur faffen fann, brüdt fie allein
febon biefe ©lemente oollfommen auS? SBo tritt unS ein böbe^e§ 30ffaa§
non ©cbönbeit entgegen, in bem Slpoftel ^jßauluS, raie ber beüige SucaS
ibn in ber 3lpoftelgefcbicbte unb er felbft ficb in feinen 33riefen ^eid^net,
ober in bem Slpollo beS 35eloebere? roaS ift f(böner, jeneS 3^ol einer
natnraliftif(ben Sleftbetif, bie mebicäifdbe SSenuS, ober bie eble Jungfrau
im ilempelbain ber Qiana, roeldbe „bie Unfterblidben
fo mambes 3abr
35on SOtenf^en abgefonbert, unb fo nab
Sei fid; gebalten, ihre ©eele
*) Ärug, Pteftbetif, §. 23.
**) g-iefer, Steübetif (2. 3tufl. ®ien 1840), §. 19.
®ie Sd^ön^eit @otte§.
195
3^er glamme g(eid) in ero’ger frommer Älar^eit
3u iljren 2ßol}nungen l)inaufge3ogen",
t)ie in beffen, oBgleicf) fie il)re ^Befreiuung baran gefiüipft fielet
nnb ba§ Seben be§ SruberS, nor jebem 3;ruge juritcffc^reif t , unb ftcb
felber gefte'^en barf:
„,3d) b“be nitf)t gelernt, ju l)intcrbalteu,
3tod) femanb etraa§ ab^uliften" ? *)
2Ibev mir geratfien bereits auf ein @ebiet, baS mir ^ier noc^ nicf)t
jn betreten l)aben. 3’^ jmeiten Sitc^e merben mir genbt^igt fepn, auf
bie l'e^^re non ber ibealen Sc^ön^eit ber inenfdjlid)en ©eftalt jnrntf:
jufommen.
Die 5d)ijiil)eit il)i*c (Dlfeiibtming uitb il)r
§. 1.
per ?tmfiattb, bn^ ber IScnfi^ in feinem oegenmärtigen ^nftanbe bie |»rfiön^eU
^otte$ ni(^t em}>finbet, Rann bie 25irRfi(bReit ber ^^e^ieren Reinesroegö in
^rage fteffen. 35oraus (t(^ jene frft^einung erRfäre.
147. '^enn mir im 51nfange beS testen ÄapitetS mit ißafiliuS non
©äfarea nnb feinem 33mber ©regor ben ®ol^ auSfprad^en, baft ©ott
iinenblidb fbffön, ba[3 er bie mefen^afte 0cbönbeit fep, fo mar bamit jn=
nödjft unb an ficb nichts meiter gejagt atS biefeS: „©ott ift ber unenblid)
©Ute, er ift bie ©uf^eit felbft, nnb eignet fid) bnrnm nnb unter biefer
jRüdfid^t in nnenblid)em i)}taaf!e, bem nernünftigen ©eifte ©egenftanb beS
©enuffeS ju fepn." 0o muffte ben ermatjuten 0a^ jeber nerftetjen, ber
unfere Definition ber 0c^ont)eit (109. 0. 148) nor Stugen Ijatte.
©S fann bemnacb feine ©inmenbnng gegen biefe 2öat)rl)eit anS ber
0^atfad)e entnommen merben mollen, baft bie meiften iÖtenfdten in ber
©rfenntniß ©otteS nnb bem ©ebanfen on i^n, unb felbft auc^ in bem
'2(cte ber ßiebe ju ©ott, uid)t nur feinen ^o^en ©ennff, fonbern einfai^
gar feinen finben. Denn miS biefer ^f)atfad)e folgt ja feineSmegS, baff
©ott fid^ ni^t eignet, bem oernünftigen ©eifte ber ©egenftanb faUeo=
togif^en ©enuffeS ju fepn. Der gröf3te ')5rebiger üielleidjt ber je in
beutfe^er 0prad)e baS 2Bort ©otteS oerfünbigt fjat, 33ertl)oib oon 9tegenS=
bürg (t 1272), rebet in einer if3rebigt vor bem 'i'Olfe alfo.
*) @oetI}e, ;jpf)’9S'de auf SauriS, 3, 1. 4, 1.
13*
196
2)ie 0d^ön^eit @otte§.
„?0^an kbient ftdj mitunter eine§ @leic§niffe§, um einigermaßen ju
erflären, mie f^ön ®ott i[t. raa§ immer mir non ber ©d^önl^eit
®otteä |e jagen fönnten, ba§ ijt gerabe jo, mie roenn ein Äinb, raal^renb
e§ noc^ eingejc^Iojjen ijt im ©(^ooj^e jeiner ?9iutter, gu un§ jpred^en
roürbe non att bem ©roßen unb ^errlic^en unb aU bem ©ij^önen ba§
bieje ji^tbare SBelt umjc^tiejß: non bem tidjten ©tange ber ©onne unb
non ber ©terne i^rac^t, non bem Sßerb^e ebter ©teine unb il^rem bunten
,"^-arbenjpiet , non ber straft ebter ipftansen unb itirem 5Dujt unb 2Bol^I=
gerud) unb i^ren tiebtid^en jyarben, non att bem Ä'ojtbaren unb ber reifen
3ier bie man au§ ©otb unb ©eibe mad)t, non ben mand^ertei jü^en
Jonen bie bieje SSett l^at, nom ©ejange ber 35öget unb nom Stange be§
©aitenjpietS , furj non alter 3«^ unb altem ©c^önen ba§ e§ auj biejer
©rbe gibt, ©erabe jo unmögtid^, mie einem Äinbe im iUiutterjd^oo^e,
ba§ nod^ nidt)t§ geje^en, roeber ©(^te^teä nod^ ©ute§, ba§ nodf) nie eine
jvreube empjunben, jo unmögtid) jage id^, mie e§ einem jotd^en nod) un^
gebornen jlinbe märe, mit 3Serjtänbni^ non biejen ®ingen ju reben:
gerabe jo inenig jinb oud^ mir jä^ig, mit ißerjtänbni^ ju reben non ber
unau§jpre(^tidt)en SBonne bie im .!pimmet ijt, unb non bem monnigtid^en
Ütngejidjte bed tebenbigen ©otte§. ®enn otte jyreube bie im .ipimmet ijt,
entjpringt nur au§ bem ©tanje ber auSge^t non bem 2tngejid^te unjere§
.V'errn; unb mie atte ©terne itjr ßidjt non ber ©onne empjongen, gerobe
jo ^aben atte fettigen unb ©nget unb ba§ gejammte be§ dpimmeB
i^re ^kv unb i^re ©djön^eit non ©ott" *).
j^ajjen mir non biejer ©tette nur ba§ getungeue ©teid^niß in§
Stuge, um eä, aber in einer anberen Ddid^tung, jür unjeren ©egenjtanb
ju nerroenben. ®a§ Äinb im ©c^ooj^e ber iJkutter t)at nod^ nie ben
SBo^tgerud) be§ 2Bel^raudt)§ , ober ben ®ujt ber tRoje empjunben; fotgt
baraug, baß bie tRoje nidt)t bujtet, baj^ ber Söei^raud^ ni(^t roo^triedfienb
ijt'd J)ag jlinb im ©(^oo^e ber Wutter tiat nie bie ©üjje beg ^onigg
nerfojtet; eg fennt aug ber ©rja^rung nietteii^t einige je^r roenige nege=
tatine ©enüjje, aber nid^t jene Rotieren roetd^e bie iRatur, bie ©rfenntni^
ber Söa^rl^eit, bie Sejdjäjtigung mit ben ©rjeugnijjen ber ^ünjte bent
9)lenjdf)en geinä^ren; tiegt barin ein ©runb, ju jroeijetn, ob alt biejeg
inirftic^ genujibringenb ijt, ob eg iiberfiaupt Stngenefimeg jür ben 9Ren=
jdtien auj biejer ©rbe gibt? Um nidfitg gegrünbeter atg ein jotd^er
ijt eg aber, roenn man bie ©dbön^eit ©otteg bejstjatb in j^rage jtettt,
roeit ber iXRenjd^ in jeinem gegenroörtigen 3iM'kttbe biejetbe gar nidfit ober
nur jet)r unnottfommen geniefeen lann.
*) ®a§ Original biejer Stelle bei Ißfeiifer, Sertbolb non 3tegen§burg (ÜBien
1862), S. 389 i-
Sie ©d^ön^eit @otte§.
197
148. 33ereit§ im jraeiten ^Ibfc^nitt (69. 70. ®. 90 ff.) l)aben mir
ja gefe^en, baj? ba§ not^iroenbige pfpc^ologifi^e 'OJioment, burd^ raeldje§
bie Siebe be§ „an fid) @uten" ©emtp rairb, in ber flaren 6vtennt=
niji ber inneren ©ub^eit be§ @egenftanbe§ befielt, auf roelc^en fidj bie
Siebe richtet. 07nn liegt aber bie Sßefenfjeit @otte§ nnenblic^ ^od) über
ber '^affungdfraft jebed erfdjaffenen ®eifte§; and) bei ben reid^en 9lnf=
jd)lü[fen roelc^e und bie Offenbarung gibt, „erfennen töir" biefelbe bod)
immer nur „im Spiegel nnb im 9tätl)fer', unb „rcanbeln bnrd) ben
©Innben, nidt)t burd^ nnmittelbareä Scftanen''*): unb raie nerf(^n)inbenb
flein ift überbieS nod^ bie foldjer (Jljriften, melcb^ in ber Offen=
barnng gegebene Sid^t roirfli^ benu^ien, unb bnrc^ 9beinl)eit ber Seele
unb bauernbe ^Bereinigung mit @ott ju einer nur einigermaßen notieren
©rfenntniß beä Unfid^tbaren fid) erljeben „ber ba§ unnahbare Sid)t
bemo^nt" ! So ift e§ fel^r begrciflid) , boß für bie große 9Siell)eit mit
bem 9lcte ou^ ber eigentticben Siebe ju 03ott fid) fein befonberd fülitbnrer
©enuß nerbinben fann.
Dfocf) mel)r begreiflid) inirb aber biefe O^atfa^e, roenn man fid) ber
jroei Dtüdfidbten erinnern miß, bie mir am ©nbe bed jraeiten 9lbfd)uitted
(73. S. 94 ff.) bejeidfnet l)aben. Solange mir auf biefer ©rbe leben,
((fließt fid) einerfeitä, roeit mir Sünber finb, an {eben 9tct mal)rer Siebe
gu ©Ott ber Orbnung gemäß ber Scbmer^ ber Dfene; anberfeitd forbert
bie Siebe 511 ©ott, bei ber angebornen 9Serberbf^eit unfered .S^erjend, fort
nnb fort Opfer non und unb bie 9Serlängnung mand^er Oieignngen, nnb
bad ift, meßr ober ineniger, roieber mit Si^merj nerbunbcn. Oaß ©enuß
unb Sdtimerj nid)t gut neben einanber tnobnen fönnen, baß roenigftend
bie ©mpfinbung bed ©enuffed bnrd) gleidf^eitigcn, nielleid)t roeit fü^U
bareren Sd)ma^ noüftänbig nerbinbcrt ,^n inerben pflegt, bad brauchen
mir inoßt nicßt roeiter nndjnfüßren.
§. 2.
^ie bie |»(bön^eit ^oite$ aufflefa^t werben Rönne. 5ßre »offe 0)fen6arung
im ewigen ^Xeßen. J>ie ^(Rönßeit nfs <Aitrißni bes „59ortes“.
149. Unter jenen brei fyormetn, bnrd) roetd)e mir im 9lnfange biefed
9lbfdl)nitted bad 35>efen ber Sd^önßeit andgebrücft ßaben, erfd)eint namenO
tid^ bie leßte geeignet, und bie 5lnffaffnng ber Sdliönßeit ©otted einiger;
maßen gu erleictitern. Oiefer Oefinition jnfolge ift bie Sd)önßeit eined
tISefend beffen tl)atfäd)lid)e Uebcreinftimmnng mit bem ner=
*) Videmus nunc per speculum in aenigmate. 1. Cor. 13, 12.
Per fidem enim ambulamus et non per speciem. 2. Cor. 5, 7.
198
®ie Sd^Bn^eit @otte§.
nünttigen @ei[te, infofevn e§ burc^ biefe m eignet, beinfelben @egen=
ftanb be§ @enuffe§ gu je^n (111. ©. 150). 2Ba§ fann nun gebadet
TOerben, ba§ bem nernünftigen @ei[te in pl^erem iJJtaa^e entfpräd^e, ntit
i!^m in noEerer Uebereinftimmung ftänbe, dg ®ott?
@ott ift ja ba§ unenbüd^ noEfontmene Urbilb, ba§ lebenbige Ori-
ginot, roeld^em aEe nernünftigen ©eifter nad^gebitbet finb. ^n feiner
2öefent)eit liegt bag ')3rincip, tiegt ber einzige ©runb i^rer ©eftaltung;
bie ©efe^e fein eg eroigen ©epng finb eg, rcelc^e bag Genien febeg
©eifteg be^errf(^en, bie überbieg alg bie oberften Etormen beg Urtl^eiteng
unb beg ©trebeng in bag innerfte Sßefen eineg feben unnertilgbar ein=
gegraben finb; fein ißilb ift eg, bag aug jebem nernünftigen ©eifte
raieberleudbtet , fieEer ober roeniger f)eE, je nadt)bem fie il^m ntel^r ober
roeniger na^e ftel^en.
©Ott ift jraeiteng ber ©d^opfer, „ber ©rgeuger ber ©d^ön^eit"
(Söeigl). 13, 3), aug beffen §änben nic^t nur mit feiner bemunberungg=
roürbigen Orbnung unb ©efe^müfeigleit bag ficbtbcire Uninerfum i^ernor;
ging, fonbern bem aEein aud^ jeber oernünftige ©eift eg nerbanlt ba^ er
ift unb lebt, ba^ er bie f^ü^igfeit befi^t, ju erfennen unb ju lieben, unb
ofine beffen mitroirfenbe §ütfe ni^t eine einzige nernunftgema^e ^fiätigleit
gu ©taube lömmt. ©r ift bie unerfd^affene 3Sernunft bie niematg nidtit
roar, bie iEipriaben unb EJtpriaben nernünftiger ©eifter bag Seben gab,
bereu unfaßbar reidt)eg ©rfennen fid^ nidjt erfdt)öpfen, bereu fdfiaffenbe
ÜEad^t nidtit ermüben mürbe, menn eg il^r gefiele, iUiiEionen neuer ©paaren
ing 2)afepn ju rufen, um fie mit neuen üElpriaben unfterbtid^er Etad^^
bitber i^reg eigenen Sßefeng jn bepölfern.
Unb britteng ift ©ott bag te^te ©nburfad^e aEer oernünf=
tigen ©eifter. ®enn gef(^affen roie fie finb mit einem SSermögen ju
erfennen unb ju lieben, beffen f^affunggroeite fein enblid^er ©egenftanb
augjufüEen genügt, mürbe ü^r ®afepn beg 3roedfeg entbehren, menn nidfit
bie pdtifte iföal^r^eit felbft fid^ ifinen erfdt) liefen , ni(^t bie abfolute fyüEc
aEer ©utl^eit fidf) ^erablaffen moEte, non i^nen in Siebe umfaßt ju merben.
Äann eg in f^rage fommen, ob bie pdfifte Sßal^r'^eit unb bie unerfd^öpflidf)
reidtie QueEe aEeg ©Uten, ob ber emige ©eift ber nidt)t blo^ aEe ©eifter,
fonbern überl^aupt 2lEeg fdtjuf morin nur bie leifeften ©puren einer orb=
nenben iöernunft fi(^ jeigen, ob bag einzige Urbilb 2lEeg beffen mag ©eift
ift unb 33ernunft, ob, fagen mir, biefeg unergrünblid^ l^ol^e Sßefen mit
bem oernünftigen ©eifte in tfiatfädt)lidf)er Uebereinftimmung fielet?
„2Sag ift munbernoEer ," fd^reibt borum mit Eledtit ißafitiug ber
©roße, „alg bie ©d^önlieit ©otteg, mag befeligenber , alg ber ©ebanfe
an feine Iperrlid^feit ? SSeld^eg SSerlangen fömmt an ©tdrfe jener ©el^n=
fudtit glei^, bie ©ott in ooEfommen reinen ©eelen erzeugt, alfo ba§ fie
in 3®a^r!^eit fpred^en: ,iEtein .^erj ift munb oorSiebe‘? Unaugfpred^lid^,
®ie Sd^ön'^eit @otte§.
199
über jebe ©d^ilberung ev^^oben, ift ba§ £id;t ber göttü^en ©c^öul^eit;
feine D^ebe nermag e§ barjufteilen, fein O^r e§ ju faffen. üfennft bu
ba§ Seufzten be§ 5Jforgenftern§ , ineifeft bn I)in auf bie £(av!^eit be§
ÜJfonbeS, auf ben ©trafjfengianj ber @onne, nor ber Ueberfüfle Ü^reß
Sic^teß erbleichen fie inßgefainmt , erfd)einen bunfler nor ihr, afß bem
noffen iXRittag gegenüber bie fDfitternatfit, raenn fein ©chintmer bur(h bie
traurig finftreu SBoifen brid)t. S)iefe ©dhönfieit faf3t nicht baß Sfuge
beß fyfeiffheß, nur ber @eift fann fie fdjauen. fie aber
©eelen non fern fidj jeigte, ba lief? fie in ihrem §erjen bie SBnnbe ner=
jehrenber ©ehnfiuht jurüd, atfo baf3 fie außriefen, feufjenb über biefeß
gegemnärtige Seben: ,2Behe, bafi meine ^itgerfd)aft fo lange mährt! eß
bürftet meine ©eele nad) @ott, bem ©tarfen, bem ßebenbigen; mann
merb’ ifh hiii^ufgehen nnb erffheinen nor feinem Singefichte !‘" *) S^enn
nicht ber felige ®enuf3 ber Slnfdjauung, fonbern ©ehnfudht, glühenbeß
ißerlangen na(h berfelben, baß ift freilich baß nothmenbige £ooß beß
©eifteß, ber ©otteß ©ihönheit einmal erfannt Ijot^ fo lange er „ben Veib
ber S5ermefung trägt, nnb baß i^auß non ©rbe ihn nadh unten jieht".
3fid)t, alß ob ©ott in feiner ©üte nidjt aud) hiot fihon feinen freuen
einen ©enufi feiner ©(hönheit ju Slheil merben lief3e. ®ie ©efdhi<hrt
9Sh)ftif liefert nnß gahlreidfe 2;hatfachen, bie baß ©egentheil bemeifen:
eine berfelben Ijut unferer ©)i(hter einer fchön befangen :
i'on allem ©djönen miihlt’ Slmanbuß fid)
©'aß ©d)öufte nur. . . .
©inft jeigete fid) ihm, maß feine ^ung’
Slußfpred)en fnnn. „i^ft baß nicht .'»pimmclrcid)
llnb SBonne?" fprad) er. „Sllleß Seiben mag
©ie (Vreube nidjt oerbienen." ^tpu erfd)icn
©ie ©d)önl)eit aließ ©djönen in ©cftalt
©er ein’gen Söeißheit. 2Bie ber SJforgenftern
©rat fie heifDr nnb niarb jur SJforgenröthe,
3ur Slforgcnfonnc. ©ie Unftevblid)feit
2ßar ihre £ron’; iljr Äleib bie Slmnutf). ©üh
Unb hulbreich fprad) iljr SJhinb; nnb fie, fie mar
©er f^reuben f^reube, bie Slllgenngfamfeit**).
llnb aud; felbft abgefehen non fold)en anfterorbentlidjen unbegreiflichen
©rfdheinungen ber .^errlichfeit ©otteß nor bem Sluge beß nodj pilgernben
©eifteß mnß fa, feiner 9fatur nach, fd)Ou feber intenfinere Stet eigentlicher
*) Bas. Reg. fusius tract. resp. ad interrogat. 2. n. 1. ed. Maur. 3. p. 337.
**) |>erber. 3SgI. 9Jl. Siepcnbrocf, „.Ojeinrich ©ufo’§, genannt 2tmanbn§,
fieben unb Schriften", S. XXI.
200
Sie <2^öul^ett ©otteä.
roa^rer Siebe ju ®ott bem reinen §erjen notl^raenbig jugieic^ ^reube
bringen. ®aä beroeifen j. 5B. bie SBorte raelc^e bie Äird^e bei ber geier
be§ l^eiügen Opferä betet; „2Bir fagen ®anf bir ob beiner übergroßen
.^errüd^feit" *). ®enn nur infofern er in ber 5£ßatfaö)e ber „^errücßfeit",
b. ß. ber ©ut^eit nnb ©cßönßeit ®otte§ @enuß finbet, bann ber (Jßrift
fic^ getrieben fußten, ißm bafür ju bauten ; er finbet aber in berfetben
©ennß unb fyreube nur in fofern, atä er mit eigenttidßer Siebe feinen
©dßopfer unb ©rtöfer liebt; beim bie Siebe beroirft, baß bie ®üter unb
^Sorjüge beffen ben er liebt, ißm raie feine eigenen finb. Unb fo ßat
^^allaDicini geroiß nicßt Unrecßt, roenn er fagt, baß augerroäßlte Seelen,
Dottenbet im ©tauben unb in ber Siebe, roie oor alten fene ber 9Jiutter
be§ i^errn, in bem Umgänge mit ©ott, in bem bloßen ©ebanfen an ißn
unb feine unenbli^e ©utßeit, eine ©etigfeit empfinben mußten
®ie fetbft in f^euersgtiit bns §evj mit SBonne
U'rfüllen mürbe**).
150. ^'£i atte bem tonnten boi^ oucß folcße ©lütflidie beg
notten ©enuffeä ber roefenßaften ©cßönßeit fi(^ nicßt erfreuen, folange
nidjt aucß für fie „ber Sag ber ©roigfeit angebrocßen", folange „ber
?Otorgenftern" nidit amß „in ißrem ^erjen aufgegangen roar". SDen
©runb ßaben roir oorßer (148) angegeben. 91u(ü uon ben ßeiligften
Seelen gilt ja ba§, roa§ roir eine au§ ißrer 90Utte bort fagen ßörten,
baß roir nämlicß auf biefer ©rbe „nidjt im Sißauen roanbeln, fonbern
im ©tauben". 21ucß in ißrem ©eifte bleibt bie 21uffaffung ©otte§ unb
feiner ©utßeit immer buntel unb feßr unoottftänbig ; unb felbft bie
©rtenntniß burdß ba§ mpftifcße ©cßauen „ßat ißre ©rängen, folange in
biefem Seben nodj bie teiblidße ©rfdieinung ftraßlenbrei^enb unb trennenb
groifdßen ©ott unb bie Seele tritt" ***).
©rft roo ber ©taube fi<^ iit Sdßauen roanbelt unb bie Hoffnung in
Ißefiß, roo allein bie Siebe bauert, erft ba beginnt für folcße SSeoorgugte
roie für alle 2tu5erroäßlten ber 9)ollgenuß ber Sdjönßeit ©otte§, um bie
gange ©roigteit ßinburcß ein roefentticße§ ©lement, bie Ärone, ißrer Selig=
teit gu bilben. „®er ^ern ber eroigen Setigteit," leßrt ber römifdße
Äatei^iämug, „ober roie mon geroößnlidj fagt, ba§ SSef entließe berfetben.
*) Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam. (Ordo Missae,
Gloria in excelsis.)
**) Tal che nel fuoco faria 1’ uom felice.
Dante, Parad. 7. v. 18.
®g(. ^attanicini, Del bene 1. c. 40.
***) 3- ©örtes, ßinleitung ju |>einrid; ©ufo’§. Seben unb (g^riften non
9Jt. Siepenbroef, g. LXVIII.
Sie @^öul}eit @otte§.
201
k[te|t barin, baf^ mir @ott fe^en, bie Ouelle unb beu Urfprung aller
©ut^eit unb SSoUfommen^eit , unb be§ ©enufjeä feiner 0c^ön^eit t!^eil=
liaftig finb'' 226). @anj baffelbe ®enebict XII. befinirt in ber
bogniatifc^en 33ulle „23enebictn§ 0)en§'', roeld)e er jn 21üignon am
29. 1336 erliefe. Sie ÜIngerroäfelten , feeifet e§ bort, „fdjanen
bie 3Befenfeeit @otte§ felbft, non 3tngefid)t, unmittelbar: beim biefelbe
jeigt fid) iljnen ofene OXittel, unnerbnllt, flar unb offen. Unb inbem fie
bie 21>efenfeeit @otte§ in foldjer äi>eife fefeen, geniefeen fie biefelbe: unb
bitrd) biefe 3lnfcfeanung unb biefen @ennfe finb fie nmferfeaft felig, tfeeil=
!^aft beä einigen Öebenä unb ber einigen 31ul)e" 227).
(rd erfi^liefet fid) alfo nor bem 3lnge bes nernnnftigen (fieiftes im
^uftanbe ber ißerflärnng bie nnermefelicbe „Xiefe be§ iReid)tfenm§ ber
2T'ei§feeit unb ber (Srfenntnife ©otteö", ber fifeiniiibelnbe 21bgrnnb be§
eraigen 0ei}ii§ ber feeferen ^reifaltigfeit; eä entfeüllen fid) nor ifein bie
(Sefeeiinniffe iferer @ered)tigfeit , bie grofeen ©ebanfen ihrer 3llleS uiit;
fpannenben , 3lUe§ bel)errfdbenben , Sllleß entinirrenben SSorfelning , bie
©(^äfee iferer ©ütigleit niib iferer fciebe, bie inniiberbaren 2i>ege iferer
burd) nid)t§ je 511 erfcböpfenben 3?armherjigfeit ; eö umgibt ifen, ofene ifen
ju btenben, bas enblofe Sidjtmeer jener ^eitigt'eit, „bem gegenüber ber
iDlonb feinen ©lanj nerliert, unb bie ©terne nid)t inefer rein finb"*):
mit (Jinem Si'orte, er fiefet unmittelbar bie unerfd)affene 3Sernunft, nnb
in ifer fein eigenes l)ol)eS Urbilb, bie 9iormen feineS eigenen ©enIenS,
bie einigen ©efefee feines eigenen ©trebeiiS, ben nnauSbenfbaren fHeid)thum
aller SßorUtge ber „inefenl)aften Seriinnftigfeit".
3lehnlid) berfelben fd)on bnrch feine dlatiir, in böfeerem ©inne unb
in noUerem ilRaafee il)r 9Ind)bilb bnri^ bie überiiatürlidje SBiebergeburt
im heiligen ©eifte, baj^u jet3t nod) bnrd) bie unmittelbare 3tufnahme ber
2öefenl)eit ©otteS in fein ©rfeiinen geiniffermafeen nergöttli^t 228) , be=
finbet er fid) nun aber mit biefer nnerfchaffenen iferiinnft in ber benlbar
nollenbetften Uebereinftimmnng: mit anbereii SSorten, biefelbe fteht
nor ihm alS fein höd)fteS ©nt, beffen 33efife feine einjige ißeftimmung
bitbet, beffen Unenblid)feit bie gaiije 3Bcite feineS ©trebenS auSfnllt;
barum ift eS nid)t anberS möglid), als bafe er ihr gegenüber non einer
Siebe hüigeriffen inerbe, ineld)e fein ^^erg nollftünbig einnimmt. 3tber
noch ®sr grofee ©eift ben er mit feiner eigenen illatnr in ber
noUenbetften Uebereinftimiming fieht, in roeld)ein er fcfeon barum fein
höchfteS ©ut erfennt, ftefet ihm nid)t etinn gegenüber inie ein äSefen baS
ihn nicht lönnte, baS ihn feiner 23ead)tnng inerth fänbe, baS nid)tS fühlte
für ihn: biefer grofee ©eift liebt ihn, nnb er ineife bafe berfelbe ihn
*) Ecce luna etiam non splendet, et stellae non sunt mundae in con-
spectu eius. lob 25, 5.
202
®ie ©d^önt}eit @otte§.
liebt, unb er erfennt ba§ mit einer @emi§§eit unb Älarl^eit, mie er e§
frül^er nie ju erfennen fdbig roar. ®ie Siebe i[t alfo gegen[eitig : jraifd^en
@ott unb ber nerf (arten Kreatur beftel^t eigentlid)e ^rennbf c^aft. iJiun
ift aber, mie e§ bei 3lriftote(e§ l^eifd, „ber ^-reunb für ben g^reunb ein
anbereg .3d)'' ; er fie^t in ifim, nad) bem alten Sprud^e, „bie ^ülfte
feiner eigenen ©eele", unb „fyreunbe !^aben 2lUeg gemeinfam" 229). ^n
j^olge ber erraül^nten ©egenfeitigfeit ber innigften Siebe jroifc^en (Sott unb
ber (Kreatur roerben mithin in gefteigertem (Srabe (Sotteg ißorjüge i!^re
Ülorjüge, rcirb (Sotteä Dteicl)tl)um , wirb (Sotteg (Sntfieit unb ^errlidifeit
in Dollerem einne bie i^re: unb fo erfennt fie abermalg in @ott il^r
l)öd)fteg (Sut.
Unb ben meldjer in biefer äSeife il)r f)öd)fteg (Sut bilbet, ju roelc^em
fie borum mit ber (Seroalt einer unroiberftel|lid)en Siebe fi(^ fiingejogen
fül^lt, ben fdiaut fie, nidbt in einem 23i(be, fonbern ilm felber unb fein
25}efen, unmittelbar nnb in nollfter Älar^eit. roalir mag roir im
jroeiten 2(bfd)nitte mit ®t. 3luguftin unb bem lieiligen it^omag feftftedten :
liegt bag pf:)d^ologifd)e iJ}foment bnrd) roeldjeg bie eigentlid^e Siebe (Senu§
roirb, in ber S^at in ber flaren (^rfenntnip ber inneren ©ut^eit
auf roelcbe fi(^ bie Siebe rid)tet (69. 70. B. 90 ff.): bann fann rool^l
fein barüber beftel^en, ba§ bie Siebe beg nerflärten ©eifteg gu
©Ott jugleicb nbergroBer, unermeBüd; tiefer, unenblicb befeligenber ©enu§
fepn mufe. Unb fo erfüllt fi(^ beim in bem Sanbe ber ©eligen buc^s
ftoblid) bie 23er^eiBung beg löerrn: „^d) felber roerbe bir übergroßer
Soßn fepn"*), unb „fie roerben eingiefjen in ©ion froßlodenb, eroige
‘5reube erfüllt fie , ©eligfeit ift ißr Jlieil unb SSonne" **) , unb „bu
roirft mit bem ©trome beiner JSonne fie tränten, benn bei bir ift ber
QueU beg Sebeng" ***) ; in folcber Söeife offenbart fid^ Dor bem 2luge
ber mit Vernunft anggeftatteten Kreatur, bie ficß in freier 2Baßl ißr
unterroorfen l)at, in ißrem ißollglange bie roefenfmfte ©d^önßeit : bag ßeißt
bie unerfcbaffene ißernunft, bie roefenßafte ©utßeit, bereu DoUenbete 2ln=
fcßauung bie befeligenbfte 5\-reube beg Dernünftigen ©eifteg bilbet f)-
*) Ego protector tuus sum, et merces tua magna nimis. Gen. 15, 1.
**) Et venient in Sion cum laude, et laetitia sempiterna super capita
eorum ; gaudium et exultationem ottinebunt. Is. 35, 10.
***) Inebriabuntur ab ubertate domus tuae, et torrente voluptatis tuae
potabis eos, quoniam apud te est fons vitae. Ps. 35, 9. 10.
t) ohne @runb betonten mir in biefer Stusfübrung roieberfiolt, baß e§
i!)r fep, ba§ bie nerttörte dreatur feinem Sßefen nac^ fdiaut. Senn
nid;t „ba§ @ut", loie feit etioa yoeibunbert Satiren in afcetifdben
meiftenS gefagt roirb, fann ber nernnnftige @eift lieben, fonbern einjig unb allein
„fein bödifteg @ut''. iUlan oergleicfie oben 37. 34. 35. ($. 55 f., unb Thom. S.
2. 2. p. q. 26. a. 13. 3. et ad 3.
®ie Sd;ön^eit alg Slttvibut be§ „SEorteä".
203
151. SBefen ber eiuigen ©eligfeit gehört ^ieriiad) nidjt nur
bie Sütfd^auung ©ottes , )oubern aud) bie Siebe ju i^nt , lüeld^e mit ber
'^tnfd^auung jid) notI)menbig Dcrbinbet, imb ber an beibe fid) anfd^liefjenbe
(Senufe feiner ©dion^eit. fv^agt man bagegen, morin ba§ Sffiefen ber
eraigen ©eligfeit befte!^e, fo nennt ©l^omas non 5lquin offenbar mit
fKeefit als biefes (ftement augfditieglid) bie Stnfd^annng @otte§*).
®enn fie allein ift ba§ ißrincip, bie ÜSurjet, an§ roe(d)er bie Siebe nnb
ber ©ennf; ber ©djönt^eit (fmtte§ fidb non fetbft ergeben; biefes i^rincip,
biefe SBnrjet ber ineiteren ©temente ift aber gemeint, tnenn bie ilJteta;
pl^ijfif fragt, morin ba§ 3Befcn eineg Singeg beftet)e.
2(ber märe (fiott etma nidit met)r bie inefenbafte ©djön'^eit, menn
eg feiner 25>eigl^eit nic^t gefallen batte, ®efd)öpfc ing Seben ju rufen bie
im ©tanbe ronren, feine @ntbeit ju erfennen nnb ju lieben, nnb baburdb,
ficb berfelben jn freuen? 0;r mürbe eg um niebtg meniger fepn. 5T)enn
non (f-migfeit fid) felbft erfennenb, non ©migf'eit feine eigene Oiiitbeit
liebenb, non ©migfeit nnenblidb felig im ©enuffe biefer Siebe nnb ©r=
fenntnifi, ift er ja, and) abgefeben non allem ©efdjaffenen, non (Sroigfeit
„bie inefenbafte ©ntbeit, bereu noltenbete 3lnfd)anung ben erfennenben
©eift befeligt".
©ine meiterc Sebre ber ^^beologie inelcbe fid) ung hier nabe legt,
inollen mir barnm nid)t unbernbrt taffen, meil auch fie mieber bajn
beitragt, bie non ung gegebene 2lnffaffung beg SSefeng ber ©d)önbeit
JU beftötigen. 9lng ber Offenbarung miffen mir, baf) gemiffe ©igen=
fdiaften unb Jbötigleiten , obgteidb fie ber allen brei if5erfonen ber aller:
beiligften Oreifaltigfeit gemeinfamen Diatiir angeboren, boeb „burdb
eignung" (per appropriationem) ganj ridbi^S beftimmten ifierfon
beigelegt merben fönnen. 2®ie bie ©migfeit unb bie ©djöpfermadbt bem
3?ater, bem beitisen ©eifte bie Siebe unb bie 4'^eiligf eit , fo mirb ing=
befonbere bie SSeigbeit unb bie ©d)önbeit bem „SBorte“, bem ©ohne
©otteg jugefproeben 230). Oer ©runb ber in biefer äSeife üblidben
eignung" liegt immer in einer befonberen IBejiebung, meldbe fe jmifdien
ber ©igenfdbaft ober Obdl’S^cit um bie eg fidb bdtibelt, unb ber göttlidben
ifSerfon iiadb ihrer ißefonberbeit , bernortritt. SSeldbe 33ejiebung bot nun
bie ©cbönbeit ju bem „SSorte" beg 2>aterg?
Oiefeg „3ßort" ift, mie Obomag non 3tqnin tel)rt, ,,©ott felbft,
infofern er, inbem er fid) felbft erfennt, alg bag ©rlannte in ficb
felber ift" **). Sßie fidb biernadb bag „2®ort" alg bagfenige barftetlt,
in metd)em ©ott fid) fetbft erfennt, fo entfpredfen alfo gerobe feiner
*) Thom. S. 1. 2. p. q. 3. a. 4. 8.
**) Thom. Compend. Theol. ad Fr. Reginald, (opusc. theol. 3. al. 1.)
cap. 37. sqq.
204
Sie (Sc^önl^eit ai§ Sittiibut be§ „SBorteä".
(Sigentpmlic^feit jene Stttribute ber göttticöen 3^atur, raetc^e btefer eigen
finb, infofern fie fetbft ba§ Object i^re§ ©rfennenä hübet. iJlun l^aben mir
aber roieber^ott bie ftare @rf enntnifj al§ ba§ 3Dioment bejei^net, too=
burü) bie eigentUcEie Siebe gnm @enu^, unb beren ©egenftanb, bie ©ut^eit,
jur ©^bnl^eit roirb; unb nac^ ber jraeiten non un§ gegebenen j^orniet ift
bie ©c^ön^eit eine§ Söefenä eben feine ©ub^eit, infofern e§ burd^ biefe,
auf ©runb flarer ©rfenntni§ berfelben, bem ©eifte ©egenftanb
be§ ©enuffeä n)irb (110. ©. 149). 93ottjiet)t fiel) ber 2lct in roeld)em ©ott
feine eigene SBefen^eit erfennt, unb barum ber ©enu§ ber ©ut^eit biefer
3Sefen!^eit, eben in ber Stnfcfianung beä „2öorte§", ba§ bem ißater al§
ber „SBieberfüiein feiner eigenen .^errUcE)feit" gegenüberftel^t unb at§ bas
i^m Doüfommen gleid^e „SSilb feines SöefenS" "’’0, bann ift eS offenbar fe§r
roofit begrnnbet, roenn eben bem „35>orte" bie ©diön^eit jugeeignet roirb.
3Sir fönnen nodt) l^injufügen, baf^, foroie ber 3Sater fii^ in bem
„SBorte" fd^aut, ebenfo aud^ in biefem bie ©ott^eit fi(^ felbft, i^re ©ut=
l^eit unb mit biefer i^re ©dfjön^eit, nadt) aufeen offenbart. Oie jroeite
ijJerfon ber götÜicE)en OreifaÜigfeit , bie eroige 3BeiS!^eit, '^eißt „alter
Oinge üReifterin", fie ift eS, bie im 33eginn ber dw Sage ber
©d^öpfung, mit bem ©roigen roar, „SttleS orbnenb, fpielenb oor i^m
immerbar" *) **) ; fie ift eS, bie in ber f^iüle ber ?Oienfd^engeftatt,
„fct)ön öor ben Äinbern ber SJlenfc^en", „auf biefer ©rbe erf^ieu, um
mit beu iStenfdlieu ju roaubeln" ***) , bie eS it)re SBonue nennt bei ben
imenfe^enfinbern ju roeilenf); fie ift eS enblid^ auc^, in roet(^er fid^ in
ber ißollenbung aller 3^^^ ^errlicbfeit ©otteS eroig ben SSerflärten
offenbaren roirb. Oenn „roie er SltleS gefcliaffen burcl) fein 2Bort",
fpridbt ©t. 2tugnftin, „fo ift eS baffetbe SSort, ©l)riftuS ber §err, in
bem bie ©ngel ru!^en unb alle bie reinen ©eifter beS ^immelS, in !^eü
ligem ©d^roeigen" ff), ©o erfdf)eint beim bie ©(^ön^eit mit ootlem fRec|t
als befonberer 33orjug beSjenigen, roeli^er in ber ©c^rift „ber ©tanj
beS eroigen Urtic^tS" Reifst, „ber mafettofe ©pieget feiner .^errti^feit,
unb feiner ©ntlieit roefenl^afteS iBilb^ytt); fo nennt bie eroige S5?eiS^eit
*) Splendor gloriae et figura substantiae eius. Hebr. 1, 3.
**) Cum eo eram cuncta componens, et deloctabar per singulos dies,
ludens coram eo omni tempore, ludens in orbe terrarum. Prov. 8, 30. 31.
***) Post haec in terris visus est, et cum hominibus conversatus est.
Bar. 3, 38.
y) Et deliciae meae, esse cum filiis hominum. Prov. 8, 31.
7Y) Fecit autem omnia per Verbum suum; et Verbum eius ipse est
Christus, in quo requiescunt Angeli et omnes coelestes mundissimi spiritus in
sancto silentio. Aug. de catechiz. rud. c. 17. n. 28.
ttt) Candor est enim lucis aeternae, et speculum sine macula Dei maie-
statis, et imago bonitatis illius. Sap. 7, 26.
Der iffiieber'fdjcin ber @d^bn[)eit @otte§ in feiner ,fircl;e. 205
mit jic^ felbft „bie ^Dhitter bev fdjönen ^iebe"*), ba§ ^eif5t aller
fiiebe ber realeren ®dbön^eit Urquell itnb letjteS
§• 3.
per ^teberft^cin ber ^(^ön^eit Rottes in feiner ^ir(^e, nnb im (iibibnren
?tninerfnm.
Unter ben fiditbaren ÜBerfen @otte§ ift ba§ fdjönftc feine Ä'trdjc. S)ie 0d)ön^
fieit ber fidjtfinren 0d)öpfnng; d>bd}agora§, iplnto, (Jngel, @octl)e. U'inc
roefentlid}e 9iücffid;t, bie man ror klugen baben mu§, um bte etugelnen
(Srfebeimmgen ber fidjtbarcn Orbnung rid)tig ju beurtl)ci[cn ; ®d)itler,
unb ber l)eitige 3(ugu[tin. @cgcn eine einfeitige Ucberfdintumg ber
baren 9Belt unb il}rcr 0d)önl)ctt; SBitbclm Söl)e, @uibo ©örreS. ®tefe
0diöuf)eit rnirb nur non benen ridjtig gemürbigt, meldje nn§ berfelben
erfennen, „um ratcincl fduincr ber ^err aller 0inge ift, ber [ie alle er=
fdjaffen" ; 33octin§, ©regor ron Diqffa, 0t. 3Cnguftin.
152. 2\ene§ üolle vS^eruortreten ber 0djönl)eit ©otted im Saiibe ber
0eligen, monou mir gefprodfcn höben, ift übrigeng, roie mir eben nod)
anbeuteten, feinegmegg bie einzige Offenbarnng berfelben. Siel bunfler
freilid) unb mie nerfcbleiert, „im 0piegel nnb im Stitljfel", aber fid)tbar
genug, ftellt fie fid) jebem Stenfdfengeifte bar in jener jn)eifad)en 0d}öpfnng
bereu Urheber ©ott ift, in bem fichtbaren Uninerfum unb in ber Jt'irdje.
^nfofern mir bag fdjönfte ber SBerfe ©otteg in ©injelmefen fud)cn,
fönuen mir eg allerbingg auf biefer ©rbe nirgenb anberg ermarten, alg
in ber menfdjlidjen 9tatur nnb ihrer ganjen ©rfd)einnng: beim bie eigent=
li^en ©lemente ber 0d)önheit, bie Sorjüge ber intellectnalen, ber ethifd)en,
ber nbernatür(id)en Orbnung, befit^t fie allein. 2lber ©injelbinge, unb
tüüren fie nod) fo grof), finb immer ju flein, nm raürbig bie ©djönheit
beffen barftellen ju fönnen, ber in ber abfoluten ff-üKe feineg ©cpng alle
©djönheit umfchliefd bie fein nnenblidjer ©eift felbft jn benfen nermag,
„bag meite fDieer ber ©d)önheit" 23i) beffhalb non Sllcinoiig mit Sedjt
genannt, ©leichrcie barum bie .Ibinber beg hi'umtifdhen ^erufalem, ©ing
mit ©Ott geroorben unb babnrd) nerl'lnrt in feinem Bidjte, nid)t allein je
ihre befonbere ©ihönheit Ijöben, fonbern nberbieg nod), ju ©iner groften
©emeinbe nereinigt, bie „IjUlige ©tabt" bilben, bie in emig jungfrönlid)er
©d)öne, „herrlidj mie bie Sraut ba fie gefchmüdt ift für ben Sräntigam,
leudjtenb in ©otteg Älarljeit burd) bog Bidjt beg Bammeg" **) , uor bem
3lngefi(hte beg breifaltigen ©otteg ruljt : ebenfo gipfelt and) in ber ©phnre
*) Ego mater pulchrae dilectionis. Eccli. 24, 24.
**) . . paratam, sicut sponsam ornatam viro suo. . . . Nain claritas Del
illuminavit eam, et lucerna eins est Agnus. Apoc. 21, 2. 23.
206 2Bieberfc^ein ber ©c^ön^eit @otte§ in feiner Äird^e.
beä ©id^tbaren bte Cffenbarung ber göttlichen Schönheit nidht in einem
(Sinjetroefen, fonbern gteidhfaltS in einer ©emeinbe, gteichfatig in einer
„Stabt ©ottes", bie non jener erften groar in mannichfadher ^injicht
nerjdhieben, aber bo(^ bem Sßejen nadh mit ihr ©ine unb biejetbe i[t.
®ie ji(^tbare ^'irdhe ©h^’ifio notlenbetjte, ba§
im eigenttidhen Sinne ba§ fdhönfte nnter ben Werfen ®otte§ in ber
®er Völlig über bie Könige, ber Sohn ®otte§, h^t fie um ben fprei§
feines SebenS fict) erroorben, hat bnrdh fein 2SIut fie mit ber f^üCte himm-
lifi^er Schönheit nbergoffen; roaS immer eS ®uteS, ©ro^eS, ber Siebe
SßertheS unter bem «^irnrnel gibt, baS h^t er in ihrem Sdhoo^e geborgen,
baS h®i er ihren reinen §ünben übergeben. iBiit ihrem Schote über;
natürtidher ©rfenntni^ unb himmlifdher ©naben, mit ihren Sacramenten
unb ihrem ffJriefterthum nnb ihrem Segen, nnüberrainbUdh bnrdh ©otteS
Äraft, unfterbtidh bnrdh ben ©eift beS ©roigen auS bem fie lebt, in ber
SJiitte beS rafttoS Sßedhfetnben roechfeltoS, 2Ingefidht§ be§ immer unftät
fidh 3tenbernben unoeränberlidh raie baS 3Bort beffen ber nie fidh anbert,
bie ^üterin beS 9fied)teS unb ber Sitte unb ber Sföahrheit, baS Silb ber
nntheitbaren ©inen ©reifattigfeit burct) bie unlösbare ©inheit ihreS ©lau;
benS unb ihrer Sehre, i§rer ijierardhie nnb ihreS OpferS, ^errfdherin im
fReidhe ber ©eifter, in ihrer .^anb ben Oetjroeig beS f^riebenS unb ber
l'ergebnng, ben .Rranj oon tBiärtprerpatmen unb iungfräutidhen Silien
unb ben Sorbeer heiliget Söiffenfdhaft um ihre Stirn gerounben; fo fteht
fie, bie raürbige ißraut beS S^önften unter ben BJienfchenfinbern, „atS
jlönigin ju feiner D^eihten in gotbburchrairttem , oietfarbigem fjßradht;
geroanbe" *) , „fdhön roie ber iBconb , roie bie Sonne herrlidh" **) im
Sichte reiner ©otteSliebe unb jegüdher iugenb, „unb ihre Sdhönheit liebt
ber 5?;önig" 232). SfSohl liegt bie .^auptfeite ihreS SebenS in einer um
fidhtbaren Sphäre, roohl finb ihre ©efdhmeibe unb ihre f]3erlen, ihr ©otb
nnb ihres ÄleibeS spracht, an fiel) rein geiftiger Biatur: raohnt ja bodh
bie wahre Sdljönheit nur im Bieiche ber ©eifter. 3lber bei alle bem ift
bo^ bie Äirdhe (fiotteS ein Seib jufammengefeht auS fidhtbaren ©liebem,
ein Stempel auS fiihtbaren Steinen aufgeführt, eine ©emeinfdhaft non
OJtenfdtfen; roie bie Schönheit beS iBdenfdhen, ihrem norjüglidheren ©lemente
nadh ®^önheit ber geiftigen, unfidhtbaren Subftanj, fidh m feiner äufferen
©rfdheinung offenbart, fo mn^ eS mithin audh bie Sdhönheit ber Äirdhe:
roie bie Sdhönheit beS ‘üWenfdhen ber menfdhlidhen ©rfenntnife jugängliih
ift, fo oudh jene ber Äirdhe.
153. 35ei weitem nicht fo gropartig, aber wahrnehmbarer bem
*) Astitit regina a dextris tuis in vestitu deaurato, circumdata varietate.
Ps. 44, 10.
**) Pulchra ut luna, electa ut sol. Cant. 6, 9.
®er XSieberfc^ein ber Sc^ön^eit @ottes im fid)tbaren UntDerfum. 207
fc^roac^en 2Iuge bes Äinbes bev ©rbe, offenbart fid) ®otte§ S^ön^ett,
feine iD^adjt nnb SBeisfieit , feine ©eredjtigfeit unb feine ®üte , in ber
gefammten iJiatnr nnb if)rer ®r!^attnng, in ber Streit als bem ^»begriff
ber natürlichen Orbming, nnb in ihrer @efd)id)te. 2Sir haben fdjon
errcöhnt, bag bie 0iebenjig im erften Jbapitel ber @enefiS überfehien:
„®ott fah Stiles roaS er gemad)t hdtte, nnb eS roar fetji’ fchön"*).
©iefer ©ebante mar eS, raetdjen, ohne ihn ganj 51t oerftehen, bie @rie(hen
auSfprachen, ba fie nad) tpottjagoraS baS Söettall xoaiAoc, baS ©d)öne** ***)),
nannten, ben in ihrem bie DWmer mieberhotten; biefe äioahr:
heit roar eS roetche ber „göttliche" -^lato empfanb, ntS er im „'JimäuS"
bie 25>orte fchrieb; „5Der Urheber ber SSelt roar gut; bem @nten aber
liegt jeber ©djatten beS iReibeS fern ; banun rooltte er, bap SttteS fo oiel
atS möglich ihm felbft ähnli^ roürbe. . . ®S roar nnmögtid), baft ber
nnbegreifliih @nte etroaS StnbereS herüorbräd)te alS baS ©d)önfte; . . .
nnb fo fdjiif er benn in bem älRltalt ein SBerf uon nnoergleidjlicher
©i^önheit unb ©utheit" 233).
„9M(ht bie ©rcinjen beiner ©inne", fo rebet ju ©alitei ber ©eift
beS ©opernicuS, „nidjt bie ©ränjen beiner ©inne finb audj bie ©rünjen
beS SBeltottS, obgleich unbenflid)en f^-ernen ein ö^eer non ©onnen ju
bir hei’überfihimmert; nod) oiele taufenbe leudften, beinern Stid nnbe=
merfbar, im enblofen Slether; nnb jebe ©onne, roie febe fie nmf'reifenbe
©phäre, ift mit empfinbenben SOefen, ift mit benfenben ©eelen beoötfert.
2Bo nur Ißahnen möglii^ roaren, ba rollen SBeltförper, unb roo nur
SSefen fid) glücflich fühlen tonnten, ba ronllen SBefen. 9U(ht ©ine ©pnnne
blieb in ber ganjen Unermepd)feit beS Unenblid)en, roo ber fporfame
©chöpfer nid)t Öeben hiiO'd)nf, ober bienftboren ©toff für baS Seben.
Unb bnrd) biefe gan^e sahllofe SJcannidtfaltigfeit oon SiRfen hi»bnri$
herrfcht, biS jnm fleinften Sltom herab, nnoerbrüd)lid)e Orbnnng: eroige
©iefehe ftimmen SltleS , oon .©immet jn i^^immet , nnb oon ©onne jn
©onne, nnb non ©rbe ,vt ©’rbe, in ent,tücfenbe .^armonie" 7).
*) Kott stoEv 0 Bio; xd -dvxot o3ct ir.oiqnz'j' -/.nl iio'j y.afsx Ätctv. Gen. 1. 31.
ex Vers. Alexandr.
@nuä mit bcnfelbeu SEorten, roie im Seginu ber 3^*^ bie @ottf)eit fid; fetbft,
gab ipäter, in ber 30ten güde, bie dPenge be§ 2Solfc§ bem menfd;geroorbenen ©ohne
nnb feinen Slßerfen 3engnih : „Ka/. rö; ndvxa rrrotT|-/.£“ — „Bene omnia fecit“
(Vulg.) — • „3lde§ er t(;nt ift oollfommen" (dRarc. 7, 37).
**) 3unäd)ft bfbentet --cdafj-o; ©rbnnng, dRnnfi, ifJroportion, — ordo, modus,
ratio. 23gf. Henr. Steph. Thesaur. ling. graec.
***) Quem xoapov Graeci, nomine ornamenti, appellavere, eum nos a per-
fecta absolutaque elegantia, mundum. Plin. hist. nat. 1. 2. c. 3.
t) 3- 3- ®ngel, E'er Sranm be§ C^nlilei. (I'er iphUoloph fin bie ÜEeft,
XIV.)
208 ®er SBieberfd^ein ber Sd^ön^eit @otte§ im fid^tboren Unberfum.
„5^ie 0onne tönt nnd) alter 233eife
,3n SSruberfp^ären Sßettgefang,
Unb i^re rorgefc^rtebne Steife
iBoüenbet fie mit ®onnergang,
3^r 3tnbtt(f gibt ben (ängeln Störte,
SBenn feiner fie ergrunben mag;
!Sie nnbegreifficf) l^ofjen SBerfe
Sinb berriii^ roie am erften Xag.
Unb fd)nell unb unbegreifli(^ fcf)nefle
Sref)t fic§ umf)cr ber (Srbe iprad^t;
(5§ roed)fett if>arabiefe§;§ede
3}iit tiefer fdianernoller i)ca(^t;
fdjöumt ba§ 3Jfeer in breiten f^tüffen
5(m tiefen @runb ber f^e^fen auf:
Unb 5cfä unb SOfeer mirb fortgeriffen
fsn eroig fd^neUem Sp^örenfauf.
Unb Stürme braufen um bie Söette,
2>om fOicer aufä Saub, nom l'aub auf§ dJieer,
Unb bilben roütfienb eine Äette
Ser tiefften SBirfung ring§ nmf)cr.
Sa flammt ein bliljenbe§ 33erbecren
Sem ®or be§ Sonnerfdilagä;
Sod) beine ®oten, :^err, uerefjren
Sa§ fünfte SBanbeln beine§ Sag§.
Ser Sfnblid gibt ben (ängeln Starte,
Sa feiner bic^ ergrünben mag,
Unb alte beine ^o^en SSerte
Sinb ^errtid^ roie am erften Sag" *).
ir»a§ un§ in tobten iffiorten Siebter f^ilbern, e§ ift immer nur
ein fleiner Sbeif be§ großen SK>erfe§, unb fetbft non biefem nur eine
Stu^enfeite. 9Iber es fann audb nid)t unfere 2lbfic^t fepn, bie S(^5n^eit
ber notnrtic^en Orbnung anSfü^rtidjer barjufteUen ; ein offener Sinn
unb ein reineS loerj empfinbet nie! mel^r banon, alS alle Sprotten auS;
jnbrücfen im Staube finb.
154. SaS 35>ettatt, bie gefammte fidjtbare Stopfung unb i|re ©es
fd^id^te, ift il^rer 9^atur nad) ein 3ufutumengefe^teS , ein burdt) 9taum
unb 3eft ff<^ anSbe^nenbeS ©nnjeS. 5tlS SoIdfieS müffen mir fie benn
aud^ fttfjen, fomofit raenn mir unS im ©eifte ein nodftänbigeS SSilb il^rer
Sd^önfieit entroerfen, alS roenn mir in unferem Urt^eif über einzelne ©rs
fd^einungen ni^t irregel^en rooüen.
0 @oetf)e, ^aiift, iprolog im .<pimmeL
®er Sß>teber)d^cin ber isd^ön^eit (Lottes im fidjtbaren UniDcr|um. 209
„2®iv ?0^enfdf)en [te'f)en nor bem Uniöerfunt roie bte ^Imcife üdv einem
großen maieftätifcben ipaCafte. @§ ift 'ein unget}eure§ @ebnnbe; unl'er
^nfectenbltcf uermeUt auf btefem f^*Iüge(, unb finbet nietletdit biefe ©äulen,
biefe ©tatuen übet angebracht; ba§ Singe eine§ befferen 2ßefen§ nmfafet
audh gegennberftel)enben f^liigel, unb nimmt bort ©tatnen nnb ©änlen
gemal)r, bie ihren jtamerabinnen hier ftjmmetrifd) entfpred)en" *). „Süle
29efen", fo h«tte niete früher fchon ein gröfierer C^eift ge=
fprochen, „alle 2f>efen h^ben ihre beftimmte Slnfgabe, ihren befonberen
3mecf für bie ©d]önheit be§ @anjen; ina§ für fid) betrachtet nn§ hüptid)
erfdheint, bad ift fdfön in feiner iBerbinbnng mit ber ©efammtheit. Stirer
ein @ebünbe -benrtheiten mitl, ber fdjant nidjt augfdjtiefjtid) irgenb einen
einjetnen 2i?infet beffetben an; bie ©d)bnheit eine§ SOtenfdjen fncht man
nid)t b(of3 etina in feinem .'ü'aar, ben SBertl) ber oratorifchen ipronnntiation
nid)t allein in ber S3emegnng ber fyinger; nnb in ber inedifelnben @r;
fdieinnng bc§ 9)?onbe§ fapt man nicht cinjig bie @eftalt ind Singe, in
ineldher er etroa raührenb ber brei Sagen nm .fpimmet ftel)t.
Sie Sheite an§ benen Sllle§ iua§ jnfammengefet^t ift, beftel)t, finb jeber
für fi(^ etinaS llnnollenbeteg; nur bag ®anje, bie ©efnm.mtheit ber Sl)ei(e,
ift nollfommen. Singe biefer Strt, Tneldje eben barnm jur niebrigften
©rbninig gehören, müffen mir nothmenbig in ihrer Sotalitnt, eben olg
@anjeg, nehmen, roenn mir fie red)t benrtheiten raollen, mag nun ihre
©djönheit in ber fHnhe ober in ber SSeroegnng fid) offenbaren.
©phüve ber @eifter bagegen bitbet feber Sljeit berfetben jiigteid) ein ©anjeg
für fid), nnb ift barnm feber Sl)eil and) ootlfommen nnb fd)ön" 234).
i'ollfomnten ba§ St(imtid]e gilt in f)tücffid)t auf bie @efd)id)te
ber ©chöpfnng, nad) ber Sln'sbehnnng ber Se^teren in ber
ganje ©chönl)eit, ba§ StiJerf ber 2^orfel)ung beffen ber fie in§ Safepn
rief, fann nid)t in febem Slbfd)iütte ber 3eit in gleid)er SlBeife hei'oors
treten: aber in ber @efnmmtgefchict)te ber SBelt crfd)eint biefelbe im ooltften
Öid)te. „Ser nnoerünberlidje ©d)öpfcr aller Singe bie fid) ünbern," fo
lehrt unä abermatg ©t. Slnguftin, „ber med)fetlofe Orbner beg immerbar
SSei^felnben, er roeif) beffer alg ber SJienfd), mag ben ocrfd)iebenen feiten
unb llmftänben in feber 33ejiehnng entfprid)t: feine S©eigl)eit üerftel)t
genau 51t meffen, mag 511 feber 3eit jn oerleihen, hinjnjngeben, ju nehmen,
anfjuheben, 51t mel)ren ober 511 minbern fid) jiemt; big einft biefe ganje
2Belt3,eit unb il)re ©d)onl)eit, roie eine großartige Sdtelobie eineg nnbe=
gräflich hoh^*^ Sdtcifterg, in roetd)er bie @efd)ichte feber einzelnen 'f3eriobe
nur ein fleiner ©aß, ift, roirb abgelanfen fepn, nnb bann snm eroigen
©d)anen ber roefenhaften ©chönheit alle fene übergehen, bie ®ott getreu
roaren auöh ba fie ihn nur bnrd) ben @lanben erfannten" 235).
*) Sdhilter, lieber ba§ gegcnroärtige beutfche Jheatcr. (93b. 10. ©. 60.)
Sungmann, SleftbcHf. 2. 3(iifl. 14
210 ®er aSieberfc^etn ber <5d^önl^eit @otte§ im fid;tl>aren Unberfum.
155. (Sine originelle iReflerion über bie ©d^ön^eit bieder ^:rbe ent=
plt eine i^rebigt, inel^e oor nicht ganj fünfzig (1834) oon bein
2lltlntheraner Söilhelm Söp gu iliürnberg geplten rourbe. 3”=
halte nai^ gehört bie ©teile gang unö fie hat 2Berth genug, um
gu oerbienen bafi roir fie roiebergeben.
„3mar ba§ läugnen mir nicht, ba^ bie ©i^öpfung tro^ ber lln=
uotlfommenheit roeldhe feit Slbam, unb trol^ ber 35erberbnip raelche feit
ber ©ünbfluth über fie gefommen ift, immer noch niete Siebtich^eit hat,
bie 2tng unb Oh^^ unb .^erg erquidet. Slber bagegen müffen mir un§
fepn, ba^ ^hriften non ber ©dhönheit ber 9latnr in folchen 2lu§brüden,
in foldier ,'pingeriffenheit reben, at§ märe nirgenbä ba§* ©ebnen unb
©eufgen unb ängfttiche .Sparren ber Kreatur geprebigt, roelcheg hoch fo
offenbar ift. ©ieh’ einmal ben fchraeren @ang nur unfereä 3ugnieh’§,
f^au bem 'Jhien in§ ftumme, freubtofe, fragenbe Sluge, — betrachte, roie
gang anbers ihr Seben ift, roie nötlig anberg ihre f^reubcn, atg fie in
@otteg 9tähe fepn mürben, roie fie im ©ienft ber SSergänglichfeit ihr
ßeben beginnen unb enben: ift bir bag ©eufgen nnb ©ebnen nicht ftar?
©ieh’ bie teblofe 3iatur an mit nüchternem 2luge: ift fie, roie fo oft
irbifch gefinnte 'üJtenfchen, bie fi^ felbft belügen, fagen, ift fie ein 5:|3ara;
bieg? Safg bie @rbe in roeiten fiänberftrecfen roüft unb leer, oeröbet
unb oerfanbet ober in ©umpf unb ilJtoraft, bntiegt; bap fie ohne 2lug=
faat unb ^flangen, ohne ben ©chroeip beg 2lrbeiterg, nur an roenigen
Orten bie Dtothburft trägt; bap fie, roo ipr 2lnfehen noch uui meiften
einem ^arabiefe ähnlich fieht, in jenen oielbefungenen füblichen Säubern,
auch fooiet plagen, ©iftpflongen unb giftige Jhiere unb anbere ©^recfen
beg Oageg unb ber 91acht hetuorbringt ; bap Unfrout, Oorn unb Oiftet
ben treuen öeg Sanbmonneg oerhöhnen, unb alg 3^ugen göttlichen
f^tucheg über bie gange @rbe baftehen: bag 2ltleg bebenfen jene nicht,
roelche fo gerne fich burch bie iJiatur in C5ntgücfen oerfepen taffen, unb
ihr bienen roie ihrem @ott, unb ihren @ott bie iRatur nennen. Oie
tahlen 23erge, bie nacften f^etfen bie roie atternbe ©ebeine gum Fimmel
ftarren, triefen oom ängfttichen SBarten auf Erneuerung; bag Slbenbroth
unb ber ©onne täglicheg 2tbfchiebnehmen , prebigen bie ©ehnfucht biefer
Söett nnd) ber Offenbarung jener Sßelt.
„9lur roer fo feine ©ehnfucht hat unb auf bie 3afunft eineg ooH:
fommenen Sebeng nicht fann bie Dlatur oergöttern roie .!peiben.
253er aber ben .S^immel non ferne gefehen hat im ©piegel ber 2)erheipung;
roer gehört h^^f i’^m ©trom beg Sebeng, oom ©ehötg beg Sebeng in
jener 253ett, oon bem neuen §immel unb ber neuen Erbe auf benen ©e=
rechtigfeit roohnt; roer je bie oerheipene ^errlichfeit beg D^feicheg ©otteg
in ber ©ehr ift gefehen hat: ber fann fein $ierg an biefer irbifchen ilfatur^
fd)önheit nid)t fättigen; ber fühlt fich auf ben ©ipfetn unb in ben Ohölem
®er 2ßieberfd)ein bev ®d;ön'^eit ®otte§ im fid;tbaren Uiuüerium. 211
ber 2I(pen uiib auf ben immer fuugen fyrü^üiigätnfeln ber ©übfee nidjt
ba^eim; ber lann biefe @rbe, btefe ©onne nidjt fo gar fc^ön Ijeifjen, ba
fie iSienfd^en beherbergen bie oljne (Stjriftum, ben fdjönften gelben unb
§errn ®otte§, leben fonnen" *).
®iefe Sßorte erregten bamatä in 9türnberg grofje Unjufriebenheit.
©efjungeadjtet finb fie nidjt blofj, roie mir uortjer fagten, origined, fonbern
audj üottfommen roahr nnb fthön. 2©ar e§ bodj ein ganj aljntidje§ @e=
fühi, ba§, üietleidjt um biefelbe ba§ bes bentfdjen ©ängerä
beroegte, ba er fang:
SS>ie ift bein §immet, nd), bein btnuer,
Italien, fo flar, fo Iid)t,
Unb bod) erfüllt mein ,S^erj mit ‘Jrnuer
S)ie§ beiter ftrntjtcnb 2(ngcfid)t.
©enn btid’ idj in bie lidjtcn Stiinme,
®ann füllt bie ©cljniudjt meine 23rnft,
^d) oljne bnnfel bann nnb treinme
(fin reiner £'idjt unb reinre Suft.
Unb menn ber ©djioon, ber filbertjelte,
Sdtelobifdi fidj jnm 'jj-liig erljcbt,
Unb auf be§ SBotjUautö reiner 2BeUe
23erflingenb in bie fs-ernc fdjiuebt :
T'anu raeeft in nnfrem tiefften .^er3en
3tud) SBeljmntl) feine iUtelobie,
STnr fühlen füfje ©ehnfuchtdfdjmerjen
fdadj einer anbren Harmonie.
©0 ift ein 2ll)uen nnfer Veben,
(Sin enblod ©etjnen biö jum @rab,
(Srfültung rairb ihm ^ener geben,
l©er itjin bied ahnenb ©ebnen gab"**).
©0 roie roir fie tennen, ift ja bie fidjtbare SBett nidjt mehr bloft ein
S5>erf ber £debe @otte§, fonbern andj ein ®enfmat feiner ftrafenben ®e=
redhtigfeit. ®ie nerhangniffnotte erfte Jh^^t uon roeldjer bie f)Jienfdjen;
gefdjidjte un§ Äunbe gibt, fonntc mit itjren tiefgreifenben SBirfiingen
nicht bei bem ©efdjiedjte ftetjen bteiben, alä beffen SBerf fie erfchien; bie
fichtbare ©djöpfnng, ober roenigften§ biefe ©rbe, roar um beä flJtenfdjen
roiCten gemacht unb für itjn: eä nerftanb fid) barnm non felbft, bafj fie
*) cg)iftorif(h=nolitifd}e Slötter, ®b. 73. ©. 371 f.
**) @uibo @örre§, ®cbicbte (ütd)t unb Harmonie).
14*
212 ®sr SBieberfd^ein ber ©d^onl^eit @otte§ im fid^tbaren Uniocrfum.
au(| oon bem ^Iiic^e mitbetroffen werben muffte, roetc^en ber ÜRenfc^ j
burd^ feine 2lufte!§nung gegen bie tSRajeftät @otte§ über ficß ^erauSgeforbert
^atte. „3n fe^nfüc^tigem 3Serlangen", le^rt un§ in biefem ©inne ber
l^eilige @eift, „^arrt bie ©d^öpfung bem 2:age entgegen, roo offenbar
roerben bie Äinber @otte§. ®enn auc^ fie ift ber iJli(^tigfeit überants
raortet roiber ifiren SBitten, freitid^ mit ber 3Tnraartfc|aft, ba^ audt; fie j
bereinft roirb ertoft roerben au§ ber itned^tfdtjaft be§ 2Serberben§; für )
fet^t ober feufjt nod^ bie gefammte ©d)öpfung roie in ©eburtgroe'^en" I
(3fiöm. 8, 19—22).
©ine irrige Slnffaffung roäre e§ aber, roenn femanb in biefer
fac^e, unb in ben oor^^er angefüfirten ©ebanfen bie fic^ auf biefelbe
grünben, einen SBiberfprud^ finben roottte ^u unferem ©a^e, baff in ber
©(^önl^eit ber fidtjtbaren Sßett fidb bie ©eftön^eit i^reS ©^öpferä offen;
hart. ®enn roie nid^t bto^ bie ßiebe ju ben ©igenfcfiaften geprt burcf)
roetdtje ©ott fdt)ön ift, fonbern auc^ bie ©erei^tigfeit, fo tritt audf) in ben
Sßirfungen biefer Sezieren un§ feine unermeBtii^e ©cE)ön^eit entgegen.
Unb roa§ Sö^e in feiner if?rebigt befämpft, ba§ ift nic^t bie Söa^r^eit,
baß biefe ©rbe burdj roa!^re unb große ©d)ön^eit ber ©(^önfieit beffen
3eugniß gibt, ber fie gemad)t fiat unb burd) ben fie befielet: fonbern e§ |
ift bie übertriebene ®er|errfid;ung be§ ©idjtbaren, e§ ift jene einfeitige, i
bem ©firiftent^um unb feiner Sföafjrfieit frembe SSerounberuug ber ©rbe
unb i^rer Dfiei^e, roefdfie bei bem febfofen ©toffe unb feiner fte'^en
bleibt, ftatt audf) burd^ biefe fid^ bewußt gu roerben, „um roieoief fdjöner
ber §err atfer biefer ®inge ift, ber ©r^euger ber ©cßönfieit, ber fie affe
erfcfiaffen ^at" *).
156. .^piermit ßaben wir eineu weiteren ©ebanfen faft fd^ou au§;
gefprod^en, ben wir auf ben oorigen fofgen faffen roofften, unb ber oon
größerer ißebeutung ift af§ biefer. feiner ©d^rift „®er Jroft ber
if}!^ifofopf)ie" faßt fi(^ ber ebfe 3Soetiu§ oon ber ip^ifofop^ie bie 2fn;
roeifung geben, in fofgenber Steife ju beten:
O ber nad) eroigem ©ebanfen bu bie SBett
dtegierft, ber ©rbe ©djöpfer unb be§ §immcf§; ber
2Son ülnbeginn ber 3eiten Sauf bu fenfft, atfein
3Sevbfeibenb ftät in bir ba§ 9fff beroegft;
jl)en Siebe nur, uom ©ebatten and) be§ 9fcibe§ fern,
9?icbt äußeres ®ebiirfniß, trieb, ju bitben
®a§ Söerf au§ Äörperftoff, bem raftfoS roeeßfefuben :
üfaeß boßem, uuficbtbarem iDfufter orbneft bu
*) Quorum si specie delectati deos putaverunt, sciant, quanto his domi-
nator eorum speciosior est ; speciei enim generator haec omnia constituit.
Sap. 13, 3.
®er 3Skberfrf)ein ber ©c^bn^eit @otte§ im lid^tbaren Uniüerfum. 213
iT'ie ®inge nUefamint; im eignen @eifte id)anft
®u, felbft nnenblid) l’diün, bie fd^öne 9BeIt,
Unb fd)nffft «oöenbet [ie, bem groBen 33ovbilb ilijidid}.
■Jiad) imb 9Jlnnf! in fefter Orbnnng binbeft
®ie (Elemente bn, baf? Äaited fid)
^n §eiBem füge, 5end)te§ fid) mit iCvod’nem
l'ercine; baf) be§ fficnerd Ieid)t’re nid)t
3n l)od) fid) t)ebe, nid)t bev fdjiueren i^lnffe ä)Jnd)t
3Um)üvt6 gnr itiefe jnt) bie (Srbe 5ie()c.
@ i b meiner Seele, iO n t e v , b n f; l) i n n n f j n tn Z t) v o n
Sie b einer 6errlid)feit fid) fd)minge; laB in bir
Ser @utl)eit Urquell fie bnrd)forfd)en, unnernmiibt
3l)r 5luge fd)nuen immerbnr bad reine 2id)t
Sa§ felbft bn bift. bie Dcebel ; l)eb’ l)inraeg
Seä (Srbenmefen'j fcl)mere 2nft ; e§ leud)le mir
Sein ©Innj! Sn bift bie ,ßtnrl)eit, bift bie felige 9inl)’
fvür 51 Ile fo bid) el)ren; bid) ju fd)nnen, i [t
Se§ ©cifted lefUe§ 3icl: e§ ift ber 5ln§gang it)m
Seö SBege'j, ift il)m 2eitftern, (Vül)rer, Sllarfftein 236).
Siefen iBerfen liegt eben bie 2BnljrI)eit nm bie e§ fid) ^anbelt, ju ©rnnbe.
©Ott JU fd)anen, unb feiner Sd)önl)eit fiel) ju freuen, ba§ ift „be§ ®eifte§
letztes Offenbarung ber unfidjtbaren Urfd)önl)eit foll beft^alb
nur bajn bienen, ben erfd)affenen ©eift eben biefe Urfd)önl)eit erfennen
unb lieben ju lebren, für fie fein iperj ju begeiftern, jur ©inigung mit
il)r e§ bümnfjnl)ebcn. 2öa§ immer mir ring§ um ung l)er SdjöncS
feben f'önnen, e§ ift nid)t bie Sd)önl)eit felber, „eä ift nur ibr 53itb, ihre
Spur unb il)r Sd)atten". „25>illft bu fie finben, bie ronbre Sd)önbeit,"
mabnt ©regor non Dlpffa, „bann mnüt bn 5llle§ mag fonft bie tDlenfcben
für febön unb lieben^roürbig bitten, ma§ iljr ,'perj ju feffeln pflegt, alg
eitlen Sanb neradjten, unb beine Viebe nicl}t baraitf nerfdjmenben ; bann
mufe bein Sebnen bortbin geben, mobin ber Sinn nidjt reid)'t; bann miifj
ni^t 9J^enfd)enfd)önbeit bid) bejaubern, nod) be§ ‘'Dlorgenfterneg ©lanj,
nod) ma§ immer fonft für fd)ön gilt; fonbern all biefeg Sd)öne ba§
bid) ringg umgibt, eg muB bid) aufmärtgbeben jur Siebe jener Sd)öul)eit,
oou bereu ©Uanj bie Ipimmel teud)ten unb bag fyirmoment, bereu tflreig
alle ©reoturen fingen. Sdbmingt alfo fid) bie Seele bünmelmörtg, lägt
fie Sllleg unter it)ren 5üf)en, meil 5llleg fleiner ift alg jeneg bog fie fud)t,
algbann mirb ibv gegeben jene lleberfülle ber Sdbönl)eit ju febauen, melcbe
über ben If^immeln tbront" *J. Sonn erft geminnt für fie bie Sd)önl)eit
ber Dlatur ißebeutung nnb Seben ; bann tont eg mie ein taufenbftimmigeg
Surfum corba immerbnr it)r entgegen aug bem ‘•lltunbe ber gefammten
*) Greg. Nyss. de Virginit. c. 11.
214 ®er Söteberfd^ein ber ®d;bnl^eit @otte§ im fid;tbaren Unioerfum.
Kreatur ; bann [timint auc^ fie ein in bie Joblieber gottbegeifterter ©dnger,
beren ©ebanfen ber ©iii^ter oon „SDreijel^nUnben" meifter^^aft roiebergegeben:
Sobt ben ^errn i^r SBefen aüe,
ibr 2öerfe feiner .^önbe,
Jobt ben §errn, benn er ift mäd)tig,
@üttg ift er o^ne @nbe!
Jobt ben §errn ibr ©eifterfcbonren,
®ie om ^bfO’i ib^ beten;
©onn’ unb SJtonb, ibr SJtorgenfterne,
Jobt ben .^errn, ibr 9tbenbrötben.
Jobt ben .^errn, ibr 2öinb’ unb SBolfen,
5^onner, 23tib, unb 9tegengüffe,
Sobt ben .^errn ibr grofen Dlceere,
3UI ibr iörnnnen, nü ibr
Jobt ben §errn ber @rbe f^eften,
®erg unb .trüget bügft uor f^frube;
Job’ ibn 3t(ferfrur unb 2Jiefe,
Job’ ibn SJalb unb grüne §eibe.
^bi" ^etpbine unb ibr brachen
Jobt ben i'^errn in f^Iutb f?'tüften,
2tll ibr ibicre ouf bem ff-elbe,
3(U ibr 35öget in ben Jüften*).
2tnber§ betrachtet al§ in biefem ©eifte, ift bie ©cbönbeit ber natür;
tidben Orbnung roertbioS, jroedtoä, ohne ©inn unb 33ebeutung, ein un=
Iö§bare§ fJiätbfef, ein erciger Söiberfprncb ; anberä berounbert, um ihrer
felbft mitten geliebt, ift fie nur ber uerlocfenbe ©cbein be§ tan^enben
^rrlidbtä, ber nerfitbrerifdbe „3auber ber ©iteifeit, roetcber ba§ mabrbaft
©Ute nerbunfelt, unb ben ©inn ber fIRenfcbenfinber oerfebrt" **) , ober
roie mir früher (27) ©t. 5Iuguftin fagen boften, ©itelfeit ber eitlen
©eifter unb nidbt§ al§ ©itetfeit. „2Jo ift", fo fragt anbergroo ber gro^e
.ffirdbcnlebrer , „roo ift ba§ ®ing, ba§ bie ©eele nicht binroiefe auf jene
Urfdbönbeit, non roetcber fie fidb abgefebrt? ttJlüffen bodb felbft ibVe
©ünben ihr biefelbe in§ ©ebä^tni^ rufen. ®enn alfo umfpannt ©otte§
2öei§beit geroaltig 2ltte§ oon einem ©nbe jum anbern; alfo bdl
grofee fttleifter alle feine Sß^erle ju ©inem frönen ©anjen gebilbet; alfo
bat ihnen feine ©üte, oom böä)[ten bi§ hinab jum niebrigften, neibtoä
*) ffieber, ®reijebnlinbcn, IV. (<2. 60 f.)
**) Fascinatio enim nugacitatis obscurat bona, et inconstantia concupi-
scentiae transvertit sensum eine malitia. Sap. 4, 12.
®er SSieberfd^ein ber ©djön^eit @otte§ im |'id)t6aren UniDerlum. 215
jebe ©d)ön^eit gefpenbet, bie ja Don t^m allein auSge^en foiinte: ba§
lüemanb non bev n)e[cnl)aften 2©al^r!^ett abfntlt, ben nid)t in feinem
©tnrje felbft irgenb ein 31ad)bilb ber SBaljr^eit auffinge. ®enfe nac^,
roa§ e§ ift ba§ ba feffelt in ber finnlidjen £'nft; bu finbeft nidjtd ald
bie Uebereinftimninng ; beim mie ber (Segenfat^ ©djtnerj, fo inufe bie
Uebereinftimmung Suft erjengcn. ®o merbe bir beim beimif3t, raer bie
oberfte 91orm aller Uebereinftimmung fep, raer il)re Ouelle. 2]erliere
bid) nid)t nad^ auBcn, gel}’ in bicb felbft juriicl: in bem v^erjen beg
iBienfdjen raobnt bie 2Bal)rI)eit" 237).
„Trum, cblc ^eele, cntreig’ bid) bcm 3£al)it,
Hub bcn l)immlifd)cn ©tauben bcmalfrc;
2£as fein 01)r ncrnatjin, maß bie Gingen nid)t fa^n,
(Sß ift bcnnod) bnß 0d)öne, bnß 35>abrc!
(?ß ift nid)t branfjen, ba fndjt eß ber itt}or;
(rß ift i n bir, bn bringft eß einig l}crnor" *).
25>ir fürd)ten nid)t, einen £efer ju erninben, raenn rair juiii 0d)lnffe
!^ier nod^ ein etranß längereg ©tiidf aug bem jelinten 3?ud^e ber „33e=
lenntniffe" jener Ijerrlid^en (Seele felgen laffen, bereu Ijo’^e ©ebmifen 31t
t)ernel}inen immer bag i5erj erraeitert nnb ben @eift !^inanfl)ebt. „Sd)öne
©eftolten nnb 3?ilber," fprid)t bort, ober betet nielmelir ber (^eilige 31ugit;
ftin, „fünfte lid)te fvcirben, liebt bag Singe. SOiogen fie mein i^erj nie;
malg feffeln; möge ©ott eg feffeln an fid), ber biefeg Sllleg gemad)t:
raoljl l^at er eg fe^r gut gemnd)t, aber mein ®nt ift er felbft, nid)t raag
er gemadjt !^at. . . iDie SJtenfclien ^aben mir baranf gebad)t, jene ner;
fül)rerifdben flieije für bag Singe ju neruiclfältigen; nnb raie finb bie
Singe ol)iie raomit fie für biefen 310^^/ SSerfen ber ,11’nnft,
in ©eraanbung nnb fynftbefleibnng nnb i^nnggerät’^, in ben mannid)fad)en
©rjeugniffen ber S3ilbraerfen nnb SKalereien, fid) auf allen
©eiten umgeben l)aben , raeit Ijinnug über 33ebürfnif3 nnb IRaaf! , fern
non aller iHüdfid}t auf ©ottegfnrdjt nnb ©Ute! ©ie ergiepen fid) nadj
anfien in bag raag fie niad)en, laffen faljren in iljrem ."perjeii ben ber fie
felber gemailt, üernidjten bag, inoju er fie gemad)t bat 238). Unb bod)
ift ja bie Onelte alT beg ©d)önen, bag ber ©eift beg jlünftlerg bitrd)
feine §anb in bag ©ebilbe l)inüberleitet, feine anbere alg jene ©d)önbeit,
bie ba über bie ©eifter ift, nadb ber mein .'Tierj fid) febnet Sag unb
31a(bt. Slber bie fo auf nidbtg nfg auf änftere ©dbönbeit benfen, nid)tg
lieben alg fie, bie nebnien non ber böcbften ©dbönbeit nur bag ©efet^
raonadj fie biefelbe febäben, nid)t andj jeneß, raoiuid) fie fid) ihrer bebienen
follten. ©g tritt ihnen entgegen in Slltein raag fd)ön ift, aber fie feben
') Sc^itter, Eie JOorte bc§ 2Sabn§.
216 ®er SBieberfc^ein ber <Sd;önlieit @otte§ im fid^tbaren Unitierfum.
es ni(^t; fonft tüürben )ie nic^t i^v auf ^^nuegen jid) uerlieren
laffen, rDÜrben ,für bi^ ben)al;ren il)re .^braft‘ O^f. 58, 10), unb [ie
nid^t jerfpüttern in ©enüfjen bte fie nur aufreiben fönnen 239). . . !
O Sid)t, bag bem 2:obia§ leuchtete, ba er, ber Slinbe, feinem @o§ne |
ben 2Beg be§ Sebenä raie§, unb mit bem ©c^ritt ber Siebe i^m noram j
ging, nimmer irrenb ; Siebt, bag fct)aute, ba feine Slugen nom Sitter |
bunfet roaren, unb er bie ©öbne, fie nid)t erfennenb, fegnete, aber fegnenb
fie erfannte; Siebt, bag bamalg alg er, ancb im bob^n Filter |
beg ®efid)tg beraubt, mit bem ©lanje feineg eigenen i^erjeng bie ©öbne |
nmftrablenb, bie ©tämme beg jufünftigen S3oIfeg in ihnen fdbaute; ba (
er feinen ©nfeln gebeimnifenoU gelreugt bie §änbe auflegte, nii^t raie ibr
Skater non au§eu ibn biefe/ fonbern roie er felbft in feinem ©eifte eg j
erfannte! ®ag ift bag roabre Siebt: nur ©ineg ift eg, nnb ©ing finb
Sille benen eg leud)tet, unb bie eg lieben. ®ag förperli(^e Si(^t nerfüfet
mit gefäbrlieber ©üge biefeg irbifdje Seben benen, bie in blinber Siebe
ficb baran bangen. bagegen, bie aud) in biefem Si(^te nur bicb
finben, aCer ®inge ©dböpfer unb ©ott, bie preifen bidb füf baffelbe,
unb laffen fi^ nidbf fi^leiftrunfen banon blenben: ju biefen lafi midb
geboren" 240).
^fünfter
^nbere, uott ber J5d)önl)eit iierftl)tebeue t)or3Ütje, burd) uicldjc
|id) bk fci)iungeu ber Cd)öncn tun)ie gkidifoUs ols füld)C ju
tborarterirircn pflegen.
157. 9tüdi'id)t auf jenen ®or;,ug, nadj roetdjem bie „fi^öneu"
.fünfte genonnt inerben, bnvften Tuiv ber y^ovbcntng bie im Slnfnnge*)
i^iato uns naljelegte, bnrd} bie nier DoranSgeijenbeu 5lbfdjnitte genügt
Ijaben. 2Bie früher bereitg erroäijnt mnvbe, ift aber bie ©cpid}eit nidjt
bie einzige ©igenfe^aft, burd) luetdje bie SBerfe ber fdjönen Jbnnfte fid)
al§ foi^e cbavacterifiren. 9iid)t fetten j^cidjuen fidj biefetben bnrd)
(J' r!^ ab en [)eit and, ober burd) 5tnmntl); fie empfet)Ien fid) bnrd)
3ßat)r^eit unb ?ien^eit nnb ‘iüt nnnid)fnttigfeit; fie net)men,
in anberen f^ütten, nufer ^'dereffe in 5lnfprnd) bnrd) jene D^leije, metd)e
fid) für und mit mnnberbaren ober mit tüd)erlid)en nnb fomi=
fd^en (5rfd)einnngen naturgemüf) oerbinben; fomeit e§ anget)t, pflegen
fie enbtid) and) fo geartet jn fepn, baf) fie nn§ mel)r ober roeniger bnrd)
fi untiefen @ennf) einnet)inen. .\^aben fotgtid), neben ber ©d)önf)eit,
and) bie ^ierbiird) bejeid)neten 2)orjüge für bie n)iffenfd)nftlid)e @nt=
roiefetung be§ iföefenS ber fdfönen j^ünfte nnb ber oberften ©efet^e ber=
fetben it)re 23ebentung, fo gitt offenbar bie fs-orbernng bc§ gried)ifd)en
ipt)itofopf)en in gleid)er SBeife and) in 3lücffid)t auf fie.
Samit ift nufere Stnfgabe in biefem 5tbfd)nitt, unb ber 3nt)ntt
beffetben angebentet.
0 Sßgt. 9t. 3. 0. f. f.
218
©rftcg topitcL
Ute (£rl)abcnl)cit.
§. 1.
3Sas btc ^r^aBen^eit fei); ?cfinitton berfefSen.
158. fine SiUe, ein Sfiofenftrand) in Dotier Slüte, ein [rüd^te=
betabener SSaum, ein freunblidjeg S!^at im Siebte ber unterge^enben Sonne,
iinb f(böne ©egenftönbe. ©ine fd)öne ©rf(beinung ift e§ ancb, genauer
oielteic^t eine anmntbige, melcbe in biefen Strophen ber ®i(bter matt:
Siebtid) finb bie ^oninödjte,
2i'enn beä 5lbenbvotb§ SSergtimmen
Unb beö 3Utorgenö fvübe Sid)ter
Tämmernb in einanber jebrotmmen;
2Senn ber Senj in rotben dtofen
9tafdb oevblutet, unb bie Hetnen
9tad)tigotten um ben Xobten
3b>^e lepten Sieber meinen;
2Senn im Ä'etcb ber Sinbenbtüte
Unterm 33lätterbalbad)ine
träumt, geroiegt oon tonen Süften,
Sie cerirrte mübe 33iene;
Unb bie Sßocbtel fdjlögt im Sffieijen,
^ebem 5ßftüger liebe Saute,
Siebe Sonte ott ben jtörnern
Sie er fromm ber fstnr certronte.
Surd) bie frifd} entfproj^nen 3tebrcn
§oud)t ein ©öufetn unb ein Singen,
3Uö ob bolbe §immetsgeifter
Segnenb bnrd) bie Saaten gingen*).
Siefe Strophen, fagen mir, faffen Öiaturerfdbeinnngen jufammen bie
einfad; febön, ober auch anmutbig finb. 3ßenn bagegen na^ einem
febroeren ©eroitter, nach Sturm unb ©tib unb fftegengüffen , roöbrenb
attmeitig in ber gerne ber Sonner oerbattt , über buntten SBotfenmaffen
*) Sffieber, ©reijcbnlinben, V. (©. 63.)
®ie @rl^abenf)eit.
219
in fdirainbelnber jid) bn§ 33unbe6, bcv fiebenfarbtgc
33ogen baut; ober raeim, nad) ber ®d)ilberung be§ alten ®id)ter§,
„mit nid)eitfd)niangrcm ©ctöfe
donnert ber 3tetna, id)rcdcnb bo§ i'nnb, unb in bampfenbcn ÜBirbctu
©d)roarje 2i>olfcn oon iRnud) unb 'l?ed) unb glid)cnber Slfdje
,'nodj in bie Snft luntjt, unb mit jüd'enber 'Jtummc gen .'Qimmct
'3>d)lngt, unb in roilber (Empörung, nnä mcit geöffnetem sidjlnnbe
5‘etfenftüde fdjieubert; nun ©trbme gefd)mo(jener Steine
Unter ©turmc§ @et)enl it)m entftürjen" *);
bann regt fidj in nn§ ein ©efiil^t, ba§ mit ber f^renbe über bie ©d}ön=
l^eit uerroanbt fc!^eint: aber mir nennen ©rfdjeinungen biefer 2lrt nid)t
inel)r einfad) fd)ön, fonbern er^^aben.
©§ ift eine rü^^renb fdjöne Scene, bie nn§ i)Jtoi)feg erjal)U, bn ^ofepl)
ber ipatriard^, nnerfannt nor feinen 33rübcrn fteljcnb, nad) ber l)errlid)en
fRebe be§ länger an fid) Italien bann, alle 3^'etnben
^inanSgel^en beifil/ wib roeinenb, fo laut baf) bie 51egi)ptier e§ bä«n
nnb bn§ ganje .'pand be§ if51)arao , non ^i^enbe überroältigt jn feinen
erfd)rodenen Srübern fpridft; ,^d) bin 3oKPb — mein 33ater nod)?
. . 91engftigt end) nid)t, lafU e§ end) nid)t fd)roer fallen, bag il)r mid)
nerfanft üi bic§ )L'nnb;‘ nnb er fiel fBenfamin, feinem Srnber, nm
ben .'pnlg nnb meinte, nnb and) biefer meinte an feinem ö^dfe" ©d
ift abermals eine Seele non mal)rl)aft liebensmürbiger Sd)önl)eit, meld)e
berfelbe billige ifiatriareb offenbart, ba nad) bem Sobe ibreS ÜSaterS feine
iBrnber, if)re§ einftigen gebenfenb, bem fd)iner SBeleibigtcn fugen
laffen: „S'ein 'ilater gab nnS ben Slnftrag, ebebenn er ftarb, in feinem
iRamcn bir bieS jn fugen ; 3^) bitte bid), nergiR ber Sünbe beiner 33rnber,
bie fie an bir oernbt; — nnb and) mir bitten, bn moüeft ben Sienern
beS ©otteö beineS 2iater§ biefe ihre Scl)nlb oergeben" ; — „nnb ba
3ofepl) fie alfo reben börte, meinte er, unb fprad) jn if)ncn: ,3nrdbtet
eui^ nicht. Äönnen mir ©otteS 3*>gungen miberfteben ? 3b^’ [fii'uet
iSöfeS miber mi(^ , aber ©ott 1)^1 cä 511111 ©nten geroenbet. Sarnm
fürd)tet nichts : id) merbe end) unb eure Ä'inber oerforgen nnb er tröftete
fie, unb fprad) liebeooll nnb fanft mit ihnen"***). 3lber menn ber
heilige ©eift in ber 31poftelgefd)id)te nnS ben erften i).Rärtr)rer 5eid)iiet, mie
er im hoben IRntbe oor feinen Sobfeinben ftel)t, oon meineibigen 3engen
ber ©otteSläfterung befd)ulbigt, mit bem 5lngefid)te „mie cincS ©ngelS" ;
menn mir il)n bnrauf, nad)bem er in nieberfd)metternbcr 9tcbe ben bend)=
*) 5Rad^ 23irgit, 2tenei§ 3, 571 ff.
**) 1. »topf. 45.
***) 1. i)Ropf. 50.
220
®ie @r!^abent;eit.
(erifdjen (Eiferern für ba§ tobte ®efet^ i^re !§artnä(fige 33erfto(ft^eit unb
it)reu ®otte§morb oorgeraorfen, ganj allein, tote ein Samm unter Sßölfen,
in ber 'Stitte ber tobenben radjefc^naubenben mit ^ö^ttefnirf^en auf ifin
einftürmenben Spotte feigen, bie IRu^e ber ®roigfeit in ben uerüdrten
ba§ Ieud)tenbe Singe jnm §immel geridjtet, auSrufenb: „©iel^e, id) fe^^e
ben ^imntel offen, unb ben ©ol)n be§ SÜienfd)en pr 9led)ten ®otte§
fte’^en" ; roenn er enblic^, pr ©tabt f)inan§gef^leppt, unter bem müt^enben
©teinliaget auf bie nie finft unb betet; „§err, rechne i^nen biefe§ nic^t
an al§ ©ünbe", unb mit biefem ©egen für feine SlRörber ben ®eift auf;
gibt *) ; bann ift eä nid)t mc^r ber ru'^ige ®enuf3 ber ©d)önlieit ber un§
erfreut, nicht mel)r ba§ fanfte, oft gleictjfam fpielenbe ®efül)l ber
ftiClen f^reube, beffen mir un§ beraubt roerben; fonbern e§ ift ein ®enuf3
Doll höherer SBeihe, eine f^reube mit ber fid) 33erounberung unb ©h^fwocht
mifd)en, um ihr geraiffermapen eilte bunflere f^ärbung, einen Sion heiligen
®rnfte§ 51t geben. ®er heilige ©tephonnä in feinem iD^artprium ift eine
erhabene ®eftalt.
159. Slber roaä ift ba§ ©rhabene? ober uielmehr, bamit mir nicht
einen ®räcismu§ unb mit biefem eine boppetfinnige 3lu§brud§meife rcieber
hereinführen, nad)bem mir fie im Slnfange auäbrüdlidh auggefchloffen
haben, roa§ ift bie ®rhabenheit ? ^enn if>aul glaubt ' „baä ®rhabene" al§
ba§ „angeroanbte Unenbliche" erflören ju follen, ©olger al§ „bie if3oni=
rung bes Unenblid;en im ©nblii^en", 3eifing al§ „badfenige ©chöne,
roelched bnrdh feine objectioe iBollfommenheit, namentlid) bur^ feine ®röj3e,
bie .^t’ee ber abfotuten ißotlfommenheit erroedt''. .^ugo S3lair ift „geneigt
jn uermuthen, baf3 ungercöhnlidje ©türle ober StRacht, ober bie innere
2.tejiehung ju ©olcher, bie in brm ®egenftanbe heroortritt, om rid)tigften
atg ber eigentliche ®runb ber ©rhabenheit bejeid)net roerben bürfte“ **).
Stad) Eleutgen roäre eine ®rfd}einung erhaben, infofern fie un§, roenn
and) mitunter ohne baf3 mir un§ beffen flar berougt roerben, ben ®e=
banfen an bie ©roigfeit unb bie Unenblichfeit nahelegt 241), ^ermann
£'ohe fudjt bie Slnf^auungen mehrerer neuerer Slefthetifer pfammengtt;
faffen, unb e§ „fiheint" ihm „bie allgemeine SSebingung aller erhabenen
Sßirfung barin p liegen, bap irgenb eine @rfcheinung irgenbroie un§
ein Sehted, über bad hiiio»^ ^^io fyortfchritt bed ©enfend unb fein
9iürfgang bed ©efchehend möglid) ift, ni(ht ald einen ®ebanfen mit bem
fi(h hbPoth^tifth fpielen lüfft, nidht ald eine überroeltliche SlRöglidhleih
fonbern in bem ganzen ©rnft einer roirfliih ben Slugenblicf füEenben
roirffamen ©iegenroart, pr Slnerfennung bringt. ®d ift gleichgültig,
roie fein ober roie rol) mir biefed ,Sehte‘ auffaffen; unb bie ®mpfäng=
*) 9lpofteIgefch. 6. 7.
**) Blair, lect. 3. vol. 1. p. 64. (Sitirt 121.)
S'ie ©rtjabenf^eit.
221
Ud^feit für ba§ (Jrljabene *) i[t iiic^t ber 3Sovjug etitev ^öl}eren Sil=
bungäftufe" **).
®a§ „Se^te'' lueldjeä in bie[en SBorten evinäl^nt lutrb, „über baä
^inau§ fein ^ortfdjvitt be§ ®enfen§", beffen Sefc^tüfjen gegenüber „fein
Jlücfgang be§ @ef(^e!^en§ inöglid) i[t", biefed „Set^le'' ift entroeber bev
abfotut 0ei)enbe, b, b. @ott bev .^err, ober ber SlnSbrncf ift ein 95>ort
ohne ^nbfllt, ein Sebeiitnng, bn§ beifd/ nidjtä. ®>ir gianben
ben ©ebnnfen ber in l'o^e’g 3®orten liegt, einfad)er nnb uerftünblicber
angjnbrüden, rair glauben gngleid) mit ber 3lnftd)t ÄlentgenS nberein=
,5n]tiinmen nnb jene 3?lair§ nnr jn neroollftünbigen , menn mir fagen:
(Srbaben ift ein ©egenftanb, menn er bajn angetl)nn ift, in bem enblidjen
©eifte, ob and) nnr unflar nnb roie in biinfler 5lbnnng, ben ©ebanfen
nn ben nnenblicben ©eift, nn ben nnerfd)affenen einigen .s^errn nnb ©d)öpfer
aller ©elfter jn meden. ?0fan oerftebe nn§; ni(bt ein reflectirenbe§ 9fad):
beiden über ©ott, nid}t eine mit ®eimif!tfei}n feftjiibalteiibe ©rinnerniig
an ibn, and) nid)t ben bentlicben Segriff eiiie§ bödjften Sß>efen§ in nuferer
©eele jn neranlaffen , innfi eine ©rfd]eiining ficb eignen, bamit fie al§
erbaben gelten fönne; fonbern ein nnmitlfürlicbeg, oft gniij nnflareä ?lbnen
einer über alle§ ©rfcbaffene meit büianSliegenben Wadt nnb 3ii}ei§beit,
ein oft gar nidjt flar in ba§ 35eimtfdfet)n tretenbeg „©efübl" einer 35>irf=
fnmfeit nnb einer dlcafeftät, uor melcber jeber enblid)e ©eift ficb beugen
bat***). 2öer bie jroei oorber nngefübrten Seifpiele erbabener ©rfcbed
imngen, ben 2ln§britd) be§ 2tetna nnb bie ©eene ait§ bem DJtartprinm
be§ b^^IiS^n ©tepbannd, anfmerffam in§ 3lnge fafit, ber bürfte fid) leidet
überzeugen, bafi bie bejeidjnete 2-^efcbaffenbeit fidb an ibnen finbet.
*) Sope lüiH tagen: bie t^öb'gfeit für bie Ütuffnftung nnb ba§ ©efübt ber
©rbabenbeit.
**) 2ope, ©. 331. (6it. 18.)
***) ®a§ 22ort „@cfübl" gebraiidbc id; f)ier nidjt in bein öinne in roetdjem
e§ mit „@emütb§regung" ober „ — bciuegnng" gtcidjbebcutenb ift; fonbern id; uer=
ftepe barnnter jene 2f)ätigfeit be§ bötieren (Srfenneng, in roeldjcr fid; nnferer 33ernnnft
eine ffiatjrbeit mit einer 91rt oon btöttjignng anfbrnngt, opne bafj bie eigcntlidjen
©rünbe berfetben nn§ ooUfommen eintend)ten. biefem ©inne ftef>t j. 33. bn§
entfpredjenbe 3fitirort bei .litopftod in ber Obe an '^oung:
„bie gezeitigten
(Srnften fefttidZen Dtädjte
2ßndjt ba- ^T^igeift mit bir, nnb füZlt’d
®a^ bein tiefer ©efang broZenb be§ 2ßettgerid;t§
ipropZ^seiuiig iZm fingt! füZtt’S roa§ bie’ 2Bei§Zdt luitt,
2ßenn fie oon ber ipofanne
©pridpt, ber itobtenerroederin !"
dJlan oergleitZe meine 3tbZanb(nng „Oa§ ©emütZ . . ." 3t. 58. ©. 143 ff.
222
Sic (Srl^aben^eit.
Ober nehmen roir ein nnbereä SSeifpiel;
SSöIfev Berraufeben,
Siamen nerfliugen,
^iiiftre iüergefj'enbeit
^Breitet bie bunfeina^tenben 3d)n)ingen
Ueber ganjen ©efi^iecbtent auä.
5lber ber dürften
©nfaine Häupter
©iänjen erhellt,
Unb 2turova berührt [ie
SORit ben eroigen (Strahlen,
Sn§ bie ragenben ©ipfel ber 2Belt*).
SBorin liegt bie (Sr^aben^eit biefe§ ©ebanfenä? Oie non bem Oid^ter
meifter^aft ausgebriidte unanf^altfame ißergängtic^feit atleg ^rbifeb^n, bie
„'Jtndjt ber SSergeffen'^eit" in raet(^e (Generationen unb gange 2?ötfer ^in^
abfinfen, läf^t nn§ nnit)iüfurU(^ unb gang unmittelbar ba§ Stuge unfereä
@eifte§ auf ba§ roedifeltofe emige 0epu beffen ridjten, raet(^er „intmerbar
berfetbe ift , unb beffen (Snbe nel^men“ **). Unb roenn , im
(Gegenfat^e gu ben 3Sötfern über bie fie gefetzt raaren, bie f^ürften nid^t
ber Ü5ergeffen^eit anfieimfatten , roenn if)re 3Ramen nid§t nerttingen, fo
roeett aud) biefe O'^atfai^e roieber ben (Gebauten an ben geroaltigen Ur;
^eber jener Orbnung, roetd)er allein e§ guguf^reiben ift, ba^ fie bafte^^en
„at§ bie ragenben @ipfet ber 2Bett", ben ©ebanfen an Oen uor beffen
iDtnjeftät aud) i|re (itröfee nirfdig ift, roeit er atlein ftef) „ben Jl'önig ber
.Könige" nennen barf unb „ben §errn über 2ttle bie ^errfdf)en" ***).
160. Oer hiermit angebeuteten Stuffaffnng non bem 2Sefen ber @r;
l^abenl^eit entfprid^t gang bie Stimmung, roetdje er^^abenen (Grfd^einungen
gegenüber fi(^ in unferem @emütf)e ergeugt. Oiefe Stimmung ift nicf)t
ein einfad)c§, fonbern ein gemifc^teS ®efüt)t: eg fe^t fic^ gufammen au§
®erounberung nnb f^^reube, aber fo, baff baä 35ert)ö(tni§ in roelc^em biefe
groei Elemente anftreten, oerfd^iebenen ©egenftänben gegenüber fe^r ner;
fd^ieben ift. ber DRüeffi^t unter roetcf)er, ber @igentt)ümlic§feit
be§ erttabenen @egenftanbe§ entfpred^enb, ber unenbtid)e ®eift nnferer
iBorftellung na!^etritt, ober ftorer, je nac^ ber befonberen ©igenfd^oft
®otte§ auf roetc^e ber ®egenftanb un§ feiner Sdotur naef) gerabe ^in=
roeift, nnb anberfeitä je nac^ ber £ebt)aftigfeit mit roetdt)er unfer ®etft
*) <Scf|tHer, Sie S3raut Don SReffina, 1, 4.
**) Tu autem idem ipse es, et aniii tui non deficient. Ps. 101, 28.
***) Et liabet in vestimento et in fernere suo scriptum : Eex regum , et
Dominus dominantium. Apoc. 19, 16.
Sie (Srl^aben^eil; Sefinition.
223
biefelbe auffaf^t, raivb bie SSerounberitng gur 3]ere!^rung, jum 0taiinen,
jiir 6^rfur(^t, l^eütgem ©djauev; unb Je tntenfiüer bie @efü^ie biefev
9iic^tung auftreten, je überroältigenber [ie bie Seele eimie^mcn, befto
ine^r Iritt ba§ anbeve (Fdement, ber @eiutf^ ober bie g-reube, in ben
i^intergrunb.
er'^abene (5’rfdjeinungen ba§ nn evftev ©teüe bejeic^nete ©efü'^t,
S3en)unberung nämlid) unb bie mit i^r oermanbten, roadjrufen inüffen,
nnb roavnm, teuc^tet oon felbft ein. 2öa§ ober boä jmeite (Element, bie
^•reube betrifft, fo grnnbet biefe fid) auf biefetben iBiomente auf benen
ber ®ennf3 ber ©(i^önl^eit beruht. ®er enbtidie @eift ift jo bo§ 9^adjbi^b
beä unenbli^en, er ift i^nt ö’^ntidj, iljm oenoanbt*): borntn ermadjt in
it)m naturgemäß, roo nid)t anbere 9h'idfid)ten e§ ßinbern**), ba§ ©efüßl
ber eigenttiC^en Siebe, nnb im 3tnfd)Iuffe an fie bie f\-renbe, fo oft ber
©ebanfe an ißn
„3)cn ber Sterne SBirbet loben,
Sen be§ Sempb^ .IJpmnc preift",
bie Erinnerung on „ben guten Eieift", an feine .§ierrtid)feit unb E?roße
ißm lebhaft oor bie Seele tritt.
ÜtSollen mir ßiernad) bn§ 2öefen ber Eigenfd)aft um bie e§ fidj
ßanbelt, in einer regelred)ten Sefinition nudbrüden, fo rairb biefelbe
etroa fo lauten nuiffen; Sie Erbabenßeit einer Erfdjeinung ift
jene ißefd)af fenßeit b er f eiben, nenn ö ge bereu fie bajn an;
getßon ift, in bem enblidjen ©eifte ben lebhaften ©ebanfen
n n ben n n e n b l i du n © e i ft , nnb b a b n r d) b a § g e m i f dj t e © e;
fnl)l ber ©l)rfnrd)t unb ber f^reube Ijeruorjuruf en.
§. 2.
prei ilfttfllcn crßttücncr ^eflcnffättbc. „^ragifibc“ ^rffbcinunflcn.
IGl. Um bie ©rfdjeinnngen ber fid)tbaren Orbnnng tueldie fid)
bnr^ ©rl)abenl)eit au§jeid)nen, ettnoä näßer gu cßarncterifiren , fönnen
mir biefelben in brei jllaffen orbnen. Siefelben finb nnmlidj entineber
gelungene Sarftellungen non ©igenfe^nften ober non Sl)aten Elotteg; ober
fie finb Ijeroorragenbe ©rfdjeinungen auf bem etljifd)en Ekbiete; ober
britten§, großartige Spuren be§ 2Birfen§ Elotted in ber fidjtbaren 3Selt.
*) „ToO Y-ip -.cal y^vo; „uon ©einem @eldded)te finb mir", lautet ber
33er§ be§ 3lratu§ non ßiticien unb beä ßteantbeS an§ 2ttben, auf ineld;en ber
Slpoftel im Streopag (Slpoftelgefd;. 17, 28) fic^ berief.
**) Sßgt. yt. 73. ©. 94 f.
224
©r^abene ©egcnftdnbe, erfte
I.
©erungene 5^a^■fte^^unge^ non ©genfd^aften ober oon J^ten @otte§.
162. ®ie Sl^aten unb bie äSorjiige ©otteg, jeine jeine 2ßei§=
!^eit, bie UnenbUd)f'eit unb bie ©tnigfeit jeineä ©e^ng, jeine ©erec^tigfeit
unb jeine Silleg nnijajjenbe Siebe, lajjen jid) einerjeitg unb norjuggraeije
uermitteljt ber iRebe barjteden, anberjeitg aber au(| burc^ j^TnboIij(^e
Söerfe. ©oidje raerben ung begegnen, roenn roir im jroeiten Suc^e non
ber reUgiöjen 2ird§itectur ^anbeln; !^ier raotlen mir bej^Ijatb nur jene
©arjtednngen berüdjid^tigen , bereu üOiittel bag SBort hübet. @g ijt
ganj natürlid^, baj? jid) bie jal^Ireidijten ®eijpiete ^ierjür in ber t)eitigen
©dirijt jinben, 33eijpiete sugteii^ non einer ißotlenbung roie jie feine anbere
Quelle aujjumeijen ^at: benn non ©ott in einer ber ifRajejtät ©otteg
roürbigen Sßeije ju reben, bng nermag niemanb alg „jener ©eijt bejjen
Sluge 5üleg burd)bringt, oud) bie Siejen ©otteg" (1. ©or. 2, 10).
,,©ief}e," jpridjt ilRopjcg ju bem .^errn, ba biejer aug ber jyeuer=
flamme beg Qornbuji^eg ju iljm rebet, „jie'^e, ic^ werbe ju ben .ftinbern
^jraelg fommen, nnb ju l^nen jagen: Qer ©ott eurer 2Säter ^at mi^
ju eud) gejenbet. SBenn jie mid) nun fragen: ,2ßetd^eg ijt fein iRame,‘
mag jotl id) bann antroorten?" Unb ber iperr enniebert i^m:
bin ber roelcber ijt*). ©o roirjt bu aljo ju ben Äinbern ^fi^oelg
jpredjen : ® e r ro e l e r i jt , ber ^at mic§ ju eud) gejeubet" **).
3ft iu bem l)ier auggejproc^eneu Slamen, ber bag uuergrünblidie
Sßejen ©otteg augbrüd't, eben feiner Unergrünblid)feit wegen bie ©rfiabem
^eit i)Jiand)em nietleid)t minber fühlbar, jo jinb bagegen bie erjten SSerje
ber fieitigen ©^rift:
„®ie ©rbe innr geftalttoö unb wüjt ; unb j^injterni§ über bem Slbgrunbe,
unb ber ©eijt ©otteg jcjroebenb über ben ®ajjern. Unb ©ott jprac^: ©g
werbe bag Sid)t. Unb bag Sid)t würbe" —
feit Songin alg ein ilRujter einer erl^abenen Qarjteüung oft wieber^olt
worben ***).
*) ,iEgo sum qui sum“ (LXX: „iyd> sip-i 6 "ßv“)- ätltioti foroobt at§ Socb
unb tReifi^t überfepen: bin ber icb bin". 3tber id; meine, ba§ ijt ein Satini§=
mu§, ober atfgemeiner, ein 33nrba'ri§mu§, unb barum für ©eutfdbe wwerftänbtidb.
®en toteinifdben @op j. 93.: „Ego sum qui feci haue rem“, wirb boeb °bne
3roeifet jeber ®eutfdbe fo geben: „ßd; bin ber raeteber ba§ getban bot", unb feine§=
roegg, „ . . roetdjer idb ba§ getban habe".
**) 2. tOtopf. 3, 13. 14.
***) 1. Wopf. 1, 2. 3. 2Ran muj e§ roirüid) bebauern , baj bie üblidje
bentfeb*^ Ueberfepung be§ britten 93erfe§ bie (ärbabenbeit biefer Stelle faft ootlftünbig
oerroifebt. „Unb @ott fprad): (S§ werbe Sidbt. Unb e§ warb Sid)t", fo wirb ber
gehmgene ©avftellimgen »on ©igcnfd^aften ober oon Jl^atcn @otte§. 225
3'n e!^rfurd}tgebietenber ‘üJiajeftät, ^od) ergaben über 2(de§ raa§ ber
3eit angeprt, tritt und ber ©o^ii @otte§, bie unerf^affene Sßeiö^eit
entgegen, luemi fie im ad^ten ^apitet ber „©prüd^e'' oon [id^ fetber
alfo rebet:
„(Sd befaü mich ber ijerr im beginn feiner 2Bege, benor er ettrm§ bilbete,
Dom Stnfang. 3Son (Srcigfeit bin id) gefept unb üon ber Urjeit, ct)e bie
(Srbe mürbe. 91od) roaren nid)t bie liefen, nnb id) ranr fd)on empfangen;
nod) maren bie SBaffergnetlen nid)t bemorgebvoeben, nod) ftanben nid)t bie 23erge
in ihrer 2Bud)t; icb marb geboren oor ben .*pügeln. 3Jod) batte er bie @rbe
nid)t gemnd)t, nidbt bie ?\Iüffe, nod) bie 3tngetn ber SBelt. 31I§ er auSfpannte
bie .'pinimet, mar i(b babei; al§ er mit unnerbriidjUebem @efepe bie Xiefen
um3cg unb mit ©d)ranfen, at§ er oben bie Vüfte feftigte unb abroog bie SßSaffer,
al§ er beni SJieere ringsum feine @rnnje gab , unb ©ebranfen ben Sionffern,
bie fie uid)t überfd)reiten fottten , al§ er eiufenfte bie ©runbfeften ber (Srbe ;
ba mar id; bei ibm, Sttles orbnenb; unb idb freute luid) Xng für Tag, fpiefeub
oor ibm 511 feber fpietenb ün i'3e(ta(I; uub e§ ift meine SBonue, 311
meiten bei ben Äinbern ber 9}ienfd)eu."
^n erbabenen 23enbungen rebet non (Sott bern ^^errn oft namentfid)
ber 3(poftel ©0, tnenn er ibn „ben £önig ber ©inigfeit'' nennt, „ben
Itnfterbti^cn nnb Unfidbtbaren", „ben ©eligen unb allein ©eroaltigen,
roeldber adei)i bie llnfterbtid)feit befipt unb im un3ngänglid)en Sidfte mobnt,
ben feines f)Jfenfd)en Singe femalS f(bante, nodb fdjanen fann"*); ober
inenn er, Slngefidbtd ber ©rbarmnngen (Sotted nnb feiner (Serid)te, in
tiefer ©rgriffenbeit andrnft:
33er§ geioöbntidb gegeben, gleid)fa(I§ mieber foiuobt oon ÜlUioIt, at§ oon Sod) unb
iReifd)!. ®a§ ift ficber nnri^tig. X)enn e§ banbclt fid; ja um etioaS ganj S8e=
l’timmteS, ber ©adbe rote bem Segriffe nad) genau Umgranjteä; in folcben gälten
fept aber bie beutf^e @prad)e, (auper oor (Eigennamen,) immer ben beftimmten
2lrtifel.
ß'-g ift mir nid)t unbefannt, baff roeber ba§ bebräifibe Original nod; bie
Septuaginta an ber in SRebe ftebenben Stelle ben 2lrtifcl haben. 3lber e§ ift bod)
aud) befannt genug, bap bie Siegeln nach loelcben bie l)ebräifd)e unb bie gried)ifd)e
Sprache ben Ütrtifel gebrand)en, nicht bie n(imlid)en finb, roeldje in ber beutfd)en
Sprache gelten, unb bap man in einer beutfehen Ueberfepung feineSroegS ben 3lrtifel
überall loeglaffen barf, roo ihn ba§ l)ebräifd)e ober griedhifdhe Original nid;t hat;
Sleifdht freilich fcheint in feiner Ueberfepung be§ Sl. X. biefen unrichtigen @runbfap,
mehrfadh roenigi'teng, befolgt 511 haben (ogl. 5. 23. dRattl). 16, 18: „®u bift geig . .
unb tpforten ber .^ötle . . .").
Songin (de sublimitate sect. 9.) gibt bie 2Borte beg SRopfeg, loie bie Septua=
ginta, ohne ben 2lrtifel: „ycvIsDio epfi;“; aber in ber italienifd)en Ueberfepung feiner
Sdhrift (2lugg. oon 23erona 1733, S. 59) heipt eg mit Siecht: „Sia la luce; e fu
la luce“ ; in ber franjöfifchen : „Que la lumilre se fasse; et la lumiere se fit“.
*) 1. Sim. 1, 17. 6, 15. 16.
3ungmatiii, Slcftpetit. 2. 3(ufl.
15
226
(Sr'^aBene ©egenftänbe, erfte Älaffe:
„£) Xiefe be§ 9ietd)t^um§ bev SBeis^eit unb ber (Srfenntni§ ©ottes! rate
unbcgveitlit^ finb feine ©eridjte, rate utterforfdjlic^ feine SBege! S)enn raev I)ot
crfannt ben ©inn be§ i^evrn? ober raer raur fein 9tnt^geber? ober raer l)ot
d)tn 5uoor gegeben, bn^ i^tn oergolten raürbe? ®enn au§ i^nt tinb burd) i§n
tinb in i!§tn ift SlüeS; i()tn fet; bie (?!^re in (Jraigfeit" (3tötn. 11, 33 ff.);
ober roenn er beu 6'^riften in if}alaftina bie ©röfse be§ fHtittlerS be§
neuen 35unbe§ oor Singen ftellt:
„Oft, unb in tnattnid}fac^er SBeife fprai^ ©ott bereinft ju unferen Sfötern
burd) )3ropl)eten ; in ben jüngft oergangenen Oagen aber er ju un§ gerebct
burd) feitten ©olfn; burd) i[)tt, beit er jum @rben gefetzt über Slde§, burd) ben
er einft bie SSelt erfd)uf ; biiri^' i^n, raeld)er ber Slbglaitj feiner ©lorie ift unb
baö racfenögleid)e 23ilb feineö eigenen ©et)ti§, ber Sltleö trögt burd) bas SSort
feiticr 31Umad)t, ber unS gereinigt ^at ooti unferen ©ünben, unb jetjt §od) gur
tRed)ten ber dÄajeftnt ©otteS filtt; ber tun fo oiet über ben ©ngetn fte^t, je
gIorreid)er ber Siatne ift ben er uor il)nett geerbt ^at. Ober rao ift ber (Sngel
ju betn ©ott je gefprod)en: ,3Jleitt ©o^tt bift bu, id) ^abe ^eute bid) gejeugt‘?
nnb toieber: ,3’d) raerbe i^tn Slater fepn, unb er mir ©o^‘? Unb ba er
feinen If'rftgebornen toieber einfüf)rt in bie iffiett, ba fpridjt er: ,3^n foUen
anbeten alte (Sngel ©otteS‘. Unb oott ben (Sngeln l)eigt eS: ,©r tnac^t feine
(fuget 311 äÖinbett, unb feine Oieiter ju ftanimenbent 'Jener*; oott bem ©o^ne
bagegen ftet)t gefd)rieben: ,Oein Il)ron, 0 ©ott, befteljt oott (Sraigfeit ju (Sraig;
feit ; baS ©cepter ber ©eredjtigfeit ift baS ©cepter beiner §errfd)aft.‘ Unb ;
,Ou, 0 §err, ^aft im Slnbeginn bie (frbe gegrünbet, unb beiner §önbe Söerf
finb bie §imtttel; fie toerben oergel)en, bu aber rairft bleiben; fie raerben altern
toie ein Äteib, uitb toic ein ©etoanb toirft bu fie ititberti: bu !^ingegen bift
allezeit berfelbe, unb beitte ^al)re nel)inen fein (fnbe‘" (§ebr. 1).
162. .dlopftocf itn „SOkffiaS", unb SKilton im „nerlorenen tpora=
biefe", ftellen gleichfalls bie ©röfte ©otteS unb bie ©rhabenheit feines
Ot)»n§ mitunter in gelungener SBeife bar. 2öir laffen '^kv eine ©teile
aus bem julet^t genannten ©ic^ter folgen. Oer ©rjengel fRapl)ael, non
©tott gefenbet um bie erften fDknfdhen nor it)rem ©atan,
ju marnen, erjählt benfelben ben ©ieg beS ©o^neS ©otteS über bie ge=
fallenen ©ngel.
Sinn brneb
ber britte SJlorgen l)ebr unb b^itig an,
ben iüimmel ritigS umböntmernb. ißraufenb rollt
mit betn ©etöf’ beS ©ttirmS in tobernber
Utttflnmmung ©otteS Sföagen fdjttell baber,
oott Stoffen nid)t gejogen, Stab iit Stab
getrieben oott ficb felbft burd) i'ebenS ©eift.
Hub oier ©eftalteu, gleid) ben
umfdjtoebten ibn; e§ l)“tte jeglid)e
oier raunberbare 3lngefid)ter ; Selb
gelungene Sarftellungen non ©igenfdjaften ober oon Jl^aten @otte§. 227
imb umvcit, inte mit 0temen, bidjt
mit 3ütgcn, fiinfclnb, übcv)nt; fo and)
bie jRäbcv non 53critt, imb jmifdien biefen
ftrömt vottjer gdftmmen milbempövte ©tut.
.S'^od) iibcrmölbt ein i^immet oon Äu)ftalt
ben äi'ngcn; ein inpf)irner 0l)ron cvt)ebt
jnm 0il^e [id), ben jcljt beö .^öd)ftcn 0o()u
beftieg, in oodev dlüftung [trnblcnb.
3ur dtedden fng, bie 3tbtei'sfittige
mcit nn^elpnnnt, ber oieg ; jnr Vinfen I)ing
fein 33ogcn nnb bev golbne Ä'öd)er, uoll
non brcigejncftcn 0onncrfcilen. 3Jand)
unb 0nmpf flo[i um itjn tjer unb luilbc ©lut,
t)elllendjtcnb mie ber 33til}. 0urd) eine 0d)onv
non tnuienbmnt jclintaufcnb .S^eitigen
begleitet, fnm er nn.
0)ev ©oI)u ©üttes vebet iel^t jit leinen ©d)aaven, unb gebietet i^nen,
ftetjen ju bteiben; er altein inerbe ben ytampf beenbigen. ®ann fätjvt
ber ®i(^ter fort:
00 fprndj ber 0ot)n. 0ein milbeö 3lntlit5 mnrb
nun fürd)terlid), fein 33lid fo broljcnb ernft,
bnfs it)ii fein 3tug’ ertrug. wollen ^orn
innnbt’ er fid) jebt. nad) feinen jeinben l)in.
0ic incre fpnnnten nun niif einmnl mrö
bie fternennolten fsdiiget, ringö nmfiiumt
mit grnnfer f5'infternif! ; eb infttjten fid)
bie dtüber feines fS'lammeninngenS um ;
mit einem 0d)alle, gteid) bem bumpfen 33rnu)en
empörter ä'dogen, ober bem ©etümmcl
non bunberttnnfenb Ätiegern, ful)r er jebt
gerub’ nuf feiner ^-einbe dJtitte Ijin.
0eS ©mpijreums einig fefter ©nmb
bebt unter feiner dteiber 0pur, eS bebt
ber ganje i^immet, nur nidjt ©otteS t()wou.
^m 3lngenb(id t)ut er ben fs'oinb erreidjt.
,3ebntnufenb 33tibc fd)iningt er mit ber 3tcd)ten
unb inirft fie nor fid) l)cr, nnb. jeber 33lib
l‘d)tägt tiefe Sinnnben in ber fs'wenler .^Serj.
0tarr ftct)u fie bn, gelähmt an SJhitl) unb itrnft,
nuS il)rcn .^nnben finfen ungebrnud)t
bie tlrrnffcn. Dticber ftnigen tit)crubim
unb i)3tnd)tigc. ©r aber im iriumpt)
fdljrt über ^^clm’ unb t)elmbcbedte .'öiiuptcr
nnb 0d)ilb’ unb 0pief;c ineg. Tn inünfd)ten fie.
228
(Sr'^abcTie ©egenftänbe, erfte Älaije:
öa§ no(^ einmal geftürjtev Serge @d^utt
cor feinem @rimm fie beefe! SUtjen gleid^
fu^r Sfeit auf Sfeit fiernieber, redete unb linf§:
bie Sier mit ben cier 3lngefi^tern, mit
ben Seibern cott non Singen fd^nellten fie.
@Iut fc£)leuberten bie fRäber roeit um!§er,
bie lebenben, bie augenoollen fRäber.
Sie alle trieb @in @eift, unb Slilje f(^o§
febmebeö Slug’, unb fprü^te @lut ber Cuol
auf bie Serfludjten, @lut, bie 3lugenbli(f§
fie i^rer Äraft, be§ angebornen 9Rutl)§
beraubt, unb rounb, jerfebmettert, at^emloö,
in bumpfem Sebmer^ erftarrt, ;5u Soben ftredt.
®odb nidbt bie §älfte feiner Störte brnuebt
er gegen fie; er böH ben notlen Stur, 5
ber ®onner nod) jurüd; cerjagen nur
com .^immel, nit^t oernidbten roollt’ er fie.
(5r ricl)tete bie .^ingeftredten auf,
unb trieb gleich fd)euen §eerben fie, betäubt
com Bonner, cor fid) bff; f'*' fUeh'b »erfolgt
üon Slngft unb ©rau’n, bi§ an ba§ 9leufeerfte
be§ §immel§, bis auf feiner SRauern IRanb.
Sie aber berften, unb ein raeiter lRi§
^eigt unterroörts beS 3lbgrunbS öbe 9tacf)t.
SaS furchtbar @rö§li(be beS SCnblidS fcheucht
bie fffliehenben jurüd; hoch ht'derrüdS
oon örgrer Qual gefoltert, ftüp^en fie
com hiittiTittfeljen ©eftabe fid)
unb ero’ger flammt ihnen lobernb nach
,5ur bobenlofen Xiefe. ©S cernahm
bie §ölte baS ©etöf’ con ihrem f^all,
bie i*pöUe fah, erfdhroden, einen Shell
beS §immelS fich com §immel löfen; gern
mar’ fie auS fffurcht entraid)en; hoch 511 tief
hat baS Serhöngni§ ihren fmftren @runb
gefenft, ju feft bie ©rönjen ihr beftimmt.
Seun Sage fielen fie. SaS (fhaoS brüllt,
burch ihren f^all in feiner 2lnard)ie
no(^ jehnmal mehr certeirrt, unb fieht fein IReich
mit Srümmern ohne 3“^l bebed't. 3»lehl
cerfd)lang bie §ötle fie unb fd)lo§ fidh ju.
Sort mohnen fte, roie fie’S cerbient, umflammt
con ©lut bie nie erlifcht, in ero’ger S^ein*).
*) SRilton, ®a§ cerlorene '^arabieS, 6. @efang. ('Rach ber Ueberfehung con
Sßürbe.)
gelungene 5)arftettungen non 6igenfd;aften ober oon Saaten @otte§. 229
^nbe^ baä i[t ®id;tung, imb bas (S-rjeugnif^ rein tnenfdjüc^er jÄtunft.
Um roie ä^teieä gvollavtiger nimmt, bei all il)ver (Sinfadj^eit, bie folgenbe
(STjäl^hing be§ iSioijfeä fid) an§.
„ . . Unb ber §err fprad; ju J^Jiopi'eS: ,2Ba§ vnie[t bu 511 mir? befiel}!
ben Äinbevn ^frnels, bafj fie nonnürtö ;;iel}en. ®u aber ergebe beinen 0tab,
unb ftrede beine §nnb anS über ba§ SOiecr, nnb t!}eile eS, auf ba§ bie Ä'inber
3frne!s mitten burd) ba§ SOteer trodeueii 3Seg !}abeu. Unb id) mit! ba§ .^er^
ber 3tcgi}ptier nerbärten, baf; fie eud} nerfotgen; unb id} roerbe offenbaren
meine §err!id}feit an i”'b an feinem ganjen §eere, an feinen SBngen
nnb 9teitern: nnb erfennen foüen bie 3legi}ptier, baf; id} ber ijerr bin.‘ ®a
ei'bob fid} ber (f'ngel be§ i^errn, roeld}er nor bem !.'ager ;f3fraetS !}*^i'S03f
fteütc fid} if}nen im fHücfen auf, unb mit ibm oerlief} and} bie SSoltenfänle
bie 0ptl}e bes imb rnbte 3roifd}en bem ^ager ber 3tegpptier nnb bem
l'ager fic erfd}ien aber als bnntle SÖJolte, nnb er!eud}tete jngleid} bie
3tad}t, aifo, baß fie bie ganje 3iad}t binbnrd} fid} einanber nid)t nä!}ern tonnten.
Unb ba SJtopfeS feine i^anb ansftredte über baS 3Jieer, ba lief; ber §err bie
gau5e 3tad}t einen ftarfen brennenben Ünnb mel}en, nnb nal}m eS meg, nnb
mad}te eS troden; nnb bnS Sirnffcr tl}eilte fid}. Unb bie Ä'inber ^fraelS jogen
binbnrd}, mitten burd} baS trodene SJleer; beim eS ftanb roie eine DDiauer baS
SSaffer, red}tS nnb linfs. 0)ie 3legpptier aber, fie oerfolgenb, jogen il}uen auf
bem fynf;e nad}, bie gaii3e Steiterei beS ^d}arao, nnb iRof; nnb itongen, mitten
in baS SJieer. Unb fd)on roar bie SRorgeuftnnbe gefommen , fiel}e, ba
f cb a u t e b e r Ö e r r 3 n r ü d ans ber 0 ii u l e non 0 1 1 e n n n b § £ » e
auf baS Säger ber 3legpptier bi»» imb fd}lng ü}re i^ceresmadbt ; nnb
er 3erbrad} bie Diäber il}rer Silagen , nnb fie ftür3teu in bie iiefe. 0)a riefen
bie 3legi}ptier: ,Saf;t nnS fliel}en nor ;f\frnel, beim ber §err ftreitet für fie
roiber nnS!‘ 0er Öerr aber fprad} 31t SJtopfes; ,0trede beine §anb nnS über
baS fDteer, auf baß bie SBaffer inieber b<;reinbred}en über bie 3legi}ptier, über
ihre SSagen nnb dtciter.' Unb 3Jtoi}fe§ erl}ob feine ^^anb gegen baS 3Reer l}in;
nnb baS Ddieer trat mit ber erften DJtorgenbämmerung inieber au feine frühere
0telle, nnb ben fliebeiiben 3legi}ptiern ftür^ten bie äSaffer entgegen, nnb ber
§err l}üUte fie ein in bie fluten. Unb bie älmffer bebedten äBogen unb fReiter,
unb bie gaii3e 0eereSmad}t bes ''Bbarao ineld}e in baS 33teer ge3ogen roar; unb
nid}t (filier blieb non ibnen übrig" (2. 3Ropf. 14, 15 ff.).
fUiait nergleicbe nod} etma bie ©teilen: flRattb. 8, 26 („Unb er
ftanb auf, nnb gebot ben ©türmen nnb bem fSieere, unb ed marb eine
große ©title"). 3f. 40, 12—28. >6 38, 3 ff. i)3f. 28. 103. 101,
26 ff. .^abal. 3. 3^’b- 1/ 1 — 18. Offenb. 1. 0od} ed ift fa bie
ganje heilige ©d}rift erhaben; nur bem geiftlofen, oberfläd)tidben Sefer
entgeht ba§.
163. Unter ben ®igenfd}aften @ottes bereu anfd}aulid} flare unb
angemeffene 0arftellung erhaben fep, huben mir ooi’her and) feine Siebe
genannt. 0enn eS ift burd} nidhtä begrünbet, menn man nur folche 0h®len
230 (Sr^abene @egen[taube, sroeite klaffe:
®otte§ für ergaben erHart, in roeidjen feine 2tümad)t, feine UnenbUd;!eit,
feine ftrafenbe @ered)tig!eit fidj fnnbgebe; gerabe but(^ bie Siebe, burd)
(Erbarmen unb ißergeben, offenbart fidj am gtünjenbften bie 3ICtmadjt,
ber unerfd)öpflid)e Dieii^t'^um, bie .^errüdjfeit beffen, ber feibft burdi ben
i^^ropl^eten fprid^t; raiU bie ®d)ale meines auSgiefjen
über 31'^^aei, roill (vp^raim nid^t oerberben — benn id) bin ©ott,
unb nid^t ein W enf cE)" *). 31^ e§ etroaS SinbereS alS ein erhabenes
2öort, roenn ber .!perr EElicobemuS fpridjt: „5i(fo ^at ©ott bie 2BeIt
geliebt, ba^ er feinen etngebornen ®oEin bafiingab" — ober roenn ber
^eilige ^o^nneS erjäfilt: „3efu§ rou^te, baff bie ©tunbe gefommen fep,
ba er auS biefer 2BeEt gu feinem 25ater geljen fodte; unb roie er bie
©einen geliebt ^atte, bie in biefer ilSelt roaren, fo liebte er fie bi§ anS
©nbe" ? ©innlii^ roie roir finb , empfinben roir freilich tiefer bie augen=
födigeren SfSirfungen ber fdjoffenben 5ntmad)t. Stber großer, al§ roenn
er „in '^o’^ter §anb bie SSaffer mi^t unb auf brei 3'wgern roiegt ber
©rbe 2öud^t" ; berounberungSroürbiger , atS roenn er „bie §immei au§=
fpannt gleidj einem ©cbieier unb fie entfaltet roie ein 3^1^ Sffio^nen,
unb ba§ .§eer ber ©terne auSfü^rt, nnb fie ade bei djrem dlamen ruft" **) ;
mafeftätifdjer , at§ roenn „bei feinem dia^en ^oc^ aufroogenb baS ddeer
fid) er^^ebt mit 5tdem roa§ e§ umfdjtiefd, unb bie f^turen frotitocfen unb
ade 58ftume be§ SSalbeS i^m fauc^gen nnb bie ©tröme aufjubelnb in bie
.'Qänbe ttatfdjen", ober „oor bem Seudjten feiner Stit^e bie ©rbe erbebt,
oor feinem dtngefii^te bie Serge gerfdjinetgen roie SöadjS" ***) : ungteidj
niet mel^r atS ©ott, roenn e§ angebt fo gu reben, erfcbeint ber Völlig
ber ©roigf'eit, ba er über roeint, ober burdj ben ^rop^eten gu
feinem untreuen Sötte rebet;
„Unter ben 9Senfd)en beifet e§: SSenn cnttaffen tjot ein dtiann fein SBeib,
unb fie ift roeggegangen oon itjin unb tjat einen anbern SJtann genommen,
tütrb er nod; loiebev guriidfctjren gn ibv? roirb nid)t unrein unb beftedt er^
fdjeinen ein fotcbeS Sßeib? ©u aber, bu t)aft gebutjlt mit rieten fremben:
bennodj fetjre gurüd gu mir, fpridjt ber i^err, unb id) roid bicb roieber auf;
nctjinen. C^rtjebc bcine Stngen nad) nden ©eiten, unb fucbe bie ©tede, roo bn
bid) nid)t entehrt tjaft. 5tn ben ©trnjgen fafgeft bu, unb marteteft auf fie, gteidj
bem Sauber in ber 3Büfte; bu tjoft ba§ Sanb entioeit)t burd) beine Subtercien
nnb beine ©d)ted)tigfeit. ©arum roarb eingeftedt beS Segens Sräufetn, imb
©pätregen fiet nid)t mef)r; aber beine ©tim mar roie bie ©tirn ber Sublbirne,
bn roodteft nid)t errötben. ©o fomm beim rocnigftens felgt gurüd, icb roid bicb
*) Ofee 11, 9. — „Deus qui omnipotentiam tuam parcendo maxime et
miserando manifestas . . ,(0r. Dom. 10. p. Pent.)
**) 3f. 40, 12. 22. 26.
***) ^f. 97, 7. 8. 95, 11. 12. 96, 4. 5.
^cvDorragenbe (Srfc^cimingen ber ett;ifd^en Orbmmg.
231
ipicbcv aufnc()incn ; fo ruf’ uür lueniijfteuö uou mm au lutcber jii : ,'l)cctu 23ater
bift bu, meiit f^iU)Vcv tu bcit Jagen luetucr jurücf, ^frael,
311 mir, bu 3(btrüuuige ; uub td) mill mciit i)(ngcfid)t nid)t abmcubcn uou cud);
beim id) bin f}ci(ig, fpridjt ber yrterr, uub id) jürne uidjt emig" (^cv. 8, 1—4. 12).
II.
,V)crüorrageube (Jrfdjchtuugeu ber etl)ifd)eu Orbuuug.
164. „95>a§ ift gröf^er, ai§ ber Äofof) uou fo fragte
femanb ben 5IpülIouiu§. „®er nd)te ')?f]ifDfopI) erroieberte ber
ber ®toa *).
21B eine jineite Ä'Iaffe erijnbeiier ©egenftnnbe Ijabeii mir jene (ärs
fdjeimiugen be,3eid)net, roetdje burd) ungetnöfjnüd) Ijol)en ctfiifc’öeu 35>ert()
fieruorragen. „©röffer ift ber ©cbiilbige at§ ber ©tarte; grö[3er iner
fid) felbft bef)errfd)t, at§ roer ©tnbte erobert" (©pr. 16, 32). SSnrum
finb fotdje ©rfd)cinungeu erl)aben? ®er Urf)eber ber et^ifd)eu Orbmntg
unb bie ^'raft biirdf metdic fie beftetjt, bie fRorm unb ba§ letzte 3i£l
alteg et^ifdj rid}tigeu Jljuiig , ber loeldjer 51t feber guten i^^anbtimg bie
fyäbigteit fpenbet unb eine jebe belobut, ift fein 5tnberer a(§ ©ott. 91uf
i^it, auf beu uueubtidieu ©eift, füf)U baritm fid) ber eublid)e ©eift immer
tlingeiuiefeu , fo oft i^m ein oolleveg ÜRaa^ etbift^eu 2®ertt)e§, ein uuge;
u)üt)uUd) I)ot)er ©rnb uou Jugeub eutgegeutritt; uub feine uueubtidfe
©uttjeit ift e§, feine Jreue, feine ©d)öuf)eit, feine uuuabbare .<neUigteit
uub Sßa^r^eit, bereu er bann tu el)rfürd)tiger 23etuuuberuug fid) freut.
©otange bie (Sreatur uid)t beu g(üdlid)eu JRRleubiiug
erreid)t l)at, beiuäbrt fid) aber etf)ifd)e ©röfte uid)t auberS at§ burd)
tfJrüfuug, offenbart fid) bie uolte straft ber fittlid)eu fvrcif)eit nur bem
iK^iberftaube gegenüber, burd) Äampf uub ©ieg. ®ie ©umme ber ©tbif,
im red)ten ©iuue uerftaubeu and) ber d)riftlid)eu, umfapt feite alte 9tegct
bc5 gried)ifcf)eu älRifeit: „©rtrage unb eutfnge" 242). ®te Jretie gegen
baä ©ittengefetj , bie Uuteriuerfuug bed gefd)nffeueu 35>itleu§ unter beu
ÜöUlen be§ ©d)öpferd, erfd)eiut bnrttiu uirgenbd nudgeprügter , uirgeitbd
beiüttuberuttgdtuürbiger unb gröfter, atd luo fie mit ©elbftiibermiubuug
uub mit Opfern oerbuitbett ift; roo ber ''IReufd), um ber Jugeub treu
jtt bteibeu, bie ftärffteu Sleigttugeit ber dtatur bejroiugt, mo er auf irbi=
fd)eit 3Sefü^, auf ©t)re, f^reibeit uub Sebeu Serjid)t teifteu, mo er fid)
brobettben ©efat)reu ober fdjmereit Seibett uuterjiebeu mu§, um ber Ueber=
eiuftimmung feiited 25>ideud mit bem bödffteu S5>ilteu uid)t p eutfogeu,
ober fetbft and), um and freier Siebe ©röf^ered jti teifteu atd biefer 001t
it)m uertangt.
3 Philostr. vit. Apoll. 5, 21. (Sei (5. Diüllcv, 2. 331. — (Sit. 31.)
232
©r^bene ©egenftänbe, jroeite Älafi'e:
165. @§ i[t eine er^kne ©eeie, roeic^e in ben befannten ÜSerfen
ber römifd^e Siebter feiert:
— Si fractus illabatur orbis
Impavidum ferient ruinae* *j;
eä ift beraunbernnggraürbiger §elbenmut^ ben 9fiegulu§ beroä^^rt, roenn
er felber ben rbmifd^en 0enat beftimmt, ben f^rieben jurütfjuroeifen
roeldjer ber @!^re ber 9lepnbtib nid^t entfprad^, unb bann, au§ ben Unt=
armungen feiner ©attin, feiner Äinber unb greunbe fid^ lo§rei§enb, treu
feinem ©ibe nadt) ßart^ago jurüdfel^rt:
„Atqui sciebat, quae sibi barbarus
Tortor pararet; non aliter tarnen
Dimovit obstantes propinquos
Et populum reditus morantem,
Quam si clientum longa negotia
Diiudicata lite relinqueret,
Tendens Venafranos in agros,
Aut Lacedaemonium Tarentum“
5tber raa§ finb foldtie gefeierte §etben l^eibnifd^er ^Sugenb im 3SergIeid^
mit ben iKörtprern ber d^riftüd^en Äird^e? 2öa§ ift biefer rein menfd^=
lidbe §eroi§mu§ gegenüber jenen jroötf, bie einft „!^inau§gingen non bem
l}oI;en Sfiat^e nott ^o^er f^reube, roeil fie geroürbigt roorben um beä iJia=
men§ ^efu inillen ©c^madt) ju leiben" ***), ober gegenüber jenem §elben=
geifte, ber au§ bem ©efängniffe am be§ ©apitolä, fdt)on bem 3Jiar=
tprium na^e, an feinen fi^rieb: ,,©ep eingebenf, bajf unfer .(perr
3efn§ (Si^riftuä auferftanben ift nom 5tobe, nadt) meinem ©nangelium,
für ba§ id) leibe bi§ jn Äerfer unb 33anben — aber bad SBort ®otte§
läfjt fidb nid^t in g^effeln fc^lagen; — barum ertrage id^ 2111e§ um ber
31u§ern)äblten mitten" f) ; roa§ finb jene nereinjelt ftebenben ©ro^t^aten,
bereu eigentlid^e Quelle bodl) nielfa(^ nur .^poc^mut^ unb ©elbftfuc^t mar,
im 33ergleid) mit ben Rümpfen unb ©iegen aller berer, bie ba§ 2Bort
be§ §errn nerftanben Ratten unb e§ beroa^rten: „^n biefer SGBelt roirb
e§ eudf) fd^led^t ge^en — aber nertraut auf mid§, idb ^abe gefiegt über
bie Sßelt" ?
„@ei}t gegrüfd i^r heiligen ©d^aaren, fept gegrüßt ihr iOlittionen,
30tärtprer au§ allen ©pradjen unb au§ allen 31ationen;
*) Horat. Od. 3, 3, 7.
*■"=) Horat. Od. 3, 5, 49. sqq.
***) 3tpo[tcIge)ch. 5, 41.
t) 2. Sim. 2, 8.
^erDorragenbe (frfdjcinungen bev et^ifd^en Crbnung. 233
0ei)t gegrüßt, 2tt^teten ©ottesljelben, i*QimmeIöt'rieger,
3BeÜ- unb ^ötlenüberrainber, viefcnljaite 2ßeltbe[ieger !
3Iiiä ber langen gvogen Jrüblnl, ou§ bem inilbentlobten Reiter
bte ®otte§ftabt nerbeerte nHerortcn ungef^encr,
3(u§ ben taufenb bfutigcn 0d)lndjten, on§ bretl)unbertiä^rigem Ärtege
mit i^atmen in ben i^änben i^v gcfommen einft jum 0iege.
SBaret i^r non anberm 'Stamme, nnb ans aitberem ©ebtüte,
Ober 2Befen t}öt)’rer Orbnnng, ganj non anb’rer Äraft unb @ütc?
Oenn it)r munbevbaren 3Jienl'd)en, bie it)r einzig l’ei}t auf (?iben,
®a§ fann je mit euren itjaten, eurem 9}hitt) nergtid)en roerbcu?
2T'n§ un§ Sagen unb @el'd)id)tcn aud) non grof^en Junten melben,
3b)r nerbunfelt bie iperoen, it)r oerfleinert ade gelben.
3a, es mar ein neuer 3lt()em, neued neue§ l'eben,
Oad non oben eud) at§ Seele l'old;e äßunberfraft gegeben.
3n bie .^ö^e ftog ba§ 3cicbre, )d)ncd gur ©röge roudjd bn5 Ä'Icine.
2T'ie ein Dbitter tl}nt ber Sctane, inie ein @bler ber ©emeine.
3urte Ä’inber mürben SJlänner, fd)mad)c 9Jfäbd)en Heroinen,
Unb e§ mürbe [tor! unb fnri^tbnr, ma§ nerndjtlid) bat gefdjienen.
Oie (Äxjprei'l'e, jart geglicbert, mud)§ jum mäd)tigen t?id)en[tamme,
3(u§ ber Oaube marb ein 3lbter, unb ein Söme nu§ bem Snmme" * ).
„SBomit fod id) biefen @ei[t nergfeidjcn," ruft in feiner jroeiten Sobrebe
auf ben bedigen ^anhiä , non ber ©röfte be§ StpofteB überinottigt , ber
heilige 6brr)foftomu§ au§, „mit Stabt? mit Diamant? Sott id} ibn
eine golbene Seele, eine biamantne, nennen? Sie ift fefter atä ber Dia=
mant, fie ift foftbarer at§ ©olb nnb ebte Steine. . . Dodj ma§ bringe
id) ©otb nnb Diamanten in Dergleidb mit it)r ? l'egt gegen it)n bie ganje
S5>elt in bie 3öagfd)ate, nnb ibr roerbet fet)en, ba^ bie Seele beä 2tpoftets
fdbroerer roiegt. Denn roenn fcbon non fenen bie in Dbierfetten umber:
irrten, bie in .^öbten unb ^ttüften roobnen muf3ten, roenn fcbon non
biefen gefcbrieben ftebt, baf) bie 31>elt it)rer nid)t roertb roar (§ebr. 11, 38),
um roie nie! mehr müffen loir uon ifßantuä fagen baf) er gröf)er ift atä
bie ganje SBelt, oon ibm, bem gegenüber fetbft ber §immet ju ftein, ber
fetbft ben ^immet unb alte feine g-renben um ber Siebe (?t)rifti roillen
bingegeben batte!"**)
SBabrbaft erhaben , ganj im ©eifte bes 6briftentbnm§ , aber in am
berer 2Seife, fteltt Ätopftod im uierten ©efange beä „i)Jteffiad" ben 9tico=
bemn§ bar. '’^fobarifäer nod fatanifcber Söutb, b^t fur(bt=
barften 3Serroünf(bnngen gegen ihn anögeftof)en , roeit er at§ Stnbnnger
3efu aufgetreten ift. 31icobemnä oertbeibigt abermatä ben iöteffiad in
*) 3obonne§ Schrott, Sichtungen, ©. 49 fj. („Sie gro|eu 3co9m"0
**) Chrys. de laud. S. Pauli Ap. liom. 2. (tom. 2. p. 485.)
234
©r^abene @egcnftänbe, britte Älaffe:
einer längeren D^ebe, gibt im Stngefic^te be§ ganzen ©i)nebrium§, an=
betenb, feiner ©ott^eit
©tanb bann auf, unb rcbte ju ^()ito. Sein 2tntlilj roar Reiter,
2lne ber ©erapt)im 3tnge[idjt ift. „©u t)aft mir geftud}et!
3tber id) fegnc bid), 'f>t)ito. ®er bat mid) atfo getebret,
®en idj, a[§ @ott, anbetetc. ißb^iO/ rernimm micb unb fenn’ ibn!
2Senn bu uuu ftcrbcu raitlft, ipb^io i menn feljt be§ Unfcbutbigen ©lut bid)
©d)red‘t unb auf bid) mie ein dJteer berabftürjt ; beiuem Ob^^er
äi'ie ein ©3etter bed ,'ipcrru, ber 9tnd)c ©timmeu ertönen;
ii'enn bu bann mivft böven um bid), burd)’§ ©uufle, babergebn
@otte§ ©ritt, bcn cifernen @nug bcd roaubelnben iRid)tevd,
Unb ber entfd)eibenben 2,ßngfd)ar Ätang, bed btinfcnben ©(^roertd ©d)tag
©>etd)e§ er raebt, fein @efd)off nom ©tute bev ©raufamen trunfen;
©>cnn non bcm 3tixgefid)t ©otted bie ©obedangft ausgebct,
©id) erfd)üttcrt, unb nun ganj anbre ©ebanfen bie ©eete
Ucberftrömcn, unb um bciu ftnrred [terbenbed 3tuge
ßauter ©crid)t ift; bu bid) atdbnnn nov bem töbtcuben ©icbi^'^
©ßiubeft unb frümmft, mit bcbcnber 5tngft laut roeinenb ju ©ott ftebft
Um (frbavmuug: bann f)öre bid) ©ott, unb erbarme fid) beiner!"
©Ifo fagt er unb gebt burd) fie bin- 3b’i begleitete 3lofepb-
©ber f5tburiet fnt) ©ieobemud, ben göttticben 9©nnn, gehn;
Unb ber ©erapl) erl)ub fid), unb fd)U)ebt’ in bober @nt5Üdung,
DJtit roeit audgebreiteten ©rmen; er fprnd) bei fid) felber:
„ißelcbe ©eligfeit ruirb, nad) bed ©tittlerd ©obe, bicb frönen,
äßenn bu uod) mebr fo erbabene ©eelen, o dJteufd)eugefd)ted)t, baft,
Unb nun halb bie (fbriften fo finb, mie biefer ©ered)te!"
2öir brancben roobt nad) bem fd)on ©efagten fanm mebr ausbrücfticb
Hn bemerfen, baß b^i^forragenbe ©rfcbeinnngen ber etbifd)en Orbnung
meltbe bem fReid)e be§ Ueb ernatnrtidjen angeboren, in roeit böb^toro
©rabe erhaben finb, atd fotdje bie fidb über bie ©tufe be§ 31otnrtid)en,
rein ©tenfcbticben nid)t erbeben, ©ie llebernatnr ift „©bei^nabme an ber
'diatur ©otted" (2. if3etr. 1, 4): barum roeift atled Uebernatürlicbe oiet
offenbarer auf ben unenbüd)en ©eift bin; aber freilii^ ift biefer ßinroeid
ficbtbar mir bem ©iige be§ ©lanbend. 3(ud biefem ©runbe ftettt fid)
für ©de bie nidbt ben ©inn unb bad ©erftänbnif) für bad Uebernatürlicbe
oerloren hoben, atd bie erbabenfte etbifdje ©rfcbeinung auf biefer ©rbe bie=
fenige bar, roeldje roir im oierten ©bfcbnitt and) ald bad fdjönfte unter ben
fii^tbaren Sfßerfen ©otted ju bejei(^nen botten, bie Äird)e ßb^ifti- SBiber
fie „fnirfdjen bie Reiben, finnen ©itted bie ©ötfer; roiber fie erbeben fidb
Jlönige, nerbünben ficb bie üKäcbtigen ber ©rbe"; fie aber prebigt, um
erf(^ütterüd) treu ihrem ©eruf, in ©ßort nnb Seben, in ihrer ©efamm©
beit foroobi atd in ©den bie in ©ßabrbeit nnb oon öperjen ficb S^ren
nennen, „,3efum ©briftum ben ©iefreujigten , ben ^nben ©ergernip unb
großartige ©puren be§ J5irfen§ @ottc§ in ber fid^tbnren 2Be(t.
235
beu i'öctbeit 2^or()ett, aber benen bte berufen finb, @otte§ Äraft unb
C'f3otte§ 25fei§^eit".
III.
©roßnrtige 'Spuren beö ilMrfen§ ®otte§ in ber ficf)tbareit 2i>elt.
166. 9iUr fommen gur (elften ber brei Älaffen, in raelcfie nur bte
Srntger ber ®rbabenffeit jerfegt haben ; fie nmfaftt jene ®rjd)einungen ber
jidbtbaren 2BeIt, in benen nn§ jroar nidjt nmnittelbnre Sffaten ®otte§
jelbf't, aber nngcinöfinUch bebentenbe ©puren feineg bnr(^ nntergeorbnete
.flräfte (causae secmidae) nermittetten SiMrfeng entgegentreten. ©otcf)e
®rfcbeinungen finb baS SSeltmeer, nainentti(h bag nom ©tnrme bemegte;
ber einfarbig bämmernbe flfachtbimmel noll ©ternengefnnfelg ; bie ftürs
inenben iDtaffen eineg großen 2.1'afferfatteg ; bie ineithin tueif! lend^itenben
@ipfel ber Sftpen; ferner tnandbe anfterorbenttietfe (f'Ienientarereigniffe;
tnie eilt geinattiger Crenn , eine noit fioffem ®ebirge berabbonnernbe £'n=
luine, ein innchtiger tPranb, ein inajeftätifcfieg ®eroitter, ein ®rbbeben,
ber 2rngbrticf) eineg 2>ntcnng.
3tn fict) ift freilicf) bie lebtofe üiatnr bcin tebenbigen unb mit ifer=
nnnft begabten ©eifte gegenüber immer 3ti ftein, atg baft fie biefem
©egenftanb ber ®hrfnrct)t nnb ber tBetunnbernng merben fönnte ; nur für
fidj betrachtet mürben bie angeführten ©egenftänbe moht bebentenb er;
feheinen, aber nie erhaben. 2lber ber nernünftige ®eift fajft fie eben auef)
itiematg alg etraag 3tbfo(uteg nnb rein für fich atif; er fühlt fie immer,
nnb mit einer 'dcothmenbigfeit bie in feiner eigenen Üintnr liegt, alg bag
mag fie finb, alg il£irfttngen einer Ifblfeven Urfaclfe, nlg Offenbarungen
eitteg SBefeng, bag bie gefammte 2fatnr nnb alle ihre Ü'räfte mit gemal;
tiger ,'öattb beherrfdjt nnb leitet. Oie ffJtajeftüt, bie ehrfnrdftgebictenbe
'Beacht nnb SBeiglfeit biefeg B3efeng, bie ttnenblidie fvülle feineg ©ctfitg
ift eg, Dor ber mir, non 23erannberttng , non ©taunen, non heilige»'
©dhauer ergriffen, ung beugen.
3n bett poetifdfen SBerfen jeiteg Bolfeg im Jllterthnm, meldfem allein
feine Oiditer fagen fonnten: „®lüdfelig bag Bolf, beffen ®ott ber i)err
ift"*), tritt ftetg bie eben migebentete 2ltiffaffting herimr, menn in ben=
felben großartige Batttrerf^einnngen nermerthet merben.
Beatus populus, cuius Dominus Deus eius. Ps. 143, 15.
(S§ ift unbegrciftich , inie 3(tIioli biefe üSovte ßnt fo überfepen fönnen: „(Sliicf;
fetig ba§ 33oIf, beffen .P»err fein @ott.ift." Senn bag ©nbfect be§ ©ape§ ift jn
offenbar Dominus, „3et)Oüa". JÜe gteid[)tautenbe ©teUe 'ßf. 32, 12 ift bagegen
anih pon 3tttioIi richtig gegeben.
236
(Sr^abene ©egenftänbe, britte Älafle:
„T'ie Stimme be§ §erm rollt über fluten :
bev ©Ott ber §errlic^feit bonnert!
ber ^err auf oielen äßaffevn!
Stimme be§ ijerrn — geroaltige!
Stimme beä §errn — • erl)abene!
Stimme be§ ^errn, ber fplittert ßebern!
£ibanon§ (Jebern jerfc^mettert ber §err.
Stimme be§ ^errn, ber f^lammen {prüfet !
Stimme be§ §errn, ber bie 2Büfte erf(^üttert:
bie Sßüfte oon (Sabe§ moc^t beben ber §err.
9hm fpricl)t in feinem Sempel 9lüe§ : ,©^re!‘
®er (Jmige, ber bie SBafferflut beroo^net,
nnb auf il)r thront — ber Äönig immerbar:
®er ^err wirb feinem 9Solfe Störte geben,
fein 3SoIt mit f^rieben fegnen" *).
3lber Dottfommen bie nämUdie 2lnfd)auung, nur in bie g-ictionen ber
fDiptl^oIogie gefaxt, liegt and) ben gleichartigen ©arftellungen heibnifcher
S'ichter ju ©runbe. 9Jian nerglei^e j. 33. ba§ folgenbe ©emdlbe 35irgilä :
@r felbft, ber 35ater ber ©ötter,
Sdjleubert, in 3i>etter gel)ütlt, ben 33litj mit feuriger 9ted)te
3Beit umher: e§ erbebt in ihren ©rünben bie ($rbe
Sief erfdjüttert; e6 flüd^tet ba§ 3ßilb; ein bangeä Sihrecfen
3i}irft bie .^erjen ber 3?ölter barnieber; be§ SO^öchtigen ipfeile
Spalten be§ 9ltl)Od §öhen, gertrümmern Äeraunienä Älüfte
Cber Dthobopenö moofigeg .^anpt**);
ober biefeä anbere au§ ber ^tiabei
Sa bie Olpmpier nun in bie fterblichen Schaaren fi(h [türmten,
Sobte bie oölferentflammenbe STmth; e§ [teilte fi^ 3?aKa§
9hm mit lautem ©efchrei an ben ©raben au^er ber SOlauer,
Samt mit lautem ©efchrei an§ roieberhallenbe Ufer.
IBranfenb roie ftürmenbe Strubel, gehüüt in S^reden ber 9iöd)te,
Sd;rie oon ^Üond thürmenber 33urg ber Ärieg§gott herunter,
3ief bann fdhreienb an Simois’ Ufer bis Äaltifolonä.
fürchterlich bonnerte 3euS, ber Sater ber ©ötter nnb 99lenf^en,
Oben herab; oon unten erfchütterte ipofeibaon
Sie unenblidje @rbe bis ju ben Häuptern ber 33erge;
3(tle füfje roanften beS quellenftrömenben 3ba
33iS ju ben ©ipfeln; eS raantte bie Stabt, nnb bie S(hiffe ber ©riechen.
*) 2(u§ bem 28. )ßfalm, nach ®^egg.
„®te Stimme beS .g>evrn" ift in ©chUbenmgen be§ ©eroitters immer ber
Sonner. (Soch nnb 9leifd)l.) 3SgI. fob 37, 2 — 5. )pf. 17, 8 — 16.
**) Virgil. Georg. 1.
großartige (Spuren be§ fflirfenä @otte§ in ber fid^tbaren 25}e(t. 237
erid^vnJ in ber 'Jiefe ber ^c^attenbe^errfcf)«' 3üboneu§;
23e6enb entipvang er bem iI)ron, iant rufenb, baf:; nid)t non oben
'^.'ofetbon, ber @eftabeerfd)ütt’rer, bte <5rbe jerretße,
nidjt erfdietne ben 937enl'dben, bnp nicbt ben ©öttern eijd)eine
3etne bilftre 43el)aufung, ti'u' bie and) Ohjmpier grauet * ).
So ift ai[o bie ©r^abenl^eit ber [id^tbaren 91atuv lüdjtg STnbereg, a(d
bie burd^ gefc^affene ^Iräfte oermitteite Offenbarung ber Wafeftät @otteä
unb ber ®röBe feiner 6igenfd)aften ; unb e§ tritt nnä namentUd) in biefer
Ätaffe erl^abener ©egenftönbe mit befonberer ©nibenj bie nämtid)e Of)at=
fad^e entgegen, roet^e mir in ^indtfid^t auf bie @d)ön^eit nnperföntidber
Oinge gteid)fnlt§ anerfennen mufften: ba^ nämüd) bte äft^etifd)en @c-
füt)te bereu @rnnb unb ©egenftanb fte bilben, nid^t abfolute finb, fon=
bern retatioe.
167. Uebrigeng ift freilid^ nicht ju nberfeben, baff mir (Stementar:
ereigniffe rate bie ermähnten, nur in fofern erhaben f in ben, atä nidiit
bie ^urdht üor ihren oerheerenben 95firfungen , ober ber ©dhmerj über
btefe, fet) e§ in 9iücffid)t auf und fefbft ober auf SInbere, bie ber ©r-
habenheit entfpredfenben angenehmen ©efühte raefentlid) beeinträchtiget.
Oiefe 93efd)ränfnng oorauggefeht, hat uoüfommen 9ted)t, roenn
er and) ben Xob ben erhabenen ©egenftänben beijähit: „in unfagbaren
©efühien oerftummen mir oor ber iyeieriidjfeit beg Xobeg, ber bie ung
frembefte ©igenfd)aft beg llnenblichen, bie UnmiberrufUthfeit , fo grell in
unfer auf alterhanb 9®iberrnf gebauteg Seben hiacinfd)einen läftt" **).
Oer leijte ©ebanfe, bie 9incffi(^t auf meldhe fid) bie ©rhabenheit beg
Oobeg grnnbet, fotite freilid) anberg auggebrncft fei)n. 9didhtiger atg fiol^e
beutet 9lba(bert Stifter biefelbe an, menn er non „einem ©ange burd)
bie .il'atafomben" (beg @tephang=f^riebhofg in Sßien) atfo erjählt.
㊣'ie mir nun fo baftnnben in ber 2.'erfnmmlung non Uingft oerftovbcncn,
unbetanntcn 9Jicnld)en, bic oor ^ahrhunberteu hierher gebrad)t mürben um 311
oermefeu, bie aber mm ihren llrurenfeln biefelbeu 3üge meifen muffen bie mau
einft, banor grauenb, mit einem 'iud)e 3ugehüUt unb in einen Sarg oerborgen
hatte, — unb mie bag reine meiffe Siead)glid)t ober bie bunfelrothe ©lutl) ber
f^acfeln bie mir trugen, über bie @efid)ter unb ©lieber ber tobten lief, unb
barinnen fd)mereu Äampf, ober ftarre jRuhe, ober hößlid) ©rinfen mies: fo
rcaren mir 9tUe bis in baS 3'tuerfte erfd)üttert. 9Jdir mar, alS fei) id) in ein
fabelhaft ©cbiet beS tobeS geratheu, in ein ©ebiet fo gau3 aiibers, alS mir eS
im Sebeu ber ä)teufd)en erfatfl-en, ein ©ebiet, mo tdlleS gemaltfam 5ernid)tet
mirb mag mir im £eben mit Sd)eu unb ©hi1>a‘d)t 31t betrachten gemohnt finb,
— • mo bag ,ipöd)fte unb .s^eiligi'te biefer ©rbe, bie menfd)lid)c ©3eftalt, ein
*) .potner, ^t- 20, 47 ff. ('Jtad) ber Ueberfchuug oou Stolberg.)
**) Soge, S. 333. (gitirt 18.)
238
(fr^abene ©egenftänbe, britte Älaije:
iDevt()(o)e§ ®ing raivb, Ijingcraorfen in bas Äel)ri(^t, ba^ es liege, roie ein an;
bever Unrab§. — 3ic^! roelci) eine furchtbare, eine ungeheure ©eraait muf^ eS
fex)u, ber mir bnhingegeben finb, baf; fic über unS uerfüge unb roie
riefenhnft , aü unfer Renten üernid)tenb , muf; ibUon unb biefer ®e;
roatt fe^n, baf^ uor ihr millionenfach ein Äunftroerf gu ©runbe geht, baS fie
felber mit fold)er Siebe baute, unb jroar gleichgültig ju @runbe geht, als märe
eS eben nidjtS! — Ober gefällt fich jene SOincht barin, im oben Kreisläufe
immer boffelbe ju erzeugen unb ju jerftören? — ■ eS roäre gräßlich abfurb! —
SJtitten im fReidje ber üppigften 36i'flbrung burchflog mich f^unfe ber
innigften UnfterblidjfeitSüberjeugung. SSir ftanben 3111e ftumm, unb ließen
nufere nufere Sid)ter (obern. Oer (finbrnct ift fo mäd)tig, fo neu
unb ernft; er nimmt nufer ganjeö iSefen fo ein, baß alleS 3tnbere abfällt,
unb üor feiner @emalt nichtig roirb. 3<h felber getreten, baß
mir bnS Stollen eineS 3Ü>agenS, boS mir in bicfem 31ugenblide auf bem i}5flaftcr
über uns hörten, gnnj abenteuerlich uorfam, ja burdj ben ©egenfab fchauerlich-
3ft es beim ber SJtühe merth, bndjte idj, baß fich Öer im SSagen oben brüftet,
nnb über baS ‘'h'flnfter roegroUt? baß fie Käufer bauen, unb bunte Sappen
hernnShängen, als märe eS mnS?"''h
3n biefer Oarfteüung fugen roir, ift ber ©runb in roelchem bie ©r=
hubenheit be§ Oobe§ liegt, richtig ungebentet. Oev Oob läßt nor bem
Singe unfereä @eifte§ in ungemöhnlich greller 23eleudttung jene „furchtbare,
nngehenre ©eroult" erfd^einen, bie mit ubfolut unbefchränfter f^reiheit, nach
„riefenhaft großem ipiane'hüber un§ nerfügt, „atleS Staubgeborne jer;
reibenb roie dJtörter', Ober raenn mir nod) tlarer uns auSbrüden füllen :
Oer Oob, roie er burd) ade ©enerationen , bnrd) ade ^ß^i^taufenbe biS
jn unS herab, mit unroiberftehlicher d)tacht über bie ©efammtheit ber
Äinber SlbamS herridjt; fle^t nor unS alS baS unoergöngliche Oenfmal
ber unnahbaren fStajeftät beS Slderheiligften, als bie in jebem Slugenblicfe
unerbittlich nufS neue ficß roieberholenbe iBodjiehung beS eben fo gerechten
als fchauerlichen ©prucheS: „Ou bift ©taub, unb roirft gum ©taube
jurücffehren.''
168. Oie, roenn roir nicßt irren oon Kant juerft aufgeftedte, unb
feitbem oft roieberholte Oheilung in baS „mathematifch (ertenfio) ©r=
habene" unb baS „bpnomifch (intenfio) ©rhabene", fcßeint unS feinen
befonberen Sßerth ju hoben. ©S ift bei aden erhabenen ©rfiheinungen
immer berfelbe ©ine, über unS unb bie gefammte Statur ho<h erhabene
nnenbliche ©teift, beffen Offenbarung, beffen SMhe onS mit ©hrfurdht er;
füdt, mag eS ber Stnblicf beS mit ©ternen befäten g-irmamenteS fepn roaS
nnS auf ißn hntroeift, ober baS unermeßlid) fich nor unS ouSbehnenbe
aSeltmeer, ober ber SluSbru^ beS Sletna. Sludj Soße ift ber Slnficht, baß
*) 21. 0tifter, ©rjählungen, 1. 0. 207. („©in @ang burch bie Äatatomben.")
großartige ©puren be§ SBirfens @otte§ in ber fic^tbaren ®elt.
239
„faft alle Seifpieie an benen man fid) über feine (5-mpfinbnngen ftav ,t,n
werben fud)t, ben Untevfdjieb jroifd)en bem matijcmatifd) (^Tlfabenen bev
3hi§bel)nung nnb bem bpnamtfd) C'n'lfabenen ber jt'raft jroetfeUjoft madjen"
‘Dagegen mnffen mir, neben ben erhabenen (‘'•rfd^einnngen aus ber
fi(fitbaren 3latur, jene melcße bie @efd)id)te und bietet, aüerbings einer
befonberen (vrroä^nnng mertfj finben. fyreilidj nid)t fo, aB ob ^roifd^en
biefen nnb jenen ein innerer SBefeiBnnterft^ieb beftanbe. Denn berfetbe
roettbe!^errfd)enbe ©eift, „ber auf bie ©rbe btid't nnb fie , gittert nor it)m,
ber bie 33erge berür)rt nnb fie randjen, ber ÜBotfen jn feinem JC'agcn
madjt nnb einl^ergeljt auf ben fvtngeln be§ etnrmeä" *) ** ***)), biefetbe i)}lnjeftät
ber ewigen ©otttteit wetdje in ben geioattigen ©lementarereigniffen and)
bem ©ottegtäugner unau§weid)tid) entgegentritt : eben fie ift eg anc^ wetdje
wir in ben Ddjidfaten ber Dotter wie ber ©injetnen, in ber ©ntwidetnng
nnb ben Jt'ataftroptjen ber äl'ettgefdjidjte nnbetenb beiuunbern. ^'tier wie
bort ift nidjtg grofj atg bnrdj feine Dejiel^nng jnr attwnttenben Dor^
fe^ung, niditg ertjaben, atg infofern eg ben nerfünbigt ber in feiner §anb
„bie ©iinme ber ©rbe fafjt, nnb bie ©otttofen abfdjüttett non itjr, nnb
ben fvrentern ben ertjobenen 3trm gerbridjt", ber bie StBiberfpänftigen „be=
berrfdjt mit eifernem ©cepter, nnb wie 5:öpfergefdjirr fie jertrümmert“
©ein 2Berf ift bie Jtjatfadje auf wetdje ben ©eredjten, bamit er in um
wonbetbarer 3iiüei'ftdjt „bem jperrn befetjte feinen 2Beg, nnb nidjt eifer=
füdjtig Ißinfc^aue onf bas ©tncf berer wetdje Döfeg ttjun", ber i^roptjet
in erhabenem SBorte tjinweift; „3'dj fatj ben ©otttofen ^odj erhoben, fatj
itjn emporragen wie bie ©ebern beg Sibanon; idj ging uorüber, nnb fietje
er war nidjt me!^r: idj fudjte nadj itjm, nnb feine ©tätte war nidjt metjr
ju finben" 7 )•
„©tavfe bie fidj Xrcibcr bünfen,
Si'crben felbj't bodj nur getrieben,
^^eevgerättjc eincS ©tnrfern
Die, gebraudjt, oerbraudjt jerftieben.
©tiirtre j'töfjt ber fvaft bc§ ©türfften,
tlnb bie ©tärtj'teu finb ©kfdiivve
©inc5, ber, ob 5tUen waltenb,
tlcberfdjnut bn§ Doeltgcrairrc ;
*) Sope, ©. 327. (6it. 18.)
**j tpf. 103.
***) 30b 38, 13. 15. jß). 2, 0.
t) Revela Domino viam tuam et spera in eo, et ipse faciet; noli aemu-
lari in eo qui prosperatur in via sua , in liomine faciente ininstitias . . . Vidi
impium superexaltatum, et elevatum sicut cedros Libani: et transivi, et ecce
non erat; et quaesivi eeim, et non est inventus locus eins. Ps. 36, 5. 7. 35. 36.
240
ßrl^abcne ©egenfidnbe, britte Älaflc.
(Sine§, ber in e^rnen ^änben
bie SBage, gu mögen,
jDer bie ©cepter fnicft roie 9*iutl§en,
Unb roie ©tvo^ ba§ Sc^roert ber !Degen.
5lil bie Spielen finb nur 3«>erge,
3IÜ bie §errn nur arme Änec^te:
Cb fie gleid^ ben rooHen,
^örbern müffen fie ba§ 9ied^te;
Cienen müffen fie ber Crbnung,
Cb fie gleich ba§ SSüfte treiben :
Cenn unfterbtid) ift ba§ ®ute,
Unb ber Cieg inufg @otte§ bleiben" *).
2Iuc^ in biefer 9ftü(ffici^t, auf bcm @ebiete ber 2ßeftgefd§i(i^te, gibt e§
tüieber feine erl^abnere @vfcf)einung af§ jenen ®au ©otteä, ber affein
unter ber ©onne bie ®erf)eifjung einiger ©auer !^at, bem affein ba§ 2Bort
be§ i^errn galt: „^immef unb (Srbe roerben nergel^en, aber meine 2öorte
inerben ni(^t nerge^en". „SBeft^e anbere Idente befte’^enbe ^itftitution,"
fdjreibt ein beril^mter engtifcE)er ^roteftant, „inetd^e anbere ^eute beftel^enbe
^nftitution, at§ bie fat^oUfd^e ^ird^e, mar i^ner
bem ^ant!^eon nod^ ber fJtaudf) ber Cpfer aufftieg, ba nod^ Seoparben
unb Ciger brüfften im iffmpl^itl^eater beä f^faniuä ? Cie ftolgeften ,^önigs=
Raufer finb non geftern, menn man fie neben bie Dftei^enfolge ber ^äpfte
ftefft. . . Cie fftepubtif beliebig fam bept '^apftt^um an SHter gunad^ft.
2tber bie fftepubfif 2Senebig mar ein Äinb im 3Sergfeid^ mit bem if5apft=
tl^um; unb bie fRepnbtif 55enebig ift nerfdf)rounben, ba§ i]3apfttl^um ift
gebtieben. Ca§ i^apftt!^um ift geblieben, ni^t im SSerfaff, ni(^t al§ ein
afterSfd^mac^er Ueberreft nergangener fonbern noff £eben§ unb
jngenbIidE)er Äraft. . . 2fuc^ je^t nod^ beutet fein barauf ^tn, baff
ba§ ®nbe ber langen .^errfd^aft ber fat^oIifct)en Äirc^e fierannal^e. ©ie
fa!^ affe fftegierungäformen , affe firc^Iid^en SInftalten fic^ bifben, mefd^e
gegenmartig in ber SBett beftel^en, unb mir ^aben feine ®einiff|eit, ba§
fie nic^t au^ ba§ @nbe non affen gu fefien beftimmt ift. ©ie mar groff
unb geartet, fd^on el^e bie Sfngetfad^fen i§ren f^u^ auf britifd^en SSoben
festen, e!^e bie f^i^anfen über ben fRl^ein gogen; fie mar grofe unb ge=
adfitet, af§ nod^ gu 2fntiodE)ia gried)ifd)e Serebtfamfeit blüfite, unb ®ö^en=
bitber angebetet mürben im Cempet gn 'Jffeffa. ®§ fönnte gefdtie^en, bafg
fie ancb bann no(^ in ungeminberter ^ugenbfrifdie baftanbe, menn ber=
einft etma ein ffteifenber au§ f)ieufeelanb , mitten in einer meiten ®inöbe,
*) 2ßeber, Sreigebnlinben, XVII, 4. (©. 227.)
,£ragifc^e" ©rfd^einungen.
241
an einen gefprengten Sogen ber SonboiuSvücfe fidj lernte, nm bie Shiinen
üon 0t. ‘'I'ant ^n jeit^nen" *).
IV.
„ iragiidje" (5ijd}emungeii.
169. 3'^ Serfitnbnng mit bev (5r^abcntjeit pflegt bie Seft^etif oitd)
jene (f-rfc^einnngen jn befpred)en, iuetd)e mau at§ „tragifd)" bejeidjiiet.
Unb e§ nnterfcl^eibet fid) atlerbingg bie Sragif non bev (?rljabent)eit, ba§
Xragifdie uon bein (Srljabenen nicht anberg, ald roie oon bev ©attnng
bie 2tvt. iptato gebvandjt felbft ben dlamen „tiflS^fefl'^ miebevfjolt in bev
genevifdjen Sebentnng oon „gvoftavtig'', „evnft", ,,evl)abeid', unb evftiivt
eben in biefem 0inne ben i^omev füv ben gvöftten untev ben „tvagi;
fd)en" ©ichtevn**)-
®ev @ennp ben ung tvagifcbe ©vfdieinungen gemäbven, bevnl^t, loenicg;
ftenS üovjnggroeife, auf ©vünbeu bie luiv fämmttid) fd)ou bevübvt haben.
„dhiv in fiuftvcu Säd)teu ftvaf)Iet
.VcvvHd) fd)ön bev 0tcntc Siod)t,
Unb bev dtegenbogen molet
0icb imv in bev iliolten Snd)t."
f3m Uugtücf, in fdjioevem Seiben, beionfjvt fid) inel)v al§ ivgenbioie foiift
bie etl)ifd)e ©vope, bie movaUfd)e Ä'vaft be§ ©eifteg; fd)on allein buvd)
ftavfmütbigeg ©vtvagen, buvd) I)evoifd)e ©ebutb unb ©vgebnug in ein
nnaugioeichtid)eg Sevl)änguif3 , obev oietmehv in eine fchioeve fvügung bev
Sovfel)iing ***) ; nod) me()v abev, luo bev ilJtenfd) buvdj fveiroiltigeg Opfcv,
buvd) fvei geroiibtte ltebevuaf)me beg 0d)inevjeg ben Seiocig liefevt, bap
ev nid)tg füvd)tet alg bie ©ünbe, bap if)iu uidjtg t)öhev gilt atg bie Svene
gegen ©otteg ©ebote. ©g finb in bev Sljat „bie gvopen ©eeteu",
benen, n)ie bev S)id)tev fagt, „bie ©djmevjen nad)jiehen, loie ben Scvgeu
bie ©leroitteviuolfen", an benen „abev and) bie ifßettev fid) bved)en", unb
ioeld)e fo „bie SBettevfcbeibe loevben fiiv bie ©bene untev if)nen". 21nbev=
feitg offenbavt fich nng in bent 0d)icffal oon metdjein luiv ben Söfennd)t
oevfotgt fehen, in bem unevbittlii^en Sevbangniffe bag i()u jevnmtmt, bie
ftvafenbe .©anb bev gottüdjen ©eved)tigfeit, bag attfehenbe ütuge bev Sov=
fehung, bem nid)tg fict) entueheu fann.
*) Macaulay, Ci-itical and historical essays, 4. p. 98.
**) DJtan rcrgleidie namenttid;: Plat. de leg. 7. Steph. p. 817 a. b. Bip.
8. p. 379 s. Theaetet. Steph. 152 e. Bip. 2. p. 70. De republ. 10. Steph.
607 a. Bip. 7. p. 307.
***) Ecce par Deo dignum, vir fortis cum mala fortuna compositus.
Seneca de Providentia.
Sungmann, 2(eftf)etif. 2. älufl.
16
242
®ie Se!§re non ber „(är^ben^eit be§ SBöfen".
©omit fällt jebe tragifd;e ©rfi^etnung in eine ber brei Staffen, in
roetdje roir bie erl^abenen jerlegt ^aben, ober fie gel^ört auc^ pgleic^
mehreren berfelben, namentli(^ ber grceiten unb brüten, an.
§. 3.
^6 btc f rbaßenßcit aitt^ bas JlttriCut »on /sanblungcn unb ^ßarncfercn fc^n
Könne, wcfcbe et^iftK (xnb.
I.
®ie Se^re ©d)ilterg, 3Sif(^er6 unb mehrerer 3tnberev. 2BiberIegung berfelben:
au§ bem SBefen ber (Srba6ent)eit ; ou§ Bugeftönbuiffen ©c§ilter§ felber;
au§ ber adgemeinen Stnfcbauung. 3)er ©atan bei iOlüton unb Spron;
4-üomed)eu§ unb anbere gelben ber alten ©ragöbte.
170. ®ie in ber Ueberfd)rift ent'^altene f^rage, ob nämli^ and^ ein
böfes 2;^nn, ein etbifd) f(^Ied)ter ßfiaracter erfiaben fe^n fonne, raürben
roir fieser nid)t ftetlen, roenn nid)t bie ße'^re nic^t roeniger 2Teft'^etüer
ber fRenjeit, roetd^e biefe f^i^age in beja^enbem ©inne beantroorten, un§
ba^n nöi^^igte. SSfir rooden jnerft einigen biefer fOdänner fetbft ba§
$>ort geben.
©d}ider ännä(^ft belehrt un§ fotgenberinagen :
„iReue, ©elbftDerbainmung , felbft in ibrein böi^ften @rab, in ber 3) er;
3 to e i f I u n g , [inb inordtfd) erhaben , ineil fie nimmermehr empfunben merben
fönnten, menn nidjt tief in ber 23ruft be§ 33erbred)er§ ein unbeftechlid)e§ @efühl
für dtecht unb llnred)t rond)te, unb feine 3tnfprüche felbft gegen ba§ feurigfte
Jntereffe ber ©elbftlicbe geltenb machte. . . Unb roa§ fann aud; erhabener fepn,
nl§ jene heroifdje SSerjroeiflung, bie alle @üter be§ Sehend, bie ba§ Sehen felbft
in ben ©taub tritt, roeil fie bie mipilligenbe ©timme ihred innern fRi(hter§
nidht ertragen unb nid)t übertnuben fann ? Ob ber ©ugenbhafte fein Sehen frei;
millig bal)ingibt, um bem ©ittengefeh gemä^ gu hanbeln — ober ob ber 3Ser;
' bred)er unter bem Broange bed ©eroiffend fein Sehen mit eigener §anb
jerftört, um bie Uebertretung jened ©efetjed an fich ju beftrafen, fo fteigt
unfere 3td;tung für bad ©ittengefeh ju einem gleich hoh^o @rabe empor; unb,
roenn je noch ein Unterf(hieb ©tatt fünbe, fo roürbe er nielmehr gum 3Sortheil
bed Sehtern audfallen, ba bad beglüdenbe 33erou§tfepn bed dteihthanbelnd bem
Sugenbhaften feine ©ntfd;lie^ung hoch einigermafien tonnte erleidhtert hoben,
unb bad fittlid)c 3Jerbienft an einer §anblung gerabe um eben fo niel abnimmt,
nid Steigung nnb Suft barnn ©h^i^ hoben. Steue unb ißerjroeiflung über ein
begnngened 35erbrechen jeigen und bie 30tad)t bed ©ittengefehed nur fpöter,
nid;t fdjroä^er; ed finb ©emölbe ber erhabenften ©ittlidjf eit , nur in einem
geroaltfamen Bnftcmb entroorfen. ©in SRenfd), ber roegen einer nerle^ten mora;
lifdjen i|}flid)t nerjroeifelt, tritt eben baburd) gnm ©ehorfam gegen baffelbe jurüct ;
Sie Se^re dou ber „(ärl^aben^eit bcs SSöfen".
243
imb je fuve^tBam' fetue (^;elb[t«evbanimung [id) nuf^ert, befto mäd^tiger l'el)en
joir baö Sittengefeli. i^m gebieten" *).
33et 23ifdjer lefen ibiv atfo:
„^iefe Ärnft ber menid)Iid)en Statur, ruonacb ber älnlte bie ©enndt bed
■'Jlffects alö fein SBerfjeitg mit fid) uereinigt , ift es , rooburd) and; b n s iö ö f e
erb eben bemöbrt ficb im 33ö|en biefelbe ^-reibeit bed ©ubiectö, bie
mir aud) im ©uten beimmbern , unb bie äftbetifebe SBirfung mirb burdj ben
r)ernnbcrten «ubers mobificirt, aber feine^roegä gefdjraäcbt. 3“ 1'ie
fteigt mit bem ©rabe unb ber (Jon|equenj bed iööfen, unb eine DoUenbete
©mpörung gegen ©ott, raie bei '^d'ornetbeud unb bem
jage, ift nftbetifdi ergreifenber, nIS bie fdjönfte (Snergie beS ©uten" ** ***)).
3iüet üor iiifdjer bfittc .flnug gefd)vieben :
„3n biefer iBejiebnng" (in intenfiner .V'infidjt) „ift nud) bie morolifcbe
©efinnung, fofern fie fid) biird) äl'ort unb Xbot 311 erfennen gibt, bed (fl)a;
racters ber (S’r^nbenljeit fnt)ig, unb jmnr forootjl nlä fittlid) gute, raie al§
fittlid) böfe ©efinnung. iTenn e§ fommt bei ber ciftbetifdben 0d)äbnng
berfelben nid)t auf ilfren inneren (mornlifd)en) 21'ertf) ober llnraertl) an, fonbern
auf bie ©röfie ber äßiU endtraft, bie fiel) baburd) nnfünbigt ®ad 33eraub't=
feijii einer überfd)raänglid)en Äraft biefer iJtrt erbebt ftets baS ©emütb , unb
baber bat and) ber ©ebnnte, bag ber tOtenfd) burd) feinen freien liJitlen felbft
b e r © 0 1 1 b e i t ra i b e r ft r e b e n t ö n n e , etraad ©rbebenbed unb äl>obtgef ntliged,
inbem bi^rauf bie moralifebe ©röge bed — im i'ergleid}e mit ber '^Ulmad)t
pbt)fif<b obnmnd)tigen — itJtenfcben berubt, obgleid) bnd rairttid)e idiberftreben
flid etraad ^""nai'atifdies notbraenbig migfnUt" f ).
*) <3d)itler, lieber ben Qdmub beS Serguiigend 011 tragifdjen ©egeuftäuben.
(®erfe, ©tuttgart 1836, 93b. 11. ©. 522. 523.)
Sie gefperrt gebruetten SBorte rouvben non mir unterftrid;en; baffelbe gilt
in dtüdfid;t auf bie nod; folgenben ©teilen.
**) ÜSifdber, lieber ba§ (Srbabene unb Ä'omifd;e (Stuttgart 1837) ©. 75. 3Jtan
■oergl. and), non bemfetben Sterfaffer, „Sleftbetif" 1. §. 107: „Sag (Srbabene be§
böfen 2Billcn§."
***) .^ier gibt Ä'rug bie folgenbc Diote; „9Benn in ßorneille’ä Med6e (Act. 1.
Sc. 1) jeneg roeiblid)e llngebeuer auf bie 5'^^age ihrer ißertrauten :
Votre pays vous halt, votre dpoux est sans foi ;
Dans un si grand revers, que vous reste-t-il ? —
fcbled)troeg antioortet: Mol! fo fühlt jeber (sic) bie (Srhabenheit biefer ©efinnung,
ungead)tet ber Unthaten , roeld;e SJlebea mit unb jum Sh^d felbft burd) biefe @e=
finmmg ausführt, ©ben fo ift bie ©efinnung, roetd)e DJtilton im oerlorenen 45ara=
biefe (@ef. 1. 93. 81 — 121 unb 93. 237 — 266) bem Satan leiht, unftreitig erhaben,
loieroohl fie ju gleicher 3tit bie höchfte 93o§hcit oerfünbet . . ."
7) Ärug, „2lefthetif" §. 25. 9lnmerhmg 3. S. 118.
16
244
®ie 2e§re non ber „@r^abent)eit be§ SBöfen".
3^i(^t anberg rebet 5Tiü[f(ein:
„3m Kampfe mit bev 5tu^enroctt ober mit bem 3Sert)ängniffe berocifet bie
oeele moratifd}e C^rbaben^eit ; . . . bureb freimittige Eingabe aUer äufjeven
Jßürbe, fogar bes irbilcben Seben§, fobalb [ie baffelbc oon einer, gteidbroobt bc=
ron^ttoä begangenen ©ebutb, befteeft fiebt. 5(uf biefer Ööbe 3eigte ficb Oebipuä
im ©opbocleg. . . . ®aö llnmoratifcbe fcblicfU ba§ ©rbabene ni(bt
au§. 3tCer .f^eroiömng trägt bng ©epräge be§ ©rbnbenen, roenngleicb nid)t
immer ben Stempel be§ Sittlid)en." S)arnuf roerben a(§ „©egenftänbe unferer
43erounberung", ald „erhabene ©b«>-'actere", SKebea, (Fntilina, unb „bunbert
onbere Ungeben er ber ©efcbid)te" bejeidinet, nnb jnlebt 3Kilton§ Satan
'3JHt [einen beiben Vorgängern ftimmt enblid) and; [y. ®ort
überein :
„3m Kampfe mit ber ütnpenroelt berocift bie Seete moratifi^e ©rbabem
beit; . . . bnrd) freimütige i^ingnbe oder ändern 2Bürbe, fogar be§ irbifdjen
Sehend, fobalb fie baffetbe oon einer, raenn and) beranfülod begangenen Sd)ulb
befledt fiebt. 5tnf biefer fböbe jeigte fid) Oebipud im Sopboeled. — Vei ber
äftbetifd)en Sebätjung einer großen, erhabenen ©efinnnng fommt ed aber nidjt
anf ihren inneren (fitt lieben) ißertt) oberUnraertb an, fonbern
auf bie ©röf^e ber iSidendfraft , bie fid) babnreb fnnbgibt. 5tder ijeroidmud
trägt bad ©epräge bed ©rbabenen, raennglcid) nicht immer ben Stempel bed
Sittlichen." ^tld Seifpiele folgen raieber ©orneilte’d iOiebea, Voltaire’d 3Äa;
bomeb, dViltond Satan, ©oetbe’d Vbepbiftopbeled *) **).
©§ ift au§ biefen loobt offenbar genug, ba§ roir ber
neueren Steftbetif gegenüber und nicht einer Verleumbung fd)utbig machen,
roenn mir ihr, ober roenigfteng nieten ihrer Vertreter, bie Sehre
fdjreiben, ba§ autb ethifebe Schted)tigfeit ober „ba§ Vöfe", roo e§ einen
ungemöbnüe^ h^tjen ©rab erreii^e, erhaben fep. roahr?
171. S)ie ©rhabenheit ift roefeutlid) nnb ihrer Statur nadj für ben
oernünftigen ©eift ©runb unb ©egenftanb ber g-reube; bie Vetrachtung
*) Stüülein, Öebrbudh ber .funftroideni^aft, §. 86. 87. S. 78. 80. 81.
**) gider, „9(e[thetif" (2. Stuft. 3öien 1840) §. 30. 43.
3nbem roir biefe ©teilen auSführlidh unb bem äöorttaute nadh gaben, hatten
roir anher ber un§ junächft liegenben noch dtebenabfidht. 2Bir rooKten an
(Sinem unter bunbert SSeifpieten, bie un§ beim ®urchblättern oon Sßerfen über bie
fthönen Äünfte begegnet finb, unfern Sefern jeigen, roie man and; auf biefem @c=
biete „Südher ma(bt". Ueberbied ift ja audh bie genaue Uebereinftimmung, nidht
nur ber ©ebaufen fonbern fetbft be§ 9tu§brud§, eine befonbere ©arantie für bie
^uoertöhigfeit ber uorgetragenen ©ä^e.
®en angeführten Stutoren tonnten roir nodh ©uljer (9ldg. Slh^orie ber fdhönen
fünfte, 2lrt. „©rhaben"), Vatteur (©inleitung in bie fchönen SBiffenf (haften, überfept
non Stamler, 4. 9tufl. Sb. 2. ©. 272), unb ipadquali (Istituzioni di Estetica, Pa-
dova 1827, vol. 1. p. 87. 88) al§ Vertreter berfetben Stnfidht äiigefeden.
Sie Setjre uon ber „(Si'^abni^eit be§ iSöfen".
245
erl^akner ©ridjetmmgeii ift un§ angenel^m, fie geratU)rt uu§ 2]ergnügen,
@enuj3. bieiem @al^e finb 5(tfe eiiiüerftanben , mid) jene @ele!^vten
bereit Sfeufterungen iniv oben angeführt ^aben. 3rber ift e§ beim inoglii^,
erlauben mir nn§ bem gegenüber ju fragen, ift eä beim inögtid), baf^ ein
mit i>ermmft anägeftattetes SBefeii fid) be§ 23öfen freue, es fei) beim,
infofern eS fetbft böfe ift? (f'S gibt ja feinen (fieimf? in irgenb
einem 2Befen, ber lücbt fdebe oorauSfeüte*); fann mithin bem nernünf:
tigen ©eifte bie 33etvad)timg ber ®ünbe ©eimü geiunf)ren, ofme bnf3 er
eben and) bie @ n n b e liebt?
172. ®aS ®en)id)t biefeS ©nmbeS l^nt felbft Schifter gefüt)tt. 3'^
ber nämfid)en 3fbl)anbtnng ber mir bie im 3fnfnnge gegebene ©tefle ent-
nommen bnben, fdireibt ber geniale ®id)ter atfo.
„^medmnfngfcU geunibrt itn§ unter nlten Umftänben 3.'crgnügcn, fic bc;
jicbc fid) entiucber gar uid)t auf ba§ ©itttid)e , ober fie loiberftreite bcmfelbcn.
ilü'ir genieficn biefcS 33erguiigcn rein, folangc mir un§ feineS fittlidjcn
3mede§ erinnern bem babnrd) roiberfprod)cn loirb**). ©ben fo,
mie mir nn§ nn bem üerftnnbnbidid)en fsnftinct ber Sbicre, nn bem Ä'unftfteifi
ber 23iene n. bergt, ergölton , ot)ne biefe Stnturjmedmnfngfcit nnf einen oev:
ftönbigen iiJitten, nod) meniger nnf einen morntifeben B’i’ecf jn bejieben, fo
geronbrt unS bie f^medmäfngfeit eines jeben menfdilicben ©efdjöftS i'crgnügen,
fobalb mir nnS nid)tS meiter bnbei benfen, atS bnS Sfertjnttnif: ber Sdtittet ju
it)rem ^med. fvällt e§ nnS aber ein, biefen nebft feinen IRittetn nnf
ein fitttidjeS ‘^f'rincip jn bejic[)cn, nnb entbeden mir ntSbnnn einen Sßibcrfprud)
mit bem Sebteren, fnrj, erinnern luir unS, bnp eS bie if:nmblnng eines morn;
Iifd)en iföefenS ift , fo tritt eine tiefe B a b i g n n t i o n n n bie ©teile
jenes erfl-en SfergnügenS , nnb feine nod) fo groge IßerftnnbeSjmed-
inöpigfeit ift fiibig , nnS mit ber iuirftellnng einer fitttid)en B'i’^f'i’ibrigfeit 31t
rierföl)nen. 9fie bnrf cS nnS lebl)nft merben , bog biefer Sfidjnrb III. , biefer
^ngo, biefer fonelnce SDtenfd)cn finb; fonft mirb fid) nnferc St)eitnnl)ine nit;
nnSbleiblid) in il)r ©tegentbeit uermnnbetn. ®nfi mir aber ein 35ermögcn bc;
fifeen, nnferc 3tnf)ncrffnmfeit non einer gemiffen ©eite ber ©inge freimidig
nbjulenfen nnb nnf eine nnbere m rid)tcn; bnfj bnS 35crgnngcn felbft meld)cS
burd) biefe 3lbfonbernng ntlein für nnS möglid) ift , nnS bnju einlnbct nnb
bnbei feftljnlt, mirb bnrd) bie tnglid)e ©rfat)rnng beftiitigt" ***).
ICie ©djiüer in biefen ©äijien mnd)t, finb
pollfommen genngenb, nm bie Unjulädigfeit ber Sef)re non ber ©rbabem
fieit „beS 23üfcn" barjntfnm. ©ainit etl)ifd) fc^led)teS .f;)nnbeln nnS ©ieimß
bringen fönne, ift notüroenbig, mie er fagt, baf'3 „mir nnS feines fittlidfen
*) Oben, Df. 60. 61. ©. 84 f.
**) Sou mir nuterftridjen ; ebenfo bie lueitcren ©teilen.
***) ©ebißer, Heber ben @rnnb be§ ißergnügenS an tragifd)cn ©egenftänben.
(33b. 11. ©. 527 f.)
246 Don her „6r)^abenl^eit be§ ®öfen".
3roecfe§, fetne§ et^^ifc^en ^rincipg erinnern, bem bnbiird) iniberfprod^en
roirb" ; rotr ntüffen baoon abfe^en , bafs bie nertnerfUd^e bie mir
er’^aben finben raotlen, „bie i^anblung eine§ freien SBefenä", bap bie
Ungel^euer „?!Jienfcf)en" finb: fonft fd)tägt „nnfere 2:^eitna^me unau§=
bleibtid^ in i^r ©egentbeil" um, unb „an bie ©teile be§ 2Sergnügen§ tritt
eine tiefe ^nbignation". 3lber eine fo(d)e „2Ibfonberung", roie mir ben
p’^ilofopl^irenben Sichter fie nennen prten, eine fold)e „idbtenfung ber
SInfmerff amfeit" non ber etl^if^en ©eite bebeutenber, fotgenfd^roerer ^anb=
lungen, ift ja bod^ nur benfbar bei einem ?[Renfdf)en, beffen moralifd^eä
©efti^l entroeber gar nid£)t geraecft, ober in f|o!^em ÜDiaape abgeftumpft ift,
mit ©inem SBorte, ber feine§roeg§ ba§ ift ma§ ber ÜOtenfc^ fepn foll.
3eber benfenbe itJtann, |ebe§ ©ernüt^ ba§ audt) nur ben anerfcfiaffenen
©efe^en ber 2?ernnnft gemä^ ^u empfinben geroo^nt ift, — gefd^raeigc
beim jeber roirfticbe ©l^rift, — fa^t bei bem S£f)un eine§ moratifdlien
25>efen§ unroillfürlidf) unb naturgemäß immer uub an erfter ©teile bie
33ejiebuug in§ Sluge, in raelc^er jene§ 3;f)un bem „fittlidCien i^rincip",
ba§ fiei^t ber in ber S5>ei§^eit ©otte§ grünbenben eroigen iRorm beä
freien §anbetn§ gegenüber fielet.
iRur ©eifter bie me^^r '^^antafie al§ llrt^eil f)aben, fd^reibt barum
iaparelli mit iRectjt, fönnen fi(^ non jenem ©c^immer einer falf(^en
©rö§e blenben unb irrefü^ren laffen, ber and) ba§ ^erbred^en, raenu
man e§ nur non einer geroiffen ©eite betracf)tet, ju umgeben fd^eint.
„?fid[)t§beftomeniger fann fi(^ rca^re ©rl^aben^eit im ©Öfen unmöglich
finben" *). ®enn, roie irgenbroo 5Iriftoteleg fagt, „ba§ 9Jiaa^ ber ®inge
ift ber SBeife", unb nic^t bie OberftädliUdifeit. *
173. ©elendsten roir bie Se^re um bie e§ fid^ l^anbelt, nodfj non
einer anberen ©eite. Sffiir fiaben früher gefagt, nnb e§ roirb bem roo^t
niemanb roiberfpredf)en rooUen, bafj erhabene ©egenftänbe in un§ ba§
©efül)l ber ©erounberung, ber ©firfuri^t ^ernorrufen.
ftel)t jeber 'üRenfd^ ber mit ben SBorten ©egriffe nerbinbet, mag er fie
andl) häufig nidl)t befiniren fönnen, unter einer erhabenen ^anblung etroa§
be§ 9ffuf)me§ unb be§ Sobe§ SBürbigeS, etroaä ©bte§, .t'oheä/ ©nojjeS,
©ute§. 3U§ ein ©old^eä fann aber ba§ ©öfe, ba§ ©erbrei^en, bie Unthat
bo^ unmögtid) gelten: ?lnffteinä „erhabene Ungeheuer ber ©efdt)idt)te"
roerben bem gefunben ©erftanbe immer al§ ein innerer ©iberfpru^, al§
bie franfen iph^utafie norfommen.
„3n ethifdfier ©e^ie^ung", fo belehrt nid)t§beftoroeniger , in Ueber=
einftimmung mit ben früher angeführten ©elehrten, in neuerer roieber
feine Sefer ©arl Semde, „in ethifd)er ©ejiehung fteht ba§ ©ute roie ba§
©öfe bem ©rhabenen offen. ®öfe oermag uns in befonberer
') La Civiltä Catt. Ser. 4. vol. 5. p. 172
®ie Se^re Don ber „(Sr^abcn^eit be§ Söfen".
247
35>etfe 53en)unberung unb 0taunen abjutro^en." 3’^^^ Seiten roeiter
^ei^t e§ bann : ©r^abene beroirft o a dj t u n g , 35 e r e r u n g" *).
•Denft mon benn gar nid)t bavaii, baf^ man, inbem man öffent(id) fo
rebet, felber [einen guten dhif in @e[abr bringt? 3ln§ ben ange[nbvtcn
Sä^en mu^ [a [eher ßefer, ber nur einigermaßen bie [^ößigfeit befißt,
jmei ©ebanfen biatecti[d) ju nerbinben, bie [^otgernng jießen, baß nad)
Semde’g 3ln[dbauungen ba§ 33ö[e nid)t raeniger al§ ba§ ®ute „33eronn=
bernng, .^odadjtung, 35ereßrung" nerbiene. 9tod) meßr.
baß Sldeä roa§ auf nufere „3?emnnberung, ,ß;)ocßad)tnng, 35ereßrung'' 3lm
fprud) ßat, andß nnferer ßiebe roürbig ift: man liebt fotgticß mit f^ug
nnb 3tecßt and) ba§ IBöfe. 25>irb Bernde mit biefer pnraboxen ?05ora(
einnerftanben fepn? 3tn§ ben non ißm an§gefprod)cnen 5|5rämiffen geßt
biefelbe febenfallg mit logifdjer dtotßmenbigfeit ßernor.
174-. i)5ndfid)t auf bie non .frug, 95nfflein unb gider bejeid)=
neten 33eifpiele nerroorfener , nnb bod) jugleidß erßaben fepn fotlenber
Gßaractere nocl) jinei 23emerhingen.
©in böfer SBille, ein etßifdj fd)te(^ter ©ßaractcr ift, infofern er eben
fdßled)t ift, immer nercicßtlid} unb ßiißtid). ©in nnnerftänbiger ®i(^ter
fann barnnf anggcßen, ißn groß nnb beronnberungginnrbig erfd) einen
ju laffen; er fann burd) feine ©arfteClnng bemirfen, baß „©eifter bie
mehr ipßantafie al§ llrtßcil ßabeid', ißn and) bafnr ßaltcn: aber and)
gefunbe 3lugen jn taufd)en, *ba§ luirb ißm niemalä gelingen. 2®a§ aber
ingbefonbere ben Satan bei dJlilton angeßt, fo ift e§ eine 35erunglimpfnng
be§ ©icßterg, ^u fagen, biefer [teile ißn al§ ein in ctßifd)er 35ejießnng
erßabeneg Siefen bar. 'üJlan urtßeile felbft. 3’ibem Satan fid) in ber
i^'^ölle, feinem fiinftigen äBoßnorte, jnm erften dlfate umfießt, läßt 'äRilton
ißn [preßen;
3ft bie§
ber ftatt beö i'nimmcle un§ bcftimmtc Siß?
iS'ür jenes Vid)t bicS bange ®unfcl? Scp’s!
ba er, ber v'perr jeßt ift, gebieten fann,
roaS red)t fepn foll. 3tm bcften ift’S am fernftcn
non ißm, ber, nad) Vernunft nnS glcid), bnrd)’S f)fed)t
beS Stärfercn über feineS ©Ucid)cn ßerrfcßl.
©lüdfetigc 3tu’n, mo jvrenb’ an) einig nioßnt,
tebt inoßt ! fept, Sd)rcdniffc ber Untcrmelt,
gegrüßt! nimm, ticffte .©öllc, beincn neuen
IBefißer auf, ber mitbringt ein ©©mütß
nnioanbelbar burd) 3eit nnb Ort. Sein Ort
ift fetber baS ©Vmütß, er fd)nfft in ficß
*) 6. Semde, 'jSoputdre üteftßetif, ®. 94. 96
248 Se^re oon bev „gr'^aben^eit be§ SBöfen".
in §tmmel in §ölle ^immel um.
29a§ liegt am Ort, Bin ic^ nur [tet§ ii^ [elBft
nnb ma§ xä) feijn foll; Heiner nur al§ er,
b e n ® 0 n n e r größer m a t e. 2Benigftenö
frei roerben mir ^ier fe^n; für feinen 9b eib
£)at l}ier nid)t ber 9lllmäcl)tige gebaut;
nicljt mel)i' non liier oertrieBcn, mögen mir
Bier fidler Be^i'fcBen: nnb nacl) meinem Oinn
ift i^errfd}en, feij’ä and) in bem §ödenrcicB,
ein mürbige§ 3iel ^er (äljrgier. Seffer bocfi,
^err in ber .SjöIP, al§ Änecf)t im >^immel f ei)n! *)
„Oer ©eelenftärte roegen" bie fii^ in biefen SSovten tunbgeBe, „bur(B=
bringe :ffucifer un§ mit einem ©efüBIe non ißenmnberung" : fo BeBauptet
©djiller**). 2l6er e§ ift Ja nidit „©eelenftärte" raa§ 90biUon in ben
angefülirten S5>orten ben ©atan offenbaren läfit; e§ ift ja nicBt§ weiter
at§ bie frecBfte Säfterung ber fUbajeftät @otte§, bie raiberfinnigfte 9luf=
lelinung gegen biefetbe, ber rafenbfte .fjo^mutB, bie roilbefte ißerjroeiflung.
Unb fotdfie (SefüBte foll ein ÜObenfiB ber Vernunft BaP barnm
meifi, baf3 e§ einen allmäiBtigen @ott gibt roelcBer 5llle§ erfcBaffen Bat
nnb bnrcB allein 9llle§ befteBt, bem anjuBangen unb ju bienen allein
ben oernünftigen @eift gro^ macBt, — fol(Be ©efüBle fagen mir, fod
man „beraunbern" tonnen?
Slnalogeg gilt non ber @rfd)einung Suciferg in bem bramntifdien
©tüde Sorb Sprong, ineldBem ber Oidjter ben Oitel „llain, ein fUlpfterium"
gegeben Bat***). 2llg ein gigantifdjeg, coloffaleg Sßefen feBen mir freilid)
nucB bort, äBnlicB wie bei 9Jtitton unb Oante, ben f^nrften ber gefallenen
©eifter nor ung auftreten. 2lber bag in ber pBpfifcBeu Orbnung (Soloffale
wirb jum HngetBüm, bag @igantifd)e jum UngeBeuerlicBen , tno einmal
bie ©ünbe, unb in iBr bie etBiflBe §äf3ticBteit , fein ganjeg ©epu bur(B=
jieBt; unb @enu^ finbet ber uernünftige @eift augfcBliefelidB in bem mag
mit ber unerfcBaffenen Vernunft in Uebereinftimmung fteBt, nicBt in ©r^
fi^einungen roeliBe mit iBr einen ewigen ©egenfa^ bilben.
*) DJlitton, ®a§ nerlorene 5ßatabie§, (Srfter @efang. ütacB ber Ueberfe|ung
non Sürbe. (@. 17 f.)
**) „lieber ba§ ^atpetifctie", Sb. 11. ®. 493. ©(BiHer gibt an biefer ©teile
nur einige ber oben angefülirten Scrfe, in ungebnnbener Ptebe: „©cBreden, icB
grübe eucp, unb bi^, unterirbifdie 2ßett, unb bicfi, tieffte .^ölle! SHimm auf beinen
neuen ®aft. St fömmt ju bir mit einem ©emütp, ba§ ineber 3eit nodi Ort um=
geftalten foU. ^n feinem @emütl)e roolint er. ®a§ roirb ipm in ber §öHe felbft
einen §immet erfcpaffen. ^ier enblidi finb mir frei!"
***) PRau nergleid}e bie Sleuberungen 2ucifer§, nameutliiB in ber erften ©eene
be§ erften, unb gegen ba§ ®nbe be§ jroeiteu 3lcte§. (Ueberfepung non ©ilbemeifter,
Serlin 1866, ©b. 4. ©. 67 ff. 116 ff.)
Sd^iüerä £el;re über ®erjrocifhmg unb ©etbftmorb. 249
^nntgermaBen anbevg, tmb ba§ ift unfere jmeite 53cmevfung, nevljäU
fid) bie ©adje aderbingg bei mmicben C^i^avacteren ber alten iDhjtljologie,
inie tpromet|eu§, Sljar, iDJeben. 25>a§ foldje ©eftalten betrifft, mag e§
fid} innnerliin entfdjutbigen laffen, roenn man i^v 2:ljun evljaben finben
roitl. ©s ift eben nid)t ber ©)ott be§ ünb ber ©rbe, gegen ben
fie fidj aufleljnen, beffen ©ebote fie mifsad)ten, beffen iS^ajeftät fie ^rotj,
ju bieten fid) nermeffen, fonbern e§ finb bie ©ottljeiten ber !^eibnifd)en
fyabel, jroar mäd)tigc, aber aiigleid) bod) fet)r befc^ränfte, abljängige ®efen,
meld)e in et^ifdjer 93ejie^nng faum l)ol)er fteljen, al§ jene bleiben bie gegen
fie fämpfen. ^n fyolge biefer llmftänbe tritt bie i^ermerflid)feit bes
.©anbelng biefer Sebteren uiel raeniger ^eruor, nnb e§ mirb jene „2lb=
fonbernng" möglid), non ber mir (5. 245) ©djider reben Ijörten; ein
feinereg moratifd)eg ©efnlit inbeg mirb fid) and) für folc^e ©eftalten
bod) niemalg begeiftern, mirb niemals il)rem ©l)iin gegenüber jene „i^")odj=
nd)tnng" ober „3}erel)rnng" empfinben fonnen , melci)e eg ber mal)ren
©r^abenl)eit in feinem js-alle uerfagt.
II.
©er nnffenjd)aftlid)c iücrtl) ber ©cl)nuptungcn ©d)itters über bie ©erpociflnng
unb ben ©elbftmorb, nnb ©ijd)erö über bie ©■mpörnng gegen ©iott.
175. ©ürfen mir mit bem ©tefagten bie in 9febe ftelienbe i'el)re
o^ne abgetl)an betrad)ten, fo Italien mir nng bagegen für
nerpflid)tet , einjetne ber non il)ren ^©rtretern in ben oben gegebenen
©teilen nuggefprod)enen ©iebanfen, nad)bem mir biefelben einmal ange=
fülirt, nod) mit einigen SßJorten gn belend)ten. 9Bir mollen jnerft bie 93er;
l)errtid)ung ber 93erjmeiflnng nnb beg ©elbftmorbeg burdj ©d)iller, bann
jene ber „©mpörnng gegen ©ott" bnrd) Ärug nnb namentlid) bnrd)
9>ifd)er ing 3lnge faffen.
17ß. „i^erjmeifeln'' fann ber 91ienfd) nur, menn er ben ©tauben
an bie 93erbeifmngen ©totteg nerläugnet, nnb jenfeit beg ©irnbeg niebtg
mel)r für fid) hoffen mill. ©ap eine ©efinnnng biefer 3lrt nnfittlid) nnb
böfe ift, ]§aben mir pier mol)l nid)t erft nad)jumeifen. SBeiter mirb uon
jeber ')3pitofoppie bie auf biefen Diamen nod) 3lnfprnd) l)ot, ber ©ap
gelehrt unb bemiefen; ,,©ie gemaltfnme ©elbfttöbtnng , ol)ue l)öl)cre 3lm
torifntion mit flarer ©-rfenntnif) nnb notier fyreipeit uoUjogen, ift und)
bem Dlatnrgefepe unter allen Umftünben unerlaubt unb bofe" "')•
93erjmeiflung nnb ©elbftmorb iinb folglidj nidjt, mie ©d)itler bieptet,
„©emalbe ber erbabenften ©ittlid)feit'', fonbern ©prnptome tiefen etl)ifd)en
*) Cfr. Thora. S. 2. 2. p. q. 64. a. ö. c.
250
©d^itlevS Se^re über SerjToeiflung unb ©elbftmorb.
3Serfa(I§; fie „geigen un§" ni(^t „bie ?Ka(^t be§ ©ittenge[e^e§", fonbern
üe finb ber augenf(i^ein(tc^e ißeToeig, ba§ ba§ ©ittengefe^ [einen (äinfinf^
auf ba§ §erj be§ 9Jienfc^en nerloren §at, unb an feiner Statt ^rrt!^unt
unb ?eibenft^aft baffelbe befierrfc^en ; ber nerjnjeifelnbe Selbftmörber
„tritt" feine§raeg§ „eben babureb jum ©eborfam gegen baä Sittengefefe
,^urü(f", fonbern er brürft feiner 21uflef)nung gegen baffetbe burdb feine
ibüi immer bag Siegel auf. Unmögticb fann mitbin, roenn „ber
3Serbred)er fein Seben mit eigener ^anb jerftört", in ftfolge beffen „unfere
Stebtung für ba§ Sittengefei^ emporfteigen" : ber Ungfüdü(be tbut ja
9tÜe§ mag an ibm ift, biefe 9lcbtung nollftanbig ju nerniebten: er gibt
ber 9iJtenfcbbeit ein fd)roereg 9rergernib; unb nicht bie [Religion allein,
auch bie natürlidbc 9Sernunft forbert alg Sübne biefeg Slergerniffeg eben
fene Strafe, raeld)e bie Äircbe über ben Selbftmörber nerbüngt, inbem
fie ibm bie ©b^e ber fircblicben 93eftattung nerfagt, unb feinen Sei(bnam
aug ber [Rübe ber übrigen nerbannt.
95^ng bann bie SSoraugfe^ungen beg ®id)terg betrifft, raonacb „9Ser:
^roeiflung ber Ijö^ft^ [Reue", unb ein Seroeig ift, „baß tief
in ber 3Sruft beg 9Serbredberg ein unbeftecb^i'^£§ ©efübl für [Redbt unb
llnrecbt roadbt, bag feine Slnfprü^e felbft gegen bag feurigfte ^utereffe
ber Selbftliebe geltenb mad)t" ; raonai^ ber Selbftmorb bie „non bem
[Rerbredber unter bem 3u>uuge beg ©eroiffeng an fid} felbft nolljogene
Strafe für bie Uebertretung beg Sittengefebieg", alfo bie nernunftgemaße
iBetbütigung eineg fittlicben Sebmergeg über biefe Uebertretung fepn folt;
mag, fagen mir, biefe 25oraugfebungen betrifft, fo finb biefelben pbilo;
fopbifcb eben fo roiberfinnig, olg pfpcbologifdb unb bOtoTtf^ unroabr.
9Seräroeiflung ift gerabeju bie 2Sollenbung beg 95rudbeg mit ©ott unb
©eroiffen, mit 2:ugenb nnb Sittengefebi : fie ift nur möglidb, inbem ber
95erbre^er bag ©efübl für [Red)t unb Unred)t in feiner [ßruft, nadbbem
er ibm lange ©eroalt angetban, notlenbg erftidt. @g ift tniberfinnig,
ju behaupten, ba§ roabrer Sebmerj über bie 9Sertebung beg Sittengefe^eg
ben [Dlenfcben ju einer neuen, gröberen SSerlefeung beffelben treiben fönne.
Ser Semeggrunb non 95erjroeiflung unb Selbftmorb, roo er im 3uftanbe
ber 3urecbnunggfäbigfeit noUjogen mirb, ift etbifdje S(^roädbe, Stolj unb
irregeleitete ©igenliebe; ber ißerbreeber inirft bag Jeben, ben SBiClen feineg
Seböpferg unb ^errn neraebtenb, geroaltfam non fi^, eiUj^ig raeil er ju
ftolj ift, um fi(^ ju bemütbigen :mb ju bereuen, unb ju feige, um bie
Strafe ober bie natürlichen fd)limmen folgen feiner ißerfebrtbeit ju er:
tragen 243).
Scbillerg ©ebanfen, um bie eg fidb buubelt, finb folglid) nidbtg alg
eine .Rette non ^lu'tbümern unb Srugfdblüffen , unmobr unb unfittlid,
ni^t etma im ßidjte beg ©laubcng, fonbern ber bloßen natürlichen 23cr=
nunft. Sold)e ©runbföüe nerbreiten, bag beifet gegen sJSabrbeit unb Sitte
3?tfd^er iinb Ärug über bie Gmpörung gegen @ott.
251
fünbigen, ba§ freoeln gegen bie nienldjnd^e ©efenfcfjaft, bereu
biefelben notfiroenbig untergraben müffen, — unb in ber Jtjat fortrnd^renb
untergraben. Heber bie empörenbe @ieid)[teÜung beä ®etb[tmörber§ unb
be§ iDlärtprerg (benn ba§ ift bod^, roenig[ten§ im raeiteren Sinne beö
2Borte§, „ber 3:ngenbbafte , ber [ein :^eben [reiroiöig bat)ingibt um bem
8ittenge[ek gemdfj ju banbeln", ug(. oben S. 242) uerlieren mir roeiter
fein 35?ort. Vae qui dicitis honum malum et malum bonmn. „Sße^e,
bie ibr [ifinfterni^ auggebet für Sid^t, unb :^id)t für f^-infternif? , bie il)r
iPittereg füfe nennt nnb ba§ ©üfse bitter!" (^f. 5, 20.)
177. Sdbraerer nod) mufi biefer f\düd) beä @eifte§ Sebren
treffen raie fene, bie .tf'rug nnb ißifi^er anfjuftetlen feinen Sfnftanb nebmen.
5?obi ift bie uernünftige (Kreatur gro^, betmtnbernngSroürbig , erhaben,
burd} bie fv^-eibeit ibre§ 21>iUen§; aber infofern fie eben in biefer baä
??ermögen befitst, burd) eigene 2öabl ju {euer .'Qöbe aufjnfteigen nnb fie
^u behaupten , auf meld)er bie unoernünftigen @efd)öpfe bie jmingenbe
'?iotbroenbigfeit ber ?iaturgefel)e feftbäit, jnr llebereinftimmung ibre§
Strebend mit bem SBitfen ber böd)ften SBeisbeit, jnr (^-inignng if)rer
gefnmmten ^raft mit ber unenbtidjen 9Jiad)t unb @üte ibred Sd)öpferd.
Saf; fie biefetbe f^-reibeit and) gur SSertäugnung ©otted, jur 2luf(ebnnng
gegen ihn, anmenben fann, bad ift ihre 9'tiebrigfeit , ihre Sefdjrnnftbeit.
äBeif fie and bem 9tidbtd bei^oorging, roeit fie enbtid) ift unb
Don geftern, barum, unb barnm allein, ift fie im Stanbe, il)re pbpfifdfe
ivreibeit mipraucbenb e t b i f d) unfrei jn bnnbeln , fid) uon bem lodjiiu
fagen, „mefdbem bienen bcn'fd)en ift", unb in entebrenber Scfaoerei fid)
@efd)öpfen, enbüdben bienftbar jn mad)en. dfid)t „©rofie ber
SBillendfraft" ift’d, bie fid) im ®öfen betbötigt, fonbern bie ©rbärmUd);
Mt, bie S(^mad)e berfetben; nid)t „fene f^reibeit bie luir im ©Uten be=
rounbern, beroübrt fid)" in ber Sünbe*), fonbern bad gerabe ©egentbeit
baoon, bie erniebrigenbfte ©ebunbenbeit, bie befd)ämenbfte Ob”üta(^t.
Unb bocb fott „eine ooUenbete ©mpörung gegen ©ott erhabener, ä[tt)etifd)
ergreifenber fenn, atd bie fd)önfte ©nergie bed ©uten" ? fofi „ber ©iebanfe,
*) 3?gt. oben ©. 243. Siefcr ©ebanfe 23i)d)er§ begegnet uns übrigens gleich:
failS fcfjon bei ©chiüer. „2öiv redhnen bem coii)equenten S8öferoid)t bie Sefie:
gnng be§ moralifcben ©efübts, oon bem mir loifien, bab e§ fid) noth=
roenbig in i^m regen mnbte, ju einer 3trt oon Serbicnft an, roeit e§ oon einer
geroiffen ©türfe ber ©eele nnb einer groben 3™6dmäbigteit beS BerftanbeS jengt,
ficb bnrdh feine m o r at if d) e dt e gun g irre mnd)en jn taffen." (lieber ben
©riinb beS ’SergnügenS an tragifd)en ©egenftünben, 23b. 11. ©. 528.) 2ßir rootten
ju ©cfiitterS @ntfd)utbigung annef)men , bab er felbft nidjt an ba§ geglaubt
roa§ er in biefen 2ßorten behauptet. Älagt er ja bod), roie roir oon ©eroinuS höi'C”,
fetber fich an, bap ihn jiiroeilen ber ®id)ter übereilte, roo er phitofophirte.
2Sgt. ©eiroinuS, ©efchichte ber bentfdjen ®id)tung, 5. ©. 498.
252
93il'cf)cr unb Ä'rug über bie Empörung gegen (Sott.
bajj ber ?0^enfd) burd) fetnen freien SBiden felbft ber ©ott^eit Toiberftreben
fönne, etroag @rt)ebenbeö unb Söo|tgefädigeä !§aben", unb auf biefev
5'äljigfeit „bie tnoraüfcbe ©rö^e beg iBienfdien berufen'' ? traurige
©rö^e, fi(ib uon bem unenbli(^ ©uteu, uon bem ber allein grofe ift, los^
reißen ju fönnen, — uufelige ?Kad)t, im ©tanbe ju feßn fi(^ unter bas
9licf)tg ju erniebrigen, fid) fein eigenes ©rab gu graben! „SBe^e, roenn
eg fic^ aufleljnt miber ben ber eg gebUbet, bag iöpfergefäfs aug ©rbe
uon ©amog!"*) ©inb etma bag nid)t blagp^emifd)e Sügen, baju an=
get^an bie fittlicbe iföelt aug iljren Singeln ju lieben? Unb ift eg nicl)t
iBerraf^ an ber üOlenfdjlieit , !^eif3t eg nidjt mit il^ren pdiften ©ütern,
mit ifiren lieiligften ^ntereffen ein frenleg ©piel treiben, raenn man ben
Ijolien Stamen ber Sßoiffenfcfiaft in folt^er SBeife mi^braudit, um bag
moralifdje 23emuf3tfei)u ju fälfdjen, uub ben iserrn ber SBelt, bie Ouelle
aüer Sßal^r^eit, ju Idftern?
3um ©d)luf3 nur uod) eine furje S3emerfung. ®ie ©ä^e, uon benen
in ben jroei leßten Stummem bie Dtebe mar, finb entroeber bie logifc^
uotliroeubigen ©cblüffe aug if3riucipien roeldje bem ganjen ©pftem gu
©runbe liegen, ober fie finb burd) unricbtige Folgerung aug ridjtigen
©runbfößen abgeleitet. elften fS'tdle ift eä eine niditgraürbige i|]!§ilo=
fopbie, bie ju folcben Stefultaten fülirt; im jroeiten ift eg eine erbärmlit^e
Sogil, Tuelcbe ben ißertretern jener ßebren ju ©ebote fielet. bem einen
fvalle roie bem anberen aber bürfen mir eg roo^l mit Steclit alg ein
traurigeg pbilofopliifdje Steife, alg ein no(^ traurigereg
für bag moralifd^e ©efü^l ber 3^’t bejeidjuen, menn roiffenf(i)afttiC§e
l'eiftungen foldjer Slrt mit 33eifatl anfgenommen, alg epot^emac^enb ge=
rübmt, als maafegebenb auf il)rem ©ebiete anerfannt unb gefcliat^ roerben.
Die u m u 1 1).
Slnbeutungen über baS i9efen ber Slnmutl), aus ber gried)ifd)en Sleftbetif unb
auS pbUologifcben r!liatfnd)en. 3tt>ei Älnffen „focialer" Steigungen. !©ie
Slnmutl) ift ein jufammeugefebter Stoißiig ; il)re jroei Cflemente. Sie finbet
ficb junüdjft in perfönlidien Sttefen; inbeß roivb fie ganj mit Steebt and)
unperfönlidien ©ingen beigelegt. Sßie fid) bie auffatlenb große 2Birf:
fnmfeit ber Slnmntl) erftnve. 3’^’ei irrige Slnfdianungen, als folgen ißrer
23erroed)felnng mit ber ©d)önl)eit.
IIH. ^ie brei ©rajieu erfd)einen in ber alten SUtptßologie alg
^Begleiterinnen ber ©öttin ber ©ißönbeit. ©in ßemorragenbeg Slttribut
*) Vae qui contradicit fictori suo, testa de Saraiis terrae. Is. 45, 9.
Sie 2(iimutl§.
253
ber Sefetereii ift ferner ber @ürtel ber Srnmutf); nnb .s^ere feibft, bte
ibömgin ber ©ötter, nuif3 biefen ®emtö entiel^nen,
roenn fie auf bem Steg banontragen inill über ^iipiterg ifberj.
3'n biefen allegortfc^en 5)ttf)tnngen finb nerfcbiebene ©ebnnfen an§=
gebrücft, nteicfie nn§ über ba§ üöefen ber 3(nnnitb einigen 5(nffcf)In3 geben.
iDie ?tninntb ift nid^t baffelbe, roie bie ®ct)önf)eit; aber fie ftetjt and)
nid)t fetbftnnbig nnb nnabbüngig, ai§ eigenes 5fttribnt, neben ü^r, fonbern
fie fet^t bie Schönheit noranS. ®a§ niaS bie ©d)önt)eit jnr üfnmntf)
mad)t, erfc^eint in ben 5Infd)annngen ber alten 3leftl)etif atS eine
^n fener, alS ein für fidj nnfelbftünbigeS (^tement, roe(d)eS fid) mit ber
Scbönijeit uerbinbet; biefe ISerbinbnng aber fteigert in nngeruörjntidjem
itinafje ben ^'inflnf^, ben bie ®d)önbeit bem menfdjlidjen .Sperren gegenüber
befiipt, nnb mnd)t fie um ®ieIeS nnmiberftef)lid)er.
(Einige roeitere ©ebnnfen ergeben fid), roenn roir bie ',HnSbrüde berücf=
fid)tigen, mit roeldien in ben un§ jnniidift liegenben ©pracben ber ®orjng
um ben e§ fid) bnnbelt, bejeid)net roirb. ,,9tnmntl)ig'' ift ber i©ort:
bebeutung nad) bnSjenige, roa§ bem (Memütbe genebm ift, fid) an baffelbe
gleidifam anfd)miegt; beffen ^-rfcbeinnng nnb (Megenroart nnf baS (i'^entütl)
einen if)m jnfagenben nnb roobltbnenben (Jinbrncf mad)t, nnb eS barum
in befonberer S5>eife für fid) geroinnt nnb einnimmt:
,,©ic lagen ; ©ad mutf)ct mtd) nid)t an!
Unb meinen, fie l)nttcn’d nbgetf)an"
©a§ lateinifdje rjratia, roeld)eS als „@rnjie" and) in nuferer ©prad)e
baS 3?ürgerred)t befiljt, bebeutet ganj baS 9iiimlid)e: feite 9?efd)affenf)eit
ober 3trt be§ ©rfd) einend , bttrd) roetd)e bie 'iperfon ober ba§ ©ing und
einnimmt nnb für fid) geroinnt 244). lieber ben itüntlid)en ©iitn bat
ba§ gried)ifd)e /dp'.c, uon roeldfem bie ©öttinnen ber 9lnmntb, bie ©rajien,
ihren gried)ifcben Dtanten haben, „Chariten" ober ,,{?f)avitineit'' ; itnb aber=
mald ber gleidfe S^egriff erfd)eint in einem jroeiten 9[n§brncte, cipsaxitat,
roeli^eit bie 9?nlgata mit gratia, bie beutfd)en lleberfet.utngeit mit „9ln=
mutl)" roiebergeben *) **).
©ie hiermit feftgeftellten iDterfmale inbef) finb offenbar intnter nod)
3U allgemein, alS bap fie für fid) allein unS genügen föitnten, baS SSefen
ber Slnmnth genau ^n beftimmen. ©a§ Set^tere ift itnr möglid), roeitn
*) ©oetbe. — „DJlan tonnte für ,anmntt)ig‘ and) ,gemütbtid)‘ fngen", beinevft
Ärug (Stefth- §. 34. Stnmert.) nii^t ganj mit ltnredit, „menn man nid)t mit biefem
2Iu5brud fo niel Unfug triebe, ba| er faft gar nid;t§ Seftimmteg mct)r bebeutet."
**) „2t n mutt) trügt, uub 8eibegfd)önf)eit ift nidjtig: eiue grtui roetdje ben
.föerrn fürdftet, bie befifet inabren SBertb" (®pr. 31, 30). Sa§ erfte 2öort biefeS
<2ape§ tautet in ber SSutgata gratia, in ber 2tteranbriuifd)en Ueberfetmug clpeoxeiai:
ba§ Septere ift aber fouiet at§ „einnef)menbe§, geroinnenbeg üöefeu".
254
®ie Stnmut^.
wir bie pfpc^ologifdjen S^üdfid^ten fennen, auf roetdie bie fotuo^I in bev
5Iüegorie ber Eilten, als in beu angeführten nerfchtebenen StuSbrüden für
bie Strnnutt) hc^oortretenbe , eigenartig müdjtige SBirfnng biefeS 35orjugs
auf baS ©emüth fid) grünbet.
179. if^sattaDicini mai^t in feinem 2)ialoge „Ueber bie ©utheit"
einmal bie Semertung, bie SßeiSheit ©otteS ÜRenfchen bie
^leigung unb baS 3Serlangen eingepflanjt , über Slnbere ju
■Der ^roed biefer non ©ott getroffenen ©inrid)tnng aber fep ber 23eftanb
nnb baS 2öof)l ber ©efammtheit. SDaS fie^tere er^eifd^e nämlicf), baß
es ©injelne gebe, roeldje über ihre iJJiitmenfchen gefetzt finb, mit ber
2tufgabe, fie ju leiten, unb für iljte Sebürfniffe ©orge ju tragen. ®ie
ermähnte ilieigung nun foHe baju bienen, baS Saftige unb bie ißefdhraerbe
biefer Slufgabe ju minbern, unb ben ©injelnen bereitroillig ju machen,
ba^ er fi(b berfetben unterziehe; fie foUe überbieS einem ^eben ein ©porn
fepn, baß er für bas 23efte feiner iIRitmenfd;en ftch bemühe, um fi(^ ba-
burdj tauglich erraeifen, Sluberen oorzuftehen '■^O-
D)er ©ebaide beS gelehrten (SarbinalS ift ohne ^ben fo roahr
als geiftreidh- Slber eS gibt noch mehrere anbere ©iSpofitionen ober
itleignngen beS Ü}ienf(^enherzenS, roelche ber Dieigung zu h^^^rfcßen in
fofern ganz uualog finb, als fie, mie biefe, einzig ben ^ujed hüben, bas
allgemeine SBohl ber ©efammtheit z» förbern. 2Sir fönnen z^ei klaffen
fold}er DMgungen unterfcheiben. ilRehrere berfelben nämlich rourzeln auS=
fchließlich in ber geiftigen ©eite ber menfdhlichen iRatur, anbere bagegen
zugleich im leiblichen Organismus. Oiefe Seßteren finb namentlich bie
gefd)lechtlid)e Siebe, nnb bie Siebe z« 33lutSoerroanbten. bie erfte
Älaffe bagegen gehört baS ißerlangen nadj ©ht'ei baS 23erlangen, fidh
geliebt unb gefdjäßt zu fehen, baS ä^ertrauen 2lnberer zu befi^en; ber
einem 3^ben, je nndh feiner Begabung, inmohnenbe Orieb, na^ außen
hin zu roirfen, unb bie eigene Äraft zu bethätigen. 2öir tonnen biefe
mit ©inem 2Sorte „geiftig=fociale" Steigungen nennen, jene ber zweiten
.illaffe aber „organifdj=fociale" ; nidht, als ob iljre SSurzel auSfchließlid)
im leiblichen Organismus beS SSteufhen läge, fonbern roeil fie, mie mir
fdjon ermähnten, zugleich auch uuf biefen fich grünben. Stile biefe
Steigungen, bie geiftig= mie bie organifch^ocialen, hüben, mie fchon am
gebeutet mürbe, bie Seftimmung, baS allgemeine S3efte zu förbern: unb
fie erfüllen biefe ihre 23eftimmung in ber ©hut, folange nicht ber ©inzelne
fich iu ungeorbneter SSeife non ihnen beherrfdhen läßt, ftatt fie ber 2BeiS=
heit ©iotteS gemäß mirfen zu laffen.
StSie nun überhaupt mit jeber Steigung, menn fie befriebigt mirb,
fidh naturgemäß ber iljr entfprechenbe ©enuß oerbinbet 245) , fo auch ^uit
S Pallavicini, Del bene lib. 2. part. 1. c. 12.
®ie 9Jnmutlf).
255
einer jeben bev jroei eben bejeidjneten klaffen. Unb inaö ingbeionbcrc
bie erfte berfelben, bie geiftig=fociaten 9^eigungen betrifft, — beim nur
biefe tiaben für iinfere f^rage ®ebentung, — fo finb fa bie @ennffe biefer
ütrt einem eigener (Jrfa^rnng befannt. Ober meni l)at eä
niematä fyrenbe gemad}t, menn er fic^ geehrt ober geliebt, menn er feine
^jorjüge anerfannt nnb gefd}ät^t fat)? roem ift e§ nid)t angenetjin, roer
empfinbet tein il'ergnügen, menn ibm ber 3Sorrang eiiigeräuint mirb,
menn ^od)adjtung, 2}erefirung, 23ertranen begegnet, ober Unter:
merfung, Oemutt), 23efd)eibent)eit, fyotgfamfeit, anfrid)tige if5ingebung?
180. 3’^ biefen ett)ifi^en O^atfadjen, glauben mir, liegt ber ©d)Iüffet
jur (S'rflärnng be§ 2öefen§ ber 3(nmutl). 3>’^ Slnfdjlnffe an baö alte:
gorif^e 33itb ber alten üDiptljologie Ijaben mir oben gefagt, ba§ mag bie
Odjontjeit jur Slnmutl) m erben laffe, fep noc^ ben 2lnfd)auungen
ber gried)if(^en 3teftl}etif eine meld)e ben Dteij ber ©djön^eit
erbülie. Oiefen ©cbanfen Ijolten mir feft. Oie ©djön’^eit, unb jmnr itn
üulgüren ©inne be§ 3Borteg (oben ©. 176), ift ein mefentlidjeg (Element
ber 2lnmutli: feine (J-rfd)eiming ift annmtljig, menn fie ni^t fc^ön ift.
2lber mag für (>-igenfdjaften inüffen nod) (^ur ©djönl^eit Ijinjntreten, bamit
biefe jnr 3lnmntl) merbe? 6igenfd)aften foldjer 2lrt, baf? bie fdjöne @r:
fc^einung überbieg baju angetfian ift, eine ober mehrere non ben ung
anerfc^ offenen Sleigungen geiftig:focialer 9latnr jn befriebigen. ©ntbütt
nämlid) bie ©d)önt)eit eineg ©egenftaubeg entmeber felbft fotd)e 6temente,
metc^e, außer bcm rein fatleotogifd)en @enuf? ben fie ung burd) il)re
innere ©utljeit bereiten, il)rer Diatur nad) and) nod) nuferem Verlangen,
oere’^rt, gefc^ät^, geliebt jn merben, über 3lnbereu jn ftet)en, il)r 25er:
trauen ju befit^en, meld)e, fage id), biefen ober äbnlidfen dieigungen
befonbere 23efriebigung gemül)ren; ober erfdfeint meiügfteng ber fd)öne
©egenftanb unter Urnftünben, mit benen fid) biefelbe pfpd)ologifd)e ©irfnng
oerbinbet: bann potenjirt fid) bie '3}iad)t meld)e er fd)on burd) feine
©d)ön!^eit über nufer ijerj ongübt; bann finben mir bie Se^tere um
2Sieteg liebengmürbiger , unmiberftebtid)er , füßer; nnb fie ift nid)t ineßr
einfad)e ©c^önßeit, fonbern fie ift bng mag man 3lnmntli nennt.
181. 3unücßft unb im eigentlichen ©inne fann eine 23efriebignng ber
bejeid)neten Steigungen ung offenbar nur oon ©eiten perföntid)er SBefen 511
Of)eü merben. Unbefangene rul)ige .üieiterfeit , ein fanfteg Snd)eln, ein
offeneg frennblid)eg Singe, nngefünftelte Oemntl), unb jene 23efdheibenl)eit
bie ben eigenen 2i5ertf) nid)t ju fennen fd)eint, überhaupt 3Ü96 ein
Senel)men, morin fich ein reineg, gerabeg, felbfttofeg, mol)lmollenbeg i)ierj
offenbart, oerleihen ber menfchtid)en ©dhonheit ben Oieij ber Slnmutl).
„Sieben it)r ging bie fittfame Uibli, bie iodjter 3airnö’.
©tili in Unfd)ulb roaren il)r fanm ,pnölf 3ahre oerfloffen,
3llö fie, bem jungen Seben entblül)enb, heiter unb frenbig
256
Sie 3lnmut^.
bte @efilbe be§ ^Ttebcnä tjinüberfc^Iummerte. Sobt lag
©bli t)or bem 3lugc ber 9JJutter. fam bev 9Jleffia§,
IRtef fie au§ bem ®d}Iummer jurücf, imb gab [ie ber 9)Jutter.
5peilig trägt [ie bte Spuren ber 3(uferfte|ung ; bocf) fennt [ie
3ene §errlid)feit nid)t, mit ber i^r Seben gefrönt i[t,
9iid)t bie 3artau[blul)enbe 0djöul)eit ber roerbenben ^uS^nb,
9tod) i()r l)imntli[d)c§ i^er^, bir, eblere ?icbe, gebilbet" *).
'iD^it bem gleichen 3att^'er umgeben tritt un§ bie ©d}ön§eit entgegen,
roo bie arglo[e [cbroad)e Un[(^nlb cor un§ [te^t, plf(o§, neriaffen, o’^ne
2Be^r, tnie non uifferer ^raft ©d)ufe unb 23ei[tanb erraartenb; ober tno
mir ffe, non ©raner unb ®ebrängni[3 !^eimge[uc^t , nn[ere Sl^eilna^me,
nn[ern 0ro[t unb nnfere i^iUfe in 2In[prud) ne^^mcn [e!^en;
„0al)e[t btt nie bie ©d)önbeit im 3lngcnblide be§ Seibenß,
Dtiemalß ^a[t bn bie ©c^önl)eit ge[el)n" **').
2Bo (Sff^er e§ tnagt, nngern[en nor bem geinaltigen 3Iffueru§ ju er[d)einen,
ba i[t bie auSgemä^Ite iffradit iljrer für[tlid)en ©einänber, bie roffge [^arbe
il^reS [d)önen 3Intiiffe§, ba§ liebliiff Ieud)tenbe 9Inge, feine§tneg§ ju ner=
^inbern im ©tanbe, ba^ ber 3o™ mastigen ^önig§ nidjt f)od} auff
lobert; aber faum ffe^t er bte eble [^rau, non bem [d)redlt(ffen 3lu§brude
[einer fnnfelnben Singen getroffen, erbleidjenb nnb ^alboljnmac^tig ju[ammen'
[iitfen, al§ plö^Ii^ [ein 3'^’^tt [i(i§ in SOtilbe unb ©^eilna^^me raanbelt:
eilenbs unb noll S3e[orgni[i [pringt er non [einem ©^rone, umfängt [ie
mit [einen Sinnen, bi§ [ie roieber ju [idi fömmt, unb i[t ängfflic^ bemüht,
[ie bnrd) liebreidie SBorte ju bernl)tgen (@[b^er 15, 5 — 15).
i[t in allen bicfen [fällen eine Slrt t^at[äd)Iic^er, [till[d)tneigenber
i)mlbignng bie nn§ bargebrad)t loirb, eine S3e[riebigung [euer geiffigffocialen
Steigungen, non benen oben bie Siebe mar. @ben I)ierau§ erflärt e§ [idj
leidjt, marum bie Slnmnt^ norjngdroeife ber Slnt^eil be§ ^'inbe§alter§,
[oroie bed roeiblit^en @e[(ffleffite§ i[t 246) ; eben !^ieraud begreift [ic| auc^
bie ©I)at[ad)e, baß S^ränen il)re ^erggeroinnenbe SOtac^t erp!§en:
SRäcbtig i[t ob altett 9Städ)ten
(fittcr 3ititg[rait [tilles SBeittett ***) ;
unb in biefem ©inne nnb unter biefer Stüdficfft ^at SBadenfteinS eble
Joc^ter Siedjt;
%\xi gebt baß Unglücf bttrdj bie gaitje @rbe ! t)-
*) Ätop[toct, Ser 20Ief[ia§, 4. @c[ang.
**) ©cbiller, Sie [tböit[te (ärfdjetnung.
***) 2Scber, Sretjebnlinben XIII. (@. 190.)
t) ©(bitter, 2Botten[tein5 Sob, 4, 11.
'3)ie 3(nmutl^.
257
182. UebrigeuS betradjten lüiv bic 3(nmutfj boc^ fetncäroegg a(§ baä
aiiäfc^Iiei^nd^e ©igent^um be§ ?07eufd)en. ®ereit§ tdeberfjoÜ roarcn luir
üeranlafd, bie 2::^atfad)e gu bevüfjren, bajs joroo^I bet ben it^teven al§
bei lebtojen Singen fid) nidjt ntenige @igen[d)aften [inben, in betten fid;
un§ ©t)tnboIe unb 3rnaIogien non et(jifd)en Sorjngen be§ 307en[djen bar=
fteffen. @ben biefe Sfjatfadje I;at and) ^ier djre SSebeutung. Sie 2UIe§
befeeienbe, aden SSefen tnen[djlid)e ©ntpfinbnng einl^attdjenbe ö'-ittbilbung§=
fraft nfimlidj niimnt, bttrd) eine 3(rt non '^erfonificatioit , in Sljieren,
®lunteit, ipfianjen, itttb felbft in ©ebiibett ber mtorganifc^en diatnr, ebeit
Jene ©efiUjle be§ 2öo^tiuoden§, ber 33ere^rnttg, ber ®efd)eiben^eit, Unter;
inürfigfeit , 4'tulbignng, beg 33ertraiten§ , be§ giefjeitg um ©c^til^ ober
S:^eilna!^nte inntjr, fo oft biefe @efd)öpfe, obgleidfi ber Sernunft entbetjrenb,
in b^rer ft-arbe ober ©eftalt, in it)rer ©timtne ober il)rett ©eberben, ober
in roetd}er ©eite i!)te§ 35>efcn§ immer, ettnag offenbaren, bag ben 3ci^)en
äljitlid), bem 2tngbrnde attaiog ift, inoburd) biefetben ©efütjte bei bem
tUienfdjen in bie ©rfdteinnng treten.
3(ng biefetn ©riinbe finbet man bag Jlteine, bag ©anfte, bag ©title,
bag SBeid^e, bag fo gern reijenb nnb anmnttjig. Sarttm madjt ein
nid)t gu teb^nfteg ©otorit, ctina in Stau, ©riiit, Siotett, nidjt allein auf
bag 3tnge, foitbern and) attf bag ©emüt^ oft einen rao!^ttt)nenberen ©in;
brnd, atg bie majeftätifdje ©Unt beg ipnrpnrg ober bie btenbenbe Steiße
beg 3ttpenfd)neeg in ber üdittaggfonne , — fpridjt ber fdjinetternbe ©to^
ber S^rompete ober ein. fräftiger Saf^ nng minber an, atg bie ineidjen
5^öne ber fvtöte, beg b^orneg, ber Sioline; barnnt rebet bag befdjeibette
SSeitdjen unb bag treue 3Sergifpneinnid)t nerftnnblidjer junt .fberjen, atg bie
ftotje ^f]rad)t bnftenber tRofen nnbSitien; barnnt finb nng bie fd)üd)terne
2:aube nnb bag fpietettbe Samm fo tiebe 2;t)iere; barnnt ift bie Statur
fo fd)ött, roenn beim ©rroadjen beg Jageg bie SJtorgettröttje ringgum bie
©ipfet ber 23erge mit tRofcn fränjt, ober metttt, nad) bem ©djeiben
ber ©ontte,
ber Slbcttbbaiid)
K'ebt buftige ©dreier um Sinefen unb ©traud),
Unb frieblid) unb t)ctt, mie citi ©rüfteit beg .©evrti,
23ridjt aiig ber Siimm’rung ber Stbenbfterti.
183. Sag Serl^ättnifs ber Stttmntlj jnr ©djött!^eit ergibt fid^ ang
bem ©efagten ftar genug. Stid)t alteg ©d)öne ift anmuttjig; aber eg
gibt niditg 2tnntnt!§igeg, bem nidjt and) ©djöntjeit eigen märe, unb jroar
©^öntjeit im ontgären, nid)t bloß im pt)itofopt)ifd)en ©itttte beg SBorteg,
roenn an^ nitbt immer ein bebentenber ©trab berfelben. Ser ©d^ön^eit
atg foteber entfprid)t in nnferem i^erjen nur „eigenttidje" Siebe; bie
Slnmutb erregt biefe gteid)fattg, aber nebett ibr, uermöge feneg ©tementg
Sungmann, 2teftf)etif. 2. 31iift. 17
258
®ie Stnmut^. SDie ®a'§rl^ett.
raetc^eg bie ©c^önl^eit eben jur 3tnmub^ guglei(^ bie „uneigentfic^e",
beren Söurjet bag 35er(angen nai^ perfönltc^er 33efriebigung ift. ©o feffelt
fie bag §evg mit jroeifac^er Äette; unb ba bie uneigentUd^e ßiebe i'^rer
5Ratur na^ immer mächtiger ift alg bie eigentlid^e (57. 0. 80 f.), fo
erftärt eg üc^, nid§t nur, roie in ber 2tnmut() fidj ber 9fieig ber ©d)ön!^eit
fo bebeutenb fteigert, fonbern auc^, roarum eine @rfd)einung bie fid) bnrd^
Stnmut^ empfiehlt, auf bag ©emütt) oft eine oiel ftärfere Stnjietmnggtraft
augübt, alg eine anbere, roel^e jene an eigentUd)er ©i^ön^eit meit über;
trifft, aber bie SBei^e ber ©rajien nid^t empfangen ^t.
®af3 eg mitf)in ein mefenttidjer ^i^rt^um ift, raenn man bie Stnmutt)
mit ber ©c^ön^eit oerroec^felt , brauchen mir rootit nidjt metir p fagen.
(Siner fotetjen 33erroec|fetung bürfte jene 3InfcE)auung i^r ©ntfte^en oer;
banfen, beren Unroaf)r!^eit mir im oorigen 3(bfcE)nitt nadbgeraiefen f)aben:
atg ob nömtid) bem raeibüd}en ©efi^Iei^te bie ©dionl^eit oon Statur in
p^erem ©rabe eigen fei), otg bem ÜKanne; berfelben auef) ber burc^
nict)tg begrünbete ^n^eifet, ob ©rpbenpit nnb ©djönpit in bem nämüd^en
©egenftanbe oereinigt fepn tonnen, nnb bie nerneinenbe 3tntraort mani^er
2leftptifer anf biefe fyrage*). ®er ftitte füp iReig ber Stnmutt) freilid^
mag fict) mit ber ernften iUtafeftüt ber ©rpbenpit nidjt fo teid)t Derbinben^;
ber ©djöntjeit bagegen ftefjt bie Sefetere in feiner Sßeife im 2öege.
fDrittc^ tofJttcL
5Dte lDttl)rl)cit miö anücre mit tl)r jiifammeiiliaugcabc Öorjüge, mddje
für ÜEii iHenfd)Eit kn ®ruub iutdlcctunlcu ®eitu|fc6 bilbcu.
jT)a§ 2.'crtangcn nach ©rfenntnig bev ©inge ift jebem 207cnfd)en anerpaffen
(3triftoteteg , ©boma§ oon 3tquin, (Sicero); barum ift bie 2Baf)rpit
genuübringenb. 3tuf biefetbc ©botfadje ift ber ifteij jurüdjufüpen, rcePen
btc 9teubeit, foraie bie ©eit f amfeit unb SÖunberbarfeit unb
nbultdje (Sigenfdjaftcn ben ©ingen oerteiben. äßarum bie 3D7annid)=
faltigfett angenebm fep.
184:. „^eber ilRenftb ift oon 97atur begierig, gu roiffen" 247). ?tRit
biefem ©ap beginnt 2friftoteteg feine iDfetapbpfif; unb ©bomag oon Sfquin
bebt in feinem Kommentar gu biefem SBerfe brei 9tücfficbten oug
benen fi(^ biefer in ber ©b^^t i^tiem iJJtenfdben angeborne ^ang erflart 248).
©ingebenber afg Sfriftoteleg, bebanbeft bie nämficbe ©batfoi^e ©icero. ,,©g
ift ung ein überaug mächtiger ©rang angeboren nach ©rfenntni^ unb
Söiffen; unb mag ung hierbei treibt, bag ift feinegioegg bie 2fugfidbt auf
*) ®gl. j. ®. Solger, SSorlefungen über Steftbetif ®. 181.
®ie 2BnI)ri^eit.
259
irgenb einen äußeren ©eroinn; biefe 2:I)atjad)e fann niemanb in
giefjen. ©e!^en roir ja fd)on bei ben jlinbern, inie [ie ]icf) nidf)t eininai
burd) ©diiäge abl^aiten laffen, i?UIe§ mag il}nen nal)e fömmt, in 2(ugen=
flieht ju neljmen unb ju nnter[ud)en; treibt man fie fort, fo fommen fie
toieber; eS mad)t fie gtüdtidj, menn fie etma§ anggeforfc^t I)aben, nnb
fie finben feine 9bnf)e, bi§ fie e§ idnbern erjöfjten fönnen; fveft(id)feiten,
Sfnfjüge unb öffentfid)e ©piefe finb if)re Suft, nnb um babeifepn gu föuneit,
faffen fie e§ fic^ gern gefatfeu, ®urft ju ertragen, f^erner
ift e§ ja befannt, bafe iSfänner roetcbe bie Sßiffenf^aft lieben, oft alle
©orge um il)re ®efuubl)eit fomofjl al§ um if)r Sermogeu bei ©eite fetten;
baf? fie, ganj eingenommen non bem tBerlangcn ju miffen, fid^ 3tffe§
gefaffeu faffen, nnb ben ©enuf^ ben if)iten bie ©rfenntniff ber SBn^rfjeit
geroafjrt, mit ber mnf}fefigften unb anftrengenbften SIrbeit erfanfen . . .
„Uebrigeng gibt fc^on bn§ eigene tBeroufdfepn eineg ^eben ber in
9febe ftef)enben 2f)atfad)e ^ber mag ift ber ©rnnb, ba^ ber
Sauf ber ©eftirue unb bie Seobac^tnng ber .S^immefgförper nnferen ©eift
in Sfnfprudj nimmt, ober bap mir bie ©etjeimniffe ber iJfatur ju erforfc^en
fud;en? marum intereffirt nng bie ©efdjidjte, in ber mir jebe 58egebenf}eit
big jum fetzten Sfbfdjfuffe ju uerfotgen, jebe Siicfe augjufüffen , atfeg
llimolfftänbige ju ergönjen beftrebt finb? ©emiß, bie Äenntni^ ber
®efc^id)te ift nid)t btof? ' angeneljin , fie bringt and) manchen 9Sortf)eif.
Sfber audf) erbid)tete ©rjäf)tungen tieft man mit grof^em i^ergnügen: unb
aug biefen fann man bod) feinen meiteren 3}ort^eif giefjen. Ueberbieg
liegt nng immer barnn, bie 9iamen ©ofd)er, beren 3d)ntcn ung oorgefn'^rt
merben, ju feinten, fomie bie if)rer (Sltern, il)rer .ipeimat, unb eine 'iÖfenge
anberer ®inge bie ganj entbeljrlid) mnren; and) i^anbmerfer, unb anbex;e
gau3 gemof)nUd)e Seute , benen febe 3(ugfid)t fernliegt , je etmag §eroor;
ragenbeg ju feiften, f)ören gern f)iftorifd)e ©^atfad)en: unb mef)r afg affe
Sfnberen, molfen biejenigen I)ören unb tefen mag gefd)iel)t, benen if)r
Dorgerüdteg 3ttter töngft bie iWfogfidjfcit abgefd)nitten f)at, fid) mit ben
öffentlid)en 3fngefegenl)eiten nod) jn befaffen. 3fng affe biefem ergibt fid^
unroiberfpred)fid), baff ber fJteij mefd)en bag .^'ennenfernen unb bng Sßiffen
für ung !^at, in ben ®ingen felbft liegen nu©, bie ben ©egenftanb beg
Sßiffeng bifben" 249).
®ag 33ioment in ben Gingen morauf biefer 9beij, unb ber mit
i^rer ©rfenntnif) oerbunbene ©enuf; fid) grünbet, ift eben jener ®orjng
roelc^en bie i)}fetapf)i)fif „bie 2Saf)rf)eit" ber 3)inge nennt. 2Bie mir im
oierten 2fbfd)nitt fagten, beftef)t biefelbe in ber Ucbereinftimmnng ber
®inge mit ber 2Seig!^eit ©otteg; eben babiirc^ aber unb baburd) affein,
ba^ fie mit ber 2Beigf)eit ©otteg übereinftimmen, bitben bie ®inge jugteid)
ben geeigneten ©egenftanb für bie 2;f)ätig!eit ber erfd)affeuen ©rfenntnifj=
fraft. tßegierbe, ju erf'ennen unb ju miffen, in ber ©fiat fo
17*
260
®ie SBal^r^eit.
ftarf, raie roir ©cero, 2Iri[totete§ imb 3;’^oma§ üon Stquin fagen hörten,
bann fann e§ offenbar feinem unterliegen, baf^ „bie SBa'^r'^eit" ben
genuPringenben ^or^ügen ber S)inge mit iRec^t beigejafilt roirb ; benn mir
^aben fd^on roieberl)olt bemerft, ba^ überhaupt mit jeber IReignng, rcenn
fie befriebigt rairb, naturgemäß ficf) ber ißr entfprecßenbe @enuß oerbinbet.
f^reilid) macßt fid) ber @enuß non bem mir reben, nicßt bei jeber
2llltag§raaf)rßeit bie unferem (Seifte begegnet, in befonberer SBeife fühlbar;
aucß anberer ©enüffe, roie j. iß. begjenigen raeti^er in bem ißefit^e ber
(Sefunbßeit liegt, pflegen roir ung ja fanm beronßt ju fepn, folange roir
ung berfelben ungeftört erfreuen: roir beachten fie nicfit meßr, roeil roir
baran geroölmt finb. 3Ber fic^ inbeß nberjeugen roitl, baß bag @rfennen
in ber Sßat genußbringenb ift, ber barf nur ficß felbft beobachten, roenn
fidh ißm irgenb eine größere S:hatfad)e, eine S5>aßrheit non ißebeutung,
mit flarer 2lnf(^aulid)feit unb in ßellem Sicßte barftetlt*).
185. f^rogt man, roelcße Söaljrßeiten in biefer Se^ießung bößeren
Sßertß haben, bie theoretifcßen ober bie practifcßen, fo gibt 2lriftoteleg
ben ©rfteren ben ißorjug; ijSallanicini **) bagegen fucßt ißm gegenüber
mit großem ©djarffinn nad)5uroeifen, baß bie (Srfenntniß jener unter ben
practifdßen SBaßrlieiten , roeli^e bag @emntb anregen, nnb bie 5Rorm unb
bie treibenbe ^raft beg fittlid)en ßebeng bilben, b. ß. ber moralifdßen,
im Sltlgemeinen mit noüfommnerem (Senuß nerbunben ift, alg bie ber
rein tßeoretifdßen.
3Sielleicßt bürfte i]}attonicini’g 2lnfii^t namentlich audh beßßalb bie
rid)tigere fepn, roeil in ber nicßtg nnfer ^ ßößerem
ÜRaaße in Slnfprudß nimmt, alg bag roirflicße geben, unb nor 2lllem
bie etßifcße ©eite beffelben. Unb roeil ber ilRenfch nicßt bag 2lbftracte,
fonbern nur bag (Joncrete unb 3'nbinibuelle mit geiißtigfeit unb lebenbiger
^larßeit auffaßt, barum ßaben (ärjaßlungen, IReifebefdireibungen, IRomane,
bramatifcße ©tüde, für bie iUleiften eine fo mödhtige Slnjießunggfraft.
2luf bie angegebenen IRüdficßten grünbet ficß ber SSertß ber „bibac=
tifd}en" ijSoefie, ber fd)on in ber ©entenj ßeroortritt:
„2ger bem ißublicum bient, ift ein arme§ ißier:
© quält fid) ab, niemanb bebantt fid) bnfüv" ***) ;
*) Sießeidht ift e§ feine§roeg§ überflüfftg, roenn roir f|ier baran erinnern, ba^
„eine" SKahrßeit jebe§ J'ing beißt r jebe ^hatfacße, jebe (ärfdheinung, jeber ©ebanfe,
infofern fie ©egenftanb be§ @rfennen§ fepn fönnen; ba§ abftracte „bie" Sßabrßeit
hingegen bejei^hnet jenen Sorjug, non roetdfiem roir eben ßanbetn. 3^ anberen
gälten freilich heißt „bie" SBahrheit audß fooiel, al§ „bie ©efammtheit alter erfenn=
baren Singe".
**) Del bene, 4. c. 15. 16.
***) ©oethe, ©prüdfie in Dteimen.
®te 2Ba'§vI;eit.
261
ober:
„SSiCfft bu ^ebei'inann gefntlen,
^13rei)'e 3ebevmanne§ Safter,
llnb auf jeben faulen f51c<^cu
Ä'lcb’ ein rofenbuftig 5pflnfter" *) ;
auf biefelben ber ffteij unb bie SBüvje, lueltfie ben Seiftungen ber ifJoefie
foroofjl al§ ber bramatifdien Äunft mit ißerftänbuiff unb Jact eingeftreute
ceuteujen oertei^eu, raie 5. 33. in ®oetf)e’g „f^auft" :
„SBer fRed)t bet)nlten untt, unb t)at nur eine
S3ct)älfä gercifS' ;
auf biefelbeu mieberum ba§ 33erguügeu, roomit mau (Sfiaracterbitber unb
„et!§ifd)e 3£W)riuugeu" lieft, oorauggefei^t , baf; fie ootlfommen treu unb
raa^r finb. ©0 mirb, nm mieber ein SSeifpiet ju geben, in einer ©d)rift
metei^e gegen ba§ @nbe be§ oorigen ^atjr^^unbertä erfd)ien**), ba§ ge=
fammte dlecenfionämefen in ©eutfd)Iaub nngefä'^r in folgenber Heberfid}t
djaracterifirt :
P^ecenfioneu fiub
bejabtt uic[)t bejatjlt
Dou bem »ou beut felbft= nid)t
©cbriftpetler ®erleger gemacht fetbft-gcmad^t
mit mit mit mit mit parteiifcb unparteiiftf;
Ptecenfioueu ©dbmeicbeieicu S3eförbeniug @etb ©efdjcuf'en '
BOn DOU
Äinbent 5iRäuuern.
®od) mag auf einem iljm nielteid)t fremben ©ebiete etjemafg gefdja'^, —
fet^t ftebt eg natiirlid) gau^ nnberg, — bag mag mandjen Sefer menig
intereffiren ; barum taffen mir eine jroeite 3eid)iutng folgen, bie jebenfatlg
allgemeiner oerftänbtid) ift, unb uid)t minber treu atg bie erfte:
3Siv 3ttte ftct}u al§ 23ettter uor
S)e§ lieben ®otte§ ©unbentbor,
2T'ir ©roftcu uub mir Ä'leineu
3u £rou’ uub fIRübe, .ipelm uub .Stut;
2Sir I)cifd)eu ©d)eufuug unb Tribut
91tit it>od)en unb mit SSeinen.
*) Sßeber, @ebid;te.
**)_ „2teacu§. Cber gragmente au§ ben ©erii^tgacteu ber §öUe über bie
Xenien. 1797."
262
®ie 32Ba(;rl^eit. ®ie ?ieul§cit.
Unb jeber ba§ größte Sftec^t!
Ob 5üv[t, ob £ump, §err ober Änec^t,
äßir ftrecfen au§ bie §änbe;
9Jiit SJJurren, unter Särm unb
(Smpfangen rotr, ineift oI)ue Oant,
®agtäglt(^ ©penb’ auf ©penbe.
ilßa§ ®ott un§ gibt au§ reiner §ulb,
bäud)t un§ auf oerfäl^rte ©c^ulb
5(bfc^tägli(^ nur entri(^tet;
Oenn wir, i^nlbgötter oon ®eruf,
JC'ir [inb boc^ 25>ir, unb ber un§ fdiuf,
Oer ift un§ oud) oerpflid)tet.
Ood^ jagt ju unoerftänb’gem Odjrei’n
Oer milbe 33nter liebreich nein,
Oann folgt ein f täglich Joben!
@iug’ 9tüe§ un§ uad; 2ßunfd) unb Sßa’^u,
25>ir f)ätten längft au§ itjrer 33a^n
Oie halbe' 2£elt gefdjoben.
Ou guter @ott, roir finb nur ®ir!
SSerjeih’ un§ Orolj unb Ungebühr
2Bie frech toir uu§ erf'ühnen!
Oetracht’ und mit Sannherjigfeit
Unb gib: Ou gibft uns jeberjeit
3?iel mehr, at§ mir oerbienen*).
186. ißon ben ©nroohnern Stthenä beri(htet un§ ber heilige Suca§,
ba^ fie ben ganjen Oag für ni(ht§ lieber 3eü fanben, al§ etraaä ffleueg
ju hören ober ju erjühien**). Oiefe ©ncht nadh ?feuigfeiten raar nicht
etroa ein au§fchUef3Uche§ (Sigenthum ber 3hthener, inodhten fie fidh audh,
wie mir non i^hitardh gteichfallS erfahren, in gerabe nidht tobengroerther
Steife babnrd) hernorthnn. Oie tReuheit ift für ben ©injetnen eine
®igenfd)aft jebe§ OingeS, jeber ®rfcheinung, jeber „SBahrheit", raelÄe fich
ihm entroeber jum erften iltinie barftettt, ober bie, faü§ er fie fchon eiiü
mal fennen gelernt, ihm ju einer ^eü mieber begegnet, roo ihm bie
innernng baran fo gut roie entfd}munben ift. Oer @runb bed fReijeS
melchen bie ilteuheit auf unferen ©eift au§übt, ift barum raefentlid) fein
anberer, at§ jene ißeftimmung unferer SKernunft für bie @rfenntni§ beffen
ma§ ift unb eben barum roahr ift, unb bie hieraus heroorgehenbe IBe;
gicrbe, ju roiffen, non roelcher in ber oorleh^ten Stummer bie fRebe mar.
*) 2Beber, ©ebidhte („ffiir Setttcr")-
atpoftetgefdh- 17, 21.
Sie 'J^eu^eit. Sie SSiinberbavfcit unb ©eltfamfeit. 263
ba, roo rair etroaä feuneii lernen ba§ un§ bt§ bal^in fremb
roar, roirb biefe un§ anerfcfjaffene 23egierbe ganj eigentUcf) befviebigt;
unb roie ba§ ©rroerben ober ber ©eiuinn materießer ®üter fn^^tbarere
^reitbe geroä^rt, at§ beren ruhiger Sefit^, fo loirb and) ber @enufi
roe((^er ud) an bie ©rbenntnifj einer 2,\>a()rf)eit fnnpft, in bem 5lngenbliife
am ftärfften empfetnben, mo biefetbe an fängt, unfer geiftigeS (Sigenttjum
ju fepn.
®arum roirb, roie .'pugo 23Iair fdjreibt, „bie ?ieutjeit oon 2tbbifon,
unb non febem anberen ©c^riftfteller ber biefen ©egenftanb betjanbelt !^at,''
atlerbingg „ganj mit 9ied)t at§ eine jener ($igenfd)aften begeidjnet, burd)
roeldje bie Singe nufere 3lufmertfamfeit auf fid} jie^en unb uu§ gefaüen.
(?iu ©egenftanb, ber fid) burd) nid)t§ Stnbereä empfiet)(t, aB baburc^
ba§ er neu unb ungeroüt)n(id) ift, mnc^t fd)ou barum ntlein auf unferen
©eift einen lebhaften unb angenehmen ©inbruct Schon bie 3ceugierbe
beroeift ba§, non lueldjer bie ^.lienfdiheit fo adgemein beherrfd)t roirb.
Singe unb ©ebanten mit benen man f^on lange nertraut ift, machen
einen gu fchroachen ©inbrncf, aB bag fie unfere ©eelennermögeu in eine
fühlbar angenehme uerfet^en tonnten. Ü^ene, frembartige ©r^
f^einungen roecten, roie burd) einen fräftigen angenehmen Stof), ben ©kift
auf. Snl)er grofientheiB bie Unterhaltung, roeldje ung Sid)tnngen unb
diomane nerfdiaffen. Sie SSirfung ber DZeuheit auf unfern ©3eift ift
ftärfer unb fühlbarer, aB jene lueldje bie Sd)önheit aiBübt; aber bcrfür
ift fie auberfeitö oon loeit fürgerer Sauer. Senn befil^t ber ©egenftanb
nid)t nod) nnberroeitige Sorgüge, bie unfer ©emütl) feffeln tonnen, fo ift
ber glängenbe Schimmer roomit il)n bie Dtenheit nmgnb, fehr halb roieber
oerfthrounben" ©in IRoman ben man metjr aB ©inmal lefen fann,
ift bef)hatb eine überaiB feltene ©'rfchcinnng.
Setzen roir nod) l)i"U6 baf) ber ©lenuf) beu roir in ber Sefriebigung
unferer natürlidjeu SSipbegierbe finben, immer nm fo fühlbarer ift, je
größer oorher bie Spannung unfere§ ©eifted roar, ba§ Serlnngen, bie
oerborgenen ©rünbe räthfelhafter ©rfdieinungeu blofggelegt, bag dvefultat
cigentl)ümlid) gufammemoirfeiiber , ober contraftirenber strafte fid) ent=
roideln gu fel)eu.
187. ^n eben fo unmittelbarem .^ufammenl)ange, roie mit ber 2S>al)r=
l)eit bie 9teul)eit, ftehen mit beiben, loaö il)re Üßirfung auf nufer ©iemütl)
betrifft, roieber einige anbere ©igenfd)aften: i(h meine alle biejenigen, auf
©runb beren roir ©rfcheinungen üb erruf djenb, fett f am, rounber=
bar ober rounberfam nennen. To OctujjiaciTov r^ou, „atleg Sleunberfame
hat befonberen tHeig für ung^', fugt Slriftoteleg ; unb einen Sero eig l)ie^'fi’*^'
finbet er fehr mit dted)t in ber Shatfad)e, bafg „alle Sienfd)en, loenu fie
') Blair, lect. 5. vol. 1. p. 104. ((Eitirt 121.)
264
®ie SBunberbarfeit unb ©ettjamfeit.
etruag erja^^Ien, e§ gern mit eigenen 3ufät^en augjciimüden, um bie <Baä)t
interefjanter jn mailen" *).
i[t eine allgemeine Grfc^einung in unferer Sliatuv/' le[en mir
in einem Jlnffa^e non ©editier, „ba^ nnä ba§ ©raurige, ba§ ©(^retfliti^e,
ba§ ©djanber^afte felbft, mit unroiberftep(^em 3auber an fic^ lodt; ba^
mir un§ non Sluftvitten be§ be§ @nt[e^en§ , mit gleidjen
Kräften meggeftoj^en nnb roieber angejogen fül)Ien. 2ttte§ brängt fid^
noE ©rroartnng um ben Grjä^ler einer ÜJlorbgefc^id)te; ba§ abenteuer=
lic^fte ®e[pen[termorc^en nerfdjtingen mir mit 23egierbe, unb mit befto
grofjerer, je me^r un§ babei bie 6^aare gu 33erge [teigen, lebl^after
ändert [icb biefe 9legung bei ©egenftänben ber roirftidjen 2ln[d^auung . .
35>ie jaljtreii^ i[t nidjt ba§ ©efolge, ba§ einen 3Serbrec^er nadb bem
©c^auplatj [einer Onaten begieitet! Söeber ba§ i)'ergnügen be[riebigter
©eredjtigfeitdliebe , nod} bie uneble gu[t ber ge[tidten 9lad)begierbe fann
bie[e ©r[(^einung erflären. ®ie[er UnglüdUd^e fann in bem §erjen ber
3u[djauer [ogar ent[^ulbigt, bag au[rid)tig[te ilRitleib [ür [eine ©r!§al=
tung ge[d)ä[tig [epn; bennoi^ regt [id), [törfer ober [c^roädier, ein neu=
gierigeg 9]erlangen bei bem 3uicf)oner, 3Iuge unb Of)r au[ ben 3Iugbrud
[eineg Seibeng ju rid^ten. Söenn ber i)Jien[d) non ©rjie^^ung unb oer=
[einertem ©e[ü^I Ijierin eine Slugnal^me mad)t, [o riü^rt bieg nic^t ba^er,
ba^ bie[er Srieb gar nidjt in itjin oorl}anben mar, [onbern ba'^er, ba^
er Don ber [d)mer5!^a[ten ©tärfe beg iötitleibg nberroogen, ober oon ben
©e[et^en beg 3ln[tanbeg in ©djranfen gehalten mirb" **).
2ßir braudjen bie 9tid)tigfeit ber ©l)at[ad}en an roeld^e ©^iEer !^ier
erinnert, nid)t ju betätigen; jeber raei[j, mie rao^r bie[eiben [inb. Slber
ber ©rui;b beg 95ergnügeng bag ber 9)ten[(^ an ©ingen bie[er 2lrt [inbet,
i[t, roenn mir nii^t irren, einzig berjenige, auf metdjen mir oor^er ben
©enufs jurücfgefn'^rt haben ben nng bie 23}af)rheit, unb namentlich bie
Sfenbeit gemährt. 9Bag [eiten oorfömmt, roeil eg ben ©efe^en ber
php[i[d)en ober ber moralifchen Drbnung juroiberläuft; ober mag meifteng
geheim nnb in SSerborgenljeit [ich DoEjieht: ölte ©inge biefer 2Irt haben
mir gu beobadjten unb fennen ju lernen menig ©elegenheit; barum i[t
eg nng immer [remb artig nnb neu, unb reijt unter biefer 9lndt[i(^t
bie ißegierbe ju mi[[en um [o unmiber[tehlid)er, je unbebeutenber bei bem
©in^elnen ber ©d^ai^ non ©rfahrungen unb merthooüeren j?enntni[[en i[t,
ben er [idj [ammetn fonnte.
188. Sßaren bie bigher be[prod)enen SSorjüge ©igen[d)a[ten je ber
*) Arist. de arte poet. cd. BuHe c. 25. vulg. 24. n. 10. (To
heipt übrigens raöitti^, nid)t rote roir überfept haben „atteS SBunberbare", fon=
bevn „bic SBunberbarteit". SSgt. 9f. 4. 5. ©. 7 ff.)
**) ©d;iller, lieber bie tragifd^e Ännft. (33b. 11. ©. 531 f.)
®ie 53ianuic^faltigfeit.
265
einjelnen ©egenftäube, bte fid) uiiferer ©rfenntnig barftedcn, fo fann ba=
gegen altigf eit unb SBec^fel fic^ offenbar nur in einer
iJJ^efjrt^eit non Grfd)einungen finben. ltnb loä^renb nnberfeit§ fene 3]or=
jüge für nuferen @eift im eigenttidjen ©inne ©rnnb pofitioen 33ergnngen§
finb, bürfte ber S®ertt) ber i3Jcnnnid)fa(tigfeit, al§ foId)er, tebiglid) barin
befteficn, bap fie Ueberbrufi, ©rmnbnng nnb iD^ifsDergnngen fernfjält.
2nie§ mag fi^ auf biefer 6rbe nuferem ©eiftc barftedt, ift enbtid)
nnb begronjt; nnb menn mir freilid) and; ben nnenbtidjen @eift fennen,
fo fann bod) nufere 3fuffaffnng fein Sffiefen , feine ©igenfdjaften unb fein
Sföirfcn in feiner ST^eife femafg erfdföpfen. ^afli*33gg=
fraft nuferer ©eele feinegmegg ©rnnjen; eg ift it)r fein ©egenftanb 511=
gängtid) ber fie angfnitte, nnb fie für immer imüftftnbig in 2lnfprnd)
nefimen fönnte. beffen nerfangt fie und) anberen Obfecten,
fobalb bag gegebene if)r jn meiterer S;l)ötigfeit feinen ©toff mef)r bietet:
nnb eg mnf] fie oerftimmen, menn if)r foId)e nid)t geboten merben.
yMerju fömmt nod) ein ^meiter ©rnnb, ber in ber 9fatur unfereg
böfieren ©rfenneng liegt. ©)affelbe ift freilid) eine 3;l)ätigfeit beg ©eifteg,
nnb eg ood^ieljt fidj feinegmegg, mie bag niebere ©rfennen, in einem
Ieiblid)en Organ; aber mir finb babei befningeacbtet auf bie iT^ülfe beg
nieberen ©rfenntnipuermögeng nnge)oiefen, meil mir nid)t im ©taube finb,
eine intedectnelle O'rfenntnift 311 l)aben ofjne eine gleid)jeitige entfpret^enbe
Sinnegnorftellnng. Oie Oljntigfeiten beg nieberen ©rfenntniffnermögeng
mm, mie bes ®cfid)tfinneg, beg @el)örg, ber '|3f)antafie , ber finnfid^en
llrtfjeilgfraft , uolljieljen fid) inggefmnmt nermittelft leibfidjer Organe.
Oiefe Jeüteren aber befit^en nidjt eine nnbegränjte ©nergie: eg entfpridjt
nielmebr einem feben berfelben nur ein beftimmteg iDfaap ber ©inbrüde,
raeldfe bnrd) bie förperlidfen ©rfdfeinnngen, il)re Objecte, auf fie anggeübt
merben. barnm biefeg 22faap oolf, bann ermattet bag Organ, unb
mit iljm bag finnlid)e Oermögen bem eg bient ; eg ift n(g ob baffefbe
abgeftnmpft märe. Onraug ergibt fid) bie 2iotf)menbigfcit, baf) eg, menn
eg niclit feine O^ätigfeit einftellen foU, ber ©inmirfnng eineg anberen,
oon bem oorigen üerfd}iebeiien, ©egenftanbeg nuggefetst merbe; nnb nidftg
3(nbercg alg biefeg Oebürfnifi ift eg, mag nng ben 2öed)fel nnb bie
Ofannid)faltigfeit angemOm finben Infit.
„fyür ein SOefen Ijingegen," lefirt in Uebereinftimmnng mit bem ©e:
fagten Ol^omag non 3lquin, „für ein SBefen bag in feinem ©epn feiner
Oeränberung, in ber OI)ntigfeit feiner Oermögen feiner ©rfd)öpfnng nnter=
raorfen, unb im ©taube ift, ben ganjen ©egenftanb feineg ©ennffeg in
einer einzigen Slnfdjannng 511 erfaffen , für ein fold)eg äOefen mirb ber
2Sed)fel nidjtg 3Ingenel)meg t)aben" *').
*) Thom. S. 1. 2. p. cj. 32. a. 2. e.
266
5Btcrtc^
Die jC ä d) e r l i d) k c i t.
§. 1.
^ur ^rßfäruno biefcr figenfrfjafi.
!I)a§ SBefen ber Sädjcrlic^fett ganj ju beftimmen, i[t bev SBiffenfcfiaft nod) nic^t
gelungen; ^oine, (Stcero, J?rug, ^eon ^aul. ®te non 2lriftotele§ auf;
geftellte (i^aracteviftif ber £äc^erltd}fett. @in flarerer SluSbrud für bie;
felbe. ^'ine §9potf)efe jur (Srflärung ber pfpd)otogifd)en Söirfung lädier;
Iid)er ©rfi^einungen, im Slnfc^lu^ an Äant nnb Xl^omad non 5lqnin.
189. ^ine l^ernorragenbe fRolle pflegt in ben roiffenf^aftüdien Söerfen
über bie fc^önen 5lünfte, unter ben „Obfecten be§ äft^etifi^en 2Bof)lgefalIen§",
ba§ Säd)erUd)e unb ba§ Äomifdje fpielen. ®iefe jraei Flamen
roerben mitunter at§ gleid)bebeutenb gebroud)t ; in anberen f^üllen be^eidinet
man bamit nerfdiiebene SSegrtffe. SBir roerben btefen Unterfd)ieb fpdter
angeben.
„2lld läcfierlid)", fd)veibt ^einrid) .^ome, „bejeid^net man jene 5)inge,
bie un§ ju lacf)en neranlaffen" ; ober etroag au§fn^rlid)er, beren 2öa'^r=
nel^mung „in unä ein gemiffeä ©efül^l oeranla^t, raelci^eg fid^ nad^ au^en
burd) ba§ Sacfien funbgibt“ *). ®iefe Sefdjreibung ift freilid^ fe|r ner;
ftänbtid^ unb einfad^. Um fo fdjraerer ift ed bagegen, bie @igentpmltc^=
feit jener ©efc^affen^eit bur(^ roel(^e eine (frrfd^einung lädfierlid^ ift, ba§
SSefen ber „ßdcfierUdjfeit", flor unb genau ju beftimmen. ©cE)on ©cero
nerjroeifelte baran. „SSBaä eigentlidb ba§ Satten fep,'' fo la^t er in einem
feiner ©)iatoge „Ueber bie oratorifd)e iBerebtfamfeit" ben ßafar
fpred^en, „roeiter, rooburd; e§ erregt roerbe, roo e§ feinen 0i^ ^abe, roie
eg entfiele, unb mit fotct)er iptöijlid)feit ^eroorbred^e, ba^ mir eg, fo gern
mir oft mochten, nict)t jurüdfialten fönnen ; raie eg enblid^ fomme, bag eg
gleii^jeitig fo oiefe ^fieile beg Organigmug, ißruft, iKunb, Slbern, @e;
fi^t, 3(ugen, in 2)Utleibenf($aft gie'^t: bag 2llleg mag ©emocritug ent;
fc^eiben**). ®enn eg ift, unferem Jljema gegenüber, nidl)t unfere 2luf;
gäbe, biefe f^^ragen ;;u löfen ; unb märe fie eg, fo mürbe id^ mic^ bennod^
*) §ome, ©runbfäpe ber Äritif (überfept non ÜJteinbarb, 2Bien 1785) S8b. 1.
£ap. 1.
**) ®emocritu§ au§ Slbbcra, 3eitgenoffe be§ ©ocrateä, einer ber norjügticbften
Segrünber ber atomiftifcb^materialiftifcpen ipbdofoppte. @§ roirb non ibm berichtet,
er pabe über bie if)orf)eit ber ÜJtenfd^en oljne Unterlaß getacpt.
®ie 2äd;erltd)feit.
267
nic^t ji^ämen, meine Unroiffenljeit ju gefte^^en in D^ücfficfjt auf einen
©egenftanb, bejüglic^ beffen anc^ jene unroiffenb finb roeidje uerfprec^en
i^n fiar ju mad)en" 250).
SöefcntUd^ niefjr, a(§ fie bamaig tmifjte, f)at bie i]]!^i(ofop^ie über
ba§ SBefen ber ßä(^erüd)feit big auf biefen 2ag nic^t entbecft. Unb
barum Ijat, glaube id) , ,il'rug nodfommen ba er bie 2lnfid)t aug=
fpridjt, bie non 2lri[toteleg gegebene (J^aracteriftif beg Söefeng ber 2äd)er=
li^feit fep nöllig aitgreidjenb, nnb ben ©rftärungen neuerer 9te[tl)etifer
meit Dorjujiel^en *). ©o benfen mir aiu^ nad) ben nod) neueren ©r=
Örterungen, meld^e Sifcl^er**) in breiter Dtebe über unfern ©egenftanb
angeftedt l^at. 4‘^ätte jlrng biefetben nor fid} gefmbt, eg mürbe fie
fdimerlid) eine milbere ©enfur getroffen !)aben alg jene, metdje ben ©r=
flarnngen ^ean i^autg 511 3:t)eilmarb: ,,©ie geben adenfadg ein 23eifpie(
DOin ^omifdjen, aber feinen begriff baoon" ***). 9fadi 95ifd)er fetbft f)at
fredid) ijJant juerft bag 2>erbienft, ben adein ri(^tigeu Uebergang
jum j?omifd)en in feiner ißorfdjute ber 2leftt}etif gefunben 511 fiaben" f).
190. 3triftoteteg begeidjnet bie 2ü(^erlid)feit a(g „eine non ben 2trten
ber .^äf3li(^feit". „®ie Sädjertidjfeit", fät)rt er fort, „ift niimlid) eine
f^e^^Ierfjaftigfeit unb i^üfjlidjfeit, aber eine fdjnter^lofe unb unfdjübtidje:
raie ja and) bie fomifd)e iöiagfe büfiddj unb nerjerrt ift, aber otjne ben
Sfugbruc! Don ©d^merj'' 251), 2Bir f)aben biefen ©ebanfen beg 2frifto=
teleg Dörfer „eine ©fiaracteriftif beg SBefeng" ber £äcf)erlid)feit genannt:
benn eine eigentliche ©efinition ber Set^teren ift berfetbe offenbar nicht,
i^ütte Striftoteteg eine Definition geben moden, fo mürbe er nicht un=
beftimmt gefagt haben „'Z'jtdpxrjtjid xi“, „bie Säd)erUchfeit ift ,eine‘ f^ehfer=
*) Ärug, 2leftt;etit §. 47, 3tnmerfung 1.
Ärug Dermi|t freilt(^ in ber (ärftärung be§ StriftotetcS nod; (Sin SOterfmal;
roir tommcn auf biefen feinen ©ebanfen fpäter jurüd.
**) „lieber ba§ ©rtjabene nnb Jloinifd;e" ©. 158 ff., unb „3(eftf)etif" ®b. 1.
§• 147 ff.
***) Ärng, 2tefthetif §. 48, Stnmerhing 1.
7) S3if(her, lieber ba§ (Srhabene unb il'omifd;e, ©. 19.
„®er ©teincntargeift ber fomifd;en 2uft=dlentente", (et)rt ^ean iflnul (SSorfdpiIe
ber 21efthetif, SBien 1815, ®b. 1. §. 30. ©. 137), „ift ber ©enuff breier in ©iner
Sfnfdiauung oor= unb feftgehaltencn ©ebanfenreihen, 1) ber eigenen loaljren dteihe,
2) ber fremben roabren, nnb 3) ber fremben oon nnä untergetegten itfuforifd;en. ®ie
21nfdhaulid;feit jroingt un§ juin .g>inüber= nnb |>ernbcr:2ßed;teffpief mit biefen brei
einanber gegenftrebenben dleihen; aber biefer 3™n"g oerfiert burd; bie llnocreinbar;
feit fid) in eine heitere SBiUfür. S)a§ £ontifd)e ift affo ber ©ennh ober bie iphon=
tafie unb ifSoefie be§ ganj für ba§ entbnnbenen SSerftanbeä , metdjer fi(h an
ben brei ©chtuB: ober Slumen fetten fpiefenb entroicfelt, unb bar an hto=
unb ro ieb ertanjt." „^n biefen Snnj trete id; nicht mit ein," erffärt
epermann Sope (©. 346. ©itirt 18).
268
®ie Säc^evlid^feit.
l^aftigfeit itnb §ä^Iid^!eit", jonbern er ptte bett beftimmten ÜIrtifet ge=
braucht, imb rair Tuürben überfe^en inüffen: Sdcberlic^feit er[c^eint
bie^ g^ebler^aftigfeit unb §ä^tid)feit immer, fo oft [ie fcbmerjtoS unb un=
fdjäblicb i[t."
Cicero td^t ben (£dfar in ber nor^^er angefül^rten ©teile non bem
©ebanien be§ 2tri[toteie§ ba§ Sffiefentlidtere aboptiren, unb beftdtigt burd)
bie SSeife feineä 2lugbrucfe§ unfere 2infic^t: „5)en ißoben, ic^ möchte
jagen bie ^eimat ber Sdd)ertid)feit hübet eine gern if je iMjjtidifeit iinb
äierunjtaltung; benn man Iad)t — au§jcbiiej3tid) ober bod) norjugSraeije —
über ©rjd^einungen , in betten irgenb eine .^dj3Üd)feit in nid)t i)dj3iic^er
2T'eije ^eruortritt" 250).
ßo^e jüi)rt eine ©ejinition non ©cbnl^e an, tnel^e „nid)t mit Un=
redjt S^ijdier alä norjügti^ l^ernorl^ebe ; ba§ £d(^erlid)e jep 2öai)rnei)mung
eines ©pieiS inetd)e§ bie 9latur mit bem iUienj^en treibe, mdiirenb er
jrei SU iianbein glaube ober jtrebe" *). 2Ba§ in biejer ©rfldrung 2öa!^re§
ijt, baS ent^dit bereits bie non 2irijtoteIeS gegebene; ba§ aber ©^üt^e
bie non bem Sezieren ^injugejügte nd’^ere 23ejtimmung (czvojouvov . .)
jaden idjtt, baS nerminbert bie ©enauigfeit jeiner ©rfidrung. UeberbieS
ijt eS ntoiji f'aum biatectijd^ richtig gebadjt, inenn man jagt, „baS Sd(^er=
tid)e jep Sföahrnehmung".
191. ©etang eS bem dJianne non ©tagira nidjt, baS Söejen ber
2?ejd)ajjenheit um bie eS jid) iüjer ju ergrünben, jo baden tnobl
audb mir jo roenig roie ^nüuS ßdjar bei (äicero, ©runb unS ju jcbdmen,
menn mir unS mit jeinem ©ebanien jujrieben geben. jUarer fönnen
mir benjelben, mit Dlürfjidjt auj bie jrüber (130. ©. 173) an britter
©leite gegebene SDejinition ber i^djjlicbfeit , etma jo auSbrüden: 2ßaS
mit Oiedjt Idd}erlid) beijit/ baS ijt immer eine ©rjcbeinung,
in meid) er ein SSerjtoj; gegen bie ©ejei^e ber Sernunjt ber=
nortritt, aber ein joicber, ber nidt ©(^merj, j^urd)t ober
SIb jcbeu erregen bann.
Ärug, inbem er, mie bereits ermdbnt mürbe, ben SBertb ber non
5trijtoteIeS gegebenen 33ejtimmung anerfennt, nermijtt in berjelben bejj;
ungead)tet ©in iDierfmal. ®aS gebterljajte, meint er, habe ben IReis ber
£dd;erlid)feit nur bann, menn mir eS ploblid) unb unermartet mabr=
nebmen, mittjin banon überrajcbt merben. 3n ber erjlen ülujlage biejeS
IßudjeS jinb mir biejer SInjicbt beigetreten; nach meiterer ij3rüjung inbe^
fönnen mir biejelbe gegenmdrtig nicbt mebr jür begrünbet ballen. ©S
gibt jreilid) !J)inge, roeicbe jür 35iele nur bann ein Slnlajt ju mirflicbem
£ad)en jepn merben, menn jii^ ihnen biejelben unermartet barjteCIen. 51ber
*) ®t. ©cpüpe, tßerfucb einer Xpeorte be§ Äomifiben (ßetpjig 1817), bei £ope
<S. 348. (6it. 18.)
®ie Sdc^erlic^fcit.
269
baß eine an ftd) läc^ertidje ©rfi^einnng ben ©injelnen in bev jnm
Sadjen neranlaffe, ba§ Ijdngt bodj nid)t allein non biefer, fonbern no(^
non rnand^en anberen Sebingnngen ab ; nberbieS roerben fid), neben jenen
ißieten, immer nod) iDland^e [inben, bie über foldje ®inge and; ba ladjen,
roo fie Ujnen feine§meg§ nnerroartet entgegentreten. Unb überl)anpt bürfte
e§ unrichtig |et)n, inenn man baä Söefen einer 33efd;affen!^eit non einem
Umftanbe abpngig mnd;t, roeld)er ganj anfjer^alb biefe§ 2Be[en§ liegt,
nörntid; non ber jitfänigen 2:^atja(^e, baf; bie d‘rf(^einnng raelc^e ben
5:räger ber 23e[d)affen!^eit bitbet, bem (vinjetnen bi§ bat;in nod; nidjt
begegnet inar.
192. 3tber luie erftiirt jid; pjpdjologijd) ba§ iöergnngen, inetdjeä
bie SCBal^rne'^mnng tndjerlic^er SDinge, ober eigenttidjer , ba§ ßadien nn§
nernrfad;t? für bie 33ernunft fann bie SiÖabrne'^mung einer 3?ernnnft=
roibrigfeit, unmittetbar nnb an fici^, bod; fdjinerlid; gemißbringenb fepn.
91ad) 2lriftotete§ geTnnfjrt bn§ Sadjen nnä ©ennf;, „ineil e§ ein ©piel fei;
unb eine 3tbfpannnng" 252). 3tber biefe 3tngabe ift ju furj, a(§ baf; fie
bie ©ad)e genügenb mifftnren tonnte. 25>ir finb geneigt, mit Äant*)
ba§ 35ergnügen über ba§ Scic^ertidje für ein in feiner Stöurjet rein finn=
tid;e§ jn t;atten, ober genauer, für ein negetatine§ ; um fo me§r, at§ and;
©'^omoS non 2lqnin baffetbe at§ ein fotd)e§ anffaf^t 253).
3tn bie intettectuette 2®at)rnet)mnng ber Ungereimtheit ntimlid), ober
be§ ißerftojfeS gegen bie ©efe^e ber 'Vernunft , fchliefeen fii^ naturgerndf;
entfpredjenbe ®orftellnngen im nieberen ©rfenntniftnermögen an, roeldje
burd) bie i]3l)antafie nnb bie finntidje Urtt)ei(§frnft erjeugt inerben. ®ie
©hätigfeit ber finntidjen Urtt)eitsfraft luirft if)rer Ütatnr nad), unmittelbar
unb ganj fpontan, auf ba§ ncgetatine Slernenfpftem; biefe SBirfung ift aber,
einer Iddjerlidhen ©rfd)einnng gegenüber, eben non ber 3trt, baff bnrd) bie=
felbe in ben Organen beä negetatinen CebenS, bie ja non bem gteidjimmigen
9ternenfpftem bel;errfd)t inerben, eine bem leiblichen Organi§mu§ jnfagenbe
roohttlmenbe Slction erregt inirb, inetdie fid; im Sad)en dn^'ert. Oer l)ier=
mit gefegte negetatine ©enuf; foinoht, alä fdjon bie bemfelben norauö=
gehenbe, ihn nermittetnbe OiSpofition be§ negetatinen Dternenfpftemg, üben
bann roeiter, gleid; mandjen anberen negetatinen nnb finnlid;en ©enüffen,
einen erheiternben ©inflnf; auf nufere gefnmmte ©emüthöftimmung**).
*) Äritif ber äftf)ettid)eit UrttjeitSfraft, §. 53. 9tiimerfung. (9tu§g. ron g^ranf:
furt 1792. ®. 222 ff-)
**) ®te 5^age, ob unb in roelcC;er SBeife bie ®bdtigfeiten ber SSerminft auf
ba§ uiebere ©rfenntnipoermögen jurüifroirfeu , fi^ibeu roir in ber Schrift „®a§ @e:
müth, unb ba§ ©efühtSoermögen ber neueren ipfpchologie", 9t. 49 @. 129 ff. be=
hanbelt. bem ndmiidhen Suche finben fid; aud; bie loeiteren Segriffe unb
fad;en, ohne beren Äenntniff bie hier gegebene ßrftärnng freilidj nicht fehr oerftänbtich
fegn fann.
270
®ie Äomif.
2ln einem inneren SBiberipvuc^ fc^eint un§ biefe ^ppot^efe nic|t gu
leiben; Äant ge^t am angefü'^rten Orte augfiü^rticler baranf ein, i^re
3utö^igfeit gu begrünben, aber in anberer SBeije, at§ mir e§ ^ier get^n
^aben. ®ill man inbep neben bem angegebenen Ieibtii^=gemüt^üc^en
SSergnngen noci^ einen intellectuetten @ennj3, in ^olge ber unferer 3ni£tti=
genj jnfagenben O’^atigfeit ber plö^Uc^en eoibenten 3Iuffa[fung ber Un^
gereimt^eit, annel)men, nnb mit beiben noc^ einen brüten , ettjij'd^en , ner=
binben, bie Snft beä @efül}t§ geiftiger ®otIfommen^eit , fo möcJ^ten mir
and^ bieje 2tn[ic^t nid^t gerabe ent[d^ieben at§ unrid^tig bejeic^nen, obgIei(^
fid^ iltiancleä bagegen einmenben taffen bürfte.
§. 2.
pic ,ÄomtR unb Ufr ^iprautb.
Oie 2tu§brü(fe „tomifdj" nnb „bie Äomif", unb bie Stufgabe ber Septeren.
3f)v 9D7iprau(b ; ©utjer über bie ,,'^avobie" ; §ome über ben „§umor" ;
bie 33or(iebe für ba§ Säd)erli(f)e feine§u)eg§ eine empfebtenbe @igenfd)aft.
®emüt)ungen neuerer Steftbetifer, ben SJtipraudb ber Äomif roiffenf(baftlidb
3u tegalifiren: S'iüer; bie Steftbetif be§ S^antbei§mn§.
193. Sffiie mir fdbon erroäbnt haben, roerbcn bie SXuäbrücfe „bie Sädber;
tidffeit" unb „ba§ .ftomifdbe" mitunter fpnonpm, häufiger aber in ner^
fcbiebener SSebeutnng gebrandbt. Äant führt in ber „Äritif ber Urtbeit§=
traft" fotgenben 3i‘9 ^/^än ^abianer öffnete an ber Oafet eine§
(Jngtänberg in ©urat eine fytafd)e mit 2tte, unb fab atte§ 23ier, in
©dbaum nermanbett, h^i^auSbringen. Oa er mit nieten Stugrufungen ein
ganj nufjerorbenttidbeg ©rftaunen 311 erfennen gab, fragte ihn ber @ng=
tänber: 5Kfa§ ift benn biei^ ftü) fo fe^v ju nerrnunbern? raunbere
midb and) nicht barüber, erroieberte ber Grftaunte, ba^ eg boi^auggebt,
fnnbern n)ie ^abt bi'i^in^oiegen fönnen." Oiefer 3ug ift einfach
„tüd)ertid)", unb tnenn man ihn „fomifdj" nennt, fo gebrandbt man biefeg
21'ort in einem m eiteren ©inne.
„jtomifdh" im engeren unb eigentticben ©inne beg SBorteg ift ba=
gegen ber 2tugbrucf für bie ©igentbümtidjfeit ber Oarftettung, ner^
möge beren ein ©egenftanb täcbertid) erfdheint, inbe^, tnenn man ihn in
ber SS>irftid)feit unb an fi(b ing 2tnge fafü, bie Södhertidbfeit feinegraegg
feine bernorftecbenbfte, ober auch ganj unb gar nidht feine ©igenfdhaft ift.
i)Jtan tefe biefe ®erfe Jeffingg:
Oie arme ©alatbee! man fagt, fie fd^märj’ ihr §aar,
Oa bodj ihr §aar fibon fcbroarj, at§ fie e§ taufte, tnar.
Ober bie fotgenben brei ©tropben oug Söeberg „Oreigebntinben" (lY.
©. 48);
Sie Ä'omif.
271
ben 0ttiujcn, mit ber 5'iebel
3og er meit uon @au’n gu ©aucn,
©tvid) jvtm Smij ben greiling§tM}terrt
Unb ben ftolsen ©belfvauen;
@at) am ^önigöljof be§ gvof^en
5banima[;9tai'd)ib ©efanbten
3tn ben grof^en ^ranfenföntg,
Sen nodj gvöjiern ©Iept)nnten;
3hid) ein 3lefflein ; bicfev 3tffe
SBar ber erfte 3(ff’ im 91orben:
3Jienldjl)eitöriöter finb [ie fpiiter
Unb gemein im 8anb gemorben.
Sic ber ^ienjeit ange^orenbe fdjamlofe ©rfinbung, radele in ben letden
Serfen lädjcrlid} gcmad)t mirb, ift nn imb für fic^, (meim mir auf bie
©rdänmg be§ 2triftotde§ jurüüjdjen,) u)oI)( „etroa§ f^ei)tcrl)afte§ unb
§a^Ud)e§'', aber uid)t äugleid) audj „fdtmerjloä uub uufdfäblid)", alfo
jcbeufallg etroag fd)limmer al§ btofs „lrtd)crti(^". 3iber bie „Satire",
bie „^toiuübie", bie „©aricatur", fiubeu eben barin il)re Slufgabe, bie
3Serfd)rt!^eiten ber d)ieufd)eu Uidjerlidt erfdjeinen ju laffeu, uub bie=
fdbeu baburdj bem Spott uub ber 33erad)tuug preiSjugebeu; bie ©r=
jeuguiffe biefer 'dtic^tuugeu uerfd)iebeuer fünfte finb e§ juniid)ft, mcidie
man, ba§ 2®ort im eigeuttid)eu Sinne ndjiueub, „fomifd)" nennt. —
3n einer jmeiten Sebentiing erfd)eini bann „fomifd)" and) al§ ba§ 3tttribnt
jener ©egenftanbe fdbft, mddjc ben Sormnrf ber bejeidjueten ©rjeug;
niffe bitben.
Sa§ Subftantiu „bie Äomtf" t)at gteid}falt§ jmei Sebeutnngen : e§
ift balb ber 9iame für bie ilnnft , fomifdte 2öerfe jn tiefem , batb ber
3tu§brnct für bie fpecififd)e 29irfnng biefer Äunft, bn§ t)eif3t für bie
eigenartige Sefd^affen^eit foldjer 33erfc.
194:. 3lber roie bie erraiil)nte Äunft e§ oerfte^t , nermittetft ber
Sarftdlung Singe lüc^ertid) erfdjeinen ju taffen, bie an unb für fid)
nerfetjrt, niebrig, böfe finb, fo fann fie, auf i^ren eigenttidjen Sernf
Dcrgcffenb, it)re 30iittet and) bajn oerroenben, ba§ 3Mmtid)e ju teiften in
9iüdfid)t auf ©rfc^einnngen , roetd^e bitrd) etf)ifd)en Söertt), bnrdj mnfjre
Sd)önt)eit, burc^ ©rtiaben'^eit nnb ©röpe tjeroorragen. Unb fie tjat in
ber „ifiarobie", ber „Jraoeftie", ber „if3offe", nnb ber fd)on erunitjuten
©aricatur, and) biefe§ mirftid) non 3ttter§ !^er gettjan.
©ine „i^arobie" nannten bie ©iriedien ein fomifd)e§ ©tebid)t, ober
and) eine Stette biefer 3trt, morin ganje Serfe ober einjetne 3lndbrüife
unb SSenbungen, ernften nnb tjeroorragenben Seiftungen ber ^oefie tt)eit§
272
®er SOtipraud^ ber Äomif.
entlehnt, t:^etl§ nac^gebUbet roiirben*). ®a§ 25olf oon 2tt§en, erjagt
®uljer, lüttv um bte be§ ®erfalleä ber 3tepubüE für bie
5|5arobie au§erorbentIic^ eingenommen; barum ift 5Eriftopfiane§ ooll non
i|3arobien einzelner 93erfe ber beften tragifcfien Sichter, „^n neuerer
3eit ^at bie ifoarobie oorjügüc^ in f^ranfrei(^ i^re Sieb^aber gefunben.
0carron '^at bie Steneibe parobirt; aber erft lange nacE) i^m finb bie
förmlid)en if}arobien ber Sragöbien anfgefommen, eine ber frenelfiafteften
(Srfinbnngen be§ anäfi^roeifenben 3Bi^e§. <^uf einer oiei ge=
priefenen franjöfifcf)en ®ü!^ne ba§ nid)t fi^Iei^te 2:rauerfpiet ,Ore[te§ unb
if3p(abe§‘ auffnfjren fe^en, wobei bie 2ogen unb ba§ ifSarterre fic^ jiemlid^
gleid^gültig S^^gten. 23eibe füllten fi(^ gegen ba§ @nbe immer mefir: unb
gteid) nad) bem ©tücfe mürbe eine ifSarobie beffetben aufgefü^rt, bei
roel(^er ba§ gan^e 5;i^eater nnf3erft lebenbig, unb ba§ i^änbeflatfc^en oft
allgemein mürbe. iSEan mnfj e§ int Seidjtfinn meit gebracht
l^aben, um an foI(^en ifJarobien ©efaüen jn finben" **).
®ie ©eneigt^eit, über 2tCfe§ ju Iad)en, unb bie f^ertigfeit, SItleä
in§ Säd^erlid^e jn jie^en, — ber „§umor", — ift in ber 2;^at ni(^t§
meniger, at§ ein ißemeig oon Jiefe be§ ®eifte§ unb ®rö§e ber ©eete.
„25>enn mir ben (S^aracter eine§ .^nmoriften beobad^ten, fo finben mir,
bafj ba§ mag biefen 6'^aracter eben angmadjt, unfere Sichtung oor bem
ilRanne oerringert; mir finben, baf3 berfetbe bebingt ift bur(^ ?07omente,
mel(i^e sngleid^ täd^ertic^ unb ungejiemenb finb, unb bep^tb @ering=
fdjöt^nng erregen" ***). Ü07it ber oor'^er oon ung gegebenen pfpi^ologifc^en
(Jrftärnng beg 35ergnügeng ber Sädjerlid)feit gegenüber, fielet biefe
fa(i^e in ooUfter Ilebereinftimmung. biefeg ißergnügen in feiner SBurjet
mirflic^ ein oegetatioeg, bann begreift eg fid), marum baffelbe fid^ um
fo teidjter unb um fo intenfioer einäuftetlen pftegt, je meniger fid^ ber
bef^errfdEienbe ß'-inftu^ beg ©eifteg auf bie Seiblid^feit entmicfett !^at, je
tiefer übert^aupt bie ©tnfe liegt, auf meld^er in et^ifdtier unb inteltectuetler
.'pinfid)t ber ©injetne ftefit. Unb nidjt minber erftart eg fidf) aug berfelben
Dtüdfidbt anberfeitg, marum tauteg l^adjen unb nic^t ftrenge gejügette
^eiterfeit fid^ für ben iD7enf(^en um fo meniger fdjidft, fe p^er bie
©tettung ift bie er einnimmt, unb bie 3lnfprüdf)e metd^e be^l^atb an feinen
©eift unb fein §erj mit 9ie(^t gemadt)t merben.
3Sie aber bie ib'ortiebe für bag ßa(^erlid^e immer eine gute ®ofi§
*) 6in ©tuet biefer 2trt ift ein @ebid;t beg 3Jtatron, ba§ in SSerfen bie bem
isomer entnommen ober nai^gebübet finb, eine ©d;roetgerei befingt. Ser ätnfang
entfprid^t ganj bem erften SSerfe ber Obpffee:
Aemvd [xot ewetce Moüaa noXOTpocsa -/.at pidXa TzoXkd.
**) ©ntjer, 2tüg. Sf)f°rie ber fd^önen Äünfte, „ißarobie".
***) §ome, ©runbfäpe ber Äritif, ftap. 12.
Ser 2)Jtpbraud^ bcr jtomif.
273
Öeicf)tunn unb 06evf(äd^(idfjfeit DorauSfet^t, fo gibt eä aitd] für roatire
Gilbung unb S^ereblung beg (^^aracterg fein fc^fedjteveg i)i)tittef, a(g
eifrige 53efd)äftignng mit ben Seiftungen ber Äomif. ®ev @runb gefjt
aug bem ©efagten ftar genug ^evuov. „Sen tauten SJiarft", fügt fet)r
gut unb ma^v ber Sichter,
„Sen tauten ttJkrft mag iDtomng unterhalten,
(5'in ebler Sinn tiebt ebtere ©eftattcn."
195. „^dj fenne nid)t teicbt einen gröfteren fv’^eüel", erftdrt Snljer
an ber norher bejeidjueten ©tette, „ntg ben, ber inirflid) ernftt)afte, fogar
erhabene Singe täd)erlid) madft." iJlber betrnbenber nodj unb nnheitnotter,
atg ben thatfäd)tid)en ‘'Dtiftbrandh ber Äomif, rnufj man otjue
23eftreben neuerer 5tefthetifer finben, „miffenfchaftlidje" ©rnubfcitre anf=
guftelten, bie foldfen „fvrenet" rechtfertigen, unb bie ‘'f^robncte biefeg ‘i)Jtifi=
braud)g atg äd)te ©rjengniffe „fd)öner fünfte" erfdjeinen taffen fotten.
©0 uiel fteht tuif @rnnb ber non nng gegebenen ißeroeife feft, bnf3
bie Säd)ertid)feit nidjt ©diönheit, baft ein Sädjerticheg , atg ©otdjeg, nie
unb nimmer ein ©d)öneg ift. Senn ein 33erftoB gegen bie @efel^e ber
3}ernunft, ein f^ehlerhafteg , ift atg ©otdjeg nie ein an fid) ©nteg,
fonbern eg ift bag rang eg ift in f\otge einer ifirination, eineg iSt a n g e l g
an innerer ©ntheit. SBilt man um jeben ifireig eine iBejiehnng ^mifdjen
ber ©d)önheit nnb ber Scidterlichfeit finben, fo fann biefetbe nnmögtid)
eine nnbere fegn, atg bie beg @egenfal3eg ober ber ^Berneinnng:
„Ä'ricg führt ber 3Silj auf emig mit bem ©chöncn."
Srot3 alter ©djeingrünbe bie bafür angeführt merben, ift eg mittjin falfdj,
rcenn mit 5tnberen lehrt, „bag Säd)ertid)e*) taffe fid) big jnr
©d)önt)eit fteigern" , „bag 5lomifd)e fei) bem ©djönen mir fd)einbar
entgegengefetjt, bag oon ihm junädift bargeftetlte
nmgefehrte", „bag Ä'omifdje gehöre eben fo mie bag Srngifch^
ben attgemeinen öfthetifd)en iBegriffen" **).
^nfofern man „äfthetifdje iöegriffe" jene (figenfdtaften ober iBorjüge
nennt, bnrch raetdje fid) bie äSerfe ber fd)önen Jl'nnfte atg fotd)e d)arac=
*) gtd'er roiti lagen, „bie Sächerlichfeit".
**) gider, ätefthetit, (2. 3(ufl.) §. 70.
Ser oben Don gicter gebrandete 3tn§brnd „ba§ nmgefehrte 3beot", loenn nn=
berg ein sSegriff bamit nerbunben loerben loU, fann hoch nid)tg 9(nbcreg bejei^nen,
atg eine eminent hohe Sütle non ,!pähli^fcit (ngt. "Je. 142. 145). ®ine fotd;e ift
aber nid)t fornilch, fonbern roiberroärtig, nbfd)enlid); überbieg bebiirfte eg einer lang:
loierigen „Steigerung", big man non biefer jur Schönheit getaugte, ätber mir
nehmen bie Sad)e jn ernft; bie fchönen Äiinfte finb ja „ein freieg Spiet"; mag
fann ihre ©iffenfehaft beffer it)un, atg mit SSorten nnb 53egriffen fpielen 3
Sitngmann, 2tEfttjetit. 2. SCiifl. 18
274
Ser SRipraud) bev Äomif.
terifiren fönnen, rechnen fretUc^ auc^ roir bie Säd^erüd^feit 51t bie)en
33egviffen: eben barum bepnbeln mir biefelbe in btefem Sud^e. SIber
ganj unjuläf3ig ift e§, raenn ba§ Ä'omifi^e mit bem S^ragifd^en auf ß^-ine
Sinie geftetit roerben roitl. Sie in tragifcfien (5rf(^einungen pmortretenbe
@rbabenf)eit bringt unnrittelbar bem nernünftigen @eifte @enu^; bie
f^reube am Jl'omifctien ift gunädjft unb an erfter ©teile leiblic^eg 23el^agen.
51ber roenn man ain^ biefer non und aboptirten Stuffaffnng be§ ^eiligen
5lpmas unb jl'antö nid)t juftimmen roollte, nnb bas ißergnngen über
baS Ä'omifdje aus ber Siebe unb Sichtung für baS ißernunftgemüffe , für
baS ©Ute unb ©d)öne l)erleiten ju müffen glaubte: fo mürbe !§ierauS
bod) offenbar MneSroegS folgen, mie ^ider annimmt, bap jeneS Vergnügen
formell nnb feinem SBefen nach felbft ein 51ct biefer Siebe, mithin ©enu^
ber ©cbönljeit märe. Ober roill man be'^anpten, etroa bie fyurcbt oor
bem Oobe fep formell unb ilirem SBefen nach ©enuf? beS SebenS? ©ie
gebt freilid) auS ber Siebe jum Seben Ijeroor ; ober biefe Set^tere offenbart
fid) barin bod) nur oirtuell, ober roenn man roitl, „efficienter".
Oer Sebre ilüfi^erS b^ben roir ft^on einmal furj gebacbt. Sei ibm
roirb bie Unroiffenfcbaftlid)teit gerabeju b^nb greif lieb. SBunbern freilid)
tonn man ficb borüber nidft mehr, fobalb man oon ibm ben ©a^ üer=
nommen bdt: „OaS .^omifebe ift fcblecbtroeg pnntbeiftifcb" *). Oenn
febeS ©pftem beS i^5antbeiSmuS ift feiner iRatur nod) ber ©egenfo^ ber
2Siffenfd)aftIi(bfeit, roeil eben feber i)?antbeiSmuS feinem SBefen nach
roiberfinnig ift.
.'obren roir junüebft, roie ber 31eftbetifer beS ^pantbeiSmuS unS baS
äSefen beS £'omifd)en ,311111 Serftnnbiii^ bringen roill. „OaS Äomifebe
ift, roie baS ©rbabene, ein ÜHoment beS ©(bönen, beibe finb im ©cbönen
roefentli(b begriffen"**); „fie entfalten fieb als eine notbroenbige Seroegung
unb ©öbriing (sic) im ©d)önen felbft, inbem ficb ©inbeit beS einfodb
©d)önen 311111 roirflid)en äSiberftreit feiner iSlomente erfeblieftt" ***). äBie
baS 3iigel)t? „OaS ©d)öne erfd)eint 3iierft als einfache ipofition. Oonn
tritt bie 91egation ein, inbem 3iniäcbft fein finnlicbeS 90toment im ©rbabenen
negirt roirb". 91ber fielje ba! „bem in patbetifdjem ©d)rounge begriffenen
©rbabenen gerötb baS Sagoteil eineS bloff ber nieberen ©rfcbeinungSroelt
angebörenben OingeS, oorl)er oerborgen, auf einmal unter bie Seine,
unb bringt eS 3U pfalle" : in biefer S5>eife „brebt baS Äomifebe bie ©acbe
23i)cE)ei', Sleftbetif, 1. §. 183.
**) 23i)per, lieber ba§ (äpabene unb .Sl'omi)d)e, S. 14. Serfelbe ©ebanfe
erld)eint übrigens and) )d)on bei gider: „Sie üorjüglid)ften ©rfcb einungsformen beS
®d)i5nen, ))Jtobificntioncn beffelben, glei(b|am iöne einer Scala, g'^'^ben eines ge=
brod)enen Stral)lS, finb baS ßrbabene, baS 21nmutl)ige, nnb baS Äomifebe."
(Slcftbetif, §. 22.)
***) 23ifd)er, Slepetit, 1. §. 82.
Ser 5Kipvaudj ber Äomif.
275
um , iinb negivt bte erfte Siegation. SSiv ^aben alfo eine Slegation ber
9iegation. Duplex negatio affirmat; aus ber boppetteu i^erneinung
fpringt roieber baä be}al)enbe 2Be)en, ba§ 0d^öne, ^eruor" *).
®ie „5?eroegung unb ©äl^rung", ba§ „Sagateti", ba§ „©rl^abene
in feinem patf)etifd)en ®d)iunnge", ba§ „auf einmal unter bie iBeine
@eratf)en", ba§ „jn fffotle bringen'' nnb ba§ „njieber 4'^ernorfpringen",
finb otjite anf df)anlic^e Singe. 3tber man fragt nnmiti;
fnrtid); 5tn§einanberfet^nng @ct)erj ober ©rnft? miffein
fc^aft(ict)e (vntraidetung ober — ein Sronm? 33ifd[)er roirb unä ant=
roorten, baf^ mir it)n nid)t oerfte^en, meit un§ „bie 3^ee ber (Einheit
oon Senfen nnb 0epn", roeit nn§ „bie metnptjpfifdjen begriffe fehlen" ;
raeil mir „bie ©d)ute ber Siatectif nid)t burdjgemad)t Ijaben, in mel=
c^er ba§ ftarre sieben be§ 33erftanbeg on einfeitigen iRefferionäbeftim;
mnngen abgelegt roirb"**). Sa§ muffen roir freilid) jugeben; aber mir
^nben nidjt ©rnnb, e§ jn bebanern; nid)t btofi bep^afb, roeit, roie bie
Sage get)t , „bie ©infieit oon Senfen nnb Sepn" unb bie gefammte
„Siatectif" fener Sehnte nod) nie oon einem oerftänbigen i)Jianne oer=
ftanben roorben ift, fonbern fdjon au§ it^üdfidjt auf bie fyotgernngen,
roetdie 3Sifcber für bn§ IRben nnb bie fünfte an§ ben ©rgebniffen feiner
Siatectif 5iet)t.
„(E§ liebt bie äüelt, baö Stral)(enbe ju fdpoär^en,
Unb baö (Erf)ab’ne in ben Staub jii Ü'-ü/n",
fagt Situier mit nnb 3}ernd)tung. Sie iRei^tfertignng, ober
oielmebr bie iBert)errtid)nng biefer ©emeintjeit, ba§ ift ba§ practifdfe
iRefuItat ber Stnffteltnngen SSifdjerg. „©§ fnnn" auf ©rnnb berfelben
„nii^t bie ilReinnng fepn, bap ba§ SBidRige nnb ©rope, ©efeü, Staat,
tRetigion, bebeutenber ÜiRoment ber gefd)idjtlic^en ipotitif, nid)t ber ^'omif
unterroorfen loerben bnrfe ober fönne" ***). „Sie tReligionduorftettnngen
ber ©egenroart forbern, äf)ntid) roie bie 2tegppten§ nnb
^nbieng nnb bie ®iberfprndje ber gried)ifd)en nnb römifc^en ©ötter=
te^re, 3ur Äomit auf", nur baf? fie „im ^'^inbtief auf bie iDienge Sotdfer,
roetdje fie nod) bebnrfen, anpernftt)etifdje 9iüctfic^ten ber Sd)onnng
auftegen" 7). „Ser ©ott ber fpeentatioen SlRttanfid)t brand)t ba§
.^omifdje nid)t ju f(^enen, roeit fa mir innertjatb feiner fetbft über itm
getackt roirb; roeit er ja baffetbe, roie ba§ ©nbtidje, ba§ ©emeine, nnb
fetbft bas ißüfe, ats ein it.Roment bem er feine t)tott)roenbigfeit gnertennt.
*) 3?iidjer, Ueber bn§ (?Tl)nbene nnb Äomifdje, ®. 225 nnb 150.
**) 3Sifd}er, lieber ba§ ®r£)abenc nnb Äonüfdje, 0. 15. 20.
-***) aStfeber, aieftbetif, 3. §. 915.
7) ®iid;er, 3(eftbetif, 1. §. 165. Dt. 2.
18*
276
®ie finnlid^e >3(ngene^m§eit.
. . in fic^ l)egt" *). Äur^, „e§ gibt ni(^tä roal^r^aft (är!^abene§", unb
barum „greift" mit D^ec^t „bie äd;te Äomif bie malere @rö^e an"**).
^abe biefe ©ä^e atä bag „practif(^e Dtefultat" ber fpeculatinen
^uffteöungen SSifd^erg bejeicfinet; märe eg 3Sermeffen:^eit, ju benfen, fie
fepen eigentU(^ ber biefer ße^teren, unb ber einzige @runb, um
beffen mitten biefe nertfieibigt roerben? ©o niet ift febenfattg offenbar,
oerpftid^tet für i^re frennbUd^en ißemüfiungen mujf fid^ ber äiefb^etif beg
^ant^eigmug gegenüber (Siner füllten, unb er attein: ber ®eift jener
jlomi! nümlidi), ben nor ni(^t oielen ein ©dfiriftftetter treffenb
„ben Äünftterl^umor ber ©ummter" nannte, „ben ©affenbuben, ber bie
genfter ber j?:ir^en, ber ipalüfte unb ber Jütten mit ©teinraürfen ein^
fdfimeifft, bamit ©affenbuben baju in bie §änbe fiatfd^en" ***).
^üufte^ tapitcl*
Hie fiiinlid)c Jiugcncl)ml)eit.
Definition biefer (Jigenfdjaft. ^n roiefern fie für bie fd)önen Ä'ünfte ©ebeutung
habe. Ob ba§ 3tuge nnb ba§ O^r mit ©ed)t au§fcE)tiefttid[; al§ bie
„äftbetifeben" ©inne getten. SBannn in ben Sßerfen ber fd)önen fünfte
nur bie „optifd}e" unb bie „acuftifd)e" 3tngenebmbeit nerroenbet roerben
fönne.
196. l^ag „finnlidjer ©enu^" fep, tjaben mir im jmeiten Stbfdjnitt
(66. ©. 87 f.) gefe^en. Damit ift auc^ ber ©egriff ber lebten ©igenfd^aft
gegeben, beren mir ^ier nodt) ju gebenfen tjaben; „Die finnlid^e 2tn=
gene^m'^eit eineg Dingeg ift jene ©efdaffen^eit beffetben, oermöge beren
eg geeignet ift, für bag finnlidje ©rfenntniffoermögen ber ©egenftanb
einer biefem angemeffenen Dt)otigfeit ju fepn."
©ebeutung für bie fdjönen Äünfte bürfte mo^t nur bie 3tngene^m^eit
für bag 2Iuge unb jene für bag O^r l^aben; mir fönnen aud§ fagen, bie
„optifd^e" unb bie „acuftifd^e" Stngenel^m^eit. Denn barauf l^aben ber
üttialer, ber ptaftif(^e Äünftler, ber 2trd)itect o^ne fe^en, ba^
fie ni^t burd^ f^arben unb ©erbinbungen oon fyarben ober bur^ ©eftalten
bem 3tuge me!^ t^un, uietmel^r, fomeit eg bie mefenttidje ©eftimmung
einer feben i’^rer Seiftungen geftattet, Sttteg fo einridt)ten, bafj bag 2tn=
*) iBtidjer, lieber ba§ 6r£)obene unb Äomiid^e, ©. 167.
**) SSif^er, lieber ba§ Srbabene unb j?omif(^e, ©. 165. 166.
2tber roo ift benn „bie roabre ©rbfe", roeun e§ „nidbt^ roabrfittft (Srbabene§
gibt“ '? 3n ber eine uiroergtcicblicbe „®iatectif“ !
***) Olbenberg, (Sin ©treifäiig in bie tBitberioett. (.^amburg 1859.)
®ie ]'iunlid;e Singcnel^m'^eit. ®ie „äft^etifc^en Sinne".
277
flauen bcrfetbcn aui^ für ba§ 3hige aiugenef^m ift; tu gleid)er Steife
barf bie umftcanid)e ßompofitton unb bie Veiftung be§ ©tingevg nid}t
(Jdeuieute enthalten, tuetd)e für ba§ Of)r uerleljeub finb, unb eg uuifi
fid) bie ©pradje beö ®id)tev§ ober beg Dtebnerg biird) ifireu Sßooblftaug
aud) bcm äufferen ©iuue empfel)Ieu. Uebrigeug roerbeu bie 3)orjüge
biefer 3frt beu 2>3erfeu ber fd)öueu fünfte uteifteug freilid) f(^ou bnburd^
eigen fepu, bnf? biefeibeu aubereu fyoT^^i'tiugeu eutfprcd)eu, bie fid) auf
raefeutlidjere unb I)öf)cre &tücffid)teu grüubeu.
3(ber ronruiu, fo fragt uielleidit femaub, roarum fod nur bie optifc^e
unb bie acuflifdje 3IugeucI)uit)eit für bie fdjöueu Äüufte Sßebeutuug '^abeu ?
^nfoferu biefe barauf augget)cu, uug ®euuf! ju bereiten, — mögen fie
nun Ijierin ilfre Stnfgabe fct)en, ober ein mefentUdjeg ^Jtittel für biefe, —
fdjeint cg bod) nat)ejntiegen , bafj febeg nntürtid)e iBioment, foiueit eg
nid)tg Ungejiemenbeg bat, für biefen oerroertbct rocrbe. Unb raenn,
mie mir gefetjen bat’^a, bie ib'oinif fetbft bie jnnncbft „uegetatiue" £'nft
beg Sadjeng bennbt, mnrnm finb fene „finntidien" ©enüffe, bie fid) mit
ben perceptiuen 3ibätigfeiten ber brei nieberen ©inne oerbinben, uon ben
®iitteln ber fdjönen Äünfte auggefd)loffen ?
iß>ir beantmortcn biefe fvrage leichter, unb in groedmofügerer tfi>eife,
menn mir jiicrft eine anbere .^i löfen fndjen.
197. ®egen bag ®nbe beg erften 3lbf(hnitteg bereitg begegnete nng
ein @ebanfc beg b^tfis^'a ©bo»iag , ben mir bamatg nid)t meiter jn
berücffiihtigen batd’u. ,,'Uon nuferen ©innen ftebcn jene üorjnggroeife
jnr ©d)önbeit in 33ejiebung, bnrd) bie mir oorjnggmeife erfcnnen, bag
3(uge nörnlid) unb bag Ol}^' infofern fie ber i'ernnnft bienen; ficbtbare
©inge finb eg fa befanntlid) nnb 3;one, benen man ©d)önbeit jnjufdjreiben
pflegt, mnbrenb man ben Objecten ber anbcren ©inne biefen SSorjng nid)t
jufpricbt; einen @efd)mact ober @ernd) nennt niemanb ,fdjön‘“ *). 3Utcb
iplato fpridjt im „großen ,'öippiag" biefen ©ebnnfen ang**), nnb (Jmgel
raieberbolt benfelben; „®ie (S-inbrücfe beg @erncbg, @efd)mncfg nnb ®e=
füljlg nennt man nur ,gnt‘ ober ,angenebm‘, bie einfadcu ®mpfinbnngen
beg ®efid)tg nnb @ebörg nennt man auch ***). ST'oranf grünbet
ficb nun biefer ©prad)gebraud) ?
Oer ®rnnb beffetben liegt ol)ne ^i’^eifel einerfeits in ber 31ntnr ber
*) Thom. S. 1. 2. p. q. 27. a. 1. ad 3. 3Die gaiije Stelle finbet fid) oben,
3c. 30. S. 49 f., unb in ben 3lnmerhingen n. 45.
**) Cfr. Plat. Hipp. mai. Steph. p. 297 — 299. Bip. 11. p. 41 — 44.
***) 3- 3- d'ngel, „lieber bie Scbönf)eit bc§ Ginfachen". 2ßevfe (SPertin 1810)
I8b. 4. S. 28.
Gngel bviidt fid; übrigens nid;t gut anS; nid;t „bie Gmpfinbnngen be§
fi<ht§ nnb Gtet)örs" roerben „fd;bn" genannt, fonbern G^egenftcinbe biefer äioet
Sinne.
278
®ie „äft^etifd^en @hme".
@^ön^eit, anberfeitä in jener ber brei nteberen ©inne. ®ie ©djön^eit
ift ein burc^auä überfinnlic^er , ber fenfitinen 2öa!^rne§mung unjugäng=
lieber ißorjug; if)r ©enuß, burcf) noile unb flare ©rfenntnif^ bebingt, ift
ganj geiftiger 2Irt. 3)ie brei nieberen ©inne nun ^aben it)re näi^fte
S3eftimmung barin, baß fie ber (Sr^altung unb f^örberung be§ Ieibü(^en
ßebenä, in betn (Sinjelnen unb in ber 2trt, bienen. 2lüe ißorgänge aber
in bem ©innenraefen, burc^ roelt^e biefeä 3^^^' (S‘rt)altung nnb gör=
berung be§ teibtic£)en ©et)n§, erreicht roirb, !^at bie Sßeiä^eit be§ ©(^öpfer§
mit entfpret^enbein negetatinem ©enuffe nerbunben. liefen ©enu^ mithin
bem ÜJtenfdjen j^ngängtii^ ju mailen nnb ju erteiditern, inbem fie i^n
befähigen, bie bafür geeigneten Objecte mabrjunel^men unb ju nnter^
febeiben, ba§ erfd^eint alä bie eigentticbe 23eftimmung ber brei nieberen
©inne. ©ben bejfbalb finb biefe fo eingeritbtet , baR bie ihnen al§ per=
ceptinen SSermögen eigenen finnlidien ©eiutffe ben negetatinen febr nabe
liegen, unb leidjt in biefelben übergeben. 3?erücfficbtigen mir nun, mit
roeld)er ©nergie ba§ niebere ©trebenermögen auf bie negetatinen ©enüffe,
eben roegen ber 25>id)tigfeit ber roeld)e fie förbern füllen, geri(^tet
ift, unb mit roeld^er ©tarfe in f^olge ©enüffe nor allen
anberartigen , audb nor ben finnli(ben, fi(b fühlbar machen: fo erflürt e§
fid) leicht, roenn unter ben 3roecfen, für roeld)e bie brei nieberen ©inne
ihrer Statur nach bienen tonnen, faft ausfdhliefilid) bie negetatioen ©enüffe
unfere ^Beachtung unb nufere Slufmerff amfeit auf fid) Riehen. Oie natür=
lid)e f^olge hiervon ift, baf? mir und für bie 3i^'«de be§ höh^i^fi^/ getfügen
gebend mit ben burd) ba§ ©eficht unb bad ©ehör und gelieferten SSor?
fteHungen begnügen, nnb für jene bie Oienfte ber nieberen ©inne um
fo roeniger beanfprud)en , ald bie burd) fie geroonnenen 2?orftellungen
foroohl an 3*^^^/ Klarheit nnb ©d)ürfe hinter jenen raeit jurücf;
ftehen, roelche bie beiben hö^enen und bieten. 'Igirb und mithin bie
©rfenntnif), namentlidj bie flare Sfnfchanung ber überfinnlichen ©igem
fchaften ber Körper, fomit auth ber ©ienuf^ ihrer ©chönheit, anftheinenb
audfchtießlidj burch bad Singe nnb bad Oljr nermittelt, fo begreift ed fidj,
raarum und ber ©praebgebraud) mir bie Objecte biefer beiben „fchön''
jn nennen geftattet.
iBei alle bem ober ift biefer Oienft eben nur aufibeineub aud=
fchlief3lid)ed ©igenthum ber jroei höf)tnen ©inne: in ber Oh^t üben fie
benfelben nidjt allein, fonbern nur norjugdmeife , uub in roeit höhei^en^
©rabe old bie übrigen brei. Oer iBlinbe bebient fi^ aud natürlidhem
3nftinct bed Oaftfinned, um bie ©ieftalt ber Oinge gu erfennen; unb
raer roill in Slbrebe ftellen, baf? and) ber iBlinbgeborne fähig ift eine
©eftalt, etma eine notlfommene SOtarmorfugel, ober bad gerounbene §orn
ber 3lngoro=3«ge / fd)ön ju finben? abgefehen oon bem
Sludnahmefall, roo einer ber hbh^^'^’^ ©inne buri^ bie nieberen rcie immer
Die fiimiicf^e 3(ngene^nt^eit imb bie fd^önen fünfte.
279
erfet3t (üerbeu inuf3, marum füllte unfere 5^evmmft nid)t and) üermittclft
beö Jaftfinneg ober be§ @erud)g fold)e inn-jüge au ben ©tagen erfcmteu,
roeld)e roa^re (^demente ibrer inneren @ntbeit, nütbin and) ihrer Sd)önbcit
finb, 5. 33. fyeftigfeit, ^Tuecfmnfngfeit, nnb anbere ©puren ber orbnenben
SSeidbeit? ^dit uerglcid}e bie äl^orte be§ b^i^ise>^ 9luguftin, oben 9i. 156
©. 214 f. Sß>ir ftiinmen barnm oollfonnnen bei, luenn ©nparelli* **)), obgleid)
üon einer ganj anberen 5lnffaffnng bed SBefenä ber ©djönbeit audgebenb
al§ roir, mit @nllnppi ficb „oon beni an§fd}lie[did)en i'orrecbt ber ^toei
,äftbetifd)en‘ ©inne nicbt fo gan,5 überzeugt" erflärt; im (fiegentbcil, mir
finb burd)and überzeugt, bap fie fene§ i^orred]t, oor bcm f^ornm ber
®iffenfd)nft, ald andfdjiiefdidjed feinesmegß bebnnpten fönnen. dlnd)
©bomad oon 5(qnin fagt in ber oorber angefnbrten ©teile nid)t, bad
3(uge nnb bad ©b^' ft^b^ andfdiliefdidf , fonbern nur, biefe i^mei fteben
üorjngdroeife (praecipne) jnr ©d)önbeit in tl^ejiebiing. Unb felbtt
ber ©pradigebrand), oon meldfem oorber bie IHebe ronr, ift, mic ©anberd
bezeugt, feinedmegd fo gan.^ allgemein in feiner 2tn5fcbliefdid)feit;
„dtid)tQ id)mcrft fo fd)öii, al§ bad gcftobl’ne 43rob"
198. 3'n ben pft)dfologifd)en Xbfiifddjen bie mir ^nr Xdnfflärnng
biefed 'f.'unfted bennbt b^^^'d f>i^^ "n'i biejenigen bercitd entbalten, biirdi
roelcbe ficb oorleuten dlnmmer geftellte iyrage gröfttentbeild
beantmortet : roarnm nnmlid) mir bie optifdfe nnb bie nenftifcbe 5tn=
genebmbeit für bie fd)önen fünfte Ißebentnng b^be, unb oon benfelben
nicbt and) jene (finnlid}en) (qienüffe uermertbet merben, bereu mir
biiriib bie brei niebcren ©inne fntiig finb.
©iefe t^ü'nüffe liegen nämlidj ,^n nabe bei oegetatioen (Mennffen, nnb
geben jn leidet in foldie über, ald baü ed nngemeffen erfcbeinen tonnte,
burcb fie ben nftbetifcben föennf? erböb^'^ 0*1 mollen. ©cnn roäbrenb
einerfeitd bie d'orftellnngen , meld)e burdf bie nicberen ©inne nuferem
©eifte uermittelt merben, roenig il'tarbeit nnb ©d)ärfe, überbanpt menig
ju geiftiger ‘Dbütigteit Stnregenbed müftte anberfeitd bad ©in^u;
treten einer oegetatioen llnft ben üftbetifdjen ©einiR beeintrüditigen nnb
felbft binbern, inbem ed bie intellectnelle nnb bie etbifcbe ©bütigfeit, bereu
ed für ben i'ebteren bebnrf, bebentenb oerminberte.
biefem fömmt aber ald meiterer @rnnb eine ütüdfidjt, bie faft
immer entfd^eibenb ift. (finem ÜJtaler ber ein 33tnmenftücf liefert, bürfte
ed immerbin ermünfcbt fepn mögen, bem d3efd)nner nicbt blog bie ©eftalt
nnb bie fvarbe feiner IKofen bieten, fonbern il)n and) ,^ngleid) ben ©nft
berfelben geniepen taffen ^u fönnen; ber Siebter mürbe ben Ütei,^ feiner
*) Ragioni del hello, §. II. n. 8. (La Civiltä catt. Ser. 4. vol. 4. p. 552.)
**) •tmgeborii, bei SanberS, 5Sörterbiid) ber beutid;en ©pradje, „©d)ön".
280
Sie finntid;e SlngeneJ^m^eit unb bie fc^önen Ä'ünfte.
©djUberung, in roelc^er er bem Sefer ettna eine jc^öne iianblc^aft malt,
fet)r rairffam ev^ö^en, roenn er i^n auc§ bie erfrifci^enbe ^ü^^te be§
©ommermorgens nnb bag nernenftärfenbe Stroma ber Sßatbluft empfinben
liej^e: aber bafür fet)Ien nun einmal bie iStittet. Unb rcie in biefen, fo
fe^en fic^ in l^unbert anberen Ratten bie fd^önen fünfte au^er ©tanbe,
neben bem nernnnftigen @eifte nnb bem Stuge ober bem 0!^re, auc^ nod^
einen ber brei onberen ©inne burd^ i^re ^eiftnngen jn nergnügen. 2öer
i^re @efc[)id[)te einigermaf3en fennt, nnb roeifj, roie fie eg o^nebieS fc|on,
na(^ ©t. Stngnfting 35>ort, non Sttterg !^er nerftanben !^aben, in il^ren
S£?erfen „bie nerfü^rerifc^en Steije ju neroietfältigen , olpie alte 3ftücffic|t
anf @ottegfurd)t nnb ©itte", ber mufs überjengt jepn, bajt bie SKenfc^^eit
nur ®rnnb l^nt, @ott bem ^errn bafnr ju bauten, bap er i^nen roeitere
OStittel, nnb bamit bie iStögüc^feit nodb ärgeren ilRipbrau^g , gnäbig
nerfagt I)at.
§ecß$tci* ^ßfcf^nüt.
einige erkltirnngcn bes iüDel'cns ber cSd)önl)eit, U)eltl)e mit
ber non nns gegebenen nid)t iibereinitinunen.
199. Äls 3[ßid)lu[^ unierev lluteri'ucfiiingen über „bte äftl)cti1d)cu
©ninbbegriffe" Injjeii luir i)ter einen 3lbi'djnitt foigen , in roeldjem nur
einige non ber nnivigen ner)d)iebene 3.^eitimmnngen be§ uov^nglidjlten ber=
jelben, nninlid^ ber '3d)ön^eit, lomeit es angebt fnv,^, befpredjen inoüen.
©ine pvüfenbe 3^evgteid)nng mit ber abroeicbenben 3tn)id)t 3(nbcrer bient
immer bajn , bie eigene iebärfer bervortreten ^n (affen, unb unter Untr
ftönben and) fie fefter jn begrnnben.
OOian molle inbefi an biefer ©teile nid)t etma eine erfdiöpfenbe 3(uf=
fübrung aller befonberen 3(nffaffnngen ber ©d}önbeit ermarten. 3Sir
geben nid)t eine (f^efd)icbte ber , and) nid)t eine (Mefd)id)tc ber
äleftbetif. Ueberbie§ glauben mir mit 9bed)t ber 3(nfid)t jn fepn, baf)
feinesroegä febc befonbere Definition ber ©d)önbeit auf 33erncffid)tignng
3(nfprnd) b^t. Otnr fo(d)en fönnen mir biefen ^Infprnd) gngefteben, meld)e
offenbar auf eingebenberen ©tnbien bernben , ober menigftens fidf bnrd)
einen 3tamen empfebten, ber nnf bem (f^ebiete ber 95>iffenfd)aft imn
bernorragenber (Bebentnng ift.
ii'ebrbncber, fogenannte Cfompenbien, haben of)ne ib^'^a --'ovtb
unb ihre i^erbienfte; aber bad ift ein uon if)nen, id) möd)tc fugen nn=
trennbarer Otaditbeil , bap in fd)mierigen , nodf controoerfen fragen ber
ißerfaffer mitunter beinnbe genötbigt ift, bie ^Verbreitung pon 3(nfd)nnnngcn
jn förbern, bie meber bintnnglicb gegrnnbet, no(b ganj ,;;uucrläfiig, möglidier-
roeife and) gernbejn nnrid)tig finb. Der ©toff ben ein Vebrbnd) ber
ißbilofopbie , nod) mehr, ben ein (iompenbinm ber Dogmatif jn bernif;
fidbtigen bat, bie fyragen über metebe fie 3(ndfunft ,^n geben boben, finb
ja offenbar uie( ^u ansgebebnt unb jn umfaffenb, als bap eö bem ©in=
jetnen mög(id) fepn tonnte, in 3bücffid)t auf eine febe berfciben bnrd) ein
©tnbinm, mie e§ bie Otntnr bes @egenftanbes er()eifd)en mürbe, ficb fefte.
282 Set}rbüd[)er ber ^P^ilofop^ie unb bie
beftüninte, gvünbüc&e ütnfcf)auuugeu, mib ein burc^auä feibftänbigeä
Dericij^tgeS Urti)eU 511 bitbeu. @0 aboptiren beim foic^e Söevfe bei offenen
f^-rogen irgenb eine 2tnficf)t, meiere fief) buri^ eine bebeutenbere Stuctorität
nnb geroici)tige ©rünbe jn empfe^ien fcfieint, nnb ^ngteic^ mit ben eigenen
— nicht immer aü^u ftaren — beften harmonirt. Sßir tabeln
baä nicht : bei ber Äürje be§ Öeben§ nnb ben nieten JDingeit bie ju
beinättigen finb, geht e§ ja einmat nicht anber§; aber ina§ mir mit
©rnnb he^'öObgnheben gtauben, ba§ ift bie nerhättniBmäffig geringe 3^=
nertäfjigfeit ber 3tnffd)lüffe, roetche ©ompenbien in fragen ber bejeidpteten
9trt 511 bieten pflegen , baö nerhättnißmöf3ig geringe Stnfehen , ba§ fie
bef^hatb in fotchen ipnnften in 9tnfpruch p nehmen berei^tigt fepn f'önnen,
nnb ber nnnerhättnigmäpig bebeutenbe (Sinftnß, raetchen fie begungeaditet
teiber auf bie 2tnfd)amingen, jnnädhft ber gebitbeten Greife, augüben.
Sinb es ja hoch bie „©temente", bie „Sehrbiu^er'', an§ benen roeitaug
bie iDleiften ihre erften .tbenntniffe auf bem ©ebiete jeber iffiiffenfchaft
fchopfen; 3?üct)er biefer 2trt ja hoch nberbieg, unb eben barum,
nor eingehenberen nnb forgfättigeren ^Bearbeitungen ber ©injetfragen nidht
nur bie niet größere iBerbreitnng , fonbern jubem auch noch noroug,
baß ihre tiehren, eben roeit fie bie erften finb roetche fict) bem jugenbtichen
©eifte barftetten, auch mit notterer Seftintmtheit aufgefaßt, unb mit größerer
ßähisf^it feftgehatten 511 roerben pftegen.
9tber mag fotl biefe öltage über eine nact)thcitigc St^irfung ber ©om=
penbien in ber 2tefthetit? üüin, mir roottten gunnchft ung rechtfertigen,
roenn mir in biefem 2tbfchnitte manche 3tnficht über bie Schönheit, bie
fict) etroa in einem i!ehrbnche finbet, nnerroühnt taffen; unb roir roottten
bei biefem 3tntaffe jngteid) auf einen Umftanb hii™eifen, ber on ber
Unftarheit ber 'Begriffe, on ber 3^^T°^h^'enheit nnb bem 3)urcheinonber
ber i)tlleinungen , roie auf manchem onberen ©ebiete, fo eben auch *iuf
bem ber 9tefthetif, nnfereg ©rachteng einen nicht 311 unterfchößenben
confaten 9fntheit hat. 3e^eg i'ehrbuch ber '^^hüofophie fühtt fich berufen,
in ber attgemeinen iHletaphpfif eine 3tnjaht ©ebanfen über bag StBefen
ber Schönheit nnb bie befonberen 3trten fd)öner ®inge ju bringen. 2Bie j
fann man ober, bei ber Un;aht anberroeitiger unb oiet roefentticherer ]
g-ragen, bereit gebiegene i*öfung bag Bud) enthatten muf;, bem Berfaffer t
^nmuthen, baß er für einen 'puntt non fo untergeorbneter Bebeutung,
roie eg für bie ©temente ber Bietaphpfif ber Begriff ber Schönheit ift,
jeneg bebeutenbe Blaof5 non 3^i^ unb geiftiger Äraft nerroenbe, ohne
roetdjeg eg ihm bod) anberfeitg roieber nnmögtid) ift, gerabe biefeg fchroierige
Shema mit ootter ©3rünbtihf'eit nnb Sidierheit ju behanbetn?
200. ®ie ©rftnrnngen roetd)e roir hiernad) in bem jyotgenben be=
fpred)en rootten, faffen roir in brei öltaffen jufammen. ®er non ung
oertretenen 3tnffaffung ber Schönheit gemäß ift nämtich, roie ber fiefer
0cnfualiftilcf;e Shiffaflungeu ber 0d;ön^ett; iäbbifon, Surfe.
283
raeife, bev @emi3 beffen @runb jie bilbet, roefentltcf} (SenuB aus etgeut=
ltd)ev Siebe. ®iefev 33eftiimmmg gegenüber red)neu roir in bie erfte
jbiaffe btejenigen, und) roe(d)eu ber auf bie ®d)öni)eit fid) grünbenbe
@euuf) als uegetatiuev, iu bie .^tueite biefenigeu, und) iueld)en berfelbe
nl§ i u t e 1 1 e c t u n i e r u u b f i u u I i cf) e r , ober nt§ b f o g i u t e f f e c t u n l e r
@euuB erfd)eiut. ^n einem brüten ilnpitef foüen bann nod) einige ®e=
finitionen jitr ©prncf)e fommen, meld)e bie 2lrt be§ ffiennffeS um ben e§
fid) l^anbeft, einfach nnbeftimmt faffen.
(Srftcö
SciiruaUftird)c (trhlnnuigfu öer 5’djöiil)fit.
©ie ©d)önf)eit und) fftbbifon unb fBurfe; bcö Seljtercn (S'rftänmg ber (Sr;
bnbenf)cit; §ome. fönumgnrteu: fein iBerbiittiüfi jur J'3iffenfd)nft ber
idfönen Ä'ünfte, unb feine Scl)ve oou ber @d)on()eit; 2)feier. ©ie ooHere
(fntroicfetuug ber 3et)ve fBnumgnrteiiS bei Semcfc. Originelle ©ebnnfen
öon föerg, im ©inne be§ Onninnigimiä. On§ l)obe fdlter ber fenfun;
lil'tifd)eu 3luffnffnng; ©beobor „ber 31 tf) ei ft", au§ ber ©d)ulc beä
3triftipp. 23ie bie gefnnbe ‘'üü)ilofop()ie oou jef)er biefe 3tuffnffnng oer;
Inugnete; 'Slnto, 3lriftotele§, 0()cmiftiu§.
201. ie überf)anpt ber ©enfiämnä in ber l|ef)i(ofopf)ie , fo fd)eint
and) bie fenfnaliftifdbe 9tnffaffnng bes 3i>efen§ ber ©d)önl)eit, infofern
mir nur bie neuere bcrncffid)tigen, in (rngtanb if)ren Urfprnng ju
haben. 3fbbifon fprad) fd)on 1711 in ber ^‘^iü’chi'ift „©pectator" fich
bahin and, bie (4-inrid)tnng feiner üiatnr, uermöge bereu bie ©cf)önheit
ben DJfenfctien anjief)t, l)abe ibren barin, bag bie 'üerbinbnng
ber @efd)led)ter babnrd) geförbert luerbe 254).
(Singef)enber entraicfelte biefe 2lnfd)annng ber engtifd)e ©taatdmann
(S‘bmunb 23nrfe in feinem SSerfe „'f3f)ilofophifd)e Unterfnd)nngen über
ben Urfprnng nuferer begriffe uom @rf)nbenen nnb ©cbönen" *). „2Sir
müffen ben ©d)lng jielfen," lef)rt 23nrfe, „bafj bie ©d)önf)eit, menigftend
in ben meiften fvöden, eine bcfonbere (5igenfd)aft ber Äörper fep, bie auf
med)anifd)e Söeife, oermittetl't ber ©inne, auf bie ©eefe roirtt" **).
STnrfung beftel)t nämfid) barin, baf) fie „bie feften ©heile unfered
torperlid)en IBaued nad)laffen mad)t, bie fyibern nuferer Organe erfd)laffen
läpt, fie erroeid)t nnb abfpannt, fie in eine leid)te, fpielenbe, aber nicht
*) Seutld), „nach fünften englifchen 2tn§gabe", dtiga 1773. cüüe
na^ biefer lleberiepnng. Sie erfte cnglifche Stuflage ift noin S- 1757.
**) Unterinchnngen, III. i^heil, Stbfchnitt 12, 0. 183 f.
284
©eu)'uaü[tifd;e Sluffafjungen ber @(^ön^eit: Surfe.
abmattenbe S:^ättgMt üerfet^t" *). ift l^iernai^ offenbar, baff
Surfe in ber ©dfönfjeit nic^t eine überfinnli(^e, fonbern eine finntic^
roafjrnefnnbare Sefd)affen^eit ber 5)inge fie’^t, unb jroar eine foti^e, ner^
möge bereu biefe nn§ eine Urfai^e finnUd)en, nieüeic^t nu(^ oegetatinen
@enuffe§ raerben. .^ören mir roeiter.
„Unter Scbön’^eit", befinirt Surfe an einer früheren 0tefte feines
SucbeS, „oerfte^e icb biefenige ©igenfdjaft ober ©igenfdiaften eineS ^'örperS,
burcb roelc^e er Siebe, ober ein biefer ä^^ntic^eS @efü^I erregt" **). 2tber
eS gibt oerf^iebene 2trten ber Siebe; non raeli^er berfetben rebet Surfe?
3unäd)ft unb oorjugSraeife oon jenem „©efül^Ie, raetd^eS auf bie fyort=
pffanjung gerid)tet, unb an unb für fid) nii^tS ift atS ^nfünct.
ber ?0Unf(^ oerbinbet mit bem ^^^ftinct, ber auf baS ganje @efc^te(^t
ge!^t, bie Sorftettung geroiffer gefetliger (Sigenfc^aften, raetcbe ben ^nftinct
er!^ö:^en, unb i^n auf einen befonberen ©egenftanb richten. Unb ba ber
■äJfenfd) nid)t, roie bie J^iere, gu einer unftüten Siebe beftimmt ift, fo
muff er notbnfenbig etraaS fjaben, roona(^ er ein ^ttbioibuunt bem anberen
Dorjiel^en, nnb eine SiSal^t anftellen fönne. ©ieS muffte irgenb eine f i n n-
tid)e 0':igenfd)aft fepn, meit feine anbere fo fdjneti, fo fräftig unb fo
fi^er if)re SSirfnng tjeroorbringt. ®er (^>egenftanb nun biefeS gemifcfiten
©efü^lS, baS mir Siebe nennen, ift bie <2d)ön^eit beS anberen ®e;
fdjtedjtS. ®er ÜOfann ^at einen 3^rieb gegen baS @efd)Ie(^t überhaupt,
roeil eS baS ©efdjted^t ift, unb uermöge eines nügemeinen ©efet^eS ber
fenfitioen 3latnr^ aber feine dfeigung ju befonberen iperfonen roirb nur
biird) bie ®d)öu!^eit gefeffett" ***)
®iefe ©ntroicfetung täpt au jltart)eit, — iufofern eS fic^ um bie
2tiiffaffung ber Sd^önfjeit l^anbett, — uid)ts ju inünfd)en übrig. ®ie
®d)ön§eit ift nad) Surfe ber @runb uub ©egenftaub finntidjen, genauer
oegetatioen ©enuffeS; unb etroaS SnbereS fann fie gar ni(^t fepn;
beim fie ift ja, roie roir oorfier oon ibm oernommen l^aben, eine finntic^e
©igenfi^aft ber .^forper, ober oietmetjr ber Seiber. 2)ie Sad)e ünbert
fid) babnrdb in feiner ilSeife, baß Surfe an einer anberen ©teile bemerft:
unterfc^eibe Siebe, b. baS Sergnügen roeldjeS ber ©eele bas 2Iro
fdjauen beS ©d)önen in jeber ©attung macbt, non Segierbe ober finnlic^er
Suft, bem heftigen Seftreben ber ©eele, baS jn befit^en, roaS i^r nicht
als f(^ön, fonbern auS gang anberen Urfad)en gefüllt" f)- „Segierbe",
unb „Sergnügen" ober „S>ohIgef alten", finb freitii^ in pfpchologifiher
*) Unterl'uthvingen, IV. 2lbfd)nitt 19—25, 0. 251 ff. Sgt. Sotger,
„(Jrroin" 1. 0. 26.
**) Unterfudjungen, III. 1. 0. 142. ugl. I. IS. 0. 75. IV. 25. 0. 272.
***) Unterfud;ungen, I. 10. 0. 57. 58. ugl. 18. 0. 75.
j) Untcr)ud;ungeu, III. 1. 0. 142.
Die (ärf}aben()eit iiad; Surfe.
285
f)Wcffic^t üevj'djiebenartige "Xptigfeiten; aber 23itvfe ^at ja al§ beii @egen=
ftanb be§ „fBevgnügeng am ®d)önen" unb bev „Idiebe" roeldje buvd) bte
$c|ön!^eit erregt roerbe, mit auebrücftidjen ^Sorten genau badjenige be=
jeii^net, roa§ gteic^fatld ben ©egenftanb ber „33egtei'be" ju bitben pflegt *).
203. ®te ©rflärung raetdje ber englifcbe (Staatsmann in bemfetben
3^nd)e non bem Söefen ber ©r^ ab ent) eit gibt, ift jn originett, atS bafi mir
nid)t im fBorbeige!^en and^ i^rer ermähnen fottten; fie bemeift nberbieS,
baf) mir feine ©rftnrnng ber Sd)ön!^eit feineSmegS mif^oerftanben t)aben.
2öie bie Sd)ön!^eit bem Sriebe „ber ©efettigfeit", fo fott bie ©rtiabenl^eit
bem Sriebe ber Setbfter^attung entfprecben. „Sttte ©efübte metd)e bie
Setbfter^altung betreffen, ftefjen ju Sdjinerj ober @efat)r in 23ejiet)ung.
Siefe @efüt)te finb fd)tec^t^in raiberroörtig, roenn if)re Urfadjen unmittelbar
auf uns roirfen; fie finb f)ingegen angenefim, menn mir bie i^orfteltung
^aben non Sdjinerj unb ©efal^r, of)ne fetbft in bem 3uftanbe beS Schmer, ^eS
ju fepn. 2ttteS, raaS ein angenefuneS ©efü^t biefer 2trt erregt; baS t)eif?t,
2ttteS roaS in irgenb einer Steife geeignet ift, bie Sorftettnngeu oon 3‘^ircbt
ober ©efa^r 311 erregen, mitbin 2ttteS roaS auf irgenb eine Steife fcbrecfticb
ift, ober mit fcbred'ticben ©egenftänben oermanbt, ober maS auf eine bem
Scbreden äbnticbe 2trt auf bie Seele loirft: StlteS biefeS ift ert)aben, ober
bie Ouelte beS ©rt)abenen" **).
2(ber mie gebt eS 311, ba§ bie Sorftettuugeu foldjer ©egenftfiube uuS
©enuf) bringen? Surfe unterläßt feiueSroegS, unS baS 9bätf)fel 31t töfen.
„Sorote eS für bie gröberen ShiSfetu uufereS Organismus einer an=
gemeffenen Hebung unb 2lnftrengung bebarf, menn ihre »nb
Äraft ni(^t erfdjtaffeu fott: ebenfo müffen aucb bie feineren
bie 3arteren inneren Organe uufereS fieibeS, burd) metdje bie ©inbitbuugS;
fraft unb roabrfdfeintid) aucb ber Serftnnb *** ) mirffam ift, biS auf einen
geroiffen ©rab erfd)üttert unb in Seroegung gefet^ merben, roenn fie in
ber gehörigen Serfaffung bleiben foUen. Soroie nun aber bie gröberen
Obeite uufereS ßeibeS burd) geroöbnlidfe 3trbeit geübt roerbeu, fo bitbet
eine geroiffe 2trt uon Scbrecfeu bie Hebung für bie feineren Stenn
nämtid) ber Sd)mer3 ober ber Sd)recfen fo gemäf3igt ift, baff er nicht
roirfticb ober unmittetbar fcbüblid) roirb; roenn ber Sd)mer3 nid)t biS
3ur roirftid)en 32'^i'i’dtung ber förperlid)en unb ber Sdfrecfen
nicht 51t bem tt)atfäcbti(^en Untergange ber ifta'fou in Se3iet)ung ftet)t:
atSbann finb biefe ©rfcbütterungeu , ba fie bie feineren ober grö=
bereu ©efä^e non gefäbrticbeu unb lüftigen Serftopfuugeu
reinigen, im Staube, augeuebme ©mpfinbungeu 311 erregen; nid)t Suft,
*) Sgt. Sotger, „(Srrain" 1. o. 21 ff. 42. 48.
**) Surfe, Unterfiicbungen, I. 18 u. 7. S. 74. 52.
***) Surfe ift eben Senfift.
286 Senfualiftifd^e Stuffaii'ungen ber 0c^ön^eit: |>ome, SSainngarten.
fonbern eine 2trt non roo^tf^uenbem 0c^auer, eine geroiffe Oeu'^e bie mit
©(^rerfen nermif(^t ift" *). ®ie befte Ä'riti! biefer genialen Grfinbnng
^at 2(. Sö. ©djiegel gegeben: müf^te man bas ©r^^abene in
ber Stpot^efe f aufen."
203. kommen mir nad} biefer ©igreffion auf bie ©d^ön^^eit ^nrüd.
i^einric^ §ome füf)rt bie 2tnatpfe berfetben roeniger flar unb einl)eitüd)
bur(^, al§ 23nrfe; im 2©efenttid)en läuft feine Sluffaffung inbef^ auf ba§=
fetbe !^inau§.
„®ie ©^önljeit ift au§fd)Iie^Ud) eine ©igenf^aft fi(^tbarer,
b. bnrc^ ba§ 2tuge raa^^rne^mbarer @egenftänbe." ®ie norjüglidifte
SBirfung ber ©^önljeit finb „bie ißerbinbungen ^raifi^en i)}erfonen im
gefeEfc^aftlic^en Seben; unb in Dfiüdfic^t auf biefe ^at bie ©i^ön^eit, at§
äu8erti(^e, me!^r in bie Singen faEenbe @igenf(^aft, aEgemeineren (Sinftu^,
al§ bie SSorjüge be§ @eifte§ unb be§ Aperjenä." Uebrigeng „barf bie
Siebe, roet^e nug bem ©efit^Ie ber ©c^ön'^eit entfpringt, nic^t ju ftarf
roerben, unb ber Srieb nad) 23efriebigung über bie Steigung für ben
geliebten ©egenftanb nid)t bie Ober^anb gerainnen: fonft" — nun, fonft
„!^ört bie Siebe auf, ein fanfteg, angene^^meg ©efü'^t ju fepn; fie roirb
fdjmersl^aft , roie ber junger unb SDurft, unb gemalert Mn 23ergnügen,
auffer im Slugenblide beg (5^ennffeg'' **). ®ag ift immerfiin nerftänblid)
genug.
204-. 2Sir bebauern eg aufridjtig, bafi mir in biefem Kapitel au(^
SUeranber ©ottlieb Saumgarten unb feine Se^re non bem Söefen ber
©ct)ön!^eit anfjufü^ren genöt^igt finb. 23anmgarten gilt alg ber Segrünber
ber 2leftl)etif. Offenbar fann bieg nid)t fo gemeint fepn, alg ob er ber
(Srfte märe, ber bie ©d)ön^eit unb bie fd)önen Äünfte jum ©egenftanbe
rciffenfc^aftlidjer Unterfud)ungen gemailt ^ätte; eg ift fa befannt genug,
baf3 ©ol^eg bereitg burc^ fpiato unb 2lriftote(eg gef(^ab, unb fidier mit
glön^enberem ©rfolge olg ber ift, beffen bie Sßiffenfc^aft beg aditje^nten
^ol)rt)unbertg fid) ju rühmen ^at. iBanmgarteng SSerbienft, fagt Eiitter,
mufe barauf befd^ränft merben, baß er eg nii^t bei einer nereinjelten
Unterfnd)ung über bag ©(^öne beroenben lieft, fonbern bie Sleftlietif alg
ein befonbereg eigeneg ©lieb in bag ©pftem ber pl)ilofop!^ifd}en Söiffem
fd^aften einjufügen fu^te; biefer fein ©ebanfe ^at unter fßegünftigung
ber llmftänbe gejünbet, unb ift 31t einem Ä'eime für roeitere Unter=
fudbungen geworben ***). Oie roeldtie 93anmgarten ber SSiffens
f(^aft ber ft^önen fünfte biefen Oienft leiftete, ift bie Sleröffentlidbung
*) Unter)ud;ungen, IV. 6 it. 7. 0. 221—223.
Jpome, 33b. 1. Äap. 3. 0. 257. 272. 273. (©tirt 266.)
**'■) 23gL dtitter, @e)cbiclü^ ber ^E;ttofopbis (.^ombiirg 1853), 0f|^:t 12. 33udb 10.
.fi'ap. 1. 0. 551 f.
@eniuaüfti)d)e 3tuffailungeu ber Sd^bnlieit: Saumgavten, SReier.
287
feineg unnoüeubet gebtiekuen Söerfeg Aesthetica unb Aestheticorum
pars altera, ineldjes ev fyranffurt nn bev Ober, 1750 big 1758,
er fd) einen (ie^.
0dfon ber 37aine lueldjen Oaningarten für bie in biefer Si^eife alg
feibftünbig eingefnbrte 9Biffenfd)aft innblte, läf^t nermntl)en, luie er bag
25>efen ber Odjonljeit anffaf3te; „Heft^etif" ift ber (5ti)mologie nad) fouiel
olg „bie l^e^re non ber finnlidfen Si^nfirneljinnng"
inirb biefer ißerinntfning entfpred)enb non ibm befinirt: „Oie 5(eftl;etif,
bie O^eorie ber freien Ä'ünfte, ift bie SBiffenfdjaft ber finn(id)en (fr;
fenntni^'' 255). Oenn, roerben n)ir roeiter beleljrt, „bie Sc^önt)eit eineg
Oingeg ift bie finnlid) iDnt)rnet)inbare iBottfommentieit beffelben" 250).
Oie 2>otIfonnnent)eit forperlidfer Oinge, infofern biefetbe bnrd) bng nieberc
©rfenntnipnermögen erfapt inirb, ift nun aber befanntlit^ nid)tg Slnbereg,
atg jene it)re 23efd)affenl)eit, nerinöge bereu fie ber Ütatur unb ben ©efet^en
beg finntidien Strebeng entfpredjen. ÜJlit anberen 2t>orten: nad) 23aunt=
garten finb bie Oinge fd)ön, infofern fie finntidj unb uegetatin angenetjin
finb ; unb bie Sd)on'^eit cineg Oingeg ift bie Snnnne jener ©igenfdjaften
beffefben, nerinöge bereu eg finnlid)en nnb negetatinen ©enup bringen fnnn.
5(lg ^^iiQnift für bie notle [ftidjtigfeit biefer fvotgernng taffen mir
^ier eine Stelle ang ber ))Jtetapt)pfif non ©. fyriebrid) ))}tcier fotgen,
einem i|3^iIofopt)en jener ber Oannigarteng 3tnfid)ten nainentlic^ in
feinen „Stnfangggrünben aller fd)önen 2Biffenfd)afteiü' mit nollfter 'Jrene
aboptirt nnb entinidelt Ijat. „©ine 3)ollfommenl)eit," fagt tOieier, „infofern
fie finntid) erfnnnt inirb, l)eif3t eine Si^önljeit; nnb eine UnnoClfommenl)eit,
infofern fie auf eben bie 51rt erfannt inirb, Ijeipt eine A^äplidjfeit. ,^'eber=
mann gibt jn, baf) bag inabre Sd)öne mag gnteg nnb nollfommeneg fep,
unb bag ma^re .'piifjtidje mag bofeg unb nnnollfommeneg fep. 3tllein
man nennt eine Ooltfommenlieit nid)t elier fi^oii, big man fie nidjt finntid)
fid) norfteilt, nnb eine nermorrene innertidje ©mpfinbnng banon bat.
Oaber fagt man: ber SBein fd)mectt fd)ön, eine IBtnme riedjt fd)ön, eine
DOtufif tlingt fd)ön, ein ©iefidjt fiet)t fd)ön ang. Unb ebenfo nennt man
eine Unnotlfommenbeit nid)t elier bäfllid), big man fie nid)t finntid) fid)
norftellt, unb eine nermorrene innertii^e ©mpfinbung banon bot. Oal)er
fagt man: eine Speife fdjinedt garftig ober böflff'i)/ ßfn böftff'^b^i' ©mnucb,
ein büfeticbeg @efid)t" *) **).
33ei fotd)en Oorangfetrungen bleibt ber S^öiffenfdjaft ber fdjönen
Äünfte einfad) nidjtg übrig, atg fid) ben 2lnfd)anungen ber brei engtifd)en
©etebrten an?iufd)lief3en , meld)e mir in ben norl)ergebcnben Dhtmmern
*) Ai'a9r,ai; bie [innlitfie ifilabrnebmung ; roaS fid) auf bicfelbe bc:
jiept, fid) bamit be)d)aftigt.
**) DJleier, 'JJietagbpfif GP)aUe l’fOb) §. 059.
288 ©enfuattftifd^e 3tuffaifungen ber Sd^ön^eit: Semcfe.
fennen gelernt ^aben. Se^rt Ja aui^ (Sbrnunb Surfe, ganj roie ber
ju(el3t ermähnte SMaptjt)[tfer ; „SBir fönnen ba§ ©üße ,bie ©djön^eit
für ben @ef(^ma(f‘ nennen'^ *). fyretüc^ roar e§ au(^ im ©runbe ni(^t§
2tnbere§, al§ ber englifdie ®enfuaü§mug, au§ roetc^em Saumgartenä
Se§re non ber 0f^ön^eit fiernorging; (J^riftian SBoIff i^atte benfelben,
Toenn auc^ mit einigen Slenberungen , furj nor^er auf beutfc^en Soben
nerpftangt, unb ber Serfaffer ber erften Steft^etif roar 3BoIff§ ©c£)üter.
305. 3Ber bepngeai^tet etroa no(^ groeifetn foltte, ob Saumgartenä
Se^re in ber S^at gu ber ©t^önf)eit§t^eorie ber engtifd^en 0enfualiften
führen muß, ber fönnte fii^ burcJ^ einen Sticf in eine Seiftung nuferer
Sage baoon übergeugen. (5art Semcfe befinirt in feiner „ifSoputären
Sfeft^etif'' biefe SBiffenfi^aft gang mit ben SOßorten Saumgarten§: Seft^etif,
fagt er, fep „bie Sefire non ben finnüt^en SSa^rne^^mungen nnb ©m^
pfinbungen; ber Se^re nom ©cf)önen aber fep biefer 3lame barum eigem
t^ümüct), roeit ba§ ©d^öne ba§ 3^^^ Sangen finnlid^en (ärfenntni^
bitbe'' **). 3*^ notier Uebereinftimmung mit biefen Stngaben roirb bann
fpüter ba§ SBefen ber ©dtiön’^eit, infofern anberä ber ©a^ at§ eine
Definition betrad^tet roerben fann, fotgenberma^en beftimmt;
„Da§ ©cfjöne ift eine S^orm ber (Srfc^einimg. . . ©(^ön ift bie f^orm ber
($rfd)einung , bie ben un§ angebornen ©efeljen nnfer§ (Smpfinbung§teben§ ent;
fpric^t" ***).
Da fann freilich nod) bie %vaQt entfielen, roa§ beim mit bem 2Sorte
„©mpfinbunggteben" begeidjuet roirb. Dag gibt ber Serfaffer nict)t an;
aug 3ttlem inbeß, namentüd) aug bem mag er im erften, groeiten unb
nierten Slbf^nitte beg erften D^eiteg fagt, ge!^t l^ernor, ba§ fein „@m=
pfinbunggteben" im Stttgemeinen nii^tg 3tnbereg ift, at§ bie ©efammt^eit
ber ©rfd^einungen , bereu Drager bag fogenannte ©efü^tgnermögen ber
neueren ifSfpdiotogie bilbet, atfo bie ©efammt^eit jener Vorgänge unfereg
inneren Sebeng, roetdje man mit bem 9iamen Suft ober Untuft, Vergnügen
ober Siifgnergnügen begeic^net. 3^* biefem ©(^tuffe gelangt man, roenn
man Semde’g 2(eu§erungen fefir getinbe interpretirt. 3fun unterfi^eibet
aber bie neuere ifSfpd^oIogie eine breifadie 2trt non ©mpfinbungen ber
Suft ober Untuft: ©mpfinbungen finnlidgen Sergnügeng, finnti(^;geiftigen,
nnb rein geiftigen. Die „nng angebornen ©efeSe'', roet^e biefen oer;
fc^iebenortigen ©mpfinbungen oon Suft unb Untuft gu ©runbe liegen.
*) 33urfe, IV. 22. S. 261. (Gitirt 283.)
**) Semcte, ’)goputäre 3(eft£)etif (1. 2tufl.) 3. 4. 11. 12. — 06 auc^ ber
gioeite @ebanfe Semcfe’g bem 2Berfe 95aumgarten§ entnommen ift, fann id^ nic^t
entfd^eiben; bejügficb be§ erften ogt. 'S. 287.
***) Semcfe, a. a. O. S. 40.
(©eniualiftii'd;e ihiffaifungen bev ®df)ön^eit: Semcte.
289
filib gleidifall§ uerfd)teben , fo l'ef)r, baf? ein unb baffetbe Object jugteid)
ber ©egenftanb gcijtigeu i>evgm"igen§ unb finnüdjer Uiduft fegit bann,
nnb ningcfef)vt. iBetcf)en ®ejel3en alfo muß bas Oing entfpredjen,
bainit e§, nad) ßcmcfe’ä (h'fläntng, jd)ön fei)? Otefe j^rage bleibt nn;
getöft. Oie (äf^t jid) inbeft mit Oi(^exd)eit beantmorten, and ©tetlen roie
bie fotgenben:
„OaS 5. ,<3at)vf)unbevt unb bev 'Einfang beS 4. ^'abvbunbevtS dov (4t}vifti
©eburt ift bie iBlüte^cit beS f)edcuijd)cn 3Sotfe§ — eine iStütejeit luie fic nid)t
miebcv ertebt luovben. . . ijene 3eit 'fi baS Äapitnt gemeien, non bepen 3>aicii
raiv 5um gvopen Of}cite bis auf beu f)cutigeu Jag (eben". . . 3[bev bie iBtumen
mürben metf: „j^'m etbiidcu Üebcit geigte [ict) bev ilV'vfntt juerft. OaS äftt)e^
tifd)e 9eben übevmueberte c§ mit ieiitcu finntid)en Orieben.
Sinnlid}feit erftidtc bie Oittlid)feit. '^UteS bad)tc mir an ©ennf^, nn nftbcs
t i 1 d) e S i' c V g n ü g e n" * ).
Unb a(ä fpäter and) in dtoin mieber „bad äfttjetifdje lieben, bev ©ennp",
bad etf)ijcbe fieben nbenmidjevt t)atte,
„ba fnmen bie .j^üngev cineS getreu, ^igten i)ta,5avenevS**j unb pvebigteu
bnS ©nangetium. it)ut ^^uf^e unb gfaubet! mnv il)ve M)ve. Oev ©taube,
ba§ etbb’dje "j.'viucip, begauu mit bem ©brifteutbum feinen gemattigeu Ä'ampf
gegen bie ii ft b e t i f d) e 6 m p f i n b u n g , gegen bie iß e 1 1 b e S © dj ö n e u
unb beu finntidjeu ©euuff unb gegen baS ©vfenuen, baS burd) bie
©cbärfe beS i^erftaubeS bie ißabi'beit 311 finbeu fud)t. OaS ©d)öne mavb nev^
nad}(nfugt, uevadjtet ober in beit ©tauben bineingejogen unb bev ©üttf)eit nin;
bicirt***); bie ißabi'beit mavb bem ©tauben uutevjod)t, bev über bie Segviffe
beS ifevftaubes binübevgefpanut mav unb in einem ißuubev fid) jufnmmenfafite,
ba§ fenfeitS alter ©vfabvuug lag" f).
Ootdie OtcUen, fagen mir, nnb ed gibt bereu eine 'DJtenge in bem „popn=
Iciren" i?ncbe, nötbigen und, bie novbin angefübvte ©rftärnng tfemcfe’d
in beftimmtevev fvovm etroa fo and^ubvücten : „Odjön ift bie fvof'n bev
©rfdfeinnng , roeldje ben und angebornen @efet3en b e d f i n n ( i df e n
*) Semrfe, 13.
**) meteber bereinft fclber fommen luirb „in ben tßotfen be§ ipimmetä, jiu'
Stedten ber Äraft @otte§ fipenb, @evid;t ;u batten über Sebenbe unb iobte", and;
über jene, metdbe in ibin nid^tg ineiter feben luottten atö „einen gefreu.pgtcn Otaja:
rener". — ®ie englifd)cn 'Senfualiften finb roeit entfernt, iemal§ in folcber SBeifc ben
ütnftanb 511 nertepen, mie Semde e§ pier tbut.
***) 3ll§ ob bie focratifebe äöiffenfdbaft , in ber „33tüte3cit be§ b^denifeben
SSolfeg“, ba§ minber getban fjätte.
7) Seinde, 17. DJtnn fiebt nnmenttid) au§ ben lebten Porten, bap ber
SSerfaffer ber „popntären äteftbetif" fd)tecbt unterriibtet ift; beim mir tonnen bod)
ni^t annebinen, er -rebe mit 3tbficbt bie llnroabrbeit.
Sungmonii, 2teftf)etif. 2. 3(iifl.
19
290
©enjiiatiftifci^e Stuffafjungen ber ©d^ön^eit: Semcfe; SBevg.
Triebes entfprii^t" ; fürjer, „jd)ün i[t ba§ [innlic^ 2fngene^tne".
®igentU(^ foöten tDir ©c^IimmereS folgern. SDenn nac^ ben angeführten
©teilen „fäinpft ba§ üfttjetifche Seben gegen baä ethifche'', — finb bie 2In§;
brücte „©innlichfeit roelche bie @ittlid)feit erfticft", „®enuf3", „äftf)etif^e§
33ergnügen" gleichbebeutenb , — beftel)t ein roefentlicber innerer ©egenfatj
^loifchen ber Se^re „be§ gefren^igten 9lajarener§" auf ber einen, unb ber
„äfthetifchen ©inpfinbnng, ber ®elt be§ ©d)önen unb betn finnücE)en
©enufe" auf ber anberen Seite. 9lun roirb aber bie ©ittüdffeit nur
uon ber ungeorbneten Sinnlicf)feit erfticft; unb ba§ (Shriftenthnm
hat auf ber @rbe nichts befämpft, alg bie angeborne ® erb erb th eit
ber menfchtichen ?tatur, bie böfe ^uft unb ba§ @efet^ ber Siinbe. Stlfo
„iua§ bie böfe l'uft befriebigt", ba§ roare eigentlich nach Semcte „fdiön"
ju nennen*). Evanuerunt in cogitationihus suis, et obscuratum est
insipiens cor eorum.
