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Full text of "Agrarpolitische Aufsätze, ein Beitrag zur badischen agrarpolitik"

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Ein Beitrag 


zur 


* 


von 


„Der Bauernſtand iſt nicht ein Stand wie jeder 
beliebige andere, der ſich durch Zugang neuer — — 
ergänzt, ſondern er iſt eben der Vorratsbehälter 
Menſchheit, er hat die Nachſchübe für alle 9 — 
Stände zu liefern, in denen die Menſchen nach dem 
8 Laufe der Dinge ſich verbrauchen und 
ren.“ Otto Ammon „Die Bedeutung des 
. für Staat und Geſellſchaft“, Berlin 1894.) 


HSGeeidelberg. | 
Verlag von J. Hörning. 
1896. 


. Ein Beitrag 


zur 
Badiſchen Agrarpolitik. 
3 f „Der Bauernftand iſt nicht ein Stand wie jeder 


beliebige andere, der ſich durch Zugang neuer * 
5 ergänzt, ſondern er iſt eben der Vorratsbehälter 

; Menſchheit, er hat die Nachſchübe für alle . 
Stände zu liefern, in denen die Menſchen nach dem 
natürlichen Laufe der Dinge ſich verbrauchen und 
zerſtören.“ (Otto Ammon „Die Bedeutung des Bauern⸗ 
= ſtandes für Staat und Geſellſchaft“, Berlin 1894.) 


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Heidelberg. 
Verlag von J. N 
1896. 


Vorwort und Einleitung. 


Daß ſich die deutſche Landwirtſchaft zur Zeit in einer ſchweren 
Kriſis befindet, wird jetzt wohl von Niemanden, der die Fühlung mit 
derſelben nicht vollſtändig verloren hat, mehr beſtritten werden; dagegen 
gehen die Meinungen über die Aufgaben, welche der Staatsregierung 
aus dieſer landwirtſchaftlichen Notlage erwachſen, bezw. über die Maß⸗ 
nahmen, welche ſie zur Bekämpfung derſelben ergreifen ſoll, noch weit 
auseinander. ö 

Hierin nun zur Klärung der öffentlichen Meinung beizutragen, ſoll 
der Zweck dieſer Broſchüre ſein. 

Alle diejenigen werden ſich allerdings enttäuſcht finden, welche von 
derſelben die Mitteilung eines Univerſal⸗ und Radikalmittels zur Heilung 
aller landwirtſchaftlichen Gebrechen erwarten. 

Der Verfaſſer gehört, wenn man will, zu den Verteidigern der ſo⸗ 
Bern kleinen Mittel; er möchte Herrn Profeſſor von der Goltz 

iſtimmen, wenn dieſer ſich in ſeinem Buche „Die agrariſchen Aufgaben 
der Gegenwart“ (Seite 8) folgendermaßen äußert: 

„Die Beſeitigung der vorhandenen Uebelſtände kann ohne große 
Schädigung der einzelnen Landwirte wie der ganzen landwirtſchaft⸗ 
lichen Produktion nur gelingen, wenn man unter ſteter Berückſich⸗ 
tigung und möglichſter Schonung der gegebenen und hiſtoriſch ge⸗ 
wordenen Verhältniſſe auf den vorhandenen Grundlagen weiterbaut.“ 

Dieſe geſchichtlich gewordenen Berhältniſſe ſind ſelbſtverſtänd⸗ 
lich in den verſchiedenen Staaten Europas ſehr verſchieden; ſelbſt im 
Gebiete des deutſchen Reiches ſind ſie nicht überall die gleichen. 

Der Verfaſſer hat nun ſeine Broſchüre hauptſächlich über und für 
badiſche Verhältniſſe geſchrieben und zwar hat er ſich hierbei, wie 
ſchon aus dem Titel der Broſchüre hervorgeht, auf die Niederſchrift 
einzelner Aufſätze über ihm beſonders wichtig erſcheinende Fragen be⸗ 
ſchränkt, ohne einen verbindenden Text zwiſchen den einzelnen Abſchnitten 
einzuſchalten. 

Die ganze Entwicklung der Agrarfrage und die Bedeutung derſelben 
für die verſchiedenen Zeiten und Gegenden zu erörtern und ſyſtematiſch 
darzuſtellen, liegt demnach durchaus nicht in der Abſicht des Verfaſſers; 
hierwegen kann nur auf das klaſſiſche Werk des Herrn Staatsrats Buchen⸗ 
berger verwieſen werden. 