206. Dbiemnnb h^l '^i^hr ©rnnb, ben bi§het genannten ©eiehrten
ihre Seinühnngen Sauf jn roiffen, al§ ber il)iateriali§ntu§. philo=
fophifcbe Sd)ule roelche in bein ilJienfdjen nod) eine mit Vernunft begabte
unfterblid)e Seele anerlennt, und) fid) bei confequentem 2lu§bau einer
'^tefthetif auf bem ©runbe uon 2luffaffungen mie bie befprochenen, juleljt
in unlösbare 2Siberfprücl)c uermideln; für ben iRaterialiSmuS bagegen
ift bie fenfnaliftifdje 23eftimmung beS 'iSJefenS ber Sd}önheit, mit 3lllem
luas baran hängt, genau baS, toaS er al§ ©runblage für eine 3lefthetif
braudjt.
Sem erften 3lefthetifer bcS SariuiniSmnS freilich fcheint aui^ biefe
©runblage nod) nicht genügen, ©inige feiner ©ebanfen h^ben mir
früher fd)on fennen gelernt, dind) 23ergS Uebergeugnng hoben „ins=
befonbere bie Seljren SarroinS ein hclleS \lid)t auf bie ©ntftehung
ber Schönheit geroorfen", fo baf) mir jeht mit ©ruub hoffen bürfen,
„uermittelft ber uon Sarrain geiuonnenen ©-rgebniffe" enblid) „ju einer
raiffenfchaftlidjeu ©h^orie beS Schönen jn gelangen" **). iStehrere be=
beutenbe ©lemente biefer „Itheorie" finb bereits fertig. 2Serg belehrt
unS j. 23., roo er uon ber üJöufif hoobelt, burd) bie Söne ber Stimme
mürben „uor allen Singen bie OJefd)lechter in ben Stanb gefetzt, fid)
beffer aufgufinben" ; fo fepen benn „muficalifdje Söne unb IRhhl^oten
uon unferen hotbmenfd)lii^en llrerjengern mdhrenb ber ber 23raut=
merbung gebraucht roorbeu; mie nun biefe muficalifdje 23emerbung uiele
(i^enerationeu Ijinburd) inftinctiu geübt morben, fo höbe fich baS Singen
unb .©Ören muficalifcher Söne mit jenen tljeilS fünften theilS hofl^Ü^o,
*) ®iefe g-olgei'ung roirb burd) aubere ©teilen beffelben 93ud)e§ nur befiütigt.
23gl. unten 9t. 398.
**) .'»q. 23erg, ®ie 2uft an ber 9Jtufif (Berlin 1879) V. VI.
@enfiinlifti|d;e Stiiftafümgen ber (£d;bn'^eit; bie ®d)ide 3)arn)tu§.
291
flber burd) bie Stebe§fel)nfud)t immer (uftDotleu ©efiUyien nerbnnben. 33ei
ben gemeitifamen Ureltexm ber ^ütenfc^en uitb einiger 3(ffenarteu fei)"
übrigend „ber ©efang ber Jvrnnen er)t in fpäterer
9Jctinner, nnfgefommen , nm nt§ l'ocfmittel bei ber äBerbnng gn bienen".
Unb „genau genommen müfje man g. 33. ancb ©rillen nnb A'i'öl'dje jn
ben rnnficalifdgen ©efdjopfen redjnen, meil fie bei i^ren (Joncerten bie=
jelben Suftempfinbnngen l)aben, mie mir bei ber iBhifif"*).
3'n lÄndjid)! auf „bie ?n[t an ben erfalgren mir non il)m,
„nn]ere anb^ropoiben (l)a(bmenfcblid)en ) 'Borfabren Ijätten fid) an§id)lieBlid)
ober bod) l}anpt)äd)lid) imn ueridjiebenen 33anmfrüd)ten geiüibrt. S3a nun
biefe in ber -^arbe immer lebhaft mit bem Öanbe nnb bem ,V)immel com
Iraftiren, )o fepen nnjeren in ben 'mropenmiilbern banjenben 311)nen jene
bunten ©teilen, bie jid) l)ell= nnb bnnfelrotlj, gelb, orangefarben, braun,
Diolett n. f. m. bid jn fdgmarj, oom grünen 331attmerf nnb blauen ober
grauen ,ü)immel abboben, immer angenebme ©rfdjeinnngen gemefen. ®iefe
inftinctioe Vorliebe für bnntgefiirbte Singe meld)e mit ber Umgebung
contraftiren , bdbe fiel) bem menfdjlidjen ©eifte tief eingepriigt , fid) bnrd}
jene bidbnrcl) uererbt in benen ber iBtenfcl) auf bie 'jyrüdjte;
Dtabrung meniger ober nidjt angemiefen mar, nnb fomme Ijedtjntage
and) bann gnm i'orfd)ein, menn ed fid) nid)t gernbe nm efdmre Singe
banble" ** ***)').
©nblid) meip 33erg nnd and) nod) „bie l'nft an ber forperlidgen
©djönbeit" gn erflaren, — freilicb nur, inbem er 3lbbifond nnb 33nrfe’d
©ebanfen mieberl)olt. „3'ede l'nft finbet il)ren Urfprnng, gerabe mie bie
iDhtfif (sic), nur nod) nnmittelborcr, uorgugdmeifc in ber i'iebe. ©d)öne
'jJerfonen bed einen ©efd)led)td ermeefen bei bem nnberen ein Inftoolled
®efül)l, meldjed fiel) halb in 33egel)ren uermanbelt, nnb nid)td 31nbered
ift, ald eine fd)mad)e 3)orempfinbnng ber üiebedlnft. Sie iUerbinbnng
biefed ©efüljld mit bem Si)pud ber ©d)önl)eit prägt fid) bem ©eifte fo
tief ein, baf) ed fogar, menn and) in fel)r abgefd)mnd)tem il-'linape nnb
ol)ne ©rinnerung an bnd gefd)led)tlid)e ©lement, in nnd entftebt, menn
mir ^übfe^e Äinber, ober '^'erfonen bed eigenen ©kfd)led)ted fel)en" '■•"'•'^0.
©id)er ift unter ben Öefern biefed 23nd)ed nidjt ©iner fo befdjrnnft,
nm nid)t bad mal)rl)aft feltene iöUrnfi miffenfd)nftlid)en oc^nrfblided unb
^iftorif(^er ©rnbition gn bemnnbern, meldjed bie 31eftl)etif bed Sarminid:
mud in biefen geiftreidgen 31uffd)lüffen bemäl)rt. Um fo mel)r mufg man
bebauern, bafg bad „bnrcl) bie Selgre Sarmind" nad) 33ergd 3cdgnip „auf
bie ©ntftelgnng ber ©djönlgeit gefallene Igelle Siebt" fo fd)uell mieber üer=
*) ®evg, a. a. O. ®. 18. 12. 20.
**) Sevg, a. a. C. ®. 51.
***) 3?erg, a. a. 0. ö. 56.
19 *
292 ©enfiialiftifdje 3tuffa|jungen ber vSc^ön^eit: i^eobor „ber äCt^eift".
löi'cfjen miif3te. ®enn e§ i[t ja jdjon manches oergangen, feit 2U6ert
2öiganb ben freilich nic^t allju jdjroer ^erjuftellenben 23en)ei§ geliefert
ba[3 Sarroinä gan5e Se^re oou „ber ©i^önl^eit, ober ber gefd^leditüd^en
3uc^tn3a^t, atg bem entfc^eibeuben ÜJtomente im Kampfe umg ®afepn",
ba[3, fagen mir, biefeg ijßrincip ber neueften 3te[t!^etit „an einem klaget
pngt, ber in ber Suft befeftigt ift'' *).
207. ®ag 33ebürfni|3, bie bigtier aufgefil^rten ^Behauptungen be=
gügtich ©chönheit an biefer ©teile noi^ raiberlegt gu fe^en, mirb
fiel) mohl nicmanben fühlbar machen. Seaditengroerth ift übrigeng, baf3
biefelben and) nicht einmal ben an fich jmeifelhaften ^Borjug ber Neuheit
haben, ©ahen mir ben 3lefthetif'er beg ©arroinigmug in Dlüdfidht auf
bie „ßnft an ber förperlichen ©djönheit'' bie Sehre ber englifdjen ©em
fualiften roieberholen, fo fpradhen biefe ihrerfeitg nid)tg raefentli(^ 3lnberes
ang, alg mag oor mehr alg 2000 ^ah^^en bereitg ©h^obor „ber 3ltheift'V
ein 3)ertreter ber non Slriftipp gegrünbeten cprenüifchen ©chule, gelehrt
hatte, ©enn aiu^ biefer „Sltheift" fah bie ganje ©ebeutung ber ©d)ön=
heit barin, baff fie bag ^'ibioibuum geeignet mad)e, für ben fteif(^lichen
@eniq'3 ju bienen**). ®ie cprenüifdhe ©chule befannte fii^ ju bem ®runb=
faüe; ,,©ie ©ugenb befiehl in ber harmonifchen Sefriebigung aUer Stei=
gungen, nnb in bem möglichft bauerhaften ©enuffe beg iBergnügeng" ***) ;
biefer iSioral beg ^)iebonigmng tonnte eine anbere 2lnffaffung ber ©dhön=
heit alg bie angegebene, freilich nidht entfpredjen. Uebrigeng hörten mir
ja fchon ben grunbgelehrten ilJtann ang Glig im „grof3en ^^ippiag" bem
©ocrateg auf feine j^rage nad) bem 2®efen ber ©djönheit mit philo=
fophifcher ^i'oerfidjt bie 3lntroort geben, „eine ft^öne Jungfrau fep eine
©chönheit".
©aff bie beffere griechifi^e 'j^hi^ofoph^c Sd”5 anberg badhte, raiffen
lüir bereitg. iplato nnb 3lriftoteleg betrachteten bie (bpaio-yjc, ben finn^
lid)en Üteij ber jngenblid) blühenben ©eftalt, unb bag zdUoc, bie ©dhön=
heit ber au(3eren ©rfdjeinung, alg jroei ganj nerfd)iebene ©inge, bie auch
in ber 2öirflid)feit feljr oft non einanber getrennt fepen. ©ag ergibt fidh
ganj offenbar ang ©teilen raie biefe, in ineld)er Slriftoteleg einen ©ebanten
beg ipiato roieberholt: bie ©erfe ber ©idhter nämlidj „glidjen blühenben
©efichtern oljne ©djönheit“ f) ; nton fenne beibe nicht mieber, bie einen,
*) SBiganb, Ser SanututSmiib unb bie Otaturfor)c[jung 9leroton§ unb SünierS
(SBraunfdjraeig 1874), 33b. 1. S. 150—186.
) Diog. Laert. de vitis dogm. et apophthegm. claror. Philosophor. 1. 2.
c. 8. n. 99. 100. (ed. Hübner, vol. 1. pag. 160.)
***) 2)gt. Sut)te, @e]d)id)te ber neueren iphüoiophi^ / (i'inleitung. (93b. 1.
©. 105 ff-)
•j-) 0T( eoiy.e rot? czve'j v.d'/Xo'ji o'jpca'ot;.
©efuiibere ©ebanfen: ^lato, SMftoteleS, S^enüftiuS.
293
•roeim fte mit ben geraovben, unb bie aiiberen, roeuu man
bte SBörter umftetle’’^).
©ben biefe einjtg rid)tige 5lnffnfutng, nm mit einem anfpredjenbeven
©ebanfen unfere roenig erqnicfenbe 2Inffüf)ning non Sränmen be§ Sen=
fnaü§mu§ ju befd)fie^en, biefefbe 3luffa[fnng, jage ic^, fpvidjt fid) and)
in einer Steife ber Dfebe be§ 2^!^emi[tin§ ,,'®on ber ^^vennbfd)ait" an§
©egen ba§ ©nbe berfelben evjnl)lt niimlid) S'^emiftinS bie befannte Sllle;
gorie be§ i)5robicu§, non .^ercnle§ „am Sd^eiberoege''. 9tai^bem ber .^elb
fid) für bie Sngenb entfd)ieben unb if)r geineilft, läjft il)n biefe bnrd) bie
2Sei§^eit auf jinei 23erge§gipfel geleiten, bereu einen bie f^reunbfd)aft,
ben anberen bie f^alfd)^eit inne fiat. 3fuf feuern fi'i) brei
©eftalten: bie af)rf)eit ***), ba§ S5>of)tmot(en unb bie Siebe, ©ie erfte
non biefen brei rairb non Si^emiftiug eingefjenber befd^rieben. .S^od) auf
bem ©ipfef be§ 33ergeg fief)t §ercufe§, auf biamauteuem ©it^e, nou Sidjt
umfloffeu eilte ^i^igfrau tf)roneu: ba§ ift bie 2ßaf)rf)eit , „bie Sodjter
be§ eiuuefimeubem 3feuf5ereu: uid)t reigeub inie
ein b f ü f) e u b e § n b d) e n , f o n b e r n n o II f e u e r e b f e u in a f) r e u
©d)önf)eit 257), inie bie Silber ber alten Ä'niift, bei beiieii, iner fie
fd^aüeii tnifi, ber ilDtufie bebnrf unb eiiie§ geübten 3fitge§" |).
,^U)citc^ tnpttcL
^rhlttnuigru mrldir ^if <S* **)d)üiil)dt als ©cgfurtniili iiitfUcrtunlfit null
ruiultd)ni, ober blol] iiitcUrrtuftlcu ©cimlTes auffnlTfii.
208. '^ielleidjt ift e§ bem Sefer iiid)t entgangen, baft mir iniebcr=
fjolt ino mir ^feufieruiigeu be§ fjeUigeii ©fjomaS über ba§ SfSefen ber
Sd^öu^eit aiifüf)rteu, iin§ nidft bnmit begnügten, biefefbeu bfof) f|in3nftelfen,
fonbern barauf bebadft mareii, it)ren Sinn mit Sorgfaft gennn jn be;
ftimmeu, unb nufere 3Iiisfeguug eiitfpred)eiib 511 begrünbeu. ©§ mareii
norjugSmeife bie 3tuffnffungeii ber Scbönf)eit mefd)e mir in biefem Äapitef
befpred)en molfen, uiib ba§ 3fnfef)en ifjrcr Vertreter, mas und ju bem
bejeid^neten Serfa!^reu neraufnftte. Sie uorjügfid)ften ber Septereii, J oletiid,
*) Arist. Rhet. 3. c. 4. n. 3.
**) 2:fiemiftni§ „@npf)rabe§" gefiört bem oierteu ^afttfumbert nad) (5t}riftus an.
iciner ;)teben rouvben non ‘ftetnuhiä überiept unb berau§gegeben ; .^arbuin
fügte benfelben breijepn roeitere binju-
***) 5ti(bt bte metapppfiicbe SBat)vbeit ift perfonificirt , fonbern ber
etbifibe ißorjng bie)e§ PfnmenS, bie 5l'abrbaitigfcit ober ©erobbeit, ber ©egenfats
ber iyalfcbbeit.
7) Themist. orat. 22. al. 3.
294 äSefen ber >Sd;ön^eit nad; £oIehi§, granj t)on ©ale§,
bev ^eilige ^-ranj üou eale§, '^aüaüidni , JapareEi, foroie auc^ einigr
anbeve @e(e!^x’te bie mir jpätev nennen xnerben, gtanben i^re Se'^re bem
:^etUgen 3:^oma§ ju entnehmen, unb ftellen fie ausbrücfUc^ al§ fol^e l^ln.
2i>aven mir bev Uebevjengung , bag in ber bie non un§ gegebene
3(uffaijung bev ©c^ön^eit feine anbeve jep al§ bie be§ Ä'ivc^enle^vevg non
Sfqnin, bann fonnten mir e§ jenen iUfeiftevn gegenüber nid}t bei einer
bfopen 9fuffü^vnng feiner Sfenfeerungen bernenben faffen; niefmefir mar
eine grnnbücfie Unterfucbung berfelben nin fo nnerläpficfier , af§ mir bie
3fnficbt ni(^t jnriicf.^utneifen nermögen, bie ©rroüfjnten roürben bie non
if)nen norgetragene £ef)ve f(^roer(id) bei itfjomag non Sfquin gefunben
^oben, inenn fie jic^ neranfapt gefeiten ptten, feine ©ebanfen eingebenber
;^n errangen unb tiefer in biefefben einjubringen. 5lber fiören rair norerft
bie bebeutenberen non ihnen felber.
§. 1.
|>cr Pcqriff ber |>diörtbeit ttdcß ^ofdus «nb ^rattj won l^afes. ^affatiicini,
^{ogacct, 23afbinottt, ^äfatr. ‘Saparelli.
209. 3” jdner „©rftiirung" ber ©ummn be§ 2:boma§
fdfreibt ber ßorbinaf Jofetugi (f 1596) atfo. „SlEgentein genommen,
beftebt bie ©cbönbeit eine§ ®inge§ immer in einer geraiffen Orbnung
feiner 2>orjüge, in einem geraiffen iöerbättniffe berfelben gu einanber. SDie
©djönbeit ift barnm ben Singen eigen in ihrer Sejiebung gnm böbden
©rfenntnifjnermögen : benn biefeS Sel^tere ift es, raelcbem bie Orbnung
©enufj geraabrt, raie bem ©trebenermögen bie ©ntbeit'' 258).
Sem genannten Cfarbinal am nöcbften, cbronologifdb foraobl alg feiner
l'ebre nad), ftebt ber Jtiritbenlebrer non ©enf. f^^anj non ©ale§ b^it feine
21nfid)t über ba§ SS^efen ber ©cbönbeit im 21nfange be§ erften 33ucbe§ feiner
„21bbanblung über bie Siebe ju ©ott" an§gefprocben, freilich nur raie im
iBorbeigeben unb ohne fie jn begrünben, aber raie er glaubt, im Slnfcbln^.
an Jbomad non 21quin. „Sie ©ntbeit ift bagjenige (an einem Singe), raa§
bem ©trebenermögen, bem SSiden, gefüdt, bie ©cbönbeit bagjenige, raa§
bem böbden ©rfenntnipermögen gefällt; ober anber§: gut ift ein Sing,
infofern e§ al§ ber natürliche ©egenftanb eine§ unferer Vermögen un§
©enu^ geraabrt; fcbön ift es, infofern feine ©rfenntnig und ©enu^ ge=
raäbrt" 259). Sie ißorrebe ber „2Ibbanblnng" ift batirt nom 29. (juni 1616.
210. 23etracbten bie jinei ©enannten ben fadeologifcben ©enu^ aud=
fd)lief3lid) ald inteUeetnalen , fo finben bie jraei junäcbft folgenben ©e=
lehrten ©cbönbeit in ben Singen, infofern biefe und entraeber finnli(ben
ober intellectualen ©enup geraäbren.
21adi ij}aEanieini’d (f 1667) Slnfidbt ift nämlid) „bie ©libönbeit
nur eine befonbere 31rt ber ©utbeit, raeldje, rao fie erfannt rairb, nermöge
'^aüauicini, 3togacd, Slair, iBatbinotti, Japavdii. 295
tfjver i^orjügUi^fcit entiueber bem 2(uge ober beiu f)of)eren @rfenntut[3-
uermögcu @eimf3 geiuäljrt" 260). ^pallaöicuii tierrocift , rao er biefe ®e=
Itünmuug aufftcüt, auf einen nn einer frnl^eren ©teüe feineg Sudjeä ent=
inicfeiten @ebanfen, ineldjer nid)t nur ben ©inn berfelben nci()er befthnmt,
fonbern iljn gugleidj begrünben foU. 2öir roerben biefen ©ebanfen fpiiter
anfü^ren, inenn mir bie ße^re um bie eg fid} Ijanbelt, beurtijeilen (f. unten
9t 214. ©. 299 f.).
©em ifi>efenttid)en nadj in Uebereinftimmnng mit ifJaltaDicini ftettt
ber ©erfaffer beg SBerfeg ,,©ng t^'ine 9iot^roenbige", 23enebict 9iogacci
(t 1719), folgenbe ©efinition auf: „9)tan fann bie ©d)önt)eit beftimmen
atg eine 93efd)nffent)eit, uermoge bereu ber ©egenftanb bem fie eigen ift,
für bie erfennenben Vermögen angenebm nnb gennpringenb roirb'^ 201).
3u ber gleidjen Slnffafjnng ber ©djönfjeit befennen fid) and), roie
cg fdfeint, tbugo 2?(air nnb 93albinotti*) ; il)ve (Mebnnfen fommen nng
inbeft 311 menig bebentenb nor, atg baf) mir eg für nötl)ig batten tonnten,
biefetben Ijier anjnfübren.
211. ©afür mag biei' ein etmag gröpereg ©tücf folgen ang einer
9tbf)anbtnng eineg beroorragenben ©etebrten ber füngften ©ergangenbeit,
in metibcr nng mieber eine oon ben jmei oorigen etmag oerfd)iebene 3tnfs
faffnng ber ©djönbcit entgegentritt. 3Bir meinen bie ©d)rift „®ag SBefen
ber ©d)önbeit nad) ben if^rincipien beg beitigen ^bontag", metd)e ©npa=
retti, mnbrenb ber ^om ©ccember 1859 big jnm ©eptember beg
fotgenben „tSioittä cattolicn" oeröffentlidjtc, nnb bann
and) in befonbcrem 3tbbrnct bcvanggab **).
©aparetli gebt oon ber oortünfigcn t'rftärnng ang ber and) . mir
früher (30. ©. 49) begegnet finb; „@d)ön ift bagfenige, metd)eg anjin
fd)anen @enuf3 bringt bag beipt, und) feiner Slnglcgnng, in beffen
3tnfd)aunng bie erfcnnenbe Kraft ©efriebignng , ßnft, ©ergnügen finbet.
@g fomme mitf)in baranf an, ben Önmitb biefeg ©crgnügeng 311 entbecten:
babnrcb mürbe bng Sßcfen ber ©d)önt)cit beftimmt fepn.
„9Jton fiet)t tcid)t," fnf)rt er fort, „bnf) bicfer @runb fein anberer fepn
faun a(g bie Proportion, b. b- eine 3tvt oon (äbemnnaf!, oon Uebereinftim;
innng , jraifeben ber erfennenben K'rnft nnb ber 23cfd)affenbeit (ber g'ovm) bc§
©egenftnnbeg Tenn morin bcftct)t ber 3(ct bc§ 3tnfd)nncn§, beg O'rfenneng ?
*) Blair, lect. 5. vol. 1. ji. 93. 94. (6it. 121.) Baldinotti, De Metapli.
general, cap. 7. n. 286 — 291.
**) Ragioni del bello secondo i principii di san Tommaso. (Ija Civiltä
cattolica Ser. 4. vol. 5. 6. 7.)
il facile il vedere , che cotesta qualitli altro non puö essere se non
la proporzione; vale a dire una certa somiglianza di misure tra la facoltä e
la forma dell’ obbietto.
296
Sa§ aSefen bev issc^bu^eit nac^ SapaveKt.
äl'ir l^aben e§ luieberljolt gefagt; baä erfeimenbe 33evmbgcn bitbet fid} um in
baä üergeiftigte Stlb, mit anberu üöorten in bie ^-ovm, beffeu maS es evfennt.
iÖäre mm bieje 5'ovm iiid^t raic ntau 511 jagen pflegt bem crfennenbcn 35er;
mögen tfomogen, ftönbe fie nidft in einem entjpvedfenben iöertfältnijje ju benn
jetben, mürbe biejes motft 33efviebigung, jftidfe*), barin finben fönnen? ®ad
erroarten, ranre eben jo oiel, nt§ jRutfe jür ben Seib anj ®ornen jm^en. @oIt
ber £'eib Sbutje finben, jo muff baö ijoolfter jebem ber miibcn Xtfeite eine genau
cntjprcc^enbe ©tüüe bieten: jott ba§ tßermögen j)tn!^c finben, fo mn^ feiner
gejammten Döidftnng, joraie jcbcr A-iber bed Orgnn§ moburd) e§ t^ätig ift, bie
!i^cjd)afjentfeit beö Objectd genau entjpredfen. ®aö übereinftimmenbe ißerbättnifj
aljo, bie Proportion, ber erfnnntcn tBejdjnfjen’^eiten mit bem ertennenben Per^
mögen ij't ber aUgcmeinc @rnnb ber 9tnf)e bes ^elfteren, mittfin bie ottgemeine
Sßnrjel be§ Pegrifjö ber ^d)önf)cit" **).
35ottftänbiger gibt 3:apare£ti feine Sfufjajjung in ber Dtecapitnlation am
©c^Iufje feiner ©dfrift.
„odfön ift, jagten mir, baöjenige, bejjen 3tnjd}auung gefällt, ©enuff bringt,
©ie menjdjiidfe 3tnjd)anung mm ift .fiijammcngejept , fie umfafft nier ©tnfen.
®ie erfte berjctben ift bie finntidfe il>nl)rnel)nmng ; bie nerjdfiebenen ©enjationen
conccntriren fid) in bem inneren (fentrntfinn; oon bort empfängt bie
il)rc Pilber, um fie naci) it)rer iP'cije 511 oerbinben nnb 311 beteben, nnb non
biejen Pilbern nbftrnt)irt bie Pernunft burd) bie it)r eigentt)nmlid)e 3d)ätigfeit
bie nttgemeinen ^Begriffe. Sie Pereinignng biejer oier Grfenntnipftnfen bitbet
bn§ Dottftänbige menjd)tid)e (S'rfenntniffoermögen ***). Sas l'eptere mitf)in mirb
nottfommene Sefriebignng finben, menn jebeö ber partiellen Permögen in bem
Objecte ber 3lnjcbammg ben it)m entjpredienbcn pl)eit finbct, nnb menn über;
bie§ bieje oier Sl)eite jo 5njnmmenftimmen, baf; fie bajn beitrogen, bem l)öd)ften
Pete ber intelligent l'^dre Potlenbnng 311 geben, inbem fie il)it in ben ©tanb
jcpen, ben Pöillen 311 rid)tigem i^anbcln 311 bemcgen. Plan fiel)t l)iernn§, baff
bie ©d)önljeit, menngteid) an fid) nnb it)rer Di'atnr nnd) bas ^te
Pul)e ber erfennenbcn Äräfte , bod) tugtcid) nad) ber 3lbfid)t bes ©(^öpfers bie
Peftinmmng i)at, baö ncrmmftgemäffc fbanbcln 311 crleid)tern.
„.•öiernad) fonntc es mm nid)t met)r jd)mcr jepn, bas eigenttid)e SPejen, bie
Dtntnr biejer ®d)önl)cit 311 bejtimmen, in mctd)er bie (jrfenntnifffraft il)ren @enu§
finben tönntc. Pöir bnrjtcn nur bie Pernnnjt nnb bie (?i'fal)rung befragen,
einerjeiüö, meld)e bie ©egenftänbe jepen, bie jeber ber oier angegebenen fe
*) „Riposo“, qmes, nad) ber x’tuobnidsioeije bev ©dfotnjtif jooiet al§ „@enu^".
Pgt. oben P. 60. 85. — Cb bie Pjetje in raetd)er Caparelti ben metapborijeben
atnSbrnd f)ier Derroertl)et, ben 3tnjd)aunngen ber ©i^otaftif ganj entjpricbt, mag
bal)ingeftetlt bteiben; ogt. bie 9(nmerhmg n. 84.
**) Ragioni del hello, §. V. n. 3. (La Civiltä catt. ser. 4. vol. 6. p. 44.)
***) Caä ift rool)t fanm ganj rid)tig. 9tl3 ein ioejcnttid)er be§ nieberen
Cvvfennenö mup bod) offne Broeifef and) bie „jinntidfc Urtf)cit5fvaft" gelten. (Oben,
e. 10, Pote.l
SSefen bcv (£(^ön’^eit natf; 3;aparelli.
297
fenntiü|;iftufcn euti'pved)cii , niiberiett§, in rce(d)ev ii>eifc bteje üier 'otufcn ()av;
monifd) jufammenunidcu mü|icn , bamit ber evfenncnbe SJknl’d} bie uoUc 23c;
fvtebigiing
al)o gunädjft bic dbiditung ber erfenncitbeu '23evmögeu nngc()t, fo
faljen luiv, bag bcv äupevc '3inu '3d)önl)ett be§ Jenes (mag mm non ber ?S-arbc
ober nom i3d)nÜ bic 9^cbe fepn) nerlnngt, Älnrdjcit ber (Siicfjeinnng , 9JJnnnid);
faltigfcit nnb Orbnnng in ber 93Ubnng beS ©egenftnnbeS nad) 9i'anin ober ^e'it
('Symmetrie ober 9tf)i)t()mnS). ®er innere (ientrnifinn mirb um fo mefjr be--
friebigt, je 5af)(rcid)cr bie iBorftelfnngen finb, incld^e bie eiligeren i3innc it)in
non einem ein5igen ©egenftnnbe liefern. 3)ie J'f)nntn[ie fügt jn alien biefen
J'orjügen ber SinneSnorftettnngen neue fjin^n, inbem fie biefelben bem
bürfniffe beS eriennenben 9J7enfd}en gemnfi in einnnber nerinebt, nnb biefem
gefnmmten 0djönen i^eben eingiegt. Sie Sernnnft enbüd) fiil)It fiel) befriebigt,
inenn fidj if)r in allen biefen Silbern nnb in ber Orbnnng ilfrer Sejiel)iingen
jn einanber ein angemeffener Stoff bietet, nm inal)re, nnfd)antid) t'lare, beinegenbe,
ergreifenbe Sorftellnngen jn bilben.
„,'T'iiermit l)nben mir bie nntiirlicbc Sidjtnng eineS feben ber erfennenben
Vermögen angegeben. 9lber biefelben follen jitfnmmen ein einl)eitIid)eS Gian^eS
bilben, bie menfd)lid)e 9'rfenntnifit'rnft ; barum ift eS offenbar notl)inenbig, bag
fie nad) irgenb einer beftimmten Orbnnng jnfnmmemnirfen. Siefe fnnn feine
anbere als bie nom Sd)öpfer benbfiditigte fepn ; eS ronr aber gemig nid)t ber
29ille beS ©cf)öpferS, bag bie Sernnnft ben finnlid)en Ä'rüften, fonbern bng
biefe ber Sernnnft bienen , nnb bie Sernnnft ben Soillen in ben Stanb febe
jn fjanbeln. Smr fönnen mithin bie Orbnnng, bnrdj meld)e bie menfd)lid)e
(Frfenntnig gcfebnmgig (retto) mirb, nnb bnrnm geeignet, bem erfennenben
SOienfdjcn Sefriebignng ,vi gemät)ren , nlfo nnSbrüden : ,Sie menfdilicbc (Sr;
fenntnif; ift nollfommen , inenn fid) nermittelft ber finntid) angenehmen Se;
fd;affenf)eit*) ber Jöne nnb ber darben, überhaupt aller SinneSnorftellnngen
meldfe fid) im inneren (Sentralfinn nerbinben, nnb non ber Sh'i'dafie nerarbeitet
inerben, ber Sernnnft ein (Element barftellt, incld)eni fie mit Veidjtigfeit am
vegenbe , ergreifenbe Sdnhrl)eiten entnehmen fnnn.‘ Siefer Sal) enthält , inie
jebennann fie()t, ben nollftänbigen abäqnaten Segriff ber Schönheit, bereu 9(ii;
fdfannng ben ifknfchen 511 befriebigen geeignet ift. Sabei ift inbef nid)t jn
nberfehen , bag ber 'IDlenfd) and) bie Jhätigfeit eines feben ber partiellen Ser;
mögen für fid) inS Dinge faffen, nnb, non ben übrigen abfehenb, ben Objecten
infofern fie ben einzelnen Serinögen entfpred)en , bnS Si'öbient ber Sd)önheit
beilegen fmin: fo ber ff-arbe, bem Jon, einer Serbinbnng non fs-arben ober
Jönen, inbem er auf bic J'hnntafie feine 9füdfid)t nimmt; fo and) einem
(fomplcr non Shimtaficbilbcrn , inbem er feine 9füdfid)t nimmt auf bic über;
finnlid)e J9nl)rheit, fonb*ern cingg bie Scfricbignng eines befonberen SermögenS
im Dinge h^^l- 'K’cr ^'‘■’fr’ partiellen Urtl)eile inerben häufig O.nellen bcS (frv;
tl)nmS fepn.
„fbüigcr fönnen mir bie gegebene Oefinition and) fo nnSbrücten; ,Sie
*) mediante la soarifä.
298
Ue6erfid}t(id^c 3iiianimenftellung ber angeführten 2tnfidf|ten.
'Sdjönheit i[t nicf)^^ fffirbered, a(§ bas iBcrf)äftnift beS @egen[tnnbeS ju ben
2>cvmögen bcv (finnlichen) ©rfenntnift, unb biefer 3Sermögen jur ^ntetligenj.* *)
. . Xte >2rf)önf)ett , in ber Üiatiiv mie in ber Ä'unft, uiirb immer barin Hegen,
ba[t bie erfennenben Ä'riifte 33efriebigung finben, bnrd) baS red)te 3Serhältnife
beS Objects 311 i()nen fomof)!, aiS bitrd) bnS red]te i'erhöttniß ihrer feibft unter
einanber in fRüd|'id)t auf ben ^cS (SrfennenS, niimiid) baS nernunft;
gemäfte .ibanbeln" ** ***) ).
213. ®af3 xaparetU’g Vehre non ben ^tnei in ben norigen iRum-
mern angeführten Sluffaffungen uerfdjieben ift, bürfte niemanben jroeifet
haft fegn. ^h^^ tVHolse lüüft ein ©egenftanb, um in bem noüen Sinne
beS SS^orteS fd)ön jn fegn, jebem (^demente bes menfd)(id)en ©rfenntnifs;
uermögenS, ben nieberen Vermögen inie bem ^)'6t)txtn, rnur bie finnüi^e
Urtheiisfraft nnsgenommen,) ben geeigneten Stoff jnr Jh^tigdeit bieten.
Xotetuö bagegen unb fs'rßiiS oon SateS rebeten angfchiiegtid) non bem
höheren tSrfenntnif3nermögen , rocihrenb '^aüanicini nnb bie brei übrigen
©etehrten 3ufrieben inaren, inenn baß Sing bem höheren ober einem
ber nieberen if.\erception5uermögen, insbefonbere bem Stnge, gegenüber am
genehm erfd)eine. il35ir haben fomit brei Sefinitionen :
1. Sie Schönheit eineS Singeß ift jene 33efchaffenheit beffetben, ner;
möge bereu e§ bem nernünftigen @eifte, bn er eß betrachtet, inteUec;
tnaten ©enuff gemährt. (-Lotetuß nnb »yran^ non Sateß.)
2. Sie Sdjönheit eineß Singeß ift jene d3efd)affenheit beffetben, ner=
möge bereu cß bem i);)?enfd)en , ba er eß betrachtet, intelt ectuaten
ober finn liehen (optifdfen) ©enuf^ gemährt. (ifJattanicini , Ddogacci,
2?tair, 33a(binotti.)
3. Sie Schönheit eineß Singeß ift jene iBefdfaffenheit beffetben, ner=
möge bereu eß bem i)3denfd)en, ba er eß betrachtet, intettectualen
nnb finntiilien ©enng gemährt (Saparetti.)
3n @inem if.Hinfte ftetien biefe brei 5lnffaffungen, ber unfrigen gegem
über, in notier Uebereinftimmnng. Saß mefenttich ©gene unferer l'ehre
liegt barin, bag mir ben fnttcotogifd)en @ennf3 f) atß „@ennf3 auß eigent;
*) La bellezza altro non e che V orcliae dell’ oggetto alle varie facoltä
eonoscitrici e delle varie facoltä all' intelUgenza.
**) Taparelli, Ragioni del hello §. IX. n. 3 — 6. (La Civiltä catt. ser. 4.
vül. 7. p. 556 s.)
***) Um nicht mipoerftanben jn roerben, erinnern roir baran, bap roir bie
ütnebrnrfe „intelicctuater", nnb „finnücher" @enup in bem im jroeiten ütbfdhnitt
(7t. 64 — 66, @. 86 ff.) beftiminten (Sinne nehmen.
7) ®a§ hHpt, ben ®ennp ben bie Schönheit geroährt. 2tn biefer ©teüe
311 lagen, „ben äftheti|d;en ©ennp", ginge gar nid)t an; benn biefer ift feineg=
roegg in aUen gälten „(flcnnp ang eigentlicher Siebe", (jin ^roeiten 33uche roirb )ich
bag flarer ergeben. 3?g(. S. 167, bie Dlote, unb unten S. 325.
Ser ^cineiä,'4iaUariictni’§.
299
Ud)ev Vtebe" betracfjteu. @beu biefeS [teilen bte bvei angeführten ®efini=
tionen unb tl)ve ä,^evtretcv entfcl)ieben in Ütbrebe.
fchöne snnädjft ©egenftnnb beä @enn[fe§, nnb rner fie nin
ihrer ©djönheit roillen liebt , ber Hebt [ie mithin eben biefe§ ©cnnffes
megen, fotglid) mit nncigentlidjer Viebe. ,'oierin, [agen mir, liegt
ber hfluptf(id)lid)fte Unterfdjieb ibrer ,1'ehre non ber nnfrigcn, nnb ber
eigentlidje @rnnb ber abfolnten Unucreinbnrfeit beiber. löaben fie 9led)t,
bann finb mir im ^i'i'thuni. 2.l>enn es nnä begljalb ernftlid) barnm jn
thnn ift, ber SSahrheit gemäf^ bng 31>efen ber ©chönljeit feftjnftellen,
bann bürfen mir nn§ bie iSh'ihe nid)t üerbriegen laffen, bic @rnnbe jn
erroägen, meld)e unfere ©egner für ihre Vehre anführen. ®iefer @rünbe
finb brei; jmei iJ3emeife, nnb al§ britter bie iBerufnng anf 5iho»i‘iö
non Ütqnin.
s. 2.
3«r |3cfc«(btiutg ber ttn oovigen f*avngrapf;cu gcgeßcncn 4fljre.
©er 23emei§ tl>nltaincini’S ; UrHbertegung. ©nparefli’ä 33eiuei§; SMberlcgnng.
©ie ilehre um bie e§ fid) hanbclt, ift fcineSrocgS ienc beS h'-’^lMl^'" Jh'-'nnnQ.
213. 2?on ben jmei 23emeifen finbet fid) ber eine bei if>n(laüicini,
ber anbere bei ©aparelli; bie übrigen uier Slntoren bringen feinen 2?e=
roei§. 3©a§ aber foroohl ‘:f.'allaincini als iaparelli je bnrd) ihren 23e=
meiS barjnthnn fnd)en, baS ift eben ber 'f^nnft in roeld)em, mie mir
üorher fagten, ber eigentliche nnb mefentliche llnterjdjieb ihrer 5lnffaffnng
non ber nnfrigen liegt; bng nümlid) bie ©d)önl)eit ber @rnnb, nidjt
eigentlicher, fonbern nneigentlicher iHebe fep.
211. Um faft jroeihnnbert jj^ahre alter als ©aparelli, mag ber geifU
reid)e ßarbinal jnerft baS JiJort bnben.
'jßallauicini grünbet feine 'Argumentation auf ben gnnj ridjtigen Ifies
banfen, ben and) mir im jiueiten Abfcl)nitt anSgefprodjen haben: ©ns
unterfd)eibcnbe iöferfmal ber nneigentlid)en Siebe, gegenüber ber eigentlichen,
befiehl barin , bag ben eigentlidjen OAgenftanb unb bas lelUe
©rfteren nicht bie ©ingc felbft bilben, auf bie fie unmittelbar nnb ^nnäd)ft
geridjtet erfcheint, fonbern eine ilMrfung, meld)c uon biefen ©ingen er=
märtet unb gemünfdjt mirb ; eben banun mürben bie Sehtcren fofort
anfhören, ©egenftnnb ber Siebe ju fepn, menn biefe üSirfnng bnrd) nnbere
'Drittel gerabe fo gut erreicht loerbcn tonnte "'O. „9Ser ju becuirfen ner=
ftänbe, bafj baS SBerg boifelben @efcl)macf hätte, mie ber f^afan, nnb in
gau5 gleid)er SBeife nährte, luürbe bem mohl baran liegen, an ben
*) d?gl. oben 91. 52 — 54. ©. 73 p.
300
®ei' ffieioeiS ^peUaüicini’ä;
ber (iiroBen Sbftt neljiiien ju fömien, um auf feiuer Safel roirfü(^e fyafane
gu fiabeu? Ober roenu femaub eiu ^uftrumeut erfuubeu ptte, mittelft
beffeu ba§ @riUeu ober ber i^eufdjredeu ft(^ tu feinem Dljre
gauj rote 9la(^tigaIIeugefaug auSuö^^me, mürbe ein ©olcfier uod) ba§
miubefte ©tücf ®eib auSgebeu, um fii^ roa^re ^cai^tigadeu ju üerf(^affcn?"
®eu in biefen Störten enthaltenen richtigen ©rnnbfah fud)t nun
i|3nltat)icini auf bie Oinge anjuroenben, roetd)e uns ben @ennft ber
<2d)önt)eit geroähren. ,,'iRehmen mir an, 3tpoIto roäre jn l'ucnttnS, bem
reiifhen fÄömer, herahgeftiegen, unb hätte mit ihm bie ^^'e^rtichfeiten feiner
i'itten bei 3^eapcl nnb Jufcntnm berounbert : bie fnnftreid)en äTmfferroerfe,
bie Oanfenbe non iprai^tgeroänbern, bie ©emätbe, bie Statuen, benen an
Jeben nnb 2(nsbrud nur ba§ abging, roa§ ihren SBertb geminbert hfl&fn
mürbe, bafi fie nämtid} roirflid) lebten, ftatt es nermöge ihrer hohen
2?olIenbnng bloft jn fd)einen; benfen mir nn§ bann roeiter, es hätte ber
@ütt, traft ber ihm eigenen Sehergabe, bem fincndus nerfünbigt, er
roerbe alle biefe Schätze nerlieren; in ber 2©eife inbep , bap nermoge
eineä nie anfhörenben 3o^i^er§ ihm fort nnb fort märe, als ob er fie
fähe roie früher, nnb bap er oon benfelben, ber gegenroärtigen 2}orher=
fagung fidj in feiner SBeife erinnernb, in ber nnerfdfütterten Ueberjeugnng
fie fepen noch feinem 23efipe, für 31nge nnb @emüth ben nämlichen
@enup hotte, roie roenn fie roirflid) noch mären; Slpollo hätte ihm
überbie§ gefagt, bie gleiche Sänfdning mürbe fid) auf alle anberen i)}fen=
fd)en auSbehnen, unb biefe fomit ganj roie bisher in feinen Sanbhänfern
jnfammenftrömen , um ihre ‘^f.'radjt 511 beronnbern, unb feinen 2famen jn
feiern; nnb roenn es ihm fe in ben Sinn fommen follte, biefelben
^n oerfaufen, fo mürbe man ihm bafür gan^ bie gleiten Summen
jahlen, bie man jept bafür gäbe; mit C'inein Sßtorte, ber 23erlnft feine§
gefammten ißefipeg roerbe ihn jroar thatfäd)lid) treffen, aber für immer
forootjl ihio felber als febem Slnberen ooUftänbig oerborgen bleiben, unb
feine geiftige Slnffnffnng, ba§ ißergnügen nnb ber @enup ben ihm feine
S(häl3e geroährten, roerbe fid) burd) ben Serlnft berfelben in feiner 2;t>eife
nnberg geftalten, als roenn er fie nicht oerloren hätte : — mürbe £'ucnlfn§
bei einer foldjen 3fnfünbignng and) nur ben leifeften 2fnflug oon 25er=
ftimmnng oerfpürt hoben? ‘Oüfeiner 21nfid)t nad) gnnj geroifi nidjt; roenig;
ften§ ni^t einer SSerftimmnng, bie irgenbroie gegrünbet geroefen roäre" *).
Oa§ ift '^tallaoicini’s 23eroeis. 31n§ ber oorftehenben if}rämiffe
nämlich jiieht er ben Schlup: „Oie Sd)önheit ber Oinge hübet für ben
ftJcenfdien ber fie mit ilergnügen betrad)tet, nicht ben @egenftanb eigenü
lieber Siebe, fonbern nn eigentlich er: er liebt fie nur, infofern e§ ihm
O'ennh bringt, fie nnjnfchanen" 262).
*) Pallavicini. Del bene 1. 1. p. 2. c. 45.
J9iberlcgimg beffelben.
301
00 üoÜfoinmcn mau luiu bie ber ancvfcimcu
mu[3, eben fo ficfjev i[t bie au§ berfelben ge,5ogeue Folgerung mmmljv.
SBantm? SSetl jie einen OJebanfen ansjpridjt, melc^er in ber il^rämiffe
in feiner SBeife liegt.
‘215. (5'ine b>)poft)efe, berjenigen rnefd^e i]]atfav)icini mnd)t, ganj
analog, märe ctroa biefe. @in iunger DDi'ann, ber lange 3^if uon
ber loeimat ju leben genötbigt i[t, beiil^t ein iportrait feiner i)Jhitter
baä für ibn ä'^ertb b^^f/ ibieil er an feiner illintter, einer eblen
fvrnn, mit grofser Siebe tjängt. üiebmen mir an, e§ mürbe ibm bejüglicl)
be§ ‘ifJortraitS ganj biefelbe itorberfagung gemacbt, mie jene meldje Sn^
cnlluS non 3tpolIo bört. 5)er funge Üdtann t)ätte fidjer bei einer foldjen
tlJtittbeilnng eben fo menig @runb, fidb 51t betrüben, mie ber reiche dtömer.
Senn mir mm 0d)lnB jögen; „f^olglidb
ÜDtann feiner iIRntter gegenüber nid)t eigentlidje Siebe, fonbern
nneigentlidje" : mürbe ber Sefer mit nuferer ©iatectif jnfrieben fepn?
IHber faffen mir bie ©ebnnfen i|3allaoicini’§ felbft in§ 3tuge. „Sit=
cnltuS mürbe, ber 3tnfünbigung be§ 3lpollo gegenüber, feinen nernünftigen
©rnnb haben, traurig 511 merben; folglid) finb fene Singe inägefammt
bie er nerlieren fott, für ihn nicht ber @egenftanb ,eigentlidjer abfolnter‘
Siebe, fonbern nur entmeber , eigentlicher retatioer‘, ober nneigentlidfer
Siebe"*); biefe 3lrgumentation mürbe ootlfommen genau nnb mabr fepn.
Unter ben Singen bie Sucnltn§ nerlieren foltte, bat nun ')3alXanicini
allerbingS and) Serfe non ^mei fchönen fünften auf geführt, nnb in
fofern Singe, meldje man — in einem 0inne ber ficb im ^meiten ®ncbe
ergeben mirb — „fchön" 511 nennen pflegt: eine ungeheure iOtenge au§=
gezeichneter ©emülbe nämtid) nnb noltenbeter 3tr beiten ber ©cnlptur.
3lber @emälbe nnb 0tatuen, and) mo fie im mabren nnb nolten Sinne
„fcbon" finb, bilben ja nicht felbft ben eigentlidben ©egenftanb be§
fatleologifchen OienuffeS: fie finb lebiglicb 33 über biefe§ eicgentlid)en
@egenftanbe§, nämtid) ber bitrch ©dbonbeit bevoorragenben Sbotfadfe ober
Ui-fcbeinnng, metdfe fie barftellen ; fie finb ihrem ganjen Sefen nnb iljrer
ißeftimmung und) nid)t§ meiter, alg Ddlittel, bie e§ un§ möglid) nnb
leicht machen follen, fenen eigentlichen ©egenftanb in lebenbig flarer gei=
ftiger 3lnf(hanung ju erfaffen, nnb baburcb H'iner 0d)önbeit nn§ ju freuen.
Sem Slpotlo biefe nämlidbe geiftige 3lnfcbauung nnb biefen nämlid)en
@enuf) za bereiten bie ©emogenbeit bat, ohne bafz bie ©emätbe nnb bie
Statuen mirflid) oor feinem 3luge flehen, ber l)at freilich feinen ©rnnb,
ficb über ba§ Sefetere zu betrüben ; benn e§ fann ihm, menn er oerftänbig
ift, bod) offenbar nur um bie Sirfung za tban fepn, b. l)- am ben
*) Uebev bie pier ennäputen zuiei 3(rten ber eigentlichen 3iebe lunr früper bie
IRebe, ?l. 55. 56. £. 77 ff.
302
Ser SBeroeig ^'aUat)ictm’§, SSiberlcgung.
falIcoIo9if(^en ©enufs, unb nid)t um ba§ SRittel mel^eS i^m ber^
1'elbe geftc!^ert mirb.
i^ätte '^aüaoicint nid)t ben feltfamen '2)'iiBgriff gemad)t, ^roei roeientüilj
uerfcbiebeue 23egriffe, iiümtid) „fc^öne ©rfc^einungen" unb „Silber fc^bner
©rfd;einungen“, mit eiuanber ju uevn)ed)feln , bann mürbe fein eigened
Seroeidnerfa^ren fetbft il)u ,^n einem ganj anberen ©rgebnift geführt liaben.
®er Jefer erinnert fid) nod) ber am Sd)Iufje be§ uorigen Kapitels er^
mätinten ^errlid)en ©rfi^einnng, roelc^e nad^ i^emiftiu§ auf bem Serge
„ber fs-reunbfdjaft" .f>ercnle§ fc^ante. Stuf biamantenem ©i^e jeigt fic^
i^m, non Sid)t nmftoffen, „bie S>a^r^eit, bie 2:o(^ter be§ 3^^^'
Jungfrau not! fener eblen !^o^en ©d)önl)eit, roie fie auf ben Silbern ber
alten Ännft Ijernortritt". „©tannen unb l)ol)e fvreube", fagt J^emiftiuS,
„ergriff bei bem Slnblide ber ©ottin ben ^belben." Söenben mir nun auf
biefen fvall, mo e§ fid) um ein perfönlid}e§ S3efen non l)ober ©d)ön^eit
l)onbelt, unb nidjt mel)r um bas blope Silb eineS ©olc^en, bie §ppot^efe
'^attanicini’S an. ©eilten mir nnS, bie f^n^rerin meldje it)n auf ben
Serg ber fyrennbfdjaft geleitet, bie S>eiSl)eit, ^ätte bem ijerculeS mit=
getl}eilt, bie l)e^re ^niiSÖ'fln bie er nor fid) fal), merbe in ber nad)ften
©tniibe neriiic^tet merbeii, niib anfliören jn fepn; fraft eines nie enbenben
3anberS inbeg merbe cS if)m fort nnb fort norfommen, alS ob er fie
nor fid) falle mie eben fet^; er merbe ficb babei ber gegenmärtigeii iUlit=
t^eilnng in feiner Steife mel)r eriiiiiern , nnb in ber feften Ueberjengung,
bie 3lod)ter beS 3^uS tl)rone in iljrer ©d)öiil)eit nod) immer mirflid^ nor
feinen Singen auf il)rem ©iamaiitfide , gaiij bie gleidje f^reube fnl)len,
mit meldjer er gegeninörtig onf fie fdfane. S5ürbe .'oerculeS biefe ilJfiO
tl)eitiing gan,:^ rn^ig bingenommen haben, ol)ite 3;§eilnabme, ofine ©deiner, 5,
menigftenS ol)iic foldjen „ber irgenbmie gegrnnbet gemefen märe" ?
©iefe fvrage, bente ich, haben mir mit berfelben ©ntf^iebenheit ju
nerneineii, mit meld)er mir norher ber Slntmort '^sallanicini’S auf bie in
feinem iyalle non ihm geftellte fyrage beigeftimmt Unmöglii^
fonnte eS bem ©ercnteS gleid)gnltig fepn, ob ein fo ebleS S>efen mie
baSfenige, beffen ©d)önheit ihn mit dledjt ent^iidte, bie ©öttin ber ilöahr=
heit, bem Untergange anheimfiele ober nidft; nnb mnrbe ihm etma bie
S>al)l gegeben, fo iiinfite er eS norjiehen, beS ihm nerheigenen bauernben
©ennffeS ber Slnfd)annng ihrer ©d)önl)eit jn entbehren, menn er um
ben i^reiS biefeS ©pferS bie Ijci'rliche ^or ber Sernichtung
bemahren fonnte. ©oUte '^^allaoicini bnS in Slbrebe fteden moCten, .fo
bnrften mir nid)t beforgen, allein ben .^nmpf mit ihm aufnehmen jn
muffen: if.dato unb SlriftoteleS , bie ©toa, ßicero, i^lotin, '.fJroclnS,
bei „Streopngit", (Jlji-’PfoftomnS, ©t. Slngnftin, (JlemeiiS non Sllernnbria,
SafilinS ber ©ropc nnb Slqnin mürben onf nnferer ©eite
ftehen. ©enn mir h^beii fa nadjgemiefen, bap olle biefe ber Ueber^engung
J)er 23eroei§ lapaveüi’s.
303
loaren, bie 0cf)ünbeit bitbe, gartj raie bie iimeve ©utlieit, ben ©riinb imb
©egeui'tanb , nid)t uneigentüdjcv , fonbern ber eigentlid)en Siebe unv
Ijaben, um uou beu yielcu nur (5inen ©ebanfeu jit miebci'bolen, 4d]oma§
üon 3lquiu au§brüdltd) l'ageit preu, bcij^, „gleid)roie uod) 5tri[toteleG bas
5(nfd)auen mit bem 3fitge be§ Seibeg bie ivbifd)e Siebe mecft, ebenjo burd)
ba§ geiftige ©c^auen ber ©d)ön’^eit ober (^iutbeit be§ Unfii^tbareu fid)
bie l}öt)^re Siebe erzeuge"*) **).
‘21 C). Ä'ommeii luir l)iernad] auf beu jiueiteu ü^emeis, burd) metdieu
gleid)fall§ bargetbau merbeu foU, bafi bie Siebe bereu ©egeuftaub uub
©runb bie ©djöufieit einer (S'rfdjeinuug bilbet, nid)t eigeutüd)e fouberu
uneigent(id)e Siebe feg. Serfelbe gehört, luic mir fcbou bemerft haben,
iiaparelli au.
gefdjietjt fchr hüitfig," fdjreibt biefcr ©ele'hrtc, „baf) bie Sugenb, iinb
in ben meiften §nllen ber itugenbhnfic nid)t minbcr, bie Siebe and) bes müfugen
S3eobnd)terG auf fid) 5ie()t, bem biirdjauG ber 33hith fefjlt, nud) in fid) felbft bie
©djönheit ausjubilben bie if)n entlieft. Unmhlige gibt es, metd)e bie Viebc
b i e f c § © d) ö n e n ber e t h i f d) e n C r b n n n g mit ber Siebe b e g c n t^
fpredienben @nten ucrn)ed)fcln; bie fid) einbilben, fie nniren tngenb;
hnft, roeit fie bie ©d)önhcit ber ©ngenb benninbern. tttonffenn nnnnte bcGhalb
ba§ ©heater eine inunberbnre O'rfinbung, bie nn§ in ben ©tnnb fel5e, nnf alte
’Sngenben ftot3 jn fci)n bie mir nidjt befipen. ÜSer bie non uns gegebene C'T;
tliining bes 2Sefen§ ber ©d)önheit oerftanben hat, ber bemerft fel)r leid)t ben
gropen llnterfchicb jmifdjen biefer boppelten 3lrt iion Siebe. SiSenn ,fd)ön‘ bnö;
jenige heifd, beffen 3tnid)anung gefnUt, bann ift bie Siebe beö ©d)önen ber
cthifdjcn Crbnung nid)t§ 3(nbere§ at§ ein SSohl gef alten an jenem ©e;
nuf), meld}cn un§ bie 0'rid)cinnng eine§ rcd)t hanbclnben 9J2enfd)en gemiihrt;
hingegen bas @ute tieben heifd mit (Srnft barnad) ftreben, bap man bnrd)
öoUfommene llebercinftimmung feiner Slbfidjtcn nnb .fbnnblungen mit bem iinG
öon @ott gefepten lepten ,dide bie redjte Crbnnng in fid) fctbft oerroirflichc.
©a§ ©d)öne ber et[)ifd)cn Crbnnng Hebt nnfer .Sierj nnnnUfürtid) nnb oem
fclb|t, mie bas Stnge bie ‘Aarben beS idegenbogenS; bie Siebe beS ©nten ift
ein mit Ueberlegung nnb mcifteitS and) mit S3eld)merbe gefepteS ©treben , mo--
burd) ber freie ÜSitle einer 'Sfdd)t genügt" ***).
üSer baöjeuige aufgefafd uub feftgehntteu h^t, mag mir gegen bnö
©nbe be§ jmeiteu Sthfdjuitteö (72. ©. 93 ff.) in Uehereiuftimmuug mit
bem ©hotnag niiggeführt hebarf faum uod) einer
roeitereu 3tnleitung, um biefe 3trgumeutatioii 311 miberlegeu. „3de(e
*) 3m erpen Äapitel be§ brüten jlbfd)nittes, ©. 99 — 113.
**) Thom. S. 1. 2. p. q. 27. a. 2. c. (@. bic 3tnnterfung ii. 101.)
• ***) Taparelli, Ragioni del bello §. V. n. 12. (La Civiltä catt. ser. 4.
vol. 6. p. 51.)
304
iapaveUi’ä Seiueiä, SSibevleguug.
^JJenfd^en üeben bte ^d^öufjeit ber iugenb, luevben baoon entjücft,
unb jinb bo(i^ uici^tg roentger atä tugenb^aft, ftreben nidjt einmal e§ ju
mevbeu; folgüi^ finb bie Siebe ^um Schönen unb bie Siebe jmn @uten
jn3ei burc^auS nerf(^iebene Singe: biefe ift eigentlidje Siebe, jene bagegen
uneigentücbe“ ; ba§ ift ber Äern beg iBemeifeg. ©erabe fo matir roie
biefev Scbtuff ift aber ber fotgenbe: „,3m nörblic^en ©uropa fc^eint and)
bie Sonne, aber fie bringt bie Sraube beg SBeinftodg nic^t jür 3fteife;
fotgticf) ift bie Sonne beg 3torbeng non jener beg Siibeng burdjang
uerfdiieben." 9tnctjid)t auf ben ©rab
ber iSärme, luetc^e fie ben nörbtidien ©egenben sufommen tä^t. Ober
mirb man ang ber S!^atfac^e, baß im 3lorben ber 3Sein nid)t gebeizt,
etina ben ®d)(u^ sieben, bie Sonne raetdje über ben Sünen beg battifdjen
i)Jteereg aufgel^t, fei eine anbere, atg jene unter roetdjer bie Srauben
©ampanieng reifen? bie erfte gebe nur fatteg Sic^t, bie ^roeite fpenbe and)
iSärme? ©inen foldien Sdjtup jie^t aber Saparelti. Söenn bie Siebe
gegen bag Sd)öne ber moratifc^en Orbnung ung nidjt immer jur roirftic^en
Hebung ber Sngenb führt, fo fotgt barang nid)t, baff fie nidht eigentüdje
Siebe berfelben ift, fonbern nur, bofj fie nid)t inefenttidh F^e Störte h^t,
bereu eg ,^nr ftanbfjaften Hebung ber Sugenb bebürfte. 9H(^t ber 2trt
unb bem iSefen, nur bem ©rabe nadj ift bie boppette Siebe nerfdjieben,
non met(^er unfer ©egner rebet. Sie 9tid)tung ouf bag fitttid) ©ute,
luetdie ber Schöpfer ber nernünftigen 3tatur eingepftanjt, ift audh in
bem nii^t aufgehoben, ber fie nertöugnet (41. 42. S. 63 ff.): bie non
Ütatnr „burchang gute" *) Seete fann nii^t anberg atg fich beg ©Uten
freuen, ino immer eg fich ^jotjer Sottenbung barftettt; „unn)itt=
fürtich, mie bag 2tnge bie Otegenbogeng", Hebt fie eg unb
mirb banon entjücft. üSenn fie eg beBungeachtet fetber nii^t übt, fo
fömmt bag nicht baher, roeit fie eg nicht roahrhaft tiebt, fonbern roeit
fie eg minber liebt atg etroag 2tnbereg. Senn roenn eg fich
barum hfl^bett bie Sugenb p üben, ba rebet auch ©igentiebe, bie
Setbftfucht, bie 23egierbe mit; burdj unfruchtbare ißerounberung unb
ruhigen ©enufj ber ettjifchen Sdjönheit fahen biefe fich geföhrbet.
iSo bag SetHere hoch ber Ö't/ -!pabfü(^tige burc^
©•ntöuBernng, ber hothh^vjigen iBtuth fich befchömt unb
nerteüt fühtt, ba mirb auch bag 2^ergnügen über bie Schönheit biefer
ethifchen Sorjüge nidjt auffommen.
3n bem ©efagten tiegt audj bie ©rftörnng ber an fich richtigen
i^emerfung ütouffean’g, metche mir Saparetti anführen hörten, ©in bamit
übereinftimmenber ©ebanfe finbet fich Schiller. „Schaufpiete
unb ütomane'S fchreibt ber Sichter, „eröffnen ung bie gtänjenbften
*) d'/adouor^i, honiformis. 23g(. ©. 119 imb bie SUnmerhing n. 130.
•J^omaä üon ilquiu imb bie Se(}ve imfever (Regner.
805
beä menfd)üc^cu v'5erjcn§; uujere i]](}anta]te luirb entjünbet, imfcv .'»>er5
bleibt falt; roeuigftenä i[t bie @lut, raorein eg auf biefe 2öeife uerfelqt
roirb, nur augcnblicflid) , unb erfriert für§ practifcbe Seben. 3”
nämlidjeit Jlitgenblid, ba und bie fc^mudlofe ©utljerjigfeit beä eljrlid^eii
ißuff big beinahe ^u 5;l}ränen rüfjrt, ;5anfen rair uielteidtt einen anflopfenben
IBettler mit Ungeftüm ab. ÜiJer roeif;, ob nid^t eben biefe gefünftelte
^'tiften^ in einer ibealifdqen 25>elt nufere (^riftenj in ber mirflidfen nnter=
grabt? 3Bir fd^meben ^ier gteidffam um bie jroei änfferften (Snben ber
i)JioraUtat, ©ngel unb 'Jcnfel, nnb bie "l^iitte — ben SJ^enfdjen — laffen
mir liegen" *).
217. (rrfc^einen in ber gegebenen 33elend)tnng bie jroei 23eraeife, bie
einjigcn reelle nnfere döegner für i^re ?tnfid)t geltenb jn inad;en fuc^en,
oollfommen nnljnltbar, fo liegt fd)on in biefer ‘J^atfndie allein für ben
SBertf) i^reg britten, nodj übrigen ©rnnbeg, bie Berufung auf 2;l}omag
nämlid), eine jiemlid^ nngünftige Sßorbebentung. ®enn eg märe bod)
febenfaltg feltfam, meint Tl)omag uon 31quin eine Sei^re nertrnte, für
roeldie und) nur @incn ftid)t)altigen 23emeig fjerjnftellen jmei tüd)tige
C^ele^rte nmfonft bemül)t maren. 29ir befdjränfen nng ber in iRebe
fte^enben Sernfnng gegenüber auf eine einzige Semerfnng.
35>ül)renb itbomag non 3(qnin an mefjreren etelleu oon ber ®d)onf)eit
rebet, berufen fid) nnfere @egner nur auf eine einzige biefer ©teilen**).
2öir molten banon abfeljen, bn^ gerabe biefe um fd^merften ocrftänblid)
ift, mie 'ioletng im ?lnfange feiner (Srflürnng beg Dlrtifelg felbft be=
mert't***\ ©agegcn erlauben mir nng eine i^rage. 3;l)omag lel)rt an
fener ©teile, mie mir fd)on jmeimnl ermölqnt Ijuben: ,,©d)ön ift bag=
fettige, meldieg anyifdjanen ©entifi bringt" 42), ?Otit meldfem lRed)te
brüd'en nnfere (fiegner bicfeit @ebanfen fo nng; „©d^ön ift bagfettige,
meldbeg aitytfd)aneti bem ($rf enntni^oermögen @enuft bringt"?
©neg tntb baffelbe fugen biefe ynei ©ä(3e bod) gemiff nidft. ©enit baf)
eg bem oernünftigett (Reifte ©enuß bringt, irgettb eittett beftimmten ©egett;
ftanb jn erfentten, bag fann allerbittgg baf)er fottttttett, meil berfelbe bem
©rfenntnifmermögctt ben angettteffenett ©toff bietet jn ber ibm eigenen
I^ätigfeit; aber eben fo gut fann bie ©rtlnrung biefeg ©ennffeg itt
fcnem attberen pft)d)ologifd)ett ©efefee liegen, meld)eg mir früher nad)
H^ollauicini felbft tittb nad) bem ^eiligen 21ngnftin feftgeftellt Ifaben, nnb
bag mir bamalg Jl)omag non 31qnitt fo ansbrüdeit prten; „iK^o eg
*) SdjiUcv , „(Sine gvobntiitf)ige .^nnblung an§ bcv neueften (55eld)id^tc".
33b. 10. 5. 72.
**) 5. 1. p. q. 5. a. 4. ad 1.
***) „Articuhis est difficilis.“ Tolet. Enarr. in S. Thom. Summ. 1. p.
q. 5. a. 4.
Sungmann, Sleftfietif. 2. 2tuf(.
20
306
3;|oma§ oon 2(quiu unb bie Se^re unferev (Gegner.
l'td) um überfinnli(^e ©ut^eit l^anbelt, ba erreichen mir
ben ©egenftanb unfeve§ ©trebenS baburc^, ba^ berfelbe
)'i(^ unä im @rf enntui^^acte barftellt, unb l^ieran fd;Ue§t
)'ic^ bann im ©treb euer mögen ber ©enufi" S^oc^mals, roa§
berechtigt bie SSertreter ber 2ln)i^t bie mir befämpfen ju ber ^Behauptung,
ber ©euu[3 roel(^heu nath bem uou ihnen nerroertheten ©at^e ber ©nmma
bie Stnfchauung j^öner ©egenftänbe gemährt, grünbe fich nach ©ho^taS
auf bie erfte ber jroei bejeii^neten iRücffichten , unb nicht auf bie jroeite?
©erabe au(| an jener ©teile auf raeldhe fie fidh berufen, fpritbt
ben ©ebanfen au§ ben er mehrfadh anberämo raieberholt, ba§ nämlich
„bie ©utheit unb bie ©chönheit objectin unb ber ©ache nad) baffelbe
fepen'' ; h^tte nidjt fc^on biefer ©ebanfe fie nielmehr auf bie jroeite
ber angegebenen IRüdfidhten hinraeifen foKen?
©olange jene ^Berechtigung nidjt nachgeroiefen roirb, [teilen mir ohne
^roeifel mit nollftem IRedht in iJlbrebe, baff bie Üehre unferer ©egner
jene be§ ©hon^flS fep. 5)enn mir haben nicht allein bei ber in
ben üier erften älbfdjnitten gegebenen ©ntroicfelung faft überall bie 2ln;
fchaunngen bes heiligen ^Kirchenlehrers jn ©runbe gelegt: fonbern mir
haben in ber jmeiten f^ormel unferer Definition ber ©chönheit mit Äleutgen
genau feinen ©ebanfen roiebergegeben , unb ju alle bem no^ in einem
eigenen 3lrtifel ben eingehenben Seraeis geliefert, baf? nufere 23eftimmung
be§ 2öefen§ ber ©djönheit ber l'ehre bes hefige» ©hon^as nollfommen
entfpridht
% 3.
^tn neuefter Verlud) nadi betrefBen 'Sliditung tote bte oortgen.
Da§ SBefen ber ©djönheit in einer IHbhanblnng ber tUeapolitanifihen 3eitfchrift
La scienza e la fede, angeblidj nadj Dhomns oon 'illqnin. Das ijJrinctp
üon iDctdjem bie Berfaffer nnsgehen, entfprid)t roeber ber Jeljce bes heiligen
-T-homns, nod) ift es roiffenfdjaftlich julnpig. 3iad) bem oon itjnen ouf;
geftellten ^Begriffe fällt bie ©djönljeit mit ber 41>ohrheit gufammen; gonj
mit Unrecht rairb oon ihnen biefer tBerroedjfelnng "4>lato befdjitlbigt. ^h^^e
^Behauptung, und) roeldjer bie „Orbnnng" unb ähnliche IBopuige bnreh
baS niebere (rrfenntnifmermögen aufgefapt mürben, fteht mit jeber guten
'Bhilafopljie , unb namentlich and) mit ber i'eljre bes heiligen DhomaS in
®iberfprnch. Der iJlnsbrucf „finnlidje ©djönheit".
218. Die in Dieapel erfdjeinenbe italienifche scienza
e la fede bradjte in ben ^afji^cn 1^78 nnb 1879 in einer fReilje oon
*) 3Sgl. oben l'L 69. 70. ®. 90 ff., unb unter ben 3tnmerfungcn n. 94.
**) 3lnmerfungen, n. 156. 9. 45.
***) lOtan oergteicCje oben 91. 110. 0. 149 f. unb 91. 112 — 114. 0. 152 ff.
(Sine neuefte (Srfldning ber Sd^ön'^eit, angeblich nad) 'X^omaS üoit 9(quiu. 307
^Ivtifetn eine 5(bi)anblung unter bem ütet: „®ie Sßa^^r^eit, bie ©ut^eit
iinb bie ©ctjonfieit nai^ bem Zeitigen 'J^omaä" ■■* **)■) , als bereu ®er[a[ier
^raei Oieapolitünifdbe i]}rie[ter, bie 23rüber unb 'DJiic^net i)3ieni(^ini,
genannt finb. 3^^ ^tiuffic^t auf unferen ©egenftanb befiniren bie 58er:
faffer: „®ie ®d)önl^eit eineg ®inge§ ift jene 33ejd^affenf)eit bejjelben, net;
möge beren es bie Aparmonie (ober bie Orbnnng) feines eigenen yi'efenS
i)ffenbart 263). ®ie ganje JUiffaffung ift, mie fcbon nu§ biefer Definition
I)en)orge!^t , oon ben in ben ^roei (elften if>aragrap!^en bel)nnbeltcn nidjt
fe^r nerfd)ieben. 5lnd) Jotetus hörten mir ja „bie Orbnnng" als ben
Dorjug bejeid^nen, roetc^er ben ©rnnb ber ©djönbeit eineg Dingeg bitbe;
nnb roenn bie jmei Oieapotitanifd)en @ete!^rten bie ©d^ön^eit nid^t btof^,
mie ©otetug, non ber i^ernunft, fonbern and) non bem nieberen ©rfenntnift=
nermögcn anfgefapt merben taffen, fo roaren biefer Jtnfic^t ja and), ))ief)r
ober )neniger, ij}altanicini, Obogacci nnb Daparelli.
Unt eine Söibertegnng ber in tÄebe ftel^enben 3luffaffnng tann eg
fi(^, na(^ altem in bem teilten "^5nragrapt)e)i foino^t atg in be>i nier
erften Stbfc^nitten ©efagten, an biefer ©tette offenbar nidt)t met)r t)a)ibetn.
Dagegen folten t)ier einige Semerfnngcn i^re ©tetle finben, non benen
bie jmeite nnb brüte (Oü 220. 221. ©. 309 ff.) )üdt)t btof) bie Setjre ber
Ohapotitanifd)en 3fitfd)rift, fonbern jitgteid) andj bie in ben jraei nor'^cr;
■ge'^eitben 'j^aragraptje)) bereitg bcfprod)enen 2tnffaffnngen beg Sßeitercn
beteud)ten fonnen.
219. Die Derfaffer ber 2tbt)a)ibtnng i)i ber itntienifd)en
gelten non ber 28at)rt)eit nng, baf) jebeg ©epenbe roat)r, gut nnb fd)ön
ift"^*). 28emi fie für biefe D^atfad)e feinen )ueitere)i i8e)neig bringen
atg ben, bap Dt)omag no)i 2tqnin fo te!^re, fo fn)in bag gerabe nid)t atg
ein i)3Janget getten: be)m fie )notten ja eben )uir „bie £'e^re beg t)eitigen
3:t)omag" gebe)). 2In bie be,5eid)netc 2i.'at)rt)eit fnnpfen fie bann einen
©at)., ber für bie ga)ije fotgenbe Seftimmnng ber brei in fyvage ftet)enben
begriffe bag fs'd'ibament nnb ben 3tngganggpunft bitbet. Diefer ©nl5
tautet fo;
„20dan fiet)t teid)t, baf) jebeg iOefen, non )net($er 9trt eg andj fepn
mag, mit brei ©ige)tfdjaften anggeftnttet ift. ©g tiegt nü)ntid^ in jebent
iI8efen bag 23eftrebe)t,
1) fidb äu offenbaren, fo mie eg in fid) fetber ift;
2) bie Orbnnng jn offe)tbaren )netd^e in i^m befte))t;
3) anberen StOefen feine eigene ilottfom)nent)eit mit5,ntt)eilen" 264).
Die erfte biefer brei Crigenfd)nften atter Dinge, t)eifü eg ba)tn )neiter,
*) „Del vero, del buono e del bello secondo san Tommaso.“ La scienza
€ la fede (Napoli 1878. 1879) vol. 110—115.
**) La scienza e la fede, vol. 110. pag. 116 ss.
20
308 neuefte erftäumg ber Sd^önl^eit, angebtid; nad) i^omag uoii 3(qiitn.
i[t bie bevfclben, bte ;5ideite.i§re (Ec^ön^eit, unb bie britte il^ve
@ut^eit *).
Eiefe ©ntraicfeluug ber brei in Oiebe fte^enben Eranfcenbentaibegriffe,
baä (ä|t fi^ nidjt nerfeimeu, ift etnfad^ unb nerftänblic^. 2iber mir
bünft, fte ift nicE)t§ ineniger, at§ bie ßel^re be§ l^eitigen ST^omag; unb
fie ift überbie§ pl^ilofop^ifd) unjutäßig.
E^omag non 3(quin nerfäl^rt, um bie ißegviffe ber SBa^rtieit unb
ber ©iit^eit ju entraictetn, in gerabe entgegengefetjter SBeife. (Sr f(^reibt
nic^t juerft ben Gingen beftimmte ©igenfdiaften, unb nod) ineniger „53e=
■ftrebnngen" (tendenze) ju, auf ©ruub bereu fic| bann bie ißerf(^iebent)eit
ber pfi)(^ifc^en 2t}ntigfeiten nnb ißermögen ergäbe: fonbern er ge^t non
ber Ef)atfad}e aus, inetdje iu 35erbinbung mit ber urti^eitenben SSernunft
ba§ Eetbftbeinu^tfepn bejeugt uub feftftellt, baf^ uämUd; bie menfd}ti(^e
Eeete jtnei inefenttii^ unb ber 2trt nad^ nerfc^iebene S:t)ätigfeiten nodjie^t,.
(Srtenntniffc unb Strebungen, 5)idS/ folgert er bann, iu
23ejietjung treten fann ju bem nernünftigen (Srfennen, befi^t e§ Sföa^r^
!^eit; infofern eg boju anget:^an ift, (^egenftanb beg Strebeng gu fepn^
befifet eg ©ut^eit**). 5)enft man fid) bagegen bag Sing gelöft non
bem nernünftigen (fieifte, unb o^ne alte IBejie^ung einem Soldien, bann
^at eg ineber 2ßa§r^eit nod) ©utl^eit ***).
25)ir fügten uberbieg, bag 3Serfa^ren ber ^luei (^3ele§rten fep pl§ilo=
fop^ifdj unjuläfsig.
3uuäd)ft fann non einem „ißeftreben'' bag ben Singen eigen fep^
„i^r 2öefen gu offenbaren" unb „il)re 33oltfommen^eit anberen SBefen
mitjnt^eilen", bod^ nid)t ino^l bie iRebc fepn. 3*^ meine, eg ift bem
(Molbe, ber ©id)e, bem 2lbler ober bem l'öinen notlfommen gleid^gültig,
ob fie non einem nernünftigen (Reifte ertannt merben, ober nid^t; unb
inenn bag (Sifen non ung freilich für mandliertei nerraenbet merben
fann, roenn bag Ofeh geeignet ift, ung atg 3fahrung ju bienen, unb ber
Sdhg gut nor bem “fJfluge, fo jeigt fich non einem „Seftreben" ober einer
„Senbenj", in folche ißejiehung jnm iUfenfctien ju treten, bodh nie eine
Spur iu biefen ©efd)öpfen (Sotteg,
Ofoch bebeutenber olg biefer, ift aber ein anberer fyehler: bie Untere
fd^eibung ber ^inei au erfter unb jineiter Stelle non ben 33erfaffern auf-
geführten ©igenfdjaftcn ber Singe crfdjeint burchaug roiltfürli^, unb
bnrch nid]tg begrünbet. „3cbeg äl'efen Ijat bag 2?eftreben, fidh i^u offene
*) La scienza e la fede vol. 110. p. 127 ss.
**) Thoni. de verit. q. 1. a. 1. q. 21. a. 1. ($. bie Slumertuiigcn n. 199.
200.) 2?gl. meine 31bf)aubiitng „Sag @emütb . . ." 91. 26, bie lepte 9fote (<©. 69),
unb 9t. 3. ®. 17 ff.
***) Thom. de verit. q. 1. a. 2. extr. (3iumerfuugcn, n. 201.)
(Sine neiiefte Grflänmg ber icd^öu^eit, angeblid; nad^ S^omnä oon Siquiit. 309
baren, fo roie es in fid) felbev ift'', unb „3ei>eS ®>efen f)nt baS 23e=
ftreben, bie Ovbming ju offenbaren roe(d)e in U)in beftefit^' : — finb beim
baS loirtüd) jmei, finb eS non einanber u er fd)i ebene ©igenfdiaftcn
beS ®ingeS? ift in beni „mie eS in fid) felber ift" nid}t „bie Crbnnng
bie in i!^m befte'^t“ bereits entbatten? ober ift eS mogtid), bofj ber ner;
nünftige O^eift baS ®ing „mie eS in ficb fetber ift" erfenne, oI)ne eben
bainit and) „bie Orbnnng" jn ertennen, ineldje „in bem ®inge beftet)t" ?
b‘iöd)ftenS in fofern fann man bie ©rfenntnif! beS ®ingeS „in fid)" oon
ber O'Tfenntnif) ber in bem SDinge beftebenben „Orbmtng" nnterfd)eiben
motten, ntS bie erfte nnuottftänbig märe, bie jmeite imttftänbig. Stber
menn man anf Onmnb beffen ben ©ingen jmei (5igenfd)aften ^nfpridft,
nnmtid) bie, nnoottftänbig erfannt, nnb bie anbere, oottftnnbig erfannt
merben jn tonnen, nnb biefe @igcnfd)aften atS jmei ber 5t rt und) oer-
fi^iebene neben einanber ftettt, ift baS mobt pbitofopt)ifd) ?
220. ®er Omnnb mcpbatb bie jmei 9ieapotitanifd)en @etebrten bie
-eben befprocbene Unterfd)eibnng anfftetten, tiegt eiipng in bem 5?eftreben,
einen 53egriff ber <2d)önbeit 51t finben ber oon jenem ber 35>at)rt)eit uer;
fd)ieben fep. 31>ie jene Hnterfd)eibnng eine ganj nngegrünbete, rein mitt^
fnrtid)e iTrcnnnng oon Ebingen bie (rineS finb, fo i)'t in fyotge beffen
and) bie <Sd)önt)eit bie fie befiniren, nid)tS met)r unb nid)tS meniger ntS
bie 9,'9at)rbeit. .fpören mir fie mieber fetber:
„ijic äi'nbvbcit ift bie 53cfd)flffenbeit bcS Scpcnbcii, ocrmöge bereu biefeS
fid) felbft unb feine 9catuv offenbart; bie 0d)önt)eit aber ift jene 2?cfcbaffenbeit
beS ©enenben, uermöge bereu eS bie Orbnung offenbart nael) uietcper e§ ge=
bitbet ift" 265).
ißeo tiegt in biefen 'tTefinitionen baS fpecififd) 55efonbere, mobnrd) bie
0d)ont)eit non ber 25tat)rbeit oerfct)ieben ift? Sie eine mie bie anbere
(rigenfdinft geprt, ben Sbefinitionen ,^nfotge, bem üTinge an, infofern eS
etroaS it)in fetber ©igeneS „offenbart", b. t). infofern eS ©egenftanb beS
{frfennenS ift; bie 'i'crfd)iebent)eit beiber @igenfd)nften fann fidj mitt)in
«tr,ig baranf grnnben, baf; in bem einen fyntte „baS ®ing fetbl't nnb
feine 9eatnr" erfannt mirb, in bem nnberen „bie Crbming nad) mctd)er
cS gebitbet ift". 5tber bnbitrd), bnf) etmaS erfannt merben, O'egem
ftnnb beS t)öt)eren 0'rfcnntnif)oermögenS fepn fann, befit^t eS eben mir
eine einzige befonbere 53efd)affent)eit, nämtid) il9nf)rt)eit (115. S. 155 f. );
nnb bie 9fücffid)t, baf; bie (rrfenntnif; entmeber minber ober met)r ootO
ftnnbig i)'t, begrnnbet in feiner SSteife bie Unterfdieibnng oon jmei befom
bereit 5.^efd)nffent)eiten. Sie „<Sd)önt)cit" nuferer ,)mei OH’tef)rten ift nid)tS
meiter ntS bie „3Bnt)rt)eit".
Ilm fo met)r iimf) eS überrafd)en, menn man biefetben gerabe biefeS
^ebterS, ber in it)rer eigenen 5tiiffaffnng ^n Sage tritt, ganj mit Unred)t
310 ncuefte (ärflärung ber ©d;öii^eit, angeblid^ nad^ X^omaS öon 3(quin.
ben '^lato bcfd^ulbtgen l^övt. „Ser gried^ifd^e i^^Uofop^", erflaren jie,
„Dermifd^t ober üevmecl)jelt (confonde) ben 33egriff ber 0^ön^eit mit
bem ber iß>a^r!^ett" *). öieröon mar ißiato bod^ in ber meit genug
entfernt; ben me!^r al§ genügenben SemeiS bafür bilben bie ©teilen bie
wir in früheren 3Ibfdjnitten, namentlid^ im erften, brüten unb eierten,
au§ feinen Sialogen angefil^rt l^aben. Unb eiel begrünbeter tonnte filier
ber freilidj gleid)fall§ ungered)te, unb burd) nicf)tg erwiefene SSorwurf
Sifdberg erfebeinen, bie ©ocratif^e SBiffenfdjaft fiabe „ba§ ©dböne nid)t
gehörig oom @uten unterfd^ieben" **).
3Iber fommen wir auf unfern eigentlidfien ©egenftanb jurüdt. itRaii
erwiebert un§ oielleidlit bem oor^er ©efagten gegenüber, bie (Srfenntniü
ber „Orbnung" bringe bem Reifte ©enufs; barin liege ber Unterfdliieb
^wifeben ä^abrfieit unb ©diönlieit. Sa§ prten wir früher bereits ben
©arbinal SoIetuS fagen, unb, wenngleidb nicht ganj mit benfelben Söorten,
bie übrigen ©elebrten, bereu 2InfcE)anungen in ben jwei norbergebenben
"Paragraphen befprodfien würben 266) ; and!) bie jwei ÜSerfaffer unterlaffen
nid)t, e§ ***). SIber unter biefem ©enu^ oerfteben fie alle
inSgefammt lebiglidb intellectualen ©enuf;. 33ringt aber ©oldben bem
©eifte blop bie ©rfenntniß ber „Orbnung", nnb nicht oielmebr bie ©r;
fenntnif; jebeS anberen SSorjugS, überhaupt febe ©rfenntnife ? f) Unb
tonnen Soctrinen biefer 3trt olS bie Sehre bes hUItgen ShomaS gelten
wellen, wo biefer auSbrüctlidh fagt, „bie ©utheit ber Singe bem höheren
©rfenntnißoermögen gegenüber", alfo baSjenige woburdh fie bem ©eifte
intellectualen ©enuB gewähren, beftche in „ber Söahrh eit" berfelben? 8")
©in^ig nnb allein wenn man fagte, eS fet) „©lenuß au§ eigentlidber
Siebe" ben bie ©rfenntni^’ ber „Crbnung" bem oernünftigen ©eifte ge=
währt, einjig bann hätte man ein 30toment genannt, auf ©runb beffen
man beredüigt wäre, bie Orbnnng bie an einem ©iegenftanbe heroortritt,
non bem ©iegenftanbe felbft infofern berfelbe einfadh erfennbar ift, ju
nnterfcheiben, unb :;n fagen, unter biefer Dtücffidht müffe bemfelben 25)ahr^
V
*) La scienza e la fede vol. 110. p. 441.
**) 23tlcber, Heber ba§ (ärbabene imb Äomi)cbe, @. 1.
®ie yrei tBerfaper ber italieuifdben 3tbbanbhing fagen an ber eben bejeidpieten
Stelle auch, ipiato £)af>e gelehrt, bap „bie Sd|ön£)eit ba§ Seuditen ber SEafirbeit"'
fei), .,lo splendore del vero“, splendor veri. ©an; bie nämtii^e 33ebauptung ift
mir in mebreren SBücbern begegnet; anffaltenb ift babei, bap nidbt Gine§ e§ ber
DJiiibe mertb finbet, bie ©orte im Criginaltert jn geben, ober roenigftenS bie Stelle
jn bejeidbnew o 'l-dato biefen 3[u§fprnd) getban. bin geneigt, bie Sebauptung.
für eine g-abel -,n batten, roeldbe ein SdjriftftcUer bem anberen in frommem ©tauben
nadberjäblt; nnb idb b^be gute ©rünbe, fo ju beiden.
***) La scienza e la fede vol. 110. p. 129. 449 ss.
t) 33gt. oben 9L 184. S. 258 ff.
(Sine nenefie (Srftänmg bev 0d^ön^eit, angeblid; nad^ 'I^omaä non 'Jlgnin. 311
^eit jugefpvoc^en raevbcit, unter jener bagegen Sctjönfjeit. Slber bann
ptte man eben, lüenigftenS i^rem raefentüdjften Elemente nach, unfere
Definition aboptirt.
221. (Serabe biefeä 'Itioment, bie ißejiepng ber Drbnung nnb ber
0c^önpit jnm 0trebeuermögen, fcbü^Bt (i^cr bie t'^eapolitanifctje 2Ibpnb=
Inng au§. 2^er hieran nod) i^roeifetn loottte, ber bnrfte nur ©ap lefen
raie bie fotgenben :
„2tuö 3(ltcm ina§ mir über bnö cigcntüdje äßcfen ber ©d)önl)cit gejagt
haben, gef)t beroor, bap bie 0d)önt)eit au§id)Iiefdid) jum (Srfenntnipnennögen
in iBe5ief)ung ftet)t. Denn menn bie ©d)önf)eit cine§ Dingeö ihrem 2Befeu
nad) jene Defdiaffenbeit bepelben ift, nennöge bereu es bie itpn eigene Orb;
nung offenbart, bann fann eben bie ©d)önf)eit mir pnn (h'tenntnifmennögen
iBe3icbung hoben ; beim nur biefeö fnnn im ©taube fepn, jene Orbnung mabr;
junebmen ober 511 erfennen. Darum fügte ber heilige itbe”"o§; ,Die ©djönbeit
ftebt in De^iebnng 311111 (frfenntiufmevmögen*"
^nbeft bie Itnbnltbarfeit biefer 2trgumentation ergibt ficb bereits an§
bem f^rnberen; ieW ift e§ nnS um einen anberen (Sfebanfen ber f)teapoli=
tanifdien ©etebrten 511 tbun. Diefetben fahren näiidid) nach ben eben
angefvibrten 3Borten aifo fort:
„2Bie nun ber SJtenfd) ein 3meifad)e§ (Siteiintnipoermögen befipt, ein
höheres nänilid} iinb ein niebereS, fo niüffen mir fagen, bcip bie ©djönheit
burch baS eine iiitb burd) baS anbere mahrgenommen mevben fann:
baS heifdr baf5 mir mittelft beS finn(id)en tfrfenntnipoermögenS bie finntid)e
©d)önheit mahvnehmen, nnb mittelft ber ifeviiiinft bie geiftige ©d)üuheit
erfennen" 267).
3n üolfer Ilebereinftimiming Incvinit loirb gegen ba§ Ifimbe ber 2lbl)anb=
fung betont, bap „eS ganj eigentlich ©inne finb, melche bie finnüche
©d)önheit nmhrnehmen. Denn roenngleid) barüber bie (''belehrten ftreiteii,
ob ade nufere ©iniie bie 23efähignng befipen, bie finnlid)e ©djönheit
roahrjnnebinen : baS ftebt bod) bei allen (?) feft, baft ber (''^efid)tfinn nnb
ber (iiehörfinn bie phpfifdfe (sic) ©dtöiiheit erfaffen" 268).
3ch roitl mid), ion§ biefe ©npe nngeht, nid)t über bie fonberbare
23ebentung auf halten, in rceldier in bem lepten baS 2t>ort „phpfifd)" ge=
braucht mirb. Der ^»fd'tiwenhang beiueift, baff e§ fooiel fagen foll
loie „finnlid) luahrnehmbar". 3lber finb beim biefe 23egriffe ibentifth?
ift bie ©chönheit beS UmgelS etroa nicht „phpfifdje" ©d)önheit? ^n
raiffenfdiaTtfidien 2lrbeiten follte eine nngenane 3tn5brncfSitieife biefer 2lrt
*) La scienza e la fede vol. 110. pag. 448.
Si'ie h'^r angeführten 'Sorte beS fieiligcn JhoniaS finbet man in unferen 91n=
merfüngeji n. 166; ben 0inn berfelben hoben mir oben, DL 114. 0. 154 f., erflärt.
812 ncuefte (J-rftänmg bev Sc^önTjeit, angeblid^ nac^ J^oma§ Don ütquin.
boc^ iüd)t Dorfomineu ; bie 51]'cetif, — jene bev bie begriffe fehlen, —
beji^t in biefer Otüifjidjt fvetüdj ineitgel^enbe ^vinilegieu. Sii^beji nid^t
nm beu übel geradelten Slnsbrnd ift es mir jn teun. SBa§ ic^ raifjen
mödete, bns ift, rate bie „®inne" e§ beim eigentlid) madjen, bie „Ovbnung"
aufäufafjen, — ober raenn man mit biejer Ueberfetjnng oon armonia nidet
gnfrieben jei)n joUte, bie „Uebereinjtimmimg", bie „3]erl)ältni8mäj3igfeit",
bie „3]erbinbung ber nerjcliiebenen Jur (^inl)eit" * **)). ©ooiel mir
befannt ift, fafd ©orjiige biefer 21rt nur ein SSermögen auf, bas im
Staube ift, 3?egriffe ju bitben unb gegenfeitige ißejieeungen oon Singen
jn erfennen. Safi bas audf) bie Singen unb bie ober einer ber
übrigen Sinne oermöd)ten, ba§ glaube idj, node nie eine gute ij3^ilo=
fopljie behauptet; St. Slnguftin, ©cero, Sl)oma§ non Slquin ftellen e§
jebenfalls entfdjieben in Slbrebe, inie mir bereits im Slnfange bes erften
SlbfdinitteS gefeiten l)aben*’‘0. 21'enn alfo baS SBefen ber Sd^önl)eit in
ber „Orbnung" beftebt, in ber „®erbinbnng ber nerfdjiebenen Sbeile jur
(^•inljeit", raie tarnt man bann fagen, bap rair „mittelft beS finnlidben
C>-rf'enntnifraermögen6 bie finnlidbe Sd)önljeit raaljmebmen", unb bafi eS
„ganj eigentlid) bie Sinne finb, raelcbe bie finnlid)e Sdiönlieit raabr=
nebmen" ? Unb raie fann man baS fognr in einer Slbbanblung fagen,
in raeldber man ben 23egrifj ber Sd)önbeit nusbrücflit^ „nadb bem heiligen
SbomaS" jn entraicfeln unternimmt?
222. 3nlelU nodb ein SBort über ben Slnsbrud „finnlidje Sdbön=
beit". Sie Ungenauigfeit mit raeldjer nielfad) gebad)t, gerebet, nnb leiber
audb gefd)rieben rairb, b^l bie jyolge gehabt, bag man bie SBenbungen
„finnlidje Schönheit", „förperlidje Sdhönheit", hönfig lieft unb hört. 2Ber
ridhtig benft, ber rectificirt felber bei fid) bie f^iefe SSejeidjitung , unb
nerbinbet bamit ben ^Begriff; „bie Sdjönheit finnlich raahrnehmbarer, ober
förperlid)er Singe". Senn eine „Schönheit" im eigentlidien Sinne bes
SBorteS, ineldhe bie Sinne raahrnehmen fönnten, gibt eS ja nidht; rair
haben baS hier raohl nidjt mehr ju beraeifen.
Soll begungeachtet ber in iHebe ftehenbe Slusbrudl „finnlidhe Sdhön=
heit" eine (Ugenjdjaft begeidjiien, ineldhe ber finnlidjen SBahrnehmung ju=
gänglid) ift, bann fann bas SSort „Sdjönheit" nur in einem raeiteren,
gan,^ uneigentlidj en Sinne genommen inerben, in ber allgemeinen
iBebeutnng nämlidj non „Slngenehmljeit". Gs mürbe in biefem f^alle,
raie eS audj bei anberen 25>örtern mitunter gefchieht, ber 9^ame einer
befonberen Slrt für bie ganje Omttnng gebrandjt. Senn es fann ja bie
*) Siefe 2tu§brürfe, unb mit ihnen andj bie „Crbnnng", roevben oon ben
9ienpolitnni)chen iPerfafiern misbriicflidh als mit armonia gleichbebentenb angegeben.
©. bie 9(nmerfnng n. 269.
**) Oben, 9i. 16. 17. ©. 27 — -30. — 'Jlnmevfnngen, n. 12. 14. 15. »16.
®a§ SSefen ber ©tfjönl^eit nad^ 5|3etat)iu§.
313
„2{ngenef)in'^eit" ükr^aiipt, b. 1^. jene 33eid)aften!^ett ber -ringe üennöge
bereit fie iiu§ ©enuj^ geiüäfjren, immerhin al§ bte ©nttung betrnd)tet
roerben, unter raeldje bann ats 2Irt, roie bie „negetatine 5tngenelimrieit",
bie „ftnidid^e'', bie „iiitellectuale", fo andj bie „falIeotogi)d)e 3(ngenef)nt;
!^eit'', b. 1). bie ©d)önt)eit fällt. Slber einpfeljlcnsuiertl) ift biefe nngenmic
^tnsbrnd'sroeifc offenbar nm fo ineniger, fe fdjinerer es gerabe auf biefein
©ebiete ift, bie reiften ^Begriffe feftjid)alten; je gröfiere Unflartjcit nnb
iBermirrnng nberl^anpt auf bemfelben l^errf^t; nnb je forgfaltigcr inan
nainentlid) barauf bebadit fepn fodte, bein ©enfuntisinuS and) nid)t einen
©djein non 23ered)tignng bieten, als ob e§ nnn and) b^in frei ftnnbe,
bas liege tat in 3tngenebme „fdjön“ 51t nennen, nnb bie foinntifi^e
Vuft „äftt)etifd)e§ iBergniigen". ^vn einer iniffenfdiaftlidjen 3tbfjnnbüing
aber bie gerabe baranf ausgefit, ben 33egriff ber ©djönrjeit feftjnftetten,
iitiip eine Ungenanigfeit biefer 2trt o^ne bnjnläfng gelten.
2)rittc« ÄnpttcL
tlfftiiitioufii ^^r 5d)öul)fit i>ir fd)OU iianim niigriiügrnö rrfdieiiirit
miilTfii, luril lir ^11 infiiig bfftimmt rnii).
■ii' e t a 0 i u S. Definitionen nnf pnntbeiftijd)er ©rnnblage : © dj e 1 1 i n g ; D i f d) e r.
3(. Änt)n. ©cbiHers i'e'bre über „bas 3Jtenfd)Iict)e" nnb „bnS ©ctiöne".
,^ntd)efon, ©bafteSbnrp , dnrtefins, 3tnbre, nnb „inele nad)
i'bnen", nts Vertreter ber ftnrf oerbreiteten (iTflnrung, luonnd) bie ©diöin
beit „bie Cfinbeit in ber Dielbeit nnb 33tnnnicbfnltigteit" fepn foU.
‘223. pie 3tndud)t, nad) ineldier mir bie jeljt nod) jn befpred)enben
3tuffaffnngen, fo uerfd)iebenen i'Hid)tungcn ibre Vertreter and) angebören,
mit einnnber nerbinben, mürbe im 3tnfange biefes 3lbfd)nitted (©. 283)
bereits angegeben.
Diomifins et an ins fielet fid) neranlapt, ben 23egriff ber ©djönbeit
feftjuftelten, mo er in feinem groften SBerfe „Heber ©ott nnb feine ©igem
febaften" non ber ©d)önbeit ©iotte§ ^u bnnbetn b«t. Dag ilfefnttat feiner
Unterfud)nng gibt er in biefen SBorten; „Die ©cbönbeit eines Dingeg
ift nadj meiner 3tnffaffnng nidjts ^tnbereg, als eine gemiffe Uebereiiu
ftimmnng beffelben mit jenem noltfommenen 8i)tnfter nnb Urbilbe, bem es
feiner dtatnr nad) entfpredien fod" 270). Diadj meiteren ©rflärnngen beifd
cg halb baranf; „21'ir fönnen fditiefstid) fo befiniren; ©d)ön ift bagjenige,
beffen (rrfenntnifi uns barum ©ennfi gemnlirt, meit es feinem llrbitbe
ober feiner 3^ee genau entfprid)t" 2ti).
(rin mefenttidjer ‘ü.lianget biefer Definition beftet)t offenbar barin,
bnf) fie meber jagt nod) anbentet, marnm (pfi)d)otogifd) ) bie 3tnfd)nunng
314 ®<ig Süßefen ber >i:icf)ön^eit nad^ lietauiuS, i-djelling,
Don Singen ber bejeid^neten 31rt unä @enuB geroä^rt, nnb roa§ l^iermit
enge gufammen^angt , non inelc^er 2trt ber fatleoiogifd^e ©enn^ fep, ob
„intedectualer“, ober „@ennf3 ang eigentUcber Siebe'^ Ueberbieg fc^eint
nng ben angeführten Säfeen bie notferaenbige Ätarfeeit ab^ugefeen; aucfe
bnrcb bie ©riäuternngen raeidje ife^etaoing gibt , iöfet ficfe ifer Sinn nid)t
mit ooder Seftimmtfeeit feftftetten 272), Unb anf atie ©rfcfeeinungen
bie mit dtecht „jcfeön'' genannt roerben, bürfte ^tibem feine Sefinition ficfe
feinegroegg anraenben iaffen.
224. ©ine Sefinition ber Sd)önheit roeld)e ang ben 'Itnfcfeauungen
beg '^^antfeeigmiig feeroorgefet, feat eigentü^ feinen 3(nfprnch baranf, feier
eine Stelle ju finben. 3®arnm id) fie bennocfe nid)t übergefee, bag rairb
fid) halb ergeben, Diacfe Sd) eil ing ift bie Sdtönfeeit
Unenbüd)en nnb beg ©nbtichen, beg ^bealen nnb beg üfealen, ber iJiotl)=
mcnbigfeit nnb ber f^reifeeit, in finnlii^er ©Tfdteinnng angefcfeant“ *). äöie
bag „grofee ©onoerfationg^Sericon" oon i)Jfet)er (ütrt. Sleftfeetif) nng be=
lefert, „mar eg Sd)elling oorbefeatten, bie 3leftf)etif auf iferen abfoluten
Stanbpnnft ju erbeben . ; ^Rufen erfiärt ifen für ben „bebeutenbften
Üleftfeetifer" ** ***)), nnb ein anberer fatfeotifcber ©eleferter beridbtet, bafe „erft
Scfeelling auf bem ©ebiete beg Sdjönen ißafen brad), unb burcfe feinen
Safe non ber ^^^ntität beg !^vbealen nnb iKealen ein ftareg Stegreifen
beffen, mag fcfeön fei), nnb bamit and) bie raiffenfdjaftUcfee Stegrünbung
ber Sleftfeetif möglid) madjte" Stud) Sofee lägt auf bie non nng
oorfeer nad) ifem gegebene Sefinition Scfeellingg bie Stemerfung folgen:
„Sie begeifterte 'Sieler, bie l)ierbnrd) iferer eigenen ©m;
pfinbnng Slugbrud gegeben füben, beroeift, baft biefe iSepcfenungen ofene
3meifel eine für bie Steftfeetif anf^uberoahrenbe SSoferfeeit enthalten.
Slber^^ fefet Sofee fofort bei, „aber bie i^affung ber Slugbrüde ift
nidjt fo beftimmt, nm felbft im Sinne ber eigenen Speculation Scheltingg
unjmeibeutig ju fepn.'' Sag ift ein fefearfeg Urtheil: eine Sefinition
uon ber Soldh^§ S^ldgt merben mnfe, fnnn fd)merlich befonberen SBerth
haben, and) roenn fie nii^t, roie bie in üfebe ftehenbe, im Stoben beg
'^^antheigmug raurjelte, Öofee begrünbet fein Urtheil fehr eingehenb f).
SBir fonnen eg nidht alg nufere Slnfgabe betrauten, nng auf eine SSiber^
*) Sope, S. 137. (6itirt 18.)
**) 2t. Äu^n, Sie ^bee be§ Schönen, in it)ter ©ntroid'etung bei ben 2t(ten big
in unfere Sage (Sertin 1863) <£. 84.
***) „Jt'ircbentericon" (1. 2tnfl.) 2trt. 2leftf)etif. 3)tan glaubt in biefer 2tb=
banblung 33iicf)cr reben ju fiören. ©eine Sefinition roirb uorauggefd^idt, unb bie
fiefe baran fcblie^enbe (Erörterung über „ba§ ©c^öne nai^ feinem innern ©epn unb
. ißefen'' ift einfach eine gebrängte ©fijäe be§ erften Sheiteg feiner 2tefthetif, natürlich
ohne feine pantheiftifdien ißoraugfepungen unb (fonfequenäen.
t) Sope, c. 137—147. ((Eit. 18.)
ißil'd^er, 31. Äu^ii.
315
legung ber '£d)eüiiigild[)cn Stuffaffung cin^ulaifen. ®a[5 biefdbc eine fo
begeiftevte 21ufna!^me fnnb; bnfj überhaupt eine ^^-^^i^ofopl^ie ineldje „ba§
li^viftentljum in feinen ©rnnbpvincipien negivte, anc^ bei ®oId)en 2lnflang
fanb, bie auf djviftüdjem 23oben ftanben'', ba§ ift jebenfall§ ein
ber unb nidft ein günftige§. „®ev Oleij ber 2ieubeit, nnb ber
füllte fyiug ber ^^!^antafie roeld)er in berfetben Ijernortrat, mag bad
Peinige bajn beigetragen haben" *). Ohne eigentlid)ere
(i3rnnb (ag barin, baf; man non S^homad non Slquin nid)t§ mehr ronfjte,
nnb überhaupt jebe "iphitoföPfiic nerloren h^de.
2*25. giin £efer bie fid) etma bafnr intereffiren tonnten, geben mir
i^if(^er§ abftrnfe ©ebnnten über bn§ 2Befen ber ®d)önheit, ober inie
35ifcher gu fagen pftegt „beö ©dhöncn", in ber Stnmerfnng u. 273. fbier
foll 3;nnüchft nodh ein ,^meiter @nü non ©chelling folgen. ®erfe(be finbct
„Schönheit bn gefet^, roo bn§ 23efonbere (Dienle) feinem begriffe fo an=
gemeffen ift, baf^ biefer felbft, nl§ llnenb(id)e§ , eintritt in baö Üteale,
nnb in concreto angefchant mirb" *"■•'). 2£ir führen biefen ©ebanten
an, einerfeitö, ineil er an bie not'her ermähnte @rtlärnng beg '^^etanins
erinnert, nnb fid) nngnimmt, al§ märe er eben biefe, nur in pantheiftifdier
@eftalt; anberfeitg jngleid), meil er uns, aber in tljeiftifdjer fvitffiiiiSf in
ber bereits genannten 0d)rift non 21. Ä n h n abermalg entgegentritt.
®urd) ißergleichnns 21nffaffnngen ber alten nnb neuen 'f.'hiiofophie
gelangt nämlid) biefer ©eiehrte jn fotgenbem Ütefnltat: „®ie ©rfd)einnng
©otteg in ben Singen, bie in einem Ännftmerfe anggebrücfte göttliche,
fi^tbar ober hörbar gemorbene 3sbee, — bag ift bag 0d)öne in ihm" ***).
2Bir mollen, mag biefe £elire betrifft, banon abfehen, bafi bie 0d)ön=
heit nidjt bloß ein 21ttribnt non „Ä'nnftmerfen" ift , fonbern fid) , mie
and) ilnhn felber hei'worhebt, in ber gefammten diatnr finbet; mir mollen
nid)t mieberholen, baß fie eben fo gut, nnb mehr, bem ©eifte eigen ift
alg ben förpertidjen Singen, mie ATnhn eg gleidffallg nid)t in 2lbrebe
ftellt. Sarnm mirb berfelbe nng nielleidit nidft miberfpredjen, menn mir
ben ©ebanfen meldjer bag Diefnltat feiner fs'orfdhnngen hübet, allgemeiner
nnb jugleidj genauer fo geben: „Sie Singe finb fd)ön, infofern fie fid)
alg 21ugbrüde ber göttlidhen ^bt'cn barftellen." biefer 2Beife gefafü,
ift ber 0alA nollfommen mahr; aber alg ©rflärung ber 0d)önl)eit fann
er offenbar nicht gelten. Senn ganj baffelbe läßt fidh non ben übrigen
Xranfcenbentalbegriffen fagen. 2iid)t bloß fd)ön, fonbern and) mahr
nnb gilt finb bie Singe, meil fie ben 3^een ber 2ffieigheit ©otteg ent-
fpredien, — nnb eben hierbnrd) finb fie auch, ,11'nhn nennt nng ben
*) ^itöcfl, fiehrbiicf) ber (i'cid)ict)te ber qihilofophie (2. 3tiifl.) ©• 809.
**) Sope, $. 139. (6it. 18.)
***) 3(. .Sühn, o. 89. 91. ((Sitirt 314.)
316 aSefen bev Sc^ön^eit iiad; SdjiUer, S^fteSbun),
entfernteven ontologiicJ^en (5>rimb ber Sd)ön^eit, aber er erflart iü(^t
i^r 2®efen.
326. 0 t ( 1 e r s uon ber @d)önl)eit ift uns bet etuem
anberen 21nla|fe bereits begegnet, ©djön'^eit, in Gfferg
^afjung, al§ „bie ^neinäbitbung beä ißernnnftigen nnb 0innIii^en (bed
.^sbealen nnb Oteaten), raetd}e iPereinigung er[t ba§ roa'^r^aft SJdrflidje
feg"; ober anberg, in engerem Slnfdjlufi'e an ©c^itlerg 5tugbrücfe, atg
„bag ©leidjgeroic^t jinifdien gönn nnb Stoff", „©araug folgt, mie
andj ©(imitier felbft fagt, ba^ bag ilJienfd^Iidje nnb bag ©djöne
eigenttid^ ©ineg feg. (Sg fotgt ebenfo, bap bag ioa!^rljaft ©djöne
nur ber ilJJenfd), aber roeber leblofe Obfecte nod) reine @eifter fegen;
bafe biefen bag ©c^öne pc^fteng mir in Uebertragung beg iDlenfdjUcben
beigelegt roerben fönne. ©genttid) pön ift nur bag roap'e menfd)lid)e
©ubfect, nnb ber ^Begriff ber ©d)önpit entftetjt mir bnip SIbftraction
oon bemfelben. 9lidjt, bag roap'pft 9i)tenfd)üd)e ift e i n ©d)öneg, fonbern
bag raappft iö^enfc^lic^e ift bag ©d)öde" * **) ***) )•
®er ?efer erinnert fii^ noc^ ber im fünften 21bfd)nitt erraöljnten
Ätage bie ©d)ilter über fid) felber füpde, bafi i^n nnmiidj äiiraeilen, mo
er pl)i(ofog^irt, ber Siebter übereitt pbe. Sie eben angefüpten ®e=
banfen beroeifen, bafe bie Ätage nid)t ungereimt mar. — .^infii^ttii^ ber
2(ugbrüde „bag ©t^öne", „bag iDJenfi^Udie", nerroeifen mir auf bag im
31nfange (4. 5. ©. 7 ff.) ©efagte. @in tüchtiger ©elepter, roenn and)
Toenig getannt, ber oor nid^t tanger 3ßtt atg pd^betagter @reig geftorben
ift, pt fc§on im g'atjre 1828 biefeg „Genus neutrum“ ber bentpen
STüffenfdjaft befungen:
(Si, roic erfpüvt ibr baö 9Sat)re, toie fd)nnppt it)r baS @ute im gtug roeg!
Itnb bng ©d)öne, ibr bnbt’e ;appe(nb in Viebe erreidit!
3tber bnS 92ienfd)lid)e erft, bag @öttlid)e bann unb bag 2tubrc!
3td), cud) bteibt bie gbee ftetS imgcroiffen ®efd)ted)tg
227. 2iod) ®ine Sefinition ber ©dbönbeit, nnb jinar eine fotd)e, bie
ber SBabrbeit febenfattg nüber ftebt, atg ©pitterg, ©^ettingg unb 25ifd)erg
©ebanfen; bann mag eg genug fegu. S5>ir meinen bie befannte, unb
üietteid)t am meiften gebränd)tidje; „Sie ©d)önbeit ift bie ©inbeit in ber
iBietbeit unb Wannidjfattigfeit" 3ttg iBertreter biefer gönnet er;
febeinen in ber neueren ©baftegburg nnb .©utdbefonf); nach
*) dt. 3immermanu, @efcgicbte ber Steitgetif (’lSieu 1858) 0. 502. — ißgt.
0d)i(ler, lieber bie äftgetifege (vrjiegung be§ iPten)d}en, Srtef 15. 16. 17. (Sb. 12.
©. 70 ff.)
**) 5'icf. Sgt. |)tft.=pot. Statter, 1882, Sb. 89. 0. 333 ff.
***) Unitas in multitudine et rariefafe.
t) 21- B'mmermann, a. a. 0. 0. 274 ff. 283. 288 ff.
^ntc^efon, (5arte)'iu§, 2lnbve, imb „25iekn nad; i()ucu''.
317
©anfeucvino aucf) (5avtefiu§ iinb namentlicf) 'Jlnbre, unb „'-b'icle
imd; i^neu" * **) ***)).
■iliandje iDolIen bie lyonnef auf ben IjcUigen Shiguftin jurürffüfjveu;
baä bürfte febenfallg unrid)tig feiju. 3)eun einevfeitS finbet fid) ber
31usbrud felbft, in ber angefüljrten fydffuug bei St. 31itguftin nivgenbä.
3(nbevfeit§ ift „©iid^eit in ber ißieltjeit nnb 3i)tannidifaltigfeit'' offenbar
ganj baffelbe, raie „Orbnnng", ober „innere Uebcreinfthnmiing ber Stjeite",
ober „'Bertjaltni^mäfsigfeit", ober „b^armonie". Sie 31nfid)t, baä Söefen
ber Sdiön^eit beftelje in bem bnri^ biefe 31nebrncte bejei(^neten ®orjuge,
ift aber oiet älter al§ ber ^eilige 3fngnftin. 23ereit§ iplotin nennt fie bie
„faft allgemein l)errfd)enbe 31nffaffnng'', nnb miberlegt fie eingeljenb 1
(Sreujer aber meift nad) , bafj fie einem ber bernljinteften gried)ifc!^en
iBilb^aner, bem '^oli)clet, il)ren Urfprung uerbanft, oon C?l)ri)fippn5
aboptirt mnrbe, nnb in f^olge beffen namentlid) in ber ftoifdjen Sdjule
ftarf uerbreitet mar
iK>aä bann ben 2^ertl} ber -(yormel, als Sefinition ber Sdjönbeit
betrifft, fo ift junäd)ft ber „in ber 'i>ielljeit unb üliannic^faltigfeit"
gan^ entbebrlic^. Waffen mir iljn fallen, fo finben mir in jenem 23riefe
beä l^eiligen 31ngnftin, auf meld)en bie Übertreter ber f^ormel fid) jn
berufen pflegen, einen (^iebanfen, ber für bie tbel^tere jn fpred)en fd)einen
tnnn; „Snä beftimmenbe ifbrincip aller Sc^önl)eit ift bie (Sinl)eit" 274).
Ülber bamit mitl Ülngnftin feineämegä eine Sefinition ber Sd)ön^eit
geben; man lefe mir ben @ebanfen anfmerffam im 3ufammenl)ange.
35>aä ber heilige Äirdfenlebrer fügt, ift uollfommen mal)r: 3^ uollenbetere
„(Einheit" in bem Sepn eineä ül'efenä befto befeligenber ift feine
Sd)önheit. ülber befto reid)er ift and) jitgleid) feine (Mntl)eit, befto
notier baä Sid)t feiner üöal)rl)eit, nnb befto gröper bie g-iille feineä
Sepnä; gerabe fo mal)r, mie ber angeführte, mürben bepl)‘^i^’ di'd) bie
Säbe fepn: „Saä beftimmenbe ifirincip aller ()hitheit — ober, aller
25>ahrheit, — ift bie (T‘inl)eit." Ser heilige 31ngnftin nennt bie ß^inheit
baä iprincip ber Sd)önl)eit lebigtidh barnm, meil eben biefer Ü3egriff
ihn am unmittelbarften )u ber jvolse^'ung führt, um bie eä ihm gerabe
^u thnn ift.
Stimmen mir l)lei'nad) bem heiHse” ülngnftin ooUfommen bei, fo
müffen mir bagegen benen meldfe bnrdj feinen ©ebanfen ben Ü3e griff
ber Sdmnheit auäbrücfen ^n fönnen glauben, 31ehnlid)eä ermiebern, mie
mir einer anberen ©rflärnng gegenüber fchon üorl)er bemerften, nämlid)
*) Sanseverino, Elementa Philosophiae clirist. (Neapoli 1865) vol. 2.
n. 174. pag. 96.
**) Plotin. de pulchritud. cap. 1. ed. Basil. p. 50 D. 51. Creuzer p. 6. sqi].
***) Creuzer, Annotat. in Plotin. libr. de pulchritud. pag. 149. sq.
318
Sie ©^bn^eit gegenüber beu anberen „öftl^etifd^en SSorjügen".
bay bie (Sin^eit roo^^l als bev ontotogifd^e ©ritnb ber Sc^ön^eit bejeic^net
Tüerben fann, aber für fid) allein nod) feinegroegS ba§ SBefeii ber Sezieren
nodftänbig ausbrüdt. S)enn, roie rotr im eierten 21bfd^nitt imdjgeraiefen
^ben, bie ©cl)ön^eit ift roefentlidb ein „relatieeS" Slttribut; fie ift ben
Gingen nur eigen auf @runb ber 23e;^ie!§ung, in raeldie biefelben ju einer
beftimmten Sptigteit be§ eernünftigen @eifte§ treten; eine f^ormel roeld^e,
mie jene um bie e§ fid^ l^anbelt, fie al§ eine „abfolute" CSigenfdjaft ber
®inge erfc^einen läfd, roirb barum al§ ©efinition immer unriditig fei^n.
(%1. 9t 124. ©. 164 ff.)
bes erflen
5)ie ©cbönl}eit gegenüber ben nnberen „nftbetifdjen 3Sorjügen".
228. SDie in ben eorl)ergel)enben l^apiteln aufgefü^rten ©rtlürungen
be§ Söefenä ber ©d)i)n|eit finb unter allen, roelc^e mir al§ mit ber im
vierten 21bfd)uitt non un§ gegebenen nid)t übereinftimmenb tennen, bie
vorjüglidiften , mag man nun ben 9iamen iljrer ä>ertreter berüdfic^tigen,
ober bie @rnnbe burc^ u)el(^e fie fid^ empfehlen. ®ef^ungeadl)tet glauben
mir nidjt, beforgen 511 müffen, baf? bie i'orfü^rung berfelben ba§ 21nfe!^en
ber nnfrigen beeinträchtigen, ober bie berfelben günftige Stimmung jener
tiefer, meldhe unferer Gntrcidelung gefolgt finb, irgenbroie erf^üttern
tonnte. !Der jlern, ba§ eigentlid) llnterfdjeibenbe unferer Stuffaffung,
liegt in bem ©at^e: ©ie fdjönen ©inge finb fd)ön, unmittelbar unb
^unächft, burdj i§re ißejiehung jur ftrebenben Äraft beg oernünftigen
(fieiftes, als bag biefer oollfommen angemeffene, ganj entfpredhenbe Object,
als ©egenftanb ber eigen tilgen tiiebe. fvreilii^ nicht, alg ob
ber ^Begriff ber ©djönheit fdhon ootlftänbig gefetzt märe : fonft unterfdhiebe
fie fid) ja nid)t non ber inneren ©ntheit; fonbern ber begriff ber Selj;
teren mirb jum ^Begriff ber ©dhönheit, inbem ju ihm bag ÜJierfmal beg
(fiennffeg hi'^Suti'itt / roeldjer fidh an bie eigentlidhe tiiebe bei flarer
(Srfenntni^ beg irn fidj guten unb barnm geliebten ©egenftanbeg
naturgernäfi anfi^liefd. „©dhön ift bag an fidh ®ute, infofern eg eben
burch feine (Mutheit ©enuf) gemährt," fo haben mir oben (109) mit ben
äöorten bes 91riftoteleg , unb in Uebereinftimmung mit ber gefammten
älteren il))iffenfd)aft, gefagt.
SBarum unb in meldhem ©inne ber @enuf) ber ©djönheit fidh a^f
bie flare (Srf enntnif) beg ©egenftonbeg grünbet, bag ha^>£a mir jur
(tienüge erflärt. 91u^ bag bürfen mir nii^t mieberholen, ba^ unperföm
lid)e Oinge jmnr nii^t ben ©egenftanb ber „abfoluten" eigentlidhen Siebe
bilben fönnen, aber mohl ber „relatinen" ; baf) mir in ihnen ben Der=
nünftigen ©eift lieben, alg beffen SSerf, alg beffen iBilb ober
nng erfd)einen. fs-ragt man ung nod), mag beim, beim ©ennfi ben uns
'Die 'öc^bn^eit gegenubev ben attberen „öft^etifc^en 2?ovjügen".
319
bte ©djön'^eit unperfönUdier ®inge bietet, ber letzte ©runb uufevev ^veiibe
fei), ba ja biefe gteid)faü§ at§ eine reiatine betvad)tet raerben muffe, fo
!ann un§ aud^ biefe g-vage nidjt in 'i^erlegeu’^eit fetieu. 2i'ir fveuen ur.§
in biefem allerbingö relatinen ©ennf) ber iBoHfonnnenljeit , bev @üter
beäfenigen, roe(d)e§ and) bn§ letzte Obfect ber i'iebe ift, bie fotc^e Singe
in unö raeden: mir freuen uns ber il'orjüge nuferer eigenen nernnnftigen
'Jiatur*), mir freuen uns ber ü^ollfonnnenlteiten unb ber ©nter @ottes,
fe nad)bem biefe ober jene in bem unperfönlid)en fd)önen Singe fid) uns
barftelten. i))dan menbe unS nic^t ein, boft mir bei bem ©enuffe foId)er
Singe meiftenS meber an nufere uernnnftige 9iatur beulen, nod) an ©ott
unb feine ißoEfommenl)eiteu. Siefelben fdjmeben freilid) nuferer Seele
nicbt immer nor in concreten 3?orfteUnngen , aber bod) geroif) unter ben
abftracten ^Begriffen ber ©utl)eit, ber iBolIfommenljeit , ber 3?ernunft=
gemäpeit; mir benfen an fie nid)t in febem 21ngenb(icf mit iReftepion,
mit Harem SSerouptfemi , aber unbemnfit nnb o’^ne eS ,^u moden. Sber
liegt irgenb ein Object bes ©trebenS bem uernünftigen ©eifte fo na'^e
mie er felber? unb follte es möglid) femi, bnp fein eigenfteS Sßefen, nnb
mit biefem ber 93egriff ber Uebereiuftimmung mit iltm felber unb jener
ber inneren ©nb^eit, and) nur einen Hngenblid i^m gnnj entfc^mcinbe?
©S ift ein fel)r bead)tenSroertl)er ©ebnnle ben )oermnnn Sobe nuS=
fprid)t, baf) mir „ben allgemeineren begriff beS ,21eft^etifd)en nber'^auptS
ober bes äft^etifd) SlMrffamen unb nfb^etifd) Ü?eurt1jei(baren , febr lei(^t
unb l)äufig mit bem ^Begriffe bes Sd)önen oerroed)fetn" **). 2i>nS burd)
feine Hnmut^ ©fielt, roas bnrcb $^abrl)eit, IRen^eit, Seltfamleit anffätlt
unb unfer ^ntereffe in 3tnfprud) nimmt, felbft bas Äomifd)e nnb baS
finnlid) 51ngenel)ine mirb einfnd) als „fci^ön" gepriefen unb gefd)cipt.
2i©r ben ^Begriff ber ©d)önl)eit feftl)iilt mie mir il)ii beftimmt ^aben, ber
ift jebenfatlS oor einer fold)cn iRrmed)felnng leid)t gefd)üt©; benn in
nuferer Sefinition tritt bie mefentli(^e 5Berfdjiebenl)eit ber eigentlid)en
Sdiön'^eit non allen übrigen „nft]^etifd)en Oorjügen" ganj nnoerfennbar
l^eroor. Sie Sd)önl)eit fte^t in unmittelbarer Se5iel)ung jur eigentlichen
Siebe, unb einzig jn i^r; bie finnlid)e 21ngenel)ml)eit , bie STmhrheit, bie
lReul)eit, bie Seltfamfeit, bie Sad)erlid)feit, nel)men biefe Siebe in feiner
ÜSeife in älnfprud): unb menn bie Slnmutl) jmar bie iBe);iebung ,^nr
eigentlichen Siebe mit ber Schönheit gemein hßt^ meil fie eben bie Setitere
nothmenbig einfd)lief)t, fo mirb fie bod) jur Slnmntl) nur bnrch bie gleid):
jeitige IBejiehung beS ©egenftanbes gnr uneigentlid)en Siebe (183. S. 257).
Sas Sd)öne lieben mir, nur meil eS an fid) gut ift, unb meil mir
*) rergteiche bie oben, Df. 88. 2. 118 f., gegebenen ©cbnnfen au§ bev
Socvntiichen iphüo)opf)ü*
**) Sope, ®. 335. (Ciit. 18.)
320
®ie 0d§ön^eit gegenüber ben anberen „üft^etifd^en Sor^ügen".
e§ liekn ift e§ nn§ angenehm ; in 9iücffic^t auf bie, übrigen 33orjügc
inerben bie Singe ausfc^lie^üdj , ina§ bie 2lnmut^ betrifft raenigftenä
jugteict), barum ber ©egenftanb unferer Siebe, roeit fie un§ gut, raeit
fie angenehm finb 275). Sie Siebe ber ©djön^eit unb i!§r ©enuff ftüt^t
fid) unmittelbar unb ausfd)lie^lid; auf bie foftbarfte 9JZitgift unferer
dtatnr, auf bie non @ott un§ anerfc^affene Uiic^tung nat^ bem ^in, tna§
unter Slllem ba§ Dieinfte, ba§ ©betfte, ba§ i^öc^fte ift; bie Siebe ber
anberen „äft^etifd)en ©igenfdjaften" fiat i§ren unmittelbaren ©runb, ent=
ineber allein, ober bod), bei ber ‘Jlnmut^, jugleidj unb norjugStneife, in
bem natürlii^en ^^ange jum ©enu§. äSie feiten aber biefer ^ang inner:
^atb ber rechten ©ränjen bleibt, inie leid)t berfelbe ungeorbnete ©igenliebe,
©enujffu^t , ©goiömnä inirb , bn§ ineif; feber , ber bie ÜO^enfd^en fennt
unb fid) felber.
Sarum fann ba§ ©treben nac^ ©euüffen biefer 2lrt fe^ler^aft, uu:
fittlid) inerben, unb inirb e§ immer, fobalb mir bemfelben ^^öi^ere IRüd:
fid^ten jum Opfer bringen. Sag ißerlangen nad) Dteuem fann in Neugier
unb ^Korinilj augarten, bie Siebe jur Sfnmutl) in ©tof^ unb ©elbftgefüHig:
feit, bie i^-reube an bem Säd^erlic^en in triniale ©emein^eit unb f^rinolitüt;
unb inie liäufig bie Siebe beg finnlid) Slngene^mcn jur „©innlic^feit"
l^erabfinft, beineift fd)on ber Dlebenbegriff beg Ungeorbneten, roelc^er mit
biefem 23oorte faft nerroad^fen erfcbeint, fo raenig er in feiner eigent:
lidjen i^ebentung liegt, ißerirrungen biefer 2frt finben in ber, minber
fc^arfe Singen tänfd)enben, Sle^nlic^feit jener fogenannten „©egenftänbe
äftl)etifd)en SSo^lgefalleng" mit ber ©djön^eit ben inillfommenen Secf:
mantel für i^re et^ifc^e Jpüglidfifeit; non einer SJforal ber bie ^Begriffe
feilten, inirb umgefe^rt bie ©djon^eit nerurt^eitt, raeil man fie einer 35er:
fü^rung für fc^ulbig l|ält non ber fie niclitg inei^, bereu fie gar nic^t
fä^ig ift. Senn jene Diid^tung ber nernünftigen Statur auf bag an fi(^
©Ute tjat ja feine p^eren Sfücffic^ten über ficfi, bie i§r geopfert roerben
fönnten. Sie OueCte ber f^reube am ©cbönen, unb eben nur fie, bleibt
immer flar unb lauter, ift für f^ötfc^ung nic^t empfönglit^. Unter ben
SJtetallen befi^t allein bag ©otb ben SSorjug, nic^t ju roften; fo ift
allein bie Siebe unb ber ©enuü ber ©cfiönlieit feiner Statur na^ feiner
©ntartnng auggefetjt, ber ©efn^r unebler SRifd^ung nid§t unterraorfen.
0tt fdiöimt £üti(li,
WjU IlUfgotiE. U)te übErften (SEfE^E unö t^XE ptttEl.
Sobald die ttatioiun müder ein firmament des
Glaubens nnd ttUffens, rund tote eine Jpalbhugel, über
fid) fieljen Ijoben, merden ihnen die ©e|iirne der finn^
heranjieben, ohne do^ fic fragen, umrum, und roi)fen, »ie.
Clemens Srentano.
§k^miet
(Erklarutigctt unb ^ütje^ tDcld)c bic fdjönen Mulle im
^Ugemeineu betreffen.
(5rfte# tapitet.
lötts eine ftböuf ßiuift, mib meldif bie fd)öiieu ßüiiftc feijf«-
§. 1.
„SO^ccfjanifc^e" unb „fveie" Ä'ünfte. ©rfliiniiu] ber ^J(u§brncfe „aftl)etifdjer
3£'ert^" unb „ä[tl)ett|'cf)er ©emifj!".
229. ^en 33egriff • ber .ft'uuft überljaupt inareit mir bereits in ber
(5in(eitung anjugeben üeranlafd (6. ©.10 f.). 2®ie iebermaim roei[3,
pftegt man junadjit jmei 31rten ober Ätaffen non fünften ju nnter=
i(^eiben, „freie" unb „medfanifd)e" *). ©o allgemein aber biefe ©Leitung
ift, fo nerf(^iebenartig roirb ber OH-iinb, bas ^rincip berfelben angegeben.
2Cnr !^aben meljrere neuere 5Inffaffungen nerglicfien; e§ ift unS feine be=
gegnet, bie an Ä'farl^eit nnb iuiffenfd)aftlicf)cr 23eftimmtl)eit berjenigen
gleid)fäme, roetdie I^mnaS non 3fquin anbentet: eS bleibt unS bal)er
niii^tS übrig, ats biefe feftjn^^atten. f^nft alte fünfte (mir fönnten einfad)
fagen, alle,) nel)inen in iljrer 5(uSnbnng fomoljl leiblidje at§ geiftige
Äräfte beS lUtenfc^en in Slnfprud), feine ift au§fd)Iiepli(i^e§ (figentljum
ber Je^teren. 5lber ba§ 3?crl)ältnip beiber Wirten non Prüften ift bei
nerfd)iebenen .ilnnften fe^r nerfc^ieben. (5in fyelbljerr j. 2?. ober ein
*) Artes libei-ae, liberales, ingenuae , humanae, bonae , nnb artes mecha-
nicae, serviles. ®ie fünf erften Flamen bejcid;neten übrigens bei ben üttten nid;t
bfop baS roas man jept bie freien Äünfte nennt, fonbern ängleidp fämmtlicbe
®iffenfd)aften.
21
324
3!)ie(|ant[(^e" imb „freie" fünfte.
©taatSmann entroicfelt [teiger in ber Hebung [einer .^unft ein gang an-
bere§ iUiaa^ geiftiger Kräfte, at§ ber ^anbroerfer. .^ierin liegt nad^
©t. S.f)oma§ ber ®runb ber ©intl^eitung, non u)elc§er roir reben. klimmt
eine Äunft norrniegenb ben ®eift be§ ÜKenjd^en in Slnjpruc^, [o ift fie
eine freie Ä'unft; [inb e§ l^ingegen nortniegenb bie Kräfte be§ Seibe§ non
bereu 5;!^ätigfeit fie abpngt, fo gel^ort fie gu ben mec^anifc^en fünften 276).
@ang in berfelben Sßeife erfidrt ben Unterfd^ieb biefer groei Älaffen aud^
SSoffuet*). Sn§ medfianifdEie fünfte erfcfieinen l^iernacf) namentlid^ jene,
roeldbe ben näd^ften iBebürfniffen be§ gerao^nfid^en Seben§ bienen, roie bie
.^odt)funft, bie Sacterfunft , bie ©attlerfunft , jene be§ ©d^miebeä, be§
®red§äier§, be§ iJJiaurerS, unb d'^nlid^e; freie fünfte bagegen finb bie
Äunft ber ©rgiefiung, be§ Hnterrid^tS, ber 35erroaltung , bie ÜRe^funft,
bie fRec^enfunft, bie ^eitfunft, bie 39aufunft, unb niete anbere.
üRan roenbet nn§ nielteid^t ein, ba§ gegebene ilRerfmat fep nic^t
beftimmt genug, e§ taffe fidfi nadf) bemfetben in manchen f^ätten fd^roer
entfcf)eiben, ob eine ^unft gu ben freien ober gu ben med^anifd^en gegdfitt
raerben müffe. 2öir braucf)en ba§ ße^tere nicf)t in Stbrebe gu ftetten.
@ine mat^ematifcfie ©ränge tä^t fidf) einmal !^ier ni^t gieren : bie groei
2trten non Jlünften berühren fid^ in gu nieten fünften, unb e§ ge^t in
ber ©^at mitunter bie eine unnermerft in bie anbere über. ®en §anb=
roerfer felgen roir burc^ fein @enie fidf) gum Ütange be§ Strd^itecten ober
be§ ptaftifd^en £ünftter§ ergeben, unb ber Water finft gum Stnftreic^er
l^erab, roeit e§ i^m an 5:atent fe^lt, ober roeit itm ba§ ©lüdt nid^t
begünftigt.
230. Wit biefer SSorbemerfung nerbinben roir eine groeite , um bie
35ebeutung non groei 2tu§brücfen feftguftetten, bereu roir in bem f^otgenben
bebürfen.
3ene ©igenfe^aften ober 25orgüge bereu SCBefen roir im erften SSud^e
beftimmt ^ben, bie ©djöntieit, bie ©rtiaben^eit, bie iJlnmut!^, bie 2Ba!^r=
l^eit, ßteutieit, Sßnnberbarfeit, bie ßädt)erti(^feit, bie finntidtfe 2tngene^m^eit,
ift bie 2öiffenf(^aft ber [(gölten .R^ünfte, roie roieber^olt gefagt rourbe,
barnm gu bebanbeln genötbigt, roeit eben fie e§ finb, roetcfie tbatfädbtidb
in ben ßeiftungen ber [(^onen ^tünfte beröOTgutreten pflegen, unb bureb
roetdbe biefe ficb fatteotedbnifebe ßeiftungen db aracterifiren.
bie Erörterung über biefe Eigenf dbaften bietnadb roefentticb ber „Steftbetif"
angebört, ift e§ noltfommen gerechtfertigt, wenn man fie unter ben Einen
*) Les arts liböraux et mecaniques sont distinguös en ce que les Pre-
miers travaillent de l’esprit plutöt que de la main ; et les autres , dont le
succes döpend de la routine et de l’usage plutot que de la Science, travaillent
plus de la main que de l’esprit. Bossuet, De la connaissance de Dieu et de
soi-meme, chap. 1. (Paris 1841, 1. p. 30.)
„Stcft'^etifd^er SBert^" unb „äft^etifd^er @emt§". 325
2Iu§brutf „äftl^etifc^e SSorjüge" sufammenfa^t; n)ir I)aben benfelben
im erften 33uc^e bereits angemenbet. ®uvc^ bie namti^e 3iücfiid)t aber
begrünbet e§ fid), roenn mir bie 23e)d)affen^eit raetdje ein ß'-r^eugnift
menfc^Ii(^er 2:!§ätigfeit baburcb beiit^t, ba^ in bemfelben einer ober mehrere
biefer SSorjüge I^eroortreten, beffen „ä[tt)etif (^en SBertl^" nennen.
Unb biefer 33ejeid)nnng mieber entfpredjenb, nerftel^en mir unter bem
StuSbrucf „ä]'t!^etifd)er ©enuji" jeneS 33ergnügen, ba§ ein ©rjengnift
menl’djticber 3^f)ätigfeit oermöge feineS „öft^etifi^en SBertljeS" bem 5Ren=
jdjen geuüi^ren fann. .'TMernadj bebeutet atfo „faIIeotogifd)er ®enn^"
ober „©etiup ber 0(i^ön!^eit" einerfeitS, nnb „äft^etifc^er ®enu[3'' anber;
jeitS, feineSroegS (SineS unb baffetbe. .^leroorragenbe iRatnrerfc^einungen,
unb mandieä 5tnbere baS ber für unS ficbtbnren Söett angel^ört, geraä^ren
uns faUeotogifd^en ©ennp ; aftfietifdjen bagegen finben mir nur in SBerfen
bie i^ren Urfprnng bem menfd)Iid)en ®eifte oerbanfen, nnb jmar nid)t
bloft, menn fie fid) biiröb eigent(id)e ©d^öntjeit auSjeiii^nen , fonbern and)
ba mo i^re ®d)önl^eit, mie in ber üomöbie, ber Satire, ber (Jaricatur,
Dor anberen äftf)etifd)en 'i^orjügen ftarb in ben .'ointergrunb tritt.
§• 2.
35tts „eine ('(bönc ^un|l“ fep.
Sas '-PH'incip, nadi meld)em bie STüffenfebaft barüber uvtt)eilt, metdje unter ben
fünften otS „fd)öne" ju getteu bnben. llebereinftimmimg beffelben mit
ber i!ebre beS '^triftoteleS.
231. ®aff bie fdjönen .itünfte, mie bie ^Irtj^itectnr, bie ilRaterei, bie
ifJoefie, nid)t ju ben medianifdien gehören, fonbern freie öKmfte finb, fa
bap fie unter biefen eine beroorragenbe Stelle einne!)men, bn§ bebarf, fep.
eS bem gefnnben Urtljeil fep e§ ber allgemeinen 3lnffaffnng gegenüber,
feines SemeifeS:
„(J'S foll ber Siebter mit bem Ä'öiüg geben,
Sie beibe mobnen auf ber 9Qfenfd)beit .<^öben."
3lber meldbeS ift baS d)aracteriftifd)e 30ierfmal, auf @runb beffen eine
Ännft als „feböne" ju gelten bat? morin liegt baS SBefen einer fronen
Äunft, baS beipt bie befonbere IRücfficbt, um bereu millen fie eben „febon"
genannt jn merben bered)tigt ift?
9Uemanb mirb biefe 3fücffid)t ober biefeS iUferfmol anberSmo fueben
moUen, als in einer befonberen 33ef(^affenbeit ber 21>erfe, melcbe beroor»
jubringen bie ,,f(^öneid' fünfte berufen finb. Sagten mir aber auf
®runb beffen, jene Äünfte fepen feböne .fünfte, melcbe bie 23eftimmung
batten, fd)öne S5>erfe jn liefern, fo märe baS etmaS oorfdjneU genrtbeilt.
326
2Ba§ „eine fd^öne fep; allgemeine Sefthnmnng.
unb o^ne 3i^2ife( unrii^tig. ®enn 5lngemeffen§eit, (Jbenmaaf?, Harmonie,
mit (äinem SBorte ©c^ön^^eit folt nad^ ißtato in ben SSerfen aud^ ber
med^anif(^en fünfte i^ernortveten ; unb „aUe fünfte", fagt Sudan, „finb
beftrebt, fc^öne SBerfe ju liefern" *). iSRufe }a bo(^ fdE)lecf)t'^in jebe Äunft
barauf auggel^en, baf? bie SBerfe bie fie l^erjuftelten §at, bie ganje i^nen
entfprec^enbe innere ©ut^eit befit^en, nor 3l£(em, ba^ biefeiben für i^ren
3u)ecf fo noüfommen at§ möglidb geeignet fepen: fo oft fie i^re Slufgabe
töft, roirb barum ba§ ©rjeugnif^ einer feben £unft, audb ber med^anifdtien,
baju anget^an fepn, für ben ber e§ ju beurt^eilen oerfte'^t, einen ®egen=
ftanb ber Sefriebigung ober be§ ®enuffe§ ju bilben, mag biefer @enuü
aud^ in fe"^r oieten f^ölten feine§roeg§ befonberS gro^ fepn, unb barum
ganj unbeacf)tet bleiben.
©el^en mir nn§ alfo, ber oor^er geftellten f^rage gegenüber, nad^
einer befferen 31ntroort um. S5>ir roerben nid^t irregel)en, raenn mir bie=
felbe fo geben;
Düs fd^öne fünfte l^aben alle biefeuigen ju gelten,
roeldje je um ber befonberen i^nen eigenen Slufgabe roillen
barauf bebac^t fei)u müffen, baf3 il^re Seiftungen fid^ burc^
möglicbft bebentenben üft^^etif^en 2Sert^ empfehlen, unb
bie jugleid^ bie ‘üJtittel befi^en, unter entfpr ei^enben
Umftanben SBerfe l^eroor^ubringen oon ^eroorragenber
©(^önljeit.
232. S)af3 biefes i)}rincip nur ber 21usbrucf ber ^errfi^enben 21m
fdjauung ift, foroie e§ jugleid^ ber Statur ber einzelnen fd£)önen jtünfte
unb ber t^atfäd)tidf)en Söeife iljrer Slusübung allein entfpriebt, bas roirb
fid) im SSerfolge flarer l^erauSfteUen. 2Ser ba§ 23u^ gelefen ^at, al§
beffen groeite Sluflage biefeS auftritt, ber ertennt fofort, ba§ icl) bie in
•jenem gegebene SInffaffnng bes 2Sefen§ ber frönen fünfte oodflänbig
liabe fallen laffen. ©efinitio roar ba§ im Slnfange be§
gef(^e!^en; e§ roar mir eine überaus angenelpne Ueberrafdung , al§ ic^
fed^jelm SStonate fpüter burd) eine ©teHe in einer Slblianblung oon §er=
mann 23aumgart barauf ^iugeroiefen rourbe, baf? SlriftoteleS auf bie
Slenberung feinen ©influp gel^abt, unb id) burd meine neue 21uffaffung
bie 21nfcl)anung§roeife beS Sel?teren aboptirt ^atte. „Sticl)t ftellt Slrifto-
teleS", fo fdreibt ber bejeid^uete ©ele^rte, „ber .^unft bie Slufgabe, baS
©d)öne barjuftellen , nodt), bie f'freube ^eroorjubringen : aber auS ber
Statur beS ergibt fid; fofern fie biefeS
3iel erreidt, IBeibeS al§ ein -/.all’ aOto, — als ein ber
Statur ber ©ade nad ntit Stotl)roenbigfeit ©tattfinbenbeS.
*) Plat. de republ. 3. Steph. p. 401. Bip. vol. 6. p. 291. Lucian. Cha-
ridem. c. 25.
3Sa§ eine „l'c^öne Äunft" feij; aügemeine ißeftimmung.
327
llnb lüer fielet nid)t, baß 3tri[tote(e§ mit biefev 'Raffung feiner Definition
(ber Dragöbie) metjr ©dnvfblicf , nnb tiefer bringenbe ^-infidtt in ba§
SBefen ber Ä'unft bemiefen !^at, at§ bie gefammte inoberne ibeate unb
formale 2leftljetif ? SÖie aber ba§ Stic^tigere ancl) immer ba§ f^-rm^tbarere
ift, fo ift mit biefer fd)ürferen f^affnng beä ^'iinft
jngleid) ber obfectioe unb fidjere ?L)tnaftftab if)rer 23enrt^eilnng, nnb nor
2niem ba§ ein^eitlidje unb ber reic^ften (J-ntmicfehing fäl)ige ^rincip i^rer
inneren ©efel^gebung gefnnben'' *)•
3tn (5’inem ^-fiunfte ber in bem früljeren 33ud)e gegebenen (5mtraicfe=
lung ftnnb id) eben biefer rid)tigen 3luffaffung nbrigenä bereite feljr nal)e.
Um einigen Ännften, inSbefonbere ber Serebtfamfeit unb ber Slrc^itectur,
i^ren (Jl^nracter at§ „fdjöne fünfte'' oinbiciren jn fönnen, fal) ic^ mid)
nämlid) bort genöt^igt, bie Unterfdjeibnng jroifd)en „formell fd)önen" unb
„nirtnell fd^önen" fünften anfjuftellen , nnb fagte jnr 33egrünbung ber=
felben, fomie jur ©rflnrnng be§ 29efen§ einer „oirtuell fd)önen" Jlunft,
unter 3tnberem 'jifotgenbeg : „^ebe Knnft meld)e, bnrd) bie 9flnd'fid)t
auf il^ren eigenen Senötl)igt, il)re 35^erfe fo entrichten
muft, baf^ fid) in benfelben alle Elemente finben bie ^nm S?3efen eine§
falleoted)nifd)en ^^'robnctä geboren, . . febe £nnft biefer 3lrt b^t ben
9^amen einer f elf ö neu im eigentlid)en Sinne be§ SiÖorteg uollen 3tn=
fprueb." Unb halb baranf: „(5S gibt gemiffe ^löed'e, . . bie ficb in
angemeffener Steife nur bann reolifiren taffen, menn bie 33tittel metd)e
mir baju anmenben , gngleid) alte (J-lemente entbalten , an§ benen ficb ein
Sßerf ber fdfönen jlnnft roefenttid) jnfammenfebt. Die ^^ede uon benen
mir reben, finb bie l)öd)ften unter allen, ioeld)e mir in biefem £'eben
überbnupt uerfolgen fönnen'' **'). U'ä bebnrfte im t^nrnnbe nur ber 5ßer=
tiefung unb ber confeqnenten Dnrdffübrung biefer ©ebanfen, um ju bem
ganj allgenteinen if>rincip ^u gelangen, meldteö icb in ber uorigen dtnmmer
an§gefprocl)en habe- 'Iber einen I33ann oottftänbig ju bred)en ber feit
langen ^ab^'e» bie (e^eifter gefangen b^lt, bet^n gehört ein nollereg 33taaft
Don 33futb nnb geiftiger Äraft, alä bagjenige mar mornber id) bamatg
5U oerfngen b^tte.
ff.
^55cf(^c btc fdfönen ,ftünftc fepen.
233. 33rimgen mir jebt ba§ im oorigen tfvaragrapben anSgefprodtene
iffrincip ;^nr 3lnmenbnng, um auf @rnnb beffetben bie befonberen fd)önen
*) tpermann Saumgart , 3triftotete§ , Seffiug unb @oett)e. (Ueber bas etbifebe
unb äftbetifebe Sr'ucip ber Sragöbic.) Seipjig 1877. 0. 73.
**) Sie 0d)önbeit unb bie feböne .ü'uuft, 0. 424.
328
5ßeld§e bie fc^önen Äünfie fepen.
fünfte gu begei(j^nen. ©§ ift ftar, rote ratr bafiet gu t)erfa!^ren ^akn.
®a§ ^riticip gibt groei iJJierfmale an, roe^e jeber fc^önen itunft eigen
fepn müffen. 2Bir '^aben bem entfprec^enb gundc^ft bie nerfd^iebenen 2iuf;
gaben feftguftetten , beren eine jebe bie i^r bienenben fünfte nerpftic^tet,
„barauf bebad^t gu jepn, ba^ il^re fieiftungen fid^ burd^ mögtie^ft be=
beutenben dftl^etifd^en 2Bert!^ empfe'^Ien". Unter ben fünften roeld^e für
eine biefer Slufgaben tptig finb, raerben rair bann at§ „fdtiöne i^ünfte"
biejenigen anguerfennen §aben, roetd^e „bie 9Jlittet befi^en, unter entfpred^en=
ben Untftdnben SBerfe ’^ernorgubringen non tiernorragenber ©(^on^eit".
I.
Stmoenbung beä elften in bem f^rtncip geforberten SOtertmalä. jDrei nerfd^ie;
bene 3tufgoben, beren eine jebe bie ik bienenben Äünfte nerpfticfitet,
barauf bebacfjt gu fepn, ba§ i^re Seiftungen fidi) burdt) möglid^ft bebeutenben
äftbetifd)en SBertt) empfeblen. ®iefen brei 3tufgaben entfpre(f)enb ergeben
fid) brei ©nippen con fünften: bie religiöfen fünfte, bie cinilen,
unb bie bcbonifd)en.
234:. ®er nor^er begeid^neten 3tnfgaben ergeben fi(^ brei. 2Serpftidi)tet,
barauf au§guge^en, ba^ ik'e Seiftungen fidf) bnrd^ inögtidift bebeutenben
nfti^etifdjen Söertt) empfel^ten, finb ndmlidj:
erften§, alle flünfte, roeldbe unmittelbar für bie 35erl^errli(f)ung
©otteg, ober ber iDfutter be§ .^^errn, ober ber ©ngel unb i^eiligen tptig
finb, foroie überkupt für bie ©rbauung ber (Skift^nlieit unb bie fyot:
berung beg religiöfen Sebeng;
gu) eit eng, alte fünfte, beren Seiftungen unmittelbar bagu bienen
follen, in ber ©efammtlieit jenen ©eift gu erhalten unb gu förbern, non
ineldfiem ber 33eftanb, bag ©ebei^en unb bie 23lüte beg bürgerlid^en Sebeng
mefentlic^ abpngt;
brüten g, alle biejenigen, raeicbe eg alg if)re eigentlidfie SSeftimmung
betrad^ten, burd^ f^re ©rgeugniffe ben fUieufd^en dft^etifd^en @enu§ gu
oermitteln.
Srücfen mir jebe ber l)ierinit djaracterifirten brei Slufgaben mit
©inem SJBorte aug, fo fönnen mir fageu: ®er 3SerpfIi(^tung um bie eg
fid) !^anbelt, unterliegen bie religiöfen, bie ein i len, uub bie !§ebo=
nifd^en fünfte*). Um biefen ©at^ in SfüdEfiebt auf jebe ber brei
©nippen gu beraeifen, bürfen mir uur eiuige '£^atfadi)eu ^ernorliebeu, bie
uug nadt) beu Slugfü^rungen beg elften 33udE)eg feinegroegg me^r neu finb.
235. 2öag bag ©olb unter ben fOfetallen, bie jRofe unter ben
23lumen, unter ben ©teinen ber ©iamant, bag ift unter ben ©igenfd^aften
*) „fiebonijcb" oon r,oovrj, bei @enub.
3Betd§e bie fd^önen fünfte fe^en.
329
ber .jDincje bie 0d)ön^eit: fie erfc^eint unter allen 2?or5,ngen bie einem
©egenftanbe SBert!^ nerleitjen tonnen, at§ ber ebetfte, ot§ ber befte, at§
ber l^ö^fte unb norne^mfte. S)ie äioat)r^eit biefe§ ©ebantenä ergibt fi(^
au§ bem ^Begriffe ber ©djön^eit: benn infofern fie itjrem Söefen nadj bie
mit Älarl^eit erfennbare innere ©uttieit ift, umfdiliefd fie ja fämmttid)e
©igenfc^aften nnb iSorjüge, burcb bie fidb ein ®ing angjeidinen fann.
SSenn mir nun fagen: jene 0d)öpfungen be§ menfdbUcben @eifte§, jene
SBerfe ber Dtenfd)en^nnb, burd) roetc^e ©ott ber ^err, bie ^^eitige
frau, bie ©nget ober bie .'peiligen oert)errüd)t raerben foden, muffen unter
2tdem roa§ ber 5}^enfd) l^eroorjnbringen im ©taube ift, ba§ 23efte, ba§
SSertl^noIIfte, ba§ ©bdfte fepn, nnb fid) barnm, fooiet e§ nur immer
möglid) ift, bnrd^ fenen S^orjng angjeicbnen, ber unter aßen iBorjügen
menfd)tid)er SBerfe ber ^öd)fte nnb ber norne’^mfte ift; — roirb nn§ ba
TOoI}t jemanb miberfpredjen raoßen ? roieber^oten roir bamit nid)t oietmel^r
einen ©ebanfen, ber nl§ bie innerfte Ueberjengnng ber d)^enfc^!^eit in il)rer
ganjen ©efi^icbte fid) funbgibt?
„2lßer ®inge^', fo fdfrieb nor jroeiljunbert -f-^^tiofop!^,
auf roetcben ©)eutfd)tanb ©runb t)at, ftotj ju fepn, „atter ®inge unb
aßer fünfte ©rftting§frnd)t, id) mödfte fagen oon aßen bie f^önfte 33Iüte,
gebüfirt ©ott bem i'perrn. ®ie gefammte ^oefie, biefe geroifferma^en
tlimmlifd^e Ännft ber ßtebe, biefe ©prat^e ber ©nget, fie !^at feine oor=
jüglid)ere Stufgabe, at§ .'gpmnen ju fingen fo fc^ön fie e§ nur nermag,
unb bie ^jerrticl^feit ©otte§ ju feiern, ©o boi^te einft bie iötenfd)t)eit,
at§ bie ^nnft nod) in ber Stiege tag; nnb an biefer lleberjeugnng mnfe
fie immer feft^atten. ©anj baffetbe gitt non, ber SOfnfif, ber 3roißing§=
fdiroefter ber 'ipoefie. Unb e§ gibt fein SBerf, bei inetd^em ein tndjtiger
Str^itect metjr ©runb ^t, atte ‘'Diittet feiner Ännft anfjnbieten, nnb
biefetbe in i^rer ganzen SSoßenbung gtanjen ju taffen, at§ in ber ©r=
rid)tung non 33afitifen nnb ©otteäpnfern; nnb burdf fein Unternebmen
fepen ihrer ©rö^e innrbigere ©enfmate, at§ burcb ^^erfteßung
non SSanroerfen, bereu S>erberrticbnng ©otte§ ift nnb bie
f^örberung be§ d)riftticben £eben§" 277). ©g ift befannt, bap l'eibnij
ißroteftant mar.
236. Stt§ bie Stufgabe für inetd)e bie retigiöfen fünfte tbütig mären,
haben mir aber nid)t btoft bie SSerberrticbung ©otteg nnb feiner Stng=
errcäbtten angegeben, fonbern neben biefer, unb in nntögbarer ®erbinbung
mit ihr, jugteid) bie ©rbauung ber ©briftenbeit. 2öer etmag genauer
jufiebt, ber inirb nämtiib junncbft febr teidbt anerfennen, ba^ bie Jeiftnng
einer ,t?'unft einjig nnb aßein in fofern jnr SSerberrtid)ung ©otte§ unb
feiner Zeitigen bienen fann, ats fie baju angetbnn ift, bie retigiöfen
©efnbte ber Stnbacbt, ber Stnbetnng, ber SJerebrnng, bes 'Bertraneng,
unb äbnti^e in bem ^r^erjen ber SUfenfiben 511 oerantaffen, mit ©inem
330
3Se(d^e bie fd^önen J^ünfte fepen.
SSorte, etnjig unb allein baburc^, baf^ fte „Erbauung'' rairft. Umgefe'^rt
bient jebeä @rjengni§ einer Äunft, roelc^eS unmittelbar unb juerft bie
Beftimmiing ^at, (S'rbauung ju roirfen, j. 23. ein 23uf3ge[ang, ein 23ilb
be§ öerrn am Äreuje, eine iprebigt, eben baburd} ba^ e§ erbaut, not^=
menbig immer ber 2Ser^errlic^ung @otte§. ®iefe beiben SBirfungen, ober
biefe beiben 3^D2(fe, finb alfo oon einanber unjertrennlii^ : unb namentlich,
beim barum ift e§ nn§ h^er ju thun, hat jebe religiöfe ^unft roefentlich
unb auäfdjliefelith bie Slufgabe, 2ßerfe ^u liefern, roeldie bie ©rbanung,
bie 3'ötberung be§ cbriftlid;en SebenS ju mirfen geeignet, b, h- baju
angethan fe^en, in ben 'äJlenfdien religiöfe ©rfenntniffe unb religiöfe ©e-
fühle jn oeranlaffen.
23erüdfi(htigen mir nun jnnädjft, baff ber Söerfeg ba§
biefe 23eftimmung hat? bie Wahrheiten nämlich ober bie 5;hatfad)£a, roel^e
in jeber Seiftung einer für bie bejeichnete 2lufgabe arbeitenben Äunft jur
SarfteUung fommen müffen, ber übernatürlid)en Orbnung angehört, unb
51t ©Ott bem öerrn, al§ bem Urheber unb 2Sollenber be§ ©laubenS,
foroie gu feinen großen ^haten für ba§ .^eil ber ÜJlenfchheit, in um
mittelbarer 23egiehnng fteht: fo ergibt fid) fd)on hiei^aug, baß eine folcße
Seiftung, raenn fie biefeg ^^^hatteg unb feiner hoh^n 2Sebeutung nicht
nnroürbig, unb nid)t eben babnrch gugleich ihrem eigenen 3roede hinberlidh
fei}n foü, fidh foroeit eg angeht, burdh bebeutenben äftljetifdhen Werth
empfehlen muß.
3u biefer lRüdfid)t fömmt aber noch ^tne anbere. ^Berf
einer religiöfen Jlunft foll, roie mir gefagt haben, religiöfe ©rfenntniß=
thütigfeiten unb religiöfe ©efühle in ben 22ienfd)en oeranlaffen. ©erabe
bag mirb eg aber, unter übrigeng gleichen Umftänben, um fo leichter
unb um fo ficßerer thnn, unb bie religiöfen '^hätigleiten felbft loerben
um fo intenfioer fepn, um fo tiefer gehen, unb um fo na^haltiger rairben,
je bebeutenber ber äfthetifche Werth ift burdj roeldjen eg fidh augjeichnet.
Warum? ®ie natürli^e Wirfung roelche ber nfthetifdie Werth einer
Seiftung h^i^ao^^ö’^tagt , ift äftßetifdjer ©ennß. dlun haben mir aber
bereitg früher het’i’ovgehoben , mag 2lriftoteleg unb Shamag oon 2lquin
ung lehren, baß nämlid) ber ©ennß ber fidh aiit einer 5£hätigfeit oer-
binbet, berfelben ißre 2SoUenbung gibt, inbem er ißre innere ©tärfe
foroohl, alg ihre ®aner unb ißre Dlndhhaltigfeit erljöht *). 3^ tier gangen
Wett ber empfinbenben Wefen, in allen ©efd)öpfen bie ißre eigenen 3^=
ftänbe raahrnehmen, bilbet ja bie Suft, bag 23ergnügen, bie greube, bag
eigentliche 22iittel looburch bie Statur mit Sicherheit ihre 3n3£<^£ erreicht,
looburd) fie bie Shätigfeit anregt, bie i?räfte in Spannung feßt, unb
ihnen bie entfpredjenbe ©tafticität oerleiht;
*) 2SgI. oben Di. 117. S. 157 f., unb bie Dtnmerhmgen n. 170. 171. 278.
2öeld)e bie fdjönen Äünfte fe^en.
331
5‘veubc bie ftarfe 'J-eber
bcr ctmgen 3fatur;
ivreube, -Jvcube treibt bie iftnbcr
:^n ber großen 2Beltenu£)r.
33£umeu (oift fie aus ben keimen,
Sonnen anS bein 53'innment,
Spfjiiren rotit fie in ben 3bnnmen
Tie beS Se^erS tRof)r nid}t fennt*).
(f'ben au§ biefer Tbatfndje jogeu mir fdjon im eierten Slbfdjuitt, ber
Öe^re be§ fieitigcu Ttjomas un§ anfd)lie^enb , bie TVotgerung, ber 3tt)ed:
ber Sd)önt)eit unb be§ @enuffeS ber fic^ auf fie grünbet, feg ben 9lb=
fidften ber 9Sei§t)eit (SotteS gemöf^ fein anberer, a(§ bie Siebe jnr inneren
©utfieit nnb be§ on fid] ®nten; ber faUeoIogifd)e @enng folle nämlidj
bem nernünftigen @eifte ein Sporn fepn, baff er fic^ bem an fidf ®nten
jnraenbe, unb fid) mit bemfelben, nm e§ ganj nnb nofl ju fetfen, ein=
ge^enber befd)nftige; ber faffeologifcfie ©ennp folfe überbieg ber Siebe
ftftrt'ere ^ntenfiteit, größere 2Sirffamfeit , anf)aftenbere T)auer geben, nnb
i^r jene ®ntfd)iebenf)eit uerteifien, roobnrd) fie im Staube feg bas T^un
jn beüerrfdien, unb auf bas gefammte Seben beftimmenben ®inffu^ ju
üben. ilSie an erfter Steife ber ©ennft ber eigentlichen Schönheit, fo
fann unb folf aber, in ber red)ten 9ffieife oerroerthet, offenbar and) ber
dfthetifd)e ©ennp überhaupt bie nämlichen aBirfitngen oermitteln.
3'n D-tücffidjt auf bie erfte ber brei Älaffen non .fünften bie mir
unterfd)eiben mufften, hdben mir fomit ben 93emei§ nm ben e§ fich i)(m-
belte, geliefert; Tue religiöfen blünfte entfpredjen ifjrer mefentlichen
Slufgabe, ber 'Terherrlichnng ©otteg nnb ber f^örbernng beg übernatürlichen
Sebeng jn bienen, einjig bann, menn fie baranf bebadft finb, bap ihre
Seiftungen fid) biird) inöglid)ft bebentenben ofthetifdjen äöertf) angjeidjnen.
„Ter (inltng ber l)öd)ften 35>af)rheit erl)cifd)t bie hödjfte Sd)önheit" ; unb
anberfeitg finbet in bem Sd)önen mie eg bie blnnft hei’üorbringt, „bie
iReligion ihren reinften, erhabenften nnb mirf famften 9tugbrncf" **).
‘237. ©eben mir hiernad) ber yoeiten ©nippe über, 311 fenen
fünften, bereu Seiftnngen in ber ©efammtl)eit ben ©eift erhalten nnb
förbern follen, oon bem ber IBeftanb nnb bie 93lüte beS bürgerlid)en
Sebeng mefentlid) abhängt; mir haben fie cioile Ji'ünfte genannt.
äSarum finb biefe nerpflichtet , baranf angjngehen , „bag ihre äSerfe fid)
burd) moglichft bebentenben äfthetifd)en OTertl) empfehlen" ? i)}fit ben
entfpred)enben 9lenbernngen , ungefähr um berfelben üfücffidjten milten,
bie mir bei ben religiöfen öiünften geltenb gemad)t haben.
*) Schiller, 3(n bie g-renbe.
**) 3t. Keichengperger, QtUerlei aug bem .fimftgebiete (3)riren 1867) S. 2.
332
Södd^e bie frönen fünfte fepen.
3ener roelc^en in ber ©efammtl^eit ju förbern bie cinilen
fünfte berufen finb, innfc^liefet al§ feine roefentü^ften ©temente etraa biefe:
bie f^urdit @otte§; bie ©l^rfurd^t nor bem Ober^aupte ber bürgerticben
©efellfcbaft, bie Streue gegen ifin, ben ©eborfant gegenüber feinen Stnorb^
nungen unb ©efe^en; bie Sfdbtung nor bem 9te(^te, unb ba§ entfcfiiebene
geftbalten an ber ©erecbtigfeit ; ben ©ifer int ©ienfte ber ©efammtbeit,
foraie in ber ipflege ber SBiffenf(baft unb ber Äunft. ©tbifd)e ©efüfile unb
©efinnnngen biefer 2lrt burcb i^fe SBerfe ju roerfen unb ruirffam ju förbern,
baä ift mitbin bie Stufgabe ber cinilen fünfte. 9tun ftebt aber unter ben
SOiäcbten auf bem ©ebiete be§ etbifi^en Sebeng bie ©(^önbeit, mit ben übri=
gen ©igenfd)aften raetd^e einem SBerfe äftbetifi^en SBertb nerieiben, in ber
erften Sinie: eine Äunft, rael(be, für bie ^ebung biefe§ Sehend unb feine
f^^örberung in ber ©efeltfcbaft gu rairfen berufen, biefe bernorragenbe itJiacbt
nicht nerroertbete, obgleich fie, e§ ju tbun, in ber Sage Toäre, mürbe mithin
eben babur(^ ihren 23eruf nerlüugnen, unb fid) beffelben unroürbig geigen.
SfSenn fomit bie 2trd}itectur e§ auf fich nimmt, ©ebüube gu fchaffen
roie fie ber SÜtajeftüt bed SOtonarchen , ber SBürbe eined gefe^gebenben
jl'örperd, ben bob^’^ Stufgaben ber nerfi^iebenen oberften Organe ber
SSerroattnng, foroie ber 2Siffenf(^aft unb ber Äunft entfprechen; roenn
bie ©cutptur unb bie SOtaterei bei ber .ij^erftettung folcher SBerfe bie
Strdjitectur unterftüfeen, unb bnrd) ihre Seiftungen SJtänner nerberrli(^en
motten, bie fidh um ihre SJtitbürger in beroon-agenber äöeife oerbient ge=
macht haben, ober Obatf» ^^nb S3egebenbeiten, metd)e für bie ©ntmidetung
bed bürgertidhen Sehend, für bad Stnfeben bed ©taated unb bie f^örberung
feiner ^idei^effen non oorgügticher ißebeutung maren; menn bie bramatifcbe
j^'unft, bie ij3oefie, bie panegprif(be ißerebtf amfeit, bie SOtufif, i^erfonen
ober ©reigniffe mie bie begeicbneten gu feiern beabfi^tigen: bann haben
alte biefe fünfte offenbar feine anbere SSabt, atd entmeber barauf aud=
gugeben, bafg ihre für foli^e ^luecfe gu fdhaffenben Sßerfe fich bur(b äftbe=
tifdien SSertb audgeichnen, ober gu befennen, bajf fie oon ihrer Stufgabe,
unb ben itttittetn ihr gn entfprechen, feinen rechten begriff haben.
238. ©d ift nod) bie britte ©ruppe übrig, bie b ebonif ch en fünfte,
mie mir fie genannt haben. ®a^ eine .flunft, met^e ihre unmittelbare
unb eigentliche Stufgnbe barin finbet, und üftbetifcben ©enuf? gu oermittetn,
berfelben nii^t anberd entfprei^en fann, atd inbem fie SBerfe fi^afft bie
äftbetifd}en SBertt) haben, bad bebarf mobt feines befonberen Sfachmeifed.
Oenn eben baburcb ba^ an einem ©rgeugniffe jene ©igenfdhaften beroor=
treten, metdje ihm üftbetifi^en SSertb oerleiben, eben baburcb, uub baburdh
allein, ift ed ja geeignet, und äftbetifdhen ©enn^ gn gemäbren. Stber
oerpftidftet bie begei^nete Stufgabe bie bebonifi^en Äünfte au(b, bei ihren
Seiftungen auf m ö g t i cb ft b e b e n t e n b e n SBertb biefer Strt bebacht gu fepn ?
Stuf biefe fyrage bat bereitd ber romifdge Siebter bie Stntmort gegeben.
®elcäf)e bie fd^öncn fünfte fepen.
333
@§ gibt bev ®inge nict, roovtn
bie SJiittelmäßigfeit mit gutem Jug
■' geftnttet wirb, (äiit 3tec|t§gete^rter, ober
ein 9tebner uor @erid)t, fann minbev raiffen
at§ ein (5afcetliu§, an Screbtfamfeit
roeit unter bem SOZefjata ftef}n, unb ^at
bod) feinen Sßertf); nur mittelmäßige ®id)ter
fcßü^eit raeber ©ötter, 9[Reufd)en, uod;
3?erteger uor bem Uutergang! SBarum,
ift teid)t ju feßn. @o roie ein übel[timmenbe§
(Soncert bei einer guten Jafel, ein
3U bide§ iSalböt*), ober 9}Joßn mit farbifd)em i^onig**),
bloß barum un§ beteibigen, roeit bie SttJoßlgeit
aui^ oßne fie recßt rooßl befteßen tonnte:
juft fo oerßätt ed fid) mit einem ©icßterroerfe.
®enn ba ed ju nid)t§ ^tnberem beftimmt ift, at§
bem ©eift i^ergnügen ju bereiten, fenft eö fid),
roic’d nur ein roenig oom 3Sottfommnen abroei(^t,
jum 0d)ted}teften 279).
©ine Äunft, lüitl fageii, roeldje offen unb ganj eigenttid) barauf
auggeßt, un§ 33ergnügen, Unterßaltung, ©enuß ju bereiten, teiftet nidjtg,
roenn fie nicßt 33ebeutenbeg, nid)t i8oütommene§ leiftet. )Ri(bt bloß, barauf
bebadßt ju fetjjt, baß ißre ©rjeugniffe mögtid)ft bebeutenben äftßetifcßen
SBertß ßaben, uerpßidßtet mitßin ißre Slufgabe bie ßebonifcßen fünfte,
fonbern überbieg, jebeg ©rjeugniß atg mißlungen 511 betracßten, roetcßeg
ni^t über bie iUiittetmäßigfeit roeit ßinaugragt.
II.
®a§ jroeite dJferfmat. Uncntbcßrlid)teit bcffelbcn. ©§ ift ßintängtid) beftimmt,
läßt fid) übrigens nod) fdjärfer auSbrüden. 35>eld)e fünfte auS ben oorßer
bejeidjneten brei ©nippen bie ilRittet befißen, unter entfprecßenbcn Um^
ftänben Sffierfe non ßernorragenber 0d)önßeit ßernorjubringen, unb barum
at§ „fcßöne fünfte" 311 gelten ßnbcn. ®ie generifd)en Diomen ber fieben
fcßönen jlünfte be3eid)nen nicßt fe ©ine fd)one Ä'unft, fonbern meßrere;
namentlicß ift febe religiöfe Ä'unft non ber ober ben gteidjnnmigen
profanen ber iJlrt unb bem SSefeu nad) nerfd)ieben.
239. ®nrd) bag im leßten 3trtifet ©efagte ßaben mir feftgefteitt,
baß bie brei ©ruppen non Ilünften bie mir unterfcßieben , bie religiöfen
*) Um feine @äfte inoßl 511 berairtßen, mußte man fie oor ber Jafet mit rooßl=
riedßenben Oeten für Sart unb tpaare bebiencn taffen.
**) ®er farbiniidie .^onig ßatte einen toiberliißen SBeigefcßmacf roegen ber
Jarugbäume unb bittern Äräuter, bie bort feßr ßäupg finb.
334
Söetc^e bte fdjönen Äünfte fepen.
ndmlic^, bie ctütlen unb bie l^ebonifc^en , burc^ bte auf fe i^re
roefentli(^e Stufgabe fid^ in ber £^at angeroiefen fe^en, barauf bebacf)t
ju fe^n, bafe i^re SBerfe fic^ burcf) mögüi^ft bebeuteuben dft^etifc^en
SBertt) empfel^len. S^beB nicfit f^on bie^^urd^ allein b^t eine Äunft
Slnfprudb barauf, al§ „fcböne" ^unft ju gelten. ®ie erroabnte S3er=
pflicbtung beftebt j. 23. auch für bie liturgif(be Äunft, foroie für alte
biejenigen unter ben ntei^anifcben .fünften, raetcbe bie bei titurgifdben
^anbtungen jur Stnrcenbung lommenben ©eratbe unb ©eroänber erjengen;
fie beftebt nicbt minber für bie bibactifdt)e unb bie biftorifdbe ißerebtf amfeit,
mögen fie nun im ®ienfte ber retigiöfen ober ber profanen SBiffenfcbaften
unb Äünfte anftreten: unb bodb pftegt man ben bejeicbneten Äünften ben
3iang „fdjöner" Äünfte feineäraegs ^ujugefteben. Slebnlidbeg gilt non
mandben anberen, roie ©pmnaftif unb Sianj, fcböner ©artenfunft unb
fyeuerroerferei, Soitettenfunft unb StRimif. Steuere Steftbetifer haben biefe
in bie Steibe ber „fcbönen" Äünfte aufjunebmen nngefangen: aber tper^
mann So^e bat ohne Sie^t, raenn er fie baranä oerroeift; unb
boctj tüBt lücbt in Stbrebe ftetlen, baü audb fie, eben um ihrer Stuf=
gäbe mitten, beftrebt fepn müffen, „ihren Seiftungen möglichft bcbeutenben
öftbetifcben SBertb ju geben''.
240. ©rfdheint bif^nadb ba§ jroeite SSterfmal baä mir in unferm
ifJrincip geforbert haben, bamit eine Äunft al§ „f(^öne" ju gelten be=
redbtigt fep, feineäraegg überflüffig unb entbebrUi^, fo fönnte man um
fo eher geneigt fepn, gegen baffelbe eine ühntiche 0cbraierigfeit ju erbeben
roie jene, bereit mir oben antöBlii^ ber ^b^üung ber Äünfte in mecbanifcbe
unb freie gebod;ten. ®er Stuäbrucf „non Ijevoorragenber ©^önbeit", fönnte
man fagen, beffen mir un§ gur iBeftimmung jenes SJterfmatS bebient
haben, be^eidhiiet feineSroegS ein genau abgegronjteS SJtaa^, unb eben
barum nicht einen unoerönberlicb beftimmten iöegriff; baS iSterfmal ift
mithin roohl faum geeignet, bie grage, ob irgenb eine Äunft ben „fdhönen"
beigugäbten fep, in groeifelboften gälten enbgültig gu entfcheiben.
©iner foldhen ©inroenbttng gegenüber fönnten mir gunächft roieber
bemerfen, bafg eine matbematifib fdharfe Stbgrängung ber ©ebiete, roie
in bem eben ermähnten unb mondjen ähnlichen gälten, fo ancb in biefem,
roeber mögtid; noch notbroenbig fep. StriftoteleS oertangt, baB bie i^anb=
tung roet^e in ber Xragöbie oorgeführt roirb, „eine entfpredhenbe StuS=
bcbnting" habe 280) ; oudj biefer 23egriff ift ni(^t matbematifi^ beftimmt.
Unb roaS itnferen ©egenftanb betrifft, fo ift es für bie Steftheiif groar
Don SBerth, bie roefenttichen SOterfmale gn fennen, aus benen ficb ber
dharacteriftifche 23egriff einer „fdjönen" Äunft gufammenfettt, aber nicht
unertäBtidj, in jebem ©ingelfalte ber groeifelhaft fepn fann, gu beurtbeiten,
ob berfetbe einer „fcbönen" Ännft gugehört, ober nicht. „Stefthetifche
©afuiftif biefer Slrt, bereit iBeifpiete man bei ©(bteiermadjer fcharffinnig
5Öeld)e bie fd;önen Äünfte fe^en.
335
au§gefü!^rt finbet, fc^eint mir paffeiiber ben ©egenftanb gefeüiger Unter;
^aitnng, dä ben ber 2öi]'fenfc^aft ju bitben" *).
Uebrigens roolXe man biefe btof? nortänfige 2Introort ouf bie erroäl)nte
©inmenbnng nid^t jo oerjtetien, alä mören roir nidjt in ber Sage, bas
iUterfmat um baS eS jicfj tjanbelt, nodfommen genau bejtimmen ju fonnen.
^m 5Infange beS erjten ®uc^eS bereits ronrbe ber 0at^ bemiejen, bap
bie eigentlidje @ppre ber 0d)onl§eit nid^t bie förperli(^e SSett bdbet,
fonbcrn jene ber mit ©rfenntnijj nnb j^rei^eit auSgejtatteten Söejen,
namentüdti bereit et^ifdje Seite **). (5ben barum nun ijt eS einja^ nic^t
mögücb, baj^ ber nernünftige @ei[t „^eruorragenbe S(|önt)eit" in einer
Urjd^einung finbe, bie, mie jelbjt baS uollenbetjte ber nicE)t mit 23ernnnft
begabten ®ejd)öpfe, immer tief unter ibm [te^t. ©itt aber baS non jenen
Singen, roeldje baS 2Berf ber Statur, baS l^eijd ber eroigen 5K>eiS^eit jinb,
um roieoiei me^r muj:i eS roa^r fepn in jii^t auf jebeS SSerf menjd};
lieber Xunft, folange baffelbe nid)tS roeiter ijt alS ein materiedeS @e=
bilbe! 9t ur bann, baS folgt bieranS, nur bann roirb eine Änuft
bie 99titte( befi^en, unter entfpredjenben Umftänben üöerte
jubringen non beroor ragenber Sd)onbeit, menn it)re SJtittet eS
ibr mögtid) madjen, SSerfe ju tiefem, in benen unS sugleid) mit bem
febönen materiellen Grjeugnifi, nnb eben bnrd) biefeS, in ttarer 2tnfd)au=
tidbfeit feböne ©rfdjeinnngen ent ge gen treten auS ber Sßett
ber mit ©rfenntnif; nnb auSgejtatteten SÖefen.
llnb nmgefebrt, in alten flfätlen mo eine Ä'uuft bierfiU’ bie 99tittel befitU,
ba ijt fie audj im Staube, unter entfpred)enben Umftänben 2Berf'e uon
beroorragenber Sibönbeit jn liefern.
3n biefer SBeife auSgebriidt, täf3t bnS 99terfmal non bem bie Dtebe
ijt, an 23eftimmtbeit roobl tnum mehr etmaS ju roünfdben übrig. 9Sir
roerben in ber reeiteren ©ntmidetung unferer 9Siffenfdbaft Serantaffung
haben, baffelbe am^ in ber eben gegebenen %oxxn anjnmenben; norlänfig
jieben roir eS oor, ben fnrjeren 9luSbrucf beijubebnlten, beffen 23ebentnng
nad) bem ©efagten ja nidjt mehr jroeifelbnft fei)n fann.
241. Sie f^rage bleibt atfo biefe: SSetdje unter ben religiöfen,
cioilen nnb bebonifeben .Hnnften „befii^en bie 9)tittel, unter entfpred)enben
Umftänben 25>erfe beroorjubringen uon beroorragenber Sdbönbeit" '? Offen;
bar biejenigen — • roir bürften ol)ne 3iDeifU ditd) jagen, nur biejenigen —
roeldje tbatfädbli(^ ber 99tenfcbbeit im Saufe ber ^db^'ftiinberte SBerfe biefer
2Irt geliefert bnben. Unb fo ergeben fid) nnmittelbnr atS fd)öne fünfte
biefe fieben:
*) 2ot5e, (2. 445. (Qitivt 18.)
**) eben, Dt. 20 ff. 0. 34 ff.
336
aBeld^e bie ft^önen Äünfte fepen.
S)te Strc^itectur ober bie p!^ere 93aufunft;
bie bramatif(^e Ä'unft;
bie ©cuiptur;
bie ÜJiaierei;
bie p^ere ißerebtf amfeit;
bie i^oefie;
bie ifRufif.
iÜJfan berütffic^tige , um biefe 2fntraort nic^t irgenbraie mi^juuerfte^en,
ba§ i^rincip, ba§ mir im jroeiten ^Paragraphen auggefprochen, unb fort:
raährenb oor Slitgen gehabt haben. iRämtich ber 0a^: „®ie ipoefie ift
eine fdhöne jl'imft", roill nidht etroa fagen: ©(ihtedhthin jebe Seiftung ber
iPoefie ift ein 2ßerf oon hetoorragenber Schönheit ; noch audh : ®ie ^oefie
hat bei jeber ihrer Seiftungen barauf augjugehen, ein SBerf oon he^DOt^=
ragenber ©thönheit ju liefern, ©onbern ber Sinn be§ angeführten Sa^eä
ift biefer: „®ie ifßoefie muß um ber befonberen ihr eigenen Stufgabe
mitten barauf bebacht fepu, baß |ebe ihrer Seiftungen fich burch mögtidhft
bebeutenben äfthetifchen Sßerth empfehle ; unb fie befi^t jugteich bie
^Rittet, unter entfpredhenben Umftänbeu Sföerfe hevuorjubringen non '^ev:
norragenber Schönheit."
Ser „etroaä unüberfichttichen SSietgtiebrigfeit" gegenüber, roelche in
ber non Dftobert 3t^nmermanu unb Stnberen eingeführten, abftract fpfte=
matifcheu ©intheitung be§ äfthetifchen ©ebieteg fiih in ftörenber Sföeife
gettenb macht, bezeichnet .^ermann So^e eg atg jmecfmäßig unb raünfcheng:
roerth, baß im Slorbergrunbe jeneg ©ebieteg immer „bie befannten ittamen
ber einjetnen fünfte" hernortreten , „bereu febe roie ein tebenbiger Orga=
nigmug, eine nietgeftattige iBtenge äfthetifcher SOtittet ju einem characte=
riftifchen ©anjen nerfnüpft". Sohe’g Stnficht bem SSerfahren gegenüber
bag er mi^bittigt, bürfte bie einjig ri^tige fepn. Ung hat bag im Stn:
fange aufgeftettte i^rincip in ber Shat auf „bie großen ©eftatten ber
befannten fünfte" geführt, roetche fiih in ber ©efchict)te beg menfchtichen
©eifteg tängft atg hei^oorragenbe geiftige itJlä^te erroiefen haben" *).
2önnberbar ift bag freitich ganj unb gar nicht; mir haben unfer ^rincip
eben non jenen htfiofifch^n „grojjen ©eftatten" unb ihrer Sßirffamfeit
abftrahirt: barum fonnte eg ung nur ju ihnen jurüiiführen. Stber
auch nur ein fotcheg Verfahren fann bem ©efe^e entfpre^en, nach wetchem
bie Sßiffenfdhaft ber fctjönen Äünfte norjugehen hat. Sie nerfennt ihre
Stnfgabe, roenn fie fich berufen hält, ohne Dtücf ficht auf bie Shat=
fachen ber ©efchichte unb bie concrete StSirftichfeit ein abftracteg Spftem
ju conftruiren, unb in beffen rein aprioriftifche f^ormen bann hiftorifche
©rfcheinungen hineinzuzroängen, bie ja nicht, roie jene j^ormen, ein ipro=
*) 2Sg(. Sope, Ci?. 443 f. (C5it. 18.)
®el^e bte fd^önen Jtüufte fcijen.
337
bitct be§ biird) luenige fortgefponnenen ij)enfen§ etne§ etnjelucii
Äopfeg, fonbern bie reife einer burd) ^nljrtaufenbe fid) I)injiel)enben
(^eifteSarbeit nieler ©enerntiouen finb.
242. SBenu bie Orbiumg in ber mir bie fdjöneu fünfte auffiUjreii,
nidjt ganj mit berjenigeu übereinftimmt, ber man nielteidjt anberämo be^
gegnet ift; menn mir in^befonbere bie bramatifdie ibiinft a(§ für fidj
befte^enb non ber ifSoefie fcbeiben: fo bnrfte fid) ba§ fpäter red)tfertigen.
llngteic^ niet mefentlid)er aber a(§ biefe, ift eine anbere 3]erfdjieben=
t)eit, nnfereg Söiffen? non ber 5teft^etif big^er roenig bead)tet, aber gleid):^
mot)t non ber bnrd^greifenbften Sebentnng. ®ie bebonifdje ifjoefie unb
bie religiöfe, bie profane i)Jhifif nnb bie titurgifcbe, bie cinile 5trd)itectnr,
bie cinite ober bie t)ebonifd)e ecntptur nnb ÜJcaterei , nnb bie brei reli;
giöfen ltnnfte biefer ütamen, bie orntorifdje iBerebtfamfeit enbtid) unb bie
geifttid)e, bitben atterbing§ generifd) fe 6ine nnb biefetbe fd)öne Ibunft;
aber fpecififd) finb fie non einanber biird)an§ nerfdjieben. Sie gefjoren
fe ber nämlidfen @attnng an, aber fie fteljen unter iljrer ©attnng fe
nt§ befonbere, fetbftänbige, i’^rem SBefen nad) non einanber ganj unab-
pngige 3lrten. ©nf) man burd) bie generifd)e @Ieid)namigfeit biefer fe
jmei 3lrten non Jbnnften einerfeitS, unb nnberfeitg jugleid) burd) fene
natnratiftifd)e 3tnfd)nuuug§meife bie non einer nbernatnrticben Orbnnng
nid)t§ meif), fid) nielfad) ^at nerteiten laffen, biefe mefentlid)e ®erfd)iebem
l^eit ber bejeid)ueten 2lrten )(u ignoriren, bad tonnte nid)t anber§ al§
nerberblid) fepn für bie 3lngübnng ber einjelnen fünfte, roic e§ anber=
feit§ jn mefentlid)en Dlipgriffen in ber 3:l)eorie berfetben fübren mufite,
unb ju nielfättigen ^■rrangen in ber 2leftt)etif.
f^affen mir, mie mir es eben bereits getrau, ben „religiöfen" fünften
gegenüber biefenigen, meld)e bem früt)er ©efagten jnfolge fid) als „cinile"
ober als „^ebonifdje" barftellen, unter bem gemeinfamen Dbamen „pro^
fane" fünfte jufammen, fo ergeben fid) biefe jmei DteÜ^en:
IReligiüfe fünfte: 5)ie religiöfe 3trd)itectur ; bie religiöfe 0cul=
ptur; bie religiöfe 'Dtnlerei; bie geiftlid)e 23erebtfnmfeit; bie religiöfe
'•f^oefie; bie liturgifd)c 3Jhifif.
i^rofane Ä'ünfte: Sie profane 3lrd)itectur ; bie bramatifd)e lü'nnft;
bie profane ©culptur; bie profane Walerei; bie oratorifii^e 3?erebtf amfeit;
bie profane '^-^oefie; bie profane Wufif.
©arinn mir unter ben religiöfen fünften ber bramntifi^en feine ©teile
geben, merben mir fpäter fagen.
Sungmann, 2le)tftetif. 2. 3Iuf(.
22
338 eigentlid;e ©oben ber ft^önen Äünfte uad^ bem ^eugnilK @efd;id^te;
tDic |id), km 3eugiii|Tf kr (öcfd)id)tc jufolge, ke fd)(incn fiüuftc
iiisgefammt jmiädift auf km ßakn ks religiöfen i^rbeus cntmididteu,
fo ift C9 nud) fbeii btcfrr, auf mdd)cm fie il)rf bödirtf Jßlüte
crreidjt l)abfii.
§. 1.
^orfttu^^ges.
®rei itHgeineine ^eugntifc füv bic au§gefprod)enen 0a^es.
n)etd)em ©tune bei ben betbntfcf)en 33ölfern ein inirflidjeS religibfe§ Scbcn
uub reiigiöfe Äünfte aujuerfennen fepen.
343. ^ener englifc^e ©taatsinaun, ben feine 2tuffaffung ber ©d}ön=
beit im fedjäten 3tbfdjnitt mand)em £efer nietleidit nid)t gerabe in befonber§
uortf)eilbaftem iiidjte erfd)einen tiefe, bat befeungeadjtet ben 2tu§fprud)
getban: „2Bir roiffen, unb roa§ nocb mehr ift unb beffer, mir fübten e§
in unferm ^unerften, bafe bie ä^etigion bie 23afis ber ßinitifation , roie
bie Duette atte§ ©cbönen unb ©Uten ift" *). i^ierna^ finbet man e§
obne roeniger befrembenb , meint ein tKiann ber bod) ftanb ats
©brift roie at§ i^iftorif'er , bnnbert fpäter fd)rieb: „3um i|}reife
ber ©ottbeit ridjten fidj nom Stnfang atte Äünfte: jnerft bie Urfunft,
bie ißoefie, barnadj, roie bie Ueberrefte bed gefammten 2tttertbum§ be=
jengen, bie fdmmtticben bitbenben .fünfte"** ***)), ©ruft non Safautp gibt
ben nämticben ©ebanfen etroas au§fübrtid)er. „iBergegenroärtigt man fii^
ben grofeen ©ntroidetung§procefe ber fünfte im Seben ber SSötfer, fo jeigt
fidb, bafe atte gufammen itjre 25>urjet in ber tÄetigion haben, roetcbe bie
©eete jebe§ practifdjen 3:bun§, ba§ SBefenbafte im ßeben ber ®btfer, unb
bie gemeinfame bteibenbe ©runbtage atter roabren Humanität ift . . Die
erfte unb bie te^te bödjfte Stnfgabe ber Strdjitectur roar unb ift Sempe©
bau, Äircbenbau; bie dttefte unb bie ebetfte 2tufgabe ber ©cutptur eine
©iütterftatue , unb ba§ 23itb eines geiftigen SöobttböterS ber iJJienfd)en;
bie bocbfte Stufgabe ber itJiaterei bis auf biefen Dag ein ^eitigenbitb,
unb bie retigiöfe nnb pbitofopbifdje .'Qiftorienmaterei ; unb ebenfo uerbdtt
e§ ficb mit ber Dempet= unb .ttirdfenmufif, mit ber retigiöfen ifSoefie, unb
mit ber retigionspbitofopbifcbeu 4^rofa"
*) SBurfe, bei 2t. 9tei(bensperger, ®ie d;nftticb:germamf(be Saufunft unb
SSevbältnife jur ©egenroart (3. 2tufl. Srier 1860) ©. XIV.
**) 3ofepb 5‘id, in ,,.g)iftorifcb:potitifd;e 23Iätter", 23b. 79. @. 579.
***) Safaulr, 'tJbdoiopb’^ ber fd)önen fünfte 2trcbitectur , ©cutptur, tOtaterei,
O.lhifif, ißoefie, iferofa (iötündjen 1860) ©. 28.
23orIäufige§.
339
d'5 i[t übrigens ber i3i)iüf)e lücrti), ba|3 roir bie I)i[tovi)d)e XljefiS
TOeId)e bie Ueberfdjrift beS ÄapitelS bUbet, einge^enber, aiS blog burd}
biefe adgemeiuen beineifen. 9hir nüiffen mir juerft eine :iBe=
inerfnng noranSgeljen laffen.
344. Siele finb geinotjnt, bei ben mi)tljüIogi^d)en i^ictionen beS
l^eiSmnS nnr an baS berfelben jn benfen, nnb
merben oft oon ber Sorfteltnng geleitet, ntS ptte baS i^eibentt^nm felber
feineSroegS im (Srnfte an baS geglaubt, maS feine ®id)ter oon ben ®öt=
tern erjäljten. Sncffidjt auf mand]e ©rfc^einnngen anS ben letten
3al)rl}unberten ber oord)riftUd)en 3cit bat biefe Sorftednng ettoaS S^abreS;
aber im ^lUgemeinen ift fie nnricbtig.
„Sie i).ttiübüIogie ift loirfUd) Dleligion; fie ift bem Solfe nidjt ein
'Spiel, fonbern feierlidjer ©rnft, fie b^i’ffdjt über bie ©eifter. ©iner 3llle=
gorie, einer poetifdjen fyiction bringt man feine Opfer, füblt man fid)
nid)t oerpflidjtet : baS .'^eibentbnm b^l ^ber in ber ''Hh)tbotogie feine
religio, fein Sanb mit ber ©ottljeit; eS fürdjtet ben 3ova feiner ©Otter,
■eS fidjlt, baf; ber ÜJcenfd) bnrd) bie Sünbe, bnr^ baS Uebertreten beS
göttlicben ©ebotS nnb SBillenS, bnS ,?eben oerioirft Ijol bem Sobe
oerfntlen ift, nnb fndft bnrd) baS ftelluertretenbe Slnt ber Sl)iere, ja
bnrd} Slnt oon ‘'Dfenfdjen , oon nnfd)nlbigen Äinbern, bie @ottl)eit jn
oerföbnen, bie Untenoerfnng nnb i*pingebnng beS eigenen 233illenS ju
bejengen. Sie Ü-tiptbologie ift feine 'fvabel, fonbern 2Sal)rbcit, menn and)
in einem ©eroanbe, bnS bie if3bantafie geiooben l)at; ben ©infd)lag bitbet
bobei bie ©otteSibee, baS ber Sernnnft im menfd)lic^en ©emütl),
ber ©ebanfe beS Unenblid)en; bie 3bee fömmt babiird) jnm Seionf3tfei)n,
ba^ dfatnrerfd)einnngen fie erioeden, baf) ber iDfenfd), bnrd) ändere nnb
innere ©rfa^^rnng, baS Spalten ’^öf)erer ÜJiäd)te inne loirb, oon benen er
fid) abl)ängig , aber jngleid) and) getragen , tiebeoott umfangen fül)lt" *).
Unb toaS inSbefonberc bie ©ried)en betrifft, fo mnrben oon il)nen
„bie olpmpifd)en ©ötter anfgefagt alS bie ^'»erren nnb l'enfer atteS natür=
lid)en nnb menfc^lid)en SebenS, nnb bem nlS Üfegent ber 2öelt im ge=
fammten SBelt^anSfialte oäterlid) lonltcnbeü 3^^S geliörte baS ftel)enbe
S'pitfieton ,ber Sater ber ©ötter nnb ÜJtenfc^eiü. imb unter it)in
bie übrigen ©ötter, traf alle 5tnorbnnngen , oerliel) alle ©aben, meldfe
^nm ©lücf beS 9Jtenfd)en nötl)ig lonren; nnb baS nid)t blof) im ©ropen
unb ©anjen: fonbern bie göttlid)e ö^ütfe loar bem '3)fenfd)en immer nal)e,
oon ber ©eburt bis jum ©rabe, im ©lüd mie im Unglüd, nnb bie
göttliche ©nabe loar eS, bie im ?0ienfd)en adeS ©nte nnb ©rope ootl=
brachte. 9lber 3^nS mar amh ber ftrenge SSüihter über ©efel^ nnb
*) W. Karriere, Sie Äuiift im 3nimmncnt)ang ber Ciulturentroirfchnig unb bie
^beaie ber 9Jtenfcf|f)eiP ®b. 1. (Jeipgg 1863) ©. 66.
22*
340 eigent(i(^e S3oben ber fd;öncn Jtünfte :iac^ bem 3eiigniiie ber @ef(^id;te:
Dftec^t, ber §ort unb i'enfer ber moraUfi^en Sßeltorbnung , n)et(^er ba§
@ute belohnte, baä 23ö[e beftrafte; aber babei jugletd^ ein barmherziger
Seichter, ber 3fieue unb ©ühne annahm, unb nicht nur ben einzelnen
©ünbern uerzieh, fonbern auch ©efchtecht ber ?Kenf^en au§
feiner 35erfuntenheit emporzuheben, unb burcf) ?[Rittheitung göttlicher ^raft
fubftantieCl zu erneuern fuihte. ®ieä ift ber Itern aller griechifchen ?0^pthen
unb religiöfen ©ebräuche, zroai^ uerbecft unb entftellt burch mancherlei
heibnifdheS ®eiroerf, aber unfchroer zu erfennen fchon bei ben älteften
©ichtern unb in ben älteften ßnlten. 5)ie ©runblage aller Beziehungen
ber iBienfchheit zui^ ©ottheit bilbete ba§ Berou^tfepn ber uollften 2lb=
hängigfeit ber ©rfteren oon ber ße^teren, unb ba§ ganze religiöfe Seben
erhielt feinen 3*uput§ burd) ba§ ©efühl ber ©chulb, unb ba§ Bebürfni^
unb ben ©lanben ber ©rlöfung" *). ,
®ie hiermit conftatirte S;hatfa(he oorau§gefeht, fann e§ nicht mehr
befremben, roenn mir mit unferem ©a^e bie gefammte ©efchichte umfaffen,
unb fagen, bafz and} bei ben hetbnifchen Bölfern bie fchönen jtünfte fich
Zunächft auf bem ©oben be§ religiöfen Seben§ entroicfelt, unb eben ouf
biefem ihre hödjfte ©lüte erreicht 1}U^>£U. ©on „religiöfen fünften'' in
fenem ©inne, roie mir ihn oben (©. 328), ben fiforberungen ber über-
natürli^en ©Wahrheit entfpredjenb , beftimmt hüben, fann bei heibuifchen
©ölfern freilid} nid}t bie ©ebe fepu. 3lber roenn roir ben ©egriff etroag
allgemeiner faffen, nnb alg religiöfe Ädinfte alle biefenigen betrachten,
„bereu Seiftungen unmittelbar ber ©erherrlichung ber ©ottheit, foroie ber
fyörbernng be§ religiöfen ßebenS bienen", bann umfchlie^t berfelbe ben
früher gegebenen engeren ©egriff, unb papt auf bie religiöfen fünfte
ader ©ölfer unb aller mochten fie mm zur ©erherrlid}uug falfcher
©ötter im ©ienfte be§ ^rrthumg oerroenbet roerben, ober, roie bei ben
3ffaeliten unb fpäter in ber (ähviftenheit, im ©ienfte ber übernatürlichen
©Wahrheit zur ©erherrlichung beffen, roelcher adein ber ©dhöpfer unb ber
.s^err ader ®inge ift.
§-affen roir h^^rouch bie ©efchidjte ber einzelnen fünfte in§ 2luge,
fo roirb fich ei^geben, ba^ bie* im ©nfange angeführten adgemeinen 3^ug;
niffe in berfelben ihre oode ©eftätigung finben.
§. 2.
5ic Archilcctur unb bic ^cufptur unb |Saferci öd bcu ^dbnifchcu ^öfßern.
345. ^m alten (Shina hut fich, u)ie dJioriz Karriere bezeugt, ein
eigenthümlicher ©auftpl niemals entroicfelt. ©5a§ ift ber ©runb baoon?
*) §i[t.:pot. Slätter, 23b. 30. ©. 582 f.
bie 2Ird)itectur imb bie btlbenben .fünfte bei ben ^eibnifd^en Söffern. 341
„®er 6^immef roavb nic^l in Stempeln nere^^rt, man fcffanle tm ^-reten
gn i^m empor: ber Xempelbau aber ift e§ ber bie 3trdjitectur
jur Ännft madjt, inbem jie l^ier nidft !^anbroerflid^ ben Sebürfniffen
be§ geroöfjnlidfen Sebeng bient, jonbern in einem ibeaten Sföerfe bie
©timmung be§ ®otfggemütI)§ nnb feine 3lnfd)annng uom @öltlid)en
fpmbotifd) angprägt" * **)).
©)ie nämli(^e allgemeine 2;l)atfad)e ^atte uor Karriere ein anberer,
anf biefem ©ebiete motfl nodf jnuerläfjigerer auggefprodfen : „®ie
21rbeit ber Saufnnft muft eine religiofe Sljat fepn: erft bei bem
2^au beg Sempelg entfielt bie ardfitectonifdje Ä'nnjt"
©g ift barum ganj natnrtidj, raenn bie ©efc^idfte ber ?lrc^itectur bei ben
älteften 23öl!ern , ben ^n^^ern, tßabploniern , 31ffpriern, ifSerfern, ‘:f>^öni=
eiern, 3legpptern, ©trnffern, faft nngfdjtiefdid) , nnb jebenfallg oorjngg:
roeife, nur oon Tempeln ;^n berichten meiff nnb anberen SSaumerfen,
meldfe ben religiöfen Sebeng bienten***). @g ift in ber=
fetben Streife gnnj natürlidf, raenn bei ben 9Jiepicanern atg „30^ittelpnnft
ber 3lrdjitectnr loie beg (Snltng ber ©tnf)I ©otteg erfd)eint, ,3teofat[i‘,
ber ©pferaltar, ben fie atg t'nnftreid) bereiteten i^üget anfridften: in
met)reren 3tbfät^en ertjebt fid) ein ppramibater S3au, nm auf feiner i|5tate=
forme ben Slttar nnb bie t^nnnartigen ©emädfer ber ©ötterbilber 311
tragen" f). Unb eg ift raiebernm ganj natnrlidf , raenn ©d)naafe img
beriditen mufe : „^n ben Sempetn allein entraidelte fic^ bie ©djon'^eit ber
gried)ifd)en 2lrd)itectnr ; raag an ’äJtonumenten anberer 3(rt tjö^ere 2ln=
fprndje madft, ift oon itfnen enttebnt" : unb „and) in ber 33Iüteseit ber
grie(^ifd)en Ännft loaren ber Siempet unb bng offentlicfie ©enfmat noch
bie einzigen ober boeb t)anptfäd)tid)en ©teilen für bie Sliigübnng ber
^oberen ^outnnft" ff).
3n ber 2l)at finb eg nugfdjliefitidi religiöfe IBanraerfe loeldfe bie
©efcl)id)te ber ilnnfte aufjnfnbren racip, too fie bie 33lüte;^eit ber gried)i=
feben 3lrd)itectur barftellt: bag groffe fpetlisibüüi auf ber 2lcropoIig oon
3ttben, ber 23efd)überin oon 3tttica, ber iflattag 3ttbene geioeilft, unb lunb
il;r ipartbenon genannt, „bng .ü^aug ber ^ü'fgfrau" ; bie ^Propplüen,
pradjtüotle S^reppen unb ä>orl)allen, raetd)e ben bilbeten oon ber
©tabt jnr 3lcropolig; bag ©red)tl)enm, unb ber ^Tempel beg 2;l)efeng,
gteicbfatlg auf ber 2lcropotig; ber grope Jempet ber (5 er eg gn ©lenfig;
*) ßarviere, Sb. l. ©. 152. (6it. .339.)
**) ©c^naafe, Sb. 1. ©. 33. (Sit. 18.)
***) Sgt. ©dötiaafe, Sb. 1. ©. 81—127. 152—158. 1Ü2— 171. 189 ff. 213—
216. 274—309. Sb. 2. ©. 307 ff.
7) Saniere, Sb. 1. ©. 134. Sgt. llugter, §anb6udj ber ilunftgefd;id)te
(5. ülufl. 1871) Sb. 1. ©. 14.
77) ©dinaafe, Sb. 2. ©. 7. 200.
342 eigentfid^e SSoben ber jc^önen j?ünfte nad; bem 3engniffe ber @efd;idjte:
ber Stempel ber 9JMnetDa 2tlea ju $;egea, al§ ber größte urtb fdjönfte
unter ben Stempeln be§ ^etoponnefeg , u. f. ra.*) Unb raenn auf ber
2Icropon§ allerbingg aud) ein fteiuerneS Si^eater [taub, unb ifSericIeg neben
baffetbe, für tnuftcalifc^e Stnffü^rnngen ba§ Obeum baute, fo !§atten eben
bte ißotfgfefte „ben ©rted^en nid)t btoft bie Sebeutung eine§ erl^eiternbeu
©pieteg, fonbern aud) einer retigiöfen fyeier" ** ***)).
246. „iBon bem 23ebürfniffe feiner befdirönften finnüd)en 2Iuffaffung
getrieben, traditet ber 'dJtenf(^ , fobalb i^m bag Söalten ^ö|erer ?diäd)te
funb geroorben ift, fidj ein S^enfjeidien aufjuric^ten, an bag er bie 25er=
e^rung ber ©ottljeit fnüpfe. begnügt er fid^ mit einem ro'^en
©entpfeiler, beffen mächtige ©eftalt i^m alg ©pmbol beg ge^eimnipDoll
geatmten pd)ften äBefeng gelten mu§. ©o raad)fen 2lrc^itectur
unb ipiafti! aug berfelben Söiege lierüor"
@g ift befannt, baff bie jroei bilbenben Ä'ünfte, bie ©culptur unb
‘ilialerei, mit ber 2lrc^itectnr in ber innigften 2)erbinbnng fielen, in einem
23er^ültniffe, roeld)eg namentlid^ in bag ber gegeuf eitigen 2lb;
pngigfeit raarf). 3’^ ber ®efd)idjte ber alten fünfte tritt biefe VcjaU
fad)e befonberg bort bernor, rao bie brei genannten fid^ jur pd^ften 23tüte
entroidelt pben. „®in ftarfer ©runbjiig," fc^reibt in biefem ©iune
Äugler, „ein innigeg SSfei^feluerbnltnip gep burdb bie gefammte pHenif^e
^unft. 5Der Sempel, bag ^pug beg menf^engleicb gebilbeten ©otteg, ift
ip 2tugganggpunft. @r ift für bag 2i>erf ber bilbenben Jlunft ba, baS
Selpere für ibn. ©eine S^orbatle nimmt bag geroeipe ©dbmuifftüd auf;
er felbft mirb jum unmittelbaren 2;räger ber Sßfeibebilber. ®ag ©erüft
üon ©äulen unb Slrpitran gibt feinem Sleufseren biefe ©igenfdbaft beg
23ilberträgerg. Heber bem 2lrcbitran, burd) befonbere ©ntraidfelung beg
conftructionellen ©pftemg ober in freier SBebanblung, geftaltet fid) ein
eigentbümlicbeg Sauglieb, ber f^rieg, alg ber für bie 2lnfnabme ber
23ilber jnnüdbft beftimmte Dlanm; barüber bag f^elb beg ©iebelg. .^eine
ber iBanroeifen beg ?lltertpimg pt eine fo flare ©c^eibung jroifdieu
2lrd)itectur nnb Silberfpmucf, nnb jugleid) eine fo innige ©ebingung beg
©inen burp bag 2lnbere'' ff).
©pon aug biefem 2lbpngigfeitgüerpltniffe gep proor, baff bag
mag mir in 9f{üdfid)t auf bie 3lrd]itectur napgeroiefen pben, gleipfaüg
bejüglip ber jroei bilbenben Äünfte ©eltung pben mnf;. 2lup bie ipen
*) aSgt. ©pnaafe, 33b. 2. ©. 174—202. (6it. 18.) (Karriere, SBb. 2. @. 309 ff.
(dit. 339.)
**) ®d}naafe, S3b. 2. ©. 177.
***) 2S. Sübfe, @runbrp ber Äunftgefpipte (1873. 6. 3lufl.) Sb. 1. ©. 5.
7) Sgt. unten, Stbfpnitt 10. Ä'ap. 4. 91. 416.
77) Äugler, .b)nnbbnp ber Ännftgefdjipte (5. 3(uft. 1871) Sb. 1. ©. 112.
bte 3trd)itcctiir iinb bie bilbeiibcn .fünfte bei ben f^eibnifdC^en 33ölfei'n. 343
ange^örenben Ueberrefte, roeld)e bte 5bun[tge)d)id)te and ber ^cit ber uor=
l^er genaiiitten aften 9?ölfer im§ novfüfnd, ftnb in bev norjngSroeife
reltgiöfe SBerfe*): imb roemt „bie Sübijauerei ber (Sljinefen fid) über
ba§ 4''<^*tbroerfüd)e nid)t erfjebt, luemi i^re SdjnUpereien, ifjre dbeliefd au§
?lj[etatt nnb 'X^on feine felbftänbig fünftierifebe 3(nffn[fnng jeigen, nnb
bad ©epräge be§ uttb be§ ©piefe§ tragen" **), fo begreift fid)
bad non fetbft, tnenn man fid) erinnert, baf? e§ im fReicbe ber ÜJiitte,
roie mir früher fnben, feine retigiöfe 5frcbitectnr gab.
247. „3?orjügIid) an fBitbern ber @ötter", ft^reibt .Sperber, „bat
fidb bie ftttefte j?unft anfgerid)tet, nnb gteidffam geben gelernt; baf)er
and) alle tßölfer betten tJIbbilbnitgeit ber ©ötter nerfagt nmrett, iit ber
bilbeitben Ä'nnft nie eigent(id) bod) emporgeftiegett finb" **"•■')• ift er=
ftär(id) , roenn bie lueldje biefen nttgemeineit ©ab beftütigen,
Dorjngdroeife bie griedjifcbe Jlnnft betreffen; benit feine nnbere bdf in
fofdbem ütliaape mie biefe, bn§ ,3ntereffe ber f)tfforifd)en 'jVorfd)itttg in
ftfnfprnd) nehmen föititen. ^n .^etlad ift für bie 'f3tnftif „ba§ ©ötterbitb
ber Sfttggnnggpttnft, betn bann bie tncttfd)Iid)e ©tatue folgt ®er
Urjeit genügte ein anfgeridfteter ©tein, ein fBatfen ober 33rett jnitt ©t)m=
bote ber @ottf)eit. S)ie atteften 33i(ber roaren pttppenbafte f^ignren, and
S4d)>til3t, bemaft, mit mirftid)en jlteibern nngetbnit; ober .fbertneit,
bei betten nnr ber jfopf attd betn '^'feiter p(nftifd) berattögearbeitet rottrbe.
(f'S gemahnt nit 3regt)pten, menn eö b^Ud ^df; in ©riedfettlnnb bie @ötter
mit gefcbloffenen i "tit enganliegettben Firmen gebilbet rattrbeit , bie
3htgenliber b^t'flbgefenft in tranmartiger fRnbe. fTer mi)tbifd)e 3(bnf)err
ber bEdenifd)en Jf'ünj'tfer, ber fSilbfdfttiber roie fein Üfntite Sübntttd befagt,
tbat fogleid) ben gropen ©d)ritt, bnf; er bie ©ötter mit offenen 2lttgeit,
f^reitenb, mit erbobenetit 3trme, barftellte; bied ift ber ©inn ber Ueber=
lieferuttg, baf) feine @eftaftett gingen nnb beinbetten" 7).
„©öttergeftatten jti bilbett," bejettgt (?-bttnrb ÜJfüÜer, „roar befannt(icf)
bie roid)tigfte 3Infgabe ber bilbeitbeit fi'nnft bei ben @ried)en" ff) ; „bie
gefammte griedftfebe 'IHaftif" , lebrt 3fnfeltit fvetterbad) , „rubt nnf betn
(ironnbe ber dfetigion; betn @(attben bed i'otfed uerbaitft fie ihre erfteit
Äeime nnb ihre lebte SJ^lüte; nnb roar fie itt ben niteften nitt'
bie ©claoin ber fReligion, fo böfte fie bod) itie anf, if)re trette ©efnbrtin
*) tBgl. ©d)naafe, 33b. 1. ©. 129 ff. 160 f. 230. 365. 369. (6it. 18.)
**) ßarrierc, 33b. 1. ©. 154. (6it. 339.)
.'perber, ßitr )pt)iIofopf|te uub (iiefd;id)te, 33ud) 13, III. (3Berfe, ©hittgart
1827, J^t. 6. ©. 140.) 33g[. SBintdmann, @cfd)id}tc bev fuiift, Jt)l. 1. £ap. 1.
t) ßarviere, 33b. 2. 6. 173. 176.
tt) Gb. mtüttcr, 33b. 2. ©. 259. ((5it. 31.) 3lg[. ©cbncicifc, S3b. 2. ©. 62 — 66.
((Sit. 18.)
344 eigentlic[;e Soben ber fc^önen fünfte nad; bem 3eiigniljc ber @efd;i^te:
ju fei)n“ *). Unb l'afaulx' raieber^^oü benfelben ©ebanfen; al§ bie pd)[te
3(ufgabe ber bitbenbeu Äunjt galt in ^^eda§ bie 5)nr[teIIung ber ©ötter,
in menfdjtidjer , über ba§ ber 25>ir{'Uc^feii erp^^ter unb nerflärter
@e[ta(t **).
2Iuf biefetn ©ebiete, bem rdigiöfen, fe^en mir fie benn auc^ na(^ ben
i].'erferfriegen, jn ber i|iericte§, i^re pd^fte 3Sodenbung erreichen.
SDer erfte S^epräi'entant biefer berounberungSmnrbigen religiöfen ©cufptur,
Ujr l^ernorragenbfter Artiger, ift i]3^ibia§. „Sein &lu^m überftieg fd)on
im 5ntert^um ben jebeä anberen Jl'ün[tler§; mon fann bie fd^önfte ©tüte;
jeit ber at^enienfifdjen Jl'unft nid)t nennen, d^ne feiner ju gebenfen. ®er
Unbanf feiner ^eüs^'ioffen gegen ben Äünftler fte^t in fdfarfem ©egenfa^e
jn ber ÜSere^rung, n)eld)e feine 2Serfe buri^ ade folgenben ^afirfiunberte
ber griedi)ifc^=römifd)en genoffen. ®ie berü^mteften berfelben finb
nid)t nnr felbft nntergegangen, fonbern fie gef)ören audj einer .Piaffe non
23itbroerfen an, an§ ber un§ fein einziges Seifpief gebfieben ift ; e§ roaren
,dbrpfefep^antine‘ ©tntnen, cofoffale ©ilbfäufen ber ©öfter au§ ©olb unb
©Ifenbein jufammengefebit. 3?or adern Sfnberen prie§ man fein großes
23ilb be§ 5'^ Ofpmpia; non feinem i^tunftroerfe roirb mit gröfserer
©fjrfnrdft gefprod)en, eä galt für ein SKunber ber Sßetf, beffen dnbfid
non Äummer unb Sdfnnerjen erföfe, für eine göttfi(^e ©ingebung unb
eine Offenbarung be§ ©otte§. dfoc^
mit ber Sage umf)er, .fsupiter fetbft t;abe ben Jbünftler geleitet, unb ba
biefer nad^ SSodenbnng be§ Sßerfeö jraeifelnb itjn um ein
iMdignng gebeten, fie bnrcf) einen 3Slü^ gegeben ; man jeigte ben 9teifenben
bie Stede, tno er eingefdjiagen l^atte. ©ine e!^rfurdt)t§Dode IRüdfidjt l^ielt
bie 9fömer ab, ba§ ^eiligge^^altene S>erf non feiner Stede jn rü'^ren;
erft ju d)rifttid)er 3£il bradjte man eö nad) ©onftantinopel, tno e§ fpäter
ein Idaub ber fylnnimeit tnnrbe" ***).
3(ud) bie übrigen SßJerfe be§ '^fiibiag finb inggefammt 23itbföuten
non ©Ottern, namentlid) ber ipadoä 2ttl)ene, ober Oarftedungen au§ ber
©iefd)id)te ber ©iotter. Oiefer g-ürft ber Ä'ünftler nerftanb e§ eben beffer,
tnie nod^ Ouintitinn non if)m beridftet, ©öfter barjufteden, al§ ?SJtenfdben.
„3n ber Äunft ber 3trbeiten ou§ ©tfenbein", fö^rt ber römifd)e dtl^etor
fort, ,,^at es il^m nie femanb gleid) geb^an, felbft tnenn er nid^t§ ge=
fdinffen fiatte, at§ bie dltinerna auf ber 2tcropoÜ5, ober ben S^^piter 311
Olpmpia in ©tiä. Oiefe§ te^tere Sffierf mar in feiner dRajeftnt bermaßen
be§ ©otte§ tnürbig, bafj man fagen fann, e§ ^abe burd) feine erhabene
*) 9lnietm g-euerba^, „Ser Sßaticanil'cbe i'tpollo. (Sine 9teibe arcbäoIogtf(J^=
äftbetifdjev S8etrad}tungen" (2. Stuft. 1855) ®. 250. 26.
**) Safautv, 0. 56. ((Sit. 338 )
***) ©dniaafe, 53b. 2. ©. 203 f. ((Sit. 18.)
bie ?ßoe)'ie, bic 9Jhifif unb bie ®ramatif bei bcn f;eibiüicfjcn Sötfern. 345
©t^ön^eit bie l'd)on befteljenbe ®f;rfurd)t uor beinfelben nod) er^ö^t" 28i).
bie iiiadjfolger be§ ip:^ibia§, ipoltjclei, ©copaä, i^rapiteleä, SiplppuS,
lieferten gleidjfadg itücb jaljireii^e veligiöfe Ä'imftiDerfe ; aber je meljr fie
biefen Soben nad) unb nad) nerliefjen, befto nte'^r fnnf nnd) bie ©cuiptur,
namentlidj in ben jinei jnlebit ©enannten*).
§. 3.
5)tc ^*oc|tc, btf 2Su(tf{ «nb bic bramftiifdic <^un|lt Oci bcn Ifcibnifcbcn
^öfßcrn.
248. 3Bir fönnen biefen ^^^nragrnp^en mit einem ©ebanfen beginnen,
bemjenigen ganj parallel, roeld)en mir in bem letzten ©atjie be§ eben ab=
gefd}loffenen au§fprad)en. ,,©g ift überall ba§ ©c^idfal unb ber ©ang
ber ‘'•fioefie, bnp fie mit bem SBunberbaren unb ©rljabenen, mit ben
gropen ©eftalten ber ©öttcrmelt unb ber b^elbenjeit beginnt, ©ie fenft
fid^ in ber f^olge immer mepr perab non biefem popen f^luge, nopert
fic^ mepr unb mepr ber ©rbe, bi^ fie gulept in ba§ iBnrgerlidfe unb
©emeine perabfinft , unb fid) ba am ©nbe uerliert" **). fvriebrid) non
©djlegel gibt in biefen ©orten bem ©ape ben mir in bem gegenmärtigen
Äapitel gu bemeifen paben, infofern e§ fid) um bie ifioefie panbelt, feinem
ganjen
®ie erfte ,'pauptform ber p^oefie bie fid) bei ben alten S^ölfern an§;
bilbete, mar nad) bpermann Ulrici, Safaidp, ©andere nnb 3Inberen bie
„S:empelpoefie", al§ bereu Präger bie p.H'iefter erfdieinen. ölteften
pelafgifd)4l)racifd)en S^orjeit ber Ipellenen, in meldjer bie ^Religion unb ipre
i^riefter in erfter £inie ftanben, unb ba§ ganje Seben ein religiöfeö ©e=
präge trug, erjeugle fid) au§ biefem fein ibeale§ 'Jlbbilb, bie priefterli(pe
.^pmnenpoefie be§ Oien, Orpl)eu§, ifJamppnä, um brei au§ SSielen ju
nennen: meldie bie in ber fpäteren ©ntmiefeinng gefepiebenen ©lemente
ber epif(pen , lprifd)en , bramatifd)en Jtiinft in nngefd)iebener d)aotifd)er
©inl)eit enthielt. 'RepnlidfeS tritt fa and) beroor in ben v'^pmnen ber
inbifd)en 93eba’§, be§ perfifiben Üluefta, in ben pifalmen ber .^ebrner, in
ben altitalifdien Siebern ber ©alier nnb ber aimalifd)en trüber, in ber
©bba ber ©canbinaoier" ***), Oie ißoefie ber in oollem
©inflange mit ben lepten ©lebanfen ©arriere, ift im Ülnfange, in ben
Siebern ber 33eba’§, faft auSfcbliepIid) religiös; ganj ba§ ©Ueidfe gilt
*) ®gt. ^d)naaie, Sb. 2. ®. 219—246. (6it. 18.)
**) Iv- ©cftteael, ©el'cftiiite ber alten unb neuen fiiteratnr, 1. Sorletuna.
(Slcrte, SBien 1846, Sb. l. 0. 34.)
***) Saiantr, 0. 172 f. 176. (15it. 338.)
346 eigentliche ©oben ber fchönen fünfte nach @efchid;te:
Don ben „®otha’§", ben äUeften ßiebern ber 2?eroohner non ^ran, in
bem „3)a§na" genannten Suche ber „2tüefta" *).
Umfaffenbere Sefultate, at§ e§ in 3tücfficht auf anbere Sölfer ber
f^atl ift, bietet nn§, au§ naheliegenben @rünben, auch l)ier inieber bie
hiftorifche f^orfcfning bejngtich ber if5oefie bei ben ©riechen. 2tuch ;iiafautT:
fahen mir an erfter ©teile auf biefe h^iDeifen. iJluSführlicher al§ er
rebet Utrici. „®ab e§ im Ijöchften 3nterthum be§ §ellenifc[)en SoIfe§ über=
haupt eine geroiffe Sliite ber ifJoefie, fo mar biefelbe unftreitig religiös."
„Son 5lnfang an, in ben erften Äeimen .^eöenifher ©nitur, mar bie
Äunft mit ber 9ieligion aufS innigfte nerbunben: unb roie in biefen
erften jleimen bereits bie erften Slnfänge pr Umgeftaltung ber alten
©ötterlefire liegen, fo hot on berfetben auh bie Jrtunft bereits in ihren
erften Slnföngen '^heil genommen, nnb baS begonnen roaS fie fpater ju
üotlenben -^erobot fagt mit groffer Seftimmtheit, baf^ nach feiner
Steinnng .^efiob unb Isomer ben Hellenen ihre 5,heogonie gebichtet, ben
©Ottern itjre Senennungen gegeben, ihnen ihre , Ser=
richtnngen nnb Aufgaben beftimmt, nnb ©eftolt unb Silbung berfetben
oerjeichnet hätten**). Seicht als ob, roie man oft geglaubt hat, ^efiob
nnb .^omer bie gried)ifche ^Religion gteichfam felbft gemacht unb erfunben
hatten; ^^erobot fann nur gemeint haben, bafs biefe älteften ©änger nnb
Sichter bie alte, ihnen überlieferte ©ötterlehre in baS umgefchaffen hätten,
roaS er an einer anberen ©teile ,eigenthümtich:hedenifch‘ nennt, nämlich
in bie anthropomorphifche Sitbiing. SBenn anberfeitS ^omerS unb ^efiobS
©iefänge nnjroeifelhaft nur ber ootlenbenbe ©npfelpnnft einer gangen roei©
reichenben ^unftbilbung roaren, unb in ihnen nur baS gur IReife gebiehen
erfcheint, roaS bereits in fernen ^^h’^fiunberten StBurgel gefchlagen hPe^
fo ift bnmit bie Ipauptrichtung ber .^peUenifchen Ävinft nnb tpoefie non
ihrem erften SnfongSpunfte biS gu ihrer höchften ©pi^e nergeichnet. ^n
jener 3;hätigfeit, in ber Umbilbung unb ©ieftaltung ber ©ötterlehre
unb SotfSr etigion nämlich, finbet bie gried)ifche Jlunft ihre ur=
fprünglicbe, tieffte unb eigenthümlidjfte Sebentung.
„Sie vSpetlenifche ^Religion fonnte, ihrem innerften SSBefen nad), baS
begeid)uete 3iei «icht nerfotgen unb erreichen ohne Sermittelung ber Ä'unft.
Sie tpoefie mufgte ihrer Statur nad) auch h^cr ben erften IRang behaupten;
unb bemgemäf) roerben beim auch tpriefter ber Hellenen, bie
©rünber, Srbner unb Verbreiter ber ©ötterlehre unb beS ©ultuS, in
ben Ipellenifchen ©agen gugteich als bie älteften Sichter unb ©änger
begeichnet: roie SlriftoteleS gang allgemein befnnbet, roenn er bie älteften
*) ©gt. Karriere, ©b. 1. to. 375 ff. 523 ff. (C5it. 339.)
**) Herodot. 2. c. 53.
bie 5ßoefie, bie 'IRiifif imb bie Srnmatif 6ci ben f)eibnifc§en 'Söffern. 347
,^l^eoIogen‘ mit ^^befiob, bem ©ii^ter, gteicft::^ imb jufammeiiftettt 5Baä
balfer, rate mir iior!^ev erroä'^nten , .i>erobot uon .'gomer itnb .^lefiob fagt,
baffdbe Itejte [idf oI)ne ^on beit älteren ©i.djtern unb 0nngerit
^tnfidftttc^ ber DteligionSbilbung il^rcr 3fitt'ii mit gteidjem dtcdjte be=
f)aupten, )etb[t roenn bie fpnteren ^liadjriditen unb Sagen, bie nn§ ermatten
l'inb, ed nid^t anäbn'icflid) beftätigten. iK^äre e§ nid)t urj'prnngtidfe (Jägern
t^nmlii^feit ber ApeO'enifdien Däeügion, unb mit i()r ber ^^elleniidjen (Juttnr
übcrl^aupt geroefen, burd) ben 'üDäunb ber '^>oefic entraidett, nudgebitbet
unb nerbreitet jn rocrben, mie Ifätten ptöt^Iid) .Sbefiob unb .sjomer, bie
®id)ter, anffteben mögen, um ben ib^di^nen eine dieligion unb (Knitter:
lebre ju geben, bie bi§ bnljin nod) gnr nict)t epiftirt, ober bod) fern unb
gef^ieben oon ber tpoefie, in ganj anbercn (Jebieten bed geiftigen hebend,
ben Sife iljrer 23ilbnng gehabt hätte?" ''"'O
249. (Jd mar nidd anberd mögtid), atd bap ficb mit einer foldten,
ihrem ganjen SSJefen nad) religiö[en ^oefie, junädfft im (Jefang'e, bie
JJtnfif oerbanb. „?lnd ber prie[tertid)en tltaturpoefie ber lUpeit cnt=
roidette fidj, namentlich bei ben ©oriern, atd ©timme bed ganzen 9>otfed
im ^hoi’gefttnge bie Sprif; in feiner nntödbaren ®erbinbnng mit ber
?0?ufiE erhielt berfetbe [eine feffen [vormen, bie gerabejn mit bem Jinmen
bed ,(Je[e^ed‘, tlEomod, bejeichnet mürben ©iditcr [inb fanm genannt,
eben meit fie bie Stimme bed 3SoIfdbemnpt[cpnd maren. 3:batetad ber
iÖEufifer [djeint jnerft ben (Jhorgefang imn bem nltherfommtidten .'oera=
meter jn freien Oihbthmen gefnhft gu hflben, bie aber cinfnd) blieben, mie
bie ernften, gehnttenen JJietobien ; im ?tnfd)tnffe on bad 58oIfdthnmtid)e
marb er ber fünftterifdje ©egrünber bed borifdfen Stptd. Sie ©oefie mar
gunäd)ft ber SEetigion gemeiht; nnb hiev fd)Iof! fie fid) bem (^diltnd bed
©podo an, nnb biente bem fittlidfen (Jeifte beffetben, ber Stimmung nnb
(Jrhebnng bed (äiemiithed gn ihm. (J-d fonntcn in ben (Chören meniger bie
©hfvten ber (Jötter ergähU, atd ber Sinn, bie ©ebeiitnng ihred 25>efend,
unb bie ©mpfinbnng ber ©icnfchen andgefprodjen merben, bie fidi oer;
föhnnngdbebürftig, ober in banfbarer [yvenbe, bem ,'^eitigthum nahten" 7).
3n (Jried)en(anb — um mieber einem fetbftänbigeren [vorfdfer bad
©?ort gu geben — „gemnnn ber (prifd)=epifd)e 5tndbrnd bed religiöfcn
(Jefnhtd unb ber heiligen Sage ungmeifelhaft halb eine beftimmtc, auf
*) Arist. iMetaph. 2. c. 4. n. 12.
**) §ennamt Utrici, @efdjid}te ber .0)cUenildicn ®td}tfuuft (Scrlin 1835) 23b. 1.
2. 135. 70 f. 102 f.
[gnt '2Se)ent(ichcn bicfefbeu ©ebanfen fiuben fich bei (Sarricrc, 23b. 2. S. 2i).
(®t. 339.)
***) 3(u§füf)rtich haabelt non „ber alten nomifdjen Soefte" lUrici, in bem
eben citirten 'ffierfe, 23b. 2. 0. 149 — 189.
7) (Snrriere, ®b. 2. o. 110. (dit. 339.)
348 eigentliche S3obeu ber fd;önen Ä'ünfte nocl; bem 3e»snifle ber (Sefdhichte: ^
(Sitte unb ©ebraud) beru^henbe %oxm: uiib barauf grünbete fid), raie auf
einem fidieren, feften g'unbamente, eben fo unjroeifel^aft jene ättefte iBtüte
Ijeitiger i^riefter= unb ©uttugpoefie. ®er i|5rie[ter, al§ 3Sorfte!^er ber j
retigiöfen 3tnorbner ber Opfer, unb Stiiffeher ber §eitig= j
tl^ünter unb fieitigen ©ebrüudie, beroafirte bie Sitte unb bie §orm be§ i
fieitigen ©efangeä, unb aller mufifd}en ©ultu§; er orbnete |
unb leitete ifJoefie unb flRufif; er nerjeidinete bie rechte 2lrt i^re§ 2lu§= |
brudä, unb gab iljr bie paffcnben Söorte, raetdje ben ©öttern gefällig
nnb gene’hin fepn modjten. ©r inufde alfo felbft jum Oid)ter nnb Sänger |
raerben, bamit Sitte nnb ©ebraucl) nad) feftgeftetlter Sß>eife beobad)tet t
TDurbe: nnb ifsriefter unb Oiditer nerfdinioljen ju ©iner ißerfon.
„ippmnifdj, ben ©Ottern ,^u Üob unb Oanf, in Suft unb Seib
geroeiht, finb unjioeifelbaft überall bie erften 3lnfänge non ©^efang unb
Oidjtung; lujinnifd; mar bie ganje mptbifdje Urpoefie audh in ©rie(^en=
lanb ... ©ä roaren .ffn)mnen , bie nat^ u'^ter Olen§ iJtamen
auf Oelo§ fidj erhalten l)atten; .^pmnen, bie bem Orp^euä, fKufäuS
unb i]3ampljuä gugefi^rieben , unb non ben attifcben Spcomeben, ben be=
rüfnnten 9iadjfommen be§ ifSanbion nnb Spcuä, gefungen rourben. i^inbar,
3lefd)plu§ unb Slnbere rühmen balier ben Orp^eu§ als großen fUiufifer,
unb bejeidjnen feine if>oefie al§ ©rifd;, roeil fpäter bie fppmnenbidjtung
;\nr ©rifdjen '^'oefie im engeren Sinne ge^hörte. ilJfenanber nennt bie
meiften .^pinnen be§ Orpheus ,pl)pfifcb‘, roeil fie non ber fHatur (iphpp)
ber ©Otter fingen; unb 3triftibeS red^net Orpheus unb ÜUufäuS ju ben
alten i^pmnenbidjtern. ©umolpuS, ber Sohn ober ber 3Sater beS fXRufäuS,
fpäter meift atS ©rünber ber ©leufinifd^en 3Jfi)fterien berühmt, unb non
bem i|]rieftergefd)ted)te ber ©umolpiben als Stammnater nerehrt, roarb
ohne ebenfalls als Oichter hpronifiher ©efänge betrai^tet, roenn
ihn aiiä) Spätere ju ben nor^.^omerifchen ©pifern jählten*); baf3 er
berfelben i|?eriobe' unb berfetben ©iattung ber i]3oefie roie OrpheuS unb
ilJiufäuS angehörte, jeigt roenigftenS bie häufige 3ufuuimenftellung feines
9camenS mit ben beiben :f!eh.teren. iBon ifSamphuS, ber nat^ ber Orabition
ben 3lthenern bie ätteften fpipnnen bichtete, roirb auSbrüdlich eineS fppmnuS
auf Oemeter, eineS anbern auf ^^'ofeibon, unb eines brüten auf bie ©ha=
riten ermähnt. Ohne roaren aber auch feine ©iefänge auf SlrtemiS
unb auf ben ©roS, obroobl fie i|3aufaniaS ,©pen‘ nennt, nad) beffen eigener
i)i)ceinnng hpuinifch, bn jener auf ben ©roS, roie ijiaufaniaS ebenfalls be=
*) ®ie alte Sebeutung ber StugbrücEe „(Spo§" iinb „cpifcfi" ift eine roeitere,
nt§ jene, in roeldier biejelben fpäter gebrnud£)t rourben. 3tts „eptf^" bejeidinete
man otte Sichtungen in gteichmäpig forttaufenbem, nnronnbelbarem 33er§maabe,
jininenttid) be§ .perameters. 3'^ ben allerälteften 3eden rourbe jebe tpoefie epifch
genannt.
bie '^oefie, bie ®hifif imb bte ®ramatif bei ben fjeibnilc^eu Sötfeni. 349
ricf)tet, neben Orp^tfdjen non ben Sijcomeben gcfnngen ronrbe. 0(cn
unb '|3l)t(aninion enbüd), bte ^^?rie[terfänger be§ 3(podo:(JnItnö, evfd)einen
nic^^t nitnber fnft überall in ben 0agen nnb SBerid)ten ber ©päteren ald
.s^pmnenbicbtev
„.Ipalten mir feft an ben einfad)[ten , ülteften Gegriffen nnb
fteßnngen, fo ergibt fid) an§ Dlltem, bap jene ülteften i^riefter unb
©ünger, tueit entfernt oon ben fpüteren 'JtuSfc^roeifnngen pI^ilofopt)ifdjer
©rübelei, nnb mit ©ebeintniffen fpielenber ©icbtnng, meit entfernt uon
ben feltfnmen ©rjeugniffen einer nninberfüd)tigen ifibantafie, tnie uon ben
©rgüffen uerftecfter ©innlicbfeit nnb fctiroörmenben ©efidjlg, in ben ein=
fat^ften, aber früftigften nnb geiuattigften ©inpfinbnngen ber Önft nnb
be§ ©(^bmerjed, ber frenbigen IBeiunnbernng nnb be§ fnrditfnmen ©tannend,
müdjtig ergriffen uon ber gebeimnifiuollen 2lbnnng be§ llnenblidjen nnb
llnandfpred)lid)en, in ber ©rinnernng an iöorftellnngen, ©rabitionen nnb
©agen ber 3Säter bie ©ötter preifenb befangen, in f)pntnifd)cn,
lprifd):epifdfen ®iditnngeit ihren ©efüblen nnb 5^orfteltnngen 9®ort nnb
Dlndbrnd bnrd) lJ3itb nnb ©leidjitif? gaben, nnb fo bie 9^eligion sngleid)
nnb bie tf,'oefie ber i^;tellenen lueiter entmicfelten"
250. ©lap in ben SR>erfen bc§ ^^efiob nnb be§ i^'tomer bie gried)ifd)e
'f.^oefie ihre f}öd)fte iiollcnbung erreidfte, ift eine ©l)atfad)e, bie niemanb
mehr in ®^e i»ib bie Obpffee inäbefonbere , ba§
S5>erf be§ .'pomer, ift nad) lllrici baa ©ebiebt aller ©cbidjte, ba§ ^^beal,
bie 9torm nnb i)lid)tfd)nnr alter epifeben ''f.'oefie, bas Urepod, baS bie
'?tlten gn allen freiten nur mit ©b^'Ö>i'ü)t betraditetcn , nnb mit bem
böcbften l'obe überbnnften „^n ber .'pomerifd)en 'if.Hiefie'', b^ifli
bei ©arriere, „bat bad .saetlenentbnm feine ©timme für alle erbalten,
©ie tuarb fraft il}rer SBabrbeit nnb ©dfönbeit bie ©hmnblage ber gangen
fpüteren ©nltnr, ber ©icbtnng nid)t bloft, aiu^ ber bilbenben Ännft, and)
ber ©efdjicbte, and) ber uolfdtbümlid)en dleligion nnb Sebendmeidbeit . .
.©omer, lebrt '|4ato, l)nt gang .Saellad gebilbet. 25om .Saomer, fngten bie
3ltten felbft, finb alle fpüteren gropen ©eifter genül)rt, roie uom ©feanod
alle OueUen nnb ©tröme. ©in ©pigrnmm ber 3tntbotogie beumbrt feine
©eltnng bid beute;
3eitcn binnb unb 3eiten bimtn tönt eioig .©omevoa’
©ingigeS ?icb, ibtt frönt jeber olpntpifdje Ärnng;
l'angc fann unb fdjnf bic Dtntnr, nnb als fie gcfdinffcn,
3tnl)ete fic, unb fprnd): ©inen §omcrod ber Ü'clt.
3lld bie naturiuücbfige nnb gngleid) fünftlerifdfe ©oüenbnng bed ©pod
haben bie §outerifd)en ©lefünge eine allgemein menfd)lid)e Sebentnng, mie
*) lUrici, Sb. 1. ®. 135—140. 157 f. ((?it. 347.)
**) lUrici, Sb. 1. 176.
350 eigentüd^e SBoben ber fc^buen Ä'ünfte nad; bem ber @efd;id;te;
bas erfte S3uc^ 'äJiopjeä ober bie 5|5)a(men eine jolc^e in i^rer 2(rt gieii^=
faEs befi^en" "*0-
@eprt nun, loie alle frnl^eren ©r^eugniffe burd) bie [ie norbereitet
rourbe, aud^ biefe ebelfte unb loevt^noUfte ^ru^t bem SSoben be§ reli=
giüfen Sebenä an? Söäre es anberS, bann ptte ja §erobot, roie mir
fi^on prten (©. 346), nmnöglic^ jagen fönnen, bajj §omer unb .^pefiob
ben @ried}en ilire 3;^eogonie, il)re ße^re non ben ©öttern gegeben l^ätten.
SDie epijc^e i|5oejie beS §omer bringt, „inbem jie bie ootfStf)ümIid)en
ipelbenlieber nereinigt, aud^ bie ©ötter ber einzelnen jbreije gujammen,
unb orbnet jie ju ©iner jyamilie, bereu §aupt ber @ine ^immelSgotl
ber Urjeit bleibt. 2BaS ipomer non ben Ülipt^en aujnimmt, baS mirb
baburdf) ©emeingnt; mie er bie einzelnen ©ötter auj ©runblage ber
Ueberliejernng cbaracterijirt, baS bilbet roieberum ben SluSgangSpunft jür
bie nai^fommenben Sidjter unb tpiajtifer. ®ie grojje Sßa^r^eit non einem
35>alten ber iBorjeljung, non einer Seitung ber menjdl)lic^en Singe burcl)
©Ott, neranjc^aulidjt er burd) bie Sl)eilnol)me tnelcbe bie ©ötter jür bie
i)]ienjd)en ojjenbaren, unb burd) bas ©inrairfen ber l)immlij^en iBiäi^te
auj bie ?lngelegen^eiten ber ©rbe. ©r erjinbet ben ©tojj nicl)t, bie ^pelben
unb il)re Saaten jo roenig inie bie ©iötter; aber er gibt i^m eine lunjtootl
jd)öne ©iejtalt mit frei jormenber Sicl)terfra jt , bie ans ber bem ©inen
unb gleid)en SolfSgeijt entjprungenen 3.fiell)eit ein l)armonijcl)eS ©angeS
bilbet . . Sie alte Ütaturbebeiitung ber ©ötter trat im ©poS in ben .^mnter=
grunb, baS Sßalten berjelben über ben iDtenjd^en, bie SluSprügung il)rer
geijtigen ©igenjc^ajten roarb baS v*pauptjäd)lid)e ; jie mürben bie S^eale,
bie Uf: unb 33orbilber beS jittlidfen unb gejd)id)tlid) jortjd)reitenben SebenS.
Sieje ©ejtalten, jagt aucf) ©c^elting, entjtel)en nict)t burd) ')ßoejie, jonbern
jie nerflären jid) in ^4^oejie; bie fj.'Oejie jelbjt entjtel)t erjt mit i^nen unb
in il)uen"** ).
Äurj, „jolange bie gried)ijd)e Dieligion inirflidlieS Seben ^atte, maren
bie Sid)ter bie irüger unb 33ilbner ber iUipt^en, bie Solmetj(^er beS
i'olfeS jür ©ebet, ßob unb Sanfjagung .... Unb bie .!pomerijdf)en Sid)=
tungcn enthalten nid)t nur bie ©Tjtlinge jcl)rijtlid)er Xrabition, jonbern
jie galten ben ©ried)en aucf) jür ben £anon religiöjer 25fal)rl^eit, ober boc^
jür baS .'pauptmittel religiöjer 33ilbung" ***). Ojjenbar fann es nur in
biejem ©inne gemeint jepn, raenn ©d)elling ben öpomer „bie rounberDotljte
©rjd)einung beS 2tttertl)umS" nennt, „ben ÜJiejjiaS beS .<peibentl)umS, boS
jid) in il)in oollenbe", unb roieberum ©arriere bie ©ejünge biejeS Sid^terS
als baS „©n’unbbu(^ ober bie fBibel ber Ifellenij^en ©ultur" bejei(^net.
*) Oarrieve, S8b. 2. ©. 67. (Git. 339.)
**) Gorriere, ®b. 2. ©. 76 f. tDtan nergleid;e auc^ @. 62. 64 f.
.g>i)'t.=poI. Blätter, Sb. 30. ©. 218. 222.
bie *Poefie, bie 3Jiufif unb bie Sranmtif bei ben ^eibnifc^en 3]i3Itern. 351
251. 33on ber kjieljunggraeife üom ©efange, bev fic^ mit
natürlidjer tllot^menbigfeit an bie retigiöfe Id^rif immer anfdjtiejst, mar
in ber nortel^ten dtnmmer bereits bie diebe. 2öir lafjen nur nod) jroei
3engni]je fotgen. ,,©ie iöiniif", beridjtet (Karriere, „bie iSüinf at§ 6r;
jie^nngSmittet mar" in bjellaS, in ber ötteften in ber fpäteren,
„in untrennbarer SSerbinbung mit ©ottesbienft nnb i|3oe[ie. Serfe reli=
giöfen nnb [ittlid)en ^Ji^ottS mnrben in einfad) eblen Söeifen gefangen,
unb babnr(^ ber ©mpfinbnng eingeprägt, babur(^ bie 33emegnng beS
©emütljS an einen rnf)igen mad)tuoIIen @ang gemö^nt" *). Sldgemeiner
fprid)t biefelbe 3:^atfad)e ßafnnlp auS. „5Die ^Jtnfif bilbet in bem ßnttnS
alter :^iftorifd)en 33ölfer ju alten Stnbeginn bi§ tjeute, einen
mefenttid)en 33eftanbt^eit ber @ütte§neref)rung. 25>ie bei bem ©öttercnltnS
ber ätegpptier, '^erfer, ^pmnen, bei bem ©otteSbienfte ber Hebräer
ifjfatmen gefangen mnrben, nnb jebe Opfertjanblnng non ©efang, ßpnn
beln unb ©aitenfpiet begleitet mar: fo mar and) im §ettenifc^en (JultnS
Sempelmnfif bnrd) ©änger nnb ©ängerinnen, §arfner, f^lötenfpieter unb
Trompeter allgemein üblid), nnb man barf annefnnen, baff feber gröffere
Tempel feine mnficatifdfe Kapelle gehabt l)abe" **').
252. 2Bn§ jnle^t bie bramntifc^e jTunft betrifft, fo ift bie !^ellenifd)e
S;ragöbie „befanntlic^ Ijernorgegangen an§ ben fffeften be§ ©)ionpfoS, in
meieren bie Seiben biefeS ©otteS gefeiert mnrben; gnnj, mie jmei
tanfenbe fpäter bie 'Xragöbie ber d)riftlid)en ißölfer anS bem geiftlid)en
®rama, ben '^affionsfpielen ber Seiben§gefd)id)te 61)rifti entftanben ift.
©ie nalnn bal)er i^ren 3n^)ail jumeift an§ ben ©öttermpt^en nnb .S^elbem
jagen" ***). ©>aS il:l)eater felbft mar immer einem ©otte gemeint, meiftenS
bem eben oon fiafantp genannten ©ionpfoS (33acd)uS) ; in ber '3}titte be§
für ben (Eljor beftimmten dianmeS er^ob fid) ber 31ttar (©^pmele) beS
©otteS. ©er (Sl)or bemegte fid) im Flamen beS 3Solfe§, ba§ er uertrat,
mit religiöfen ©efängen in entfpred)enben lRl)i)tl)men um ben 511tar; nad)
IBeenbignng ber bramatifdjen ©arftetlung aber ftiegen in SXtfien bie jel)n
©trategen ju bemfelben l)inauf, nm mit ©ebet unb SBei^e baS ©rnnf:
Opfer auSäugiejfen f).
„2Bie man", fd^reibt in ooller Ilebereinftimmiing l)iermit ©arriere,
jur 36tt iperferf'riege „in ber ©iefd)id)te felbft ben ©turj beS Ueber=
mut^S nnb ben ©ieg bes befonnenen freien ©eifteS erfal)ren, fo marb
*) Sarriere, Sb. 2. ©. 126. (dit. 339.)
**) Safautv, ©. 125 f. (dit. 338.)
***) Safautr, ©. 181.
t) ©upt unb tloner, ®n§ Seben ber ®ried)en unb Stömer (Sevtiu 1876,
4. Stuft.) ©. 138 ff. Sübfe, @efd)icE)te ber Strcpitectur (SeipjiG 1870, 4. Stuft.)
©. 109. ®anj, Stefct)ptu§’ Sraucrfpiete (SeipjiS 1808) Sb. 2. ©. IV.
352 eigenUtc^e ©oben bcv fi^öuen fünfte nad; bem 3eugniiie ber @efd;id;te :
nun'' buri^ ba§ S)rama „in ber Jbunft bie götttid^e ©ered^tigfeit , bie
'üJladjt ber fitllidjen SBeltorbnung uer^errlic^t. ®te S)id^ter roaren roieber
bie Se^^rer beä 3SoIfe§, ba§ non i^nen ben in noltenbenber ©urd^=
bübung, ba§ in jinn[d^roeren SBorten ber 9®ei§^eit bie Sinleitung ^ur
Betrachtung ber menfchlichen ©efchicEe im Sichte ber Borfehung, bie
nung jur iJBö^ignng, jur gottegfnrchtigen Befonnenheit empfing . . . .
®a§ ®rama mar unb blieb" and) ju ber 3^^^ ©ophocteg „eine
religtöfe nnb öffenttidje Bngetegenheit ; . . . e§ mar ein
gottedbienftlidjen f^efteä, nnb fo erfcfiienen auch ©d^aufpieler
in f^'eierfteibern , in tangraatlenben, purpur= unb golbftrahtenben ©eroäm
bern. ©ötter nnb iberoen barftedenb, foUten fie größer benn bie Bien-
fdhen erfdheinen; barum fdhritten fie auf ben erhöhten ©ohien be§ ©o=
thurnS einher, nnb ber i^aarfdjmndt überragte ba§ §aupt" *).
©0 üoltenbeten bie Bragifer ba§ SBerf, ba§ niete ^ah^'hunberte uor
ihnen bie ©ichter ber i^pmnen unb bie ©pifer begonnen hatten, bie 2tug=
bitbnug ber religiöfen Bnfdjnunngen. „3ct>em Unbefangenen brängt fid;
nnabmeigbar bie Beobadjtung auf, ba^ bie intettectuelte , fitttiche unb
religiöfe ©ntroicfeinng ber @ried)en in fchönfter i^armonie erfotgte, unb
immer fi^önere Blüten trieb, bis bie natürlidje Jlraft be§ Botfeg fich
ausgetebt hatte nnb ihrem Untergange entgegeneitte. Bon §omer unb
tgefiob, non Bheognig unb Sttcaug ju i]3tnbar, Befi^ptug, ©ophocleg,
roerben bie ©ottergeftalten immer reiner nnb ebter, tritt bie i^erfon beg
3eng immer bebeutfamer unb erhabener nor aden übrigen het'DOi': unb
in gleichem ÜJtaage alg ber Begriff ber ©ottheit fich läutert, nerflärt fich
auch öie ber göttlidjen Borfebung, unb fchroinbet auch öie h^i-'öe
©iffonanj jroifdjen bem freien göttlidhen Slöatten unb bem nothraenbigen
©ange beg ,©(hidfalg‘" **).
§. 4.
pic |'(höncn e^ünftc ßci ben Sfroefiten unb ben (hnftfichen ^öfftern.
353. 3)ie gried)ifd)e Beligion mit ihrer gefammten SJtpthotogie inar
fo inenig, roie irgenb eine anbere Beligion, bag ©rjeugni^ ber Beflepion
nnb fünftlidhen Bered)nung, fonbern Offenbarung: freiti(h nicht bie reine,
unmittelbare Offenbarung ber eroigen SlBahrheit, fonbern bie. auf bem
Boben ber Uroffenbarnng erroadjfene, unter theilS göttlicher theilg bämo=
nifdjer ©inroirfung, foroie unter ber üdadU gefdjidjtlidher unb natürlicher
©inflüffe entroidelte Sehre oon ©ott unb ber Söelt. ©oraie bie griedhifche
*) (Sarriere, Sb. 2. 228. 232. 236. (Sit. 339.)
**) .'pift.=pot. Stätter, Sb. 30. ®. 428.
bie fc^öuen JÜinfte bei ben iinb ben tf)riftlidf;en ißölfeni. 353
j?imit nicfit nur ein ^>öd)fte§ in il^rev 3Irt barfteüt, fonbern in einzelnen
i^rer 'ad)öpfungen in eine anbere, ^öberc @ppve ^inüberreid^t, [o enthält
and) bie gried)ifc^e ^Religion mandie i}tnfiänge an bie ü6ernatnrüd)e 2®a^v=
^eit, manche Spuren ber roa!^ren @otte§nereI)rnng. St. 'i)i>tär=
tprer ^at gefngt: „^^ne unter ben .<^eiben, bie bein Öogü§ nacblebten,
roaren (J^riften: roie Socrateä, ^^ernctit, unb anbere il^nen 5tef)n(id)e."
Sa§ mit! fagen: ber Sogo§, }ene§ 25>ort ine(d)e§ nad^ bem ©nnngetium
Don 9fnfang roar, immer unb überall auf ben iDJenf^engeift roirfte, nnb
jeben ber i^m nic^t miberftrebte, jur .Rinbid^aft ®otte§ befäfjigte, — @r
^at in ben ebetften unb genintften 'IRännern non .*petla§ bereitroitlige
3[nfna!^me nnb einen frndjtbaren Soben gefunben; nnb feine unerfd)öpf;
liebe Äraft ift e§, bie fid) in allen glorreidjen d-rfd)einnngen be§ griedii=
f^en Seben§ ermeifet. 2Sol)( l^nben and) bie @ried)en bn§ (Sbenbilb
@otte§ feine§roeg§ rein nnb nnentftellt bemaf)rt; aber fie l^aben eg treuer
beroabrt, atg alle anberen Golfer; unb eben bnbnrci^ befapen fie eine
größere (f'mpfänglid)feit für bag fort nnb fort ber Ü)Jenfc^l)eit jnftrömenbe
göttliche Sidjt, nnb roaren jngleid) eineg roirffameren Sdntüeg tbeilliaftig
gegen bie ©nroirfnngen ber bnmonifdien iD^ndite ■'')•
Siegt in biefer Sb‘^tfacl)e , roenn nueb nidft ber einjige @rnnb,
bod] o^ne oorjüglid]fte SRoment ,;;nr (frflärnng ber anberen
roel(be febermann fennt, baf? nnmlid) nirgenbg im .fbeibentbnm fiel) bie
febbnen Äünfte 51t fo ®lüte entfaltet b«ben, roie bei ben .*oellenen;
fo müffen roir offenbar notbroenbig eine nid)t minber glücflid]e (imtfaltung,
einen noch bebentenberen '3lnffd)ronng , nnb jroar an erfter Steife auf
bem @ebiete ber religiöfen fünfte, bort erroarten, roo bie Uroffenbarnng
in ihrer oollen iReinbeit feftgeljalten ronrbe, nnb bie (f'rfenntnif! beg
roabren @otteg nie oerloren ging. Unb biefe ©rroartiing finbet in ben
tbatfncblid)en (f'rfdjeinnngen if)re ooUe 3?eftätignng.
“254. „®amit man", fprid)t fyenelon in bem britten feiner „Siafoge
über bie 9?erebtf amfeit" 511 feinen ,^roei f^rennben, „bamit man bie ora=
torifeben nnb poetifd^en 'UorUige ber Sebrift ^n empfinben im
Staube fep, bajn ift nid)tg bienlidjer, nlg bap man feinen ©efdimaef an
ber (vinfnd)beit beg Slltertbnmg bilbe; namenttid) bie Seetüre ber alten
gried)ifd)en Sdjriftfteller ift in biefer iRücffid)t febr 511 empfebten. 3*^)
fage, ber alten; beim jene @vied)en roelcbe bei ben fRömern mit ©rnnb
alleg 'Rnfeben oerloren bitten, nnb uon ihnen Graeadi genannt ronrben,
roaren oollftünbig entartet. StSie idf geftern fagte, man
muf5 ben .viomer, ben ben Xenopbon nnb bie übrigen alten (SlaR
iifer fennen. Sann roirb man fid) oon ber SfSeife ber Sd)rift nidjt mefjr
überrafd)t finben; beim eg finb faft biefelben Uigentbümlidjfeiten , ber
*) 2?g(. .p)ift.=poI. Slätter, 3?b. 30. o. 218 — 220.
Oiitigmonn, Sleftfjctit. 2. 21ufl.
23
354 Ser eigentlid^e ®oben ber fronen Ä'ünfte nad; bem 3eugnifie ber @efc^id;te:
glei(^e 3;on ber (iTjä^Iung, bie nämUdjen 33übev für gro[3e (Srf(^eimingeit,
biefelben ©efü^Ie, beneu man barin begegnet. ®er Unterfd^ieb ber jroi:
fc|en beiben ^ernortritt, fällt ganj jum ißort^eil ber i^eiligen ©c^rift aus.
©ie übertrifft unenblid) ineit aHe (Slaffifer an iHatürlii^feit unb ©infalt,
an Sebenbigfeit ber ©arftellung , an großartiger @rl)abenl)eit. iJiiemals
ift felbft §omer ber ©roßartigfeit ber ©efänge beg ÜJforifes na^egefommen,
namentlicl) be§ leßien*), ben alle ifraelitifdien Äinber auäinenbiglernen
mufsten. Üfientalä eine gried)ifcl)e ober lateinif(^e Obe bie @r^aben=
ßeit ber i^falmen erreii^t. ^^ner i^falnt j. 23., roeld)er anfängt: ,@ott
über bie ©ötter, ^e^ooa rebet, unb ruft ber ©rbe‘, ge!^t meit über alle
menfcßlidje 23orftellung !^inau§. ?fie ßat ^omer, no^ irgenb ein anberer
®id)ter, e§ bem gleic^get§an , roenn biefer bie üftafeftüt ©ottes
fdjilbert, in beffen 2lugen bie IReidje ber ©rbe nur roie ein ©anbf'orn
finb, unb bas 2Beltall roie ein man Ijeute auffcl)lägt, um es
morgen roieber abjubref^en **). 23atb ßat biefer i|3ropl)et bie oolle jarte
S5?ei(^ljeit ber ©flöge, roie ba, roo er bie ladjenben 23ilber beS 3'i^iebenS
malt***); unb bann fteigt er roieber fo ^oct), baß er 2llleS unter feinen
^üßen läßt. 2Beld)e l'eiftung beS profanen 2lltertl)nmS ferner läßt fid)
mit ber rü^renben .JUage beS ^^remiaS über bas Unglüd feineS 23olfeS
in 25ergleic^ bringen f), ober mit bem ©efid)te in roel(^em iRalium" (2. 3)
„bas ftolje Sfinioe bem Slnftürmen eines ja^llofen ÄriegSßeereS erliegen
fiebt? ©S ift als ob man baS 3^eer felbft fäl)e, alS ob man baS ©etöfe
ber 2Baffen unb ber ©treitroagen roirfli^ oernäbme: Silles ift mit jener
Sebenbigfeit gejeic^net, roeldje bie ©inbilbnngSfraft fortreißt. Oer if3ro=
pßet läßt ben §omer roeit ßinter fidj jnrüd. Ober lefen ©ie bei Oaniel"
(Äap. 5) „bie ©teile, roo er bem 23altaffar baS ©trafgericbt ©otteS
nertünbigt, baS fofort über i^n ßereinbrei^en foll: unb geigen ©ie mir
bann in ben großartigften ©diöpfungen bes StltertbumS etroaS, baS fii^
mit foldien ©teilen nergleifben ließe.
„Sajn fommt, baß bie Oarftellung in ber lieiligen ©(^rift immer
üoUfommen angemeffen erfcßeint: überall ^errfdjt ber rechte Oon, in ber
©rjältlung, in ben ins ©injelne gel^enben 2Sorfd)riften ber ©efeße, in ber
Sefdjreibung, in ben patßetifdjen 2lbfd)iütten, in ber SSerfünbigung ber
©^el)eimniffe, in ben ©rmaßnnngen für baS et^ifd)e Seben. Änrj, ber
Unterfc^ieb jroifdien ben iprop^eten unb ben profanen Oid)tern ift eben
fo groß, roie jroifdien bem magren ©ntbufiaSmiis unb bem falfc^en. Oie
einen erfdjeinen in 2t>al)rl)eit begeiftert, nub mau empfinbet bei ißnen
*) 5. bJlopi. 32.
**) 3ß dO, 15—17. 24, 1. 19. 20.
***) 3). 11, 6—8.
f) 3t'i. 9, unb in ben „Ätagetiebern".
bie fcfjönen Äünfte bei ben ^fi'oeliteii unb beii d;viftlid^en Sölfern. 355
xinoerfeunOar etiuaä ©öttUc^eS; an ben anbern, tnbem fie ftc^ anftvengen
fii^ über ficf) felbft ju ergeben, bieibt jeberjeit bie meni'd)Ud^e ©rf)n)äd}e
jid^tbav. ütur in bem jiueiten 33u(^e ber i)JJad)abäev, im 23ud)e bev
ST'eisIjeit nnmentiid) gegen ba§ @nbe, nnb in bem ®nd)e ©irac^ uorjngS;
Töeije im Stnfange, treten ©puren iener ©c^ronfftigfeit be§ ©tpt§ ^^eroor,
meldie bie ©riedjen, bamalg fc^on im Serfntl, im Orient oerbreiteten,
nadjbem bort mit ü^ren SSaffen and) i^re ©prac^e jur .*perrfdjaft gelangt
mar. Ooc^ e§ i[t eine nergebtid)e 5lrbeit, bieje Oinge bnrdj üöorte
jemanben jnm 'Serftänbnip bringen jii motten: man nutp fie fetber tefen,
menn man fie fügten mit!" *).
„Oie tf3efd)id)te bes l'o löftt fid) ein jmeiter, gteidjfattä nutbem
tifdber 321^9^ oernebmen, „ift eine Oarftettnng, bie and) nur atd folcbe
nnb nad) einem btof) irbifd)en .flnnftfinne betradjtet, jn bem (Sigentbüm:
tid)ften nnb ©rbabenften geljört, mag ang ber i^'onnelt übrig gebtieben
ift. dtid)t mehr ganj in bag üJcofaifcbe ©ebeimni^ gebi'^^0 beutlid)er,
fprid)t fid) bie ben A^ebrüern eigene unb ibnen aimertraute bbb*^^'^
fenntnip unb ©otteganficbt nug in ben ©efängen Oanibg, ben ©innbilbern
©atomong, unb ben üöeiffngungen beg einem ©tanj unb
einer Abot)eit, bie, und) nur a(g ifJoefie benrtbeitt, 23emnnbernng erregt,
nnb über aCten Oergteidf erf)aben, febe fcbmäbenbe 3lnfeinbung bnrnieber;
fd)tägt: eine fyenerqnette göttlid)er ißcgeifterung , ang meldfer bie größten
Oi(^ter and) ber neueren , big auf nufere 3^ft 1'^ ihrem fübnften
?tuffd)mnng ermntbigt baben“ **).
255. (5in,^elne Sefer biefeg 23nd)eg — niete fotd)er ©efinnnng bürfte
eg faum finben — tonnten bie 3»ue^’tÄfpgfeit ber jmei aufgefübrten 3^i^9^*^
in jiet)en geneigt fepn, infofern beibe gn ben „Ultramontanen"
gegübtt merben. @rof)entt)eitg gerabe biefer 9tücffid)t megen bdt>2 idb in
ben Dorbergebenben iparngrapben norgnggmeife 3}tänner reben taffen, meld)e
ber ®erbad)t beg Ultramontanigmng nid)t treffen fann; unb eben barnm
mögen bie Ütämtid)en and) an biefer ©teile )oieber bag Söort bobw.
ü3iorig Karriere begeid)net bag 33nd) 3öb, non bem mir eben fifriebrid)
non ©d)teget reben börtcn, atg „bag berrlicbfte Alnnftmerf beg bebrüifcben
©eifteg". „3d) ftetje nidft an," fnt)rt er fort, „ben 3ob mit ©u]'tan
33anr bag gröf?te ©ebi(^t non fpecififd) retigiöfem .^nb^^tt norcbrift:
li^er 3eit ebenfo gn nennen, )nie ,bie göttticb« Uomöbie‘ bag gröpte ber
d)rifttidben Ül'ett ift" ***').
©inige ©eiten früher aber fd)reibt berfetbe ©jetebrte alfo. „Vprif,
*) Fdnelon , Dialogues sur l’eloquence , 3. (6d. Delzons, Paris 1861)
p. 103 SS.
’'*) g. 3cf)tegel, 4. Siorlefung, 33b. 1. S. 112. (6it. 345.)
***) (Sarriere, 33b. 1. 330. ((5it. 339.)
23
356 eigentliche sgoben ber fchönen Äiinfte nach ©efchichte;
fubjectiDe '^oe[te, i[t ber ©runbton be§ .^ebräerthumä auf bem ©ebiete
ber Il'unft. ©ie begleitet e§ uon feinen Urfprüngen an; unb bie i]ßfat=
men geben unä nid)t fomoh^ ©efühtSergüffe unb ißefenntniffe eine§
einjduen ®id)terg unb Äönigä, alä bie i^erjen§= unb ©eiftesgefchiifite
eine§ priefterlidben 3Solfeä' im ßaufe nieter ^ahrfiunberte*). Unb im
geroattigen 2lu§brud be§ ©ottnertraueng , raie beä ©ünbenfchmerjeg unb
ber ©ehnfucht nad) SSerfötinung, in ber Slnerfennung be§ eroigen ©runbeg
unb 1^01^ ödem dRufter reügiöfer i^oefie
bag in feiner claffifchen ©rö^e für immer baftefit, unb burch
bie ^ahrtaufenbe feine gemütfierfchütternbe roie feine troftnerteihenbe ^raft
unb ^errtidjfeit beraührt hat unb beroäf)ren roirb" **).
©arriere rebet in biefen SBorten non ben Seiftungen ber ifJoefie bei
ben ^fraeliten mit um ni^tg geringerer dnerfennung, atg früher f^eneton
unb ^-riebridh non ©thteget. Unb gerabe fo äußert fid^ fd)liefili(^ auch
©art ©d)uaafe, ba er „beg 9ieid)thumg ber hebräifcheu ifJoefie" gebenft.
„SBetdhe fon Silbern jeigt fich 2Sie lebenbig ift bag ©efüht
beg ifjfatmiften, ber 'Propheten, für alte ©rfiheinungen ber iJiatur, für
bag 2Beite, ©rofee, ©rhabene, Seuchtenbe, unb bann roieber für bag Äleine
unb 3*^de, ober für bag ©unfte unb ©diredenbe! SBie frnftig unb
erfdjütternb malen fie bie ©erichte beg göttlichen 3^^f^örung,
ben 3ug ber mächtigen .^eerfi^aaren, bas ©etöfe oon iReitern unb SBogen^
*) 6§ ift faft, a(§ ob (Sarriere nicht bnran Pachte, ba^ bie 150 ipfalmen ja
fcine§roeg§ inSgefammt ben „einjetnen Sichter nnb Äonig" Sanib jnin SSerfaffer
haben, jonbcrn loirftiih nerfchiebenen ißerfaffern au§ oerfchiebenen ^^^b’^lu^i^berten
angehören.
**) (äarricre, 3?b. 1. ©. 297. (®t. 339.)
g-ür Sefer benen (Sarriere’g IRichtung nnbefannt ift, mag hier eine furje ©teile
an§ bem ©(htnhartifet be§ lepten ißanbeg feineg Jßerfeg iptap finben; ber befonbere
Sitel be§ S3anbe§ tautet: „®a§ SBeltalter be§ 6kifte§ im Slufgange." Sort rebet
(larriere folgenbermnhen. „iflreuheng Jbönig" (griebrich Söithelm IV.) „bemüthigte
fich Srr Otmüp nor Oefterreidh , nnb nerbünbete fid; mit bem ipfaffenthum , al§ ob
ba§ bie ©tüpe be§ Sh’^°»r§ unb ber Crbnung märe, nnb nidht fetber hrrrfchen
roollte. 2tber nncrmüblich blieb ber nationale (Sebanfe an ber Slrbeit . . . Unb al§
nun ber geiftlidje unb roelttiihe Se§poti§mn§ an ber Siber nnb an ber ©eine bem
bentfd)en Sßolte an 6inem Sage ben Ärieg erllärte, bie ©elbftänbigfeit unferS @eifte§,
bie 2lnfrid}tung nnfer§ 93unbe§ftaat§ nicht bntben, oietmehr über bie jerftürften unb
gebeugten ©lieber Seutfchlanbä ein frembeg goch legen roollte: ba ftanben alle
©tämme einmnthig äufammen, aller iparteihaber roar oergeffen, opferfreubig fepten
fie ©nt nnb 531nt an ©h'^r> 9Urht unb greiheit; unter ber S[Bud)t ipreS 2lrme§ brach
ber ©djroinbetbnu jnfammen ben 9tapo(eon III. errid;tet, unb roie ihm fo fiel auch
ipin§ IX. bie roettti^e Ärone nom ,§nupt, al§ er eben fich götttid;e Unfehlbarfeit
angemapt haUr- ®a ging bnrch ba§ ganje Ißolf bas erhebenbe ©efühl: bas ift
fein Brüotd baS ift ein ©otteSgeridjt , hier h^öen geiftige IPfäihte geroattet, baS ift
ein ©ieg ber göttlidhen SBeltorbnnng." Karriere, 33b. 5. (Seipüg 1873) ©. 666 f.
bie i'c^önen fünfte bei ben unb ben c^riftlic^en SSoIfern. 357
bie (J'iuiainfeit unb 3^eröbung ber ueriüd^tetcn 0täbte! 2Öie fveunblidf)
unb lieblid) fiub bie 23tlber bes gricbmS unb be§ ©tücfä ! Uuoergleid^üdö
finb biei'e 0änger in ber @abe, mit ©nem 3^3^ 3?tlb not
nufere 0eele jn [teilen, unerfd)öpftid) in immer neuen 2Serg(eid)en ; fie
nerftefien Sittel, ifjflanjen unb il)iere, ^^mgfran unb ®rei§; in ben
jarteften Sejie^nngen miffen fie bn§ (5f)aracteriftifd)e anfjufinben. 0ie
burdjfd)anen bie Statur Ins in baS unb befit^en bie SOtad^t, baS
node Seien ber ®inge nuferer 0ee(e noi'tntanbern" *).
250. 3'^ 9tiidfid)t auf bie üord}riftIid)en 25ölfer ftänbe eS nad) bem
Ijier unb im norigen ''^taragrapljen @efagten roobl ^inlänglid) feft, baf;
eS bnrd)anS ber Soben beS religiöfen SebenS ift, auf raelc^em bie
%'oefie, unb mit il)r bie SStnfif, fidf entmidelt unb d)fer I)öd)ften 23lüte
entfaltet I)at. 0ritt nun biefelbe (?'rfd)einnng ondi bei ben d)rift(id)en
2.'ölfern roieber I}eri)or?
0rnft üon Safnnir bejnbt biefe fyrnge. „©enfetben @ntmidetungS=
gang" mie im Slltertlnim , „I)at bie ''^'oefie bei ben diriftlid)en 95ötfcrn
beS SIbenblanbeS genommen; beim an^ bei i^nen finben fidf jnerft
religiöfe ird)en lieber, bann epifd^e .vielbenlieber unb lprifd)e
Siebeslieber, unb nad]bem baS nationale Seben ooUftänbig entmidelt unb
fein v'pöbepnntt überfcbritten mar, feit bem Dier,^el)uten 3‘i^i^^iwbert gnerft
baS geiftlid)e, bann baS meltlidfe 0ramn" ** ***)).
Slber mir tonnen bie pf^mge einfüd)er nnb gngleidj entfd)eibenber
benntmorten, inbem mir auf bie litnrgifdjen 23ii(^er ber Jl'ircl)e nermeifen,
baS SStepbud), baS tBreoier nnb baS 'ftontificale. ®ort ftnbire nnb be=
trndite man bie für bie 5Seibe eines ©otteSlfaufeS, für bie (Sonfecrntion
eines 23ifd)ofS, für bie if>rieftermeibe norgefdjriebenen @efänge; bie „3m=
properien" ber ^l^arfreitagSlitnrgie, ben Oftergefang beS ®iaconS am
tSbarfamStag , bie 'if.'^'ÄTödonen für ÜSeibnadjten, Oftern, ipfingften,
baS ©reifaltigfeitfeft. für bie f^efte ber SJtntter beS ^^errn nnb für jene ber
SIpoftel; bie „0egnengen" ber SSteffen für fyronleicbnnm f), 'ftfingftenff),
Cftern 777) , baS fyeft ber 0cf)mergen SJtarin, nnb für bie 0obteii;
*) 5cf)naaic, S3b. 1. 235. ((Sit. 18.)
**) Üaiaulr, $. 176. ((Sit. 338.)
***) „Exultet iani angelica turba coelorum . .
t) „Selb ft ein ®d)olaftitcr mie 'il)omn§ non 9lqiiino (sicj ruft jm' Siebe§=
feiet be§ (SrIöferS in prad;tuolIen 'Strophen auf; Lauda Sion Salvatorem.“ ®o
fc^reibt über biefe allerbingä „pracf)tüolIe" Scqnenä „felbft" ein nioberner 9teftbetifer
roie IPionä (Sarriere, 53b. 3. 9lbtl)eilung 2. ®. 265. ((Sit. 339.)
ff) Veni Sande Spiritus, Don bem Äönige Ptobevt non granfveid), geft. 1031.
fff) Victimae imschali laudes. 5ll§ ben 53erfaffer biefer Seqnenj bejeidbnen
bie ©inen ben ^eiligen 53etrn§ ®amiann§, geft. 1072, bie Plnberen 5öipo, Äaplan
©onrabS II., ber gleicbfnllg bem 11. 3“brinmbert angef)ört.
358 eigentlid;e ißoben ber fdjönen fünfte nad; bem ^^ugniife ber ®efd^id;te:
tneffe*); bte ^^mnen: für ba§ ^fingftfeft, Veni Creator Sjnritus**'),
für bte ^affionäjeit , Vexilla Regis unb Range lingua ***) , auf ben
fettigen ^ofianneg Saptifta, üt qneant laxisf), auf bie fieiligfte Sung-
frau, Ave maris Stella ^f), uub bie uut)ergleic^lid)en ©efäuge beg '^eiUgeit
3;f|0tna§ Dou Slquiu auf bag aüerfieiligfte ©acratuent, Sacris solemniis^
Verhum supernum, Fange lingua, Adoro te fff). SDtefe ©d)öpfuugen
ber (^rifttid)=reUgiöfen i]3oefie, fageu luir, lefe, betradjte, oerftel^e maU;.
pre man nou tüchtig gefdiuiteu (Jpren nortrageu; unb bann nenne
man, non ber ptligen ©cbrift abgefepn, bag ©rjeugnift ber profanen
£)id)tfunft alter, mittlerer ober neuefter ^eit, inel^eg fid), nid^t ipen
gleic^fteHen, fonbern mit i^nen au^ nur nergleic^eu liejfe.
257. .^erber, ber beutle (flaffifer, ftaub uie in bem IRufe ü£ier=
groffer Segeifternng für bie d^riftlicfie IReligiou; barnm foll ^ier eine
©teile folgen, in tnelc^er er fein Urtpil über beu S®ert^ ber in IRebe
ftepnben poetifdien Seiftungen auggefproc^eu pt.
„3ln ber Sffiirfung bie bag ßpiftentpm auf bie ©Uten ber SSelt
gepbt pt, nimmt aud) fein gropg 2Serfjeug 2;pit, bag Sieb; nnr gep
aud^ per bie jtraft beg .^immclg füll unb nerborgen einpr. ®ie Söirfung
feiner if^oefie ift nielleicl)t nerfannter alg biefe: unb boc^ gep fie auf
ben befteu, treuefteu S:pil ber SJlenfdipit , unb bag nicl)t feiten fonbern
töglid), ni(^t über ©leid^gültigfeiten , fonbern eben bei ben brüd'enbften
Umftanben am meiften, ba i^m .fbülfe uottpit. piligen ^pmnen
*) «®iu dou £obi ftetite fid} mit DJlaria unter ba§ Äreuj, unb fang
ba§ b^rrltdte Stabat mater , u)äf)rcnb 3;pma§ uon Selano ben Jag be§
(Dies irae) „be§ @eri(^te§ b^ranfommen faf), ber bie üBett ju 3lfd)e macht, roo bie
@räber fid) auftfiun, unb 3tde§ offenbar roirb nor bem 3tuge be§ §errn. Unb ein
tpateftrina t)<ti bie burd; bie ^“h’^puberte fortflingenbe iölufif biefer ©efüble in
feine reine Jonfpradhe überfept, unb bie IPtetobien entbunben bie f)ier fd;[ummerten,
aber fc^on bie |>eräen ber Jidhter betoegt batten." ©o abermaB (Sarriere, 3, 2.
©. 265. (6it. 339.)
^acopoue oon Jobi (^acobug be 33enebicti§) ftarb 1306 ; Jbtuuas non 6e(ani>
um bie DJtitte be§ 13. 3aph'"’bert§.
**) 9tadb (Stnigen oon dtbabaniB SWaurus, nad) Stnberen oon (5arl bem
@ropen; roabrfcbeinlicber, nad) 9Jlone (S3b. 1. ©. 242), oon @regor bem ©robem
***) 23on SSenantiug 9^Ü- 600 unb 610.
j) 33on ipauIiB ®iaconn§, geft. gegen 800.
tt) ®er SSerfaffer biefeg ^pmnu§ ift nicht befannt.
ttt) Su guter Ueberfepung , bie freilich hinter bem Original immer loeit ju=
rüdbleibt, finben fidh ade biefe .f)pmnen mit nodh nieten anberen gteidhfattS höthÜ
roerthootten , foioie auch ^i^ oorher angeführten ©equenjen, in bem SBerfe oon
3. g. .g). ©chtoffer, „Oie Äird)e in ihren Siebern burdh alte ^nh^hnnberte", 2 Sänbe.
(2. 3luft. greiburg 1863.)
3lud) jrart ©imrod gibt iii feinem „Sauba ©ion" eine „3lu§inaht ber fdhbnften
lateiuifd)en Äird)enht)mnen mit beutfchcr Ueberfepung". (2. 3lnfl. ©tnttgart 1868.)
bie fd;önen Jbünfte bei ben ^fvaeliten unb ben djriftlidjeu Söffern. 359
unb f^fahnen, btc aft, unb bet {eber 2Birfvmg itod) neu
unb gau5 finb, roefcbe 2Bo^It^ntev ber armen 9}^enfd)^ett finb jic gemefen !
eie gingen mit bem (Jinfamen in [eine @ebvndten in
[eine Änmmer, in [eine in [ein @rab; ba er [ie [ang, uergn[3 er
[einer ?9tübe nnb [eineS .^ummer§, ber erbermattete traurige @ei[t befam
0d)roingen in eine anbere SBett jnr b5immet§[reube. @r fetirte [törfer
jurüd an[ bie @rbe, [ntjr [ort, litt, butbete, roirfte im ©tillen nnb über;
roanb — raa§ reicht an ben Sohn, an bie Sß>irfnng bie[er fiieber? ober
raenn [ie im heiligen (5bor ben 3‘^^’[^^‘£iden nm[ingen, ihn in bie hohe
ST'olfe be§ 0tannen§ t)er[enften, ba^ er hören nnb merfen mngte; ober
menn im bnnften ©eroölbe, unter bem hohen 9ftn[e ber ©loden unb bem
biirchbringenben 2lnhand) ber Orgel, [ie bem Unterbrnder ©eridjt jnrie[en,
bem nerborgenen 33o[emid)t ©cmalt be§ 9tid)ter§; menn [ie .ipobe nnb
üiiebere nereinten, nereint an[ bie .il'niee mar[en, nnb ©roigfeit in ihre
0eele [enftcn — raeldie '^d)ilo[ophte, raeld)e§ leichte, lid)te Sieb bed 0potte§
nnb ber Ütarrheit hot ba§ gethan, nnb mirb e§ [e thnn fönnen? . . ©d
[inb mir im elenben i),liönd)§[ti)l ©legien, ,S:n)mnen jn ©e[id)t gefommen,
bie ich tnahrlicb nid)t ,511 nber[ehen ron[de. ©ie hoben ein [^eierlid)e§,
ein 5lnbüchtige§ , ober ein [0 bnnfel; nnb [an[t;Ä'lagenbed , ba§ nnmittel;
bar and .'öer,^ geht, unb bem gn [einer 3eit e§ geroip an 2©irfnng nicht
[ehlte" *). 2ßeld}er nnberen i[?oe[ie hot [ematS eilt Oidjter, ber bem
@ei[te non inelchem [ie getragen i[t, in [einen [pöteren Rohren roenig[ten§,
bttrd)att§ nertteinenb gegent'iber[tnnb, ein [0 glnttj^enbed 3'^ogni[5 gegeben?
iSad übrigend ben non i^erber [0 be^eichneten „elenben lDlönd)d[tt}l"
angeht, [0 haben über ben Sßertl) be[[elben anbere ©eiehrte, tinb jtnar
üJtänner inelche in bie[etn ^nnfte competenter innren ald ber bent[d)e
Oidfter, gan^ attberd genrtheitt. Üindibem bie 0[[enbnrnng bnrdi ben
©ingebornen nom Oater in ber Jüllc ber 3^^©» ^'oe SSelt gan^ netter
3ln[channngett nnb 33egri[[e an[ bie[e ©rbe ljerabge[ührt , inar ed [a
[d)led)thin ni^t moglid), bnp bie in ben cla[[i[chen ©prachcn Ütomd nnb
Stthend norhanbettcn Dtndbrüde nnb SSenbttngen hotten hinreidjen, bn[t
ber [einem ganjen 3®e[en nadj hoiöni[d)e ©ei[t bie[er ©prndien [i^
hätte eignen fönnen, jene bnrd) nnb bnrd) anbernrtigen itjahrheiten nnb
i]?egri[fe jnr Oath'tetlung ^ti bringen. Onbttrd] mtirbc eine bttrd)grei[enbe
Umbilbttng bie[er ©prachen, bie IBereicherttng ber[clben mit neuen [formen
nnb 3tndbrüden, nnb bad 5yallenla[[en mandfer bie in ihrer 3(rt „cla[[i[d)''
roaren, [ür bie '^3ertreter ber d)ri[t(id)en 35>i[[en[chn[t nnb ölnn[t jitr ttit;
abroeidbaren ücothraenbigfeit. „Onrd) bie Oergleichnng ber .sbpmnen mit
*) .P>erber, lieber bie Jßirfuiig ber ®ichtfimft auf bie Sitten ber Söifer in
alten unb neuen 3. Ütbfchnitt, 2. Äap. ('®erfe, (5arl§rnf)e 1821, Sbl. 0.
o. 426 f.)
360 eigentliche ©oben ber fd)bnen fünfte nadh bent 3^ugnifie ber ©efd^ichte:
ber alten Äircfienlitevalur", fcf)reibt ?Dlone, „ftellt fidj jur ©nibenj i^eraus,
bap . . ber Sinn i^rer Sporte foroolil non ber ©laubenälehre , als au^
Don bem trabitionellen Sprachgebrauche berj'elben abl^ängt. S)iefe bog=
inatifdhe unb geicl)id)tli(ä)e ©runblage ber Ätri^eniprac^e muß man in
2ld)t nehmen; beim fie ift notl)roenbig entftanben, nieil bie
nifchen 0prad)en für bie Offenbarung bes (J§riftentlium§ nid)t alle 2lus;
bri'ide befaßen, fonbern fie erft burd) ba§ (fhtiftent^nm nad) ilirem
®prad)(^aracter bilben mußten" *). 2Bte über benfelben ©egenftanb ber
ent'^ufiaftifdie ®erel)rer be§ claffifdjen Slltert^nmg, (SraSmus, bad)te, unb
rate in neuerer 3^^ franjöfifdje iflronincialfpnobe barüber geurtlieilt
Ijat, fagen rair in ber 5lnmerfung n. 282.
®as rair, nin raieber anf unfere Sliefig unb ben 23eraei§ berfelben
jurüdjufominen , in biefen jraei Oiuininern über bie religiöfe 5f3oefie bei
ben diriftlidien iSölfern gefagt ^aben, genügt für unferen 3'^^'^
ftcinbig. 3Bir finben es unnotliig, baneben au^ nod) bie gleidiartigen
Seiftungen in ben nerfcbiebenen Siolfsfpracben liernorju^eben; ^infi(^tli(^
ber beutfdien geifttidjen ißoefie fönnen rair auf bie jraei fe!^r nerbienft=
lidien ÜBerfe non Sinbeinann nerraeifen ** ***)). 2tud) baran braunen rair
nid)t ju erinnern , baß bie bramatifdie Äunft unter ben d)riftlid)en 3}öl=
fern non ben liturgif clien .'panblungcn ber Ä'irdje i^ren Slusgang
genommen '"''**)■
25S. rair fet^, nm unfern 23eraeis ab^ufchließen, noch bie
bilbenben Jlünfte ju berüdfid)tigen r führen rair junüchft einige
Oiamen an; Orcagna, ©iotto, Oebalb O^onhooer, föonrab ©berharb,
iTBilhetm 5ldttermann, — ilHeifter SBilhelm, Stephan Sodiner, bie Srüber
oan ©pd, SBolfgang dtuelanb, i]3erugino, ©nooanni ba f\-iefole (f^ra
Dlngelico), Seonarbo ba 35inci, Oücrbecf, 2leit, Steinte, ©orneliuä, 3'üh=
rid), .©ellraeger. Siefe ÜKeifter, unb oiele ihnen finb e§, in
raeldhen bie Sculptur unb bie OJlalerei unter ben ^riftlichen 2>ölfern ihre
Ijodifte 33lüte erreicht h<d- 2Beld)er 2lrt finb aber oorguggraeife ihre
iBocrfe, unb gerabe biejenigen auf bie ihr ganzer Dtuhm fifh grünbet V
Oiefelben ftellen ben i^errn bar, ober feine h^iligfle iB^utter, in ben oer^
fchiebeiien ©jeheimniffen unb ©reigniffen ihres Sehens ; ober es finb 33itber
bnrd) raelche uns 3üg^ biblifd)en @efd)id)te, ober ous bem Seben
ber .©eiligen ©otteg oorgeführt raerben: mit ©inem SBorte, unb jugleich
*) 5- ®tone, f'ateiniiche |)pmnen be§ SOiittelalters , au5 ^anbfdhriften ^)tx-
ausgegcben unb erflärt, (i^reiburg 1853) ©b. 1. 0. IX.
**) „©efdhichte ber beutfdien Siteratiir" (5. 3(ufl. 1879) ®. 201 ff. 289 ff.
705 ff., unb „©tuiuenftraub uon gcifttidieu Ö5ebi(^teu bes beutfcheu SOlittelalterS"
(1874).
***) ©gl. bie eben ertuähnte Siteraturgefdbichte non Sinbemann, S. 296 ff.,
unb ..®ie .Sunft im T'ienfte ber Ä'irdje" (3. 3tnfl. 1880) S. 376.
-I.
bie ld;öncn Ä'ünfte bei ben unb ben d)riftHc^en 23blfem. 361
be|timmter , bie beften SBerfe ber größten iD^aler unb 33tlbl)auev [tub
SBerfe ber veligiöfen iD^aierei, ber religiöfen
i)Jiü[l'en lütr fd)Iief:ilid] ben biftorifc^en ©emeid aud) iiod) auf bie
31rcbitectur auäbebneit? ^d) beule, if)re luonumeutaleu ©cböpfuugeu
fteijeu äu ficbtbar ba, bas (^efütjl beg SßertbeS uub ber äftbetifcbeu iße;
beutuug biefer 0djopfuugeu bvciugt fid) ju mäcbtig einem ,3®^en uou
felber auf, al§ bap e§ iuef)r bebürfte nl§ offene 3higeu, um bavüber
eutfdbeibeu ju founen, rao biefe Äuuft U)re Äraft gläu.^^eubev beracibrt,
fid) ju böfjerer iBoUeubiiug aufgefd)rouugeu habe, — in ber 3(uffüf)ruug
profaner @ebüube, ober mo fie jene Äirdjen fd)uf, bie unter ben
ber ©tübte ber dbriftlidben 3Bett immer uod) bie erfte ©teile eiunebmeu.
25>ir haben bag (fie)et^ mit ben SBorteu ©djuaafe’g fa bereits früher
au§gefprod)eu: ,,©ie 3Irbeit ber il^aufuuft muft eine religiofe ©hßt
fepu: erft bei bem 33au beS ©empelS eutfteht bie ard)itectonifd)e Ä'uuft";
unb mie fie nur at§ religiofe Ä'uuft eutfteht, fo ift eS uodj roeuiger
möglich, bap fie auberS beim alä religiofe ,<duuft fich su ooUfter 33Iüte
eutfolte.
Sen @ruub biefes @cfeh.e§ aber beutet gnuj rii^tig fyriebrich oou
©d)Iegel au. „@iu uod) fo hcrrlid)e§ @ebäube, meuu eS feine 23ebeu=
tuug hd^r gehört auf feine ÜBeife jur fchöueu Muuft* **)). Unmittelbare
(Erregung be§ @efühlS , eigeutlid)e ©arftelluug , ift biefer öltefteu uub
erhabenfteu aller Äüiifte," ber 33aufuuft, „uid)t uerftattet; nur burdh bie
ißebeutuug fauu fie in einem gemiffeu ©iuue ©ebanfeu auSbrüdeu, uub
ift baburd) auch fid)er, hohe ©efühfe üou gnuj beftimmter 3Irt ju erregen.
©:}mboIifd) mitp baljer aUe ißaufuuft fepu," meuu fie fdföne £uuft
fepu foll. ©ie ©elegeuheit, fpmbolifd) ju fepu, uub bie 3lufforberuug
baju, ift aber ber 3trd)itectur — mir merbeu ba§ im ad)teu 3lbfdfuitt
fehen — nie in hbh^^'Cdi 3Jiaaf5e gegeben, alS meuu fie ©otteöhödfer
aufführt; uub fo ift es uid)t ju oermuuberu, meuu ©djtegel uidht umhin
fauu hitUUUddS^d; „©piubolifth mehr als febe aubere 33aufuuft", mithin
audh, folgt mit bialectifcher Diothmeubigfeit , oollenbct mehr alS febe
anbere, „ift bie chriftlidte beS beutfeheu iUMttelalterg"
*) Wan oergteid)e hiennit ben oben, Di. 240 ©. 335, oon uns entioidelten
©ebanfen.
**) 5- ©djtcgel, 8. SSoidefnng, Sb. 1. 'S. 233. ((Sit. 345.)
362
©röÜEre ßcbcutmig als Mc profitiien ßunfte, Ijaben feit bem Jßegimi
nuferer 3eitred)itung 5ie rJ)rtftUd)-religiöfen: nnh bauou balj 5iefe
ge^jflegt uierbeu, Ijüiigt Me ßlüte ber fdjöueu £iiufte luefentUd)
uub au erfter Stelle ab.
§. 1.
tiefer ergißt (t(b ttfs ^ofgerung ou$ ber »orijergebenben ^wet
«»eitere, «}»riortf(be ^emeife. es «»«br (etf, bab ^eftbettß einen
ber ßifbe.
259. '^ir haben bie Sßiffenfchaft ber fchönen fünfte ju entToicfeln,
nidht bie ©efdjidjte ber ße^teren barjufteden. SBemt roir un§ be^ungeachtet
im letj,ten Kapitel auäfi^Iie^tich mit hiftorifchen j^hatfacheu befchaftigt
haben, fo thaten roir ba§ nur um unferer SBiffenidhaft mitten : e§ roar
nng um eine gotgerung ju thnn, bie fich and ben nachgeroiefenen
fairen ergibt.
©iefetbe tiegt fehr nahe, ©inb in ber ©hat bie f(^önen ..fünfte bei
alten SSöttern junächft au§ bem ißoben be§ retigiöfen 8eben§ erroachfen;
haben jie inSgefammt im ©)ienfte ber Stetigion [ich entroidett unb au§=
gebitbet; ftetten fich ats bie oottenbetften unter ihren ©Berten unbeftreitbar
biefenigen bar, roetche jur ©erherrtichnng ber ©ottheit unb jur f^örberung
be§ retigiöfen Sebeng gef(^affejr rourben; haben mithin bie fchönen fünfte
ihre tjöchfte ißtiite erreii^t, infofern fie eben retigiöfe fünfte roaren:
bann mu^, ob andb nid)t ba§ einzige, hoch fid)er ba§ oorjügtichfte ßeben§=
princip ber fchönen Ji:ünfte in ber Stetigion tiegen; bann muff bag retigiöfe
ßeben ber ©oben fepn, auf roetdhem fie am beften gebeihen; bann mu^
ber jtünftter bem baran tiegt, in feinem flache iperoorragenbeg ju teiften,
barauf bebacht fepn, oorjuggroeife bem ©ebiete ber retigiöfen Äunft fein
©tnbium forooht atg feine ©hätigf'eit jujnroenben; bann müffen 2ttte bie
fid für bie fdhönen Äünfte intereffiren, unb benen ihve ^ebung unb ihre
©tüte am tiegt, je nach ihver ©tettung an erfter ©tette bie retü
giöfen fünfte ju nnterftüh,en unb ju förbern bemüht fepn; bann muB
enbtich ohne auth bie Stefthetif fich angeroiefen fehen, — nidht,
bie profanen Jtünfte unberüdfid)tigt ju taffen, — aber jebenfattg, ben
retigiöfen in befonberem iStaafee ihre Stufmerffamfeit jujuroenben.
Sttg retigiöfe .fünfte traten einft bei ben ©riechen bie ijBoefie unb
bie SStufif, bie Strchitectur unb bie ©cutptur bann auf, roenn fie burch
ihre ©Köpfungen 3^^*^ ^^ib ifJattag 2tthene, Striemig unb .Spermeg unb
Streg unb Stphrobite oerherrtichten , bie f^urdht oor ihnen betebten, ihre
®ie uorjüglidje Sebeiitimg ber religtölen Äi'mfte.
363
grotU’ii Gigenfd)aften imb U)vc i^orjüge feierten, nnb tu inüvbigev ®nr=
fteüung i{)re @efd)id)te bem iBoIfe norfübrten. Sie d)vifttic^e Sßelt opfert
nicf)t me()r ben @ott(}eiteu beS ^eibnifdjeu 'DJpt^ug: fie „uer!^errlid)t bie
ißor^nge beffen, ber fie gerufen f)at and ber g-infternif^ in fein uninberbar
Irdc^t" ; fie ineiff fid) ini iPefite be§ „einigen ü?eben§", ineil fie „ben (5inen
inafjren ®ott nnbetet nnb ben er gefanbt t)at, ^^fnS (ibriftus", ihren
(frtöfer, ben ©ngebornen bed 3>nter§. 5115 religiöfe Jbnnfte fönnen beft?
halb unter ben cbriftlidien i^ölfern bie fdjönen fünfte fid) nur bann
betrachten, inenn fie für bie 53erherrlid)nng bed inahren ©otted thätig
finb , nnb für jene , nm bereu roiUen ber 0ohn ©otted einft auf
biefer ©rbe gelebt, nnb bereu 5}erinirftid)nng für alle
©efcbled)ter er ber non ihm gecgrünbeten Äird)e übertragen h®t. 50iit
anberen Ji'orten; ino bad l^h^'iÜ*^>dhnin hffvfdjt, ba finb religiöfe ilünfte
inefentlidj nnb nndfd)licf)lid) bie „d)riftlid)en", biefed SBort in feinem
cngften ein ne genommen, ober roie man nndi fagt, bie ,,geiftlid)eid',
bie „fird)lid)en" H'ünfte. iBon biefen mithin gilt bad, inad mir and ber
im Dorigen Kapitel nndigerniefenen Shatfad)e allgemein in
ü^üd^idlt auf bie „religiöfen" Jlünfte gefolgert hnüen; feit bem 53eginn
unferer 53(üte ber jd)önen Ä'ünfte oorjngdmeife
non ber if>flege ab nnb non ber Sorgfalt, loeldje ben d) r i ft 1 i d) ntligiöfen
cüünften ju Sh^i^ i Ü'ib ed barnm, inelche bie 51nfmerffam=
feit ber 51eftl)etif forool)!, ald ber jnr anbermeitigen görbernng ber fd)önen
fünfte ^Berufenen, an erfter Stelle in Slnfprnd) nehmen.
260. 53ebnrft h^td^ biefen Snlj feftjnftellen , bed Umineged
biird) bie ©efd)id)te einer ineit hinter und liegenben i'ergangenl)eit freilid)
feinedinegd. Statt ber and ben Xl)atfad)en fid) ergebenben ^dbnction
mürbe ber apriorifd)e 53emeid, an nnb für fich, mel)r ald genügt haben,
bie in :Rebe ftel)enbe 21>nhvt)cit baripithnn.
üliemanb mirb ja bod) in 51brebe ftellen mollen, bafi bie dleligion,
felbft eine falfdje, immer bie hödiften, bie grofiartigften, bie fdiönften ©r=
fcheinungen nmfd)liefit, bie überhaupt in ben geiftigen ©efid)tdfreid eined
53olfed fallen. Ueberbied haben mir und aber im erften 53m^e bcreitd
überzeugt, baf) in ber etl)ifd)en Srbnnng bie Sd)önl)eit in meit höherer
5}otlenbnng erfi^eint, ald in allen übrigen bencn bad oernünftige ©^efd)opf
^ngehören fann; baf) bie Sd)önheit ber über natürlid)en Srbnnng
unuergleid)lid) höhei’ fleht, ald jene ber natürlid)en, nnb mieberum bie
Schönheit ber im einigen ^eben nerflürten diatnr meit hinaudragt über
biejenige, für meldie biefelbe empfünglid) ift, folange fie nod), im 3«ftanbe
ber ijßrüfnng, ihrer i'ollenbnng entgegenharrt. 5Ud biejenigen, meldje
unter Slllem mad erfdinffen ift, in ber hödjften Sd)önheit leud)ten, be=
zeichneten mir zugleich indbefonbere ben Sohn ©otted feiner aUerl)eiligften
5)ienfd)heit nach > mib bie aud melcher er biefelbe anznnehmen
364
5Die Dorjügtic^e 3?ebeutung ber religiöfen Mnfte.
^eraMie^ S)arau§ ift offenbar, bafs eben bie d)riftlid)e ^Religion,
unb nur fie, ben fünften bie für eine erfotgrei^e ^ptigfeit am meiften
geeigneten tBorronrfe bietet. ®enn ben roeti^er „f(f)ön ift nor ben Äinbern
ber ?0Jenf(^en", nnb feine glorreicEie ilRutter, fennt nur ber (Ji^rift; oon
einer übernatürticfien Orbnung, unb ben J^atfac^en unb @rf(^einungen
bie i'^r angel)ören, gibt allein bie cbriftUc^e ^Religion un§ .Kunbe; unb
roenn fic| alterbings auch auf^erl^alb be§ 6!^riftentl)um§ ^anblungen
unb ßbaractere finben, bie fid) bnr(^ etfiifi^en iK^ert^, unb fomit bnrc^
@cf)ön^eit empfehlen, fo laffen fic^ biefe bodj, fep e§ raa§ ifire 3^11/
fep eg mag bag ?(Raaf3 ber i^nen eigenen ©d)önt)eit betrifft, aud) nid)t
entfernt in 35erg(eidj ftelten mit ben (5rfd)einungen berfelben Orbnung,
raie fie bie 9leIigion G^rifti l^eroorgebrntj^t feit jenem 3:age, ba
eg bem @eifte ©otteg gefiel, burc^ fie „bag 2lngeficE)t ber ©rbe ju oer:
füngen". „®ie roa^re ©l^ön^eit", f^reibt barum mit Steift ber dar;
binat i)iRaun), „bie ©c^önlieit in jenen böseren ©raben ber ißodenbung
raie ihrer bie fd)önen Äünfte inggefammt bebürfen, finbet fid) altein
in ber 1)0^)^^ ©pljäre beg (änttug nnb ber ©prad;e ber i^riftlitben
Dleligion, ber äiJal)rbeiten bie fie oerfünbigt, ber ©efnlile jn benen fie
begeiftert, ber ©rfcbeinungen raetdie burd) fie ber üRenfchheit nermittelt
racrben" 283).
3u biefer aber fömmt nodj eine jraeite 9'indficht. mäd)tiger bie
'Rufforberung ift bie an fie ©(böneg, ©ro^eg, iBodenbeteg
ju leiften, befto fid)erer raerben bie fd)önen fünfte fid) gu iBlnte
entfalten. Rber biefe Rufforbernng , rao ergeht fie entfd)iebener , gebie=
terif^er, unroiberftehti^er , alg rao eg fich um bie Sßerherrlichung , ni(ht
mpthifi^er ©öttergeftalten , fonbern beg einzigen raahren ©otteg
ber fid) he^'at>9eloffen hat/ untrügtid)er jlunbgebung ber ?IReuf(h=
heit gegenüber ju beglaubigen; rao eg fich barum hanbelt, im 35>etteifer
mit beu nerflürten Ißürgern ber eraigen ©tabt über ben ©ternen, nnb
in tebenbigem 5lnfd)lu^ an fie , ^ulbigung bargubringen unb ®anf
unb „@hi‘f unb ißenebeiung bem ber auf bem 'Jh^one fi^t, unb bem
ßamme bag gefd)lachtet raarb, nnb ung freigefauft hui für ©ott mit
feinem IBlute" (Cffenb. 5); rao fich Äünfte gerufen fehen, mitgu=
rairfen für bag 3^^^ unter aüen, für bie gu arbeiten menfch=
lid)em 3)huu gegeben fepn fann, für ben f^rieben unb bag .!^eil unb
bie Ißefetigung unfterblicher , nai^ bem 2?ilbe ©otteg gefchaffener ©eelen
hier unb jenfeitg?
®er 2;hutfad)e 3fugnij3 gu geben raeld)e bie natürliche fyolge biefer
graei 9lüdfid)ten ift, hut felbft ber proteftantifche S)idhter fi^ nidht oer=
fügen fönnen:
*) 23gt. 9i. 20 fi. li. 34 f). R. 136. 3. 180 f.
Sie Dorjügüd^e iSebeutung ber religiöfen fünfte.
365
3d) liefe
®ev i|3uvitanev buinpfe '^H'ebigtftubcu,
J)ie ^^cimat feinter mir; in fcfeucllcm
I:'Urd)5og id) i\-raufrcid), ba§ gepriefene
.'Italien mit feeifeem SBuufdje l'udjenb.
(Sö mar bie Jtivd)cnfci't§ ;
iBort ipi(gerl'd}aaren mimmclten bie ®ege,
33efrän,;t mar jebe§ ©ottedbilb, e§ mar,
Ültd ob bie 9J^euid)feeit auf ber SBaubnmg märe,
SKfallfafereub nad) bem ^limmetreid) — miefe fcibft
(Srgriff ber vStrom ber glaubeudootlen fDienge,
llnb rife mid) in ba§ 2Beid)bilb 9iomd —
iC'ie marb mir, Ä'önigin!
3ll§ mir ber Säulen 'fJrndit uub Siegedbogen
©ntgegenftieg, be§ (b'oloffeumd i'Oerrlid)feit
Sen Staunenbeu umfing, ein feofeer Silbnergeift
;jn feine feeitre 9Bunberroelt mid) fd)lofe!
batte nie ber Äünfte 93tnd)t gefufelt;
(Sd fenfet bie Äircbe bie mid) anferjog,
Ser Sinne 'Jteij; fein 9tbbilb bulbct fie,
9lltein bad förperlofe 2ßort oerebrenb.
itfie iinirbe mir, nid id) in§ ;^nnere nun
Ser Äird)en trat, unb bie 99hifif ber Sbnmel
,'nernnterftieg, nnb ber ©eftalten f\-ntte
Serfd)ioenberifd) and SSanb nnb Sede gnoll,
Sad ,'öerrlid)fte nnb S'ocbfte, gegenmärtig,
Sor ben ent3ndten Sinnen fiel) bemegte;
Ülld id) fie felbft mm fof), bie ©öttlicben,
Sen ©rufe bed ©ngeld, bie ©ebnrt bed §errn,
Sie beiligr SO^ntter, bie bernbgeftiegne
Sreifaltigfeit, bie lend)tenbe Serflnrnng —
9lld icb ben Sopft branf fal) in feiner '^H'ad)t
Sad Öod)amt ballten nnb bie Sölfer fegnen —
S raad ift ©olbed, mad fjitroelen Sd)ein,
Soomit ber ©rbc Ä'onige fid) fd)miiden!
9?ur er ift mit bem ©öttlid)eit umgeben,
Gin roabrbnft 9teid) ber Simmel ift fein
Senn nid)t oon biefer iÖelt finb biefe 5'0™cn *).
261. Unter ben fs-olgerungen bie mir and bem bidb^^' bebnnbelten
Sa^e bereitd nin Sd)üiffe ber nortelUen dfnmmer jogen, mar namentlidj
auch biefe, bafe e§ bie religiöfen Ännfte fegen, melcfee 9tnfmertfam=
') e:;dbilter, iOtavia Stuart, 1, 0.
366
Sie 28ifienfc^aft ber fc^önen fünfte unb bie i|3^Uofopl^ie.
feit ber Steft^etif an erfter ©teile in 5lnfprud^ nehmen. (Sine 35erneinung
biefer Söa^r^eit, inenn ani^ t!^atfäd^Ii(^ nielfad) eine unbeab|i(^tigte, fd^eint
mir in bem 33eftreben man^er ©ele^rten jn liegen, Toenn fie bemnl^t finb,
für bie iSeftl^etif ben i^r iinter ben nerfd)iebenen ©feilen ber i|3^ilo:
l'op^ie gebü^renben i|3lat^ auSfinbig ju mad^en, ober biefelbe alg einen
„integralen" 2l)eil ber Set^teren bejeic^nen. SBos inon im eigentlicben
©inne be§ 25>orte§ „ipbilofopbie" nennt, bas i[t bocb nur bie natür=
liebe 2Bi[fen)cbaft oom ©epn, oon @ott unb feiner gefammten ©dböpfung,
b. b- ein ©pftem non ab rb eiten , roelcbe bie blo^e Vernunft feft^
juftellen im ©tanbe ift. 2Senn nun jraeifellos feftftebt, baf? unter ben
febönen fünften bie religiöfen an ißebeutung unb äl^ertb aöe anberen
raeit überragen, baf? mitbin fie e§ finb, roel(be bie SÖSiffenfebaft ber febönen
fünfte oorjugäroeife in§ Singe ju faffen 1)^1/ ^ann bann mobl, feit e§
eine übernatürlicbe Oteligion gibt, noeb oon einer Sleftbetif bie Diebe fepn
bie ficb au§ rein natürlieben SBabrbeiten jnfammenfet^t ? äöober fotl
benn bie fidb felbft überlaffene Vernunft bie ^^rincipien nehmen , au§
benen fie bie mefentlicbe Slufgabe ber einjelnen religiöfen fünfte, unb
bie oberften ©efet^e für ihre was roei^ über=
bonpt bie ^bi^ofopbie oon liturgifi^em ©efange, oon geiftlidber S3erebt=
famfeit, oon religiöfer i]3oefie, ©culptur, iöialerei, oon ber ©inridbtnng
eineg cbriftli(ben ©otte§ba»feä?
Unb roenn mir felbft nur bie cioilen unb bie bebonifdben Äünfte
berücffidjtigen, finb es nidbt feit acbtseljiibunbert dbr ift lieben
SSölfer au§ benen bie ilünftler beooorgeben, unb finb nidbt biejenigen
für roelcbe fie arbeiten, ©b^^Mteo? Sinn roirb aber ba§ gefammte
bes SBirfen beffelben auf Slnbere, nidbt oon ©nmnb=
fö^en geleitet bie fid) au§ ber if?b^^ofopbie fd)öpfen taffen; fonbern es ift
bie übernatürtid)e Offenbarung, unb fie allein, roelcbe für 2tlle§ biefes
geroiffe notbtoenbige Dtormen autbentifcb feftgefteltt b<U. SSei ber roeit=
tragenben Sebeutung ber febönen Äünfte, bei bem moebtigen ©inftuffe
ben ihre ©rjeugniffe auf bie SOienfdjbeit oon jeber geübt b^ben, mup es
barum jebenfallg alg eine feltfame ©infeitigfeit erfebeinen, roenn man ibve
Sßiffenfi^aft and) bort loo man an bie Offenbarnng glaubt, lebiglid) aus
ben ©rgebniffen natürtii^en Oenfens fid) aufbauen laffen jn follen meint.
D)tit oiel größerem Dtcebte, alg bie natürlicbe 25>iffenfdbaft , fönnte
filier bie Ob^otogie fii^ bie Slefttjetif atg „integralen", roo nidbt felbft
al§ roefentti^en S3eftanbtbeil oinbiciren. Cb bie Ob^^logie eg nötbig
finben roirb, bag ju tbun, fann babingefteHt bleiben. Unerlüf3ti(b notb=
roenbig bagegen ift ohne biefeg, bap bie Sleftbetif, roenn fie
anberg eine Sßiffenfdmft fepn roitl, ihre Slnfgabe ganj nnb ridjtig erfaffe,
unb roiffe, ang ioetd)en Ouellen fie bie Sii'abrbeiten ju feböpfen ba^>s»
oljne roeldje eg iljr nidbt möglid) fepn fann, biefelbe 511 löfen. DUdjtiger,
S)ie aSiijenfdjaft ber fc^bnen Äünfte iinb bie ^^ifofop'^ie. 367
al§ bie ®elel)vten bereu iJfuffaffung roir üorI)er augebeutet, badjte gauj
geroig eiue t)eroovrageube fpauifc^e ; rae^u fie uor eiuigeu
3a^reu jid) atjo auäfprad). „tliac^beiu gegeuroärtig bie Steft^etif atä
eigene 2i>ifjeu1(^aft baftel^t, uerbieut e§ l^erüovge^^obeu uub at§ uube[treit=
bare ißjatjr^eit betaut ju luerbeu, ba[3 bie uueutbe^^rüc^e ©ruubtage biefer
aufdieiueub ueueu S^iffeufdtaft eiujig iu ber d^riftUdjeu '43^Uoiopl)ie uub
tu ber 'J^eologie fid) fiubet. 9cur bort, uio biefe grofteu 2öifjeu=
fd)afteu iu ber red)teu SBeife gepflegt tuerbeu, fanu mau im ©taube
fepu, beu äfttjetifc^eu Söert^ ber aerfd)iebeuartigeu Seiftuugeu richtig 511
beurtheileu" '■^O-
.'hiermit ftelteu mir offeubar feiueämegd iu 3tbrebe, baß bie 5tefthetif
eiue iUleuge üou J6at)rheiteu umfd)Uef;t, roelche ba§ fRefuItat ber uatür=
lidheu ©rfeuiituift fiub, uub bariim ber ‘'4>t)ilofophie augef)öreu. Uub raie
e§ eiue dtedhtSphUofopbie, eiue i)}toralpI}ilofopbie , eiue @lüd'feligfeitä=
philüfophie (U-ubamouotogie) gibt, fo fauu ot)ue SS>iffeufd)aft
aud) bie Umgebuiffe ber uatiirlid)cu (frfeuutuift hiufid)tlich ber fdjöueu
^tüufte fpftematifd) orbueu, uub babiird) eiue ,,'UhUofophte ber fd^öueu
,ftüufte" herftelleu. Uber fie thut Uured)t, meuu fie bie SelUere otjue
2Beitere§ al§ „Ueftt}etif" bejcid]uet. ®euu biefer Uame, meuu berfelbe
auber§ eiueu eiujigeu beftimmteu Segriff augbrücfeu, uub uid)t balb iu
biefem batb iu feuern ©iuue figurireu fod, muft augfdjliefdid) feuer
25>iffeufd)aft uorbebalteu bteibeu, meldje bie fd)bueu Äüufte bel)aubelt mie
fie uuter beu iu ber i)i)ieufdjl)eit tbatfädjiict) gefeilten 23ebiuguugeu
auftreteu föuueu uub folteu, mohreub bie ermähnte „if3hilüfophie ber fchöneu
fünfte" nur eiueu au fidf beufbareu ^dieufdjbcit uorau§=
fetten fauu, ber aber uiemalg mirftid) mar uub e§ uiemafs fepu mirb.
^S. 2.
ptc cinfcitigc (Jingcnomuicnbcit für bas ^ftntiß-^fatftfdjc ift ein Unadironidmus,
tttcf(ficf bem AuffditDunflc ber fdiöneit ,ftünße nur hentntenb
entflegenutirßen Kann.
262. ©aß iu ber UuSübuug ber fdjoueu Ä'ünfte, and] ber religiöfeu,
alle Uortheile uermertfjet merbeu folleu, meldje fidj auö bem ©tubium
ber iu iljrer Urt imtleubeten Seiftuugeu bes Ijeibuifdjeii Ultertljiimg ge=
roiuueu laffeu, bas mirb moljl fein uerftaubiger DJfauu iu 2lbrebe ftelleu.
2tber eiue ilierirruug mar eg eben fo iiujmeifeltjaft, meuu im fünf^eljuteii
^ahrhuubert, jur 3^^^t 2®ieberauflebeug ber claffifdjeu ©tubieu uub
bes , uub uodj eiitfdjiebeuer etma breiljuubert ^dljve fpäter,
bie fch'öueu Äüufte fidf iu ber SS^eife ber autifeu «uuft uub bem (Jlaffi-
*) La Ciencia christiana, vol. 11. pag. 78. (Madrid 1879.)
368
®ie einfeitige (Eingenommenheit für ba§ ä(ntif:(5taffifd[)e.
ciämuä jUTDenbeten , bajf fie bartn ihre ganje 9torm, ihre oberfte einzige
fÄegel fahen, unb au§fchlie^ü(^ in ihrem ©eifte unb nad) ihren ?3iu|tern
arbeiten ju füllen glaubten.
Unglücflidherroeife gehört biefe eben fü fatfche roie für bie Ä'ünfte
nerberbli(f)e iftidhtung auch noch feine§roeg§ einer bloßen hiftorifdhen
SSergangenheit an. ,,^n ben officiellen unb fonft maa^gebenben ^Regionen,
inäbefonbere an alten öffentlidhen Äunft= unb @eraerbe=Unterricht§anftalten,
hat nur bie Slntife unb ma§ e§ an Slbarten non berfelben gibt, 23ürger;
recht. SBenn e§ für irgenb jemanben noch eine§ sBeroeifeä bafür bebürfen
foltte, fo fet) hiermit auf bie im ^ahre 1856 in Berlin erfchienenen ,SSor=
fchriften für bie ^Ru§bilbung unb i]3rüfung berfenigen rael(ihe fi(jh bem
23aufache roibmen‘ uerraiefen, unb auf bie glei^jeitig publicirten ,35ors
fchriften für bie königliche 23au='2tcabemie ^u 23erlin‘, in bereu 63 tpara=
graphen ber mittelalterlichen 3?aulunft nicht einmal ©rroühiiring gefchieht,
roährenb fie in einer 1852 erfchienenen fBefanntmachnng in ißetreff ber
®auführer:ff3rüfung nur ermähnt roarb, um alle§ Slrbeiten im ©tple
berfelben pofitio ju unterfagen, unb, raie e§ auch öa§ fRegulatio nom
18. ilRärj 1855 (§. 6) thut, nur folche fforobearbeiten für julöhig ju
erflären, roelche ,entmeber im antilen, ober einem in antifer Sluffaffung
burchgebilbeten SSauftple entroorfen finb‘. ®ie 23erjeichniffe ber Unter=
richtSgegenftänbe unb ber Siorlefungen geben ben gleichen ©tanbpunft ju
erfennen, auf melchem beim auch felbftrebenb bie 3ögünge, benen e§
umg i^ortfommen ju thun ift, fich fipiren; gumal ihnen fo 51t fagen jebe
©etegenheit obgefchnitten ift, noch in einer anberen ^Richtung fid) grünblidh
angjnbilben, roenn baju überhaupt, bei ben immer mehr fich höufenben
i)tnforbernngen in roiffenfihaftticher fßejiehnng, noch bie ilRöglichfeit bliebe,
■ituch bie 5Rufter= nnb ilRobenfammtungen, bie 23ibliothefen, bie iüRappen,
felbft bie äupere 2tn§ftattung ber jum Unterricht bienenben ©ebäube, fur^
3lUeg trägt fa ben gleichen ©tempel, nUerroärtg madft fich burchroeg nur
bie ,5tntife‘ geltenb. SBenn ber ©runbgebanfe ber richtige märe, fo ließe
fich öer ®h®l ©onfequenj hwfichttid) feiner T)urchführung nur
lobenb nnerlennen'' *).
3tber ber ©runbgebanfe ift eben nichts roeniger als ber richtige, er
ift burch unb bur^ oerfehlt. „Saff mir bie kunft oom ßeben nicht
löfen bürfen, oielmehr fie in 2]erbinbung mit ben religiöfen ^öeen unb
politifhen 3uftönben betrahten müffen, roenn mir ihre SSierfe reht oer=
ftehen nnb roürbigen rooHen, baä ift bereits in ba§ allgemeine ißerouffU
fetjii übergegangen." ©0 fhreibt iRiorij ©andere **): unb ber ©ebanfe
*) 3t. qteic^enäperger, (Sinteitung ju bem „@ot£)iicCi6n 30tu|tert)uh oon ©tap
unb Ungcmitter" (8eipstg 1856) ©. 5.
**) t«b. 1. ©. V. ((Eit. 339).
®ie cinfeitige (Singenommcnl^eit für ba§ 3lntif:(5Iaffifd;c.
369
ift in ber 2f)nt nollfonimen raal^r. iflber rDavnm ift er ma’^r? roarnm
i[t c§ uninögüdf), bie 2S>erfe ber fd)önen jlünfte re^t ju nerfte^en unb
ju roürbtgen, inenn man biefelben ifoUrt nnb für fid^ in§ 2lnge fnfd,
gelöft non bem offentlidjen Seben ber w fie entftanben, ol^ne
fKüdfid^t anf bie religiöfen Stnfc^aunngen, non roeldjen eben baniaid bie
Äünftfer foroof)(, al§ biejenigen getragen innrben, für bie fie tptig
waren? Ol^ne barinn, ineil foldje 25>erfe immer j?inber itfrer
3eit finb; roeit if)r befonberer (S^aracter, ii^re fHid^tnng, bie ©efainrnttfeit
iffrer (S'igent'^ümlid)feiten , nott^roenbig gerabe and jenen religiöfen ?(n=
fd^annngen, an§ jener et^ifdien nnb inteüectnellen ©trömung '^ernorge^en,
ineldfe in ber iperiobe mo fie entftetjen, ba§ öffentliche ?eben beherrfdjen.
@itt biefer ©rnnbfa^ für ba§ ©tnbinm alter ©rjengniffe ber 3Sorjeit,
fann e§ bann uerftänbig fei)it ihn jn ignoriren, ino ed fich nm bie
©hätigfeit ber fünfte nnb il}re ©efebe für bie ©egenroart hüi'belt?
©ibt ed min aber rcligiöfe 3lnfd)anungen , gibt ed bad Seben be=
herrfdhenbe , bie weiter oudeinanbertiegen , atd bie i)Jii)tho(ogie ber
claffifd)en ®ötfer nnb bie übernntürtidfe SBahrheit ber Offenbarung?
lä^t fidj 2>erfd)iebenavtigered benfen, nid ber @eift and bem nnb für
weldfen einft ffSlfibiad nnb 'jj,'olt}clet nnb 'ijßra^riteted arbeiteten, nnb bers
jenige bem mitten unter d)rifttid)en ißölfern im nennjehnten ^üh’-'^wnbert
ein Äünftler jn bienen fid; angewiefen fiel)t? Unb bennod) fotl biefer
Se^tere in jenen feine ilJc'eifter nerehren, follen ber 'ipnrtlfenon mit ben
'f.'ropnläen ober ber t^eredtempet jn ©tenfid, ber Stpollo ©anroctonod
nnb bie (‘^nibifdhe ®ennd nnb bie ©nippe ber 3iiobiben ober ber gar=
nefe’fdje foercnled feine Ifödjften 3Sorbilber fepn?
263. „Oer einzige 2Beg für und, nnnad)at)mlich 51t werben, ift bie
3^adjal)mnng ber Sitten;" fo SBinfetmann gefagt. „3<^ würbe",
bemerfte Älopftod bajn, „biefe ©infdjränfnng Slrtcn
ber ©cbönljeiten bie fie erfd)öpft Oenn weldfed ©enie würbe
nidjt erfi^rerfen müffen , wenn ed fid) nid)t ertauben bürfte, an ber 3ttt=
gemeinheit jened ©abed jn jweifetn? .Staben j. 33. bie ©ricdjcn bie
25orftettnngen andbrüden fönnen , bie wir und non ©ngetn mad)en
müffen?"*). 33efd)ränfnng weli^e Mopftod
mad)t, übernnd niet nmfnfd, nnb ben ©ebanfen Jl^infetmnnnd uotlftiinbig
nmgeftattet ; aber jebermann mnff and) anertennen , bafe ber non bem
Oidhter mir Inrj angebentete ©rnnb feinen SlMberfprnd) geftattet. Ober
fallen benn bie Strdjitecten non .^lettad fid) jematd nernntafjt, anf ben
')3tan einer jlird)e gnr attertjeiligften Oreifattigfeit ober bed
gtorreidtien Ä'reii5ed 511 benfen? nnb non jener j^ütte tjehrer ©^eftatten.
*) 9Iovbiict)er 2Iuffeber, 3. i’. 150, bei .^evbev, Ävitifdje SSälbcr, 2. (6ai‘l§=
rutie 1821) 73.
Sungmann, 21efif)ctif. 2. Stuft.
24
370 einfeitige eingenommen!^ eit für ba§ 2tntif:eiaffifdE)e.
roeldje ber 6!^riften§eit barjufteÜen 2B. ©(^tegef bte bifbenben fünfte
Don ber Ättd^e berufen roerben (ü^t;
3eigt ibnen jcbe§ roürbige §nupt ber 35öter,
fdpoftet, 3}färtijrer, SBunbertbäter,
Unb jene felbft, bie unter ihrem §erjen
§at ©otteä ©obn getragen, unb ben ©ohn,
2Bie er gebüßt mit namentofen ©^mer5en
9ln feinem reinen Seib ber ©ünbe !t;obn,
Unb raie, nod) fchön in bulbnerroertter ©d)öne,
9(m Ä'reuje tjing bie ber fDienfd^enfötine *) —
bonnten non SSormürfen biejer 2Irt bie groffen “iDfeifter aug ben Jagen
be§ fßerideg auch nur eine 9(f}tmng haben?
264. j^ür ba§ fjßrincip non bem mir hanbetn, für bie 3Rothn)enbig=
feit einer norjüglii^en ^ffege ber reUgiöfen fünfte im ©eifte be§ (Jhnften=
thum§ nnb barnm im Sfnfi^Iuff an ba§ TOdttelatter, unb gegen ben fett=
famen, biefeä if3rincip uertäugnenben 3fnad)roni§mu§ , ift in J)eutf(^tanb
uielleidjt fein ©chriftfteder mit fotdfem ©ifer unb fofeher ©nergie auf;
getreten, raie Stugnft &teid)en§perger , beffen Sfamen bie ©efchichte ber
bilbenben fünfte für lange mit Verehrung unb ©anfbarfeit nennen
rairb. SBirffamer inbep, ald burd) bie Berufung auf ihn, bürfte ber
einfeitigen ©ingenommenheit für bie antife Äuuft gegenüber unferer ©ache
gebient fepn, raenn rair ^raei anbere fJJtüuner auftreten laffen, non benen
niemanb ju benfen nerfucht fepn rairb, raa§ man fReichenSperger nadh=
gefagt hat: er behaupte, „baff bie .Ib'unft non ber .ftirche nicht getrennt
raerben fönne, unb baß alle üdfte Äunft fatholifdj fep" **). ©§ ift ja
befannt, baff man ju SBiberlegungen folcher 3lrt ju greifen pflegt, raenn
man, um ber SBahrheit ju raiberftehen , fein anbered 3[Rittel mehr finbet.
2lber eben barum raollen rair jraei ©elehrte reben laffen, non benen ber
©ine ber Äirdje fetnbfelig gegenüberftanb, ber 3lnbere raenigftenä ihr nicht
angehörte.
4")erber junüdhft bejeithnet bie antife Äunft unter un§
raieber einjuführen, mit aller ©ntfehiebenheit al§ eine Utopie. SDie ©ötter
ber ©riedjen, fchreibt er, „raaren buriih ©efang nnb ©ebichte bei ihnen
eingeführt, unb in biefen lebten biefelben in^ ©eftalten; raa§
raar natürlicher, al§ baff bie bilbenbe ^unft oon frühen an eine
Jodfter ber ®ichtfnnft raarb, ber ihre ?07utter jene großen ©eftalten
gleidhfam iu§ ©h^^ fang? SSon ben ©ichtern mi©te ber Äünftler bie
*) 2t. 2B. ®d)tegel, ®er 93unb ber Äirche mit ben fünften.
**) ©ränäboten, 1856. Ui. 27. 23gt. ffteichenSperger, ®ie dhrifttidh=gcrmanifche
93autunft (‘irter 1860) ©. VIII.
®ie einfeitige (Singenommen'^eit für ba§ 2tntif:6lajfifd;e.
371
®efd)td^te ber @ötter, initljin aitc^ bie 21rt itjrer ®ar[telluug lernen. @o
tnarb isomer ein 2Sater ber fc^önen Äimft ber @ried)en, roeil er ber
ißater i^rer beften ^oefie roar . . Ä'ein 2>oIf be§ 2ntertljum§ fonnte aifo
bie .ilnnft ber ®ried)en ^aben, baä nidjt and) griedjifdje ilJitjt^ologie unb
®i(^btfnnft gehabt ^tte, jngleid) aber anc^ anf griei^ild)e SBeife ju feiner
(^idtnr gelangt mar. ©in foIdjeS t)at e§ in ber ©iefd)idjte nidjt gegeben,
nnb fo fte!^cn bie ©riei^en mit it)rer ^omerifc^en Äunft allein ba . . .
®er grofse anatomifd^e 3etdjner, ©ainper, Ijnt in feinen ,fleineren ©d)riften‘
(®. 18 f.) genau nad^gemiefen, anf meldjen Dftegeln bag griedjifdje Jlünftler;
^beal in feiner fyorm bern^^e : anf biefe 91cgeln aber fonnte nnr bie ®ar=
ftellnng ber ®id)ter, nnb ber Ijeiliged 25ere^rnng fnl)ren.
SBolIet il}r atfo ein neneS ©riedjenlanb in ©ötterbilbern l^eroorbringen,
fo gebet einem ilolfe biefen bidjterif d) = mt)tl) ologif d)en
3lberglanben, nebft 3111em ma§ bajn geljört, in feiner gan=
jen 91 atnreinf alt luieber. !Dnrd)reifet @ried)enlanb, nnb betradjtet
feine Tempel, feine ©rotten nnb l)eiligen .S^aine: fo merbet i^r ablaffen
Don bem ©ebnnfen, bie i^ölje ber gricdjifd)en ^nnft einem 25olfe and)
nnr münfd)en ju motten, ba§ non einer foldfien Sleligion, ba§ ift oon
einem fo lebl)aften 2tbergtanben, ber febe ©tabt, feben , Rieden nnb SBinfel
mit ererbter heiliger ©egenmart erfüllt hatte, ganj nnb gar nid)t§ raeife" *).
5)ie 21cabemie ber fünfte jn 23erlin ftellte im 1^57 at§ i]5rei§:
anfgabe für ©cnlptnr folgenbcg ^Ij^nta anf; „^^erfeuS ruht nad) bem
©iege über ben Klleerbradjen. 21mor entfeffelt bie 21nbromeba. 2lethiopen
bringen bem ^erfeuS gnm ®anf für feine ficgreidje i^ülfe ©rfrifd)ungen."
©in anbere§ iHlal mar bie '^'reiganfgabe biefe: „9)lerope, Äonigin oon
'üJleffene, im 23egriff ihren ©oljn 21egppto§ ju tobten, mirb oon bem
alten ©rjieher beffelben jnrücfgehalten. ©er ©rjieher ift alä ein iSlann
geringen ©taubes ju bejeidjuen. ©in Opferfnabe ift gegenmürtig unb
brüdt ©ntfehen au§.'' officietlen 33erid)te,
bie bort auf ©taatgfoften unterhaltenen 9}lnfter jöglinge ber frangöfifchen
2tcabemie im bem ©ebiete ber 21rd)itectur bamit be=
fdhäftigt, 1) ben ©empel ber ©onne au§ ber 3eif 9tero’§, 2) ben ©empel
ber f^ortuna, 3) ba§ 9)larcellu§, 4) ben ^^arthenon, auf
bem if^apier ju reconftrniren. ©ie 3Silbhauer fiel) gtfichjeitig jur
21ufgabe gefegt; 1) einen 2T'eib§fopf nu§ 2tgath; 2) ben ©ümon bed
©ocrated; 3) ©nbalnd unb 3corn§; 4) bie 2lntigone unb ihren Sruber
’43olpnice§. ©ie 'üJlnftermnler enblid) lieferten: 1) 23nbi)lonier, fid) über
3uben moqnirenb ; 2) einen tacebeimonifdjen ÜBetttänfer; 3) ©ebipug auf
©olonud; 4) 9)lercur nnb 2trgn§; 5) Orefted im ©empel bed Stpotio;
*) .^»etber, ^Phdofophie imb Oefd^id^te, 23iuh 13, III. ('fflevf'e, 0tuttgart 1827,
2f)I- 6. S. 141—143.)
24
372 einfeitige ©mgenommenl^eit für ba§ 3(ntif:ßtafftfd^e.
6) unb i^re ©d^roefter *). Söenn bem ^l^tbiag unb feinen einftigen
©enoffen ein 35erjei4nijf biefer 2(rt au§ bem neunge'^nten ^a^r'^unbert
ber ^riftlic^en ^f^trec^nung ju @efi(^t fäme, i(^ meine, fie mürben in
ein §omerif^e§ ©elac^ter auSbretfien. 2i6er fommen mir ju bem jroeiten,
ber ©ingenommenl^eit für bie fatfiolifd^e Äird^e g(eic^fall§ nic^t nerbaG[)tigen
©ete^rten, bem mir ba§ Sßort geben rootiten.
265. ®ie ©ebanfen i^ermann fioije’g über unferen ©egenftanb finb
bem SBefentUd^en na(^ bie nämiidien, roetd^e ^erber au§fpra(^. 2Tber
er bleibt bei benfetben nid^t ftel^en: er giel^t au§ ben S'^atfadfien bie er
conftatirt, au(^ bie practifdEie f^otgerung auf bie fie :^inroeifen, unb
biefe ift im ©rnnbe feine anbere, afg unfer ©a^ an ber ©pi^e biefeg
Äapitefg.
®ag Hlterf^um mar in ber Sage, „an einen Äreig non ©öttern
glauben ju fönnen, bie o'^ne ben brücfenben ©ruft raeftgefdfiid^tUdfjer
Sfufgaben ber finnfid^en 9datnr na^e genug roareu, um i^re 23ifber ju
d^aracteriftifcben ^beafen einer im jl'örperfeben noll erft^einenben einigen
©eelenroelt augjubifben." Sol^e brücft fii^ mitunter raeniger ffar aug,
afg eg roünfc|engroertb märe, ©r mifi fagen ; ®ie ©ötter ber aften ©age
maren bem Jammer beg ©rbenfebeng unb feiner 93erantmortfid^feit ent;
rüdft, unb ftanben anberfeitg bodf) ber menfdt}tidt)en 9fatur nal^e genug,
um non ben .ftünften afg ibeale 9iepräfentanten biefer iflatur, i^reg
2;^ung unb i^rer ©iefdfjicfe nermertl^et merben ju fönnen. ^^atten unter
biefer fRüdtfid)t bie mpt!^ofogifd£)en ®arftelfungen für ben ©ried^en magren
äff^etifd^en SBerf^, moren fie burdt) fii^ fetbft baju ongetl^an, feine 2^eif=
na^me unb fein ^ntereffe in ?fnfprud^ ju nehmen, fo mürben fie, meit
ber ^nl^aft ber ifJtpt^ofogie aßgemein befannt, unb feine iträger ber
eigentUd^e ©egenftanb beg ©fanbeng unb ber 55ere^rung maren, jugfeid^
nicfjt nur non bem gefammten ißoffe noflfommen nerftanben, fonbern aud^
mit mirftid^er religiöfer ©efinnung unb Sfnbad^t betrai^tet.
3fßeg bag ift nun in ber ©iegenmort noQftänbig anberg; benn mir
glauben ja nid^t me^r an bie antife ©iöttermelt, unb bem meitaug größten
5:!^eife ber ÜRenfdfj^eit ift fie nicf)t einmal meßr befannt. „@ine .^unft;
tptigfeit", fö^rt beßf^afb ßo^e fort, „mefcfje, mie bie ungmeifefl^aft groß;
artige j;i^ormatbfeng, fid^ bennodf) in ber ßteprobuction ber antifen ^beale
bemegt, fd^eint ung für bag Seben siemtid; nerloren. lieber;
treffen mirb fie bag 3Uterf^um auf biefem feinem eigenen ©iebiete, unb
jmar bem ©ebiete feiner fjöd^ften Seiftungen, fidtier nid^t; erreid;t fie eg
aber, fo l^at fie nur einen großen ©djat^ um einen ffeinen gteid^artigeu
^umad^g oerme^rt, ber immer nur einen ^atb getefirten Äunftgenuß ber
*) Set 3t. 3teicben§pevger, ®te d^rifttid[);germaniic^e Sanfunft unb i^r 23er;
bältniß jur ©egenroart (3. Stuft. ^Jrter 1860) ®. 72.
®ie einfcitige (?ingejiomment}eit für ba§ 3J[ntif:GIaffifcEie.
373
Sevgfeic^ung unb Ä'ritif iiiögtic^ machen Tüirb. 5)on begeiftern fön=
nen roiv un§ nur für ba§ roa§ roir glauben."
®tefer itiiabroeiäbaren fRücffid)t gegenüber fudft man fidj min freilid)
SU tröften fomo^l alä ju rechtfertigen mit ber iReflerion, ba^ bie ®e=
ftaften ber antifen Ännft, roenn and) i^r Sebeutnng uer=
loren ^od) immer al§ fcf)öne 3;i)pen ber menfd) liehen ifiatur
ihren ÜBertt) behalten, nnb baü fie, an§ biefem ®efid)t§punfte betrad)tet,
jn aden roohl bie 2tnfgabe ber ©eniptur bitben fönnen.
3lber roie teer biefer ftroft, roie nidjtgfagenb biefe iHedftfertignng ift, ba§
beroeifen bie iBitbhaner fetbft burd) bie S;hflt. füllt ihnen gar nicht
ein," feniatg btofte 5:t)pen biefer 2trt, roie etroa „ein fpietenbeg jbinb,
eine fd)one einen nadten ,3ü'>9tin3( fin^n ftarten ildann, ober
ein i)}cäbd)en mit i^afen, auf bie 3lnöftcllimgen 511 fenben: fie nennen
ba§ attemat ,3lmor‘, ,3tenn§‘, ,3lpoUo‘, ,.^ercnte§‘ nnb ,©)iana‘. Damit
jeigen fie benttid) itu’ brüdenbed tBerongtfepn , baf) bie blofsen tppifchen
f^ormen menfd)lid)er ©eftalt nnb 33efd)üftignng gar nid)t roerth finb,
felbftünbig in ptaftifdjer Ülionumentalität uereroigt roerben; ba^ oiel=
mehr ihre ©eftalten nothroenbig auf ein beftimmte§ ©injetroefen
bejogen roerben müffen, beffen einige, für bie ganse SBelt bebeutfame 9tea=
litüt bie an fid) nnbebeutenbe .S'nnbgebnng ber Statur ergünst unb abelt."
Unter fotchen Umftünben ergibt fid) bie f^otgerung ohne ©d)roierig=
feit, ©teht eg feft, baf; bag eben ermähnte „©eure, roetcheg namentofe
SJtenfchenbeifpiete norfüt)rt, niematg eine neue iplaftif be=
grünben fann" ; finb anberfeitg jene Dage, in benen nod)
Dimmlifd) nnb unftcrblid) umv bag fveucr
Dag in ipinbarg ftotsen .I^pmneii flofi,
Sticberftrömtc in Striong 2ei)cr,
3n ben ©tein beg 'Uhibiag fid) gof) —
ift anberfeitg, fage id), bie 3eit ber „©ötter ©riechenlanbg" nnroieber=
bringlid) für immer bal)in: bann muf) eg einem ,3eben eintenchten, baf)
„ung nur bag ©ebiet ber d)r ift liehen Uebertiefernng, nnb bag
ber roeltlichen ©^efchichte, übrig bleibt. 3n bag erfte fid) 511 nertiefen,
mürbe ben .ftünftlern and) bann, roenn fie fetbft nid)t gläubig finb, jeben=
fatlg mit bemfelben 9ted)te angefonnen roerben, mit bem fie fid) freiroitlig
nnb mit gleid)em Unglauben an bag 3tttertl)nm anfd)tieüen; fie hätten
minbefteng ben 3>ortheit, ang einer ©febanfenroelt ju fdjöpfen, bie ber
iStehrsaht ber S)tenfd)en in funftfinnigen Ü^ölfevn befannt ift, nnb bie,
roenn nid)t alten Ueberseugungen , fo bod) ben roefentlid)en ©timmnngen
nnferg ©emüthg oollfommen entfprii^t*) . . 3ln üerftänbtid)en , in ber
3 ®er Sefer luotle berücfndjtigen, bap 2ope ^roteftant luar.
374
®te etnfeütge eingenommen’^ eit für ba§ 2tntit=eiaffifd^e.
©rfc^einung fd)önen unb einfad^en Situationen, roie fie bie ^laftif für
einzelne g^ignren ober toenig jaf)(rei(f)e ©ruppen bebarf, ^at bie beitise
©efcbid^te, namenttid) mit ©infcbtnff ber attteftamentti^en , nid)t ^Ränget,
^n ibr raerben mir baber ben 3Iu§gang§punft einer mobernen,
ber antifen ebenbürtigen ifSlaftif gn feben glauben: nur bap bie
retigiöfe ^nbifferenj unb bie fünftlerifcbe 33ebürfni^tofigfeit ber ©emeinben,
bie Strmutb be§ 3Soffe§, unb befannte Uebelftänbe unfereS 5ffentti(ben
Seben§, bie .^offnung auf eine reidbe unb lebhafte ^unftübung fdbroinben
machen, ohne raeldbe fidb bie te^nif(^en SSorbebingungen ber üftbetiftben
Seiftungäfäbigfeit nicht erreichen taffen“ *).
266. ©anj Stnatogeä gilt natürlich auch für bie iUtaterei: ba§
©ebiet bem fie ihren Stoff, menn fie anberä 33ebeutenbe§ leiften rcill,
ju entnehmen höt/ norjugSroeife unb an erfter Stelle bie heilige
©efchichte.
„33on bem gläubigen ©emüth als ber hbchfte ber SSirllicb^
feit oerehrt, brongt bie ©efcl}ichte ihrerfeitg nach fünftlerifcher
Slnggeftaltung. 2tnberfeit§ befil^t in ihr bie jfunft, — unb bag ift für
biefe ein unfdhä^barer ©ortheil, — aUe raefentlichen Situationen, bie bem
fittlichen iSRenfchengeifte“ unb bem religiöfen ©emüthe „oon ©ebeutung
finb, in allgemein oerftäublichen ©reigniffen tppifch oorgebitbet; bie Seh=
teren bleiben babei bennod) sugteidh immer einer unenblithen ©ariation
feinerer Schattirungen jugängtich, unb fie erfdheinen überbieä nicht at§
©reigniffe be§ alltäglichen ßebeng, fonbern bie ^eitigfeit ber ©inmal ge=
fdjehenen ©efchichte erhöht fie ju bem ber Ä'unft jufageuben SBerthe
einiger ©h^tfachen. ©§ gibt feinen anberen ©egenftnnb, ber
biefe f ünftlerifd) en ©ortheite erfehen fönnte; unb loenn bie
SBieberholung biefer etoigen unb unerfd)öpflid)en 2lufgaben bem ©orrourfe
beg Unseitgemäheu begegnet, fo liegt ber ©runb ju biefem ©ortourfe
mehr in ber Leerheit ber f ünftterifchen Seelen, atg in mam
gelnber beg ©otfeg“ **).
©Sollte ©Ott, eg gäbe nicht fo manche jtathotifen, bie oon einer
richtigen Sßürbigung ber religiöfen Äünfte unb ihrer ©ebeutung, — nicht
etioa für bag retigiöfe Seben, fonbern einfach für bag Aufblühen ber
fdjönen fünfte, — oiet loeitcr entfernt jn fepn fcheinen, alg biefer nich©
fatholifche ©eiehrte.
*) ißgt. £ope, ®. 572—574. (6it. 18.)
**) 9taih £ope, ©. 613.
375
2?tcrtC‘? tapttcL
tlas cigrittüdjc Jlriiirii) biirdj uidd)Cö fiiic fiiuift d)rirtlid)-rfll(](töfc
fiuiift ift, lifijt iiid)t iit öcii llonuiirfcit öciicii lie il)rc ^Eljätigkcit
mibmct, ronöcrii iii öcr Kcbrrnatürlidjhfit bcs 3inedies für J)cit
lic arbeitet.
S'er 23egrtff einer velitpöfeit .^unft non üerlcf)iebenen @elef)rteu tt)eiB if(nonrt,
t()eit§ um'icljti(3 tieftiinmt; J'Olrjen ()ierüott, juniicl^ft für bie 2©iffenfd)aft
ber 'füu'fie. ‘Jf}atfnd)cu au§ bem ©ebiete ber 9D7u[if, u)e(d)e auf bie
incnbigfcit einer ridjtigeren 33eftiinmnng [jinraeifen ; ein ^'oudHdd
für nufere 'if)cfi§. ^iTer nnffcnfdjnftlid)e 53eniei§ für bie Vcljtcre.
267. ^ie Ue’6crfd)rift biefe§ Jl'apitetä ift eigenttid) bie 2i>ieber=
botung eines ©ebanfenS, ber fd)on im erften .ftnpitet biefeS f*tbfd}nitteS
auSgefprodjen liegt. STen bort gegebenen iPeftimmnngen jufolge finb
religiofe fl'ünfte, um e§ notbmalS furj ju fagen, anSfdjtiefdid) biefenigen,
metdje ihre unmittelbare unb eigentlicbe 3tnfgabe bnrin fetjen , burdf ihre
Seiftungen bie ©briftenbeit jn erbauen, ober baS retigiöfe Seben ju för:
beim, ©in @ebid)t mitbin, ober ein pfaftifd)e§ SSevf, ober ein ©temölbe,
ober eine mnficotifd)e ©ompofition, roirb nur bann a(§ retigiöfeS dbunft-
roerf betrachtet raerben tonnen, roenn ber ^Ticbter, ber ®i(bbaner, ber
‘IRater, ber ©omponift, bei ber 9tnfertigung beffetben bie 9lbfid)t b‘itte,
ein iSerf jn fd)affen, roetdjeS ba,5ii angetban märe, 9lnbere religiös jn
erbauen, unb roenn er roirfti(^ biefer 9tbfid)t gemäg oerfnbr.
2Sir ronrben auf biefe ©iebanfen , ba fie in bem -J-rnberen bereits
gegeben finb, b^r nid}t jnrüctfommen, roenn nid)t mebtfad) in roiffen-
fdbafttidjen ©d)riften, in benen non ganj eigcntlicb retigiöfen .f^nnftroerfen
gebnnbett roirb, ber 3.^egriff einer retigiöfen Jtnnft nottftänbig jn febten
febiene, roäbrenb berfelbe non anberen bodinerbienten ©etebrten jroar be=
ftimmt roirb, aber feineSroegS in ber red)ten SfSeife. 2Sir bernctfiditigen,
um baS fitrj 51t erftören unb jn beroeifen, jnnöcbft bie retigiöfe ^^oefie;
benn itSerte, in benen ber 2?egriff „einer retigiöfen .^nnft im 9tttgemeinen"
firirt roitrbe, finb roenigftenS nnS nid)t befannt.
268. ^m fyreibnrger .^ircben=Sericon bat feiner „^eit SSerfer eine
Ueberfidjt ber ©tefd)id)te ber „diriftticben ipoefie" gegeben. ®aS ©brU
ftentbnm b<ibe, fo beifd eS im "’tnfange beS 9trtitetS, „roie eine neue
beitige 35antnnft, fDhiterei, ‘itJtnfif nnb 0cntptnr, fo aneb eine neue beitige
0id)tfunft ins Seben gerufen". Itnb; „bie ‘'fJoefie beS neuen idinbeS
habe ficb naturgenmf; an bie beS atten 23nnbeS angefdjtoffen; bie bebräifd)e
Sprit, roie fie fi^ namenttid) in ben ai'f fo bevrtid)e 5lSeife auS=
fpre^e, fep ber nadifte ütnfnnpfnngSpnntt geroefen". dtad) biefem ©iiu
376 SBoburd; ber religiöfe 6'^aracter einer Äunft raefentlid^ bebingt fe^.
gange, ber für einen 2IrtiM über bie religiöfe ifJoefie ganj paffenb
erfdjeinen mag, roerben bann iin SSerfoIge neben ben religiöfen ®icf)=
lern, einem §ilariu§, Slmbrofiuä, 3Senantiu§ fyortunatug, D^’^abanug
“iUlaurug, Jl^omag non Slquin, nnb ben non i^nen ftammenben l^errlicben
©efängen, roelcf)e bie Äirdje grof3entlieiIg in i^re liturgifdjen SSüc^er auf;
genommen oline eine irgenbmie genügenbe 'Unterfdieibung auö^ SBoIfram
non ©fc^enba(^ mit feinem „Siturel" unb „^^^drcinal" aufgefülirt, ®ante
mit ber „Sioina ßommebia", Sorquato Xaffo mit bem „befreiten ^erm
falem", ?Wi(ton unb ba§ „nerlorene ^arabieg", Sabigtaug i^qrfer unb
fein @pog über 3(tubolpl) non ^abgburg , unb am ©(^luffe no(^ Ogcar
non i)tebroitj, mit feinem ,,(^riftlid)en Siebe" „Slmarantl^" *),
©ruft non Safouir unterfc^eibet „nier ^auptformen ber i|5oefie".
2Sie in ©riedjenlnnb, fagt er, „erfteng bie priefterlid)e Sempelpoefie" auf=
tritt, „jmeiteng bag ritterlicbe ©pog, britteng bie nationale Sqrif, nierteng
bag ®rama", ebenfo „finben fid) auch bei ben (^riftli(^en Sölfern beg
3lbenblanbeg juerft religiöfe Äirdjenlieber, bann epifc^e §elbenlieber unb
Iprifdie ßiebeglieber", unb fc^lief^lid) „juerft bag geiftlid]e, bann bag roelt=
lid)e ®rama". Safaulp bann, in unmittelbarem 2lnfd)lu^ an biefe
2Siertl;eilnng, „bag ®er'^altnif3 ber !^etlenifdjen unb ber d)riftlid)en i^oefie,
unb iljre relatinen 33orjüge ju beftimmen" fud)t, nennt er alg SSertreler ber
d^riftlidjen ifJoefie nur S)ante unb i^etrarca, Sope be Sega unb ©alberon**).
2)af3 SBolfram’g „iparcinal", S)ante’g „®inina ©ommebia", S;affo’g
„Befreiung non ^erufalem", i|>etrarca’g (überaug jal^lreidje) ®ebid)te auf
bie f^inürmerifdj non iljin geliebte Sanra, Sebmit^’ „Smarant^" einer;
feitg, unb anberfeitg ©eiünge inie bag „0tabat Stater", bag „®ieg irae",
bag „Seni ©reator", bag „Sepilla IRegig" ober bie .^xjrnnen beg l^eiligen
3:!§omag non 5lquin auf bag f^ronleid)namgfeft , ba^, fagen mir, biefe
poetifc^en ©rjeugniffe nid)t unter ©iner Oiubrif jufammengefa^t, nid^t auf
©ine Sinie geftellt roerben fönnen, ba^ fie nielme^r jroei roefentlid) ner;
fdjiebenen Slrten ber 'fßoefie angepren, bag bürfte bod) jeber füllten, ber
fie nur einigermaffen fennt. SBenn SBerfer unb fiafaulp biefelben bennod^
alg gleidjartig betraditen, fo fann fidj bag nur baraug erflüren, bafe fie
ben Segriff einer eigentlid) „religiöfen" Soeft^ nollftänbig überfa^^en.
©ie fdjeinen, neben ber alten l)eibnif^en, unb ber naturaliftif(^;rationa;
liftifdben ber neueren ^^ur nod^ einfad) eine „dlirifttid^e" if?oefie ju
fennen, unb bejeidbnen mit biefem Samen eine jebe, in bereu SBerfen l)in;
fidjtlid^ beg Sienfd^en, feiner Seftimmung, unb ber nerfc^iebenen Se;
jieljungen feineg Sebeng, jene 2lnfd)auungen lierrfdben, ineld^e bie dfriftlic^e
*) Äiri^enjßericon oon SBcper unb SBette (1852), 2trt. ,,^]ßoefie, cbrifttidbe"
(Sb. 8. 517—531.)
**) fafaulr, ®. 172. 176 f. (6it. 338.)
®obiivcf; ber vetigiöfe (J^aracter einer Äunft roefentltd; bebingt fcp. 377
D^eligion iinö gelehrt Ijat. 3'^ biefem Sinne f}ört man gegenroärtig
in üterarifctjen üon einem „fatboUfi^en D^oman" neben. Sßir
rooden bie biefer 23ejeid)nung baljingeftedt fegn laffen;
lüoran ber 3le[tl^etif liegen muf3, ba§ ift bie 2T'a^rl)eit, boB ber SluSbrucf
„fat^olifcfje" ober „d)riftUd)e ipoefie", in biefem aügemeinen Sinne ge=
uommen, jroei je für fii^ fetbftänbige, roefentlid) non einanber nerfdjiebene
Sh'ten nmfof^t, nnndidj bie „retigiöfe" if^oefie nnb bie „profane", llnb
ganj 3(naloge§ gilt in Dfücffib^t auf bie übrigen fdjönen Äünfte.
2f)9. iBon anberen ©eleljrten, fagten mir, merbe ber ^Begriff ber
religiöfen beftimmt, aber feineämegä ganj ridjtig.
„30ian nnterfdjeibet", tetjrt Stödl, „jmifdjen geiftlidjen unb profanen
Siebern, je nadjbem fie entmeber firdjtidj religiöfen 3
ober rein menfd)lid)e ®efül)le on§fpred)en" "*0. 3'^ einem anberen , fonft
porlrefflidjen SS^erte eine§ anberen ®erfafferg mirb berfelbe (^irnnbfat)
au§gefprod)en: um nämlid) „bie Stellung, metd)e ber £1rd)enl)Vjmnu§ in
bem 23ereid)e ber einnimmt, oollftünbig ju nmrfiren", Ijebt Jl'apfer
„bie auf ben bafirte ©intljeilung in profane unb religiöfe,
ober, ma§ baffelbe ift, in mettlidje nnb geiftlidje ©idjtung" Ijeroor.
„2Ba§ biefe Unterfdjeibung befagen roill," fet^ ber genannte ©eteljrte
I)inju, „ift oon felbft erfic^tlidj, unb er^eifd)t feine meitere Erörterung" ** ***)).
Eg ift eine begrciflidje fv^tge biefer Slnfdjauung, roenn Ä'apfer in
unmittelbarem 3tnfd)lnf3 an bie angefil^rten ©ebanfen „bie üilteffiabe oon
Ö^lopftod", fomie bie nieten „fRomnnjen unb ißallaben, in benen legenba=
rifdje Stoffe bearbeitet" fepen, atg SBerfe ber religiöfen iBocüc bejeidjnet;
ober menn er, nm bag SSefen beg Äird)enl)pmnug unb feine Stellung in ber
ipoefie ju djaracterifiren, eine „Unterfd)eibung oon brei ©runbformen ber
Sprif" ber pant^eiftifdjen 2leftl)etif non 3>ifd)er entnimmt, unb ben .S^pmnug,
ben ©itljprambng ber Sitten unb bie Obe, alg gleid^artige , ber erften
jener brei „©runbformen" angel)örenbe Erjengniffe erfdjeinen lü^t **"*■')•
3'n ganj o^nlid)er äöeife treten bie fyotgen ber unrid}tigen 93eftim=
mung bei Stödl Ijeroor. Sllg „bie ödnnptformen lprifd)er ®id)tung"
raerben oon ibm oufgefülirt : „Oie Obe, ber.^M)mnug, ber Oitljprambug,
bag Sieb, bie Elegie, bie Eantate unb bag Epigramm", an meld)e fid)
nod) eine Slnjaljl „Scebenformen" (Sonett, “iOfabrigat ober Sdjüferlieb,
Stnnje, ©’^afete nnb anbere) anfdytiefsen. SBag ift nun j. SS. ber Oitl)p=
rambug? Oerfelbe, fo le^rt Stödl felbft, „mar bei ben En-ied)eu ein
^prnnug auf ben S3acd)ug, in meld)em fidj bie t)öd)fte Oegeifterung,
*) Stöcft, ©rimbrib ber 2lcfU)etif imb SRbetorif ('2. 1874) ®. 106.
**) ^tapfer, ©eiträge jur ©efepiepte nnb (Srftärung ber äUeften Äircbenf)t}mnen
(2. 21uf[., 1881) <S. 5 f.
***) j?ai;|cr a. a C. <S. 2 f.
378 SBoburd) ber reltgiöfe (S^racter einer Äunft roefentUd^ bebingt fe^.
geroerft bur^ ben ®enui3 be§ 2öehie§ uixb bie SSerounberung feines erften
2InbauerS, auSfprad^, bie mit bem fiü^nften ©d^muiige nerbunben mar.
@r mürbe an ben f^eften beS SacdinS non ßl^ören abgefungen. ©pater
mürben and) anbere @ötter bnrc!^ fotd^e ©efange nerfierrlic^t" *). Ober
ma§ nerftel^t man unter ber „©tanje" ? iRic^t bie Definition, aber eine
®f)aracteriftif biefer f^orm finbet fid) bei ©diider:
©tanje, bi(^ fdjuf bie Öebe, bie 3ärtlid) f(^mac^tenbe — breimat
fyliel^ft bu fd)nmbaft, imb fc^rft breimal oerlangenb jurüd.
Unb maS ift ber i^pmnuS? „@in ü?obgefang auf @ott ben Sltfmäc^tigen,
meld)er anS einem oon ber ©röfee ©otteS tief ergriffenen ©emüt^e in
nnmittetbarem ©rgnffe Ijeroorquidt. §pmnu§ fprid^t fid) bie tieffte
©Ijrfnrd^t gegen baS ©öttli(^e, unb ein oon 2lnbad)t unb ißemunberung
ber göttfidjen ÜRafeftät ergIül)enbeS ©emüt^ ouS." ©o tefen mir (a. a. O.)
abermals bei ©tödt fetber. Sltfo ber ßl^orgefang auf ben l^eibnifd^en
©Ott beS SBeineS, baS SiebeSgebid^t, unb ber ßobgefnng auf ben §errn
beS .Rimmels nnb ber ©rbe, fteljen auf ber gleicf)en ßinie; fie finb „f^ormen"
©iner unb berfelben 3lrt, meil in allen ©in unb baffelbe ^rincip mirffam
erfd^eint! Der SSeftimmung gegenüber, nad) melc^er fii^ bie religiöfe
ifJoefie oon ber profanen lebiglic^ burd^ ben 3'^l)alt unterfd^eibet, ift biefe
Sluffaffung freilid) gang richtig.
270. SBir l^aben bie norftel^enben ©^ebanfen nicf)t auSgefpro(i)en, um
©elel^rten oon grofiem 3Serbienfte polemif^ entgegengutreten. @S l^anbelt
fid^ für unS eingig barum, bie 5öa^r^eit beS oon unS aufgeftellten ©a^eS
bargnt^un, nnb eS guglei(^ einem ^fben fühlbar gu mod^en, mie unerläfeli(^
not^menbig eS ift, ba^ berfelbe oon ber S^iffenfcbaft ber fd^önen Äünfte
fomo^l, als oon ber O^eorie einer feben auS il)nen, gebüf)renb beadbtet
merbe. 3lud) in Greifen mo man, maS anbere f^ragen betrifft, unfere
3lnfd^annngen fcineSmegS t^eilt, mirb jene 2öa!^rl)eit bereits empfnnben,
unb biefe idotl^menbigfeit fe^r entfdjieben betont. 3llS SSeleg beffen laffen
mir I^ier eine ©teile folgen auS einem nodl) ni(^t alten Sluffa^e oon ©budrb
4''anSlid. Der Sluffalj, !^anbelt über ein neueS IReqniem beS italienifd^en
©omponiften 25erbi, baS im ^woi 1875 gu SBien, bei ,,'^o^en ©intrittS=
preifen", oiermal aufgefü^rt mürbe, unb „allgemeinen IBeifall" fanb.
i^anSlid f(^reibt alfo.
„Die ,ilircblicf)feit‘ beS Sßerbi’fcben dieqniem ift eS gnnäd^ft, maS
3lnfec^tung erfä'^rt. Unb bod} gibt eS menig f^orberungen , über meld^e
gu rid^ten fo bebenflid^, fo unfid^er märe, mie biefe . . . ©pridl)t auS einem
mobernen Äird^enftüd el^rti(f)e llebergeugung unb ernfte ©d^önl^eit, bann
mögen mir unS gufrieben geben; bie f^rage nad) ber fpecififd) !ir(^lid^en
*) 'itörft a. a. O. ©. lOo.
SBoburd^ ber religtöfe ß^aracter einer Ä'imft rDefentli^ bebingt fei). 379
OuaUfication roirb tägtic^ bebenfUc^er unb !^aIt(ofer. (5§ tft 3^^^'
ein molbar über Har 311 ro erben*). Slngefidbt^ »on geiftücfien ^om=
pofitionen benfen mir l^eutjutoge boc^ nor 3Wem oii bo§ j^'unftmerf ;
rca§ bie i?ird^e boron ju toben ober 311 tnbetn finbet, ift uii§ fe§r gteic^=
gültig. S)a§ ^ivd)e roirb immer auf bie Unterorbmmg be§
fünftterifdjen 3tu§bru(fe§ unter ben bogmatifdjeu ab3ieten**), unb non bem
jlünftter ncrtangeu, baf^ er burd^ bie fetbftöubige ©d)önl^eit feiue§ 2Berfe§
nidbt bie Stufmerffamfeit ber @emeiube all3ufe^r abteufe oon bem fird)ti(üen
33orgoug ***). 2Bir .Rinber ber 3^'t erbtideu t)iugegeu in bem ©tabot
itJiater , bem S^equiem , fetbft im iUtefstept eine ®id)tuug , atterbingg eine
burd^ Srabition gebeitigte ©icbtnng, roetd)e ber (Jomponift
at§ ©toff für feine Ännft uerroenbet. 2Ba§ er bnranS fcbofft, gitt un§
für ein 35>erf freier Jtnnft, roetdjeä baS 9led)t feiner @viften3 in fid)
fetbft, in feiner fünftterifd)en ©rofte nnb ©dfönbeit trügt, nid)t in feiner
firdjtidfen 3roedmüf3igfeit 7). SBir benfen mit ßinem 2Borte bei fotdben
©dbopfungen nuferer mobernen ÜReifter an ben itJiufiffoat, nid)t an bie
5f^ird)e; nnb biefe üOieifter benfen ebenfo.
„®a§ roar gan3 anberd in früheren feiten, ,'papbn nnb i97o3art
fam ed niematd in ben ©inn, bap i^re 3Jieffen nnberdroo at§ im @otte§=
banfe anf3ufüt)ren fepen. ©ie fdbrieben it)re Äirdbenmnfif für ben @ebrain^
ber Äirdbe. @rft 93eett)oocn, mit bem midb auf biefem 'fünfte eine neue
3eit bereinbriebt, b^t (1824) brei ©nbiC feiner ,iBfiffa fotemni§‘ 3iierft im
R:ürntnertbor=Jb^flt£i^ 2öien anffübren taffen. 6r batte 3roar bie ilTieffe,
roie befannt, urfprüngtid) für eine grof^e firebtiebe freier beftimmt: aber
ber mnficatifdbe 9ieidbtbnm ber (Jompofition rond)d itjin fo müd)tig über ben
fird)tidbcn 3fabmen binand, baf^ er bamit fetbft feine 3nft»d)t 311m (5oncert=
font nahm. Unb fo roie 33eetbooend geftmeffe, bßben ancb bie teidjt auf=
3n3Übtenben Ä'irdbemtJompofitionen roetd)e roir oon nambaften mobernen
ÜReiftern befitjen, ihre q)^eimat im (Joncertfaat gefnnben: üfoffini’d ,©tabat‘,
?if3t’d ,@raner iIReffe‘, bie iRequiem non 9f. ©d)umann, iBrabmd, Saibner
unb 3?erbi. 2tuf 3roaii3ig (5oncert=‘')]robuctionen biefer 3©erfe fommt uieU
teidbt @ine .Rirdjenanffnbrnng, nnb biefe gitt bann andbrürftid) atd (5on=
cert in ber Äirdbe, bad fidb 3nnncbft an bie itJi nf if fr ennbe
roenbetff), ni(bt an bie 23eter. 3'^ iRfnafte atd bie Rirdfe ihre
*) SSon iin§ unterftrid)en.
**) Sietmebr: „auf bie Unterorbmmg be§ 9Rittet§ unter feinen roefenttid^en
3roect".
***) 33ietmef)r; „bnb er ein 3ßerf, bn§ roefentticb beftimmt ift, bie 9lnbncbt ju
förbern, nid^t fo einri^te, ba^ e§ oorjngSroeife bem Stergnügen bient“.
7) ®iefer ®ap grünbet fict; nnf ba§ ißrincip oon ber „abfotuten qtetation§=
tofigteit“ ber fc^önen Äünfte nnb i^rer ßrjeugniffe. i?g(. nuten Äap. 8, 9i. 320 ff.
77) 9Son nn§ unterftrid^en.
380 SBobur^ ber religibfe G^aracter einer Äiinft roefentlid) bebingt fep.
fül^renbe 5Ra(^t im Seben eingebüfit, unb t^re Siuctorität auf einen immer
Heineren jlreiä non ©elftem eingefi^räntt entroicEelte fic^ and) in
ben ilünftiern, üie£teic£)t !^alb unberou^t, bie Ueberjengung , ba§ fie mit
il^ren geiftlid)en (Sompofitionen bie äftl§etif(^e 2Inbad^t, nicht bie fird)=
licfie erraecfen motten.. 2tber bie jbunft arbeitete immer fpdrticfier für
bie Ä'irche. ®ie ifi vorüber, ba feber groffe ßomponift ber Jtircfie
beburfte, nm für uott gu gelten, .^eute taufest man fii^ ni^t mehr
barüber, bafe roeber bie jtirche für ifire gotte§bienftüct)en 3n)ede genialer
ionbid)ter bebarf, nod) umgefefirt. ttJian gefteht fid) ein, ba^ für bie
Ä'irdje baä 2ttte auSreidht, unb ba§ practifi^ Slüchtige, ja ©eroöhnti^e
unb 2ltttagliche it)r benfelben, roo nicht befferen ®ienft teifte, at§ D^eues . .
Unfere erften 2:onbid)ter componiren rooht h^ unb raieber ein ©tüd au§
ber Äir^e, aber nidht für bie Jl'irche" *) **).
3n biefer ganjen 2luäführung feineS ©ebanfeng, unb namenttii^ in
ber Unterfdjeibung non „üfthetifdher" unb „firc^ticher Stnbadht", uon
(iompofitionen „aug ber Jtird^e" unb „für bie Äird)e", non muficalifchen
2tufführungen bie, „atg Goncerte in ber Äirdje, fi(^ junächft an bie
ttttufiffreunbe roenben", unb anberen roelche „bie Seter" im 3luge haben,
gibt ^angtid eben jener 25>ahrheit, um bie eg fii^ in biefem Kapitel
hanbett, mit ©ntfe^iebenheit 3eugniB: ber ^uhait eineg fünftterifchen ©r=
jeugniffeg für fid) attein genügt feinegroegg, bamit baffelbe atg retigiöfeg
Äunftraerf, atg bie ©djöpfung einer retigiofen ilunft, gelten fönne. Unb
ber ilRann hat roahrtid) tttedtt, „eg ift" in ber 5;hat „3£it/ baf? man
fi(^ hi^’^über einmal Har roerbe". ©g ift bag überaug roichtig unb noth=
roenbig; mehr noch, atg für bie „Äinber ber 3^it", für biejenigen raetdhc
bebenfen, bap „bie 3eit furj ift", unb eg norjiehen, jänber ©otteg ju
fepn unb feiner Äirche. ©g märe übrigeng möglii^, bajj man auch noch
über einen onberen 'jßunft fich einmal Har mürbe: baff eg bur^ang um
gejiemenb, unb ©ntmeihung beg fettigen ift, titurgifdhe 2'epte für bie
„üfttjetifthe 3tnbacht" unb ben ©oncertfaat in ttttufif ju fetten.
271. 0d)tiefeen mir ben Semeig unfereg 0ahceg ab. ®ie jmei ©e=
lehrten oon beren 2lnficht in ber oorlehiten tttummer bie ttiebe mar, mürben
einen oottfommen mähren ©ebanfen aiiggefprochen haben, menn fie gefagt
hätten, bie ^poefie trete einzig bann alg religibfe jiunft auf, meuu ber
ganje mefeuttiche ^uhalt ih^'^S SBerfeg ber übernatürlichen Offenbarung,
bem Sßorte ©otteg angeljöre. 3^^^ religibfe Äunft betrachtet eg ja atg
ihre eigentliche Stufgabe, erbauenb ju mirfen, b. h- religibfe, übernatürlidhe
*) 3Ji(ht bie Äirdhe h<it Sluctoritdt eingefchrdnft"; fie fann ba§ nicht
einmal: beim ihre Stuctoritdt hängt ganj non ber Seftimmung beffen ab ber ihr
gefagt hot: „TOr ift alle (Senialt gegeben im |)immel unb auf ber ©rbe."
**) lianälicf, iDlufiealifche Stationen (®er'.in 1880) S. 4 ff.
ffioburd^ ber refigiöfe (J^aracter einer Äiinft roefentlid^ bebingt \tr). 381
15rfenntnif3acte unb ©efül^le in ?lnberen 51t uevontaffen: übernatürliche
pft)d)il'd[}e Shätigleiten fönnen [i^ aber nur jenen 3:hüt[ad)en unb ©rfchei;
nungen gegenüber erjengen, n)eld)e jum Inhalte ber übernatürlid)en 'Offen:
barung gehören, unb a(ä foldie mifgenoinmen unb in gläubiger ©efinuung
feftgehalten roerben. 9ll§ ein roefentlid)e§ ÜJterf mal einer religiöfen 0)id)tung
mufi eä barum allerbingg anerfannt roerben, baf3 il)r religiös feei.
2lber mit einem einjelnen mefentlid)en *DJterfmal ift nid)t in allen
fyällen baS ganje 95^efen eines OingeS gefetzt. 2Birb einen religiöfen
l^uhalt nidjt felbft eine £'eiftnng haben müffen, roeld)e £ehren ber d)rift:
lidjen ^Religion ju nerhöhnen beftimmt ift? llnb bie ©egenftänbe meldfe
in exegetifd)en Unterfndjungen über 9lbfdjuitte ber h^üö^a echrift jur
IBehanblung f'ommen, ober in roiffenfd)aftlid)en Vorträgen unb 9lbhanb:
lungen über £ehrfäb>e ber Oogmatif über ber üRoraltheologie, gehören
etroa ni(^t and) biefe jnm 3^’^alte ber übernatürlid)en Offenbarung, ber
(^riftlidheu Sehre? finb bie Ol)atfad)en roelche SJiilton in bem „nerlorenen
'^'arabiefe", il'lopftod im ,,'dReffiaS", Oante in ber „Oiüinn C^ommebia"
poetifi^ uerarbeitet haöcn, nid)t gröf^tentheilS ber nnmlid)en Onetle ent:
nommen? ltnb bod) mürbe man fid)er gang unridjtig urtheilen, roenn man
biefe 25>erfe ber religiöfen ipoefie, nnb bie gnerft begeid)neten roiffenfd)aft:
liehen Slbhanblungen ber geiftlidicn Ißcrebtfamfcit gnmeifen mollte; biefe 9lb:
hanblungen gehören ber bibactifdjen 33erebtfamfeit an, roeldje bie erfte
©rfcht^ianngSform ber profanen 33erebtfamfeit bilbet, unb jene Oid)tungen
finb merthoolle ©rgengniffe ber hobonifd)en, nlfo ber profanen 'f>oefie.
SSarum baS? SSeil ber ©ha^'acRr einer funftlerifdjen Obatigfeit
fich beineSroegS fchon allein bnrd) ben ©egenftanb berfelben oollftanbig
beftimmt, fonbern roefentlidh nnb an erfter ©teile burch bie 9lbfid)t,
non rceld)er bie ©hätigf'eit bel)errfd)t nnb getragen roirb; roeil in gleidier
SSeife bie befonbere 9lrt roetd)er ein Ännftmerf gugnroeifen ift, feineSmegS
allein oon feinem Schalte abhängt, fonbern mefentlid) unb an erfter ©teile
Don bem unmittelbaren 5^ bienen beftimmt ift, oon bem
Utefnltat roel(^eS eS oermitteln, oon ber äSirfung bie eS hevoorbringen
füll. iRun mürben aber ©ante, IBlilton nnb .Rlopftod iljre grofgen Oid):
tungen gang anberS haben einridgten müffen, menn fie als ben ei gen t:
lidgen unb unmittelbaren berfelben bie religiöfe ©rbauung
im 9luge gehabt höHca; unb maS bie miffenfchnftlid^e ©Ij^ologie bitrdi
ihre gelehrten Seiftungen beabfidjtigt , baS ift nnmittelbnr nnb gu:
nach ft f^örberung beS natürlid)en SSiffenS, nid)t beS übernatürlid)en SebenS.
2Sir nerfennen leineSmegS , bafg fomohl biefe Seiftungen ber 2Siffenfd)nft,
als bie ermähnten ©rgengniffe ber 'poefie, loegen beS ©toffeS ben fie be:
hanbeln, bem ©ingelnen, je nad) feiner OiSpojition, leidet gu überuatürlicheu
Ohatigfeiten 35eraulaffung geben föuueu; ober eine SBirfung biefer ?lrt
liegt eben aujjerhalb ihrer unmittelbaren unb eigentlidjen 93eftimmnng.
382 SSoburd; ber reltgiöfe ßl^aracter einer jfunft roefenttid^ bebingt fe^.
2öir l^aben unferen 23eraei§ mit befonberer iJtü(f[id)t auf bie ifßoefte
gefül^rt; barum rooUen mir i^n in ganj allgemeiner f^affung furj raieber=
^olen. 2öie bie ?Oletapl)t)fif le^^rt, roirb bie befonbere 35efd)affenl)eit unb
innere Statur, bie (Sigenartigfeit, eineä jeben ®inge§ ba§ lebiglid) i)Jtittel
ift für einen au§fd)Ue^lid) unb ganj non ber @igent^ümlid)feit
biefeS Set^teren beftimmt. 9tun gielt aber febe fünftlerifd}e Jptigfeit auf
einen beftimmten .^unftroerf ift mefentlid) unb au§=
fd)Iie^lid) ÜRittel für ein beftimmteS fRefuItat, für eine beftimmte pfpd)ifci^e
SBirfung, roeldie ju neranlaffen eg geeignet fepn foll. f^olgtit^ ift e§
uit^t ber ÄunftroerfeS , nad) rael(^em über bie 2Irt ber e§
ange^ört, entfdjieben roerben fann: fonberu biefer foroolit, at§
bie ganje roeitere SSefc^affen^eit beg SBerfeg, ^angt ab non ber @igen=
t^ümlid)feit jener pfpd)ifdien 3Birfung. Unb in gleicher SBeife beftimmt
man beu religiöfen ober ben profanen ßl^aracter irgenb raelc^er fc^önen
Äunft feinegtnegg ridjtig burc^ bie blof^e Eingabe beg Stoffeg roellfiem
fie i^re S^ütigfeit raibmet, fonbern eg muf3 not^^roenbig bie 2lrt ber
Söirfung bejeic^net inerben, raetdie fie alg ben eigenttid)en unb unmittel=
baren 3röe*i S^^otigfeit anerfenut. 6^riftlic^ = religiöfe jlünfte
finb biejenigen, ineld;e unmittelbar für einen übernatür=
lid)en 3’®^'^ arbeiten, unb fie allein.
güuftc^ Kapitel
3mei allgmeinc oberfte ©efc^e für Me rcUgtöfeii äüiifte.
§. 1.
fntwidiefung ber jwei ^efc^c.
272. '^it ber Slufjüblung ber „iDlabonneu" unb ber ^eiligenbilber
goreggto’g, fl^reibt 2B. ®eder, „inolten mir unfere Sefer n^t er=
müben. 2öir ermähnen nur bie unter bem iJtamen Vierge au panier
befannte Ijeilige f^amilie , ineldie aug ber ßertofa ju ^jßania in bie
fönigtid)e ©ammiung gu iDlabrib fam, unb fpüter für bie Summe non
3800 ipfuub Sterling für bie 9iationalgallerie gu Sonbon erroorben
mürbe. ®g ift bieg ein äd)teg Silb büu§lid)en ©lüdeg, ein
liebeugroürbigeg ©enreftücf, roeld)eg burd)aug leine biblif(^en 23es
5Üglid)teiteu melir entplt. ilJtaria, in einer Sanbfdiaft fi^enb, ift bamit
befd^üftigt, bag lebhaft beroegte (Sl^riftfinb anjufleiben. 3*^
fid)te prägt fid unua(^a'^mlid) bie iiytutterfreube on ben frifc^en, aug:
gelaf jenen Sebengäu^erungen beg Äinbeg aug. f
■ }
3roei allgemeine ofcevfte @e)etjie für bie religiöfen fünfte.
383
iDÖIfnlid) in ben Ipintergriinb gebrängt, ift mit feiner
befct)äftigt" * **) ***)).
®iefe Seiftnng be§ italienifdfen iDiaterd nn§ bem fedfjeijnten ^aljx^
tfunbert erinnert un§ nn ein nnbereä ©etnnlbe and ber neueften 3^^^/
ba§ gteid)fad§ bie IfeiUge g-amitie barftelten foü; am 9ianbe ift jn lefen:
„Gart iSLÜlIer, ©üffelborf 1875". füge, Stüd „folle" bie Ijeitige
3-amiIie barftellen; beim id) menigfteng tann in bemfetben roenig met)r
finben, al§ g(eid)fad§ „ein (iebendmnrbigeä ©enreftücf, ein ädjted ®itb
f)äu§Iid)en ©Indes". ®ie 0äge beren oberer 2d)eil in ber linfen b^anb
be§ Zeitigen ^üfepf) fidftbar ift, nnb ber etraaS affectirt au§fet)enbe ©ngel,
roeicber, oor bem jiinbe nnb ber ^nüöffüu fnieenb, eine ©nitarre fpiett,
mögen immerljin 2tnfprnd) haben, als „bib(ifd)e 23ejnglidifeiten" ju gelten;
S5?eitereä biefer 3lrt tritt aber nidft l)eroor. ©in ebter Orientale büt
oor nid)t langer 3ed ei't überand lieben§roürbige§ SBeib Ijeimgefülfrt;
ein liebes Oölfiidfen baS fie ilfin jüngft geboren, auf iljrem 0d)oof3e
Ifaltenb, fil3 fie im f^reien, nnb fdjeint, Ijalb über i^r Äinb gebeugt,
entmeber eingefdflnmmert, ober ganj in bie Setradjtung beS JlinbeS Der=
funfen ju fei)n. Oenn ber ©emalfl ber auf einen Slugenblid feine Slrbeit
oertaffen Ijat, nnb feitroärtS bid)t ,^u ilfr Ifingetreten ift, mirb oon iljr
gar nidft bemerft, nnb fo fduiut ber ©lüdlidje in ißemunbernng nnb
ftitler fyi^enbe auf bie fc^öne ©nippe nieber. OaS ift, menn id) nid)t
irre, 2ttle§ mag nnS bag 23ilb er,5äl)lt; eine tiebengioürbige, gtüdlid)e
fbamitie geigt eg ung, „bie heilige fs'ümilie" loobt fanm.
3'n oiet höherem iöhiafie uerfehlt erfcheint freitid) ein britteg 23ilb,
mieber oon bem guerft genannten itnlienifdhen iStater. „Oag lehte ©e;
mälbe ©oreggio’g beffen ©ntftehungSgeit fich nnd)ioeifen läfft," beridjtet
25eder, „ift ein fleineS auf eine ö^upferptatte gemalteg 23ilb, loeldjeg bie
bü^enbe ilRagbatena barftellt, ein ÜBiinberioerf in 23egng auf 23elend)tnng
nnb fyarbe. ilon ihrer 23uf!fertigfeit meidt man allerbingg nichts in
bem heiteren, Suft nnb Seben cithmenben 3lntlih, ber fchonen 0ünberin,
bie, im 25?albegfd)atten behaglich hi^Seftredt, in fnffeS 0innen nnb
Oräumen oertoren gn fei)n fd)eint. ®aS 23ilb mürbe oon jeher alS
eines ber gröBten iDteiftenoerfe angefel)en" „91id)t eine eingige 0pnr",
öu§ert 9tio über biefelbe Seiftnng, „oon Slbtöbtnng ober and) nur oon
roeiblidjer 3ü'^)tigleit geigt fid) in biefer ,2}iagbolena‘, nnb man mürbe
geneigt fepn, fie für eine ilJhife gu hüllen bie fid) oerirrt l)üt, menn fie
nur etmag anftänbiger gefleibet märe"
*) 23. Scefer, Äunft imb Äünftler im 16. 17. unb 18. ^ahrhmibcrt (Seivjig
1863) S8b. 1. ®. 136.
**) Serfer, 23b. 1. 0. 148 f.
***) A. F. Rio, De l’art chretien (Paris 1861) t. 3. js. 252.
384 Btoei aCtgemcine oberfte ©efe^e für bte refigiöfen Äünfte.
273. ®iefe @rf(^etnungen auf bem (Sebiete einer „reügiöfen" Äunft
fü!^ren un§ gu bem ©egenftonbe biefe§ Äapitelä. SBarum fönneu ®e=
mälbe roie bte raefd^e mir c^aracterifirt !^aben, obgletd) ba§ letzte „non
feiger für eine§ ber größten ?Ofeifterrcerfe" galt , unb für ba§ erfte bte
Sonboner fRationalgatterie bie Summe non 76000 ?07arf bejal^tte, roarum
fönnen biefelben nid)t alä gelungene Ceiftungen betrachtet roerben? in
roelcber 33ejiehung finb fie fehlerhaft? roo ift ba§ @efet^ ber Slefthetif
gegen ba§ fie nerftoßen?
2Bir müffeu junadhft auf SBahrheiten jurücffomnten , bie non un§
fdhon mieberholt auSgefprodjen mürben. ®ie religiöfen .fünfte fehen ihre
unmittelbare Slufgabe barin, burdh ihfe Jifeiftungen ber 33erherrlid)ung
@otte§, ober ber ?07utter be§ ^errn, ober ber ©ngel @otte§ unb feiner
.^eiligen ju bienen, foroie überhaupt ber ©rbauttng ber u^b
ber fyörberttng be§ religiöfen SebenS. 2Berf nun ba§ für
biefer 3lrt fid) eignen foll, mu^ baju angethan fepn, in ben iUJenfchen
religiöfe, b. h- übernatürlidfe ©rfenntniffe, unb religiöfe, b. h- übernatür=
liehe ©efühle ju neranlaffen. ®enn nur burd) religiöfe ©efinnung, btirdh
bie übernatürlichen ®emüth§thätigfeiteu ber Slnbetung, ber ©hi^fuvcht, ber
iüebe, ber fRette, be§ ®anfe§, mit ©inern SBorte ber Slnba^t, ober ber
Siebe gu bem roa§ übernatürlich gut ift, roirb ®ott nou ben IRenfdhen
nerherrlicht, unb ba§ dfriftliche Seben geförbert: ba§ einzige ?[Rittet aber,
rooburdh ber fIRenfeh 2lnbere ju ®emüth§thatigfeiten biefer 2lrt führen
fann, befteht barin, baß er religiöfe ©rfenntniffe unb religiöfe ®efühle
in ihnen oeranlaffe.
iRun ift e§ aber, raie ber ®laube un§ lehrt, fchledhthin nid)t möglidh,
ba| in einent ilRenfdhen irgenb roeldie übernatürlidfe ©rfenntniß, irgenb
raeldheä religiöfe ®efühl fidh erjettge, roenn nicht in jebem einjelnen f^alle
ber heilige ®eift burdh bie „juoorfommenbe" actuede ®nabe erleudhtenb
unb erregenb bajn mitroirft. „SBir finb nii^t fähig, irgenb etroag"
übernatürlidh ®ute§ „ju benfen auä un§ felber, fonbern all unfer 35er=
mögen ift au§ ®ott" : unb „niemanb fann ^efiint ,ben iperriü nennen,
aufser in bem heiligen ®eifte" *). Unb roohl oerftanben, biefe dRitthätig=
feit be§ heiligen ®eifte§ ift bei jebem religiöfen ©rfenntni^act unb bei
jeber religiöfen ®emüth§regung nidht ein untergeorbneteS ÜiRoment, fon=
bern einfach bie .!pauptttrfa(^e. Sdhon ba§ jroeite ©oncil ju Orange
lehrt mit flaren ^Sorten: „33iel übernatürlich ®ute§ rairft ®ott in bem
?[Renfd)en ohne beffett ^er 'D3ienfd) bagegen roirft nidht baä
minbefte ®ute, ohne baß ®ott ihm gäbe e§ jit roirfen. Unb nicht mir
finb e§ bie ben 3lnfang machen, um bann burdh bie ®htabe ®otte§ uitter=
ftüht jit roerben; fonbern ®ott ruft, ohne irgenb roeldheä SSerbienft non
*) 2. (5or. 3, 5. 1. (5or. 12, 3.
3iöei aUgemcine oberfte (i^efe^e für bie veligiöfen fünfte.
385
imfercv eeite, ben (iMauben jorool^l a(§ bie ^iebe ju if)m in unfcver
Seele juevft ^evnov" * ). „2Inber§/' fo betet in biefem Sinne in bev
Vitnrgie be§ (J^nrfnmstagä bie Äivdje ,511 bent „atlinäil)tigen , einigen
C^'ott'', „anbevS, al§ inbein bn bnvd) beine @nabe auf ibr ©enuitl) inirfft,
gibt e§ für deinen ber (iHänbigen in irgenb inelcber Sngenb ein 2I^acb§=
tbnm" ; nnb inie St. 3lngnftin jagt, „in ineffen .'Tier,^ (ibvifti Salbung
nicl)t ift ober nicl)t föinmt, men fein iMeift nicl)t innerlich lehrt, ber
fehrt non jebeni tiehrer nnbelehrt jnrücf".
Sag ift ein fynnbamentalfati ber chriftlichen Offenbarung; nnb es
märe pelagianifche .vinrefie, menn jentanb glauben mollte, ein nod) fo
nollenbetes SÖerf ber religiöfen 2lrd)itectnr , ein nod) fo meifterhaft nor=
getragener litnrgifcher @efang, eine nod) fo gelungene Sarftellung bes
.'^errn am Ärenje ober feiner gebenebeiten iD^ntter, eine nod) fo ergreifenbe
ifirebigt märe für fid) allein, ol)ne bie ilRitthätigfeit be§ ®eifte§,
im Staube, auf ein DJtenfchenherj and) mir ben minbeften religiöfen (5'in=
brncf ^n madjen, in einer Seele and) nnr ben flüd)tigften (^Jebanfen non
übernatürlid)em 21'erthe hevnorgnrnfen.
3ft aber bem alfo, bann ergeben fid) barans ol)ne JOeitereg biefe
jmei ©efehe:
(vrfteng : (rin r e l i g i o f e g .ft u n ft m e r f b a r f n i d) t g ent h a U
teil, mobiird) bie iOlitthätigf eit beg C^’eifteg, aiig:
g e f d) 1 0 f f e n ober b e e i n t r ä d) t i g t m i r b ;
3ineiteng: ^ebeg Sßerf einer religiöfen .ft n 11 ft fotl fo ge=
arbeitet f e i) 11 , b a f) eg bem Sinne beg 1) e’ i l i g e n ()3 e i ft e g , nnb
ber K' e i f e in m e l d) e r feine (Si n a b e n ro i r t e n pflegt, 111 ö g-
l i d) ft e n t f p r i d) t nnb fid) a n f d) l i e f) t.
25>ir fönnen ben Sinn biefer (^xfelje nicht beffer erläutern, il)re Oe=
beutnng nicht flarer Ijernortreten laffen, alg inbein mir benfelben jnnäd)ft
thatfäd)lii^e Cfrfdjeinnngen gegenüberftellen , mie fie bie (53efd)id)te ber
ibünfte in grofier i\'ülle bietet.
i 2.
Äiftortfdic Sadünefc )ur diräuicrung bcs crflen ((»cfctics.
274-. 2llg einer ber nor^üglidiften florentinifdfen DJtaler jnr ^eit
beg (3ogmng non 'Siebici gilt uielfad) 'ivra ,^-ilippo l'ippi, aiig bem ft'ar;
ineliterorben. ülad) ;)öio haben feine Silber etmag O-riginelleg, fveffelnbeg,
nnb üben babnrd) beim erften 2lnblid eine 2lrt ningifdier SBirfnng:
man glaubt ein tief religiöfeg (iünnälbe, non ber Ütictitnng fi;-ra 2lngelico’g,
*) Conc. Araus. II. can. 20. et ante fin.
Siingmann, 3[cftfietit. 2. 2tufl.
25
386
3roei allgemeine oberfte (Sefe^e für bie religiöfen Äünfte:
üov fi(^ 5U !^aben ; fafet inan inbe^ bie ©eftatten unb bie ©efii^ter nä^er
inä Singe, fo fü^It man [ic^ batb enttäufd)t.
®ie ber berüchtigte SO^önd) bei feinen „religiöfen" Seiftungen ner=
fut)r, geigt ein eingigeä SSeifpiet gur ©ennge. ^a^re 1458 hatte er
au§ bem Sloniciate eineg fVrauent'lofterg gu ifjrato, roo er gerabe ein
Slltarbilb malte, ein tÖMbdien entführt, Sucregia 23uti. SDie ®ispen§
üon feinen Orbenggelübben , melcbe ber ipapft ©ugen IV. , bamit bem
Slergerni^ burd) eine gültige !£ranung ein ©nbe gemadbt mürbe, ihm
antrng, holte er abgelehnt, meil eö für fie unb ihn biefer (Seremonie
nicht bebürfe. ®er üppige ö^of gu f^-loreng „la^te eine SBeile über ben
iDIif^griff bes f^ra f^ilippo" : unb e§ ift roohl biefer philofophifdien S:o=
terang gugufchreiben , roenn ber Se^tere in ber Unnerfchümtheit fo rceit
ging, burch ein öffentli^es ©emälbe an geraeiljter Stätte feiner Schanbe
ein Senfmal gu fe^en. ©in ^heil ber go'eäconiolefeien im ®om gu
ifJrato nämlich, an benen er um fene ^eil arbeitete, ftellt Scenen an§
ber ©efdüd)te beg heiligen ^ohanneg 33aptifta bar. Sllg bie Tochter ber
.^erobiag nun erfcheint in biefen Scenen regelmäßig, b. h- bei ben brei
Slnläffen roo fie norlömmt, „feine Slnbere alg bie fchöne Sucregia IButi,
nicht minber reigenb burch ihren Slngug alg burch ihi^e Haltung unb ihre
einnehmenben S3eroegungen, bie mit einem roahren Slufraanbe non Äunft
miebergegeben finb. SHermittelft einer Slnftrengnng ber ©inbilbunggfraft
fönnte man fie für eine Sipmphe holten, einem Original auf irgenb einem
antifen SSagrelief nachgebilbet. Slber aller Räuber biefer heibnifchen DIeige
ift nidht im Stanbe, eine fo fchreienbe ©ntmeihung beg ^eiligen gu mi©
bern; unb eg märe unbegreiflich , roie ber Dliagiftrat ber Stabt, bie
SBürbenträger ber ©athebrale, unb bie IBenölferung felbft bie ja hoch
aus ©hniften beftanb, fich bie fyredhheit hätten gefallen laffen, raenn nid)t
bag ftolge 'ftortrait einer ^4^erfönlichfeit in rothem ©eraanbe, bem tangenben
Slläbd)en gegenüber , SlUeg erflärte. Siefe if^erfönlichfeit , ber bamalige
'f3ropft ber Oomfirche, mar nämli^ ©arl non ÜJiebici, ein natürlicher
Sohn beg ölten ©ogmug" *).
Stuf einem fleineren ©emälbe, non nur brei ©eftalten, bag fich io
ber ©atlerie begli Uffigf in J-loreng befinbet, läßt f^ra f^ilippo feine
Sucregia fogar bie heilige Songfrau norftelleu, unb alg ber fleine So=
hanneg ißaptifta fignrirt neben ihr ein giemlich unbebeutenber Sprößling
ber SJlebici**).
Sorengo non SOIebici, „il SlRagnifico", ber 1469 feinem SSater ©og=
mng nachfolgte, ,,begünftigte bie gleiche naturaliftifch=fenfuatiftifche IRich-
tnng oiig ollen Kräften; bie breinnbgmangig Soh’^e feiner Iftegiernng
*) Rio, t. 1. p. 360. 362—364. (6it. 383.)
**) Rio, t. 1. p. 362.
^iftorif(^e SSeifpiele jur ©rläutenmg be§ erften.
387
bilbeu in bet @efd)td^te be§ et^ifd^en l'ebenä inte ber fünfte eine ‘^eriobe
traurigen 2tnbenten§" *). 0o, rcar es ganj natürtid) , raenn ju 0ano=
narota’S 9iatnvaIiSmuS non ben gottgeroei^ten Stätten ganj
offen ®efi^ ergriffen t)atte, nnb bie oor^er mitget^eitte fc^amlofe ifiro:
fanation beS ?fva J-itippo fiippi feben 'JUigenbtiif loieberbott ronvbe. 2ItS
bie alterfeligfte tjeitige iShrgbalena , nnb felbft atS ben
(5-oangeliften ' malte man auf 3lltarbilbern if?ottraitS non
'D3Mbd)en, nnb .^umr meiftenS oon fold)en, bie in fvloren^ mefjr atS gm
gefannt loaren. ®abei loav 5(UeS baranf beved)iiet, bie (JinbitbiingSfraft
ber 33efd)nner jn oernnreinigen. ilerfnbrevifd) reijenbe narfte @eftalten
ftettte man auf ben i3i(bern in fd)am(ofefter SBeife jnr Sdjan; nnb bei
ber gebenebeiten 9}htttev beS ,s8errn nnb Ijeiligen fyranen hielt man fid)
nidht blofi nid)t an bie altf)ergebrad)te @emnnbnng, fonbern man gab ihnen
ein (ioftüm in roelchem fie fich ungefähr raie nornehme 33uhterinnen miS'
nahmen. ,^shv laflt bie Jungfrau ‘Dtaria anftreten roie eine öffentlidhe
!Dirne gefleibet !‘ **) ruft entrnftet Saoonarola auS in feiner '^^rebigt am
britten Samstag ber jügeltofer oerfuhren bie , Zünftler,
Toenn fie für Cratorien in ipaläften ober anberen ,'öänfern ©emälbe jn
liefern hatten" ***).
©erfelben >^eit gehört ein itaSrelief an oon 5tntonio i|}oUainolo,
einem beoor^ugten ©ünftlinge iorenjo’S oon iÖiebici, baS bie jtrenjignng
beS .s^errn bnrftellt. „®er @efid)tSanSbrud: (ihrifti auf bemfelben ift
oon abftofjenber ©emeinheit, nnb bie heiligen f^rnnen finb gefleibet loie
‘5'änjerinnen loährenb ber -VmnbStage" f).
UebrigenS toar eS feineSioegS allein bie fylorentinifche Sdhnte, bie
fid) nach biefer Dfichtnng in fo fdjmählicher SSteife oerirrte: bnS beioeift
fd)on bie früher (S, 383) d)aracterifirte „iliagbalena" (toreggio’S. Unb
als O'oreggio ftarb (1534), hatte 'Utidiel^^lngelo eben fein oielgerühmteS
„füngfteS ©erid)t" in ber Sirtinifdien f^apelle ,;;n malen angefangen, baS
er im (cahre 1541 oollenbete. 21nf biefem gigantifd)en ©emälbe trieb er
„ben (Kultus ber tUarftheit, beffen 5lpoftet nnb .s>ohepriefter er nurr" ff),
fo toeit, bap oier^ehn ^sahve fpäter '(.'nnl IV. in ber Sirtino ben un=
lüilligen SluSruf hören lief;, „ob bnS ein ©otteShnnS feo ober ein 23abe=
fnal", unb bas 2^ilb nur mit 'Uffihe babnrd) oor ber oon biefem ifJapfte
beabfidjtigten iternichtnng beioahrt lonrbe, bap ®aniel oon 5j>olterra ein=
seine 3facftheiten übermalte ftfl Saloatore iKofa aber gab fpäter ber
*) Rio, t. 1. p. 377. ((lit. 383.)
„Voi täte parer la Vergine Maria vestita come una meretrice !‘‘
***) Rio, t. 2. p. 423. 424.
•;•) Rio, t. 1. p. 376.
jf) Rio, t. 4. p. 397.
ttt) 21. 2ö. 2(mbro5, @ef(^tchte ber 2Jhinf, 2lb. 4. 0. 9 f.
25*
388
3roci aßgeineine ofierfte @efe^e für bie rcltgiöfen fünfte:
allgemeinen ÜO^Bbitligung in einer ievjine 3(itsbrucf, in meici^er er bem
iIRid^el:3bngeto in§ ©efid]! jagt, „er §abe menig Urt^eii nnb S:act'' *).
275. 5)ng ber ijeUige (^eift ^^^robucte roie bie ermähnten, nid)t jened
'8egen§ mürbigen fann, o^ne roeid^en jebe religiöfe SSirfung nnmöglit^
ift, bürfte bem Sefer non [eibft eintenc^ten. ©oic^en ©rfc^einnngen gegen=
über ffatte barnm ba§ (5oncü ju Orient, and) roenn ed auöfd^lie^Uc^
ben ©tanbpnnft ber Sleft^etif ^ätte ein^aiten rooden, offenbar
3(ntaf3 genug, mit altem ükd)brnct barauf 311 bringen, bap „oon retigiöfen
33itbroerfen jebe 3tU5gelaffent)eit, atte§ finnlidi ü^eijenbe nnb minber 3üd)=
tige fernget)otten merbe 284). gß>^ analoger 25>eife l^atte ba§ (ioncit
bereite in einer früheren Sitjnng ben ißifeböfen bie S5>eifnng gegeben,
„jebeS Sionftücf oon ihren Ä'ird)en anä^nfdjtieüen , roetched, fe:) e§ bnri^
bas S'piet ber Crget fep e§ burd) ben @efang, ben (iSinbrud ber
uotität ober ber lleppigfeit madie'' 285). 5tber roenn bie ^nerft erroätinte
i^erfügung feinesroegs noUfommen itjren erreidjte, fo fd)ien bie
3ioeite fd)on nad) fieben ffsüfl^^ehnten roieber fo gut roie ooUftönbig ner=
geffen 311 fepn. Riefen (^-inbrud empfängt man, roenn man hlflo^’ift^e
ü^eridfte lieft roie ben folgenbcn.
Ser grofje '^'aleftrina , erzählt 5lmbros, roar taum au§ bem Öeben
gefdjieben, als ber neue @tpl ber italienifd)en Oper, ben bie iD{ufif=
entfinfiaften oergotterten, 53erfnd)e madite, fid) in bie 5lird)e ein3ubrängen :
nnb „roo bieg einmal gelang, bort fefete er fein oerroeichlichenbeg Spiel,
feinen Ol)renfd)inang, feine idrtnofenfünfte nnb (5'ffectftüde in Scene;
nnb ber (Effect blieb nid)t ans. Sie Äird)e begann ber ßoncertfanl 311
roerben für ©efangsgröpen roeld)e fid) hören laffen rooüten; fogar bie
Dtonnen in 9tom fingen an, mit '^rimabonnen gelegentlid) eine fe^r be^
bentliche Dtehnticl)feit an3nnehmen. Selbft roo ber elirlid) genug
bei ber Sache roar, um religiöfe Erhebung 311 fnd)en, lief am @nbe 3tCle§
auf überrei5te, allenfallg religiös gefärbte, ®efül)l§fd)roärmerei
himmelroeit entfernt oon ronl)rer 5lnbad)t: eg genügt, fich beg
bei l'oreto’g ,i)Jiügbalena‘ in Sl)ränen 3erflieBenben Ulubitorinmg 3U er^
innern. 3ln bie Stelle ber ©efäitge i]3aleftrina’g traten halb oor
©mpfinbung fd)mel3cnbe, halb mit 23rittantcotoratnr überlabene 2lrien;
halb 55er3engfit3el , halb Ohrenfil)el; ein fehr 3roeifelhafteg 3tppettiren an
bie höhnte Ücatnr beg )Ütenfd)en bnrdi bie nieberen,
finnlidien, hinbnrd) . . .
„®in intereffanteg Stüd, in ben gefammelten ®efängen neuen Stplg
oon tRabefca ba Aoggia, ift eine dl^arienflage, eam e roeldhe
*) Michelangelo mio, non parlo in giuoeo;
Qnesto che dipingete e un gran giudizio,
Ma del giudizio voi ne avete poco.
Iji|'tovi[d^e Scifpiele juv (5-rläutevung be§ erften.
389
in ion unb .'paltnng ber berüljinten 2iriabueflage 9Jiontcuevbe’s fo nijuUd)
flingt, ba[3 bie 3(e^nlid)f'eit rool)i nid)t eine blofi jntäUige ifi. 5pnter
imu'be and) biefe 2frtnbnefiage ^Jcontenerbe’s felbft juin JUagegefang bev
'Diäter botorofa jnvedjtgeinndit *) . . T'ap e§ ,3iiiii'(^en geiftüdier nnb
inettlidjer Diuiif einen Unterfdiieb be§ ■Stpid gebe nnb geben inüfie, ba§
fiet ben non ibretn neuen beclnmntoriid):ine(obt)d):inonobiid)en 0tpt be=
geifterten Senten nid)t int ^ivaiime ein. 5)ic Dtni'if bev ineiften fteineren
(iomponiften ber ^>^eit pagt in if)rer ^tnsbrncfötoiigfeit allerbingö gteid)
gnt, ober üielmebr gieid) fd)led)t, nnf @cift(id)e§ nnb äi>e(ttid)ed . . .
„irde bie beiininberten dfonnengeitinge in dioin ansfaben, banon ift
nn§ in ben .ibpmnen einer röinifd)en Donne ooin Orben ber bdtigen (Harn
eine 'V'vobe erbalten, ^seber gefunbe religiöse @inn toirb fid) angeiuibert
füblcn, loenn er j. D. gieid) bie erfte .*öi)mne ber ,mi§ 3^emntb ungenannt
gebliebenen‘ 'dionne nnb ODinponiftin bövt:
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ve - ni. ve - ni. ve - ni, ve - ni me - um cor,
*) 3triabue, eine iocptev bes Äonigs 93iiuo5 non (iretü, lieg fid) non d()efcitä
cutfüpveu, unb imirbe bann uou i[)in auf ber tftnvoä tveutoS Devlnn'en. ÜBie
überaus tnctnoll es innr, lucuu mau 'DJioutcucvbe’S Älage ber 3lrinbue 511 einer
Tetigiöfeu (Joiupofitiou über bie ©djinerjcu OJiarift „;ured)tmnd)tC', bnö berocift beucu
roeld)c bie alte fyabel felbft etiim uid)t fcuueu, piuläuglid) bie folgenbe Stroppe, mit
roeldfev bei 31. Scblcget bie betrogene e?'ntcl)rte it)ve Älnge bejepliefU:
r’triabne, actj bii bifi gcfalten,
33ift in odfinad) geiunfen ! loepe bir!
£’U, Dorbein beS dJtnttcrlnnbeS
.)Öod) unb pevrlid) uor ben 33täbd)en allen!
i2d)n'c)‘tern ! nie erfnprt mnS id) erfuhr;
3)aü end) trüg’ ein leidjt oenuepter 0djinur,
3tmovs (vndel .ppmenS fyeft uertünbc
Unb ben ^djcitcrpanfcn uinbc.
390
3roci allgemeine oberfte (Sefeße für bie religiöfen fünfte:
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ißi§ gum ®ramatifd)eii , aber aiid^ bis jum 33ebenbUc^en
fteigert fid^ l^ier bie Seibenfd^aft. 2BaS für trübe gtammen tobern auS
biefem unaufl^ör(id)en I^ei3:fe!^n[üd^tigen veni, veni, auS biefen aufftöl^neni
beit Ob=diufen! SBeiin 33entini’S bevü^mtefte unb berüd^tigtefte ^^^erefia
fingen fönnte, fie mürbe äbnlictfe 3:öne bören taffen*).
„SBie bie SJdnfif, ebenfo trieb audb bie ,geifttidt)e‘ ©id^tung ju jener
3eit (im 17. 3abr^»"^£rt) mitunter nemninberli^e Stüten. ®er Stbbate
P. Stngeto ©ritto 31eibe non ©ebic^ten ,über baS 2tngefidt)t
beS tobten töeitanbeS‘ **) gefdjrieben, roetdbe ,da diversi autori‘ in iltdufif
*) Die Don älmbroS ennätinte „Jfierefia 33ernint’§" ift eine Öruppe biefcS
Äünftterg (f 1680) in ber Äirdbe Santa ÜJtaria bcUa SSittoria ju 'Jtom, meldie bav=
[teilen foll, lüie ber beidgea rodbrenb einer (äeftafe, non einem (Sngel ba§
.perj mit einem feurigen 'Pfeile burebbobrt roirb. ®ie @ruppe trägt ein ©epräge
non Süfternbeit; „ber Slusbrud einer obnmäcbtigen SSerjücfung läuft" nadb Sübfe
„auf eine raffinirt finn liebe Sdbilberung binans".
**) Canoro pianto di Maria Vergine sopra la taccia di Cristo estinto.
^iftorijdje Seifpiele jur (Erläuterung beä jroeitcn.
391
gefegt, unb üon Slngelico '^^atto 1613 511 iBenebig !^erau§gegeben lüuvben.
b>ier finben raiv ©efäiige , sopra la fronte‘, , sopra gl’ occhi‘, , sopra il
naso‘, , sopra la barba‘, u. f. TD. (?'in Don '^'atto beigefügter SDialog
5irifd)en (ibvifto unb bem eänbcr, ,Ferma, ferina 0 Signore‘, ift ein
nvfprünglid) iDeltlid]e§ 0tnd:, ,FernTa, ferma 0 Caronte‘; '^atto (egte
ber (Sonipofition ben geiftUd)en Jett nntcv" *).
§. 3.
3«r (Srfäutcrung bes jwciten ^efc^es.
I.
.'niftorifd)e (Beifpiele.
376. 9tüdfid)t auf bag erfte nuferer jTuei ©efet^e bnrften bie
ongefn^rten 23eifpie(e uortnnfig genügen. 0o l^ünfig übrigeng baffelbe
and) Don ben uerfcbiebcnen fünften Derbingnet rnirb, ung(eid) ja()(reid)er
nod) finb bie (ßerftöfie gegen bng ,yneite. SSJarum, bag begreift fid) leidbt.
!;^ft eg an fid) fd)on fd)iDerer, ein Äunftraerf „ganj bem ©inne beg l^ei=
ligen ©eifteg gemtiff, nnb fo ein^nrid)ten , baf) eg ber 29eife in roetdfer
berfelbe burd) bie innere ©nobe ;^n tuirfen pflegt, in Dodein 'OJtaabe ent=
fpricbt'b a(g blof), Otlleg non bem inerte fernjntjalten, moburd^ bie “iDiit:
tliätigfeit beg f)ei(igen ©eifteg anggefdjioffen mürbe: fo merben A-e^Ier
biefer letzten 3(rt überbieg and) oiel e^er mabrgenommen, fc^örfer getabelt,
nnb mit größerer ©ntfd)iebenf)eit jurüdgemiefen.
277. ©onateKIo, ber 33egrünber jener großen 33ilb()anerfd^n(e meld)e
in ä)ti(ibe(-?lnge(o il^re l)öd)fte Slüte erlebte, mar ein tücl)tiger Äünftler;
aber, fagt iKio Don il)m, eg ift i()m nie gelungen, ein oollenbeteg iDal)r=
^nft religio feg Sioerf jn fi^affen. ©eine 3?ilber trugen niel ,?,n menig
bag ©eprüge ber llebernatürlid)fett , nnb barnm fel)lte il)uen bie 3i>eil)e,
b. f). bie religiöfe SSMrffamfeit für bag ©emütl). ©inft Ifatte er ein
©rncifir in A^otj gearbeitet, unb );eigte eg, meil er eg für befonberg ge=
hingen ^ielt, feinem » bem il)m meit überlegenen 33rnnellefdii.
©tatt bng iöerf, mie ©onatello ermartet batte, ju (oben, fagte tBrnnel-
(efdii läcbelnb: „SBenn man einen ganj gemöl)nlid)en tll^ann oom Sanbe
an ein Ärenj l)ängt, fo ift bag nod) nid)t ein ©rucifir; beim ber (Mott-
menfd) mar fcbön oor ben jtinbern ber 'IFenfd)eiü' **).
^n ganj analoger 2.Meife mie in biefem A-alle, üerfnl)r ©onatello
bei brei ©tatnen , melcbe er für bie 'lliißenfeite beg ©lorfentl)nrmeg nm
©ome )u A-lorei^ gearbeitet l)at. ©iefelben foüen, fo mirb angenommen.
*) '.'UnbroS, 33b. 4. Z. 309 fj. ((Sit. 387.)
**) Rio, t. 1. p. 276. (Sit. 383.)
392
3roei attgeuieine oberfte ©efe^e füv bie rctigiöien fünfte:
ben Äönig ©aüib, ben ^^ropr)eten ^eremtaS, unb ben 3Sor(äufev beä
.'perrn üovftetlen; aber ®onateUo fd)eint fo roenig gealjnt ju I)aben, raa§
e§ ^eif^e, ba§ 23ilb eines ‘’^^atriard^en ober eines i|}rop^eten fctiaffen, ba^
er fi(^ als ilRufter gan^ einfai^ brei braoe 23ürger oon ^lorenj roä^lte,
bie nac^ Sllter, .'paftung unb ©efic^tSauSbrucf il)nt für foldje IRoUen am
beften gii paffen fd)ienen. 9^id)tSbeftoroeniger mar nid)t bIof3 ber Zünftler,
fonbern aud^ baS if.niblicinn namentlid) über ben ^önig S)aüib ganj
entjürft *1.
(riner oon ''|>erugino’S l'elirern, 55uonfig(i, ber unter mandber lRüd=
fid)t als guter 9)daler gelten fanu, portraitirte auf einem ©emülbe, ber
2lnbetung ber beiligen brei j^önige, feine ©d)roefter, feinen Dbeffeu unb
feinen 93ruber, inbem er burdj fie bie b^itige ^wngfi^aiü baS Äinb ^efuS,
unb ben jüngften ber brei Könige bnrftellte '"••*). ^n gan^ gleicher Steife
uerfubr, gleidbfallS bei ber Slnbetung ber brei Steifen, ber fouft nidbt
minber tüdbtige ©b^i'^^'i'^baio ; feine Stieffd^roefter 9lleffanbra, ein pro=
faif(^eS @efidjt baS mit einem ibealen TppuS nidbtS gemein bat/ tft bie
ODiutter beS .Sperrn; ber iD^ann ber 9Ueffanbra, iDdaiuarbi, erfcb^^^t alS
einer ber Ä'önige; für anbere iHotleu bat er piei ißrüber benutzt bie
feine ecbüler roaren, unb fpiiter and) feinen ^iobn Diibolfo ***).
p^roei anbere 93eifpie(e bie Iji^i^b'-'^’ geböven, haben mir bereits im
3lnfange biefeS JüapitelS gegeben (®. 382 f.). 311S gleidiartigeS Weitem
ftücl ju biefen fönuen mir hiev nod) einen .pottfd)nitt oon Sllbrecbt ®ürer,
auS bem 2^abre 1511, anfübren, ber mie bie ermahnten, ebenfalls „bie
heilige fyamilie" oorftclleu foll. iTaS 93üb ,^eigt unS aber lebiglicb eine
gemöbnlid)e f^amilienfcene; oon ber „heiligen" jyamilie nimmt man nii^t
baS 91iinbefte mabr. !?ie 'llhitter beS .'perru ift eine gan^ gemöbulidbe
ivrau, unb baS .tdinb ein nod) gemöhnlicbei'fi^ Heiner 23ube, an melcbem
nid)tS Ilebermenfd)tidheS , gefdhmeige beim etuurS ©öttlidjeS ficbtbar ift.
„DJiaria unb 3lnna", fo befdhreibt IBeder ben ipol^fcbnitt, ben er in
fleinerem iBhaafiftabe auch miebergibt, „iDinria unb 3lnna, mit bem
9^efuSfnnben fd)äfernb, fitseu unter einem 33aume; hinter ihnen fdbaut
;jofepb bem munteren Äinbe jii, mnbrenb ber alte Joachim mit bem=
felben eine Siederei ju treiben fd)eint; in ber einen ipanb eine Stelle, in
ber anberen einen Stofenlraiui f) baltenb, ift ber ©rofioater offenbar
im 33egriff, bem .idnaben bie (Jrftere an^nbieten, um fie, menu biefer
3ugreift, eben fo fdfnell mieber ^^nrüd^ujieben mie ben Stcfenfrai^ , mit
*) Rio, t. 1. p 287. (6it. 383.)
**) Rio, t. 2. p. 220.
***) Rio, t. 1. p. 389. 386.
t) 9Jtit biefer Seiitimg bürfte Secfer irren; ein Jtofcnfranj ift bie ©(bnur,
mit elf ober jroölf fleinen Äugeln nnb einer Caiafte nn jebem d'itbc, roobl faunt.
Ijtftovii'c^e Seifpictc jiir GTläiiterung bes jroeiten.
393
raeldjem er ben gleid)cn ®d)erj im Süigenbltcfe oovljev au§gefül)vt fjat" * **)).
2^0 ift ba and) nur (51u ..^ug ber jiir 2inbad)t ftimmte, ber bas ^^erj
uub ben (Meift über btefe O'rbe btnanfjnbeben , nnb ein religiöfcS (siefiU)!
an^uregen im Staube iiuire? Solange bie 2,1'ett ftef)t, bat es nur (5'inc
„heilige gmittiUe" gegeben; mie niele Familien gab es aber nid)t tu ieber
3eit, bie fid) gerabe jo barfteüen lieften!
278. Sollen mir auch lieber ein 23eifpiel ans bem ©ebiete bes
Iitnrgild)en ©efangeS geben? ®ie unter '4-'üis lY. mit ber iHeform ber
Äird)enmuiif beanftrogte (Jommiffion, t» meldjer ber heilige (^'arl 2:^orro=
miinS gehörte, einigte fid) [ofort, unter ?(nberem, ju bem 23cidjlniY bap
DDceffen über iB^otuie meldje iHÜfsliebern , alfo roeltlidjen ?t)celobien, ent=
lehnt fegen, nidft meiter gefungen merben foüten. ^rbifdte ©efühle nnb
religiöfe liegen eben tu roeit nuS einanber, alS baf; eine iDMobie meld)e
geeignet ift jene mndjtnrufen, 311 bem SSMrten beS heiligen ©eifteS nnb
feiner ©nabe leidit ftimmen fönnte; anberfeitS mirft bie mit einer be=
fnnnten roeltlid)en SBeife fid) nerfnüpfenbe ©rinnerung biefem 2'9irfen
ftörenb entgegen. ÜJhin miiü ftaunen , menn man lieft, mie trol5 bes
ermahnten iierboteS felbft ber große ''l'oleftrina nod) i)9?effen componiren
tonnte über DJcotine mie Gia fi'i ein m’ehhe cara, ober QuaV e il piii
grancV amor , ober Nasce Ja gioia mia. Unb bie 5,)leffe meld)er ber
iSceifter in flnger i'orficht ben nnfdfnlbigen Sitel gab „Missa primi
toni“, hui als i)9^otiü bie i)Jcelobie fverrabofco’S 311 Io nii son giova-
netta, einem lüebe oon 23occaccio; ‘■ipaleftrina lieft biefclbe im ,fsnl)re 1570,
fnum fed)S fs'ahre und) bem imrhcr ermähnten Secrete ber ©ommiffion,
311 ülom brnefen
II.
SÜ'as ber Äünftler insbefonberc 311 bcobad}tcit habe, bamit feine Veiftungen bem
Sinne bes heiligen ©'elftes entfpred)cn.
270. 9,\©nn bie bisher aufgeführten ißeifpiele bem ©iebiete oon nur
brei .©'ünften entnommen finb, fo luirb man baraus nid)t ben Sd)lnfi
3iehen roollen, als ob '-lierftöße gegen nufere tmei ©iefehe nidit and) in
ben ©■r3cugniffen ber religiöfen 2lrd)itectur , ber geiftlid)en "l'oefie nnb
iPerebtfnmfeit imrfommen tonnten, nnb thatfäd)lid) imrtämen. ©'S hnn-
belte fid) hiev lebiglid) tnnnchft um eine ©rtlnrnng ber tmei ©©fette, nnb
*) Seefev, ®b. 1. S. 317. ((nt. 383.)
**) Bgl. Stmbros, ®b. 4. 0. l(i. 22. 29. (Git. 387.)
®eld)cv 2(rt bic 6e’,eid)iieten Sieber angel)öveu , beuten fd)on bie oben im itur.
tieniidjen Criginaltert gegebenen erften iterfe ben’elbcn nn: „(?•§ nmr einft, ber mteg
liebte", „®a§ ift bie gröfue Siebe", „3td) bin ein jnngeS iUiäbdjen" . .
394
3n)ci allgemeine oberfte ©efe^e füv bie religiöfen fünfte:
für btefe fanu ba§ (Gegebene ^tnreid^en; anberfeit§ raerben roir bei ber
befonberen 33e^anbtung ber eini^einen fünfte ^öeranlaffung l^aben, auf
fene (Sefe^e ^urücfjutoinmen.
ÜSa§ übrtgeng ba§ ^roeite berfetben betrifft, fo finbet mau e§ uiel--
leidet roüufd^enäraertf) , baf? roir ni(^t blofe an ®eifpieten jeigen, roie eä
uerlel3t roerben fönne, fonberu überbieä aud^ angeben, roaä ber ^ünftter,
bamit er bemfelben in feinen Seiftungen entfpredtje, ju beobad^ten ^abe.
(J§ ift nidt)t leidet,, burd) Stnbentungen bie ade retigiöfen Äünfte umfaffen
foden, biefem 2Bunf^e uodftänbig ;^u genügen; roir rooüen inbejf ben
Ü?erfud^ baju madjen.
280. „®em Sinne be§ l^eiligen ©eiftes entfpre^en" roirb ein reti=
giöfeä Äunftroert um fo uodfommener, je me^r e§ bem Zünftler getungen
ift, bie retigiöfe Sbatfad^e ober bie religiöfe Sßo^r^eit roet(^e feinen
l^alt bitbet, in bemfelben genau fo ju geben, roie ber tieitige ©eift fie in
ber ^eiligen ©d^rift, ober in ber Se^re uub bem ©tauben ber ^ird^e
niebergetegt l^at. S)ienfd^tid)e 3utf)at roetd^e bas in biefen Oueden ©e=
botene roefenttid) ünbert, ober roidfürtidbeS 2Begtaffen irgenbroie bebeutenber
i)!)tomente, ift barum bur^ unfer ©efe^i auSgefd)loffen.
ißor 2tdem aber ift in aden f^ädeu bas ju bead}ten, ba^ ber ge=
fammte ^nf)att ber heiligen Schrift forooht atS überhaupt ber (hrifttidhen
Sehre ber übernatürtid)en Orbuung angehört. ®ie meiften reli=
giöfen SSahi'heiten, nnb bie uorjügti^fteii ^hatfadhen ber heiligen S^rift,
finb fdhon an fidh, ihrem ganjen Söefen nach, übernatürtidh ; aber aud)
ade übrigen empfangen ihre höhere 2Seihe baburdh, öaü einerfeitS ber
heilige ©eift ober bie ,^ird)e eS ift bie fie ber (Shriftenheit nortegt, unb
baß fie anberfeitS ju übernatürlichen ^n^eden in unlösbare Sejiehung
gefegt erfd)eineu. ®enn roie baS alte Seftament, burd) 3ldeS roaS eS
enthalt, bie ©rfdheinung beS ©rlöferS unb bie ©efd)id)te feiner Äirdhe
oorjubebeuten unb oorjubereiten beftimmt roar, fo hnl>en ade üBahrheiten
roeldie bie Äirdhe unS lehrt, einjig ben 3i^ed, unS jur Siebe gegen ©ott
unb jum eroigen Seben ju führen.
5ltfo, baS ift eS roaS roir henoorheben roollten, ber 23orrourf eines
retigiöfen ÄuuftroerfeS ift immer ein übernatürtidher ©egenftanb.
SaS religiöfe jlunftroerf fanu mithin bem Sinne beS h^ilifl^n ©eifteS
unmögtid) eutfpred)en, roenn ber Äünftler beS übernatürlidhen SBertheS
feines 33orrourfS fidh nidjt beroußt, roenn er oon ber ©rö^e unb 23ebeu=
tuug beffetben ni^t lief bnrdhbrungen ift, unb in -Jolge beffen in feiner
Sarftedung ihn feines hin^inlifd)en 5lbelS entfleibet; roenn er bie oer;
ehrungSroürbigen C^haractere unb ©rfd)einungen roetd)e bie Offenbarung
uuS fenuen lehrt, nicht ganj roefentlid) anberS barftedt, alS roie geroöhm
liehe ÜJienfchen unb adtäglidhe ißorfommniffe; roenn er eS ni(^t nerfteht,
baS roaS in ben ©eheimniffen ber ^Religion baS 3tuge beS ©laubenS er^
Folgerungen '^infi^tlid^ bc§ Äünftlerg au§ bcni jrociten.
395
fennt, in bev lEdjöpfung feiner .Hunft fidjtbar unb börbav in foldjcr
SS^eiie iniebeiFitgeben nnb anäjuprägen, bnf? ber gläubige ©inn e§ barin
erfaßt, unb ba§ religiöfe (i^emiitl) nd) baoon berührt unb angeregt fül^lt.
ÜJiit (?:-inem Sporte, ba§ il^erf einer religiöfen .^unft muß notbroeubig
mißlingen, menu ber Ännftler burdi bie iK>eife feiner ©arftellung ba§
©öttliclie üermenfd)lid)t , baä ,'oimmlifdic in bloß nermanbelt,
ba§ Uebernatürlidie „naturatifirt".
ii>ir bitten bei bern Gefügten unmittelbar unb junädbft fold^e ibe-
mata religiöfer Jtunftmerfe im 3(uge, meldie ber bcilin^n ©dfrift ober
ber ipebre ber Äird)e entnommen merben. Ibemato biefer 5trt bilben fa
aud) febenfallg ben oorjnglidfften @egenftanb ber religiöfen .Hfinfte. üiJae
bie IBebanblnng non Jbatfadien au§ bern Veben ber Ä^eiligen @otte§, ober
allgemeiner, an§ ber ©efebidrte ber Äircbe betrifft, fo gilt oon biefen gnii;^
UlnalogeS. ©enn nid)t nur geboren ja and) fie ber i"ibernatrtrlid)en Orb;
nung an: fonbern ntenn bad Äunftmert beffen i'orraurf fie bilben, ein
„religiöfeS" fei)n foü, fo miäffen fie notbmenbig in ber Dlidbtung oer;
mertbet merben, baß fie eine übernatürlidie, bern 2Sorte @otte§ angebö=
renbe 2Sabrbeit bevoorbeben unb beleud)ten.
281. 3’’ 2^üd)ern ber beitiucn ©djrift befiel bie ©briftenbeit
eine conerete ^eiftung, melcbe ben beiügen @eift felbft ju ihrem eigent=
lidieu Urbeber bat. 31nbaltenbe§, a:rbäd)tige§, mit @ebet unb 3:^etrnd)tnng
uerbitnbeireg ©tubiuin ber b^iliS^'i Od)rift ift barutn offenbar fi"ir jeben
•Rünftler ein erfteg i).tiittel, bie Steife beg b^Uigen (fieifteg fermen ju
lernen, urrb fein eigerreg C.^iemütb nadi berfelbetr ,:iu bilben. ©ebr nabe
forrrrnen ber beiligen ©dirift, urrter berfelben Dfr'icffidjt , bie liturgifebeu
33üd)er ber .ft'irrbe, ingbeforrbere bag ‘iDleßbudb nnb bie rneiften .'öpmueri
beg iPreoierg.
Oie eirrjige autberrtifd]e 3frtglegerin beg 3r>b‘tltg ber beiligen ©d)rift,
bie tSinjige meldie ber iöienfdibeit irrr 91amerr @otteg beir ©inn unb bie
3?ebentnng ber in ber Offenbarung gegebenen 2l)ntfadien erfdjließt, ift
arrberfeitg bie .Viirdie. ,3^^'e>n @eifte bnt folglid) ber Ä'ünftler bern baran
liegt, in feinerr Sterten bern ©irrrre beg heiligen @eifteg ,:;u entfpredien,
foüiel eg ibrn nur rnöglid) ift, fid) anjirfdiliefieir ; bie ilorfdiriften nnb
31rrmeifurrgen , meldie fie für feine Jtunft, fet) eg irn 3tUgemeinen fep eg
biniiditliib einjelner 'Oormürfe, etma erlaffen bnt^ nmfs er ftubiren, unb
treu ein^nbalten beftrebt ferm; mit jenen Öeiftungen feiner Ä'unft, meldje
bie ilirebe etma in befonberer 2öeife gntgebeißerr unb empfohlen bni^ ninß
er fidi oertrant rnncbeir, unb an ihnen jene 59eife ber Oarftellnng leriren,
meldie bie Uebernatnrlidifeit feirreg Oormnrfg foroobl alg feiner roeferrU
Ueberr 3lufgabe erbeifdjt. üiidit auf ben Öieborfarn ben jeber Cibrift ber
Äircbe fdinlbet, grünben luir hier biefe 'Oorfdbrift: biefelbe bilbet einfad)
eine unabmeigbare jyorberung ber 3leftbetif.
396
^roei atlgemeiue oberfte @efe|e für bie religiöfen Äünfte:
■Tas imentbefjvlidffte ?0^otiient für ba§ Stefuftat um ba§ e§ fid)
üanbelt, ift übvtgend mit ade btefem nodf feinesroegs gefetzt. ,,^su ein
böfed ijevj jie^t bie SBeidtjeit nid)t ein, nod) mof)nt fie in einem Jeibe
metdiev ber @ünbe bient; i£^oren roerben fie nid)t erreichen, nnb bie
iDtänner ber finge if)rer nic^t gebenfen: benn fie ift fern non Stol^ nnb
iVa(fd)t)eit" *). dlur ber Stbter fdjant in bie i£onne nnb roirb nid)t ge=
btenbet; bas ©et^ier ber ',dnct)t bas bie fvinfternid Hebt, roeidft
nor ber .fttar^eit be§ itages, ©nten nnb fylebermänfe fiaben feine ütugen
für bas i^obc fiidft ber übernatürddfen 0d)önbeit. ?0tag eine ifJijitofopbie
bie ©Ott nerinngnet nnb ber 0ittüd)feit >>obn fprid)t, e§ fi(^ nod) fo
taut gum SBerbienfte anrec^nen, „bie ©mancipation bes ®(^önen" non ben
fyorbernngen ber dteligion nnb ber ©tt)if bnrdjgefü^rt ju ^ben**); bie
fd)önen .dünfte haben eine Vergangenheit; nnb menn fie bie iperioben
ihrer Vlüte nnb ihred Verfadd in§ 2fnge faffen, inenn fie bie Momente
ber einen nnb bie llrfachen bed anberen ju roürbigen nerftehen, bann fann
ihnen Vifcherd 3avnf: „Vrathtet am erften nad) bem Sdjönen, fo roirb
eud) bad ©Ute non felbft jufaden" **), nur roie bittere ^i^oaie ftingen.
dinr in bem i^erjen bad gtanben nnb tieben gelernt hat , fpiegetn fidj
flar bie ©eftalten einer nnüd)tbaren SLfielt; mir in ben ©mpfinbungen
eined ©)emüth§, bad tiefer geht als bad feidjte iyahfinaffer bes 21dtags=
lebend, prägt bad ©bie nnb bad ('»irofie nnb bas 0d)öne ber ('’teifter=
fphäre fid) lebenbig nnb treu nnb allnerftniiblid) ans; Sinn für bad
Uebernatürliche nnb Verftänbnip beffclben fann nur ber befit^en, ber felbft
ein übernatürliched fieben führt ; äfierfe ta fd)affen bie bnjn angethan finb,
auf 2tnbere religiöd ju inirfen, ba^u ift niemanb im Staube, ber nidjt
tief in feinem eigenen .©erjen äd)te religiöfe ©iefinnnug trägt nnb nährt:
mit ©•iuem ifiorte, fvfömmigfeit , gebiegeuer d)riftlid)er Sinn, ernfte
©iottedfurd)t , bad il't bie roefeutlid)fte ©■tgeufd)aft bes Manued ben roir
im ?luge haben.
©s ronr in ben erften 3at)t‘en beS laufenben ^alffhaaberts , ald
,}riebrid) non Sd)legel bie folgenben Sähe fchrieb. „$as religiöfe ©e;
fühl, 31nbad)t nnb fiiebe, nnb bie innigfte fülle Vegeifternng beffelben
roar es, road ben alten Malern bie .©anb führte; nnb nur bei einigen
luenigen ift and) bad hinjugefommen ober an bie Stede getreten, road
adein bad religiöfe ©efühl in ber ,unnft einigermaßen erfeßen fann, bad
tiefe Vachfinnen , bad Streben nad) einer ernften nnb roürbigen )f.'^tlo=
fophie. Vergebend fudjt man bie Vialerfnnft roieber hernop^nrufen, roenn
nicht erft bie Veligion , ober eine auf biefe gegrünbete djriftliche
fophie, roenigftend bie ^bee berfelben roieber heroorgerufen hat. V>er bad
*) ^Peish- 1, 4. Sir. 15, 7. 8.
2?iichtr< Uebcr ba§ (5’rhabene nnb Äomiiche, 'Bovrebe, ©. IV.
Jolgevungeu beä Äünftlevg aii§ bcm jroeiten.
397
innere ßeben nicf)t i)at nnb nidjt fennt, ber fann e^ nnci) alö jlünftler
nid}t in gvoüev Offenbaniiu^ ^evv(iiJ) entfalten, fonbevn beinegt fid) nur
mit fort in bem uermorrenen 0trubel eine§ btoft iinfierlidjen, innerlid)
gan,5 roefenlofen nnb eigentlid) nidjtigen ®afei)n§; ftatt bafi uns bie Äunft
gerabe an§ biefem IjcrauSriiden, nnb in bie böbere, geiftige 35>elt empor:
beben follte. b^'r bient, atd fnlfd)er DJiobefünftler , bem leeren @d)eine
einer angeneljinen Xänfcbung: nnb ein ©olcber erreidjt niemals, ja er
berüljrt and) nidft einmal bie Diegion beS äd)ten Sdjönen. iDaS £'id}t
ber göttlid)en iboffnung, getragen auf ben f^ittigeu beS feligeu ©laubenS
unb ber reinen ßiebe, obmol)l cS l)ioi'iebcn nitr in ben ®tral)len ber
eebnfucbt fdnner^lid) berüorbrid)t, ift eS, roaS unS auS ben ©ebitben ber
dn'iftlid)en Äunft, in göttlid)er iBebentung, nlS bimmlifdje ©rfd)einnng
unb flare 5lnfd)anung beS ^^immliid)en, entgegentritt unb anfprid)t, unb
moburd) biefe t)obe, geiftige ©dföubeit, meld)e mir eben barum bie d)rift;
lidje nennen, mögtid) unb für bie jvunft erreidjbnr mirb. ®ic ifbauptfadjc
bleibt barnm, bap eS bem .Künftler ©rnft fep mit bem tiefen religiöfen
©cfütjl, in maljrer 5lnbad)t unb im lebenbigen ©Hauben ; beim burd) bie
blof3e ©pielerei ber '■^Ijautafie mit ben fatl)otifd)cu ©innbilbern, nnb oljiie
jene Viebe roeldje ftürfer ift als ber ©ob, läfjt fid) bie l)ol)e d)riftUd)c
©diönl)eit nidjt erreidjen" *').
©djlegel mar noch '^©'oteftant , alS er ju biefen Ueberjeugungen ge=
langte. 9iid)t ber fatl)otifdje .HntedjiSmuS l)at ilpi ju benfelbcn gefübrt,
fonbern baS ©tubium ber ©djöpfnngeu jener DDicifter, in benen ber ©ieift
ber fatl)olifd)en ,©ird)e gelebt unb gemirft, bie non biefem ©ieifte gelernt
Ijatten, bap, roie ’jyra ?lngelico 311 fügen pflegte, religiöfe 33ilber malen
fouiel fep, als „mit bem .©eilanbe umgeljen“, bie barum nie ^um '^infcl
griffen, o^ne uorljer anbädjtig gebetet 311 baben;
Unb in flarem ©ngdfdjciue
(yiiinp Aicfolc, ber reine,
©er io beit im Viebte ftebt
iüeil bie .U'nnft ibm ein ©ebet**).
©Heim cs nnuüberfprcd)lid) auf bcm ©ebiete aller fd)önen .©ünfte ucrbcilt;
uipmäpig nur menige grope iDteifter gibt, bie gaiu im ©Hifte ber 9lcligion
gearbeitet b^ben, bann fömmt bas oljnc .^meifel uor^ugSmeife baljer, meil
*) g- 'acfitcgel, (i5emälbc6eicl)vci6ungen auö ©nriä nnb ben PUebcvlanben , in
ben 1802 — 1804. 'ißerfe ('JSien 184(i) 33b. 6. 0. 16(i ij.
Sa§ Scbleget t)tev bic „cpriftlicfie 0d)i)nbeit" nennt, bnä ift bie übenmtüvtidjc
cd)önE)eit; unb ben 'ülnsbrucf „cbrift(id;c J?unft" gebvauebt er in feinem engften
Sinne, bie „religiöfe" Ännft bainit be^eidjncnb.
**) ©occi’g g-efttalenber.
398
3roet allgemeine oberfte @efe|e für bie reltgiöfen Ä'ünfte :
bie Jyva Slngelico ju allen fetten waren: ba§ tjei^t, weit e§ ju
alten nui' 3Bentge gab, bie mit reicher fünftterifi^er ®egabnng
jene ^iefe vetigiöfen ©inneä, jene f^-römmigfeit nnb innige ^Bereinigung
mit @ott nerbanben, o^ne raetcf)e eä bem iBienfcben nic^t gegeben roirb,
„TDa§ be§ @eifte§ ®otte§ ift, 511 nerfte'^en".
III.
ißier biftorif'^e ''Bbafen in bei j^arftettung ber bfiligen ÜButter @otte§, alä
,3ttuftrationen ju ben gegebenen 3tnroei|ungen.
283. Gingeterfi^einungen raeldfe bie in ben lebten Diummern au§5
gefprodbenen allgemeinen ©ebanfen betendjten, roerben un§ fpäter begegnen,
menn mir non ben einjetnen fünften banbeln. 3ln ©inem ißeifpiete ba§
©efagte ju erläutern, motten mir inbefi f(^on nid)t untertaffen.
3tm meiften geeignet t)ieiju erf(^eint bie S^arftettung ber ütlutter bes
i^errn mit i^rem Äinbe. iUiit biefem ®ormurfe t)at fidb bie IBaterei im
Saufe ber ^abrbunberte fort unb fort mebr befaßt, at§ oietteicbt mit
irgenb einem anberen; unb bie ©rnnbjüge ber 3ln§fübrung erfi^einen feit
ben dtteften offenbor unter bem ©inftnffe ber Ä'ircb^ unb einer
mat)rfd)eintidb bi§ ju ben 5tpoftetn biuaufreictienben Uebertieferung , in
auffattenber 3Seife firirt. 9tnr fo erftärt fi(^ bie J^otfadbe, baff bie
nratten 23itber 6t)rifti nnb ber Zeitigen ^uugfrau in ben Ä'atacomben,
mäbrenb alte übrigen ifonifc^en Oiefte jener 3^it „burd^meg ba§ ©epräge
ber griecf)ifd)=römifd)en Ännftbitbung tragen, ^ieroon gänjtic^ abmeic^en.
®ie bi'tjf 'itirn, bie langen, gefd^eitetten , in leiteten Sodfen auf
9^a(fen unb 0i^ulter fattenben i^aare, bie tängtid^moate ©efidt)t§bitbung
mit ber langen, fnft gernben 9lafe, ben großen, etmad tiefliegenben Singen
nnb ben feinen, fc^maten Sippen, bie ruhige SBürbe, bie friebli^e Stille,
bie faft etegifdbe SOlitbe unb S5>eicl)l^eit beä geiftigen Slnäbrucfe§, bie ben
(^Ifriftusfopf cbaracterifiren , finb 3^9'^ u)ir bei feinem gried^ifi^en
©ötteribeat, mo^t aber noch auf ber ©ntmicfetung§^öl)e ber c^riftli(^en
Äunft, in ben f^onften (5^riftu§bitbern ber größten itatienifc^en unb
beutfcfien SOfeifter mieberfinben. Unb ba man in alter 3^'^ allgemein
annatjin, baß U^riftnd in feiner gangen äußeren ©rfd^einung feiner ^eilig=
ften SOiutter gegtidf)cn, meit er ja oon ibr ben menfcf)ticben 2:beil feiner
^'erfon empfangen, fo geigt ber Ölopf ber Jungfrau auf jenen ißitbern
benfetben Ubaracter unb biefelben ©eficbtögüge, nur befi^eibener gehalten,
unb au§ ber männli(ben iBilbung in bie meibticbe übertragen. Sludb bei
ihrem öbopfe lä^t ficb in ben meiften SSerfen bes 15. unb be§ 16.
bunberts ber nrfprünglicbe Sppnä nodb miebererfennen“ *).
') ,5. Utrici, lieber bie oerfcbiebene üluffafjung bes iUtabonnen^^bealä bet ben !|
3Uuftrationen jii ben barau§ gejogeuen golgemngeit.
399
3» biel'em i>evfa^ren bev älteften veligtöfen 5)^a^eve^ in auf
t^ve fiöd^ften (^egenftänbe , tritt jene uotte Uebereinftinmiung mit bem
Sinne bes tieitigen @eifte§ bie mir nerlangen, fene ri(^tige Sßürbignng
ber S^atfai^e, ba^ baä tna§ fie bavftellte, meit über atles 3i^bif(^e, blofe
9iatürtid^e, rein ?0^enfd)lid)e t)inauäliegt, in erfrentidifter 21>eife flar Ijernor.
llnb biefe 5tnfcbnnung mit ber auf fie fid^ grünbenben iPe^anbtungäraeife
erfiiett fic^ niete ^abr^nnberte.
®>n§ mir fd}on erroäbnt f)aben, bafe nämtid) bie Snrftettnng ber ge=
benebeiten iDdutter mit iffrem Sobne ein Siebtingdgegenftanb ber 'dtJaler roie
bed cbrifttidjen i'otfed mar, bnd tritt norgngSroeife uom nennten
bert an auffatlenber bernor. Sie Steftbetif ber naturatiftifcben .'önmanitntö=
religion, mie fie namentlicb non nuferen „ctaffifdjen" Sidüern nertreten
unb uerbreitet ronrbe, bat fsae (h'fcbeinung ohne SSteitereä in ihrem Sinne
,^u beuten unternommen. „Sie “iDJntter mit bem .^inbe", meint ©oetbe,
fet) „ber tieblidbfte 9tnebrncf reiner einfad} er ilRenf d)tidbf eit", mit=
bin beffen, roas ber Sid}ter mit .^nmbolbt nnb 3tnberen aB „bas böd}fte
3'beat ber Sdmnbeit" bejeidjuete * *) : „baran§ erftäre fid} ber attgemeine Slu;
ftang, ben biefe Sarftellung früber gefnnben f}abe, nnb nod} immer finbe".
^stn 35tefentlid}en biefelbe 5tnffaffnng baren mir Sdfitter aiBfprei^en;
Sd)öii ift bes -tJtonbes
dJtilbere Älarbeit
Unter ber Sterne blifeenbem @lnnj;
Sd)ön ift ber 9Jtnttcr
£iebnd)e .'nobeit
^roifdjen ber Söbne feuriger Ä'rnft.
9iid)t nnf ber ($rben
3ft ibr iBilb nnb il}r @letd)nif! jn febn.
.f)od) auf bes Vebens
@ipfel geftellt
Sd)liefd fie blübenb ben Äreis bes Sdjöncn!
d.ttit ber ithitter nnb ihren Söhnen
ÄrÖ!tt fid) bie berrlid) uoltenbete iltett.
Selber bie Äird)e, bie göttlid)e, ftellt nid)t
Sdjöneres bar auf bem biminlifd)en ü)ron;
SbbereS bilbct
Selber bie Ännft nid)t, bie göttlid) geborne,
'3(ts bie 9l>hitter mit ihrem Sohn**).
älteren bentfdjen nnb itnlienifdien Dttalern (.^atle 1854) S. 5 f. (dtlit einigen
?(enberungen.)
*) «gl. oben 3t. 138. 141. S. 182 f. 188.
**) Schiller, Sie 93rnnt oon 3Jteffina, 1, 4.
400
3roei allgemeine oberfte (Sefetje füv bie religiöfen fünfte:
2fber 3d)iller unb @oet§e roareu lidjerlic^ im ;jrrt^um. „®ie alten
iD^eifter modten" burc^ itjve iÖtuttergottes:33Uber „fetnesroegä ein Kapitel,
unb märe ed and; ba§ erfte unb roic^tigfte, an§ bem Sober ber foge=
nannten i^nmanität iCtuftriren; fie beabfiddigten nic^t, eine jc^öne ^’^au
in müttertidjev 3ä^’tlid)feit ju einem idjönen Äinbe barguftetten. Stuf ben
ntteften , unb nod) auf nieten ber norjügtii^ften fpäteren biefer 33itber,
fie^t man im ©egent^eil gar nichts non biefer mütterti(^en
3 ä r 1 1 i d) f e i t.
„5jen alten tüleiftern fam e§ jebenfallg eben fo fe^r auf ba§ Äinb,
alg auf bie 'Uhitter an. 3^^ attd)rifttidjen ifjeriobe, big tief in§
iDtittelalter f)inein, mar offenbar ba§ Äinb bie b^anptperfon, bie ÜJlutter,
if)m gegenüber, nur Diebenfigur. 3?i§ jum breijefinten unb bejie^unggmeife
nierjefmten ^ßfji'^unbert ^in erfd)eint meift baä Äinb oottftänbig befleibet,
in langer purpurner golbnerbrömter Junica (ber bamaligen Äönig§=
trad}t), in ber Sinfen bie Söeltfugel ober ben Dieii^äapfet , bie dtedjte
fegnenb erljoben, ernften, ftrengen 2lngefic^tä, mel)r als Heiner
ÜJtann beim al§ Äinb bargeftellt", eben mie ber Sidjter fingt,
jung als DJtenfdje, als @ott fo alt,
„frei unb aufrecl)t auf bem edjoofte feiner iWfutter fit^enb mie ein junger
t^ronenber Mönig; bie ^nngHun ‘^ben fo ernft, füll unb rul)ig, ol)ne ben
Hußbrud mütterlictier Viebe unb barum foft nur al§ Xrä=
gerin beß bßeileß ber Söelt, atä baß üBerfjeug ber göttlicfien @nabe, atß
ber lebenbige it^ron beß g-ürften beß debenß" *).
HIß ein Hußbrncf ber hiermit djoracterifirten Huffaffung fann baß
„etrapbiirger fya^nenbilb" gelten, melc^eß bereitß im jroölften ^a^rfütnbert
bie jlrönnngßdige ber bentfc^en Äaifer nad) IRom begleitete. „Huf einem
mit prä(^tigen I^üdjern unb '^olftern außgeftatteten ©tn^le thront bie
Ijeilige bie mit lang berabljangenben Hermetn unb t'oftbaren
epangen beberften Hrme ^odj erhoben, gleidjfam alle SSelt anfrufenb bem
3nge jn folgen; baß Ä'inb ober, bie fönigtidje Silie ^altenb, fegnet bie
unter fein 23anner getretenen Streiter. 3^^ bem 33ilbe lag ein fo gram
biofer Hußbrucf, ein folc^er örnft unb einfadje ©röfje, bng felbft ber
jopfige @rnbftid)et in Äönigßljooenß ,©trapurger (J^ronif **), ber unß
bie einzige (?opie anfbet)nlten, eß nidjt uerberben fonnte, unb baf? man
*) Had; lUrici, 8. 9. (Oil. 398.) 'Hgl. Sd)naa]’e, Hb 4. S. 280. (Git. 18.)
„5ev <?fbanfe," bemerft ber Septere, „in bem .ftinbe bie göttliche 2Bei§pcit
biird^leiiditen jii lafien, ift jepr beiitlicp ausgeiprodien in ber auf einem
Helicf an§ ber abgebrod;encn Äirdie ;n Heaucaire:
In gremio iSIatris residet Sapientia Patris."
**) .'öeranSgegeben oon £d|ilter, Strapbnrg 1698, 1103.
3üii[trationen ju beii barauS gejogenen golgeningen.
401
23rentauo’§ 35>ovt ücrfte^t, ber an ben Olimge fd)vieb, er luiffe
fein 2?tlb, bn§ einen fo ernften nnb frenbigen (^inbrncf auf if)n gemadjt
!^abe" *).
1810, über ba§ gatjnenbilb ‘,vo(gcnbee. „®ann t}abe id) nod; eine grope Siebe 511
einer alten ißoriteliHng ber ?Jtabonnn. Sie finben biefelbe nnf einer 9lbbilbnng ber
alten Strapnrger '2tnbtfal)ne in Ä'önig§^ofen§ ©trajjbnrgcr (5I)ronif. 39a§ iSnd;
iji nic^t fetten, nnb id^ rannfd^te, baf?, roenn ©ie e§ nod) nid;t tennen, ©ie ©ic^
baffcibe be^roegen nerfti^afften. ®ie fyarben be§ 93itbe§ finb in bein ®evtc jiemticb
genau befd)rieben. ®er brane iDtaler ®uri tjier, bein id) cä mitgett}eilt, imirbe ganj
baoon begeiftert, nnb t)at e§ fict) nad) ber 9lngabe cotorirt. fs dj f'cnne nid^tS
GrnftereS nnb Jrenbigereg; e§ i ft 3 n d» a nnb ©egen jngleid;."
((Siemens Srentano’S (Sefanuncite 5^riefe [1855] 23b. 1. ©. 137.)
Sungmann, 3(e)tf)etif. 2. Stuft.
26
402
3ioei allgemeine oberfte O'efel« für bte religiöfen Äünfte:
©ne ©c^öpfung ber neueften 3^^^/ ®ber ben roe)‘entU(^en 5)^mnenten
nad^ au§ bemfeften ©eif'te l^ernorgegangen, fa!^ man tm 1880 ®uf
bev ÄunftauSftettung jn ■Düffelborf ; ein ®Ia§gemätbe au§ ber ^öniglid^en
©ä(^[ifd^en ^ofglaSmalerei non geriet unb Serf(^ bafelbft, nield^es ftdj
gegenroärtig in ber Äapelie be§ 2tnna[tifte§ ju ®ü[[eIborf befinbet. ®a§
Original, gemalt non ^ranj ^Oenbad^, ift im 33efit^e be§ i]3rinjen ©eorg
non ©ad^fen; ber (Farton mürbe, nai^ bem Oobe be§ ^ünftlerä, non
ber Oeutfc^en Äaiferin’ 5Iugnfta erraorben: nad^ biefem ift ba§ ®ta§=
gemälbe an§gefn!^rt. Oor feinem 33itbe ber 2tu§fteltung bin ic^ mit fot(^er
f^reube nerroeitt, roie bei biefer anbädjtigen, großartig fc^önen Gonception
3ttenbac^§.
383. „Slttgernadj", fo dbaracterifirt Utrici roeiter, „ge^t bann biefe
(ittere Stuffaffung in eine anbere me'^r menl'd^lid^e über. Oer ®rnft be§
5tu§brudfe§ in ben köpfen mitbert fid^, ber Dfteidfsapfel nerf(^roinbet, bie
geI)obene A^anb finft, ba§ Äleib be§ Ä'inbe§ roirb immer fürjer, nerüert
baö 51nfelfcn fönigtidjer Orad^t, unb mad)t äutet^ einem bloßen Oudje
ober ©dbteier '-f^tat^. Oo§ 3fnttit^ ber ^iwflfruu belebt fid^, unb erptt
ben 9lu§brucf, roenn aud^ uid)t ber FtRütterlid^feit , bo^ ber Eingebung ;
unb ber Offeitna'^me an bem ®nabenfd)al3e, ben fie uic^t me'^r blo^ trägt, i
fonbern p(t uub umfafd. ifurj, mir babeu mit bem beginn bes fünf; j
^el^nten me^r ben Äönig ber 2Bett unb be§ i^immet= i
reid^ed nor nnä, fonbern ben ©ot)n be§ SRenfdien, geboren au§ ber |
Jungfrau 90iaria, aber — empfangen oom ^eiligen ®eifte. Oenn immer [
nod^ erfc^eint bod) ber fteine ©jriftuS feineSroegg roie ein geroö'^nlic^eä j
Äinb: oietme'^r tradjten bie flünftter mit aller £raft barnad), in bem
®rnfte be§ 3lnttit^e§, ber nur gemilbert roirb burct) einen 3^9 §ulb
unb greunblid^feit , in ben tiefen bunften 9Iugen, in ^''üOung unb ®e;
berbe, nic^t bto^ ba§ feimenbe Seroufftfepn beä jlinbeS über bie ^ofieit
feines SöefenS unb ißerufS , fonbern aucf) in ber ganjen ®ruppe baS
®epräge einer göttlidfen ®nabenroirfnng ju’^ Stnf^auung ju bringen.
9fur boß e§ nidf)t atten gelingt, ben StuSbrucf götttid)er ©rl^abenfieit unb
einfadjer flinbIidE)feit ju ootter Jii oerf^metjen" *). j
®S ift in ber J^at fe^r begreiftid), roenn baS Seigere „nicf)t allen
9}fatern gelang". Oenn ber ®eftnlt eineS ftinbeS, auSfcEiIießlidt) burd)
bie i^altung unb bie ®efid)t§jüge, einen 2tuSbrud ju geben, in roeldtfem i
fid) gteid^jeitig bie FOiajeftät ber ®ott^eit offenbart unb bie Unmünbigfeit i
eines no(ü ni(^t ju r)o£[em Seronf^tfepn getaugten ?Dtenfd)enroefenS , baS
ift offenbar eine fdftnere, roenn nid}t nietmefir eine unlösbare 2tufgabe.
9fid)tS roeiter, alS eine ganj natürtidje fyolge :^ieroon roar eS, roenn
auf mam^en ißilberu biefer 2trt „bie gotttidje 9fatur ju ftarf ausgeprägt.
*) 9tacb Ulrici, S. 9 f. (Cnt. 398.)
^öiiftrationen ju beit baraiiä gejogcnen gotgei'ungni.
403
unb bamit ber ß^^aracter bev Äinb(id)feit geftört'' evfdjeint, iubej^ um=
geM)vt „bie bev Äiinftlcv bie men]d)tid)e ©eite uoriualten, imb
bamit ben Unterfc^ieb be§ (Stjviftfiiibeg von einem geraöljididjen 5){enfd)en=
finbe lüd^t ju feinem notten Dled)te fommen Iaf?t'^ *). Sferrätt) fid) in
ber erften biefer jraei taffen btop ein, an fidj rid)tige§, aber in f^ütge
ber ißernadjtägignng nnentbet)rtid)er i)}titte[ mifttungcneS Streben, fo
teiben bagegen bie 2Berfe ber jmeiten offenbar an einem
ihren SBertt), infofern fie atd (Srjengniffe einer retigiöfen ^bunft be=
urtheilt raerben muffen, mefenttid) beeinträdjtigt. ®enn in bem ®ilbe
be§ ©ottmenfch^'i iiutf; nm feben ifJreiä „ber Unterfdjieb be§=
felben non einem geroöhnlid)en i)i)ienfdjenfinbe jn feinem notten 9bed)te
fommen": fonft ftef)t ba§ 3?itb mit bem Sinne be§ tjeitigen
©eifteS feine§meg§ in notier Uebereinftimmnng. SBir motten
nn§ näher erftoren.
®er Offenbarung jufotge ift ber Sohn ber Jungfrau matjrhaft
töfenfd}, aber er ift eben fo inahrhaft @ott. Oie SBahrtjeit nnb 3®irftid)=
feit ber menfchtid)en 3eatur nun tritt, bei ben ©emntben ber in ber
norigen Oinmmer befprod^enen öfteren '3tnffaffnng, in ber ganj menfch:
tidien ©eftatt be§ ^efufinbeg jnr Ojenüge ht'vnor.
in biefer feiner menfd)fi(ihen ©eftatt, bnrch bie ernften feineä ®e=
fid)t§, bnrd) bie jnm Segnen erhobene OU’chte, bnri^ bie Ä'ö=
nigdtracht unb bie SBeftfnget, „mehr af§ f feinen iXlfann beim atä
^inb", nnb feiner iltcutter gegenüber at§ bie Oanptperfon un§ norfnhren,
roeifen fie unä gugteid) nernehmbar nnb fehr einbringtidj baranf hi»/
ba^ biefeä ^inb, mie eg bei 23ertholb non f)tegen§bnrg tjeifft, „atfer
©nget §err ift, nnb 51'aifer atter Ä'önige" ; bng eö ber ©ingeborne „nott
ber ©inabe unb ber Sfsahrheit", bag e§ berjenige ift, „in metdjem inne;
motjut bie ganje gnfte ber ©iotfheit feibhaftig", „in inetdjem" bornm
„atte Sdjäl^e beä SSiffeng nnb ber SBeigheit nerborgen finb" **)• iff
aber eben ein fehr mefenttidjer Sai^ ber djriftfidjen Offenbarung. Unb
biefetbe tehrt und überbieg, bafi bie attertieitigfte Seete beg i^errn, non
bem 5tugenbtid‘e an ba fie erfdjaffen marb, in notftommenfter SBeife bag
%tgefid)t ©otteg fchaute, unb bag fie überbieg in übernatürticher Streife
fene ©rfenntnig befug, iuetd)e atte Oinge anger ©ott in bereu innerftem
SBefen erfaf3t ***).
äöir überfehcn feinegmegg, bag neben jener 5tnfd}annng ©otteg unb
biefer übernatürtichen 25>iffenfd]aft ber Seete natürfiche, rein
*) Ulrici, S. 11.
**) dot. 2, 9. 3.
***) ®gt. Äteutgen, Sie Ih^otogie ber Sovjeit, 23b. 3. ©. 244 — 282. Fran-
zelin, De Verbo incarnato (Roinae 1869.) pag. 418. sqq.
26
404
3roei allgemeine oberfte ©efe^e für bie religiöfen fünfte:
menfc^üc^e ©rtenneu feiner ailerfieiügften ilRenfi^^eit fid^ nid)t in roefent=
ti(^ anberer 3Beife, al§ bei jebem anberen illienfcben, entroitfeüe unb nev=
noOfommnete; unb rair anerfennen notlfommen, ba^ ber ©rlöfer in feinem
irbifc^en Seben, roäfirenb er Äinb roar, in feinem 3Teu§eren feineSroegä
ein raefentlic^ anbereä 2Tu§fe!^en !^atte, at§ ein anbere§ eble§ Äinb einer
eblen Mutter. Stber bie retigiöfe Malerei ^at ja bocE) eine ganj anberc
föeftimmung, at§ etrca bie ip^^otograp^ie. ©ie fott Sßerfe liefern bitrcE)
roetcEie @ott ner^errtid^t, burdj meti^e bie (J^riftenl^eit erbaut, unb bie
retigiöfe ©efinming mögtidfft roirtfam geförbert roirb. ®arum barf fie
fid) nid)t bamit begnügen, bem Sluge blo^ baäfenige gu ffeigen, roa§
t^atfäd)tidi in bie (Srft^einung trat; fonbern fie mu§ baranf au§ge!^en,
in i§ren fßitbungen alte SSorjüge, alleä ©roffe, 3?ebeutenbe, bie Stnba^t
Me^renbe, ba§ fid; ber d^riftlic^en 3Bal^rt)eit jnfotge unter ber roirftidfen
(?rfd)einiing barg, foroeit eä angef)t fid^tbar merben ju taffen, unb bem
d^rifttid)en ©emüt^e nal^ejutegen. ®a§ begriff, in ber fße’^anbtung be§
X^ema’g non bem mir reben, bie attere &öid)tung, unb fie ^at in biefer
fBejiet)ung geteiftet ruag fie fottte, roeit fie mit rid^tigem Jacte ben cin=
jigeit Meg einfdötug ber jum 3’^^^ fü'^ren fonnte. ©ie l^iett e§ mit
9tedf)t für genügenb, raenn fie bie Menfcb^^eit be§ §errn in ber Ojeftatt,
unb in ber Ätein!^eit berfetben ben ß^aracter feiner jlinbtid^teit jur 2tn=
fdjauung bradfte, unb bebiente fi(^ anberfeitS ber Äteibung, ber S5>ett=
fuget, ber ©efidjtSjüge unb ber ganzen .*gattung, um in biefen Momenten
bie götttid^e Majeftät feiner ff^erfon fi^ offenbaren ju taffen, — foraeit
eben menfd^tidfe ^unft an einer fteinen menfdjtidien ©eftatt biefe Majeftät
jum 2tu§brucf bringen fann. ®ie fpätere t)tid)tung bagegen, bie Mater
be§ niergetjuten / tießen non jenen Momenten einen fel^r
roefentti(^en ?,§eit fatten, unb oerraenbeten ben 9feft oorjugSmeife baju,
um ben ^errn oß tiebenöroürbigeä Menfdjenfinb erfd^einen gu taffen;
roa§ it)nen !^iernad) nod) übrig btieb, bie ©ötttid^feit feiner if^erfon an=
jubeuten, bas roar für biefe a up t f ad) e oiet 511 roenig, unb tie§ fid)
überbieS mit bem norroiegenb rein iDienfd)tid)en ber ganjen ©rfd^einung
nidt)t metjr red)t in ©inftang bringen.
3ttS ba§ i8orjügtid)ere , roir roiebert)oten e§, at§ bie i^auptfad)e in
bem ©rtöfer ber S5>ett erfd^eint ber Se^re ber Offenbarung s^fotge feine
götttid)e ^erfon. ©0 roenig er un§ tjätte ertöfen fönnen, o^ne roa^^rl^aft
Menfd) ju fepn, eben fo fe!^r grünbet fi^ unfer ©taube, unfere Siebe
unb unfere .'poffnung, mit ©inem Morte unfere 2tnba(^t f^in gegenüber
on erfter ©tette auf feine ©ott^eit: biefe ift es barum, roet(^e jebe retigiöfe
Äunft, roitt fie anberg bie 2tnbadf)t förbern, roiCt fie ba§ Uebernatür=
tidöfte ba§ e§ gibt, nid^t nermenfi^tictien unb naturatifiren, ftar unb uu^
nertennbar in i^ren ©i^öpfungen ^eroortreten ju taffen an erfter ©tette
beftrebt fei)n muf). Oag tt)at bie Materei bis gegen ba§ nierjetmte
^tlufirntionen ju beu baraub gejogencn Folgerungen.
405
.3al;vfjunbert ; ü}rem 5^erfal)ren geben rotr folglid) mit Otedjt uov bem
bev fpäteren öiidjtiing entfdjieben beu Ü'm'3ug, unb mir jagen mit 91e(^t,
baji bieje Set^tere mit bem ©inne bes tjeiügen @ei[te§ feinegmegd me!^v
in nolter Uebereinftimmnng erjd)eint.
''l’Ran menbet niedeicbt ein, bafj e§ fic^ in „iB^abonnenbitbern" eben
nid)t 3nnä(^jt um bie ®ar[tettung beö jUnbe§ tjanbte, fonbern nm bie
©}arjtedung feiner ^eUigften ''Btutter. 2tbev, erraiebern mir, einerjeits
ift bie ^enn bod) einzig bnvd) U)r Äinb groft, unb nm
it)ve§ Äinbed mitten: nnb fetbft tjieruon abgeje^en, mup e§ immer at§
febtert}aft getten, menn „bcr Unterjd)ieb beä ß^rijtfinbed non einem ge=
mötjutidjen BJJenfdjenfinbe nicht 311 feinem noUen iJtedhte fömmt" ; anber=
feit§ i)tnfd)ein, atä ob bie j)iict)tnng metdje mir
getabett haben, gerabe barum bie götttidje iDtajeftöt in bem Äinbe 311
menig hdtte henmrtreten taffen, um bafür ber ®arftettnng feiner 'DJhitter
befto gröjfere ©orgfatt 3n3umenben, nnb biefe at§ bie .S^anptperfon t)in=
ftetten 311 fönnen. iBietmeI)r fdjeint biefer ©ebanfe, eben „iBf abonnen=
bitber" 31t tiefem , auf benen bem Äinbe bie untergeorbnete dlotte 311;
getheitt märe, erft bei einer neuen britten Stidjtnng ba§ teitenbe if?vincip
geroefen 311 fepn.
284. 5)iefe brüte 9tidüung gehört bem fünf3ehnten oiü
nnb reid)t in ba§ fed)3ehnte hinein. 2Sa§ ba§ Äinb betrifft, fo behiett
fie fened Verfahren bei, ba§ mir bei ber 3meiten gefnnben haben, nnb
ba§ mir nidjt bittigen fonnten. 3’’ tUndfid)t auf bie ®arftettung iDtariä
bagegen „nberroiegt faft ba§ gau3e fiinf3ehnte ^'ahrhnnbert hinbnrd) ba§
2?eftreben, in berfetben ben hödjften üottenbetften 5tu§brnd reiner, fenfdjer
^nngfr äutichfeit 311 erreidjen. 3)iid)t mnttertid)e ^Ä^dtichfeit ift e§,
nid)t Siebe nnb tpingebnng, nid)t ©taube nnb F'^ommigfeit, mag ben
.ftopf ber iBtabünna imiFuggmeife d)aracterifirt: fonbern atte§ biefeg ift
nur in fomeit nngebeutet, atg eg 311m 2S?efen reiner ^ungfräntichfeit mit
gehört, unb in einer fungfräntichen ©eete fid) nothmenbig oorfinbet. ®ag
iBiabonncnibeat füttt in ©ing 3ufammen mit bem ^beat einer reinen ^ung;
fran. ®iefe Stuffaffung mattet in B^iafnccio, iBkntegna, f^-ra 3lngetico
ba fyiefote, ipietro i^erngino, nnb 3tnberen; fie mobificirt fid) mir je
nach ber ©timmung, ber ©innegart nnb iBegabnng ber Äünftter. ©ie
herrfcht aber and) bei ben beutfdjen Ännfttern, in ber ©djute ber ©pdg
unb ihrem gröfüen BJ^eifter, t^ang BJicmmting, mie in ben uon it)r be=
einftufften ©chuten non j^'otmar, Utm, 2tuggburg. Bhir mirb uon ben
beutfdjen iBiatern bie iBlabonna gröfjtenttjeitg in reiferem 3ttter, in uotteren,
entmicfetteren Äörperformen bargeftettt, mobnrdj ber 2.ijpug ber 3ii'*9=
fräutidjfeit atterbingg einigermafien beeinträchtigt erfdjeinen fann."
3ttg eine ber üottenbetften Seiftnngen biefer Diidjtung be3eidjuet Utrici
fpäter mit tUectjt „bag grofje 2lttnrmerf, bag jet^t bie 3ohflti»£§cnpette
406 allgemeine oberfie ©efebe für bie reUgiöfen fünfte:
be§ ®ome§ ju (Söln unb ba^er in ber ^unftroelt beii Oiamen
beg , (Kölner ®onit)übes‘ fül^vt, ba§ 2Berf jeneS früher nur unter feinem
SSornamen befannten ?[Reifter§ ©tep’^an, non bem erft nor ^urjem er:^
mittelt TDorben ift, ba§ er Stephan iioc^ner *) ^ie[3, unb, au§ ber ®egenb
non (Sonftan^ gebürtig, um 1440 — 50 gu 6ötn eine§ ber fiernorragenbften
©lieber ber bortigen i)3ZaIer^unft tnar. ®ag iKittelbilb biefe§ SlttarroerfeS
[teilt bie ^unsfvau mit bem Äinbe unb ben ^eiligen brei Königen bar,
ber linfe ©eitenftügel bie l^eilige Urfula mit i^ren ber re^te
St. ©ereon unb [eine Äriegggefeüen, bie Sdf)ut^'^eiligen ber Stabt (Söln.
®ie ©igentl^ümlicbMt be§ iS^itteIbiIbe§ cEiaracterifirt [id) bei näherer 93e=
tradhtnng burth bie raunberbare 33er[(^metjung be§ jiinblidhen unb 3uug=
[räulidhen im 5lop[e ber illiutter be§ .^errn; bie jartefte, holbefte
[räulidhfeit er[d)eint [o burcbbrungen nom ©ei[te rein finblicher ©in[ach=
tieit, [etb[tto[er ®emnth unb glauben§[eliger [rieblidier .!peiterfeit , ba§
bie iDZabonna [id) nur raie ba§ jungfräulidhe 2lbbilb be§ j?inbe§ au[
ihrem Sdhoo^e barftetit. ?luch hier aI[o feine irbi[ch=men[chlid)e Sejiehung,
fein 3Iu§brud mütterlicher 3ärtlid)feit unb Sorgfamfeit: [tatt ihrer niet
mehr nur bie finblichfte Eingebung" **).
^n nod) ftärferen 2Iu§brücfen al§ Ulrici, hßtte ein halbes 3nhr=
hunbert nor ihm bereit? [yriebrich non Sdhiegel ben hohen Sßerth bie[e§
23itbe§ anerfnnnt. ©r bcjeidjuet e§ als „einj^ig in [einer 2Irt", al§ „bie
Ä'rone non allen SSBerfen ber ©ölnifchen ÜlRnlerfdhnle" ; „man [ieht, baf?
[ene 3eit in bie[em Silbe ba§ ^ö[tlich[te unb ba§ ^öiihfte aufbieten moHte,
mag [ie nermodhte. ©§ ift mit gröffter Siebe noüenbet; aber e§ ift auch
entinorfen im ©eifte unb unter ber Segünftignng ber göttli(hen Siebe.
®ie Slüte ber 2lnmuth ift biefem beglüdten iDieifter erfchienen, er hnt
ba§ Sluge ber Sdjönheit gefeljen, unb non ihrem fauche finb ade feine
Silbungen übergoffen. ^n einem 2Berfe inie biefe?, liegt bie gnn^e Äunft
bef(hloffen; unb etraa? Sodfommnere?, non iDienfchenhänben gemadht, fann
man nidjt fehen" *** ).
SS^ir beeinträchtigen biefe? Sob nid)t im minbeften, wenn mir, ben
in ber norigen diummer auggefprochenen ©ebanfen fefthaltenb, bie iRifh=
tung roeldjer bas ,,®ombilb'' angehört, ber juerft behanbelten ätteften
feineSroeg? gleichfteden mögen. SlBir fönnen e? unmöglich ganj recht
finben, menn ber menfchgeroorbene Sohn ©otte§ auf ben Slrmen feiner
Shttter ni(^t ganj feiner göttlichen ^erfönliihfeit entfpredhenb bargeftedt
inirb, nnb nid)t feiten fogar fid) mie ein geroöhnli^e? ddenffhenfinb au?=
*) ©0 lautet ber 2lame nacf) ©chuaa)e, ®b. 6. ©. 413 ((lit. 18). Ulrici
jagt „Soctf)ener ober 2optf)cner".
**) 2fadh Ulrici, ©. 11 f. 22 f. (®t. 398.)
***) %. ©(hlcget, ©. 155 i). (6it. 397.)
iicf. (3u ©eite 406.)
1
r.; ;
ft -“ ■ ;c4,
^üuftrationen ju bcn barau§ gejogeueu gofgerungeu.
407
nimmt. bürfte für bcn bejeidjneten ein
unentbefirltcbeg ?07omcnt liegen*); unb unter bicfer 9itücffid}t (mir
laffen fci einem ^fbcn bie f^reiljeit, anbcrS ju beiden) fönncii mir nid)t
umf)in, alle Sbnrftellungeu be§ fetilerljaft ju betrachten,
in bcnen bnffelbe groffenthcilä ober gar oollftünbig nadt crfdjeint.
Ueberbied aber fonnte man ber Slnfichl baf; ber ©ebnnfe ber
^Jcaler bc§ fünfjehnten 3®f)^'f)iinbert§ , in ber Dhdter be§ .'perrit uor;
miegenb bie reine 3lu§brucf ju bringen, ftatt mit
ben früheren ^d'‘bi'^>i"iberten bi§ gegen ba§ nierjchnte Ijüi, ih^e 2Bnrbe
a(§ 5)tntter @otte§ jn betonen, gerabe nicht ber befte mar. ®enu
unter ben iBorjngen ‘■Dtaria ift hoch ohne .^meifel biefe iljre Sßiirbe
roeitanS ber hbd)ftc; nnb er ift jngleid) bie STnirjel nnb ber @runb
aller anberen i'Or;;nge, roeldje bie @ebcnebeite unter ben grauen anS^
jei^nen. ®nmit roollen mir e§ freilid) nid)t im minbeften mifibilligen,
roenn man Silber Stariä malt, ncrehrt unb liebt, loelche baranf au§=
gehen, fie eben al§ reinftc gnngfran barjnftellcn. 3lber märe e§ nid)t
bcffcr, biefe§ gbcnl in fold)en SK^crfen ju oerfolcgen, auf benen bie 3ung=
frnn ohne bad Äinb erfdjeint? ®enn mo fie ben auf ihrem ©thoojfe
hält melcher „gefommcn ift, nid)t grieben jn bringen fonbern ba§ ©djmert",
ba bürfte e§ bod) lidjtigcr fet)u, fie nidjt alä fd)üd)terne gnngfran auf;
juführen, fonbern mie e§ bie ältere ,^£'1 nlä bie hehre gürftin bie
un§ ben .^önig be§ .Viimmelg geboren, al§ bie ftarfe grau mcld)e @ott
erraäldt h«de, bai) fie ber ©dilaiugc ben Äopf verträte.
285. ©ic liierte dtiditung ,in ber ©nrftellnng ber heiligen iDtnttcr
@ottc§ characterifirt fidi babiird), bajf fie ba§ rcligiöfe illtoment auf ein
Überang geringeg 'Btanfi herabfetit, nnb ihren grofmrtigen Sorraurf, feine
Uebernatürlidjfeit oerfennenb, faft uollftänbig natnrnlifirt. itllg ber Ijcnior;
ragenbfte Vertreter bicfer Serirrnng erfdjeint ein tötann, ber — unter
mehrfndjer Dtücfficht mit oollem 9ted)t — mehr nlg irgenb ein anberer
OJteifter feiner .dnnft bemnnbert nnb uerherrlidd jn roerben pflegt. Stau
roirb meniger perfndjt fepn, gu argmohnen, alg ob mir bag 2lnbeid'cn beg
genialen Äünftlerg perunglimpfen mollten, menn mir gunädjft jmei "Jitm-
nern bag S,'ort geben, bie gu feinen grennben unb Semnnberern gehören.
,,©urd) iRaffael", fd)reibt Snton ©primger, „ift bag iDcabonncnibeal
gleifd) gemorben. if?icantere, burd) bag Seimifdjen natnraliftifd)er 3i'ige
gefälligere ©arftellnngen mod)ten mohl eingelncn fpäteren iDialern noch
gelingen; feiner aber hat bag 29efen ber 'iOtabonna fo tief erfafft, fo reidje
3üge in bemfclben erfannt, mie fltaffael. @r löfte bie ilRabonna oon
bem fird) liehen Soben ab**), nnb hob fie ans bem befonberen
*) 23g(. oben 400. 40.3.
**) 3?on mir untcrftrict)cn ; fo auch baä Stcitcre.
408
3i»ei aßgemeine oberfte (Sefe^ie für bie religibfen Äünfte:
aubenSf reif e ju allgemeiner menfc^ücijer ißebeutung empor*).
®ie ®erroanbtung erfolgte nid;t rau^ unb geroattfam. SBecfen oud) OlaffaeB
iBUber feine ftreng reiigiöfe Sfnbadjt, üben fie and) feine 3eid)en
unb Söunber, fo laffen fie bod) einen frommen 2;on teife anf fingen. Senn
bie @igenf(^aften roefd)e ber gläubige ©inn in '3}faria uerel^rte, merben
ni(^t oerneint, fonbern nur au§ ber bunflen unb oieffad) bumpfen
Sßeft ber fird;lid)en fßef euutniffe in ba§ Dfeid) Udjter, allgemein
unb unmittelbar anfpre(^enber ^'mpfinbung übertragen.
,,2lud) IRaffael f(^ilbert bie l)o^e unb reine f^rau, inbem er un§ bie
jugenbli(^e 'iJJiutter bie fic^ eind füf)lt mit ü^rem Ä'inbe, i^re §reuben unb
©eligfeiten, oor klugen fülirt. f^rei oon allem 3r^tf<^fn unb ©innlidjen,
fafde bie firi^lic^e Sel;re bie iSfarienuatur auf, unb liüllte fie bemgemä^ in
ein ge^eimniftoolled 9}fpfterium ein. ^2luf biefem Söege fann i^r bie Jtunft,
ioeld)e feben bur(^fic^tige f^övmen fleibet, nidjt folgen **). ©ie
bietet ober in i^rer iföeife uollfommenen ©rfat^, ja gibt in menfd^lid)e
31>al)rl)eit oerflärt roieber, roas ber 3]olfdglaube oielfadj oerroorren unb
in fidj ntiberfprudjänoll bietet ***). Sie £iebe ber ÜJfutter jum Äinbe ift
felbftloä, frei oon febem finnli(^en feufi^ unb bennodj gfül^enb, oon
unnennbarer ©ü§e unb ^nnigfeit . . Äeine ©mpfinbung fann fi^ an
ibealem ©c^munge, an Diciu^eit unb gleidpnäjfiger 2Särme mit ber iSiutter^
liebe meffen. ©ie oerfdjont felbft ba§ ^öf3lid)e 2Seib, fie §ebt bie fd)öne
f^rau in bie @ütte§näf)e f)- Sarum üben bie anmutljigen f^rouen
9foffael§, bie ^olboerfd)ämt ju itjrem CE'rftling ^erabbliden, i^n an ben
23ufen brücfen, fein ©rmodjeu, feine ©piele belaufdjeu, einen loa^rlioft
mobonnen^aften (sk) ©inbrucf. ÜJiau betet nidjt ju i^neu, man
at^met aber mit ifinen göttlidie Dieinfieit unb l)immlif(^en fyrieben" ff).
2Sa§ „ein loatjrliaft mabonneuljafter (5’inbrud" fep, erflärt ©pringer
uirgenbd; bem festen ©at^e jufolge fd)eint baä oorjüglidjfte ü)ferfmal eineä
foldfen (^inbrudeS barin ju befteljen, bajf berfelbe bie ©timmung be§
*) ®ie Uebertragung eine§ Ctbaracterä au§ ber ü6ernatürli(^en Orbnung in
bie natürlid;e, bie ÜSerroanbtung ber 2Rutter be§ 3Uterböc^ften in eine geroöf)ntid§e,
tüenn and) nod; fo gtüd(id) ibeafifirte ^rau, läßt fi(^ bocb root)t faum ein „(ämpor=
beben" nennen; tl)atfäd)Itd) ift fie jebenfatl§ bas gerabe (SegentEieit baoon.
**) Siefer @ap ftef)t in ffiiberfprud) mit offentunbigen tbatföiblidien Seiftungen
ber „Äunft", ber älteren foroo£}t roie ber neueften ^cit-
***) 2®enn „ber SSotfSglaube" £)'sr ba§ 5tämtidte bejeidjnet, roas einige 3«iten
früfjer „bie lirdbticbe Sebre" b’^fer bann müffen roir unS ertauben, bie in bem lebten
©ebanfen entbaltene iBebauptung atS unroabr unb ungeredp mit aller @ntfd;iebenbeit
jurüdjuroeifen.
7) 3eber ißerftänbige fübtt, bag bie brei lepten ©äße in einem fftoman eher
am tpiatie roären, als in einer roiffenfd;aftlid)en Darftellung.
77) 2t. ©pringer, tRaffael unb 20iid)elangeto (Seipjig 1878) S. 58 f.
^üiiftvationen ju beu baraiiö gejogenen Jolgcnmgcn.
409
©ebetg auä[djliei3t, ober fie bod) iebenfads ni(^t üeranlafd.
„3ltfjmeu gottlidjev Steinzeit unb IjimmUfd^en g-viebenä" fann baviim nid)t
in d)riftUd)ent ©tnne, fonbevn nur in jenem ber b^nmanitätäreUgion ge=
meint fet)n. Sß>a§ ober bie 23ef)anptung (im 3(nfonge ber non und raieber=
gegebenen <2ötpe) betrifft, „fein 3[RnIer fjobe bo§ SS>efen ber ilRabünna fo
tief erfofjt, fo reidje 3Ü9e in bemfelben erfonnt, inie Dioffael", rooä, fogen
mir, biefe 23e^auptung ongefjt, fo mirb biefefbe bnrd) olled fyolgenbe offen=
bar Don 0pringer fetbft onfgeljoben unb oerneint. ®od) mir bürfen e§
bem Sefer felbft nberloffen, bie nngefnfjrten ©ebonfen jn benrtbeiten, nnb
mir loodten ben 33emnnberer fifoffoeld jo eigentlid) nur at§
ben im 9fnfange bicfer 9inmmer non und oudgefprodjenen ©ot^ ouftreten
{offen. Unter biefer 9U'idfid)t (offen ober feine Sfeufserungen roo^t nidjtd
,yt ronnfd^en übrig.
Unb in noller Uebereinftimmnng mit biefen erfdjeint bodjenige, mod
mir non lü’ibfe oernetjinen. 3n feinen „^Jiobonnen nnb feinen (jeitigen
fvomilien {;ot fttoffoet mit oolter ©eete fein (Sigenfted gegeben, nnb bod
nrf pr üngti dj bloft firdj(id)e 0l)emo ,^ur ()öd)ften rein menfdj=
lidjen i'oltenbnng unb ,yreif)eit erljoben. Obroobl offne! nie oer=
]^eirot{)et roor, i^ot bod) fein 9}ceifter je mit foldjer .fbingebnng bod ®(üd
bed gomilienlebend oerfjerrlid^t, mie er. 6tmo ein bolbed ,*punbert non
5)iobonnen {äfd fidj non i()m nodfmeifen, ober ftetd meifj er bod einfod)fte
nnb menfd){id) reinfte Xbemn ber iBhittertiebe neu gu onriiren, fo bo^
biefe Sßerfe otlein fd)on bentlid) feinen ®ntmidelnngdgang fpiegetn. 93on
finblidfer Befangenheit fd)reiten feine iöfobonnen jn onmntI)ig entmicfelter
3nngfrön(idjfeit fort, nnb gehen in feinen reifften Sföerfen ji”" Studbrncf
großartig freier, ödjt mntterlidfer Üßn'irbe über, bie bnrd) einen geheimni[5;
üoUen 3fl'tber uon Unfchnlb nnb 9ieinheit gemeiht ift. ©o finb biefe
Bilber bie menfdjtid) liebendroürbigften ©d)ilbernngen eined ein=
fod) innigen ^omitientebend, unb bennod) finb fie, ohne ibeitigem
fchein nnb ©olbgrnnb, göttlid)er old alte früheren ‘Bcobonnen." ©er letzte
@ebonfe erinnert foft on „bod ®mig:B>eib{idje" in ben teilen Berfen
non ©oethe’d „Boffoeld Biobonnen," fo fchliefd )üübfe fpüter
feine (^h^ii’<^cteriftif biefer Bilber, „nnb im höd)ften ©inne bie ©irtinifd)e,
finb nicht für eine beftimmte ®poche ober für eine befonbere retigiöfe 3ln=
fchonnng gefchoffen. ©ie leben für olle 3^^^'^ ‘^t(^ Bolfer, ineU fie
eine einige SBohrheit in einig gültiger jvorm offenbaren" *). ©ie gebene=
beite 3nngfrou non Bo^oreth roeldje ber B>elt ben ©ohn bed lebenbigen
®otted gebar, fennt niemonb, otd ber (Shi'ift melier on bie übernotür=
lidie ©ffenbornng glaubt; ein Bilb bod „für feine befonbere religiöfe
3lnfchaunng gefcpaffen ift", nnb bornm „für alte Bolfer
*) SüDfe, 23b. 2. S. 221. 224. (6it. 342.)
410
3roei allgemeine oberfte @efel« für bie veligtöfen Äünfte:
lebt", aifo aud) für Ungläubige unb c'peiben, ein fold}e§ SBerf fann bein
©ebiete ber religiöfen Ä'unft umnögli(^ angepren, man mag e§ nun
„eine iUlabonna" nennen, ober roie e§ fonft beliebt. SBig fßerbi, 0c^n=
mann, 33ral)m§ ipe „Dtequiem", IRoffini fein „Stabat ilRater", gerabe
fo pt IRaffael feine ,,'iOtabonnen" für bie „äftptifd)e" 2lnbad}t ge=
arbeitet, nicht für bie religiöfe. ©ben ba§ mar e§ aber, roag mir nacf|=
juroeifen hatten.
286. roeitere ®emerfungen fönnen bienen, baä Urtheil über
fRaffaelg Jeiftnngen in ber „iUlabonnen"©lialerei gu neroollftänbigen.
5tl§ bie oollenbetfte biefer ©attung gilt, roie e§ eben nod) Sübfe an=
beutete, bie „0i):tinifd)e ilRabonna" ; um ba§ ^ap 1518, nach Springer
fd)on brei ^ahre früher, für ben -l^ifcfie ©an ©ifto in
“f-Uacenja gemalt, befinbet fie fich feit 1754 in ®resben, unb bilbet „bad
gefeierte ^auptroerf ber bortigen föniglitheu ©allerie" *). iltad) f^riebridh
üon ©dflegel nun „ift ba§ Silbe non IRaffael
gu ©resbeii atlerbingd fehr f(^ön, fa göttlid) gu nennen: aber e§ fönnte
auch i^Lihl eben fo gut bie jlinbheit einer ©ottheit bar=
fteClen, nnb e§ gleiifht eljer einem f lei neu Säl©
liehen **)•
!3)ie groeite Semerfung bie roir hingüfügen rooHteu, betrifft bie „Sla=
bonna" felbft, unb groar ni^t allein bie gulep ermahnte, fonbern auch
anbere non IRaffael ftommenbe.
2lu§ ben tepen groölf fahren feineä Sehend, roeldje ber Zünftler in
dtom gubrathte, finb groei non il)m gemalte §rauenportrait§ erhalten:
bad eine, geroöhnlid) „bie f^ornarina" (bad Säd'ermäbdhen) genannt, bes
finbet fi(h gu 9ftom in ber ©allerie Sarberini, bad anbere, bie „®onna
nelata" ober bie ®ame mit bem ©d)leier, in ber ©allerie IfJitti gu fylo=
reng. lHach ^affanantd Slnficht roelche DUo anfül)rt, fteden beibe ^or^
traitd biefelbe ^erfou bar, nur gu nerfdjiebener
lHäbdfeu roelched ITfaffaeld „©beliebte" roar; ed ift erroiefen, bap bie Sep
tere iD7argarethe hiefu ber iHame „gornariua" tritt erft gegen bie ilRitte
bed ad}tgehnteu ^ahrhunbertd auf***). ®ad erfte biefer groei if}ortraitd,
bad ber ©aderie Sarberini, ift ein ungüdjtiged f^rauenbilb. ©pringerd
Sefdhreibung ber Steife, in roelcher bad Original bem Zünftler „fa^",
mögen roir hier nicht iniebergeben ; ed genügt roenn roir fagen, bafe nur
fyreubenmnbdien einem ÜRaler in foldher Steife fipn. 2Bie IRto berichtet,
ift ed nun biefe Oirne, ber man „auf mehreren ©emälbeu Olaffaeld, unb
groar auch auf religiöfen", roieber begegnet. „Salb erfdjeint fie barauf
*) Sübfe, 33b. 2. ®. 224.
*0 5. ®cf)(egel, ©. 36. (Clit. 397.)
***) Rio, t. 4. p. 558. (6it. 383.)
^lluftvationen 511 ben bavaug gejogeneu golgenmgen.
411
atä eilte i^elbin, balb al§ eine jitroeUen felbft alg ,'i)}labonna‘.
i)htr boH iin letzteren "J-olIe, imb mitunter aud^ in anberen, bev Ibüni'tler
baranf bebadjt fleraefen i[t, bie @hit be§ 5tuge§, in roeld)ent nid^tS
fräuüdieä liegt, 511 inilbevn, nnb ben illnöbrncf non @inntid)feit ber auf
bem unteren 'X^eile be§ ©efidjtä l^ernortritt, roegfaden jn taffen. ift
mir jn ronl^r, baff and) bie Si):tinifd)e ildabonna jn ben (E'r-
jengniffen biefer 31 rt gel)ört''*\
©pringer ftimmt mit 31io’§ 3tngaben nidjt ganj überein; aber bie
if>nnfte in benen er non i^m nbroeidit, finb imferem 2;i^cma gegenüber
ganj nnroefenttid). Sufolsc r^lcbt bn§ 33ncfermnbd^en nur im 5nbel=
reidie . . (^^eroi^’ ^atte" übrigeng „ber ütRnler , in beffen SBerfen fid) bie
t^H'ajie nnb 3lnmutt) notlenbet nerförpert, nnb bie roeiblid)e ©d)önl)eit
gtän5enbe ©rinmpt)e feiert, anc^ fv^-ancngnnft genoffen, nnb reid)e £'iebe§=
erfa^rnngen gefammelt . . 3?ei bem einen 33ilbe fdjlieffen mir an§ ber
©teünng auf intime 33ejief)ungen jnm Jl'ünftler" **). 3lber „bie jroei
iportraitg ftellen nid)t biefetbe ifferfon bar", llnb nid)t ba§ crfte, fonbern
bie „®ame mit bem ©d)(eier" ift bagfenige 23ilb, raetd)eg „bem .ftünftler
offenbar bei feinen fdiönften fvrnnenfd]öpfnngen nor ber Seele fd)roebte.
DlJuf) man ba nid)t annefmien, bap eg and) in fein eingebrungen
ift?" „®en Dlamen beg l)errtid)en SSleibeg fennen mir nid)t," fo fd)tief3t
Springer, nad)bem er eine 33efd)reibnng beg Ißilbeg gegeben, nnb barin
„bie groffen, bnnflen, hoppelt feurig blicfenben 3lngen", bereu i)Ho bei
ber „f^ornarina" erroäl)nt, angbrücflid) conftatirt !^at; „mobt at)uen mir
aber, baft eg ficb tief in bie ipl)antafie beg vll'ünftterg einfenfte. ®enn
mir entbecfen oermanbte 3^9^ tu ber 3Jiagbalena auf bem Gäcitienbitbe,
nnb in ber Sirtinifcben DZabonna, nnb nehmen mit gutem @rnnbe
an, baff bie ©eftalt ber ,®onna iietata‘ nor feinen 3lugen fd)mebte, alg
er jene beiben uerflürten fvranen fdf)uf" ***).
©inen Semeig für feine lategorifd)e 2?ebanptnng, baf) bie yuei '^or=
traitg nicl)t, roie mir oorl)er nad) '^taffaoant fügten, biefelbe if>erfon bar=
ftellen, fndf)t man bei Springer nergebeng; auf bie 3fH9>itflc ™ir
nad) ibm felber in ber Slnmerfnng n. 286 gegeben b^^ben, nnb einige
feiner eigenen 3tngaben auf S. 250 f. feineg 2®erfeg, tiefte fii^ fogar
eine fyolgernng grünben, bie mit feiner Sarftellnng feinegmegg bnrmonirte.
Unb ebrenooller für ben genialen .Rünftler märe eg jebcnfatlg, menn ficb
feine Seibenfcbaft auf jene ©ine, in ber „g-ornarinn" fid)cr bnrgeftellte
üliargarctbe befdbrnnl't b^tte , metcber er in feinem Jeftament , nach
*) Rio, t. 4. p. 558.
**) §ier ift ba§ oorbev nn crftcr ^tctle erpä^nte unjüd)tigc Sßilb in bev @nt=
lerie 3Sarberini gemeint. 3Jtan Devgtcid[)c nntcn bie 3lnmerfnng n. 28G.
***) ©pringer, ©. 250 f. (6it. 408.)
412
3n)ei allgemeine oberfte ©efelje für bie religiöfen Äünfte;
*), eine §eirat!^äauäfteuer Dermalst ^at. ixiie roir jc^on fagten,
für bie 2Ieft§etil !)at biefe f^rage feine 23ebeutung : um fo größere bagegen
ber Umftanb, ba^ 9taffaelg and) non Springer bezeugtes ißerfafiren in
ber SDarftenung ^eiliger f^rauen, unb felbft ber gebenebeiten iÖiutter be§
^errn, etroag ju fe!^r an einen Sa^ be§ if3liniu§ ©eciinbuä erinnert.
,,5fud) SfrelliuS, furj nor ber 3eü 2Iugu[tu§, mar in fRom aB iJRaler
berüfjmt: raenn er nur feine Äunft nicf)t burd^ eine ganj eigene @e=
mein f) eit entroei^t ptte. 6r brannte nümlic^ beftänbig in Seibenfc^aft
für irgenb ein iöiäbctien; barum malte er ©öttinnen, porträtirte aber in
benfelben feine ©etiebten" 287).
287. 23eifpiele biefer 2frt roerben mir freilid) balb noc^maB an3u=
führen Ijaben; unb nie! fi^timmere finb uiB ja bereite begegnet*) **), lieber;
l^aupt möd^ten mir ben Sefer feinedroegg neranlaffen, ben Zünftler non
Urbino ju ftreng ju beurtl^eiten. i))dan barf nidE)t überfe^en, in mag für
eine 3^^ OlaffaeB furjeg Seben fiel. jügellofen ©ntrcei^ung refi;
giöfer iöorroürfe unb fieitiger Stätten burcf) bie ilRalerei, roie fie roätfrenb
ber jroeiten fünfzehnten ^^h^^^unberB in fy^orenz an ber
Sagegorbnung mar, hat er fich niemaB hingegeben ; unb ber überfdhraeng=
li^en ißegeifternng für atteg ßlaffifih^Slntife, non roelcher im SInfange
beg fei^z^^'^i^i^ tiudh bie römifche 2Öett fi(^ ergreifen
laffen, foroie ber mächtigen Strömung eineg einfeitigen ijumanBmug,
fiegreidh Söiberftanb zu leiften, bag ift eine Stufgabe, ber ein einzelneg
©enie rooht in ben fettenften gälten gemachfen fepn bürfte. SiaffaeB
„''Diabonnenbilber" entbehren ber übernatürüdhen Sföeihe retigiöfer Äunft=
roerfe; aber eg tritt ung in benfetben hoch nid)t bloB technifdhe S5ottenbung,
fonbern meifteiB au(^ roahrer natürlii^er Stbel unb ethifdhe SBürbe ent=
gegen, — unb in biefer Beziehung fteht diaffael atlerbingg uB
irgenb ein anberer nnter ben StRatern beg fedfzehnten gahrhunberB.
Sübfe berietet non Stttarbitbern ©oreggio’g, auf beneu „ber Slug;
brurf ber SOiaria an’g ©efliffentlidhe , 23uhlerifdhe ftreift, unb bie
^eiligen nach blid'en mit einer gnbrunft, bie faum mehr in ein reli=
giöfeg 35ilb gehört.'' „2Bag i^oheit, ©rnft unb Stbel ber gormen, mag
gemeffener architectonifd)er iRhpthmug, mag fein abgeroogene Sinienführung
ift, roeiff ©oreggio faum. ©r roitt nur ©eftalten in lebhaftem Stugbrud
beg Stffectg, Dod innerer ©rregung unb in raftlofer äufferer ißeroegung bar=
fteden, nnb um bieg zu fönuen, löft er alle ftrenge 3irabition, überfpringt
foroohi bie ©efet^e religiöfer Sluffaffuug, raie fünftlerifchen .fperfommeng.
Seine SOdabonnen unb ilRagbalenen z^B^u biefetbe, mehr genrehafte ©e=
fidjtgbilbnng, benfelben feudften, nerfchraimmenben , gärtlich fi^madhtenben
*) T. 4. p. 559.
’**) Oben, 9t. 274. ®. 385 f.
^üuftrationen ju bcn baraiig gejogenen golgmingen.
413
33ticf, bie Heine 5tafe unb ben überjierlic^en, erotg liidjelnben ''llcunb, roie
feine ®anae, Seba ober ^o. @r fdiilbert gern bie S5>onne leibenfdfafH
üdier ^''ittgebung, aber ber 2lu§brucf ift berfelbe, ob er f)immlifc^e ober
irbifd^e Siebe matt" *).
Jijian ift mit bem el^rennoUen Xitel „ber Jtönig ber Xtialer" au§-
gejeic^net roorben; burd) feine Seiftungen auf bem (Gebiete ber retigiöfen
Äunft bot er benfelben aber fidfer nidjt oerbient. „®ag @ebiet ber
^Sdjönbeit in ihrer böb^i'^n ÜSoöenbiing ift ihm immer unjugänglid) gc;
blieben ; nnb ber Xitpuö ber heiligen Jungfrau , mie er fie in feinen
früheren Ä'irchen theilä für Oratorien malte, erfd)eint
faft immer nidjtSfagenb, ober felbft gemein" ** ***)).
®reif3ig (1517), lieferte er fein erfteS größeres „religiöfeS"
iSerf, bie öpimmelfahrt 3i)taria barftellenb, für ben .'podfoltar ber 'iStino^
ritenfird)e in 4>enebig. 3” 5)fHem i^ilbe, fagt 3tio, entfaltete ber Dtos
tnrali§mu§ einen berartigen @lanj, baß fein Oieg über ba§ eigentlid)
religiöfe fOtoment für alle entfehieben mar. Oie „mädjtige,
irbif th = fchöne C'^'rfdjeinnng ber ,f)iltabonna‘", in mcldfer nid)t§ lleber=
natürlidheS he^'i’ortritt; ihr „prnd)tig in ben Süften ranllenber bnnfelblaucr
'ITiantel", ber fid) „gegen baä rotl)e (Memanb ba§ bie herrliche ©eftalt
big jn ben fvüßen nmtleibet, trefflich abhebt" ; bie „fie umgebenbe ©ngel=
glorie, au§ reijenben, fid) fröhlid) t u mm elnb en Ä' inbergeftalten
gebilbet" ; „ber Dteij ber im ö5intergrnnbe fid) ansbreitenben Sanbfd)oft" :
alle biefe i)3comente, in einer janberl)aft feffelnben 33erbinbnng oon bril=
lauten fyarben anggeführt, genügen nollfommen, um ben „allgemeinen
©nthufiagmus" 511 erflnren, mit meld)em bie große 91Renge bag originelle
©emälbe aufnahm. i)l>?ehr gegrünbet olg biefer ©nthnfiagmug, mar ohne
.^meifel bag ©efül)! einer nid)t angenehmen lleberrafd)ung, meldfe bag
33ilb in ben fDtinoriten l)ta'uorrief, nnb bng SSiberftreben momit fie, nad)
längerem Sebenfen, fid) entfd)loffen , ber befrembenben in ganj neuem
©eifte entroorfenen Onri'tellnng ben oop^üglidfften ')31ot3 in ihrer jl'ird)e
ein^nrdumen
dtio fagt nid)t juoiel, roenn er für bie 5>enctianifd)e ®d)iite bitrd)
bie ißilber Xijiang bcn 0icg beg 'Dtatnraligmng über bas übernatürlid)e
'IRoment in ber religiöfen fD7alerei entfd)iebcn finbet. „Xijiang, ifSnlma
ißecd)io’g, Xintoretto’g fUtabonnen finb faft alle nur ikmetianifche ©beU
fronen, hohe^ ehle ©eftaltcn non förperlid)cr 'Jülle unb 0d)5nl)eit, um-
geben non ber ganzen i'cnetianifd)cn Sebeng, nornchm, hod)=
herzig, noll eblen Otoljeg: furj, faft in 5111em gleid) jenen fd)önen ineib=
*) Sübfe, 33b. 2. ©. 234. 230. (6tt. 342.)
**) Rio, t. 4. p. 181. (6it. 383.)
***) 3?gl. Rio, t. 4. p. 187. Werfer, Sb. 1. ©. 31. (<5it. 383.)
414
®ie Sd^öpfungen ber fd;önen fünfte iinb bie SBa^r^eit.
licken ^ortraitä, bie jic^ in großer Slnja^l au§ bcr 23enetianifd;en
Sc^uie erl^alten l^aben" *).
®ie gleiche „ineitfc^U^e Sluffafjung be§ iD^arienbilbeS", um ben
2tusbrucf ©pringerä jii gebrauchen, ber nämüdhe naturatiftifi^e ©eift mie
in ^taüen, bemächtigte fidh befanntUch ber religiöfen Äunft um jene
aud} in ben nörblichen £änbern: auch ^^rt mürbe „ba§ iSRabonnenibeal
■jyleijch". „‘Dürer malte in h^ünli^er Siebe bie geiftreidhe i|}ir!heimerin"
al§ ilRabonna, „inbefe ihm feine fdho'^^ itanffüchtige ©attin ju antifen
©efd}ichten ilRobetI ftanb ; Suca§ Äranach erhob ein jiihöneg 23ädermäbd)en
jnr ilRabonna , 3Ruben§ uergötterte nieberlänbifche Äuhmägbe" **) ; unb
no^ in neuefter 3eü njeip Äreujer non „oielen mobijdhen .t?irchenbilbern"
ju erhöhten, unb oon „‘äRabonnen bie eher roie 23aIIjungfern auäfehen" ***).
3n bem ÜRaa^e, raie ber tiefe religiöfe ©inn be§ ilRittelalterg mehr unb
mehr in raeltlidhe ^ni^i'cfffn unb Denbenjen fidj uerlor, in bemfelben
hörte aud) bie religiöfe iBRalerei auf, für eine übernatürliche Sßeihe in
ihren DarfteClungen, für eine Uebereinftimmnng berfelben mit bem ©irnie
bes h^tligen ©eifteä, 5^erftänbnif3 ju hoben; e§ mar ganj natürlich, raenn
fie im achtjehnten ^o^^'^onbert fd)lief3lidj feinen anberen ®eruf mehr
fannte, al§ „ber 23erfdjönerung ber iRatur unb be§ menfchli^en Dafer)n§"
ju bienen, ba§ h^^fd bem Suru§ unb bem Vergnügen, unb fo — e§ finb
Ulrici’ä SBorte — jnr ©tellung eine§ blopen Decorateur§ h^'^obfanf.
Sedjötcö tnfjitcl.
t)ie ÖDnke kr fdjöitfii ßüiifte unb bie ÖDiil)rljfit.
288. ^n feiner „Slnleitung jur oratorifdjen 23erebtfamfeit" fpricht
Duintilian roieberholt ben ©ah au§, eine fRebe beftehe roefentlich au§
jroei (Elementen, au§ ben ©ebanfen nämlich ober bem ^i^^olt, unb
ben burch roelche berfelbe ben .^örenben zugänglich gemacht
roirb. Slnalogeä gilt offenbar oon ben Sßerfen ader übrigen fdhönen
fünfte. 3*’ Dragöbie, in ber in ©tein gemeißelten ©ruppe, in bem
©ölner Dombilbe, in Sföeberg „Dreijehnlinben'' ober ©chitferä „Die ißürg=
fdiaft", roerben un§ Dhoß'odjen norgeführt, ©rfdjeinungen au§ bem menfeh-
lid)en Seben: biefe bilben ben S'^holt beä Äunftroerfeg; aber nerfchieben
oon biefem 3ii^olt ift ba§ iSfittet burch roetd)e§ berfelbe unferem ©eifte
uergegenroärtigt roirb, baä Sluftreten ber bramatifhen ?fßerfonen auf ber
*) Utrici, ®. 32. (C5it. 398.)
**) §ift.:poI. Stätter, 53b. 34. <S>. 944.
■■■“**) Ä'reufer, ®er hrifüi<h^ Äinhenbau, 33b. 2. (Dlegengburg 1861, 2. 3tufi.)
e. 334.
®ie religiöfcii Jtiinfte müflen fid; an bie aSa^v^eit fjnUcn. 41 5
33üljiie miinlid) , bie in ?i)tannov auscjefü^rten, ober bie auf einer f^Ind)e
fid) nuferem Singe barftellenben ©eftaUbilber , bie ©orte in roelc^en ber
®id)ter erjn^Ienb 511 un§ fprid)t. S3on biefem ilRittcl, oon ben Silbern
ober ben bmn fid) bie eingelnen Äiinfte für i^re Slufgabe be=
bienen, mirb fpäter bie Otebe fepn; in biefem jiapitel ^nnbelt e§ fid) um
ben ber faIIeotedjnifd)en Jiieiftnngen , unb bie f^rage ift, ob bie
@rfd)einungen, bie 'S!§atfnd)en unb Segebenl)eiten, an§ benen fid) berfelbe
,:^ufammenfel3, notljroenbig ^iftorifd) maljr fepn muffen.
§. 1.
^nfofcrn cs (td) tim bic ßcbontfcficn ^<iMn|ic ^anbcft, iß cs ßcincswcgs not^-
ntcnbtg, bafi bic frfdicinungcn wcIcOc ben ?nf)ttrt i^rcr 55ctßc Cifben,
^ißorifd) nmßr fepen.
3^ie religiöfcii Ä'ünfte müffen fid) in il)rcn Slrbciten, nm§ bn§ ©efentlid)c be§
^ul)altö betrifft, l'treng an bic tl)atfäd)tid)e Sdat)rl)cit I)nltcn; baffelbe gilt
oon ben cioilcn .Ibiinften. S^agegen genügt, bamit fid) aftl)etifd)cr ©ennfi
erzeuge, bie blof)e Slnfd)nnnng be§ iiftbetifd) bebentenben @egenftnnbe§,
in Serbinbung mit einer 3(rt non „'Jtlnfion" : bie I)ebonifd)en Ä'nnfte finb
im '3taiibe, biefe berbeppifübren , nnb fo befitjen fie bn§ 9ted)t ber freien
T'id)tung. ©ariim ibnen biefe§ 3ted)t unentbcl)rlid) fei) ; unb iimritm
il)nen gegenüber bie cioilen fünfte in ben .i^intergrmib treten.
289. Serücffid)tigen mir snnnd)ft bie religiöfen fünfte, fo fönnen
mir, mag biefe betrifft, nid)t anberg, alg bie oorl^er geftellte fyrage be=
jaljcn. ®ie religiöfen bUinfte bienen inggefnmmt ber allgemeinen Slnf;
gäbe, bag nbernatürlidje £'eben in ber {Jl)riftenl)eit jn förbern. 9hm ift
eg aber ber non (^mtt gefetiten Orbnung jufolge cinjig ber ^i^ljalt ber
dfriftUd^en Offenbarung, bag ©ort @otteg, befrnd)tet bnrd) bie innere
©nabe beg l)eiligen ©eiftes, aug meldjem biefeg Öeben fid) erzeugt, oon
melcbem eg fid) nftl)rt, bnrd) bag eg fid) aiigbilbet nnb ber Sollenbiing
entgegenreift, fvür bie religiöfen Alnnfte inggefnmmt ift fomit i^r
etroag ©egebeneg, bag nnnbl)ängig oon il)uen feftftel)t: unb eg fann iljnen
in feiner ©eife geftattet fepn, an ben Of)atfad)en nnb ben Segebenl)eiten
meldje fie aug bem ©orte ©otteg fd)öpfen, Slenbernngen i)orjnnel)inen,
etroag ©efentlid^eg f)injn5|ntl)nn ober bnoon megjuneltmen.
©troag ©efentlid)eg , fage id). Oenn bag mag bie Offenbarung
bietet, meiter augjufnfiren; mand)e 3üge nnb llmftönbe, meldje bie Offen=
barung nur oon fern unb fanm bemerfbnr anbeutet, flarer Ijeroortreten
311 laffen unb meiter jn entmid'eln; bag fteljt ben religiöfen öTünften
ol^ne 3rohfet frei. Oie bürfen felbft unroef entließe eigener
©rfinbung bem oon ber Offenbarung ©egebenen Ijinjufügen ; nur müffen
416
®ie Sd^öpfungcn ber fd^önen fünfte unb bie ®a!^r^eit.
aüe llmftänbe biefer 2tvt mit bein gefammtert ber
Offenbarung in nollem (Sinllange fielen.
290. 5XnaIoge§ roie non ben religiöfen fünften gilt non ben cu
niten*). ^ene ef^ifd^ red)te ©efinnung in ben (Jinjetnen, non roetcber
ber Seftanb, ba§ ®ebei|en unb bie ißtüte be§ bürgertidien ©emeinroefenä
abfiängt, fann feften §alt unb tebenbige Äraft einsig in beut finben roa§
aUfeitig raa'^r ift; eine Äunft bie e§ al§ ii^rc eigentliche Stufgabe be=
trachtet, bie bejeichnete ©efinnung ju förbern, mu§ fidh be^fiatb am
geroiefen fe^en, fidh fttenge an bie SSahrheit gn hditen.
fyaffen mir bagegen bie he^onifi^en jtünfte in§ Stuge, fo geftattet
fich bie 0adje ganj anberä. 3^*^ ÖefiobuS bereite reben „bie Oötfiter
be§ bie otpinpifthen SWufen":
C?rbidhtete§ nerftef)en niel mir gu erjähtcu,
Oa§ gang fid) inie bie Sßahrtieit nuönimmt; bod) mir miffen,
00 oft e§ un§ gefädt, au^ 3Bat)re5 gu berichten 289).
Oie hebonifchen .Jtünfte tnoden nuferem (Seifte, nuferer t^h^'^tafie unb
unferm (Semnthe ben 0toff bieten gu angenehmer, genufgbringenber Ohä=
tigfeit, inbem fie in unferer 0eete ftare unb tebenbige SSorftetlungen ner=
antaffen non ©rfdjeinungen an§ bem Seben, inetdhe fith bur^ afthetifdjen
Sßerth auggeichnen. Oafg biefe§ 3^^^ erreicht roerbe, bagu ift bie objectinc
29irfti(^feit ber in 9lebe ftetjenben ($rfd)einungen , ihre hi[torifd)e 2öahr=
heit, feineStnegg erforbertid). Oenn ben pfpdjotogifchen ()5rnnb beg (Se=
fühtg ober ber (Semüth§beroegung bitbet nidht bie nrtheitenbe Oh^tigfeit
ber ißernunft, fonbern ihre anfchauenbe Ohatigfeit , bie einfa^e SSor=
ftettung**). Oie ©efühte in benen fidh ber äfthetifche (Senn§ ergeugt,
Siebe, iBernunberung , Oerehrung, fyreube, Oheitnahme, SOitteib, f^urcht
unb ähntiche, finb mithin nicht abhängig non bem Urtheite, bafg ber
nuferer Oorftettungen , roährenb mir etroa eine Orngobie aufführen fehen
ober eine Oaltabe tefen, objectin roahr fep: biefetben tonnen fich nietmehr
in unferer 0eete fehr rooht auch fotdhen @rfd)einnngen gegenüber bitben,
non benen mir roiffen, bofg fie feinegroegg eine hiftorifche (Srifteng höben,
nnb eingig in unferem (Seifte unb in bem (Seifte beg Äünftterg finb.
3(h jage, non benen mir roiffen, bafg fie nicht eine objectine ©rifteng
haben. Oenn mit Oeftepion biefeg Urtheit bitben, unb babei nerroeiten,
bag bürfen mir freitich nicht, roenn ber äfthetifche (Sennfg nicht beeim
trädgtigt roerben fott. 2Ser im Otjeater, ober beim Sefen einer epifchen
*) 'Sg(. 9t. 237. ©. 331 f.
**) 3Sgt. „®a§ ®emütf), imb ba§ @efüE|I§ocnnögeu ber neueren t^fpchotogie",
9t. 46 ff., nnb „Jbeorie ber geiftnd)en Serebtiamfeit" 9t. 175. (2. 2(njT. Sb. 1.
©. 366 f.)
®ie !^ebonifd)en fünfte befi^en ba§ Sfted^t ber freien ®id)tiing. 417
®i(f)timg, ausbvücf(icf) baran benft, bafe bie Ibdtfac^eu bte i^m uovgefiUfrt
roerbeu, niemals roirflic^ geidjelien finb, ba^ baS ©anje, ober bod) bie
dfl^etifcf) mevt^oollften (Elemente, lebigtid) ber ©rfinbung beS ©id^terö
i^ren Ursprung oerbanfen, in beffen @einütl)e roerben bie ©efü^le ber
Jl^eilnaljme , ber Siebe, ber "is-renbe, ber IBeronnberung, fid) f(brDerlid^ er-
jengen, unb bannn ain^ nid^t ber eben an biefe gefnnpfte äft^etifi^e
d^enuB, ba§ eigentlidje 3'^^ l)ebonifc^en Ä'nnfte. S^er uodenbeten
"?Jteifterfd)aft be§ ©id^terS fann freilid) ein 0o((^er jid) immerlpn freuen:
aber baS ift nid^t ber ©enuy um ben eS fid) in unferem 5^alle Ifanbelt;
benn fold^e greube gemälfrt and) ba§ ©tnbinm einer tüdftigen miffen=
fdfaftUdfen Strbeit, ober ber flaren Söfnng einer jdfioeren mntlfematifc^en
3Iiifgabe. 9(lfo baS ift allerbingS notbmenbig, roenn bie 9Berfe ber ^^ebo=
nifdfen fünfte un§ ©enng bringen follen: mir müffen oeranlnfit roerben
baoon abjufeben, e§ 51t oergeffen, baf? bie ©rfcfieinungen roeldfe
t)or unferem (Reifte ftelfen, ober bie ^ie on bemfelben oorüber=
jieben, nur Sidftnng, unb nid]t biftorifdje 2Sirftid)feit finb. Offenbar
ift biefer 3^ifid>ib unfereS ©eifteS, bnrdb roeldfen biei^nadf) bie äftbetifdje
iföirhing bebingt erfdfeint, eine 3lrt non „^dnfion'' : nidft eine eigentlidje
„ Jäufdfiung", uermöge bereu mir bo§ roa§ bie Ärinft unS norfüljrt, für
obfectin roa^r bditen , fonbern ein blopeS 93ei;©eite:;Saffen be§ UrtbeilS,
ba§ e§ nnroabr fei).
„Oaff mir in ber Ol)at ein Vermögen befilfen, nufere 2lufmerffam=
feit non einer geroiffen ©eite ber Oinge freiroißig objulenfen unb auf
eine anbere jn ridjten; ba§ ba§ '9}ergnügen felbft ineldbeS burdb biefe
2tbfonberung allein für nnS möglid) ift, unS bajn einlabet unb babei
feftbalt, roirb burd) bie täglicbe (frfabrnng beftätigt" *). Hm eS genauer
ju fagen: e§ finb bie i)9cittet bereu fid) bie .flünfte bebienen, nnb jroar
jnm Obeil eben in biefer 9tbfid)t, ineldjc jene „Dlbfonbernng" beroirfen
unb unterftütien. Oie Sebbaftigfeit ber ®orftellnngen ineldfe bie fünft=
lerifd)e Oarftellnng in nn§ neranln^t, bie tßeulfeit nnb ba§ Ungeinöbii:
liebe biefer 9}orftellnngen , bie ©pannung inomit mir ber Söfnng be§
ÄnotenS unb bem fd)liefdid)en ^lusgange entgegenfeben, bie etl)ifd)e @rö§e
unb ©cbönbeit foroie bie, ^•ntrüftnng ober 33eforgnif) erregenbe ©dblecbtig=
feit ber nerfd)iebenen C'baraetere bie mir anftreten feben, bie fpontane,
non felbft fid) einftellenbe (5'rinnernng an nerinanbte, mehr ober minber
analoge (Srfebeinnngen bie nnS im Seben roirflid) begegnet finb, bie
ißoUenbung ber gönn enblid) unb bie ©d)önl)eit ber öiiBeren Oarftellung
in roelcber unS ba§ Ännftroerf entgegentritt; ba§ finb lauter f)Jiomente,
roelcbe unfere 9lnfmerffamfeit in bobem iBfnaffe in Sfnfprnd) nebmen unb
*) 0cbUIer, Heber ben @ninb be§ Sergniigeng an tragifdjen @cgenffänbcn.
(58b. 11.)
Sungmnnn, 31eftf)etit. 2. 31uR.
27
418 ©c^öpfungen ber fc^bnen Ä'unfte unb bie 2Sa^rt)eit.
unfern @d[t unb baburt^ bie eben bejei(^nete „^tluftoti" :^erbei=
fü!^ren :
SJiärdbert, no(^ fo immberbar,
®i(^terfünfte ma^eit’s n)abr*J.
291. 2In bie @ef(^id)te, an ba§ iReid^ ber objeetben SBirfübbit,
erfdjeinen aifo bie ^ebonif(^en fünfte feineäraegä gebunben. 0ie l^aben
in ber 25Ubung if)rer SSorronrfe unb ber ©eftaltung i^rer SBerfe alle
grel^eit ber (Srfinbung; es fielet i^nen baS nollfte iRei^t ju, gn bienten
(iiotsiv), n)ie baS ja in bem Slamen einer ber norjügtidfiften auS ü^nen,
ber S)idjt fünft ober „ipoefie", auSbrüdlid^ auSgefprod^en liegt, unb toie
eben in 9füdfi(^t auf biefeS fRed^t berfelbe iRaine (i)3oefie) in einem
raeiteren Sinne and) auf anbere ^ebonifdje fünfte angeroenbet rairb. '
®eS bejeic^neten 9de(^teS fid) bebieneub, erfinueu fie entroeber ooK;
ftänbig bie 25egebenf)eiten , bie Sll^atfai^en , bie ©eenen auS bem Seben,
loie biefelben il^nen für i^re Slufgabe geeignet erfd^einen; ober fie binben
fid), roo fie baju fei) eS ^iftorifdie fep eS fagenliafte if5erfonen unb (äreig=
niffe oerraert^en, nur an bie ©runbjüge, roie biefelben oon ber ©efd^idjte
ober ber Sage gejeid)net oorliegeu, raäl^renb fie babei 2(Randf)eS in ber j
SSeife ^ingufügen, roegfallen laffen, abnnbern, bap ber (J^aracter beS ,
iS)elben in fiol^erer 25oHfommeu!^eit — ibeatifirt — erfdjeint, bie ©nt=
micfelung ber 23egebenl^eit eine für bie beabfid)tigte äfü^etifdje SBirfung |
geeignetere ©eftaltung empfängt , unb alle 309^ fW) möglidjft in jener '
23eleud)tung barfteöen, roie eS ber 3i^£<f SBerfeS er^eifd^t. i
292. ®aS iRed^t baS roir i^nen l)iermit oinbicirt l^aben, ift für bie
l)ebonifd)en fünfte oon ber gröfden 3Bidf)tigfeit. Sßir haben eS , mit ^ j
,)pora,5, f(^on im erften ,R'apitel (238. ©. 332 f.) auSgefprod)en *. bie i
hebonifchen Äünfte leiften nidfitS, roenn fie nicht SebeuteubeS, nicht 2Soll;
fommeneS leiften. ©ben biefeS roürbe ihnen aber, ohne bie oolle jyreiheit
ber bii^tenben ©rfinbung, überaus fdhroer roerben. ®enn fie bebürfen
baju offenbar einer h^reidhenben 'Dienge, fagen roir lieber eineS uner=
fdhöpflidhen f^onbS foldher ©rfd)einungen, bie eine hoh^ Süde oon ©^ön= <
heit, oon ©rhabenheit umfdhliepen, ober bie fidh roenigftenS burdh über= ; 1
rafd)enbe 9leuheit, burdh Slnmuth, burdh inneren iReidhthum unb flRannidh: j
faltigfeit in herooi'tagenbem dRaape auSjeidhnen, unb fo boju angethan i
finb, baS Sa fpannen, bie 2lufmerffamfeit ju feffeln, unb bem |
©emüthe ©enufe ju geroähren. 3» Sehen roie eS fidh ber 2ßirf= >
lidhfeit barftettt, in ber gefammten ©Rf^idhte ber dRenfdhhdt, finbet fidh P
nun aber ein bebeutenber 2}orrath oon ©rfdheinungen biefer 2lrt teineS= >
loegS. 2Ö0 immer bie f^reiheit ber ©reatur ihren unumfdjränften SSir^
0 d'oethe, ÜRotto ju ben „SSatloben".
®ie ^ebonifd;en Äünfte befit^en ba§ Stecht bev freien iDidfitung. 419
funggfreis ^at, mo immer enblii^e, i^rem SR>efen nac^ befd)vcinfte Kräfte
einanbev begegnen, ba i[t ja bie i^eimat be§ UnnoUfommenen nnb beä
’üRangel^aften, bes 23öjen nnb beä .v>a|3li(^en, bev 5UltägU^feit, ber SirU
oialitat nnb @emeinljeit:
l'ieö bie @eid)id)tc im ©anjcn unb trogen,
mirft bid) nidjt 311 fel)v evbogcn,
iJMd) unterraeilen l’ognv evbau’u
5(n brnoeii iüNinnevu iiitb guten ^Tau’n.
5)od) lücnn bu ind Sefonbre gcbft,
jTer Tinge ,Sn|ammenl)ang oevftebft,
ltnb fpürft bie ifift ber ^nfcenefeber,
©ebungene .'oeper, befteUte Tdimäber,
Ä'ulijfeii)d)ieber unb 9Jlnfd)iniften,
Tufflöre, i'ampeupubev, Statiften,
Hub nll beu ''i^luuber ber ©nufelei,
iiejnblteö 3'frf)tu unb l'obgefd)vei ;
Ter ©ropeu ^'peud;elu uub ©leigeu uub ^ügeii,
Ter .Hleiueu 3d)mcid)elu uub Sfüdeu unb iBiegeu;
Tnuu efett ed bir oor ber gnujeu iBaube! —
Ter -),Ueuid)eu ©efd)id;te ift if)re Tdjanbe*).
©anj 5te^nüdjeS fn'^lte, ba er bei bem ^Beginn be§ lanfenben
bunbertä nid)t, raie SBeber, jnrnrf in bie i'ergangenijeit, jonbern einfadj
nm jid) fdjante, ein anberer Tidfter: nnb er jog jngleid) bie ^otöfifiing,
bie mir jc^on ausgejprodien ^ben ;
3td), umfouft auf allen i'änberfnrteu
Tpübft bu und) bem feligeu ©ebiet,
fh.'0 ber fsu'eib*^'^ t'iuig grüner ©arten,
äi?o ber 311enfd)t)eit fdjöue .^ngenb blüt)t.
,3n bes .^•^er^emö beilig ftille iltäume
91higt bu fliel)eu and bed Sebeuei Traug:
fvreibeit ift nur in bem ÜHeid) ber Traume,
Uub bad 0d)öue blübt nur im ©efaug — **)
bas ift, in ben T)id)tiingen ber '^oefie. ©ine gemiffe 5fnjabl uon äftbe=
tifcb roertbüollen immerbin in einjetnen ©pod)en ber
99fenfcbengefd)id)te entgegen; aber einen altju reidjen fvbnbS berfetben b«t
biefe nidbt anfjnrocifen ; überbieS aber mifi^t and) mit ben fdjönften ihrer
©rfcbeinungen ficb immer Unf^öneS nnb 99tangetbafteS , ober fie
erroeifen fidj anberer 9tncffid)ten megen ihrer hi[iovifd)en 2®irt(i^teit nad)
iSfeber, ©ebid^te. („iJSeltgefdjicbte".)
**) 0df)i[ler, Ter 3(ntritt be§ neuen ^nb^'b^nbertS.
27"'
420
®ie 0d^öpfungen ber {d^önen fünfte unb bie Söal^rl^eit.
für bie JatIeote(j^nifd}e ®e^aublung nidjt geeignet. So evfc^eint bie f^rei=
!^eit, fici^ i^ren Stoff in entfpredienber 2ßeife ju geftalten ober i^n gan^
5U erbid)ten, für bie ^ebonifdjen .fünfte offenbar al§ eine Mitgift, burd)
n)eld)e i§re teben§träftige ©ntroicfetung unb i^r 33eftel^en gerabeju be-
bingt ift.
Sine iBeftätigung für ben teilten ©ebanfen ergibt fic| burdt) einen
®Ud auf bell tl^atfäd)tidbeu Staub ber cioiten fünfte. ®iefe müffen
fid), rcie rair gefugt fiaben , an bie biftorifdie Sßabrbeit batten, fie haben
nidbt bie f^reibeit, ficb ib^en Stoff ju erbicbten; barin oorjugSroeife liegt
ber @runb, toe^balb fie, ben bebonif^en gegenüber, ganj in ben hinter;
grunb treten: e§ mangeln ihnen bie geeigneten SSorraürfe. Unb roenn
jmei non ihnen, bie 2lrcbitectur unb bie iBerebtfamfeit, bieraon eine 2lu§;
nähme ju madjeu fibeinen, infofern biefe allerbingd nicht je einer gleich^
namigen hebonifdien Äunft nacbfteben, fo fömmt ba§ lebiglidb baber, roeil
e§ eine hebonifche 2lr^itectur unb eine hebonif^e ißerebtf amfeit nidbt gibt,
unb ber '?latur ber Sad)e nach ni^t geben fann.
§. 2.
3n jebem 'SScrfic einer fibönen unb in affen IbfUen eines fofiben^
mu^ ooffe 'pabrbett ßerrffben.
I.
®rei iBetfpiele oon ißerftö^eix gegen bie pbilofopbifcbe ÜBabrbeit. ®ie Sebtere
beftebt barin, baß bas 'fJrinetp ber (^aufatität, loie e§ ba§ gefammte @e;
biet bes „jufälligen" Sepn§ mit metapbpfifeber illotbmenbigfeit beberrfdit,
auch in ben ©rfdieinungen loelcbe bie Äünfte unö oorfübren, unter jeber
iRüdfidjt Bodfommen beobadjtet erfebeint. (äinige meitere Seifpiele. 3aiei
©ebanfen be§ 5friftotele§ über biefen -^unft.
293. 2Senn übrigen^ nadb bem ©efagten bie b^^anifeben .fünfte
in ihren SS^erfen nidbt roirflicb ©efd)ebene§ barftetten müffen, roenn bie
biftorifebe SBabrbeit fie nicht binbet, fo finb fie barum in ber ©rfinbung
ibreä Stoffes unb ber ©eftaltung ihrer SSerfe bod) feineSroegS gefe^loS.
„®ie? ift ben iDlatern unb 5poeten nicht
Don ieber freigeftanben, atle§ roaS fie roollen
gu magen?" — f^reiticb; and) mir inadjen ?tnfprud)
auf biefe Freiheit, unb oertangen deinem
fie abjuftreiten ; — nnr nicht, bah paare
roaS unoertröglicb ift, nid)t Sd)tang’ nnb i'oget,
nid)t Samm unb itiger in einanber menge!
2Öae bloh jur Suft
erbichtet loirb, fep ftet§ ber 2Babrbeit äbniid).
jebem Äunftroerfe imt§ üoüe p'^ilofopl^ifdje ^errfd^eix. 421
unb um je roeiter fid) bic ^l)anta[ie
Don if)r entfernt, je ftnrfer fei} bie 3;äufd}ung.
9JJnvd)en felbft foll nid}t uevtangen baf; if)m 9ttle§
geglnnbet merb’, nnb nid}t ben Ä'naben, ben
bie Vamin*) nufgegeffen, roieber frtfd}
nnb ganj an§ i()vem Seibe jieljen! 290)
biefen SBevfcn be§ i^ovaj ift ba§ ©efetj angebeutet, um bas eS ft(^
fianbelt. ^‘S ift, wie wir gefagt l}abeu, uict)t uottfweubig, baft baS waS
bie l)ebomfd}eu jlüufte iu i^veu 25)erfeu unS uorfü!^ren, obfectiueS, rotrf=
lidfeS ©et)u l^abe; aber baffelbe muB immer atS irirfüd) fei)eub gebad)t
werben fön neu, eS muft uoKfommen unb aßfeitig möglid), eS mnfi
„pljitofopl^ifd} wa’^r" fepn.
fsnbem wir biefen @ebanfen in bem fvolgenben weiter auSfü^ren,
berndfic^tigen wir babei and) bie retigiöfen unb bie ciniten fünfte. ®enn
infofern and) biefen, bem im 9tnfange beS uorigen ^Paragraphen ©efagten
jufolge, in 9tüdfid}t auf baS lInwefentUd)e in ber ®arftetlung ihrer
©toffe, eine gewiffe Freiheit ber ©rfinbnng jufteht, finb fie gleii^fadS
auf bie ^Beobachtung beS ©efepeS angewiefen oon weld}em wir hanbeln.
®arum haben wir baffelbe in ber Ueberfdfrift gnii}; ntlgemein, unb nid)t
btoft in fKndfid)t auf bie hfbonifd)en fünfte anSgebrncft.
294. ®rei iBeifpiele oon ^erftöpen gegen bie phitofophifthe 2f>ahr=
heit werben baS iBerftänbnifi ber abftractcn ©ntwicfelung erleid)tern.
©ine in ber 99ta(erei öfter oorfommenbe ®arftetlnng ift bie ©eene,
wo bie ©od)ter ber b>erobiaS ihrer oerworfenen iötntter auf einer ©thüffet
baS abgefct)tagene i^iniipt beS heiligen ^ahanneS 2?aptifta entgegenbringt,
ben f.'ohn, ben fie auf ben dtath ber 9Jintter für ihr ‘lanjen oon ö^erobeS
nertangt, nnb erhalten hatte. ®a fieljt man nun auf manchen 23ilbern
bas iDtnbdien bie ©d}üffel mit bem Abanpte beS ilRärtprerS mit feeichtig^
feit, nnb ohne bap irgenb weldjer Slnfwanb oon Äraft bemerfbar wäre,
in ©hier b?anb halten, unb ber 9J{ntter borreidjen.
©ine Veiftnng wetd)e biefer ganj analog ift, liefert bie '03ialerei
mitunter in ber ©arftettung einer anberen Xhatfad}e, bie gleichfalls ber
biblifdien @efchid)te angehört. 5US ^abith, bie b^selbin oon ®ethnlia,
ben oberften f^-elbherrn ber 9(ffi)rier in feinem „>^elte getöbtet hatte, ba
übergab fie, wie bie heilige ©dfrift erjühlt, feinen ölopf ihrer 9Jtagb,
unb befahl il)r, benfelben in ihre Dteifetafdfe ?in legen, ©o feljren fie
und} 2)ethnlia ,;^nrücf; eS nerfnmmelt fid), obgleid) eS 9iad}t ift, fofort
*) Die Samia roar in ben £inbermärd}en bee 2tlten nngefäl)r bn§, roa§ bie
Diadjtfran nnb anbere bergleidjen Untjolbinnen in ben mobernen finb. Sie rouvbe
<tl§ eine fyemt mit (SfelSfüpen abgebilbet, nnb frafi bie .Rinber lebenbig nnf, roenn
fie ni^t fromm fei;n rootiten.
422 0c^öpfungen bcr fd^önen Äünfte uiib bie SBa^rl^eit.
Hin fte bag gefammte 33oIf mit ben 2tette[ten; man jünbet lyacfetn an;
^nbitl^, in iIJiitte ber großen ütRenge bie jie nmfte^t, tritt auf einen
^ol^er gelegenen ifSlaf3, nnb nad)bem fie @ott ben i^errn gepriefen, nimmt
fie au§ ber fReifetafc^e ben Äopf be§ .s^otoferneg , nnb jeigt itm bem
®otfe. ®a§ ift bie bibüfc^e X!^atfad)e, meici^e ben ißorronrf ber ©emälbe
bilbet um bie e§ fid) fianbett. i®ie ftetlen nun biefe me^rfai^ bie ^ubitl)
bar? 2Rit brei fyingerfpit^en fafet fie ben Äopf be§ 2tffprier§ an ben
v'^aaren, nnb plt beufelben, ben 2trm roeit aiiSftred'enb , ber ftaunenben
ilRenge ^in.
bejeidjiiete norl^er biefe ©arftetlung at§ ber juerft angeführten
anatog. ®a§ ift fie, infofern beibe gegen bie phUofophifche Sßahi'heit
uerfto^en, nnb graar unter ber närntidien Dtüdficbt. ®er jtopf eine§
erraadbfenen ?[Ranne§ roiegt uugeföbr jmötf 'if?funb, ober faft fieben ^ito=
gramm. 2hm fann aber ein 2)iöbdjen, roenn fie auch, ^ie 2:od)ter
ber iperobiaS, uo(ih fo bejaubernb ju tanjen nerfteht, eine ©dhüffel auf
ber ein ©eraidjt oon ^mölf ifjfunb liegt, nid)t mit ßeichtigfeit in ©iner
,'panb hahs'M unb roenn eg attenfallg für furje niit großer Äraft=
anftrengung möglich roüre, roirb fie eg bod) nur im 9lothfaüe thun, nnb
nicht unter Umftünben, roie fie bie in IRebe ftehenbe ®cene ooraugfe^t.
(üben fo roenig fann eine fyrau einen fieben Äiiogramm fchroeren ÜRenfchem
topf mit brei fyingerfpit^en hatten nnb mit auggeftrecftem 2trme einer
uerfnmmetten ißotfgmenge jeigen; nnb roüren felbft ihre 2)iugf'elii hiefju
ftarf genug, fo mürben bie §aare bie fie mit brei fyingern faffen fann,
^u fdjroad) fepn, bie Saft ju tragen, unb ber Ä'opf müjtte auf ben
23oben fallen.
Saffen mir auf biefe jroei 23eifpiele noch ein britteg folgen, roelcheg
bcr '4^oefie angehört. einem ©ebidjte einer ©ammlung, bie nor nicht
Dielen fahren erfdjien, roirb ein SSunber erjüh^l* 3^* Äir(ihe ift
eine ©i^aar non 3lnbadhtigen Derfammelt; ba entfteht f^euer auf bem
Slltare, auf roeld)em bag allerheiligfte ©acrament feierlich auggefe^t ift.
©ag f^-euer nimmt ju, big ber ganje Slltar niebergebrannt ift: unb fiehe,
bie 2Ronftrang mit bem ©acramente bleibt nicht bloff niroerfehrt, fonbern
fie bleibt frei in ber Suft ftehen. ©egen bag 3Sunber an fidh h^öen mir
nidhl§ einjuroenben. Slber bie ©rjühlung roie fie ber iDithter gibt, leibet
an philofophifdjer Unroahrheit. ©einer eigenen ©)arftellung gemä^ fteht
nämlid) nitht etroa unoerfeheng unb auf ©inmal ber ganje 2lltar in
i^lammen, fonbern bag öilbet fich nach unb nadh unb ganj all:
mülig aug einem fleinen fvunfen. ®abei befinbet fich in ber Äirche eine
ganje 'IRenge oon Seuten. 25?irb oon allen biefen fidh uiemanb rühren?
roerben fie inggefammt ruhig an ihrem ifJlahe bleiben, unb ftatt Sllleg
aufjubieteu um ben 23ranb beg 3lltarg ju löfchen, ober roenigfteng bie
2Ronftranj retten, in aller 3lnbad)t jufdhauen, roie roenn eg fi(h um
jebem Äunftroerfe mu^ DoUe p^ilofop^ifd^e Sßa^v^cit ^errfd£)en. 423
ein ^‘^eiteriücrf ^anbdte? ®a§ ift etnfad) unmög(id); fomit bev
®id)tnng bie pl^Uol'opbildie 2Öabri)cit.
3(bev inanim ift e§ uninögüc^? 3Tie 3lntroort auf btefe f^-rage lutrb
unä erfenncn (affen, raorin ba§ JiJefen ber pf)Uofop(nfd)en Sß>a^r!^eit 6e=
fte^t. 3^'aB eine iDtenge non 'OJienfdjen, ba fie unmittelbar nor fid), auö
einem tteinen pfunfen unb ganj ndmnüg, auf bem 5((tar ein fyencr ent=
fielen feben, nid)t§ tbun, nm bas fs-euer ju unterbrütfeu, ober raenigfteng
ba§ bcilisfic eocrament 511 fdiül^cn, bod ift barum unmöglid], mei( e§
eine i r t u n g 0 f) n e ro i r f e n b e U r f a d) e ift.
295. .^'^iermit haben mir ba§ '^rincip ausgefprodien, nadb iuc(d)em,
inic überhaupt, fo iudbcfoubere aud) in beu 25>erfen ber fd)önen fünfte
fid) bie phi(ofophifd)e 29ahrheit mifit, burd) beffen i^erläugnung biefetbe
nerloren ge()t. Sie (f-rfcheinuugen ober Shatfad)en raeld)e bie fdfönen
Ännfte nn§ uorführen, non ine(d)er 3(rt fie and) fepn mögen, gehören
immer bem Gebiete bed ,„^ufäUigeu ober contingenten 0epn§" an; beim
außerhalb biefe§ ©ebieteä fteht unter 3(dem ina§ ift unb gebaut inerben
fann, nur (?-iner, @ott ber ^perr, ber Urheber aüeö ©epn§. 3"
Orbiiung biefeg @ebiete§ nun, in ber ethifdien fo gut inie in ber phh=
fifd}eii, he^'^'fchftt a(§ abfoliit nothmenbige @efe^e bie 'principe „be§ jii=
reidhenben ©runbes" unb „ber (Saufatitüt'^ unb bie übrigen 3lrionie
ineldie bie Serniinft and biefen folgert. Sie jinei ©rfteren (auten;
„3tid)t§ ift ohne jureidienben ©ritnb'^ unb „3U(e§ inad inirb ober ge=
fdjieht, fetd eine entfpredicnbe Urfad)e noraud'' ; hicf^ud ergeben fid) bann
bie ineiteren: „^n ber 2Birfung fann fein 3?orjng crfdiciuen, incfdien
ni^t, in irgenb einer 5f>eife, and) bie Urfadie befiljt" ; „bie 9^ntur nnb
bie ©igenthüm(id)feit ber Söirfung ift fener ber Urfadie immer ent=
fprechenb"; „eine unfreie Äraft roirft immer foniet fie ncrmag, inenn
bie i^ebiugnugen ihrer 3ß?irffamfeit gefeüt finb'' ; „feine Urfadie inirtt
anberd, ald für einen 3iwed" ; „fein mit Vernunft begabted 31>efcn
hanbelt ohne eine 3(bfid)t" ; „nienianb nertäiiguet bad Sittengefeh ohne
ein befonbered 99fotin" ; „niemanb inirb plöhlid) unb auf einmal böfe,
unb iimgefehrt" ; unb ahulidie anberc. Siefe ©runbfäüe alfo müffen in
bei! (©erfen ber fd)önen Äünfte, foinohl road bad ©anje betrifft ald in
ben ein^elneii ©lenientcn, genau nnb nollfommen beobad)tet fepn. Snüt
ber Äünftler fie auper 31d)t, mad)t er ®erftöfie bagegen, fo ftellt fid)
cntineber bie gan^e l'eiftnng, ober bejiehungdincife ein Sh^ü berfelben,
ald ein fd)lechtl)in iniberfinniged, d)imnrifd)ed ©ebilbe bar, ald eine inahre
metaphnfifche Unmöglid)feit: benn bie erinal)nteii ©rnnbfäüe finb meta=
phpfifd) nothinenbig.
©d ift offenbar, inie bad ©efagte and) auf bie jinei juerft d)arac=
terifirten Sarftelliingen and ber 'IRnlerei feine 21ninenbung finbet. Sie
2Sorfte(lung eined iöfenfdienhaupted bad auf einer 0d)üffel non einem
424
Sie ©(^öpfuttgen ber fc^önen fünfte unb bie SCSa^r^eit.
?SJiäbc^en mit ©tner §anb getragen, ober oon einer ^rau mit au§;
geftreiftem Strme emporge^atten roirb, ift bie ißorftettung einer SBirfung
roet(^er bie erforberIi(^e Urfai^e — bie entfpre(i^enbe leibliche Äraft —
abge'^t: mithin eine ^imörifd^c SSorfteltung. Unb in ganj gleicher SSeife
i[t e§ eine ©rfc^einung o!^ne bie entfprec^enbe Urfa^e, ober roenn man
lieber mitt, eine ber S^atnr ber rairtenben Urfa^e juroibertaufenbe (5r=
fcbeinung, menn man bei (Jrucifipen , jepen e§ plaftifc^e ober gemalte,
mitunter bie ißenen an ben SSorberarmen be§ gefreujigten 6rlöjer§ l^odb
gefc^rooHen fielet. ®ie SSenen ftJ^roeffen nur bann auf, roenn fie fi^
[tarier mit Slut füEen. ®a§ Sel^tere nun tritt, in ©diroere
be§ SluteS, bei ben 3Senen ber Sorberarme naturgemäß ein, roenn man
bie 2lrme längere 36Ü ^erab'^angen läßt; roerben bagegen biefelben empor;
gerecft, fo baß fid^ bie ^änbe, roie e§ bei bem i^errn am llreuje ber
f^all ift, in ber §öße be§ Äopfeä befinben, fo entleeren fi^ jene Sßenen,
nnb roerben in beffen faft unfi(^tbar.
©anj berfelben 3lrt roie biefer, roar ber f^eßler, roelc^er bem italie;
nifdien iXRaler Subroig ©aracci bei einem ©emälbe in ber jtatliebrale jrt
^Bologna begegnete. ®affelbe [teilte bie SSerlünbigung üJlariä bar. ®er
Ännftler ßatte bem ©eroanbe be§ gegen bie Jungfrau ßin fi^ beroegenben
©ngel§ einen f^altenrourf gegeben, roe^er ber ©tellung ber güße gerabe
entgegengefeßt roor, unb baßer ben regten fyuß an ber ©teüe be§ linlen
erfcßeinen ließ, unb umgefeßrt. ®ie Sage unb bie ©eftalt eine§ ßerab;
roaEenben ©eroanbeS beftimmt ficß, je nacß ber ©tellung unb .^altung
ber ijßerfon bie e§ trägt, burd) bas ©efeß ber ©diroere mit natürlicher
Elotljroenbigleit. ©ibt mitßin ber bilbenbe Äünftler bem ©eroanbe einen
T^aE ben es, biefem ©efeße jufolge, bei ber ©teEung ber ifSerfon nicßt
anneßmen lonnte; bringt er iüertiefungen nnb ©cßatten an, roo natur;
gemäß Sicßt unb ©rßößnng fepn ronrbe: fo fteEt er etroaS SBiberfinnigeS
bar, eine ©rfcßeinnng auS bem ©ebiete beS ^lEöüigen, roelcßer bie ent;
fprecßenbe Urfadje abgeßt.
29(f>. 3lriftoteleS betont baS ©efeß oon bem roir reben, oorjugS;
roeife in iRüEfi^t auf bie bramatifd)e .Runft. ,,©)ie Slufgabe beS brama;
tifdien JDicßterS", fcßreibt er in feiner if]oetif, „ift niißt bie, unS roirfli^
©efdießeneS oorjnfnßren: fonbern berfelbe muß ®inge barfteEen roelcße"
unter beftimmten Umftänben unb SSorauSfeßungen „nacß ben ©efeßen
ber SSsaßrfd) ein ließ feit ober ber Slotßroenbigfeit gefeßeßen
ronrben. ®enn ber ©efcßiißtf^reiber unb ber ©iißter unterfeßeiben fieß
nießt etroa babureß, baß ber ©ine in ungebunbener Eiebe feßreibt, ber
Elnbere in gebunbener; baS SSerf beS ^''Cfobot j. 33. bliebe, aueß roenn
eS in 'I^erfe gebraeßt ronrbe, bod) immer eine ©efeßießte: fonbern ber
llntcrfcßieb jroifißen beiben liegt barin, baß ber ©ine roirfliiß gefeßeßene
©)inge barfteEt, ber 2lnbere bagegen folcße, bie" unter beftimmten 35orauS;
3in jebcm ituuftroevfe muB uoße p^itoiop^ifc^e 3Ba^r^eit ^errfd;en. 425
fe^ungen „gefd}e!^en roüvben. ^Tarum ftel^t bie ^'oefie ber ^p^ilofop'^ie
auc^ nti^er, als bie ©efd^ii^te, iinb forbert ein ljöl)ere§ ijUfaafj gciftigev
Äraft, als biefe; beim bie '^oefie ftellt mel^r baS aßgemein ©ettenbe bar,
bieje hingegen baS Sefonbere unb (J-injelne. S^enn in raeld^ev ST'eife ein
beftimmter Gl^aracter unter beftiminten Urnftönben ranbrfdieinlid^ ober
notbroenbig bnnbetn loerbe, baS entfd)eibet )idj nad) aügeineinen (^efet^en;
roaS bagegen ^ 2HcibiabeS getban Ijat, ober mnS i^ni roiberfatjren,
boS i[t eine (Sinjelerfcbeinnng" * **)).
„3n ben (Jb^vacteren," fagt fpäter „ber i^biloiopb“ nbennatS, „fomie
in ber ißerbinbnng aller ^Tfcbeinnngen , mup ber Ännftler immer ber
inneren 3iotbmenbigfeit , ober menigftenS ber 3ßabrfd)einIicbMt , jn ent=
fpredben fud)en; baS beftimmte '^>erfon tbut ober jagt,
bie ©ntroicfelnng ber i^anbtung unb bie 2lnfeinnnberfotge ber 'Jbßtfacben,
altes baS mnfi" (in diürfjidjt auf ben (Jbßi'flcter nnb bie eteltnng ber
if3erfon unb anf alle Umftänbe) „ficb entroeber als notbmenbig barftetlen,
ober bocb als ooUfommen moglii^ nnb ganj natürlicb"
II.
33erftö§e gegen bie pbiloiopbifdic Si'abrbeit [tören bie ^Uufion ; oorjugstoeife
auS biefem @runbe müffen fie in bebonifdien Äunftiuerfen als 'Jebler
gelten, ^e' meniger inbeji bie be^eidjnete Störung 31t beforgen ift, befto
eher fönnen fie nad) tHriftoteleS , unter gemiffen tBebingungen, 3idä^tg
erfdieinen. Uebrigens fteben fie in allen ffi-ällcn in IBJiberiprnd) mit ben
fvorberungen ber 33ernnnft; nnb unter biefer t)tütffid)t oerbienen fie in
Si'erfen Der religiöfen Äünfte um fo fd)ärferen Jabel, je mebr ben Vebteren
bie @efal)r fern gerüdt ift, foldie ^lerftüfie 31t niadien. lieber geroiffc
pl)ilofopl)ifd) nimdnpige 5Teil)eiten ber religiöfen flJfalerei.
297. 5tber morauf grnnbet fid) bie SPebeutung unfereS ©efet^eS
für bie fd)önen .Hünfte, unb u)ol)er empfangt es feine binbenbe Äraft?
mar um finb ihre iteiftnngen fel)terl)aft , roenn in benfetben bie pl)ito=
fop^ifc^e ä'fsabrljeit nerlebt mirb? ©s ift nidft überflüffig, baf^ roir auf
biefe J-rage einget)en; beim nur baburd) mirb eS iinS inoglid), bie gröffere
ober geringere 23ebeutung ber fyel)ler gegen bie pbitofopl}ifd)e 2!oal)rbeit
3u benrtlieiten.
25>aS 3niuid)ft bie §ebonifd)en ölünfte angebt, fo ift eS offenbar, bafj
burcb bie „^Uufion" geftört mirb, ohne meldje, roie
mir im erften iffaragrapben (290) faben, ber äftbetifcbe @enuf3 fid)
fanm ober gar nid)t er.fengen fann. J^as J'rincip ber ©anfalität, unb
*) Arist. de arte poet. ed. Buhle cap. 10. vulg. 9. n. 1 — 4.
**) Arist. 1. e. cap. 16. vulg. 15. n. 8.
426
Sie Stopfungen bev fd;önen Äünfte iinb bie 2Bal§iteit.
bie übrigen roelte au§ betnfelben ^ernorge^en, liegen tief in bem nev:
nünftigen ©eifte, alg ba§ bie SSorfü^rung einer ©rfc^einung in roeldfer
eines berfelben nerle^t rairb, nid)t leidet unS befrentben unb jur Dtefleyion
neranlaffen müf^te; l^ierbnrt rairb aber bann fofort baS Urtlieinebenbig,
ba§ e§ eben nid)t rairt'licfie ©rf^einungen finb bie unfern ©eift unb unfer
©ernüb^ in Slnfprud) nelimen, fonbern blo^e ^ictionen ber Äunft, o^ne
tliftorifte SBal^r^eit. 5T)enn baS raei§ feber iUlenfd^, ba^ in bem raaS
rairflid) ift unb gefi^ie^t, jene ©efe^e in feiner Söeife, aud^ nic^t in ben
unbebeutenbften ©lementen, nerle^t raerben.
i^ieraus ergibt fid) fofort, ba^ ein SSerftof? gegen bie p^ilofopl^ifdje
©a^r^eit f'eineSraegS in feber fc^önen E'unft non gleid^er ißebeutung ift.
^m 22. ©efange ber ^Uabe erjäl^lt .'ferner, raie bie ftrofaner nor bem
fiegreidben §eere ber ©ried^en unb bem gereiften Sld^illeS fliel^enb, fidf) in
bie ©tabt retten; nur Rector bleibt nor bem 5;^ore ^urüd. ®ort trifft
il^n 21dl)itleö; .Rector fließt, 21d)illeS, i^n nerfolgenb, fagt i^n breimal
rings um bie iBfouern non Jrofa, o’^ne ibn erreichen gu fönnen; baS
gan^e griec^ifdlie öeer ift in unmittelbarer 9M^e:
31bev bem 33oIte nevbot mit iniufcnbem i^oupt bev 'ffelibe,
D{id)t i§m bal}er5uld)neUen auf §eetor l)erbe ©efd)offe,
©af; nidjt ein ireffenber raubte ben ;)tul)m, er ber ,poeite bann föme* **)).
„SBoUte man", bemerft SlriftoteleS ju biefer ©rfinbnng i^omerS, „biefen
3ng auf bie ißü^ne bringen, fo mürbe eS fidj läterlicl) auSnel^men, raie
bie grieebiften Krieger inSgefammt ru^ig fteben bleiben, unb ben Rector
nid)t nerfolgen, inbem 21df)illeS fie burdl) baS bloffe 3Binfen mit bem
.^opfe ^urücfbält; in ber epifdljen ®id)tung bagegen bleibt baS unbemerft."
Unb fo „mup allerbingS audb ber ©ramatifer überrafebenbe, ©taunen
erregenbe ©rfteinnngen jur ©arftellung bringen"; aber er mu^ niel
forgfältiger , als ber epif^e ^idjter, barnuf bebaut fepn, nicht burdb
raiberfinnige Aktionen bie pbilofopbifcbe SBabrbeit ju nerle^en: „benn
in ber ©popöe feben mir ni^t, raie im ©rama, bie .^anblung nor unfeni
31ugen fid) rairflid) noCljieben", unb bemerfen bornm foldbe SSerftöffe niel
raeniger
211fo fe flarer unb je beftimmter bie 21nftauungen finb, rael(^e,
©anf ber ©igentbümlidbfeit ibreS ©arftellnngSmittelS , eine Äunft in
unferem ©eifte 511 neranlaffen nermag, befto bebeutenber finb für fie bie
iyebler gegen bie pbilofopbifcbe 2Babrbeit, unb befto mehr ift fie barauf
angeiniefen, biefelben jn nermeiben. ®ie flarften 31nfcbauungen nun ner=
anlaffen in nnS jene fünfte, beren SjorftetlungSmittel baS 23ilb ift:
*) .ipomer, 31. 22. 21. 205 ff.
**) Arist. de arte poet. ed. Buhle c. 25. vulg. 24. n. 10.
3n jebcin Äunftroerte inii| DoUe p^Uofop^ilc^e 2Ba^r^eit ^crri'djen. 427
bic bvamatild)e Ä’imft, bie ©culptur unb bic 5JtQtevei. ®ie früher uoit
yng aii§ ät'evfen ber 5Q7alerci angefiUjrten ^erftöpe gegen bie p^tiofop^ifclc
2Baif)rf)eit müfien bef3^aib oKerbingS al§ roivflic^e ^e^^Iev gelten. Unb
ebenfo inif^billigt e§ ütriftoteted , bap in einem ®rama beä 9lefd)plns,
„!Die Ü)h)iier", 3ietep^ud, ber ©ot)n be§ bbcrcnteö, non i£egea nad)
iöipfien nmnbert, ot)ne anf bcm gnnjen iR>ege ein SG^ort jn neben *).
5etep[)it§ ^atte nämlid) in Jcgea feine beiben Obeime getöbtet; nun mar
e§ felbft bem mumrfäbtidfen Oobtfd)Iäger nnterfagt, jn fprecben- fotange
er nidit bie ^tntfnbne b^tte an fid) notljieben taffen. Oetepbns begab
fid), ber Sage infolge, auf ©ebeip bed Orafeld jn biefem 3™ccfe nad)
iOtpfien; aber es ift moratifd) nid)t mög(id), bag ein fDienfd) ben meiten
3T'eg non Oegea nad) 'Ilhjficn, ohne ein iK>ort 3,11 fpredjen, jnrücftcge:
nnb barnm bnrftc ber Oramatit'er, meint 51riftotetes , biefe ©rfcbeinnng
nid)t auf ber iBübne ben rmrfnbren, fonbern böd)ften§ eine
(irroäbnnng berfelben einfteditcn, at§ einer ber non ibm jnr Oarftettnng
gebrad)ten tTsanbtung nornndgegangenen tPegebenbeit.
Oen tßranbe bed 3lttard bagegen, ben mir früher
(O. 422) berührt bd&fiU mürbe 5triftotcted nietleid)t nünber nnjntä^ig
finben; beim bad ©tücf morin berfelbe norfömmt, gehört ber erjübtenben
').^oefie an: biefe aber bebient fid) nid)t, mie bie brei eben genannten
fünfte, atd ibred Oarftettnngdmittetd bed 33itbed, nnb ergengt barnm
nid)t fo ftare nnb beftimmte ißorftetinngen mie jene. SBenigftend ftetit
3triftoteted felbft fpätcr ben fotgenben ©rnnbfat^ auf. „SBenn bie" philo-
fopbifd) nnmabre „fviction ben ,3^^^ beeintrüdjtigt, bann
mnf) biefelbe atd fehlerhaft gelten; förbert fie ihn bagegen, inbem bic
Onrftellnng bnrch biefelbe 1)01)^^«» IReij ober ergreifenbere jt'raft geminnt,
fo nerbient fie feinen Oabet: mie 5. 33. bie oorher angeführte ©teile and
ber i’o» öer 3''erfolgnng bed ^sector. .konnte übrigend bie gleid)e
SiJirfnng mehr ober minber gut and) ohne ben 3?erftof) gegen bie philo-
fopl)ifd)e ä’Oahrheit erreicht merben, bann lüfit fid) ber Vetjtere nid)t red)t=
fertigen ; beim ed foll , menn ed mögtid) ift , gar fein f^-el)ler biefer 3lrt
üorfommen" **). ©d fd)eint, 2triftotcled mar in biefem
fid)tiger, als bie neuere .ilritif; nnb id) meine, mit lRed)t.
298. i^reilid), „menn ed mögtid) ift, foll gar fein 3'erftof) gegen
bie philofopf)ifd)e 3r3nhrheit in einem öfnnftmerfe norfommen". 3iL3arnm
nicht? 353eil ein fold)er, mag er and) bie ftören, in ben
Gingen bed uerftünbigen 33eurtheilerd bod) immer ben Sdertl) ber falfeo=
ted)iiifd)en Jeiftnng oernünbcrt, nnb biefelbe mehr ober meniger oer=
unftaltet nnb miftfalfig madjt. Oenn bnd Ilnuernünftige, bad ben notl);
*) Arist. 1. c. n. 12.
**) Arist. de arte poet. ed. BuWe c. 26. vulg. 25. n. 5. sq.
428 ©(^öpfungen ber fd^bnen Äünfte unb bie SBa^r^eit.
iDenbigen ©efet^en beö rotrfUd)en ©er)n§ Söiberfpred^enbe , ift ja feinem
Sföefen nac^ SSerläugnung bev Uebereinftimmung mit bem nernünftigen
©eifte, mitl^in immer unfcbon*).
Unb bie§ ift bie 9%ü(ffic£)t, burd) raelct)e fic^ and) ben religiöfen
fünften gegenüber ba§ ©efe^ begrünbet, non roeld)em mir in biefem
i|3aragrapt)en ®ie in ber oorigen iRummer betonte 3%üdfid)t,
bie ^iob^menbigfeit , bie ^tlufion nic^t jn beeintrüd)tigen , finbet auf bie
religiöfen fünfte offenbar roeniger Stnrcenbnng; benn roa§ biefe nn§
üorfübren, ba§ mi© bem Sß>efentü(^en nad) fiiftorifc^ raafir fepn. '3lber
je me^r ’^ierburd) ben religiöfen fünften bie ©efal^r fern gerüdt ift, in
f^e^^ler gegen bie p^üofopl^if(^e SBa^r^eit jn falten, — benn rao nolte
f^rei'^eit ber ©rfinbung nnb beö ©rbii^tenä ^errfc^t, ba liegt biefetbe
o^ne nüt)er, — um fo entfd)iebener barf au(i§ oon i^nen
oerlangt roerben, baft fie biefetben oermeiben. ©orool^t bie 33ere^rung
raet(^e bem ^n^att il^rer 2®erfe gebütjrt, al§ ber füf ben fie
arbeiten, nerpftic^tet fie niet ftrenger atä bie t)ebonif^en Äünfte, and) in
biefer 93ejie!^ung e§ an feiner iJJUV^e unb ©orgfatt febten ju taffen. ®ie
SSorroürfe bie fie bebanbetn, gehören ber Offenbarung, bem 3Borte ©otte§
an : unb bie oorjügtid)ften berfetben roerben burd) ©eenen au§ bem geben
be§ A^errn ober feiner gebenebeiten itJfutter gebitbet; ber
Obütigfeit onberfeitä ift ein überauä bob^i' b^^^iscr, bie ff-örberung
be§ übernatürti(ben gebenä. ©§ bebarf nicht beä t)iacbroeife§ , roeteben
5tnfpru(^ biefe beiben tRüdfiebten baroiif haben, bap ihnen, foroeit e§
mögtid) ift, burd) forgfättige 33ermeibung aud) an iiijb minber bebeutenber
fjjebter ootte tReebnung getragen roerbe. i^erftöbe gegen bie pbitofopbifche
Sgnbrbeit in retigiöfen Alunftroerfen oerbienen fd)ärferen Oabet, at§ roenn
ba§ 35^erf nur für ben äftbetifd)en ©enuf; gearbeitet roäre.
3lnberer 2trt, at§ bie unbeabfid)tigten f^ebter bie roir bisher im
5tuge baitea^ fi»b geroiffe gteid)fattS bie pbitofopbifcbe Söabrbeit ner^
tnugnenbe f^reibeiten, roetd)e fid) bie retigiöfe itRaterei mitunter geftattet
bat, roie eS febeint, um ben Rabatt ihrer Oarftettung gu oertiefen. 25an
©pd 3. iß. bat auf einem ©emätbe, baS bie Stnbetung ber SBeifen auS
bem ÜRorgentanbe barftettt, über bem ©ingange jur ©eburtftätte beS
.*^errn ein ©rucifir angebra(bt. 3luf einem anberen Sitbe fniet bie beiüse
Jungfrau an ber Ärippe, einen ittofenfranj in ber A^anb. Oie Äranaib’fcbc
©d)vite matte roieberbott bie beifig^ 3lnna, bie gjfutter ilRariä, baS £inb
^dfuS auf bem ©(boope baftenb, unb jugteidb beffen jungfräuticbe ’äl^utter,
natürtiib and) biefe atS iinmünbigeS ^inb. ^(b meine, ©ompofitionen
biefer 2trt batte gobe im 3tnge, roo er bie febr ri(btige ißemerfung
mnd)te; „IRan fann in Sgerfen ber retigiöfen 3J^aterei, bie eine eroige.
*) 3Sgt. yt. 111. 0. 150 f- unb 5t. 130. 0. 173.
ainroenbimg unb nähere iBeftimmung ber jiuei (Scfet«. 429
Tiicf)t me^r Berlaufeube feitsufjalten jc^etiien, 2Inacf)voni§men ertragen,
^auptfdd)üd) , ineit mau fie uon ben gröftten ©eiftern einer naiu
begangen fiel)t, metd)e non ber rea(i|tiicf)en ©enanigfeit gefd)id)tüd}er 2tuf=
faffung meniger burcbbrnngen roar; aber eö ift boc^ mol^t al§ ein ‘Jet}!:
tritt ber 3teftbetif jn betrachten, menn fie biefe (unftgefd)ichtlid) begreiflid)e
'^kraborie fpftematifch 511 ben ge)'et3(i(f)en ^-reiheiten ber 3[Raterei redjnet'' *)•
§. 3.
^ntoenbung unb näl)erc ^elHmmung ber jtoet bcgrünbetcn
3ur (5rftäning einiger bei t)erid)iebeuen 3lcftbetifern rorfommenber 3tu§brücfe.
29q§ bie pt)ilofopt)nd)c 5K>abrt)cit erbeifd)c bei ganj frei erfunbenen (Stoffen.
3(ntet)nung an bie @efd)id)te ober bie Sage ift ber ganj freien ®id)tiing
nor5U5ieben. loiefern bei t)iftorifd)en Stoffen ber Ä'ünftter burd) bie
fRüdfid)t auf bie pbitofopt)ifd)e 3i'at)r()ett gebnnben fep , unb in luieferu
burd) bie @efd)id)te. Ob es il)in geftattet fep , frei erbid;tete Obatfacben
an biftorifebe Dtamen 311 tnüpfen. 3tnad)roni5men; jioei Sebingungen,
unter beren jeber fie julnfng finb; ein und) 3(riftotete§ uujuläbiger 3lna;
ebroniemud and ber „@teetra". ©egen Sdjilterö Sebre, ba^ „ber Oidper
nur unter bem ©efet3e ber poetifd)en 25?abrbeit ftebe".
299. 3n ©efet^e ba§ mir int teilten if.^aragrapben , für bie
bebonifdben roie für bie retigiöfen fünfte, feftgeftellt haben, liegt bie ©r=
ffdrung nnb jugleit^ bie 33egrünbnng jener fRegetn, meldje man für bie
febönen jlünfte gibt, menn man 511 forbern pftegt, baf3 ba§ maä fie nn§
üorfübren, ,,raabrf(^ein(id)" fep; baf; in ihren ^eiftungen „dftbetifd)e" ober
„poetifefte SBabrbeit", „gehörige 3Jfotinirnng , 3iatürlidbfeit , Seidjtigfeit,
innere Uebereinftimmnng" bernortrete. 31tle Stegetn biefer 3frt finb mir
3Sariationen unfereg ©efet?e§, ober ,\otgernngen ang bemfelben.
3htn hör’ and) bu, ber auf ber Oübne und
ju unterbalteu loünfdit, load id) unb nmd
bad '^b'ublicuin mit mir oon bir oerlangt.
'dT'ofern’d um .'öörer bir ju tbun ift, bie
bed i'orbangd fvnlt erroarteu, uub fo lange bleiben,
bid und ber Sänger piruft; plaudite!
fo mubt bu jebed 3tlter ridpig jeidmen,
unb jebem ben ('barafter unb bie j^arbe
bie ihm gebührt, genau ju geben miffen.
3>erfcblt ber Oid)ter bad Ütatürlidje,
legt feinem 'fJeleud in ben 33hinb mad nicht
pi ieincr Page papt, fo barf’d it}n nid)t befvemben,
') 2ope, ®. 616 f. (6it. 18.)
430
®ie Sd^öpfungen ber fd^buen fünfte unb bie
roenn Stitterfc^aft unb gufenolf übertaut
i^m, [tatt ju meinen, an bie 9?afe tai^en.
3tot^roenbig fonimt fel^r 3)ieteö barauf an,
ob bie t^erfon bie lpvi(^t, ber Wiener ober
ber .iberr im §au§, ein reifer Witter ober
ein junger fd}roärmeriic^er Xotlfopf ift;
ob eine f^ürftin, ober it)re trenergcbne
^ofmeifterin ; ein Kaufmann, altent^tben
ju i^au5 unb nirgenbS, ober ob ein Sanbioirtt)
ber [ic^ Don feinem ®üt(^en nö^rt; ob er
5lffprcr ober Äotd;er, ob 511 Xljeben ober
tu 5(rgo6 auferjogen loorben 29 1).
®er 23ejeid)nung „poetif^e" ober „äftl^etifd^e äßa^rl^eit" glaubet: rcir bie
uon unä gebvnud)te, „pbilofop^ifdie 2Ba^r^eit", mit fRed)t oorjutie'^en :
nidjt mir, roeil fie ben 33egriff ttarer ausbrücft, fonbern aud), raeil e§
ja feineSmegg ausfd)lieBlicb bie 33itbungen ber '^^oefte ober überhaupt ber
fd)önen Jlünfte finb, für roetd^e biefe 5trt ber 2Ba^rfieit ißebeutung ^at.
3ft e§ nid)t §. 33. ein entfcbeibenbeä füf bie Unroa!^r!^eit etne§
biftorifi^en 3Sericbt§, ober ber geridjtUdten Stusfage eineg
barin bie pfiilofop^ifdje 23a’^r^eit oermißt rairb?
®af3 eine falleotei^nif^e Seiftnng, unter nbrigeng gleiten Umftonben,
nm fo tjö^eren äBerb^ ^at, in je ooßerem f)J?aaße fie ben 33orjug ber
p^ilofopljifdien SBafir^eit befit^, bag fieißt, je genauer in berfetben bie
frül^er (@. 423) angegebenen @efe|e beg jufätligen 0epng gemährt er=
ji^einen, je ooüer beß^atb bie oortier genannten 33orjüge an i^r f)eroor=
treten, bag ift eine 33emerfnng raetd)e fic^ oon fetbft ergibt. ®enn bie
pt)ilofop^if(^e SBafir^eit ift, roie mir gefetjen l^aben, nic^t allein, für bie
^ebonifcEien .flünfte, eine not^toenbige 33ebingung ber fonbern
fie bilbet überbieg and) immer ein raefentticbeg ©tement raa!^rer ©d^ön^eit.
ifi>ir motten jeßt unfer ©efeß, roeiter augfü^ren, inbem mir baffetbe,
in dtücffii^t auf bie !^ebonifd^en fünfte, auf sroei oerfd^iebene .^taffen
oon Ütorroürfen berfetben anroenben: onf bie frei erbii^teten, unb auf
bie bö'torifdben ©toffe.
300. 35>o ber Äünftter feine Goneeptionen burd)aug felbftünbig bilbet,
ba ^at er in ber jyiction feiner ')3erfonen, ittrer ©genf^aften, Umftönbe
unb Sebengoer^üttniffe allerbingg ootte -^ei^eit. ^^fofern inbeß biefe
')?erfonen 'üJien fetten finb, barf er ihnen offenbar nicht ©igenf^aften,
nicht einen (5ho^f*cter geben, roetdhe mit ber menfehtidhen fRatur raie fie
thatfäd)tidt) ift, in äBiberfprmh ftehen. ®ag Seziere märe j. 33. ber
jyalt, toenn ber ®ramatifer in ber Xragöbie ober ber ®i(hter in ber
0*popöe, in feinem ijf^ben nng einen (iharacter oon altfeitig unb unter
jeber fÄücffidtt eminenter 'Jngenb oorfütjrte. ©er 33eronnberung , ber
2(nroenbimg unb nähere Seftimmuug ber jtoei ©efe^e.
431
l'iebe unb S;!^ei(na!^me foll freilid} bev ^^elb in entipved^enbem iDian^^e
roertl) er[d)einen; nbev er mujj habet boci^ feine fve^ler nnb -5d)iutid)en
!^aben. ®enn ein iHfenfc^ ber niemals irrt unb niemals fel)lt, ein fold)er
i[t (non ben Söunbern ber @nabe @otte§ abgefe^en) ein pl)iIofopl^ifd)
untnaf)re§ ipijantafiegebitbe.
©trcag 3tnbereö i|t ed freilid) , toenn ^eroen au§ ber ©agenroelt,
bie ©Otter ber 'üOtptl^oIogie, ober, raie bei SDante, iStilton unb Älopftod,
©ngel unb teufet anftreten. ®ie Ännft fann fie nur bnrd) i’tnt'^ropo:
inorpt)ie bnrftetlen, b. I). inbem fie il^nen eine 31atnr gibt, loetdte ber
tnenftbüt^en anatog erfd)eint; aber fie muffen notl)roenbig iBorjüge be=
fi^en, roeld^e über bie menfdjUcl^e 'Jtatnr raie fie t!^atfäd)li(^ ift, meit
binnnätiegen.
®em oon bem ©idjter einmat conftituirten (;£f)ai'acter ber einjelnen
ifierfonen, in ä^erbinbnng mit ben Umftänben unter betten fie fid) beioegen,
müffeti bantt alte 3teufterungen berfetben, all i^r sieben unb iljr
üollfotnmett entfpredjen, mie etbifd)en Urfad)ett iljre äöirfungett. 9cicbts
31ttbered al§ biefes beutete 3lriftotele§ an, roenn mir i^n oben fagen
börten, ade ©letnente ber faUeotedbnif^en i?eiftttng iitü^ten ficb eittroeber
als notbmenbig barftedeit, ober bod) al§ oodfommen tttöglicb unb am
gemeffett*); nid)t§ Slitbered brndett bleuere att§, roenn fie fette @rjettg=
niffe für bie beften erf'lnreit, iit roelcbett bie ©ntroirfelung ber .'»^anbluttg,
bie 9teben ber nnftretenbett if}f^'fonett , il)r gefammteg 33ettebmen, f'urj
ade ©injelfieiten and betten fid) ba§ ©anje jnfamtnenfebit , fo geroätjlt
nnb georbnet finb, bap e§ ttn§ uorfömmt, nid)t, baft e§ fo moglicb roar,
fonbern al§ ob e§ unter beit gegebenen SSoranSfeljnttgen nnb Itmftänben
gar nicht attberg l)ätte fepn fönttett. S)er ©rttttb roeftl)alb Seiftungen
biefer 31rt bie oorjüglidiften finb, ergibt fid) ang bem i\rül)ereit: fie för;
bern am roirffamften bie ((’diMion, ttnb fie haben jttgleid) an ttnb für
ficb üodereg SJiaaft non ®cbönt)eit.
id'ingft btt uiig etions mif bie 33ül)ne
bns nie ocrfud)t mavb, umgeft eine neue
'S'erfon jii fd)affen — gut, fo gib it)r ^elbftbeftaiib,
unb tüte fie fid) im erfteii 3(uftritt jeigt,
fo fül)t'e fie, fid) fclber übttlid), bis
jttm lepteit fort! — (^g ift uielleid)t tiid)tg fd)iüerer,
als aus ber Stift gegriffnen 3Jtenfd)enbUbcnt
bas eigne (snbtüibtielle geben,
lons febeit tiinfebt, unb bie erbid)tete
''foerfoit uns auoeriünubt ttnb ttnferggleid)en ntad)t 292).
*) Arist. de a. p. c. 16. (Cben, 31. 296 ®. 425.)
432
®ie Schöpfungen ber fdhöncn Äünfte unb bie SBafirheit.
301. ift fe!^v gegrünbet, roenn ^oraj e§ al§ ein „SBagni^"
Bejeid)net unb al§ etroaä ©d^raereg", in felbftänbiger ©rfinbung
einen ganj neuen (J^aracter ju fcfiaffen, unb in bie ©c^öpfungen ber
fünfte einen ©toff einjuf ü!^ren , ber roeber ber ©age nod^ ber @ej(^idhte
entlehnt ift. ®ie genialften ÜJteifter, bemerft So^e nad§ fKitter, l^aben
raegen be§ „ißebürfniffeä ber SSed^fetrairfung mit ber ©efetlfdfiaft in ber
fie ftanben, bie jtete Söieberlholung betannter, ber ©age ober ber religiöfen
unb nationalen ©efd^idhie angepriger ©toffe, in raetdfie ber attgemeine
@eift fidh mitfüfilenb eingelebt Ihotte, bent eitlen 2lnfpru(^ auf ooCtige
9teut)eit ber (Srfinbung oorgejogen. ©ie roaren fid^ beraubt, über biefeg
bem ©an^eu ber @ef eEf dt) aft geprige ©igentpm no^ immer eine ipem
eigenen @emüt§ entfpringenbe originale ißeleucbtung roerfen ju fönnen,
roeldfie ipe Sßerfe ju Sereidfierungen beg aftptifdtien ©emeinbefi^eg machte.
3tur in unglürflidhen oerlorener ©inpit beg äftptifdf)en Sebeng
muB bie i^pntafie neue ißapen fudf)en; meift füpt bie Slblöfung ber
fünftlerifdt)en if^robuction oou iptm natürli(^en ißoben in ber nationalen
©efelligleit, unb ber 3Serfudh, biefe burdf eine ppre unb feinere @efellig=
feit jmif^en Zünftlern unb Jl'unftfreunben ju erfepn, nur jum Ärünfeln
unb jum Verfall ber Äunft felber" *).
3unüdhft binbet ben ©id^ter in ber Sepnbtung pftorifd^er ©toffe
offenbar, nicf)t raeniger alg roo er frei erfunbene bearbeitet, bag ©efe^
beffen mir am ©d^luffe ber oorigen Diummer gebadeten. „ilUd^tg mu§
fid^ in ben ©practeren roiberfpredhen ; fie müffen immer einförmig, immer
ficb felbft äplidh bleiben; fie bürfen fid) fep ftärfer, je^t fdtiroad^er
äuprn, je nadt)bem bie Umftünbe auf fie roirfen: aber feine non biefen
Umftünben müffen mädf)tig genug fepn fönnen, fie oon fc^roarj auf roep
5U anbern" **). ilJtap 'fßiccolomini unb Jpcla in ©dfillerg „äBallenftein"
finb, roenn man baoon abfiep baff fie auf bem SSoben beg Ufaturaligmug
ftepn, jroei eble ©eftalten, bie unfere 2;pilnahme mit IRed^t in Slnfprud^
ju nel^men fc^einen. 2lber mit ber eblen ©efinnung unb ben ©runbfü^en
eineg ber öp(^a<^tung unb ber Sptlnalhme roürbigen ©practerg, ftepn
ipe lepen ©c^ritte ganj unb gar nid^t in ©inflang. „SÖarum", fo fragt
mit ©runb Slbalbert ©tifter in einem SSriefe an ben iOtaler ©eiger,
„roarum gep benn Jpcla in bie roeite 25>elt, unb roopn, unb roie lüp
fie gegen 'Jfatur unb ©Ute bie ilJtutter jurüd? in folper ßage! Unb
*) Sope, ©. 437. ((5it. 18.) ißgl. i}. 3titter, Heber bie iprincipien ber äteftptif
(Jtieine pptof. Sdhriften, Sb. 2. Äiel 1840).
3triftoteIe§ fd£)eint in biefer Seäiepng etroaä anberer 2(nfidht ju fepn: ngl. de
arte poet. ed. Buhle c. 10. vulg. 9. n. 6 — 9.
**) Seffing, .^ambnrg. ®ramnturgie, XXXIV. (üßerfe, Serlin 1827, Sb. 24.
S. 245.)
älnmenbiing unb nätjerc ^3e|'timmung bcr 5n)ei (Sefelje.
433
3Jiat — lüie fann er [o ]tnii(o§ ba§ auüertraiite ^tecjimeut
gerabeju in ben Job ju fiU)ren, toeti er uertiebt, unb 2öallen[teinä roetjcu
in tiefl'tein ©cf^ntcrje ift '? biente nn'irbe man ba§ ßeroiffenlos nnb fnaben=
^aft fjeifien, nnb nm^ bmnalä Ijättc man e§ fo gefjeif^en. 23ei ©djiUer
foU es Tjelbenfjaft, empfinbnnggooU nnb grog fcpn. Sßie c3 jeljl, roenn
e§ in SBirfiidjfeit gefd)nfje, föntrüftnng über ben nnfob)igen Cberft ^eruor=
rufen mürbe, fo rnft e§ bei 33fenfd)en bie bnrc^ tönenbe Dieben nidjt
nerfül)rt merben, and) beim £'efen ©ntrüftnng f^eroor. ©as ift ein fdjmacfier,
fd)(ed)ter fOfenfcb , ber fidj fo menig beberrfd)en fann. ©o fönnten noct)
oiele fd)mad)e ©telten be§ ©tücfeS bejcidjiiet merben" *). ©beider ift jn
entfd)nlbigen ; ber ÜiatnratiSmng leibet eben, menn e§ fid) barnm banbett
(Sbnraetere )u erjengen, au abfolnter ,3mp‘-'’t‘^>is-
5lber in miefern ift ber Äünftler, mo er b'flovifdje ©toffc bearbeitet,
bnrd) bie (Siefd)id)te gebnnbenV J^orjing§mcife in iRüeffiebt auf bie (fl)a;
roctere meldic er ber biftorifdjen J'ergangenl)eit entlehnt; nm ber (Jlinmctere
millen aber überbie§ in üiüdfidft auf 5llle§, iua§ ,511 biefen irgenbmie in
raefentlidfer iBejiebnng ftel)t. @r barf allerbingd, mie mir fd)on gefagt
haben, feinen hiftorifeben ifjerfonen eine höh^^^e ißollfommenheit geben; er
barf „311 bem gefcbidittid] Üfotorifdjen bie ftetS groge fvülle bc§ hiftorifd)
unbeachtet Cf^ebliebenen ergangen" ; er barf nntergeorbnete ' minber
bebeiitcnbe llmftänbe hin^nfeben, megtaffen, nnbern, namentlidj bamit bie
in ber ffffirflichfeit oft uerborgenen Grf<heinungen bes innern fiebeng,
meld)e ben ,flcrn nnb bag 233efen ber bilben, in Ij^üerem
füdjte hevDortreten ; aber bie @riinbjüge beg (Äfiaracterg fomohl alg ber
übrigen ilerhnltniffe ber hcinbelnben ifSerfonen , infofern biefe ©erhältniffe
non iPebentnng finb, mng er nnoerünbert in feine Cfonception nnfnehmen.
©er @rnnb liegt nahe. 3'’ Gegebenheiten nnb Äataftrophen meldje
er ang ber @efd}id)te fchöpft, fpielen bie in Gebe ftehenben i]]erfonen bie
.'Öanptrolle. ^sene bilben barnm mit bem (Jharaeter unb ben Sebengner=
hültniffen biefer l'epteren brei üKomentc, bie in ber innigften (fanfaü
uerbinbung fteljen, unb fobnlb eineg biefer Geomente mefentlid) alterirt
mirb, geljt für bag (imn^e nid)t blofj bie hiftorifcl]e, fonbern mit ihr fet)r
leicht ainh bie philofophifdje G3ahrheit uerloren.
30*2. 3lber ift eg bem .üünftler nicht geftattet, ganj neue
nnb Gegebenheiten jn erbid)ten, nnb biefe an hiftorifd)e ülnmen 311 fnüpfenV
I ^nfofern ©idftnngen biefer Grt mit bem mirflid)en (Jhavncter, nnb ben
mefenttidieren hiftovifdjen Vebengucrhültniffen , ber '-fferfonen meldjen bie
Garnen gehören, nollfommcn havmoniren, lügt fid) gegen ein folcheg Ger=
I fahren nid)tg einmenben. ©enn „in GUem mag bie (fharaetere
*) ©riefe non 21. Stifter, hccausgegcbcn non 2tprent (ipeftt) 1<S70) ©b. 2.
S. 37. ©g[. .sJift.=pot. ©lütter, ©b. (Ui. S. 282.
ouiinmoiiu, 3leftf)ctit. 2. Stuft.
28
434
gd^öpfungen ber fdjönen Äünfte unb bie Sßa^r’^eit.
nic^t betrifft", fann atterbtng§ „ber ®id)ter Don ber t)iftorifd^en
üSafir^eit abge^en footel er roilt: nur bie G^aractere finb if)m ^^eilig" *).
O^ne bie angegebene Sorauäfe^ung bngegen fann man fi^ auc^ nidjt
Ginen nernünftigen @runb benfen, ber ben Äünftter beftimmen foHte,
fjiftorifc^e iRamen mit erbii^teten gl^aracteren gu nerbinben, bie jenen
gang fremb finb. (5§ mürben ja, um non alten anberen ^nconneniengen
nid^t§ gu fagen, frei geroäfjtte S'tamen beffere ©ienfte tf)un. 2öag aber
immer gmed'tog, meifteng fetbft groecfroibrig, mag not^roenbig unnernünftig
ift, ba§ fann nimmer fd)ön feijn; barum mufg bie ?teftf}etif ein 5?erfa!^ren
raie baä ermähnte, nottjraenbig nerraerfen.
;5'n jebem galt
jott ber j]oet entroeber an bie 0age
fid) fialtcn, ober, loenn er bidjtcu milt,
bas ä'jat}re ber Statur gum SShifter nehmen.
fs'übrft bu Stdjittcn auf, ben jcber fennt,
fo fei er bi^ig, ttjätig, fdjnett gum
unb unerbitttid;, motte nicbtg non 4>Üid)teu tjören,
unb modle 3ttte6 mit bem 5)egen aug **) ;
S.Uebce fep trobig unb bnrd) ntd)t§ gu fd)reden,
bie fünfte ^no meid unb tt)ränenreid),
3}'ion treutog, fi^roermutbgnott Creft***). 293)
Surcbaug benfetben ©rnnbfob uertt)eibigt V.effing. „®ie geringfte
roefenttid)e iterünberung" feftftet)enber (St)aractere „mürbe bie
Urfadje aufbeben, marnm fie biefe unb nid)t anbere Stamen führen: unb
nii^tä ift anftüfjiger, atg mouon mir nn§ feine Urfadje angeben fönnen."
SBo alfo ber ®id)ter „anbere (Jt)aractere ats bie biftorifdien , ober mobt
gar biefen nöttig entgegengefebte mäblt, ba foltte er fi(^ auch ber bifto=
rifd)en Stamen enthalten, unb lieber gang nnbefannten ifßerfonen ba§ be=
fannte jyactnm beilegen, at§ befannten iperfonen (ihnen) nicht gufommenbe
(ähd^’actere anbid)ten. 3^rteg nermehrt unfere Äenntniß, ober fcheint fie
menigfteng gu oermehren, unb ift baburd) angenehm. ®iefe§ miberfpricht
ber ilenntnifj bie mir bereits h<iöen, unb ift baburd) unangenehm. ®ie
jyacta betraiihten mir als etmag ^^^föüiges, ntä etmaS baS mehreren
i)3erfonen gemein fepn fann; bie (iharactere hingegen als etma§ 2Befent=
tidfieg unb ©igenthümticbeg. SDfit jenen taffen mir ben dichter nmfpringen
*) Seffing, XXIII. 171. (eit. 432.)
**) b. i. fo fep er, roie itm jebermaun au§ ber (gl'abe fennt.
***) Sanier gur 3e*t be§ §orag befnnnte Süjetg, bie oon ben größten griethi=
fdien ®icE|tern roaren bearbeitet roorben, unb burct; fie alfo fcfion beftimmte Cfia=
ractere erhalten bitten, bie ein Siebter, ber fie roieber auf bie Sübne bringen mottle,
beibebatten mußte, (ffiietanb.)
?Iimieiibuug unb natjere Seftimnumg bcr äicei ©efelje.
435
lüie ev luitl, folange er ]te nur nid)t mit ben (Stjavacteven in iJötberfprud)
fe§t; biefe hingegen barf er roo^t iu§ fteUeii, aber nid)t üeräubern:
bie geringi'te i^eränberung id)eint uu§ bie ^nbiuibuaütät aufjutjeben, imb
anbere ''^erfouen unterjufi^iebeu, betrügeriid)e ^perfonen, bie frembe 9iameu
ujurpiren, unb fid) für etmaä auSgebeii mag fie nidft fiiib" *). SSag
mügte ber fd)arffinnige 5Herfa[fer ber Dramaturgie t)iernadj über ©oettje’g
Dd)aiifpiet „@öl^ uou 23ertid)ingen mit ber eifernen b^anb“ nrttieiten?
3n 9iücffid)t auf bie ,/fyacta" t)ütte übrigeng Sefftng mo{)lgetbnn,
fid) etroag nmfi(^tiger angjnbrücfen: beim in biefem 'fJnnfte bebürfen feine
25'mrte einer (5infd)riinfung. Denfelben nmmgenetjmen ©inbrncf, ober nm
mit Sülpe 511 reben, „gteidfen pfi)d)otogifd)en wie und) £*effing
bie geringfte roefent(id)e 5Utcration t)iftorifd)er Cf^aractere, „mürbe and)
jebe millfürtidie Dernnbernng ber grof^en 'J;f)ntfnd)en oeraidnffen, bie in
ber @efd)id)te überfianpt feftfte^^en: nnb fein Drama bürfte ^^annibafg
'£d)icffaf unter ber iBoraiigfei^nng feiner 9fi eher tage bei (Jannä com
ftrniren. 3tnd) bie 33egebenf)eiten taffen fid) atfo nid)t fd)ted)tt)in iinbern,
fotange über’^anpt 3tnfnüpfnng an bie @efd)id)te ftattfinben fott" **).
3fod) einen jmeiten ©ebanfen !^abcn mir t)injnjnfügen. SSag mir
Dort)er mit Seffing in ütücffidft auf ben (St)araeter inbioibnetter t)iftorifd)er
‘fJerfonen forbcrten, bag mup otme ber .S^anptfact)e und) and)
üon bem (5t)aracter größerer ^iftorifct)er ©efammtt)eiten, ftarer, uon bem
ett)ifd)cn unb cnttnrctten ©taube ganjer 3>5tfer getten. ©in tüd)tiger
Äritifer, 1. ©dfntte, mnnbert fid) barnm feinegmegg of)ue ©nninb,
mie ©uftao f^reptag bajn fomme, in feinem 9foman ,Die 3tt)uen‘, „bie
atten Äatten, ©t)üringer nnb 33anbaten );nr 3cit ber Dötfermanberung
fo reben unb Raubein 51t taffen, ntg mären fie bie tanterften Dngenb=
l^etben, unb anfjerbem nod) fatonfät)ig oorgcbitbet burd) bie ©iottiaer
.©oft^eater=3ntenbantur" . „©0 ganj mcit", fet^ ©dfntte t)injn, „liegt
bod) fene üon ben Dagen ©atoinng entfernt, beffen Ätagcrnf
über bie tiefe 3>erfnnfent)eit ber germanifd)cn ©tämme in ben DDorten
gipfett: ,9ttter ?lid)tgmürbigfeiten nnb ©'emcint)eitcn finb mir uotl, t)üben
nnb brüben, bie iBarbaren mie bie ©t)riften.‘" — Unter ber nämtid)en
fRüdfic^t fetiter^aft mar eg, menn auf ber fran,5Öfifd)en 33üt)ite im uorigen
3'a^r^unbert bie i^etben ber Dragöbic aug ber gried)ifd)en ®orjeit in
franjöfif^em iScobecoftüm, unb mit franjöfifd)cn ©itten unb 3tnfd)aunngen
auftraten.
303. Diefeg 'Derfa’^ren ber franjofifd)en Dramatif füt)rt nng auf
jene f^efiter gegen bie t)iftorifd)e D£af)r^eit, mctd)e man „3tnad)ronigmen"
ju nennen pftegt. 3dtäf3igfeit ift nad^ ben bisber anfgeftettten
Seffing, XXIII. XXXIII. S. 171. 242 f. (l?it. 432.)
**) Sope, 0. 666. (eit. 18.)
28
436
3)ie Schöpfungen ber fd;öueu Äünfte unb bie '-ffiahi’heit.
fRücfi'tdjten 511 beurtfieiten- 3rnad)roni§mu§ ift md)tä atnbereä, af§
eine Don bem Äünfüer novgenommene 3(enberung ber 3 eit > in tücfd)e
ber ©efchichte jufotge eine beftimnite förfcheinung fällt; ober flarer; ein
2lnad)roingmu§ entfte'^t burd) eine foli^e iBerraerf^ung eine§ l)ifioeifd)en
3uge§, raie fie nur inögtic^ ift unter ber 23orausfet^ung , baf; berfetbe
einer früheren ober fpöteren 3eü angeljört, al§ bie ®efd)id)te i^m juineift.
3nt 2lllgemeinen fann ber ©runbfa^ gelten, baft Slnachroniämcn,
üoraudgefet^, baf; fie an fii^ ben äftljetifdjen St>ertl) be§ jtunftroerlS cr=
l)öt)en, ber ißortrefflii^feit be§ ßet^teren feinen (Eintrag 4^un, folange fie
leid)t unb enter ft bleiben, mithin bie ^ünfion nid)t beeinträchtigen.
roirb ber fyaU fet)u, raenn fie enttoeber nnbebeutenb finb, ober ber
2}orronrf be§ Jl'unftroerfg jener 3t^ü angehört, lueldje uor aller Ö3efchid}te
liegt. Sßifemand „fyabiola" oerliert babitrd) nid)t§ non ihrem SBerthe,
bafi ber fBerfüffer bn§ fPerfolgungSebict bed ©iocletian um groei Monate,
ba§ Martyrium ber heiligen 2lgne§ um ein 3ah^' fvüher angefeht, ald
e§ nach bem 3engniffe ber ©efdjichte fich ereignete, bagegen ben öelbentob
bed heiligen ©ebaftian, beffen 3eü ohnebied nid)t genau ermittelt ift, in
ein fpätered 3ah^ neriegt hat; biefe djronologifchen 2lenberungen finb
indgefammt ju nnbebeutenb, ald baf; fie leicht bemerft mürben: onberfeitd
förbern fie roefentlid) ben äfthetifchen SBerth bed Dfomand, unb baburd)
ben eigentlid}en 3’öed be)ietben. (^in 23eifpiel bad unter bie jmeite ber
norljer trngegebenen dfüdfidften fädt, bietet ö^omer. 5i)er 3ttabe jufolge
roirb in ©roja foroohl als im griedjifchen Jager bnd (äifen nerroenbet,
unb bie beiben feinblidjen §eere fämpfen mit bem Sdjroerte; ben neueften
(ärgebniffen ber 2lrd)äologie snfolge roaren aber ©dfroerter roie @ifen in
bem roirflichen ©roja nollftäubig unbefannt. (rbenfo gelangte bie (5inilü
fation erft ^alji-'^nnberte nad) ber 3^^‘ltörung bed roirflidjen Sirofa 511
jener ©tufe ber (Sntinidelnng , auf roeldier fie bei isomer und entgegen^
tritt*). Siefe 3lnaihronidmen finb bebeutenb, namentlich ber jineitc;
aber ber ölrieg gegen ©roja gehört ber prähiftorifchen 3ett an: in §olge
beffen finb biefelben brei ^atn’tanfenbe htabnnh unbemerft geblieben,
unb haben niemanben ben @enufi ber herrlichen ©idjtnng beeinträchtigen
fönnen.
2©efentli(h anberd geftaltet fid) bie ©ache, roenn bie be^eidjueten 23c=
bingungen jugleid) beibe fehlen, ©tarfe 3lnad)ronidmen in Ofücfficht auf
(frfcheinuugeu , über roel^e bie ©efdfidjte flareit 3IuffihluB gibt, föuneu
leid)t, roie jebe bebeutenbe Slenberung ber Umftänbe, entroeber einen merf^
lidjen 'Berftof; gegen bie philofopl)ifd)e ifi>nhrheit jur fyolge haben , ober
eine roefentlidje Mränbernng , fep ed cined htftorifd) feftftehenben 6ha=
*) Olach Schliemaim: Stabt imb Üaub bev itrojaner (Seipäig 1881).
4lgt. ölft.=pot. Slätter, Sb. 87. ©. 337.
Stnrocnbung unb naivere iPcftimmung ber jroei ©cfelic.
437
vactevS, fei) e§ einer iirofien in)ntfnd}c; in febein biefer bvei fväile finb
biefelben, bem fril^er ©efagten gegenüber, offenbar nnjnlüfüg.
)}(riftote(e§ fonnte bnrnin nic^t nnberö, at§ „bie 0d)Ubernng ber
poUjifdjen ©piete in ber ©lectra" be§ grofsen ©opl)ocie§ entfd)ieben tabeln.
Crefteä lüiinlid), in ü)h)cene nngefoinmen , nm an feiner ^Jinttcr 6li)tä=
nineftra nnb ifirem 33id)[en Slcgiftfntg, ben i)Jiörbern feineg i'aterä 9lga=
ineinnon, bhttige 94ad)e jn nef)inen, beauftragt in ber genannten 'Jragöbie
ben ifjn begleitenben treuen „(J'vjietjer", fid) für ben 23oten be§ ^ifst)anoten§
in if^t)ocig, eineg 'is-rennbes beg i))törberpaareg, angjngeben,' nnb in beffen
Üiainen iljiien bie diad)ricüt jn bringen , bnp Orefteg bei ben pptf)ifd)en
©pielen bnrd) einen nnglücflidjen ^öb gefnnben f)abe. ®er
(J'rjieber füt)rt ben 9(nftrag ang, nnb finbet bei (ätptftinneftra nnb (54ectra
uolten (ytanben; in tanger gtünjenber Ütebe fd}itbert er bei biefem 9tntaB
bag ST'agenrennen, jenen 'Jbeit ber ©piete, bei n)etd)em bag für Orefteg
nnbeituotte (freigiÜH cingetreten fep''*0. 9r'arnm ift min biefeg Element
ber Jragöbie fel)tert)aft? ©>ie tragifdje 93egebent)eit inelcüe ben ißornnirf
ber „(Stectra" bilbet, bie (5'rinorbnng beg 9(egift[)itg nnb ber (ftptninneftra
bnrd) Orefteg, füllt in bag ^ineite ißiertet beg jmötften 3at)vt)iinbertg nor
unferer 3'^iti’cd)nnng, etnni in bie _.^eit jnnfd)en 1170 nnb 1160 n. 6t)r.
Oainatg fannte inan aber bie pi)tt)ifd)en ©piete nod) gar nid)t; and)
nad)bem fie eingefüf)rt mären, beftanben fie jnnüd)ft mir in innficali=
fd)en 9.'t>ettfünipfen ; Oongon nnb Üteiterrennen ingbefonbere fainen bei
benfetben erft auf feit itjrer Üiengeftattnng bnrd) bie 9lmpt)icti)onen int
3at)rc 586 n. (J^r. 3’^ ©opbocteg fingirten ?fnftrage beg
Orei'teg, nnb ber ©d)itbernng beg 2.'6agenrenneng bnrd) ben nngebtid)en
Ootcn ang i|it)ocig, liegt nütbin eine offenbare pl)ilofopt)ifd)e llnmat)rt)eit.
Outmentlid) bie fd)mnngi)otle ©d)ilbernng mnfüe anf bie gried)ifd)en 3it=
fd)aner nngefübr ben nnmlict)en 0-inbrnd' inad)en , ben mir empfinben
mürben , menn in ©d)iUerg „Oie Orleang" etmn eine
©eene ang bem fiebenjübrigen tilriege, ober in (iioett)e’g „(rgnmnt" bie
ivtnd)t dartg X. bei ber ^lüi^^teootntion gefd)itbert mürbe. Oie ^^ebe
beg O'rjieberg iii ber „Olectra“ mar gan.^ ba^:^n angetban, bie
nottftünbig anf^nbeben **).
*) Soptiocl. Eleetr. v. 38 — ')0. 680—764.
**) $iifemibl („Stviftoteles über bie 2. 3lufl. 1874 282 3ln=
mevfung 308) ift mit 4'n[)ten ber 3lnfict)t, 9lriftotele§ beäcidjiK’ ben in Ptebe [tetjcnbcn
93evid)t beg ®oten über ben Job beg Orefteg barnm ntg ein pbilofoptjifd) nniunt)reg
64ement ber Jragöbie, „roeil bie ftunbe baoon fiel) t)atte fdjon früher nnd) Dltpcene
uerbreiten muffen". 3lber nbgefeben bnuon, baf) biefer 3lnnnt|ine bie 2Beife mie
Ütrii’ioteteg fid) nnsbriiett , feinegiuegs günftig ift, — ronrnm tonnte beim ein nug
Jtbocig cigeng nbgcfanbter 23ote nid)t minbefteng gerabe fo fd)nctl nad) PJJpccne
gelangen, alg irgenb ein nnbercr beg Unfatteg, ber fid) ja eben in 4'l)oeis
438 Schöpfungen ber fchönen fünfte nnb bte SBohvheit.
304. -i^-riebrich Don ©d)itter beletirt im§, „ber trogif^e ©id^ter, jo=
Toie überhaupt jeber ©id^ter, fte^e nur unter bem @efe|e ber poetif(^en
äBal^r^heit; e§ uerrat^e ba^er fehv befd^ränfte fßegrtffe non ber tragtfdfieu
Äunft, ja uou ber fDid^tfunft überhaupt, beu &agöbienbidf)ter uor ba§
2:ribuual ber ©ef^td^te ju jie§en" * *). ®eu sßorrourf raegeu „S3efdhränft=
l^eit ber iöegrijfe“ föuuten u)tr öielteidf)t äuuädhft an ben 35erfa[fer ber
.^ambnrgijdhen ©ramaturgie, foroie an .^oraj nnb ^ermann fiot^e abrej=
firen (ogt. fJl. 302). ^'ibef? mir !^aben ©d)itler§ Sporte angejü'^rt, um
benfetben gegenüber, ju ben non btefen brei betonten, no(^ eine meitere
9lüdEftc[)t gettenb jn madhen.
®a§ adtjte @ebot ®otte§, ober loenn man btefen 2lu§bruct oorjiefit,
bas natnrltd)e ©efel^ ber ©eret^tigfeit , binbet jeben üJdenfdhen ber ben
©ebraud) ber 2}ernunft ^at, mithin oin^ ben Äünftter. ©§ tonn fotgtidE)
au(^ ben ^he^onifdhen fünften nid^t ertaubt fepn, ben ß^aracter ^iftorifdier
'4^erfonen 51t entfteden unb et^ifc^ ju oernnftatten; fie mit f^e^tern unb
fitttidhen 35erfet)rt!heiten be^^aftet erfdf)einen jn taffen, über roetc^e fie ber
l^iftorifdjen SCm^r^eit gemüf? roeit ergaben roaren: itinen StetmlidheS ju
tl^un, roie ©d)itter ber ungtüdfticfien fUtaria ©tuart**), ber
non Crteans, nnb in „®on ©arto§'' ^^itipp bem 3i^>fiten non ©panien
get^an !^at.
i}?eifpiete biefer 9trt finb befningead)tet pufig. 3- S^ouffeau hat
in feinem fRoman Julie oii la nouvelle Heloise „bie antibdragifch^ ®e^
ftatt biefer in ber fReue über i^ve ©ünbe raie in ifirer fßerirrung gro§=
artigen f^^rau in eine gan^ moberne i|}arifer ©rifette umgeftattet, jn Sroft
unb fffrommen ber mobernen ,i)>atbroett‘. — 3tbätarb ift tro^ alter bia:=
tectifdhen unb fitttidhen ^^i^fahrten ber ©efdbidite jufotge ein tief retigiöfer
©haracter gebtieben. Stber ©hai'teS be ütemüfat, in feinem ,Draine
philosophique‘ bad ben 3fitet Ahäard führt, hättt ihn ohne 25>eitere§
in ba§ ©feroanb be§ mobernften btafirten frnnjöfifdhen ©Sprit, unb tegt
ihm Sl^orte ber 3?taSphemie unb beS ©fepticiSmuS in ben flRunb, roetdhe
in bie fRotte eines 2ttepanber ®ümaS, eineS fßictor .fpugo, ober einer
ereignet haben foUte? Uebevbieg n''cr roürbe ein fotdhcä 33erfchen ben 3afchauern
fidher niet roeniger teidht anfgefntlen fcpn, n(ä bn§ §inauffdhieben ber (Sntftehung
einer öffentli(^en g'Otfeier um mehr al§ ein haibe§ ^ahrianfenb.
?iach Sdhöil („SophocIeS’ 35>erfe", 6. 2?nnbchen) fotlen übrigens bie 2?erfe in
ber „(5'leetra", in benen non ben ppthif(hcn Spieien bie iRebc ift, gar nicht non
©ophoclcS ftammen, fonbern baS (Sinfchiebfet eines fpäteren UeberarbeiterS fepn.
*) Sdhiüer, lieber bie tragifche Ännft. (33b. 11. @. 559 f.)
**) 3m nierten Slnftritt beS erften ÜlcteS. ®ie Königin hat bie entehrenben
Verbrechen roelche ©dhitter fie bort in iReue geftehen Iaht, niemals begangen. 9J?an
ngt. Opip, „tütaria ©tuart" (g-reiburg 1879). (5S ift atlerbingS fehr möglid;, bah
©chitkr, raaS biefen ifinnft betrifft, fidh in unnerfihnlbetem ^rrthnm befanb.
Slniüenbimg iiub nätjeve SBeftiinmung bev jicei ©efe^e.
439
©eovge ®onb paffen mürben. im leisten 3htgenb tiefe be§ £eben§
i^etniS i?enernl)ili§ , ber 3tbt non ßlügnt), nn it)n bie f^vage vicf)tet;
Mon üls, croyez-vous en Jesus-Christ? antmovtet 3tbötarb: Je ue
sais pas“"""). — ®ie et^runivbigen ©eftalten bev tjeiligen ©lifabettj nnb
be§ [jeitigen Sonifacius, be§ 3tpoftet§ uon ®entfd)tnnb, merben in
tag§ fct)on erroälpüem Jfoinan „®ie ^Itjnen" noüftänbig jn
i^einrict) bev fcl6ftfncl)tiger fyütfi/
nur auf bie fvefügung feiner .t:önig§mad]t benft, nnb bein für biefe§ 3i^f
alte üOeittet red)t finb; babei ift er abergläubifet), nnb feinegmegä erfüllt
non bem ©eifte ber djriftticben Jfetigion" ©ine ©arftellung be§
©l)arncter§ ineldje einem l^ebenben gegenüber eine fdpnere Ä'riinfnng märe,
ift eine ©Iji-ennertel^nng and) in Jtüctfidjt auf i'erftorbene, nnb ba§ 9tatur=
redjt nernrf^eilt eine fold)e alä eine unmoralifdje eöanblung, auf bem
©ebiete ber fünfte nidjt minber at§ auf febem anberen.
9Jtan entgegne nidjt mit Sdjiller (a. a. C.), bnö eben fep geiftige
2?efdjrünftljeit , „Unterrid)t non bemjenigen ju forbern, ber fiel) fd)on
nermöge feineä 9tamen5" (atg Sid)ter nümlidj) „bloff jn 3tül)rung nnb
©rgöhnng nerbinblidj madje" : folglicl) Ijütten mir IInred)t, inbem mir
tDarftellnngen uon ©Ijaracteren, bie ja gar nid)t beaufprndjen al§ Ijiftorifd)
mai^r ju gelten, für eine 3}ertet3ung ber ©iered)tigfeit erfteiren. üöo^l
tritt ber Äünftler lebiglidj mit ber 3tbfid)t uor uns auf, nnS äftljetifdjeu
©enufj ju nermittelii, nnb nid)t, unS ©U'fdjidjte norjntragen. 3lber eS
ift nii^t mntjr, bag feine ©arftellung ber ©Ijaractere nidjt non mcitanS
ben 3.h'eiften als Ijiftorifd) maljr Ijingenommen merbe, nnb es ift nodj
meniger mal)r, bag ber Zünftler felbft tjierauf feinen 3lnfprudj ma^e.
Cber Ijörten mir nidjt frülier Meffing eS als ein unangreifbares ©efet^
ber 2leftljctif Ijinftellen, bafj „bie ©Ijaractere bem '^^idjter Ijcilig fepen",
nnb bnfj „bie geringfte mefenttidjc 3L* **)eränberung'' eineS Ijiftorifd) feft=
fteljenben ©IjaracterS baS Ännftmerf bebeutenb nerunftnlte? iDtadjt nun
nietteicl)t ber Xragöbienbicl)ter , ober ber 3?erfaffer eineS JtomanS , feinen
3lnfprucf) baranf, bng baS ipublienm itjii als einen i)Jlanu bctrndjte, ber
menigftenS bie ©irnnbgefene feiner .Vfunft inne bat, nnb in feinen ä'Jerfen
biefetben jn beobadjten meig? fteljt in ber grogen ITcenge, bie ins 2;ijeater
geljt ober ben Jfoman jnr yrrnnb nimmt, nicht bie Ueberjengnng feft, baS
maS iljr geboten mirb, fep non mefentlidjen
'llteifter meit entfernt baoon, für bie Ijiftorifdjen if.'erfonen bereu 9famen
er gebrnudjt, „anbere unterjnfdjieben, betrügerifdje '^^erfonen, bie ficb für
etmaS auSgeben maS fie nidjt finb"?***). Unb jene ^djriftfteller felber.
*) ißgt. ,g)ift.:pot. ih. 3?b. 82. >S. 405 f.
**) "tjgt. „Sit. ^anbiBeifer" 1875. ®p. 306. 309.
***) eben, 3t. 302. 'S. 435.
440
®ie ©djbpfungen ber fd[;önen Ä'ünfte imb bie SBa^r^eit.
bte bie 3Iutgnbe gefegt Ijaben, buvd} bcdettriftiid^e dTjeugniffe
rifc^e Sügen in Uiniaut ju bringen unb bie afn1d)auungen ju fälfc^en,
jroeifeln fie ettna an bein (Erfolge il^rer 33e[trebungen barnm, ineil fie jn
„iidi bio[3 51t gin^rnng nnb (^'rgöl^nng nerbinbiid) ntad^en", mithin nieinanb
berechtigt ijt , „Unterridit non ihnen gn forbern" ? 2Ser biefe ^"v^agen
nerfteht, ber roirb and) übergengt fe^n, bajj roir bas Gierfähren um baS
eS fich tiodem 9led)te für „nerlenmberifd)" erftören; freilich
üorauSgefeht, baff eS nid)t in ber Unroiffenheit beS JlünftterS einige ß;-nt=
fd)utbigung finbet.
SlnalogeS inie non ben eingetnen hiftovifdien '^erfonen, gilt and) in
9iücffid)t anf gange Ätaffen ber ©efellfcbaft, foroie auf @enoffenfd)aften
unb ©orporationen. 3tu(h fie finb „morntifche" ^erfonen, beren Gledhte
unb beren @hbe baS iftaturgefeh in ©d)uh nimmt. 3®ne S^enbeng:
©chriftfteder unb ;ÄünftIer, in beren (Sompofitionen bie fReprüfentanten
ber .^irdje nnb beS (JteruS, beS GlbetS nnb beS OrbenSftanbeS immer
als bie gemeinften ©eeten, atS bie nernchtlidiften ©ubjecte ober bie burch=
triehenften Söfen)id)te auftreten muffen, mad)en fid) baburcö nicht nur ber
frechften 3tngriffe fchulbig auf bie @hre ihrer OJHtmenfihen, fonbern fie
uertehen gugteid) eineS ber roefentU^ften ©efet^e ber 3fefthetif. 3'^ ©rnnbe
finb freitid) bie 3?itber moraüfd)er 3Serfommenheit bie fie geidjncn, meiftenS
nur Giariationen ihrer eigenen ifiortraitS.
§. 4.
5ic pia^ihcit in jenen jSfementen ftalTeoiecfintfclief ^Serlte, roefdfe bem
fnOjectinen Gebiete ange()ören. |!Tntürncl)UeU nnb ilffectation.
305. ©ntroidetung forooht alS in ber Stnroenbung unferer
groei ©efeRe haßen roir hiSher gunnd)ft folche ©(emente ber fadeoted)nifd)en
ßeiftungen herücffidjtigt, roeldje ber objectinen ©eite beS menfchlichen ßebenS
unb ber fid)tbaren GOett entnommen roerben. ©S nerfteht fidh con felbft,
bafg beibe ©efehe mich jene ©lemente gelten, bie ber fubjectioen ©eite
angehören. 31ud) für bie ©rfcheinungen anS bem ©Rbiete ihres eigenen
inneren !PebenS, für bie ©emüthSberoegungen ober ©iefühle, roelche ber
cpifdhe ®id)ter, ber 33^aler, roeit mehr aber nod) ber Oiebner, ber fiprifer,
ber ©ünger in ihren Göerfen gnm 3tuSbrud: bringen, ift uolle pöiIofophifd)e
Giöahrheit eine unerläßliche ©igenfd)aft; muh in ber 33ilbung biefer ©de:
mente bürfen bie früher (295. ©. 423) angeführten ©ü'fepe beS gufälligen
SepnS nid)t oerleht fepn.
®iefe ©iefet^e uerlangen, baß bie ©efül)le roeld)e in bem ätnnftroerte
gnm 31uSbrud fommen, mit ben ©ütern ober liebeln auf bie fie fid) be=
giehen, in entfpred)enbem Gierhnltniffe, in ber rid)tigen if3roportion flehen,
forool)! roaS ihre 31rt unb ihr Gt>efen, als roaS iljre ©tärfe, ihre ITaner
'Diatüvlidjfcit unb Slfjectatioii.
441
unb if)ve ik’rbinbung imtcv etnmibev betrifft. ®eun bie ©cmütfisbeumgung
ober bns (^efüfit ift ja lücbtä Slnbereö, als bie Dlegimg be§ gefammten
©tvebeoerinögenS gegenüber ber nberfinnlid)en (^tnt^eit ober ©ci^ledjtigfeit
eineä tDinges* **)); bad Sfing infofern es at§ gut ober fdjlecljt erfannt
lüirb, bitbet folgtid) ben ©egenftanb ber titemütt)sbeniegung, unb bamit
itjre causa ßnalis, e§ ftet)t jn il^r in 6anfatbejiet)ung. 5et)lt mitttin
bns richtige tPerhnttnifj jioifdten bem 25>ertt)e be§ fDingeg unb bem auf
bnffelbe fiel) bejie^^enben @efnt)te, bnnn ift bn§ Set^tere ptjitofoptjifdj nn;
TOn()r, ein (niel^r ober loeniger) loiberfinnigeg, nnoernnnftigeg ©ebilbe.
300. ©iefe ridjtige, ber gefnnben uernnnftigen Sintnr unb bem
S'dertfie ber ®inge nngemeffene "Xemperntion ber ©efüljle bie fid) in einem
Ännftmerfe nnsfpred)en, nnb bie auf biefelbe fid) grnnbenbe pt)i(ofopt)ifd)e
2Bnf)rt)eit biefer ©efntjte ift e§, mos man gnnj eigenttid) im 31uge tjat,
menn man bem ülferfe „diatürlid)feit" jnfpriebt. 3'^ oolterem i)i)caape
biefer ^orjng in einer fntIeoted)nifd)en Itfeiftnng tjerrfdjt, befto mel)r ift
biefe bnjn angett)nn, bie ©emütt)er nnjnfpred)en, fie mirffam jn ergreifen,
unb bie it)rem ^pit)nlte entfpred)enben ®efnt)le in benfetben ju oernnlaffen;
befto ooltftnnbiger ift äugleich bie ^Hi'ffon, nnb befto bebentenber and)
unter biefer fRncffidft ber ©ennp ben e§ gemätjrt. fffierfe 311 fd)nffen bie
fid) biircf) cid)te 3tatürtid)feit ang3eid)nen, ba§ mirb aber bem Ännftler
feiten gelingen, menn nid)t fein eigene§ ©emiitt) in ber bemegt ift,
menn er bie 0timmnng nnb bie ©efnt)te benen er 3(usbrncf gibt, nict)t
mirftid) jnerft felber empfinbet. „il'nl)re§ ©efntjl", bemerft .'ongo 35Iair,
„legt bem Jlnnftler tnnfenb l)öd)ft bebentenbe ®inge nalje, meld)e feine
Ännft nnchjnahmen ,. fein 0tnbinm jn entbeefen oermag.“ Unb barnm
l)nt fyauft üoflfommen di'ed)t;
itieim it)r’ö nid)t fül)lt, il)r racrbct’s nid)t erjagen,
üdcim eS iüd)t aus ber Seele bringt,
Unb mit urfriiftigem 33el)agcit
Sie yperjen alter .fborer smingt.
Sipt i()r mir immer! tfeimt jnfammen,
33rant ein Üi'ngont oon nnbrer Schmaus,
Unb blnf’t bie fnminerlicben ^-lammen
3luS eurem 3tfd)cnl)äufd)en I)’raus!
tUerannb’rnng oon Äinbern nnb tUffen,
ir'enn eud) barnad) ber ©nnmen ftel)t;
Sod) merbet il)r nie .iper^ 311 §er3cn fd)nffen,
ä'denn es end) niebt oon ,'Tber3cn gel)t*^f).
*) ipegriinbel pabe iep biefe ^Definition in ber 3tbf)nnblung „£a§ ©einütt), . . .
9t. 45 ff.
**) A dire le vrai, il en est des orateurs comme des poetes (]ui font des
clegies ou d’autres vers passionnes. IJ faut senlir la passion ponr la hien
442
Sf^atürlid^feit itnb Slffectation.
^ügen raiv nod) ba^ in ben SS^erfen ber fdönen fünfte für
bie fubjectinen (Steniente non benen roir reben, bte p^Uofop^ifdje
iiett, unb barum aud^ itjre einzige Ouede, ein @emütl) bas tief unb
TOtt^r empfinbet, boppett nctfiroenbig ift, nnb il^r üO^nngel boppelt em=
pfinblict). Unraal^r conftruivte objectine 6rfd)einungen finb unbraui^bar
für ben 3™^^ fd;önen Jbünfte, aber fie erregen roenigfteng ni(^t
immer gerabe ein ftarfe§ ^Kipnergnügen : p!^iIofopIjifd)e Unraal^r^eit in
ben ©rfdjeinungen ber fubjectinen ©piiäre, UnnatürUc^feit , gemadjte 93e=
geifternng, falfd)e (f’rgriffenl^eit , gef(^raubte (f'mpfinbung , manierirte @e;
jiertl^eit, nerjiicferte ©entimentalität, fd)roülftige§ ipattjoS, breffirte Ueber=
fc^roanglidifeit, ein @ntt)ufia§mu§ ber auf Stellen geljt, mit (Sinem Sporte
2t f f e c t a 1 1 0 n , ift jebem gefunben ©emüt^e nnertrügtid^. „®en fd)timmften
unter alten §e!^tern" * *) nennt Qnintitian ba§ ,,'/.'y.xoCr/ov‘‘, bie mala
affectatio, in feiner 3i;t)eorie ber oratorifdjen 23erebtfamfeit ; ba§ nümtid^e
ipräbicat gebührt i^r in alten übrigen fünften. ®enn mir felgen in
i^ren 3’tfpirationen nidbt nur fene roefentüdjen @efe^e be§ juföttigen
®epn§ uerte^t, bie im tiefften ©runbe nuferer Seele liegen; fonbern ba§
Ißeftreben , fotci^e gebredifette i^erjengergüffe um bie ba§ ^erj nid)t§ ge;
raupt t)at, in nufer eigeneg ©emütf) pinüberjufpielen , erfdfieint un§ über;
bieg äugteidb alg ein 2tngriff auf unfere eigene gefunbe diatur, ben rair
mit Sßiberraiüen unb 2Sera(^tung jurüctraeifen. Sotcben raibertic^en
2]erfnd^en gegenüber ftimmen rair barum gern ein in bag berbe 2®ort,
mit raetd)em ber iDi^ter raenn and) nur eiue Ätaffe biefer ©efü^tg;
fünftter ftraft;
Sud)’ @r ben reblidjen ©eirinn!
Set) @r {ein fc^ettenlauter itjor!
trs trägt 2>erftanb unb red)ter Sinn
22tit roenig Äunft fid) fciber cor.
Hub rocnn’g eud) ©ruft ift mag ;u fugen,
3ft’§ uött}ig SBorten uadpufagen'?
^a, eure dteben bie fo blinfeub finb,
;^ui benen ibr ber SÄenfebbeit Sdpiipel träufelt,
Sinb unerquidlicb mie ber 2tebeln)inb,
Ser berbftlid) burd) bic bürren 23lätter fäufelt.
fyreilicb ift ber 2tugbrucf ber falfdfen ©mpfinbung nid)t in jebem
fyatt etraag ©emadjteg, btop äuf3erlid) ©rtüuftetteg. @g gibt ©emütber,
unb uiedeidjt nicht raenige, benen bie Unnatürlicbfeit ber ©mpfinbung
5ur 2iatur geraorben ift; bie bag falfdje ©efübt nicht fingiren, fonbern,
peindre ; l’urt, quelque prand qu’il soit, ne parle point comme la passion
veritable. Fenelon, Dial. sur l’eloqiience, 2. (ed. Delzons, Paris 1861, p. 67.)
*) Omnium in eloquentia vitiorum pessimura. Quint. Inst. orat. 8. c. 3.
Cb bie Äunft „9iad)a^mung ber Sfcatur" fep.
443
bi§ 51t einem geroiffen ©rabe, raaljrl^aft !^evöovbvingen. Slber ma§ unter
biefer 9lncf|id)t, nbnlin, uieüeid^t „itjuen natnrtic^" genannt merben
mag, bag beiit^t barum non jener 9^atürlict)feit , um bie eg iidj in ben
ST'erfen ber fünfte roie im Seben Ijanbelt, nod} nid)t einen ©ran. ®enn
bieje Jc'ntnrlidjteit ijt bag objectin rid)tige, bag ontotogifdj unb an
fict) in ab re 2>erbä(tnijj jtnijd)en ber @emntb§beinegnng nnb bem er=
fannlen ©nte ober liebet; nidit bag erfte befte inbinibuette ©enuitb ijt
hier bie 3lorm, jonbern bie nngejcilfdite .R'raft beg gejnnben Sinneg,
inetdjer ber rechten Sernnnjt gemäjj anfja^t unb empfinbet. tDie tj.h‘o=
bncte [oId]er frantboft nerjdbi'obenen Seelen, bie ftntt beg 3tjfectg nbernit
nur 5tffectation haben, [tofien ung barnm nicht ineniger ab, alg ber um
erqnicflicbe ?tebeltninb nnb bie jd^nipetfränjclnben obligaten
Sentimentalität; bie ©emnthcr in benen jie fnbricirt merben, fommen
nng nor roie ein häptid) nertrnppclteg @einäd)g, roie ein frnmm nnb
fdjief gejdiliffener Spiegel ber jebe ©eftalt nerjerrt jnrncfroirft, inie ein
nerftimmteg ^oftrnment, bag niditg alg fnlfdie Söne gibt.
§. 5.
bic /muß „^latfirtßmiing ber fcp. ^cCcr bie „^nttoidicfung alTcr
fdiöncu „<tünßc atis Cincm '5’rincip“.
307. Slriftotcleg eröffnet bag jroeite öhipitel feiner ißoetif mit einem
Sai?e, ber in ber 2Biffenfd)aft ber fdiönen fünfte grope 3?ernhmtheit
erlangt hot; tnohl größere, alg er beanfprnd)t. S)ie ‘^Poefie, lehrt „ber
iV'hilofoph", bie Sramatif, bie HUufif, fepen „im Sfllgcmeincn inggefammt
nad)ahmenbe ®arfteltnng" 204). ®er nämliche ©ebnnfe inirb öfter und)
in ^lato’g ©inlogen , foroie non "f-'^otard) nnb 3tnberen anggefprochen.
2llg bag Original bag in ben 2®erfen jener ölnnfte „nadjgeahmt" inerbe,
betrad)tet 2lriftoteleg , roie nng bem flfotgenben hc'i’oorgeht , bag roirflich
Seijenbe, ingbefonbere jene ©lemente aug benen fid) bag innere nnb änpere
menfchtid)e Öeben jnfnmmenfebt 205). 2lber roie hoben mir biefen
bnnfen ber focratifd)en '^hi^ofophie ju nerftehen? Oerfelbe erflärt fid)
jiemlich einfad) aug bem mag mir bigher gefagt hoben.
Oie ©rfd)einnngen roetd)e ben 3’^f)olt ber falleoted)nifd)en ©rjengniffe
bitben , finb ben roirflichen ©rfd)einnngen beg menfd)lid)en Vebeng unb
ber fid)tbaren 2Bett oollfommen gteii^artig: eben barnm muffen in ihrer
Oilbnng, roie mir fd)on fal)en, and) ganj biefetben @efel),e bernortreten,
nad) roeld)en fii^, ber Orbnung ber einigen ä\>eigl)eit aufotge, jene ent=
inidetn (295. S. 423). Oer ilünftler ift nlfo bnrauf angeroiefen , bie
nng umgcbenbe Orbnung beg 2T'irflid)en jnm ©egenftnnbe feiner forg=
fälligen 23eobad)tnng ju mad)en; nid)t nur um feinen ©leift mit an:
gemeffenen ©lementen 511 bereid)ern, bnrd) bereu ©ombination er feine
444 Ämift „9cad^a^mung ber 9'^atur" fep.
O'onceptioneu gu bilben l)at, fonbern namentlich auch, unc in bem mas
mirflich i[t nnb gefchieljt, bie befonberen ^Regeln fennen ju lernen, ju
benen fich in ben mannidjialtig roeihfelnben Umftänben, unter ben uer=
fd}iebenften ®ebingnngen, bie allgemeinen @e[ehe be§ jufälligen ©epn§
geftalten. ber Orbnung bed roirflich ©epenben he^4^l überall, im
©röpten roie im Äleinften, bie uoUfte ph^^ofophifche S5>ahrheit. 2Bill
barum ber Zünftler [id)er jepn biefelbe nie ju nerlet^en, rnitl er [ich bie
©eroanbtheit erroerben, feine Gonceptionen big auf bie fleinften 3^06
immer richtig ju bilben, bann mnf! er mit ©orgfalt jene Orbnung beg
ST'irf'lidjen ftubiren , bann muf3 bag menfd}liihe fieben nnb bie 9tatnr
feine ©djute fepn.
Dtiemolg rergeffe ber geteerte Zögling
ber bid)terifd)en 23ilbnerfunft, aud) nuf
bie ©ittenfdjule unb bie lebenben
SJtobelle um il)n l)er bie klugen ftet§
ju heften, unb barnug bie ninhre ©prnche
be§ 2eben§ unb be§ Itmgnngg heiouholeu 296).
2i>ie v^poraj in biefen ii^erfen bem ®ramatifer, fo gibt Quintilian bie
gleidje 5öorfd)rift bem iRebner, bem baraii liegt, fid) bie blunft ber leben=
bigen ©chilberung anjueignen, nnb in ber ©arftelinng burch ^dg SBort
bie ?lnfd)aulid)feit ber ÜRalerei ju erreichen. „Üiöag bie fs-rage betrifft,"
lagt ber römifd)e „raie man eg jn biefer, meiner Slnfidjt nach
nberang roerthnollen jtunft bringen folle, fo ift bag üRittel baju fehr
einfad). ilRan beobachte forgfältig bie Statur unb bag Seben ber i)iRen:
fdfen, unb jeichne bann bie Singe mit notier ©reue, fo tnie fie in ber
einen unb in bem anberen fich ^u geftalten pflegen. Sie iSerebtf amfeit
brel)t fid) ja immer um @rfd)einungen ang bem Seben; bie 3dhöter
halten bag mag ihnen norgetragen roirb, mit ihren eigenen ißeobad}tungen
jufcnnmen, unb je mehr eg mit biefen übereinftimmt , befto fixerer finbet
eg Slufnahme" *). Unb mieber ben gleichen Dftath erhielt ber junge Sp=
fippug, ber 2?itbhauer, non bem berühmten ilRaler (Supompng, ba er
ihn fragte, ineld)em ber früheren i)3feifter er nachahme. @upompug, er-
jühlt '.f^tiniug, inieg auf eine iSfenfdjenmenge hin, nnb fagte, ni^t einem
i)}teifter müffe man nad)nhmen, fonbern bag inirfliche 2eben 297).
2lug biefem ©runbe eben, roeil in ben ©d)öpfungen ber Xtnnft genau
biefelben ©efet^e hetrfd)en müffen, nad) inelchen bie analogen ©rfcheinungen
ber 2Birftid)feit fich bilben, bejeichnet man iljre inieberholt genannte noth^
inenbige ©igenfchaft, bie nolle phitofophifche Sß'mhrheit, namentlich infofern
fie in ben fubjectiuen ©lementen hen'ortritt, auch mit bem bereitg er=
*) C^TÜntn. Instit. orat. 8. c. 3.
Sie „giitiutcfeUmg aller [d;öneu Äünfte au§ G-inem ißvincip". 445
roä()nten Flamen ,,'Jiatüvüc!^feit" ; in biefem einne cvffiirt Öomjtn , „if)vc
ißoßenbuug evreicfje bte ^l'unft bann, inenn ]te jtd) auäniinint, aB ob fte
'3{atnr roäre“ 298) ; in biefem ©inne ift e§ ein fd)önev @ebanfe, in iueid)em
©d)iüev einen (ärfal? finbet gegenüber bev befannten 23e[)nnptnng , bap
bie ^linbe inie fie norliegt, nid)t uon .'pomev ftüinme, fonbern aB eine
©annninng oon @efüngen üevfd)iebener ©idjtev ,^n gelten t)abe;
tsinmev jerreigct bcn Ärnii) bes fbomcr, unb 5nl)let bie d'ätcv
4)e§ nolleubeten, ctoigen d'3erB !
.fbat c§ bod) @iuc SJtuttcv nur, unb bie ^üge ber iOhittcr,
©eine unftcrblid}eu „^üge, i)catuv!
anä biefem (^vnnbe nnb alt ein in biefem ©inne fann man fagen,
bafs bie Ännft bas roirftid) ©epenbe nadjaljme, bafi ifire ©r^engniffe
diad)bitbnngen fegen; niB biefem ©rnnbe enbtidf nnb in biefem ©inne
fann man bie Ännft „bie diad)at)merin ber diatnr" nennen, beibe 5ln§=
brüd'e, dtatnr mie Jtnnft, im fnbfectioen, trniBitioen ©inne genommen,
©enn bie itnnft, bas fjeifjt ber Ännftter, abmt freilidf ber loirfenben
ütatnr nad) , ber „natura naf Kraus“, infofern er feine 3©erfe genau
nad) ben @efepen bes jnfältigen ©epiB bitbet, atfo nad) ben ncimtidjen,
metdje and) bie Dtntnr in alt it)rem Söirfen befolgt. tSr ftnbirt biefe
ti'efetje nnb it)ren tttnsbrnct in ber fid)tbaren diatnr nnb im ßeben ber
'Itienfdfen; biefelben finb bie notbmenbigen dcormen alter feiner @ebitbe:
nidft, lueit er in biefen bie diatnr (bie „natura naturata“) nnb baS
Seben copirt, fonbern meit fie ans ®rfd)einungen beftet)en, lueldje gteid);
falls bem @ebiete ber Diatnr nnb beS menfcbltdien liebenS angeljören,
nnb fiel) barnm nid)t nnbers atS nad) jenen @efet3en bitben taffen 299).
308. ©af) min aber in biefer ©l)atfad)e, nnb in bem ermäl)nten
3lnSbrnde berfelben, nid)t baS SBefen ber fcl)önen .il'iinfte liegt, ift bod)
loobl einlent^tenb. ©er ^Begriff eines ©inges ift ja nid)t gegeben, menn
man btof) eine feiner C'igenfdfaften nennt; fonft tonnte man j. ben
'.\Kenfd)en befiniren als „ein 2©efen meld)eS ‘:(>l)antaficoorftellungen bilbet'^
(5S fieipt mitbin nid)ts meniger, alS bie ©efinition ber febönen ibnnft
aufftetlen, menn man fagt fie fei) „diad)al)mnng beS Gebens bnrd) ®id)=
tnng" ober gar „diad)al)mitng ber fd)onen diatnr". ©aS O'rfte lehrten,
bnrd) ben angefnbrten ©ab bes 3triftoteleS oeranlafd, ältere ©dfrift-
Itetler; bie jmeite (t-rftärung ift baS ditf meld)cS im uorigen
,3al)rbnnbert 23attenr feine befannte Sel)re uon ber fd)öncn .fünft ge=
grünbet l)dl*)- Sei allem ©d)arffinn mit meld)em baS '^^rincip bnrd);
*) „Les heaux arts , reduits ä uu meine principe“, (beiitid)
uon Slbolpt) Sdjleget), unb „Cours de belles lettres ou principe de la littcra-
ture“, 'tlariä 1750 (bcut|d) uon ,)t. iS. dtainlee).
446 „(äntiuicfelung alter fd;onen jfünfte au§ (Sinem Iprincip".
gefiÜ^vt roirb, ift biefelbe boc§ al§ öoüfommen Derfel)It ju betrai^ten.
Sie fonnte nic^t anber§ ate einfeitig roerbert, ba Satteu); an bie ©teile
beg 2Se[enä ber frönen fünfte eine ©igenfc^aft berjetben feilte: jroar
eine not^roenbige, aber bo(^ eine jolc^e, bie mit il)rer eigentlichen Slufgabe
feinegroegg unmittelbar unb junächft jufammenhängt. llnb biefe ($igen=
1‘chaft brfufte er noch baju in* einer SBeife aug, raelche bur^aug jroeü
heutig i[t, nnb nothraenbig irreführen mufite. ®enn bie 3Serfe ber fchönen
Äünfte finb fa hoch ni^t formell, b. h- im eigentlichen ©inne unb oer;
möge ihreg ^merfeg, 3iadhahmungen ober Kopien roirflicher ©rfiheinungen,
auch nicht, fchöner roirllicher ©rfcheinungen, noch roeniger „ber fchönen
niatur". ®ie fchönen ölünfte hnl>en ganj anbere Slufgaben, unb größten;
theilg oiel höhe«» nl§ bie, burch ßopiren bie fd)önen ©rflheinungen ber
fichtbaren SBelt ju oeroielfciltigen ; fonft müßte, feit mir bie Äunft beg
ßichtbrncdeg haben, roenigfteng bie ÜOlalerei alg entbehrlich gelten. 2lrifto;
teleg mürbe fi^er ben im Slnfange angeführten ©atj entroeber nicht aug;
gefprochen ober genauer erflart haben, raenn er bie iBegriffgoerroirrung
unb bie (STtraoagan^^en oorauegefehen hatte, ju roelchen berfelbe auf bem
©ebiete ber fchönen fünfte in Sehre unb Uebnng bie ‘-Bernnlaffung roerben
follte *).
309. Uebrigeng, um bag bei biefem 2lnlaffe noch jn bemerfen, muß
bag Unternehmen, bie fchönen iDünfte inggefammt „ouf ©in if^rincip
jurücfjuführen", unb fie ©inent abftracten SSegriff uuterjuorbnen roelchen
man mit bem iJlamen „bie fchöne Äunft" bezeichnet, nach meinem S)afür;
halten immer mißlingen. S^enn jeber 3Serfnch biefer 2lrt beruht auf ber
ißoraugfeßung, alg ob fich bie befonberen 2lufgaben ber einzelnen fchönen
fünfte in ©ine oUgemeine 2lufgabe znfammenfaffen ließen, für roelche
alte fchönen il'ünfte, jebe in ihrer Söeife unb mit ihren ÜtJlitteln, thatig
ZU fepn hätten, illun ift aber biefe SSoraugfehnng ganz unridjtig.
ber fdjönen fünfte hat ihre eigene 3lufgabe; in bem Sßefen biefer 2luf;
gäbe ift eg begrünbet, baß jene z» ben „fchönen" fünften gered^net
roerben muß; unb nid)t übt umgefehrt biefe leütere 2:hatfache auf bie
Seftimmnng ihrer Stufgabe irgenb roelchen ©influß. S)ie non biefer
©hatfnd^e ganz unabhängigen Stufgaben ber einzelnen fünfte aber liegen
*) ÜOtit bem (Sebanfen uou ber SRacha^numg ber Statur hängt bie bomba;
ftifche ©rabfchrift jul'arnmen, roelche man in ber Äirdhe ber heiligen SJtaria jn ben
SJtärturern (ißantheon) ju Stom auf bem (Srabe be§ SOtalerS non Urbino tieft:
Ille hie est Raphael, timuit quo sospite vinci
Rerum magna parens, quo moriente mori.
2ll§ ben ißerfaffer biefer „miserable epitaphe que tont le monde connait“ be=
jeihnet 3tio, ohne fie aujuführen, „le soi-disant Platonicien Bembo“ (Rio, 4.
p. 556). (Z^benfatlg ließ fiel} non einem Äünftler roie fRaffael SeffereS fagen.
®ie „dntroirfelimg aller fcT)bnen fünfte aus (Sinem Iprincip". 447
üiet ju weit au§ einauber, )ie finb uiet jii üerfdjiebenavtig, a(§ baf3 man
fie, o^ne i^nen ®ema(t anjiitljun unb [ie miüfürlid] ju tinberu, iSiiiev
generifi^en ©efammtnufgabe unterorbnen fönnte. i^aben mir ba§ bereits
tm erften Jbapitel biefeS StbfdpiitteS angebeutet, unb gefjt e§ einigerinaisen
bereits auS bem in ben roeitereu ©efagten l^eruor, fo mirb eS fid) in ben
folgenben Stbfi^nitten nod) entfcbiebener unb fiarer ^erauSftellen. „®er
übetfte ®ien[t," fagt ©ritlparjer, „ben man in ©eutfdjlanb ben iiünften
erroei[en tonnte, mar mofjt ber, [ie [ämmtticf) unter ben itiameu ,ber
Äun[t‘ 5u[ammenjufa[[en. ®o niete 23erüt)rnngSpunfte [ie unter [idj
alterbingS mol)t I)aben, [0 unenbtid) uer[d[ieben [inb [ie in ben ‘üOtittetn,
[a in ben ©rnnbbebingnngen iljrer 3tnSübnng" *).
®a[; id} in ber er[ten i}lu[lage bie[eS 33ud)eS [elber non ber 2tn=
[cbannng anSgegangen bin, met*e id) biird) baS ®e[agte [et^t a(S niu
ridjtig bejeidjue, tjabe id) feineSmegS oerge[[en; aber barin mirb bod)
mo^I fanm [emanb einen iBemeiS [inben motten gegen meine jetzige lieber;
jeugnng. ®ie[e i[t baS 9le[nttat einget)enberer ©tnbien; bie meiner [riit)eren
5trbeit jn ®rnnbe tiegenbe 5tnnat)me mar, mie [c^on allein ber nort)er
be[prod)ene ®ebnnfe beS iBattenr bemei[en fönnte, nid)t meine ®r[inbnng,
nnb eS [ättt bemnad) [omot)t baS i'erbien[t ber[elben atS bie ilernntmorttid);
feit ba[nr benen jn, non metd)en id) [ie gelernt l)atte. ®r[d)eint [ie [a
bod) §eute nod) niel[ad) atS bie l)err[d)enbe 2ln[d)annng; nnb bar[ man
nielleid)t mit 9led)t gro[)entl)eilS gerabe i^r bie ©iS^armonie jnr Sa[t
legen, meld)e jmi[d)en ben ^sbeen ber SK>i[[en[d)a[t nnb ben [yovbernngen
ber ÜBirflic^feit bejngtid) ber [d)onen Änn[te [ort nnb [ort 511 S^age tritt,
nnb practi[(^e 'DJciinner non ®in[id)t an[ bie 2le[tl)etif, alS an[ eine [nr
baS Seben mertblo[e apriori[ti[d)cr ®ebanfen, mit ®e=
ring[d)ät^nng l)erab[el)en lägt.
*) ©rillparjer, ©ämmtl. 2Scrfe, 3)b. 9. ®. 142.
448
Stcbcutcö Kapitel
3uict iragcii uicldjc ötc Ijcöoiiirdjeit fiiiiifte betreffen.
§. 1.
©6 cs fcpj ^cbonifi^cn o^ünffc neßen jener gStrliunfl,
wefeße ben ctgcnü'icfjen ^werfe t^rer ßtfbcf, noi^ meifere ßeaßfi(^tigen.
Bejeic^nete 33evfa()veu ift nidjt allein nollfoinmen julä§ig, fonbern es trägt
nact) -Sbafefpeare unb £e|'[tng fe^r raefentitdj ba5u Bet, ben öft^e;
tifd)en SBertt} ber ()ebonif(Ben Seiftung ^n er^ötjen. Sitten fc|tagenbeit
tBeroeiS l^ierjür liefern bie Srjengniffe be§ „iRealiSntns" ; bie „Srmorbung
Snfarä" non tpitoti).
310. 3u ben „^ebonifd^eu" ge^^ört eine J?iun[t, rote roir roieber^olt,
nnb fd)on im '^Infange biefeä 2lBfcf)nitte§ gejagt baburc^, baf? fie
e§ al§ i^re nninittetbare nnb eigentlicfie SIufgaBe Betrai^tet, burt^ i^re
Srjengniffe ben fKtenfc^en öftttetifd^en ©entift jn nermitteln. 33ebarf e§
feineg 33eroeife§, bafj eine £'ei[tung fid) für biefen nur in fofern
eignen fann, aig fie fid) burd) äftt)etifcben Söertfi augjeid)net, fo ift anber=
feitg nid)t ininber offenbar, baf; jebe £ei)’tnng non Bebentenbein äff^etifd^em
25>ertf)e eben fiierburdt) bajn anget^an fet)n roirb, anfter bem äfti^etifd^en
@enu[3 no(^ inand^e anbere, für bas geiftige £eben nort^eü^afte , unb
barum roünfdjengroertfje 35>irfungen fierooryibringen. S)enn eg liegt in
ber Üiatur ber 6ad)e, baff bie ®efd)üftigung mit Srjeugniffen, roeld^e
foroo^l roag i^ren aufjere f^orm betrifft, burt^
Sc^ön^eit, Srf) ab en^ eit, 31nmiitf), SBa^rfieit, üteul)eit unb anbere ü[tfietifd)e
i^orjüge fierttorragen , ben ©eift bilbet unb bas §erj nerebelt. ^su ber
©enuf; roetdjer fid) mit ber flaren Srfenntnif) ber inneren ©utfieit natur;
gemüf) uerbinbet, unb burd) ben bie Set^tere eben ®d)önl)eit ift, l^at ja,
nad) 2;l)omag non Ülquin, ber iß^eis^eit ©ottes gemäjf gerabeju bie iBe^
ftimmung, unfer qberj für bas an fid) ©ute einjuüe^men, ung ^ur
23etradf)tung beffelben ^n treiben, unb bie £iebe ju bemfelben in ung ju
förbern*); unb uotlfommen 31nalogeg muff, auf ©runb beg an ber eben
bejeid)neten ©teile angegebenen gang adgemeineu 'jorincipg, ^infid^tlic^ ber
anberen uor^^er genannten äftl)etifd)en SSorgüge gelten. 3Bag aber bie
£äd)erli(^feit unb bie Äomif betrifft, fo geroä^rt aud) fie, roo bag SRiebrige,
bag ©emeiue, bag iterfe’^rte unb etbifd) ©d)ledl)te alg ©egenftanb ber^
felben erfd)eint, nid)t aCein tßergnügen, fonbern fie ift überbieg roirffam.
*) :Cbeii, v)c. 117. ö. 157 ff.
Cb bie !^eboml^en fünfte augfd^liej^tid; für ben ®enu^ arbeiten müffeii. 449
bie et^ifdj norf^cillfafte ©efinmmg ber i>erac|tung itnb be§ 2©tberrotllen§
foldjen Objecten gegenüber jn beleben.
Ob nun ber füTinftter, ober bamit roir beftimmter reben, ber Ora=
matifer, ber Maler, ber Otdjter, tuo er ein ©rjeugnij^ ber f)ebontjct)en
9tic|tung feiner .fbnnft liefern loitt, bie hiermit angebenteten weiteren
S5>irfungen feiner Seiftung ancb b e ab fidjtigen barf, offne !^ierbnrdf ein
inefentlic^eg ©^efelj feiner jtnnft jn oerfelf,en?
©§ mürbe o'^ne eigentbüinfidje Ä'unfttfjeorie feifn, luefdfe
ber erfi^nffenen i^ernnnft bie 2fnroenbnng beftimmter für ü^re 2fnfgabe
paffenber Momente oorfdfriebe, bnbei berfefben aber nii^t geftatten roolfte,
jngfeic^ fRefnItate ju beabfidftigen, bie ben 3fbiid)ten ber unerfdfaffencn
55ernunft infolge gaipf eigentfid) bie SBirfnng eben jener Momente bifben
folfen. 2fber e§ ift nidft nötffig, ba^ mir fo ^odi fjinauffteigen.
311. Dtadf .fboraj finb jene Oidjtnngen bie eigentfid) gefungenen,
nnb finben überaff mifffommene Sfnfnaffine, mefc^e nidft bfoB Vergnügen
gemäffren, fonbern ^ngfeid) fep e§ ct^ifc^en fep e§ inteffectnetfen ©eminn:
Oer graue Cffeit beö Mdüicumä ocvbammt
ma§ of)ue 2culjen ift; ffingegeu fteigt
bie junge Manufd)nft ftotj bei einem ernftcu
©cbidft Dovbci. Oer aber, ber ba§ 3tüijfid)e
fo mit bem 2tngenef)meu ju oerbiuben meiü,
baf) er ben 2efer unterffäft jugfeid) nnb beffert,
oereinigt affe Otimmeu. Oofd) ein Sßerf
oerbient ben Sofiern* **) ***)) ©efb, gef)t über’§ Meer,
mad)t feinc§ 'Meifterö Üinmen affen fangen
gefänfig nnb ber fpiiten 9fad)U)eft mertf)! 288)
„O'on je^er", fäfd ber gro^e engtifcfie Oiramatifer ben )Qnmfet fpredjen,
„non jeffer mar e§ ber ^luecf be§ Orama’g, nnb er ift e§ no(^ jetj,t, ber
9iatnr gfei(^fam ben ©piegef uorgnfjaften, ber Ongenb iffre mnbren 3fiQe
jn jeigen, ber ©i^mad) if)r eigeneg 23itb, jebem 3df)^'f)iinbert fein ©epräge
nnb jeber 3cif ©eftaft"
Seffing aber fi^rieb im fffofgenbeg; „Oie Oriebe ber
Menf(^ficbfeit nä^^ren nnb ftiirfen, ßiebe jnr Ongenb, nnb b^afj gegen
bag Safter mirfen, mefdfeg ©ebicf)t foffte bag nidjt? iPeffern foffen ung
affe ©attungen ber ffioefie; eg ift ftcigfid), menn man biefeg erft bemeifen
mu^; nodj ffagtidjer ift eg, menn eg Oid)tcr gibt, bie fcfbft baran
;;meifefn" ©inge’^enber nod), nnb in einer üßeife mefd^e nnmittefbar
*) 93 n t) änb t er in ütom jnr 3cit beä .pora^.
**) ©b^fefpeare, §amlet, 3, 2.
***) Seffing, Jpambnrgifcbe Oranmtnrgie, 2t. LXX’VIII. n. LXXVII. 95b. 25.
©. 189. 182. ((Sit. 432.)
Sungmonit, 3(eftfietit. 2. 3(ut‘t.
29
450 OB bie ^ebonifd^en fünfte für ben @enup arbeiten miiffen.
unferer ^rage enlfpric^t, l^atte ber -Herausgeber ber „Sramaturgie" fid)
fünf Monate frü’^er geäußert. „@inem ß^aracter (int ®rama) bem bad
Unterric^tenbe fel^It, bem feljÜ bie 2lb[i(^t. 3Ib|ic^t l^anbeln, ift ba§
mag ben ÜJienfc^en über geringere ©efcböpfe ergebt; mit 2Ib(i(i^t bienten,
mit Slbfidft nac^atjmen, ift bag, mag bag @enie non ben Keinen Äünftlern
unterfdfeibet , bie nur bid^ten, um ju bienten, bie nur nac^a^^men, um
nadfjua^men, bie fi^ mit bem geringen Vergnügen befriebigen, bog mit
bem ©ebrau^e ifirer iIJiittel nerbunben ift, bie biefe 9Jiittet §u i^rer
ganjen 2tbfid)t modien, unb nerlangen, bofi aud) mir ung mit bem
eben fo geringen fBergnügeu befriebigen foHen, raeti^eg aug bem Knfi^auen
i^reg funftreii^en , ober obfid)ttofen , ©ebram^eg i^rer i)J^ittet entfpringt.
©g ift roo'^r, mit bergteic^en teibigen iRodfO^mungen fängt bag ©enie
au, ju ternen; eg finb feine SSorübungeu; oud) brandet eg fie in gröffereu
ü^erfen ju g-üttungen, 511 fRul^epunfteu unferer mürmeren Sifeilnel^mung:
altein mit ber Einlage unb Kugbilbung feiner Hflüptdforactere nerbinbet
eg meitere unb größere Stbfidjten: bie 2tbfid)t ung ju unterridften , mag
mir ju ttjuu ober ju taffen !^aben; bie Stbfidjt, ung mit ben eigenttii^en
1) Rerfmoien beg ©futen unb 33ofen, beg Knftönbigeu unb Sädbertic^eu
befannt ju madfen; bie Stbfidjt, ung feueg in atten feinen Serbinbungeu
unb fyotgeu atg fdfön unb alg gtücftid) fetbft im Ungtücfe, biefeg bagegen
atg plftid^ unb ungtüd'tidf fetbft im ©Hücfe, ju jeigeu; bie 2tbfi(^t, bei
2] ormürfen mo feine umnittetbare Oiadjeiferung , feine unmittetbare Stb=
fdfredung für ung Statt fjat, menigfteng unfere tBege'^rungg-^ unb 23er=
abf^euunggfröfte mit foldjeu ©kgenftönben f,u befebäftigen, bie eg ju
fepu nerbienen, unb biefe ©egeuftönbe jeberjeit in i^r motfreg Sid^t ju
ftetteu, bamit ung fein fatfd^er Sag nerfü^re, mag mir begehren fottten,
ju nerabfi^eueu, unb mog mir nerabfdjeuen fottten, ju begetjren" *).
Äaun tfiernad) bie Kutmort ouf unfere fyrage jmeifetl^aft fepn?
Ober ift eg beufbor, baf? bie ©efebe einer .©unft bem Äünftter unter=
fageu fönnten, auf eine fotd)e 25efd)offen!^eit feiner SBerfe bebad^t ju fepn
unb fie ju beabfidftigeu, mett^e biefetben uadj Hovaj atg gonj eigenttidt)
getuugen unb attgemeiner Kuerfeunung mert§, nadj S^fefpeore atg ben
non fetjer gettenben Stnfdtiauungen entfpre(üenb erf^einen läßt, nact) Seffing
aber attein im Staube ift, itjueu jene 'Sottenbung 5U geben, metetfe bie
Sdjöpfuug „beg ©enie’g" non ber Ceiftung „ber fteiuen j?ünftter unter:
fdjeibet" ?
312. ©inen fdjtagenben iSemeig für bie SQofjr^eit biefeg Seffiug’fd^en
©ebanfeug tiefert ein ®ticf auf bie ©rjeugniffe beg „iRe atigmug".
Oie iRidjtung ber fiebonifdjen ibüufte meld^e mau mit biefem iRamen ju
bejeidbnen betiebt ^at, fet^t ben äfttjetifc^en S5>ert^ ifirer Seiftungeu gu=
*) Seffing, ^ambiirgifd^e ®ramaturgie, tR. XXXIV. (©b. 24. <3. 248 f.)
®er „SReafiSnuig".
451
näd)ft ober audj au§fd}üe^Uc^ in (5-igenfd)aftcu berfelben, roeldje an einem
falIeotec^ni)(^en 25>erfe 3ioar i'or^nge finb, aber ber eigenttid^en iii^önf^eit
nnb ber @rl)aben!^eit gegenüber bnrcbaud unter georb net e iSorjnge;
fie milt ®enuf3 bereiten burcb bie 9tent)eit, bie Settfamfeit, bie <5d)aner;
liebfeit ober bie Scidjertidjfeit ber (i-rfd)einnngen bie fie oorfnbrt, fomie
burd; bie finntidje Stiigeneljinbeit, bie S^atürtidjfeit nnb 2i>abrbeit, über;
banpt bie ted)ni[d)e 23ottenbnng, ihrer iinf3eren Sarftetinng. ©ei einem
foId)en Streben ift bie[e 9fid)tnng freitid) nid)t in ©efabr, neben bem
üftbetifeben ©ergnügen nod) irgenb ein roeitered ©efnttat, ba§ ber etbifeben
Crbnnng angebörte, jn bcabfid)tigen ; beim ein fotdjed b^^'t’Ob^itbi'ingen,
finb Jtunftraerfe bie feinen meiteren ©orjng old bie eben genannten
haben, nidbt im ©tanbe: nnr eine Seiftnng bie bnrd) roabre Sd^önbeit
ober bnrd) ©rbabenbeit rairft, mithin, in roe(d)er 5;batfad)en ber über;
finnfii^en, indbefonbere ber etbifdjen Orbnung b^voortreten, fann bajn
geeignet fepn. 5lber eben fo fern mie bie bejeidjnete Sfbfidjt , ift bem
fRealidmud and bemfefben ©rnnbe and) bie f\-nbigfeit gerüeft, ©3erf’e
beroorjnbringen bie fid) oon ben Seiftiin.gen „ber fteinen Jlünftter unter;
fd)eiben". (5in ©eifpiel mirb bajn bienen, bad mad mir fagen motten,
ftarer jn madjen nnb ed jn beftötigen.
313. ©in oiet beronnberted ©enüilbe anf Seinmanb , non ©arl ^]?i;
fotn, bnd fid) gegenmürtig in ber Stantdgatlerie 311 .^annooer befinbet,
bat bie ©rmorbung ^ulind ©öfard 311m ©egenftanbe. ©nlöf^lid) einer
©udfteCfnng biefed ©itbed in Speper, im 1870, biit 2©itbelm
©totitor baffelbe in ben folgenben SBorten d)nrnctcrifirt.
„ebne SK>iberrebe fann ein beffercr 3fepräfentant ber neneften 9ficb=
tung in ber .s^iftorienmaterei, atd ©arf ifSifoti), fanm gefunben merben.
SBad bifiovifd)en Sinn*), ©rfinbnngdgabe , getnngene ©ompofition nnb
effectootte ©ed)nif angebt, füpt biefed ftannendmertt) gematte ©itb loobt
nid)td 31t münfi^en übrig. Sie Sidpofition bed ®an5en uerrätf) ben
pfaftifdjcn ©feifter, bie ©nippen finb mit feinem fün[tlerifd)cm ©efübl
angeorbnet, bie ^ciäti^nnö ift correct, bie ^arbengebnng mabr nnb ba^‘=
monifcb, nnb enbtid) bad biftorifdjc ©oftüm mit ber größten Sad)fenntnip,
nnb bennoeb frei nnb maferifd) bebanbett.
„^utiud ©öfar, ber atigemattige ©ictator, fit^t, mit golbenem Lorbeer
befrön3t, in ber i|]nrpnrtoga inmitten ber Senatdenrie 31t J-üfien ber
ipompejndftatne, metdje man nod) b^ide 311 itlom im if^nlaft Spaba er;
batten roiffen mitt. 3n hinten t)ütt er bad ©cepter, mit ber 9fed)ten
fndit er ficb befrembet ber nngeftümen 3>'bringtid)feit ber ©erfd)morenen
3U erroebren, metebe, atd ©ittftetler .uor it)m niebergefnnfen, it)n nni;
brangen. ©d)on b^t Sinttind ©imber, ber 3nnöd)ft ifnieenbe, it)in bie
*) SSietmebr „ard)äo(ogiid)cn" Sinn; ugl. unten ©. 453 f.
29*
452 ^3)6 !^ebouif^en fünfte auSfd^Iie^üdf; für ben @enu§ arbeiten müfien.
Joga Don ben @d)uftern gejerrt, unb ber oornel^m ftrafenbe ißUtf (5äfav§
trifft ben allju Äül^nen. hinter bem ÜKarmorfeffet be§ J)ictator§ aber
fte^t fd)on ber ÜIJUtDerfd^roorene (Ja§ca mit fiodjgeft^ronngenem Staate,
ber bie 33ruft be§ erlauchten ©d)lact)topfer§ fud)t. 3^1^ Unfen ©eite
fte^t bie marfige auSbrudSoode ©eftatt be§ 33rntu§, beffen §anb, raie
bie übrigen ^Kitroiffenben , ben ®otd) unter ben f^alten ber Joga t)er=
birgt, ©egenüber fi^en im ^''ütt’^unfet ber .Spalte ahnungglofe ©enatoren,
bereu einer eben erft in fähem ©dhred auf bie Unthat aufmerffam rcirb.
dagegen faßt mit prächtiger dieffeproirfung ber ^)eü^ ©onnenftrahi auf
bie in bem ipintergrunbe be§ iporticng tauernben 25erfd)roorenen, roel^e
mit gefpannten Jdienen ben 3Sertauf ber tragifdhen ©eene nerfotgen.
diidht minber getnngen nnb non trefflicher ©rfinbung ift bie ©ruppe ber
©ingeroeihten jur Dftedjten ©äfar§, raie bie übrigen ber
i^auptfiguren , lauter dharacteriftifche tRomerföpfe. 2trchitectur unb ^er=
fpectioe finb hödbft rairffam angeorbnet nnb mit uoßenbeter ,^unft burd)=
geführt; unb um audh biefeä iDieifterftüd ber Jedhnif nicht jn uerfchraeigen
ber bie reidh beroegte i^anptgruppe fpiegelnbe 'DJhifioboben ift non einer
fo tänfdjenben 23ehanblung ber ffiarbe unb be§ ifSinfetS, bafe man bie
ein;;elnen ©tücfe be§ antifen i)Jiarmor§ greifen ju fönnen glaubt.
„©0 runbet fid) bas ©anje ju einem h^^'^iouifd) nodenbeten 23dbe
ab, nor roetdhem mir in ©taunen gefeffett ftehen. Siber mir mären be=
gierig, ju erfahren, ob auch fdhon 3?efd)auer nor biefer Seinmanb ge=
ftanben, bie innertidf ergriffen ober mädjtig hingeriffen geroefen. 2Bir
bejineifetn biefeS. Unb bod) bleibt ba§ eigenttidie 3iel febeS ^unftraerfeS
gerabe jene mehr ober minber ftarfe 33etnegnng ber ©eete ju bem Jbnnft=
gebilbe hin, jene fpmpathif^e ©inroirfnng auf ben ©eift be§ 33ef^auer§,
roorin baS ©eheimnip beS eigentlichen ÄunftgenuffeS beruht . . *).
Offenbar fehlt eS bem hie^' befdjriebenen Silbe nicht an äfthetifthem
SBerthe. S^arum finbet ber Sefdhauer burdh baffelbe bennodj ni^t ben
eigentlichen äfthetifdien ©enup, ben mir non ben Seiftnngen ber hebonif^en
.ftünfte, non ben bebentenberen namentlidj, erroartenV Sßeil unter ben
idiomenten auf bie fidh ber äfthetifche 21>erth biefes SilbeS grünbet, gerabe
ba§ norjüglid)fte , bas nnentbehrlidjfte, fiirj basjenige fehlt, ohne raeldfieS
ber äfthetifd)e Sßerth einer ©rfdbeinnng aus bem menfdhlichen Seben nie=
mal§ irgenbroie bebeutenb fepn fann.
314. Heber bas l'eben ber ddenfdhen, über bie ©efdjide ber dJienfdh^
heit, mad)t unb maltet bie Sorfehung ©udteS; in ben ©reigniffen au§
benen fie fidh ^ufammenfe^en, offenbart fidh S^eiSh^it, feine ©eredh=
*) „®ie athdnpfatj", 2. ®ec. 1870, 281. Ser ’ltrtifet ift „W. M.“ unter=
jeidjuet; bap inirftich 'üJtoUtor ber SSerfafier ift, rourbe mir non bem ehematigen
ütebacteiir be§ genannten Sage§blatte§, Sr. 3''umern, ausbrüdlidi bejengt.
Sev „SReati§mii§".
453
tigfeit, jeine @üte. Slnberfeits gehört bas inenfdjUc^e £eben ii)e)cnt(id)
unb an erfter Stelle ber etljifdjen Ovbmnig an. ®iefe jiuei 3lüd';
fid)ten [tnb es nield)e ba§ äftrjetifdj SBerf^colIfte bejeid)nen, ba§ in (5t=
jdieinnngen auS bcin menfd)lid)en Veben Ijevoortveten tann; bie Offen;
barnng ber genannten (5'igenfd)aften ©otted, nnb bebentenbe etbifd)e 5)ov=
jüge ber banbelnben ifierfonen. ©retgniffe in benen fid) lueber ba§ ©ine
not^ baS 2(nbere finbet, traben bef^tjalb immer nur geringen äftl)etifdjen
2Sert§, nnb fönnen für l^ernorragenbe faUeoted)nifd}e Seiftnngen niemals
geeignet fenn; roo f)ingegen ber jlünftler mit rid)tigem Oacte einen
non ber bejeidjiicten notl)inenbigen 33efd)affenl)eit geiuäl)lt l)at, aber — fei)
es anS Unoermögen fei) eä mit 31bfid)t — baS in bemfelben liegenbe
iifti^etifd) 2i>ertl)uo[lfte nid)t jinn 3tu§briicfe bringt, ba fann bie 2leftl)etif
fein ÜBerf, bei aller ted)nifd)en Sßollenbung, nur als mif)lnngen betrad)ten.
i)i)tad)en mir non biefem ©irnnbfalje bie 31nmenbnng auf baS @e;
nüilbe ^Uloti)’S. ©üfar ftel)t, bei allen fyel)lern feines ©l)nracters,
in ber Sl^eltgefdndite ba als eine, für baS ö^cibentl)iim mäl)renb ber
i^eriobe tiefen äkvfalleS, etl)ifd) nnb focial mal)rl)aft grof3e ©•rfd)einnng;
„ben ©röfsten aller Dtömer" nennt il)ii einer iinferer beften )piftorifer,
„ben gröfjten Staatsmann ber alten 2}3elt", „ben genialiten ))3ionard)en" *).
Oie römifdie Dtepnblif batte fid) felbft überlebt : fie bcbnrfte gerabe eines
fold)en 33ianneS mie ibn bie ißorfebiing in ©iifar il)r gefd)enft; nnb bap
fein lob für Ütom nnb bie non il)m bebcrrfd)te iffielt ein grogeS Unglücf
mar, baS bcmiefen bie 23irren, bie 33ürgerfriege, bie ‘!]3rofcriptionen meld)e
fi(^ an bie 3?luttbat nom 15. 3JUirj nnmittelbar anfd)loffen. 3^ne Sed)jig
aber bie fid) gegen ben 3Bobltl)äter feiner f^eitgenoffen unb ipren eigenen
nerfd)inoren batten , mnrcn „burd)gel)enbS iinbebeutcnbe Seide, bie nur fo
lange eine 31olle ju fpielen uermod)ten, als fie fid) bem überlegenen ©elfte
©äfarS als ST-erf^euge l)ingaben, unb bann uod)malS, niS fie in unfäg:
lii^er iöerblenbung benfelben ermorbeten. gefpalteu , über il)re
uadiften 31b= unb SluSfidden nöüig unflar, maren fie nur bnrin einig,
nad) 2?efriebigung ber ütacbegelüfte and) ben eigenen ißovtl)eil nid)t ju
nergeffeu."
33ou beu jmi'i ÜlHunern meld)e an ber Spille ber 2.'erfd)mörnng
ftanben, „mar ber ©ine, 3JU 33rutuS, ohne politifd)e unb fittlid)e
^ntereffen, ber p!^ilofopl)ifd)en Sd)mäperei jener nöUig anl)eimgefalleu.
3tadi i^erftofjung feiner erften ©emal)lin ©laubia mit ©ato non Utica
nerfcbmngert, l)atte er fid) mel)r unb mel)r in jene unfrud)tbnre tl)eoretifd)c
©oiiftruction politifd)er if31)antafien eingelebt, benen bie tugenbt)nftc arifto=
cratifd)e fftepublif als lebteS novfd)mebte. Oie patl)etifd)eii ®runb=
fübe batten il)n jmav nid)t au fd)uöbeftem 2Sud)er mit beu i|3roüincialen
33. 3’öeif), Sebrbiicb ber 33eltgeltf;id;te, 23b. 1. ('Bien ISSO'i ig. ßis. 633.
454 l^ebonifd^en fünfte auSfd^üe^ltd^ für ben ©ertup arbeiten müffen.
ge^inbert ; aber af§ er je^t einen ,‘^t)rannen‘ ftürgen rnüHte, ba glaubte er
mit guten 2öünf(i^en unb falbungSnotten iReben Huge§ unb ent[d^to[fene§
§anbetn erfe^en 511 fönnen. 33ebeutenber at§ ißrutuS roar ber
6. (SaffiuS. iRac^ bem SBürgerfriege non (Safar begnabigt unb burc^
beffen nerfö^nlii^eg ©ntgegenfommen ^erange^ogen, ^atte er fic^ non i^m
jum Segaten, ^rätor unb Statthalter machen laffen, ohne jebodh
bur(^ 51t einer tnirflidhen 3lu§[öhnung beftimmt ju tnerben. finfterer
55erfd)lo[fenheit h^Ste cf gegen ben ,S^rannen‘, ber noch burch
perfönlibhe ?iJ{omeute — er fonnte fich non 6afar jurüdge[e^t glauben —
gejc^ärft mürbe. IRachfucht unb ©hrgeij leiteten feine Schritte; nur ber
ilRangel an ©enoffen hflW^ unheimlichen [inftern ©efellen big fe^t
non entfcheibenben Schritten abgehalten. .Kaum ift je ein roeltgefi^icht'
lidheS Unternehmen mit gleicher Kurjfichtigfeit unb gleichem Unnerftanbe
in§ 2ßerf gefegt roorben, roie bie ©rmorbnng Uöfarg" *).
®ie htet'init angebeuteten h^f^orifchen 3ihatfachen ju berüdfichtigen;
bie inteHectuelle unb etlfifche ®rö§e 6äfar§ unb bie hohe SSebeutung feiner
focialen Stellung, innerhalb ber ©ränjen ber ben he^onifchen Künften
jnftehenben f^reiheit**), noch ibealer ^u geftalten; biefen IRüdfiihten gegem
über anberfeitg bie 33ebeutnnglofigfeit , ben f'nabenhaflen Seiclftfinn unb
f^onotigmiiS feiner ilRörber unb bie höfjlichen iU^otine ihrer Sihat in an=
gemeffener Sß?eife nod) ju nerfchärfen; bem einen roie bem anberen biefer
jroei ^3f)^omente enblich burch ©arfteClung auf feinem Silbe flaren
anfdfaulichen Slusbrud ju geben: ba§ roar bie Slufgabe be§ ilRalerä,
roenn er ben in IRebe ftehenben Sorrourf behanbeln roollte. Statt beffen
führt iptlotr), mit einem 5lufroanbe non IRatürlichfeit unb philofophifcher
25>ahrheit in ber S)arfteUung , nnb non beinunberunggroürbiger Sechnib,
bem Sefdfauer einfach ^^oen in IRom nier ober fünf nor ber
Slnfnnft beg i^errn norgefallenen politifchen ilReuchetmorb nor, ohne ben
ethifchen SBerth ber babei betheiligten ißerfonen, ohne bie moralifche unb
bie roeltgefdjichtlihe Sebeutung ber granfigen ih^it fel^>fif ou<h
bag minbefte nerrathen. 3'^ biefem unnerftänbigen 9lealig=
mug feineg Serfahreng liegt ber ©runb, inefihof^* üRolitor fehr
mit IRecht bejroeifelt, „ob auch fchon jemanb nor bem Silbe geftanben,
ber innerlid) ergriffen ober mächtig hi'^Sei^tffen geroefen" ; roef3halb ber=
felbe, abermalg fehr mit IRecht, bag 2i>er! nur „bem hiftorifhen ©eure
gujuroeifen" fich in ber Sage fieht, bag nahe an bag „Kunftftücf" ftreift.
Sag ©emüth beg SRenfchen ift ju nobel angelegt, alg bap eg bloß in
prächtigen Seibe nach fchönen ©eftalten unb funftreicher
*) 'Jlah .permann ©efhtht^ ber Otömifhen Kaiferjeit, ©b. 1. (@otha
1883) ©. 7—9.
**) ©gt. oben 9t. 301. ©. 433.
Der
455
2id)tu)ivhing eigeutlicfjcn , magren @eniiB 5U fiuben üevmöc^te; ba§ ®e=
müt^ bed 'DDtenfrfjeu ift, ®anf ber 2iek beffeu ber ifju gemad^t, ju tief
moraüfd), bie eiingeii @efel5e bed freien Dtjunä finb mit feinem ganjen
fyü^ten nnb Sctjn jn innig nerroad)fen , al§ bnjf es in ber ted)nifd) nodf
fo üottenbeten ©arftedung eine§ fd)recflidjcn ©reigniffed, roetd)e fid) babei
in dKicffid)t auf bie ettjifcfic unb fociate ikbentnng beffetben ganj ner=
ftänbni^IoS unb inbifferent jeigt, etroad metjr fetten fönnte, nl§ eine
ißergeubung reidjer ted)nifd)er i)kittet, nnb bie raertbfofe 3lnftrengung
eined $;atent§, ba§ nnc^ bcn Slbfidjten @otte§ uiei @röf3ere§ ju teiften
berufen mar.
f^reitidj. finb bie entgegcngcfe(3ten 3tnfcbaniingen, roie in ber Hebung
ber jbünfte, fo anc^ in ber iift^etifdjen Äritif gegenronrtig meit unb breit
bie ^errfdjenben. „2Betd)e§ bie Jenbenj eined Jtnnftroerfed fei) , ob ed
oerfitttidjenb, crfrifd)enb, erf)ebenb mirfe, ober ob ed bem Safter ‘i>orfd)ub
teifte, ob ed irgenb metdjer 3^ee biene, ob ed eine tocate, eine gefd)id)t=
tid)e ober fonft eine 23ebentnng Ijabe, ober nic^t, bad Ütlled rairb feiner
33ead)tung roerttj gefunbeu. kur bad materiene, fenfuatiftifdie kcoment
fädt in bie 25>agfd^nlc: mit gcmidftigcr Jbennermienc erörtert man bie
(Jorrecttjeit ber ifMnfelfnIjrnng nnb knatomie, fpridjt oou
2ocatfarben, Safnren, 2:önen, hinten, ^i^pafto unb bergteidfeu mef)r;
ob 23tut, Seben, eeete, @cift, @enie oorfianben ift, fommt gar nidft
ober bod) nur ganj uebeufier in 23etradjt" *). Ülber fo meit aud) 2lu=
fd)auungeu biefer 5(rt bie i'oerrfdjaft füfjren, ed bteibt bod) unumftöfdid)
ma!§r, bajf, um mit ütbalbert Stifter ^^u rebeu, „bie 9fid)tigfeit ber
9kad)e, bie 2eid)tigfeit unb jyi'ci^eit ber 23ef)nnblung , bie tnnfd)enbe
2]öaf)rkit ber ©arftcdnng, unb nbntidie fvevtigfeiten bie fef)r kiele lernen,
in Jlnnftmerfen nid)td meiter finb ald bad .s^anbmerfdjeug" **).
@anj knaloged liefje fidj uon jaöllofen (vrjeugniffen ber 'fßoefie
fagen, bie fid) burd) -treue, 5lnfd)antid)feit , 'katiirlidjfeit nnb 25?aljrl^eit
ber ©arftedung, bnrd) einen 9leid)tbum glänjeuber Sdjilberungen unb
treffenber Silber, burd) fliepenbe reii^e Spradje uub beu tabeltofeften
kerdbnu audjeidfneii, aber in feinem iljrer (Jljaractere irgenbmie Ijeroor;
ragenbe etljifdje @röpc, in feinem (Jreigniffe bie Leitung einer ^öljeren
Dkadjt unb 2öeidf)eit, ober bad (fingreifen einer uergeltenben emigen @e=
redjtigfeit l^eroortreten Inffen.
315. 2öir finb nid)t ber Dkeinnng, ald ob ber „kealidmnd", beffen
ÜBefen mir hiermit angebeutet l)aben , eiujig eine jvolge jener ciftl)etifd)eu
J^eorie märe, mcld)e bie in nuferer Ueberfdjrift entf)altene fyrage mit
*) 31. Steicfienspergcv, Jingeqeige auf bem ©ebicte ber fird)lict)cn Äuuft (SeipjiS
1855) ©. 15.
**) 33gt. .^ift.=pot. 2?tätter, 33b. 66. ®. 278.
456
®er „^Realismus". „Jenbenjftiirfe".
„?iein" kantraortet. SDiefe SSerirrung tiefere, roeiter ficf) rerjraeU
genbe 3BurjeIn; imb roir roerben im geinten 2tbfct)nitt fe!§en, roieöiel
namentlich) gerabe Seffing, ben mir ben 9fleaii§mu§ in ber ©ramatif unb
ipoefie nerroerfen prten, für bie Segrünbung beffelben in ben jroei bit=
benben jbünften geleiftet ^at. 2Ba§ roir |ier bart^nn rootiten, bag ift
lebigUc^ biefeg; roie fe^r eg äfü^etifö) nict)t attein guiäf^ig, fonbern faft
fdfled^t^in nottiroenbig fei), ba^ ber j?nnftter bei ^ebonifdien Seiftungen
au^er bem äft^etifc^en @enuff nod) anberartige SBirfungen non Sföert!^
beabfiditige. ®enn bag 2tn^eract)tlaffen fotc^er roeiterer SBirfungen füfirt
nnaugroeic^tid) 511 einer ipra)cig in bereu iprobucten, fo fetir fie tec^nifc^
üoUenbet erfctieinen, bag roefentlidjfte iXRoment beg oftfietifcben SBert^eg
nermifft roirb; roetd)e fid) barum in f aUeotedjnifdier ober äfttietifc^er
35ejie!^ung über bie ftadjfte ÜJ^ittetmü^igfeit niematg erijeben fann.
ßtroag SInbereg roürbe eg freilid) fei)n, roenn ber Äünftter nic^t
neben ber ^ebonifcfjen äöirfnng, fonbern oor biefer, nic^t an groeiter
fonbern an erfter ©teile, nidjt alg mittelbaren nnb entfernteren, fonbern
alg ben eige nt litten nnb unmittelbaren feiner Seiftung, bie
intellectueCle ober bie et^ifd)e gorberung 3lnberer ing Singe faffen rooüte.
S)aburd) roürbe er aufpren, im Sienfte einer pbonif(^en Äunft gu
arbeiten; nnb feine SBerfe mürben entroeber einfacl) mif3lingen, ober fie
müpen einer anberen Jb'unft, g. SS. ber ®ef(^ic^tfcl)reibung, ober ber
lepenben ®erebtfamfeit, gugeroiefen roerben. ©olange bagegen bie eigentlp
nnb an erfter ©tede beabfidjtigte SBirfnng beg Sß?erfeg ber äftptifd)e
®enip bleibt, ftep eg bem jlünftler oollfommen frei, aupr biefem nod)
ein roeitereg, bag IKoP ber SOtenfcbpit förbernbeg dtefultat anguftreben:
unb roeit entfernt, ben äftptifd)en SOoertl) feiner Seiftung irgenbroie gu
beeinträd^tigen , roirb ein folcf)eg Sßerfaljren oielmeljr roefentlid) bagu bei=
tragen, benfelben um SSieleg gu erppu. „©eun mag foll bag Dieale
an fiel)? Sßir pben fvreube baran, roenn eg mit iBSap'pit bargeftellt
ift, ja eg fann uug auch oon geroiffen ©ingen eine beutlid)ere (Jrfenntni^
geben; aber ber eigen tli(^e ©eroinn für nufere fjöfjere iJiatur
liegt boc^ allein im ^bealen, bag aug bem i^ergen beg ©i^terg
Ijeroorging" *).
SJtan begegnet oft ber jtlage über „ieubengpoefie", „3;enbengftüde".
©eltfamer SSeife pflegt biefe Älage aber oorguggroeife bann gu ertönen,
roenn bie „5;enbeng" auf bag Sföoljl ber 2ltenf(^l)eit gielt, inbem bag
Äunftroerf etroa ftarf oerbreiteten 5’älfd)^''iÖ^'^ pftorifd)er Sptfai^en ober
etpfd)er 2lufd)auungen entgegenroirft. 2So bagegen unter bem ©d^ilbe
irgenb roelc^er fdjouen Äunft für bie Süge, für bag Safter, für ben IRuin
*) @oett}e, bei (äefermann, @e)prd(^e mit (SJoetp in ben lebten 3npen feine§
Seben§ (Seipjig 1837, 2. Ütufl.) 33b. 1. 0. 302.
Sevimmgen ber I)ebonifd;en fünfte.
457
ber ?3Jenfd)ljeit gearbeitet inirb , ba finbet man jegticfje „Jenben?;" mit
ben ^orberungeu ber Steftt^etif noUfommeu nereiubar.
§. 2.
^6 jcbcv ^crftofj gegen bie ^efetje ber egriftfidien in ben 55eiUen ber
ipeboniftfien Jinnfte, nuif; nfs ein ^erfto^ gegen bie ^efe^e ber cftcriijetirt
gelten nuttre*
3ur (ärftnrung. llmimftögtidje ©ritnbiülje ber (ft^it unb ber ^^nibagogif, und)
iptato unb Ouintilian. Sßic bie 2te)'tl}etif ber i)leu3eit biefeu ©nmbfäljeu
gegenüber nerfnt)rt. ,3bre nerneinenbe 3(ntmort auf nnfere ^-rnge. l'on
ber SBilicnl’djaft fnnn bie l'el^tere mir im beiatjenben ®inne benntmortet
merben; Semeis.
316. 3Ba§ mir mit biefer gmeiten ^rage roollen; roo bie l'eiftungen
ber Ijebonifdjen (aber lüdd „fc^öuen") bTünfte fegen bie mir babei im
2(uge Ijaben : bad braudjen mir motpt fanm auSbrüdtidp ju fagen. Sßer
inbe[3 barüber im llnftaren märe, ber merfe nur einen 23ticf in nnfere
tl^eater, mo, — nm mit C^’idtenborff jn reben, — in ‘iranerfpiclen
nnb i)Jietobramen (^dpebrnd), il^tntfdjanbe , dtotbjndjt, 'Siorb unb 2;obt=
fc^tng, OperngebriUt nnb ifJanfenfnatl unb eingcfdjobene 23atlet§ gar an=
mutfjig mit einanber abmedpfetn; ber erbaue fid) an ben l'eiftungen jener ^
l'nrif, metd)e an bie ©teile ber ‘ipoefie eine in ^'('^af3 unb b^offart be=
trnnfene dib'^Iorif gefelgt Ipat, in ber fie fanatifd) bie fyreiljeit be§ 23Iocfä=
bergd proclanürt; ber überjeuge fid), burd) bie 23etege meld)e Sßittjelm
ytanfe in feinen „iBerirrnngen ber d)riftlid)en Ä'nnft^' liefert, non bem
fd)anberl)aften ©inflnfi, ben bie naeften bleiben ber berliner ©dftoprncle
auf bie fittlid)e dorrnption ber preujjifdfen .S^anptftabt geübt ; ber ftnbire
ben ©ücinlidmnS, bie friimle ®a(onmei§I)eit, ben äftf)etifirten , in enblid)
errungener g-reiljeit mie ba§ XI)icr mit ben l'üften fpielenben 5)interia=
Ii§mu§, bie 2Ipotf)eofe be§ Safterg, in ber imd) immer fteigenben f^dntl)
non ytomanen, bie fidj jnm ©t)cil unter einanber auf bag mütljenbfte an=
feinben, nertenmben nnb befliegen, aber fofort mie ©in iSfann jnfammen=
ftepn, mo eg etma gilt gegen bag pofitiue ©I)riftentl)nm ober bie ,Uird)e
gront jn mnd)en*). ®ie ^orbernngen ber dfriftlidfen ©tl)it merben non
ben Seiftungen ber nerfd)icbenen ilnnfte nertängnet, fo oft fie ^df^'Bdionen
bie in ber menfd)Iid)en ©iefetlfd)aft jn Dbedjt befielen, non ber *ä'ird)e an?
erfannte ©orporationen , ober cble gefd)id)tlicbe ©practere , entftellen nnb
ber iBerad)tnng überantmorten , ober nmgefef)rt bag morntifd)e ©iefipt
fnifdjen, inbem fie I)iftorifd)e düeberträdjtigfeiten mit bem ©d)eine fittlidjer
*) SSgt. (äid[)enborn , @cid)id)te ber poetii'cben f'iteratnv ®cntid)lanbS, ii>d)lnü-
458
6't^ifd; 3Serroerftid}e§ in geiftungen ber ^ebonifc^en fünfte
@rö^e umgeben, ^u offenem ©egenfa^e p ben fvorberungen ber c^rift;
Ii(^en arbeitet jene tRict)tung, raetd^e für bie Stntife fdiroärmt, aber
ft(^, um TOteber mit ©ict^enborff ju reben, nom claffifdieu 2t(tertt)um nur
bie fittücE)e f^äutni^ gemerft f)at, nou feiner ptaftifctien ©arfteltuug nur
ba§ iRactte, nou feiner burcbfidtitig i^eiteren 2ebeu§aufid)t nur bie Sieber=
üc^feit, unb non ben ©picur. Sßte ein §o^n auf alte
f^orberungen ber d)riftlid)en ©tf)if ftetit fid) jene jum ©ntfel^en frn^tbare
Siteratur bar, in bereu ^Kac^roerben ©goigmug, ©firgei^ unb ^ntrigue
geleiert, ba§ ®uett unb ber ©etbftmorb gutgefiei^en, unnerfö^nüdie f^einbs
f(^aft, Sfiadie, Ungetiorfam unb Sluflel^nuug gegen @ott unb non @ott
gefegte Obere al§ ben ‘üJtenfdien nerebetnbe , beraunberungätnürbige, über
5:abet unb ©träfe erl^abene i^anbtunggroeifen aufgefütirt inerben; jene
bie üJtenfc^Ijeit non ©runb au§ nerberbenbe tßüdiermai^erei , bie in 2Ser§
unb ijßrofa bie „©lüdfetigf'eit", baä !^eifd bie jvülle atle§ finntidien @e=
nuffeg unb bie ißefriebigung jeber tßegierbe, atg ba§ pdjfte
?IJbenfd)en prebigt, Stergernijj unb 23erfütjrung mit ben gtänjenbften f^arben
matt, freite 0d)amtofigfeit aB Unbefangenheit unb ttlainität barfteltt,
ben ©tjebrnch redjtfertigt, ben itinbegmorb entfi^ulbigt , ber
unb bem Unglauben feine ©ophiSmen liefert, ben nottenbetften
rentigmug al§ 2;ugenb anpreift, bie tRetigion entbehrtid), it^re f^orberungen
übertrieben, if)re ©ebote nnmogtidj, ihre Uebnngen unb ^eiBmittet ner=
äthttich erfi^einen (ü^t. 3'^ roetdjem ©inne bie Sßiffenfdjaft ber fdhönen
.fünfte über ifJrobucte biefer 2trt ju nrtheilen höbe, ba§ fotl fid; au§ ber
tBeantroortung unferer 3^age ergeben.
317. 3n bem jineiten feiner Oiatoge „Heber bie ©efe^gebung" la^t
ijLUato ben tßürger non Stthen gu feinen greunben atfo reben: „Sßenn
jemanb an ber Unfitttidhfeit in :Öitbern ober Siebern 25ergnügen finbet,
bringt itjm ba§ ©chaben? unb ift e§ umgefehrt northeilhaft, raenn 2lU'
bere im ©ntgegengefet^en ©enu§ fuchen?" ,,©o fcheint eg roenigfteng,"
antroortet ©liniag non ©reta etraag unentfchieben. ,,©d)eint eg bloß?"
führt ber Stthener fort; „ift eg nii^t nietmehr geiniß unb unnermeibtid;,
baß bie öotgen biefetben fepen, roie roenn einer non ben fditechten 23eü
fpieten fitttid; nerfommener ?tRenfchen umgeben ift, unb baran ©efatten
finbet ftatt fie ju nerabfi^euen , — h^r unb ba niettei^t ein 2Sort beg
5;abeB fatten tüßt, aber nur roie im ©cherj? ©in ©otd;er roirb noth=
roenbig gerabe fo einer roerben, roie bie an benen er ©efatten finbet^
and; roenn er fich fchümt fie offen ju toben, .^ann uiB aber etroag
©d)timmereg atg bag, aug ber ißerbinbung mit ü)ienfdhen erroai^fen?"
©tiniag ftimmt bei, unb ber Stthener fragt ineiter: „SBo atfo in einem
©taate gute ©efet^e herrfchen, roirb ba bie Kunft in ©cherj unb ©rnft
notte Freiheit haben? roirb ba ber Äünftter bie Jlinber feiner roeifen
‘DDtitbürger , unb bie gefammte 3«9rnb, tehren bürfen mag immer ihm
imi^ notfjiucnbig aiidj bie Steftfjetif Derroevfen.
459
35erc3uiigen mai^t, g(etd}t)tel ob er fte baburd) für bie S'ugenb fjeranbUbet
ober fie für bie Sieberüdjfeit erjie^t?" „Sa§ roüre loiber ade ®er-
mmft" *), antroorten einftimmig bie beiben f^-reunbe oou Sreta unb fiace;
bämon, „Unb bod)", fagt ber ültfjener ernft, „iinb bodj ift bci§ überall
oodfommen erlaubt, 2legi)pten adein auggenommen" **).
Unferer fommeii 2(nfd)aitungen biefer 2lrt befrenibenb uor.
„9Sir tat^en, menn mir tjören, baf3 bei ben 2l(teu and) bie fünfte bür=
gerdc^en ©efeden untermorfen gemefen. 21 ber mir ^aben nid)t
immer 9led)t, menn mir tadjen. Unftreitig müffen fid) bie @efe(^e
über bie Sßiffenfdjaften feine @emalt anmaBen, benn ber ©nbjmecf ber
3[!i'iffenfd)aften ift ülfaf)rfjeit. äl'afjrfieit ift ber ©eete notf)menbig, unb
eg mirb iprannei, itjr in 23efriebigung biefeg mefentUd}en 23ebürfniffeg
ben geringften nnjutfmn. ®er (Snbjmecf ber Jlünfte ift 25ergnügen,
unb bag 25ergnügen ift entbefjrlid). 2Ufo barf eg aderbingg uon bem
©efedgeber abbangen, metdje 2(rt oon 25ergnügen, unb in metd)em 'iUiaaBe
er jebe 2trt beffetben oerftatten mid" ***). . ilUan beadite, baf3 biefe 25^orte
einem 2)innne angeboren, ben bie moberne SSiffenfd)aft, uor 2tdem mo
eg fid) um bie )tünfte bnnbelt, nidjt bod) genug erbeben fann.
2tnbeutung beg ©runbeg freiUd), marum bie ©efebgebung beredjtigt fei),
für bie bebonifdfen Jl'ünfte 2>orfi^riften feftjiifteden , b^t Seffing offenbar
geirrt. Ober füt)tt ficb etma bie Sanitütgpolijei btof) berufen, auf jene
Ofabninggmittel ein madifameg 2fuge ju boben bie „entbebriid)" fiub unb
faft nur bem Surug bienen, inbefi fie bie notbmenbigen , Srob, fvleifd),
ddifcb, ber ©emiffeidofigfeit unb ber ®eminnfud)t ber23etrüger anbeimgibt?
dlicbt bef)batb bebarf fomobt bie 2i?iffenfi^aft atg bie Jbunft ber lieber;
mad)ung burcb bie uon ©ott gefetzten ©emalten, meit bag mag fie ber
iSdenfdfbeit oermitteln, entbebrtid) ober notbmenbig ift; fonbern barum,
meit bie eine mie bie anbere jur Sd)äbigung ber ©efedfcbaft mif)braud)t
merben fann, bereu äSiobt 511 förbern fie ©ott ber t^err beftimmt bat.
2tber menben mir ung mieber ber 2,'ioeigbeit iptato’g ju. 9Jiit auf;
fadenber 2lugfübrtid)feit bebanbclt er ben ©egeuftaub uon bem mir reben,
junäcbft üom Stanbpunfte ber ipabagogif unb in 9lücffid)t auf bie ©r;
geugniffe ber '^-^oefie, in einem anbercn 3K>erfe, „SBon ber ©taatgverfaffung,
ober über bie ©erecbtigfeit". „^ft nid)t'', fagt ©ocrateg bort ju feinen
fünf fyreunben, „ift nii^t in aden Oingen ber 2tnfang uon ber gröfgten
23ebeutung, uor 2tdem aber, menn eg fid) um funge teilte unb um ©r;
giebung bnnbett? Oenn in ber ift t)ie ©eete für feben ©'inbrucf
duBerft empfdngtid), unb nimmt bag bitbfame ©©mütt) fegtid)e ©©ftalt an,
*) O'JTOt 5r; toOto yE r/Et.
** ) Plat. de leg. 1, 2. Steph. 656 a-d. Bip. 8. p. 65.
***) Seffing, Saocoon, II. (Berlin 1805) 5. 11 f.
460 SSerroerflid^eS in ßeiftungen ber l^ebonifc^en fünfte
bie man t§m geben mUI. SSerben mir mit'^in ol^ne SBeitereä geftatten,
ba§ unfere jungen Seute mit jebem beliebigen (ärjeugnijj ber ©ic^tfunjt,
mag and) ber beffetben unb roer immer ber 23erjaffer fei}, befannt
roerben, unb baburd) 2Infc|auungen unb ©runbfä^e in fid) aufne^men,
bie in ben meiften f^^äden mit jenen ^been in gerabem Sßiberfpruc^ ftetien,
mellte bereinft, roenn fie erreadjfen finb, i^re ©efinnung unb i^r .'panbeln
betierrfc^en müffen?" „^n feiner ®eife," antroorten bie f^^reunbe, „nie
unb nimmer bürfen mir ba§ jugeben." „2Bir müffen mitf)in", folgert
eocrateg, „über bie ®id)ter genaue Sfuffid^t führen : unb roenn fie etroag
@nte§ liefern, biefeg augroä^Ien, Sllleg bagegen, mag nid)t gut ift, uer=
roerfen. 2Bag mir in biefer Sßeife auggeroäfift ^aben, bag muffen mir
bann ben ©rjiefierinnen nnb ben iBfüttern empfehlen, bamit fie eg für
bie oerroert^en, unb biefefben anroeifen, auf bie Silbung beg
.^erjeng if)rer jlinber nod) roeit gröf}ere ©orgfatt ju uerroenben, afg auf
jene ®inge, roefdie bie Sebürfniffe ifireg leibüdien Sebeng betreffen. Unter
jenen Söerfen ber ©ic^tfunft aber, mit benen man gegenroärtig bie ^ugenb
befannt ju madien pflegt, finb fefir oiele, bie mir rcegfc^affen müffen" *).
Oiad} einiger 3eit roieberfjolt ©ocrateg mit 3fad)brud benfetben ©ebanfen.
„äöag ber ü)ienfc^ in feiner ^^geub in feine ©eefe aufnimmt, bag pffegt
fid) unüugföfd)fid} feinem fterjen einjupragen, unb feine 2fnfc^auungen für
bag ganje Seben ju beftimmen. ®arum liegt 2f£[eg baran, baf} bie SBerfe
ber ^.poefie mit benen er fi(ü in jener 3eit befaßt, in jeber Dfücffid^t affen
5(nforberungen, ber ©ittfi(^feit foroofjf afg ber Ofefigion, notffommen ent=
fpred}en" **).
.i^ierauf roirb nd^er angegeben, roeld}e ©tücfe unb ©tetfen, jundd^ft
aug ben brei grofsen gried)ifd}en SDidjtern b^omer, .'oefiob unb Slefc^pfug,
für junge Seute na^tfieifig fepen, nnb barum if)nen nid)t befannt roerben
bürfen. ®ie ©runbfdt^e aber nadj benen ©ocrateg bei biefer 2fugfd)ei=
bung oerfdf}rt, nnb bie er in feinem Vorträge roieber^oft fieroorfiebt, faffen
fid) auf biefe jmei jurücffü^ren.
©rfteug. 2}erberbfid} für bie barum if)r burc^aug nor=
juenü^aften , finb Söerfe ber ijßoefie, roefd}e faffdje, niebrige, unroürbige
SSorftelfungen non ben ©öttern erzeugen; benn fie nernid)ten bag religiöfe
©efü^^f. „iffio ein ©idjter", mit biefen ÜSorten fdifießt ©ocrateg ben
^roeiten ©ialog, „roo ein ®i^ter unroürbige 5)inge biefer 2frt non ben
©Ottern norbringt, ba roerben mir ung energifd} iniber i^n erfieben, unb
fein ®erf äurüd'roeifen: nnb mir roerben um feinen i^reig geftatten, ba^
bie £ef}rer beim Unterri(^t fic^ eineg fofc^en Sßerfeg bebienen, roenn ung
nnberg baran gelegen ift, baff unfere jfinber bie ©ötter e^ren unb fürchten
*) Fiat, de repiibl. 2. Steph. p. 377. Bip. 6. p. 247.
Flat. ]. c. Steph. 378. Bip. 250.
inu§ notl^roenbig aiid^ bie 2(cft[)etif oeviuerfen.
461
lernen, nnb l'oineit e§ bein ^.Uenfi^en gegeben ift, i^nen a^nlitf) gu merben
tradjten" *).
3roeiten§. ^evberblid) für bie ^ugenb, bnrnm an§ t^ren .^nnben
nm jeben i^reiS gu entfernen, finb nid}t minber jene (ärgengniffe ber ©idjt:
funft, in benen falfd)e fittlidje ©rnnbfn^e entroeber offen an§gefprod)en,
ober ftidfc^raeigenb noronägefel^t, nnb babnrd) nm fo rairffamer nerbreitet
merben. Si'enn ber .'oeib be§ ©tücfes, ober anbere barin anftretenbe
^perfonen, ficb bebentenber fitttidjer 55erfe^rtljciten fdjulbig inad)en, nnb
moratifcb fd)ted)te ©rnnbfn^e gnr ©djan tragen: roenn fie feige nnb
meibifd), ober ©ctnoen ber ©fgluft ober be§ gefdjted)ttid)en ©riebcS, ober
f)abfüd)tig, beftedjtidj, gierig nac^ @efd]enfen, nngerecbt ober granfam nnb
!^art gegen Untergebene, ober jäbgornig, ober ^Betrüger, ober '4?ercid)ter
ber @ötter, ober nngefjorfam gegen pljer ©tet}enbe finb, — ber ®id)ter
aber für ©d)ted)tigfeiten biefer 5(rt fein 35>ort ber i)ilUfibitfignng ^at,
nielmel^r bie 33etreffenben bennod) at§ fittlid) grofge (U)aractere, at§ ber
33erannbernng, ber iBeretjrnng nnb ber 3!,t)eitnafnne gang mürbig erfcbeinen
tüfgt; bann fann bie Vectüre fotdjer SBerfe nid)t anber§ at§ abftumpfenb
nnb oernic^tenb mirfen für bad moratifdje @efüf)t. „Unb mögen biefctben
nodj fo poetifd) erfd)einen, nnb uon ber grofgen i)3tenge nod) fo gern ge=
tefen merben, mir bürfen fie nnfern Jlinbern nm fo meniger in bie
geben, je mefgr fie unter anberen 9tüdfid)ten äfttgetifd) noUenbet finb.
©enn gerabe in je böigerem ''lltaafge bad Septere ber ft’ ftr=
berblidger mirb ilgre SBirfnng fcpn. @in 3'eber ber fie lieft, mirb baraud
lernen, feinen eigenen i'erfebrtbeitcn gegenüber oolle Diodgfidgt gu üben,
ba er fidg ja übergengt b^I^ bafg iöfenfdgen bie ilgnt non ben ilJieiftern
ber i^nnft atd ber IBemnnbernng mertl), nnb ald iöhifter ber ©ngenb
norgefübrt mnrben, non ben gleidgen 53erfebrtbeiten nidjt frei fepn bnrften.
©idgtnngen biefer 9Irt aifo müffen mir megfdgaffen, menn fie unferen
jungen Leuten nidgt bie unfeblbare i^eranlaffnng merben foUen gnm iitt=
lieben dtuin" **).
©ad finb, in gebrängter 3iipi’"’"*-'nftellung, bie tiirnnbföpe, nacl)
benen bie ©ocratifdge üttiffenfdjaft bie 3>dnfgigfeit uon ©rgengniffen ber
'f^oefie unb überbaupt aller fdgönen fünfte, gnnädgft für bie ,3'tSt"b, be=
urtbeilt miffen mill. @ang bie nämlidgen 9lnfdgannngen nertrat übrigend,
^abrlgunberte fpöter, nodg ein anberer öeibe, ber römifdge ÜUgetor Onin-
tilian. „9?or 9(llem", fdgreibt biefer, „mufg idg mit dladgbrnct barnuf
anfmertfam madgen, bap bie ^nötnb, meil ilgr ©emütlg nodg meidg, nnb
mie ein leered ©efäfg ift, 9llled niel tiefer in fidg aufnimmt, mad ipr
geboten mirb : mepbalb beim mit aller ©orgfalt barauf gu felgen ift, bafg
*) Plat. 1. c. Steph. 383. Bip. 259.
Plat. de republ. 3. Steph. 387. 391. Bip. 6. 263. 272.
462 (5tl)ifc^ Serroerfnc^eS in Seiftungen ber fiebonifc[;en fünfte
bie SBerfe mit benen man biefetbe fi(i^ befdfäftigen lä^t, nid^t nur in
ebier Sprache gefd^rtebeu, fonbern ineit me^r no(^, ba^ [te rein unb fittlid^
gut fepeu. ®ie fiectüre brainatifdfer unb Iprift^er ®id^ter i[t gu empfe^ten,
aber norauSgefe^t, bajf man eine geraiffen^afte Slugroa’^l treffe, nic^t nur
unter ben ©ic^tern fetbft, foubern aud) in fRüd'fidit auf bie nerfd)iebeuen
■ileite i|rer Sßerfe. ®enu bie griet^ifc^en ©ic^ter finb oft niet ju frei;
uub auc^ non .^oroj mödjte i(^ mant^eg ©tüd mit jungen Seuteu nic^t
burdjne^men" *).
318. ^ber, benft oiedeic^t ein Sefer, bo§ finb ©runbfätpe ber (Jtpb
unb ber 'jßäbagogif; mag fotl fii^ oug biefen ’^infic^tlid) ber im Stnfange
non ung gefteCtten j^rage ergeben? — @g mar, inbem mir biefe ®ruub=
fäl^e norfül^rten, feineginegg unfere 2tbfid)t, aug beufelben in biefer
33ejie^ung eine gotgerung ju jie'^en. ©ie get)ören einer SBiffenfdiaft an,
bie non ber 3(eftt)etif nerfd)ieben ift: aber fie finb unbeftreitbar ma^r,
realer unter allen Umftänben unb SSoraugfe^ungen ; unb fie betreffen
anberfeitg gerabe jene ST'erfe beg menfd)lid;en ©eifteg, mit benen bie
5(eft'^etif fid) befaßt, tonnen mitf)in uidft atg ein ©t)ema angefe^en tnerben,
bag ber Sel^teren fremb märe, ißietme^r muff fie eg alg eine fel^r be=
red)tigte gorberung auerfennen, raeuu man non if)r erraartet, bap fie
5(uraeifuugeu non foId)er 33ebeutung nid)t einfad) iguorire unb mit ©till=
fd^meigen übergebe, foubern gern baju mitroirfe, baf) biefetben 23ead)tung
fiubeu; roenn i'^r anberg barait liegt, atg eine SBiffenfd^aft ju gelten,
bie inie jebe anbere Sßiffenfd^aft fid) berufen füt)tt, ber 2öa’^rt)eit
ju geben, unb bag Sefte ber ?[Renfc^§eit nad^ Äräften gu förbern.
3?erfüf)re bie 2teft^etif ber ©egenroart inirftid) in biefer SBeife, bann
roare eine ©rorterung über bie non ung in ber Ueberfd^rift aufgeftettte
grage unnött)ig. ®enn bie in ber norigen idummer ongegebenen ©runb=
fät),e mürben in biefem gatte genügen, um jeben 2]erfto^ gegen bie ©e=
fet^e ber ©t^if, unb jinar ber d^rifttid^en , in ben SSerten ber fiebonif^en
Jlünfte atg unäutäfiig unb nerroerftid^ erfd)einen );u taffen. Stber bie
moberne 2Biffenfd)aft ber fi^onen Jlünfte t^nt nietfa(^ gerabe bag ©egen=
t^eit. 9tid)t nur, ba^ fie an ben ^^rincipien ber ©tl^if unb ber ijßäbas
gogif, atg ob biefe jroei nid)t eben fo gut ÜBiffenfdf)aften raaren raie fie
fetber, norne^m norbeigel^t; fie roeift biefe jroei, roo fie gegen bag un=
moratifc^e ©eba^ren fid) fo nennenber „fd)öner" Äünfte ©infpra^e
ergeben motten, mit ißerat^tung jurüd, unb tt)ut bafür t^rerfeitg — mie
nod) jüngft burd) ben iötunb eineg Äritiferg ber l^odt) nere^rt mirb —
ben getefirt ttingenben 2tugfpruc|: „®ag Unfitttid^e ift an fic^ in ber
®id^tung nid)t unertaubt, foubern nur bag Unöfttietifc^e."
@etet)rt freitid) nimmt fid) biefeg ©ratet nur bef)^atb aug, meit eg
*) Quintil. Inst. orat. 1. c. 8.
mup not^roenbig aud; bic Sleft^etif Dennerfen.
463
beit ?0^ei[ten unxierftänbüd) i[t. ®rü(fen roir bas barin ©efagte etnfad) luib
Har auS, jo uerroanbeU fiel; bafjelbe in biefen®at3; „35erftöf3e gegen bie
j^orbernngen ber (^ri[t(icf)en (i?tl)if finb feineSinegS in allen j^ötten and)
Sevftöjje gegen bie ©ejei^e ber 3ie[t()etif, fonbern einjig bann, roenn jie 3}er=
[töne gegen bie ©eje^e ber 2IeftI)etif jinb." ®er erfte ^Ijeit biejer oentenj
ijt, nnjerer js'vage gegenüber, offenbar bie oerneinenbe 3fntn)ort auf biefeibe ;
loaS aber ber jioeite foU, baS mag ber uerftänbige £'efer entfdjeiben.
319. ^roi3 biefer Verneinung oon ©eiten ber mobernen Sfefibjetif
finb nnferfeitS mir ber Ueberjengnng , baf) bie fyrage nm bie eS fib^
I)anbett, oon ber VJiffenfd)aft nid)t anberS atS bejal)enb beantroortet
merben fann. V er ft oft gegen bie ©efet^e ber dfrifttidjen
©tf)if in ben SVerfen ber t)ebonifd)en Ä'ünfte innf) in allen
fyällen and) als ein Verftof) gegen bie ©efet^e ber 2leftl)etif
gelten. iEoantm?
(Jonftatiren roir, beoor roir baS fagen, junädjft bie intereffante
X^atfadje, baff eS ©tnnben gegeben l)nt, roo felbft ©djitler nnfere lieber:
jengitng beeilte, ©enn eine fold)e ©tnnbe roar eS bod) ol)ite
in roeld)er ber pbilofop^irenbe ®id)ter bie folgenben ©öt^e fdjrieb. „Vlan
glaubt ben Atünften einen groffen ©)ienft jii erroeifen, inbem man iljiten,
anftatt beS friuolen gn ergötzen, einen moralifi^en unterfdjiebt,
unb il)r fo fel)r in bie Gingen fnttenber ©inflnf? auf bie ©ittlid)Feit muf)
biefe Veljanptnng nnterftnt^en. Vlan finbet eS roiberfpred)enb, baff biefelbe
.ftnnft, bie ben l)öd^ften ‘iltRenfd)l)eit in fo Ijo^em Vfaoffe be:
förbert, mir beiläufig biefe iöirlnng leiften, nnb einen fo gemeinen 3^^*^/
roie mon fid) baS Vergnügen benft, gn iljrem letzten 3lugenmerl' l)aben
foUte. 3lber biefen anfdieinenben V>iberfprnd) mürbe, roenn roir fie l^ätten,
eine bünbige V^eorie beS Vergnügens nnb eine oollftänbige ipi)ilofopl)ie
ber Ä'nnft fel)r leicht gu l)eben im ©tanbe fepn. 3lnS biefer mürbe fid)
ergeben, baff ein freies Vergnügen, fo roie bie Ännft eS l)eroorbringt,
burd)onS auf moralifd)en Vebingnngen bernl)c, baff bie
gonge fittlic^e Vatur beS Vfenfdien babei tl)ötig fei). 3lnS il)r mürbe
fid) ferner ergeben, bafg bie §eroorbringnng biefeS Vergnügens ein 3ivcd
fei), ber fd)led)terbingS nur bnrd) mornlifd)e flJlittel er;
reicljt merben Fön ne; bafg alfo bie ilnnft, nm baS Vergnügen, alS
i§ren ron^^ren 3^^*^» oollfommen gn erreidieii, bnrd) bie Vtoralitöt il)ren
2öeg nel^meti müffe. fyür bie V>ürbignng ber Ännft ift eS aber uoll;
lotnnien einerlei, ob il)r 3iyecf ein moralifi^er fei), ober ob fie il)ren
3roecf nur biiri^ moralifd)e fOlittel erreid)en fönne: beim in beiben fvöllen
l)ot fie eS mit ber ©ittlid)feit gn tl)im, nnb mnf) mit bem fittlidien
©efülil im engften ©inoerftnnbiiifi b nnb ein" *).
') ©d)itler, 11, 511 f. ((iit. 54.)
464
SerrDerf(id^e§ in fieiftungen ber l^cbonifc^en fünfte
Sßa§ je^t beu 33etüet§ unfereg ®a^e§ angelet, fo laffen fid) bie
(^Jrünbe bafür auf jtuei ©ebanfen jurüdfül^ren. 35erfto^ gegen
bie ©efe^e ber d)rt[tlid)en ©t|if beeinträd^ttgt nob^tDenbig bie SBirfung,
roelc^e ^eroorjubringen beu ©efel3en ber ^leftl^etif jufoige ba§ fiebonifc!^e
Äunftrcerf fic^ eignen foll, — unb inenn er bebeiitenb ift, fo mac^t er
biefe Söirfung einfad) unmöglid); ba§ ift ber eine ©ebanfe. Unb ber
jTOeite ift biefer: ^eber Serftoj) ber bejei^neten 2trt ftel^t in SBiberfpruc^
mit ber f^orberung, roetdie f|infic^tti(^ ber Sefd^nffen'^eit f)ebonifd)er
^eiftiingen oon ber Steftl^etif gefteitt roerben.
Unb um juuöclft biefen jraeiten ©ebanfen ju berüdfid^tigen: aüeg
etl^ifdb ©d^Ied^te ift nof^roenbig !^aj)li(^; ba§ ^aben mir im erften 33ud^e
flintängtic^ nac^geroiefen. ©teife ©at^conftructionen, ein fafop!^onifd^er
©tpt, metrifd^ unridjtige ®erfe, mif^tungene Sfteime, fatf^e 2:öne ober
23erftöf3e gegen ben 9ft!^pt^mu§ in ber iKufif, inconfequent gejeic^nete
©!^aractere in ber ©popöe ober im ®rama, pl^itofop'^ifd^ unroal^re ©tel;
üingen , ober ©eftalten metc^e mit ber Stnatomie in SBiberfpriu^ ftetjen,
atte iBtängel biefer 2trt gelten at§ S^erftöfje gegen bie ©efe^e ber Steft^etif,
unb ba§ mit 9?e(^t. ®enn bie Steftl^etif forbert, ba^ ba§ ®erf mögtid)ft
bebeutenben äft^etifc^en SSertl^ '^abe; bie bejei(^neten f^el^ter t^uen
aber biefem SBert^e ©intrag. 2tber ift ba§ fiet^tere nid^t gerabe fo fe^r,
ift e§ ni(^t in fiö’^erem iD^naf^e ber f^alt, roenn in bem Sßerfe SSerfto^e
gegen bie f^orbernngen ber d^riftüd)en ©tfiif, mithin ©temente ^eroortreten,
bie unter atten Umftftnben im ooUften unb eigenttidjften ©inne be§ SBorteg
^nf^tid) finb?*)
2öie t)iernad) bie oon ber 2teftt)etif nott)menbig geforberte ®efd)affen=
^eit t)ebonifc^er Äunftroerfe, ebenfo toirb aber auc^ — ba§ mar ber an=
bere nuferer jroei ©rüube — biird) bie in ^Rebe fte^enben 35erftö^e bie
eigentUdje ®irfung biefer Sl^erte beeinträd)tigt , ber äftfietifd^e ©enuff
ben fie getoäfiren fotten. Unmittelbar ergibt fid ba§ fd^on barau§, ba^
fie ben äft^etifi^en Sßert^ berfetben oerminbern. 2Iber taffen mir eg nod^
ftarer tjeroortreten. „®ag ^ERaaf? für atte ©inge", te^rt 2lriftoteteg, „ift
bie Sngenb, unb ber ©nte infofern er eben tngenb!^aft ift; atg roa^re
©ennffe müffen barnm biejenigen gelten, loeldje biefer atg fotd^e anerfennt,
unb atg roirttid^ angenel^m bag, mag biefem f^renbe madbt"**). ?(Rub
aber nid^t jeber iRrftof; gegen bie ©efelj,e ber dt)riftti(^en ©t^^it in einem
Ä'nnftroerfe bei bem „©Uten“ iDtif^Dergnngen, ©^merj oerantaffen,
mithin bag ©egenttieit beg ©ennffeg?
25^ag bie ,,9U(^t:©niten'' ange'^t, fo fönnen mir freitidf) nicht in 3Ib=
rebe ftetten, bag Beerte bie fdf)Inpfrige iRrftettnngen, unreine 25itber nnb
*) gjtan oergteidje bicrgu 3t. 130. 133. 230. 6. 172 f. 177. 324 f-
**) Allst. Ethic. Nicom. 10. c. 5. n. 10.
inuf! nott)iüenbtg andj bie 3(eft^etif uetroerfen.
465
©efü^Ie madnnifen, ober ba§ Unerfaiibte erlaubt, bag SBöfe gut, bie 23e;
friebigiiug ber i^eibenj'(^aft uerjet'^Iid) erl'djeineu tajfeu, ba§ fageu roir
fold^e Seiftuugeu beu „iRidjt-®uteu" 35erguügeu geroäl)ren. Dlber tuaä
für etu 35ergnügeu? 25egetattue§ oor SlUeiu, uub uebeit biefem jeueg,
iuel(^eg bag böfe ©eroiffeu empfiubet lueuu eg eiugefdjläfert lutrb, ober
bie luoratifdje ißerfommeuljeit loeuu fie fic^ oert^eibigt fietjt, uub fid) eiu=
bilbeu barf, alg ob fie fid) uidft ju fd)ämeu l)ätte. Hub biefer feiuem
gaujen SBefeu uad) uiuuora[ifd)C ©emtft ift ou fid) oiel 311 ftarf, uub
luirb uou bem (fkmütf)e bag fid) il)m l)iugibt oiel 511 lebljaft einpfunbeu,
alg bafe feneg „geringe ißerguügeu" *) bag bie in bem ,fb'unftioerfe oer=
loert^etcn ted)uifd)eu 'fO^ittel immerl^iu ju erregen im ©taube fiub, bem=
felben gegenüber gar uidjt mel)r in 3?etrad)t fommen bann. ®ie Slufgabe
ber ^cbouifc^cu .ivüufte beftel)t aber mefeutlid) bariii, burc^ il)re 2öerfe
beu )IReufd)eu üftl)etifd)eu ()H'uuß ju oermittelu; uub baft ein uumo=
ralifd)eg iBerguügeu loie bag bejeid)uete, äftljetifdjer ©enufj fep, bag
bat and) bie moberuc 51eftl)etif uod) uidjt bie ©tirii geljabt, gu beljaupteu,
fo febv and) bag ijlebürfuif) , Slufdjauuugeu biefer Slrt practifdje @eltuug
JU uerfdiaffen, in maudjeu iljrer 33eftrebiiugeu burd)fc^eineu mag.
Dir ^Aufgabe ber fdjöneii ßiliiftc iiiib ötr mobmic !Aeltl)ctik.
©er neueren 3teftl)etif jnfotge l)aben bie 2ßerfe ber fdjönen Ä'ünftc feinen
nuperljatb il)ver fetbft liegenben 3>üed'. 3Sie jiuci franjöfifdje ©eleljrte
über biefeg d-'^'tocip bndjten. (^inc prnctifd)e fyotgernng ang bemfelben,
bie nidjt bajn angetl)nn ift, eg jn empfel)len.
320. 3um 21bfd)luffe nuferer big^erigeu nllgemeiueu Uuterfudjuugeu
über bie fdjöueu fünfte Ijabeu mir in biefem .ftnpitel uodj eine Seljre
ber neueren Sleftbetif ju berücffid)tigeu, loeldje für fie oou fuubamentaler
23ebeutuug ift: mir meiueit bie l'eljre oou ber „abfoluteu S'felntiouglofigs
feit" ber fi^öueu fünfte, ober oielmebr iljrer fieiftungeu. „©er uädjfte
uub einjige ^t^eef beg .Ruuftioerfeg ift bie ©djöubeit;" „bie fdjöue Jbuuft
ift augfcbliefjlidj fidj felbft 3™ecf;" „10er fie ju 3'öed‘eu benützt fjemmt
ifjreu freien unbegräujteu fylug;" „bag fdjaffeube ißriucip im piüuftler
loirft nur um feiner felbft millen, nid)t eiueg 2(nbern loegen;" „bag
toaljre ^unftroerf mufj relationglog feijn, ein in fidj gefdjloffeneg ©anjeg,
roeld^eg fid^ 5^ nidjtg aufjer fidj oerljält mie 22iittel jnm „eg
trügt feinen Wittelpunft nnb feinen ^weef in fidj felbft" : biefe ©üt^e, nnb
*) Seffing. (S. oben 0. 450.)
5ungmann, Seeftbetif. 2. 2(uft.
30
466 ®ic Se^re uon ber „SReIation§Iofigfeit" ber fd^önen Äiinfte.
anbere i^neu gleichartige, [inb in SBerfen über bie fdbönen Äünfte, roiffen^
fdhaftüdhsi^ foTDohl al§ roohl ben meiften Sefern biefeä 23uche§
fd)on begegnet; jebenfallä finbet man [ie aßerortä roieberhott.
^rren mir nid)t, fo bürfte bie Se^re bie fich barin augfprii^ht, auf
l'effing unb bTant jurüctjufnhren fepn*); fidier ift fie au§ ber neuen
beutfd)en iphi^ofophie h^^’i^orgegangen , unb i^r Stiter mag fidh auf um
gefäfir hunbert belaufen. ®ie Xragroeite berfelben aber, unb ihre
buri^au§ fnnbamentale 0tedung in ber Stefthetif fann raoht niemanben
entgehen. eg raahr, baf^ bie Söerfe ber fdhönen blünfte feinen au^er=
halb ihrer fetbft tiegenben 3™^^ f'£ ^inen fotzen nicht
haben fönnen, bann mufe fo jiemli(h 2Ideg alg unrichtig gelten, mag mir
in ben bigherigen fieben Äapitetn biefeg 2tbfd)nitteg feftjufteden bemüht
maren. Umgefehrt ftürjt aber bag (Seböube ber mobernen 2(efthetif faft
uoltftünbig jufammen, roenn bie ermahnte Sehre roiffenf^aftlid) ungm
lüfpg ift.
331. 3ch erinnere mid) gelefen ju haben, ein iXRann ber auggegeichnet
gu benfen uerftanb, aber leiber fi^techt, fich gu unterraerfen, — biefer
i)3tann habe fchon nor niedeidht fünfgig fahren ben 2Iugfpru(^ geth'an;
„®er ©ebanfe, bie .Jfnnft fep fid) fetber 3roecf, ift ein Unfinn" **). 23e=
fonberg gart unb rücffii^tüotl gerebet ift bag freitid) nidht- Ungefähr
baffetbe fd}arfe Urtheit hat einige ^ahrgehiüe fpäter ein Stnberer roieber^
hott, gtei(^fallg ein tüchtiger ®enfer, roenngteich mit 9ted)t in noch ß^>te=
rem 9tufe ftehenb atg ber ©rfte; „Sie Üunft um ber Äunft mitten, mie
man fie gu nennen beliebt hat, ift eine ©röpe ohne Sßerth'. benn fie
befipt feinen eingigen 9fechtgtitet für ihre ©rifteng, fie hängt rein in ber
Suft" ***). ©in britter 3^uge ober, beffen 9fame einen befferen £tang
hat otg ber beg ©ocialbemocraten iproubhon unb beg nngtüdlichen Se
Samennaig, d^aracterifirt atg eine ber ©onfequengen beg tprincipg non
bem mir reben , eine ©rfcheinung bie fehr menig erbaulich , unb barum
fehr menig bagu angetl)an ift, bag ^^rincip fetbft gu empfehlen. Sie
©rfcheinung um bie eg fid) haubett, ift „bie pofitioe iprofanation
beg 35 e r e h V u n g g m ü r b i g e n unb ^eiligen, ber man in allen
©aClerien unb 9Jlufeen, faft ohne atusnahme, begegnet".
„So fieht man unter Slnberem", ergählt Sluguft 9feichengperger, „in
ber atationalgallerie gu Sonbon gmei munberliebliche 53ilber oon fVram
*) 3Jtan oergleiche 3. S. Seffing, Saocoon 2tb)d)nitt IX unb XXXI, unb
Änut, Äritit ber äfthetifchen Urtheilgfraft §. 44.
**) L’art pour l’art est une absurdite. De Lamennais.
***) L’art pour l’art comme on l’a nommd, n’ayant pas en soi sa legiti-
mite , ne reposant sur rieii, n’est rien. Proudhon, Du principe de l’art et de
sa destination sociale (Paris, Garnier fr^res) pag. 46. Sei 9tei(^en§pergev ©. 42.
(ßit. 331.)
Sie 2el;re Don ber „iRelattonMofigfett" ber fd;önen fünfte.
467
cia, ba§ eine bie IjeUige Jungfrau, ba§ ^eiligen ^o^anneS,
unb nod) fonftige barftellenb, ba§ anbere, biefem gcgenitber, ben
tobten ©vlöfcr im ©c^oojte feiner ‘OJiutter mit jroei (Sngetn gut ©eite;
ein ipaudj an§ einer p^eren 25>ett roet)t nn§ au§ biefen (5rfd)einungen
an. Unb nun ba§ 35>eitere. Unmittetbar über bem letzten ißitbe pt
eine§ non (Saracci, eine nadte ©ufanna im 23abe non ben tüfternen
2tlten umftettt , i|?tat^ genommen ; baneben ' ein ifJan non mat)rpft citni=
fc^er iRubität, ben nid}t§ meniger at§ ibeal gepttcnen 2Ipodo im f\töten=
fpiele nnterrid)tenb ; barauf raiebcr, in engetreiner llnfd;ulb, eine piüge
(Satprina uon D^affaet; weiter bann (Spiftnä bie ©d)riftgelebrten juredjt=
roeifenb, non Seonarbo ba 2>inci ; bnrnber ein non einem Stbler bnrd) bie
£uft getragener, iniberlid) fofetter ©anpmeb, beffen näpre Sefdjreibung
man mir ertaffen möge; baranf inieber ein tiefernfte§ 23itb non non @i)d,
fobonn, non diepnolbä, brci pd)ft nngrajiofe ©rajien a la 1793 frifirt,
unb fo fort non iK>anb jn SSanb !
„©elbft in ber u e r b iH t n i f; m ä f; i g rein gebaltenen ®re§bener
©allerie befinbet fid) in ber niidjften Siadjbarfdjaft eineä beitigen i)iero=
npmu§ mit bem Jlrenje, unb mehrerer (Jxcc i^omo non @nibo Dteni,
raetd}e ben erfd)ütternbften ©d)merj be§ für bo§ gefallene iB7enfd)en=
gefdjledjt ©(bmad) unb 3:ob leibenben ©rloferä auäbrüden, eine nadte
25enu§ bie bem Siebeggotte einen i)3feil reid)t. ^'n f^-lorenj, non mo
freilidj and} ba§ Uninefcn feinen 2fu§gang genommen, bitbet fogar eine
ißenug, ba§ bel'annte ©tnnbbilb, ben (Sentralpnnft ber fogenannten 3trU
büne in ber ©allerie beg i|5alafte§ clegl’ Uffizj, bem ©nmmelorte ber
i]3erten biefer ©ollerie. 2ln ben 23?änben ring§ umber ber
papbifcben ©ottljeit bie ebctfteit (Jrjeugniffe d)riftlid)er jlunftbcgcifternng:
eine b^dige fvamitie mit ber b^digen O'ntbarina non ifiaut SSeronefe, bie
fogenannte 207abonna auf bem if^iebeftate , ber b^dige g-ranciscus unb
;3obanne§ ber ©nangelift uon 3(nbrea bei ©arto, mebrere ber fdjütparften
ST'erfe tRaffaelg, worunter ber beitige ^obonneg in ber 5Büfte, jwei bU=
lige i^amdien, bann non ©orcggio bie b^dige Jungfrau ibr göttlidjeg
Äinb anbetenb , u. f. w. ; jwifdjenburd) erfi^einen bann und) nod) einige
nerbnblte ißenugbitber uon Jijian, — atg ob e§ an bem gemeipetten in
ber ÜJHtte unb bem f^aune baueben nod) nid)t genug be§ t»pb’i£§ oitf
bie b^boe Umgebung wäre . . ©a§ gel)ört ju ben f^-rüd)teu be§ uieU
belobten 3lpiom§: Vart pour l’art. ®er tätowirte ©übfeeinfulauer l)Ol
ganj gewip mel)r SJerftänbnif) für ba§ i^ol)e unb 4"^eilige, al§ fo ein
äftbetifeber f^eiufdjineder bes neunjebnten ^ob^'bnubertö" *). 9iämlid) fo=
lange ber ©übfeeiufnlauer non ber mobernen 2teftbetif nod) nid)t gelernt
*) 3t. ’ReiibcnSpevgev, g'iugerjeigc auf bem ©ebiete ber fird)tid)en ibunft (ßeipäig
1855) 0. 14 f.
30*
468
©ie Sel^re Don ber „3fieIations(oftgfeit" ber fd§önen fünfte
^at, ba| bie Jtunft i^ren einzigen w fi(^ fetber üere'^rt, unb t^re
Sßerbe feinegtcegg baju beftimmt noch auc^ im ©tatibe finb, trgenbroeic^e
ÜSirfurtg ^erDorjubrtngen, roirb er reügiöfe Äunftroevfe con profanen
unterf(|eiben, unb überbteg ber 2lnfid^t fepn, ba^ mag im Seben unam
ftänbig, ppcJ^, frec^ ift, biefeg ju fepn nid)t auffiört, roenn eg im ißiibe
Dorgefü^^rt rairb.
3nbe^ mir motten bag*2iriom nm bag eg fi(^ l^anbelt, mit ent=
fpred^enber ©rünblic^feit ing Singe faffen. ©einem miffenfc^aftlid^en
Sßerb^e nac^ mag eg immerbin auf eine roeitere (Srörterung faum 3Xn=
fprudb ju höben fcbeinen; aber eg ift ju allgemein nerbreitet, unb jäblt
jn uiele Slnbänger, alg ba^ mir eg jroecflog finben fönnten, feine SSe^
recbtigung eingebenber ju unterfucben.
i 1-
3>ic c£«brc ber mobcrncn jverib^ttll »on ber „nßfofutcn ^{efattonsfoltflfteit“ ber
RdlTcotccbniftbett ^Serßc wtberfprtdit bcn ^cßerjcugmtgcn ber gcfantmlen
■^etgangcttbcit.
©er SSeruf ber fcbönen fünfte in ber Urjeit, narf) ^Joraj. SBoju, uacb ißlutarcb,
ber ©efepgeber Spcurgug bie S^oefie unb bie SJtufif oerroanbte. ©er ä^iett
biefer fünfte nad} i|]ptbagora§, nad) Xiinäug aus SocrtS, nach ißlato unb
SlriftoteleS. SlriftoteleS unb SlriftopbaueS über ben Bö^ed ber ©ragöbie.
©in 3^ögnip beS attifcben iRebnerS SpcurguS. ©ie Slnfdjauungen ber
römifcben Sleftbetif, nach ^oraj. lieber eine 3(eu[3erung ©oetbe’S. ©ie
Sebre ber djriftlid)en SBiffenfcbaft oon ber ©eftimmung ber fcbönen fünfte;
Seibnij.
322. 9li(^t älter alg ungefähr bimbert ^öb^e, bö^en n^ii^ S^fögt, fep
bag berühmte Slpiom; roie bad)te beim ber menfcblicbe ©eift in früheren
3eiten über bie ©eftimmung ber fcbönen Jlünfte, raäbrenb ber jmei ober
brei 3öh^ttaufenbe, raelcbe bem ©eginn jener ungefähr bunbert S^b^ß nor=
auggingeu? ober hotte er nietteicbt in biefer ©ejiebung gar feine Slnficbt?
3n fRücffidjt auf bie ältefte ©orjeit gibt neben Slnberen §oraj nng
eingebenbe Slngfunft. ©r ftettt eg nämti(^ alg eine ju feiner 3eil ott^
befannte ©botfottie biö, bap bie ©ölfer ber norbiftorifcben 3^it ^ ber
ifJoefie unb ber ttRufif bie b^mlifcben ttttädjte nerebrten, roeldbe bie
©Otter ben ©ängern oerlieben hätten, bamit fie burcb biefelben bie roilbe
3ügellofigfeit unb bie rohe Äraft ber halb mie lebenben ©tämme
befiegen, unb fie ju üRenfcben umbilben fönnten; eg gilt ihm alg aug=
gemacht, ba^ non bem erften Sluftreten ber fdjönen 5bünfte an bie lieber^
jeugung feftftanb, ihre Stnfgabe unb ihr eigentlicher 3™^<S oidjtg
Slnbereg, alg bie ©egrünbung unb bie Ijßflege beg religiöfen ßebeng, bie
©ittigung unb bie etbif(^e ©ereblung ber ttRenfclibeit.
üerläiignet bie Ueberjeugungen ber gejammten 33ergangenl}eit.
469
SSebenfe, lunä Don if)vem llr|'pvung au
bie Jb’unft ber ®id)ter roar. SBarb uidjt uon Orpljeus,
bem I)eingen Se^ev bem bie ©öttev il)ve
3Jh)[terieii offenbarten, loeil er 'itl)rncien§
I)nlbtl)ierifd)e Seiootjiicr and bem 2Buft
ber 2.l'ilbt)eit jog unb inenfdjlid) leben letjrte,
gefngt, er Ijabe Jiger jnfjmen, u)ütl)ige Söioen
biird) feiner Sieber 9teij befänftigen tonnen?
3i'nrb üon 3tinpt}ion, beä i^ebanifdjen Sd^toffed
O'rbaucr, nid)t gejagt, er tjabe f\-elfen
unb SÖSnIber feiner Sprn fiifien iönen,
ioot)in er looltte, fotgfani nndjgejogen ?
§etbenatter loard ber 9Beidt)eit 3tmt,
ein ro^ed 2S'atbgefd)ted;t and it)ren ©rüften
gn jiefin, unb an ©efeltigteit unb f\-nrct)t
ber ©Otter, in'b Orbnung 3x1 geioötpiexx.
vBie ftiftete ber tStjc feufd)en 93unb,
fie legte 3tnbte an unb gab ©efetxe;
unb loeit bie ,3«i>t’erfrnfte bed ©efangd
3U anent biefem il)r bef)nlftid) loarcn,
fo ftieg bed 'Siingerd 9tnfet)n in ben 9(ugen
bed i'olfed, unb ein ©taube, ba^ er nat)er
ben ©öttern xoärc, gojf load ©ötttidjed
um feinen 9}hmb, unb feine Sieber umrben
Crafet bed i'crgangnen unb ber
9tun fam ^pomer, ber über alle ragt,
unb batb lind) if)in Jxjrtnud, beffen Sieber
ben fd)önen Job fürd 45atertanb
im 93orberrcit)n ber 'Äd)lnc^t mit (^'ifcrfud)t
ju fud)cn, oparta’d ,'pelbenfeetcn fpornten.
;Jn iterfen gab ben fsTagenben ber ©ott
ju ®elpt)i 9tntioort; in ber dJhifcn 0prad)c
mied und 4>ptt)agornd bed Sehend 3,6eg.
3x1 it)ren füften ISeifcn neigte fid)
bad Ot)r ber Ä'önige, unb enbtid) fd)log
bed 3‘9)rcd 9trbcit fid) mit if)ren 0pielen*).
ift ein ooltgültiged 3ftigni[5 über bie 2luffaf]img ber iiujttjifdjeu
^orjeit. bie 9lufd)niuingen fidj ixid)t niiberten; baff auc| bie tjifto;
vifd)e 3ctt, unb namentUd) bie ctaffifd)e, bie Seftimmung ber fdjönen
Mnfte barin fat)en, dtetigion unb 3i'ö)t 311 förbern unb bamit ba§
ber iIJienfd]beit ; bad ftef)t bnrd) eine Dtenge non 93erid)ten feft.
*) Horat. ad Pisones, v. 391. sqrj. (®ic Ucbcrfepuiig und) Stßielanb.)
2>ie „Spiele" oon benen im lebten ißerfe bie Diebe ift, Svagöbien , Äomöbien
XI. f. ro., mürben anfangd nur und) ber 6 r n t e gegeben.
470
Sie Sel^re »on ber „iRelationälofigfeit" ber fd^önen fünfte
„5)er ernfte S^curgu§, ber ©efe^gekr ber ©partaner, fanbte au§
6reta, TDol^in er gereifet rcar um bte aßeiS^eit ber ®efe|e be§ ?iJtino§
gu erfunben, einen ®id^ter unb ÜTinfifer roefd^er 3;:^ate§ l^ie^, nac^
©parta*). ®iefe§ 3:]^ale§ Sieber unb ?07elobien l^atten, roie un§ ber
ebie ^iutarc^ erjd^tt, ben ißorjug, bafe fie ben ^u^orern ©efinnungen
be§ ©el^orfamä, ber ©intrac^t, ber ®efc^eiben’^eit unb fünften 53eru!^igung
einftö^ten, fie i'^re rollen ©itteu abjuiegen nermodf)ten, unb mit @ifer für
ba§ ©d^öne erfüllten" **).
5f]pt!^agora§ unb feine ©dfiule hielten bie 2)7ufif ^od^ al§ ^Kittet jur
„Steinigung" (y.a&ctpcii?) ber ©eele, jur a3eru^igung unb ©ünftigung ber
@efü!^le, ja audtj ju leiblid^er Teilung ; eben barum bebienten fie fid^ nur
ber r ulkigen aOtelobien ***). @in anberer aotufif mar nad^
ifSptl^agorag , roie ^orpl^priu§ berietet, bie Uebung ber Steligion: „man
müffe fid^", le!^rte er, „biefer Äunft bebienen, bie ®5tter ju uer^errtid^en,
unb il^r Sob ju fingen" f).
©e!^r flar gibt ferner ber Ueberjeugung be§ Slltertl^umS non ber
2lufgabe ber aOtufit, b. ’i). ber '^oefie unb be§ ®efange§, Jimüuä au§
Socrig 2Iu§brudE, nad^ ©tolberg ber altefte uon allen profaifdt)en ©d^rift=
ftellern ber ®riedf)en , roeld^er un§ borif(^e aßeig^eit in einem borifcl) ge=
fd^riebenen ißüd^lein :^interlaffen !^at. „®ie SOtufü", fdbreibt 5:imäu§,
„unb i'^re f^ül^rerin bie ^^ilofop^ie, l^aben ber Slnorbnung ber ®ötter
roie ber ®efe^e jufolge ben 3'^^*^^ innere Seben förbernb ju
roirfen. ©ie geroöfmen uümlid^ unb beftimmen ba§ niebere ©treben, ber
ißermmft ^u ge'^ordfien, unb mitunter jroingen fie eä fogar baju; fie
fönftigen bie 3°™niüt^igfeit , unb berut)igen ba§ finnli^e 33ege§ren,
bamit fie roeber o^ne bie 3uftiwtmung ber ^gernunft rege roerben, nod^
untätig bleiben roenn bie 33ernunft fie ju Junten aufruft ober jum
®enu^" 300). „®§ ift befannt," fügt ©tolberg l^inju, „roie oft bei ben
Sitten bie SOtufil al§ eine i^riefterin ber ®ötter, eine ®eberin roeifen
9tatlie§, eine iBotin be§ f^riebenS unb ©tifterin ber ©intrad^t gerühmt
roirb; infonberlieit bie aOtufil ber SSötfer roeti^e borifdt)en Urfprungä
roaren: eine ÜOtufif, bereu ®infalt unb .ilraft oon ®efe^gebern unb
aßeifen ju §ülfe gerufen roarb, um rolie ‘ßienfdtien ju fanften ®e;
finnungen ju ftimmen, unb um in üppigen ben Slufrul^r ber Seibern
*) Ser t)ier genannte Sbale§ ift nic|t ju nerroed^fetn mit bem 2Beifen bicfe§
3tamen§ au§ iölitet; biefer Septere tebte 5roeit)unbert 3<ibr« fpäter.
**) %. S. ©tolberg, Sie ^^^fel, I. 33ncb. (Sßerte, .^amburg 1821, Sb. 3.
©. 259.)
***) @b. SJtütler, Sb. 1. ©. 20. (6it. 31.) Jamblichi de vita Pythagorica
über, cap. 25. (ed. Küster., Anistelod. 1707., pag. 92. sqq.)
f) Porphyr, de vita Pythagorae, n. 42. e.xtr. (Amstelod. 1707., pag. 43.)
Derläugnet bie Uebcrjeugungcn ber gefammten SSergangenl^eit.
471
fc^aften ju bämpfett . . . ®te bortfc^c SRufif fudite nid)t (ämpfinbungen
allein, fonbern ain^ ©efimumgen Ijernorjiibringen."
'D7an beamte, um bicfeS foroo'^t at§ anbcve 3eugnifle vid^tig ner;
fte^^en, baf? ber Slusbrud' „bie Wufif", mie fd)on angebeutet mürbe, bei
ben Snten meiftenS bie i|5oefie unb ben @efang mit ber ^ttftrumentat;
begteitung begeid^net.
323. 3^ad^ ^lato ift ba§ 0tnbium ber ^4-^oefie unb ber ^Icufif ba§
rcirfiamfte ?Dcittet für bie 23ilbuug be§ ^erjeu§ unb bie ©rjiefiung; burd)
bie eifrige Sefdiciftignug mit biefeu Jtüufteu bitben fi(^ in ber ©eete ju
fd^öufter i^armonie alte 2:ugenbeu au§, “iXRäffigung, fefter ?[Rut^, eb(e
@efinnuug, .S>od)t)erjigfeit. Unb roie ba§ S5>atten be§ fteifdjtid^en Triebes
bem ©emütlje aßen .^nlt unb alte 23eftaubigfeit raubt, fo mirb eben
biefe§ SKtalteu burd) fene ^ugenbeu aufge^^obeu. ®ariu liegt ber t)o^e
3S>ert^ ber bejeidfneteu Jl:üufte, unb ber 3^6^ Uutermeifuug in beu=
fetben*). „tRidjt für ben ®ieuft ber fiuutidjen Suft", fagt ^tato in
einem anberen Dialoge, „fiaben bie ©otter un§ bie ^Dhifif gegeben,
fonbern bajit, baf) mir mit il^rer .f^ülfe in ba§ ©ercirr unferer Triebe
unb ©efü^te I)armonifd)en ©inftnng bringen, unb burd) fie in nuferem
inneren ßeben jene§ '®taaf) f)erftetlen unb jene 0d)önf)eit, bereu e§ fo oft
entbe^^rt" **).
ßiic^t anberg bad)te über bie 23eftimmitng ber ^llhifif 5Iriftote(e§.
„®ie 3roede'', Ief)rt „ber ^U)itofopt)", „um bereu roillen man fie jnr 3tn=
menbung bringen foß, finb oerfd)iebenartig; fie ift ein geeigneteg 'ältittet
für bie ©rjief)ung ber ^ngcnb ; fie foß überbieg jur ßleinigung (xctßapatc)
ber Seele benutz roerben; fie foß britteng jnm Vergnügen unb jiir ©rs
l^otung bienen"***). Unb mag ben juerft anfgeffd)rten 3’^^^*^^^
jier)itng betrifft, finbet 5(riftoteleg bie 35ebentung ber 'ü)hifif grof) genug,
um fid) in brei ganjen ^'apiteln (ben lebten ber „‘f.'otitif") mit berfelben
ju befd)üftigen.
©anj bog 9Mmtid)e aber, mag mir i^n, in Uebereinftimmnng mit
ifJtato unb mit ber Sd)u(e beg ißpt^agorog , an gmeiter Steße atg ben
3med' ber tDhifif bejeid)nen t)örten, erftürt ber 'i)ltann aug ©tagira
mieber für ben eigenttid)en 'J^ragöbie: bie „jtatl^orfig", bie
tReinigung ber ©efüf)tet). 3d) lueif) red)t gut, ba^ bie fyrage, mog
unter biefer „Steinigung ber ©efü^te" eigentlid^ ju uerftet)en fet), unb
mel^r no(^ , in metd)er 2®eife biefelbe burd) bie ttragöbie gemirft merbe.
*) Plat. de republ. 1. 3. Steph. pag. 400 d — 403 c. Bip. 6. p. 290 seqq.
Protag. Steph. 326 a. h. Bip. 3. p. 118. Ci'r. Stallhaum, Plat. de repribl.
libri decem (1858) vol. 1. pag. 215.
**) Plat. Timaeus, Steph. p. 47 c. d. Bip. vol. 9. p. 339.
***) Arist. Polit. 8. c. 7. n. 4.
j) Arist. de arte poet. ed. Buhle cap. 7. vulg. 6. n. 2.
472
Sie Sel^re Don bcv „Dtelationätofigfeit" ber fd^önen Äünfte
[eit me'^r at§ Rimbert ben ©egenftanb einer tebl^aften 6ontroner[e
bilbet. 3Jieiner 2tn[icöt nai^ fami man nic[)t anberä, alä mit Seffing in
ber „j?at^ar[i§" eine et^if^e 33ereblung („33e[ferung") [ef)en*). ^nbejs
biefe [yrage bebarf t)ier nit^t einer ©ntfc^eibung. 9Jtag man immer'^in mit
ißernaijg bie ilattjarfig für einen rein „patt)otogi[(^en" 95organg erftdren,
unb befiaupten, biefetbe im ©inne beä 2lriftotete§ fep „bie erleic^ternbe
©nttabung ber (mitteibigen unb fnrc^tfamen) ©emütpaffectionen" **),
ober roelc^er immer non ben übrigen 2Iu§tegungen ber nieterörterten
©teile fiel) anfdjiieften: fo oiel [te!§t [ebenfallä feft, bajs bie „Sfieinigung
ber ©efü^Ie" unb bie itragöbie felber nicEit (?in unb baffetbe ®ing finb,
ba[3 mitl)in bie Xragobie nai^ 3Iri[totete§ einen non i^r [elbft nerfebiebenen,
nuper i^r liegenben 3™^*^ feineäroegg einfad) „um i§rer [elbft
roillen ba ift" ; unb ba§ allein ift e§, morauf e§ antömmt.
324. 3« Ä'omöbie be§ Slriftopbaneä „®ie grö[cl)e" macht 21e[d)plu§
bem ©uripibed heftige ^orroürfe, roeil er bnrd) feine bramatifd)en Söerfe
nathtljeitig auf bie ©ittli^feit feiner iötitbürger gemirtt ^ü^n^nb
[teilt ber grofte ilragifer, um feine Sßorroürfe ju begrünben, bie f^rage:
„5(ntu)orte mir beim; roaS ift bod) ber @nmb, roepbalb man et)ret ben 3)iibter?"
^•uripibes fann in feiner SIntmort nid)t umhin, jn geftehen, mag noth=
menbig bie Slufgabe ber tragifd)en S)id)tfuuft bilbe:
„SBeit geninnbt er fid) jeigt, ju nmrnen ba§ 9Solf, unb roeil b eff er roir
mnd)en bie SOtenfd)en."
Slef^plug gibt hierauf ben Sfadjmeig, mie feinerfeits er, im Slnfdjlu^ an
„bie eblen ^idjter ber Urjeit", in biefem ©inne gemirtt; ©uripibeg ba=
gegen habe „au§ guten unb ebelgefinnten fd)te(hte 9Jtenfd)en gemadjt",
inbem er bie fcanbalöfen ©agen oon ber if>häbra nnb ber ©theneböa,
unb ähnliche fchmul^ge ©efi^idjten auf bie IBühue gebracht, (äuripibeg
mill fid) bamit entfchulbigen, ba^ er bie if^häbra ja ganj ber herrf^enben
Ileberlieferung gemdf) bargeftetit habe. ®a§ gibt 2lefchplu§ ju: „aber
ber ®i(hter müffe ba§ 23öfe uerbergen, nicht es gur ©d)au [teilen":
„beim roa§ Äinbern
S)er Sehrmeifter ift, ber oerftänbig fie madjt, ba§ ift ben Cfrromhf’nen ber ©iihter.
®rum folten fürroahr mir, roas frommt, roir lagen" ***).
*) Seffing, Jpamb. Sram., LXXVII Sb. 25. @. 175 ff. (6it. 432.)
Sejügtid) ber Se^re ber 4>ptbcigoräer oon ber „itatharfiS" nergteidhe man
„@öttingiid)c gelehrte Stnjeigen", 1827, Sb. 2. @. 821.
**) Sernai)§, 3'®e'i Slbhanblungen über bie Striftotetiidie Sh^orte be§ Srama.
(Serlin 1880) ©. 21.
***) Aristophan. Baiiae v. 1008 — 1011. 1021 — 1056.
Devläugnet bte Ueberjeiigiingeu ber gefammten SSergangen(;eit.
473
etiua bie 3tn[id}t beö 5teid)ijlu§ raaren bie ©nmbiälje, iiidd)e
StriftopljaneS i^n Ijtev betonen läid, fonbern eben jo je^r bie Ueberjengung
be§ Set^teren felb[t, roie überhaupt bie Heberjengnng alter befferen 9dd)=
tnngen ber gried)ifd)en ‘'ip^ilofopl^ie nnb ber gg:ied)i)d)en 5liinft: inu|3 jn
bod) 6uripibe§ felber, obgleid) er fie burdb feine SBerf'e oerlängnet l^at,
biefen ©rnnbfnl^en 3ci'Ö”tf3 gdcn. 2Bie glnnjenb mürbe er fidf l)aben
rechtfertigen fonnen, menn er jeneg 5(piom ber inobernen 3teftl)etif gefnnnt
hätte, ba§ ®e ßainennnig oben „einen Ilnfinn" nannte!
.^ören mir bie nnmlidfen (ftrnnbfähe nod)mal§ non einem etmo§
jüngeren attifd)en Stebner i'pcnrguS. „isomer", fagt biefcr
in feiner ju 3ltl)en non ilpn gehaltenen Diebe gegen SeocratcS, „.*potner
galt nnferen 35atern at§ ein fo ebler ©icljter, baff fie ba§ ®efel3 ertiefien,
feine ©ebidjte, nnb non allen fie allein, fotlten alle fünf ^ah^'^
!j.'anathenäen abgefnngen merben. Unb mit Dledjt. ®enn bie ©efet^e
tonnen ilirer Äürje megen nicht nntermeifenb mirfen, fie orbnen bloft au
mcr§ man tljun foU; bie ®id)ter hingegen, inbem fie nadjahmenb ba§
menfdjtidje Seben bnrftctlen, mähten bie ebelften Stjaten an§, nnb üben
burd) ihre (Epradje unb iljre ©arfteltnng auf ba§ DDlem
fdjen beftimmenben ©influf;" *).
325. Eaff biefe Dlnfchauungen über ben 33eruf ber fdjonen fünfte,
mie fie nad; ben angeführten 3fugniffen fort unb fort in ©ried^enlanb
herrfdienb maren, and) in Dlom unbeftrittene ©teltnng hatten, unb jmar
gerabe mährenb ber 53lütejeit ber lateinifdjen Siteratur, bü§ ergibt fid)
bereits au§ ber im Dlnfange biefeS !j3nragraphen aufgeführten ©teile au§
ber ©piftel beS b^'toraj an ©atpurniuS i|3ifo unb feine ©ohne. SSäreu
bie bomatigen 3>ertreter ber 3!i>iffenfd}aft unb ber Äunft in ßntium mit
fenen Stnfdjannngen nidjt noUlommen eiimerftanben gemefen; hätten fie
ber 2lnfid)t geljulbigt, bie SBert'e ber fdjöneu .Ibünfte müfden „relationSloS
fepn, unb ihren ‘'Dcittelpnnft unb ihren 3roed auSfdjliefttid) in fid) fetber
tragen" : bann mürbe fid)er .'©oraj oou ben 3Serbienften ber 'i^oefie nnb
ber 3)iufif um ba§ 3!9ohl ber 30leufd)heit uidjt mit folcher 23egeifteruug
gefprod)en, bann mürbe er nod) oiel meniger feinen jungen g-reuub, ben
angeljenben ®id)ter, auf bie grof3urtigeu Stufgaben biefer Äüufte gerabe
barum haben hiumeifen tonnen,
„bamit bu über beine Siebe
jnr SShife mit ber golbenen Spra nidjt errötheft" **).
*) Lycnrg. orat. contr. Leocr. cap. 26.
** ) ... ne forte pudori
Sit tibi Musa lyrae sollers, et cantor Apollo.
Ad Pison. v. 406.
474 Scl^re oon ber „3ftclation§tofigfeit" ber fd^önen fünfte
3nbe§ ratr '^akii nod^ eine ent[d^eibenbere Sleu^erung non §oraj über bie
!^o!^e Slufgabe ber ^oefte imb ben nerbienftDoUen Seiftungen.
3'n ber erften ©piftet be§ jraeiten 23udbe§, ber einzigen n)eld)e „an 2lu=
guftug'' geridbtet ift, nennt er bie ®icE)ter „bie ^empetl^üter ber 2;u=
genb"*), unb beroeift ben ®atj, ba^ bie '^fSoefie utilis urhi, ber ®efetl=
fc^aft nü^ti(^ fep, fotgenbermajjen.
3ft es nicf)t
ber 3)id^ter, ber be§ Äinbe§ frühes Satten
jur ©pradhe bitbet? ber non pöbetbaften Stehen
fein jarteS Ohr entroöbnt, bann attgemadt)
burd) Sehren bie ber Steij ber .^armonie
unb Dichtung freunbtich macht, fein c'Qerj ber iugenb
geroinnt, non ©igenfinn unb Steib unb 3orn
ben Änaben h^üt, mit ebten ih^it^n ihn
uertraut fchon madht, ber gegenroärtigen Beit
nerroorr’ned Stäthfet burch ber ättern Sßett
33eifpiete ihm entroicfett, unb in Stoth
unb fronten Jogen iroft unb Sinberung fd)offt?
35 on raem fonft fotite, mit bem feufchen Ä'naben,
ba§ unberührte SJtöbchen beten ternen,
roofern bie SJtufe nidht ben ®idhter gab?**)
(5r ma(^t im (Shor ba§ 35otf jum §™’i^et ftehn;
er ift’§, ber fie ben gegenraürtigen ®ott
mit ©djaubern füt)ten madü, ber bie ©efönge
fie tehrt, rooburch auf bürre§ Sanb ber ©egen
au§ Söotfen ftrömt, bie Ärieg’ unb böfe ©euchen
nerjagen, f^rieben ftet§ unb reid)e (Srnte
un§ bringen! 3}enn burd) Sieber roerben un§
bie t^immetdgcifter hotb, burdh Sieber roirb
ber unterirbifchen SDtöchte Bof'i geftittt ***).
Ob ber gefeierte 35erfaffer ber „5K>ahtwerroanbtfchaften", ber „Seiben
be§ jungen 2S?erther" unb ähnlicher ©tücfe, in benen bie Unfittli^feit beä
B'nhflftä mit ber ©c^önheit ber pform roetteifert f) , ob ihm fage ich,
bi§hft^ angeführten Steufterungen ber Sllten befannt raaren, bin i^ ni^t
im ©tanbe jii beurtheilen. Stuffatlenb förnmt eä mir nor, ba§ @oethe,
*) Aedituos virtutis, v. 230.
**) ^ Castis cum pueris ignara puella mariti
Disceret unde preces, vatem ni Musa dedisset?
***) Hör. epist. 1. 2. 1. v. 126 — 138.
7) Otadh SBotfgang 3Jlenjet ift @oethe „ein SDtcifter fchöncr ff-orm bei unfitt;
tichem ©ehalt". 3Si]cher (2tefthetif §. 55) erftört ÜOtenjel bchhatb für einen „3?er=
teumber". 3(ber Sttenjet hat ja nur eine atlbefannte ‘ihatfad£)e auSgefprodhen.
oerläugnet bte Ueberjeugungcn ber gefammtcn ®crgaiigenl^cit.
475
rate e§ [c^eint, nur an ber Sel^re be§ 2triftote(e§ »cm bem
3;rat3Öbie 2Inftoj3 na!^m, ba bod^ 2(riftote[e§ nidf)t nur gan^ 2lnaIoge§
öon ber lliufif, fonbern flberl^aupt nichts raei'enttid^ 2lnbere§ fagt, a(§
raa§ üon ber Urjeit an bei ben Ännftiern raie in ber 2Bi[fen)d)aft at§
unbeftreitbareg Slpiont fe[t[tanb: baft näinUc^ ber 3^)^^ Id^bnen
fünfte ba§ ®obl ber 2iRenfd)^eit fei) , unb barnm an erfter ©teüe fyör=
bernng be§ etl^ifcben raie beä eigentUc!^ religiöfcn ßeben§. „25>ie fonnte
3Iri[totete§", fo äiipert fic^ @oet^e, „in feiner feberjeit auf ben ®egen=
ftanb l^inraeifenben 2Irt, inbem er ganj eigent(id) »on ber donftruction
be§ JranerfpietS rebet, an bie SBirfung, nnb raa§ inc'^r ift, an bie ent=
fernte S5>irfnng benfcn, rae(d)e eine 'iragöbie auf ben 3itfdbauer »ielleid)t
madieit raürbe?" *) Unb in einem ißriefe an 3^^ter, »om 29. 1827,
fd)reibt ber ®id^tcr; „®ie 23oHenbnng be§ .fl'nnftraerfeö in fid) felbft ift
bie eraige nnb nnerläfdidje fyorberung. 21riftotele§, ber ba§ iBottenbetfte
üor fid) ^atte, er fod an ben @ffect gebad)t fiaben! Söeld) ein
3 a m m e r !" **)
(?•§ nel^me niid) raunber, fagte id), raenn @oett)e nur an ber Se'^re
be§ 31riftotele§ fid) geftogen l^abe, ba fa bod) ba§ gefammte 3tttertl^nm
fid) einftimmig ju benfelben @runbfä^en befannte. ®af? bagegen ber
‘'Diann, ben bie 2?orfet)ung raie faum einen 3'^citen mit bid)terifilier 2?e=
gabnng anggeftattet fiatte, am 31benbe eineg taugen, ganj bem üDienftc
ber fünfte geraibmclcn ?ebeng, fic^ »on einem ©eftl^te ber 5>erjraeiftnng
ergriffen fvit)ten fonnte bei bem tfiebanfen, and) ein ‘Denfer raie 3triftoteteg
fülle jene Seljre »ertreten l^aben, bag finbe id) »ottfommen begreiflid^.
9t ad) 2lriftoteteg füllte ber 3iocd ber tragifd)cn ®id)tnng bie „^laf^arfig"
fepn, bie Steinigung, bie Säutcrung ber @effil)le; fo ranrbe bie l'e^re beg
if$'^ilofop]^en raenigfteng bamntg auggelegt. SS^ie grofe ift aber unter ben
®d)öpfungen @oetl)e’g bie 3^1^^ berjenigen, bie rairftidb ba,^n anget!^an
finb, Iciiiternb, beffernb, »erebetnb auf 9)tenfd)en jn rairfen? nnb raie
Sieleg enthalten bagegen feine SBerfe bag bie @efüblc oernnreinigt, raie
üiele i^erjen ranrben bnrd) biefetben fd^on »erfiil^rt! 2Benn er bar an
backte, — nnb raie raäre eg möglich, baf) er eg nie gefül)lt? — bann
^atte fürraal)r ber ad)tnnbfiebenjigjdl)rige @reig @mnb genug, angftüoll
augjnrufen; ,,2Seld) ein ^ömmer!''
3lri|iotele§ (roir t)(if>cn bie 0telte oorber, <B. 471, bejeidbnet) rebet feine§=
roegg, iiiie @oetbe annimmt, non ber „entfernten 'Jßirhing" ber Jragöbie, fonbern
Don bem unmittelbaren unb eigen t ti df) en ßroerfe» n)eld)em ju bienen fie
geeignet fepn fotl. (5r betrachtete bie Sragöbie alg bag mag fie jur 3c't ihrer Slüte
in @riedf)enlanb thatfödhliih Unen religiöfen ülct, beftimmt, bie ethifd):
retigiöfe ©efinnung ju förbern. 33gl. oben 9R. 252, <B. 351 f.
**) ®ei ißaumgart, ®. 76. (6it. 327.)
476 ®ie Sel^re t)on bev „9leIaMon§Iofigfeit" ber fd^önen Äünfte
326. es biivd) bie angefü^^rten unroiber[pre^Hc^ er=
raiefen, ba^ ba§ Slptom bev neueren 2te[t§etif non ber jtunft bie „fic^
feiber Ueberjeugung be§ gejammten ^eibnifdjen 2nter=
f^uinä in Sßiberfprud^ [te^t, jo n)irb man um jo roeniger ermarten, e§
bönne jid) in ben 2lnjd)anungen ber jpäteren Sffiijjenjdiajt , rcetd^er auj
i^ren jrii^er jo biinfien ijjjoben baä Sid)t ber c^rijtU(^en Ojjenbarung
lein^tete, etroaS jinben, ba§ jene 311 i^ren ©unjten beuten bönnte. ®er
2(njid)t l^idbigen, at§ ob ber 20benj(^ mit jeinen ^räjten unb SInbagen,
ober and) nur mit einer einzigen berjebbert, jür einen anberen besten
3mecb ba jep unb bebe nnb loirfe, ab§ jür ben Si'ienjt unb bie 23er^err=
bidjung bejjen, o§ne ben er nid)t nur ni(^t beben, nid^t nur nidjt roirben,
joubern eiujai^ uic^t jepn bönute, einer jobc^en 2tnjid)t anbiangen, jagen
mir, ba§ bjeijd in gbeidier Söeije mit bem ©tauben unb mit ber iBernunjt
bredjen, 3roecb be§ 2)benjcben mit 'Jbot^roenbigbeit bie
2}er^errlid)ung ©ottes bnr^ Unterroerfung nnter jein ©ejet^ unb ©inigung
jeined jreien ©trebeng mit ben 2iormen ber eroigen Söeiäl^eit, bann beji^t
er eben b)ierjnr, unb aCbein unb roejenttid) f)ierjür, aud) abbe jeine
jyä^igbeiten , jebe jeiner Jlröjte, bie ganje reicbe iBbitgijt oon Siabeuten
nnb 23orjügen, rcomit bie ^anb jeineg ©(^opjerä ib)n jo freigebig aug=
jtattete; unb 2bbbeä mag er burd^ bieje ju teijten unb l^eroorjubringen im
©tanbe ijt, mu§ nicf)t nur einen I^aben, jonbern überbieg einen
jobd^en, ber jidf) biejem beizten unterorbnen bojjt, unb benjebben in
irgenb einer SBeije reatijiren hilft.