Die in der Broſchüre geſammelten Aufſätze hat der Verfaſſer in 
drei Hauptabſchnitte geordnet und er iſt dabei von folgenden Erwä⸗ 
gungen ausgegangen: 

In erſter Linie iſt es das Privatrecht, deſſen Umgeſtaltung 

1* 


ser: 


nach den Bedürfniſſen der Landwirtſchaft die moderne Agrarpolitik im 
Auge haben muß. Immer mehr bricht ſich die Ueberzeugung Bahn, daß 
die römiſch⸗-rechtlichen Beſtimmungen des Güterverkehrs (unter Lebenden 
und von Todes wegen), welche für den Warenhandel und Kapital⸗ 
umſatz ganz geeignet ſein mögen, für die Landwirtſchaft nicht paſſen; 
wie man in den letzten Jahren ein ſelbſtſtändiges Arbeitsrecht zu 
Stande gebracht hat, um den Arbeiter vor der Ausnutzung durch das 
Kapital ſicher zu ſtellen, ſo gilt es jetzt, auch die Grundbeſitzer vor den 
Gefahren einer individualiſtiſch-kapitaliſtiſchen Rechtsordnung zu ſchützen 
und zu dieſem Zwecke ebenſo ein ſelbſtſtändiges Recht des Grundbeſitzes 
zu ſchaffen, welches der Eigenart desſelben entſpricht, oder das beſtehende 
Recht den Bedürfniſſen der Landwirtſchaft anzupaſſen. 

Neben der Aenderung des Privatrechts bleibt allerdings noch 
der inneren Verwaltung ein großer Wirkungskreis und auch die 
Finanzverwaltung kann im Domänen⸗ und Steuerweſen 
Manches zur Beſſerung der landwirtſchaftlichen Zuſtände beitragen. 

Hiernach hat der Verfaſſer ſeine einzelnen Aufſätze in die folgenden 
drei Hauptabſchnitte eingeteilt: 

I. Bereich des Juſtizminiſteriums, 

II. 5 „ Miniſteriums des Innern, 

III. 1 = 3 der Finanzen 
und als Anhang hat derſelbe dann noch einen Abſchnitt beigefügt, in welchem 

IV. die landwirtſchaftlichen Wünſche aus dem Bereich des Eiſen⸗ 

bahnweſens beſprochen werden ſollen. 


Der eine oder andere der Leſer möchte vielleicht vor Beginn der 

Lektüre dieſes Schriftchens noch wiſſen, welcher politiſchen Partei der 
Verfaſſer denn eigentlich angehört; hierauf kann derſelbe nur erwidern, 
daß er ſich bisher von dem Parteileben immer möglichſt ferngehalten 
hat, daß er ſich aber bewußt iſt, ſeiner ganzen Geſinnung nach gewiß 
weder der ultramontanen, noch der orthodox-konſervativen, noch der 
demokratiſchen oder gar ſozialdemokratiſchen Partei anzugehören. Von 
dem demokratiſchen Standpunkt fühlt ſich der Verfaſſer ſogar ſo weit 
entfernt, daß er von ſeinem Schriftchen annimmt, es könne gewiſſer⸗ 
maßen als ein nichtdemokratiſches Pendant zu der Anfangs laufenden 
Jahres erſchienenen Muſer'ſchen Broſchüre über „die Agrarfrage und 
die Stellung der Demokratie zu derſelben“ angeſehen werden. 
8 Der Verfaſſer ſchließt dieſes Vorwort mit dem Wunſche, daß das 
Schriftchen der badiſchen Landwirtſchaft in einer oder der andern Weiſe 
zum Nutzen gereichen, und daß es ſeitens der Leſer eine wohlwollende 
und nachſichtige Beurteilung finden möge. 


Im Oktober 1895. 
Der Verfaſſer. 


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I. Bauptabſchnitt. 
1. Das bäuerliche Erbrecht. 
Bevor wir der Frage näher treten, ob das zur Zeit bei uns geltende 


Erbrecht den Bedürfniſſen der Landwirtſchaft entſpricht, erſcheint es uns Exbrest 7 


erforderlich, zuerſt dieſes Recht in ſeiner jetzigen Geſtaltung kurz dar⸗ 


en. 

Nach dem badiſchen Landrecht beſtimmt weder die Natur der Güter, 
noch die Perſon, von der ſie herkommen, den geſetzlichen Erbgang 
(Satz 732); das Erbrecht iſt alſo das Gleiche für bewegliche und un⸗ 
bewegliche, für ſtädtiſche und ländliche Vermögensbeſtandteile. 