©g ijt jidher nid^t nöthig, bur(^ eine Sinjaht oon 3£U9nifjen ben
23eraeig bierjujtetten , baf; bie 3®ijjenjd)aft jotange fie dhriftbidh blieb, an
biejer Sß>ahrb)eit fejtbjiett. 2Bir bejct)ränfen ung auf ein einjigeg, bag
mir einer bereitg ermähnten ©dl)rift jeneg i)Jtanneg entnehmen, ber bie
9beib)e mahrhaft großer ©enfer in ©eutfdjtanb für mehr alg ein 3^h^=
hunbert abjd)boj3. „SBoju", jagt Seibnij, „liejt man ober hört man bie
■©larjtelbung Ijijtorij^er bag ©itb berjelben in jeinen
©eijt aufjunehmen unb eg ju bemahren? Sbber bie auf foldhe Söeife
gemonnenen 33ilber merben ni(ht btoft f(^nelb mieber oermifcht, fonbern
fie finb auch briuegmegg immer ganj beutti^ unb tidhtoobt. Unter biejer
Otüdjicht muff ung bie IDtaterei unb bie ©culptur alg ein bejonberg
merthooUeg ©eji^enf ©otteg gelten. ®enn bieje jmei liefern ung blei=
benbe 23ilber, in metd)en fie bie ©rfiheinnngen in genauer unb lebenbiger
©arftellung , bie fid) überbieg noch öurd) ihre ©djönheit empfiehlt, jum
2lugbrucb bringen: unb inbem mir biefe 23ilber betradhten, frij^en fich
bie inneren 23itber in nnferem ©eijte mieber auf, unb prägen fidh, mie
bem iffiadhfe bag ©iegel, ber ©eele tiefer ein. 2Benn nun aber hiernach
bie ©d)öpfungen ber bilbenben fünfte fo oortheilhafte Söirfungen
her oor bringen, auf meinem ©ebiete h^öen mir bann mehr ©runb,
uov bem gonim ber 33enuinft.
477
bieje itünfte ju «evroert^en, al§ auf bemfeiiigen, luo uu§ un crfter ©teile
baran liegen miifj, baff bie Silber in nuferer ©eele fo bnnerijaft unb
fo roirtfain fevjen al§ mögli<jö, ba§ Ijeif^t bort, roo e§ fid) um bie g-ör=
bernng bed religiöfen Sebend l^nnbelt unb um bie Serf)errlid)ung ®otte§ ?
Stup fa bod} überljaiipt immer, mie bereits früher I)eruorgeI)obeu
mürbe, ber 2Bert^ uub bie practifd)e Sebeutung einer feben
Ännft nnb 2Biffenfd)aft nor eitlem barin fid) bemäfjren,
baß fie ba,^n bient, ®ott ben A^berrn ju uerljerrlid^en" 30i).
§•
3)tc cfcßrc tjon ber „(ißfofufcn ber ß«ITeotec6nif(fien perlte
Mor bem ^orum ber ^ernttnft unb ber
©djeingrunbe , burd) uietdje bie moberne ‘?tcftbetif il)r 5triom ju ftüben fud)t;
Seleudjtuug berfelben. (SS ift eine uubeftreitbare ()iftorifd)e ©I)ntfad}c,
baß bie uoltenbetften SBerfe einer jebeit fd)önen Äunft für beftimmtc
3med'e gefd)affen nnirbcn. Ob bie Seßre non ber „SetationSlofigfeit"
felbcr nud) „rctntioiiGloS" fep; it)re uumornIild)e Oenbeu^.
327. ilRan tonnte nnS im Serbndjt ßabeu, mir moUten ber mo;
bernen DIeftßetif Unredjt tßun, meun mir ißre l'eßre uerurißeilteu, ül}nc
bie ©rünbe and) nur ermäljitt jn l^aben, mit benen fie biefelbe 511 ftütjen
fud)t. ©eben mir ißr atfo einmal mieber baS S3ort.
„Oer Oid)ter überfd)reitct fein Oiditerred)t , feine ©djöpfnng ift
nitßtS als ein niebrigeS 2öerfjeug ju materiellen 3^®cden, er bemeift
jugleid) feinen moralifd)en Unmertß nnb fein dftßetifdjeS Ilnoermögen,
menn er mit feinem 3^eal eine beftimmte ©pifteuj bejmed't, unb ber
Diealität bnrdj ben äftbetifeben ©djeiu nad)I)e(fen mill" *). „iTünfte beS
SffectS, mie bie Orngöbie, finb feine ganj freien fünfte, ba fie unter
ber Oienftbarfeit eineS befonberen 3™cdeS fteßen" ** ***)). „Oer
beS jerftört bie flj'veißeit unb baS ©piet, baS S>efeu ber fdjöuen
jj^nnft" „2Ieftf)etifd)eS Sergnügeu fann bnS jlunftmert nur ge=
mäßren, mo ber Äünftler bei ber ''firobnetion beffelben einer inneren
97otfimenbigfeit folgt, bie ißn, unabhängig non Sbfidd unb ©nbjmecf,
mie bemufdfoS, mie inftinctartig treibt" f ). „Sloß um baS neue Oa=
fepn meldjeS er erzeugt, ift eS il)m 511 thun, er fudft in ber '!f,frobuction
*) Sdhitter, lieber bic üftE)etifcf)c @rjiet|U"3 bc§ Wenfehen, 26. 23rtcf. (Sßb. 12.
©. 140 f.)
**) ©(hdter, a. a. 0., 22. 3?vief. (©. 111.)
***) Jbrug, 2Iefthetif, §. 21. 59.
f) Süpleiii, 8et;rbuch ber Äunftroi]'fenfcf;att, §. 34.
478
®ie fic'^re Don ber „SRelationSlofigfeit" ber fd^önen Äünfte
feineg Söerfeg nid^t§ Stnbereg, al§ einen uniniberftel^ticEien 2:rieb feiner
37atur ju befriebigen" *).
roürbe bie Sefer biefeg Suc^eg beleibigen, loenn i(^ annäl^me,
bajs bie in biefen ©ä^en ouggefprodienen ©e'^auptungen auf manchen
berfelben nbergeugenb roirfen bönnten. Slber eg ift nic^t meine ©c^nlb,
raenn icf) bie SSertreter beg mobernen ^Ipiomg nicf)t beffere ©rünbe uor;
bringen laffe; id; mar reblic^ bemüht, bag 23efte roieberjugeben bag id)
finben fonnte.
328. ®ie jraei leisten ©äl^e gunäc^ft, uon 9lüfflein unb ffiider, ent=
galten eine 23e!^auptung , bie man niedeidit am ri^tigften (i^aracterifiren
mürbe, raenn man fie alg „fomifc^" bejeidjnete. ®ie 23iene, bie Slmeife,
ber ®iber „folgen bei ber iprobuction i^rer ,Äunftraerfe‘" ol^ne ^roeifel
„einer inneren iliot^raenbigfeit, einem unraiberfte'^tidjen S^riebe i^rer ilia=
tur"; fie arbeiten „berau^tlog unb inftinctartig". 2BitI man ung etroa
jumutlien, ju glauben, 4">omer unb ifjl^ibiag ober ®ante unb 2lc§termonn
l)ätten i^re SBerfe gleid)faUg in biefer Slöeife in bie 2Selt gefelgt? „^i^tig
beliauptet man," f^reibt ein befferer Genfer, „ber Zünftler raotle in ber
®arftellung nur fid) felbft genngeu. Obrao’^l er ol)ne 3^=^
l)alt einer i^m eigentl|ümlid)en Segeifterung mitjutbeilen fuc^t, fo fud^t
er il)n bod) eben mitgut feilen, unb mufg umgeben oon einem Greife
gebadjt raerben, ber fid; feiner SBerfe freut . . 5Ran foU nid^t ben
Zünftlern jenen ©tolg einbilben, mit bem fie allein ein raal;r'^aft freieg
@ef(^äft gu treiben glauben, in bem fie niemanb gn berücl fic^tigen , fon-
bern il;rem ©eniug adein gu folgen l)ätten; mon foU fie ilire £unft
oielmel;r in ftetiger 53egie^nng gu bem äftlietifcben Seben ber ©efellfc^aft
üben l^eifgen in raeldtjer fie arbeiten, unb für raeld^e fogar auf IBeftellung
gu arbeiten i^rer 3Bürbe nid^t fd)led^tl^in ©intrag tl;nt" **).
329. ©in etraag raiffenfdbaftlit^ereg 2lugfel;en !^at für ungeübte
Slugen anf ben erften ©lief ber ©ebanfe oon bem „3mange beg 3roedeg,
ber bie ‘^-rei^eit nnb bag Spiel, bag SBefen ber fd;önen jtünfte, gerftöre".
2Bag gunäd)ft „bag Spiel" betrifft, in raeldbem jbrug mit Sizilier
bag SBefen ber fd^önen ibünfte finben raill, fo mag ein fl^)
Sluffaffung aneignen, ber fidt) etraag 33erftanbigeg babei benfen fann.
3d; für meinen Jl^eil glaube niclit, baff bie ®idjter beg „Stabat üdater"
ober ber beiben „if^ange lingua" „fpielten", alg fie il;re §pmnen uer=
fajften; eben fo raenig uermag id; in ber S;^ätigfeit ©rroing oon Stein=
bad;, alg beren f^ructit ber iDiünfter oon StraPnrg haftest, eine 5Ieu^e=
rung gu fel;en, bie „il^rem 2Befen no(^ ein Spiel" ranre.
„?lber ber 3’^^^S raenigfteng bie Jrei'^eit ouf."
*) S'i'tev, 3teftbetif, §■ 1J^2- ?lüütein, §. 61.
**) i?ope, ®. 436. (6it. 18.) 3Sg(. SRitter. (©t. 432.)
Dor bem goriim ber Sßenuinft.
479
©otl biefer ©ebaufe ben ®tnn l}aben; „2Benn ein Üün)tler feine 3:ptig:
!eit einem bienftbar ma(^t, ber fo geartet i[t, bafe er jic^ burd^
eine Seiftnng non bebentenbem ä[t!^etifd)em SKerttje nic^t nerroirfli^en
tä§t, bann ift e§ ifnn nidfjt me!^r mogtid), ein SBerf jn liefern tnetc^e§
at§ bie Seiftung einer fdjönen jtnnft jn gelten beanfprudjen fann;" foll,
fagen mir, ber angeführte ©ebanfe biefen ©inn haben, bann ift er noII=
bonnnen roahr ; aber bie SSertreter beffetben hätten jebenfallg fo frennbtid)
fepn fönnen, ihn etrna§ flarer augjubrnden. SBitt bagegen behauptet
merben, fd)Ied)thin bei febem SBerbe ba§ für irgenb raetthen 9^=
arbeitet inirb, au(^ für einen ber brei non un§ inieberholt bejeidjneten *),
bonne eben barum nidjt mehr mit jener f^reibjeit nerfahren merben, raebdje
erforberlid) märe, menn baffelbe eine Seiftung non bebentenbem äfthetifd^em
SK'erthe, unb felbft non h^voorragenber ©djönheit merben fott, — bann
ift biefe Behauptung einfad} falfd). JDenn mir haben ja nachgemiefen,
ba^ gemiffen gegenüber bie ©dhönheit, ober menigfteng ein nid}t
geringer afthetifd)er 29erth, ber SBerbe bie benfelben bienen, ein nidjt
ablein ün^erft mirbfnmeg fonbern fdjtedjtbjin nnentbehrbid)e§ i)}bitteb ift,
biefelben ju nermirblichen.
©erabeju feltfam nimmt fich barum mieber bie f^otgerung ©d)ibber§
an§, bie bramatifdje ^iinft, bejiehungSmeife „bie Bragöbie", fep „feine
gan,5 freie j^'unft, meit fie unter ber ©ienftbarfeit eine§ befonberen
3inecfe§ ftehe". 2tns bemfebben ©runbe merben non gmei anberen ©e=
behrten bie bjohc^'f Berebtfamfeit unb bie 3brchitectnr non bem Dfange
„fchöner" fünfte an^gefdjboffen, nnb für hödjfteng „rebatio fdjone" ober
„bjabb freie“ fünfte erfbärt **). Bber ma§ benfen fidj beim biefe BMnner
ber SBiffenfdjaft eigentüd} unter bem 2lu§brnde „eine freie Jlnnft“ ? SBir
haben ben Begriff im 3tnfange biefe§ 2bbfchnitte§ (©. 324) nadj ^hoJ^a^
non Sbquin unb Boffnet ftor feftgeftebbt; ob eine Ännft „unter ber 3)ienft:
barfeit eine§ 3’^^'^'^^ ftebje“, mit anberen SBorten, ob fie für einen 3w^cf
arbeite, barnadj mirb bei ber ©ntfdjeibung über ben Oiang ber ibjr jn=
jnerfennen fep, gaip^i nnb gar nicht gefragt, — meib ja jeber nerftänbige
*) 3Sgt. 9t. 234 ff. @. 328 ff.
**) ^irfer, §. 92. (6it. 244.) Ärug, 9teftf)etif, §. 59. 9lnmcrf. 3, unb §. 69.
SEcIcpen giuflup biefe auggeübt, ba§ berocift bie Shatfacpe, ba^ „in
manchen 2ehrbü(hern ber Jlcfttjetif, roo fie non ben nevfchiebencn Jbnnftfonnen hnn=
bcln, nnb beten 33erf)ä(lnib jn einanber roiffenfdhaftlidj jn begrünben fucljcn, non
ber 3trd)itectnr DÖtlig Umgang genommen mirb , al§ gehörte biefe gar nictjt jn ben
höheren nnb freien .S'nnften" (.^ift.=pot. SBIötter, S3b. 34. @. 840). 9Jt. ®nrfd}, in
feiner 1854 erfdhienenen „Stefthetif ber djvifttichen bübenben Äunft be§ SOtittetalterS
in Scntfchlanb", madjt ben in 3tebe ftehenben ißehnnptnngen nodj loenigftenS bie
Gonceffion, ba^ er (©. 40) jngibt, bie 2(rd;itectur fep unter ben Ännften bie
n i e b r i g ft e.
480
®ie Se^ve t)on ber „9fte(ation§(ofigfeit" ber fd)önen fünfte
8JJann toet^, bo§ eine jtunft bie für feinen arbeitet, ein Unbing
ift. SBenn ©i^ilter unb bie übrigen bejeii^neten ©ele'^rten t)iecf)t fidtten,
bann raürben j. 25. bie ^unft ber ©rjie^ung, ober bie ^eitfunft, ober
jene ber ©taotäoerroattung, n)efenttic^ nur „l^atb freie" Äünfte fe^n, unb
üielleii^t gar fc^tec^t^in „unfreie"; 2feuf3erungen ber eigenttid) „freien"
fünfte oberften 9fiange§ bagegen 'Jütten wir oor un§, roenn breijä^^rige
Jl'inber mit bleiernen ©olbaten fpielen, ober Ifartenfiöufer bauen, ober
©eifenblafen in bie ßuft fteigen taffen. ®enn ba erfcbeint ja ganj un=
beeintrüdf)tigt „ba§ freie ©piel" , roäl^renb oon „bem ^i^ange unb ber
■Dien ftbarf eit eine§ „2Ibficf)t unb ©nbjroecf", fo roenig
ficfitbar ift, alg ficb bei ^anbtungen mit 2Sernunft begabter 2Befen über=
!^aupt nur benten täfü.
330. ©od^ taffeu mir bie i]5!^ilofop|ie ; fragen mir eine 3^^9”^
beren 2tu§fagen fi(^ roeniger mi^beuten laffen, bie ju laut rebet, at§ baff
man fie überliören fönnte. 2ßenn e§ roa^r ift, ba^ ber Äünftter, inbem
er fein 2tuge auf p^ere 3iele ridbfet unb für beftimmte 3^6<^^ arbeitet,
„jugleid) feinen moratifcl)en Unroerf^ beroeift unb fein üff^etifc^e§ Um
nermögen" ; roenn „ber 3™®*^S 3roecfe§" in ber ©liat „ba§ Sß^efen
ber fc^önen ^unft jerftört": bann müffen bie traurigen ©puren biefer
25erroüftung anf bem ©ebiete ber fcl)önen fünfte unb i!§rer Seiftungen
ju Jage getreten fepn, fo oft ein fo unglücfli^ roar, biefe
2Sei§l^eit be§ neunjel^nten 3a^rljunbert§ nicht ju fennen, unb barum fich
oerleiten tief3, in feinen fatieotechnifchen 23eftrebungen etroo§ me^r ju
fucben, at§ „bie 25efriebigung eineS inftinctartigen , unroiberftehlicl)en
Triebes", ©übt bie ©ef(hid)te ber Jl'ünfte, geben bie ©enfmäter ber
©ergangenbeit oon fotdbem Unbeit ^unbe?
2®ir haben bie 2lntroort bietauf bereits im jroeiten Kapitel gegeben,
©er 'Parthenon unb bie if^ropplüen ber 2tcropoli§, ber ©empet gu ©leufiS,
ber 3^aS gu Olompia unb bie if>atla§ 2ttbene beS „trugen fie
ihren ©cittelpunft unb ihren 3™ecf in fid) fetber", ober roaren fie giir
©erberrlicbiing ber ©ötter beftimmt, unb gur ^örberimg beS religiöfeu
SebenS? ©ie unb bie ©bpffee, bie ©iefänge if>inbar§, bie 3^ra=
göbien beS 2lefcb9lu§ unb beS ©opbocteS, bie bendi^en Dfeben beS ©e=
moftbeneS, bie ernften 2ß>eifen ber borifcben 2Jiufif, roaren fie roirflid;
„nur um ihrer felbft mitten ba", „ftanben fie" nidjt „unter ber ©ienfU
barfeit befonberer 3^oede" ? Unb bie ^pfatmen unb bas ©udj 3ob unb
bie ^ropbegie beS 3f®^oS unb bes ^sr^uuaS „Jfltagetieber", unb bie ,,©U
oina ©ommebia", ber ^arcioat unb ber ©ituret, ^acopone’S ba ©obi
„©tabat ©tater" unb ©etano’S ,,©ieS irae", bie ^pmneu eineS 2tmbro-
fing unb eines ©bo’uaS oon 2lquin, ©jregorS bes ©rofgen 2©eifen unb
'^^aleftrina’S ©ompofitionen, ©iotto’S, 2tngetico’§, ©oerbecfS, ©teinte’S,
©eitbS, ivübricbS ©Uber, ©rcagna’S, ©djonbooerS, 2tcbtermann§ 2trbeiten
uor bem gonim ber ®efd^id;te.
481
in ©tciu, bie '3J^eiftcriucvfe auf bcm (ilebiete ber gciftlidjeii ®evebtfamfeit
üon C£f)n)foftomu§ biä auf 33eruarb uoii (älairuaur, bou 0eguevi unb
::>3ofiuct uub 2.'8ifem«ii uub ?}cac (Sart^i), bie Äirdfieu ber IjeUigeu
fabetl) 511 8-liarburg unb ber beiligeu @ubula ju 33rüffe(, bie ®ome non
etraPnrg, (Jöln nnb fyreiburg, non iR^eimg unb (51jartre§, non HinienS
unb 0aU5bnn), non i)i)cailanb, S?urgo§ unb Jolebo, — inie iinb fie ent;
ftauben, iner f)at fie f;eruorgebrad)t‘? 3^"^ fünfte Ijaben e§ getljan, bie
nid)t etina blofj bem rciigiöfen ©eifte bienten, nidjt btoft ol)ne iltücfftatt
fid) i^m bingegebeu Ijatten, foubern, burd) ben @eift be§ Gljriftentbinuö
crjeugt, aug itjin nur lebten, unb allein für il)u; jene jl'ünfte, bie iljrcm
ganjen ©egn nadj religiös, im inal}rftcn Sinne be§ 2Borte§ ©ienft
Cfmtteä unb ®ebet, rein übernatürlid) , ganj fatf)olifd) tnaren; bie mit
ber ilRalerfdtulc ber Dtepnblif Siena fid) ju bem ©runbfabe befannten:
„irdr finb non ®otte§ ©naben baju berufen unb beftimmt, ben Itiu
gebilbetcn ineldje uid)t lefen fönnen, .Hunbe 511 geben non ben SBunberu
be§ ©lanbenS" 302); bereu ©efinnung burd) unb bnrd) biefeuige mar,
roeld)cr ein nm bie ÜBiebergeburt ber fd)öneu Äünfte in unferem
Imnbert l)oc^nerbienter "liieiftcr 5luöbrud gegeben l)at in bem !^errlid)eu
'43efenntnif) : „i)-Uir ift uämlid) bie 5t'unft gleid)fam eine Inarfe ©anibä,
anf ber id) attejeit if3falmcn möd)te ertönen taffen jnm Vobe beä öperrn'' * **)).
^ft e§ auberS, bann rebe man, nnb tiefere ben 9iad)meiä.
331. 9tod) ein letztes 2®ort, atd 5lbfd)tuf5 biefe§ 5;l)ema’§. ®er
l*el)re ber moberneu iHeftl)etif jufolge folt e§ nid)t ongel)en, baf) bie fd)öneu
itnufte für einen f^med arbeiten; aber inbem fie fo eifrig bemül)t ift,
biefe il)re feltfame ©octrin aufred)tju^ntten , meift fie red)t gut, baf; fie
babei für einen ^du’cl arbeitet, unb für mctd)en. Schiller bereite l)at
bie Snd)e nerratl)en. 3^nen feiner nortier erinäl)nten „^Briefe'', in metd)em
er „bie Xragöbie" für eine „nid)t ganj freie" jbnnft erflört, roeit „mit
bcm 3?egriff ber Sd)önf)eit uid)t§ in l)öl)crem iBiaaftc ftreite, al§ bem
©cmütl) eine beftimmte 'Jeubeug gu geben", befd)lief)t nämlid) ber ©id)ter
mit ber Slnbcutnng, nur bie „©efd)inadlofigfeit", metd)e feneu ©runbfal?
nid)t nerftel)c, fönnc „au einem auncreontifd)cu ober catutlifd)eu Viebe
5lergcrnif) nel)men"
Um biefeu idusfprud) gu nerftebeu, mufi mau bie lRid)tung ber nou
Sd)itler gcnnuntcii „nnacreoutifd)cn unb catullifd)eu Sieber" einigermafteu
fennen. ©er Jitet „3lnacreoutifd)e Sieber" (’Avaxpiöv-si©) begeid)nct „eine
Sammlung non Siebe§gebid)tcn, mcld)e, non (ionftantinnS öbcpl)ala§ ner;
anftaltet, 59 flcinerc Sieber überliefert l)at". ©er ißerfaffer biefer Sieber
*) g-viebrid) Cnevbcd, „®ie ficben ©aemmente" ©. 3. '33g(. Stätter,
Sb. 65. ©. 786 f. 857.
**) ©ebtUer, 22. Srief, Sb. 12. ©. 112. (6it. 477.)
Sungmanii, Stcftfjetit. 2. 3(ufl.
31
482
Sie Se^re doix ber „iRelationSiofigfeit" ber fd;öiu'ix Äinxfte
fcf)eint jroar fehiesroegS ber gviedjil'd^e St(^tev 3Inacveou uoii 2:eo§ ju
fei}n; aber „fein 9^amc tjaftete frü^jeitig an benfelben; man geroör}nte
fid) halb, and i^nen fidj bad 3?tlb bed Sinacreon jn entroerfen, nnb
biefen in ben üppigen ®on Siebe trnnfenen ©id^terd mieber;
jnfinben, roeld^er, burd) bad ©reifenaiter fd]on faft entfräftet, bod^ non
©roten, 2Sein, Stofen, iUlöbd^en unb feinem 23att)pllnd nidbt rnnbe racrbe
ju fingen nnb ju träumen" * **))•
3Sad bann bie „catnttifi^en Sieber" angef)t, fo bürfte, itjren ©eift ju
djaracterifiren , ein einjiged berfelben meljr atd t)inreid)enb fepn. ©atnlt
gibt fid) barin ben 3lnfcbein, atd motte er fidb benen gegenüber red^t=
fertigen, roetdbe it)m „anf ©irunb ber Süfternt)eit feiner Sieberd)en nadf)=
fagten, er fep nidft fenfd)" ®ie 2]ertt)eibignng gelingt i'^m fd)ted)t;
aber ed ift it)m offenbar and) gar nid)t ©rnft bamit. „®enn", fagt er,
„®enn feufd) fott fid) ber ebtc ®id)ter batten
Setbft; bie Sicberdjcn brnudien ^otd)c§ gnr nid)t,
®ie bann eigcntlid) 0aft unb ©al3 gcminneit
3Semx fie Süftcrnbcit ntbmcn, fid) ntd)t fdjämen,
Unb mit üppigem Sicbereij — "
bodb ber 2tnftanb nerbietet mir, bad 2Beitere t)ier in beutfd)er @prad)e
folgen jn taffen 303). ®ie groei erften nnb bie fed)d ©ebhtftoerfe bed
unflätigen @ebi(^ted tann id) and) in ber Originalfpradbe nidbt auf=
nebmen; ed ift barin non jenen (Sräuetn bie iRebe, roetd)e ber b^itige
©eift SSeidt). 14, 26 unb namenttid) Sltom. 1, 27 in ben ftärbften 3tud=
brnden neriirtbeitt. 91 amt er t)dt bad Sieb, mie man^e anbere, um
überfeüt getaffen, unb gibt ed nur tateinifd); nud) ijßreffet übergebt bad=
felbe in feinem Söerfcben „©atulld audgeroäl)tte ©ebid)te". „®aff nur
eine 3tudmat)t" aud ben ©ebid)ten „gegeben mürbe", fagt ber Set^tere
am @d)lnffe feiner ©iuteitnug (©. XYl), „mirb feiner 9te(^tfertiguug
bebürfen."
^el5t miffen mir, mnd in feinen üort)er angeführten 3Borten ©d)itter
meint, unb metd)en 3^^*^ bie moberne 3teftt)etif im 2fuge t)dt, ba fie
„bad mat)re ibunftmerf" für „retationdtod" erflärt, bad b^ifif fu^' «n
ißerf, bad feine 23egiebnng bdben fonne gu irgenb raetd)em 3™^*^^-
Siämtid) bamit ©ebid)te, im ©eifte ber ungüd)tigen anacreontif(^en Sieber,
nnb und) bem oon ©atuU fetber aufgefteltten fdbamtofen f|3rogramm ge=
*) 3)etnf)arbp, ©runbriB ber griedjifdfien £itcratuv (Jpatte 1845) II. 'Jbt- ®- 496.
**) Qui me ex versiculis meis putatis,
Quod sint molliculi, parum piidieum.
Catull. carm. 16. Aä Aurelium et Furium. v. 3. 4.
**’) Se§ dajiig 33alei'ui§ (5atutlu§ @ebid)te, Iateini)d^ xnxb beiitfc^, ®ien 1803.
ift felber feine§roeg§ „re(ation§(o§".
483
arBeitet, nidit al§ unb ärgenüßDOlI üerurtf^eift icerben fonnen;
bamit überhaupt id)Iüpfrige, 5ud)t= unb fdjantlofe, glaubensunbvige, gottes=
lä[ter(id)e, 3[uf(el}ming unb 3ieöoIuttou pvebigeube '^ßrobucte ber fd)öneu,
ober üielmerjr pieubofc^öner Äüu|te, a(ä über jebe Sünfpvndje ber 3^elu
gtou unb ber uatürlidien ^IJioral eidjabeu gelten nnifien: bar um fämpft
man für ben ®al^, bie fdjöne Ännft fep lebiglid) um i^rer felbft mtllen
ba, unb fie Ijebe tljr eigenes SBcfen auf, fobalb fie um elneS 3’üecfeS
millen arbeite. Olpte nobles 3'^^ miffenfd)aftlicben
0trebenS.
iK>enn nur bie üledpning meiügftenS probelfaltig märe. 9Mjmen
mir an, bnS maS ®e l'amennaiS „einen llnfinn" nannte, märe voll;
f'ommen ma^r; benfen mir nnS, bie fdjönen fünfte mären in ber 34}at
nid)t befugt ober nid)t fähig, für irgenb einen guten 3'^6'^ tf)ätig ju
fepn; mürbe beim hieraus folgen, baff fie bered)tigt fegen, Singe jn
erjeugen unb ber iHtenfdiheit oorpiführen, meld)e bnrd) ihre SSirfnngen
berfelben nothmenbig Scrberben unb Unheil bereiten müffen? Sarf etma
ber meldter nidjt in ber l'nge ift, @nteS jn thun, eben barum 23öfeS
flmn? unb mer fidi unfähig fieljt, feinen “iOUtmenfdten jn nüben, befipt
ber bnS ipriDileginm , ber Serantmortung überljoben jn fepn , menn cS
ihm fyrenbe madft ihnen jn fd)uben? i)Dbnn mnft mahrhaftig ftannen,
menn man fieht, mit metdjer Sreiftigheit in nuferem ^fih'^'hi'n^'-’rt eine
„35>iffenfchaft ohne @ott" ihre paraboren (Sünfälle ber 2öelt oerfünbigt;
nnb man mnp nod) mel)r ftannen, menn man bie ehrfurd)toolIc Unter=
mürfigfeit betrnd)tet mit meld)er biefe ‘^nralogiSmen entgegengenommen,
nnb bie Diaioität finblidten 0inneS momit fie geglaubt, nnb als 51nSflnft
ber mähren Weisheit nndigebetet merben.
Die ^rd)itectur ober bie l)öl)cre lBo,ttkun|l.
Srftcö tapitcL
Bif religiöse Jird)Ucctur uiib iljre ;Aiifgcüf.
®ie religiöl'e ©aufunft im 6r)ri[tentl^um i[t mit bem Setjtevcn felbft begvünbet;
100511 [ie berufen fei).
332. ^ei 'e^ofjii ©otteä f)at feiner j?ir(^e bie ©emait uub ben
23efet)I gegeben, burd) bie SSerroanbiung bed 23robe§ nnb be§ 2öeine§ in
feinen ßeib unb fein Süit ber fIRaieftat ©otteS ba§ Opfer barjnbringen
burd) n)etd)e§, bem 2öorte be§ lebten '^ropl^eten jnfoige, bereinft „nom
3tufgnnge ber Sonne bi§ jum dliebergange ber 9^ame be§ §errn ber
.s^eerfebaoren grof? fepn fodte unter ben Oölfern". Oer So^n ©otteS
f)nt nberbied, al§ bie “iDfittel jnr ©ntfünbigung unb .'geiiigung berer bie
nn if)n glauben, ben .*^änben feiner c^'irebe bie Sacramente anoertraut;
nnb er I)at biefeibe brittend beDOÜmnd)tigt nnb beauftragt, ber ©briften=
f)eit fort nnb fort feine Se^re unb feine ©ebote 511 oerfünbigen.
i)i)^it biefen oon bem ^''ttrn getroffenen ©inrid)tungen ift bie reügiöfe
)}(rd}itectur im (5bviftentf)nm für ade Oenn roenn bie
bejeidineten 2tnorbnungen andgefübrt roerben foden, bann bebarf e§ ni^t
nur, für ba§ Opfer, beä Stftard, fonbern jugleid) bed geeigneten ©e=
bnnbed in roetc^em berfeibe fid) 511 crf)eben, nnb in roelt^em bie c^riftlic^e
©emeinbe jur fyeier ber ledigen ©efjeimniffe, 511111 ©mpfange ber Sacra::
mente, 5iir 3(nf)öriing be§ 3©orte§ ©otted, nnb 51t ben anberen Hebungen
bed gemeinfnmen ©ottedbienfted fic^ 511 oerfammeln !^at. ©eeignet für
eine fold)e Seftimmung ift bad ©ottedfjand, bie „.fbirc^e", aber nur bann,
menn fie, foroeit fid) bad bei einem Söerfe ber 'üJtenfd)en’f)anb erreidfien
iüfjt, ber iDtafeftcit ©otted ben fie oer^errlic^en, unb ber iinerfaBÜdien
v'^ot)eit ber ©e^eimniffe roetc^e fic^ in ü^ren 9täumen üod5ie^en foden.
iuificl;t6are „§iau§ @ottc§" na(^ ber Offenbarung.
485
Kiürbtg cvidfeint; luenn [ie übevbieä in ber 2i>eife erbaut unb nuggeftnttet
i[t, baf3 jie bie 0ee(c be§ ßljriiten mnctjtig ju ergreifen, feinen @eift auf
bie übernatiirtidfen SUfatfadfen be§ @Iauben§ Ifinjulenfen , fein @emütl)
non biefer Grbe löfen, unb in bemfetben lebenbige @efüf)Ie ber (J-tjr=
furdft, ber 3tnbetnng, ber 3(nbad)t inirffnm nnjnregen nermag.
^ene (5'igenfdjaften inelcbe übertfaupt einem förpertii^en ®inge, ineldje
indbefonbere einem ©ebäube, unb jmar einem jeben bnd fie befi^t,
Sdjönljeit nerleb^en: fyeftigfeit, @inf)eit, fRegetmä^igfeit, 3'fcdm affigfeit
ber (Sinrid)tnng, (Surfjpttfinie nnb 0pmmetrie* **)), biefe SSorjüge aflein finb,
foldjen 3Inforbernngen gegenüber, nid)t genügenb. 0)ie 6fjriftenf)eit fiat
bnd gefnfjlt; nnb fie bat non 3tlter§ fjcr gefnnben, baff bem 3iüccfe um
ben ed fidj banbeit, nidft beffer entfprodfen rnerben fönne, als burdj ein
©ebäube bn§ , fomeit e§ eben nnginge, at§ fpmbolifdfed iffndfbitb fened
geiftige Irland barftellte, fenen unfidjtbnren Tempel ©otted, metdfen ber
©taube fie fennen gefelfri b‘^fic 2T'0 ift biefer Tempel, unb mie
haben mir und biefed geiftige yr'and ©otted norjuftellen?
§. 1.
5aö grtfHge „Äauö“ unb ber un(t(6tP<ive ,,'Sempcf Lottes“ na(b ber cleßrc
ber ©ffcnßttvung.
333. „®enfet nicht,'' fo beeten mir früher (0. 106) 0t. 9fuguftin
in einer ben (Jfn'iften fagen, „benfet nicht, ber iSempet ©otted
fep anper eud). £debet bie ©eredjtigfeit, unb if)r fetber fept ©otted 0empel."
©d mar bie üfeffre ber 3tpoftet, metdje ber 9?ifd)of oon i'i biefen
iß>orten roieberhoUe. „8Jiit ihm", fo h^tte einft ber fyürft ber 9fpoftcf
bie „mit iffm fei)t iffr uerbunben, bem febenbigen
0teine, ben, non ben 23au(enten uerroorfen, ©ott auderroählt hot »nb
oerherrlicht; unb über iffm erhebet ihr euch, felbft lebenbige 0teine, ald
geiftiger Tempel." „^df fdfreibe bir biefed," h^Oe ber 3fpoftef bem
^imotheud gefügt, „ouf bap bu roiffeft mie bu nufjutreten haft im .f)aufe
©otted, bad i>i ber ©emeinbe bed febenbigen ©otted, meldje bie
0äufe ift unb ber ©rnnbbau ber 9Bahrheit." Unb mie oft hntte ei'
nidht ben ©lünbigen and .'perj gelegt, bnf; fie ald bie ©emeinbe ©h^dfti
„ber lebenbige Tempel bed göttlid]en ©eifted mären", „bad i'oaud ©mtted".
*) 3Sg[. Dt. 90 ff. 0. 120 ff. Dt. 94. @. 127 f.
**) „(Sin fi}inboüfche§ 93ilb" eineg (Segenftanbeg ift „ein Silb einer Dlnn=
logie" eben biefeg (Segenftanbeg. „(Sine SInalogie" eineg Oingeg nennen mir eine
(rairfliche ober burd} bie iphantafie gebilbete) (Srfdjeinung, roeldje bcmfelben analog
ift, unb barnm geeignet, nng beffen Dtuffaffung ju uerinitteln. 3Sgt. meine „Theorie
ber geiftlichen SDerebtfamteit" Dt. 101 — 106. (2. Dluft. S. 217 ff.)
486
Sag unfid;tbare „^aug @otteg" nad; ber Offenbarung.
ba§ „über ben f^rop^eten uub Stpoftefn al§ feinem @runbe anffteigt,
feft unb unerfd^ütterlidj ru^enb ouf bem lebenbigen @d[tein, 6f)riftu§
3efu§" *) 304).
2lber nic^t bfof^ bie an ^^riftuä ben ^evvn @faubenben auf biefer
(Srbe, rote man nac^ ben angefüfirten Sleu^erungen ber gmei 2lpofte( benfen
fönnte, umfaßt biefe§ geiftige .^au§, biefer unfic^tbare Sempel @otte§.
®er gröfgere, ber roeit norgügli(^ere 'i^eU beffelben liegt au§er!^alb fene§
@ebiete§, bas bie ©efet^e ber 3etl unb beS fRaumeS be^errfc^en: benn
berfelbe roirb gebilbet burd) bie @efammtl)eit ber SSerflörten am Sl^rone
©otteS, „bie ilRpriaben ber ©ngel unb bie ©eifter ber uodenbeten ©e=
redften" ** ***)). ®iefer corgügü^ere Silieil ift gemeint , roenn ber i)3ropl^et
beS neuen SunbeS in ber gel^eimen Offenbarung roieber unb roieber non
bem „Oempet ©otteS" rebet**"''0; u)eun i^m in bemfelben „bie gäbe beS
iBunbeS“ gegeigt inirb, unb „ber golbene 2lltar, nor tneldjem, mit bem
Dfiauc^fajg auS lauterem ©olbe, ber ©ngel fte^t, bie ©ebete ber ^eiligen
opfernb" ; inenn er enblicJ^ „in ber ‘ilRitte ber liel^ren ißerfammlung nor
bem Slfrone ©otteS baS fiamm ftelfen fie^t, tnie gefc^lad)tet" f); biefen
norgnglicberen O^eil, baS .^auS ©otteS baS nur bem ©tauben fiditbar ift,
^atte ber iperr im 3luge, ba er 2lbf(^ieb nabm non ben ©einen, unb fie
tröftenb fogte: „3'n bem v^oufe meines ißaterS finb niete ©tätten: i^
ge^e ^in, eud^ einen ipla^ gu bereiten" ; biefen in nod) niel bunflerer
ber ipropi^et, atS er, non iBeinnnberuug :^ingeriffen, anSrief: „O
inie fo groß ift unfereS ©otteS .'pauS, mie fo ineit ber fJlaum feiner
^-^errfdiaft!" tt)
5ltfo bie ©Ott treu gebliebeneu ©nget, — bie in ber ©nabe ©otteS
auS biefem Seben ipinübergegangenen , mögen fie nun bereits nerflärt
fepn, ober noi^ im 3uftanbe ber Öäuterung feftgelialten roerben, — ade
lebenbigen ©lieber enblidb ber raaljren Jlirdfe auf biefer ©rbe, — mit
©inem 2©orte bie ©Rfammt^eit berfenigeu auS ben mit 3}ernunft begabten
©efdiöpfen, ineldie bem menfdigeinorbenen ©ol^ne ©mtteS an^angen unb
ber 3Bat)r^eit bie @r nerfunbigt l)at; biefe ift eS metdje mir begeid^nen,
raenn mir im ©inne ber Offenbarung unb mit ber l^eiligen ©ii)rift non
bem „unfidjtbaren Jempel" ©mtteS reben, ober non feinem „geiftigen
§aufe".
*) 1. 'fgetr. 2, 4. 5. 1. Jim. 3, 15. 1. 6or. 3, 16. 2. <5or. 6, 16. .§e6r.
3, ß. 10, 21. 6p{)- 2, 19. 20.
**) Jpebr. 12, 22. 23.
***) Offenb. 3, 12. 7, 15. 14, 15. 17. 15, 5. 6. 8. 16, 1. 17.
t) Offcnb. 11, 19. 8, 3. 5, 6.
tt) ffob. 14, 2. Sarucb 3, 24.
J’aS ©ottesljauä foU baS inificf;tbare ,,.pau§ ©ottcg" lijinbotifd; barftellcn. 487
5>cr <Äerid)t ber «Ätrc^e nddi foff btc Ardiitccfnr bas mafcrieffc 6oifc5ß(ius (o
flcftaffcn, ba^ es bcit „unfidjibaven ^empef“ Zolles (ptitboftfcb barftffft.
3Ö}iU)eIm Tuvnnbus; 'ilf)Dma§ uon Srquiu. «atdlen au§ ben Ittuvqiic{}eu 33üdjevn.
^fviebridj uoii 'Sd}fegel. 3)ie tviumpfjivenbe Äivd)c unb btc ftveitenbe finb
3;f}ei[e cincö cinjigen ©niijcn.
334. ®oii 2t(tev§ fjer, fagte td) früher, f)at)e bie ßfjvifteuficit gc=
finiben, — unb o^ne ^)dtte fie c§ Don ben 5(pofte(n gelernt, —
bap ber SBeftiminnng , ben inüvbigcn 3^anm jn bieten für bie
beiligen (i^^cbeimniffe nnb bie 3>evfnnbignng bed 2t>orte§ (i'otteä, ein ®c=
bnube mir bann noltfommen entipred)en fönne, inenn e§ ji^ bnrftede a(d
bad fpmbotifdjc 97ad)bitb be§ geiftigen ‘JempetS ®ütted. „®a§ S>ort
ibirc^c ift foiuo^i bev diaine für ba§ materielle .'^and non Stein, a(§ für
bie @cfamintf)eit berer bie an (Jbriftiig gtanben. ®ie materielle Äirdie
non Stein aber, in lueidjer bie ß^riften fidf jnm ©ottesbienfte nerfam=
mein, beb ent et eben biefe ®efammtbeit, nnb namentlid) fene ^el)re ®e=
meinbe, meld)e im .ffiimmel fic^ and lebenbigen Steinen jnfammenfügt" :
fo fpradj biefen (Mebanfcn nor fed)dt}nnbert 23ifdbof
non iDtenbe and, ilMibelm ®nranbnd 305). Unb nm biefetbe ^‘ttte
Ibomas non Dlqnin gefdjrieben: „Sa§ ©ebünbe in meld)em ba§ @e;
Ijeimnif; be§ Veibed nnb 93(nted 6I)rifti gefeiert inirb, bebentet bie
.ibird)e, nnb inirb genannt" 306).
6'incn entfd)eibenben 93eineid für bie 95>n^rl)eit biefer iduffaffnng
finben mir namentlid) in ben non ber Äird)e norgefd)riebenen litnrgifdjen
2?üd]ern. ät^enn ber iBifdiof für ben 23an eined neuen @ottedI)anfed ben
®rnnbftein gefegnet nnb in bie ®rbe gelegt f)at, bann forbert er bie nm
ibn Serfammelten auf, anjnrnfen ben ^Ulmäcbtigen „in beffen öanfe niele
Statten finb" 307); unb halb barauf betet er felber gn i()m „ber, inbem
er aUe feine ,vieiligen nm fid) nerfammelt, in ü)nen feiner 90iaje)'ttit eine
unnergänglid)e i't>of)nftätte baut" 308). iUei ber ®imncil)ung bed nolU
enbeten ©ebänbed inirb biefelbe 9tnfforbernng , unb fpäter and) baffelbe
@ebet inieberljolt. 35>ä^renb man aber in feierlidjem IRetiqnien
ber iDMrtiirer in bie 511 ineil)enbe Äird)e trügt, inirb, neben anberen,
biefe 5Intipf)on gefnngen: „9Jtad)et end) auf, it)r sbeiligen ®otted, jict)et
ein in bie Stabt bed .'öerrn" 309). Später, ino ber iUifd)of fid) anfdjidt,
bie jinölf Ärenje ringd an ben lYmiiben ber i^'irdfe mit (^[)rifam jn
falben nnb fie bann jn ineenfiren, ftimmt er bie 9Intipl)on an; „Ä'oftbare
Steine, 3e^‘''fdlcm, finb alle beine ''Dtanern, und (Jbelfteinen bauen beine
'4t)ürme fid)" 3io). 23nlb barauf fingt, inbep ber 2?ifd)of bie Salbungen
noUjiefjt, ber C^^or bad Dbefponforium : „Sad ift 3ei'itfalem, bed q^immeld
488
®ie 5tufgaBe ber reügiöfen 3(rd;itcctur:
roeite ©tabt, gef^mücft al§ bie 5ßenna!^Ite be§ £amme§: berm [ie ift fein
3elt geroorben, Snielufa. 2;i^ore f(^Iie^en ficf) beä Sage§ nid^t,
unb fie fennt feine iJlacfit" 3ii); bann biefe§ anbere; „®eine ©trafien,
^ernfalem, finb lantereS @otb, Sltteluja, barin ertönt ba§ Sieb ber ^renbe,
3ttleluja; unb auf beinen if}täl^en in§gefammt fingt 3ftleg, HCtetufa, ?nie=
fufa. ftra^tenbem Sidjte inirft bn erglänjen, nnb beugen roerben ficfj
Dor bir affe Sanbe ber (J'rbe" 3 12).
3ft bie lange gunction ber 3öei§nng be§ i)aufe§ ®otte§ enbtid^ ab'
gefct)Ioffen , bann beginnt ba§ ^od^amt mit jenen Siöorten, bie nor 3®^^=
laufenben einft ber if?atriard^ gefprodben, af§ im 2;raumgefidbte ber i*öerr
fefber 51t i^m gerebet, unb er bie ®ngel @otteä auf ber gebeimni^nolfen
Seiter b^tte auf= nnb nieberfteigen feben; „©dbauerlidb ift biefe ©tätte!
fürmabr, biei^ ift ni(bt§ anberä al§ ba§ ®otte§ nnb be§ ^irnmeB
^bo^'f inib fie fott beiften ®otte§ ©aat" 3i3), Unb fo oft ber 3db^e§t®3
ber 2Seibe roieberfebrt , betet am ©(btuffe eben biefer ‘Steffe ber if^riefter
roieberum 511 bem .*^errn „ber an§ febenbigen nnb auäerlefenen ©teilten
feiner 'iDfajeftät ben einigen Stempel erbaut" 3i4); bie (Jpiftel ber '3Jteffe
aber bilbet bie folgenbe ©teile ait§ ber gebeimen Cffenbarting;
„3n fetten SLagen fab id) bie bedtge ©tabt, ba§ neue ^enifafem,
nieberfteigen aii§ bem ,S*;>itnmet non ®ott, angetban inie bie ?ieunermäblte,
ba fie gefdbmücft ift für ibren 8Jtann. Unb i(b nernabm eine getnaltige
©timme non bem Sbrotte, tneldfje fproi^; ®a§ ift ba§ ©ejeft @otted bei
ben “iJ^tenfcben; unb er loirb raobnen unter ibnen, unb fie roerben fein
ißolf feptt, nnb ®ott felber inirb unter ihnen fepn, it)r ®ott; nnb ab=
inifiben inirb ®ott fegtidtje ^^brnne non ihren Singen, nnb ber Job inirb
fürber nid)t fepn, nnb Jroiter nnb ,lt(nge nnb SSef) inirb fürber nidbt
fepii, roeil baö ®rfte babingegangen ift. Unb e§ fprad) ber auf bem
Jbfone fibt; ©iebe, id) madje Sttleä neu" *)•
335. betife, in biefen ©telteii nii§ ben litiirgifdbeii 23üdbern
tritt ber ©inn ber Äirdje itiinerfennbar genug bctnor: bad materielle
®otteöbfiti§ , ba§ ®ebäiibe non ©teilt, foltte nach ibt'er Slbfiibt al§ fpm=
botifdjed 23itb bem gläubigen ©emütbe ben geiftigen Jempet ®otte§ bar=
fteHeii, non roeldfem bie Offenbarung uns .^unbe gibt, namenttidb bie
einige SBobuung ©otteS in ber ©efammtbeit ber bereits S5erflärten, fein
unnergänglicbeS .^aiiS über ben ©ternen. f^riebrid) non ©diteget b®t
baS, unb roabrfdieintidj oline .s>üifc ber titnrgifdien 23ücber, gang ridjtig
erfannt. „Oie 33 eben tun g", f^reibt er, „mar baS nornebmfte
feiter alten Äünftter: unb man faiin nid)t gineifetn, baft fie oftmals"
(nielmebr, immer) „bie beftimmte unb beintifde Slbfid)t batten, in ben
fid}tbareii (S'ebäiiben ber .liird)e bie Äirdje felbft, im geiftigen ©inne
*) Cffenb. 21, 2 — 3.
ba§ ©otteSTjauS fotl ba§ imfidjtbare „|>nu§ ©otteS" fpmboltftf; barfteüen. 489
nmntidj, ben 3?egvtff berfelben, tmd) bem ücrfdiiebcneu 3}err;ä(titifje, bar=
jufteden unb anjubeuten, ba fie batb aB fti'eitenb balb o(§ triumpfjirenb
gebadet ratrb'' *). Unb felbft ©d}UIer fd)eint biefc fjofje fpmbolifc^e ®e=
beiitung be§ @otte§!^aufe§ empfnnben jti Tjaben:
d'räcbtiger, al§ mir in unfcvm 9(ovben,
SBobnt ber 23ettter nn bev ©ngeBpforten,
T-enn er [iebt ba§ einig eiit3’ge 9doin !
umgibt ber ©d)önbeit @[an3geanmmel,
Unb ein 3rceiter §iinunel in ben §iminel
©teigt ©anct d'UerS nntnberbarer 5)om** ***)).
25>ir fönnten nod) rjernorljeben , bnf^ incbvcre ber nortjcr au§ bem
römifdjen i]SontificaIbnd)c angefnfjvten poeftenoden ©ebanben tl^eiB ber
gemeinten Offenbarung, tljeiB bem Sobgefange be§ greifen OobiaS enU
nommen finb, nnb on§ fo(d)en ©teden gebitbet, in metd^en ganj offenbar
bie .'r)errdd}feit ber 'd'irdie, nnb jroar uor3ng§meife ber „triiimpl)iren:
ben", gefeiert in irb "*■'**). ^'nbef^ mir rooden f)icrbet nidjt ncrroeiten; bafnr
mögen, al§ 3lbfd}tng nnfereS 23cmeife§, bie nier erften ©tropben be§
fd)önen öpmnng hier folgen, metd)en baä römifdie 23reoier für ben Oag
ber it'irdfmeifje foroot)! at§ für bie 3dl)re§feier berfelben worfdfreibt 3i5).
Oed ,'öimmeld ©tnbt, ^ernfnlem,
Oed fvi'ü’bend felige .'peinint bii,
Üdngft 31t ben ©ternen t)od) empor,
i'ebenbige ©teine finb bein 23nu;
3fiel tnnfenb ©nget bnlten Si'ndjt
Um bid}, bed .'pcilnnbd reinfte 33rnut.
O glücflid)fte ber Ornate bn !
Oen eignen @Inn3 3iir 33ditgift fdienft’
Oer Ontcr bir, ed übergof:
ddit feiner eignen ©djöne bid)
Oer ©ol)n; ipm bift bn nngetrnut,
(S'ürftin, bed .'pimmeid bef)re ©tnbt.
Oon ©belfteinen funfelnb, meit
(Vitr 3tße offen ftef)t bein It)or:
Oenn ^-nbrerin 311 bir I)innnf
Oem ©terbddfen bie ingenb ift,
Oie Siebe (fbrifti, meldje Onnl
Unb Ären3 gebulbig tragen Iet)rt.
*) %. ©dtjtegel, ©runbjüge bev got[}iitf)en 33aufunft. 5ßerte (SBien 1846)
3Sb. 6. ®. 185.
**) ©cbilter, 9ln bie greunbe.
***) '■dtnn oevgl. Oifenb. 21, 25. 21, 18^ 21, 23. 5ob. 13, 21. 22. 13, 13.
490
®ie 3lufgabe ber religiöfcn Slrd^itectur :
9Jur bur(^ beä 9)iei§el§ ^rten ©to^,
®ur(^ §ainmerfc^Iäge oJ)ne
©eglättet Don bc§ 9JJei[ter§ §anb,
3um 33au ber ©teilt fid) eignen fann;
©enn bid)t gebrnnget ©teilt nn ©teilt
©er tnnd)tige ©oin jnnt Stimmet ftrebt.
336. SBenn in biefcm .rbginnnS, wie gieidifatig in ben fvül^ev aud
ben liturgifdjen 23üd)ern gegebenen ©teilen, «orjugSroeife bie triump^ivenbe
Ältere al§ badienige gefeiert tntrb, at§ beffen fpntboUfc^eä 23tlb ba§
materielle OJottedl^ang erfd^etnen foU, fo ift bad ganj natürticb. ®ie @e=
meinbe ber 2tnsermä^lten , ber bereitd ißerflörten ift ja, rate n3ir fti^on
gefagt Ijaben, burd)an§ ber norjügliibere, raeitand gröfsere ©§eil beg un=
fid)tbaren ©empeld @otteg; im eroigen Seben allein erfebeint biefer ©empel
in feiner noUen i|3rad)t nnb ©diönbeit, mäbrenb bie übernatürlichen 95or=
jüge ber ftreitenben Äird)e, al§ beä nod) nid)t nodenbeten noch
gröjftentheilg oerborgen finb. ©agegen rocire e§ Unredjt, menn man au§
nnferen ©teilen bie f^olgerung jieljen mollte, alg ob allein bie trium=
phirenbe Äirt^e in bem materiellen ©ebänbe fpmbolifcf) bargeftellt rodre.
Sehrt nng ja bodj bie Offenbarung, baff 2ltle bie bem menfehgeroorbenen
©ohne @otteg anhangen, buri^ bie „®emeinfd)aft ber ^üteiligen" ju (Sinem
„dieidie @otte§", jn ®iner „©tabt ©ottes" nerbunben finb; baf? bie
ftreitenbe ^irdjc mir ber ©rfcheinniig, nid)t bem Sß}efen nad) oon bem
himmlifdjen ^^ritfalem oerf^ieben ift; baff beibe jnfammen ©ine fyamilie
bilben, ©in geiftigeg ©an§, ©inen ©empel bed lebendigen @otted burdh
„ben .s>anp© nnb ©rfftein, bnrd) roelchen ber gan^e 3?au jnfammengehalten
mirb, nm anfjufteigen al§ h^iligc^' ©empel in bem .üierrn, al§ bie geiftige
Söohnftdtte @otte§" sie).
2Sie cinft ootit 23ergc Ijod) ber ©teilt,
©elbfet itiiht burd) 9Jieitfd)eithattb *),
©0 DOit be§ .üiiinmelö lidjteit §öh’it
©eö ©aterä ©ohn heritieberftieg,
©er ©dftein, mit bem bimmlifd)ett
3tt eilten feft ba§ irb’fche ©and 317).
*) „So fdianteft bn, big ficb logvib ein Stein oom 23erge, nidit burdh 9Jlen:
fchcitbaiib . . ©er Stein aber roeli^cr bie 23ilbfäule jerfdpnettert tiatte, toarb ein
geioaltiger 3?erg, unb erfüllte bie gnnje l^rbe." ©aniel 2, 34. 35.
raie fie nerfal)rcu mufete, um bcrfelben ju eutfprecf)en.
491
§. 3.
fSte im lUTgcmcincn bic jÄrc^ticciur ju »erfahren ßattc, um ber ßcjcii^ndcn
i\6|td)t ber e^irific ju enifpredjen.
337. Slbev u)ie muüite bie 23au!un)'t uerfa’^ren, iDcnii jie beii im
23ov!^erge^enbeu d}aractertfirten @cbanfen ber (5^ri[tcnl)ctt auäfüljren, unb
für bie -^-eier ber beiligen @el)eimnifje ein ©ebäube i)er[tellen moüte, in
meldjem ber ©emeinbe baä ft)mbotifd)e 23ilb be§ geiftigeu itempelS ©otleS
entgegenträte? Sie mnftte barauf audge^en, bem ©otted^anfe, foraeit
baffelbe ald förpertidjer ©egenftnnb bafnr empfänglidj fepn fann, iene
ißorjüge jn geben bnrd) meld)e fid) ber geiftige Sempet ©otted and;
;^eid)net; fie nnijste sngteid) in bem ©ebänbe, ober in einzelnen ©tementen
befielben, bie i)orjüglid)lten S^atiai^en jnm Slndbrncf gn bringen, ober
bodj anjnbenten fndjen, oon benen ber geiftige itempel ©iotted in feinem
SSerben nnb Sepn, bnd Ijeifd, oon benen bie ©iefdjidite bed Dieidjed
©mtted nnb feiner ,itird)e getragen mirb.
®ad geiftige .©nitd ©iotted ift bnd Üöerf ber nntl^eitbnren ©inen
©reifnttigfeit: unb für fie bilbet ed, bnrd) fie fetbft oert'lärt, bie nm
nergänglidje S5>o5nnng. einjetne Stein entfielt, nnb mirb jngteid)
in ben ®an eingefngt, entroeber bnrdj bie Jaufe anf ben 91amen bed
3Saterd nnb bed Sofjued nnb bed IjeUigen ©eifted, ober aber, infofern
ed fid) nm bie reinen ©eifter fjanbett, baburd), baft er atd bad über=
natürlidje 9iad)bilb ber nUerrjeiligften ©reifaltigfeit ind ®afepn gerufen
mirb. ®er eiuige ipriefter in bem nnfic^tbnren Tempel aber, ber fyürft
bed SReid)ed ©otted, bad .©anpt ber jlirdie and ©ngetn unb ?07enfc^en,
ift ber menfdjgeiüorbene Sobn ©iotted, ^dfud ©t)riftnd ber ©iefren^igte ;
er ift jngteid) it)r ©nninber, er ift fort unb fort bnrd) feinen ©eift bad
audfc^IiepUcbe iprincip i^red Sehend, i^r ‘'Iliittetpunft, unb iljr tjodjfter
unb tepter
SSeldie finb anberfeitd bie i^rjnge, bie ald bie l)eroorragenbften
©igenfd)aften bed IReicbed ©otted ober feined geiftigen S:cmpetd gelten?
Serfelbe ift rocitaud bad febönfte nnb jngleid) bad erliabenfte unter allen
SSerfen ©iotted. ©r bilbet ben DJlittclpnnlt nnb ben eigentlidjen
alled 5lnberen, bad anper ©mtt Safepn bat, unb ragt, mie „bic Stabt
bod) auf bem 3?erge", meitl)in fid)tbar über 2lllcd empor. ®ad Dieid)
©otted ift nnermef3lid) grop, ed fennt feine ©©'änjen. Sein 2lntl)eil ift
nnoerfiegbared , nnerfd)öpflid) reid)cd Seben, ift nnroiberfteblidje , immer
fiegenbe DJtacbt, ift nnüberminblidje fy^ftigl^t unb einige ®ancr.
Sad alfo finb, furj angebentet, bic 2>orjnge ineld)e in analogen
©igenfd)aften ihrer Söerfe bie religiöfe Sanfunft an ben Setpteren l)ei'üOV=
treten laffen, bad bie Sl)atiad)cn, bie fie in benfetben fpmbolifd) nneber=
492
®ie got[;ifd^e Sauhiuft.
gugeben beftrebt fetjn muBte. @elang e§ if)r, bann ^atte fie i^re 2luf=
gäbe gelöft. ^n roiefern fie ba§ inirflicb getfjan, barüber ju berieten,
ift nic^t bie 3IeftI)etif berufen, fonbern bie ®ef(^i(^te ber Wrc^itectur.
SBenn roir bavum in bem fotgenben jlnpitet bie i^atfäd^üd^en Seiftungen
biefer Äunft nä^er in§ Shtge faffen, fo t^nen mir e§ lebiglidj, meit eine
tnrje iBefpred^ung berfetben jn bem bisfier ©egebenen eine fel^r angeinef-
fene ©rtäuterung bilben fann.
Kapitel.
Die religiöff tSiiukmi)i, iiaiimitUd) Me gotliifdjc, l)at beit 05ebaukeii
ber ßtrdje, moimd) bos materielle ©ottesliaus bas fi)mboUfd)e jßilb
bes uulid)tbaren Stempels ©olles )■el)u foU, tu rrlu* ooUltommener
UDeil'e jur tXusfüljrmig gcbrad)!.
®ie Dcrfi^icbenen biftorifd)en ©tple ber religiöfen 3trdptectiir.
338. ^efferen SSerftönbniffeg ^bf^lbcr Inffen mir eine ganj fnrje
biftorifdbe 91otij noranggeben.
33i§ gegen ben Sluggang beg crften ^sabrtanfenbg unferer
nnng baute man bie ^ird)en in jener SSeife, meldtie ber „altdbriftlidfie
©tpl" ober ber „iBafilifenftpl" genannt mirb. Sßurbe bigljer meifteng
bie Slnfi^t feftgef)atten , a(g Ijätten bie (Sbviften einfad} bie alte, römifdb=
l}eibnif(^e, tÖlarft; nnb @erid)tgbafilica, ol}ne StSeitereg, nur mit gemiffen
'llmgeftaltnngen, für it}re litnrgifdben öebürfniffe nermenbet, fo l}aben bie
neneften fyorfdbungen feftgeftellt , bag biefe 21nnal}me alg ein ^rrtbnm
betradjtet merben nnif!. 5)ie altd}riftlid)e ®afilica ift eine eigene, felb;
ftünbige Stopfung beg d)riftlid}en ©eifteg*).
33on bem Chtbe beg zehnten big jum @nbe beg ^mölften
berrfd}te ber „romanifcfie“ 0tt}(. Sin biefen fcbloß fidb ber „Uebergangg=
ftpl", meldbem balb, um bie SOlitte beg breije^nten ^a^rljunbertg nnb
nod^ früher, ber „got!^ifd}e" otpl folgte. 0ic S?lnte^eit biefeg Set^teren
geprt bem ©nbe beg brei^eljuten ^a^rl}unbertg nnb bem nierjeljuten on,
namentlid^ feiner erften .'piilfte; bag fnnfje^nte 3^^’^^u'ibert nnb ber
Slnfang beg fed}je^nten ift bie beg „fpätgctljifc^en" 0tpleg nnb
feiner ©ntartnng.
Sieben biefem er^ob fid}, feit 1420, ber „0tpl ber dienaiffance" :
*) 23gl. ?iibfe, ©efdjidjte ber 3lvdntectur (4. 3hif(.) ©. 215 f. Ärau§,
tReoPd'ncpdopäbie ber divift(td}en ?Utert^ümer, 2lrt. Safilica, ©. 118 f. Martigny,
Dictionnaire des Antiqiiites chrbtiennes, (Nouv. edit. Paris 1877), Basiliqiies
ehret, p. 88 ss.
rie got^iid;e 2?aiihinft.
493
bev „5*rüf)veiiniliancc'' big 1500, ber „.'pocbveriniffance" uon ba big 1580.
■Jim '£d)hif1’e beg jcdijcljutcn ^afjrljimbevtg ging bie Sel^tere in beu „23arocf="
ober „9iococ£i:0ti)l" über, unb biefev nadj ber i).ltitte beg nd)tjel)nten in
ben „3opflti}l^
®ie eingefjenbe (>l)arncteriftif biefer nerfdjiebenen ©nuiueifen finbet
man bei ^ ^nn[t im ®ien[te ber Ä'irdje", unb in Sübfe’g
„(^^eldjidjte ber 5(rcf)itectur".
s. 1.
^Scwcts bcö aufflcficfftcn ^aftcs.
2Bie bie nub icne beg Siococo über bie gotbifdie ©nufunft bnd)tc.
©oetbe’g Urtbcif. ^'cr ilicrtb ber non i[}in bejcid)neten 2)or5ügc cine§
gotbiidjcn Sliünfterg liegt l}aupt|äd)Iid) in ber ©eben tun g meld)c fic
bemielbcn ncrlcifjcn; bicfc 23cbcntnng cntfpridjt aber genau bem ©ebnnfen
ber .*ibird)e.
339. Unter ber Ueber[d)rift „(L^mtl)ifd)", belefjrte nor etmag mef)r
alg ljunbert t'i feiner „UUgemeinen 3^1)eorie ber fc^önen Jbünfte",
Suljer feine ^citgei'offen nlfo. „"lUnn bebienet fid) biefeg Seiroortg in
ben fc^önen .fünften uielfnttig, um baburd) einen bnrbarifdien @efd)macf
niigjubrncfen. fyiirnel^mlid) fdjeint eg eine llnfdjicftidjfcit, beu ‘ültnugel
ber ®d)önl)eit unb guter ilerljältniffe in fid)tbnren f^ormen anjnjeigen,
unb ift bafjer entftnnben, ba|3 bie (flotfjen bie fid) in ^tdücn nieber=
gelaffen, bie 29erfe ber alten 23anfnnft auf eine nngefd)icfte 31rt nadi=
geahmt Ijaben . . . ®ag @otl)ifd)e ift nbcrljanpt ein ofjne allen (^efd)mad:
gemadjter 91nfroanb auf Sllerfe ber Ännft, benen eg nid)t am 29efent=
lid^en, and) nid)t am Oiroften unb 5]iräd)tigen , fonbern am 0d)önen, am
3lngenel)men unb fveinen fel)lt. 0)arnm nennt man nid)t nur bie imn
ben ®otl)en anfgefnl)rten plumpen, fonbern and) bie abentenerlidien unb
mit tanfenb nnnn()en 3i^^'^'dt^en überlabenen ®ebänbe, roojn uermntl)lid)
bie in Umropn fid) niebergefaffenen earacenen bie erften ®Uifter gegeben
^aben, gotl)ifd)."
23erannberer beg ©tpleg non meld)em ©nl;ter l)ier fo megmcrfenb
rebet, mürben il)m llnred)t tl)itn, roenn fie il)m bafnr jiirnten. ©iiljer
fprid)t mir ang mag 31nbere i^n gelel)rt l)atten, nnb mag bereitg ein
3al)rl)unbert frnl)er allgemein alg nnbeftritteneg 31riom anerfannt mar.
Sa Srnpere, f^enelon, 30toliere bel)anbeln ben gotl)ifd)en Stpl mit ber=
felben ©eringfdiüfenng*)- @oett)e mar, in fvolS^ Unterrid)tg
*) On a du faire du style ce qu’on a fait de Tarchitecture: oii a en-
tierement abandonne l’ordre gothique que la barbarle avait introduit pour les
494
Sie got^ifd^e SSautimft.
bett er genoffen, in benfelben 9(nftf)annngen befangen; pren roir i^n
felber.
„2Ug id^ ba§ erfte nadj bem iÖiünfter ging, :^atte ii^ ben Hopf
DOÜ allgemeiner ©rfenntniß guten @efd}mad§. 2luf ^örenfagen e^rte idj
bie ,&armonie ber iircaffen, bie Dftein^eit ber f^-ormen, toar ein abgefagter
§einb ber oevroorrenen 3BiüfürIi(^feiten gotfiifc^er 33erjierungen. Unter
bie 9inbrif ,@otbifd)‘, gteid^ bem SbrtiM eine§ 2Börterbu(^§ , pnfte id)
ade fpnonpmifd)en '■DUftoerftänbniffe , bie mir oon Unbeftimmtem , Um
georbnetem, Unnatürtidiem, 3id'ti'i^''^6>^Sffioppettem, 3lnfgeftidtem, Ueber=
labenem fematä bnrd) ben Jtopf gezogen roaren. 9tid)t gejc^eibter ol§ ein
3>oIf, bas bie ganje frembe S5?elt barbarifd) nennt, tpe^ SUteg got^ifd^,
mag ni^t in mein ©tjftem paffte, oon bem gebredifetten bunten i^nppen;
nnb ©ilbermerf an, roomit unfere bürgerlii^en (^benente itire Raufer
fd)müden, big ju ben ernften 9teften ber älteren beutfdjen Saufunft, über
bie idj, auf Ülntaf; einiger abenteuerlidjer ©d)nörfel, in ben allgemeinen
Ojefang einftimmte: ,@anj oon erbrüdt!‘ — nnb fo graute
mir’g im @et)en nor bem 3lnblid eineg miftgeformten , fraugborftigen
Ungeljenerg" * *).
3d) glaube roir l^aben nic^t Unred)t, roenu roir in ber 2?erad)tung
mit roeld)er biefen 3sugniffen jufolge bie 3^^
Dtococo auf bie got^ifi^e ,Runft l)erabfa^, fi^on einen bead}tengroerf^en
33eroeig für beu befonberen 3Bert^ ber ^et^eren finben. fyür ein fetb=
palais et pour les temples; on a rappele le dorique, l’ionique et le corinthien;
ce qu’on ne voyait plus qiie dans les ruines de l’ancienne Rome et de la
vieille Grece , devenu moderne , eclate dans nos portiques et dans nos p6ri-
styles. De meme on ne saurait en <5crivant rencontrer le jjarfait, et, s’il se
peut, surpasser les anciens, qiie par leur Imitation. La Bruy^re, Caractferes
(Paris 1845) chap. 1. p. 26.
3tt bemfelbeu ©inne rcbet ^fneton, Dialogues sur l’eloquence, 2. (6d. Del-
zons, Paris 1861) p. 84. 85. Lettre sur les occupations de l’Acad. franq. (6d.
Despois, Paris 1869) p. 107 s. (5'tne Stelle au§ StRoliere, imb eine anbere non
3- iltoupeau, gibt 21. PteidjenSpergcr, 23ermifd}te ©d)viften über d^riftl. Äunft
(Ücipdg 1856) @. 28 f.
*) @oet£ie, „ißon beutfcäfier Saufunft" (SSerte, Stuttgart 1869, Sb. 35. S. 3).
®er tOiünfter non roeldjem @octt}e rebet, ift ber non Strapurg. SDiefer „Ijat
pnar noc^ eine ältere roinanifd/e ßpranlage mit Querfd^iff, Äuppel nnb
einer Ärppta; aber feine brei 1275 nollenbeten Sd;iffe jeigen bei großartigen SDimen=
fionen eine lotete ©elbftnnbigfeit nnb Pteinpit in ber 23elianblung be§ neuen" (be§
gotbifd;en) „2Sauprincipä, feine bnrd) (Srroin non Steinbad; 1277 begonnene g-aqabe
mit ben jroei 2Befttl}ürmen, non benen nur ber nörblicbe 1439 bnrd) ^opnn ^ülp
non 6öln noUenbet mürbe, eine fo fd}öne .garmonie nnb ültaaßpüung , bei ben
ebelften gönnen, baß biefer Sau mit Ptec^t al§ cine§ ber nollenbetften 2Berfe got^i=
fd)en ©tpleä bejeidjuet roirb." gafob, ®ie Äunft im ©ienfte ber Äirc^e (1880.
3. 21uft.) S. 83.
Der SlrnPiirucr Jlliiiiflcr. (3u Seite 495.')
®ic gott)ifd}e ©auhmft.
495
ftanbigcg @euie luie @oetl)e übrigen^ ift es genug, mit eigenen 5(ugen
ju lcl)en, um alle ü^ovnrtbeile fidi j;er[treuen ju Inffen. „ililiit melcber
nnevmarteten ©mpfinbnng", erjnblt bev Siebter meiter (a. n. O. 0. 4),
„überra[d]te midj ber 3lnbticf, alS idj bauor trat: (Fin gai^cr groger
^•inbrticf füllte meine 0eele, ben, meil er auS taufenb l^armonirenben
(J'injelbeiten beftanb , icb mobt fd)mec!en iinb genieften , f'eineSmegS aber
erfenuen tinb ertlärcn fonnte. 0ie fagen, baft eS alfo mit ben f^reuben
beS .fbimmelS fep. Unb roie oft bin id) jnrndgefebrt , biefe bimmlifd)--
irbifi^c fyrenbe jn genießen, ben Übiefengeift nuferer älteren 23rnber in
ihren 2S>erf'en ^n nmfaffen! Tüie oft bin id) .^nrndgcfeljrt, non allen
Seiten, auS allen ©ntfernnngen , in jebem Sidite beS 3iageS jn fdianen
feine SBnrbe nnb .fbcrrlidtfeit! 0d)raer iffS bem 'iOtenfd)cngeift , tnenn
feines 93rnberS S®crt fo f)od) erhaben ift, baft er nur fiel) beugen nnb
anbeten mnf!. 2i?ie oft bat bie 3lbenbbämmerung mein bnrid) forfd)e)ibcS
Sebanen ermattetes 3lnge mit frcnnblidter i)inl)e gelebt, tnenn bnrd) fie
bie nnjäbligcn Sbeile jn ganzen i)}iaffen fd)moljen, nnb nun biefe, einfad)
nnb grof), uor meiner Seele ftanben, unb meine ^raft fid) inonncnoll
entfaltete, ?,ngteid) jn genießen nnb jn erfennen! Sa offenbarte fid) mir,
in teifen Slbnnngen, ber @eninS beS groften SBertmeifterS. iffinS ftannft
bu? lispelte er mir entgegen. 3tlle biefe gropen iDiaffett inaren nott);
inenbig; nnb fiebft bn fie nidit an nllett alteren 5bird)en meiner Stabt?
3lnr ihre inillfnrlid)en @röpen habe id) jnm ftimmenben 3icrl)ältnif) er=
hoben. SBie über bem .fbanpteingang, ber jtnei Heinere jn bot Seiten
bel)errfd)t, fid) ber tneite .'rireiS beS 'fvenfterS öffnet, ber bem Sd)iffc ber
,<lird)e aittmortet, tmb fottft nur Sagelod) tnar, tnie bad) barüber ber
^Hocfenplab bie fleiitereit Sf'iftev forbertc! — baS all tnar notl)tnenbig,
nnb id) bilbete cS fd)ö)t. 3lber ad), tncntt id) btird) bie büftern erhabenen
Seffttnngett l)icv 'Seite fd)tnebc, bie leer nnb nergebettS bn ,^n flehen
fd)eineti! ihre Inbne fd)laitfe @eftalt bnb’ id) bie gebeimniftnollett
.llräfte nerborgett, bie jene beiben Sbürme l)od) itt bie £nft l)cheit folltcn,
bereu, nd), nur (Jitter traurig bn ftebt, ohne bot fünfgetbürmtot ,'»5anpt-
febtttttd ben id) ihm beftimmte, bnp ihm tinb feinem föniglid)ett 33rnber
bie 'f.'roninjen nmber btilbigten ! — Unb fo fdfieb er non titir, nnb id)
nerfanl itt tt)eilncl)menbe Sranrigfeit, biS bie SUigcl bcS 'HiorgettS bie
in feinen taufenb Seffttntigett tnobnen, ber Sotnte cntgegenfatid)Uen, tinb
mid) aus bem Sdtlnmmer tueeften. 9£ie frifd) lend)tetc er im ''Utorgeit:
bnftglnnj mir entgegen, tnie froh fonnt’ id) ihm meine 3lrme entgegen;
ftreden, fcbaneit bie gropeit l)armottifd)ett JOlaffen, jn tin,^äl)lig fleinett
Sbeilen belebt, tnie itt 35>erfett ber etnigett 9latnr, bis anfS geringfte
3aferd)ett 3llleS (J^eftalt, nnb 3llleS jtnedenb jnm (Stnitjot; tnie baS fefU
gegrünbete, nttgel)enre tSebänbe fid) leidtt itt bie £nft l)ebt, tnie bnrd);
brod)eit 3llleS, tinb bod) für bie (Jtnigfeit!"
496
®ie got^ifd^e ^aiifunft.
340. (S§ ift in 3Sa'^v§eit Sd^abe, bajj @oet^e ben ilJlünfter nic^t
mit ben Gingen be§ nollen d^riftlid)en ©laubenS betrad^ten, unb barum
ben ©ebanfen be§ ©rbauevä unb feiner nur bunfet abnen fonnte;
ba^ e§ ung nid)t befd)ieben mar, i^n alä futf)OÜf(^en M über
bag ©otte§bttiiä äujjern jn bore»- geniale junge SDi(^ter
ift entjücft non ber erbabenen ©rofsartigteit be§ raunberbaren SBerfed,
Don ber nollenbeten ©inbeit unb f^eftigfeit be§ 2?aue§ bei größter Seicbtig=
feit unb f^reibeit ber ©onftruction, non ber 3n3fetmö^igfeit , ben fdbönen
3Serbältniffen nnb ber unnergleicblicben A^arnionie aller Sb^üe, non ber
forgfältigen nnb funftreid)en 2lu§fnbrung audi be§ fleinften berfelben:
aber er beutet mit feinem Sßorte an, — e§ ift ald ob er gar nidjt
baran biidjte, — Tnarnm alle biefe i'or^nge auf bad ©emütb ™en fo
mächtigen ©inbrucf machen, unb einen ber fie einigermaßen ju
inürbigen nerftebt, mit SSerounberung nnb boßer fyreube erfüllen. ®er
eigentlidjc ©rnnb biefeS ©inbrucft'§ liegt in ber Seftimmung bed
ganjen 23aned, nnb in ber biefer 2jeftimmnng fo notlfommen entfprecben=
ben fpmbolifcben i3ebeutung feiner eben erroäbnten iBorjnge.
■OJcan benfe fid) nur einen Slngcnblicf, e§ göbe feine nbernatürlid)e
9feligion, mir müßten nid)t§ uon ber maßren il'irdje ^efn ©ßrifti unb
allen ©ebeirnniffen bie fie un§ leßrl: mürben mir unter folcßen Um=
ftänben einen gotbifd)en ^Jfünfter aucß nocß in bemfelben i)Jiaaße fdjön
finben nnb nuferer Semnnberung mertb? ©taunen über eine fo riefen;
bafte @d)öpfung be§ menfcblidjen ©eifted möd)ten mir moßl auch bann
nod) ; aber babei fönnten mir bie ©enercrtionen bocß sugleicß nur bemit;
leiben, bie fo niel '3Jfübe nnb geiftige Äroft aufgemenbet, um einen ge;
maltigen 25au ju ©taube ju bringen in melchem ficß fein einziger ©e;
banfe anSfpräcbe, ber und gar nidjtä fagte, ber oßne ade 23ebeutung
märe. Senn, mie mir mit f^riebricß oon ©d)(cgel fcßon einmal gefagt
haben, „ein noiß fo be^'i’tiebed ©iebäube, menn e§ feine Sebentung
bat", nidjt al§ fpmbolifdjes 93ilb ober S^'cben bem ©eifte fcböne unb
große ©rfdjeinungen ber nnficbtbaren Orbnung oorfübrt, „geßort auf
feine 2öeife jnr fcbönen Äunft". ®iefer ©runbfaß roirb gegenraärtig
allgemein anerfannt. „iDfan ift einig barüber," berichtet ^ermann Soße,
„baß bie ganje ©onception eined beftimmten Sanmerfd, mie ©chinfel ed
anäbrüd't, nidjt and feinem nädjften trioialen allein unb auä ber
©onftruction entmidelt merben bürfe: fo entftehe 2irodene§ unb ©tarred,
ba§ ber g'veiheit ermangele, unb jmei roefentlicbe ©lemente, ba§ ,!oiftorifcbe
unb i^oetifdje, gänjlidj audfchtieße" *).
üllfo barnm, bad mar nufer ©ebanfe, barum allein mirfeit bie
©djopfungcn ber gotljifcben Slrchitectur mit ihren oon ©oethe angebeuteten
') Öope, 539. (@it. 18.) 5dgt. „3tu§ @djinfel§ 9tad)taj3", III. 374.
®ie gotl^ifd;c 33aufunft.
497
SSorjügeii fo Tnäd)tig auf ba§ @cmütJ), roeU fie un§ 3Sorjüge einer Ijöbereu
Orbnung dov bie ©eele füi^veu, roeU fie und bie A5errlid)feit einer anberen
©d^öpfnng, eineS großartigeren Sane§ aßnen taffen, bie ifSradjt fene§
.^anfed, „ba§ ficß ergebt auf unoergänglicßer ©rnnboefte, beffen ^tan
bie unerfdjnffene Söeidbeit entrcorfen, ba§ bie .i^dub @ottes fetbft erbaut
ßat" *).
2Bir haben im lebten ifJnragrapben be§ oorigen Ä'apiteB bereits
angegeben, roel^e inSbefonbere jene „^orjüge einer höheren Orbnung“
fepen. ^nbem mir baruin junächft auf baS bort (®. 491) ©efagte
oermeifen, erfudjen roir nur ben Sefer, fetbft ju urttjeiten, ob nidjt bie
Äirchen ber (ähriftenheit, — nnb oor ben übrigen bnrchroeg jene roetd}e
im gothifdjen ©tple erbaut finb, rate bie Ä'athebraten oon OiheimS nnb
^hartreS, non ©aliSburp nnb (5'peter nnb ?)or!, non Siotebo, Seou nnb
Seoitta, ber ®om ,511 9tegenSburg, bie Vorenjfirdje unb bie £debfrauen:
fird)e ju Dtüruberg, bie 5lird)e ber heitigeu ^difabeth jn üttarburg, beS
heitigeu SambertuS ju i)Jtitufter i. 2ö., ber ©t. ©tephauSbom ju Sßieu,
bie iUtünfter ju Utm unb granffurt a. iDi. unb nod) mand)e aubere, oor
ihnen atteu aber ber ®om 311 (Jötn, — ob, fagen mir, biefe SBerfe ni(^t
in ihrer ©roßartigfeit unb ißrer hoh^^^/ ernften ©djönheit als mürbige
ülachbilber beS nnfichtbaren 2:empelS ©otteS baftehen; ob fie nid)t burd)
ihre über jebeS aubere, natürlidjen ^roedeu bieuenbe 2®erf meit hiuauS=
ragenbeu 3ihönue, burcß itjre fdjtanfen ©üuten, burdj bie Seichtigfeit
ihres 311 fdpoinbetuber .'pöhe rafttoS hinauftrebenbeu ä3aueS mit beu
©pißen nnb ©hövmdjen oljne fort bnS ßebeuSgefeß, ben
innerften ©ebaufen ber Äirdje beffen auSfpredjen roeldjer gefügt hot-
„Ültein Oieidh ift nicht oon biefer 35>elt" ; ob fie nidjt in ber unuerroüfti
tidien ^eftügfeit itjrer cotoffaten ©trebepfeiter unb itjrer ungeheuren ©tein=
maffen, bie ©enerationen fid) erheben unb mieber in 3irümmer finfen,
^ahrljunberte t)orüber3iehen fatjen otpie fetber 3U altern, ob fie nid)t
„baS Dfeidj" uertünbigen baS „fein ©nbe fennt", baS bdauS raetcbeS „ber
roeife iölann auf ben gegrünbet“, — mie eine Sapibarfdjrift jenes
SöorteS baS für alle 3«Hen ber ©ottmenfd) gefprodjen: Tu es Petrus.
„S5>aS ü)7eer unb Ütlpen im 91eid)e ber ücatur finb , baS ift ber
(fötner ®om im Steidje ber ^unft, — baS erhabenfte ©pmbot ber Uu=
enbli(ßfeit" : fo fd)rieb oor oier ^dh^'ö^^l'üen 5luguft Ddeid^enSperger **).
benfe, eS roirb ihm niemaub miberfprechen ; unb and) baS roirb nie=
*) Expectabat enim fundamenta habentem civitatein : ciüus artifex et
conditor Deus. Hebr. 11, 10.
**) „@inige SiBorte über ben ©ombnii ju (äötn , uon einem dfbeintdnbcr nn
feine Sanbätente gerichtet (1840)." ®ei 3teid)en§perger, dtermifdjte Sd)riften über
dhriftl. Ännft, ©. 9.
3ungmann, Steftljctit. 2. 2Ciif[.
32
498
®ie got^ifc^e SSaufunft.
manb in SIbrebe [teilen, ba^ bie übrigen gotI)i[c^en ÄircEien, namentlich
bie größeren, gleichfalls mehr alS irgenb ein anbereS iUtenfchenroerf baju
angethan finb, ben @eift anS ben engen ©rünjen be§ ^^biftfien hinaus^
juführen, unb mit ber iBorfteUung eineS ©rofeen, Unüberfehbaren , Um
meParen in ihm ba§ ©efüht anböd)tigen ©taunenS nnb ehrfur^tüoller
iBerounbernng gu meden ob jeneS ^anfeS, bem gegenüber ber i[3rophet
einft auSrief; „O Sf^aet, roie fo gro^ ift ©otteS §au§, raie unermeßlich
raeit fein Oteid)!"
3u raeiterer SluSfühmng beS h^ei^niit angebeuteten SSeroeifeS motten
mir in bem fyolgenben, im Slnf^Iuffe an bie allgemeinen, im testen if^ara=
graphen be§ oorigen jtapitelS gegebenen ©ebanfen, bie hetüorragenbften
©igenfi^aften beS unfithtbaren JempelS ©otteS, foroie jene hiftoi^if^en
ilRomente inS 2Iuge [affen, roelche für benfelben in feinem SSerben unb
©epn Don ber oorjüglithften 33ebeutung finb, unb geigen, roie bie reügiöfe
33anfunft, unb inSbefonbere bie gothifche, biefelben in ihren 33auroerfen
fpmbolifch roiebergugeben mußte.
§. 2.
fingchcnberc Jlusführung bes gSenteifes.
I.
2Bie bie gothifd)e Saufunft e§ oerftanb, bie heroorragenbften ©igenfchaften be§
geiftigen 3:empel§ ©otteS in ihren religiöfen ©chöpfungen gu oerfinnbilben.
341. ®ie am meiften he^DO^’tretenbe ©igenthümtichfeit rooburdh [ich
ber gothifche ©tpl oon bem romanifchen unb nom altchriftUchen unter;
fcßeibet, liegt barin, baß bie Söerfe ber groei Seßteren iDtauerbau finb,
jene beS gothifcßen hingegen ©trebebau; unb baS um fo ootlfommener,
je mehr ficß biefer ©tpt entroidelte, fo boß fidh in feinen oorgüglithften
©d)öpfungen bie itRauern gerabegu roegbenfen taffen. S)a§ gothifcße
©otteShanS ift ein ©pftem non ©trebepfeitern , ©trebebogen, ©tüßen,
©urten unb tRippen. „SltteS in biefen ^ircßen ftrebt, brängt, fteigt,
fliegt nach oben. 5)a§ fprid)t ftch nicht allein in ben ©hunnen auS, bie
fidh tiefer at§ bei jebem anberen ©tpte in ben Lufthoheit nerlieren; nicht
attein in ben ©äutenbünbetn , benen ba§ 2tuge nur fdhroinbelnb in bie
hochenttegenen SBötbungen folgt; nicht attein in ben nerticaten tRiefem
bimenfionen ber f^enfter: eS ift in 3tIIem unb S^^em, unb fchon im
©pißbogen fetber auSgebrücft. ®enn roohrenb im DRunbbogen ©ine Linie
fidj uom iBoben erhebt, um nach ^iner oben auSgeführten Krümmung
roieber gum 23oben gurücfgufehren, h^t*£n im ©pißbogen [ich groei Linien,
bie [ich in ber ©pit^e begegnen, bort gteichfam ihr 3tet gefunben hoben.
Sie gotl^ifd^e Saufunft.
499
iinb [td) gegenfeitig in ber l^alten, 35>ieberum tritt biefeö Streben
nod) oben ^eroor in ber unnerfennbaren 3tbneignng be§ got^ifdjen Sti}te§
nor allen ^^orijontalen Linien. (Jr oermeibet biefe nad) ber @rbe fid)
^inftred'enbe ober mit berfelben parallel laufcnbe 9tid)tung fooiel als
möglic!^ felbft bort, roo fie am nnoermeiblidjften fd^eint, beim 3lnfap.e
beä ©ebänbeä auf bem 33oben, unb bei ber Sd}eibung beffelben oom
®ad)e. ©ie ißermeibnng an ber erften ©teile mirb nic^t ol§ Otegel ein=
gel^alten, nnb ift anc^ minber not^menbig; benn jene .*T;)orijontale liegt
nod^ nii^t im 3?ane felber; nic^tgbejtoroeniger rairb jie l)ie unb ba, roie
bei bem ®ome ju 9tegen§burg, bnrd) ©tnfen roeldje ringg um bo§ ganje
(^^ebänbe laufen, melfr aus bem 3luge gerürft. ©>er ^orijoutale 3lujai3
be§ ®ad)e§ Ifingegeu mirb gro[fentbeil§ burdi aufftrebenbe jieroolle @iebel,
jyialen uub Jlnirmdieu oollftäubig oerborgen, unb ber aufjteigenbe (S'f)a-
racter beä (Smnjcn in biefer ÜBeije and) hier feftgelfalten'' *).
9iirgenb§ erjdfeint übrigens biejed Streben nad) oben in ooUerer,
«rgreifenberer itraft, ald in bem Organi§mu§ be§ 5;l)urmbaueg. „^eber
Xl)eil beutet in feiner bejonberen ©lieberung barauf Ijin, unb jeber obere
3lbfd)nitt, ber ou3 bem unteren fidj entroidett, nimmt bofjelbe Streben
auf. ^e meiter bie Semcgung nadj oben bringt, um jo fülfuer, jdflanfer,
leidjter merbeu bie ilerlfnttnijje. ®a§ ndjtedige Obergejdfojf erjdfeint
bereits frei uub burdfbrodfeu, fajt majjenloS. 9lod) me^r bie Spitze, bie
nur auS aci^t müdftigen, freijte^enben 9lippen bejtelft, jroijc^en benen, roie
im jierlidfeu Spiele, ein burd)brod)eneS dtojettenroerf eingejpannt ijt. 2öo
enbli(^ bie ad)t dtippen jur äuperjten Spille gufammenlnufen, atlfinet bie
rajtloje 23eroegung, bie in jid) feinen 3lbjd)luj! jinbet, auS, unb eine
majejtätijdie 33lume, in heiliger jtreujeSform il)re ißlntter gegen ben
-vS^immel emporbreitenb , beutet auf baS 3'^^/ roeld)eS menjd)li(^e Sel)u=
jud)t nid)t ju erreid)en oermod)te'' **).
’ fann rooht nid)t jroeifelbnft jepn, ob biejeS Streben nad) oben,
jo beroorragenb unter ben 9Jcerfmalen ber gotl)ijd)en 33aufunft , @igen=
jdhojten beS 9{eid)e§ @otte§ auSjubrüden bejtimmt roar, unb roeld)e.
3nbem ber ununterbrod)eu unb ol)ne Dtaft emporftrebenbe 23au jugleidj
mit bem Singe beS ißetrnd)tenben feine Seele anfroärtS jog, foUte er ihm
ben ©ebanfen beS SlpoftelS nnhelegen: „Unjer Söanbel aber ift im
3pimmel; benn uon bort erronrten roir ben .'Qeilanb, 6l)t'‘fiuii'
unfern unb „roenu ihr auferftanben fept mit (L^friftus, bann
liebet roaS broben ift, unb nicht, roaS auf ber ©rbe" ***)• ®as ift ja
ber Stusbrud beS ©eiftes, ber bie jtirdfe ©ottes befeelt, infoferu fie
*) '-Bgt. Slätter, 33b. 79. S. 910 f.
**) Äiigter, .^aubbitd) ber Äimi'tgeict)ict)te, trnp. 14. §. 1. (1. 3tiifl.) S. 524.
***) 'p£)it. 3, 20. 6ot. 3, 1.
32*
500
®ie got^ifi^e Saufunft.
no(fi auf biefer @rbe lueift, unb ficJ^ beraubt ift, bap fie „§ier nicEit i^re
bletbenbe ©tätte f)at, fonbern eine jufünftige ju fu(^en" berufen ift*).
9)tan barf fid) in ber rounbern, rate e§ luögUc^ luar, bafj
man in neuefter 3^it fi(^ nevanla^t fe^en tonnte, biefe ©eutung ju ner=
roerfen. .^ermann Sotje uertt)eibigt biefelbe fet)r entfd^ieben. „S)ie unab=
täffige §eroor^ebung be§ fenfrec^t auffteigenben Sriebeä, unb bie 3urüct=
brängung unb Siurc^fct)neibuug aCer §orijontatgefimfe , mar lange ber
allgemeinen ÜReinung aB ein fraftnolter 2tu§brud' be§ aufftrebenben
©inne§ ber cf)rifttictjen SBettanfic^t erf^ienen. begreifen,
roarum biefer Iebt)afte ©inbrucf, ben ber Stnbtid ber iOtonumente nod^
immer roieberfiolt , feb>t geringfc^ät^ig ju ben mt)ftifc§en Träumereien ber
iRic^tfac^nerftänbigen gered)net roerben foE. SBie au(^ immer ber got^ifcfie
©tgt au§ nieten nereinjetten früheren (Stementen entftanben fepn mag,
bie bann in beftimmter ©tunbe etina be§ 9tbte§ ©üger gtücftid^er ©riff
511 einem confeguenten ©aujen nereinigte: immer tag boc^ im §inter=
grunbe roirftic^ jene eigentt)ümticbe Sßettaufii^t ; fie eben ^atte jene
33ebürfniffe gef cf) affen, gu beren Sßefriebigung man auf
bie ^Bereinigung alter jener iEtittet geteitet mürbe"**).
34‘2. 2Rit bem 3tu§brucfe ber bejeic^neten 9ti(^tung beg ©eifteg ber
Äirct)e auf ©rben, unb ber ettjifcben Stufforberung bie aug berfetben l§er=
uorgefit, ift übrigeng bie 33ebeutuug ber in 9tebe fte^enben ©igentt)üm=
tici^feit beg gott)ifd^en ©tgteg noc^ feinegraegg erfi^öpft. ®er j^eft^pmnug
für bie jliri^roei^e ben mir im erften jtapitet angefit^rt ^aben, feiert
gteic^ in ber erften ©tropfe nict)t aUein bag „©mporragen" beg ^aufeg
©otteg „ju ben ©ternen", fonbern oud) bie T^atfac^e, ba^ baffetbe aug
„tebeubigeii ©feinen" fid) aufbaue. Unb eben auc^ biefer ©ebanfe
ift eg, neben bem oor^er errootjnten, roetct)en bie got^if^e iBautunft in
ber Dottenbetften äöeife fpmbotif(^ roieberjugeben gemußt l^at.
©g ift üotffommen gegrünbet, raeun ©c^naafe bemerft, bag ©treben
beg 'Dtittetatterg erf^eine in beiben c^rifttidien iBauftpfen, im romanifdien
fomotit atg im gott)ifdjeu, „auf bie organifd)e ©afitica gerid)tet"; roenn,
in üoEer Uebereinftimmung tjiermit, ip^rmann So§e gteid^faEg in beiben,
im ©egenfa^e gur antifen Strc^itectur , bag Seftreben erfennt, ber ge-
roötbten 5)ede itjrer ©ebäube in bem Unterbau ni(^t bto^ eine ©tü^e,
fonbern ein fie aug fid) erjeugenbeg itRotio ju geben, unb bie ben
IRaum umf^tief3enbe ÜOtauermaffe atg aEgemeiue roirtenbe ©ubftanj
erfd)einen ju taffen, metdie bie einjetueu conftructioen Kräfte beg SSaueg,
faft roie bie ©tieber eineg tebenbigen Organigmug, nermöge eigener innerer
Triebfraft aug fic^ t)eroorgef)eu täfst. 9tber fo fetjr auc^ biefeg Seftreben
*) §ebr. 13, 14.
**) t!ope, 0. 534. (6it. 18.)
Sie got^ifd^e 93aufunft.
501
beiben ®ti)ieu gemeiniam ift, i'o ift es bod) bem d)ronologii'd) ipdteren,
ber got^ifcben 23aufun|t, imnerfennbar in roeit ^öljerem ^Jiaaj^e gelungen,
baffelbe nollfommen unb allseitig bnvd)jufül)ren. ®enn luäbrenb bie
rmnanifc^e 3?an!unft fid) immer noc^ non einer gemiffen „JÄndfic^t auf
antife formen, ober bodi auf bad antife, fteingemni'^e 23ilbnng§gelel5'^
beeinffnffen lief?, nerftnnb ed bie gotbifc^e, „biefe i)lüd'fid)t gn nberminben,
unb ein gang neue§ iprincip gn erringen, ba§ fie fübn nnb mit Se(bft=
beroufgtfepn gn immer reid)erer Dlnmenbung bradjte". 25>iibrenb bie roma=
nif^e ®anfnnft „bem i)J(nner!örper noch grof?e rnl)ige glädjen (nf?t, and
benen fid) bie ergeugenbe i)Jtaffe nur an roenigen, ben .^anptglieberungen
ber (Jonftruction entfprecbenben ©teilen gn ausbrndäoollen
fammengiebt; mäbrenb überbies in ihren 3®erfen immer noch ber ©egeiu
fa^ ber Sräger unb be§ (Betragenen bevoortritt : löft bagegen ber gotbifdjc
©tpl biefen ^b^i'^cter eine§ ruhigen ®leid)geroid)te§ mächtiger lebenbiger
Kräfte auf in ben anberen eine§ burd)gebenben Ulnfftrebend , in meld)em
ber ©egenfab ber 'srnger unb be§ (Betragenen ootlftänbig aufbört, unb
jeber botigfutnle 2lbfnb nur bie momentane dtnbe unb ©nmmlung ber
in bie i^öbe eilenben 'ib^i'Sfbit, aber nicht ben SDrncf einer gn ftübenben
Saft begeicbnet. (5'd ift folgerei^t, baß bie ‘3)iäcbtigteit biefeö ülnfftrebens
ni(^t bloj? eingelne 5tbt’ilf/ fonbern ben gangen dltanerförper mitergreift;
ba^ bie rubenben SBanbfläd)en oerfdnoinben , ober and) an iljnen Sinien
beroortreten in benen ber tebenbige ilrieb und) oben ermadjt; baf? bie
borigontalen ©liebernngcn bitrcb ben raftlofen 3Serticali§muä aller
unterbrod)en merben; baj? an bie ©teile be§ Dtunbbogend nnb feiner
Crnamentif ber ©pit^bogen mit ber feinigcn tritt; baf? enblid) für bie
©rö^e ber aufroärtd bringenben ''Diad)t ein ütiaa^ftab gegeben mirb burdb
bie SSielfältigfeit ber (^npfel, bie oor ber ©rreicbung be§ lebten
enbigen" *).
2Sa§ tobt ift, ba§ liegt ber Sänge nad) b'iigeftredt, fep e§ auf bem
33oben, fei) e§ in einer böbeven ©bene roelcbe bem 23oben parallel, alfo
borigontal ift ; bie nerticale 9iid)tung, ba§ ©teben roie and eigener innerer
Äraft, ift ber 2lu§brud be§ Sehend :
„5^cim crbmnrts laftel jebed irbifd)e ®ing,
®cr ©eift nur unb bie /vlamme ftrebt luub oben."
5)er iMntbeil bes Oieid)e§ ©ottes ober feines geiftigen Tempels, fügten
mir früher, ift nie oerfiegenbes , unerfdföpflicb reicbed Seben, ift un=
n)iberfteblid)e innere Ä'raft, roeld)e burd) nicbtd ficb aufbalten läfgt, bie
jebed ^emmniü fiegreid) überrainbet. ®iefes beroorragenbfte 3lttribut bes
5>aufed ©ottes ift ed, bie SBurgel nnb ber .Hern aller übrigen, rael^ed
*) 33gt. Sope, ®. 530 f). 0d)naale, 93b. 4. S. 86. ((5it. 18.)
502
®ie gotl^ifd^e ©aufunft.
TDir in ben ©djöpfungen bev got^i[c^eit ®aufunft, burc^ i:^re julel3t
cbaracterifirte ©igent^ümltc^feit in unübertreffUd)er SSottenbung jgmboli=
firt finben.
343. ©innbilbet aber baä ©ebdube au§ tobtem iUiaterial, im got^i-
fc^en ©tpte auf geführt, in norjügüc^er Sßeife ba§ ^ö^fte Seben be&
@eifte§, bann roecft e§, burc^ biefen feinen 3Sorjug, naturgemäß fe'^r leidet
bie Erinnerung an bie erfte ©tufe jene§ 2;§eUe§ ber fid)tbaren ©d^öpfung^
ber fidi) in 3®irftidf)feit be§ Sebenä erfreut, ndmlidt) an bie negetabiUfdt)e
Orbnung. Einen Einbrudt biefer 2trt madi)te ber iJJiünfter ju ©traßburg,
auf ©oet^e. „3Sermannid^faItige", fo läßt er ju Errain non ©teinbadt)
ben ©eniug fpred^en, ber i^n bie gob^ifi^e 53auineife te^rt, „nermannid^^
faltige bie ungeheure ÜlRauer bie bu gen §immel führen fotlft, baß fie
auffteige gteid^ einem ^od^erl^abenen , roeitnerbreiteten Sßaume ©otte§,.
ber mit taufenb Sleften, iDiillionen ^i^eigen, unb ^Blättern raie ber ©ani>
am iBfJeere, ringgum ber ©egenb nerfünbet bie i^errlidjfeit beg §errn,
feineg ilJieifterg'' *).
©0 lag alfo, nac^bem einmal bag nor^er ermähnte neue i|}rincip
beg nerticalen Ißaueg gefunben unb burc^gefü^rt mar, audl) ber ©ebanfe-
nid)t me^r fern, bur(^ nad^bilbenbe ©arftellungen non Erjeugniffen ber
organifdien iRatur, ingbefonbere beg ifl5flanjenreidf)eg , ben fpmbolifd^en
5tugbrud beg Sebeng unb ber non innen rairfenben Äraft noc^ ju ner=
ftärfen. Eg ift nomentlid^ bie gtneite iperiobe ber gotl)ifdjen SSaufunft,
bie 3eit iiu^er eigentlid^en 33lüte (ungefähr non 1250 big 1350), raeldlie
bie glüdflid^e Slugfü^rung biefeg ©ebanfeng d^aracterifirt. 2lucf) in ben
33auroerfen biefer iperiobe liegen bem ard^itectonifd)en ipiane nod^ bie-
f eiben geometrifdljen f^iguren ju ©runbe raie in feneu ber frü'^eren
bag ©reiecf, bag Ouabrat, bie Engel unb bie Ereujform. Slber fie
läßt biefe f^'iguren ni(^t mei^r in i^fer geometrtfdjen ©trenge unb lRein=
lieit ßernortreten ; fie nerbirgt fie bem Sluge, inbem fie „Sllleg mit bent
reid;en Stätterfd^mud unb mit ber blülienbften gülle beg Sebeng um=
fleibet: fo raie aud^ auf bem Seppid) beg ff-rü^lingg an bem IHeidtit^um
alle ber grünenben E^eraäd^fe bag ©efeß il^rer ©tructur unb bie innere
©eometrie ber iRatur nid;t mehr im Einzelnen fi^tbar l^ernortritt, fon=
bern 31Ueg frei in unenblid^em Seben blü^t unb feine ©^ön^eit entfaltet.
i©ag 2Sefen ber got^ifc^en ißaufunft" — ridjtiger, ein raefentlid^eg-
‘OJierfmal berfelben raä^renb ber bejeidjnetcn iperiobe — „befielt alfo in
ber naturä^nlid^en f^üCle unb Unenblidjfeit ber inneren ©eftaltung unb
ber äußeren blumenreit^en ÜSerjierungen. ®al)er bie unermüblidlien unb
unsäpgen fteten SSieber^olungen ber gleid^en
^Pftanjenä§nli(^e berfelben, raie an blößcnben ©eraäd^fen, ba^er bie in
0 @oetf)e, ®. 3. (6it. 494.)
®ie got^ifdje Saufunft.
503
jarten Sianfeu auffd^ie|3enbe @eftaltung ber ©äiiteii, 23ogen unb
roie Don üerfd)(ungeiien unb ber reiche 23lätterfdjmuc£ aller 33er;
jierungen" *). Siueifle» eine 33auroeife beulen läfjt/ raeld^e ben
©ebaulen eiue§ geiftigeu, barum uou ber g-üKe beg ßebenS überquetfeu;
ben ©empelg @otteg, in anfcbauUd)erer Ä'larljeit ;^um 2tngbrud bröckle.
344:. ®a|3 bei biefer enblod reidjen iUlannicJ^faltigfeit, bei biefer
g-rei^eit ber (Sntfaltung
unb biefer f^üHe bes
Sebeng , be^ungead)tet
ben ganjen San unb
alle feine ©^eile bie uotl=
enbetfte ©in^eit be=
berrfdjt unb jnfammeu;
fcblie^t , bag mag bie
tefete 0‘igentl)ümlid)leit
ber gotljifdjen .Rirc^en
feqn, meld)e mir, alg
einen neuen Sorjng beg
nnfidötbaren ,S^‘>aufeg
©ütteg fi)mboIifirenb,
bernorljeben. SBir lön=
neu eg aber nidjt beffer
tl)nn, alg mit ben 2Bor=
teil Stngnft 9leid)eng=
pergerg, beg l)od}uerbien:
ten f^örbererg ber gotbi=
fd)en Ädinft in ber
i)ieujeit.
„5Jian braucht nur
bie, ben ©ebnnfen beg
Saneg auf feinen türje=
ften ?Ingbriicl bringen^
ben , (Änmnbriffe ber
Der Dom jii ttöiii. ('■'runbrd?. großen mittelalterlid)en
5lrd)itectnren genau ju
anatpfiren, nnb mit ben Snfriffen jn nergteidfen, um fid) jn überjengen,
baß audb ben compUcirteften fvo^’unttionen , ja felbft ben ber organifdjen
5latur entnommenen becoratioen Steilen, ganj einfad)e ©rnnbetemente
foroie ein fefteg Omtroidelungggefet^ nnterliegen ; roeld)eg Sebitere jebod) in
fofern relatioer Dlatnr ift , alg jebeg einzelne Sanmerf feine befonberen
*) g. e>d)[cgct, ö. 202. 208. (6it. 489.)
504
®ie got^ifc^e Sauhmft.
^actoren entpft. 33alb i)'t e§ ber .trei§ , balb ba§ Ouabrat, halb ba§
®Teie(f, TDoburc^, um ben te^nifc^en 2lusbrutf ber alten 23auptte gu
gebraud^en, ,be§ (5pre§ unb @ere(^tigfeit‘, unb bamit roeiter
in genetifc^er gortbilbung ber ganje SSau normirt roirb.
„2llle Sßedjfelbejiepngen gepn non einem bejtimmten Äeimpunfte
au§, unb finb burd^auä rationell. ®er ©ruubri^ einer got^ijdben
Ä'irc^e, auSgeftattet mit feinen ^ülfglinien , füpt un§ gleid^fam einen
geiftigen ßrpftaüifationgproce^ oor ba§ 2luge, unb erinnert guglep an
bie Älangfiguren, roel(^e ba§ ilie^roerf ber iöiufif au§ bem ^
bas lRäumli(^e, auö bem ©ebiete beg @epr§ in ba§ be§ @efid^te§ über;
tragen. 2öir erb liefen fobann im Slufriffe, roie er fi^ unmittelbar
uor ba§ Singe l^inftellt, ben Körper be§ ©aueä, beffen ©eele gen)iffer;
mafeen ber ©runbrife bepiiep f^ap man ben Slufrip näpr in§ Sluge,
fo roirb man finben, roie er mit logifd^er IRotliroenbigfeit au§ bem ©runbe
erroäd^ft; roie an bem ganjen SBerfe fein ©lieb oorfömmt roelc^eg nic^t
burcl) bie ©runbconftruction bebingt ift, unb jugleid) einen beftimmten
„Hroecf in berfelben ju erfüllen pt; roie febe ©lieberung unb jebe§ Orna;
ment nur al§ eine ppre ©ntroidelung ber not^roenbigen ©onftruction§;
tpile erfc^einen, gleic^fam eine 2Serflü(^tigung ber ftrengen SKatpmatif
be§ ©runbriffeg, eine f^ortbilbung beffelben in bag ©ebiet ber organifcfien
DIatur. 2öie bie ®lütter eineg Saumeg in lebengooUer , nnenblidier
imannic^fattigfeit ben Sleften entroaclifen, unb bodb immer ©efe^ unb
SBefen beg ©tammeg an fic^ tragen, fo bag ©tab= unb üJtaa^roerf, bie
f^ialen unb 9fofetten, bie Slütter unb bie Slumenfroneu einer ©atpbrale
beg SOIittelalterg. ®a ift nic^tg roapjune^men, roag nic^t auf eine innere
iHot^roenbigfeit l)inbeutete, roäpenb eg jugleid) ben Slbel beg freien ©eifteg
an ber ©tirne trügt: fo bie ©trebepfeiler mit ipen ©efimfen, SBetter;
fdilügen unb SBafferfpeiern, fo bie frei ftepnben f^ialen, bie ©trebebogen
unb bie Slrcaben, fo bie Sogen unb bie ©eroölbc mit ipen Wappen unb
ipem ©urtroerfe, fiirj Stlleg, oon ber itprmfpip big prab ju ben
Sef(^lagen ber 5:pre", erfc^eint alg bie ©ntroidelnng ©ineg ©ebanfeng,
alg bie geniale 5!;nrd)füpung eineg einzigen '4>i^incipg big ju feinen
üuperften ©oufequenjen *).
*) 4lact) 2t. Pieicf)en§perger, Ueber ba§ S3ilbungggeiep ber gott)i)pen 23aufunfi;
1840. (23ermi)cl)te ©tf)riften über diriftt. Äunft, ©. 128 f.)
®ie gleidicn ©ebanfen entroiefett 9leidben§perger, jum benfetben
SBorten, aud) in ber ©dj’-'iÜ piftlid)=germamfcbe Saufunft . . ©. 14 ft.
(6it. 372.)
®ie got^ifc^e ©auhmft.
505
II.
3öte bie gotf)ifd)e Saufunft e§ oerftanb, in bem @otte€l)aule bie »orjüglicfiften
3D^oinente jum 3(u§bvuif ja bringen, non benen in feinem ©erben nnb
®et)n ber geiftige Stempel @otte§ getragen mirb.
345. 55en üier letjiten Shimmern baben mir nadtgeroiefen , tote
e§ ber religiöfen SSanfunft, iinb inäbefonbere ber gott)ifd)en 9lid)tung,
TOirflicb geinng, in ber ©inriditung iinb @e[taltung ihrer ©diöpfungen
bie roefentlidilten ißorjüge be§ geiftigen ^;empel§ @otte§ fpmbolifd) inteber;
jugeben. 2tber I)at |ie in benfetben and) jene ©batfacben äum 3tnsbnid
ju bringen geinnpt, roetibe ben Äern nnb bie ©nrjel ber @efcbid)te biefes
geiftigen 'ietnpels bitben, nnb barnm ben Oirnnb, ba§ eigentliche ifSrincip,
feineä Safepns nnb feiner ganzen ©djanbeit f
Ärenj nnb bie fRofe", fdjreibt f^riebrid) non ©ebteget, „finb
bie ©rnnbformen nnb i^nnptfinnbilber biefer igebeimnipreid)en Saufunft" *).
Unb roenn, inie inir fd)on beinerften, in bem anggebitbeten ©tpt ber
;^roeiten '^Rriobe, bie geometrifd)en fyormen fid) mehr nerbergen, „fo bleibt
bo(b bie jbreujform immer fid)tbnr bernortretenb in ber (F-rfd)einung,
aber nom reid)ften ©d)mncf nberfleibet, unb luie non btübenben Dtofen
nmf^Inngen" **).
©ie ©entnng ber erften biefer ©runbformen liegt nal)e. .^at bod)
ber ^err felber feine Jbirdie gelehrt, bnf) ba§ jbreuj „ba§
3!Renfd)enfohne6" fep, ba§ eigentliche ©pinbol be§ menfdtgetnorbenen ©ohneö
(imtteg ***). iOon 9(tter§ h^^5 inie ber heilige (Jarl Sorromäns
fich ausbrndt, „nabejn feit ben Jagen ber 9lpoftel" 3i8), beftimmte bos
Äreug in ben meiften fyällen namentlich bie ©rnnbgeftalt be§ ©otteSs
baufeg. Ueberbieg aber bebiente fid) ingbefonbere ber gothifd)e ©tpl biefer
nornehmften fpmbolifcben fyorm nod) an nerfihiebenen ©teilen beg ißlaneg
auf bie mannichfaltigfte ©eife: am meiften hernortretenb nidjt nur bei
ben Jbürmen, auf bereu böebfter ©pitge „bag IRofenfreuj prangt, b. b.
ein Ä'reug, beffen 3lrme in IRofen aufblnhen" f), fonbern and) bei ben
gahlreichen „©imbergen" ober ^>^iergiebeln über ben ©pipogen ber ^h^or=
tale unb ber fvenfter, inbem bie ©piben biefer ©imberge gteid)fallg luieber
*) %. @d)legel, ®b. 1. 0. 234. ((sit. 345.)
**) fy. 0ihtcgc(, ®b. 6. 0. 208. ((Sit. 489.)
***) „üUsbann roirb bae bes 3Jtenfd)eniol)nes am .^iminel erfheinen."
SOtattli. 24, 30. SBetheä biefe§ Buchen fei), fpriebt ber (griöfer jmar nicht
au§; aber bie übereinftimmenbe 3tu§Iegung aller Äircbenöätcr Derftelit barimter ba§
Äreuj. (dteifchl.)
t) 'IB. iÖienjel, (Shnftliche cmnbolif (Piegenäburg 1856) 93b. 1. 0. 485.
506
J)ie got^ifd^e Saufunft.
bie j?reuj6tume frönt, „bie ®Iutne rote ba§ 'iRittetafter poettfd}
ba§ ^reuj nannte" *).
©0 |pra(^ ba§ ®otte§!^au§ jnnäd^ft unb üerne^mbar jene großen
J^atl'adöen au§, burc^ roeldöe ber geiftige Sempef @otte§ fein ®afepn ^at,
o^ne bie berfelbe fofort jerfaüen mü^te: an erfter ©teile bie ©rlöfung
burtf) 6^riftu§, mit biefer aber unb in i^r bie jroei anberen roeld^e
ihre SSorausfe^ung bilben, nämlicb bie iBerbinbung ber göttlichen unb
inenfdjlic£)en iRatur in ber @inen if3erfon be§ ©rlöferd, unb bie S)reifa[=
tigfeit ber if3erfonen in ber (Snnen göttli^en iRatur. 3^bem eä aber in
biefer Sföeife ben oon ®ott erroöblten ©dftein uerherrlid)te, über roelfhem
ba§ tebenbige i^iau§ beg 5fC[erI)ödhftftt fich ergebt, oerherrlichte es jugleich
ben @eift ber ftreitenben ÄRrche, oerfünbigte cS aller SBelt baS ®runb=
gefe^ ihreS öebenS, ben Äern ihreS ®laubenS, baS ©iegel ihrer §off=
nung unb ihrer Siebe Unterpfanb, — ni^t roeniger nnjroeibeutig unb
flar, als eS in auSbrüdlichen ^Sorten biefelbe itirche thut, roenn fie an
ben beiben jährlich roieberfehrenben fffeften beS glorreichen ^reujeS unb
an jroei Sagen ber (Sh'^'^i^oche im ^ntroituS ber ÜReffe ihre ®höi^e bie
SBorte beS 3lpoftelS fingen lä^t: „Unfer ©tolj aber fod fepn baS Äreuj
unfereS ^errn ^efuS (JhtiftuS: benn @r ift unfer §eil unb unfere 5Iuf=
erftehung, unfere Freiheit unb unfer Seben" **).
346. Slber rooher neben bem Äreuje bie anbere oon ©d)legel ht-
jeichnete @runbform, baS jroeite ijauptfpmbol, bie iRofe? 2Sie in bem
Sunfel ber Urjeit, in ber ©efchichte beS jyalleS ber iDfenfchheit unb ihreS
SSerberbenS, unjertrennlid) oon einanber jroei ©eftalten het^öortreten, ob;
gleich bie eine, ber ilRann, allein genügt haben mürbe, baS Unglüd ju
Dollenben; roie jioei ^ahrtanfenbe fpäter bie ©efchichte beS 25olfeS @otteS
im alten Sunbe abermals oon jroei ifierfonen ihren Slnfang nimmt, ob;
glei(^ nur idbraham ben heroifdjen 2lct beS ©loubenS ooCljog, unb baburdh
ber erfte Sräger ber SSerheifeungen rourbe, „ber SSater 2111er roelche
glauben" : ebenfo läßt bie Offenbarung aud) an ber ©pi^e ber Ä'irche
©otteS im neuen 23unbe jroei ©eftalten erfcheinen, oon benen freiliifi bie
eine burch ihte eigene göttli^e Äraft baS ganje SSerf ber ©rneuung beS
i)Jcenf(bengefchle(^teS ooUführte, aber nur, inbem fie au^ ber anberen
ihren Sheil baran gab, audh bie anbere ftarf madhte, mitjufämpfen unb
mitjuüberroinben für bie gefammte 2[Renf(^heit/ wehr ju thun unb ©rößereS
für bereu i^eil, als einft bie erfte f^rau getl)an für ihr 23erberben. Oie
2tbftammung oon 2lbam ift für 2ltle ber ©runb ber Ungnabe: aber „ben
2lnfang ber ©ünbe hat baS äSeib gemacht, unb ihretroegen fterben
mir alle Sage". 2tbrahamS ^inbfdjaft roar eS, an bie fid) ber 2lnfprudh
*) 3afob, ®ie Jlunft im ®ienfte ber Äirtfie (Sanbsbut 1880. 3. Stuft.) ©. 74.
**) Introit. Miss. 3. Maii, 14. Sept., fer. 3. et 5. hebd. mai. Cfr. Gal. 6, 14.
®ie got^ifd;e Sßaufunft.
507
auf ben ©egen bev S^eri^eif^ungen fnüpfte ; aber nur jene gatten at§ .^inber
5tbra^am§, bte e§ bnrd) ©ara inaren*). 3tn bie tßanfteine be§ get=
ftigen Stempetg @otte§ im alten 33unbe ^atte einft ber ^l^ropbet ben Dftuf
gerichtet: „§öret mich, ma§ geredjt ift, unb fud;et
ben i^errn: fd^auet auf ben fyell'en auä melihem il)r gehauen, nnb auf
bie ©rnbenhöhle au§ meldher ihr gegraben rourbet; feht hi» auf Slbraham
euren 5>nter, unb auf ©ara bie end) geboren!"**) konnten bie ©teine
beffetben 23aue§ im neuen 23nnbe ber iminberbaren f^rnn oergeffen bie fie
bem ©eifte nadi geboren, bie in SS^ahrheit ihrer 5ttler ‘äRutter roar, meit
fie, um mit ©t. 5lugnftin ju reben, „bnrdh iht'e Siebe mitgemirft, ihnen
ba§ nbernatürlid)e Seben jn geben" ?3i9) tonnten fie, inbem fie bnrd)
ihre ©otteshänfer ba§ jlrenj oerherrtidjten, ben f^etfen feiern „au§ roeU
ehern fie gehauen" ***), nnb babei „ber ©rnbenhöhte" nid)t gebenfen, an§
roetdier fie bem ©eifte nad) „gegraben maren" ? Unb roenn fie nach einem
3eid)en fnd)ten für ben dtamen noU 3Bonne, ben fnf)eften unter allen
bie ju nennen ben £inbern ©na’§ gegeben ift; menn fie fich nad) einem
fi)mbotifd)en 3tn§brucf nmfahen, ronrbig, bie 33lnme ooll bnftenben SSohl^
geru(h§ ju oerfinnbilben, bie her^didifte SSnnberblüte be§ ©tamme§, ben
einft im 'if.^arabiefe ©otted .^panb gepflanjt: lie^ fid) ein befferer finben
al§ bie Königin unter ben 33lnmen?
„©u dtofenbliite, Sitienblntt,
©u Äöuigiit an t)öd)ftcr ©tntt
©nhin fidi hat
diie eine ?\vau erfd)nnmgen",
fo roirb bie ©ebenebeite unter ben f\-rnnen begrüpt in einem Sobgefnnge
au§ bem breijehnten ^’ah^ütidbert, ben man mehrfad) ©ottfrieb oon ©traf)=
bnrg jngefdhrieben hat. ©pater hUftt e§ in bemfelben abermald:
„Dhtn freu’ btd), alter 5'ranen '©reid,
9inn freu’ bid), SBonnenparabeid,
denn freu’ bid), iReid
©er f d) ö n )'t c n dt o f e n b l ii t e" ;
unb eine Stnrnfnng dJtnriä ans bem jraölften ^c’ahvhnnbert beginnt niit
bem ®erfe:
„dloe ddtaria, eine Btofe ohne ©orn" fj-
*) dtöm. 9, 7. @al. 4, 23.
**) 31- 51, 1.
***) „®er gehen roar 6f)ri)'tu§." 1. gor. 10, 4.
j) Sgl. Sinbemaiin, Stumenftranh oon gciftlidjen @ebid)ten be§ beut|d)en
IRittetalterd (greiburg 1877) Z. 38. 44. 109.
508
®ie gotl^ifd^e Saufunft.
Rosa sine spina, flos ßorum, [tnb 2tu5brü(fe für bie fieUige Jungfrau,
bie üon ben ©ic^tern aöer Sönber im jroölften unb breije^nten
^unbert taufetibmal ruieber^^olt roerben. 0 vaga mia rosa, jagt noi^
ber ^etUge 2Ifp^on§ in feinen Canzoncine in onore di Maria santis-
sima *). „3)ie Oiofe", bejengt SBoIfgang ifJJenjel, „ift norjuggraeife ber
■^eiligen Jungfrau gemeint. Moria fiei^t bie 3fiofe ober ber fftofenjmeig
oon ber Murjel 341^ (3f- H/ l)i böiger bo§ fcf)öne alte Äird^entieb:
@in’ iRofe ift entfprungen,
SSon Scffe war bie iJlrt.
9iRaria ^ei§t bie 9%ofe ot)ne ®ornen, bie fRofe au§ 3fnna’§ @d^oo^" **).
Sie Äir(^e felbft raenbet auf bie Mutter beg §errn bag SBort ber l^eitigen
0d)rift an : ,,3d) toarb er^öl^et gleict) einem fRofen^age in ^eric^o" ***).
Ä'ein äönnber alfo , roenn neben bem Äreuje bie „fRofa mpftica" bag
r)orgügIid)fte ©pmbot ber got^ifc^en ^Banfunft mürbe; raenn fie „bie
©runbfigur aller i^rer 3Serjiernngen bilbet, aug roelt^er fetbft bie eigen=
tl^nmlic^e gorm ber f^enfter, 5;^üren, 5:!^nrme, in nü i^rem 33Iätterf(^mu(f
unb ifiren reidjen 23lumenjierrat^en abgeleitet ift"t)-
^ietfeidbt irren mir nid^t, roenn mir bie im gotliif^en 0ti)l fo pufig
roieberfel^renbe f^orm beg regelmäßigen ©edjgecfeg — bag ®Ub beg
0terneg — auf biefelbe beuten, bie „0tella matutino“ unb
„ben ©tern beg Meereg". Ober ift fie oietme^r auf ben anberen „Stern"
ju bejie^en, ber „aufge^en foUte aug 3afob"?ft). Mag bagegen bag
Sreied betrifft, bag Kleeblatt, bie fiel) nielfad) roieberl^olenbe Sreija^I,
fo ift fie offenbar bag natürlidje ©pmbol feneg ©elieimniffeg, bag bie
©rnnblage beg ^riftlid)en ©laubeng bilbet.
347. Mir bürfen ung auf biefe roenigen ?lnbeutungen befd^ränfen:
benn fie genügen noUftänbig um barjut^un, baß bie religiöfe Saufunft,
roie bie 33or,;üge beg geiftigen Jempelg ©otteg, fo audt) bie l^ernorragenbften
0^atfa(^en non melden feine ©efdl)id^te getragen roirb, foroeit eg ifire
Mittel geftatten, überaug treffenb jum Slugbrnd gebraclit §ot. Einberg
alg in fpmbolif^er Meife barjuftellen , ift ber Slrd^itectur eben ni^t
mögli(^; barum lag eg na^e, baß fie bie jroei bilbenben fünfte, bie
©culptur unb bie Malerei, mit fic^ nerbanb, um burdt) fie ißre Seiftungen
unter biefer fRüdficßt nernollftänbigen unb ergänzen ju laffen.
*) 3SgL SRontatembert , Seben ber t)eiligen ölifabet^ non Ungarn, ©nieitung.
**) 2Ö. aRenjet, S3b. 2. ©. 281. (6it. 505.) )8gt. aßacfernagel, Äircfienlieb,
at. 160. 148. ßonrabg non aBüräburg „@oIbene ©(^micbe" non 2ß. @rimm,
XXXVII. )ßaberborner SieberbiK^, at. 92.
***) Quasi plantatio rosae in Jericho. Eccli. 24, 18.
t) 5‘. ©erleget, 93b. 1. ®. 234. (6it. 345.)
tt) 93gt. 4. aitopf. 24, 17.
®ie got^ifd^e S3auhmft.
509
Uebrtgenä i[t eg ganj geroijs, ba^ bie reügiöfen ^^auroerfe namentUd^
be§ gotI}ifc^eu ©tt)t§ nod) einen raeiteren reid)en ©d)at^ non ©innbilbern
nnb 2(üegorien nmjc|lief3en , beten niete un§ ganj entgegen. 21111 bet
innre iin ©taube itjte 25ebentnng luieberjnfinben , bet mit gviinbUd^er
Äenntnift bet gefammten 'Xt)eotogie be§ 2)^ittetatter§ eine eben fo grünb=
Iid)e feiner reid)en 2caturfi)mbolif nerbänbe. „Ueberatt in bet dlatnr
fud)te jene gtanbenSnolte mi)[tifd)e 23ejiel^nngen jn ben i|iftid)ten nnb
ben retigiöfen Uebevjengnngen be§ ertöfeten ilttenfdien; in bet SebenSineife
bet 2;tjiere, in ben @rfd)einnngen bet ififtanseninelt, in bem ©efange bet
2>ögel, in ben ©igenfdjnften bet felteneren ©teine, fa'^ fie eben fo niete
©t)mbü(e beitiger ©taubenöinabrljeiten. ®a§ ©tnbinm ber ittatnr eben
für biefen breijetjiiten ^^b^bmibert fe^r nerbreitet, inie
fid) bieg ang bem Speculmn naturale beg 2>inceng non 23eaunaig, nnb
einer 2)^enge non 2®erfen viber bie ‘’f^ffanjen nnb ©teine ergibt,
bie in gebnnbener nnb nngebnnbener 9lebe nm jene erfd)ienen *) ;
andj in ber ganjen i^oefie jener O'podje fprid}t fid) biefetbe ©batfacbe
ang. if.^ebantifd)e 9iomenctaturen batten bem 2]otfe nnb ben ®id)tern
ben 3idritt jnr 9tatnrfnnbe nod) nid)t nerfperrt; bie iHeminifcenjen ber
beibnifcben Stbgötterei batten ficb nod) nicht entineibenb tnieber eingebrängt
in eine ©pt)äre, bie eben bag (Jb^'^f^cntbum bem inobren ®ott jnrüd=
erobert. 35>enn ber 2trme beg 2tad)tg feine 9tngen §11111 b^immet ert)ob,
fot) er ftatt 3n>i‘-‘’’§ 2^^itd)ftraf)e ben 2Beg feiner Sriiber nad) (Jompoftetia,
ober ben SBeg ber ©etigen jnm ©b^'e^'^e @otteg. ißor ottem bitbeten bie
ißtnmen eine mit ben reijenbften ißitbern gefd)inüd'te SBett, eine ftiimme
©prnd)e ber tebenbigften , ber jarteften @efüt)te. 2>otf nnb ©etebrte
tarnen barin überein, biefe botben ©egenftiinbe ibrer täglid)en 2titfmerf=
famfeit mit ben 2tamen berer 511 bejeid)nen, bie ibrem .'oerjen am tt)ener=
ften inareii, ber 3(poftet, ber £debtinggt)eitigen , ober ber fetigen f^ranen,
bereu Unfd)n(b nnb dteint)eit in ber mafettofen ©djönbeit ber 23tnmen
roieberjntend)ten fd)ien. ®ie in nuferen ©agen fo entnölferte, für bag
@efüt)t inie anggeftorbene ©rbe erfüttte bamatg ein ü^eben nott nm
fterbtid)er ©d)öne. 58öget nnb if3ftaii§en, 3ttleg mag bem 2)ienfcben anf
feinem iffiege begegnete, 3ttteg mag lebte, mar mit bem feineg
©tanbeng, feiner ,'ooffnnng bejeidjnet. ©g mnr ein meiteg tKeid) ber
Siebe, aber §ngteid) ber Söiffenfcbaft : beim atte 23ejiebnngen mnrjetten
im ©tauben. ÜSie einft jene fyenerftrabten bie non ben SBnnben beg
©efreujigten anggingen, ben ©tiebern beg bfü^Sei' f^mancigcng bie t)ei=
tigen SJtate einprägten, fo b^d^'i ©trabten, bem .^erjen beg ©briften^
notfeg, beg finbtid) gtänbigen, entftrömenb, ber Statur in atten ibren
*) 5Jtan Dergteicbe aucC) in biefer Ptücfficbt ba§ Rationale divinor. officior.
Don Suranbuä, an nieten ©teilen.
510 vomanifc^e unb bie gof^ifc^e ©auroetfe, unb ber ber Stenaiffance.
^!^et(en bie Signatur be§ ^immel§, baä (S^rifti, ba§ Siegel
reiner \?iebe anfgebrürft" *).
§■ 3.
3ur fte^tfertigung unfercs ^crfa^rens in bcn ootbcrgeßenben jwci
Paragraphen.
®a§ 9)erhältniü ber gotbifclien 3ur romanifeben SSaufunft. ^Cer St^I ber 9te;
naiffauce.
348. 2®enn id) ben Sal^ roetdjer bie Ueberfd^rift biefeS .^apitelS
bilbet, in bem biS^eT ©efagten uorjugSroeife an ben Schöpfungen ber
gothifi^en lRicl)tung na^juroeifen gefudjt, fo lebiglid) barin feinen
@runb, raeil, fooiel id) urtlieilen fann, in biefer ?öeife ber Seroei§ fidh
am leiditeften unb am übergengenbften führen lä^t. @§ ift eben ber im
gothifdjen Stpl erbaute ®om, non raeldiem in feinen „SSortrdgen über
bie Siturgie ber ftiden 2öod)e in 9iom" SBifeman bemerft, „ein franko;
fifdher Sdiriftfteller ber neueren 3®it benfelben fchön unb treffenb
at§ ,ben arct)itectonifd}en ©ebanfen be§ tShnfteutl)um§‘ bejeidinet". ©eroiff
fpridht benfelben „©ebanfen" and) bie romanif^e Jtathebrale aü§: aber
fie tl)nt es in minber Harem, in raeniger nollem 21uSbrud. ®amit ift
freilid) angebeutet, bafj bie gothifc|e 9iid)tung DoUfommener alS bie ro=
manifi^e bie Slufgabe gelöft höbe, roeldje ber religiöfen 51rd)itectur geftedt
mar: für bie liturgif(^en :i3ebürfniffe ber (Jhviftenheit ©otteShüufer ju
fchaffen, bie bem 21uge beS ©laubenS als fpmbolifche dlachbilber baS
unfi(^tbare i^auS ©otteS nergegenmärtigten. So oiele auf biefeS Seziere
hinroeifenbe 309^ ™ie an ben gothifchen Äirchen, finben fich an roma=
nifd)en jebenfallS ni(^t.
3nbem ii^ biefe meine 21nfi(^t nicht nerfchroeige , bin i^ roeit enH
fernt, biefelbe ^entanben aufnöthigen, unb noch mehr, bie gothif<he
meife gar alS bie allein berechtigte hinftellen ju rooUen. Seibe 9ftich=
tungen ftreben nach @inem unb bemfelben 3i^f£i romanifdhe ißaufunft
hatte für baffelbe fi^on ©ropeS geleiftet, als bie gothift^e auftrat, unb
bie non jener bereits feftgehaltenen if^rincipien mit noderer ßonfeqneng,
mit höherer ©enialitöt unb gröfserer .Hühnheit bnrdhführenb, SBerle fi^uf
beren ©lan^ bie Seiftnngen ihrer älteren Schroefter überftrahlt. ©S mar
baS feineSroegS auSfd}lieplidj ihr 29erbienft; bie romanifi^e Äunft hotte
ihr oorgearbeitet, unb fie nnterlie^ nidjt, ade ©rrungenfdhaften berfelben,
foroeit biefe für fie iffierth hoben tonnten, treu ju benu^en. ®enn ber
gothifd^e Stpl ift ja bem romanifchen gegenüber nidhtS meniger, als eine
‘) DJtontakmbert, Seben ber ^eiligen (ätifabetf), (Einleitung.
®ie romanifdje imb bie gotljifdjc SSauraeife, imb ber ©tpl ber ^ienaiffance. 511
gatig aiiberartige, burd^aiig neue ©rfinbiing; er ift ntelme^v bie notl:
ftänbige JÄealifinmg unb ber 5lb|d)hifi beö bereite im romanif(^en immer
entfd)iebener l^ernortretenben 'Strebend na(^ bem nottfommenen Sludbrude
ber ^'inljeit bed @otted!^aufed in feiner ©anjijeit unb feinen 3:l)eUen, fo^
mie in feinem ^smiern unb 3leufiern*). 91id)t mie groei ©egenfäl^e ner=
I)alten fi(^ fomit bie beiben ©tt)le, fonbern mie @uted unb ©effered, mie
ber geeignete unb ber nod) mel^r gelungene 5ludbrucf beffelben ©ebanfend ;
unb mer ben einen norjiet)t, ber ^at bamit in feiner üöeife ben anbern
nerroorfen. ißielmeljr fann ein Soldner nod^ fefir roo^l ber 2lnfid)t fegn,
ba^ ber @eift bed gotl)ifd;en ©Uiled unb feine Ü^orjüge, menn fie ent=
fpred)enb bernortreten unb il)re noUe Söirfung tl)nn foUen, immer einen
ret^t großen 33au er^eifdien, unb befdjalb für fleinere Jtird)en, unb
mehr nod) für Kapeüen, ber romnnifdfe Stpl angemeffener fepn bürfte.
®enn im @eifte bed ©rfteren liegt ald ein mefentUd)ed (Slemeut bie
(Jrljabenbeit; ben (Sinbrncf uon (S-rbabenljeit mnd)en aber Strebepfeiler
unb Spitzbogen nnb ©emölberippen nid)t fd)on il}rer iliatur nad) , fon=
bern nur bann , menn fie in müdftigen Steinmaffen einen dtaum non
bebeutenbem Umfange unb ungeroöl}nlid)er Z^öbe umfdblieben. Surd]
Sd)önl)eit fönnen and) i).lMniaturarbeiten fidb aud5eid)nen, burd) @rbaben=
beit nicht.
349. 3tud) ber 23aiimeife ber IHenaiffance gegenüber bie SBeoor;
jugung gu redjtfertigen , metd)e idj bem gotbifdjen Stpl 1)«^’^ gu 'Ib^il
roerben laffen, bagu fann idb mid) nid)t oeranlafd feljeii. 3*^
in 3lbrebe, bafg an mandjen Äird)en bie roübrenb bed fünfgebnten unb
bed fedjgebnten , oor ber '■fieriobe bed 3fococofti)ld , im @e=
fdbmad ber Dfenaiffance gebaut morben, fid) anerfennendroertbe 3Sorgüge
finben. 3tber eine dtid)tung ber Ülrd)itectur roeld}e beim Äird]enbau „fidi
non ben gu allen anberen bead)teten iVbingungen bed (Jultud,
überhaupt non ber religiöfen ©runbtage befreit" ; roeld^e „fatholifcbe unb
proteftantifche ilirdhen nadh bemfelben Sd)ema geftaltet, unb groar nii^t
auf ®runb ritueller Sebürfniffe unb allgemeiner religiofer ?lnfd)aunngeu,
fonbern gemöfg einer mehr abftracten, inbioibuetten iSegeifterung für bad
mad man ald ,claffifd)‘ anerfennt" ; einen Stpl bem bie @efd)idhte nadh=
fagen barf, baff „feine hüd)ften Seiftnngen if3aläfte, Sdjlöffer unb £anb=
hüufer bilbeu", „feine fdjroad)e Seite bagegen bie fird)lid)en '.Rauten,
mie bie Zlir(hli(^feit bie fdjmadje Seite ber ^eit mar" ; ber mit feinem
§ange gur „llebertreibung, mit feiner bnrd)aud miOfürlid)en , auf ma:
lerifd) reichen ®ffect berechneten (Jompofitiondmeife, mit feiner pomphaften
'Prahlerei, hinter melcher fid) bie innere Seere ber ®mpfinbung bodf
umfonft gu nerbergen fudgt", „feinen meltlidjen (Shavacter nirgenbd, am
*) 23g[. 3afo6, ®. 69. (Git. 506.) .Hugler, 33b. 2. lii. 1. (6it. 342.)
512
®er ber atcnaiffance.
roenigften itt feinen religiöfen ©ebäuben nerläugnet" *) : eine ard^itecto=
nif(^e S^iditung biefer 21rt , jage iä) , fann ic^ unmöglid^ für berufen
galten, bie ©ebüube l^erjnfteüen , bereu bie j^'ird)e @otte§ für i^re
ften unb ^eiligften Slufgaben bebarf. SDenn ba§ „SSBeltlic^e" unb ba§
©öttlid^e, bie „5Ratur" unb bie @nabe finb unnereinbare ©egenfü^e;
unb eine ^unft roie bie eben mit Sübfe’ä SBorten c^aracterifirte roirb
nie unb nimmer i^re SBerfe fo einric^ten, bof? biefelben „bem ©inne be§
^eiligen ©eifteg, unb ber Söeife in roetc^er feine ©nabe ju rairben pflegt,
foüiel at§ mögtidj ift entfpredien unb fid) anfc^Iiefeen" (oben, 273, ©. 385).
9Jtan roirb barum auc^ gar nic[}t überrafc^t, roenn man 3<^fob mit
Sübfe atg eine ber c^aracteriftifcfien ©igenb^ümli(dfeiten , roetc^e an ben
im fRenaiffanceftpI (namentüd) nac^ 1580) gebauten Äircben ^ernortreten,
bie „Umfel^r" bejeicfinen ^ört „oon ber oerticaten jur borijontalen , non
ber ibealen unb nergeiftigenben ^ur realiftifdjen unb rein üu^ertidien
jRic^tung", olg bag fllefultat biefer Umfel^r aber „ein be^aglic^eg
©icb = 2lugbe§nen auf ber ©rbe"**); unb bann eine '^atbe ©tunbe
fpüter jufädig bei 2)torij ©arriere bag Sob ber griei^ifd^en ©otjentempel
tieft; „SBie ber ©ried)e fid) tieimifc^ ^ienieben fil^lt, . . roie feine ©etin=
fucbt i^m bag ©emütf) empor^ebt über bag ^rbifd)e: fo breitet ber 33au
fic^ betiagtic^ auf ber ©rbe aug, unb ftatt ^immetanftrebenber
il^ürme fenft bag ®ad) roie ein 3tbler feine ©c^roingen fd)irmenb über
ben 2:empel" ***).
§. 4.
|)tc ^rcttjfornt ber (brififitben ^ottedbaufer.
©iefetbe ift roefentlid) unb an erfter ©tette fpmbotifcb. ®ie 3?erneinung biefeg
©atjeg bei ©d)nnafe. Prüfung ber non i^m aufgefübrten ©rünbe, unb
3Bibertegung berfelben.
350. ©g ift nod) übrig, ba^ roir in dtücffictit auf ©ine ©igero
tbümti(^feit ber cbriftticben jlirdien ben fpmbotifd)en ©baracter berfelben
gegen eine Stuffaffung fidjerftetten, roetebe in neuerer 3cit roieberbott ged
tenb gemad)t rourbe. ©arl ©ebnaafe führt aug ©ebriftftettern beg dJfitted
alterg mehr alg groanjig fpmbotifcbe Deutungen oerfebiebener am ©ottegs
baufe bf^öortretenber @inrid}tungeu unb eingetner 3:beile beffetben an,
unb erflürt biefetben jutefet inggefammt für ein btofseg „unfcb°^fi<b^^
©piet beg ©diarffinng, bag ficb an bie bevgebratbten unb notbroenbigen
*) Sübfe, ©. 632. 681. 709. (git. 492.)
3atoB, ©. 90. (dit. 506.)
***') darriere, S8b. 2. 0. 168. (dit. 339.)
®ie Äveujfovm ber djriftlid^eu ©otteö^äufer.
513
formen au1cf)lo3'', ftatt bai^ iimgefe^rt eine beabfiditigte 11)11160(11(1)6 23e=
beutiing bie g-ormen beftinimt ()ätte * **) ***)). Sa§ ßet^tere mag , mag bie
meifteii ieiiev ®eutiiiigen betrifft, feinegmegg unvic()tig fegn; bejüg(id)
(äineg (f,'iiiitteg inbe^ finb mir entfdfieben anberer 3(nfid)t. ®ag ift bie
f^ovm beg .(tveujeg, roe(d)e bie religiöfe 3(rc6itectiir oon fef)er beii ®otteg=
()äiiferii jii geben gemo()iit mar.
3®ir ()aben nnferen ©ebanfen fd)on frül^er anggefprodfen (345.
e. 505 f.); baruin norjiiggmeife baute itiib baut bie (5()riftenbeit i^re
®otteg()änfer, mo eg angef)t, in ber ®efta(t beg jlreitjeg, mei( bag jlreiij
bag d)aracteriftifd)e epnibol beffen bilbet, me(d)er „ber Urbeber nnb ber
®oUenber nnfereg ©(anbeng''', bag .'Tianpt, ber DJUttetpnnft , ber (el3te
,3mecf ber gefainmten Äird)e ©otteg ift, — beg menfd)gemorbenen ®ol)iieg
©otteg.
3iad) ed)iiaafe bagegen erfdfeint in bem Uinftanbe, baf) „ber ©runb:
rife ber ^?ird)en in beiben ©tplen" (bem romnnifd)en nnb bem got()ifd)cn )
„bie d)aracteriftifd)e ©eftalt beg Ärenjeg I)at, nnb ^mar beg (nteinifd)en,"
fomie in bem anberen, baf) „bei ber Einlage oon Äird)en bie ,e^rmiirbige‘
y^orm beg itrenjeg oft angbrnd(id) ()eroorge()oben mirb," „bie fi)mbo(ifd)e
33ejie()iuig fef)r a(g 3cebenfad)e". „®ie Ärenjgeftalt ber Äir(^^en
mar oielme()r ein ©rjengnif! t()ei(g beg practifd)en, (iturgifd)en , t()ei(g
aber and) beg ard)itectonifcben iBebnrfniffeg, nnb jmar ein fef)r mici^tigeg."
3(ug bem auf biefeg fid) griinbenben „,'gerfomnien entfpringt fene fi)m=
boIifd)e 33e5ier)iing , nnb fie ift nid)t bie beftiminenbe Urfad)e
beffetbeid'
®ie ©ebanfen biird) meld)e ©d)iinafe biefe feine 33e()anptung jn be=
grünben fnd)t, finb folgenbe;
1. „ec^on in ber altd)rift(id)en 23afilica, o()iie mirftidfe ilreuj?
g e ft a 1 1 , ging ein breiteg !Oneerfd)iff ber (5()ornifd)e oor^^er; biefe
3(norbnnng bot prnctifd)e nnb äftf)etifd)e '-Bort()ei(e, nnb mnrbe babnrd)''
in ber 3lrd)itectnr beg '3Jtitte(n(terg „jn einem faft überall beobad)teten
v'(iertommen
2. „oft jebod), mo bie Jocalitiit eg nötbig ober bie ©parfamfeit eg
mnnf^engmertl) mad)te, mid) man oon biefem .perfommen ab'' f ).
3. „il'üre" in ber .ürentform ber romanifd)en nnb gotbifd)en 5l'ird)en
„ber fi)mboUfd)e ©ebanfe, bie (il'ird)e auf bag (drenj, auf bag Selben
(Sbrifti jn grünben, beftimmenb gemefen, fo mürbe man geforgt haben,
bap bie itrenU'orm mef)r ing 3lnge fiel;"
*) >£d)ima)e, 93b. 4. o. 207 — 211. ((Sit. 18.)
**) ed^naafc, 93b. 4. ®. 87. 210.
***) 9Son mir untev)4ricben.
j) ©(buaofc, a. a. 0. 0. 210.
Siinginaiui, Slcftbetit. 2. 31ufl.
33
514
®ie Äreujform ber d^riftUd^cn @otte§t)äufer.
4. „au(^ Ratten, raeitn man eine Tcaii^a'^mung be§ rotrfüc^en ^reuje§
begroetfte, bie Dueerarme länger gebilbet raerben niüffen at§ e§ gefi^a^;“
5. „für bie ©^mbotif genügte bie ©nfenfung eine§ ^reujeä ober
Ireujförmig gelegter ©teilte bei ber ©runblegung" *).
ifSrüfen mir ben SBert!^ biefer ©rünbe.
351. ®er geleierte ißerfaffer ber Äunftgef^ic^te ift ber iJJleinung,
bie ©eroü^nljeit , ben jl'irc^en bie Äreujform ju geben, ^be fii^ erft im
ilRitte (alter , mit ber ©ntfteljiing ber romanifdien 33auroeife im 5lnfange
be§ jraeiten ^abrtaufenbä gebilbet; bie
altc^riftlidjen (Bafilifen bagegen fe^en
„o'^ne roirflic^e Jlreujgeftalt" geroefen**).
®iefe ÜJleinnng ift aber irrig.
SBie mir eben (1) non ©dinaafe
felber Ijörten, „ging fc^on in ber alt=
cbrift(ic^en (ßofilica ein breiteg Oueer:
fc^iff ber (F^ornifc^e nor'^er". einem
früljeren Sanbe feiner ©efc^ic^te aber
raerben rair g(eid)faüg non i^m felber
belehrt, in fyolge ber ©infd)iebung biefeg
Oneerfdjiffeg graifchen bem Sanghanfe unb
ber C^l)ornifd)e (2lpfig, (Fom^a, ©ribuna)
habe bie 23afilica, raeil bag Oueerfdhiff
„eben fo hoch nnb breiter raar
alg bag F)Jiittelfd)iff , bem griei^i^
fd)en i8ud)ftaben Jan (T) geglidhen" ***).
2(lg ißeifpiele hiet'für nennt ©dnaafe bie
a(te ^etergfirdje , nnb jene beg heiligen
'l^aulug nor 9tom (fuori le mura).
Sübfe’g ©arftednng ftimmt hiermit gang
überein; mir finben rair bei ihm nod;
hernorgehoben, baff „bag Oneerhang (Ärengfdiiff J , in ber nollen §öhe
beg 2!Jiittetfd)iffeg , mit feiner FDlaffe" nid)t mir über biefeg, fonbern
„meifteng über bie gange (Breite beg Sangbanfeg binaiigtrat" f).
6runDri& ötr ßttfilica St. paitl
m Uom.
*) „©0 bei @rünbung be§ SRerfeburger 5)om§: Heinricus quatuor lapides
in niodum sanctae crucis in fundamento primitus iaciens . . (Chron. Episc.
Mers. p. 357 , bei SepfiiiS in ben Dcenen (Dtittbeilnngen be§ Jbm- ©äcbf. SScrcin§
1842)." ©chnaafe, a. a. C>. ©. 87.
**) ibtan nergteidie bie eben angeführten @rünbe 9R. 1 unb 3, unb bie citirtcn
©teilen be§ 2Berfe§ feibft.
***) ©dinaafe, S8b. 3. ©. 45. (i8nd) 1. Äap. 2.)
t) 8übfe, ©. 216. (Sit. 492.)
Sie Ärcujform ber c|riftlic!^eit ©otteS^äufer.
515
3hin ift aber bte t)on Sifmaafe felbft angejogene @eftatt „be§ grie=
c^il'djen 23uAftabenö Jau, T/' ganj eigentlich bie „inirfliche Äreujgeftalt" .
®ie (^rifttidje 3trd)notogie ineift nämlidh brei .s5nuptformen be§
jbreujeä nad). 5Dn§ „Slnbreagfrcuj“ ober bie „crux decussata^, X 5
lomnit fettener oor. ®ie „cnix commissa^ bagegeu, T, erfdjeint im
(^riftlicfien 2tttertf)um roo nid)t pufiger, fid)er eben fo häufig inie bie
„crux mm-ma“, +, atd ba§ fpmbolifdhe @r(öfer§*). ^e^;
roeife h^^^'fär finben fid) bereits in bem ^Briefe ber bem 5rpofteI iBarna=
ba§ jugefd)rieben rnirb; ferner bei ^ertuttian, 5lmbrofin§, 3tnguftin, uitb
i|3aulin oon tRota 320). UeberbieS gerabe bie jroei ätteften ^'reitje
melche man lennt, nämtidi baS Spottcrucifip oom ^atatin, unb ein
Ä'reuj anS bem 370 beffen 2?olbetti gebenft, bie f^orm beS grie=
d)ifd)en 3ian; oon ber fep gemöbnUd)en Jvoi^m (-}- ) finbet fii^h bagegen
oor bem fünften ^cin iBeifpiet, btffen Witter man mit ber
gleidien iBeftimmtheit nad)ioeifen f'önnte**).
S5>ir muffen fomit, auf ^nmnb ber hiftorifdjen Sdiatfncben unb ber
eigenen 3(ngabe ©dfnaafe’S fetber, bie Folgerung jiehen, ba§ fdfon bie
attchriftüdjen Safilifen meiftenS bie eigcnttidhe ilreujform hatten,
unb bnü ©(^naafe irrt, menn er ihnen bie „loirftidie Äreu,5geftalt" ah-
fprid)t.
352. 25>a§ uernntafite nun bie Ä'ird)e oon 3ttter§ h^^5 ®otte§=
häufer in ber ivorm beS ,ibrcn,^cS 311 erbauen? „®a§ 3^^*^)^^ beS .ilreu=
jeS“, fdhreibt ein ©etehrter, bie fpmbolifdje ®ebeutung ber Äreujform ber
@otte§hänfer gegen 31t. ©urfdf oertheibigenb , „baS 3'^‘äfen beS ÄreujeS
toar für bie (Jhriften oon 3(nbeginn oon fo hoh^^' 33ebeutung, bof3 ihnen
nidjtS näher liegen fonnte, als baffetbe and) bem ^'tane ilfrer jb'irchen
ju @runbe ju legen, unb mir eS oielmehr befrembenb finben müf5ten,
Toenn fie e§ nicht gethan hätten" ***). 3” ©^)at, menn ba§ djriftlid^e
3nterthum, loie bie oorher (3lnmerfungen , u. 320) gegebenen 3^aguiffc
beraeifen , in ben ©teilen beS alten ©eftameutS in benen bie 3^1)1 300
oorfömmtt), älop barum loeil baS gricd)ifd)e 3^^'^)^^ für biefe 3®^^
ber 23ud)ftabe T ift, fofort eine tppifd)e 23ejiehung auf baS Jb'reuj
fanb: mufete e§ bemfelben ba nid)t oiel eher iu beu ©inn fommeu, baf^
für baS ®ebäube in roetdjem bn§ am Äreuje ©inmal oollenbcte ©pfer
fich fort unb fort erneuern, in ioeId)em jene ©eheimniffe fid) oopiehen
fodten, ohne bie bem ©injeluen bie brächte be§ .il'reu^eS ©hnfti nid)t
*) Martigny, Dictionnaire des Antiquites cliretiennes, (Nouv. edit. Paris
1877,) Croix, p.' 212 s.
**) DJtartignp a. a. C. unb ®. 110, Calomnies.
***) .t)ift.=pot. Slätter, Sb. 34. ®. 844.
t) 1. ®lopi- 6, 15. 14, 14. 17, 27 (ugl. 14, 14). PItd)t. 7, 6. 7. 16.
33*
516
Sie Jl'reujform ber c^rifUid^cn @ottc§^äufer.
jiigeraenbet roerben fönnen, feine §orm ongeineffener jet), al§ eben bie
©eftaft be§ Äreujeg?
Unb feine anbere, af§ eben biefe 3iücfiid)t mar e§, mefd^e au(^ im
jmeiten ^al^rtaufenb bie it'irc^e an erfter ®teUe beftimmte, an bem ur=
alten .^erfoinmen feftju^aften. 9fac^ ©djnaafe foü „ba§ fiturgiji^e SSe:
bürfni^", foffen e§ „practifcbe unb ä[t§etif(^e 3Sort^ei(e" geroefen fepn,
roefcfje l^ierin ben 2lii§fc^tag gaben (oben, o. 513). O^ne
eine @inrid}tung , oermöge bereit fid) jroifi^en bem öang^aufe unb ber
3lpfi§ ein bebeutenber freier iRanm ergibt, ber 2tu§fn§rung ber fitur;
gifctien §anbfungen günftiger. Stber eben fo unjroeifel^aft ift bie £reuj=
form be§ ®ottesf)aufe§ ein überaus geeignetes iSfittet, baS
©rlöferS monumentaf 511 oer^errticfien, unb tragt fie jugteid) in ’^ol^em
'üOfaafee baju bei, baS materieUe ©ebäube afS baS fpmbolifc^e 9^ad)bilb
beS unfid^tbaren ^empefS’@otteS ju djaracterifiren. ©inb etroa baS nii^t
audf „practifdbe ißort^eile", unb jroar oon ^ot)em Sßertfie? 2Bo^er rcei^
nun ber oerbieute ©efd)id)tf(^reiber ber bitbenben ^lünfte, unb roie milf
er unS überzeugen, bafz bie religiöfe Stn^itectur nidöt ganj oorjugSroeife
biefe feisteren „iBortbeite" beabfidjtigte, unb mefir atS fie „baS liturgifdje
3?ebürfniB" im Singe fmtte? ®er !^ot)e fpmboüfdie 2©ert^ ber Jlreuzform
ift etmaS burd) bie Offenbarung ©egebeneS, unb fte^t unabhängig oon
feber ©hat ber Kirche äuf^ereu fRituS ber liturgifdjen §anb=
hingen ju beftimmen, baS habe bagegen ber ©ohn ©otteS ihr anheim^
gegeben. ®d)naafe im ©taube ju bemeifen, baf? bie Äirdje bei ber
SluSführung biefer ihrer Slufgabe ohne Dfücfficht auf eine in beftimmter
Steife geftaftete 9(föumlichfeit oorging? ftanb eS ihr nicht frei, bie freier
ber heiligen ©eheimniffe in foId)er Steife ju orbnen, baf? ber IRituS
gerabc bem in Äreuzform zu erbauenben ©otteShaufe entfprad)? ©efetjt
übrigens, fie hütte anberS gehanbelt, unb zuitäd}ft, ohne Dffücf ficht auf
bie ^ocalität, ben IRituS bem S5?efenthchen nach fo feftgeftedt roie berfelbe
gegenroärtig geübt roirb, fo mürbe baS hierburd) fid) ergebenbe „fitur=
gifdhe ißebürfni^" bod) lebiglidh einen freien IRaum ziDif<h^u ber SIpfiS
unb bem SOfitteIfd)iffe roünfdjcnSroerth gemad)t haben, feineSroegS aber
bie ©infdiiebimg eines Oueerfd)iffeS zuiifdhen jener unb bem ganzen
S a n g h a u f e.
29aS hi^i'uach ßou ©ihnaafe gleichfalls betonten „äfthetifihen
S?ortheiIe" angeht; roenn biefelben roirfhd) auch nur einige felbftänbige
33ebeutung haben, roarum mar eS bann ber „claffifdien'' SIrchitectur in
.^ellaS unb ihrer ©rbin in dlom nie in ben ©inn gefommen, ihren
üffentlid)en für grofze SSerfammlungen beftimmten ©ebäuben bie Äreuz=
form zu geben? 3^) bin gern bamit einoerftanben, ba^ bie mittelalter=
hd)e Jlunft burd) ein „architectonifdheS SSebürfnifz" fid) oeranloßt fah, ftatt
ber T^geftalt ber altchriftUchen 33afüifen jene ber „crux immissa“, -f-.
Sie Ärcii5form ber cl^rtftlid;en @ottes{}äufer.
517
alä bie govm iljvev Ä'ird)en gu aboptiren; ©djuaafe lueift bie äftljctifdje
„STndjtigfeit'' biefer 5(enbenmg gut unb rid^tig uadt*). 31bev e§ i[t ifjin
habet entgangen, bap eben bie T^geftatt ber 33niUifcn fdjon bie inirftii^e
unb eigentlidje ,tv reuggeftalt raar, nur in ibrev ätteren ^orm: bavin
liegt ber i^auptgrunb feiner gangen irrigen 3tuffnffung. 3iid)t bie
@infüljrung ber .ilreugform tuar ba§ 235erf ber luittelalterlidjen , in§=
befonbere ber romanifdjcn 3lrd)itectur : fie fubftituirte nur ber einen ber
ginei .s^nuptformen , jener iuetd)e ber 33afilifenftpl angeiuenbet liatte , bie
anbere. 3®a§ fie aber beftiimnte, eben bie cü r eng form feftgulj alten,
ba§ roar gang bie nämlidje Dlüdfidft, um bereu millen einft ba§ 9llter=
tl)um biefelbe gemälilt batte, nnb nid)t ard)itectonifd)e 33ebürfniffe jener
3lrt, mie 0d)uaafe fie im 3lugc bot. i'iet näber al§ äftbetifd)e 9iüd=
fid)ten, lag ber (5briftenl)eit non jel)er ber ©ebnnfe an bas Äreug iljreä
^■rlöferS; eä roar ibr3tlle§; fie empfanb gu tief, ina§ fie ibm nerbantte,
fie fublte gu lebenbig bie il\’beutnng be§ nergroeifelten ^ammerS bem baä
Äreng fie entriffen, beä ©egens für ö'roigfeit, beffen nie uer=
fiegenbe Ouelle eä ibr geöffnet batte, als bafg es nod) äftl)etifd)er 3>or=
ttjeile beburft Ijätte, bmnit fie fid) neraulapt fcibe, ibrer Siebe unb il)rer
ibegcifterung für ba§ „^eidten bcä iBlenfdicnfobneS", ino immer fidj bie
@elegenl)eit bot, öffentlid) 9lu§brnd gu geben.
353. ®af3 man „non bem .^erfommen nid)t fetten abroid)" (©. 513),
baraiig Infgt fid) ber löh'unb beö .'oerfommenS gang unb gar nid)t eut=
fd)eiben. ®ie ©b^^tfadje beineift lebiglid), bafg bie Äreuggeftalt ber ®otte§=
bciufer nid)t biird) ein unnbiinbertidieS ©efet^ norgefdjrieben roar; unb
bag fann man mir nerftiinbig finben. ®enn ino „bie Socalitüt“ ober
ber 9lbgang ber erforberlid)en ©etbmittel („©parfamfeit") ben 23nu einer
Äird)e in Ärengform nid)t geftattete, ba innr ber Ü!ergid)t auf biefe fpm=
bolifdje fvorm ja immer nod) ein fleinereg Opfer, al§ roenn bie ©emeinbe
l)ätte beß ©otteßl)aufeß fd)led)tl)in entbeljren müffen.
9lber roenn bie jvorm roirl'lidj au crfter ©teile ibren fpmbolifdjen
SSertb batte, roarum „bitbete man bann bie Oateerarme nid)t länger",
fo bap fid) „eine 9iad)nbmnng beß roirflidjen Äreugeß" ergab; unb roarnm
„forgte man nid)t, bafg bie öTreugform mebr inß 3luge fiel" ?
Ilm gunäcbft bie ^Berufung auf baß „roirf(id)e Äreug" beß öBerru gu
berüctfid)tigen , fo inotle man bead)ten, baf^ bei bem gried)ifdjen ©au,
beffen ©eftalt einer febr glaiibroürbigen lleberlieferung gufolge baß roirflidje
Äreug batte, bie Oueerarmc bebeutenb furger fiub, alß bei bem gegemuärtig
für baß gried)ifdbe roie für baß lateinifd)e T im 93üd)erbrucf üblid)en
3eidjeu; genau roar bie fyorm beß gried)ifd)en 33ud)ftaben biefe: T **).
*) 0ibnaate, Sb. 4. ®. 87 ff. (6it. 18.)
**) Sg(. 2)tartigm), 212. ((5it. 515.)
518
®ie Äreujform ber c^riftttd^en @otte§!^äuier.
^nbe^ rair fömien l^ievomt abfe^en. ®ie Oueerarme, foroo|[ bei ben
meiften 35ajüifen al§ bei fenen Äitc^eu fpäterer ,3^1^ raeld)e überl^aupt
bie Äreujform liaben, erfc^einen buvd)au§ lang genug, forooljl um eine
iRad^al^mung be§ roirflidjen ßreujed ^ergufteden , al§ um bie ^reujform
flar ^ernortreten ju lal'feu, — raenn man al§ ben §auptbatfen be§
ibreujeg nic^t ba§ ßangl^aus feiner ganzen 23reite nac^, fonbern allein
ba§ 3JHttelfd}iff betrad)tet. ®iefe 2luffafjung ift aber o^ue
nollfommen gegrünbet: benn meifteud pflegte fa nur ba§ illiittelf^iff mit
bem Oueerfd)iff bie gleite .*^ö!^e ju l^aben.
llebrigend, roenn e§ benfbar ift, rca§ @(^uaafe felber behauptet,
baff „für bie ©pmbolif' bie ©infenl'uug eine§ ^reuje§ ober breujförmig
eingelegter Steine bei ber @runblegung genügte" (©. 514), um roieniel
me!^r genügte bann für biefe ©pmbolif bie Jlreujform beg ®aue§ felbft,
aud) raenn biefelbe minber ftarf ^^ernortrat! ®enn biefe lie^ fic^ bod)
immer nod) raa^rne^men; ba§ J?)reug im »yunbamente be§ @ottegl)aufe§
bagegen raar fa für alle 3ufunft nollftänbig unfid)tbar.
.^iernadj bürfen rair rao^^l mit dlec^t ber Ueberjeugung fepn, ba§
Sdptaafe irrt, raenn er le^rt, bem ißrincip ber mittetalterlic^en 2lrd)i=
tectur um bas es fid) ^anbelt, liege au erfter Stelle etraag 2lnbereg ju
@runbe, alg bie fKücffid)t auf ben fpnibolifdien 21>ert^ ber Äreujform.
iBei ber llnbeftünbigfeit beg menfd)lid}en .sper^eng, bei bem eraigen ®ec§fel
beg lierrfdjenben (:f3efd)madeg unb ber 3iid)tungen auf bem @ebiete ber
Äüufte, raäre eg auc^ in ber S^at unerflärlicb , bap ein ^rincip biefer
3lrt fo üiele 3a^)rl)nnberte lang, nid)t nur feit ben Sagen beg üRittet
alterg, fonbern non ber 3etl an ba bag (fliriftent^um überljaupt öffentlich
auftreteu burfte, ober raie rair früher ben heiligen (f^arl Sorromüug fagen
hörten, „beinahe non ben ber Slpoftel her", big ouf bie ©egen-
raart feine .^errfdmft behauptet hat/ njenu eg bloff auf irgenbrael^e
„äfthetifche Sebürfuiffe unb practifd)e ißortheile" ftatt auf eine über=
natürlidie SBahrheit erften Oiangcg gegrünbet raar. ©g ging he^uor aug
bem innerften SBefen beg ©h^'if^^nthumg: unb bie eg bie 3Sölfer gelehrt,
bag raar biefelbe Jlir(^e burd) bie fie raupten, bap allein „im Äreuje
bag .'^eil", unb bie einzige i))offnnng ber ?Otenfd)heit berjenige ift, „ber
burch fein Äreuj bie Sßelt erlöfet hat". Sßenn 91^and)e bie außerhalb
biefer Jlirdje ftehen, ihre ©ebanfen ni(bt auffaffen, ihr Shnu nicht 5U
beuten raiffen, fo ift bag fa erflärlid). Unterbeffen fahrt fie auch ^^ate
noch fort, eg flar unb offen augjufpredjen, fo oft fie bie feierliche Sßeihe
eineg ©otteghaufeg oodpeht, bap baffelbe „bem heiligen Äreuje, bem fieg=
reichen, ju ©h^en errichtet fep unb geraeiht raerbe" 32i).
519
2)rittcö
tlie vrofciic rtoilc Ärdjitrftm*.
Seroeiä, baß aud) bicfe ben fdjönen Äünften beijujäfjfen. ®ie am mciften für
fie geeigneten ©tijte finb ber gott)ifd)e, nnb nieHeidit ber romanifdje. ®te
3ftüdfef)r jnm nntifen gvied)tfc^en 2?anftijl ranv eine ißerirrung; ber f)el=
Icnifc^e Stempel. Unnbt^öngig non ber religiöfen f}at [idj bie profane
5(rd)itectur niemals entmiefett.
354:. ,,^a§ auSgejeidtnetfte'^ unter ben fftatl^fjänfern ber ineftpf)äU=
f^en ed)nfe „ift bn§ ilJ^nnfter, an§ ber jinciten
je^^nten Unten bie 3fort)aIIc mit ftämmigen fRnnbfänten
nnb fd^tanfen 0pitjbogen, burd] einen reidjen f^ried befrönt, bann ba§
.^anptgefd)ofi mit frnftig geglieberten 29anbpfeitern , metd)e bie breiten
fO^aafnncrlfenfter trennen, enbtid) ber ©iebet ganj oben mit ftorijontnlem
9Ibfddnft, an ben ©eiten mit treppenförmigen Ütbfä^en nnb burd)fid]tigem,
fenfterartigem ©tabroerf, nnb mit btnmigen fs'ialen, bie auf if)rer ©pi^e
(fmget tragen, ift bie nuid)tige 51 fffiiff breite, 104 g^nfj bof)e f^-agabe
eine 3i^t'be ber ebrronrbigen ©tabt" *). ( Stbbitbung ©. 520.)
3son jmei anberen ^Berten berfelben @attung, bie ctmad ntel^r al§
ein betibed ^^brbnnbert fnnger finb, beridftet f^-riebrid] non ©ditegel.
„3n 23rüffe( fiefjt man an bem groften ‘iliarf'tptnt^e ein fc^öned f)latl)=
!^and in gott)ifd)er ®anart; ben fnnfttidfen fc^tanlen ©fmrm jiert oben
ein oergotbeter tätiget itrdc^aet mit bem ©rad)en." 23atb barauf !^eifet cd
non ber ©tabt Sötnen; ,,©te entl^ätt ein berü^mted ©enfmat gotlfifc^er
9?anfnnft in bem bemnnberungdroürbigen, tjerrtidi ooltenbetcn ffiatpanfe . .
3®ad biefed @cbänbe befonberd nndjeidmet , ift neben bem (ä^aracter ber
äu^erften .^icr(id)feit ber 9(ndbrnd bed 9teid)tbnmd, nnb ber einer fdjönen
(f'infatt nnb eined reinen (fbenmaaped. ®cnn gan5 irrig ift bie i^orand=
fe^nng, atd fepen biefc 6igenfd)aften and Sßerfen ber gotf|ifd)en 93an=
funft bnrdtand nerbannt. (äd ift mafjr, in einigen mirb bad 6'benmnaft
burd) nbfid)ttic^e Ungteid)t)cit oertet^, mie an bem ©trapbnrger fünfter;
aber biefed ift fein altgemeined @efet^, fonbern nur 9(ndna^me: an an=
bereit gott}ifd)en @ebättben beobnd)tet man bei bem gröftten 3feid)t^um
Don 3^*^^t'atf)en eine ftrenge ©pminetrie, nnb eine bnrd)gef)enbe @teid);
förmigfeit nnb toarmonie in ber fd)ötten J-iitte. 9htr ift cd eine anbere,
non ber gried)ifd)en gan,^ oerfd)iebene nnb bureband eigentbütn(id)e ©t)in=
metrie, bie tt)r eigened iforitteip nnb @efeb ber banfnnftlerifd)en '•fsbantafie
0 2d)naafe, 2?b. 6. 234 f. ((Sit. 18.)
520
Sie Strc^itectur al§ cioite Äunft.
!^at. gür bie ©djön^eit ber 3}er^ältniffe vmb ba§ jierüd^fte ©benmaa^
nimmt bo§ iHat^!^au§ non Söinen im fleineren ober mittleren ilRaa^ftabe,
'mie ber Kölner ®om im atlergrof^ten , eine norjüglictj !^o^e Stufe ein
f 1
Bas Uathbans n< -^Hiiiillcr iu UU(lpl)nlcii.
unter ben 25?^erf'en ber gottjifdien 5i3nutun|t. S'ct nüe ißitber an ber
i'orberfeite finb, mo ihrer über h^nbert roaren, roie
man an ben teeren Stetten ber fteinen 33tenben jnt)ten fann roo fie ge=
®ie ?lrcfjitectur al§ ciuile .'Tunft.
521
ftnnben l;o6en; jo ift btefeg id)öiie Äunftuierf mm fveilid) feljr entftellt
imb uerunftaltet"
©tefe bret iBeifptefe dou Seiftungen bev profanen ‘Jlvdjitcctuv fönnen
und genügen. SBeldjen 3lufgnben biefelbe biene, unb iuefd)n(b fie barnuf
nu§gel)en nn'iffe, baf; ilfre l'eiftnngen fid) biivd) inöglid}[t bebentenben
äftl)etifd)en äSoertb empfebten, unirbe bereits gefagt (237. 0. 331 f.);
baff nud) fie bie Ttlücl befil^t, ÜBerle ,^u fd)affen von bervorrngenber
0d)önbeit, bn§ gebt fd)on and beiu bci’vor, mad mir von 0d)naafe über
bod 91atbbflit§ Jii iDh'infter, nnb von 0d)legel über fened ju l'öiven ver=
nabmen. ®ie fd]önen ©rfi^einnngen and ber 53?elt ber mit tSrfenntnif;
nnb fyreibeit andgeftatteten 29efen, metd)e bnrd) profane 3?antvcrfe nn=
ferem @eifte nabegetegt merben, fönnen frei(id) nid)t von jenem bo^cn
falleologifdjen Sßertbe fepn, mie in ben 0d)öpfnngen ber retigiöfen 91rdjt=
tectnr; aber barnm gebt benfelben bad „bebentenbe" i}i)ioment, ohne meldjcd
ein (Mebänbe nid)t nid UlJerl einer fdiönen Älnnft gelten Fann, bod)
F'einedmegd ab. ^s’n bem Ülatbbanfe 3?. ift ed ber 3'igor, bie g-ütle,
bie (Energie bed intellectnellen , elbifcben nnb foeinlen liebend ber 3^ürger=
fdiaft, meld)e ed andbrücFt; in bem (fudiiinbe für miffenfcbaftticbe „^mecFe,
roie ber 3IibIiotbeF ober ber .V'ocbfd)nIe, ber b^^'^’ovragenbe üir'ertf) ber
3f?iffenfd)aft nnb ihre DDiacbt nnf bem Gebiete bed b''^eifted ,^nr fyörbernng
ber ©efammtbeit; im '|>alnfte bie 'dJinjeftat bed D-Konardien, feine .s^errfd)er=
gemalt von @otted ©naben, bie ©rope feiner 3Infgnbe nnb bie .*ööl)e ber
0tellnng, meld)e if)m feinem i^olFe gegenüber ,^n Jbeil gemorben.
355. ,f^infid)tlid) ber Üficbtnng meld)e bie 3^ant'nnft in ber ©egem
mart eingnfdjingen, ober bed 0tvled in meldjem fie arbeiten I)abe, geben
bie 2Infid)ten ftarf and einanber. 3l>ir geben in biefer fvrage jmei Dltüin
nern bnd ii^ort meld)e, mo fie übereinftimmen, jebenfalld alied äfertrnnen
verbienen.
„33etrad)ten mir", fdjreibt .'oermnnn £'otje, „bnd retigiöfe Seben nid
ben fOFittelpnnft nuferer ibealen (niltnr, fo mürbe nur ber gotI)ifd)e 0tpl,
nnb vielleid)! ber romanifd)e, bie nötlfige 3MegfamFeit befil^en, um allen
unferen verfdjiebenen ßebendintereffen ^n entfpred)en. 5’' Ki'mr conftrnc=
tiven 3'ollftänbigfeit mürbe er ben ibirdien, nnb bem ©inne ber fie bauen
beipt, nod) immer nngemeffen fepn; bie '|>rivatbanfnnft mürbe fein für
fie nnpaffenbed 'iflnncip ber STmtbimg fallen laffen, nnb bod) bnrd) bie
SKIabt ber )f>roportionen nnb ber Crnamentif fid) nod) immer, felbft in
il)vcn leid)teften nnb beiterften 3I^erFen, nid jngebörigen 2iad)nnng bed
ernften nnb vollftftnbigen ©tpld barftellen fönnen" **').
i)lFnn mürbe in ber “ibat „fepr irren, menn man ctma glnnben
*) 5y. 3d)legel, 'S. 184. 186 f. (Cit. 480.)
**) Dope, 5. 549 f. (6it. 18.)
522
Sie Strd^itectur al§ ciDÜc Äunft.
iDOÜte, bafe bte mittelalterliche Jbunft mir in ihren bem (5nltu§ gercib=
meten ober mit bemfelben in 3ufö’^’^£tthang ftehenben ^eroorbringungen
fo mufterhaft unb groß erfd^eine. 2Benn aucf) bie baulidhe iB^echanif unb
bie Ännftperiobe , S)anf ber bamal§ h^^’^f'^^nben
ine^entlich d)riftUchen @eii’te§richtung, in ben religiöfen 33auten ben flar;
ften, Eräftigften nnb oielgejtaltigften 2lusbrncE gefunben haben, fo malten
bo(^ andh in allen jonftigen ©chöpfungen au§ jebroebem ilRateriale bie=
jelben leitenben i^3rincipien ; überall, oom coloftalen Sefeftigungöthnrme
an big h^^ab gur fchliditen Söohnung be§ Sanbmanneä, begegnen mir
berfelben Sffiahrheit, berfelben 3tüerfmäpigfeit nnb gebiegenen ©chönheit.
®er gothi[dje IBauftpl gibt nicht fertige f^ormen an bie i^anb, fonbern
nur ein allgemeineg @efet3 unb bie einfachften (fonftructiongprincipien;
eben barum ermöglicht er eine nnenbliche iJieihc oon ^n^ioibnalitüten,
unb eine fvortbilbung ing Unbegrängte. ©er immer mieberfehrenbe Die;
frain, baß bie ©othif fid) erfcböpft, fid) überlebt ha^>e, geht benn and)
nur Don ©old)en aug, bie oon ihrem 9Befen fich feine lRed)enf(^aft gu
geben oermögen, ober bie fie nicht roieberanffommen laffen roollen roeil
fie biefelbe nii^t begreifen, ober bod) nid)t gu hanbhaben oerftehen" *).
3d) habe biefen ©ebanfen iHeid)engpergerg an erfter ©teile mit
fiot^e’g Sßorten gegeben, roeil eg mid) freute, bei biefem ©eiehrten bem
felben gu finben. IRücffidfttich ber 33ebingung freilid) oon roeldjer So^e
feinen IHath abhängig madjt, roirb ein fatholifdjer (Jhi'ift anberg benfen.
,,©ag religiöfe ßeben" roar thatfädilich „ber BJcittelpunft unferer
ibealen ©ultur", folange es überhaupt eine „ibeale (Kultur" in ©eutfch'
lanb gegeben hat; nnb roenn biefer 'iOcittelpunft ung je oerloren ginge,
bann mürbe eg um bie „ibeale ©ultnr" gefchehen fepn. ©enn niemalg,
fid)er niemalg roerben „bie roefentlid) mobernen ®eftrebungen“, — um
mit Slngbrücfen i'oüe’g roeitergureben , — bag h^tfit jene 'ilnfi^auungen
nnb ©runbfät^e roeldie baS (5hviftentt)um oerläugnen, fidj fo roeit „flären
unb feftigen, bafg fie fünftlerifdi beftimmenb auf ben ©efammtaugbrucf
nnfereg Sebeng einguroirfen" fähig mären **). ©er 3lbfall oon ber über=
natürlid)en äßahrheit ift ja nicht ein Slnfdtlujj an irgenb meld)e anbere
iißahrheit, fonbern einfod) bag il>erfinfen in bie ülad)t beg ^ri^thumg unb
ber iBarbarei. ©ben barum mufe eine „©ultur"', bereu üJiittetpunft nicht
mehr bag chriftlich religiöfe Seben bilbet, nothmenbig an bem abfoluten
Unoermögen leiben, eine eigentliche ihr entiprechenbe fyorm ber Äunft,
einen felbftänbigen ©tpl gu ergeugen. ©en entfdheibenben Semeig hieffnr
haben mir in ben Ülnftrengungen ber mobernen Jlunft, ben clafjifihen
*) 2t. 3leichengpcrger, i©. 19 f- (tiit- 372.)
**") ?0lan roolle bieje 3!Borte ni^t jo beuten, al§ ob Sope bas behauptete; er
brücft fich uur ju roenig cutfch'cbeu auS.
©ie 3Irdf)itectur at§ ciriile Äimft.
523
©ti)( be§ alten .s>lla§, bie „3fnttfe", inteber jur ©cltnng ju bringen.
Ober mürbe biefe Äunft, roenn fte fic^ ibre§ llnnermögeng ju felb=
ftänbigein ©diaffen nidit bnrc^ unb bnrd} beronf3t märe, itjr ^princtp be§
beftänbigen 5’0ttfd)rittcd mobl bermn^cn nergefl'en, bap fie meljr a(§ jroei
DOÜe jnrncffd)ntte , um nur uid)t bauen unb bilbeu ju
muffen in formen, roeld)c ihren llrfprung bem (fbriftenthum nerbanfen?
356. ©ie fyolgen biefeS dtürffd)ritte§, bie burcb bie einfeitige 3?er=
ehrung ber „non ben roieber ins l'eben gerufenen, unb bem=
nücf)ft nielfaltig jngeftutjten nnb nerrnäfferten Slntife"
3uftünbe, hflt Stnguft 3iei(^enspcrger eingehenb gefdfilbert. ®ie iDhifter
roelcbe man and bem 3lltertbum nberfommen, maren faft audfdhliepticb
©empelbauten, nnd) einem ftreng abgefdjloffenen ©pftem conftruirt.
©)iefe mupten bepbalb jii allem 30iöglicbeu bie tßorbilber unb 30fobeöe
hergeben, ©er gried)ifdie ©empel ift, roa§ ftrenge (Einheit be§ ©an^en
unb üollenbete .'narmonie aller ©Ijeile betrifft, in feiner 2lrt unübertreff^
lid); fragen mir nacf) feiner fpmbolifd]cn 33ebeutnng, fo bürfte e§ bie
©röpe unb öoheit bes ber l)eibnifd]en idnffaffung nad) barin roobnenben
©otted fenn, foroie namentlicb jugleid) beffen (irbifd)-} feligeS £'eben, mag
berfelbe gum 3tngbrurf bringt:
IriBigflor unb fpicgclrcin unb eben
Jliept bas jepljijrleid^tc l'eben
lim Olijinp ben ©eligen babin.
3Jlonbe roedifetn, nnb @efd)Ied)tcr fliehen :
Ihrer ©ötterjngenb Üiofcn blühen
ilnnbelloS im einigen dinin *).
3(lg 2,1'Ohnung für "llienfdien 511 bienen, ober and), jeitmeilig bie jur
(Sultushanblung oerfnmmelte dRenge aufjunehmen, bajn mar ber grie=
(hifcpe ©empel nicht beftimmt. ©a§ fpecififd) (5höi‘ucteriftifd)e be§ einem
foldhen tBaumerfe gan^ entfpredienben ©tples aber liegt, nad) ©dhnaafe’g
bejeidjnenbem llusbrude, barin, bap ber ©empel „ba§ ©üulenhaug
ift: bag gefdjloffene, bebecfte, oon tragenben ©iiulen umgebene .*oaug" **J.
2Bar eg möglid), bap ©ebüiibe biefer 3lrt, mefentlid) ben religiöfeu
3med'en beg heibnifdjen ©ötterbienfteg gemibmet, alg geeignete 3>orbilber
angefehen merben tonnten für cprifttidje Äird)en, ober anberfeitg für
Söerfe ber profanen 3lrd}itectur fomie für ipUiDntmohnhnufer , in einem
ganj anberen Älima, unter gnnj anberartiger Umgebung, bei oollftcinbig
Derfdjiebener ©itte nnb lebengmeife?
*) ©eruier, ®a§ Ibeal nnb ba§ reben.
**) 0(^naafe, iPb. 2. £. 7. 33b. 4. ®. 85. (ßit. 18.) 2?gl. lübte,’ ©. 105.
(eit. 492.)
524
®ie ?(rdjitectur al§ cioik 5lunft.
2(bev ba§ oerfd^tug nid)tö; eineS ©U)le§ bebuvfte man nun einmal,
unb ben d^riftüc^en mailte man ni^t. 0o „tümmerte man fid) beim
roenig barum, bafi gerabe bad ®äulenfi)[tem mit feinem Ijovijontalen
@ebälfe am aüerroenigften jn ben iBerpItniffen unb ©ebürfniffen ber
neueren 3^^^ paffen mollte; bafj inSbefonbere bie fo foftfpieligen ©auten
nid^t miffen, ma§ fie rooUen nnb follen, unb aüerroärtg nur im SBege
fielen. i)ii(^t bloß bie ct)viftlid)e ^ird)e mürbe nadj bem ^^eibnifd^en
2empeI'-S;t)pn§ jnred)tgefoItert; ©^eater nnb 33örfe, ©d)Iad)t= unb Sföadl)t=
I}au§, ßafino nnb if>oft|ans muftten fid) borifd), fonifdj ober corintliifdj
geberben; I)öd}ften§ lief^ man nodj einen leisten 5(nffug uon ägpptifd^em
©tple paffiren, alö bem nermeintlidjen Urabn bes griedjifdien. ®ie if^a=
lüfte ber fynrften jogen biefelbe ©trage mie bie ©empel ®otte§, unb bie
SBoIjnungen ber i^riüaten fünmten nntnrlid) nid)t,' nad),^ufolgen. ©)ie
munberlid)ften i),)ia§ten brüngten fid) in foldjer 3Irt mel)r unb me^r in
nuferen ©tübten , nnb nad) nnb nad) fdjoben bie (JinbringUnge bie alten
3nfaffen jur ©eite; fo bag bermalen oon ifJetersburg big nad) ®enf,
Don if]I)Uabe(pf)ia big nad) ©rieft nng aller Orten faft biefelbe ,ctaffif(^e‘
£'angemeile angüf)nt.
„Oer äBeltnmfegler (Soof erjül)lt nng non ber bnriegfen ®rfc^einung
einiger .'ü'üuptlinge ber milben ©nbfee^^iifntöii'^^^ enropüifd)en ltni=
formfrüd'en, mit ®pan(etten auf ben ©d)nltcrn nnb breiecfigen i^üten auf
bem JTopfe, Slitbienj gegeben, mnl)renb if)r übriger Äörper ficb im I)eimat=
lidfen SZatnr^nftanbe gezeigt bnbe. ®ineg nid)t minber ergöl^id^en @in=
brncfeg mürben fid) 5meife[goI)ne bie 23anmeifter beg ißarü^enon unb ber
if^ropptüen ju erfreuen t)aben, mein; biefetbcn oor bie ©raoeftien ihrer
©d)öpfnngen I)intrüten, mit meldien bag mieberanfgemürmte .ü'^denenthum
nufere mobernen ©tragen , benen ber 'ipolijeiftocf bie ©i^önl)eitglinien
oorgefdbrieben , fort nnb fort beuölfert; menn fie bie ©ünlen fühen bie
nid)tg gn tragen, bie angenagelten @efimfe bie feinerlei fffunction gn er=
füllen hdden, unb bie ©d)ornfteine unb Oad)fenfter, mie fie über ben
fyrontong oon plattgebrürften ©empelfacaben l)ernorIngen ; menn fie in
ben i)i)ianermaffen oon meld)en bie fd)Ianfen ©äulenfd)afte gefangengehalten
merben, bie brei ober oier lKeiI)en oierecfiger jvenfterl)öl)len über einanber
erblid'ten; menn fie cnblid) gar bie ®ntbedung mad)ten, bag alle biefe
angeblidj ,in ihrem ®eifte‘ gefd)affene .'öerrlid)feit gnmeift aug ©annen=
brettern, 33adfteinen, ?3iörtel nnb Oelfarbe, nnb etma nod) einigem ®n^=
eifen ober 3dil' fabricirt ift" "^0.
i>ielleid)t ein h^ildeg ^dhi’hm'i'ert früher, alg IReii^engperger biefe
3eid)nnng entmarf, piitte bereitg A’riebrid) oon ©d)legel biefer finn= nnb
geiftlofen ©d)mürmerei für bie antife ülrd)itectnr bag Urtheil gefprodhen.
) ))lad) dteidjenSpergcv, ®. 21 f. ((5it. 372.)
525
r‘ie 3lvd;itectiir a(§ ciüite Ä'uuft.
„(?•§ bleibt ba§ gefäbvüdifte aller (S-vpevtmeiitc, and) in ber .Rimft fvembe
Sitten anncbmen jn inollen; bn§ Eigene ge()t geroig nerlorcn,, nnb baä
gvembe inonad) man ftvebte, roirb faft nie erreid)t. ^n ber iDialevci
tnj^t jid) uielteid)t nod) eher mit mirftidien nnb fd^einbarcn ©rünben bafnr
iprcdjcn; in ber Snnfnnlt ift ba§ äBiberfinnige, nnb nid)t nur alle Jlnnft
fonbcrn and) Sitten 3'^i'ftöi‘cnbc einer bem 3(udlanbe nad)=
gemadjten 33anart jn fübtbar , nnb fann biird^ nid)t§ befdjönigt werben.
3ebe Station, jebed Sanb nnb .ß'Uma ^at feine eigene nnb angemeffene
2?anfnnft; ober ganj nnb gar teinc. STdr mögen nnter nnferem norbi:;
fdfen .'öimmet eben fo wenig nnter offenen antifen Santengängen Inft=
wanbeln, ald im tnftigen griedjifc^cn ©ewanbe, nadf ber Sitte ber 3(ltcn,
mef)r auf ber Strafte nlä im feben. ®ic gepriefene fvd?dbe bed
Sonnre 5. 2?. mag in it)rer 3lrt uerbienfttid) femt. 3tbcr wa§ foltcn nng
jwanjig ober breipig italicnifcbe ober gried)ifd)e Säulen in einem fremben
Sanbe nnb Ätimn, mitten nnter Srad)ten, Sitten, nnjäf)ligcn d^^ebänben,
bie nic!^t§ loeniger finb alä gricebifd)? ®ie 23anart rnf)t wie bic Scben§=
fitte nnf bem feften i^oben ber diatnr nnb eigentbnmlidjen Öanbcänrt:
nnb wie oerberbtid) ed fep, biefe ©rnnbtagc ber 3iatnr jn nerlnffen, ift
febem eintcndjtenb , ber bie (bü'fdfidftc ber Äunft nnb ber Sitten, nnb
if)re§ gegenfeitigen ©inffnffed, mit einem nnfmerf'famen 23ticf betrad)tct" *).
357. i'i^enn wir und, wa§ bie profane 3(rd]itectnr angelet, anf biefeä
SS^enige befdfränfen, fo liegt ba§ in ber dintnr be§ @cgcnftanbe§. ©ine
felbftänbige ©ntwirfelnng fjot biefe 3(rd)itcctnr tf)ntfäd)lid) nicmolä
gehabt; e§ loar immer bie religiöfc, an wctdje fie fid) nnlchnte, mit weld)cr
fie fid) hob nnb wieber fanf. 2Bir hörten e§ non Sdjimafe bereits früher;
„Sic 3trbeit ber 2?anfnnft mnf! eine religiöfc Sljot fcpn; erft bei bem
San bes ScmpelS cntftcht bie nrd)itectonifd)e .^tnnft." Unb wo Vnbf'e
fid) anfd)icft, bas Spftem ber altgried)ifd)cn Santnnft jn entwicfeln, Inpt
er bie Semerf'nng noranSgehen; „2Sir hoben l)io^' ben Scmpel nor=
jngSweife jn betrndften, ba . . bie jlnnflform ber ^Irdfitcctnr fid) gcrabe
am Sempclban nornebmlid) ent)oicfelt l)ot'' ** ***))• ®oS d^ämlidfe lefen )nir
and) inieber bei Sd))ianfe**'*'')- Sicllcid)! nid)t nollftänbig baffclbe, aber
3(ehnlicheS gilt non allen fpätcren '^ovioben ; bie ©lefdfii^te ber 3(rd)itectnr
ift bei allen Sanftploi norjngS)ncife ©H’fd)id)tc ber religiöfen 3lrd)itectnr,
nnb ber Serid)t über bie profa)ic füllt einen nerfd)winbenb flcinen Olninn.
dhir bie if3criobe beS ü{enniffance=StplS mad)t einigermaf^en ei)te 31n§=
nähme; aber wir hoben fa and) gehört, bag biefer fei)iem ganzen SSefen
nach ein weltlidfer Stpl war.
*) Ptact) g. od)teget, ©. 195. 174. (Git. 489.)
**) Sübfe, @. 104. (6it. 492.)
***) 33b. 2. ®. 200.
526
35tcrte^ ^opitcL
(Etitt0e CItebanhen kr mebcren iSauhunft uub bes
:Kuttrtl)ttnbu»erk0.
®er Segrift ber (Srfteren; eine Definition Äant§. (Elemente ber @ct)ön!^eit
raeld)e in i^en SBerfen ^errfctjen follen. (Eicero unb So^e über bie i^raecfi
mn^igfeit alä norjügtictjeS Element ber ©cfiön^eit. Die eigenttii^e Drm
gerin be§ Ännft^nbroerfö ift bie 3(rd)itectur : e§ t)ebt fid) unb finft um
au§roeid)liib mit it)r.
358. '^ur, roo bie Äunft be§ ißauenä, im Dienfte ber p(i^ften
Slufgüben ber 'üHenfdi’^eit, für bie bi§f)er berüiffid)tigten ^roecfe be§ reli=
giöfen ober beä fociaten £eben§ arbeitet, erfd)eint fie at§ „f(^öne" Ä'unft.
Denn nur ba mufe fie um itirer roefentlidjen Stufgabe fetbft mitten barauf
bebactjt fegn, baf^ i^e Schöpfungen fidj burd) öfthetifdien SSerth au§=
jeidfnen, unb nur ba befit^t fie auch bie SOtittet, unter entfpre^enben
Itmftänben 25>erfe herjuftetten non heroorragenber 0d)önheit. Unb eben
infofern fie ats „fcfiöne" ilunft auftritt, rairb fie „bie höhere SSaufunft"
ober „bie Strchitectur" genannt. 2Bo ba§ nid)t ber fyatt, nor Stttem rao
fie nn mittet bar unb junädjft für Sebürfniffe be§ teibtichen Seben§
tfiütig ift, ba Reifst fie „bie niebere 23aufunft".
^mmanuet jiant glaubte bie Stufgabe ber 33aufunft im Stttgemeinen
bahin beftimmen 511 fotten, baf3 fie „33egriffe oon Dingen bie nur bur(^
Äunft mögtid) fiub, uub bereu §orm ihren Seftimmungägrunb nicht in
ber Statur hat fonbern iu eiuem roittfürlid)en äfthetifch raoht=
gefötüg ju mad)en, unb jugteid) jener mittfürtichen Slbfidjt anpaffenb p
oerroirflichen habe". Slbgefehen non attem Stnberen, ift biefe SSeftimmung
offenbar oiel ju roeit. „Die fdjlie^t bie ©rjeugung jebe§ tpau§geröth§
in ben ^Bereich ber S3anfunft ein, — unb Änut gab bieä augbrüdtidh ju:
nur bie Stngemeffenheit be§ ffSrobuctS 51t einem geraiffen ©ebrauche mache
ba§ SBefenttiche eineä SSerfeä ber SSaufunft au§. Stber bann rodre",
bemerft Sot^e fehr gut, „auch bag 33Iatt ifJapier, auf roetchem itant biefe
feine Definition nieberfchrieb, ein (Erjeugni^ ber iBaufunft gemefen. ^ebe
Stnfidjt ift oerbdchtig, bie fich in fo grellen SBiberfprüchen gegen ben
Sprachgebrauch beroegt" *).
Die Unterfudjung roeldje Vol^e hievnadj anftettt, um auf @runb beg
0prad)gebraud)g ben SSegriff ber 33aufunft (ganj im Stttgemeinen) ridhtig
ju beftimmen, ift red)t intereffant; aber eg liegt nicht in unferer Sluf=
gäbe, ihm barin ju folgen. Ung genügt eg, barauf aufmerffam ju
0 Sope, vi. 505. (C5tt. 18.)
®ie lüebere Saufunft. ®a§ Äunfti^anbioerf. 527
machen, baß alä SBerfe ber nteberett Saufimft iüd)t etiüa b(of? folc^e 31t
gelten ^aben bürften, auf roetdje bem 0pracf)gebrau(^e nad) uub in ber
erften 23ebeutung be§ S^'ortcd ber 9iame „©ebäube" paßt. „Saut" inan
ja bod) nid)t aüein äöobn^öufcr mit itjren für nerfi^iebene ^^2=
nenben dtebengebänben, fonbern and) 'Sdjiffe, ißrüden, 5lttäre, ©trafjen,
©ifenbafmen, flRafdiinen, Süagen, mand)e größere .^au§gerätf)e.
2tüe biefe Sßerfe !^aben je itjre befonbere Seftimmung: e§ ift irgenb
ein 3'^*^^ eignen, irgenb ein Sebürfniß bes menfd)üd}en
Sebeng roetc^ein fie bienen follen. ©dion babitrd^ nun, baf? bie „bauenbe"
Jlunft beftrebt ift, biefem 3iuecfe fo nollfommen al§ möglidi ju cntfpredien,
nerled}t fie itjren ©rjengniffen ein norjügtidjeä Element ber ©djonbeit,
bie 3w’£'^ntäf5igf eit. JI)eiI§ fdjon in biefer entölten unb mit U)r
gefet3, t^eilg aber and) bas 33erbicnft be§ bem 'lO^enfdjen natürtidjen
©treben§, mit bem nieberen 23ebürfniffe gugleid) bie 2Infprnd)e be§ ner;
nünftigen @eifte§ jn befriebigcn, inbem er feinen SÖerfen ein nolIere?5
f)]iaaf3 öft^etifc^en SSertbeö üertei()t, — finb bei ben ©rjeugniffen um
bie es fid) t)anbelt bie übrigen frül^er aufgefü^rten ©lemente ber ©d)ön=
I)eit in nnperföntid)en ©ingen; 9ffegdmäf3igfeit , Orbnnng, ©pmmetrie,
©nidjptfjmie, ©int)eit im ißielfac^en unb i'erfd)iebenen, @ebiegen=
l)eit beS ©toffeS (ngt. 9u 90. 94. ©. 120 ff.).
359. ©er an erfter ©teile non uns erroftfjnte ißorjng, bie
mnf3igfeit ober „Hlüüliditeit", mirb non nielen 3leftl)etilcrn, menn eS fid)
um bie ©d)önl)eit non ©r^engniffen ber jlünfte l)anbett, in anffallenber
2f>eife per^^orrefcirt. nid)t, fo ift biefe ©d)en eine jyolge beS
©inflnffeS ber Äant’fd}en ''^t)ilofopl)ie; mir l)aben mieberbolt nad)geu)iefen,
baf) biefelbe nic^t ben minbeften ©Hiinb l)at.
,,©ie Dlatur felber'', fo löfit ©icero in bem britten feiner ©ialoge
„lieber bie oratorifdje ©erebtfamfeit'' ben ©raffuS 31t feinen jYvennben
fpredien, „bie f)latnr felber bat in beronnberungSmürbiger SBeife 3(lleS
fo georbnet, baß jene ©inricfitungen burd) roel(^e gau3 roefentlidjen iße^
bürfniffen entfprodjen mirb , fid) jugleicb biirdj befonbere bobe ©d)önl)eit,
nid)t feiten aucb bnrd) 3(nmntb nnS3eidjnen. ©0 forbert es 3. S. of)ne
3meifel bie ©rbaltung nnb ber nngeftörte fvortbeftanb ber ©inge, baß
ber .^irnmel roie eine Ängel gemölbt ift, unb in ber f))litte beS DtanmeS,
bnri^ fid) felber gehalten, bie ©rbe fdjroebt; baf) bie ©onne il)re 23al)n
bnrd)täuft, fid) bem ©teinbods nol)ert, nnb bann mieber
langfam nad) ber anberen ©eite bevanfftcigt; bnf) ber fötonb, inbem er
fi(^ abroed)felnb ber ©onne näl)ert unb mieber oon il)r entfernt, uon il)r
fein Sid)t empfängt; baß fünf ©terne mit oerfd)iebener ©efcßminbigfeit
benfelben fÄanm burcßlanfen. ©iefe ©inricbtnng mar fo notbmenbig,
baß 3lIIeS auSeinanberfallen müßte, menn biefelbe ficß and) nur menig
änberte: nnb babei ift fie sugleii^ non foldber ©d)önl)eit, baß fid) eine
528
5^'ie niebcre SBaufiinft. Sa§ itunft^anbroert.
fd)öueve einfach nic^t bcnfcn üeßc. ©ie näinüdje S^atfad^c tritt un§ eut=
gegen in ber ©eftalt nnb ©inridjtung be§ ?Oknf(^en forool)t al§ ber ‘Xl^iere.
finbet fid) an i^rem Seibe nid^t ein einjigev J^eil, ber oline einen
beftiinmten fli^Sefügt roäre, nnb il^re gefammte ©rf(^einung [teilt
fid) bar alg ba§ Sßerf, nidjt bes fonbern eine§ planmäßigen unb
genau berecßnenben ocl)affen§. 2ln bem 23aume ßaben abermals ber
Stamm, bie 2te[te, bie 23lätter, lebiglidl) bie Slufgabe, ber
(Srßaltnng nnb bem 2Bad)Stl)um beS ©anjen jit bienen; aber nirgenbS
finbet fidj etraaS, baS nidjt Jiigleii^ fcfiön märe.
„2®enben mir nnS feßt non ber Statur ju ben Jilnnften. 2öa§ ift
am Seßiffe nncntbeßrlid;er , alS bie planten, ber S(^iffSraum mit feinen
Kammern, ber 33orber= nnb .^intertljeil , bie Stangen, bie Segel, bie
'OJtnftbänme? unb bod) nehmen fid) ade biefe Steile auS, al§ ob fie nid)t
bloß nm notßmenbiger raiden, fonbern eben fo feßr jur 3^^^'
erfunben mären. ®er Stempel nnb bie SBogenßode rußen auf Säulen:
aber bie Sdjönßeit meldje biefe bem ©ebäube oerleißen, ift um nidjtS ge=
ringer, als ber 9lußen ben fie geraäßren. ®en berrlidjen ©iebel beS
(Capitols, nnb ader übrigen Sempel, ßnt ni(^t baS Streben, SdßöneS ju
fd)affen, aufgerid)tet , fonbern bie dtücfficßt auf baS 33ebürfniß. illton
mußte notßroenbig bem S)o(^e eine fold)e ©inridjtung geben, baß ba§
ül^affer naeß beiben Seiten abfloß. Slber eine fyolge ber 9lndfid)t eben
auf biefen notßroenbigen 3'^ed ift bie impofante Sd)önßeit beS ©iebelS;
nnb märe boS (Capitol in ben .'Qimmel oerfeßt mo eS nidjt regnen fann,
fo mürbe baffelbe bod) beS ©iebelS nid)t entbeßren tonnen, oßne feine
ganje ßoße Sdßönßeit 511 oerlieren" * **)).
„3cber ©egenftanb," fd)reibt in bcmfelben Sinne ganj rießtig ein
'^ßilofopß ben mir fdjon oft genannt ßaben, „jeber ©egenftanb, ber burd)
eine anfdjanlicße SBerbinbiing mannicßfad)er S^ßeile feinem 3™£'^£ S^nügt,
ermirbt babnrd) einen äftßetifd)en SBertß. ißSir irren, mie id)
meine, ni(^t bnrin, baß mir bie 9tüßlid)feit ber Sd)önßeit adju naße
feßen, fonbern barin, baß mir an einer feßr nnnollf ommenen 9iußi
barfeit ber ®ingc nnS gemößnlid) genügen laffen, bie aderbingS ber Scßön=
ßeit feßr fern fteßt. 3'^ uoden Sebentung bie mir ßier bem 2Sorte
geben müffen, ift nüßlid) nid)t baSfenige, bem fi(^ nebenbei irgenb meldßer
Dtnßen abgeminnen läßt , fonbern nur ba§, maä burdß feine 9tebeneigen=
fd)aft bie 9Sodftänbigfeit ber 3iöccferfüdung beeinträd)tigt. Unb non biefem
mirb fidß leidßt jeigen laffen, baß e§ nur in äftßetifd) moßlgefädigen gor=
men uorfommen fann, ober baß febe §orm moßlgefädig ift meld)e in biefer
ftraffen nnb eracten 2®eife jnr ©rfüdung eines 3’^^*^^^ bient“
*) Cic. de oratore, 3. c. 45. 46. u. 178. sqq.
**) bfadß Soße, ©. 511. (Git. 18.)
2^a§ Jtunft^anbiüerf.
529
360. (5ät)ig foroof)! a[§ berufen, in if)ren (h’jengniffen bic am (inbe
ber uorletj,ten ?himmer erroäl^nten (Elemente ber ©d)ön^eit ^ernortreten
jn laffen, ift aber ni^t allein bie ißanfnnft, fonbern mel^r ober raeniger
fene Jlnnfte inSgefamint, roetc^e ben anorganifdfen Stoff für bie nerfd^ie:
benen 5lnforbernngen be§ menf^Uc^en £'eben§ nerarbeiten. 5)er ilRenfd}
ift ba§ mit 35ernnnft begabte ®ef(^öpf ®otte§; biefe feine 3Bürbe ner=
pftidbtet i^n, barauf bebadjt jn fepn, baß mie alt fein Xbnn, ebenfo and)
ade ©egenftnnbe bie er fid) für meld)e immer nnfertigt, ba§ ®e=
präge ber orbnenben ^Sernunft, ba§ Siegel be§ lebenbigen unb freien
®eifte§ tragen. Unter biefer dlücffidft fd^ließt fid) an bie 33aufnnft, al§
bie liernorragenbfte , eine lange 3flei^e anberer fünfte an. ift nid)t
notbmenbig, baß mir biefelben l)ier nnfjät)len ; allgemein ^at man fie tnoßl
bie ted)nifcßen ober bie nieberen fünfte genannt, ober and) ba§ Ä'nnft=
l^anbraerf. Seiftnngen finb namentlicf) fene befonberen ‘Jlieite, bereu
bie pbere mie bie niebere 3?anfnnft bebarf nm il)re 3Berfe gu ooUenben,
roie®itter, ©elnnber, ©infaffnngen, Srnger oon.^erDorragenbem, Scßlöffer,
nnb 3(el)ntid)e§ ; ferner @erätl)e, ©efäße, ©eroänber, unb anbere @egen=
ftänbe, fei) e§ für ben litnrgifcßen fei) e§ für ben profanen @ebraud^.
'Sie fünfte raelcbe fid) mit ihrer 3(nfertigung befaffen, erfcheinen grof3ten=
tbeil§ nidbt mel)r al§ freie, fonbern at§ med)anifd)e; aber mir haben bereite
im Slnfange biefe§ 2?ud)e§ (229. S. 324) bemerft, mie mitunter ber
@eift mit höherer ©enialität nnb mehr al§ geraöhnlid)er Energie eine an
fid) mechanifdie Ännft bitrd)bringen , nnb fie baburch jum Dlange ber
freien erheben fann.
©ne roeldhe 33enchtnng uerbient, ift fchliefjlich biefe, baß
für bie 33lüte ber in 9lebe ftel)enben fünfte, unb für ben @efd)mad ber
in benfelben nidhtä größere 23ebeutnng l)öt? otä öer femeitige
Staub ber gefammten ißanlnnft. „Sie tlUihe eine§ fdhönen @ebänbe§
erhebt uiimerflid)er 2©eife ba§ @emütl) be§ ®mpfängtid)en; e§ erhält nnä
fortroährenb in ber Stimmung, in roeld)er man fepn fod, um Jlunftmerfe
jn betrachten; nnb fo ift ba§ ®efüht ber SBaufunft eigentlid) ber Sräger
be§ übrigen .Rnnftfinneg“ '*). Sie @efchid)te ber fünfte beftätigt biefe
iBemerfung. „Sie fatholifdie Äunft be§ 'OJcittelalterd, fo groß in ißren
architectonifdien Schöpfungen, ift faum minber beronnbern§roertl) in ben=
fenigen UTjengniffen , mit roeld)en fie ba§ 3>were ihrer Sauroerfe ou5=
ftattete. 2tngemeffenheit ber fvorm, tBrnnd)barfeit, Sd)önheit ber 2trbeit,
;)ieichthum be§ Stoffe§, @inl)eitlid)feit be§ Silbnng^gefetjeä — 2tlleS trifft
jufammen, um biefe Urjeugniffe un§ alg ronhre iScnftertppen erfd)einen
ju laffen"**). 3^ bem ÜtRaaße mie, roährenb ber ^eriobe be§ ißnrorf;
*) 5. ^d)legel, ©. 174. 489.)
**) 5Reichen§perger, ©. 56 f. (Git. 467.)
3«ngmonn, 3(eft^etif. 2. Jluft.
34
530
®a§ Äunff^anbtDert.
unb beä 3Ircf)itectiiv oerfiel, „brang umgefe^rt bie ©efd^tnadä;
tnengerei unb bie @nectt)aid)evei , nadjbem fte fic^ ^unäc^ft in ben SBol^i
nungen puäUii^ niebergelaifen, me!^r unb me^r auc^ in ba§ innere ber
Äivi^en ein" *).
iJJian barf nur mit offenen Stugen um fid^ felgen — 2tu§nal^men |
gibt e§ freitid) — um fi(^ oon ber 2Sat)r^eit biefeä ©a^e§ ju überzeugen. |
„2t£[e§ ißeiroerf unb Ornament, n)omit mir bas ^^nere unferer in ein= ji
förmigem, c^aracterlofem @eifte geformten ifJalöfte unb Söo^npufer au§=
ftatten, ift in fofern im O^eifte ber ©efammtconftruction ge'^alten, aB eä |i
bem äfttietif(^en forootjt at§ bem practif(^en 33ebürfniffe fo roenig roie |j
mögti(^ entfprii^t. .^ier fie^t man bie f^enfteroortjänge aufgeftapett, aB
ob fie nur zum 5(uffammeln oes ©taubeä bo mären, unb etraa nod) um |
bas Oeffuen ber genfter möglidift ju betjiubern; bort erf^eiuen bie par=
fettirten g-ugböben fo fuuftreid; gefärbt unb fdjattirt, ba^ man abroedifelub
auf zugefpibte .kanten unb eingetiefte Sßinfet zu treten oermeint; anber;
roärtä ergeben bie an bie ©teile ber ©eibe, bes gepreßten fieberä unb
ber ©obelinä getretenen i^apiertapeten , mit i^ren l^iftorifd^en unb lanb=
fc^aftlid^en Oarftellungen , eine raal)rf)aft finnlofe ißerroirrung aller per=
fpectioifc^en Sinien. Äein iHiöbelftüd oerrät!^ Originalität in ber @r: ^
finbung, ober aud) nur eine confequente ©ntroidelung irgenb eine§ ilRotioä;
ba§ Sannenl^olz rairb zu iD^a§agoni, roenn nic^t gar zu SSronze, bas
@ifen zu ©tein unb ber ©teiu zu beibem augeftri(^en ; alle ©ränzen ber
oerfd)iebeneu .ft'unftgattungen finb oerroifdjt, überall ift falfc^er iprunf,
Slnarc^ie nub babplonifdje ißerroirrung" **).
@anz bas nämlii^e q^afd)en nad) bem ©(^eiu, uad) äußerlicher @ro^=
artigfeit unb glänzenbem @ffect, oerratljen in ben ^ird^en zahlteid^e 2lltar;
bauten. „Oie iXRenfa zunädf)ft in ben roiltfürtichften f^ormen, unb feiten
mehr nadh i^)^ateriat unb Oedhuif roürbig gearbeitet, meiftens nur um-
fleibet oon plumpen SBerfdhalungeu, ober überzogen mit marmorirtem unb
oergolbetem ©tud. Oarüber boun bis onS @eroölbe, unb nadh
ganzen 39reite beS (SborS, ohne alle iftüdfidht auf bie ißerhältniffe bes
iRaumeS unb ber einzelnen bahinter oerberften ard)itectonifdhen SSautheile,
bie Goloffe oon Umrahmungen für ein einziges ißilb, zur ©eite mädhtige
©äulen mit ^Irdhitraoen, bie ni^tS mehr zu tragen haben aB zetfi^uittene
Giebel ober ißoluten ober eine Slumenoafe; bazroifi^en hinein unb oben
hinauf etliche riefenhafte .^eilige, oergppft ober oergolbet, in lebhaft becla;
mirenber .'paltung, unb ooltigirenbe nadte @ngel, unb adegorifc^e oft
fd)roer zu beutenbe f^iguren, unb hölzerne ober gppfene mit Oraht oer^
Ijäugte fveftouS unb ähnlid)eS ^i^^'u^evl. ©o freilich mnpte eS bahin
3leichen§perger, 0. 120. (®t. 372.)
**) ;ifcidu’ii§perger, 0. 41 f. (Sit. 372.)
®a§ Ä'imft^anbroert
531
lommeu, baß ber SHtav unb feine 25ebeutuiig not lauter 2Utar
nidft me^r gefeiten rouvbe, unb, mit feinem roinjigen Äreiqe in
fBJitte f)0(j^vagenbev Seui^tev nnb mit aEe bem nielfältigen ^u^e fammt
bem übermäd^tigen t?lnffat^e, ben begriff eine§ einfieitlid^en 2öerfe§ ber
Ännft gerabeju aufl)ob'' *).
@oEen mir Stugnft IReidbenspcrger and) nod^ über bie roeitere 2lu§5
ftattung ber Äirc^en, unb bie litnrgifdien ©erüt^e nnb ©emänber berichten
laffen? „Orgeln, 33ei(^tftü^le, Äanjeln, Jnuffteine, ''Utonftranjen, jlelc^e,
Seudl)ter — 2llle§ ol)ue Unterfd^ieb, bi§ ju ben Älrdl)engeroänbern l^in,
ift meift ber gefctjinacflofen SBillfür ber ftfabricanten unb A^anbroerfgleute
überliefert; 3lüeQ bläbt fiel) bal)er in nidjtigem Odbeine nnb barotfer
^rinciplofigfeit. Oie 'DJlonftranjen roerben au§ geftampften fOletaltftücfen
jnfammengefügt, bie eben fo gut at§ ^bommübenbefdt)lüge bienen lönnten;
bie idronlencbter in benjenigen Äird^en, in meldjen fie noct) nicht bnrd)
©asfdjnäbel nerbrüngt finb, fel)en au§, al§ ob fie juglei^ auf einem
IBaltfaate ju figuriren batten; bie iltandifäffer, bie .H'etd)e nnb bie Äreu,;;e
roerben nad) ?Otöglid)feit mit allerlei f)Jiobe:@(^nidfcbnad nerbramt, fa
fogar bie litiirgifdben ©eroänber, fooiel nur immer tbunlidi, ,bem ©eifte
ber „>^eit‘ angepaßt. Oab id) bod) mit eigenen Singen an bem !l!aben
einer '^arnmentebnnbhing ein ^fJliuiiale für ben Orauergotte§bienft and=
gebangt, auf beffen Dlüdfeite ein beibnifd)er Oarfopbag abgebilbet
roar, über roel(^en eine gar fentimentale Oranerroeibe ,ibre grünen .S^aare‘
berabbangen ließ, roäbrenb jnr Seite pauäbadige ©enien eine jiemli^
üoEftanbige ^anitfcbaren^lcufif anffül)rten. ©§ fel)lte eben nur nodb bie
'^pramibe‘be§ (feftinS im i^intergrnnbe" ** ).
Oie 32^1 htnn ^nftünbe in biefen Süthen dbaracterifirt roerben, liegt
freilid) fd)on einige ^abrjebnte Ijüder nn§. SKie mit bem (fötner Oom
unb feinen Sbürmen bie Slrd)itectnr fid) roieber müdjtig bob > fo roanbte
unter ihrem ©inflnß bas gefammte Äunftbanbroerf fid) einer befferen
lRid)tung roieber ju; nnb ,^nblreid)e Äiri^en, namentlid) in ben nörblidben
Obeilen non Oentfd}lanb, roerben non fener Sdbitberung gegenroärtig
feinesroegS mehr getroffen. Elad) bem 3fagniffe bc§ OirectorS be§ bent=
feben ©eroerbe=fIEufeums in 23erlin bat „bie ©otbif am fEb^üt, jnm Ot)eit
ancb in i^nnnoner nnb in Satiern, für ben 33an nnb bie innere ?lu§=
fdbmüdung ber .Eircben ganj bebentenbe ©roberungen gemad)t, nnb äiißerft
S^erbienftlidbeä geleiftet, für Äird)engeronnber nnb ©erötbe bie guten mittel;
alterlii^en f^ormen beobeigef(^afft, unb fid) non biefer ©rnnblage ans alä
ein mädbtiger Strom über ba§ gefammte Ännft gern erbe ner;
breitet: fie bat nor SlEem auf tüd)tige tedbnifdfe Stndfübrnng an§ guten
*) Stad) 3afob, 0. 147 f. (©t. 506.)
**) Steiibenspevger, 0. 120. 43. (©t. 372.)
34*
532
®o§ Äunft^anbmerf.
unb ächten ©toffen gebrungcn; fie ^at in ber ^oläarbeit, befonberä aber
in ber ©otbfc^ntiebefunft , in SBeberei unb ©titferei, alte Sted^nifen neu
betebt, raetc^e noUftänbig uertoren waren, unb iet^t bem Äunftgeroerbe in
nerfc^iebenen 9Hc^tungen ju @ute tomnten" *). ^ei alle bem ift bie 3<i^I
fotcber Seiftungen, für roel(^e bie nac^ 3®fob unb Sfteid^enäperger gegebene
(J^aracteriftif nollfommen pa^t, leiber immer no(^ um SSieteg größer; —
unb aud^ ^ieruon ganj abgefe^en, entl^atten bie gejeict)neten 3ufiönbe bo^
jebenfattg ben 93eraeig für ben ©ebanten um ben e§ ficE) für un§ l^anbelt,
bafe nämlic^ ber jeroeilige ©taub ber 2trd^itectur für alle tecEinifcfien fünfte
non ber liöd^ften Sebeutung ift, inbem biefelben nnaugroemic^ immer
mit i^r ficb ^eben ober finfen.
*) 3uliu§ Seffing, ®ie Pienaiflance im Äunftgeroerbe , ©. 9. (Sei 9ieid§en§:
pevger, 'ßariamentarifd^e§ über Äunft unb Äunftfianbroerf, ßötn 1880, <S. 87.)
Neunter Jlßfcßniü.
Die bramatifd)C tun|i.
■g-ür biefen imb ben folgenbcn 3(b[djuttt not^roenbige (?rf(ämngen : ba§ 5Btlb,
unb Dter Wirten beffetben.
361. in SBiüfür ober ^lan(o)'igfeit bes 5Berfa^ven§ tuoffe
man ben ©riinb nenmit^en, menn id) ^ier, ^evrid)enben ©eroo^^n^eiten
freili(^ nid)t entfprei^enb , bie oben bejetd)nete Äun[t unmittelbar auf bte
Wri^itectuv folgen taffe, ©ap bie ©cutptuv unb bie 9}iaterei fiiftorifi^,
ma§ i^re (Sntraiefetung unb ilire 33lüte betrifft, ber Slrdjitectur am uMjfteu
fteben, ift mir nid)t unbefannt; and; bie IRüd'fidjteu au§ beneu fidj biefe
3;!^atfad)e non felbft ergeben muffte, finb mir feineäroegg entgangen. 2lber
ba§ iOZoment meld)em bie 2Biffenfd)aft ber fd)önen fünfte an erfter
©teile lRed)nung jn tragen !^at, ift o^ne
SSefen einer 23erbinbnng biermit bie bl larbeit unb iBe;
ftimmtbeit ber non ibr jn gebenben ©arftettnng; mit anberen SBorten,
ba§ ontologifdie i)}ioment unb bo§ bibactifdje. Dlun ergibt fidj
aber jroif(^en ber bramatifdjen Jlnnft unb ben jroei bitbenben, ina§ iljr
25?efen betrifft, eine bebentenbe innere Ilebereinftimmung , bnrin beftebeub,
bap ade brei fidj eine§, nidbt ber 3trt, aber ber ©attnng nach ibentifdjen
©arftellungSmitteld bebienen, be§ Silbed nömtidj; unb bie natürlii^e
fyotge biet'ron ift, bafj fidj bas 2Sefen ber jmei ßet^teren nidjt beffer ent=
roideln, ibr 23egriff unb ihre 9lnfgabe nidjt beftimmter feftfteden läftt,
als menn baffetbe gnerft in fdüdfidjt auf bie bramatifdje .flunft gefdjeben
ift. ©ie in ber näcbften dhimmer gn gebenben ©rflarungen baljuen uns
ben ÜOeg bagu; mir bebnrfen berfelben fomotjt für biefen, als für ben
folgenben, gebnten 2lbf(^nitt.
362. „3n bem ^Begriffe beS 23ilbeS", leljrt ©bo'itös non 2(qnin,
„gehört nor 2lllem bie 2lebnlidjf eit ober bie Uebereinftimmnng.
„3nbefj nidjt febeS ©ing baS einem anberen nljitlii^, ift barnm fdjon
ein 23ilb beffelben; es inirb nielmebr erforbert, bau beibe enttneber in
534
®a§ Sitb, unb »ier 3Irten befjelben.
il^rem SBefen überetnfttntmen , ober roenigften§ in einem 'äüoment burd)
roelc^eg 2Be)'en in bie ©rfc^einung tritt, ©in fold§e§ ilRoment ift, in=
fofern eä fic^ um förperUc^e ®inge l^anbett, norjugsroeife bie ©eftatt.
®enn bei ben Spieren j. 25. ift je nad^ ber 25erf(^ieben'^eit i’^rer 2lrt
au^ bie ©eftalt eine anbere, bie f^arbe bagegen ni(^t. 2Benn barum auf
eine 2Banb bie ff-arbe eineg ©egenftanbeg aufgetragen roirb, fo nennen
mir biefe nic^t ein 25ilb beffelben, fonbern nur, roenn mir feine ©eftalt !
abgejeic^net felgen. ;
„2tber and) biefe Uebereinftimmung , bem 2ß}efen nad) ober ber @e;
ftatt nad), ma(^t noc^ nic^t ben 23egriff be§ 23itbeä; e§ mu§ ju berfelben
noc^ bie 23ejie!^ung bes Urfprungg l^injufommen. ,@in ©i‘, fagt
ber l^eilige 2Iuguftin, ,ift nid^t ba§ 23Ub eineg anberen @ieg‘; beibe fiaben ,j
jroar bag gteidje i©efen unb bie nändidie ©eftait: ,aber bag eine mar
nic^t bag 2Kufter, nad^ meinem bag anbere geformt raurbe.‘ ®amit aifo
ein ®ing mit 9ted)t bag 2Silb eineg anberen genannt roerben fönne, baju
roirb erforbert, baf) eg oon biefem tierril^re, unb beibe entroeber in i^rem
25>efen übereinftimmen , ober in einem iKornent buri^ roeld^eg i^r 2ffiefen
in bie ©rfc^einung tritt" 322). ,
2Bag Sfiomag in biefer ©rHärung „bie iBejie^ung beg Urfprungg"
nennt, oermöge bereu bag 25üb oon bem roeidjem eg äfmlic^ ift, aud§ „l)ers
rül^ren" foCi, begreift in fidb mel^rere 25erpltniffe biefer 2trt. 2Bir !^aben,
mit 9%ücffict)t auf unfere Stufgabe, nur ©ineg biefer 2Serf)ättniffe ing
Stuge ju faffen, jeneg nämtid^, roeli^eg jroi)(^en bem SOtufter ober Original
(ber causa exemplaris) unb bem if)m Slac^gebilbeten ftattfinbet 323).
Oarnm fönnen roir fo befiniren; „©in 25itb ift ein Oing bag nad^ einem
anberen, atg feinem 9Jtufter ober Urt:)pug, gemailt ift, atfo, bo^ eg mit
biefem entroeber ber Strt nacf) übereinftimmt , ober in ber ©eftatt, ober
in einem anberen SO^oment burd) roeIcE)eg bag Sß)efen beffetben in bie
©rfd^einung tritt."
©g taffen fi(^ ^^iernact) uier Strten oon 25ilbern unterfc^eiben :
1. 25ilber ber erften Strt, ober SBefengbitber, finb biefenigen,
roetd^e mit il^rem Original bag 2Sefen gemein ^aben, unb barum mit
i^m ©iner uub berfetben 2trt angel^ören.
©ebeon, ber diic^ter über ^f^aet, ^atte bem ®eric^te ber f)eitigeu
©c^rift jufotge feinen brei^nnbert ©treitern ben 23efet)t gegeben: „2Bag
i^r mid) t^un fe^et, bag t^uet gtei^fallg; id^ roerbe an einer ©eite in
bag Säger ge^en, nnb roag ic^ bann t^e, bag machet nad^" *). 2t(g
bemnad) bie Oreil^nnbert , bem SSorgange i^reg ^ül^rerg fotgenb, fe i^re
Orompete btiefen, i^re Ärnge an einanber 3erfd)tugen, unb, in ber Sinfen
bie ftammenbe fandet, in bag ,^etbgefd^rei augbrac^en: „®ag ©droert
'■) 3tid)t. 7, 17.
Si(b, unb t)iev äJvten beflelbeii.
535
be§ .'oevrn unb be§ @ebeou!'' bn luar eine jebe biefer .f^^oubhingen ein
35>efen§bi(b bev glcid}artigcn füf)uen g-elbl^erni. Uebev=
^aupt entfielet ein 35>efenäbUb, jo oft ein i)Jtcnjcij periöntidj unb
in eigener S^ätigfeit ba§ Jfinn, bie i)Ube, bie
b i e ti n [3 e v e 6 r j d) e i n n n g e i n e § n n b e r e n iBi e n j d) e n n n d) n m t.
2. Silber bev jinciten 'Jivt, ober üoüjtnnbige @ e jt a ft b ilb er,
ober ftereoinetri jd)e ©eftaitbUber, jinb joi(^e, loeidie bie ©ejtalt i!^re§
Criginaiä und) allen brei Dfianmbimenjionen iniebergcben , loie e§ bie
Statue tl^ut;
3. Silber ber brüten 31rt, ober nnnollftänbige ©ejtaltbilber,
ober planimetrifdje ©ejtaltbilber l^ingegen biejenigen, roeld}e oon ber
©ejtalt i^re§ Original? nur jioei Oimenjionen jcff^alten, roä^renb fie
bie brüte fallen laffen, luie 5. S. bie ifiortrait^eidjunng.
4. 211? Silber ber nierten 21rt enblid) jinb jene ?ind)aljinungen jn
betrndjten, rceldje mit il)rem Original nid)t bie ©eftalt gemein ^aben,
fonbern ein anbere? c^aracteriftifdje? Sioment, ba§ an jenem l)eruortritt.
3n biefer S>eife finb bie 'Jöne ber Sioline, ober eine? anberen mufi=
califdjen ^nftrnment?, Silber ber gefnngenen Oöne ber menfi^licben
Stimme.
ßfgriff itiiö lüfffu öcr 5rantntiftj)cii ßnuft.
§. 1.
iljrc Aufflftlic unti tßic ^iücf; pcfinUton.
3(>3. 3n „Sorfpiel" 511 „)S‘(-iiift" löfst ©oetbe bie „luftige
Serfon" bem nm ein geeignete? Sterna uerlegenen „3;l)eaterbid)ter" ben
bnnbigen diat^ geben:
©reift nur bineiu in? ooUe OJtcnfdicidcben !
l?in .f^feber lebt’?, nid)t Sielen ift’? befnnnt,
Unb 100 U)f’? pndt, ba ift’? intereffnnt.
3ii>ei 'f3nnfte finb in biefen S>orteu angebentet: ber be? brama=
tifeben .Runftroerf?, nnb fein Stoff ober „intereffant"
fepn , b. Ij. e? foll ben äftl)etifd)en ©ennft genuibren. 2Bn?
aber feinen Stoff angebt, fo ift biefer bem menfd)lid)eit Seben jn enü
nebmen: Obatfad)en, Segebenbeiten, ©reigiiiffe an? bem Seben ber S{en=
fdien bilben ben ©egenftnnb, raelt^en un? bie bramatifdte Äunft oorju=
fiibren b^t- Sragöbie", b«fd e? bei 21riftotele? , „ift eine Oars
536
begriff unb SBefm ber bramatifd;en Äunft.
fteUung, raetd^e un§ mc^t 50?enfc^en Borfü'^ven toill, fonbern ^anblungen
unb ba§ Seben , mit feinem @tü(f nnb Ungiüdt " *). @ben biefeä fprid^t
au^ ©(^itler au§, rcenn er in ber „^ulbigung ber eitünfte" bie „©d)au=
fpieifunft mit ber ©oppetmaäfe" jagen täjft:
(ätn ^anu§bilb taff’ icf) ror ®ir erfd^einen:
^Tie fvreube jeigt e§ t)ier, unb ^ier ben ©c^merj;
Tie 3Jtenfi^bsit mecf)felt groifcben Suft unb SBeinen,
Unb mit bem Grnfte gattet fict) ber ©cberj.
iOcit alten feinen üefen, feinen §öt)en,
DtolT td) bas Seben ab nor beinern IBlid:
§aft bn bas ©piel ber groffen 2ßelt gcietjen,
©0 M)rft bn reidjer in bid) felbft jurüd;
Tenn raer ben ©inn auf’s ©anje l)nlt geri(^tet,
Teilt ift ber ©treit in feiner Truft gefdjlidjtet.
T>a§ Seben ber i).)ienfdjen unb ihre ©efd)ii^te umfd^tießt eine fvütle non
fangen, roeli^e fid) bnrd) äft^etifd)en 35?ertb aiigjeidmen. 2öie burc^ freie
Ticbtung biefer SBertl^ erhöbt, bte ^üg^ nermel^rt raerben fönnen,
barüber mar im fiebenten 5(bfd)uitte bereite bie iJtebe.
Ten bejeidjneten ©toff fomobl, als bie Dtufgabe, bat übrigens bie
bramatifcbe Jlnnft freilidf mit allen übrigen bebonifd)en fünften gemein.
2®aS ihre Sefonberbeit anSmai^t nnb ihre iterfdiiebenbeit non einer jeben
ber Set^teren , bnS fann beffbalb nur baS ÜRittel fepn beffen fie ficb be=
bient, um bte f^üge auS bem Seben unS nor^nfübren , ober mit (Sinem
Sßorte, ibr TarftednngSmittel. (J’S banbelt ficb atfo junäcbft barum,
baß mir biefeS beftimmen.
364. ^n feiner non nnS bereits erroübnten Tefinition ber Tragöbie,
nennt 3triftoteleS atS eines ihrer roefenttidjen üDterfmale biefeS, baf3 fie
„TarfteUimg fet) bnrd) banbelnbe i}}erfonen, nnb nid)t burcb ©r;
jüblung" 324). llnb eben „roeil in ber Tragöbie bie Tarftettnng bnrt^
banbelnbe ^'erfonen auSgefübrt roirb", folgert „ber
barauf, „fo ergibt fidf als ein ,'panptmoment biefeS .^nnftmerfeS an
erfter ©teile bie angemeffene ißeftimmung beffen, roaS bem 2luge ber
3nfd)nner ju bieten ift"**), ber ©oftüme nämtid) nnb ber ©cenerie, fos
roie jener Tinge ineldbe auf ber 2?übne ficbtbar norgeben follen.
®o 3triftoteleS fpäter, in berfelben ©djrift, batn übergebt, bie 2lm
roeifungen für bie epifd)e -)>oefie ^n geben, brüdt er bie (Sigenartigfeit
biefer Ä'unft gegenüber ber bramatifcben, in berfelben STeife auS roie in
ber juerft non nnS angefübrten ©teile: „lieber bie Tragöbie nnb bie
gefammte Tarftellnng bereu itDiittel bie nnb hing ift, mag baS
*) Arist. de arte poet. ed. Buhle cap. 7. vulg. 6. n. 11.
**) Arist. de arte poet. ed. Buhle cap. 7. vulg. 6. n. 2.
Segrifi unb Sßefen bev bramatifd^en Ä'vmft.
537
bisher (gejagte genügen. b«ntad) jene anbere ©arftettung angelet
roeldje erjd'^tenb anftritt, nnb fid) be§ .S^erameterä bebient," u. f. in. 325).
®a§ nämliche 9)ierfmal, bnfj [ie „erjäl)tenbe“ 0tücfe tiefere, „at§
erjaJ^Ienbe ©arftetlnng anftrete", inirb in bein folgenben Kapitel
at§ bie c§aracteriftif(^e 6igentt)ümtid)feit ber epifd)en '^^oefie breiinat
iniebertjott 326).
^n üotter Uebereinftiininnng mit biefer Stnffafjung non bein 2Befen
ber bramatifdben Äunft, unb itjrer (J'igentt)ümUd)feit gegenüber ber epifd^en
i^oefie, fte^t ber ©ebanfe, meieren 2lri[totete§ in einem ber erften Äapitet
feiner i^oetif augfpridft, inbem er ben 2;rngöbienbiditer ©opf)octe§ mit
Isomer bem ©pif'er nnb mit bem Ä'omöbienbidjter 2triftop!§ane§ nergteid)t:
„Unter ßiner 9tücffid)t geprt ©opt)Octe§ in biefelbe Jltaffe mit
infofern nämlid) beibe un§ eble (J^aractere norfüfiren *) ; unter einer
anberen dtüdfidjt hingegen mit Slriftophnnes ; benn beibe führen nn§
ihren SSormurf bnrdj ipanbinng nor unb bnrd) mirflid)e§
S)cih^^' foU iötanch^i^ ®rnma feinen dtnmen
haben, roeit in bemfetben bie ©arftettung fid) biirch thatf ädjtidie
.r^anblung (dpaixa) notljieht" 327).
©ä bürfte hternad) hiatüngtid) ttar fepn, mag 2(riftotete§ at§ ba§
characteriftifdje ©nrftettnnggmittet ber bramatifdhen Äunft betrachtete:
nid)t ba§ Sföort ober bie Dtebe, mittetft bereu ber erjühtenbe ©i(hter,
ber ©pifer, ^unächft an nufer Oh^ fich menbenb, ©rfdheinnngen unb
Sihatfachen nu§ bem tteben ber 'Dtenfdjen beridjtet, fonbern nad)=
ahmenbeg Raubein, nadjbilblictieg ©h»ii mirfticher iStenfdjen, roetdjeS
fi(h an einer nnchbilblid) hc^'g^fietlten ©erttid)feit oor ben 2tngen non
3nfd)auern nottjieht, nnb fid) bnrnm in feiner ©iefnmmtheit at§
„©djanfpiet" barftetit. 2Bir brauchen raoht nid)t nn§brüdlid) jn
fagen, bap nid)t btop önfierlich fid)tbareg eigenttid)e§ „©hn"^^ uider ben
23egriff be§ „^anbetng" ober ber „.S^anbtnng" föttt, fonbern biefer ganj
ottgemein febe Seben§nnf5ernng be§ )0tenfchen nmfd)tiefit, nnb nnmenttid)
and) ba§ Dieben, ©enn mo iDienfd)en mit einanber reben, ba rairfen
fie ouf einanber ein, inbem fie ifjre ©iebanfen unb ©iefühte fich S^geu;
feitig fnnbgeben; ba§ ift aber bod) ohne innhreg „i^anbetn".
©urd) ba§ bejeichnete nad)bUbtid)e .'Qonbeln nnb Jhini mirftid)er DDiem
f(^en aifo, fott ba§ Original, — bie ©rfcheinungen unb 23egebenheiten
an§ bem Sehen meld)e ben ber brnmntifd)en ©onception hilben,
nnb fid) gleid)faltg eben and bem i^anbeln nnb Ohan mirflid)er iOtenfehen
3ufammenfet3en , — nuferem ©ieifle in flnrer 3(nfchaulid)feit nergegeiu
*) „Gbte" (SEitu'acterc roerben uaih 'tlriftoteteS im @po§ unb in ber Sragöbie
bargeftettt, in ber Äomöbie bngegen „niebrige" ober fehlerhafte, Träger ber „?äd)er:
lichfeit".
538 bramatifd^e Äunft ift nid^t eine bev (ärfd;einung§formen ber ißoefie,
raärtigt, unb jo bie SBirfung beg ®raina’§, ber äj%tijd)e ©enujj, uu§
oermittett loerben. (5d ergibt jict) jomit, ba^ toir atä ba§ eigentliche
®arftellung§mittet ber brainotijdh^n Äunft, raetcheg i^re bejonbere Statur
choracterijirt unb rooburd) jie jidb oon jeber anberen jdiönen Ä’unft
unterjdieibet, jene „SEejenSbitber" ju betrachten h®^>en, U3etche rair oor=
her (362. ®, 534) no(^ S^honms oon Stquin at§ bie erjte 2Irt be§ 35itbe§
überhaupt f'enuen lernten.
©efiniren inüfden loir hietnai^ etroa in biejer 2Beije: S)ie branta=
tijche .^'unft ift bie Äunft, @r jch einungen au§ bein inenfch=
lidhen Seben burch „SBefenäbilber" jo barjnjtellen, ba§
bie ©arjtellung geeignet ijt, ben 3ujd)auern üjthetijchen
@enu§ ^u oerinittetn.
Erinnert man ji(^ be§ allgemeinen ©ebanfens, ben mir im Slnfange
be§ jiebenten 2lbjdhnitte§ (238. ®. 332 j.) fejtgejtellt haben, jo ergibt ji(^
au§ biejer S^ejinition oon jelbjt bie jvorberung, bojj joioohl ber ^i^halt
ber bromatijd)en C^onception („bie jyabel"), al§ bie (Slemente burdh beren
ißerbinbnng biejer ^^halt Jur 3lnj(^ouung gebrai^t roirb, ba§ 2lujtreten
ber hanbelnben ijJerjonen nämlid), bie Sprache, bie Scenerie u. j. ro.,
möglidijt bebeutenben äjthetijd)en 28erth haben müjjen.j
§• 2.
pic tirttitttttijchc ^«nft ift itiiht eine , unter ben ßefonberen ^iebiungen ber
□■^oefie|tnt engeren §tnne bes Portes, [fonbern |ie b<»t, neßen ber Poejie,
afs eine eigene fefß)länbige jftun)l ju geften.!
Sie bramatijdje Gompojition für jid) allein ijt ein unfertiges 2S>erf: feinem
IBegrijjc entjpred)enb , epijtirt ba§ Srama einzig bnrd) bie 2lnjfühnmg
auf ber 23ühne. Sie Äunjt ber bvamatijd}en (dompojition bilbet barum
mit ber Sd)aujpielfunjt jnjanunen eine eiii3ige untl)eifbare Äunjt. @ine
analoge @rjd)einung bei jraei anberen fünften; ba§ Verjähren im 3llter;
tl)um. Sie ©eftalt ber brainatijd)en (fompojition müfte eine raejentli^
anbere jepn, menn bieje jollte nlS 58erf ber ^Joejie angejehen werben fönnen.
365. Sag 9®erf ber bramatijehen .Ibunjt, bie thatjächliche ®ar=
jteUung oon ©rjd)einungeu au§ bem :l?eben burch SS^ejengbitber , fann
offenbar unmögtidj bie fieijtung eineg ©injelnen jepn. Sag £eben ber
iDienjdhen ijt feiner 9latur nach gefeltfchaftlidjeg: jajt jebe bebeutenbere
Scene in bemjelben ooll^ieht jich unter mehreren ^erjonen, raeld)e bem
3llter, ber Stellung, bem ©ejchlechte nadh, joraie unter mani^er anberen
IRüdfi^t oon einanber oerjehieben jinb; SBejengbilber jolcher Scenen
lajjen ji(h barum uur burd) bag oereiute 3ajammenrairfen 30^ehrerer
herjtellen. 3lber au(^ bag leuchtet eiu, ba§ jotche SSilber nicht bie
Schöpfung beg Slugenblideg jepn, nidjt burch 3’tip^'aüijation ju Staube
fonbevn glcid; btefer eine fctbftänbige fd^öne Äunft.
539
foinmcn föimen. (5§ bebarf notl^rocnbig eines UebereinfommenS unter
ben gnfnmmeninivtenben .Rnnftlern, nevinöge beffen bte nadisnbilbenbe
Gegebenheit fivivt, ein bi§ inS (Sinjelnfte gehenber i^tan, gleid)iant eine
noüftnnbig ansgefnhvte (fartonjeicbnung bes he^'juftettenben Gitbes ent-
jDorien, jebem Giitiuirfenben genau beftimmt inerbe, inie unb raann er
anfjntveten, inet^e ©efinnnng er fnnbjngeben, inas er jn tbnn nnb 51t
reben, mit (Sinem Sporte, in raetcber Greife er perfönlid) jnr v'^erftetlung
beS ©el'ammtbilbeS beijntragen habe.
Gber nicht i^ieten roarb baS @enie jn Gh^^^ foldien „(5ar=
tonjeicf)nnngen'' erforbert inirb. Gi^enn bie bramatifd)en (^ompofitionen
bephatb nothroenbig baS (Jrjeugnip einjetner benorjugter @eifter finb,
bereu 3tnorbnungen fid) bie llebrigen nnterroerfen , mährenb e§ jenen oft
mieber an ber (^iefchidtid]feit fe()it, bei ber (ebenbigen 3(nffnhrnng ihrer
(Sompofitionen perföntid) initjuroirfen : fo ift befjnngend)tet bie fatIeoted)=
nifdje pjähigfeit roeld)e fie, bie llebrigen oertretenb, anSnben, barnm,
feineSmegS eine für fid) fertige, felbftnnbige, non ber fogenannten „0chait;
fpietfunft" fdjeibenbe fdiöne ilnnft, fonbern jene pjahigfeit bilbet ihrer
Ülatnr nnb ihrem Gi?cfen nad) mit ber „©d)aufpielt'nnft" .^ufani'
men eine einjige Ännft, bie brnmatifd)e.
Giit nnberen GBorten: e§ ift nnrid)tig, menn non ber 3tefthetif alS
bie britte 9lid)tnng ber 'j^'oefie, neben ber epifchen nnb ber lprifd)en, bie
„bramatifche iTid)tfunft" aufgefnhrt nnb behanbett inirb : beim bie Seh=
tere fann feineSiuegS, inie bie ^mei ^nerft genannten, nlS eine in fid) nb=
gefd)toffene ©nttiing ber '^>oefie getten; fonbern fie ift ein inefentticher,
für fid) nnnoüftünbiger "Gheit, inenn and) ber norjügtid)ere , ber (S'inen
bramatifdjen ^nnft. (Srft ino bie „(Jnrtonjeid)nnng'' auf bie Göanb
übertragen nnb il)r bnrd) bie jyarbe baS notte l'eben eingehandht inirb,
erft in ber thatfndjlidien 3(nffül)riing auf ber Gidjiie erfdieint bie G:ra;
gobie ober bie .ilomöbie nodftänbig, unb in jener Greife, ineldje ihrem
Gegriffe entfprid)t. „6in Ännftinerf epiftirt mir babiird), bap eS jur
(Jrfdieinung fommt; bieS GJoment ift für baS G)rnina bie 3hifführnng
auf ber Gühne"; fo fd)rieb nor nieten f^to” 9lid)arb Göagner*).
üiod) niemanben ift e§ eingefatlen , bie Ä'nnft beS GtceifterS ber ben
ij^lan beS anfjnführenben GDoineS entinirft, nnb ben Gan übennadht unb
leitet, ober jene ber mnfica(ifd)en (Jompofition, alS befonbere, fetbftünbige
fd)one fünfte neben bie 3(rd)itectnr nnb bie Ginfif ,yi ftellen. 9lber
hat beim etina (h-inin non 5teinbad) feinen Gtünfter, unb Glagifter
@erharb**) feinen !Gom mit eigenen .v^nnben nnb nltein gebaut? nnb
*) Srief üom 1. Januar 1847, an (vb. .^ansltcT. (23ci .panelicf, iOhificalifche
Stationen, Z. 273.)
**) „mjagifter (?erarbn§ £apiciba", ber erfte nn§ befnnnte 33anmcifter nm
540 bramati)d;e ip nic^t eine ber (Srfd^einung§formen ber ipoefie,
kbürfen .^änbel unb ipapbn unb 9JienbeI§fo§n , toenn i:^re Oratorien
„eviftiren", b. t). jur Sluffü^ntng fommen follen, nid^t ja^treic^er ge;
fc^utter Stimmen unb ooUer (J^öre? 2Ba§ ber Oonbic^ter für ben ®e;
fang unb ber Strc^itect für bie iSanfnnft, baä ift für bie bramatifcfie
Äunft ber bramatif(^e Oii^ter. „^n i^ettag", beri(^tet Karriere, „ftanb
bag Orama unter ber Ob^nt beg Staateg. Oeffen 33orftanb mar eg,
ber einem atg gut erfannten Oii^terraerfe bie 3Iuffü^rung baburi^ er;
möglic^te, bafe er einen ber Sfteic^en bie fict) bur(^ freiroitlige Jüeiftungen
:nn bag ®otf uerbient macf)ten, jur Stellung beg (5l)org unb jur 3lug;
ftattung beffelben berief. Oen 6§or unb bie Si^aufpieler !^atte nun
ber Oiebter einjuftubir en, unb am Oiontjfogfefte rang er bann
mit mebreren ©enoffen burd) brei Oragöbien unb ein Satprfpiel um ben
i^reig, roeldben jebn IRicbter alg 35ertreter ber ©emeinbe ertbeilten; ber;
felbe galt bem Oiebter unb bem Slugrüfter beg ©borg" * * **)). „Oie brei
groften Oragifer (2lefd)plug, Sopbocleg unb ©uripibeg) roaren nicht bloß
Oiebter, fie bef(^äftigten fid) jugleid) aUjäbrlid) mit ber ©in Übung
ber Sdbaufpieler unb ber ©böre" *"*■). Oie Obatfacbe roeli^e
©andere b^^^’ berichtet, bürfte fid) fd)on aug bem Umftanbe folgern
laffen, baff in ben bramatifeben ©ompofitionen ber 3llten fid) lebiglicb
ber Oialog unb bie ©borgefnnge finben, ohne alle mciteren, gegenroärtig
üblichen Stngaben über bag, mag ju gefd)ehen h^be, ober roie mancheg
©injelne augjufül)ren fei). Ol)ne bag perfönliche ©ingreifen beg Oichterg
bei ber ©inübung beg Stücteg, roenigfteng für bag erfte OJtal, roore eine
3lnffübrung beffelben ganj in feinem Sinne, unmöglid) geroefen.
366. 2lber faffen mir, bamit bie 233nhrheit unfereg Sa^eg noch
flarer bevoortrete, ein concreteg 2?eifpiel ing Singe. Oag SBerf Sdbitterg
„SBilhelm Oell" ift fa allgemein befannt. üStun oergegenroärtige fii^ etraa
ang ber Sd)lnf3fcene beg oierten Slufjugeg bie bei oerfebiebenen Stellen
beg Oialogg angebrachten Seftimmungen unb Slngaben beg Oichterg.
®ie bohle ©ciffe bei Äüpnacbt. 5Jtan fteigt ron hinten jroifchen Reifen hen
unter, nnb bie SEanberer luerben, ehe fie nnf ber Scene erfcheinen, fchon non ber
ipöhe gefehen. gelten umfchliehen bie gnnje Scene; anf einem ber norberften ift
ein tßorfprung, mit ©eftrdneh Beranchfen. — tjett tritt an) mit ber 2trmbrnft; —
SEanberer gehen über bie Scene; — Xelt fept fich, — fteht anf. — ikan hört non
ferne eine heitere iOtufit, luetche fid) nähert. — (Sine .gochjeit deh* über bie Scene
bnrd) ben ^ohlroeg hinauf. Setl betrachtet fie, anf feinen Sogen gelehnt; Stüffi
ber gturfchüp gefeilt fich jn ihm. — 91 rm gart fömmt mit mehreren Äinbern, unb
ftcllt fich nn ben (Singang beä ibohlmegä. — Seil fieht oft mit nnrnhiger (Srroartnng
®om 511 (Söfn, nnb mnthmafflidh ber Sd)öpfer feineg iplnneg. Sgl. §iftor.=polit.
Slätter, Sb. 17, „?'ie ©rünbung be§ Some§ oon 6bln."
*) (Karriere, Sb. 2. S. 232. (6it. 339.)
**) (iarriere, a. n. 0. S. 290.
fonbern gleid; btefer eine felbftänbige fd^öne jbnnft.
541
nad^ bei' .^ö^e be§ '®ege§. — SSanberci fömmt. — £ell fte^t auf. Sinngart fömmt
DorroärtS. — föinint eilfertig ben .^o^ticeg Ijerab, nnb ruft in bie ©eene.
— £cll gel^t ab. — SIrmgart gel^t mit i£)ren jbinbern nad^ ber norbern ©eene.
(Segler nnb iftnbolpl) ber |>arra§ jeigen fid^ 51t ißferb auf ber .^öf)e beä
2Bege§. — g'^ie^tiarbt . . get)t ab; ©tüffi fielet fiel) um, gefit ab. — ©e^ter nnb
.Sbubolp^ ber iöarraä 51t i^^ferbe. SIrmgart nähert fid^ fnrcf)tfam. — ©ie rootlen
»orüber. ®ie ™5'ft fidt) nor bem Sanbnogt nieber . . .
3t r in gart
(greift in bie 3“9ft ißferbeg).
Olein, nein, id) tjobe nid)t6 nte^r ju nevlieren.
— ®n toinmft nid)t non ber Stelle, 3Sogt, bi§ bu
OOlir 01ed)t gefprodicn — §atte beine Stirne,
Olotte bie Otngen inie bn initlft — 2ßir [inb
So griinjenlod ungtüdtidj, baf;i mir nii^td
Oiad) beinern fragen —
@ e ft t e r.
iÖeib, mad)’ ^talj.
Ober mein 0io§ gc()t über bidj tjinmeg.
3t r m gart.
ü^af: e§ über mid) bat)inget)n — On —
(©ie rei^t ifire Jlinber ju ©oben, nnb loirft fi^ mit il;nen it)in in ben 3Beg.)
t)ier lieg’ id)
OOtit meinen Äinbern — Sag bie armen 3Baifen
33on beined 03ferbe§ t^nf jertreten roerben!
ift ba§ 3tcrgfte nid)t, ma§ bn gett}an —
31 n b 0 1 p t).
OScib, fei)t it)r rafenb?
3trmgart (heftiger fortfahrenb).
irateft bn bod) tängft
0'a§ Sanb bed Äaiferä nntcr beine 5\'iiftc!
— O id) bin nur ein OBeib ! mär’ id) ein OOlann,
(sd) müftte molfl maö 33effere§, atd tjier
3m Staub 511 liegen —
(OJlan hört bie norige SOiufif roieber auf ber §öhe be§ '59ege§, aber gebämpft.)
(55 e ft t c r.
3Bo finb meine Ä'ncd}te?
OOian reifte fie non hinnen, ober id)
35ergeffe mich, nnb tt)ue, ma§ midj rent!
31 nbo Iph-
Oie Äned)te tonnen nidjt hinburch, 0 b^err;
Oer ipohtmeg ift gefperrt burch eine i^odjjeit.
542 bramatifc^e Äunft ift nid^t eine ber @rfc^etnung§fonneit ber ipoefie,
@ e § I e r.
@tn aüju mUbev ^en-fcber bin tc^ noc^
@egen bieö iöolf — bie [inb nod) frei.
ift nod) ni(^t gnnj, loie e§ fod, gebänbigt —
®od) es fod anberä roerben, i^ gefob’ es!
n)itt it)n beeiden, biefen ftarrcn öinn,
jDen feden ®ei[t ber fyvei^eit roilt id) beugen,
@in neu @efel3 raiH ic^ iu biefeu Janbeu
iserfünbigen, id) roid —
((5'in bnrd;bobrt ibn; er fä^rt mit ber §nnb ans ,g)etä, unb roitt finfen. ÜJlit
matter stimme.)
@ott fe^ mir gnäbig !
!)t u b 0 1 p t).
§err i'anboogt — @ott! älmö ift bas? 2Bo^er tarn ba§?
Strmgart (auffabrenb).
9Jforb ! SJtorb ! (fr taumett, fiuft ! (fr ift getroffen !
iRuboIpt) (ipringt oom ^ferbe).
2Be((^ gräf3lid)e§ ©reignift — @ott — !öerr dtitter —
Dtuft bie (frbarmung @ottes an! — Kbt
(fin fOiann bes iobes!
@ e ^ t e r.
!jaö ift teils @efd)0§.
(3ft oom ipferbe bem dtnbolpb ■!parraS in ben 2tvm gegleitet, unb roirb auf
ber SBanf niebergclatfen.)
Xell
(crfcbeint oben auf ber Stntjbf)^ bes gelfenS).
®n tennft ben 0(^üt^en, fud)e feinen anbern!
fvrei finb bie Jütten, ficber ift bie Unfcbutb
ißor bir, bu roirft bem Sanbe nid)t mel)r fdiaben.
(Serfdiniinbet oon ber ^bbe. Sott ftürjt herein.)
Stüffi (öoran).
35>aö gibt e§ (jier? 23Jas böt fi*i) jngetragen?
51 r m g a r t.
jT>er Sanboogt ift oon einem bnrd)fcboffen.
330lf (im ,§ereinftürjen).
ät^er ift erfd}offen?
(Jnbem bie ÜSorberften oon bem Srantjug auf bie 0cene fommen, fmb bie ^interften
nod) auf ber .g)bbe, unb bie ülRnfif gebt fort.)
543
fonberu gleich biefer eilte felbftänbige fc^öne Äiiuft.
3iuboIpl).
(5'r Dcrblutet fid>
gort, fdjtiffet b^ülfe! Oet^t bem DJlörbev imd}!
— il'eidonier SJiann, fo imil> es mit bir enben;
Tod) meine SBarnung modteft bu nid)t I)bren!
T t ü 1 1 i.
Tei @ott! ba liegt er bleid) unb ol)iie Sebcn!
53 i eie Ttimmen.
it'ev l)at bie it)ot getljnu?
9t u b 0 1 p ().
diof’t bicfeS 53olf,
Tag eS bem iDiorb SOtufif mad)t? Sagt fie idjraeigen!
(iOhtfit bvidjt plöplicb ab ; e§ fömmt no(b mehr 3Solf nad^.)
loevr Sanbnogt, vebet, menit il)r fönnt — l)abt i()r
30tiv nid)tS mel)r ju nevtraueu?
(@egier gibt 3‘^'d;en mit bev §anb, bie er mit .peftigfeit roieberf)oIt, ba fie nicht
gleich oerftnnbcn roerben.)
3£'0 foll ich
— 9t ad) blügnadjt'? ;5d) nerftel)’ eud) nidjt — o merbet
9iid)t iingebnlbig — Sagt baS ^fbifcbe!
Teuft jet?t, eud) mit bem i^immel 31t Derföf)uen.
(Sie ganje ijothäeitgefetlfdhaft nmfteht ben ©terbenben mit einem fühllofen ©raufen.)
T t n f 1 i.
0iel), lüie er bleidj mirb — jeljt tritt ber Sob
3fim an baS ^erj — bie 9üigen finb gebrodfen.
9( r m gart
(hebt ein Ä'inb empor).
0e()t, ilinber, mie ein 9.i.nitt)erid) üerfdjeibet!
9tubolp().
äßahnfinnige ÜSeiber, habt il)r fein ®efnl)l,
Tag il)r ben 53lid an biefem Tdjrednig roeibet?
— bpelft — leget ,^anb an — 0tel)t mir niemanb bei,
Ten 0d)mer3enSpfeil it)m auS ber 53ru[t 311 3ief)n?
äßeiber (treten jnrüct).
äßir il)n berühren, U)eld)en @ott gefdjlagen!
9t u b 0 1 p l).
^lud) treff’ euch it'tb 53erbnmmuig!
(3ieht ba§ ©dhirierf.)
544 bromatifc^e Äunfi ift lüd^t eine ber 6vf(^einung§formen ber ißoefie,
Stüffi (fällt in ben 3trm).
25)agt e§, iiQerv!
(äu’r äC'alten ein @nbe. ®er 3it)rann
Sanbe€ ift gefallen. 3®ir crbulben
teilte @enmlt ine^r. 2Bir finb freie -Uienfctfen.
311 le (tumultuai'if(^).
J)a£i Sanb ift frei!
iH u b 0 1 p
f^ft e§ ba^in gefominen?
(Snbet bie fo fcfinelt unb ber @ef)orfam?
(3u ben ÜBaffenf'nec^ten, bie l^ereinbringen.)
3^r fe^t bie grauenüoUe Jfiat bee 9Jforb§
®ie ^ier gef(^e^en — §ülfe ift umfonft —
^Bergeblidj ift’s, bem SD'lörber nac^5ufe^en.
Uns brängen anbre morgen — 3luf, nac^ Jlü§nact)t,
jTa^ mir bent Ä'aifcr feine ißeftc retten!
®enn aufgelöft in biefetn 3tugenf»licf
'£inb aücr Orbnung, aller ff>f(id)ten iöanbe,
Unb feines SlJfanneS Jreu’ ift jn nertrauen.
(3inbem er mit ben iBaffenfnec^ten abgel^t, erfd^einen fec^§ b arm^ er ji g e 33rüb er.)
3lrmgart.
'^la^! 'fflatj! ba fontmen bie l)arm^er5igen 33rüber.
Stüffi.
^aS Opfer liegt — bie 9ta6en fteigen nieber.
33arntf)erjige tßrüber
(fd^lie^en einen |)albfrei§ um ben 2;obten, unb fingen in tiefem 2:on).
fjtafcf) tritt ber iob ben SD^enfdjen an;
(5S ift ifiin feine f^i^ift gegeben;
@r ftürjt i^n mitten in ber IBaffn,
(Sr reißt if)n fort nom Dolten Jeben.
bereitet, ober nicßt, ju gefeit,
(Sr muß Bor feinen fRidjter fteßen!
(3nbem bie lepten roieberlfolt werben, fällt ber ÜSorfiang.)
>£cßiC(er f)at e§ nerftauben, in biefer Ocene Umftänbe ju Bereinigen,
raeld^e inSgefammt bal^in rairfen, biefelbe ergreifenb ju machen: bie arme,
um ^^ülfe fle^enbe f^rau mit i§ren Äinbern, bie falte rol^e (Sraufamfeit
bes ftoljen SanbnogteS meld^e bie fyrait gur ^Serjroeiflung treibt, ber
feftlicße bpodßgeit^ug mit feiner ^eiteren f))iufif, baS Senei^men ber ®olf§=
menge, ba§ förfc^einen ber barm^eräigen SSrüber unb ifir (Sfrabgcfang,
jonbern gk'icfj biefer eine )elb[tänbtge ftfjöne Jbunft. 545
ba§. filib J^ügc, obnc iDcic^e bie i^cbcutung be§ i'ooicö non iucld)cin
©egler getroffen roirb, imb bcv furd)tbare (ä'vnft feines Jobcä, bei raeitcm
nii^t mit ber gleidfen etnrfe empfunbeit mürbe. 9(ber gerabe biefe 3üge
finb gröfdentfjeitö nur nngebeutet; ebenfo fetbft jene 9>orgtinge, incldic
ben eigcntlid)en 9}titte(pnnft ber 5}arftcIInng bitben, bie 'itjot bed ieti
nnb ber Job ©efderd. llnb inbem er fie onbeutet, bebient fid) nberbied
©diitter, im nnffaUcnbften @egenfat3e ber '^'oefie nnb ber oft ora=
torifd)cn J'brnft bed Siatogd, ber fnrjeftcn f^affnng, nnb einer biird)nnd
einfnd)en, ganj profüifdfen ©prndje. töiüfde beim eine fotd)e SrHÜfe ber
©nrftettnng nidit für übernnd fettfam, für ganj nnnngemeffen crflftrt
roerben , menn bie l'eiftnng n(d bnd abgefd)(offene 95>erf einer für fid)
nollftünbigcn Ä’unft nufjnfnffen märe, mie ed bie 4?oefie bodj o^ne 3’öcifet
ift? ober mo ift ed jcmald eitte gcmcfen, in fotdfer ^orm bie ergreifenb=
ften Jf)ntfad)cn barjufleden, menn n(d bnd 'iOHttet ber ©nrftellnng bie
diebe, bnd 9I>ort bed ® nrfteüenben , nngemenbet mürbe? 3f^ etmn
bie ©prndfe fo arm an ÜBenbnngen, bnrd) mcld)e bie 93ebentnng grofter
9Jtomente füblbar mirb , ober in benen bad erregte @emüt!^ feinen (5m=
pfinbungen 9(ndbrnd gibt? Unb mie redjtfertigt fid) bie fortmäbrcnbe
9}iifcbung ber fnapp gefaxten 9tnbeutnngen mit ben berebten Stenffernngcn
bed ftarf bemegten @efü[)td, bie feben 9tngenb(icf fid) mieber^olenbe Unter-
bred)iing bed tebt)aften ©intogd burd) gnn:; trocfenc 93emerfnngen ? mie
erftnrt fid) in ben Veitteren ber andfd)(iefdid)c @ebrnncb ber gegen=
m ü r t i g e n '•
ijabnrd) allein, aber babnrd) freilid) and) nollfommen, baff mir nid)t
bad (Jrjengnip bed ©id)terd — infofern biefed Itoort, in feinem engeren
einne, ben 3tünftler bejeid)net ber SBerfe ber ^-poefie fd)afft — in ber
angeführten Scene nor und haben, fonbern bad 25>erf bed J)ramatifcr§ :
unb yuar nidft bnd abgefd)loffenc, nollcnbete 35>crf, fonbern bie brama=
tifd)e Uompofition, bie andgeführte (5nrton5,eidinnng eined IBilbed,
melcher bie mirflidje 9lndführnng auf ber 93ül)ne erft uolled marmed
Seben unb ^arbe jn geben hnd ©iefUbc ift nid)t (junnd)ft nnb cigenU
lid)) entmorfen, nm bnreh ben Srnct ueunelfältigt unb gelefen jn mer=
ben: beim ba niügtcn bie 3ügc bie fie enthält, mefentlid) nnberd uer:
arbeitet fepn; fie foll oiclmchr ben genau andgeführten '■fUan bilben für
bie 9cad)ahmnng einer üfthetifd) bebentenben i^egebenheit bnrd) ein trened
„Jt.'cfendbilb" ber ^e^teren, bnd biird) mirflid)ed 35nnbeln unb @efd)chen
hergeftellt mirb, unb inbem cd bem 9tugc nod) mehr bietet ald bem Ol)^‘^/
eben hievbiird) bnjn angethan ift, bie ©cmüther nm SBieled mädjtiger jn
ergreifen, ald ed bie Öeiftnngcn ber ':f?oefie fe nermögen.
Sungmanii, Slcfi^etif. 2. 3(ufl.
35
546 bramatiid)e £unft ift ntd;t eine ber (5tfd;einung§fovmen ber ißoefie,
§. 3.
^egen brei e-inmenbungen.
„Dramatifc^e (^ompofitionen Bieten üft^ctifd)en ©enuß auc^ Bern, raetc^er [ie
Bto§ lieft." „(?d gibt (Fompofitionen, roelc^e gar nid)t für bie Siil^ne
gearbeitet finb." „“iDie §anblung !^at feine ©ebeutung o^ne bie iRebe ber
§anbelnben." — Ob bie @d)anfpietfunft eine „blo^ auSübenbe" Äunft fep.
307. 0cf)on SIriftoteteg inadR bie ©emertung, imb e§ ift nientanben
neu, baß bramatifd)e ©tücfe nic^t blo^ biird) bie ©iiffü^rung auf ber
©ü^ue @euuß geruot)ren, fonberu aud) fd)ou, raenu mau fie bloß lieft
ober üorlefeu l)ört. 'Oie 0adfie ift 90113 natürlich; äft^etifc^en 2®ert'^,
unb uütuuter uor3Üglidjeu, bat fa bie (Fompofitiou aud) an unb für fid),
unb bie (äiubilbuugsfraft erfe^t etuigermafien ben Oienft, roeli^eu fonft
baä 2luge 311 leifteu b^t, iubem fie uod) beu Eingaben ber Sompofition
bie ©orftelluug ber Sceuerie unb ber (Foftüme fomobl alg ber übrigen
fid)tbaren ©rfi^eiuungen 311 bilben fnd)t.
©ine ©inmenbung gegen unfere £'el)ve inbeft fann in biefer Obatfacbe
nicht liegen. Oenn ihrem gan3en ©egriffe nad) tritt eine jebe Äunft nur
ba auf, roo fie für ben ihr eigenthümlidten „^meef alle ©littet uermerthet,
bie 311 ihrem Sßefen gehören; baß aber biefeg feitens ber bramatifebeu
Äunft nid)t gefd)ieht, roenn bie ©ompofition bloff gelefen roirb, bag geht
flar baraug hevoor, baft bie ©firfung in biefem f'vade immer niel roeniger
oollfommen ift, alg jene ber thatfädjtidien 2lufführung. ©md) eine ge=
brudte ober gefdiriebene ifSrebigt fann, roenn fie gut ift, ben ber fie lieft,
mädjtig ergreifen unb roirffam beftimmen; roirb jemanb etroa
folgern roollen, bie Äunft ber ^f3ronnntiation unb 3lction fep feinegroegg
ein roefentlid)er ‘Jht'il ber geifttid)en ©erebtfamfeit, fonbern eine eigene,
Don berfelben oerfd)iebene Ä'unft, unb bie ©erebtfamfeit felbft habe nur
bie 3lufgabe, geeignete ©rebigten 311 liefern, nid)t audj, fie oor ber oer;
fammetten ©emeinbe in ber redjten ©Jeife oor3utragen? Unb bilbet nifht/
bei einem ©>erfe ber ©lalerei, bag roefentlid)ere ©lement bie ^eic^nuttg?
©ibt eg ja hoch Äünftler bie, roie Slsmug ©arfteng, faft nur ge3eii^net
haben , bereu oft ftüdjtig h^'^S^roorfene „£mnb3eid)nungen" in hoh^^i
©Berthe fteljen, nnb roie ein 0chaß geljütet roerben. Oh’^^
im ©ergleidh mit ber bie ff-arbe bag minber ©ebeutenbe für
bie ©>irfung, roeld)e bas ©iemälbe oermittetn foU; folgt aber hiei^ttug,
baft bie .tlunft ber 3^^d)nung etroag 2tnbereg ift, alg ber oor3Ügltchere
©h^if fd)önen Äiinft roelche man bie ©lalerei 3U nennen pflegt?
368. ©od) oiel roeniger alg bie oorljer erroähnte ©h<itfache, beroeift
gegen unfereu Oatj bie anbere etroag, baß eg ja bramatifche Stüde gebe
roeldje gar nidjt für bie ©ühne beredjnet fepen, nicht einmal auf berfelben
fonbern g(eid) btefer eine felbftäubige fc|bne Äunft.
547
jur üluffütjvung gcbvadjt iDevbeu fönuen. SBenn @oet^e feine „@efd)id)te
©ottfviebenä non 5Pevlid}ingen bramatifirt“ feinen l'efevn bot, fo mar
ba§, nad) bem in ber norigen ‘i'aimmer ©efngten, ni(^t gerabe ein jined=
Iofe§ SBerf; aber e§ mar nid)t ein 2Berf ber bramatifdien ^nnft, fonbern
eine in ber fvorm bramatifeber (Jompofitionen, aber mit S^ernadftaf^ignng
namenttid) @ineS mefentlicben ©efefeeg ber ®ramatif, gearbeitete ^Dar;
ftetinng. <Scbacf, in feiner „@efdiid)te ber bramatifdfen Siterotnr nnb
.tbunft in Sponien", bejeidjnet bie „Srettergeredjtigfeit" ber Gompofi^
tionen at§ einen „nnftreitig roefenttid)en Seftanbtbeil ber bramatifdjen
Ännft" * ). ©oetbe felbft anerfannte biefeg ^rincip ; barnm bebt er cg,
Don Galberon rebenb, rnbmenb b^^'üor, ba^ „beffen 0tncte bnrd)ang
brettcrredjt'^ fenen**); nnb ang beinfelben Gnntnbe nannte er bie uorber
erronbnte ©d)rift über @öt5 non tßerlidfingen nidft, mie feine SBearbeitnng
beg nnmlid)en 3.^ormnrfg für bie 23übne, ein „©ebanfpiet", fonbern eine
„bramatifirte @ e f d) i d) t e" .
„G'g ift offenbar," beipt cg in eben biefem ©inne bei 3(. 23?. ©ebteget,
„baü in ber Tyorm ber bramatifeben if^oefie, b. b- in ber ißorftelinng
einer ,'^anbtnng bimcb Giefpräd)e ot)ne alte Grjäbtnng, bie 3tnforbernng
beg ©b^nterg nlg itjrer mefentlid)en Grgüngnng fd)on liegt.
25>ir geben jn, baf? eg bramatifebe äOerfe gibt, bie non ihren ilerfnffern
urfprünglidf nid)t für bie 23übne befthnmt morben finb, bie and) anf if)r
feine fonberlid)c Jöirfnng madjcn mürben, mäbrenb fic fid) nortrefflid)
lefen laffen. 3'^) beyneifle febodi gar febr, ob fie onf femanben ber nie
ein ©d)anfpiel gefeben, and; feine 23efdjreibnng bnnon gehört bütte, einen
eben fo Icboibigen Ginbrncf mad)en mürben alg anf nng. 233ir finb
febon baranf geübt, beim Vefen bramntifdier SBerf'e nng bie 3(nffübrnng
binjnjnbenfen" ***).
369. Gtroag mebr 3lngfid)t auf Grfolg, alg biefe ^mei 9fücffid)tcn,
fann nnferem ©abe gegenüber ein GGbnnfe jn bnben fdjcinen, bnrd)
melcben ©tödl eg jn reebtfertigen nerfnd)t, menn er „bie ©ramntif nid)t
alg eigene ilnnftart betrad)tet, fonbern mit unter bie ©idjtfnnft fiib^
fumirt"!). „©er ©idjtfnnft", fo lautet bie 31rgnmentation beg ncr;
bienten Gielebrten, „bient bag J3ort, bie ©prndie 3111:1 ©nbftrnt ihrer
*) Sei Soriul'er, (5a(berou§ größte '©rameu religio)cu 1. ©. XI.
'**) 6'ctermaun, (iiefpraebe mit (^loett}e (Seipäig 1837, 2. 3liifL) S3b. 1. ©. 251.
***) 21. 2B. ©dfitegcl, lieber bramatifebe Ä'uuft unb Siteratur, 1. iPortefung.
(.gjeibelberg 1809) 1- 34.
f) ©tbcfl, Grimbrif) ber 2leftbetif unb Pfbetorif (2. 2hifl. 1874) ®. 48.
^cb i'-'i'f nobt faum, roenn id) bie uon ©tödl gegebene Segrünbnng feine§
25orgeben§ ats neranlapt bureb ben ©ap betrad)te, nm roeld)en es fid) in biefem
nnb bem uorbergebenben 'blmagvapben banbeit. 34) batte benfelben nämlid) bereits
in ber erften Ütnflage biefeS 23nd)eS nertreten.
35
548 bramatifd[;e Äunft ift nic^t eine ber (5i'fd)eiming§fonnen ber ipoefie,
Äunftf^öpfuiigen". 9hm „faim jroar auc^ in einer äußeren .^anb=
lung eine fünftterifc^e ßonception jnr S)arfteKiing gebracht roerben, in=
jofern jene fi(^ nor nnferen 2tugen abraitfelt, inie e§ in ber im
®rama gefc|ie(jt. 2iber bie ijanbinng ^at feine SSebeutung o^ne bie
9febe ber .'panbefnben , roeil in bem roa§ biefe fprec^en, bie Sebeutung
nnb ber ^^cmbfnng nn§ nor bie ©eele gefül^rt rairb" (a. a. O.)-
ST'ir roollen banon abfe^en, bafj e§ menig genau ge)prod)en ift, menn
man fagt, „ofme bie Oiebe ber i^anbefnben ^abe bie ^anblung feine
®ebeutung". ©töcfi fann nur fugen roolfen, ba§ fid^tbare 2:^nn non
9Jienfcf)en roerbe fanm jemafg ganj nerftanben, menn biefeiben un§
burd) it)re SBorte ba§ Sßerftönbnifi nidjt er(eid)tern. ®aß bie bramatif(^e
Ännft ofme ben ©ebraud) ber ©prad)e nid)t ausgeübt raerben fann, boS
nnterfiegt ja feinem 'Sie raiff nnS Gegebenheiten auS bem
menfd)Ud)en !peben oergegenmörtigen: fofdje ootfjiefien fid) aber niemals,
ohne baff bie babei Gefheiligten nidjt btoß 'iDfandjeS thun, fonbern auch
9Jiand)eS reben.
2lber ©todf nberfieht, bafi bie ©rjeugniffe ber epifd}en nnb ber
fprifdien ifJoefie fidj ooUftänbig, oom 2(nfang bis juin ©nbe, auS Porten
beS 5)id}terS jnfammenfet^en. '©iefer tritt nor nnS hin, nnb gibt in
bem £'iebe ober ber Gbe feinen ©ebanfen, feinen ©efnhfen 2fuSbrud,
mährenb in ber ©popöe, in ber Salfabe, g(cid]faffS er fefber unS
2;hatfad)en beridjtet; nnb and) bie üieben mefdje y^omer ben 3^uS
nnb bie ißaffaS 3(thene, ben CbpffenS ober ben Sfgamemnon, ^fopftod
ben ^^n ÄaiphaS, ben ühcobemnS batten fufd, merben unS oon
ben beiben ©idjtern im eigentfichfi^n ©inne beS 2£orteS er jäh ft: eS
finb ihre 2£orte bie mir hönen, eS ift ihn^, ber Sichter ©timme bie
mir nernehmen, nid)t bie beS 9hcobemnS ober beS Obpf=
feuS ober ber 3tthene fefber, nod) and) bie oon anberen ÜJfenfchen, burch
meld)e, atS ihre ,,28efenSbi(ber'^ jene bargeftefft mürben. Gerhätt fid) bie
Bad)e im Sroma and) fo? Gebet in „Seff" nnb in „iStaria ©tuart''
and) ©d)iffer jn nnS, in „©gmont" ©oetf)e, in „Ser aufmann oon
Genebig" ©hafefpeare? ©tödf fefber belehrt nnS ja fpäter, bajj im
Srama „ber Sidjter in eigener ^f^erfon gar nidjt fprid)t", oiefmehr,
ganj anberS afS „im ©poS nnb in ber £nrif, ganj oerfd)minbet", inbem
„bie ifSerfonen beS Srama’S fefbft fpredien nnb hdubefn, nnb bie
ihanbtnng fid) unmittelbar oor nuferen 3fngen abioicfett" *). Unb bod)
foff baS SnrftelfungSmittef im Srama baffefbe fepn, mie in ber epifdhen
nnb Iprifd)en ^^'oefie? ;/^dS 2£ort beS SichterS", unb
„baS .hanbefn einer beftiminten 3fnjaf)f oon “^erfonen in Gerbinbung mit
ihren SGorteiü' ©ineS nnb baffefbe? ift eS ein gleid)artigeS Ger=
*) ©töcft, ®. 107. (6it. 547.)
l’onbevn gleid; biefer eine felbftiinbige fd;bne Äimft.
549
fahren, luenn ©d)iüev tu eigener i|ierfon un§ nad) 33ivgU bie 3'^^'=
ftörung non Jvoja ober ben .üainpf mit bem ®rad)en erjät^it, unb inenit
er anberjeits , fetber uniiditbar unb „in eigener i^'eritm gar n i d) t
1 p r e d) e n b" , bnrdj fjanbelnbe nnb rebenbe e n j d) e n nor nnferen
Singen bie ^ette ber ^bntl'adjen jid) nolljieljen läfd, bereu 9le[ultat nnb
3lb)djlnj3 baö geroaltfaine (d'ube SBadenfteins bilbet? Äurj, im 5)rama
mirb freiüd^ and) gefproi^en: aber ba§ ©arftellnngömittel ber Ä'unft
roelcber e§ angel)ört, ift feinesmegS bas SBort beS jtnnftlerS felbft,
b. baS üon it)in gefprod)ene, fonbern eS finb bie 33 i Iber meldje fein
@enie entroirft, nnb Slnbcre nad) feiner nnSfü^ren.
6in ^roeiter ';f3nnft ben ®töcH anper Slc^t laftt, liegt in ber non
unS bereits ^ernorgebobcnen 9lüdfid)t, baf) ber iOienfd^ nidft blofi „Ijau;
beit", meint er bnrd) fid)tbaren ©ebrnnd) ber ^''önbe ober ber fyiifte ir;
genb eine 253irtnng Ijeroorgnbringen fnd)t, fonbern eben fo fel)r, roenn
er fprid)t. Ober roojn ift nnS beim bie 0prad)e gegeben, alS bamit
mir nernüttelft berfelben auf nufere ?[Ritinenfd)en roirfen tonnen? nnb
ift etma ein fold)eS 3t>irfen auf Slnbere nid)t aucb, im ganjen 0inne
beS 35>orteS, ein „^'oanbcln" ? .s5iitte 0töcfl baS bebad)t, bann lonrbe
er fdjroerlid) bie „nnftere .'oanblnng" nnb bie „Diebe ber .)3inbelnben"
als jraei ber Slrt nad) oerfd)iebene ijbinge in feiner Slrgnmentation ner;
mertljet i^aben.
0otlen mir nnS nod) eine fvrage erlauben? fiebenten 3lb=
fd)uitte (0. 426 f.) mar non einem SJerftofte gegen bie pl)ilofopl)if(^e
SBal)rl)eit bie Diebe, meldier im 22. t^iefangc ber ^liabe oorfömmt.
SlriftoteleS finbet biefen ÜBerftop in einem SBerfe ber ifJoefie minber
fdjlimm; auf ber 33ül)iie bagegen, feljt er bitp^n, mürbe bie 0ad)e fidj
liii^erlid) anSnel)men. JBie erflärt fid) bicfe ohne rid)tige
SDemerfung, menn baS 0arftellnngSmittel ber ©ramatif baS nnmlid)e ift
mie jenes ber Sßoefie, niimlid) b n S SB o r t ?
370. SBir glauben l)iernnd) nid)t jn irren, menn mir an nuferer
Sluffaffnng feftlialten, nnb bie 0ramatif als eine non ber if3oefie ner;
f^iebene, felbftcinbige Ännft betrad)ten, alS bereu mefentlid)e non einanber
nid)t ju fd)eibenbe 33eftanbtl)eile fid) bie Jlnnft ber bramatifdfen (5ompo;
fition unb bie 0d)anfpielfnnft barftellen.
SBaS bie Jetptere betrifft, fo ertlärt 0tödl fie ( a. a. O. 0. 48) für
eine „blo^ nuSübenbe Ännft", tDeld)e, mo eS fid) um bie fd)önen fünfte
banbett, „nid)t in 33etrad)t fommen fönne". 3^) möd)te mobl fvagen,
maS benn ber StnSbrncf „bto^ anSübenbe Ä'unft" eigenttid) fagen mode;
mi^ bünft, berfelbe nimmt fidb redft nnmiffenfd)afttid) anS, nnb bie ®r=
ftarungen meld)e 0tödl an einem anberen Orte (0. 26) gibt, bürften
faum bdtlbar femt. SBenn oermittelft mecbanifdfer 33orrid)tungen auf
einer Oreborget ein t'ieb gefpiett, ober bnrd) eine @rnppe antomotifdfer
550
,S3Io^ au§übeiibe j?ün[te".
©eftaüen ein ?0^arfi^ geblafen roirb, ba mag man jenen 9^amen, raenn
man miß, immerl^tn anroenben. 2lber ein herein non Sängern unb
iUinjifevn bie ein Oratorium jnr 3lnffü^rung bringen, ein ^ünftier auf
ber 33ioIine roetd^er bie (Sompofition eine§ tüd^tigen i)[)ceifter§ in er=
greifenbe Oöne iiberfe^t, mit Sinem Söorte, benfenbe unb empfinbenbe,
fnnftterifct) burc^gebilbete ^[Renfd^en, treiben boct) etroaä mel^r, al§ eine
„blo^ auSübenbe Äunft''. @anj baffelbe gilt oom Scliaufpieler. SBie
ber Oonbicf)ter mit ber @efammtf)eit ber Sänger unb ber 'üRufiler bie
feine Schöpfung auffüfiren, fo bilbet ber ^erfaffer ber bramatifclien ©oim
pofition mit ber ©efammt^eit ber Sc^aufpieler (?in moralifcf)e§ @anje§,
(fin roirf'enbeg ifJrincip, burd) beffen gemeinfame ^armonifd^e O^ätigfeit
ba§ j?nnftroerf entfteljt nnb oollenbet roirb. Oer 2lnt^eil ben jebed ein=
jelne ©lieb biefer ©efammt^eit babei ^at, unb barum anc^ ba§ falleo;
ted)nifd)e 3Serbienft jebe§ einzelnen ©liebeS, ift fef)r Derfd)ieben; aber eine
Sluffaffung raeld^e auf ©rnnb biefer rein grabiieden 2Serfdl)ieben^eit nur
bie Of)ätigfeit be§ Sc^öpferg ber (5ompofition al§ fnlleotedjnifc^ gelten
laffen roill, alle llebrigen l)ingegen, roeld^e burd} il)r bod) fidfier me’^r al§
blof} medjanifd^eS 0!^nn bem ©rfteren l)elfen, bag ©rjeugnife feineg
©eifteg in noUenbeter ©rfcfieinung ju oerrcirflic^en, unb mären fie felbft
Äünftler roie (ämil Oeorient, .^enbrid}g, ijaafe, i^arodje unb 21nfd)ü|,
non ber O^eilna^me an ber Hebung einer eigentlid) „fdiönen" Ännft
augfcbliept; eine fold)e 5tuffaffung ift meineg (5racl)teng nidlit allein mit
ber ©erecbtigfeit nnb mit ben X^atfa^en ber ©efcf)id)te unnereinbar, fom
bern eben fo fe!^r mit ber maljren SBiffenfdjoft.
Die ket ^trtcii ks jDroma’s. C£iii uod) nidjt ttiitiquirter ©ekiike kr
5orratifd)cii lüftoljett. töarmn mir Me kamotifdjc :^un(i nur als
„l)cknifd)c“ beljaiibeln.
O’ie Xragöbie, bic Jl'omöbie, bag Scbaufpiel. Oer SJlipraucb ber bramatifden
Äunft, unb beffen nerbcrblidie JC'irfungen. Oag geiftticbe Sdiaufpiel;
31ücffid}ten, roeldje bie bauernbc Oerroertbung ber Oramatif für übernatür;
licfjc ^inedc unmöglid} mad)cn.
371. ^a bie 21eftl)etif nidit bie 01)^0’^^^ irgenb einer jlunft ju geben
bat, fonbern nur bag S5>efen berfelben nnb ihre oberften ©efe^e feftju=
ftellen, fo babei^ mir über bie befonberen 31rten ber 25?erfe in benen bie
bramatifcbe Jlnnft auftritt, nur roenig ju fagen.
Oag iK?ort „Scbaufpier' ift eigentlid} ber ©attunggname, äbnlicb
mie bog griei^ifcbe „Orama'' ; in ^olge beg Spradbgebraud)g bejcidbnet
®a§ ©c^aufpiel, bie Äomobie iinb bie Jrogöbie.
551
c§ aber aud] eine bel'onbere 31rt bramatifd^er 35>erfe, biejenigen nömlidj,
ineld)e ineber Ä'omöbien jinb, noc^ int nollen 0inne bes SBorteS 2;ra=
göbien. ^iernnd) genügt e§, menn roir biefe sinei 2Irten nül)er beftinnnen.
iliadt 31riftoteie§ inerben in ber Äoniöbie „nnebte, niebere (S^aractere
bargeftellt: nid)t im eigentlichen Sinne etbifd) jdiledjte, fonbern foldje,
bereit g-el)(er loeiterteit erregen" *). ®iefe (^rflärnng entfprid)t gnnj ber
and) jetjt nod) l)erricf)enben 21nfd)annng: bie Äomöbie ober bnd „!ünft=
fpiel" luill nnterbalten uorjngsineife bnrd) ben Dieij ber Säd)erlid)feit.
^n Diütfiicht Sragöbie bilbet bie non 2(riitotele§ gegebene
SSeftiininnng fort nnb fort nod) ben ©egenftanb ber (Jontronerfe. ßolj.e
meint, biefer fortinä!)renbe „Streit ber 93ieinnngen jeige, baf) ber iltrifto:
telifdie 3lept jn frnditbnrer Sentnng jn fnapp fep" ** ). könnte nid)t
ber „Streit" and) baher rüf)ren , ineil man einerfeitd überfief)t , baf)
Dlriftoteleö bie gried)ifd)e Sragbbie befinirt, biefe aber non fet)er im
®ienftc ber iHeligion nnb beö etl)ifch^'^ l'ebend arbeitete, — anberfeitd
fid) bagegen ftrünbt, bei bem iphiiofophen and Stngira eine fo fntego=
rifd)e ißernrtbeUnng ber mobernen Se^re finben jn follen, inonad) „ber
einjige ^inecf ber Ännft fie felber" ift? '-8g(. S. 471 f. 474 f.
2i'ir haben im erften 2?nd)e (169. S. 241) gefeben, baft bie @egen=
ftünbe ineld)e man al6 „tragifd)" bejeid)!«!, jinei klaffen bilben: infofern
barin entineber beroifdfe Jrene ben Geboten @otted gegenüber hernofi
tritt, bie lieber bie fd)inerften Seiben inäl)lt nid bie Sünbe, — ober bie
ftraienbe .^anb ber @ered)tigfeit @otted nnb feine über 31lled inaltenbe
ilorfebnng, incld)c ben (imttlofen bnrd) fein eigened Sl)nn ber nerbienten
IBergeltnng ncrfallen Itipt. SBornnf fid) ber @ennf) grütibe ben und
foldie {5rfd)einnngen geinäbren, nnb tneldier 31rt bcrfelbe fei), bad haben
mir gleichfalld angegeben. Sad SBefen ber üragöbie brüefen mir barnm
nollftänbig and, menn mir, auf bad fyrühere jnrücfmeifenb , fagen, bie
^ragöbie fei) „ein ©raina, in melchem und eine tragifd)e 35egebenl)eit
oorgeführt mirb".
^nnn nnb foll gleid) and) bie Äomöbie möglid)ft bebentenben nftl)e=
tifcl)en JOertl) haben, Sd)öpfnngen „non hei^uorragenber Sd)önl)eit" oer:
mag bie Sramatif hoch nur in ber iragöbic nnb im Sd)anfpiel ju
liefern. Siefen jmei 31rten, nnb nid)t and) ber Äomöbie, hat fie ed
barnm ju oerbanfen, bap fie ald fd)ötte .«nnft 511 gelten bered)tigt ii't.
(Sgl. S. 231. S. 326. )
372. Sen oerftünbigen Sürger oon 21then, meld)en '^4ato in einer
Dieihe oon Sialogen bie (^rnnbföpe ber rechten (^kfehgebnitg entrairfeln
löpt, haben mir früher (317. S. 458) bereitd fennen gelernt. 3,'n bem
*) Arist. de arte poet. ed. Buhle cap. 6. vulg. 5. n. 1.
**) Jopc, @. 665. (Git. 18.)
552
Gin beac^tenSroert^er ©ebanfe 5ß(ato’§.
fiebenten btejer Dialoge ift unter 2tnberem aud^ nom 5;^eater bie 3^ebe.
„2öa§ jene ange^^t," jagt ju feinen jroei f^rennben ber Sttfiener, „n)el(^e
ernfte SSegebenl^eiten barftetlen, bie S;ragifer roie man fie nennt, roenn
©otc^e ficf) an un§ roenben, unb un§ fragen: ,fyreunbe, ift un§ in eure
0tabt unb euer Sanb ber geftattet, ober nid)t? bürfen mir nufere
5;t)eaterftü(fe mitbringen unb fie bei enc^ auffüt;ren? ober mie galtet i^r
e§ in biefer 23ejie§ung?‘ — ma§ roirb für biefe guten Seute bie redete
i^lntroort fei)n? ^d) benfe, mir muffen fo fugen: ,Siebfte fyi^ennbe, mir
befaffen nn§ felber mit ber Stuffü^rung einer Sragöbie, unb graar einer
überaus fc^önen unb norjügtic^en. Unfer ganjeS ©emeinroefen ndmü(^
ift eine ©arftettung ber beften unb ebetften SBeife ju leben: ba§ ift aber
in ber £'^at im ooltften 0inne beS ÜBorteS unb ganj eigentlid) eine
3:ragöbie*). 3^r fet)t Sragifer, unb n)ir finb e§ gleidt) falls ; unfere
Stufgabe ift biefetbe mie bie eure,- unb mir ringen mit eud) um ben
i^reiS beS oottenbetften ©rama’S. ©in foIdieS fann , baS ift unfere
Ueberseugung, nur ba gu 0tanbe fommen, roo bie maleren unb rii^tigen
©runbfäbie befolgt roerben. ®orum benfet nid)t, baff mir eu(^ ohne
2®eitereS ertauben roerben, in nnferer ®tabt auf öffenttic^em ißta^e eure
33üt)ne aufgnfi^tagen , unb bann eure Scbanfpieler auftreten gu taffen,
bamit fie mit i^^rer ftangoolten ©timme bie unfrige über=
tönen, unb nor nuferen Äinbern unb unfern fy rauen unb
ber gefammten SSotfSmenge fidj über bie nämtid)en fyragen
ergeben roie roir, aber nid)t in bemfetben ©inne, fet)r l^üu:
fig oietme^r in gang entgegengef etrtem. 5)enn roir müßten
ja TO a^nf innig fei)u, unb mit nnS bie gange ©tabt, roenn
it)r frei auftreten bürftet, ohne baß oor^^er ber Stttagiftrat in
eure ©tücfe ©infic^t genommen ^tte, um fii^ ein Urt^cit bitben gn
tonnen, ob baS roaS i^r öffenttid) oorgnbringen beabfidjtiget , oerftänbig
unb paffenb ift, ober ni^t. ®arnm, it)r Jlinber ber garten stufen,
rootten roir je^t eure ©cf)öpfungen gunädjft nuferem ‘iDiagiftrat nortegen,
unb fie bort mit ben unfrigen uergteic^en; ergibt fid) bann, ba^ fie eben
fo gut finb roie biefe, ober auc^ beffer, fo möget i^r ouftreten; anberm
fadS aber, gute f^reunbe, tonnte baoon in feiner Söeife bie Sftebe fepnZ
®aS roören bie ©irunbfät^e,'' fcbließt ber oerftänbige SiRann, „roetc^e in
nnferer ©efe^gebung begüglid) beS S^eaterroefenS gum StuSbrud gn tom;
men fiütten; fegt i^r einoerftanben?" **)
„®ie eigenttide ©c^ute beS nndjriftlic^en unb unfittüd^en 3Belt=
geifteS, ber in nnferer 3eit ade atte öbraft unb ©^ren^ftigteit beS ©|a--
racterS nnferer ißorfa^ren untergraben tjat unb fortroäfireub untergräbt.
*) '.Otan Dergleidie ba§ oben, St. 169. ®. 241 ©efagte.
*■*) Plat. de leg. 1. 7. Steph. 817. Bipont. vol. 8. pag. 377. sqq.
®ei' 'DJiproud; her ©ramatif unb feine
553
i[t bie SiUjite, bie ße^rmetfterin unb 0c^ineid)(evin ber Seiben|djaften,
meines @rad)ten§ eine ber i^auptqneUen beS 3Serberben§ für unfere fo=
genannt gebilbeten Greife, Stud] ba§ anf'dfeinenb Unfd)ulbige ift babei
non fc^Ummen folgen begleitet." ®iefe§ f^^öte bem 5l!^eater
feiner 3^^^ 0totberg nnS*). baffetbe gtaubroürbig; finb
bie Klagen gegrünbet — unb mer roüfite nidjt bag fie e§ finb ? —
rael(^e über bie ©efabren, ben ißerfatl, ben iDHPrand), bie ißerraiü
berung ber brainntifdfen .itnnft in einer 3^ii bie unS nüfier liegt, neben
3tnberen 3tbalbcrt Stifter**) unb SBUtfctm i)Jfotitor ***) ju erijcben fid)
gebrängt fütjtten: bann muff fid) an erfter ©teile allen benen, roel(^e
für baS SBol)l 3lnberer uerantmortlid) finb, o^ne ber @ebante
na^elegen, ob nid)t bie eben angcfül^rten ©runbfütje ber Socratifdjen
ißfeisl^eit and) in ber ©egenmart ernfte ©rroägung nerbienen mürben f).
373. ©§ ift auS ber @efd)id)te befannt, baf3 roäbrenb be§ i)}littel=
alterS '^iftorifdfe il)atfad]en ber Offenbarung, nmnentlid) bie ©ebnrt be§
©rtöferS, bie 3lnbetnng ber SBeifen auS bem fü^orgenlanbe , baS fieiben
be§ öerrn, unb 3i'9^ ber ©efdjidfte feiner 3luferftel)nng, nic^t blofe
burd) bie oon ber ,Hird)e angeorbncten liturgifd)en .f)anblungen , fonbern
*) 23ei ^anffcn, „fyi'. ß. @raf jii Stolberg" (Jreiburg 1882) S. 236.
**) „iBermifi^te ©cbviften", 53b. 1. ‘Z. 208. 210. 217 f.
***) „®a§ 2b^ater in feiner 53ebentnng, nnb in feiner gegenmärtigen Stellung",
(granffurt a. 5Jt. 1866) @. 5. It) ff.
j) 2lu§ 'Baris nnirbe im Sommer 1872 unter Ülnberem gotgenbe§ berichtet.
„®ie neuen Stüde ber 53arifer Jbsater beroegen fiel; in bem gleichen ^beentreife mie
bie unter bem Äniferreicfie eutftnnbcuen ; fie ftel)en genau auf bemfelben fittlidtjen,
uielmef)r fitteulofeu Stanbpnufte, ber in ber 53crl)errlicbnng be§ ®bebrucb§, be§
(Sonenbinatg, unb 9let)nlid)em feine Störte Ijot. 5Öo möglid) finb jebt bie 3™ei=
beutigfeiten nod) oerftönblidjcr, bie Sdfauftetlungen oon Ipnnberten fnft ganj uadter
f^ranenjimmer nod} fd}amlofer. Selbi't bie erfte 53iit}ne gr^udreidiä , ober loie bie
fyranjofen be(}anpten ber ®elt, ba§ Tlubltre fran^ais, gibt jept eine§ ber unfitt:
lid^ften Stüde bie man tennt, beffen 2Iuffül}rung überbie§ unter aßen früheren Dte:
gierungen nn§ (Srünben ber Sd}idlid}fcit uerboten mar. ®abei finb alle J^cater,
trob ber Ä'lagen über SJiangel an (frroerb nnb trop ber nur met}r fpörlid; oertretenen
gremben, ftet§ überfüflt; bie befferen B'üitie finb mod}culang oorauS oergeben, unb
nm einen ber geringeren ju erhalten, ftel)eu Üanfenbe Stunben lang in Sd>mut3
unb dtegen oor ber 3;[)üre. dlod} nie haben bie Bfieater Unfittlid}ere§ geteiftet, aber
auch 110^ lüe haben fie belfere @efd}öfte gemad}t. 5Bie fet}r ba§ £f)^ater f)ier auf
Sitte, SSotfslebeu unb B'Olitif einroirft, f)at uns bie (äommüne gejeigt. 9ltle ,@röf}en‘,
aße 2Infüf}rer ber rott)eu f^uhue hatten ihr ßeben, ihre Slufführnng nach ben bort
geprebigten @runbfät5eu eingerichtet. Sie roaren entroeber unehelid}e .ilinber, ober
fie lebten im (Shebrud; , in milber ©h^f ober in noch fd}limmeren unjüditigen 53er:
höltniffen; bei 53ielen trafen fogar biefe Umftönbe inSgefammt ju. Sie ehebred}erifchen
grauen unb lüberlichen Sirnen in ihrem ©eneralftnb jeid}neten fid} burd} ©raufam:
feit, 53lutgier, unb fihtiehlid} als SBranbftifterinuen auS" n. f. ro. .*nift.:pol. 53Iötter,
93b. 70. S. 90 f.
554
®ie ©ramatit a(§ veligiöfe Äunft.
überbieg nod) burc^ eigentlid) bratimtif^e SDarftedungen gefeiert rourben *).
ilRandie biefer „S©ei^nad)t=", „ipaffiong:'' iinb „Ofter^Spiele" finb nod)
oortianben; man nannte fie „StRpfterien“ **) ; bie ätteften Spuren ber=
felben getien big in bag elfte, nad^ 3(nberen big in bag neunte
fnmbert gnrüd. Sie innrben Slnfangg in ber £ird)e aufgefütirt, unb
ginar junädift non ben ©eiftli^en; im Saufe ber neriegte man fie
auf ben Äird)t)of unb anbere öffentli(^e i]3Iä^e, nnb fie gingen mei^r unb
met)r in bie .^änbe beg 35olfeg über.
@g ift geinif?, bafs bie bramatifcbe ©arftetlung eineg 3^19®^
bem Seben beg fperrn, ober audj übertiaupt aug ber l^eiligen ©efc^idjte,
ein fe^r roirffameg fIRittel ber (frrbauung fepn fann; mon barf fi(^ nur
an bag Oberammergauer ißaffiongfpiet erinnern, um fid) f)ieroon ju
überjengen. ©effungeacbtet fann idf mid) nid)t entfcbliefsen , bie brama=
tifdie Äunft and) unter ben religiöfen fünften aufjufüt)ren nnb fie a(g
fotd)e ,^u befprec^en. SBarum nicht? 3n feiner in ber norigen iRummer
ermähnten Sd)rift mact)t fUfolitor einmal bie 3?emerfung, eg f(^eine faft,
alg ftehe bag feiner Äunft fo unerreichbar hoch, niie feneg ber
bramatifd)en , unb alg fep feineg bei bem IBerfudje, eg ju realifiren, in
höherem fIRaape alg eben biefeg ber ©efahv ber ©ntmürbigung unb
(Sntroeihung auggefe^t. @erabe rao fie für religiöfe 3cocc^c oerroerthet
roerben foll, macht fich nun aber bie SSahrheit biefeg ©ebanfeng in breU
fad)em fIRaape fühlbar. 5)ie Dfatur ber bramatifchen Ännft bringt eg
mit fidh, baß in ber Sfugübung berfelben auf bie ®auer äußerft f(^mer
fene jroei oberften ©efet^e beobad)tet roerben, non benen mir im fiebenten
3lbfd)nitt eingehenb gehanbelt haben***). Schon bie große 3“^^ ^cr ju
einem SDrama nothroenbigen ')3erfonen, bie Unerläßlidhfcit oielfältiger
iRorübungen, unb ber faum oermeibIid]e llmftanb, ba§ beibe ©efchlec^ter
nertreten fepn müffen, reicht hci', öag ju erflären. 2Bag aber äußerft
fdnoer ift, bag pflegt in ber ?Ofenfd)heit roie fie nun einmal ift, faum
femalg, um nicht ju fagen niemalg, Jhotfoche ju roerben. ©ben barum
50g auch Äirche, nadjbem fie Slnfangg bie geifttichen Spiele begünftigt
ober bodh gcftottet hatte, fich oon benfelben fehr halb jurücf, unb oerbot
ben ©eiftlichen, fich mitroirfenb baran ^n betheiligen. ®urdh biefe Zf)aU
fod)e roar eg ber bramatifchen Äunft nnmögli^ gemacht, alg religiöfe
Äunft fortjubeftehen: beim bag fann eine Äunft nur bann, roenn bie
*) 33gt. Sinbcmann, @cfchicf)te ber bcutfchen Sitcratur (5. Stufi.) ©. 296 ff. 416.
SOfone, ©chaufpiele be§ 3RittetaIter§. (Karriere, 23b. 3, 2. ©. 358 ff. ((Sit. 339.)
**) (Sarriere (23b. 2. ®. 228) fchreibt „502pterien", rocil ba§ 2Bort ibentifih fep
mit „3Rini)'terium" = 2tmt, @otte§bienft. Sie fRid£)tigfeit biefer 2tnfid£)t f^eint mir
jmeifctpaft. 23ei 21. 22. ©cpleget (©. 38. (Sit. 547) fteht „3Jip)'terien".
***) Oben, 21. 272 ff. ©. 382 ff.
©ramatit a(§ religiöfe unb a(§ cioUe Ä'unft. 555
Ä'irc^e i^re Seiftungen at§ ÜJHttel jur f\-örbevung be§ religiöfen Seben§
anerfennt, nnb tf)v bef^^atb it)re Seitung nnb itiren ©djufe ju 2:!^eite
raerben täfft.
if.'nffiongfpie( 511 Oberammergan ift, ben üort^er angebeuteten
JKücffic^ten gegenüber, eben eine nereinjette ©rfcbeinung, bie roir nov;
läufig at§ eine 2tu§nal^me ju betrad]ten haben. 2Sie tauge fid) baffelbe
in feiner llnuerfehrtheit hatten roirb, baä fnnn ja nur bie ^^^f^nft
tebren.
ittod) inenigcr roirb man fidh rounbern, bafs roir bie bramatifdje
Ännft nid)t and) at§ „cinite" in§ 3tuge faffen. ©utjer nnterfd)eibet
freitid) eine befonbere @attnng non ©d)anfpieten, bie „für potitifd)e
f^-efte'' geeignet roären, nnb „ein befonbereg 9iationatintereffe ju ©rnnbe
hätten" *). 3'^ abftracten ih^orie nimmt fich ber ©ebanfe ganj
gut an§; bie 3teftt)etif bnrf inbeh’ ohne 3iüeifet, beoor fie fi(^ oerpftidjtet
füt)tt, it)n 511 berücffichtigen , jnnächft potitifdhe 3Serhättniffe unb fociate
3nftänbe abroarten, oermöge bereu berfetbe anfhört, eine Utopie ju fepn.
*) ©uljer, Sdlgemdne 3;f)fone ber fcfiöucn fünfte, 2trt. „©chaufpiet".
Die ^culptur uttb bie Jlalerei.
374. ^ie[e jroei jlünfte l^aben juotel @emeinfame§, alg bafe e§
jroeefmä^ig erfdjetnen formte, fie in ber rDiffenfc^afttid^en iBe^anbtung
ganj t)on einanber gu trennen. 2fini^ ber 0pra(^gef)roud) fapt fie
fammen in ber iBejeir^nung „bie bitbenben Jbünfte", roenn inan biefen
Sfamen in feinem engeren Sinne nimmt; beim in einem raeiteren Sinne
oerftanben, umfapt berfelbe anfrer ber Scutptnr nnb ber iDfalerei sugfeic^
and) bie 2trd)itectnr.
(^rfteö
Die S’culptur ober bie plnltifdje ßuiift in tinem ÜJefeii.
§. 1-
|)ic ^cufptur t)i il)rem p:cfcn narfi rtrat^matifeb.
S>ie ontotogifebe _3tnotogie ^mifiben ber bramatiid)cn unb ber plaftifi^en Äunft;
ba§ S)arftettungsmittet ber Septeren. (Erläuterungen ber erroäbnten 5tna;
logie burep bie ©nippe ber Stiobiben, ber ©lectra mit Orefte§, unb ben
33aticaniid)en Stpotto. T>er cigentUebe ©egenftanb ber ptaftifi^en ®an
[tedung ift bie ^anbtung.
375. dffldfid}t auf ba§ i)Jfittet bnrd) raeti^es fie un§ bie ©r=
febeinungen au§ bein ßeben jur 2lnfd)annng bringt, nimmt bie ®ramatif
unter ben fd)önen fünften unftreitig ben erften Dfiang ein; beim t)off=
fommnere unb roirffamere iUiittet, at§ „SSefenPbitber", gibt e§ für biefen
3toed nicht. 3Iber je ooUenbeter barntn ihre l'eiftimgen, befto fdbroerer
finb fie aui^, befto großer ift ainib ber 5tufmanb oieter ju bem ©inen
3ined oerbunbener Äräfte, oon roetdbem fie bebingt erfreuten. Unb
niebt ba§ allein:
3)ie '£cii(ptur fteüt nid}t ©eftaltcn, fonbcvn .'öanblung bar.
557
„ . . fdjiicU uub ipiivlos gc()t bc§ SJtimcn Äiiiift,
^te immbcrßave, an bcin ^inn noviUicr.
.^icv [tirbt bcv mit bem Ä'ünftter ob,
Unb mie bcv Ätong nertjallet in bem Otjv
2>ervou|'cf)t bed 3tugcnbü(fä gefctjiinnbe ©djöpfung" *).
35>ie auf bcr 33ü()ue ber roivfitdien äiSelt ba§ unauftjaltfam rodenbe dtnb
ber fid) nidd jinn Stegen bringen, ber 3(ngenbüd biird) feine ®e=
imift fid) feffefn fäpt, fo müffen nnd) „auf ben 23rettern bie bie SI9e(t
bebeuten" bie bevrlid)[ten , bie f)öd)ften iDfomente pfeüfcbnelf an nnferm
©eifte novnberffiegcn ; mir fjnben fanm nngefangen be§ ©enuffeS ibver
5fnfcbannng nn§ jn freuen, unb fd)on finb fie nid)t me^r. ©ibt eg fein
iiiittef fie 511 fipiren? ®ie ilnnft l)nt ein foidjeS; aber feine Slnroenbnng
nerfnngt bn§ Opfer non mef)r als ©inem ber 3Sorjnge ber bramatifd)en
Oarftednng; nnb menn fid) bafnr and) mieber anbere Oort^eiie ergeben,
io finb biefefben in )Hücffid)t auf bie 3?oIIfommenbeit ber OarfteUung
bod) nid)t fo grop, bap fie bie gebrad)ten Opfer 90115 aufmicgen fönnten.
Oag OJfittei non bem mir rebcn, beftebt barin, bnp ber Künftier, ftatt
bie gau5e .^anbinng nom 5infangc big 511111 ©nbe, in ber natnriii^en
fyofge ber 'Bcoincnte fid) nor niig noU5iebeu 51t (affen, aiig adeii einen
eingigen iI>ioment mn()It, nnb biefen nid)t biircb „iKoefeiigbilber", fonbern
biird) „nold'tänbige ©efta(tbUbev" itiig nor 3(ngcn ftedt.
„ißodftänbige ober ftereoinetrifd)e ©ieftaltbilber", fjaben mir gefagt
(362. O. 535), finb fo(d)e, mc(d)e mit i()vein Original nid)t bag 21'efen
gemein bdben, fonbern nur, aber nadi n((en brei Oiinenfioncn, feine ©ie=
ftalt iniebergeben , a(g bag ()eroorfted)enbfte unter ben ilRomenten , bnrd)
loeldje fein äliefen in bie ©rfd)einnng tritt. Oie ©eftatt fid)tbarer diJefen
in feber ©teltnng, nnb infofern non OOienfden bie Otebe ift, mit febein
beliebigen 3(usbrncte ber ))altnng beS Seibes nnb ber
©lieber, läftt fid) in feftein ©toff, in DJtnriiior ober 'DDletall, in lr)ol5
ober ©Ifenbein, bauerbaft nnb nnneränberlicb barftellen. ©ireift alfo ber
Ännftler aiiS ben auf einanber folgenben iDloiiienten einer ,'^nnblung
einen ber bebentenbften , frucbtbarften, iiftljetifdj inevtl)nollften
binbet er burd) ,'oülfe beg i^tdeipelg nnb beg ^diifelg bie ©ieftalten ber
'fJerfonen , ober and) nur bie ©ine ©eftalt ber bernorragenbften unter
ibnen, je in il)ver entfprecbenben .©altuiig, je mit i()reni bem iDtoinent
attgemeffenen Stusbrude ber ©iebnrben, an ben niiner^
gänglid)en ©tein; bonn Ijat er ein 25>erf für ©enerationen gefd)affen,
unb etroaS erreii^t, bng ber bramatifcben Eniift bei allen itjrcn ißor5ngen
51t erreid)en nid)t nergönnt ift.
0 $c()iUev, ^Prolog ju „ÜSaUenftein".
558
®ie ©cutptur fteKt nid)t ©eftalten, fonbern ^anblnng bar.
Uebevauä geeignet, bieie unjere Sluffaffung ton bem SBefen ber
©cutptur ju erläutern unb jugteid^ ju beftätigen, finb bie ja'^Iretc^en
33eifpiele ton Seiftungen ber griet^ifc^en Äunft auf biefem ©ebiete, roetc^e
3tnfelm je auf beftiminte ©eenen alter Xragöbien jurüeffn^^rt.
®rei biefer Seifpiele laffen rtir liier folgen.
376. 23on ber fi^on im ^Itert^um l^od^berülimten ©ruppe ber
9liobe mit il^ren Ä'inbern junäctift, tteld^e „früi^er in 9lom, je^t in
g-loren;^ aufgeftellt ift", unb ton „ber ÜtUe'^rjal^l ber heutigen f^orfctier"
bem ©fopaä jugeeignet itirb, gibt ©dbnaafe bie folgenbe 33efc^reibung.
„23efannt ift ber ilJlpt^uS ber tl^ebonif(^en Königin 9^iobe, bie im
©tolje mütterlichen ©efül)le§ fid) ber fiotona gleii^ftetlte, ber Butter be§
5lpoUo unb ber ®iana. SDiefer Uebermuth rturbe gerädht: bie if3feile ber
jroei beleibigten ©ötter töbteten bie Ä'inber, ihr 5Jlitleib terraonbelte bie
fchmerjerfüüte 9Jlutter in einen f\-el§. Unfere ©nippe gibt nun ben ÜRo;
ment, ito bie ©efchoffe ber ,!pimmlifchen bie ^inber bebrohen unb erreichen.
3)a§ füngfte Jöchterchen flüchtet in ben ©cljooh ber 9}7utter, bie e§ in
fünfter Siegung 511 beeten fucht. Sluclj bie übrigen Ji?inber fudien fie in
eiliger flucht 311 erreiihen; aber mehrere ton ihnen finb fd)on ton ben
töbtlidien ©efchoffen getroffen, anbere finb in§ il'nie gefunfen, eine Tochter
greift nadi ber SSlunbe im 97acfen, eine anbere finft füll ^)xn tor bie
f^üfse be§ Sruberd, ber nod] im fyliehen fie anfjufangen fudht" *).
Sübfe unb ©d)naafe finben in ber ©nippe ganj mit IRedit, in einer
2Beife mie e§ fid) faft ni<ht toUtommener au§fprechen tonne, eben fene§
©efül)l ausgebrüctt, „roeldies bie Xragöbie jum ©ipfel bet griedhif^en
ipoefie machte“ : ba§ ©efühl nämlidh, „ba^ gerabe bas i^öchfte unb ©chonfte
bem 3ofue ber ipimmtifchen am meiften auSgefeht, ober itie mir eS (hrift:
li^er aiiSfprechen mürben, bag baS ^rbifi^e and) in feinen höd)ften unb
fihonften ©rfcheinungen fo tergänglidh ift“. fvenei'badh gel)t raeiter. @r
iteift nad), baff bie ©nippe ihrem Sßefen nadh nidhtS anberS ift, alS eine
ton ber ©culptur für bie firirte Seiftung ber bramatifdhen
JUinft, bie plaftifdhe ^laijbilbung einer ©eene auS einer Sragöbie, fep
eS beS 2tefd)pluS ober beS ©ophocleS; beim beibe hoH^n bie „iJliobe“
bramatifdh bearbeitet.
,,©)ie tragifchen, felbft theatralifd)en ‘Biomente ber iliiobibengruppe
^u erfd)öpfen,“ fclireibt ber genannte ©eiehrte, „mürbe eine befonbere
Slbhanbtung erforbern. Son einem furdjtbaren, plöfelich einbredjenben
©d)ictfal überrafdjt, finb alle ©eftalten in ber lebhafteften 23emegung,
bem Untermeiblidhen ju entrinnen, fi^ felbft, ober 23ruber unb ©^mefter
ju retten. 23etrad)tet man aber bie ©tetlungen biefer bemegten f^iguren
*) ©chnaafe, S8b. 2. ©. 227 ff. ((Sit. 18.) SSgt. Sübte, ®b. 1. ©. 152.
((Sit. 342.)
Sie ©cutptur ftetit nid)t ©eftalten, fonbern ,g)anblung bar. 559
genauer, jo ift bie bev ©offne efcentrifc^ im ^öcbften @rabe, gefpannt,
ganj unoerfennbav auf tff eatrafifdfen (Sffect b ereignet. ©)ie 23e=
roegung ber ©odfier ift mäffiger geffalten , amnutffdüotf ; itfre ©dfritte
aber finb r ffiit ff mif d) , unb bie geroäfftte 3frt roie fie bie @emänber
empor^aften, um fi^ gegen bie anftürmenben ipfeife ju fi^iU^en, jeigt
beutlidf , bafs ber Jiünftfer nidft bie ©ncbe felbft in iffrer unmittefbaren
2K>a’^rffeit erfafde, fonbern biefed af§ ein fdfon ©argefteffted überfam.
®enn bie (Memönber merben auf biefefbe 235eife, mit bcrfefben luoffU
berechneten ^ietdidffeit geffatten nnb gefdfimingen, mie mir bied auf ®afen
unb diefiefd mehr ober roeniger bei alfen roeiblidfen fyiguven feben, mefdfe
in mimifdfe ©anjattitüben gebradft finb; bie 23eroegung ber 5tio=
biben ift feine anbere, als bie eined trngifdfen ©a njed ■■*').
iiJt'ehr noidf; bad Unglüd bat eben erft begonnen, dtiir jmei ©öffne finb
erft gefallen. 2ffle§ ift nodf in ber leblfaftcften ©ffätigfeit: nodb ift
.Säöffnung uorffanben, ba^ biefe ©odfter glüdlidf entrinnt, jener ©obn bie
bebriingte ©dfmefter rettet ; unb bad jüngfte Äinb fdfeint im ©dfoofte ber
DJiiitter febon fidfer geborgen. 2fber miibrenb im 2fngefidft ber ©ohne
fidf nodf ©rotp ausfpridft unb Semiifdiepn ber Äraft, in ben DJtienen
ber ©ödbter nur 2tngft unb jürtfidfed 23angen, ift im 2fngefidft ber fdfufb=
beroufden 2Jiutter ber ibnoten fdfon gelöft, bad ©dfidfot entfebieben. 2tuf
bie ruffige falte Uicadfe iffred fpaupted ift bie fdfredfidfe ©eroiffbeit ge=
prägt, baff bie 9iacbe bed y?immeld nun gefüfmt ift. fyitr feined ihrer
Afinber ift biefe 'OJfutter meffr uorffanbeu, roie feined ber Atinber mehr
für fie; baff fie bad jüngfte fdfirmt, ift nur beronfftlofe dcötffigung ber
diatur: fie felbft mit ihrem emporgeridftelen A^aupte, bie fdfroeigenbe r)er=
fteinte 9iiobe bed 2fefdfplud, bie burdfgefütfrte tragifebe föladfe.
3m ipäbagogen , roeldjer biirchaud nidft fehlen barf , Ifiiben mir roieber
ben tlfeilnebmenben i^efdfauer, ben (ilfoi' ber grieetfifdfen ©ragobie, 311
erfennen'' **).
377. ©ad jroeite 23eifpiel mag „bie fdföne ©nippe bed 23ilbbauerd
ÜOfenelaod in ber 23illa l'ubooifi" bilben. ©ie rourbe feffr oerfdfieben
gebeutet; 2,’9infelmann erfannte fuerft, baff fie bie ©eene barftetlt roo,
in ber „©lectrn" bed ©oplfocled, Orefted unb ©lectra am ©rabe iffred
ermorbeten ©aterd 2fgamemnon , fidf roieberfeben unb erfennen. „3ni
©egenfafee fu fo mntu^en glatten nnb falten ©opien griedfifdjer 2öerfe,
*) DJtan [che bie SteHung unb Srapinmg ber Sodftev X. unb XIII. bei
3anoni, unb felbft ber dHutter. Samit uergleidfe mar. audf ftatt alter anbern bie
flief)enbe auf ber tfödfft merfroürbigcu Stgrigentiuer Sßafe, roeldfe ben @iganten=
tampf, unb jroar, roie idf jiirertäbig glaube, uadf bem SSorbilb eineä pautomimi=
fd)en Sanjeg barftetlt. 0. Staff, ißotiti, La jnigna dei Gtganti , Palermo 1828.
(Jeuerb adf.)
**) 2t. Jeuerbadf, 0. 342 f. (6it. 344.)
560 Scufptur fteUt ©eftaften, fonbevn §anb(ung bar.
mit benett uitfere 3)^u^een angefüllt ftnb, fe^en roir l)ier ein Originalroerf
non grof^er unb ^nnigfett" *).
©lectra ^atte, al§ Slgamemnon non 21egiftf)U§ unb ©l^tümneftra
ermorbet rourbe, il^ren 23ruber Orefte§, bamat§ elf gerettet,
unb ifm ^eimtic^ nact) '^§oct§ bringen taffen, roo er non il^rem ö^eim.
(Drr|lcs iinb (Elcctra.
bem itönig ©trop^ioS, aufgenonnnen unb erjogen mürbe. 9^a(^ 9Sertauf
mefirerer ^a^^'e fömmt Oreftes mit feinem fyreunbe ißptabeS nact) 90^pcene,
um, bem 33efef)te be§ 5Ipotto gemäp, feine DJtutter ©tptömneftra unb ben
3(egift|n§ ju ermorben. Unter fatfc^em 9tamen auftretenb, ertennt er
juerft feine ©ctjroefter an bem tiefen ©djmerje, roet^en fie über ben
*) $cbnaafe, i8b. 2. 389. (Git. 18.)
T>ie Sculptnr [teilt nid^t ©eftaltcn, [onbern tpanbliing bav.
561
Dermeiutlid)en Job i^veg 3?ruberä an ben Xnij (egt, imb gibt je6t nudi
feinerfeitä jid) if)v jtt evfennen. ^reubig beinegt, nmfnjit fie il)u mit
inniger Siebe:
bidectra.
.•oatt’ icf) bidj roirftid)?
Ore[te§.
3tt[o [et/ä für immer mm ! *)
X^iefe 0cene ber Xragobie ift in ber ermäbnten @rnppe non XRcne;
tno§ bargefteltt. „6'lectrn i|t fenntüd) an ben fnr[geid)nittenen binaren,
bem 'fii'er Xraiter unb @rniebrignng** ***)'). 3fndi am bbanpte beä
CrejteS fetzten bie taugen Soden ber gried)ifd)en gebrungene
breit|'d)nttrige @e[tatt ber ineibtidien 0tatne tagt redit bie töelbeninngiran
ber 0opf)octei)d)en Xragöbic erfennen. ®ic 3i’iÖ^ 3tngefi(^te§ , mit
ber 23itbnng be§ Oreft nerglic^en, finb, be^ ungcact)tet, ma=
tronen^aft, unb macfjcn e§ anfdjautid), baji ©lectra einft bie 0tctte einer
[d)irmenben unb rettenbeu 'IJciitter nertreten fonnte, al§ itjr 3^ruber un=
münbig unb Ijülfloä mar. ®a5 gum Ueberftuft roeite unb faltenreii^e
©einanb ber (?dectra, unb bie t;ot)en Sollten ihrer g-uftbefleibnng, roeifen
nietleidit nod] mit)er aut bie tBütjne gurüd. Unnerfennbar ift fie al§
X^rotagoniftin ber Xragöbie, atä bie erfte .'öetbenrotte bejeid)net: if)re
Ximenfion ift im X'ergteid) mit Orefteg coloffnt"
378. ®at)en mir in biefen jmei @ruppen, ber jutet^ befprodjenen
unb fener ber Otiobiben, fe eine nottftänbige Scene and ber Xragöbie
burd) bie if?taftif fipirt, bie erfte eine gropc 3tnjaf)I, bie anbere jmei
if?erfonen umfaffenb , fo tjat bagegen in einem britten .tlunftmerfe ber
'Olteifter, ftatt bie gnnje ©eene mieberjngeben , nur bie bernorragenbfte
X'crfon berfetben herauSgegriffen. ®a§ ÜD^cifterroerf bag mir meinen, ift
ber 3}nticanifd)e 3(potfo, ober roie man itpi häufiger neunen t)ört, ber
3lpolto beg Soetnebere; bie bramntifctjc ©eene aber melcher bie 'f^daftif itjn
entnommen hat, finbet fidf in ben „(Jnmeniben" beg Jtefdjptug. ©rieiu
tiren mir ung ,5unäd)ft, nad) 3’eiit’rbad)g ©arfteltung, über bie ©eene ber
Xrngöbie um bie eg fiel) hanbett.
„©er Ülcuttermörber ©refteg f)at fid) , oom d‘f)ore ber fvm'ien ner=
*) HA. |•/(u 0£ yepai'v; (11^. (o; iym ^£t. Sophocl. Electr. v. 12'26.
**) Sie ift bie tvagifcf;e 5Jta§fe ber [timgfrau mit abgcidjnittenem .Otaar,
■/.o'jptjjLo; (-c<p!)£v'j;) , iuctd)c man und; einem 6'pigrnmm be§ Siofeoribeä auf bem
@rabe be§ Sophocles [ab, unb bei ber mau au 'tlutigone ober (5'Iectrn beufeu fonnte.
Anthol. ed. Jac. I. p. 252. n. 28. VII. p. 396. (btacb iyeuerbnd;.)
***) 3t. ^euerbacb, S. 338 [• (6it. 344.)
3 ung mann, Steftfjetif. 2. 2tuf(.
36
562 ®ie ©culptur fteUt nic^t ©eftalten, fonbern ^anblung bar.
folgt, in ben Stempel be§ Slpollo ju ®elpl)t geflüchtet. 5)ort fe^t er ftiih,
bie i^ünbe nodj triefenb oon ißlut, ba§ mörbevtfche ©i^roert noch S^jucft,
an bem 3lltare be§ ©otteä nieber. 2lber bie fyurien finb ihm and) hiet'h^i^
gefolgt. ®ie ©lutfpuv be§ ''Diörbers oon ber fie nicht loffen fönnen, bie
@ier mit roelcher fie bem SSerbvecher über Sanb unb iDieer, ja bi§ in
bie ^liefen ber Untermelt nachfehen, h^^l Kühnheit oerleitet,
bie ©d)roetle bed Tempels jn überfdjreiten, nnb ben Slltar gu umlagern,
ißon ber ftiHen i*"^eiligfeit bes Orteg übermültigt, oerfinfen fie in ©chlaf.
Oreftcg hcd^ Dtathe bes Slpotlo folgenb, biefen günftigen 2lugenblid
benuht, unb ift nai^ 2lthen entflohen. 3lber ber blutige ©Rotten ber
(flptümneftra eutfteigt ber Unterroelt, oerrüth ben ©chlafenben bag (5nt=
roeidjen ihreg Opferg, unb reigt fie gu neuer Verfolgung, ©ie erroachen —
ftürmifd) h^l anbere geroedt — unb roie fie nun ben Orefteg
oergebeng fudjen, hei>en fie fur^tbaren @efang an. ©ie fehen fidh
f^mahlid) gefränft unb betrogen, oon einem jüngeren ©otte überliftet,
ihre alten einigen f)ied)te oon roiUfurlii^ he^’^fd)enben ©ötterneulingen ge;
fdjmülert, unb fchliefien brohenb; bem begünftigten Verbrecher fotl felbft
3lpotlo’g ©d)u$ nid)t frommen; unb menn er unter bie @rbe flieht, auch
bort mirb ihn ber 3fücher finben. 9lpollo hat biefe freoelnben 2Borte
gehört, ©r erfdieint, unb mit feinem ©efchoffe ©ob unb Verberben bro=
henb, oerfd)eud)t er bie (Vnrien non feinem ^leitigthnme :
fbinaug, id) roiU’s, aus biefem i^eiligtl)ume fd)ncÜ
.üiebt eud) himucg, oom ©eherfipc Inffet ab !
Omnit ihr nid}t* bie blaute glügelfchlauge empfahl
Oie log oon golbgetriebner Vogenfchue ftüvmt,
Unb buitfleu 3Venfd)enbluteg ©d)aum ihr bann oor ©chmerg
2lugfpud't in .S'lumpen, fo il)r morbenb cingefchlnrft!
Oin! 100 bag Oaupt im Vlutgerid}te fällt, loo man
2(uöbohrt bag 2lugc, loo ©d)läd)terei. Verberb ber Äinberfrucht,
(Entmannung loirb geübct nnb Verftümmclnng,
Voo ©teinignng, ino tiefes Vtitleiböioeh erregt
Oer ^Ingefpiepten Vaimmcrlaut ! Verftel)t ihr and),
2lngmurf ber @ötter, roetd)er 2lrt bas ff-eftgepräng’
Oag eud) ergöpt? eu’r ganges VJefen fprid)t eg aus!
OeS E'eu’n, beg blntgcnährten, loilb ©etlüfte mag
(Sin fotd) @egüd)t beioohnen, aber nimmer fotl
(SS fd)änben mir bes ®ötteraugfprnd}S S;ieiligthnm.
3n Voüftcnei’n enttoeid)enb irret hiftenloS;
Oenn nie befreunbet fold)er S?eerbe fich ein @ott!"*)
*) "Ei<u, xeAE'jiu, Tiüv o£ otup-ciTiuv Tclyo;
XiopEtT, ctraXXdaaeabs p.av-i-/.(üv fx'jyüiv! •/.. t.
Aeschyl. Eum. v. 172. sqq.
®ie ©cutptur fteüt nic^t (Seftalten, fonberu ^anbhing bav.
563
bev 2(poIIo beö 2?etDebeve, raaä feine .^altuug unb feinen ge=
famtnten ^Insbvncf betrifft, ju biefer 0te[te ber „ß-nmeniben" noüfommen
pafet; baß ber ©djanfpieler ber ben ®ott auf ber 23nl}ne bar^nftetlen
fiatte, feine 9toUe auögejeiii^net fpielte, tnenn er fo erfd)ien inie ber pta--
ftifd)e Ännftler benfelben int iDJarmor bargeftedt l^al; ba§ bürfte einem
^eben einleuc^ten, ber ba§ 23itbmerf betrnd)tet. 5(. 2S. 0d)(eget bereits
fprid)t biefe Ueberjeugung aus, mo er in feinen bramaturgifdjen i'or=
lefungen bie 3iragöbien beS ÜlefdjpIuS djaracterifirt. „®ie f^urien er=
road)en, nnb ba fie ben Oreft nii^t niebr finben, tanjen fie roätjrenb beS
6t)orgefangeS in roilbem ilaumel auf ber SBüfme uml)er. 3lpod erfdieint
roieber, nnb fcbeud^t fie ntS uert)afite, fein i^seiligtbnm entroei^enbe SBefen
meg. idian benfe it)n fid) babei mit bem erl)a betten Utt:
mitten nnb ber brobenben 0tettnng beS i^'aticanifdien
Stpott, (aber) mit Jlöd}er nnb 33ogen, fonft mit Seibrocf nnb tjtjtamns
b efteibet" *).
3lber fvenerbad}, mie mir bereits angebentet haben, behauptet mehr;
feiner 2tnfid)t nad) h^t 5)nticanifd)e 5tpotto tebigtid) atS bie non ber
'4>taftif üottjogene fvirirnng beS ©otteS in ber angeführten 0cene anS
ben „^•nmeniben" jn getten, unb ift mithin im eigenttid)en 0inne „ber
Stpotfo beS 2tefchptnS". Unb er nntertcißt nicht, biefe feine 2lnffnffnng
eingehenb jn betgrünben; mir befchränfen uns barauf, einige feiner @e=
bauten anjnfnhren.
„'Utit bem entfd)iebenen 0d)ritte eines rafdjen ©ntfdftnffes hitt 2tpotto
ben 0dhnnptab betreten. ®em granfennotten Chore 3tng in 2luge gegen;
über, tjätt er inne: bod) nur tun fo tauge jn uermeiten, bis er bie ^\u
rien non feinem 'iempet uerjagt hat. 0ein .Cnnpt ift anfgerid)tet, uon
ftotgem 0etbftgefnht nnb fidjtbarem ®orfatte, bem C'egner jn imponircn,
gebieterifdi gehoben; um feinen ''ddunb fpiett ein an i*ü^ohn granjenbeS
triumphirenbeS Südietn, mit metdtem er bie trotzigen Ungethnme fein
Uebergemid}t unb feine 2?eraditnng fnhten tcißt. 'Jiefer Unmitth rnf)t auf
ben erhabenen 23ranen; aber ber C^ott ift feines CiefühleS i)Jteifter, er
hat ben 2tffect in feiner i)}incht, nnb höU ih» mie ein brohenbeS @or=
gonenhaupt ben fvunen entgegen: er gürnt, ohne jornig 511 fepn. ^sit
bem ftoljen 2©nrfe bes Jlinnes oerrftth fi^ bie SBitlfnr nnb ber Jrotg
eines neuen eingebrnngenen .Cerrfd)ergefdjted)ts ; nnb in ber jltnrheit bes
StirfeS erfennen mir ben dtepräfentonten ber , heiteren ^ouiSfinbeU. 3(ber
nur bie nnmuthootte 0tirn nnb ben brohenben 2Irm h«t ber ''23aticanifdte
2fpolto ben 2tuSgeburten ber atten ttincht jugefehrt; in ber Slöenbung beS
Weihes fdjeint er ihnen fogar ctnSjnmeidien. S^er Cmtt fjof §nrien
erft nur fdftafenb gefehen; fetgt ftetjen fie aufgcridjtet , brohcnb, in ihrer
*) 9(. 9B. cchleget, 4. 3Sor(. Jt;t. 1. ©. 149. (6it. 547.)
36
564
®ie ©cutptur [teilt nic^t @eftdten, fonbern .^anbhmg bar.
ganjen ®c^eitf3lic[[fett i^m gegenüber. 3Son feiner eigenen &lein§eit fte
abgurael^ren , jroingt i^n ein angeborneä ®efüf)i feiner gött(id)en S^iatur;
roie feft er il)nen entgegentrat, e§ brängt i^n au§ i^rer nerpeftenben ?tät)e
immer roieber in bie §erne jurücf. ®er linfe ift, bem entfprec^enb,
gar nic^t jum ru()igen bteibenben ©tanbe nactjgejogen ; feben 3Iugenblicf
fann 2tpoöo ja bie 2Sut^ ber f^urien bef(^roic^tigt l^aben, ober genöf^igt
roerben, feine Sro^nng ju betätigen. ®er tinfe 2trm ift mit bem Sogen
beroe^rt, unb fd)on bem f^einbe entgegengeftrecft, roieroo^I no(^ nicfit jum
©d)uffe ftraff gefpannt. ®er rechte fpiett in freier mimifd)er Seroegung,
aber im Slugenblicfe bereit, ben töbtUd}en if^feit auä bem jlöc^er ju ^oten.
Stßa^rfcbeintid) befielt ber SpoUo be§ S^eaterg, ©tatuen gtei(^, bie ganje
©eene £)inbnrd^ biefe brot)enbe ©telinng bei. ütodi am ©d)tuffe berfetben
mirb er nur in tangfamen ©diritten, immer ben brofienben 2trm nod)
auggeftredt, unb, ben (Sfior enttang, einen roeiten Äreig befc^reibenb bie
Sübne oerlnffen !^aben. Saffen mir ben Saticanifdjen ?fpo(to in ©ebonfen
meiter fc^reiten, fo mirb er ©d)ritt für ©d)ritt tactmöBig inne^alten.
©er reifte, jur ©rbe gefefete fi;nf3 fc^eint bem früftigen 9^teberfd)iag eineg
mannhaften Ütbpthmug gefotgt ju fepn, ronhrenb bie ganje ©eftalt in
bemfetben 9)iaaf3e gteidifam etaftifch gehoben, oon ber ©runbftäche empor=
ftrebt. fyeierUchfeit unb männüdjer 9lnmuth in ber ©^raebe
getragen, bei großer Selebtheit ruhig nnb ernft, in ber Seroegung febeg
©iiebeg fpredjenb, nnb oon ber 3tddid)feit beg jnrüdroeidjenben f^u^eg big
jur fdjroebenben i^attung beg Diumpfeg 2tdeg in havmonifcher 2ßechfelbeftim=
mnng, — mer erfennt in biefer ©tatue nicht bie leibhaftige ,©mmeleia‘,
ben ©act nnb bie 6^armonie beg ©anjeg in ber griedjifchen ©ragöbie?“*)
9kch fhermann l'oüe’g Urtheil „fdfüeht bie glänjenbe öieihe archäo-
logifchmfthetifdier 2tbhanb(nngen" oon 2lnfelm f^enerbad), benen mir biefe
©ebanfen entnommen hahen, „an !2effingg ,Öaocoon‘ fid) roürbig an"**).
3'ebenfnllg finb mir entfd)ieben ber 2tnfidit, baff unter allen über bie
Sebeutnng beg ©taticanifdjen 2lpotlo bigher anfgeftellten .^ppothefen, bie
9fuffaffung fffenerbadig bie einzige gang befriebigenbe, unb barum bie am
meiften mahrfdfeinlidie ift. ©ap ber ©ott in ber ©tatue beg Seloebere
nicl)t in bem prnnfoolten ©heatercoftüm ber ©ragöbie, fonbern foft uott=
ftänbig nnbefleibet erfcheint, ertlnrt fid) leidjt ang bem ©efchmade ber
3eit meld)er bag S?erf angehören bürfte, ber entarteten 3eit nämlich ber
römifdien ^mpd'atoren, mahrfdieinlid) beg 9iero. llebrigeng hübet bie
Dom linfen 2lrme funftooll georbnet hcrabhangenbe ©h^ß^PS» fomie bie
gierlid)en ©anbalcn, hoch mieber eine nnoerfennbare 9teminifcenj an bie
imponirenbe ©H'ad)t ber ©heatergarberobe.
*) 31. g-eiierliadl), ©. 346 — 353. (6it. 344.)
**) Sope, 0. 559. (6it. 18.)
Sie Sculptur fteüt nid}t ©eftatten, fonberu §anbl'ung bar.
565
Sie „flehte, jcf)ou früher in @ried)eulnnb gefunbene, jel3t im IBeliße
be§ ©rafeit ©troganoff in ipeteröbnvg befinblid^e Sronceftgiir" , auf @runb
bereit ©dfttaafe „alle frnljeren ©rflävungen'^ bed 3}aticanifcl)en Ülpollo,
nnb mit ilinen attäbritcflidj and) bie non fyeuerbad) gegebene, für „miber=
legt" erflärt* **)), bürfte ben grünblid)en 3ltiöfnl)ritngen be§ fietateren gegeits
über benn bod) feine§n)eg§ ein Ijinlänglid) bebentenbed 'Sfoment fepn, um
bie Sßat)rfd)einlidifeit feiner Ipppotljefe aufbeben ju tönneu. (Srmiefe fid)
ribrigeitä and) biefe öpppotbefe als l)iftorifd) nnjulügig, — für ben
ben mir, inbem mir fie bie^' miebergaben, im 31nge batten, bliebe fie bod)
immer oollfommen geeignet: ald ^^iihdration nnmlicb ber im Slnfange
biefeä Iparngrapben non tnt§ be'vnorgebobenen ontologifd)en 23e,t,iebung
3roifd)en ben Söerten ber bramatifdien nnb ber plnftiftben il'nnft. Unb
fvenerbad) ift überbieS feinesroegd ber (Fi-fte, ber in Sßerfen ber griecbifdjen
©cttlptnr tbatfücblidfe iBejiebnngen ^ttm gried)ifd)en Srama gefnttben b^t:
eine au§ berfelben lleberjettgttng beroorgebenbe 23emerfnng finbet fid)
fcbon bei 2S>infelmann (ogl. unten Du 409).
379. DJiit ber SlnUfdd)e bicfer innereit Dlnalogie in bem SBefeit ber
beiben fünfte ift and) bereit§ ber ©ah an5gefprod)en, bag bie plaftifcbe
Ättnft, nidft minber als bie bramatifd)e , ibrem ganjen 9Sefen nad)
pragmatifd) ift: ba§ bcifft, baf) al^ ber mefentlid)e 3’^bdil SBevfe,
al§ ber eigentlid)e Oü’genftanb il)rer barftellenben Sbütigfeit, bie ,S‘ianb;
Ittng, bie Dtenfaerung be§ etbifd)en Veben§, betrad)tet roerben mng
Siefer ibr Cfbaracter tritt gan,:^ nnoerfennbar bcvoor, mo fie in felb=
ftänbigen ©nippen, mie in 3td)termann§ Ihren, 5nbnabme, im Snocoon, in
ben t)orl)er befprod)enen Sarftellnngen ber Dfiobe nnb il)rer Ihinber ober
be§ OrefteS nnb ber ©lectrn, mebrere '4?evfonen nid Sröger einer gemeiit=
famen i>anblung, nnb barnm in nngenfälliger iPejiebnng jn einattber,
und oorfübrt; aber fie redjtfertiget benfelben oollfommen and) bann, roenn
fie in ©tatnen nur ©injelgeftalten , ober in ber 33üfte nur ben norjüg=
lieberen Sl)^'t berfelben barftellt. f'” beftimmter, ein be=
bentnngdüoller Dtngenblicf bed etbifd)en Sehend, in meld)em ber
©egenftanb feiner Dtad)bilbnng bem Ihünftler oorfd)raebte, ben er im ©rj
ober im DJfarmor neremigte; immer uerbiiibet nnfer ©eift mit l^ülfe ber
ff^bddtafie mit feiiein ©inen eine goip^e Ihette anberer DDhomente, oorber=
gebenber nnb folgenber, fd)aitt in ber ftarren ©eftnlt bie fid) bem Dinge
jeigt, ben bnnbelnben ('«ieift, nnb bad ohne ©tillftoiib fitb beroegenbe Seben.
*) S^naafe, 53b. 2. £. 277. (t5it. 18.)
**) „53ragmati[d)" neunen niiv bie ©cutptur nntev bie)ci' 3tüd[id;t, nid)t „bra=
matifd)": benn roie roir im corigen 9lbfd)nitt (:36d. 0. 537) non 2lri)"totete§ pörten,
bejeidinet biefeS (eptere SE'Ovt nid)t, bafj eine Äunfi .)pnnblnng barftellt, fonbent
bab fie burdi .üanblung barftellt.
566 pragmatifc^e (ä^aracter ber ©culptur unb bie moberne 3teft^etif:
2t(§ ?[Rid^el=2lngelo feinen iUiopfe§ noCtenbet ^ntte, foQ er, im 2tnf(^auen
feine§ SSer!e§ feibft non ^Serounberung nnb f^reube l^ingeriffen, mit bem
Jammer ber ©tatue auf§ Ä'nie gefcfilagen l^aben, fo l^eftig bafs ber
iJJiarmor fprang, inbem er au§rief: „^etjt rebe, ilHotifeg!" 2Baä ben
Äünftter fo mäcfjtig beraegte, mar e§ etraaä ^tnbereg atä bie (Energie be§
geroattigen ©eifteä, roeti^e er in jenen f^ormen nerförpert ^atte? SDen
ÜOieifter ber non ben Stlten fo l^od^ gefeierten ^upiterftatue fragte ein
greunb, raie e§ i^m gelungen fep, fo ooüfommen überirbifd)e 3üge roie
er fie im ©tfenbein auggebrnctt, in feinem @eifte ju erfaffen 328) ; unb
if5^ibia§ gab at§ bie Ouette feiner (Jonception jene i^omerifi^en 35erfe ber
^üa§ an;
„3ttfo fpracf) er, unb roinfte, beioegenb bie buitfelen 33rauen,
3>onoärt§ raatlt’ ba§ ambrofiabuftenbe §aar be§ 33eberrfcber§
3tm imfterb(icf)en i^aupt; e§ erbebten bie i^öt}n beä O(pmpo§." 329)
üTrücfen aber ni(^t biefe 3Serfe einen beftimmten 30ioment au§ im ßeben
be§ @ötterfönig§, einen fotcfien ?Koment, in meic^em feine erhabene ÜRacfit,
feine ®ottf)eit, in feinen ^ feinem ganjen Steu^eren in be=
fonberer 25>eife fid)tbar mürbe? fiatte aifo i^^ibiaä ben Jupiter anberg
a(§ fianbetnb — pragmatifd) — bargefteUt?
§. 2.
|)ic ■Verneinung bes pragntafifc^en ^^racters ber |«cnfptnr in ber
neueren Jleft^etiß.
I.
®ie 2e§re oon ber „abfoluten 9tu^e unb bem t)oben @teid)geroid)te ber ©tatue"
fte^t mit ben ©runbfäljen ber gried)ifd)en 3teftt)etif in offenem SBiberfprud).
380. Seit etraa ’^unbert Safit'en jiebit fid) „bnrc| bie meiften äft^e=
tifdjen ^J^eorien in ben manni(^fat^ften 3tu§brucf§roeifen ber allgemeine
©ebante, bie ooüe roirfUdje ^ebenbigfeit beä £'eben§ muffe juoor big ju
einem geroiffen @rabe ber ?[Jtonnmenta(ität gebänbigt unb erftarrt roerben,
um ber ©egenftanb ber bilbenbeu Jlunft fepn ,^u fönnen; jebe augbrüd=
Uc^e .'Qanbtung, alte tßejie^ung ber gigur auf bie au^er if)r tiegenbe
SBett, alle 3«cf)en einer rafd)en ©ptigfeit fepen ju oermeiben; nur bie
ißerfuufentieit ber ©eftalt in bie ©eligteit i^rer fd)önen ©piftenj bilbe ben
roürbigen ,^nnft, nur in liarmtofem unbebeutenbem Spiele
ber tBeroegnng bürfe it)r innereg £eben fid) nerratfien" *). „®ie einzelne
0 Sope, S. 358. (6it. 18.)
bte „abfoütte unb ba§ @(eid)gcroid)t ber ©tatiie".
567
ber jo belel)rt in ber nod) neiieflenS Jpermaiin
;RiegeI feine Sefer, „inirb immer ben (Sf)nracter be§ 3i^=Ü<^l=fl^’3£[^^offenen
tragen" *).
bie 5Bernn(nffung jur 3(n§bilbnng biefcr — mof)( mef)r at§ btojf
„etroaS einfeitigen" — l'et)re, bejeic^net VoUe bie (ibaracteriftif , roetdie
non ben Seiftnngen unb bem 8tnte ber gried)ifd)en '|>(aftit ÜCnnfcImann
gegeben batte. 5Iber 35>infetmann§ 5tntbeit baran ift febenfalld mir ein
ganj äu^erlicber; feinen 3tnfd)annngen bürfte bie £'ef)re uoüftänbig fremb
fei)n, nnb n(ä ber eigentUcbe Urbeber berfelben nietmebr £effing gelten
müffen, uermöge ber unricbtigen ©entnng bie er ben Porten 2£infel=
mannd gab, nnb be§ ganj falfdien if,U-incip§, bnrd) inetcbeS er bie 3tnf=
gäbe ber bitbenben fünfte beftimmen mottte. ®enn nid)t§ meiter a(§
ein notbroenbiger 3In§ftnf! au§ biefcm, ift bie Sebre um bie eö fid)
beit. ®ie Unjnlägigfeit be§ ifJrincips roerben mir im brüten ilapitel
biefe§ 3lbfd)nitte§ nncbroeifen; bnraus roirb fiel) bann non felbft ergeben,
ba§ and) ba§ and bemfelben b^^oorgebenbe ©efeü non „ber abfolnten
fRiiIje nnb bem Ijoben @leid)gemid)te" ber ©rjengniffe ber 0culptur feber
miffenfd)afttid)en 33egrnnbnng entbehrt. ®aß aber bie biftorifeben iforan§=
i'et^nngen, and benen bie neuere 3teftbetif bad (i^efep, abftrabiren 51t müffen
glaubte, ganj irrig finb , bad I)dt 3lnfe(m fyciiefbad) in feinen fdfon iuie=
berbolt erraäbnten „33etrad)tungen" bnrd) eine gnlle non
roiber f p r ecl) I i d) b ar getl) a n .
381. 2f£ar „plaftifdje Ütnlje unb 3tbgefd)(offenbeit ber Statue in
fiiib felber" in ber Sböf '^srincip ber griedfifdjen Ä'nnft, bann muf)
biefed uor Gütern an ben @otterftatnen b^i'^’ortretcn , an fenen
namentlicb roeld)e jnr öffentlidfen 3ferebrnng in ben Sempeln ftanben; benn
biefe miberftreben U)rer fpeftimmnng und) nid)t blog niebt ber „abfolnten
fRnbe", fonbern fie fd)einen in berielbcn erft bie mal)re, ibnen gebnbrenbe
©eftalt jn geminnen. 3(ngebentete ber gaü?
„Ser coloffale 2IpoIto 3?arberini, fetjt eine ^ierbe bed erbabenen
ißalafted in roeldjem J^önig ßiibmig non tfapern bie iHefte bUIenifdjer
Äunft nerfammelte, reidjt fidjer nod) über bie -f.'bibiad Ijinand;
unb [)bd)ft mabrfd)cinlid) ift und in biefer bci'rlid)en Statue ein Jempel;
bilb erbalten. Ser linfe fvup ift aber jum Sdjritte gehoben, nnb un=
befcbreiblicb bie föenfeftüt mit roelcber bie Statue bem 33efd)aner entgegen:
jutreten, unb bann innejnbalten fd)eint, um bad SBort eined glebenben ju
neruebmen. 3Jfäd)tiger audfd)reitenb jeigt fid) eine ))3iineriin ju Sredben.
Sie ift ald ,^^romad)od‘ gebndjt, rafd) jnm tbütigen 33ciftanbe nom
SIpmp bcvniebereilenb. ^n beiben Statuen finb bie ©ötter nnnerfennbar
nicht blof) ald fepenb, fonbern ald erfdjeinenb bargeftellt: ihre Stellung
') IRiegd, ©rimbrip ber bitbenben tlünfte (.^nnnoner 1870, 2. 3lnfl.) 0. 28.
568 pragmati|d§e ß^avacter ber $cutptur unb bie moberne Sieft^etif:
jagt ganj baffelk, roaä bie betannte jyormel raomit bie ©öttev bie tva^
gif(f)e ®ü^ne ju betreten pflegten*).
„Sitte f^eiertictifeit be§ er^benften Seinpelftplg ift über bie if3aC(a§
non Settetri auSgegoffen, ftrenge ©röpe nnb f)ober ©rnft ber 6§aracter
biefer berounberiinggroürbigen ©eftatt. Stber ba§ §aupt ift fanft jur
©rbe geneigt: fie roinft bem gte^enben ©rl^örung ju. ®ie §errtic^e
StRinernabüfte, ehemals in ber SSilta Sllbani, fe^t gteid)fatt§ in ber
©Ipptob^ef ju SOtünctjen , geigt biefetbe 4'>ottung; unb ebenfo '^at man
fiel ben Otpmpifctjen ^|ibia§, ba§ unerreict)bare fJRufter
alter Sempetbitber , gu benfen. Stnbere ©ötterftatuen |ietten bie fRec|te
mit einer ®c|ate auägeftrecft, um bie Zeitige ©penbe gu empfangen; ober
fie reid)ten ben Ärang, bie tSinbe be§ ©iegc§ bar, ober ba§ SSitb ber
geftügetten ©iegeägöttin fetbft. 23eifpiete finb ga|tto§.
„."pier mar atfo überatt tpanbtung, freitii| bie §anbtung
Don SBefen beren Jb^t meift nur ein Sßinf ift: aber, mag nieit)t gu
überfetjen, oon fünftlerifdfer ©eite betract)tet gugleid) eine ^anbtung,
roel(|e nid)t in ben ibeetten Äreig beg Äunftraerfeg eingeengt bteibt, fon=
bern aug biefem tjinaug fid) inbieSß>irftic|feitberr)egt,. fa
erft in biefer ©iuu unb ißebeutung er|ätt. tDa mar ni(|tg non abfoluter
fRube, fonbern 93eroegung; feine 23ef(branfung beg il'unftroerfg auf fic|
fetbft, fonbern tebenbige Sfegiebuug ber ©tatue gu ihrem ®ef(|auer.
„Sttg ein befeetteg 29erf'', fdbliept fyeuerbad) noch meiteren 2tug=
fübrungen biefe feine „3fetrad)tung", „tjatte ber grieebifebe .^ünftter bie
©tatue oon ber fRetigion unb aug ben b^änben feiner mptbifeben Stbm
berren", beg SSutcan, ber Jetd)inen, ber .'petioben, beg ‘©abatug, „übers
fommen: fie beroegte fid), fie fd)ritt einber, fie empfanb, unb roirfte mit
bämonifdber Äraft. ©ottte bag atbmenbe Sßerf nun erft unter feinen
tpänben gur tobten SJtarmorbüfte erfatten? batte er nidbtg gu tbun, atg
bie Siempet mit neuen ©otter=if}etrefacten augufütten? Ober gebot ni(bt
febou ber ©taube beg ®otfeg, jeneg if]rincip ber tßefeetung oor atten
anberen feftgubatten , unb ber gangen fyorm gleicbfam bie ®eroegticbfeit
eineg ©eroanbeg gu geben, in loetcbem bie ©eele bie eg umgeraorfeu,
fid) uubebinbert unb frei beroegen , in gtücftid) überrafebenben ilRos
menten fii| offenbaren fönne? llnbenfbar ift eg, bag bie Ä'unft eigen=
mittig ben Sßeg fottte uertaffeu haben, ben bie tRetigion geboten, unb
bie ©age atg bie SSatm gum t)öd)ften begeidmet hatte, ©age unb
*) „®einetroegen bin id) hier, üerüejj id; metneit im ^immel", fagt bei
©ophocleä ,g)ercule§ ju iphüoctet, ba er ipm erfcheint:
Ttjv arj'j 0 ffAUJ ’/dptv, obpavia;
''E3p5!; -poXtTTÜJV.
Sophocl. Philoctet. v. 1413.
bie „abi'ohtte SRutje iinb baä 6Uci(^geroic^t ber Statue".
569
9ieügion tuaren bie erfte, tmb lange ijinburd) bie einjige 3d)eorie
ber *).
382. iBiei entfdf)iebener nodi tritt nn§ bie hiermit 5iinäd)[t in 9tücf=
jic^t auf ©ötterftatuen beroiefene it)atfad)e an 23itbinerfen entgegen, raetdjc
für anbere al§ religiöfe gearbeitet inaren.
2?ei allen ©tatuen 23., „inetdjen nur ein bem geinöt)ntid)en l'eben
glncftit^ abgetanfd)tcr i)i)ioinent ,^u ©runbe lag, ntnfdc nof^inenbig ber
5tusbrnd in tjödjfter ^ebenbigfeit gerütten fegn. ©in 0clane inetdjer
fetter nnbtäft ober fifteifd) röftet, ein nnberer ber ba§ iö^effer fdjteift,
ber c'pirt ber fic^ einen ®orn au§ bem ft-nRe ein Jlnabe ber eine
@an§ erbroffett, fonnte nottes fünftlerifdie§ ^niereffe nur biird) bie un=
gefd)raäd)te £rnft ber 9inturronbr^eit gemübrcn, nnb biirb^ bie 25>ärme
eines ganj inbiuibnellen i>[nSbrncfö. 5)nS 5tttertf)nm mar auf^erorbenttid)
reidj an 33itbern biefer 5frt, nnb faft jeber anSge^eidtnete Ännftter ben
bie ©iefd)id)te nennt, ^nt fid) in foldien ^nrfteOnngen geübt'' **).
tpnnfanias faf] auf ber 5(cropoliS non 5ltl)en bie 23itbfänte beS
3tnacreon; ber iT'idttcr mar feinem 2i^erid)te und) bargcftedt „mie ein
i)3injin ber im 9taufd)e fingt". l'eonibnS oon 0arent gibt eine 23e=
fdireibnng ber 23ilbfänlc;
0icf), mie ber alte iejcr***) oon bes 93?eineS Äraft
0as @leidigemid)t oertiert! ©S fcbleppt ibm bas ©iemnnb
23iS QU bie Änöd)cl, imb oon feinen 0d)nben I)at
©T ©inen nur; ber anbre blieb id) meift nid)t rao.
©T fd)lngt ber Vante 0aiten, nnb fein i)Jhmb befingt
i^atbplt ben bolben, ober bid), tOtegiftenS.
5t3cid)ül?e i()ii, o tBaedjud, bnf; ber ©H'eiS uid)t füllt f).
iI9nr „abfolnte iKnbe nnb l)obeS t''Hcid)gemid)t" ber JnpnS biefer ®tatue,
ober mar es lebenbige 3sanblnng'c'
93tebea, bie febreeflidje 3nnberin beS 3ntertl)nms, ermorbete befann©
lid), nad)bem fie uerftoften nnb bie ©ilanfe jnm 2Beibe genommen,
auS ©-iferfiidit nnb .©af; bie jmei 0öbne, metdfe fie bem geboren
l^otte. ©benfo befnnnt ift, baf; biefe 0l)atfod)e fomo^l ber bramatifdien
als ben jmei bilbenben Äünften mefirfad} alS 33ormnrf gebient bat.
i^on einem ungenannten 0id)ter mirb unS eine 0tatne ber ‘OJeebea alfo
^aracterifirt :
IRaieft bn and) nod) im 0tein‘? Tic ©iferfud)t melde ben bobd’n
Ülngen fo fd)redlid) entflammt, treibt bid) jn blutigem DJiorb.
^■) 2t. ^enerbaef), <S- 18—21. 28. 30. 32. (6it. 344.)
**) Olacb J-euerbacb, S. 41.
***) B'i 2;eo§, einer Stobt in fönten, roar 2tnacceon geboren.
7) ivrtebricb „Sempe" (Ceipjig 1803) 23b 1. S. 36.
570 pragmatii(^e (J^oracter bei ©culptur iinb bie moberne Steftl^etif:
JBa^rltcf), btd) fcffelt umfonft ba§ g'ufegefteti! bürftenb nad^ 3^ad^e
(Jifft bu ba^in, bem ©emal^I jürnenb, mit roüt^enbem ©inrt.
Söetc^ev Ä'ünfttcr erfc^uf ba§ SBunberbilb ? roelc|em gelang e§,
®aj3 er burd) finnige Ä'unft erfüllte mit 2Butf)?*).
35erriet^ bet btefer ©tatue ba§ innere Jeben fic^ auch „nur in !^arm=
lofem unbebeutenbem ©piele ber SBeroegung", erfd)ien bie ©eftalt be§
rafenben fffieibeä auc^ gang „nerfunfen in bie ©eligfeit tfirer fd)onen
©X’ifteng", rote e§ nad) Sol^e’ä 3eugnU? r/bie meiften äft^etifc^en 2:§eorien"
ber fJteujeit non ben ©eftatten ber fpiaftif nerlangen ?
§oren mir noch ein ©pigrantm non Julian bem Slegpptier, auf
eine ©tatue ber 9tiobe:
©d)ait’ bie treue ©eftalt ber Diiobe, rcie fie noch feljo,
iöittcrn ©cbmerged erfüllt, meinet ber £inber @efd)id.
iDtangelt ©eef unb if'eben ber Xrauernben, fdielte bie Ä'unft nicht:
©enn üerraanbelt in ©teilt ftellte ber Silbner fie bar**).
©er ©icbter rechtfertigt ben 23ilbhaucr, tnenn in biefer feiner ©tatue fein
innereg £eben, feine Offenbarung ber ©eele hernortrete : ber fJJteifter habe
eben bie non 2lpotlo unb ©iana nerfte inerte iRiobe bargeftellt. 2lber
fonnte e§ ihm inohl in ben ©inn fommen, eine Dtechtfertigung in biefer
fliichtung für angemeffen gtt hatten, menn nicht ber ©rnnbfa^ ber grte=
thifchen ätefthetif berfelbe geroefen inüre, ben aud} mir im norigen i|3ara=
graphen auSgefprochen haben: ben eigentlichen ©egenftanb ihrer ©ar=
ftellung bilbet für bie plaftifche Itunft bie i^anblung, bie 2leu^erung
beg ethifchen fiebeng?
©ingig auf biefeg ©efetj grünbet fid) roieber ein anbereg ©pigramm,
in melchem ein ungenannter ©ichter bie non i^rariteleg gefchaffene ©tatue
ber iltiobe nerherrli<ht:
Sebenb madjten jum ©teine bie ©ötter mich; au§ bem ©efteine
9tief ‘iprariteleg mid) mieber i n § ff e b e n gurüd ***) ; 330)
unb abermalg feine anbere äluffaffung non bem fffiefen ber ©culptur
alg biefe, gibt fich funb in ben SiBorten inetche ©irgil ben ©chatten beg
Slnchifeg in ber Unterrnelt fpredjeu läfft, ba er bem Sleneag bie einftige
©röfee 9tomg norherfagt:
*) %. Jacobs, 33b. 1. @. 181.
**) %. Jacobs, 33b. 1. ©. 180.
Sen Originaltcrt ber brei angeführten Epigramme finbet man in ber Äntho-
logia graeca, gteichfatlg non g. 3<icob§ (Lipsiae 1794), tom. 1. pag. 163. t. 4.
p. 182. t. 3. p. 201.
***) 5. Bacobg, 33b. 1. ©. 180.
bie „©c^eu Bor ber ^arbc“.
571
31nbere tocrbcn cinft aibmenbeä ©rj anmutljigev büben,
SOSerben, td) auämeij3cln leben bi ge 3i‘9^ iWarmor,
Jßerben berebtfam fepn im @erid)t, unb bie 33a(}uen be§ i^immelä
Ülieffen mit freifenbem Stab, unb ber Stern’ 3lufgänge nerfünben;
Sn fei), diömer, bebnd)t, meltl)errfd)enbe 337ad)t jn Dermntten;
Soldjerlci Ä'unft fei) bein; bann, frieblid)e Sitte 511 orbnen,
dJiilb beni IBefiegten 311 fei)ii, nnb Sroliige nieber3nfiinipfen 331).
Süd) lüir Ijabcii ino^l ber 23eroeife genug. d)ian brnudit ja nur bie
2lbbilbungen gried)ifd)er Sculptimuerfe in einer ®efd)id)te ber bilbenben
Äünfte, bei Sdfuaafe etira, bei £übfe ober bei Äugler, flüdjtig anju;
fe^^cn, um nberjeugt 511 fepn, bag in bpellag bie ffdieifter ber iplaftif
barauf aii§gingen, in il)ren Statuen (5rfd)cinnngen au§ b ein 2 eben,
fidftbare b^anblnng, barjnftellen, unb feineäroegd ber 21nfid)t ^nlbigten
bie mir befäinpfen, — and) nid)t in jener fyaffnng in meld)er fie, nac^
oieten 3(nberen, (Srnft non fiafaidr loieberbolf l)at: „Sie "f^orin unb ber
^nbalt ber Sculptur ift bie menfd)lid)e @eftalt; il)r üolIfom=
mene nienfd)lid)e @öttergcfta(ten nnb götieräl)ntid)e fD7enfd)engeftaUen ju
bilben"
II.
Sie „Sd)eu Dor ber Jarbc", bie nntiirlid)c Jolge ber Sferfennung bed pragma^
tifc^en (ibaracterd ber Sculptur, rcirb burd) ba§ iBerfnt)rcn nid)t allein
ber beften mittelnlterlid)en , fonbern namentlid) and) ber nntit-.clnffifdjen
Ännft auf bad cntfd)iebcnftc Dcrnrtt)cilt.
383. 2ag in ber bisl)er befprod)enen 2ebre, non ber burd) bie
Sculptur 311 üolljiebenben „ißänbignng unb ©rftarrung ber ooUen Se=
benbigfeit be§ 2eben§ bi§ 311 einem geiinffen @rabe ber f)Jconumentalität“,
fürjer, in bem '^'riucip non ber „abfotuten Di'nbe" ber ^fJlnftif, bie 3fer=
neinung be§ raefentlid) prngmatifd)en (il)aracter§ biefer dtunft, fo
nullte fid) al§ bie natürlidie g-olge biefer Verneinung bei allen Ver=
tretern berfetben mit logifd)er diotbrnenbigfeit jeiieä (,'fk’fü^l ergeben,
roelcbed man al§ „bie Sd)eu üor ber fvarbe" be3eid)iiet bat- „©elbft ein
entfd)iebener fyfeanb ber antifen 'i|toli)d)romie," beridjtet 2ot^e, „Semper,
fann nidft umbin 3n3ugeftel)en, baff biefer unferer Sdjeu ein geroiffeä
fRecbt ber Verjäf)rung jiifomme" Unferes (h’adjtenö fann bei einem
3rrtl)um oon einem „3ied)te ber Verjäbrung" oor bem fyoriim ber
2Stiffenfd)aft eben fo loeiiig bie diebe fepn, al§ bei formell ungered)tem
Vefit^ bad bürgerlid)e @efepud) ein folcbed Ved)t anerfennt. Sag bat
*) Safaulr, to. 52. ((5it. 338.)
**) 2ope, ©. 571. (Sit. 18.)
572 pragmatif^e (5'^aracter ber <2culptur imb bie moberne Sleft^etif:
auc^ Sofee gefüllt; er fügt beg^alb fiinju, bag 9ted)t ber 5ferjäl;rung
Don Toetcfiem 0emper rebet, fönne „boci^ jutet^t mir als ba§ f)^ec^t einer
äfti^etifc^ begrünbeten 3tnfid)t gemeint fei)n". 2tber a(§ „äft^etifd) be=
grünbet", meinen mir, fann bie „0c^eu nor ber garbe" feine§raeg§
gelten, — roenn eg anberg mafir bleibt, baf3 bie ©cnlptur atg ben
eigentlidien i^rer SBerfe nid^t bie ©eftatt, fonbern bie lebenbige
bpanblung 511 betrai^ten ^at.
0enn bag teudjtet ja ein, bie (Jotorirung wertetet ber ©eftatt einen
meit üotlfommneren 2tugbrnd, fie bUbet ein Überang roirffameg ?07ittel,
bag Seben unb bie Ätarl^eit gu erflögen, momit jene bag innere offem
hart. Unb barum !^at fyeuerbacb noUfommen ffted)t, raenn er bemerft,
bafe „bie '^^roben ber bunten ijßtaftif, melcbe mir in 5^üften, ©tatuen
unb OMiefg, aug ben nerfd)iebenften ©pod)en" ber grie^ifcben Äunft
„noc^ befi^en, — ©ebUbe jebeg iöiaagftabg , non ber 5tnticagtie big
l^inauf gum ©oloffe, ©ebiibe jegtidier Ätaffe, ©ötter, ‘DJtenfcben nnb
b^eroen, baib non ^ö^erem batb non geringerem Ännftrnert'^ — in
i^rer i|3oh)d)romie auf nic^tg 5(nbereg gnrüdineifen, a(g auf bag ©treben
ber griedjifdjen ©culptur, in ifiren ©rgeugniffen „Seben nnb 33efeetung"
fiernortreten gu taffen*). SSenn bie 'fJtaftif it)re Ütufgabe begreift,
menn fie raeif) mag fie fott, bann „ift i^r nid)t bie g-orm alg fotd^e
fonbern ber geiftige SUigbrud, nid)t bie üuf^ere ©eftatt fonbern bie innere
©eetenftimmnng bie i^anptfadie; barnm genügt itjr nidjt bie ©tatue für
fid), unb nid)t bie btoge SBirfnng non Sic^t nnb ©djatten, roie fie bie
©tatue atg fotdje t;ernorbringt , fonbern fie nimmt and) bie tßrec^ungen
beg Öid)teg, fie nimmt bie ©nmbotif atg bagjenige
‘ütiateriat gu roetd)eg, roeit minber förperbaft, attein im ©taube
ift, bem inneren ©eetenteben einen entfpredjenben 2tugbrnd gn teilen" **).
3ebe ber groei ©podjen , in benen bem ©efc^iibte jufotge
bie Äunft auf bem i^öbepnnfte ihrer 33tüte ftanb, beftütigt burdb ih^^
tbatfücbticbeg 33erfabren bie 35>abi’beit biefer nuferer Sehre.
384. ©)ag iUtittetatter pftegte feine ©cutptnrarbciten faft immer gu
b^maten: „eg tiebte" an feinen tßitbroerfen „bie auggebebntefte 2lnroem
bung farbiger ^idhöt". Unb mie ingbefonbere ber gothifdje ©tpt in ber
2trd)itectur „bie feinen ©tieber in roetdie fich bie 2)tauern auftöften, mit
nerfi^iebenen ihren f^nnctionen entfpred)enben ©önen forbte, — bie tra=
genben mit hftt^^'fii/ füttenben nnb nerbinbenben mit bunfteren,
bie nerticaten mit anffteigenben , bie bo^'iso'daten mit banbförmigen
iBUiftern, bag 2?tattroerf ber Äapitäte mit ©otb, — fo prangte in ©otb
unb garben nicht minber bie ©cutptur, nid)t bto^ tut ^t^ti^rn ber .Rirdhen,
*) Sgl. 31. geuerbach, S. 188. ((iit. 344.)
**) §ift.=pol. Sldtter, Sb. 34. ®. 851.
bie „'i-c^cu ror bei' gaibe“.
573
fonbern aud) an bcn '^'ortaten. .s^ierfür Hegen ja^(retdf)e 3?etfpie(e nor.
Sie ©eftaiten ber ©vabfieine [inb i)änfig natnrgemnf? bemalt; baffelbe
ift bev iyall bei ben Statnen im n)e)tlid)en (£l)ove be§ Some§ 511 i)canm=
bürg, bei ienen in ber Sorljaüe be§ iliRünfterd gn g-reibnrg in iBaben,
bei ben 5lpofteln be§ (Kölner ®omd)ore§, n. f. m. 9iamentlid) aber fie^t
man bie ansgebel^nten , oft breiftngeligen SHtarfcbfeine gang erfüllt non
etatnen nnb ;){elief§, leütere in perfpectinifd)er 33ertiefnng inie ©emälbe
and Solg gefd)nil3t, non reid) gemnftertem @otbgrnnb fiel) abbebenb nnb
non gierlidi ornamentirtem 3int)inen nmfd)toffen , non 33albnd)inen nnb
Dbanfen nberbad)t. Slber and) bie 'i^-igürd)en felbft, meift in fleinem
i).Raaf!ftab andgefnbrt, finb mit prnd)tig nergolbeten nnb bnmafeirten
@einänbern bebecft, bereit ©äuine nnb Jbel)rfeiten mit lenditenben
befonberd in .'oimmelblan nnb fräftigem 3lotl) prangen. Sie nnbebed'ten
Steile, nornebmlid) bie Äöpfe, inerben bagegen in gnrtefter iKieife nntur=
gemäf) bemalt, nnb mir bie nergolbeten ^laare innl)ren and) t)ier bnd
dtedft ber fnnftlerifd)en Stplifirnng. SöHig nbereinftimmenb finb and)
bie ardjitectonifdfen üfabmen, in @olb, iBlnn nnb Ütotl), prtidjtig bnrd)=
gefnlji't, inobei in 3iied)fet nnb Serbinbnng ber f^-arben fid) ein meifterlidi
geübter Sinn geltenb mad)t“ *).
385. illntd bie anbere (fpodie ber 33lüte ber Ännft betrifft, bie
ber antif:clnffifd)en ifflaftif, and bereu „33einnnbernng nnb Sentung" bie
95>iffenfd)aft ber Üiengeit „il)re äftl)etifd)en Xbeorien über bie bilbenbe
Ännft entinicfeln gu müffen" **) geglaubt I^at, fo „innrben geraume 3^ii
Ijinbnrd) bie Spuren, ineldje in alten Sd)riftftellern nnb Senfmaten auf
bie grofge 2tndbel)iuing ber farbigen Scnlptnr binbenteten,
ino nicht gänglid) überfel)en, bod) nid)t gehörig beachtet, — and fffiircht,
einen Sl)^ii 23enniiibernng ineldje man bem 5ttterthnm gn gölten ge=
roohnt mar, gnrücf nehmen gn inüffen, nnb bie Stier fe eined ''fihibiad
nnb ifi r a p i t e l e d mit ben b e m a 1 1 e n S d) n i tj= n n b S t e i n b i t b e r n
ber gothifdjen So me auf (rin er Sinie gn fehen. Sie neueren
Unterfudmngen ronrben riicffichttofer geführt''***): nnb bad (ürgebnifg
berfetben ift mirflich fein anbered, atd baig bie gefeierte antifc .dnnft non
4ietlad in biefem genau nad) benfetben ©rnnbfätjen oorging, mie
in ben Jagen ber @othif bad fatholifdje SiRittelalter.
„3'n ben coloffalen Jempetbilbern and (Molb nnb (f'lfenbein erreid)te
bie inalerifd) plaftifdge Sed)nif ben hödfften (Gipfel ber ülndbilbnng. Siefe
Stierfe, bei benen mir bie ipiaftif in allen (?5langed nnb
*) Pfach £d)uaafe, 33b. 5. S. 557, Öiibfe, 33b. 2. o. 55 f. , unb Äugter,
SSb. 2. ©. 160. (©t. 18. 342.)
**) 2ope, @. 551. (©t. 18.)
***) 3t. gsnerbad), ©. 187. ((Sit. 344.)
574 pragmatifi^e (S^avacter ber ©cutptur ;mb bie mobente Sieff^etit:
bunter Farbenpracht gepllt fehen, bilben ba^er auch beu ^ORittelpunft
alter Unterfuchungen über bie farbige ©culptur ber Sitten. (Sine fühnere
S07ifchung ber i^laftif unb SOialerei läfft fidh taum erfinnen, al§ bie roar,
rooburch baä grbffte SBerf be§ größten StlieifterS, ber 01pntpifd)e ^uptl^r
be§ jugleidj eine§ ber feltfamften i^robucte griedjifcher ji'unft
raurbe. ©iefem einzigen ißilbroerte gegenüber mü^te feber Jh^oretifer *)
entraeber an fidf, ober an ben (Siriechen irre roerben. S}7alerifi^ roar an
biefer ©tatne fdjon ber (Segenfat^ oon (Solb unb Elfenbein, ber natürliiih^
Farbenton biefe§ hoppelten SJiaterials **). S)a§ golbene (Sieroanb über=
bieä mit ben bunten 23itbern oon S31umen unb gefchmüdt, ba§
©cepter beg ©ottes blüljenb oon oerfdjiebenen SO^etatten, unb ber ^ran^
beä .(paupteg in oerfd)iebenen fpielenb. ©)amit roir hierbei nicht
an ein blo|3 gufädigeg ©climudroer! benfen, erfahren roir jugteich, roie
roefentlidj für ben (Sinbrud bes ©anjen StUeg biefeg ber JTünftler felbft
eraditet hßtte- ®enn er bebiente fidj bei Fertigung feiner ©tatue ber
33eihülfe eineg SOSalerg, beg ipanänug. 3“ biefein bunten Farbenfpiele,
^u ber roohlbered)neten SSertheilung non Id^t unb ©chedten, roelcbe fid}er=
li(^ non einem fo auggejeidpieten .(lünftlerpaare ju erroarten ift, nun
nod) ber gelbliche, bämmernbe £'id)trefler , roelcher non bem ©olbe beg
Äleibeg auf bag ©Ifenbein ber nnbebedten Siheile überftrömte, unb biefe
mit fiebensroarme burd)bringen, ober roie mit bem heiteren ©(heine eineg
überirbifdjen l'eibeg nerflären mupte ....
„©iefe ©oreutif***) in ©olb unb ©Ifenbein muff einen fehr ent=
fchiebenen ©influf^ auf alle 3^reige ber griedjifchen Äunft auggeübt haben,
©ine ähnliche ätfirfung, roenn aud) nur im .kleinen unb mit bef^eibenen
i)Jlitteln, in feiner ©phdre hernorjubringen, fonnte fid) ber ©tatuare unb
’DSlarmorbilbner nidjt roohl nerfagen, roenn nicht feine SSerle, non bem
©Uanje jener imponirenben ©eftatten nerbunfelt, mott unb falt erfcheinen
foUten. ©haebieg hatte ja bie ©oreutif nidjtg 94eueg nnb Unerhörteg
geroagt; . . unb gernbe bag, rooburch fie nad) unferem ©efühle gegen
bag Sfefen ber Ännft jn nerftofsen fd)eintf), empfahl fie ben ©riechen
a(g eine 2ed)nif, in ineli^er jene Sieblinggibee ber ifJlaftif, bie 23elebt=
heit ber ©tatue, auf bie glängenbfte Slrt gelöft roerben fonnte.
*) ba§ heißb 3et»er, ber auf bie Striome ber mobernen Stefthetif fChtuort.
**) ®ie „chrpfelephautineu", b. £)■ bie au§ (Solb unb (Elfenbein gearbeiteten
©tatuen, beftet)en au§ einem Jpotjfern, um melden (Solbplatten für bie ©eroanbung,
Elfenbein für bie nidht bebeetten Stiele be§ SeibeS gelegt mürbe. (£übfe, Sb. 1.
®. 115. (Sit. 342.)
***) „3;Dreutif" ift ber technifdie 2Iu§brucf für bie Silbnerei in ÜJletall.
■[•) roeil nümlidh nnfere 2lnf(hauungen bejüglidi be§ 2Befen§ ber ©culptur, bur<h
bie moberne ben pragmatifihen (S£)arctcter berfelben nerläugnenbe Ä'unfttehre unb =prari§
irregeleitet finb.
bie „©djeu oor bev g-arbe".
575
raar bal}er ganj in ber Ovbnung, roemt iinb i))iarmor=
bilbner, roie beridjtet rotrb, fetbft bie ©arftellung ber unbebedten 0te£fen
beg ßeibeg bein g-arbentone ber 'Tcatiir ju nähern fuditen : unb bie
riditen non eisernen 5ltl)letenftatuen raelc^e ba§ 3hi§fe^en eine§ non ber
©onne gebräimten £eibe§ !^atten, non ber ©c^amrötl)e auf ben SBangeu
be§ 2tlf)ama§, unb ber ©obtenbläffe im 3ingefidte ber ^ocafte, fönnen
un§ in feiner SBeife befremben. ®ie ©puren efjetnafiger f^ärbung, be;
fonberg an ben ©eraänbern, felbft Riefte non (Jarnation, finb nod} an
mefireren ©tatnen fid)tbar, ober nor it)rer ©äubernng nod) fid^tbar ge=
mefen. ®iefeg raarb an ber if>adag oon 25elletri, ber ©inna oon 3Ser=
faideg, bem Sfpodo mit bem ©reife, nnb anberen ©tatnen bemerft, bie
mitunter ju ben t)err(id)ften SIntifen geredjuet raerben.
„diod) oiel anftöpiger für nuferen“ irregeleiteten ,,©efd}mad alg Sldeg
biefeg, ift bie 2lrt nnb Steife, mie bie ©riedfen, nid)t jnfrieben mit ber
bloffen SBirfung non £id)t nnb ©djatten, bie Siide beg 3lugeg an iljren
©tatnen ju füUen fndjten. ©g mar ganj an ber ©agegorbnnng, bie Gingen
tbeilg nodftänbig ang3nmnlen, tl^eilg fogar bag 2Seif3e beg 3lugeg burd)
©ilberblättdjen, bie 'f^upiUe burc^ eble ©teine oon djaracteriftifdjer fs'W'be
oorjufteden .... ^n ben alten ©d)riftftedern finbet fid), bei fo trefflii^en
23emerfungen über ben ©eift einjelner Äünftler, über ben jbnnftroert^ il;rer
ifsrobnctionen , über ben finfcnben ®efd)mad einer gnnjen nirgenbg
aui^ nur eine ©ilbe, meld)e eine i)3tif3bidignng ader biefer @erool)nl)eiten
ber '^laftif enthielte. ©)er eingefetjten Gingen namentlid) mirb nur ganj
jnfütlig crroäljnt, unb immer alg einer ©acbe bie fid; oon felbft uerfteljt.
©ie Idineroa beg ipt}ibiag im if3artbenon 311 3Itl)en, aug ©olb unb fölfem
bein, mar l;od)gefeiert ; ber Olpmpifdje Jupiter galt für ein nnerreicf)bareg
SBerf, unb ifin nid)t gefel;en 311 Ijaben, für ein Ilnglüd“ *).
®ie S.l)atfadje roeld)e mir hiermit beroiefen ^aben, baf3 bie antif=
claffifdje Äunft nid)t roeniger alg bag fatljolifc^e i)Jcittelalter „bie aug;
gebe^ntefte 3lnroenbung farbiger 3idl;at“ bei ben ÜBerfen ber ©cntptur
alg felbfinerftünblid) anfal; unb übte, ift in ber ©egenroart adgemein
anerfnnnt **) : freilid; mad;t mand;e ©arftednng ben ©inbrnd, alg ob
man fie nod; immer ungern anerfünnte. ®enn bef3ungead;tet Stiegel
nod) im ^alire 1870 offentlid) ben Slugfprud) tl)ut: „®ie farbige 23e;
malung ber ©tatnen ift etroag 23arbarifd}eg , nnb gel^ört immer ben
©ntmidelunggepod)en an“***), — fo bürfen mir eg bem £efer
*) ?ltacfi geinrbai^, ©. 182 — 189. (6it. 344.)
**) 9Jtan Bergteicbe; Sübte, S3b. 1. ©. 115, unb bie 23efd)retbung ber tölinerna
be§ ?dt)ibia§, bafelbft 0. 128; ©dinaafe, 23b. 2. ©. 96 p. Garrtere, 23b. 2. ©. 173 f.
(6it. ©. 342. 18. 339.)
***) gftieget, ©. 27. (Sit. 567.)
576
Drei Sefinitionen.
an^eimfteUen , fic^ über Den SOertl^ fofc^er iße^auptungen fein Urt^eil
felber ju bilben. iÖJiuber ungünftig roeiügftenS müjfte baffeibe aiigfatlen,
roenn iRiegei, ftatt untäugbare !^iftorifcf)e Jfiatfad^en einfach ju ignoriren,
non ber SUternatbe bie roir Stnfelm f^euerba^ ftellen i^örten, „entroeber
an fid) feiber ober an ben @ried)en irre ju roerben", na^ 33if(^er§ ÜSor:^
gange furjroeg ba§ 3’^^^te geroä^It Iiätte. Slifc^er nümlic^ „t)erfcf)mät)t
e§", roenn eg fi(^ um bie i]3oü)d)romie ber Scutpturroerfe ^anbelt, „für
fd)ön anjnerfennen roaä if)m ^üglic^ fdieint, unb ,n)ören e§ aui^ ^unbert=
mal bie @riec^en‘, bereu Slnfel^en, eg empfähle" *). ®odte ißifdier nii^t
feine ganje 3tuffaffnng non bem J^efen ber if^Iaftif preiggeben, bann
mar ber in biefen 35>orten angebeutete in ber i^nt ber einjige Siugroeg,
ber i^m offen ftanb: beim entfcbiebener nnb tauter, atg eg burc^ bie
'ißietfarbigfeit i^rer 29erfe bie if^taftif ber @ried)en t^at, lü^t fid) ber
proginatifctie (^^aracter biefer Ännft, ben 33ifd)er oerneint, fürraa^r nid)t
befaßen.
§. 3.
3>rct Definitionen.
38(>. Seffing gibt tm neunten 3tbfd)nitte feineg „Saoeoon“ bem
„äßunfebe" '3(ugbrnd, ba^ man unter ben (S'rjeugniffen ber gried)ifd)en
Scutptur alg „^unftroerfe" nur biefenigen anfe^en möchte, „bei benen j
bie erfte unb tetjite Stbfic^t beg Äünftterg bie ©djön^eit gemefen, unb bie |
'ilunft nic^t im Sienfte ber 9retigion, fonbern um i|rer felbft
mitten gearbeitet bcibe" **). 9ta(^ 3tttem mag im fiebenten 2tbfd)nitte i
üon nng feftgeftettt mürbe, ^aben mir nii^t me^r nöf^ig, bie 3tuffaffung |
metdfe biefem „SSunfe^e'^ ju @runbe tiegt, ju mibertegen. Ueberbieg ;
„tiegt fa aud) in ber Xt)at", mie fdfon fVenerbad) bemerfte, „ein SBiber^
fprud) barin, menn ^eutjutage nod) ein fo grofjeg @emicbt auf biefe
Unterfd)eibuug Seffiugg getegt mirb, ju einer 3^^^' i®o man gerabe
bag tßefte nnb ifbödffte ber gried)ifi^en Ä'unft auf bie begeifterte 2tu=
^ängtid)feit au ben ©tauben ber 35üter jurüdjufüt)ren gebenft . . . Unb
mie mu^ bie 3^^^ attgried)ifd)en Äunftmerfe jufammenfe^met^en,
menn Seffiugg 8d)eibnng confequent fortgefü^rt mirb: menn nid)tg be;
ftellen bnrf, mag nid)t unmittetbar ang reiner Jbunftibee abjuteiten ift! ;
tOUneroa mu^ it)re 2tegig, dieptnn feinen ®reijad, unb tßacd)ug nii^t
nur bie mpftifd)en .'Qörner, fonberu aud) ben fdnuettenben ©ptieufranj
niebertegeid' ***).
*) 3?ei 8ope, e. 571. (6it. 18.)
**) Seffing, ©. 87. 89. (©t. 459.)
***) 5(. jeuerbaef;, ©. 189 f. (6it. 344.)
®rei Definitionen.
577 •
3» bell fo n>eitt)in biefdben and) iiodj Ifcrrfdfen,
faiin barum für und fein @vunb liegen, mit ben brei ©efinitioneu, in
benen mir bie plaftifdje Äunft, nadfbem mir i^r 35>efen allgemein feft=
geftedt, je nad) ifjren brei lÄidjtnngcn djaracterifiren , irgenbroie jnrücf=
jnl^alten. (?•§ Ifanbelt fid) ja nid)t barum, ob biefelben jemanben neu
üorfommen, fonbern ob fie bie oolle SBaljidjeit für fid) !^aben.
S^ie religiöfe ©culptur ift bie Ännft, Siljatfadjen melc^e ber
übernatürlidfen ©ffenbarnng angeljören, mittelft oold
ftftnbiger ober ftereometrif dj er ©eftaltbilber fo barjnftellen,
baff bie S)arftellnng geeignet ift, bie (S^riftenljeit gu erbauen.
®ie ©cnlptnr al§ ciiüle Äunft ift bie Ännft, (5-rfdjeinnngen
and bem menfdilidfen geben mittelft oollftünbiger ober ftereometri=
fdjer ©eftaltbilber fo barjnftellen , baff bie ©arftellnng geeignet ift, in
ben Sefdjanern feiten @eift 511 forbcrn, uon meid) ein bie SSlüte
bc§ bürgerlid)en .gebend mefentlid) nbl)tingt.
®fe bebonifd)e ©culptur ift bie jlnnft, ()-rft^einnngcn au§ bem
menfd)lid)en geben in oollftnnbigen ober ftcreometrifd)cn (iieftaltbilbern fo
barjuftellen , baff bie ©arftellung geeignet ift, 31nberen äft^etifdjcn
@enn^ 511 o er mittein.
^nfofern e§ fid) nm bie 23egrünbiing biefer Definitionen l)anbelt,
oerraeifen mir auf ba§ in ben oorl)ergel)enben i|Jaragrapl)en unb im
fiebenten 3lbfd)nitte oon und ©efagte. 2öcitere§ jn il)rer ißertl)eibignng
nnb ©rflärnng merben mir folgen Inffen, nnd)bem mir im näd)ften
Äapitel juerft ba§ ügefen ber anberen bilbenben 5l'nnft, ber SRalerei
näinlid), feftgeftellt f)aben.
tiic Jlliilcrci ober bic grnpl)tfd)c ßimft in tl)rcm Ulfffu.
§. 1.
|)tc ^{Infcrci ift, wie bie ^cufptuv, i|jrettt n<ni) vroßwatifd).
Die nnl)e 33enoanbtfd)aft ber iUtnIerci mit ber ©culptur; Ucbergnng uou biefer
ju jener, lieber ben Dinmen „grnpf)ifd)e Äunft". 2Bie bie ©culptur, fo
ftellt aud) bie 9J7aIerci @rfd)eiuuugcu nu§ bem ctf)ifd)cu geben, — ,)5nub;
luug, — bar. 35erfd)iebeue Dortfieile biefer Ä'uuft oor ber d>laftd-
387. ^’ine uon ben 91lten öfter ermahnte el)erne Sitbfäule beg
gi)fippn§ , meld)e „bie — genauer , „ben red)ten 21ngenblic£"
ober „bie günftige ®elegenl)cit", xatp^c — barftellte, ^at cin.Didjter,
ifoofibippug , in einem (Epigramm gcfeid)iiet, ba§ ein bitbet
Sungmann, StefUjetit. 2. Slufl. 37
578 SJlalerei fteüt nid;t ©eftalten, fonbern ^anblung bar.
jtoUc^en betn SSanberer unb ber SUbfaule felb|t. i[t bag foI=
genbe *) ;
Söo^er [tammt ber J^ünftter? „3lu§ ®ici)on." (Sage, rote ^ei§t er?
„ilt)[ippii§." Unb bu felbft? „?lC[e§ befiegenbe
SBariim gef)ft bu einher auf ben 3^^£n? „3(^ laufe beftönbig."
Unb bie f^Iügel aut f5‘U^? „3'öfbern ben eilenben Sauf."
Sßarum roaffnet ber Sta^l bie 9fted)te bir? „Um ju uerfünbeu,
Sa§ bie fd)ueibenbe 3^ii gleichet bem fcfjueibenben Stabl."
äßarum roel)t bir ba§ jjaar iuä @efid}t? „3Der 23egegueube greife
ilRid) babei." Sfber roarum l§a[t bu ben §iuterfopf fal}I?
„23iu id; cimuni bat)in mit geflügelten 5üpen geeilet,
3iel§t mid; deiner jurüd, ron§ er aud) immer beginnt."
SBarum bilbete bic^ ber Sinnige? „(Sudj gnr Selebmng,
JC'nnbrer, unb [teilte bnriun l)ier in ber §atle mid) auf" **).
äöäre iüd)t im leltteu iBerfe uon einem „Stufftellen in ber ,ipalle" bie
fliehe, unb mü^te man übevbieS nicf)t, baß Spfippud au§ Sicpon plaftifi^er
,finnftler mar, unb nid)t fHialer, bann liefte ficb and biefer obgleid)
genauen ®efd)reibung feinesroegg entfd)eiben, ob biefelbe ein Sföerf ber
fDialerei ober ber Sculptur im Singe Ijätte. 3le^nlicl)e§ gilt oon bem
früljer (S. 569 f.) mitgetlfeilten ©pigramm über bie Statue ber SOiebea;
bie ®orte „Stein", „f^uf^geftell", „f^elfen", beroeifen, baß oon einem
plaftifc^en ®erfe bie 9iebe ift; bie eigentlid) (^aracteriftifd^en 3üge be§
fßilbeä bagegen liefen fic^ gerabe fo gut auf ein ©emülbe beuten. ®arin
tritt und unoerfennbar bie Sl)atfad}e entgegen, bafe bie SIJialerei ber
Sculptur überaug nal)e ftelit, — mie eine Sd)mefter ber anberen.
®ie Sculptur ^ielt in itjren ©eftalten, burdj meldie fie und bem
et^^ifdjen ßeben ange^örenbe @rf (Meinungen oorfn^rt, an ber natürlidien
breifadjen Sludbel^nung ber Jl'orper feft. Slber bie beiben mefentlid^en
Elemente, in benen bie menfc^lid)e ©eftalt bad innere fieben unb feine
S^atfadjen offenbart, bie önßeren Umriffe unb bie f^arbe, laffen fi(i^
oermittelft ber SOtalerei mit Dotier Sreue unb 2ln=
fd)aulid)feit and) auf ber glätte miebergeben. ®arin liegt ber Uebergang
üon ber ptaftifdjen Jiunft jur grap^^ifdjen, unb oUem Söefentlic^en nac^
and) bad 33erpltnif3 beiber gu einanber. SBad bie Sculptur burd) Dolt=
ftänbige, ftereometrifd)e ©eftaltbitber , baffelbe t^ut bie SOiaterei burc^
„unnoUftänbige" ober „planimetrifd)e" (oben, 9t. 362. S. 535).
©ben biefed loirb burdj ben jtoeiten 9iamen ben rair in ber Ueber=
fdjrift gebraucht liaben, jiemtidj flnr angebentet. ©eroöljulic^er ift freilid^
*) ®ie SlBorte ber Silbfäule unterfd;eiben roir oon benen be§ 2Banberer§ ba=
biircb, ba^ roir bie ©rfteren mit StnfübrungSjeid^en oerfeben.
"'*) S’-'- Saeobä, Siempe, 33b. 1. S. 173 f. — Anthologia gr. 2. pag. 49.
Sie ÜRalerei ftetlt nid;t ©eftalten, fonbevn .'panblung bav. 579
ber 9lanie 9J7aIcrei; auf bcm luiffenfdjaftlidjen ©cbiete ntäre ber aubere,
„grapfitfdje Äunfl", eigentlich Dorjujiel)en. ®enn baä raefentlid)ere , bad
eigentlich fpecififche 3Jlittel ber ÜRalevei ift ja nid)t bie fyarbe, fonbern
bie *) • biefe§ ilJioment tnirb aber burdj ben diamen
„graphifche jlunft" anSgebrndt: beim jpd'sziv heipt „geidfiieid^ 3Bohl
eben barum nannten bie ®ried}en bie iUtaterei C^Ypoccpia, ba§ h^d'd
ftetlnng lebenber SSefen biivd) 97ame DJlalevei ift ba=
gegen non bein ininber inefentlidjen IDiittel hevgenommen.
@eftaltnngen ber grnphifd)en ,fi:nnft, tnie bie Abolj; ober fyormfdjneibe;
fnnft (Xplographif), bie ©teinjeidjnnnggfnnft (Cithographif), bie Jtnpfer;
ftecherfunft ((Sholfographif)/ felbft anch für bie Silbinirferei, IBitbftiderei,
=ftriderei, nneberei, pafft nberbieS ber 9lame DJtalerei nid)t. Unb enblidj
erfd)eint berfclbe offenbar and) bajn nngetl)an, bie unrichtige iin norigen
Äapitel non und loiberlegte 2lnfid)t ^n forbern, alä ob bie fy^rbe nn§=
fdjliefdid) biefer .llnnft gehörte, nnb bie plnftifd)e baranf n,id)t ganj ba§
gleiche Unecht hätte.
388. Sind bem ©efngtcn ergibt fid) fd)on, baf) ber ©harncter ber
9)7nlerei, ebcnfo inie nad) bcin fvrüheren jener ber ©cnlptnr, roefentlid)
proginatifch ift. ©ie üergcgenioärtigt und bnrd) planiinetrifdje @e=
ftaltbilber einzelne ÜRenfchen, ober ©nippen non StRenfchen: nnb in ber
^oltnng ihred ^eibed nnb ihrer ©lieber, in ben
brnde ihred ©efidjtd nnb nameiTtlid) ber Singen, in ber ©tellnng ber
iperfonen unter einanber unb ihren gegenfeitigen Beziehungen, tritt und
jene ©rfcheinung and bein l'eben, jener 9Jtoincnt non ©ebentnng, jene
.fbanblnng entgegen, melche ber 5bnnftler, je feinem befonberen 3'^’>^de
entfpredjenb , und oorfnhren lootlte; in ooller Älarheit nnb Slnfd)anli(^:
feit üor Sltlem bann, locnn und bie .S^nnblnng ilirein S5>efcn nad) fd)on
befannt roar.
3nbein bie Btalcrei in ber Brojection ber Körper auf bie f^lädie
auf ©inen SSorjug ber ©cnlptnr oerzichtet, geroinnt fie bnfnr nnbere non
gröfierer Bebeutnng. fühid fie tüd)t btof), loie bie plnftifd)e
^nnft, bie ©kftalten ihrer Bet'fonen oor, fonbern, fo oft fie ©rfd)einnngen
barftellt ineld)e biefer ©rbe nngel)ören, ziigleid) and) bie ©^eftalt bed 9'tnnmed,
innerhalb beffen bie ^P^erfonen l)d»öelnb anftreten; mit unb in biefem
IRaume aber, bem bie ©ieftalten einigenben i^intergrnnbe, bilbet fie zt'Sfcid)
alle entfprechenben Umftänbe nad), nid)t nur bed Orted, fonbern einiger;
maffen and) ber 3eit. Bermoge ber größeren ©lefngigfeit il)red SSinterinld
ferner ift fie im ©taube, bie feineren 3üse/ bie fleinften Slenpernngen
bed inneren Sebend, namentlid) im Singe unb im SOtienenfpiel, mit egroper
©diärfe audznbrüden, unb überbied, ©ieftalten in beliebiger Slnzahl z^
*) tbtan Dergleid)e bie SBorte be§ heiligen oben St. 362. ©. 534.
37*
580
®ie Iftderei [teilt nic^t ©eftaltcn, [onbern .ö^nblimg bor:
(Siner ©efammt^anblung ju üerbinben. §otge !^terr)on ift ber Umfang
t^reg ©ebieteS nie! gröf^er, ber 2[u§bru($ in ifiren ©diöpfitngen nollenbeter,
ba§ Seben beroegter, noQfommener, tiefer. ©orao^I in f^otge ber größeren
Seii^tigfeit ber ©arftellung , al§ namentiic^ roeil fie ben Dfiaitm für i^re
(S:onceptionen felbft fd^afft unb abgränjt, fann fie and), mefir at§ bie
ifJIaftif, 5ßilber auä ber illatur be^uf§ atlegorifc^er ober fpmboüf^er 2tn=
beutungen ju .^ülfe ne'^men, foroeit biefelben bnrd) bie 25erbinbung mit
ber ganzen ©eene, ober in f^oige beä ©ebraud^eg, leidet nerftänblii^ finb.
s. 2.
Pas fe^te pßcnbma^f non c^conarbo ba iJinti, afs ^ffufiration bcs
pragmatifj^cn ^^aracters ber p:afcrei.
389. ®ie in bem Vorigen auggefprod^enen ©ebanfen ju beteudbten,
nnb namentlid^ ben pragmatifdEien ([t)aracter ber ilRalerei oerait'
f^antidjen, eignet fid^ in oorjüglic^er 35>eife bag berühmte unb feljr
befannte ©emätbe im [Refectorium beg ©ominicanernofterg ©anta iJRaria
beite ©rajie in ÜRailanb, bnrd^ melc^eg Seonarbo ba SSinci um 1480 big
1490 bag le^te SIbenbmabt bargeftettt ^t. ©oet^e fdfirieb eine ©^a=
racteriftif biefeg ©emälbeg in feinem ®eridite über bag iprac^troerl , in
roeld^em ber OJtailänbifc^e iJRaler S3offi im baffelbe
eingebenb be^^anbett ^atte*); im 2Infd)Iuf3 an ©oetl^e unb an jraei Slubere,
f^riebrid) ilRütier unb SBifeman, jugleid^ aber auf ©runb eigener ©tubien,
oeröffentUc^te oor mefireren ^al^ren ^efele gteid)faüg eine 2Ib!^anbtung,
in roeicber er bag Ijerrlicbe Silb fe^r gut erläutert**). SSorjuggroeife
biefer 3tbbanblung, gum J^eil aber auc^ ber juerft ermäl^nten non ©oet^e,
entnehmen mir bag f^olgenbe, mit einigen Stenberungen.
390. ®ag 93ilb ift nid)t „at fregeo", foubern mit Oelfarbe auf
bie ÜRauertündbe gemalt, über ber ©inganggtbüre beg ©peifefaaleg. ©g
ftel)t gehn ')3arifer ©ebub nom 23oben ab ; feine Sänge beträgt 28 ll>arifer
©ebub, bie ^öbe 18, unb jebe ber breijebn ©eftalten mifst bag 2Inbert=
batbfacbe ber Sebenggrö^e.
3n ber ilRitte beg Silbeg fil^t ©briftug ber .Iperr, mit einem purpur=
farbigen Seibrod unb ajurnen ilRantet. ©r bat eben bie SSorte gefprodben:
„©iner non eueb mirb midb oerratbeu." ®af[ Seonarbo ba Ißinci gerabe
biefen ÜRoment genommen b^il/ iö^eiftergebanfe. ©eroöbnlidb
mirb für bie ©arftellung beg letzten 2lbeubmabl§ bie ©infe^nng ber
heiligen ©udjariftie geroäbtt: aber biefer Stugenblid erbeifebt in ber .iQaltung
unb ben ©efidbtern aller Slpof^^^ Slugbrud ©ineg unb beffetbeu ©e=
*) @oetbe’§ SBerfe, Stuttgart 1869, 33b. 35. @. 24 ff.
**) ^b^ologifcbe Guartatfebrift, Tübingen 1867, ©. 24 ff.
ba§ le^te Slbeiibma^l non Seonaibo ba SSinci.
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fiU}l§, nämltdj tiefer 3tiibac[)t, unb geftattet befdjalb roeber 5Jtaniiid)faltig=
feit nodj tebenbige iBeiuegung. ©er non ba ißinci geinäf)tte iDioment
bagegen, nnmittetbar nndjbcm ber .'i^eifanb bie angefnfjrten SBorte gefprodjen,
fnfjrte non felbft jn ben nerfdjiebenften SSariationen be§ ®cficbt§ansbrnde§
inie bev 5fction in ben einjetnen i^erfonen. ®ine ©arftelinng ber ®in=
fc^nng beg fjeiligen ilRef^opferg mürbe noü^roenbig ein inetjr einförmigeg,
meit roeniger febenbigeg nnb bemegteg 33Ub neranlafjt f)oben, mie Si^nl^enbe
non Söerfen anbercr ^ünftter geigen. 5Dic an ficb (ontofogifd)J beben=
tenbften iötomente finb nidjt immer bie „frndjtbarften", bie am meiften
maferifd)en.
®ag §anpt (S^rifti ift fanft nad) norm geneigt, nnb anf jene Seite
ino ber 33errätf)er fidj nidjt befinbct; and) ber 23Iid ift etroag nad)
unten gefcnft. ®er ^^err mitt ijubag nid)t anfdjanen, überl^anpt ben
ÜMicf nid)t auf einen beftimmten ©injetnen ridjten, meit er ben ©d)ulbigen
nid)t beutfidj bejeid)nen mitt. Sie 5tction ber Strme unb ff^ünbe aber
brüdt ganj natnrtidj unb einfad) ben ©ebanfen aug; „Unter eud) ift er."
4''eute nod) mirb jeber Stebner bie Sporte, „unter euc^ ftebt eg fo!" mit
einer a^ntid)en 2lction begteiten. Sabei ift ju bead)ten, baf3 bei ber tinfen
.^''anb bie innere Seite nad) oben gemanbt ift, ni(i^t aber and) bei ber
rediten. Sie tinfe §anb t)at bie beim Stugbrucf beg bejeid)ueten ©ebanfeng
ganj nntürtid)e i^attung; bie reffte bagegen, tjatb gebret)t, nnb an ben
fyingerfpit),en get)oben , uerbätt fid) fo jn fagen osixttxA^, b. t). fie meift
nnroittfnrtid) unb unbeabfict)tigt auf ^subag bin. SBarnm fenft aber ber
©rtöfer bag .Stäupt? 9tud) bag ift ber ganj natnrtid)e 9tugbrncf ber
9?etbenerung. äiJer mit dtadjbrnd fpredjen mitt: „SBabrtid), mabrtid),
unter eud) ift er," mirb babei nott)menbig bag .^f'^nnpt ein menig neigen.
Unb (ft)riftng neigt eg auf bie Seite, mo ber Sferrättjer nid)t fit^t. ©r
mitt ibn eben nidjt anfdjanen; aber mütjrenb er fo bie ^attnng beg Jlopfeg
betjerrfdjt, beutet bie redjte fpanb mie unmittfnrticl) ein menig auf ^nbog
tjin. 3n bem männtidj fi^önen, mnrbeootten, b^iiiflcn 9tnttibe beg ©rlöferg
aber tiegt tiefer ©ruft nnb tjob^ i)i)Utbe; bag ißemnfdfepn ber SBürbe
feiner ©otttjeit nnb bie ebetfte .©ingcbnng finb mit tjcitigem Sdjinerj über
bie grope 93erirrnng beg ;3ünsen§ nerfdjmotjen.
Stuf jeber Seite beg igerrn befinben fidj fedjg 9lpoftet, metcfte mieber
je in jmei fteinere ©nippen jerfatten; aber ber Äünftter ^at biefe fteineren
©ruppen unter einanber fomotjt, atg mit bem gemeinfamen iDiittetpnnft,
bem ©rtöfer, in fo getnngener SBeife jn oerbinben gemufft, ba^ atte breU
je^n ij3erfonen gufammen atg bie Srüger einer einjigen .j^anbtung fidj
barftetten.
93eginnen mir mit ber nnfferften fjjigur auf ber redjten Seite ©^rifti*).
*) gür ben SefcEjauer lint§. 9Jtand;e 5iad)bilbuii9cn be§ @emälbe§ in
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®te 2JiaIerei [teilt nid^t ©eftalten, fonbern ^anblung bar:
[o felgen ratr !§ter ben SIpoftel 25artl§o[otnäu§, einen fräftigen jungen
?[Rann mit jd^avfem ijSrofU, in [leübtauem Seibrocf unb grünem flKantel.
@r i^at fic^ mit fic^tticber ©nergie uon feinem Si^e evl^oben, unb neigt
fic^ , ouf bem redften §u^e fte^enb, ben ünfen übergefd^Iagen , bie
§änbe auf ben Jifd) geftemmt, gegen (Ji^viftug f)in uor. ®a er uon
bem i*perrn entfernt fafj, fo ift er nidjt ganj fidjer, ob er red)t gel^ört
l^abe: beftfialb raenbet er fid) ooü ©pannung (barum mit niebergebrüdten
Slugenbrauen) nä^er ju i^m unb ben anbern 2lpofteln f)in, um ju fragen
ober bod) ju pren, roa§ beim gemeint fep. 2tuf ip folgt
ber jüngere, ebenfalls im i^rofit gefafft, ein noc^ eblerer Äopf al§
ber Dorige; bie f^amilienäplid)feit mit bem ,!perrn ift unoerfennbar.
®er Jtünftler lootlte fie auSbrücfen, unb gab au(^ bem jlleibe be§ illpoftelg
bie gleidje fyarbe roie bem be§ §errn, rotfitic^, nur einige ©chatten bunfler.
2(ud) ^ifcobug Toitl näpren Slufptup unb fipt ip oon i|3etru§ ju
erplten. S)arum ftrecft er feine beiben 2Irme nac^ biefem au§, um t^m,
auf feine ©d)ulter flopfenb, ein geben, bap er fi(^ ju i^m
toenben möge. ®iefe 2lction be§ ift e§/ roeldie bie jroei fleinereu
©ruppen biefer ©eite be§ SilbeS mit einanber oerbinbet. ®ie britte
f^igur ftetit ben piligen 3fnbrea§ bar; fein Oberfleib ift grünlid) unb
rötpic^, fein Unterfleib gelb, ©r ift ein älterer illiann. ®ie Oberlippe
pt fi(^ bereits etroaS eingefenft (oieUeicbt in f^olge oon 3puoerluft), unb
bie Unterlippe ftep etraaS oor, roie bei älteren Seuten oft; aud) bie iliafe
ift länglid) unb fpipg geroorben. ($r ift ganj überrofc^t; mit plb auf^
gepbenen 2lrmen geigt er bie flat^en .^änbe oorroärtS, alS entf^iebenen
2luSbrucf beS ©ntfet^enS, — „ber in biefem 23ilbe nur ©inmal oorfömmt,
ba er in anberen, roeniger geiftreid) unb grünblid) gebuchten SBerfen fi(^
teiber nur ju oft roieberplt" (@oetp).
3n bem @efi(^tSauSbrude beS 5]3etruS, ber auf feinen SBruber
SlnbrenS folgt, ift bie ©mpfinbung beS ©d)mergeS oorprrfd^enb.
roill er erfapen, roer benn gemeint fep, fäpt borum eilig pnter ^iitiaS
pr, legt bie linfe §anb bem 3öpn»e§ t)ie ©djulter, unb forbert
ipi auf, ([piftum felbft gu fragen, inbem er anf biefen pnbeutet. 25ei
biefer pftigen Oeroegung brücft er mit feinem red)ten 2lrm auf 3«baS,
ber neben il)m fip, ft^iebt ipi etroaS oorroärtS, unb gibt fo 2Seranlaffung,
ba^ berfelbe mit feinem rechten 2lrm baS oor ipi ftepnbe ©algfa^
umroirft; befanntlidj ein böfeS Omen. Oabei pt ipetruS in ber reiften
.^anb ein fd}ioertartigeS Pfeffer, als roodte er bamit ben unbefannten
23errätpr güdjtigen. OaS Oberfleib ipetri ift gelb, baS Unterfleib blau.
3uboS pt ben 23lid, nic^t ope ©direcfen unb f^-urdit, anf CpiftnS ge=
Äupferftid;, 2itl)ograpbie ober Sitpppnie geben bie (Jompofition oerfefirt, inbem [ie,
roa§ im Original red)t§ ift, linf§ erfdjeinen laffen, — nnb umgefelirt.
ba§ letzte Slbenbma^t Don Seonorbo ba SSinci.
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mit ber red)ten fe[t gc[d)Iof|enen ^'^anb I)a(t er ben iBeutet, mit
ber Hnfen aber madjt er eine iimninfürticbe frampfbafte ii^eroegutig, at§
rooUte er jagen: „3A>ag joü bad beijsen? roa§ jotl bas roerben!''
ber p(ötjtidf) erfdjricft, tnirb äbnlidi agiren. '©er ©djatten ber auf bie
ganje ©eftalt, nnb namentlid) auf baS ©cficbt beS födt, mad)t
feine fcbarfen 3üge nod) fdjtirfer. ©mS ifSrofil ift auSgejaeft, 35erfd)toffem
beit anbeutenb, aber feineSroegS b^fdidj ober gemein. 3(nd) bie jiemlicb
bnnflen 2öne feiner ^leibnng, befonberS gelbbraun, finb fid)er nicht nmfonft
gerociblt. ®en innig liebenben ^obanneS muf3te ber ©ebanfe, halber
5lngenblicf mo er feinen ildeifter nerlieren follte, fo nabe benorftebe, mit
tiefer innerer 2l>ebmntb erfüllen: nnb bicfe fprid)t fid) foroobl in feinen
3ügen al§ in feiner .'galtnng flar anS. ^obnnneS b^t 'i^'inger in
einnnber gefd}lungen: fd)on ben eilten galt biefeS nlS ber natürlid)e 9ln§=
bnicf beS ©d)merjeS 332). ®aS Ilnterfleib beS ©uangeliften ift grün,
fein iJJJnntet rotb.
3lm nnd)ften bem .S5errn auf feiner linfen ©eite (für ben 33efdinner
rechts) erblictt man ben £opf beS 5lpoftetS ^bomaS, nnb feine redjte
.<)anb mit erbobenem ^^^'Ö^fdigcr. ©eine* )5altung fd)eint 2?eru)unbernng
nnb ©tannen nnSjnbrücfen. il'iclleid)t rid)tct er an ben ^-rlöfer bie f^rnge:
„^‘■^err, bin icb eSV" (DDiattb. 26, 22.) ®en 'HjO'imS fnft bebedenb
erfd)eint unter nnb nor ibm ^ncobuS ber üleltere. ©r beugt fid)
nor IBeftürjnng jnrücf, breitet bie 5lrme nnS, nnb ftarrt oor fidi bin,
roie einer ber bnS Ilngef)enere baS er biird) bnS ©b^ uernimmt, fdjon mit
3lngen ju fel)en glaubt, ©ein .Hleib ift fd)mcfelgelb. ifibüippnd, in
einem blauen l'eibrod nnb rotben ))}tantel, ber britte ju biefer ©hmppe
geborenbe, runbet biefelbe anfS lieblidjfte. ©r ift anfgeftanben, beugt fid)
gegen ben 30ceifter, legt, feine lüebe betbenernb, bie ,S)innbe auf bie 33rnft,
nnb fprid)t mit größter .Hdarbeit: „4"^err, id) bin’S nidjt! bn raeipt eS.
©n fennft mein )5er,3; id) bin’S nid)t!"
©ie jroeite flcinere ©ritppe biefer ©eite beginnt mit DJi attbänS.
®aS ©efidjt linfS 51t ben jmei entfernter fibenben 3lpofteln geroenbet,
beftätigt er ihnen baS Sßort bcS ,s5errn, baS fie nid)t red)t oerftnnben
ju haben glauben, nnb roeift babei mit beiben 3lrmcn nnb ,S5ftnben auf
©bnftnS bi»; nerfidjernb: „©0 bat ©t gejagt!" ©nrd) biefe 3lction
oerbinbet er in gelungenfter ifi>eife feine ©nippe mit bem iOtittelpnnfte
ber ganjen ©eene. ))]iattbänS ift fung, nnb nrglofer 9]atnr. 3" feinem
ein rcenig geöffneten ilJtnnbe jeigt fiel) ein üngftlid)er 3luSbrucf, nnb bie
ficbtbnren 3äi)ne fpred)en eine 3lrt leifen ©rimmeS nuS. ©ein Ilnterfleib
ift hellblau, fein iUfantel bnnfelblan mit gelbem patter, dieben ihm fi^t
ibabbauS, mit braunem Ilnterfleib nnb grasgrünem iDtantel. ©r ^eigt
bie ftärffte lleberrafcbung , nnb jngleid) 3?erbrnf) nnb Slrgmobn; feine
linfe .©anb bat er offen onf ben itifd) gelegt, nnb bie red)te in ber 3.1'eife
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®ret Sefinitionen.
erl^oben, al§ fte^e er itn Segriff, mit bem Sftücfen berfetben in bie Unfe
einjuf erlagen, — eine SSeroegung bie man rool^I bei ^Tiaturmenfe^en fie^t,
raenn [ie bei einem unerroartelen 35orfat(e au§brücfen motten: ,,^ab’ id^’§
ni^t gejagt! ^ab’ i^’g nicf)t immer nermnt^et!" (@oef^e.) ©eine eigem
f^ümlidje Slction bann inbe| fe!^r rool^l and) fo oerftanben roerben, al§
jage er feinem ttiad;bar ©imon: „SKa^rfc^einlic^ iffg beutet
rairfti(^ unmerf'tii^ nad) biefem ^in. ©imon enbtid), ber dltefte non
Sitten, in roetfsem Seibrod unb gelbem ttJiantel, ift im ifSrüfil gemalt;
er jeigt in ©efidjt unb Haltung an, ba^ er felir betroffen ift unb bag
©eprte bannt glauben bann. @r groeifelt: barum meift il^n Ütttattpug
auf (Sl^riftug ^iu, X^^abbäug aber auf 3^bag. ©rfterer fagt §u i^m:
„@eroif3, fo I)at ber .^err gejagt", 2d;abbäug aber, auf ^ubag beutenb,
fprid)t: ,,©(^au, fieser ift’g ber".
S3eroeift biefe SSetrac^tung beg gro^eu SBerbeg non Seonarbo ba SSinci
oljite baffelbe bie 33erüljmb^eit ju ber eg gelangt ift, in
noblem ittiaa^e nerbient, fo erläutert fie anberfeitg — unb bag mar bie
9tücbfid)t bie ung beftimmte, babei ju nerroeilen — in norjüglid^er Sßeife
unferen ©at^, ba^ bie SJiaterei «i^rem SBefen nad; pragmatifd), bag §ei^t
bap fie berufen fep, .^anbtung barjuftetten, nnb nid)t, ©eftatten.
§. 3.
3>rci ^cfinitiottctt. pte ,,^iänjftnic‘‘ äittifcbcn ber Scufplur unb ber ^aferci
uttcb ber neueren ^fteffßetiß.
391. ©lag Sföcfen ber ittiaterei nad) ißren brei Diiditungen brüden
mir, bem ©efagten gufolge, burd) biefe ^Definitionen rid)tig aug.
®ie retigiöfe üttalerei ift bie Äunft, ©ßatfad;en roelcße ber
übernatürlidjen Offenborung angeboren, mittelft unnoltt
ftänbiger ober plonimetrifdjer ©eftaltbilber fo barjuftetten,
ba^ bie ©arftettung geeignet ift, bie ©I; rift en ß eit gu erbouen.
®ie ttJialerei alg cinile .itnnft ift bie Äunft, ©rfeßeinungen
aug bem men fd) ließen Seben mittelft nnnottftänbiger ober plantt
metrifd;er ©eftaltbitber fo barjuftetten, baß bie ©arftettung geeignet ift,
in ben 23efd)auern fenenÖeiftjufbrbern, non roeIcßembieS3Iüte
beg bürgertid)en ßebeng raefentlid; abßängt.
®ie ßebonifdje ttttalerei ift bie Äunft, ©rfdjeinungen aug bem
menfdjlidjen Seben iu nnnottftänbigeu ober planimetrifdien ©eftaltbilbern
fo barjuftetten, baß bie !Darftettung geeignet ift, SInberen äftßetifcßen
@enuß ju n er mit teilt.
Söer biefe brei Seftimmungen mit ben am ©d)Iuffe beg norigen
.itapitetg für bie ©culptur gegebenen jufammenßält, ber fießt fofort, raorin
ber Unterfeßieb groifeßen biefer Äunft unb ber SDialerei feinem SBefen na(ß
®ie „©ränjiinie" jiuifd^en ©ciitptiir ii. ÜJJaleret iia^ b. neueren 9le[tl;etif. 585
liegt: barin nämlicfj, ba[3 bie ©culptur atg ba§ i^r eigene ®axjteUnng§=
mittel [tereometril‘d)e , nollftönbige ®e[taltbilber anroenbet, bie iDlaterei
l^ingegen planiinetrifcl)e, ober nnuonftänbige. Seinem iffiefen nad), jagen
mir, Hege allein in biejem i]5nntte ber Unterjdpeb jioijdjen ben beiben
fünften: benn bie raeiteren iBejonberl^eiten meld)e ber einen nnb ber anberen
eigen jinb, — mir l^aben jie in 9'i. 388 angebentet, • — ergeben fid) an§
biejem inggejammt.
392. S'nrdj bieje Seljre je'^en mir nn§ nun jreilid) in ojjenem
Sßtiberjprnc^, menn mir §ermann ^ol^e nid)t mi^oerjte^en, mit ber ge=
jammten (neneren) bentjdjen 2lejtl)etif. ®er genannte @ejcbi(^tjd)reiber
ber Sel^teren djaracterijirt nämti(^ „bie ©ränjlinie, meld)e in ben oer=
jt^iebenjten 3ln§bntdgmeijen nnb j^ormntiriingen bie beutjd)en 3lejt^etifer
einjtimmig jmijdjen ijSlajtif nnb i)i)lalerei gezogen Ijaben", jolgenbermajjen:
„3itjflntmenjd)lnj3 be§ fiebenbigen in jidj jelbjt, — ®euorjugung ber ein;
jad)en nnb emigen tppijd)en ßljaractere, — 2Ba’^l ber Situationen bie ju
i^rer 23egreijtid)leit empirijd)er Umjtönbe ber ^Injjenmelt nid)t bebürjen, —
jcbien iljnen Sillen ba§ i|>rincip ber bilbenben Ännjt; Oejjnnng be§ ©eijteg
jür bie nmgebenben tßebingnngen be§ ®ajepnä, — .S^eraugtreten be§
^bealen, ans ber Ortlojigfeit be§ ®erjunfenjepn§ in jid) jelbjt, in bie
SBirtlidjfeit, — d)aracterijtijd}e ©ntmidelung burd) bie erregenben SOiotiue
meldje bieje barbietet, — mar ber mejentlidje ©rnnbgebanfe ber ÜRalerei" *)•
2Bie man leidjt erl'ennt, ijt eg lebiglidj bie ißerjdjiebenl^eit ber beiber;
jeitigen 2lnjid)len oon bem Slioejen ber Sculptnr, auj bie jic^, in ber
23ejtimmung „ber ©riinjlinie jmijcben Sculptnr nnb ÜOlalerei", bie iBer=
jcf)iebenljeit nnjerer £el}re nnb ber oon Sot^e angegebenen „aller bentjd)en
Slefb^etifer" grünbet.
23?ag aber bie Scnlptur angeljt, jo mirb niemanb jmeijeln, bajj ben
brüten unter ben ij>nnl'ten, bnrd) meld)e bie Set^cven bag SBejen ber=
jelben djaracterijiren mollen , aiidj mir ooKfommen anerfennen.
mir eg bod) jelbjt bereitg (388. S. 579) Ijeroorge^oben, bajs bie SOtalerei
nng nid)t bloj^, mie bie Sculptnr, bie @ejtalten norjnjüljren oermöge,
jonbern äugleid) ben 9lanm innerljolb bejjen jie l)anbelnb anjtretcn, nnb
mit biejem and) alle entjpredjenben llmjtiinbe, meld)e p ber bargejtellten
,£ianblung in ißejie'^nng jteljen. S)a eg ber 4>lajlil unmöglidj ijt, biejeg
gleid)jallg jn ttjun (auj^er allenjallg in IReliejbilbernJ, jo ergibt jidj
^ierong jür jie oon jelbjt bie Diötljigung , a(g iljre Slormürje jid)
„Situationen ju mäljlen, bie 511 l^rer iBegreiflidjfeit empirijdjer Umjtünbe
ber Slujjenmelt nic^t bebürjen".
®ap unter biejer Slüdjidjt bie ‘)?lajtif eineg SSortljeilg entbehrt
roel(^en bie tJRalerei bejitjt, barin jinb mir aljo mit ben „beutjdjen
*) Sope, 0. 584 f. (Git. 18.)
586 „©ränstinie" jroifd^en @cu(ptur u. 2Jlaterei nad^ b. neueren 3left^etif.
äfeft^etifern" gonj einüerftauben. S^lur ift e§ üieC[eicf)t nic^t [e!^r raiffen
fc^aftüd), biefen ^unft auSbrücflic^ aufjufü’^ren, tdo ber roe[entü(^e Untere
fc^teb jraifc^en ben jniet fünften beftimmt roerben fotl. ®enn baf? bie
ben bejeicbneten 33or^ug nicht be[i^t, ba§ tebigüch barin
feinen @runb, raeil fie burd) notlftänbige ©eftaltbiiber barftettt; unb
bie ÜOiaierei rnirb beffetben eben babiir(^ theithaftig, ba§ fie al§ i^r ®ar=
ftelinnggmittet unDoUftänbige ©eftattbitber anroenbet. 9Run pflegt
aber bie 25>iffenfchaft, roo fie ben raefenttidjen Ilnterfd)ieb sraifcfien jroei
Singen beftimmen raill, nur jene ©igenthümlidifeiten beiber auSjubrüden,
roeldhe ben ©rnnb nnb bie SBurjet ber beiberfeitigen 35efonbert)eiten bilben,
unb feine§raeg§ bie öe^teren in^gefammt aufjujätjten.
5tuf bie groei anberen i]3untte roetd)e, ber '„einftiinniigen Se^re ber
beutfdjen Slefthetifer" jnfotge, bie „©ränjiinie" jroifdjen ber ©cutptur
unb ber 5JiaIerei marfiren foden, haben roir an biefer ©teile nicl)t roeiter
einjugehen. ^ene Se^re ift nämtict) nur ein 91ieberfct)lag aus mehreren
5unä(hft non Seffing nertretenen ^tnfdhauungen über bie bitbenben fünfte,
bie roenn fie roahr mären, auf bem ©ebiete ber Sehiteren in Sh^o^ie unb
ißrariS eine funbamentale Umgeftaltung he^beiführen müßten, .^abent
mir biefe Slnfcbaunngen in bem folgenben Kapitel behanbeln, mirb fidh
üon felbft ergeben, auf meldjer ©eite, maä bie ermähnte „©ränslinie"
angeht, bie 2l>ahrheit liegt, auf jener ber „beutfd)en 5tefthetifer", ober
auf ber unfrigen.
Srittcö
t)ifi* Snljr iPefruigö luiö ber neucrrii ^eftljctik übet* bie bilbeiibcn
fiiinhtc unb ii)ve ^Aufgabe.
393. ^ie ber Serfaffer einer „'populären Slefthetif" un§ nerfichert,
ift Seffing „ber spionier be§ geiftigen !^eben§ ber üteujeit, ber ben Sroft
feiner f^eiabe oerladjt ober nieberfdjmettert" ; unb „noch heute gilt für
bie 3(efthetif, baf? mer ju meit non ben 9?ahnen biefe§ ^fabfinberS ab=
manbelt, f(hmer(id) ben rechten 2Beg eingefdjlagen hat" *). Unter fothanen
Umftänben ift e§ jebenfatl? ber ilRühe merth, bap mir un§ bie Sahnen
näher anfehen, meld)e ein foldher ,,'^fabfinber" ber 2Biffenf(haft ber hil=
benben Jbünfte geöffnet hat. Siefelhen (^aracterifiren fii^ burch folgenbe
©ebanfen.
Am „Anhänge" ju feinem „Saocoon" argumentirt Seffing aifo:
„iberr ÜOinfelmann fcheint biefe§ hä^f^e ©efep ber ©(^önheit blo§
auö ben alten Äunftmerfen aöftraljirt ju haben. ü)ian tann aber eben
*) Semcfe, 'P^opuläre 2teftt)etif (1. 3Iuf(.) ©. 4.
Seffing über bie ©eftimmung ber jroet bilbenben itüuftc.
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l'o imfel^Ibar buvd) tdoye ©d)(üffe barauf fomiiien. ®enn ba bie bilbenben
fünfte allein nerinögenb finb, bie ©d)önl}eit ber ^orm ^ernorjnbringen,
ba fie Ijierju ber .^nlfe feiner anberen Ännft bebnrfen, ba anbere .fünfte
gönjlidj baranf 33erjidjt tljun müffen; fo ift e§ inoljl nn[treitig, baf? biefe
©djön^eit nidjt anberd al§ il^re if3eftimmnng fei)n fann.
„®ie eigcntlidje Seftimnuing einer fd)önen .flnnft fann nnr basjenige
iei)n, inad [ie oljne 23ei^iilfe einer anberen Ijernorjnbringen im ©tanbe i|t.
®iefe§ ift bei ber iSialerei* **)) bie förperlidje ©d)önf)eit."
3?atb bnrnnf nneberl)olt er mit dfad)brnd:
„©er Ülnöbrnd förperlid)er ©d^önbeit ift bie '©eftimmnng ber iötnlerei.
©ie bbdffte förperlid)e ©d)önf)eit ift nlfo itjre Ijöcbfte ®eftimmnng"
UBad er fid; unter bem Slnsbrnde „förperlidje ©d)önbcit“ benfe,
gibt Seffing fpäter an:
„©ad 3^eal ber förperlid)en ©d)önl)eit beftebt in bem ber
i^orm üornebmiid), bod) and) mit in bem 3^föle ber (Jarnation nnb bed
permanenten 5(ndbrncfd'' ***).
©ad ©erftänbnif) biefed ©ebanfend aber ift bebingt bitrd) bie ?ln=
beutnngen, rae(d)e ber norandgebenbe Ülbfdjnitt entbnlt. Seffing nnter=
fd)cibet in bemfelben „t^arnation“ nnb „(Solorirnng", „tranditorifd)en
3(ndbrud" nnb „permanenten“ :
„(Farnation ift bie ©olorirnng fold)er ©egenftanbe, mcld)e eine be=
ftimmte ©d)onbeit ber fvor)n bü^ü^ü , alfo nornebmlid) bed menfd)licben
Äörperd. (Folorirnng ift ber ©ebrand) ber Socnl=|^arben nberbanpt.
„©er tranditorif(^e 3lndbrnd ift geraattfam, nnb fotglicb nie febön.
©er permanente 3lndbrnd ift bie f^olge ber öfteren Söieberbotnng bed
tranditorifd)en ; er »ertragt fid) nicht allein mit ber ©djöidjeit, fonbern
bringt am^ mehr ©erfdjiebcnbeit in bie ©d)önbeit fetbft“f).
©en erften ©alt biefed testen 3ttinea fpridft Seffing etmad andfübr=
lidjer an einer früheren ©teile feiner 3tbbanblnng and. 25on bem ganj
ri^tigen ©ebanfen andgebenb, bafj bie jmei bilbenben Jtnnfte nnr einen
„einjigen 3tugenblicf“ einer .fpanblnng barfteUen fönnen, bemerft er:
*) 3» ber ©orrebe ju feinem ©uebe (®. VIII) fngt Seffing: „Diodj erinnere
ich, bab ich unter bem Dlamen ber ültalerei, bie bilbenben 'ilünfte über:
b aupt b egreif e."
**) Seffing, „Snocoon" XXXI. (3. 3InfI. ©erlin 1805) ©. 253 f.
Ser „9(nbang jitm Snocoon", roetdbem bie gegebenen ©teilen entnommen finb,
„beftebt in bem, ronä fid; nod; unter beg ©erfnfferg nndjgetaffenen .O^nnbfibriften jur
gortfepung beffetben uorgefunben". Ser 3tnbnng enthält junäcbft (©. 253 — 277)
©tiäjen für bie 3lbfd)nitte XXX big XLV beg Snocoon; bnnn (©. 278—316) unter
31. 2 big 12, ©ebnnfen über uerfd)iebene J-rngen meldjc bie fdjönen Äünfte betreffen.
***') „Snocoon" XXXIII. ©. 256.
t) „Snocoon" XXXII. ©. 255.
588 Se'^re SeffingS Don ber Seftimmung ber bilbenben fünfte;
biefer einzige 2tugenbü(f bur^ bie Äunft eine unüeränber=
lidje ®auer: fo nm§ er ni(^t§ auäbrüden, roaS fi(^ nid^t anbev§" (benn)
„al§ tranSitorifc^" (norüberge^enb) „benfen lö^t. 2IEe (Srfc^einungen
gu bereit Söefen mir e§ nai^ unferen 23egriffen red^nen, ba^ fie plö^lid^
auftreten unb nerld^tninben ; ba§ fie ba§ raa§ fie finb, nur einen
3tugenblid fepn fönnen: ade fo(c|e ©rfc^einungen, fie mögen angenefim
ober fc[;recflid^ fepn, erfialten burdf) bie SSerlängerung ber ^unft ein fo
roibernatürlid^eä Sluäfefien, ba^ mit jeber mieberfiolfen (Srbüdung ber
(f-inbrud fdt)mä(^er rairb, unb un§ enblidb nor bem ganzen ©egenftanb
efelt ober grauet" *).
®af3 bie Don Seffing iu biefen ©tetten oorgetragenen , unb oon ber
moberncn 2teft!^etif raeiter entrcidelten Seltnen mit ben oon un§ in ben
jroei oortjergel^enben Äapitetn begrünbeten Stnfc^auungen nid^t Übereim
ftimmen, brauct^en mir mot)l nic^t barjub^un. ©el^en mir be^t)alb p,
in roelc^em 3Ser^ättniffe jene ßel^ren jur SBa^rl^eit ftel^en.
§. 1.
in ber „bie ßörperfic^e ^c^ön^eit bie eigentfii^e ^efiimntung ber
Pifbenben fünfte“ fcp.
I.
Tie apriorifdje Strgumentotion burd} raeldf)e Seffing feine, biefe fyrage befabenbe
£ebre gu betneifen glaubt, leibet an einem eine§ ber raefent;
lid)ftcn @efepe ber l'ogif, unb ift bnrum niditig.
394. ®ie Jtbefi§ l^effingg meldie mir in ber Ueberfdl)rift biefeS
Paragraphen in f^rage ftellen, bilbet ben ÜRittelpunft unb bie ©runbtage
aüer feiner ©ebanfen oon ben bilbenben itünften. 2Bir bo^en biefelbe
gang mit feinen SBorten geben rooüen; fonft mürbe bie 5ffienbung „för=
perlicbe ©(bönbeit" nicht borin oorfommen. Seffing bebient fidb häufig
biefe§ 2tuäbrncfe§; mir bagegen oermeiben ibn principiett, raeil er mi^=
oerftonblicb ift, nii^t minber al§ ber anbere, parallele, „geiftige ©(^öm
beit". 5)ie ©djönbeit ift ja nicht etroaä jtorperli(be§, roie etraa bie f^arbe
ober bie ©eftalt; nidbt bloß bie ©i^onbeit ber geiftigen ©ubftongen, fom
bern aueb bie ber förperlii^en ®inge, ift eine überfinnlii^e ©igenfdbaft
berfelben, raie mir febon im 2lnfange be§ erften 33udbe§ nadbgeroiefen
haben. ®iefe roiebtige SBabrbeit 35iele oergeffen gu laffen, bagu finb ober
bie boppelfinnigen 2Benbungen „förperlidje ©dbönbeit" unb „geiftige ©dbön=
beit" unfereg ©radbteng angetban.
*) „Üaoeoon" III. ®. 21 f.
fein apriorifd^er Seroeig bev)elben ift togifd^ fe^lerl^aft.
589
Sie Slrgumentation biird) roei^e Sefftng feine S!^efi§ beroeifen
glaubt, ^aben mir notiger (®. 587) mit feinen Söorten angefnf)vt. Sie=
fetbe mürbe, in fi^IIogiftifdjer f^orm anSgebrndt, affo lauten:
„Sie eigentüd^e 53eftimmung einer fd)önen ^'unft fann nur baSfenige
fegn, mag fie ol)ue 33eil)ülfe einer anberen l^eroorjitbringen im ©taube ift;
9hin finb aber allein bie bitbenben fünfte im ©taube, unb jmar
o^ne 33ei^ütfe einer anberen Ännft, in notier 3tnfcf)antic^feit ung ‘3Kenfd)en
barjuftetten non ^ol^er geibegfd)önt)eit:
f^otgtidj beftei^t eben Ijierin i^re eigentlidje Dtufgabe."
3Sag junnd^ft bie jmei ')^rnmiffen biefeg ©pttogigrnug betrifft, febe
für fid) betra(^tet , fo tonnen mir ung mit benfelbcn nur einnerftanben
erftnren.
Ser Oberfat^ ift ein :|.trincip bag in ber if3^itofop^ie oft miebert)ott
mirb: „bag eigenttidfe Obfcct eineg pfpdfifc^en 3}ermögeng fann mir bag=
fenige fepn, mag ber 9latnr beg Setfiteren entfpridft" ; bag „3ict ober bie
Seftimmnng einer non ber 9Iatnr nertietfenen .ftraft nur bag, mag fie
il^rer 33efonbert)eit nadj, otfne Seiffütfe einer anberen, jn mirfen im
©taube ift". ütfutidjen allgemeinen fynffnng fpridft fieffing
fetbft bag if^rincip an einer fpüteren ©teile aug. „^d) betfnnpte," fagt
er bort, „bafi nur bag bie Seftimmnng einer Ä'nnft fepn fann, mojn fie
einjig unb atlein gefdficft ift, nnb nid^t bag, mag anbere .^bünfte eben fo
gut, mo nidft beffer fönnen, afg fie. 3* **)^) '^ci bem iplutard) ein
©teidjiiif^, bag biefeg fetfr moljt erläutert. SKer, fagt er, mit bem ©dflüffel
.'804 fpeUen unb mit ber 3trt Slfüren öffnen mitl, nerbirbt nid)t fomolfl
beibe iSerfjenge, alg baft er fiel) felbft beg ifint^eng beiber IBerfjenge
beraubt. Ser Ännftridfter mup nii^t blof5 bag Vermögen, er mnf^ nor=
nebmtid^ bie 33eftimmnng ber Ännft nor Gingen l^aben. 9lid)t 3ltteg,
mag bie Ännft nermag, fotl fie nermögen. fJönr baljer, meil mir biefen
@runbfa^ nergeffen, finb nufere fünfte meitläiifiger nnb fd)merer, aber
and) non befto menigerer SIMrfnng gemorben"
@ben fo malfr mie ber Oberfot^, ift audj ber Unterfat^ beg ©plto'
gigmug. 87ur bie 'fJtalerei nnb bie ©cntptnr nermögen, bnrdf bie i^nen
eigentf)ümli(^en fBiittel, olfiie .'pülfe anberer Jb'infte, geibegfdfönlfeit an=
fdjantid) barjnftetlen. Sie ipoefie ift bagu nidft int ©taube; fein ner=
ftänbiger Sii^ter madft be^lfulb femalg ben ®erfnd), eg 511 tlfun. „.gmmer
fagt einfad^: Deireug mar fdjön; 3fd)illeg mar nodf fdföner; ^letena befap
eine göttlidfe ©dfön'^eit. Stber nirgenbg Infit er fidb in bie nmftnnblidfere
©dfilbernng biefer ©dfönljeit ein. ©leidfinolfl ift bng ganje @ebid)t
auf bie ©djönljeit ber .*9elena gebaut" ßeffing l)at feinen Unterfnt5
*) „Saoeoon", Stupang, 'Jl. 10. S. 308 f.
**) Seffing, „Saoeoon" XX. o. 1G9.
590 Sel^re 2effing§ »on ber SBeftimmung ber bilbenben fünfte;
in bret 2lbfd;nitten beä „Saocoon" (XX— XXII, ®. 168 — 194) mit
einer ©rünblii^teit beraiefen, roel(^e aHe Slnerfennung nerbient.
21ber fte'^t e§ eben fo gut roie mit ben groei i^rämifjen, auc^ mit
ber formellen biatectifc^en iÄid)tigfeit ber Seffing’fc^en Folgerung? galten
mir einmal feinen Oberfa^ feft, unb fahren mir bann etroa fo fort:
„Dlun finb aber allein bie bilbenben Ä'ünfte im ©tanbe, unb groar
o'^ne IBeiplfe einer anberen Äunft, ber übernatürlid)en Offenbarung an-
ge^^örenbe O^atfadben bur(^ ©eftaltbilber fo barguftellen, baf^ ba§ SC&erl
geeignet ift, bie 6briftenl)eit gu erbauen:
f^olglicb beftef)t eben bie eigentlidbe 21ufgobe ber bilbenben
fünfte."
Ober:
„’Xnn finb aber allein bie bilbenben jlünfte im ©tanbe, unb groar
ohne 23eiljülfe einer anberen jbunft, in ©eftaltbilbern fctiamlofe Oarftel;
langen gu ftbuffen, unb baburc^ eine ber fcb^iwin^ften Seibenfd)aften in ben
?tllenfd)en roai^gurnfen unb gu ntibren;
fg-olglicf) ift eben biefeS bie eigentlicl)e Slufgabe ber bilbenben fünfte."
Oiefer Unterfal^ foroofil al§ ber oor^ergelienbe finb gerabe fo roalir, raie
berjenige beffen fid) Seffing bebient: ba§ bemeift bie ®efd)id)te ber Hünfte,
unb au(b Seffing felbft mürbe e§ foum in 2lbrebe ftellen. 2öa§ ferner
bie graei ©djlufjfät^e betrifft, fo fte^en biefelben formell gu ben ifirdmiffen
genan in bemfelben 2Serl)ältni^, roie ber ©c^lufgfo^ in bem 23eroeife
Seffingd. Unb bod^ roirb bem non un§ on letzter ©teile gegebenen
©(^lufgfal^e fein oerftönbiger ilRenfcb beiftimmen; roo§ ober ben norau§=
gel)enben betrifft, fo ftimmt berfelbe mit ber 2öo^r!^eit in fofern nid^t
überein, al§ er als „bie eigentliche Slufgabe" ber bilbenben jlünfte eine
SBirfung begeidjnet, roeldfie immerhin nur einen Oh eil/ roenn andl) ben
üornehmften , eben biefer 2lufgabe bilbet: unb mit bem ©d)lu^fa^e be§
Seffing’fcfien 33eroeife§ ift er fd)ledf)thin unoereinbar.
2SaS folgt an§ biefen Ohßtfö<hen? OiefeS, bafg foroofil unfere groei
©^Uogidmen, al§ ber ben 23eroei§ Seffingä enthaltenbe, formell um
richtig fe^n müffen, ober roie man amh fagt, bo§ ihnen bie logifdhe
©onfequeng abgehen mu^. Oenn bie§ ift nothroenbig ber f^all, fo oft
an§ ber ißerbinbnng non groei an fidh roahren ©ütjen unroahre f?olge=
riingen abgeleitet roerben. Unb e§ ift nicht fdhroer, bie logifdhe Unrichtig^
feit in bem 23eroeife Seffingä bargnthnn.
35>o bie Sogif oon ben nerf^iebenen 5lrten ber ©ühe h^nbelt, ba
führt fie auch <^uf, roeldje bie „nerftedt gufammengefe^ten" umfaßt;
unb als eine Maffe biefer 2lrt hebt fie bie „SlnSfdhlie^ungSfüt^e" hefüoe*)-
Oie 2Borte beS ^errn g. 23., „®ott allein ift gut", bilben einen ©a^
*) Propositionea occulte compositae, — exclusirae.
fein apnoi'ifi^ev ®eioei§ berfdben ift logtfi^ fet)Ievf)aft. 591
bief'er JUaffe; bie jroei Sä^e au§ beneii betreibe fid) jufammenielit, finb
biefe: „®ott ift gut'', unb „fein Sß^efen baä uidft @ott ift, ift gut".
(J'in foldfcv, nerfted't jufammeugefel^ter ?Iu§fd)Iieguug§fat} ift mm and)
berjenige, roeldjer in bem 33croeife Seffingg (oben, ©. 589) beu Oberfat^
be§ ©i)üogi§um§ bitbet. Söfen mir ü^n auf, fo jertegt er fid) in biefe
jroei ©üt^e;
1. ®ie eigeuttid)e 33eftunmung einer fd)önen ^unft fann baäfenige
fe^n, mas fie ofjne 23eit)ülfe einer anberen l^ernoräubringen im ©tanbe ift ;
2. roa§ bagegen eine fd)öne Äunft offne 33eif)ülfc einer anberen nidft
oerinag, ba§ fann nidft ilfre eigentlidfe Seftimmnng feifn.
SDer erfte biefer jmei ©äl^e entpft ein bejaffcnbeä, aber probIeina=
tifdfeä Urtffeif („fann ... feifii"); ber sioeite ift nerneinenb. ®ie
fyolgerung in bem 23emeife £effing§ fann fidf einjig auf ba§ ©rftere
grünben; beim fie ift bejaffenb, unb viberbieä mürbe fidb, meun man ben
jmeiten, oerneinenbcn ©at^ bem ©iflfogiSmuä ju @runbe fegen rooffte,
gar feine f^ofgernng ergeben, ©er ridftige ©d^fufffat^ ift mitl^in febig;
fidf biefer:
„fyofgfidf fann eben ffierin bie eigentfidfe Sfufgabe ber bifbenben
fünfte befteffen."
©enn eä ift nnmögfidf, baff au§ ifirämiffen oon benen anc^ nur (5ine
probtematifdf ift, fidf jemntä ein affertorifdfer ©dffnfffatj ergebe, ©inen
fofdfen ftefft Seffing afg ^in: ba§ ift ber ißerftof) gegen bie
@efelf.e ber Sogif, an roefdfem fein 33emci§ feibet; berfefbe ift mitffin ein
eigentfidfer geff ff df f n
„@in faffc^er ©runb ift fdftimmer, af§ gar fein @runb." ©iefe
33emerfung madft Öcffing*) einer 3fn§füffrung SBinfefmanng gegenüber,
©offte fie ffier nidft uietfeidft and) iffin fefbft gegenüber ganj an ber
©teffe feifn?
II.
l'effingä Veffre fefbft ftefft mit ber Sffialfrffeit in Jlfiberfpnidf. ©n§ ergibt fief),
lüic au§ nnberen 9tücffid)ten , fo nnmentfid) bnrnu^, baff bie oon iffin
bebnuptete fBeftimmung bie bifbenben Äünfte oerpffiefften mürbe, affe iffre
©eftatten unbeffeibet erfdfcinen ju fnffeii.
395. bem ©efagten äufofge Seffing ben apriorifdfen iBeroeis
ben er anfünbigte (oben, ©. 586 f.), feine§roeg§ gefiefert, fo fofgt au§
biefem tJltifferfofg freifid) nodf feine§roeg§, baff ber ©atj, ben er begrünben
rooffte, and) fefbft unronbr ift. föiefmeffr ergibt fidf ja, roie mir eben
noeb gugeftanben hoben, an§ feinen 'foi'öoüffen unroiberfpredftidb bie 5of=
*) „Saoeoon", Stnbang, XXX. 253.
592
®ie Se^re 2effing§ Don ber 33eftimmung ber bilbenben fünfte
gerung — bie übrigeng anc^ ol^ne fo^e '^ramiffen hinlänglich feftftänbe — :
^nfofern man IebigU(h bie ÜKittel berürffichtigt über roelche bie biibenben
fünfte nerfügen, bann i^re eigentU(ihe 33e[timnuing barin beftehen, un§
ilRenfdhen non boh^i' Seibegfi^önheit anfi^aulid) barjnfteCten. 2BoUen mir
barum bie 3(nfchanungen aufrechthaiten roeldhe mir in ben jroei norigeu
Kapiteln entmicfelt bann müffen mir nachroeifen, bafe ba§ in ber
angeführten f^olgernng at§ mögU(h 33ejeichnete feineg in egg inirffich,
mit anberen SBorten, ba^ bie Sehre Seffingg non ber 23e[timmung ber
bitbenben fünfte faifch ift. ©inb mir baju im ©tanbe? Serfuchen
mir eg.
396. 35ei ber bebeutenben geiftigen Äraft über roelche Seffing ner^
fügte, fönnten mir junäi^ft betonen, bag eg ihm nicht gelungen ift, einen
miffenfdiaftfi^en 33eroeig für feine h^vjuftellen , rao er hoch aug^
brücftich his^ttuf augging. 2öäre feine Stnfitht roahr, — fo fönnten mir
mit 9tec[)t argumentiren, — bann hätte fein fcf)arfeg Stuge ben entfcheU
benben 23eroeig bafür fictjer ni(ht nergebeng gefmht. S^bejs mir
ftärfere (Mrünbe.
(S’rfteng. 2ttg bie eigentliche 23eftimmung einer .^unft muf^ an
erfter ©teüe, roo nicht mit nofter ©eroi^h^it, bodh febenfatfg mit höihftc’^
2Sahrfd}einti(hfeit, jene Slufgabe gelten, für roelche biefelbe bem 3eugniffe
ber ®efchi(hte jufolge an erfter ©teile thätig roar, unb in bereu S)ienfte
fie ihre fchönfte 33lüte erreichte.
9tun ift eg aber bem 3fi'S^äffe ber ©efchichte infolge, roie mir im
jineiten jf'apitel beg fiebenten ^Ibfcljnittg (©. 338 ff.) nai^geroiefen h^öen,
ber 3Soben beg religiöfen Sebeng, auf roelchem fich, roie alle fchönen ^lünfte,
fo ond) bie ©culptur unb bie 'DDtaterei juerft entroicfelt, unb auf bem fie
ihre höd)fte 35lüte errei^t hat>en:
f^^olglidj mujj eg, roo nicht alg unroiberfpred)lid) geroifj, hoch jebem
fallg alg überaug roahrfdjeinlid) gelten, baff bie eigentlidje 33eftimmung
ber jroei bitbenben fünfte an erfter ©teile nidjt in ber ®arftellung oon
30tenfchen befiehl bie fich Seibegfdjönheit augjeidjnen, fonbern in ber
T^örberung beg religiöfen Sebeng.
3roeiteng. @g ift unmöglid), baß in jener 3lnfgabe, oon bereu
©rfüUung bie 23tüte einer .R'unft oorjuggroeife abljängt, nidjt norjugg^
roeife ihre eigentlidie 33eftimmung liege.
dtun hängt aber, roie mir im brüten Äapitel beg fiebenten 2lb^
fchnittg (©. 362 ff.) nachgeroiefen Ij^'^E»/ 33lüte, roie aller fdjönen
.iTünfte, fo auch ber jroei bitbenben, roefentlidj nnb an erfter ©teile baoon
ab, bafj fie gepflegt roerben infofern fie retigiöfe jvünfte finb, bag Ijetllt,
infofern fie fiih bie g-örbernng beg chrifttichen Sebeng jur 3lufgabe fetten:
^olglid) mu^ notljroenbig bie f^-örbernng beg chriftlidjen Sebeng nor=
juggroeife alg bie eigentlidje 33eftimmung ber bitbenben fünfte gelten.
fielet mit bcr 3Bat;rr)eit in 3Biber)'prud^. 593
nt($t aber bte S^arftedmig üon ?[Renfd6en, bie fiel) burd) £etbegfc^ön()ett
augjeidjuen.
©rittenä. @§ ift ein imric^tigeä 9?erfar)ven, unb mufs faft not^s
inenbig ju einfeitigen ©octrinen unb irrigen 3{nfd)annngen fnijren, raenn
man, tdo bie eigentüdje ®eftimmung einer ^unft feftgeftellt merben foCf,
nid)t§ raeiter in§ 3Uige fa[5t, nl§ bie 3(JUtteI über melc^e bie Jlnnft x)er=
fügt, unb ba§ Sßerf ba§ fie mit biefen gjiittetn tjcroorjubringen nermag.
2?ete!^rte ja boeb ber 3Serfaf|er be§ „Saoeoon" felber un§ norljer; „Wd^t
2l£te§, mag bie Äiinft nermag, fotl fie nermogen" (oben, 0. 589). (5§
bebarf mitbin noch eineS i|.h-incip§ nadj metdjem gu entfdjeiben ift, roa§
non bem 3tQen ba§ fie nermag, bie Äunft bennod) „nidjt nermogen foll".
2So haben mir biefeg ^rincip jn fndjen? 3’^ le^ter
unb allein in bem ill>it[en unb ber 2öeigbeit begfenigen „ang beffen
0dboof;e bag (Sig betoorgebt'', ber fid) „ben 3Sater beg dlegeng" nennt unb
„ben ©rjenger ber 3:bautropfen , bcr 3lbnunggfraft bem Apabne nerlieb,
unb in beg 5Renfd)en 23ruft einfenfte bie SBcigbeit" * **)). 2öag ber Ur=
beber ber menfdblid)en 9latur ben Atünften, für tneldje er ibr bie Einlage
nerlieb, nidjt jur 3lufgabe febte, mag er iljnen jur Slufgabe nidjt feben
rcollte unb nid)t roollen lonnte, bag fann nnmöglidj alg iljre eigentüdje
93eftimmung gelten.
lüun ift eg aber nidjt möglicb, baft bie SBeigbeit ©otteg ben bilben-
ben Ä'ünften alg ihre eigentüdje ®eftimmung bie 3lnfgabe juinieg, in
©eftaltbitbern ung iü^enfdjen non Ijobc^' Seibegfcbönljeit norjufüljren:
f^olgtidj fann biefeg nie unb nimmer ihre eigentüdje 3?eftimmung fepn.
397. f^ür ben lebten ©püogigmug mirb man non ung ben Seineig
beg llnterfabeg nerlangen. ©g ift feincginegg nufere 3lbficbt, benfelben
nidjt gu geben.
3ft eg benfbar, bafj bie SBeigbeit ©otteg einer Äunft mit ineldjer
fie, ber Slnlage nadj, ben 83ienfdjen augftatten inoüte, alg ihre eigentüdje
S3eftimmnng eine 3lufgabe febte, in Jlnnft für bie
3Jtenfdjbeit nidjt nur inertblog, fonbern gerabegu nerberbenbringenb fepn
mürbe? 9iidjt nur mertblog, fonbern fdjlecbtljin nerberblidj
für bie 30lenfdjbeit mürben aber bie bilbenben fünfte ge^
nannt merben müffen, menn ihre eigentüdje 3lnfgabe mirfüdj barin
beftanbe, ung in ©eftottbitbern 307enfdjen non lj‘-''b£^' £eibegfdjönbeit nor=
gufüljren. 25>nrum ?
(gm erften 33udie Ija^en augfüljrüdj bemiefen, bafj bie 0(bön=
*) Quis est pluviae pater? vel quis geuuit stülas roris? De cuius utero
egressa est glacies? . . Quis posuit in visceribus hominis sapientiam? vel
quis dedit gallo intelligentiam ? lob 38, 28. sqq.
**) 91. 101. ©. 138; ngt. 91. 20 ff. ©. 34 ff.
3ungmonn, 2teft^ctiE. 2. Stuft.
38
594
®ie Sel^re 8ef)ing§ Bon ber SSeftimmung ber bitbcnben fünfte
^ett be§ Seik§, infofern fie in ber Harmonie ber 2;^eile, in ber i)otIen=
beten 2:e(^ni! be§ SSaueg unb bem äJigor ber Sebengfarbe befielet, aller=
bingg ein ©lenient ber ©djöntieit be§ iöienfd^en biibet, aber burdiaug
ba§ unbebeutenbfte. 3]iel loefentticEier unb noti)inenbiger alg fie rft bie
©cbönl)eit beg 2lugbructg, bog l^ei^t bie ©c^ön^eit ber ©eete infofern fie
in ber ijaltung beg ßeibeg, unb notnentlid) in ben ^ügen beg ©efic^tg
unb in ben 2lugen fic^ offenbart, ©o u)enig ein iDienfd) „fd)ön" ge;
nannt ro erben fann, bem biefeg roefentlidje ©tement abge^t, eben fo loenig
!§aben auf feneg i|3räbicat 33itber oon ilJienfi^en Stnfpruc^, raelc^e fi(i^
einzig burdj äußere ©d)önl)eit augjei^nen. „®ie eigentlid)e ©^ön^eit",
prten mir früt)er (26) non Origeneg, „fa§t ja bag fyteifd) gar nid)t,
benn baffetbe ift bur^ unb bnrd) ^dfsticbf'eit" *). ©er Zünftler, ber
nur bie ©d^önl^eit beg Seibeg im 2Iuge (lot, liefert mittiin nid^t ©d)öneg,
fonbern fetjr iDiangettiafteg, Unoodfommeneg, ©djtedjteg; er roürbigt fid^
l^erab i^um ©ienfte ber „ßitetfeit ber eitlen ©eifter, roetdie bem iRiebrig;
ften noi^laufen roie roenn eg bag Ipö^fte märe" **') ; er fc^afft ni(^tg,
alg mag feiner tRatur nact) baju bienen muf^, ben menfdjlii^en ©eift
irrejuleiten, bag menfct)tidje i^erj gu nerfel^ren. ©agen mir juniel, roenn
mir eine Äunft bie fotcfien Slufgaben ju bienen berufen roäre, für roert^;
log erllaren?
2lber mir ^aben nodj me!^r behauptet, äßenn i^re eigentlicfie Stuf;
gäbe barin beftönbe, fagten mir, ung ÜRenfdjen norjufüliren non l)o^er
£eibegfd)önl}eit, bonn mürben bie bilbenben Äünfte für bie SRenfd^^eit
gerabep nerberbtid) fepn. (^n roiefern?
2Bir fönnten junad^ft baranf ^inroeifen, bap bie bilbenben fünfte
bie SlRittel befi^en, inbem fie für l)ö(^fte bürgerlii^en, na;
menttic^ aber beg retigiöfen J?ebeng tl)ätig finb, bag SBoi^t ber ÜRenfd^l^eit
fel)r roirlfam ju förbern, unb bafs fie tliatfäcbtid) in biefer DUcfitung non
Sltterg l§er Ißebeutenbeg geleiftet ^ben; ba^ aber biefe i^re SBirlfomfeit
notlpnenbig gelähmt, unb bamit bag 2Sol)t ber ©cfammt|eit beeinträchtigt
roerben müf^te, roenn fie je ber ©rfenntnifi gelangten, bie eigentlii^e
non ©Ott ihnen gefeite Stufgabe beftönbe barin , ÜRenfchengeftolten non
hoher Seibegfchonljeit ju fd)affen. ©in ©chaben für bie ÜRenfdbheit , ober
roenn man lieber roitl, ein Stugfatl bebeutenbeit ©eroinneg, roäre bog
ohne 3ii>eifel. etroag ganj Slnbereg im Stuge, ba roir
fagten, bie Jlünfte um bie eg fid) h^ttbelt, mürben für bie ÜRenfdhheit
nerberbli(^ fepn, roenn iljre Slufgabe in ber ©h<^t bie non Seffing ner;
tljeibigte roäre.
*) 'lo ydp x'jpi'u)? xotXXo; cdp? ob rArja Tuy/dvouaa aloyo;. Orig, de
oratione n. 17. ed. Maiir. p. 226.
**) Aug. de vera relig. cap. 21. SSgl. bie Stnnterfung n. 35.
fte^t mit ber. 2Sal)rr;eit in SBibcrfpni^.
595
9WmIid), um e§ fiirj ju fagcii, Bei Biefer 2]orau§fe^uug mürben
[i(^ bie jraet Bilbenbcn Jtiinftc nerpftidjtet fc^eu, aüe i^re ©eftalten und
uollftänbig nad't norjufüljren. ®ie ®d)önl)eit be§ Üeibeä, ober rote
©Imitier fie nennt, „bie ard)itectonifd)e ©djönijeit" be§ tD^enft^en, baä
railt fngen „ein gtncflid)e§ 33erl)ältni[3 ber ©lieber, flie[3enbe Umriffe, ein
lieblid)er Jeint, eine jarte .üiaut, ein feiner unb freier SBndjä"*), alle
biefe fomatifdjen 23orjüge merben fa an einer anftänbig Betleibeten ©eftalt
t^eild nur fel)r uuoollfoinmeu fid)t6ar, tljeilS gar uid^t. ©iub bie bil=
benben fünfte burdj iljre eigentlid)e 33eftimmuug, alfo traft ber i^nen
non ©Ott gefetzten Slufgabe berufen, gerabe biefe ißorjüge in i^ren ©e=
ftalten foniel al§ möglid; Ijernortreten 311 laffeu, bann nertäugnen
fie m i t i n i Ij r e 23 e ft i nt m u n g , f 0 oft fie b i e f e I b e n i r g e it b ro i e
b e f l e i b e n.
^dj meiff nid)t, ob uidjt nietleidjt ein Sefer fid) geneigt fül)ten rairb,
e§ boshaft ju finbeu, baf3 mir biefe fvolgcrung jieljen, unb eine ob nuc^
jiemlid^ allgemein Ijerrfdjeube, bod) non nidjt 25>enigen noch immer per=
I)orrefcirte unb nerurtljeilte „ff-reilieit" ber bilbenben Jiünfte mit bem
©runbfalje SeffiugS um beu e§ fid) bnnbelt, in eine notlpnenbige teleo=
logifd)e 2?erbinbung bringen. 25>irffamer, nlä burd) meitere bialectifd)e
©rörterung, begegnen mir einem 23erbad)te biefer 2lrt febenfatlä, inbem
mir ben 20teifter felbft unb feine ©d)ülcr bie gleid)e fvolgerung geltenb
mod)eu taffen.
398. ^m fünften 2lbfd)nitte feines „£'aocoou" fpottet £effing ber
©rünbe, burc^ rneldie frül^ere .ll'ritifer an ber berül)mten ©nippe ben
Umftanb „ju entfdjulbigen gefud)t", baf3 „£aocoon in berfelbeu, mit feinen
beiben ©öljnen, nöllig nacfeub erfdjeint". ®arauf fudit er bar3utf)un,
unb jmar auf ©ruub feineS if3riucipS non ber 23eftimmung ber bilbenben
fünfte, bap eben biefe noltftänbige 'Jtadtljeit ber brei 'fyiguren „bie 2£eiS=
tieit ber ^tünftler **) nur erbebt", unb nidjt eutfdmlbigt, fonbern „au=
gepriefen" merben follte. „®enu gefept, bie ©culptur föuutc bie ner=
fdjiebeuen (©emänber=) ©toffe eben fo gut nadtaljmen, alS bie iötalerei:
mürbe fobaun £aocoon notljmenbig befleibet fepu müffeu? 2öürbeu mir
unter biefer 23efleibung uidjtS nertiereu? jnat ein ©emanb, baS
SBerf fflaüifd)er .i^äube, eben fo niel ©diönljeit alS baS 2£crf ber emigen
SßeiSfieit, ein orgauifirter ji'örper? ©rforbert es einerlei g'äljigfeiten, ift
eS einerlei 2>erbienft, bringt eS einerlei ©Ijre, feneS ober biefen nadjju;
abmen? . . . ®aS Ueblidje mar bei ben 2llten eine feljr geringfdjütnge
*) Sgl. ©(filier, „lieber Slnmutb unb 2Büibe". (Sb. 11. ©. 389 f.)
**) ®ie Saocoongruppe ift uacb ipiintuS (3(5, 37) ba§ Söerf nidjt lSine§ 9Jlci=
ftcr§, fonbern ber brei SRt)obifcf)en Äünftler Slgefaiibcr, ipolpborug nnb 2ttljeno:
boru§. Sg(. Srunn, @efd). ber griedj. Äünftter (Stuttgart 1857) Sb. 1. S. 475.
38*
596
SDte Se^re Sefftngä üon ber Seftimmung ber btlbenben jtünfte
©ac^e. ©ie fiü^Iten, bafe bie pd^fte SSefttmmung t^rer ^unft
fie auf bie üöttige ©ntbe^rung beffetben führte, ©c^ön^eit ift biefe
^öö)fte Seftiinmung; erfaub bie jl'teiber, uub roa§ fiat bie
Äunft mit ber iRot!^ ju tl^un? gebe e§ ju, bafe e§ auc^ eine ©dfön^
Ifeit ber SSefteibung gibt; aber raa§ ift fie gegen bie ©cbön^eit ber
menfditicfien f^orm? Unb rairb ber, ber ba§ ©rötere erreicfien fann,
fic^ mit bem kleineren begnügen? füri^te fe^r, ber noßfommenfte
iKeifter in ©eraanbern jeigt burc^ biefe ©efcf)icfti(t)feit felbft, rooran es
i|m fe§tt“ *).
Unb mit berfelben .fl'lar^eit mie Seffing felbft, jiel^en au§ feinem
ifJrincip non ber Seftimmung ber bilbenben jbünfte bie nämliche
gerung aud§ feine iJlacfifotger. ßtad^ f^icter „l^errfd^i plaftifc^en
Ännft bag Dfteale nor; bie nollenbete Ä'örperlid^feit mn^ in biefer
Äunft lernortreten, nie barf fie bem 2lu§brude bie ©e ft alt opfern; bie
©^önl^eit ber f^orm gilt bem plaftifclien jbünftler für ba§ ^ö(^fte'',
unb bie SSortrefflidifeit feiner ©arfteßung berulit oorjugäraeife auf „ber
unmittelbaren Slnfcfiauung ber frönen ^örperform". „®ie fc£)roere 3luf=
gäbe ber ^e^nung in ber i]3laftif ift barum, auf ber Oberfläche audj
ba§ fehen ju laffen roa§ barunter liegt, fo bafs ber ?ßiu§Mbau unb ba§
Änochengerüft erfennbar rairb." 2Bir foßen an bem Silbe bie Soßenbung
„be§ innern Saue§ in ben fleinften 2lbraed)§lungen unb Sineamenten, ben
Knochenbau unb bie ?ßlu§Mberaegung", furg bie treue ßlaclibilbung ber
Slnatomie be§ menfchlihen Seibeg beraunbern fönnen**). „Oie Ober=
fläche ber Obrere," philofopfirt ßiüfflein, „oom fleinften Söurme bi§ jum
größten ©äugetljiere , ift mit einer frembartigen ©ubftanj (©cfiuppen,
ljorn= ober fnochenartigen ©ehäufen, fiebern, paaren u. f. ra.) bebecft.
Ourch biefe Sebecfung rairb ber Sluäbrucf be§ ©eiftigen (sic) in ben
Umriffen be§ f^leifcheg ben Slugen oerhüßet, unfichtbor gemacht, ßiur
ber ißfenfch, flagte man oon felier, fömmt nacft unb unbebecft jur 35^elt;
aber gerabe barin befte^t feine größte ^^erbe: baburch rairb feine
Oberfläche jum fichtbaren O^rone ber ©d)önheit, unb fein
Körper jum treuen ©piegel be§ ©eifteS , be§ ^^ealen" ***). Unb bie
i^otgernng au§ aße biefem? „Oalier bie hohe Sebentung unb ber
Sorjug be§ 9iadten in ber ifKaftif, inbem auf ben Umriffen raelche bie
*) „Saocoon", V. ®. 54 — 56. (6it. 587.) Sie gefperrten ©teilen rourbeu
non un§ imterftvichen.
**) i^ider, 2Ieflt)ettt (2. 3IufI.) §. 185. 204. 208. 205. 206. „®arau§ erfieat",
fept gider nod; binju, „bie Unftattbciftigfeit ber gärbung plaftifcher SBerfe: bcnn bie
g-arbe jiebt ben Süd ab non ber Slufmerffamfeit auf ben inneren Sau ber JtBrper."
lieber biefe grage fcccben roir bereits gehanbelt (5R. 383 ff. ©. 571 ff.).
***) dUlfflein, Se^rbuch ber Äunftroiffenfchaft, §. 213. Siefelben (Sebanten
unb biefetben 2Borte ftehen bei gider, Sleftfietif §. 191.
fte^t mit ber 2Bal^vI}eit in SSiberfpvud;.
597
ber Obevfiädje ihrer ©eftaüen einbilbet, ihre ganje SEirfung be=
ruht. 0ie roürbe hoher ihre eigene Söirfung jerftören ober un=
möglich machen, menn fie ihre ©eftolten in niele ©emönber hi^c'i
rootlte." Sllfo, mit gemohnter ©nftimmigfeit, bie jraei eben ©enonnten *).
„iBtoter unb ißitbhaner'', hatte »or beiben f(hon Ärug gelehrt, „[teilen
bie ibeali[d;e Schönheit am liebften nadenb bar. SlCteg roa§ fie jnr ^terbe
hinjufügen möd)ten, felbft bie jdtönfte ©raperie, roürbe ber @d)ön=
heit nur 5lbbrndj thun. ©ie ölteibnng ift ©adie be§ 33ebürfnif[e§,
theild be§ phpfifdjen jnm Sdjnlse be§ Ä'örperd, theild be§ moralifdjen
jur 23eroahrnng ber Sdjam. ©ie jlnnft fnnn [ich über bie[e§ 23ebürfniB
roegfehen, nnb mit 9led)t forbern, bafs niemanb am 97adenben 3ln[to[?
nehme, roeil boffelbe ihrem eigenen ißebürfnif? am beften
entf p ridft" **).
,,©ie Stufgabe ber Sculptnr", heiftt e§ bei ©dmaafe, „ift ©ar=
fteltnng bed SOcenfd)en, nnb jroar in ganzer Ä'örperform. ©enn nur
in bem ganzen Äörper ift bad Seben uotlenbet: jebed ©lieb enthält
nod} einen ein je Inen befonberen Slndbrnd; b eff eiben.. ©ar=
ftellnngen roetd)e ben Jl'örper teid)t nerhüllen, finb (barnm) nid)t bie, in
roeldien bie ©cntptur il)re ©igenthümtid)feit am entfd)iebenften audjpridit;
bied gefi^ieht nietmehr in benen, roo fie ben ganjen Äörper ent=
blöftt jeigt, unb bafür, roeil fid) bamit bad eigentlich ©eelenhafte im
©efidjte nid)t uerträgt, etroad bauon abläjjt, bad @efid)t gleidjfam einen
©on tiefer ftimmt, bamit ed jnm .iiörper harmonire" ***).
SSiit befonberer S(ndführtid)feit befprid)t l'emde bie f“^-rage um bie
ed fid) hanbelt. „©ie ©tlaftif hat bad Sdiönfte geftaltet, ©thönheiten
bie in ihrer Slrt üielleid)t bem ^beat am näd)ften gelommen finb, ner=
glichen mit ben S3eftrebnngen ber anberen yiünfte . . . ©er Slnblid ber
©(hönheit fann beranfdfenb roirlen. ©in Slntlih, ein .ilörper fann ent=
jüden. ©ad ©eeleiroolle barin fnnn fogar jnrücftreten, nnb ber Slnbtid
ber fvormen allein fann bnrt^ ihren dfhhth'and, in biefem nnenblidjen
fSedifel non ©tarf, ©djroad), dinnb, Sang, ftfeft, SS>eid), in biefen nii^t
andjnmeffenben , febem mathematifdjeii iöfaaf^ [ich entjiehenben nnb hoch
fo maafsDollen Sinien, einen ©inbrnd' madjen, ber am beften mit einer
©pmpljonie jn nergleidjen ift . . . SJtan mnfj nadte Körper fehen,
um ihre ©djönheit jn erfennen; alled anbere fnnn nur ein ©tüdroerf
geben . . . SBir haben es bei nuferer Ä'lcibertrad)t , bie oHed nerbedt
bid auf ®efid}t nnb .©änbe, bann bei unfern Slnfid)ten über ©(^am=
haftigfeit, fehr fdjlimm . . . ©er ©©ied)e fd)inelgte in fyormenfchönheit.
*) Stüfflein, §. 216. g-icfcr, §. 201.
**) Ävug, 3teft£)ctif, §. 36, äinmerfung.
***) ®c[;naafe, Sb. 1. 'S. 36 f. (CSit. 18.)
598 SeffingS Don ber ©cftimmung ber bitbenbcn fünfte
tt)o mir barkn; er erfannte @öttlt(^!ett , rao roir meinen bie Singen
nieberfd^lagen gu müffen, raeil e§ j'ünbbaft ju felgen, raa§ bte ©ott^eit
jo f(i^ön gejd)affen. ($r prteg, er beraujd^te jti^ an bem, mag mir ner=
jdiroeigen ober oerjteden." iRad) joId)en ij?rätiminarien , bie noc?^ meiter
unb jdjlüpfriger onggejü^rt roerben, gel)t ßemde baju über, „bie j^rage
über bie iRadtl^eit unb bie ©emanbiing in§ Singe ju fajjen". ®a§
D^ejultnt ber „populären" Unterjud)ung lautet jo. „25>o bie malere S5er;
eblung eingetreten ijt, roo bie ©inntid^feit in jeber S3ejie^ung jd^ön er=
jd)eint, natürlid^ unb bod^ geijtig geläutert, geijtig unb bo(^ natürlid^,
ba gibt e§ feine ©d)am im geroö!^uU(^en ©inne, bie SSer'^üllungen braucht,
um nid)t beu ©inbrud ber ©innlidt)feit ober bie uuroillige Slbroe!^r gegen
biejelbe ju errcecEen. ®a ijt dfacfti^eit feujcjier ol§ ein SSerjtecfen, bag
me'^r barauj l^inroeijt, bajj etroag oerborgen ijt, a(g bag Verborgene oer=
gejjen läj^t. ®er ^ünjtler ber, feujc^ roie jebe j?:mjt jepn unb madjen
jott, nur bie ©d^önl)eit nerjotgt, roirb ein .Runjtraerf jc^ajjen bog aud^
ber feujdjejten ©eele feinen ©droben bringt, jonbern jie l)öcl)jteng über
i^re lieber jpannung belehren fann. ©r !^at jid) nid)t um bie ge=
TDÖfinlicl) en Sin jt anbgregeln ju fümmern, jonbern jdfiajjt ben
V^enjd}eu, mie er in jeiner natürlid)en ©djönl^eit bajte^t. ®er ijJlajtifer
atjo, ber jeiu Objeet jo in jic^ abgej^lojjen roie moglicb barjtellt, bilbet
ben V^enjdjen bann nacft, jep eg Söeib ober 9Jtann"*).
Jlurj, „bag ©(^önjte mag bie ij^lajtif leijten fann, ijt naturs
gemäjj bag Vodte**) . . Stur ber Umjtanb, bajt SSefteibung notl^:
menbig ju ber bargejtellten ^nbioibuatität geprt, fann biejelbe in ber
ij3lajtif gelten lajjen; benn bie raa^re ©d^önl^eit jeigt nid^t bag non
au^en !^er über ben Äörper geroorjene, immerl)in jrembe ©eraanb, jon=
bern biejer .Körper jetbjt in ber jvüde jeiner, non ber Statur i^m ge=
gebeneu organijdien j^ormen . . ®ie ®arjte(lung beg Städten bleibt
immer bie !^odt)jte Slujgabe ber ijJlajtif . . ©benjo ijt eg mit bem
Städten in ber SJtalerei" *** ).
*) ßcmcfe, „'Populäre 9leftbetif", ©. 393—396.
**) 5Son Siiegel felbft unterftricpen.
***) IRicgel, ©. 153 f. (6it. 567.)
(Sine ©eite roeiter fdl)reibt berfelbe Serfaffer: „2Bie fepr eile 9Serfd^robenf)eit
unb finnticf;e Ueberfinulicbteit juroeilen [idfi breit ma^en, bejeugen bie abgefcfimacften
geigenblätter, bie man in einigen (Stallerien ben autilen ©tatuen norgepeftet pat.
3a neuerbingä ift, nad^bem bie berrlicpe ®enn§ Jporroalbfenä fd^on feit
ber (Slpptotpef in 2Jlündl)en auSgeroiefen morben, im ©^aner biefe§ 33enu§fieber§
autp ber Sefept jnr Slugroeifung einiger antiter SSenuStorfen erfolgt. Statürlid^ ift
beim 33ollänge biefeS ©efepleg ber fdl)önfte berfelben, ber epebem 25 000 (Sulben ge=
loftet patte, pingefallen nnb jerbrodpen. Quidquid delirayit reges plectuntur Achivi.“
Steuefteng nodp tpat, in einem 9lrtifel 511 (Spren beg unanftänbigen (Semälbeg,
mit ber SBa^r^cit in ÜBiberfprudj.
599
399. 3d) gtaufic; feie angefiUjvteu „^eugniffe fonnten genügen, nnt
feen 5Ttacfnüei§ 51t liefern, fea§ mir nollfonnnen richtig folgerten, fea mir
nor!§er feen ©at^ an§fprad)en : ,,21'enn feie eigentlii^e 33eftimmung feer
bilfeenfeen fünfte TDirlltd) fearin befielt, nnd ©eftalten non polier Seibe§=
fd)ön!^eit norjufüljren , feann nerlängnen feiefe .fünfte iljre 35efthnmnng
unfe feainit fid) felber, fo oft fie irgenfe eine non i'^ren ©eftalten anfeerd
ald notlftänfeig nacft Ijinftellen." SBer etwa feod) no(^ jineifeln inollte,
feer feürfte, um fid) jn überzeugen, ja nur einen Sticf in unfere ©allerien
unfe ©Ipptot^efen nnfe ©emälfeefammlnngen roerfen; feie nieten nid)t un=
befleifeeten fonfeern audgefleifeeten ©eftnlten* *) roetdje feiefe bergen,
finfe ja eben nidjtd roeiter, al§ feie treue Sludfüljrnng fee§ ßeffingfdjen
©runfefa^ed, feine confeqnente Ueberfeb>nng in feie greifbare 2©irflid)feit.
Ob ed nun aber llebertreibung ift , — ofeer and) , inie .'^ermann Dtiegel
fidj audznferücfen beliebt, „mofeerner ©itteneifer, ©emeinljeit, eile Ü>er;
fi^roben’^eit, finnlid)e Ueberfinnlic^l'eit", — roenn mir mit feem angeführten
©a^e feiefen anfeeren nerbinfeen: „©ine Jl'nnft tneldje nur bte ä'ßahl hotte,
entmefeer fid) felbft anfzngeben, ofeer alle il)re ©eftalteu notlftänfeig nacft
erfd)einen 511 taffen, eine fotdje müfde für feie 'iölenfdjheit gerafeezn ner;
feerbtich fepn", ob, fagen mir, feiefer ©at^ eine llebertreibung ift, fead 511
beurtbeilen, feürfen mir nuferen Sefern ruhig anbeimgeben. ®afz nufere
Ueberjeugnng auf nieten ©eiten nur einem ßädjetu begegnen mag, miffen
mir; aber and) fead, feaß ?[Rand)er und beiftitmnen mirfe: nnfe mit feiefen
Se^teren, follten ed and) noch l'o ilßenige fepn, ftcljt auf nuferer ©eite
feie SSabrheit.
©omit ftel}t feer ©ot^ feft, feen mir 511 beincifen hatten ('©. 593);
©d ift nid)t möglid), fea^ feie äßeidheit ©Uitted feen btlfeenfeen Ifeünften
ald ihre eigenttidje 33eftimmnng feie 2lnfgabe fetzte, und in ©kftattbitfeern
20lenfd)en non Ijohei' ßeibedfd)önheit norjuführen; mit anfeeren Sßorten;
Sefüngd 23ehanptnng non feer 23eftimmnng feer bilfeenfeen ^fünfte grünfeet
fifh nicht btofi, luie norher gejeigt innrfee, auf einen ganj nntogifchen
f^ehtffhlnf: , fonfeern feiefetbe ift, auch abgefehoi , fdjted}thin
u n in a h r.
auf roctcfiem 5Jlafart ben „ßinjug Jtarig V. in 9tntnn’rpcn" bargeftetit, ein in ißvag
erlcheinenbeS SageSblatt ben categorifchen 9tu§fpvucf) ; „®n§ Dlacfte um fetncv felbft
iDitlen au§ ber Äuni't uerbnnnen, feeibt ben SSInmengarten ber ICofe berauben."
SBenn ba§ iprincip 2effing§ roahr i)'t, gnnj gcmifi.
*) 3Sg[. 9t. 3tetd)en§perger , Diebe, gehalten im prenb- 9lbgeorbnctenhanfe am
12. gebr. 1880. („)parlamcntarifd)e§ über Jinn)'t nnb Ä'nnfthanbroerf", (Söln 1880,
S. 50.)
600
®ie Sel^re £effing§ »on ber Seftimmung ber bilbenben Ä'ünfte
§. 2.
^6 in ber „bei bcn ^ttcn bic ßörpcrftc^e |»(^ön^eit bas ^ö<ff(le ^cfe^
ber ßifbenben <^ünfie gewefen“.
9(ud) biefe S'i'oge ratrb »on Seffing 6eja!§t; aber ber 93en)et§ ben er für feine
Sel^auptung bringt, ift nac^ ben ©efe^en ber Sogif bnrc^ang ungenügenb.
®ie f^'i^age ift entfcfiieben nerneinenb ju beantroorten. S5enn erften§ f)ielten
fi(^ bie Jbnnfte in §eüa§ feineSroegl für nerpflidjtet , i§re ©eftalten un;
befteibet erfc^einen taffen; if.^rapitete§ nnb bie 6nibif(^e 35enu§.
tenä fteüte bie griec^ifd^e Steft^etif für bie bilbenben fünfte ein toefentlii^
anbere§ „t)öcf)fte§ ©efetj" auf; @uripibe§, unb @ocrate§ nac^ Xenop^on.
Unb eben biefeS ©efet^ tritt un§ in ben nornetjinften ©i^öpfungen ber
t)e[Ienifct)en Ä'unft entgegen; ber Otpmpifc^e be§ ip^ibiaS, feine
SiRinerna unb feine 93enu§. ä’i^ei (Epigramme über bie ißcnuä be§ ißrayi;
tete§ unb bie SJlinerDa be§ ipt)ibiag. ($ine ®ianaftatue, nacE) (Cicero.
400. 2öir finb (f^riften; bie Präger be§ claffifcfien ©eifte§ im
SUtert^um raaren Reiben. „Ser ©ebanfe einer überirbifi^en S3eftimmung
burd)brang ipr Seben nic^t; bie Ueberjeugung non einem einigen SBert^e
ber '^'erfönlic^feit beunruhigte fie uid)t; ba§ SSerhättniB ber ©efdjtecbter
faxten fie fo, roie bie" an ben Söunben ber ©rbfünbe franfe „ftlatur,
bie fdjlei^tefte Sehrmeifterin hierin, e§ ju faffen anleitet"*). ©§ müpte
al§ ein traurige? gelten, nicht für ba§ (^hriftenthum , fonbern
für bie iBölfer bie OJotte? ißarmherjigleit 511 bemfelben geführt hat/
e? nicht eine 3‘tille non SBahrheiten auch ber natürlidhen Orbnung gäbe,
bie mir richtiger unb mit nolterer 23eftimmtheit erMnnten, al? e? ba§
Sllterthum nermodhte. Sarum fönnte, menn etraa bie in ber Ueberfchrift
auSgebrücfte $rage füllte bejaht roerben müffen, ba? bie ©eroifeh^tt
©ape? ben mir im lepten iparagraphen gegen ßeffing feftgeftellt haben,
bod) feinegraeg? irgenbroie beeinträchtigen. Sefiungeadhtet finben mir e§
nicht auf bie g’^age einjugehen. 33ei ber hohen ©tufe ber
SSoUenbiing roelche bie ©riechen gerabe aud) in ihren ben bilbenben
fünften angehörenben SBerfen erreid)t haben, ift e? ja ohne 3u>eifel
hodi intereffant, bie Stnfchaunngen ihrer Stefthetif bezüglich be? in IRebe
ftehenben ipunfte? näher fennen ju lernen; berüdfichtigen mir aber ju^
gleich bie faft gränjenlofe Serehrnng, raomit ju ben 3llten htnanfjufd)auen
unfere 3eit fich gemöhnt hat, fo muff fich un§ überbie? ber ©ebanfe
nahe legen, ba§ eine grünblid)e Unterfud)ung biefe? ©egenftanbe? eoen=
tnell auch nodj baju bienen fönnte, bie oon nn? oertheibigte Sehre jn
beftätigen unb tiefer ju begrünben.
*) Sope, e. 359. (©t. 18.)
in SSiberfprud; mit bcn Ucberäeugnngcn be§ daffifc^en 3dtert^um§. 601
401. ben früljcr (©. 595 f.) üou un§ augefüljvten ©äl^en au§
bern fünften 3lbfcf)nitte be§ „ßaocoon", fet^t Jeffing bie ©ad)e ü1§ int
befatjenben ©inne bereite entfdjieben noraug. (5r befpvtdjt fie nümticb
an einer fvntjeren ©teile feineg tBnd^eg, f(^on im jmeiten 3lbfdjnitte, nnb
glanbt, bort „feftgefet^t" jn Ijnben, ba^ „bei ben Sllten bie ©djön^eit
bag Ijöd)fte ®efet^ ber bilbenben Ännfte geroefen fep", nnb bem ent=
fpred)enb „ber meife @ried)e bie ilJtalerei blofj anf bie 3>lad)al)mung
fd^öner Äörper eingefdirünft I^atte" * **)). Man mode babei beacljten, baf3
Seffing bie an fid) feinegmegg ibentifdjen 3(ugbrücfe, „bag t)öd)fte ©efei^
ber bilbenben fünfte" nnb „i^re eigentlidje Seftimmung", a(g gleidj;
bebentenb gebrand)t; eg ergibt fid) bag ftar ang feinen im iJlnfange
biefeg ilapitetg (©. 586 f.) non nng angefnijrten SBorten.
25>ir fönnten ben fd)arffinnigen 3Serfaffer beg „l'aocoon" gnnädjft
mit fveuerbnd) baranf anfmerffam mnd)en, baft feine Sel)re in bemfetben
23ilbmerfe an ineldjeg fie fid) fnüpft, biird; bie ©Ijat iniberlegt erfdjeine.
,,©)ie ©tirn beg Saocoon ift tiefer gefnrd)t, alg bag ^bedt fdjönften
©tirn eg uertrngt; nnb fein flagenber Mnnb brand)t um feine fiinie
meiter geöffnet jn inerben, nm ,ein bnnfter f^Ied'S eine Ijemmenbe 23er=
tiefnng ju fepn" ©d]Iimmer inbefj, a(g biefer ifinnft, ift etinag
SInbereg. ®ie nier 'i^atfad)en ineldje Seffing in feiner 3(bf)anblnng,
©. 9 — 11, geltenb mad)t, beineifen inoljt, bap man in .'^ellag in ein=
jelnen f^äüen ber ganj rid)tigen Slnfici^t mar, bie f^renbe am i^iiplidten
nnb an ber ©aricatnr inirfe nidjt nerebefnb auf bag ©emntt) , nnb bie
bilbenben fünfte fepen ju 33efferem berufen, alg jur ©arftetlung non
„IBarbierftnben, fdnnntpigen SIBerfftätten, ©fein nnb Ändjenfräntern'', ober
ou(^ nur jur 2Infertignng „mittelmüfjiger iportraitg" ; aber ^u ber fvoI=
gernng roeld)e Seffing ^iel)t, gelangt non jenen 2d)atfnd)en fidjer fein Menfdj
anberg, alg nermittelft eineg gnnj unerlaubten togifd)en ©prungcg ***).
llnb mag ingbefonbere nod) bie nierte 'Jljatfaci^e angelt; „3eber ötpm;
*) „Saocoon", II. 0. 13. 8.
**) 2t. geuerbacb, 0. 49. (6it. 344.)
***) Tie evroätjuten Tt}atfnd;en finb nämtid; bicfe:
1. „lieber einen bödp’t nngeftaltetcn Sdenfdjen )agt ein alter ©pigrammatift,
2lntiod;n§ (Antholog. 1. 2. cap. 4.) : ,2Ber loirb bicb malen motten, ba bidj niemanb
fefien roitl‘."
2. Ter DJlater „ißanfon, ber fid) nodb unter bem ©d)önen ber gemeinen Peatnr
bidt, beffen niebriger @efd)mad ba§ 5et)tert)afte nnb .^äj3lid)e an ber menfd)lid)en
Silbnng am liebften auöbrüdte, lebte in ber oeräd)ttid)ften 3lrmutt). llnb ipi;reicu§",
ber anf feinen ©enrebitbern „mit altem g-Ieibe eines nieber(änbifd)en jlünftlcrS" bie
non nnS im Terte genannten nnb äbntid)e bebentnngtofe Tinge nuS bem gemeinen
Seben barftettte, „befam ben 3nnamen beS dit)pparograpf)en, beS Äott)mnIerS."
3. 3'^ (Saricatnr burd) ein eigenes ©efep nerboten.
Tie nierte Tbatfacbe folgt im Terte felbft.
602 Sel§re SeffingS non ber ®eftintinung ber Bilbenben fünfte
pifc^e ©teger erhielt eine@tatue: aber nur bem breimaligen ©teger roarb
eine ^^onifc^e" (eine eigentliche 23ilb faule) „gefegt", — fo hätte Seffing
ohne 3™eifel roohl baran gethan, un§ ju fagen, rcoher er benn raei^,
baf3 biefe§ „@e[e^ ber ^ellanobifen au§ bem" non ihm behaupteten „®ei[te
be§ ©ebenen geftoffen mar", bamit nämliih „ber mittelmäpigen i|5ortrait§
unter ben jtnnftmerfen niiht gu niel mürben". 35erbiente benn nidht etroa
ber breimalige ©ieger eine höhere 3tu§jeid)nung , al§ bie anberen? unb
mürbe ihm nicht gcrabe in ber ifonifeben ©tatne eine foldje ju 3iheil?
if3tinin§ ben Seffing citirt, aber lebiglich al§ j^engen ber oon ihm oers
mertheten biftorifeben rJheitfa^e, [agt non bem ®runbe be§ @efebe§ au(h
nicht ein SS^ort 333). .^urj, ßeffing hat feine ©he[t§ gonj uab gar nicht
bemiefen. ©omit ift e§ mohl nidjt 3?ermeffenheit, menn mir ben 35er;
fnch mad)en, ba§ ©egentheil beffen barjnthnn, ma§ er behauptet.
402. S5?o bie bilbenben fünfte it)r höehlteä @efe^ unb ihre eigent;
lidhe iPeftimmung barin fehen, ©eftaltbilber ju ft^affen non illtenfihen bie
fid) bureb Jeibesfebönheit auäjeidjnen („fi^öne 5l'örper nadhsuahmen"), ba
müffen fie ficb für nerpfliditet hatten, biefe ihre ©eftalten inSgefammt
nollftönbig naeft erfdjeinen ju laffen.
dhin lehrt aber bie ®ef(^id)te ber bitbenben itünfte, baff bie Sezieren
bei ben Sitten eine 35erpfli(htuug biefer Slrt feineSmegS anerfannten:
f^otglich galt ihnen „bie förpertid)e ©chönheit" audh feine§meg§ al§
il)r höchfteg ®efeb.
®en Oberfal^ biefeä ©pttogi§mu§ h^öen mir norher (©. 595 ff.)
bemiefen, unb überbie§ gefel)en, mie bie ©^ule Seffingä bemfetben ohne
Sorbebatt beiftimmt. ©omit bebarf nur uo(h ber Unterfa^ feine§ 33e;
meiieä.
®g ift aber feftftehenbe , allgemein anerfannte Jh<^tfache, baß
bie griechifche i}5taftif mohrenb ber ifJerioben ihrer ®ntmidelung unb ihrer
höd)ften 33lüte nur in fRetiefbitbern , meldje eine SRenge für fich un;
bebeutenber fyiguren ju ®iner i^^anbtung nerbanben, einen 2;heil ber Se^;
teren gaiij unbefleibet erfd)einen tief3, bagegen alle bebeutenberen
tere, ®ötter, ^eroen, 33htto[ophett nnb iRebner, immer befleibet barfteClte.
®rft mehr atd ein halbes fjahrhunbert nach iphibiaS, meldher im ^ahre
432 nor Uh^’- ftarb, alfo erft in jener ^^tt mo baS griechifihe Seben,
unb mit ihm notbmenbig aud) bie griedjifdie Jtunft, ju finfen begann,
ertaubte man fich, ®eftalten unbefleibet ju bitben. 2öa§ für
®eftnlten maren bas? 35orjugSmeife biejenigen, melche ber bunfelften
©ebattenfeite beS griechifi^en ÜOipthuS angehörten: ©arftellungen ber
2>euuS, nid)t ber 95enuS Urania, ber „himmlifchen", fonbern ber „ge;
meinen" SSenuS*), unb ber ju biefer gehörenben unb mit ihrem fchönb;
*) 3Sgi. oben, ©. 156 f., bie Rote.
in Sßtberfpnidfj mit ben llcberäeugungen be§ ciaffifd^cn 3lUert^um§. 603
Iid)en (Ju(t in ißerbinbiing ftetjcnben '|3er[oni[icationen. ©ogegen rmirben
Jupiter, Sbeptun, 3tejcu(ap, ber bärtige ®ioni)[o§, iinb '’^'aöag
Slf^ene, (SereS iinb ^roferpina, ®iana, bie iDcuien, ju alten eiten
befleibet.
Unb bn§ 9^ätnlidbe gilt, roie bereits angebeiitet fmirbe, biS nnf bie
3eit nad) i|}^ibia§ nnct) felbl't in S^ücfficbt auf iüenuS nnb bie @rajien*).
„i|>rapitete§" (geboren nm 392 oor (J^r.) „fott ber (Srfte geroefcn fepn,
ber e§ rongte, bie 3Senn§, roetcbe frnber mir befleibet bnrgeftellt ronr,
gnnj jn ent!^ntten" **). „@ine fü^ne dtenerung" nennt ancb l'nbfe , ber
frnljeren Sitte gegenüber, biefe 3i^t be§ i]3rnpiteleS ***). „Iinb e§ ronr
mit berfelben ber 3lnfnng einer tRidjtnng gegeben, meldte non bcm gött=
lid)en ©rnft nnb ber (rrl)nbenbeit beS attgriediifdjen SinneS meit ab^
fül)ren mnpte. 3lnd) unter ben oon ‘llrapiteleS auSgefüljrten 33itbiänlen
ber 35ennS roirb übrigens nod^ eine befleibete eriontjiit, roeldje bie 33e;
mobiler ber (5nfel (.^oS ber nadten 33ennS, bie nad)l}er nad) (^nibitS fnin,
Dorjogen, meit ]ie bieS für fittlidjer l^ieltcn. Wan fie'^t, bnjf baS Singe
an biefe neue S’nrfteltnng nod) nid)t gern öl) nt mar"f).
üfMr bürfen eS fomit rool)l als crmiefen betrad)ten, baf) bie bitbcnbe
Äunft ber @ried)en, roäbrenb ber clnffifd)en 3^** fonbern ancb
fpäter nod), feineSmegS ber 2lnfid)t ronr, ntS ob il)re roefenttid)e 23e;
ftiinmung fie oerpflid)te, it)re @eftolten fämmttid) ohne jebe 3?efleibnng
oorgufübren. 3f^ aber bem fo, bann tonnte fie and) nid)t oon ber
Ueberjengnng nnSgeben, ibr böd)fteS @e)et^ fep „bie förperlid)e Sd)ön=
beit". ®enn inbein fie ju allen gcrnbe il)re oornebmften 23it=
bungen befleibete, roürbe fie ja bievburd), roie fieffing nnb feine Sd)üler
unS mit ©rnpbafe oerfid)erten, „bie roal)re Sd)önl)eit" nnficbtbar gemalt,
„il)re böAfie 23eftimmiing nnb ihre (f'igentl)ümlid)feit nerfannt", „il)vcn
eigenen 33ebürfniffcn nid)t entfprocben", „il)re 2Birfnng jerftört ober un^
möglid) gemacht", nnb „bnrd) it)re 3i)lcifterfd)aft in ©eroänbern gejeigt
haben, rooran eS ibr fehle" ff).
Unb roaS inSbefonbere bie SSennSftatnen beS ij}rapiteleS angel)t, fo
ift eS auSgemncbt, baf; biefer Steuerer fie anS ganj anberen ©rünben
nid)t befleibet l)fldC/ geroiffenl)after 9{ücffid)t auf bnS „f)öd)fte
©efeh" feiner Ännft. „®icfe SBerte formten erft anS einer @emütl)d=
ftiinmung beT^DOvgeben in roeldjer, an ber Stelle ber l)öl)erea @eroatt non
ber fie allein it)ren IReij b<^f» finnlid) reijenbe (S'rfdjeimmg ner^
*) SSgl. gicfev, „3teftbetif" §. 201. g'^aerbad), ©. 171. ((£it. 344.)
**) ©dinaafe, Sb. 2. ©. 237. (Git. 18.)
***) Sübte, Sb. 1. ©. 150. (Git. 342.)
f) ©cbnaai'e, a. a. 0. ©. 238.
tt) Sgt. oben Df. 398. ©. 595 ff.
604
®te Se'^re Seffing§ Don ber Seftimmung ber bilbenbcn fünfte
göttert rourbe. ®aju TDtrfte ba§ Seben mit ben Hetären; manche unter
biefen ganj ©ried^enlanb mit i^rem Dfiu^me erfütlenben S3u|teriTmen er=
festen bem SSilbnev mirftid), unb nid^t ol^ne ©runb, at§ eine in bie
(Srfdjeinung getretene 5tp'^robite. 2lt^enagora§*) nennt be^^alb bie 6ni=
bi[(^e 23enu§ gerabeju 'E-oti'pv, bie Sul^lbirne. Oiac^ (Jlemenä non 2He<
panbria unb 2Irnobiu§ !^atte ißrariteteS in berfetben bie 23ul^lerin ©ratina
nac^gebitbet , nad) Stt^enäud unb '^^tutard^ bie ip^rpne, roetd^e auc^ non
il^m in iUdarmor gebilbet in 2;!^edpiä, unb nergolbet in ©elp'^i [tanb,
ba§ Jropäon ^eüenifdber SBoUuff nact) 6rate§" **). 3^ ber St^at eine
noble „33e[timmung ber bitbenben fünfte".
403. ißerbinben mir mit biefem negatioen ®eroeife eine pofitioe
SBibertegung ber oon Seffing aufgeftedten 33el^auptung.
3Ber bie uergteidjen roid bie mir im erften 33u^e***) au§
griedjiid)en edjriftftedern angeführt ^aben, — unb roie oiele tiefsen fid)
nod) ^injufügen, — ber roirb nid)t uml^in fönnen anjuerfennen, bap bem
l^eibnifdjen Stltert^um ber Segriff eined inneren gebend unb einer et'^ifdjen
Orbnung feinedroegd, roie bem ijeibent^um einer fpäteren uerloren
gegangen roar; ba§ bie befferen SÄi(^tungen ber alten ipi^iIofop§ie bei
ad ihren S^erirrnngen , bei ader 33erfunfenheit bed gebend ringd um fie
her, nii^t ben minbeften 2tnftanb nahmen, ber ©d)önheit ber @r[dheinungen
auf bem ©ebiete bed ©eifted uor jener ber törpertidjen Söett, unb ind;
befonbere auib uor jener bed menfdhiidhen geibed, roeitaud ben 3Sorrang
jujuerfennen, unb biefe gehre taut ju uerfünbigen, fie bei jeber ©elegenheit
ju roieberhoten. ©odte biefe iphi^ofophie auf bie Äunft ganj ohne ©inftu^
geblieben fepn? Unb roährenb bie 5j3oefie nodh burdh ©uripibed ihr jurief:
„‘iDen ©eift fdjou’ an, ben ©cift! raa§ frommet SBohtgeftalt,
roo fd)ön im fdjönen geibe nidjt bie ©eele ift?" 334)
tonnte bie bitbenbe Äunft foldhe ©rnnbfähe uodftanbig ignoriren, unb
ber ddeinung fepn, fie tebigti(^ „auf förpertidhe ©dhonheit ju ar^
beiten", unb „bie 9lad)ahmung fdjöner jl'örper" fep ihre „eigenttii^e Se=
ftimmung" ?
3Son feinem ‘Sieifter berichtet und ber ebte Xenophon, in feinen
„®enfroürbigfeiten", ©ocrated fep geroohnt geroefen, roenn er mit ÄünfU
lern jufammentraf, auch biefen nüpdi^e Odathfdjtage ju geben. ®o fragte
er einft bei einem Sefudje ben dJdater i^arrhafiud f ) : „23efteht etroa bie
*) Legat, pro Christ. 14., p. 61. Dechair.
**) Ä. O. 2Jtiißer, „.gjanbbud) bet Strdhäologie ber Ä'unft" (®re§Iau 1830)
®. 108. 110. 33gl. SBnmn, 23b. 1. ®. 340. ((5it. 595.)
***) 32amentlidh 2tbfchmtt 1. Äap. 2, unb 2tbldEin. 3. Äap. 1. (©. 37 fj. 99 ff.)
4) 3enti§ unb i)3arrhafiu§ gelten olä bie .^äupter ber jonifd^en 9JtaIerfc£)ule. „23ei
ftc^t in ffiibeiipritd; mit ben Ucberjeugungen be§ ctaffiftf)cn 2tüertr)iim§. 605
3(ufgabe ber “»nialevfunft bariu, bag Sidjtbare bar^uftellcn? ®euu i^v
oerftebt eucb adevbingg barauf, 35ertiefungen unb erböljte Stellen, Sictjt
itnb Sd^ntten, roeicbe, bovte, raube ober glatte ^betfe, alte unb iunge
©ejtalten, mit §ülfe eurer färben treu uacbäubilbeu." ,So ift eg,‘ er=
miebert ber ‘'Dealer. „Unb ba ibr barauf auggebet, fcböue ©eftalteu ju
mnteu, man aber einen ©injetnen an raetcbem 5lIIeg tabettog märe, nid)t
teidbt antrifft, pfieget ibr nicht non iFlebreren je bagfenige, mag an gebeut
uorjnglicb ift, su nerbinben, unb fo eure allfeitig fcböncn @efta(ten ber=
jnftetten?" ,^a,‘ fagt ifßarrbnfing , ,fo uerfabren mir/ „3tber ftcltt ifjr
ainb üon ber Seele jene ©igenfdbaften bar, roeld)e berfelben SÖürbe, 9ln=
mutb, geroinnenben ^di'ber unb Siebengmürbigfeit uerleiben? ober Icifd
fid) bag nid)t barftellen?" ,S5>ie follte man beim ®inge malen fönnen,‘
meint ber jlünftter, ,bie roebcr irgenb meldfeg i)Dlaafmerbältnif5 hoben,
noch eine fs-arbe, nod) fonft ctrong non bem mag bn oorber nnnnteft,
unb bie überhaupt gar nid)t fid)tbar finb „>^öre," antraortct Socrateg,
„fömmt eg bir nid)t oft oor, baf^ ber 3[!^enfd) einen Slnberen frennblid)
ober jornig anfdjaut?" ,3lllerbingg.‘ „Önfjt fidj nun nidjt biefer 9lng=
brnd ber Gingen bnrd) eure .^unft miebergeben?" ,@anj gemiff/ „Unb
bei frohen ober traurigen fvcillen, uon benen Solche bie fie lieben, gc=
troffen roerben, mad)cn bn Sille bag gleidje ©efidjt, mögen fie mm Sbeü=
nähme boi’en ober Feine?" ,S)nrdjnng nidit; bei frohen (^-reigniffen er=
heitern fid) bie 300^/ traurigen roerben fie finfter/ „iiiermag nun
eure Äunft nid)t and) biefe 33erfd)iebenbeiten roieberjugeben ?" ,@anj
gcroi§.‘ „®ut. ©erabe fo gibt aber and) i^ocbberjigfeit unb cbler Sinn
roie @emeinl)eit nnb (^hnrnctcrlofigfeit, Selbftbebcrrfd)nng nnb 6infid)t
roie .^odbmntl) nnb Uimerftnnb, fiel) in ben ,300^" SJFenfdien, in
feiner i^altnng, in feinen Seroegnngen nnb in ber gefammten änderen
@rfd)einnng Funb." ,®n l)oft lRed)t,‘ antroortet if.'orrbafiiig. „2äfd fiel)
nid)t and) biefeg nad)bilben?" /ITiit ber gröftten fieid)tigFeit.‘ „25>ag,
meinft bu nun aber, fel)en bie Sentc lieber," fdliefft Socrateg, „©cmätbe
auf benen feböne Seelen, eble nnb liebengronrbige ©bovactere bargeftcllt
finb, ober SSilber oon l)öf5lid)en, fd)lcd)ten, gemeinen Seelen?"* *)
©g ift beFannt, baf^ Socrateg ber Sol)n eineg 33ilbbanerg roar,
nnb felber gleid)faltg biefe iFnnft angnbte. ©ine non il)m gearbeitete
©ruppe, roeld)e bie ©rajien, nnb jroar beFleibet, beirftellte, fal) man in
Sltben nod) jur 3eit beg ')Jaufaniag, im jrociten ^oh^'hitnbert nnel) (51)^’-
Um fo mehr roirb man anerFennen muffen, bofj ber SSegrnnber ber be^
rnbmteften nnb uerbienteften pbilofopl)ifd)cn Sd)itle beg 9tltertl)nmg nlg
it)Tten i'dfieint ber Dleij ber finnticben ^H'ifion unb be§ JScicbeu unb Itcppigen ent=
{(hieben bie Cberhnnb geroonnen 511 haben." ©chnaafe, 23b. 2. ©. 248. (6it. 18.)
*) Xenophon. Memorabil. 1. 3. c. 10. 11. 1 — 5.
606
®ie Se^re 2effing§ Don ber Seftimmung ber bilbenben fünfte
aut^^entifcfier 5^ gelten üerec^tigt ift, roenn e§ fi(^ bavunt Ijanbett,
bag p(^[te ©efel^ feftäuftellen , burc^ raeld^eg bie griec^ifc|e 2te[t!^ettf ben
bttbenben fünften i^ren 2Beg norjei(^nete eben ju jener 3ett, töo bieje in
i:§rer fcf)ön[ten 33Iüte ftanben. ®iejeg @efet^ entptt aber nad; ©ocrateg
ba§ gerabe ©egent^eil non bem, raag Sejjing im „ßaocoon" behauptet.
404:. Stber niettei^t roar bie Setire roetdie ber ©o!^n beg SSUb'^auerg
bem jonifdjen ilRater na^elegte, bod^ nur eine barode ©ocra=
tijdien ©(^utraeigl^eit, bie im ^örjaal — ober im ijßorticug — immer^^in
üorgetragen, non ber fünftterifd^en ijJrapig bagegen uerlac^t mürbe?
2Bir fabelt im erjten Äapitel (©. 566) bie ißerfe ^omerg angefü’^rt,
aug benen i|3t)ibiag bie 3^ee ju feinem Oipmpif(^en S^f<^öpft
!^atte: man nrttjeite, ob eg bie blojje f^eibegfd)önt)eit ift, ober oietme^r
bie bem böc^ft^n unter ben ©öttern inneroobnenbe ÜRajeftät, atfo im
Steufjeren fid) offenbarenbe g ei füge ©röf^e, metd)e fi(b in jenen ißerfen
augfprid)t, ^u beren 5Iugbrud biefetben mitt)in ben Äünftler begeiftern
mufften. ®ie bem cotoffaten, etraa 40 g'uff 33ilbe „ju ©runbe
liegenbe iBorfteüung'', bejeugt Äarl Otfrieb iöcütter, „ift bie beg atls
mäcbtig befrfd)enben, überott fiegreidben ©otteg, in butbootler ©eraäbrung
gnäbiger ©rbörung menfd}Iidjer Sitten" *). ®urd) btojje „förpertidbe
©cbönbeit" lä^t fi(b eine Sorfteltung biefer 2trt bod) nicht jur 3Xnfcbau=
ung bringen. 3^ ©egentbeit, und) ber Ueberjeugung ber alten Äritif
beabfid)tigte i^ljibiag augbrüdlicb nnb mit Seroufdfepn, in feinem fBceifters
roerfe bag llnförperüdje, ben ©eift unb feine mächtige ©ro^b^it
fid)tbar ju mad)en. ®er feinfinnige ®io (Sbvpfoftomug führt, in feiner
„Otpmpifdjen" fRebe, ben Äünftter felbft rebenb ein, unb läßt ihn ben
©runb angeben, roef3balb er jur Sarftettnng beg ©otteg nidbt ben ilRonb
ober bie ©onne ober irgenb fonft etraag ©icbtbareg, fonbern bie menfcb=
liebe ©eftatt b^üe mähten muffen. „®en ©eift", fpriebt
„ben ©eift unb bie Söeigbeit oermag, fo mie fie finb, fein iJRater, fein
Sitbbauer barjuftellen; beim eg gibt ja feinen iStenfeben ber fie jematg
gefeben, ober befebrieben hätte. 3tber mir ahnen niebt bto^, fonbern mir
fennen eine fidjtbare ©rfd)einung, in metdber ber ©eift fidb offenbart.
Rubeln mir barum ju biefer unfere 3uftud)t nehmen, fegen mir, afg
bag ©efäf5 ber ©i nfi dt) t unb ber Sernünftigf eit, bem ©otte
ben menfd)Iicben £eib an, unb bemühen ung, meil mir ein eigenttiibeg
Sitb beg ©eiftigen ju fdjaffen nid)t im ©tanbe finb , in bem ©id^tbaren
bag fidj naebbitben läf^t, ben Sienfdjen bag Unfiebtbare oorju;
führen" **). ©injig barum , meit ibu bag Semufetfepn burdbbrang , ba§
*) il. O. SOliiaer, <5. 93. (Sit. 604.)
**) Dio Chrysost. Orat. 12. „Olympica“, ed. Dindorf. vol. 1. pag. 232.
Reisk. 404.
fte^t in SBibeifprud; mit ben Ucberäeugungen bc§ claffifc[;en 2lltertt}um§. 607
fie foldjen 3i2leu jd bienen, nnb feinestuegg angft^fte^üd) ober and) nur
an erfter ©teile „auf förperlid)e ©d)önl)eit 511 arbeiten" berufen fet),
eingig barum tonnte eg bein i]}^ibiag gelingen, bie '-f^Ioftif ju jener §öl)e
ber ©odenbung 311 fiiljren, roeldie fie oor ifnn niematg erreid)t Ijatte;
nnb baff fie fd)on fo balb nad) feinem ©obe non biefer i^öfie luieber
Iierabfinfen muffte, bag fom, roie mir felbft ©d)naafe anbeuten tiörten,
eben bolier, meil fie anfing, fidj tneljr alg redjt mar, non ber dtüdfidjt
auf bie „förperlidje ©diönbeit" beeinffnffen ju taffen.
(5'ine eigentijümtidje Saune beg ©d)idfalg I)at gerooUt, fdjreibt 9iio,
bap bie Söerfe ber ägpptifdjen nnb ber affprifdfen ©culptur beffer er=
mten blieben, atg jene beg ipljibiag; benn bag abgeredjuet mag an ben
iReliefg beg i)jartI)enon non il)m I)errül)rt, ift non biefen nid)t ein ein^igeg
ber 3‘-’^'f^örung biird) bie 3^'t diib bnrd) bie ^Barbaren entgangen. SS>ir
tonnen barum fein @enie nur nad) fpöteren (Jopien mürbigen. Unter
biefen ift aber bie norneljinfte nnmiberfpred)Iid) bie Saticanifdje iDtinerna,
an meldjer bem 23efd)auer in noCtenbetfter SSeife alte jene SSorjüge enU
gegentreten, uermöge bereu biefe ©öttin atg bag t)öd)fte ^beat ber grie=
^ifd)en Äunft erfdjeint. iHtan fiet)t auf ben erften 33Iid, baff ber Ä'ünftler
am menigften auf ben 5Iugbrnct meibtidier UnmntI) gearbeitet I)at. ©g
ift eine jungfrnulidje, faft ftrenge ©d)bn^eit, nnb auf biefen jmeifad)en
(Sinbrud erfd)eint 5ltteg beredjnet: bie reine ©tirn, bie lang nnb fein
gebitbete diafe, ber ernfte 3^6 beg i)3tunbeg nnb ber SBangen, bag ftarte
nnb faft edig geformte Äinn, bie nid)t meit geöffneten nnb mel)r nad)
unten gerid)teten Singen, bag tunfttog längg ber ©tirn jurüdgeftrid)ene
nnb in ben Staden t)erabmaltenbe S^aav , — • Sltteg 3’^^S^/ bie mit bem
Söefen biefer mnnberbaren ibeaten ©d)öpfung aufg uollfommenfte über=
einftimmen. ©abei ift bag red)te iUerI)äItnifj jmifd)en bem triegerifc^en
Stnjuge ber ©ottin nnb it)rem ©efd)led)te fo genau einget)atten, ba^ bie
©tatue fd)on atlein unter biefer 9Kidfid)t atg ein SJteiftermerf gelten
tonnte, ©g finb jmei innig oermanbte ^be^d/ metd)e ber Ä'ünftter mit
einanber jum SIngbrud bringen mottte, emige S5.U’igt)eit nnb emige ©d)ön=
!^eit; aber eine ©d)ünt)eit bie ben 33efd)aner eben fo fe^r ju ernftem Stad)=
beuten, mie jur iBemunberung ftimmen müpte. Unb biefe SSirtnng cm=
pfinbet man oor ber SJtinerua beg '4^t)ibiag in ber ©t)at. ®ie bnrd)
nidtg getrübte Steinzeit, metd)e fi(^ in ber ^attnng, in ben 3‘‘Ö‘^'d udb
fetbft in ben unbebentenbften ©injetbeiten angfpridjt, bemeift jnr ©einige,
bap ber .ilünftter begriffen batte unb eg bem 23efd)aner nat)etegen mottte,
mie bie Öleufd)beit bie SStntter ber ©infidjt nnb ber ©tarfe beg ©eifteg ift*).
405. Sluf^er feinen tgauptmerten, bem 3eo§ »ob ber Sttt)ene, bitbete
*) 9tad) Rio, tome 1. pag. VII — IX, unb Ä. O. tOtüUer, 483. ((Sit.
383 unb 604.)
608
5Die Sel^re SeffingS oon bar 33eftimmung bev bilbenben Äünfle
?p!^tb{a§ auc^ ©totuen ber 2Senu§, roelc^e glei(f^fat(§ oon ben Sitten ge=
rül^mt raurben, namentUd^ ein @otb=@IfenbeinbiIb biefer SIrt ju @ti§.
„SIbev au(i^ !^ier roar e§ nic^t bev ftnnlic^e Siebretj, fonbern bie gött=
lic^e @r!^aben^eit einer 2Senu§ Urania*) raelc^e er b ar [teilte" **).
(Srft mit ber oor^er (©. 603 f.) (^aracterifirten ßeiftung bei i)3raritetel
roar bie[e ältere ^wer SSenul Urania aufgegeben. „ilRit bem
roanbe fiel avn^ bie pliere, geiftige Sluffaffung ber ©öttin; ber Körper
geroann eine fetbftänbige, roefenttid^e, ja burc^aul überroiegenbe 93ebeutung;
el roar nur me!§r bie rein finnli(^e ©rfd^einung, roeld^e burc^ fiel) felbft
unb allein ©efatlen erroeefen foüte" ***).
Sllfo aulfd)Iiej3lic^ biefe, erft um bie Slltitte bei oierten
^unbertl, burcE) bal 23ilb einer entfleibeten ^etäre (oben, 604) oon
iproritelel inaugurirte EHic^tung roar el, roetd^e [enel „^öd^fte @efet^"
all fotcfiel anjuerfennen bie ©tirn l^atte, bal nad^ Seffing non ber ge=
fammten bilbenben Jbunft ber .^ellenen befolgt roorben fepn foCf. Unb
trol^ bei 23eifatfl unb ber Verbreitung, bie eine fotdbe ber Ueppigfeit
bienenbe 9Udf)tnng ber Jbunft, unter einem bereiti ber 3ei^fefeung oer=
fatlenben ^eibnifdben Volle, begreiflidtjerroeife rafdt) finben mu^te, — fo
ooltftänbig ging bod^ bem Stltertf)um bie ©onne ber Söa^r^^eit niemall
unter, ba^ el ben ^ö^eren Söert^ ber inneren, bem et^ifdien ©ebiete am
ge’^orenben ©d^ön^eit oor jener bei Deibel ju irgenb einer 3^^* 9®^?
oerfannt, ober aud^ nur in Vücffi(^t auf bie bilbenben fünfte all bereu
eigenttid^e Veftimmung bie .^erftellung blo^ äuf3erlid^ fd^öner ©eftalten
ju betradljten angefangen I^ätte. 3'^ gried)ifct)en Stnt^otogie finben fid^
jroei ©pigramme, beibe auf bie ©tatue ber Veuul ju ©nibul unb jm
gleidj auf jene ber illUneroa ju Sitten oon iß^ibial; bal eine ift oon
i^ermoborul, ber Verfaffer bei anberen ift unbefannt. l^aril, ber ©ol§n
bei ^riamul, na(^ bem ölten V^pt^ul auf bem ^ha unter ben §irten
feinel Vaterl nufgeroad^fen unb felber i'pirt, bflOe ©d^ieblrid^ter
jroifdjen ben brei ©ottinnen, mit 3ni'üdEfe^ung ber ^u^o unb ber SSJiineroa,
ben IfJreil ber ^ödjften ©dl)ünl)eit ber Venul juerfannt. Stuf biefel Urt^^eit
bei ijSaril fpieten bie jroei ©pigramme an; ber gemeinfame ©ebanfe
beiber ift biefer: „V)u fie^ft bnl reijenbe Vilb ber Venul ju ©nibul,
0 f^rembling, unb fpridl)ft: IDiefe übertrifft in ber V^at ©otter unb
VSenfd^en, ber ©prud^ bei i]3aril roar geredet, ©djoueft bu aber bann
bie i)elbin mit ber Sonje, bie ÜJdineroa, auf ber Vurg bei ©ecropi, bann
rnfft bu aul: SBn^rlid^, eilt IRinber^irt roar ij3aril, unb rinber=
l)irtenmäf3ig roar’l, biefe jurüdjufe^en" 335).
*) 3Sg(. <3. 156 f., bie Vote.
**) 2iiMe, 53b. 1. ©. 131. (6it. 342.)
***) Stacb iSumn, 53b. 1. ©. 347. (Sit. 595.)
fielet in 2Biberfprud^ mit ben Ueberjengungeu be§ doffifd^cn 3lttert^um§. 009
35?a§ bic beften btof^ ber Äunft fonbern be§ grieci^tfd)en
^eben§ über^upt, (^^aracterifirt, ba§ ift nad^ Otfrieb 'üÄülIer eine natür^
Itd^e SBürbe unb 5rumut^, nereint mit bev grö[den 2fnfprud)to[igfeit, fern
non altem Streben nnd) Sod'nng ber Sinne nnb glänjenbem ©ffect*).
„®a§ allgemeine norjnglidie Äennjeid^en ber gried)ifc^en 9J?ei[ter[tnde",
l^atte lange uor ifpn SBinfelmann gefdjrieben, „ift eine eble (Einfalt, unb
eine fülle ©röj^e, foroobl in ber Stetlung al§ im 2lu§brnde. Soroie
bie Siefe be§ Weereg altejeit rut)ig bleibt, bie Oberflädje mag nodj fo
TDÜf^en, ebenfo jeigt ber 3lu§brncf in ben Figuren ber ®ried)en bei
allen Seibenfdfaften eine gro^’e unb gefeite Seele . . . ®er 9ln§brucf
einer fo großen Seele gcl)t meit über bie 9?ilbung ber fc^önen 9tatnr:
ber Ännftler mnfite bie Stnrfe beg ©eifteg in fid) felbft fül)len, roelc^e
er feinem 20iarmor einpragte. ©ried)enlanb l)atte .'Zünftler unb 2T'elt=
raeife in ©iner '^^erfon, unb mel)r nlg ©inen iHletrobor. ®ie 25^eig!^eit
reidbte ber 5bnnft bie , nnb blieg ben ff-ignren berfelben mel)r alg
gemeine Seelen ein" **). 3lcltere 3digiüffe fteljen mit biefen 2lnfd)annngen
in Dollftem ©inflange; „©^rmürbigfeit, ©rl^abenljeit , l^od)finnige ©roß'
artigfeit, nnb t,ngleid) bie forgfältigfte SSodenbung im .Itleinften",
raerben ung nlg bie ilorjnge bcjeid)net, roelcbe bag 9tltert^um an ben
Sd)öpfnngen beg i|>l)ibiag beronnberte 336). SBäre femalg an bie SteUe
biefeg “ifSrincipg für bie bilbenben jlünfte, nlg bereu „pcl)fteg ©efet^'
bie „förperlif^e Scbönbeit" getreten, roie l)ätte ifßl)ibiag nnb feine 9lid)=
tnng i^ren |o!^en 9lnf biird) alle ^«bl^'bnnberte abmiirtg bel)anpten fon=
neu? bei ©icero, foroeit bie llMütejeit ber bilbenben ^fünfte ani^
l^inter ü^m lag, tritt ung bie nümlif^e ibeale 2lnffaffung non ber 33e=
ftimmnng ber Seigeren unb i^rer 2lnfgnbe entgegen. 3’^ ^i'^cr ber
Hieben gegen 2Serreg ennäl)iit ber römifdje dlebner nnb H-sbilofopl) einer
Statue ber ®iana. 3}erreg l)atte biefelbe aug Segefta geraubt; eg
fam barauf nn, ben Hlidjtern einen Ijo’^en 2oegriff 51t geben non iljrem
SBert^e; ©icero nennt fie „ein ganj fetteneg Äunftroerf, non l)ernor=
ragenber Sd)5nf)eit" 337). 9Snlb bnranf befdjreibt er fie: „©g mar eine
große erhabene ©eftalt in einem langen ©©roanbe; aber bei aller HDla:;
feftät erfc^ien fie ben mib ber .©attnng und) alg 3^’dgfrnn.
2Son ber Sdnilter bingen bie ^^feile l)erab; in ber Jinfen hielt fie ben
35ogen, in ber Hled)ten trug fie eine brennenbe fvncfet" 338). 95>ürbe
©icero ben ÜSertb ber Silbfanle nicht ganj anberg hnben diarncterifiren
müffen, inenn bag gebitbete Hlom, nierhnnbert ^ad)
hinfid)tlich ber 23eftimmnng ber bilbenben Äfinftc unb iljreg höe^ffe»
*) Ä. O. 9Jlüaer, ©. 99. (dit. 604.)
**) ffiinfdmann, ©ebanfen über bic dtachah’mmg ber gricdiifchcn 2Bcrfe in
ber ÜMaterei unb 33ilbt)auertunft (2. 3tuf(. 3^regben nnb SeipäiS 1756) ©. 21 f.
^ungmann, 3lcftfietif. 2. Sluff. 39
610 21uc| (5'v|d§einungen „bte nur al§ tranäitorifdfj benfcn laffen",
©efei^eg jener Se^re ge^ulbtgt feilte, roetdje nai^ Seffing ki ben Sitten,
bte Ijerrfdjenbe geroefen je'^n foll?
§. 3.
in bei- bic eifbcttbctt ^än(ie nir^t ^-ildjcinungen barfieffen bitrfen,
„bte firf; nid)t nnbers benn «fs tmnöiioftft^ bcnßcn faffen“.
®er burdj raclc^cn l'ejfing biefc grage Devneinenb bcantroortet , ift ein
©rgebnift au§ unrichtigen S^rämifjen. UcBerbieä tritt ber 3]erjafjer be§
„Üaoeoon" burd) benfelben in SBiberfprud) joiuohl mit fiel jetber, d§ mit
ber ©efchidjte ber Ä'ünftc.
4-06. SBnre ber ©at^ Jejjingg roahr, ben mir im erften ijSaragraphen
behanbelt höben: müiite roirflicb alg „bie eigenttiche ®e[timmung ber bil-
benben fünfte bie förperlidie ©djönf)eit" gelten; bann ergäbe [ich hteraug
in ber Slljat alg nothroenbige [Folgerung bag @e[e§, roeldjeg mir in ber
lleber[d)ri[t mit l'e[[ing§ SBorten auggebrüctt haben. ®enn barin höt
ber ißer[a[[er beg „Saoeoon" noüfommen Dtedjt: bie „fövperliche Schön;
heit", bag hei[d bie Sdjönheit beg Ceibeg alg [old^en, liegt an er[ter
Stelle in „ber [^orm", in ber ®e[talt; nur, infofern bie[e ohne „(5ar;
nation" nidjt in bie ©rfcheinnng treten, nnb ohne irgenb roeld)en „Sing;
brnef" ein £eib ber einer uernnnftigen Seele gehört, gar ni(^t gebacht
merben fann, müffen eben biefe gmei, ober alg untergeorbnete Elemente, gu
ber „[vonn" 3öag aber ingbe[onbere ben „Slugbrucf" betrifft,
fo fann alg folcher jebenfallg ber „trangitorifdje" nidjt bienen: roenn auöh
nidjt unter allen Umftänben aug bem oon ßeffing geltenb gemadhten
©runbe, roeil „ber trangitorifdje Slugbrucf gemaltfam, unb folglit^ uiemalg
fdmn" fep, fo bod} fchou barum, raeil ber trougitorifche Slugbrud, ber ja
immer bie Offenbarung eineg actuellen inneren 33organgeg ift, ju ber
„g-orin" beg fieibeg, unb ber „förperlidjen Schönheit" alg foldher, in
feiner SOoeife gehört, oielmehr ganj auf3erhalb ihreg SBefeng liegt, unb
baju angethan ift, bie Slufmerffamfeit uon ihr abjulenfen. ©g ergibt
fid] barum bag ©lefefe, „bie bilbenben ö?ünfte bürfen feine ©rfcheinung
barftellen, meld)e bag mag fie ift, nur eineu Slugenblid fepn fann, unb I
fid) barum nur alg trangitorifd) benfen löfft," eg ergibt [ich, fage iöh, 1
biefeg ©efet^ alg nothroenbige fifolgernng aug Seffingg Sehre oou ber
eigentlidjen 33eftimmung ber bilbenben Äünfte*).
©ben hierauf folgt aber anberfeitg, bajf bag in Diebe ftehenbe ©efe^
feiner 33egrünbung unb aller oerbinbenben Öl'raft entbehrt: benn mir haben
*) Sie in biefer Sebuction benupten nnb mit 2tnführung§jei(hen hecoorgeho;
benen SSovte £ef[ing§, finben fid; oben, ©. 587 f., mit Stngabe il;rer Cuelte.
finb füv bie bilbenben Jbünfte ganj geeignete SSovroürfe.
611
jo in ben jraei i)orI}evge^enben ijjavagropljen bie nollftönbige Un^oltborfeit
ber Scljre nod^geroicjeii, nug lueldjev bojfelbe l)erüorgeI)t.
llnb nid^t bo§ allein. :l?ejjing tritt bnrd) bo§ @ejet^ non betn mir
reben, ouc^ in tlBiberjprnd) mit [ii^ jelber. Unmittelbar benor er e§
aufftedt, l)at er nämlid) bemerft, „bie bilbenben jliinfte lönnten ben ein=
jigen 3lugenblid'' beg 23organgeg, ben jie fidj alg 33ormnrf neljinen,
„nid)t frndjtbnr genug roö^len“. „©agjenige ober mir allein ift frud}t=
bar," fäl)rt er fort, „mag ber ©inbilbiinggfraft" beg 2Sefd)auerg „freieg
©piel löf3t. beftü mel)r nuiffen mir Ijinjubenfen
lönnen. bajubenfen, befto mel)r mnffen mir jn fe'^en glauben.
3n bem gangen Verfolge eineg 51ffcctg* *) ift aber fein 51ugenblicf, ber
biefen 2Sortl)eil meniger Ijot, alg bie Ijödifte Staffel beffelben. Heber iljr
ift meiter nidjtg; nnb bem 51nge bag Sleuperfte geigen, Ijeipt ber ifgl^an;
tafie bie fs'lngel binben, nnb fie nötljigen, ba fie über ben finnlidjen
Hugbrud nidjt l)inang fann, fidj unter i^m mit fd)mäd)eren Silbern gn
befdjftftigen" ®iefe Semerfnngen finb nortrefflid). Über ^iernad)
foll ja ber Dilfaler ober ber Silbljauer nng bem Verläufe ber .fpnnblnng
eben einen iöloment mnljlen, u)cld)cr „bag mag er ift, mir einen 31ngenblid
fepn fann", alfo „fidi mir alg trangitorifd) benfen löfgt". ©enn mo fid)
ber gemül)lte Dfoment alg banernb, alg „permanent" benfen liefje, mie
fönnte berfelbe ba ben Sefd)auer u er auf affen, fid) it)ii bennod) gngfeiii^
alg bie meiteren DJiomente, big Ijinanf „giir Ijödjften ©taffel", norbereitenb,
mithin alg unoergiiglid) biefen meidjenb nnb in fie übergel)enb, gn benfen?
@enaii in biefem nuferem ©inne mar ©imomadjug uorgegangen bei
ben berül)mten ©emälben, auf bie fic^ halb nad)l)er £effing beruft, alg
ob fie eine Seftätigung fein eg ©cfel^eg entljielteii. Raffen mir nur bag
eine berfelben ing Singe, „bie i?;inbermörberin SÜcebea". ©in ungenannter
©id)ter d)aracterifirt bag Silb in bem folgenben ©pigramm ;
Äommet uiib fd)aut bic ©cftalt ber SJtörberiii, fdjnuct Slfcbea’g
Silbnip! fünftlicb nnb fnl)n fd)uf eg Jimoinnd)ug’ §anb.
©d}Qut in ben i^iinben bng ©diniert, ber ©iferfudit rollenbeg Singe,
llnb bie Jd)ränen gngicid) rocld)e fie trauernb uergieftt.
Sldeg, 0 SBunber! nereinte bie Äunft, umg nimmer oereint irinr;
Slber bie ©räuel beg SSforbg borg fie mit ©d)onung bem Slug’ ***).
©er SSfaler, fd)reibt fieffing gang ridjtig, „liatte bie 'DJlebea nidjt in bem
Slugenblide genommen, in mcld)em fie iljre ^’inber mirflidj ermorbet;
*) b. t). ber inneren @enxütl)§tf)ätigteit, beren Sten^ernng bie bargeftellte fict)t:
bare (5rid)einnng ift.
"=*) „Saoeoon" III. ©. 21. (Sit. 587.)
***) gr. Jacobs, „Sempe" 23b. 1. ©. 183. Antholog. gr. 4. p. 181. (Sit. 569 f.)
39*
612
oerpflid^tet bie ©cutptur,
[onbern einige Slugenb tiefe junov*), ba bie niüttertid}e Siebe nof^
mit ber (Siferfud^t fämpft" **). Stber ift benn ein iUJoment ber „einige
Stugenbtiefe" nor einem anberen non i^m nerfd^iebenen liegt, nid^t roefent=
lid^ ein fold^er „ber fid^ nur at§ tranSitorifei) benfen läfet" ?
407. 2ßie fc^on burc^ biefeä berü'^mte SBerf ber iIJiaterei, [o roiber=
legt fid^ überhaupt Seffing§ ©runbfaij mehr al§ genügenb burch bie @e=
jchichte ber Jlünfte. ©erabe bie norjügtich[ten Schöpfungen, ber ifJtaftif
fo gut raie ber iDialerei, ftetten ©eenen bar roeldhe nur a(§ norübergehenb
mirftich, nur at§ „tranSitorifch" gebucht roerben fonnen. ilRan nergteiche
bie ißeifpiete non benen in ben jinei norhergehenben Kapiteln bie fftebe
roar***). ©inen bebeutenben Scheit biefer Seifpiete haben mir bort, mie
man fi(^ erinnern roirb, baju aufgeführt, um ben ©a^ non ber „abfo=
futen fRuhe" unb bem „3mfidh=abgefdhtoffenen" ju roibertegen, moburetj
fidh bie SBerfe ber ©culptur df)oracterifiren fotlen. ®iefer ©at^ ift eben,
raie rair bamoI§ (©. 567) fchon bemerften, ni(^t§ anberS at§ ein noth=
roenbiger Stuäftufe au§ bem ifSrincip Seffing§ non bem rair hanbetn: nur
bafe bie neuere Stefthetif e§ gerathen fanb, baffetbe auf bie ©cutptur ju
befchranfen, raähreub ihr ilReifter e§ ohne Unterfdhieb für beibe bilbens
ben fünfte gettenb mu(^t.
§. 4.
bic ^cufptwr (tch „auf bie ^arffeffung etnjefner ^e(lttftcn
etnf(hränßen möffc‘‘.
55ie SSorfchrift ber neueren 3Iefthetif hinfichtti(h biefe§ ^t?unfte§ ift ein noth'
roenbige§ ©rgebni§ ihrer falfchen ^Jrömiffen, babei aber jugteich roittfürtich
einfeitig. Sie ctaffifche ontife ©culptur hatte non berfelben nicht bie
minbefte 3thnung. ©ie finbet überbie§ ihre entfdheibenbe SBiberlegung in
ben „lebenben Silbern".
408. iRadh Ärug „geht bie bem Äunftraerfe nothraenbige ©inheit
nertoren, raenn bie tptafti'f ©nippen bitben inill, bie au§ einer größeren
3tnjaht non ^erfonen beftehen" f). fRadj fRüfftein unb fyiefer „ertaubt i
e§ bie erhabene IRuhe unb ba§ hof)c ©teiehgeraii^t, raelche§ in ben ©e= •
ftatten ber tptaftif h^i^fot^titeten mufi, biefer Äunft nicht, fidh ^n h^fto^
rifche ober bramatifche ©ompofitionen ju raagen. ©ie mup fidh ^“her
*) ®on mir unterftridhen.
**) „Saoeoon", III. @. 23.
***) S. 376, @. 558 ff. S. 381, ©. 567 f. 9t. 390, <S. 580 ff. SGBeitere
Seifpiete finbet man bei 21. generbad;, @. 54—68. (©t. 344.)
t) ffrug, 2lefthetif §. 82. 9Inmerfung.
„)id^ auf bie Sarftellimg »on ©injefgeftalten einjufd^ränfen". 613
auf bie ©arftellung einzelner ©eftalten, einjetner (5t)aracteve einfcf)ran=
fen'' *). „®te ©cutptur“, te^rt ©^naafe, „fafjt ben ‘OJtenfdfen etnjelu
auf; bieä ift i^re eigeutüdje '^lufgabe. ®enu ba§ förperlic^e Seben be§
iStenfdfen ift ein in fid) abgefdjloffened; bie 21ufgabe ber ©arftetlung
biefed Sehend ift atfo mit ber ©inen ©eftatt erfdföpft. ©§ fotgt baraud,
baff bie ©ruppe nnb bad Dieticf nic^t bie roefentlidfften unb natnrlidfften
5tnfgaben ber ©culptur, fonbern fdjon Uebergänge jur i)Jtaterei finb" **).
i)Jiit ©inein Söorte, — um mit iBif(^er ju fdjüeßen, — „bie i^taftif offen;
hart i'^r innerfted SSefen am notlften unb reinften, menn fie nur ©ine
©eftalt ^inftedt" ***)•
Sßü immer ilJtenfdfen ju einanber in 33ejie^ung treten, unb mären
ed anc^ nur jroei, ba raerben fie roenigftend einigermaßen anftönbig
befteibet erfc^einen: ed fei) beim, fie get)örten entmeber ben nod) non
feiner ©inilifation beriÜ^rten 23emo!^nern überfeeifd^er Urroätber an, ober
fie gäben fid) jenen Singen l)in, roetd)e ber ()eitige ©eift „tobte SBerfe"
nnb „Söerfc ber f^-infterniß" nennt. „forperlid)e ©d)öid)eit bie
eigenttid)e ®eftimniung ber bitbenbcii Ä'nnfte" ; finb biefelben baruin
nerpftii^tet , alle ißre ©eftalten notlftänbig nnbefleibet auf jufüßren f) ;
bann bleibt ifnieii fomit nid)td übrig, ald entmeber iljre SSormürfe and;
fd)UeßIid) bell jmei eben befeid)neten Greifen jn entneljinen, ober fid)
jeber Sarftellimg non ©nippen, unb follten biefelben and) mir jmei
ifJerfonen umfaffen, ju entl)alten, nlfo in jeber Seiftung nur eine einjige
©eftalt ju geben.
'IlMeberum; mo immer iDtenfd)en einanber gegennberfteßen ober bei=
f am men finb, ba merben fie fid) ald lebenbige nnb mit SSernnnft begabte
SSefeii geigen, mit einanber uerfel)ren, in irgenb meld)er Söeife auf ein=
anber mirfeii, mithin ßanbelnb anftreten. ©iiib bie bilbenben btünfte
ni(^t il)rem SBefen nad) pragmatifd); liegt uielmel)r il)re Dlnfgabe and=
fd^ließticb in ber Sarftellimg ber ©eftalt: bann muß ed ißnen folglid^
nerfagt bleiben, in ißren äSerfen jcmald nießr ald eine einjige ©eftalt
erfd)einen gu laffen; beim gmei lebenbige ‘i)Jienfd)en bid)t bei einanber, bie
aber um einanber gar nid)t miffen, gu einanber in gar feine 23egiel)ung
treten, finb ein antßropologifd)ed Unbing.
Sad bürften bie ifigege fepn, auf benen bie ißertreter ber oorßer
(^aracterifirten £el)re gn berfelben gelangt finb. Dhir nimmt ed fid),
mie bei bem im oorigen ifiaragrapßen befprod)enen ©rnnbfoße, menig
logif^, aber feßr mitlfürlid) and, baß fie ißre Seßre auf bie ©cnlptnr
*) 5)tüff(ein, 2et)rbud) ber ttuuftiuiljcufd^aft §. 220. g-iefev, Steff^etif §. 208.
*'*) ©d^naafe, 33b. 1. ©. 36. (Sit. 18.)
***) Sijctjcr, 3teit’^etif, 33b. 3. §. 606. ©. 369.
t) 33gt. oben iP. 397. 398. ©. 593 ff.
614
»er|5fl{c^tet bie ©cutptur,
befc^ränlen , roo bod) bie i^rmctpien au§ benen biefetbe l^eroorge^t,
t)on Seffing gerabe jo gut auc^ in 9flüd[id)t auf bie iüJiaterei feftge^atteu
raerben.
®ie Se^ve fetbft noc^ eiuge^enb ju roiberlegen, töunen rair ung nad)
Slllem raa§ bereits gefügt reiirbe, nid)t nte'^r uerantafd fe'^en. 2Biv be=
fdiränfen unS auf jroei ©ebanfen.
409. TDÜrbe e§ fic^, roenn bie Se’^re lua'^r raäve, benn
bod^ etraaS feltfam auSue’^men, ba§, bem 3eugniffe ber ©efc^idbte jufotge,
bie befteu i|]Iaftiter in ^"»ettaS non berfetbeu nichts geraubt tiaben.
.'pinfidjttic^ „bev ber f^igureu", berid)tet 2BiuM=
mann, „roaren bie uoruel^mfteu ^Regeln ber alten .Zünftler, erftlidj bie
©parfamfeit in f^iguren, unb jmeitenS bie JRu'^e in il^rer ^anblung. 3^^
3tbfidjt auf bie ©rftere erfc^eint au§ febr nieten i^rer 2Berfe, bag
baS @efel^ ber ©i^aufpiete, nic^t me'^r atS brei ifJerfonen gngteidj auf;
treten jn taffen*), roetc^eS ©op'^octeS jnerft eingefü^rt !^at**), au(^
in ber ^unft angenommen nnb bcobaditet roorben; ja mir finben, ba^
bie ntten .tbnnftter fidj bemüf)ten, niet unb eine ganje ^anbtung in
einer einzigen f^igur auSjubrüden, roie ber iIRnter 2:^eon jeigte in ber
f^ignr eines jtriegerS ber bie f^einbe jurnd^atten raottte, d§ne beffen
©egner norjuftetten. ©S roaren auc^ bie atten ^ünftter, ba fie atte auS
eben berfetbeu Qnette, bem ,^‘iomeruS, fc^öpfeten, an eine beftimmte
non f^iguren gebnnben, tneit bort fe^^r niet .^anbtnngen jtnifc^en jroo ober
brei ifSerfonen norge^en . . ©benfo ner^^ätt eS fid) mit ber !§eroifc|en
®efc^id)te nor bem 2:rojanif(^en Kriege, raie ein ^^ber roei^; fo baf^ bie
mel^reften .^lanbtnngen in brei Figuren nottig begriffen unb geenbigt inaren.
— ?tbfid^t auf bie 9ftnf)e in ber ßompofition ber atten ^ünftter er;
fdjeinct niematS in ihren SR>erfen, roie in ben mehreften neuerer
eine ®efettfd)aft, in metdjer fid) ein jngteicb mit ben Stnberen mitt
hören taffen, ober ein Raufen ®otf, roie in einem ptöt^idhen
roo ©iner anf ben Stnberen ju fteigen fdieinet ; fonbern ihre ißitber gtei(hen
ißerfammtnngen non iflerfonen, bie Sichtung bejeigen nnb erforbern. ©ie
nerftanben fet)r rooht baS, roaS mir ,gruppiren‘ nennen" ***).
*) — nec quarta loqui persona laborct.
Hör. ad Pison. v. 192.
„ — nod) joH ber ©icfiter feine ©eene, gegen
ber groben SOteifter SSeifpiet, mit ber oierten
iperfon betaben." (5fta(h Sßietanb.)
’IRan beachte ben pier audb non Sffiinfeimann conftatirten fiiftorifcben ^nfammen;
bang ber bilbenben Äünfte mit ber bramatifdben. (SSgt. fR. 376 ff. ©. 558 ff.)
**) Arist. de arte poet. ed. Buhle cap. 5. vulg. 4. n. 14.
***) 3f)infefmann, ©efdbidfite ber Äunft be§ 3ntertbum§, 2:^6 1- (®ien
1776) @. 343 f.
auf bie ©arftcHimg uon ßinjelgcftalten einjufdjränfen". 615
)|
©tefeg entfdjiebener fpredfen in fofern
neuere, atd fie non kftiinmten ©nippen and) mit einer größeren 2tnga^l
non ©eftalten beridften. So inirb unter ben Strbeiten be§ ißt)ibia§ „eine
©nippe non ©rjfignren" nnfgefidjrt, „.^eroen be§ attifdjen Sanbe§ bar=
ftellenb , bereu iDtittelpnnft iOtittiobeg Bitbete; bie 2ttf)ener tjatten biefetbe
311m ®anfe für ben Sieg Bei tOtarattjon in ®etpt)i aufgeftellt''.
ben norjügtidjften 25>erfen be§ Scopa§ getjört „eine iinifangreid)e i]}tar=
niorgrnppe, inetdje bie UeBerBringiing ber non 25utcan gefertigten Sßaffen
an 3td)itte§, bitrd) feine iDiiitter St)eti§, barftettte. 3'^
ungef)euern reitenben Ütereibcn nnb Sfritonen, bem ganzen reichen ©efotge
ber ’SKeergottBeiten, niod)te ber .fbiinftler bie SeBen§fn(tc, bn§ üBermütt)ige
Safepn biefeg Bcinegtid)en 23oIfe§ ber Saljffutt), trefflid) neranfd)aiitid)t
l^aBen". Unter ben nieten Sßerfen be§ tprapiteteg finben fid) aBermatg
„nie^^rere figurenreid^c ©nippen" ; inSBefonbere inirb „bie ©rägruppe nom
DftanBe ber if?roferpina" ennatint. Cpfippud „fdjitberte in ©rjgrnppen bie
Sitten beg tgercutes" ; bie arginifc^^ficponiftfie Sd)ute an bereu Spi^e
er ftet)t, tieferte ineBrere „nnifangreicBe ©ompofitionen : fo eine in SDetp^i
geinei’^te ©rjgrnppe, inetd)e eine teBenggefftt)rtid)e Söincnjagb 2tteranber§
be§ ©h'ofeen, nnb feine ütettnng bnrc^ ©ratenig fc^itberte; fo bng cotoffnte
®enfmat, bag ben Ä'önig mit 25 üleitern nnb nenn fywfefömpfern in ber
Sd}ta(^t am ©maniciig barftettte". Unb „an alten biefen 2Berfen inirb
bie teBengnotte ©tjarncteriftif , nnb bie feine natnrraa^re 2tngfnt)ning
rii^mlid) t)ernorgct)oBen" *). not'^inenbig, baf) mir nod) an bie
©nippe beg Jaocoon, an fene beg 'Jnrnefifdjen Stiereg**), ober an bie
t)errtid)e im erften ^lapitet Befprodjene ÜtioBibengnippe erinnern? Unb
get)t nicBt nng alte biefem uniniberfpred)tid) tjernor, baf) bie ctaffifd)e
Sciilptur in .'oettng bie Set)re ber neueren 2teftt)etif non ber mir reben,
feinegroegg anerfannte ?
410. Unb fie ^atte inirftid) anc^ feinen ©ninb, biefetbe anjiierfennen :
bag ift ber anbere ©iebanfe, ben mir nod) niigfpred)en motiten. 25>er
©elegent)eit ’^atte, mät)renb beg Sommerg 1860, 1871 ober 1880 bng
freiinblid)e, bnmatg attfonntäglid) non ©nften aiig atten S:t)eilen ®entfc^=
tanbg üBerfntfte OBeramniergan jii Befnd)en, ber erinnert fid) and) nad)
3aBren nod) mit ^ot)er 23efriebignng ber „leBenben 23ilber", jener !^err=
lidjen 2:aBteanr, nid)t in tobtem Stein ober 20tetall gebilbet, fonbern ang
mirflidien i]}erfonen jiifammengefek, in metdien mit nollenbeter Jl'nnft
Scenen ang ber t)eitigen ®efd)id)te beg alten 23unbeg bargeftettt mnrben,
ti)pifd)e 2]orBilber einjelner 3i'>92 Seibenggefd)id)te beg .^errn;,
biefe fetbft folgten bann in bramatifd)er Sarftetliing auf bie ®orBilber.
*) Sübte, 58b. 1. $. 127. 149 f. 154 f. (Sit. 342.)
**) 5ßgt. edjnaafe, 58b. 2. ©. 271. (Sit. 18.)
616 (Ssculptur m MneSroegä „auf ©inäelgefialteu einjufdiränlen".
S)er unget^eitte ißeifaE mit melcftem bie lebenben SBilber oon Ober=
ammergau aufgenommeii mürben, ift rooi^l bie befte SSibertegung alter
©inroenbungen , bie eine einfeitige itritit gegen bie[e 2trt fatieoted^nifc^er
Seiftungen geltenb ju machen nerfudft t)at. Sßir erroäl^nen berfetben
einerfeitä fi^on um il^rer fetbft mitten; bann aber namentlid), meil fie,
ä^ntid) mie bie im erften Äapitet gegebenen ©eifpiete, mit größter Ätar=
:^eit ba§ Sßefen ber ptaftifc^en Äunft neranfdjautid^en, iUtan fipire einen
bebeutenben ilJcoment in ber ©eene eineä fDrama, fo ba^ atte ^nbetnben
fperfonen nottfommen regunggtoä in i^rer ©tettung unb Gattung ner=
bteiben, unb bie bramatifdfe ©arftetfung ^at fic^ in ptaftifc^e nermanbett:
benn e§ finb ni(^t mel^r „2Sefen§bitber" fonbern „ftereometrifc^e ®eftatt=
bitber", met(^e un§ bie Stnf^auung einer @rf(^einung au§ bem menfd^s
ticken Seben nermittetn. tttidit etma al§ SBerfe ber bramatifd^en Äunft
atfo, ober au(^ einer fogenannten SRimit, finb bie tebenben Silber auf-
j;nfaffen, fonbern at§ ©rjeugniffe ber S^aftif, unb jmar, in
fRndfidft auf innere Sottenbung unb 2tu§brud‘, unbebingt alä bie pdt)fte
©tufe berfetben; eben at§ fol^e bitben fie ben Serit^rungSpuntt ber
bitbenben itunft mit ber ©romatit. ®er Sorjug ber SDouer oon @e=
bitben au§ anorganifd^em ©toffe freitii^ ge'^t i^nen ab, fie tonnen nur
■DiRinuten beftefieu; aber bafür mar t^re i^erftettuug au^ ba§ SBerf eine§
2tugenbtid§, bafür toffen fie fidt) nadj Setieben erneuern.
©inb tjiernad^ bie tebenben Silber mieber ein practifdjer (Kommentar
ju ber oon unä im erften Ä'apitet gegebenen Stuffaffung beä S^efenä ber
ptaftif(^en XUinft, fo liegt in benfelben, — unb bamit tommen mir auf
uufereu eigentlic|eu ©egenftaub gurüct, — eben barum jugteid^ bie fdf)la=
genbfte S^ibertegung be§ Stpiomä oon ber „©inen ©eftatt", auf bie fid^
bie ©cutptur gu bef^rdnfen ^obe. 3^ ©berammergau fatjen mir unter
ben nieten tebenben Silbern namenttid) jmei überaug fi^öne. ®a§ eine
ftettte ba§ ifroetitifdje Sott bar, mie eg bag erfte fDt'at in ber SBüfte bag
munberbare Srob fanb unb fammette, bag itjnen 3^^Jöoa oom ^immel
geregnet, eine ©eene oon uietteidjt tjunbert ffSerfonen, ilRännern, Sßeibern
unb jlinbern, bie ben ilRopfeg umgaben; in bem jmeiten erfd^ien in ber
iSRitte bie eherne ©d^tange, unb ilRopfeg mit bem ©tabe auf fie t|in=
meifenb, riuggum bie ©ctfaaren ber f^tie^enben unb ber ©ebiffenen, mie
fie in tiefem ©dtimerje, oott fpoffnung l^inauffdjauten ju bem gel^eimnip=
uoUen Sorjei(^en jutünftigen übernatürlichen ^eileg. Äann bie moberne
Stefthetit bemeifen, bafe on biefen Silbern, in benen moht nid)t ©iner ber
3ufdt)cruer bie ©eftatten gefühlt <iuch nur ©ine Sebingung
üfthetifdjen SBertheg oermifit mürbe? 2Bar aber bag nidt)t ber g^tt,
marum fottte eg benn ber ©cutpiur nicht ertaubt fepn, biefelben umfang=
reidfen ©nmppen in anorganifdjem ©toffe, in ©rj, §otj ober ©tein gu
bitben ?
617
(Sin feltfamer ©ebanfe ScffingS über ba§ „^iftorienmalen".
2Bir fennen freilii^ fe^r roo^I bie ©rünbe, um bereu roiüen mau,
namentüdj tu unferer ©arftelluug fo umfaffenber ©ceueu
mit 9led^t ber iS^alerei beu i^orjug ju geben, uub bie iplaftif nur für
©injelbilber ober für fleiuere ©ruppen in 2fufpru(^ ju ueljuien geroolptt
ift. 2lber biefe ©rünbe liegen feineSroegä in ber befonbereu Seftimmung
biefer Äuuft, ober in einer inneren 'Berfcfiiebenartigleit i^rer 2(nfgabe
oon ber Slufgnbe ber iöialerei: jonbern eä ift lebiglid) bie ©igenartigleit
bes ©arftelInngSmittelg — ftereometrifc^e ©eftoltbilber — , anä tueldfer
biefelben lieroorgelien.
§. 5.
pas §r}ftem dleffingö »on öcn ßU'bcttocn ,^ünflcn nadi feiner |:lebeutung unb
in feiner feljten ^ntwidielung.
2Baviim mir bie l'cbrc Peffing? einget}enb iuä 3lugc faffeit mupten. 9iod) ein
origineller ©ebante biefeö ©eleljrten über baö „§iftorienmalen". ©er
lepte 3tu5bau be§ l'effing’fd^en ©pftemö burd) ©djiller nnb bie 21eftl)etif
bed ipantbei§mu§. ©eä (Jrfteren ^beett oon ber „nrdjitectonifdjen @d}ön;
beit beö 9Jtenfd)eu" unb ber „göttlidjen ©cftalt"; 23eleudjtung berfelben.
©ie ©Otter 23i|d)erd in ben ÜBerlen ber ©culptur.
411. Unfere Prüfung ber 21nfd)aunngen Seffingg nnb ber fid) ibm
anfdjliepenben neueren Slefttjetif 1)«! ein aUfeitig negatioe§ Dlefnltat ge=
liefert. 9Scrlobnte eä ficb bepnngeadjtet ber ilRübe, biefelben fo eingeljenb
ju berürffidjtigen ? ©§ mar fd)led)tl)in notbroenbig. 21nfd)aunngen
bilben bie entfdfiebene 2>erneinnng nuferer ü^ebre oon ber 21nfgabe nnb
bem SBefen ber bilbenben .fünfte, namentlidj ber ©cnlptur; beim in
9lüdfid)t auf bie 'iOlalerei bat bie ©d)ule bie 2Infidbten ibre§ ißegrünberä,
roie mir faben, jum ©bei! bei ©eite gelegt. 91ad) nuferer Seljre fiiib bie
bilbenben Jlünfte il)rem ganjen Slt>efen nad) pragmatifd): beim iljre 21uf:
gäbe beftebt barin, in ©eftaltbilbern ©rfd)einuiigen au§ bem etl}ifd;en
Seben, alfo 207enfdjen bünbelnb, uii§ 511 oergegenmartigeii. 91ad) ßeffiiig
bagegen finb fie ihrem SBefen nach monumental, — meim anberS biefeä
S5>ort fiib eignet, bie ißerneiimng beä iforagmatifi^en an§änbrüden, —
unb ihre ganje IBeftimmimg geljt barin auf, und 23ilber oon 'i>ienfd;eu
ju febaffen bie fii^ burdf ßeibedfebönbeit andjei^nen.
412. 2ßad für meitere ©b^o^^ü'^ ^luffaffniig in ibrem ©efolge
bat, bad mag, ju allem fyrüberen, nod) eine Sleufterimg Seffingd felbft
bemeifen. unmittelbarem 2tnfd)luü an eine früher (©. 587) oon und
angeführte ©teile fd)reibt er. „Um törperlicbe ©ebönbeiten oon mehr ald
©iner 21 rt jufammenbringen ju fonnen, fiel man auf bad .!piftoriem
malen, ©er 21udbrnrf, bie ®orftellniig ber i^iiftorie, mar iiid)t bie
618 Sin feltfamcr ©ebanfe SeffingS über ba§ „.^iftorienmalen".
le^te Slbfic^t be§ Maler§: bte ^iftorie roar blo^ ein [eine le^te
Stbfidjt, manni(^ faltige ©c^ön^eit, ju erreicfien" *). §iern ad) radre
33. ba§ im lebten if3aragvap!^en (©. 615) ermähnte coloffale ©enfmal,
ba§ 311eranber ben ®rof3en mit 25 IReitern imb 9 5uf3fdmpfern in ber
©d)la(^t am @ranicu§ barfteüte, nid)t§ raeiter, al§ eine 3ufammenftetlung
non 35 nerfc^iebenen „förperlic^en ©d}önl)eiten“ ; ganj 2lnaloge§ mü^te
^infii^tlid) ber übrigen an jener ©teile non nn§ genannten @rj= unb
iUlarmorgrnppen, foroie non ba 23inci’§ im jraeiten Kapitel befprot^enem
„letztem 31benbmal^l" gelten**).
iUtan inirb nid)t erroarten, bofe mir ben angefül^rten ©ebanfen Sef;
fingg liier nod) roiberlegen; ba§ wir jur ©enüge get^an, inbem
roir bie ^rdmiffen jnrüdroiefen mit benen berfelbe snfnmmen^dngt. 21ber
eine 23emerfung bajn roollen mir nid)t unandgefprodien laffen. 35on ber
©piftenj einer religiöfen iU^alerei junddjft, nnb grof^artigen ßeiftungen
berfelbfen , fcfieint ber 33erfaffer be§ „Saocoon" gar nid)t§ ju tniffen.
■Denn biefe fann ja nidbt gu irgenb einer 3eit fbiftorienmalen
gefallen fepn", fonbern fie fieljt fid) nermöge ihrer Slufgabe gerabeju
barauf angeroiefen , l)^ftorifd)e ©toffe barjuftcllen , unb , roenn roir non
einzelnen allegorifdjen Silbern abfelien, augfd)(ief5lich fold^e. Slber niel=
leicht rebet Seffing nur non ber l)ebonifd)en DJtalerei. 2Ba§ biefe betrifft,
fo iüi fiebenten 3lbfd)nitte (301. ©. 432) bereits ben all=
gemeinen ©runbfat^ auSgefprochen , ba^ für bie Ijebonifchen fünfte über=
houpt fid) bie Sehanblung hiftoi^if^er ©toffe met)r empfiehlt, al§ ganj
felbftdnbig gefd)affene ©onceptionen. Siefer ©runbfa^ nun gilt nicht
bloft a u d) für bie Slalerei, fonbern er gilt für fie roeit mehr, al§ etroa
für bie bramatif^e Äunft ober für bie lj3oefie. ®en jroei Sezieren fteht
bie ©prnd)e jur Verfügung, unb in ihr haben fie ba§ ÜKittel, ben
halt ihrer ©rjeugniffe, auch berfelbe ausfibließlich ba§ 3Berf freier
©rfinbung unb barnm ganj neu unb unbefannt ift, bem 3ufd)auer ober
bem £'cfer ju nollern Serftdnbnig jn bringen. ®ie bilbenben fünfte
entbehren biefeS dllittelg; roie fott alfo ein ©emdlbe, ba§ eine gonj uro
abhdngig non aller ©efdhichte frei erbad)te ©eene barftetlt, für ben Se=
fi^auer noHfommen nerftdnblid) fepn? ®a liegt ber ©runb, roe^halb
and) bie h^boniflhe ÜRalerei, nid)t „auf ba§ c'piftorienmalen fiel", fonbern
fich genöthigt fah, norjngSroeife hiftorifche nnb borum allgemein befannte
Dhatfach^a al§ Sorrourf jn nehmen.
413. ®em ©pfteme SeffingS non ben bilbenben fünften feine le^te
Sodenbung jn geben, bas roar übrigeng jroei anberen ©eiftern nor=
*) „Saoeoon" XXXI. ®. 254. (6it. 587.)
**) 'ältan erinnere fich, ^af) Seffing, roie fchon bemerlt rourbe, „unter bem 9ta=
men ber iDtaterci bie bilbenben tlünfte nberfiaupt begreift".
®er letzte SUisbau be§ Seffing’fd)en ©gftem§ burd) ©djillcv. 619
beljoUen, einem ®icf)ter nnb einem ip^iIo[op^en : freilid} roolii nur be^=
l^alb, meil fie raeniger SSorfii^t nnb roeniger ©c^arffinn Ratten, a(§ i^r
9i)Jei[ter.
35>ir ermälmten früher (©. 610), baf? Seffing 9{ed)t l^ntte, menn er
a(§ (Sdement feiner „lörperlidjen ©dbönljeit" ben „trnn§itorifd)en" ?fn§=
brncf nerronrf. 5lber e§ mar inconfeqncnt nnb nnridjtig, bap er an
beffen ©teile ben „permanenten" ^Insbrncf aboptirte. 35>nrnm? SBeil
nad} ben Gegriffen bie fieffing je mit biefen Sßörtern nerbinbet, and) ber
„permanente" Uludbrnd ein ber „förperlid)en ©d)ön^eit" frembartigeS,
anper i^r liegenbeS ÜRoment bilbet. ©er „trnn§itorifdje" Dlusbrnd,
tagten mir an ber eben bejeidtneten ©teile, ift immer bie ©ffenbarnng
eines inneren Vorganges, nlfo ber nertuinftigen ©eele: nnb barnm ift es
gegrnnbet, raenn ?effing benfelben nid)t unter bie O^lemente ber ?eibe§=
fd)ön^eit rcdinen roill. iJlber baS ©rftere gilt ja non bem „permanenten"
Dlusbrncfe gleid)fallS; benn mie Seffing felber befinirt, ift biefer „bie
fffolge ber öfteren 3S>ieber!^olnng beS tranSitorifd)cn ittnsbrnd’S" *), mitltin
gleicbfallS eine ©ffenbarnng ber nernnnftigen ©eele nnb iljrer (Sigem
fd^aften. fffolglidb mar eS inconfeqnent nnb 25>illfnr, roenn ^effing nid^t,
luie ben tranSitorifdten , gerabe fo and) ben permanenten ?tnSbrncf non
ben Elementen ber „forpcrlid}en ©d)önl)cit" anSfcplop.
©d)itter mar berufen, biefen g-eljler anS bem ©pfteme jn entfernen,
nnb ben ©ebanfen SeffingS mit notier donfeqnen^ ju entinicfeln. 3”
feiner ülbl^anblnng „lieber 51nmnt^ nnb SK>nrbe" nnterfdjeibet ber ©id^ter
„bie non ber btofjen 91atnr, nad) bem ©efepe ber diotbinenbigfeit ge=
bilbete, allein bnrd) Slatnrfräfte gebilbete ©d)önljeit" beS ^denfepen non
berjenigen, „meldie fid) nad) fv^'^i^citSbebingiingen rid)tet". ©ie ©rftere
nennt er „bie ©dt)önl)eit beS 33aneS" ober „bie nrd)itectonifdje ©diönlteit".
©iefelbe mirb, inie gefagt, „olfne bie ©ininirfung eineS ein p firn
benben ©eifteS, bnrep bie plaftifdien jl'räfte erjengt". ©lemente
finb nad) ©exilier „ein glüdlidbeS 2.ierl)nltnif! ber ©Hieber, flicftenbe llm=
riffe, ein Iieblid)er 5^eint, eine jarte .^ant, ein freier nnb feiner 2Bnd)§,
eine roo^lflingenbe ©timme u. f. f." ; benn alle biefe „©oipnge l)at man
blofj ber üdntnr nnb bem ©Und jn banfen; ber ddatnr, ineld)e bie
Slnlage bajn liergab nnb fetbft entinicfette; bem ©Uitef, ineldieS ba§
23ilbnng§gefd)äft ber 9datnr nor feber ©imnirlnng feinblidjer Kräfte be-
fd^üpte" .
©aft ber bnrd) bie bejeidtneten ©igciifdiaften fd)öne Scib einem
*iRenfdl)en angeport, baff berfelbe ©ine iJdntnr bilbet mit einer uer^
nünftigen ©eele, baS ift für feine ©i^önl)cit nollfommen glcid)gnttig.
„iBdan fann nid)t fagen, bap bie 29nrbe ber i)i>cenfd)l)eit bie ©djönljeit
*) „Saoeoon", ©. 255. (Oben, $. 587.)
620 Stugbau be§ ^effing’fc^en ©pftemg burd^ ©dritter.
beä menfc^tt(^en SSaueg erl^o^e. unfer Urtl^eil über bie Se^tere
bann bie Sßorfteüung ber @r[teren jraar einfliefeen: aber bann I)ört e§
jngletc^ auf, ein rein äft^etifc!^e§ Urt^eit gu feqn. S)ie ^iec^nif ber
nienfc^UcEjen ©eftalt*) ift aüerbingg ein 2lu§bru(f feiner SSeftimmung :
aber biefe' 2;ed^nib rairb nid)t bem (Sinn, fonbern bem ißerftanbe
DorgefteCft; fie bann nur gebai^t raerben, ni(^t er fd^ einen. ®ie
ar^itectonifcb)e S(^ön^eit biingegen bann nie ein 2bu§brucf feiner ®eftint;
mung fe^n, ba fie fic^ an ein ganj anbereä ißermögen roenbet, aB ba§s
jenige ift, roeld^eS über jene 23eftimmung ju entfdieiben !^at**).
„Sffienn ba^er bem t3Jienfcb)en, nor^ugärceife nor allen übrigen tec^s
nifi^en Silbungen ber 3batur , S(i)ön!^eit beigelegt rairb , fo ift bie§ nur
in fofern raa^r, aB er fdjon in ber bloßen ©rfdjeinung biefen
S^orjug beliauptet, o^ne bafe man fi(^ babei feiner tÖ^enfcfilieit ju erinnern
brautet, ©enn ba biefes Se^te nic^t anberä aB nermittelft eineg iße^
griffg gefdjelien bönnte, fo raürbe ni(^t ber Sinn, fonbern ber SSerftanb
über bie Sd^ön^eit S^bii^ter fepn, raelcfieg einen Sföiberfprud^ ein;
fc^liejft. ©ie ilBürbe feiner fittli(^en Seftimmung bann alfo ber ?ObenfdE)
nid^t in Slnfc^lag bringen, feinen 33orjug aB ^ntettigeng bann er nicht
geltenb madhen, raenn er ben if3rei§ ber S(^onl)eit behaupten raill;
ift er ni(^B aB ein ©ing im Flaume, nidt)B aB @rfdf)einung unter
(Srf (Meinungen***). 2luf feinen Dfiang in ber S^eenraett rairb in ber
Sinnenraelt ni^t geachtet, unb raenn er in biefer bie erfte Stelle be;
haupten foll, fo bann er fie nur bem raa§ in ihm 91atur ift, ^u oer;
banben ha&eu" f).
©ag lä^t fidh ni^t in Slbrebe ftellen, confequent ift biefe iph^^o^
fophie. ©ie Sdhonheit beg menfchlidhen ßeibeg, lehrt Sdhiller, ift
erfteng eine ißefdhaffenheit beffelben, raelche ihrem 2ßefen nadh ju
ben eigentlichen ©egenftänben beg nieberen (frbenntnifjoermögeng ge;
hört, — in glei^er Streife raie bie f^arbe, ber ©eruch ober ber ©efdhmad
börperli(ücr ©inge; unb fie ift
jraeiteng augfi^liefflidh bag SBerb ber 9latur, bag h^ifet ber Seele
infofern biefe aB oegetatioeg ißrincip ben Stoff belebt unb bilbet
unb geftaltet.
Son ben brei ©lementen raeldhe nai^ Seffiug gur „törperlichen Sdhön;
*) bag tote <2dEii(Ier fetbft furj oorher erttärt, „bag 0pftem ber 3roecfe"
in ber menfdbticben ©eftatt, „fo roie fie fi^ unter einanber jn einem oberften @nb;
5TOect oereinigen". Äürjer, unb roof)t au^ ftarer: bie innere 3roeümäbigteit in bem
S3aue beg menf(f)tidE)en Seibeg.
**) itttan ficf)t, ©chitter nimmt hier ben begriff ber ©dhönheit ganj im ©inne
ber ©enfuatiften. 9Sgt. 51. 201 ff. ©. 283 ff.
***) b. h- nichtg a(g ein fichtbarer ©egenftanb unter fidhtbaren ©egenftänben.
t) ©chitler (Stuttgart 1836) ©b. 11. ©. 389-392.
®ev Iel3te SluSbau be§ Seffing’fd^en ©^ftem§ burd^ Sd^iller. 621
^eit" gepren, — ^'^orm, ^amation, permanenter 9Iu§brucf, — er^
f($einen fomit nur bie jmet erften beibeptten, ba§ britte ift ge[trid)en:
benn 511 bem „permanenten 5In§brucf" rairft bie nernünfttge 0eete
mit; at§ btofj negetatineä i^rincip fann fie benfetben nid)t prnorbringen,
ba er ja „bie ^olge ber öfteren SBieberpIung beä trnn§itorifd)en 3In§=
brucfeS" ift.
3}ie Dorpr (0. 619) non nn§ prnorgepbene
0pfteme SeffingS pt 0cbiller fomit glücftid) befeitigt. 91ber bafnr tritt
and) bie nbfolute Unjnläfpgfeit be§ ganjen ©pftem§ nm fo pnbgreiflid)er
prnor. 33ejnglidj be§ erften ber graei ©ebanfen in inetdje mir bnffelbe
eben jnfammengefafft, brand)en mir nur auf bo§ erfte 23ud) jn uermeifen,
mo mir, nom erften ?(bfd)nitt angefangen, bie Unmappit beffelben ein=
gebenb genug nadjgemiefen prben. Unb mag ben jmeiten betrifft, fo ift
e§ bei bem g-ötn§ im iBintterfdjOOp, nnb bei bem Äinbe fotange e§ nod)
in feiner iK^eife intellectnell tptig fepn fonn, allerbingg nngfpliefdicb
„bie 9fatnr", b. p bie 0eefe rein af§ negetatineä i|?rincip, meld)e ben
Sau feineg Seibeg nnb beffen gefammte nnpre 6rfd)einung mirft; einen
ermadffenen 'iöfenfdien bagegen, ober and) nur einen jepijöpigen, gibt eg
fa nid)t unb fann eg nid}t geben, beffen nupre @rfd)einnng, namentfidj
mag bie 3i'9e beg @efid)tg, ben ^on ber ©timine, nnb bie gefammte
.'Gattung betrifft, „opie bie (''inmirfimg eineg empfinbenben @eifteg“
angfcbliepid) „burd) bie pfaftifdien Kräfte erzeugt" märe, ©dpifcrg
„ardiitectonifdje 0d)onpit beg 9Jfenfd)en" ift mitpn eine pimnrifdje 5lb;
ftraction.
414. 3Ber baoon nod) nid)t nberjengt märe, ber fefe nod) bie fof=
genben ©äpe, in benen 0d)iller feinen @ebanfen, baff „bie mcnfd)(id)e
Sifbung nipt barnm fd)ön fep, meif fie ein 5fngbrncf ber ppren Se=
ftimmnng ift", meiter jn begriinben fnd)t. „iß>äre biefeg," fd)reibt ber
©ipter, „fo mürbe bie nämfid)e Sifbnng aufpren, fd)ön jn fei)n, fobalb
fie eine niebrigere Seftimmung angbrücfte" ; nnb eg mürbe nmgefept
„and) bag ©egentpif biefer Sifbung fd)ön fepn, fobafb man nur an=
nepnen fönnte, bap eg jene ppre Seftimmnng angbrücfte". 9hin ift
bag aber ganj nnb gar ni^t ber ^aff: bie menfd)Iicp SUbnng mürbe,
and) menn fie „eine niebrigere Seftimmung angbrüdte", bod) nm nidjtg
meniger fd)ön fepn, afg fie eg jet?t ift. ©enn „gefep, man fönnte bei
einer fdjönen 9Jlenfpengeftaft ganj unb gar oergeffen mag fie augbrücft;
man fönnte ip-, opte fie in ber @rfd)einnng jn oeränbern, ben ropn
^nftinct eineg ©igerg nnterfd)ieben : fo mürbe bag Ilrtpif ber tffngen
nolffommen baffefbe bfeiben, nnb ber 0inn mürbe ben ©iger für bag
fd)önfte ®erf beg 0d)öpferg erflären" *).
'*) ©d^itlev, a. a. O. ©. 392 f.
622 Ic^te ?(u§Bau be§ Seffing’fd^en ©pftemä burc^ @cC;it[er
®te Seroeife finb offenbar oollftänbig toertfilog: „ba§ ©egent^eil
bev menfc^üdjen 33Ubung" fann nid)t, unb ^raar mit metap’^^fifdjer
Unmögüdjfeit ni^^t,’„eine f)ö^ere 33eftimmiing auSbrüd'en", unb barum
aud) ntemalg, auf ®runb einer fold)en, anfangen, „fd)ön ju fepn" ; unb
ber S3erfu(^ , „einer fc^önen ^Kenfc^engeftalt ben ro^en ^nftiuct eine§
Siger§ unterjufdiieben", ift ein roiberfinnigeg Unternel^men, roeil für ben
ro^en beä Jigerä feine anbere ©eftaft pafft, afä biejenige mit
metdjer bie 2Bei§f)eit ®otte§ benfelben oerbnnben ^at. „®en Siger" aber
„für ba§ f(^önfte Sföerf be§ ©^öpferg ju erftären", bal^in mürbe fid)
„ber ©tun" ganj geroi^ niemalg oerfteigen; berfelbe mürbe pdiftens
baä eine ^nbioibnum biefer 3;igerrace in menf(^lid)er ©eftaft anberen
berfetben Dface oorjiefjen, mie e§ innerhalb i^rer 5Irt bie X^)kxt t^un,
mo e§ fid) um bie f^ortpftanjung l^anbelt. hierauf !^aben mir
nid)t cinjugel)en; mir modten bie ©cit^e nur anfüfjren, um barjutfjun,
baf) ©djitler in ber 5l!^at ben ©ebanfen ton ber „förperlid)en ©d)ön^eit"
mit alter nur münfd)en§mert^en ©onfequenj burd^gefüt)rt ^at, inbem
er, entfd)iebener unb meniger torfidjtig at§ Seffing, biefelbe ton ber
ternünftigen ©eele, unb Eltern mag biefe in ber äußeren ©rfd)eü
nnng beg Seibeg bemirft, toüftönbig löite. Unb ber Sortl^eit biefer
confeqnenteu ®urd)füt)rung liegt, mie mir fd)on fagten, barin, baß ber
2Biberfinn ber ganjen ©octrin ton ber „förpertidjen ©cbön^eit" beg
iIRenfd)en ftarer ju Jage tritt. J)er benfenbe ©eift fann freitid) in
ber ©dmn^eit beg ÜRenfc^en bie ©lemente meldje bem Seibe eigen finb,
ton jenen nnterfd)eiben bie ber ternünftigen ©eete angefiören; aber
itjrem objectiten ©epn nad) bitbet bie ©d)önt)eit beg iSfenfc^en, nic§t
minber atg fein ganjeg Jßefen, ein einjigeg unt^eitbareg ©anjeg: unb
ber ©ebanfe ton einer „förpertidjen ©c^ön^eit" bie ju ber ternünf;
tigen, unb bamit ber ett)ifd)en Orbnung angetjörenben ©eete in gar
feiner, ober nur in geringer 33ejiet)ung ftänbe, ift unb bleibt eine
Sf)imüre.
©g ift ein trauriger 33emeig ton ber ißermorren'^eit feineg J)enfeng,
menn man fie^t, metd)e bejaubernbe ©ematt eben biefe c^imürifc|e 3^ee
auf bag ©emüt^ beg ®id)terg augübte. ^n jmei ©trop'^en feineg ©e=
bic^teg „®ag ^beat unb bag Seben" fiat er feiner tßegeifterung für bie
„ard)itectonifd)e ©d)önt)eit beg ilRenfdjen" ober „bie ©eftatt" poetif(^en
5tugbrucf gegeben:
9iur ber Ä'örpcr eignet jenen 9Jfäd)tcn
Jie bag bunfte ©(btcffal ftedjten;
9tber frei ton jeber ^eitgematt,
Jie ©efpietin feliger 9iaturen,
2'3anbctt oben auf beg 2id)teg f^'turen
©ötttid) unter ©öttcrn bie ©eftalt.
unb biirc^ bie Slcftf^etijE beS '^antf;eibmu§.
623
®oUt il)v I)od) auf if)ren fvlügelu fdjiuebcn,
SC'cvft bie 3ingft be§ ^r^ifdjt'u uon eud)!
fsdieljet aub bem engen bumpfen Sebcn
^sn be§ .^ibcales 9Jeid}.
^ngenbiid), non allen (frbenmaleu
(S'vci, in bcr 9>otIcnbnng ©tvn()Ien
0d)inebct l)ier bcv 9)^enldj()cit ©ötterbilb:
2Bie beä £eben§ fdjineigenbe 9^d)antoine
©länjenb inanbeln nn bcin [tpg’fdjcn Strome,
Sine [ie ftnnb iin I)iimnlifd)en ©efilb,
(5I)e nodj 5nin tvanv’gen ®arfopl)age
Tie U n ft e r b t i d) c Ijernntevftieg.
T3enn im Jebcn nüd) be§ Änmpfc§ Stenge
©dpoonft, erfd)eiuet (}iev bei' Tieg.
415. (Sine beflimintc Slniuenbung feiner Seljve non ber „ard)itectonifd}en
Sd)önfjeit" auf bie bilbenben ^fünfte tjat ®d)UIcr meines S>iffenS nidjt
gemndjt. (5r evmnljnt nur an einer ©teile feiner Stbljanblung „ber
©öttin non (SnibnS" *) , meldje „bie inenfdjlidje ©attnng repröfcntire" ;
nnb an einer gmeiten fagt er, „bie ©eftalt ber SennS fei) bie fftepräfem
tantin ber ardiitectonifdjen ©d)5n^eit, ba§ ^beal berfelben". Ten in
biefen SBorten liegenben Äeim jn entmid'eln, nnb jugleic^ bie in ben
norI)er gegebenen ©tropfjen fc^on jiein(id) flar nngebentete SIpotrjeofe ber
„©eftalt" ober ber „förperlidjen ©d)onl}eit" and) auf bein ©elnete ber
„S5>iffenfd)aft" enbgültig jn nolljieljen, biefe Aufgabe nbernal)in fd)lie[3lid)
bie pantl)eiftifd)e 2leftl)etif ber ©djiile .Siegels.
ST'er nod) an einen perfönlidjen ©ott glaubt, ber barf fid) nad)
5^ifd)er feine tpoffnung inad)en, bie fd)önen ilnnfte nnb i^re Sß>iffenfd)aft
jn nerfte^en: beim „ber Tl)ei§mnS fc^liegt ben ©tanbpnnft ber 3feftl)etif
in SBa^rljeit anS". Unb cS ift eine irrige „99leinnng, baff baS Slbfolnte"
(©ott) „ju ben fepenben (Segenftänben get)ore: baffelbe mirb uictmcl)r,
aber nur al§ ©diein , bnrd) ba§ ©d)öne erzeugt" ; ba§ raill fagen,
2Birf(id)feit , aber bod) nur fdjeinbnre, l)at ©ott einjig in ben SBerfen
ber fc^önen fünfte. DUiinüd) „baft eS jmei Sßelten, ©ott nnb Ülieufd),
neben cinanber gibt, ift eigentfid) ein SBiberfprnd) ; beim ber ©ott ift
ber ibeale 30^enfd)". Tainit finb mir ber ©adfe fdfon nnmittelbor
nalje gefommen. SSo finbet fid) „ber ibenle 9}lenfd)" ober „ba§ ^benl"
beS i)}lenfd)en ? ©injig in ben SSerfen ber fd)önen fünfte, raie mir eben
noc^ non SSifd)er feibft ()örten. Unb mcld)e unter ben fd)önen Äi’mften
*) b. t). ber oben, ®. 603 f., befprod)cnen 23emi§ftatue non 'pvariteteS, roelct)c
bie 33erool)ner ber 3”f^( unanftänbig fnnben.
624 SSottenbung be§ Seffing’fd^en ©^ftem§ burd^ bie 2left^etif be§ 5ßantl^ei§mu§.
ftellt bie[e§ ^bed, „ber 9Jienfc|^ett ©ötterbilb" ober „bie Unfterblii^e,
bie göttlid^e ©eftatt", rote ©exilier [idj auSbrüeft, am oottfommenften
l^er? Offenbar Mne anbere, al§ bie©cutptur: ift ja boc^ fie e§, roetd^e
„ba§ 3^eal ber ard)ttectonifc^en ©c^on^^eit, bie Dftepräfentantin ber menf(^=
licken ©attung, bie ©öttin ron (Jnibu§" gefc^affen l^at. „©s ift längft
erfannt/' fagt barum 33ifc^er mit notier ^unerfid^t, „ba§ feine anbere
Äunft fo roie biefe ba§ ^beat fetbft gibt''*).
23ietteid;t erleben roir e§ nod^, baß man baä 3^eat oon ©nibu§,
„bie .^etäre" be§ i^rapiteteg roie 2tt^enagora§ fie nannte, ober ba§
etroag roeniger fd^amtofe 3^eat im ßouore, bie ©öttin ber Suft oon
ÜRelog , auf ben Slttar ftetft, unb in il^m „ben ©ott" anbetet, ben
„ibeaten 3!Jfenf(^en". Oann Ratten roir fie fa enbtidf) roieber, bie fc^önen
Oage oon ©orintt) unb ©ppern, bie ©df)iCfcr einft jurücfroünfdjte, —
„Oa man beine 3lempet noeb befranste,
35enu§ Stmatbufia" **).
*) 3Sgt. aSifdf)cr, „Steftbetif" Sb. 1. §. 52 unb §. 24. Sb. 3. §. 606.
3nfofcrn bie angeführten ®äpe Sifdfier§ einen Sefer über bie fftidbtung be§
armen SOtanneS etroa nodb in liefen, fotlen b'rr nodb einige folgen.
„®er Inhalt ber ffteligion febeint ibr fefbft ein ©egenftanb, ber ohne fie unb
auber ibr ba fep. ®ab bie§ nidbt SBabrbeit ift, folgt au§ aHem Si§brrigen. Sie
^Religion fept bie abfolute ^bee a(§ rein ootlcnbet in (Sott at§ einem (äinjetnen
ober in (Söttern al§ Sinjelnen, näher beftimmt jur ^bee ber SRenfdbbrit al§ rein
ooKenbet im 0obne @otte§ u. f. ro. 3"bem fie mm baran gebt, bie ©igenfdbaften
unb Sbötigfeiten biefer SSßefen, roeldbe einjefne fepn follen, fidb au§ einanber ju
[eben, bebt fie unoermerft ba§ ©ubfect biefer Sbötigteiten af§ einzelnes auf, @ott
roirb al§ aögegenroärtig unb unjeitlicb burdb aüe 3ed roirfenb unb fdbaffenb im
Uninerfum, ber 0obn ®otte§ ebenfo in ber befonberen Se^iebung jum fittlidben
Seben ber 3Renfdbbeit gefaxt u. f. ro., b. b- fie fmb feine ©injefnen mehr, fonbern
ber @eift be§ @anjen. Sie fReligion merft aber biefe Sluflöfung, bie fie fefbft nor=
nimmt, ni(bt, fie glaubt trop bem ffiiberfprudb an bie ©egenftänbfiebfeit ihrer
Sorftcliung. Sie 0dbönbeit roirb fid) bagegen af§ eine 2Radbt erroeifen, roetebe
biefen nerroecbfelnben ©faubeu aufIBft, aifo roeit entfernt, ihren 3^^b“d reinen
©egenftanb oon ber ^Religion ju entfebnen, nietmebr bie Seftimmung biefeS ^nbaftä,
roonadf; er ©egenftanb ift auper bem ©fauben ber ihn gfaubt, aufbebt. Ser ©laube
roomit bie fReligion glaubt, nidjt ba§ roa§ biefer ©taube glaubt, ift bie Sebem
tung ber fRefigion." Sif(^er, „2teftbetif" Sb. 1. §. 25. — Nescio quomodo nihil
tarn absurde dici potest, quod non dicatur ab aliquo pbilosophorum. Cic. de
divinat. 2. c. 58. n. 119.
**) „Sie ©Otter ©rieebentanbs".
625
S^tcrtcö Kapitel*
Die 5nil|)tur u^^ iiie ütalfrci ale rfligtöfc lüiiftf.
§• 1.
pte Sffffuitg bieder jntei ber reftfltöfen |lrd)ifccfur i)egcnu6cr.
I.
§eHa§ gaU baö SBerf bev -iculptur nid)t alö baä iBüb be§ Ootteö, jonbeni
a(ö ber @ott felbcr; Semetfe au§ ber I)ciügeit Äd}rift, l'iiciau, St. '^tugu;
ftin, Jf)coboret non (Jgniä, unb aud rcvfdjtebcnen 3iiSC'> 3t. ^eucr;
6ac^. t!tu§ biefein llmftanbe evfiärt fid) [oiuof)! bte ganj etnjig baftefjenbe
t}ot)e Slsotlenbung bev gvied)i|d)cn Jt)atl'ad)e, baf^ biefelbc
fid) unabhängig non ber 5(vd)itectnv unb bnrdianö felbftnnbig entnndett ()at.
•il6. ^ev 2(pofte(, ol§ er in ber 2Jcitte bc§ 3treopag§ ba§ ©nait-
gelium beä Ärcujes nerfünbigte , faub e§ nothroenbig , im 23eginne feiner
'^3'ebigt bie Ginraohncr non 3ttf)en angbriicflid) ju belehren, bnft „@ott,
ber bie 25)ett er)d)nffen unb 3tÜe§ roa§ bnrin ift, ber fberr über i^immel
unb ©rbe, nid)t in 'S e mp ein mohne bie non enfdjenhünben
erbaut finb. Unb mir bnrfen nid)t glauben," felgte er hii'.Ub
bie ©Dtttjeit bem @olbe, bem Silber ober Steine, bem ©ebilbe be§
'Dbenfd)engeifte§ nnb ber Ä'unft, gleidtartig möre" *). .^n galten
nämtid) bie @ötterftatnen , namentlid) bem 2folfe, nicht atd 23ilber ber
©Otter, fonbern fie felbft maren bie ©ötter bie man uerehrte. 3«
biefem Sinne hciftfit Statuen bei l'ncian „bie fid)tbaren ©ötter",
dsoi £;j.c5c(v2ic **)• Unb bei’ 2>erfaffer eineä 23erfe§ ba§ man bem .^erme§
Sri§megifto§ jnfd)rieb, unterfd)eibct, mie St. 3(ugnftin berid)tet, jroei
Ätaffen non ©Ottern: „bie ©inen finb gemad)t non bem oberften ©ott,
bie 2tnberen non fOfenfehen. SUer bnd hört," fährt 3[ngnftin fort, „ber
roirb eä fo auffaffen, als ob c§ fid) babei um bie 23ilber ber ©ötter
hanble, infofern biefe allerbing§ ba§ Stferf ber ''Dfenfd)enhanb finb. 2lber
na^ Öerme§ ift ba§ fidjtbare unb greifbare 23ilb gleid)fam ber !Öeib be§
©otte§, nnb e§ roohnt in bemfelben ein ©eift meld)er f)3tad)t befitu, unb
foinoht ben f)2fenfd)en Sdfnben .^njnfngen im Staube ift, al§ and) manche
Jßünfche berer jit erfütten, bie ihm 2tnbetung nnb göttlidje tßerehrung
erroeifen. ©inen fold)en unfid)tbaren ©eift nermittelft einer geroiffeu
Ä'unft mit ber fichtbaren Statue nerbinben, fo baft biefe, al§ ba§ bem
*) 2tpoftetgefd). 17, 24. 29.
**) Lucian. de Syria Dea. (Opp. ed. Schm. 8. p. 173.)
3ungmanii, 3(eftf)etif. 2. 'Xiifl.
40
626
®ie Stufgaöe ber @cu[ptur in §ella§,
@ei[te gerodete unb il^m überantroortete 5öilb beffelben, gtdc^fam ein
befeeUer 6eib inirb, ba§ nennt i^ermeä ,@öttev mac^en‘; unb bte gro^e
unb ge^etmrüftDoße Äunft, in jo^er SBeife @öttev ju inad)en, ift nac^
feiner 33e^auptung 5)ienfcf)en gu 3;bdl geraorben" *).
3Infetm f^enevbad) fü^vt eine iW^enge foroofit non ^^usniffen nt§
non 3^t)atfac^en an, au§ benen bie be^eid)nete 3üiffa[fnng unuerfennbar
£)ert)orge^t. ®er ©ott unb feine ©tatue roaren unjertrennli(^e 23egriffe,
unb' Stdes raa§ feuern ^nfam, rourbe auf biefe übertragen. 2t n bie
©tat ne rid)teten fic^ bie i^ijtnnen unb bie ©ebete; itire .Kniee rourben
in 2tugenbli(fen ber 9tot^ umfaßt. ®er ©empet gatt als ber roirflic^e
2Bof)nfit^ be§ ©otteg bem er geroei^t raar: l^ier ^atte fi(^ berfelbe im
bud)ftäbtid)en ©inne beg Söorteg t)äug(id) niebergetaffen. ®ie ©tatuen
anberer ©ötter bie it}in nat)e nerröanbt, ober bie atg feine befonberen
g-reunbe angefe^en mürben, roaren pr ©efeltfcbaft um it)u oerfammett;
felbft für ben nöti)igen b^augbebarf mar geforgt. ©anj roie tebenbe
Söefen mürben bie ©tatuen getiegt unb gepflegt: fie mürben befrünjt,
gefalbt, gebabet, fogar mit ifJoffenfpieten ertuftigt. ÜJtan bot 2ldeg auf,
um i^nen i^ren Söo^nfi^ angeneEpn ju machen. ®enn fie tonnten ben-
fetben oertaffen, unb i^n mit einem gtüdtic^eren töoben oertaufd)en : eg
lag aber überaug oiel baran , ba^ einem foldien Unglücf oorgebeugt
mürbe. Senn folange einer bebrüngten ©tabt bag Sitb i^reg ©(^u^s
gottes ni(^t entriffen mürbe, mar nod) nidjt alte A^offnung gefdimunben;
aber man beforgte oft, bie ©totue möge felbft gu bem geinbe übergeben,
unb fo bie oermaifte A^dmatf) bem Serberbeu preiggegeben merben. 21tg
©prug Don 2lleranber belagert mürbe, legte man, in golge eineg ©raum=
gefid)teg , ber ©tatue beg 2tpollo golbene ^betten an , unb befeftigte
biefelben au bem 211tar beg Aoerculeg, bamit biefer ben ©ott jurüd^alte**).
gn ©riedbenlanb gab eg ©tatuen bie oou fel)er geffeln getragen l^atten,
bamit man ein für allemal i^rer ©reue uerfidjert märe; fo bie 21pl^robite
ilTtorplto ju ©parta, unb ebenbafelbft bie ©tatue beg ©npaliog. ©ötterbilber,
ber erftürmten ©tabt entriffen, muren erft bag 3eid)en beg oollenbeten ©iegeg;
unb mit ihnen mürbe i§re fi^irmenbe iötacbt auf fremben 23oben oerpflanjt,
um bort glei(^fam neue SBur^el ju f(hlagen. 20dtunter gebot ein Orafed
fprucb, bag ©ötterbilb eineg fremben 25olfeg bem ißaterlanbe einjuoerleiben;
©tatuen oon anerfaunter ©egengfraft, mie bie ber 21eaciben, erbat man
fid) in entfdfeibenben ildomenteu alg 93unbeggenoffen unb iödtfämpfer non
ihren 23efitjern, unb holte fie feierlich ab. ©ine ©age bei ©eroiug läfft
fogar eine ©tatue beg 21pollotempetg ju Selphi, in eigener göttlicher
Ä'raft uad) ©orcpra maubern, unb bie 99tanern biefer ©tabt oertheibigen.
*) Aiig. De civit. Dei, 8. c. 23. n. 1.
**) Quasi illo deo Apollinem retenturo. Gurt. 4. p. 98.
unb i^r barauf fi(^ grünbenber Sorrang cor ber Slri^itectuv. 627
3» bet Siegel )d)tummevte jraar bie bämonifc^^e Ävaft, mit raet^ev
bie ©egenroart bev ©öttev in i^ren 0tntuen biefe erfüllte; aber fie fonnte
non äugen getnecft raerben, unb trat bann inunbert^ätig inö ßeben. 0o
mürbe mandjen 0tatuen felbft ba§ 35ennögen ber üöeiffagung ^nerfnnnt,
roie fenent Silbe ber §ecate ba§ 2;;^eageneä immer mit fid) trug, unb um
9lat:^ befragte. 9iod) '^^anfaniad fa^ auf bem üliarfte non i^l)arä in
Sdjaia ein Silb be§ Ä^'>erme§, an meld)eg man fiel; unmittelbar ju menben
^atte, um über bie ^wbnnft belehrt ju tnerben: man fagte ber Silbfänte
fein Slnliegen in§ Oljr, unb bie erfte 0timme bie fid) l)ören lieg, nad)bem
man ben l)eitigen Sejirf neriaffen Ijatte, galt al§ Orafel. 3(nberroärt§
l^atte man non ben Sippen ber 0tatue felbft ba§ Soort be§ ©ottes
nernommen; mie beim nad) '■^^lutard) unb Salerius Slarimns jn 9iom
eine Silbfänle ber gortnnn mit eigenem Shmbe il)re ^^'f^’i^benljeit ju
erfennen gab über bie 3lrt , mie fie gemeiljt morben mar. 3'^ ®apl)ue
aber motlte man non ber 3lpollo:0tatue beä bortigen Scmpelg ben Ätang
ber (5itl)er geprt Ijaben* **)).
3llle biefe 2;l)atfad)en mirb, mer nur ©inigeä non ben ©rfi^einungen
beö 0piritigmuä in ben legten brei 3‘^^)^.5£^güen geljöri, meber nnmal)r=
fd^einlidj noc^ nnerflärlid) finben. UebrigenS ftnnben ollerbingS liiert alle
©ötterftatnen unter ber angegebenen 9iücffid)t in gleidjem 3lnfeben. ©§
gehörte eine l)öl)ere .Ibraft ba^^u, bie befeelten non ben nid)t befeelten jn
unterfd)eiben : fo l)eigt e§ bei 0uiba§ non .f^ernifeuä, er fep non iUatnr
im 0tanbe gemefen , „unter ben Ijetligen ©tatuen bie lebenbigen unb bie
nid)t lebenbigen 511 erfennen". 35>eiter maren es nidü in ollen fVnllen
büfe ©elfter, meld)e in ben als lebenbig geltenben ©tatnen mirften;
mitunter mugte ber Setrug ber ©ögenpriefter fie erfegen. ©geoboret non
©ptuS eigöblt im legten Sndje feiner .ilircgengefd)id)te, mie ein Sifd)of
non 3lleranbria , ‘SljeopbilnS , ber britte 3lad}folger 3ltl)anafinS’ beS
©rogen, bie ©ötterftatnen in jener ©tnbt jerftörte, unb babei bie Se=
trügereien ber '^^riefter an ben 2;ag brachte. „Diefelben oerfertigten,
tgeilS auS ©r) tt)eil3 auS .©0©, ©ötterbitber bie inmenbig l)oljl maren;
biefe ftellten fie an ber 2öanb be§ ©empelS in foldjer 2Seife auf, bag fie
bnrd) einen non angen nnfid)tbnren 3"S'^'^3 ba§ eintreten
tonnten. Son bort anS gaben fie bann je nad) ben Umftnnben il)re
3lnmeifungen , nnb baS betrogene Solf tl)Ot gemiffenl)aft, mnS ber ©ott
befohlen gatte" 3lber and) biefeS beftatigt nur ben ©ag,
ben mir im 3lnfange anSgefprodjen baben; bie ©ötterftatue mar, bem
©lauben ber .fbeiben nad), nid)t baS Silb beS ©iotteS, fonbern ber ©mtt
felber. notl)menbig, bag mir nodj auf baS beS beiligen
*) illacb 21 p. (6it. :U4.)
**) Theodoret. Ecclesiast. histor. 1. 5. cap. 22.
40*
628 ©culptur imb bie 33aufunft ju bev 3^it i^rer „claffifd^en" 33Iüte.
@ei|te§ öerraeifen , bei bem iprop^eten ©aniei 14, 5, im Suc^e bei‘
2Beig!^eit 13, 10 ff., ititb an anberen ©teilen?
417. roelc()em ienen ©a^ liier betonen, ba§
ift -in ber Ueberfc^rift bereits angebeutet. iD^an !^at fd)on oft barauf
fiingeraiefen, ba^ bei ben ©ried^en fid) bie ifSIofti! am entfd)iebenften non
ber IBaufunft loSgetrennt unb felbftonbig entroidelt, nnb ba^ fie eben
barum in ipedaS aui^ eine fo l^olie ©tufe non eigent^ümti(^er 3Sod:^
fommenijeit Iiabe erreidien fönnen*). „®ie ^unft", fd^reibt in biefem
©inne Sübfe, „in ineldier bie ©riecfien norjnglid^ allen anbern Golfern
noranftanben , unb immer noranfte^en raerben, mar bie ^^^laftil" **).
31'a§ bie in biefen SBorten auSgebrüdte J|atfad)e angelt, fo nermögen
mir unferfeitS biefelbe als inirflid) nur in fofern anguerfennen , alS man
in ben Seiftungen ber 'fßlaftif bloß bie ted)nifd)e SSotlenbung berfelben
in§ äinge fa^t, unb non ifirem äft^etif(ben ober f alleotecEinifdjen Sßert^e
abfietjt. S^bef? nidjt um biefe augenblidüd) ju ttnin,
fonbern um ben @runb ber erinäfmten ^iftorifc^en ©rf^einung. iltic^t,
wie Sübfe ( a. a. O.) meint, „in ber Statnranlage ber ©riectien, bie eine
innnberbare ©in'^eit non dtntur nnb ©eift barftetit", bürfte biefer ©runb
,^u fudien fepn, fonbern einfach in ber I^atfad^e bie mir in ber norigen
Stummer feftgeftellt ^aben.
®ie Slufgabe ber ^^laftif in .^^ellaS mar ja unbebingt bie p(^fte bie
ficb benfen läfst: ni(^t ba§ tobte 33ilb beS ©otteS, fonbern ben befeetten
ober bod) ju befeelenben ©ott felbft ju fd^affen fa^ fie fid} berufen.
Sog in biefem ilirem 23erufe für fie noturgemü^ bie mä(^tigfte Sluf^^
forberung, nnermübet nocb ber l^ödfften 35otIenbung ju ringen, fo ftanb
fie jngteid} bnrd) benfelben Iiodb über jeber onberen Ännft. Unb inaS
insbefonbere bie religiöfe 3Irct)itectnr betrifft , fo fonnte biefe um fo
roeniger beanfprucben, ba}} bie i|3Iaftif ftdj ifirem SSlenfte I^ingebe unb
abhängig non ifiren 23ebürfniffen fi(^ entmidele, afS ja gerabe fie fi(^'
an erftcr ©teile angeroiefen felien nu©te, für bie 3SerI}errIidf)ung beffen
mag bie '^laftif geft^affen , i^re ganje £raft einjufet^en. ®enn ber
lempel galt lebiglicb alS ber 3®ofinfUp beS non ber iplaftif erzeugten
©ottes; mir um feinctroillen mürbe berfelbe erbaut, nur ü^n ^atte man
im 3Iuge bei allen ©inrid)tnngen meldie barin getroffen mürben; für bie
gemeinfamen religiöfen i^anblungen beS SSoIfes mar er nicht beftimmt.
©0 hod) ber ißefitjer beS .SmnfeS über biefem felber, eben fo ^)oä) mußte
mitbin in ©riecbenlanb bie '^laftif über ber 23anfunft fteben.
*) SSgl. %. ©(bfeget, ©. 177. (6it. 489.)
**) Sübfe, Sb. 1. $. 111. (6it. 342.)
®ie Sfufgabe ber 3roet bitbenben Äihifte im (S^riftenttjum.
629
II.
5^ie Veijre ber Jlivcf)e mm ber ©eftimnning ber religiöi'en 0cuiptur unb 3JJaterei.
Unter roelct)er 9tüct[id)t, auper ben 0t)ntfact)en ber ü6eruatürtid)en Offen-
barung, and) foldfe bie ber @efd)id)te ber Äird)e angeffören, itfre red)U
mäßigen i'orroürfe bilben. mefentlidje iUcftünmnng nöttfigt bie jroet
bilbenben Ä'ünfte, alö bie eigentlidffte unb norsüglidffte 0tntte itfrer
itfütigfeit ba§ ©ottestfauö ju betradden ; nnberfeitö miiffen fie fid) berufen
feffen , bie religiöfc 3Ird)itectur ju gau5er i'otlenbnng ber if)r eigenen
0dföpfungen 311 unterftüben. Oer non ®ott gefebten Orbnung geinäp
fteben fie foiglid) biefer Äunft gegenüber in bem Oerffnitniffe ber Unter;
orbnnng unb 3(bt)iingigfeit; unb bnrin bnfj fie biefer O’rbnung fid) fügen,
liegt eine roefentlid)c 33ebingung ii)rer 33lüte. (,'i^'in unberedftigter lun'.
imirf gegen bie gotf)ifd)e 3lrd)itecnir.
418. (Sine bitrd) unb bitrd] nnbere 2tufgabe, al§ in ben Jagen
i^rer „daffifdfen" 23lnte, bnben bie ^roei bitbenben ilünfte unter ben
d)vifttid)en iBMfern jn erfüllen. „Oie 33ilber im @otte§l)aufe", fdfrieb
einft ©regor ber ®roffe nn ben iMfd)of Serenns , unb an Oeennbinus
einen ©nfiebler, „fotlen für bie gemölfntidien teilte bas fepn, inas für
®ebilbete bie 33ücber finb. Das i8olf foll bitrd) biefelben beleffrt merben,
fotl biivd) fie erfahren, inie es fein Xieben einjnridften habe; bie S3ilber
foden biird) bie J^atfndfen meldfe fie bavftellen, bie @einütl)er 311 reügiöfem
©rnfte, gnr fvnrdd @otte§, jur X'iebe nuferes (f-rlöfers unrffam am
regen" 339). ^n noUer llebereinftiminung hiermit bat ba§ tfoncil 31t
Orient folgenbermaften entfdfieben. „Oie ©emälbe unb anberartige"
(plaftifdfe) „IBilber, meldfe bie biftorifdjen ifJiontente be§ JÖerfeg nuferer
(ärlöfung barftellen, nntermeifen bie (f briftenbeil , nnb gemöbnen biefelbe,
ber eiu3elnen OBabrbeiten bes ®laubens 311 gebenfen, nnb fie fort unb
fort 311 bel)er3igen. Ueberl)anpt gereid)en religiöfe 33ilber feber 3(rt ber
6l)riftenl)eit 311 groffem 3>ortl)eil. Oenn mie fie einerfeitg ibr bie ®r;
weife ber X'iebe unb bie ©naben nabe legen, weldfe (fbriftuä ber
ibr l)9t 311 Jbeii werben laffen, fo fül)ren fie il)r anberfeitg bie 2,\>nnber
nor 3(ugen , bie ©ott burd) feine loeiligen wirft , fomie bie 311111 ©Uten
anregenben 33eifpiete biefer X'ebiteren : 3llles ba3u , bamit ein ©ott
bem iTierrn bafür Oanf fage, fein Obi^'» Kt"e ©efinnnng bem 3}or;
gange ber Ipeiligen geniäf? einrid)te, unb fid) getrieben fül)le, ©ott
an3ubeten, ibn 31t lieben, unb ein gottesfürditigeg Seben 311 fübren" 340).
Oiefe X!el)re, befiehlt bas (foneil, follen bie 3?ifd)öfe mit eifriger Oorgfalt
uerf ünbigen ; unb es üerl)ängt fd)liefdid) bie Otrafe bes 23anneS über
jeben (fbriften, welcher ben auSgefprod)enen (flrnnbfäüen 3nwiberlaufenbe
3lnfd)anungen anfftellen ober feftbnlten wollte.
Oarnm weift benn auch ber römifd)e Äatediismus bie 0eelforger
630
Sie 2lufgabe ber jroei bübenben fünfte im ß^riftentl^um,
an, über ben teügiöfen Silbroerfe ba§ ißolf in biefem Sinne
ju belehren: „biefelben fe^en baju angefertigt, bamit ber ß^rift burd) fie
bie 2:;^atfa(l)en be§ alten unb be§ neuen Seftamentg tennen lerne, unb
berfetben öfter gebenfe, burc^ biefe (Srinnerung aber an bie ^l^aten ®otte§
unb an fein SBirfen mä(^tig angetrieben toerbe, ®ott ju lieben unb i§m
511 bienen; unb in ü’^ntii^er Sffieife roürben im ©otteä^aufe ißilbcr non
Ä^eitigen angebrad)t, bamit man bie Sezieren oere^re, unb fid) aufgeforbert
fitste, in ©efinnung unb SBanbel itirem ®eifpiete gu folgen" *).
2öa§ biefe 32U9'^^ff£ lehren, ift genau ba§fenige, roa§ mir in ben
früher**) gegebenen Definitionen bereits furj gnfammengefa^t ^aben: bie
jroei bilbenben fünfte infofern fie als religiöfe auftreten , follen ber
übernotürlid)en Offenbarung ange^örenbe Dl^atfad)en, bie eine in ftereo=
metrif(^en bie anbere in planimetrifd)en. ©eftaltbilbern, fo barftellen, ba^
bie DarfteUung geeignet ift, bie (Sfiriftenlieit ju erbauen. Die 3cugniffe
beftütigen mitl)in bie Uebereinftimmnng unfereS ©pftemS mit ber 2öa!^r§eit;
überbieS entölten biefelben jugleici^ bie oolle ©rtlörung beS 23egriff§,
ben mir in unferen Definitionen mit bem SBorte „erbouen" auSgebrüdt
l)aben.
419. 3lber fel)lt nicht in ben Sezieren, infofern barin bie 35ormürfe
ber gmei bilbenben fünfte angebeutet merben, ein Element, meld)e§ baS
ßoncil fomohl als ber romifi^e ÄatedjiSmuS auSbrüdlich nennen, nämlicl)
bie 3i'S2 ans bem ßeben ber .!peiligen?
3unad)ft gibt eS nii^t menige ^eilige, fomolil beS neuen alS beS
alten 2?unbeS, roeld)e bie Offenbarung unS fennen lehrt; mir
erinnern nur an baS erfte iDienfcbenpaar, 3lbel, 9ioe, Slbraliam, 'iiyiopfeS,
3ob, Daoib, ®ftt)er, bie if^ropheten, ^obanneS ißaptifta. St. 3ofcp§^
bie ilpoftel, ben erften 3t>iärtprer, — ber ^.liutter @otteS gar
nid)t gebeuten. jal)lrei(heren .Speiligen,
bereu Öeben in bie 3£tt 2lbfd)luffe ber Offenbarung fiel, haben
freilich ohne 2i>orte beS (SoncilS ju gelten. Diefe Zeitigen,
nnb ihre S^erfe unb Sd)idfale, tonnen nun allerbingS nicht alS Dhat^
fadien bejeichnet merben, melche unmittelbar ber Offenbarung angehören.
2lber eS ift ^u beachten, baff mie bie bilbenben fo auch bie übrigen
religiöfen fünfte, mo fie @rfd)einnngen auS bem Seben biefer ^eiligen
behanbeln, baS niemals um biefer ®rfd)einungen felbft millen ju thun
haben, fonbern junüd)ft lebiglid), infofern biefelben einen geeigneten 2luS=
brucf, eine angemeffene 3Uuftration bilben für irgenb eine sljatfadhe
ber Offenbarung. ®in ©emülbe 5. IB. baS ein DDiartprium oer=
herrlicht, rnitt unS bie Xhatfachen nahe legen meldhe in ben SBorten beS
*) Catechism. Rom. p. 3. c. 2. n. 14.
**) 9t. 386. ®. 577. 9t. 391. S. 584.
imb i^re barau§ ()evDorge£)enbe ’Mb^ängigfeit non ber 2trc^itcctiiv. 631
b>rrn cm()atten jinb: „iöer um meinetroilleu jetn Seben uerliert, bev
lüirb e§ tiuben'', unb ,,'Seüg jiub bie i^erfotgung leiben um ber @e=
red}tigfeit roiüeu", uub „2:^ieibe treu big jum 'Jobe, unb idj gebe bir bie
Ärone be§ Sebeug'', uub buubert aiibere. ®ie einfad^ eble Statue beg
Zeitigen ißruuo in ber Äird)e Santa 3Jtaria begti Stugeli 511 iRom (non
bem frau^öfifc^eu Äüuftter .tboubou) roeift ung auf ade feue 3:^atfad)en
ber Offenbarung f)iu, auf meld)e fid) bie £'ebreu uou ber Setbftüerläuguuug,
ber (imtfaguug uub ber ^juße grüuben. ®od) eg ift rootjl uid)t uöt^ig,
baf; mir ung burd) roeitere ißeifpiele erftären. SBer bie fvormutarien
beg 'IRefibudieg für bie g-efte ber ibeiligen feunt, fomie bie i|3fatmen unb
:Refpouforieu uub 2tutipboueu beg 23reüierg, unb bie für bie erfte unb
brüte i)locturu in bemfetbeu gegebenen ^ectioueu , bem fatm eg nic^t
fdbraer fepu, ju jeber guten Sarftetluug eiueg Sebeu
eineg .sbeüigen bie S:t)atfacben ber Offenbarung ^u bejeidjueu, für metc^e
jene bie bitbet.
Ülur unter biefer ülücffidjt , mir mieberboten eg, bitbeu bie (Sr=
fdjeiuuugeu roe(d)e bie üüfd)idüe ber Birdie in bem Sebeu itirer i^eiligen
umfcbtiefü, ben angemeffeneu iBormurf für bie religiöfen fünfte. Oenu
bie Seud)te beg übernatürlid)eu Sebeug ift für bie ^bi'ift^'nbüt uid)t
menfd)lid)eg Ob«u alg fotdieg uub für fid) , mag eg uod) fo grofj fepu
uub uod) fo bemuubcruuggmürbig , fouberu einzig bie übermüürlict)e
äSaf)rf)eit, bog 2Sort ©otteg. ©g mar barum ein fetjr ricbtigeg ißer=
fabreu, bag ben ÜSertb beg fd)öueu 2^ud)eg uod) um ein Sebeuteubeg
erl)öt)t, meuu 2ttbau Stolj in feinem „Oie beitige ©tifabetb" an bag
©nbe eiueg feben ber jabtreid)eu 2tbfd)uitte eine bem ^ttbatt eutfpred)eube
Stelle aiig ber büligeu Sd)rift gefebt b^t.
430. 2tug ber bisi''iüt feftgeftellteu iBeftimmuug ber 2>ormürfe ber
^mei bilbenbeu Jlüufte unb it)rer 3[ufgabe, ergibt fid) nun ihre Stettuug
ber retigiöfeu 3trd)itectur gegenüber uou felbft.
i)lid)t oI)ue ©runb rcbct fomobt ©iregor ber ©irope unb bag ©oucit
JU Orient atg ber römifd)e Äated)igmug au feneu Steden, beueu mir
ihre in ber oorlepteu Üiummer angeführten SBorte entnommen bf'f’fiü
junöcbft uub üorjuggmeife oou ben religiöfen fBilbmerfeu im ©5otteg=
baufe34i). Soden ü)re 2Serfe bie ©brifteubeit erbauen, otfo reti;
giöfe, überuatürlicbe ib^tigfeiteu in ben Seeten oernntaffen, bann bann
eg ben bilbenben Äünften feinegmegg gleidbgüttig fepu , ob bie ©■'igeu;
tbümticbfeit beg Orteg mo jene bem 23efd)auer entgegeutreteu , bie non
ihnen beabfid)tigte StSirfung unterftüpt, ober beeinträchtigt. S>ie aber an
oieten Orten bie Umftänbe mehr ober meniger bag Septere mit fid) ju
bringen pflegen, fo gibt eg fd)led)tbin feinen Ort, ber fomobl oermöge
feiner eigenen ifebentung unb 23ef(baffenbeit , alg auf ©nmnb ber heiligen
4panblungen bie fid) innerhalb feiner 31fanern oodjieben , in fold)em
632 2(ufga6e ber jroei bilbenben Ä'ünfte im S^riftent^um,
Sliaa^e bajii anget^an roäre, iene Sßirfung mä(^ttg ju förbern unb
Derftarfen, rote bie ©c^öpfimg ber reügiöfen Slrt^itectur , ba§ ®otte§=
^au§. 3*^ i^rem eigenen 3^it^re[fe bciben barum bie bilbenben fünfte
eben biefe§ at§ ben eigentUct)en Ort für i^re reügiöfen 5trbeiten ju
betrauten.
Oaju föinnit aber nocl), bap anc^ ilirerfeitä bie Slrc^itectur fict) an=
geroiefen fie^t, für bie SSoIIenbnng i^rer eigenen SBerf'e bie §ülfe ber
jroei anberen jl'ünfte in 5rnfprucE) ju ne^^men. 3ln bie ©rftere fteltten
roir im ad;ten Slbfcfinitte bie f^orberung, bap fie in bem @otte§l)aufe bie
Dorjüglidbften Sfiatfac^en jnm 2ln§brucf ju bringen fud)e, non benen bie
@efd^i(^te be§ 3ieicl)es @otte§ nnb feiner Ä'irc^e getragen roirb; roir
jeigten halb baranf, roie namentlict) bie got^if^e IRicbtung biefer f^or=
bernng in norjüglit^er SK^eife jn entfprei^en ronfjte; aber roir fallen
un§ babei bodb fd)lie^Iit^ ju ber ®emerfnng neranlajjt, ba§ e§ über bie
Äräfte ber Slrcbitectnr gefie, anc^ nach biefer ©eite bin ganj SSoIlenbetes
jn leiften, unb jroar beftbalb, roeil fie, roo e§ ficb um Jbatfai^en banbeit,
biefelben nii^t eigentlidb barjuftellen , fonbern mir in fpmbolifcber Steife
mehr ober roeniger bnnfel anjubenten oermag*). @erabe bas nun roaS
in bem ©otteSbanfe bie Slrcbitectur bargefteltt ju feben roünfiben muff,
ohne felbft im ©taube jn fepn eS anberS als nnoollfommen anSjubrücfen,
gerabe baS bilbet, roie roir irorber faljen, ilirer ganj eigentlichen ißeftini;
mnng nach ben äforrourf ber religiöfen if^laftif nnb ’Dialerei: alle jene
Jbalfflüjen, roelcbe bie ©efcbidjte beS IReicbeS ©otteS nadj feiner ganjen
3lnSbebnnng nmfcbliefet, non ben ilagen ber ©d)öpfung bis ju feiner
iiollenbnng im SBeltgeridbte unb in ber an baffelbe ficb fcbliepenben
eroigen ißergeltnng. STde mitbin iljre eigene 33eftimmung bie jroei bilbeit;
ben .llünfte baranf binroeift, ben Ort für bie Entfaltung einer fegenS=
reid)en 3A>irffamfeit an erfter ©tede in ben ©cböpfungen ber religiöfen
2lrcbitectnr ju fudjen, fo bürfen biefelben non oorn herein baranf redmen,
bafj fie biefer, nlS für bie grope ihr geroorbene Slufgabe gerabeju um
entbebrlid)e ©ebülfinnen, im böcbften tOinafje roillfommen fepn roerben.
Oie natürlidie ©tellung ber ‘iOialerei nnb ber i^laftil ber religiöfen
2lrd)itectur gegenüber ift biernad) nnnerfennbar ein Oerljältnifj ber 21 b=
bängi gleit nnb ber Unterorbnung. ©ie bebürfen ber 2(rcbitectur,
roeil ihnen ohne biefelbe bie ©runbbebingung einer erfolgreid)en Ob^tigfeit
mangelt, bie jur §örberung ber burcb fie jn ueranlaffenben religiöfen
2lcte geeigneten Dlünme; unb roenn anberfeitS freilid) auch bie 2lrtbi=
tectnr, foUen anberS ihre eigenen 2©erte in ber ganjen roünfcbenSroertben
Oollenbung bafteben, ihrer nid)t entratben fann, fo ift biefelbe bod) nicht
in ber finge, roenn fie nicht ficb opfern roill, fie nnberS atS in
*) jßgt. oben 2t. 337. S. 491. 2t. 345. 0. 505 ff-
)
imb i^ve bavauä fjernorge^eitbe ?(b^ängigteit »on ber 9ü'd)itectiu'. 633
i^reni ®ien[te imb in ge,^iemcnbcv Unterorbming ^nr ^);)^ttarbeit bei bev
ßöi'ung il)ver 5Uifgabe jujiiiaffen.
beibni1'd)en ülltcrtbum beftanb fveiticb ba^ gerabe entgegengefebte
iüerl)äitiüg ; aber mir !^aben gefebcn, maritm. 3®ären bie ®d)öpfungen
ber bilbenben fünfte , gleid} ben ©ötterftatuen in t^'^edaS , bad iböd)ite
mas e§ auf biefer (J'rbe gibt, bann mürbe freitid) nndf bie religiöfe
©cnlptnr ber cbriftUdjen bered)tigt jepn, mie ed bie gried^if(^e mar,
fid) bie 2lrd)itectnr bienftbar ju ntndjen, unb non i^r bie für it)re Silber
geeigneten Stnnme jn forbern. 5lber nnnerglei(^lidf niel böljer, al§ felbft
bie nerebrungdmürbigften iTarftellnngen ber ilDtnlerei ober ber ©cnlptnr,
ftef}t in ber ,Rird)e ©ottes, mit ber Serfünbignng bed S>orteö ©ottes
nnb ben ©acramenten, baö Opfer bed neuen Snnbed in bem ©eljeimniffe
bed £eibed nnb SInted t'brifti. biefed nnnergteid)lic^ niel .i>öl)ere
bie entfpredjenben dtünine jn fd)affen, bajn ift im 0'l)riftentl)um bie re=
ligiöfe Srdjitectnr berufen; nnb meil fie unter allen fünften an erfter
Stelle nnb am meiften unmittelbar biefen l}öd)ften ©eljeimniffen bient,
nnb meil fie gerabe bad 25>efentlid)fte unb bad Sebentenbfte für bie
mürbige Sollsiebnng berfelben Ijernorbringt , bnrnm gebührt iljr unter
alten unbeftreitbar ber böd)fte Dtaug. Stollen bie bilbenben JiTünfte er=
fprieplid) mirfen , mollen fie iprer gebeil)tid)en ©ntmidelnng jn l)ol)er
Slüte nidjt felbft l)inbernb in ben S3eg treten, bann bleibt ihnen nid)td
übrig, ald ber nngebenteten Orbnnng fid) ^u fügen; beim biefelbe mnrjelt
in ber D^atnr ber Oinge nnb ihrem ä9efen, nnb mit biefen in ber S.'eid=
heit ©otted : nnb febed Seftreben bad gegen fie nnfümpft ober fie ignorirt,
mnfi barnm immer mißlingen, ©d ift fid)er gegrünbet, menn oor
in einer nuferer beften f^eitfd)riften ber ©ebanfe andgefprod)en mürbe,
bie äSJieberbelebnng ber religiöfen Sialerei mährenb bed lanfenben
hunbertd hat**-’ bahin nur bephalb jn fo geringen Oiefnltnten, and)
für bie SZalerei felber, geführt, „meil ed an bem richtigen Scrftünbnif;
für bie Srdiitcctnr, als bie .Königin ber ^bünfte, fehlte'' *).
©ben barnm h^t man and) Unred)t, menn man ber gotl)ifd)en Sain
fnnft barand einen Sormurf mad)en jn tonnen glaubt, baf) fie bie bit-
benben fünfte beeinträd)tige, inbem fie ber ©cnlptnr fnft nur ornnmcn=
tale gnnctionen jngeftehe, ber Stalcrei nur einen fel)r befchränftcn 9{anm
gemähre. ST'ahr ift bie 3d)dffdü)e freilid); aber für eine ©d)mälernng
bed S>erthed ber gotljifdjen .Rnnft nnb iljrer Serbienfte Icifd fie fid) fcined=
megd nermerthen. Oie Srd)itectnr bcfiht eben non ©otted ©jnaben bad
Dotle 9tcd)t unabhängiger nnb felbftänbiger Ülndbilbnng; nnb menn es
itjr gelingt, fid) jn einer .sböhe ber Sollenbnng jn erheben, auf ber fie
ber i^iütfe anberer .Hünfte nur nod) in fehr befd)ränftem Staape bebarf.
*) Jöi|‘t.:po[. 931ättev, 93b. 68. 5. 437.
634
®ie ©d^önt)eit ber ©eftatteu
fo faim t§v ba§ nid^t allein nid^t jum Jabel gerei^en, fonbern e§ ift
ein 23en)ei§ me^v für bie ^rnc^tbarfeit unb ben IReid^t^nm be§ ®ei[te§
ber fie befeelt. ©ie ift fa nid^t ber bilbenben Äünfte roegen ba: fonbern
bie bilbenben ^lünfte foroo'^l al§ bie 2lrdl)itectnr finb berufen, in ein;
träd^tigem 3»1fli^>i^f>iTOirfen ba§ ni(^t ,,fid) felber fudl)t", unt bie 2Ser=
l)errlicl)nng ©otteä unb bie ©rbauung berer bie il)nt antiangen, fid) üer=
bient ju tnadl)en. Ddur, raer fid) entroeber auf ben ©tanbpunft be§
^etlenifd^en ©öttercultud ftellt, ober mit ber mobernen 3leftl)etif an bie
„abfolute lRetation§tofigfeit" ber fd)önen Äünfte glaubt, fann burd^ bie
Jliatfac^e bie mir jngegeben ^aben, einen Jabel ber gotliifc^en iRidlitung
begrünben rooden.
§. 2.
ftfßer btc ber ^eftaften in ben picrßen ber refigiöfen
unb 2{lttferei.
3lnd)raei§, bop bie religiöfe ^Inftif unb iütnlerei ju ben „febönen" fünften
geboren. 25>orin mefentlid) ber „iiftbetifdie SBertl)" ihrer J)arftellungen
beftebe. Jigreffion über bie ff-rnge oon ber biftorifd)en äußeren @rf(bei;
nung bee (STlöferö. melcber iSeiie bie religiöfe 3)taterei unb i|3Iaftif
bei ihren ©eftnlten, um ben öftbetifeben SBertb berfelben ,^u erhöben, aud)
auf bie fRegelmäfugfeit be§ 33aue§ uub auf bie (farnation bebad)t fepn
follen. lüfit fid) feiuedmegel behaupten, bafs bie Ä'unft be§ 9Jtittelalter§
biefe jroei ©lemente principiell oernad)liißigt höbe. (Sine notbraenbige
3tüdfid)t für bie rid)tige 33eurtbeilnng älterer 2?ilbu)erfe.
421. ©aff bie jroei bilbenben fünfte roo fie ald religiöfe auftreten,
lim ihrer roefentlii^en Slnfgabe roillen barauf bebad)t fepn muffen, ihren
Seiftnngen möglicbft bebeutenben äftbetifeben SBertb jn geben, ba§ ergibt
fid) aud bem bereite im Slnfange biefeä 23ud)e§*) oon un§ ©efagten.
Ob fie anberfeitS bie fDlittel befit^en, unter ben entfpred)enben Umftänben
ÜBerfe b^voorjubringen oon bei^üorragenber ©d)önbeit, ba§ fann roobl
nur ber bejroeifeln, ber roeber oon ihrer @efdiid)te etroaä roeip, noch
femald ©elegenbeit b^Jd^/ ©diöpfungen roie bie äBanbmalereien oon
(Sbnarb ©teinle im bes ©traffburger ?0tünfter§ **), in ber jlirtbe
be§ heiligen Slegibind ju fDJünfter i. äij., nnb in anberen @otte§bäufern,
bie ©totuen (Sbrifti, ber heiligen Jungfrau unb ber Slpoftel an ben
'4>feilern im ©höre be§ J)ome§ ju Ooln, bie ©tatnengruppen am i^ortal
nnb in ber ißorballe bed Oomes ju greiburg, roelcbe ©dbnaafe im oierten
23anbe feiner „@efdbid)te" ausfübrlidb befchreibt, ober anbere oon un§ bei
*) yi. 235. 236. 328 ff.
**) 23gt. §ift.=po(. 3?tätter, ©b. 83. @. 17 ff.
in ben 3Berfen bev religiöieu ©culptuv nnb ÜOJoterei.
635
Dcrfc^iebenen Sfiiläffen trivä^nte 'Dceifterroerte, irgenbroie fennen ju (erneu.
Die ^iennit angegebenen jinb aber bie givei iöierfinale , bie mir itn fiei
benten 5(b)if)nitt geforbert ()nben, baniit eine Ännft ben „jc()önen fünften"
beigejä()(t ju merben berechtigt fei).
422. 5(n§ ben ini lebten ifinrngrapljen Ijinfid)ttid) ber iBorronrfe ber
jroei bilbenben ilnnfte gemad)ten 2(nbeutungen ge()t jnr ©einige ()eruor,
ba^ benfelben eine reid)e fyiiKe non ©rfd)einnngen geboten ift, me(d)e fid)
burd) inneren äftbetifdien SBerth nnb gerabeju burcb äd)te Dd)ön()eit in
hohem iOkape auäjeidinen. Den jroei Jiünften felbft fällt (ebig(id) bie
'Jlnfgabe ju, bog in ber ®efd)id)te ©egebene ober bod) 3lngebeutete, ber
Offenbarung nnb ber rid)tigen if^h'^ofophie geinäf^, nnb in treuem 2(n=
fdjtuffe an bie non ber .Hird)e gutgeheipene 2Beife, aufjufaffen nnb aug=
5ugefto(ten, nnb es bann, in p(aftifd)er ober grap()ifd)er DarfteKung, ber
tfhriftenheit fo norsuführen, bap bas erbauenbe, baS h^i[3(
©laitben, bie fvurd)t ©otteS nnb bie Siebe ju ihm förbernbe 9J(oment
boS barin liegt, in (ebenbiger iUar()eit nnb bnS ©emüth mirffam aii'
regenber 3(nfd)aulid)feit fidjtbar rnirb. Die ©lemente
ober bie 93titte( bie ihnen hi^i'für gu ©ebote fteljen, finb ber 3(nSbrud
im ©efid)te nnb in ber Da(tu"g ber ^f^c^'fonen, bereu Otedung nnb 33e=
jiehung 311 einanber, bie ©eroanbung, nnb nicht feiten and) fpmbo(ifd)e
3ugnben.
5i>o ber Ännftler eS nerfteht, biefe ©lemente mit Umficht nnb !i)'er;
ftänbnip ju h>-in^hnben , fo bap baS eben be5eid)uete erbauenbe 'iD^oment
ju (ebenbigem 3(n§brurf gelangt, bn roirb ber diatnr ber ©ad)e nad)
leine Seiftnng in jebem fyalle and) bebentenben ofthetifihen 2Bert()
3nsbefonbere mirb biefelbe immer, ob and) meiftenS neben onberen, iUtber
non enthalten, meld)e burd) übernatürlid):ethifcl)e ©d)önheit ber
oeele hei^uorragen , nnb biefe i()re innere ©d)önl)eit mirb in ben bejei(h=
neten fichtbnren ©lementen ,511111 3(usbrnd fommen.
3nbep 5ur ooUen Od)önheit beS 'Dienfd)en, mie mir im erften äUidje
iahen*), gehört mefentlid) and) bie 5roednuipige nnb l)armonifd)e tßilbiing
ber ein5elnen beS SeibeS, nnb ber Oigor ber SebenSfarbe ober,
um ben Slusbriid SeffingS an5iimenben, eine anfpred)enbe ©arnotion.
Dem ©ebanfen gegenüber ben mir 5iilept an5fprnd)en, miip fidi baritin
bie fyrage erheben, ob beim bie bilbenben jliinfte mo fie nlS religiöfe
auftreten, nur ben ^InSbriKd, nnb nidft and) biefe 5mei ©lemente ner=
menben follen , nm ben nfthetifchen SSertl) nnb bnmit bie religiöfe iSUrf;
famfeit ihrer Slrbeiten 511 erhöhen. 2Sir fehen in biefer 33e5iehung non
oerfchiebenen dHd)tnngen ber .Hniiite uerfchiebene ©rnnbfäpe befolgt. ©§
bürfte aber 511 noKerer Atlarnng ber gepellten %vaQt nid)t nniuip fepn.
*) in. 100. 101. S. 133 ff.
636
®te ©^ön^eit ber ©epaüen
raeitn roir, beror tüir biefelbe beantToorten, junäc^[t einen analogen ©egen::
fa^ bev Slnf^anungen bejügltd^ eine§ anberen i]3unfteä fennen lernen.
®ev)elbe ift an groar anberev 2lrt alä ber in Diebe ftel^enbe, babei
aber bocb mit beinfelben nal)e nerroanbt, nnb jnglei(^ gerabe für bie
bilbenben .fünfte non befonberein ^ntereffe: roir meinen bie ffirage über
bie l^i[torifd)e ©eftnlt be§ ©ottmenfclien nnb ba§ Dlenfeere feine§ allere
^eiligften £'eibe§, roölirenb er auf biefer ©rbe lebte.
423. ©ine irgenb juoerläftige llebertiefernng hierüber — nnb ba§
Dlnmlidje gilt l)inficbttid) ber ^eiligen Jungfrau — roar ben jUr(^en:
nütern nic^t befannt, roie biefed ber lieilige Sluguftin flar anbentet 342).
®abnrd) roar e§ möglid), ba^ fid) unter ilmen jroei einanber entgegen^
gelebte 3lnfid)ten bitbeten.
®er älteren gufolge roel^e, me^r ober minber entfdiieben, ^uftin
ber iDlärtijrer, Jertntlian, ©pprian, ©leinend nnb ©pritlnd non 2lte=
panbria, 23afilin§ ber ©roffe nertreten, roar ber ..^err bem Selbe nad)
nnfdiön, o^ne SSoblgeftalt, non nnfd^einbarem Dtenjferen 343). 3lber fe^t
halb mad)te fid) biefer Dtnfcbanimg gegenüber eine anbere geltenb. ©d)on
Origened gefleht bem ©elfnd jroar nod) ^n, baf) ber Seib bed ©rlöferd
„nnfd)ön" (oocsiosc), aber nic^t me^r, baf3 feine ©rfcbeinung nid)t roürbe=
üoll, ober feine Statur flein geroefen fei}*), ©ntfdjiebener rebet ©bn}fo=
ftomnd. „®ie SSotfdmenge fonnte ben i^errn nid)t taffen, roeit fie i^n
liebten nnb beronnberten, nnb iljtt beftänbig jn fet)en nerlangten. 5)enn
roer l}ätte fid) gern getrennt non einem iXRanne ber fold)e SBnnber roirfte?
roer Ijätte nid)t roenigftend fein Slngefii^t fel)en roollen, nnb ben IDlunb
and bem fold)e äSorte l)ernorgingen ? Unb nii^t allein roenn er SSnnber
roirfte, jog ber .f)^err Silier Singen anf fid), fonbern in feiner bloßen ge;
roöl)nlid)en ©rfdjeinnng lag eine übergroße fifülle non Stnmut^. ®ad
!^atte einft non il)m ber if^ropljet geineiffagt; ,.^errlid) in beiner ©d}önl^eit
bift bn nor ben Jlinbern ber SOlenfd)en.‘
bem iprop^eten ^sfaiad, baß er ,nid)t 2Sot)lgeftalt l^atte nod) ©d)önl^eit‘;
ober entroeber ift in biefen Sßorten non ber nnoudfpred)lid)en Ijoben
©c^önbeit feiner göttlichen Slatnr bie Diebe, ober ber IfJrophet l)at ben
^uftanb im Singe in roelchen ben ©rtöfer fein Selben brad)te, nnb bie
©rniebrigung ber er fiel) am Äreuje überantinortete, foroie bie Slnfpruch=
lofigfeit nnb ©infod)l)eit, bie er fein gonjed Seben hinbnrch üben roodte" **).
Unb nid)t minber entfdjieben brüdt fiih Ä^ieronpmnd and in feinem S3riefe
on bie 'Slrincipia, in roelchem er ber 44. ipfalm andlegt.
)ln bem llerfe anf ben roir eben ben hfdigen ©hrpfoftomnd fiel) berufen
Ijörien, „herrlidh in beiner ©d}önheit bift bu oor ben jlinbern ber DSlem
*) Orig, contr. Gels. 1. 0. n. 75. (Maurin. 689.)
**) Chrys. in Matth hom. 27. al. 28. n. 2. (in cap. 8. v. 18.)
in bcn 2öerfen ber ve(igiö)'en Scutptur iinb 2)talerei.
637
fc^eu", beinerft i)ieroiu)mu§ junäd^ft, berfe(6e fte^e nid)! in SStberfprud)
mit ben iffiorten nit§ bem i|iropljeten i” biefen non bem
i'eiben be§ (5r(öfer§ bie dtebe fep, — ganj raie in ber nortjer angefi"if}vten
Steüe (5f)n)foftomn§. ®ann [et^t er tjinjn; „®er i)er[a[fer beä i|Jia(nte§
roiü nid)t etma fagen, bie göttlid)e Statur be§ t^errn fep fc^öner als bie
SSc'enfdjen: benn mit biefer tagt fidi nid)t§ uergteidjen; fonbern at>gefet)en
Don ber 3fit feinet i'eibenä am Jtrenje, ift 6t)ri[tn§ fd)öner ald irgenb
ein anberer SStenfdj" 344).
2Sie fid) an§ ben 33ilbern ber Äatacomben ergibt*), bürfte man
in Stom biefe 3tnfid)t f(^on feit ben iitteften 3'-’Ü6n feftget)alten ^aben.
Seit bem 9tnägange be§ nierten ^a^t^'bnnbertg ronrbe fie bie ^errfdjenbe
in ber gangen jtirdfe; man bad)te ficb ben ©rtöfer nts ein 3^>-’at i)ott=
fommener menfdjlid)er Sd)ön!^eit, nnb fo ftetiten it)n bie jtnnfte bar.
©ine genaue non biefer 3tnfd)annng an§gef)enbe 33efd)reibnng ber ängeren
©rfc^einung be§ ^'^errn finbet fid) in bem ^Briefe an ben Äaifer St}eo=
pt)itn§ „lieber bie t)ci(igen ueref)rnng§im"irbigen 33itber", metdjer bem
tjeiligen 3of)flt'ne§ non ®amafcn§ gngefdjrieben inirb, nad) ©ombefiä nnb
Seqnien aber non brei orientatifdien ^)>atriard)en t)errnbren fott. ®ort
inirb beriditet, ber A^eitanb fep in feinem 3tenf)ern feiner jnngfrnntidien
SSentter nollfommen äf)ntidi geinefen; ©onftantin t)abe fein 33ilb malen
taffen „inie it)n bie alten ©tefd)id)tfd)reiber fd)itbern: nad) biefen aber
mar er non ^ot)em 2.t>nd)fe, batte fd)öne 9tngen, gnfammengemad)fene
Stugenbranen , eine grofie Stafe, franfeS
Staden etmaS gebogen, einen bnnften SSart, ein gcfnnbeä 3tn§fet)en, eine
gelbtidie (ai-o/_poac meigenfarbig) q^nntfarbe, mie feine SStntter; feine
Stimme ftang nott nnb fd)ön, feine Stebe mar frennbtid) nnb t)crg=
geminnenb, feine ©rfd)einnng trug ba§ ©epräge ber Stube, ber Sltitbe,
ber Sanftmntt) nnb ©ebiilb" **).
Stn nnb für fid) l‘tet)t e§ einem ^eben frei, bie eine ober bie nnbere
ber biermit miebergegebenen gmei 3tnfid)ten für mat)r gn batten; benn
mie mir non bem beitig^a Stngnftin bereits nernat)men, bie Offenbarung
lägt bie fv^age nnentfd)ieben. 25>aS übrigens bie erfte 3lnfid)t angebt,
melcbe bem .^errn bie tieibeSfdbönbcit abfprid)t, fo fanben bie Stertreter
berfelben ben eingigen eigentlid)en SeinciS bafür in ben SBorten beS
ptjeten 3faia§ 53 , 2. 3. , mie baS fd)on anS ben non nnS früber nn=
geführten Stenfgernngen non ©lemenS nnb 23nfilinS bei'aargel)t ***). 9lber
bie SBorte beS ’if>vopbeten bered)tigen feineSmegS gn einer foldfen fyo©
gerung; baS b^ben in ben norber gegebenen 3^agniffen ©brpfolÜomnS
*) 23gl. oben 3t. 282. o. 398.
**) Opp. S. Io. Damasc. ed. Lequien 1. p. 631.
eben, 9t. 26. 2. 43. 91. 82. ®. 108. Sgl. Orig, contr. Gels. 6. n. 75.
638
‘£)te ©c^ön^eit ber Oeftalten
unb ^ierongmus mit 0fte(^t ^entor, unb ^^eoboret oon 6i^ru§ fagt
gleic^fattg, baj? bei bem i^ropl^eten in jenen Werfen nur non ber 3eit
be§ Seibenä be§ §errn bie 9iebe jep *). ^ernorgegangen fepn bürfte
bie 2tnfid)t non ber mir reben, au§ einer einjeitigen unb ju ftarfen 33e=
tonung ber SO^a^rbeit non bem geringen SKertbe ber SeibeSjdbönbeit , bie
ficb bei einer ftrengeren ajcetijdjen Olicbtung (eid)t ergeben fonnte.
Sßabrbeit ffibft im erjten ©ucbe raieberbolt auggefprodjen
nnb begrünbet; aber etraad 2lnbere§ i[t e§ offenbar, ber Uebergeugung
fepn, baft bie ®d)önbeit be§ £eibe§ feinen hoben Sßertb ^nt im 93ergleicb
mit ber ©(^önbeit ber 0eele, nnb etraag 5fnbere§, ber @rfteren allen
ÜBertb abfpredben. ®enn, raie mir mit ®t. Stnguftin fagten, „nimmft
bu bie eitten ©eifter raeg, roeicbe bem Unterften nai^Iaufen af§ ob e§
ba§ ^öd)fte märe, bann ift ber Seib nicht ©itetfeit, fonbern e§ leui^tet
and) an ihm entfprecbenbe ©diönbeit" ; unb mit 3tmbrofin§ oon ^Jiai;
(anb; „2öir fagen gemip nid)t, bap Seibegfcbönbeit Sugenb fep; aber
mir oerai^ten barum nid)t bie 3fnmutb: beim roie ber Zünftler beffer
arbeitet in bem gefügigeren ©toff, fo gtänjt in einem fd)öneren Seibe bie
iugenb reiner'' '** ***)). Unb fo bürften mir alten ©runb hoben , nn§ ber
jüngeren Slnfidbt anjufcblieften, roie fie namentlidj in bem ©cbreiben an
ben ilaifer 'Jbeopbilug au§gefprod)en ift.
424. kommen mir bieniac^ auf ben ©egenftanb jnrücf, oon bem
mir 33erantaffung nahmen, auf biefeä 5;hema einjugehen. ®a§ roar bie
j\rage, ob bie religiöfe ©cniptnr unb ))}taterei, um ihren ©eftatten afthe=
tifd)en SSerth 511 geben, nur ben Stusbrucf, unb nicht auch
anberen ©temente ber menfdhtidien ©d)önheit oerroenben fotten, bie
monif^e ^to^cf'oüfeigfeit beg 33aueg uub bie ©arnation.
©g ift eine unter ben fOienfchen roeithin hefrfdjeube, freitii^ (eicht 511
erflärenbe ©infeitigfeit, oermöge bereu man ben altgemeinen ^Begriff ber
Siebe mit bem ber gefdj(ed)ttid)en Siebe jn ibentificiren, nnb bem ganj en©
fprecheub, a(g ©temente ber ©dhönheit beg i)Dtenf(^en nur jene 9?orjüge ju
fennen pftegt, roetche bag ^obioibunm für jene beg anberen ©ef^techteg jum
©egenftanbc beg Sßohtgefatteng nnb ber 9teiguug jn machen geeignet finb.
©)er 3fvthum ber in biefer Serroedjfetung liegt, ift übrigeng ber befferen
ij.'hitofophie aud) beg i^eibenthumg feinegroegg entgangen. 2öir fahen im
erften 33ud)e, roie S;hemiftiug, 9triftoteleg unb i^lato bie jute^t bejeichneten
i^orjüge, ben grof3entheilg finnlichen 9tei^ ber jugenblid) blühenben ©rfthei^
nung (wpoaor/jc), unb bie eigentliche roirflid)e ©djönheit beg 9)tenfd)en
(zdXXoc) fe()r oerftnnbtidj für jroei gau3 oerfchiebene ®inge erflären
*) Theodoret. in ps. 44, 3. (ed. Schulze 888.)
**) Oben, SP. 27. ©. 44 f.
***) 33gl. oben SP. 207. ©. 292.
in ben SEerfen ber veligiöfen ©cutptiiv imb S^aterci.
639
5(iif ©runb biefer Uiiterf(^eibung beantiüortet fid) min unfere ^-rage
fel)r einfod). 2Bo bev 5)taler ober ber 23tlbl)aiter barauf Ijinnvbeitet,
feine ©eftatten mit ben mel)r finntidjen dteijen jngenbtii^er 5ßliite aiiö=
jnftatten , ba mirb er nidd allein bie eigentlidje SBirfnng feiner 25>erte,
infofern fie religiofe finb, beeinträd}tigen, bejieljnngdmeife nollftänbig
aufbeben, fonbern aucb, non ihrer eigentlidjen 23eftiminung ganj abgefeben,
ihren öftbetifdjen Stoertb fel)r mefenttid) oerminbern; feine Silber mit ben
„fngenbticb blübenben ©eftalten ohne «Scbönbeit" ■ — e§ finb '--f.ltato’S
ST'orte — roerbcn nid}t beffcr fei)it ald bie Serfe fcbled)ter ®id)ter, bie
man , rnenn man bie Wörter tierfebt , nicht mieberfennt. „3ene eble
mahre ‘Schönheit" h”'9^9^'^ u’” reben, „roie fie in
ben ©d)öpfnngen ber alten Ännft hevoortritt, bei benen mer fie fdjäl^en
roilt, ber Shiffe bebarf nnb eined geübten Suge§", biefe muff ohne
3meifel nl§ ein Sorjng gelten, ber bie erbnnenbe ilBirfnng religiöfer
Silbmerfe nur förbern, ihren JiJerth i^öer Sejiehnng nur erhöhen
fann, nnb barnm atlerbingd immer angeftrebt inerben foll. ©in Streben
biefer ülrt, ino e§ mit Umfidjt nnb richtigem ©efnhl uerbnnben ift, mirb
niematd ©efat)r laufen, über bie Veibe§fd)önbeit ben Sludbrnd 311 ner=
nncbläfügen , ober ba§ erbanenbe, übernatürlid);ethifcbe Scoment feined
Sormnrfs gegen ©arnntion nnb ©benmnafi ber ©Uieber in ben iüiinter=
grnnb treten ju laffen.
425. „5tber ehemalö, nnb jroar gerabe in ben Sogen ihrer höd)ften
Slüte, bflöen bie retigiöfen fünfte bie VeibeSfdiönheit iljrer ©eftalten
nernadiläfngt."
ilMr müffen biefer ©inmcnbnng gegenüber, infofern e§ fid) um bie
„Seibesfd)önbeit" hfliiöelt, jmei Stomenle unterfcbeiben, bie Sdjönbeit be§
©efid)ts, nnb jene be§ übrigen Vcibeä. Sie Velptere befiehl, bei befteibeten
©’eftalten, hnnpiföchtid) in ber ütegelnüifiigfeit be§ Saned nnb bem rid)=
tigen Serhältniffe ber ein.^ielnen
S3as mm bie Schönheit ber ©iefid)ter betrifft, nnb jmar in bem
Dorher bejeidjneten Sinne be§ nnb feiner jraei Vorgänger, fo
bürftc fid) mol)! nid)t behaupten taffen, bnf) biefelbe in 'wo öie
Äünfte blühten, oernai^tüfiigt morben fei), nnb man ansfdiliefitid) auf
ben Slndbrud gefehen habe: beim bad hiefee^ hiflofifdie Shatfad)en einfai^
nerneinen. llnb ed ift ja and) mol)! f'anm mögticd), einem ©iefid)te ben
Sudbrud einer h^^'üorrngenb eblen ©iefinmmg, übernntürlid)er Jöürbe,
göttlid)er .'Roheit ju geben, raenn bemfelben bie natürlichen Sorjüge einer
anfpred)enben Silbung mangeln.
©inen Sd)ein uon ii^ahrheit hat bngegen bie ©inmenbnng in 9tüd=
fidht auf bad anbere ÜJloment. ©d ift mal)r, baf) in ben ©eftalten ber
religiöfen fünfte and älterer bad rid)tige Serhöltnif) ber einjetnen
S-h^ite bed Jeibed nnb bie .'garmonie bed ganjen Saned mehrfadh uermif)t
640
®ie ©c^ön^eit bev ©eftalten
roirb. 3(ber barauä folgt iio^ nidjt, ba§ jene i« biefen (S'tementeu
ber £et6e§fd)bnt)eit ein b^inbernifj ber erbauenben SBirtung i^rer SUbungen i
fa^, unb fte au§ biefem ©runbe oon benfetben au§f(^Io§.
^at bie oietmetiv itjren ©runb o§ne bartn, bajf bie ana*
tomifdien ©tiibien bamatä überaus mangelhaft gepflegt mürben, unb
Unterfnchungen an ber menfthüchen Seidhe fetbft atS fefir unftatthaft gatten.
3’n f^^olge hietoon befaffen bie Äünftter nicEit bie notfiroenbigen Äenntniffe,
um and) biefen f^orberungen ber öugeren ©diönheit ootttommen entfprechen
fönnen.
®aju fömmt aber, infofern eS fid) um SSitbroerfe in unb an ®otteS=
hänfern hanbett, — unb fotcbe bitben ja raeitauS bie iltte{)rjat)t, — noch
eine anbere tRüd’fi^t. 3Bir haben im oorigen ifSaragrophen gejeigt, ba§
bie jroei bitbenben Äünfte ber natürli^en Orbnung ber ®inge gemä^ ber
2tr(^itectur gegenüber in bem ißerhättniffe ber Unterorbnung nnb 2tb^
hiingigteit ftetjen, bap fie biefer Ä'unft jn bienen, nnb ihren f^orberungen
fich anjupoffen berufen finb. 3^ alten 32^1^« fie geblüht haben,
mürbe biefeS ©efet^ oon ben bitbenben fünften gemiffenhaft befolgt,
fyriebrid) oon ©djteget fah in bem ehemaligen fleinen 3luguftinerflofter
511 ifJariS bie ©tatuen ber alten fränfifdjen Könige, melche früher in bem
'.Dtünfter jn ©t. ®eniS ftanben, na^ ber gemaltfamen 3etfiörung beS=
felben aber nad) ifJariS gebradjt morben maren. ©chtegel rühmt bie
©tatuen; biefelben „finb, mie faft alle 23ilbniffe beS iBlittelalterS , auS
©anbftein gehauen, über SebenSgröjfe, ootlftünbig befleibet, unb fchienen
mir ungleid) oorjüglic^er gearbeitet, atS niele anbere fpätere Sßerfe ber
©culptnr". 3tber, fügt er hid?a, „man mügte fie nod) an ihrer
alten ©teile in ber jlirdhe fehen: fo einjetn finb fie biird)anS
ans ihrem 3ufammenhange geriffen. 30tan mnp überhaupt bie fteinernen
3?itbniffe in ben gothifchen Äird)en mehr glei(^fam als ©i^nil^merf unb
3>erjierungen anfehen, unb fie atS folche beurtheilen, mie fa auch ^aS
iBaSreticf ber Sllten feine eigenen abmei(^enben ©efet^e tjat, unb nicht \
blojf nad) benen ber ißilbnerei ober 3^id)'iung benrtheilt merben barf. \
iTer ©h^ii niap bem ©anjen bienen; meit nun in ben gothifchea Kirchen j
2llleS gerabe nnb fd)lant in bie fernfte i^öhe ftrebt, fo müffen fich l>ar= j
nach felbft bie oerjierenben 33ilbniffe bequemen. ®aher ber burchgängig '
gerabe ©taub ber 33ilber; enblich felbft baS iSRagere unb unoerholtni^=
mäf3ig Sanggejogene, maS mir befonberS bei ben fonft fo jierlich unb hoch
fehr fchlidjt gearbeiteten 23ilbern ber alten Jl'önige auffiel. tSRan benfe
fid) nur an einer gothifchen, fdjlanf in bie .!nöhe fchieffenben ©äute, eine
marmorne §igur in antifer Dümbnng unb Jtraft, unb mon mirb gleich
bnS ^Jtipoerhältniff fühlen" *).
*) ©dpegd, Sb. 6. ©. 176 f. (6it. 489.)
in ben Sffierfen ber religiöicu ©culptur imb 'S'Jalerei
641
426. 25>entger au§ SRiicffic^t auf bie julcljt befprocf)ene C^^imuenbimg,
al§ be!^uf§ einer rid^tigeren 23eurtl)eihing ber Silbroerfe, raeldje ben re(i=
giöfen fünften beä üO^ittefalterg t^r 5!^afei)n uerbnnfen, laffen mir ^ier
noc^ eine anbere 23emerfung folgen, bie ben eben gegebenen ©ebanfen
ec^legelS allerbingS febr analog ift.
3?ejnglic^ ber Seiftungen ber nntifen ©culptnr in tpellag oerfi(^ert
2lnfelni ^enerbacf), baff, „mein e§ um eine Sleljrenlefe fcljeinbarer ober
inirflidb^^' 5el)lev" gegen bie ibeale ©diön^eit be§ menfdjlicljen SeibeS „jn
tl)im fep, ein ©oldjer unter ben nod) erljnltenen ©tatnen auf eine reidjs
lid^e ©rnte red)uen fönne". ^nm ©eroeifc Ijierfiir nerraeift er auf bie
'fUtebiceifdje 35enn§, ben Saocoon, ben $erapi§, bie 'fiatlag an§
ber '-Billa 9ltbani, ben jtopf ber fRiobe in 'J-lorenj, nnb meljrere anbere
SBerfe. ©aim fiü^rt er fort, — nnb ba§ ift ber ©ebanfe, um ben eg
nng liier jn tljun ift — :
„5ltle fene ?lbnormitätcn aber an befferen ©tatnen nerfd)ininben in
ber Dffegel beni 3lnge, inenn ber Befdjnner in eine gelprige ©ntfvrnnng
non ber ©tatne jnrndtritt. 35>ar bei ben 3llten in fril^eren 2tUeg
öffentlid), fo faulen and} bie 3Berfe ber ptaftifdjen Äunft erft in ber
fpeiteren röinifdjen ifiriuntlupitg ju btofien jtabinetftüden l}erab.
f^rn^er in ben geräumigen ,*gnllen ber ©cmpel nnb ©pmnafien, ober auf
offenem iIRnrfte anfgeftellt, nid^t feiten ino!^l non l)oljen ifiiebeftalen ge=
tragen, inaren bie meiften beftimmt, nng einer gemiffen ge^''i£
betrad)tet jn roerben, nnb fd]on bnrd) bie 3lrt i^rer 9lnffteltnng gegen
jebe mifroflopifc^e Ä'ritif gefc^üt^t. ©o fBtand^eg mag ber griedfiifdjen
Ännft eigentbnmlidf) ift, bie Bernadflnffigung ber 3iebenpnrtl)ien, bie ^^er=
uorljebnng ber ©rnnbformen nnb 'fylnclien, bag 2lrbeitcn ang bem ©ro^en
ing ©rope, ’^nngt mit biefer Oeffentlidjfeit nnb ifiopnlarität ber Jbnnft
jufammen. fJBnndjmal mar eg nielleid^t fognr nnnntgnnglid) nöt^ig, bie
Berpltniffe einer ©tatne nid)t anfg ftrengfte in abstracto jn erfaffen,
fonbern fie für bie 9lnfidjt non einem beftimmten '^fnnlte ang ju mobifi=
ciren. 'Bitrnn fdlinrft bem Saufünftler ein, auf bie ©nufdjiing beg 3lngeg
IRüdfid^t 51t nelimen, nnb gibt 5. 23. bie IReget, bie ©nnlen nn ben ©den
ber ©empel ftärfer 311 mnd)en nfg bie übrigen, meil jene, eineg .üiinter:
grnnbeg entbebrenb, fd)tanfer erfd)einen. 9lel)ntid)e IRüdfidjten maren bem
ifJlaftifer biirdj bie fRatnr feiner niel freieren Ännft, nnb itjrer bei meitem
auggebelinteren 23eftimmnng , nod) lüü^er gelegt" *). llnb auf ganj ana=
löge IRüdfidbten mußten fid) offenbar bie bilbenben Jlünfte nidjt minber
l)ingemiefen fe^en, mo fie im 2lnfc^lnf! an bie 3lrd}itectnr für bie fber=
ftellung non ©ottegpnfern , ober andi non anberen Banmerfen, il)re
S:^tigleit entmidelten.
*) 13L geuerbaeb, ®. Iü7 fj. (ßit. 344.)
3 un gm an II, 21eft!)etif. 2. 2Inf(.
41
642
§. 3.
cs äfi^ctifrf) itx), btt^ bic rcftgiöfc ^cufpiur unb gSafcrci t^rc
^cftaKcn anbcrs afs »offffänbtg ßcftfcibcf cvfdjeincn falTcn.
S)o§ Bejeic^nete Sevfatjrcii ift nur in fofern juiäf^tg, al§ bte ©rfiauung babuvi^
in feiner SBeife Beeinträdjtigt rairb. ®a§ Seljtere ift ober fe^r Iei(^t ber
5aU; bie Seftimmung i^rer religiöfen Silber für bie Oefommtfjeit ner;
pf(ic£)tet beff)oIB bie Jbünfte, in bem fünfte unt bcn e§ ficf) f)anbeft, mit
ber größten Umfidjt uorjugefjen. ©eenen für ruefdje bie pfiilofopl^ifi^e
9Iio^rf}eit bie gejiemenbe Sefteibung non ©eftalten nid)t geftattet, tonnen
aid für religiöfe Sitbraerfe geeignet nic^t gelten. Sad Senbentuef) an ben
Sarftetlungen bes §errn am Äreuje; bie religiöfe Snfe^auung früherer
,f^at)r()unberte, unb bie Sactlofigfeit ber Üftenaiffance.
427. 34)eovetifdj unb abftract beaiitraortet fic^ bie non ber
Scfleibung ber ©eftalten auf veitgiöfen Silbern jiemlicE) einfai^. fliämlic^,
rote rotr int fiebenten ätbf^nitte gefefien fiaben: „©in religiöfeg ^unftroerf
barf nic^tg enttjalten, rooburd^ bie Stittliätigfeit be§ ^eiligen @eifte§ au§=
gefcfitoffeu ober beeinträdjtigt roirb; e§ folt oielme^r fo gearbeitet fepn,
ba^ e§ bem ©inne be§ tjeiligen ©eifteä , unb ber Steife in roelc^er feine
©nabe ju roirfen pftegt, inoglid)ft entfpriebt ttnb fid) anfc^Iie^t" ; bag
finb jroei oberfte ©efel^e ber Steft^etif, b. ’i). ber Sßiffenfdiaft ber
fd)önen ^bünfte*). ©obalb mitt)in bitrdi eine Sernaditö^igung in ber
Sodftänbigfeit ber Sefleibnng ber oolte ©inflang bes Slöerteä mit bem
©inne be§ '^eiligen @eifte§ unb ber Dtatnr feiner ©nabentptigteit oer=
lep roirb, mu§ ba§ SBerf al§ iiftljetifd) fetjlerpft gelten. Ober
fürjer: bie roefenttidfe Seftimmnng jebe§ religiöfeit Silbeg befielt, ber
Slefttjetif gufolge, bariit, bajf e§ bie ©pnftenpit erbaue; nur in fofern
mithin fönnen unDolIftänbig befleibete ©eftalten auf benfelben für öftp=
tifd) juläf]ig erflärt roerben, al§ fie bte ©rbauuitg nid)t ^inbern, ober
bodj beeinträdjtigen.
428. ©djroerer, ol§ biefe 2frgumentation , fann im Seben unb im
concreten f^^üe bie ©ntfi^eibnng fepn, ob einer ©eftalt an ber ootlftäm
bigen Sefleibnng fo oiel mangele, bag babutp bie ©rbannng beeinträchtigt
roirb. 3’^ fedjäteu Sanbe feiner SBerfe gibt f^^rtebrid) oon ©djlegel eine
eingel)enbe Sefi^reibnng eine§ Oelgemälbe§ oon ©ebaftiano bei IfSiombo,
roeldje§ er, im fyrühiahr 1804, int Sonore ju gefehen. fteEt
ba§ OJeartprium ber heiligen Slgattja bar. „Oie ©ompofition ift fep
eiiifadj; bie f^^iguren finb in Sebensgröüe , bas Silb ift aber bod) non
geringem Umfang, ba bte f^iguren bi^t jnfammenfteljen. 3'^ ber fRitte
*) 3Sgl. oben S. 273. ©. 384 f.
Sie Sefieibimg ber ©eftalten retigibfer Silbitierfe.
643
ganj im 33orgrunbe bie ^eilige, bi§ auf bie iDiitte be§ Seibeä uarft; ju
il^ren (yüf3eu liegt itjv Oüergeroanb; ba§ Untergeraanb , um 4''üften uub
Senbeu gemuubeit, ift uoru jufammeugefiiüpft. Sie ift rücfmärt§ au eiue
Saute getel^nt, um raetctje fic^ aud) i^re 2trme jUTÜcfbiegeud' ®ie roei=
tereu i|3erfoueu fiub ber iprätor mit einem 23egteiter, jmei Reuter bereu
feber mit beiben ipäubeit feine gtiibenbe Sotbateu.
tSag ©emälbe gibt bie biftorifdje Sbatfactie mit noUfommeuer Breite.
Sd)tegel ift für baffelbe be§ t}öd)ften ßobe§ uott: aber er berid)tet ju=
gteid), bafs „uiete SSefdjauer, fobalb fie ^iugebticft batten, fid) fdfaubernb
luieber abmenbeteu, uub beu jfiüuftter roegeu feiner SBaljl tabettcu" *).
®n haben mir ein 33eifpiet ber Serfd)iebeubeit be§ (Siubrudcg, met=
eben eiue uuüoüftüubig befteibete ©eftatt fe uad) ber 3]erfd)iebeubeit ber
©emütber mad)eu muf^. Sdjteget berouuberte bag 53itb, uub faub in ber
ißetrad)tuug beffetben hüben ©enup; bie „ißieten" hinficficu bereu er er=
rodhut, modfteu eg uidjt aufeheu: cg f'ounte ihnen fo(glid) nicht eiumat
btof^eu dfthetifcheu ©emif; gciudhrcu, gefdpueige beuu fie erbauen. Uub
ber @ruub beg unangenehmen ©iubrudeg bet biefeu „"Bieleu" mar uidht
etroa ber Sdjauber ob ber graufamen iDtarter, bereu 3Sürfteltuug bag
ißitb madfrief: Schtegel bezeugt fetber, bap bie unmtidfen „iüieleu'' „mit
jufriebener ißetmtuberuug lauge oor bem iBtartprium ber heiligen 3tgueg
non ©omenichiuo, ober bem bethtehemitifdfeu .^tiubermorb beg ©iiibo üer=
raeilteu, ohne oor bem ©emifd) oou Ceidfen uub in Sobegaugft dÜugeubeu,
beu 'ßtutftrömeu uub beu müthenbeu ©eberbeu im geringfteu ju erfchreden,
ober fi(^ umjumeuben". 3tug biefem ©ruube, ber übernug uerfd)iebeuen
©igpofitiou ber ©emüther megeu, fauu eg in coucreteu fydtteu, mie mir
fagteu, mitunter fchmer fdjeiuen, ju entfdfeibeu, in mieferu au ©eftatteu
eineg retigiöfeu iUlbeg eine nid)t ooltftdubige 35efleibuug i^ulngig fep.
3!}Uuber fd)mer mürbe fid) frcilid) bag Dtidftige ergeben, loeuu man
©ineg berüdfidjtigte. 'Sie retigiöfeu 2Berfe ber bilbeubeu Jtünfte fiub
nicht für beu einen uub beu aubereu dfthetifd) gebitbeteu ©etehrteit be=
ftimmt, foubern für bie ©efammtheit beg dfriftlidjeu 'öott'eg. Sie fotten
fi(^ für 3ttle eignen, für 2ttt, für Äiuber unb für ©rmad)fene,
für bag meibtiche mie für bag mduntidje ©efchtecht; unb fie fotten biefeu
Sitten ni(^t jur Unterhaltung bienen, nicht jur S3efriebigung ber 9teu;
gierbe, foubern ju retigiöfer ©rbauung. Uub biefe itjre 23eftimmung fotten
fie erfüllen nid)t btofi für ©ine ©eueratiou, uid)t btof3 für ©in iiotf,
bag Dietteid)t au miubcr jüd}tige Sarfteltuugcu , in 'Jotge metdfer Um=
ftdnbe immer, gereöhnt ift, uub beghatb au fotd)en feinen Stnftof) nimmt,
foubern für ^öh^'^^i^berte, uub, bei ber burd) bie ©rfinbungeu ber ©iegem
mart faft oottftnubig aufgehobenen Sreunung ber oerfdjiebeuen i'ötfer.
*) 5. Schfeget, 33b. 6. 0. 95. (Git. 397.)
41*
644
®ic Setfeibung ber ©eftalten religiöfer Silbroerfe.
einfach für bie gefammte (Jl^riftenfieit. 2öer btefe 9%ü(fftcE)teu uor ?Iugeit
!^at, unb babei jugteiii^ in ber Sage ift, ©rfafirungen in 3^ed)nung gieren
gu fönnen, ber wirb mir fd^raerlidb roiberfpredfen , roenn id) ber 2lnfid)t
bin, bafg bie graei bitbenben jlünfte barauf angeraiefen finb, in ifiren
refigiöfen SDarfteüungen, infofern e§ fid) um bie 33efteibung ber ©eftaiten
fianbelt, mit ber größten Umfid)t oorguge^en, raenn fie anber§ n^t
SSerfe liefern Toollen, raetdie tro^ aüer tedinifd^en 35odenbung aß für
i^ren eigentlidjen religiöfe ©rbanung, raenig geeignet, nnb
barum alg mifginngen gelten müffen. 2So eä an erfter ©teile um
©rbauung unb Slnbadft gu t^un ift, ba fann ein roenn auc^ an fidg oiel:
teidbt nur nnbebeutenber ®erfto§ gegen bie (^riftlicbe 3i^tigfeit unmöglich
anberg, aß ftorenb roirten.
®ie ©arftetlung oon ©eenen für roelcbe bie pt)i(ofop'^if(^e ®a:^r-
|eit eine ootttommen gegiemenbe ©efleibung ber ©eftalten nidgt gulüüt,
roie g. 33. mand^er iUtartprien, l^aben au§ biefem ©runbe bie bitbenben
.fünfte offenbar gu oermeiben; nid}t fie, fonbern bie ifJoefie unb bie 33e=
rebtfamfeit, roeldie ilgrer iltatur nad) minber flare SSorftellungen oer=
anlaffen, finb berufen, biefelben gu üerf)errli(ben. 5)ie fyülle beg ©toffeg
bie ben ©rfteren groei, roenn fie auf foldie SSorroürfe oergi^ten, übrig
bleibt, ift immer noc^ me§r aß reid) genug, um ihnen ade nur roünf(^eng=
roerthe ©elegenheit gu bieten, ihren ©ifer für bie f^örberung ber SInbadht
unb beg d;riftU(^en Sebeng gu betl)atigen *).
429. Jleinegroegg ein befonberg grofeeg ilRaa^ oon Umfidit, unb
no(^ roeniger oon 3flrtgefüht unb ©rlöfer ber Sßelt gegen:
über, fdieinen mir bie bitbenben fünfte ber teilten ^flh^'^ii^berte an ben
Sag gu tegen in ber SBeife, roie fie ben .^errn am Äreuge bargnftetten
fid) geroöhnt haben-
©regor oon Sourg (geftorben um 595) ergnhtt oon einem Sitbe in
ber Äird)e beg heiligen ©enefiug gu Starbonne, auf roelchem ber ©e=
freugigte gemalt roar „mit einer 3Sinbe um bie Senben" **). „®a geigte
fid) einem )ßriefter, Stameiß 33afitiug, in niid)tlidter ©rfdheinung eine
©eftatt oon brohenbem Slugfehen, bie gu ihm fprach: inggefammt
traget attertei Kleiber, nnb mid) fdgauet ihr fortroührenb nadt an. ©eh’
fchleunigft, unb bebed'e mii^ mit einem ©eroanbe.‘ ®er iftriefter roujgte
fid) bie ©rf(^einung nid)t gn beuten, nnb bad)te nidit roeiter baran. ®ie
*) ©ine roeitere iRüctfid^t, bie gtei(hfn(I§ auf bie religiöfen 3Berfc ihre 3tnroen=
bung finbet, roerben wir fpäter augführen, roo mir eine analoge grage bejüglich ber
hebonifchen ißrobucte ber Scutptur nnb ber iUtaterei ju behanbeln haben. 3?gt.
St. 441.
**) „pictura qeiae Dominum nostrum quasi praecinctum linteo indicat
cruciiixum“.
®a§ Senbentud) in ben ©arftellungen bes ^erni am Ämije.
645
©eftalt erfdjien üjm ein ,yüeite§ ‘ätJat; aber and) ba§ tiejf er unbeai^tet.
©ret 5;age nadj ber jiüeiten 25ifion enbUd) jüdifigte fie tt}n junäctift mit
fdjroeren ©ditägen, imb fprad) bann jn it)m; ,.^atte td) btr ni^t befot)ten,
mid) mit einem ©erannbe 511 bebetfen, bamit man mid) nid)t nacft fötje, —
unb bn fiaft gar nidjtg gett^an? ^eipt getie, nnb bebecfe ba§ 33ilb mit
einem 3;ud)e, menn bu nidjt fetjr halb fterben mißftd ©etjr erf(^redt,
ttjeitte fet^t ber ipriefter bie ©ac^e bem 23ifd)ofe mit; biefer tief; über ba§
iMlb fofort einen ©d)teier anöfpannen; nnb fo uerfdfleiert", fdjlie^t ber
t)eitige ©regor, „fiet)t man baffetbe nod) gegenroärtig" *).
Ob biefe ©efd)id)te, meldje bem fedidten angeprt, in
atten ifinnften uotlen ©tauben uerbient, fann batiingeftettt bteiben. ©0
uiet ge^t an§ bem Seridite jebenfatid tjeruür, baf; e§ in jener 3*^'^
gottedfürd)tige nnb gete'^rte iWiänner gab, metd)e in ber fparfamen
23efteibnng ber iPitber be§ ©efrenjigten eine '-Ijertetjung ber ©t)rfnrd)t
fa^en, bie mir bem für nn§ iHienfd) gemorbencn ©ol^ne ©otted fd)ittbig
finb. Unb ba§ Üiümtidje bemeifen anbere Ot)Otfad)en. Oen erften
tjnnberten fönnen biefetben freitid) nid)t angef)üren; beim in biefen fd)einen
23itber be§ y;ierrn am £'ren;e ünfierft fetten, ober gar nid)t in ©ebrand)
geroefen ju fepn: man bebiente fid^ an beren ©tette fi)mbotifd)er ®or=
ftettnngen. 5lber am SlnSgange bed fedjSten ^^r^rtjunbertd ftettte bie
Äirdie 511 ©rtöfer am Ärenje noltftänbig befteibet bar,
mit Xnnica nnb ^d-'^ttinm *"')• Stuf ben 23itbern ans bem fiebenten unb
adjten 3a^i-'f)iinbert erfdjeint ber ©etreujigte meiftenä gteidjfattd nod) ganj
befteibet, aber nur mit einem bid auf bie f^-üf;e t)erabgef)enben Unterfteibe
mit fnrjen 3termetn, ober and) otjne Stermet***). ©egen ba§ ©nbe be§
achten 3<^j)^^inibertd fing man an, bie obere 4*>ütfte biefes UnterfteibeS
roegmdaffen, fo baf; ber £eib be§ .üierrn nur non ber iDUtte nad) nuten
t)in bebecft blieb. Unb and) biefen 34eft uon 23efteibung tief; man, bereitd
pom nennten fi'U fürjer merben; mitunter inbcf; ronrben
jn jener 3^1^/ sfj)iiten, elften unb jmölften 3a^ji‘^)i‘iibert
nod), ganj befteibete (Srncifirc gcmad)t 7).
„3Büt)renb ber ganzen mittleren unb fpiitromnnifdjen , foroie and)
rcSt)renb ber gottjifdjen ilunftepodje reid)t ber Senbenfd)urj (perizonium)
meiftend non ber Ornft bis auf bie Äniee. Oie Jlünftter ber ©pätgot^if
perfürjten benfctben. Uber bnd i)Ueifte t)at bie d^eviobe ber iKenaiffance
Gregor. Turon. „Miraculor.“ al. ,.de gloria Martyrum“ 1. 1. c. 23.
pag. 745. s.
**) Garrucci, Storia della arte cristiana, vol. 1. libr. 2. c. 1. pag. 54.
'***) Colobium, •/.oXdjjtov.
7) Martigny, Crucißx, p. 228. (Sit. 492.) Garrucci, 1. c. iß. 3- Utüiij,
3uv ®eld)idbte be§ Äreujcg unb Srucifircä, in „Sev Äat£)o[if" 1867, 23b. 17. ©. 479 f.
646
®a§ Senbentuc^ in ben ©arftellungen be§ ^errn am Äreuje
baju beigetragen, ba^ ba§ breite Senbeutui^ ber romanifc^en imb ber
früheren gof^ifd^en i|3erioben, ba§ juTDeiten auc^ noc^ ,3;unica‘ unb
,i^errgott§rocf‘ genannt rairb, ju einem fcl^malen fliegenben ®anbroimpel
jufammenf^rnmpfte" *). iBei il^rer i]}a[fion für bie 3Inatomie ^dtte
fie o'^ne liebften auc^ biefen noc^ fallen laffen; bei einer
©tatue be§ 2luferftanbenen raenigftens, jn fftom in ©anta füJiaria fopra
fJJiinerna, t)atte ?Wid)el:2rngeto biefe Äüfinfjeit, inbem er biefelbe t)otr=
ftänbig nactt bilbete. 3Bo SeffingS @runbfö^e ^errfc^en, ba gilt natürlich
ber i^err am Kreuje gerabe bej^fialb al§ ein geeigneter 35orraurf für
bie ©culptur, rceit er nur n)enig befleibet fepn muj^. „®ie cbrifiti(^en
©egenftänbe", l^ei^t e§ in biefem ©inne bei flieget, „finb i^rer Statur
nad^ raenig für bie ifSlaftif geeignet . . ®ocf) aber finb fie ba§ ganje
^3JtitteIalter l)inbur(^ puffg gebitbet roorben, nnb einige berfetben §aben
in ber Jliat fidj für bie ißilbnerei beroä^rt. 2?or Sltlem ift bie§ bie
Äreujignng, bie in b em nudgefpannten, faft ganj nadten Idörper
eine reiche ©ntfaltnng be§ Organidmnd, nnb baju einen innigen Slugbrncf
unfdjulbigen ?eiben§ unb grofien ©c^mer^eS juläfft" ** ***)).
2®a§ bie ^^iftorifd^e f^-rage betrifft, ob ber .*pcrr tl^atfäc^lid^ ganj nadt
an bn§ jlreuj gefcblagen mürbe, fo ift biefelbe unentfi^ieben. 23enebict XIV.,
fÖIartignp, ©arrncci bejahen fie; nadj ?Künj bngegen roaren bie Senben
be§ öeilanbeä mit einem 2;uc^e umgürtet *'**'). ©in entfc^eibenber SeroeiS
bürfte fic^ fo raenig für bie eine raie für bie anbere SlnficJ^t fül^ren laffen.
^nbeff ben bilbenben fünften forao^l als ber üleff^etif fann ba§ t)oll=
fommen gleidjgültig fepn. ®enn auf @runb ber jraei oon un§ bejei(^neten
fRüdfid)ten ift an ©arftetlungen be§ ©efreujigten ba§ Senbentnd) fd)led)t^in
unerlä^lid) ; unb e§ raüre ein geraaltiger raenu bie IRenaiffance
etraa meinen raodte, al§ ob burd^ bie oon i^r burd)gefü^rte 35erminberung
biefeg Snd^eg bie ©rucifipe an religiöfem, ober and) mir an rein äfl^etifd^em
SBert^e geraonnen l^ätten.
ip. 3. SORünä, a. a. O.
**) Olieget, ©. 158. (6it. 567.) ®ie gefperrten Sffiorte finb t)on mir
unterftrid;en.
®er ©cbanfe iRiegelS, roonnd^ „bie d^riftlidien ©egenftänbe i^rer 9tatuv nad^
roenig für bie iptaftif geeignet fepn" fotlen , ge^t au§ ber im brüten Äapitet (§. 1.
®. 588 ff.) non un§ iniberlegten Se^re freilid^ mit 9totf)n)enbigfeit b^rnor; aber
eben fo offenbar ftef)t berfetbe mit ber 2E'iffenfd[;aft foiuot)t at§ mit ber ©efd^icfite ber
bilbenben ffiünfte in Sffiiberfprucb.
***) Benedict. XIV. De fesHs D. N. 1. C. 1. 1. c. 7. n. 88. (opp. tom. 10.)
iDIcrtignt) nnb ©arrucci a. a. O. iUtün; a. n. D. $. 332 f.
647
§. 4.
5>tc bcv icftutöfcn wnb ^S^dfcvci, afs iDtcr
„^Stfbcrgcßuri“.
5)ret Seifpide einer mcnig religiöfcn Se(]nnblung religiöfer i'onnürfe: bie
Äreujn6nof)me non iftu6en§, 9J7urtßo’ö ^liininelfa^rl 3)iarin, bie t)ei(ige
dgad)a non bei 9Jdcf)d;'?(ngeto. ®n§ Ungeidjicf bcr Inlbenben
Jbünfte beä 17. unb 18. 3‘d)vl)unbcvt§ iin duSbrucf'e übernntüvlidjer ©röj^e
unb religiöfer ®efü()te, und) Äitgler, Sübfe unb 9Imbro§; tnorin baffelbe
feinen ©runb Ijntte. 3ber I}oIje iEnct be§ 9}7ittelalter§ in biefcin ipnnfte.
430. eichten ?II)fcE)nitte fülirtcn inir einen ©atj non ßübfe an,
roorin berfelbe ben ©eift ber Slenniffnnce für „uieltlid)" erflürt. IDiefe
überaus treffenbe 6'^aracteriftif beronbrt fid) anf bem ©ebiete ber Inlbenben
jbnnfte nid)t ineniger, alS in ber 9lrdntectnr. ©inen 23eineiS bnfür fal)en
mir in bem snlel^t befprod)enen ©Iiema; einen jraeiten bieten mebrere
jener Seifpiele, bnr(^ iueld)e mir im fiebenten 2Ibfcbnitte bie ,ynei
berungen illnftrirten , in benen fid) nnS ,^roei oberfte ©iefe^e für alle
religiöfen Jtünfte barftellten; einen britten roollen mir in biefem '^ara;
grapljen geben, aber norljer nodj ben jroeilen biird) brei meitcre Scifpiele
nernoUftünbigen. 25>ir finben eS nm fo meljr ber üOiübe mertl), biefelben
nidbt jn übergeben, alS bie ©lüde nm bie eS fid) 9Jc'aIern
angeboren bie man jn ben norjüglidieren ,^n redinen geroobnt ift, nnb mir
anberfeitS in ber !^age finb, nnfere 2Infid)t auf baS Urtfjeil tüi^tiger
Jlritifer grünben ^n fonnen.
431. ®ie 2tbnal)me beS .©errn nom £ren?je, non 94nbenS (in ber
©atbebrale ,^u 2tntmerpen), genief3t ben fJinf eines 9JieiftermerfS; febeS
4')anbbnd) (egt bem flteifenben bie 'Cerpflict)tnng auf, baS 2?ilb jn bemnnbern.
DdibenS bat bie ergreifenbe 'iljntfadje bie er barfteCIt, „alS ein fITtittel
bebanbelt, bie ©emanbtljeit feineS ^^infelS jn bcmftb^'en. ©ein ©iemälbe
ift in einem grof^artigen fIRanf;ftabe entmorfen, nnb noU 9?emegnng nnb
fyarbe ; aber jenen 2lbel ber ©d)önl)eit , meld)en ber 2tnSbrud tiefer
religiöfer ©mpfinbnng über ein .^nnftmerf nnSgiefst, bnrf man in bem=
felben nidjt fneben. ©)ie ©ieftalten finb beffer alS bei fRembranbt, iljre
23emegungen finb natürlidj nnb mannidjfaltig, aber fie Ijaben nidbtS ©bleS.
^n ber ©ieftalt beS .'oerrn liegt nidjtS SSfürbenolIeS , nid)tS ©iöttlidjeS :
eS ift ein fdjmerfälliger Seid)nam, mit Ijangenbem Äopfe, bie ©d)enfel in
baS £eid)entudj nermidelt. ®er eine fyitf; fenft fid) anf bie ©d)ulter ber
fUtagbalena, meld)e benfelben mit ihrem nadten 3Irme ftübt. ©ie 9iRntter
beS .s^errn nnb bie heiligen f^ranen finb ©tatiftinnen, bie iljre 94oHe
fchled)t fpielcn; eS feljlt il)nen nie! jn febr ber 2lnSbrud, unb ber dleid)=
thum ihrer ©jemänber fann biefen 3(bgang feineSmegS erfehen. ^ene tief
648 9iatm-alt§mu§ in ber religiöfen ipiaftif iinb iOlaterei,
empfunbenen ^il^räneit, jene ^nnigfeit bcr 2lnbac^t, jene Sammlung, welche
g^ra 5tngeIico unb Sefüeur fo auggejeic^net raieberjugeben nerftanben,
»ermißt man nollftänbig" * **)).
^o'^er in feinen religiöfen Söerfen al§ IRubeng, fte^^t iDJuritIo ; nid^ts;
beftoroeniger ^at aucE) er, gerabe in feinen Silbern ber :^eiligen 3Jdutter
@ütte§, ben reiften 2lu§brucf feine§raeg§ getroffen. 2lud^ ilJdurillo „malt
ba§ Itebernatürlidje gu menfclincl). ©eine ,?l)eabonnen‘ finb junge ©panier=
innen, roelclie über bie ©ppre einer fcl)tid^ten, burc^aug finnlid^ bebingten
Sßeiblic^feit nid^t I;inaug fommen, fid^ glücflic| f^ät^en ein Äinb gu
)^aben, unb nur burd^ ben .ipeiligenfdljein jur üJlutter @otteg raerben"
®ag ÜRufeum beg Sonore befitjt ein ©emälbe oon üHurillo bag, aber
loofil mit Hnrecfit, alg fein oorgüglidljfteg Sßer! gilt, bie „Unbefletfte
(?mpfängnif3", ober rid^tiger bie „.'gimmelfa^rt ber Ijeiligen ;^ungfrau".
,,©ie f^nrben oerbienen Serounberung , felbft bie ©djatten finb leud^tenb
unb burd^fidl)tig; bagegen ift bie ^^^nung fe^r fdEiroadb, bie ©eroanbung
überaug oernad^la^igt; bie fyalten beg Äteibeg finb formlog, unb ber
blaue üJdantel, nur oon ©inem Sinne gelialten, nimmt fid^ aug alg ob er
faden roodte. ©)ie Haltung ber ^önbe ift gefud^t; ber Äopf nidlit fd^on,
unb IReligiöfeg ift an bemfelben nidlitg alg ber jum §immel gerii^tete
Slid. ®ie ©ngel loeldlie ilire itonigin umgeben, finb nette £inber, bie
fii^ mit ber ganzen Unbefangenljeit i^rer ^al^re in ben SBolfen ^erum;
tummeln; bie ©inen fpielen mit bem unteren ©nbe beg ÜJiantelg, bie
Slnberen mit einem ©djleier ober einer ©d)ärpe, bie fie o!^ne 3tt>etfel ber
Jungfrau meggenommen ^aben. Slber Sldeg ift mit ©onnenftra'^len
gemalt, bag Silb ood oon Siebt unb Igarmonie; unb mag baffelbe ber
Seadjtung beg Sefdbauerg an erfter ©tede empfiehlt, bag ift bie 2:batfadbe,
bafe eg 615 000 f^ranfen gelüftet Ijat. ©ine reiebe üditgift befi^t ja
nid;t fetten gröfjere Slnsiebunggfraft, alg bie ©djönljeit" ***).
Sag brüte Seifpiel bietet ung bag febon im uorigen ifSaragrapben er^
toäbriü ©emdlbe eineg italienifdjen Äünftlerg, bag SCdartprium ber heiligen
Stgatba. 2öir fommen auf baffelbe um fo lieber gurüd, alg eg gugleidb
einen anberen oon ung früher begrüubeten roidüigen ©al^ beftätigt; ba^
nümlid) ber religiöfe ©haracter beg Sorrourfg feinegroegg genügt, um ein
jlunftioerf ju einem religiöfen ju mad^en, oielmebr bag eigentlidhe unb
loefentlidhe ifSrincip hierfür in ber Uebernatürtidjfeit beg 3n>ecfeg liegt, ben
ber jl'ünftler bei ber Sehanbtung feineg Sorrourfg im Stuge hatte f).
*) E. Cartier, La renaissance italienne et son intluence en Europe. (Les
lettres cliretiennes, Lille 1880. p. 364.)
**) E. Cartier, 1. c. p. 370. Sübfc, iPb. 2. ®. 336. (6it. 342.)
***) E. Cartier, 1. c. p. 370.
t) 2?9t. oben Vt. 267. ©. 375 ff.
eine Js-olge i^rer „2Bieberge6urt".
649
33ei bem begeidjueten Silbe feljlt ber übernatürliche, religiöfe
Dollftünbig , — inenn man nid)t etma anneljinen roid, bem Äünftler fei)
bafür, roa§ ein fold)er 3"^^^ forbere, alled Serftünbnif) abgegangen.
3unnd)ft ift beachten§roertt) , baf) ba§ @emülbe graar, mie im letzten
Iparaigrapljen fchon angegeben ronrbe, bem Sebaftiano bei ipiombo guge=
fdirieben mirb: aber, bemerft ©djlegel, „ber Srabition gemafg ift bie
3eid)mi'i3^^ fonbern „non iÖtidjedSlngelo". ®e§ l'et^teren
Saffion nnn mar, mie neneften§ ber norher genannte frangöfifd^e ©elehrte
fehr rid)tig gefagt l)nt, bie 2lnatomie; einer folcben ddiihtnng aber fonnte,
rao e§ fid) um einen retigiöfen Sorrourf l)anbelte, fic^ fanm ein mel)r
millfommener bieten, al§ ba§ Slartprinm ber l)elbenmütl)igen
non ßatania. ®od) ba§ füllte nur eine Semertung im Sorbeigel)en fepn.
©aff ba§ 2©crf, and) non ber nur halb befleibetcn ©eftalt ber Stürtgrin
gang abgefel)en, trot^ feinc§ Sorinurf§ ben religiöfen ©emalben in
feiner üßeife beigegäl)lt roerben fann, bad gel)t allein au§ ber Gharacteriftif
bie @d)legel gibt, gmeifeltoS flar l)ernor.
Schlegel erfliirt ba§ Silb für „gang nntif, nid)t burdb erfünftelte
9tachal)mung ber alten Slarmorbitber , aber burd) bie ©efinnnng, bnrd)
ba§ romifcb ©rofge, greie nnb Ä'raftnolle, mie bie Segebenheit anfgefaf)t
ift". S^affetbe ift ihm gufolge „ein claffifcf)e§ ©emülbe, roenn irgenb
eines biefen Samen nerbient, ineil bie grofge fd)onungSlofe Äraft, bie
bnrd)bad)te Scrftänbigfeit, bie SBürbe nnb ber grofge Sinn beS claffifd)en
5lltertl)nm§ baffelbe bnrchauS befeeten nnb beberrfdfen. ®er Jjeib ber
^'»eiligen ift non l)clbenfröftiger inngfrüutid)er Sd)önl)cit nnb Stürfe.
.Steine icütien nnb Sofen, fonbern bie fyarbe ber ungefchmäd)ten @efnnbheit
burchglüht bie reinen feften f^ormen. 2ln§ ihrem ®efid)te fprid)t nid)t
eine überfinnlid)e ©eiftigfeit, fonbern üielmel)r eine i r b i f d) e iS^elbentugenb
nnb Süchtigfeit ; in ben bnnften 5lngen bie gange @lutl) beS gefül)lootlen
SBeibeS, aber mit bem SnSbrnef ber fycftigfeit , ber Seelengröffe, beS
SeroufftfepiiS ber inneren Soürbe; ber nad)lnf3ige ber fd)margen
l'od'en lüfgt bennod) bie eble Stirn gang frei, nnb ben n)unberfd)önen
früftigen .^lalS . . . ^ie SnSfidft auf bie ferne Sanbfd)aft beruhigt bie
erf(hütterte Seele, mie ber ©Innbe an ein gufünftigeS ©lücf. Äeinc
©lorie, feine ©ngel fd)mebcn nieber, um ber Stortprin bie .'öimmeläpnlme
gu reichen, fonbern ihre ftanbl)afte Seele eilt mit 3itü£i^fid)t auf bie innere
Äraft, ber @ottl)eit gu nnb ber emigen fvreiheit. ©emifg ift baS Silb
in feiner 2lrt fromm nnb mit einer hol)*^'^ moralifchen 3tnbacht empfunben,
aber hoch mel)r im antifen Sinne, mel)r ftoifd) nnb romifd),
als eigentlid) d)riftlid)" *). 3^i ben lehten 35>orten füllt Sd)legel, feiner
S^arftellung freilid) oollfommen cntfpredienb , über baS 95>erf baS er fo
ü'. ®ct)tegct, ißb. 6. (2. 05—99. (6it. 397.)
650 9?atura0§mii§ in ber reügiöfen ißlaftit unb SKnterei,
fe^r ktmmbert, fetbft bag Urt^eU ba§ rotr Dor'^er au§fpra(^en. @in
raeltü^eg '^Kartprtum folc^ev 2Irt ptte au(^ ^arr§aftu§ gu malen ner^
ftanben, ober [ic^^er Stpelleg.
432. 2Bir fommen jet^t auf ben britten 33eroei§ für bie „2öeltliiä)feit"
be§ @eifte§ ber D^enatffance, ben n)tr a(§ jraetten J^eit biefeS ^aragraptjen
Dörfer angefünbigt !^aben.
@in d^aracteriftif(^eg Merfmal ber ©eftalten rote fie im ÜKittetaÜer
bie religiöfen Jtünfte fc^nfen, ift ein 2tu§bru(f berfetben, jener fd)lidjten
©infad)’^eit, jener Dtul^e unb füllen ©rö^e analog, in roeldier SffiinMmann,
roie früfier erroäl^nt rourbe, ba§ „norgüglic^fte Äennjeid)en" aud) ber alt:
griedbifdien iSteifterroerfe finbet. 2Ba§ bagegen, nidjt minber fd)arf unb
l^ernorftedienb, bie ifouifijen Seiftungen oorjugäroeife be§ 17. unb 18. ^^^r:
!^unbert§ diaracterifirt , ba§ ift bie entfdjiebenfte 33ertöugnung eben ber
Slnfd^auungen, au§ benen ba§ bejei(^nete 2?erfaliren ber jroei früheren
'^erioben ^eroorging.
3n 23ernini’§ (1598 — -1680) ©eftalten „ift etroag dtaufd)enbe§,
efftatif(^ ^eroegteä; aber bie Segeiftcrung ift bei i^m fein freier ©rgu^
beä erfcl)eint roefentlic^ nur alä eine ©r^il^ung be§ nüchternen
ißerftanbes, unb barum b^ben feine ©arftellungen burd}roeg ein mehr
ober roeniger affectirteg ©eprage" *). iOon ba an namentlich „brängt
3llle§ auf möglidtft energifthen Slusbrucf , auf glanjenbe ©ffecte hi«-
3ebe§ plaftifdhe 2Serf foUte unter allen llmftänben lebhaft, ja leibem
fd]aftlich beroegt fepn, foHte ben 3lu§briicf innerer ©rregung burdh ©eberbe,
.'öaltung unb ©teKiing jum geroaltfamen Slffecte fteigeru. 3^^ allerlei
effectooll erfonnenen iUtotroen, baufchig, flatternb nnb überlaben, mu^te
bie ©eroanbung biefem Stuäbrucfe ©efühl§, ben man um jeben
'Preis anftrebte, carifireub ju .i^ütfe fommen. ©o ging ade SBürbe,
©infnchbeit unb ji'larbeit ber ©culptur oerloren, um einem toden Som:
poniren auf ben nujjereu ©ffect, auf blope ©ecorationSroirfung, ipiat^ ju
madjetd'
©anj SlnalogeS tritt auf bem ©ebiete ber dJtalerei he^^oor; audi fie
roufite nur mehr auf ben h^fl^g erregten Slffect loSjuarbeiten. „®aS
bornengefrönte ©cce=.'öomo:.!paupt mit bem leibenfdmftlidi jum ipimmel
cmporflammenben Slicf, ober bie fchmerjenbleii^e iöfater bolorofa mit ben
rothgeroeinten 3tugen, gehörten ju ihren SieblingSbarftedungen; auf Silbern
ber Ä'reujigung ober ber Slbnahme oom .ttreuje mufde ddaria regelmäßig
obnmäi^tig roerben. ,®er ethifche 3nhfld‘, roie 3ficob Surfharbt fidh
ausbrücft, ,roich bem pathologifd)en.‘ 2ln bie ©tede ber fchönen, ftiden
.^eiligenbilber brängten fid) riefenhafte 3lltarbtätter ; blutige .v>nferfcenen.
‘0 Äugter, 33b. 2. 3. 529. (6it. 342.)
3tacl) Siibfe, ®b. 2. ©. 318 f. (6tt. 342.)
eine 5'O^S^ „SBiebergeburt".
651
bajrotfdjen fe'^nenbeS ©d)mac^ten ber .^auptfigur, unb barüber in
ben SBoIfen ein ©ngelordeftev, ba§ auä Seibegfröften geigt nnb
unb ftötet, unb ,311m iBiovbe ilRufif mac^t‘*). ($§ mar eben bie
roo ganj 9iom in £!^ränen jerftojj, roenn ber (Jaftrnt Soreto uom 6!^ore
ber ibirc^e l^erab bie ,bn§enbe ÜRagbateua‘ ®omenico iDcajjocd^i’g foto;
jammerte, bie idinjif i^ateftrina’g aber at§ ,di gran limga‘ übertroffen
galt, ober uietmefir unmogtid) geroorbeu fdjien" **).
^nfofern mir !^ier btofj bag retigiöfe @ebiet im 5luge l^aben , ift
biefe diiebtung bie regetredite @ntroidetung beg diaturatigmug , ber fct)on
feit bem 15. ^afirbnnbert augefangeu Ijatte bie retigiöfen jlünfte 311 be=
berrfdien. fyitr bag iliüefen über natürtidjer ©efüfjle, unb bamit and)
für beren Sfugbrnef , b^tte man bag SSerfteinbnife oertoren ; mag dj r i ft^
libbe 2:ugenb, mag Stnbacbt, ®emntb, ^mdgleit beg ©laubeng, i^ingebung
an @ott unb ’-’or ibm, mag übernatürUdje Siebe, mag diene fep,
bag mufften bie Zünftler nid)t meljr ; nur rein menfd)Ud}er ©ntbufingmug,
natürtidie Siebe, bod)mütt)igeg 'Selbftgefüt)!, (J'ifer im ©ienfte ber 2Be(t
unb Ülintb im j^ampfe um nergüngtidje @üter, nur irbifd)er ®d}mer3
unb irbifde 0eligfeit mürbe nodj begriffen. ©0 mar eg natürtid) , baf?
man au(^ bie ©efinnung ber grojfen ©eftatteu roetibe bie diormürfe ber
retigiöfen fünfte umfditieften , ben ö5errn felber unb feine gebeuebeite
dliutter nidjt anggenommen, nad) jenen ^Begriffen auffaffte bie man ntteiu
noeb fannte, unb mo man biefetbe in ben ©efidjtern, in ©eberben unb
.^altung 311m dtugbrud 31t bringen b^tte, jene 2trt ber Stenfternng mäbtte,
meldje rein menfd)lid)en unb metttid)en ©cfübten entfprid)t.
dinn bftben aber biefe Set3teren, oor dlttem bem ©eifte ©otteg nnb
beg (Jbviftentbumg gegenüber , ihrer diatur nadj immer etmag tpod)=
fabrenbeg, ©emattfnmeg, unb nicht fetten etmag dJiaafttofeg, ©türmifebeg,
Unbänbigeg, Sfititbeg; unb mag ingbefonbere bie ©rfdbeinungen betrifft in
benen fie nach aupen beroortreten , fo ift dJiand)eg baran nid)t 2Sirftid}=
feit fonbern Schein unb Äünftetei, nid)t iffiabrbeit fonbern bobte j^iction
unb Süge. ©ag ift erftärtid). 0)enn fie finb ja bie 33etbätignng beg
burd) bag ©ötttidje nicht beberrfebten d2ienfd)enber3eng , bie ©timme ber
unertöften in egoiftifeber ©igentiebe befangenen dcatnr gegenüber ben
diesen unb ben ©ebreefuiffen , ben ©ütern unb ben Uebetn, biefeg oer=
güngtid)en S^afepng; bie andere Ännbgebnng aber beffen mag fie empfinbet,
riöbtet eben biefe nnr fid) fetber fuebenbe diatur je nad) ben Umftnnben
ein, nnb erfünftett beffbatb febr böiifis eiligerer dfüdficbten megen
ben dlugbrnd einer dSobtrootteng , einer iBegeifterung,
*) 3lmbro§ oerroeift bi^r onf ba§ 2)tarttjvium ber bc'ügen ?tgne§ oou
meniebino.
**) gtacb 3lmbros, 58b. 4. ®. 50. ((5it. 387.)
652
®er 5Ratiirati§mu§ in ber retigiöfen unb SJialerei,
einer ©ntvüftiing ober J^ettim^nie , oon roetc^er ba§ §erj nichts loei^.
3nbem bie bUbenben fünfte au§ Greifen bieder 2Irt il^re [d^öpften,
unb für bie übernatürlichen (ärfct)2t*^ungen bie fie barjuftetten
nad) foId)en iliorbitbern fid) i^re (Jonceptionen entroarfen, mußten fie
mitljin notI)it)enbig eben in jene iRii^tung gerätsen, bie mir nach Rugier,
Sübfe unb Stmbrog diaracterifirt habe»-
433. ®iefe Stidh^iittg oerraeüticfite fie aber genau in bemfelben
i)Jdaa^e, als fie fie fenem ®eifte entfrembete , betn fie in ben 'Jagen be§
i)JiitteIalter§ gebient hatten. J)enn eben biefer @eift in roeli^em, raa§
ben '3tu§brud betrifft, bag ÜRittetalter feine retigiöfen ißilbroerfe entraarf,
nur biefer allein ift ber ©eift be§ ©hriftenthums unb ber Offenbarung.
„®a§ S^eidj ®otte§ ift", roie un§ ber 2tpoftel le^rt, nicht ©iuiutation
nnb leerer ®d)ein, nid)t nertoirrenbe ©rfcbütterung, nid^t i|5atho§
nnb manierirte Sebhaftigfeit unb teibenfi^aftUdt) unftüte SSeroegung, fonbern
„©erechtigfeit unb g-riebe unb fyreube im heittgeu ©eifte" (IRöm. 14, 17).
Oer heilige ©eift mürbe bet ber Jaufe be§ §errn fichtbar in ber ©eftatt
ber Jaube: roie bie 2trt ber Janbe ift, fo roirft er auch tu ber Seele
beö ÜJdenfdjen, ruhig, füll unb fanft, nid)t geraufdjooE, nii^t mit über=
ftürjenber ©eroaltfamfeit , nidht mit Sürm unb ©efchrei. Unb al§ am
i^oreb ber iflrophet ber ©rfdjeinnng ©otte§ geroürbigt roarb, ba ging
Sturmiüinb Ij^'^ i^or bem 3lngefid}te be§ ^errn, unb Sebeu ber ©rbe,
unb g^ener : aber nicht in bem Sturme roar ber .J^err, unb nid}t in bem
©rbbeben, unb nid)t in bem f^euer, fonbern in einem fünften Säufeln ber
iiuft (3. ö4ön. 19, 11 ff.). Oa§ ift ein ®ilb ber Oeconomie be§ über=
natürlidjen SebenS. iRicht, atä ob e§ ben ©efühlen bie ber heilige ©eift
in ber Seele roedt, au burdhgreifenber ölraft, an unb Jiefe
fehlte; nicht, atä ob fie mit geringerer ÜJiadit bie Seele beroegten, al§
bieä bie irbifdhuiatürtidhen ©efühle oermögen : aber „ber ©ott be§ f^riebenS" ’
roie ihn ber Slpoftel nennt, roohnt nid;t im fveuer unb nid)t im Sturme, |
fonbern roie „fanfteä Säufeln ber Suft" ift ber erregenbe ©influ^ auf i
ba§ iScenf^euherj , in roeld)em fich feine ertöfeube ©egenroart offenbart. '
®a§ 'ilRittetalter hutt£ biefe ©igenthümlid)feit ber ©nabe, unb ber i
©efühle loeldje fie erjeugt unb nährt, nidht überfehen, unb eä oerftanb «
audj, biefelbe in feinen ifonifc^en Schöpfungen hei^uoT^Uedn 8U laffen.
2Bo e§ bas 3leufiere unb ba§ innere feiner ©ottedhäufer mit @injet=
bilbern ober mit ©nippen oerflärter Oiener unb Oienerinnen ©otteä
belebte, ba oergaff e§ nid)t, bafe, roenn e§ überhaupt eine Sßeife gibt,
burdh roelche bie SBonne ber Seligteit, bie eroige „D^uhe" in ber ^eirnnt
ber ölinber ©otted, fich tu ber für unä fidhtbaren 'üD'denfdjengeftatt an=
beuten läfü, biefe Joeife unmöglid) ibentifch fepn fann mit jener SeroegU
heit ber Setjteren, in roelcber irbifche, rein menfdhlidhe 3lffecte fidh ju
offenbaren pflegen; barum goh e§ über bie 3^9^ foldher 33erllärten unb
eine golge t^rer „3Siebcvgcbiivt".
653
über ihre gau3e ben Shigbrucf tiefen griebeng, inniger 5(nbact)t,
überirbifdjev Söei^e, !^iminlifct)er f^renbe an§. 9tbcr ainib bn, ino ©eenen
nu§ bem ivbifd^en Seben be§ '®fnttev, ober ber groften
3:rager bev @efd)id)te be§ alten nnb neuen 33nnbe§ Tuieberjngeben waren,
and) ba ronrbe nieinnig bag ©öttUdie mit bem rein IlicnfdjUdten, bag
v'peilige mit bem SBeltlidjen , bag Uebernntnrlid)e mit bem ‘i'^atnrlidjen
nerroedtfelt: and) bn roaren bie ©eftalten in U)rer ruf)igen ©rofiljeit,
i^rer maaf^nollen ,'naltnng nnb i^rem einfad) I)oI)en ^(ugbrnef beg ©eifteg
©otteg nnirbig, ber einft in i^ren 33orbiIbern roirfte. „25>enn unfere
3eit", fi^reibt nnliif)lid) eineg gefdinif^ten mittelnlterlid)en 5IItarg ülbalbert
©tifter, „wenn nnfere 3^'! bnrd) ?Inmaf)ung, 33errenfung nnb Heber-
treibnng gleid)fam mit ben 'DJiittetn bie Sföirfung nberfcf)reit; wenn bag
üorige ©d)n5rfel , ®rel)nngen nnb 2Benbnngen uer=
geblid) feine Seere nnb .)^o^lI)eit jn beeten bemnl)t mnr: fo fet)en mir in
biefem i^nnftmerfe fd)ier feine 3?emnl)nngen; ber ilnnftler tritt nirgenbg
tiernor, ir)in fd)eint eg nirgenbg nm IK>irfnngen jn tl)iin jn fet)n, bie
©eftatten leben in ibm, fie finb Ieibl)aftig in feiner fyrömmigfeit nnb
Ülnbetung nort)anben nnb mad)fen ang il)in I)en)or. ©nrnm finb fie
auci^ fo felbftönbig, fo felbftgültig, oI)ne 2Inforbcrnng, nnb mad)cn, roeil
bie @röf)e in il)rer 9intur liegt, eben ben nnf)erorbentIid)ften ©inbrnef
ber ©iröfje. ®er Ä'opf beg -^eiligen ‘^^etrng ift non einer ©d)önf)eit,
Äraft nnb ÜBürbigteit, jngleid) aber and) oon einer ©infad)l)eit nnb
2Infprnd)Iofigfeit, baf) alte .©nnftler nnferer 3'-’'I gege» ‘©fc IBeIor)nnngen
ber 2?'elt biefen Ä'opf nid)t mad)en tonnten, ©ie mürben einen aiu
bereit, mobernen mad)en, ront)rfd)einlicb mit gefnf)lDoUercm 9lngbrnefe,
mit nnffälligeren ‘lOtitteln, inelleid)t fogar fd)einbar einen fd)önercn; aber
biefen .tbopf uolt Jbinblid)feit, Äraft nnb ©ottuertranen nid)t. ®ie mittel^
alterlid)e bentfd)e Ä'nnft bat bie ©d)lid)tt)eit nnb tRnI)c ihrer
mit ber attgried)ifd)en gemein , aber auch bag ©iet)eimnif) ber ©iröge in
biefer ©d)Iid)tf)eit nnb 9hit)e. 23eibe 93ölfcr roaren ingenbtid)e, in bereu
inarmer ©eele bie ©iebilbe blühten, nm oon ba loie mit Unbcionfjtheit
jur 3(nf)enroelt jn gelangen. 2,t^o bag ibeale ©iefüt)! nidft in bem .'©erjen
ift, unb fid) in berebtem ©tammeln oerftüiibtid) nnb 3Ünbenb Siift inad)t,
bort roirb bie prad)tD0lle titebefnnft unb bie itJtenge ber Sporte an-
geroenbet: aber fie ift .©alte, nnb erjengt .©alte"*), ^n
feiner 3^'^ ^®g .©eibenthnm gefühlt, baf) ber 3(bet ett)ifd)er (©röf)e,
nnb bie üOtajeftat oon SBefen in benen ber i)i)h)thug eg feine ©iötter aiu
beten lehrte, mit ber fleingeiftigen Seibenfd)aftlid)feit nnb ber ruf)ctofeii
5?eroegung irbifi^en 2Iffecteg nid)t oereinbar fei); baf) biefe ©rfenntnif).
*) 2Ib. Stifter, „lieber ben gcfcf)nibten .Hochaltar in ber jbirchc 311 tlcfcrmarft",
5?ermifcf)te Schriften tPb. 1. S. 243. (.§ift.=poI. 5)tiitter 33b. 68. S. 441 f.)
654
®ie cbile ©culptur.
gleich jo mancher atiberen SBa^rl^eit, einer Äunjt nerloren ge§en mu^te,
Toeidie jtolj barauf Toar, bie „25.Ueber gebürt" ber ^lunft be§ ^eibenttmmg
ju feigen, barin tonnen toir nur bie gere(^te Strafe feigen für Ü^re frei=
roiltige 3lbfel^r oon bem £ici)te, ba§ ben ijeiben niemals aufgegangen mar.
güuftcg ta))ttcL
Die Sculptur uuJ) Me Ülalerei als citjUe uiili als Ijclioiiifdie Süiiftc.
§. 1.
5>tc ciolfc ^fafiifi tinb iSttfcrci, «nb bie ^ebontfif;e
434. ^ie :§errfct)enbe ©erao^ntieit , „febem großen 3Jtanne eine
ptaftifctje ©injetfigur ju errid)ten," finbet ^ermann So^e menig jroecf=
müffig; auf biefem Sßege roerbe bie if^taftif niemalä raa!^r^aft ®ro^e§
leiften. Sßo e§ fi^ um bie 23er!^errlid)ung oon 'üRännern Raubte, bie
„in äitf^erUdjer roeltberoegenber itiütigfeit fid) geltenb gemad)t", ba U3erbe
„eine i^nen juget)örige Umgebung, bie fid) ptaftifd) geftatten taffe, nie=
malg festen" ; nid)t burc^ (Sinjetfiguren , fonbern burc^ umfangreiche
©ruppen möge man be^halb i^r Stnbenfen ehren. 3^ur burch fMche
©ruppenbarftellungen taffe fich „eine gröf3ere Sebenbigfeit ber §anbtung
motioiren, raetche theü§ bie f^ormen ber ©eftatten intereffanter ma^e,
theitg oon bem fünftterifch nicht befriebigenb gu geftattenben Dftefte ber=
fetben loenigftenä bie Stufmerffamfeit abtenfe", — nämtich oon ben oieten 1
teeren unb bebeutungtofen fyta^en einer Statue, „an benen ber 33tid 1
tauge umherirren muff, um fignificante ©injetheiten ju einem au§brud§=
ootten ©efammtbitbe oereinigen" *).
i)Jtit ben Stnf^auungen ber neueren beutfdjen Stefthetif bürften fi^
biefe ganj rii^tigen ©ebanfen itjreg ©efchidjtfchreiberä rooht taum in
©inftang bringen taffen**). SBir hcif>en biefetben oorjuggroeife barum
angeführt, loeit fie geeignet finb , bie im erften unb jroeiten ^apitet oon
un§ bereite gegebenen ^Begriffe ber cioiten Scutptur unb ^[ttnterei ju
ertäuteru ***).
3tt§ roeitere 33eifpiete für benfetben 3™^'^ tonnen jroei an einer
anberen Stette oon un§ fdjon ermähnte ©rjgruppen bienen, bie be§
').'hibia§ ju ©etphi unb jene ber Sdjute oon 2trgo§ unb Sicpon
(S. 615). fyür bie cioite 'üJtaterei gemährt un§ ben gteidjen ^or;
*) t'oöe, ®. 575 f. (6it. 18.)
**) Sgl. oben ‘il. 392. ©. 585.
***) Oben, 9t. 386. ©. 577, nnb 9t. 391. 0. 584.
Sie ciotle 5Jiaterei. Sie ^ebouifd^e ißlaftif unb SDiaterci.
655
tfjeil eine (Srinnerung an bte 33ilber, mit raelc^en ßiinon burctj feinen
.^angfreunb 'fJoh^gnot, bcn ätteften unter ben berüljmteven griec^ifcben
■^ütatern, ju Stttjen bie .'gatte „ißoifite“ "’O fctjimicfen liefs. maren
nantti($ auf biefen ©enuilben friegerifd)e ©rofettjaten ber ©riedjen, in§=
befonbeve ber 3ltt}ener, non ber ätteften bi§ auf bie bamatige bar=
geftettt; bie ©innntjine non 2;rofa, ber Äanipf ber 5ttt)ener mit ben
5(majonen, bie ®ct)tadd bei 'Jltarattjon, nnb nodj eine anbere ®d)tad)t
graifdten ben 2ttt)enern nnb ben ©p artan er n biefetbe Orbnung
get)ört ein SBerf eined fpäteren Äünftterd , ©uptjranor , roetdjer ba§
Dteitergefedjt ber 2ltt)ener bei ''Dtantinea gegen ©paminonbad matte
g-ür bie neuere nermeifen mir auf bie ©arftettungen and ber @e=
f(^id)te Snpernd, in ben Strfaben bed föniglidjen igofgartend ju 3)^ündjen;
biefetben mürben unter Snbmig I. biird; nerfdjiebene iDtater and ber
©d}ute non ©orneliud nndgefntjrt.
23eifpiete and bem ©ebiete ber Ijebonifclfen ifJtnftif finb bie früher
ermntjute ©tatne bed Slnacreon, jene ber i)Jiebea, „bie bed £p=
fippud, unb nerfd)iebene anbere bie mir genannt tjabenf); aus ber
c^riftticben getjoren bemfelben ©ebiete fomotjt mandje jenen anatoge
©arftettnngen an, atd indbefonbere alle biejenigen, bereu ißormürfe ber
atten ©öttertetjre enttetpit erfdjeinen.
§. 2.
pie f;cbonif(f;c ^^Tafcrci.
©ine irrige 2tnfid)t l'übfe’d über ein 2]crbienft be§ „mobcrnen proteftnntifd)en
©eifted". ©ie ygiftoricnmalerei , bnd ©eure, ba§ ©tittfcben, baö Sbier;
ftüd, bie l'anbfd)aft. ©ie uier Jcptcrcn fönnen nur ald niebere 2trten
ber SJtaterei gelten: unb fie fiitb ed nidjt, um bereu roilten biefe atd
„fdjöne Äuuft" ouerfonnt ju merbeit beredjtigt ift. l'ameunnid, ©utjer,
Veffing, fvriebrid) non ©djlegel.
'435. 3u ungleidf meiterem Umfange atd bie brei genannten 9Ucb=
tnngen, bat if)re fsit fiebenjetjuten ^atmbnnbert bie I)ebo=
nifd)e Malerei entmidett. „®ad Matten bed mobernen proteftantifdien
©eifted", erjäbtt Snbfe, bie Materei bed bejeidjneten ^atjidjunbertd cba=
racterifirenb, „t)at .ben atten 23ann ber Uebertiefernng gefprengt, unb
ben 93tid auf bie unermefdid)e Mannid)fattig!eit bed mirftidjen fiebend,
bid berab jn feinen nnfd)einbarftcn atttägtidjen ®orgängen, auf bie einige
*) IIof/.t>.T|, „bie bunte".
**) 2Sgl. 0dinaafe, 33b. 2. 0. 247. (6it. 18.)
***) Äugicr, 33b. 1. 0. 175. ((Sit. 342.)
t) 9t. 382. 0. 569 f. unb 9t. 387. ©. 577.
656 l^ebonifc^e SO^aleret; ein Sübfe’S.
Sd^ön^eit ber ianbfdjaftfti^en 9iatur, auf bie (^aracteriftifd^e 23ebeutimg
ber S^ierroelt , imb felbft jener tebtofen Singe ^ingetenft, bie nur bnrdi)
ben TOaltenbcn @eift be§ ilRenf^en eine befonbere auSbrudfSöoIIe i^’^pfio;
gnomie erhalten, ^n allen biefen ©ebieten raei^ bie ÜRalerei mit un=
nergleid)licf)er 95ieifeitigfeit fidf) gu beraegen, nnb barauS ilJfomente tünft=
Ierifd)er Sarftellnng ju fc^öpfen. iJhmme^r fonbert fidf) bie ^iftorien=
malerei ab, nnb neben i^r treten ba§ ©eure, bie Sanbf(^aft, ba§ Sf)ier=
ftüd, nnb ba§ ©tittleben in fefbftönbiger iBered^tignng auf" *).
^d) bann nid^t umf)in ju gefielen, bafj mir biefer SSeridjt ber
„^unftgefd}icf)te" etron§ nn^iftorifdp norfömmt. ÜReineä 2Biffen§ beburfte
e§ nid^t erft be§ ungtücflid^en ifSrincipg ber Verneinung, mit roe((^em
„ber moberne proteftantifdje ©eift" bie Vötfer jerfe^t ^at, bamit „ber
Vlicf auf bie unermejftidje ÜKannid^faltigfeit be§ Toirflie^en £eben§" ge=
tenft mürbe, „bi§ ^erab ju feinen nnfi^einbarften aCftägtid^en Vorgängen".
Sange beoor nod^ jene SBa^^rl^eit oom i^immef auf bie ©rbe !§erabftieg,
roiber bie fnnfje^n'^unbert fpäter fidf) „ber proteftantifdfje ©eift"
er^ob, ^atte ja isomer bnrd) bie unoergfeii^Iid^ realerer Setaid
jeid^nnngen nnb iKiniaturbitber in feinen ©efängen glänjenb beraiefen,
baf3 if)!!! ba§ Singe für ba§ „rairffid)e Seben" mit ber ganzen „unermep:
Ud)en iUtannidjfaltigfeit" großer nnb nnbebeutenber ©rfdf)einnngen nid^t§
roeniger a(§ oerfcf)Ioffen mar; ein l)albe§ 3®^)^'iaufenb früf)er f)atte üJdopfeä
in feinen fünf Vüc^ern gerabe in ber jlunft, baä Jb'leine, ba§ Unfdfjein;
bare mit eben fo oottenbeter Sdaturroabr^eit a(g „nnoergleid)Iic^er Vied
feitigteit" jn mafen, ben ©änger ber Obpffee nnb ber gerabe fo
meit übertroffen, mie biefer baä gefammte profane Stltert^um !^inter fid^
jiirficffä^t **) ; nnb t^eilg neben isomer, t^eil§ in ben folgenben
l)unberten förberte unter bem au§erroä!§tten Volte ©otte§ bie i]}oefie mit
ber Verebtf amfeit, in ben ifjfalmen nnb in ben ©djriften ber iprop'^eten,
©d]öpfnngen ju ©age, an bencn ein anberer ©efd)id^tfi^reiber ber bilbem
ben fünfte, auper anberen Vorzügen, eben roieber „bie Sebenbigfeit beä
©efüf)f§ für alle ©rfd^einnngen ber Statur, für ba§ SOeite nnb ©rojfe
nnb bann roieber für ba§ Ä'leine nnb i^arte, bn§ feine Verftänbni^ für
*) Sübfe, Sb. 2. S. 325. ((iit. 342.)
**) Voyez Virgile reprösentant les navires troyens qui quittent le rivage
d’Afrique, oii qui arrivent sur la cote d’Italie (Aen. 4, 397 sqq. 571 sqq.
ß. init.) ; tout le detail y est peint. Mais il faut avouer que les Grecs pous-
saient encore plus loin le detail , et suivaient plus sensiblement la nature.
A cause de ce grand dötail, bien des gens, s’ils l’osaient, trouveraient Homere
trop simple. Par cette simplicite si originale, et dont nous avons taut perdu
le goüt, ce poete a beaucoup de rapport avec l'Ecriture; mais l’ficriture le
surpasse autant qu’il a surpasse tout le reste de l’antiquite, pour peindre
naivement les choses. Föneion, Dial. 2. p. 86. (6it. 355.)
®te .^iftorienmaterei. ®a§ @enre.
657
2(üeg, für '4^f(anjen imb S^l^tere, ;3ungfrau itnb @rei§, bie «R'lar^eit beä
::J3ticfe§ bev in ben jarteften Sejiel^ungen immer bag 6^aracteriftiid)e onf=
finbet, iinb inbem er big in bag ^mnerfte ber 97atnr bringt, bag noüe
!6eben ber ®inge nnferer ©eele üorjujaubern nerfte^t", — nic^t ent!^n=
itaftifd) genug berounbern unb rübmen jn fönnen fc^eint*).
©ürfen mir ^iernad^ ber Slnfic^t fepn, baf? Sübfe „bag SBaiten beg
mobernen protejtantifdjcn ©eifteg" alg bie Urfad^e einer SSirfung bw=
fteüt, bie um minbefteng brei ^a'^rtaufenbe älter ift, atg biefer ®ei[t
felber, )o errreift er anberfeitg biefem Set^teren feinegroegg einen befon-
bereu ©ienft, inbem er bag fetbftänbige 5tnftreten ber nier befonberen
Wirten ber i)i)ialerei neben ber „i^iftorienmalerei", ifim auf bie Dietfjnnng
fefet. ®ie 2T'a^rt)eit biefeg jroeiten ©ebnnbeng mag fid^ ang bem ergeben,
mag rüir über jene Slrten t)ier ju bemerfen buben.
436. 3©o fie im S'ienfte ber Oteligion arbeitet, ober jnr ^-orberung
ieneg @ei|teg non roetdbem ber Seftanb nnb bag ©ebeifjen ber bnrger=
Heben ©efeltfcbait abbängt, ba fiebt fid) bie i07alerei, mie roir fd)on ner=
anta^t roaren jn jagen, bnrd) bie Üiatur ber ©acbe faft immer baranf
angemiejen, Ch'jcbcinnngen alg iBornntrj gu nebmen me(d)e ber ©ejdjidbte
angeboren: bie retigiöfe ü)7alerei joroobl nlg bie cioile ift barnm tbaH
fädilid) Don fetbft bM^orifd). befonberen Diameng ,,.fbiftorien=
materei" bebnrfte man erft, alg man onfing, @ofcbid)te
atg ©egenftanb blof5en ißergnngeng grapbifcb barjnfteUen, unb gngteid)
fid), mie mir fatjen, bie „©enrematerei", bag „©tiltteben", bag „3ibier=
ftüd", nnb bie „l'anbfdmftmaterei", neben jener atg eigene, fetbftänbige
iÄidbtiingen ber bebonifeben ?07aterei jn entroiefetn begannen. ®ng roid)=
tigfte ©efet^ ber 65iftoriemnnterei haben mir bereitg im fiebenten Stbfebnitt
entroid'ett **) ; eine anbere f^rage metdje fie betrifft, bebanbetn mir im
nädbften ißaragrapben ; barnm biet’ nur nod) bie 33emerfung, baf; biefefbe,
unter bem ©dbitbe ber „abfotuten Üietationgtofigfeit ber ^innft", nidjt
fetten im ®ienfte antiretigiöfer ober and) reootntionärer Jenbenjen mifi=
braucht mirb.
437. „©enrebitber" nennt man jene ©rjengniffe ber itttaterei,
metdbe ©eenen ang bem gemobnticben tägtidien ?eben, fo luie biefetben
in ber SBirftiebfeit fid) barjuftetten pftegen, treu nnb mabr miebergeben
fotten. ©in 93efnd), bag ©intreffen cineg 33riefeg, eine ©©ftngetoerfänferin
ober ©bftbänbterin, ein f^rauenjimmer bag fidt), nmrabmt uon 23tätter=
merf, am fyenfter ?eigt, eine .^odbjeit auf bem ßnnbe, eine Jlutfdje ober
ein ©dbtitten ber oor bem 2öirtt)gbnnfe tjätt, jmei mit ©ietb nnb einem
*) i)3tan lebe oben, ®. 356 f., bie Störte ©cbnnafe’ä über ben „;)teid)tbnm ber
bebräifeben ipoefie".
**) Tc. 312 f). ©. 450 ff.
3ungmonn, Steftfictif. 2. Sliifl-
42
658
®a§ @enrc. (Stillleben.
3te(i^nung§buc^e befi^äftigte ©ei^plfe, eine @(^enfe in roeld^er ^Bauern
trinfen unb fingen, ein 3:if(i^ an bem fd^öne bionbe ©amen in fammetnen
ifSeljjaifen i'^ve meinen ^änbe nac^ ^elc^giöfern notl goibenen 3i|ein=
roeineg unb nadb Sutterbrob unb ^onig au§[tre(f en ; bag finb , neben
unjä:^Ugen berfelben 2lrt, bie benfmürbigen ©rfc^einungen , roeic^e bie
©enremalerei ju neteroigen bemül^t ift. ©orjuggroeife bie l^oßänbifd^e
©c^ule, im 2tnf(^IuB an Otembranbt, ^at fid^ auf biefem ©ebiete ^ernor=
get^an *).
@inb auf bem 33ilbe feine ißerfonen fid^tbar, fonbern nur @eräf^=
f(^aften unb anbere ©inge raeld^e ben Sebürfniffen beg tägüd^en ßebeng
bienen, fo gebört baffeibe bem „0t i HI eben" an. Semdte ift ber 2tu:
fi(^t, eg finbe in biefer ©attung „eine eigentbümü(be i|5oefie ifiren 2fug=
bruct". ©a mir für biefe 2trt non „ifJoefie" ung nicbt redbt begeiftern
fönnen, fo mag ßemcfe biefetbe ^kv ain^ cbaracterifiren. ,,2öetdb’ eine
'^erfpectioe in bie menfdbüdt)e ©tettung, 33. roetdben ©inblicü in 33e=
bäbigfeit ober in prunfenben falten Ofeicbtbum, nermag ein gebecfter ©if(^
ju geben! ©in ©lag ©ocfbier mit einem D^iettig, unb ©rinnerungen
f(^roeben barum für ben iüfüncbener Äenner. ©ine ©cbüffel mit Sluftern,
.'^untmer, Ofb^^nraeingtag unb ©itrone — fi^t nicht, raer bie erblicft, in
©ebanfen in einem fühlen Äeüer einer ©eeftabt unb fühlt beitete ©rim
nerungen an bie f^reuben feineg leiblidhen ©heilet ^ ^erbrochener
Ärug unb eine i]3uppe fönnen genugfam reben. ©in angefangener ©tricf=
ftrumpf, eine 33rille barauf unb ein ßehnftuhl — ift nicht fo eben bie
©rojfmutter fortgegangen? ©in gefdhoffener §afe, eine f^*linte unb ein
^f3aar lange befchmu^te ©tiefel, erfühlen bie nicht genug jufammen, ober
eine jtüchenanfi(bt mit all ben ©eräthfdhaften für biefeg fo roichtige ©e=
partement ber innern 3lngelegenheiten?" **)
Ohne fönnen ©arfteHungen roie bie bejeichneten , aug bem
©enre foroohl roie aug bem ©tillleben, Unterhaltung geroähren, unb
äfthetifchen ©enu§. 3'^foT^tn fie SBerfe ber ÜDfalerei finb, gelten fie
*) 3™^' ©enrebUbcr au§ neueftev 3^it tmirben iüngft, in ben 93erid)tcn ber
2(age§btätter über bie internationaie Äun[tau§ftellung in 3Bien (1882), in fotgenber
'Seife c|aracterifirt. „3n einer iBrünfchente brängen fich grauen, Sienftmabdhen unb
Äinber mit leeren Ä'rügeln, bie fie motten füCten taffen; anbere haben bie§ fdhon
erreidht, unb entfernen fid) mit bem braunen ?tectar (Sin junger itJtann tehnt an
einer Karriere, unb fdhcrjt mit ben fdhmucten ®irnen." 2tt§ ber SRater roirb 2ttoi§
(Sabl genannt. ®a§ anbere ©itb, non ©efregger, „nergegenroärtigt bie ,2tnfunft
jnm ©anje'. tpaarroeife mit tadhenben @cfidf)tern nnb freubeftrahtenben Stugen be=
treten S3nrfchen unb ÜJtäbchen bie frifdhgefcheuerte ©anjftube, roo fchon SRufifanten
nnb grennbe ihrer harren, unb ein btonbföpfiger 33urfd)e fchnotjenb unb jauchjenb
ihnen cntgegentünjett. ©raijßen tiegt hcßer iSonnenfdfiein, ber bie tepten ijßaare in
ber ©hüre noch beteuchtet."
**) Pemife, ipoputnre 2tefthetif, S. 449.
®a§ ©eure imb ba§ ©titUebeu.
659
aud^ al§ 25>erfe einer „fd)önen £unft" : aber e§ ift ju beadjten , ba§ bte
'5)?aleret, tnenn fie niÄt§ 9Inbere§ ju (elften nermocbte alä roa^ „@enre"
nnb „©titHeben" I)et|3t, auf eine ©teile unter ben frönen fünften feine§=
rceg§ nte!^r 5Infprnd) jn inacf)en bered^tigt roäre. 2lIIerbing§ nuiff ber
©enremnier , infofern er feine ?Infgabe barin fielet , bem 33efdljaner feiner
33ilber nft^etifd)en ©ennfe jn bereiten, baranf bebad^t fepn, ben ^'e^teren
möglidbft bebeutenben nftf)etifdl)en iffierf^ jn geben; aber 25>erfe I)eroor;
jnbringen „non '^eroorragenber ©cl)önl)eit", ba§ ift ben beiben IRii^tnngen
non benen mir reben, nodi) niemalg gelungen, nnb ba§ ©ebiet roetdliem
fie il^re 5ßorn)nrfe entnel^inen, ift nberbieg non ber 3trt, bap e§ il)nen
umnöglid) jemnlg gelingen fann *). „9^idf)t ein einjiger grofier ©ebanfe
tritt nn§ entgegen in ifiren 23ilbern/' fdl)reibt ein tnd()tiger genfer, „nid^t
eine ©pur non ©ropartigleit ber Huffaffnng nnb tiefem ©efü!^I ber
SS^al^rl^eit, fonbern lebiglidb eine (Fonception ineld)e oller ifSoefie nnb
aller 33ebentnng baar ift. ®ie 23orjüge baran ineld^e Dlnerfennnng
nerbienen, finb, namentlidf) in ben Seiftnngen ber l)oHänbifd}en ©d^nle,
naine Ilnbefnngenl^eit nnb 9latürlid)feit ber ©arftelinng, l^armonifd^e
33erbinbnng non :Üid)t nnb .s^ellbnnfel, ©orgfalt nnb f^einljeit ber 3(n§:
fül^rnng mit 3(n§fd)(nfi aller 2(ffectation ; bajn noch eine an§gejeid)nete
iBeobadjtnngggabe in Dtndfidjt anf 3>oIBfitte in ©tobt nnb Snnb, fo roie
ein nnerfd^öpflic^eg SSermögen in immer neuer ®arftellnng ber nerfd^ie;
benen ©rfd)einnngen be§ pn§lid)en !['eben§. ©einip Ijaben alle biefe
SSorjüge i^ren Söert^; aber fie finb, roo e§ fidb nm bie fi^önen fünfte
lianbelt, non fo nntergeorbneter 33ebentnng, bafj fie bem gegenüber ina§
eigentlid) ben ©ieift ber SefUeren nugmadjt, nnb iljre ©tellnng in ber ©nt;
roidelnngSgefdjidite ber üdtenfdi^eit bebingt, nollftnnbig nerfd)ininben" **).
©ben fo menig nortljeilbaft , nm nidjt jn fagen nod) abfälliger,
!^aben audj ältere Jbritifer non gutem Ücamen über bn§ ©eure nnb ba§
©tiUleben genrtljeilt. ,,3d) erinnere micb/' erjäl}(t ©nljer, „irgenbmo
ein ©tüd gefeiten jn ()oben, barin nidjtg al§ ber gefd^nnbene nnb anf;
gefd^nittene IHumpf etneä gefd)lad)teten Od)fen bargeftellt rnar, aber mit
fo ronnberbarer Ännft, baf; man nicl)t oljne 2Ba^rfd)einüd^feit ben 9lit;
ben§ für ben Urheber beffelben Ijielte. 2i>arnm foU man bocb ein fold)e§
©tüd mit bem Ülamen eineS ©3emä(be§ beehren? üöenigftenä roirb bodh
niemanb fagen bürfen, baf3 e§ ein 2®erf beä ©efd)madeg fei/' ***)•
©ingeljenber nnb oUgemeiner fprid)t fid) £'cffing ans. „üöirb je/t
bie ?0?nlerei alS bie ^nnft, raeldje Ä'örper auf gdäd)en nad)nl)int, in
*) 33gl. oben 51. 239 p. ©• 333 p-
De Lamennais, Esqiiisse d’une philosophie, t. 3. c. 5. (Les lettres
chretiennes, p. 361 3. Git. 648.)
***) ©iiljer, 2Ulg. Sf)sone ber fd)önen fünfte, „5JtnIerei".
42
660
I;'a§ @enre unb ba§ ©tißkben.
i^retn ganzen Umfang betrieben, fo Ijatte ber raeife ©rieche i|r roeit
engere ©ranjen gefegt . . ©ein Zünftler fc^ilberte nid)t§ alg ba§ ©cböne;
felbft ba§ gemeine ©d^öne, ba§ ©cf)öne nieberer ©attung, mar nur fein
^fälliger SSorrourf, feine Hebung, feine ©r^otung. ®ie ißotlfommentieit
be§ ©egenftanbeä felbft mufete in feinem SBerfe entliefen; er mar ju
groB, non feinen 33etracf)tern ju nertangen, ba^ fie ficb mit bem btoffen
falten ißergnügen , raetc^e§ au§ ber getroffenen 2fef)nli^feit , au§ ber
©rroägung feiner ©ief4itflic^feit entfpringt, begnügen füllten; an feiner
Äunft mar i^m nict)t§ lieber, bünfte i^m nid^t§ ebler, al§ ber ©nbjroeif
ber ilunft. ,2Ber roirb bid) malen motten, ba bi^ niemanb felgen raitt‘,
fagt ein alter ©pigrammatift über einen fiöcbft ungeftatteten 'üJfenf^en.
i][Rancber neue Jlünftler mürbe fagen: ,©ep fo ungeftalten mie mögtic^;
id) mitt bidi bod) malen. iSfag bid) fc^on niemanb gern fe^^en: fo fotl
man bodj mein ©iemötbe gern felgen; nic^t infofern e§ bic^ oorftettt,
fonbern infofern e§ ein 23emei§ meiner Äunft ift, bie ein fotebeS ©dieufal
fo abntid) nacbjubitben meip‘. fyreiticb ift ber §ang ju biefer üppigen
if}rat)terei mit teibigen ©ef(^idtid)feiten, bie burd) ben S5>ertt) i^rer ©egem
ftnnbe nicf)t geabett merben, ju notürlicb, at§ bop nicht au($ bie ©riedien
ihren ißaufon, it)ren ifjpreicng foltten gehabt haben, ©ie hatten fie; aber
üe tiepen ihnen ftrenge ©ieredjtigfeit miberfahren. ifJaufon, ber fidh noch
unter bem ©d)önen ber gemeinen 'Jiatur hielt, beffen niebriger ©efehmaef
bas T^ehlerhafte nnb .^äfdidhe an ber mcnfd)lid)en 3?itbung am liebften
ansbrüefte , lebte in ber üero(httichften 5lrmuth- Unb i]3preicu§ , ber
33arbierftuben, fchmntjige 3Berfftätten, ©fei unb Jifüchenfränter mit allem
f^leipe eineg niebertanbifchen ÄünftterS malte, at§ ob bergleidhen ®inge
in ber D^atur fo uiel IRei; hätten, unb fo fetten ju erbliden mären,
befam ben 9famen be§ IRhbpai^og^'fiphen , be§ Äothmaterä; obgleich ber
motlüftige tÄeicbe feine SBerfe mit ©iolb aufmog, um ihrer S^ii^tigfeit
ond) burd) biefen eingebitbeten SSerth ju .fpülfe ju fommen" *).
i'effing mill au§ ben hier oon it)m betonten Jhatfadjen freilich bie
fyotgerung Riehen, bap bei ben ©riedhen bie „törperlidhe ©dfönheit'' ba§
hodifte ©efetj ber bilbenben fünfte gemefen fep; mir haben biefe feine
Jehre im britten Äapitel (©. 600 ff.) eingehenb miberlegt. §ieroon
abgefehen, unb bie 5tufgabe ber bilbenben fünfte in bem ©inne ge=
nommen mie mir fie feftgeftetlt haben, ftimmen mir ben 3Infdhauungen
bie er t)ler auSfprid)t, eben fo entfdhieben bei, als mir jene anbere
3^octrin früher befämpft haben. 3tbam Oehlenfd)läger§ 2:rauerfpiel
„©oreggio" erblidt ber iSfeifter biefes 9famenS in einem ©emälbefaal
ju ifiarma ein iBilb, auf meldhem ein alteS 2Beib in ber Milche einen
Äeffet fdienert; neben ihr blnft ein blonber Änabe ©eifenbtafen in bie
*) Seffing, „Üaoeoon" II. o. 8 ff.
®ie 2anbf(^aftmaleret.
661
Suft, unb in ber (^'cfe liegt eine fcbiafenbe ilnl^e. Semumbert ruft
(Soreggio an§:
3i[t e§ boct) nimmer mir nod) eingefallen,
ÜTafi foldie Soeben and) man malen fönnte!
i^on ber ermalerei" gilt ganj bas Dtnmlidje; SSeitereS über
fie jn fagen, bnrfte überflnffig fet)n.
^38. 33on ben fünf 3lrten ber bebonifdjen fUialerei bie mir genannt
haben, ift nodj bie „iinnbfdfaft" übrig. 5i)ie fid)tbare 3tatur, gelb
nnb SBalb, 23erg nnb Sljal, Strom nnb ^''flibe, mit bem heiteren ober
bemölften b^immel barüber, burd) bie Sonne belendjtet ober in tDionb^
nnb Sternenfdfein , loivft in oerfdiiebenartiger SiJeife, bie fidf namentlid)
andj bnrd) bie ^a^^'^^seiten mobificirt, auf bnS menfd)Uche ©emütl), @e=
fühle nnb Stimmungen hevoorrufenb ober oerftürfenb. 'ilDiandtem bürften
baS fchon bie folgenben uier Strophen fühlbar mad)en ;
iüilber SBnlb ! Sie mübe Sonne
IHuht an nnd'ten gelfenraanben,
Um ben lepten blauen ©loden
3hee fehle @unft 51t fpenben.
Sd)arfeS Sd)roirren burd) bie iüipfel
3in bem herbftlid) hmlen Vnube,
Unb uom 23ud)enhoag ber fnrje
glügelfdilng ber iRingcltaube.
Sann am 3lft bes Sped)teö i^aden,
gern ber fd)rille Sdjrei ber Sohlen,
Sann ein langes fd)roeres Seufzen,
ilne beS SergeS 3lthemholen;
Sann um (fm^ian unb Catenbel
23?ilber 33ienen Icifes Snmtnen;
Sann ein igabid)tSfrcifd), unb mieber
iiefes Sd))üeigen nnb 3,'erftummen *).
Sie ermähnte Shatfndje hübet ben ©runb, nnf meldjen bie l'anbfdfnft:
malerei geftütrt erfdjeint: fie loill, sngleich mit ^Sbülfe ber natüvlidjen
.gbeenaffociation in bem ix'fdfaner, angenehme ©efüble oeranlnffen , nnb
fo ©enuff gemähren.
Ohne 311^^6*^^ ’i'ü ober meniger ©rfolg, je nadj
ber oerfdjiebenen Seranlagnng nnb ©mpfnnglid)feit beS ©itijelnen.
gilt bod) andj oon biefer fünften ÜHd)tnng, raaS mir in üiüdfidft auf
*) ®eber, „Sreijehnlinben" IX. (©. 112 f.)
662
®ie Sanbfd^aflmalerei.
ba§ @enre, ba§ Stillleben unb ba§ 2!^ierftü(f jagten: SBerfe non ^er=
norragenber @(i^önf)eit fiernorjubringen , bagu felgten bie ‘üKittel.
3n ber iRatur jetbft nnb nieten i§rer ©rjc^einungen tritt un§ freitic^ eine
bebentenbe jaulte non Sctiönl^eit, ©r^abenl^eit unb @rö^e entgegen. Stber
ein ÜJtoment non roel(^ent biefe 33orjüge unb itire SBirfung auf unfer
©einüt^ roefenttid^ abl^angen, liegt in bev itRaffentiaftigfeit unb 2Iu§bel^=
nnng, in ber Sßeite nnb .^ö^e unb 2:iefe, mit roetd)er m bie einjetnen
Stnficbten nuferem 3Iuge barftetlen: unb gerabe biefe§ roefentti(^e itRoment
ift bie iJRaterei roieberjugeben nic^t im Staube. Sie bietet un§ jmar
©eftaltbilber ber ©egenftänbe au§ benen fic^ bie Sanbfcfiaft jufammenfe^t,
aber fie bietet un§ biefetben in nnenbtic^ nerjüngtem iJRaa^ftabe. „@§
ift befannt," fctireibt Seffing ganj in biefem Sinne, „roie nie! bie ©röfee
ber ©imenfionen ju bem ©rl^abenen beiträgt, unb biefe§ ©rl^abene ner=
liert fic^ bur^ bie ißerjüngung in ber iXRaterei gän^ticf) *). ^^re größten
5:^ürme, ihre fdfiärfften rau^eften ^Ibfiiirje, if)re noc^ fo überl^angenben
f^etfen, roerben auc^ nidjt einen Scfiatten non bem Sdöreden unb bem
Sc^roinbet erregen, ben fie in ber iRatnr erregen, unb ben fie and) in
ber ifJoefie in einem jiemtic^en ©rabe erregen fönnen" ** ***)). 3^r 3Ser:
anfd)auticbung be§ letzten ©ebanfeng läfft Seffing in ber Sprad}e be§
Originatg ba§ ©emätbe au§ S^ofefpeare folgen, in n)eld^em ©bgar bem
btinben ©lofter bie fdjroinbetnbe §ö!^e fc^ilbert, auf bie er i^n feinem
35orgeben na(b geführt ^at:
Äommt, .^err: hier ift ber Ort; — [tebt ftid; — roie graueiroolt
Unb f^roinbelnb ’§ ift, ben Stiel fo tief gu roerfen!
Oie Äräb’n unb Oobten, bie bie 9Ritt’ umftattern,
Sebn faum fo grofe alö Äöfer; balb
.^ängt ©iner, gem^el tefenb; — fcbredlid) §anbroert! —
9Rir bünft, er fd}eint nicht größer at§ fein £opf.
Oie j^ifeber, bie nm Seegeftabe roanbetn,
Sinb aRäufen gleich; unb jenes Sd)iff am 2lnfer
Serjüngt gu feinem Soot, ba§ Soot gum lönn^en,
Seinab gu ftein bem Stief. Oie murmelnbe 3Boge
Oie über gablto§ tteine Äiefel toft,
Si^adt nid)t fo boä)- — 3cb roitt nicht mehr binabfebn,
Oamit ni^t Sebroinbet unb nerbunfelter Slid
Äopfüber hinab mid) rei§e'^’'*).
*) Seffing gebraudbt bi« ben 3tu§bruct für ben att gemeinen begriff („baS
erhabene") ftatt jene§ 3Borte§, roeld;e§ ben oon ihm gemeinten ab ftracten Segriff
begeidbnet; ber ©ap roirb ttarer, roenn man ba§ Septere fub]tituirt, „bie Srbaben;
beit". 3?g(. oben R. 4. ©. 7 ff.
**) Seffing, „Saoeoon", Slnbang, 2. ©. 290. (Sit. 587.)
***) ©bafefpeare, „Äönig Sear" 4, 6.
%. non ©erleget über bie nieberen älrten bev ^cbonijcf)cn ®ialerei. 663
fann bie ''DJalerei t^un, um aud} nur entfernt eine ä^nlid)e 2®irfung
^ernorjubringen, roie biefe ©i^ilberung ?
3©er bie nortjer angeführten Strophen auä „©reijehntinben" anfietit,
ber roirb überbieä fofort erfennen, bap nod) manche anbere (Sdemente, bie
jnr ißoltftänbigfeit einer i)taturfcene gehören, nnb für ben (Sinbruef ben
fie auf lind mai^t, non nicht geringer 3?ebentnng finb, fid) ber Sü'iebers
gäbe buri^ bie ÜJ^alerei ganj entziehen. 2tnd biefen ülücffichten erf'türt
es fich uoltfommen , roarnm bie ßanbfchaft, nnb überhaupt bie Statur,
üon roahrhaft großen i)Jtatern nie um ihrer felbft raillen nnb für fid)
bargefteltt, fonbern tebiglid) atS .^intergrnnb hif^orifdjer ©eenen be=
nuht mürbe.
439. ©chlegetS ©dfriften merben rooht fanm fo ftarf getefen, baß
mir beforgen müßten, oieleit Sefern fd)on SefannteS jn mieberholen, roenn
mir hiev eine etmaS längere ©teile folgen laffen ^u meiterer ®eftätigung,
nnb gngleich jur (Srgnnjnng beffen, maS mir in biefem ifßaragraphen
feftjuftellen gefudjt hoben. ©S gibt, fd)reibt ©chlegel im Slufange beS
3al)reS 1803, „feine ©attnngen ber 2)iaterei, atS bie C?ine ber ganj
üoLlftänbigen ©emälbe, metdje man ßiftovifdje jn nennen pflegt, fi^idticher
aber gar nid)t mit einem befonberen ©attnngSnamen belegen mürbe, ober
lieber fpmbolifche ©emülbe nennen foUte*). SKaS mau fonft non anberen,
als mirflid) nerfchiebenen nnb abgefonberten (Gattungen 511 fagen pflegt,
ift nur eitler Söahn nnb leere C^^inbilbnng. ®ie Sanbfdjaft ift
ber .ü)intergrnnb beS oollftänbigen ©emälbeS, nnb mir als foldjer l)ot fie
ihre nolle SSebeutung. ©)er ilorgrnnb aber müßte fehr fd)led)t nnb trioial
behanbelt fepn, falls er auSführtiih ift, menn man ihn nid)t ein ©titl=
leben nennen fonnte. ©0 ift bie fdföne p!anbfd)aft ber bebentenbe i^Mnter^
grnnb bei Sitian, ßeonarbo, Ütaffaet nnb 23etlini; baS ©tillleben abge^
fonbert nnb an fid) genommen, ift etmaS ©eringfügigeS , aber biird) ben
©ebranch nnb bie ©telhing erfd)eint eS alS ein 23ebentenb=gemorbeneS,
*) 9tiicb ber lepte (55cbaufe fcheint mir ganj gegrünbet. „@iue menfchlid[)e
gigur Don einer ©panne, non einem 3oUc. 'Ü Srom baä 93ilb eineb 9Jten(c^en ; aber
e§ i)'t bod^ fd)on gcroificrmnjien ein f p m b 0 ( i f d) e § 93ilb; id) bin mir ber 3fiO)en
babei beronbter, al§ ber bejeidjiieten ©oche; id; muß bie nerjüngte ivignr in meiner
(Sinbilbungbfraft erft roieber jn ißrer roaf)ren ©röfje erheben, nnb biefe 23errid;tnng
meiner ©eele, fie mag nod; fo gefd;roinb, nod; fo leid;t fepn, uerl;inbcrt bod; immer,
baß bie ^ntnition be§ 23ejeid;neten nicht jngteid; mit ber Intuition be§ 3cid;en§
erfolgen fann." (Seffing, „Saoeoon", 9tnhang, ©. 289.) 2lber and; bei ©arftellnngen,
nidit in oerjüngtem iDtaaßftabe fonbern in SebenSgröße, ift in fofern immer eine
ähnlidje „ißerrid;tnng ber ©eete" nöthig, ai§ bie (fteftaltbilber ber tOtalerei nur 3roei
Simenfionen hfiben; mithin mürbe für atte 3,'ßerte biefer Jtunft ber oon ©d;tegel
Dorgefchtagene Itame, „fpmbotifd;e ©emälbc", ooüfommen gered;tfertigt fepn. 9tod;
eine anbere fftüdficht ließe fidh h’ci'für g(eid;falls geltenb mad;en.
664 5- Don ®d§(eget über bie nteberen ilrten ber ^ebonifd^eu SRaterei.
roie e§ auf ben SSorgrünben dou ®ürer jerftreut liegt, ober bei 2Ran=
tegna, in ber größten 33ollfominen^eit ber 2lu§füfirung aber bei Seonarbo,
unb roeniger ober tnebr bei allen grof^en ?[Ratern beä 2llter=
t§umg; in folcfien IJlebenraerfen , roelc^e erft burd) i^re 23ejie^ung auf
ba§ ®anje il)re ißebeutung erfialten, foraie l^inraieber i^re 33ebeutfamfeit
burd) bie rounberbar oodeubete nialerifd)e 2lu§fül^rung l)erüorgel)obeu ift.
2Bie baäjenige u)a§ mau Slumenftüde nennt, jur Serjierung unb Um=
fränjung bc§ @anjen gebraud)t roerben fönne, unb erft ba rec^t flar
roirb roa§ e§ foCf, jeigt (Joreggio, Dfiaffael, ja fd)Ou iDiantegna aufg
Ijerrlidjfte. 35erbinbung mit bem ganzen oollftänbigen ©emälbe
roerben alte biefe ®inge bebeutenb fe^u; baä ißebeutenbe aber ift über=
l^aupt ber f^roect aller ^ö^eren Walerei, unb ol^ne baffelbe roürbe ficb
bie i'anbfi^aft unb ba§ 'Stillleben in eine bloß medianifdie jlunftgefc^id=
lic^feit unb Ueberroinbung be§ Sdiroierigen aud) an einem roiberftreben=
ben nnb f(^led)ten Stoff, ober aber ootlenbä in täufd)enbe iJiadbalimung
bes blof3 finnlic^ ©efäUigen, unb in eine ganj unfünftlerifdje ®emeinl)eit
nerirren'' *).
Wit bem Sinfen be§ retigiöfen £eben§ roät^renb beö fünfzehnten
3ah^’f)i'nbert§ fanfen mit natürlid)er d^othroenbigteit aud) bie retigiöfen
Ä'ünfte: unb als bann nid)t oiet fpäter baS Sßehen beS „mobernen pro=
teftantifd)en ©eifteS" in manchen l'änbern alte 23egeifterung für bas
Uebernatürtiche erftarrt, ade ©nergie beS retigiöfen SinneS gebrochen
hatte, ba oerloren fie gerabeju ihren SBerth, roeil nicht nur ben ißölfern
bas ^^erftänbnip ihrer Sdjöpfungen unb baS für biefelben ent=
fchrounben roar, fonbern auch Jlünfttern ber ©eift unb bie ^ühigfeit
beS red)ten retigiöfen S^affenS abging. ©S roar abermals natürlich, baß
bie Vetteren fid) nad) einem ©rfa^ umfahen für baS reidje, ihrer Äunft
oerloren gegangene Waterial ber heiligen ©efchid)te: baff fie burch 2luS=
bilbung ber ßanbfchaft roenigftenS ben dtahmen ju oerfdjönern fuchten,
bem fein befonberen Söertt) oerlieh, ober im Stillleben, im
©lenre, im 2:hierftüd, „baS gemeine Sd)öne, baS Schöne nieberer ©at=
tuug" fid) als l'orrourf mahlten, baS in befferen 3eiten einft il)ren 33or=
gcingern tl)eitS als 3?eiroerf gebient, theilS nur „ihre Hebung unb il)re
©•rholung" geroefeu roar. 3’^ biefem Sinne hol foroit £übfe immerhin
9ied)t, roenn er baS jrocifelhafte ^ßerbienft, bie fetbftänbige ©ntroidelung
ber genannten nieberen 3trten ber Waterei, roie überhaupt ben D?ealiS=
muS, geförbert ju haben, für ben „mobernen proteftantif<hen ©eift" in
9tn)prud) nimmt.
*) g. ©chtegel, 33b. 6. S. 78 f. (Oit. 397.)
665
§. 3.
06 05 äftüdtfd) 5urä^t(j fep, baß btc Bifbnibcn «Äünftc, mo (te afs ctwife ober
afs ßebontfdjc auftretcn, ißre 0e(iaftcn nodtt erffßcinen foffen.
S)ie bejügltd) bicjeö '^unfteo I)enjd)ettbe Veßre; ein 3Q?obe6 (SanoDa’ö mit 6'om;
mentar. ©ine entgegengciefetc Uebcrjeiigung : SaDonavoIa, (51. Sreutano,
5(riftotete§. Tie 9cndtl)cit ber ©cftaltcn l)ebt ben ä[t()etiid)en ©enuft bei
ben 99iei[ten DoUftmibig auf, uub ben llebrigen mirb er burd) biefelbc
[tnrf beeintvnd)tigt; 9beid)endpergcr?i unb Tpbel'S preufdfdteu
Vnnblnge. Tie 9Radtf)eir ber ©cftalten ift in nieten fybüen ein Terftoff
gegen bie pbitofopI)ifd)e 3r'n()rl)eit. Ter menfd)lid}e Seib get)ört inefentlid)
nid)t nltein ber pl)pfi)d)en Crbnung nn, fonbern nud) ber etf}ifd)en:
in biefer ift er aber tjäglid); initbin mirb burd] bie 9iadtl)cit nou @e;
ftalteu bie Tdiöubeit beä Äiiuftmerfed bebeuteub nernünbert, ober audi
nufgebobeu. 9Seld)eö ber „rein nftlfetildje Ttanbpunft" fep; ber jule^t
gegebene ©h'uiib ift übrigenö rein pt)itofopt]ifd). ©ine unriditige 9tnfid)t
Votje’e; ein vneitcr, guter ©©baute nou bemfelbeu, uub ein gteidjfattö
guter nou 9lb. leidjlciu.
4-iO. i3er ©emnlbegaUerien , JUinftausfteUiingen , ©(pptot^eten be=
fudjt ^at, ber roeif^, in meldiein ©iiine bie in bev Ueberfdjrift nnsgebrüctte
grage in ber ©iegenmnrt ttiatfäd)tid) gelöft mirb; ina§ für ©irunbfdtje
anberfeitä bie Theorie nertritt, bnS ergibt fid} fd)on nn§ ben im britten
Äapitet ( @. 595 ff. ) non uns angeführten fflenfeernngen uerfdjiebener mo=
berner 5tefthetifer. ©inige Tnhe nn§ einem itatienifchen iSferfe, „©rin=
nernngen ans bein f!ehen ©anona’s", bas uor nid]t nieten w
f^-torenj erfchien, nnb inandje gute ©igenfdjaften haben mag, fönnen barn
bienen, uns biefe ©irnnbfnPe fnrj-jn nergegemnärtigen.
9tntäf3lich eined TX'obetls bas ©anona ansjnführen nnterlieft, fd}reibt
ber iBerfaffer ber „©rinnernngen" inie folgt, „©s ift eine ©nnippe in
ßehendgröfie : 9(boni§, fit^enb, mirb non ber Tennd mit dfofen hefrünjt;
feitronrts fieht man einen Keinen 5tmor . . Tiefes T\'obelt innrbe in
fOfarmor nidit ansgeführt, bn ber 99feifter mit ber ©ompofition nid)t
jufrieben mar; aber nidit etma barnm, meil bie ©ieftntten nneft mnren.