Beim Mangel eines Teſtamentes erben in erſter Reihe die Kinder 
und zwar — auf dem Lande, wie in der Stadt — zu gleichen Teilen 
und ohne Unterſchied des Geſchlechtes und der Erſtgeburt (Satz 745). 

Jeder der Erben kann verlangen, daß die Erbmaſſe in gleich große 
Loſe eingeteilt wird, von denen jedes womöglich gleich viel an beweg⸗ 
lichen und gleich viel an unbeweglichen Gütern enthalten ſoll, und daß 
dann dieſe Loſe durch Ziehung verteilt werden (Satz 826, 831 ff.); jene 
Liegenſchaften jedoch, welche nicht ſo vielfach vorhanden ſind, daß jedem 
der Erben ein ähnliches Stück werden könnte, und welche auch durch 
Zerteilung nicht zu einer ſolchen Mehrfachheit gebracht werden können 
— alſo insbeſondere Wohn⸗ und Betriebsgebäude ſowie diejenigen Grund⸗ 
ſtücke, welche durch Teilung unter das geſetzliche Mindeſtmaß (für Wald 
und Weide 10 Morgen, für Ackerfeld und Wieſe ein Viertel Morgen) 
gebracht würden —, ſollen zum Zweck der Verteilung ihres Wertes 
verſteigert werden, ſofern die Beteiligten ſich nicht über eine andere Art 
der Auseinanderſetzung einigen (Satz 827 in der Faſſung des Geſetzes 
vom 26. April 1886). 

Dies ſind in wenigen Worten die weſentlichſten, hier in Betracht 
kommenden Beſtimmungen des gemeinen badiſchen Erbrechtes. 

Hiernach fällt alſo der liegenſchaftliche Beſitz jedes Landwirtes nach 
deſſen Tod regelmäßig wieder in ſeine Beſtandteile auseinander und 
wird in einzelnen Stücken an die verſchiedenen Erben verteilt. 

Von den Letzteren ſuchen dann diejenigen, welche ſich der Land⸗ 
wirtſchaft nicht zu widmen gedenken oder ſich fortverheiraten, ihre Par⸗ 
zellen nach und nach möglichſt gut zu veräußern; diejenigen dagegen, 
welche im Dorfe als Landwirte zurückbleiben, ſtreben dahin durch Heirat 


Anerbenrecht. 


oder, wenn ſie Erſparniſſe machen können, durch Anlage derſelben in 
Grundſtücken nach und nach wieder zu dem Grundbeſitz ihrer Eltern 
emporzukommen, worauf dann beim nächſten Generationswechſel die Zer⸗ 
ſplitterung von neuem beginnt. 
ee Dieſem Syſtem entgegengeſetzt iſt das ſogenannte Anerbenrecht; 
hiernach bleibt der Liegenſchaftsbeſitz eines Bauern nach deſſen Tod 
unzerteilt und geht als ein Ganzes auf einen der Erben, den Anerben, 
über, während die übrigen Erben durch bares Geld oder Schuldeinträge 
auf den Hof abgefunden werden. 

Dieſes Anerbenrecht hat auch in Baden einen, allerdings nur be⸗ 
ſchränkten, Geltungsbereich; es gilt als Sondererbrecht für diejenigen 
Liegenſchaften, worauf Ortsgebrauch u. ſ. w. einem der Erben eine 
Vorteilgerechtigkeit geben, und zwar erhält der Vorteilserbe das Gut zu 
einem kindlichen Anſchlag, welcher / und in rauhen Berggegenden , 
auf Verordnung der Eltern aber bis zu ½ unter dem wahren laufenden 
Verkehrswert bleiben ſoll (L.⸗R.⸗S. 527 c folg. und das Edikt vom 
23. März 1808). Um Zweifel über den Geltungsbrauch dieſes Anerben⸗ 
rechtes zu beſeitigen, wurde mittelſt Geſetz vom 23. Mai 1888 beſtimmt, 
daß es auf alle ſogenannten geſchloſſenen Hofgüter anzuwenden iſt, und 
daß unter den letzteren alle diejenigen Hofgüter des Schwarzwaldes zu 
verſtehen ſind, welche ſeit dem erwähnten Edikt zu Folge Herkommens 
unzertrennt von einem Eigentümer auf den andern übergegangen ſind. 