Tenn bie eigentlidie ©pradie ber ©cnlptnr ift bie 9facftheit; burd) fie
leiftet biefe .©unft ihr .f>öd)ftes; nnb menn bas diadte jnr ibealen fvoftn
erhoben mirb , nnb i8efd)eibenheit nnb ©d)amhaftigfeit fidi bamit ner=
hinben, bann ift eS in feiner JBeife nnonftnnbig. 95>aS bie ©hrharfeit
ber flunft ausmadit, bas ift biefeS; ber .Hünftter barf in feinen ffi>erfen
niematS eine minber reine 9thfid)t biirchfdjeinen taffen, bie ihn bahei
geleitet tjütte. SBenn mau fieht, mie berfelbe einjig baranf hebacht mar,
bie ©dhmierigfeiten feiner .©nnft 311 hemnltigen, unb bie ©ieftatten in ihrer
jungfräulichen fReinheit (sic) bnrjnftellen , als eines ber hemnnbernngs:
666
®k Diad't^eit ber ©eftalten ciniter ober t)ebonif(^er 93ilbroerfe
roürbigfren SSerfe b*er Stömac^t @otte§, bann barf er rul^ig fepn, unb
barauf red^nen, ba^ er in feiner ©eele ungeorbnete ^Regungen road^^
ruft, S)ie raa^rl^aft l^o^e ©^öntjeit nerfü^rt nid^t bie ©inne, fonbern
fie täutert biefelben; fie nerunreinigt ba§ ©emütf) nid^t, fonbern fie i
ergebt e§" *). ;
Sa§ toirb roo^f fein efirii^er ilRann in Stbrebe ftellen: ber 35er= I
faffer ber „(Erinnerungen" fe^t bei feinen liefern ein ungeroö^nfidEieg ^
'IRaafe non ©efcf)eiben^eit unb finbfid^em ©inn noraus, roenn er ifinen |
inirflicf) äuinutfiet, ba§ tna§ er i^nen in biefen ©ä^en „nortnad)t", ju |
gfanben. ^^benfaflä e§ ^ernorragenbe ©eifter gegeben, — unb nid^t j
menige, — bie ganj anber§ urtfieilten. ®en „ibeafen f^ormen" gegen=
über roeldfe in ber jroeiten ^ütfte be§ fünfzehnten ^o^i^lunbertä bie j
,ffunft" in f^torenj ju 5:age geförbert hatte r gab ©aoo= |
norota — ber „moberne proteftantifdhe ©eift" hat ja bem geroaltigen i
Dominicaner einen '^fa^ an bem Sutherbenfmat ju 2öorm§ juerfannt — i
©anonarola fagen mir, gab öffentlich bie 3Serfi^erung, bah ^ie ,^ünftler |
uor ihren eigenen ©dhöpfungen f^aubern mürben, raenn fie ba§ Sfergernih '
unb ben ©(haben ben fie burch biefelben ben Seuten au§ bem 3Soffe für j
ihre ©eeie nerurfa(ht hatten, fo nottftünbig fännten roie er**), „^dh I
fann bie eraigen nacfigen ißuben unb ?IRäb(hen nicht leiben," fchrieb am I
29. iBfärz 1828 ©temend Brentano, bie 3et^nungen eineg iüRalerg be=
rührenb, an einen jüngeren fyreunb. „2lUe höheve Ännftunf(hulb roirb i
ber Deufet hatea, roenn fich auch aur bag ürmfte Samm je baran |
ärgert" ***). 3friftoteieg lehrt, bie ©efehgebung müffe bahia roirfen, bafj
bie 3agenb „nichtg Unanftonbigeg höi^e ot)er fehe". Denn unanftänbige i
Sieben führen teidht za gleidhartigem ©haa; roer barum in ©egenroart
junger Seute Unerlaubteg rebe ober thue, ber müffe energifch beftraft
roerben. „Da mir aber barauf bringen, bah feiae Dieben biefer 2frt I
geführt roerben fotlen, fo ift offenbor, bah jange Seute audh nidht uro
anftänbige Difber ober ©dhaufpiete fehen bürfen. Die 33ehörben
haben mithin barüber zu machen, bah nnanftönbige ©emäfbe ober
DUb f auf en nirgenbg gebutbet roer ben" f).
3tber, mag fich ^ta Sefer benfen, mir fdhtenen, unferer Ueberfdhrift
Znfoige, ben itfadhroeig liefern z» rootlen, bafz bag SSerfahren ber bitbenben
fünfte um bag eg fich haabelt, „äfthetifch unzulohig" fep, unb je^t ,
madhen mir Dfücffichten geltenb, aug benen bie ethifche Unerlaubtheit
*) Memorie di Antonio Canova (Firenze 1864) pag. 305. (La Civiltä
catt. Ser. 5. vol. 11. pag. 725.)
**) Rio, 2. p. 423 s. (6it. 383.)
***) 6t. Srentano’S „©efammelte ©df)riften" (1855) ©b. 9. ©. 215.
■f) Arist. Polit. 1. 7. cap. 15. n. 7 — 9.
ift ä)'tl;etifd; unjitlä^ig.
667
beffelben gefotgert luerbeii muß. — ■ SBenn jemnnb au§ ben angebcuteteu
i^atfac^en btefe Folgerung fo ift ba§ feine Sad^e. 2öiv tiaben
feinen @rnnb, jn n)iberfprcct)en: beim mir §egen fo gut roie feber nnbeve
6'f)rift bie Uebevgengung , baff nad) ben jetjn ©eboten ©otteg nitd) bie
'Dealer unb bie 33i(bbnner gerichtet jn inerben d^er bei alte betn
haben mir bie ermähnte f^otgernng nicht gezogen, unb beabfid)tigen auch
nicht eg ju thim. Unfere 5trginnentation ift biefe;
3t(g „äfthetifd) unsuläßig" an einem jtnnftmerfe muff Sttleg bagjenige
getten, mag bie ÜlMrfung bie feinen eigenttii^en bitbet, entmeber
nnmöglid) mndit, ober biefelbe mefentlid) beeinträd)tigt ;
t'iun mirb aber ber äftbetifdje ©eiutft, ber eigenttiche 3’^'^*^ ‘^Üer
hebonifdjen Äunftmerfe, burd) bie f)tacftheit ber ©eftalten theilg mefentlid)
beeinträchtigt, theilg einfad) unmöglii^ geinad)t:
f^otgtich ift bie Stacttheit ber ©eftalten in ben äSerfen ber l)ei^o>iif(^en
vSculptur unb fötaler ei äftl)etifd) nnjnläfpg.
ä6er fich bie f)!)tühe geben mill , ein menig ju beiden , ber mirb bie
gleiche fyotgernng fel)r teid)t and) in Dtücffidht auf bie cinile fötaterei
unb ©cutptur jiehen. 2Sir betrad)ten eg snnäd)ft atg unfere 5lufgabe,
ben Unterfal^ fit bemeifen.
3-riebrid) mad)t einmal bie gelegentli^e ißemerfung: „i^on
einem unfd)ntbigen unb ernften ©emüthe mirb bie fräftige fRatnr
in ber Dtacftheit eineg )^ercnleg, bie jccrte '3tüte ber ^dgc'iib eineg fBacchng,
ber füße t!iebreij einer 9lpl)robite, ot)ne Öüfternheit nnb atfo and) ohne
3lergerniß angefdfant" *). ©el)r mol)l- 3lber mieoiel fold)e „unfd)iilbige
unb ernfte ©emüther" gibt eg beim auf ©otteg ©rbe? unb beabfid)tigen
etma bie bilbenben ilnnfte, baf) il)re nacften ©eftalten mir oon biefen
angefd)aut merben , unb nidft and) non ber unoerhättniffmäßig uiel
gröfferen fÖtenge berer meld)e, mie eg ihnen einft ein großer Kirchenlehrer
an bng ,v>erj legte, „nidjt oon ©ifen ober non ©tein finb, fonbern non
j^leifd) nnb 93lnt, bag oon ber \!nfternl)eit leichter ergriffen mirb alg bag
©troh oon ber fvlamme" ? **) finb bie ÖJiufeen, bie ©allerien, bie Knnft=
augfteltungen, bie öffentlid)en ifilähe nid)t and) für biefe beftimmt? ©ben
fo gemiff, mie baß „nnfchntbige nnb ernfte ©emüther“ bie bejeid)neten
Dinge „ohne l'üi'ternheit anfd)auen", mo nidjt meit mehr gemiß, ift eg
aber, baß fene unjäl)ligen, benen entmeber ber ©ruft ober bie Unfd)ulb
ober beibeg abgeljt, eg mit Süfternl)eit tl)nn. fifergebeng beruft man fid),
um bag längnen ju fönnen , mit 'Difdjer auf bie „reine Kühle beg
©^önen, in metcher 9ltleg erlofd)en unb untergegangen fei), mag fonft
*) „2empe", Sb. 1. 'S. VIII. (6it. 569.)
**) Chrysost. hom. adversus eos , qui ecclesia relicta ad circenses ludos
et ad theatra transfugerant, n. 2. (tom. 6.)
668 9lacft^eit ber ©cftalten ciuUer ober (}ebonifc§er Sitbroerfe
am 9^acften bie 33egierbe roetfe" *) , ober mit Slnberen auf bie „ißer--
Härung" unb bie „^beatität ber f^orm", in raeldier bie Äunft ben
menfd)tic^en )üeib erf(^einen laffe. Ober raorin beftefit benn f^üefelic^ biefe
„ißerfiärung" unb biefe „^beaütät"? ©injig barin, ba^ bie ^'unft ben
ßeib frei oon allen natürlidien ÜRiingeln barfteüt, unb gelöft non alle
bem , roa§ benfelben finnlii^ raiberraärtig unb eM'^aft mad^t.
infiärirenbe 33efc^affen!^eit bagegen, rooburcf) er ber @egenftanb be§ ge-
fdiiec^tUcben 'iriebeg ift, bie entfernt fie ntct)t nur nicf)t, bie ift fie nic^t
allein, für bie finnticfie Urt^eißfraft **) be§ 3lnfcbauenben roenigftenS, gar
nid)t im Otanbe ju entfernen, fonbern fie erljö^t bie einnel^menbe üOlad^t
berfetben eben baburd) , baf? fie alle§ fintdidi Slbftof^enbe entfernt. W\t
®inem Sßorte; oegetatioer ©enuf?, bejie^^ungdmeife , ©rregung unb
if?otenjirung be§ 93ertangen§ nad) bemfetben, bad roirb bei ben bejeidjneten
Unjäfiligen bie t^atföd)ti(^e ®irfung ber ^unftroerfe fe^n oon benen mir
reben. diun fann aber, ba§ roirb feber anerfennen ber ju urb^eilen
oermag, nun fann aber, roenn bie Seele oon negetatioem @enu^, oor
3Illem oon fo geartetem, ober oon bem ©erlangen barnad), eingenommen
ift, non äft^etifcl)em ®enuf3 feinedroegg me^r bie ©ebe fegn. .^aben
mir folglid) nid)t diedjt, locnn mir fagen, ber äft^etifdie ©enufe roerbe
burc^ bie ©adtl^eit ber ©eftalten für fel^r ©iele unmöglid) gemad)t?
Unb ben SBenigen benen er nic^t unmöglid) gemad)t roirb , ben
„unfcbulbigen unb ernften ©emütbern", roirb er febenfaUg roefentlid^ be=
einträd)tigt. ©§ fann i^nen ja bod] nid)t entgelien, — eben roetl fie
„ernfte" ©emüt^er finb , — baf3 ba§ jlunftroerf ba§ fie oor fid) liaben,
für Unjä^^lige einen Stein bed 3lnftof?e§, ben 3lnlaf! et^ifd)en ©d)aben§,
um ni(i^t ^u fagen ©erberbend, bilben muft. „3ll§ id) beim ©eginne ber
gegenroürtigen Seffion in bas innere ber beutfcben diationalgallerie (in
©erlin) trat," fagt Sluguft ©eidienSperger in einer ©ebe oor bem preuf^ifdien
3lbgeorbnetenl)aufe , „roar baS ©rfte roaS ic^ fa^, eine nadte roeiblic^e
f^’igur auf einem ifJant^er auSgeftredt liegenb, in dJiarmor auSgefü^rt.
©feine l^erren. Sie fennen oietleidjt bie ebenfalls unbefleibete ©et^mannfc^e
©riabne in f^ranffnrt. Oiefe 3lriabne ift ein magrer Unfd)ulbSengel
gegen bie ©acdiantin, bie ba rüdlingS auf einem )ßantl^er liegt, bin
überzeugt, baff jeber junge unoerborbene ©fenfdj, ober bod§ ganj geroif3
jebeS ©fäbd)en , roelc^eS nid)t etroa in einer confeffionSlofen l)ö^eren
löi^terfdjule cmancipirt unb jur ,aufgeflärten Siebe‘ — um einen 2IuS=
brud eines liberalen ©3eltblatteS ju gebraudben — l)erangebilbet roorben
ift, ben ärgften ^tnftoff an einer fold)en ©rf(^einung nimmt. ®aS roar
*) 33ilcf)er, 9left£)etif, 93b. 1. §. 00.
**) TPas „bie ftnnlicbe Uvtbeitäfvaft" fep, wir früf)ev gejagt; t>gf. 91. 6.
©. 10, bie 9iote.
ift äft§eti)'d; uujutäpig.
669
bie erfte 0cutptur, bie mir ba ju @efid[)te fam ; unb nun bie erfte ‘iDhrierei,
bte g(etcf) baneben btng. Sie ift betitelt ba§ ,®efilbe ber @eligen‘. Sie
jyarben finb bevart fd)reienb, bap id) üevfnd)t mar, mir bie Obren jujnbalten.
Unb roorin beftebt bie ,Seligfeit‘ ber betreffenben Sargeftellten ? Sie jeigt
fid) in ber 3lrt, bafj fed)§ bi§ fieben nnbefleibete iperfönlidbtciten beiberlei
@efd)Ied)td, meint icb nid)t irre, tbeilmeife mit Sodsfnjfen nerfeben, auf
nnb ab fpagieren, mäbrenb im Sorbergrnnbe, in einem 2©affer auf einem
centanrartigen Sd)enfat eine ebenfalls nnbefleibete meiblidje i]3erfon reitet, —
mobin, ift nidjt red)t ju feljen." 3ln britter ©teile d}arncterifirt 9teicben§=
perger ben bamald „allerneneften , faft allgemein bemnnbcrten ^Berliner
30iobeartifel, ba§ grofte 2öerf ,'’f5rometbeu§‘". fet) eine „überand talent=
DoCe nnb fleißige ©tnbie nach Öaocoon . . ; „aber moblmeidlid) b^t ber
Äünftler ftatt ber jmei nacften Änaben jmei nad'te 9.1iäbd)en — ■ bie
Ofeaniben — bem if>rometben§ beigegeben, nnb bnbnrd) b^t bad SBerf
allerbingd einen befonberä picanten Dfeij nnb jngleid) feine ipnnptbebentnng
befommen." (J'tmas fpiiter mirb ganj einfad) ber flare ©at^ an§gefprod)en :
„^n ber Ütegel merben bie mobernen Stubitäten mir gefdbaffen, nm in
gemiffen £reifen 3lbnebmer jn finben, in Greifen in benen ber •t'nng
nad) ©innenreij, nid)t bie ibealen IBeftrebnngen normalten" *). 3luf=
fallenbcr Steife erl)ielt gerabe biefer ©at^ , neben ben anberen bamit
jufammenbnngenben 3lnfd)nunngen 9teidjen§perger§, fofort feine 33eftätigung
non einer ©eite, meldje ber Dtidjtnng be§ SefUeren fonft jiemlid) fern
ftebt. „30ieine .'gerren," fngte .S^err non ©pbel, „and) id) meifi e§, mie
f^eber non il)nen, mie bie moberne Äunft in Sentfd)lanb, nnb mel)r nod)
in ben romanifd)en ^änbern, an ben 3ln§müc^fen franft, bie ber 3tb=
georbnete 9teid)en§perger eben bejeidfnet l)ut; mie eine 301 enge non
fogenannten ^bnnftmerfen auf ben ©innenreij be§ non il)m
mit gutem ©rnnbe fd)arf benrtl)eilten if]nblicnm§ bered)uet finb" **). SBir
l)aben biefe 3tenj3ernngen angefnl)rt, um barjntljun, meldjer 3lrt ber @in=
brnef ift, ben „bie eigentlid)e ©prnd)e ber ©culptnr" nnb „bie fnngfrcinlid)e
dtein^eit il)rer ©eftalten" (oben 665) auf „ernfte ®emntl)er" mad)t;
al§ autl)entifd) mirb man ben 33emeid anjnerfennen bod) mol)l nidft
nml)in fönnen. ^ft e§ aber möglid) — benn barnm ^anbelt eä fid) für
uns, — i)'t e§ möglid), baf) ©ebanfen nnb ®efül)le mie bie non 9teid)end=
perger nnb ©pbel angebeuteten , in einem „ernften ©emüt^e" bas 33er=
gnügen bad bemfelben ein ötunftmerf gemäl)ren fnnn, nid)t bebentenb
^erabftimmen , — menn fie anber§ baffelbe nidjt nielmebr nollftiinbig
paralpfiren?
*) 2t. iReicbengperger , 9tebe, gef)aüen im 3lbgeorbneten(;aufc am 12. gcbvunr
1880. („ipartamcntarilcbeg" ©. 47 ff. Sit. 599.)
**) Sei ;Tteidfi‘^”§P^i'S^'-7 „ißartamentanfebeg" S. 34.
670
®te ber ©eftalten cbiler ober t>ebonifdE)er SBilbroevfe
441. biefem @nien ftnb übrigen^ unfere @rünbe für bie äftl^etifc^e
Unjulä^igfeit nidf)t anftünbig belteibeter ©eftalten noct) nitJ^t erft^öpft.
®ie Steft^etit nertangt, bajf in febem Sßerfe einer fcE)önen Ännft, unb in
allen J^eilen eine§ folgen, noCte pfiilofop^ift^e 3Bal^rt;eit l^errfc^e. ©te'^t
eine Seiftung i^rem ganzen ^n^alte nacf) in SBiberfpru^ mit ben ©efe^en
be§ „jufättigen" ®epn§, fo ift fie noltftänbig mißlungen; roerben biefe
©efe^e in minber rcefentlit^en j^ügen nerle^t, fo ift fie fe^ter^aft; at§
ooCtenbet bagegen muü ein SSerf, unter biefer fÄücffit^t, gelten, roenn e§
un§ üorlömmt, — ni^t, bie bargefteüte ©rf(^einung fep unter ben in
bem SBerfe gegebenen 3Sorau§fe^ungen unb Umftönben, bei bem @f)aracter
unb ben ©igentliüintiti^Mten ber auftretenben if}erfonen , in ber S^at in
biefer äBeife möglid), — fonbern oielmel^r, al§ ob biefelbe gar nic^t
anberS benfbar märe. 3)a§ ift, nach 2friftotele§, ber ®inn be§ ©efe^e§
non ber p!^ilofopl)ifd)en 2Bal^r!^eit *).
S®a§ nun unter ben ifJerfonen bie un§ in ben S^erfen ber bilbenben
ibünfte oorgefü^rt merben, junöd^ft biejenigen betrifft, roel(^e Präger einer
■Rolfen inneren ©cl^ön^eit, mithin einer ^o^en et^ifdien ißoüfommen’^eit
finb, — fep e§ ber ©efd)i<^ic fei) bem ber frei
erfunbenen ßonception, — fo leudjtet bol^ roo^l oon felber ein, ba^ bie
©ntfernung ber 23efleibung, ober auc^ nur eine ben ©efe^en ber ftrengften
3üc^tigfeit minber entfprec^enbe Sefleibung, i^rem (Sl^nracter unb i^ren
©runbfä^en, — ilirer ^bec/ — gerobeju roiberfprid)t. 2öo folc^e ifJerfonen
anber§, al§ ooltfommen jüd^tig befleibet, gemalt ober gebilbet merben,
ba fel^lt mitl^in bem SBerfe, in ©iner 9lüdfid)t, bie p^itofop^ifd^e 2Bol^r;
lieit gang unb gar. ©§ ift f^led^t^in miberfinnig, menn ©uibo IReni in ,
feinem 3o§anne§ SSaptifta , ftatt be§ ernften IfSrebigerg ber 33u§e im j t
bleibe oon Ä'ameelliaaren , mit bem lebernen ©ürtel um bie Senben **), t
un§ eine p^pfifd} fe!^r ooltfommen gebilbete ©eftalt malt, aber bi§ auf |‘
einen fleinen J^eil be§ SeibeS gang entblößt ; benn ber DJlann ber, fd^on j ,
im ©djope feiner DDhitter geheiligt, „me^r mar at§ ein if^rop^et", — gu
bem bie £irc^e betet: ^
1
„0 nimis felix, meritique celsi,
Nesciens labem nivei pudoris,“ —
ber ift nic^t allein niemals fo aufgetreten, fonbern ber f an n au dt) gang
unb gar nidft fo gebadbt merben. Unb fo oft e§ aud^ geft^e^en '
ift unb gefd)iel)t, e§ ift fd)led)t^in miberfinnig, menn bie bilbenben Äünfte
ben menfdigemorbenen ®o^n ©otteS, alS .Üinb in ber .Grippe ober auf j
*) eben, 'Jl. 293 f). @. 420 ff.
**) „Unb 3°b“'^ne§ loar befleibet mit Äameetf)aaren, unb einem lebernen
©fürtel nm bie Senben, unb er aff .gieufdireden unb loilben .gjonig." SfJtarc. 1, 6.
ift äft^etifd^ unjuläfeig.
671
bem Slrme feiner gebenebeiten iöiuttev, DoUftänbig nacft erf^einen laffen;
benn btefe 3iacftl^eit ftel)t mit ber 3^ee ber Jungfrau mie bes „(?'in=
gebornen uom ®ater" in nnnereinbarem 2©iberfprud). Sel^vt ja boi^ fetbft
Stieget, nacbbem er gejagt bat, „ba§ Scbönfte roaä bie ifJtaftif leiften
tönne, fei) ba§ Slacfte", bag „bennocb 23ebingnngen auftreten, bie fiel)
gegen bie Staeftbeit erttären, unb eine 23efleibung forbern". „®iefe
ronr^etn bawptfä<^tW) barin," fefet er b^ju, „baf) bie Stadtbeit bein
b a r j u ft e n e n b e n ^ n b i n i b u u m unb feinem 2B e f e n f e i n b t i d)
fei)n mürbe, ober bafi in ber Sefteibung ein befonbereS iUtoment beg
Stugbruefed liegt . . Unbefteibete Silber ber iDtnfen, ber 3lrtemi§, ber
Sttbene ober c'pere, mürben aufbören, Silber biefer ©ottbeiten gn fenn" *).
llnb ein unbefleibeteg Sitb be§ ^efu§finbe§ foUte nicht aufbören, bag
Silb be§ 0obne§ ber Jungfrau gu fei)ii ? **)
„©inem ifiriefter ober einem ^eiligen mirb bie Sefleibnng nid)t fehlen
bürfen," folgert berfetbe ©elebrte gleich barauf. ®amit b^^l i^^obl
ohne baran gu benfen, ben £<aocoon uerurtbeilt. „®ie pbilofopbifdie
SBahrbeit" , bemerft ein frangöfifeber ©cbriftfteller , be Ipileg , „mürbe
oerlangen, bafg öaoeoon befteibet märe. Ober ift es mol)! benfbar, bap
ein jlöniggfobn, ein ifiriefter bes SIpollo, ootlftänbig nadt eine feierliche
Cpferbanbtung oollgöge? Stad) Sirgil famen lüimlid) bie 0d)langen oon
ber ^nfel OeneboS bf'' Orojanifd)e Ufer, unb überfielen ben
ßaoeoon unb feine ©ohne, ba er eben in ber Stäbe beg SJteereg bem
Steptun bag Opfer brad)te." Seffiug, metd)er biefe Semerfung im Original:
terte gibt, ift ber 3lnfid)t, bap „bie alten 9lrtiften bagu tad)eu mürben" ***).
^db meine, bag märe nur bann gu ermarteu, meun „bie alten 3lrtifteu"
mit Seffiug unb feiner ©d)ute ficb gu bem ©runbfnbe bet'annt bitten,
„bie eigentliche Seftimmnng ber bitbenben Ä'ünfte fep bie förperlid)e
©cbönbeit". S>ir haben aber im britten Äapitel nadbgemiefen, nid)t nur,
bap biefe ßebre unrid)tig ift, fonbern and), bafg bie Sllten berfelbeu
feinegmegg bidbigten.
Oräger einer hoben inneren ©d)önl)eit ober einer befonbereu S£ürbe
finb übrigeng freitid) nidbt alle ißerfonen, meld)e in ben SBerfen ber
bilbenben fünfte erfd)einen. 3'ibep and) bei ben übrigen läfd fid) bie
Entfernung ber Sefleibnng mit ber pbilofopt)ifd)en 9Bal)rbeit feinegmegg
*) SRiegel, 153 f. (6it. 567.)
**) 2Bir überfebeti feine§rocg§, bah bie ä™ei dou un§ angeführten sPeifpiele,
ihrem ^nhoÜe imd), nid)t ber hebonifdhen 9Jtalerei angehören fonbern ber religiöfen.
Sie phdofophiföhe SBahrheit ift eine nothroenbige Gigenfchaft für bie Srjeugniffe
aller Äünfte; barnm hot bie in biefer Dtummer uon nn§ entroictelte f)tüeffid)t, roie
fdhon im oierten Äapitel bemerft mürbe , and) roo fie al§ religiöfe anftreten, für bie
bilbenben Äünfte gleidhfallä ihre SSebentung.
***) „Saoeoon“, V. ®. 55. (6it. 587.)
672 ber ©eftalteu cioifer ober l^ebonifc^er Sitbroerfe
in ©inflang bringen. (Sin ^iRenfc^ rairb nur in jroei fällen nadt gefeiten
roerben: menn er bur(^ ro^e ©eroalt entfteibet roirb, ober toenn er ben
35er[tanb oerloren ^at; baä ©rfte ift ber ^all in ntel^reren i0lartt)rien,
beren ©arftetlung roir aber bereits auS einem anberen ©runbe alS
unangeineffen erfannt !§aben. ®iefe groei ^älle abgered^net, bleibt ber
2lbgarig anftänbiger Sefleibung, infofern oernünftige, gefitteten ißölfern
angebörenbe ißerfonen pragmatif(^ bargeftellt werben, immer eine jingirte
©rfcbeinung au§ ber Orbnung be§ „jufätligen" ®epnS, bei roelcber man
ben ©runb unb bie Urfad)e ganj oergebenS fucbt; mitbin ein pbito=
fopbifcbeS 2lbfurbum, ein burcb nichts motioirter 3ng unb barum ein
mefentlidber gebier ber (Sonception. Sföenn berlelbe befsungeacbtet ni^t
ftarf empfunben roerben pflegt, fo ift baS leicbt erflärlid). ißielen
fönt er fcbon beffbalb nicht auf, roeil fie roeber ben pragmatifdien (5btt=
racter ber bilbenben .fünfte gehörig erfaffen, no^ au(^ bie jroet ©lemente
fatleoted)nifcber SSerfe, bie ©onception nnb baS ficbtbare ®arftedungS=
mittel bafür, oon einanber unterfi^eiben , barum auSfcblieglicb bei bem
®ilbe fteben bleiben, ftatt ju bem IRai^gebilbeten auf^ufteigen. UeberbieS
bat bie ©eroobnbeit unfer ©efübl in biefer Stüdficbt nicht wenig abge^
ftumpft; unb bie moberne 3leftbetif bnl ötrS ^bt^ige getban, um auch bie
©h'unbfähe ju fälfd)en.
443. ®er ©iebanfe ben Seffing an ber oorber bejeid)neten Stelle
weiter auSfpricht, um barjutl)un, ba^ bie 97acftbeit ber ©eftalten in ber
l'aocoongruppe „bie SSeiSbeit ber jlünftler erbebe", ift unS im britten
Ä'apitel bereits begegnet. 2öir führen hier benfelben nur roieber an, weit
er unS ®erantaffung gibt, eine britte iRüdfid)t b^voor^ubeben , auS ber j
ficb bie äftbetifcbe Unjutöffigfeit nadter ©eftalten in ben ÜBerfen ber j
bilbenben Jt'ünfte ergibt.
„©in ©ewanb, baS ®erf fctaoifcber .^änbe, bnt bei weitem nicht fo |
üiel Sihönbeit atS baS S>erf ber ewigen QBeiSbeit , ein organifirter ,
Alörper; bie Sdjönbeit ber Sefleibiing ift nidbtS gegen bie Schönheit ber
menfchlicben gorm" : baS ift ber ©ebanfe, nm ben eS ficb hnnbel©*"). ©S
tritt unS in bemfelben nid)tS 2lnbereS als jene Sluffaffung entgegen, '
weld)e als bie wefentliche ©irunbtage ber gangen Theorie BeffingS oon
ber 23eftimmnng ber bilbenben Äünfte gu betrachten ift. klarer unb
üollftünbiger ftellte fich uns biefe Stuffaffnng in ber confeguenteren unb i
minber oorficbtigen ©ntwicfelung bar, welche Sd)itler ihr gegeben bnli
wir faben aber, bah biefelbe nid)tS 23effereS ift, atS eine chimärifdbe
giction. ®er menfcbticbe Beib, fchleihtbin alS lörperlicber Organismus ,
bctradjtet, bnt feine Schönheit; unb wir wollen ihm unter ben förperlidjen
Singen auch bie böchfte Schönheit nicht ftreitig mad)en. 2lber wenn ficb |
*) Seifing, „Saocoon", V. ®. 55. 56.
ift Sft^etifd^ unjutäpig.
673
tmmer^^in bcv inenfc^(id)e Seib „a(§ förperüd)ev CrganigmiiS betradjten"
(ä^t, fo folgt t)ierau§ feine§n)eg§, baß berfelbe auc^ f(^Ied)t^in alä
förperltdjer Organi§mu§ roirttid) fexjn, ober aud) nur uiirfUd) fepenb
gebockt 10 erben fann. ©obatb er iotrfüd)e§ ©epn !^at, ober ot§
loirfltdjed ©epn l^abenb gebadet rotrb , muf? er not^ioenbig eben at§
incnfd)Itd)er Selb genommen roerben, ba§ ^eiftt al§ ber fid}tbare J^eit
einer ein^eitlid^en oernünftigen iJlatur. 3)enn bie oernnnftige ©eele
ift ja unmittelbar iinb bnrd) fid) fetbft bie „f^orrn" (bie causa formalis')
be§ SeibeS; ba§ miti fagen, fie allein ift ba§ ifJrincip, looburd) ber
tobte ©toff jnm lebenbigen rnenfdilidjen Organi§mu§ roirb. ©ine notl}=
loenbige 2;^atfad)e ift, ba^ jeber menfd)lid)e Seib nidjt bloß
ber pl)pfifd)en, fonbern eben fo fe^r ber etl)ifd)en Orbnnng angeprt;
nidjt unmittelbar unb burd} fid) felbft, aber baviim, roeil er bad 3®erf
einer oernünftigen ©eele ift, unb ben roefentlidjen “i^eit einer ber et^ifdjen
©rbnnng angefiörenben einl)eitlid)en Statur bilbet.
3htn ift aber feit bem fyalle 5tbam§ jeber menfd)lid)e £'eib — jenen
be§ ©ottmcnfdjcn , unb ben feiner nid)t in ber ©rbfünbe empfangenen
D.liutter andgenommen — immer „ber £eib bed Sobed" „in beffen ©liebem
bad ©kfcix ber ©ünbe maltet", — „bad fvleifd) ber ©ünbe" „in loeldjem
ni(^t bad ©inte mo^nt"*); unb and biefem ©runbe fann er, bid 511
jenem ©age ba ©ott und „überlleibet mit ber nnoerioedlid)en c©üllc bie
00m .fbimmel ftammt" **) , bei aller ©d)önl)eit bie er in ber pl)pfifc^en
Crbnnng befiljt, nic^t anberd nid etljifd) bnrtl^ unb biird) Ijaf^lic^
erfd^einen.
SBcnn mil^in bie bilbenben J^nnfte fid) für berufen l)alten , und
bitrdl) il)re SBerfe ©ciuif! 311 bereiten, inbem fie und ©rfd)einungcn oon
nft^etifdbem 25>ertl)c oorfil^ren, bann müffen fie begreifen, ba^ bie 'dtacft=
l)eit i^rer ©eftalten mit i^rer roefentlid^en Slufgabe nnoereinbar, baß
biefelbe äftl)etifd) nn3ulnf3ig ift. 25>ir miffen red)t gut, baf) ed
‘SRenfdien gibt, benen ber Slnblidf naefter ©eftalten fyreubc mad)t. 2lber
in einem riditig empfinbenben ©5emütl)e fann bie ef^ifdie lrHxßtid)feit eined
nid^t gejiemenb befleibeten ‘'ltcenfd)enleibed nur ©fei unb ‘',6iif3oergnügen
beroorrufen ; unb biefer miberioärtige ©inbriicf muf3 notl)iocnbig ben
nftbetifdben ©ennf) im bödiften 2}faaf3e beeintrnd)tigen , loenn er bcnfelben
nidbt oielmel)r gerabeju nnmöglid) maebt. ©er gröf3tc beutfd)e 'Staler
bed acbtjebnten Dlapbael üDlengd, erflärt audbrücflid), „baf3
eine ganj unbefleibete ©eftalt immer roeniger fdjön fei)" ***).
443. ilJtan roirb und oietleid)t einroenben roollen, loir ptten ben
*) Iftöm. 7, 24. 23. 8, 3. 7, 18.
**) 2. Sor. 5, 2. 4.
***) Lezioiü pratiche di pittura, §. VII.
3iiugmann, 3Ieftf)ettt. 2. Sliifl.
43
674 ®te 5Racftl§eit ber ©eftdten cioUer ober (;eboniic^er Silbroerfe '
Unterfa^ unfereg 33eröeij'e§ nic^t ber ^^Uofop^ie, fonbern ber übernatür=
Heben Offenbarung entnommen. j|
Stber gibt e§ benn roobt ein Opftem non Söabrbeiten, ba§ metir y
berechtigt märe, öffentlid) aufjutreten unb 3tnerfennung ju forbern, at§
bie übernatürliche Offenbarung? mürbe überhaupt auch oon einer , ■
mähren, juoerlüf^igen if^hUofophie unter ung noch bie iRebe fepn, menn i ,
nicht ber oon taufenb Irrlichtern umtansten Vernunft bie Offenbarung ben
i^olarftern fichtbar gemadjt hätte, an bem fie fich orientiren fonnte? 345) ; .
greilid), mer einen Ungläubigen überzeugen mid, ber barf ihm gegem
über feine ©äüe nid)t auf if5rämiffen grünbeu meld)e ihrem ganjen ' .
SBefen nach ber übernatürlidhen Offenbarung angehören; unb menn ber
ifJantheift ben Unterfdjieb jmifchen fittlid) @utem unb ®öfem in Slbrebe
fteUt, fo fann oon ihm nicht ermartet merben, baf) er fidj burch
Oebuctionen miberlegt fühle, meld)e bas Oafepn einer ethif^en Orbnung
zur ißoraugfeHung hoben. 2lber man muf; fi(h häten uor ber oft zu
Sage tretenben ganz unridjtigen 2lnfd)auung, al§ ob ber angebeutete
©tanbpunft, beu ber SSertheibiger ber SBahrheit bem Ungläubigen unb
bem '4>ontheiften gegenüber einzunehmen fid) hrrbeiläfzt ■ — ober menn man ,
lieber mid, gezmungen mirb, — al§ ob, fagen mir, biefer ©tanbpunft
ber eigentlid) r i ch t i g e unb ollein b er edjtigte märe, unb man beffhalb ‘
benfelben aud) ba einzunehmen hätte, mo man für mirtlid)e (Jhfiften
bie Unzuläfngfeit irgenb eined ber üielgeftaltigen ^r^thümer bed Unglaubeng
ober bed 5f]antheidmud barzuthun beabfidjtigt. 2Sir fonnen nur ißefangen=
heit bed Urtheild barin feljen, menn ein fatholifcher ©elehrter ben in ber
Dorigen Dlummer non und entmidelten 33emeid (nad) ber fyaffung beffelben
in ber erften Sluflage biefed 23ucheg) ziuar mit bem iBemerfen miebergibt,
„bie Sßorte fepen iljm and ber ©eele gefprodjen'H — bann aber hluzm
fügt; „Ooch abgefehen non biefem mehr religiöfen @rpofe müffen mir
und au(^ üom rein äfthetifdhen ©tanbpunfte gegen bie diadtheit
ber ©tatuen audfpre^en'H 2öir tonnen, fagen mir, in biefer Sleußerung
nur eineu dludflufe ber eben angebeuteteu unrichtigen dlnfdjauung finben.
Ober roarum, unb feit mann, hoben benn bie döahrheiten ber (hriftlii^en
dteligion, mo ed fid) um bie fchönen Jx'ünfte honbelt, nidjt mehr ihre uode
(^eltuug? gibt ed eine Äunft, gibt ed überhaupt eiue freie Ohätigfeit bed
dJteufdjen, für melche fich Dtormen unabhängig aon ber Offenbarung
feftfteden Heften? bitbet fid) etroa ber „rein äfthetifche ©tanbpunft" baburd),
baft man bie Offenbarung ignorirt, unb lebiglich mit 2öal)rheiten rechnet
metd)e bem ©ebiete ber natürtidhen (Srfenntnift angehören? Oad „mehr
religiöfe ©ppofe" um bad ed fich honbelt, mürbe aud) bann burchaud
bem „rein äfthetifd)en ©tanbpnnfte" angehören, menn ed mirftich aud
ganz übernatürlichen döahrheiten fid) znfammenfe^te. Oenn aud ber ©hoH
fache, baft lange 32^1 h^burd) ber dtationatidmud unb ber ifJantheidmud
tfi ä ft e 1 1 ) dt) imäiitäfjig.
675
bie 3le[tl)etif al§ iljve if)nen auSfdjfiefflid) jiiftefjenbe ©omäne bearbeitet
l^abeu, fotgt noc^ ganj unb gar nid^t bie 97id)tigfeit jener 2tnfd)auung,
raeldje ben „rein äft!)etijd)en ©tanbpunft", jei) e§ mit bem ©tanbpunfte
be§ fRationaligmuS ober be§ '^antl)ei§mu§, jep e§ audj mir mit bem rein
pt)itojop^ijd)en, jn ibentificiren j^eint. ®ie 3leftl)etif ift bie 2Sifjenjd)a[t
ber fdjönen Äünjte: bie Sebteren arbeiten feit adjtjeljnf)unbert ^at)ren
für bie (J:^riftenf)eit, ober, roo fie nid)t alg retigiöfe jlnnfte anf=
treten, jebenfaüä für djrifttidje 2>ötfer; fämmtUdje 2'3nbrljeiten
mittjin bie baS l'eben bc§ GIjriften be^errfdjen, traben iljre ootte nnb
nngefdpnäterte '.ßebeutung and) anf bem @ebiete ber fdjönen 5bünfte unb
i^rer Sßiffenfdjaft.
!Da§ bi§fjer ©efagte fotite übrigens nur baju bienen, bie nnrid)tige
ittnfi^auung surücfjuraeifen , nn§ raetdjer bie im Slnfnnge biefer 97ummer
angebeutete ©inroenbung tjeroorgeljt. 3^’^' SBibertegnng ber Seigreren
bommen mir erft jet^t. i)Jian irrt, menn man meint, nufer in yt. 442
gegebener 23emei§ fep ein tficoIogifd)er, nnb fetje bie übernntürlidie Cffen=
barnng uorauS: er ift rein pijilofoptfifdj. ®er Offenbarung fjaben mir in
unferem Unterfai^e frei(id) metfrere ©ebanfen unb 3tn§brüde entnommen,
raeil mir feinen ©runb Ijatten, baS 51t uermciben; aber bie Of)atfad)e
um bie e§ fid) in bemfelben eigcntlidj fjanbett, geprt feineSroegS au§=
fd^tieglid) ber Offenbarung an. @S ift nonfommen raal)r, bie fidj felbft
übertaffene 33ernunft nermag ben tjiftorifdjen ©riinb ber etljifdjen i^äfdid):
feit beS SeibeS, bie erfte ©ünbe nnb itjre fyortpftanjnng , nid)t jn ent=
beden. Sfber nbgefef)en non biefem ©efjeimniffe, beffen mir für nnferen
SSemeiS feineSmegS bebürfen, meifj and) bie nntürlidje ©tffif fefjr mof)l,
baß ber menfd)Iid)e Seib in feinen ©fiebern bn§ @efel3 ber ©ünbe trögt,
unb barum fjäfsfid) ift nnb ber Oebednng bebürftig. Ober mofjer fjatten
es fonft bie .Reiben gelernt , non benen ©t. 2tngnftin berid)tet , baß fie
inSgefammt beftimmte Ofjeife beS SeibeS ju uerfjülfen, mandje an§
ifmen aber and) im Sabe fid) nid)t ooflftönbig 31t entficiben pflegten? 346)
raol^er bie 93emof)ner ber 3’nfef f^oS, mefd)e bie unbefleibete OenuS be§
ijJrapiteleS jurüefmiefen ? *) mof)er bie ötteren ©ried)en, bie e§ nnanftnnbig
fanben, alS auf Greta nnb bann and) in Sacebömon bie ffJfnnner an=
fingen, bei ben gi)mnaftifd)cn Hebungen nnbeffeibet nufjutreten, — nnb
roofier bie nid)tgried)ifd)en Oöffer, me(d)c faft inSgefammt and) bann nod)
über biefe ©itte fpotteten, nad)bem fie in 5)elfaS allgemein gemorben
mar?**) iTcnr bort mo nod) „bn§ Äfeib ber ©nabe" ben £'eib umgab,
roo noc^ „baS nid)t, miber ben ©eift fid) auffef)nenb, ber 3fnf=
lel^nung beS 2Jtenfd)en miber feinen ©d^öpfer gttb", nur bort
*) Oben, ®. 603.
**) Plat. de republ. 1. 5. Steph. p. 4f)2 c. Bip. t. 7. p. 9.
43*
676
®te bcr ©eftalten cioiter ober l^ebonifdfier tßilbroevfe
fonnten „beibe nacft fer)n unb nit^t errötl^en" *). ®agegen raürbe
au(i^ in betn l^ppot^etifd^en , niemals rairfUc^ geroefenen aber benfbaren
„bto§ natürliti^en **) iÖJenfd^'^eit, berfelbe ®efect, unb
barum biefelbe et^ifc^e ^o^üd^feit bem Seibe eigen fet)n; freUid) in minber
©rabe, al§ je^t, roeit fie nic^t bie ©träfe beS Hngel^orfamS n3äre,
fonbern btoffer S)efect, btoffer Stbgang einer ber Vernunft ganj ent=
fpred^enben SSotlfommen^eit.
444. 2Iu§ bem ©efagten ergibt fict), ba[3 ^ermann So^e Unredjt
!^at, roenn er bie Steigung Bieter Äünftter jur „ifiadibilbung beS ifladten"
burc^ bie Semerfung ju redjtfertigen fudit, bafj bie ^aftif „nid)t not!^=
roenbig ben ©eift, roeber in ber 3;iefe feineS perföntid^ften 2BefenS,
nodb in feinem 25er^atten jroifd^en ben 23ebingungen ber fitttid^en Sßett
barftetlen muffe"; fie fönne fa „eben fo roo'^t bie ©eete nur alS
,©nteted^ie‘ eines beftimmten üeibeS" norfü’^ren, „fo raie biefetbe, o^ne
ben ®ru(f einer Lebensaufgabe jn fügten, fid^ beS ©tücfeS ber fiarm=
lofen ©piftenj erfreue, roeld^eS f^r bie @igent^ümtid)feit ü^rer OrganU
fation oerftattet" ***). @S ift auffattenb, roie eS bem oerftänbigen Genfer
entge'^en fonnte, ba^ er mit biefen Sleufierungen in ben ^rrt^um ©t^itlerS
l^ineingeratl^en iftf)/ ben er in feinem eigenen StLerfe, 415 ©eiten frül^er,
felbft befämpft ^at. ©ein ©ebanfe märe immerl^in nid^t übet, raenn „bie
©eete nur atS ©ntetedf)ie" , b. auSfdjtiefftid^ atS baS i]3rincip beS teib=
tidben SebenS, fematS roirftidt) märe, ober bodb rairttidb fepenb gebadet
roerben fönnte. ®em ift nun ober nid)t fo , roie roir fd^on roieber^ott
ju fagen nerantofft roaren, ®ie „©eete atS ©nteted)ie" ift immer 511=
gteii^ ber roefenttid) innerbatb „ber fitttidben StLett nnb ihrer ißebingungen
ftebenbe ©eift" ; beibe Liamen bejeidfnen eine einzige untbeitbare ©ubftan^,
fe nod) einer befonberen 2trt ihrer SSirffamfeit. ?lur metaphpfifd), nidbt
phpfifd), taffen ber erfennenbe unb freie „@eift", unb bie „©eete" atS
t^rincip beS teiblithen SebenS, fidb fdjeiben tt)- Söenn mithin bie ^-Ptaftif
*) Aug. de civit. Dei 14. c. 17. De peccator. merit. et remiss. 2. c. 22.
**) Status naturae ptirae.
***) Sope, @. 565. (6it. 18.)
t) Sgt. oben 9t. 413. 414. ©. 618 ff.
jf) „Stacbbem nimmebr bie ftete SOtitioirfung eine§ ibeelten, feelenartigen 2?ev=
mbgcnS in atlen SebenSoorgSngen tbatfädjlicCj anper geftettt ift, fann e§
nid^t mehr jroeifelhaft ferm, roo roir ben roahren unb einjigen 2:räger be§ Seben§=
proceffeS ju fud;en haben. (Sr fann fein anberer nnb fein geringerer fepn, a(§ bie
©eefe fefbft. Unb fo fpredhm roir e§ erneuert mit ooffcr ©ntfd;iebenheit au§..:
bie Sebenäoorgänge finb ©eefenoerridht ringen. (Siner befonberen
,Seben§fraft‘, bie jroifdhen bie förperfofe ©eefe nnb ben feetenfofen Seib oermittefnb
einträte, bebttrfen roir nicht, noch nermögen roir fie ju benfen. 2fber eben fo roenig
genügt h'^r bie erneuert oon Sotre anSgebifbete .gippothefe eine§
bnafiftifchen (paraflefiSinnS sroifchen Öeib nnb ©eele, inbem jener
ift äftl^etifd; unjuläpig.
677
e§ unternähme, in einer inen[(^tii^en ©eftalt „bie Seele nur als (5nteled)ie
barjuftellen , jo raie fie, oljne ben ®rnct einer ßebengaufgobe ju fühlen,
)idj beö ®lüde§ einer ©tciftenj erfreut", fo mürbe fie bie
ph^fifch nntheilbare Snbftang an§einanberreipen , unb ba§ 23ilb eineä
dfimärifchen Söefend liefern, roelcheg nirgenbä einen @rnnb feineg ©epng
hat, nidjt einmal in ber 2®eiöheit ®otteg.
IRnn mag bie Sad)e breljen unb roenben mie man miß, (mir fagen
bag nid)t mehr junädjft gegen öohe, fonberu gegen bag Gierfähren uieler
Äünftler nnb geroiffe Theorien nicht roeniger 2lefthetiler,) ©arfteßnngen
roie bie im 3lnfange biefeg ''Paragraphen ermähnte ßaimna’g, ober 33er;
nini’g „3lpollo unb ®apt)ne", ober ©anned'erg „3lriabne", ober ®iulio
IRomano’g „2lmphitrite" nng 33illa Saute, ober 6oreggio’g „Jupiter unb
2lntiope" im Sonore, ober 3:ijiang „3Senug", ober Slnnibale (Jaracci’g
„Glenug nnb 3t)iarg" * *) , unb nnjählige anbere berfelben 2lrt , finb nnb
bleiben inggefammt Seiftungen, meld^e bie Slefthetif nidjt allein auf
®rnnb nnumftofdid}er GSahrheiten ber Dteligion unb ber natürlidjen
®thif für nnjü^tig erflären, fonberu jugleid), and) menn fie oon aller
Sleligion nnb aden etljifchen ®efet^en abfeljen miß, alg ooßftänbig oerfehtte
Probucte einer gemanbten aber irregeleiteten 3led)nif oernrtheilen muf3.
G3effer alg ber oorher befprodjene, nnb bead)tengmerther für bie
bilbenben Ä'ünfte, ift ein anberer ©ebanfe, ben Sot^e nenn Seiten fpäter
folgen läpt. „3tnd) bag Sllterthnm", bemerft er, „hat nidjt im minbeften
ben äftbetif(^en Göerth oon ©emanbfiguren oerfannt; nng aber förnmt
cg ju, and) ben Sinn nuferer achten. 3^)1' ni^g eg
immerhin jugernfen merben, baf^ ©eift nnb Äörper gleichmäffig entmidelt
merben foßen, aber nie mirb man fie baoon Überreben, baf3 jel^t nod)
mit Ä'örperfdjönheit in ber GSeife ber Sitten renommirt merben müffe" **).
33ejiel)t Sot^e biefe feine 3Sorte junädjft auf bie plaftif, fo h^l bafür
eine Steße bie er im fotgenben Äapitel einer Slbhanbtung oon Slbolpl;
Jeidjlein entlehnt, bie “iDtaterei im Singe, „©erabe am menfd)tidjen Selbe,
erfafiningsmäfjig loeit mehr ift, at§ eine nad; Wof; med)anifd;en ©efepen mirfenbe,
äuperüd; ber Seele angepapte ®tafd)incrie. Slod) roeit roeniger enbtid; fann bie
Seele, nach materialiftifd}er 2tnfid)t, al§ ber (äfject be§ Scibe§, nnb jinar ber in ihm
[ich nerbinbenben Stoffe, betradpet roerben . . . Unb fo bleibt ganj oon felbft, ebenfo
bem Sledpe be§ ®enten§ roie ben 3tnforberungen ber (Erfahrung gegenüber, nur bie
lepte 3lnfid)t, bie unferige, übrig. ®ie Seele fetber" (b. h- ber bcnfenbe freie
©eift) „muh in ben 2ebenäoerrid)tnngen roirffam fepn." tpermann
gid)te, „Slntpropologie, nenbegrünbet auf natnrroiffenfd)aftti(hem SBege" (Scipjig
1856) Sl. 206. S. 491.
*) ®ie brei erften finb ®crfe ber Sculptnr, bie oier anberen ©cmätbe.
**) Sope, S. 574. ((5it. 18.) ®er Sßlüte^eit ber hrüntifdien Ännft gehört
übrigenä biefeS „SRenommiren mit P'örperfdtönheit" teine§roeg§ an, fonberu lebiglid)
ben 'perioben beä 3Serfalle§.
678
®ie 9iacEtl^eit ber ©eftalten cioiler ober fiebonifd^er 23t(braerfe.
an raelc^etn bie feinfte ^arbenOredfung fic^ erfd^öpft, erfahren ratr am
beutlicbften bte ftnnfid) oberflad^Iici^e ^iatur ber garbe, unb baj? *bte
SJialerei, roenn |ie biefeä £unftmittel nic^t jum [innigen 2Iu§brnd einer
©timmung jn gebrau($en, ober bem SIngbrud eine§ p§eren
unterporbnen roei§, nof^roenbig in ben me^r ober minber bemäntelten
iBUPraucb be§ unlünftlerifdöen ©innenfi^elä oerfällt..
fern bie ßoloriften ber claffif(^en @pod^e, inäbefonbere bie 23enetianer,
il^ren ©tpl be§ ooClenbeten ^^oloritd auf bie bef leibete menfd^lic|e @e=
ftalt anroanbten, gelang e§ ilinen oollfommen, benfelben auf ben ©ipfel
ber ^unft p erlieben. 21uf biefem SBege f^ufen fie bie eraigen Sor=
bilber ber ifJortraitmalerei , nnb eineg großartigen ©eure. SIClein in
2Infe’^ung beg IRadten reifste, felbft eine Jijianifdje 33enug nid)t aug=
genommen, aud^ ber ©rnft i^rer Haltung, bie Hiobleffe i'^rer ©eftalten
ni(^t l^in, bie gemalte ®arfteUung ber Seibegfd^ön^eit auf bie fittlid^e
i^ö^e ber Slntife p ^eben. ©elbft in il)ren SBerfen erlofi^, tro| aller
ißodenbung beg malerifdjen ©tplg , ber f i n n 1 i e u n 1 e n i d^ t,
Toelc^er ein für allemal in ber farbigen unb inbioibueden ®arftellung
menfd)lic^er £eibegfd)önl)eit fortglimmt" *).
fiot^e finbet eg erfreulich, baß Jeidhlein in biefem feinem Urtheile
„oon ber funftgefdhidl)tlicben ©eraohnl)eit abraeidht, alle oollenbeten großen
^hatfadhen aud) für gerei^tfertigt gu hatten". SBer ben herr^
fi^enben ^on f'nnftgefchicbtlidjer ©diriften einigermaßen fennen gelernt
hat, ber roirb biefe f^reube alg oollfommen gegrünbet anerfennen; nur
fönnen mir, feiner eigenen Semerfung gegenüber, ben Sßunfdh nidht unter=
brüden, baß £o^e gleidjfallg, in feiner „©efdhichte ber 21efthetif in ®eutfdh=
lanb", heT^^’fi^cnben ®octrinen gegenüber noch roeniger ©onbefcenbenj ge=
übt hätte, alg er mitunter thut.
*) S!tb. ®eic[;tein, Stbhanbtuug über ben Segriff be§ 3JtaIerif(hen unb ba§ 3Sefen
ber 3JtaIerei (?(nf)ang p ber ©d)rift: Soniä ©allait unb bie üJlaterei in ©eutfd^:
taub, 9Jh'incf)en 1853). 33ei Sope, ©. 587 f.
tlic l)öl)crc ßercbtfamkeit.
S)ie 23ebeutung biefcr Ä'unft nad) bem Urtl)eile bev 'Jntcn. otc i[t unter ben
fdjDncn fünften btc iittefte, — iebcnfalld bie erftc bie, autf)cnti|d}cn
3cuguijfen jufofige, in ber ®cl'd)td)te ber 93icnld)t)cit miftritt. ©ie cvjd)cint,
neben ber rcltgiöfen 'poefie, in überaus t)of)er iBoIIenbung ein üoIleS
taujenb früfjer, atS bie übrigen fdjöuen fünfte. !©ie l)öt)ere Serebtl'nmfeit
befind bie SDZittet, „Sßerfe non beruorragenber ©djönbeit" i}ert)or5ubringen.
33egräu3ung beS in biefent 3(bü'fdiide ju bet)anbe(nben Stoffes.
445. ’^aef) if^Iato ift bie Ijö^ere Serebtfamfeit „Leitung ber Seele" *);
unb Dor i^m fd)Oii Ijatte ber britte gried^ifc^e Sragifer fie gefeiert al§
„bie einzige Sef}errfd)erin ber ‘DJienfdjen" :
„2BaS luütj’n luir unS uni anbere dfieorien bod},
25>ir Sterblidje, unb ternen fie luie febe eS tjeifctit;
Unb tradjteu bie Serebtfamfeit, bie einjige
33 e f) e r r f d) e r i n b e r 93t e u f d) e n , nid^t mit gröfserem ©ruft
23iS jur 35odenbung ju erringen, bnf: burd) fie
Ser 3(nberen ißiotlen fid)er ftetS mir leiten bann!" 347)
mar uid)t§ 2fnbereS alS bie 953ieberf)olimg biefer 2Iuffaffung non bem
S5>efen ber fiö^eren 23erebtfamfeit unb itjrer 33ebeutung, roeun ju f)tom
jmeitjimbert ^afire fpntev (JuniuS biefelbe prieS niS „ßeuferin ber .^erjen
unb Jtönigiu ber , flexanima omnium regina rerimi**').
3^ei ben 2Uten gaft bie bösere 23erebtfamfeit al§ bie nornebmfte,
bie „ j^ürftin" unter ben Äünften, regina artium ; ber 213a{)rt)eit ftanben
fie mit biefer if)rer lleberjeugnng jebenfaßg um 93ie(eä imbe^'; «iä bie
neuere 2(eftbetif, raenn fie bie böbetd 23erebtfamfeit au§ bem ($bor ber
*) Plat. Phaedr. Steph. pag. 271 c. d. Bip. 10. p. 373.
**) Enn ap. Cic. de orat. 2. c. 44. n. 187.
680
®ie p^ere Serebtfamfeit.
fdjönen ilünfte, ober felbft ber freien, einfach pnauäineift *). Unb e§
bürfte fidler nid}t ungegrünbet fe^n, raenn mir e§ fep beaditenSroertl^
finben, ba^ fie unter aden jlünften biejenige ift, bie un§, unb groar al§
geifttic^e iBerebtfamfeit, in ber ©efc^ic^te ber dJienfdipit juerft be=
gegnet. 5Rid)t allein, ba^ ber pilige @eift ben dloe at§ „einen ifSrebiger
ber ©eredjtigfeit" **) bejeic^net: fd)on non bem Urgrojsoater biefeg
triarc^en, non b^enod), bem rounberbaren d}tanne ber „mit ©ott rcanbelte,
unb nic^t mel)r gefepn nmrb, raeil ip ber §err tjinroegnapn" ***), be=
rilltet ung bie pilige ©c^rift, ba§ er bag ©eric^t ©otteg unb bie ber
©ünber roartenbe SSergeltung prebigte, unb „bie Sßölfer jur 33up gu
füpen bemntjt mar“ ****). ©ine alte ©rabition fügt pnju, Stbam felbft
pbe bem §enod), beffen Sage er nod^ erlebte, bag ^irtenamt über bie
d)tenfd)pit übertragen f); unb raenn rair ung raeiter erinnern, baff
fd)on ©nog, ber ©opt beg ©etp einen beftimmten, gemeinfamen ©otteg=
bienft (raieber) begrünbete ff) , fo fann eg fiper feinem unter;
Hegen, ba^ ber nie! fpätere i'T'ienop feinegraegg ber erfte raar, ber afg
iprebiger beg SBorteg ©otteg unter ben dJfenfdjen auftrat.
©g ift, glaube id), gar nid)t nötpg, baff mau fid) bie tßerebtf amfeit
ber i]3atriard)en ber Urjeit, uamentlip ber prnorragenberen unter ipen,
mit SE>urj afg fep unnonfommen, atg „rau!^ unb troden" fff) norftede.
Sie ütteften Seiftungen auf bem ©ebiete ber geifttidjen Serebtfamfeit bie
rair befipn, bie dfeben beg dJtoijfeg au bag 3Soff im fünften ber oon
d)m uerfapen „23üper", finb freitid) neun^unbert ^ape jünger atg bie
©ünbftntp aber in eben biefen ip-en ütteften Senfmaten tritt ung bie
Ä'unft um bie eg fid) pnbett, aup bereitg in iper ganzen Sotten;
bnng entgegen. 'äRan tefe, Seifpietg ptber, bie fotgenbe ©tede aug
bem fed)gten Papitet beg eben begeipneten „Sud)eg" :
„iföre, ©ott ift ber ^err, ©r adein. Unb
barnm fodft bu Heben ben iferrn beinen ©ratt aug beinern ganjen ^erjen,
unb ang beiner ganjen ©eete, unb ang beiner ganzen Ä'raft. Unb eg
foden biefe SBorte bie id) bir pnt gebiete, gefd)rieben fepn in beinern
bfep^en; unb bu fodft fie beineu Ä'inbern oerfüubigeu ; unb bu fodft
iper gebenfeu , raenn bu raeiteft in beinern bf aufe unb raenn bu raanbetft
auf bem SBege, raenn bu bip jur 9fup tegft unb raenn bu aufftept;
unb bu fodft fie atg .©anb binben, unb fie foden fort
*) SSgl. oben, 31. 329. ©. 479.
**) 2. Ißetr. 2, 5.
***) 1. ajtopf. 5, 24.
****) 3uba§ 14. 15. ©ir. 44, 16.
t) 2Sgt. Sod^ unb tfteifcfit, ju 1. 'JOtopf. 5, 29.
tt) 1. 4, 26.
ttt) ®urj, atnteitung jur geiftlicfien ©erebti'amfeit, ®b. 1. ©. 2.
®ie ^öl^eve sBerebtfamlfeit.
681
unb fort üor beinen 3Iugen fteljen; unb bu fie auf bie 0d)roctle
beineg ipaufeg fdjveibeu unb an feine 01)ür. Unb inenn bid) bann ein=
gefüljvt :^at ber ^err bein @ott in bag Sanb bag er mit einem 0d)mnre
ner^eiffen beinen 33ätevn, bem 3lbrat)am nnb
er bir grofee unb fd)öne ©tiibte gegeben bie bu ni^t gegrüiibet, Ä^äufer
nod non ©djät^en bie bn nidjt gebaut, 23rnnnen bie bu nic^t gegraben,
iß>einberge nnb Oliöengärten bie bn nid)t gepflanjt I)aft; roenn bu bicb
bann non alte biefem nät)rft, nnb lebft im Ueberflnft: bann I;abe moI;t
51d)t, ba§ bu nid)t ucrgeffeft beg ^'^errn, ber bid) ^erauggefüt)rt bat ang
Slegppten, ang bem .'paufe beg f^ronbienfteg. ®en i^errn beinen ®ott
follft bu fnrdbten , nab bienen ibm allein , unb fi^raoren bei feinem
Dlamen . . Unb menn bereinft bidb beine Jlinber fragen, nnb jn bir
fpred)en; 2Bag foden alte biefe ©ebote unb ®orfd)riften nnb 33ränd)e,
bie nng nerorbnet b^d @ott? — bann fottft bn ibnen
fagen: Jbnedjte maren mir beg '’^itjarao in iMegppten, unb ber iperr bat
ang 2tegppten nng bciauägefübid »dt ftarfer .\panb; nnb er bat 3dd)en
geroirf't nnb SBunbertbaten , grof) unb furchtbar , in Stegppten roiber
if^barao unb fein ganjeg ipang nor unfern Singen, unb nng bei'aug=
geführt, nng jn geben bag fianb bag er mit einem ©cbraur nerbeif5en
batte unfern S)ätern. Unb barnm bat nng ber ^err befobtcn, ju batten
atte biefe @ebote, nnb jn fnrd)ten ben tperrn unfern ®ott, auf bag eg
nng mobtgebe atte Xage nnfereg ßebeng fo mie beute."
3m jebnten il'apitet, gteid)fatlg beg fünften „i8ud)eg", erinnert
2)Ioi)feg bag ®otf in mariner tRebe an bie nietfüttigen Seroeife grofier
Siebe bie eg non ®ott empfangen, an ben Unbanf roomit eg biefe Siebe
getot)nt, unb an @otteg immer neue S3armberjig!eit. ®ann feibU er fort:
„Unb nun, 3Ü'ael, mag üerlangt non bir ber iperr bein ®ott, atg
baf) bn ihn fürdjteft; baff bn manbetft auf feinen Söegen, unb it)n tiebeft,
unb bieneft bem .Sperrn beinern ®ott ang beinern ganjen iperjen unb ang
beiner ganjen 0eete; baff bu batteft feine ©ebote unb feine 0abungen
bie id) bir t)ent gebiete, auf baf) bir mobt fep ? ©iebe bem .Sperrn beinern
©Ott gebürt ber .!ipimmet nnb bie ipimmet ber tpimmet, bie ©rbe nnb
Sttteg mag barauf ift: unb bennod) bat ber .Sperr ^reunbfdbaft gefd)toffen
mit beinen i^ätern, er bat fie getiebt, unb it)re Äinber, bag beipt eud),
fi^ augermäbtt oor atten 33ötfern, mie it)r eg beute mieber fet)et! ®arnm
befd)iieibet eure iperjen, unb euren tRacfen oerbärtet nid)t ferner: beim
3cbaua euer ©ott, er ift ber ©ott über atte ©ötter unb ber iperr über
alte sperren, grof) unb gemattig, ber fnrd)tbare ©ott, ber auf bie if^erfon
nid)t fiebt nod) auf ©efebenfe; er febaffet died)t ber ÜSaife unb ber SBitme,
er tiebt ben f^i'^uibting, gibt 0peife ihm unb .SUeibnng. Stud) it)r atfo
tiebet bie g-rembtinge, beim ihr roart eg fa fetbft bereinft in Slegpptentnnb.
Sen .Sperrn beinen ©ott fottft bu fürdjten, nnb bienen ihm attein; ihm
682
Sie ’^ö^ere S3erebtfamfeit.
foUft bu an^angen, imb fd^tnören auf feinen ?iamen. (Sr ift bein
er ift bein (Sott; er t^at für bic^ bie Sißunber, bie beine
2tugen gefeiten, tttur fiebenjig ©eeten, ftiegen einft ^inab beine 25üter nac^
Steg^pten: fiel^e, jet^t ^t bidj geine^^rt ber ^(perr bein (Sott rate beg ^im=
metg ©terne. ®arum, fo Hebe itin benn nun, ben .*perrn beinen ©ott,
unb ’^alte feine ©ebote , feine 5tecf)te unb Salbungen , ju jeber 3sit." *)
iUtit fotdjer iJJtac^t rebete f(^on um bie ^ttte bc§ britten
taufenbä nncb ber ©rfc^affung ber Sßelt, fe(^§f)unbert ’^or §omer,
ber geraaltige ipatriari^ be§ atten Sunbeg. ©in raeitereg ootleg
taufenb trieb non ba ab bie geiftlicfie ®erebtfamfeit, namentUd) in ben
nier grofien unb ben jraölf fteinen 'Propheten, immer neue iPIüten oon
nid)t minberer ©(^öu^eit: unb nad)bem atg ber ßel^te oon itinen iJJtaladjiag,
mit bem .^inraeife auf ben i^ortäufer beg Sßeltertöferg , ben ©d^aupla^
oerlaffen l)atte, mupte noc^ ein iDtenfd)enaÜer unb me^r ba'^ingetien , big
in ber ©tabt ber ’^attag Slt^ene bie Slrc^itectur, bie bramatifd^e unb bie
bitbenben fünfte, unb bie cioite Serebtfamfeit, fi(b ju fener ipö^e ber tBoU^
enbung erhoben, auf raeld^er bie geifttid)e f^on in ÜRopfeg fii^ gezeigt l^atte.
©injig bie retigiöfe ^oefie tann fid) adenfatig rühmen, i^r in biefer 23e=
jiefmng gteidijjufte^en ; benn bie neun poetifd)en ©tüde raetd^e neuefteng
33ictetl, auf ©runb feiner genialen ©ntbed'ung, im 35ergmaaf;e beg Urtepteg
oerbeutfdElt bat, geboren gleicbfallg ben „SSücbern" beg 'üJtopfeg an**).
446. 2öie aug bem bigber ©efagten fcbon b^fDorgebt, nimmt bie
böbere 33erebtf amfeit junüdbft atg retigiöfe, unb bann atg cioite itunft
bie SSerücfficbtigung ber 2teftbetif in Stnfprdb. S)af3 fie nidjt audb atg
bebonifdbe auftritt, bag tiegt in ihrem 35>efen; eg ift eine natürtii^e f^otge
ber Stufgabe raetdber fie bient, ba^ fie ben äftbetifd)en ©enu^ ber 3uböter
nur atg Sdtittet für fene oerraertben, aber nidbt benfetben aud) atg ben
eigeuttidben $;bättgfeit betrad)ten fann.
®ie geifttidbe ®erebtfamfeit befitjt in oottem SOtaaße bie itJtittet,
unter entfpred^enben Umftünben 2Serfe „oon bei^oorragenber ©^onbeit"
beroor^ubringen : baran jraeifett niemanb, ber mit ben in ber bedigcn
©dbrift entbattenen, in ber oorigen Stummer augebeuteten SSortrctgen beg
SOtopfeg unb ber Propheten, foraie mit jenen beg §errn unb feiner Stpoftet
unb ben 33riefen ber Sefeteren, — raeiter mit ben SBerfen eineg ^obanneg
©brpfoftomug, ©regor oon Stajinn^i, SSafiting oon ©äfarea, ©prittug oon
3erufatem , ßeo unb ©regor beg ©rof?en , Stuguftin , ißertbotb oon
dtegengburg, ©öffnet, ©ourbotoue, ©taffittou, ©egueri, unb noch mand)er
anberer grofjer i^rebiger einigermaßen befannt ift , unb fotdbe Seiftungen
ju beurtbeiten oerftetjt. Um bie namtidje sbatfacbe in Stüdfidbt auf bie
*) Wan nerglcicf)e roeiter: 5. Wot)f. 18, 9—22. 27, 11 ff. 28, 1 ff.
**) Sg(. iöidtll, Sicptungen ber Hebräer (3nn§brucf 1882) I. ©. 3—22.
®ie l^ö^ere Sßcvebtfamfeit.
683
profane SSerebtf amfeit feftjufteßen, genügt e§, auf bte orntorifdien Seiftnngen
ber jinei gvöpten unter ben Dlebnern be§ cfaffifdjen 3IItcrtf)um§ , be§
Semoft^eneS nnb be§ ©cero, l^injuroeifen; unb roer etma ber ©prad)en
biefer beiben nic^t funbig märe, ber fönnte fid) oon ber S^nfjrbeit beffen
ma§ mir fügten, fd)on burd; eine aufmerffame Sefung mand^er Sieben ber
2?ertreter be§ ©ntrumd im preufdfd^en Slbgeorbneten^anfe roie im beutfdien
3feid)dtage , foicber nnmentticb bie in ben i)lngetegenf)eiten beä „(Futtur=
fampfeS" gcbatten mürben, oonfommen überzeugen.
®a idj in meiner „^b^orie ber geifttidjen 33erebtfamfeit" nid)t eine
„med)anifd)e", fonbern eine „roiffenfd)aftlid)e" Ä'unft ge=
geben nnb babei mef)rfadb juglcid) bie profane 33erebtf amfeit berüdfidjtigt
habe, fo glaube id) mid) f)ier auf bad SBefentlid^ere befcbranfen ju follen.
3'd) roerbe bepb^i^^’ ^Begriff nnb bie iJJfittef einer feben ber jroei
fünfte feftfteden , unb baju ben 3iacbroei§ liefern , bafz bie geiftlidbe
33erebtf amfeit raie bie cioile „fe um ber befonberen if)r eigenen 2lufgabe
raiüen baranf bebad)t fepn mnft, bafz ifire Üeiftungen fidi burd) mögtidfft
bebeutenben nftl^etifdjen 25>ertf) empfef^len". ®ad ift nämlic^ ba§ anbere
ber jroei i)Jierfmate roefcbe mir im fiebenten 9fbfd)nitt (©. 326) geforbert
!^aben, roenn eine £unft beredjtigt fepn foü, ald „fdjöne" Äunft ju gelten.
©rftcö Kapitel*
t)ic l)öl)crc ßcrrötrnmhcit nls rdigiöfc ßimlt, oöer bie gciftltdjf
ßcrcbtramkcit
iTie jmeitbcilige loefentlidic 2lufgabe biefer £unft. 3)te btbnfcnlifdje unb bie
pnregoretifebe Screbtfamfeit. ®ic jmet pfpd)oIogifd)en 9)fomentc , mcld)c
bie geiftlidje Serebtfamfeit für it)re 2lufgabe ju nerraenben l)nt. ^Tie
fRüdfidjt nuf bie Jetjtere üerpflid)tct fie, bovnuf bebnd)t gu fepn, bn^ d)re
Jeiftungen fid) burd) möglidift bebeutenben nftl)etifd)en 25>ertl) empfel)ten.
■417. ^a§ mir im 2lnfange bed a(^ten 2lbfdjnitted Ijinfidjtlid) ber
religiöfen 2lrdjitectnr ^erüorl}eben mnfzten, bnd gilt in nod) unmittelbarerer
95>eife oon ber geiftlidien 23erebtfamfcit : fie befteld in ber iDienfdjl)eit auf
@rnnb einer 3lnorbnnng @otte§ felbft, unb fie roirb beftelfen, folange
ed @ott bem i^errn gefallt, biefe fid)tbarc 95>elt, unb mit il)r bie ©rünbnng
feined eingebornen ©o^ned befteben jn laffen, burd) melcbe er alle 22tenfd)en
jur Grfenntnip ber ^Bd^rbeit unb zum etoigen !i?eben fübren mill. 33Jie
fid) and ber gefammten @efd)id)te ber Offenbarung ergibt, b^if nftmlicb
@ott ZH allen iB7enfd)beit bie Obatfadfen ber übernatür;
*) SSgt. oben 9. S. 12 ff.
684
®ie geijtlic^e Sßerebtfamfeit.
lidjeu Offenbarung niitjut^eiten , unb fie ju beftimnten, ben in biefen
O^atfai^en liegenben i)'tormen gemä^ if)re ©efinnung unb i'^r O^un
einjurid^ten, nicE)t unmitteibar fi(^ an feben (Sinjetnen geroenbet: fonbern
e§ gefiel feiner ®ei§^eit, beftimmte ilRänner au§ ber ©efammt^eit au§;
juraäi)len, unb biefe ju beDOÜmäc^tigen unb ju beauftragen, baß fie an
feiner ©tatt uor i'^ren il}iitmenf(^en aufträten, unb i^nen feine 2®a!^rbeit
unb feinen SBiüen oerfünbigten. 2lm unnerfennbarften tritt biefe§ 35erfa^ren
beä Urhebers ber Offenbarung im neuen ®unbe l^eroor, in ber „^ütle
ber feiten". genügt, an ben ißefe^I gu erinnern roeicfien ber ©rlöfer,
benor er biefer (ärbe feine fic^tbare ©egenraart entjog, feinen Sipofteln
gab ; „ju unterrichten ([i.7.i)-/jt£uaoit£) aüe i^ölfer, unb biefelben 2itfe§
gu lehren (oiodaxov-E?) , ma§ ©r ihnen geboten" ('Ulatth. 28, 19. 20).
448. Sßorten be§ iperrn liegt jugleich bie jroeitheiiige
Slufgabe flar auggefprod;en, roeli^er bie geiftliche ißerebtfamfeit ju bienen
hat. Oie Äir^e foU burch bie iijr übertragene SSerfünbigung be§ 2öorte§
©ottes bie iBtenfi^hfii unterrichten, unb fie foll fie jugleidh Sided hatten
lehren, roa§ ber Urheber ber Offenbarung angeorbnet hat, ba§
foll fie zugleich beftimmen biefeä 2llle§ ju beobathten. Oie ^unft, biefer
Slbfidjt beä ©rlöferä entfprechenb ba§ SBort ©otteä ober bie Sehren ber
djriftlidjen 9teligion norjutragen, baä ift mithin bie geiftliche Oerebtfamfeit.
iDtan barf baä menfdhliche faum mehr alg oberflächlich fennen,
um ju begreifen, baft ber jroeite Oheil ber eben bejeidhneten Slufgabe um
iBieles fc^mieriger ift , al§ ber erfte. i}lnberfeit§ hängt aber baoon
fdjUe^lidt hoch 2llle§ ab, ba^ bie iötenfdjheit ihre ©efinnung unb ihr
Ohun ben in ber Offenbarung gegebenen Diormen gemäß einrichte; roo
ba§ nidjt erreicht roirb, ba ift bie blo^e Äenntniß biefer 3iormen roerthlßS,
unb gereicht nur ju noch g^öfterem 33erberben. Oiefen beiben Dftüdfichten
gegenüber roirb mon e§ gonj notürlich finben, baß fich in ber Kirche
©ottes, neben jener urfprünglidjen unb eigentlidten ©rfcheinungsform ber
geiftlichen IBerebtfamteit, bie in jebem einzelnen Vorträge ber ganzen, nor=
her angegebenen, jraeitheiligen Stufgabe ber S>enoaltung beä SBorteä ©otte§
9ted)nung ju tragen fucht, noth eine jtoeite 3tichtung biefer Äunft au§bilbete,
roelche bie genügenbe jlenntniß ber chriftli(hen Sehre ooraudfe^t, unb
ein3ig barauf auggeht, auf bag freie ©treben ber 3uhover ju roirfen, fie
nämlid} bahinjubringen, ba^ fie ihre ©efinnung unb ihr Seben ben
iBorfchriften ber Offenbarung gemäfj einri^ten. 3^ meiner
geiftlidjen 23erebt jamfeit" habe ich jraeite ^Richtung „bie paregoretifche
IBerebtf amfeit" genannt, unb ihr gegenüber bie erfte, mit Äleutgen, „bie
bibaicalifdhe 23erebtfamfeit" *). Oie Oefinitionen ber beiben ©rfd}einungg=
formen finb biefe:
*) ®e§ 3Borte§ otoaT/.stv bebient fid; ber |>err in ber oorher angeführten ©teile,
®te geiftfid^e Serebtfamteit.
685
®te btbafcalifdje ^Berebtfainf eit i[t bte Äunft, bie £et)ven
bev c^rtftlic^en SteUgion Dermittelft ber 9^ebe fo barju=
fteUen, bafi bie ©orfteUung geeignet ift, ben 3'i^örern bie
ftare iinb beftimmte (Srfenntni^! ber f eiben 311 n ermitteln,
nnb fie 15 n beftimmen, bie) eiben, al§ bie DZornt be§ d)ri)'t=
lidjen i* *eben§, in feftem ©lonben nnb mit entfdji ebener,
mirffamer Siebe 51t nmf affen.
® i e p a r e g 0 r e t i f d) e 33 e r e b t f a jn f e i t i ft bie Ä n n ft , S e I) r e n
ber d) r i ft I i e n e I i g i 0 n u e r m i 1 1 e I ft ber e b e f 0 b a r j 11=
)'t eilen, baf; bie ®arftellung geeignet ift, bie 3iil)örer jn
beftimmen, bief eiben al§ 9torm il)re§ Sebend in feftem
@Innben nnb mit entfdbiebener, rairffamer Siebe jn nni;
f affen. Cber: ®ie pnregoretifcfie 33erebtfnmfeit ift bie Jlnnft, bn§ @nte
ber nbernatürlidien Crbnnng nermittelft ber iTdebe fo barjnfteUen, bap bie
©arftellnng geeignet ift, bie 5» entfdfiebener nnb roirlfmner Siebe
biefe§ ©Ilten ju beftimmen.
33on ben fünf 511 nnterfdieibenben 9Irten ber geiftlid)en Sortriige
geboren ber bibafcalifd)en 33ercbtfamfeit an bie Äntedbefe, bie bibafcalifdjc
'^rebigt ober bie Unterroeifnng , nnb bie vf^omilie; paregoretifd) bagegen
finb bie paränetifdje ^ßi'ebigt nnb (meiften§) bie panegprifebe.
4+9. 9Sie fie ber .I?nnft ber 9Serfünbignng be§ 2Sorte§ ®otte§ ibre
3tnfgabe feftftellt, fo lebrt bie Offenbarung fie roeiter and) bie ÜOdittel
fennen, roeicbe fie im Oienfte biefer ihrer 9Infgabe anäitroenben, bie
pfpd)oIogifcben iUdomente burd) roeld)e fie auf ba§ freie ©treben, nm e§
511 beftimmen, jn inirfen b^il- 5Sort @otte§ ift jener 01)^^^
©nabe, meld)er ganj bejeid)nenb bie „andere ©nabe", gratia externa,
genannt 311 roerben pflegt. ©§ bitbet mit bem anberen Obe^^c /
„inneren ©nabe", gratia interna, inSbefonbere mit ber actnellen, ein
cinbeitlid)e§ ©anjed; eS b^^t baffelbe 3^ct — bad
freie nbernatnrlid) gute ©treben — , nnb ed ift nnr bann mirffam,
roenn biefe fid) mit ibm nerbinbet. Oie geifttidje Sßerebtfamfeit mnfj lidj
fomit angeroiefen feben, in ber Oermattung bed SSorted ©otted eben jene
pft)d)oIogifcben SJdomente 311 oerroertben, bereit fid) in ber ©penbiing ber
actnellen ©nabe ber heilige ©eift bebient. Oiefe finb aber 3mei. 3'4ofevn
ncimlid) bte „3nDorfonttncnbe" ©nabe atd „©nabe für bad ©rfenntni)3=
nermögen" *) auftritt, roirft fie in ber ©eete bed 'Dtcnfcben nbernntürlidie
©rfenntni^tbätigfeiten, b. b- mit ©tanbendüber3engnng nerbnnbene llrtbeile.
TOattb- 28, 20; imb ber Stpoftel bejeiebnet 9t5m. 15, 4 „bie UntenDeifung",
Xtet, ber ßbriftenbeit at§ ben ber gefainmten Offenbarung. Sa§ 3Sort -apr,-
yopsü) bebentet, „bnrd) ^i'reben auf ba§ ©emütf; Slnbercr rötrfen".
*) Gratia intellectns, gratia illustrans.
686
Sie geiftlic^e SerebtfamJeit.
beren Sßa^r’^eiten ber Offenbarung, ober notfiroenbige f^otgcvungen
au§ fo(d)en, bilben; infofern fie anberfeit§ alä „@nabe für baä Streben"*)
erfc^eint, erzeugt fie im ©emüt^e be§ iKenfc^en übernatürliche 'Jiegnngen,
religiöfe ©efü^le. Oem entfprectienb l)fli <iUo ih^erfeitä bie geiftliche
ißerebtfamfeit gleicl)fall§ auf ba§ (Srfenntniffoermögen unb auf ba§ ©emüth
ber 3ii^örer einjuroirlen. Sie mujf bie geoffenbarten 2Bahrl}eiten bie fidh
eignen, bie Setjteren p bem befonberen fe in bem einjelnen f^aUe non i^r
beabfidftigten SBoIlen jn beftimmen, in ber SBeife oorlegen unb ouäführen,
baß bie Oarftellung baju angethan ift, foraolil bie bem jeraeiligen 3^e(fe
be§ ä)ortrag§ entfpred)enben, mit übernatürlicher ®Iauben§überjeugung net;
bunbenen Urtheile, al§ bie jenen förbernben religiöfen ©efühle in
ben oeranlaffen. Oa§ ©ine roie ba§ Slnbere roirb bem ißre=
biger um fo leichter unb um fo ooltfommener gelingen, je größer bie 3Ser=
ehrnng unb ba§ ißertrauen ift, roel(l)e§ bie ^uhörer it)m entgegenbringen.
450. geiftli(^e 25erebtfamfeit auCh in ber Ohat t)er=
pflichtet, um ihrer eigenen Slufgabe roiden barauf bebadjt gu fepn, ba^ ihre
Seiftnngen fiCh burch möglidhft bebentenben äfthetifchen SBerth empfehlen?
2[l>ie roir eben noch bemerken,
übernatürliche IRefultate hcn'belt, ber ©rfolg menfchliChen Ohun§ immer
mefentlidj unb an erfter Stelle oon ber inneren ©nabe ab, melihe nur
ber heilige ©eift fpenben fann. illid)t§beftoroeniger erinnerte noch
in feiner erften ©ncpclica (oom 9. iRooember 1846) bie if$rebiger , ba^
fie bie SBahrheiten ber Oleligion bem Solle in roürbeooller unb
fd)öner Oarftetlung ju oerlünbigen halben. SChon bie §eiligleit unb
.Roheit be§ SBorteg ©iotte§ erheifcht eg, bie ernfte Sebeutung be§ 3^^‘^eg
um beffen roitien baffelbe öffentlich oerfünbigt roirb, unb bie amtliche
Stellung be§ OienerS ber jtiri^e meiner e§ oorträgt, — baf3 in ber
ifJrebigt foroohl bialectifche Orbnung unb pfpd)ologifche 3^öedmäf3igleit
beg Saueg herrfdje, alg eine geroählte Sprache, ein ebter, f^öner, roür;
biger Stpl. Oajn fommen ober nod) roeitere Iftüclfi^ten oon nicht
minberer Sebentung. Oer i]3riefter roirb offenbar feine 3wprer mit um
fo gröjferem ©rfolge unterrichten; er roirb fie ju ber übernatürli^en
©eroiftheit oon ber SSohi'heit beffen roag er oorträgt, um fo leister
bringen; er roirb bie bem befonberen 3™^'^^ feineg Sortrageg ent=
fpredjcnben religiöfen ©efühle um fo ficherer unb um fo intenfioer in
ihrem i^erjen oeranlaffen; er roirb überbieg ihr Sertranen unb ihre
Serehrung in befto ooUerem ilRaafie befit^en, unb hiefburch um fo mehr
im Staube fepn, mit ©rfolg auf il)r freieg Streben beftimmenb einju=
roirlen; je mehr er eg oerfteht, ihre Snfmerlfamfeit unb ihr ^i^tereffe
toadj ju erhalten, fie ju feffeln, unb fo ju beroirlen, bof3 fie mit Oheilnohme
*) Gratia voluntatis, (jratia inspirans.
Sie geiftlicf)e Serebtiomfeit.
687
unb tebenbigev gei[tiger ^.fjätigfeit feinen SBorten folgen, iDaf3 bte geiftüdje
S3erebtfamfeit fjteranf ernftUd) bebadjt fei) , ba§ forbert mib^in ii)re
raefentlii^e 2(nfgabe feibft. 9hin finb aber bte iDiittel Ijierfnr genau
biejenigen, rae(d)e baju angetfian finb, ben geiftüd^en ißorträgen äftlje=
tifdjen Söert^ jn uevlei^en. 25>ir Ijaben biefen Öiebanfen in allgemeinerer
f^affnng fc^on frülier begrünbet (236. 0. 329 ff.), ^n je pl^erent iHtaaffe
in ber ')?rebigt, fomoljl roaä iljren inneren oratorifdjen
San, al§ iua§ bie Sprache, bie ‘)ironnntiation nnb 2lction betrifft, (eine
rec^t nerftanbene) 97enl)eit nnb töiannidifaltigfeit Ijerrfc^t, je mel)r biefelbe
nnter jeber DlücEfidjt raal^rljaft fdjön ift, je flarer, je (ebenbiger, je fieg=
reid)er barin bie 2Sa()rl)eit lendjtet, je fühlbarer fie bie ©rofjartigfeit, bie
(frbabeni^eit ber £l)ntfad)en ber Offenbarung bem @emütl)e ber
naljelegt: befto mef)r mirb fie — unter übrigens gleidjen Umftänben —
audj geeignet fepn, auf baS freie Otreben ber iöel^teren entfd)eibenben
©influjj ju üben, uitb e§ mirffam ju beftimmen.
(Srinnert man fid) beS oorl^er, dl. 446, bereits ©efagten, fo fann eS
Ijiernac^ nidjt meljr jmeifell)aft erfi^einen, bap mir bie geiftlidje Serebtfamfeit
mit Düllem 9led)te ben „fdjonen fünften" beijüi^ten.
^nfofern einem £efer baran liegen fodte, bie in biefem bbapitel in
gebrüngter Ä'ürje gegebenen ipunfte roeiter nnSgefüljrt jn fefien , oenueife
id) auf meine fcfion ern)dl)nte „Ol^eorie ber geiftlid^en Serebtfamfeit",
inSbefonbere auf bie ütnmmern 38 ff., 90 ff., 122, 164, 177, 211 f,,
220 ff., 282 ff.
■Die l)öl)crc jßrrfbtfttuilictt nie cbilc fiimfl, ober Me
tBercMfamkctt.
S- 1.
llcßcr ben piJegrtff ber ovatorifdfen
Otc Definition bcS 3tUertl)umS; ein mißlungener Serfndj neuerer 3(utoreu, fie
burd) nnbere (Srf'Iärungcn ju oerbrnngen. Der (ßrfteren feljlt übrigens
ein raefenttidjeS (Element, unb bnrum ift and) fie unridjtig; SemciS.
©ine rid)tige Definition; roie fid) bie lauge §errfc()aft ber alten erflnren
taffe. 3iDciter SemeiS gegen bie 2Önt)rl)cit berfelben. Die oratorifd)e
Serebtfamfeit, rid)tig aufgefaßt, erfd)eint alS eineS jener @üter, bie nnd)
@t. Sluguftin „fid) nid)t mißbraud)en Inffen". (Sine feineSioegS nntife
(Sinfeitigfeit neuerer Vertreter ber alten Definition.
451. ^er (Srflürung (Sicero’S äufolge ift bie oratorifdje Serebt=
famfeit „bie £nnft, fo ju reben, baf) bie 9^ebe geeignet ift, baS freie
688
$ie oratorifc^e ©erebtfamfeit;
Streben Stnberev roirf|am ju beftimmen" 348), ®ie in btefer Definition
gegebene Sluffaffung roar in jener '^eriobe ber pd)ften ®tüte
ber oratorifcfien 35erebtfamfeit unter ben Sftömern, bie altgemein feftgefial=
tene, unb ba^^er jebem ©ebitbeten geläufig 349). 2ll§ fol(^e, al§ ein um
beftritteuer feftftel^euber ©ruubfa^ erfc^eint fie, mit ben faft unoeränberten
Sßorten (Jicero’ö, nier^unbert 3<^^re fpäter nod) bei bem ^eiligen 2tugu=
ftin 350), Unb ganj in bemfelben Sinne faxten ben Segriff ber orato=
rif^en ®erebtfamfeit auc^ bie ©riedien. 3focrate§, ‘D^eobecte§, ipiato,
2triftotete§ , unb Stnbere melc^e Quintitian auffül^rt*), bejeid^nen eim
ftimmig ba§ „tteiösiv“ at§ bie Slufgabe ber oratorifc^en ißerebtfamfeit:
Koibstv :^ei^t aber eben, roie persuadere, „auf bag freie Streben Slnberer,
eg beftimmenb, einroirfen". 'Dian nergleii^e auc^ bie im Slnfange biefeg
2lbfd)nitteg, S. 679, nngefü’^rten ©ebanfen beg 5jßtato unb beg ©nripibeg,
in benen bie nämti(^e 2lnfd)auung flar tieroortritt.
„Die ilieueren", conftatirt Suljer, „l^aben bie Dl^eorie ber (orato=
rifdien) Serebtfamfeit ungefähr ba getaffen, roo bie Sitten ftilt geftanben.
Sßenigfteng roüftte ic^ nid^t, mag für neuere Sd^riften icb eiuem ber ben
ßicero unb Ouintilian ftubirt !^at, gnm ferneren Stubium ber Dl)eorie
empfel)len fönnte" **). Diefe Sßorte ranrben im gebrudt;
ic^ meine, fie biirften and) Idente noc^ roa’^r fepn. 2öag ingbefonbere bie
Definition ber oratorifd)en S3erebtfamfeit betrifft, ^aben freilich fram
5Öfifc^e Stutoren geglaubt, jene ber Sitten burd^ eine anbere erfe^en ju
muffen, unb oor 25 ’Ttan biefe aud^ nad§ Deutfd^lanb oer=
pflanjt. Slber biefe S7eul)eit ift nid^t ein gortfdjritt, fonbern ein unroiffem
fdjaftlic^er IRüdfd^ritt : icb bag anbergroo nacbgeroiefen ***). Ueber=
bieg fottte man nid)t überfeben, bap eine ^unft nidbt befinirt rairb inbem
man ihre Stliittel nennt, fonbern baburcl)/ ^mn ihre Stuf gäbe
bejeid)iiet; nur in fofern mu^ bie Definition ain^ bie Slngabe non ?07itteln
ber Jlnnft entljatten, otg bieg notbmenbig ift, um fie non anberen bie
ber gleichen Slufgabe bienen, ju unterfcbeiben.
453. Sllg gelungen anjnerfennen uermag icb wbef) aud) bie norber
ongegebene Definition ber Sitten nid)t. Diefetbe ift roefenttidb mangel;
baft, unb barum unrichtig.
.'öeben mir, um biefen Sa^ ju beroeifen, junäcbft b^t'Dor, bap bie
Definition ber Sitten einen ©ebanfen entbölt, ben fie, ftatt ibn augjm
fprecben, nur anbeutet, unb ber in 3^olge beffen leicht unbeachtet bleibt.
3ebe ^bätigfeit beg freien Strebeng, jebeg überlegte S5)oHen, ift befanntlich
ber SStoratpbilofopbie jufolge immer entroeber etbifch gut ober b<öfe, 3Soll=
*) Quint. Inst. orat. 2. c. 15.
**) Sutäer, 3lttgcmcinc Sbeoric ber fd)önen j?ünfte, 9trt. ,,'Jtebefunft".
***) ber geiftt. 93erebt)amfeit, 9t. 36. (2. Stuft. ©. 48.)
511V g-eftfteUung i^re§ Scgrtffä.
689
[tänbig ausgebriicft , (aiitet mitljiu bie ©efinitiou bev 3((teii atfo; „^Dte
oratorifc^e 33erebtiamfeit ift bie Ä'unft, fo ,511 rebeii, baf? bie 9tebe geeignet
ift, ba§ freie ©treben 2tuberer, fei) e§ ju etbifd) ®utem ober 511
33öfem, tüirffam 511 beftimmen." 9{nmlid}, roie bereite Ouintitian gan,^
rid^tig bemerft I)at, „üermittelft ber 9iebe bn§ freie ©treben 9lnberer
roirffam beftiinmen, ba§ tt)iit and) bie i^u^terin, ba§ tifut and) bie
©d)meid)etei nnb bie 58erfüf)rung" 35i).
2tu§ ber ©efinitiün ber 5[(reu ergibt fid) fomit unmittelbar biefe
fvolgerung: SKenn femanb in ber 5tbfid)t, einer gered)ten ©ad)e ^um
©iege ju nerbelfen , ober feine 9Jtitnienfd)en jur Hebung ber 2:ugenb ^u
beftimmen, oor itjnen ergreifenbe Dteben b^lt, meldje ba^u angetl)un finb,
fie in biefer Dbiditnng entfdjeibenb jit beeinflnffen ; itnb roenn ein 2Inberer
gleid)fallg bnrd) iReöen, bie in bol)em 9J{aaffe geeignet finb, auf ba§ freie
©treben ber beftiminenb ju inirfen, ba|in arbeitet, baf) bie Un=
fdntlb nnterbrücft loerbe nnb bie Ungeredftigfeit trininpbire, ober baf)
Untert^anen gegen il)ren reditmcifiigen fynrften eingenommen roerben nnb
fid) in offener (5'inpörnng gegen i^n erbeben: bann ift e§ ()'ine nnb
biefelbe Ännft, bnrd) raetd)e beibe fid) bcvüortt)nn, niimlid) bie orn=
torifd)e 23erebtfamteit;
Diun ift aber biefe fyotgernng falfd) ;
''l'ltitbin ift and) bie Definition fnlfd), an§ ioeId)cr biefelbe mit bia=
lectifdfer Stotbiuenbigfeit ben)orgel)t.
2Bir bnben mir ben Unterfnt) biefed ©pltogiämnd jn beroeifen.
25>etd)e finb bie ''DHttel, beren fid) ber crfte ber ,^ioei d)arncterifirtcn
Dtebner für feine)t f^med bebient? @6 finb bas, erften§, bie oratorifd)en
i'orjnge ber ©prad)e, fo)oie ber '’-|ji’f"i'i'diation nnb 2lction; groeitcnd,
eine folibe Setoeisfübrnng , oermittclft beren er, ioal)re ©rnnbfcit^e nnb
l)iftorifd)e ©!^atfad)en bialectifd) mit einnnber oert'ettenb, feine 3iü)örer oon
ber dtid)tigfeit jener ber Sernnnft nnb ber 2.l'ei§^eit @otte§ cntfpred)en;
ben ©ö§c jn nberjengen fnd)t, benen gegenüber ei)i 9JHnm fid) für ba§
loaS ber iKebner beabfidjtigt, entfd)eiben mnf); britteng, eine 2(ngfül)rnng
geroiffer bebeutenberer 9.\'omente, )üe(d)c bag @efül)t ber ßiebc gnr @e=
red)tigfeit nnb beg ©iferg für fie, ber ©f)eiltial)me für bie oergeiualtigtc
Unf(^ulb , ber ©ntrüftnng über bie Ungeredjtigfeit, — überl)anpt nnb in
allen g-ällen etl)ifd) gute, lobengraerf^e , ben 'üOHnfdjen el)roibe nnb oer=
ebetnbe @efü^te, in ben l)eruorrufen mnfi; enblid) oierteng, ein
3Inftreten nnb ein 23enel))nen, in ioeld)em fid) bie etl)ifd)en nnb inteH
tectuellen ißorjüge feiner eigenen ©eele in ganj nntürlid)er nnb nngefnd)ter
Steife fnnbgeben, bag il)in barnm bag ilertrnnen nnb bie iserel)rnng berer
geroinnt )^n benen er rebet, nnb fie geneigt mad)t, fei)tem Stoffe ,^n folgen.
Unb loag für iWiittel menbet bem gegenüber ber jiueite 9lcbner an 2 3"=
nü(^ft, gleidjfaltg bie ilior;^üge beg ©tplg nnb ber '^ronnntiation nnb
Sungmann, Stcftfjetif. 2. SüifO -14
690
®te oratorifc^e Serebtfamifeit;
3Iction, iinb jToar ino möglich in noc^ einne^menberer 3Soüenbung a(§
ber erfte; ^TDcitenä, eine fop^i[tifd}e 2lrgumentation, roeldje entftetite ober
erbid)tete Sl^atfadjen nnb boppelfinnige ober au(^ einfach falfc^e ®ei)aup=
tungen in gefd)icfter SBeife fo mit einanber oerbinbet, baj? e§ ber im
$Denfen ungeübten ?Wenge faft unmögU(^ ift, nic^t betrogen ju roerben;
brittens, eine pat^etifdje 2Iu§fü^rung, roelc^e fid^ an bie oerfe^rten 5Rei=
gnngen beö menfc^lidjcn ^erjend roenbet, nnb bie ^abfn^t, ben (S^rgeij,
ben ijod)innt^, bie 9^a(^fui^t, mit fc^tauer 2Seredjnung in ^dämmen fe^t;
oiertenä, @djmeid)elei nnb ©imulation, bei roeitauä ben meiften ÜOdenfc^en
ba§ ii(^erfte iUtittet, jie jn be§errfc^en: jene in ip^^rafen, ÜRittl^eilungen,
iüerfidierungen, roeidje bie (Eigenliebe ber beftecf)en, biefe in bem
erfünftelten Scheine einer TDo|trao[Ienben, aufrichtigen nnb uneigennü^igen
(Sefinnung, eines burd) nnb burd) ebten O^hai^flCterS.
^'db frage: finb bie 3roede für roeldhe biefe jroei ilRänner arbeiten,
gleichartig ober nid)t? nnb bie iUtittet meldhe fie gebrandhen, finb bie=
felben ibentifdh, ober finb fie roefenttidh oerfcbieben?
“OJcir fd)eint, bie 2(ntroort ift nicht übermäf^ig fdhroer. ®ie ethifdhe
©utheit nnb bie ethifdhe öchledhtigfeit gelten bis auf biefen 2:ag in feber
gefnnben unoereinbare (55egenfäl3e; nnb ba^ baS mahre
SS^ohi ber ilttenfdhheit baS burd) ©eredhtigfeit unb 3;ugenb bebingt ift,
unb ber fRuin ber iDtenfihheit roeld)en Ungeredhtigfeit unb Empörung nadh
fich jieht, feineSroegS gleichartige 3jinge finb, baS pftegt man ainh ohne
P roiffen. ®ie jroei dtebner um bie eS fid) h^nbett, arbeiten
mithin für roefenttidh oerf dh i eb ene roahrs
fdheintidh, ba^ roefenttidh oerfd}iebene 3TOede burd) ibentifche iDHttet erreicht
roerben fönnen. 2lber fehen roir ju. Söahrheit unb lügenhafte @ntftel=
tung berfetben, ehrliche bialectifdh genaue SeroeiSführung unb ber 3;rug
ber ©ophiftif, — ©efühle bie ben iödenfchen oerebeln nnb ßeibenfd)aften
bie ihn entehren, — baS nnbeabfiihtigte ober jebenfallS ungefuchte §er=
oortretentaffen einer ebten, felbftlofen, beS SiertrauenS roürbigen (Sefin=
nung, unb bie berechnete ©imutation berfelben in 2Serbinbung mit oers
logener ©chmeiihelei; biefe jroei, fe breitheiligen Ddeihen non ilJiitteln,
beute id), liegen jebenfallS nid)t minber roeit auS einanber, atS bie 3fö2'^£
um bereu roitlen fie roirffam gemad)t roerben.
3ebe Äunft djnracterifirt fid) in ihrer ©igenart auSfchtiefelidh burch
ben uerfolgt, nnb bie iDlittel roeld)e fie für benfelben in
3tnroenbung bringt. ©)ie Äunft, uermittelft ber 9iebe 2lnbere für baS
ethifdh ©Ute ju beftimmen, unb bie ©eroanbtheit, fie oermittelft ber IRebe
JU oerführen, oerfolgen aber, roie roir gejeigt haben, roefenttidh oerfdhiebene
3roede, unb bebienen fid) roefenttidh oerfdjiebener iDdittet. fyotglich finb
jene Elunft unb biefe ©eroaubtheit roefenttidh oon einanber oerfchieben:
unb eS ift fomit fatfd), bafe eS ©ine unb biefetbe Jlunft fep, burd; roeldhe
jur geftfteHung i^re§ 33egnif§.
691
bie jroet Wänner uon benen oben bie 91ebe raar, fidj !^en}ortl}un. ®o§
raar aber ber Unterfa^, beu rair ju beroeifeu Ratten.
453. S)amit bie alte ©efmition ricl)tig roerbe, ift eg mithin not!^=
roenbig, ein Element Ijinjiijufügen, roobuvd) bie Slufgabe ber oratorifd^en
23erebt)amleit umgränjt unb nä^er beftimmt inirb. iTliiintilian ^at biefeg
(5-Iement mit gan?; ridjtigem 33Iide angegeben: ber früher noi^ ©cero
erroäljnten Definition *) foll ^injiigefebt roerben quod oporteat **). Deutfd)
befiniren mir l)iernad) fo: „Die oratorifd)e 3?erebtfanifeit ift bie itunft,
fo ju reben, baff bie fRebe geeignet ift, bng freie Streben Slnberer ju
et^ifd) ©ntem roirffam gn beftimmen" ; ober beffer: „Die orato=
rifdje Serebtfamf eit ift bie Ä'unft, bag ©nte ber etl^ifd)en
Orbnung oermittelft ber fÄebe fo bar gn ft eilen, bafg bie
Darftellnng geeignet ift, bie 3i‘*iörer gn entfc^i ebener unb
rairffamer Siebe biefeg ®nten gn b eftimmcn."
UT'ie aug bem ©efagten ^eroorge^t, ^at Duintilian auf bag fye^ter=
^afte ber alten Definition anfinerffam gemad)t, unb uor il)nt Ijatten eg,
feinem eigenen 33erid)te gufolge, anbcre ©eleljrte getlgan; eg ift gu be=
bauern, baf? er feinen ridjtigen ©ebanfen nid)t feftge^alten nnb mit (5on=
fequeng burdggefnlirt Igat. Soroolgl biefeg, atg namentlid) bie Dbatfad^e,
baff in ben Spulen fic^ bie alte fel)lerl)afte Definition beliauptete, unb
audf ^eute nod) nielfni^ geleljrt mirb, biirfte fid) groffentbcilg ang einem
Umftanbe erltnren, ber einem onfmerlfamen Sefer beg in ber oor!^ergel)en=
ben Dhimmer ©efngten faum entgangen fenn fann. Unter ben fe oier
Kategorien oon iLRitteln bereit fid) einerfeitg bie orntorifd)e SBerebtfomfeit,
anberfeitg bie „Kunft" ber !iferfii^rnng bebient, ift ©ine beiben gemein;
fam: nämlid) bie oon ung (S. 689 f.) je an erfter Stelle genannte, bie
oratorifc^en 33orgtige beg Stplg unb ber '^©-onuntiation unb 5lction.
Diefe ©orgüge finb nnn gngleid) bagfenige, mag an ber iRebe am meiften
in bie Singen fpringt, beffen SSertb und) ber Oberfläd)lid)feit am leid);
teften einleui^tet, bag nad) ber befannten Sleuperung beg Demoft^eneg
oorgnggraeife roirffam ift, unb in ben meiften fyätlen ben ©rfolg ber Siebe
entfd)eibet 352). „Stuf bem Dl)eater", fdirieb einft Slriftoteteg in beni;
fetben Sinne, „pngt gegenroärtig faft Slllcg oon ber Sluffnbrung ob,
unb eg fömmt bavum oiel mcbr auf bie Sd)aufpieler an, alg auf ben
Dichter beg Stüdeg. ©erabe baffetbe ift bei üffentUd)cn Sieben ber galt
in Slüdfid^t anf bag Steufeere berfetben; jene Slebner l)abeu meifteng ben
©rfolg für fid), ioeld)e biefen 'ibeil ber S)erebtfamfeit, ben Stpt, bie
^45ronnntiation unb Slction, am beften gu l)anbl)aben loiffeu, — freilid)
*) Eloquentia est ars dicendi accommodate ad persuadendiim. 2Sgl. oben
i£. 687 f. nnb bie bort beäeid)neten Stnmcrfnngen.
Quint. Inst. orat. 2. c. 15.
44*
692
®ie ovatoriid^e Serebtf amfeit;
nur tu ^otge be§ S5erfaUe§ be§ öffenttic^en fiebenS, unb ber Urb^eU§=
fofigfeit ber 3uprer'' *). ®iefer 9tüifft(f)t, [age tc^, mag ba§ bem Dtaume
rote ber 3^1^ auägebe^nte S3e|te!^en ber fehlerhaften alten 5)e:
finition ju^uft^reiben fe^n; rote fa auch bte Flamen „Serebtfamfeit" unb
eloquentia ohne 3TO«fet berfelben 9tücfft(^t fi(^ erflären: man be=
jeichnete bte ganje Äunft nach feuern ihrer iDiittel, ba§ fich norpg§roetfe
unb an erfter ©teile bemerfbar macht.
454. 2lber roenn e§ — um bem in ber norlehten Stummer gegebenen
©eroeife nod) einen roeitereu folgen jit laffen — roenn e§ ber oft ober:
flächliihen 2tuffaffung be§ menfchlichen ®eifte§ onheimgegeben ift, bie
iliamen ber ®inge ju fi)dren, fo hängt bagegen ba§ SBefen ber \!ehteren
unb ihr ©egriff oon einem gang anberen, niel höheren i]]rincip ab, oon
ihren einigen Urbilbern in ber unerfchaffenen 3Bei§heü **)• iRun gibt e§
aber in ber Sßeidheit ®otte§ fein Urbilb für eine „Äunft, fo gu reben,
bah öie iRebe geeignet ift, ba§ freie ©treben Slnberer roirffam gn beftim=
men" ; feite Urbilber roeldfe bie unerfchaffene äOei^heit roirllid) umfchlieht,
finben nielmehr ihren richtigen 2lusbruif eingig unb allein in ber non un§
(©. 691) gegebenen ©efinition.
©>arum? „Urbilber" im eigentlidfen ©innc be§ SBorteS gibt e§ in
@ott ber ©ietaphpfil gufolge nidjt non ben ©attungen unb 2Irten ber
®inge , fonbern nur non ben (äingelbingen 353). ®ie ©ingelbinge roelche
für unfere f^rage in ©etradft fommen, bilbet offenbor bie orotorifhe
©erebtfamfeit infofern fie, al§ auägebilbete j?uuft ober ald 2lnlage, in
ben eingelnen roirflid) fepenben ober benfbaren ÜRenfchen inbinibuelleS unb
concrete§ ©epn hat. 9hin ift aber unter allen hietmit begeichneten Urbilbern
nidft ©ineg, in roelchem bie oratorifche ©erebtfamfeit al§ „bie Äunft, 2ln=
bere btird) bie iRebe gu nerführen", fid) barftellte; benn biefe „jtunft" ift
ein ethifch ©d)fsd)teg, unb non fchlechten ®ingen alg fo Id) en gibt e§, roie
abermalg bie 20tetaphpfif lehrt, überhaupt gar feine Urbilber 354).
f^olglich erfdfeint bie oratorifche ©erebtfamfeit in fümmtli^en Urbilbern
eingig in fetter ©?eife, roie fie bie non tin§ gegebene ©efinition characte=
rifirt, unb in biefer allein finben bie Urbilber ihren richtigen 2tugbrucf.
Man eriniebere nicht, bie oratorif^e ©erebtfamfeit erfcheine nielmehn
in allen Urbilbern al§ „bie Äunft, fo gu reben, bafg bie iRebe bo§ freie
©treben 2lnberer gu beftimmen geeignet ift". ®iefer Slnöbrucf umfdjliept
fa — mir haben bag nachgeroiefen (©. 688 f.) — gerabe fo gut „bie
Äunft gu nerführen", nlfo bag etl)ifd) ©chlechte, alg bie Äunft, burch bie
IRebe für bag ethifch ®ute gu roirfen.
*) Arist. Rhet. 3. c. 1. n. 4. 5.
**) Thom. S. 1. p. q. 14. a. 12. ad 3. q. 16. a. 5. c. et ad 2. a. 1. c.
(®iefe ©teilen finben fich üt ben Slnmerfnngen n. 168.)
ji:r g-eftfteUung i^re§ Segrtffä.
693
S'3ill iintl)iu bie Sleft^etif, lüill bte 5£beovte ber oratoriidjen i8erebtfam=
feit eine ©efinitiou biefev £unft auffteUen inelcbe tdo^^v ift, b. f). nietd)e
mit ben entfpred)enben Urbitbern in ber einigen SBeig^eit übcveinfthnmt,
bann mng biefetbe nottjinenbig fo befdjaffen fepn, bag if)v gegenüber al§
©rjeugniffe ber Ännft non ber mir reben, nn§|d)fiegtid) bie etbifd)
guten tReben erfd}cinen ; jebe ©efinition bagegen me(d)c and) ctbifd^ fd)ted)te
Dfeben al§ roa^re ©rjengniffe ber oratorifd)cn 23erebtfnmfeit anerfennt, ift
nninafjr, nütl)in nerfebtt. „®ie erfd)affenen ®inge finb" mir „inabr,
infofern fie mit ben ^becn ber älRigljeit ®otte§ übercinftimmen ; ein ©tein
j. ift ,ein mabrer‘ ©tein, meit er üttfeg bat, road bem llrbitbe in ber
S6ei§beit @otted gemäg jnm Sft>cfen be§ ©teined gehört" *).
'Ruf anberen ©ebieten I}at man bad tnngft anerfnnnt. Üfiemanb ber
ltn beiifen nerftef)t, mirb jngeben, bag 3. 3t. folgenbe Definitionen rid)tig
fegen ; „Die tRegicrungdfnnft ift bie Ännft , einer ©efammtbeit non
3)fenfd)en mad immer für @efefee jn geben, unb biefetbcn 311 banbfjaben" ;
ober;' „Die (5r3iebungdfnnft ift bie .iTnnft, bie i?tntagen bed .^'inbed
nnd3itbitben, fei) ed 311 feinem 33eften ober 311 feinem iRrberben". 3fld
m ab rc ®r3ief)nngdfnnft inirb man mit Üted)t eiii3ig bie .^bnnft gelten
taffen, „bie 2(n(agen bed öf'inbed in jener 2i>eife 311 entinid'eln, inetdje
ben 9lbfid)ten beffen entfprid)t ber ed erfdinffen bat"; nnb atd
roaf)re Üfegicrnngdfnnft feine . anbere afd bie Ännft, „eine @efammtbeit
bnrd) @cfet^e nnb biird) luirffame >'oanbbabnng berfetben in foteber
Si^eife 311 leiten, inie cd bereu in ab ved SDobt crbeifd)t". iffind
bie 3fcrfd)iebenbeit biefer 3inei richtigen Definitionen non ben 3iierft angc=
führten nnrid)tigen begrünbet, ift aber tebigtid) jened (fdement, bad mir
in bie mangelhafte alte Definition ber oratorifd)cn 9?erebtfamfeit cingefügt
hoben: itjre 9tid)tung auf bad 9icd)te, anf bad ifi>of)l berjenigen metd)e
ben ©egenftanb ihrer 3tndübnng bilben. Stenn man bie Unentbchrlidjfeit
biefed (5'Iementd anerfennt, roo ed fid) nm bie ibnnft ber (tT3ichung ober
bed Ofegierend honbett, mit metdjcr (fonfeqncn3 finbet man bnffelbe in ber
Definition ber oratorifd)en Serebtfamfeit überftüffig? @erabe fie gebt
ja nod) nnmittelbarer nnb audfd)Uefdid)er , ald bie 3mci anberen, baranf
and, Shötigfeiten 311 ocrantaffen, mctd)e ihrem ältefen nad) immer ber
ethifd)en Orbnnng angeboren.
+55. 2tud ber Definition mie mir fie htevmit feftgeftedt hoben,
ergibt fii$ , bap bie orntorifebe Serebtf amfeit jener iUaffe non @ütern
bei3U3äbIen ift, meld)c ©t. 2tngnftin „@üter erften Sfnnged" nennt. Der
heilige Äird)entehrer erftnrt nämtidj für „(.■fn'iter brüten üfnnged" jene
Dinge bereu ber Scenfdj, nm etf)ifd) gut 311 teben, nid)t bebnrf; bnf)in
gehören bie uerfd)iebenen 9frten förperlid)er Dinge. 3ltd „@üter 3meiten
*) Thom. S. 1. p. q. 16. a. 1. c. (^n ber Stmnevfiing n. 168.)
694
Sie oratovifd^e Serebtf amfett;
Dranges" bejetd^net er btejemgen bereit ber ?[Ren[c^ bebarf um etl^ifc^
gut ju lebeu, bie ftö) aber auch, gleid) ben @ütern britten 9dange§,
mi^braui^en taffen; foldbe finb bie Seetenuermögeu, rate bie if^bontafie,
bie 95ernuuft, ber freie ®itle. ®ie 5ttaffe ber „@üter erften iRange§"
bagegen umfaf^t fämmttidfe 23orjüge bie fitb uicfit mif^raui^eu
taffen, infofern fie itirer iJdatnr unb i^rem ^Begriffe nad) eben ben
ettiifcb guten ©ebrand} ber ®üter jroeiten unb britten D^tangeg fid^er^
ftetten 355).
iÖdit biefer Semerfung ift jugteidt) ber einzige @runb ertebigt roetdber
füngft , unferer Definition gegenüber , für jene ber Sitten gettenb gemad^t
rourbe, — ■ ba^ nämtidb ber ettiifdt)e Söertt) be§ füf nietdtien
irgenb ein Ding oerroenbet raerbe, ba§ Sßefen eben biefeä Dinge§ in
feiner Sßeife berühre, unb mit bem Segriff beffetben nii^tä gemein habe,
ffreitid) gibt e§ oiete Dinge, beren iBefen unb ^Begriff unoerünbert bleibt,
ob ber SJdenfi^ fie nun gut gebraudbt ober fdt)te(^t; mir baüen einjetne
biefer Strt eben nodb mit bem heiligen Stuguftin genonnt, unb feber finbet,
unter ben „©ütern britten tRangeg", leidht eine Üttdenge roeiterer SSeifpiete.
Stber e§ gibt auch ®inge in beren SBefen e§ liegt, ba^ fie nidht
für fdhtedjte 3'^>ecfe oerroenbet, nid)t mif^braucht roerben fönnen. Sefteht
etroa j. 33. jroifdien ber @otte§furdht , ber ©eredhtigfeit , ber dhrifttidhen
Siebe, ober roet(^er anberen Dugenb immer, unb bem ethifdhen SB er t he
ihrer Steußerungen , fein roefenttidher ^ufemt^enhang ? ift bei Dingen
biefer Strt, feiten§ beffen ber fie befi^t, auch itJdiPraui^ benfbar?
3n ber attgemeinen f^affuug in roeldher e§ gegen un§ gettenb gemadht
rourbe, ift fomit ba§ angeführte 'f^rincip offenbar unrii^tig, unb barum
für feinen 3roed oottfommen roerthtoä.
■456. Dagegen finbet eben biefeg ifßrincip , roenn man oon ber
Definition ber Sitten auggeht, ouf bie oratorifc^e 33erebtf amfeit feine ootte
Stnroenbung: bie ©eroanbtheit „fo ju reben, baff bie tftebe bag freie
©treben ber 3uhörei-' roirffam ju beftimmen fidh eignet", biefe „^unft"
gehört ohne 3™^^^ J^dit ju ben „©ütern erften Dfangeg" ; benn fie läßt
fidh roifebr aud)en. ©g ift auffaCtenb, bap manche SSertreter ber
alten Definition, ober oietmehr ihreg gehterg, bag oottftcinbig überfehen
ju haben fdheinen.
„Die oratorif^e iBerebtfamfeit", fchreibt §ugo 33tair, „ftanb fehr
oft unb fteht oietfadh au^ h^wt^ noch ^ fehr jroeibeutigem Stufe. SOtaudher
Dortrefftiche SJtaun, roenn man ihm oon berfetben fpridht ober fie rühmt, fühlt
fidh roeuig geneigt, einem feine Stufmerffamfeit ju fdhenfen. @r benft fidh
unter ber iBerebtf amfeit eine f^ertigfeit, roetche ber Dafdhenfpieterfunft nicht
unähnlich ift ; er hält fie für bie ^unft, fchroachen ©rünben ben ©ihein ber
SBichtigfeit ju geben, ober, fo ju fpredjen baff man ben 3nhötern gefällt
unb ihnen 3>ergnügen macht. ,©ebt mir gefunbe ©ebanfen‘, fagt er, ,unb
äur geftftcllung i^re§ 53egviff§.
695
bemaltet eure 33erebtiamteit für bie Äinber‘" *).
in ber „Äritif ber UrtbeitSfraft'', bte oratorifcbe 23erebtfaiufeit fei) „bie
Jlunft, ju Überreben, ba§ ift, buri^ ben fdjönen ©diein ju f)intergel)en" **).
Ounitilinn beridjtet uon @eie()rten, raeld)e bie oratorifdje 23erebtfamfeit
aid „eine ®eroanbti)eit jn ©d)ied)tem" bejetd)iiet i)citten 356) ; nad) 2itbe=
nnuä ift fie einfnd) nnb fd)(id)t „bie jlnnft, 3(nbere 511 betrügen"***),
unb ßornelinS ßelfnd ftedt in noUer Uebereinftimmnng Ijiermit ben ©a^
auf; „®em dtebner ift e§ nur nm ben ©dfein ber 2ißabrbeit gn tfinn;
beim fein ßot)n befte^t ni(^t in beni tBeinnfitfegn , rec^t getbnn f)aben,
fonbern barin, bnfi fein (Slient im i)]roceffe ben ©ieg banonträgt" 357).
2i^er bie Definition ber ?nten feftt)ätt, ber ift feineSroegd bered)tigt, biefe
3tnfd)annngen unb 3?et)anptnngen indgefammt ohne 2®eitere§ für nnmaf)r
jn erftären. Denn — mir baben e§ nadjgeroiefen (©. 688 f.) — ber
Definition ber Stlten jnfotge ift „bie ®eraanbtt)eit, bnrd) bie fRebe 3tnbere
gu 23öfem ju nerfübren", eben fo loobt loabre oratorifdje fßerebt;
famfeit, at§ „bie f^ertigfeit, fie 511 ettjifd) ©iitein jn beftimmen" ; loer
ficb aber bnrd) jene beroorjntbnn n)ünfd)t, ber roirb ficb bod) loobt an
erfter ©teße baranf üerftel)en müffen, feine ^ubörer „jn betrügen" nnb
fie „bnrd) ben fd)önen ©(^ein jn bintergeben".
3Ufo nodfmatS, niirid)tig finb bie angeführten für bie 33erebtfainfeit
menig ebrenooHen 5(euf!ernngen über biefe Jlnnft, ber Definition ber
3t(ten gegenüber, feine§roeg§: beim fie ergeben ficb berfelben mit
binlectifdjer 9totbioenbigfeit. ^nfofern fie bagegen eine anbere fyolgernng,
bie fid) au§ jener Definition mit ber gteidjen 9iotf)nienbigfeit ergibt,
uotlftänbig uerfdjroeigen , erfdjeinen fie alterbingg einfcitig. 3lber genau
bie nämlicbe ©infeitigfeit, mir nad) ber entgegengefebten 9iid)tnng, tritt
bei benen bernor, roeldje obgtcid) fie an ber Definition ber 3nten feftbatten,
bie angeführten bie iöerebtfamfcit hevabfehenben 3tnQfprüd)e of)ne flideitereä
für falfd) erftären, nnb behaupten, bie Jtnnft, „bnrd) ben fd)önen ©d)ein
bie ilRenfcben ju bintergeben" ober bnrd) bie 9tebe „fie 511 ©cbtedjtem jn
oerteiten", fei) feine§meg§ mabre, eigentlidje, äd)te 23erebtfamfeit. SBarnm
beim nid)t, — menn bie oratorifdje 33erebtfamfeit einfad) bie Jlnnft ift,
„bnrd) ba§ 25>ort auf ba§ ©trebeoermögen ber )))t'enfd)cn beftimmenb ju
roirfen", ober fie „gn überjengen unb ;^n bemegen" 7) ? Die ))Jtenfd)en
finb bod) non tRatnr and nidjt bloß oberftädjlid) , fonbern überbied jnm
tßöfen geneigt; roirb mithin nidjt, roer fie „bnrd) ben fdjönen ©djein"
*) Blair, lect. 25. ((Sit. 121.)
**) Jlant§ SBerfe (Seipjig 1839) S3b. 7. §. 53.
p'dliendi artetn putavit. Quint. Instit. orat. 2. c. 15.
j) 5)gl. Nadal, Dietionnaire d’bloquence sacree , art. eloquevce. Lefranc,
Traite de Litterature, vol. 3. p. 3. n. 4. Vuillaume, Coiirs cnmplet de Rhd-
torique, p. 7. n. 10.
696
®ie orütorifcCje 93cvebtfamfeit ;
ju bearbeiten unb gu • nerfül^ren nerfte^t, mit üiel größerem (Srfotge fie
„überzeugen unb beroegen", nie! entfc^eibenber „auf it)r ©trebeöermögen
beftimmenb einroirfen", — aifo in DoUerem üiiaafze jene Ä'unft befi^en
roetdje nad} ber fie^re ber franzöfift^en iR^etorit, ober na(^ jener ber
2ttten, bie oratorifcfic ißerebtfamf'eit auämadjt, — al§ ber e!§rlicöe iJRann,
ber feine bnrd) bie ernfte 2®af)r[}eit für baä Sfied^te zu geminnen
fud)tV Unb bennocb foU ba§ 2^un be§ (Srfteren mit ber „raafiren,
eigentüdjen, ödjten ©erebtfämfeit" nnuereiiibar feqn? ®ann müßte bod)
ber begriff ber matjren unb ödRen Serebtfamfeit irgenbmie ein (Element
entfiatten, auf ba§ fidj biefe Unnereinbarfeit grünben fönnte!
(5icero unb ®t. 3tnguftin nrü^eilten rid)tiger. ißeibe ge^en non ber
Definition an§ meldie mir biät^er mit bem 3tusbrude „bie Definition ber
3tlten" bezcid)net !^nben; aber barnm erftärt aiK^ ber bedige 2tuguftin
augbrüdlid) — gang mie mir ($. 688 f.j — baß „bie oratorifdie 3Serebt=
famfeit ficb nach beibcn Seiten oerroertt)en taffe, unb eine bebeutenbe
3.Rad)t feß, fomobt bie d)tenfdjen zu 33 5 fein, at§, fie zu etbif<b ©utern
ZU beftimmen". Unb, fübU fort, „maritm eignen ficb bie ©ntgefinnten
biefe Ännft nid)t an, um fie ber SBabrtjeit bienttbar zu madjen, roo bocb
bie ®d)ted)ten biefetbe, um ifjre böfen unb oerberbiicben Stbfidjten
burd)zufübren , im Dienfte ber ®d)ted)tig'feit oerroertben?" 358) Daß
biefeg tel3tere 3)'erfabren mit bem SBefen ber mabren unb ächten tßerebt=
famfeit in SBiberfpriid) ftebe, unb ihren 23egriff aufbebe, bag zu bebaupteu,
ift @t. 3(uguftin meit entfernt; er ftellt bie fd)Ie^ten ^roecfen bienftbar
gemad)te Serebtfamfeit raobt in ©egenfaß zur „®eigbeit", aber „oratorifcbe
33erebtfamfeit" bfeibt jene immer 359).
(Jicero feinerfeitg bot »oft unb tauge barüber nad)gebad)t, ob bie
oratorifd)e 23erebtfamfeit ben ■Staaten mebr Segen ober Unbeit gebracht
habe"; unb bng ©rgebniß feiner Stubien ift fd)tießtid) ber Saß: „Db’^^
bie oratorifdje 33erebtfamfeit bringt bie SBeigbeit ben Staaten menig
©eminn; ohne bie Söeigbeit aber gereicht ihnen bie oratorifihe ©erebU
famfeit in ben meiften fvätfen zum Ikrberben, zum 2Sortt}eit niematg" 360).
So mußte ©icero rcben, meit er, mag ben 33egriff ber oratorifcben
33erebtftrmfeit angeht, ben Stanbpunft beg Sttterthumg einnahm, unb atg bie
3tufgabe biefer Jbunft einfad), ot)ne nähere 33eftimmung, bie ©inroirfnng
auf bag freie Streben betrad)tetc. Ücur menn er nufere Definition (S. 691)
ZU ©runbe getegt hätte, mürbe ber römifche tRebner fi(h für berechtigt ge?
hatten haben, in 3tbrebe zu ftelten, baf) bie anfdjeinenbe „23erebtfamfeit ohne
3'Deigheit'' atg mat)re, eigenttid)e nnb ächte 23erebtf amfeit getten tonne.
3Ri bem hoheu 3tnfet}en metdjcg bag ctaffifche 3ttterthum gerabe auch
auf bem ©ebiete ber oratorifd)en 33erebtfamfeit mit uottem fRed)te geuiejjt,
unb bei ber tabettofen ©ractheit burd) metd)e feine Definition biefer
Runft, uon bem ©iiicn mefenttiihen f^etjter abgefetjen, fich angzeichnet, —
i()re 93JitteI.
697
aber freiUd) nur, roenn man fie und) ber ^^[11111(3 G'icero’s inuievfnv^t
unb treu nnebert3ibt, — rairb iin§ mobt fnnm jemanb bic ä^emevfnng
mad)en inollen, ■ a(§ Ijcitten mir und bet biefer ^-rage ^u lange nnfgebniten.
2l'enn bte 5Ieftbetif überbanpt eine ?Uifgnbe Ijat, bann gehört jn biefer
febenfalld an erfter Stelle bie genaue tBeftitmnnng beä SBefenä nnb be§
33egriff§ ber einzelnen Ännftc, melcbe unter bic „fdiönen" fünfte ge^nbtt
ju raerben Jlnfprud) buben. 9lnberfeit§ bnrfte ein fo roefcntlicber fvebler,
roie mir ibn in ber Sbefinition ber Sitten nadtgeroiefen buben, nidjt allein
ber ^beorie , fonbern nudi ber erfolgreicben Uebnng ber oratorifdien
iBerebtfainfeit unb ibrem Slnfblnben meit ftiirferen (Eintrag tbnn , nid
9]Iand)er 31t glauben fid) geneigt finben mag.
§. 2.
pic Süliftcf ber oirttovifdicn ■pcrcMfftmßcit.
üTiefe finb ,5uniid)ft jmei: eine bnö llrtbeil ber 3ubörcr beftimmenbe 2?emei§5
Tübnmg, unb eine ®ar[tellung ber ©rüitbe, meld)c bem befonberen 3mede
ber Diebe giinftige @cfüble in ibnen üernnlnftt. lleberbicd ober muf; bic
orntorifdje iBercbtfamteit um ihrer Stnfgnbe inillcn bnrnuf bebad)t fegn,
ihren Seiftnngen möglidift bebeutenben äftbetifdien 3A>ertI) ju geben. Tnd
Setjtere ift bei ber bibnetifdjen 93erebtfnmfeit nid)t ber fvutt : bnrum fönnen
mir biefelbc nid)t, mie Vnfnulr e§ tbut, gleich ber orntorifd)en 23ereb6
famfeit nl§ „fdtönc" ibunft anerfennen.
4-57. iCde bie Slufgabe, fo finb and) bie bittet ber orntorifd)en
93erebtfnmfcit feiten ber geiftlidfcn, geitatter ber paregoretifd}en, gnnj analog.
(Ss gibt jmei pft)d)ologif(^e SStotnente , ttnb nur jmei, meldie ba§ freie
Streben be§ SDcenfdien ber nbcrfinnlid)en (Sintbeit gegenüber beeinfluffen:
bas llrtbeil, ttnb bie ®emütb§bemegnng im engeren Sinne ober bnd
@efnb(. DDtit anbereit SBorten ; ber SStenfd) etttfd)eibet fid) naturgernnf),
aber imnter mit freier 93abt, für bndfettige, mas feine Slernnnft al§
„gut'' nnerfennt, ttnb mofür nttgcnblictlicb fein @einütb eingenommen ift.
®iefe jroei SJIomente finb ed mitbin , melcbe bie orntorifd)e Serebtfnmfeit
ju nermertben b^l/ freie Streben ber ^i'öörer für bas (3nte
ber etbifd)en Drbitttng beftimmen. Ser Dlebtter muf! bic @rünbe
meldie für bie befonbere in ben 3i’^)ö«t-n jn neranlaffenbe DIid)tnng bed
freien Strebend fpred)en, ober bie Si>abrbeiten , bie rationellett ttnb bifto=
rifeben Ibdtfacben, and betten bie „©utbeit" feiter DIid)tttng bevoorgebt,
ben 3^>börern uorlegen nnb fie ibitctt bemeifen; nnb er muf) ätigleid) biefe
©rünbe in ber iijeife entmiefetn, baft bie gnnje Slnsfübrung ba^n aitge=
tbon ift, in ibreiit ©emütbe bie jener 9Iid)tnitg günftigen , fie förbernben
©emütbsregungen ober ©efüble 30 oeranlaffen. Sion ber gröi'tten 9?ebetitting
698
T^ie. SOJittel bev oratorifc^en SSerebtfamfeit.
für ben @vfo(g feiner ißemü^ungen nadi ber einen roie nacf) ber anberen
Seite ift babei, baf; ber iftebner bie ißere^rung ober bie ^oc^ac^tung unb
bag Vertrauen berer befi^e, auf bie er ,^u roirfen ^at.
458. 3tber roie bei ber geiftticf)en SSerebtfamfeit, fo oertnngt auc^
bei ber oratorif^en roieber eben bie Stufgabe, um beren roilten fie bie
bejeicbneten pfr)cbo(ogif(^eu SiJiomeute auroeubet, baß fie überbieg „barauf
bebad)t fep, i^ren Seiftuugeu mögtic^ft bebeutenbeu üft^etif(^en 2Bert^ ju
geben". pi^ofaue iftebuer für Stngetegen^eiten
auf, roetct)e für bie ©efammttjeit oou 33ebeutuug finb; fcf)ou biefer Umftanb,
foroie bie Stellung bie er perfönticE) einuimmt , oerpftid)tet i^n, fid) eineg
geiDcibtten, ebien, roürbigeu Stpig ju bebieneu. Ueberbieg aber werben
bie 3uf)örer um fo ficberer bem ißortrage mit uuauggefel^er Stufmerffam;
feit folgen, um fo bereitroilliger in bem IRebner einen SStann oou ©nfid)t
unb geiftiger Ueberlegenbeit nnerfennen, um fo mehr .^od)ad)tuug, 3ßer:
eliruug unb iBertrauen iljm gegenüber beg^n, um fo leichter fid) oou ber
SBabrljeit feiner @rünbe überzeugen taffen, um fo rüdliatttofer il)r ©ernütb
ben Gefühlen öffnen bie er, je bem befouberen feineg Stuftreteng
entfpred)enb , in i^uen anzuregen bemül)t fepn mufz; fie tnerben eben in
fyotge aüeg beffen um fo ficberer ibm juftimmeu, unb ihrem freien Streben
um fo entfdjiebener jene IRicbtung geben um bie eg ibm ju tbun ift; —
je böh^i^ feine IRebe , burd) Einheit unb bialectifdje Orbnung , burd)
i))lannid}faltigfeit unb dleubeit ber ©ebaufen, burcb 2Si^ unb an rechter
Stelle augebracbteu feinen Sdberj, burd) innere SBabrbeit, 2;iefe, ©ro^^
artigfeit ber Sluffaffung, fid) über bag dcioean ber 'Dtittelmüßigfeit ergebt,
unb je unn)iberfteblid)er biefelbe burd) alle biefe ©igenfcbaften, in SSer--
binbnng mit ebter Schönheit beg ^nhnif^ nnb beg SSaneg, unb mit allen
Vorzügen ber Spradhe roie ber i)3ronuntiation unb Stetion , fie einnimmt
unb f eff eit.
S3ebnfg noHeren unb leidjteren SSerftünbuiffeg ber in bem ißorftehenben
nur angebeuteten ©ebanfen fann ich nud) hi^^-' ßefer auf meine
geiftlii^en iBerebtfamfeit" oerroeifen: ingbefonbere nergleidhe
man bie iBummern 406 — 409 unb 211—251. ©ine „roiffenfchaftliche"
3:hecrie ber oratorifchen Serebtf amfeit ift mir eben nicht befannt. ©g
ift begreiflich, roenn foldje 2??erfe nicht leicht erfd)einen; bie SSorfchriften
ber ffthetorif müffen, roie auch h^i^iße Slnguftin bemerft, in ber
gelernt unb geübt roerben : für junge ßente fann aber nur eine „mechanifche"
!ih^orie bag geeignete öbanbbnd) fepn. ®abei bleibt eg übrigeng immer
roünfd)engroerth , baß bag roiffenfd)aftli^e SSioment, roenn eg fich auch
feinegroegg fidhtbar h^i^Dorbrnngen foll, hoch bie gefammte mechanifche
Stnleitnng na^ allen ihren roirffamerer unb burchgreifenberer
SBcife befeelen unb tragen möchte, alg biefeg meifteng ber f^atl zu fepn
pflegt. 3u fofern roenigfteng roünfdien roir bag ganz S^u^iß mit Dfedht,
06 aud^ bie bibactifd^e ©ei-ebtfamfeit a(§ fd^bne Jtunft jii gelten ^be. 699
a(§ ba§ bejeidjiiete ^toment, iitäfiefonbere eine grünbltdje Äenntnifj ber
ißfijc^ologie unb rid^tige 5lnfc^ammgen auf bem (Gebiete ber iD^etap^ijfif,
fd)ledjti)in unerläfetid) ift, inenn bte ob nud) blof? med)nmfd)e Stnieitung
nic^t jugteid) baju bienen foE, mam^en faifdjen begriff unb manche
unricbtige ober fd)iefe Slnffafjung mit um fo nadtljaitigerem (Srfolge in
Umlauf ju felgen, atd fie gerabe ber 3'USS'’^ i't i^anb gegeben mirb.
®a§ S5>ort ipiato’d, roer ot)ue grünbtid)e pft)d)o(ogifd)e Jl'enntniffe eine
Sbeorie ber oratorifd)en 33erebtfamfeit geben rooEe, ber ne^^me ficb au§
mie ein 53Iinber ber ju eine iReife mad)t*), I)at gerabe auc^ für
fold)e etementäre 3tn(eitungen feine noEe @eltung; unb nid)t roeniger
rid^tig nrttjeitte fpüter ($icero, ba er ed atd „ein roiberfinniges oerberblic^ed
©d)i§ma jroifdjen ERunb unb beflagte, „baß bie Sel)rer ber SBiffen:
fdjaft unb fene ber 23erebtfamfeit oerfd)iebene ^^erfonen fepen" sei).
459. @rnft non SafaiEp, raäf)renb er bie geifttidje ©erebtf amfeit
ganj unbeadjtet tüpt, roiE ni(Jt btof) bie oratorifd^e Serebtfamfeit al§
fc^öne .^b'iinft angefet)en roiffen, fonbern and) bie bibactifdbe, ober mie er
fidj auäbrüdt, „bie @efd)id)tfdjreibung unb bie '}3I)i(ofop^ie" **).
2)afe ed ber @efd)id)tfd)reibung unb ber if>bEofop^ie mögtid) ift,
geiftnngen „non bemorragenber ©d)önf)eit'' ju liefern ; bap fie and)
tf)atiäd)lid) — Safanlr nerraeift auf ^^)Iato’§ ©ialoge unb bie ®efcbid)te
be§ JbiicpbibeS ■ — fold)e fie^'üorgebracbt fiaben: ba§ fann jugegeben
raerben. Unberfeitd unterliegt eö feinem 3'weifel, baf) ein gemiffed ‘OJfaa^
äftfietifdfen 25>ertl)ed and) bibactifdben ?trbeiten , bnmit biefelben if)rem
roefentli(^en entfpredfen , feinedroegd abgef)en barf. Orbnnng,
3mecfmäfngfeit, logifcbe 9Ud)tigfeit in ber (SntmidfeUmg be§ ®cgenftanbe§,
in ber tSebanfen, eine leid)t oerftänblidfc, bejeirbnenbe , ange=
meffene ©pradje, ©inbeit, SBecbfel, Seidftigfeit, S^oblflang unb .'parmonie
be§ 0tpf§, finb tbeild roefentlii^e ©igenfd)nften ber lebrenben iprofa, menn
fie anberg für ihren 3iüecf nidjt nntauglidb, b. b- nid)t fd)led)t fepn miE,
tbeilg finb eg ißorjüge, roeldje ben ßelUeren bebeutenb förbern. ®enn bag
SSergnügen roeldfeg fid) mit ibnen oerbinbet, mecft ben ©eift beg Serncnben
ju tebenbigerer fpannt bie 5lufmerffamfeit , b^lf ^^n lieber;
bruf) fern.
©efsnngeacbtet fönnen mir ber oon Safaitlp uertretenen 3fnfid)t nicbt
beiftimmen. 3)ie böbeve 33erebtfamfeit, bie geiftlid)e mie bie oratorifdje,
foE bag freie ©treben ber ,'pörenben ju entfd)iebener unb mirffamer fiiebe
*) Plat. Phaedr. Steph. 270 e. Bipont. vol. 10. p. 371.
**) Salaiilr, ©. 198 ff. (Sit. 338.)
©iv faffen unter beut fRamcn „bibactifd)e" ober auch „mcbere" ®erebtf amfeit,
bie im engeren Sinne bibactifd;e unb jugteid; bie biftorifdje iprofa jufammeu.
Ülufgabe ift einfad) bie ©elebrung.
700 ouc^ bie bibactifd^e Serebtfamfeit al§ fd^öne Ä'unft ju gelten ^abe.
be§ ©Uten ber übernatürlid)en , bejte^uuggraeife ber et^tfc^en Orbnung
beftimmen. ®ag ift eine nidjt atlein gro^e, fonbern, bei ber ißerberbt^eit
ber menf(^Iid)eri 9^atur , auc^ fcfnner ju Iö[enbe Stufgabe, biefer
©d)n)ierig!eit namenlOd) liegt ber ©runb, roeli^er bie jtnei genannten
fünfte nerpflid)tet , fein SOtoment unbenutzt jn taffen, ba§ i^nen jur
S^erroirftidjung ifirer Stnfgabe bienen fann: unb ba ber mit bem §ören
ber tRebe fic^ nerbinbeiibe äft^etifdje ©enu^, roie mir gefe^en l^aben,
l^ierfür non ganj norjügtidier S3ebeutung ift, fo muffen jene jroei fic^
atterbingS „burt^ ihre eigeutlictie Stufgabe angemiefen fetten, barauf bebai^t
ju fei)u, ba^ i^re SBerfe fid) immer burd) möglicbft bebeutenben äff^etifdien
S5>ert^ empfetjien". SSou ber bibactifdien ißerebtfamfeit bagegen täpt fid)
bie§ nid)t fagen. Sßie mir im fünften Stbfdjnitte (184. @. 258 ff.) fa^en,
ift febem SJfenfdjen ba§ SSerlangen na(^ ©rfenntnif3 ber ®inge anerfc^affen
unb natürtid), unb barum bie 2Bat)rt)eit an fic^ genuf3bringenb. „Semen
ift fet)r angenehm ," let)rt befftjalb StriftoteteS , „nidjt attein für ben
ifitjilofoptien , fonbern für ade fiebrigen, uorauggefet^t, baff e§ teidjt
unb fduied gefc^etien fann" ■*')• ®a^u,fömmt, baf3 fdjon eine StRenge
ünfferer tRücfiict)ten ben ©in^etnen nöt^igen ober treiben, jene Äennt=
niffe bereit er für beftimmte 3roede bebarf, fid) anjueignen. Sebigtic^,
it)ren SSerfen biejenigen Storjüge jn geben, non benen bie S3eftimmt^eit
nnb bie Seidjtigfeit ber Stnffaffung abpngt, erfd)eint fotgüd) burc^ bie
9tüd)'i^t auf it}re Stufgabe bie bibactifd)e 33erebtf amfeit uerpftidjtet ; mir
haben biefetben oorf)er genannt. Saft fie bngegen immer „Seii'tungen
üon mögtidift bebeutenbern äfttietif d) em S5fertt)e tiefere", biefe
fyorberung an fie ju fteden, ift it)re barum aucp bie Stefthetif
uid)t berethtigt. ©§ fe^tt mithin ber bibactifchen S3erebtf amfeit ba§ erfte
ber jraei SiRerfmate, bie mir im Stnfange biefes 33u^e§ geforbert haßen,
bamit eine Äunft ben „fchönen fünften" beigejühtt ju merben beanfpruthen
fönne (ugt. 91. 231 ff. ©. 325 ff.).
*) Arist. de arte poet. ed. Buhle c. 5. vulg. 4. n. 4.
Bwölfter
Die p 0 e f t e.
(£*r)tcö Kapitel*
Die mcfeiitlidjc ^Aufgabe ber poelic, unb btc brei ;Arteit biefer ßiiuft.
ST'orin ba§ unteifcljcibcubc 9Jtei'fmnl liege jnnfdjeu bev t}öf)ercu Sevebifennfeit
imb bev ‘V'oel’ie. Tie allgemeine raefentlicljc ?(ufga6c biefer Sebtereu.
Trci Tefinitionen , fiu' religiöfe 'ipoefie, bie iffoefie al§ cinile Äunft,
uub bie t)ebonifcl)e 'f^oefie.
460. ^ene ältere lüeldjcv bei ben Derfdftebeneii 23ülfevii
bie großen beu nationalen @agenfrei§ jnfnntmenfaifenben Tidftnngen ent=
ftanben, nerbreitete biefelben nidjt biirclj bie ^dfrift; nnb e§ bnre^ ben
Srnd jn tljun, inar fie gar nid)t in ber ingc. T)a§ (Srjengnif? bev
tpoefie galt il)v, nidjt nünber alä bie Veiftnng ber oratorifdjen 23erebt=
famfeit, inefentlidj an ben lebenbigen 23ortrag gebnnben: fie nn'irbe, nm
ben ©ebanfen eine§ neueren Sdjriftftellerg jn roieberljolen, geglaubt Ijaben,
ber Tidjtung ben Sebengljandj nnb bie £eben§frnft jn entjieben, inenn fie
biefelbe non ber DOhifif nnb bem 3Sortragc gelöft, nnb fie für bie blofte
Sefnng an bie ftnmmen Sndjftaben geljeftet batte, ©egennüirtig, nnb feit
Sangein fc^on, Ijerrfdjt freilid) in biefer ißejiebnng faft bie entgegengefel^te
5lnfdjannng; man ift geinoljnt, bie ©rjengniffe ber ipoefie alä jnnädjft
nnb Dor,5iig§meife für bie Seetüre beftiinmt jn betradjten. Slber ber
Diatnr nnb bem 2Sefen ber ^poefie entfpriebt bie alte 3lnffnffnng nn=
beftreitbar meljr, alg bie nnfrige. ©ie ÜKferfe einer ^nnft bereit mefent=
li(^e§ inaterielle§ SJ^ittel ba§ üöort ift, müffen iljrer Ülatur nad) bngn
beftimmt feijn, gefprodjen ober gefnngen, uorgetragen nnb gcljört ju roer;
ben; bie Sefnng gefdjriebener ober gebrnefter ©iditnngen t'ann für bn§
l^ören berfelben einen (ärfatj bilben, aber einen uollftänbigen niemnlä.
©rgibt fici^ ljierau§, bafj bie änderen, materiellen 'Hcittel ber 'poefie
im 2Befentlid)en bie nämlii^en finb, beren fidj and) bie Ijöljere ®erebt=
702
®ie roefentlic^e Slufgabe ber *]3oefie.
famfeit kbient, nämlic^ ba§ Sßort mit ber (emerfeitä bedamirenben ober
muficalifc^en, anberfeitS oratorifc^en) ^ronuntiatiou unb Slction, fo fatm
offenbar in biefen ©tementen ba§ ÜRerfmat nid)t liegen, bur(^ roetc^eg
bie jroei „rebenben fünfte", bie !^öf)ere 23erebtfambeit nnb bie ifJoefie, fic^
unterfd^ eiben.
2tucE) barin bann biefe§ D^erfmal nic^t gefutfit roerben trioHen, ba^,
Toäbrenb bie pl^ere Ser ebtf amfeit if)re ©ebanfen in „ungebunbener" 9tebe
gibt, bie ifSoefie fic^ norroiegenb be§ Serfe§, ber „gebunbenen" iRebe be=
bient, ®enn fie t^ut biefeS eben nur norroiegenb ; nicE)t menige §eroor=
ragenbe Schöpfungen ber i^oefie beraegen fi(^ in ungebunbener 9fiebe, unb
jum SBefen biefer Äunft gehört ber Ser§ feine§roeg§.
2Baä brittenS ben Inhalt betrifft roetcfien bie jraei ermähnten Äünfte
je in ihren ßeiftungen gur ©arftettung bringen, fo ift namentlich ba§
©ebiet roelchem bie oorgüglichfte ©attung ber ißoefie, bie religiöfe näm=
li^, benfelben entnimmt, im SSefentlichen fein anbereS, al§ baSfenige
an roelcheä fich amh bie geiftlidhe Serebtfamfeit geroiefen fieht. Somit
lä^t fich mefentliche Unterfchieb ber jroei Äünfte um bie e§ fich
bdt, auch nnn biefer Seite nicht beftimmen.
5)aä eingige ilRittel hiei'für bürfte fomit barin gu fud)en fepn, ba§
mir bie eigentliche Stuf gäbe ber einen unb ber anberen in§ Sluge f affen.
2Sa§ roill bie höhere Serebtf amfeit? 9Sir hoben e§ im oorhergehenben
21bf(hnitt gefehen: bie paregoretifdhe rcie bie oratorifche geht barauf au§,
ba§ freie Streben, bie ©ntfdieibung beg SBittenä ber ^nhörer rairffam
gu beftimmen; bie bibafcalifche, oon ber mir übrigeng abfehen fönnen,
hat biefelben überbieg gu unterrichten. Unb mag raiU mit ihren ßeiftungen
bie ifSoefie? glaube mir irren nicht, roenn mir fagen, bafg fie immer
barauf auggeht, ©efühle gu neranlaffen, unb bafg fie unmittelbar
unb gunächft auf nichtg Slnbereg auggeht*). ®ie höhere Serebtfamfeit
hat freilich gleid)fat(g ihre Sorträge immer fo einguriihten , ba^ biefelben
bogu angethan finb, ©efühle in ben ^nhörern anguregen; aber für fie
ift biefeg ilRoment nur eineg ber groei raefentlichen ilRittel für ihren
*) ®a§ öktbeutige 2Bort „(Sefühte" nehme ich hier in jenem ©inne, in roelhem
e§ j. S8. in biefen ißerfen ©dhitler gebraucht:
— be§ ©ängerg Sieb au§ bem ^tmern fhatlt,
Unb roecfet ber buntten C55 efühle (bemalt,
®ie im ^erjen mimberbar fchliefen.
Siebe, Stbfihen, ©dhmerj, iDtitleib, Unroilie, atiutl), SSerlangen, ©ehnfucht,
aSehmuth, ©hrfmdht, .^ohachtung, gurdht, 2tngft, unb üh’üiche pfpchifhe Vorgänge,
infofern fie fich einer überfinnlichen ©utheit ober ©chlechtigfeit gegenüber natur=
gemöb erjeugen, falten unter biefen begriff. SOtan nergleiche im folgenben Äapitel
9t. 463. ©. 705 f.
®ie roefentlidje 2(ufga6e ber 5poefie.
703
3n)ecf: i^re 5Xufgabe Iö|t fie nur burc^ Oteben bie ftc^ eignen, bie 3^1=
prer ju freiem etbifd) gutem SöoUen irgenb melcf)ev 2lrt, 311 entfi^iebenen
(Jmtfd)Iüffen ju beftimmen *). @ine gute ®ict)tung , namentticf) eine reU=
giöfe, tüirb uieüeidit nidit feiten gteid)falld ein Otefnltat biefer 5(rt Ijerbei;
füt)ren; aber bie ifJoefie ift nic§t baranf nngemiefen, baffelbe un mittet
bar 311 beabfic^tigen: fie ^at tebigtid) bie l'tnfgabe, it)re ©rjeugniffe
fo 31t bilben, baf^ biefelben fii^ eignen, bie \t it)rer befonberen ©attnng
entfprei^enben @efübte 511 neranlaffen.
®nmit ift offenbar ein iB7erfmat angegeben, n)eld)ed 3roifd)en ben
3it)ei ibünften eine genau beftimmte @ran3e 5iet)t. ©efü^te ober mit
natürtic^er iJ7ott)U)enbigfeit fid] exrteugenbe ©emütpberoegungen, unb
freie ®emütt)§t^ntigf eiten fd)einen, materieti betrad)tet, atlerbingd nid)t
fef)r Don einanber oerfd]ieben 311 fepn; aber formelt unb ifirem SSertbe
na(^ liegen fie fo meit audeinanber, roie bie pl)nfifi^e Orbnung unb bie
et^ifdte. Säge es in ber eigentlidien Diu f gäbe ber ifJoefie, freie @emütl)ö=
tl)ätigfeiten 511 neranlaffen, inie eä bie böl)ere 23erebtfamfeit foll, bann
müpte fie fid), mie biefe, ebenfalls angeiniefen fe^en, nidft bloft ©efü^le
an3uregen, fonbern mit biefen and) ba§ anbere pfpdjologifc^e DUboment ber
D3eftimmnng be§ freien 'Strebend, bie D3eftimmnng bed Urtbeild burd)
ißeroeidfübrung , in Dlmnenbnng 311 bringen; nnb fie mnpte anberfeits,
um bie DBirffamfeit biefed iD7omentd nidd 311 parntpfiren, niele ber i^r
eigentl)ümlid)en 'lliittel opfern.
461. ©nrd) bnd ®efagte Ijaben mir und 3111’ fs-eftftellung bed D3e-
griffd ber i^oefie ben DSeg gebahnt. D3?ir merben freilidi nid)t bnd ®er:
fahren ber Dllten l)infiditlid) ber orntorifd)en 3?erebtfamfeit nad)al)men,
unb furtroeg bie if>oefte für bie Jbunft erflnrcn , „fo 311 reben , bap bie
IHebe fich eignet, in Dlnberen ®efüble road)3nrufen". Senn ob and) ein
©efühl, infofern ed unfreie Dlegnng bed ®emntl)ed ift, ald fold)e unb
an fid) roeber etbifd)en DBertl) bat nod) ett)ifd)en Unmertb , fo gibt es
bod) nicht roenige Dlrten non ©efnblen, meld)e überond leid)t 511 böfen
©emüthdthätigf eiten führen, nlfo fcbr geführlid), unb unter biefer
IHüdfidjt ethifd) nnerlnnbt finb. SBerben mir mithin fagen, bie 'f3oefie
fei) „bie Äunft, nermittelft bed SSortes etmad fo bar3nftellen , baft bie
Sarftellnng ba3u angethnn ift, ethifd) nid)t un3nläpige @efüble in 2lm
bereu 31t neranlaffen" ? 3^' nertbeibigen bürften mir biefe Sefinition im
Staube fei)u. Sd)on ber Sprachgebrnud) liepe fid) 311 ihren ©iinften
gettenb machen, nermöge beffen man ®rfd)einungen ber nerfd)iebenften Dtrt,
3. 23. eine Dlusfid)t, ein 23ilb, eine hiftorifd) treue gau3 einfad)e ®r3ät)=
liing, als „poetifcb" 511 be5eid)nen pflegt, menn fie, unb eben meil fie mit
ungemöhnlicher Stärfe auf bad @efül)l mirfcn. 23ei alle bem h^^l bie
*) SBgt. m. 449. 3. 685 f., imb iJl. 457. 697.
704
®ie brei SIrten ber *poefie; Sefinitionen.
Definition faum Befonbeven är^ertf): ni(^t allein, roeü fie inulfimafelidj
nid)t luenigen iDfi^nerftänbinffen unb Eingriffen auSgefeljt feqn roürbe*),
fonbern namentlich barnm, roeil e§ ja nicf)t bie ber SBirflichfeit ferner
liegenbe ©attung ift mit roelrf)er mir nn§ ju befaffen haben, fonbern bie
befonberen Elrten ber ißoefie. 3Bie mir bei ber Elrcfiitectnr , bei ben
jraei bilbenben fünften, nnb bei ber höh^i^w^ E3erebtfamfeit , nii^t bie
oberfte ©attung jn befiniren fugten, fonbern bie Elrten, fo haften mir
ba§ gleiche Verfahren and) hl^^ für bas angemeffenere. Die brei folgenben
Deftimnuingen bnrften ihrem ^tüede entfprechen;
Die retigiöfe i|}oefie ift bie jlunft , ber übernatürlichen
Offenbarung angehörenben Dhat fachen bnrd) ba§ Sßort in
folcher D3eife Eluäbrnd jn geben, baff biefer bajn ange=
than ift, bie ben Dhatfadjen entfprechen ben religiöfen ©e=
fühle in Elnberen ju o er an l affen.
Die '■fjoefie al§ cinile ^unft ift bie jlnnft, ©rfd^einungen
an§ bem menfchlid)en öeben oermittelft be§ 2Borte§ fo barjnfteUen,
baß bie Darftellung baju angethan ift, in Elnberen jenen ©eift för^
bernbe ©efühle ju oeranlaffen, oon roelchem bie 33lüte be§
bürgerlid)en £'eben§ roefentlid) ab hängt.
Die hebonifd)e tj^'oefie ift bie Ä'unft, bem menfd;lichen £eben an=
gehörenbe ©rfdjeinungen oermittelft bes SSorteä fo barjuftellen, baß bie
Darftellung geeignet ift, Elnberen äfthetifd)en ©enn^ ju oermitteln.
.^n ber legten Definition roirb bie „©efühle", bie ju ueranloffen
mir al§ bie raefentlidie Elnfgabe aller '^^oefie bezeichnet haben, roohl nie=
manb oermiffen; beim ber ,,©enu^" ift ja eben ein „©efühl". DoU=
ftänbiger mirb fidj übrigeng ber Oinn nnb bie Üfidjtigfeit ber brei ©r-
flärungen ergeben, roenn mir fpäter bie ihnen entfprechenben Elrten ber
^oefie je für fich behanbeln. Deoor mir hierzu übergehen, dmracterifiren
mir in ben jmei folgenben .Scrpiteln junächft allgemein, bie SBeife in meliher
bie ijZoefie ihrer mefentüchen Elnfgabe entfpredjenb oorjugehen, unb bie
befonberen EEfittel bereu fie fich ja bebienen hat.
*) (Stnroenbimgeu roic biefe: „Stud; ber .pülfSbebürftige roenn er bittet, audh
bei SSater ba er ein Äinb jurecbtroeift , benbfichtigen nermittelft be§ 2Borte§ ©efüfjte
5u ueranlan'en", roären freitict) non feiner SSebentung. Die jroei 93ejeidhneten rootten
freilief) biirch ba§ roa§ fie fagen, @efüf)fe ronchrufen; aber biefetben finb für fie nur
fOlittet; ron§ fie beabfichtigen , ber eigentliche nm beffen roitfen fie reben,
ift bie Seftiminung be§ freien ®treben§, be§ .£)(mbefn§. 'Utit bem btoben unfrudht:
baren ©efühle be§ 3Jtitleib§ ober ber iReue mürbe roeber bem Settler noch bem SBater
niel gebient fepn.
705
^uicitcy topitcL
€iit ttUijcmctnEö priitciv, jur (Eliarttcterifttk iVr lUftfc, tu uicld)cr iVtc
].iof|ic iljrfr ^lufpbc ju nitf^trfdjfit l)at.
2'3a§ „eine @emüt()§bcu)egiing" ober „ein @efiU)0' fcij. ^er ^nctüv dou lueO
(^em baffcIBe pfi)d)ologild) nbfjöngt, ift bie anfdjnucnbe i(}ätigfeit bev 3,'cr;
mmft; rote biefc, itndj if}oma§ nnb ©uavej, auf bn§ @emütf) ctnroirfe.
Tic biefc (f'inroirhmg Bcgünftigenben 6igcufd)aften bcv intcücctueücn xHiu
fdiauung. Tie Toefie Ijat I)iernad) baraiif bcbadft 31t fei)u, ba[? fie bic
"Tf)nntafie unb bie fiunIiiJ)e UrtljeilSfvnft 31t cntfprcd^cnber inöglidjft leb;
bnfter Xfjätigfcit uernnlnffc. (fine Tefinition bcv ^oefie uon <5ngcl,
rocldfe bev unfrigcn naljc fömmt, unb bn§ ©cfagtc bcftntigt.
-t6‘2. ^Diüol)! bie nttgeineine 97orm nadj luefdjer bie ißoefte i^vev
ifiuftgabe tgegenüber 511 rierfnl)ven, nf§ bie 23efttmimmg ber ^.'liittef biivd)
roeldfe fie bie Zediere 511 nerroirfUd^en fjat, Ijnugt offenbar nb non ber
?7atnr be§ menfdjitdjen @einntl)§, be§ Triigerg ber ©efi'djfe, nnb ber 2Irt
nnb T3eife nad) inefdjer baffeibe naturgemäß in 33eroegnng gevät^. Tie
'^^oefie inirb burd) ifjre (frjengniffe jene Sebingnngen feßen, jene pfgdjo;
togifc^en 'DJoniente roirffam mnd)en inüffen, unter ineldjen nnb buvd)
ineldje, ber non ©ott bem b5errn ber menfdjlid)en 97atnr gegebenen ©in=
rid)tung jnfofge, ©emiitljgbetuegnngen ober ©efnljfe fid) in nuferem bberjen
erjeugen. 3©ir bürfen e§ nng barnm nidjt nerbrießen Inffen, auf bie
aderbingS bem 3tic^tpf)itofop^cn minber teid)t nerftänbiie^e ©rftärnng, ineldje
bie '^fpd)otogie über ba§ 23efen unb bie ©ntfte^^ung ber ©efiUjfe gibt,
inenn anef) fo furg al§ mogltd), näf)er eingngefjen; mir bürfen e§ um fo
ineniger, atg biefe ©rffärnng nid)t bfoß für bie iniffenfd)aftlid)e ij?efjanb;
(nng ber ijeoefte, fonbern eben fo fel)r für jene ber in bem folgenben
"dbfdjnitte gu befpredjenben Äunft bie fdjfed)tl)in nnentbef)rlid)e ©runb=
tage bifbet.
4:63. Tag ©emütf), infofern man mit biefem Oiamen bag nnmittel=
bare ij}rinctp jener pfpd)ifd)en 'Torgänge begeidjnet loetdje „@cmütp=
beroegungen" ober „(''tefüf^te'' genannt inerben, ift „bie gefammte ftrebenbe
Äraft im Ttenfd]en, — a(fo bag tjoljere mit bem nieberen ©trebeuermögen,
— infofern biefetbe ber überfinn(id)en ®ntt)eit ober ©djteditigfeit ber Tinge
gegenüber in T^ätigfeit treten fann". ©in ©efütjt ober eine ©emüttjg:
beroegung ift fonüt „eine g t e i dj g e i t i g e ü b e r e i n ft i m m e n b e 3t e g it n g
beiber ©trebenermö gen gegenüber ber überfinntidjen @ut;
tjeit ober ©d) tedjtigf eit ein eg ©egenftanbeg".
3ebe Sftegung beg ©trebenermögeng feilt immer eine entfpred^enbe
Tptigfeit beg (rrtenntnißnermögeng, atg ifjr pfpdjotogifdieg ij^rincip, nor=
Suiigmanii, 2feft()cti£. 2. 2(ufl. 45
706 ^]ßfi;d^oIogiic^e @runb(age für bie SBiffenfc^aft ber ^oefie.
aii§. ®ie überfinnlidfe ©ut^eit ober ©c^tei^tigfeit ber ©inge roirb
aber einjig burd^ ba§ p!^ere (Jrfennen, bur^ bie ©ernunft, aufgefap;
ba§ pftjc^ologifc^e fKoment oon roelc^em ba§ ®efüp abpngt, ift mithin
roefenttp bie auffaffenbe ober bie anfc^auenbe ©ptigfeit ber ißernunft.
ÜlJiit anberen SBorteu: ©efüp erzeugt [id^ babiird^, ba| bie fßer=
iiunft einen ©egenftanb nad^ feiner nberfinntid^en ©utpit ober ©di)te(^tigfeit
tebenbig nnb mit ^tarpit anfi^aut.
3tber roie oermittelt fid^ pfpi^otogifdi) biefe ©inroirfung ber inteUec=
tueüen ©ptigfeit auf bie beiben 0trebeoermögen ? ^n fotgenber SSeife.
Unmittelbar in fyolge ber ern)äpten intetlectuellen Stnfd^auung erpben
fid^ einerfeitä bie entfprec|enben fftegungen be§ ppren @treben§, geiftige
(inteüect nette) Siebe ober geiftiger Stbfdfeu, geiftigeS 95ertangen ober gei=
ftiger ©dfinerj. SBeit aber bie ©ptigfeit be§ einen 35ermögen§, namenttid^
raenn fie intenfioer ift, natnrgemäp fid^ auf bie anberen ipt nntergeorb;
neten fortpftanjt nnb ipten fid) mittpitt, barum gep jene ißeraegnng be§
ppren ©treben§ oon biefem onf bn§ finntidje über, nnb e§ erjeugen fip
audj in biefem bie gteipnamigen 9degungen ber Siebe ober be§ 2tbfd)eue§,
be§ fßertangeng ober be§ ©dfincrjeg. 2tber nipt btoff burp ben bt}na=
mifpen ©inftufe be§ ppren ©trebenä roirb in bem nieberen biefe
fang proorgebrapt: fie uerftärft fip, gteidffatts pfpd)otogifp , nop oon
einer anberen ©eite, ©ie perceptioen SBermögen nömtip, roetdfe junüpft
nnb eigenttid) bie 3tction be§ nieberen ©trebeng jn oerantaffen pben,
finb bie ifjpntafie nnb bie finntipe Urtpitsfraft. ©ben auf biefe jroei
übt aber bie ©ptigfeit bes ppren ©rfenntnipuermögeng roieber ipen
naturnot^roenbigen ©inftup ©ie ©erminft ergreift befannttip mit iper
©ptigfeit bas Sföefen ber ©inge; barum bringt fie in ba§ ©rfenntnip
object oiet tiefer ein, ats e§ bag niebere ©rfenntnipermögen 51t tpn
fäpg ift, nnb erfap barin oiete ©'temente ber ©utpit ober ©pted)tigfeit,
roeldfe baä niebere ©rfenntupoermögen nid)t erreipen fann. 3tber mit
biefen ©tementen einmat erfüttt, roirft fie fofort, fpontan nnb ganj nn=
mittetbnr, auf ba§ niebere ©rfenntnifroermögen jurücf, inbem fie bie
if^pntafie nnb bie finntipe Urtpitsfraft oerantap , ©innegbitber ju
erzeugen, roetpe prer eigenen, ber intettectuetten, Stuffaffung anatog finb,
nnb in benen jene überfinntipen ©temente ber ©utpit ober ©ptedftigfeit
oerförpert, man fonnte fagen materiatifirt, erfpeinen. Unb biefe fenfitioen
3]orftettungen finb e§ bann, an roetdfe fip bie ben überfinntipen ©te?
menten entfprepenben , mit ben gteidfjeitigen be§ ppren prmonirenben
^Regungen be§ nieberen ©trebeng naturgemäff anfptiepn.
©ag ift bie Sepe beg pitigen ©pmag unb beg ©uarej über bie
pfppotogifpe ©ntftepng ber ©iefütjte. ©ie anfpanenbe ©ptigfeit ber
Vernunft fetp einerfeitg nnmittetbar bie ppre ©trebefraft in 23eroegnng,
nnb bringt oermittetft biefer bie paratteten ^Regungen aup in ber nieberen
^f^df;o(ogifd)e ©nmblage für bie ffitffetifcfiaft ber ^poefie.
707
Xfevöor; biefelk anfd)aitenbe Jlfätigfeit ber Vernunft erjeugt gleid^jeitig
rtnb Derftärft bie närnüdfen ^Regungen ber nieberen ©trebefraft anberfeitg
Dermittetft ber ^^Xfantafie unb ber jinnUd^en Urt^eiföfraft. (5ingef)enber
a(§ e§ Ijier jidäRig ift, ^abe id^ biefe pfgc^otogifi^e §rage erörtert in
ber Stb^anblung: „®a§ ©emütrf, unb baS ©efü^tSuermögen ber neueren
■]Jft)c^otogic", 97. 46—51.
2Bie mnif Ijiernad) eine jebe Ännft nerfa'^ren, ineldfe baranf an§;
gel^t, ©efü'^te irgenb roel(^er 9(rt in bem v^erjen non 9)7enfc^en jn üernn=
(affen? ©ie mup beinirfen, bap fic| in itjrem ©eifte bie intellect nette
9( n f d) a u n n g b e § e n t f p r e dj e n b e n @ e g e n ft a n b c g unb feiner
nberfinntidfen ©nt beit ober ©d) ted)tigf eit bitbe, nnb sroar
eine 9t n f d) a n n n g ro e t d) e m ö g t i d) ft n ü 1 1 ft ä n b i g , t e b e n b i g,
tidftüott nnb ftar, nnb jugteid) non entfpredjcnben teb=
haften 9tcten ber ^ ^ ^cr finntidfen Urtbeits=
fraft begteitet ift.
464. ®iefe§ (Rcfnttat nötbigt nn§ mm fofort jii einer ineiteren
f^rage : SS^ie bitbet fid) in bein inenfdjtidfen ©eifte eine intettectuette
9tnfd)annng tnie bie eben bejeidjiicte? ober beftimmter; SBetdje finb bie
O.Romentc , non benen bie 2>ottenbnng, bie ^ebbaftigfeit nnb Ätarbeit ber
intettectneden 9tnfdjaunng abböngt?
©)ie 9tntinort biemuf ergibt fid) an§ einem freitid) etina§ abftracten
©ab^e, inetd)er ber ©rfenntniptebre angebört. ©erfetbe tautet fo. „Uiifei’
t)öbere§ ©rlennen ift ,ynar eine S^tjätigfeit ber ißernnnft, nnb nottjiet)t
fid) beffbatb f'eineStnegö , tnie ba§ niebere, bnrd) ein teibtid)e§ Organ;
bef)imgead)tet ift aber bie ©eete bodb babei nom Seibe ni(bt nnabböngig.
Oietmebr bebarf ba§ böb^i'c ©rfeimtnifinermögen bei jeber Ot)ätigfeit einer
gteii^jeitigen entfpred)enben Jbätigleit be§ nieberen; mir finb nid)t im
©taube, eine intettectuette 9tnfd)niinng, eine Sermmftnorftetinng ju t)aben,
ot)ne §ütfe einer gteidb^eitigen entfpredfenben ©inneSnorftettnng, metd)e
bnrd) ba§ finntid)e ©rfenntnifinermögen gebitbet roirb." Oie miffeiu
fd)afttid)e 23egrünbnng biefeö ©abe§ b^be id) in ber eben ermäbnten
9tbbanbtnng über ba§ ©emütt), 9i. 13, gegeben, fomie in ber „©beovie
ber geifttid)en Oerebtfamfeit" 97. 95. ©5 ergibt fid) aber anS bcmfetben
nnmittetbar biefe eben fo attgemeine fyotgernng. „Oa§ ©rfennen ber
93ernnnft inirb, unter übrigen? gteicben Umftänben, immer um fo nott;
fommener, bie intettectuette 9tnfd)annng um fo ftarer unb tid)tnotter fepn,
je angemeffener nnb je met)r entfprei^enb bie Of)ätig!eit ift, jn metdier
gteicbseitig ba§ niebere ©rfenntniffnermogen in beii ©taub gefegt unb
nerantafjt inirb. 99tit anbcren 9Borten: Unter übrigen? g(eid)en Unu
ftänben ftet)t bie Sßottfommenbeit ber intettectuetten ©rfenntnifi in gerabem
ißerbattniffe mit ber Ä'tart)eit nnb 93otteiibnng ber bajn nott)inenbigen
gteid)3eitigen ©inne?norftettnng."
45*
708
StUgemeineS 5pvincip für ba§ 23erfatiren ber ?)3oefie.
gür un§ ^anbelt e§ fid} junäi^ft um bie f^oe[ie; ba§ üorjüglidjfte,
in ber ©egenraart meiftenS ba§ einjige materiede üdittel bie[er Äun[t
bilbet aber bag 2Qort: barum ift e§ i§r nidft mögü(^, anbere Sinne§=
rorftedungen ju Derantaffen a(§ foii^e, bie entmeber ber i^^antafie ober
ber fiimlidjen Urt^eUgfraft angepren. 2©enben mir fomit bie eben aug;
gefproc^ene adgemeine Folgerung auf bie i^oefie an, fo ge!^t aug berfelben
auf bie oben geftedte fyrage biefe 5intrcort ^eroor: 3)ie inteUectneüen
id n f d) a n u n g e n m e I e g u o e r a n i a f f e u bie o e f i e b e ft r e b t
fepn muff, m erben, unter übrigeng gleichen Umftänben, um fo oott-
f 0 m m e n e r , um f o ( e b e n b i g e r u n b f [ a r e r f e p n , je m e ^ r f i e
eg oerftefft, bie ‘■fJ^^antafie unb bie finnlidfe Urt^eitgfraft
gu einer entfpr edfenben unb möglidjft lebffaften it^ätigfeit
g u 0 e r a n t a f f e n.
•165. ©erabe fo mie burd) bag in ber oortei^ten dtummer geroonnene
dtefnttat, fetjen mir ung and) f)ier roieber auf bie iff^antafie itnb bie
finnticbe Urt^eitgfraft ^ingemiefen. Sag ©rgeugnid ber ifJoefie roirb ber
intedectueden Stnfdfaunng um fo mef)r ßebenbigfeit unb Ätar^eit oer=
(eiben, gu je (ebbafterer enifpredgenber 2(ction eg jene groei finididjen
iüermögen anregt; unb je (ebenbiger eben biefe 3(ction ift, um fo intenfioer
mirb biefelbe anberfeitg bie intedectuede Stnfcbauung in i()rer SBirffamfeit
gnr ©rregung beg ©emütb§ nnterftüpen. Unferc beiben ©rgebniffe führen
ung beffba(b gu bem '^rincip:
3( ( g bie Üdt i 1 1 e ( bereu fid) bie ij? o e f i e für ihre 2( u f g a b e
g n b e b i e n e n bat, f i n b im SU I g e m e i n e n a l ( e b i e j e n i g e n iß o r=
güge gu betradgten, burdg bie ibve üßerfe geeignet roerben,
— ohne üSeeintrad)tigung ber intedectueden 3(uffaffung — bie
tafie unb bie finnticbe Urt bei (g traft gn mogtidjft (ebbafter
Xbütidieit in ben ©taub gu f eisen unb gu o er antaffen.
^otjann 3“Cob ©nget getaugt in feiner Unterfudgung über bag
üßefen ber 'jroefie gu be:n Ütefnttat, bap „ber gange beg Sidjterg
unb bag gange üßefen feiner Alnnft baranf biiiaustaufe, burdb ben ©e=
braud) ber Ütebe, atg bie fein eingigeg 3‘d't^'üiueut ift, tebbaftere
ißorftettungen auggubrüde)i nnb gu erg engen"*). Unter ben mir
befannten, oon ber im erften Jbapitet gegebenen abroeicbenben Sefinitionen
ber iffoefie, batte id; biefe für bie befte. §reitid) ift fie nicht barauf
bebadgt, bie etbifcbe //tebbafteren ißorftednngen" raeldge bie
')3oefie ergeugen fod, ficbcrgufteden (ogt. oben ©. 703); aber bietomt
abgefeben, (iegt itgr barin, bafg fie, ftatt mie mir eg getban
baben, bie 9.ßirfung gu nennen auf meti^e bie ‘'ßoefie auggugeben tjAt,
nömlid) bie ©efütgte, nur bag 'Dtittet begeidjnet, burd) roetdjeg biefe
*) 3- 3- *5nigef, d>octif (Berlin 1812) 1. ®. 9. rgl. ®. 12.
®te befonbercn OJiittel ber ^^oefie.
709
Sßirhmg p[i)d)o(ogild) I;erBeigefü§rt rairb. i|t ber[e(6e Rebler, ben
lüiv im üovigen 5lbi‘d)nitt an ben non [rnnjö)iid)en Stntoven anfgcfteüten
Sefinitionen ber oratortidjen 33erebtfainfeit jn rügen l^ntten'*').
2)rittc^ ^tt^ttcL
tUr bcfo^^crcll iJtittcl brr
4-66. ^a§ i|>rincip ju nicld)em mir nor bcm edilnffe be§ letzten
Kapitels nnf pipdiologifdiem 31>ege gelangten, fetj,t nn§ in ben 0tanb,
bie befonberen OJJittel ber ‘^aefie im (^'injelnen feftänftellen, nnb if;rc
3?ebentnng jn benrtbeilen. Ö^ceignet , bie ‘ibi^itigfeit ber ij^bantafie nnb
ber finnlid)en HrtrjeiBfraft jn förbern nnb 311 [teigem, i[t 3tlte§ mas
biefe jmei il)ermögen reijt, um§ itjre 0!)ntigfeit erteidjtert, nnb n)as
biefelbe an genehm madjt. O^ad) biel'er 9iid)tnng mirffam fann bie
il^oefie ifjre 5K>erfe babnrdj madjen,
bai3 [ic biefelben , [orool)t ma§ ben ^sn^att al§ ranä bie ®ar[tettnng
betrifft, 511 ben natnrlicben Tccignngen nnb ^'it'^reffen be§ mcnfdjlidjen
b^erjend in möglidjft innige nnb unmittelbare iBejiebnng jn feben be=
müljt ift;
baf5 fie bitrd) eine angemeffene ÜlnSfnljrnng , ber if.5l}antafie nnb ber
finnlidjen Urtbeilsf'raft einen entjprecbenben 9^eid)t^)nm non ©injeluor;
fteünngen bietet, nnb bnrdj bie i)97ittcl ber „doncentrirnng“, ber „3]er=
gleidmng", ber „Steigerung", ber „poetifc^en ©rmeiternng" bie
fität iljreS Sid)te§ erfiöbt;
baf? fie ben C5-rfd)cinnngen roeldje fie uarfiiljrt, bnrd) „maleriii^e"
Sarftellnng einen möglidift ^ot^en Onrnb non 5lnfd)anlid)feit uerleiljt;
bag fie inarmeS, lebenbigeS, natnrlid)e§ @efül)l ntlpnet, nnb fidj,
innerhalb ber redeten ©rtinjen, jener ®eije be§ 5(n§brncfe§ nnb jener
fprad^lidjen 5®enbnngen bebient, in meldien bie Steigernng ber pfpd)ifd)en
Sptigfeiten fid) naturgemäß fnnbjugeben pflegt;
bafs fie einen Stpl nnmenbet ber fid) bnrc^ 2Bol)lflang, ba§ Ijeißt
bnrd) ,,(5upr)onie" nnb „Ohnnerns" an§3eid)net, ober and), roie fie es ja
norroiegenb 3U tf)nn gerool)nt ift, an bie ©teile beS DhtmernS ben ,,iRl)t)tf):
mnS" beS 33erfeS treten läßt, nnb bie üiL'irfung ber 0'npf)onie bnrd) 3lm
inenbnng beS „dbeimeS" nerftärft.
Sie „natürlidjen Oieignngcn beS menfd)lid)en infofern
biefelben l)ier in 33etrad)t fommen fönnen, l)aben mir im erften 33nd)e
’^inlänglid) tennen gelernt. 3'^ „unmittelbarer nnb inniger 33ejief)nng"
311 benfetben ftel^cn (i'’rfd)einniujen, bie fid) bnrdj ©d)ünl)eit, Ülnmutl),
*) a?gt. 0. 688 uub 695.
710
®ie befonberen SCRittel ber 5|loefie:
©roBartigfeit , 2Ba!^r!^eit, 9leul)eit, 9Jlannic^faItigfeit , fpannenbe Unge=
lüöi^nttd^Mt , Säc^erU(^!eit , mit (Jinem SBorte burd^ „äft^etifc^en Sßertl^“
auSjeic^nen, — unb fielet bte ©arftellung, roenii an berfetben, im ($in=
Hange mit bem ^nl^alt, non eben biefen Sllorjügen biejenigen l^ernortreten,
beren j^rdgetin fie überl^aupt fet)n fann. 2luf ba§ erfte ber fünf ange=
führten ÜRomente fiaben mir barum l^ier nid)t roeiter einjugel^en *).
3n ben folgenben if^aragrapl^en befpred)en mir bemnacf), foraeit e§ in
nuferer älufgabe liegt, bie übrigen nier ifSunfte.
§. 1.
^femcntc «nb ISittef wcfi^e ber ^oc^e baju bienen, ber ^^nntattc nnb ber
(innfij^en ’^rt^eifsßraft für i^re ‘S^ättgßelf eine ^nffe reii^cn Stoffes
jn bieten.
IJ^’ie 3tuffübrung ber einzelnen »on gufammengefeinen ®ingen; bie 33er;
rcertt)ung ber (5a-ufalbejiebungen unb ber Umftönbe; bie 3tnatogie unb
ber ©egenfa^. ®ie ßoncentrirung , bie 35ergleidf)ung , bie Steigerung,
unb bie poetif(jbe ©rraeiterung.
467. ®ie jroei roieberl^olt genannten SSermogen, bie i]}^antafie unb '
bie finnlidje Urtl^eilgfraft , finb beibe an ein Ieibüct)eg Organ gebunben,
ndmtic^ an ba§ (SerebrofpinaHitiernenfpftem. 3*^ f^otge beffen fann bie
eine roie bie anbere nur (Srfd^einungen auffaffen rceldje ber Orbnung be§
Sichtbaren, be§ itörperlii^en angehören, unb biefe nur einjeln unb je für
fi(h, in concreten SSorftellungen ; ba§ ©ebiet be§ Slllgemeinen unb be§
Sfbftracten ift ihnen unjugängli^. 2BitI atfo bie if3oefie bie jmei be=
jeidineten 3Sermögen in Ohdtigfeit fetten, fo mup fie ihnen Stoff bieten
ju Slorftetlungen eben biefer 2trt; nnb folt in ber Ohötigfeit bie fie rer;
antaßt, fieben unb ißeroegung herrfchen, fo mu^ e§ eine entfprechenb retdhe
f^ülle foldier 33orfteItungen fepn, ju benen fie ihnen ben Stoff bietet,
©injeloorftettungen ergeben fich, unb eine gröfjere güüe berfelben,
raenn bei Oingen bie ein ©anjed bitben, ftatt eben biefed ©anjen,
ade ober mehrere Oh^^fc aufgeführt raerben;
roeuu mit einem beftimmten ©egenftanbe jugteidh jene ©rf^einungen
ermähnt raerben 511 benen berfetbe in 35e5iehung fteht, namentüch in cam
faler (Urfache, Sßirfnng, iS'HtteO;
*) ®ne freilich tch*^ roirffame, aber ganj uerfehtte SInroenbung be§ erroähnten
3Jtoment§ tritt herDor in ber bebenftidfien ©eroohnheit, uermöge bereit nicht nur bie
ipoefie fonbern auch Qubere c^ünfte, bie gefdEitechtlidhe Siebe theitä al§ ben
eigentlichen ©egenftanb ihrer Sßerfe, theil§ roenigfteng ai§ bie unentbehrfiihfte SCBurje
berfelben ^n betrachten fdheinen. nerroeife bejügtidh biefeS 33untte§ auf meine
Schrift „@efahren beilettriftifcher Seetüre" S. 30 ff. (2. Stuft. IV. 3t. 12.)
bie 3hiffü^vung ber cinjetncn Jl^cile; bie 3(naIogie.
711
lüenn mib Umftänbe ueriuert^et lucrben, bie fidi mit
einer ©rfdjeinung nerbinben , obgleidi jie feine§rceg§ ju bercn 2öeien
gel^ören ;
menn ein ©egenftanb bnrd] nnbcre, il)m ät)ntid)e ober analoge, ober
bnrdj foId)e bie ju il)m irgenbroie im ©egenfal^e [teilen, beleud)tet mirb.
So brürft 5. 33. ©d)iüer ben ©ebonfen: „Seit ben Sagen meiner
3'ugenb !^abe id) 3IIle§ geopfert, tjobe id) mid) fort unb fort gemiit)t, um
ben ©egenftanb meiner Sel)nfud)t ju finben", nomenttid) burd) beftimmte
33ejeid^nung einjetner S^eite unb burd) 3tnmenbung oon 3tnatogien
in fotgenber 3Beife poetifd) au§:
3(od) in meines l’ebenS Venje
S^ar id), unb id) manbert’ nuS,
Unb ber 3»9fob frof)e Sänje
Vief) id) in be§ 2?ater§ ,^an§.
3nt mein (Jrbtbcil, meine ,^abe
jgarf id) fröt)tid) gtnnbenb t)in,
Unb am Ieid)ten S'dgevftabe
^og id) fort mit Ä'inberfinn.
3tbenb marb’S unb ranrbe iOlorgen,
'Diimmer, nimmer ftanb id) ftiil,
3lber immer btieb’S nerborgen,
SBoS id) fndfe, ronS id) rDÜt.
i\'rge lagen mir im 3Öege,
Ströme bemmten meinen Ju^,
Heber Sd)lünbe baut’ id) Stege,
33rüden bnrd) ben milben
Sen allgemeinen Gebauten ; „Sie SSunber )oetd)e ber iöieffias mirft,
fpredfen bafür, ba^ @ott mit if)m ift", mad)t Ätopftoct, in ber iRebe
beS ©amatiel, babiird) toirffam, baß er mit ber @attung, bem togifeben
©anjen, jugteid) mehrere 3lrten oorfnbrt;
3lber menn er, bnrd) f)immlifd)e 3ßJunDer bie Grbc 31t fegnen
-(Vortföbrt : menn burd) it)n ber 33Iinbe fein 'Ituttitj jur Sonne
f^reubig erbebt, unb mit febenbem 9tng’ auf ben leitenben imter
®tannenb blidt; — oerjeibt mir, mofern id) entflammt oon ber ©roße
oeincr Sb^R’^r Dielleid)t nach eurem Sinn ju erhaben
9?on ihm rebe! — menn Sanben baS Of)i‘ ber Stimme beS 3Jlenfd)en
SBieber )id) öffnet, menn eS bie iRebe beS fegnenben 'l^riefterS
®ieber oernimmt, unb bie Stimme ber 33rnnt unb bie meinenbe 3Rutter,
■) Schiller, Ser ^pilgrint
712
®ie befonberen SRittel ber ^oefie:
Unb ben feternben 6^or uitb bic ^aCelujagefänge;
Sß>emt buri^ i^n bie iobteu bafjergcl^n, gegen un§ jeugen,
51c^ mit roteber lebenbem 3(uge gen §tmmel meinen,
©öttlidj jürnenb anf un§ Ijerblicfen, il)r @mb nn§ jeigen,
Unb mit jenem ®erid)t nn§ bvo^n, nor bem [ie jd)on raaren;
äöenn er, roeld}e§ no(^ göttlicher i[t, untabelhajt fortfahrt
3>or nn§ 311 leben; raenn er mit feiner mäd)tigen Xngenb
irnmber thut unb ®ott gleicht: acl) fo befi^raör’ id) em^, 33äter,
33eim lebenbigen ®ott, fprec^t, füllen mir ihn nerbammen?*)
®inen roolfenbruchartigen fRegen macht ©chiller ber 'j^hantafie in
feinen 3Bir fangen anfdjnulich :
Xa gießt nnenblidjer Stegen l)erab,
31on ben 23ergen ftür3en bie Quellen,
Unb bie 33ädje, bie Ströme fdjmellen;
Unb er fömmt an§ Ufer mit manbernbem Stab;
Sa reißet bie 33rüde ber Strubel l)inab,
Unb bonnernb fprengen bie ilitogen
Seö ®emölbc§ fradjenben Qogen**).
Surd) baffefbe ilRittel 3?ürger bie @eroalt bes piöhüi^ baherbraufenben
Sübroinbeg;
Ser tarn nom SJtittagemeer,
Unb fd)itob burd) SBelfdjlnnb trüb unb feudjt :
Sie 3Bolfen flogen nor Ujin l)er
3Bie mann ber äöolf bie i^eerbe fd)eud)t.
®r fegte bie g^tber, 3erbrad) ben fvorft;
3luf Seeen unb Strömen ba§ ®runbeiö borft.
3lm So^ßbirge fd)mol3 ber Sd)nee;
Ser Stiuß non taufcnb Sßaffenx fd)oll;
Sad iIÖiefentf)al begrub ein See;
Se§ Sanbeö §eerftrom mnd}5 unb fd^moll;
.^od) rollten bie 3Üogen, entlang ihr ®lei5,
Unb rollten gemnltige fvelfen ®i§***).
Sie Umftänbe nerraertl)et ,fUopftocf in folgenben Serfen:
3llfo fagt er. ^^tlt ftraljlt bie crl)nbene SRittagsfonne
lieber Sei'ufotcm nieber. Um bie ^e’it nabte fidj 3>iba§,
;^n ber S3riefter Stcrfammlnng 311 gehn. Sor il)in manbelten Satan
*) Ä'lopftod, ®er 91leffia§, 4. ©efang.
**) ScbiÜer, ®te 33ürgfdjaft.
***) Sürger, Xas Sieb roin brnocn DRann.
SSirfimgcn; Umftänbe; Sümtogien.
713
(Stlenben ©djrittS imb fjcr, unb ftanbcn tm J^aale
Dieben ben 5ßvieftern, nnb lal}n itngefeljit in bie tiefe SBerfammlitng *).
©affelbe fSlittel ber ©tdjter be§ „©tngfdjiüaiis" ;
O DJleev! ineun fid) in 3tbenbrofenglutt)en
©ein rul)Io§ (Element in ©d)lumnter iniegt;
Silenn eiufam über bir bie DJlöne fliegt
Unb fdjeibenb nodjinntö füfst bie niüben f5'fntt}en;
SBenn fern beä 7iuge§ letzter ©trnf}t Bergtüt}t,
Unb abfdjiebgrügenb fnnft bie Sßelten Uingen;
Söenn an§ bem ©uft ber 91nd}t bie Sterne bringen,
ind cnbtoä über bir ber fpimmet blüt)t:
Sann ntjnt bn§ fdjroer bebröngte Öerj ben fvrieben,
©er iljin at§ if>rei§ nnd) treuem Ä'nnipf bcfdjieben **).
llnDergteiäjtidj fd)öne Dtnalogien, giuei lueiter nudgefüljrte unb
jtuet fürjere, treten nu§ in ben folgenben 23eifptelen entgegen:
3m ©ebirg’ ift eine ©tede
33o ber ©türm, ber milbempörte,
33red)enb in bie bot)en fpntlen
tBiö jnm @runb ben äßnlb i)crf)eertc.
ioingernfft, gefnidt, gebrod)cn
i'iegcn bort bie mäd)tigen (f'id)en;
Unter SSeiberid) nnb tBinfen
DJeobern if)re Üiiefenlcidicn.
Dtufeinanber, bnrdfeinnnber
©tamm nnb 3tcfte, mitbuermorren ;
l'osgeriffcn in bie l'üfte
©tet)n bie fd)mnr3cn iünrjetfnorren.
©ie non 'And)lingmnonne träumten,
3infenfd)tng nnb 33tumcnfdjimmer,
ST'nrf im bn§ DBetterbraufen
(Filier 2£'internad)t in triimmer.
Oeb’ unb müft! — ©o inüft nnb öbe
3l'arb mein Veben. (Fine ©tunbe
Dliditete bie Stütenbiinme
DDleiner .^Öffnung fiit) 511 ©runbe.
*) jUopftoef, I)er 31teffin§, 4. ©efang.
**) Sritt, ®cr Siugfibnian, VIII. (^. 165.)
714
®te befonberen a'iittel ber 5ßocfie:
2öü[t unb öbe! Um bte tobten
©pinnen raie bunUe Planten
@inen Slunenftein ummeben,
iDletne traurigen ©ebanfen* **)).
Dlun fte^t er am S'cnfter, gebeugt, gebüdt,
®ie 3trme getrennt auf ber 33ruft, unb brücft
®ie brennenbe ©tirn an bie falten ©c^eiben.
Unb trüb, rcie braunen bie SBolfen treiben,
‘©ie naffen ©(^teier, gefpenftig, grau,
9Jad)fd)Ieppenb über bie falzte 3tu,
Unb raftlod, roie bie Ärä^’n bort fc^toeifen,
Unb I)abern unb ptaubern, unb flattern unb ftreifen
i^erüber hinüber, oom SSeibenftumpf
3um morfchen 3“nn, jum grünli(hen ©umpf:
©0 mögen unb rcanfen, fo fd)roirren unb ganfen
feinem Äopfe bie roirren ©ebanfen.
Unb roie burd^ bie Röhren ber §erbftroinb jief)t,
Unb fingt auffd)auernb ein ©terbelieb
3Iuf f^elb unb §aibe ben ftiUen ©obten
i^n langen feufjenben Irauernoten,
jDie leife oerhaUen in fJtieb unb fftol}r:
©0 ringt aud bed 3!Kanned 33ruft fi(h empor
©in tiefed tonged fdpnerjlidied 0agen.
©ein i^erbft hnt bittre grucht getragen;
3frm [teht er, in ber 3]ergroeiflung Qual,
Ißerloren nor bem »erlornen
Heber abgrunbtiefe dtäthfel
.^iifcht ber 3[Jienfch mit leichtem ©inne,
©orglod, roie auf blauen ©chlünben
©pielt unb tanjt bie SBofferfpinne ***). —
33ift bu gleich bem ^Regentropfen,
©er, aud ©unft unb ©ampf gerooben,
©purlod in bad SRiihtd hiei^ unten
©aumelt aud bem IRichtd bort oben? — ***)
468. 31ber mir haben nicht ©Irimb, unfere IBeifpiele audfchliejflidh
beu hebonifdjen i|]üefie ju entnehmen, ©arum foU ein längered
folgen and einer religiöfen ©idhtung, roelche ihrem Sllter nadh ben he^
mnnberten ©efängen ,'oomerd minbeftend gteid) fteht, an SSoUenbnng aber
*) ®eber, ©retjehnlinben, XIX, „@Imar im Äloftergartcn", 4. (©. 268 f.)
**) SBeber, @ebid;te, „Sioarborosti".
döeber, ©reijehnlinbcn, XVII, „©es 'llriorS Sehrfpvüche", 11. (0. 236 f.)
bie ißergleic^uug, Steife, 3Shhmgen, Umftäube, 3(no(ogien, ®egenfä|ie. 715
alle (Svjeugniffe nidit allein ber pvüfanen fonbern »telleid^t and) ber
reügiöfen ‘'^oefie überragt, — roentg|ten§ roenn man berücffidjtigt, baj?
ben ®ic^tern ber d)ri[tUd)en anbere geeigneten
6to[fe§ ju @ebcte [tnnb. ®ie ißerfe bie roir an§roä§len, gel^ören ber
lebten IRebe be§ 3'^^’ ber i'erfaffer be§ 23uc^e§ läßt in benfelben ben
fermer geprüften i|}atriard^en bie ganje 2Bin^t feined l^arten Seibenä
fd)ilbern, nnb roenbet jn biefem @nbe bie „iBergleic^nng'' an, inbem
feine gegenraürtige Sage ber früljeren fo gtücflid)en gegenüberftellt. ®ie
eine roie bie anbere merben gefcl^ilbert bnrd) .Siernorliebnng nerf(^iebener
eingelner iDcomente — — i «uö benen fie fid^ jnfannnenfel^en;
überbieg finb, bem (J^aracter ber ^oefie entfprecbenb , mel^rfad) forool^t
„Umftönbe" al§ „ülnalogien" nnb ,,@egenfä^e'' bennt^, nnb eg eignet
fid^ unter biefer 9tüdfid}t bie Stelle alg ^ßiif^ration jn ben meiften ber
non nng nor^er bejeidjneten ©leinente.
2Ser gibt mir frühere 91ionbe,
®eg @ottegfcbube§ 'Jage,
5(lg ich, im ^i'ü'tei’n manbelnb,
3?on feinem Sicht beftrnhlt ronr,
Jie 'Jage meine§ i<^erbfteg,
5(tg meinem 3^It @ott greiinb mar,
ilJtir nahe ber 5(llmnd)t’ge,
Ütingg lim midj meine Äinber;
5tl§ ich bl Dtahni niid) tnudjte,
9Jtir Oel ber f^etfen ftrömte;
5lt§ ich Sam Jhor ber Stabt jog,
'Jort auf bem Sltarftplap thronte!
Scl)eii barg fid) bann bie ^agenb,
Unb ftnnbeii auf bie ©reife.
3n (ährfnreht fdjmiegen fvürften,
Jie .'oanb 311m SJtiiiib gehoben;
Stumm raarb ber ©bien Stimme,
©efeffett ihre 3u’igc-
iSer DOii mir hörte, prieg inid),
Unb mer midj fah, gab 3rngnif!:
Jeiiu Dtetter mar id) jJulberu,
Sem hclirrlofen SSaifeu;
9Jtid) fegneten Jerloriie;
Ser iSitme S^cx^ erfreut’ id);
dlteiii loauphSdmiud iRedjtögefüljl mar,
©eredjtigfeit mein 'Dliantet;
Sem Slinben mar id) 'Iluge,
Statt fvußeg bem ©elähmten.
3d) mar ber 9lrmen Jsater,
©rforfdjte f^rember Dtechteftreit,
716
Sie befonberen SRittel ber i^oefie:
3erbradj bes g-ret)(er§ .^auer,
91aub au§ feinen 3äf)nen.
S)a badjt’ tc^: Sffiiirjro^rS ®auer,
S5er ipalme 5e6en l§arrt mein,
31m 2Öaffer meine Siüurjel,
iBod S^aueä mein Oejmeige,
2!Bie nen ftet§ meine @§re,
Hnb raie nevjüngt mein Sogen.
(frroartung fnnb mein @prud) nor;
Sinn laufdite meinem Sat^e.
©ntfc^eibnng brad)te mein SJort,
trof auf fie l)ernieber.
®ie !^avrten mein roie fEegeng,
91ac^ (Srnteregen ledjjenb.
Serjngten bot mein Säd)eln,
Setrübten Sooft mein ©(eic^mutl).
3d) faff geel)rt al§ .^aupt ba,
®em Jl'önig gleid) im Heerbann.
Unb jeljt bin i(^ jum ©potte
3fen Silben ronrb’gcr Säter,
®ie id) ben ©d)dferbunben
9iid)t beigefetlen möd)te!
S>a§ fodte ifire Ätaft mir?
91>er fonnte i^nen trauen?
9Ean trieb fie au§ bem l'anb fort
Sfeil el)rlo5 fie unb gottlob.
Unb nun bin ic^ ibr Siebdjen,
3)a§ ®tid)roort il)re§ .^obnes!
©ie roeid)en au§ ood 31bfd)eu’ö,
Serfpeien frecb mein 31ntlil3.
. 3)ie Srut umfd)n)eift unb quält mid),
£'ägt fii^ bie 3^9*^^ fcbießei^;
®er Sine pfianjt fid) red)t5 auf,
£'inf§ 31nbre.
®ie ©d)reden ®otte§ bro^’n mir,
©id) Unbeilöpfabe babnenb,
3um ©tur,5 ben SSeg mir tilgenb,
Serlaffnen.
Surd) breite Srefd)en nal)’n fie,
Seim (Jinfturj auf mid) ftürjenb.
Sicin ®lüd entf(iel}t raie SBoIfen,
®em SMub gleid) meine i^obeit.
©nl)in fcbmiljt meine ©eele
3n Seiben feftgebalten.
S)ie 9tad)t bolirt mein ®ebein ab,
Unb meine Üiagcr rul)’n nid)t.
bie SSergleidjung, 'i()d(e, iStrfimgen, Umftänbe, 3(nalogieii, @egenfä|c. 717
©efc^niuli't fpanut mein ©cmniib ftraff,
®ie bpembe§ SOiünbung i’djiüirt’ä micl).
3nm ^djlammc (jingemorfen
33in idi, raie ©tniib unb 3(fd)e.
Tu f)örft nic^t auf mein 3^uteu,
Unb menbeft beincn 331td n6.
Tu rairi't jum gvimmcn ^-einb mir,
3Jiit 'liUmndjtöljnub midj bvnngenb;
Tclift mid) nuf 'Sturm, rnffft fort mid),
Uub madfft mein .^ei( 5erriuuen.
;jd; raeijf, e§ folt jum Tob getj’n,
Ter alle§ Sebeu eiuljeimft.
Tod) fd}reit mnu nid)t beim f^-nllen,
Stredt uod) im Stur, 5 bie
33emcint’ idj uidjt '-Bebriiiigte,
(fTinies bem 3(rmcu 3JUtteib?
3’d) boffic @Iücf, fnub Unbeil;
2id}tö id), bn fmu Tuntet.
Stete brennt mein (Singeroeibe;
33iid) briingeu Seibeuätnge.
trüb fdjleid)’ id), obuc Sonne, ■
33h[f; aufftcb’n, fdjrci’n nor l'entcn.
Teilt Sdjnfat imtrb ict) türuber,
Teil Strnupeii 511111 ©enoffe.
©cid)uinr5t (oft fid) bie Tmit nb,
Uub ©tut börrt mein ©cbciii nu§.
3u Ürnitcr inarb mir (fit()cr,
Unb bie Sd)nlnici 51t Sd)(ud)5cii *).
3ur ©rfläruug nier meitcrer fUfittet ii)dd)e in bem jmeiteu unferev
fünf "^Uinftc (S. 709) genannt nnirben, bdben mir nod) ntc()t§ gefügt.
3(6er nii^t bev ST'iffenfdjüft ber ifJoefie, fonbern ber Theorie ber
£el3teren, ber ifioetif füdt e§ 51t, fid) mit foldjen Tingen eingebenber 311
befetffen. to^iU'iebdieb ber „(foncentrirnng", ber „üfergteidfnng" unb ber
„©rmeiternng" fönnen mir übrigen^ auf nufere „Theorie ber geiftticben
3?erebtfamfeit", 97. 181 ff., oermeifen, mo roir biefe 99iitte( roiffen=
fdjaftüd) beljanbett hoben; auch oon ben übrigen in biefem ifJarngraphen
nur fnrj ermähnten ©lementen ift in bemfetben 93nd)e, 97. 101 — 109
nnb 112 — 118, eingehenb bie 97ebe.
*) iBicfeU, 'Ticbtimgcn ber .Pjebräer, 511111 erftcii Oltate itad) bem ißerStiinaüe
be§ Urterte§ überfept QnitSbrud 1882) II. ©. 54 ff. Sie b'er gegebenen Serfe
bitbeii in ber Sidgata ba§ 29. iiiib 30. Änpitel be§ SneheS ^ob.
718
®ie befonberen 9Jlittet ber 5|3oefie:
§. 2.
Jas pocii|’($c ^fmdföe.
2Barum bie ^oefie [idj ber „malertfc^en" ®arftcEung ju bebtenen ^abe; ©ei;
fpiele. @ine ridjtige ©emerfimg Sef[ing§ !^in[i(^tlic§ eine§ SJii^Derftänb;
niffeS, ju iceld^em ber ©ame „©emälbe" leicht ©nlaß gibt. 3tber Seffing
l^at Unre^t, roemt er lel}rt, „ba€ ©ebiet be§ ®id§ter§" fep augfc^lie^lidj
„bie raetdjem ©runbe eigentli(^e ©djilberungen ber
Seibeäfi^önbeit burdb bie ©oe[ie immer abgei(^madt fe^en.
469. ©§ i[t eine ndbefannte, oft roieber^olte SBafjr^eit, bie §oraj
feinen jungen greunben no^^eiegt:
©3a§ burd} bie Ct)ren in bie Seele gebt,
ergreift fie fi^mäd^er, langfamer, at§ roa§
bie 5(ugen feben 302).
®er romifd)e Seichter lotll übrigen^ junadjft nur biefeg fugen: ©er ©in=
brnd ben fidbtbure ©rfi^einnngen auf un§ inucben, ift roeit fturfer, roeun
fie uu§ burd) 2Sefeu§bi(ber ■ — braniutifdb — norgefübrt, ul§ roenu fie un§
lebiglicb burd) bie connentionedeu ©P^adie tnitgetbeilt nterbeu.
2Sefeu§biiber funu nuu freiüd) bie i)3oefie nicht liefern; uui^ ©eftultbitber
oermag nur ber ))Jieib'eI ober ber Stift, uub ber 'j3iufel ju fcbaffen, roal);
renb i[)r einjigeä iDfittel ba§ 2Bort ift. <tudb beu 9tebner, toeldjer
bocb unter biefer 9tüdftcbt fid) glei(^fatl§ auf ba§ 25>ort bef(^ränft fiebt,
mabut Quintilian, baf? feine Äunft „511 loenig leifte, ba§ fie nicht ba§ @e=
im'itb ergreife roie fie foüte, folange fie nur ba§ Obr trifft, unb ben 3^=
Ijörern nidbt ift, at§ ob fie bie Singe um bie e§ fi(h b^nbelt, leibhaftig
u n b f i d) t b a r 0 0 r f i cb f ä h e u , ftatt blofj barüber berieten ju hören" *).
2Bie htcnmch bie ©erebtfamfeit, unb mehr als biefe, fann unb foll in ber
Shat auch bie if?oefie „malen", baS hetBt folcbe Singe bie fich baju eignen,
foioeit eS bem befonberen 3n)ede ber einzelnen Si(htung entfpri^t, in mög=
lidjft hohev 21nfd)aulid)feit barftellen. ;;9i^'aphM<h^tt" Sdhilberungen,
ihre „ethifchen 3et(haaiigea" unb „©Uber" unb ihre „©emölbe" geben ben
©d)öpfungen ber Sculptur ober ber )97olerei an Seben unb Klarheit nicht
baS minbefte nad) ; fie fönnen überbieS 3ögc unb ©djattirungen enthalten,
ioeld)e bie ^loei bilbenben fünfte gar nicht loieberjugeben im ©tanbe finb.
©0 ift eS ein fel)r lebenbigeS ©ilb, baS Älopftocf im oierten ©efange
beS „ilReffiaS" oon i^htfo ÄaiphaS eutioirft:
©hito fprnd) bieS, unb ging mit aufgehobenem 3lrme
©orroftrtS in bie ©erfammlung, unb ftanb, unb rufte oon neuem:
*) Quint. Inst, orator. 8. c. 3.
ba§ poetii'tfjc ©emcitbe.
719
folgen feine äöovte, ein gotteöläfterlicfjev 'Äcfjionr ben SJleffin? jn oerbevben.
®ann malt ber ®i(^ter loieber;)
3Ufo fagt’ er, nnb fen’rte fid) nn 511 miUjnen, bie ©ottlfeit
®ecf'e getünd)tc ©rüber nidjt auf; bod) nannte fein S)ev^ if)n
y?end)ler! @r fiiblt’ e§, nnb [tnnb mit nnoerrntljenbem 3tnge
3,'or ber SSerfninndnng. 3Son ©rinun nnb überinannenber 2i>utf) roll
Je()nt’ nn feinen golbenen ©tnl)! fiel) Änipljad nieber,
llnb erbebte. 3I)in glfd)te fein 3tnÜil?. ^'r fdjnnt’ nnf ben 33oben
®prnd)to§ nnb ftnrr;
ober poit bem ©pnebrium unb bein 9ticobeniu§:
3(ber 9iicobemn§ fafp nnb betrnd)tete fdjroeigenb
3(Üer 3tntlip. ©0 twie ein 931ann ber ein ©ünber ift, 5itternb
©tet)et, nnb bteid) inirb, menn über il)in nnt) ber ®onner be§ ^errn ruft,
3Ufo loar bie 53erfantmlnng. ©elbft ''■f.sbiro nnb ,^aipt)a§ fd)ienen
3>or ©ainnlietä 3f}ei§bcit 31t jittern. 3D7it (Vnrd)t nnb 3ferndjtnng
©nt) fie 9iieobenui§, ftnnb auf, nnb longt’ e§, 311 reben.
5?od)gebilbet, ein SJinnn non inenfd)enfrennblicf)em 3tnfebn
©tnnb er. äßeijmntb nnb (frnft erfüUte be§ ©enfenben 3(ntlip,
Unb bie fRid)’ beä empfinbenben nnbefledten ©einiffenS
©prnd) fein gnn3e§ ©efiebt. ©ein treuer Be’uge, bn§ 3fnge
2.1'cint’, nnb nerbnrg nidjt bie ibrnnen. (Sr ginnbt’, er fprädje nor fDeenfdjen.
9iid)t toeniger flar ge3eidjuet ift bn§ 2?ilb, in uieldiem ©tfjiUer bie
(^nffnnbra erfi^einen lägt:
Unb gcfcbinüdt mit Jorbeerreifern,
ff-eftlid) innllet ©d)nnr nnf ©ebnnr
3tnd) ber ©ötter l)eil’gen S'nnfern,
3n beö ibpinbrierä 3Utnr.
©nmpf erbrnnfenb biird) bie ©nffen
SC'nt3t fid) bie bned)nnt’fd)e Snft,
lUxb in if)rem ©d)mer3 uerlnffen
3i)nr mir (Sine trnnr’ge 33rnft.
fs-renbIo§ in ber ^-renben fS'iUIe,
Ungcfeltig nnb allein,
Si'nnbeltc (Snffanbrn ftille
Bn 3tpoUo’§ Vorbeerl)nin.
3n bc§ 2ffinlbe§ tieffte ©riinbe
fvlndjtete bie ©eljerin,
Unb fie innrf bie ipriefterbinbe
Bn ber (Srbe 3Ürnenb bin*).
*) ©d;iltev, (Jnffanbrn.
(Sin roeitereä Seifptel ift bn§ 3Jtnvtpvium ber b^ligen 3tgne§ in SSifeinnng
JRomnn „gnbioln", J?np. 29. ©. 383.
720
Sie befonbeeen SRittel ber ißoefie;
raei^ nidjt, ob itnfere poetif^e Literatur ein jroette§ „©emäibe"
aufjuroeifen l^ot, in roeic^em bie äöirffamfeit non Seiftnngen biefer 2Irt
fühlbarer !^ernortritt , aB in ber ©cbüberung be§ 23ranbe§ in ©d)itler§
„ßieb non ber @(ocfe" *). Stber ba§ ©ebic^t ift jn |e^r oerbreitet , aB
baj3 e§ nöt^ig erfdjeinen fönnte, bie @tede ^ier raieberjugeben. ®afür
mag roieber ein ©emäibe folgen ba§ ben (Srjeugniffen ber religiöfen i^oefie,
nnb bem älteften Sichter angeprt oon roeldjem Sßerfe auf nn§ gefommen
finb. ©ie oier ©tropfen finb bem Sobgefange entnommen roelc^en „3JJopfe§
nnb bie jlinber ijerrn fangen", aB tß^arao mit feiner
i^eereSma^t im rotfien 9Jteere untergegangen mar *"*■)•
©er 3ef)ooa ^eipt, ift £rieg§t)elb,
t^at jerftört bie Söagen; .
Önt ertrünft ba§ ©eer be§ £önig§,
©einer ©treiter 3lu§raal)t.
dC'ogen bedten fie im ©djitfmeer,
©tcinen gteid) ocrfanfen fie jur üefe.
©eine 9ted}te, mac^tooU ^errlid),
§at ben f5'einb 3evfd)mettert ;
§at jermatmt in §of)eit§fülIe
©eine 3inberfad)er.
©eine 3orng(ut fra^ gteidj ©preu fie,
©eine§ @riinm§ §aud) fdpoellte an bie 25>affer.
döie ein ©amm ftnnb ftitl, roa§ fiüffig,
©tarr bie f5dnt im SJteere.
©prad) ber y-einb; ,,3d) raitt oerfotgen,
f^affen, ißeute tbeiten!
3Jldm SJtorblnft feil fid) fätt’gen;
3d) mitt jie^’n mein ©d}ruert, roill fie oertitgen !"
;3n ba§ 5D7eer oerbarg ©ein §aud) fie,
©ap raie SÖtei fie fanfen.
§err, roer gleicht ©ir unter ©Ottern?
döer ift herrtief) ©ir gteid)?
2S>unberthäter, furchtbar, ruhmoott !
©ie oerfchtang bie ©iefe, nf§ ©u roinfteft ***).
•170. ©er 9tame „©emötbe" nnb ba§ ipräbicat „maferifdh", meldje
bie ©h£0i^^^2 fotchen Iebenbig=nnfd)anUdjen ©arftelinngen ber ifJoefie 3uer=
*) Jtngefangen non ben Jterfen
„2lu§ ber SBolfe
Qiiittt ber ©egen — "
**) 2. ÜJtopf. 15. 3Sgt. oben ©. 229.
***) tBicfett, I. ®. 7 f. (6it. 717.)
ba§ poetifd^e ©emälbe.
721
fennt, finb übrigens burd)au§ im uneigenüid^en ©inne gu nehmen. !©aS
„©einälbe" be§ ©ic^terS bat oiit ben Seiftungen ber 2>talerei nidjtS
meiter gemein, al§ bie lebenbige 2Infd)aund)feit , bie notte Marbeit ber
35orfteIIitng bie e§ neronlafgt. ®iefe Jbatfacbe roe((jbe namenttidb Seffing,
ber irrigen Sluffaffung mamüer ©(^riftfteder unb „einer ?!Jtenge baib=
raabrer Siegeln" gegenüber bei'üorgeboben bat^ nerbient alte ißeai^tung.
„®in @ebidbt bann febr ergiebig fein für ben 'üO'iater, beunodj aber fetbft
nidbt malerifcb ; binroieberum ein anbereS fel)r malerifcb, unb bennoi^ nicht
ergiebig für ben illtaler fei)n ... gibt matbare nnb unmatbare
fyacta: unb ber @efd)id)tfdjreiber fann bie matbarften eben fo unmaterifd)
ergntjten, atS ber Siebter bie nnmatbarften materifcb barjuftetten uer=
mögenb ift. 'üJtan täf3t fid) bto^ non ber 3™eibeutigfeit beS SBorteS
uerfübren, luenn man bie ©adje anberS nimmt, ©in poetifdjeS ©emätbe
ift nidjt notbmenbig bn§, ma§ in ein materiettes @emätbe gu nerroanbetn
ift; fonbern feber ,3^3/ icbe ®erbinbung mehrerer 3äS£/ burdj bie unS
ber Sidbter feinen ©egenftanb fo finnticb utad)t, ba§ mir un§ biefeS
@ e g e n ft a n b e § b e u 1 1 i d) e r b e m u ff t m e r b e n a t § feiner 2S o r t e,
beifft materifcb, b^ifd ©emotbe, meit eS nnS bem ©rabe ber ^üafion
näher bringt, beffen ba§ materiette ©emätbe befonberS fähig ift, ber
ficb üon bem materietlen ©emätbe am erften unb teid)teften abftrabiren
taffen. 91un fann ber Siditer gn biefem ©rabe ber ^ttufion, roie bie
©rfabrung geigt, and) bie Sorftettung anberer, atS fidjtbarer ©egen=
ftänbe erbeben, fvolgtid) müffen notbmenbig bem 9Irtifteid' (bem iDtater)
„gange jf'taffen non ©emätben abget)en, bie ber Siebter uor ihm uor=
aus bat" *).
471. ©timmen mir bieriu bem Serfaffer be§ „Saoeoon" uottfommeu
bei, fo föuuen mir bagegen nidjt nmbin, ihm gn miberfpredfen , menn er
in ben fotgenben 2tbfd)nitten feiner Stbbanbtnng ben tetjten ©ebanfen auch
umfebren gu bürfen gtaubt: atS ob nämticb in gteid)er SSeife auch ihrer;
feitS bie 5f?oefie auf eine 9)ienge non Sormürfen nergidjten müffe, metdbe
für bie 9)taterei in bobem 99taaffe geeignet feijen. Sen ©runb bie^'für
mitt Seffing barin finben bcig, mie bie iDtaterei nur Singe barftelten fönne
bie im Stanm neben einanber epiftiren, gerabe fo bie 5f3oefie, in
fyotge ber 9cotur ibreS materielten 'DOfittetS, barauf angemiefen fet), un&
Singe uorgufübren metdje in b e r 3 ^ i t a u f e i n a n b e r fotgen. (g’^’aertjin
ift in biefem ©ebanfen SSabreS; aber bn§ 'f'rincip gu bitbeu, uad) metebem
ficb mefeuttidbe Unterfd)ieb gmifdjen ben gmei ^lünften beftimmt, bagn
eignet fid) berfetbe feineSmegS. ©o faßt Seffing aber bie ©adbe auf;
bie gemeiufame Ueberfdjrift für bie 2tbfd)iiitte XY — XYTII feiueS 95ud)e§
tautet fo: „3?on bem mefeuttid)en Unterfd)iebe ber 9Jtaterei unb ^oefie.
*) üeping, „Saoeoon" XIV. XV. 124 if. (Cit. 587.)
Sungtnonn, SCeft^ctif. 2. 2(ufC.
46
722
®ie fiefonberen SJUttel ber *]Soefte:
S)ie tft ©ebiet be§ S)i(^tcrä, ber 9taum be§
^aler§"
©te finb fiefannt, unb f(^on oft angefüfirt roorben, bie 3Serfe in benen
bei ©d)iHer bie ^oefie fi^ feibft djaracterifirt ;
3Jiid) bött fein Sanb, intcb feffelt feine ©d)ranfe;
f^rei fcbroing’ icb mich burcb affe diäume fort.
SJiein unenne^fid) 9fei^ ift ber ©ebanfe,
Unb mein geflügelt SBerfjeug ift ba§ SBort.
äöaö ficb beroegt im §immel unb auf ©rben,
3Sa§ bie ifiatur tief im ißerborg’nen fcbafft,
9Jiu§ mir entfd)feiert unb entfiegeft merben,
©enn nid}tä befdjränft bie freie ®id)terfraft **).
®a§ „SBerfjeug", ba§ ©arftellungdmittef ber ifSoefie ift ba§ Sßort:
bnrin Hegt ber ©runb roef^bafb i^r ©ebiet riet roeitere ©ränjen bat al§
ba§ ber übrigen Jlünfte, unb ingbefonbere atd ba§ ber SRaterei : benn bie
fßefi^affenbeit biefeg SDarftelfnnggmittefg tnai^t eg ber f^oefie mogticb, eine
?07enge Don ©ingen augjubrüden nnb unferem ©eifte oorjufübren, oon
benen eg feine ©eftaftbifber gibt, bie ficb mitbin burd) 3^tf^t^ttng unb
färben in feiner 2Beife barfteffen faffen, nnb be^atb bem SSermögen ber
ilRaferei fidb gnnj entjieben. Unb eben roegen ber ©igentbümfid)feit jeneg
ibreg ®arftettunggmittelg ift eg einfeitig, afg „bag ©ebiet ber f^oefie bie
3eitfofge" ju bejeitbnen, unb ju lehren, bag eigentficbe ©ebiet ber iOJaferei
fep ibr oerfcbfoffen, raeil fie 5)inge bie im fRaitme neben einanber eriftiren,
nicht Jur ®arfteßung bringen fönne. ©ie oermag bag; unb mag fie
bagu in ben ©tanb fet^t, bag ift bie f^ügfamfeit, bie fBeraegfidbfeit , bie
Seicbtigfeit ibreg „geftügelten SSerfjeitgeg", beg 2i>orteg. iffopftocf ta§t
ben i)Ucobemug, in feiner jroeiten fRebe im ©^nebrinm, an ben iüReffiag
bie folgenbe i)tpoftropbe ridbten:
Tu foltft fterben, bu göttlidjer .^üngliug! bu, roeldjeu mein Sfrm biUt
3tts bu ein Änabe nod) ronrft; umfdjioffen l)klt bid) mein 3frm ba,
Trüdte bidj nn mein §erj mit freubigem ftiflem (Srftaunen!
Um bid) ftanben bie Streifen herum, unb hörten bid) lehren,
Unb bcrounberten bid). O bamafg ftnnb auch ber §immel,
3lug ben eroigen Pforten gu Segioncn gegoffen,
Um bicb herum, unb hörte bicb lehren, nnb jamhäte bir Sieber! ***)
3ft bag etroa nicht ein ©emälbe? unb ftedt eg etroag SInbereg bar,
afg Tinge bie im Staume gleichzeitig neben einanber epiftiren? unb
*) „Saocoon" ®. X („Inhalt").
**) ©hider, Sie .^ulbigung ber Jbünfte.
***) Ätopftocf, „Ser 3Reffia§", 4. (Sefang.
ba§ poetifd^e ©emälbe. 723
lüürbe bie SRalerei biefelbe Scene rairffamer barftetlen fönnen, a(§ e§ bie
^oefie get^an l^at?
Seffing betont e§ ftar! unb fndjt e§ anäfü'^rti^ jn beroeifen, baft e§
immer ein ‘^Jlij^griff i[t, menn bie ^oefie barauf augge^t, „Körper mit
i'^ren fid)tbaren ©igenfc^aften", nnb ingbefonbere „förperli^e Si^ön'^eit",
b. 'i). Seibegfd^üidjeit oon 'dJienfdjen, barjnfteden. ®iefe tBemerfnng ift
oodfommen raatjv. ®ben[o ift eg bnrdjang gegvünbet, menn Seffing bag
elf 33evfe nmfaffenbe „©ernälbe ber §elenn, mit roelc^em ein (Sonftantinug
'SOtanaffeg feine fai^le ($l;ronif anggejievt'' '^at, einen „tpvic^ten 3}erfnd^"
nennt, ober menn er bie fünf ad)tjeiligen ©tropl)en bie 5lrioft oerfc^roenbet,
nm „feine be^anbernbe 3llcina jn fdjitbern", „allen Stiftern empfieljlt alg
bie leljrreidjfte 3®arnnng, mag einem Slrioft miplingen müffen, ntd)f nod)
unglüdlid^er gn oerfnd^en" *). ®ag 5Hleg , ii^ roieberljole eg , ift gan^
gegrnnbet nnb raaljr. Slber bie 9tüd'fid)t raarum eg mal^r ift, liegt
feinegmegg bort mo Seffing fte finben roUl; nnb bie golgernng bie er
auf @runb feiner ^rämiffen jiel)en jn fönnen glaubt, ift feinegmegg
rid^tig.
DMmlic^ barnm muff ber 25erfnd^, blofee Seibegfd)önl)eit burd) ein
poetifi^eg ©emälbe ju fdjilbern, unfeljlbar immer miplingen, meil ber
äff^etifdfe SSfertlj ber bloften Seibegfd)ön!^eit, oor 9lllem bem ©ropen
gegenüber bag bie ^fßoefte barfteUen fann, fo oerfdjminbenb flein ift, bap
jeber Sßerftänbige eg ganj unmotioirt, abgefd^madt nnb finbifd; finben
mup, menn fie iljre Äraft unb i^re iBfülje baranf oerfdjmenbet, etmag fo
Jtrmfeligeg jnr ©nrftetlnng jn bringen.
“iOdan ermiebert ung oielleii^t, oon biefer 9füdfid)t mürbe ja ni(^t
allein bie ipoefie, fonbern ond) bie iXldalerei getroffen. 2®ir fteHen bag
gar nidfit iu3lbrebe; mir felbft liaben fie im jeljuten 2lbfdjuitt gegen ben
®a| Seffingg, „bie törperlidje ©d)önl)eit fep bie eigenttid^e Seftimmnng
ber bilbenben Jbünfte", neben anberen ©rünben geltenb gemad)t**). 2lber
man barf nid^t überfeljen, bajf mo eg fid^ um bie i)Jtalerei Ijanbelt, bie
35erirrnng unb bie Ji^orljeit meldjer am^ biefe Jlunft oerfällt, menn fie
bie blope Seibegfdjönljeit barjufteHen bemüljt ift, bei meitem nid)t fo ftarf
empfnnben mirb, mie bieg bei Seiftnngen ber ipoefie ber fynll ift. ®ie
iDfalerei ift Ü^rer 9iatnr nod) eben auf ©eftaltbilber, alg i^r mefentlid^eg
Sarftellnnggmittel, angemiefen. ®ornm brandf)t man nur ben mefentlidj
pragmatifd^en ß^arocter biefer Äunft ju oergeffen, unb bie ©piftenj einer
©d)ön!^eit oor ber fene beg Seibeg nid)tg ift, gu ignoriren, nm eg felbft=
oerftänblid) gu finben, menn bie üKalerei fid^ baranf oerlegt, bem 33e=
*) ßeffing, „Saocoon" XX. @. 169. 171. 175. (®t. 587.) Seffing tt)eitt
beibe 0tetlcn im Originaltert mit, nnb bie äroeite aneb in bentfdber Ueberfepnng.
**) Oben, i«. 397. 0. 594.
46
724
®ie befonbercn SJUttel ber ?Poefie:
fd^auer fc^ötie 9)7enfd^enleiber norjufül^ren. ^ür bie ^oefte bagegen ift
ba§ ©eftattbilb nid^t nur nid^t ba§ ©arftellungSmittel, fonbern — barin
l^at Sefftng roteber 9tedbt — bie SSorfteUung eine§ bem Seibe nad^ fd^önen
'DO'lenfd^en roie ein poetifd^e§ ©emälbe fie ju erzeugen nermag, fielet
l^inter jener roeldfie burd^ eine Seiftung ber iüRaterei neranlagt roirb, an
Älarl^eit nid^t raenig jurütf. Sei alle bem ift e§ ganj gerai^: menn bie
©arfteUung ber Seibegjd^öntieit roirflid^ bie Slufgabe einer [dC;5nen Äunft
bilben fonnte, bann mürbe man audb bie pöetij(^en ©emalbe in benen fie
burd^ SCSorte gefd^ilbert roirb, raie bie jroei non Sefjing angef (Irrten,
feine§roeg§ albern unb abgejd^madlt finben, fonbern fie blo§ ben gemalten
Silbern nidl)t gleidliftellen.
®ie f^otgerung roeld^e Seffing au§ feinen ^rämiffen jie^t, mürbe
bereits angeführt. S>ie iJJialerei foll nac^ berfelben ein l^r eigenes ©ebiet
!§aben baS ber ^oefie unjugünglid^ ift; auSfdlilieplid^ „bie foß
„baS ©ebiet beS ©id^terS" fepn, unb bie ^oefie barauf nerjii^ten müffen,
mit lebenbiger 2lnfdE)auli(^feit ®inge barjufteüen, metdfie im 9taume gleidl)=
jeitig neben einanber eriftiren. ®ie einfa^fte Sßiberlegung fold^er Stpiome
bilben ^l^atfad^en; barum befcf)ränlen mir unS barauf, ben fd^on gegebenen
Seifpielen poetifd^er ©emülbe nur nodt; ©ineS ^injujufügen.
3nbe§ ber bfeidbe
Sote mar binburdbgefdbritten :
3luf ben Sotftern lag ein Slüber
§ingeftrecEt, ber ntel gelitten.
©(^laf umfing il)n meid) unb linbe:
Sic^t ber traumgequälte, bange,
Sein, ber tiefe friebennoUe,
Ungeftörte, lange lange.
3^m ju Raupten t^ilbegnnbe
Sorgebeugt, roie menn fie früge
Ob e§ mal)r, ob roirflicl) ftorften
Oie geliebten Stbemjüge.
3uifte ni(^t bie blaue Sippe?
Od}ien fid; nid)t bie Sruft jn befjnen? —
@tumm unb tobt! Unb nieberfinfenb
Srai^ fie au§ in bittre Sl)ränen.
Änieenb bei bem i'öeintgegangnen
Sang ber Sifcbof im ©ebete,
Saburab, ber für be§ f^reunbeS
'SeUge f^a^rt unb Urftänb flehte.
roarmeS, in ber ©prad^e f)en)ortretenbe§ (gefügt. 725
^eut nod) er mtibe SKorte,
3?on ber 2BeIt bie quäit unb fränfet,
ä'on ber Sßelt bte fübut unb fnnftigt,
iroftooü il)in ind §erj nerlenfet;
§att’ i^m bargereic^t bn§ leiste
2iebe§mabi, bie ^immetdfpetl'e,
Unb bie loanbermüben ‘(Vüßc
3t)m gel'olbt ^ur leisten Steife.
drangen I}arrte nuf bie Siegel
Steid)er Fluren golbne Spenbe;
IDrinnen luor bie ftrenge rmdje
©c^nitternrbeit |ci)on 51t (5nbe.
Unb ein flog am Saben,
Unb bie ©onne fdjien fo Ifeiter,
Unb i()r Sid)tftreif auf bem 6'ftrid)
Stüdte langl'am, laugfam toeiter*).
3T'ir bürfeii e§ bem Sefer anl^eimfteüen, ju entfe^eiben, ob biefe ©tropl^en
ein oorjügüd^e§ @emäibe bilben. Unb boc^ ftnb bie 3^‘S^
oorfn^ren, mit nnmertbarer Stugnal^me nid)t auf einanber fotgenbe, fon=
bern gleidf^eitige 'SJtomente ber bargefteltten 0cene, toie 3tiga biefelbe, in
ben 0aal eintretenb, mit ©inein 33Iicf überfd^ant. Unb bennodf mürbe
bie füRaterei taum im ©taube fetfn, bie ncimlidfe @cene burd^ ein ©emätbe
non gteic^em SSertl^e iin§ ju oergegenroörtigen ; beim mandfe ber oon bem
®i^ter ^eroorgel^obenen SJtomente taffen fid) burd; ©eftaltbitber gar nidjt
rciebergeben, menigftenä nidft mit berfelben ^tarl^eit.
§. 3.
Pic llai^ftu^cnfe^unß ber geflcigerlcn p(t)<S)\f<^en ^ptigßeitcn in ber
poetifdien parflellung.
j?ie fpradftidfen 5‘ormen burdf roeld)e fidj bie ei'bötfte Jlfätigteit ber pfpdfifdfen
ißermögen naturgemäf; forool)( funbgibt, at§ auf Stnbere überträgt, finb
bie Tropen unb bie Stebefiguren. (fine Definition ber i}soefie oon §ugo
33tair.
472. ®aä üierte ber im Stnfange biefeS .flapiteB oon un§ auf=
geführten flRomente, burdf metdfe bie if?oefie itfrer Stufgabe ju entfprei^en
l^at, beftetft, rcie mir fagten, barin, baff fie marmeä tebenbigeS @efü^t
attpuet , unb fid) jener SSeife beg Stusbruefeä unb jener fprai^tid)en
‘) 3Beber, ©reifebnünben, XXIV, 4. (©. 354 f.)
726
®ie befonbercn SfJlittel ber 5poefie:
0
25)enbungen bebient, in benen [iii^ bie ©teigerung ber !J!§ätigfeiten
naturgemäß funbgibt.
®ie fprac^lic^en 2Benbungen roelc^e mir meinen, [inb namentlich
biejenigen bie man unter ber Sejeidhnung „Sflebefiguren" unb „S:ropen"
jufammenjufaffen pflegt, ©iefelben nerbanfen eben jenem 3uftanbe ber
lebhaften ^h^tigMt be§ gefammten ©rfenntni^nermögenS , unb ber buri^
biefe nerantafjten ®emüth§erregung, einfach ihr ®afepn; fie finb ba§
iprobuct biefeä pfpdhif<hcn fein StuSbrinf unb Stbbrutf, feine
iTiadhau§enfe^ung. 2Bie fich be^h^^^^ ihnen, mit jener be§ ®emüth§,
in§befonbere auch bie erhöhte 'ihötigfeit ber u^b ber finnti^en
Urtheitäfraft funbgibt unb fichtbar ma(^ht, fo finb fie auch norjüglichem
?07aa^e roirffam, bie Slction biefer SSermögen in Stnberen in gteidher SBeife
anjuregen unb gu fteigern. „2öer f®Sl 3lriftoteIe§ , „mit '
raarmem lebenbig beroegtem ©efühfe reben hört, ber roirb immer non ben
entfpre(henben ©efühten fetber gteid)fall§ ergriffen, audh roenn ba§ raa§ i
ber (Srftere fagt, ni(ht niet hetfst" *)•
®ie roeitere (Sntroirfetung ber einjetnen hiermit bejeidineten 'äRittef
fällt ber ijSoetif ju. 2Bir laffen nur eine au§ ©nglanb ftammenbe poetif^e
Seiftung folgen, roeti^he un§ roie roenige „raarmeg, natürlicheg ©efühl gU .
athmen", unb barum befonberg geeignet fcheint, bag oon ung blo^ 2ln=
gebeutete ju oeranfchaulidhen.
33etter Stöbert.
O SSetter Stöbert in bem Sanb
jT)e§ ®olbe§, meit oon hic>^,
SBie lang’ ift e§, baß mir ung fahn!
©agt’ ich’g, mär’ lieb eg bir?
I
O 33etter Stöbert, eingefcharrt |
ißon ©äifen @olbg ringgher,
SJtir bäucht, idh fah bidh geftem Stacht
, Sllg ob eg Dormalg mär’.
®u jählft niel §ufen, @ine ich
Stah meiner ^lüttenthür;
©olb^Stupien bu ©äcfe noH,
Unb i(h ber Äinber oier.
j^ein §eer oon ©chiffen bedt bie ©ee; ^
SJtir lehret mein’g jur Suft,
Unb ruht, feft anfernb oor bem ©türm,
3ln einer treuen ®ruft.
*) Arist. Rhet. 3. c. 7. n. 5.
roarmeS, in ber Sprad^e l^erüortretenbe§ ©efül^l.
727
feinen Seufjer regt’§ nodj ©cfjvecf,
3fid)t 0(^ant,
2.'ernimmt mein fleiner ©ol^n non mir
©leid) 2>ctter dfobertö 9?am’.
äÖof}[ tönt bein 9^nme meit unb breit;
®od) benf id) oft atlein :
23ie( lieber fät)’ ic^ d}n gentjt
5tuf einen Seidjenftcin,
9Inf raeificn, fonnentidjten @tein,
3?'0 5llid dtid)’ crmirbt.
9(d), oftmalsi roef)e d)nt ber lebt,
Unb glüdlid} er ber ftirbt!
O dtobprt, mnndie i^rön’, obgleich
9tid)t raie in alter 3eit,
dünnt, benf id) an bein lieb @cfid)t,
Unb §nnb’, gcbctbercit;
lTe§ dlntlilj, mcld}c§ fo
@leic^ unfern dJfüttern mar;
®e§ 3iingling§ .^anb, beim ®rud fo feft,
^So füt)n in ber @efal)r.
Xid) glaubf ic^ gut, bidj ronnfd)f idj gro^,
Tu roarft mein ©tolj, mein Stern;
Sd)on, um bid) gut uub grofi ju feljn,
2C'nf ic^ geftorben gern.
Unb nül)m’ nom §crjen cö ben
Tic Sd)mad) bir oom ©cfidjt,
Unb nal)t’ bein 9Iltcr fricbgefrönt —
dtod) meigert’ id) c§ nid)t.
@crn gab’ id) 91 lies raaö nur mein,
ST'ürb’ id) bid) l)ier gcrcat)r,
Ten Tetter dtobert früherer 3üt,
Tcttler im grauen ,^aar.
O dtobert, dtobcrt, d)7and)er lebt,
Sd)on tobt, bcDor er alt!
Teffer ba§ junge, reine .^erj,
9llö Söde golb;gebndt;
IBeffer ber ^ugcnb blinbcr ©Iniib’,
9115 tollen 3'ocifei^ ät>al)n,
Unb ©Ott getreu im ie'eib — al5 ©lüd
Teilt Teufel iintertt)an.
728
®ie befonberen 2yUttet ber ^Poefie:
O 9tobert, roo^l ift Seben fü§,
Unb Sieben §od^geratnn;
®oc^ benf’ ic^ bein, ein jä'^er ©c^merj
®ur(^bo’§rt mir §erj unb ©inn.
Unb roie am 3ßeii)nad)t§abenb je^t
friebtic^ ba§ J^or,
„©(^faft raopi!" füff’ auf ber Äinber §aar,
©0 raeid^, rcie bein’ä juoor:
®a faCT i(^ auf’ö gebeugte Änie,
Unb f(^luct)3’ bei febem 2Bort;
„Erbarme bict) ber ^rrenben,
Setrog’nen, §err unb §ort!"*)
473. „®ie ridf)tig[te unb umfaffenbfte Definition ber ifSoefie roeti^e
fic^ geben läßt/' fc^reibt §ugo Slair, „ift nadfi meiner Slnfidit biefe:
,©ie ift bie ©prad)e be§ @efü'^t§, ober ber lebhaft erregten i^l^antafie,
unb binbet fidf) meiftenS an ben 2}er§‘" **), Sßie man fielet, roilt biefe
Definition ba§ SBefen ber ifSoefie beftimmen burd) baäjenige i^rer 'äfiittet,
non roelt^em mir in biefem ifJarograp^en fianbetn, nnb burc^ ein jroeite§,
non roeldiem batb bie fRebe fepn roirb. Stber mir ^aben e§ ft^on roieber;
l^ott gefagt: bie Stuf gäbe einer ^unft mufs man angeben, roenn man
t'^r 2öefen beftimmen roilt, nii^t i^re ÜRittet aufjä^ten. Unb roenn biefe
Stufja^tung nod^ überbieg, roie in ber eben angefütirten Definition, unnott;
ftänbig ift, bann fann bie Se^tere noc^ niet roeniger beanfprni^en , atg
riditig anerfannt ju roerben.
§. 4.
Per po^fßfang ber })oetif($en §vtai^e.
SSorauf fi^ gunäc^ft bie 33ebeutung unb bie SSirffamteit biefe§ SJtomentg grünbe.
Die gmei (Elemente be§ SBobUtangeg in ber ungebunbenen Siebe. Die
gebunbene f^-orm: ber Der§, ber Sibt)Ü}mug, bie ©troppe. Drei Siüd;
fi(^ten, au§ benen fid) ber SBertt) be§ Stt)t)tbmu§ für bie Stufgabe ber
ijSoefie erftärt. Der Sieim. SBarum bie alte claffif^e ißoefie benfetben
nid)t jur Stnroenbung brad}te. ©uljerg abfättigeg Urtpeit über ben Söert^
beg Sieimeg, unb bie riditigere Stnfid)t §erberg.
474. ©uljer roieberl^olt in feiner „Stltgemeinen D^eorie ber fd^önen
.fünfte" an nerfct)iebenen ©teilen bie Demerfung, bap bag ©el^or roeit
*) ©ebid^te non SJiil SOiac SJtidod. 2tu§ bem (änglifd^en ron 6. S. 0d^tüter
unb 21. Süugft (SJlünfter 1873) 0. 75 ff.
**) Blair, lect. 38. (Sit. 121.)
(Jupl^onie unb 9^umeru§.
729
Iebl)after unb feiner einpfinbe , alg ber @efid)tfinn ; bafi angeneiime unb
mißfätltge 3;one füljlbarer auf unä roirfen, at§ angenehme unb mififättige
f^avbeu ober @eftalten. ®er @runb ^ieroon, ben Suljer nid^t angibt,
liegt barin, baß bie (Meprneroen in pl)erem iUiaaße al§ bie beä kluges,
in unmittelbarer unb inniger 2}erbinbnng ftel^en mit jenen 9ieroen, burd)
mellte bie finnlidje Urt^eitäfraft t^ätig ift. 5ßir roerben im näcbften
9lbfd)nitte oeranlaßt feiin, auf biefe p!^i)fiologifc^e 5;l)atfad}e jurüdjufommen.
Giue natürlidje berfelben aber ift, baß eine 95erbinbung oon 2:ünen
rcetcJ^e bie ©e'^örneroen angenebm afficirt, naturgemäß bie finnlid)e UrtßeiB;
Iraft gur 3:l)ätigfeit reijen, unb bie ^'^i^nfitöt ber Set^teren erljößen muß.
i^ierauf grünbet fid) bie 93ebeutung unb bie Söirffamfeit be§2Bol)I=
flnngeS ber ©prad)e, eineä meiteren 'iOiittelä ba§ bie ipoefie für ißre
Slufgnbe, nic^t anmenben fnnn, fonbern anjurcenben fdjlec^tßin genötßigt
ift. ®enn roenn ber ÜBo^lflang ber ©pradje fcßon für bie ßößere
SSerebtf amfeit oon größter 95ebeutnng ift, roeil, raie Ouintilian bem
Dfebner nalielegt, eine 9>erbinbung non Sßorten bie baä Oßr unangenehm
berührt , nie unb nimmer mit ©rfolg ba§ ©efüht berühren fann 363) ;
fo muß für eilte Äuuft meldje, mie bie ipoefie, fich einzig ©efühle ju
ueranlaffen berufen fießt, jene hohe 23ebeutung offenbar fi^ al§ einfai^e
Unentbehrlid)feit barftellen. ,,©o fonberbar al§ eä 'DJeandjem fibeinen
mödhte, fo ift bodh nidjtd toahrer, ald baß ed nur bie 93ehanblung, baä
2leußere, bie ilRelobie be§ ©tpleä ift, roelche gur Seetüre und hiiisieh^^
unb und an biefed ober jened 95ud) feffelt. Söilhelm 9Jfeiftcrd Sehrjahre
finb ein mäditiger 53en)eid biefer Wagie bed 93ortragd, biefer einbringenben
©dhwieii^elei einer glatten, gefälligen, einfad)en unb bod) mannidhfaltigen
©pradhe. 2Ser biefe 9tnmuth bed ©predhend befißt , fann und bad
llnbebeutenbfte ergählen, unb mir merben und angejogen unb unterhalten
finben; biefe geiftige ©inheit ift bie raahre ©eele eined 33ud)d, mobiirdj
und baffelbe perfönlid) unb mirffam oorfömmt'' *).
®aß nun bie ©pradhe bad ©h^ angenehm berühre, bad hnngt non
graei Singen ab : einerfeitd oon ber 23efd)affenheit unb bem Jllange ber
eingelnen ©ilben niib Sß.'örter, fomohl für fi(^ ald in ihrer 2>erbinbung,
anberfeitd oon ber phonetifdh angemeffenen Silbung ber ©ntjtheile, ber
ifJerioben, unb bed ©angen bad hiefund h^i^oorgeht. ö^iernadh ergeben
fich groei ©lemente, auf bereu ^Bereinigung ber SBohlflang ber ©praeße
beruht; bie ©uphonie unb ber 'iihtmerud 364). Sie befonberen 2ln=
roeifungen über biefe groei ©lemente entroicfelt bie Sheorie ber Sidjtfunft.
475. ©rgibt fid) nud bem ©iefagten, baß bie ifJoefie fel)r rool)t
aud) in ungebunbener Diebe auftreten fnnn, fo befißt fie anberfeitd in bem
„Dihßthmud" bed 3Serfed bod) ein überaud roirffamed DJtittel, bie ^^hontafie
*) 'Jloüaliä, 3tefttietif unb Siteratuv. (0df)riften, 2f)l. 2. 0. 256.)
730
®ie befonberen SJHttel ber 5ßoefte; ber 3Ser§,
unb bte [inntid)e Urtl^eilgfraft noc^ ma(^§ttger ju berühren, utib jugleic^
il^rer ©prad^e eine Sefd^affenl^eit ju geben, nermöge beren in biefer eigents
ti(^e (Elemente ber ©d^önl^eit fühlbarer l^eroortreten.
®ie ©üben au§ benen fid^ bie Söörter nnferer ©prac^e*) jufatnnten:
je^en, finb t'^eiB furj t'^eiB lang; ba§ '^eigt, roenn bie einen, um
aiBgefprodben jn roerben, eine einfache ^^Übauer forbern, fo bebarf e§
für bie anberen (ungefo^^r) ba§ ^Doppelte ber namtidi^en 3*^ ^^n
SBörtern j. 35. f^renbe, fc^merjtid^, taffen, ift fe bie erfte ©übe lang
( — ), bie jmeite furg (u). 35ejeid§nen mir mit bem 3tu§brucEc „metrifd^er
f^uff" jebe 3Serbinbung non jroei, brei ober nier ©üben, fo gibt e§
offenbar eine giemtic^e Stnjal^t nerfd^iebener biefer 3trt. 3™^^=
fübige fVüfee finb j. iß. bie 35erbinbung jraei tanger ©üben ( ,
gotbgelb , „©ponbeuä") , bie 35erbinbnng einer tangen unb einer furjen
( — u, !^erbftti(^, „^rod^äug")^ ober nmgefe^rt bie 35erbinbung einer
furjen unb einer tangen ©Übe (u — , nertor, „^ambuä")- ®reifübige
f^ü^e entftel^en, roo auf eine tange ©übe jroei furje fotgen ( — u u, prä(^tige,
„®actptu§"), ober mo graei furje einer tangen oorauägel^en (uu — , e§
gefc^at), „3lnapäft"); unter ben oierfübigen hübet ficfj ber am meiften
üorfommenbe babitrd^, ba^ jrcei furje ©itben non jroei tangen einge^
fc^toffen raerben ( — uu — , SBonnegefül^t, „(S^oriambuä'' **).
SBerben groei, brei, ober me'^rere metrifc^e f^üfge in einer ben 3ßof)t=
ftang förbernben 3Seife mit einanber oerbnnben, fo entfte^t ber 3Ser§.
®ie f^üpe fönnen gtei^artig fepn, mie in biefem trodjäifc^en 3)erfe;
f^eft gemauert in ber @rben,
unb in bem jambifeben;
(Sr ftanb auf feine§ ®adie§ Binnen;
ober e§ fonnen f^-ü^e oon nerfct)iebener ©übengabt mit einanber gemifdf)t
roerben; g. 35. ein breifitbiger groifi^en fe groei groeifitbigen fielen ;
_ 1.1 _ _ l^u u|_U— u
©teb, ber .^erbft febteiebt ber unb ber arge 3Binter;
(Sbamtifo)
ober groei oierfübige, ober (Siner, groifeben groei groeifitbigen:
*) 9ftur btefe tonnen roir hier jundebft berüeffiebtigen. Sie ftebt in biefem
^Punfte ben jroei alten claffifdjen näher, at§ bie romanifdten Sprachen.
**) 2tu§ ben oerfebiebenen metrifchen fgühen nennen roir hier nur bieienigen,
roeldhe oorjugäroeife gebraucht ju roerben p^egen: beim roir beabfidhtigen lebiglich,
bn§ Slbftracte ber SBiffenf^aft burch Seifpieie uerftänblidher ju machen. Sämmtliche
fgüge aufäuführen, gehört ju ber 2lufgabe ber ißoetif, nitht ?u ber unferen.
ber
731
_ U I _ UU __ I _ U U — |u —
3i>en bc5 @eiüu§ 33It(f, al§ er geboren roarb,
_ ul_uu — |r» —
9Ü?it etmoei^enbem Sädjefn fa^*).
Slber and), roo junäd)[t gletd)artige güfee angeiüenbet roerben, fid),
inenn biefelben gu ben breifilbigen gehören, bo^ eine grojse ''llJannidj-
faltigfeit babiirdj erreidjeu, ba^ an bie 0teße non jinei Inrjen ©Üben (Sine
(ange gefetzt, alfo ber ©actpUiä ober ber 31napaft bnrc^ ben ©ponbenS
(unb btefer nid)t fetten roieber burd) ben 'iroc^änd) oertreten loirb:
_ _ |u V _lu u _|_ _|__|u_|uU— ]u
Oft meint’ id) nm bid;, atd ein Ä'nab’ id; mar, niet nnoerftanbene 3ät)i‘en;
Oocb miinbig mndjt nnb fünbig bie Söelt, Serenen folgt bein Segebren.
O bn raonniger Sen^, o bu ^ngenbjeit, roalbbnftigee lie6Iii^e§ Süircben; —
3d) moHt’ id) fiife’ auf be§ Snter§ Änie, nnb tnnfd)te feinen §iftörd}en **)•
Oiefe 3tnbentnngen tönnen und genügen, nm bn§ Soefen be§ Serjeä
feftjnftetten : „ber Ser§ ift bie nad) einem ben 33ol)lf'tang förbernben
©efet^e georbnete Sertnnbung metrifdjer
476. unmittelbarer Serbinbnng mit bem be§ Serfeä ftel)t aber
ber Segriff be§ 9^l)i)tbmn§, infofern biefeä 2öort jenen Sorjug ber
gebunbenen ©prad)e bejeid)net, loeldjer bem flhnnernS ber nngebnnbenen
entfpricbt. Oer fft namlid) ein natnrlid)e§ ©rgebnif^ ber (Jon;
ftruction be§ Serfeä: er bitbet fid) buvd) ben nach einem beftimmten
©efe^e georbneten Sßecbfet furjer unb langer ©itben, nnb fein Sßefen
liegt in ber fRegetmäfjigfeit eben biefeä 33ed)fet§. Sffiie baS ©efet^
oerfi^ieben fepn fann nadj loelcbem fici^ ber Ser§ baut, ebenfo fann e§
offenbar anc^ ber fRl)ptbmn§. fOfan oergleic^e nur biefe jrcei Srndjftnd'e
an§ befannten Oicbtungen ©ctiillerS:
Son bem Oomc
©djroer unb bang
Jönt bie ©lode
©rnbgefang.
Gruft begleiten ihre irnnerfd)läge
Ginen ilBnnb’rer auf bem letten 2öege.
Unb ein ©ott ift, ein heiliger 2i>i(le lebt,
25>ie and) ber menfd)licbe roanfe!
.^od) über ber 3eit unb bem dlnnme mcbt
Sebenbig ber bödjfte Glebanfe,
Unb ob 3(lle§ in eroigem 2ßed)fcl freift,
G§ beharret im 33}ed)fel ein ruljiger ©eift.
*) Ätopftocf, ®er Sehrling ber @ried)en.
**) 3Eeber, ©ebichte (.f)an§ ^öUenfnecht).
732 be[onberen 9JJittel ber ^poefie: bie (Strophe,
477. ben testen 3Serfen, foroie in ben nier gteid^faliä
anapäftifd^en nor bem @nbe ber norlet^ten Stummer, I^aben mir ^uglet^
iBetfpiele für bie ®trop!^e. SSie ber iKer§ au§ metrifdien f^ii^en, fo fe^t
fie fidf) au§ 3Serfen jufammen; aber roie in ber 35erbinbung ber f^ü§e jutn
35erfe, fo ^errfdit aucfi in ber 33erbinbung ber 93erfe jur ©tropfe irgenb
ein beftimmtef @efe^, ba§ in jeber folgenben abermatg l^eroortritt. 2luf
bie 33erf(^ieben!^eit biefer ©efe^e grünbet fi(^ bie 3Serfd)iebenartigfeit ber
©tropfien, unb bie reit^e ?ERannid)fattigfeit ber äußeren ©eftaltung, in
roett^er bie i^oefie, roo fie bie gebunbene ber D^ebe anroenbet, auftreten
fann. ®ie einfacheren, au§ fambifchen, tro(bäif(^en , bactplifchen ober
anapaftifChen 33erfen gebilbeten ©tropfen finb un§ theilä fdht»' oer;
fchiebenen ©teilen biefeä SSiu^eg begegnet, theilä finb fie ohnebieä belannt
genug ; toir laffen barum nur für bie oerhältniffmäfüg häufiger oorfommenben
unter ben funftli(^eren f^oi^tneu ber ©trophe fe ein SSeifpiel folgen.
(?ncäifdhe Strophe.)
3toch ©inmal möcht’ id), eh’ in bie ©^attemoelt
©tpfiumä mein feliger @eift fi^ fenft,
Sie 5'Iur begrüben mo ber .Kinbheit
©etige Sröume ben ©eift umfchroebten *).
(0appf)ifibe ®tropf)e.)
9?tebrig fchleidht bta^ hi>^ bie entnerote ©onne,
^erbfttidh golbgelb färbt fi(^ ba§ Saub, e§ trauert
9ting§ boB f^^Ib fct)on nadt, unb bie 9tebet jiehen
Heber bie ©toppetn**).
(3lfclepiabeifcbe Strophe.)
2LMe bo§ ernfte ©eridht furchtbar bie SBage nimmt
Unb bie Könige mögt, roenn fie geftorben finb,
3Ilfo mögt er fich fetbft febe ber ihnten oor.
Sie fein Sebcn bejeichnen folt***).
((SleicbfaöS afclepiabeifdh, aber mit Ginfügung eines pberecratifdhen SSerfeS.)
©^ön ift, 2)tutter 3tatur, beiner ©rfinbung ^Pracht,
Stuf bie gturen oerftreut, fchöner eiu froh ©eficht
Sa§ ben großen ©ebanfen
Seiner ©chöpfung noch einmot benft f).
*) SOtatthiffon, SBunfd) (an Sa(iS).
**) Ghnniiffo, .^erbft.
***) Ätopftod, griebvidE) ber gnnfte.
t) Ätopftod, ®er ^ürcherfee.
„SBer anfridhtig fepn roilt," meint ^ermann 8o^e (0. 661. Git. 18), „wirb
ber
733
2öie f(^on biefe SBeifpiele bartljun, unb man eä bet jeber oud) ganj ein=
fad^ gebauten ©tropi^e raal^rne'^men bann, fömmt bet ©idjittttgeit bte tu
©trop’^en gefd)viebeit fiitb, ju bem Sttj^pf^muS beä 95erfe§ nod) ein nette§
(Sdement l^tttgtt: in ber S'tegelmäingfeit nnmlid^ be§ 3Bed^[et§ me!^r ober
roeniger nerfcbiebenartiger SSerfe.
478. Sßovin liegt nun bie SBivffamfeit be§ bierinit c^aracterifirten
ttbl^ptl^mnä ber gebttnbetten 3iebe, unb bamit fein 3Bert^ für bie 3(nfgabc
ber ipoefie?
30?ir fonnen in biefer SSe^iel^nttg brei diücffidjten untcrfd^eiben. 3^=
nadbft finb e§ bie @ef)örnerüen , metdje bttrd) beti üBedbfet ber auf fie
roirfettben Jöne unb bie in bemfetben tjerrfd)enbe dtegelmöfsigfeit angeneljni
afficirt mcrbett, unb in f^otge beffen mit pt)i)fiotogifcber iRot^^tnenbigfeit
(474. 728 f.) bie Sternen ber finntidjen Urt^eiBfraft jit tebenbiger 2;tjn=
tigfeit follicitiren, ©agn fömmt gmeiteng, bafj (Jinbeit im SK>cd)feInbcn
unb Sieffadjen, ©efeijmäpigfeit, Orbnnitg in groangfofer 2?emegting, eigeitt^
fid^e (Elemente ber ®d)önf)eit bilben*); ber 3H)ptf)tmtg ber gebnnbettett dtebe
tragt mit^^in nidf)t roettig bagn bei, ben nfb^ctifdjen SBertf) ber poctifdjen
Jeiftung gn er!^öf)en. ®ie britte 3tncffidf)t ettbfid^ grnnbet fid^ auf bie
23efonber!^eit be§ (5f)aracter§ , bc§ 'JoneS, be§ 5ftt§brttde§, meld^er ben
®erfett unb ben ©tropften fe nadf ber ißerfdjieben^eit il)rer 33ilbttttg eigen
ift. ©etjen fidfi ttntnlid^ bie ißerfe — um nur biefe gn berncfficbtigen —
att§ anffteigenben f^nfgcn gnfammen, g. att§ 5lnnpäften,
fo fprid)t fid) baritt eine geroiffe Ärnft, ßebf)aftigfeit unb Energie be§
@efn^I§ an§; faffenbe fyüfee, roie ber 3;rodE)nn§ nttb ber ®actt)(tt§, geben
bem 33erfe eine mehr rttl^ige, gfeidintafgige yynrbnng; ein 3tf)t)tf)mu§ in
roefd)ent bie fnrgen ©ifbett norfjerrfdjen, ift ber 2ftt§brudf einer beroegfidfien,
feidften, ^eiteren ©timmung, mcü^rettb ba§ getragene 9(nftreten be§ ©pon=
beug, nttb iit ®erbittbnng mit biefem nndj bc§ 2;rod)än§, bem ©crfe ba§
©epräge be§ ©rnfteS, ber 5:ratter, ober beä y^eiertidfen nnb ©rfjabenen
anfbrüdt 365). i),’lcit ©inem 35>orte: bie ©igentfjümlidjfeit be§ ©^nracterS
ber nerfdfiiebenartigen fR^ptfpiten mnd)t e§ bem !©id}ter möglid), biefelbcn
fo gn mä’^fen, ba^ fie ben 3(tt§brncf nnb bie SßJirffamfeit ber S5>ortc
roefentfid^ unterftü^'.eit , inbem fie bttrd) fid) feibft nnb nnmittelbar bem
jugeftetien, baß eine 2Umolp^äre unbefinirbarcr Cangroeiligfeit bie beutid)en 9tad)=
a^tnungen ^orajildter nnb ijßinbnrifd^ev Oben brüdt." 3d) Öope roüvbe, inenu
er nod^ unter nn§ roäre, mir glauben, bafe id) „aufrid}tig" bin, and; roenn id) ifim
bie SEBa^r^eit biefeS feines @ebantenS, in iftüdfidit auf bie 9fad}at)nuingen ber 9ScrS=
maaffe beS ,^oraj roenigftenS, feincSroegS „jugefte^e". ißopularität freilid) roerben
biefe 0tropl^en ber ctaffifd^en tpoefic niemals erlangen, bajii finb fie ju funftnoll;
aber roarum fie ben ber mit if>rer Silbnng uertraut ift unb fid^ an fie geroö£)nt
f)at, aud^ nidjt anfpred^en foUten, baS fel^e id; nic^t ein.
*) eben, ‘Ji. 123. ©. 163.
734 ®ie befonberen iDiittel ber ^oefie: ber Dt^pt^mu§,
01§re, unb baburc^ bem Organe ber finnltc^en Urt!^eil§fraft , gerabe jene
SMancirung ber ©c^roingungen nal^elegen, roeli^e ber 5ßefonber^eit ber ju
neranlafjenben SSorfteQimgen unb @efü!^le entfpri(^t. ?Kan nergleic^e bie
oben (©, 731) angeführten 3Serfe ©chitterä („2Son bem Oome"), fon)ie
bie fapphifdie ©tropfe non (®- ”^32); ober biefe ©tropfe oon
bemfelben Oichter:
Orei ertegen für meinen §unb!
©0 fchlage ba§ Söetter micf) gleicE) in ben ©runb!
2Ba§ benfen bie §errn non ber ipolijei?
2öa§ foU nun mieber bie ©cE)inberei ? *)
©djmerlid) hatte fich, für ben Slugbrud be§ @efühl§ ©ntrüftung,
ein geeignetereg SSerämaaif raähien laffen, alg bag hi^^^ gebrauchte ana=
püftifi^e. 9fti(jht minber gut pa^t ju ber ©timmung ber frohen
^eier bag bactplifd)e in biefer ©trophe;
SBinbet gum Ärange bie golbenen 31ehren,
f^Iechtet aud; blaue (Simonen hinein!
f^reube fod jebe§ Stuge nerftären,
Oenn bie Königin giehet ein;
Oie 93egähmerin raitber ©itten,
Oie ben SDlenfihen gum 3[Renfdjen gefeilt,
Unb in friebliche fefte Jütten
SBanbelte ba§ bemeglidie 3elt**).
Oag begüglich ber brüten fJlüd'ficht ©efagte mode man übrigeng nic^t fo
oerftehen, atg ob ber öit unb für fich genügen fönnte,
eine beftimmte 21rt non ©efühlen gum Slugbrud gu bringen, ober alg ob
berfelbe für biefen 3™^^ t^ur bag oorgügüchere ilRoment roore.
Oag Se^tere bitben immer bie 2Borte ; bie 33ebeutung beg
tebigli^ barin, bafg berfelbe, roenn er entfprechenb geraühlt ift, fich eignet,
bie bem ^nhnüe berfelben entfprei^enbe Sföirlung auf bag ©emüth gu
nnterftüt^en unb gn förbern. ^n ^er Ohat fehen mir ja non ber
ifJoefie biefelben 9th9i^nten für ©timmungen nerroenbet, bie unter einanber
gang nerfchieben finb.
?tachträglith nodj eine anbere 23emerlung. Ouintilian hnt/ u)o er
ben in ber Slnmerlung n. 365 non ung miebergegebenen ©ebanfen aug=
fpric^t, nidjt bie ifSoefie im Singe, fonbern bie oratorifche 33erebtfamfeit.
Sluch bie ungebnnbene IRebe nümlid) fann unb fotl, mag ben Sau ber
©at^e unb ber ©a^theile unb ben auf biefen fid; grünbenben dtumerug
*) ßbamiifo, Ser ®ettler unb fein §unb.
**) ©Imitier, Sa§ (?'Ieufifche geft.
ber 3teim.
735
betrifft, fo bcft^affen fei)n, baf^ itjv Xon ber 23efonberl^eit it}re§
unb jener Stimmung entfpricbt, an§ metdier fie !§err)orgeI)t nnb bie fie
gu neranlaffen tjat *). ®iefe '^emerfung ergängt ba§ in ber erften 9tnmmer
biefeg iparagrapljcn (S. 729) über ben 2Bot)tftang @efagte; mir rooltten
biefcibe an jener ©teile nid)t machen, roeil e§ bort, bamit fie nerftünblic^
raüre, einer eingetjenberen (Srflärung beburft l^aben mürbe.
479. ®er 9tl)i)tljmu§ non meldjent mir in ben letzten Shimmern
Ijanbelten, bilbet bag eigenttid) (J^aracteriftifd^e ber gebunbenen Siebe;
er ift mit bem 3)erfe gefelgt, nnb non i^m nnlögbar. mandjen i^rer
Grgeugniffe liebt eg aber bie i]3oefie, bem Di:^pl^mng nodj ein gmeiteg
6‘Iement beigngefetten, nütnlid) ben 9Ieim.
iDIan uerftel)t unter biefem Slamen ben ©teidjflang ber letzten unter
ben betonten ©üben, foroie ber etroa nod) folgenben, in groei ober
mehreren SSerfen, — ober ond) in ber SSIitte nnb am (Snbe ßineg ißerfeg.
©djiiefgen bie SSerfe mit einer betonten ©übe, fo roirb ber Stehn „männlich"
genonnt :
Stedjte ba§ id; otel getljnn,
'©a§ fidjt mich nun nid)t meiter an;
3tber ba§ fi'alfd}e ba§ mir entfdjtüpft,
2Bie ein ©efpenft mir oor Singen büpft**);
„raeiblicb" bagegen beifjt er, roenn auf bie teilte betonte nodj eine ©übe
folgt:
3Benn jeber müpte oor Janb unb Senten
3n feinem ranbren ©enrnnbe fdj reiten,
9]on all ben mnnbelnben .^leiberftö den
®ie SJtebrgabl ging’ in ©ebientcnrö den***).
fyotgen enblicb auf bie letzte betonte nod) mehrere, ebenfaüg g[eid)flingenbe
©üben, fo b«t man ben „gleitenben" Stehn:
©nabenge m n I) r e r i n, •
©ottegge b ä r e r i n,
SBunberfam SOIutter unb .Jungfrau gngleidj;
,'ipergenoer g n ü g e n b e
Stimmer oerftegenbe
tTiuetle, an bimmlifdjen Jröftungen reid) -f).
*) SJtan Derglei(be meine „S^beorte ber geiftlid[)en 33erebtiamfeit" St. 272.
**) @oetbe, ©priidbe in Steimen.
***) SBeber, ©ebicbte („5Dtummenfd)anä").
t) Sei ©cbloper, Sie Ätrcbe in ihren Siebern burd) alle So'h’^b'mberte (2. Stuft.
1863) Sb. 2. ©. 266. („SBunberfdjön prächtige".)
736
®te befonberen 50tittel ber ^Poefie: ber 3^eim.
®te alte claffifd^e 5|3oefie pflegte ben Oteim nic^t in 2tnroenbung ju
bringen, roenngteid^ mitunter, aud^ bei guten ©id^tern, gereimte 2Serfe
Dorfommen. ber griedt)ifdf)en ©prad^e mie in ber toteinif(^en ift bie
Onantität (bie fiange ober bie Äür^e) ber einzelnen ©üben, fel^r roenige
abgeredfinet, burd) bie Dftegetn ber antifen ?(Jietrif ganj genau beftimmt,
unb tritt immer in notier ©(^ärfe !^ernor; bie ©efe^e nai^ roetdfien beibe
©pradt)en i^re ©ät^e bauen, nerbinben anberfeitS mit ber gröftten biatectifd^en
2SoIIenbung ein iJJdaafe non ©lafticitot unb f^^rei^eit, Toet(^e§ bem SDidE)ter
bie Stnroenbnng ber funftnoCtften unb nerfdf)ieben[ten 2Ser§: unb ©trop^en=
arten ungemein erleid^terte. f^olge biefer Umftänbe tonnte man ben
fRfipt!^mu§ nottfommen genngenb finben, attein bie ganje SBirfung auf
ba§ O^r unb bie finnti(^e Urt^eitgfraft ju nermittetn auf bie e§ in ber
i^oefie anfömmt. ®ie neueren ©pracfien bieten fold^e 2Sortl^eite nid^t:
barin bürfte ber ©runb liegen, rae^^atb i^re i^oefie e§ jmedtmä^ig fonb,
bie Sßirfung be§ rl^pt!^mif(^en 23er§baue§ burd^ ben Dfieim ju nerftarten.
©egen ben SBerf^ biefe§ 2Kittetä ift fd^on iDtand^eä eingemenbet raorben.
©nijer, in feiner „2tttgemeinen Sl^eorie ber fd^önen fünfte", mag ben Dfdeim
nur „gelten taffen at§ eine iödobe, al§ eine ®edte raetdtje man nor bie ^efiter
be§ 2Serfes jiel^t, at§ ein §ütf§mittet für ba§ ©ebäctitnip, at§ ein törper=
ti(^e§ üJtittet, träge Ol^ren gu reijen" ; aber berfetbe bleibe immer „ein ©e=
fängni§, in raetd[}e§ bie ©ebanfen nnb bie ©ät^e ber Dfiebe eingefperrt mer=
ben". „S®ir motten fogar gugeben," fd^tie^t er, „bap ber tfteim §u ber 3eit
roo bie ©prad^en nod^ in il^rer erften tRo^igfeit roaren, roo e§ unmöglich
mar, turje ©ät^e in einem bem Ol^re jufagenben fyatte oorjutragen, not^=
roenbig geroefen; un§ aber für biefeg ©eftänbnift baburdb fd^abtog Italien,
baü mir t^n für überftüffig unb got^ifdt) (sic) erftären, fobalb bie ©pradje
foroeit gefommen, ba§ man einzelne, groftere unb fteinere ©ä^e mit 2öo^t=
ftang unb Jact barin oortragen fann." ®iefe§ abfällige Urt^eit bürfte rao^t
eben fo nngegrünbet fepn, mie ba§ früher (©. 493) angeführte beffetben
©etefirten über ben äBerth ber gothifdtien 2lrdf)itectur. ©dhmertidh mürben
bie beften ®idt)ter, angefangen oon SBotfram oon ©fd^enbadh unb Sante
big in bie füngfte 3^^/ fReim in 2tnmenbung gebra(^t h^ben,
menn er bermaa^en „überftüffig unb gothifdh" märe, mie ©utjer meint.
2Serftänbiger urtheitte i^erber. „®en tReim taffe idh unferer ifSoefie
ni(^t nehmen, ©r gehört oor Stttem für i^irdhen= unb anbere SSottg^
tieber: umfonft führten ihn bie heiligen 25äter, non Stmbrofiug an, in
ihre ©höre ni(^t ein; fie mufften, mag fürg 2Sotf gehöre. Senffprüi^e
ferner für bag 25otf f fingen in tReimen prächtig, ©aber bie ilRai^t
unferer gereimten ©prüdhmörter, unferer atten ©ben unb 2ttepanbriner.
©in berühmter ©i(^ter höt non einem ungejmungenen Dfieim gefagt: ,©r
ftüt3 unb hebt bie Harmonie, unb leimt bie fRebe ing ©Rbächtni§.‘ ©ieg
ift mahr. 25?ohtgereimte ©entenjen finb 2Jiad)tfprücf)e:’ fie tragen im iReim
®ie religiöfe ^poefie.
737
ba§ Siegel ber erotgen SBa'^r'^eit. 23on 3tnfang ber 35>eÜ an Ijat mau
D'iät^jel unb ®ent'fpvüc^e gereimt . . . Ueberbie§ gibt e§ mehrere ©attungen
angene'^mer (Jont)er[ation§poe[ie, bie ot)ue ben 3^eim nid^tS finb. Unb
fc^Iie^tid^ mup man aitcfj ber @erao!^n§eit nad)geben, unb Sprachen fomo^t
atä ®ict)tern erlauben, fid) auf itjre 3trt ju oergnugen" *).
S^icrtc^
titc rrltgiöfc pocfif.
§. 1.
Äi|iorif($c pcmerfiungcn.
4'ie 33ebeutuug ber religiöfen ^oefie. 3*^>ci 3trten retigiöfer ®id}tungcu.
"3octifd;e Stüde in ber betligen ©djrift. Sie 3tnfid)t, bie §ebrnifd)e
^'oefie habe ben rbptf)inifd)en SSerö nietjt gefnnnt, ift eine ganj unraiffen;
fcbnftnd)e .^ppod)efe; eine neuefte raertbüode Seiftung ,iii biefer f^rage.
Äur5e 3tngaben binfidjttid) ber religiöfen ipoefie ber älteren d}rifttidien 3eit-
480. ift feineämegg eine Uebertreibnng , menn ÜOJone**) auf
bie retigiöfe if^^oefie im (Jf)riftentljum, namentüd) in i^rer 23erbinbnng mit
ber 3D7ufif, ben ©ebanfen anmenbet, ben in alter 3*^1^ SSi^^tiuS ber
1'Mrtprer in feinem Schreiben an bie Diömer in dtüdfidjt auf bie c^rift=
lii^e 9teligion überfiaupt an§gefprod)en; „fie ift nid)t ein Sing ba§ auf
Sead^tung feinen 3fnfprud) fjat, fonbern etma§ raunberbar ©roffeS" 366).
Sie religiöfe ifSoefie be§ ($f)riftenf^um§ l^at ifjren Sit^ nid)t in irgenb
einem nerborgenen ®infe( , e§ bebarf feineSroegg eineg ungeroöfjnlicb
fc^arfen Slugeg, um fie p eutbedfen unb il)re Jöirfungen mabrjune^men:
fie tritt in ber ©efd)id^te ber övirdje ©otteg ung entgegen im uolIen Sichte
beg Sngeg, alg eine acfitnnggebietenbe , übernug großartige ©rft^einnng,
alg eine SDlncfit roeldje feit me!^r afg brei ^a^’^taufeitben SElfillionen unb
SJtillionen non ©emütl^ern eingenommen, begeiftert, gefeffelt, aufgeridjtet,
juredjtgefü^rt , unb fort unb fort auf bem SBege beg £ebeug mit neuer
Äraft biir(^ftrömt l^at. Um fo auffallenber nimmt biefer S^atfad)e
gegenüber fid) eine anbere ang ; baß nömlid) bie 3teftl)etif foinoljl alg bie
‘fJoetif eine ©rfd)einnng non fo eingreifenber 33ebentuug f^eilg nollftänbig
ignorirt, tlieilg bicfelbe in iljrem eigentlidjen 23Jefen nnb il)rem 33erufe
nid^t 511 nerftei^en fdieint.
*) t^evber, jur @efdjid;te unb Ävitif ber tßoefie unb ber bübeuben ^Tünfte,
Pt. 36. ('ffierfe, 6art§ruöe 1821, 7. 285 ff.)
**) 53b. 1. ©. XV. (6it. 360.)
3ungiuann, SleftljetiE. 2. 21uf[.
47
738
®ie retigiöfe ^poefie;
3um o§ne ^ ^olge bie[e§ Umftanbeg, ift bte SSertraut^
!^eit mit ben ©d^öpfungen ber Äunft um bie e§ fi(^ Rauheit, nict)t eine
fo grope, bap mir e§ überflüffig ftnben fönnten, junäd^ft einige ^iftorifi^e
Slngabeu noraugge^en ju laffen.
481. 2)ie 2Berfe roetd[)e bie veIigio[e i^oepe gefd§affen bilben
jroei Derfdjiebeue SIrten, infofern ein 5tf)eU berfeiben „infpirirt" ift, ber
anbere nidfit. ®ie infpirirten ©tncfe entplt bie !^eilige ©d^rift; ber
Urbeber berfetben, roie biefeg „Sudbeg ber Siicber" überhaupt, ift atfo
an erfter ©teüe ber b^itige @eift, unb erft an jroeiter bie Serfaffer
beren 9^amen fie tragen. @ben burdb biefe rechtfertigt e§ fidh,
menn mir unter bie ©chöpfungen ber reiigiöfen '^^oefie „beä
thums", mie bie§ fd}on in ber uorigen Stummer gefdhah, audh jene ®id)-
tungen redjnen, raeld)e fid) im SUten ©eftamente finben. ®ie in benfetben
herrfd)enben reiigiöfen Stnfi^auungen gehören inggefammt jum Inhalte ber
d)riftiid}en 3teiigion; unb raenn freiUdh ihve unmittelbaren 33erfaffer nid)t
(Shriften maren, fo ftanben fie bo(h teinegroegg außerhalb ber Jtirihe
©ütteg, unb arbeiteten für bie (Jhrifteuheit, unb unter bem raiinber=
baren ©influffe* beffelben ©eifteg, aug roeldhem biefe lebt unb burdh
fie befteht. ©ie nid}t infpirirten Seiftungen auf bem ©ebiete ber
reiigiöfen l^oefie fann man abermalg in jroei Älaffen verfallen laffen.
©ine 2lnjahl berfelben ift nämlid) für bie liturgifd)en 3;hälig^eiten ber
Äird)e oerfaßt, ober eg hat fie hoch nadjtroglidh bie ^irdhe aboptirt, unb
in ihre liturgifdhen SSüdher aufgenommen; biefen ftehen jahllofe anbere
gegenüber, roeldjen eine folche Slugjeidptung nicht p ©h^^^ mürbe.
482. 3n ©dhrift gehören ber reiigiöfen ifSoefie an,
erfteng bie 150 IfSfalmen, oon benen faft bie .l^ülfte, 73, ben Äönig
©aoib pm 2}erfaffer hat; jmeiteng bie „©efänge" (cantica), unb britteng
uerfd)iebene anbere ©tüct'e, meldbe fidh unter einen gemeinfamen 23e;
griff bringen laffen. 3u ben „©efängen" gehören 3. 25. bie jmei meldhe
SJiopfeg uerfaßte, ben einen nad; bem ©urd)juge burdh^ bag rothe SJteer,
ben anberen gegen bag ©nbe feineg Sebeng*); bag ©iegeglieb ber ©ebbora
unb beg 25araf**); bag ©anflieb ber Slnna uadh ber ©eburt beg if5ro=
pheten ©amuel***); bie Sobgefänge ber ©obiag, beg i]5ro=
pheten Sfuiug, beg 5bönigg ©jedhiag, ber brei SStänner im fyeuerofen ju
5ßabplon, beg l|5ropheten ^abafnff); aug bem Steuen ©eftament ber
befanute Sobgefaug ber heiligen iStutter beg §errn („iUtagnificat")/ jener
*) 2. Dlopf. 15. (oben, <S. 720.) 5. 50topf. 32.
**) 3tid;t. 5, 2 fj.
***) 1. Äön. 2, 1—10.
t) 3ub. 16, 2—21. Job. 13, 1 ff. 3f. 12, 1 ff. 38, 10 ff. ®an. 3, 52—90.
§ab. 3, 2 ff.
^iftorifd^eS.
739
be§ (,,23enebictu§") , vinb bie SSovte be§ 0imeon, ba er iin
Sempel ben @rtö)'er auf feinen Strmeu ^ielt*). Unter bie Dtubrif bie
mir an britter ©teile anfgefütjrt Ijaben, fädt ber ©egen beä ifJatriarc^en
3afob, bie nier ©ratet be§ 23ataam, ber ©egen be§ 9Jtm)fe§ **) ; roeiter
ber grofste ©l^eit beä tSnd)e§ £tagetieber be§
ifJroptjetcn ^ereniiaS, ba§ Sndj ber ©priic^e, unb inandfe ©tetten in ben
Südjern ber ipropl^eten.
mar nid)t nnfere 2lbfi(^t, t)iermit bie poetifdjen ©tncfe ber '^eiligen
©djrift erfdjöpfenb anfjnfüfiren. @ben fo menig ift bamit, ba§ mir
fie a(§ ©r^eugniffe ber ijSoefie bejeid)nen, ond) fd)on gefagt, baff febe§
berfelben in gebnnbener iRebe gefdjrieben fep. britten Äapitet mürbe
ja angbrndtidj bemcrft, bie ij]oefie fönne fe^r motjt and) in ber unge=
bunbenen f^orin anftreten; nnb ma§ bie ©efnnge be§ 9tenen ©eftamentS,
ba§ 9Rngnificat j. 23., angetjt, fo gibt ber tjeilige Snca§ biefelben offenbar
nidjt in metrifdjen Serfen. ©agegen aber bnrfte bie 2tnfid)t, in feinem
ber poetifdjcn ©tücfc be§ Sitten ©eftamentd Ijerrfd)« eigenttidjer SSerdban
unb tRt)i)t^mu§, mit ber l)ot)en 23ebentung bicfer ßeiftnngen fomotjl bem
2tnl)att atd bem Umfange nad), fid) mot)t fanm oereinigen taffen. SOfan
f)at freitid), nad)bcm ^fltu'tjwi'berte tang ba§ @efet3 beä ^;>ebraifd)en 23er§;
baned nergebend gcfnd)t morben mar, auf nieten ©eiten biefe Slnfidjt
aboptirt, nnb ben ©at^ aufgeftettt, bie i]3oefie beä Lottes ©otteg l^abe
ben iRrg nnb bie ©tropt)e nnb ben Dt^pttjinng im eigenttidjen ©inne be§
SSorteg nidjt snr Stnmenbung gebradjt, be3iet)nnggmeife nidjt gefannt, nnb
fid) mit bem btof)en — bnlb „fpnoiu)mifd)en" batb „antittjetifdjen" halb
„fpnt^etifd)en" — tjfarattetigmng ber ©ebanfen begnügt. Sltlein biefe
fyotgernng, infofern fie fid) tebigtid) barnnf ftiil^t, baf) man trot); atfeg
fyorfdjeng in ben ^ebrciifi^en ©id)tnngen fein i]3rincip einer fDfetrif 31t
finben nermod)te, nimmt fid^ ben ©efet^en ber ?ogif gegenüber offenbar
gaii3 mie eine rein miltfürtid)e .^'PPOtttefe ang. Unb menn eg nun über=
bieg nntüngbar fcftftet)t, einerfeitg, baf) eg unter atlen übrigen ®ötfern
bie übert)anpt eine Siteratnr oon einiger 23ebentnng nnf3umeifen t)aben,
nid^t ein eiii3igeg gibt, metdbeg in feinen poetifd)en 2®erfen ben 2?erg nnb
ben tRt)ptI)mug nidjt in Stnmenbnng gebrad^t t)ätte, — nnb anberfeitg,
baf) bie Siteratnr ber dpebrüer an innerem ©et)aft nnb an nftf)etifd^em
SSert^e bie gteid)artigcn Seiftnngen alter anberen 2>ötfer beg 2lttertl)nmg
meit hinter fid) 3nrücftäf3t: bann mnü bie ermäl)nte §ppott)efe nid)t me^r
btof) rein mittfürtid) crfd)einen, fonbern 3iigteid) and) burd) unb burd)
unmal)rfdbeintic^ , nm nid)t 311 fagen moratifd) nnmögtid). ®enn nid)t
meniger atg moratifd) nnmögtid) ift eg bod) o^ne ^iweifU, baf) eine ^nnft
*) Suc. 1, 46—55. 68—79. 2, 29—32.
**) 1. iUto^f. 49, 2 ff. 4. 2Poi)f. 23. 24. 5. 2)tot)f. 33.
47*
740
®ie religiöfe ?poefie;
raelc^e bie ü^rer SSoKenbung erreiii^t, unb ,3<i’^i''Öunbevte !^inbur(^,
ober öielme’^r ein ooIIeS ^al^rtaufenb, biefe ^öl^e Be'^auptet l^at, eine§
il^rer am nac^ften üegenben, einfac^ften unb jugtet(i^ rairtfamften ‘»Kittet
ni(ä)t gu ^anb'^aben gemußt ptte, roäl^renb baffetbe ring§ um fie :^er in
ber ergiebigften 2Beife oerroerf^et mürbe. 2tt§ eine 2tu§ftu^t ber 35er=
jmeiftung mag barum ber 0a^ oon bem mir reben, in ber ®e[d^i(^te
ber Mnfte immerhin ©rraatinung finben tonnen; at§ „roiffenf^afttid)"
ju gelten, !^at berfelbe [id^er gar feinen 3lnfpru^. 㨤 liegt", [d^rieb
feiner ß^dt) §ugo ©lair, „e§ Hegt nid^t ber minbefte ©runb oor,
baran ju jroeifetn, ba^ bie poetifc^en 2;i^eite be§ 2ttten 2:eftament§ ur=
fprünglic^ in 3Serfen ober in gebunbener Kebeform oerfa^t mürben;
menngleic^ mir fe^t, nai^bem bie alte Stugfpradöe be§ .Spebräifd^en oer=
toren gegangen, nid^t im 0tanbe finb, bie 53efibaffen^eit ber .§>ef>räifdben
3Ser§arten ju beftimmen, ober un§ biefe§ bod^ nur unooCtfommen mög=
tief) ift"
Unter foIcEien Umftänben l^at bie Sleft^etif — unb nict)t fie attein —
in ben ?;mei neueften SBerfen SSicEettS, bereu eiue§ bereite mieberfiolt ge=
nonnt mürbe, |ebenfatl§ eine fefir bead^tenSmerf^e, unb überbfeg, menn
nid^t Snteä trügt, jugteic^ eine mirflid^ ba'^nbred^enbe Seiftung gu be;
grüf3en *) **).
®en ]^o|en aft^etifcfien 35>ert!^ unb bie unoergteic^tid^e Äroft ber
poetifcfien ©tüde ber l^eitigen ©cE)rift, moren mir fd^on im fiebenten Slbs
fc^nitte***) be^oorpl^eben oeranta^t. ^nbem mir beft^alb, ma§ biefen
^unft betrifft, auf bie bort angeführten ^eus^iffe oermeifen, taffen mir
hier, ju ben im brüten jfapitet gegebenen, noch gmei meitere 23eifpiete
folgen.
Sitte um ©rrettung au§ großer Koth, unb um Seitung auf
bem Sebeneraege.
('I3[atm 142.)
^ehooa, hör’ mein Seten,
Stert’ auf mein fi'tehen!
9tad) beiner Jreu’ erhör’ mich,
2BeiI bu gerecht bift.
*) Blair, lect. 41. (6it. 121.)
**) Carmina Veteris Testamenti metrice. Notas criticas et dissertationein
de re metrica Hebraeorum adiecit Gustavus Bickell. Oeniponte 1882.
®cn Sitel be§ anberen SBerfeS, roelcheS bie Sichtungen be§ 2t. S. tm 9]er§=
maahe be§ UrterteS in fehr gelungener 2Bei|e beut)d; gibt, haben tnir oben, ®. 717,
angeführt.
***) S. 254. 255. (2. 353 ff.
^iftovifd^eg.
741
©rin^’ boc^ uor bein ®evid)t nid)t
9Jlid), beinen SMenev!
9Sor btr fann ja geredet fe^n
9itd)t (Sin Sebenb’ger.
2®id mir beu @eift üer3ngen,
®a§ ,^er3 erftarren,
23reit’ ic^ 311 bir bie ipänbe,
91uf : §err, l^ilf eilenb§!
9J7ein ®ei[t ift aufgerieben,
33irg nic^t bein 'Itntlit^!
‘i'^n’ •Dborgenä beine §nlb funb !
®enn bir uertraut’ id).
3eig’ mir ben 2Beg 3um Sßnnbeln!
®u bift mir 3uflud)t!
§err, Iel)r’ mid) beinen SBillen!
Tn bift mein ®ott ja.
Tein guter ®cift geleit’ mid;
9tuf ebnem 9^'fabe;
93eteb’ mid), roeit gered)t bu,
Ob beine§ 9inmen§!
9(u§ 3tngft rett’ meine @eete,
ülg’ meine
Ternid)t’ oU meine Trünger,
9i'eit id) bein Tiener.
3t u f r n f n n bie ® d) ö p f n n g 3 u m S o b e ® 0 1 1 e §.
(13fnlm 148.) 1
Tom §immet tobt 3>-’t)ooa,
b'obt it)n in toimmet§t)öf)en ;
Sobt it)n, att feine (Snget,
b'obt it)n, att feine ,^eere!
3bn tobet, 2)bonb unb @onne,
i'obt it)n, it;r Sterne tendjtenb!
2obt it)n, ber ioiinmet §immet,
;fjt)r äöaffer ob bem §immet !
^etjona’ä 9tnmen tobet,
Tenn fein ®ebot erfct)uf eud;,
§ie^ eud) beftet)n auf emig,
®ab Sd)ranfen, unoerbrüd)tid).
i
742 veUgibfe 5ßoefie;
"Jien §erm Io6t »on ber @rbe,
3f)v fluten, ©eegetl^ter aü;
©c^nee, §agel, 9lauc§ unb §euer,
Unb ©turmroinb, ber [ein 2Bort
^f)v ®erge aß unb §ügel,
[^•ruc^tbäume aß unb (febern!
Sobt, [5‘rfbget^ier unb 3Sie'^, tf)n,
2Ba§ friedjet unb raa§ flieget;
^l^r jl'önige, aße Ißötfer,
3f)r dürften, @rbenrid)ter ;
3’^r Jünglinge unb ^ungfrou’n,
3f)r ©reife mit ben Änaben.
^e^ona’ö [Rnmen lobet,
ITer einjig ^od) ergaben;
©ein ©lanj becft @rb’ unb .[fiimmel;
^orn feined 3?olf§ erp^t er.
3^rum lobt ip, [eine i\-rominen,
Ißotf ^[rael, i^m nap!*).
483. 9f[iuf[id}t auf bie jroeite 2frt ber ©d^opfungen raeld^e bie
©pifteupit ber retigiöfen ifSoefie oerbanft, jene nämüc^ bie ope S’^fpi^ •;
ration entftanbeu, unb barum eiufad) ba§ ®erf uon flRenfc^en fiub, :!
fönnen mir ben Sefer junäi^ft gleid)faߧ auf ^rüpre§ nerroeifen**).
SBir fügen noc^ einige 'dfotijen pnjn. j
®ie altere religiöfe i^oefie pt eine grof?e Siteratnr: benn fie rept i
non SIrmenien bi§ nac^ ^Portugal, unb umfap einen langen 3eürautn ***). ;
Unter ben 35erfaffern religiöfer ©ebidite rDePe bie ©efpcfite fennt, ift
ber attefte ber piüge 3ttpnogene§, roetdier int ,30^1^2 169 al§ flliärtprer
ftarb. 35on [einen SBerfen befipn roir aber nip§ mep: unb fo ers ,
Peilten al§ ba§ ültefte ®enfmal ber retigiöfen ‘Poefie int ©piftentpim
bie jtnei non ©(emenä non SUepanbria nerfafsten i^pmnen auf ben ©r=
löferf). [RicE)t niel [pater, roo ni(^t nießeii^t f^on früpr, mufe ber
§pmnn§ Gloria in excelsis Deo entftanben [epn, mePer in ber piltgen
[B7ef[e gebetet tnirb; benn ba§ gried)i[c^e Original beffelben finbet fid^ in
ben „Sonftitutionen ber pitigen Stpoftel" 77) : biefe ©d^rift geprt aber
*) Sicfeß, 7)idbtungen ber Hebräer, III. ©. 266 f. 275 f.
**) m. 256 f. ©. 357 ff.
«gt. iOtone, Sb. 1. ©. XIV. (6it. 360.)
t) ©iefelben pben in ben SBerfen be§ 6tcmen§ am Scbluffe ber @pift
„ißäbngoguS". (Migne, Patrol. graec. t. 8. col. 681 s.)
ff) Const. SS. Apostolorum 1. 7. cap. 47. (Migne, Patrol. gr. t. 1. col.
1056.) ®er Jpmnu§ trägt bort bie Ueberfdirift: Oposeo'/f] eioStvi^, „üRorgengebet".
.f)iftorifd^e§. (grtäuterungeu.
743
bem britten ^a'^r^^unbert an. 2hi§ ber großen ©c^aar non ^Oieiftern auf
bem ©ebtete ber reUgiöfen ^^oefte in ben folgenben ^atji^ijiinberten begnügen
mir nn§ bie ^^ernorragenbften 51t nennen; bie fi}rtfd)en ^^iebter ©pbräm
ber ©iacon (f 378), ^afob non (Sbeffa, 97arfe§ ber 2fu§fäbige, 23ars
fumag Don 97ifibi§;’ bie griedjifcben ©regor non iRajinnj (f 390), ©pn;
efinS , unb an§ fpnterer (So§ma§ non 1 3ibeopfjane§ non
®amafcn§, Slnbrenä non Sreta, 3:beobor ©tubita, ©utbpmiuS, ©op^ro;
niu§; enblid) bie mefjr befannten (nteinifd^en , .*^i(arin§ non if?oitier§,
i]3apft ®amnfu§, 9linbrofin§, ifiriibentiug , ©ebulinS, 25enantin§ g^ortu=
natu§, ©regor ber ©rof^e, OiböbannS ?Ocauru§, Slotfer non ©t. ©allen,
jlönig Stöbert non f^rnnfreidb, ipetrng ®amiani, SBernnrb non ßlairnanr,
3lbam non ©t. Victor, S:bonta§ non 21qnin, öon (Jelano, 3aco=
pone non 3:obi.
91amen non iierfaffern religiöfer ©idjtungen in ben neueren ©praßen
anfjnfnbren, fann nid]t nufere 31nfgabe fepn; bejügiid) ©o(d)cr bie in
bentfdjer ©prnd)e gebidjtet, Ijaben mir früber (©. 360) auf jinei S>erfe
£inbemonn§ neriniefen. ©a§ SBertbnotlere , ba§ eigentlid) Odaffifdie auf
bem ©ebiete ber religiöfen ')>oefie bat ohne ältere ge=
febaffen, nnb an erfter ©teile bort, roo fie ficb ber ©pracbe ber dlömU
fdjen ilirebe bebiente.
§. 2.
^•rfäulcrungcn jum ber refigiöfen ^ocfle.
I©en eigentlidjcn ©cgcuftaub ihrer ©nrftellung bitben für bie religiöfe ^'Oefie
nid)t ©efiU)te, fonbern tb^tfadjen; ber ^lusbrud non ©efüt}len ift nur
at§ cine§ ber iÜlittel 311 bctrad}ten , inoburcb fie ihrer 3lnfgabe entfprid)t.
§ür bie Seljtere tonnen fiel) aber nur 'ib‘^tfnd)cn eignen, inctcbe ber über;
natürlid)en Offenbarung angeboren. 3n 'ffjolge beffen ftebt ber religiöfen
4>oefie I)infid)ttid} it)re§ Tuefenttid)en ©toffe§ bie 'fS'reibcit ber (Jrfinbung
nidjt 511, nnb and) unter biefer 9tüdfid)t erfebeint fie foinit al§ eine non
ber profanen "leoefie inefentlid) nerfdjiebene Ä'unft.
4S4. Oie Oefinition ber religiöfen ')eoefie haben mir bereite im
erften Kapitel biefeg 2lbfd)nitte§ gegeben, ©ie ift „bie Ännft, ber nber=
natnrlid)en Offenbarung angebörenben ©batfadjen bnrd) bnä IBort in
foteber Sßeife 3lngbrnd 511 geben, bafe biefer bnjn angetbnn ift, bie ben
Obatfad^en entfpredjenben religiöfen ©efütjlc in 2lnberen 51t neranlnffen".
S5ta§ ben in ben lebten Sßorten be3eid)neten mefentlidjen religiöfer
Oiibtnngen angebt, mürbe ferner fd)on bei nerfdjiebenen iBeranlaffnngen
beroorgeboben , bafj febe§ religiöfe ©efüljl ficb ^ard) ein jmeifndjeö ein=
beitlidj mirfenbes ')3rincip erjeugt; baä eine ift bie actnelle ©nabe be§
beiligen ©eifteg, ba§ anbere bag ©emiitb beg iX)7enfd)en.
744
®ie religtöfe ^poefie;
bem ^olgenben btefe graei ^principe in§ 2luge faffen, roirb ftd^ bie auf=
gefteüte SDefinition nä^er erflären, unb fic^ namentlich bie iJtothraenbigfeit
jener groei ©temente ergeben, burc^ raelche mir in berjetben ben ®egen=
ftanb ober ben ^n^alt ber reUgiöfen i]3oefie bejtimmt haben.
485. 25erücf[i(^tigen mir gunächft ba§ an smeiter ©teile genannte
iprincip. ^^fofern ba§ ©emüth be§ ?Kenfchen babei betheiligt i[t, bilben
fi^ bie religiöfen ©efühle nadh benfetben pf9(^oIogifIhen ©efe^en, toie bie
©efühle roelche ber natürlichen Orbnung angehören. ®arum finb, bem
SBefentlichen nach, bie ilttittel ber religiöfen unb ber profanen ißoefie
biefelben. SBenn mir beffhalb al§ ben ©egenftanb roelchen bie religiöfe
if^oefie bnrch ba§ 3Bort jum 2Iu§brucf gu bringen in unferer
^Definition „S^halfa^h^n^* bezeichnen, unb nicht h^jufügen, ba^ fie auch
religiöfe ©efühle auäfprechen müffe, fo raolle man nicht etraa unter
biefer Dftüdficht bie Definition für mangethaft ober unrichtig halten. 3^
brüten Kapitel haben mir ja unter ben ?07omenten burch raelche bie ©r^
geugniffe ber ifJoefie fich eignen foüen, ihrer Slufgabe ju entfprehen, au§=
brüülich auch biefeä anfgeführt, „bafz fie raarmeä lebenbigeg ©efühl
athmen, unb bie baffelbe bebingenbe Steigerung ber pfpchif<h«i Dhätigfeiten
in ber 3Beife be§ 2Iuöbrucf'§ h^^wortreten laffen" ('Jt. 466. 472). sticht
irgenb raelüie Darftellung oon Dhatfachen bezeichnet unfere Definition al§-
bie Slufgabe ber reUgiöfen ^oefie, fonbern eine folche, bie „bazu angethan
ift, in SInberen bie ben bargefteCtten Dhatfachen entfprechenben reUgiöfen
@efühte zn oerantaffen" : biefe 23ef^affenheit hat bie DarfteCtuug burch
ba§ Sßort aber nur bann, wenn in berfelben bie innere 33eroegung, bie
33egeifterung, ba§ ©efühl beä DarfteUenben fich lunbgibt.
2öir taffen hi^n in Ueberfepung eine ber fd)önften Seiftungen ber
reUgiöfen i|3oefie folgen, ben §pmnu§ auf-ba§ h^iiiS^ ftrenz oon 2Senantiu§
fyortunatuS, 23ifchof oon ‘)?oitier§ am 2tn§gauge be§ fech§ten ^ahrhunbert§.
Wan urtheüe, ob bie oon unä aufgeftetUe Definition biefer claffifchen
Schöpfung entfprid)t.
'■greifet, Sippen alT, bee hü)i'en
Äantpfe§ lorbeerreichen Sieg,
Unb ba§ Ärenz, be§ Siegel Siethen,
i^-eiert tm Srinmphgefang ;
Äünbet, rote ber äSelterlöfer
^ingefchlad)tet überioanb.
Ob be§ erften Glternpaared,
De§ betrog’nen, ba§ ben Oob
3ln nerbot’ner grucht gegeffen,
fynhU’ Erbarmen tief ber §err,
Zeichnete ben 33aum, Z“ tilgen
(Jinft be§ 33anme§ Sdjaben gro§.
©rlduterungen jum Segriff berfciben.
745
'J^iefe crl)eil’d)te iutfre§
ge^eimntßöoUer '^dan
3u ücreiteln bc§ S3etriiger§
9(vgc Äunft buvd) befj’ve Äunft,
S^ic üon bovt im§ .Reifung bröd)te
33o bev g-einb öenüimbct uns.
STaiiuit, ald ber 3^iten ^-üde
Änm, warb uoit be§ i^aterä 0ilj
Und gcfanbt ber (S'ingebovue
S^er mit il^m bte 3£'cU er|'d)uf;
9iRcnld) geraorben, non ber
9ieinem ©djooj^e ging er and.
3n ber engen Ärippe meinet,
,^art gebettet, er nid Äinb ;
Seine ©lieber l'd}Ingt in Sßinbeln,
ÜInn, bie 3'iii9fi‘ait=9ilhitter il)in,
Unb nm ©otted §nnb’ unb S'üBc
Sd)Iingt [idj feft ber äCidelfaum.
5Ild bann breigig ^al)v’ notlenbet,
Seine l'ebend^eit erfüllt,
3BeiI}t nud Siebe ber ©rlöfer
2£'illig, frei, bem Selben fid),
SSirb nid Snmm für und jur Sd}Ind)tnng
üln bed Ärenjed Stninm erl)öl)t.
©nlle triinft il)n; fiel), fet^t [tirbt er.
Sornen, diiigel, nnb ber Speer
■l.lhißten il)m ben Seib bnrd)boI)ren,
Sflnt ergiefft unb äönffer fid),
©rbe, SJieere, Sterne, SiSeltnll
9iein jn mnfdjen non ber Sd)ulb.
Ärenj, getreued, unter nllen
S3nnmen einzig ebler Stnmm !
3iie im 3BnIb ftnnb beined ®leid)en,
Sü non Snnb unb S3lütl)’ unb Sprofe.
3d)eured §013 bu, tl)curcd ©ifen,
Sie il)r trüget t()eure Snft !
23iege, I)el)rer Snum, bie Dlefte,
Sng bein Ijnrted Sfnnered milb
Söerben, jene Stnrrl)eit fd)inel5en
iSeId)e bie 9?ntur bir gnb,
Unb bed ^ödjften Äönigd ©lieber
Spnnne linb nn meid)em Stnmm !
746
33ie religiöfe ^oeftc;
®u allein warft roert^, gu tragen
3^n, ba§ Opfer für bie SBelt,
3lufgut^un al§ fftettungSarcbe
Otdf) ber SBelt, ber fd)eiternben :
3®eil ba§ l^eilige 23lut bid) falbte
Oa§ be§ SammeS Seib’ entquoö.
OanE unb i]ßrei§ ®ir ol^ne @nbe
^eiligfte Oreifaltigfeit,
®tr bem 33ater, Oir bem ©o’^ne,
®tr, 0 ©eift unb Oröfter, aud^.
3!^nt, ber @in§ in brei iJ3erfonen,
©inge Sob bie gange Söelt. Simen 367).
2Bir rooUten an biefem '^ernorragenben (Srgeugniffe ber religiöfen i|3oefie
unfere Definition ber Sezieren prüfen. iJiadibem in ber erften ©tropl^e
ba§ O'^ema unb bie iSeftimmung beä §pmnu§ angefünbigt ift, raerben
in ben fed)§ folgenben nur Dl^atfaii^en aufgefü^rt, — freili^ in ber
Söeife, loie eä mit fRüdffid)t auf il^re Slufgabe eben bie ifSoefie gu f^un
^at. ©rft in ber albten ©tropbe unb ben folgenben gelangt, mit ber
Slpoftropbe an ba§ b^Wige Äreug, bie Seraegung be§ anbücbtigen ©e^
mütb§, unb groar eine tiefe Semegung, in ben ibr eigenen Söenbnngen
gum Slugbrucfe; aber in ber gebnten unb elften ©tropbe mifdjt fi(^
fofort roieber mit ber j^unbgebung be§ @efübl§ bie Slnbeutung beftimmter
Dbal[(f^en.
Ueberbaupt b<^l notbraenbig febe§ religiöfe ©efübl eine über=
natürlilb ber iDienfcbbeit mitgetbeilte Dbatfa(be, ein ber Offenbarung
angebörenbeS objectio 2lUrflicbe§ gum ©egenftanbe; auf eine Ob^^falbe
mu^ e§ fidb gtünben, nur burlb fie ift e§ oerftänbti(b, nur in 93erbinbung
mit ibr lä§t e§ filb be^b^t^* S^m 2lu§brud bringen, ©ottte barum ber
Sefer fi(^ aud) nieler auSgegeicbneter religiöfer Dichtungen erinnern, bie
mit bem SluSbrude be§ ©efüblS anfangen, unb benfelben burcb alle
©tropben fortfe^en, fo folgt bieraug feinegroegg etroag gegen bie lRicbtig=
feit unferer Definition. 2®ill bie religiöfe ifJoefie religiöfe ©efüble oer^
anlaffen, fo fann fie bag eingig baburcb tbun, baff fie übernatürlicbe
Db^tfacben norfübrt, aber in folcber S5)eife nnb mit SSerroertbung folcber
fOfittel, raie eg jene ihre Slbficbt forbert. Unter biefen fBiitteln ift
eineg ber oornebmften eben ber Stugbrucf entfprelbenber ©efüble; aberben
eigentlichen ©egenftanb ber iffoefie, ben roefentlid)en
tung, bilben nii^t biefe, fonbern bie Dbatfadben.
486. 2Bir fommen je^t auf bag erfte unb oorgüglicbfte ifßrincip,
bag, roie mir in ber oorlebiten Sfummer jagten, bei ber ©rgeugung jebeg
religiöfen ©efüblä rairffam ift, nämlicb bie ©nabe beg heiligen ©eifteg.
„Der ©eift ber Söabrbeit" nerbinbet feine ©nabe eingig mit folcben
(Jrläiitevungen jum Segtiff berfelben.
747
pft)(i^ifc^en 5:pttgfetten, beren ©egenftanb bem ber übernatürlichen
Offenbarung angehört, müffen mithin unter ben in einem retigiöfen
©ebichte au§gefpro(f)enen obfectinen biefenigen , roeldie bcn
©rnnb ber burch baffetbe anjnregenben retigiöfen ©efühle bilben füllen,
inSgefnmmt bem 3®brte ®otte§, ber thrifttidtien Offenbarnng, ber ßehre
ber Hirche entnommen fepn.
3tber, fönnte man einmenben, ftehen benn nidit fetbft im römifi^en
23renier mandhe .^pmnen für bie fyefte non ^eiligen, beren Seben
biefer .^eiligen, aifo ber ^iri^engefihidfte entnommen ift? 5nterbing§
gehört in manchen titnrgifchen .'Qpmnen oon ben barin hc^^uorgehobenen
Ohatfachen ein Oh^^f Offenbarnng an, fonbern ber ©ef(^idhte
ber Kirche; aber in fotifien roirb man immer jngteich am^
anbere roenigfteng angebentet finben, roetche bem SBorte ©otteä
entnommen finb, nnb ben eigentlichen ©runb ber bnrch ben i^pmnnä ju
roecfenben ©efühte bitben, inbefe bie ber ^i'ird)engefchichte angehörenben
Ohatfachen mir bajn bienen, jene jn betend)ten, nnb in tebenbiger 2tm
fdhantid)feit bem geiftigen 2tnge nahe jn rüden.
Oie 3tnfgabe be§ Oichterä bei retigiöfen ©ebichica nmfafd hi^i'nai^
tebigtich jmei Otüde. ©r hat einerfeitS ben non ber Offenbarnng ge=
gebenen Otoff 511 buri^bringen, fiih betrad]tenb in benfetben jn nerfenfen,
ihn nad) feiner inneren Sebeutnng forooht at§ nad) feiner Sejiehnng jnm
retigiöfen Seben mit ber ganzen Itraft eine§ tebenbig nnb roahr empfinbenben
©emütheä anfjnfaffen; nnb er hat bann anberfeitä biefer feiner Stnffaffnng,
unter ißerroerthung ber geeigneten Ü)7ittet ber ifioefie (oben, .ilap. 3), ben
angemeffenen fprachtid)en 2tn§brnd jn geben. Oie ©rfinbiing be§ ®toffe§
bagegen, bag „Oidjten" im erften Oinne biefeg ÜSorteg, Hegt feinem 33e=
rufe bermapen fern, bafj eg ihm gar nicht geftattet ift, bie bem SiSorte
©iotteg entnommenen Ohatfadfen irgenbraie jn önbern nnb frei jn geftatten,
ober and) nur, fie mit aiiberartigen ©rfdjeinnngen fo jn mifdjen, baff
ihre urfprüngtid)e ©eftatt babnrd) mehr ober raeniger atterirt mürbe.
„Oen näheren Oon jn chrifttidhen" (retigiöfen) „©tefängen",
fchreibt .ßicrber nid)t nnridjtig, „gaben bie Sobgefänge beg 3achaviag nnb
ber heiligen 3’ungfran, ber ©^rnf3 beg ©ngetg, ber 2tbfchieb ©imeong, mit
benen bag 9lene Oeftament anfing . . lieber ben ©räbern ber iBer:
ftorbenen, beren Slnferftehnng man im ©eifte fd)on gegennmrtig erbtiefte,
in ©inöben nnb ©atacomben ertönten gnerft biefe 23nf3= nnb ©lebe©, biefe
Ornner: nnb ^offnnngg:'’)3fatmen, big fie nad) öffentlicher ©inführnng beg
©hriftenthnmg ang bem Onidel ing Sidjt, ang ber ©infamfeit in pradjtige
ölird)en, nor geroeihte 3lttäre traten, nnb je^t and) in it)rem 5tngbrude
')Jrai^t annahmen . . f^ragt man fid) nm bie Urfad)e ber fonberbciren
iJBirfnng, bie man non biefen attd)rifttid)en ©iefängen empfinbet, fo roirb
man babei eigen betroffen, ©g ift nid)tg roeniger, alg ein neuer ©ü’banfe,
748
®ie reltgiöfe 5poe[ie;
ber un§ l^ier rü^rt, bort mä(i^tig crf(^üttert; ©ebanfen" (b. f). menfd^=
U(^e) „finb in biefen ip^mnen überhaupt fparfam. 9Jiand^e finb nur
feierlidje 9lecitationen einer befannten ©efii^ic^te, ober fie finb befannte
Sitten unb ©ebete, f^nft fömmt ber ^n^att aller in alten roieber.
©eiten finb e§ auc^ überrafi^enb=feine unb neue ©mpfinbungen, mit benen
fie un§ etroa burc^ftrömeu; auf§ ilieue unb f^^eine ift in ben ^pinnen gar
ni^t gere(^net. SBa§ ift’§ benn, mag ung rül^rt? ©infalt unb Söa^r-
lieit. §ier tönt bie ©prad^e eineg allgemeinen Sefenntniffeg , ©ineg
^•lerjeng unb ©laubeng. $Die meiften finb eingerichtet, ba^ fie aCe Jage
gefangen raerben tonnen unb füllen; ober fie finb an f^efte ber
gehen gebunben. Sßie biefe roieber fommen, fommt in emiger Umroätgung
auch chriftlicheg Sefenutniff raieber. 3^^ in ben §pmnen feine
©mpfinbung, feine ifJftidht, fein Jroft gegriffen : eg l;errf(^t in ihnen allen
ein allgemeiner populärer Schaft in grofien Slccenten. 2ßer in einem
Je J)eum ober ©otoe Dflegina neue ©ebanfen fucht, fucht fie am unre(^ten
Orte; eben bag tägtid}= unb eraig=Sefannte fotl ©eprdge ber
Söahrheit fepn. J)er ©efang fotl ein ambrofifcheg Opfer ber ilfatur
roerben, unfterblich unb roieberfehrenb roie biefe" *). Oer rationalifirenbe
©uperintenbent oon SBeimar ahnt in biefen Sßorten bag IRechte, aber er
uerfteht eg nicht. Söäre Berber fo glüdtid} geroefen, jenen ©tauben gu
befi^en aug bem bie Oii^tungen, beren 9Serth er fühlt, hci^ooi^SeSttngen
roaren, bann mürbe er atg „ben ©runb ber fonberbaren SCBirfung" mit
meldher fie aud) bag nid)tchriftli^e ©emüth ergreifen, nidht in oagem
Slugbrud'e „©infatt unb Sßahrheit" genannt haben, fonbern „bag SEort
beg .S^errn , bag ©ebern bri(^t unb gelfen fpattet , unb beben macht bie
SKüfte" (^f. 28), b. h- bie übernatürliche geoffenbarte Söahrheit bie
ihren ^ahalt bilbet, unterftü^t unb mirffam gemacht biirch bag geheimni^:
üotle 2Balten beg h^higen ©eifteg.
3n ber profanen ipoefie liegt ber eigentlichfte unb uornehmfte Jheit
ber ^^eiftung beg Oichterg in bem fetbftänbigen, eingig oon ben früher**)
auggeführten gorberungen ber Sernunft beftimmten ©rfinben unb
©eftalten beg ^^haltd feineg Sßerfeg; „ber Oidjter", lehrt 2Iriftoteteg,
„mu^ feine ^lunft mehr an bem ©toffe bemöhren, atg an ben Serfen" 368).
Oie geifttiche ijjoefie unb bie profane haben mithin, troh ber ©emeinfamfeit
beg ©attunggnameng , alg gmei ihrem gangen Söefen nadh oerfchiebene
Ä'ünfte gu gelten.
*) Jperber, ©efdhidhte unb Äritif ber ^oefie unb ber bitbenben
fünfte. (2Berfe, (Sarlgruhe 1821, SpL 7. ©. 247 ff.)
**) 5t. 293 ff. ©. 420 ff.
jroei für biefelbe roefentlid^e fKürffid^ten.
749
§. 3.
■pcßcr btts ntdrtfdjc ^femcnf in Der fnfcintfdjfn reftgiöfen ^•’ocftc.
3roei 3iücffidf)ten , burd) roeld^e für bic religiöfc 3>oefie bie 3Imüenbuug bev tm
üorigen Änpitel djaracterifirtcu SJiittel näljcr beftimmt rairb. 3^'ie Se;
beiitung biefev fftücffid)ten tritt namenttid) in bem mctrifdjcn (Stemeute
ber rcligiöfcn 3>oefie beroor.
487. 3ener 3,')tomente biiv(^ luctdbe bie I)ebontfd)e i|?oefie bic ^diifion
fövbert, bebnrf bie veligiöfe liiert*). 2®a§ iffre roeiteren ilRittcl betrifft,
fo luurbe bereits ennalfnt, baff biefetbeu bem 5® efent tilgen nad) non
benen ber profanen 'l^oefie liiert nerfdiicben fepen. ®aS in biefem 0at^e
nnterftridfene 23ort jn betonen, nötbigen nnS groei fRütfficbten. 3^‘ddd}ft
barf offenbar bie reügiöfe if>ocfie fo roenig mie irgenb eine anbere religiöfe
.t'iinft, bie gmei im fiebenten 5(bfcbnitte non nnS bebnnbetten oberften
@efeb,e auffer 3(d)t taffen; biefen ©efel^en gegenüber fann aber begreitidfer
5t''eife ?0tand)eS nngntüffig ober ftörenb erfdfeinen, tna§ bie profane ff>öefie
fid) ofme 3tnftanb ertauben barf. ®ie groeite 3tndfid)t tiegt in ber raefent=
tidjen iBeftimmnng febeS (?rgcugniffc§ ber rctigiöfen jlnnfte. ©iefetben
arbeiten nidjt für bie ©etebrten, nid)t für beftimmte Äreife non tjötjerer
33i(bung, fonbern für bie gefammte ^b^'>f^^>tt)eit. 3tn§ biefem (SJrunbe
bat bie retigiöfe ‘-ipoefie itjre (J-rgengniffe immer mögtidfft popntär gu ge=
ftatten; febenfattS, foroeit e§ angebt, fotdfe ©femente non benfetben ans=
gnfdftiepen, tnobnrd) fie non nornberein einem grofjen ^cr ^brifteii;
beit nnnerftnnbtid) , ober bodj für benfetben minber brandfbar mürben.
3d) lüeip nicht, ob bie ißebentung biefer gmei 3tücffid)ten nnb itjre
®irffam!eit in irgenb einem '^Htnf'te fo ftarf tjernortritt, mie in bem
metrifdjen (Stemente ber tateinifdjen retigiöfen ‘!f>oefie. ®en iÜ^eiftern ber
Jebterenmar bie antife ctaffifdjc ^'oefie feineSincgS nnbetannt; bcffiingeodjtet
mürben bie metrifdjen ©cfelpc berfetben non itjncn nidjt aboptirt, fonbern
nach nnb nadj biirdjgreifenb geänbert. 3tidjt ottein, bafe fie bie fnnft=
reichen ©troptjen ber attcgriedjifctjen nnb :römifdjcn fDidjtcr menig gur
Ütnmenbnng brachten; fie fndjten überbieS ihre iferfe immer metjr fo ein;
gnriebten, baff bic ^'^ebung beS ©oneS, bie 3trfiS, mit bem Sß>ortaccent
gnfammenfiet, mie e§ in ber nngebnnbenen Dtebc, nnb überhaupt in ber
©pradje beS tögtichen 3terfebr§ ber f^dtt tft, matjrenb fa bic antife 'h'oefie,
in 3'O^S^ 35>ortaccent gang nnabtjängigen 3)7effnng ber ©itben,
bie fonft gemötjnticbe ißetonnng gang nnberücfficbtigt getaffen hatte, nnb
gn berfetben oft in ben nottften GJegenfah getreten mar. 23ei ber etmaS
*) 3Sg{. 9t. 289 f. ®. 415 p.
750
®ie religiöfe 5)3oefie
einfeitigen 33eraunberung uiib ber tiefen @^rfurd)t, melc^e beni claffifc^en
3ntert|um gegenüber ber getefirte Unterricht ber 3i*9^nb einjupftanjen
bemüfit ift, f'ommen eben barum bie hemorragenbften retigiöfen Sichtungen
ber chriftlidjen inand)em ©ebitbeten nor roie ba§ SBerf eine§ @e=
fd)tedjte§, ba§, non ber einftigen ^öhe henabgefunfen, nicht mehr bie geiftige
^raft befi^t, e§ ben üSorfahren gteichjuthun, unb fi(^ in ©infalt mit ben
i|3robncten ber ÜJJittelmüjsigfeit jufrieben gibt. Slber nicht SRangel an
©eroanbtheit unb geiftiger 35egabung mar e§, roa§ bie ilReifter ber relü
giöfen ißoefie neranlaftte, bie ©efe^e ber antifen iJJietrU nach unb nach
gro^entheitä fallen ju taffen, fonbern fie fahen fidh hiei^SU bur(ih fehr geroich=
tige ©rünbe beftimmt; unb roa§ fie an bereu ©teile festen, ba§ ift nicf)t^
roeniger, alä non ber 2trt, bag ber IBerounberer ber antifen Äunft irgenb=
roie berechtigt roäre, mit ©eringfi^ä^ung barauf herabjufehen. 2Bir rootlen
bie hie^'ii^it angebeuteten ©ebanfen in bem f^otgenben roeiter au§führen.
I.
S5>arum ba§ metrifche Spftem ber antifen daffifd)en ipoefie, insbefonbere ber
?prif, für bie reltgiöfe ^oefie nii^t geeignet roar.
488. Sa^ e§ für bie geifttidje ifJoefie eine überaus fdjroere 2tuf=
gäbe geinefen fei)u roürbe, bie Offenbarung unb bie ©e;
heimniffe ber dietigion, bei benen eS unertöfslii^ nothroenbig ift, baff fie
genau, unb mit forgfättiger 2Baht beS StuSbrudeS roiebergegeben roerben,
in 33erfe unb ©trophen ju faffen, bereu funftreidher ®au mit feinen ©e=
felgen, ber f^reiheit in ber SiBaht ber SCBorte feinerfeitS nid)t minber enge
©d)ranfen jog, baS rootlen roir nidht eingehenber begrünben. 9Ucht,
roafirer at§ biefe, aber greifbarer unb jugteidj entfi^eibenber ift eine am
bere Dtücffidjt. 2Ber fi(^h non ben rhpthmifchen ißorgügen eineS ©ebiefiteS
angefprod)en fühlen, ihre ©djönheit geniepen, ihre üfthetifdie Söirfung
empfinbeu fott, ber muff offenbar bie ©efet^e nadj roetdjen bie 33erfe ge=
bitbet unb bie ©trophen gebaut finb, notlfommen fennen; er mu^ mit
benfetben bermaffen nertraut fepn, ba§ bie rt)pthmifche üfottenbung beS
Söerfes nidjt erft buri^ ©tubium unb mühfame iReftepion, fonbern non
fetbft unb auf ben erften 23ticf fich ihm barftettt. Sem Uneingeroeihten
roirb eine antife Obe immer ein 3fiäthfet bleiben; er roirb bie SBörter
accentuiren roie er e§ in ber iffrofa ju thun geroohnt ift, unb in ben
funftnotten ©trophen nidhtS roeiter fehen, alS eine regettofe roiCtfürtiche
3ufammenftetlung non Störten, bie mit feinem 23egriff non ifJoefie fehr
fd)ted)t übereinftimmt, unb ihn in feiner SBeife anfpred)en, gefchroeige beim
f eff ein fnnn.
Saf; in ber Shat baS ©pftem ber ctoffif^en iDfetrif hohe ©eifte§=
bitbung unb eine bebeutenbe ftfeinheit beS ©iefdhmadS norauSfet^t, ba§
unb bie antife c(alfifc[;e 5J?ctrif.
751
beroeift ein auf bie ®efcf)ic[)te ber ifJoefie. Söol)I faum (Sin 25oif
mag e§ geben, bem biefe Äunft fehlte, bei bem fie nic^t in ben friUjeften
feiten fc^on angefangen ^ätte, fid^ geltenb ju inadjen; aber ba§ ©ijftem
ber antifen iUletrif jn erfinben, baju mar allein ber feine ©efdfmad ber
23erooljner non .ipella§ im ©taube; bad iDlorgentanb , bie africanifdjen
3SöIfer, jene be§ enropnifd)en 91orben§, lannten eine rl)i)tl)mifd)c l^bnnft
biefer 2lrt nidjt, fie jaulten bie ©ilben ftatt fie jn meffen, unb lieffen
ben SBortaccent mit bem metrifdjen äufammenfaüen. 91om erljielt ba§
©pftern an§ @ried)enlanb ; aber e§ nerging eine geraume
anfing, baffelbe in ber Si)ril anjuraenben, nnb ja^^treid) rairb niemnnb bie
©rjengniffe nennen morin c§ l)errfd)t. üiidjt blof5 Siniu§ ?lnbronicu§
im brüten nor (Sl)riftn§, unb nadj i()m IRaeoiuS, i|?acuniu§,
2(ttiu§, auc^ ''45lantuä nnb Vereng bid)teten in einfad)en, meifteng fam=
bifdjen ober trodjciifdfen Werfen; no^ geftattete bem Sßortacccnt
feinen (Sinflnß auf ben Versbau; erft @nnin§ (239 — 169 nor (^l)r.)
fü'^rte in bie Iateinifd)e ©id)tung ben ^'^erameter ein: ba§ griedjifdje
©tropljenfgftem aber fam erft jnr 2lnguftn§ bnrd) i^oraj
(65 — 8 nor (Sfir.) in 2lnfnal)mc.
2lber and) bamatg, mä’^renb be§ golbencn ber römifdjcn
Literatur, blieb biefe 2lrt ber ©idjtfnnft bod) immer nur eine ifJoefie für
bie ©elebrten unb bie ißorne^men ; für bie grope ©efammtlieit be§ 2Solfe§
mar fie jn !^od). ©dfon 2;erenj, ber in feinen bramatifdjen 3T'erfcn jucrft
bie gried)ifdie 2]ergfunft in ftrenger diein'^cit nadjjnbilben gcfndjt, nnb
barnm bie iRüdfid)t auf ben SS>ortaccent bei ©eite gefei^, l;atte inenig
3lnf(ang gefnnben*), nnb mar nur burd^gebrungcn, tncil fein ©on ber
91id)tung ber nornelpnen Greife entfprad). 4"^oraj aber füljrt felbcr, in
ber (Spiftel an 2lngnftn§, fd)mer,:^lid)e Älnge barüber, baff ba§ 2]olf an
ber i}?oefie be§ golbencn 3^ttatter§ feinen ®efd)nuicf finbe;
@evcd)t imb meif’ ift beine§ 2.'oIfe§ Uvtt)cil,
inbem cä nor ber @ried)en .'oelben ©ir
unb nor ben nnfrigen ben 2-'or3iig gibt;
in biefem ein5igcn 'pnnft; in nnbern nid)t.
©n fdjäbcn fie ben dßertf) ber ©ndjen gnnj
nad) einer nnberen Siegel, efelit 3lUeö nn
*) „®te ,§ect;ra‘" (,bie ©d^roiegermama^ ein Suftfpiel non Serenj) „innr faum
angefangen, al§ fic^ nnter ben ßufdjauern ein ©cmurmel ert;ob, e§ mären irgenbroo
©eiltanjer ju fef)en; in einem 3lngenblide mar ba§ 3lmpl}ittienter leer, nnb alle 3BcIt
tief ben ©eiftänsern ju. Stacb einiger 3üt mürbe bag ©tüd micber gegeben. ®er
erfte Stet ging gut non ©tatten. Ungtürftid;ermcife fam im jmeiten bie 9fadjrid)t,
e§ mürben ©labiatoren jum Sleften gegeben merben. Stuf einmal fing ba§ SSoIf an
jn lärmen, ju fd;reien, fid; jn brängen, um bie ipfäpe jn ftreiten, rmb bie ©d;au:
fpieler mußten auff)ören.'' SSielanb, .gjorajenS Sriefe, ©. 445.
752
Sie reitgiofe ijßoefie
Tüa§ unfere 3^1*^ unferem eignen ©oben
I^ernorgebroc^t ; [inb fo nerliebt in 2ltle§
n)tt§ alt ift, baj3 fogar bie ©otjungen
ber ober roeilanb unferer Könige
gefdjio^’ne 23ünbe mit ben ©abiern
unb mit ben feften e'^jfamen ©abinern,
ber ißontifefe graue B^il^oogifter,
unb bie betagten Slätter unfrer atten
‘i'rop^eten, nom 2ltban l^erab (in i-^rem 2Ba^n)
bie SJiufen felbft iin§ gugefungen !§aben**).
@§ fonnte ja gar nic^t anber§ [epn. roar ju natürlich, ba^ ba§
2SoH ®id)ter rote biejenigen roel(^e ^oraj balb barauf nennt, einen ©nniu§,
5Jiaet)iu§, i|5acuDiu§, 2tttiu§, ipiautug, bie noc^ feine Sprache gerebet
Ratten, unb be^l^alb non il^m nerftanben rourben, einer ifSoefie norjog,
roetd)e bie S:ed)nif be§ metrifdjen 33aue§ gu folc^er SSoffenbung gebra(^t
l^atte, ba^ itire ©dön^eit 2Iden benen fiö^ere 23ilbung abging, nottfommen
unsugänglidö roar.
®iefe 2:t)atfa(^en uor 2tugen, urtl^eite nun ber Sefer, ob bie Reiftet
ber religiöfen ifioefie im nierten unb ben folgenben ^o^f^unberten aud}
nur baran benfeu fonnten, in it)ren metrifci^e ©pftem ber
©ried^en unb be§ ^oraj jur Stnroenbung gu bringen, ©ie bid^teten fa
nicfit au§fd)liep(id^ für bie ©ele’^rten unb für bie ptieren Jlreife ber
©efellfd^aft , fonbern, in jenen ßänbern roo, roie in unb Slfrica,
nod^ bie lateinifd^e ©pradje ^errfi^te, für bie ©efammtl^eit beg d^riftU^en
^otfeg; fie arbeiteten überbieg jugleidj für alle übrigen Si^eile ber ©rbe
jn benen bag ©l^riftent^nin, unb mit biefem bie ©pracl)e ber .^ird^e, bie
(ateinifd^e, fdbon gebrungen roar ober nod^ bringen fodte, benen aber bie
tunftüoCfen SSergmaape ber claffifd)en ßprif oollftäubig fremb roaren.
31id)t einmal im ad)tje^nten ^fl^^^^uttbert ^ben bie 23emü'^ungen .RIop=
ftodg eg oermodjt, biefe 33ergmaa§e in ©eutfdjlanb populär ju mad^en,
unb bag SSoIf bafür 511 begeiftern; ptte .^ilariug oon ifJoitierg unb
2lmbrofiug oon Wailanb, ober in fpäterer ©liomag oon 3lquin, fi(^
ber i^offiwng ^^ingeben fönnen, ba§ ü^nen in riet roeiteren Greifen ein
gleid^artigeg Unternehmen beffer gelungen roäre?
*) Sie ®e|epe ber puölf Safetn, roettfje um ba§ 30^0 ■IÖO »or 6hr. oon ben
baju erroäbtten „3efinmänncrn" ober „3ef)nern" oerfa^t roorben lonren.
**) Horat. epist. 2, 1. v. 18 sqq. Sie Ucberfepung nad; SSictaub.
Ser „3U6an", b. h- ber Sttbamfdhe $erg, ftanb oon uralten 3eiten bei ben
tatcinifdben Söffern in einer 2trt oon religiöfem 2tnfet|en. Sag Soft, loiß ^oraj
Ingen, jcbäpt bie Seiftungcn ber neueren Soefie gering; bagegen fteben bie ätteften
Senfmäfer nnferer @prad)e, — bereu g-einf)eit offenbar nidbt grop fepn fonnte, —
bei if)m in foicbem 2tnfeben, al§ ob bie fUtufen fetber, ben ißarnap oerfaffenb unb
auf bcm Sübanifcben Serge ihre SJobnung auffd;tagenb, fie oerfapt bitten.
iinb bie antife c(aififd[;e Sictvif.
753
489. »Mafien miv f)iernadi btc 0acfte non einer jroeiten, gauj nii;
bereu Seite ins 3tnge. Sinb bie griediifcben Stropfienfnfteme nn nnb für
fid) fo befdiaffen, bnf3 fie für retigiöfe ©iditnngen befonbers geeignet
erfcbeinen fönnen?
Saiintilian inarnt ben d^cbner uor einem nrtleildrofen @ebrnnd) ber
tRebefignren ; er foU fie nur bn nnmenben, roo fie inirf'tid) an ber Stelle
finb. „®ic ineiften g-ignrcn t)aben nur ben bein 5tuabrnd'e t)öt)eren
äftfietifdien ii>ert^ ju geben. 2i^enn es fidj nun aber barnm banbett,
in ben 3*'ltörern (Jntfeüen, ober b^aff, ober (J-rbannen madtjnrufen, nnb
ber üi'ebner feinem 3ovn, feinem Sdjmerjc, feinem fvlebcn um ©nabe,
in fnnftreidjen 5(ntitbefen, in fmnmetrifd) geformten ff^unnoben nnb bai-'=
monifd) ttingenben Sät3d)cn 5(nsbrnct gibt, muf5 bas nid)t
nnertrügtid) finben? Senn man fann ja an ©efübte biefer 2lrt nid)t
gtanben, menn fie ficb in fo gefnebtem ittnsbrnefe fnnbgeben; mie benn
überbanpt bas ir'alten ber Ännft, menn eS augenfütlig bevnortritt, immer
ben ©inbrnef madjt, bap 31 lies nid)t mabr fep"*).
'i'oLtf'ommen 3(natoged mie uon ben dtebcfignren, gilt nun aber bin=
fiebttid) be§ alten griednfd)en i©rd= nnb Stropbenbnned.
and) feine 33ebeutnng nor^ngsmeife barin, bap er ben äftbetifd)en SBertt)
bes ©©bid)teS erhöbt, ütim brand)t man feinesmegS auf bie ctaffifd)c
'^'oefie ber 3flten mit einer ganj nnmotinirten ©©ringfebübnng bevabju;
feben, nm anjnerfennen , baf3 ber S’^batt ^b^er Sprit an 33ebcutnng,
©röpe, Sdiönbcit nnb ergreifenber btraft uon jenem ber retigiöfen if>oefie
meit überragt mirb. konnte barnm bie ©rftere eine 3®ertberböbnng bed
©nnjen ibrer '^'robnete, mittelft eined an fidj foftbaren IHabmend, nur
münfdiendmertb finben, fo ift bagegen bie retigiöfe fpoefie fid) ju gut
bemnf3t, baf3 fie foteber DJHttel entbebren fann. Unb bad um fo mehr,
bn fie ja feinesmegd, mie bie bebonifdte '^^oefie, if)re 3tnfgabe barin
erfennt, biird) ibt'e Seiftnngen ber ').)tenfd)bcit nftbetifd)en ©ienujj jn
uermitteln.
3lber nid)t attein, baf3 fie biei'nad) ber antifen Stropbenfpfteme für
ihre 3tnfgabe nid)t bebarf: fie mürbe berfetben jnmibergebanbett, unb bie
ihrem 3i'>ba(t inmobnenbe ^raft uielfad) gernbejn getäbmt b^ben , menn
fie fid) an jene Spfteme büttc binbot motten. Sie retigiöfen ©efütjte ber
©bi'furdit uor ber 3,1cajeftät ber einigen Sreifattigfeit, ber fifnrdit uor
ben ©ierict)ten ©iottes, ber Siebe gegen ben „ber und geliebt unb und
reingemafdjen b‘it oon nuferen Sünben in feinem ilMiite'^ ber ftienc nnb
ber öed fy^ebend nm ©rbarmen nnb Sergebiing, ber Setjii;
fnd)t nad) .©ütfc in ben ©efabren nnb bem uietgeftaltigen ^Smirner biefed
©rbenlebend, — biefe C'^efüble fagen mir, unb alle ibnen äbntid)cn, finb
*) Quint. Instit. orat. 9. c. 3. extr.
Sungmann, 3(cftf)etit. 2.
48
754
®ie retigibfe ^poefie;
Überaus ernfter 3^atuv, fie ergreifen bas ganje @emüt^, unb gelten tief
in ba§ ^^nerfte ber ©eele. 3^ fold^er ©timiming ergießt ber (Jl^rift
naturgemäß baS raaS fein ^erj fo mäi^tig beraegt, nit^t in aicäifdben
ober afctepiabeifcf)en unb p!^erecratif(^en SSerfen, füßlt er fid) ni(^t ge^
trieben, ©tropl^en ju bauen bgen eine febe, um ju getingen, einen
bebeutenben Stufraanb non '3Jtüße, ©orgfalt unb £unft erßeifcßt. Unb
roenn barum ein fpra^geroanbter 33erfemacber Seiftungen biefer 2Irt ju
2age förbert, bie religiös auSfe^en unb antif:claffift^ jngtei(^, ba brängt
fi(^ einem einfachen unb geraben @emüthe gar leitet baS @efüht auf,
„baß Stiles nicht roal)r ift", unb eS roirb ißm fdircer, „an ©efifhle gn
glauben", roelc^e troß beS überroältigenben ©rnfteS ben ißr ©egenftanb
mit fi^ bringt, no^ aufgelegt finb , ficß um ein elegantes ©eraanb im
mobernften ©efi^mad gu bemüßen.
S^'ir raotlen hiermit ni(ßt fagen, als ob ein geiftlicfieS ®ebid)t in
altclaffifcßen Strophen nicht mitunter redht gut fepn fönnte. ®aS römifche
S3reoier enthält einige .'ppmnen, theilS in fapphif(hen, theilS in afclepia=
beifchen ©trophen, bereu ®erth fid) niiiht beftreiten läßt*). Stber eS
finb — mit SlnSnahme ber groei an erfter ©teile begeichneten , roeldhe
@regor bem ©roßen gugefc^rieben roerben — i^pmnen auf bie ©ngel ober
auf .Steilige, in benen, ihrem mehr panegprifchen Ghatncter gang ent'-
fpre(jhenb, nur ruhigere ©efühle herrf(jhen. 2Son jenen im Slnhange beS
tPreoierS oorfommenben §pmnen bagegen, raeldje in antifen ©trophen bie
erfchütternben <iuS ber SeibenSgef(hid)te beS ©rlöferS befingen,
mag man faum fagen tonnen, baß fie nicht mißlungen fepen**). ©ie
gehören ber neueren hic^i« bürfte ber @runb gu fuchen fepn,
nicht gerabe, raeßhalb fie fo roenig ©albung haben, fonbern gunächft bafür,
baß man fie in antiten ©trophen oerfaßte. ®ie iJJteifter ber älteren 3£it
hatten in biefer Segiehung mehr Jact, nlS eine ^eriobe roelche nod| ber
*) 0 a p p p i f (h : Nocte surgentes unb Ecce iam voctis (Dom. ad Matutin.
et ad Laudes) ; Coeliium Joseph unb Iste quem laeti, am 19. Sltärj ; TJt queant
laxis, Antra deserti, unb 0 nimis felix, am 24. Christe sanctorum , am
29. ©eptembcr; Iste Confessor (de Com. Conf.) ; Virginis proles (de Com Virg.).
2l)clepiabeifdh:phevecratif(h finb bie §pmnen Regali solio unb Nidlis
te genitor, am 13. Stpril. IRetn a) c I e p i ab e i 1 dj Te Joseph celehrent, am
19. SJlörj, unb Custodes hominum, am 2. October. ®en .f»pmnu§ auf bie peitige
ÜJtartina (30. ^aminr) führen mir nid)t an: beim er löbt falt.
**) 3Bir meinen bie folgenben: Aspice ut Verbum unb Venü e coelo (fer. 3.
post Dom. Septuag.) ; Aspice infam! (fer. 3. post Dom. Sexag.); Gloriam
sacrae (fer. 6. post Dom. 2. Quadrag.) ; — Moerentes oculi (fer. 3. post Dom.
Sexag.); Quaenam lingua tibi, o Lancea (fer. 6. post Dom. 1. Quadrag.).;
Festiris resonent (fer. 6. post Dom. 4. Quadrag.)
5^ie nier juerft genannten beftehen auä fapppifchen 0trophen, bie brei anberen
finb nfclepinbeifdp
jur d^aracteriftif i^re§ metrii’c^en opftemä. 755
i^eit bes ,\>umaiü§muö iel)v na^e (ag. g-üljlbarev üerungliicft at§ olle
onberen, i[t librigenä roo^l ber ^>t)mnuä für bo§ fyeft ber fieben (2d)merjen
^JJorio im ©eptember*); ber 'i^erfoffev bes Offtciumä mürbe fid) ein
rool^reä ißerbienft erraorben Ijoben, roenn er an bie ©teile biefer bmm
boftifdi'-froftigen Obe bo§ „©tobot “iDiater'' gefetzt l)ötte.
ber Üprif", bemerft (Jorriere, „jeigt fi^ uns bei §oroj meift
nur bo§ fiformtalent beä gebilbeten iWianneS, ben bie Dleflerion boü ^ier
nod) ein .iTronj jn nerbienen fei) , ni^t ber Orong be§ ©einütp jum
<>iefange fül^rt, unb ber fid) ^infet^t, nm über biefeä unb fene§ 'OJiotiü
nod) grie(^ifd)em 2)orbilb oin^ ein loteinifd^eö (iiebid^t ju mad)en.
noine Unmittelbarfeit bie nnä im iBolfäliebe entjüdt, unb ol)iie bie fein
üd^teö Sieb beftel)t, fef)lt bei bem ri)mifd)en Oid)ter; unb befi^alb ^at
(Soetlie 9fed)t, roenn er feinen Oben alle eigentlicbe ifjoefie fnrjroeg ab-
fprid)t" **). 3*^ biefeä Urtl)eil etroag fd)orf; inbefi mog es SJionc^e
geben, bie bemfelben beiftimmen. nid)t jn nerronnbern,
roenn bie Sfad)al)mer bes i^oraj in il)ren „Oben" onf ein niel grof):
artigereg nnb barnm ancb niel fd)roerer jn bel)anbetnbes O^ema, roie es
bie SeibenSgefd)id)te beS ©obneS (üotteS ol)ue *iöd) nngleid]
roeniger glüdlid) roaren, als il)r antifer SJfeifter. Ufan rebet oft non
„gereimter" «ber es gibt nid)t minber eine if?rofa bie in fopp^ifc^en
ober afclepinbeifd)en ©tropl)en einl)erfd)reitet.
II.
3ur Ubmacteril'tif be‘j metrifd)en ©pftcms ber veligiöfen ^d'oefie. 3l)i'*^ otcr^
füpigen jambi)d)en iierfe; ber dfcim. Jvodinifdie 33cvfc ; roie fic ben
©eptenariiiS üevfd)önerte, unb feine 5mei .S'nlften in oevfd)tebenartigen
©tropbenbilbungen , halb mit halb of)ne dleim , pir 'Jtnroenbung brnd)te.
Oas metrifd)e ©pftem ber religiöfen d'oefie ftebt nn aftl)etifd)em iSertl)
jenem ber nntifen in feiner äSeife und).
490. Oie ongefü^rten @rünbe bürften melir als genügenb fepn,
nm barjut^nn, ba^ bie religiöfe '4>oefie, roenn fie anbers il)re 5lnfgabe
begriff, bas antife metrifd)e ©pftem unmöglii^ aboptiren fonnte. ©ie
miipte fid) mitl)in anfgeforbert fel)en, mit 33enntjnng aller für fie ge^
eigneten Udemente beS antifen, fiep felbftiinbig ein ©pftem ju bilben,
roelcpeS jene C^igenfd)aften befö^e, bie ipre neue iltufgabe erpeifi^te.
2öir paben eS fd)on roieberpolt gefagt: ber lepte ^roeef ber geift=
liepen '^oefie, roie jeber religiöfen Ännft, ift ^-örberung bes d)riftlid)en
SebenS; ipre unmittelbare illnfgabe ift, religiöfe (Siefüple jn oeranlaffen.
*) lam toto subitus vesper eat poIo ...
**) darriere, ®b. 2. 531 f. (dit. 339.)
48 *
756
®ie religiöfe 5ßoefic;
^«iener aücjcmeine 3’uetf iDtc biefe 3Iufgabe umfaßt aber bie ©ej'ammb^eit |
aller (S^riften: fo(gücf) mufs ba§ religiöfe @ebid)t, roenn e§ Söert^ l^aben
foll, burd)au§ popuiär fepn, ba§ ^ei^t, für ba§ SSoIf fe§r Ieicf)t nerftänbUc^.
(5‘in metrifd)e§ ©pftem ba§ fid^#für bie geiftUc^e ifßoefie eignen foll, barf
mithin biefe noüe nnb leichte SSerftänbüd^feit i^rer (Jrjeugniffe in feiner
ÜBeife beeintrödjtig?n ; nnb es roirb nm fo uorjügiid^er fepn, je mel^r eS
überhaupt ber 2frt nnb bem ©inne be§ 3Soife§ gemüp ift, unb baju an?
get^an, ba§ i8o(f anjufprec^en nnb ju feffetn.
2hnftoteied inad)t raieberfiolt bie 33emerfung, „mef)r ald irgenb ein i
anberes ÜSerdmaafi ftimme mit ber ©pradie be§ Umgangeg unb beg ge=
iüöf)nlid)en ßebeng bag fambifdie überein, raie bag fcbon bie X^atf ad^e
beraeife, bap jeber im töglicfien ißerfe^r oft jambifd^e ißerfe augfpred^e" *).
(vg mar mitfjin fe^r oerftünbig, menn fid) bie religiöfe ifßoefie biefe&
33ergmaaf3eg mit i^ortiebe bebiente. ©ie fiatte bag bereitg bei ben §e= i
brüern getban; non ben 150 ifßfatmen haben 107 (menn idf) genau gejablt
fiabe) fambifdte ®erfe, nur 43 finb trocbüif^; ber ganje ®ialog im S3udf)e
3ob, bag 23ucb ber ©prücfie, nnb ber größere übrigen poetifdben i
©türfe in ber bedigen ©d)rift, finb gieid)fadg in fambif(ben 3Serfen ge= j
fcbrieben ** ***) ). Slucb bie ctaffifd)e nntife '^'oefie bade biefe SSergart nielfacb '
gebraud)t; fomobl nierfüpige a(g fecbgfüpige ^^H'-ben (©imeter unb ©rU ‘
meter) finb fa bei ben alten ©idbtern febr büufig.
3lber mübrenb biefe ben türjeren, ben nierfü^igen fambifdben 3Ser§ ;
(u — u — , u — u — ) nie allein gebraucbten, fonbern ibn immer mit ;
tangeren 33erfen — mit bem tfberameter, ober mit bem jambifdten ©rU
meter — abmed)feln liepen, fdjtugen bie iDteifter ber geiftticben if]oefie j
ein ganj anbereg 25erfabren ein, bag bem 3™^de itjrer j?unft mehr ent= ,
fprad). ©ie bfldf'i nümtid) norjuggmeife ©ebicbte bevjuftetlen , bie fidb
für ben gemeinfamen titurgifd)en ©efong eigneten, ©epb^fb feben mir .
fie tiupe ©tropben bitben , bereu febe ang oier — mitunter auch au^ |
fed)g — je oierfüpigen ißerfen beftebt ; fo if^rnbentiug : f
Salvete, fiores Martyrum, ^
Quos lucis ipso in limine
Christi insecutor sustulit,
Ceu turl)0 nascentes rosas.
*) Arist. Rliet. 3. e. 1. n. 9; c. 8. n. 4. De arte poet. ed. Buhle cap. 5.
vulg. 4. n. 15. Cfr. Horat. ad Pison. v. 79 — 82.
**) 31gl. bie jroet oben, <B. 740 unb 717 citirten SBerfe non 93idett.
***) Beatus ille qui procul negotiis,
• Ut prisca gens mortalium,
Paterna rura bobus exercet suis,
Solutus omni foenore.
Horat. Epod. 2, 1 sqq-
jiir (S^avactcviftif i^ves mctri|d)eu (2i;ftem§.
757
55eit, 33(üten eud) bcr i'lfävtm'ev,
Tie an bes Vic^teb vidjiDelle fdjon
Ter (£i)riftu5l)np biini'eggemät)!,
TC'ie Ttuvm bie 9tofenfnO‘5pen bridit*);
fo t)0v bem genannten i^UarUte üou ‘^'OitievS, in bem ‘DJiorgenliebe ba§
ev feiner Todjter 5(öra fdjicfte:
Lucis largitor splendide
Cuius sereno lumine,
Post lapsa noctis tempora,
Dies refnsus panditur;
Tu verus mundi lueifer,
Lux ipse totus et dies,
Interna nostri pectoris
Illuniinans praecordia.
Ted Sid)te§ Tpenber, Ieud)tenber,
Ter mit ber Tonne ftnrem @[0113
3hin, bn bie 9iadit gefunfen ift,
Ten Tag und ringd bu giepeft and:
e
Ter maf)re iütorgenftern ber Tioelt
Tift bu, ielbft lauter i'id)t uub Tag;
Diiir bu erleud)teft tief bad T?er3
Und in ber ilruft mit beinern @lau3**j.
Tie eripd^nte 5)iüdfid)t auf ben ©efang legte e§ and) ualje, baft
inan auf ben 9ieim bebad)t roar, inenn aiid^ nid)t mit ftrenger 3tegeL
mäpigfeit, unb fo, bafs oft nur bie 3?oca(e ber letzten Titben übereiits
ftimmen :
Ne mens gravata criniinc
Vitae sit exul munerc,
Dum nil perenne cogitat,
Seseque culpis illigut.
Tnp nid)t bad non Td)ulb umftridt,
Tem Vol)u bed Vebend merb’ entrüdt,
*) 3hi§ bem be§ T'rubentuid auf ba§ T!)eit)nad)tfeft; bie Ttropbe
bejiebt ficb auf bie uou T>erobe§ getbbteten „Unfdpilbigen Jtiuber“.
Prudent. Cathemerinon , n. 11: Hymnus VIII. Kalendas lanuarias , v.
125 sqq. (Migne, Patrol. tom. 59. col. 908 sq.)
**) S. Hilarii hyinnus filiae suae Abrae missus, v. 1 — 5. 10 — 12. ( Migne,
Patrol. t. 10. col. 551 sq.)
33ter 23erfe t)nbe id) roegfallcn lafjen, inbem td} au ben erfteu ber jroeiten
Ttvopbe unmittelbar ben jroeiteu ber bvitten aufdilofu
758
®ic religiöfe 5)3oefie;
e§, t)om (^lo’gcn abgefe^vt,
S07it Saft bev Sünben fic^ befd)tt)evt*3.
3n JRüctfidjt auf baä ©il^emnaa^ kfofgen bie öfteren ®id}ter, tnie
,^ilariu§, 2fmbrofiu§, '3^rubentiu§ , 33enantiu§ fyortunatuä , tneiftenS nod)
genau bie ©ruubfai^e ber antifen fIRetrif. üfber je mefir biefe ®ruub=
fö^e affgemeiu ucrgeffen raurbeu, je roeniger fte namentfidi bem 35offe
befauut tuaren, uub je raeuiger e§ beß^afb für @enauigfeit in biefem
5ßuufte Sinn l^aben founte, um fo jraedfofer luuftte ben ®id)tern bie
forgfdftige 3iücffid^t auf biefen in ber ©efe^rtenpoefie 'f)od) gemert^eten
3Sür5ug erfdieiueu: fie mar nur me!^r ein ^^inbernif^, bag u)efentfid)ere
ißorjüge, roie beu inneren ©el^aft, bie Dffic^tigfeit be§ 9fusbrude§, beu
Dfeim, bie Salbung, uub bie '^iopufarität ber ©ebic^te mel^rfai^ beeinträd^;
tigen tonnte, .statten ja fc^on bie römifcf)eu ®ramatifer bie metrif^en
©efelje mit großer fyrei^eit ge^anb^abt, uub biefefbeu oft abfid)tfi^
bei Seite gefelgt, um ifire bramatifc^eu iperfoueu me^r in bem 'Xone beg
tögfid)en 35erfe^r§ reben laffen gu föunen 369). ©§ mar fomit abermafg
nur oerftünbig, meuu bie religiöfe ifJoefie bie iJlücffid)t auf bie alten ©e=
feite ber Silbenmeffung nad) uub uac^ oollftänbig aufgab. ®aburd)
mürbe e§ jugfeicb möglid), bie 2trfi§ im ißerfe meifteug mit bem gemölm=
li^eu ilBortaccent jufammeufaflen ju laffen, mag abermalg bie 23raudfi=
barteit ber ©ebi^te mefeutlii^ erf)öf)te. biefer ißerüdfiditigung
beg SSortaccenteg bürfte ber ©ruiib liegen, mefe^alb man beftrebt mar,
bie ißerfe fo ju bilben, baff bag lefete Sßort eineg jeben brei ober mefir
Silben l^atte, bereu oorleiite furj märe: beuu l^ierburd) fäUt bie oorle^te
91rfig not^menbig mit bem äöortaccent jufammeu **). Ueberbieg gab ein
fold)er Sd)lu^ bem furjen 23erfe atic^ einen Dotieren .ftlaug.
491. Sinb ubrigeng, mie mir fagten, bie jambifi^eu ^pmnen be^
foubcrg jo^lreid), fo fömmt bod) feinegmegg feiten aud) troc^äifd^eg
35crgmaaf3 jur Slumenbuug. 5)er i^pmnug Ave maris stella, bie Se-
quenj Veni sancte Spiritus, fiub aübefannt; jener befielet aug oier-
*) 3Ui§ bem ,'öpmnu§ ber Sonntagsoesper Lucis creator optime, roetd^cn
(billige @rcgor bem @rofien juicbreiben, 2tubere bem f)cUigen 2tmbrofiu§. ®ie lieber^
fepung nad) @cf)(offer, Sb. 1. o. 34.
**) Vexilla Regis prodeunt,
Fulget Crucis rnysterium,
Qua vita mortem pertulit,
Et morte vitam protuUt.
3mmer lieb fidfi freitid) ba§ 'fSrincip uid)t burdifübren; roie in bem folgenben Serfe
beffeiben .^pmnu§:
Regnavit a ligno Deus;
aber biefer Ser§ ift in biefem .ppmnuS aucti bie einjige ülnänabme.
jiir (5I)aracteriftif i^reg inetviic[}cn ©i;ftemä.
759
^^ciligen etropf^en, beven jeber i>er§ acatalectifdi breifüipg ift; in ber
0equen,^ bilbcn ie fcdis nievfüßige cata(ectifd}e '-Berfe eine ©tropfe.
i>on bcjonberer ©d)önbeit i)t unter ben trod)ni)cben i^evfen ber
fnnf^cbnfitbige, and nd)t 'Jrod](ien gebilbet, aber catatectiic^, fo baft
bie jineite ©i(be be§ festen iynfn’d megfällt;
— U 'f, — \j — u, — u — — u — ;
bie Cateiner nannten if)n qimdratus, ineil er nier „Dietra" t)at, ober
Don ber ber uotlftanbigen »vüBc septenarius. ^ie Jlomifer 3>lantn§
nnb Jerenj ^aben niete ©eenen in bicfein ^erdmaa^c gebid)tet; fie er;
tauben ficb babei jebod) atte inögtidien iBertanfcbnngen fnrjer ©itben mit
tangen nnb nmgefebrt, fo baff man bad f).1tetrnm fanm erfennt, nnb
baffetbc mir in ben brei teilten ©itben (bem teilten catatectifdjen „ÜRetrum“ )
febed 'i^erfed beftimmt nnb rein beroortritt. 5ttd 33eifpiet mögen bie 'Jtn=
fangdnerfe eined 9}tonotogd bienen and bem fd)on crinät)ntcn ©türfe bed
©ereil, ^ „©ie ©dnniegermama" :
Neejueo mearum rerum initiuni iilluni invenire idoneuni,
ünde exordiar iiarrare, quae nee opinaiiti acciduiit,
Partim quae perspexi bis oculis, partim quae percepi auribus ;
Qua me propter exaiiimatum citius eduxi foras.
fS'iub’ id) bod) in meiner @efd)idite fniim mid) felber nod) .piredjt !
ilComit fang’ icf] au 511 erdibten, uhvS mid) fo betroffen maebt,
2Caö id) mit biefen 'Jtugen gefet)en, mit biefem Obe uernommen l)ab’,
Onp id) gaii5 nerftört mir eilig nud bem ©taube mid) gemaebt?*)
9lid)t ©iete biirften fid) unter ben Sefern biefed 33nd)ed finben, auf metdje
biefe nier 3^^^© namenttid) bie tateinifd)en , ben (riubmef rtjptbmifdb
gebauter ©erfe mad)en**); gan^ anberd nebmen fid) febenfatid bie fot=
genben ©eptenarc bed ©'rnbentiud and;
Fluminum lapsus et uiidae, litorum crepidines,
Imber, aestus, nix, pruina, silva et aura, nox, dies,
Omnibus te concelebrent saeculorum saeculis.
*) Terent. Hecyr. 3, ö. v. 1. scjq. 3^ie Ueberfepung nach 5^. ^aeob (Sßerlin
1845').
**) f/^d) roeib nid)t, ob irgenb ein (5H'lel)Vtcv ift, für ben bie ilerfe beg 'tilautug
nnb ieren; luirflidfe 2?erfe finb. ^d) meineg Crtg befenne, bafi meine Obren nidbt
bajit organifirt finb, Jamben, 100 ber 'Poet, fo oft er luill, nnb in jeber 3ebe
roenigideng brei= big oiermal, einen ©ponbeug, ©actptug, 9lnapä)'t, Sribrad)t)g für
einen Rambus braudfen borf, nnb luo eine 36ile halb aug 8 ober 12, halb aug 18,
20, 22 nnb mepr ©üben beftefien fann, non 'flrofa 511 unterfcf)ciben." iffiietanb,
„.^orajeng Priefe" ©. 573.
760
S)te veltgiö[e ^oefie;
(S'bb’ unb im 9Beüenf(^tage, unb ber ftunmimbraufte @tranb,
Stegen, ©c^nee, unb groft unb §ifee, £'uft nnb 3Batb unb Siac^t unb Jag,
©otlen preifen non 3o^)rf}unbert ju 3“^}'-'^unbert aüe bi^ *).
®ie§ i|t ba§ 33er§maa)5, roeic^em SSenantiuä ^ortunotuä ben oben
(©. 744 ff.) gegebenen §i)nmu§ auf ba§ ^eilige .ilreuj bicbtete; nur ba^
mau gegenroärtig jebeu ber brei laugen SSerfe, mel(^e jufammen bie ©tropfe
bilbeu, in groet i^'älften ju tbeilen, unb fie ju fi^reiben pflegt al§ ob e§
fec^g mären. (Ss läpt fid) bag o^ue Sluftanb biiri^ffiljren, roeil ber a<i)U
füfeige Serg um beu eg fiel) Rauheit, uad) bem uierten fyupe bie (?äfur
bat, alfo bie jmeite .^ölfte beg 5Berfeg ober ber fünfte immer mit
einem neuen 2Borte anfangen muB. SBenben mir bag umgefeljrte 35er=
fahren au, bureb raelcbeg aug je jroei iBerfen O^^iuer mirb, fo finbeu mir
ben ©eptenariug mehrfach bei neueren Sichtern;
3ft ber holbe Jenj erfchienen? hat bie (f'rbe fid) oerjüngt?
Sie befonnten .^üget grünen, nnb beg Gifeö Stinbe fpringt.
3lug ber ©tröme blauem ©piegel ladjt ber unberoölfte .B^ag,
SJtilber rochen Bephb’^g Bliigel, 3lugen treibt bag junge Steig.
Bn bem iBnin errondjen Sieber, unb bie ©reabe fprid)t :
Seine IBIumen fehren roieber, beine Jodper fehrct nidp** ***)).
©ber üierjeilig :
Stber aug ben golbnen ©aiten lodt Slpoll bie §annonic
Unb bag l)olbe SStaap ber Briten unb bie SOtadp ber SStelobie.
SOtit neunftimmigem ©efange fallen bie (Jnmönen ein;
Seife nad) beg Siebeg Älangc füget fid) ber ©tein jnm ©teilt
©ber jmeijeilig;
Sing ben SSolfen rnnp eg falten, aug ber ©ötter ©djooü, bag ®lüd,
Hub ber mädjtigfte oon aUen .Sierrfd)ern ift ber Slugenbtid f).
Unb auch in ber @egeumart finbet man ben Sferg noch fchön, melchen
rein hevgeftellt unb nad) feiner 2?ebeutung für bie Sprif juerft gemürbigt
ju haßen, mir moht uid)t mit Unred)t alg bag 'Berbienft ber lateinifchen
religiöfeu p5oefie betrad)ten:
*) Aurel. Prudent. Cathemerinon, n. 9: Hymnus omni liora, v. 112 sqq.
(Migne, Patrol. tom. 59. col. 875.)
**) @d)iller, jUage ber (Sereg.
***) ©filier, ®a§ Gteufifepe geft.
t) ©chiller, Sie Ghinft be§ Slugenbürfs. SJlan uergleidie bet bemfelben nod^
bie ©ebiepte; Sin bie J-reube; ©e£)nfu(ht; Ser "Pilgrim; Ser Jüngling am Sache;
Punfdhlieb („?luf ber Serge freien .Ipöhen") ; Gafjanbra.
jur (i^aracteriftif if}ve5 metrifi^en ®pftem§.
761
iVrembling, bcm bie illuitevlicbe .'öaib’ unb 3Jlooi‘ jum (fbcit inac^t,
©ag’, luo ift beb ilitibeö .'^etnmtl) bem fein 3Jhttteraug’ geladjt?
©ag’, 11)0 ]ud)t ein oaterlofeb Ätub bie l)olbe ,r:)eimatf)flur?
'Jiiimner auf ber foltcn (5rbe, über ©terueii loinft fie nur.
©oc^ bnb breite 5Qieer beb Vebenb brnuft bnjioifdien, railb entbrannt —
O mer tragt bab Ä'inb f}inüber in fein fetig .^einiatt)lnnb ! *)
biefer SBeife äuf^erlic^ geänbert, finb bie ©tropfen ©d)iUer§ unb
fßrillä non ben norljer angefüi)rlen bes ''^Hiibeutinä unb bes 3}enamiu§
^ortunatuS nur babiird) nod) üerfdiieben , bng fii^ in ben l'etpteren ber
^eim nid)t finbet, unb baf^ jebe ©tropfte immer ans brei Üferfen be=
[teftt, umftrenb biefeiben in ben „,1'iebern be§ ©ingfdtmand" jroeijetUg
l'inb, bei ©dftiUer jmei^eilig, oierjeilig, ober fedtsjeitig.
5(ber roaö ben dteim betrifft, fo brnditen anbere ©id)ter benfelben
nad) unb nadi nndi bei biefer ilersart in 3(nroenbung; balb blo^ am
©djlnffe ber Soerfe;
Ad perennis vitae fontein mens sitivit arida:
Claustra carnis praesto frangi clausa quaerit anima:
Gliscit, ambit, eluctatur exul frui patvia.
Dum pressuris ac aerumnis se gemit ohnoxiam,
Quam amisit dum deliquit contemplatur (jloriam,
Praesens maluni äuget boni perditi mQmoriam.
3tad) bcö eio’gen Vebend ©.nelle ledjjet meiner ©eele 33ranb,
©er gefang’ne @cift bnrd)bräclie gern bes Veibed engenb 33anb,
dtingt unb inüftet fieft nnb tiiinpfet nm’ö uerlorne ©aterlnnb.
©entjenb füfttt er fid) non Reiben, non Gntbeftrnng fcftiner gebrüdt,
31ct), nertoren bnrd) Oie ©iinbe ging ber QHanj ber iftn ge)d)mndt,
Unb fein Glenb jdiärft (Jrinn’rnng, inie er einft tnar ftod)beglüdt **) ;
balb in ber 'löeife, bnf? ber dteim fomoftl in ber 3Jiitte ber brei fßerfe,
nl§ am Gnbe berfelben fteroortritt;
Fange lingua glorios/ Corporis mxsteriHm,
Sanguinisque pretios/, quem in mundi pretium
Fructus ventris generös/, Rex eft'udit gentium.
Äünb’, 0 3""ge’, Oed nerflürten Aronleidjnamei tUtpfterinm,
Unb be§ IBlnttj, Oed ftodibeiniiftrten, bas ^ur iV'dtentfnnbignng
©ab bie A-rndjt bes nnneifcftrten i'cibs, ber ©ölfer ,f?eil nnb Dfnftm.
*) 33ri(t, ®er ©ingfi^TDan, VII. (eS. 140 f.)
**) B. Petri Damiani carmina sacra et preces, n. 226 ; De gloria paradisi.
(Migne, Patrol. tom. 145. col. 981.) ©ie Ueberfepung naeft ©tntrod, „Sauba
©ion" 0. 311.
762
5)ie religiöfe ipoefie;
!5}a[5 Xl^omaä oon Slquin bev 23erfaffev biefeg .'pijmiutg ift, brauchen roir
iro^I nic^t ju raiebev^okii ; bie Ueberjefeung ^aben roir bem SBerfe non
^c^iofjer entnommen.
iDiefe (elftere C?inrid}tung ber iJerfe, ber Oleim in ber iB7itte unb
am @nbe, führte um fo Ieid)ter baju, ba[^ man, roie roir fctjon ermähnten,
bie taugen ißerfe t^eitte, unb babur(^ bie uripvüngtid) bvei^eitige ©tropl^e
in eine fed)§5eitige nerroanbette. i)iad)bem aber in biejer 3Beife bie ein=
jetnen 3Serfe fürder geroorben, ergaben |ic^ leicht neue Kombinationen.
Kine fotd}e ift bie fei^g^^eitige ©tropfe in ber, abermatg non bem l^eitigen
^;i^omag gebic^teten ©eqnen^ für bag iyronteidinamgfeft:
Lauda Sion Salvatorem,
Lauda ducem et pastoreni,
In hymnis et canticis;
Quantum potes, tantum aude,
, Quia maior omni laude,
Nec laudare sufficis.
'f?reifc, ©ioit, bcinen Aübrer,
©einen iyeitanb nnb Ütegierer,
iÜtit @ebet nnb Vobgefang;
iL'Qg bu fannft, bng (off' erftingen,
©enn ibn mürbig 511 befingen
;3ft 511 fd)road) beg Siebeg Jltang.
©ie erfte i^älfte beg trod)äifd)en ©eptenariug erfc^eint ^ier jroeimat, bonn
erft folgt bie jroeite bjätfte, bie catalectifdbe. ©ie brei testen ©tropl^en
ber ©equenj finb roieber anberg gebitbet. ,3^ britttet^ten unb in ber
üorte^ten ge^en bem catatectifdien Serfe, ftatt jroei, brei acatotectifd^e
Dorang, unb in ber testen ©tropfe fogar nier; bie ^roei Krfteren finb
in 3mtge beffen ai^tjeitig, bie Setjtere je^njeitig;
Bone pastor, panis vere,
lesu nostri miserere;
Tu nos pasce, nos tuere,
Tu nos bona fac videre
In terra viventium.
Tu qui cuncta scis et vales,
Qui nos pascis hic mortales,
Tuos ibi commensales,
Cohaeredes et sodales
Fac sanctorum civium.
iSa^veg 33rob, fieb auf ung 3lrme,
@uter ©irte, bid) erbarme.
juv (ä^avacteriftit i^re§ metrifdjeu 0i)ftein§.
763
äi'eib’ uns, bivfl in beiue 3tnne
Un§, baf;! cinft lüir, frei uon i^')armc,
,'oet[ im Saab beö Veknö
bu [ieijft in unb Jöeitcn,
ioier im iobekf^nl bev l'ciben
9}?ilb un§ uieibeft, ju ben »^rcubcn
ÜTeiiieä 9JfaI)lä rooU’ nnö, jui* weiten
^Teiner .'Ociligen, bovt crljö'^n*).
®te ^Strop^eiibilbung be§ „:[!aitba ®ion" t^at aud) ^acopoiie ba Jobi
in feinem „©tabat 'ä)7ater" jur ^Imnenbung gebrad)t:
otanb bic SJhittev uoÜ uon 'fJciucn
3ln bem Äveitj, uevfciitt in äßeinen,
ißo ipi' 0obn in Onnlcn ping;
■^nvd) ipr .'oerje, [eibnmfnngcn,
Untev 'Äcnfjen, '-Jtngft nnb si^nngen,
tief bnö 'idjinevt bev ^d)mev5en ging**).
3(ber and] 0d]iüer f)nt roiebev ipren Sßert^ nnevfannt:
Äein 'Jlngnftifd) '^lltcv blübte,
Ä'cineö SJ^ebiciicrci @nic
Snd]clte bev bcntfd)en .S'nnft;
3ie roavb nid)t gepflegt Dom dtnbme,
viic entfaltete bie tb'lnmc
t)iid)t am 3tval]l bev Aüvftengnnft ***).
iJSteber 2Inbeve bilbeten bagegen nierjeilige ©tropben, in metdjcn
beim evften nnb bvitten ißerfe bie i))titte unb ba§ @nbe, ber jiueite unb
üierte bagegen untev fid) ben dteim haben f). @anj nad) biefem ©:)ftem
*) Sie Uebcrfepnng nad) ©d)Iof(er.
**) Sie Ueberiepung nad) 0tord. (2tnsgeniäf)lte ©ebid^te ;gacopone’§ ba Sobi;
beutl'd] Don 6. ©djlüter nnb 2B. ©tord. SRünfter 1864. ©. 128.)
***) ©dbitler, Sie bentfdbe tDiufe. — DJtan uergleid]c noep , Don bemfetben
Sidjtev: Sie Slntifen jn i|3art§ („3Bnb ber @ried]en Jl'nnft erfebaffen . .").
j) Adam vetus landein laetus
Novum promat aanticum;
FugUu’MS et cap^n’MS
Prodeat in publicum.
Eva luclum, vitae fructum
Virgo gaudens edidit :
Nec sxgillum propter illum
Castitatis per(?id/V.
Adami a S. Victore (f 1177) Sequentiae, n. 3: Dominica infra octavas Nati-
viiatis Domini, v. 5. sqq. (Migne, Patrol. tom. 196. col. 1432.)
Sie ©equenj beginnt mit ben SBorten Splendor Patris et ßgura. Sie
764
3)ie retigibfc ^Poefte;
i[t ber befannte §i)mnu§ be§ l^eUigen (Saftmir, Omni die die Mariae,
gebid^tet; ebenfo bie „freie ii^adibitbung" biefe§ §t)mmi§ bei ©d^Ioffer
(2. 0. 290):
0ie rerebre, baf^ Dom ^eere
0ie ber 0ünben bief) befrei’:
J'ap Dom Söfen bief) jit löfen
©nabe l)ülfreid) fetj.
9Iuf fie baue, i^r oertraue
Äinblid) ftet§ in aller 9totb;
©nabe finben für bie 0ünben
äöirb, loer il)r oertrant, bei ©ott.
Sbomag üou 6eIano enblii^ Idfit in feinem „®ie§ irae" ben cata=
lectifi^en 3Ser§ ganj roeg: feine breijeiügen 0tropben entftefien einfadb
bnrd) bie breimalige Söieberbolnng ber erften, acptfilbigen §dlfte be§
0eptenarin§ :
iCag ber Dftadje, iag doU Sangen,
Sdiauft bie Sßelt in ©lut ^ergangen,
2Öie ©ibptl’ unb ®aoib fangen.
äPeld)’ ©ntfepen roirb ba malten,
2Benn ber 9lid}ter tömmt, ju fd^alten,
©treng mit nn§ ©erid)t gu halten
492. 2®er ju urtbeilen cerftebt, ber roirb, möchte ich glauben, febon
auf ©runb ber roenigen in biefen jroei Dhimmern non un§ gegebenen
Slnbentungen un§ juftimmen , roenn roir ber 9tnficbt finb , ba^ bie üon
ben ?[Reiftern ber religiöfen i^oefie ben f^orberungen ihrer 9lufgabe ent;
fprecbenb gefd)affenen metrif^en ©pfteme, als ein ©rjeugniff be§ ©eifteS
unb be§ ©efi^macfeS anerfannt roerben müffen, ba§ an äftbetifebem Söertbe
ben ©pftemen ber antifen ?07etrif in feiner Sßeife nadbftebt. ©elbft 6ar=
riere fpriebt fiep imDerboblen ganj in biefem ©inne au§. ©r fiebt, unb
mit uollein fÄedbt, in biefer Söeife ju biebten „einen neuen Sirieb au§ bem
^f^erjen ber lateinifcben ©prai^e bft‘du§". „Ober", fährt er fort, „täufebt
©tropben finb febr ungteidjartig ; oon Dorjüglidjer ®d;önbett ift bie lepte, ganj in
ber Slteife be§ „Sauba ©ion" unb „©tabat DJlnter" gebaut:
Quos sub umbra Sacramenti,
lesu pascis in praesenti,
Tuo vultu satia;
Splendor Patri coaeterne,
Nos hinc transfer ad Paternae
Claritatis gaudia.
*) ©imrod, Pauba ©ion, ©. 333.
jiiv @I)avactcriftif i^re§ mctvifd^eu ©pftemg.
765
mid) meine i'ovüebe für biefe :?)id)tungen , menn id) behaupte, bafs biefe
Obeimroetfe unb accentuirenbe i>Ujntbmif bem Latein nid^t mtnbev
angemeflen fep*), n(g iene au§ bem @rted)iic^en entie^nte qiumtU
tivenbc gönn be§ ^'^evametevS nnb ber Cbe, bnrd) bie SSircgU, i^Jroperj,
.noraj, bie Ännftbidjtnng be§ 5Utevti)um§ oüüenbeten? bev Sd)vitt
nom ülationairömil’cben jn biefen innficaUidj empiinbnngäooKen Jteimen
gröpev, nt§ eä ber ^divitt jn jener 9lfit)ti)menp(aftif mnr? 3^
ben mittelaitertidjen Weijtermerfen nid}tä grembeä, ®emad)teg; id^
mie bie qnellenbe ^Jriebfraft oon innen beran§ bie neue gönn erroadjjen
iäjjt. ift bie mnjicalijdie ^eele ber Sadje, e§ i[t bie
(J'inpfinbnng bie jid) feiber fingt:
0 sanctissima,
0 piissima,
Dulcis Virgo Maria!
ülater amata,
Intemerata,
Ora, ora pro nobis !
über :
Ut axe sunt serena
Nocturna sidera,
Ut verna sunt amoena
In canipis lilia:
Sic, Virgo, claritatis
Es tiore fulgida,
Sic, Mater, caritatis
Es rore limpida“ ** ***)).
Tu ,nodd)ciligc,
3mmcr gungfrnuiidie,
@nabenreid}e, iOiaria !
iOiuttcr, nerebrte,
3tct§ unnerfebrte,
i^ittc, bitt’ für unb Ülrmc !
3t.'ic bell nm .nimmclbbogcn
Tic Sterne nnd)tig (jtüb’u,
3m 'DJIaienftrnf)i erjogen
Tie idtieu prnd)tig btübn;
*) Soll mir unterftricben.
**) Gavriere, Sb. 3. 3l5tf). 2. $• 264. (Gil. 339.)
***) Jbeilb nach S<J;[oiier, tl}eit§ nad) Simrod.
766
®ie veligiöfe 'Poefie;
©0, 3)iagb, ift beinern ®i(be
Ter 5ßlürt)e ®lati3 erlaucht,
00, 9}iutter, bift bu milbe
Ton @fite gnnj burc^^au(^t *j.
i^-veiUd), roer nur ben (5(aificigmu§ nerfte^t unb nid^t aud^ ben ®ei[t
ber vetigiöfen fünfte, ber rcirb bie bem 2Bortaccent 3ited§nung tragenbe
‘üJdetrif immer für eine ^Barbarei galten, unb mag, fagen mir mit bem
oerbienten b^erauggeber ber tateinifc^en §i:)muen be§ ?[>dittetatter§ , „biefe
befct)ränfte unb unri(^tige ©(^utmeinung für fidt) tiaben" **). Un§ roirb
mau bafür ertaubeu, ^ier fc^Ueßü^ noc^ brei ©tropl^eu folgen gu taffen
au§ bem nnoergteidüii^en ©rabgefange bed i|}rubentiu§, an roetdfiem aud^
ber feinfübligfte (^taffieiämuä feinen JInftoB uetjineu fann, oon beffen £ob
alte ^ritif ootl ift, uub oon bem einft i^erber fdt)rieb, e§ roerbe „fd^n3erti(^
femanb fepn, ber bei bemfetben uid)t fein ^^erg non rü^renben Tönen
ergriffen füllte" ***). Ter ©efang !^at 43 ©trop’^en, febe gu uier ißerfen,
mellte anapöftifd} unb alte oon gteid^er Jänge finbf).
Quidnam sibi saxa cavata,
Quid pulchra volunt monumenta,
Nisi quod res creditur illis
Non mortua, sed data somno?
lam moesta quiesce querela,
Lacrimas suspendite matres;
Nullus sua pignora plangat:
Mors haec reparatio vitae est.
Sic semina sicca virescunt
lam mortua, iamque sepulta:
Quae reddita caespite ab imo,
Veteres meditantur aristas.
*) Simroef, Sauba ©ton, ®. 251.
**) iUtone, 58b. 1. ®. X.
***) Berber, 58b. 7. 0. 248. (dit. 737.)
t) ®a§ ÜJtetnim ift
u u — u u — , u o — u ,
bev fogenannte versus paroemiacus , ober dimeter anapaesticus catalecticus in
syllabam. Tie Ueber)dE»rift ber Tic^tung lautet: „Hymnus circa exequias de-
functi“, Cathemerinon n. 10; ber erfte 9?er§:
Deus, ignee, fons animarum;
ßiott, fgeuriger, Urquell ber Seelen.
(Migne, Patrol. tom. 59. col. 875. sqq.)
Sie brei Stropfien roelcbe toir hier geben, finb bie 13., 30. unb 31., v. 53 — 56
unb V. 117 — 124.
(irjeugnifje in ungcbuubencv iTJebefonn.
767
3,1'aö fagt uu'b bie @ruft bort im
SimQ fünbet baö i)crriidjc 5^enfmal?
'2afi baö i)3fanb )o ttjiieit üevtvnut roarb,
3iid)t bcm Xobe üevfiel, ba^; c§ fdiläft nur.
00 fd)roctge beim, ivauer unb Ä'lagc,
00 trodnct bie Jl)ränen, il)r SJHitter;
Tie er liebte, ioll uiemnnb beraeinen:
2£'ir ftevben ja mir um ^:^u leben.
Tief jet?t in ber OTbe geborgen,
(^h'ünt neu bas nertroduete 0natforn ;
(F'inft l)od) auf bem ,'nalme oerjüngt eö
Tos t>3ilb ber frül)eren i}lel}rc.
4.
5(fiöpfungen ber refigiöfen ^oeßc in ungebunbener Stcbcform.
493. Tie 'C-berflädjUdjfeit ber 'OJfenge, fagt ‘'ilriftoteleä , biubet ben
ißegriff ber T'OfHc einfnd) nn ben metrifdfen fRl)i)tl)muä ; unb „tuenn banun
femaub ein Tbeina au§ ber .S^eithinbe ober ans ber 9Iatnru)i)fenf(^aft in
SSerfen entmictelt, fo nennt fte ibn fofort einen Tii^ter. 5lber ,^omer
nnb @mpebocle§ *) l)aben mit einnnber nid)tä gemein, als eben bie 5(rt
i^rer Tferfe: unb jener l^eifit mit flied)t ein Tid)ter, biefer l^ingegen ift
üielmebr al§ ’Dlatnrp^ilofop^, beim alä Tidjter jn bejeidjuen'' ** ***)). „flJtnn
meint," l)ei[it es in bemfelben 0inne in fvcnftonä jioeitem Tialoge über
bie blödere 33erebtfaml'eit, „man märe ein Tiditer, menn man in gebnm
bener Dbebeform etroa§ oorgetragen ober gefd)rieben !^at. ?lber oiele l'eute
mad)en 2>erfe ol)ne 'jooefie, nnb oiele onbere finb ooll if.'oe)ie, ol)iie baft
fie Tberfe moc^en" SBie ^iernad) feine§meg§ überall bort ij?oefie ift
mo fid) ber iBerS jeigt, fo liegt anberfeits in bem fKln)tl)mu§ rool)l ein
ber Dlufgabe ber '^'oefie überaus entfprec^enbeg , fe'^r mirffameö DJJittel
biefer nnft , aber nid)t ein mefentli^es (^^•tement i^rer 0d)öpfnngen.
9lud^ bie nngebnnbene iKebeform bann bem Tidjter genügen, auf ba§
©efü'^l mnd)tig ju mirfen, menn er fie mir ,^n l)anbt)nben, inSbefonbeve
ibr (fnpbonie nnb ?hmteru§ 511 geben oerfteljt.
Tiefer ©ebanfe ronrbe bereitg frülier an§gefprod)en ; mir mnpten
l)ier auf benfelben jnrücffommen, bamit bnrd) bie längere ©rörternng über
*) 6in berühmter ^bilofopb ber ©d;ule bes 'llt)tbagorn§ , ^evfnffer eine§
in .'perametevn gefrfn'iebcnen UBevfes über ba§ 'ffleltall.
**) Arist. de arte poet. ed. Buhle cap. 2. vulg. 1. n. ö.
***) Fenelon, p. 54. (6it. 355.)
768
T)ie religiöfe ipoefie;
bie r^i)tljmtfd)en £i)[teme niemanb üerleitet iDÜrbe, ju überfeinen, ba^ bte
religiöfe ifJoefie in ni(^t roenigen (Srjengniffen roelcne be§ ®erfe§ entbenren,
nidjt minber groB erfd^eint, .,alä in ben freilicn janireicneren rnBtnmifdjen
@ebid)ten. ©rjeugniffe biefer 2(rt finben fic^ nietfad) in ben liturgifd)en
iBüi^ern: bie „^mproperien" am (äljarfreitag, bie ©equenj für bag Öfters
feft („ißicthnae pafd)aU lanbeS"), ba§ „5e ®eum", bie if3räfationen be§
?07ePnd)e§, nnb analoge ©efänge bes i^ontificale, foroie niele Dtefponforien
unb mandje '^tntipnonen be§ 23reüierg, finb nid)t etroa blofi al§ gelungene
@ebcte ^n betradüen, fonbern als iföerfe ber religiöfen ifßoefie im noHen
Oinne be§ 2Borte§. .SSeroeifen fönnen mir bag nid)t beffer, alg inbem mir
jinei ©tüde in beutfdjer Ueberfet^ung l)ier folgen laffen, — in roeldjer bie
©diönneit bes Originalg roieberjugeben, freilich faft nod} unmöglicner ifl,
alg eg bei ber metrifdjen llebertragung oon iJ?erfen ber fyall ju fepn pflegt.
Oer 5 2 ft g e f 0 n g ^ u r 2B e i b e ber O ft e r f e r 3 e.
rOas „Gr ultet".)
Oie liturgifcbe J-eiev incldje gegeiiroaetig am iBonnittage be§ Gbarfcnugtagä
gehalten roirb , fanb ebcmalS am Slbenbe biefeä Oageä ftatt. Sie beginnt mit ber
0egnnng bcä neuen ^euerS, nnb ber fünf jur Einfügung in bie Ofterferje bcftimmten
2Beit)raud;förner; hieran fdjliebt fid; ber Giitäug be§ (5Iern§ in bie jtircbe, bie SOBeibe
ber Oftcrterje, bie sroötf i|3ropbctien, bie 2Beibe be§ OaufToafferS mit ber Sitanei,
ba§ .pod^amt mit ber tnräen 2Se§per. 3" bifdböflicben Äirdien mürben, roie im
fateran jn IRom nod) jept, na(b ber SBeibe be§ Oanfroafferg aucb nodb bie @acra=
mente ber Oaufe unb ber jyirmung gefpcnbet, unb roät)renb be§ erften Obeileä be§
pod;amte§ überbie§ bie Oonfur, bie oier nicberen unb bie brei t)öberen SBeiben
ertf)cilt. 2o naf)m bie ganje gder lcid;t fe(^§ big fieben ©tunben in 2tnfprncb,
unb bauerte, roenn man bamit um bie beg ©onnenuntergangeg begann, big
tief in bie Dtacpt pinein. Oag entfprad; ganj iprem ©eifte nnb iprer Seftimmung;
beim fie ift iprem ganjen SSefen nad; nidjt etroa eine ber dtnpe beg p)errn im
@rabe , fonbern bie freier feiner 3tufcrftepnng , bie fidj fa eben in ber dladjt uor
bem Ofterfonntage ooUjog, opne baf3 irgenb ein dRenfd) berfelben geroefen
roare. Oie bejeicpnete ©eroopnpeit beftnnb, roie fid; aug 3mgniffen bei Oertuüian,
.pieromjmug, Salfamon, Ouranbug, ergibt, roäprenb beg ganjen erften ^oprtaufenbö
unferer 3^itrecpnnng, unb erpielt fid; in einigen ^tirdpen big in bag 14. ober 15. 3apr=
pnnbert; in anberen patte man inbep fd}on rodprenb beg 12. ^“^rpnnbertg ange=
fangen, bie geier früper ooräunepmen *).
Oiefe Itmftänbe mn^ man Dor ätugen paben, um bie folgenbe Sidptung, bag
,,(ärultet", ridjtig aufjnfaffen. Oaffelbe bitbet ben ©efang, burd; roetdpen ber Oiacon
bie JSeipe ber Ofterferje uoUjiept; eg ift ein ppmnug ber bie Slnferftepnng beg @r=
löferg nerperrlidjt. Oie Ofterferje ift nad; Ouranbug ein ©pmbot beg Griöferg,
nnb fotl äugteid) an bie ©aute ang JBolfen unb aug geuer erinnern, in roetdper ber
perr — ber ©opn ©otteg — in ber ®üfte feinem nngerroäptten 33otfe fidptbar oor;
*) 'lta(p iBenebict XIV. , De festis D. N. lesu Christi et B. Mariae V.
libr. 1. c. 8. n. 2.
(Srjeugnill'e in imgebunbencr SRebeform.
769
Qit.^og *). Der ißerfafi'er be§ ^i)mnu§ ift iinbefannt; narf} SDiartenc imb 33ene;
bict XIV. roäre e§ inafirfc^eintid^ bcr ^eilige 3Iuguftin **).
(®er ®iacon.) 'JiuTjubeln foEen jel^t im §tmmel btc Gfiöre ber @mjel ; auf;
iubeln bie ®el)eimniffe'@otte§; unb bie 0tege§polaune ertönen ob be§ Driump^eä,
ben ber geronttige Äönig errungen, ^i'^uen [oE and) bie @rbe fidj in ben
Straften fo t)errlidicn .['id)te§; unb erleud)tet oon bem ©tauje be§ Jl'önig§ ber
©roigfeit fü^te [ie, bn[^ non E)r bie ‘iS'infteruif? be§ SöeltaEä gemidjen. iDiit
it)r frd^Iocfe jugteid) unfere S07utter, bie 5bird)e, burd) biefeö Sid)te§ e’tra()(eu
Derflnrt; ba[? roieber^nEen biefe Eöäume oon bem 3‘HtE}jeu be§ 3]oIfe§. 3^)1"
bnrum, geliebtefte JÖrüber, bie E;r munbcrbnren Ä'tarfjeit biefe§
Si(^te§, rufet an mit mir bie 23armt)erjigfeit @otte§ ; bag @r, ber nidjt meinet
3Serbienfte§ roegen auö @nnbe mid) beigefeEt ber ©djaar ber Seniten, fein Vid)t
über midj nuSgiefje, unb mir oer(eit)e, raürbig biefe§ Ofterlidjt ju befiugeu.
5^ur^ Sefuni (Sfjriftum unfern ,'perrn, feinen @ot)n, ber mit ;3I)m lebt unb
regiert in 6'inigfeit be§ l)eiligen ©eifteä @ott, oon (Sroigt'eit 511 ©roigfeit.
(®er (5t)or.) 5lmen.
(Xer Xiacon.) Xer iperr mit eud).
(Xer (Äl)or.) iEud) mit beinern ©eifte.
(Xer Xiacon.) Xa§ Xierj nad) oben!
(Xer Ü'f)or.) tSs ift bei bem §errn.
(Xef Xiacon.) Xanf laffet un§ fingen bem !Qcrrn nnferm ©ott.
(Xer (St)or.) STnirbig ift’d unb gered)t.
(Xer Xiacon.) .3'^ 2i>al)rl)cit unirbig ift’ö unb geredet, bem nnfidjtbaren
©Ott nnb aümäd)tigen Sfater, nnb feinem eingebornen Xoljne, nnferem i^errn
3efu§ (5l;riftu§, amS aller Ä'raft be§ fberjenS unb Sinnes mit uoEer Stimme
311 fingen. Xenn (Sr ^t für nnS bem eiuigen 3Sater bie Sebulb 5lbamS ge;
3al)lt, unb in unenb(id)er Siebe bie Sc()ulbfd)rift auSgelöfd)t mit feinem S3lute.
.feilte eben ift ja baS Ofterfeft, ba gefd)lad)tet mirb baS mal)re Snmm , beffen
®lut bie Xl}ürpfoften ber ©laubigen l)eiligt. XieS ift bie D^adjt, in rceldjer
Xu einft unfere Xnter, fsfraelS fbinber, bie Xu l)crnuSgcfül)rt auS ülegppten,
burdj baS rotl)e 937eer 3iel)en liefeeft troefenen JujfeS. Hub bnrum ift e§ bie
Oiad)t, roelcbe bie fyi'ifternif! ber Sünbe burd) baS Seud)ten ber Söule »er;
f(^eud)t bat. Xieö ift bie '3tnd)t, meldje l)c'ut nllübcratt auf ber (Srbe 3lEe bie
glauben an (fbriftuS, fd)eibet oon ben Saftern ber Jßelt nnb bem Xunfel ber
Sünbe, um fie roieber5ngeben ber ©nabe, bem (heiligen fie 31t oereinen. XicS
ift bie Dincbt, in meld)er (5l)viftnS bie ffieffeln beS XobeS 3crbrad), unb als
Sieger aufftieg nuS bem Sanbe ber Xobten. 3tid)tS ja half eS nnS, geboren
311 feijn, märe nid)t unS Öülfe geroorben burd) bie (Srlöfung. O )ounberbar
gnübigeS JBnlten über unS XeineS (SrbarmenS! X unerfafEidfe ,ünilb Xciner
Siebe! ben Jb'ned)t 311 erlöfen, l)aft ben Sol)n bu geopfert! O gerobe3n nneut;
bel)rlid)e Sünbe beS 3lbam, bie burd) (Sl)rifti Sterben gefüljnt toarb ! O glüd;
licf)e Sdfulb, rceldje f^'l)n, ben ijerrlidjen , 311m ©rlöfer 31t l)oben oerbiente!
*) Durand. Rat. Div. Officior. 6. cap. 80.
**) SScnebict XIV. a. a. O. n. 59.
5(ungmann, 3tei‘tf)etif. 2. Slufl.
49
770
®te religiöfe *)3oefie;
O in 2i>a^rf)eit felige Diac^t, bie allein eö roevt^ mar, bie 3eit unb bie ©tunbe
ju fennen, ba (5!§riftn§ erftanb au§ bem @rabe! @ie ift e§ non roelc^er ge;
fi^rieben [te^t: „Unb e§ inirb, glänjen non Sic^t mie ber 3D7ittag bie 97a(^t",
„unb bie 3?ad}t ift ba§ ilic^t mir in meiner SBonne". ®iefer Stacht ^eiligenbe
Äraft barum mad)t fließen bie ilafter, n)äfd)t bie ©ünben tiinroeg; fie gibt bie
Unfc^utb ben ©efattenen roieber, unb ben betrübten bie greube. f^Iie^en mad)t
fie ben §af;, fü^rt bie @intrad)t jnrüd, unb beugt bie ©eroaltigen nieber.
(,§ier roerben rom ®iacon bie nortier gefcgneten fünf S!Beit)raucbförner in
Äreugform ber Ofterterje ange£)eftet; bann fingt berfelbe roeiter.)
(f-ür biefe 3iad)t beim jum Janfe nimm an, Zeitiger ®ater, bie§ 5lbenb;
Opfer mit 29eit)raud), in ber feiertidjen 2öeit)e biefer gadet, roeli^e, anö bem
©rjeugni^ ber Öienen, burd) bie 5panb i()rer T'iaconen bie ^eilige Ä'irc^e bir
barbringt. jT'od) mir nerna^men fd)on biefer Sidfitföule ifSreig; fo entgünbe fie
beim 5ur ißer^errtid)img (Sotteö goIbfarbene§ geuer.
('fßaufe, inbe^ ber ©iacoii an einer ber brei Äerjen bie er beim (Sinjug in bie
Äird)e trug, bie Ofterferje anjünbet.)
Unb ob and) i^re (flamme nad) ben uerfd)iebenften ©eiten an§fpenbet it|r 2id)t,
fie erleibet bod) feinen Ißerluft burd) bad ma§ fie abgibt. ®enn fie finbet il§re
Dta^rung in bem ©c^meljen beä 2Öac^fe§, ba§ al§ ben ©toff biefer l)od)mertl)en
ffad'el feine fOhitter, bie 23iene, erjengt l)at.
(d'aufe; e§ roerben oon bem Sichte ber Ofterter^e in ber Äirdie bie "fiampen
angejünbet. G^gen 9tbenb mit ber ffeier begann, muften
bereu offenbar oiele fepn.)
O in 2t>a^rl)eit felige 9ead)t, melc^e ülcgppten bie Ißente entriß, um reid)
311 mad)en bn§ i'olf ber Hebräer! Dfadit, in ber mit ber @rbe ber c^immel
fid) eint, nnb mas göttlid) ift, mit ber iöfetifdfl^eit ! ©0 beten mir benn,
0 §err, baft biefe ffadel, ju ®eine§ Dcamend (fl)re gemeil)t, uimergänglicf) fort;
lencl)te, baä Siinfel biefer 3fad)t 311 5crftrenen. f'nff’ fie gefallen !©ir als mo^l;
riedjenbeä Opfer, unb fid) mifdien mit ben ifend)ten bort oben. Saff bem
307orgcnfterne nod) il)re ©tral)ten begegnen ; fenein fOforgenftern ber feinen
Untergang fennt; micbergefe^rt niid bem Sanbe ber iobten, in
freunblid)er fltart)eit ber 3Jienfd)^eit ergläii3t ift. Oefj^alb flehen, iO^rr, mir
3u Oir, Olt molteft nn§ Oeine Oiener, unb ben gefammten 6leru§ unb ba§
Oir ergebene 2,'olf, gemeinfam mit nuferem erl)abenen 'ffapfte 3L unb unferem
tBifd)of dl., inbem On im§ ruhige Bitten gemät)reft, mäl)renb ber ‘ffreubentage
biefer Ofterfeier unter Oeinem gnnbigen ©cfiutje o^ne Unterlap leiten, erhalten
unb fd)irmcn. 3uSl£id) and) fd)nu’ in @nabe Ijerab auf unfern Oir ergebenen
flaifert)L ; Ou feniift fcincä .^ei^ene 33erlangen; Derlei^’ i^m bie fRu^e baueni;
ben ffriebenö, nnb ben ©ieg für bn§ emige Veben mit all feinem fßolfe *).
*) ®iefer ganje ©ap bejiept fidb auSfcblieflicb auf ben el)emaligen Jlaifer „be§
Zeitigen 3fiiimifd)en 3teidie§ ®eutf^er iltation". ®a e§ einen ©old^cn feit bem
180G iü(^t mef)r gibt, fo roirb feitbem ber ©ap nid^t gefungen.
3n ber beutfeben 3tu§gabe bes oor3üglid)en SBcrfeS oon ®om ©ubranger,
„®a§ £irdbf'd“br"i ®b. 6. ©. 626, roirb bemerft, ber erroäbnte ©ap roerbe „nur
Gvjeitgnilie in ungebunbener iRebcform. ®ie profane i|3oefie.
771
®urd) benfelben unfern §evrn 3efu§ (Jf)ri[tu§, deinen 'Sol)ii, ber mit Sir lebt
unb regiert in (S'inigfeit be§ I)eiligen @eifte§ @ott, non ©migfeit ju (Sroigfeit.
(5^er 6^or.) 5lmen 370).
@ r n b g e 1 a n g.
(Ütacb bein .g)0(bamte, Dor ber 23eftattung ber Seiche.)
(“Jer 61)or.) 9iette mid), .^err, nor bem einigen Xobe, an jenem fdjred;
Iid)en 2:age, ba bie §immet müffen erfdjüttert roerben nnb bie (Srbe, inbe§
()eran 3)n jiclfft, @erid)t ber 2Öett ju tjniten in fffener.
(iTie ißorfänger. ) 3dternb ftet)’ id) unb angftooll, inbeg bie Unterfndnmg
fid) nnl)t, nnb ber fommenbe
('3^er (fbor. ) ba bie .jbimmel müfjen erjd)üttert roerben unb bie @rbe.
(Tie Torfänger.) 3«'^cr Tag, ber Tag be§ ift er, bes Terber;
ben§ nnb bes ein Tag fo grofi, ber fBitterfeit fo nod:
(Ter (Jl)or. ) inbef; f)crnn Tu sief)ft, @erid)t ber Sßett jn f}a(ten in jvener.
(Tie Torfnnger.) Tie einige fRnl)e gib il)nen, ,r;ierr, unb bas einige i'id^t
laff if}uen [endjteii.
(Ter (iI)or.) fRette mid), .Cperr, nor bem einigen Tobe, an jenem jd)red;
lid)en Tage, ba bie ,'pimmel müjjen erjdjüttert roerben unb bie (5rbe, iiibeß
Ijeran Tu jietift, ©eridit ber 25?dt ju batten in geuer 371).
(?'ine lleberje^uiig ber nortfer erronbnteu ©equenj für ba§ Ofterfeft,
mit jReimen, unb grö^tentt)eitö and) rbi)tt)mijd), gibt ©imroef in „Sauba
©ion", ©. 183.
piiftc^ tapitcL
Die rinile uub bie l)eboiiifd)e |)oe|ie.
I.
Tie brei ©attnngen ber profanen Toefi^ ^ bie epifdje, bie tprifdje, bie bibactifdie.
Tie äöerfe ber üfelitereii geboren ber ciniten T'Offie an ; epifdie unb Iprifd)e
TidRniigeii bagegen liefert foroobl bie bebonifdje T'oefie als bie cinile. Tleifpiete.
494. ^ie Tefinitionen ber ciniten foinobt al§ ber bebonifdfen fjJoefie
mürben oben (©. 704) gegeben, nnb eä ift nidjt nötbig, baf) mir fie
hier roieberbolen. ®a non ben illRittetn ber fpoefie gleid)fatlö (im britten
Kapitel) bereits bie dlebe mar, nnb mir bie j^reibeit in ber ©rfinbnng
in ben jii”' Ä'aiferftaate Oefterreicb gebörigen Säubern" gefnngen. ®a§ ift ein
tbnm. 2lud; bie ütngabe auf ©. 532 beffelben 5Berfe§, bejüglid) ber Tration am
Gbarfreitag , ift nnridjtig. 3'^ Oefterreicb roirb im „ßrnltet" lebiglid;, nach bem
iRamen be§ SifibofS, ber Tarne be§ ÄaiferS eingefebattet, nnb am (Sborfreitag, ftatt
ber ebemalS für ben Raifer non ®entfc[;Ianb beftiinmten Oration, eine anbere ge=
fnngen: SeibeS traft eines ^prioilcginmg uom (5abre 1860.
49*
772
Sie cioile unb btc ^ebonifd^e ißoefie.
be§ ©toffeS, foroie bie 9tücfit(j^ten roetdje habet einju^atten jinb, f(^on im
fiebenten SlbfcbTtitt bel^anbeft ^aben, fo bleibt un§ an biefer ©tette roenig
23efonbere§ ju jagen übrig.»
3Son ben nerjc^iebenen Strten non Sichtungen roetdie bie ij5oetif al§ @r;
jengnijfe i^rer .l^unft aufjuführen pflegt, jinb bie norjügüi^jten etroa bieje:
ba§ @po§ ober bie ©popöe ober ba§ §elbengebi(^t; bie ißallabe, bie
iRomanje, bie ßegenbe; bie ^bpffe ober ©ftoge; bie poetijdhe ©rjäh^in^S'
ber iRoman;
bie Obe, bie (älegie, ba§ Sieb;
bo§ bibactijdhe @ebid)t; bie ©atire; bie ^jtarabel; bie j^^abet; ba§
(Epigramm.
Sie jieben juerjt aufgeführten Strten gehören ber „epijchen" ißoejie an;
bie Obe, bie (ätegie unb ba§ Sieb ber „Iprijchen", unb bie an britter
©teile genannten ber „bibactijchen" ijJoejie. Sieje ©intheilung ber 5j3oejie
ijt befanntli(h bie geroöhnlichfte; bejonberen Söerth h^it jie üietfeicht nicht:
roenigjtenS gibt es Sßerfe ber ^oejie, bejügtidh beren eS, ben in ber
^oetif he^^tj<h^nben 5ßejtimmungen gegenüber, jchraer jepn fann ju ent=
jcbeiben, roelcher ©attung jie gujumeijen jepen.
Sie 2Berfe ber epij^en ijSoejie jinb objectio erjühtenber iRatur:
jie jtetten ©rjcheinungen auS bem menjchliihen Seben bar, — jep eS eine
größere ©ejammtheit einheitlich jufammenhangenber Shaten unb ©reignijje,
jep eS nur eine einzelne, — roetche jid) an eine bejtimmte inbioibuette
'■jJerjon fnüpfen. Sie Iprijchc ißoejie hat ihren iRamen oon ber Spra,
bem ^njtrumente, mit roetchem ber ©ejang ber ©ebiihte begleitet mürbe;
fie rairb audh bie „melijche“ i]3oejie genannt, baS hci§t ber SSortbebeutung
nach, öie „SieberbidjtungSfunjt" baS Sieb). SaS Sßejen biejer
©attung pflegt bie ijSoetif baburih ju characterijiren, bap jie lehrt, in
bem tprijd)en ©rgeugnijje gebe ber Sid^ter feiner eigenen jiibjectioen
©timmung üluSbrud, jpreche er bie ©efüljle auS roelihe, bejtimmten
©rjcheinungen auS bem menjchüchen Seben gegenüber, fein ©emüth bemegen.
©ben jo roenig alS id) bieje ©ejtimmung unrichtig nennen roitl, fann ich
lagen, baj; mich biejelbe ganj befriebigt; mandjen Iprijchen Sichtungen
gegenüber bürfte jie faum recht paffen rootlen. SBiedeicht mürbe ber
Segrijj ooUfommen genügenb bejtimmt, roenn man bIo§ jagte, Iprijch
jepen ade jene Söerfe ber ijSoejie, roelche roeber als epijch noch alS
bibactijch gelten fönnen. Sie bibactijche i]}oejie nämlidh fa^t ©r=
icheinungen ouS bem menjchlichen Seben inS 31uge, roelche jilh nicht an
eine bejtimmte einzelne i]3erjon fnüpfen, jonbern an bie gejammte dRejtj^;
heit ober an einen gröjteren Sheil berjelben, unb führt biejen ©rjcheinungen
gegenüber bie adgemeinen theoretijchen ober practijd)en Sföahrheiten ouS,
511 benen biejelben in bejonberer 33ejiehung jtehen.
Sie Seijtungen biejer ©attung, ber bibactijchen, bürften inSgejammt
®ie ciüile unb bie !^eboni)c§e ^ßocfie.
773
ber ciüiten '^oefie jujuroeifen fei)n. föpifcbe unb Iprifi^e Söerfe bagegen
liefert bie fiebonifdie ^oefie forootit atg bie cinile. 2tn§ ben (J'rjeugniffen
ber (?rfteren 23eifpiele angnfüt)ren, ift ino^t nidjt nötl^ig.
3tl§ ein ber einilen i)]oefie angeprenbeä (5poä i[t Sirgitd 5teneibe
ju betradjten: fie ner’^errtidjt ben ©taimnnater ber ©rünber 9tomd, nnb
ber f^mnilie be§ ,3iitin§ (Jäfar nnb beä 9Xngu[tu§. ^prifdje ©ebidjte non
cinilem 6t;aracter finb bei i^oraj bie nierjebnte Obe be§ erften, bie fünfte
nnb fedjgte bes britten 93nd)e§, bie fiebente nnb bie feti^jet)nte ©pobe*),
nnb bas „©armen faecntare" **). Söeniger frnd)tbar, nt§ im Stttertbnm
unb befonberä in ©ried^entanb jur ’^^erferfriege unb uor ben;
felben, ift bie cinile ipoefie, namentlid) tnenn man non ber bibactifc^en
3tid)tung abfietjt, in ber neueren f^eit; bie bnrd)greifenbe ä^erfdjiebenbeit
ber ©taatänerfnffnngen nnb be§ gefammten politifdjen .Öebenä erflürt ba§
jnr ©ienüge. 5ß)n§ fie nbrigenä und} nor jinei iHtenfc^enaltern, in ben
Oagen ber ^-reUjeitsfärnpfe , auf bem ©ebiete ber Sprit fdmf, bas ift
gro^enttjeilS and) !^eute nod) nid)t nergeffen: ÄörnerS feurige ÄriegS;
lieber, bie patriotifdfen non "j}Jar nnn @d)enfenborf, bie SßaterlanbS; nnb
fyreit)eitSlieber non ©rnft Morit^ 3trnbt, bie „ge^arnifd)ten Sonette" non
griebrid) Dtücfert, nnb äl)nlid)e JÖerfe betneifen, baf) ber begriff ber
cinilen ^oefie ineber eine '{S'iction ift, nod) jn jenen get)ort, rceld)e man
mir non Seiftungen beS 3ntertt)iimS abftrabiren fann.
II.
Oie 3lcftl)etit foioobl als bie Obeorie ber 'jJoefie iniberfpricbt fid) fclber, roeim fie
bie brnmntifdie Jlunft glcid)fnES nlS eine ©attung biefer Septeren auffübit.
Oie Unterfd)cibung einer „felbftänbigcn" unb „nnfclbftänbigcn" 'ij>oefie ift nn;
julüfüg ; nod) mepr aber bie 23eftinnnnng ©ineS „näd)ften unb unmittelbaren"
3u)edeS ber fd)önen Äiinfte, raekpe 311 jener llnterfd)eibung gefül)rt l)at.
•195. Oaf) mir bie 0)ramatif nid)t, neben ber epifcpen, Iprifi^en
unb biboctifcpen '^-'oefie, als eine nierte ©attung biefer Ä'unft betrad)ten.
*) 0 navis, referent in mare te novi —
(Ad rempuhlicam, Od. 1, 14.)
Coelo tonantem credidimus lovem — (Od. 3, 5.)
Delicta maiorum imineritus lues —
(Ad liomcmos, Od. 3, 6.)
Quo, quo scelesti ruitis, aut cur dexteris —
(Ad populum Romanum, Epod. 7.)
Altera iam teritur bellis civilibus aetas —
(Ad populum Romantm, Epod. 16.)
**) Phoebe, silvarumque potens Diana —
(Pro imperii Rom. incolumitate.)
774
®ie 5ßoefie unb bie bramatifd^e jlunft obermaI§.
l^aben roir bereits im neunten Slbjc^nitt auSgefpvoc^en unb begrnnbet.
2)ie ipoetif, bünft unS, gerät!^ mit fic^ fetber in 3Biberfpru(^ , roenn fie
im ^Beginn für baS ©arfteftiingSmittet i^^rer jlunft baS SBort erftürt,
unb bann, nadibem bie eben no(b erroül^nten brei ©attungen ber ifJoefie
bet)anbett finb, atS nierte ©attung bie SDramatif auffü^rt, raeldie „objectine
©rftf)einungen anS bem Seben burc^ §anblung barftetle".
©rftarung rit^tig, bann lä^t fid^ bodb nid)t fagen, baS ®rama fep ein
22Berf ber i|5oefie, b. ber burc^ baS SBort barfteltenben ^unft.
9cad^ ©tödt mad)t bie epifd^e ifioefie „objectine ©rfd^einungen unb •
®egeben!^eiten in ifirer Obfectbitüt gefaxt, jum ©egenftanbe il^rer ®ar:
fteltung"; bie Iprifd^e „bringt bie ©efüi^te ober ©mpfinbungen jum 9tuS=
brudf, raeldbe baS ©emütti im Slngefid^te eineS ^beatfdfiönen (?) bemegen'' ;
bie bramatifd^e aber „Bereinigt biefe beiben ©temente, unb ftetit fonadt)
eine §anblung ober 33egebent)eit in ber ®eife bar, bajf fie bie banbelnben
i^erfonen mit it)rer ganjen fubfectioen ©emütpftimmung atS fianbetnb
uns üorfübrt, unb fo bie ^anblung ober SSegeben^eit unmittelbar oor
unferen Stugen fidf) abroicfeln tdfft" *). (jdb bitte ben Sefer, jn urt^eiten,
ob etraa ©d^ilterS SSattabe „®ie Sürgfdbaft", ober SßeberS epif^e ®i(^=
tung „©reijel^nünben", ober §omerS Obpffee, nid^t audt) „bie l^anbetnben
‘fJerfonen mit i^rer ganzen fubfectioen ©emütfiSftimmung atS l^anbetnb
uns üorfü^rt", — ob mitl^in nadb einer SDefinition biefer 3Irt baS 2öerf
ber bramatifdjen 5!:unft oon jenem ber epifdt)en fidt) irgenbroie untere
f(^eibet. „®or unferen Singen" freitid) fann bie epifdt)e if^oefie nid§t
„bie .s^anblung fii^ abroicfeln laffen" ; aber roenn, roie ©tödfl leiert, „baS
!©arftelIungSmittel ber ifSoefie baS SBort", unb bie bramatifclje Äunft
„eine ber brei i'pauptoerjroeignngen" eben biefer ifJoefie ift**), — bann
oermag biefe, bie bramatifdlie £unft, baS eben fo roenig: benn baS
iß?ort ift nidbt etroaS ©id^tbareS; eS roirb burd) baS Ol)r roa^rgenommen,
nidit burdf) baS Sluge.
i)i)tan l^alte unS nid^t etroa bie Slnctorität beS SlriftoteleS entgegen,
ber in feiner ifjoetif fo gut oom ®rama fianble roie oom ©poS. ?Wan
fann immerhin bie ^b^orie ber i^oefie unb jene ber ®ramatif in beim
fetben SBerfe belianbeln, nnb bodt) in ihnen j^ioei oon einanber oerf(^iebene
fünfte feilen. Unb roaS inSbefonbere bie ©d^rift beS SlriftoteleS betrifft,
fo ift biefelbe nicfit als eine if3oefie jn betradbten, fonbern
fie ift ein lüdenbafteS S3rudbftüd eineS iß>erfeS über mehrere freie fünfte.
(511 bem roeiteren ©inne beS SBorteS ift jebe hfbonifdhe .Kunft „ijSoefie",
roeil fie bie fyreibeit bat/ ©toff ju erbicbten***). ^n biefem
*) ©töcfl, 95. (Sit. 377.)
**) ©töcfl, a. a. O. ©. 90. 95.
***) 3SgI. 291. 0. 418.
©elbftdnbige" imb „unfetbftänbige" 5poefie.
775
TDeiteren ©tnne nal^m 5IriftoteIeg ba§ 2Büvt, nidjt in unierem, in lueti^em
e§ bie eine bev ginet rebenben fünfte bejeidjnet; beim er fü^rt a(§
©attungen ber '^oeiie nidjt nur bie ü)rifc^e nnb bie epifdje ®id)tfun[t
unb bie ®ramatif auf, fonbern ain^ bie 'iO^ufif unb bie Ord^eftif *).
496. 9tot^roenbiger a[§ biefe Erörterung i|t nbrigeng , bap mir
auf eineu aubereu ©ebaufeu eiugefjeu, ber un§ iu beni eben ermähnten
„©runbriff" be§ nerbienteu ©etetirten überrafd)t ^at. 0tödl roirb mir
ba§ nid^t uerbeufeu; uic^t allein, meil eä fid) babei fdbtieglid) um ein
^^iX'incip l)anbett meli^eö für bie gefammte 3teft^eti! ju beu fnnbnmentaten
gehört, fonbern raeit id), inbem idi iu biefem ifiuufte ifim roiberfpredje,
jugleid) eine 2(uffaffung nermerfe, non ber idi felber, früher alä @tödt
fie ausfprad), in ber erften 3tuflnge biefes 2?n(^e§ mid) f)abe beeinfluffen
taffen.
,,^)anbelt es fi^ um bie ©intt}citung ber ifJoefie," tef)rt ©tödt, „fo
rairb geroöbulid) in erfter l'inic bie f e t b ft ü n b i g e ijßoefie nou ber
uufelbftäubigeu auggefcbiebeu. ©er Uuterfdöieb jroifd)eu beibeu 3trteii
ber ®id)tfuuft mirb bann fo beftimmt, baf? bie felbftnnbige '’^joefie btojf
bie mefeut(id}en 3'werfe ber Äuuft uerfolgt, unb bamit feine 37ebenjraed'e
nerbinbet , roäbrenb bagegen bie nnfelbftänbige if>oefie jugteid) aucö ben
3tt)ecf ber 33etef)rung, ÜJtabnung unb Sßarnung im Stnge ^at, unb bem=
gemäp in ifirer ganjen ©eftattung and) uon biefen untergeorbneten 3iü£den
abhängig ift" ** ***)). ©töcft aboptirt biefe , non ibm ats bie „geroöt)ntid)e"
bejeidjnete ©intbeiinng ber 'f.^oefie: „@s mirb baber nun", fugt er halb
barauf, „nufere 3fufgabe fenn, jnerft bie brei Ükrjmeigungen ber fetb=
ftänbigen ipoefie ins 3tuge jn fnffen, nnb bann auf jmeiter £inie ber
uufelbftäubigeu ifioefie uufere 3(ufmerffomfeit jujumenbeu." 2t(S 3trteu
ber Setzerei! roerbett fpäter (©. 121 ff.) bie „bibactifdu’ , fatirifdje uub
ibpUifche 'fioefie" angegeben.
iUfir ift ats Usertreter genau berfetben Utuffaffuug augcub tief lieh nur
Ufi^ütb befannt ©iefetbe erinnert ftarf an ben im fiebenten 3tb=
fchnitt non unS betianbelten ©at^ uon ber „abfotuten 97etationstofigfeit
ber fdf)önen Äunft", unb bie ans bemfelben abgeleitete Setjre, nad) roeldjer
*) Arist. de arte jioet. ed. Buhle cap. 1. 2. vulg. 1., coli. capp. 3. 5.
■vulg. 2. 4.
**) ©töcft, ©. 94. (Sit. 377.)
***) „iJJtan tt}eilt bie tpoepe am jroecfmcipigften l) in bie f e l b ft ä n b i g e uub
2) in bie unf e I b ft ä u b i g e ober freiubeu 3'X’edeu bieueube. 3^xie luitl btop er=
göpeu; biefe aber oerfotgt aufter ber reinen Srgöfenng nod) eine anberc, ipr fetbft
unb ihrem 35>efen eigentlid; frembe, unb änderen 3'xieden bieueube 9lbfid;t." — „®ie
nnfelbftänbige i|3oefie äcrfnltt in brei 2t)eile: 1) in bie bibafcalifd)c (sic), 2) bie
fatirifepe, nnb 3) bie ibpUifdie." Ufd;olb, 2ef)rbud; ber 'poetif ('IJtündjen 1835) 1.
©. 28 92.
776 i’on @hicm ndd^ften u. unmittelbaren ^toecf „b er frönen Äunft".
bte 2lr(^itectur unb bie p^ere ©erebtfamfeit nur „ptbfreie" fünfte
feijn folten.
2l6er bteiben roir bei pn angefüpten ©ebanfen ©törftä. Um feine
©intpilung ber ifSoefie beurteilen ju fonnen, müffen roir offenbar gunäd)ft
roiffen , ron§ ©tödt unter bem Stugbrurfe „bie roefentlic^en
(fdfiönen) Äunft" oerftanben pben roilt. ipren roir ibn befeptb noc^matg.
„©^on ber 'Jiame ,fdtöne Ä'unft‘ brüctt eg ang, baff bag Obfect berfetben
bag @ct)öne feg. 2öenn ba^t^ jebe Jtunft baranf auggep, eine jroetfs
mäpge Söirfnng na(^ aitpn jn fepn , fo roirb and) bie fdiöne Äunft
roefenttii^ ben 3^^*^ pben, ein ©cE)öneg nacf) aufien jur ©arfteltung
3u bringen. ®iefeg ©c!^öne fann feboct) nii^t ein blo^ finnli(^ ©c^öneg,
fonbern eg mufj ein 3^eQ^f<^öneg fegn . . . ®er näcf)fte unb unmittelbare
3roed ber fdjönen j!;unft beftep" (fomit) „barin, ung bag 3^£fltfd)öne,
bag ©d}öne ber nberfinnlicbßn ©ppre, burp bag ‘äJlebium eineg ipn
entfprepenben finnlid) ©i^önen ^ur anfd)anlid^en ©arfteUung ju bringen,
unb ung burp bie 21nfd)auung beffelben jenen ppn geiftigen @emp ^n
bereiten, roeld^en ber Slnblid beg ©pönen feiner l'tatur nadg bem menfp^
litten ©emütp geroäp-t. 2)ag llnnftroerf fod gefallen unb foU ung
erfreuen; inbem eg bag burdi bie finnlipe ®arftetlung
nuferem geiftigen ißlicfe nap bringt, foU eg jene roonnige ©rregung in
unferem ©emütp proorbringen, bie ung innerlid) rooptliut unb befriebigt."
33alb barauf roirb bann pnjugefügt, „bap jener nä(^fte unb unmittelbare
3mecf ber fd)önen Jtunft nicht ber einzige feg, fonbern bap berfelbe
nod) auf einen höp^en l)ittg£^id)tet feg, unb fidj ju bemfelben
alg iDiittel oerlialte". SDiefer „ppre 3^^*^^^ 1^9 einerfeitg „bie
®erherrlid)nng ©otteg", anberfeitg „bie fittlidie .*OPbung unb iifereblung
beg menfcblichen iperjeng" *).
Sü^öre biefe Seljre ridjtig; roäreu in ber Spt „bie roefentlichen
3roede ber Hunft", — bag heif3t fämmtlidjer fchönen fünfte, — burch
bie oon ©tödl bejeidmeten 3^3^'^^/ nämücb ben „näd)ften unb nnmittel:
baren" unb bie ^roei „höheren", erfthöpfenb auggebrüdt; bann hätten roir
ber Unterfcheibung einer „felbftänbigen" unb „unfelbftönbigen" ijßoefie
gegenüber immer nod) bag etnjuroenben, bag biefelbe bei allen übrigen
oon ©tödl anfgeführten fchönen fünften in gleicher iffieife hätte pre
?lnroenbung finben, bie 23aufunft aber ohne Dtapfidjt oon ber 3<^^^
„felbftänbigen" fd)onen fünfte hätte auggefd)loffen roerben müffen.
Slber eg ift nid)t ber i)Mhe roertl), bap roir auf biefe ^r^'^onfequen^
©eroicht legen: beim bag ganje ißrincip oon roelchem ©tödl auggeht, ift
unridpig, be.^iehunggroeife unoollftänbig unb einfeitig. ©o oiel ift freilich
roahr: bie hebonifd)en itünfte bienen unmittelbar unb junädift bem
*) ©töcft, ®. 25. 27. 28. 29. (6it. 377.)
$ie ^rrle^re non(5inem näd}ften ii. unmittelbaren 3roerf „ber l'd^önen ilunft". 777
^ruerfe, „un§ geifttgen ©eniijs 511 bereiten", üii'ert'e ju fc^affen bie „un§
gefallen unb nn§ erfreuen" ; fie nerrairftidjen biefen
iUiittel, ineldte roir bei ben einjelnen be.^eidinet i)aben. ®ie religiöfen
nnb bie ciniten .i^ünfte bagegen fiaben eine ganj anbere 5tnfgabe, einen
ganj anberen „näd^ften nnb unmittelbaren eininat
bie ilReifter ber religiöfen '-f^oefie, non .^itariuS nnb ?tinbrofius unb
ifJrubentiuö bi§ auf 3:boma§ non 5Xqnin; inan frage bie ®egrnnber bes
litnrgifi^en ©efangeS, i)Jiänner rate 3Imbrofin§ nnb ©regor unb 'j^ateftrina ;
man frage bie ©iotto nnb Orcagna unb fyiefote, ober ben ÜRater be§
ßötner ©ombilbeä nnb jenen be§ 'Jatjuenbitbeg ju ©tra^burg; man frage
bie grofjen ©eifter raetd)e einft bie c^riftlii^en 23afilifen, bie romanifd)en
(Jatt)ebra(en , bie gottjifcben 3JXünfter gebaut; ober menn man bas oor;
jiei^t, man frage nur jene§ ©enie, baä ben 'f}artl)enon nnb bie ''^ropniäen
nnb ben 5” Ctpmpia unb bie '^a(ta§ 3ttt)cne auf ber 3(cropolis
fc^uf, unb mit i^m nod) ben atten .s^audfrennb bes (^imon, ber burd)
feine ©emätbe in ber ifsoifile bie ©roptttaten ber 3ttt)ener nerberrtic^en
mnpte; man frage biefe Jlorppbäen in ber ©efd)id)te ber fdjönen fünfte,
fage id), ob ed ibnen bei ihren 2Irbeiten rairflicb allein, ober and) nur
üorjngäroeife nnb jnnäd)ft, barum 311 tl)un mar, „uns baä ^^enlfdjone
burd) ba§ iDXebinm cineä finnlid) 0d)önen jnr anfdbaulicben ©arftellung
ju bringen, unb und babnrd) f)ol)en geiftigen ©enup 511 bereiten", ob fie
mitbin „ben näd)ften nnb nnmittetbaren 'B'd)öpfungen in
ber Jbat barin faben, bap biefelben „in nuferem ©emütl)e jene monnige
©rregnng l)eruorbrn(^ten , bie un§ innerlid) roof)ltbnt nnb befrieöigt".
fvreili(^, — um einen ©ebanfen 'plato’g 311 mieberboten, — bie 53e=
3eicbneten „mürben, eben meil fie i)Jcänner ber Ä'nnft finb, bem fo g-ragenben
nid)t bie oerlefeenbe 3lntmort geben; ,©infnltiger i)3tenfd), bu bift mabit'
finnig !‘" *) aber fie mürben iebenfalls — lüd)eln über bie nainc ©elebrfam=
feit beä neun3ebnten ^abi^bii'^berts.
2Ber etroa oerlangen foUte, bap mir bas bemeifen, ben mürben mir
blop erfudjen, ba§ in biefem 3meiten iXucbe ©ntbaltene mit einiger 3(uf'
merffamteit 311 lefen. ©erabe bag menigfteng fann bem 33ud)e oietteid)t
einigen 2Sertf) oerleiben, bap bie eben fo unmiffenfd)aftlid)e als für bie
fcbönen fünfte oerberblid)e Öel)re ber Üfeu3eit, oon ber Jlnnft bie ,,fid)
felber feP/ üt bemfelben gau3 nnb mit ber ®ur3el befeitigt er=
f(^eint , mäl)renb und bieg in ber erften Stuflage nur tbeilmeife nnb
unootlftänbig gelungen mar. ©in Slugflnp eben biefer Üebre, ober genauer,
eine golge fep eg ber Unflnrbeit unb 3?efnngenl)eit meld)e burd) biefelbe
berbeigefübrt mürbe, fep eg einer unoorfid)tigen ©onbefcenben3 311 ber man
ibr gegenüber fid) nerleiten liep, ift aber fomol)t ber grrtbum, als ob
*) Plat. Phaedr. Steph. p. 268 e. Bip. 10. p. 367.
778 Sie »on (Jinem näd^ften :i. unmtitelbaren 3roecf „ber fc^önen jtunft".
alle fc^önen fünfte (Sinem unb bemfelben „näc^ften unb unmittel=
baren" bienftbar ma^en liefen,. al§ bie in Stiebe fte^enbe einseitige
ißeftimmnng biefeä ^rozäe§>* **) Schönen Ä'unft".
0tö(fl feinerfeit§ gibt für feine Selire gar feinen ÜSeroeig; n)enn nicEit
berfelbe etina in bem ©a^e liegen folt ; „©d)on ber iJlame ,fct)öne jtunft‘
brücft e§ au§, bafe ba§ Object berfelben ba§ ©d)öne fer)" (oben, ©. 776),
3lber abgefefien baoon, bafe ®eraeife au§ bent ütanten, folange fie ganj
allein fielen, famn jemalä entfd^eibenb fepn fönnen, ift ja biefer iltame
ooKfoinmen gered^tfertigt audl) burdb jene (grflärnng , roelc^e toir int
'iltnfange biefe§ jroeiten 93udf)e§ gegeben !^aben*). Ueberbieg aber !§at
berfelbe, rao e§ fid^ um einen Seroeig '^anbelt, fe^r roenig ißebeutung.
3ene 3eiten in benen, fet) eg im alten geling fe^ eg Später in d^riftlidtien
idänbern, bie fd^önen j?ünfte bie läge i^rer l)öc|ften ®lüte fallen, fannten
gar feine „fc^önen ,lbünfte", unb noc^ oiel raeniger (Sine „fct)öne ^tunft":
fie nnterf^ieben nur „freie" unb „medtianifdie" Äünfte, nnb mandie ber
(Srfteren mürben ingbefonbere , in iRom „eble" ,Rünfte genannt, artes
bonae, in @riecf)enlanb aber „naclialimenbe" ober beffer „barftetlenbe",
**). (Sr ft eine oiel Spätere 3eü fing an, oon „f dl) önen fünften"
jn reben, o^ne jemalg flar ju fagen, in roeldiem ©inne fie eigentlid^
biefen Slugbrurf ne!^me; oermntl^lidl) fam berfelbe oon bort jn ung
berüber, roo audb bie für ung glüdflidberroeife unüberf eßbaren beaux
esprits ju c'^nufe finb.
Oaft mir bie „^'intbeilung ber ijJoefie" in eine „felbftänbige" unb
„nnfelbftänbige", oon ber mir auggegangen finb, alg miffenfi^aftlidb
^nläßig nicßt nnjuerfennen oermögen, müffen mir bictnadb mobl nidbt meßr
angbrücflidb fagen.
*) 'R. 231. ©. 326.
**) Arist. de arte poet. ed. Buhle cap. 2. init. vulg. 1.
9Jtan moUe ben leptcn (Sebanfen nidit jo nefimcn, at§ ob bie Cftömer unter
bem Olusbrucf „artes bonae“ augfcblie^liib unb genau gerabe jene .S'ünfte uerftanben
batten, non benen Striftoteteb unb ißlato lagen, bap fie „p-iixT^oet;“ fepen.
prcijcpnter
Die Ül u f i k.
(5r)'tcö ^npitcK
^ll l g c m c i II f ö.
§• 1.
pic p:uftß wirßt p^t)Rofogif(^ auf bic (tnnfir^c ^tt^dfsßrafl.
I.
®d}i(Icr, "IJIato, (Jicevo, 0t. 3(uguftiu, 0t}atc|'peavc, als mäd)tigcn
Ginfluffe§ ber -Dinfif niif bad ©cmütl) bc§ 9J?euid)cn. jDerfelBe evflärt
fid) burdj bie tu ber Uebcijdjrift audgefprodjcne pftpfiologtldje ü)atfad)e.
497. „|)er SBeg bes Ol)rcd ift ber gaiigbarfte iiiib näc^fte ju
unierem ^ Miti'if bat beit rauben (Eroberer 23agbobö bejiiningen,
tüo t)tlteng§ unb (Joreggio ade 93ialevfraft uergebeaä er[d)öpft Ijätten'' *)•
6'g ift nicbt luitbraenbig , bie SOabrbeit beä in biefen Störten aiigge:
fprodjenen @ebanten§ jii beineifen; ^c^ennann roei^, baft eg feine jtnnft
gibt, roefd)e fo unmittelbar auf nufer ©emütt) roirft, unb in gleidbem
^ütaafte bajn angetban ift, e§ fe nad) ihrer Sefdtaffenbeit anjnregen, nn§
beiter ober ernft, rcebmntbig ober frenbig ju ftiminen, mie bie 0onfnnft;
3i>ie in ben Vüften ber ©tunmoinb faiift,
DJtan lueift nid)t, ooii umuncn er fömint unb brauft,
Jöie ber OucU and oerborgcnen liefen;
*) @d)iller, lieber bas gegeniuärtige bcutfd)e Jbcater. (®b. 10. 0. 63.)
3tls 0iUtan -Dturab IV. im 1638 bie ©tabt 53agbab erobert, iiub be=
fobten batte, alte @efaugeuen nieberjumepcin, ba iotl bn§ Sieb etne§ pcrfi)d;en Sauteiu
fpiclerg ibn fo tief ergriffen haben, bnfi er in Jb'^äaen augbrad), bem 5J?orbcn @in=
batt tbat, nnb ben ©änger mit fid) nad) (?onftantinopel nabm.
780
®er mäd^tige ©influj? ber SJluftf auf ba§ ©emiitf).
00 be§ @änger§ iiieb au§ bem ^ttitevn fc^aCtt,
Unb roetfet ber bunflen ©efü^Ie ©enialt
®te tm ^erj^T rounberbar fcfjUefert*).
„^lato Ijttt Doöfommen bemerft (Jtcero: „e§ gibt ni^t§, ba§ auf
empfängticEie lueid^e .fperjen fo mächtig roirft, rate bie roedifeluben 3;öne
ber ’SJiufiL ®er ©tnfluff ben fie na(^ beiben ©eiten auäüben, läßt
mit SBorten gar nic^t fd)itbern: fie roecfen baä erf(^Iaffte @emüb^ ju
neuem Seben, fie beru’^igen e§ menn eg erregt ift; |ier fänftigen fie
baffetbe, bort fpannen fie e§ ju energifcfier Seraegnng" 372). „©etbft bie
SBorte ber tieitigen ©cfirift", fcEireibt in bemfelben ©inne ©t. Stuguftin,
„ftimmen nnfer ©ernüb^ roirffamer ju raarmer inniger 2Inbad)t, menn fie
in entfpred)enber Steife gefnngen raerben, atg menn man fie ol^ne ©efang
üortragen t)ört. Ueber^aupt muffen ade ©efüfite nnfereS ^erjeng, je
nac^ if)rer 3Serf(^iebenartigfeit, mit beftimmten ÜRobutationen beg tonifc^en
SSortragg unb beg ©efangeg in einer geheimen , mir unerflärli(^en S5er=
manbtfdiaft ftel^en, in Jolge beren fie bann burd) biefe iJJlobuIatimten in
unferer ©eete roadigernfen raerben'' 373). Unempfinbti(^feit ben Sönen ber
ilJtufif gegenüber ift barum ein non Otopeit unb ^erjtofigfeit;
ober fie ift nad) ©^afefpeare nietmel^r nod) fd)ümmer: fie ift raiber;
natürüi^, unb barum ein 3Seraeig non 3}errai(berung beg ©emütp unb
innerer SSerberbt^eit :
©er SJtann ber lüc^t 3)hifif bat in ibm fetbft,
©en nicht ber ©öne füßer (5infIong rührt,
iaugt ju SSerrath, jn dtäuberei unb ©ücfen;
©chroarj raie bie 9iai^t ift feineg .^erjeng ©innen,
Unb fein ©emiith ift finfter roie ber ©rebug.
©rou’ einem ©olchen nie ! **).
©od) raie rair fi^on fügten, bie ©h^tif^e, baß bie ©onfunft natur=
gemä§ bag menfchUd)e fperj mächtig ergreift, bebarf feinegraegg eineg
SSeraeifeg. ©ie fettfame 2tnficht iKufif für
möglich hält „bei raelcher fiCh gar nichtg fühlen ließe", bürfen rair ruhig
ben T^reunben ber formaliftifi^en 2lefthetif überlaffen, unb babei unferfeitg
mit So^e überzeugt fepn, baff eine folche ÜJtufif fich ungefähr gerabe fo
ougnehmen mü^te, raie mitunter in gelehrten iBüchern geraiffe ©äße „bei
benen fich gtti-' nichtg benfen läßt" ***). Slber je unabraeigbarer bie ©h®l=
fache felber fid) aufbrängt, befto oerborgener fcheint ihre Urfathe ju fepn,
befto fd)raieriger beßhalö ih^^e ©rflärung: ,
*) ©chitter, ©er @raf oon |>ab§l)urg.
**) ©httfsfpcare, ©er j?aufmann oon 23enebig, 5, 1.
***) Sßgt. Sope, ©. 482. (6it. 18.)
®er mäd^tige (finflufe bcr 2)^u)‘if auf ba§ @emüt^.
781
(Sin jRegenftvoin aii§ ^'^Ifenriffen,
(Sr foinmt mit T’onnerä Ungeftüm,
:^ergtrümmcr folgen feinen @üffen,
Unb Sieben ftürjen unter ifjin;
(Srftaunt, mit rooUuftooüem ©raufen,
,^ört i^n ber SBnnberer, unb tnufcf)t;
(Sr ()ört bie f(-Intb Dom brnufen
®od) roei§ er nidft, mober [ie raufdjt:
3o ftrömen be§ ©efanges Stellen
^S'ierDor nu§ nie entbedten Quellen*).
Sie Unterfudjuugeii non non beiten Sot^e einen Sljeil roieber=
gibt, fo fdfarffinnig fie and) finb, madfen auf mid) nii^t ben (Sinbruef,
als ob fie, für fiel) allein inenigftenä, niel baju beitrügen, biefe „nie
entbedten QueCen" bloBäutegen; eben fo tnenig befriebigt mid) bie Sar=
ftellung, in inetdfer Sfot),e (a. a. O.) feine eigenen 2tnf(|anungen entroidelt.
gtanbe, e§ lnj3t fid) in bie biinfle §rage einige ÄlorI)eit bringen,
inenn mir einen anberen 2öeg einfd)lagen.
4:98. ^Bereits im norigen 2lbfd)iütte (463. ©. 705) maren mir
nevanlafft 511 erroat)nen, baf) bie pft)d)ifd)en Vorgänge um bie e§ ficb
banbeit, bie @emütb§bemegungen nüinlid) ober bie ©efüljle, — S^eiterfeit,
^reube, ©djinerj, SBebmutb, illiitleib, 3lnbad)t, / Siebe, ©ebn=
fuebt, i^offnung, Diene u. f. ro., — be§ gefammten (be§
böberen unb nieberen) ©trebenermögenS finb. 2tnf bie ^rage bie mir an
jener ©teile ju erörtern butten > roie nümlid) int Dlllgemeinen bie ipoefie
oorgeben müffe, um auf ba§ ©emütl) ju roirfeu, uub bie iu ihrer 2Iuf=
gäbe liegeuben (^efüble in bemfelben an^uregen, ergab fid) bamal§ bie
3(utmort, bie bejeid)iiete Äuiift müffe il)re Seiftungen fo einjuriditen
fud)en, baf) biefelben baju angetban fenen, — ohne IBeeinträcbtigung ber
intellectuellen Slnffaffnng, — bie ifSb fiunlid)e
Urtl) eil Straft ju moglidift lebhafter Sl)Ätigteit in ben
©taub ju feigen unb 511 u er aulaffen (©. 708). Sie ifSoefie ift
an baS SSort gebnnben; bie SSorte mit il)rem merben
unmittelbar nur oon ber ißeruuuft erfaßt, unb erft burd) biefeS böb^^'^
fßermogeu fanu beffbalb bie ifooefie auf bie geuaunteu jraei nieberen eiu=
mirfen. ißlof) jene SOlittel biefer Ä'unft roeld)e mir unter bem „S5>obl=
flange ber poetifd)en ©pradfe" jufammengefn^t l)aben, — bie (Supbonie,
ber DcumeruS, ber Dleim, — afficiren unmittelbar nii^t
auSfcbliefdicb bie ißernunft, fonbern aueb unabbängig oon biefer gleid)=
jeitig bie finnlid)e UrtbeilSfraft.
©ben biefeS Setptere nun ift glei(^fatIS bem gefnngenen Sone ber
*) Sdbiller, Sie 3)tacbt be§ @efauge§.
782 2Rufif roirft pl^pfiologifd^ auf bie finntid^e Urtl^eilgfraft.
menfd^üc^en ©timme eigen. 2Bie ber SBo^lHang ber iftebe, ebenfo, aber
in nie! p!^erem ©rabe, roirft barum au(i^ bie iUiufif un mittelbar
itnb birect auf bie finnftc^e Urtpitäfraft , unb regt fie gu einer je
iper Sefonberpit entfprei^enben 2;ptigfeit an. SDiefe ppfiotogifdie jtpt=
jad§e ift e§, burd) roetcbe fic^, einigermapn roenigftenä unb bem SKefent^
lictien nad), bie gepimnipotle iBiai^t erflärt, raomit bie in dtebe ftepnbe
.^unft baä menfd)ti(^e ©emütt) ju ergreifen pftegt. Sßir motten bie
angegebene Sptfatbe in bem f^otgenben roeiter begrünben.
II.
ißeroeiä ber pbpfiologifdjen Jb^^Pdie ou§ mehrfachen ©rfcheinungen im Seben
ber Sßöget, — au§ ben SBirfungen ber 3)tufit bei oielen ®hi^’^“rten, —
unb au§ oerfd)iebenen anthropotogifch^ri SSorgöngen.
499. ®ie attgemeinere junäc^ft, baß ber oon ber 2Bei§;
heit ©otteg getroffenen Orbnung gemä^ beftimmte 5;öne, bejiehunggroeife
bie itJtufif, ouf bie finntiche Urtheilgfroft mandjer ©innenroefen in be=
ftimmter 2Beife einroirfen , ift butp oietföttige 33eobod)tungen aupr
^meifet geftettt. §infi(httich ber 3?öget inSbefonbere h^t 5tttum, ber
ausgezeichnete Ornithologe, ben ptagenben 23eroei§ geliefert, ba§ ner=
fdiiebene Saute ihrer ©timme forooht, at§ namentlich bie höchfte Seiftung
berfelben, ber ©efang, für beftimmte Sebengoerrichtungen biefer Don
ber höthfteu Sebentung finb; unb jroar für fotche Sebengoerrichtungen,
melche eben oon einer Shütigfeit ber finntichen Urtheilgfraft roefentliih
abhangen*). 2luf ben „2Sarnunggrnf" ben eine Jtrühe, eine Oohle, ein
jl'iebi^ ergehen lap, fommen fofort alle in einem entfprechenben Umfreife
fid) befinbenben 33öget berfelben 5trt jufammen, nnb erheben Särm nnb
©efchrei, roobnrch ber fich nähernbe f^einb oertrieben mirb. Oer 2öar=
nunggruf ber .^enne , ober ber Sitten bei anberen Slrten , oerantaßt
unnerzüglicp bie jungen, fith ftill ju oerhalten, fich brüden ober ju
oerfriechen. „^m ©eifter .l^olze, einem gemifdhten ipchroatbe bei Oelbe
in äSeftphaten," erjühlt Slttum, „hatte ich mich ’^or oieten fahren mit
einem f^reunbe auf ben ^Hühnerhabicht bei feinem Horfte aufgeftellt. Oie
Oroffeln fangen mnnter, lebhaft zroitfcherten unb fchäferten bie ©taare,
IRothfehtchen nnb anbere SSögel trugen eifrig ihre Sieber oor. Sange
roarteten mir jraifchen ben lauten ©ängern. Oa plö^lich erfchallt oon
einem ber munteren SSögelcben ein nicht eben ftarfer, frembartiger , ein=
facher, fehr marfirter Son; eg mar ber Sßarnnnggrnf einer ©ingbroffet,
melche oben auf hoheo SBarte ben nahen f^einb erblidt hatte; ein ühnli^er
*) Vielleicht ift e§ nidht überflüffig , ben Sefer ju erinnern, bap roir im 2ln=
fange, ®. lO Stote, furj angegeben haben, mag bie „finnliche Urtheilgfraft" fep.
®te 9Jhifif roirft p'^pf'iologifi^ auf bte )iniilicf)e Urt^eilSfraft. 783
^on iDorb fa[t im feibeu 3(ugenblicfe nod] ^ier uub bort üernommeii,
unb uvptö^Iid) trat eine, bein fröl^tic^en munteren Sdrm gegenüber faft
un^eimlidje ©title ein, fein 35ogel rütfrte fic^, feiner Iie[f aud^ nur einen
Saut uernetjmen, unb im 9fu mar aud) ber Üfänber ba, unb fdiroang fidi
gefij^icft burd^ bie 33aumfronen jum ^^orfte. 9te§ntid)e 23eobad)tungen
l^abe.idf jpnter anjultellen oftmatä ©etegen^eit gehabt.“
2Sie erftären fid) $.^atfad)en biefer 5trt ? 8cid)t burd} bie roiber=
finnige b^ppottfefe jener 8dfanner, bie fidj berufen ju füt)ten fd)einen, um
feben i|Srei§ bie ©d^eiberoanb niebergureifjen roetc^e beu 8Jienfd)en nom
2:^iere trennt: fonbern einzig in jener 2Seife, roie fdjon J'^omaä non
3(quin biefelben nerftanb. ®er „ÜSnrnunggruf'' üerantaf5t bie ißöget ju
einem entfpred)enben 2;^nn: jebe§ 2:^nn be§ nic^t mit 3]ernnnft begabten
©innenroefenä fet^t aber eine 3it)ätigfeit be§ ©trebenermögenS norans,
einen bejabenben ober nerneinenben ©trebeact, eine fRegnng bie entraeber
ftrebenber ober ftiebenber 5(rt ift*). Unb jebe fRegung be§ ©trebe=
nermögenS in bem ©innenroefen fctjt itjrerfeit§ roieber eine SiSabrnebmung,
eine perceptine Xtfätigfeit ber finntidjen Urtbeilsfraft norau§. ©ler pbpfio=
togifcbe ©ang in ben angeführten ©rfdfeinungen ift mitbin biefer: oer=
mittetft be§ ©ebör§ nernimmt ber SSoget ben SBarnungSruf ; babnrdb
erzeugt fidb in feiner finnlidfen UrtbeitSfraft bie 2tnffaffung einer unmittetbar
brobenben ©efabr non beftimmter 5trt; an biefe 5tuffaffung fi^Iießt fid)
mit natürtidber üfotbroenbigfeit eine ©trebetbätigfeit, bie j^ur^t nämtid),
unb bie Segierbe ber ©efabr ju entgehen ; nnb bie fvolge biefer ©trebnng
ift baä üorber i^aracterifirte 'Jb^n ober ©icb=3}erbalten. 2Bir bö^^”
mithin bie '^batfacbe bie e§ fidj für unS beftimmte 2:öne
rairfen auf bie finnüdfe Urtbeilefraft in beftimmter SBeife ein.
Stttum liefert übrigen§ nodj roeitere benen fid) bie
nümlidje Folgerung ergibt. ®ie ©timme ber jungen 3Söget reijt bie
ätiten ju ganf, beftimmtem Jbun, j. 33. äinn ffjüttern; bie ©timme ber
Sitten tocft bie i^ne ber 23ente jiebt ben Sfünber ju ihr
bin. ®er „Sodton", beffen 33ebeutung in feinem Ütamen liegt, tritt
gerabe bei jenen SSögetn am böufigften auf metd)e gefetlfdjaftticb leben,
unb aui^ ba§ oorjüglicb nur jn ber i’^o fie gefcbaart fein müffen,
um ihre Slufgabe ju löfen. 3Sa§ aber ben ©efang ber 5Bögef betrifft,
fo ift „jeber SSogetgefang ^fjaarunggruf , unb ftetjt al§ foldjer mit bem
Sa(^en beä ©pedjteä, bem ^'^udien ber ©ule, bem ©djreien bed ißuffarbd,
bem fRufen be§ ifufufd, bem ©(^ilfen bed ©perlingd, bem iritlern bed
tBradjDogeld , unb unjüb^^S uiUen anberen Ofufen nnb Sauten bie mir
ni^t ©efang nennen, auf burdjaud gleidber ©tufe. ©r ift bie erfte
Sleußerung bed aud einer langen Jlette ber oerfcbiebenften 'Sbätigfeiten
*) 5)ie passio ber tocbotaftif, ba§ ndbo; ber peripateti)d)en ©cbule.
784 3Kuftf roirft p^pfiologifd^ auf bie finnlicfic UrtfieilSfraft.
^ufatnmengefe^ten ^ortpflanjungggefc^äftes; ja er i[t ein integrirenber
X^eit befjelben , ber bie übrigen einteitet , norbereitet , unb bie er[te
3eit §inbur(^ noc^ begleitet: o^ne i^n fönnen jogar bie übrigen X^eite
biefeg ©ef^afteS nidbt in ber not^raenbigen ißoüfommen^eit norgenontnten
roerben'' *). nic^t nöb^ig , eingel^enb na^juroeifen , ba^
ber ©efang beg 35ogelg biefen feinen eigentlichen unb primären 3™^^
nur erfüüen fann, inbem er in ber finnlidien Urtheilgfraft beg anberen
beftimmte Xhötigfeiten hernorruft.
X)ie Xhutfocf)e non ber mir reben, bie ©inpfänglidjfeit ber finnlidhen
Urtheügfraft für bie ©inroirfung muficalifd)er Xöne , tritt übrigeng,
üietfachen feit alter 3^^t befannten ^Beobachtungen jufolge, au(ih bei
mandhen anberen Xhieren hetnor: fo bei ber ©pinne, ber ©ibe^fe, bem
y^ifdhe, bem ,^unbe, bem ©tephanten, bem i^ferbe.
33ead)te nur bie raitbe flüchtige beerbe,
®er ungejähmten jungen f^ütlen ©chaar:
©ie madjen ©prünge, btöcfen, raiehern taut,
2ßie ihreg :8tuteg '2trt fie treibt;
Xod) fc^adt nur bie Xrompete, ober trifft
©onft eine 3Eetfe ber äJtufif ihr Oh^^/
Xa fiehft bu, raie fie mit einanber ftehn,
Xen roitben iBIid uerfehrt in finnenb ©taunen
Xurch fü^’er Xöne Stftacht- Xrum (ehrt ber Xidjter,
©elenft hnb’ Orpheug Säume, ^etfen, ffluthen:
iföeit fo oerftocft, fo hart, fo roüthig nid)t§^
Xag nid)t SKufif auf eine 3ed uerroanbte **).
Sier ober fünf anbere Seifpiele berfetben 2lrt ronrben im Stnfange beg
erften Suc^eg bereitg ermähnt (19. ©. 31).
500. .^iernach roirb man eg roohl faum befrembenb finben roollen,
mag mir am ©(^tuffe beg lebten SIrtiMg augfprachen: bajf nämüdh
and) im iSienfdjen bie finnlidhe Urtheilgfraft non ben Xönen afficirt
merbe, unb barum bie ilRufif phpfiotogifd) unb mit natürlicher fRoth=
menbigfeit auf ihn einmirle. Söäre bem nicht fo, bann märe eg alten
©chriftftellern fidher nidht eingefallen, ju berichten, ba§ non ben ijßpthago=
räern biirdh bie ilKufif „f^ieber nertrieben, Söunben geheilt, SBahnfinnige
mieberhergefteüt'' morben fepen, ober bah Ph^DS^f<^^ Xonart fehr
mirffam fep, bie 3fö)W§ (l^üftmeh) ju hef>eu"***); bonn bliebe eg uner=
*) Xie Bi§hcT angeführten 3äge finb bem eben fo oerbienftoollen at§ inter=
effanten äöerfe oon Slltum entnommen: „®er 93ogeI unb fein Seben" (üJlünjter 1868,
3. Stuft.) ©. 105. 108. 112. 73.
**) ©haf^fpeco^e, ®er Kaufmann oon Sßenebig, 5, 1.
***) Sgt. StmbroS, 33b. 1. ©. 325. (6it. 387.)
4)ie roirft p^pfiofogifdj auf bie finnlidfie UrtE)eil§fraft.
785
närlid), bai3 ber ^on ber Orget, raie 5lnibro§ bezeugt, „auf nerüenfdjuiac^e
"^erfmten fo etuiuirfen fann, bajf fie olfumäc^ttg roerben"* **)); bann roürbe
eg fd^inerlid) jemafg einer üliutter in ben ©inn gefommen fe^n, i^r Äinb
„in ©d)Iaf fingen'' jn rooHen; bann müf3te, roo ein £rieggl§eer gnr
©d)iad)t angjiebt, mit 2In§nabme ber ©ignaitrompete febe§ muficalifd)e
^nftrnment ganj überflüffig gefunben roerben ; bann nuif^ten 3üge mie
biefer, bag „ber ouf einem ©d)iffe in ©efangenfc^aft geijattene funge
(fgfimo 3[Rijuf fid) burd) ein fnrjeä ©otfeggio
ba§ er immer imb immer mieber abfang, jn tröften fud)te", — ober baff
„in ben Jänbern non 5tbeffinicn, men ein .'ftnmmer brüdt, fid) burd)
unauf[)örlid)eg ^>rnnterfd)rcicn einer fnrjen i)Jtetobiepf)rafe
(in Jtgre)
li _ 1 i
rf ‘m
r 1
ft' 'ii
Lvj.t U —
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|>a : ba = ri = t)e
(in 3tmbara)
3an.-d)oi 55e = [u(= d)oi
fo lange 511 er(eid)tern fud)t, big er fid) getröftet fü^lt" : foId)e
fage id), müffteu bann ber 5f3fi)d)otogie alg nntögbare fRcitI)fd gelten,
duf @rnnb beg ©atjeg bagegen non bem mir i^onbeln, erflaren fid) bie
angeführten ©rfi^einungen, unb alle iil)nlid)en, ol)ne ©chmierigfeit.
©ic brei erften .iltaffen gehören ganj ber phpfiologifdjen ©rbnung
an. 2Birft bie iöhifif auf bie finnlid)e Urtl)eilgfraft , bann merben non
il)r, biird) 3}ermittelnng biefer £el^teren, and) beftimmte,' it)rer ©efch affenbeit
entfpred)enbc Dtegimgcn im nieberen ©trebenermögen ergeugt. ©ag Organ
biefeg ©ermögeng ift aber bag @anglien=ilteroenfi)ftem, and) bag negetatine,
bag organifd)e, bag fpland)nifd)e, bag fpinpatbift^e Dbernenfpftem genannt,
^n biefem Üiernenf:)ftem bringt folgtid) bie ilOhifif, mit ber ©trebethätig=
feit bie fie nevanlafft, eine 9tlteration cdie ©igpofition beftimmter
9lrt. ©ag nnmlid)e 9fernenfi)ftem ift aber gngleid) bagfenigc, non meld)cm
fämmtlicbe Organe beg negetatinen ffebeng bebient merben nnb abljangen:
eg erfd)eint mithin gang natürlich, menn bie 90fnfif auf gemiffe iöorgänge
im leiblid)eu Organigmng meld)e eben bem negetatinen (imbiete angehören,
mie (S'infdjtafen , Ohnmad)t, nnb felbft (pebnng mand)er tronftjafter j^u=
ftänbe, unter entfprechenben ©ebingungen fid)tbaren ©inflnb’ übt.
9fod) näher aber alg bie negetatine ©eite, liegt ber 9Jlnfif auf eben
biefem 9T'ege bag (Sfemütl) beg 9)fenfdjen. ©ag niebere ©trebenermögen
*) 3(mbro§, 3?b. 2. ©. 67.
**) fyorfet, ©cjibicbte ber 'JRufif, 1. £. 94. (Sei 3lmbro§, 1. ©. 6 f.)
3uugmann, 2Iefttietif. 2. Miifl. 50
786
Segriff ber 2)iiifif; ber Sert,
bilbet ja eben ben einen, raejentli^en Sl^eil be§ ®emütp (498. ®. 781);
tnbem bte illluftf, rate rair eben bemerften, mittelft ber finnltd^en Urtl^eil§=
fraft jeneä afficirt, neranl^i^t jie in bem ©emütl^e bie entjpredienben
Dftegungen um fo leichter, je me^r in bem ?0ienjc^en bie oernünjtige
Seite feiner Statur non ber fenfitinen abl^ängig ift.
§. 2.
5>tts ^efen unb ber ?3egrtff ber ?5lu|lR.
Sie SJtufif in if)rem SSerbättniffe jiir ^jioefie. Sie 3JteIobie. Ser muficalifebe
3ftbt)tbnut§, ein TOefentlicbeä ©lement ber :Üebteren. Sefinition ber SfJtufif.
Siefe Äunft mirft pfijcbologiicbipbbfioiogiftb- roeitere ^Folgerungen.
501. 3lu§ bem in bem i^orbergebenben feftgeftetiten ©atje begreift
fidj bie Sbatfacbe, bereu rair im 5lnfange bee jraölften 2lbfdbnitte§ ge=
badften: ba^ nömticb ebemal§ bie ifJoefie unb bie iUtufit al§ eine einjige
Äiinft betrachtet, unb bie ©rjeugniffe ber ©rfteren nidjt gelefen, üueb nicht
einfach gefprochen, fonbern mit ^Begleitung eine§ 3>i[t’^ument§ gefungen
raurben. Sie ilKufif gehört eben jur ifFoefie; fie bilbet ein bet^üofi^agenbeä
iÖtittet, ober oielmehr raeitauä ba§ oorjüglid)fte, bie if^oefie in ihrer Shä=
tigfeit ju unterftül^en, bie SSirfung berfelben ficherjuftellen unb bebeutenb
ju erhöhen; fie ift barum raie ein integrirenbeä ilRoment biefer Äunft.
‘JlHerbingg fann bie i^oefie allein auftreten: fie befiel auch ohne bie
ilRufif genügenbe iOcittel, um jene ©efühle bie fie beabfichtigt , rairtfam
anjuregen. 2lber raenn mit biefen iJJtitteln uodj bie unmittelbare ©in=
rairfung auf bie finnlidhe UrtljeilSfraft fid) oerbinbet; raenn bo§ ©rjeugni^
ber ^oefie nicht in tobten Sudjftaben, auch ni(^t burch gefproi^ene SBorte
uuä oorgefübrt, fonbern in jener SBeife, mit jenem iföedjfel ber Söne unb
be§ 3^i^otaaf3e§, mit jener @e)(^rainbigfeit, IRube, £angfomfeit, Erregtheit,
raelche je fein unb fein befonberer 3u>ed erljeifi^t, oor un§ ge=
fungen rairb ; bann müffen bie ©efüble um bie es fich hunbelt, nid)t nur
niel fidberer, fonbern oud) in raefentlich größerer ^utenfität fidb in nnS
erzeugen, niel mächtiger unb tiefer unfer ©emütb ergreifen. Ein
raei§ eS ja auS eigener Erfahrung; „ber Sert eines ©tüdeS mag noch
fo poetifch fepn, fein Einbrud ift mott im 3Serglei(h mit jenem ben eS,
burch iJJtufit erraärmt, abäquat componirt unb gefungen, hetoorbringt" *).
3ebe Seiftung ber ffllufif fe^t fid), raie auS bem ©efagten fdiou' '^er^
Dorgeht, ouS graei raefentlichen Elementen jufammen; baS eine ift baS
2Berf ber ^)5oefie, ber „Sept"; baS anbere rairb gebilbet bur^ bie ©e;
fammtheit ber tonifchen Elemente, roeldje man „bie i)Jielobie" ober
*) Safautr, ©. 131. ((5it. 338.)
bie Dielobie, ber 3R^^t^mu§; Definitionen.
787
„bie ('miiiicalilc^e) Sßeife" nennt. ®a§ 2£'ort Webbie bejeidfnet aifo
€tne ^otge gefungener 5;öne, raeldfe ftdj eignet, ben 3t n 5=
brncf eineg (5x\:^engniffe§ ber 'poefie jn nnterftnt^en, nnb
jeine älUvf f amf eit jn uevftävfen.
502. (r§ tendftet non felber ein, bajt eine iyolge non ‘Jonen für
«inen 3'^2d inie ber eben be^eidfnete nmnögtic^ bienen fann, inenn in
tenfetben, raa§ i^re J)aner angelt, nid)t ein nad) rid^tigen (firunbfäüen
geregelter 29ed)fel l^eruortritt ; baff mitfiin eine it}7etobie ohne ütbntbntnä
nid)t benfbar ift. J)enn ^nnädift mnff offenbar bie roed)fe(nbe Vänge nnb
blürje ber 0itben in bein poetifd^en Jerte, ber in biefem tferrfdjenbe
poetifdfe 3^^)ptbmn§ bejiel^unggineife Shunernä, in ber ®oner ber Jone
bie gebnbrenbe ‘fierncffidftignng finben. 2tber nid)t ba§ attein. Jie
ttatürüd)e 2S>eife in meldfer bad tcbenbige, bad nimmer rnl^enbe i)t)7enfd^en:
fierj empfinbet; bie medbfetnbe Jt'larbeit ber ißorftettnngen in raetdien bie
<^egenftanbe ber ©emnttjdregnngen erfaßt inerben follen; bie nerfd)iebene
^ebentnng biefer (fiegenftänbe fetbft; bie l^ierand tferoorgetienbe nerfd)ie=
bene ®tärfe enblid) ber nad) einanber jn inecfenben (fiefnfite: biefe i)Jto:
mente indgefammt bringen ed notbinenbig mit fic^, baff bie (fiefübte nid)t
alte non gteicber Jauer finb , fonbern and) in biefer 23ejiebnng ißiecbfet
nnb 'iOfannicbfaltigfeit jeigen. iDiuff biefer ®ed)fel fd)on im 'Jepte fetbft
^ernortreten, fo ift bad offenbar bei ber ÜOtelobie nodi nie! unertiifflidtier.
,3tire (Stemente fönnen nnmöglid) alte bie gleiche ?iinge haben; nielrnefir
werben notl)inenbig fnrjere ‘Jöne mit länger anget)altenen, rafd)er ner=
ftnmmenbe mit gebebnten fort nnb fort abined)fetn. Unb bad @efet^ biefed
'2®edhfetd inirb nict)t ber t Söillfür fepn , nocf) and) eine
blog änjfertid)e opmmetrie; fonbern bie 9tatnr nnb @igentf)ümtid)feit
ber bem febedmaligen 'Jepte entfpredhenben , bnrd) biefen nnb bie iUiufif
hernorjurnfenben @emüth§regnngen , unb mittelbar bie 53efonbert)eit ber
J)inge bie ben ©egenftanb ber Set3teren bitben , loirb benfetben für febe
'üfietobie beftimmen.
S5>enn biernad) ber muficntifd)e iRt)i)tt)mud nid)td 3tnbered ift,
-atd eben biefer, bem poetifdhen ober bem Diumernd bed
Jepted, unb jngteii^ ber 9iatnr ber bem ^tihotte entfpred)enben,
burct) bie '3)7ufif jn förbernben (Gefühle mögtid)ft ange=
meffene 25>ed)fet in ber 3oitbaner ber einjetnen 'Jone,
bann Iend)tet oon fetbft ein, bag bie 33ietobie ohne benfetben nid)t fepn
fann, baff er nietmet)r atd ein roefenttid)ed ©tement ber DDietobie, mithin
atd in ihrem 3?egriff enthalten, ju gelten hot.
503. SBotten mir bad 25>efen ber Jbnnft oon ber mir reben, burt^
eine eigene Jefinition andbrücfen, fo fönnen mir hioi'tiad) fagen; Jie
iDUifif ift bie ÄJinft, bie ®irffnmfeit oon 0d)öpfnngen
ber jooefie bnr(h bie ‘iDtetobie jn erhöhen, toieraud ergibt ficb
50*
788
®ie SOtiifif roirft pfp(^oIogifd^:p^p|ioIogtfd^.
Don ielbft, baß bie ?0^u]if in benfeiben bret formen auftreten famt, bie
mir aucß bei anberen fünften, inSbefonbere bei ber i^oefie unterfc^eibeu.
mußten; at§ religiöfe, ntä cioile, unb at§ ßebonifi^e jbunft.
3tuf ©runb biejer ©eßnition in ißerbinbung mit bem ^rüßeren, läßt
fi^ jeßt leicht unb einfad) bie 23?eife beftimmen, in roeldier bie Seiftungeit
ber ÜJJuftf ba§ ©emütß be§ iS^enfd)eu ergreifen unb in 3Seroegung feßen..
3ßre SBirffamfeit ift ats pft)cßo[ogifcß;pI)i)fiotogif(ß ju bejeid)uen.-
®er Xept be§ i)Jtufifftü(fe§ , ba§ ©rjeugniß ber iß'oefie, afßcirt ba§ @e=
mütß auf jeue 3®eife, bie mir im groötften Stbfcßnitt (Äapitel 2) ißaracte=
rifirt ßaben; feiue Sßirfung roirb bem 3BefentIid)en nat^ burcß ba§ ßößere
©rfenntnißuermögen uermittelt; ba§ ift ber pfpcßologifcß e 2Beg, ba§
©emütß be§ i)Jteufcßen ju ergreifen. ®ad anbere ©tement bagegen ber
muftcaüf(ßen Seiftung, bie 'DJletobie, rairft äunäcßft unb unmittelbar rein
pßpfiütogifd). 0ie roenbet fid), nicßt, roie bie ifJoefie, burÄ SSermittelung ber
ißernunft unb be§ ßößeren 0trebeuermögen§, fonbern birect unb unmittelbar,
an bie finnlid)e Urtßeilsfraft, unb burd) biefe fofort an ba§ niebere ©trebe-
uermögen, alg ben einen 3:ßeil be§ ©emütfig, unb erjeugt, infofern fte eben
bem bes poetifdfen 2epte§ ootlfommen angepaßt ift,
in biefem niebereu ißermögeu bie nämlid)en Biegungen, roeliße ißrerfeitd bie
‘fßoefie auf bem pfpcßologifdjeu Umroege berbeijufüßren gleicßfalld beftrebt ift.
i^ieraug ergibt fid) nun raieberum, roeßßalb bie Slnlage jur iö^ufif
in uorjüglid)er SBeife oon ber iJ3ef(ßaffenl)eit be§ D^eroenfpftemS abßängig
erfd)eint, namentliiß bes oegetatioen ober fpmpatßifcßen, roeld)e§ bag Organ
be§ uiebercn ©trebens, unb unter biefer fttüdficßt be§ ©emütßed ift;
ferner, roarum bie flJiufif ßäiifig ftarf erregenb auf bie iJieroen roirlt,
anßalteube, angeftrengte ißefd)äftigung mit biefer Äunft aber lei^t Ueber:=
reijung unb franlßafte 3^tf^änbe berfelben jur f^olge ßat. StnberfeitS
tritt un§ in ber bejeidineten SfBeife bes SBirlend ber ''Hiufif ber ©runb
entgegen, roarum bie Öeßtere in fo f)oßem ilRaaße bem iUHßbrau^e offen
fteßt, unb fo (eid)t entartet. Oie 5roei fenfitiueu Sfermögeu an roeliße fie
fid) roenbet, unb bie fie mit pßufifdier ©eroalt ergreift, finb in ber menfeß^
lid)en diatur feit bem galle 2lbam§ eben ber materielle ©iß be§ §ange§
jum 23öfen, unb ba§ SOerf^eug einer ßeroorragenben Älaffe oon ©ünben..
3.
5ic /sarntonic.
Oer „ßomopßone" unb ber „polppßone" Dietfthnmigc ©efang. Oer „tecßnifd)e"
ilißptßnu», int ©egenfalte ju bem „natürlidjen". Oer felbftönbige, oon
ber iÜielobie unnbßöngigc 3lßi)tßinu§, unb feine pßpfiologifcße SBirffamfeit.
504. 9fid)tä liegt näßer, alä baß fieß meßrere ©timmeu jum Sfor-
trage beffelben ©efangftüdeä oereinigen. Oabei fönnen alle biefelbe
Ser „t}omopt)Orte" unb 'ber „polpp^one" @e)ang.
789
iBJelobie fingen; bie 3Btrfung ber 33ereintgung roirb nii^t nur bie
größere ©tärfe be§ ©efangeä fepn, fonbern in ^^öijerem ißerpUnig al§
biefe, rairb audb bie pfpd)oiügifd)=p^t)fi£)(ogifdje Söirffümfeit ber Seiftung
pne^men.
2l6er eben biefe Bereinigung einer gröfieren Stnja^I non Stimmen
mad)t e§ möglid), ju bem roefentlidjen iUtomente biefer äßirbfamfeit , ber
iJJielobie mit bem non it)r untö§baren Bfnjt^muä, ein roeitered ^insutreten
gu iafjen, nömlii^ bie i^armonie.
fd)eint beinal^e notbroenbig/' tefen mir bei Sutjer, „bap ein
einftimmiger @efnng, non einem ganjen (Jbor, ber au§ jungen unb atten
Sängern beftebt, abgejungen, nieljtimmig roerbe. Sie Berjdjiebenbeit bes
Umfünged ber Stimmen führt ganj natürli(^ babin, bafj einige bie Octauen,
anbere bie Suinten ober Sepien ber oorgefdjriebenen Söne nebmen, foroobt
Qufroärtg ald abroärtg, roenn fie bie i^öpe ober Siefe fo roie fie üor=
gefd)rieben ift, nicpt erreidjen fönnen. Saburdj aber entftebt eben ber
Dielftimmige @efang" *). ^'Ü'ofern febigticb oon ber i^armonie ber „bomo=
pponen" b. b- jmrr B7ufif bie Siebe ift, roo au^er ber ^anptftimme bie
übrigen unfetbftänbig finb, unb biefefbe blof? barmonifd) begleiten, fann
biefe (Jrflärnng SnljerS genügen. Slber ber eigentlii^e „polnpbone" @e=
fang, roie berfelbe fiep roüprenb ber 13. big jum 16. 3£^l)r=
Ipunbert naep unb naep angbilbete, ift etroag tiefer aufjnfaffen.
„5llle polpppone fDiufif'S fepreibt 3lmbrog, „ift oon ber SJielobie
anggegangen, fipafft Bielobie, lebt unb roebt in SJielobie; ipre Harmonie
ift eben nur bng Siefnltat jufammenflingcnber SJielobien" **). Sßenn
meprere S)ienfd)en, an Sitter unb leibtidper Organifation , an (fparacter
nnb (iiemütpgart oerf(pieben, benfelben ©egenftnnb, ben l*rg poeti=
fepen 2:erteg nnb bnrd) biefen bag Object ber bnrep benfelben peroorju=
rufenben ©efiiple, ju gteidjer 3ril lebenbiger innerer Stnfepanung er=
faffen, fo roirb jroar bem üöefentlicpen nad) Uin unb baffelbe ©efüpt
Sille beroegen, aber eg roirb fiep in ben einzelnen ©emütpern in oerfd)ie=
bener Söeife fpattiren. ©eben min Sille sugteiep im ©efange ipren ©m=
pfinbnngen Slugbnuf, fo müffen bie mannid)faftigen Sdjattirungen unb
Siüancen fid) anep in ben fdjon an fid) , in fyolge ber irorper genannten
Umftänbe, oerfepiebenen Stimmen roaprnepmbar nugprngen; eg roerben
rneprere fetbftänbige SJielobien erflingen, bie fiep oon einanber nnterfepei:
tien, aber babei roieber in fofern übereinftimmen — parmoniren — nnb
fidp jn einer pöperen ©inpeit nerbinben, afg bag bem ©inen ©egenftanbe
■entfprepenbe .©auptgefüpl, nur nerfepieben gefärbt, in einer ^eben ftar
peroortritt. ©rope Spatfaipen, SBaprpeiten non poper Bebeutnng, maipen
©uljer, SUIgcmeine 'Ipeovte ber fepöneu .R'ünfte, „.giavmouie".
**) Stinbros, S3b. 4. ©. 36. ((äit. 387.)
790 Sreiei' unb ted^niid^er natürfid^e imb menfurirte 3Rufif.
auf baä @emüt^ einen ju inäcl)ttgen , jn 3SieIe§ uinfoffenben ©inbrutfV
als ba^ e§ mögiidi roäre, benfeiben noÜftdnbig in eine einzige fffielobie
jn faffen unb nac^ außen ■^u feljen; nur buvd) eine in ber bejeic^neten.
SBeife ^armonirenbe ©efammb^eit mel^rerer ilReiobien Id^t fic^ ba§ einigeev.
maßen erreicfien. 5tber eben eine folc^e ißiel^eit gufammenfUngenber fUle^
iobien roirb aud^ ba§ @emüb^ beg i^börevg mit nollerer ^raft ergreifen^,
unb in böserem 'O^fnaße, at§ bie einzelne 99^eIobie, bie SBirffamfeit beg-
Jex'teg nerftdrfen.
505. 33ei ber einfa^en iKelobie bleibt e§ natnvgemdjf bem ober
ben ©ingenben übertaffen, ben bem 3;e):te entfpred)enben fRbßtbmug, roetctier
roie mir fügten, non ber 307e(obie unjertrennlicb ift, sum Stugbrudf gm
bringen. ®enn ber beftimmt fic^ eben burcb bie SBorte beg
Xerteg, bitrcb bie ißefonberbeit ber ©ebanfen unb ©efüfjte metcbe ficb^
barin augfpredfien, unb ben gangen eigent^ümtict)en beffetben: baria
baß er biefe ilJtomente gn mürbigen, unb it)nen in ber Dft^pt^mif feineg
itortrageg nottfommen fRecf)nung gu tragen mei^, fiat fi^ gro^ent^eitg
bie Äunft beg ©dngerg gu bemdfiren. ?9tit ber Stnroenbung ber i^ar:^
monie bagegen ergab fiif) fofort bie iRob^roenbigfeit , baß ber fft^pf^mug
für febe Stimme genau fipirt, unb gugtei^ mit ben eingetnen Xongei(^en
bfttoten) ber 9JfeIobie beftimmt angebeutet roerbe. 5)enn o^ue biefeg 2Ser-
fahren mürbe ficb offenbar bie Uebereiuftimmung nur dufgerft fc^raer, unb
in ben fettenften fvdtlen erreicfien taffen, ©o führte bie 2tugbitbung ber
'fJotpp^^onie non fetbft gu jener iDtetl^obe, raetd^e bie ®auer jebeg eingetnen
Xoueg nact) einem einfieitfic^en ^f'fi’naafee mit mat^ematifcfier ©enauigfeit
feftfet^t unb ben ©dngern norgeicfiuet. Unb in biefer iD^ettgobe fiegt bag
c^arocteriftifi^e SJcerfmaf, burcü roetc^eg bie „menfurirte" iD^ufif ber
„natür ficken" gegenüberfte^t *). 3'^ Se^tereu finb nom ©ompo=
niften nur bie Xone firirt, rodfirenb ber jebem eingetnen gu gebenbe -ttac^-
brucf unb feine ^eitbauer bem Urtfieile ber ©dnger unb itirer ©orgfatt
an^eimgegeben bteibt: eben unter biefer tRüdffid^t fann ber in bem mufi-
cafifcfien iBortrage tierrfcbenbe fRl^pt^mug atg „freier" ober „natürfid^er"
begeic^net roerben. menfurirten iDtufif hingegen erfc^eint mit ber
'Stetobie auct) ber „Xact", mit ben Xönen aucfi bie ©auer berfetben genam
beftimmt, unb fo ^errfcbt in berfetben ber „gebuubene" ober „fünfttic^e"
iRbpt^mug. 33ietteict)t indre, ftott ber testen iBegeic^nung , ber Sfugbrucf
„tecE)nifcf|er" fR^ptfimug norgugie^en; bcnn roie mir fc^on anbeuteten,.
eigentfi(^e „ib'unft" berodfirt ber ©dnger roeit me^r bei ber natürti^en
Üttufif, atg bei ber menfurirten.
506. 9}Ut ber 2tufna!^me ber menfurirten fttiufif roar aber einer
*) „Musica mensurabilis“, . „cantus longis brevibusque temporibus men—
suratus“, unb anberfeitS „Musica plana“ ober „naturalis“.
®cr al§ felbftänbigeS SJloinent in ber SOhifif. 791
Sllnvruug ddu bev eigentlichen Slufgabe ber iöJu|if ber iffieg geöffnet.
3nbem nämlich bei ihr bie iBeftimmnng ber ®aner |ebe§ 2:one§ nu§;
fd)liefelich in ber 4"'a'ib beä '3:onfel3er§ log, roor biefem bie Freiheit ge=
geben, bei ber fifeftftelinng be§ S^hblh^’’^^ @efangftncfe§
nnb beffen befonberen weniger nnberü(ffid}tigt jn
Inffen , nnb ben Dthbthnutd für fid) , ol§ ein felbftänbigeä Moment für
bie SSirfnng auf bo§ ©efühl geltenb jn mod)en. diegelmügigfeit nnb
Sc)mmetrie finb (rigenfdfoften , metd)e nidjt blof^ ber SSernnnft, fonbern
and) ben nieberen ®ermögcn jufogen, nnb inäbefonbere bie ^fjho'dafie nnb
bie finnlid)e Urtbeildf'roft jn lebhafter 3d)ötigt'eit mäcbtig reijen. 3^
f^olge beffen wirft ber nad) irgenb einem beftimmten ©efet^e georbnete
SBechfel furjer nnb langer ‘5:öne nntnrgemäf) an nnb für fid) fd)on, un=
abhängig non einer Melobie, fehr fühlbar erregend auf ba§ nicbere
etrebeoermögen nnb bod fi)inpathifd)e dteroenfijftem. ©inen 33eweid
für bieten bie unter fid) ganj gleid)tönigen klänge ber 5;rommet, bei
benen fa non einer eigentlidjen Melobie nid)t bie dfebe fec)n fann : fobalb
biefed regelmäßigem S:ncte gefd)lagen wirb, muß ein
bie angebentete SBirfnng wahrnel)men. 2lu§ bem nämlid)en ©rnnbe
empfinbet mcni bei hciworfted)enben leidjt fortraufd)enben dthbthi'ic'i iwmer
einen unwilltürlichen £rieb, ben Xact mitjnfdjlagen , bie Melobie mit;
Sniingen; nnb, wie Safanlr fid) etwas braftifch aber bejeid)ncnb auSbrücft,
eine lebhafte 'J.anjmnfif fährt biS in bie iBeine. Unter fold)en Umftänben
erfcheint ber dfhpthmnS faft wie eine elementare aturgewalt ; oon ber
Melobie unabhängig, nur iwd) an ben Jon gebnnben, nfficirt er nicht
bloß, wie e§ ja and) bie Melobie tl)nt, nnmittelbar nnb ^unäd)ft, fonbern
nahejn nu§fd)ließlid) bie nieberen iBermögen nnb ben leiblid)en Orgo;
niSmuS.
5jiefeS neue Moment, fagen wir, ber felbftänbige dthpthmnS, erfd)ien
mit ber ©ntwidclnng beS menfurirten ©efnngeS nnb bcS ted)nifd)en '^act;
maaßes in bie 'Mnfif eingeführt. Äonnte baffelbe immerhin, im red)ten
©eifte gehanbhabt, bie 3tiifgabe biefer .Rnnft förbern, fo war e§ bod)
offenbar eben fo fehr baju cingethan, berfelben neue öffnen.
fnfJttcL
tl c r 1 1 1 u r g i (■ d) e ® e f ö it g.
507. 3)er allgemeinen im erften itapitel gegebenen ©efinition ent=
fprechenb, haben wir bie Mnfif infofern biefelbe als religiöfe Ännft auf;
tritt, ju betrachten atS „bie Ännft, bie SBirffamfeit non (£d)öpfungen ber
religiöfen ifJoefie bnrd) bie Melobie ju erhöhen". SBefen nad)
crfd)eint bie religiöfe Mnfif l)ientad) an bie öffentlid)e liturgifdfe Shätigfeit
792
®ie liturgifd^e
ber Äirdje feineäraegs augfc^lie^lic^ gebunben; unb eä untevUegt feinem
3n)eifel, baj? forco^I ber einzelne G^rift für fii^, at§ 3Serfammfungen
oon rein prinatem (J^aractef biefe Äunft nai^ i^rem noÜen ^Begriffe an§=
üben fönnen. 'iRi(^t minber offenbor ift aber, einerfeitg, bafe bie Äird^e,
al§ „bie SDienerin ßl^rifti nnb bie 35erroalterin ber ©e^eimniffe @otte§"
(1. (Jor. 4, 1), fi(^ int eigentli(^ften Sinne beä SBorteg berufen unb
nerpffii^tet fe'^en mu^, bie ^unft um bie eä ficb banbeit, jn pflegen, unb
fie bei ihren liturgifcben ^anblungen ju nerroertben , forcie anberfeitS,
bap bie Äircbe biefe ihre Slufgabe ju allen erf'annt, unb ber=
felben foniel an ihr tag, treu gu entfprecben fi^ bemüht h^t. ^h<iffächt^
finb in Stuäbrücfe „religiöfe ‘üJlnfif" unb „liturgif^e
ÜJlufif" faft roie fpnonpm; unb iebenfatlg genügt bie SBiffenf(haft ber
f(hönen Jl'ünfte ihrer 3Infgabe nollftänbig, roenn fie ftatt ber ©attung,
ftatt ber religiöfen iHIufif nümli^, jene ?Irt in§ 3luge fa^t, bur(^ roelthe
bie ©rftere in ber iffiirftid)feit faft auäfdhUeBlich nertreten erf(heint.
SBir hanbeln aifo in biefem Äapitet non feuern ©efange, ineld)er bei
ben liturgifcben ^anblungen, b. h- 5unä(hft bei ber folennen freier ber
heiligen ülieffe, bei ben non ber Äirche angeorbneten „^agjeiten", unb
mag bie übrigen be§ öffentlichen ©ottegbienfteS betrifft, bei jenen
jur iUnroenbung fommen fann, für roetihe ber „5:ept" non ber Äirdhe
feftgeftellt unb norgefchrieben ift. 3*^l*ofern eg auper biefen aderbingg
noch liturgifdie 21nläffe gibt, bei roelc^en mit ©utheifeung ber Äircfte
religiöfe Sieber, auch in ber Sanbegfprad)e, jum Sortrage fommen, roetche
nicht ben liturgifdhen tßtidhern entnommen finb, raerben bie für (5ompo=
fitionen biefer 2lrt feftjuhaltenben ©runbfühe fchon in jenen enthalten
fepn, bie mir in .ülücffii^t auf ben eigentlidh litnrgifchen ©efang auggu;
fprechen haben.
§. 1.
,Anfotberungen, toefcbe bic iUefihetiß «n jcbc fitMtgifcfie ^u(tß ftcffcn mu^.
Sie Iiturgifcl)e iOlufit hat roefentlid) oom Xerte abhängig ju fepn, unb fich
biefem innig nnjufchlieüen. Dlothraenbige (?igenf(haften berfelben , bie fich
hieraug ergeben. Srei meitere jvolgeriingen.
508. 3^bem er ber Sage gebenft bie er, unmittelbar nach bem
©mpfange ber heiligen Saufe, an ber ©eite beg 2tmbrofiug in iJJlailanb
oerlebte, fchreibt, ju ©ott bem .^errn rebenb, ber heilige Stuguftin. „Sa=
malg fonnte ich nicht fatt toerben, in unfagbarer ©etigfeit bie Stefe
beineg 9iathfchtuffeg für bag etoige ^eil ber iöfenfchheit bei mir ^u er^
roägen. iXRit roeliher iÖfafht ergriff midh ber anbüihtige ©efang beiner
©emeinbe, roie oiel ha^e icf) geroeint bei beinen .'^pmnen unb Siebern!
TOie fie befd^affen fepn foUe.
793
lUHt bem ©efange ber in meine Obren [trömte, ergoß in meine Oeele fi(^
beine üöobrbeit, iinb e§ entbrannte mir in brifeer Stnbadjt ba§ -Sperj; bn
ftrömten bann meine Ofjränen, unb e§ mar mir fo mobl babei" 374).
©ingebenber noct) al§ in biefen äBorten, finben mir bie Sßirfimgen be§
Uturgifd)en @efangc§ cbaracterifirt in einer @d)rift, bie mir roenig innger
1'egn bürfte, at§ bie „Sefr^ndniffe" be§ großen 33ifcbof§ non .^ippo. Oer
Iitnrgi[cbe @e)'ang, brifet e§ bort, „regt bie ©eele an, ba§ ju lieben unb
ju umfaffen, roa§ bie muficatifdjen 2öeifen feiern. @r befd)roid)tiget bie
^Regungen ber ©inntiiibfeit ; er nertreibt bie böfen ©ebanfen, roelcbe unfere
unfidjtbaren f^einbe in un§ macbrufen; er ift für unfere ©eete raie ein
erquidenber Obau, ber fie befrucbtet 511 gottgefälligem ©trebeu; er ftärft
ben ©treiter @otte§ ju bocb^f^S'Sfnt Wutbe im Seibeu, unb roirb bem
frommen ©brifteu brü^nbe 2trjnei in jebem ©cbmerj biefeS Sebend. ©r
ift fened ,©djroert be§ @eifted‘, mit meicbem nach ber iö7abnung bes
SIpofteld (@pb- 6/ 17) ber ©treiter ©bi^ifü unfii^tbaren
^eiube ficb roaffneu fod; beim bad 2öort ©otted, magft bu ed nun btof;
bei bir erraägeu, ober ed fingen, ober ed im ©efange nortragen böreu,
üerfd)eud)t bie böfen ©eifter. raad immer ber ©eete bienen fann,
fie gu förbern in ber Hebung ber Ougenb unb ber ©ottedfnrd)t, geroäbrt
bem guten liturgifibe ©efong*" *).
SBie biefe und gegebenen Oefinitiou ber reli^
giöfen föhtfif nottfommen entfpricbt, fo rairb non ber raiffenfd)aftlid)en
Obeoiogie bie eine roie bie anbere beftätigt. „2Ber gnr f^-örbernng ber
2Inbad)t fingt," tebrt Obomad non 9tquin, „ber erroägt ben
Oerted mit größerer 9lnfmerffamfeit: einerfeitd, roeit er bei ben 25>orten
länger nerroeilt; anberfeitd roeit, um mit ©t. Stuguftin gu reben, ,atte
©efübte nnfered i^ergend, fe nad) ihrer 3Serfd)iebenartigfeit, mit beftimmten
fJRobulationen bed tonifcben ißortragd unb bed ©efanged in einer, ob
auch nnerftärlicben, 2ferroanbtfd)aft ftetjen, in fVolge bereu fie burd) eben
biefe fJRobntationen in nuferer ©eele roadjgernfen roerben‘. Unb gang
bad fRämtii^e gilt non benen roetcbe bem ©efange gnbören. Unb ob
unter biefen and) fOfancbe finb, roeldie ben Oept bed ©efanged nidbt ner=
fteben; fie roiffen bocb, roarnm ber ©efang aufgefnbrt roirb, nämücb gnr
9SerberrIid)ung ©otted; bad genügt aber, and) bei it)nen bie 21nbacbt gu
förbern. Oie fJRelobie bitbet" mitbin „ein geeigneted i)Jfittet, bie ©efübte
*) Responsioiies ad orthodoxes de quibusdam necessariis quaestionibus,
qiiaest. 107. (Migne, Patrol. graec. tom. 6. col. 1354.)
3tt§ ein äßevf be§ b^iligen bes 5Diärtt)rers, bem fie ef)emal§ äugefd)rieben
TOutben, tonnen biefe in griet^ifdier ©praibe gearbeiteten „Seantroortnngen" ficfiev
nicht gelten; nad) qßrubentinS 3Jtarann§ imirben fie roabrfdjeinlicb in ber erften
|)ätfte be§ fünften 3ob’^b"nbert§ Derfafft.
794
5Die üturgifdje SJlufif:
ber (Sl^rfur^t Dor @ott unb bev Stnbac^t in betn ®emüt!^e ber ilRenfd^en
311 beieben: unb bte .^irc^e tl§ut mo^i baran, ba^ fte beim ©otteSbienfte
fic^ be§ ©efangeä bebient, um fo ber menfc§lid^en Sd^n3äc^e ju §ülfe ju
fommen, unb bie ($!^riften rairffamer jur Stnbac^t ju ftimmen" 375).
509. iRat^bem mir ^ierburc^ bie SBirfungen, unb in biefen ben
roeientü(|en 3™^^ üturgif(!^en @efange§ feftgeftellt §aben, finb mir
im Staube, bie ^rage 511 beantroorten, mie berfelbe befc^affen fep müfje.
Senn eben na^ feinem 3roccte beftimmt fid) ja immer ba§ iS^ittet, unb
und) ben Söirfungen rael^e eine Äunft ju beabfid)tigen fjat, bie ©igem
fd)aften bie in it)ren Seiftimgen ^ernortreten müffen. iRad) einem alten
'•Bianufcript be§ Ä'IofterS ©t. ©aden fotl ber üturgifdie ©efang fo be^
fdbaffen fepn, bafe „ba§ Opfer be§ Sobeä roel(^e§ bur(^ benfetben ©ott
bem i^errn bargebrad)t rairb, i^m tieb unb roert^, ben ©ngeln mo^'
gefätlig unb angenehm ift, unb alten ilRenfcben jur f^reube unb ©rbauung
gereid)t: inbem e§ nämüd) biefe jur iJtnbacbt unb ju bußfertiger ©e=
finnung ftimmt, fie anregt bie SBorte ber ^eiligen ©dlirift ju befierjigen,
unb ißre ©eele emporljebt jur 33etrad)tung ber ©eßeimniffe ©otteS" *).
5lber biefe f^orberung ift etma§ ju allgemein gehalten ; nerfud^en mir, fie
beftimmter anäjubrücfen.
SBie bei alten ©efülilen, fo ift aucß bei ben religiöfen ba§ Sßor^
jüglidiere unb SBefentticbere, unb basjenige roorauf e§ eigenttid) anfömmt,
nicht bie IRegung be§ finnlidien ©trebeoermögenä, fonbern jeneg ©lement
berfelben, beffen iprincip boä höhere ©trebeoermögen bilbet. Sem ganj
emfpre(^enb , mnf) auch unter ben jroei ilRomenten au§ benen fid) bie
'Peiftnng ber religiöfen ilRufif jufammenfeßt, al§ ba§ erfte unb oorjüg^
ti(^ere ba§ 25>erf ber ifSoefie, ber titnrgifcf)e Sept gelten, bie ülRetobie
bagegen al§ ba§ untergeorbnete , fecunbäre. Senn biefe regt junäcßft
unmittelbar bie nieberen pfpd)ifd)en SSermögen an (Mbap. 1), roährenb ber
l:ert fi^ üorjugSmeife an ba§ höhere ©rfennen roenbet. ©ben ba§ liegt
fcßon in ber non un§ gegebenen Sefinition, nad) roelt^er bie retigiöfe
üRufif nicßt etraa bie SSirffamfeit be§ Septeg ju erfeßen, fonbern bloß
fie 5U erßößen berufen ift. .*^ierau§ ergibt fid) bie principieUe f^or^
berung: Sie titnrgifcbe ilRufif ßat roefentlicß 00m Septe
ob h äugig ju fepn: ißm folt fie entfprecßen, an ißn fi(^
innigft anfcßmiegen, mit ißm ficß ^u einer angbrndSootlen
©inbeit oerbinben.
©ie rairb ba§, raenn fie in ißrer 3lrt benfetben ©eift atbmet, oon
raeldiem bie liturgifcben Oepte getrogen erfcßeinen. Sie Seßteren finb
großentbcitg ber b^iltQ^i^ ©cßrift entnommen; biefenigen raetdbe anberen
*) Ex Cod. MS. Monasterii S. Galli in Helvetia, cista V. n. 89. (S. Gregor.
M. opp. omn. ed. Gallicciolli, tom. 11. pag. 347. )
roie fie befc^affen fc^n fotle.
795
Uvfprungeä finb, tragen ba§ gleiche ©epräge lüie bie 2Bovte ber '^eiligen
vSd^rift: [ie ent^atten inte biefe ba§ ®ovt @otte§, unb finb itjrer itm)er=
gteic^Udjen ©arftellungSroeife nut feltenem @ef(^t(f nadjgebitbet. ®te
einen roie bie anberen aber bringen in nnnbertrefftid)er 35>eife bie @f)r=
furd]t Dor ber iKaieftät be§ Slüer^ödjften, joroie ade roeiteren übernatür^
lid)en ©efil^Ie jum ?ln§brnd, mit roetdjen bie (5t)rifteid)eit ba§ „iDtpfterium
j^ibei", ba§ Opfer beS £'eibe§ nnb 33Uite§ beä i^errn feiern, non benen
fie erfüdt fepn folt , fo oft fie fid) am „O^rone ber @nabe" oerfammelt,
um il^r ßob unb itiren Oanf, itjre Stnbetung nnb il)re Siebe, i!^re Diene
unb it)re ©ebete nm bie ©nabe be§ l^eiügen ©eifteä nnb um ©rbarmung,
ber alterl^eitigften Oreifaitigfeit bar.ytbringen. 6infa(^l)eit unb SÖürbe,
uotle Diatnrtidjfeit , Diul}e nnb männtid)er ©rnft, ergreifenbe 5l'raft nnb
©albiing, Slbet nnb ©rofmi^tigfeit , ©rbabenl^eit , bad finb in f^otge ^ier^
Don bie d}aracteriftifd)en Oop^üge ber Utnrgifcben Oerte. Diic^t nur, biefe
Oorjüge nidjt ju übertönen, fonbern biefelben in erpötem DJinap proor;
treten jn laffen unb fnbtbar ju mad)en, bajn muffen fotgtid) bie DJietobien
angetpm fepn. Oie finb bad aber nur bann, roenn fie biefelben g(eid)=
falls befitjen. ©infadi nnb natürlidi foll mitpn bie liturgifd)e
DDiufit fee)u, rnt)ig nnb ernft, männlid) fromm, traf tu oll, ebel,
großartig, anbädjtig, jn eljrfnrditiger Oammlnng , nnb innigem,
oertrauendüodem 33eten ftimmenb 37«).
510. 2tld ungeeignet nnb ntmiläffig bagegen roüre febe DJtnfif ju
bejeidinen, roeld)e nid)t fid) oom vierte, fonbern biefen uon fid) fetber
abpingig mad)te, unb in fyolge beffen bad Sierftanbenroerben ber SSorte,
ftatt ed jn förbern, pnberte ober erfd)roerte. ©in 4'^auptgrnnb luelper
foroop anf bem ©onctl jn Orient, ald unmittelbar nad) bemfelben uon
bem piligen ©art 33orromänd , in ber uon ']3ind lY. mit ber Unter'
fupung ber f^-rage über ben liturgifdien ©öefang betrauten ©ommiffion,
gegen bie menfnrirte DDiufif gettenb gcmad)t rourbe, beftaiib barin, baf)
burp bie Seziere bie SSorte bed Oepted nnuerftänblid) mürben*). Unb
eben biefe fvorbernng, baf) bie DDielobie ber Oeutlic^feit bed Oortraged
feinen ©intrag tpm, unb bie liturgifdien Oerte uollFommen uerftünblid)
bleiben follen, betonen um biefelbe f^eit mit befonberem Diadibrud bie
Opuobeu ju ÜRailanb unb ju Xolebo 377).
Dlld ungeeignet unb unjulöfiig roüre nod) entfe^iebener jebe DJUifif
ju bejeiebnen, roeld)e uor bem non ber p'irdje feftgeftellten unb ftrenge
Dorgefd)riebenen liturgifpen Oerte nid)t einmal fouicl Stdftnng beroiefe,
bap fie fid) l)eraudnüt)me, fep ed bnrd) SBeglaffen uon Söorten ober
Oäfeen, fep ed bnrd) tpinjnfügen neuer SSorte, benfelben ju üubern.
2Senig beffer ald bad .^injufügen neuer 25>orte, roüre offenbar and) bad
') 3?gl. ütmbroS, Sb. 4. ©. 16. 21. (6it. 387.)
796
®ie liturgifd^e SiJiufif:
me^rfa(^e ®ieber'^oIen fold^er, bie im liturgifcfien Jev'te f^on fielen. ®ie
Ätrd)e !^at mit Otecl^t ba§ ^efetj ertaffen, baft bei ber geier ber Zeitigen
iB7e[[e joroo^t, olä bei ben anberen rovjügtii^eren Functionen, ausic^üej3lidj
iinb genau bie oon i§r fe[tge[tetlten Fo™uIarien jur SInroenbung gu
fommen :^aben, unb jugleidö mit energischer ©(^ärfe jebe Stbanberung
berfelben, jebe§ ^injufügen ober SKegtaffen unterSagt*).
iMt§ unbrauchbar unb ungutäfeig müßte britteuä überhaupt atte
^u]if gelten, roelche e§ at§ ihren eigentlichen 3roecf anfühe, ben 3“=
hörern öfthetiichen @enu^ ju bieten, ©ine fotche tergäße nicht allein ihre
Toefentliche Seftimmung, — unb hörte baburch auf, religiöfe iJJtufif
ju fepn , — fonbern fie träte mit ' ihrer 33eftimmung in SSiberfpru^.
@tatt bie Sßirffamfeit be§ liturgifchen $epte§ ju erhöhen, mürbe fie biefe
paralpfiren, ftatt bie ^tnbaiht ju förbern, biefetbe ftören unb roirffam
beeinträchtigen. „3^rte ÜRufif," lehrt S^h^ntaä oon 3Iquin, „roelche barauf
auggeht, äfthetifihen @enuh ju geroähren, jieht ba^ @emüth ab oon ber
9fufmerffamteit auf ben Jept“ 375).
§• 2.
|>te Schöpfung Gregors bcs
SDer ©regorianifdhe @efang entfpricht in ber ooUenbetften SÖSeife alten 2lnfor;
berungen ber Slefthetif: 2lmbro§, (Karriere, ihiöaut, Forfci» bie iöertiner
ilKufifjeitung , unb nochmatö Slmbroä unb (Karriere. J)er ©regorianifihe
@efnng aEein ift im eigentlichen Sinne ber liturgifihe (^efang ber Äirche:
iöenebict XIV. ®te iDtufif @regor§ beä ©roßen ift überbie§ bie einzige
©runblage, auf roetcher bie gefammte europätfcbmbenblänbifche Äunftmufif
fich entroicfelt hat.
511. ®ie in bem oorigen ^Paragraphen entroidelten Fo>^berungen
enthalten bie ©runbfäpe, roelche in feber liturgifchen iUiufif herrfdheti
müffen. ©§ ift einer ber hernorragenbften 23eroeife für baä SBalten be§
©eifteg ©otteg in feiner Äir^e, baß bie Se^^tere bereitg im fech§ten
Fahrhunbert ihreg ißefteheng ein muficalifdheg ©pftem jur ißoEenbung ju
bringen oermochte, roeldjeg jenen ©runbfähen burch unb burdh unb in
jeber 33ejiehung entfpri^t; auf ©runb beffen fie barum f.ch ooEfommen
berechtigt fieht, ber nicht mehr irbifchen ©efänge ber ©ngelchöre unb ber
SSerflärten am S-ßt^one ©otteg gebentenb, aHjährlich am ©ebächtnißtage
ber .ftird)roeihe gu fingen:
*) Pius V. Const. Quo primum tempore, pridie Idus lul. 1570. Quod
a nohis, VII. Idus lul. 1568.
bie <£c^öpfu«g @regoi'§ be§ (Sropcn.
797
'JUe raftenb burd) bie ©ottcöftabt
Jönt ;;)iubc[Heb imb 3Bonneflang,
T ca (5inen unb ®reifaitigen 9tu^m
‘inxift [tctd ber vSetigen l'obgefang ;
'D7 i t 3 i 0 n § i) m n c it ft e t g t e m p o v
e 1 1 e i f e V n b nufer .'Q o d) g e f a n g *).
2©ir haben nicht nöthig jn fagen, ba^ rotr non fenen ÜOtetobien reben,
bie nach bem 9iamen eineö groBcn i|]apfte§ unb Ä'irchentehverä genannt
inerben. @in nenevev 5f'id)ter fchliefit fein Sonett „@regor ber @ro^e"
mit biefen 3?erfen ;
3u fügteft ju @ehet unb SBort bie 29cifen
Erhabenen @efange§, untrbige Jniite,
3 u V d) bie b e n ^ f (fuget f c l b e r p r c i f e n ** ***)).
Solange e§ eine Äivd)e (Sfotteg auf biefer (Srbe gibt, roivb ber 9tame
biefes „nnnevgleich(id)en f),)fanne§" **"*') niematg ber SSergeffenheit anheim;
fallen: hätte er felbft nid)t§ iflnbereg geleiftet, allein fd)on in bem h^h^^i^
SfBerthe biefer oon ihm uollenbeten „Jffeifen erhabenen (ffefangeg'' läge
bafür bie oolle 33iirgfd)aft.
3afs mir mit 9ied)t fo reben, baoon mürbe fid) ohne „Hi'oeifel am
entfd)iebenften ber nberjengen, meld)em eg geegeben märe, einige
IRegengburg, Cföln, 9J7ünfter ober iprng jn oermeilen, nnb bort in ben
Somfirchen, bejiehnnggmeife in ber J?ird)e beg 23enebictinerftiftcg (f-mmang,
bie (Sfregorianifchen ''Dtelobien , im red)ten (Meifte oorgetragen, felbft jn
oernehmen. biefeg geeignetfte ffftfittel Üfielen nid)t jn (Siebote
fleht, bleibt nng nur übrig, nuferen Saij burd) ^eupiffe glnnbmürbiger
(Sfemährgmänner ju erhärten. Unb fold)er '^olU
fommen nnparteiifcher, gibt eg nid)t menige.
512. 3lmbrog nnb (farriere rühmen an ber fOfnfi! (Sfregorg beg
(SfroBen ihre „hoffe SBürbe, ilfre groffartige (finfadfheit nnb einbringliche
jlraft" t). '5ür bie liturgifdien .'^anblungen , uerfichert nng ber (frftere
*) Sed illa Urbs coelestium
Semper resultat laudil)iis,
Deumque trinum et unicum
lugi eanorc praedicat:
IIU canentes hmijimur,
Almae Siom's aeniuli.
Breviar. Rom. Com. Dedicat. Eccles. ad Land. (®ie Ueberfepuitg uadf ©thloffer.)
**) ©djrott, 3?ieuen, ©. 93.
***) Incomparabilis vir t)eifft @regor ber (Mrofee im römifd)cu tOtartprolo:
gium am 3. September, bem feiner 22eif)e jum Sifd)of.
j) 3(mbro§, Sb. 2. S. 67. (Sit. 387.) (Karriere, 3, i. ©. 94. ((Sit. 339.)
798
®ie litiirgifc^e 3[Rufif:
(a. a. O.) überbieä, „läßt eine allen Slnforbevungen beffer ent=
jpred^enbe, jn>ecf= unb fac^gejnäpere ©ingrceij'e faum benfen. ®er 3:on
be§ fe[tli(^en i^pmnuä Hingt im ?Otagniiicat , im ©eiim/' im Seite;
bictu§ ; „ber Jon feierlii^en innigen @ebete§ in ber ^räfation, im i^atev
nofter. ^n ben ©botalen, in benen fic^ Jon neben Jon, au§ge!^alten,
gleid^mäfeig, feft, [treng, roie in einem Safitifenbau eine ©ranitfänle neben
bie anbere, l^infteClt; in ben, reid^em Ornamente nergleic^bar, in colorirten
Jongängen fid^ evge^enben Intonationen be§ efi/ Slüeluia:
ift e§ [tet§ @in unb berfelbe @eift, ber jidb in ben nerf^iebenften formen
unb ©timmnngen au§fpri(^t."
^aft üier ^n^njel^nte beoor 3(mbro§ bie)e§ ]d[)rieb, l^atte Slnton
iVriebrid^ 3nftn§ J^ibaut (f 1840), eben fo berühmt al§ Henner ber
daffifd^en JRufif roie al§ illed^tSgele'^rter , in feiner ©d^rift „lieber bie
9ieinf)eit ber Jonfunft" *) „bie groffen Urgefänge roeldl)e bie Slmbro;
fianif^en unb @regorianifdf)en genannt roerben", al§ „roal^r!^aft ^imm;
lifdje, erliabene ©efänge unb Intonationen" bejeidfmet, „roeld^e in ben
fctiönften Urzeiten oom @enie gefdiaffen unb oon ber Äunft gepflegt,
bag ©emiitl) tiefer ergreifen, alg oiele unferer auf ben (äffect beredlineten
neueren ßompofitionen". Unb ein Siertelja^r^unbert oor bem Reibet
berger ^nniften ^atte abermalg ein ’f3roteftant , jugleid^ ein großer Ser=
e^rer Sacl)’fdl)er JRufif, ber um bie Jonfnnft fiodjoerbiente ÜUiufilbiredor
an ber Unioerfität jn ©öttingen ^o^nnn 9Ucolaug f^orfel (f 1828),
über bie d^regorianifd)e üJtufif fidb atfo auggefpro^en. ,,©ie bat nun"
(1801) „fdbon DoUe ^roölf ^abi^finnberte gebauert, unb roirb roabr;
fdbeinlidb fo lange fortbauern, alg 9t eligiongübungen unb
allgemeine religiöfe ©efdnge unter ben iötenfi^en fortbauern
ro erben, ©dbon biefe lange Jauer ber ©regorianifdben Singart allein
ift ein Merfmal, bajs fie bie roabren ju einem allgemeinen Sotfggefang
erforbcrlidben (Sigenfcbaften in fidb haben müffe, roenn eg ficb aud) nii^t
aug ber 9tatnr ber Sache bartbun unb begreiflich madben ließe. 2Bag
fi^ burdb fo oiele ^ab^hwuberte, unb gerabe burdb folibe, in roeldben in ber
^tunft ju ber eg geredmet roerben muß, bie manuicbfaltigften Slenberungen
unb Serbeffernngen gemacht roorben finb, unoeränbert erhalten fann,
bag muff einen unjerftörbaren SBerth in fidb haben"**).
Solllommen beftütigt, unb pglei(^ begrünbet, erfdheinen biefe groei
3eugniffe in einem britten, roeldheg gleidhfattg proteftantifdhen Greifen enU
ftammt. lünftlerifdher tpinfidht müffen roir befennen," fo
in einem 9leferat ber Serliner iUtufifjeitung , „bafi bie @regorianif(^en
©efänge bei aller ©infadhheit unb (Einheit, bie fidb in bem firibtidhen
*) §eibeI6erg 1825. — 5. 3tufl. 1874.
**) gorM, 9ttlgemcine @efd)idite bev SRufif, 2. (Seipjiö 1801) ©. 166.
bie Schöpfung ©regorö bee @ropen.
799
6I)aracter concentvivt, eine grofee iD^annic^fattigfeit offenbaren; ntet)v nod),
baff bie iBIelobien ben oinn be§ SiejeteS auf ba§ ©enauefte
roieberfpiegein, bap beibe, Jept unb 9)Jelobie, ftets nollfommen
©inä, roie au§ ©inein ©uffe geffoffen finb . . ^Die Ijödifte Stufgabe
be§ ©efangeS ift bie, bie ©iefid)te beö i^erjenS in itönen ju offenbaren,
nnb gleid)e ©efnfile in ben ^^erjen ber 3upver ju enneden. ®iefe
Stuf gäbe erreii^t ber ©iregorianifdje ©efang nottfommen. @r tnirb
baber ftet§ bei febent roat)ren SShififfenner feinen inneren SBertb be=
baupten, roenn er audj in ben neueren 3«den in ber fatbotifd^en Äird)e *)
faft burdjraeg uerfannt nnb mif^fannt raorben ift. fffreilidf, iner ben
©utminationäpunft ber ©efangfunft in S3raDOur=Strien fucbt unb finbet,
ber finbet iin ©regorianifdfen ©efange fdjioerlii^ S3efriebignng. SBer aber
ohne SSorurtbeil auf ba§ innere SBefen ber S07ufit, auf ihren
namentticb ben religiöfen, tirdjticben bticft, ber roirb jugeben muffen, bafj
bie ©regorianifd)en ©efange nnoergteidflid) b aftet)en'' **).
,,;3b^'^ innere ßebcn§traft" — mir geben roieber bern jüngften ©^e=
fdiid)tfd)reiber ber SDtufif', Stnguft SSilbelm Stmbro§, ba§ SBort; um fo
lieber, ats and) SSiorij ©arriere bie ©teile roertboolt genug gefuuben, fie
faft unnerfürgt aufjunebmeu , unb babnri^ feine nolle 3wftt'tnnung ju
ihrem 3’^b^^t auägefprocben bat; — „bie innere Sebenäfraft biefer ©e--
fänge ift fo groff, baft fie auch ohne alte i^aTOOi^tfirung fid auf bas
^ntenfiofte gettenb madjeu, unb nitbts roeiter jn ihrer notten 33ebeutung
ju erbeifiiben fd)einen; mabrenb fie bod) anberfeitS für bie reidbfte unb
funftootlfte btii'nionifd)e S3ebanblung einen nicht gu erfdiöpfenben ©toff
bieten, unb 3(tbt‘bi"iberte taug einen ©d)a^ bitbeten non beffen 9teidj=
tbümern bie Äunft gehrte. ©)ie SOiufit ift an ber geroaltigen
ßebenSfraft beS ©Iregorianifch^i' ©efangeS erftarft; fie t)öt
fid) an feinen SJtetobieu , non ben erften nngefd)id'ten 2}erfud)en beS
OrgannmS, ber ©iaphonie unb beS fyanrbourbon an, biS gur hödjften
SSottenbung im if.'a(eftrinaftpte h^T^ttitgebilbet. Unb, ronnberbar genug,
neben ben höri)ften Ütefuttaten, roelche non ben begabteften ©eiftern
in jahrhunbertetanger Strbeit auf biefem ©ebiete geraonnen morben finb,
fteht bie ©regor ianif d) e SStelobie in ihrer ein f ad) ft en Ur=
geftalt nii^t alS rohe erfte jlunftftufe, fonbern atS ein ©teid)=
bered) tigteS ba; uai^ bem ferapbifd)en ©timmengeinebc
eines Ä'prie non '|>aleftrinn ergreift. baS gong einfa^e ,©Horia in epcetfiS
*) 3tber nie unb nimmer uon ber fathotifchen Äirc[;e.
**) $iele§ mie bie jroei DorauSgehenben ßengnipe finb ber 9lbf)nnblung ent;
nommen: „(5f)oral unb Siturgie . . 93ou einem 23enebictinermönd)e beä Älofters
©t. 9Jlartiu 511 ®euron" (©d)affhaufeu 1865) ©. 70 f. ®er ucrbiente ißerfaffer hat
leiber bie Cuelle nnmentiid; be§ legten 3fi'gnifie§ ju roenig genau angegeben.
800
®ie ltturgiftf;e 2Rufif:
®eo‘ au§ bem 3[Runbe be§ ^riefterg mit bem 3;one maieftätifc^er @rö[te
unb jugletd) eineS iubelDoCten Sluffc^roungeä , roert§, bie ^errl^feit beg
ätUer^öd^ften ju oerfünben. ®ag SiRitteiatter fa^ in biefen ilRelobien
gerabeju 2Ber!e göttlicher ^njpiration. ®er S)iacon i|}autug hatte ner=
fichert, auf ber ©(^ulter beg fchreibenben ifSapfteg bie hiatnrUfi^e 2:au’6e
fi^en gefehen ju haben ; für bie ?[RaIer mürbe biefe fein Sßahrjeichen'' *).
513. f^ür ben fatholifchen ©h^tftea freitich bebarf eg, bamit er fidh
beftimmt fehe, ben ©regorianifchen @efang ju ehren unb hoi^hsufthät^en,
roeber ber eigenen (Erfahrung,, nodh ber ©arantie fachoerftänbiger iÖieifter.
3hm genügt hierfür bie hiftorifche Shatfache, ba^ bie ^lirdie ©otteg biefe
i);)tufif ang ihrem innerften ©eifte erzeugt, unb fie feitbem ununterbroi^hen
antonomaftifch atg bie ihre betrachtet unb behanbelt hat: jumal, roenn
er biefe ^hatfache ber ©efch^te, unb baju nod) unferen ®a^, ba^ bie
©^regorianifdhen SBeifen für bie liturgifdhen ^anbtungen mehr alg irgenb
roelche anbere ?Ü'Jufif fidh eignen, burch bie authentif(he ©rflärung ber
oberften .^irten ber Äirdhe befiegelt fieht.
„®er ©efang ber ^ir^e ift berjenige, ben nach i^en ©runbfü^en ber
Jontunft augj^ubilben unb ju nerüoCtfommnen ©regor ber ©ro§e, Unfer
heiliger SSorfahr, bem 3eugniffe ber ©efchichte jufotge feine iJJfühe gefdjeut
hat. ®iefer ©efang ift eg, roefcher in bem ^erjen ber ©laubigen bie
2tnba(ht unb bie ©efühte ber f^römmigteit roadhruft; biefer ift eg mit
©inem Sporte, ben alte gotteg fürchtigen ©h^iften, roenn er nur
in ber rechten SBeife unb mit SBürbe oorgetragen roirb im §aufe ©otteg,
am Heb ft en hören, unb ben fie bem menfurirten ©efange mit tRedht
Dorjiehen. ®ie D^öuche haben benfetben einft oom ©ücutarcterug
geternt; aber fie geben fi(^ atte ü)tühe, ihn bei ben liturgifdhen ijaub=
tungen mit 0orgfatt unb ifJrücifion ju hanbhaben, inbefe mandhe Sßet©
priefter ihn nachtä^ig unb geifttog uortrageu: unb bag ift nor^uggroeife
ber ©runb, roeffhalb bag 35otf lieber bie Ä’irdien ber Orbengteute auf;
fud)t, atg jene roo ber ©ienft uou Söettprieftern nerrichtet roirb" 378).
üttit biefen Sföorten, in feiner ©ncpctica oom 19. gebruar 1749, hat
®enebict XIY. bag Urtheit ber Äirche über ben ©regorianifdheu ©efang
mit ber notlften jl'tarheit auggefprodhen.
514. 3)erounberer unb roarme fV^eunbe ber profanen Jonfunft,
roetche bie ?9tetobien non benen roir reben, oielteidht f^roerfütlig iinb
tangroeitig finben, — grojfentheitg rooht nur barum, roeit fie biefetben
ni(ht recht fenneu, ober fie nie gut oortragen gehört, — fottten nidht
überfehen, baft and) jene iDcufif oon roetcher fie fich htageriffen fühlen,
ihre iffiurjetn tebiglid) in ber non ber ^iri^e begrünbeten unb ge;
pflegten Stonfunft hat. ©enn in ben römifchen 0ingf(^uIen, bereu erfte
*) 2tmbro§, 33b. 2. ©. 67 f. (Sit. 387.)
bte (£d}opfitng @regor§ be§ @ro^en.
801
im 5tnfange be§ nievten ©Uüeftev gvünbete,
ftellten fic^ allem 51nfd)euie nad) jene Jonrei^en feft, roelc^e man mit bem
IRamen ber ,,aut'^entijd)en'', b. ber ädjten, uvfprünglid) uon bcr
Äivdje fanctionirten ju bejei(^nen pflegt; imb biefe liabeu, mit beu
etma breilpinbert fpätev non @regov bem @ro^en liinjugefügten
„©eitentönen" ober „plagalifd}cu" ©onarten, big tief in bag 17.
bunbert Ijereiit bag f^-uubament aller muficalifd)en (iompofitioii gebilbet*).
llnb „ber @regorianifcbe ©efang", fo bejeugt ung Slmbrog bei einer
anberen @elegenl)eit, „bat in ^Inlien nnb in ©eutfi^lanb unb
O'mglanb ben 3?oben bereitet, baft bie enropnifdjmbenblnnbifdte tDiitfif fid)
in allen biefen Scinbern glcidbartig entroideln fonnte; roie benn bie
Ä i r tb e ü b e r b a n p t bie © o 1 i b a r i t ä t ber e n r o p ft i f e n 6 u 1 1 n r
ancb fonft begrünbet Ijal**)- rnbte anf bem @regorianifd)en
@efange ein eigener ©egen ; bie öänber meld)e il}n annabmen nnb bie
mir eben genannt, roaren alle bernfen, ipflegeftntfen ber i),lhifif jn raerben,
roo fie mie im SH'etteifer geförbert ronrbe, nnb ronnberbnr gebielj. ©ie
fpanifdb^ .^albinfel roo ber römifdbe ©efang erft fpät, unter Ullpbong Y.
nnb @regor YII. ^'ingang fanb, bat ficb in ber Sonfnnft big beute ftetg
an f^rembeg gelehnt, an bie 3©eife ber Ulieberlnnber, ber ^italiener: eg gibt
eine fpecififd) fpanifdje i)D7alerf(^nle, eine fpecififdj fpanifdje i^oefie, aber
feine fpecififd) fpanifdje Ännftmufif . . . ©regorianifcben @cfange fanb
bag iDcittelalter einen gegebenen ©toff 511 mnficnlifd)er Hebung: er ronrbe
ber cantus ßrmus, ber ,feftc‘ ©efang , ober ber tenor, bie ,fefte 33eftim=
mung‘, roeld)e bnrd) fdjmncfenbeg lleberbanen mit bem barmonifdien @efüge
einer jroeiten, britten, ober nod) mebrerer ©timmen, 51t fnnftuollen reidjen
ÜRnfifftürfen 91nlaf) bot, ohne baf) an fie felbft getaftet roerben bnrfte. ®ie
@regorianifd)e ilRelobie roar ber itern, nm ben nlleg Slnbere frpftallifirenb
nnfiibo^, im @regorianifd)en ©efonge lag ade Orbnnng ber iDcnfif" ***).
OJiitf) cs febcnfallg ein nberanS gebiegener Jbern fcpn, ber für einen
folcben 9feid)tbnm eben fo fd)öner roie mannicbfaltiger neuer SSilbnngen
alg anSfd)liefdid)er ddittelpiinft jii bienen fid) geeignet erroieS; ein mit
ganj einjig bnftel)enber (:fieninlitnt firirteg ©pftem, roeld)em mel)r alg ein
üodeS ^ub^'lanfenb l)lubnrd) bie gröfüen ©eifter fid) roiüig beugten: bann
fann roobl cinjig ber iOcnngel an (Sinfidft eine 0*ntfd)nlbignng bilben für
ben, roeltber bie ©dföpfnng beS „nnoergleid)lid)en 'Papfteg" geringfdjäpcn
jn follen glaubt.
*) 2?gt. 3tmbro§, 53b. 2. S. 13. 45.
2öa§ bie erioäbnten „aiUbc'Uifcbcn" Sonavten betript, fo luerben btefelben
übrigens audb roobl non bem beitigen 5ünbrofiuS bcrgcleitct.
**) SSon 5(mbroS nnterftridben.
***) aimbroS, 53b. 2. @. 121 f. ((5it. 387.)
Sun g mann, 2Ieftf)ctif. 2. Stur't.
51
802
®te liturgtf(|e aJJufif:
§. 3.
Per ttof^j»^onc ^efang im Reifte bcr römifj^cn pc^jife.
®ie Sinroenbung beffelben bei ben liturgi[c^en ^anbünigen ift gulä^ig; fein
^o^er äft^etifdier 2ßert!^. Söarum be^ungead)tet ber einfa(^e @rego;
rianifc^e (Storni me’^r empfehle, unb nad^ roeld)en 9iü(f [i(^ten , in 33ers
binbung mit biefem, polpp^one ßornpofitionen jur Slnroenbung fommen
fönnen.
515. Sieben bem alten @regoriani[c^en (S^oral gibt e§ übrigen^ noc^
eine anbere ©tngtneife, beren Slnraenbung bet ben liturgif(^en ^anblungen
bie @ene^mignng ber Äirc|e erlangt !^at, nteldbe barum gleiii^fallS al§
ben int erften i|5aragrapl^en geftellten ^orberungen entfprec^enb gelten ntu^ :
baä ift jener „polppljone" ©efang, treuer fitf) auf ber ©runblage be§
©regorianifdjen entroicfelte, unb ntöl^renb ber jroeiten §älfte be§ 16. 3^§r=
Ijunbertä in ben großartigen ©djöpfungen i]3aleftrina’§ feine SoUenbung
erreid}te*). 3lber, ba§ bitten mir ben Sefer ju beachten, einzig infoferner
bem ©eifte ^f5ateftrina’§ oottfommen treu bleibt, unb aiu^ jenen fyeliler
oermeibet, ben ntir an einer anberen ©teile (©. 393) gerügt !^aben, nur
in fofern jagen mir non bem polppl)onen ©efange, baß er ben f^orberungen
ber Sleftßetif an bie liturgifdje ilJiufif genüge, unb bie SSilligung ber
itirdte gefuuben l)abe.
^)3aleftrina’g iSiufif, foroie bie feiner unb Äunftgenoffen unb
feiner 91a(^fotger — mit ©inem iJlamen bejeidjnet man fie alä bie
„römifd)e ©d^ule" — ift i^rer ganjen ißeftimmung na(^ „ÜRufif für bie
Äiri^e, für ben ©otteSbienft, für ba§ Jbiri^enjaßr mit bem reid)en Ärange
feiner mit feinen j^-eftjeiten , mit feinen 2;agen ber Trauer, ber
2:röftung, be§ ^ubeld, ber 2öei§e, be§ ®anfe§, ber Slnbetung. ©ie ift
nid)t ein äußerlidb ßerangebracbter ©(^mucf für ade biefe reidien, mannid§=
fad)en liturgifdjen ©inrii^tungen, fie fügt fii^ ilmen ein al§ integrirenber
23eftanbtl)eil. 2lu§ ben 23ebürfniffen ber Siturgie ber Äiri^e lierDor=
gegangen, burc^ bie Liturgie au§gebilbet, uiib nur innerhalb ber Siturgie
lebenbig unb raat)r unb nur bort an ber redjten ©teile, rourjelt ber ©tpl
biefer ‘üJiufif in bem uralt gel^eiligten ©regorianifdjen ©efange, au§
roeld)em er raie eine ßicßtblume emporblülit, iu ben Äird)entonarten, beren
ßbd)fte unb feinfte Sludbilbung er barftetlt, unb roetd^e l^m feinen mufi=
califcben ©^aracter gegeben ^aben. 2ln 5Durd)bitbung roie an ißefeelung
fte^t er gegen leinen anberen ©tpl, audb ben ßöc^ften nicht, jurüd. ©r
*) 3ob(mne§ tßierluigi ift ber eigentli(he 5tame biefeg tOleifterS, ber p tßate=
[trina (i]3ränefte, nid^t rocit ron SRom) 1514 geboren, al§ 0(ht5tgiät)riger ®rei§ 1594
äu tftom unter bem Seiftanbe be§ beitigen ipt;ilippug 9leri ftarb.
ber poh;pf)one ®efang im ®cifte ber vömifd^en ©c^ule.
803
podöt nic^t, raie bev jpäteve , bte i'eiben)d)aften ber ‘üJienfdjen
auä U)vem @d)Iununer : er Ijebt beii (Seift in reine, IjimmUfd^e .'pöt)en, roo
fit^ ber roitbe ©c^nterj ber liefen giir inilben feliijen SBetimutf) nerftärt,
roo ber bacdjantifdje ^nbel nerftummt nor ber ^eiterfeit eine§ feligen
(^iotte§frieben§. 3*^ biefen 'iomuerten fingt nnb ftingt 5(tleä ; febe ©timme
ift für fid} ein fd)ön belebtes, feinen 2Beg in ebler 2tnnuit^ tjinroanbelnbeg
(Sebitb, ber 3u[fl'’tmenl)ang aller aber formt ba§ S^onftüd. dtu^ig unb
breit mögt ein ©trom non 2?Joi^ttaut uorüber, biird) feine ranf(^enbe
©tromfd)neffe, bnrdj feinen jnfjen ©tnrj unterbrod)en, aber and) nirgenbS
trüge fdjfeidjenb , nirgenb§ ftagnirenb. S^kv ift mafjrlid) fein falte§
,fri)ftaffinifd^ (Seroad)§‘, feine ,bfof3e 'iDionftranj an§ Jönen, um bem
ÜSoffe bie l^eifigen SSorte entgegenjubringen‘ : ein l^immfifc^ befeefenber
(Seift febt in biefer i)Jhifif, e§ fobert bnrin bie reinfte Opferffamme, unb
bie innigfte (5’mpfinbnng roefdjer fein trüber 9feft non irbifdjer £eiben=
fd}aft onffebt, l^ebt fie in nerffürte dtegionen, non ino nu§ un§ i^re flfünge
mie 93oten einer ^öfjeren unnergüng(id)en 3®elt entgegentönen, ^afeftrina’d
fDiufif, um e§ in ©in SSort 511 faffen, ntf)inet bie ©efigfeit ber ?tn-
betung" *).
516. ©0 fefir mir mit berfefben einnerftanben finb, mir gaben biefe
panegprifdje (ff)aracteriftif ber nom redjten (Seifte getragenen pofppfjonen
ffJhifif bod^ nidjt in bem ©inne roieber, at§ ob mir ber Sfnfidjt mären,
biefelbe nerbiene nor bem (Sregorianifdjen (Sfioraf ben iBorjug, ober fie
fönne f^n erfe^en, unb einfad) an feine ©teüe treten. ®er eigentfid)e
(Sefang ber Äird)e ift non fe^er ber Set^tere, nnb er affein, gemefen,
nnb e§ ift gmeifeffoS gemiß, baf) er e§ immer bfeiben mirb. 9lber bie
pofpp'^onen ‘Jonftürfe im (Seifte ber römifd)en ©d)ufe ftef)en mit ben
fDfefobien (Siregorg beg (Sroffen in noflftem ©inffnnge: barum finb fie
afferbingg fefir baju angetfian, an pf)eren fveffen mib bei anberen aufeer:
gemöfnticben 3Infüffen, namentficb in jfird)en benen ein bebentenber ©ünger;
d)or jur ißerfügnng ftefjt, in 35erbinbung mit bem einfad)en (Jforaf in
9(nmenbnng gebradjt ju merben, unb fo jnr iSebung ber fyeierfid)feit unb
ber 9lnba(^t mirffam beijntragen. bei pofppfonem ©efange
immerf in fermerer ift, baff ber S^ert nofifommen nerftünbfid) bleibt, empfefilen
fic^ bafür offenbar jene ©tüd'e ber Siturgie, mefd)e fid) nid)t fe nadf ber
fyeier beg ^ageg ünbern, unb baburd) atfgemeiner befannt finb: mie bag
Äprie, bag (5(foria, bag (Jrebo, bag ©anctug, bag 9Jiagnificat , bag
2;e ®eum.
®ie (Jompofition in mefd)er ‘'f^ateftrinn ung bag erfte 90taf in feiner
gonjen (Sröf3e entgegentritt, ift freifid) nid)t eineg ber genannten ©tüde,
fonbern eg finb bie „^mproperien", mefd)e nur (Sininnl im
*) SlmbroS, ®b. 4. ©. 58. 63. 55. ((fit. 387.)
51*
804
®ie lituvgifd^e 3[Rufit:
(S^arfreitag jur 3Inbetung be§ ÄreujeS, gefungen werben. 2lber einerjeitä
raieberl^olt [t(i^ in ben ^n^properten ntelfac^ berfelbe Jept; unb anberfeitä
würbe biefeg SBerf fd)werM)'’gu bem „2lQerf(^ön[ten gel^ören wag i(5ale=
[trina ge[c^affen", wenn eg nic^t jugleic^ ju bem „idüereinfa^ften" ge=
prte. „^eiliger ©^merj unb l^eiUge Siebe [preßen aug biefen wenigen
falfoborbonartigen 5tccorben mit bem fo wunberbar rü^renb augtönenben
©d^tu^fatt" *). i^ateftrina componirte bie ^mproperien in ber roo
er (1555 — 1561) ßapetlmeifter bei ber 23a[Uica im Sateran war. ülidbt
blof3 inbep in bie[em ^alle, fonbern am^ bei ber niel genannten Missa
Papae Marcelli**) bot er 2lUeg auf, bie ÜiJtelobien fo ju geftalten, baf3
ber ^ept beutlic^ l^ernortrat. @r muffte wo^t: beim wäre biefer non ber
päpftlidjen (Sommiffion fo energifc^ betonten f^orbernng nid^t entfproi^en
worben, bonn l^ätten bie ad)t (Jarbinäte, oor benen am 28. 51prit 1565
im i^alafte beg (f^arbinalg SSitetfojjo bie ilRarcellugmeffe, mit jwei anberen,
jur iprobe aufgefil^rt würbe, fid^ fd)werlid^ gn bem @utadf)ten nerftanben,
„fie fänben feinen ©runb, in ber Utnrgifdfien ÜJtufif eine Slenberung
anjnratfjen" . Unb eg nerbient ^eroorge^oben 511 werben, ba^ fie ^inju^
fügten; „bie ©önger fodten jeboi^ baranf bebac^t fepn, für ben ©otteg;
bienft immer äl^nlidbe äSerfe jn w albten wie biejenigen, weli^e man
eben auf geführt ^atte".
©ine auggebe^ntere Slnwenbnng ber polpp^onen iJdfufif, alg inner=
l^alb ber l^iermit angebenteten ©ränjen , fann unfereg ©rac^teng bie
5feff^etif nid^t befürworten, — eg wäre beim, fie ifküt eigenfinnig an
bem wo’^I ^inlängti(^ wiberlegten iRonfenfe feft, bie fdfiönen fünfte fepen
„relationglog", unb nur fe um i^rer felbft willen, nid)t für ben iUdenfc^en,
auf biefer ©rbe. ©iregorianif^e ©§oraI ©inen SSorjug,
weldien fein fiarmonifdf)er ©efang, fep er nun ^^omop^on ober potpp^on,
fidj 511 wa'^ren oermag. ^armonifdje ©ompofition beborf notf)wenbig
beg „tec^nifd)en" fR^t)t^mng, ift notI)wenbig „menfnrirte" illfufif; ber
©^oral bagegen bewegt fi(| in bem „natürtidfien" ***)• 25oraug:
gefelgt, ba^ er oon geübten ©ängern mit 3Serftänbuiü unb Stugbrncf nor=
getragen wirb, erfdjeint barnm ber ©tiorat immer alg bie unmittelbare
unb naturwüc^fige ^teufferung einer wafjren Stnbad^t, alg ein warmeg
innigeg Seien, bag, o'^ne eg jn beabfic^tigen, audt) ben 3u^w in ber=
felben i)fidf)tung anregt; wäl^renb ber menfurirte ©iefang faft eben fo
nnnermeibüd) bag ©iepräge beg ©emai^ten, beg ©tnbirten trägt, bag niet
*) 9rmBvo§, 93b. 4. ®. 27.
**) „3Jtan fiat Üd) geroöbnt, biefe§ Jonroerf al§ '13afcftvina’§ abfohit Ijöcbfte
Seiftimg anpifeficn; aber unter jeineu fpäteren SfJteifen gibt eg niele, inefd^e i^r an
SScrtl^ unb ©c|önf|eit gteidü'ommen." Stmbrog, «. a. 0. ©. 28.
***) 9Sgt. yt. 505. @. 790.
ber potijp^oue ©efang tm (Seifte ber römifdjen Schule.
805
roenigev bie Jlunbgebimg be§ lebenbigcii veligtö)en ®efül;l§ ber aiigen=
blicflid) 0ingenben 51t fepn fd^eint, alä baä fRefuItat ber fi'inftlerij'dfen
2::^ätigf'eit be§ C^omponiften.
©aju bead^te man mm iiberbte§ in ben folgenben sroet ©eilten non
%nbroä bie ©ebanfen roe(d)e mir nnter[treid)en. i^ateftrina’S $;on[äl^e
„Bereinigen ba§ ebelfte ?Ütaai5 mit bem rei(i^ften inneren ßeben. ©ie
Sontonren ber einzelnen ©timmen finb non raunberbarer ^ein^eit nnb
©ebön^eit; c§ ift eine SBelt ibealer ©eftalten bie [iiib nor un§ nnftljut,
roenn mir nor 5t Ilern bem ©an ge jeber einzelnen ©timme
in itfren dt otenjeid) en mit 53lid nnb ©eift folgen, nm bann
erft bem Ifimmlifdjen 5ßol)tlant ibre§ 5^^ bofdje'b i l) ^
feinen 5öed)f elbejieljungen, bie ©inl;eit in i^rer 55cnnnid)=
faltigfeit, bie einanber antiu orten ben dJtotiue, bie ein=
anber finnig nadfalfinenben ©änge, an nnd nornberjieljen ju
laffen“ *). 3ßir tnollen nid)t fragen , ob ba§ überan§ bolje 50taaf3 non
tedjnifcber 55ollenbnng, inie e§ ein geinift fadjuerftänbiger dJteifter in biefen
Sß^orten dfaraeterifirt , liiert oielleicbt mel)r at§ biöig bie 5lnfmerffamfeit
für fidj in 5lnfprudj nehmen, nnb babnrdj bie 5lnbad)t, ben einzigen
3ined be§ litnrgifdjen ©efangeö, beeintriidjtigen fonnte. S5>a§ nnä 53e^
benfen erregt, bas ift bie fyorbernng, inetd^e 5lmbro§ ftellt, ba^ man
„nor dtUern bem ©ange jeber einjetnen ©timme in il^ren diotenjeid^en
mit 53lid nnb ©eift folge". Söieoiet merben beim unter ber ner-
fammetten dJtenge fepn, benen e§ nidjt nnmöglicb ift, biefer 53ebingnng
511 entfpred)en? ober l)at ber ©efang bei bem öffenttidjen ©otte§bienfte
etroa mir bie 53eftinmmng, eine uerfdjininbenb fteine 3^1)1 non tüdjtigen
.(bennern ber dJtnfif jn erbauen, nnb nidjt uielmeljr bie Sianfenbe in§=
gefammt, inetdje bag ©otteSl^aug in feine dteimne aufneljinen fann?
i^ebonifclfe fünfte mögen unter Ilmftnnben immerljin i^rer 5lnfgabe ©e^
nüge leiften bnrdj Sß^erfe, bie nur 5ß5enigen nerftünblid; finb ; ber litnrgifdje
©efang fotl bie ©efammt^eit beg Solfeg erbauen, nnb barmn ift eg
unerläfftid;, bnß berfelbe, fooiet eg nur immer anget}t, populär fep.
5®ir l^aben eg fdjon gefagt, eg fann bie 5bnbad)t forbern, nnb bie
freier in erfrenlidjer 5ßteife ert)ötjen, inenn t)ie nnb ba bei befonberen 5lnläffen
einzelne polppl)one ©tüd'e mit ben rein ©regorianifeben ÜOtetobien ab=
Toedffetn; mir, bafj bieg regelmäßig, ober ond) bloß ßäufig gefdjeße, fönnen
mir nid)t sinecfmäßig finben. Unb bag um fo metjr, ba bie polppl)one
dJtufif bie 55egteitnng ber Orgel abfolnt augfdjtießt. „Oer bezifferte
Orgelbaß pugt fid) biefer ferapl)ifd)en dücitfif fofort an inie ein fdjinerer
gußbloid, lueldjer fie aug bem reinen 5tetf)er ißrer l)immlifd)en .Stoben in
ben Onnftfreig ber ©rbe bevabjielft. if>aleftrinafttjl fann barmn bie
‘) ?tmbro§, 23b. 4. o. 55. ((5it. 387.)
806
®ie profane SKufif:
Orgel nur 35orrebncrin ober SSerbinbiing jraifd^en 0at^ unb ©a^ fet)u“ *).
2öir anerkennen ba§ nonfo^men. Slber bie Ä länge ber Orgel [tnb für
bie gro^e ©efammtl^eit ber (Jl^riften ein fel^r rairffameä 'JJcittel, fid^ mit
i|rem ©emüt^ über „ben Ounfttreig biefer @rbe ju liimmlifc^en §öf)en"
ju ergeben; unb fe me^r bie polt)p:§one 'fHinfif mit i^ren „feinen 2öed)fel'
bejie'^ungen unb ben einanber finnig nai^a^menben ©äugen unb ben
einanber antraortenben ilJtotiDen" biefer ©efammt^eit immer etroaä fvi^emb=
artiges unb Unnerftänblid)e§ bleiben mu^, befto fdiroerer roirb fie bie
©regorianifd^en iUtelobien entbel^ren , ba mit i^nen eben fid) bie jur
2lnbacl)t ftimmenben Oöne ber Orgel fel)r gut oerbinben taffen.
2ßir f)aben unfere ©rünbe ben ^Sorten non 2lmbro§ entnommen;
eS tnäre ein ‘üJii^nerftänbni^, roenn jemanb bie non unS auSgefprodienen
©ebanfen fo auffaffen roollte, als ob biefer nerbiente ©ete'^rte eS märe,
gegen ben biefelben fid^ ricfiten. Oie potpp^one 9}tufif ffJateftrina’S , fo
fagt SlmbroS felber, „^at il^re Socalbebeutung , — raie §omer §ella§,
roie ©opI^ocleS Sitten norauSfe^t; fie ift in IRom unb für IRom ent=
ftanben. ^n ber ©iptinifc^en Kapelle ift i§r rid^tigfter ffßta^" **). Oamit
finb mir noEfommen einnerftanben.
2)rtttcö ^apttcL
Die Ütufik als profdiic Äuiift.
§. 1.
|>cr ISeflrifjf bcc ßcbonift^cn ISufirt «nb feine ^erße^rung.
SOkoraleS über bie SSeftimmung ber ÜJtufit im 3lügemeinen. Oefinition ber
ciniten unb ber l)ebonit(ben iütufif. Ote tl)atfäc^Ii(f)e ^rari§ namentticb
ber Septeren fte^t mit biefem Segriff feineSroegS im ©tnflnnge. ®ie fid^
biefe ^rariS erflöre. 25>arum fie als nerfebtt gelten müffe. Oer Äeim
ber (Entartung unb beS 3Serfntle§ in berfelben.
517. fö ftebt ohne noEften ©inttange mit ber ißernunft
roie mit ber Offenbarung, roaS ein bernorragenber 2)teifter beS 16.
bunbertS, ©riftoforo ilJtoraleS non ©eniEa, in ber ‘äJtufik „unter ben
©paniern in Etom ber größte'' ***), in ber SSibmung bes jroeiten 23u(be§
feiner iDieffen an if5aul III., über bie 33eftimmung ber Oonfunft fagt.
„2llg baS irbifdfe iJlad)bilb ber i^armonie ber ©pbären ift fie non ©ott
*) 2lmbro§, 53b. 4. ®. 57 f.
**) Stmbroä, a. a. 0. ®. 58.
***) StmbvoS, 53b. 3. ®. 570. (6it. 387.)
i^r begriff unb bereit 3Sevfe!^ntng.
807
in unjere 0eele gefentt , bannt mir un§ i^ver bebienen , ®ott ben .'^errn
unb bie ®en)o^ner be§ .*pimmel§ ju pveifen. ®arnm mar eg mir oft
unbegreifUdj , mie bie meiften ^ionfet^er, namentlid) in nuferer fi^
für iRidjtgroürbigfeiten oerroenben, unb oft genug fetbft für Unffütigfeiten,
inbefi nur roenige fie bein 3>Dede bienftbar mad)en ben ®ott itjr gefet^
l^at" 379). ®amit fann freilict) ni(i^t gefugt fei)n mollen, alg ob bie
iShifif augfdjtief^tid) für bie reügiöfe ©rbanung oerroenbet merben fotite-
00 gut u)ie faft atle übrigen fünfte, fann and) fie forool^I für bie
l^ödjften ilttomente beg bürgerüdfen Sebeng, atg für bag 23ergnügen unb
bie llntertjattung t^ütig fepn; i^aben }a bod) and) biefe fdjUefslid) fein
anbereg tet^eg iKerIjerrtid)ung ©otteg.
®er oben (0. 787) gegebenen Definition entfpredjenb, ift bie iUcufif
luo fie atg profane Ä'nnft auftritt, „bie Ännft, bie Söirffamfeit oon
0d^öpfungen ber ciuiten ober ber tjebonifdjen if^oefie burc^ bie iBtetobie
ju erflögen". „Die SSocatmnfif ittuminirt bie ©ebidfteg/'
fogt ©buarb ijiangtid ganj rid)tig; ober roie fid) einft in feiner Debication
jur „SItcefte" ©tuef angbrüefte, ber Jept ift „bie rici^tige unb rool^I;
angelegte iuetd)e bie i))tnfif bto§ ju cotoriren t}at*). Die
eigentUd)e 3tnfgabe ber Seigeren ift fomit, getungene, gute Jeiftungen ber
profanen i^oefie biird) eine itinen angeineffene ÜOeetobie jn t)eben unb nod)
Toirffainer gu mad)en. ^eiftungen non l)ernorragenber 0d)ön^eit
fönnen fid) febenfattg nur ergeben, inenn ain^ bag ©ebid)t, für tnetdjeg
ber Jonfetjer bie ©ompofition liefert, tna^^ren nnb bebeutenben äftl)etifd)en
2Bertl) l)at; infofern barnm bie i).)tnfif atg „fd)öne" Äunft gelten inilt,
mug fie fid) ol)ne angeiniefen fel)en, fid) beg ®ünbniffeg mit
einer nid)t mel)r atg nüttetnuifiigen ‘')>oefie mögli(^ft ju entljalten **).
518. Unnerl)attnifnnäfng niel 5n^lreid)er atg bie ©ompofitionen in
betten biefer ©irnnbfat), feftget)atten erfd)eint ***) , finb freilict) biejenigen,
metdje benfetben nerlängiten. Seffing mad)t fognr bie ©emerfnng, man
nerbinbe t!^atfäd)tid) bie Dhifif mit ber Did)tfunft nur in ber SBeife,
ba§ biefe ßeütere „bie t)etfenbe Äunft" fep; fette ißerbinbtitig bngegen,
„tno bie ütitifif bie ’^etfenbe jbnnft tnäre, tjube tnan ttod^ uitbearbeitet
getaffen". „Ober foltte id) fugen," fiit)rt er fort, „baf) man in ber Oper
auf beibe SSerbittbtingett gebad)t t)abe: ttätttlic^ auf bie Oerbinbttng tno
bie ifioefie bie ^elfenbe .Rnitft ift, in ber 3trie, unb ottf bie 2)erbinbnttg
*) SSgt. §anslid', )ßom ®tuficalifd)=0d)öncn (6. Stuft. £cipjtg 1881) ©. 40.
**) SSgt. oben 9t. 231. 238. ©. 325 f. 332 f.
***) 2Sir erinnevu an jene ber non Slrnbtd jn anSgeroätjttcn ©tropfen
au§ „®rdjct)ntinben", an @oetf)e’§ „(Srtfönig" non dteidtarbt, an ©dptlerd „®a§
Sieb non ber @tode", in SJtufit gefept non StnbveaS dtomberg, unb iu ueueftcr 3eit
inieber non S07ar 33rud).
808
®ie profane SlJlufif;
Tüo bie ^u)tf bie l^elfenbe Äunft i[t, im D^ecitütiu ? gaft [d^eint e§ [o.
'iRur bürfte bie ^rage babei jep, ob biefe oermifcl^te ißerbinbung, roo
nur nad) ber Dfieil^e bie eirte Äunft ber anbern fub|eroirt, in einem unb
bemfelben ©anjen natürUdj feg; unb ob bie rcollüftigere , roelc^eä um
ftveitig bie i[t roo bie i|3oefie ber 'SRufif fubferoirt, nid;t ber anberen
fd^abet, unb unfer Oi)r ju je^r nergnügt, al§ bufi e§ ba§ roenigere 3Ser=
gnügen bei ber anberen ni^t ju matt unb idjtofrig finben fodte" *).
®ie ©rfdjeinung, ba^ bie l^ebonifd^e ÜRufif, fep eg augjdjlie^üd^ fei)
e§ nur norroiegenb, in ber bejeidjneten SBeife getjanbl^abt roirb, erftdrt
fid) leidjt. 2Bie roir im erften Äapitel gejetjen ^aben, [inb eg bie )enfi=
tioen ißermögen, bie finididfe Urt^eitgfraft, bie fp^antajie unb bag niebere
©trebeoermögen, roeld;e oon ber ÜJielobie unmittelbar unb an erfter ©teile
berührt roerben. ®ie jenjitioen 33ermogen treten aber, namentUd^ in
g^otge ber ©egrabation ber menfdjiicben tRatnr burdj bie ©rbfünbe, nie!
fpontaner, niel leidster unb müt^etofer in 2t}dtigfeit, alg bie p^eren; eg
bebarf bei i^nen oiet roeniger, alg bei biefen, fie ju einer leb^ften unb
intenfioen 2:^atigfeit anjuregen, oor Slllem, roo eg fid) um eine natur=
gemdf) i^nen jufagenbe, unb barum angenehme Sljütigfeit ^anbelt. SlCleg
bag gilt überbieg um fo ooller, je roeniger bei bem (S'injelneu bie fiölieren
Vermögen geübt, unb burd) oielfad) roieber^olten ©ebrau(^ an bie il^nen
eigenen Sf^ätigfeiten geroöl^nt roorben finb: eg ift aber lein ©el^eimnif?,
ba^ eg in biefer SSejieljung bei bem roeitaug gröftten Sl^eile ber iDlenfdien
nid)tg roeniger alg glänjenb fielet. SBie eg unter foldjen Umftänben ganj
natürlid^ ift, roag roir im jroeiten Äapitel mit Sl^omag non Stquin be^
merften, — baff nämlid) bei ßeiftungen ber ^ebonifdjen iOlufif bie 2Iuf=
merffamfeit unb bie 2fl)eilna!^me fii^ norjuggroeife auf bie iölelobie rid^tet,
ber Sfert bagegen, ber fid^ junadl)ft an bie l)öl)eren 23ermögen roenbet,
roenig beadjtet roirb, unb alg 3lebenfad)e gilt, — cbenfo begreift fid^
aug benfelben bie ©rfdfieinung non ber roir reben. Oiämlii^ roie i^r
ipublicum, unb gugleid) gerabe feinetroegen, l^aben fid) eben audl) bie 2;om
fetter geroo^nt, in ber ilJletobie burd^aug bie ^auptfai^e ju fe^en, um nid^t
ju fageu bag aßein 23ebeutenbe, unb auf ben 2ept mögli^ft roenig ©e^
roid)t gu legen.
519. ©0 ^at freilidt) ber Jefer feinegroegg Unreal, roenn er finbet,
ba^ bie non ung gegebene Definition ber l)ebonifdt)en iDtufif, ber roirf-
lidl)en ©rfd^einung biefer Äunft, roie fie in i^ren Seiftungeu '^eroortritt,
nid)t redjt entfprid^t. Denn unferer Definition jufolge mü§te oßerbingg
in jeber ßompofition, um Seffingg 5Iugbrüde p gebraud)en, bie if^oefie
alg bie „^''auptfunft" erfc^einen, bie HRufif bagegen alg „^elfenbe Äunft"
ober ,,.*öülfgfunft" i^r „fnbferoiren" ; eg müjfte ber ©runbfatj ©lucfg
*) Seffing, „Saocoon", 2tnf)ang, 2. ©. 280 f. (6it. 587.)
bie 33erfct)nmg i^re§ Segriffg in ber ^ravi§.
809
feftgeljatten feiju, bem, roie luiv fallen, ber Seyt alä bie
bie iöielobie aig bie Goioratur berfelben. troi^ biefeg ©egenfat^eg
groif^en ber trjatfädf)üd)cn i|5rayig ber ©omponiften , ober roie man bie;
felben, in ganj treffeiiber Sejeicijitung ii)reg unabpngig;feI6ftäiibigen
iBerfaijreng, gegenmärtig ju nennen beliebt, ber „Xonbidjter", nnb nnierer
©efinition, tonnen mir bod) nidjt nm^in, bicfe für ridjtig ju tjnlten.
5)er blo^e 5lon, anc^ ber gefungene, fteljt feiner diatur nad) feineg;
megg bein 31'orte gleid). ©iefeg Setj,tere ift eg fa, roobur(^ ber 2:on erft
geeignet roirb etraag 33eftimmteg 511 bebenten: ber ^:on oerljült fidj mitljin
jn bem Sporte, mie — in ben 5[nfdjaunngen ber peripatetifdien ipljito;
fopl^ie — ber ©toff jur '^oxm. ®ie j^orm !^at aber befanntlid) auf
allen ©ebieten oiel ^öljere 33ebeutung, alg bag ©lement raeldjeg bnrdj fie
beftimmt roirb. ©njn fömmt roeiter, baff, roie norljer fdjon erroalmt
rourbe, bag 25>ort fidj nnmittelbar an ben üernnnftigen ©eift roenbet,
ber $on bagegen äinüidjft auf bie nieberen Vermögen roirft. ©g ift aber,
roenn and) ber dllenfd), bocf) ber erfennenbe, ber mit d) er nun ft begabte
dJJenfi^, roeldjem ©enufj jn bereiten febe Ijebonifc^e Ä'nnft fidj für berufen
Italien mn^. 5H>o mitljin ber ©onfel^er bag Ijanptfädjlidje, nnb felbft bag
augfdjliefflidje ©eroidjt auf bie fDlelobie legt, nnb eben barnm mittel;
mägige ©rjeugniffe ber '^oefie, ober felbft 'f>robncte bie unter bem Dfioeau
ber üJt'ittelmägigfeit fteljen, alg 3;eyt gebraudjt, ba feljrt er in jroeifaclier
Uiüd'fidjt bag natürlid^e iSerljältnifj ber ©iitge um, nnb Ijanbelt folglidj
bem Sßefen nnb ber .di^ee feiner .Ibunft, roie biefelbe in ber SBeigljeit
©otteg begrünbet ift, feinegroegg gemäg.
äf>ir roollen Ijiermit gerabe nidjt fagen, alg ob alle ©ompofitionen
bei benen fii^ biefe ißerfeljrung nadjroeifen lüfjt, alg mifjlnngeue jn oer;
urtljeilen roüren. ®aff fie iid) niemalg bnrdj lieroorragenbe ©djonljeit
augjeidjuen roerben, — fo roenig roie ein ©enüilbe an bem bie 3citf)nnng
roert^log ift, — • rourbe fdjon bemerft; inbeg fönnen mandje immerljin
gur llnterljaltnng bienen. 2lber einen beg oernünftigen ©eifteg feljr roür;
bigen ©ennfj tann man bag SSergnügen bag fidj an iljiien finben lügt,
jebenfallg nidjt nennen.
520. Unb mag oon ernfterer 23ebentnng ift, bie Ijebonifdje dJtufif
betritt, fobalb fie bie in Diebe fteljenbe Dlidjtung einfdjtägt , eine überaug
abfdjüffige IBa^n. 3'^ roiefern? ©ie finnlicbe Urtl^eilgfraft unb bag
fpmpatljifdje Dieruenfpftem, roeldje oon ber dRelobie jnnädjft nnb uorjugg;
roeife in Slnfprndj genommen, unb ju lebenbiger, gennfjbringenber 5lction
angeregt roerben, fteben nidjt blofi im ©ienfte beg ©emütljg, beffen
Dlegungen bie überfinntidje ©nitljeit ber ®inge jnm ©cgenftanbe Ijaben,
fonbern fie arbeiten andj, nnb ,yoar an erfter ©teile, für bag niebere
©treben: bag bejeidjiiete Dteroenfpftem, iniofern eg bag eigentlidje Organ
biefeg ©trebeng ift, bie finnlidje Urtljeilgfraft aber, infofern fie jene
810
®ie profane üllufit:
ftnnüc^en ©igent^üinUd^feiten bet ®inge erfajst, betien gegenüber ba§ iiie=
bere ©trebenermögen natur^emä^ in Jl^ätigfeit tritt. Sieben anberen finb
e§ barntn, nnb jtnar norjugStneife, auch bie mit bem geft^Ied^ttidjen Seben
gufammen'^angenben f|3erceptionen, roetc^e fic^ burc| bie finntid^e Urf^eitS^
traft Doüjiefien. bei ben 3Sögeln ber ©efang ba§ eigenttidje non
ber 2Bei§^eit @otte§ angeorbnete ÜRittel ift, biefetbe nad) biefer f)tid)tung
anjuregen, l^örten mir früher (0. 783 f.) non SlUum; t)on anberer ©eite
roirb bejeugt, baü ain^ anbere 3:t)ierarten, „^nfecten, unb felbft ©auge=
t!^iere, nor Slltem einige 21ffenarten, ju bemfelben Toie ®ögel,
mnficatifi^e Jöne tjernorbringen'' *) : unb rcenn (Jf)rt)foftomu§ in feiner
SIbtianbtung über bie 3ungfräulid)feit ben ©ebanfen, biefe 2;ugenb ergebe
ben ?[Renfd)en geraiffermafien über bie ©nget, unter Slnberem nuct) baburd^
begrünbet, bap „3ürtlid)feit at^menbe 2;öne, üppige ‘iRetobien, ober bie
Seibeäfdjön^eit, auf förpertofe ©eifter eben feinen nerfü^rerifdfen ©inbrucf
mad^en fönnen", fo ift mit biefer ®egrünbung offenbar oorauggefe^t, ba§
eä muficaUf^e Jöne, Jonreil^en, fRÜDt^nten gibt, rcetdie naturgemäß auf
ben iXRenfcßen eine SBirfung biefer 2trt auäüben. iffio bie ©id^tung ein
ff3robuct ber Sßinfefpoefie, ba§ 2:eptbucb abgefcßmadt unb fabe ift, ba fällt
bie Sfufgabe, ber ©ompofition ßebonifdfe ißebentung ju geben, au§fdt)üeßlid^
ber ‘älfufif ju. ©rfd^einungen beren äftßetifdber 3Bertß, beren überfinnticfie
©utfieit beg iUienfdfien roürbige ©efü^le roadfirufen fönnte, bietet ber ^n=
ßatt beg Jepteg nid^t; mag bleibt übrig, alg baß bie iUtufif barauf
auggeße, bie ^ußörer burdl) ben 9fteij finnli(^ angenehmer ^Regungen ju
nergnügen, — unb mag liegt bann näßer, ober oielmeßr mag ift unoer;
meibli^er, alg baß bie ^ielobie unb ber D^ßpißmiig barauf eingeridßtet
mirb, fenen Xrieb raa^jurufen ber unter allen natürli^en 3;rieben im
'3Renfd)en ber mäcßtigfte, ber gerabe burdß S;öne am leidßteften gu erregenbe
unb beffen ißefriebigung ber am ^rbifdßen ßangenben iRatur mit bem
Seibe ang ©rbe bie ßöcßfte Suft ift?
Um fo meßr, ba bie ÜRufif bag unglüdlidße iprioileginm befißt,
unter allen jfünften am menigften errotßen gu bürfen. ®enn bie Ueppig=
feit ber ilRufif ift ja nidßt etrcag .^anbgreifli^eg , raie bie ©dßamfofigfeit
ber f^Uaftif ober ber ülRalerei; audß bie ißernunft, ber großen ilRenge
raenigfteng, erfennt fie bei meitem ni(^t auf ben erften 23lid mit fo um
mittelbarer Älarßeit, roie bie unjücßtigen ober au(^ nur bebenflidßen
Silber beg Otomang unb ber erotifdien ifSoefie; fie roirft unoermerft unb
im ©unfein, unb gerabe ßierbnrdl) um fo rüefßaltlofer. ©eßr bejeidßnenb
roarnt in eben biefem ©inne Seo ber ©roße feine ®or einer
„ßeimtücfifdfen ilRufif, roelcße, mit roeidßen klängen bag Oßr treffenb,
buri^ ißre oerfüßrerifcßen ilRetobien bie Äraft beg ©cmütßeg fdßmiljt.
*) 33crg, <B. 10. ((Sit. 19.)
bie Oper.
811
unb inbem fie üon i^ren tobbringenben 9letjen fid) feffeln laffeit, uttüor=
fid^ttge, nid^t fe^r lui^teriie gefangen nimmt'' 380). Unb bod)
foüte, at§ ber gro|ie i|3ap|t fo rebete, nod) me^r ald ein ^a’^^'tanfenb
nerge^en, benor bie unerfättüd^e ©udjt nad) „fefjelnbcn tobbringenben
D^ieijen" barauf nerfiel, bie Oper unb bie Operette inö Seben ju rufen.
§• 2.
pic 0pcr.
I.
i^iftorifd)e§ , über bie (Sntftebimg berfetben. ift immöglid}, mit bem Oar;
[tetlungämittel ber bramatifd)en .Slimft, b. t). mit ber uad)bübenben §nnb;
hing, bie Sltetobie einer natürlid)en (Sinbeit jn oerbinben. '£t)ntfäd)hd)e
fvolgen biefer unnatürlid)en üBerbinbung in ber Oper, nadj §anedidt unb
Odjopent)aner. Oie 3lbgefd)madtbeit ber f^-nbet inöbefonbere.
521. On§ ©rj^eugnip iretdjeä, roo nidbt a(§ bie erfte Oper, jeben=
fall§ at§ bie unmittelbare Oorläuferin berfclben gelten muft, „Oafne",
ift ein ®d)äferftücf in uield)em bie ©iege be§ 21mor «erberrlii^t merben.
i'on Dtinuccini gebid)tet, non ifBeri in i)}dufit gefetzt, mürbe baffelbe 1596
im ^alafte (Sorfi gu aüfgefö^i't, unb roabfcnb
be§ (Jarnenalä ber groei folgenben mieberbolt*)- >'^ntten biefe
21uffüf)rungen nod) einen mehr prioaten 61)aracter gehabt, fo feierte bie
neue ©rfinbung il)ren officiellcn ©intritt in bie Stielt, al§ im 1600,
gleidbfall§ gu gloreug, au§ Slnlaft ber Oermäblung A^einridjg IV. mit
iUdaria oon 9Jdebici, bie nnmlii^en illdeifter iljr graeited äl^erf, „©uribice",
öffentlid) auf bie 23übne brad)ten**). Üldan fanu ed begeid]uenb finbeu
für beu ©^aracter ber Oper, bafg in biefer 2®eife ibr ©ntftel)en mit bem
^Beginn bed auf bem ©iebicte ber fcbönen fünfte an Ungefieuerlidjfeiten
fo frud)tbaren 17. gufammcnfällt.
Oie 23erbinbiing bed muficalifdbcn ©lementd mit bem SBorte ber
ipoefie ift fo natürlid), baf^ ber ©efcbid^te gufolge nidjt burdj ©inigung
biefer groei ©lemente ber ©iefang, fonbern umgelebrt erft nad) biefem,
burd) bad fv^^ilcnlaffen bed muficalifctien ©lementd bie '4^oefie, ald felb=
ftänbige Äunft l)eroortrat; aber eben bicfed ©lement, bad nuificalifd)e,
audb wO bem 25>efendbilbc , bem Oarftcllungdmittel ber bramatifdjcn
Jlunft***), gufammengufoppeln, bad fjotte fid) bid auf ben uor^er begeicb=
*) 33gt. 9tod)Ii(5, gür greiinbe ber Oonfunft (Ceipjig 1830) 33b. 1. ©. 296.
**) @inen fefjr au§füf)rtidjen Scrid^l über bie „(Juribice" gibt 3lmbroä, 23b. 4.
0. 2i')3 ti’.
***) iPtan Dergtcid)e ba§ im neunten 2lbfd)nitt ©efagte.
812
®ie profane fOfufif:
neten 3sitpunft ntetnanb in ben ®inn fontmen fa[fen. 3^ ben 3Berfen
bev i]3oeile, ber eptfc^en^fo gnt mte ber ft)rtfd)en nnb ber bibactifc^en,
tritt ber Siebter mit nn§ in nnmittelbare ißerü^rnng; er gibt un§ ba§
mag feinen @eift erfüllt nnb fein ©emüt!^ beroegt, burd^ bie iHebe funb, ,
fort nnb fort perfönlidb auf nng einroirfenb, um gtei(^artige ißorftellungen 1
nnb entfpredienbe @efnf)Ie au^ in nng ju oeranfaffen. ®a liegt e§ j
offenbar überaug na'^e, nnb fann nicE)tg Sluffallenbeg ’^aben, menn unter
llmftönben feine fjfebe muficatif^, fein gefprodjeneg 2Bort jiim gefungenen |
roirb, nnb fo ju ben übrigen ilJfittetn ber ifJoefie, um bereu SBirfung auf
bag ©emütfj ju erl^ol^en, noc^ bie ÜRefobie ^^injutritt: ift bodj ein mefent^ i
lidfeg ©lement ber iXRelobie, ber fRl^pf^miig ober raenigfteng ber ifiumerug,
aiK^ rao fie nur rebenb auftritt, ber i|3oefie o^nebieg fc^on unentbelfrlidb- !
®ie bramatifdien ißerfonen bagegen erfd)einen auf ber ißü'^ne, nic^t, um J
mit ung in irgenb roetc^en SSerfel^r ju treten, nid)t um i^re eigenen
©ebanfen nnb ©efü^te ung befannt ju geben, fonbern einjig in ber 2fb=
fid^t, eine groffe S3egebenl^eit , eine bem objectioen Seben angef)örenbe
äftfietifdt) loerf^DoIIe ©rf^einung, burd^ nadfa^menbe ^anbtung \
in einem Söefengbilbe an unferem ©eifte oorübergiel^en ju taffen. i
ÜRenfdfen nun bie bei einer Gegebenheit betheiligt finb, ober irgenb -j
eineg iRefuItatg roegen gemeinfam hanbetn, ober in f^^otge irgenb roetdher i
Umftünbe mit einanber in Gerfehr treten, nidft bie ©eroohnheit, ^
fingenb ihre ©ebanfen nnb Stbfidhten augjutaufdhen ; audh roo fie ein= ;
anbei' ihre ©efühte funbgeben motten, mögen biefetben nodh fo roarm nnb
innig fepn, nnb fetbft rao fie in benen mit raetdhen fie oerfehren, ©efühte
ju erregen raünfdjen, fehen fie für biefe ^^edte feinegraegg ein angemeffeneg
iltfittet im ©efange. Söoht fommen in einer Gegebenheit bie bem menfdh=
tidfen £*eben angehört, teidht au^ <2cenen oor mit benen fidh ber ©efang
oerbinbet; ber fingenbe f^ifdherf nabe , ber fingenbe .^irt, Sßatther Gett
raeti^er fingt inbem er mit ber Strmbruft fpiett, ber ©h^*^ ^^r barmher=
jigen Grüber bei ber Seidhe ©efeterg, 2;hecta’g ©efang jur ©uitarre, bag
Singen ©retiheng am ©pinnrabe ober oor bem iHiuttergottegbitbe —
bag finb auf ber Gühne treue tRadbbitber phitofophifdh raahrer ©rfdheU
nungen aug bem Seben. 2tber raenn ©dhitter bie auf bem ftiütti Ger=
fammetteu **) ihre iReben bei ber Gerathung , ober Söattenftein nnb
SBrauget ihre Unterhanbtung ***) , ober ©hofefpeare ©bmunb, Sttbanien,
3tegau, ©iouerit nnb ©bgar ihren beraegten ©iatogf), gtei^fattg hätte
*) 6ihitter, „aSilbctm 1, 1. 3, 1. 4, 3. „®ie «jSiccotomini" 3, 7.
@oethc, „g-auft".
**) „’JBitt)e(m ®cll", 2, 2.
***) „‘2Baüenftetn§ ®ob", 1, 5.
t) „ttönig Sear", 5, 3.
bie Oper.
813
fingen Inffen, fo müffte man foldje 33ilber cntmeber für Serjemingen be§
Originale, ober ba§ Original felbft für eine p^Uofop^ifdj gnnj nnroaljre,
(^imärifd)e f^icüon be§ ®ramatifer§ erHüren.
3d) roei^ red)t gnt, baff bie Dpernbidjtnng foidjen ()anbgreifüd)en
SEnberfinn mögüdift jn oermeiben fncl^t. 216er eg l^anbelte fidj jninic^ft
lebiglid) barnm, nadijuineifen, bafj bie ilJtelübie fidj mit bem E^arftednngg;
mittel be§ ®rama’§, mit ber nac^bilbenben .^anblnng, jn einer natnriidjen
©inljeit nidjt jufammenfdmieläen lafjt: unb ba§ tritt in ben gegebenen
Seifpielen ftar genug Ijeroor. ^^ierjii fömmt nun aber nodj, erfteng,
bafj bie Oper eben nur ben ^^anbgreiflidjen SSiberfinn nermeibet,
unb and) biefen nidjt immer; unb ^ierjn fömmt jmeiteng, bafj fie, nnt
bag ju fönnen, il^re 3i>f^»djt jn 2Jtitteln nefjinen mujj, mefdje einer
„fdjönen" Äunft gaiij unmürbig finb, nnb in i^r innerfteg 2Eefen nn=
roiberfteljlidj ben ^eim beg 3lobeg einfenfen.
522. (vbuarb .^'^anglicf ift ber iUieinnng, „^ttnfionen roie bie, baff"
in einem Ornma „fümmtlidje ^anbelnbe iperfonen fingen, gefje bie
"f.'ljantane mit grofjer l'eicbtigfeit ein"*). 3Eenn ^)>anglicf, ftatt „bie
'■f.'ljantnfie", gefagt Ijätte „bie Oberftädjlic^feit im ®unbe mit ber ©ennff-
fndjt", bann mödjte idj i^m nielleidjt beiftiimrien. ©inen fdjiagenben
23emeig für bie 3Baljrfjeit beg in ber norigen 2fummer non mir entraicfelten
©ebanfeng, entfjnit jebenfallg forooljl ber ©at^, rodeten bcrfelbe ©efeljrte
feinen eben angeführten SBorten noranggefjen lü^t, alg bie jmei, ineldjc
fidj an biefelben unmittetbar anfdjlieffen. 3'^ erfteren conftatirt
.©anglicf, „baff bag SEefen ber Oper ein fteter Jlampf ift jiuifdjen bem
')3rincip ber brnmatifdjen ©enanigfeit nnb bem ber mufienlifdjen ©djön-
beit". Oie ^roei anberen lauten fo: „Oie unfreie ©tellung, ineldjc ''Dfufif
nnb iert jn einem fortinäljrenben Iteberfdjreiten ober dtodjgeben jiDingt,
madjt, bab' bie Oper roie ein conftitntioneller ©taat auf einem fteten
ilampfe jroeier beredjtigter ©eroalten bernljt- Oiefer Ä'ampf, in bem ber
Äünftler halb bag eine, halb bag anbere *)3rincip mufj fiegen taffen, ift
ber ’ifJunft, nng roeldjem alle Unjnlänglidjfeiten ber Oper enlfpringen."
3ft bamit etroag 21nbereg gefagt, alg roag mir norher nadjjnroeifen fndjten,
ba^ eg nämlidj nnmöglidj ift, bie nadjbübenbe .©anblung nnb bie 2}ielobie
jn einem einheitlidjen fnlleotedniifdjen Oarftellungginittel jit nerfdjineljen ?
21ber faffen roir bie 22tittel ing 2tnge, bitrd) roeldje bie Oper bie
in ihrem SEefen liegenbe 3'iüeträdjtigfeit nnb phUofopljifdje Unroahrljeit
JU nerbergen, nnb ber „^fjflidflUe" bie ^önfion möglidj jn mndjen bemüljt
ift. 21rthnr ©djopenhancr füljrt biefelben jicmlidj erfdjöpfenb auf in ber
©teile bie roir folgen taffen.
„Oie ,grofje Oper‘ ift eigentlidj fein ©rjengnifj beg reinen Ä'nnft=
*) ^anstitf, ©. 54. (6it. 807.)
814
®ie profane 9Jlufit:
firmeS, oiefmel^r beä etraaS barbarifc^en 23egriff§ ron ©rl^ö^uug be§
äftl^etifdjen @enufie§ mittjfft 91npufung ber '»Drittel, ©leid^jeitigMt gatij
Derfdftebener ©inbrüde, unb 25ev[tärfung ber Sßirfung burc^ 35ertne!^rung
ber Tütrlenben SJlafje unb Äräfte: Tüdl^renb bo(^ bie fKufif, al§ bte
mäcbtigfle aller fünfte* **)), für fid) atfein ben für fie empfänglichen ©eift
Doüfommen auSjufüden nermag, ja ifire l)bd)ften ifßrobuctionen , um ge=
Ijörig aufgefa^t unb genoffen ju roerben, ben ganjen ungetheilten unb
unjerftreuten ©eift nerlangen, bamit er fidh ihnen litngebe unb fid) in fie
nerfente, um ihre fo unglaublich innige Sprache ganj ju oerftehen. Statt
beffen bringt man, roähtenb einer fo hö<i)ft complicirten Opermilltufil,
jugleidf burCh ba§ Sluge auf ben ©eift ein, mittelft beä bunteften ©e?
pränge§, ber phantaftif(heften Silber, unb ber lebhafteften Sidht= unb
fyarben=@inbrüde ; mobei noch außerbem bie fyabel be§ Stüde§ ihn be;
fihüftigt. ®urch bie§ 91lle§ roirb er abgewogen, jerftreut, betäubt, unb
fo am roenigften für bie geheimnij3öot[e Sprache ber $öne empfänglich
gemadjt. ©aju fommen nun noCh bie Sadette, ein oft mehr auf bie
Süfternl)eit, alg auf äfthetifchen ©enup berechnete^ SChaufpiel, raelChe§
überbieS, burCh ben engen Umfang feiner ilRittet unb bie hierauf ent=
fpringenbe iXRonotonie, batb höChft langraeilig mirb, unb baburch beiträgt
bie ©ebulb 311 erfChöpfen . . . *"’)•
„Strenge genommen alfo fönnte mon bie Oper eine unmuficalifChe
©rfinbnng ju ©unften unmuficalifCher ©eifter nennen, ol§ bei benen bie
iJOCufil erft eingefChroärjt roerben mu^ burCh ein ihr frembeä üdebium,
alfo etroa alä ©egleitung einer breit ouSgefponnenen, faben ßiebe§gef(hi(hte
unb ihrer poetif^en SBafferfuppen. Oenn eine gebrängte, geifU unb
gebanfenoolle ißoefie nerträgt ber Operntept gar ni(ht, roeil einer folChen
bie (fompofition nicht naChfommen lann. dlun aber bie Sdufif ganj jum
Änechte fChleChter ifSoefie ma^en ju roollen, ift ein ^rrroeg, ben oorgüglich
*) ift bie 2Jlufif feine§roeg§. ®a bie fchönen Äünfte nid^t alle gleichartige
Slufgaben tierfolgen, fo Idht fid) eine SSergleidiung unter if)nen in 9tücffidf)t auf ihre
„tDtadht" eigentlich anftellen. SBill man e§ bennod; thun, fo roäre ihre „iPiadht"
ohne nicht nach ber ©tärfe ber augenblidlid;en ©efühle ju meffen, roetche
fie oeranlafjen fönnen, fonbern nach ber ethifchen Sebeutung ihrer SBirfungen. Sie
höh^'^E ©erebtfainteit ift „rbpavvo; ävDpcü-ot; jj.övr,“ (oben S. 679); fie, unb nidht
bie SORufit, märe bnrum al§ bie „niädhtigi'te aller fünfte" ju bejeidhnen.
**) „SBie bie ®allette auf ber ©d;aubühne gegenroärtig finb, oerbienen fie
fd)roerlid; unter bie 3Berfe be§ @efd;mad'§ gejohlt jn roerben; fo gor nichts @eift=
reiches unb UeberlegteS ftellen fie oor. IKan fieht feltfam gefleibete iperfonen, mit
nod; feltfameren (Sebärben unb ©prüngen, mit gejroungenen ©tellungen unb gar
nichts bebeutenben Sßeroegungen, auf ber ©chaubühne hemmrafen, unb niemanb
tonn errathen roaS biefe§ ©dhroärmen oorftetlen foll. 9tid)tS ift ungereimter, afS
nach ^nier ernfthaften bramatifdjen ^anblung eine fo nbgefchmadte Suftbarteit auf
ber Sühne nufäuführen." ©uljer, 2lllg. tier fdhönen Äünfte, „Sollet".
bie Oper.
815
@Iucf gerDanbett i[t . . bie Oper )ep ju einem 3}er=
berb bev ilRufif geroorben. ®enn nii^t nur mu[3 biefe fid) biegen unb
fc^miegen, um fiel) bem @ange unb ben ungeregelten SSorgängen einer
abgefct)mn(ften §abel anjnpaffen; fonbern e§ roirb baju nod) bnrd) bie
finbifdje unb barbarifdje i^ra^t ber 5Decorationen unb (^oftüme, bnrd)
bie ©onWeien ber 2:önjer unb bie unanftänbige .itleibnng *) ber 3;än5e=
rinnen, ber @eift uon ber iDhifif abgejogen unb jer[trent . . . Ueber^^nupt
i)'t bie grofje Oper, inbem fie, fd)on burc^ i^re breiftünbige Onuer, unsere
muficali)d)e (?mpfängtid)feit immer me^r abftumpft, raöl^renb bobei ber
0c^necfengang einer meiitenä je'^r faben i^anblnng unfere ©ebutb auf bie
if^robe fteüt, an fidj felbft, roefentlid) unb effentiell, tangmeitiger Slatnr.
?iur biiri^ bie nberfdjiuenglidje ißortrefflid]feit ber einzelnen fieiftung lann
biefer übermunben roerben : halber finb in biefer ©attung bie ''I)ieifter=
rcerfe allein genießbar, unb alle§ iWcittelmäffige ift uerroerflid)" **).
28ir fragen junädjft nur, ob eine fotd)e 33etäubung ber Oinne, eine
foldje finbifc^=barbarifd)e if3radjt=(5-ntfaltung, ein folc^eS Slufregen uieberer
91eignngen, ein fold)ed IRei^en ber Snfternlieit, ob biefe alä paffenbe
“ililfittrl gelten fönnen, ben inneren 3Siberfinn bes ganzen ted)nifd)en i|Sro:
bucteä ber ülufmertfnmfeit beä ©eifted ju entjiel^en, — unb ob unäftlje=
tifd)e Äunftgriffe biefer 2lrt einer fyertigfeit ronrbig finb, meldje ftolj
bnrauf ift, unter ben „fc^önen“ fünften eine ©teile einjunel^men.
533. SK>a§ inäbefonbere bie ^'^bel betrifft 31t roeld)er, in §olge ber
Unnatürlidjfeit beä ®nnbe§ jraifdjen ber nac^bilbenben .^anblnng unb ber
ilJcetobie, 5iuifd)en Oramatif unb ilJtnfif, bie Oper ju greifen genötljigt
ift, — bie „breit ausgefponnenen, faben £iebeggefc^id)ten mit iljren poeti=
fd}en 2i>afferfnppen", — fo braucht man gerabe nid)t 23efud)er be§ Oljeaterä
311 feijn, um urtljeilen 311 fönnen, baf3 ©djopenljaner bereu „2lbgefdimadt=
beit" mit oollem lÄed)te perborrefeirt: e§ genügt ba3U ein 33lid in bie
Oertbüd)er. -Dfandjem £efer mag eä übrigens nicht nnermünfdjt fex)n,
loenn loir auS ben 3ablreicben 23erid)ten über altere nnb neuere Opern,
raeldje .'^anSlicf in 3roei SSerfen üeröffcntlid)t Ijat, eine ©teile IjernnS:
greifen, um fie Ijier micber3ugeben. 3'^^ fal) ber genannte
©elebrte in ber ©rofjen Oper 311 'f?nriS bie 3lnffüljrnng eineS ©r3eugniffe§,
baS im 3lpril 1877 311111 erften ’iüfal auf bie 23übne gefommen mar: bie
fünfactige Oper Le roi de Lahore, „Oer Äönig oon £al)ore", non
3. iöfaffenet. 2Bn§ ben angebt, beridjtet .^'lanSlid luie folgt.
,,©S barf inobl als gebieterifd;e ißorbebingnng gelten, bafj ein ©(baiu
fpiel fid) felbft erfläre , unb ber ohne norbergebenbe
*) ©diopenbaiier bebient fid) eines bvaftifd)eren StuSbrud'eS.
**) 'dlad; 2t. ©d;opent)(uiev , 3“^ Wetaptjpfif beS ©d)önen unb 2teftbetif.
('Bcrfe, 1874, 23b. 6. 6. 464 ff.)
816
®te profane aJlufif;
Seetüre be§ Sibretto ben roefentlic^en ^anblung oerftel^e.
^orberti roir bod; auc^ ijpn etnent guten ©emalbe, baff e§ in feinen
^auptmotben nerftünbüd) fep ofine ifJrogramm; raie niel me^r non einem
®rama, roeld^eS, begünftigter aB ba§ ru'^enbe ißilb, f^ ©ci^ritt
nor ©(^ritt ju eppticiren. 91un aber begegnete mir, ber i(^ abfid)tlic^
ganj unnorbereitet ba§ Sfieater betrat, ©onberbare§ in ber 21uffü§rnng
be§ j^lönig non Sa!^ore‘. einfnd) fotgenbe ^onblung fid) ab=
fpieten. 3^^ Slnfang ber Oper ein inbifc^er Oempet, beffen fdjönfte
^riefterin, ©ita, i^om £6nig non Sol^ore, 2Him, geliebt rairb.
@in nerfd)mäl)ter ?tebenbuf)ler beffelben, Slameng ©cinbia, erfter SJlinifter
unb Söfercidft be§ ©tücfeg, benuncirt bie i]}riefterin ; ber Äonig rettet
fie aber aug ben i^änben ber fanatif^en @eiftUd)feit , inbem er alg
©egengefälligfeit nerfpridft, fofort gegen bie einbringenben SJla^omebaner
gu f^elbe ju jiel^en. Oer jraeite 2lct fü^rt ung mitten ing ^riegg^
getümmel; ber itönig fällt non ©cinbia’g meud)lerifc^er v^anb, bie treue
©ita fniet raeinenb an feiner ©eite. Slun ift inol)t niemanb fo nain, ju
glauben, ber erfte Oenorift in einer grojfen Oper fep fc^on im jtneiten
3lct ridjtig tobtgemac^t; nielmel^r erroartet man mit Ißeru'^igung, er ra erbe
fidi l^inter ber ©eene erholen, unb algbalb — etroa roie Oon ©ebaftian —
jum allgemeinen ©rftaunen raieber auftreten. Stic|tig gefd)ie§t bieg im
brüten 2lct. SBir fe^en beim Stnfjie^en beg SSorl^angeg ein glänjenbeg
orientalifl^eg f^eft mit Oanj unb SJlufif. 2luf einem fe^r er^ö’^ten O^rone
fit^t — ganj tnie SJleperbeerg ,^forop^et‘ im lebten 2lct — ein ^onig,
unferem ©cinbia jnm 35erroe(^feln älfnlidj , umgeben non fBajaberen unb
.'Öarfenfpielerinnen ; nor i^m entfaltet fid) nnenblid) langeg, üppigeg Sallet.
Oo(^ , ,mer fommt ba?‘ ruft ptö^li(^ ber .llönig, fid) nal^ ber ©eite
roenbenb. @g ift ber tobtgeglaubte 3llim, ber nun non ber ganjen f^^efü
nerfammlung mit frenbiger Ueberrafc^ung begrüßt tnirb. Sla($ bem 2Sor=
trog einer 3lrie finft er, roa’^rfdfeinlid) nod^ nom Slutnerluft ermattet,
ruf)ig in ben ©d)laf. Oer 35or^ang fäUt. Oag ift mag roir fa^en,
nnb rid)tig 511 nerfte^en glaubten. ilSeit gefelflt. Oie noc^träglidje Seetüre
beg Oeptbuc^eg bele^^rte ung, baff Plönig 3l(im im jroeiten 2tct roirflid^
geftorben, nnb im brüten olg abgef(^iebener ®eift in bag i^arabieg
ber ©laubigen eingegangen fep! Oag nerliebte IBallet roar ein Oonj
feliger ©eifter, nnb ber blafirte SJlüffiggänger auf bem golbenen Ol^ron
fein .llönig, fonbern ber ©ott ^^bra in pd)ft eigener !]3erfon. 3^^ tieffter
©eele roürbe id) mi(^ meineg ^nrt^umg gefi^ämt ^aben, ptte nidjt meine
ganje 0’§eater;Slac^barfd)aft benfelben rul)ig get^eilt. Ibib nun frage id^,
barf ein bramatifdfer Oid^ter fo noClftänbig überfeben, baß man im Ob^öter
nur bag glaubt roag man fielft*, unb bajf man einen rooblbebaltenen ge=
fimben Sümmel ber Don einer luftigen 2n:i5gefellfcf)aft empfangen roirb,
nidjt für einen abgefd)iebenen ©eift halten fonn? . .
bie Cpcv.
817
„Äönig 51lim non l'aljore, nad) bcm roir miä min niieber umfel)eu
raoüen, finbet bie SBonnen beä ®^ta äuperft lang;
meilig ; er erbittet iinb erfinlt com @ott ^nbra bie (Jrtaubni^, roieber al§
tebeubiger i)]ien1di auf bie (fvbe jurücfjufetjren, — eine Segünftigung bie
ohne iri inbifdfen Segenben begrünbet, aber bei nn§ fo nnge=
bräud)lidi ift, bafi mir fie auf ber 33n§ne fd)ted^terbing§ nid)t nerfteben.
3nim barf atfo ju feiner 0ita roieber bernbftcigen; bod) bteibt bnrd) bcn
r^ötterfprud) fein Seben fortan an ba§ if)rige gefmipft. ®ita, oon bem
oertiebten "Jpranncn 0cinbia bebrcingt, erftid)t fid) im fünften 3(cte, iinb
im felben 21ugenbUd'e finft and) 3tlim fterbenb neben ifir ju 23oben. ®er
.'öetb, 3üim, flirbt atfo groeimat in biefer Oper; oon atlein Slnfang an
eine oottftänbig gteid]güttige fg-igur, tüfd er un§ and) in feinem ®oppel=
fterben ungerührt. Oem gemeinfamen Oobe entgegenfebenb , böitc'i ficf)
bie l'iebenben in einem lebten Siebegbnett befeligt nmfd)lungen" *).
„Oie iparifer ^on^nale," bemerft .fbandlicf nod), „preifen ben ,Jlönig
oon fiabore‘ natürlid) a(§ ein Chef-d’oeuvre." 2Tnr nnferfeit§ roeifen
auf ben 0at3 gurürf roeldien roir bnrd) bie gegebene 0figge illuftriren
rooltten , nnb fragen ob , trob aller Genialität ber iflartitur nnb allem
orcbeftralen Dtaffinement, trob allem ©lange ber Oecorationg^ÜKalerei, ber
(Joftümirnng nnb ber 33elcnd)tung, bas Vergnügen, bad fid) an ber
Oarftellnng einer fo erbärmlid)cn fs-abel finben läßt, nod) ein „äftbetifd)e§"
gn nennen, ob ed überhaupt bed mit Ocrnnnft begabten i)Jlenfd)en
roürbig ift.
II.
35>eitere 3e»gniffe: 0ulger, 311garotti, Ütidjarb 2t>agner. 3lud einem Oberfnt)
non 3£>agner unb einem Unterfnt) non Oairolid ergibt fid) at§ ©d)lnß,
bnß bie Oper ein öfthetifdges Unbing ift. iBeftntignng biefed 0nt)e0 bnrd)
dtiehl. Gin mifdnngencr 3?erfnd) Gl)rlid)d, bie Oper gn retten, unb eine
nnrid)tige fvolgevnng Onnslidd nnd einer innhren lh‘Ufod)c.
5‘24-. Oafg ber Gebaute roeld)en gn 33eginn bed berüd)=
tigten „0eicento" bie gioei illäter ber „Gnribice'^ uerroirtlid)t , ein oolU
ftänbig uerfehlter, baß bie neu gefd)affcne „jbnnftform" teinedroegd bagn
angetl)an roar, Giebilben oon mehr ald l)öd)ft groeifell)aftem äfthetifd)em
ir'erthe bad Oafepn gn geben, biefe 01)atfad)e hnt bie Grfahrnng längft
außer geftellt. 0nlger finbet, ed „herrfdie bei bem anßerorbent=
lid)en Ochaufpiele bem bie ben 9tamen Opera gegeben , eine fo
feltfame Oermifdmng bed (Großen nnb jtlcinen, bed 0d)önen nnb $lbge=
fehmaeften", baß er „nerlegen" ift, roie nnb road er bauon fd)reiben folle.
*) .pansücf, „Wuficnltiche ®tationen", (Serlin 1880) 0. 86 ff.
isiingmann, 3lcftf)etif. 2. JInfl.
52
818
®ie profane SRufif:
„3n ben beften Opern trifft man aüental unnatürliche, gejmangene, ober
gar abentenerlidje Oinge f fie^t nnb hövt man ©achen bie fo täppifdh
unb abgefdfmacft finb, baff man benfen mödfte, fie fegen nur ba, um
Jtinber, ober einen linbifd)en if^öbel in Grftaunen ju fetten: nnb mitten
unter biefem höchft etenben, ben @efd)mad oon alten ©eiten beteibigenben
3euge, fommen ©neben oor bie tief ind i^erj bringen, bie ba§ ©emntl)
mit füger fyreube , mit bem järtlidfften ilRitleib , ober mit fyuvlbt unb
©djrecfen erfüllen. 2luf eine ©eene bei ber roir un§ felbft oergeffen, unb
für bie hunbelnben ifoerfonen mit bem tebbafteften ^utereffe eingenommen
morben, folgt febr oft eine anbere, mo und eben biefe iflerfonen al§ bloffe
©anller norfommen, bie mit läcberlicbem iJtnfraanb, aber jugteicb auf bie
ungefebieftefte Steife, ben bummen if.^öbel in ©ebveefen unb i'ermnnbernng
ju fe^en fud)en" * **) ***)). 31or ©ntjer butte bereitä ber Italiener @rnf 9tlga=
rotti, principiett ein fyrennb ber Oper, feinen ,,'Berfudi über bie Oper“
mit ber Älage eingeteitet, baff biefetbe „oft fo abgefdjmacft unb lang;
meilig merbe, unb ficb in ein unfufammenbangenbed , nnroabrfcbeinU(bes,
abenteuerlidbed nnb grottedfed '^vobnet oermanble, bnd alle bie fd}impf=
li(ben illamen bie man ibm gebe, uotlfommen oerbiene“
©(bopenbauerd Urtbeil buben roir bereitd oernommen. Dlacb Dtidforb
ü^agner aber ift „bie STürtfamfeit ber mobernen Oper, in ilfrer ©tellung
jnr Oeffentlid)feit , ebrliebenben iUmftlern bereitd feit lange ein @egen=
ftanb bed tiefften unb b^fttsfieu SBiberioitlend geroorben". Söagner
erflart „ilfv 25>efen“ für „nnnatürlicb nnb nidftig“. (f’d liegt namtidj
„ber (Sntroicfelung biefer mnfiealifeben .ftnnftform ein^uotbuut ju ©runbe“ ;
„bie ebelften ©enied buben mit 2lufroanb ihrer ganjen fünftlerifdfen
5i*ebendfraft alle ©äuge feined ?abprintb§ bnrd)forfd)t, aber nirgenbd ben
'llndroeg, überall nur ben Diüdroeg sum 5lndgangdpuntte bed ^^u'tbnmd
gefnnben, — bid biefed Sabprintl) enblid) fitm bergenben 5larren=
banfe für allen SBal) nfinn ber 218 eit geroorben“
535. ilöorin befteljt nun aber fencr „^rrtbnm“ ? „Oarin,“ ont;
roortet „mit ftürlerer 2?etonnng“ 9tid)arb 2f>agner, baff in ber Oper
„ein Dllittel bed Sludbruefd, bie ÜOhtfif, jnm 5lud=
brudd aber, bad Orama, jnm illlittel gemadft roar“ y)- Hub fpäter,
gegen bad ©nbc bed „erften ©beit^^^^ berfelben ?fbl)unblnng , roirb „ber
lüern bed iBabned nnb enblid) bed 2Sabnfinned, ber bad ^nnftgenre ber
*) iSuljci-, Mg. 'ibeorie ber fd}bneu fünfte, „Slpcr".
**) Algarotti, Saggio sopra 1’ Opera in Musica, 1763. (Set Sulfer, a. a. C.)
***) Dt. JBagner, Oper tmb Srnina, e-inlcitiuig. (@etammette ©c[)riften unb
Oiebtungeu, Seipftg 1872, Sb. 3. 0. 278. Sie erfte Mflage ber genannten 216=
linnbtung erfebien 1831.)
t) 21. a. 0. 0. 282.
bie Cper.
819
'Oper in feiner noUften Unnatnrnd)leit , biä jnr Sädf)erU(^feit bargetljnn"
■^abe, „bal)in bejeid)net, baf^ fene§ "Btittei be§ 5ln§brncf§, bie 9}lnfif, nn§
fid) bie 2lbfid)t bes .®rntna’§ bebingen inoUte"
Obne in ber Hebung einer Ännft bie i)}leifter ba§
inalire Söefen ber ^et^eren fo lueit and ben 5tugen nerüeren, baf; fie in
ihren iSerfen ben 'Oliittet beljanbetn, unb bndjenige Woinent
TOeldies nfs 911itte( roirfen foüte, bie 91olle bed nbernebmen
Inffen, bn mitffen biefe 3®erfe nodfttinbig inif^lingen, ba mnfi fd)[iefilid)
bie ^nnft felber jn @rnnbe geljcn. 91nn ' nerfid)ert und aber (J-bnarb
vfbandUcf, bie Oper gebe nnfef)lbar and) bann jn ©rnnbe, inenn man,
mie 91id)arb Ü^ngner miU, bad Oraina bie 0te(le bed 3roteted einnebmen,
nnb bie 9}hinf nur a(d bad Wittel bed 5lndbrucfed anftretcn laffe. „^e
confeqnenter man bad bramatifdfe ''fjrincip in ber Oper rein
mill, il)r bie lüebendlnft ber mnficalifd)eii ©d)önbeit entjiebenb, befto
fied)er fd))innbet fie bnltin, inie ein Oogel unter ber Vnftpnmpe. Oie
Oper ift unmoglid), menn man nid)t bem mnficalifdjen ^H’incip
bie Oberberrfd)nft in berfelben einränmt . . Oenn eine Oper in ber bie
‘ültufif immer unb roirflid) nur a l d W i 1 1 e t jnm bramatifdten 3lndbrncf
gebrand)t rairb, ift ein mnficalifdied llnbing" •■'* **)).
I-Vd freut und, non febem biefer ,5inei @elebrten (f'ebanten tu ner=
nebmen, benen mir ^iiftimmen fönnen. 9T'ir finb mit A^ansticf nollt'ommen
über5engt, bnf3 febe brnmntifcbe '^-'i'obnction mit meld)er, ald Wittel bed
bramatifdfen 3lndbrucfed, bie ''Wnfif nerbnnben erfd)eint, ein nftl)etifd)ed
Unbing ift. 33)ir jmeifeln aber anberfeitd and) nid)t im minbeften baran,
bnfi tRidfarb Wagner gnnj iRecbt bnt/ lu^nn er bad Wefen einer Äunft=
form für „unnntnrlid) intb )üd)tig" erftnrt, inetd)e bie Wnfif ald 3'^"^*^
bebanbelt, luib mit il)r, ald ein ‘'Wittel bed 3lndbrncfed, bad bramatifd)e
Woment nerft^meljen mill. Üfämlid), mie )nir fd)on 3lnfnngd gefagt buben,
bie ifJoefie ift ed mit mcld)er, ald febr geeigneted Wittel iljre Wirfnng
jn erhöben, bie Wnfif ihrem ganjen 0emi nad) berufen ift fid) jn ner=
binben: beim bad Wort nnb ber gefimgene Jon finb (J'le)nente, bie ihrer
ülatnr nadh ju einnnber paffe)i, ja für einanber gemad)t finb. Oolange ba=
gegen bie Wenfd)enfinber fid) barauf ange)uiefen fehen, ald bad Wittel bed
gefellfdjaftlidhen Sehend nnb bed Oerfebrd niibt ben ©efang, fonbern bad
gefprodfene Wort in 3lnme)ibnng jn bringen, fo lange mirb and) bie
Äunft, mo fie nid)t bnrd) bad Wort, fonbern in Wefendb Übern und
ß-rfcbeinnngen norfübrt, bie fie ald bem menfd)lid)en Sehen )iad)gebilbet
angefehen miffen mill, ge)iötl)igt fepn, bie J:räger biefer (q'rfdfeinnngen
mit einanber fpred)en, nnb )üd)t einanber anfingen jn Inffeii. Wad fie
*) t)t. ’Sagner, a. a. 0. ®. 379.
**) J)ans[icf, ®. 59 f. (Sit. 807.)
52*
V
820
®ie profane SlRufif:
rpn je^er geroefen, ba§ tftirb bannn bie Dper bleiben für alle
ein äftfietifcfieä Unbing.
526.. S)a§ 23orftel^enbe roar fdjon gefd^rieben, aiä un§ in einem
inngft erf(^ienenen Sucf)e *) ein @ebanfe begegnete, ben man gegen unfere
33eroei§fü^rung geltenb ju madjen nerfu^en fonnte; au§ biefem @runbe
raoden mir benfelben nid)t unberfuffic^tigt taffen. ®er tßerfaffer berid)tet
i^unäc^ft, iRie^t l^abe im einen Strtifet neröffentUc^t,. „®ie
Ärieg§gefc^id)te ber beutf(^en Oper“, in raeldjem er lefire, bie Oper fep
eine „jraitter^afte Ä'unftgattung“ , nnb fie fönne and) nii^tä 2Inbere§ fepn,
ba „bie ^roitter^aftigfeit bebingt fep burc^ i§re @igent^ümli(^feit“ ; ferner,
„bie Oper fep bie nergängtid^fte jnmftgattnng , itire SBerfe neratten am
rafdjeften“, „fie n)erbe nerfctfroinben, nnb bnri^ ba§ Oratorium erfe^t
merben“ **). ®em 2Befenttid)en nad) finb biefe 5Xnfc§anungen offenbar
ganj bie nnfrigen. g^rlid) roenbet aber gegen biefetben namentlich ^oU
genbeg ein;
„iRad) tanger, reiflicher Ueberlegnng finb mir ju ber Ueberjengung
gelangt, baff bie ißerroerfnng ber Oper gleichbebeutenb ift mit ber ißer'
roerfung bramatifcher Äunft überhaupt, roeit bie meiften Ißebenfen roelche
gegen bie Oper erhoben roerben fönnen, in gleichem iDiaaße ba§ Orama
treffen, nnb jroar gerabe bag h^h^^f- ^elbinnen bie in
Werfen reben***), finb im l'eben eben fo roenig norhonben at&
fingenbe***): nnb nun gar ,gcn)öhnliche‘ ßeute aus bem 35olfe! Unb
bennoch, roer raollte e§ anberg haben im roirffamften bidjterifdhen ^lunft^
roerfe, im Orama! ^ann irgenb ein ©ebilbeter ber ©rbe fich ,2öatlen-
fteing öager‘ in ifßrofa benfen? Unb eg finb bod) meifteng re^t unge^
bilbete Oolbaten, bie ba ihre 9Reinungen angtaufdfen! ,1'afd fie gehen,
finb Oicfenbadier , ©eoatter Ochneiber unb ,Spanbfd)uhmad)er , Sagen in
©nrnifon 511 iBrieg, SBiffen oiel mag ber 23randj ift im ^rieg‘f) . .
Oie größten Ä'unftroerfe bramatifdfer Oichtnng aller iRa^
tionen finb in Oerfen gef d) rieben“ ft).
S5>ag jnnnchft, um mit bem Unroefentlichften ju beginnen, bie @r=
innerung an „Sßallenfteing Säger“ betrifft, fo märe oietmehr ju betonen,
— mag am Odjlnffe beg „iffrologg“ ®d)iller felbft entfi^nlbigen ju raoßen
fdjeint, — baff bie Oialoge ber Oolbaten in gereimten atg
baß fie „in ilerfen“ gefdjrieben finb. 311g iferfe betrachtet, finb bie
*) @hrlich, ®ie in it)m- (Snlroicfetimg oon Äant bi§ auf
bie ©egemoart. @in ©runbvib. Seipjig 1881.
**) ehrlich, ®. 101. 102. 104.
***) 3?on mir imterftricheu.
t) ehrlich gibt biefe Stelle (ffiallenfteinS 2ager, 10. '7tuftritt) genau fo, loie
mir fie loiebergegeben, ohne bie Serie bnrdh ben Srncf 511 nnterfcheiben.
tt) ehrlich, S. 101 f. ®er lebte Sab ift abermals non mir nnterftridhen.
821
bie Oper.
feiten ja ganj nnregelmöBig gebaut, unb bürften jie eljer als „blnittel;
t)erje" 51t bejeid)uen fegn. ®enft man ben S'leim roeg, fo nehmen fie ftcb
fo jiemtid^ gauj atd §3roja au§; „fiajjt |te laufen, e§ ftub Kroaten, @e=
üatter Sdjueiber uub ^aubfc^u^madjer , Ingen in ©arnifou 511 81iaiuj,
roiffen nie! U3a§ ber 23raud) ift im ^rieg.'' fdjetueu,
baff „95>alleuftein§ Soger" vedjt gut auc^ „tu ißrofa gebad)t" inerbeu
faun; ©t^afefpeave gibt ja analoge ©eenen oft in ungebnnbener Hiebe;
form. 94‘'>9l; ^'^ff 09^11 gepren eigentlich nidjt ^nr ©odje;
fommen mir auf biefe felbft.
Sem Sramntifer, roie in bebonifd)en 21'evfen bem Zünftler über;
Ijanpt, fleht bie jyteiheit jn, feine ©eftalten jn ibeatifiven; b. h- ev ^nvf
biefelben mit einem höheren Hltaage Ieiblid)er loie intellectneller nnb
ethifcher 25or,jnge an§geftattet erfdjeinen laffen , al§ fie in ber 5;hat
befafjen, ober nl§ es fonft unter ben Hltenfdjen fi(h ju finben pflegt. Hlur
ba§ h^il ,^n beaditen, baf3 bie .'nohe geiftiger 21n§bilbnng nnb
ethifdier Hlollfommenheit bie an ihnen h^^'Dortritt , unter ben non ihm
Doranägefetjten Umftänben nnb Hlerhältniffen mahrhaft möglid) unb benfbar
bleiben mnfi; nnb insbefonbere barf er ihnen nidjt 6igenfd)aften geben,
ober fie in einer iK>eife hanbeln laffen , nermöge beren fie nnfhören
mürben, HJlenfd}en jn fee)n, nnb nielmehr einer anberen Orbnnng ner;
nnnftiger ©innenmefen anjngehören fdjeinen müpen.
Sebiglid) non bem bejeichneten 91ed)te nnb innerhalb ber
angegebenen (^ranjen , macht ber Sramntifer ©ebraud) , menn er feine
if>erfonen in ilerfen mit einanber fpredjen Inp; noranSgefeht, ba^ er
eine ißergart mahlt, bie in S:on nnb (Sharacter fid) non ber ©pred^meife
be§ mirflid}en Seben§ nid)t jn meit entfernt. „Unter allen Slersmaapen"
aber, lehrt Slriftoteles , „ftel)t bag jambifd)e ber ©proche be§ mirflidjen
SebenS am nädiften, unb ift jnm Sialog am meiften geeignet ; man fieht
ba§ barang, baf3 mir im tnglid)en Umgänge fehr l)Änfig in jnmbifchen
H?erfen fprechen, in .^epametern bagegen fehr feiten, nnb jmar nur bann,
menn mir über ben gemöhnlichen @efprüd)Ston hdianggehen. Unb hierin
liegt ber @rnnb, mef;halb bie Sragifer anbere früher üblid)e ißer§mnaf3e
neriaffen, nnb fid) bem jambifdien jugemenbet h^öen'^ *). Sie ganj
ridhtige Shatfadje meld)e mir 61)rlid) betonen hörten, baß nümlid) „bie
gröf3ten bramatifd)en Söerfe aller Aktionen in Hlerfen gefd)rieben finb",
— in jambifchen luimtid) , — fteljt folglich mit ben fvoi'bernngen ber
21efthetif in nollftem ©inflange.
£'üf3t es fid) nun aber in gleid)er 2i^eife rechtfertigen, menn bie i)5er;
fonen beg Sramn’g ihre ©ebanfen nnb ©efül)le fingenb angtanfehen?
öiönnte biefe jvrage bejaht merben, bann, aber and) nur bann, hätte
*) Arist. de arte poet. ed. Bulile cap. 5. vulg. 4. n. 15. Rhet. 3. c. 1. n. 9.
822
®ie profane 3Kufif:
Dtedjt mit feiner iBetmuptung, „bie ißerroerfung ber Oper fep
gteidfbebeutenb mit ber ißjerroerfuug ber bramatifdfen Äunft übertiaupt".
?tber bie fyrage ift aufd entfii^iebenfte jii nerneinen. Äömmt e§ nad)
3triftotete§ fc^on fe!^r feiten nor, „ba^ mir im täglichen 25erfe§re in
.s^erametern fprec^en", fo ereignet e§ fi(^ bagegen abfotut niemals,
ba§ mir für benfelben ben ©efang in 9Inroenbnng bringen; nnb man
mürbe ben 9)iann für irrfinnig Italien, ber einem 9lnberen feine ©ebanfen
fingenb andeinanberfeljte.
3nnöd)ft ift ba§ ißerfaljrcn be§ iXltenfdien beim 0ingen fd)on p^p=
fiologifiü ein mefentlid) anbered , ald beim ©preeben. ©prec^en mir, fo
roerben bie Oöne, mie bnr(^ abgebrodjene ©töße, and ber Äe^le gleid)fant
beraudgeroorfen ; beim ©ingen bagegen ift ed ein anbaltenber Orud, ber
fie and bem Organ b^rnorgeben läfft, glei(^fam bc'’an^fcb^^^*t *)•
i^otge biefer 9Serfd)iebenbeit ift, baf; bie gefangenen Oöne in ihrer 9trt
nnb ©igentbümli(bfeit raeit noüfommener andgebilbet raerben, ald bie ge=
fprod)enen. ^b^'^ •^'öbe ober Oiefe, il)re Oaner, ibr ganjed SBefen, ibr
95erbältnift unter einanber, tritt raeit flarer nnb beftimmter bei^öor; eben
barnm rairfen fie niet intenfioer auf bie finnlicbe Urtbed§fi^aft unb bad
fpmpatbifdje 9teroenfnftem bed .>^orenben. ©igenartigfeit bed
©ingtoned im ©iegenfat^e änm ©predfton, benfe man fii^ nun noch bie
tnnftreidbe illielobie ber 9lrie mit ihrem tcdfiiifcben Sib'-ltbwnd biuju:
nnb bann nrtbeile man, ob bie 'fJerfonen ber Oragöbie bie in fambif(^en
95erfen mit einanber fpredjen , non bem iDcenfdfen raie er fi(^ in ber
Söirflicbfeit barftellt, gerabe fo raeit entfernt finb, raie bie ülrien unb
Onette fingenben ©eftatten ber Oper; ob ni(^t oielmebr bie Sebteren, ald
9Befendbilber aufgefaf^t, road fie ja in ber Obut feem raoßen unb
foden, und ^n^i^ibnen oergegenranrtigen , bie non bem iBienfcb^i^
rairflid) ift, fdflecbtbin ber 91 rt nnb bem iBc griffe nach nerfebieben
finb ** ).
*) iHgl. ©lUjer, 3lüg. i[)corie ber fd)önen Äünftc, „Öefang".
**) „^'ine ober jroei Sängerinnen ntüffen in jeber Oper notbroenbig §aupt:
rollen I)aben, bie Dtatur ber ^anblimg mag e§ äulaffen ober nic£)t. 2öenn ficfi ber
Oid)ter nicht nnberS ju helfen meih, fo oerroicfelt er fie in 2iebe§ha>ibel, loenn fie
auch bem Inhalte be§ ®tiicfe§ noch fo fehr jnioiber mären . . Oamit jeber Sänger
Gelegenheit habe, fich hören ;n taffen, müffen gar oft Sachen gefnngen roerben, Bei
benen feinem dltenfchen, roeber roadienb nod; tränmenb, mir bie SSorftelInng oom
Singen einfatlen fann . . ®erg(eid;en finbifcheä 3eng f'ömmt fnft in jeber Oper oor.
3lnch roirb man feiten eine fehen, roo nidit bie Ungereimtheit oorfäme,
bap ‘ßerfonen bie roegen bereits norhanbener groper @efahr,
ober a n b e r e r ro i ch t i g e r U r f a ch e n halber, bie h ö d) j't e @ i t e in ihren
Unternehmungen n ö t h i g h a b e n , f i d) ro ä h r e n b b e § fR i t o r n e II § fehr
l a n g f a m nnb e r n ft h a f t h i n ft e 1 1 e n , e r ft r e d) t a u s h u ft e n , nnb bann
e i n e n ® e f a n g a n f a n g e n , in ro e 1 dh e m fie f a ft j e b e § 33 o r t f e d) § m a t
bie Oper.
823
;Ocn ©iinueubuiigcn gegenüber bleibt mitbin bev eatp Oiiebls
uoUfommen luabv: bie Oper i[t ibrem ganjen Ji^efen nad) eine „jn)itter=
bafte Äimftgnttung", ober inie mir e§ norber ou^brüeften, ein äftbetifd)ed
llnbing. llnb eben bavnm ift e§ ganj natürtid) , bnft fie |id) a(g „bie
pergcinglidjfte Äunftgattung'' barftetlt, „beren SBerfe am vn)d)eften nev=
alten": beim eben bavum mnjtte fie fdjliefdid) ba§ merben, roa§ |ie nad)
dtidjarb 3©agnev geroorben i|t, „ba§ bergenbe diarvenbauä für allen
iBnbnl'inn bev 'i8elt". Unb eben barnm roieber barf Dtiel)! ber Erfüllung
feiner iBorberfagiing getroft entgegenfeben : „bie Oper mirb nerfdinnnben".
527. Oer im lun'leljten @at^e mieberbolte ©ebanfe Dliebls führt nn§
mieber jn ©biiarb .öanälic! jurücf. 3" „2>ont)ort" jn feinen Otnbien
über bie moberne Oper ftetlt berfelbe dteflerionen barüber an , baß
„namentlidj in ber Oper ber ^fütierlnnf mit granfamer i^aft bie ;){cpn=
tationen früherer '^knnoben bi'ni^egfpüle, unb felbft an feiten menigen
i)Jteiftermerten ber geniatften bramatifdfen Oonbid)ter tueldje bn§
bnnbert überbanern, biefen nnfd)einenb für bie ©migfeit erridjteten ©äuten,
febr halb, jniuidift an il)ren Ornamenten, ber uerraitternbe, jerbrödelnbe
©infliiß ber fidftbar luerbe. 91uä biefer bifioi'ifi^en ($rfd)einung
jieljt löandlirf bann ben ©djlnß: „Oa§ berübmte ?lriom, cd fönne bnd
,mabrbaft ©d]öne‘ niemald, and) nad) längftem ^cituerlanf nid)t, feinen
3auber einbüßen, ift für bie iDiufif menig mebr, ald eine fd)öne 9tebend=
art. Oem fd)önen Unfterblid)feitdglanben müffen mir entfagen"*).
Oeit 23emcid gii führen baß biefe g-olgerung übereilt ift, baju genügt
eine ©rinnernng an bie ©d)öpfungen ©regord bed ©roßen. Ober finb
biefe etma meniger „''Dtufib", ald bie uon i^andlid ermähnten Opern
„ebelftcr nnb glünjenbfter 33ilbung" uon i^offe nnb ^ontcHi, non ©pon=
tini nnb ©pohr? nnb mirb femanb ber ju nrtheilen uerfteht, behaupten
mollen , bie ©d)önheit ber ©regorinnifd)en ©efönge fei) btute meniger
fngenbfrifd), ald fie ed uor brei;^ehnbnnbert ^’ah^'t'n gemefen? Oer ©rnnb
ber l)iflovifd)en ©rfd)einnng beren Onndlirf mit 28et)mnth gebenft, liegt
unb öfter 11) i e b er 1) 0 1 eu , unb inobci man bic (ik'fafjr nnb bie bringcnbftcii
@eld)äftc noUftiinbig uergifit. .'önt man irgenbroo nnberS mct)v al§ l)icr llvfacbe,
mit .pornj ansjnvnfcn ;
Spectatiun admissi risum teneatis, amici?
Oajn fömmt nod) bn§ einige d'inertei gciniffer OJlntcvicn. Ü9er eine ober juiei
Opern gefeben bat, ber bat and) niele Ocenen non bnnbert anbereu gefeben. i'cr=
liebte Ätagen, ein paar ungtüdlid)e Siebbaber, banon einer in§ @efängniß nnb in
Sebendgefabr fömmt, bann ein järtlicbed 3lbfd)iebnebmen in einem Onett, nnb ber=
gleid;en, fommen beinnbe in gar allen Cpern uor." Onl3er, DUlg. ibtarie ber
fdbönen .)?iinfte, „Oper".
*) .'panölirf, Oie moberne Oper (i?erlin 18Tö) O. V. VII.
824
Sie Oper. Sie ^^ftrumentatmutif.
iü(^t in bem SBefen ber iDiufi!, fonbern in bem SBefen ber Oper.
bem ©ebiibe ba§ in ber (^'rbe rourjeit, gehört bie Un[terbüd)feit , fie i[t
bie iKitgift be§ @ei[te§. Oa§ fenfitine (Element in ber menfd^Iidjen 9iatur
entftammt biefer (5rbe, barum ift e§ i^infällig nnb nerraeäUc^ ; unb gieid^
i^m altert fd^netl nnb uerblü^t unb ftirbt balb ba§ ^robuct jeber Äunft,
bie ftatt bem @eifte ju bienen , bie ^Jcagb be§ ^leifc^eg roirb: bie burc^
p^oneti^c^e Ännftftücfe bie ©ebanfenlofigfeit in ©rftaunen p felgen, burc^
ungereimte gictionen nnb 5lbentenerlid)feiten bie ju nergnügen,
burd^ prad^tüolle ©cenerien unb lururiöfe 6o[tümirung ba§ Singe ju
blenben, burcb üppige ÜWelobien unb nerfü^rerifd^e 9i!^i)t^men bie ©inn-
lid^feit jn feffeln, burd^ ^rinolitäten unb fdl)lüpfrige IRei^e ber ßüftern’^eit
9ia^rung ju bieten bemüht ift. Oas ift e§ roa§, balb offen balb me^r im
Verborgenen, oon fe^er bie Oper get^an !^at; ba§ ift e§ mas fie t^un
mu^te, roenn eg i^r getingen fotlte, i^r Oafepn ju friften, unb bie au§
ber Unnatur i^reg gaujen SBefeng mit Votliroenbigfeit beroorgel^enbe
(f5e^altlofigteit i^rer fy^^el, mit bem oielfättigen Söiberfinu ilirer gefammten
Oeibnif, ber Oberfläd^tidffeit für beu Slugenblicf ju oerbergen. Unter
foldlieu Umftäuben ift eg eben nic^t anberg mögli^ , atg bap in biefer
fogenannten Ä'unftform „alte Oonbid)tung ftetg burd}jogen erfd^eint oon
(Elementen fdjuellerer ober langfomerer ©terblidbfeit", unb „mit febem
.sberbfte eine 2®ett non Vlumen ju StJiober roirb".
Sßog ^ulet^t .'panglicfg juüerfidl)tli(^e f^rage betrifft: „®er ift 9tid)ter
barüber, ob ein 2Serf ber Ä'unft ,roal)r^aft fd]ön‘ fep?" — fo bringt ung
biefetbe nicht in Verlegenheit. C^g ift bie Vernunft, roetd^e über ben
äfthetifdhen S5>erth ober Unroerth ted)nifd)er l'eiftungen entfdheibet, unter=
ftübt unb geleitet burch bag Vid)t ber übernatürlid)en SKahrheit.
3^icrtcg ÄttpitcL
B i r 3 H ft r 11 m f n t a l m n f t h.
§. 1.
3>tc 3nftrumentttfmurtß nfs ^cgfeitcrin bcs ^efangcs.
Oie erfte unb eigent[id)e Veftimmung ber ijnftvumentatmulit. f^ür bie litur;
gifche SVufif ift ba§ Doltfommcn geeignete .fjnftrument allein bie Orgel,
dßelde anbere , nach Venebict XIY. , neben berfetben unter Umitänben
atlenfatlg nod) gebutbet roerben fönnen, unb roag bei ber Slnroenbung
folcher unerlaubt fep. (Sine beaditenginerthe SlenBerung Vid)arb SBagners,
roeldje mit bem ©inne ber Äird)e gan,t übereinftinnnt.
528. ^ie gefnngenen Xöne ber menfdhlic^en ©timme, unb fomit
and) bie Vtelobie, neben bem sert bag .N^auptmoment beg diefangeg.
Sie crfte unb eigentli^e SBeftimmimg ber ^'nftnniientalmufif.
825
taffen fti^ auf nerfdjiebenen naiSbitben. 'DJian pftegt bie
Set^teven in brei Staffen 511 tt)eiten; Saiteninftrumente, ißtasinftrumente,
(£d)taginftrumente. 2®a§ ben SInsbrucf betrifft, inirb freiticb bie in foti^er
Sßeife nac^gebitbete i)i)tetobie ihrem Original, ber non ber inenfd)tid)en
Stimme norgetragenen , nm ißieted na^ftehen; an Oleintjeit ber Oöne
bagegen, nnb nnmenttid) an Störte, fann fie baffelbe weit iibertreffen.
So mar ed fe^r natürlid), menn man non jeher ben ©efang mit ben
Oönen muficalifd)er ^nftvnmente 511 begleiten fich gemöhnte, unb baburd)
nicht nur bie Sauger umerftü|te, fonbern äugleid) ber iTielobie größere
Störte, höhff*^ ii»b gefteigerte SBirffamteit nerliel). .t'ierin liegt
ohne c^'fte li'ib bie eigentlidje ißeftimmung ber
mufif: ben ©efang einjuleiten unb jn begleiten, etroaige ifjanfen burd)
entfpre;^enbe iSietobien audsufütlen , nnb burch ein ?iad)fpiet bie tünft=
lerifche i]3robuction abjufd)liefien.
539. 3'^ biefem Sinne, als begteitenbe Äunft aufgefafd unb ge;
hanbhabt, ift bie nicht nur für ben profanen, fonbern
eben fo fel)r für ben liturgifd)en ©efang non h^noorragenbem Söerthe.
Oenn non menfd)lid)en Stimmen allein norgetragen, bebarf ber ©regorict;
nifdje (Shnral eine§ jaljlreidten nnb uorjüglid) gefd)ntten menn er
in ben meiten 9töumen eined ©otteshaufed feine node Sßirfung crudüben
fott, namentlid) and) für bie 23ielen, roeldje ben lateinifdjen sept nicht
nerfteljen. Idun gibt cd freilid) nur ein einjiged ^nftrument, bad fid] für
ben liturgifd)en ©ebrand) eignet, bie Orgel nömlid); aber biefe genügt
and) feber Dlnforbernng in noUftem tD^crafie.
Ohtttfödjtid) hoi man im l'aufe ber ^ßeit in nieten Äir^en, au|er
ber Orgel, noch mehr ober roentger fömmtliche ^nftrumente ju nerinerthen
gefudjt, bereu fid) bie profane ''Hciifit bebient. ^obeft biefed Verfahren
entfpridd ineber ben ber litnrgifdjen i)Jiufit, nod) bem Sinne ber
Äirdje. ®ad (Joncil jn Orient thut audfd)lief3lid) ber Orgel ©rinöhnung*);
bad römifdje (>öremoniale aber, nadibcm ed junödjft bie Sßeftimmung bed
©oncitd roieberholt hot, fügt bad audbrücttidie ißerbot hiOjO, aufter ber
Orgel irgenb ein nnbered mnficalifd)ed ^ofirument anjuinenben 38i). Oer
and ber heiligen Schrift betannten Ohatfadjc gegenüber, baf; bad 5ßotf
©otted im alten 23unbe fich bei feinen gottedbienftlichen Sßerfammlungen
mehrerer ^nftrnmente nerfd)iebener 2(rt bebiente, lehrt Xhomad non iJlquin
fvolgenbed. „Oie in Diebe ftehenben ^oftvumente finb mehr bo,3u ange=
than, bem ©emütlje ©enup ju gemöhren, ald baffelbe jnm ©rnft unb
jur 5tnbacht ju ftimmen. Oad ifraelitifche ißott inar irbifdj gefinnt, unb
in religiöfer ißejiehung ftumpf, nnb bebiirfte birrnm, rnie ber ißerheidungen
irbifchen Sohned, fo auch ber Slnregung bnrd) foldje ^oftrnmentalmnfif ;
Sie ©teile rourbe oben, ©. 388, beveitg angeführt.
1
826 bei ber liturgifd^en
Überbieg Ratten bte ^nftrumente bereu mau ftd) habet bebiente, i^re
tt)pifd}e 23ebeutuug. ®abiyrd) erfiärt jid) bie erraü^nte ©inric^tung im
alten 33unbe; bie .^ir(^e bagegen bringt fot^e 3'6'i^i™ente beim @otteg=
bienfte nid}t in 31nroenbung" 382). ®ad ^od)bcitige Opfer beg Seibeg
nnb 3)luteg ©firifti, bie nnnnterbrod)ene perfönlidte ©'egenroart beg >^errn
im Oacramente, baju bie ©iefammb^eit ber übernatürlichen 3Sahrheiten in
bereu Sefilp ficb bie .Sird^e ©otteg befinbet, laffen überhaupt, tuie fie ber
©hriftenheit nid)t mehr erlauben, „irbifdjen ©inneg jn fepn ttnb bem
llebcrfinnlidicn gegenüber ftnmpf", bie ^Inroenbung anberer ^nftrumente,
alg ber Orgel, bei ber freier ber heiligen ©eheimniffe, nicht allein noll:
tommen entbehrlid), fonbern gerabejn unftatthaft erfd)einen.
530. Oiefem ©kbanten fomie bem angeführten ib'erbote beg ©üre=
moniale gegenüber, ipotlen mir inbeft nicht nerfdtroeigen, baft Senebict XIY.
in feiner früher ermähnten ©ncpclica bcn i3ifd)öfcn beg jt'irchenftaateg
(beim an biefe ift bag Schreiben gerid)tet) bie ©:rlnnbnif! ertheilt, „fallg
in ben jl'irchen ihrer Oiöcefen ber ©iebranch anberer ^nftrumente anf^er
ber Orgel ber eit g ©in gang gefnnben Ijnbe", ben ©ontrabah, bag
iBioloncell , ben fyagott, bie iüiola nnb bie 25ioline ju geftatten, aber
biefe allein. Oagegen foUen fie „"l'aufen, SSalbliörner, Orompeten,
Oboen, grofec nnb tleine fylöten, ©laoierinftrnmcnte, '')JLanbolinen nnb
ähnltdie ^nftrnmentc oerbieten". „iK>ag aber bie i>erroenbung ber
nad) juläftigen ^»ftntmente betrifft, fo follen biefelbcn einzig bajn oer;
menbet merben, bie 5t>irff amfeit beg ©efangeg jn erhöhen, inbem fie
bniin beitragen, bie bem 'Jertc entfpredjenben ©efühle in ben Slnmefenben
jn förbern, nnb fie jn anbächtiger Ißeherjignng ber religiöfen Sßahrheiten
jn ftimmen, nnb jur Siebe gegen ©mtt nnb bag mag ©otteg ift. SBenn
bagegen bie bejeidineten ^itftrnmente fid) fortmöhrenb hören laffen, nnb
nur hie nnb ba, mie eg gegenmartig ber f^all ju fepn pflegt, auf 21ugen=
blicte fchmcigen, um fünftlid)en Sänfen nnb fogenannten Srillern ber
Oängcr Dtanm jn laffen, inbeft fie fonft alle 25>orte beg ©efangtepteg
übertönen nnb bem ®erftnnbni^ nnjugänglid) mndien; bann ift ber ©e=
brand) berfelben nicht allein überflüffig nnb jmedlog, fonbern einfad)
nncrlaubt nnb n erboten" 383).
'Hion rnolle übrigeng nid)t überfehen, baf; 3?cnebict XIV. in biefen
'iSorten feinegmegg, in 21'iberfprud) mit bem brei ^^^re fpäter (1752)
Don il)m neu heranggegebenen ©nremoniale, bie 31nmenbung ber fünf pon
ihm genannten (stüirumentc gntheiftt, fonbern lebiglid) ben 3?ifdhöfen
beg Jtird)enftoateg bie fvreiheit gibt, biefelben bort gn geftatten, rao man
fid) bereitg an ben ©ebraud) Pon ber Orgel oerfchiebener ^nftrumente
gemöhnt habe, ©g tritt fa oft bie ©rfd)einnng ein, baf; ber ©efchgeber
fid) bnrd) bie lHücf)id)t auf obmaltcnbe Umftänbe genöthigt ficht, ber
minber angemeffenen, aber einmal l)crrfd)cnben ©iemol)nhcit ^»^ugeftänbniffe
^uftnimente bei ber litiivgiidjeu 93fut’if.
827
gu mad)eu; aud) ''I'lioijfed ^atte eiuft, fveiltd; auf einem gang anberen
©ebiete, bem fübifd)eu i'olfe eine geroiffe ©riaubmfg gegeben, aber mir,
lüie ber b^erv un§ beteljvt, „megen ber ^^ävte it)re§ .v>ergenö" fiJJiattl}.
19, 8)*).
©ang bem i£inuc ber iiirdfe enlfpredfenb ftnben mir banim bie
foigenbeii äiJovte eineg genialen iXlianneg, ber freilid) fetbft bem ©cifte ber
Äirdge leiber feljr fern gn ftel^en fd)ien. „®ie menfd)Iid)e ©timme, bie
unmittelbare 5;rägerin bes Igeiligen SBorteö, nid^t aber ber inftrumentale
©d)mucf, ober gar bie triuiale ©eigerei in ben meiften unferer fettigen
3Urd)enftüde, muf; ben unmittelbaren Vorrang in ber Äirdfe l)aben; nnb
loenn bie fntljolifd)e Äird)enmufif gu ibrer nrfprnngli(^en iReinl)eit loieber
gang gelangen foll, mnfg bie ißocalmufif fie mieber gang allein oertreten.
fyür bie eingig notbmenbig erfdjeinenbe Begleitung bat bag cbriftlid)e
©enie bag ronrbige ,fsnftrnment, meld)eg in feber unferer .ftirdjen feinen
unbeftrittcnen if3lab, bat, erfunben; bieg ift bie Orgel, loeldje auf bag
©innreidifte eine grofge Hiannidtfaltigfeit tonlid)cn Stugbnudeg oereinigt,
i^rer Batur nad) aber oirtnofe Bergiernng im Bortrng nugfd)liefgt , nnb
nidgt burd) finnlidge Dteige eine (iufeerlid) ftörenbe 3tufmcrffamfeit auf fid)
gn gieben oermagd' ©o fprad) fid) oor faft einem Btcnfd)enalter fdbon
Diidnub 25>agner ang**).
§• 2.
pic ^nflrumctital'ntuftll ol)nc ben gelang.
©ine gjueitc Beftimmung ber 3uftrumcntnlmufif; fg-ällc in bcucn bie Umftäiibc
ben Bert erfepen. B3o fie unabbnngtg oon fold)en Umftänben auftritt,
ba ift ber ©©nuf; ben fic geioiibrt, oorunegenb mcl)r patl)oIogifd) alg
nftl)etifcb. Bacbtbeitige fS'Olgen, roeld)e bie b'i»fige Bcfdjäftigung mit biefer
Äunft mit fiel) bringt.
5:31. Oafg fie ben ©©fang begleite, Ijabcn mir gefagt, nnb feine
Blirffamfeit förberc nnb uerftärfe, fei) bie erfte nnb bie eigentlid)e Be=
ftimmnng ber ^snftrnmcntalmnfif. ©tc l)at inbefg neben biefer nod) eine
*) @inc ©eftätignng biefe§ unfereä (fiebanfenä finbet man bei ®cncbict XIV.
De synodo dioecesana 1. 11. cap. 7. n. 0.
®ie in nenefter 3^9 nu§gefprDd)cnc 93et)anptnng , SBcnebict XIV. ti^be in
biefem 23erlc (de synodo dioecesana) bie in bev üor()cv angefiibrtcn @nci)clica ben
Sifebbfen bc§ Äirdjenftanteä gegebene 'dnincifung „nnf ntle ®ifdjöfe auägebetjnt",
i)'t unrichtig. Ba§ erninf)nte ®erf ift ein rein loiffenldinftlidjeS ®nd) ; Senebict XIV.
t)at burd) baffelbe nid)t einen einjigen jnrisbietioneUen 3(ct gefeljt.
**) dmtimirf ;nr Cvganifation eineS bentfdjen Ptationa(Bbcflter§ für bn§Äönig=
reid) $ncf)fen, 1849. (b^efainmelte '-idjeiften, ßeippg 1871, 3?b. 2. ®. 337.)
828
®ie o^ne ben ©efaug.
jroeite. ©ä fommen im menf(^üc§eu :i'eben, iiamenttic| im öffentlichen
nnb gefellf^aftlicfien, 2lnläffe nor unb ^anblungen, melclie e§ t^eilg noth=
menbig, theil§ roünfcEiengraerth machen, ba^ in ben babei Setheiligten eine
beftimmte, benfelben entfprechenbe Stimmung h^i^rfi^e- ©inigerma^en finb
foldhe Slnläffe fi^on an fidh unb ihrer Statur nadh bnju angethan, biefe
Stimmung h^i^uorjurufen ; aber bie ©efühle au§ benen fi(^ biefelbe ju=
fammenfe^t, bilben fich leii^ter nnb fieserer, unb roerben intenfioer, menn
amh bie 9}iufif baju mitroirft.
3u ben Jpanblungen ober SInläffen bie mir im 3luge haben, gehört
25. ber feierliche @injug beg 23ifd)ofg in ein @otte§hau§ fetneä Spren=
geig, menn er bafelbft eine liturgifche §anblung ju uoüjiehen hat: ba§
römif(^e föäremoniale orbnet für folche (Gelegenheiten an, baff bie Orgel
gefpielt roerbe; unb ba§ 9iämlid)e foK gefi^ehen, menn ein £egnt be§
heiligen Stuhleg ober ein (Sarbinal in eine jlirche feinen ©injug hält*).
Oaft eg in gleicher 2Setfe, au^ ohne bie felteneren Slnlöffe biefer 2lrt,
erhebenb unb jur 2lnbacht ftimmenb auf bag (Gemüth roirft, menn oor
bem 2?eginn ber h^'liS^u i^anblung, rcährenb fich fölerug in feier=
lichem 3^9^ bie jlirche gum iffregbpterium hüiberoegt, gleichseitig
bie maieftdtifd) ernften Oöne ber Orgel fich oernehmen laffen, bürfte
fdjon feber ßh^äft empfunben haben. (Gbenfo ift eg eine fehr oerftänbige,
bie allgemeine 2lnbad)t in roirffamer 2ßeife förbernbe 2Sorfchrift beg
(Säremoniale , roeld^e leiber in manchen Ä'irdjen nicht beachtet roirb, bah
rcährenb ber Sßanblimg unb (S’leoation im .'pochamte, inbeh ber (Gefang
ruht , bie Orgel in anbädhtiger unb ernfter 2Beife ju fpielen fep 384).
Oie .Rrieggfunft ihrerfeitg hat für ihre ^Tuede non jeher bie
mentalmufif unentbehrlich gefunben; unb rcenn rcährenb ber Sdjlacht „bie
Dioffe rciehernb jagen unb bag 23lut ber ipelben rcaClt", fo fann bag
Sum Oh^d immerhin fchon eine natürli^e ber Umftänbe fepn: aber
baff eben gleichseitig „bie ^rieggtrompete fchallt" unb „bie Orommeln
SBirbet fchlngen'', bag trägt fehr rcefentlid) basu bei, jtm Slenhernngen
einer gefteigerten .(lühnheit, unb eineg iBiutheg ber bie @efahr nicht be=
achtet, hei'uorsurnfen, unb entgegengefehte (Slefühle, rcelche für ben 2lug=
gang beg Äampfeg fehr nachtheilig fepn lönnten, su paralpfiren. Oer
©enup ber freien Biatur an einem fchönen Sommerabenb, bie gehobene
Stimmung bei einem f^eftmahle, einer 2lbfchiebgfeier , ober einer 2^er=
fammlung burch rceldje irgenb ein öffentlicheg (Greignift gefeiert rcerben
foß, fann fühlbar erhöht rcerben, rcenn bie 2lugführung paffenber (£om=
pofitionen fie non su 3^^ unterftüfet.
25ei foldien unb ähnlid)en Slnläffen ift mithin bag felbftänbige Stuf;
treten ber ^uftrnmentalmnfif , ohne ben (iiefang, ohne bered)tigt
*) Caer. Episc. 1. c. 28. n. 3. 4.
®ie ^nftviimentalmufif o^ne bcn ©cfang.
829
unb ongemei'ien. Wix mü|len e§ unter bi cf er 9tücfiicf)t einfeitig
fiuben, tuenn ^4>lato „ben 3>ortrag r^r)t(}uitidjer t)Jfe(obien auf ber (Jitf)er
unb feljv entf^ieben mißbilligt, inbem er So(ct)e§ für einen
brnudi erftürt ber fid) „roie 5iafd)enfpielerei an§nel)me, unb mit ben
f(ßönen 5lnnften nid)td mebr gemein ßabe" (ciiAouala xal Oct'jii.ctTO'j&Yict) *).
'iptato begrünbet fein Verbiet bamit, baß man „oßne bie Sporte be§ @e=
fanged bie tHielobie ja nid)t nerfteßen, nnb nid)t miffen fönne maä fie
rooUe". ®a§ ift, bei ben iBoranefeßnngen bie mir gemad)t ßaben, eben
nid)t meßr roaßr: bie Umftünbe nnb bie burd) fie fdfon angeregte ©tim=
mnng ber 3lnmefenben, bilben für bie Sporte iit’folcßen güllen ben gc=
nügenben (Jrfaß.
533. ©eit nid}t ganj jmeißnnbert (©ebaftian 33nd)j ßnt
man nun freilid) angefangen, und) ganj unabßnngig non ber angenblicf=
ließen 'ißatfäd)lid)feit fold)er Umftünbe bie 3nfU'iii»cittalmnfil felbftnnbig
anftreten jn taffen. fönnen ^it^örer mit eoülfe ber '•^djantafie
fieß eine ©eßlaeßt, über eine ?tlpengegenb beim 'Jlnfgange ber ©onne, ober
eine non ©djuee nnb @i§ ftarrenbe SBinterlanbfdjaft in 9lorroegen, in
einem lebßaften 33ilbe oorfteden , nnb ßierbnrd) nnterftüßt , ber 2lnf=
füßrung eined Jonftiiefeg non bem fie miffen, baß eä eben für folcße
llmftnnbe componirt ift, mit ^idereffe nnb ilergnügen beimoßnen. Jlein
nern ber t)J{nfil, nielleicßt aueß ©otd)en bie, oßne fieß niel mit berfetben
befaßt jn ßaben, non ''Jlatnr eine ßeimorragenbe Einlage für biefe Äunft
befißen, mirb felbft ba§ 3tnßören einer hinftreidten ©pmpßonic über einer
©onate ober einer ,,^4>ßantafie" @enuß bringen, meld)e ißnen non allen
beftimmten Umftünben uollftänbig getöft uorgefüßrt mirb. 3lber mit biefem,
im erften fyaüe jiemlid) nagen, im ^meiten — mir möd)ten fagen „ted)=
nif^en“ @ennß bürfte ainß, non ber rein pßpfiotogifdjen SiUrfnng ab=
gefeßen, ber ganje 2®ertß fold)er Seiftungen erfd)öpft fepn.
3iSag übrigeng meiter biefe ganj fetbftünbig ntg ßebonifdße Ännft
auftretenbe 3'tftvnmentntmnfif betrifft, fo ift jnnücßft offenbar, baß tßr
bie 3?erfncßnng, unter bem ©d)ein üftßetifd}er Öjenüffe finnlidfe, genauer
uegetatioe, jn bereiten, nnb baburd) unmoralifd) ju merben, eben fo naße
ober üielmeßr nodj nüßer liegt, mie ber profanen ißocalmnfit (oben,
©. 809 f.): nnb man barf nur bie Ueberfißriften jaßlreid)er (flaoier:
ftüde lefen, um gn miffen, baß fie biefer ldrfnd)iing gar nießt ungern
nacßgngeben pflegt. 3tber and) abgefeßen non biefer nnmittelbar fd)limmen
iTSirfnng nidjt meniger (fompofitionen, ßat Soße uollfommen 9led)t, menn
er bie namentlid) in ben bentfdfen Sönbern meit oerbreitete ißeilnoßme
für t)i)hifif feinegmegg erfrenlid) finbet, ißre (?-inroirfnng auf bie Station
nießt für eine günftige ßült.
') Plat. de leg. 1. 2. Steph. p. GG9. 670. Bip. 8. p. 93. 94.
830
®ie 3nflnimentatinu[it ol^ne ben ©efang.
„@erabe ben iiberroöüigenbften (Smbvürfcn ber i[t bev ftärffte
leiblicher (^•vregitng non ©eite be§ .^örevs beigemifd^t . . ©)a§
©fern entarif che ber iDiufif," (b. h- Ph^fiologijch roirfenbe iDJo;
ment in berfetben,) „ber Jb'lang unb bie SSeraegung i[t e§, tna§ bie
mehrlofen @efühle fo nieler ülRufiffreunbe in Äetten jchlägt, mit benen
fie gar gerne flirren . . ®iefe§ ©efühf, mef(^e§ [ich that[ä(^Iich mehr ober
minber mit ber reinen" (ber intetlectuellen') „3fn[(hauung paart, fann
nur bann at§" äfthetifcher @enn^ gelten, menn ba§ norherrfdhenbe ©fe=
ment barin bie [yrenbe an einem ©egenftanbe non afthetifchem Sßerthe
bitbet. „[^nihtt bagegen ba§ ©emüth [ich i’on ber Diaturgematt ber
©öne be[angen, [o fann ein [otctjer ©inbrucf nm [o weniger" al§ bie
2i>irfnng einer f nneoteihni[d)en (eigentlich fün[tleri[chen) Sei[tnng gelten,
„je [tärfer ber[etbe au[tritt. ®ie 3öhf ^erer roelche an[ [olche 5Irt '2Ru[if
hören ober eigentlich [ühten, i[t [eljr bebentenb. [ie ba§ ©lernen;
tari[cl}e ber 5ltu[if in pa[[ioer ©•mp[ängtichfeit an[ [ich roMen to[[en,
gerathen [ie in eine oage, nur burd) ben ganj allgemeinen ©haracter bes
©on[tüdeg be[timmte, nber[inntid);[innlid)e ©rregnng. 3^r 93erhalten
gegen bie i)Jhi[if i[t rein pathotogi[ih: ein [tete§ dämmern,
©d)n)cirmen, ein .'gongen nnb l^angen in ftingenbem 'Htid)t§" *).
©ine 33e[d)ä[tignng mit ber iDfiipf roie .iganälicf [ie in bie[en ©ähen
tre[[enb d)aracteri[irt, wirb o[[enbar nur bajn bienen, ber träumeri[chen
Ofegfamfeit einer nn[tciten ^'honta[ie, ber unmönnlid;en äöeichheit be§
©e[nhl§, ber ©d)raädje nnb ilieijbarfeit ber 3lerüen, äu[ier[t mirf[amen
il'Or[dmb 51t lei[ten. Dfnn gibt e§ aber befanntlich ohnebie§ [chon ber
Oilfomente mehr al§ genug, meld)e bnrch Ueberreijnng franfha[te 3n[tönbe
ber ermähnten iSermögen herbei[ühren, nnb ba§ ©leid)geroid)t ber Kräfte
in einer für ba§ innere roie ba§ ängere Seben bebenflichen 2Bei[e [tören.
i^erftanbig befchränfte 23e[d)ä[tignng mit ber ‘Jonfnnft fann [ür ben „ber
in ben horten 3n[ommenhöngen ber 2Birflid)feit eingeroohnt i[t, unb ben
©ruft ber ©)inge, ber beftimmten 2tn[gaben nnb 3^^^^ Seben§ fennt",
ein ganj geeignetes ilJc'ittel ber ©rholung nnb geiftiger ©rhebnng [epn:
ohne [olche i'orangfeünngen bagegen führt [ie nur „eine [chäblidfe ©r;
[d)la[[nng aller .liräfte herbei , roetd)e ba§ thätige Sehen auf angebbare
3roecfe nnb [tetige Dlrbeit rid)ten [oll. Sie oerhüngnifroolle Seid)tigfeit
mit welcher gernbe biefe ilnnft eine leibtidje 2ln§übung geftattet, hot ih«
511 atttäglid) geworbenen ifirobnctionen längft jener SSeihe entfleibet, bie
[ie nl§ [eiten bargebotene SSieberholnngen ernfter nnb groper iJJfeifterwerfe
gehabt hoben würben. 3^’^'-"'^' hoff^otlid) oorüber , ba bie
bentfdie Üfation in jeber brohenben Sage nid)tg 9cothwenbigere§ 311 thun
wnfde, at§ ben oierftimmigen i)Jtännerge[nng erfinben weldjer ber ©itnation
*) Oiacfj Aborölicf, to. 135 fj. (Sit. 807.)
5ßfeubo[ititvgi|c[je 9)tufif.
831
eutiprad); bennod} nimmt bie ilevfentimg in mnficaUfd)c ^efüljle no(i^
eine nnnerpltnipmäj^ige 3^ii unfer§ Sebeng in 51nfprit(^, roäbrenb bie
geicbnenben nnb bilbenben Ä'ün[te, bie ben 0inn für bie SffiirfUdffeit
fd)nrfen, ber 'Jl^eitnn^me nur roenig finben" *).
fc n ö 0 1 1 1 it r g i f ri) f Jit it f t k.
§■ 1.
|)rtö ■gtctfttffcn bcö ^pftems Gregors bc5 Proben ßat nodi immer jum Verfall
öcr l'itnvgifdien 5^T«ftli flcfußti.
3eugnipe non Üfodpip, Ücettesbeim , £'iitbanu§, 9lmlu'0§, tf■^an5^icf, 9£agner,
91. 9beid)en§pcvgev. Cb bie Ä'ird)enftüdc non üdcojavt , ^?npbn, nnb nm
bereu gvopen 93ieifteni nl'g titurgifd)c 3)hifit gelten tonnen: 5?nn§lid;,
9.'3ngner, (Jrjbifd)of @rnf .fbobcnunivt, '’flin§ VI. (yntid)cibnng ber fS'rngc
im oerncinenben Cinne.
533. „c^iturgifdie ültuiit im ftrengen ©inne ift mir ©efang, nnb
jmar ber @regorianifd)e, ober bie potppltone 23earbeitnng beffetben, fomcit
nidft baburd) befjen 9Befen nerünbert mirb. .^eine ober
anbere neuere Üüinfif f'nnn auf ben iSßciracter einer litnrgifd)en ÜJhifif
9fnfprnd) mad)en, füllte bie Ä'nnft meld)e fie entfattet, nitcf) nod) fo grop
fepn. Ühtr bie unirbige 9tnmenbiing ber Crgel beim ©ottesbienfte ift
bnrdi bie Ä'ircbe uon jeßer gebittigt morben" **). Ciefe 95>orte eineg um
bie mnrbige pfeier ber beitigen ©ebeimniffe bod}oerbienten 93ifd)ofg finb
ein furjer 9tugbrucf, nnb oitgleid) eine mertbrotte 93eftntignng beffen, umg
mir im jmeiten nnb oierten Kapitel biefeg 9tbfd)nitteg feftgeftcltt bnben.
Cen Cemeifen für bie 93ebcutnng beg ©regorinnifdjen ©efangeg,
biefer be^'öorragenbften i'eiftung ber Contnuft , meldje frnber gegeben
mürben, beabfidjtigen mir biei' einen meiteren onjnfdjiiepen. ®ie iHüdfidit
auf einjetne '■f.^nnfte bie erft in ben jmei lepten .btnpitetn jur ©praepe
fommen tonnten, mnpte cg ung jmeefmapiger crfd)einen taffen, biefen
33emeig big biertjer ju nerfdjieben. Oerfetbe grünbet fiep auf eine Cpat;
fndie ber ©efdjid)te. äCng bie ßet^tere nnmiberfpred)lid) conftntirt, bag
ift nümtid) biefeg, bnp bng 9?erlaffen beg non ©regor bem ©ropen mit
*) 9tad) Sotee, S. 502 f. (6it. 18.) 9ttan ocrgtcicbc and; 9tod;tip, Sb. 2.
0. 252 n- (©t. 811.)
**) Saientin, StfipDf non PtcgcnSbnrg, d'aitornIfd;reibm an ben (JlcrnS ber
Sibceje, oom 16. 2(prit 1857, 9i. I.
832
i]3ieubo(iturgifc^e 2>hifif.
berounberungäroürbiger SSets^eit feftgefteüten inuiicoUic^en ©^ftemä immer
ben iRiebergang be§ lüurgtfc^en ©efangeä, unb fd^üefelic^ feinen gänjli^en
ißerfati, unau§n)eid)ü^ jur f^oige bat. 2ßir befcb^^änfen un§, nm ba§
barjutbun, auf bie nier letzten ^ab^^bwaberte.
534. „3m ^bircbengefange batte im fünfzehnten 3abi^bunbert unb
im Slnfange be§ fecbsebnten bie 3”ft^'umentalmufif bie ißocatmufif über=
boten, unb ber ße^teren befonber§ eine überaug fünftücbe ißollftimmigfeit
unb ©etabrtbeit aufgebrungen ; ba§ batte fie gefteigert big ju einer btofeen
inirfunggtofen SSerftanbegfa^e" *). ®af? fi^ bie „Serftanbegfacbe" in
ber ifJrarig feinegroegg febr nerftänbig augnabm, beroeift bag fotgenbe
^eiignifz, bag ficb auf bie erften ^ab^^Sebate eben beg fei^jebuten 3ab^=^
bnnbertg bezieht, „heutzutage ift bie ber ilRufif in ben
Äirdben fo gro^, bag man zagteicb mit bem ü)ie^tez:te auf ben 3nftru=
menten üppige Siebeleien zu b^i^eu befömmt, unb beim ©ottegbienfte bie
für fcbmereg @elb gemietbeten üeberlicben iJRufifer ihre ©efünge nicht zur
(Erbauung ber Slnraefenben unb zur ©eiftegerbebung auffübren, fonbern
zur ©rregung ber fcblimmften ©innlicbfeit; bag fie nicht ÜRenfcben^ fon=
bern Jbüvftimmen böten laffen: benn but raiebern iinaben ben Sigcant,
9lnbere brüllen ben ^enor, Slnbere bellen ben ßontrapunft, mieber 2ln=
bere blöfen ben 3llt ober brummen ben 25afe. So bött mon Xöne im
Ueberfln^, aber oom Jerte fein ifitort" ** ***)).
iBürbeooUer unb gemeffener alg 9fettegbeim, aber ganz üt bemfelben
Sinne, brüdt ficb «nige ^ab^S^bnte fpüter ber auggezeicbnete SBilbelm
Sinbamig aug, ißifdbof non 9furemonbe (f 1588), einer ber erften
logen feiner ?'öer groge 23if(bof" nennt ihn IBenebict XIY. Sein
3engnig lautet fo. „Statt bie 3lnraefenben zu religiöfen ©efüblen an=
Znregen unb zu anböcbtigem IBeten zu ftimmen, roirfen gegenroärtig bie
Sänger bnrdb ihr Singen nielmebr babin, bafz biefelben im ©ebete geftört
nnb ber 31nbad)t entfrembet roerben. 3*^) ^ube mitunter rodbrenb beg
©ottegbienfteg mit ber grögten Slufmerffamfeit gelaufcbt, mag man benn
eben finge, unb eg mar mir nicht möglich, auch nur ein einzigeg 2öort
zu oerfteljen. ©g mar nicht ©efang mag man oernabm, fonbern ein
©emenge immer oufg neue roieberholter Silben, ein Surcheinonber oon
Stimmen, ein oerroorreneg Schreien unb roilbeg 23rüUen" **).
SS'obin auf bemfelben ©ebietc bag fiebenzebnte, bag 3abtbunbert beg
*) iftochtip, 23b. 1. S. 275. ((£it. 811.)
**) 3hi§ ber Schrift be§ befannten (5orneIiu§ 2tgrippa uon 9tettesheim (f 1535),
„2Son ber Unficherheit unb (Jitetfeit alter SKiffenf^aften unb fünfte", Äap. 17. (25ci
Slmbros, 4. ©. 13.)
***) Lindan. Panopl. Evang. 4. c. 78. (ap. Benedict. XIV. Litt. Encycl.
d. 19. Febr. 1749. g. 9.)
ipfeuboüturgifd^e äJJufif.
833
llngefc^mad'eg /ax’ sco/r^v, gelangte, nac^bem e§ mit ber ©regorinnifc^en
auc^ bie i]3alc[trina’§ gtücfttdj befeitigt !^atte, ba§ traben mir bei
einer anberen ©elegen^eit non 2tmbro§ bereits gehört * **)). 25>a§ aber ba§
ad)tje!^nte ^atjr^unbert betrifft, fo ift eS ja raof)t faum für ©inen Sefer
etroaS dceneS, baf3 biS jnm 2tbfc|Uiffe beffelben, roenigftenS in ©eutfd):
tanb bie Jl'ird)enmufi! nollftänbig (5oncert= unb Sit)eaterntufif' gemorben
mar. ®ein ©eifte jener inbifferentiftifdjen, rationatiftifd) nerffad)ten
bie fic^ mit etraaS retigiöfer Sentimentalität unb einer 5lrt non ©tifette=
j^römmigfeit begnügte, fonnte e§ nur eutfpredjeu, ineuu fic^ raäljreub ber
freier ber l^eitigen ?3leffe eine ganj nerinelt(id)te 5?uuft probucirte, bie
mit ben erfi^ütternbfteu ©ebanfen ber Offenbarung i'^r Spiel trieb, mit
ben ernfteften Stimmnugen beS c^riftlic^en i^'ierjeuS tünbeltc, mit am
genelim flingenben l^armonifd)en 5Jfelobien bie „anbäd)tige"
unterhielt, mit fcharfen nernenerregeubeu 9tl]ptl)men nnb frioolen 3lrieu
irbifdje ©efühle roadjrief, mit (Soloraturgefängen unb theatermä^igem
^4^omp unb einer finntichen, ben ©efang übermud)ernben 3’nfi^'i'ni£>dal=
mufif auf ben ©eifatl be§ ,,'jßubticumS" fpeculirte : nnb ba§ ße^tere
nerftanb fich fefir gern bagn, bie Äirdje als einen (Joncertfaal 51t be=
trad)ten, unb bei beu berouuberungSinürbigen f^igureu unb Sritleru ber
Opernfüngerinuen fid) eiueS 3}ergnügeuS ungefähr jener 2lrt freuen ju
fönnen, raie man eS ju auberer 3sit /»üfi beu unbegreiflidjen fünften
ber ßuftfpringer unb Seiltänger bie fehr fd)tuere Sad)en mad)en", ju
empfinben pflegt.
Steljt eS im neunjehnteii beffer? Seit einigen
jehnten nielfad) oline 3i^£U>-’U überall nod) feineSinegS. ©S bürfte
auch ^^ule nod) 3Bal)rheit fepu, maS nor nid)t gang breifjig
©buarb ^anSlid fchrieb. „©S gibt ungählige beutfche Oorf= ober 'IRarft=
firchen, roo gur heiligen üöaublung baS ,3llphorn‘ non ijSrod), ober bie
Schlufjarie auS ber ,Somnambüle‘ (mit bem fofetten Oecimenfprung ,in
meine 3lrme‘), ober 3lehnlid)eS, auf ber Orgel norgetragen roirb. ^e^er
Oeutfdje ber nadr 3©^ften fömmt, hont mit Staunen in beu jtird)en bie
befaunteften Operumelobien non Oloffini, 33eüiui, Oonigetti unb 3Serbi,
unb noch tneltlidjere Stüde" ***).
©eben mir nod) ginei ineitereu 3^i'9e'^ ^0^ SBort, um fo mel)r, atS
ber eine tnie ber anbere, inbem fie ben Oerfall ber liturgifchen iHlufif
authentifd) conftatiren, gugleii^ eben bem ©iebanfen 3lnSbrud geben, beffen
2Bahrl)eit mir gu beroeifen unternommen hoben. „Oer erfte Sdiritt gum
Serfall ber mähren fatholifd)en jltrchenmufif inor bie ©infühning
*) Oben, yi. 275. ©. 388 ff.
**) ®gt. §iftoriich:potiti)'(he Stätter, ®b. 83. S. 771. 779.-
***) |>an§Iicf, <3. 44 f. (Sit. 807.)
Sungmonn, 2teftf)etit. 2. Stuft.
53
834
5)3feuboIiturgifc^e SRiifif.
ber = in bieietbe*). ®urc^ fie, unb butd)
il)re immer freiere unb feibftänbigere 3tnroenbung, ^at fic^ bem reiigiöfen
2tuäbrud ein finuUdier ©cfimucf aufgebrängt, ber if)m beu empfinblidjften
2ibbrud) tijat, unb non bem fi^äbü(^ften ©influffe auf ben ©efang feibft
mürbe: bie 2}irtuofität beä ^nftrumentaliften ^at enblidj ben ©dng^r ju
gleidjer äUrtuofität ^erauSgeforbert, nnb batb brang ber roettUd^e Operm
gefdjinad nodftänbig in bie j?ird)e ein. ©eraiffe ©dt^e be§ ^^eiligen 2epte§,
roie Christe eleison, mürben ju fteljenben 2:epten für opernl^afte Strien
geftempelt, unb nadj bem itatienifd)en Operngefd^made au§gebitbete ©dnger
ju itjrem Stortrage in bie Äird)e gezogen" **). 2tt§ ^^offapeltmeifter gu
©reöben l^atte diid^arb 3©agner o^ne Stniaff unb ©elegenl^eit
gei^abt, fid^ über ben ißunft um ben e§ fi(^ !^anbett, ein gunerld^igeg
Urtt)eit gu bitben. Stuguft iReii^enäperger aber ließ fic^ ein
fpdter alfo nernetjinen. „©§ grdngt an§ f^abelfjafte, in metc^er 2trt bie
Äird)enmufit entmeit)t morben ift, unb nodt) immer entmeit)t mirb. ©o=
halb man bie Sßege nertie^ metdbe auf ©runb uralter 3;rabition
©regor ber ©rof^e guerft n or gegeidjnet tiat, fonnte bie Stnar;
d)ie nidjt augbteiben, mie fie bermalen faft allermdrtg bie Oberbanb !^at.
©tatt ber ernftfeiertid)en 6t)ordte ertönen in unfercn ©ottegfidufern SBeifen
ber meltlic^ften , ja nid}t feiten ber frinolften Strt; ber ©efdbmact ober
bie Saune be§ Organiften bitbet gumeift bie eingige Dfiic^tfc^nur. ©§ ift
mat)rtid) bie tjödjfte audj biefem Unfuge begegnet mirb"***).
©f)ne 3ineifel; beim barin ^at ©oett)e 5Äed)t: „Sine Sdtufif bie ben ^ei=
tigen unb ben profanen (Sfiaracter oermifd}t, ift gottlos" f).
535. 3tber oietteidjt ptt man nnS claffifc^e diamen entgegen, —
23ad), i^idnbet, SJiogart, .^^apbn, (Sfierubini, 23eet^ooen, — gu benen „bie
gtdubige unb bie ungtdubige SSett mit tiefer ©t)rfurd)t" :§inauffdt)aue,
unb ftetit uns bie Sttternatioe, i^re ©ompofitionen für ben ©otteSbienft
entmeber atS „nnfterbtid) unb emig fdjön" nnguertennen, ober für einfeitig
unb teibenfc^aftlid) gu gelten, ©iner fotdt)en 2ltternatioe gegenüber tonnen
mir mot)t nid)tS 23effere§ tt)un, als mieber an ba§ Urttjeit non ©ad^=
oerftdnbigen appetliren.
©buarb .'panstid finbet „einen grofjen 5£^eit ber ipapbn’fdien unb
ber DJiogart’fc^en Äirdienmufif fe^r, fet)r metttid- 9Sergtidt)en mit bem
3'at)rmarft§jubet in fo mandem ,©toria‘, mit ben Dpernfdnörfetn in
fo mandem ,23enebictnS‘ unb ,2tgnu§‘ bief er SDieifter , ftingt SSerbi’S
*) an roetd;e ©regor ber ©ro^e fidier nie gebaut fo'd roürbe er fie
mit alter ©trenge oerboten f)aben.
**) iRidarb SBagner, ©ntiourf n. f. ro. ©. 335. (Sit. 827.)
***) 9(. iReiden§perger, ©. 109. (Sit. 372.)
f) ©oet^e, ©prüde in ißrofa. (©tnttgart 1869, Sb. 3. ©. 87.)
?PiaiboIiturgi[dje 2)Jufit.
835
,9iequiem‘ nod) I) eilig. 5lel)nU(l} Devl)ält e§ fic^ mit ber Jlircljemnufif
Dieter berül^mtev älterer ,6tafiicität‘ auf 2;reu unb
©laiiben angenommen nnb, mit jebem ©ecenninm meniger geprüft, loeiter^
gegeben roirb. ifjergolefe, Sotti, Somclli, Satieri, nnb fo Diele anbere
(Jelebritäten ,3talienä bereu grof^eä S:alent nnb bereu Ä'nnftfertigfeit mir
l)od)fct)ät^en, — roa§ für jopfigen 3ierrat^ nnb meidjlidie Opernmelobien
Ijaben fie nid)t bona fide in il)re jlird)en=($ompofitionen aufgenommen!"
Ueberljaupt, „in Dielen, mitunter l)od)gefeierten italienifdjen ^l'irdjenmnfifen,
erftidt ber ©eift in ber gülle btüljenbcn f^leifd)e§" * **) ***)). ®amit ber Sefer
biefe ©ebanfen c'pan§licf§, inäbefonbere fein Urtljeil über bie iBleffen non
.'T-^apbn nnb i^Djart, gnnj nerftelje, müffen mir nod) einige ©obe über
baä „d^equiem" uon 58erbi l^injnfügen. „®erbi l)at fein ,9leqniem‘, nad):
bem e§ einmal jn ©l)ren be§ berüt^mten ©idjterd ber Promessi sposi,
Slleffanbro ^Jlanjoni, im i)!)cailänber ©ome feine ©djiilbigfeit getljan, auf
Dieifen genommen, um eS in ben ©oncertfnlen non if5ari§, Sonbon unb
2,t>ien berfenigen ©emeinbe Dorjnfütiren , metdjer eg in iffinl)rl)eit
gemibmet mar, ber mit f ic ali f d)en" ■■*”'•). Unb mit ilpn reifte „ein
©iefangqnartett" (jmei ©änger nnb jmei ©ängerinnen ) „ba§ einen ©trom
Don SBoljllaut in bag ,9ieqniem‘ ergoff, nnb in 91ngfüljrnng biefeg iföerl'eg
bereitg enropäifcl)e Serülimt^eit erlangt l)nt . . 9Uir mar ber i'ortrag
biefer nier !^ünfig jn ttjeatralifd). ©eroiffe ©djlndfjer, Hebungen nnb
teibenfd)aftlid)e Slccente paffen — felbft im (^oncertfaale — nid)t für
tird)lid)e ÜRnfif, nid}t jn bem 2epte beg ,lReqnient‘. Söenn eine ©ängerin
gefüllt ßl^riftnm anrnft, fo barf man nidjt meinen, fie fd)mad)te und)
itjrem ©eliebten" "'"'"’O- Ännftmerf, uon bem mir Ijorten,
baff eg fid) im ißergleid) mit mandjen (Sompofitionen meldje q^apbn nnb
991ojart für bie iTirdje geliefert, „nodj 1} eilig" angnimmt.
iöerne^men mir einen sroeiten, nid}t minber fad)Derftänbigen
91id}arb 21>agner anerfennt, bap eg j?ird)enmnfifftüde gebe, meldje ber
Dörfer (©. 833 f.) and) mit feinen SBorten uon ung djaracterifirten,
„gänjlid) Derberbteu'nnb entmeil)ten, ben gefnnben religiöfen ©eift gerabejn
Derl)ö^nenben IRidjtnng am menigften angetjoren. ©eitbem luimlid) bie
.tlircbenmnfif burd) ©infül)rnng ber Ordjefterinftrnmente im Allgemeinen
Don i^rer 9fieinl)eit uerloren ^at, Ijaben nid)tgbeftomeniger bie gröfden
5;onfeljer iljrer Jlird)enftüde uerfafd, bie an nnb für fid) uon
ungemeinem fünftlerifdjem S5>ertbe finb;" aber „bem reinen Äircbem
ft nie, roie eg jept" (1849) „il)n mieberljerjnftellen an ber pödjften 3^it
märe, gehören and) biefe 9Aeiftermerfe ben nod) nid)t an.
*) .§an§Iicf, ©, 4. 5. 11. ((5it. 380.)
**) Aon miv untevftrid;en.
***) §airelid, ©. 7. 8. 12. ((5it. 380.)
53
836
ijSfeuboIiturgiid^e 9?luftt.
©ie ftnb abfolute muftcatifd)e ^iinftroerbe , bte grcar auf ber retigiöfen
SSaftg aufgebaut finb, ulet e^er aber gur Sluffü^rung in g ei ft litten
(Soncerten, al§ rca^reub be§ ® otte§bienfte§ in bev Äircfie
felbft fi(^ eignen" *).
2Ber etroa gu ben 2tu§fagen biefer @en)äf)r§männer not^ ißeroeife
nertangte au§ ben SBerfen ber ÜReifter felbft um bie e§ fic^ fianbdt,
ben nerroeifen roir auf bie uerbienftnoO’en 3eüfä)fiften non f^ranj 2Bitt,
„iJJiufica facra" unb „f^tiegenbe «Blätter für fat^otifdie Jtirct)enmufif".
iJie^men mir nur @ine ©teile ^erau§.
3n einer ÜReffe uon §a^bn, in D-moll unb D-dur, ^at ba§ Ä^rie
160 5;acte, ba§ ©loria 252, ba§ 33enebictu§ 161. 3*^ Ät)rie unb in
fünf anberen ©teilen biefer fUteffe liegt ber 9teru be§ ©anjen in ben
©olo , raelt^e in berfelben mit fyeuer unb ©leganj be^anbelt finb , nidit
natb ber geroö^^nli^en .!pa^bn’fd^en ©dbabtone, unb einer guten ©opran=
©oliftin bie banfbarfte unb britlantefte iRolle jut^eilen.
3n einer anberen Üdteffe, in C-dur, non bemfelben, fiat ba§ Äprie
135 Sacte lento; bie SBorte jtprie ((J^rifte) eleifon roerben im ©opran
brei^igmal mieber^olt, roobei biefe ©timme nod) 41 'Raufen l}at. ®a§
©loria :^at big ju Qui tollis 134 2:acte, ba§ Qui tollis felbft 32, ba§
Quoniam big cum sancto Spiritu 97 S^acte (©opran=©olo), bag Amen
allein 66 ?:acte. ®ag ©enebictug befielet aug 133 Laoten, bie brei
lebten Sporte beg Slgnug ®ei aber, dona nohis pacem, aug nid)t roeniger
alg 160.
Unb in biefer ÜReffe foroofil alg in einer britten, gleic^fallg in C-dur
unb non .'papbn, ift bag Quoniam (im ©loria) eine uollftänbige 2:i^eater=
23raoour:2lrie , unb ftreift bag 33enebictug nal^e baran. ®ag .^prie ber
jule^t erroäljnten britten l^at 172 3:acte, bag ©loria 372, bag 23ene=
bictug 130. ®er ganje erfte ©a^ beg (Srebo trägt roieber Slrienc^aracter,
unterbrodben oom Et incarnatus ift eine ganj geroöbnlicbe
5;enorarie, bie eben fo gnt oon ®üfiler ober ®ebler fepn fonnte. ®ag
beroeift 5. 25. biefe ©teile:
Lento.
*) afHcpatb aSagner, entrourf u. f. ro. 336. (6it. 827.)
■ipfeubolituvgitd^e 2Kiifif.
837
ctus
est etc.
3(uf bte breijefju Sporte Et incamatus big homo factiis est fommen
38 'Jacte largo; nad)bem baffclbe mit homo /actus est (biefeg gmeimat)
gelungen i[t, beginnt eg raieber non üorn, nnb eg folgt bag homo factus
est fed)gmat: bann abevmatg non uovn Et incamatus, nnb aufg neue
fed)gmal homo factus est *).
0d)on biefe fnrgen 3(nbeutnngen bnrften genügenb fegn, eg ooll=
fommen begreiflid) gn mnd|cn, luenn bev @raf A^bofienmart , atg f^ürft=
ergbifdjof non Söien, bie 2Utffü!^rung alter iöieffen non §ai)bn
Doltftänbig untevfagte; ober menn ißing VI., atg h (1782) bem 5]ßonti=
ficalamte im ®om gu 3tnggburg affiftiren mottte, nid)t ertaubte, bafg
eine grofte figurirte ititeffe, bie man mit uorgügtic^er ©orgfatt einftnbirt
l^atte, babei nufgefnbrt mürbe, fo bnfg man fid) genöttjigt fa^, ben eim
fad)en 6t)orat gn fingen**). !üeffing d)aracterifirt bie 3trie, im @egen=
falge gum Dlecitatio, atg „bie roottüftigere" 29erbinbiing ber 3t)infif
mit ber i^oefie; nnb er beforgt, jene „nergnüge gn fet)r nnfer Otjr", atg
bn^’ bemfetbcn bag ber ©inntidjfeit roeniger bietenbe Dlecitatio bann nod)
gufngen fönne (oben, ©. 808). ©ottte nicht mit giemtid) uiet @runb
üermutt)et roerben müffen, bafi bie „einig fd)önen" 3trien in ben ftJIeffen
unferer in ber hi^bonifdien TOhtfif unbeftreitbar grofgen Sonbictgter gteid}=
fattg bermanfien „bag Otjr nergnngen", bafg bag ,'perg fid) in fyotge
fotd)en 3>ergnügeng gu bem minber 3tngiet|euben, gu erufter 2tubad)t unb
innigem @ebetc, fetgr roenig aufgetegt füt)tt? S5>ag bag non ung unter=
ftridgene 3tttribnt betrifft inetcheg Seffing ber 9trie guerfennt, fo roiffeu
mir gang gut, bnfg baffetbe in jenem t)nfgtid|en ©inne in roetdjem mau
bag 2f)ort ungern öffenttid) angfpridit, mit bem 3®efen ber 2trie gcrabe
nicht nerbnnben ift. 3tber fann jemnnb atg für ben titurgifdgen @ebraud|
geeignet, 30Ietobien anerfennen ineti^e, ob and) in bem attermitbeften
©inne bes 2I)orteg, bie 33egeid)nung „inottüftig" nerbienen?
lleberhaupt, iner immer and) nur einigen 33egriff hat non ber 23e=
beutung jeueg ©eheimuiffeg bag fich auf bem Stttare eiueg fathotifcheu
©otteghaufeg nottgieht, nur einige Sthnung nou ber ‘'Diajeftüt beg „.*oerru
ber ^leerfdhaareu" uub feiner unnahbaren i)ieitigfeit unb bem ©rnfte ber
*) ittad) 21'itt, 2iturgi|d;e SBerftöfie in brei tDicpen non 3°ffpb •§(U)bn. („dJtu=
)ica facra", 1881, Pt. 8 unb 9, ©. 97 f.) ®ie 3lnttü)fe nevfd)iebener ttReffen oon
§npbn finbet mau in berjetbeu 3ftÜ'd)rift, iu ben ^fihrgängen 1870, 1872, 1875.
**) 2üft, Siturgif (OJtainj 1847) 23b. 2. S. 247.
838
^Pfeuboliturgifc^e SO'iufif:
Groigfeit, nur einigeä 35er[tanbnij3 für bie gränjenlofe §ütfsbebürftigfeit
ber 5)ienfc|^eit unb bie @rö^e ber @(^ulb, roeldje fte burd^ ©ünbtgett
fort unb fort auf fid) labet; roer habet auberfeitS ben §aug ber utenfd);
litten iRatur jum ^rbift^eu, i^re Unaufgetegtfiett für ba§ UeberuatürUd^e,
il^ren Seid)tfiun unb i^re f^tatterl^aftigfeit nur einigermaffen ju roürbigen
roei^: ber urt^eite, ob ein ©ingeu unb 'OdJuficiren roie ba§ in Sfiebe
fte'^enbe baju ouget^n fetjn bann, bie ©efü^te ju uuterftü^en roeldie bie
^eilige ^aublung unb ba§ .'QauS ®otte§ ert)eifd)t; ber entfd)eibe, ob ber
„^al^rmarftäiubet beim ®Ioria", unb bie „Dpernfdmörfet beim 2tgnu§
JDei" mit beut am @d)tuffe beffelbeu oon brei ©iugftimmen fünf 5j;acte
t)inburd) raieber’^otten p« jta pa pa pa pa*), unb bie J§eater=S3raoour=
3lrien unb bie dritter unb bie ©cb(ud)jer unb bie Hebungen unb leibem
f^afttid)en 5tccente, — furj, ob eine „in ber g-ütte blül^enben ^teifd^ed
erftidenbe ilRufif" aB geeignet gelten fann, bie £ebenbigfeit be§ ©laubenä
unb ber ®^rfurd^t, ben ©ruft ber Slnbai^t unb bed @ebete§ unb ber
3erfnirfc|ung ju förbern , bur(^ meld^e bie c^riftlid^e ©emeinbe fic^ ber
©nabe unb ber 33ergebung unb jene§ ©egen§ raürbig madfien fotl, ben
il)r ba§ '^odj^ettige Opfer ju oermitteln beftimmt ift. ©o nie! fann bod^
niemanb in 5tbrebe fteüent bie „unfterbtic^en" ÜReffen oon §apbn unb
ilRojart unb 33eet!^ouen, unb bie SBeifen ©regorS be§ ©ropen, bitben
mit einanber einen ootlftänbig biametraten ©egenfat^. 3Iuf ©iner oon
beiben ©eiten mup mitl^in ber 3^'i^t^uin fepn ; entroeber ^aben StmbrofinS
unb ©regor unb ade tpüpfte bie nad) i^m feine üRetobien empfal^ten unb
üorfd)rieben, bad Sßefen ber Stnbad^t unb ber religiöfen ©efü§(e mipoer=
ftanben, ober bie raeltlid)en Oonbidjter ber teilen anbertbatb’^unbert
t)oben baffetbe ni(^t aufgefa^t.
ÜTnr fteden ed bem Jefer anheim, ju entfdjeiben. Unferfeitd traben
mir aber, nodjbem mir einmal bie ermähnten Äirc|enmufifftücfe ju be=
rüdfid)tigen oeranla^t raaren, nod) ein furjeä 3Bort rceiter ju bemerfen.
dtidfarb Sßagner machte benfelben in ber oor^er (©. 836) angeführten
©tede ba§ 3i^S^f^änbnif5 , fie fepen „abfolute muficalifche ^unftroerfe".
©od hiermit nur gefügt fepn , baf; fie al§ dJionumente einer bi§ bahin
in ber profanen Oonfunft oiedeidjt unerreid)ten muficaltfdhen Oechnif
baftehcn, fo haben mir gegen bad 3a9eftänbnij3 nid)t bad ÜOiinbefte eim
juroenben; anbernfadd ift und bnffelbe unoerftnnbtii^. Ober mad h^ifet
bad, ein „abfoluted muficalifdied ^unftraerf" ? ©d ift fein ^unftroerf
benfbar bad nid)t, infofern ed eben bad 2ßerf irgenb einer jfunft fepn
roid, oon bem ber ed roürbigen roid, nothroenbig unb an erfter ©tede
nid Mittel für irgenb einen 3^®^^/ ald Urfache aufgefa^t roerben
mi©te bie irgenb eine SBirfung h^foorbringen fod. Diun lehrt und aber,
') au§ bem dona nobis pacem.
i^re übkn
839
jet) e§ bie fet) c§ bie einfadje Vernunft, ba^ ba§ ‘Spittel
forooljl aß bie Ilrfadje i^rem ganjen ®efen iiad) ein DftelatineS, ba^
mit ienem bie iBejiebung auf ben 33ejiel)ung jit
if)rer Sß^irhmg unlö§bar nerbunben ift. (Sin „abfotute§ Äunftroerf", in
einem anberen ai§ bem üovf)er bejeicbneten Sinne, ift mitbin eben fo
miberfinnig, mie eine Ä'nnft bie „fict) fetber 3roect" unb barnm „retation§=
Io§" ift. ®ie £ird)enftü(fe um bie eä ficb banbeit, finb Sßerf'e bcv
liturgifcben ilDtnfif, aber nollftänbig miftlungene: beim fie beein=
trä^tigen nnb pavalnfiven ben roeliben fie gefi^nffen mürben,
ftatt if)n jn fövbern. „iß>a§ niUjt einem ein Sdjiüffel non ®olb," fagt
ber bctligc 5tngnftin, „mit bem man aber nicht anffdjUefien fnnn?"*)
L 2.
JHc Möfcn pfcubortturgifdjcv SRugß.
536. SSir glauben, bn§ (^iefagte reicht biiß wai barjntbnn, roa§
mir beroeifen mollten; baf3 nämlid) bn§ ^reiägeben ber nach ®regor bem
©roßen genannten Singmeife nod) immer jnr 2SermeItticb^*''g ber religiöfen
DJtufit geführt h‘il u'ib ju ihrem uotlftnnbigen i^erfatl. ©§ mag ja
immerhin nod) ein nnbereS, non bem bes ,,unnergleid)ticl)en'' '.b^apfte§
uerfd)icbene§ Spftem einer DiRufif beut bar fepn, roeld)e fid) gteid)fatl§
für bie litnrgifdjen .S^anbtnngen eignet; roenngleid) and) biefer ©ebanfe
fid) nielleid)t nnfd)iner miberlegen ließe. 2Iber mie bem auch
mir nid)t bie apriorifd)e iöiffenfdjaft fragen fonbern bie ©efd)id)te,
bann tonnen mir nid)t anberä aß bie Ueberjeugnng fefthalten, bafj
bie einjige fid)ere Sd)nhmehr gegen if>rofanation ber .Rird)enmufif unb
bie bamit nerbnnbene ©ntmeihnng ber h^h^'f^c’’ ©eheimniffe, in ber un=
aißgefehten ber eifrigen jvbrbcrung beö ©regorianifdjen ©e=
fangeS liegt.
®abei moUe man nid)t überfehcn, bnß es ein großer M't,
menn man bie fvolgen einer fotdjen ij3^'ofanation gering nnfd)lägt. 3)af5
bie (Snltiüirnng einer uermeltlid)ten 'OJtufif im .^^nufe ©otteS fdjon an fid)
immer eine .'percibmürbignng ber liturgifd)en Serie, unb eine S^erleßiing
ber ben heiligen fbanblungen gebüf)renbcn ©hefard)t ift, mithin eine Sünbe
gegen ba§ jmeite ©ebot ©otte§, baoon mollen mir nicht meiter reben.
SIber bie Snd)e hat and) il)re nnoermeiblid)e fd)limme SSirfnng für baä
religiöfe Seben. '^lato (egt, mo er oon ben HOtitteln honbelt, bnrd) meld)e
ba§ bürgerliche ©emeinmefen in gutem Staube erhalten merben foll,
überrafd)enb große§ ©emid)t bnrnnf, baß oon benen meld)e an ber Spiße
*) Aug. de doctr. Christ. 4. n. 26.
840
5pfeuboIiturgif(J^e 30iufit:
ber ®erroaltung ftel^en, aud) bie üeinfte Steuerung in ben inuftcalifc^en
SBeifen jovgfältig cer^ütet, unb mit aüer ©ntfc^ieben^eit auSgef^Iofjen
raerbe. „!Der S)icl^ter jagt groar, neue ©efänge regten rairffamer bie
3tufmertfamfeit an: aber e§ roäre jc^Iimm, roenn man ba§ fo auälegen
raottte, al§ ob bamit nic^t bto^ neue Sex'te, jonbern neue ÜJietobien ge=
meint mären. ü)enn oor ber (Snnfü^rung einer neuen ©ingroeife mu^
man fidb ^üten, roenn man nic^t 3tde§ auf baä ©piei felgen roitl: e§ ift
nic^t mögli(^, au bem muficaUfd^en ©pftem ju rütteln, o^ne ba^ man
jugleic^, roie mit ooltem Siedete ®amon*) fagt, bie tiefften ©runbtagen
ber Serfaffung erfc^üttert. ©ben barum bebarf eä l^ierin ber roirf:
famften i)Jtaf3regeln ; beim bo§ SSerberben bringt auf biefem SBege leid)t
ganj im SSerborgenen ein, roett eä fic^ roie ein nnfi^ulbigeg ©piel
auänimmt, roobei eä auf nic^t§ 53öfe§ abgefetien ift. ©§ roirb gan^ ad=
mätig tjeimifcb, ergreift unoermerft baä ©emüt^ unb bie ©efinnung,
nerbreitet fi(^ non ba au§ über ben tüglii^en Serfefir, unb burc§
biefen, alte ©d)ranfen bnrdjbrei^enb , über bie ©efet^e unb bag ganje
©emeinroefen, big eg fc^lief3Üc^ im offentUc^en roie im ‘^fjrioatieben 2ldeg
oerroüftct" **).
®ag finb ©ebanf'en, bie ernfte SSel^erjigung oerbienen. Sßir geben
gerne ju, baff bag religiöfe Seben ber ©firiften'^eit auf ftärferen if>feilern
ru^t, alg bag utopifd)e ©emeinroefen if^Iato’g, unb bie ^eitroeitige §err=
fdjuft einer bem ©eifte ©otteg roiberftrebenben unb ben ©inn ber £ird)e
nerläugnenben pfeubotiturgifc^en i)Jiufif nid)t fo fdineti „Sttleg jn oer:
roüften" nermag. ©ben fo geroi^ übrigeng ift, baß gerabe SSerfünbigungen
gegen bag jroeite ber je^n ©ebote in ^eroorragenbem 'üJiaaf3e „oerroüftenb"
roirfen. Unb mag fotl beim ber ©kfaiig, mag folt benn bie ffJiiifi! im
©ottegl^aufe? ©)od) roofit nii^tg anberg, alg rooju fie me§r atg irgenb
eine anbere Äunft gemadjt ift, ©efüt)le in ben ©briften oerantaffen unb
förbern. Jbann man benn nun roirftid) fo gutmütbig fepn, im ©ruft ju
glauben, bie Opernmelobien unb bie ©otoraturgefönge unb bie ÜRarien:
lieber „im ©tönbcbenftpl" unb bie ©olo ber Opernfäiigerinnen unb bie
35raoourarien, mit ber „trioialen ©ieigerei" unb ber übrigen, halb finnlicb
roeicben halb mit iöcadbt 2lt(eg übertönenben ^^iftrumentalmufif , roären
bag fJJUttel, religiöfe ©efüble anjuregen unb ju unterftüben? ©in
nii^t Heiner Sb^i^ ©ottegbienfte SSerfammelten roirb immer eg
anjiebenber unb bequemer finben, ficb jenen ©enüffen bwjngeben bie im
©oncertfaal unb im Opcrnbaufe nur um ben 5)Jreig ber ©intrittgfarte
geboten roerben; eine anbere jb'laffe roirb auf bie ilRufif roenig achten,
roeil fie ooii berfelben nicbl^ oerftebt, unb ibr bloß bag oerbanfen, baß
*) Gin bcrübmter DJlufitlebrer ju ber 3fit be§ 0ocrate§.
**) Plat. de republ. 1. 4. Steph. p. 424 b-e. Bip. vol. 6. p. 335 s.
i^re üblen
841
fie fii^ jum ©ebete iud)t fammetn famt, iinb in faltet ©ebnufenlojigfeit
bem ©nbe entgegenljarrt; tnieber ?tnbere, beneii e§ mit bet Stnbadjt ©rn)t
ift, merben in i'^rer Unbefangenf)eit bie ©emüt^regungen raillig in fid)
aufnei^inen ju benen bie il)tn[i! fie [timmt, nnb ganj itbifc^e, fetbft finin
lidje @efiU)Ie für nbernatnr(id)e !^ntten, eine mei(^e fentiinentale ©thnmnng
für ^iwigfeit ber 2Inbnd)t, ba§ tßergnügen über Sefriebignng ifirer ©igen=
Uebe für „geiftlid)e S::röftnng" , Ueberfcf)it)engli(j^feit für religiöfe 93e=
geifterung, neruöfe ©rregtbeit nnb pf)antaftifd)e ©djroürmerei für ba§
Söeben be§ (^eiligen @eifte§. 35?er ba§ £eben fennt, ber meif? gnt,
Tüie nielfadj foldje Ikrmedifeinng ju $:age tritt; in inie meiten Greifen
äufferlid) gnter (Jljriften jene 9bii^tnng jur .'perrfc^aft gelangt ift, bie ba§
3rbifd)e für .*pimmtifdje§ nnfieljt, nnb bie ^eitigften ÜUittet be§ religiöfen
£eben§ nntnraUfirt.
3d) meine ja nidjt, a(§ ob ed bie pfeubo'üturgifdje iltinfif allein
raüre bie foldje Dlefnltate uermittelt : e§ gibt neben il)r and) eine ‘ißfenbo;
51fcetif; aber bie jlird)enmnfil nm bie e§ fid) '^anbelt, tl)iit in jener 9iid)=
tnng reblii^ ba§ ©rfolg beffen fie fic^ rül)men barf, ift
jebenfaClg nie! größer, al§ man ^äufig ju af)nen fd)eint. ®er eble illtönd)
non ®t. ilJbartin füf)rt bittere Ä'Iage über jenen 2;l)eil be§ 61ern§, ber
„na^eju ba§ Seroufitfepn eingebü^t, baf) il)in, a(§ bem 3Soüjiel)er ber
Sitnrgie, and) ber Äirc^engefang unterftel)e, nnb baff biefer norjüglii^e
51)eil be§ beifigen 3lltarbienfte§ nid)t einem 0d)roarme non if^rofeffioniften
ober ^Dilettanten überlaffen merben bürfe, bie einige muficalifcbe ©efe^e
fennen, im Uebrigen ober mit S^tv^ nnb 0inn ber b^itiscn Sitnrgie oft
gerabe fo fern fte^en, rate ber 0ouffleurlaften bem Sabernafel, ober ber
0anjboben bem §onfe ®otte§" *). ©d finb freilid) faft jroei
baff biefe ilSorte gefd)rieben mürben. 31ber ma§ für alle
bleibt, ba§ ift biefed: 2Bo ber ©lern§ in ber bejeiÄneten SSeife l)anbelt,
bo lä^t er nicbt nur eine§ ber mirffamften ÜlRittel ber religiöfen ©rjieljnng
nnb ber 0eelforge unbenutzt, fonbern er l)ölt bem S5>olfe eine ^.l)ür offen,
burd) meldje biefer frül)er ober fpüter fid)er einbringen mirb.
8crf)ötcö
lieber bie äHljctirdie l3eöeutung brr felbllünbigcn 3iirtriimeutnlimi)ik.
537. ^n meld)em 0inne mir bie in ber Ueberfd)rift angebentete
fyrage beantmorten, bad ergibt fid) giemlid) flar fd)on ans bem in ben
früheren Kapiteln ©iefagten. 2Senn mir biefelbe bennod) an biefer 0telle
*) (5£)oral unb Sitnrgie, ®. 52. (6it. 799.)
842
2Sa§ el^emalS ber DfJame JJJufif bebeutete.
au§brü(fltd^ jur ©pra^e bringen , fo i[t e§ namentUc!^ bte bereitä
n)ieber!^oIt erraä^nte, nad> Sot^e’g Urt^eil „au§gejetd)nete" 6d)rift non
(S'bnarb ^anSlid*), raeie^e uns bajii nerantafd- 23ei ber 2tufmerffam=
fett roefibe biefetbe erregt ^t, glauben mir ni(bt unterlaffen ^u follen,
nufere ©tetfung ben 3lnfid)ten i^reg 3Serfafferg gegenüber ftar jn be=
jeid)uen; anberfeltS werben wir eben ^ierburd) ©etegenfieit l^aben, unfere
Sfuffaffung non bem 3Sefen ber iUfufif notfftänbiger barjnfegen unb fefter
ju begrünben.
§. 1.
|)ic jftattsritfis gegen eine ^rnnbfebre ber neueren ^efibeM.
äiJaS bie frübere ^eit unter bem Stamen „3[Rufif" »erftanb; 3tri[totete§. ®te
neuere 9te[tbetif be^eidjuet mit bem 9tamen bn§ btoffe tonifd)e Element,
^bfe ^et)re bin[id)tlicb biefeS @(ement§, unb .^nnsIidS Stngriff auf biefelbe.
538. @§ würbe fdjon wieberbolt erwät)nt, baf5 int Slltertbum bie
^fßoefie unb bie Sonfunft immer in 3Serbinbitng mit einanber aufjutreten
unb gebat^t ju werben pflegten. ®ent entfpred)enb bejeid^nete man in
9lom wie in ©riedbenlanb mit bem ©orte „iIRttfif" nicht bie 3nftrit=
mentatmufif für ficb, fonbern bie Einheit aug ifJoefie unb S^onfunft, —
bie Ä'unft, bie SSirffamfeit poetif^er Jerte burdb bie üJtelobie ju unters
ftü^en unb ju erhoben.
“©ie fi^ üiele Genfer älterer 3^^^ bag 3Befen biefer ?dhtfif unb bie
SBirfungen berfetben auf bag menfd)Iid)e ©ernüth erflärten, berichtet ung
Slriftoteleg. „®ie ilKufif madjt ung ihrer iliatur nach 35ergnügen: unb
eg ift, alg ob bie 9Jfelobie unb ber JÄhb^h^ug ung gewiffermaf3en ners
wanbt wären. JDarum lehren unter ben SBeifen niele, halb, bie menfch=
lidje ©eele fep eine iDtelobie, halb, fie ha'&e ?dielobie" **). ©erfelbe
©ebanfe begegnet ung fpäter bei ifSlotin. „®ie ültetobie im ©efange ift
bag SBerf jener 'SIfetobie, welche in ber ©eele oerborgen liegt; biefe ift
eg, weld)e in jener nach att^en tritt, nnb bitrd) fie ber ©eele bie 2ln=
fchauung ber inneren ©dhönheit oermittelt" 385). ®er ©ebanfe ift ju
poetifd), alg baf; ihn bie ijSoefie nidjt hotte uerwerthen follen:
©ieh roie bte f^lur beS .^immetg
3ft eingelegt mit ©cheiben lid)ten ©olbeS!
Unb and) ber fleinfte ©tern ben bu erfdiauft,
*) 23om 2Ruficalild;=©chöncn. @tn SSeitrag 3111- tRenifion ber Stefthetif ber
Jonfunft. 6. 3tuf(. Seipjtg 1881. (®ie erfte 3tuftage eridpen 1854.)
**) Arist. Polit. 8. c. 5. extr.
SEa§ el^emalS ber Spante SKiifif bebeutcte.
843
;3n feiner Snfju fid) fdjimngenb, mie ein @ngel fingt
3nin (f^or ber IjeKgenngten (Stjeridnin.
® 0 lebt in u n f e r e n Seelen a r m o n i e ;
9fur bnff, ineil biefe§ grobe Ä'Ieib non Staub
Sie nodj nmt)ütlt, inir fie nict)t Ijören fönnen*).
fj^idit fü übrigens inoflten roiv ben ©ebnnfen ber aiten üöeifen poctifd)
nennen, alS ob er nicht einen tiefen nnb lunhren Sinn hätte. 25>a§ baS
ftJienfdtenljerj für ben ©einig ber OJiufif einpfängtict) macht, bnS ift ganj
geroiff im testen ©rnnbe fene 23eftf)affenheit ber Seele, bie mir im erften
23nd}e (41. S. 63 ff.) d)aracterifirt ®^>en biefe iBefdjnffenheit
mnr eS ohne roelche baS Sltterthnm bejeidjnen roollte, menn es
lehrte, „bie Seele höbe IRetobie'' in fich.
3Bn§ 2lriftotele§ felbft betrifft, fo fpridjt er feine eigene 3tnffaffnng
in ben folgenben Sähen anS. „^n bem roaS mir biirdj bie nnberen"
(bie üom ©ehör nerfdjiebenen) „Sinne mahrnehmen , finbet fid) nid)t§,
baS ein 3(bbitb (äjj-otwjxa) ber inneren Stimmnng märe. 3’^ 9fücffid)t
auf ben 5inft= nnb ben ©efdjmadfinn jnnäd)ft ift ba§ offenbar; maS bie
©egenftänbe be§ ©efid)tfinne§ betrifft, fo tritt an biefen, in ber ©eftalt
nämlich, allerbingS etmaS 5)ernrtige§ h^^'f^r, aber in geringem ^Otnage.
®enn maS fidh immerhin in ber ©leftalt nnb in ber g'örbe nom ^n^eren
fnnbgibt, bas fann bod) nicht als ein 9tad)bilb beffetben gelten, fonbern
mir als ein 3^id)en baoon. ©efange bagegen höben mir bie nnd)=
bilblid)e ®arftellnng ber ©efühle**). S)aS liegt am 5tage: beim bie
befonberen 99telobicn finb ihrem ganjen Sßfefen nad) oon einanber fo oers
fd)ieben, bafj eine jebe bie .'obrer in befonbercr 35>eife ftimmt, nnb fie
feineSmegS alle biefelbe Stimmnng hrroorrnfen. ®ie einen ftimmen ernft
nnb traurig, mie bie mirolpbifche ‘döeife; anbere, bie meicheii nämlich,
erjengen Sdilnffheit beS ©einüth§; bie üiMrfung ber borifd)en äOeife ift
fyeftigfeit nnb rnl)ige ©emeffenheit, bie phn)gifd)e bagegen mirtt begeifternb.
©ans baS 9tämlid)e gilt and) bejüglid) beS 9thhll)öuiS; halb fprid)t fii^
in bemfelben Seftänbigfeit nnb rnl)ige ©efet3theit anS, halb hlögegen
mehr bemegliche ^ebhaftigfeit ; nnb bie ü'ehtere felbft mieber fann eiitmeber
gemein nnb niebrig erfd)einen, ober uerftänbig nnb ebel. 2(uS alle biefem
geht flar heroor, bag bie ‘fOtiifif bajii angetl)an ift, auf baS meiifd)lid)e
©emüth einen beftimmten ©inffnf) 511 üben"***).
2iUr fagen eS nochmals; eS hönbelt fiel) in biefen SBorten nid)t um
bie ifolirt anftretenbe ^öftrumentalinnfit, fonbern nm bie ‘'IRnfif im ootlen
Sinne beS üt^orteS, baS heifd, um ben oon einem ^uftrumente begleiteten
*) ©höfefpeare, ®er Äaufmann oon 35cnebig, 5, 1.
**) IJ.llJ.Tj’J.'X-'X Ttöv y,9tÖV.
***') Arist. Politic. 8. c. 5. n. 7 — 9.
844 cJ)cmaI§ ni^t alä felfiftdnbige Äunft.
@ e f a n g . ®ie blo^e ^i^fti^umentalmufif rourbe Don ben Sllten gar nii^t
at§ für fic^ beftefienbe jtijiift anerfanut. SGBie ^tato über fie urt^eifte,
^aben roir gefiört (©. 829): Striftoteleä feinerfeitä gebenft be§
^ineroa fjabe bie f^löte unroiltig rDeggeroorfen, tDeil biefelbe ba§ ©efic^t
entftelle: „roal^rfc^etnlidjer inbej? rco'^I barum," fei^t er ^inju, „raeil ba§
©piel auf ber fvföte ber 35ernunft nii^tä bietet: ilJtinerDa aber ift
bie ^Vertreterin be§ 2öiffen§ unb ber Äunft“ *). ®a^ ba§ gtötenfpiet
„ber SVerminft nidjtS biete", ba§ tü^t fict), aiiberen ^nftrumenten gegenüber,
offenbar nur in fofern fagen, alg ber loetd^er bie f\4öte btaft, ni^t gleich-
seitig fingen fann. „^n ©riechenlanb", bejeugt ©eroinuS, „n)ar bie
Organif etroad f^rembeS, aug Slfien ©ingebradjteg , unb nadh ben gleich^
müßigen 3lngfagen oon iDtptl)ug unb ©efdjidite etroag für ben SSoIfggeniug
Slbftoftenbeg unb 3uroibereg. ®ie iKarfpag unb iircibag, loel^e bie
pljrpgifdje .'pirtenpfeifc ber fangocrfi^raifterten Äithara uorjogen, rourben
non bem Jtitharoben Stpotlo gefdhnnben ober mit ©felgohren beftraft. ®ie
ifVatlag loarf bie gefangaugfdjlieffenbe f^-löte roeg. Sltcibiabeg rooffte fid)
mit ber Jdöte nidjt bef affen. Slriftophaneg oerfpottete bie ßieber beg
Olpmpog auf ber ©oppelflöte. 3^^ beg großen 33ilbunggauf=
fdjrcungeg nadj ben ifierferfriegen , alg bie Hellenen gierig na(^ allen
Sorbeern jugleidh gdötenfpiel in bie Greife
ber 2ltljener, ja felbft nadh ©parta eingebrungen geroefen; aber halb roarb
eg oon ^ellag’ ad;ten ©öhnen mieber oerroorfen, roie fetbft bie anfprud)=
üotleu uielbefaiteten Spreu, bie eine banaufifi^e f^ingerfertigfeit oerlangten.
3n einem langfomen ©ange fam eg bal)in, bafs me^r unb mefir bag
©piel, Toie bei ung, beliebter roarb alg ber ©efang: bieg aber erft in
ben 3nhi'^unberten beg üufjerften SVerfallg aüeg üd)t hcllenifdhen ©eifteg.
3u ijVlato’g 3^^^ loarb bie 3'if^’^umentalfunft faft alg ein Janb ange=
fehen; noch in ben 2lleranbrinifd)en 3^^ten roar alle ©pielfunft fchon
ihrer 23eseid}nung nach gering gead)tet: fie hiefi ©rie(hen nicht eine
,5.aufenbfeelenfprad)e‘, fonbern bie , fahle, leichte, leere‘ ('3^) 2)iufif, roie
man ein öbcg Sanb, ober eine hoarfofe einen mangelhaft ge^
rüfleten if rieger nannte" **).
539. 2Sie feit ©carlatti, §änbel unb 33ad) bie Hebung in ber
ÜRufif eine anbere ronrbe, inbem fich bie ^nftrumentatmufif alg felb^
ftünbige ilunft augbilbete, unb mehr unb mehr neben bem ©efange unb
unabhängig oon biefem ouftrat, ebenfo änberte fi(h unoermerft au(^ bie
23ebeutung beg SBorteg „iUtufif", unb ber begriff ben man bamit oer=
banb. ©tatt roie ehemalg bie ©inheit aug ifVoefie unb 2.onfunft, geroöhnte
man fich allmälig, nur mehr biefe Seigere mit bem 3tamen ju bejeichnen.
*) Arist. Politic. 8. c. 6. extr.
**) @erüimi§, §änbet unb ©hafefpeare (2eipjig 1868) ©. 174 f.
®ie gegenroärtig ^errfd^cnbe Sel^rc Don ber Jonfunft, üon ^auelicf riemeint. 845
(S§ trar faum itmfid)tig gedübelt, roenn bte 2Bi[l'enfd)aft btefe 'i’feiibenuig
unbeadjtet üe^, imb bem auSfii^tiefjltd) toinfd)en (Fdemente bicfeUic S>irffam-
feit unb biefelbe 23eftiirtmung beilegte, ire(d)e bie friU)ere 3eit nur ber 93hifif
int üolfen 0inne be§ 29orte§, ber 35erbinbimg be§ tonifdjen ©tementö
mit bem ^efte jugefdjrieben ^atte. (5’biiarb .^aiiSlid ^at 22 t^itnte au§
älteren unb neueren „'Biufiffdjriftftetleru'' gefammett , in beueu biefed
unnorfidjtige 35erfat}reu, roenn aud^ nid)t in allen mit berfelben Älarfjeit,
bernortritt. 0o ift 5. 33. nadb 94eibbnrbt „ber ‘üJfufif {Sub^roecf, alle
3lffecte burcb bie bloj^en 2;öne unb beren lRbt}tl)mum, trott bem
beften Dtebuer, rege ju macben'' ; 3- '®^ofel befinirt [ie al§ „bie Ä'uuft,
beftimmte ©mpfinbungen burcb geregelte Xöue auSjubrüden" ; 6^. iy.
30iidbaeli§ al§ „bie 5funft be§ 3lu§brucfd non ©mpfinbungeu burd)
'IRobulatiüu ber 2:öne". 3” ^ieverS „Uninerfallericon" (2. 3luf=
tage), foroie in 0cbilliugä „Uniuerfallericon ber 3:oufun[t" b^U3t
„^Jtuiif i[t bie Jilunft, burdj fdjöne ‘5:öne @mp[iubungen unb 0eelen=
5u[tänbe audjubrüden" ; in bem „‘ODful'icatifdben Sericou" non odj : 3Jcujif
ift „bie Äunft, ein angenebmeg 0piet non ©mpfinbiingeu burd) Jöuc
auggubrucfen" ; in 91. 9lnbre’§ „ßebrbud) ber Soufunft" ; „9()tufif i[t bie
Äunft, ^öne bevüorjubringeu , roeld)e (Jntpfiubungeu unb Seibenfd)nfteu
fdjilberu, erregen unb unterbalteu". 9fad) ©ottfrieb SBeber ift „bie Siott^
fünft bie Jlunft, burd) 3^5 ne ©mpfiubungen audjubrücfen" ; und) f^ermo
Sellini „bie Jtuuft, roeld)e bie ©efübte unb bie ?eibenfd)afteu nusbrüdt
mittetft ber ; und) f^riebrid) 3il)ierfd) „bie .^unft, burd) 2öa^l
uub 9Serl)inbung ber Söne ®efül)le unb 0timmungcu be§ ©emütl)§
auSgubrücfeu ober ju erregen" *).
3)iefen unb gleid)nrtigen 9lufid)teu, roeld)e, roie ^^anSlicf gauj rid)tig
bemerft, „roeniger bie 23lüte eigentt)ümli(^er Ueberjeuguugen, al§ uielmel)r
ber 9ludbrucf einer allgemein geroorbeueu trnbitionelleu ©enfroeife finb",
ftetlt nun ber genannte ©elel^rte bcu folgenbeu 0nt3 entgegen:
„3u ber ]^errfd)enbeu muficnlifc^eu 9lnfd^auung fpielen bie ©efüf)te
eine hoppelte Dfolle. fyür’g ©rfte roirb ald 1*"^ 33e[timmung ber
99fufif aufgeftellt, fie folle @efül)le ober ,fd)öne @efül)le‘ erroecfen.
3roeite be5eid)net man bie @efiil)le al§ beu roelc^eu bie 5ioufunft
in i^ren Söfrfeu barftellt. 93eibe 0ä^e l)aben ba§ 9lel)ulid)e, baf) ber
eine genau fo falfd^ ift, roie ber aubere"**).
*) ®te Stngabe ber CjucHcn bcncn
bei .^anSlict ©. 18 ff. (6it. 842.)
**) .^anSlicf, $. 5 f. (Die (epten
biefe (Sitate entnommen finb, finbet man
35>orte finb non mir nnterftrii^cn.)
846
Seftimmte ©efü^Ie fann bie ^iiftrumentalmufif
pic ^onßunft »emag ßcftimmic d>cföl)fc wcber baräufKeffm, notfj
ju t)cranfaf|Tcn.
SMe ionfunft für fid) aUein ift nid)t im ©tanbe, oudj nur einen einjigen Se=
griff au^äubrüden. jeigt fid) namentlich aucf) in ber thatfäd)Iichen
(Srfdjeinung, ba^ einerfeitä bie SBirfung and) ber beften ^nftrumentalmufif
immer eine burd^aul unbeftimmte ift, foroie anberfeitd e§ niele gute SJ^elobien
gibt, bie 511 ben »erfd}iebenartigften Jej'ten paffen, (f'in beftimmted ®e;
fül)t fann aber nur baburd), fep e§ bargeftedt, fep eä hs’^orgerufen roerben,
ba§ ber concrete ©egenftanb bcffelben ber aufdjauenben 2;:htttigfeit
ä'ernunft Dorgefüljrt mirb. 3« meiterer 23eftntigung be§ ©efagten, nadj
©eroinuS.
540. SDen erften ©ebanfen , biird) rodeten §an§ücf feine 2;hefi§
ihrem erften Sh^i^^ Jtt beroeifen gloubt, hß^>fn mir hiei^ nid)t roeiter
ju berücffid)tigen , roeil bie ©lemente beffelben an nerf(^iebenen ©teilen
biefeg 33uche§ iniberlegt mürben * **)). 93eachtengroerth finb
bagegen ?;nnächft manche non ben ©kbanlen, raelche er bem jraeiten ber
non ihm für falfdj erflürten ©äfee gegenüber geltenb mad)t, inbem er ben
9^ad}roei5 führt , baff bie Jonfunft nid)t im ©tanbe feg , burch ihre
l'eiftnngen beftimmte (Gefühle barjufteden ober augjnbrütfen. .^ein
beftimmteg, concreteg ©efüht, feine ©injelerfcheinnng biefer 2lrt pfpi^ifi^er
ilorgünge, fann gebadjt, nnfgefafft, auggebrüd't, bargeftedt roerben ohne
ihren thatfüchlidien ©egenftanb: bag haben mir felbft bet einer anberen
©elegenheit bereitg aitggefprod^en*^’)- S^hatfüdjliche, objectioe ©egenftänbe,
„^Begriffe fann" nun aber „bie 3:onfunft alg ,unbeftimmte ©prache‘ nidht
*) ,3cner evfte ©ebanfe lautet fo :
„®a§ ©chönc hat überhaupt feinen 3rocct, beim e§ ift blo|e gorm, roeldhe
jroar nad; Dem ^nljalt mit bem fie erfüllt roirb, ju ben uerfchiebenften 3roeden
nerroanbt roerben fann, aber felbft feinen onberen hat: al§ fidh felbft. SSenn au§
ber Setradpung be§ Schönen angenehme (Sefülpe für ben Setraditer entftehen, fo
gehen biefe ba§ Sdjöne al§ foldpä nidp§ an. ^d) fann roohl bem 53etrachter
©dröneg oorführen in ber beftimmten Slbfiiht, bah baran SSergnüjen finbe, allein
biefe 9lbfid)t hat mit ber Schönheit be§ 33orgeführten felbft nichts ju fchaffen. ®a§
Schöne ift unb bleibt fihön, and; roenn e§ feine ©efiihte erjeugt, ja roenn e§ roeber
gefchant nod; betrad;tet roirb; nffo jroar nur für ba§ SBohlgefallen eines an=
fd;auenben SubjeetS, aber nid;t bnrih baffelbe. 23on einem fann alfo in
biefem Sinn auch bei ber dPufif nid;t gefprod;en roerben." (.gianSlid, S. 6.)
ffiir oerroeifen biefen Sütjen gegenüber inSbefonbere auf bie 2lbfd;nitte 1, 3
unb 4 beS erften 23nd;eS, unb im jroeiten auf 2lbfd;nitt 7 Äap. 1, 2, 4 unb 8. Sßer
ben bort dou nnS begrünbeten Süpen bie Slnfdhaunngen ber Sd;ule §erbartS oor;
jiehen roitl, bem haben roir biefe greipeit nid;t ftreitig jn madien.
**) eben, 97. 485. S. 746.
roeber ausbrücfen iioc§ üeranlafieii.
847
iriebergeten; ift ba nid)t btc (yolgcnmg pfv)d)o(ogiid) unableljubnv, ba]l
fie and) beftimnite ®efül}le nidjt aitSjubrücfen üermag? ®ie 23e[timint=
Ijeit ber @efü[)Ie vuljt |a gerabe in bereu begvifflid^em jl'crn"
,,^an fpiele etroa", fo avgumentivt .'panglid an einer anberen ©teile
lueiter, „ba§ ©Iieina irgenb einer DJlojart’fdjen ober öapbn’ft^en ©pm=
pljonie, eineg 33eet^ouen’)d^en 5(bagio, eineg ‘'Kenbetsfofjn’fdjen ©djerjo,
eineg ©d)umnnn’[d)en ober 6I)opin’l'c^en 6Ianier[tnrfeg, ben ©tamin nnferer
ge^altnollften i)Jhiiif; ober and) bie popntärften ©uuertüreninotine non
SInber, ©onijetti, ^dotoiu. 2Ser tritt Ijinjn nnb getränt ftdj, ein be=
ftiminteg ®efiil)( alg ©I)cmen anfjujeigen? ©er Sine inirb
,Siebe‘ jagen. iBZögtic^. ©er 3Inbere meint ,©el)njnd)t‘. ®iet(eid)t. ©er
©ritte fü^It ,3tnbad)t‘. Diiemanb fann bag roiberlegen. Unb jo fort.
.*r*)eij3t bieg nun ein bejtiminteg @ejül)l bnrjtellen, menn niemanb roeij),
mag eigenttid) bargejtellt mirb? lieber bie ©d)önl)eit nnb ©djonljeiten
beg 5)hijifjtncfeg merben maljrjdjeinlid) 9tlle nbereinjtimmenb benfcn, non
betn i^ber nerjd)ieben. ©nrjt eilen I)eij3t aber einen ^Inljalt ffar,
anjdianlic^ probnciren, I^n nng uor Gingen ,bnl)erjtellen‘. 2öie mag man
nnn bngjenige nig bag non einer Äunjt ©argejtellte bejeid)nen, meldjeg,
bag nngemijjejte , nielbentigjte ©lemcnt berjciben, einem einigen ©treit
nntermorfen ijt?"** ***))
©elbjt nad) Diidjarb SBagner „mnj) jngejtanben inerben, baj) bag
95>ejen ber I)5I)eren ^tijli'iinientülninjif namentlid) barin bejteljt, in ©öneii
bag angjnjpred)en, mag in älvorten nnaugjpred)bar i[t" ='■■**). 9hin läjjt
jid) aber einerjeitg, „mag in ©orten nnangjpredjbnr ijt", nberijaupt nidjt
„nngjpred)en" ; unb nnberjeitg jinb bie bloj^en „©öne" etmag nie! jn
Unbejtimmteg, Dlllgemeineg, 9SieIbentigeg, alg baj) jid) biird) jie aUein ein
©ing me^r alg ganj non jern nnb in biird)nug nnger ©eije anb eilten
*) .Sj>an§Itcf, 0. 26. (git. 842.)
3m Stnfangc beg angeführten ©apeg haben mir ftatt beg uon .giansltd ge=
brauditen 52orteg „bie DJtnfit", gefept „bie Jonfnnft" : tebiglidp nm ''tJtifjnerftänbniffc
fid;ercr nngänfdpieben. |)anglid nimmt bag 2Sovt „iDtnfif" nidjt, mie eg etjemntg
gefchah. (oben ©. 842), in feinem nollen ©inne, fonbern er bejeidjnet bnmit bag
btobe tonifdje glemcnt, ntfo bie 3'dtnnncntalmnfif , nnb infofern eg fiel) nm ben
©efang Ijcmbelt, bie blofje Dltelobie. „dtnr mag uon ber 3"ftnimentalmufif behauptet
loerben tann," fagt er angbrüdlidj fclber, „gilt uon ber Jonfunft alg fotdjer. 2öenn
irgenb eine allgemeine Seftimmtheit ber 'JWnfif nnterfndjt luirb, etiung fo ipr 23efen
unb ihre Ütatur fennjeidjncn , ipre ©rcinjen nnb Dtidjtnng feftftellcn folt, fo fann
nur uon ber 3nftrumentntmufif bie 9tebe fepn. 2ßag bie 3» ft r n m e n t a t mu f i f ^
nidit fann, uon bem barf nie gefugt juerben, bie dlinfif fönnc eg; benn mir fie
ift reine, nbfolntc Jonfnnft" (n. a. O. S. 37).
**) §ang[id, ©. 36.
***) 3t. 3Bagner, „^Programm jiir nennten ©pmphonie uon Seethouen".
('ffierfe, 1871, 33b. 2. ©. 75.)
848 Seftimmte ©efü'^Ie fann bie ^nftnimetitatmufif
üe^e. Ober roenn nid^t, roarum mufete 9ftic^arb Sßagner felbft e§ nofi)'
roenbtc; finben, ju 23eet|oöenä neunter ©gmp^onie, in bereu nierten ©a|
iettfamer SCBeife fd^on ein Oept eingeroebt ift (ba§ ßieb ©d^itterg „2tn bie
^reube"), einen jel^n. ©eiten langen Kommentar gu fd^reiben*), raorin
er bie S;onfpra(^e ber brei erften ©ä^e ju beuten, unb be^^tb mit
@oetl^e’[d)en 35erfen in 35ejie!^ung ju fe^en fuc^t?
541. iUlit ber iRufif im t)onen©inne freilid^, mit bem ©efange,
nerl^ält eg fi(^ anberg: biefer bringt, in bem ©rgeugniffe ber i^oefie mit
roel(^em fid^ bie iUietobie nerbinbet, concrete @egen[tanbe nnb beftimmte
begriffe p ftareiTt 5tugbrucf, unb er ift be^fiatb aud^ im ©tanbe, be;
ftimmte ©efü^te „barjuftetlen". Stber aud^ mag ben ©efang betrifft, ift
eg roieber noUfommen ber fttiül^e raertl^, mit fpangtidt l^ernorjul^eben, ba^
nidbt bie ÜWetobie, „nid^t bie Oöne eg finb, roetd^e in einem ©efangftüde"
eigenttid^ nnb an erfter ©teile „barftellen, fonbern ber 2:ert. Oie
3eidf)nung, nidf)t bag (Jolorit, beftimmt" beim ©emälbe, an erfter ©tette,
„ben bargeftettten ©egenftanb. $2Bir appettiren an bag Slbftractiongner;
mögen beg fpörerg, bag fid^ irgenb eine bramatifd^ roirlfame fSJielobie,
abgelöft non aller bid^terifd^en ®eftimmnng, rein muficalifd^ norftetten
motte. ffJian rairb g. 33. in einer fel^r mirffamen bramatifd^en 3J?etobie
roetdfie ^orn ausjubrüden l^at, an unb für fid^ feinen raeiteren pfpd^ifd^en
3[ngbru(f finben , atg ben einer rafdben , teibenfd^afttidtien 33eroegung.
SBorte einer Ieibenf(bafttid) beroegten Siebe, alfo bag gerabe ©egent^eil,
roerben nietteidtit gtei(^ richtig burdf) biefetbe Üdietobie interpretirt fepn.
3ttg bie 3trie beg Orp^eug
,J’ai perdu mon Eurydice,
Rien n’egale mon mallieur‘
Janfenbe, unb bar unter fKänner roie % iRouffeau, gii O’^rünen rül^rte,
bemerfte ein ©tud§/ 33ot)e, bafe man biefer flRetobie eben fo
gut, ja roeit richtiger, bie entgegengefe^ten 3öorte unterlegen fönnte:
,J’ai trouve mon Eurydice,
Rien n’egale mon honlieur'’ . . .
2tu(^ no(^ meit beftimmtere unb augbrucfgooltere ©efangftelten", atg bie
angeführte, „roerben, getöft non ihrem Oept, ung hödhfteng rathen taffen,
roetdjeg ©efüht fie augbrüdfen. ©ie gteidhen ©ilhouetten, bereu Original
mir meifteng erft erfennen, roenn man ung gejagt h^t^ **)•
3tnatoge 33eifpiete , unb nidht roenige , bietet audh ber liturgifdhe
©ejaug. ©o hat im erften ,,©rebo'' bie ©tette Crucifixus etiam pro
*) 2Bagner, a. a. O. ©. 75 — 84.
**) .^an§ticf, ®. 41 p. (6it. 842.)
roeber ausbrücten nod^ ceronlaffeii.
849
nobis ganj bie ncimlicfteu ?ioten raie bie anbere Et resurrexit; bag
@leid)e ift im „Je ®eiim" ber ^aü ^infid^tUc^ ber @ä^e Tu rex gloriae
Christe, — quos pretioso sanguine redemisti, — unb miserere nostri.
@anj ben nämtidien Söertl^ für ben ®a^ roie i0lelobieit aug
ber „menfurirten" ilJiufif', haben freilid^ biefe 33etfpiele nicht ; beim ba ber
(5boral nicht, roie fene, ben „tedhnifchen“ D^h^thmug hat, fo bteibt eg bie
3hifgabe ber Sänger, im Vorträge foldjen Stellen bnrdh ben 9th9t|oiag
je ben ihrem ^^haite angemeffenen 3lngbrncf ju geben. So uiel inbefe
beroeifen bod) and) fie, baf) „bie Jöne" für fich allein nid)t bajn angethan
finb, „beftimmte ©efühle barjuftelleiü', oielmehr bie gleichen Jonreihen
häufig JU ganj nerfchiebenartigen ©efühlen ooUfommen paffen.
542. 2Bie roir ein roirflicheg 3Jerbienft .'oanglicfg barin anerfennen,
baß er biefe 2Sal)rheit ber neueren 2lefthetif gegenüber mit .Klarheit unb
fdharfer 33etommg geltenb gemad)t, fo finb roir and) roeiter mit ihm ein=
oerftanben, roenn er ben anberen ftehenben Sa^, „bie iUhifif", b. h- bie
^nftrnmentalmnfif für fich allein, „foUe ©efühle erroecfen'', in biefer
feiner allgemeinen fvaffnng gleid)fallg nerroirft. 9Hmlich nad) ^Belieben
©efühle einer beftimmten 3lrt in ben .'pörern ju neranlaffen, unb jroar
allein burch ihre Seiftnngen, baju lann bie .^nftrumentalmufif unmög;
lieh berufen fepn. Sie befi^t ja, um eine folche SBirfung nur mit einiger
Sidjerheit heroorjubringen, ganj unb gar nid)t bie nothroenbigen iXRittel.
3n roiefern nidht? 2lug bemfelben ©rnnbe, in roeld)em roir uorher ihre
Unfähigfeit erfannten, beftimmte ©efühle angjubrüd'en. J)afj bie Jonfunft
phpfiologifi^ auf ben 'ü}tenfd)en roirft, b. h- bafj fie naturgemäß bnrd)
bie finnliche Urtheilgfraft bag fi)mpathifd)e iReroenfpftem afficirt, unb in
biefem eine 2lction h^i^aorrufen fann bie einer beftimmten ®emüth§=
beroegnng mehr ober min ber entfpridjt, bag ftellen roir um fo roeniger
in 2lbrebe, alg roir eg im erften jtapitel ja felber nadhgeroiefen haben.
2lber eine folche Slction ift no(^ feine ©emüthgberoegimg, noch f^ia ©efühl.
Diel roeniger fd)on ein beftimmteg ©efühl, fonbern nur eine günftige,
aber nage unb unbeftimmte Jigpofition ju ©efühlen. J)enn ein ©efühl
ift bie harmo}üfd)e Jbätigfeit beiber Strebeüermögen gegenüber ber über=
finnlid)en ©utheit (ober Sdjlechtigfeit) eineg concreten ©egenftanbeg*).
^cebeg ©efühl feßt mithin eine Jhätigfeit ber 2Sernunft uoraug, rooburch ber
©egenftanb beffelben erfaßt unb flar angefchaut roirb. 9inn ift aber bie
fsnftrnmentalmufif, roie feßon bemerft ronrbe, gar nid)t im Staube, unferem
höheren ©rfennen irgenb roelcße uon ißr felbft oerfd)iebene Jinge oorjuführen.
iflian roirb nng nid)t etroa bie ©inroenbung machen, burd) eine
Irauermufif bei einem Seid)enbegänguiß , ober burch heitere SBeifen bei
einer Siegegfeier, mürben boeß immerhin je bie entfpreeßenben Stimmungen,
*) -Ptan oergleidje oben, )t. 463. S. 705.
Sungmann, 3teft^ctit 2. Sluff.
54
850
Seftimmte ©efü^l'e tann bie ^nftrumentalmufif
alfo ©efü’^te Don beftimmter 2lrt, ^etüorgerufen. ^l^atjad^en btefer 2trt
laben mir fdbft frü|er befprod|en (531. ©. 827 f.). Slber eben in ben
Umftänben mit roelc|en [ic| in foIc|en ^"^ällen bie ^nftrumentalrnnfif uer=
binbet, treten ja bem ©eifte objectine, concrete ©rfc|einungen entgegen;
jene Umftänbe nertreten bie ©teile be§ S^eyteä; nnb ba^ bie ^nftrumental=
innfif geeignet fet), bie SGBirfnng fot^er t|at(äc|Iic|er ©rfcfieinungen anf
baä ®enmt| jn förbern, ba§ |aben roir ni(|t in Slbrebe geftellt,
fonbern lebigtid|, ba^ fie allein burc| i|re Seiftnngen beftimmte
©efü|le jn roecfen berufen fet^n fönne.
3SieUei(|t ift e§ ni(^t überflüffig, auc| no(| augbriitflid) ju jagen,
ba^ roir |ier bag Sffiort „®efü|le" in jenem ©inne nelimen, in roeld|em
eg mit bem anberen, „®emüt|gberoegungen", gteid)bebeutenb ift. iltämtid|
ba^ bie (jnftrumentalmnfil fenfitine ober oegetatio e @efü|le neranlaffen
fönne, fte|t au^er „i^roeifel, nnb rourbe frii|er (©. 829 f.) bereitg bemerft.
Um folc|e leiroorjurufen , baju bebarf eg eben nict)t einer ©inroirfung
auf bie ißernunft, fonbern nur einer folctien auf bie finnlid|e Urttieilgfraft.
2Bag bie oorlier gegebene SSegrünbung unfereg ©at^eg betrifft, fo
laben roir biefelbe ni(|t ber ©c|rift ipanglidg entnommen: t|eilg, roeil
feine Slugbrucfgroeife ung ju roenig j?lar|eit jn |aben f^eint, t|eilg aut|,
roeil roir feinegroegg mit öden non i|m aufgeftedten ©rünben nberein=
ftimmen fönnen. Sing ber 2;|atfac|e j. iß., bafe oii(| bie übrigen frönen
.^fünfte me|r ober minber auf bag ©efü|l einroirfen, folgert ^onglirf
ganj mit Unre(i|t, man roürbe, bei 2lnna|me beg ©al^eg ben er betämpft,
„ben Unterfc|ieb jener anberen fünfte non ber Sdlufif blofj ouf ein
idte|r ober SBeniger biefer Söirfung bafiren muffen“ *). ®iefer Untere
fd|ieb roürbe jo auperbem noc| foroo|l in ber ©igenartigfeit beg Wittelg
burd) roelc|eg bie ilJlufif roirft, alg beg pfp(^ologifc|en Söegeg ouf roeli^em
fie mit bem ©emüt| in Serü|rung tritt, mit noder ®eftimmt|eit gegeben
fet)u. Unb roenn §anglid einige ©ä^e fpüter (©. 12) an bie „in mufi=
califc|en 3lb|anblungen unjä|lige üOcole |erbeigerufene Sinologie jroifi^en
ber ildufif nnb ber S3oufunft“ erinnert, unb mit großer 3ur>erfic|t fragt,
ob eg „je einem nernünftigen Slrc|itecten beigefaden fep, -bie SSaufunft
|abe ben ©efü|le ju erregen", fo antroorten roir nid|t roeniger
5unerfi(|tlic| mit ^ermann Sot^e: „iffiarum fodten roir biefe rounberlic|e
f^rage nic|t beja|en? ober roeld|en erbenflic|en ©runb fönnte ein S3aro
meifter |aben, me|r ju bauen olg bag nacfte S3ebürfni^ er|eifc|t, roenn
nid)t bie Slbfidit, eine ©timmnng beg lBe|ageng, ber ©ic|er|eit, ber
fyeierlii^feit ober Slnbad|t |erüorgurufen ?" **).
542 *. ©g fönnte nac| bem ®oraugge|enben ben Slnfc|ein |aben, alg
*) §an§dcf, 11. (6it. 842.)
**) Sope, 482. (©t. 18.)
roeber ausbrücfen tiod) ueranlaffen.
851
■ob ber in biefem iparagrap^eu non itn§ begriinbete ®a^, unter ben neueren
'9Ieit^etifern allein nnb au§fdjUe^li(^ non (Jbuarb i*oan§Ucf nertreten mürbe,
ober als ob berfelbe menig[ten§ b(o^ eine £'e^re ber formaüfti)'(^en
3left^etif märe. ?et^tere roiberlegt fid) freilid) fd^on babnrd), baf? bie
non un§ gegebenen Seineife feine5ineg§ ©ebanfen finb, roelcfte bie i|l^Uoiopt)ie
i?erbart§ nnb .^iininerinannä jnr 58orau§)e^ung l)aben. (5'§ mag beinmge=
■ad}tet nid)t überflüffig fei)n, roenn mir l^ier nod) einer etroaä längeren <Etelle
üu§ bem letzten gröfteren SlBerfe non ©erninnS 91aum geben, in meld)er
foroot}l bie non un§ norgetragene fie^re, al§ ber eigentlid)e ©riinb au§ bem
|ie mit 3iotI)roenbigfeit I)ernorgel^t, abermatd i^re i^eftätignng finben.
„®ic ^bnnft ber 'Jone", fc^reibt ber genannte geiftreid^e ©etebrte,
„nermag nidjt o^ne i^bülfe ber SBorte in bie ein, feinen ®inge herunter;
^ufteigen ; nermag nid)t bie entlegneren 33ejie^nngen einer ©emiit^S:
bemegnng, it)re Serjineignngen mit anberen 2?orftellnngen bentlid) ju
niad)en; nermag nic^t an;^ngeben, and ineldjer 'Quelle biefelbe [tammt,
ouf meieren ©egenftanb fie fid) rid)tet, burd) meld)e 33eineggrunbe [ie fid)
neränbert. 2Benn bie ©pielfunft“ (bie iM^ 3ler=
binbung mit bem 25>orte nerfd)mä^te, jo mujde fie not^roenbig in rät^jeU
t)afte gante nerfallen, bie jid) jeber beutete uai^ (einer Sluälegnng. Qte
'ionfünftler erfubren an fid) felbft, ba^ in einer fo unfirirten 0prad)e
üue^ ber 0pred)er felbft eine fefte 'iDleinnng nid)t feftliatten fonnte . .
0elbft bie blinbeften iperonnberer ber größten illleifter inollteu nid)t läugnen,
baf) biefen il)r eigened pfpc^ifd)ed 'Programm nic^t feiten gaii); nerloren
gegangen fep . . fvel)lte fo ben Jl'ünftlern felbft bad Steuer in biefen
felbfterregten ©türmen, ber Sgegroeifer in biefen felbftgefcl)affenen
fo mar ed nollenbd natürlid), baff bie Qeiiter il)rer muficalifd^en '^anto;
mimen nod) niel mel)r irregingen. 33eetl)ouen fod gemeint l)aben nor
25>e:^mut^ , baf) man feine C-dur-Quoertüre jn ,fvibelio‘ mifenerfteben
tonnte; mad mürbe er erft get^an l)nben, menn er bie lange gifte ber
iJlndlegungen überfel)en l)ätte, bie, halb in ben nbentenerlid)ften if3t)nntad:
men halb in ben poffenbafteften ©dierjen, and feinen ^'ifl^'in^^f'dntmerfen
beraudrätbfelten mad er l)ineingebeimnif;t bddf! er erlebt böd«;
roie feine ergebenften ißemunberer, ben i),1ieifter meifternb, feinen eigenen
nücbternen 'Programmen gelegentlii^ mit il)rem ?lbermi^e trotzten, nnb
Ibm felbft erft beffer fugen mufften, mad er l)fltte fagen mollen! igenn
man bie jabllofen Deutungen ber ©eetbooen’fdfen iföerfe jufammenftellen
TOoUte, ed märe — fein 5ludbrucf ift ju ftnrf — ed märe eine peinlid)
läcberlid)e ©eene mic in einem • •
„Qie geilte bie ernftbaft and ber .giieroglppbif ber ©onfunft faglicbfi
©ebanfen bernndbeuten, erfd)einen fo finbifd) mie bie ©pab’inndier, meld)e
ber läutenben ©lode beliebige SBorte unterlegen. 3Benn bann bief eiben
-geilte fi(^ mieber in nii)ftifd)eren Orafeln über bie ,^nftrumentalmelt oer^
54*
852
®ie fdbftdnbig auftrctenbe
nehmen Iaf[en, in ber ein eiuigeg in feiner iBieinung nur al^nbareä 9>tät|fet
niebergeiegt , nur trdume*ifd^e ©eftaltungen entroorfen fegen, ,bie ,fefte
(Stimmungen roerbcn fönnten, juraeilen ben Slnlauf näl^men, aber e§ nid^t
rairfti(^ raürben‘, bunfle ißorfteltungen , bie Sßolfen gleicf) fommen unb
gefien, unb ,fic^ bem @lauben§railtigen ju feftem Äerne uerbid)ten‘ unt>
raa§ bergleid^en ip^rafen mel^r finb, — fo ift bie§ nur ein eitleä 2lb=
müf)en, ein feine§ finnlid^eS (Srgö^en baä fie empfinben, in entfpred^enbe
SBorte ju fleiben, inbe§ ein iJJJann uon gefunben Sinnen bei biefem @r=
gö^en foraol^l aB bei fenem Slbmülien bie gefünftelte 33egeifterung ju ber
man fid) erfii^t, fd)Iec^terbing§ nid)t begreift. Söenn biefe ®ämmerlinger
bie in ber ^nftKumentalmufi! ba§ UnauSfpredili^e auägefprod^en ^ören,.
jugleic^ befiaupten, ba^ biefelbe, feine§raeg§ unbeftimmt non Sinn, einem
^eben baffelbe fage, raenn auc^ feber ber raieberjufagen nerfucbt raa§ fie
i;^m fagte, etraa§ 2tnbere§ fagt: fo benft notl^raenbig einer ber unter SBorten
unb Sad)en über^upt etraa§ benft, ba^ eine Sprache bie Unaugfprec^lid^e§
au§fagt, überhaupt nid)B fage, gefc^raeige einem ^^ben baffelbe. 2llle§
raa§ man al§ ein Unau§fprecblic^e§ in ber ÜOJufif bejeid)nen möd^te, liegt
in ilfrer f^äl^igfeit, ba§ feinfte @mpfinbung§raefen über bie Sprad^e l)inau§
ju oerflären, aber nur inbem fie fi^ an bem feften Stamme
ber Sprache l|inauf= unb liinüberranf t. ®ie Jonraerfe raeldfie
bie oerfcbiebenartigften, raiberfpred^enbften (Jmpfinbungen ol§ne 35ermittelnng,
oon 3®orten barfteüen raoücn, nannte ein Genfer raie ßeffing pnuficalifc^e
Ungel)euer‘, oor benen er, me^r raie im Traume , unorbentlic^e (Smpfin=
bungen empfanb, bie i^m mef)r abmattenb al§ ergö^enb erfd^ienen" *).
§. 3.
|>ie fefßflänbige 3n|trumenfafmu|tR Rann ben „fc^önen^^ ^nnjlen ntt^f
Retgejäbff werben.
3raei oerfd)iebene 35>eifen, bie Seiftungen ber ^nftrumentalmufif ju genießen,,
bie „patl)ologifcbe" unb bie „anfdjouenbe", no(^ ^anslid. ®er einen raie
ber anberen gegenüber finb jene Seiftungen, audE) nadE) ber au§brücflidE)en
Seljre ber formaliftifdben 3leftbetif, nid)t§ roeiter, aB rein materielle ©ebilbe
ohne Rabatt. iOtitbin ift bie ^nftrumentatmufif roeber ben anberen
bebonifcben Äünften gleichartig, nod) finbet fid} an ibr ba§ jraeite 3JterfmaI,
ba§ jum SBefen einer „fcbönen" Ä'unft gehört. SÖeitere SSeftätigung un=
fere§ Saped au§ ©ebanfen oon 3ß?ei§e, unb au§ jmei guten 9(nalogien oon
@b. v'^anöEidt. (?er gegenroärtige Stanb ber Sehre non ber ionfunft.
543. Um bici’tifl^ bem Sefer einen flaren ^Begriff baoon ju oer=
mittein, raie öaiBlidf bie äftbetifcbe 33ebeutung ber ^nftrumentalmufif.
0 9tad; (^eri)imi§, 164 ff. (6it. 844.)
tfl nic^t bered^tigt, al§ „fc^öne" Ä'unft 511 gelten. 853
iinb ben ©enuft auffa^t, roelc^en man in bem i^ören i§rer Sd^öpfungen
jinben foll, feigen mir un§ genöti^igt, tnieber einige ©teilen au§ feiner
©ctirift f)ier folgen 511 laffen. f^reili^ l^anbelt e§ fid) babei meniger um
ben erraälinten ^Begriff, atö, iinferer Slufgabe gemäfe, um bie ^Folgerungen,
bie mir au§ feiner Sel^re ju jie^en benfen.
3«nädbft c^aracterifirt i^an§Ud in einer gelungenen
„©efü^Idmufifer", b. i). jene „@nti^ufiaften, beren ißerl^alteu gegen bie
2öne ber Slhifif nid)t anfd)auenb, fonbern pati^ologifd), unb beren
3ai^l fef)r bebeutenb" feg. „.t'atb road^ in itiren g'^uteuil gefdEpniegt,
laffen fie non ben ©d^raingungen ber 3röne fid) tragen unb fc^aufelu,
ftatt fie fd^arfen ißlicfeä ju betradE)ten. äBie ba§ ftarf unb ftärter aii:
ft^rcillt, nad)Iöf3t, aufjaud^jt ober augjittert, bag nerfe^t fie in einen
unbeftimmten (^mpfinbunggjuftanb , ben fie für rein geiftig gu Italien fo
iinfdl)ulbig finb. ©ie bilben bas ,bantbarfte‘ i)}ublicum, unb baSjenige
meld^eS geeignet ift, bie SBürbe ber iöJufif am fic^erften ju biäcrebitiren.
®a§ üft^etifd^e ilRerfmal beS geiftigen ©enuffeS gel)t i^rem .^ören ob;
eine feine (Sigarre, ein pifanter Serferbiffen , ein taueS 53ab, teiftet i^nen
unberou^t, mag eine ©pmpl^onie. ißon bem gebanfenlog gemäd)ti(^eu
SDafi^en ber (Sinen big jur tollen üSerjüdung ber '^Inbern ift bag iprincip
baffelbe; bie Suft am ©lern ent arif d)en ber iDdufif. ®ie neue
l^at übrigeng eine l^errlid^e ©ntbecfung gebrad)t, roeld)e für .^örer bie
oi^ne aUe ©eiftegbet^ütigung nur ben ©efüf|tgnieberfd}lag ber iÖJufif fud^en,
biefe .id'unft roeit überbietet. ÜBir meinen ben ©d)raefe(cit^er, bag t?'^Ioro;
form. 3^ ber säubern ung biefe iöiittel einen bödbft angenef)men,
ben ganjen Organigmug füfftraum^nft burd)bebenben JKaufdf) , — o^ue
bie ©emein^eit beg 35>eintrinfeng , roetd)eg and) nidl)t o^ne muficalifdbe
SBirfung ift. ®ie 25>erfe ber 'Jonfunft reit)en fid) für fold^e 3Iuffaffung
^u ben ?iaturprobucten, beren ©enuff ung entjüden, aber nid)t
^roingen fann ju benfen, einem bemiifet fdbaffenben ©eifte nadb ju benfen.
®en füfeen 5It^em eineg 3Icasienbaumeg fann mau aud^ geft^Ioffenen
1?Iugeg, träumenb einfaugen . . ©in ©iemälbe, eine jtirdje, ein ®rama
laffen fidb nid)t fd^Iürfen, eine 2trie fel)r rcobr' *)•
®em in biefen ©äl^en, unfereS ©rad^teng mit ooUfter ©reue, ge^eidi-
neteu „pai^ologifc^en ©rgriffenmerben" fetjt .^''anglid fpüter „bag be=
TOU^te reine 2Infcbauen eineg ©ontoerfg" entgegen, „©iefe contemplatioe",
fa^rt er fort, „ift bie einjig fünftlerifd)e, roo^^re beg isöreng; if)r
gegenüber füllt ber robe 2Iffect beg ifßilben unb ber fd)roürmenbe beg
2iJfufifentf)ufiaften in ©ine .RIaffc . . ®ie ©efüt)IüotIen halten eg freilid)
für .Retserei gegen bie 2UIma(^t ber ilJfufif, raenn femanb non ben ^er,seng=
S^eoolutionen unb ^Äraraallen Umgang nimmt, rcelcbe fie in jebem ©om
’) ^an§Iict, ®. 138 f. ((?it. 842.)
854
®ie i'elbftänbig auftretcnbc ^nftvumcntdmufif
ftücf antreffen unb reblid) initinad^en. 3)^an ift bann offenbar ,faÜV
,9emütl^to§‘, ,2Serftanbe§n«tur‘. ^mmerfiin. @bel unb bebeutenb roirft
e§, bem fdfaffenben ©elfte ju folgen, roie er jauberifct) eine neue SBelt
uon ©tementen oor un§ anffc^IieRt, biefe in alle benfbaren 25ejief)ungett
ju einanber lod't, unb fo fortan aufbaut, nieberreißt, l^eroorbringt unS>
oerniditet, ben gangen Dieicf)tl)um eine§ ©ebietes be^errfd)enb, roeldieg ba§
Dl)r gnm feinften nnb auSgebilbetften ©inneäraerfgeug abelt. iRid)t eine-
angeblid) gefd)ilberte £*eibenfd)aft reigt un§ in iKitleibenfii^aft, f^reubigeit
©elftes, in affectlofem , bo(^ innig=I^ingebenbein ©enie^en, feilen mir baS'
Äunftioerf an unS oorübergie^en. ®iefeS ©i(^=©rfreuen mit road)em
©elfte ift bie raürbigfte, ^eilooUfte nnb nidjt bie leid^tefte 2lrt, iSiufif
gu liören.
„©er roid)tigfte g-actor in bem ©eelenoorgang, raeldier baS Sluffaffen
eines ©onroerfS begleitet unb gum ©enuffe mad)t, rairb am ^äufigfteii
iiberfelien. ©S ift bie geiftige 33efriebignng , bie ber i^örer barin finbet,
ben 3lbfid}ten beS ©omponiften fortroä^renb gu folgen unb oorangueilen,,
ficb in feinen ©ermnt^nngen liier beftätigt, bort angenel^m getänfdit git
finben . . 9lur foldie -SRufif roirb oollen fünft lerifdien ©enufe bieteiv
meldie biefeS geiftige ITiadifolgen , baS gang eigentlich ein 9fad)benfen
ber '^f|ön tafle genannt roerben fönnte, hei^üoi^rnft unb lohnt. Oh>^^
geiftige 3:hötigfeit gibt eS überhaupt feinen üfthetifdjen ©enufg. ©er
iSiufif aber ift biefe gorm oon ©eifteSthätigfeit barum norgüglidh eigen„
meil ihre 2©erfe ni(ht nnoerrücfbar unb mit ©inenc Schlage baftehen„
fonbern fich fucceffio am .<^örer abfpinnen, baher fie oon biefem fein, ein
beliebiges ©erroeilen unb Unterbredhen gulaffenbeS ©etra^ten, fonberit
ein in fchörffter 25>adjfamfeit unermüblicheS begleiten forbern. ©iefe
Begleitung fann bei oermicfelten ©ompofitionen iid| bis gur geiftigen
3lrbeit fteigern. 2Bie oiele eingelne ^nbiuibuen, fo fönnen auch manche-
^Rationen fich ^h^-' f^h^’ fd)roer untergiehen. ©ie fingenbe 2lHein=
herrfchaft ber Oberftimme bei ben ^foUenern hol «inen ^auptgrunb in
ber geiftigen Bequemlichfeit biefeS BolfeS (?), raeldhem baS auSbauernbe
©nrchbringen unerreichbar ift, roomit ber iJiorblänber einem fünftlidhen
©eroebe non havmonifdien nnb contrapunctifchen Berf^lingungen gu folgen
liebt, ©afür mirb i^örern, bereu geiftige ©hnüsf^ü S«’^ing ift/ ©e-
nuh leichter, unb folche ÜRufifbolbe fönnen DJiaffen oon 'üJfufif oer=
gehren, oor roelchen ber fünftlerifche ©eift gurücfbebt" *).
544. 3n ©inem fünfte gunöd;ft finb mir mit c^anSlicf uoHfommen
einoerftanben. ©ie oon ihm gegei^nete SBeife ber „^Kufifenthufiaften"
meld)e biefen „iUt affen uon 2Hufif gu uergehren geftattet", ift fidher nicht
biejenige in roelcher ber iKenfdh falleotedinifdhe Seiftungen geniest; boS-
0 .^anSlict, ©. 148 ff- (6it. 842.)
ift nid}t bered)tigt, at§ „fd^öne" Äiinft 511 gelten.
855
iBergiuigen ba§ jene im (Soncertjaaie jm^en unb fiiiben, grüubet jic^ aug=
IdjUeßlid) auf bte pfjgfioiogifdje ®irffamfeit ber Jonfunft, geprt nid)t
ju ben äft^etifd^cn fnnbern ju ben patl^o(ogifd)en ©enüffeu: unb lueuu
bie ^iift^iiinentalinufif feinen anberen ju bieten uennöd^te, bann mnre fie
of)ne „fd)önen" Äünfte ju ftreid)en.
''!Daf3 nun aber bie an sroeiter ©teile befcbnebene, vedjte Söeife,
''Diufit ju fiören, ba^u angetban ift, fie uov biefem ©djidfal ju retten,
bauon fünnen mir itn§ feine§roeg§ überzeugen. ÜT'ir anerfennen gern,
bafe biefe SBeife muficaUfd)en ©enuffed nid)t blofi, roenn and) nur feljr
SSenigen, mögtid), fonbern and), bein Überfahren ber „ÜJfufifboIbe" gegen=
über, allein ebel unb be§ 'OJJenfd)en roürbig ift. §an§ticf§
©inne genoffen unb anfgefafd, ift bad ©onroerf bod) immer nid)tö roeiter,
al§ ein rein materielleg ©ing ohne förperüdjeg
t^ebilbe, ba§ nidjtg ausbrücft, ni(^tä barftellt , nidftg bebeutet*). ©oti-
reiben, 'ionformen, ohne irgenb roeld)en 3"^fllt, haben mobl, mie jebe§
fid)tbare üng, überfinnlicbe ©igenfdjaften ; aber fie nermitteln bem ©eifte
in feiner ÜBeife bie flare 5lnfd)auung irgenb einer C^-rfcbeinung ber 1111=
ficbtbaren, überfinnlii^en Orbnnng. Sltfo bie ©i^önbeit unb bie fonffigen
üborjüge eineg foId)en rein förperlidjen ifJrobiicteg, unb nidbtg meiter,
märe and) bei ben ba'uorragenbften Seiftungen ber ^i'ftrumentalmufif ber
einzige ©egenftanb beg @enuffeg; biefer @enuf; märe feinem ÜBefeu unb
feiner 2frt nad) in feiner ÜBeife oerf(^ieben non jenem, mit meld)ent man
etma ein genialeg (J-rzengnifi ber ''Dfedjanif, eine complicirte, febr fünfte
reich gebaute '’DJafd)ine ftubirt. 2fun unterliegt eg aber nicht bem min=
*) 2Ber hieruon auf @nmb bc§ namcntlid) in §. 2. ®c)ngten nod) nidjt über=
jeugt roäre, ber lefc noch biefe ©äpe.
„S8ei ber 5rage nnd) bem ,3nt)alt' ber iPtufif '"an bie 33orftcllung uon
,®egenftnnb‘ (Stoff, ©üjet) im ©inne, roetchen man ald bie 3t>ee, bn§ (vbeale,
ben Üönen al§ , materiellen 25eftanbtf)eifen‘ gernbeäii entgegenfept. ®tnen in
biefer 33ebentnng, einen ©toff im ©inne be§ bel)anbelten ©egenftnnbeg, pat bie
©onfunft in ber Spat nid)t . . ®ie t)Jinfif beftept nn§ ©onreit)en, konformen; biefe
haben feinen anberen fid) felbft • • 5Jtag nun bie ®irfung eines Son:
ftüdeS jeber nnd) feiner (Zubioibnalität nnfchlngen nnb benennen, ber Inhalt
beffelben ift feiner als eben bie gehörten ionformen; beim bie fUtnfif fprid)t nid)t
bloh bnrch iöne, fie fprid)t and) nur iöne." tpanSlirf, ©. 182 f. ((5it. 842.)
„®er (Somponift bid)tet unb benft. fjfnr bichtet nnb benft er, entriidt ntter
gegenftönblidhen fRenlitnt, in Jönen. 3Jfup bod) biefe Ürioialität hier auSbrüdlid)
roieberholt fepn, roeil fie felbft uon benfenigen bie fie principiett anerfennen, in ben
(Jonfeguenjen aü;n häufig uerläugnet nnb nerlept luirb. ©ie benfen fid) ba§ (5om=
poniren al§ Ueberfepung eines gebad)ten ©toffeS in ®bne, inäl)renb bod) bie iöne
felbft bie unüberfepbare Urfprnche finb. SaranS bap ber 2:onbid)ter gejiDungen ift,
in iönen 511 benfen, folgt ja fepon bie ^nhaltlofigfeit ber ionfnnft, inbem jeber
begriffliche Behalt iir Porten müpte gebaept luerbcn fönnen." ^anSlid, a. a. O.,
©. 194.
856
®ie fetbftänbig auftretenbe ^nftrumentatmufif
beften ba§ jebe anbere ^ebomfci^e Äunft bie ju ben „fc^önen"
gejault roirb, bie iSJiittel unferetn @eifte fc^öne ©rfci^einungen ber
überfinnlid^en Orbnung oorjufü'^ren, unb bafe, in i^ren oovgügtid^eren
©d^öpfungen roenigftenä, eine ^ebe berfetben ©oIci^e§ auc^ t^ut. Sei ber
ungleid^ l^ö^eren Sotlenbung ber ©d^ön^eit rooburdi) fid) bie ©rfd^einungen
biefer Orbnung, ber überfinnlid^en nämlid), nor jenen ber förperlidben
Sföelt auSjeid^nen *) , ntu^ bie begeid^nete 9iüdEji(^t offenbar atä burd^aug
raefentli^ gelten : eg fönnte mitl^in bie ^ttftrumentalmufit in feiner SGBetfe
mel^r barauf Slnfprinb madfien, alg ben übrigen l^ebonifd^en fünften gleid^=
artig betrad)tet, unb neben il^nen non ber Sleff^etif berüdfidjtigt gu roerben.
3« berfelben f^otgernng gelangen roir, roenn rcir ung erinnern, rceld^e
Ütliertmale eine ^unft nof^roenbig ^aben muß, loenn fie bere(^tigt fepn
raill, alg „fd^öne" ju gelten. ®ag jroeite biefer üJierfntale beftel^t barin,
bag fie „bie iUiittet befi^e, unter entfpred^enben Umftänben SBerfe ^^eroor;
jubringen oon ^^eroorragenber © cf)ön^ eit" ** ***)). 2Bir l^aben biefeg
'’fjferfmal roie bas anbere, nid^t etrca a priori feftgeftellt, fonbern eg oon
jenen fünften abftra'^irt, raelcbe allgemein alg „fdl)öne" anerfannt toerben.
Oie ©dfionl^eit eineg rein förperlidben @ebilbeg fann nun aber, fo gro§
in i^rer 2trt fie fepn mag, alg l^eroorragenb nie bejeid^net toerben **"*■') ’•
eg toäre mithin bie ^nftrumentalmufif , infofern fie nur ber förperlidben
Orbnung ongel)örenbe l^5robucte ju liefern oermödbte, aug ber D^fei^e ber
„fdbönen" Äünfte einfadl) ju ftrei^en.
2Senn mir biefe Folgerungen aug .^anglidg IfJrämiffen in ^PPotbe-
tifdjer Form auggefpro(^en haben, fo loolle man bag nid^t fo auffaffen,
alg ob mir mit eben biefen Folgerungen ni(^t oollfommen einoerftanben
toüren; eg gefdliah nur, loeil mir fie aug Stufd^auungen abgeleitet haben
toelche unferem ©tanbpunfte nidht angehören, unb bereu Vertreter anber-
feitg unfere Folgerungen feinegroegg beabsichtigt haben, noch benfelben
5ujuftimmen geneigt fepn bürfte. Oialectifdh ridhtig glauben toir be^=
ungeadhtet oorgegangen gu fepn : unb eg fonnte ung nur gur Sefriebigung
gereidhen, aug ©ät^en, gu benen bie Hiadht ber SBahrheit unb flarer Slid
einen ©eiehrten gebräugt hat ber fich unumrounben alg gu ben „^inbern
ber gehörenb befenntf), bie nämlichen 9fefultate gu gerainnen,
meldhe fid) aug ber in biefem 5lbfchnitte oon ung gegebenen Sehre oon
bem Söefen ber 'SIRufif gleidhfallg ergeben muffen.
545. Siele biefer „Äinber ber „finben bie ©igenheit beg
mobernen ^unftibealg in jener ^Reinheit unb Unioerfalität ber Sphantafie,
*0 2Jtan Dergleiche oben, 9t. 20 ff. S. 34 ff., unb 9i. 136. @. 180 f.
**) Oben, 9t. 231. 0. 326.
***) Oben, 9t. 240. 0. 334 f.
t) 3Sgl. oben, 0. 379.
ift ni^t bered^tigt, a(ä „fd^öne" Ä'imft ju gelten. 857
irelc^e bie (£d)önl§ett atd foId)e anfd)aut, unb fie überall unb unter jeber
@eftalt anerfennt, ol^ne fte an irgenb einen natürlidjen ober religiöfen
3nl)nlt , ohne fie an einen ^n^lt nberl^anpt gebunben ju benfen . .
®ie[e§ tnoberne 3^eal bes ®d)önen tnu^ jucfft fi(i^ rein jur (?-rfd)einnng
geftalten, in einer SSelt oon Jönen alfo bie nidbt bie 9latnr, fonbern bie
Äunft felbft gefdjaffen, unb o^ne 33eimifd)ung fold^er 5ltange, beren be=
fonberer bie nöUig reine unb namentofe ©d^önbeit beä mniicalifdben
©ebanlend [tören roürbe. 9^idbt bie nienl'dblid)e ©timme, nur bie ^nftru:
mente bieten biefe reinen 5;öne, in benen meber 9iad)abmung ber 9iatur=
laute, nod; ^tinbeutung auf bie beftimmten ^nbnlte be§ meufd)licbeu
@eifte§lebenö liegt. S)ef5batb ift bie ^nftrumentalmufif , roeld)e
Bom 9lltertl)um alä unftattbaft betrad}tet mürbe, ber nadb bie füngfte
^orm ber Äuuft, unb gehört bem mob erneu 3^cttl nl§ beffen
unmittelbar ft er 5lu§brucf an*); aber in ber bialectifdben fHeiben-
folge ift fie bie er fte, Boltfommen in fid) felbft gerechtfertigte, nur burd)
‘2l^i^uerftäubuiß beanftanbete ©tufe ber 3:ontunft. ®ie Sebenbigfeit
beä @eifte§ fdjroebt in ihr jrcifcben ben jroei if3olen ber f^reube unb ber
3:rauer, beibe ©timmungen febocb ohne unmittelbare ®ejiebung auf ba§
gebucht roa§ biefelben im enblicbeu (Seifte ermedt, fo uielmebr, mie beibe
aud) in ber ©eele eined (Sotted fepn tonnen (sic). ®ie jroeite ©tufe ber
^onfunft ift bann ber (Sefang, bie brüte enblich, alg höh^^f (Sinbeit
ber 3ttfti^i(i^™talmufif unb be§ (SefangeS, bie bramatifd)e iJJtufif.''
®iefe, Bon SSei^e entroorfene, „bialectifdie ©lieberung be§ ganjen mufi=
califdien fReii^eS" oft citirten ,,(Sefd)id)te" Bon ^ot^e
(©. 496 f.) entnommen, roelcher fid) Bon berfelben fi^tlid) angejogen
fühlt, unb fie auäbrücfli^ alä mit feinen eigenen 5lnfdbfluungen „nahe
jufammentreffenb" -be, zeichnet. @inen Kommentar baju h^öen mir nicht
gu geben; eä lag und nur barau, bas 3Serhältni^ ber mobernen 5luf=
faffuug Bon bem SBefen ber iDtufif ju ber unfrigeu flar h^i^^ortreten
gu laffeu.
®iefe§ ißerhältuife ift nun freilich faum ein anbered, ald bad bed
biametralen (Segenfa^ed. ^nbe^ bie moberne ?lefthetif bie ^nftrumental;
mufü für „bie erfte, BoUfommen in fich felbft gered)tfertigte ©tufe ber
2;onfunft", für bie audgeprügtefte reinfte f^orm unb bie eigentliche 3}er=
treterin ber ilJtufif**) ertlürt, Binbiciren hingegen mir, mit ber gefammten
ißergangenheit , biefe 33ebeutung audfchlieblich bem ©efange. ®iefer
aber, bie eigentli^e Seiftnng ber 'äJtufif, fet^t fid), in cihnlicher Sßeife mie
ber iDtenfch , and graei Elementen gufammen , aud bem Jert roelcher bad
*) '.Don mir unterftrid)en.
**) Sßgt. |>an§Iicf, ®. 37. 'JBir hoben bie ©teile oben, ©. 847 in ber 9iote,
gegeben.
858
®ie felbftänbig auftretenbe ^iiftrumentalmufif
25?erf bev '^^oefie i[t, unb ber ?(}ie(obie; jenh’ erfc^eint geroifferma^en al§
bie „2®elenätorm" be§ ©kig[tücfe§, biefe al§ beffen materieller, burd^ ben
Xert ju beftimmenber J^eit. Unb roie bie menfcblicbe Seele t^r felbftöm
bige§ Sepn ^at, unb auch getrennt noin Selbe fortbeftel^t, fo auc^ ba§
erfte (Element be§ @ingi'tüde§, ber poetifc^e Sept: mäljrenb bie tD^elobie,
nenn Septe gelöft, unb o^ne benfelben, etraa auf einem ^ttflt^i'tttente ge=
fpielt, roo^l fcbon bleibt, aber für ficfi allein nid^t metir al§ ba§ 2öerf
einer non ben fi^önen Äünften gelten fann. .^ierau§ ergibt fic^ non
felbft mag mir früher fc^on fagten, ba^ nümlid) bie erfte unb eigentliche
33eftimmung ber ^nftrumentalmufif barin befteht, ben @efang ju begleiten,
ihn einjuleiten unb abjuft^liepen. 2T'0 fie für fich allein auftritt, nom
lerte unb uon allen ben Jet:t erfel^enben Umftänben gelöft, ba fönnen
ihre Seiftungeu immerhin al§ 'JRonumente glönjenber 33egabung unb tjer:^
uorragenber technif(her ißirtuofität gelten; fie tonnen and) ba§
uon Äennern ber muficalifchen Sechnif in älnfpru^ nehmen unb eg in
üollftem iKaafie uerbienen; aber alg falleotechnifche ©rjeugniffe, alg
Schöpfungen einer ber „fchönen" fünfte betrachtet ju tuerben, barauf
haben foldie Seiftungen an unb für fid} feinen 2lnfpruch; benn fie be=
beuten fa ni(ht§ IBeftimmteg, fie „ftellen nid)tg bar", fie höben „gar
feinen
'-Bielleicht uerbenft man eg nng, bafi mir ber Itielobie unb überhaupt
bem tonifchen Elemente einer (Sompofition, bem Jerte gegenüber, feine
höhere 33ebeutung jujnerfennen fcheinen, als -fie ber Seib beg Difienf^en
gegenüber ber Seele höd 3önöthf^ M't eben nur eine Slnalogie, —
allerbingg unfereg (Srachteng eine gan.^ paffenbe, — burch tuelche mir
unfere 2luffaffung beleuchten roollten. Ueberbieg aber höt mieber Gbuarb
.s>anglicf, ber marme ?Bertheibiger ber felbftönbigen ^öftrumentalmufif,
bie nämliche Stnalogie lange oor nng bereitg angebeutet*). Unb rcenn
mir im jehnten 2lbfchnitt (S. 597) non (Sari Semde belehrt mürben, „ber
'^Inblicf allein ber fyormen eineg" uon ber Sculptur gelieferten „nacften
Äörperg fönne burd) ben iRhhlhöiu^ biefer f^ö^^ien einen ©inbrucf
mad)en, ber am beften mit einer Spmphonie (sicj uer glichen
merbe", fo lag biefem (Stebanfen offenbar ganj biefelbe Slnalogie ju
(Sirunbe. Stuffallenb nimmt eg fich ^öbei aug , um bag im SSorbeigehen
ju bemerfen, baß nach Semcfe biefe nacften „S^önfieiten ber ifSloftif nieU
leicht bem 3^£öl am nächften fommen" (oben, a. a. O.), roährenb
*) „®?an tann für ba§ 2RiiticaIifcb=®chöne eine t)öt)cre ütnatogie etroa in ber
?lrcf)itectnr, bem m e n f cf) 1 i ch e n Äörper, ober einer Sanbfcbaft finben, bie auch
eine primitine Schönheit ber Umriffe unb garbm (abgefef)en non ber Seele,
bem geiftigen 'ttuSbruct) haben." (,'öanSlicf, S. 68. dit. 842.) Sa§ gefperrt
@ebrncfte mürbe oon mir unterftrichen.
ift nid^t beved^tigt, al§ „|4öne" Äunft ju gelten. 859
ber jüngft angegebenen Se^re ^eiße’g gnfotge bie ^nftrninentalmujib bte
gtücfü^e 5l:nn[t i[t, ineld^e „ben nnmittelbarften 3(u§bvncf be§ mo=
bernen bilbet. SBäre „ein 3^eal be§ 0c^önen" in einem
rein förperlidjen ©ebilbe beS menfd)Ud}en @eifte§ nibbt eine (Sbimäre,
fo nn'irben mir bei biefev Spaltung unter 3)ertretern ber inobernen
21eftl)etif immerhin norjieben, nnä auf bie Seite 35>ei[te’§ ju ftellen:
benn bie St)mpl)onie l)nt bod) nid)t bie et^ifdie .^'liigli^feit eine§ nad'ten
iXRenibbenleibeä.