Neben dieſem geſetzlichen Anerbenrecht der ſchwarzwälder Hofgüter be⸗ 
ſteht übrigens in einzelnen Gegenden Badens z. B. im Odenwald, am 
Bodenſee u. ſ. w. gewiſſermaßen ein freiwilliges Anerbenrecht, indem 
die Eltern ihr Gut der herrſchenden Sitte gemäß entweder in Form 
des Kindskaufes oder mittelſt Teſtamentes für eines ihrer Kinder be⸗ 
ſtimmen oder dasſelbe bei eingetretenem Todesfall unter allſeitiger Zu⸗ 
ſtimmung einem der Erben um einen mäßigen Anſchlag belaſſen wird; 
von dem geſetzlichen Vorteils- und Anerbenrecht unterſcheidet ſich 
dieſe Sitte aber insbeſondere dadurch, daß ſie auf dem jedesmaligen 
freien Willen der Beteiligten beruht, und daß beim Mangel eines Te⸗ 
ſtaments keinem der Erben ein rechtlicher Anſpruch auf das Gut und 
f insbeſondere nicht zu einem kindlichen Anſchlag zuſteht. 
eher echte. Vergleichen wir nunmehr die beiden Erbrechtsſyſteme hinſichtlich 

ſoſteme. ihrer volkswirtſchaftlichen Bedeutung, jo rühmt man vor allem dem 
der gleichmäßigen Verteilung der Güter unter alle Kinder nach, daß 
der Grund und Boden hierdurch auf eine möglichſt große Zahl ſelbſt⸗ 
ſtändiger Eigentümer verteilt und ſo eine innige Verbindung zwiſchen 
Arbeit und Eigentum geſchaffen werde — die beſte Schranke gegen das 
weitere Vordringen der Sozialdemokratie; ferner ſei keiner der Erben 
mit bedeutenden Gleichſtellungsgeldern belaſtet, da er ja nicht wie beim 
Syſtem des Anerbenrechts ſeine Miterben durch bares Geld oder Schuld⸗ 
einträge auf den Hof abzufinden hätte; immer gebe es in den Gegenden 
dieſes Erbrechtsſyſtems Kaufsluſtige und Verkaufsluſtige für einzelne 
Parzellen und ſo könne ſich jeder Landwirt die Größe ſeines Gutes 
ſeinen individuellen Charaktereigenſchaften und Neigungen ſowie ſeinen 
Vermögensverhältniſſen entſprechend einrichten; durch dieſe ſtändige 


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Guüterbewegung ſei ferner auch dem Taglöhner Gelegenheit geboten, 


ein Stück Feld zu erwerben und ſich allmählich durch Fleiß und 
Sparſamkeit in den Stand der Bauern emporzuarbeiten; in Folge deſſen 
beſtünde in ſolchen Gegenden kein ſchroffer Gegenſatz zwiſchen „Herren 
und Knechten“ und ebenſowenig ein eigentlicher Arbeitermangel, eine 


ländliche Arbeiterfrage; in der Regel gehöre eben der Taglöhner ſelbſt 


zu dem Stand der Grundbeſitzer und ſeine Intereſſen ſeien denen der 
größeren Beſitzer, für welche er arbeitet, nicht entgegengeſetzt; eine 
günſtige Folge der weitgehenden Grundbeſitzverteilung und der geringen 
Größe der einzelnen Beſitztümer ſei es weiter, daß Jeder zu intenſivſter 
Bewirtſchaftung genötigt ſei, um ſeine und ſeiner Familie Arbeitskraft 
vollſtändig auszunutzen. 

Alle dieſe Vorzüge machen dieſes Syſtem, zumal in einer Zeit, 
wo die Forderung „Gleichheit der Bürger vor dem Geſetz“ eine Rolle 
ſpielt, populär und es iſt nicht zu verkennen, daß es feſt und tief in 
dem Rechtsgefühl eines großen Teils der Bevölkerung wurzelt, und 


daß es dieſem als ein Eingriff in die bürgerliche Freiheit erſcheinen 


würde, wollte die Geſetzgebung dasſelbe beſeitigen oder ihm nur die 
Eigenſchaft als gemeines, in erſter Linie geltendes Erbrecht entziehen; 
trotzdem wollen wir unſere Augen gegenüber den Nachteilen dieſes 
Syſtems nicht verſchließen: 