31nfter ber bi^vmit befprodjenen liefert nn§ übrigen§ @bnarb i^anätief
nod) eine roeitere 91nalogie jnr 33eranfd)anlid)nng bes 2®efen§ inftrumeit:
talinuficalifdjer Sl^erfe, bie niand)en entljnfiaftifdien fyreunb be§ (äoncertä
noeb nnangenel)mer berühren mag. „^eber non nn§ l)at als Äinb fid)
trollt fl» bem iredifelnben fyarbein nnb fyormenfpiel eineg il'aleiboffopg
ergötzt, ©in fold}es Äaleiboflop , jebod) auf unmeftbar ^oberer ibealer
©rfdbeinnnggftnfe, ift 33hifif. Sie bringt in ftetg fibb enttrid'elnber 21b=
iredbfelnng fd)öne fvormen nnb garben, fanft nbergeljcnb, fdjarf contra=
ftirenb, immer jnfammenbangenb nnb bod) immer neu, in fid) abgefcbloffen
nnb ron fid) felbft erfüllt. Ser .<öanptnnterfd)ieb ift, bafi fold) unferm
rorgefnl)rteg Sonfaleiboffop fid) als unmittelbare ©mianation eines
fnnftlerifdj fdjaffenben ©eifteS gibt, jenes fid)tbare aber als ein finnreid);
med)anifd)eS Spieljeng" *). 2.t>ir acceptiren mit Vergnügen, trie bie
früberen, fo and) biefeS ©ieftänbniB ber formaliftifd)en 31eftl)etif. Senn
trotj, feiner „unmepar böb^^’c» ibealen (?) ©rfdteinnngSftnfe" bleibt baS
„5;onfaleiboffop" mit feiner „31b)ued)felnng fd)öner fyormen nnb fyarben",
— mag eS fid) nod) fo febr als bie aller 9(nerfennnng irnrbige „©ma:
nation eineS fünftlerifd)" (rielmebr tei^nifd)) „fd)affenben ©ieifteS''
geben, — boeb immer, gnti,^ irie fein optifd)eS ©tegenftücf, ein rein mate=
rielleS 3®ert, eine ganj in ber Srbnnng beS .Hörperlid)en rul)enbe ©t:
fd)einung, roeldje als bie Schöpfung einer „fd)önen" Äunft anfjntreten
nie unb nimmer bered)tigt fepn fann. Sie Sonfnnft ift ihrer 9iatur
nnb ihrem ganjen SBefen nach nnfelbftünbig, ihr 33eruf ift lebiglid), ber
tpoefie JU „fnbferriren" ; iro fie biefem ihrem 93ernfe untreu rairb nnb
in unabhängiger Selbftänbigfeit tbätig fepn trill, ba l)ört fie eben babnrdb
auf, an £eiftnngen jener 91rt Sbeil jn bflöc», bnr(^ treidle ficb bie
„febönen" Jlünfte alS folcbe ertoeifen.
©S entgeht nnS ganj nnb gar nicht, bafi biefe nufere 31nfid)t uon
bem oerbältnipmä^ig geringen SBertbe ber 3flft^'»t»6»tflt>»»fif »»b
©rjeugniffe oielleiiht 3)lnnd)en befremben, Sielen miftfaHen mag. 3fben=
falls Ijflöen mir nnS berfelben nicht jn fdjäinen. ,,31nd) Ä'enner roie
Shtbaut fabelt in '^^aleftrina ben .^öbepnntt, inbejj fie in allem Späteren
*) .<pan§lid', i©. 67. ((iit. 842.)
860
®ie felbftänbig auftretenbe ^nftrumentatmufif.
nur SSerberb ber jtunft finben fonnten" *). Unb nac^ @erüinu§ ift bte
^nftrumentalmuftf ni(^t§^n)eiter at§ „ein p!^t)ftcatifd^e§ ^Jiittet jn p^^fto=
logifd^en 9ftetjen", „eine .^unftart bie non allem ^^nerlid^en auf ba§
SteuBcrKc^fte tierobgefommen ift, in ber bie geiftigen, rao^r^aft fünftterifdien
^ntereffen ganj in ben ^intergrunb gebrängt finb, bie ni(^t§ nor fi(^ t)at
al§ ba§ fReid^ i^rer träume, eine SBüfte non ^i^i^roegen unb einen iRebet
non Unftar^^eiten" ; eine Äunft „roetcE)e bie ©eroö^nungen ber ®eele in
ber befted)enbften Söeife materiatifirt, fie in bem (Sinntidien fefttiält unb
non bem ©eiftigen abtöft, unb be^^alb bem guten ©efd^mad unb ben
guten ©itten in gleichem fJRaa^e gefä^rli^ roerben mu§" **). SBenn nun
überbieä, roie bie ©efd^it^te bezeugt, jene 9teftl^etif roeld^e fid^ at§ bie
^erel^rerin „beä mobernen Äunftibealä" unb alä bie gerabe in feinem
®ienfte arbeitenbe SBiffenfd^aft befennt, gegenüber ber f^rage „über ben
äft^etifd^en ©eift ber muficalifd^eu Äunftinerfe" bi§ auf bie neuefte
„nerftummt" ; roenn audt) i§re fdbarffinnigften 2?ertreter „jur ^^eente^re
ber ?Otufif nur al^nungönolle 3tnfänge finben, auä benen ein n)iffenfd^aft=
Iidf)e§ ©anjeä ju erbauen nodb lange“ — wer raeip ob nidit nergeblid^e —
„?[Rül^e foften fott“ ; roenn alte 9lefuItote „ben ©treit ber ^(Reinungen
ni(^t fiabeu nerl^inbern fönnen, fortjubauern , unb eben in unferer
mit befonberer Sebtiaftigfeit l^crnorjubred^en" ***) : müffen rair e§ ba nidt)t
nerftänbiger finben, norläufig Stnf^auungen feftgu^atten ju benen fic|
^a^rtaufeube betannt ^aben, — bereit, einer juoertäpigeren unb beffer
begrünbeten Sel^re un§ onjufd^tiefeen, fobalb man un§ biefetbe bietet?
*) 2oöe, ®. 499. (6tt. 18.)
Xbifeant ftarb 1840; fein Urt£)eit tonnte ftc^ fomit freilid^ nur auf bte @nt=
roictelung ber SJtufit big ä“ i^ner beäiefien. Sie Seiftnngcn ber testen 3abr=
je^nte auf bem Oebiete ber Iiturgifdt)en ütRufit im (Seifte ifSateftrina’ä mürbe Sf)i^“nt
ohne anerfannt haben.
**) (SerninuS, ©. 177. 179 f. (Sit. 844.)
***) Sope, @. 494. 496. 498.
Der (Öefdjittttik.
546. '^(ato mad]t in einem feiner ©iatoge eine nic^t nnintereffante
diefiefion. „0el3en mir ben ^QÜ/' fagt er, „jemanb fd)riebe einen 2®ett=
fampf and, o^^ne über bie 2trt beffelben etmad feftjnfeijen ; er nerfammelte
alle ©inroo^ner ber ®tabt, beftimmte bie i^reife, unb uerfnnbigte feine
anberen 23ebingnngen, als bnfe ed fic^ aCfein um bad 2?ergnügen ^nnbte,
nnb berjenige ©ieger fepn fotle, ber ben grbfjte ißergnügen
ma^en, ifjnen am beften gefallen mürbe; mad müffte gefd)eljen? — 6'iner
ber 35emerber mürbe mat)rfc^einlidj , mie .'pomer, eine epifdje ®id)tung,
ein anberer ein Sieb mit (Sit^erbegleitung nortragen; ein britter mürbe
mit einer 5:rag5bie anftreten, ein nierter mit einer '^'offe; unb mir
bürften und nid)t munbern, menn and) ein 5:afd}enfpieler feine fünfte
probucirte, unb mit ©i^erl^eit baranf redjnete, burd) biefe ben ©ieg
banonjutragen. Söeld^em non biefen nnb nod) uielen anbern iBemerbern,
mürbe nun mit IRec^t ber ipreid gugefprod^en?" (äUniad non Sreta
finbet ed unmöglid), eine fotd)e ^-rnge jn beantmorten, menn man nid)t
fetbft babei gemefen fep. 2tber if^lato löft fie fel)r einfad). „SBenn fleine
Äinber bie ©djiebdridbter mären, fo mürben fie ben ifJreid bem 2;afc^en=
fpieler guerfennen; Jlnaben mürben für bie ißoffe ftimmen, für bie5:ragöbie
bie gebilbeten f^rauen, bie erma(^fene ^ns^nb, unb überl^anpt bie i]Jlel)rgal)l.
35>ir 3lelteren enblid) mürben an einer ober Obpffee, ober on einem
25>erfe bed .^efiob, ben ^ödjften (iiennfg finben, fomit ben epifc^en Siebter
über 2tlle fetten. SlBem mirb nun bie .It'rone geboren? ®od) mobt bem,
mel(^em mir Sitten fie gufpreeben: benn nnfer (5l)aracter unb nnfer Urtbeil
ftebt an ©ebiegenbeit bod) über bem ber 3i»’Scoen" *).
25>er einen folcben ©runbfa^ b^idgutage geltenb gu mad)en nerfud)te,
ber fönnte fi^ in gemiffen Greifen etma ben ©brennamen eined „©e-
0 Plat. de leg. 1. 2. Steph. 658 a. Bip. vol. 8. p. 69
862
22a§ ber ©efd^mact fep.
fd)ma(f§tr)ra:men" üevbienen; jebenfallä roürben bie 'i^avtei be§ Jtafd^eii:
fpieterä unb bie ^reunbre ber [ic^ l^inter bem ^anon üerfc^anjen ;
De gustibus non est disputandum. „5)a§ finb ®efc^ma(f§fad^en,"
TDÜvben fie {freien, „unb über bie iü^t fi^ nid^t ftreiten, ba jeber
Oted^t." iyreilid^; roie au(| ber @)'et be§§eradit*) „D^ed^t ptte", roenn
er, um ju röä^len jinifi^en einen ^^aufen @olb unb einen ©ad uoö ge=
bacften @tro^§ geftettt, o§ne fi(^ lange ju be[innen ben Sel^teren für fidi)
in Slnfprnc^ nefimen, unb burd^ feine Sfrgumentation baf>in ju bringen
fepn mürbe, bem @oIbe ben 33or^ug ju geben, lieber „@efd^mad§fa(^en"
fü^t fidi) ja nicf)t bigputiren. Unterbeffen bejeidbnet .^ugo Sfair bie SSe?
■^auptung, baß e§ feine ^ödt)fte ''Jform be§ @efd)macfe§ gebe, unb barum
feber ©efdjmacf af§ gteidt) gut anerfannt roerben müffe, aB eine offenbar
roiberfinnige ®octrin**); i^ermann Sol^e aber ift ber ?[Reinung, ba§
3Iriom, „ba^ eben ber ©efi^mad oerfd)ieben", fep „ein elenber ©al^,
ber affe 2[eftl)etif unmögfid^ madbe"***). ®ie Se^tere barf fidf)
barum roof)f für berufen l^aften, baä 5Ipiom einer ißrüfung ju unterbieten.
©rftcö Kapitel.
UDas öer OSefttmadt fei).
©er „natiirlid)e" ©efebmad. jDer ©efebmaef „im eigentli(ben unb noflen ©inne
be§ 2Borte§"; ^Definition. ®er Sebtere ftübt fid) auf ben „abfofuten"
©efdjmad, unb bilbet barum juoerläfiige unb fiebere Urtbeile.
547. ^ür affe ©enüffe böb^^'^n Oiangeä, b. b- für jene beren ber
ÜJfenfdb nur oermöge feiner ®ernünftigfeit fähig ift, gibt e§ unter ben
fenfitioen ober oegetatioen ©enüffen feine geeignetere Sfnafogie, aB bas
Vergnügen, raefdbe§ bie 2®ei§beit unb bie Siebe ©otteä mit bem ©ebraueb
non ©peife unb 'Jranf oerbunben bat- ®ie b^ifige ©ebrift, roo fie oon
übernatürficben g-^^euben rebet, namentficb oon ber SBonne ber ©efigfeit
roefebe ben ?fiBerraäbften beftimmt ift, bebient fidb roieberboft biefe§
ißifbeS; au(^ ber ©obn @otte§ fefbft b^t e§ angemenbet (Suc. 22, 30).
^ene ©eite be§ nieberen ©rfenntnißoermögen? nun, roefebe junodbft bem
Ddenfdten bag bejeid)nete fenfitioe unb oegetatioe Vergnügen jugängfidb
modbt, ©efdbmad finn. roar fomit offenbar eine nabe
fiegenbe 9Jdetapber, roenn man, biefe§ SBort im übertragenen ©inne an=
roenbenb, ben 9famen „©efdbmacf" audb bem böberen ©rfenntniBoermögen
*) Sei 9triftotele§, Ethic. Nicom. 10. c. 5.
**) Blair, lect. 2. vol. 1. p. 31. (6it. 121.)
***) Solle, 86. (6it. 18.)
SBas ber @cf(^macf fep.
863
beilegte, infofern biejes uns in ben ^tanb fet^t, be§ nidjt me^v feniitiuen
ober oegetatioen @emifie§ jener ©rjdbeinungen ung 511 erfreuen, inetdie
fic^ bnrd) äft^^etifdjen 233 er empfebten. 2tod) eine roeitere 5)bürffid)t
liefje fid) für bie in 3lebe ftet)enbe nietapborifcbe 2(u5briicf§iüeife geltenb
mad)en. iDer ©efdnnactfinn ift eä junnd)ft, mit beffen 3öütfe ba§ ©innein
raefen, — nor Slltem jener '5ibeit biefer @attung bem bie 23ernunft ab;
gebt, — bie feinem Organiänut^ jutrügtidjen Stabrnngsmittel non benen
nnterf(^eibet , inetdje bemfetben fcbübUd) finb. ®er @enufi incldjeu ber
äftbetifdje 2i3ertb ber ®inge und geinäbrt, b^t nad) 3:boma§ non 2tquin
bie 23eftimmung, in nn§ bie £iebe ber inneren ©iitbeit, mitbin unfer inabres
253obt, gn förbern : e§ lag fotglid) abermals nabe, menn man bem böbeten
(rrtenntnifgoermögen , infofern eS uns üftbetifdjen 2Bertb non äftbetifi^em
Umnerttj gu unterfdbeiben befähigt, ben 2iamen „ber ©efcbmad" beitegte.
®em böb^ven ©rfenntnifioermögen, jagen mir. ®enn ber äftbetifdje
@ef(^macf ift in feiner 2Burgel unb feinem 2Sefen in ber J^b^i nid)tS
StnbereS, atS bie jebem 2Jfenfd)en eigene 2Sernunft. 20ian motte fid) beffen
erinnern, moS mir im erften 23ud)e gejagt haben. T^er 2)^enfd) ift „ner;
nünftig", infofern fein ©rfennen bnrd) bie immanbelbaren ©efetge ber
unerfd)offenen Vernunft mit Sfotbmenbigfeit beftimmt mirb, unb gugteid)
fein ©treben eine natürlid)e 9ii(^tnng bat auf baS pbbfifd) 23ottfommene
mie auf baS etbifd) ©nte* **)). ®iefe mefentticbe 2?efd)affenbeit feiner 9iatur
ift eS, metcbe it}n fähig mad)t für bie ©rfenntnip ber 2Babrbeit, unb
unter biefer 9füdfidjt gunäcbft mirb biefetbe baS höhere ©rfenntnifmer;
mögen genannt, ober bie ^atettigeng, ber 23erftanb, bie 2fernunft im
engeren ©inne beS 23orteS; fie ift eS gteicbfaltS, uermöge bereu ber
2Jfenfd) baS etbifcb @ate unb boS 23öfe nnterfcbeibet, unb fid) gu jenem
getrieben, oon biefem gurücfgebalten fübtt: unb unter biefer 2tüctfid)t er=
fcbeint fie atS baS moratifcbe ©efübt, atS baS ©emiffen; unb mieberum
fie ift eS, metd)e ihn in ben ©tanb fet^t, in ben ihm entgegentretenben
©rfcbeinungen äftbetifdben 2Bertb non äftl)etifi^em Unroertb gu unter;
fcbeiben, unb in bem ©rfteren feiner mürbigen ©enufg, an bem
22ti^falten gu fiuben: unb unter biefer ftfücffidjt führt fie ben 3tamen
„ber ©efcbmacf".
©S ift mithin biefeS 23ermögen, in bem augebeuteten ©inne gefaßt,
ein mefenttidjer 23orgug ber menf^tid)en 9tatur, nid)t minber alS ber
23erftanb ober baS ©emiffen. deinem 2[Renfd)en fehlt biefeS ober jener,
meit jeber 2JJenfd), nad) bem 2Serfe beS StratuS auS ©ilicien bett im
2treopag ber 2tpoftet beftätigte, eben bnrd) feine 23ernünftigf'eit „betn
©^efd)ted)te ©iotteS augehört" ) ; feinem 2Jicnfd)en fehlt — ihrem 23efen
*) Oben, 51. 41. ®. 63 ff.
**) ToO yoip v.at ysvo; i3;j.sv. Act. 17, 28.
864
Sffiaä ber ©efd^macf feg.
unb i^rer SBurjet nad^ — bie ^dl^igfeit für @vfenntni§ äftl^etifd^en
2Bert^c§ unb ben an fic^ fnnpfenben äft^etif^en @enu§, roeit jeber
flJienfc^, gteid^fallä burd^ [eine 3Sernünftigfeit, imd^ bem SGBorte be§ flJlapU
mu§ non Jprug „ber roefentiaften Ur[c|önf)etl nerroanbt" ift *).
„üiiemanb rounbere ftd^," [prid^t (Sraffuä in 6icero’§ brittem ®iafog
„lieber bie oratorif^e ißerebtfamleit", „roie e§ mögüd^ [ep, ba^ bie un=
unterrid^tete fUIenge ben fliumeruS be§ oratorifdEien 0tpl§ unb bie 3Ser=
[töfee gegen benfelben bead^tet. 2ßie überall, [o offenbart fidl) aud^ in
biefem 5|3unFte ba§ ^Balten ber S'Iatur in ber überrafd^enbften SBeife.
ißermöge eine§ unberou^ten @efül^I§, oi^ne fpülfe irgenb einer Äunft ober
roiffenf(^oftlid^en 5:i^eorie, unterfdlieibet alle SEBelt in ben SBerlen ber
Äünfte ba§ fRed^te unb ba§ ißerfe^rte; gilt ba§ fd^on oon ben ©rjeug^
niffen ber ^[Ralerei, ber 0culptur, unb ä^nlid^en Seiftungen, fo tritt eä
nodl) Dtel offenbarer ^eroor tdo e§ fid^ um ben SBo^lFlang ber 0pra(f)e,
um fUumeruä unb flRelobie ^anbelt. ®ie 2lnlage l^ierfür geprt ju jenen
i^orjügen, an benen bie -Ratur e§ Feinem fIRenfdfien l^at oollftänbig
mangeln laffen; fie allein berairFt, ba§ nid^t allein ber SBerl^ be§ 0a^=
baue§, fonbern aud^ ber ühimeruö unb bie fIRelobie oon Sillen empfunben
mirb. ®ie Slnmeifnngen ber X^eorte über biefe ®inge finb ja Faum
bem (?inen unb bem Slnberen beFannt: unb boc§ bebarf e§ nur be§ min=
beften Berftoßeg, einer SSerFürjung ober J)e^nung burd^ oerfel^lten SSor^
trag, unb man fie^t fofort ba§ ganje ^;^eaterpublicum bagegen (Sinfpra^e
t^nn . . SBunberbar! in bem roaä fie leiften, fte^t ber ©elelirte fo roeit
ab oon bem nidl)t Unterridbteten, unb roo e§ fid) um ba§ Urt^eil l^anbelt,
ift ber Unterfdf)ieb jroifdben beiben fo Flein!"**).
548. iRomentlid^ ben lepiten ©ebauFen ©cero’S barf man übrigenä
niclrt ju bnd^ftäblidb nelimen, fonft prt er auf, roa^r jn fepn. 9Ran
erinnere fid^ be§ @runbfa^e§, ben roir im Slnfange (0. 2 u. 7) ben „0o§n
be§ 0op^ronifcu§" bem arroganten 0opbiften au§ @lfe nal^elegen !^örten:
man müffe ni(^t über ben aft^etifd^en SBertb oon ©ingen entfd^eiben
rooUen, folange man nid^t roiffe, roorin ba§ SBefen ber 0d^ön^eit beftel^e.
2ßaä ber nid^t Unterrichtete mit bem roiffenfd^aftlidf) ©ebilbeten gemein
bat, baä ift bie SSernunft, unb in ibr, roie fdbon gefügt rourbe, ber @e=
fdbmacf feinem SBefen unb feiner SBurjel nad), bie Sin löge roeldbe nötbig
ift, um ben äftbetifdjen SBertb ber ©rfdbeinungen ju erFennen unb gu
beurtbeilen; ben „natür lieben ©efebmaef" Fönnten roir biefe allen
SRenfdben eigene Slnlage nennen. Stber jebe Slnlage ber menfdblidben
Statur bebarf ber ^)3flege, ber ©ntroicfelung unb SluSbilbung, roenn fie
ben 3™^^ beffen roillen fie oerlieben rourbe, ganj erfüllen foll. ®er
*) S'jyyevb? aÖTtjj tw ]\Iax. Tyr. Dissert. 27. al. 11. n. 8.
**) Cic. de or. 3. c. 50. n. 195. s.
'KaS ber @efd)macf fet;.
865
„natürüc^e" (:^ei(f)macf rairb feinesmegg im Staube i'ei)n, über beii äftl^c:
tifcben 25>ertt) tecbnifcfjer \?eiftimgen in alten gölten richtig ju entfc^eiben,
nnb beftiminte, jnDertn[3ige Ilrttjeite jn bitben, roenn er nicht bnrct) niet?
föttige Äenntniffe nnterftünt, bnrct) anhattenbe Uebnng gefdjnrft, bnrct)
grnnblid)e§ Gtnbium, fomobt ber roiftenfdbafttictien Jtjeorie ber entfpred)ein
ben Ä'unft at§ ctaf[ifcher Üfhifter, mit mähren feften ©rnnbföhen nu5=
geftattet i[t, bie feine 2tnffa[|ung ju teiten, feine Urtheite ju ftü^en, it)n
Dor äterirrung fid)er,?,nftetten geeignet finb. 5ba§ Sß?ort in feinem eigent=
ticben nnb Dotten Sinne gefaxt, tonnen mir mithin fo befiniren: „iDer
@efd)inacf ift bie bnrd) rid)tige mif fenf chafttid)e Xtjeorien
ber ü er fd)i ebenen Jl'nnfte geteitete, nnb bnrd) entfpred)enbe
Uebnng a n g g e b i t b e t e m e )t f ct) t i d) e iU r n n n f t , i n f o f e r n f i e
über ben äftt)etifd)en üloerth ted)iiif(^er ßeiftungen roahre
iDib fid)ere Urtheite ju bitben oermagd'
2t>enn )uir in biefer S'efinition ben t^^efdhmacf atg ein ißermbgen
anffaffen, )netd)eg jnnöd)ft ben ©rjengniffen ber fünfte gegenüber feine
ißebentung tjtU, fo )Uotten )oir bnmit nid)t in 3tbrebe ftetten, baf) auch
jene Urtheite )uetche bie Schönheit ober bie Erhabenheit non Sßerfen ber
üiatnr, 5. iB. einer Eiegenb, einer 3tugfid)t, eineg ipferbeg ober eineg
iBtenfchen betreffen, atg 3tenf3ernngen beg Eiefcbmocfg betradftet cnerben
fö)men. bürfte bod) nietteicht bag 35>ort in feinem erften nnb
nrfprünglid)en Sinne nur auf bie Seiftungen ber Jlün)'te ©ejiehnng haben,
nnb ber j)oeite Eiebrand) eine, freitich nahe tiegenbe Uebertragnng fepn;
anberfeitg h^i^ Stefthetif nid)t bie 3tufgabe, baffelbe roeiter atg in
jenem Sinne 511 berürffid)tigen.
549. 2ttg toabr nnb fid)er haben )oir bie Urtheite beg ®efd))nadg
in nnferer ^Definition bejeid)uet. 3tber ift eg gegrünbet, roetm mir fiir
biefetben biefe S)r>ei Eigenfcboften , objectiue SSahrbeit uttb ®e)üif3heit, in
Olnfprnch nehmen? fid) nm ben abfotuten äfthetifdjen SSertf)
ober U)m)erth einer Seiftung hanbett, bag heifd um bie grnge, ob fie
mirftid) ber 3tufgnbe ihrer Jl’nnft entfpred)e ober nicht, nnb ob fie eg in
beroorragenbem )öiaaf3e tt)ne, ober nur bag iprnbicat ber iDUttetmöpigfeit
uerbiene, — gnnj geroip.
29eber bie Ütatnr ber Schönheit nnb ber übrigen Etemente ang benen
fid) ber öfttjetifdje äDertt) eineg ©ingeg jufammenfetjt, nod) bie Statur ber
'ißermtnft nnb bie E^efammtbeit ber 2Dat)rheitcn ang benen fid) bie S5>iffen=
jehaft ber fchönen Äünfte baut, finb bag EEbilbe beg enbtid)en ©eifteg,
nnb barum, raie biefer, bem Sf9ed)fet, ber 3tenbernng, bem Sd)manfen
unterroorfen. Sie )Daren inggefammt, atg noct) feine enbtii^e iBernnnft
erfannte, atg eg anper bem Einen über Sttteg fd)önen nnb großen @eifte
nod) feinen E^eift gab , roetd)er fidj ber 3tnfd)annng ber Sdjönheit nnb
it)reg Eiennffeg freuen fo:mte. Unabhängig oon bem Urtheite bag mir
Sun g mann, 31eftf)etif. 2. 2[uf(. 55
866
2öa§ ber (?efd^macf fep.
‘3Ulenfd)en über fie fällen, ftnb barum bie S)tnge, raie raa'^r unb gut,
ebenfo and) fd^ön, infdfern fie mit ber lüefen’^nften 2Baf)r^eit, ©ut^eit,
©d^ön’^eit übereinftimmen ; unabfiängig non feber 2teufferung unfereS
@eifte§, befleißen bie ©efe^e nad^ benen äft^etif^er 2Bertt) fid) nti^t, in
ber en)igen 2Bei§^eit*). Sie, bie uner fc^ af f ene ißernunft, ift
ber abfolute ©efdf)mad. Unb roeit bie menfdi)Iid^e SSernunft al§ il§r
33ilb gefc^affen, mit itirem Sieget gejei(^net ift; roeit bie ©efe^e ber
eroigen S[öei§beit aud§ i^r eingefentt rourben at§ bie natürtidtie 3lorin
i^reä ©rfenneng unb ü^reä Strebeng; roeit ju atte bem in ben SGBat)rs
!§eiten ber Offenbarung bie ©e^eimniffe ©otteg nnb beg eroigen Sebeng
i^r aufgefd^toffen , in bem Sacramente ber SSiebergeburt bag Sid^t ber
übernatürtidben ©rfenntniff in fie auggegoffen roarb; barum bitbet fie für
bie Seurtbeitung beg äftbetifdjen SBertbeg tecf)nifdt)er ©rjengniffe bie
uertä^ige näct)fte ober unmittetbare dtorm. Oenn aug ben ifsrincipien
ber natürtidben ©rtenntni^ unb ben je entfpre(benben Söabrbeiten ber
übernatürtid)en Offenbarung entroicfetn fii^ bie objectinen, non ber fub=
jectioen tKeinung unb bem SL^ei^fet ber menfdbüdben Stnfdbaunngen ganj
unabbängigen ©runbfdbe, roetdbe ben ©efcbmad teiten unb beberrfdben,
nnb in ber Unterfdbeibung beg äftbetifdben SBertbeg ober Unroertbeg atg
bie notbroenbige, otterfeitg anjuerfennenbe !}U(btfdbnur ju getten baben.
Oaf; au(b bie SBabrbeiten ber übernatürticben Offenbarung atg
roefentticbe ©rnnbtage beg äftbetifdjen Urtbeitg tjeroorgeboben roerben,
bag ftimmt mit ber betrfcbenben Stnfcbauung, nach roetdber bie 3teftbetif
jur ifibitofopbie geböi^^/ freitidb nidbt febr überein. 2tber bie oberften
unter atten jlünften, bie retigiöfen, fteben unb fatten ja eben mit ber
Offenbarung. Unb mag bie profanen fünfte angebt, fo b^ben mir biefe
in bem djriftlidben ©uropa bodb junädbft in fofern ju berüdtficbtigen, atg
fie oon gebanbbabt roerben, unb für arbeiten.
?tuu gibt eg aber unter atten 2:bätigfeiten biefer 2trt nicht ©ine, roetdbe,
je nadb ibtet ©igentbümtidbfeit , oon beftimmten in ber Offenbarung ge=
gebenen ?iormen nidbt unabroeigbar berührt roürbe. Sßie tange fotten
roir benn nod) fortfabren, unfere 2tnfd)auungen ung oon einer Specutation
feftftetteu ju taffen, roetd)e ber Offenbarung oerneinenb gegenüberftebt ?
*) 3)tan »ergleicbe Aug. de vera relig. c. 32; roir f)abeu ben ©ebanfen
früher befprodfien: 9t. 125. ©. 165 f.
867
^apitcL
ÖJtiriii Mf groljc Öfi-fd)tc5fiil)fit öer ttftl)etifd)eii llrtljcile iljrfii
©ruiib l)nbe.
3)er @ejcf)inacf „im eigentlid}en @inne be§ Sföortes" finbet fidj unter beit
■OJenfc^eu äugerft feiten; iiberbted mivb ba§ llrtl)eil burd) bic IReigung
ftnrf Beeinflufd. 9tid)t ba§ Urt!§etl ber 2D7euge f)at fomit nie entfdjeibeub
511 gelten, fonbent feiied ber ^Berufenen ; “^pinto , 3lriftotcle§ , J’^omad uon
ülquin. 3n miefern e§ inbcft bod) eine Beredjtigte ®erfd)tebenl)eit ber
@cfd)mncfdrid)tungen gebe.
550. „'^Tandler ift fi^on geroefeit," fdtreibt Sa 23rüt)ere,
„raie Bet einer Diebe, Bei einer ninficalifdjen 5lnffil^rnng , ober in einer
@emälbegallerie , an feiner 0eite rec^t§ nnb linf§ I§inficl)tlid) (Sitter nnb
berfelBen Seiftung bie cinanber genau entgegengefeBten 3lnfid)ten laut
irmrben. ^dj inäre barum geneigt jn Beljaupten, inan biirfte fn^n in
3lrBeiten feber 3lrt ba§ (53nte nnb ba§ ®d)ted)te anBringen: ba§ (55nte
gefällt ben (Sitten, nnb ba§ @d)ledjte ben 9lnberen; ja matt roagt fanin
loenig nieljr, inenn inan ba§ inöglid) ©d)led)tefte anBringt, benn and)
biefeä I^at feine fyreunbe" *). SSenn ber (5)efd)inad, inie roir nadigetoiefen
Italien, in ber 3d)at für bie 93eurtl)eilung fnnftlerifd)er Seiftnngen eine
oBfectine jnoerläf3ige Diorin Bilbet, inie erflnrt fid) bann bie non Sn i8rüi)ere
ganj richtig c^aracterifirte Bunte fDinnnidjfaltigfeit ber 2lnfid)ten auf beni
@eBiete ber fünfte, bie 9jerfdjiebenl)eit ber einanber oft ganj nnb gar
entgegengefe^ten „äftljetifdjen SieBlfaBereien" ?
3nnäd^ft fönnten mir audj nnferfeitd eine f^'rnge ftellen. Unjmeifelljaft
Befugt bie inenfd^lidfe Vernunft 3llle§ ma§ fie Bebnrf, um in fragen, bie
bem ©eBiete ber nntürlic|en ©rfenntniß nngepren, mit ©idjerl)eit jn ent:
fd)eiben. SBoljer alfo feite 9Serfd)iebenl)eit ber 3lnfid)ten in fo inand)en ©ätten
ber DJietap’^dfif? roo^er bic noc^ gröftere DfRnnnidffaltigfeit ber DJieinnngen
in etl)if^en f^ragen, mo bie Befal^cnbe 3lntmort fo gut il)re 33ertl)eibiger
ju ^oBen pflegt inie bie nerneinenbe, nnb in ben ineiften gälten üBerbies
nod) eine britte Dtidjtnng jnr ißerfölputng ber ©egcnfä^ie iljre if:ujpotl)efen
nnb Unterfc^eibnngen geltenb inad)t? 5)er ©rnnb liegt 5itnäd)ft in nid)td
3lnberein, ot§ in ber (S'iibtid)feit nnb 33efd}ränftljeit ber ißerminft, mic fie
je in ben (Sinjetnen crfd)eint. ^n ben ©rnnbprincipien ftinimen 3llle
üBerein, and) bie näc^ften gotgernngen baraits pflegen feinen 95>iberfprnd)
311 finben; aBer mo e§ fid) um entferntere ©ebiictionen l)anbett, mo feinere
llnterft^iebe 311 Berndficl)tigen, meiter tiegenbe (SrgeBniffe 311 Benrtljeilen
*) La Bruyöre, Caract^res, chap. 12. (Paris 1845 p. 279.)
55*
868 2Serfd;ieben^eit bev äft^etifd^en Urt^cile uub i^re Urfad^en. |
finb, ba fe^ft e§ bem 2luge be§ inbiDtbuellen ®eifte§ pufig an jener
Schärfe, bie erforberUcp' loäre um ftar itnb [tdier ju felgen. 21elf)nltd)e§
Ite^e jidi offenbar and) in 9^ücfficf)t auf jene Urt^eiie fageu, raeicbe ben
äftfjetifc^en SSert!^ ber ®inge betreffen.
fvreilt(^ märe aber bamit gerabe biefen gegenüber oiel ju roenig
gefagt. ®er ®ef(^mact, ba§ roieber|oten mir auSbrücftic^ , bitbet bie
objectioe juoertä^ige itbrm für bie üft^etifd^e SBert^ung; aber ba§
©glimme ift, ba^ biefe iRorm dufjerft ÜBenigen ju @ebote fielet; baf^
bei roeitauä ben meiften ÜÜtenfc^en oon einem ©efcbmacf, ba§ StBort in
feinem ootten, im erfteu Äapitet befinirten ©inne genommen, gar nicE)t ^
bie ittebe fepn fann. ®ie ißernunft ift freitief) bie gemeinfame ÜJfitgift ,
3ttter: aber, mir §aben e§ febon bei^oorgeboben , nietjt at§ entroiefetteg ;
ißermögen bringt fie ber ©injetne mit ficb auf biefe CSrbe, fonbern aB .
eine Jlraft roetct)e ber ©utfattung, ber 2tu§bitbung, ber ÜSeroottfommnung ;
bebarf. ®ie 2tnfct)auungen über i]ßfticf)t unb tRetbt nun, foroie jene über
C^ott, itJfenfcb unb SSett, f)dben ihrer tffatur nai^, at§ in unmittetbarer
2?erbinbung mit bem uufereg ®afet)n§ fte^enb, bie böcbfte 33ebeu=
tung. ©ie nahmen be^h^tb mit tRecht non fet)er bie Stufmerffamfeit be§ ^
menfehtichen @eifte§ oorjugdroeife in ütnfprm^. ©ie mürben ju atten '
3eiten am eingehenbften behanbett, am genaueften beftimmt; unb bie @r= '
jiehung betrachtete e§ nothroenbig at§ ihre roefenttid)fte Stufgabe, in tftü(f=
ficht auf bie SBahrheiten ber ethifetjen unb ber metaphi)fifd)eu Orbnung
bem @eifte bie angemeffene Sludbilbung ju geben, ba§ retigiöfe ©efütjt 1
uor Stttem mit ©orgfatt ju pflegen, ba§ moratifche Urtheit nach SUfög= 3
iichteit ju fchürfen. ®er dfthetifche ©enujf fcheint, unmittetbar j
roeuigftenä unb untrennbar, mit feinem nothraenbigen jufammeu; j
juhangen; bag SSergnügen ift entbehrtich. 3f^ eä ein SSunber, roenn oon I
jeher bie SGBahrheiten metctie ba§ ©ebiet ber .fünfte beherrfchen, oiet |
roeniger SSerücffichtigung fanben? roenn bie ij^ftege unb Seitung ber 3}er= j
nunft auf biefer ©eite, bie Stugbilbung be§ ©efdhmad'eS, oernachtdhigt, •
ober jebenfattg at§ uuroiihtige 9febenfad)e beforgt roirb? ©o bteibt benn
biefelbe bei ben iDfeiften faft augfehtiehtibh bem guten ©tücf übertaffen.
fyreitidh bitbet fich , mit ber ©ntroictetuug ber übrigen Stntagen,
immerhin bennoch naturgemdh irgenb ein „©efehmaef'' : aber nicht buri^
grünbtiche ©inführung in bie Sehren einer richtigen Stefthetif, nicht burc^
ein jroecfmdfsig geteiteteä ©tubium ctaffifiher ©rjeugniffe unb entfprechenbe
Hebung, fonbern unter jufdttigen ©inftüffen ber uerfchiebenften Strt. 9Ran
erinnere fich btofj ©ettfamfeiten, um nicht ju fugen Ungeheuertichfeiten,
roetcf)e feit einem ^dh^^i^nbert bie im ©ienfte be§ 9fationati§mu§ , be§
ißantheismuä , ber S^erneinung unb be§ fyteifct)e§ ftehenbe ©pecutation
über bie ©^önheit unb bie fchönen fünfte ju ©age geförbert h^t;
berücffichtige bie oberftdchtiche, phrafenhafte, feichte, frioote, oietfad) burd)
®ie Sßerfdpiebm^eit bev aftr)eti)'d}cn Uvt^eite imb i^re Uv)ad;cu. 869
iinb biird) falfdje Äritif, in roefdjev ja^treidie ^agesblötter unb populäre
0d)vtfteii bie 5t)eoremc eben bie[er ©peculatiou bem großen '^^nblicnm
nutnbgered)t jn mad)en be[trebt finb ; man faffe bie älJerfe jelbft in§ 2tuge,
mit benen bie iöanfnnit bie öffentlidjen nnb bie ©traßen ber @täbte,
bie bilbenben fünfte jlirdien, 9Dhifeen nnb 5lu§fteIIungen, bie i|}oe[ie ben
Süd)ermarft nnb bie Seil)bib(iotl)efen gefüllt !^at: nnb bann nrt^eile man,
ob e§ benfbar ift, ba^ fid) bei mel)r al§ nußerft SBenigen malere nftl)e=
tifdie ®rnnbfä6e finben; baß biejenigen meldje mandier ©injetne gerettet
]^aben mag, anber§ al§ nnfidjer, fdtroanfenb, mit ^i^rnngen nnb 3Sor;
nrtl)eiten gemifd]t erfd)einen; fnrj, ob man nid)t @runb ^at, nod) ent-
fdjiebener bnnon übep^engt jn fepn, al§ nor jmei^unbert Sa 23rüpere
eg fepn fonnte, baß maßrer ©efdnnad „auf biefer Urbe nodt feltener
nortömmt al§ S)iamanlen nnb 'f^erlen" *).
3Sag in ber großen IDienge über äftlietifd^en SBertl) nnb Unmertf)
nrtßeilt, ba§ ift ßiernad) offenbar and) nicßt etroa ber früher ermähnte
„natürliche" ©efdjinad, bie non @ott bem .^errn einem gegebene
SSernunft, fonbern eine irregeleitete oon fatfd)en DJteinnngen beherrfd)te
Wnfdtannngsroeife. biefem erften ift min aber nod) ein roeitereg
‘DJ?oment in Dtedmnng ju bringen, bag fid) nid)t feiten für fid) allein
fd)on ftcirf genug erraeift, and) ben anggebilbeten, fonft nad) feften ®runb=
faßen urtbeilenben @efd)mad ber ©efaßr einer f^-älfd)nng angjnfeßen.
(fg ift eine atlbetnnnte 3:t)atfnd)e, baß nid)tg auf nnfer Urtl)cil einen fo
mächtigen (äinfluß angübt, roie nnfer 3Bo etnmg mit nuferen
9ieigungen übereinftimmt, ba überfel)en mir etronige DDiüngel überang
leid)t nnb gern; finb mir gegen eine ®nd)e eingenommen, fo reid)en oft
bie ftürlften ©rünbe nid)t l)in, nng jn ihren ©nnften 31t ftimrnen. „UBer
liebt," h^tßt eg bei Qnintilian, „ber fnnn über 0d)önheit nid)t nrtl)eilen,
meil bie £'iebe ißm bie Dingen fd)tießt." „®ag Urtl)eil ber Idebe ift
blinb," fagt in bemfelben Sinne ber heilige .^ieromnnng mit 'Iheopheaft
unb (Cicero; nnb Sheocrit:
e§ pflegt ja
Sd)ön ju finben gnr oft, mag gnr nid)t fd)ön ift, bie l'iebc.
5Ben nämli^en ©ebanfen roieberl)olen ^lorat nnb abermalg (Jicero 386).
Dhin fpielt aber bie inbioibnelle Dleignng bei ben 9)ienfd)en in 3)arin=
tionen ohne „^ahl. Dllter nnb ©efd)led)t, Slemperament , cH'lima nnb
9tal)rnng, Sebengroeife nnb 33efd)nftignng , önßere Dlerhältniffe unb per=
fönliche Scßidfale, ©rjiehnng, @erool)nl)eit, miffenfd)aftliche ®ilbnng,
Umgang, Cectüre, ererbte nnb erroorbenc etl)ifd)e IDorjüge nnb DoerfehrU
*) Apres l’esprit de discernement , ce qu’il y a au monde de plus rare,
ce sollt les diaraans et les perles. La Bruy^re, Caract^res, cliap. 12. (p. 296.)
870 23erfd^ieben^eit ber äft^etifd^en Urtl^eite unb if}re Urfad^en.
l^eiten, unb !§unbert anbere ?!)iomente noc|, roirfen auf bte ©eftattung
i^re§ ©emütp unb bie 9ti^tung i§re§ ^erjeuä iu ber oerfi^iebenartigfteu
SBeife ein, inad)en bem ©inen biefeg bem STnberen jenes lieb unb tl^euer.
Äann un§ ba bie enblofe 'iKannidfifaltigfeit ber Slnficfiten in f^ragen be§
©efc^tttadeS, bie 3etfa!^renl^eit in ber Senrt^eilung be§ äftfietifc^en Söert^eS
non Seiftungen ber .fünfte, nodl) rätlifet^aft norfommen?
3Sa§ junäc^ft bie intenfine Sebeutung ber ®inge betrifft, fo befit^en
mir um fie ju benrtlieilen, feinen abfoluten SJlaa^ftab: unfere ©c^ä^ung
ift immer relatin. O^ne beftimmte fefte ©runbfö^e, ofme geliörige SluS^
bilbung be§ ©eifteg burc^ ctaffifc^e iSinfter, roerben barum fleine ©eifter
2llle§ großartig, aufeerorbentUd), ergaben finben: beim Sllleg ift ja gröf3er
al§ fie felbft. O^ne ©runbfä^e, o^ne 23efanntfd)aft mit nollenbeten
ilJieifterraerfen, raerben befdjränfte Äöpfe 3tlle§ für gut, für nodfommen,
für eminent, für unübertrefflid) erftären: benn bte erbärmlichen 3^eale
bie fie au§ ihrem eigenen f^onbS f(^öpfen, finb leicht übertroffen. ®od>
ba§ finb an fid; nur irrige Urtheile über ba§ ÜRaap be§ dfthetifchen
3®erthe§; fühlbarer unb in fchlimmerer 2®eife mug fich ber ©influ^ ber
befproi^enen iDiomente gettenb machen, roo e§ fich ba§ Sßefen biefeS
25?erthe§ felbft hanbelt. ®ag einzige ilRerfmat ber ©c^önheit bag jeber=
mann fennt, befteht barin, bafj fie nng ein ©iegenftanb beS 3>ergnügeng
ift ; über bie übrigen haben bie ©elehrten felbft feit mehr alg 2000 ^ahven
geforfcht nnb geftritten. ^Der eine ber ©ophiften in i^tato’g „©orgiag"
ift ganj entjücft, ba ©ocrateg ihn auf ben ©ebanfen bringt, bag oietleicht
bie Slngenehmheit unb bie Idü^lichfeit bie jmei raefentlichen ©lemente ber
©fhönheit bilben*). 2öer roilt eg ber illlenge oerargen, loenn fie gteii^=
falls bei einem biefer iBierfmale flehen bleibt, nnb hie unb ba noch ©in^
jelne höchftenS ju bem bunflen ©efühle gelangen, bap jener ©ennjj ben
nnS bie ©fhönheit gemährt, fich '^it ber bloßen Slnfihauung oerbinbet?
©ine foldhe oage 2tuffaffung ber ©d)önheit ift thatfächlich burdhauS bie
gemöhnliche. ©ie bitbet aber ohne 3^eifet eine breite 33afiS, menn eg
gilt über „Stefthetif" ju philofophiren, unb ju bemeifen, bajj man ©inn
habe für „baS ©chöne" unb für „bie Äunft", Unter ben Singen „beren
3lnfdhauung unS ißergnügen macht", finb freilich ^i^ M
mahre ©chönheit auSjeidhuen; aber mie einzelne Siamanten in einem
.'öanfen unädhter ©teine. 2öer mirb, ohne nähere jlenntni^, bie Sezieren
nicht Dorjiehen, menn fie größer, farbiger, feiner gefchliffen finb? Ser
3rrthum erfcheint hier gerabeju als eine Siothmenbigfeit. Sem oon bem
natürlichen .*oange jum ißergnügen, ftatt oon ©trunbfähen, geleiteten
pfenbonpmen ©efchmacf mu^ unauSmeid)tid) jebe anbere 3lrt oon ©enüffen
uiel höher gelten, alS ber eble reine ©ienuf^ ber ©dhonheit ober ber ernfte
*) Fiat. Gorg. Steph. 475 a. Bip. vol. 4. p. 62.
®ie 33cvfd[;iebenl)cit ber äft^etifc^cn llvt^cile iiub i^re Urfarf;en.
871
(ä'tnbriuf bcr ©v^abcn^eit. ©icfer mte jener inerben für i^u uor ben
pifanteren Sleijeu ber Üteuffeit, be§ epnimenbeit, be§ '^tbenteuerüdfen, beg
(^•ürcf)terlic^en, nor ber 23efriebigung beä ^ßorinil^es, nor ber Slngeuelfinffeit
für 2tuge unb 01fr unb 5ßl^nnta]ie unb finnUc^e Urt^eilsfrnft , cor ber
31njie^ung§fraft uoit ©eenen ineldfe bem gejc^ledftlidfen fiiebe
©toff unb 91n|rnng bieten ober felbjt im Oienfte ber Ueppigfeit luirfen,
uor ber fpielenben Saft be§ SBil^eä enbüc^ unb ber ^ooiaütüt ber oiel=
geftaltigen Jtoniif, — jie merben jagen mir, bem pjenboiufmen ©ejdfinad
uor allen biejen niel mächtigeren Üteijen ganj oerjdfminben, nnb nidft ber
3?eadftnng mertlf erjdjeinen.
551. 25>ie in ben dtüdjicfiten bie mir angegeben Ifaben,
bie im Slnfnnge biejeä Kapitels gejtellte jyrage ihre uolle £öjnng finbet,
jo redftjertigen biejetben jngteidf ben Diatlf ben ©chiller gibt:
Ä'aimjt bii lüclft 3Itleu gefallen burdf beine üfnt unb bein Ä'unjtroerf,
'I1tnd)’ e§ ilfenigen redft; 9?ielen gefadeu ift jdfliinm.
Unb nidft minber liegt in ben nämlidfen dtüdjidften jomolfl ber (Jom=
mentar jn '^Unto’g dleflepion, mit meldfer mir biejen 21bjdfnitt eröffnet
haben, al§ bie 53egrünbnng be§ i)3rincip§, bad ber ©dfüler be§ ©ocrateS
bnrch biejelbe jn beleuchten beabjid)tigte. „@emöhnlidf If^ifd eä," jagt
ijJlato in jenem Oialog, „ber äjthetijdfe 2öerth einer fünjtlerijchen £eijtung
jeif nadf bem ®ergnügen jn benrtlfeilen, ba§ jie jn gemälfren jidf eignet.
Oieje iöteinnng ift bitrdfand nnjutäjfig, nnb allem gejnnben iüerjtanb
gnmiber: jie fann nicht anberS alg bn§ Urtlfeit irrejülfren.'' üindfbem
er bann biejen ©at^ bemiejen, jielft er ben ©dhtnjj: „Unb jo gebe beim
ondf idf jn, bajf bag 5>ergnügen ben iÖtaajjjtab bilbet für bie 33enrthei=
lang eineg Ännjtmerfeg, — nur nidft bag Vergnügen beg förjten Oejten.
Oag ift bie jdfönjte ü-tiuje, meldfe bie (f'blen nnb 3Serjtänbigen erfreut,
ober uielmelfr, melde einem U’injigen gefällt, ber bnrdf ©ngenb nnb (Sin;
jidft über Ütlle Iferoorrogt. lugenb, (5'injidft nnb fDUitl) jinb notlfmenbige
(J'igenjchajten beg ÜJianneg, ber über SK>erfe ber J^ünjte jn nrtlfeilcn höt^' ‘’O-
Oiejelbe ßehre jpridft ?lriftoteleg ang, nur allgemeiner; „Oag ffJtaajf aller
Oinge ift bie Ongenb , nnb ber @nte alg joldfer. ÜBnlfrer ©enujf ift
barnm, mag ber (inite bajür erflärt, nnb mnlfreg 33ergnügen, mag biejen
erfreut. 2öenn bejfnngeadftet ifJtandfer an bem t^ejallen finbet mag ber
(f'nUe oermirft, jo ift bag nidft jn oermnnbern. (5g gibt oiele niebrige
©eelen unter ben ÜJtenjdfen, nnb oiele oerbrehte jtöpje; mag bieje an=
genelfin finben, bag ift eg barnm nodf feinegmegg, anjfer etma für jie
nnb ilfreg (Sleidfen" *) **). Unb menn mir nng bag "j^rincip nodf burd)
*) Plat. de leg. 1. 2. Steph. 655 d. 658 e. Bip. 8. p. 64. 71.
**) Allst. Ethic. Niconi. 10. c. 5. vers. fin.
872 Serfc^ieben^eit ber äft!^ettld;cn Urt^eile unb i^re Urfadjen.
S^omag Don Stquin kftätigen laffen tüoüen: „SDa§ Urt^eil über ben
2Bert!^ ber Singe ^at ntan nidjt non ben J^oren gu nel^men, fonbern
non ben 3Ser[tänbtgen ; raie man ja auc§ in bein UrÜ^eii über ben @e=
fd)maif ber 3lal^rung§miltet fic^ nac!^ benen rid)ten mu^, bie einen gejunben
©ejc^mad ^aben" *).
SSietet barum bie Serounberung unb bie ©qmpat^ie ber iKenge nod)
feineSroegg eine junerlä^ige ©arantie für ben üft^etifd^en 2Sert^ irgenb
einer Seiftung, fo ift eg offenbar eben fo tnenig ein entfd)eibenber 33emeig
bagegen, raenn biefefbe ber iS7enge ni(^t jufagt. ©ie roeife eben bag
©rofie, bag ina^r§aft ©nie, bag SSortrefftic^e nid)t ju fdia^en, fie jiel^t
bog Äupfer bem ©olbe nor unb bie ©lagforaüen ben ifSerlen, menn jene
beffer gtänjen. 2luc^ bag ift einer ber ©rünbe, roe^^alb „aüeg ©ci^öne
fermer" ift; eg finbet feine 5tnerfennung , eg mup fid^ mü^fam SSa^n
bredien;
„3ft boc^", rufen fie nermeffen
„9?ii^t§ int SÖerfe, nidjts get(}au!"
. Unb ba§ ©rope reift inbeffen
©tiö bevnn.
(äg erfdjeint nun: nieinanb fiet)t eg,
Dtiemanb Ijört eg int ©efebrei.
93tit befd)eib’ner Trauer jiebt eg
©tiU DOvbei. (J-en^teräleben.)
„23rentano", f^rieb nor nidjt ganj nier 3^i^^S£i)>üen Don Gii^eiu
borff, „ift befannttid) nun fd)on feit mehreren fahren tobt; bie £eute
haben im Seben tnenig non ihm getnufü, nnb nach bem ©obe ihn fanm
nermif3t. Sag tnirb niemanben fonberlid; befremben, ber bag SSerhöttnif^
ber Sidjter 311 ben Leuten fennt. ©oethe mar tonge 3«^ unbefannt, ja
nerhöhnt, inahrenb Jlo^ebue unb Safontoine fforirten; Strnim ftanb ner;
legen auf bem 93ücherbrett (unb fteht unfereg Sßiffeng nodh ruhig bort),
inöhrenb fie fidh in ben Seihbibtiothefen um f^ouque riffen. ÜJtan fanu
non ben Seuten biüigermeife eben fo tnenig prütenbiren, bo^ fie poetif(^
fepn, atg b’a^ fie gefnnb fepn folten; fie hdüen ätnbereg ju thun, unb
mit ihrer eigenen ©eiftreidhigfeit 511 niet ju fdhaffen, unb ber buri^ bie
beftönbige (Juttur auggeroeibete £efe=9)tagen nertangt berbereg fyutter.
©dhon ©örreg bemerfte irgenbrao, bag gro^e i]}ubUcnm geberbe fidh roie
bag iDtantmuth in ben Urtnütbern ber '•^oefie: eg bridht unb fpattet fidh
unerfüttUch 9tinbe unb ©tamm jum täglidjen f^ra^, unb fdhnuppert int
®orüberftapfen faum an bem Shuneuftmufj, ben ihm bie 9Jtufe fdjüditern
*) Thom. S. 1. 2. p. q. 2. a. 1. ad 1. Cfr. q. 1. a. 7. c.
■Sie 2Serid;ieben^eit bev cifttjetifc^en Urt^eile unb i^re Urfad;cn.
873
unb non fern ju reichen nerfudit" * **)). 3^o^^) inäl^renb ber 9tegiernng§jett
(Sarlä II. , in einer ‘iperiobe bie firf) , mag bie Slüte ber diünfte betrifft,
ber 3«it beg Stnguftug gteicbftetten ju bürfen glaubte, fanb in ©nglanb
nictjtg Seifatt, als mag affectirte, geiftreid) ju fet)n nnb ju gtänjen. ®ie
einfache ©rljabenl^eit iöiittong mnrbe nidjt nerftanben, unb „®ag uer=
lorne iparabieg" btieb unbeai^tet, raöl^renb man bie unnatürlidjen unb
gef^raubten ßonceptionen (5orotei)’§ alg bie roafire Quinteffenj beg ©enie’g
berounberte; ©c^riftftetler roie ©ucfting unb ©ttjeribge ftanben roegen
i^rer bramatifdjen 5trbeiten in tiotjcm 5tnfel)en, in ©tjafefpeare bagegen
fa^ man einen betrunfenen SBilbeu*"*").
552. ®ag finben mir nun non bcm 2tpiom, bag „ber @efd)matf
nerfd)ieben", bafj „über @efd)macffad)en fid) nidjt ftreiten taffe", auf
©ruub ber gegebenen (^rftärungen jn Ratten? ^^iftorifd), unb atg 2tug=
brud tt)atfädjtid)er 3iiftdnbe, ift ber ©al5 nottfommen inat)r. O^ne 23e=
griffe, ot)ne ©runbfät^e bie auf beiben ©eiten feftftetjen, ift über ftreitige
g-ragen feine (Srörternng mögtidj, bei ber fid) irgenb ein tRefultnt l^offen
Iief3e. 2Bir t)aben aber gefetjen, bap 23egriffe unb ©rnnbfüt^e auf bem
öftl^etif^en ©ebiete meitaug ben meiften ÜRenfd)en abge^en. ©tede
nertritt bie 9ieignng, metdje ja otinebieg bag '^Hünitegium befit^, alte
©rünbe ignorireu 511 bürfen.
2I>o hingegen bie nftt)etifd)e llrtt)eitgfraft grünbtidh auggebilbet unb
ber 23licf für üftbetifdien SÖJertf) geübt ift, ba taffen fid) ganj geinif) bie
tßorjüge unb bie iBIänget, ber 2S>ertI) ober ber Umnertt) einer l'ei)'tung
bur(^ überjeugenbe ©rünbe nad)meifen , uid)t minber atg ber ethifche
25>erth einer .f>anbtung, ober bie t)iftorifd)e S5>at)rt)eit einer S:t)atfache.
Unb roenu eg immer ''Dtaiu^e geben inirb bie eine jTritif biefer 2lrt
jurücfroeifen, unb für feine ©rünbe ein Ot)r haben, fo tiefem bief^ ba=
bur^ mir ben 23eroeig, nid)t, bap fid) über ben ©efd)marf, fonbern nur,
baf) fidh mit ber ©efd)inacftofigfeit nid)t ftreiten tiifjt.
©inen if^unft müffen mir inbep, um nid)t mipuerftanbeu 311 merben,
nod) hei‘öort)eben ; angebeutet mürbe berfetbe fd)on.
2lriom nad) metd)em, mo eg fid) um äftt)etifd)e 9i>ertt)ung hdiibett, jebeg
Urtheit bie gteiche 23ered)tigu)ig hätte, unter ben auggefprod)e)ten näheren
tBeftimmungen für unmat)r erftären, hdben mir hierbei 5iinäd)ft ben ab=
fo tuten 2Bertt) fünftterifd)er ©rjeuguiffe im 2tuge. 9Iämtid) ob eine
beftimmte Seiftung getungen fei) ober nid)t, ob fie höh^'b ctaffifd)en SBerth
habe ober nur geringen, bng täf)t fid) burd) unmiberfpred)tid)e ©rünbe
feftftetten. ©in ganj anberartigeg Xh^'da ber ©rörternng ift aber bie
*) Gtihcnborff, lieber bie etf)il’d)e unb retigiöfe 33ebeutimg ber neueren rotnan;
tii'ehen ipoefie in 5)eutid;(anb (Seipüg 1847) (£. 162 f.
**) Blair, lect. 2. p. 30. (Git. 121.) 33gl. i>pt.=poI. iStätter, 25b. 62. 0. 932.
874
®ie 3Ser)d^ieben!^eit ber äfi^enfcCjen Urt^eile imb i^re UtfacCjen.
3SergIeid}ung dou sroet ober mehreren ^unftroerfen unter ehianber,
bie i^rem roefentüc^en SBett^e nad) me^r ober roeuiger auf berfelbeu Stufe
ftel^en. ®ie Steneibe SStrgiB uub bie ©efäuge .^omerg finb beibe ctoffifd^e
ßeiftungen ber epifc^en ipoefie; unter ben dtid^tuugen ber retigiöfeu 2Irc^U
tectur !§at foiool^I ber Safitifenftpl, al§ bie romauifc^e uub bie gott)ifd)e
^unft, ©ottegpufer gefdjaffeu, roetc^e i^reu 3^öed in oottem iUiaafee
erfüllen, uub beuen, fe in i^rer 2lrt, lieroorrageube Sc^önl^eit uid)t ab=
gefproi^eu roerbeu lann. Ob nun §onter mit feiner natürlichen ©infad)=
heit, ©ro^heit unb Äraft heilet flehe, ober 23irgil mit feiner ffieiuheit
unb ber glaujeubereu Schönheit feiner Oarftettuug; ob bie feelenootte
3artheit in ben ißitbern eineg Ooerbed, eineg f^ra 2lngelico mehr 2lm
erfennnng ju beanfprucheu hebe, ober bie ©nergie unb bie Stürfe beg
©eifteg roeldje ©orneüug in feine ©emälbe gelegt heli ob eine fchöne
23afilica ober ein gothifd)er Oom, ober eine romanifthe ©athebrale, ob
bie franjofifd)e ©othif ober bie bentfehe, ben 95orjug oerbiene: bog finb
g-ragen, hiefiditlid) berer man oerfchiebener ÜUeinnng fepn fann, tueil
feine ber oerfchiebenen ihnen gegenüber möglidhen Slnfichten mit einer
2Bahrheit ber natürlid)en ©rfenntiÜB ober ber Offenbornng in Söiberfprud)
tritt, unb eg barum entf^eibenbe Dtüdfichten nidjt gibt, auf ©rnnb bereu
fid) bie augfdhlieBlidie 23ered)tignng ber einen oor ben anberen nnroiber-
fprcd)lich nachraeifen ließe.
3htent 25>efen nach ift bie Si^onheit einer ©rfdjeinung bereu that=
fäd)lid)e Uebereinftimmung mit bem oernünftigen ©eifte,
infofern fie burd) biefe bemfelben ©egenftonb beg ©ennffeg gu fepn fid)
eignet (iH. 111. S. 150). Oer oernünftige ©leift ift aber nidjt ein
fo fleineg, nnbebentenbeg, gehaltlofeg Oing, baf) bie ?Dföglid)feit ber
Uebereinftimmung mit ihm bnreh eine einjige Sßeife fol(her Uebereinftim=
mnng fd)on erfd)öpft feijn fönnte: er ift fa bag ülachbilb ber eroigen
ifteigheit, ber „in fief) ©inen unb äugleiCh enblog oielgeftaltigen unb
beioeglidjen iBceifterin aller Oinge" (SBeigh. 7, 21 f.). 2öie barum in
ber enblofen Äette ber 3Befen bie rairfli(^ finb unb bie alg roirflid)
fepenb gebadht roerbeu fönnen, ein febeg mit il)r in thotfäi^licher Hebers
einftimmnng fteht, unb babur(^ feinen Oheil wahrer Schönheit befit^t: in
gleid)er Söeife ift anCh bie fchaffenbe Äraft beg ©eifteg reich genug, um
bie ©ine Slufgnbe einer beftimmten Äunft auf oerfChiebenen Söegen fe
mit entfpreChenber SSoUfommenheit 311 löfen. Oie erfte loie bie jroeite
foldjer iiöfnngen roirb, roie ihre 2Sorjüge, fo immer ond) ihre ÜUCängel
haben; beim bag iöfangeltofe fdjafft ©ott allein, ang ber l^anb beg
OJfenfdjen fann eg nicht heroorgehen. 3e nad)bem nun unter ben Ißeurs
theilern ber eine, feiner fubfectioen ©igenheit nach, öie SSorjüge ber erften
ßöfnng höher fChüht olg bie ber jioeiten, nnb ihre iBfüngel geringer
finbet, — ioäl)renb bem anberen nmgcfchrt bie ?07änget ber jmeiten uns
®ie 2Scrld;iebent)cit ber aft^etifc^en Uvt^eilc unb i{)re Uvfad^en. 875
bebeittenbev eijrfjeiiien unb i^re ißorjüge raertl)üol(er : uüvb bev Se^tcre
fid) jii ©iiniteii eben biefer jineiten Söfung entfc^eiben, aber baburd) nid)t
bevecJ^tigt fevjn, ienem roe(d)ev ber evften ben 5]3reiö snerfennt, bie 23efugni[3
l^terju ftveitig ju inad)en. ,,6'S gibt in ber i)iatur feine @nttnng non
Singen/' fjeigt es bei ^'icero, „bie nii^t eine ^iilfe unter fid) nerfd)iebener
(Jrl^einnngen ninfailte, non benen bod) eine jebe in gteid)em iDfaaile uor;
jngüd) ift . . Siefer @ebanfe finbet feine ütninenbiing and) auf bie jlnnfte.
Sie Sentptnr ift mir eine einjige; Utpro, i|?ott)ciet, ^pfippnö l^aben fidf
in berfefben f)ernorgett)an ; feber non biefen f)at ben Stnberen gegenüber
feine nur eigentf)innlid)e SBeife: nnb bod) inünfd)t inan bei deinem,
bap er anberd innre. (S§ gibt mir Gine 3J?a(erei, mir (pine J^eorie
biefer Äunft; 2fgtaopf)on, 2fpeIIe§ finb unter fid) überaug ner=
fd)ieben: nnb bennod) ift es, a(g ob Äeinein non ifjnen cm ber 2?otIen=
billig etinag abginge. Unb ineiin biefe S;^tfad)e nn§ inunberbar nor=
föiiiint bei biefen geinifferinafien ftnininen Ännften, nnb bennod) ina^r
bleibt: um inieniel raiinberbarer iniifi fie nn§ bei ben rcbenben Äünften
crfd)einen! Sie bef)nnbeln ben näinUd)en /s'^balt, nnb bebienen fidf babei
ber näinlid)en 2©örter; nnb bodj tritt nng in if)ren ?eiftimgen bie auf=
fnltenbfte i'erfcbiebenartigfeit entgegen; nid)t fo , at§ ob ber eine Sbeil
ber 'Ifteifter jn tabeln märe, fonbern in ber SBeife, baf5 bei ©oldjen bie
adgeineinc 2tnerfennnng geniefien, e§ bod) immer nerfd)iebenartige Sor,5Üge
finb, auf ineld)e biefelbe fid) grünbet" *).
StblieBen mir mit ©ebaiifen bie jünger finb. Sie gotf)ifd)e 2Xrd)U
teetnr gegen nerfebiebene, namenttid) non If/übfd) iniber fie erhobene Sor=
inürfe nertheibigenb, fömmt and) Soi^e auf ben Sat^ non bem mir reben :
bap e§ nämlid) eine bercd)tigte iUerfcbiebcnfieit ber @efd)iiindgrid)tnngen
gebe, „bereu eine ber anberen fdj(ed)tf)in nnd)jufe(5en , ein fyel)(er ber
ü|’thetifd)en Sfjeorie fepn mürbe. SUerfd)iebene ©emütber nnb nerfdjiebene
Zeitalter", — unb iiid)t minber nerfdjiebene 9iatioiien, — „benorjngen
ftetS benjenigen ollgemeinen fs'm'mdiaracter, ineld)er bem non ihnen befon=
bers nerehrten ^^5 fittlid)en entfprid)t, ober mn^ bem ent=
gegengefeh.ten , in beffen (J-rfültnng fie fid) norjnggmeife fchmad) fühlen.
(Shöoactere meldje ba§ ©iite faft mir unter ber 'fyorin ber ®ered)tigfeit
nnb (ponfeqneiiä fennen, neigen and) in ber ilniift oft ju ben ftrengen,
harten nnb fnappen , formen; aber eben fo oft gefallen fie fid) hie^'
ermartet in einer 2?orliebe für jerflieffenbe Sßeid)heit, ber fie im £'eben
gaiij fremb finb. Unb fo fehen mir gciiiä allgemein in i)ilUifif, ©culptnr,
iBaufnnft unb ipoefie Sölfer nbmedffetn mit ber einfeitigen
Sorliebe für ba§ q/erbe nnb iDiagere ober für ba§ Satte nnb 'Solle,
für bie ruhige unb nollftünbige Siotioirnng ober für bie djaracteriftifdie
*) Cie. de or. 3. c. 7. ii. 25 — 27.
876
0C^[u|.
Ueberrafc^ung , für ba§ §arte unb ©(^arfgejeic^uete ober für ba§ 2]er=
f^raebenbe unb 2tf)nung6i?olIe. kleiner biefer aügemetnen ^orm^aractere
ift fo auäfi^fie^ft^ fct)ön, baß fein @egentfieil unfc^ön roare; jeber beutet
für fi(^ auf ©neu ©ut^eit !^in, bie in altem ©ü)önen jur @r=
fd)einung fommen fotl, unb löfft feinem ©egenfal^ bie Slufgabe, auf einen
anberen 3itS ©rgänsung fiinjuroeifen" *).
„(Sä Toäre ein ©lücf für bie fünfte/' fagt Cluintilian, unb nac^
if)m ber !^eilige ^ieronijmus unb ber (Sarbinal 23ona, „roenn über bie
Seiftungen berfelben allein bie fSReifter urt^eilten" **). 2lntimac^u§ , ber
®i(^ter auä (Slaroä in Sonie»/ «nft oor einer ja^lreid^en ißerfamm;
lung ein grof3e§ ©ebid)t, bie f^^rudit feiner ÜlJiufe. f)lad) unb nac^ gingen,
raafirenb er tag, alte3npner baoon; nur ipiato blieb fi^en. fat)ve
benuoö) fort, ju lefen," fagte ber ®icl)ter; „ifStato atleiu gilt mir fooiel,
roie alte biefe Saufenbe mit eiuanber." ©cero, ber biefen 3^9
bemerft, baß 2lntimai^ug 9le(^t §atte: „bcnn eine ^o^e ©i^tung mu^
fic^ bie ©ut^eißung SBeniger fid)ern" ***). ^n^^B ^lünfrler finb
feiten, raetcbe ©eift unb iBiut§ genug befi^en, baä Seifpiet beä 'üJianneg
aug (Slarog uai^jua^men. ®er flJleifteu l)öcl)fteg 3^^^ 23eifatt beg
„gebilbeteu ^fSublicumg", bie 33erouuberuug ber äftl)etifirenben fc^öugeiftigen
föfenge; eben barum pflegen fie bie „neibifi^e, eng^erjige, pebantifc^e"
Äritil ju perl)orrefciren. fifreilicl) gibt eg eine unberufene Äritif, jener
ganj ü^ntid) roeld)e 3lpetteg einft juredjtraieg , bie beffer tpte junö(^ft
i§re äiollmac^ten ju prüfen, unb i^re eigenen ©rnnbfät^e ber jlritif ju
unterbieten. 5lber, um mit ^')ugo Sßtair ju reben, eg gibt aud) einen
groffen Raufen, ber jebem ^nrlictt nactlüuft, ber fid) oon bem falfdien
©ctimmer einer coquetten ©leganb unb non bunten fyarben blenben lüf3t,
ber „ifsangfpringen für Uleolgliarfen t^lt, unb ©ebrauteg für äd)ten
SBein" f)- ber günftigen Slufnatme i§rer -fSrobucte auf biefer ©eite
geraiß gu fepn, bürfeu bie fünfte nur „mit ben SBölfen teulen'^ b. t-
ben Seibenfd)aften fd)meictelu, bie ^ntereffeu beg Xageg ju ben irrigen
madien, bem „3eitgeift" in aller Unterroürfigfeit bie ©d^leppe tragen.
©0 roerben fie ficter „gefolten" : betnbare Slpiom,
baf3 2llleg fct^n ift gefällt. Sarin liegt ber eine ©runb beg ©im
*) 'Jtac§ Solje, 0. 537. (6it. 18.)
Felices artes, si de iis soll artifices iudicarent. Quint, ap. Io. Bona,
Rer. liturgicar. libri duo, Monitio.
***) Cic. Brut. c. 51. n. 191.
t) ®gl. 0id;tungen üon 3o^aune§ 0cC;rott, „0ev ®id)tev".
<Sc^(u^.
877
tTu[fe§, lüeldjen in allen '^erioben ber @ei[t ber 3^'^/ jebeginaligc
6^avacter be§ öffentUd)en Sebenä, anf bte l‘d)önen Jlünfte geübt bat:
obsequium amicos , veritas odium parit. ®er Äünftlev i[t gnnäi^ft
für feine ^^itgcnoffen ttjätig; mag liegt ibm näher at§ bie i^erfndbung,
ancb feinerfeitä ben ©öt^en jn opfern bie jene gerabe anbeten, nnb, ftatt
3bea(e ju üertjerrUcben für raetd)e bie ?07enge feinen ©inn bc^f/
i)}htfe natf) ben iöfeinungen be§ Jages jn breffiren?
Stber nüicbtiger noch, infofern e§ ancb S^üen üöitfen feiten nnb
nur jnm ©b^^f b'^^’ feinen ©inflnf? jn paralpfiren, roirft ber
©eift be§ ^ab^'bnnbertg auf bie Jbünfte non einer anberen ©eite. 2öir
haben biefelbe fcljon einmal berührt. ®er Äünftler mag fidb bnrcb feine
©cböpfnngen über feine 3eifsenoffen erbeben, er ift bod) gleich biefen ein
Äinb feiner 3eit- ®ie pbilofopbifcben 9Infd)aunngen nnb bie etbifcben
©rnnbfä^e meld)en bie geistere hnlbigt, roerben mehr ober minber and)
ihn beberrfdjen; bie 23egeifternng eineä fircblicben gebend in bem er anf:
roäcbft, bad ihn anf allen ©eiten umgibt, mirb and) feinem .*perjen non
ihrer Äraft nnb ihrer 2gärme mittbeilen: bie moralifdje ©tnmpfbeit, ber
3nbifferentidmnd nnb bie religiöfe Äälte bed ^nh^hnnbertd, and) in feiner
©eele bie Äeime bed ©ropen nnb ©nten nnb ©d)önen frübjeitig tobten,
ober nerfümmern laffen. 9hir feltene ©eiftcr finb fo glücflid), eine felb=
ftänbige ©ntroidelung jn uoUetiben, nnb ihre 3^'t fortjnreipen ftatt non
ihrer ©trömung fortgeriffen jn roerben. 9tm ©efd)inacf nnb an ben
3bealen h^ngt bad ügefen ber fünfte. 9hm finb aber beibe in bem
Zünftler nid)td 9fnbered ald bad ©rjengnif^ feined eigene): intellectnetlen,
ethifi^en nnb retigiöfen gebend, beffen nntürlid)e fyrnd)t. ®ad Urttjeil
nnb bie Dfeignng, bie ©rfenntnijj nnb bie giebe finb ed, )oeId)e be:i ©e=
fehmnef beftimmen; ber ©eift erjengt bie ©emüthe roerben fie
empfangen nnb jnr nollen Steife andgebilbet. ilann bie 7vrnd)t bie Statur
bed ©amend nerlängnen and bem fie hernorgeht, bed 93obend auf bem
fie gebeiht?
Sluguft Steid)endperger h^f barnm nollfommen Stecht: „®ie ilunft:
Übung ift mit nid)ten eine ifoürte S:hätigfeit; bie Äimft, ald ©anjed
goiommen, ift jn feiner 3cit bad S^robiict einjelner ^i'binibnen; in ihrem
tiefften ©runbe fchlingen nielmehr bie Sinr^eln aller 9?erhä(tniffe nnb
Stid)tungen fich in cinanber, )ne(d)e bie betreffenbe ^g^eriobe überhaupt
bebingen nnb d)aracterifiren" *). llnb and biefem ©rnnbe ift in ber
ihaf //bie .ftunft eined SSoIfed ber feiner fittlidjen v^öhe. Sgenn
©tomme nnb 3£ilräume ju verfallen beginnen, fo jeigen fid) bie ©puren
faft eher in ber Äunft, ald in ber ©itte fetber. 5}ie Ä'nnft, ber man
ald ber gefälligen jyrennbin feine tiefften ©efühle annertrant, planbert
*) 3t. Steichensperger, S. 60. ((Eit. 372.)
878
0d^tu^.
bte innere Serborben’^eit auä; roer fi(^ jc^eut feine ®ünbe jn gefte^en,
gefte'^t fie in bem raaS^il^Tn gefällt: unb roenn aud^ im beginne beä
®erberben§ ein foIcbe§ Sßolf nod) ^o'^e unb er'^abene ©eftatten fc^affen
mit! , fo beftecft e§ biefetben bod) immer o^ne SBiffen mit ber i^m inne=
TOO^nenben 35erfunfen^eit. ®ie reine, flare, einfältige ^unft prt auf,
bie ruhige ©c^ön^eit nerfct)roinbet. iOian fängt mit bem ©c^eine an, unb
meit man mit bem ©ctieine ba§ Sßefen ju bemeifen glaubt, fo fud^t man
ben ©d^ein redjt ^u ftärfen um beu 23eroei§ ju ftärfen, unb bringt bie
Ueberlabnng : foroie bie 25^a^r!§eit ftetä einfadf) ift, bie Süge bagegen über:
treibt. 93aufunft fömmt bie ©d^roülftigfeit, ber 3iei'l)etttt>uft, bie
3rae(ftofigf'eit unb Unorbnung; in ber iHtufif ber 3:ontärm unb ©innen:
jauber; in ber ipoefie anfangs bie if3'^rafe, unb bann bie ^alttofigfeit.
iÖian roeife nid)t, an raaS im ÜRenfd^en man fid^ ^u menben !^abe; man
rebet ju aüeii ©eroalten in itim, nur ju bem @otte nid^t ber aCfein be:
fetigen faun; mau medt ©i^auer, iReugierbe, ©direcf, if^ein, aCteS ilRög:
UdE)e, uub oor 2tdem bie Seibenfc^aft; enbtidj mirb Seibenfd^aft unb 2lffect
alleiniger 3n^2d, man be'^anbett fotdfie atS an fid^ fd)ön, unb fe^t gute^t
baS Safter fdbted^tmeg auf ben St^ron" *).
3n ben ©täbten ©ried^eutanbS nerfiel bie iöhifif, nad^ ©cero, ber
Ueppigfeit unb ber Korruption genau ju berfelben 3^^^ £'eben
bie alte ©trenge non ber Unfitte oerbrängt mürbe**). ®ionpfiuS Som
ginuS füt)rt am ©d^Iuffe feiner 2tb!^anblung „lieber bie Kr'^aben^eit"
fdjioere Älage über bie moralifdbe SSerfunfen'^eit feiner roel^e ade
©ropartigfeit unb alle ^ol;e ©djön^eit in ben SBerfen ber rebenben fünfte
unmöglid) madie. „®ie unerfättlid^e Kier nadl) ißefil^ unb @euu^, an
ber mir inSgefammt franf liegen, plt unS gefeffelt raie ©flauen, brüdft
mit eiferner .^anb auf uu§ uub unfer ganjeS Seben. ©)enn nid^tS gie^t
bas .'perj enger jufammen alS bie Siebe jum @elbe, nid^tS erniebrigt tiefer
ben @eift als bie ©enufffudit . . . 2Bo bie ilRenfdli'^eit einmal anfängt
bie roa'^re ©ugenb nid^t meljr ju pflegen, unb nur baS ^od^jufd^ä^en
maS irbif(^ ift unb oergänglid^ , ba muff nof^roenbig aUe geiftige .ftraft
uertrodfnen , ade i))0(d^eräigfeit unb ader 2lbel ber ©efinnung oerädljtliid
roerben. ©in beftoi^ener 9lid)ter ift unfällig, ber Söa'^r'^eit gemäß fein
llrtlieil ju fäden ; er roirb nur baS für geredfit erflären, roaS i^m nü^lid^
ift. Unfer ganjeS Seben, ade unfere ©ebanfen unb SSeftrebungen, fte^^en
im SDienfte ber .s)^abfud^t. ilRan finnt auf nidfitS 2lubereS, alS etroa raie
*) 2lba(bei't ©tifter, Sevmifdit^ ©driften (ißeftb 1869) 58b. 1. ©. 315.
SDiefer erfte 33anb „wiegt ganje gro^e Sänbe moberner üleftbetif auf, unb Der=
bient in tOtandem gerabejn bem Merbeften ma§ in unferer 3rit über Äunft ge=
fdrieben roovben, an bie ©eite gefept 311 roerben". .f>ift.:pot. 33Iätter, Sb. 68. ©. 434.
**) Cic. de legibus 2. c. 15. n. 38.
©d;tu^.
879
man Ijier ben eine§ 9U'td)eu beidjleunigeit , bort 51t feinen ©nnften
ein Jeftmnent fäljc^en, bei einer brüten ©etegenfieit einen fd)innd)noöen
©eiuinn an fid) bringen fann nin ben i]!>rei§ feiner eigenen @eete. SBo
in biefer 2Seife bie gefnnnnte ©efeltfdjaft uerpeftet ift, tann man ba nod)
ijoffen freie ©eifter 511 finben, iDiänner non nngefälfd^tem ©efdjiimd,
ineldje ©inn l)abcn für bad ina§ inat;rt)aft grof3 ift nnb ber 3iüiinft
mertf)?"* **)) 5Denfelben Ärcb§fd)aben ber ©efeltfdfaft, al§ ba§ nnnber=
ininblid)e .'öiubernip febeg 9lnfblnl)end einer äd)ten ipoefie, Ijatte met)r al§
äineü^nnbert ffütjer bereits in feinen greifen i^'^raj nnfgebedt:
©en ©ricdfen, f^i'ennbc, (immer tomm’ id) mieber
auf bic§ 3uritd,) ben @ried)cii gab bie tOhife
jugleid) @cnie unb fcine§ Äunfttgcfübl,
bie @abe ber (Jmpfinbung unb be§ fd)önen
runbcn 9(uSbnufS; aber it)re ©eetcii fmmteu aud)
fouft teinen @eij nbS ben und) 9tul)m
©er dWmer lernt non Ä'inbeSbeincn nn
ba§ 91s in l)nnbert 'Jl)cile tl)eilen. Stuft,
jnr 9orobe, nur ben fleincn ©ol)u beS SBedjSlerS
9tlbinn5 ber, nnb fragt it)n anS. ,,©ic i^iilfte
non einem balben ©ulbcn abgejogen,
inao bleibt?" Gi, fpridjt er lad)enb, ina§ inirb bleiben?
fünf ©rofdjen! — „93raner 3^^r
inirb fein Vermögen nid)t nergenben! — ■ Unb
jnm balbcn ©nlben nod) bie fünf
bin5ngetl}an, mad)t — ?" — (Jinen l)alben Itbiiler. —
iüie? nnb non ©eelen, bie mit biefem Stoft
ber §nbfnclit einmal überzogen finb,
ennarten mir @ebid)te, bie nor 99totten
nennabrt jn mcrbcn je nerbienen tonnten? 387)
©erabe fo mürben fic gerebet bnben, ber Siöntifdje ©id)ter mie ber
nenplatonifdie tf^bÜDfopf) mib Sibetor nnS 9ltben, bütten fie nnfere
nor fi(^ geljabt.
Jap baS Sciern, lag baS Ät'limpern,
© e§ fdjafft bir inenig ©olbeS:
93eff’re§ Ä'lingen, bcfteS Ä'lingen
©djcint ba§ ytlingcn mir beß ©olbeS.
Unb bie eigne i^aut 51: pflegen
3ft nor 9lllem mir bn§ (Srfte;
*) Dion. Longin. De snblimitate, sect. 44.
**) SBät;rcnb jene§ 3eitranmc§, ba ©riedbenlanb inabrbaft gvo^e Äöpfe ber»
norbradbte; biefer 3eitranm mar aber, mie ancb Sßielanb anmerft, fel)r flein.
880
33au’ im Oavten beine iftüben,
ißau’ im ^elbe beine @erfte.
bie fc^immiigen S^avtefen
Unterm Äeffet rafc^ nerraud}en;
Äo^ten finb’g bie mir begehren,
®ömpfe finb e§ bie mir braudjen.
diur ba§ @inmalein§ fod getten,
,^ebe(, Sßalje, 0%ab nnb Jammer;
3tüe§ 3tnbre, ober ißlunber,
Jlncf’re in ber ^euerfammer.
ba§ Älimpern, to§ ba€ Seiern;
2Ber erfreut fic§ fotc^e§ @c^ntte§?
iBeff’re§ Jltingen, 6efte§ Ätingen
,3[t ba§ Ätingen be§ -IWetaCted.
®a§ ift bie ©pvadfe ber ©egenroart, bie 2Bei§§eit be§ „aiten U^u",
TDeld^er bem 3)icf)ter
„ber jeelenfro^en
©ottertöften 28ett 35erneinnng"
fpmbolifirt. 2tber raie raeit auch ber ißoget ber feine bunften
g-ittige über bie 3Sö(fer auäjubreiten nermoi^t f)ot: ju ner^tneifein , baju
fabelt beßungead^tet bie fc^önen fünfte nic^t ©runb:
©enn nod) btübt bie mei^e Silie,
Unb im ©rottenbeitigtbume
;3n be§ Sffiatbed fernftem
Jröunxt bie ftiüe blaue 2?tume;
©enn noch Hingt e§ au§ ben Süften,
3tu§ be§ §aine§ Dämmerungen,
Unb bie Stmfel b^t ibr tepteS
Sieb noch lange niept gefungen:
Unb bie Siaebtigatt im 93ufen,
©ie mirb jubetn, fie roirb ftagen
;3eben Senj, folang’ auf ©rben
diofen glüb’n unb ^er^en fcblagen*).
Daft biefe ilBorte mehr finb al§ ein poetifdber Draum, bafür boi
©Olt ber §err un§ gerabe in ben lebten fahren roieber ein jmeifacbeä
ltnterpfanb gegeben. Dro^ ber i^errfcbaft ber „mobernen
0 dtadb Sßeber, ®reijebntinben, I. ®. 6 ff.
©d^hi|.
881
be§ 9}kteria(i§Jiui§ , tvol^ ber Ueppigfeit unb beg UnglaitbenS unb bev
0U(^t ju befü^en an benen e§ franf ijt, ^at boc^ gerabe ba§ neunjeljnte
^a^r^unbert mit einer. Slrbeit non nierjig ^a^ren im 31u§bau be§ (Sölner
®£>me§ ba§ grof^e Unternehmen .511 @nbe geführt, an roetdheg bie if)anb
ju legen non allen ©enerationen bie baran norübergejogen, faft ein halbeg
^ahrtanfenb lang feine ben ?0luth gefüljlt. @g mar eine 3^ee beg brets
sehnten / roeldjer babnrch bag neunjehnte — um einen
3lugbrncf non @örreg ju roieberholen — „ihren Seib ergünjt hat"* **));
ein iÄiefengebanfe gerabe jener „raelche nor 3lriftoteleg faft bag
Änie beugte, roeldhe bie nnbebingte .^errfdjaft beg ©pllogigmug auf allen
@ebieten beg Söiffeng proclamirte unb bie höihfle 33lnte ber ©cholaftif
fah, ber 3ftt ber Sltbertug ÜRagnug nnb iBonanentura unb ^ha^i^ag non
3lquin" Ob eg nidjt ctroag mehr geroefen alg bloßer bap
gerabe in bem Slngenblide ba biefeg gtorreii^e Oenfmat beg breijehnten
^ahi^hiittbertg feiner ißollenbung nalje mar, non bem oberften ^irten ber
(ihriftenheit ber 9luf ergehen muffte, eg fen bie 3eit gefommen, nun aulh
bem geiftigen dUefenban beg nämtidjen ^ahvhaa^ertä roieber .f)anb unb
Singe snsnroenben, — roeniger um ihn ber äfollenbung entgegensnführen,
alg üielmehr, um ihn bem gegenmürtigen unb fommenben ©efdhledjtern
roieber suganglid) ju mailen nnb 51t erfd)lie^en? Oenn bie SSollenbung,
bie roefentli(he, roar ja bem geiftigen Sau beg f^ürften ber 2Biffenfd)aft
nicht oerfagt geblieben; aber man mußte feinen SBerth unb feine hoh^
0(hönheit nicht mehr 511 fchatjen, man fah, man fannte ihn nidht
mehr: unb inbem bie morfdjen Sßerfe bitrdj roeldje ein ®efd)led)t nadh
bem anberen ihn übertreffen ju follen meinte, immer aufg neue nnb
immer rafd)er nach einanber snfammenbradjen , lag er unter bem auf=
gehäuften ©chuttroerf ihrer dlninen uergraben. IRidjt ohne ©rimb finben
mir jroifchen ber Sodenbung beg Kölner Oomeg unb ber furj nor ihrer
freier, am 4. äluguft 1879, erlaffeuen (Jncpctica Seo’g XIII., bie innigfte
Sesiehnug. 3'^ S^'ofiea ©d)bpfung ber religiöfeu 3lrd)itectur an
ben Ufern beg dlhe^aeg ift allen j^ünften, mit ber mädjtigeu 2lufforberuug
SU energifdjem ©d)affeu, roieber lebenbig unb fichtbar ber @eift uor Slugeu
geftellt in bem fie 511 roirfeu haben, roenu iljneu baran liegt für bie
Slienfdiheit etroag s» leiften. „San ber ©rneuernug" anberfeitg „ber
'iphifafophie iot @eifte beg heiligen Ohomag non 3lqujn, bie 2®ir herbei^
Suführen beabfiiihiisea — cg fiub bie üöorte beg Sapfteg in ber er^
mahnten ©ncpclica, — „bürfen alle 3™eige beg menfd)lid)eu iSfiffeng unb
Äönueng ihre g-örberung erroarten, unb ftd) mädjtigc ^pülfe nerfpredjen.
*) 3- @örre§, ®er ®om jit (Jötn. (Dtb^ro. ttJtercuv, 31. 151, oom 20. Olor.
1814.)
**) 2?gt. 3tei(fien§perger, S. 68. (Sit. 372.)
Sungmann, 2Ceftf)cti{. 2. Sliiff.
56
882
®enn in ber äc!^ten Söifjenfc^aft fa’^en ju allen freien fünfte
i^re f^üfirerin; il^r entfe^^nten fie bie maleren @runbfä|e unb bie rechte
Steife für i^r Schaffen; au§ il^r, ai§ bem gemeinfamen ßeben§born,
fd^öpften fie ifiren @eift unb i^re Ä'raft. ift eine unraiberfpred^Iic^e
Sl^atfad^e ber ©efd^id^te, baf^ bie fünfte immer gerabe bann mä^tig auf^
biü^ten, roenn bie ip!^ilofopf)ie in ^o^em Sinfel^en ftanb unb ä(^te§ Söiffen
le^^rte: ba§ biefelben f)ingegen elenb barniebertagen unb nerbümmerten,
roenn bie ipftilofopfiie gefunfen roar, unb fic^ in ^i^rt^ümer ober in roirre
^Träumereien nerloren Tratte" 388).
5Die fci^önen Jtünfte ^aben in ifirer i8ergangen^eit groei (Spoc^en, auf
bie fie ftolg gu fepn berechtigt finb; e§ ungered)t fepn gegen bie
ÜJienfdhheit , unb unbanfbar gegen ben ber in ihrer iüJJitte, unnergängtich
nnb ungerftörbar , auf bem f^etfen ben iS^ort ber einigen SSahrlieit, feine
J^irche, gegrünbet, rootlte man ihnen bie ÜO^ögli^feit einer gleichartigen
brüten ©poche abfprechen. 0ie roirb fommen, bie 3^^*, ba fich bie
J^ünfte ihre§ iöernfeg roieber gang beroufet roerben , ba fie fich ottfeitig
nerjüngen, unb auf§ neue ißtüten treiben unb fruchte tragen roie bamatg,
al§ noch ein gläubiges ©efchlecht fie pflegte, ©in langer 2öeg mag
freilidh biS gu einem folchen 3ißf2 noch gurücfgulegen fepn. ®ie ©ichen
roachfen langfam, „alles ©^öne ift fhroer" : unb bah w einem ©taate
ber ©efchmaü fich grünblich umigeftalte, baS ift nah ^-fSlato nur möglich,
roenn auch ©taatSgefehe anbere roerben, baS ift ber ©eift ber
@ef ellf ch af t. ©)ie iTtegeneration ber fchönen Ä'ünfte ift roefentlich be=
bingt burch bie ^Regeneration ber iß>iffenfchaft, ber ©Ute, beS religiöfen
ßebenS; aber gugleich mit biefer ift fie auch gefegt: „fobalb bie ^Rationen
roieber ein Firmament beS ©InubenS unb SBiffenS, runb roie eine ^alb=
fuget, über fich flehen haben, roerben ihnen bie ©eftirne ber Äunft heraro
giehen, ohne bafg fie fragen, ronrum, unb roiffen, roie" *).
*) (5temen§ Srentano, Srief au§ Scrlin oom 21. 3<muar 1810, an ben ÜRater
Dtnnge. (©efammelte Sriefc, Sb. 1. @. 145.)
^mnerhuugcu
1. (©. 4.) ?tad; i^einborf unb ?^nbereu ift ein ber ©tabt 2)^egnva gegebene^
’-Crafel gemeint, roelc^eg )o nnfängt:
ratrj; (jlsv zciarj; to IkXasyixov "Apyo; dij,ctvov,
"I-Tiot tIpTjixmt, Aoc/.tOCüipidviai os yjvaiy.c;.
i(Stallbaum, Platon, opp. omn. vol. 4. sect. 2. p. 218.)
2. (©. 7.) T))v ydp 7TC(poi;j.io;v d,xt ttots Xsyst, xd, yjxKtrA xd -/.otXd, ooxöi p-ot
£io£vat. Plat. Plipp. mai. extr.
3. (0. 8.) Oüx d'px xaüxdv xd xocXdv xot? xxXoT;. Procl. p. 422. (ap. Creu-
;zer, Plotini lib. de pulcliritudine, p. 130.)
4. (0. 9.) Id xaXdv significat id qiiod coinmuniter inest in Omnibus
pulcbris, quoqne efficitur ut pulchra sint. Muret. Comment. in Arist. Etlüc.
142. Ruhnk. (Creuzer, Plotini lib. de pulcbritud. p. 129. s.)
o. (0. 10.) 'H p.£v ciov xdyvrj £;t; xt; p£xd Xdy&'j dXTjiloö; nmrjxixr; Ijxtv.
Arist. Etlüc. Nicom. G. c. 4. extr.
Ars est quidam babitus factivus cum-vera ratione. Tbom. in Arist.
Etbic. libr. 6. lect. 3.
6. (0. 11 .) Ars illa summa omnipotentis Dei per quam ex nibilo facta
sunt omnia, quae etiam sapientia eins dicitur, ipsa operatur etiam per artifiees,
ut pulchra atqiie congruentia faciaiit. Aug. de divers, quaestt. 83, q. 78.
7. (0. 12.) Ars est recta ratio aliquorum operum faciendorum. Thom.
■S. 1. 2. p. q. 57. a. 3. Ars est recta ratio factibilium. Ib. a. 4. Cfr. de Verit.
q. 5. a. 1. c.
8. (0. 12.) Ad actus humanos faciliter et Ordinate perflciendos diversae
artes deserviunt. Nihil enim aliud ars esse videtur, quam certa ordinatio
lationis, qua per determinata media ad debitum finem actus humani perveniunt.
Thom. in Arist. Posterior. Analyt. 1. 1. lect. 1. init.
9. (0. 2.5.) Aid xcii xx'jxdv c3xi xiä dyallijj xd xxXdv. Dionys. Areopag. de
-divin. nomin. c. 4. §. 7. post med.
10. (0. 2.5.) Quamvis autem pulchrum et bonum sint idem subiecto, quia
tarn claritas quam consonantia sub ratione boni continetur, tarnen ratione diffe-
ffunt: nam pulchrum addit supra bonum ordinem ad vim cognoscitivam illud
56*
884
3tnmertungen. n. 11 — 22.
esse huiusmodi. Thom. in libr. B. Dionys. Areopag. de divin. nomin. expos.^
c. 4. lect. 5. extr. *
Um biefen 311 uerfte^en, erinnere man fid^ be§ oben, iR. 4. 5.
©. 7 ff., ©efagten.
11. (©. 26.) Dicimus enim pulchra visibilia et pulchros sonos. In sensi—
bilibus autem aliorum sensuum non utimur nomine pulchritudinis ; non enim
dicimus pulchros sapores aut odores. Thom. S. 1. 2. p. q. 27. a. 1. ad 3.
12. (@. 27.) . . . ut aut impares non sint, aut inter maximam et mini—
mam ita sit media, ut tanto praecedat minorem, quanto a maiore praeceditur.
Aug. de vera relig. c. 30. n. 54.
13. (©. 27.) Sapientia est potissima perfectio rationis, cuius proprium est
cognoscere ordinem. Nam etsi vires sensitivae cognoscant res aliquas absolute,
ordinem tarnen unius rei ad aliam cognoscere est solius intellectus aut rationis.
Thom. in Arist. Ethicor. ad Nicom. libr. 1. lect. 1. init.
14. (@. 28.) To y.aXöv eart p.sv vLei -Äsiaxov saxi 0' £v dy.oat; 7.«Td xe
Xoyiüv 5'jvilEOei; , ECixt oe xal Iv p.ou'jcy.vi änday)- xal ydp y.oä ^ubp.01 eiet -/.aXoL
"Eaxt OE ‘/.cci -poi'oöot Tipö? xA dviu äizb x'tfi cciaüqOEiu? , xal A-txqOEup.axa y.oXä,, xocl
TrpdgEt;, y.ai e-ei;, xed Intoxr^axi xe xxl xö x(Lv dpExiIiv xdXXo;. Plotin. de pulchri—
tudine cap. 1. ed. Basil. 50 A. Creuzer 2.
15. (S. 29.) Quamquam sint multa pulchra visibilia, quae minus proprie
honesta appellantur, ipsa tarnen pulchritudo, ex qua pulchra sunt quaecunque
pulchra sunt, nullo modo est visibilis. Item multa utilia visibilia; sed ipsa
utilitas, ex qua nobis prosunt quaecunque prosunt, quam divinam providentiam
dicimus, visibilis non est. Aug. de divers, qq. 83, q. 30.
16. (@. 29.) Eorum ipsorum quae aspectu sentiuntur, nullum aliud ani-
mal pulchritudinem, venustatem, convenientiam partium sentit. Cic. de offic.
1. e. 4. n. 14.
17. (©. 80.) Ego antea . . . mirari solebam, istum in his ipsis rebus ali-
quem sensum habere, quem scirem nulla in re quidquam hominis habere . . .
Cic. de signis c. 14. n. 33.
18. (©. 38.) KdXlo; p.sv ouv 'h'J'/Tj; dpEx-q zdax, xcd xdÄlo? dlrjbivtbxEpov i) xi
TTpoabsv. Plotin. de pulchrit. c. 1. ed. Basil. 51 E. Creuzer 10.
19. (©. 38.) Ut venustas et pulchritudo corporis secerni non potest a
valetudine; sic hoc de quo loquimur decorum , totum illud quidem est cum
virtute confusum : sed mente et cogitatione distinguitur. Cic. de offic. 1. c.
27. n. 95.
20. (©. 39.) Decorum id esse, quod consentaneum sit hominis excellen-
tiae, in eo, in quo natura eins a reliquis-animantibus differat. Cie. 1. c. n. 96.
$er fjeüige 3T)oma§ (S. 2. 2. p. q. 142. a. 2. c.) lieft ftatt decorum pulchrum.
21. (©. 39.) (Sapiens) recte etiam pulcher appellabitur ; animi enim
lineamenta sunt pulchriora quam corporis. Cic. de finib. 3. c. 22. n. 75.
22. (©. 39.) Stoici . . . asseverabant, a sensibus animum concipere notio-
nes, quas appellant Ivvola; earum rerum scilicet quas definiendo explicant ; hinc
propagari atque connecti totam discendi docendique rationem. Ubi ego multum
mirari soleo , quum pulchros dicant non esse nisi sapientes, quibus sensibus
2(nmerfiingcn. n. 23 — 35.
885
corporis istam piilchritudinem viderint, qualibus oculis carnis formam sapientiae
decusque conspexerint. Aiig. de civ. Dei 8. c. 7.
23. 41.) cpi'Xe Ddv Ti xai dXXot oaoi tT|0s dioi, ootVjTi pot -/.aXiT) yEvdsSoii
Tavoofiev 5e Ö3oc l’yuj, toT; ivTO; eivai pot cpöaa. zXo'jsiov oe voptCoip-t töv
oo'.pdv. Plat. Phaedr. extr.
24. (®. 41.) ’l’Tjv ydp dpETTjv TO y.dXXo; ttj; eätj eIvcic y.otTä oe t6
ivotvTiov TV]v xay.t'ctv odr/o; Clem. Alex. Strom. 5. c. 14. ed. Potter. p. 705.
25. (©. 41.) ’A vopl OE ßo'J?.Op£V(i) ElVOtt y.C<X(p TO y.ÄXlOTOV Iv dv3p(UT:(l) , TTjV
■Sidvotav, -/osprjTEOv . . . Clem. Alex. Paedag. 1. 3. c. 3. Potter. 264.
26. (©. 42.) Xptj stvoct xoaplot; evooHev, y.at ty]v stuj Y'JvoiTy.ot OEixvovott
•xaXrjV. Ev pövTj ydp Trj 'VjyTj xsTCtcpottvETat X7l TÖ xdXXo; y.oii t6 odo/o;' otö y.a'i pdvo;
<1 aTtO’joaio; zoiXd; ydyctöd; ootio; ioTt. Clem. Al. Paedag. 2. c. 12. Potter. 243.
27. (@. 42.) AxctAXoj-tSTo; (rjv). xcd toöto y.dXXo; aoTrj, to dy.oapov. Greg.
■Naz. orat. 8. al. 11. in laud. Gorgon. n. 3. ed. Maur. 219.
28. (®. 48.) . . . AXX’ oö TO zdXXo; TTj? aapy.d; , to csavTaototaTf/ov , to oe
•dXqiltvov xat tt|; owpaTo; Iveoei^ccto y.clXXo;* ttj; pEv to E'jspYSTty.öv,
xö Se czSdvciTov TT;? axp'/.o;. Clem. Al. Paedag. 1. 3. c. 1. extr. Potter. 252.
29. (®. 44.) Totum quod pulchrum est in anima, virtus et sapientia est.
Aug. in ps. 58. serm. 1. n. 18.
80. (S. 44.) Pulchritudo autem aniinae sincera virtus, decus verior
cognitio supernorum. Ambr. de Isaac et anima c. 8. n. 78.
31. (©. 44.) Nos certe in pulcliritudine corporis locum virtutis non ponimus,
gratiam tarnen non excludimus; quia verecundia et vultiis ipsos solet pudore
obfundere, gratioresque reddere. Ut enim artifex in materia commodiore me-
lius operari solet, sic verecundia in ipso quoque corporis decore plus eminet.
Ambros, de officiis 1. 1. c. 19. n. 83.
32. ('S. 45.) Anima in hoc corpore tamquam in fidibus musicis, quae sobria
est tarnen summis ut ita dicam digitis, velut nervorum sonos, ita pulsat carnis
istius passiones, ut consonum reddat morum atque virtutum consentientemque
concentum; ut in Omnibus cogitationibus suis, in Omnibus operibus id custo-
diat, ut omnia consilia et facta sibi concinant. Anima est ergo quae utitur,
Corpus quod usui est; ac per hoc aliud quod in imperio, aliud quod in mini-
sterio : aliud quod sumus, aliud quod nostrum est. Si quis animae pulchri-
tudinem diligit, nos diligit: si quis corporis decorem diligit, non ipsum homi-
nem, sed carnis diligit pulchritudinem , quae tarnen cito marcescit et defluit.
Ambr. de bono mortis c. 7. n. 27.
33. (0. 45.) (Homo) interior exteriorem respicit. et in sua comparatione
foedum videt . . . Aug. de vera relig. c. 40. n. 74.
34. (0. 45.) Quod bonum Dei quidem donum est: sed propterea id
largitur etiam malis, ne magnum bonum videatur bonis. Aug. de civit. Dei
15. c. 22.
35. (0. 45.) Hac ergo perversitate animae, quae contingit peccato atque
supplicio, fit oronis natura corporea illud quod per Salomonem dicitur: Vanitas
vanitantimn, et omnia vanitas . . . Neque enim frustra est additum, vanitantiurn,
886
Stnmerfungen. n. 36 — 44.
quia si vanitantes detrahas, qui tanquam prima sectantur extrema, non erit
Corpus Vanitas ; sed in suo genere , quamvis extremam , pulchritudinem sin&
ullo errore monstrabit. Aug. de vera relig. c. 21. n. 41.
36. (©. 45.) Quid est autem aliud iustitia, quum in nobis est, vel quae-
libet virtus qua recte sapienterque vivitur, quam interioris hominis pulchritudo ?■
Et certe secundum hanc pulchritudinem magis quam secundum corpus facti su-
mus ad imaginem Dei. . . . Si ergo non in mole neque in distantibus per loca
sua partibus, sicut corpora sive cernuntur sive cogitantur, sed in virtute intelli—
gibili, qualis est iustitia, meutern dicimus, seu novimus, seu volumus pulchram,
et secundum hanc pulchritudinem reformamur ad imaginem Dei : profecto
ipsius Dei, qui nos formavit et reformat ad imaginem suam, non in aliqua mole
corporea suspicanda est pulchritudo ; eoque iustorum mentibus credendus est
incomparabiliter pulchrior, quo est incomparabiliter iustior. Aug. epist. 120-
al. 222. ad Consentium c. 4. n. 20.
37. (<S. 46.) Quid namque eorum quae in facie lucent, si internae cuius-
piam sanctae animae pulchritudini comparetur, non vile ac foedum recto appa—
reat aestimatori? Quid, inquam, tale in se ostendit ea quae praeterit figura
huius mundi, quod aequare speciem animae possit illius, quae exuta terrenr
hominis vetustatem, eins qui de coelo est decorem induit, ornata optimis mo—
ribus pro monilibus, ipso purior sicut et excelsior aethere, sole splendidior?
Bern, in Cant. serm. 27. n. 1. 3D7an nergl. nud^ serm. 45. n. 2.
38. ( ©. 47.) To '/aXov ifib tpoasi, 7.al ^Ttiii'jp.TjTov ot’ oeurö (oc’jtö?) «si, 7«c
o'joir.o-z äaßXuvdp.£vov xdpu). Zonaras c. Phot. ed. Tittmann. t. 2. 1159. (33ei
e. SJlütler, 2. ©. 191. 6itirt 31.)
39. (0. 47.) K«v y«p TÖ 7«X6v sittt,?, T|00vqv l.systr y«p «v ’etq
■/«XXo? 7.«XXoj, zi IJ.7] TjOiOTov ziTj. Max. Tyr. dissert. 3. al. 33. n. 5.
40. (0. 48.) ripd; TÖv Tiu»)o'p.£vov, Al« TI TOt; y.«Xoi; TtoXbv ypdvov 6;j.tXoöjj.£vy
T'jcpXoö. z'frj, TO IpiuTTjpi«. Diog. Laert. vit. Arist. ed. Bipont. p. 18.*_;
41. (0. 49.) Princeps horum (recentiorum philosophorum) Leibnitius,,
criius pauca quidem, sed fecundissima hac illac in suis operibus circa pulchrum
leguntur. Ex his, mirabili cohaerentia doctrinae, luculentissima pulchritudinis-
deflnitio colligitur, scilicet pulchritudinem esse rerum perfectionem , quae,.
quatenus cognita, voluptate nos afficit, eaque discernitur. Caes. Baldinotti,.
Metaph. gen. n. 276.
Pulchrorum conteniplatio ipsa iucunda est, pictaque tabula Raphaelis
intelligentem afficit, etsi nullos census ferat, adeo ut in oculis deliciisque
feratur, quodam simulacro amoris. Leibnit. de notionibus iuris et iustitiae-
(Berolin. 1840. p. 118.)
42. (0. 49.) S. 1. p. q. 5. a. 4. ad 1.: „Pulchra enim dicuntur quae visa
placent.“ ba§ Sßiort placent l^ier bie SSebcutung ^at roeld^e mir in ber Ueber^^
fe^ung auSgcbrüdt ^ben, beroeifl ba§ fogleid^ fotgenbc imäroeibeutigere (sensus)
(lelectatur.
43. (0. 49.) Quod bonum sit propria causa amoris. Thom. S. 1. 2. p-
q. 27. a. 1. c.
44. (0. 49.) Dionysius dicit IV. cap. de div. nom. (lect. 9.), quod. non>
solum bonum, sed etiam pulchrum est omnibus amabile.
3lnmevfiingen. n. 45 — 50.
887
45. (©. 50.) Ad tertium dicendum, quod piilchrum est idem hono , sola
ratione differens. Quum eiüm bonum sit quod omnia axtpetunt, de ratione boni
est, quod in eo quietetur appetitus. Sed ad rationem pulchri pertinet, quod in
eins aspectu seu cognitione quietetur appetitus; unde et illi sensus praecipue
respiciunt pulchrum, qui maxime cognoscitivi sunt, scilicet visus et auditus
rationi deservientes ; dicimus enim pulchra visibilia , et pulebros sonos ; in
sensibilibus autem aliorum sensuum non utimur nomine pulchritudinis ; non
enim dicimus pulebros sapores aut odores. Et sic patet, quod pulchrum addit
supra bonum quendam ordinem ad vim cognoscitivam ; ita quod bonum dicatur
id quod simpliciter complacet appetitui, pulchrum autem dicatur id cuius
ipsa apprehensio placet. Thom. S. 1. 2. p. q. 27. a. 1. ad 3.
SBei ber Ucberfe^ung l^aben mir ben Gommentar non ©plniu§ berüctfid^tigt,
roeld^er 511 biefer ©teile fagt: In responsione ad tertium ostendit, quod pulchrum
etiam sit causa amoris , sed pulchrum et bonum esse idem secundum rem,
licet differant secundum rationem.
UeberbieS nergleidje man bte anbere, bereitg frül;er (14. ©. 25) angefiit;rte
31eu^enmg be§ l^eiligen 2^oma§.
46. (©. 56.) Ratio boni in hoc consistit, quod aliquid sit appetihile ;
unde Philosophus in 1. Ethic. dicit, quod bonum est quod omnia appetunt.
Thom. S. 1. p. q. 5. a. 1. c.
Bonum rationem Jinis importat. Thom. 1. c. a. 4. c.
Cfr. Arist. Ethic. Nicom. 1. 1. init. Rhet. 1. c. 6. n. 2.
47. (©. 56.) Quum unumquodque naturaliter velit et appetat, suo modo,
suum proprium bonum; si hoc habet amoris ratio, quod amans velit aut appetat
bonum amati: consequens est, quod amans ad amatum se habeat sicut ad id,
quod est cum eo aliquo modo unum; ex quo videtur propria ratio amoris
consistere in hoc, quod aft'ectus unius tendat in alterum sicut in unum cum
ipso aliquo modo. Thom. contr. gentil. 1. c. 91. n. 3.
®e ©plneftrid brüdt in feinem (äommentnr biefe Slrgnmentation be§ Ijeitigen
Jf)oma§ alfo au§: „Amans vult bonum amati; sed voluntas non fertur nisi in
bonum quod est aliquo modo volentis: ergo amans vult bonum amati, in
quantum est aliquo modo amantis; sed hoc non est, nisi quia aliquo modo
amans et amatum sunt unum : ergo amans ad amatum se habet sicut ad id,
quod est aliquo modo unum cum ipso. Ferrariens. Commentar. in Summ,
contr. gent. (Venetiis 1595.) pag. 96.
Cfr. Thom. S. 1. 2. p. q. 99. a. 2. c.
48. (©. 57.) E’jüb; -zu opota bpotoi? yaqjzi, -/.a't dvDpib-c) TjOtaTOv d'vDpwnos.
Arist. Ethic. Eudem. 7. c. 2. med.
49. (©. 58.) vVeyouat os tuu; -zuii-za, w? tool
AUi TCit Tov fjp,otov dyti tu? -zm 6p.oiov,
Kcd zotet yviuptpov . . .
Oöxoöv -/.Ott 701? 'Ttöv cotpuirocTtuv G’jYYpotp.[j.aatv i'nt-z'r/rfAUi , Taüia auxd 5 Ä£Yt>’JGtv,
oxt xö opotov xtjj öpot'ip dvctYv.rj det »tTov elvctt ; Plat. Lysis Stcph. 214. a. Bip.
5. p. 233.
50. (©. 58.) Nihil est amabilius nec copulatius, quam morum similitudo
bonorum. In quibus enim eadem studia sunt eaedemque voluntates, in bis
fit, ut aeque quisque altero delectetur ac seipso : efficiturque id, quod Pytha-
888
Stnmerfungen. n. 51 — 58.
goras ultimum in amicitia putavit, ut unus fiat ex pluribus. Cie. de offic. 1.
c. 17. n. 56.
51. (©. 58.) Omnis diversitas discors: similitudo vero appetenda est.
Et quod appetit aliud , tale dpsum naturaliter esse ostenditur , quäle est illud
ipsum quod appetit . . . Omne tendit ad simile. Boet. de liebdomadibus lect.
1. 2. (S. Thom. opp. Venet. 1747. tom. 8. Commentar. 9.)
52. ($. 58.) Similitudo esf rerum differentium eadem qualitas. Boet.
ap. Thom. in I. dist. 34. q. 3. a. 1. obi. 2.
53. (®. 58.) Duplex est convenientia, vel similitudo. Una quae est per
participationem eiusdem qualitatis, sicut calida ad invicem conveniunt: et talis
convenientia incorporalium ad corporalia esse non potest. Alia per quandam
proportionalitatem , secundum quam in Scripturis metaphorae corporalium ad
spiritualia transferuntur , ut quod Deus dicitur sol , quia est principium vitae
spiritualis, sicut sol vitae corporalis. THom. in IV. dist. 45. q. 1. art. 1.
solut. 1. ad 2.
54. (0. 59.) Inter corporalia et spiritualia non attenditur similitudo per
participationem eiusdem qualitatis, sed per proportionalitatem, quae est simi-
litudo proportionatorum ; ut sicut se habet aqua ad delendas maculas corporales,
ita gratia ad abluendum spirituales; — vel si Deus dicatur ignis, ex hoc, quod
sicut se habet ignis ad hoc quod liquefacta effluere facit per suum calorem,
ita Deus per suam bonitatem perfectiones in omnes creaturas diffundit , vel
aliquid huiusmodi. Thom. in IV. dist. 1. q. 1. art. 1. sol. 5. ad 3. coli, in I.
dist. 34. q. 3. art. 1. ad 2.
55. (0. 59.) Effectus a suis causis deficientes non conveniunt cum eis
in nomine et ratione; necesse est tarnen aliquam inter ea similitudinem in-
veniri. De natura namque agentis est, ut agens sibi simile agat , secundum
quod actu est. Thom. contr. gent. 1. 1. c. 29.
56. (©. 62.) Cognitio quam per naturalem rationem habemus, duo re-
quirit , scilicet phantasmata ex sensibilibus accepta, et lumen naturale intelli-
gibile , cuius virtute intelligibiles conceptiones ab eis abstrahimus. Thom.
S. 1. p. q. 12. a. 13. c.
Oportet dicere, quod in anima humana sit aliqua virtus derivata a supe-
riori intellectu , per quam possit phantasmata illnstrare . . . Ideo Aristoteles
comparavit intellectum agentem lumini . . . Unde ab ipso (Deo, qui est eius
Creator,) anima humana lumen intellectuale participat, secundum illud ps. 4, 7.
Signatum est super nos lumen vultus tut, Domine. Thom. S. 1. p. q. 79.
a. 4. c. Cfr. art. 3.
57. (0. 62.) "EaTiv h g.h toioö-ci; moö; (o’jvctp.txd;, ber intellectus possibilis
ber 0d^oIaftifer,) toI -dv-a ö SI (T0trjTr/.d; , ber intellectus agens,) Tip
rrocvra -rotetv, oj; l'-i; rt;, oFov rö »cü;' zpözo'j ydp ttva xoti t6 cpm? irotci xd
O’jvdpei dvxa yp(hp.axa IvapyEtot yptop-ctTct. Arist. de anima 1. 3. cap. 5.
58. (0. 63.) Unaquaeque res dicitur vera absolute secundum ordinem ad
intellectum a quo dependet . . . Res naturales dicuntur esse verae, secundum
quod assequuntur similitudinem specierum quae sunt in mente divina: dicitur
enim verus lapis, quia assequitur propriam lapidis naturam secundum prae-
conceptionem intellectus divini. Thom. S. 1. p. q. 16. a. 1. c.
9lnmerhmgen. n. 59 — 63.
889
59. (©. 63.) Praeexistunt in nobis quaedam scientiarum semina, scilicet
primae conceptioues intellectus, quae statim lumiiie intellectus agentis cogno-
scuntur per species a sensibilibus abstractas, sive sint complexa, iit dignitates
(axiODiata), sive incornplexa, ut ratio entis, iinius, et buiusmodi, quae statim
intellectus apprehendit. Ex istis autem principiis universalibus omnia principia
sequuntur, sicut ex quibusdam rationibus seminalibus . . . Scientia ergo prae-
existit in addiscente, in potentia non pure passiva sed activa ; alias bomo non
posset per se ipsum acquirere scientiam . . . Huiusmodi autem rationis lumen,
quo principia buiusmodi sunt 'nobis nota, est nobis a Deo inditum,, quasi
quaedam similitudo increatae veritatis in nobis resultantis. Tbom. de veritate
q. 11. art. 1. c.
Intellectui non omnia intelligibilia aequaliter vicina sunt ad cognoscen-
dum ; sed quaedam statim conspicere potest, quaedam vero non conspicit nisi
ex aliis principiis inspectis. Sic igitur bomo ignotorum cognitionem per duo
accipit, scilicet per lumen intellectuale , et jjer primas conceptiones per se
notas , quae comparantur ad istud lumen quod est intellectus agentis , sicut
instrumenta ad artificem. Quantum igitur ad utrumque Deus hominis seientiae
causa est excellentissimo modo : quia et ipsam aniniam intellectuali lumine
insignivit, et notitiam primorum principiorum ei impressit, quae sunt quasi
quaedam seminaria scientiarum , sicut et aliis naturalibus rebus impressit se-
minales rationes oranium effectuum producendorum. Tbom. ibid. art. 3. c.
60. (@. 65.) Virtutum habitus ante earum consummationem praeexistunt
in nobis in quibusdam naturalibus inclinationibus, quae sunt quaedam virtutum
inchoationes ; sed postea per exercitium operum adducuntur in debitam con-
suramationem. Tbom. de verit. q. 11. a. 1. c.
Virtutes quaedam naturaliter insunt animae, ad minus secundum quae-
dam earum semina. S. 1. p. q. 93. a. 9. ad 3. 2Sgt. 1. 2. p. q. 63. a. 1. c.
(unten, 67) nnb de virt. q. 1. a. 8. c.
( I'jt’ i'rjoc cpoasi o'JTc -c«pd odatv lyyt'vc/vTat cd dpsrat, dXKä ~£cp'jy.03t oiv ifp-tv
os;oi3i}ca orj-d;. T£),£to'j;jivot; 8s otd to silo;. Arist. Etb. Nicom. 1. 2. c. 1.
61. (@. 65 .) Signatum est, inquit, in nohis lumen vultus tui , Domine.
Hoc lumen est tntum hominis et verum bonum , quod non oculis sed mente
conspicitur. Signatum autem dixit in nobis, tamquam denarius Signatur regis
imagine: bomo enim factus est ad imaginem et simllitudinem Dei. . . Reddenda
Deo anima lumine vultus eins illustrata atque signata. Aug. enarr. in ps. 4. n. 8.
62. (S. 65.) (Divina veritas) loquitur in nobis per suae similitudinis
impressionem , qua de Omnibus possumus iudicare. Tbom. de verit. q. 11.
art. 1. ad 1.
Quod aliquid per certitudinem sciatur, est ex lumine rationis divinitus
interius indito. quo in nol>is loquitur Deus. Ibid. ad 13.
63. (©. 65.) Ex quo perspieuum fit, natura Omnibus Dei inesse notitiam,
nec quemquam sine Christo nasci , et non habere semina in se sapientiae , et
iustitiae, reliquarumque virtutum. Unde multi absque fide et Evangelio Christi,
vel sapienter faciunt aliqua, vel sancte : ut parentibus obsequantur : ut inopi
manum porrigant: non opprimant vicinos: non aliena diripiant: magisque
iudicio Dei obnoxii flunt, quod babentes in se principia virtutum, et Dei
•semina, non credunt in eo sine quo esse non possunt. Hieron. Comment. in
epist. ad Gal. 1. 1. c. 1. vers. 15. extr.
890
Stnmeitungen. n. 64 — 72.
64. (©. 65.) "Uxt -/cata cp'jotv £v ävftpiÜTroti; Ttpöc xi? ^vxoÄäs xoü Kupi'o'j
prjTtTj -Aui öuvapit;. Bas. Re§. fus. traet. Interrog. 2. Maxir. p. 336.
65. (©. 65.) npos xoüxo OE Xexxeov, 6xi xoTs Eisdyouat xpi'atv oixat'av 0eoö
drroxExXEtaxo av ly l-'t xot; !zp.c(pxc(vop.Evot? 5ixrj, Tidvxujv iydvxiuv xaxd xä? -/.otvds
Evvoi'cis irpöXrjiLtv 'jytvi x:Ept xoü -;?;9ixo'i xo'-ou. AtoTTEp oüosv Soe'jpaaxov xov nüxöv 0eöv,
dzsp EOioaSs oiä xwv zpocpr|X(jüv xa'i xoO SmxTipo? , iyxaxsozapxEvat xaT? äzdvxcuv
äv8p(uzu)v 'i'jyai;' iV ävazoXoyxjxo; ev xfj §Eia ‘/.ptaEt zä? «vSpcuzo; syiuv „x6
ßouÄTjpa xoO v6[j.0'j ypazxöv xfj sa'jxoj '/.apoia“. Orig, contr. Gels. 1. 1. n. 4.
ed. Maur. p. 323.
66. (0. 66.) Haec est summa delicti nolentium recognoscere, quem igno-
rare non possunt. Vultis ex operibus ipsius tot ac talibus, quibus continemur,
quibus sustinemur, quibus oblectamur, etiam quibus exterremur, vultis ex ani-
mae ipsius testimonio comprobemus ? Quae licet carcere corporis pressa, licet
institutionibus pravis circumscripta, licet libidinibus ac concupiscentiis evigo-
rata, licet falsis düs exancillata, quum tarnen resipiscit, ut ex crapula, ut ex
somno , ut ex aliqua valetudine , et sanitatem suam patitur , Deum nominat,
hoc solo nomine, quia proprio Dei veri: „Deus magnus“, „Deus bonus“, et
„quod Deus dederit“, omnium vox est. ludicem quoqiie contestatur illum :
„Deus videt“, et „Deo commendo“, et „Deus mihi reddet“. 0 testimonium
animae naturaliter christianae! Tert. Apolog. c. 17. Cfr. de testimonio ani-
mae c. 1.
67. (0. 66.) (Virtus est homini naturalis secundum quandam inchoationem.
Secundum quidem naturam speciei, in quantum in ratione hominis insunt natu-
raliter quaedam principia naturaliter cognita, tarn scibilium quam agendorum ;
quae sunt quaedam seminaria intellectualium virtutum et moralium, inquantum
in voluntate inest quidam naturalis appetitus boni, quod est secundum ratio-
nem.) Secundum vero naturam individui, inquantum ex corporis dispositione
aliqui sunt dispositi vel melius, vel peius ad quasdam virtutes, prout scilicet
vires quaedam sensitivae actus sunt quarundam partium corporis, ex quarum
dispositione adiuvantur, vel impediuntur huiusmodi vires in suis actibus, et
per consequens vires rationales, quibus huiusmodi sensitivae vires deserviunt;
et secundum hoc unus homo habet naturalem aptitudinem ad scientiam, alius
ad fortitudinem, alius ad temperantiam. Thom. S. 1. 2. p. q. 63. a. 1. c.
68. (0. 69.) Beatitudo est ultima perfectio rationalis naturae. Thom.
Quodlib. 10. art. 17. c.
69. (0. 73.) ''Esxiu orj xö tptlEtv xö ßoöXEaSai' xivt ü oiExat äyaSa, ExEivou
EvExa, äXXa a'jxoö, xai xo xaxa O'jvaptv zpaxxixöv Elvat xoöxujv. Arist. Rhet.
2. c. 4. n. 2.
70. (0. 73.) Amor quo amatur aliquid ut ei sit honiim , est amor sim-
pliciter. Thom. S. 1. 2. p. q. 26. a. 4. c. extr.
71. (0. 73.) Ad veritatem amoris requiritur, quod bonum alterius prout
est eius velit. Thom. contr. gentil. 1. c. 91. n. 2.
72. (0. 73.) Perfectus quidem amor est, quo aliquis secundum se amatur,
ut puta quum aliquis secundum se vult alicui bonum, sicut homo amat amicum,
Thom. S. 2. 2. p. q. 17. a. 8. c.
2{nmerfimgcii. n. 73 — 79.
891
73. (©. 73.) Amare est veile alicui bonum, eo tantum fine ut ipsi heue
sit ; hoc est, iit ipse inde commodum, honorem, aut voluptatem percipiat.
Less. de summo bono 2. c. 13. n. 99.
74. (®. 74.) Cuius enim bonum aliquis vult solunt , prout in alterius
bonum cedit, per accidens amatur: sicut qui vult vinum conservari , ut illud
bibat, aut hominem, ut sibi sit utilis aut delectabilis, per accidens amat vinum
aut hominem, per se autem se ipsum. Thom. contr. gentil. 1. c. 91. n. 2.
75. (®. 76.) Arist. Ethic. Nicom. 9. c. 4. 'i^omaä Bon 9lquin übevfe^t:
ipshis gratia, unb fügt ertlärenb fiinju: Qiüa si homo exhiberet voluntaritis alicui
beneftcia, non quasi intendens bona ipshts , sed sui ipsius, sicut quum aliquis
nutrit equum propter commodum suum, non videtur verus amicus illius, sed
sui ipsius. Thom. in Arist. Ethic. Cominent. 9. lect. 4.
76. (©. 79.) Sed Deus vult bonum uniuscuiusque secundum quod est
eins. Vult enim unumquodque esse secundum quod in se bonum est: licet
etiam unum ordinet in bonum alterius. Deus igitur amat vere et se et alia.
Thom. contr. gent. 1. c. 91. n. 2.
77. (@. 80.) Sanctus Thomas in prima parte (Summae) accipit amoreni
amicitiae pro ipsa amicitia, ut patet ex iis quae ibi dicit, non autem pro amore
amicitiae proprie dicto. Similiter benevolentiam accipit proprie , non autem
communiter dictam. Quorum neutrum est ad irrationalia. Non autem negat,
Deum amare irrationalia amore amicitiae proprie sumpto , et benevolentia
communiter sumpta, ut hoc loco voluit. Ideo non sequitur, quod ea amet
tantum secundum quid , et quod nullo modo velit bonum creaturae irratio-
nalis , ut est eins. Quod autem videtur ibi dicere, quoniam ea tantum amore
concupiscentiae amat, intelligendum est de amore concupiscentiae ut a vera
amicitia distinguitur ; quod quidem atnorem amicitiae non excludit. Nam quia
irrationalibus non vult bonum ut est tantum ipsorum bonum , sed et ut est
ipsorum, et etiam ut in utilitatem aliorum cedit, ideo dicitur illa amare con-
cupiscentiae amore, et non tantum amore amicitiae; licet ad illa amlcitiam
non habeat. Quod est ea amare amore concupiscentiae tantum ut contra
amicitiam distinguitur, non autem ut contra amorem distinguitur amicitiae.
Ferrariens. super cap. 91. libr. 1. contra gentil.
®ie Segrünbuug biefer flnrcn unb grünblidjcn Sbfimg ber gonsm ©dpuierigfeit
ift ju laug, als ba^ mir es angemeffen finben tonnten, fie t)ier roieberäugeben.
78. (©. 81.) Similitudo est causa odii. Dicitur enim Proverb. 13, 10.
quod inter superbos semper sunt iurgia ; et Philosophus dicit in 8. Ethic.
cap. 1. a med., quod ßguli corrixantur ad invicem. Ergo similitudo non est
causa amoris. Thom. S. 1. 2. p. q. 27. a. 3, 1.
79. (©. 82.) In amore concupiscentiae amans proprie amat seipsum, quum
vult illud bonum quod concupiscit. Magis autem unusquisque seipsum amat
quam alium : quia sibi unus est in substantia, alteri vero in similitudine alieuius
formae. Et ideo si ex eo. quod est sibi similis in participatione formae, im-
pediatur ipsemet a consecutione boni quod amat, efficitur ei odiosus, non in-
quantum est similis, sed inquantum est proprii boni impeditivus. Et propter
hoc figuli corrixantur ad invicem, quia se invicem impediunt in proprio lucro;
et inter superbos sunt iurgia, quia se invicem impediunt in propria excel-
lentia, quam concupiscunt. Thom. S. 1. 2. p. q. 27. a. 3. ad 1.
892
Slnmerhmgen. n. 80 — 89.
80. (®. 84.) Omnis igitur inclinatio voluntatis, et etiam appetitus sensi-
bilis , ex amore originem habet. Ex hoc enim quod aliquid amamus, deside-
ramus illud si absit, gaudemus autem quuip adest, et tristamur quum ab eo
impedimur, et odimus quae nos ab amato impediunt, et irascimur contra ea.
Thom. contr. gentil. 4. c. 19. ante med.
81. (®. 85.) Amor inbians habere quod amatur, cupiditas est; id autem
hahens eoque fruens, laetUia est; fugiens quod ei adversatur, timor est; idque
si acciderit sentiens, tristitia est. Aug. de civit. Dei 14. c. 1. n. 2.
82. ('S. 85.) Quid est aliud quod dicimus frui, nisi praesto habere quod
diligis ? Aug. de morib. Eccl. cath. 1. c. 3. n. 4.
83. (S. 85.) ©cnaii btefer ^Begriff be§ ©enuffeS tritt l}ert)or tu bem sroeiten
SScrfe be§ SDeiif^en (Spigramm§, roeld^eä 31riftoteIe§ (Ethic. Nicom. 1. c. 8.) anfü^rt:
KdW.taxov TO of/caifi-ocTov Xiöatov 6’ uytcitvEtv
"HotSTov 0£ uE'f’jy’ 00 Ti; Ip5. to ToyEtv.
Est pulcherrima res iustissima; amnta teuere
Jucundissima res; optima, si valeas.
84. (S. 85.) Delectatio aliter dicitur quies appetitus, quam in corpo-
ribus dicatur quies. In bis enim quies dicit solam negationem motus, et
nihil positivum formaliter dicit; quies autem appetitus in bono coniuncto dicit-
actum appetitus cum negatione ulterioris inquisitionis. Postquam enim appe-
tens habet bonum quod quaerebat, non amplius movetur per appetitum ad
illud quaerendum, sed in bono adepto delectatur; et hic actus quo delectatur,
ideo dicitur quies, quia est cum cessatione motus executionis , quo appetens
tendebat ad finis acquisitionem. Ferrariens. super cap. 90. lib. 1. contr. gentil.
Senfelben ©ebanfcn fpric^t 2f)omn§ au§, S. 1. 2. p. q. 31. a. 1. ad 2.
85. (S. 85.) 'Tuov.EtGiluj o’ , civat T-qv -qoovrjv xi'vr^atv Ttva 'boyT); , xai
xc(TC(3T0(atv d&pdoco xcd oistlTjTTjv ei; tt;'j brclpyouSotv cpootv. Arist. Rhet. 1. c. 11. init.
3n iKücffid^t auf bie uou uu§ gegebeue Ueberfe^uug biefer Stelle uergleic^e
mau Thom. S. 1. 2. p. q. 31. a. 1. c. , uub beu gommeutar nou g’^auj S^lniuS
jii biefetu Slrtifet. — 2lviftotele§ l)at tu feitter ®efiuitiou freilicE) juuät^ft beu @euu|
im 2luge, mie berfelbe bei bem SUeufd^eu, al§ geiftig = fiuuli em SBefeu, fidl) bar;
fteUt („ctisÜTjTfjv“) ; aber mau brandet uur , inie mir e§ iu ber Ueberfe^uug get(iau
^beu, biefe nereugeube SRiicffic^t fatleu jtt laffeu, uub mau fiat beu ^Begriff gauj
atigemeiu. Sgl. Thom. S. 1. 2. p. q. 31. a. 4. ad 1.
86. (S.^ 85.) Aexxdov, (tfjv -qoovqo slvoa) ivspyEtotv xfj; xotxd: cpjjtv e?£(u;
dvEp.TTÖdisxov. Arist. Ethic. Nicom. 7. c. 12.
87. (S. 87.) Verum est bonum intellectus. Thom. S. 1. 2. p. q. 57.
a. 2. ad 3. itub de verit. q. 18. a. 6. c. Uub roieber: Bonum virtutis intel-
lectualis est verum. S. 1. 2. p. q. 64. a. 3. c.
88. (S. 90.) Amor praecipua causa delectationis est. Thom. S. 1. 2. p.
q. 32. a. 6. c. extr.
89. (S. 90.) Operatio alterius potest esse delectationis causa , . . . tertio
modo, inquantum ipsae operationes aliorum, si sint bonae , aestimantur ut
bonum proprium propter vim amoris, qui facit aestimare amicum quasi eun-
dem sibi Thom. S. 1. 2. p. q. 32. a. 5. c.
Slnmcitungcn. n. 90 — 98.
893
90. (ä. 90.) 2. Praeterea. Operatio est proprium bonum operantis.
Si igitur operationes aliorum sint nobis causa delectationis , pari ratioiie
omnia alia bona aliorum erunt nobis delectationis causa. Thom. S. 1. 2. p.
q. 32. a. 5, 2.
91. (©. 90.) Ad secundum dicendum, quod ratio illa procedit q^iantum
ad tertium modum^ non autem quantum ad duos primos. Thora. 1. c. ad 2.
J)er iertius modiis ift bev in n. 89 erflörte.
92. (©. 91.) Quid est ergo amor. nisi quaedam vita, duo aliqua copu-
lans, vel copulare appetens, amantem scilicet et quod amatur? Et hoc etiam
in extremis carnalibusque amoribus ita est; sed ut aliquid purius et liquidius
hauriamus, calcata carne ascendamus ad animum. Aug. de Trin. 8. c. 10.
93. C^- 31.) Quaedam unio est effectus amoris; et haec est unio realis,
quam amans quaerit de re amata: et haec quidem unio est secundum con-
venientiam amoris. Ut enim Pliilosophus dicit II. Polit. c. 11. post med. :
„Aristophanes dixit, quod amantes desiderarent ex ambobus iieri unum. Sed
quia ex hoc accideret aut ambos , aut alterunr corrumpi, quaerunt unionem
quae convenit et decet, ut scilicet simul conversentut, et simul colloquaiitur,
et in aliis huiusmodi coniungantur.“ Thom. S. 1. 2. p. q. 28. a. 1. ad 2.
94. (©. 92.) (Cuindus pecuniae) consequitur ipsam per hoc quod manu
ipsam apprehendit, vel aliquo huiusmodi; et tune iam delectatur in pecunia
habita. Sic igitur et circa intelligibilem finem contingit ; . . consequimur
ipsum per hoc quod fit praesens nobis per actum intellectus; et tune voluntas
delectata conquiescit in fine iam adep)to. Thom. S. 1. 2. p. q. 3. a. 4. c.
9.5. (0. 92.) Unumquodque naturaliter in suo simili gaudet . . Omne
autem bonum est divinae bonitatis similitudo . . Relinquitur ergo, quod Deus
de omni bono gaudet. Thom. contr. gentil. 1. c. 90. n. 4.
96. (0. 94 .) 4. Praeterea. Pliilosophus dicit in Rhet. cap. 4. post
princ. , quod heneficos in pecunias et sahitem amaimis; et similiter eos qui
circa 7nortuos servant a^nicitiatyi , oinnes diligimt. Non autem omnes sunt tales.
Ergo similitudo non est causa amoris.
Ad quartum dicendum, . . quod licet non omnes homines habeant huius-
modi virtutes secundum habitum completum, habent tarnen eas secundum
quaedam seminalia rationis , secundum quae, qui non habet virtutem, diligit
virtuosum tamquäm suae natzirali ratio7ii conformem. Thom. S. 1. 2. p. q. 27.
a. 3., 4. et ad 4.
Responderi potest , . . (inter virtuosum et vitiosum) esse similitudinem
secundum eandem formam , sed incompletarn. Quamvis enim vitiosi non ha-
beant, simpliciter loquendo , virtutes qiias habent virtuosi: inqnantum tarnen
sunt rationales , insunt eis seminaria virtutum, adeo ut tarn virtutes intel-
lectuales quam morales possint secundum (luandam aptitudinis inchoationem
dici esse in illis a natura . . ()ua proinde ratione aliquarn, licet imperfectam,
similitudinem habent cum virtuosis; quos proinde diligunt velut suae 7uttnrae
confornies. Sylv. Comment. in 1. 2. S. Thom. q. 27. a. 3.
97. (0. 9.5.) T6 -lüv y.aW ccjto äyodlwv -/.cd /joäov. Arist. Ethic.
Nicomach. 9. c. 9.
98. (0. 96.) Unumquodque naturaliter in suo simili gaudet, quasi in
894
Stnmerfungen. n. 99 — 108.
convenienti; nisi per accidens, inquantiim est impeditivum propriae utilitatis:
sicut figuli ad invicem corriscantur, pro eo quod unus impedit lucrum alterius.
Thom. contr. gentil. 1. c. 90. n. 4.
Id quod est simile, inquantum est unum est delectabile, sicut et ama-
bile. Et si quidem id quod est simile, proprium bonum non corrumpat, sed
augeat, est simpliciter delectabile; puta homo homini , et iuvenis iuveni. Si
vero est corruptivum proprü boni, sic per accidens et'ficitur fastidiosum, vel
contristans: non quidem inquantum est simile, et unum, sed inquantum cor-
rumpit id quod est magis unum.
Quod autem aliquid simile corrumpat proprium bonum, contingit . . (alio
modo) per directam contrarietatem ad proprium bonum: sicut figuli abomi-
nantur alios figulos , non inquantum sunt figuli, sed inquantum per eos amit-
tunt excellentiam propriam, sive proprium lucrum, quae appetunt sicut pro-
prium lionum. Thom. S. 1. 2. p. q. 32. a. 7. c.
1)9. (®. 98.) ’AptaroTsXrj; ^piuTqilEk otä ti' -tüv xaXwv ö lp(u? ; ,,TO'.pÄoö“
elr:ev ^ptb-/|ai;“. Io. Stob. Florileg. 65. n. 14. (Ed. Meineke vol. 2. p. 403.)
100. (6. 99.) T a'j-TjV i'jfi'Kypn. y.cd ix veo'ttjTo; y.cd
vjp.'fTjV <i-[dys3i}ai dp.ocjTup, xoci Ipoisrq; lyEv(ip.TjV toö xctXXoo; aorrj;. Sap. 8, 2.
101. (®. 99.) Philosophus dicit 9. Ethic., cap. 5. et 12. in princ., quod
visio corporalis est principium amoris sensitivi ; et similiter contemplatio
spiritualis pulchritudinis vel bonitatis est principium amoris spiritualis. Thom.
S. 1. 2. p. q. 27. a. 2. c.
102. (©. 99.) Tö xaXöv si'/.ov £tvc(t. Ap. Plat. Eys. Steph. p. 216 c. Bip.
5. p. 238.
SRarfilius g-icimis überfc^t aiid^ ^ier; ipsum pulchrum; ngl. oben 9^. 4. 5.
©. 7 ff.
103. ('S. 100.) riäatv ouv ^axt x6 xotXöv xod dyaböv l'fcxov, xott ipocjx&v, xat
dyaTXYjxdv • . zocl Txdvxa, xcö xaXoö xczi dyocboö i'fiijxc'^a , miil xcd ßooXEXoet ixdvxa
03a ßooXexat. Dionys. Areop. de divin. nomin. cap. 4. §. 10.
104. (©. 100.) . . (b? ndvxa Txpo; sauxö xaXoöv , obsv xal xdXXo; XcyExoci.
Dionys. 1. c. §. 7.
105. (©. 100.) Kal ydp iari xö Ipa3xöv xd xip d'vxt xaXdv , xai äßpdv xal
xeXeov xal p.axapt3xdv xd oe yE dpÄv, d'XXrjv idsav xoiadxqv syov, olav iyw oitjXSov.
Plat. Conviv. Steph. p. 203 c. 204 d. Bipont. 10. p. 231. 233.
106. (S. 101.) Nihil est enim, mihi crede, virtute formosius, nihil pul-
clirius, nihil amabilius. Cic. Epist. ad Farn. 9, 14.
107. (®. lOJ.) Formam quidem ipsam , Marce fili, et tamquam faciem
honesti vides; quae si oculis cerneretur, mirabiles amores, ut ait Plato, ex-
citaret sapientiae. Cic. de offic. 1. c. 5. n. 14.
<P[)dvr|3i; oüy dpäxac ostvob; yäp dv Tiapet'/Ev Ipiuxa;, si! x; xoio'jxov sa'jxrj;
dvapys; ci'diuXov 7xap£t/Exo ek d''biv idv, xal xdXXa d'3a Ipa3xa'. Plat. Phaedr. Steph.
p. 250 d. Bip. vol. 10. p. 329.
108. (©. 103.) Td ouv iw rjp.tv äyabdo . . . dpqaox^po'j; eyEt xob; Ipcuxa; xäv
iw akllTjOEt xaXujv . . . . Ti' ydp dpExr); q lTU3xqu.Tj; xa'XXtov iw djiJ-Tv; xi 8e xAv
ivavxRüv alo'/iov; Procl. Comment. in Plat. Alcibiad. prior. Cod. Leid. p. 222.
3himevfiingen. n. 109—116.
895
109. (®. 103 .) Habes duos servos, unum deformem corpore, alium pul-
cherrimum ; sed illum deformem fidelem, alium infidelem. Die mihi, quem plus
diligas: et Video te amare invisibilia. Quid ergo, quando plus anias servum
fidelem, licet corpore deformem, quam pulchrum infidelem, errasti, et foeda
pulcbris praeposuisti ? Utiquenon: sed pulchriora foedis praeposuisti . . . Inter-
rogasti oculos carnis. et quid tibi renuntiaverunt? Iste pulcher est, ille foedus.
Repulisti eos, eorum testimonium reprobasti; erexisti oculos cordis in servum
fidelem et in servum infidelem: istum invenisti foedum carne, illum pulchrum;
sed pronuntiasti et dixisti : Quid fide pulchrius? quid infidelitate deterius?
Aug. serm. 159. al. de verbis Apost. 17. n. 3.
110. (g. 101.) . . K at TO ‘/.dÄ/.'Trov , dpaTp-uoTCtTov. fliö; o’ od ; 1 cüv
6t] ÖTtp.ciÄtTTo; ToiooTojv dviiptoTTiov oyc p.0'j3t/.d; d'j. Plat. de republ. I. 3.
Steph. 402 d. Bip. vol. 6. p. 295.
111. c®. 101.)
Modsat -/.Ott .\ctptT3;, -/oöpott ilto;. ol -ote Kctojjio’j
’E; yctp.oo l)vl)oÖ3ott. -/tctXöv dii3ax’ i~o;'
,9d.3Tt -/CtXdv, tptXov i3TC tÖ 5' O'J Y.Ot'/JjV O'j tOtXoV i3Tl.“
ToÖt' E~0; ÖfiotVOtTlOV -?jXi)e otot 3TOp.O(T(OV.
Theogn. Megarens. Sentent. elegiac. v. 15. sqq.
112. (S. 101.) Et TOÖTO o’jTtu; . aXXoTt 6 iptu3, -/.otXXo'j; av eitj sptu;,
oti3-/0’j; o’ O’J. Plat. Conviv. Steph. p. 221 a. Bip. 10. p. 225. s.
113. (g. 101.) '0 d'XXoj TOJ Eptu;, ’/j -/.ctXXoj; ^3ttv; o’joap.tö;- 3'/_oX'^
ytip clv Etrj l'pto;, e{ p.rj -/.ctXXoj; EiVj. Maxim. Tyr. dissert. 27. al. 11. n. 3.
111. (g. 105.) '0 Epio; fjfjttv -/ctXXoj; TjV spto;- ö os iptüv d'XXoj toj , -xot't p.f|
■/CtXXoj;, TjOOvf); ipä. ’Acpatp(Öp.SV os , Ei ßO’lXEt, TO’JVOp.OI , xott drtilurj.Etv XEytup.Ev
TOÖTOv , dXX O'J-/ ^pö.v, i'va ptTj T-jj Tispt tX|V cstuvXjV -apovop.tp: -/.at xo 7xpäYp.a urraXXa-
?avxE; XafitopEv , äXX oj xo-Jvop.a ijtdvov. Tooxiu xot'vjv sptu; p.Ev -/.aXXoj:, l-tSljata
OE TjoovTj;. Max. Tyr. 1. c. n. 4.
115. (g. 105.) Haec virtus (amoris et dilectionis) attribuitur rebus creatis
a Deo , qui est xiulcher et bonus , „propter pulchrum et bonum*’'’, qaod esf
jiroprium ohiectum amoris. Nihil enim amatur nisi seciimlum qiiod habet
rationem pulchri et honi. Thom. in libr. B. Dionys. Areop. de div. nomin.
cap. 4. lect. 9. vers. fin.
®ie t)ier in 31nfüt;ning§jeid^en eingefc^Ioneneu SBorte, propter pulchrum et
bonum, lauten im Original: ,,ota x6 -/aXov -/.ai äYaHdv“ (Dion. Areop. de div.
nomin. cap. 4. §. 12. vers. fin.). Sie§ jnr SBegvünbnng ber non uns gegebenen
lleberfe^ung; ngt. oben 91. 4. 5. g. 7 fb
116. (g. 106.) Sanclimi templum tuuni, mirabile in iustitia. Ista sunt bona
domus illius. Non dixit, Templum sanctum tuum mirabile in columnis, mirabile
in marmoribus, mirabile in tectis auratis, sed mirabile in iustitia. Habes foris
oculos unde videas marmora et aurum : intus est oculus linde videatur pulchri-
tudo iustitiae. Intus, inquam, est oculus, unde videatur pulchritudo iustitiae.
Si nulla est pulchritudo iustitiae, unde amatur iustus senex? Quid affert in
corpore quod oculos delectet? Curva membra, frontem rugatam, caput canis
albatum , imbecillitatem undique querelis plenam. Sed forte quia tuos oculos
non delectat senex iste decrepitus, aures tuas delectat ; quibus vocibus? quo
896
3lninerfiingen. n. 117—121.
cantu? etsi forte adolescens bene cantavit, omnia cum aetate defecerunt. An
forte Bonus verborum eius» delectat aures tuas , qui verba vix plene enuntiat
lapsis dentibus? Tarnen si iustus est, si alienum non concupiscit, si de suo
quod habet erogat indigentibus , si bene monet, et rectum sapit, si integre
credit, si paratus est pro fide veritatis etiam ipsa confracta membra impen-
dere, multi enim martyres etiam senes; unde illum amamus? quid in eo bo-
nuni videmus oculis carnis? Nihil. Qimedani ergo est pulchritudo iustitiae,
quam videmus oculo cordis , et amamus, et exardescimus ; quam multum di-
lexerunt homines in ipsis martyribus, quum eorum membra bestiae laniarent.
Nonne quum sanguis foedaret omnia, quum morsibus belluinis viscera funde-
rentur, non habebant oculi nisi quod horrerent? Quid ibi erat quod amaretur,
nisi quia erat in illa foeditate dilaniatorum membrorum integra pulchritudo
iustitiae? Ista sunt bona domus Dei; his te para .satiari . . . Sanctuni tem-
plum Uium, admirabile in iustitia. Et ipsum templum , fratres, nolite praeter
vos cogitare. Amate iustitiam, et vos estis templum Dei. Aug. enarr. in
ps. 64. n. 8.
117. (S. 106.) Die, oro te, num possumus aniare nisi pulchra? Nam etsi
quidam videntur amare deformia, quos vulgo Graeci aairpocpö.o’j; vocant, interest
tarnen quanto minus pulchra sunt quam illa quae pluribus placent. Nam ea
neminem amare manifestum est, quorum foeditate sensus offenditur. Aug. de
Musica 6. c. 13. n. 38.
@anj benfeiben ©rimbi'nb finben mir obermaiä in ben „Sefenntnifien" : Ama-
bam pulchra inferiora , et ibam in profundum , et dicebam amicis meis : num
amamus aliquid nisi pulchrum? Quid est ergo pulchrum? et quid est pul-
chritudo? Quid est quod nos allicit et conciliat rebus quas amamus? Conf.
4. c. 13. n. 20.
118. (5. 108.) Sero te amavi, pulchritudo tarn antiqua et tarn nova ! sero
te amavi ! Et ecce intus eras , et ego foris , et ibi te quaerebam ; et in ista
formosa quae fecisti , deformis irruebam. Mecum eras , et tecum non eram.
Ea me tenebant longe a te, quae si in te non essent, non essent. Aug. Con-
fess. 10. c. 27.
119. ('S. 109.) 'U ZtütVjp q;j.(üv -äsav dvbpujTitvrjv cpösiv xaXös
p.ev tu; ö.iaTza'j^oLi p.o'vo; r:pb; r^p-töv, "6 '/.aXov tö cy.rplivöv 3zi~0)lo6v"tuv „rp yäp
TÖ tptö; TO dATjilivdv.“ Clem. Alex. Strom. 1. 2. c. 5. ed. Potter. 439.
120. (3. 109 .) Amemus illum. . . Ecce ipse invenit multa foeda, et ama-
vit nos; si aliquid foedi invenerimus in eo , non amemus. . . . Nobis ergo iam
credentibus, ubique sponsus pulcher occurrat. Pülcher Deus, Verbum apud
Deum; pulcher in utero Virginis, ubi non amisit divinitatem, et stimpsit huma-
nitatem; pulcher natus infans Verbum. . . . Pulcher ergo in coelo, pulcher in
terra; pulcher in utero, pulcher in manibus parentum ; pulcher in miraculis,
pulcher in flagellis ; pulcher invitans ad vitam, pulcher non curans mortem;
pulcher deponens animam, pulcher recipiens; pulcher in ligno , pulcher in
sepulcro, pulcher in coelo. Aug. in ps. 44. n. 3.
121. (®. 110.) Multum excitatae et animatae sunt ex collocutione et adiura-
tione sponsae filiae lerusalem. Quomodo non animentur ad rogandum de pulchri-
tudine ipsius, pro cuius amore sponsam languentem et fere exanimatam vident?
Deprehensus in sponsa languor amoris, in hanc illas quaerendi curiositatem
atnmcrtungen. n. 122 — 130.
897
protraxit. Videntes enim in sponsa amorem esse vehementem, caiisas et irri-
tamenta tanti affectiis arbitrantur in sponso. Affectuose qixaerunt, qualis sit
in sponso pulchritudo, de quo non possunt non praesumere quin admirabiliter
pulcher sit , et sponsae pulchritudinem in argumentum assumunt pulcherrimi
sponsi. Gillebert. de Hoilandia, in cant. serm. 47. n. 3. (inter opp. s. Ber-
nardi, ed. Maur. tom. 5. p. 161.)
122. (©. 110.) ’ATZOppotot TT); -r/j zavTOxpctTOpo; 5d;Tj; EtÄtxptvT);, . . y.ai Etxiuv
TTj? dYaitoTTjTO; «ütoü. Sap. 7, 26. 27.
123. (o. 110.) Sie ®u(gata terbiiibet onbcrg; aber bie ^ier gegebene
punction unb ber barauS f}crDorge[)enbe 0inn cntfprid)t bem l^ebräifc^en Jevt, ber
'Siilgnta Cod. Veron. , xinb einer Segart bei bem l^eiUgen 6^rpfo[tomn§ (S^egg,
bie ipiaimen). Sei 6^n)foftomu§ l^ei^t e§: „llspt'lrj'j (b; ij.dyjy.irA'i aou Ini xoO
uTjpoü, TÖv sratvdv aciu vm\ tö deuopd aou.“ Salb baranf erftärt ber .^eilige:
„Touto tj [j.d'/_atpa -q wpaidTTj; xotoü, -/.cd ~d vÄtX'r, aÜTCÜ. xed q p.EYxXtuabvrj,
xcd [j.£yxÄonpEn£m.“ (In ps. 44. n. 4. 5.)
124. (©. 114.) Quidquid est, de quo ratione et via disputetur, id est
ad ultimam sui generis formam speciemque redigendum. Cic.' Or. c. 3. n. 10.
125. (£. 116.) Similitudo inter aliqua potest attendi . . . uno modo ex boc,
quod utrumque habet idem in aetu , sieut duo babentes albedinem dicuntur
similes. . . . (Hic) ergo similitudinis modus causat amorem aniicitiae, seu hene-
i'olentiae: ex hoc enim quod abqui duo sunt similes, quasi babentes unam
formam, sunt quodammodo unum in forma illa; sicut duo homines sunt unum
in specie humanitatis, et duo albi in albedine: et ideo affectus unius tendit
in alterum sicut in unum sibi, et milt ei honum sicut et sihi. Tbom. S. 1.
2. p. q. 27. a. 3. c.
126. (0. 116.) Quanto id, unde amans est unum cum araato, est maius,
tanto est amor intensior. Tbom. contr. gent. 1. 1. c. 91. n. 3.
127. (0. 117.) Etiamsi non sit liomo in peccatis maximis constitutus, tarnen
quia ingens est animae pulchritudo, minorum quoque societate turpatur. Be-
spiee virtutes animae quae ei insitae sint a Deo, vide pulchritudinem eins, in-
ventionem, dispositionem , eloeutionem, memoriam, pronuntiationem , cuius sit
ingenii, quomodo primum intelligat, inde intellecta diiudicet, ut incitetur ad
sensus, ut menti sensa commodet, quos habeat impetus, quos cogitatus de Deo.
Haec possidens magnae pulchritudinis est. Orig, in Ezechiel, hom. 7. n. 7.
ed. Maur. p. 384. (9<iad^ ber Ueberfetmng be§ f)eiligen |>ieronpmn§.)
128. (0. 118.) . . . ‘betpiv OTj (b; TT)v cpbaiv obaa 07r£p lart, xat Trpö ttj;
xp£iTT0'(0; iv Tol; obaiv obaia;, ^j,Tt dv lOTj a'jyyEve; 'q tyvo; toü G’jyy£voö;, 7_on'p£i t£
xxi Zit-~6rpai, xcd ävci'.p£p£i -po; sxuTTjv, xxi ctvc!p.tp,vTjGX£TC!i Ect'jTq; xct'i twv tccjTT^;.
Plotin. de pulcbritud. c. 2. Basil. p. 51 F. G. Creuzer 12.
129. (0. 118.) To OE TT); /poo; xdÄXo; drXoüv p-op'fTj , xat xpaTTjOEt toü ev
■j?vT) GxoTEtvoo napo'jGi'a cfoj-o;, daiup.ctTO’j xai XtJyou xat eioou; ovto;. "ODev xat to Ttüp
abto -apä -ä cDdoL aibtjiaTa xaÄöv , oTt TctEtv eioou; rpö; Tct äXXa GTOf/^Eta r/Et . . .
Plotin. de pulchrit. c. 3. Basil. p. 52 F. Creuzer 20.
130. (0. 119.) Omne (nobis) malum ab externis accidit, atque est
animae peregrinum : ex internis vero bonum. Anima enim naturaliter est
Sungmann, Üleftfjetit. 2. Slufl. 57
898
2lnmerfungen. n. 131 — 139.
honiformis (dyoc!)oti6Tii). Procl. Comment. in Alcib. prior. p. 254. in Excerptt.
Ficini. ^
131. (®. 119.) O’jaet ^oyt/ot xai tifihi-tyyrji ycyovoTö;, 7:pö; tÖ Xoyixöi? -Aa\
xej^vwüi; TtpaxxdijiEvov oJxsitu; Btocx£t'p.si)oi. Plutarch. Symposiac. sive convival.
disputat. 1. 5. quaest. 1.
132. (®. 129.) KdXXo; Xsuxdxrjxo; aüxfj; ly.üa'jp.daEt Sir. 43, 18.
(Vulg. Eccli. 43, 20.)
133. (©. 129.) Regina colorum lux ista, perfundens cuncta quae cerni-
mus. Aug. Conf. 10. c. 34.
134. (©. 129.) Kat cIo£v 6 6cö; xö tpd);, dxt xotXdv. ®o lieft 33afiliu§ nad;
ben LXX, roäl^renb bie SBuIgata überfe^t: Et vidit Deus lucem quod esset bona.
Gen. 1, 4.
135. (©. 130.) Sin einer anberen ©teile fagt SI)oma§ : In intellectu humano
lumen quoddam est quasi qualitas, vel forma permanens, scilicet lumen essen-
tiale intellectus agentis, ex quo anima nostra intellectualis dicitur. De verit.
q. 12. art. 1. c.
130. (©. 131.) Hunc ignem in terram misit Dominus lesus, et refulsit
fides, accensa est devotio, illuminata est caritas , iustitia resplenduit. . . .
Assuescamus oculos nostros videre quae dilucida et c!ara sunt, spectare vultum
continentiae et temperantiae, omnesque virtutes, in quibus nihil scabrum, nihil
obscurum et tortuosum sit. Ambros, de Isaac et anima c. 8. n. 77. 79.
137. (©. 134.) Pulchritudo corporis in hoc consistit, quod homo habeat
membra corporis bene proportionata cum quadam debiti coloris suavitate.
Thom. S. 2. 2. p. q. 145. a. 2.
Quid laudant in corpore? nihil aliud video quam pulchritudinem. Quid
est corporis pulchritudo? Congruentia partium cum quadam coloris suavitate.
Aug. ep. 3. al. 151. ad Nebridium n. 4.
Omnis enim corporis pulchritudo est partium congruentia cum quadam
coloris suavitate. Ubi autem non est partium congruentia, aut ideo quid
ofFendit quia pravum est, aut ideo quia parum, aut ideo quia nimium. Aug.
de civ. Dei 22. c. 19. n. 2.
Et ut corporis est quaedam apta flgura membrorum cum coloris quadam
suavitate, ea quae dicitur pulchritudo: sic in animo opinionum iudiciorumque
aequabilitas et constantia, cum firmitate quadam et stabilitate, virtutem sub-
sequens, aut virtutis vim ipsam continens, pulchritudo vocatur. Cic. Tusc.
Quaest. 4. c. 13. n. 31. Cfr. de offtc. 1. c. 28. n. 98.
Tö awfjLctxrxöv xaXXo;, aupp-Expia pEXüiv xai pEpwv pEx’ EÖ/poia;. Giern. Alex.
Paedagog. 1. 3. c. 11. Potter. 291.
138. (@. 139.) Ut enim pulchritudo corporis apta compositione mem-
brorum movet oculos, et delectat hoc ipso quod inter se omnes partes cum
quodam lepore consentiunt: sic hoc decorum quod elucet in vita , movet ap-
probationem eorum quibuscum vivitur, ordine et constantia et moderatione
dictorum omnium atque factorum. Cie. de offlc. 1. c. 28. n. 98.
139. (0. 141.) Nihil est vel apparet bonum, nisi secundum quod parti-
cipat aliquam similitudinem summi boni , quod est Deus. Thom. S. 1. p.
q. 105. a. 5. c.
Stnmerhingen. n. 140 — 151.
899
uo. rs. 141 .) In tantum aliquid de bona participat, in quantum assi-
milatur primae bonitati, quae Dens est. Thom. contr gentil. 3. c. 19. n. 5.
141. (S. 141.) Nibil dicetur bonum nisi in quantum habet similitudinem
aliquam divinae bonitatis. Thom. contr. gentil. 1. c. 40. n. 2.
142. (@. 142 .) Omne agens invenitur sibi simile agere : unde si prima
bonitas sit effectiva omnium lionorum, oportet quod similitudinem suam im-
primat in rebus effectis : et sic unumquodque dicetur bonum sicut forma in-
haerente per similitudinem summi boni sibi inditam, et ulterius per bonitatem
primam, sicut per e.xemplar, et effectivum omnis bonitatis creatae . .
Sic ergo dicimus secundum communem opinionem, quod omnia sunt
bona bonitate creata sicut forma inhaerente , bonitate vero increata sicut
forma exemplari. Thom. de verit. q. 21. a. 4. c. extr. Cfr. S. 1. p. q. 6.
a. 4. c. extr.
143. (®. 142.) Pulchritudo enim creaturae nihil est aliud, quam simili-
tudo divinae pulchritudinis in rebus partiei]iata. Thom. expos. in libr. B.
Dionys, de div. nomin. cap. 4. lect. 5.
144. (S. 144.) .iltö x'xX Myzxoa dpüüij, t6 dyctilciv y.al ■A’iKU't xtjv
Yivi3Ü0!t, öpottuDrjVcc. ölvat Ttö 0T( IxcTScv x'i v.i'kÖ'j. Plotin. de pulchr. c. 6.
Basil. 55 D. Creuzer 44.
145. (<£. 144.) (’l'öv ßo’jloacvov xö y.di'.Äo; äixTy/avov) iodvxi Sei
xci cv aiüpotst yald pfjxt zpo;xps/£tv, 'fv'j'ixii, oj; zhhi jJxdve; y.od i/vrj xat
cy.totl, oE'jyetv Tpö; IzeTvo, oo xaöxot sixdvE;. Plotin. de pulchrit. c. 8. Basil. 56 F.
Creuzer 56.
146. (S. 145.) .... xoöxo OS Ö-Xö); yod dxsyvöj;, y.al i'oiu; s’jfpho;, sya»
—nrj Irj.ct’jxu), oxt O'jy, di'XXo xt ~otsi aoxd yaXdv, Sy.si'vo’j xoö y.otXoö stxs rctpo'joia,
si'xc xoivtov'cc, sixs 0-Tj otj •/■yt ozto; -po^ysyopioTi Plat. Phaedo Steph.
p. 100 b. c. d. Bip. vol. 1. p. 227. (®a§ lebte SSBort, fteljt nic^t hei
iplato ; e§ ift eine fel)t gute Goniectur (5reii5er§, Annot. in Plotin. de pulchritu-
dine p. 180.)
147. ('S. 145.) ’i'd y.o<X>o; xrfi dro uryxoTj; xoö Bsoö. Chrys. hom.
de capto Eutropio. (Tom. 3. j). 413.)
148. (©. 145.) Anima humana multum speciosa est, et mirabilem habet
pulchritudinem. Artifex quippe eins, quum eam primum conderet, ait ; „Fa-
ciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram.“ Quid hae pulchri-
tudine et similitudine pulchrius? Orig, in Ezechiel, hom. 7. n. 6. ed. Maur.
p. 383.
149. (5. 145.) . . . ^; ibv ö S'jp'jllpo; xxt xaXd; ooxo; dvoptä; xoö Adyou
y.sy.d5[j.rjxat. Clem. Alex. Paedag. 1. 3. c. 11. Potter. p. 292.
150. (5. 145.) . . . woxs . . osüv’jo&ou d( dy.pijisia; npo; xd dpysx’jxov xdXXo;
dpotioilsijav. Gregor. Nyss. de hominis opif. cap. 4.
151. (5. 146.) KxXdv ds -dv . o-sp dv "’j'/Ji rrpiüxov dyatldv oixsicu;
s/ov o.xt o' dv s5(o YEVT;xctt XT^; npd; xoöxo a/soseu? xs yyl dp.oiiu3S(u;, dp.otpov xo5
-/.aXoö ndvxio; doxiv. Greg. Nyss. 1. c. cap. 12. 2Ran netgleic^e hiermit bie oben
augefüf)vten SBorte be§ ©ocrotee im (©. 144 f.).
900
ätmnevhmgen. n. 152 — 159.
152. ($. 146.) De hom. opif. cap. 12. 3J?an tonnte nerfud^t fcpn ju gtouben,
@regor oon befenne fid^ in biefer etnias bnnften ©teile ju ber trtd^otomiftifc[;en
Jhiffaffnng, roeld^e in bem UJlenfd^en brei ©ubftanjen unterfd^eibet, @eift, ©eele unb
2eib. ba§ feine§ioeg§ ber ift/ nid^t nur an§ anberen ©teilen feiner
©d^riften, fonbern au§ eben biefent jtapitel felbft finr Ijeroor: @regor betrachtet
burdl)an§ bie erfennenbe ©ubftanj im ÜJtenfchen al§ biejenige, roelclje jiigleich ba§
iprincip be§ aniinalifdl;en Seben§, bie SebenSform be§ ganjen tOtenfchen ift. ®ie
brei (Elemente oon betten er rebet, voü;, cpoji;, ~o üli-/.ov, @eift, iltatur (@eete) unb
©toff, muh "'“>1 ©nbftanäen faffen. ®er voO; ift ifim bie ©eele alS
oerniinftigeS ißrincip, bie 'fjat; biefelbe ©nbftanj al§ ba§jenige, roa§ ben ©toff
’,nf amment) ölt, ihm g’orm unb ©eftatt gibt, if)n belebt, ihn jum menfdhtichen ßeibo
madjt, burdh ihn roahrnimmt nnb ftrebt. Ohne biefcg lefttere ißrincip ift bie 9Jta=:
terie, bie oXr;, nach ber SInfdhammg ber peripatetifcfien ©chute, geftaltlog , formlog,,
aller ©dhönheit baar, hnhüch (trrcuycöo'joa r'h; iom; popa-?/;, -/prfCoooa toö -/.aXÄot-
zi'CoMto;, äoy^pcuv, dv.akX-fji). ®enn bie ©eele, fagt aifo @regor nadh unferer 5Iug=-
brucfgmeife, ftatt bnrdh bie SSernunft bag finnlidhe ©tement ju leiten, umgetehrt
fich Don biefem beherrfdhen läft, bann jerreipt fie ihre ißerbinbung mit ber Ur^
fdhönheit, unb oertiert fo ihre eigene ©chbnheit; unb roahrenb fie fonft bem 2eibe
feine ©dhönheit oermittelte, nimmt fie nun felbft bie natürliche .gtdfiUchfeit ber
iOtaterie an.
153. (2. 148.) llavTi otj oöv TOÖTO -/.axacpave? , oxt xö zaXöv Ipccoptöv laxt
•/.axd TTi'i auxoö cpootv otto’J '(t v.'xi xö eoyaxov xdXXo; , tö; ivoctXp.a cpepov xo5
•/.ctXXo’j;, cpaivöp-Evov ipaoxciv laxt, xai IxrXhxxEt 7.ai 7,ivet xd; tboyd;. Toöxo yctp tfrjai'.»-
h Iv xif) (bcttopti) Xcuzpdxrj;- „xo 7,dXXo; xot'jxr|V zT/t p.otpav, l7'.pav£axaxciv elvctt xat
Ipctaptiux'zxov“ Exot'acu;, £tx£ 5td xd v.iXzl't trpd; laoxd -/.£-/.pot-/,xat xaXdv, £tx£ 5td xd-
7TjX£tv 7.71 SeXyeiv xd TTpd; 7'jxd d'jvdp.£v7. ßXeTTEtv , Ipaaxdv laxt 7.7xd tpdatv 3td 7.ai
d Eptu; -pd; xd xaXdv d'yEtv Xlyexat xd Ipcüv. Procl. Corament. in Platon. Alttib^
prior. (Cod. Leid. p. 220. 221. Creuzer p. 120.)
154. (©. 148.) KaXdv p.£v odv laxtv , d dv dt’ aöxd atpExdv 3v l;ratv£xdv if-
?j 3 dv dyaiidv 3v /^dö r], d'xt dyaödv. Arist. Rhet. 1. c. 9. n. 3.
Sag 3Bort dyaSdv in ber äioeiten Sefinition fann nur bie innere ©utheit
bejeidhnen: benn eg ift gteidhbebeutenb mit bem norauggehenben dt’ aöxd aipexov..
®ir überfehen eg barum mit fftedht burdh „an fid) gut".
155. (©. 150.) Pulchritudo est rei honitas, quatenus haec mente cognita
delectat. Kleutgen, Instit. Theolog. vol. 1. (Ratisbonae 1881.) n. 713. pag. 418>
156. (©. 152.) Pulchrum et bonum in subiecto quidem sunt idem, quia
super eandem rem fundantur , scilicet super formam ; et propter hoc honum
laudatur nt pulclu'um. Thom. S. 1. p. q. 5. a. 4. ad 1.
157. (©. 152.) Sola raiione differens. S. 1. 2. p. q. 27. a. 1. ad 3. Ra-
tione differunt. S. 1. p. 1. c.
158. (©. 152.) De ratione boni est, quod in eo quietetur appetitus. —
. . . ita quod bonum dicatur id quod simpliciter complacet appetitui. S. 1.
2. p. q. 27. a. 1. ad 3.
159. (©. 152.) Ad rationem pulchri pertinet, quod in eins aspectu seit
cognitione quietetur appetitus. — ... (ita quod) pulchrum dicatur id cuius-
ipsa apprehensio placet. S. 1. 2. p. q. 27. a. 1. ad 3.
Slnmerhmgen. n. 160 — 168.
901
160. (®. 153.) ®tc in ben jroct lefeteu Ülnmerfungen, n. 158 unb 159, gegebenen
lIBorte be§ l^eiligen Sl^omnä finb alfo nad^ meiner 5tn)id)t fo ju nerfte^en: De ratione
boni est, quod in eins usu quietetur appetitus. — Itaque bona dicitur aliqua
res, quatenus in ipsam rem appetitus fertur, quod vel utilis sit, vel obiectum
«onveniens alicuius naturalis facultatis; pulchra vero dicitur, quatenus ipsa
«ius cognitio appetituin delectat.
161. (®. 153.) Bonum non est obiectum appetitus, nisi proiif est appre-
hensutn: et ideo amor requirit aliqnnm apprehensionem boni quod amatur. Et
propter hoc Philosopbus . . . Sic igitur cognitio est causa amoris ea ratione qua
bonum, quod non potest amari nisi cognituni. Thom. S. 1. 2. p. q. 27. a. 2. c.
<;®ie in biefer ©teüe roeggetapenen , bnrd) ipunfte angebenteten 3Sovte finben fid^
oben, 3tnm. n. 101.)
Ad tertium dicendum , quod etiam amor naturalis, qui est in Omnibus
rebus, causatur ex aliqua cognitione , non quidem in ipsis rebus naturalibus
-existente, sed in eo qui naturam instituit, ut supra dictum est (qu. 26. a. 1.).
Thom. 1. c. ad 3.
162. (©. 154.) Convenientiam entis ad intellectum exprimit hoc nomen,
verum . . Prima ergo comparatio entis ad intellectum est, ut ens intellectui
-correspondeat : quae quidem correspondentia , adaequatio rei et intellectus
dicitur; et in hoc formaliter ratio veri perficitur. Hoc est ergo quod addit
verum supra ens, scilicet conformitatem sive adaequationem rei et intellectus.
Thom. de verit. q. 1. a. 1. c.
163. ('S. 154.) Bonum habet rationem causae finalis. Thom. S. 1. p.
q. 5. a. 4. Contra est.
164. (®. 154.) Est enim bonum „quod omnia appetunt“ : et ideo habet
rationem finis ; nam appetitus est quasi quidam motus ad rem. Thom. 1. c. ad 1.
16.5. (1$. 1.5.5.) Intellectum est in intelligente per suam similitudinem. Et
per hunc modum dicitur, quod intellectum in actu est ipse intellectus in actu,
inquardiim similitudo rei intellectae est forma intellectus. Thom. S. 1. p. q. 85.
A. 2., 1. et ad 1.
166. (0. 155.) Pulchrum respicit vim cognoscitivam . . Et quia cognitio
fit per assimilationem , similitudo autem respicit formam , pulchrum proprie
pertinet ad rationem causae formalis. Thom. S. 1. p. q. 5. a. 4. ad 1.
167. (0. 1.55.) Convenientiam entis ad intellectum e.xprimit hoc nomen,
verum. Thom. de verit. q. 1. a. 1. c.
168. (0. 1.5.5.) Scientia Del est mensura rerum, . . quia mensurat essen-
iiam et veritatem rei. Unumquodque enim intantum habet de veritate suae
naturae, inquantum imitatur Dei scientiam, sicut artificiatum, inquantum con-
«ordat arti. Thom. S. 1. p. q. 14. a. 12. ad 3.
Intelligere Dei est mensura et causa omnis alterius esse, et omnis alte-
rius intellectus. Thom. 1. c. q. 16. a. 5. c.
Veritas rerum est , secundum quod conformantur suo principio , scilicet
intellectui Divino. Thom. ib. ad 2.
Unaquaeque res dicitur vera absolute secundum ordinem ad intellectum,
a quo dependet. Et inde est, quod res artificiales dicuntur verae per ordinem
ad intellectum nostrum: dicitur enim domus vera, quae assequitur similitu-
902
Slnmerfungcn. n. 169 — 173.
dinem formae quae est in mente artificis . . Et similiter res naturales di-
cuntur verae, secundvm qifod assequuntur similitudinem specierum, quae sunt
ln mente Divina: dicitur enim verus lapis , quia assequitur propriam lapidis
naturam secundum praeconceptionem intellectus Divini. Thom. S. 1. p. q. 16.
a. 1. c.
169. (®. 156.) Convenientiam entis ad appetitum exprimit hoc nomen,
botium: unde in principio Ethic. dicitur: Bonum est quod omnia appetunt.
Thom. de verit. q. 1. a. 1.
170. (S. 157.) TeX ctoT oe TTjv IvepYsiav ^ ooy d»e e|t? rts lvj::up/_o>j3a,
i}X lü; e;:iytvöp.ev'j\i Tt xdXoj, oFov -oT; dxij.ai'oi; ij Äpa. Arist. Ethic. ad Nicom.
10. c. 4. post med.
171. ($. 157.) Delectatio dupliciter operationem perficit. Uno modo per
modum Anis, . . secundum quod omne bonum completive superveniens potest
dici finis ; . . inquantum scilicet super hoc bonum quod est operatio, supervenit
aliud bonum quod est delectatio, quae importat quietationem appetitus in bono
praesupposito. Secundo modo ex parte causae agentis; . . indirecte autem,
inquantum scilicet agens, quia delectatur in sua actione, vehementius attendit
ad ipsam, et diligentius eam operatur : et secundum hoc dicitur in 10. Ethic.
cap. 5., quod delectationes adaugent proprias operationes, et impediunt extra-
neas. Thom. S. 1. 2. p. q. 33. a. 4. c.
172. (3. 158.) Nec illa duo (delectatio et operatio quam consequitur) sunt
consideranda quasi duo bona, sed quasi unum bonum. Sicut enim ex perfectione
et perfectibili fit una res perfecta, ita ex delectatione et operatione fit una
operatio perfecta, quae est felicitas , quum delectatio sit operationis perfectio,
ut dicitur in 10. Ethic. cap. 4. Quid autem horum sit propter alterum eli-
gendum, utrum scilicet delectatio propter operationem, vel e converso, Philo-
sophus ibi insolutum relinquit. Sed tarnen secundum rei veritatem videtur
dicendum , quod delectatio ad operationem ordinetur sicut ad ftnem , sicut
omnes perfectiones secundae non sunt propter aliud nisi propter sua perfecti-
bilia perficienda. Delectatio autem est quaedam perfectio operationi super-
veniens, ut decor iuventuti: unde delectatio ad operationem ordinatur. Thom.
in IV. Dist. 49. q. 3. art. 4. sol. 3.
®a§ eine ,. perfectio secunda“ )’ep, ergibt fic^ au§ ber folgenben (Srfläruug.
Delectatio non est perfectio operationis a qua operatio speciem habeat, sed
magis quae superadditur ei per modum perfectionis secundae, sicut sanitas
ad hominem se habet , et non sicut anima. Hoc autem interest inter per-
fectiones primas et secundas, quod ad primam perfectionem ordinatur per-
fectibile sicut ad finem . ut materia ad formam ; sed e converso secunda
perfectio ordinatur ad perfectibile , ut scilicet perfectibile per eam esse per-
fectum habeat: et sic delectatio ad operationem ordinatur. Thom. loc. cit. ad 2.
173. (to. 159.) Thesaurus linguae graecae ab Henrico Stephano
constructus roirb al§ bie 93cbeutung non xaXo; äundd^ft pulcher , formosus, an=
gegeben, ffieiter l}ei^t e§: „Pro loco tarnen cui adhibetur, interdum decens vel
decorus , interdum egregius redditur. Saepe autem 7.aXo'v per honestum expri-
mitur . . Cicero axe'Lei; xaXd; (apud Platonem) vertit, ,cogitationes bonas''.^''
Tas lat. honestus ift, roie mir fogteid^ felgen roerben, ber eigentlid^e Slusbrucf
für „an fid^ gut".
2(nmerhmgen. n. 174 — 183.
903
174. (®. 159.) Otoa ydp, Ott oöx oiv.tX iv ip.oi . . dyctSöv tü ydp SeXetv
■rrapd'/.ettai' tö 6e xctTepydCssSJai tö -/aXöv o'jy_ eüpfaxu). Oü yap ö 9eXuj zotiü
dyaSöv, d'/X d O’j 3e/,(u 7, cc/. ov, "roOTO zpd33(u. . . E’jpt37.(o d'pa töv v&p.ov 3ip
D^Xovtt Ip.oi -oieiv -6 7,(2 Xdv. ort laot TÖ 7. «7. öv 7rapd7.Etxc(t. Rom. 7, 18. 19. 21.
J)ie SSutgata iiberfe^t 7,aXöv foroo^t roie dyaödv cinfad^ mit honum. ©benfo
an einer nnberen ©teße: KaXöv 5e rö Cr/XoüaHai h 7,aX(j) Ttavrors. Gal. 4, 18.
175. (©. 160.) Id quod appetitur ut ultimum terminans totaliter mo-
tum appetitus , sicut quaedam res in quam per se appetitus tendit , vocatur
honestum: quia honesium dicitur quod per se desideratur. Thom. S. 1. p.
q. 5. a. 6. c.
176. (©. 160.) Rerum expetendarum tria genera sunt . . Nam est quid-
dam , quod sua vi nos allicit ad 'sese, non emolumento captans aliquo, sed
trahens sua dignitate: quod genus virtus, scientia, veritas est ... In (hoc)
primo genere quae sunt, honesta appellabuntur. Cic. de invent. rhet. 2. c. 52.
n. 157. 158.
Honestum igitur id intelligimus, quod tale est, ut detracta omni utilitate,
sine ullis praemiis fructibusve, per se ipsum possit iure laudari. Cic. de fln.
2. c. 14. n. 45.
177. (©. 160.)
Ipse inter medios, Veneris iustissima cura,
Dardanius caput, ecce, puer detectus liottesiiwi,
Qualis gemma, micat, fulvum quae dividit auruiu,
Aut collo decus aut capiti. Virg. Aen. 10. v. 132 sq.
178. (®. 160.) — honesti
Spadices, glaucique; color deterrimus albis,
Et gilvo. Virgil. Georg. 3. v. 81.
179. (<i. 160.) Romam quum venissem a. d. XIII. calend. Oct., absolu-
tum offendi in aedibus tuis tectum: quod super conclavia non placuerat tibi
esse multorum fastigiorum, id nunc honeste vergit in tectum inferioris porticus.
Cic. ej>ist. ad Quint, fr. 1. 3. 1.
180. (o. 160.) Vestibula nimirum honesta, aditusque ad causam faciet
illustres. Cic. Or. c. 15. n. 50.
181. ('S. 160.) Nam et dignitate fuit honesta (Eumenes). Corn. Nep.
Eum. c. 11. extr.
(Tiberius) colore erat candido, . . facie honesta . . Sueton. Tiber, c. 68.
„Quam liberali facie, quam aetate integra?“
Ita me di ament, honestus est.
Terent. Eunuch. 3, 2, 20. 21.
Nec comparandus hic quidem ad illum est. Ille erat
Honesta facie et liberali. Terent. 1. c. 4, 4, 14. 15.
182. ('S. 160.) ludicabant, esse profecto aliquid natura iiulchrum atque
praeclarum, quod sua sponte peteretiir, quodque spreta et contempta voluptate
optimus quisque sequeretur. Cic. de senect. c. 13. n. 43.
183. (S. 161.) Omnis ordinatio, quae virtus etiam nominatur, fruendis
frui, et utendis uti. F'ruendum est autem honestis , utendum vero utilibus.
904 Stnmerfimgen. n. 184 — 195.
Honestatem voco intelligihilem pulchritudinetn. Aug. de divers, quae.st. 83,
qu. 30. »
184. (©. 161.) Häv OT] v6 dyaüov, xaXdv. Plat. Tim. Steph. p. 87 c. Bip.
9. p. 425.
185. (<3. 161.) Tdyadd oh -/ai xot^.d ooy.Et aot elvai; Plat. Conviv. Steph.
p. 201c. Bip. 10. p. 226.
186. (<&. 161.) ldyoc8d xaXd, xd 'xoc/cd aiiypd. Diog. Laert. de vitis, dogm.
et apophthegmat. claror. Philosophor. 6. c. 1. (ed. Hübner. 1831.) vol. 2. p. 9.
187. (3. 161.) O’jxu) u.£v ouv »'jawöi; l7:t8'jij.TjXf/,ot x(iv -/.od.oiv ot d'vÜpujrot.
K’jpuu; 0£ 7.o(Xöv xai dyairrj-öv xö dyalldv. Bas. reg. fusius tract. Interrog. 2.
n. 1. extr. ed. Maur. p. 337.
188. (3. 161.) Respondeo dicendum, quod oinne ens, in quantum est ens,
est honum. Thom. S. 1. p. q. 5. a. 3.
Orane verum ens in se honum est , seu bonitatem aliquam habet sibi
oonvenientem : atque ita fit, ut bonum absolute dictum cum ente convertatur.
Suar. Metaph. Disp. 10. Sect. 3.
189. (3. 162.) Ai6 -/.at xccjxdv iaxt xdyailcp xo xctXov, dxt xoö v.’xXoh xai
i'/adoh y.o.’za tAo'X'i oizio.') rdvxa ^'.pi'cxctr 7,cd er/. £3xt xt xwv dvxtov , ö pir] p.EXEysi
xo5 7,a/.a5 xat dyafioO. Dion. Areop. de div. nom. cap. 4. §. 7.
190. (3. 162.) Deus omnes perfectiones rebus tribuit, ac per hoc cum
Omnibus similitudinem habet. Thom. .contr. gent. 1. 1. c. 29. — TJnaquaeque
creatura habet propriam speciem, secundum quod aliquo modo participat
Divinae essentiae similitudinem. S. 1. p. q. 15. a. 2. c.
191. (3. 162.) Unumquodque naturaliter in suo simili gaudet. . . Omne
autem bonum est Divinae bonitatis similitudo ; . . relinquitur igitur , quod
Deus de omni bono gaudet. Thom. contr. gent. 1. 1. c. 90. n. 4.
192. (3. 162.) Secundum hoc aliqua dicuntur addere supra ens , in-
quantum expriraunt ipsius modum , qui nomine ipsius entis non exprimitur.
Quod dupliciter contingit. Uno modo, ut modus expressus sit aliquis specialis
modus entis . . . Alio modo ita, quod modus expressus sit modus generaliter
consequens omne ens. Thom. de verit. q. 1. a. 1. c.
193. (3. 162.) Res, ununi, aliquiä , verum, honum. Cfr. Thom. de
verit. 1. c.
194. (3. 163.) T bö OE Y.aJ.'jh ij-sytlxa Eioq xci't; v.rn G’jpiuExpi'a y.at x6 (bpt-
apisvov. Arist. Metaph. 13. al. 12. cap. 3. vers. fin.
„®ie sibq", hemerft ju biefem 3a^e iß^ilofop^ie ber ©ried^en“,
3. 3Iufi. 3. 765), „Bejeii^nen f)ier nid;t bisjiincte älrten be§ Schönen, fonbern bie
formen ober (Sigenfd^aften ber Singe, in beiten bie 3d^ön§eit fi^ ;eigt." Sie Se:
inerhmg ift rid^tig; aber 3^11« mürbe fie nielleid^t überftüffig gefunben l)aben, roenn
er )i(^ erinnert f)ätte, baß ber oon 21riftotele§ gebrandete Stusbrutf „xb -/.aXdv“ ja
nid[)t „ba§ 3deöne" bebeutet, fonbern eben „bie 3d;öneeit". 3Sgl. oben 91. 4. 5.
3. 7 ff.
195. (3. 163.) Pulchrum in debita prop>ortione consistit. Thom. S. 1. p.
q. 5. a. 4. ad 1.
Slmnertungen. n. 196 — 203.
905
196. ((£. 163.) Ad pulchritudinem tria requiruntur. Primo quidem m-
tegritas sive perfectio, (quae enim diminiita sunt, hoc ipso turpia sunt;) et
debita proportio sive consonantia; et iterum claritas: unde quae hahent
colorem nitidum, pulchra esse dicuntur. Thoin. S. 1. p. q. 39. a. 8. c.
197. (0. 163.) Et in quo consistat ratio pulchritudinis, ostendit subdens,
quod sic Deus tradit (creaturis) pulchritudinem, inquantum est „causa co7iso-
nmitiae et claritatis'''' in omnibus. Sic enim hominem pulchrum dicimus propter
decentem proportionem in quantitate et situ membrorum, et propter hoc quod
habet darum et nitidum colorem. Unde proportionaliter est in ceteris accipien-
dum , quod unumquodque dicitur pulchrum, secundum quod habet claritatem
sui generis, vel spiritualem vel corporalem , et secundum quod est in debita
proportione constitutum. Thom. in libr. B. Dionys. Areopag. de divin. nomin.
expos. cap. 4. lect. 5.
198. (0. 164.) Ratio boni consistit in modo, specie et ordine. Thom.
S. 1. p. q. 5. a. 5.
199. (0. 164.) Si modus entis accipiatur secundo modo, scilicet secundum
ordinem unius ad alterum , hoc potest esse dupliciter. Uno modo secundum
divisionem unius ab altero ; et hoc exprimit hoc nomen , aliquid: dicitur enim
aliquid quasi aliud quid; unde sicut ens dicitur uninn, inquantum est indivisum
in se, ita dicitur aliquid, inquantum est ab aliis divisum. Alio modo secundum
cotivenientiam unius entis ad aliud; et hoc quidem non potest esse, nisi acci-
piatur aliquid, quod natum sit convenire cum omni ente. Hoc aiitem est
anima, quae quodammodo est omnia, sicut dicitur in 3. de anima , text. 37.
In anima autem est vis cognitiva et appetitiva. Co7iveinentiam ergo entis ad
appetiium exprimit hoc nomen, ho7iuni; unde in principio Ethic. dicitur:
Bonum est quod otnnia appetunt. Cotivetiientiam vero entis ad mtellectmn ex-
primit hoc nomen, verum. Thom. de verit. q. 1. a. 1. c.
*200. (0. 165.) Unumquodque ens intantum dicitur verutji , inquantum
conformatum est, vel conformabile, intellectui; et ideo omnes recte definietites
verum, ponunt in eius definitione intellectum . . Inquantum autem unum ens
est secundum esse suum perfectivum alterius, et conservativum, habet ratio-
nem finis respectu illius quod ab eo perficitur; et inde est, quod omnes recte
defi7uentes bonum, ponunt in ratione eius aliquid quod pertineat ad habitu-
dinem finis: unde Philosophus dicit in 1. Ethic. (in princ.) , quod bonum
optime definiitnt dicentes, q7iod bonu77i est quod otn7iia appetunt. Thom. de
verit. q. 21. a. 1. c.
201. (0. 165.) Etiam si intellectus humanus non esset, adhuc res dice-
rentur verae in ordine ad intellectum divinum ; sed si uterque intellectus,
quod est impossibile, intelligeretur auferri, nullo modo veritatis ratio rema-
neret. Thom. de verit. q. 1. a. 2. extr.
*202. (0. 166.) Et prius quaeram , utrum fista) ideo pulchra sint, quia
delectant , an ideo delectent, quia pulchra sunt. Hic mihi sine dubitatione
respondebitur, ideo delectare, quia pulchra sunt. Aug. de vera relig. c. 32. n. 59.
*203. (0. 166.) Haec autem lex omnium artium quum sit omnino im-
mutabilis, mens vero humana cui talem legem videre concessum est, muta-
bilitatem pati possit erroris, satis apparet, sup/'a inentem nostra77i esse legem,
906
Jtmneifimgen. n. 204 — -209.
q^uae veritas dicitur. Nec iam illud ambigendum est, incommutabilem naturam
quae supra rationalem animam sit», Denm esse; et ibi esse primam vitam et
primam essentiam, ubi est prima sapientia. Nam haec est illa incommutabilis
veritas, quae lex omnium artium recte dicitur, et ars omnipotentis artificis.
Aug. 1. c. c. 30. 31. n. 56. extr. 57.
204. (©. 171.) Bonum dicit rationem perfecti, quod est appetibile; et
per consequens dicit rationem Ultimi: unde id quod est ultimo perfectum,
dicitur bonum simpliciter ; quod autem non habet ultimam perfectionem quam
debet habere, quamvis habeat aliquam perfectionem inquantum est actu, non
tarnen dicitur perfectum simpliciter, nec bonum simpliciter, sed secundum quid.
Thom. S. 1. p. q. 5. a. 1. ad 1.
Dividi solet bonum in bonum simpliciter et bonum secundum quid. . . .
Alter sensus huius divisionis est, ut membra non referantur ad totam latitu-
dinem entis , sed ad determinatum genus vel speciem , et hoc modo ad omnia
genera vel species entiiim potest divisio applicari; et bonum simpliciter dicetur
illud ens, quod habet omnem perfectionem sibi debitam in suo ordine : bonum
autem secundum quid erit, quod aliquid perfectionis debitae habet, et aliquid
ei deest. Et hoc modo substantia creata non est bona simpliciter , nisi sit
debitis accidentibus affecta; neque accidens est bonum simpliciter, nisi habeat
intensionem debitam , vel aliam similem perfectionem. Atque hoc modo dixit
Dionysius (de div. nom. c. 4.): Bonum est ex integra causa, malum autem
ex quocunque defectu. Suar. Metaph. Disp. 10. Sect. 2. n. 34. 35.
20.>. (ä. 172.) In hoc consistit ratio mali, ut scilicet aliquid deficiat a
bono. Thom. S. 1. p. q. 48. a. 2. c.
Remotio boni privative accepta malum dicitur. Thom. 1. c. art. 3. c.
Malum pro formali, seu malitia, a qua res aliqua denominatur mala, non
est res aliqua seu forma positiva, neque etiam est mera negatio, sed est pri-
vatio perfectionis debitae in esse. Suar. Metaph. Disp. 11. Sect. 1.
206. (S. 172.) In quantum sumus, boni sumus. . . Et in quantum tnali
sumus, in tantum etiam minus sumus. . . Cetera quae sunt, et nisi ab illo (Deo)
esse non possunt, et in tantum bona sunt, in quantum acceperunt ut sint.
Aug. de doctr. ehr. 1. 1. c. 32.
207. (©. 172.) ©anj benfelben ©ebanfen fpric^t ißlotin au§; • . . Tauröv,
dyabov ts v.a\ y.al.öv, q Trocyaüdv ~t -/.cd. 'üp.oi(u; ouv y.ctXdv -£ xal
ctyaSöv, ai3/pdv te v-ai -/.axov. De pulchritud. cap. 6. Edit. Basil. p. 55 D.
Creuzer p. 44.
208. (®. 174.) Oüx dvra yap iczi zd xa-/.a, dvxa. oe xä xal.a, iTietoq-Ep äiiö
xo5 ovxo; Beoü ysytlvaxi. Athanas. or. de incarnat. Verbi n. 4.
209. (©. 175.) Corrumpitur autem homo exterior aut profectu interioris,
aut defectu suo. Sed profectu interioris ita corrumpitrir , ut totus in melius
reformetur, et restituatur in integrum in novissima tuba, ut iam non corrum-
patur neque corruinpat. Defectu autem suo in jndchritudines corruptibüiores,
id est poenarum ordinem, praecipitatur. Nec miremur quod adhuc pulchri-
tudines nomino: nihil enim est ordinatum , quod non sit pulchrum: et, sicut
ait Apostolus, „omnis ordo a Deo est.“ Necesse est autem fateamur roeliorem
esse hominem plorantem , quam laetantem vermiculum : et tarnen vermiculi
laudem sine ullo mendacio copiose possum dicere, considerans nitorem coloris,
älnmerfungcn. n. 210 — 216.
907
figuram teretem corporis, priora cum mediis, media cum posterioribus con-
gruentia , et unitatis appetentiam pro suae naturae humilitate servantia; nihil
ex una parte formatum , quod non ex altera parili dimensione respondeat
Quid iam de anima ipsa dicam vegetante modulum corporis sui, quomodo
eum numerose moveat, qizomodo appetat convenientia, quomodo vincat aut
caveat obsistentia quantum potest, et ad unum sensum incolumitatis referens
omnia, unitatem illam conditricem naturarum omnium, multo evidentius quam
Corpus insinuet? loquor de vermiculo animante qualicunque. Cineris et ster-
coris laudem verissime atque uberrime plerique dixerunt. Quid ergo mirum
est, si hominis animam, quae ubicunque sit et qualiscunque sit, omni corpore
est melior, dicam pulchre ordinari, et de poenis eins alias pulchritudines
fieri . . ? Prorsus nemo nos fallat. Quidquid recte viiuperatur , in melioris
comparatione respuitur. Omnis autem natura quamvis extrema, quamvis in-
fima, in comparatione nihili iure laudatur. Aug. de vera relig. c. 41. n. 77. 78.
210. (<3. 176.) To ydp v/A'j-vj -/.o.t cporoö xai Ccjoo £v ty] k-A'x'j-O’j
elvat C’jp.ߣßrp/.£v. Clem. Alex. Paedag. 1. 2. c. 12. ed. Potter. p. 243.
ffiaä unfere UcBer)c^ung bc§ 2Sorte§ dpt-q betrifft, fo bejeiigt 3- ß- ©faliger: Ari-
stoteles utitur dpETfj? nomine pro optimo habitu cuiusque rei, etiam inani-
matae. Ut in secundo Eudemiorunri : „ip.oiTt'o’j clpsxTj £oxtv q d^hrq Egt? xoö
ip.a-io'j“. (J. Q. Scaligeri Exercitat. de Subtilit. ad Hieron. Cardanum , CCC.
n. 3.) ®cr ©cgeufafe oon cipöt/j in bicfem allgemeinen Sinne ift xcc/.i'ci, bie @d^Ied|:
tigfeit. „ApexY; xq; (Plat. de leg.) = regionis praestantia aut bonitas,
id est feracitas.“ (Henr. Steph. Thesaur. ling. graec.)
211. (S. 176.)
Ilavxa xot v.i'/A, xoCot x’ nhy^jd ;j.Yj pip.txx'Jii.
Plat. Protag. Steph. p. 346 c. Bipont. 3. p. 162.
212. (S. 180.) KdW.o; 0£ dXrfli'/ö'j epa5p.t(uxaxov , p.o'vy> xijj xöv voöv
v.c'/.cdlappivy) ÜEiupYjxöv, x6 nepl -rp tlcmv y.rn p.cc/.apmv '.sbatv. Bas. in ps. 29. n. 5.
ed. Maur. p. 129.
213. (S. 180.) "( Ixt ytzp xo xopuu; ■/.■xt npwxto; 7,'x't [xdvtu; xotÄdv xs xotl
ä-yxllöv xat ■/.xH'Ypöv ö xiöv oAiuv Eoxi Beö;, obocig oüxio x'jcpXd; xqv otctvoictv , w? [j.yj
dtp’ Ex'jxoö oovioeiv. Greg. Nyss. de Virgin it. c. 11. extr.
214. (©. 182.) Illud quod est ex parte naturae , se habet ut materiale
in ratione ordinis; completivum vero est, quod est dono gratiae , quae de-
pendet ex liberalitate Dei, non ex ordine naturae. Et ideo per donum gratiae
homines mereri possunt tantam gloriam, ut Angelis aequentur secundum sin-
gulos Angelorum gradus. Thom. S. 1. p. q. 108. a. 8. c.
Non erunt duae societates, hominum et Angelorum, sed una: quia
omnium beatitudo est adhaerere uni Deo. Aug. de civ. Dei 12. c. 1. (ap.
Thom. 1. c.)
215. (®. 183.) . . tp'Jast Efjp(u[j.£V£ax£pov xxt voOv [xdXXov syov. Plat. Conviv.
Steph. p. 181 c. Bip. vol. 10. p. 184.
Slavfiliug 3‘icinn§ überfettt: „natura robustius et generosius, et mentis
magis particeps.“
216. (©. 184.) Mulier naturaliter est minoris virtutis et dignitatis,
quam vir; semper enim honorabilius est agens patiente, ut dicit Augustinus
(12. super Gen. ad lit. cap. 16. med.). Thom. S. 1. p. q. 92. a. 1., 2.
908
2tnmerhmgeu. n. 217—228.
Ex tali subiectione (seil, oec^pnomica vel civili) naturaliter femina sub-
iecta est viro ; quia naturaliter in homine magis abundat discretio rationis.
Thom. 1. c. ad 2.
217. (@. 184.) Diversitas enim sexuum non est ex parte animae, sed
ex parte corporis. Thom. S. 2. 2. p. q. 156. a. 1., 1.
218. (®. 185.) At TÖiv cp'!)3£t a-o’jQodoTlpcuv ipz-al -/.(zW.io’j;, y.ctt -za ’ip-(cr
oiov, ctvSpoj Yj Y’jvcdy.o';. Arist. Rhet. 1. c. 9. n. 22.
219. (®. 187.) In ultimo statu talis erit subiectio (corporis ad animam),
ut etiam qualitas corporis sequatur virtutem mentis: unde secundum diversi-
tatem meritorum erit anima unius alia dignior, et corpus gloriosius; unde
non erit ditt'erentia propter sexum diversum.. Thom. in II. Dist. 21. q. 2.
a. 1. ud 2.
220. (S. 190.) Optima species et quasi figura dicendi. Cic. Or. c. 1. n. 2.
221. (S. 190.) Forma quaedam eloquentiae animo comprebensa cui nihil
deest. Ibid. c. 5. n. 19.
222. (©. 190.) Eloquentiae genus, cui nihil addi possit, quod ego sum-
mum et perfectissimum iudicem. Ib. c. 1. n. 3.
223. (^i. 190.) Illud, quo nihil possit esse praestantius. Ib. c. 2. n. 7.
224. (©. 191.) Has rerum formas appellat ideas ille non intelligendi
solum, sed etiam dicendi gravissimus auctor et magister. Plato; easque gigni
negat, et ait seraper esse, ac ratione et intelligentia contineri. Cic. Or.
c. 3. n. 10.
225. (©. 191.) Bonitas intenditur per accessum ad terminum qui infinite
distat, scilicet summum bonum. Unde quolibet finito hono pofest aliquid me-
lius fieri. Thom. in I. Dist. 44. q. 1. a. 3. ad 3.
Augmentum caritatis . . non pervenit ad aliquem terminum, ultra quem
non possit augeri . . Id (enim) ad quod movetur anima in augmento caritatis,
est similitudo divinae caritatis , cui assimilatur ; ad quam , quum infinita sit,
in Infinitum potest aecedi plus, et nunquam adaequabitur perfecte.
Thom. in I. Dist. 17. q. 2. a. 4. solut.
226. (©. 201.) Solida quidem beatitudo, quam essentialem communi no-
mine licet vocare, in eo sita est, ut Deum videamus, eiusque pulchritudine
fruamur, qui est omnis bonitatis ac perfectionis fons et principium. Catech.
Rom. p. 1. cap. 13. n. 6.
227. (©. 201.) Auctoritate Apostolica definimus, quod . . . vident Divi-
nam essentiam visione intuitiva, et etiam faciali , nulla mediante creatura in
ratione obiecti visi se habente , sed Divina essentia immediate se nude, clare
et aperte eis ostendente. Quodque sic videntes eadem Divina essentia per-
fruuntur. Neenon quod ex tali visione et fruitione eorum animae qui iam
decesserunt , sunt vere beatae , et habent vitam et requiem aeternam . . .
Benedict. XII. Const. Benedictus Deus, dat. Avenione IV. Kal. Februar. 1336.
(§. 3.; Bullar. Rom. ed. Luxemburg. 1742. pag. 217. 218.)
228. (©. 201.) Visio Del est quaedam expressa similitudo et imago
essentiae Divinae et Divinarum personarum, per quam Deo simillimi tamquam
DU quidam vel filii Dei efficimur. Less. de summo bono 2. c. 6. n. 33.
?liimcvfungen. ii. 229—235.
909
229. (®. 202.) "Esti yip ö '^(koi a'ÄXo; ot'jto;. Arist. Ethic. Nicom. 9.
c. 4. med.
Amicus alter ego ; animae dimidium meae. Amicorum esse omnia com-
munia. Cic. de amic.
230. (©. 203.) Aeternitas est in Patre, species in imagine, usus in mu-
nere fagt 5. 33. §ilariu§ non 5poitier§ (de Trin. 1. 2. paulo post princ. , bei
Tliom. S. 1. p. q. 39. a. 8. c.) Unb 33afi(iu§ ber ©rope: ’AvexoirjYq-ov 3e xcd
d'ppqTOV TO Toö Aöyo'j vAkkoi , xal q ~rfi oosio? öjpaioTTj;, 7M ij toö iteoö ev tTj
cixov. ccjToO p.op»rj. (In ps. 44. n. 6.) Sie Ueberfebuug biefet ©teile ^aben toir
oben (©. 111) gegeben.
231. (©. 20Ö.) Tö 7To/,'j -eXayo; toö xsXoö. Alcin. de doctr. Plat. c. 10.
232. (©. 206.) Et concupiscet rex decorem tuum. Ps. 44, 12.
Qnalis est dilectus tuus ex dilecto, 0 pulcherrima mulierum? (Cant. 5, 9.)
Pulcherrima mulierum Ecclesia est, . . in qua omnis pulchritudo est, et de-
formitas non inest; . . omnem pulchritudinem liabens, et omni foeditate ca-
rens. . . Pulcherrima est, deeorem et confessionem induens, amicta lumine
sicut vestimento. Pulcherrima est, quae vel ipsum lumen est, vel amicta
lumine : per confessionem amicta lumine, per conversationem existendo lumen
ipsum. Gillebert. Abb. in Cant. serm. 47. n. 3. (inter opp. Bern. ed. Maur.
t. 5. p. 161.)
'233. (©. 207.) AyaHö; qv, dyabijj oe oüoti; Trepl oöoevö? oöSsnore ^yylyvs-
TOtt cpUdvo;. ’l'ooTO'j 0’ ey.To; ujv , -dvtct ÖTip.dXtOTOt Eßo’jXrjSrj yeoeallctt -opomXqaia
ccjTijj. . . Hepa? oe out’ ry/ out’ e3Tt T(jj dplrfTw opäv dXXo ttXtjv to -/.dXXiOTOv. . . Atd
oq Tov Xoyt3|j.öv tovoe . . to "du Euv£Tc/.Tca'v£TO , otuu? ÖTtxdXXtaTOu ei'q xotTd cpuöiv
dpiOTOv TE Epyov ÖTTEtpyxopivo;. Plat. Tim. Steph. p. 29 e. 30 a. b. Bip. vol. 9.
p. 305.
234. (©. 209.) Ita ordinantur omnes officiis et finibus suis in pulchri-
tudinem universitatis , ut quod horremus in parte , si cum toto consideremus
plurimum placeat : quia nec in aedificio iudicando unum tantum angulum
considerare dehemus, nec in homine pulchro solos capillos, nec in bene pro-
nuntiante solum digitorum motum, nec in lunae cursu aliquas tridui tantum
flguras. Ista enim, quae propterea sunt infima, quia partibus imperfectis tota
perfecta sunt, sive in statu sive in motu pulchra sentiantur, tota consideranda
sunt, si recte volumus iudicare. Aug. de vera relig. c. 40. n. 76.
In hoc sensihili mundo vehementer considerandum est, quid sit tempus
et locus; ut quod delectat in parte, sive loci sive temporis, intelligatur tarnen
multo esse melius totum, cuius illa pars est: et rursus, quod offendit in parte,
perspicuum sit homini docto , non ob aliud offendere, nisi quia non videtur
totum, cui pars illa mirabiliter congruit; in illo vero mundo intelligibili quam-
libet partem, tamquam totum, pulchram esse atque perfectam. Aug. de ordine
1. 2. c. 19. n. 51.
235. (©. 209.) . . . donec universi saeculi pulchritudo, cuius particulae
sunt quae suis quibusque tcmporibus apta sunt, velut magnum carmen cuius-
dam ineffabilis modulatoris excurrat, atque inde transeant in aeternam con-
templationem speciei , qui Deum rite colunt etiam quum tempus est fidei.
Aug. epist. 138. al. 5. ad Alarcellin. n. 5.
910
3tnmer!ungen. n. 236 — 240.
236. (®. 213.) ^
0 qui perpetua mundum ratione gubernas,
Terrarum coelique sator, qui tempus ab aevo
Ire iubes, stabilisque manens das cuncta moveri;
Quem non externae pepulerunt fingere causae
Materlae fluitantis opus, verum insita summi
Forma Loni, livore carens : tu cuncta superno
Ducis ab exemplo, pulchrum pulcherrimus ipse
Mundum mente gerens, similique imagine formans,
Perfectasque iubens perfectum absolvere partes.
Tu numeris elementa ligas, ut frigora flammis,
Arida conveniant liquidis: ne purior ignis
Evolet, aut mersas deducant pondera terras.
Da, Pater, augustam menti conscendere sedem,
Da fontem lustrare boni, da luce reperta
In te conspicuos animi defigere visus.
Disiice terrenae nebulas et pondera molis,
Atque tuo splendore mica: tu namque serenum,
Tu requies tranquilla püs, te cernere finis,
Principium, vector, dux, semita, terminus idem.
Boet. de consol. philos. 1. 3. metr. 9. v. 1—12. 22 — 28.
237. (©. 215.) Quid igitur restat, unde non possit anima recordari pri-
mam pulchritudinem quam reliquit, quando de ipsis suis vitiis potest? Ita
enim Sapientia Dei pertendit a fine usque ad finem fortiter; ita per hanc
summus ille artifex opera sua in unum finem decoris ordinata contexuit; ita
illa bonitas a summo usque ad extremum nulli pulchritudini , quae ab ipso
solo esse posset, invidit: ut nemo ab ipsa veritate deiiciatur, qui non exci-
piatur ab aliqua effigie veritatis. Quaere in corporis voluptate quid teneat,
nihil aliud invenies quam convenientiam ; nam si resistentia pariant dolorem,
convenientia pariunt voluptatem. Recognosce igitur quae sit summa con-
venientia. Noli foras ire, in te ipsum redi; in interiore homine habitat veritas.
Aug. de vera relig. c. 39. n. 72.
238. (©. 215.) . . foras sequentes quod faciunt, intus relinquentes a quo
facti sunt, et exterminantes quod facti sunt.
239. (©. 216.) . . quoniam pulchra traiecta per animas in manus arti-
ficiosas , ab illa pulchritudine veniunt quae super animas est, cui suspirat
anima mea die ac nocte. Sed pulchritudinum exteriorum operatores et secta-
tores inde trahunt approbandi modum, non autem inde trahunt utendi modum.
Et ibi est, et non vident eum, ut non eant longius, et fortitudinem suam ad
fe custodiant, nec eam spargant in deliciosas lassitudines.
240. (©. 216.) . . Ipsa est lux, una est, et unum omnes qui vident et
amant eam. At ista corporalis de qua loquebar, illecebrosa et periculosa dul-
cedine condit vitam saeculi eaecis amatoribus. Qui autem et de ipsa laudare
te norunt, Deus creator omnium, assumunt eam in hymno tuo, non absumuntur
ab ea in somno suo : sic esse cupio. Aug. Conf. 10. c. 34. n. 51. 53. 52.
3ene§ roafjre 2id;t, jene ©onnc ber ©elfter raar e§, bie fjunbert 3“^^ fpäter
and; bein nngliidli^en Senator, bem lebten ipt)iIofopt)en 9toin§, bie bunfk @in:
2inmerfiiugen. n. 241 — 246.
911
{amfeit fetneg Äerferä ju illauia er'^effte, ba er ron if)r, in bemfelben Stirne roie
3(uguftin, fang :
Huc omnes pariter venite eapti,
Quos fallax ligat improbis catenis
Terrenas habitans libido nientes.
Hic erit vobis requies laborum,
Hic portus placida nianens quiete.
Hoc patens uniim miseris asylum.
Non quidquid Tagus anreis arenis
Donat, aut Hermus riitilante ripa,
Aut Indus calido propinquus orbi,
Candidis miscens virides lapillos,
Illustrant aciem, magisque coecos
In suas condunt animos tenebras.
Hoc quidquid placet, excitatque mentes,
Infimis tellus ahnt cavernis.
Splendor quo regitur vigetque coelum.
Vitat obscuras animae ruinas :
Hane quisquis potent notare lucem,
Candidos Phoebi radios negabit.
Boetius, de consol. phil. 1. 3. metr. 10.
241. (@. 220.) Singularis illa vis (orationis sublimis) in eo esse videtur,
quod in rei sublimis apta commemoratione aeterni et infiniti cogitatio , etsi
interdum latenter, animum subeat. Kleutgen, Ars dicendi, n. 151.
242. ($. 231.) Itaque, inquit (Epictetus), si quis haec duo verba cordi
habeat, eaque sibi imperanda atque observanda curet, is erit pleraque im-
peccabilis, vitamque vivet tranquillissimam. Verba duo haec dicebat,
xoti ci-syo'j. Epicteti fragm. n. 179.
243. (©. 250.) Ad fortitudinem pertinet , quod aliquis ab alio mortem
pati non refugiat propter bonum virtutis, et ut vitet peccatum. Sed quod
aliquis sibi ipsi inferat mortem, ut vitet mala poenalia, habet quidem quan-
dam speciem fortitudinis; . . non tarnen est vera fortituäo, sed quaedam niolli-
ties anhni , non valentis mala poenalia sustinere: ut patet per Philosophum
in 3. Ethic. , et per Augustinum in 1. de civitate Dei. Thom. S. 2. 2. p.
q. 64. a. 5. ad 5.
244. (S. 253.) „Gratia (/dpt;) est quae gratos et amabiles facit, . . . sua-
vitas , iucunditas, hoc est conditio qua aliquid aliis placet, nostr. Anmuth,
Schönheit, gefälliges Aussehen.“ (Forcellini , Lexicon totius Latinit.) Sie
angegebene ift na^ evfte ©ebeutimg be§ 2Sorte§, obgleid^ eä in be»=
{eiben erft im filbernen 3e’itnlter nortomme.
245. (©. 254.) Kott oo q l-tit'jjjLtct , dnav q ydp luiHoiAta rciu
qoso; in-h öpe;t;. Arist. Rhet. 1. c. 11. n. 5.
246. (©. 256.) 3'^ bie{em ©inne {agt (äicero : Quum autem pulchritudinis
duo genera sint, quorum in altero venustas sit, in altero dignitas; venustatem
muliebrem ducere debemus, dignitatem virilem. (De offic. 1. c. 36.) Venustas
nnb gratio {inb fipiomim.
912
atnmerfungen. n. 247—250.
2474 (®. 258.) DavTE; i'vjJptuTiot to5 st^evai ipEy&vTCd »•jact. Arist. Me-
taph. 1. c. 1.
248. (©. 258.) Proponit (Aristoteles) primo, quod omnibus hominibus
naturaliter desiderium inest ad sciendum. Cuius ratio potest esse triplex.
Primo quidem, quia unaquaeque* res naturaliter appetit perfectionem sui.
Unde et materia dicitur appetere formara, sicut imperfectum appetit suam
perfectionem. Quum igitur intellectus, a quo homo est id quod est, in se con-
sideratus sit in potentia omnia, nec in actum eorum reducatur nisi per scien-
tiam, — quia nihil est eorum quae sunt, ante intelligere, ut dicitur in tertio
de anima — ■ : sic naturaliter unusquisque desiderat scientiam sicut materia
formam. Secundo , quia quaelibet res naturalem inclinationem habet ad suam
propriam operationem . . Propria autem operatio hominis inquantum homo,
est intelligere. Per hoc enim ab omnibus aliis differt. Unde naturaliter de-
siderium hominis inclinatur ad intelligendum, et per consequens ad sciendum.
Tertio, quia unicuique rei desiderabile est, ut suo principio coniungatur; in
hoc enim uniuscuiusque perfectio consistit . . Substantüs autem separatis,
quae sunt principia intellectus humani, et ad quae intellectus humanus se
habet ut imperfectum ad perfectum, non coniungitur homo nisi per intel-
lectum : unde et in hoc ultima hominis felicitas consistit. Et ideo naturaliter
homo desiderat scientiam. Thom. in Arist. Metaph. libr. 1. lect. 1, post init.
249. (©. 259.) Tantus est innatus in nobis cognitionis amor et scientiae,
ut nemo dubitare possit, quin ad eas res hominum natura nullo emolumento
invitata rapiatur. Videmusne, ut pueri ne verberibus quidem a contemplandis
rebus perquirendisque deterreantur ? ut pulsi requirant, et aliquid scire se
gaudeant ? ut aliis narrare gestiant ? ut pompa, ludis atque eiusmodi specta-
culis teneantur, ob eamque rem vel famem et sitirn perferant? Quid vero?
qui ingenuis studiis atque artibus delectantur, nonne videmus eos nec vale-
tudinis, nec rei familiaris habere rationem? omniaque perpeti, ipsa cognitione
et scientia captos? et cum maximis studiis et laboribus compensare eam,
quam ex discendo capiunt, voluptatem ? . . . Ipsi quaeramus a nobis, . . quid
historia delectet , quam solemus persequi usque ad extremum ; praetermissa
repetimus, inchoata persequimur. Nec vero sum inscius, esse utilitatem in
historia , non modo voluptatem. Quid quum fictas fabulas , e quibus utilitas
nulla duci potest, cum voluptate legimus? Quid quum volumus nomina
eorum, qui quid gesserint, nota nobis esse, parentes, patriam, multa praeterea
minime necessaria? quid, quod homines infima fortuna, nulla spe rerum ge-
rendarum, opifices denique, delectentur historia? maximeque eos videre pos-
sumus res gestas audire et legere veile , qui a spe gerendi absunt, confecti
senectute. Quocirca intelligi necesse est, in ipsis rebus, quae discuntur et
cognoscuntur , invitamenta esse, quibus ad discendum cognoscendumque mo-
veamur. Cic. de fln. 1. 5. c. 18. 19.
250r (©. 267 unb 268.) Quid sit ipse risus, quo pacto concitetur, ubi
sit, quomodo existat, atque ita repente erumpat, ut eum cupientes tenere ne-
queamus, et quomodo simul latera, os, venas, vultum, oculos occupet, viderit
Democritus. Neque enim ad hunc sermonem hoc pertinet, et si pertineret,
nescire me tarnen id non puderet, quod ne ipsi quidem illi scirent, qui polli-
cerentur. Locus autem, et regio quasi ridiculi , turpitudine et deformitate
quadam continetur ; haec enim ridentur , vel sola, vel maxime, quae notant
Stnmerfiingen. n. 251 — 259.
913
et designant turpitudinem aliquam non turpiter. Cic. de orat. 2. c. 58.
n. 235. 236.
251. (S. 267.) T dö atayjioö £3xi xo yEÄoiov pdptov. Tö yäp isziv
c'pctpxrjp'z xt xa'i atay^o; ocvcnoovov xal oü cpiVpxtxov , otov eüi)5; xö ycAoiov rpd;(uTOv
aJsypdv xt xai oi£3xpctp.psvciv xveu öo'jvtj;. Arist. de arte poet. ed. Buhle c. 6.
vulg. 5. n. 1.
252. (®. 269.) 'Opottüc os xal , iTiEt r; Ttotiotd xiöv rfiitow -/.cd cccicct ctvesi?,
■/.cd 6 yeXiu; xiöv fjOEtuv. Arist. Rhet. 1. c. 11. n. 29.
253. (0. 269.) Oportet quod l'atigatio animalis solvatur per aniraae
quietem. Qiiies autem animae est delectatio . . Et ideo oportet remedium
contra fatigationem animalem adhiberi per aliquam delectationem , intermissa
intensione ad insistendum Studio rationis . . . Huimmodi mdem dicta vel facta,
in quihus non quaeritur nisi delectatio animalis, vocantur ludicra vel iocosa.
Et ideo necesse est talibus interdum uti , quasi ad quandam animae quietem.
Thom. S. 2. 2. p. q. 168. a. 2. c.
254. (0. 283.) NaUirae humanae constitutione pulchrum, quia propa-
gatio, ut flnis, ipsi proposita est, nobis unice placere. Addison (Spectator
n. 413.) ap. Baldinotti, De Metaphysica gen. cap. 6. n. 292.
255. (0. 287.) Aesthetica (theoria liberalium artium . .) est scientia
cognitionis sensitivae. Baumgarten, Aesth. 1., bet 9ittter ©. 556. ((äitirt 286.)
256. (0. 287.) 53aumgarteii§ Aesthetica ift mir nid;t jur ipanb.
fmition finbet man inbeg überall glcirf}mäf5tg al§ bie nou i^m gegebene nngefiit}rt:
l'o bei Äriig (31eft^. §. 22.) unb giefer (2leftb. §• 1.), in bem „groj^en CSonuerfation§=
Serifon" non dlle^er, nnb bem Jlirc^en=2erifon non 2Be^ter nnb äßelte (1. 3Infl.),
21rt. Sleft^etif. 3'^ feiner iOietaplptfif (§. 662.) fagt Sanmgarten in uoller Ueber=
einftimmiing bamit; „Perfectio phaenomenon, sive (perfectio) gustui latius dicto
observabilis , est pulchritudo.^^ unjineibentigen SSerftänbni^ biefeä 0a^e§
bead)tc man nod^ ben folgenben; ,^Gustns signifleatu latiori est iudicium sensi-
tivum . id est facultas sensitiva quae perfectionem imperfectionemque rerum
percipit.“ (ISIetaph. §. 606. 607.)
257. (0. 293.) Ilctpbdvo; EUEtOTj; psv, oby’ ibpata oe, ctÄTjfltvoö -/.cd dpyctt'o'j
yspouxet -/.ciXXo'j; . . . Themist. orat. 22. al. 3. de amicitia, ed. Harduin. (Paris.
1684.) pag. 281 A.
®ie ^nterpunction ber eben angefil^rtcn ©teile ift übrigens bet ißetaniuS nnb
.gtarbuin jineifelloS unrid^tig; id} l)obe biefelbe gegeben nad) 6. 9J(ü[ler, (Sefc^id^te
ber ®f)eorie ber £unft bei ben 2llten, 1. ©. 230.
258. (©. 294.) Fit igitur, ut pulchrum universaliter consistat in quo-
dam perfectionum rei ordine et dispositione interna . . Hinc fit, quod pulchrum
dicatur convenienter .ad intellectum et cognitionem: huius enim est, in ordine
delectari , sicut appetitus delectatur in bono. Tolet. Enarrat. in S. Thomae
Summ. 1. p. q. 5. a. 4. vers. fin. (Romae 1869.) p. 101. 102.
259. (©. 294.) Or, comme dit excellemment l’angelique S. Thomas,
aprfes le grand S. Denys, la beautd et la honte, bien qu’elles ayent quelque
convenance, ne sont pas neantmoins une mesme chose; car le bien est ce
qui plaist h l’appetit et volonte , le beau ce qui plaist ä l’entendement et ä
3ungmann, StcfttietiL 2. 2tufl. 58
914
Slnmerfungen. n. 260 — 267.
la cognoissance ; ou, pour le dire autrement, le bon est ce dont la jouissance
nous delecte, le beau ce dont la cognoissance nous agrde. Traitd de l’amour
de Dien, 1. 1. chap. 1. (Oeuvres choisies de S. Francois de Sales, dd. Per-
rodil, Paris 1843, t. 2. p. 15.)
SJlatt bead^te, ba| granj non <Safe§ ben ©ebanfen be§ l^eitigen 2^oma§, „de
ratione boni est, quod in eo quietetur appetitus'"^ (Slnmerfung n. 45), TDteber=
gibt burd; bie SCBorte: „le bon est ce dont la jouissance nous delecte'-''. 3Bir
l^abert früher (112. ®. 152 f. , ngl. bie Slnmerfung n. 160) gejagt, jener 2tu§brud
be§ l^eiligen £^oma§ tönne nur biefen Sinn l^aben: „de ratione boni est, quod
in eius usu quietetur appetitus“. ®iefe unfere ©rflärung felgen mir fomit Ijiier
burc^ S'tanj non ©ale§ beftätigt: benn „usus“ i[t eben ba§ iliämlic^e roie „jouis-
sance“.
2GO. (®. 295.) II bello, per mio avviso, non d altro in fatto, che una
specie particolare di bene, il quäle per 1’ eccellenza dell’ esser suo cagiona o
nell’ occbio o nel intelletto cognizione dilettevole di se stessa. Pallavicini,
Del bene 1. 2. p. 1. c. 11.
261. (©. 295.) La bellezza puö definirsi, una forma che rende grato e
dilettevole alle potenze conoscitive il soggetto in cui si ritrova. Rogacci, Dell’
uno necessario p. 1. c. 27. n. 19.
262. (o. 300.) La bellezza del oggetto non d bene al vagheggiatore in
ragion di fine, ma solo in ragion di mezzo , ciod in quanto produce in lui la
cognizion dilettevole. Pallavicini, Del bene 1. 1. p. 2. c. 45.
263. (®. 307.) Resta dunque dimostrato , che veramente la bellezza di
un essere d la proprietä che esso ha di manifestare 1’ armonia secondo cui
esso si compone. La scienza e la fede vol. 110. pag. 130.
264. (©. 307.) Or d facile il conoscere, che ogni essere, qualunque
esso sia, d fornito di una triplice proprieth:
1) tende a manifestai’si cosi come d in se stesso ;
2) tende a manifestar 1’ armonia con cui d costituita la sua natura;
3) tende a comunicare agli altri la propria perfezione. La scienza e la
fede vol. 110. p. 121.
265. (S. 309.) La veritä, d la proprieth, per cui 1’ essere manifesta sd
stesso e la sua natura; la bellezza poi d la proprietä, per cui 1’ essere mani-
festa 1’ armonia secondo cui esso si compone. La scienza e la fede vol. 111.
pag. 306.
266. (S. 310.) Quando le facoltä conoscitive conoscono quel vero, ripo-
sano in tal cognizione , essendo questa il loro termine ; e il piacere che ne
provano, aggiunge al vero il nome di hello. Taparelli, Ragioni del bello. (La
Civiltä. catt. ser. 4. vol. 6. p. 45.)
Il bello d certamente un bene , ma non d il bene ; ^ hene delle facoltä
conoscitive, ma non delle appetitive. Taparelli 1. c. p. 44.
Anche il bello d un bene, essendo il bene delle facoltä intuitive. Tapa-
relli, 1. c. (La Civiltä catt. ser. 4. vol. 7. p. 308.)
267. (©. 311.) Siccome poi la facoltä, conoscitiva nell’ uomo d doppia,
ciod intellettiva e sensitiva , dobbiam dire che coli’ una e coli’ altra si puö
9(nnurfungen. n. 268—273.
915
percepire il bello: cio& bisogna dire che mediante la facoltä sensitiva noi
percepiamo il bello sensibile, e mediante la facoltä, intellettiva noi conosciamo
il hello spirituale. La scienza e la fede vol. 1 10. p. 448.
268. 311 .) . . nientre in vece sono proprio i sensi, che percepiscono
la bellezza sensibile. In fatti, sebbene si agiti tra 1 filosoii la quistione, se
tutt’ i nostri sensi sieno capaci di percepire la bellezza sensibile, 6 certo
presso tutti , che i sensi della vista e dell’ udito hanno percezione del bello
fisico. La scienza e la fede vol. 114. p. 199.
261). (o. 812.) Ma che cosa e 1’ armonia? Armonia non altro significa
se non occordo , ordine, proporzione , o nieglio riduzione delle varie parti all’
iinitä. La scienza e la fede vol. 110. p. 442.
270. (®. 313.) Pulchritudinem rei cuiuslibet intelligo sic, ut sit con-
venientia quaedam illius cum illa perfecta specie et exemplari , ad quod
exigi natura sua postulat. Petav. de Deo 1. 6. c. 8. n. 7.
271. (®. 313.) Ad summum pulchrum ita definiri potest, ut sit id cuius
cognitio ideo delectationem aft'ert, quia exemplari suo ac formae primigeniae
exacte respondet. Petav. 1. c. n. 9.
272. (®. 314.) S[)oma§ non 91quin fülp't eine Definition ber 2Bnf|r^eit
an, non 91t)iccnnn, bie er billigt; biefelbe lautet fo; „Veritas cuiuslibet rei est
proprietas sui esse quod stabilitum est rei.“ (Thom. de verit. q. 1. a. 1. c.)
9Dian oevgleii^e mit biefcr Definition bie Sluffaffnng beg ipetaninS non ber ©diön=
l}eit, roie fie namentlid) in ber erftcn ber jioei angefüt)rten Stellen (n. 270) tjeroor;
tritt: ergibt fid^ barnad) äiuif^en bcm 93egriffe ber 3öal;rlieit nnb bein ber ©c^önl)eit
mol;l ein llnter[d;ieb ?
273. (©. 315.) „Da§ 211tertl)um nnb bie Dlcnplatonifer", lel)rt 93ifd;er, „^aben
baä ©d)öne" (b. i). bie Sdjön^eit) „nid;t geljörig oom @nten" (b. 1^. non ber
(Sutl)eit) „nnterfdiieben. Die .ifirc^enniiter nnb baä DJlittelalter tonnten ber gau3en
@eifte§roeife ber gemafe eben fo roenig jene Slblöfung be§ Sd)önen oon onberen
©ebieten nornel)men, ioeld)e ber 91eftf)etif erft ba§ Beben gibt ..... @rft mit bem
(Sintritte ber Scl)clling’fd;en ipi)ilo|op^ie fd)bpft man roal)re Siift. ©eit feinem 31uf=
treten ift ein ©pftem ber 91eftt;etif erft möglid; geioorben. . . DJJit bem iprincip ber
abfolnten ^nbifferenj ober ber ©inl)eit be§ Stealen mar jene Ätuft
(jroifd^en ben ©innen nnb ber Sernunft, 3roifd;en fJlatur nnb ©eift) überrounben,
nnb ba§ ©d)öne mit (Sinem ®d}ritte roieber in feine SBürbe cingefe^t." (93ifd}er,
lieber bag ©rl)abene nnb Äomifd;e, ©. 1. 2. 10. 12.)
iSBag ift alfo „bag ®d)öne" in biefer feiner „micbererlangten 9Biirbe"‘?
@g ift „bie in ber g-orm begränster ®rfd;einnng. @g ift ein finnlidi
©injelneg, bag alg reiner 2lusbrnd ber erfd^eint, fo ba| in biefer nicfjtg ift
mag ni^t finnlid^ erfc^iene, nnb nic^tg finnli^ erfd;eint roog nid)t reiner 91ugbrnd
ber märe, ©g tann" (nad) meiterer ©ntmicfelnng) „beftimmt merben alg eine
93oraugnal)me beg nollfommenen Sebeng ober beg I)öd;ften ©utg bnrd^ einen ©diein.
Dag (fd;öne) ^ttbioibnum erfd;eint jebem 3i'f(in”i'enliange entnommen, meldl)er bie
reine ©egenmart ber 3^>ee in i^m trübte; barnm bnrf bie ©eftalt beffelben nid;t
nadl) i^rer innern fBlifdliung nnb ©tructur, fonbern nur nad} ber Dotalmirhing ber=
felben, mie fie auf ber Oberftäd;e erfd^eint, in ©etracl)t fommen; nur biefe, nom
Durd^meffer abgelbft, nur ber 9lufri§, nid;t ber Durdl)fd)nitt. ©g fbmmt nur barauf
58*
916
äCnmetfuiigen. n. 274—277.
an roie bei Äörper auSfxe^tj^ er ift nmgeroanbelt in reinen Schein. ®a§
©c^öne ift aifo r eines formen rocfen."
„2Benn bemnad^ baS SBefen beS Sd^önen nid^tS anbereS ift alS bie allgemeine
Harmonie bei mit bei aBirflid^feit, aber nid;t in it)rer 3ttlgemeint)eit, fonbern
jur DoHenbeten (ärfd^einung l^erauStretenb im (äinjetnen, fo erließt nunmefir ber
roefentlidtie Unterfd^ieb in ber eintieit beS ©dEiönen unb (Suten. ®aS @ute ift bie
J^tigfeit, roeldfie jene (äinfieit atS noc^ nic^t nor£)anbene ftetS erft ju erarbeiten
ftrebt, nnb mf|t atfo auf ber SSorauSfe^ung beS ©egenfa^eS jniifd^en ber 3^ee unb
ber SBirflid^feit. 3Iuf biefem ©tanbpunfte beS ©oßenS fann nid^t niie im ©d^önen
banadEi gefragt roerben, roie bie @rfd;einung auSfefie. ©d^önen" bagegen
„fommt eS barauf an roie bie ©ad^e auSfiefit. . . ®aS @ute ift im ©d^önen
aufgel^oben im ©inne non tollere unb conservare : baSjenige an if|m rooburd^ es
ein SefonbereS unb ton ber 3BeIt ber formen ißerfdEiiebeneS ift, erlifd^t." (SSifd)er,
ateftfietif 1. §. 14. 53—56. 59, 2.)
274. (©. 317.) Est natura per locos et tempora mutabilis , ut corpus.
Et est natura per locos nullo modo, sed tarnen per tempora etiam ipsa muta-
bilis , ut anima. Et est natura quae nec per locos nec per tempora mutari
potest; hoc Deus est. Quod hic insinuavi quoquo modo mutabile, creatura
dicitur; quod immutabile, Creator. Quum autem omne quod esse dicimus, in
quantum manet dicamus et in quantum unum est, omnis porro pulchritudinis
forma unitas siti vides profectö in ista distributione naturarum, quid summe
sit; quid intime, et tarnen sit; quid medie, maiusque inftnio, et minus summo
sit. Summum illud est ipsa beatitas ; inflmum , quod nec beatum esse potest
nec miserum; quod vero medium, vivit inclinatione ad infimum raisere ; con-
versione ad summum beate vivit. Qui Christo credit, non diligit infimum,
non Superbit in medio , atque ita summo inhaerere fit idoneus : et hoc est
totum quod agere iubemur, monemur, accendimur. Aug. epist. 18. al. 63.
ad Coelestin. n. 2.
275. (©. 320.) Pulchrum per se ipsum consideratur atque laudatur,
cui turpe ac deforme contrarium est. Aptum vero (bie Slngemeffen^eit) , cui
ex adverso est ineptum, quasi religatum pendet aliunde, nec ex semetipso,
sed ex eo cui connectitur iudicatur. Aug. ep. 138. al. 5. ad Marcellin. n. 5.
276. (©. 324.) (Illae artes) quae ordinantur ad opera per corpus exer-
cita, sunt quodammodo serviles, in quantum corpus serviliter subditur animae,
et homo secundum animam est über. Thom. S. 1. 2. p. q. 57. a. 3. ad 3.
®ie f)ier anggefprod^ene Slnfidit über ben Urfprung ber Sejeid^nung (ars
libera unb senilis) fönnen roir baf)ingefteßt fepn taffen; man fiat barüber fd^on
genug nerfianbelt. ögl. j. S. ßrug, 21eftt|. §. 59. Stnmerf. 1.
277. (©. 329.) Omnium rerum atque artium primitiae atque , ut ita
dicam, flos delibatus Deo debentur. Et totius poeseos (quae quasi divinior
quaedam eloquentia est, et velut lingua angelorum) non alius usus potior et
olim creditus fuit inter ipsa artis incunabula , et nunc quoque videri debet,
quam hymnos canere et Dei laudes quam exquisitissime celebrare. Idem de
musica iudicari debet quae poeseos soror gemella est; et non alia in re ex-
cellentes architecti artem suam, principes magnificentiam, rectius ostentant,
quam in teraplis aut basilicis, aliisque operibus quae ad honorem Dei et pias
causas destinentur, exstruendis atque procurandis. Leibnit. System. Theologie.
ed. Lacroix (Lutet. Paris. 1845.) p. 47.
Stnmevfungen. n. 278 — 282.
917
278. (©. 330.) ‘H (jiv o(-/.Ei'a Yjoovrj ^ccr/pt^oi to; IvEpyei'a;, xai ypoviuixepa;
yat ßcXxi'o'j; TtotEE. Arist. Ethic. Nicom. 1. 10. c. 5.
279. (©. 333.) Hoc tibi dictum
Tolle memor : certis medium et tolerabile rebus
Recte concedi : consultus iuris et actor
Causarum mediocris abest virtute diserti
Messalae, nec seit quantum Cascellius Aulus;
Sed tarnen in pretio est; mediocribus esse poetis
Non hommes, non Di, non concessere columnae.
Ut gratas inter mensas sympbonia discors,
Et crassum unguentum, et Sardo cum melle papaver
Offendunt; poterat duci quia coena sine istis :
Sic animis natum inventumque poema iuvandis
Si paulum a summo decessit, vergit ad imum.
Hör. ep. ad Pisones v. 367. sqq.
SDie Ueberfebung l^nben mir na(^ 2Bietanb gegeben.
280. (©. 334.) Keixcci o’ rjplv, xrjv xpayiaoiav x^Xeia; */al 6Txj; 7rpd?eo);
slvat p-tpiTjatv, iyob'jr^i xi p. Arist. de arte poet. ed. Buhle cap. 8.
vulg. 7. n. 2.
281. ('S. 345.) Phidias düs quam hominibus efficiendis melior artifex
oreditur, in ebore vero longe citra aemulum, vel si nihil nisi Minervam
Athenis aut Olympium in Elide lovem fecisset, cuius pulchritudo adiecisse
aliquid etiam receptae religioni videtur; adeo maiestas operis deum aequavit.
Quintil. Instit. orat. 12. c. 10. n. 9.
282. (S. 360.) @vn§inu§ nenirtl^eUt auf ba§ Sd^ärffte bie 31nfc|auung jener
(Sele'^rten , roelc^e, roo e§ fid; um bie ®arftellung übernatürltd)er 23a'^rf)eiten £)an=
beite, an bie Stelle ber non ben Äirdienjd^riftfletlern auSgebilbeten Spraye jene
be§ golbencn 3^*talter§ ber lateinifdjen Siteratur gefept feljen rooltten. Unb um
ben Sßiberfinn biefer gotberung greifbar '^eruortreten ju laffen, gibt er junäc^ft ben
folgenben Sa^:
lesus Christus, Verbum et Filius aeterni Patris , iuxta prophetias venit
in mundum, ac factus homo, sponte se in mortem tradidit, ac redemit Eccle-
siam suam, offensique Patris iram avertit a nobis eique nos reconciliavit , ut
per gratiam fldei iustificati et a tyrannide diaboli liberati, inseramur Ecclesiae,
et in Ecclesiae communione perseverantes , post hanc vitam consequamur
regnum coelorum.
3n ber claffifd^en Sprad;e 3tom§ auSgebrüdt, fäl)rt @ra§mu§ bann fort,
mü^te biefer Sap etroa fo lauten:
Optimi maximique lovis Interpres ac Filius, Servator Rex, iuxta vatum
responsa ex Olympo devolavit in terras, et hominis assumpta figura, sese pro
Salute Reipublicae sponte devovit Düs manibus; atque ita Rempublicam suam
asseruit in libertatem, ac lovis Optimi maximi vibratum in nostra capita ful-
men restinxit, nosque cum illo redegit in gratiam, ut persuasionis muniftcentia
ad innocentiam reparati, et a sycophantis dominatu manumissi, cooptemur in
civitatem, et in Reipublicae societate perseverantes, quum fata nos evocarint
ex hac vita, in Deorum immortalium consortio rerum summa potiamur.
2ßer ju urt^eilen oer[teI)t, ber bürfte biefen Seioeiä o^ne fdjiagenb
918
Stnmertungen. n. 283—290.
finben. ®a§ im 3- 1853 ju 2lmien§ gesottene 5)SroDtnciaIconcit Don JR^eimS
fprad^ barum mit DOÜem Siedete ben au§: Opinio, qua uti harbara despi-
citur lingua illa, quae apuJ excellentissimos Patres usitata, ab ipsa Ecclesiae
liturgia est consecrata, reiicienda est uti non minus a decentia quam a veritate
abhorrens, et in sanctam Eeclesiam contumeliosa. Acta et decr. Conc. Prov.
Rhemens. in civitate Ambianensi (Ambiani 1853) pag. 59. (Sei D’Avanzo,
Lettera intorno all’ insegnamento misto degli autori classici cristiani e pagani.
Torino, Marietti, 1875, pag. 16. 37.)
283. (<5. 364.) Le vbritable beau, le beau ideal de tous les arts libe-
raux , ne se trouve que dans la haute sphfere du culte, de la langue , des
idbes , des sentimens et des Images de la religion. Maury , Essay sur l’blo-
quence de la chaire, 1, XXI.
284. (©. 388.) In imaginum sacro usu omnis lascivia vitetur , ita ut
procaci venustate imagines non pingantur nec ornentur. Conc. Trid. Sess. 25.
De invocatione et veneratione et reliquiis Sanctorum et sacris imaginibus.
285. (©. 388.) Ab ecclesiis vero musicas eas, ubi sive organo sive
cantu lascivum aut impurum aliquid miscetur, . . arceant. Conc. Trid. Sess.
22. Decr. de observand. et evitand. in celebrat. Missae.
286. (©. 411.) „®ie ^ornarina in ber ©allerie Sarberini ift roal^rfc^einlid)
ibentifd; mit ber ,donna nuda ritratta dal vivo, mezza figura di Raffaele‘, roetc|e
ftc^ im (jal^re 1595 im ©eft^e ber @räfin non ©anta gtora in iRom befanb.
ber ,Nota delli musei, librerie, galerie“, SRom 1664. ©. 9, wirb ba§ ©ilbni| im
©al. Sarberini bereits als ©eliebte IRaffaelS angefül)rt: ,il ritratto di Cle-
mente VII. giovanetto , et l’altro della innamorata di Jtaffaele d’ Urbino, am-
bedue di sua mano‘." ©pringer, ©. 509. (6it. 408.)
287. (©. 412.) Fuit et Arellius Romae celeber paulo ante divum Au-
güstum : nisi flagitio insigni corrupisset artem, semper alicuius feminae amore
flagrans, et ob id deas pingens, sed dilectarum imagine. Itaque in pictura
eins scorta numerabantur. Plin. Natural. Hist. 1. 35. c. 37.
288. (©. 449.)
Centuriae seniorum agitant expertia frugis;
Celsi praetereunt austera poemata Rhamnes :
Omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci,
Lectorem delectando pariterque monendo.
Hic meret aera über Sosiis ; hic et mare transit,
Et longum noto scriptori prorogat aevum.
Horat. ad Pison. v. 341. sqq.
289. (©. 416.)
"louev tbe'jSe-x ~dk\a X^ystv, ^-Ofroiotv
”13p.EV o’, eiT IbeXcopev, [j.u&qSO(ai}ai.
Hesiod. de Generat. deor. v. 27. 28.
290. (©. 421.) „Pictoribus atque poetis
Qiiidlibet audendi semper fuit aequa potestas“.
Scimus, et hanc veniam petimusque damusque vicissim :
Stmnerfungen. n. 291 — 297.
919
Sed non nt placidis coeant immitia ; non ut
Serpentes avibus geminentur, tigribus agni.
Hör. ep. ad Pison. v. 9. sqcp
Ficta voluptatis causa sint proxima veris,
Nec, quodcunque volet, poscat sibi fabula credi,
Neu pransae Lamiae vivum puerum extrahat alvo.
Ibid. V. 338. sqq. (®ie llebcrfe^ting nac^ ®ie(anb.)
291. (©. 430.)
Tu, quid ego, et populus mecum desideret, audi.
Si plausoris eges aulaea m^nentis, et usque
Sessuri, donec cantor, Vos plaudite, dicat:
Aetatis cuiusque notandi sunt tibi mores,
Mobilibusque decor naturis dandus et annis.
Hör. ad Pisones v. 153. sqq.
Si dicentis erunt fortunis absona dicta,
Romani tollent equites peditesque cachinnum.
Intererit multum, Davusne loquatur an herus:
jSIaturusne senex, an adhuc florente iuventa
Fervidus ; an inatrona potens, an sedula nutrix ;
Mercatorne vagus, cultorne virentis agelli:
Colchus an Assyrius, Thebis nutritus an Argis.
Hör. 1. c. V. 112. sqq.
292. (@. 431.)
Si quid inexpertum scenae committis. et audes
Personam formare novam, servetur ad imum
Qualis ab incepto processerit, et sibi constet.
Difficile est proprie communia dicere.
Hör. ep. ad Pis. v. 125. sqq.
293. (6. 434.)
Aut famain sequere, aut sibi convenientia finge.
Scriptor honoratum si forte reponis Achillem,
Impiger, iracundus, inexorabilis, acer,
Iura neget sibi nata, nihil non arroget armis ;
Sit Medea ferox invictaque, flebilis Ino,
Perfidus Ixion, Io vaga, tristis Orestes.
Hör. ad Pison. v. 119. sqq.
294. (©. 443.) Er.OTMrx otj , xoti zffi -payqjoi'a; v.oirpn, -/.ctl rj otDopap-ßo-
TroiTjTf/.q , -/.od Tq; otuXirjTWq; TiXetaiTj , v.al v.tfiaptarwfj; , Ttäactt Tuyydvo'jatv oüaoci
TÖ aovoXov. Arist. de arte poet. ed. Buhle cap. 2. vulg. 1. n. 1.
295. (©. 443.) „rplq xal xcd zpä?et?“. Arist. 1. c. n. 4.
296. (©. 444.)
Respicere exemplar vitae morumque iubebo
Doctum imitatorem, et veras hinc ducere voces.
Hör. ad Pis. v. 317.
297. (®. 444.) Eum enim (Eupompum) interrogatuin, quem sequeretur
920
Slnmerfungen. n. 298 — 304.
antecedentium , dixisse, demonstrata hominum multitudine , natiiram ipsmn
hnitandani esse, non artificem. Plin. Natural. Histor. 34. c. 19. n. 6.
298. (S. 445.) To'ts yctp rj xej^vrj x^Xeios, ctv cpöcrt; slvat ooxf,. Lon-
gin. de sublimit. sect. 22.
299. (<S. 445.) SBir fönnen l^ier^er bte fotgenben SBorte be§ ^eiligen S^omaä
jie^en, obgletd^ fie bem 3uf“wtntenl^ange nac^ äunäc^ft einen anbern ©egenftanb
betreffen: In his quae fiunt a natura, et arte, eodem modo operatur ars, et
per eadem media, quibus et natura: . . . unde et ars dicitur imitari naturam.
De verit. q. 11. a. 1. c.
300. (©. 470.) Miuatxd 8e , xod ä xa'jxa; äyep.üjv cpiXoaccpia , l-’t xä xä;
iiMyßq ^navopStbast xaybetaat ut:ö Seuiv xe y.al vdpiujv, IlKCovxi xal TtEtbovri, xä 8e
xai Ttox’ ävayyäCovxt, xö pi^v ä'Xoyov xu) KoyixiL zei'&eaäaf bopiov pisv npäov eipiev,
87rtbup.tav 8e Iv äpep.-qaei , (u; p-rj 8i'ya X^you yiveeabat , |J.rj8E p.av axpep-tCstv xiü vol
8yxaX£op.Evqj yj iroxi spyoc vj ttoxI änoXauata;. Tim. Locr. bei g-. 8. ©tolberg, „SDie
Snfel", I. 33uc^, ©d^tu^. (Sb. 3. ©. 261.)
301. (©. 477.) Quam aliam ob causam legimus vel audimus historias,
quam ut imagines earum in memoria nostra depingantur? Sed eae quum
admodum fluxae sint, nec semper distinctae satis et lucidae, pro magno Dei
munere ars pingendi sculpendique habenda est, quo imagines durabiles nan-
ciscimur quibus res accuratissime et vivacissime , addo et pulcherrime ex-
primuntur, quarum inspectione, (quum originalia semper consulere non liceat,)
imagines internae renoventur, et, quasi sigillo cerae applLcato , profundius
menti imprimantur. Et quum tarn excellens sit usus imaginum , ubinam
quaeso rectius adhibebitur , quam ubi maxime utile est imagines memoriae
nostrae durabilissimas atque efficacissimas esse, hoc est, in negotio pietatis
ac divini honoris ? Praesertim quum supra monuerimus , omnium artium et
scientiarum (adeoque et ptcturae) usum in colendo Deo potissimum elucere
debere. Leibnit. pag. 50. (Sit. 916. n. 277.)
302. (®. 481.) Noi siamo per la grazia di Dio manifestatori agli uomini
grossi che non sanno lettera, delle cose miraculose, operate per virtü e in
virtü della santa fede. Gaye , Carteggio d’artisti, tom. 2. p. 1. Sei Safanlr,
©. 270. (Sit. 338.)
®a§ cngefii'^vte Statut get)ört bem 1355 an. ®ie ©a^ungen ber
ültalerjunft ju ©iena „enthalten Sorfc^riften notl berounberung§roürbiger 2Bei§l§eit
für bie SBerte ber Äünftler nnb für bie S^re ber j^nnft". (S^anin be Sftalan,
@efd;id§te ber fieitigen Äatl^arina non ©iena.)
303. (©. 482.)
Nam castum esse decet pium poetam
Ipsum ; versiculos nihil necesse est,
Qui tum denique habent salem et leporem,
Si sunt molliculi, ac paruin pudici.
Et, quod pruriat, incitare possunt :
Non dico pueris, sed his pilosis,
Qui duros nequeunt movere lumbos.
Catull. carm. 16. v. 5 — 11.
304. (©. 486.) Ad quem accedentes, lapidem vivum, ab hominibus qui-
Stnmerfungen. n. 305—314.
921
dem reprobatum, a Deo autem electum et honoriflcatum . et ipsi 'tamquam
lapides vivi superaedificamini, domus spiritualis. 1. Petr. 2, 4. 5.
. . ut scias , quomodo oporteat te in domo Dei conversari , quae est
Ecclesia Dei vivi, columna et ftrmarnentum veritatis. 1. Tim. 3, 15.
Christus vero tamquam filius in domo sua ; quae domus sumus nos , si
fiduciam et gloriam spei usque ad finem firmam retineamus. Hehr. 3, 6.
cfr. 10, 21.
Ergo iam non estis liospites et advenae , sed estis cives sanctorum et
domestici Dei: superaediflcati super fundamentum Apostolorum et Propheta-
rum, ipso summo angulari lapide Christo lesu. Eph. 2, 19. 20.
305. (®. 487.) Ecclesiarum alia est corporalis, in qua videlicet divina
officia celebrantur ; alia spiritualis, quae est fldelium collectio. . . Ecclesia
autem materialis spiritualem designat. Durand. Rat. div. offic. 1. c. 1. 1. n. 1. 2.
Siquidem Ecclesia materialis, in qua populus ad laudandum Deum con-
venit, sanctam significat Ecclesiam, quae in coelis vivis ex lapidibus construi-
tur. Durand. 1. c. 1. c. 1. n. 9.
306. (®. 487.) Regulariter hoc Sacramentum (Eucharistia) celebrari
debet in domo, •per quam significatur Ecclesia, secundum illud 1. Tim. 3, 15.:
Ut scias, quomodo oporteat te in domo Dei conversari, quae est Ecclesia Dei
vivi. Thom. S. 3. p. q. 83. a. 3. ad 1.
Domus in qua hoc Sacramentum celebratur, Ecclesiam significat et ecclesia
nominatur. Thom. 1. c. ad 2.
307. (ö. 487.) Omnipotentem Deum, fratres carissimi, in cuius domo
multae sunt mansiones , supplices deprecemur . . . Pont. rom. de hened. et
impos. primär, lapid. pro Eccl. aedif.
308. (®. 487.) Deus, qui ex omnium cohabitatione Sanctorum aeternum
Maiestati tuae condis hahitaculum . . . Pont. rom. 1. c.
309. (®. 487.) Ambulate Sancti Dei, ingredimini in civitatem Domini.
Pont. Rom. de Eccl. Dedic.
310. (®. 487.) Lapides pretiosi omnes muri tui , et turres Jerusalem
gemmis aedificabuntur. Pont. Rom. 1. c.
311. (®. 488.) Haec est Jerusalem, civitas illa magna coelestis, ornata
tamquam sponsa Agni : quoniam tabernaculum facta est, Alleluia. Portae
eius non claudentur per diem, nox enim non erit in ea. Pontif. Rom. 1. c.
312. (®. 488.) Plateae tuae, Jerusalem, sternentur auro mundo, Alleluia,
et cantabitur in te canticum laetitiae, Alleluia: et per omnes vicos tuos dice-
tur ab universis, Alleluia, Alleluia. Luce splendida fulgebis, et omnes fines
terrae adorabunt te. Pont. Rom. 1. c.
313. (®. 488.) Terribilis est locus iste: hic domus Dei est, et porta
coeli: et vocabitur aula Dei. Missal. Rom. In dedicat. Eccl. Jntr. Cfr. Ant.
ad Magn. in 2. Vesp., et Gen. 28, 12 — 19.
314. (®. 488.) Deus, qui de vivis et electis lapidibus aeternum Maie-
stati tuae praeparas hahitaculum . . Missal. Rom. In annivers. dedic. Eccl.
Postcomin.'
922
2tnmerfungen. n. 315—318.
31o. (©. 489.) Coelestfs Urbs lerusalera,
Beata pacis visio,
Quae celsa de viventibus
Saxis ad astra tolleris,
Sponsaeque ritu cingeris
Mille Angelorum millibus.
O Sorte nupta prospera,
Dotata Patris gloria,
Respersa Sponsi gratia,
Regina formosissiraa,
Christo iugata Principi,
Coeli corusca Civitas.
Hie margaritis emicant,
Patentque cunctis ostia
Virtute naraque praevia
Mortalis illuc ducitur,
Amore Christi percitus
Tormenta quisquis sustinet.
Scalpri salubris ictibus,
Et tunsione plurima,
Fabri polita malleo
Hane saxa molem construunt,
Aptisque iuncta nexibus
Locantur in fastigio.
Brev. Rom. in Dedic. Eccl. ad Vesp.
316. (<£. 490.) In quo omnis aedificatio constructa crescit in templum
sanctum in Domino; in quo et vos coaedificamini in habitaculum Dei in Spi-
ritu. Eph. 2, 21. 22. (cfr. n. 304.)
Ecclesiae duae potissimum sunt partes: quarum altera trlumphans, altera
militans vocatur . . . Neque ideo tarnen duas esse Ecclesias censendum est:
sed eiusdem Ecclesiae, ut antea diximus, partes duae sunt, quarum una ante-
cessit, et coelesti patria iam potitur; altera indies sequitur, donec aliquando
cum Salvatore nostro coniuncta in sempiterna felicitate conquiescat. Catech.
Rom. part. 1. cap. 10. n. 5.
317. (©. 490.) Alto ex Olympi vertice
Summi Parentis Filius,
Ceu monte desectus lapis
Terras in imas decidens,
Domus supernae et infimae
Utrumque iunxit angulum.
Brev. Rom. in Dedic. Eccl. ad Laud. (@§ ift eine roeitere Stropl^e be§ Borl^cr,
n. 315, angeführten |>pmnu§.)
318. (©. 505.) Forma exaedificandae ecclesiae quum multiplex esse
possit, ad eam sane dellgendam, pro situs ratione proque aedificationis ampli-
tudine , architecti periti consilium Episcopus adhibere debebit. At vero illa
huius aedificii ratio, iam inde ab Äpostolicis fere usque temporibus äucta,
potior est , quae crucis formam exhibet , ut plane ex sacris basilicis Romanis
ätnmerfungen. n. 319 — 322.
923
ad eum modum exstructis perspicitur. lila porro aediftcii rotundi species
olim idolorum templis in usu fuit; sed minus usitata in populo christiano.
Ecclesia igitur omnis, ac illa praesertim quae insignem structurae speciem
requirit, ita exaedificanda potius erit, ut crucis instar sit; quae quum multi-
plex, tum oblonga esse potest; haec in frequentiori usu, reliquae minus usi-
tatae sunt. Ea igitur quae crucis oblongae similitudinem praesefert aedificatio,
ubi potest, in omni ecclesia, vel catbedrali vel collegiata vel parocbiali, quae
exstruenda est, servetur. Ubi vero situs de consilio arcbitecti aliam potius
quam longam aediflcii formam postulat, ad illius praescriptum modum, Epi-
scopi iudicio comprobatum, eiusmodi structura ecclesiae fieri poterit. Acta
synodalia Eccl. Mediolanen. p. II. fBri.xiae 1603.) Instruct. fabricue ecclesiast.
lib. 1. c. 2. pag. 297. s.
319. (©. 507.) Ac per hoc illa una femina non solum spiritu , verum
etiam corpore, et mater est et virgo. Et mater quidem spiritu non Capitis
nostri, quod est ipse Salvator, ex quo magis ipsa spiritualiter nata est: quia
omnes qui in eum crediderint, in quibus et ipsa est, fllii sponsi appellantur
(Matth. 9, 15); sed plane mater membrorum eins, quod nos sutnus : quia co-
operata est caritate , ut fideles in Ecclesia nascerentur , quae illius Capitis
membra sunt; corpore vero ipsius Capitis mater. Aug. de sancta virginitate,
c. 6. n. 6.
320. (©. 515.) "0"[ OE iv T(ö T eij.eXXev e/_ctv xrjv y/iptv , '/.at
Tob; Tpior/.o3i'o.jc. At|>.oT ouv . . £v evi (y p d p. p. a t i) Tcv a-ocjpo'v. Barn. Epist. cath.
cap. 9. vers. fin.
Gedeon elegit trecentos viros ad praelium, ut ostenderet, non in numero
raultitudinis , sed in sacramento crucis mundum ab incursu gravium hostium
liberandum. Trecenti enim in graeca T similitudinem crucis ostendunt. Aug.
serm. 108. de temp.
Sed sicut ille (Abraham) non multitudine nec virtute legionum, sed iam
tum in sacramento crucis, cuius figura per literam graecam T numero trecen-
torum exprimitur, adversarios principes debellavit; cuius mysterii virtute,
trecentis in longum texta cubitis, superavit arca diluvium, ut nunc Ecclesia
hoc saeculum supernavigat : ita et nos, non nostris opibus aut viribus freti,
sed unica Crucifixi scientia, elevemus ad ipsum oculos nostros , ut „miriftcet
super nos misericordias suas, qui salvos facit sperantes in se“. Paulin. Nolan.
Epist. 24. n. 23.
Cfr. Tertull. adv. Marcion. 1. 3. c. 4. Ambros, de fide ad Gratian. Pro-
log. De Abraham 1. 1. c. 3. In Luc. 1. 6. c. 7.
321. (©. 518.) „Hane basilicam in honorem sanctae et victoriosissimüe
Crucis . . . institutam,“ — „hanc ecclesiam quam . . in honorem sanctae Crucis
et memoriam sancti tui N. consecramus“ — biefe unb äl)nlid)e ^orinetn feeren
im römifd;cn ipontificale (De ecclesiae dedicatione) mel}rmal§ roieber.
322. (©. 534.) De ratione imaginis est similitudo. Non tarnen quaecun-
que similitudo sufficit ad rationem imaginis, sed similitudo quae est in specie
rei , vel saltem in aliquo signo speciei. Signum autem speciei in rebus cor-
poreis maxime videtur esse figura. Videmus enim quod diversorum anima-
lium secundum speciem, sunt diversae figurae , non autem diversi colores.
Unde si depingatur color alieuius rei in pariete, non dicitur esse imago, nisi
924
Stnmerfungen. n. 323—332.
jf
depingatur figura. Sed neque ipsa similitudo speciei sufficit vel figurae: sed
requiritur ad rationem imaginis origo; quia, ut Augustinus dicit in lib. 83
Quaestionum , quaest. 74. post init., unum ovum non est imago alterius , quia
non est de illo expressum. Ad hoc ergo quod vere aliquid sit imago , requi-
ritur quod ex alio procedat , simile ei in specie , vel saltem in signo speciei.
Thom. S. 1. p. q. 35. a. 1. c.
323. (©. 534.) bie ratio originis, roeld^e S^omaS forbert,
bem Original unb bem iliad;bilb immer befielet, ifi offenbar. Of)oma§ fetbft brücft
feneS SSerf)ättni^ ber „origo qua (imago) ex alio procedat“, foroo^l in ber an=
gefüt)rten ©teile an§ bem l^eiligen Uluguftin at§ anberSroo, aud^ fo au§': quod sit
(imago) ex alio expressa. S. 1. p. q. 93. a. 1. c.
324. (©. 536.) "Eartv ouv v; xpaYojoi'a glg-rpn Ttpcl-icu; aTTO'joodoc; xocl TeXelct;,
. . opd)v-tuv, xccl oh 6t’ änrxpfsXiai . . . Arist. de arte poet. ed. Buhle cap. 7.
vulg. 6. n. 2.
325. (©. 537.) rispt piev ouv xpctyipota; xai x^; 6v xtü Trpdxxstv pttp.Tj-
tJetos eoxiu Vjjj.iv ixavd xä s/pTjpivct. Ilepl ol xt]S otrjyTjp. axixY); zcd Iv e?ot-
pixpu) p.tp.r;xtxq;, x. X. Arist. 1. c. cap. 24. vulg. 23. n. 1.
326. (©. 537.) ’Ev 6e x-^ dnonoif«, otä x6 ot-q'/rjatv elvcti, y.. x. X. Ei yip
xi; dv d'ÄXo) xivt ptdxpoj 6 trj y rj [j. ocx ix 7) v Tioiotxo, x. x. X. rieptxxT] ydp xoci
r; otTjyTjp. OCX txT) p.t'p.rjat;. xü>v dXXutv. Arist. 1. c. cap. 25. vulg. 24. n. 4. 5. 6.
327. (©. 537.) . ..irpctxxovxe; yip p.tp.oüvxat xai optövxe; dp-cptu. "OSev
xat opctp. axa ■/.aXiio'Üo.L xtve; ocixct cpctatv, oxt (j.tpLOÜvxat opiüvxe;. Arist. 1. c.
cap. 4. vulg. 3. n. 2.
328. (©. 566.) Quonam mentem suam dirigens, vultum lovis propemo-
dum ex ipso coelo petitum eboris lineamentis esset amplexus. Valer. Max.
1. 3. c. 7. „Externa“ n. 4.
329. (©. 566.)
’H, xat xuaViTjOtv i~) ötppuat vcüoc Kpovt'tuv.
'Apißpoatat 5’ dpa yatxat dn£|iipibaavxo d'vaxxo;
Kpaxö; dz’ d'lavdxoto' jisyav 6’ 6XE/.t?ev "OXoptzov.
II. 1, 528. sqq.
330. (©. 570.)
’Ex Ctorj; p.£ Ucot xcu?av Xt'bov Ix 61 /.t'boto
Zturjv ripa?txlXrj; Ip-zaAtv eipydaaxo.
F. Jacobs, Anthol. gr. tom. 4. p. 181.
331. (©. 571.)
Excudent alii spirantia mollius aera,
Credo equidem, vivos ducent de marmore voltus,
Orabunt caus.as melius, coelique meatus
Describent radio, et surgentia sidera dicent:
Tu regere imperio populos, Romane, memento;
Hae tibi erunt artes ; pacisque imponere morem,
Parcere subiectis, et debellare superbos.
Virg. Aen. 6. v. 848. sqq.
332. (©. 583.) 33ei 2lputeju§ t)ei|t e§ ; „palmulis in alternas digitorum
vicissitudines connexis ubertim flebam“ ; unb DOn ber Ijeiligen ©d^olaftica ft^reibt
2lntnerfungen. n. 333 — 339.
925
(Sregor ber ®ro^e: „insertas digitis manus super mensam posuit“. (Dial. 2.
c. 33. Brev. Rom. 10. Febr. lect. 4.)
333. (©. 602.) Effigies hominum non solebant exprimi, nisi aliqua illu-
stri causa perpetuitatem merentium , primo sacrorum certaminum victoria,
maximeque Olympiae: ubi omnium qui vicissent, stat.uas dicari mos erat.
Eorum vero qui ter ibi superavissent , ex membris ipsorum similitudine ex-
pressa, quas iconicas vocant. Plin. Histor. Natural. 34. cap. 9.
334. (©. 604.) Noüv y_pY] OsäsOott, voüv xi xrfi EÜp.opcpta?
ocseAoc, oxav t(; p.-)] cppiva? eyjj ;
Euripides ap. Stobaeum, Florileg. 66, 1.
335. (©. 608.)
Tdv Kvtoioev K’jÖEpEtotv 5^ve, xo'jxo piv Emot;’
«ÜTri */o:i Ova-äiv 'xpye 7-Cii cillavczTOJv.
T«v 5’ ivl KEXporioat; ocpoDapaEa naXXaoo: Xsuaaiov,
a'jodaEi?" ö'vTio; ßo'jy.oXo^ fjv 6 Ildpt;. (Hermodor.)
’AcppoyE-zoo? Oacptrj; C^9sov zEpio^py.Eo y.dXXo;,
7,ai Xe^ei;’ aivö) xöv Opoyot xf^; y.ptaeiu?.
’AxiHoa OEp7.6p.E7o; ~ctXt riccXXctooi, xoOxo ßoi^OEi;’
tü; ßo'JXTj; ö llapt; xrjvOE TrapsxpoyaaE.
Fr. Jacobs, Antliol. gr. tom. 1. pag. 193. tom. 4. pag. 168.
336. (©. 609.) ,,xö CEp.7Öv 7.cd pEyctXoxEyvov y.cd ä;aup'xxt7.6v .
Dionys. Halicarn. de Isocrate p. 542.
„xö p.EyczXEtov y.cd x6 dxptßE; a[Aa“. Demetr. de elocut. 14.
337. (@. 609.) Singular! opcre artificioque perfectum . . . propter exi-
miam pulchritudinem . . . Cic. De signis c. 33. n. 72.
338. (©. 609.) Erat admodum amplum et excelsum signum cum stolaj
verumtamen inerat in illa magnitudine aetas atque babitus virginalis. Sagittae
pendebant ab humero: sinistra manu retinebat arcum: dextra ardentem facem
praeferebat. Cic. 1. c. c. 34. n. 74.
339. (@. 629.) Idcirco enim pictura in Ecclesiis adhibetur, ut bi qui
literas nesciunt, saltem in parietibus videndo legant, quae legere in codi-
cibus non valent. Greg. M. 1. 9. epist. 105. ad Serenum Episc. Massilien.
(p. 1006.)
Nam quod legentibus scriptura, hoc idiotis praestat pictura cernentibus^
quia in ipsa etiam ignorantes vident quid sequi debeant, in ipsa legunt qui
literas nesciunt . . . Hoc sollicite fraternitas tua admoneat, ut ex visione rei
gestae ardorem compunctionis percipiant, et in adoratione solius omnipotentis
sanctae Trinitatis huiniliter prosternantur. Greg. M. 1. 11. epist. 13. ad eundem.
(pag. 1100. sq.)
. . ut dum picturam illius (sc. Salvatoris nostri) vides , ad illum animo
inardescas , cuius imaginem videre desideras . . Scio quidem , quod imaginem
Salvatoris nostri non ideo petis, ut quasi Deum colas, sed ob recordationem
Filii Dei in eins amore revalescas. Greg. M. 1. 9. epist. 52. ad Secundinum.
(pag. 971.)
926
2tnmevfungen. n. 340 — 346.
340. (©. 629.) Illud v^ro diligenter doceant Eplscopi , per historias
mysteriorum nostrae redemptionie, picturis vel aliis similitudinibus expressas,
erudiri, et confirmari populum in articulis fidei commemorandis et assidue
recolendis: tum vero ex Omnibus sacris imaginibus magnum fructum percipi •
non solum, quia admonetur populus beneficiorum et munerum, quae a Christo
sibi collata sunt, sed etiam, quia Dei per Sanctos miracula et salutaria exem-
pla oculis fidelium subiiciuntur : ut pro iis Deo gratias agant, ad Sanctorum-
que imitationem vitam moresque suos componant, excitenturque ad adorandum
ac diligendum Deum, et ad pietatem colendam. Si quis autem bis decretis
contraria docuerit aut senserit, anathema sit. Conc. Trident. Sess. 25. Decr.
de invocatione et veneratione et reliqiiiis Sanctorum, et sacris imaginibus
(post med.).
341. (ö. 631.) Imagines porro Christi , Deiparae Virginis , et aliorum
Sanctorum, in templis praesertim habendas et retinendas, eisque debitum ho-
norem et venerationem impertiendam . . . Conc. Trid. 1. c. ante med.
342. (®. 636.) Nam et ipsius Dominicae facies carnis innuraerabilium
cogitationum diversitate variatur et fingitur: quae tarnen una erat, quaecuuque
erat. Neque in fide nos,tra quam de Domino lesu Christo habemus, illud sa-
lubre est quod sibi animus fingit, longe fortasse aliter quam res se habet, sed
illud quod secundum speciem de homine cogitamus . . . Neque enim novimus
faciem Virginis Mariae, ex qua ille, a viro intacta neque in ipso partu cor-
rupta, mirabiliter natus est . . Credimus enim Dominum lesum Christum na-
tum de virgine quae Maria vocabatur. Quid sit autem virgo , et quid sit
nasci, et quid sit nomen proprium, non credimus, sed prorsus novimus. Utrum
autem illa facies Mariae fuerit, quae occurrerit animo quum ista loquimur
aut recordamur, nec novimus omnino nec credimus. Itaque hic salva fide
licet dicere, forte talem habehat faciem, forte non talem; forte autem de Vir-
gine natus est Christus, nemo salva fide christiana dixerit. Aug. de Trinitate,
8. c. 4. 5. n. 7. ’
343. (©. 636.) lustin. Dial. cum Tryph. p. 181. 186. ed. Maurin. Ter-
tullian. de carne Christi c. 9. contr. lud. c. 14. Cypr. adv. lud. 1. 2. Clem.
Al. Paedag. 3. c. 1. extr. Potter. 252. Strom. 6. c. 17. Potter. 818. Cyrill.
Al. Glaphyr. in Exod. 1. n. 4. ed. Aubert. 250. Bas. in ps. 44. n. 4. 5.
3roei biefer 3eu9m)|e, non Slemeng unb Safiliug, ^aben mir im erften Sud^e
angeführt: 26. ©. 43 unb iJI. 82. ©. 108.
344. (©. 637.) Non quo divinitas Christi hominibus comparata formo-
sior sit: haec enim non habet comparationem ; sed absque passionibus Crucis,
universis pulchrior est. Hier, epist. 65. al. 140. ad Principiam virg. n. 8.
345. (©. 674.) Huic (supernaturali) divinae revelationi tribuendum qui-
dem est, ut ea , quae in rebus divinis humanae rationi per se impervia non
sunt, in praesenti quoque generis humani conditione ab Omnibus expedite,
firma certitudine et nullo admixto errore cognosci possint. Pius IX., sacro
approbante Concilio, Const. Dei Filius, cap. 2. De revelatione.
346. (©. 675.) Ex hoc omnes gentes , quoniam ab illa stirpe procreatae
sunt, usque adeo tenent insitum pudenda velare, ut quidam barbari illas cor-
poris partes nec in balneis nudas habeant, sed cum earum tegumentis lavent.
,Aug. de civit. Dei 14. c. 17. extr. Cfr. Herodot. 1. c. 10.
Stnmerfungcu. n. 347 — 354.
927
347. (@. 679.)
J7 OTjta 8vr|Tol T'iXX'x fxsv
)j.cyßoüij.ev w; '^pT] ttccvt« xal p.aGTc'jop.cv,
;i2i3(u o£, xrjv x'jpxvvov äv^piozot; p.dv7jv,
O'JOEV xt p.x/.Xov xe^.o; !iT:o'j5c(^Ofj.2v,
[j.ia3o5; otSdvxe? p.av!}c<vEtv, iV rjv ttoxe
TreiSstv ä xi? ßo’liXotxo, x'jy'/ctvetv o’ äp.x!
7T(jü; ouv ex’ «v xt; ilTiiacii Trpct^etv -/.aXtö;;
Eurip. in Hecuba v. 814—820.
348. (©. 688.) Ergo, ut ad primum illud revertar, sit orator nobis is,
qui , ut Crassus descripsit , acconmiodate ad yersuadendum possit dicere. Cic.
de orat. 1. c. 61. n. 260. Cfr. de invent. rliet. 1. c. 5. ii. 6.
349. (®. 688.) ®n§ ergibt fid; j. ®. aii§ bcn folgenben SBorten, roeldje
(Sicero ben Graffiiä fpred;en Iä|t. Nihil dicam reconditum, nihil expectatione
vestra dignum, niliil aut inauditum vobis, aut cuiquam novum. Nam prin-
cipio illud, quod est homine ingenuo liberaliterque educato dignum, non ne-
gabo me ista omnium communia et contrita praecepta didicisse: Primum,
oratoris officium esse, dicere ad persuadendum accompiodate. Cic. de orat. 1.
c. 31. n. 137.
350. (©. 688.) Nam quum eloquentiae sit universale officium, . . dicere
apte ad persuasionem, finis autem, id quod intenderis, persuadere dicendo . . .
Aug. de doctr. Christ. 4. c. 25. n. 55.
351. (®. 689.) Persuadent enim dicendo, vel ducunt in id quod volunt,
alii quoque, ut meretrices, adulatores, corruptores. Quint. Inst. orat. 2. c. 15.
352. (@. 691.) Siquidem et Demosthenes , quid esset in toto dicendi
opere primum, interrogatus, pronuntiationi palniam dedit, eidemque secundum
ac tertium locum, donec ab eo quaeri desineret: ut eam videri posset non
praecipuam, sed solam iudicasse. Quint. Inst. orat. 11. c. 3. init.
Actio, inquam, in dicendo una doininatur: sine hac summus orator esse
in numero nullo potest; mediocris, hac instructus, summos saepe superare.
Huic primas dedisse Demosthenes dicitur, quum rogaretur, quid in dicendo
esset primum, huic secundas, huic tertias. Cic. de or 3. c. 56. n. 213.
3.53. (©. 692.) Nos autem (contra Platonem) ponimus, Deum esse cau-
sam singularis, et quantum ad formam et quantum ad materiam. Ponimus
etiam, quod per divinam providentiam definiuntur omnia singularia : et ideo
oportet nos singularium potiere ideas. Thom. de verit. q. 3. art. 8. c.
Si loquamur de idea proprie, secundum quod est rei eo modo quo est
in esse producibilis , sic mia idea respondet singulari , speciei et generi , indi-
viduatis in ipso singulari: eo quod Socrates, homo, et animal, non distinguun-
tur secundum esse. Thom. 1. c. ad 2
Genera non possunt habere ideam aliani ah idea speciei, secundum quod
idea significat exemplar: quia nunquam genus fit nisi in aliqua specie. Simi-
liter etiam est de accidentibus quae inseparabiliter concomitantur subiectum,
quia haec simul fiunt cum subiecto; accidentia autem quae superveniunt sub-
iecto, specialem ideam habent. Thom. S. 1. p. q. 15. a. 3. ad 4.
354. (@ 692.) Malum cognoscitur a Deo non per propriani rationem.
928
3Inmerfungen. n. 355—360.
sed per rationem boni : et ideö malum non habet in Deo ideam, neque secun-
dum quod idea est exemplar, neque secundum quod est ratio. Thom. S. 1. p.
q. 15. a. 3. ad 1. Cfr. de verit. q. 3. a. 4. XJtrwn malum in Deo ideam haheat.
355. (©. 694.) Intueris enim iustitiam, qua nemo male utitur. Haec
inter summa bona quae in ipso sunt homine, numeratur, omnesque virtutes
animi quibus ipsa recta vita et honesta constat. Nam neque prudentia, neque
fortitudine, neque temperantia male quis utitur: in bis enim omnibus, sicut
in ipsa etiam quam tu commemorasti iustitia, recta ratio viget, sine qua vir-
tutes esse non possunt. Recta autem ratione male uti nemo potest. Ista ergo
magna bona sunt; sed meminisse te oportet, non solum magna, sed etiam
minima bona esse non posse, nisi ab illo a quo sunt omnia bona, hoc est Deo.
Id enim superior disputatio persuasit, cui toties tamque laetus assensus es.
Virtutes igitur quibus recte vivitur, magna bona sunt; species autem quorum-
libet corporum, sine quibus recte vivi potest , minima bona sunt; potentiae
vero animi sine quibus recte vivi non potest, rnedia bona sunt. Virtutibus
nemo male utitur; ceteris autem bonis, id est mediis et minimis , non solum
bene, sed etiam male quisque uti potest. Et ideo virtute nemo male utitur,
quia opus virtutis esc bonus usus istorum, quibus etiam non bene uti possu-
mus. Nemo autem bene utendo male utitur. Aug. de libero arbitr. 2. c. 18.
19. n. 50.
356. (®. 695.) Quidam (dicendi facultatem) etiam pravitatem quandam
artis, id est •/.cc/.citEyvt'o'v, nominaverunt. Quint. Inst. orat. 2. c. 15.
357. (®. 695.) Orator simile tantum veri petit; non enim bona con-
scientia, sed victoria litigantis, est praemium. Quint. 1. c.
358. (©. 696.) Quum ergo sit in medio posita facultas eloquii, quae
ad persuadenda seu prava seu recta valet plurimum; cur non bonorum Studio
comparatur, ut militet veritati, si eam mali ad obtinendas perversas vanasque
causas in usus iniquitatis et erroris usurpant? Aug. de doctr. Christ. 4. c. 2. n. 3.
359. (©. 696.) Qui vero affluit insipienti eloquentia, tanto magis caven-
dus est, quanto magis ab eo in iis quae audire inutile est, delectatur auditor,
et eum quoniam diserte dicere audit, etiam vere dicere existimat. Haec autem
sententia nec illos fugit, qui artem rhetoric.am docendam putarunt : fassi sunt
enim, sapientiam sine eloquentia parum prodesse civitatibus, eloquentiam vero
sine sapientia nimium obesse plerumque, prodesse numquam. Aug. de doctr.
ehr. 4. c. 5. n. 7.
Sicut autem cuius pulchrum corpus et deformis est animus, magis do-
lendus est, quam si deforme haberet et corpus: ita qui eloquenter ea quae
falsa sunt dicunt, magis miserandi sunt, quam si talia deformiter dicerent.
Quid est ergo, non solum eloquenter, verum etiam sapienter dicere, nisi verba
in submisso genere sufficientia , in temperato splendentia, in grandi vehe-
mentia, veris tarnen rebus, quas audiri oporteat, adhibere? Sed qui utrum-
que non potest , dicat sapienter quod non dicit eloquenter , potius quam dicat
eloquenter quod dicit insipienter. Aug. de doctr. ehr. 4. c. 28. n. 61.
360. (@. 696.) Saepe et multum hoc mecum cogitavi, bonine an mali
plus attulerit hominibus et civitatibus copia dicendi, ac summum eloquentiae
Studium. Nam quum et nostrae reipublicae detrimenta considero , et maxi-
9i[nmerfungen. n. 361^ — 367.
929
marum civitatum veteres animo calamitates colligo , non minimam Video per
disertissimos homines invectam partem incommodorum. Quum aiitem res ab
nostra memoria propter vetustatem remotas, ex literarum monumentis repetere
instituo , multas urbes constitutas , plurima bella restincta , firmissimas socie-
tates , sanctissimas amicitias intelligo quum animi ratione , tum facilius elo-
quentia comparatas. Ac me quidem diu cogitantem, ratio ipsa in hanc potis-
simum sententiam ducit , ut existimem , sapientiam sine eloquentia parum
prodesse civitatibus, eloquentiam vero sine sapientia nimium obesse islerumque,
prodesse nunquam. Cic. de invent. rhet. 1. 1. init.
361. (©. 699.) Hinc discidium illud extitit quasi linguae atque cordis,
absurdum sane et inutile et reprehendendum , ut alii nos sapere, alii dicere
doceant. Cic. de orat. 3. c. 16. n. 61.
362. (6. 718.)
Segnius irritant animos demissa per aurem,
Quam quae sunt oculis subiecta ftdelibus.
Hör. ad Pison. v. 180. s.
363. (®. 729.) Nihil potest intrare in affectum, quod in aure, velut
quodam vestibulo, statim offendit. Quint, ap. Blair lect. 13. p. 282.
364. (®. 729.) Duae sunt igitur res quae permulceant aures, sonus et
numerus. Cic. Or. c. 49. n. 163.
365. (©. 733.) Quo quique (pedes I sunt temporibus pleniores longisque
syllabis magis stabiles , hoc graviorem faciunt orationem , breves celerem ac
mobilem. Quint. Inst. orat. 9. c. 4.
366. (©. 737.) Oü Giiu-Tj? p.övov TO Ep^ov, äXkä p.sY^9ou; icTtv ö XptOTia-
viGp.d?. Ignat. M. ad Rom. cap. 3. extr.
367. (©. 746.1 Fange lingua glorios!
Lauream certamiiiis,
Et super Crucis tropaeo
Die triumphum nobilem:
Qualiter Redemptor orbis
Immolatus vicerit.
De parentis protoplasti
Fraude Factor condolens,
Quando pomi noxialis
In necem morsu mit,
Ipse lignum tune notavit,
Damna ligni ut solveret.
Hoc Opus nostrae salutis
Ordo depoposcerat,
Multiformis proditoris
Ars ut artem falleret,
Et medelam ferret inde,
Hostis unde laeserat.
Quando venit ergo sacri
Plenitudo teinporis,
Sungmann, Slefttjetit. 2. Siufl.
59
930
Jtnmerhmgen. n. 367.
Missfis est ab arce Patris
Natus, orbis Conditor,
Atque ventre Virginali
Garne amictus prodiit.
Vagit infans inter arcta
Conditus praesepia;
Membra pannis involuta
Virgo Mater alligat,
Et Dei raanus pedesque
Stricta cingit fascia.
Lustra sex qui iam peregit,
Tempus implens corporis,
Sponte libera Redemptor
Passioni deditus,
Agnus in Crucis levatur
Immolandus stipite.
Felle potus ecce languet;
Spina, clavi, lancea
Mite Corpus perforarunt:
Unda manat et cruor.
Terra, pontus, astra, mundus
Quo lavantur flumine.
Crux ftdelis, inter omnes
Arbor una nobilis !
Silva talem nulla profert
Fronde, flore, germine;
Dulce ferrum, dulce lignum,
Dulce pondus sustinent.
Fleete ramos, arbor alta,
Tensa laxa viscera.
Et rigor lentescat ille
Quem dedit nativitas,
Et superni membra Regis
Tende miti stipite.
Sola digna tu fuisti
Ferre mundi victimam,
Atque portum praeparare
Area mundo naufrago :
Quam sacer cruor perunxit
Fusus Agni corpore.
Sempiterna sit beatae
Trinitati gloria,
Aequa Patri Filioque,
Par decus Paraclito:
Stnmerfungen. n. 368, 369.
931
Unius Trinique nomen
Laudet Universitas. Amen.
(Breviar. Rom. Dom. Passionis.)
Sßir l^aben biefen .^t;mnu5, l^ter rote in ber Uebevfe^ung, nac^ bcr gdlluitg
be§ römift^en 33renier§ gegeben; Äapfer (©. 412 ff. (Sit. ©. 377) gibt unb über=
fe^t if)n (in nngebunbener iRebeform) in einer älteren ©eftalt. .§infid>ttid) ber
Seutung 6ine§ SSerfeä, ber im tSreoier unb bei Äaqfer ganj übereinftimmt, fönnen
roir nicf)t uml^in, eine SSeinert'ung ju inad;en.
ift ber äroeite 2Ser§ ber neunten ©tropfe: Tensa laxa viscera. Äapfer
betrad)tet ba§ erfte ®ort, tensa, a(§ ben ^i'ipcratio eineä 3s*troorte§, tensare = ge=
fd;äftig auSbreiten, laxa aber at§ 3tbfectiu, unb überfe^t ben 33er§ fo: „Sßreite roeid^
bein 9Jiarft}otä au§". .gtefete, in einer S3efpred)ung ber erften Sluftage be§ jbai}fer’=
fd^en 33iid}e§, erttärt biefe Ueberfeljung für „ungenau". „§ier ift", fe^t berfelbe
t)in5u, „ber offenbar nerfd)oben, unb bas StbfectiD äiim ffierbum gemailt,
roaS root)I in einer gebunbenen, aber nid£)t in einer ungebunbenen Ueberfet^ung fid)
red;tfertigen lä^t" (i§eot. Quartalfd^rift, Tübingen 1867, ©. 267). tapfer erttärt
in ber jroeiten Sluflage (©. 431 Diote 3), biefer Söemerfung .^efele’S „nidt)t beiftim=
men jn fönnen". DJfeineS @rad;tenS ift .gtefete’S 2tnfid^t bie einjig ridf)tige.
@egen tapfer fpridjt, neben anberen dtudfid^ten, inSbefonbere and; baS
9Retrum. ®er 9fegel nad^ fott ber erfte gi'Ü Rber ®ipobie ein reiner 2:rod)äuS
fepn. GS finbet fid; in bem §pmnuS, roie if)n baS ißreoier gibt, nid;t ein ein=
jiger 3?cvfto| gegen biefe iReget. ®arauS folgt, ba§ bie dtebaction beS |)pmnuS
roie berfelbe im SBreoier fielet, baS SKort tensa als reinen 3;rod;äuS, mithin als
Ülbiectio betrad£)tete; benn als ^mperatio genommen, roäre eS ein ©ponbenS. ®ei
bem offenbaren Seftreben, ben Jert mit ben IRegetn ber ilRetrif in ootlen Gintlang
ju bringen, roürbe bie iRebaction, roenn fie roie Äapfer baS 2Bort laxa als Slbjectio,
mitl)in nid;t alS ©ponbeuS fonbern alS £rod)äuS betrad;tet liätte, fidjer biefeS SBort
an bie ©pipe beS SSerfeS geftellt, unb baburc^ in fet)r einfad;er ÜBeife ben gcl)ler
gegen bie DRetrif oermieben l)aben.
Unb berfelbe @rnnb bürfte mit fRe^t auc^ in iRüdfidjt auf bie ältere g-affung
beS töpmnuS gettenb gemacht roerben, roenn man nid)t annet)men roill, bcr Serfaffer
l^abe bie Regeln ber 9Retrif abfidjtlidf) ocrle^t. g^'^'tid) fielet ber ber
älteren gofii*'ig< Q« anberen ©teilen; in ben SSerfen Dulce lignum dulci
clavo in ber ad;ten ©tropl)e, unb Miti tendas stipite in ber neunten; aber l)ier
lie^ er fiel) nid;t, roie in Tensa laxa viscera, btird^ blofje Umftetlung ber SBorte
aufl)eben. 3ln einer brüten ©teile bagegen, in ber äroeiten ©tropl^c, roo eS bei
Äapfer f)ei^t Morsu morte coiruit, l^nben nad; dRone (93b. 1. ©. 133) jroei §anb=
fd^riften, unb nad^ Ibapfer fclbft (©. 419 Rote 2) eine britte, bie SeSart Morte
morsu corruit , — eine 2Bortftellung bie offenbar burd; bie Rüdfid^t auf bie be=
jeid^nete metrifd;e Regel oeranla^t ift.
368. (©. 748.) Afj/.ov ouv i-t. too-wv , o-rt töv -otrjrqv (aciAXov xröv [xubiüv
elvai ozX -otr,Tqv, q -röv p.eTpiuv. Arist. de arte poet. ed. Buhle cap. 10.
vulg. 9. n. 9.
369. (©. 758.)
Sed qui pedestres fabulas socco premunt,
Ut quae loquuntur sumpta de vita putes,
Vitiant iambum tractibus spondaicis
Et in secundo et ceteris aeque locis,
59*
932
Slnmerfungen. n. 370.
Fidemque fictis dum procurant fabulis,
ln metra peccant arte, non inscitia,
Ne sint sonora verba consuetudinis,
Paulumque rursus a solutis differant.
Terentian. Maur. de literis syllabis et metris, v. 2232 sqq.
370. (@. 771.) Exultet iam angelica turba coelorum : exultent divina
mysteria: et pro tanti Regis Victoria tuba insonet salutaris. Gaudeat et tellus
tantis irradiata fulgoribus; et aeterni Regis splendore illustrata, totius orbis
se sentiat amisisse caliginem. Laetetur et mater Ecclesia tanti luminis ad-
ornata fulgoribus, et magnis populorum vocibus haec aula resultet. Qua-
propter adstantes vos , fratres carissimi , ad tarn miram huius sancti luminis
claritatem una mecum , quaeso, Dei omnipotentis misericordiam invocate. Ut
qui me non meis meritis intra Levitarum numerum dignatus est aggregare,
luminis sui claritatem infundens Cerei huius laudem implere perficiat. Per
Dominum nostrum lesum Christum Filium suum, qui cum eo vivit et regnat
in unitate Spiritus sancti Deus, per omnia saecula saeculorum.
R. Amen.
V. Dominus vobiscum.
R. Et cum spiritu tuo.
V. Sursum corda.
R. Habemus ad Dominum.
V. Gratias agamus Domino Deo nostro.
R. Dignum et iustum est.
Vere dignum et iustum est, invisibilem Deum Patrem omnipotentem,
Filiumque eins unigenitum. Dominum nostrum lesum Christum, tolo cordis
ac mentis affectu et vocis ministerio personare. Qui pro nobis aeterno Patri
Adae debitum solvit, et veteris piaculi cautionem pio cruore detersit. Haec
sunt enim festa Paschalia , in quibus verus ille Agnus occiditur , cuius san-
guine postes fidelium consecrantur. Haec nox est, in qua primum patres
nostros, filios Israel, eductos de Aegypto, Mare rubrum sicco vestigio transire
fecisti. Haec igitur nox est, quae peccatorum tenebras columnae illuminatione
purgavit. Haec nox est, quae hodie per Universum mundum in Christo cre-
dentes, a vitiis saeculi et caligine peccatorum segregatos, reddit gratiae, sociat
sanctitati. Haec nox est, in qua destructis vinculis mortis Christus ab inferis
Victor ascendit. Nihil enim nobis nasci profuit, nisi redimi profuisset. O mira
circa nos tuae pietatis dignatio ! O inaestimabilis dilectio caritatis : ut servum
redimeres, Filium tradidisti! O certe necessarium Adae peccatum, quod Christi
morte deletum est! O felix culpa, quae talem ac tantum meruit habere Red-
emptorem ! 0 vere beata nox , quae sola meruit scire tempus et horam , in
qua Christus ab inferis resurrexit ! Haec nox est , de qua scriptum est : Et
nox sicut dies illuminabitur : Et nox illuminatio mea in deliciis meis. Huius
igitur sanctificatio noctis fugat scelera, culpas lavat: et reddit innocentiam
lapsis, et moestis laetitiam. Fugat odia, concordiam parat, et curvat imperia.
Hie Diaconus inßgit quinque grana incensi henedicti in Cereo in modum
Crucis.
In huius igitur noctis gratia suscipe , sancte Pater, incensi huius sacri-
ficium vespertinum, quod tibi in hac Cerei oblatione solemni, per ministrorum
manus , de operibus apum sacrosancta reddit Ecclesia. Sed iam columnae
huius praeconia novimus, quam in honorem Dei rutilans ignis accendit.
Stnmerfungen. n. 371 — 374.
933
Hic Diaconus accendit Cereum cum una ex tribus cavdelis in arundine
positis.
Qui licet sit divisus iii partes, mutuati tarnen luminis detrimenta non novit.
Alitur enim liquantibus ceris , quas in substantiam pretiosae buius lampadis
apis mater eduxit.
Hic accenduntur lampades.
O vere beata nox , quae exspoliavit Aegyptios, ditavit Hebraeos! Nox,
in qua terrenis coelestia, humanis divina iunguntur ! Oramus ergo te, Domine,
ut Cereus iste in honorem tui nominis consecratus, ad noctis huius caliginem
destruendam indeficiens perseveret. Et in odorem suavitatis acceptus, supernis
luminaribus misceatur. Flammas eins lucifer matutinus inveniat. Ille inquam
Lucifer, qui nescit occasum. Ille, qui regressus ab inferis, bumano generi
serenus illuxit. Precamur ergo te , Domine , ut nos famulos tuos omnemque
clerum et devotissimum popufum, una cum beatissimo Papa nostro N. et An-
tistite nostro N., quiete temporum concessa, in bis Paschalibus gaudiis assidua
protectione regere, gubernare et conservare digneris. Respice etiam ad devo-
tissimum Imperatorem nostrum N., cuius tu, Deus, desiderii Vota praenoscens,
ineffabili pietatis et misericordiae tuae munere , tranquillum perpetuae pacis
accommoda, et coelestem victoriam cum omni populo suo. Per eundem Do-
minum nostrum lesum Christum Filium tuum : qui tecum vivit et regnat in
unitate Spiritus säncti Deus: per omnia saecula saeculorum.
R. Amen. (Missal. Rom. in Sabbato sancto.)
371. ((£. 771.) R. Libera me. Domine, de morte aeterna, in die illa tre-
menda: quando coeli movendi sunt et terra: dum veneris iudicare saeculum
per ignem.
V. Tremens factus sum ego , et timeo, dum discussio venerit, atque
Ventura ira.
R. Quando coeli movendi sunt et terra.
V. Dies illa dies irae, calamitatis et miseriae, dies magna, et amara valde.
R. Dum veneris iudicare saeculum per ignem.
V. Requiem aeternam dona eis. Domine, et lux perpetua luceat eis.
R. Libera me, Domine, de morte aeterna, in die illa tremenda: quando
coeli movendi sunt et terra: dum veneris iudicare saeculum per ignem.
(Ritual. Rom., De exequiis.')
372. (@. 780.) Assentior Platoni, nihil tarn facile in animos teneros
atque molles influere, quam varios canendi sonos; quorum dici vix potest,
quanta sit vis in utramque partem. Namque et incitat languentes et langue-
facit excitatos, et tum remittit animos tum contrahit. Cic. de leg. 2. c. 15. n. 38.
373. (©. 780.) Ipsis sanctis dictis religiosius et ardentius sentio moveri
animos nostros in flammam pietatis, quum ita cantantur, quam si non ita can-
tarentur; et omnes affectus Spiritus nostri pro sui diversitate habere proprios
modos in voce atque cantu, quorum nescio qua occulta familiaritate excitentur.
Aug. Conf. 10. c. 33. n. 49.
374. (©. 793.) Nec satiabar illis diebus, dulcedine mirabili considerare
altitudinem consilii tui super salutem generis humani. Quantum llevi in
hymnis et canticis tuis, suaviter sonantis Ecclesiae tuae vocibus commotus
acriter ! Voces illae influebant auribus meis, et eliquabatur veritas in cor
934
3tntnerfungen. n. 375 — 378.
j»
meum; et exaestuabat inde affectus pietatis, et currebant lacrimae, et bene
mihi erat cum eis. Aug. Conf. 9. c. 6. n. 14. extr.
375. (®. 794.) Per cantum quo quis studiose ad delectandum utitur,
abstrahitur animus a consideratione eorum quae cantantur. Sed si aliquis
cantet propter devotionem, attentius considerat quae dicuntur: tum, quia diu-
tius immoratur super eodem : tum quia , ut Augustinus dicit in 10. Confess.
cap. 33. a princ. , „omnes affectus spiritus nostri pro sua diversitate habent
proprios modos in voce atque cantu, quorum occulta familiaritate excitantur“.
Et eadem etiam est ratio de audientibus ; in quibus etsi aliqui non intelligant
quae cantantur , intelligunt tarnen propter quid cantantur , scilicet ad laudem
Dei : et hoc sufficit ad devotionem excitandam. Thom. S. 2. 2. p. q. 91.
a. 2. ad 5.
®te roeiteren ©ebanfen, bie rotr oben (©. 793 f.) im lebten ©a^e ben ’^ier
im Originaltert gegebenen SBorten be§ l^eiligen Sl^omaS ^^injugefügt ^aben, finb
jinei onberen ©teilen berfelben Quäftion entnommen, nämlic^ art. 2. c. unb 1. c.
376. (©. 795.) . . ne vocum harmonia, quae ad 'pietatem augendam ordi-
nata est, aliquid levitatis aut lasciviae prae se ferat, ac potius audientium
animos a rei divinae contemplatione avocet; sed sit devota, distincta et intelli-
gibilis. Caer. Episc. 1. c. 28. n. 12.
377. (©. 795.) In divinis officiis , aut omnino in Ecclesia , nec profana
cantica sonive , nec in sacris canticis molles flexiones , voces magis gutture
oppressae quam ore expressae, aut denique lasciva ulla canendi ratio ad-
hibeatur. Cantus et soni graves sint, pii ac distincti, ac domui Dei et divinis
laudibus accommodati, ut siniul et verha intelligantur, et ad pietatem auditores
excitentur. Concil. Mediolanen. a. 1565. §. 2. n. 51. (ap. Benedict. XIV. Litt.
Encycl. d. 19. Febr. 1749. §. 9.)
Quum ea quae in Ecclesiis cantantur ad Dei laudem celebrandam , eo
debeant cantari modo, quo populi intelligentia , quantum fieri possit, erudiri
valeat, et religiosa pietatis ac devotionis moderatione piorum auditorum mentes
ad divinae Maiestatis cultum et coelestia desideria excitari queant: caveant
Episcopi , ne dum in chorum musicorum modulos vocum omnis generis dis-
crimine confusos admittunt, psalmorum et aliorum quae cantari solent, verha
ohscurentur, ac simul strepitu incondito sensus sepeliatur. Sic denique mu-
sicam quae organica dicitur, retineant, ut eorum quae cantantur verha et in-
telligi possint, et potius pronuntiatione quam curiosis modulis audientium
animi divinis laudibus affleiantur. Concil. Toletan. a. 1566. act. 3. cap. 2.
(ap. Benedict. XIV. 1. c.)
378. (©. 800.) Cantus Ecclesiasticus ille est, quem ad musicae artis
regulas dirigendum efPormandumque multum elaboravit S. Gregorius Magnus
Praedecessor Noster, ut testatur loannes Diaconus in eins vita lib. 2. cap. 7.
. . Cantus iste ille est, qui fidelium animos ad devotionem et pietatem excitat;
denique ille est, qui si recte decenterque peragatur in Dei Ecclesiis, a piis
hominibus libentius auditur; et alteri qui cantus harmonicus seu musicus
dicitur , merito praefertur. Hunc quidem Monacbi a Presbyteris saecularibus
didicerunt; et quum ab ipsis accurate diligenterque tractetur, sacrisque in
functionibus adhibeatur, contra autem negligatur a nonnullis Clericis oscitanter-
que persolvatur : haec potissima causa est, cur a Christiane populo frequentius
Stnmerfungcn. n. 379—384.
935
Regularium Ecclesiae quam Saecularium adeantur. Benedict. XIV. Litt. En-
cycl. d. 19. Februar. 1749. §. 2.
379. (@. 807.) . . quod e coelestium orbium ratione ad coelestium Dei-
que Optimi Maximi laudes canendas deducta est, atque in mentes nostras
immissa divinitus. Quamobrem plerumque demiratus sum , cur eam ipsam
maxima Musicorum, praecipue aetatis nostrae, pars ad ineptias converterit,
atque utinam non etiam ad obscoena: perpaucique ea, ad quae instituta est,
utantur. Christ. Morales, ap. Ambros, 4. p. 6. (6it. 387.)
380. (©. 811.) Per insidiosos etiam sonos mollibus ictibus pulsatur
auditus, ut animi soliditas illecebrosa modulatione solvatur, et lethalium con-
suetudine suavitatum incauta et parum sobria corda capiantur. Leo M. Serm.
89. al. 87. (De ieiunio septimi mensis 4.) cap. 3.
381. (S. 825.) Cavendum autem est, ne sonus organi sit lascivus aut
impurus, et ne cum eo proferantur cantus, qui ad Officium quod agitur, non
spectent, nedum profani aut lubrici, nec alia instrumenta musicalia, praeter
ipsum Organum, addantur. Caer. Episc. 1. cap. 28. n. 11.
382. (©. 826.) Instrumenta musica, sicut citharas et psalteria, non as-
sumit Ecclesia in divinas laudes.
Huiusmodi enim instrumenta musica magis animum movent ad delecta-
tionem , quam per ea formetur interius bona dispositio. In veteri autem
testamento usus erat talium instrumentorum , tum quia populus erat magis
durus et carnalis, unde erat per huiusmodi instrumenta provocandus, sicut et
per promissiones terrenas; tum etiam, quia huiusmodi instrumenta corporea
aliquid figurabant. Thom. 2. 2. p. q. 91. a. 2. 4. et ad 4.
383. (©. 826.) . . ut Fraternitas Tua, si in Tuis Ecclesiis instrumen-
torum USUS introductus est, cum organo musico nttllum aliud instrumentum
permittat , nisi barbiton tetrachordon maius , tetracbordon minus , monaulon
pneumaticum, fidiculas, lyras tetrachordes ; haec enim instrumenta serviunt ad
roborandas sustinendasque cantantium voces. Vetabit autem tympana, cornua
venatoria , tubas, tibias decumanas, fistulas parvas, psalteria symphoniaca,
cheles, aliaque id genus quae musicam theatralem efficiunt. Praeter haec
autem, de usu instrumentorTim quae in Ecclesiasticis musicis permitti possunt,
nihil monebimus, nisi ut illa adhibeantur solummodo ad vim quandam verbo-
rum cantui quodammodo adiiciendam , ut magis magisque mentibus eorum
sensus infigatur, commoveanturque fidelium animi ad spiritualium rerum con-
templationem , et erga Deum divinarumque rerum amorem incitentur . . At
vero si instrumenta continenter personent, et solum interdum , ut liodie fieri
solet, per momenta aliqua interquiescant, ut liberum spatium audiendis har-
monicis modulationibus crispatisque iaculationibus vocum, vulgo trilli , prae-
beant ; ceterum opprimant sepeliantque cantantium vocem sonumque ver-
borum : frustraneus est et inutilis huiusmodi instrumentorum usus, immo
vetitus atque interdictus. Benedict XIV. Litt. Encvcl. d. 19. Februar. 1749.
§§• 11- 12.
384. (©. 828.) Tune silet chorus , et cum aliis adorat. Organum vero,
si habetur, cum omni tune melodia et gravitate pulsandum est. Caer. Episc.
2. c. 8. n. 70.
936
Sätnmerfungen. n. 385 — 388.
385. (©. 842.) Al 8e äpjj-ovtat Iv tocTs cpojvat;, a\ ätpavEts xd? cpavepä? iroii^-
aaactt , xal xa^T^ xtjv aüveatv xoü xaXoü Xaßetv ^Trot'ifjaav , 8v dXXtp xö aüxö
oEt'Saaat. Plotin. de pulchrit. c. 3. ed. Basil. 53 A. Grenzer 22.
Sie ©teüe tfi nieHeid^t lüd'enl^aft. SfJlarfiliug gtcinu§ üBerfe^t: Harmonias,
quae sunt in vocibus, aliae quae latent in anima faciunt, et ad sensum usque
producunt, atque ita faciunt, ut anima percipiat pulchri notitiam , idem in
alio demonstrantes.
386. (©. 869.) Amantes de forma iudicare non possunt, quia sensum
oculorum premit amor. Quint. Inst. orat. 6. c. 2.
Quamquam et amor recipiat errorem , pulchrumque sit illud ©socppdaxou,
quod Tullius magis ad sensum quam ad verbum interpretatus est, xucpXov xö
cptXoüv Tigpi xö cptXoöp.Evov, id est amantium caeca iudicia sunt. Hieron. in Osee
Proph. 1. 3. prooem.
. . . fj ydp epcuxi
IloXXdxi;, (L rioXöcptxpiE, xd p.r) xotXd xaXd TiEtpavxat.
Theocrit. Idyll. 6. v. 18.
. . amatorem quod amicae
Turpia decipiunt caecum vitia, aut etiam ipsa haec
Delectantj veluti Balbinum polypus Hagnae.
Hör. sat. 1, 3. v. 38.
Nobis . . etiam vitia saepe iucunda sunt. Naevus in articulo pueri de-
lectabat Alcaeum ; at est corporis macula, naevus : illi tarnen hoc lumen vide-
batur. Q. Catulus, huius collegae et familiaris nostri pater, dilexit municipem
tuum Roscium : in quem etiam illud est eius :
Constiteram, exorientem auroram forte salutans,
Quum subito a laeva Roscius exoritur.
Pace mihi liceat, coelestes. dicere vestra,
Mortalis visus pulchrior esse deo.
Huic , deo pulchrior ; at erat , sicut hodie est , perversissimis oculis. Quid
refert? si hoc ipsum salsum illi et venustum videbatur? Cic. de nat. deor.
1. c. 28. n. 79.
387. (©. 879.)
Gratis ingenium. Gratis dedit ore rotundo
Musa loqui, praeter laudem nullius avaris ;
Romani pueri longis rationibus assem
Discunt in partes centum diducere. „Dicat
Filius Albini, Si de quincunce remota est
Uncia, quid superat ?“ Poteras dixisse : Triens. „Eu !
Rem poteris servare tuam. Redit uncia, quid fit?“
Semis. An haec animos aerugo et cura peculi
Quum semel imbuerit, speramus carmina fingt
Posse linenda cedro, et levi servanda cupresso?
Hör. ad Pison. 323. sqq.
388. (©. 882.) Demum cunctae humanae disciplinae spem incrementi
praecipere, plurimumque sibi debent praesidium polliceri, ab hac quae Nobis
est proposita discij)linarum philosophicarum instauratione. Etenim a philo-
Stnmerfungen. n. 388.
937
Sophia , tamquam a moderatrice sapientia , sanam rationem rectumque modum
honae artes mutuari , ab eaque, tamquam vitae communi fonte, spiiritum hau-
rire consueverunt. Facto et constanti experientia comprobatur, artes liberales
tune maxime floruisse, quum incolumis honor et sapiens iudicium philosophiae
stetit; negleetas vero et prope obliteratas iaeuisse, inclinata atque erroribus
vel ineptiis implicita philosophia. Leo XIII. , Encycl. Aeterni Patris („De
philosophia ebristiana ad mentem S. Thomae Aquinatis in scholis catholicis
instauranda“) d. 4. Aug. 1879. Ed. Rom. pag. 43.
^Bfnd)tt0«ngcn unb ^Ergänzungen
<S. 51 7—10 D. 0. ®er ©a^: „®enn bte @infd;iebung . . . (teibeigene
3Kagb)" tnu^ roegfaöen, unb an feine ©teüe ber folgenbe treten; „®iefer
ißud^ftabe d;aracterifirt nielmel^r ba§ ®ort at§ iparticipium ber ner=
gangenen leibenben gotw; benn eine ber ©nbungen biefer ifßarti:
cipiolform in ben inbogermanifdien ©prad^en ift eben na (ne, ni, n
u. f. ro.)."
3u ber int Sudfie gegebenen, hiermit aufgel^obenen Grflärung beg n,
roetdie fidi fd^on in ber erften Sluftage biefeg Sud^eg (©. 173) finbet,
roar id^ burd^ jroei ©teilen bei 2B. SBadernagel, „@Ioffar jum attbeutfd^en
Sefebud^" (SSafel 1840) ©p. CCCCLXIV unb CG, neranla^t roorben.
©. 51 3^ii^ 10 D- u- „Skauns nennt man . . lautet Ilarer fo:
„Skauns, sedni, schoene f)ei§t, alg SOIittelroort ber nergangenen 3^^1:
,gefd^aut‘, prägnant ,mit Sefriebigung, mit SBergnügen ge=
fd^aut‘."
©. 743 3^ils d n. 0. ift, ftatt @beffa, ju lefen »ott ©arug, unb
gleidf) barauf ®arfumag non diifibig ju ftreid^en.
©. 797 3eile 11 D. u. 3*^ römifd^en Srenier lautet ber erfte 33erg biefer ©troplie:
Sed illa sedes coelitum.
®ic ge6en bie Seiten an. iüBo ein ipnntt ficft anf ber bejctcfinctcn Seite felbft niefit finbet, ba
finfie man ifin in ben anf berfelfien citirten „SImnevtnngen" (S. 883 ff.).
2lbenbmaI)I, ba§ leiste, Don Seo=
narbo ba SSinci 580 ff.
Slbam Don ©t. SSictor 763 f.
3Ibbifon 283.
A d o r o t e 358.
9lef d)i) ht§ 472, 562.
21 e ft 1) e t i f : ®egriff, 2Iufgabe, Sfieite 15 ;
practifdfier 2Bcrtt) 16 f.; gegenroärtiger
©tniib 17 ff., 53 f. ; ber 27ame 287;
iinrid)tigc§ 23evfa’^rcn 336 f.; ift feineS;
roegs ein ber 2ß^tlofop{)ie 366 f. ;
moberne 2feftf)etif imb bic 462.
21 eft t) c t i f : bie äft()etif(^en ©inne
277 ff.; „äftf)etifc[)e 23orjüge" 324 f. ;
„äftt)ctifcf)er SBertt)" 325; „äftt)etifd)er
©erniB" 325; „äfttjetifd^e 21nbad)t"
379 f., 408 ff.; „äftt;elifd)e 2ßa^rt)eit"
f. 2öaf)r^eit; ber „rein aftl^etifd)e"
©tanbpimft 674 f., 866.
21ffe 170.
21 f f e c t a t i 0 n 440 ff.
21gat^n, ein ©ilb ber ^eiligen 642 f.,
648 f.
21 g ef an b e r 595.
21 1 c i n 0 n § 205.
211garotti 818.
21Ilioli 224 f., 235.
211täre im 32ococoftt)t 530.
21Itarfd) reine 573.
21ttnm 23. 782 ff.
21mbro§ 21. 2S. 387, 388 ff., 393,
650 f., 785, 789, 797 ff., 801 ff.
21mbrofin§ 44 f., 801, 838.
21 n a dj r 0 n i § m e n 435 ff.
21nacreon 569.
21n a c r e 0 n t i f d) e Sieber 481 f.
21naIogie 711 ff.
21nbre 317.
21ngenel)m, 21ngenelimt)eit, 70;
bie finnlid^e 21ngenel)mf)eit 276 ff.
21nmnt^ 252 ff.
21ntife .tnnft, bie einfeitige (Singenom=
mcnl)eit für biefelbe 367 ff., 523 ff.,
600.
21ntimad;n§ au§ (ElaroS 876.
21poIIo, ber 23aticanifd)e, 561 ff.
21p 0 II 0 n in § 231.
2Ipu^eing 156, 157, 583.
2Iratn§ an§ ßilicien 863.
21rd|itectnr 340 ff., 361, 484 ff., 632 f.,
850.
„21 r d) i t e c 1 0 n i f e © dl) ö n ^ e i t b e §
931 en f d) en" 619 ff.
21retlin§ 412.
2Iriabnetlage 389.
21rie 807 f., 836 f.
21rioft 723.
21riftopl)ane§ 472, 537.
21r ift 0 t e 1 e §: ©efinition ber Ä'nnft 10;
ba§ bie ©df)önt)eit ein überfiniu
tid^er 2Sorjng fep 26 f., 28, 33; bie
©rtenntni^ fd)öncr ®inge ift nnge=
nel)m 48 ; ©efinition ber ©ntlieit 56 ;
Uebereinftimmnng erjengt Siebe 57 ;
über ba§ menfd;lid;e Ci-rfennen 62; in
roiefern bie Sugenben „angeboren"
fepen 64 f. ; roo^er ber 23egriff ber
Siebe jn abftral)iren fet; 72; ©efinition
ber Siebe 73, 76; jroei ©efinitionen
be§ @ennffe§ 85; intellectualer ©emifi
87; ©ennfi nn§ eigenttidjer Siebe 90,
91; bie ©c^önl)eit erregt Siebe 98;
jDefmition ber ©d)önl)cit 148; ber @e=
nnfj nnb bie Siebe 157 f. ; (Elemente
ber ©djbn^eit 163; ber nntürlid^e 23or=
rang be§ SJtanneS nor bem 2Beibe 183,
185; über bie grennbfd)aft 202; jur
Selire nom ©ennf; 254; baä 23crlangen
nad) (Srfenntniff 258, 700; über ben
Sleij ber 2Bnnberbarfeit 263 f.; ©d)ön=
l^eit nnb finnlidt)er Dieij 292 f. ; jnr
23cnntn)ortnng ber f^rage, ma§ eine
940
Stegifter.
fd^öiie Äunft fep 326 f,, 334; bie p^iIo=
fop^ifd^e 2BaI)t^eit in beu 2öer!en ber
fd^önen Äünfte 424 f. ; jur 53eurt]^ei=
Inng uon SSerftö^en gegen biefetbe 426,
427 ; gegen einen 2lna^roni§mu§ bei
Sop^ocIeS 437; eine mi§beutete 2beu^e=
rung443; „ba§ 5)laa^ für alle ®inge"
464, 871; bie ®e[timmung ber fdf)önen
Äünfte 471; ber 3™^'^ Jiragöbie
471 f., 475; jur Sef)re non ber bra=
nxatifc^en Ännft 535 ff.; jum Segriff
berÄomöbie 551; ber Jragöbie 471 f.,
535 f., 551; ein ©rnnbfal^ ber ißäba=
gogif 666; bie gro|e Sebeutung ber
oratorifd[;en ifjronuntiation unb Slction
691 f. ; ber 31n§brucf be§ ©efübB in
ben SBerfen ber rebenben fünfte 726;
raorin fidf) an erfter ©teile bie Äunft
be§ ®i^ter§ berDÜl^re 748; über ba§
jambif(^e 33er§maa| 756; bie ifSoefie
unb ber 33er§ 767 ; bie „ißoetif" be§
31. 774 f. ; roarum ber jambifc^e Ser§
fidl) für bn§ ®rama Dorsugäroeife eigne
821; über bie 3)tufif 842, 843; über
bie 844; ber (Sfel
be§ ig)eraclit 862; ju ber Seljre nom
©efdjinacf 871.
2lt^anafiu§ ber @ro|e 174.
3t tl) c n (in § 695.
3lt^enngora§ 604.
3ltl) en 0 b 0 ru § 595.
3ttl^enogene§ 742.
31 u g u ft i n : bie ©d)önf)eit ift ein übe r=
f i n n l i d) e r SSorjug 27 , 29 ; it)re
eigentlidf)e ©pljäre ift bie überfinnlid^e
©rbnnng 44 f. ; fie geroäfjrt un§ @e=
nu§ 48 f. ; @ott ift überaus f(^ön 49;
über bie SSernünftigleit ber menf(^lid^en
©eete 65; jum Segriff be§ ©enuffeS
84 f. ; bie ©d^ön^eit ©runb ber eigent=
licken Siebe 103, 105 f., 108, 109, 112;
bie ©lemente ber Seibesfd^ön^eit 134;
jur Sebeutung be§ SSorteS hovestus
160 f. ; bie ©d;önl|eit ift non ber enb=
lid^en 3?ernunft unabliängig 165 f. ; e§
gibt eine ^öd;fte ißernnnft uon roelc^er
aUe2Bal)rf)eit unb alte ©d;Bnl^eit ab^ängt
166; aUe§ ©epn ift ©utl)eit 172; über
©d^önbeit unb ^äfelicbfeit 174; ©ngel
unb 9Jfenfd)en im eroigen Seben 182;
über bie ©^önbeit ber SBelt 209, il)rer
©efcbid^te 209; alte erfcl)affene ©df)ön=
beit roeift ben iKenfdben auf bie uner=
fdbaffene bin 214, 215; eine mibbeutete
Sleuberuug über bie ©dbönbeit 317;
bie ©d;önbeit unb bie Slngemeffenbeit
320; 'bie iffotbroenbigteit ber actuellen
©nabe 385; bie ©obenbilber ber .!^ei:
ben 625; aud; bie blobe 3Sernunft er=
fennt bie etbif^e Jpäblid;feit beS menfdb=
li(^en SeibeS 675; ©üter „erften, groei:
ten, unb britteu 9fange§" 693 f.; eine
ridbtige Folgerung au§ ber unridbtigen
bei ben Sitten üblidben ©efinition ber
oratorifdben Serebtfamfeit 696; 3Ser=
faffer be§ „©ruttet" 769 ; über ben
©influ^ ber SÄufif auf ba§@emütb 780;
über ben liturgifd;en ©efang 792 f. ; ber
Sfßertl) be§ SRittelS mifet fid) na(^
feiner 33ejiebung jum 3roed 839.
SlutbentifdbenSonarten, bie, 801.
Ave maris stella 358, 758 f.
93.
SSalbinotti 7, 295.
Sollet 178, 814.
SarnabaSbrief 515, 923.
Sarod':©tpl 493, 530 f.
Safilica 492; ©runbri^ ber S. ton
©t. Saul 514.
SafiliuS ber ©ro^e über ba§ 3teu=
^ere be§ .gierrn 43 ; bie eigentliche
©pl)äre ber ©dbönheit ift bie über:
finnli^e Orbnung 43; über bie Ser=
nünftigfeit ber menfdblidben ©eele 65;
über bie ©dbönljeit be§ §errn 108,
111; bie einnehmenbeföladbt ber©dbön=
heit 118; über bie ©dfiönheit beS SidhteS
129 f.; beS ÜJtenfdhen 134; bie ©dl)ön=
heit ift ein Jranfcenbentalbegriff 161;
bie ©dhönheit ©otteS 180, 198 f.
Sotteur 244, 445 f.
Saufunft, bie niebere 526 ff. ©. SlrdhU
tectur.
Sa um gart 148, 326 f.
S a u m g a r t e n 31. @. 286 f.
Sed'er 3Ö. 382 f., 392.
Seethooen 379, 834 ff., 851.
Sefleibung ber ©eftalten retigiöfer
Silbrocrf'e 642 ff.
Semalung uon SGöerten ber ©culptur
571 ff.
Senebict XII. 201.
S e n e b i c t XIV. 646, 768 f., 800, 826 f.
Ser ebtf amleit, bie höh^i^^ ff- 5
bie üblidhe, ben Sitten entlehnte ®efi=
nition ber oratorif^en Serebtfamfeit
ift unrid;tig 688 ff.; bie bibactifche
Serebtfamfeit 699 f.
Serg 19 f., 290 f., 810.
Ser narb uon ©lairuaur 46.
S ern ap § 472.
Sernharbp 481 f.
Sernini 390, 650.
Sertholb non fRegenSburg 196.
Seuron, ber SlRönih Don ©t. 3Kar=
tin ju, 799, 841.
Seroegung, at§ ©lement ber ©dböm
heit, 128 f.
Sief eil ©. 682, 715 ff., 720, 740 ff.
Silb, ba§ fpmbolifche 485; Segriff unb
Strten beS SitbeS 533 ff.
„S ilb enb e j?ü nft e" 556.
9?egi[ter.
941
SSIätter, .§iftorifc^:potttif(^e, 210, 316,
339 f., 350, 352, 414, 438, 479, 498 f.,
515, 553, 572, 633, 873, 878.
SBlair 121, 124, 126, 127, 128,
135, 220, 263, 295, 441, 694, 728,
740, 862, 873.
Sßöfcä fann nid)t fdpon fepn 177 f. ;
nid;t erl^aben 244 ft.
Sß 0 c t i u § : Ucbeveinftiminiing erjeugt
Siebe 58; ®egri|f bcr 2te^nlid)feit 58;
bie ©i^önl^eit bcr ©d^öpfung unb i^re§
Urhebers 212 f.; (Sott bie roal)re
©djbn^eit 910 f.
33 0 f fuet 324.
33rentano, (JlemenS, 401, 666, 872,
882.
S3rin 713, 761.
33riinenefd^i 391.
33runn 595, 608.
Sürger 712.
58 it 0 n f i gli 392.
33urbac^ 182.
58urfe 6. 283 f., 285, 288, 338,
33 p r 0 n 248.
(i.
ßäremoniale, ba§ römifi^e, 795,
825, 828.
6äfar§ (Srmorbung (@cmätbe)
451 ff.
(5 an 0 D a 665.
Cantus firm US 801.
6 nr a c c i S. 424.
ßaricatur 271 ff.
6ar( 33orroinnu§ 505, 795.
(Sarnation 587.
(Sarriere iUt. 339, 341 ff., 347 ff.,
356, 368, 512, 540, 575, 755, 764 f.,
797, 799.
6artefiu§ 317.
(Savtier @. 648.
(Satnltifdie Sieber 482.
(Saiifatität, ba§ ipnncip ber, 423.
(Sbamiffo 730, 732, 734.
(5!^ arf am§tag, bie liturgifc^e
an beinfetben 768.
(5^0 ralge fang 796 ff., 803 ff., 825.
(Sl^rpfelep^antine ©tatnen 574.
(S r p f 0 ft 0 m u § , ®io, 606.
(5 ^ r p f 0 ft 0 nt n §, 3of)anne§ : bie eigent=
lic^e ©pfjäre ber ©d)önf)eit ift bie über:
finntid;e Orbnung 46; ©d)önf)eit unb
SiebenSroürbigfeit 102; bie ©dbnf)eit
ber nienfc^tid)en ©eele 145; über ben
Sipoftel ißauIuS 233; bie dunere 6r:
fd^einung be§ (Srlöferg 636; bie (Se:
fd’^rlid;feit üppiger Äunftroerfe 667, 810.
ßicero: über bie med^anifc^e X^eorie
einer Ifunft 13 f. ; bie ©d^önf}eit ift
ein überfinntid^er 33or5ug 29 f. ;
bie überfinntid^e Orbnung ift bie eigent:
lid^e ©p£)äre ber ©diönljeit 38 f. ;
llebereinftimmung erjengt Siebe 58;
©df)önl^eit unb Siebenäroürbigfeit 101 ;
ein nott)n)enbiger (Srnnbfap für ba§
33erfat}ren bei roiffenfdt)afttidjen Unter:
fudiungen 114; bie (Stemente berSeibe§:
fdjönf)eit 134; über baä „®ecornin"
139; jnr 33ebentung be§ SSorteä ho-
nestus 159; jnin Segriff be§ ^beatg
190; ißlato’g Set)re non ben „^been"
191; über bie 5>^«iia^fd}aft 202; jur
Sef)re non ber Slnmutli 256; ba§ SSer:
langen be§ SJtenfdien nad^ (Srfenntnif;
258 f.; ba§ Sad^en unb bie Sad^erlic^:
feit 266 f. ; bie 3n’edtndftigfeit unb bie
©dl|önf)eit 527 f. ; eine ©tntue ber
®iana 609; jcberUnfinn f)at in irgenb
einem „SDfanne ber 2ßiffenfd^nft" feinen
33crtreter 624; über ben Segriff ber
oratorifd^cn 33erebtfamfeit 688 ; bie
53ebeutung ber ißronuntiation unb
31ction 691; eine ridfjtige Folgerung
au§ einer unrichtigen ®efinition 696;
fRl;etorif ot)ne 3Biffenfd)aft 699; bie
jtnei (Elemente be§ 3Bot)Ifiauge§ 729;
über ben (Sinfluf! ber 3]7nfif ctuf ba§
(Semütl; 780; ber „natürlidie" @e:
fchmad 864; ber (Stnflufi ber Steigung
auf ba§ Urtheil 869; bie dliannidjfaU
tigteit ber 33or;üge in ben guten Sei:
ftungen ber Jbünfte 875; ^n ber Sel)re
nom ©efdjtnad 876; ba§ öffcntlid;e
Seben unb bie fd;önen flünfte 878.
Ciencia cristiana, La, 367.
(Sinile ff'ünfte 328, 331 f., 416, 420.
Civiltii cattolica, La, 665 f.
6 1 e m e n § non 31 1 e r a n b r i a : bie
eigentliche ©pfjäre bcr ©djönljcit ift
bie überfinnliche Orbnung 41 f. , 43;
über ba§ 31cuffere be§ .i^crrn 43 ; über
©eine ©d^önljeit 109; bie ©Icinente
ber SeibeSfdjönfjeit 134; bie ©djönfjeit
be§ DJfenfchen 135 f., 145; ©djönheit
im „nulgdrcn" ©inne b. 3S. 176; bie
Gnibifche 33enn§ 604; jinci tnpmncn
non ßlemeng 742.
(Snibifdje 3Senu§ 603, 608, 623.
Coelestis urbs lerusalem 489 f.
6 ö ln er ®om 499, 503, 881; (5. ®ont:
bilb 406.
(Sompenbien, eine nadjtfjciligc 3Bir:
hing bcrfelben 281 f.
(Soncentrirung 717.
(Sorcggio 382, 383, 412 f.
(5orneliu§ (5 eifug 695.
2).
©ante 200, 376, 381.
® a r in i n i § m u § , ©runbelemente feiner
Slcfthetif 19, 290 ff.
„®ecorum", ba§, 139.
942
3tegifier.
S)tanaftatue 609.
®ibactifd^e SBerebtfamfeit 699 f.,
^oefie 260, 772.
Dies irae 358, 764.
5)io (5!^rpfoftomu§ 606.
iDionpfiuä ber2lreopagit 25, 49,
99, 100, 142, 161 f.
5D 1 0 1 i m 0 40, 100.
iDom, ber, ju Söln 499, 503, 881.
„©ornbilb, ba§ Kölner", 406 f.
S) 0 meni d; ino 651.
©onatello 391 f.
©ramatifd^, Sebeutimg be§ ffiorteg
537, 565.
®ramatifd)e Äunfl 351 f., 360,
429 n., 533 ff., 773 f., 812 f., 819 ff.
SDüver, SUbre^t, 392, 414.
SDuranbuS, Sßil^elm, 487, 509, 768 f.
SDurf d; 9JI. 479, 515.
e,
(Sderm ann 456, 547.
(S t) r li d) §1. 820 ff.
eid^enborff, 3- »on, 457, 872.
(Slemeute ber ©d^önl^eit 163.
fömpebocleä 767.
(Smpbrung gegen @ott 243 ff.,
251 f.
©ngel, bie t;eiligen, 181, 182.
ßngel 3- 3- 207, 277, 708.
GnniiiS 679, 751.
epictet 231.
<5pifd^e ^oefie 348, 772.
(äraSmuS non SRoterbam 360.
<ärf in billig, bie greifieit ber, 416 ff.
(Srl^aben, 6r^aben£)eit 218 ff.
(Srfennen, ba§, ber menfd^iidien 0eele
61 f., 707.
(Srro eiternng, bie poetifd^e, 717.
förniin non ©teinbai^ 494.
eff er 2B. 188, 316.
enp l) 0 ni e 729.
eup^ranor 655.
e n p 0 m p u § 444.
euripib e§ 472, 604, 679.
Ex ult et (ber geftgefang jur 3ßei^e ber
Ofterferje) 768 ff.
ep d, n an, 428.
„gamilie, bie ^eilige", »on eo=
reggio 382; non 21. ®ürer 392; non
e. aJiüUer 383.
garbe, „bie ©c|eu nor ber", 571 ff.
garben, bie ©^önficit non, 129 ff.
genelon 334 ff., 441 f., 656, 767.
g eil d) t er §i eb en 872.
geiler, ba§, 118 f.
geuerbad^, 21nfelni, 343 f., 558 ff.,
564, 567 ff., 572 ff., 601, 626 f., 641.
geuerinerferei 334.
gid^te g. |). 676 f.
gid 3. 316, 338.
gider g. 11, 194, 244, 273, 478 f.,
596 f., 612 f.
g i e f 0 1 e, ©ionanni ba, (gra 2IngeIico,)
397, 648.
gorfel 785, 798.
„gornarina, Sa", 410 f.
granj non ©aleä über ba§ SBefen
ber ©df)ön^eit 294, 305 f.
grep tag ©. 435, 439.
gü^e, metrifd^e, 730.
©alten, an§ einem ÜJianufcript beä
ÄlofterS ©t., 794.
©arm c ci 645 f.
©artenfunft, fd^öne, 334.
©efü^te 221, 702, 705 ff., 726 ff.,
845, 846 ff. ; il)r ©inftup auf ba§ Ur=
tl^eil 869.
©erndlbe, ba§ poetifd;e, 718 ff.
©emütl^ 705.
©emüt^äbemegungen f. ©efül^te.
©enrebitber 569, 657 f.
©enremalerei 657 ff.
©enu§, Segriff 83 ff.; in meldliem
©inne i'^n bie ©d^olaftif al§ „fftu^e"
bejeid^nete 85; nier ^rten be§ @e=
nuffeS ineldfie ber uneigentlic^en Siebe
entfprei^en 85 ff.; ber ©enu§ au§
eigentlid;er Siebe 89 ff.; fein 23ert)ält=
ni§ 3U ber Sll^ätigfeit an bie er fi(^
anfd£)Iie6t, in§befonbere jur Siebe 157 f. ;
feine pfpdliologifc^e SBirtüng 330 f. ;
negetatiner iinb finnli^er ©enn| 853;
inteUectualer 853 ff.
©erarbuä Sapiciba 539.
©erii^t, ba§ füngfte, non S02id^et=21n:
gelo 387 f.
©erninuS 182, 251, 844, 851 f., 860.
@ e f a n g f. dJiufif.
© ef dl) m a d 861 ff.
©efepe, jroei oberfte für bie religiöfen
Äünfte 382 ff., 394 ff.
©eftatt, ©d;önpeit ber, 120 ff.
©e ft alt be§ DUleiifd^en 194, 622 f.
©eftaltbitber 535
©f)irtanboio 392.
©itlebert 110, 206.
Gloria in excelsis 742.
©lud 807.
©tüdfetigfeit 69.
© ö rr e§ ©. 211.
©örre§ 3. 872, 881.
©oetpe 31, 35, 88, 183, 194 f., 208,
253, 260, 261, 399, 418, 435, 441,
442, 456, 474 f., 494 f., 502, 535,
547, 580 ff., 729, 735, 834.
©Otter ft atuen ber |>eiben 625 ff.
Siegifier.
943
@oIb, ba§, 119.
Sßaufunft 492 ff., 519 ff.,
572 f., 633.
(Sott ber .^err ift bie ^ödifte ©diön=
l)eit 109 f. , 179 f. ; gegen eine 6in=
roenbung 195 ff.; jiir ß-rfldrung ber
©d^önfieit @ottc§ 197 ff.; i^re Offen:
bariing im eraigen Seben 200 ff.; in
ber jbirdie 205 f. ; im fid^tbaren Unü
nerfum 206 ff.
„©ränälinie", bie angeblid^e, pifd)en
ber ©cniptur unb ber dJtaterei 585 f.
(Srapl;if d; 570.
(Srajien, bie, 252 f., 603, 605.
@regor ber (Sro^e; über ben
ber refigiöfen Silber 629; feine litnr:
gifd^e SOlufit 796 ff., 831 ff.
@regor oonfRajianä über bie ©d^ön=
^eit ber ©eete 42.
(Sregor non ffiriffa: bie ©djönfieit
be§ SRenfd^en, unb baff fie in ber
Uebereinftimmnng mit (Sott beftetje
145 f. ; (Sott ift bie f)öc^fte ©d)önl}cit
180, nnb allein bie roal;re, ber Siebe
roertl^e 213.
©regor non £our§ 644 f.
©rillp ar jer 447.
©ruber, ©rjbifd^of, 150.
©runbrif? be§ Sölner ®ome§ 503;
ber Safilica ©t. ißaul bei 9tom 514.
@ut, @utl)eit, im Slllgemeinen 55 f.;
innere 57 ff. ; ©lemente ber Se^teren
67; etl;if(^e ©utljeit 68; äußere @ut:
f)cit 69 ff.; alle innere ©ut^eit ift
llebereinftimmung mit ©ott 141.
§ö^lid;, Jb üf3 li d) f eit 172 ff., 175 ff.,
179.
.g)ageborn 279.
§ an §Ii d © b. 378 ff., 807, 813, 815 ff.,
819, 823 f., 830, 833, 835, 845,
846 ff., 852 ff.
.g) ar m 0 ni e 788 ff.
„|)aii§ ©otteä“, ba§ geiftige, 485 f.,
491.
|>at)bn 379, 834 ff.
§ e b r ä if d) e Serebtf amfeit 353 ff., 680 ff.;
iPoefie 353 ff., 738 ff.
.g)ebonifd;eÄünfte 328, 332 f., 416 ff.,
448 ff.
^efele, Sifd^of, 580 ff., 931.
erb er 74 t, 121, 122, 125, 132, 135,
178, 199, 343, 358 f., 370 f., 736 f.,
747 f., 766.
.gjermeä ®ri§megifto§ 625.
e ro b 0 1 346, 350.
.^efiob 81, 346, 350, 416.
tpi er 0 de § 119.
|)ieronpmn§: über bie Sernünftigfeit
ber menfdf)lid^en ©eele 65; bie äußere
©rfd^einung be§ ©rlöfer§ 636 f.; ber
©infln^ ber dfeigung auf ba§ Urtfieif
869.
|)ilatiu§ non ipoitierS 757.
|)ippia§ au§ GIi§ 1 ff., 7.
§iftorienmalerei 617 f., 657, 663.
.g)iftorifd^e Sortnürfe 432 f.
|)ogartt) 124.
o^enin art, ©rjbifdfjof, 837.
.^ome 266, 272, 286.
§omer 48, 129, 168, 236, 241, 346 f.,
349 f., 426, 436, 445, 566, 656.
.^omopfion 789.
Honestus, honestas, 160 f.
|)oraä 232, 333, 420 f., 429 ff., 434,
444, 449, 469, 473 f. , 614, 718,
751 f., 755, 773, 879.
.Quarte 184.
|)nmor 272.
|)utd^efon 316 f.
3(fcob§ 5-r. 569 f., 578, 608, 611,
667, 925.
^acopone non iEobi 358.
3afob @. 494, 506, 512, 530 f.
3ambifd)e Serfe 756 ff., 821.
3beal 189 ff., 857, 858 f.
3ean ipaul 220, 241, 267.
3efu§ ©Ijriftnä, über 2tHe§ fdjön,
unb bar um über 2(ße§ liebenSroürbig
108 ff.; feiner menfd;tid;en dtatur na(^
ba§ fd)önfte ©efd^öpf @otte§ 181 ;
®arftetlungcn beä .(perrn at§ Äinb
400 ff., 670 f. ; bie ünfiere ©rfdfieinung
be§ (Sriöferä 636 ff. ; ®arfteüungen bc§
.^errn am Äreuse 644 ff.
3gnatiu§ non 9lntiod;ia 737.
„31 Inf io n" 417 ff., 425 f.
3nftrnmentalmufif 824 ff., 841 ff.
3nftrumente, muficalifd;e, äum litur:
gifd;en ©efang 825 ff.
„3ntellectnale Sugenben" 64 f.
Intellectus agens 62.
3 ob, bag Sndf), 355, 715 ff.
3fraelitifd;e Soefie f- ^jebräifd^e.
3ttenbadi g. 402.
3ulian ber 2legpptier 570.
t.
Äalleologifd^, ina§ bie ©c^önl^eit
jum ©egenftonbe f)at, ober jn iljr in
Sejie^ung ftc^t.
j?aIIeoted)nifc^, :na§ in Seäief)ung
[tet)t 311 ben fd)önen fünften.
KdXÄo;, -/.aXd;, 100, 101, 148, 151,
159 f. ; ~6 xcfXdv u. xct •/.ocXd 2 ff., 8 f.
£ant 238, 260, 261, 466, 526, 695.
Äated;i§mu§, ber römifd;e, 200 f.,
490, 629 f.
944
3^egi|ier.
„Äatl^arfiS" 470, 471 f., 475.
Äa^fer 377, 931.
206, 234, 240; il^re
$eftitnmungen l§infi(|tü(| ber religiöfen
Äünjie 395.
Äir enl e ri CO n (1. 3tufl.) 375 f.
Äleutgen, SDefinition ber ©d^ön^eit
nad^ £]^otna§ oon 2tquin 149 f. ; bte
(Sr^obenl^eit 220.
Älopftotf 101, 109, 221, 234, 255 f.,
369, 711, 712, 718 f., 722, 731, 732,
752.
£önig§]^ot)en 400 f .
„Äörperlid^e ©d^ön^ett" 588.
Äomif, fomifd^, 270 ff.
Äo mb b i e 271, 551.
£r an ad^ 8. 414.
Straus %. I. 492.
Är euf er 414.
Äreuä, bte bret .giauptformen beffelben
515.
Äreujgeftalt ber ©otteS^äufer
505 f., 512 ff.
Ärofobtl 170.
Ä'rng 11, 178, 194, 243, 253, 267,
268, 477, 479, 597, 612.
Ä'ünftler, notfiroenbige ©igenfd^aften
beffelben, roenn i^m reltgtöfe Seiftungen
getingen fotlen 396 f.
Äugt er 342, 499, 573, 650, 655.
Äufn 21. 314, 315.
Äunft, Sefinition 10; medfianifdE)e unb
freie fünfte 323 f. ; „fd^öne" fünfte,
Segriff 326; näf)ere SSeftimmung ber=
fetben 327 ff.; brei Staffen 328, 337;
bie 2ßif f enf ^ aft ber fd^önen Sünfte
unb bie ipi^itofopf)ie ber fd^. S.
367; ber 2tu§brutf „bie f^öne Sunft"
446 f. ; ber 9tame „fd^öne Sünfte"
778; bie Sebingungen unb bie 2ßur=
jetn ber SStüte ber fd^bnen Sünfte 877 ff.
Sunftl^anbroert 529 ff.
s,
Sa SSrüqere 493 f., 867, 869.
Säd^erti dt), Säd^ertid^feit 266 ff.
SamennaiS, ®e, 466, 659.
Sanbfd^aftmaterei 661 ff.
8aocoon = @ruppe 595, 601, 671.
Safautr, 6- oon, 338, 344 f., 351 f.,
357, 376, 571, 699, 786.
Satein, ba§ „ctaffifdfie" unb jenes ber
dfirifttid^en ©(^riftftetter 359 f., 917 f.
Lauda Sion 357, 762.
Seben: bie ©etigfeit beS eroigen S.
48 f., 200 ff.
„Sebenbe Sitber" 615 f.
Sefranc 688, 695.
Seib, ber menfdfitidfie, ift eL^ifd^
lidt) 673.
SeibeSf dC;bnt)eit 133 f., 138, 139,
292 f.; 8eibeSjd§bnl§eit barjnftetlen ift
nidf)t bie Seftimmung ber bitbenben
Sünfte 588 ff.; aud^ bie 2ttten loaren
feineSioegS biefer 2tnfi(|t 600 ff.; 8.
ber ©eftatten retigibfer Sitber 638 ff.
Seibnij: bie ©d^bnl^eit geroäfirt unS
©enu^ baburd^ ba| mir fie erten=
nen 49; über bie 23ernünftigfeit ber
menfd^tidben ©eete 63 f. ; bie nor=
nel^mfte 2tufgabe ber Sünfte 329, 476 f.
Sem de 6. 183, 246 f., 288 ff., 586,
597 f., 658, 858.
Senbentud^ (bei ©rucifiren) 644 ff.
Seo ber ©ro^e 810 f.
Seo Xlir. 881 f.
Seffing @. ©. 270, 432, 433 f., 435,
449 f., 459, 466, 472, 576, 586 ff.,
617 l, 659 f., 662, 671 f., 721 ff.,
807 f., 852.
Seffing (5. 531 f.
SeffiuS: ©efinition ber Siebe 73; über
bie uneigenttid^e Siebe 74 f. ; bie 2tn=
fd^auung ©otteS 201.
Liber a (©rabgefang) 771.
Sid^t, baS, 118, 130 f.
Siebe, bie eigenttid^e 72 f., 76 f., 80;
bie uneigenttid^e 73 ff.; bie eigenttidC;e
Siebe atS abfolute unb retatioe 77 ff.;
oon Toetd^em pfpd^ifd^en 2tcte ber 53e=
griff ber Siebe ju abftra^iren fep 72;
„Dottfommene" unb „unoottfommene"
Siebe 76; bie Siebe unb ber ©enu§
157 ff.; i^r ©inftu^ auf baS Urttjeil
869.
Siebe, bie gefd^ted^ttid^e, als iReijmittet
in ben SBerfen ber tiebonifd^en Sünfte
710.
SinbanuS, SSifd^of, 832.
Sinbemann 183, 360.
Sippi, %ta gitippo, 385 f.
Siturgifdf): bie tit. Sunft 334; lit.
©erüt^e unb ©eroänber 334, 531 f. ;
tit. Serie ju profaner SSufif 378 ff.;
bie lit. Sü^er 395; ein tßeroeiS auS
benfetben 487 ff.; bie titurgifd^e SOtufif
791 ff., 831 ff.
Sod^ner, ©tep!^an, 406.
S ö f) e 2B. 210.
Somayo 122.
SonginuS, SionpfiuS, 224 f., 878 f.
Soüe |). 17 f., 47 f., 52 f., 54, 122,
123, 125, 166 f., 170, 220, 237, 267,
268, 314 f., 319, 334 f., 336, 372 ff.,
428 f., 432, 435, 478, 496, 500 f.,
521, 526, 528, 564, 566, 571, 573,
576, 585, 600, 654, 676, 677 f.,
732 f., 780, 830 f., 850, 857, 860,
862, 875.
Sncian 326, 625.
Sübfe 342, 409, 412, 492, 511 f., 514,
525, 558, 573 ff., 603, 608, 615, 628,
648, 650, 655 f.
Stegifter.
945
Süft 837.
8i}ciirgii§ (atti[dper SRebner) 473.
Sijcuv-guS (bcr @cfet?gebcr) 470.
St; V i f dfj e o c f i e 772 f.
8i)fippu§ 444, 577 f., (515.
m,
SRacaiilap 240.
DRac SRiitoct, gRif?, 726 ff.
„ W a b 0 n n a" f. 5Raria.
^Ragbalena (uon (Soreggio) 388.
5Railanb, 69uobe 51t, 795.
95ialerei 360, 369 ff., 374, 385 ff.,
392, 398 ff., 421 ff., 428, 451 ff.,
577 ff.
2)iann, ber, ift fc^önev d§ ba§ aßeib
181, 183 ff.
DRannid^faltigfcit 265.
aRaria, bie HRutter be§'.^errn,
unter aücn blofjen (Sefdjbpfen ba§
fd)önfte 181; Silber bcr t}eiligen
frau 398 ff. ; i^re äußere (Srfdjcinung
636 f. ; „aRarid .^iminelfat^rt" non
aRnritto 648.
2R a r f i I i u § g ' c i ^ § 9-
SRartignp 492, 515, 517, 645.
9Ratron 272.
9Rattf)iffon 732.
9Ranrp, (Sarbinat, 364.
9R 0 r i m n § n 0 n £ t) r n § 47, 104, 105,
137 f., 864.
9Rebea 243, 249, 569 f., 611.
9Rebici, Sorenjo non, 386 f.
9Reier @. %. 287.
9ReIobie 786 ff.
9Reng§ R. 673.
9R c n i i n i , 3- 5R. 307 ff.
9R e n f d; , bie ©djönljcit bcffelben, 133 ff. ;
fann nidR al§ „ba§ 3^cal bcr ©d}bn=
l^eit" bejeid;net inerben 188, 192 ff.
„9R e n f li d; e, ba§," 316.
9Renfurirte 9Riifif 790, 804.
iütenjet 2ß. 474, 505, 508.
9R e t r i f d; e (S I e in e n t , ba§ , in bcr
f)ebräifd}en i]3oefie 739 ff.; in ber re:
ligibfen Inteinifdjcn 749 ff. ; in ber
claffifd;en antifen 750 f.
9Rid;eI:?lngeIo 387 f., 566, 646,
649.
9Rilton 226 ff., 247 f., 376, 381.
9Riinif 334.
9Rinerna, bie Saticnnifc^e be§ tpi)ibia§
607, 608.
Missa Papae Marcelli 804.
9Rotitor SB. 451 f., 553 f.
3Rom eilte, bie pfp^ologifd;en, für bie
Seftimmmig be§ freien ©trebeng 685 f.,
697.
9Rone 359 f., 737, 742, 766.
DRontalembert 509.
3R 0 n t en erb c 389.
Sungmann, Stefttjetit. 2. Stuft.
9Rorale§, (Sriftoforo, 806
„9R 0 1 in irun g" 429. -
SRojart 379, 834 ff.
SRüIler 6. 383.
9RülIer 6b. 31, 151, 343.
3RüUer Ä. O. 603 f., 606 f., 609.
9Rünfter, ber, 511 ©trofibnrg 494 ff.
gRilns iß. 3. 645 f.
9Rnret 9, 31.
aRnrillo 648.
3Rnfif 31 ff., 347 f., 351, 357 ff.,
378 ff., 388 ff., 393, 779 ff.; bie ncr=
fd)iebene Sebentung be§ SBorteS cl)e:
malg nnb in ber ©cgeninnrt 842 ff.
9Ruf if j e it nn g, Scrliner, 798 f.
„9Ri; ft er i e n" 554.
9R p 1 1; 0 1 0 g i e , bie Sebentnng ber alten,
339 f., 352 f.
Rad'tl)eit ber @e ft alten (ber biP
benben R'ünftc) 387 , 595 ff. , 602 ff.,
642 ff., 665 ff.
Rabat 688, 695.
R a t ü r 1 i f e i t 440 ff.
Ratur, Rad;al}mnng ber, 443 ff
Ratnrati§inn§ in ben SBerfen reli:
gibfer Rünfte 382 ff., 394 f., 407 ff.,
511 f., 647 ff., 832 ff.
Reigungen, fociale, 254 f.
Rernenfpftem, baä negetatine,
785, 788, 808 ff.
R etteSl^ eim 832.
Ren, R e n ^ e i t 262 f.
Riobe 558, 570.
Riobiben gruppe 558 f.
Ronntig 190, 729.
Rüffle in 244, 477 f., 596 f., 612 f.
Riit^lic§, Rül^li d;ieit, 70, 527 f.
Rnmcrng 729.
0,
0 e f) 1 c n f d; I ä g c r 660 f.
Offenbarung, bie übernatiirlid;c, nnb
bie 31eftl)etif 366, 674, 866.
0 1 b en b er g 276.
Omni die 764.
Oper 811 ff.
Orange, bag 6oncil 51t, 384 f.
O r e ft e g nnb 6 1 c c t r n (@rnppe) 559 ff.
Organiginiig, ber leiblid;e, fein 6iti:
ftiife auf bie intetlectnate nnb bie etl}ifd)e
©eite beg 9Renfd)en 66.
Orgel 825 ff., 831.
Origeneg; bie eigentlidjc ©pl)ärc bcr
©d^bn'^cit ift bie überfinntidje Orbnnng
42; über bie Sernünftigfeit ber incnfdp
licken ©eeleö5; bie ©(^bnlieit ber 2el3=
teren 117, 145; Seibegfd;bntjeit 594.
O n e rb e cf 481.
60
946
9fiegifter.
%
^Patefirina 393, 802 ff.
^PaltaS Sttl^ene f. SJMnevtia.
?ßanaDtcini, ßarbinal: ©cniiff au§
eigentlid^er Siebe 91 ; ba§ SSerlangen,
p ^errf^en254; ßrfenntni^ ber ®a^r;
|eit 260; über ba§ 2Befen ber ©c^ön:
l^eit 295 f., 299 ff., 305.
Pange lingua.. Corporis 358,
761.
Pange lingua.. Lauream 358,
744 ff.
if3ari§ 608.
ifSavobtc 271 ff.
i|3arrt)afiu§ 604 f.
ißartt;enon 341.
iß aff 0» aut 410.
ißaffiongfpiele 554.
ißaul IV. 387.
ißauhtS, ber SIpoftel, 232, 233.
iß auf 0 ni a § 569, 605.
ijSaufon 601.
iß e t an i u ä 60, 313 f.
ißetrug SantianuS 761.
iß i b i n § 344, 566, 568, 574 f , 606 ff.,
615.
ißUe§, ®e, 671.
ißtlotp (5. 451 ff.
ißiombo, ®et, 642, 648.
ißiu§ VI. 837.
ißlagalifd)en Eonarten, bie, 801.
i|3Iaftif f. ©culptur.
ißlato über bie Unentbe^rlidifeit be§
Segriffg ber ©d^önf)eit bei roiffenfä^aft:
lid;en (Srörterimgen über f^öne ®inge
2, 6, 7; über bie roiffenfci^aftlitfie
E^eorie einer Äunft 13 f.; ba^ bie
©d)önl)eit ein üb er f innlt er SSor=
jug fep 26, 28; bie ©b^önfieit ber©eele
ift ettoa§ SSorjüglid^ereg als bie be§
Seibeg 40 f. ; llebereinftimmung erjengt
Siebe 57 f. ; eine ©inroenbung gegen
biefe 3Bai)rl)eit 81; ©i^önf)eit, ®ut;
l)eit, Siebengroürbigfeit 100 ; bie ©d)ön:
^eit @rnnb ber eigentlid^en Siebe 103,
104, 112, 147 f.; bie ©d)ön'^eit ift
llebereinftimmung mit @ott 144 f. ;
jur ©tpmologie non -/.aXov unb jur
Eefinition ber ©c^ön^eit 151 ; ißennS
unb Slmor 156; bie ©dpn^eit ift ein
Eranfcenbentalbegriff 161; ©d;ön^eit
im „nulgären" ©inne b. 9B. 176; ber
natürlid)e ißorrang be§ 3Kanne§ nor
bem 9Beibe 183; nnrid^tige Se^re non
ben „^been" 191 ; pr Sebeutung bes
SSorteg „tragifd)" 241; p ber grage
non ben äftl)etifd;en ©innen 277 ; ber
finnlid^e iReij unb bie ©^bnljeit 292 f.;
eine bem ißtato nielfnd), aber faum
mit Siedet, pgefi^riebene 31euf?erung
über bie ©dion^eit 310; alle fünfte
müffeu bemüfjt fepn, fd^öne Sffierfe p
liefern 326; ©ruubfcipe über etl;ifd;
gefa^rlid^e (Srjeugniffe ber Äünfte 458 ff. ;
bie SSeftimmung ber fdjönen Äünfte
471; über bag E^eater 552; bie 21uf:
gäbe ber oratorifd;en Serebtfamfeit
679 ; bie iUotfiroenbigfeit ber ißfpd)o=
logie für bie Efieorie ber orat. SSerebt=
famteit 699; 33efd;eibenl)eit 777; über
ben Sinflu^ ber ÜRufif auf bag @e=
müt^ 780; gegen bie felbftünbig auß
tretenbe 829 ; bie
SSebeutung ber iUlufif für bag et^ifdl)e
Seben 839 f. ; jur Sefire nom ©efd^mad'
861, 871.
ißliuiug 207, 412, 444, 602.
ißlotin 27 f., 38, 101 f., 107, 118,
130, 144, 172, 317, 842.
ißlutari^ 30 f., 119, 138 f.
ißoefie 345 ff., 353 ff., 375 ff., 380 f.,
430 ff., 455, 701 ff.; bie befonberen
2Jlittei ber iß. 710, ff. ; SJleifter ber re=
ligiöfen iß. aug älterer 743.
iß 0 etif d) 703.
ißollainolo, ülntonio, 387.
ißolpd;romie (©culptur) 571 ff.
iß 0 Ip c l et 317.
ißolpborug 595.
ißolpgnot 655.
ißolppl^one ÜJlufif 789 f., 802 ff.
Pontificale Rom. 487 f., 518.
„ißragmatifd^" 565.
fSrariteleg 570, 603 f, 615.
ißref f el 482.
ißrincip, allgemeineg, für bag 33er:
fahren ber ißoefie 708.
ißro clug 8, 103, 144, 147 f.
ißroppläen 341.
ißroub^on 466.
ißrubentiug 756, 759, 766 f.
ißf eub 0 litur g i f d^ e iJfJlufif 388 ff.,
831 ff.
ißpreicug 601.
ißptf)agoräer, bie, 470, 784.
ißpt^agorag 207, 470.
c.
Ouintilian: über ißl)ibiag 344; bie
jroei roefentlid}en ©lemente jebeg Äunft=
roerfeg 414; über bie Slffectation 442;
eine roefentlictie ißorfc^rift für ben
Äünftler 444; gegen et^ifd) gefährliche
(Sräeugniffe ber fünfte 461 f. ; über
ben ©egriff ber orntorifchen ©erebt=
famfeit 688, 689, 691, 695; bie nor=
äüglid;c ©ebeutung ber orat. ißro;
nuntiation unb idction 691; 91011;=
roenbigteit beg Sßohltlangeg ber ora=
torifdhen ©pradhe 729 ; ber ©haracter
ber Septeren abhängig non ber ©er:
fchicbenheit ber metrifdhen güpe 733;
SRegiftev.
947
gefud)te dtebefigurcn unb roat)ve§ @e=
fül)( 753 ; ber (Sinfhiji ber 57eigung
auf ba§ Ui1(}eif 869; ju bcv ieljre
Dom @cfd;macf 876.'
^)l\
flUffael 407 ff., 446.
fR a n Q 0 r b n u n g , t a U e o f o g i f di e,
bcr Sßefcu 179 ff.
iRatf}t)au§ $11 Srüffcl 519; jii Konten
519; ju 93fünftev 519 f.
„fRcalismuä" 450 ff., 657 ff.
fRec e n f i 0 n §iD e f en 261.
fR e c i t a t i 0 808.
fRebefigurcn 726.
fRei d; eu§p erg er 9(. 331, 368, 370,
372, 455, 466 f., 497, 503 f., 521 f.,
524,' 529 ff., 599, 669, 834, 877, 881.
fReim 735 ff., 757, 761 f.
„fRelation§fofigfeit ber fd;öncu
il'iiufte" 465 ff.
fReligiöfe fünfte 328 ff., 338 ff.,
362 ff., 375 ff., 382 ff., 415, 420 ff.,
428.
fR e m ü f a t 438.
97 en a i f f an c e , bic, in ber SSanfnnft
511 f. ; in ben bilbenben Äünften
385 ff., 407 ff., 647 ff.
fReni @. 670.
Responsiones ad orthodoxos
793.
fR^ptf)mn§, in ber ''fjoefie 729 ff.; in
bcr iRnfif 787, 790 f.
fRicget 567, 575, 598, 646, 671.
fRie^t 820.
37 io 21. g. 383, 386 ff., 391 f., 410 ff.,
446, 607, 666.
97ocf)nt^ 811, 831, 832.
97ococo:©ti)l 493, 530 f.
37 ö m i f e © u [ e 802 ff.
37 0 g a c ci 295, 305.
37oninnifdje 23'anfunft 492, 510 f.
37ofa, ©alnatorc, 388.
37ofe, bie, at§ fi)inboIifd;e ©runbform
ber gotl)ifdjen 2?anfunft 506 ff.
37ouffean 3. 3. 303, 438.
37uben§ 414, 647.
37n^e, in roeld;em ©inne bie ©d;otaftif
ben @enu| fo nannte 85; bie „pla;
ftifd^e 37ul)e" ber ntobernen 2(cftl}etif
566 ff., 612 f.
©.
© an f e D er i n 0 317.
Satan 243, 247 f.
Satire 271 ff., 772.
Sauonarola 387, 666.
© a uf p i c I 550 f.
S 4 tt» f P i e i £11 11 ft 539 f., 549 f.
© d; e tu ng 162, 314 f., 350.
© dritter, gr. non, 8, 24, 28, 35, 54,
182, 183, 188, 189, 209, 215, 222,
223, 242 ff., 251, 256, 264, 273,
275, 304 f., 316, 325, 331, 365, 373,
378, 399, 417, 419, 432 f., 438 f.,
445, 463, 477, 481, 489, 523, 536,
540 ff., 557, 595, 619 ff., 624, 711,
712, 719, 720, 722, 730 f., 734, 760,
763, 779, 781, 871.
©d; Hier 453 f.
© d) i ( t e r 400.
© d) I c t i g f e i t 172.
©d; leget 3t. SB. 33, 370, 389, 547,
565.
©djteget, gr. non, 345, 355, 361,
396 f., 406, 410, 488 f., 502 f., 505,
508, 519 f., 525, 529, 640, 642 f.,
649, 663 f.
© t eie rm n d; er g. 151.
© dt t i em a nn 436.
©d; Io ff er g. g. 358, 735, 762 ff.,
797.
© d) t n t er 6. 35. 726 ff.
©d)nanfe 18, 341 ff., 356 f. , 400,
501, 512 ff., 519, 523, 558, 559 f.,
565, 573, 575, 597, 603, 605, 613,
_ 655.
© d) ö n , © d^ ö n t) e i t : roefenttid)c SSer:
f^iebent)eit bcr 35egriffe „ba§ ©d^öne"
nnb „bie ©d)bnt)eit" 7 ff., 316; brei
StRerfinate ber ©d^öntjcit 23 ff., 47 ff.,
97 ff.; bie etpmotogifd)e 33ebentnng
be§ SBorteS 50 f. , 938 ; bie neuere
beutfe^e ipl^ilofopt)ie unb bcr Segriff ber
©dtönfieit 52 ff.; ein jincifadte§ 25er:
fet)cn bcr (Srfteren in ben Unterfuc^uu:
gen über bie ©dtöu^eit 113 ff.; alte
©d)önt)eit ift Uebereinftimmung mit
@ott 141 ff.; Definition ber ©d^ön^cit
in brei gormcin 148 ff.; bn§ 25erf)ätt:
ni^ bcr @d;öntteit jnr ®at)rt;eit 155 f.,
gnr ©utl^cit 156 ff. ; bie ©d;önt}eit al§
Drnnfcenbentntbegriff 161 f. ; fie ift
roefenttid^ ein retatineä ütttribut
164 ff.; „uotte" unb „mangelfiafte"
©d}öntteit 171; ©dtbnt)eit im „mit:
garen" ©inne b. 255. 175 f.; bie ©d)ön:
tteit ben anberen „äft^ctifd;en 25ov:
jügen" gegenüber 319 f.
,^© di) b n e i t § I i n i e" 124 f.
© d) 0 p enf) a n c r 3t. 813 ff.
©d;rift, bic t)eitige, 29, 41, 48,
57, 99, 109 f., 130 f., 134, 138, 143,
159, 169, 185, 197, 201 f., 203 f.,
206 f., 212, 219, 222, 223, 224 ff.,
229 ff., 232, 236, 239, 253, 353 ff.,
384, 395, 485 f., 499 f., 505 ff., 625,
628, 656, 673, 680 f., 715, 720,
738 ff., 862, 863.
©d)i-ott, 30t)., 94, 232 f., 797.
© dju tt e g. 435.
Seien za e la fede, La, 306 ff.
948
Slegifter.
® CO p a§ 615.
©ccilptiir 342 ff., 360, 371 ff., 391,
556 ff.
©eele, bie SSorjüge berfelben infofern
fie oemiinftiger (Seift ift 61 ff.; al§
2Befen§fonn be§ 2eibe§ 68 f. ; bie
©d)önf)eit ber ©eele 117, 133; bie
Seele „nur al§ (Snteled^ie" 676 f.
„Selbftänbige" unb „unfetbftän=
b i g e" if3 o ef ie 775 ff.
Selbftmorb 249 ff.
Seligleit, bie eroige, 200 ff.
S e 1 1 f a m f e i t 263 f.
Semper 571.
Seneca 39, 241.
Sentenj 260.
Sentimentalität 442.
Septenariug 759 ff.
SfiafteSbnrp 316 f.
S^afefpeare 136, 138, 449,662,
780, 784, 842 f., 873.
Siena, bie 9)taterfd;ule 311, 481.
Simonibeg 176.
Simrod 358, 761, 764 ff.
Singf deuten, bie römifc^en, 800.
„Sinnliche Sc^önl^eit" 312 f.
„Sirtinifd)e DJlabonna" 411.
Socrateg 1 ff., 6 f., 40 f., 138, 604 f.
Solger 220, 258, 285.
Sop{|Octe§ 437, 537, 561, 568.
Springer 31. 407 ff.
Stabat mater 358, 763.
Stanbpunft, „ber rein äftt;ctifd;e"
674 f., 866.
Stifter, 31b albert, 237 f. , 432 f.,
455, 553, 653, 877 f.
Stillleben (ÜOlalerei) 658 ff.
Stoa, bie, 39, 47, 99, 161.
Stödl 315, 377 f., 547 ff., 774, 775 ff.
Stoff, Sdjön^eit beffelbcn 127 f.
Stolberg g. 2. 29, 34, 37, 470, 552 f.
Stol3, 3llban, 83, 143.
Stord 763.
Straßburger dOO f .
Straßburger ^ ü n ft e r 494 ff.
S t r 0 p ß e 732.
Stple ber 31rd)itcctur 492 f.
©uare3 171, 172, 706.
Sulser 134 f., 244, 272, 493, 555,
659, 688, 728, 736, 789, 814, 817 f.,
822 f.
S u f e m i 1} 1 437.
Spbel, non, 669.
X.
T (ber gried}ifd^e 33ud)fiabe) al§ ba§
fpmbulifcße 3eid)cn be§ (Srlöferg 515.
£ a c t (in ber ÜJlufif) 790.
2 a n j f u n ft 334.
Saparelli 246, 279, 295 ff., 303 ff.,
310.
£ei(^Iein Slb. 677 f.
£elepl)u§ 427.
Sempel, ber gried;ifd^e, 512, 523, 628.
Senbenjpoefie, ‘ienbenäftude , 440,
456.
Seren tianuS SOlauruS 758, 931 f.
Serenj 160, 751, 759.
Sertullian über bie SSernünftigfcit ber
menf^Iidiep Seele 65 f.
Seufel 173 f.
Sßaleg 470.
Sßeater, ba§ griedjifd^e, 351 f.
S^emiftiu§: Sd^önl)dt unb finnlid;er
9teiä 293.
eo crit 869.
Sl^eobor ber Sltßeift 292.
S^eoboret oon C^pruS 627, 638.
Sß eo gni§ 104.
S^eopßraft 869.
Sßeorie einer .(Dun ft 12; „roiffcu:
fd^aftlid^e" unb „med)anifd)e" 13 f.
Sßibaut 21. g. % 798, 859.
Siliere, ßinfi^tlid^ i^rer Sd;önl)cit 133.
S^iermalerei 661.
Sl^omaä oon 21quin; Sefinition ber
itunft 12; baß bie Sd|ön§eit ein über=
finnlidicr ißorjng 25; über ben Spradj=
gebraut^ l)infid)tlid; ber St^bn’^eit 25 f. ;
bie Orbnung loirb nur bnrd^ bie SSer:
nnnft ert'annt 27 ; bie Sd;önßcit ge=
roälirt nnä (Senuß babnrc§ , baß mir
fie erfennen 49 f. ; ®efinition ber (Sut=
ßeit 56 ; bie Uebereinftimnumg al§
tüefentli4c SSorausfeßung ber (Sutfieit
unb ber Siebe 56; jroei 21rten ber
Uebereinftimmung 58; roie Ibrperlidie
unb geiftige Singe mit einanber über=
einftimmen fbnnen 58 f.; über ba§
menfd;licße (ärfennen 62, 130; bie
oberfte Utorm ber 3Bal^rl)eit 63; über
bie 2]ernünftigfeit ber menf^lib^en
Seele 63, 65; in roelc^em Sinne bie
Sugenben „angeboren" fepen 65; über
ben (Sinfluß beä leiblichen Organi§mu§
auf bie inteUectuelle unb etl)ifdie Seite
be§ SJtenfdhen 66; über bie (Slüdfelig=
leit 69; Sefinition ber Siebe 73; bie
uneigentlielie Siebe 74; (Sott liebt febeä
Sing mit eigentlicher Siebe 79; in
roiefern bie uneigentlidhe Siebe ftärfer
fep, al§ bie eigentliche 81 f. ; jum 93c:
griff be§ @enuffe§ 84; inteÖectualcr
(Senuß 87 ; (Senuß au§ eigentlicher
Siebe 90, 91, 92, 94, 95 f.; bie Sd;ön=
heit nimmt unfere eigentliche Siebe in
21nfpru(h 99, ift ber eigentliche @egen=
ftanb berfelben 105; bie thatfächli^e
Uebereinftimmung ift ber (Srunb eigenU
lidher Siebe 116 ; bie ßlemente ber
Seibesfdjönheit 134; alle (Sutheit iß
Uebereinftimmung mit @ott 141 ; ba§
(Sleid;e gilt oon ber Schönheit 142;
SRegiflcv.
949
feine Seiire über ba§ SBefen ber ©d;ön=
l^eit 149 f , 152 ff.; über bte Sßatjvlfeit
152; über bte @ut()eit 156; ber ©e=
mifi unb bie Siebe 157 f. ; „atteä
©et;enbe ift gut" 161; bie ©djön^eit
ift ein 'Jlttribut atle§ ©epenbcn 162;
bie üranfcenbentntbegriffe 162, 163 f.;
ßdcmente ber Sd;önt)eit 163 f. ; „uoUe"
imb „mangelhafte" (Suttjeit 171; bie
©dhie^tigfeit 172; (Jngel unb 91ien=
fd;en im eroigen Scben 182; ber na;
türlid)e ®orrnng be§ 5ßannc§ nor bem
ÜBeibe 184 ff.; berfelbe roirb im eroi=
gen Sehen nid}t fortbcftef)en 187; ab=
folnt 3?otIfomntene§ in einem @e;
fd)öpfe nid;t möglid) 191 ; über bn§
SBefen ber eroigen ©eligfcit 203; über
ben ©elbftmorb 249, 250; über ba§
SSertangen be§ 9Jtenfd;cn nad) (5rfennt--
ni| 258; über ben ©eniift ben ber
3ßed)fel geroä£)rt 265 ; baä Vergnügen
um Sädjerli^en 269; jnr g-rage non
ben äfthetifd^en ©innen 277 ; bie freien
Äünfte nnb bie me(hnnifd;cn 324; re=
tigiöfe Sid)tungen non'ihomng 357 f. ;
bie fgmbolifdje 93ebentnng bc§ @otte§=
hanfeS 487; ber Segriff bc§ 33ilbc§
533 f. ; über bie Urbilber ber ®inge
in ber 2öei§t}eit ®otte§ 692 f. ; bie
pft)d)ologifd;e ®ntftef)ung ber @emütl)§--
beinegnngcn 706; anb religiöfen ®id)=
tnngen be§ .fbeitigen 761 f. ; über bie
litnrgifdje iDlnfif 793 f. , 796 ; über
^nftrnmente jn berfelben 825 f. ; ju
ber Sehre nom ©efdhmacf 872; bie 53e=
beutung ber i£Biffenfd;aft be§ h^'figen
3:homa§ für bie fd^önen fünfte 881 f.
£hon^n§ 00 11 Getan 0 358.
Jimüiig an§ Socri§ 470.
Si m 0 m a d; n § 611.
Xi^ian 413.
Xob, ber, nl§ erhabener ®cgcnftanb
237 f.
Xöne, h'iifid;ttid; ihrer ©djönheit, 132.
Xoilettentnnft 334.
Xolebo, ©pnobe jn, 795.
XoIctn§, Garbinat, über ba§ ®efen
ber ©dhönheit 294, 305 f., 310.
Xoreutif 574.
Xragif ch 241.
Xr a g ö b i e 551.
X r a n f c e n b e n t a l b e g r i f f e 162, 1 63 f.
Xrient, ba§ Goncit 511, 388, 629, 795,
825.
Xrochciifd;e iöerfe 758 ff.
Xropen 726.
u.
Uebereinftimmnng, bie, al§ @rnnb
ber G'ntheit unb ber Siebe 56, 57 f.
U e b e r f i n n t i ch 24.
Utrici Jp. 346 ff., 398 ff., 413 f.
Uniuerfnm, bie ©djönheit beffelben
207 ff.
Un n a t ür l i ch f ei t 442.
Urbilber, bie, alter ®inge in @ott
692 f.
Ur t h ei t § tr a f t, bie finntidjc, 10,
23, 32 f., 668, 706 ff., 720, 781 ff.,
808 ff.
U f d) 0 Ib 775.
U t tj u e a 11 1 1 a X i s 358.
ipalentin, Sifdjof non iRegenbbiirg,
831.
Saterins 9Jiarimn§ 566.
SSatican, ba§ Goncit im, 674.
23 e n n n t in § 0 r t nit a tu s 358, 744.
Veni Creator Spiritus 358.
Veni sancte Spiritus 357, 758 f.
23enu§, „bie gemeine", 156 f., 602 ff.,
623.
23enii§ Urania 156 f., 608.
Verl) u m s u p e r n u m 358.
23 er bi 378 f., 835.
23erchrung, abfotute unb retatinc, 78 f.
23 e r g t e i dj nng 717.
23 er fl arten, bie, in 3tiicffidjt auf ihre
©djönheit 182.
23 e r n ün f t i g f ei t , bie, ber menfdjtidjen
Seele 63 ff.
23er§ 730 f., 767.
23 e r j in e i f t n n g 249 f.
Vexilla Regis 358, 758.
Victimae paschali 357.
25inci, Seonarbo ba, 580 ff.
23irgit 160, 219, 571.
23ifdjer 170, 243, 251 f., 267, 274 ff.,
310, 315, 396, 474, 576, 613, 623 t,
667 f.
23o Herrn, Xnniet non, 387.
23 ü il tan m e 695.
2ßagner, Diidjnrb, 539, 818 f. , 827,
833 f., 835 f., 838, 847 f.
2ß a h r , 2B n h r tj e i t , 1 55 f. , 258 ff. ;
Ijiftorifdjc 2Bntjrhcit in ben 233erfcn ber
fdjönen fünfte 415 ff.; ptj'fofoplj'foho
(„nfttjetifdje") 420 ff., 670 ff.
„2S a h r f dj e i n 1 i dj t e i t" f. 2ßahrtjcit,
philofoptjifche.
2ßcber g. 2Ö. 26, 214, 218, 239, 256,
261 f., 271, 419, 661, 713 f., 724,
731, 735, 879 f.
2Beib, bn§, ift nidjt non 97atnr fdjöncr
ntö ber 9J7ann 181, 183 ff.; ihr 2lu:
tljeit ift bie 21nmuth 256.
2ße i §h c ' 1 @ 0 1 1 e §, bie, 11, 593, 692 f.
2Beihe 856 f.
950
SRegifter.
ett, bte fid^tBare, i'^re ©djön'^eit 207 ff.
erfer 375 f.
ertf), äftl^etifc^er, „abfohitcr" imb
„relatioer" 873 ff.
e f en§b i ( b er 534.
ietanb 751, 759.
iganb 292.
Üb au er 182 f.
infei manu 369, 609, 614.
tfcman, (Sarbinal, 137, 510, 719.
tff enfd;aft: 33egriff 11 ; ®iffenfd>aft
einer Äunft 11 f.
itt g. 836 f.
of)IfIang ber ©prad)e 729 ff.
„3Bort" (ber Sogoe) , roaviim 3'^m bie
©^bnf)eit jugeeignet roerbe 203 f.
Sßnnberb arf eit 263 f.
ffiurj 680.
I.
it e n 0 p on 604 f.
3 ei d) nun g bie (in bcn bilbenbeu Äiuu
ften) 579.
3 eifiug 220.
„3 eit, bie", (©tatue) 578.
3eu§, ber, be§ i|31^ibia§ ju Olpmpia
344, 566, 568, 574 f., 606.
3 e u r i § 604 f.
3immermann 9%. 316, 336, 780.
3u)ed: bie Uebernatürlid^feit be§ 3i®f^b§
für roelc^cn eine Äunft arbeitet, eut=
fd^eibet Wrüber, ob fie al§ religiöfe
Äunft gelten faun 375 ff., 648 f.; ob
„bie fd^öne Jbunft auSf^Iiefelic^ fid)
felbft 3roed" fep 465 ff., 846, 850;
bie 3rrlcf)re non (äinent nä(^ften unb un-
mittelbaren 3™^^ fd^buen Äunft"
776 ff.
3 in e d nt ä I i g f e i t unb ©d^bnfieit 527 f.
35on bemfdben ®erfa[fev fhib frül)cr evfdjiencn:
^üiif ©äl^c ^ux (Srftävung iinb jur tüijfenfdjnftndjen 33e=
grünbunö ber 2[nbad)t gum I)etUg[ten 4^er^cn 34”
unb ^itm retnfien 4"^erjen 5}Zartä. 2Sag=
ner, 1869. 60 !r. ö. 2Ö. — M. 1,20.
5lui)ad)t jitm f)ctltgftcu ^crjcii 3c|n ««b btc Scbcufcu
gegen btefelbe, (ätn ©d)vet6cn an einen 3*rc””b nug
beni 2aien[tanbe. 3”^^^brnd, Söagner, 1871. 30 !i*.
ö. 2ö. — 60 Pf.
®iiie 2ttniiet boni Ijeiltgfteu §erjeii ber I)eUigeu
St^rtfO nebft einigen nnberen ©cbeten für bie ^erg^
3efn=5tnbnd}t. 2. Stnflage. 3””öbrnd, 2ßngner, 1871.
100 (äjccntplave 3 fl. ö. 2Ö. — M. 5.
12 „ 40 fr. ö. Sß. — 80 Pf
1 (Sjcentplar 4 fr. ö. 2ö. — 8 Pf
2)ie[elbe 2ttnuet, bentfe^ mib Intetiufd) (beffere Sfnggnbe).
10 fr. ö. 2ö. — 20 Pf
3«r 25eref)nmg Iluferer Sieben ^-rnit, namentlid) il^rer nn^
beffedten ©mpfängntf^. ?01it einer ^Jief^anbndjt, nnb
33eid;t= nnb (^ommnnion=@ebeten. nermef)rte
nnb nerbefferte Slnflage. 3^'^^bnrg, ^erber ft. 12“.
(X n. 208 ©. n. ein ©tnl^fftid).) 1879. M. 1.20.
Xljeorie ber geiftlidjen 33erebtfninfett* ^teabemifdje 2Sor=
lefnngen. nnb nerbefferte 9t nf tage.
3irci Bcinbe. 5;>crber 1883. gr. 8“. (XVI
n. 1192 ©.) M. 12.
('3:bco(ogiicf)c 33ibtiortjcf. ^n’eitc ®cvtc. I. ii. II.)
£cinnä(f)[t lüirb in unfevem 3>criage evtd;cincn:
6iefnt)ren betlettriftifdjer Sectiire» nnb uerniet)rte
9tnftnge.
Später ;
2)ng (öennittj, nnb bag (^efnt)tgnernitigen ber neueren ^^|i)d)o^
togie. nnb nerbefferte 9lnftage.
g-rcibiirn (33nbeii).
i^erkr^dfe HcrlapljauMuug.
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V.
GETTY RESEARCH INSTITUTE
3 3125 01500 4381
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