Eine ſolche nachteilige Folge iſt es einmal, daß jeder Bauer bei 

Gründung ſeines Hausſtandes zugleich mit dem Zuſammenkauf eines 
Bauerngutes von neuem beginnen muß, wodurch ihm nicht allein be⸗ 
trächtliche Koſten entſtehen, ſondern auch die Möglichkeit der Uebervor⸗ 
teilung und Bewucherung desſelben im Güterhandel gegeben iſt. 
b Ferner kann ja die bei Grundſtücken durchführbare Naturalteilung 
in der Regel nicht auch hinſichtlich der bäuerlichen Wohn- und Betriebs⸗ 
gebäude ſtattfinden; dieſe müſſen vielmehr an einen der Erben übergeben 
werden, für deſſen Grundbeſitz ſie dann aber zu groß und deshalb zu 
teuer ſind; auch die übrigen Erben müſſen ſich dann zur Bewirtſchaftung 
ihrer Felder Häuſer kaufen oder bauen, ſo daß auch bei ihnen das in 
den Gebäuden angelegte Kapital zu groß wird im Verhältnis zum 
Wert und Ertrag der Grundſtücke; die Folge davon iſt dann der ſtändige 
Mangel des Bauernſtandes an Betriebskapital. 

Ein drittes Bedenken liegt in der immer weitergehenden Zerſplitterung 
des Grundbeſitzes, ſo daß man zuletzt von einer Atomiſierung desſelben 
reden kann; es kann ſo weit kommen, daß der Grund und Boden einer 
Gemarkung in tauſende kleinſter Parzellen zerfällt, deren Zerſtreutheit 
dann einen unnötig großen Zeit⸗ und Arbeitsaufwand bei der Bewirt⸗ 
ſchaftung beanſprucht und jeden techniſchen Fortſchritt in der Landwirt⸗ 
ſchaft erſchwert oder ganz unmöglich macht. 

Auch tritt wegen der; Leichtigkeit, faſt jederzeit ein oder zwei kleine 
Parzellen gegen geringe Anzahlung zu erwerben oder zu pachten und 
ſich dann einen eigenen Hausſtand zu gründen, leicht eine Uebervölkerung 
des platten Landes ein; dieſe zeigt ſich dann in der geringen Größe 
der dem Einzelnen gehörigen Bodenfläche, welche häufig nicht einmal 
zur vollſtändigen Ausnutzung der Arbeitskraft der grundbeſitzenden 


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Ergebnis der 
Vergleichung. 


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Familie hinreicht, und weiter in einem als Folge davon auftretenden 
wahren Landhunger, da jeder — wenn nicht günſtigenfalls einige Fa⸗ 
briken im Orte ſind — nach Erweiterung ſeines Grundbeſitzes zur Aus⸗ 
nutzung ſeiner Arbeitskraft ſtrebt, ſo daß oft Preiſe für einzelne Ge⸗ 
ländeflächen bezahlt werden, die außer jedem Verhältnis zu dem Ertrag 
derſelben ſtehen; da bewahrheitet ſich dann das Bauern⸗Sprichwort: 
„teurer Grund bringt auf den Hund“ und es entſteht ſchließlich eine Art 


Landproletariat, ohne die ſonſt beim Bauernſtand zu rühmenden tüch⸗ 


tigen Eigenſchaften und ohne Kraft und Hoffnung, in beſſere Verhält⸗ 
niſſe emporzukrmmen. 

Im Gegenſatz zu dieſen bedenklichen Folgen des gemeinen Erb⸗ 
rechtes der gleichmäßigen Güterverteilung an alle Kinder, rühmt man 
es als Vorzug des Anerbenrechtes, daß es die Zerſplitterung des Grund⸗ 
beſitzes, welche beſonders in rauhen Berggegenden verderblich ſei, ver⸗ 
hüte und dadurch nicht allein der Uebervölkerung des platten Landes 
entgegenwirke, ſondern auch die Erhaltung eines kräftigen, leiſtungs⸗ 
fähigen Bauernſtandes gewährleiſte, welcher doch das Rückgrat eines 
jeden Staatsweſens bilde. 

Als Schattenſeite des Anerbenrechtes iſt es dabei anzuſehen, daß 
es eine Aenderung der einmal gewordenen Beſitzverteilung, auch wenn 
ſie den veränderten Kulturverhältniſſen nicht mehr entſpricht, erſchwert, 
ferner daß das Geſinde und der Taglöhner in den Gegenden dieſes 
Rechtes nur ſchwer Gelegenheit findet, ſich eigenen Grundbeſitz zu 
erwerben; auch ſind die Bauern auf ihrem verhältnismäßig großen Beſitz 
in Folge der hohen Gleichſtellungsgelder an die Miterben oft tief ver- 
ſchuldet, ſo daß man nicht ſelten die Anſicht ausſprechen hört, es 
wäre für ſie beſſer, wenn ſie nur ein kleineres Gut, dieſes aber ſchulden⸗ 
frei, oder wenigſtens mit geringerer Schuldenlaſt beſäßen. 

Wägen wir ſo die Vor- und Nachteile der beiden Erbrechtsſyſteme 
(der gleichmäßigen Nachlaßverteilung unter allen Kindern und des An⸗ 
erbenrechtes) gegeneinander ab, ſo kommen wir zu dem Ergebnis, daß 
keines derſelben geeignet iſt, das andere vollſtändig zu verdrängen; ins⸗ 
beſondere wäre es ein großer Fehler, wollte man ſolchen Gegenden, in 
welchen das bisherige gemeine Erbrecht der gleichen Behandlung der 
Kinder dem Rechtsbewußtſein des Volkes entſpricht (z. B. Gegenden mit 
hoher Bodenkultur) das Anerbenrecht als prinzipales Erbrecht auf- 
drängen; dagegen ſcheint uns allerdings ein Bedürfnis vorzuliegen, das 
Letztere nicht allein zu erhalten, ſondern in moderner neuer Ausgeſtaltung 
auch auf alle diejenigen Gebiete auszudehnen, wo bisher ſchon eine 
entſprechende Erbrechtsſitte beſtanden hat — was hauptſächlich in Gegenden 
mit weniger intenſivem Betrieb der Fall iſt — wo alſo anzunehmen iſt, 
daß das Anerbenrecht dem Gefühl des Volkes für Recht und Billigkeit 
entſpricht. a 

In dieſer Hinſicht wäre unſere Anſicht, daß das Anerbenrecht als 
geſetzliches Inteſtaterbrecht künftig Geltung bekommen ſollte, nicht allein 
für die 4942 geſchloſſenen Hofgüter des Schwarzwaldes, welche ſeit dem 
Jahre 1808 unzertrennt von einem Eigentümer auf den andern über⸗ 
gegangen find (Gef. vom 23. Mai 1888) ſondern auch: 


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* 


1. überhaupt für alle Hofgüter, ſei es im Schwarzwald, ſei es in 
andern Landesgegenden, welche der Hauptſache nach eine zuſammen⸗ 
ängende Fläche bilden; dieſe arrondierten Güter ſollten zugleich ſämt⸗ 
ich für geſchloſſen erklärt werden, d. h. die Erlaubnis zur Zerſtückelung 
derſelben wäre davon abhängig zu machen, daß der Verwaltungsbehörde 
ein volkswirtſchaftliches Bedürfnis hierzu nachgewieſen wird. 

2. Zweitens wäre unſeres Erachtens das Inteſtatanerbenrecht aus⸗ 
zudehnen auf diejenigen nicht unter Ziffer 1 fallenden bäuerlichen Güter 
— migen dieſelben auch aus einer größeren Anzahl von einander ge⸗ 
trennter Grundſtücke beſtehen —, welche bei den letzten beiden Eigentums⸗ 
übergängen (Vererbung oder Verkauf) als ein einheitliches Ganze be⸗ 
handelt wurden; der Verwaltungsbehörde (dem Bezirksrat) wäre jedoch 
für die Feſtſtellung der hierdurch betroffenen Güter die Ermächtigung zu 
erteilen, diejenigen derſelben, bei welchen die Vorausſetzungen von Ziffer 2 
zutreffen, aber trotzdem ein volkswirtſchaftliches Bedürfnis zu künftiger 
unzertrennter Vererbung nicht vorliegt, auf Antrag von der betr. Liſte 
zu ſtreichen, wie auch umgekehrt ſolche Güter, bei welchen nur ein ein⸗ 
ziger einheitlicher Eigentumsübergang nachgewieſen wird, aber eine Zer⸗ 
trümmerung offenbar von volkswirtſchaftlichem Nachteile wäre, auf die 
Liſte zu ſetzen. 

Bei der vorgeſchlagenen Ausdehnung des Anerbenrechts müßte das⸗ 
ſelbe allerdings in moderner Geſtaltung neukodifiziert werden, wobei 
man von folgenden Geſichtspunkten ausgehen könnte: 

1. Dem Anerbenrecht wäre, wie bisher, der Charakter als Inteſtat⸗ 
erbrecht zu geben, d. h. es hätte ohne ausdrückliche Willenserklärung 
des Erblaſſers zu gelten; dem Letzteren bliebe aber auch umgekehrt die 
Möglichkeit gewahrt, durch Teſtament oder Gutsübergabevertrag ander⸗ 
weitig über das Gut zu verfügen und es insbeſondere auch zu zerſtückeln, 
falls es nicht zu den für „geſchloſſen“ erklärten Gütern gehört. 

Gegen eine ſolche Geſtaltung des Anerbenrechts als Inteſtaterbrecht 
könnte vielleicht der Einwand erhoben werden, daß ja der Bauer auch 
nach gemeinem Recht durch Gutsübergabevertrag oder Teſtament in der 
Weiſe des Anerbenrechtes über ſein Gut verfügen kann, daß alſo ein 
beſonderes Inteſtatanerbenrecht als bäuerliches Sonderrecht unnötig ſei; 
jedenfalls genüge es, letztwillige Verfügungen im Sinne des Anerben⸗ 
rechtes durch Einführung ſogenannter Höferollen, ähnlich der hannover⸗ 
ſchen, zu erleichtern. 

Hiergegen iſt jedoch geltend zu machen, daß ſeitens der bäuerlichen 
Bevölkerung die Errichtung eines Teſtamentes, ebenſo wie der Eintrag 
in eine Höferolle immer als eine Abweichung von dem geltenden Rechte 
angeſehen und deshalb nur ungern angewendet wurde; oftmals wird 
zudem eine ſolche letztwillige Anordnung von Tag zu Tag hinausge⸗ 
ſchoben, und wenn dann plötzlich der Tod des Hoßbeſitzers eintritt, 
ſo iſt für Erhaltung des Gutes keine Fürſorge getroffen; die Frage der 
Errichtung eines Teſtamentes gibt ferner in den bäuerlichen Familien 
leicht Anlaß zu allerlei Intriguen der Kinder gegeneinander und auf 
die Schwachheiten ihrer Eltern, ſo daß dann häufig die Letzteren 
nach dem Sprichwort zu der Wahl auch die Qual haben, und unter 


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Umſtänden Streit und Hader in vorher friedliche Familien ein⸗ 
ziehen; wozu aber überhaupt einen ſolchen Zwang zur Errichtung von 
Teſtamenten ausüben, wo man mit einem der bäuerlichen Sitte ent⸗ 
ſprechenden Inteſtaterbrecht viel leichter und beſſer zum Ziele kommt? 

Für diejenigen Fälle dagegen, wo das Anerbenrecht nach dem 
Wunſche eines Erblaſſers für ein Gut in Kraft treten ſoll, das nach obigen 
Vorſchlägen nicht unter das Inteſtatanerbenrecht fällt, wäre allerdings 
das Beſtehen einer Höferolle zur Erleichterung einer entſprechenden letzt⸗ 
willigen Verfügung ganz wünſchenswert; daß aber zu der Höferolle 
viele Einträge erfolgen würden, glauben wir nicht; denn, von allen 
anderen Bedenken abgeſehen: wenn ein Bauer ſein Gut nach Anerben⸗ 
recht vererben will, ſo wird er ſich in der Regel nicht damit begnügen, 
lediglich die Vererbung nach dieſem Rechte anzuordnen, fondern er wird 
zugleich über die Perſon des Anerben, den Uebergabspreis des Gutes, 
über die Abfindungsgelder an die übrigen Kinder, die Unterhaltsrente 
ſeiner Frau u. ſ. w. Verfügung treffen wollen, ſo daß er die Errichtung 
eines förmlichen Teſtamentes doch nicht wird umgehen können. 

2. Als einen der weſentlichſten Nachteile des Anerbenrechtes haben 
wir oben die häufig recht hohe Verſchuldung des Gutsübernehmers an⸗ 
geführt und, daß eine ſolche wirklich bei den Schwarzwälder Hofbauern 
nichts ſeltenes iſt, haben die badiſchen landwirtſchaftlichen Erhebungen 
vom Jahre 1883 deutlich gezeigt. 

Der Grund dieſer Verſchuldung liegt vor allem in der zu teuren 
Gutsübernahme und den in Folge deſſen zu hohen Gleichſtellungsgeldern 
an die Geſchwiſter, und dieſe hohen Gutsſchätzungen ſind wiederum ver⸗ 
anlaßt durch die Vorſchrift des badiſchen Landrechtes (Satz 827d), daß 
der dem Vorteilserben anzurechnende kindliche Gutsanſchlag aus dem 
wahren laufenden Verkaufswert des Gutes (nämlich durch 
Abzug von 40 bezw. ½ von demſelben) berechnet werden ſoll, nicht 
aus dem Ertragswert; in demſelben Sinne verordnet das Edikt vom 
23. März 1808 in Ziffer 11, daß dieſer kindliche Anſchlag durch Schätzung 
des Waiſengerichts u. ſ. w. in der Weiſe beſtimmt werden ſolle, daß der 
landläufige Preis, den das Gut bei einem etwaigen Verkauf zur 
Teilungszeit hätte, unter ernſter Ermahnung der Schätzer zur richtigen 
und vollen Schätzung erhoben und davon ¼ bezw. ¼ als Erleichterung 
für den Gutsübernehmer abgezogen werden. 

Bei dieſen Beſtimmungen hat man ſich wohl von dem Gedanken 
leiten laſſen, daß der Wert eines Hofgutes gerade ſo hoch zu ſchätzen 
ſei, als man für dasſelbe erzielen könnte, wenn man es nach dem ge⸗ 
wöhnlichen Erbrecht „erbteilungshalber“ einer Verſteigerung! ausſetzen 
würde. 

Die Erfahrungen haben jedoch bewieſen, daß die Schätzungen der 
Hofgüter nach; den Verkaufswerten häufig zu jo hohen Gutswerten ge 
führt haben, daß der Gutsübernehmer dabei kaum mehr beſtehen kann. 

Der Fall einer zu hohen Schätzung wird z. B. häufig vorliegen, 
wenn man diejenigen Kaufpreiſe zur Vergleichung heranzieht, welche das 
Domänenärar oder eine Standesherrſchaft für zur Aufforſtung erworbene 
Hofgüter bezahlt hat; denn die in dieſen Fällen ſeitens des Käufers 


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gemachten Kaufgebote find nicht auf Grund des bäuerlich⸗landwirtſchaft⸗ 
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ſondern des öfters höheren forſtwirtſchaftlichen Reinertrages, wie 
er ſich bei rationeller Aufforſtung und Waldbewirtſchaftung ergibt, be⸗ 
rechnet und es iſt bei der Kapitaliſierung dieſes Ertrags ein ſo geringer 
Zinsfuß in Anſatz gebracht, wie ihn der Bauer nie berechnen kann, da 


er ſeine Kapitalien nie ſo billig geliehen bekäme. Noch unrichtiger iſt 


natürlich das Ergebnis einer Gutsſchätzung, wenn dabei die für einzelne 
kleinere Parzellen gezahlten Preiſe zur Vergleichung herangezogen werden. 


5 Will man deshalb der immer wachſenden Verſchuldung der Hof⸗ 


güter entgegenwirken, ſo muß man vor allem mit dem Syſtem der 
Schätzung derſelben nach den Verkaufswerten vollſtändig brechen 
und ſich auch hier von den Lehren des römiſchen Rechts grundſätzlich los⸗ 
reißen; wenn die Dienſtanweiſung für die Waiſenrichter vom Jahre 1889 
in § 35 vorſchreibt, daß die Abſchätzung der Hofgüter nach dem Rein⸗ 
ertrag erfolgen ſolle, inſoweit Käufe oder Verpachtungen, welche zur 
Vergleichung herangezogen werden können, nicht zur Verfügung ſtehen, 
ſo können wir dies nicht für genügend erachten; es ſollte unſeres Er⸗ 
achtens eine Schätzung der Hofgüter nach dem Verkaufswert überhaupt 
nicht mehr vorgeſchrieben werden. 

Die Grundſätze, nach welchen die Schätzung des Ertragswerts 
vorzunehmen wären, ſollten ferner geſetzlich feſtgelegt werden. 

Den Grundſteuerreinertrag zur Grundlage der Wertberechnungen 
u machen, wie dies z. B. in der weſtphäliſchen Landgüterordnung vom 

re 1882 geſchehen iſt, dürfte bei uns nicht angehen, da ja die 
badiſche Grundſteuerveranlagung nach den Verkaufswerten erfolgt iſt; 
ſelbſt wenn letzteres nicht der Fall wäre, würden wir jedoch nicht 
dazu raten, da ja die Grundſteuerveranlagung Jahrzehnte lang dieſelbe 
bleibt, während ſich der Ertragswert auch der Hofgüter mit den Zeit⸗ 
verhältniſſen erhöht und vermindert. 

Mit Recht geht deshalb die badiſche Vollzugsanweiſung für die 
Berechnung des Reinertrages von Bauerngütern vom 2. November 1889 
davon aus, daß bei jeder Schätzung des Ertragswerts eines Gutes zu⸗ 
erſt der Rohertrag und dann die Wirtſchaftskoſten feſtzuſtellen find, um 
hierauf durch Abzug der Letzteren von den Erſteren den Reinertrag zu 
berechnen. 

Die Kapitaliſierung des auf dieſe Weiſe gefundenen Reinertrags 
hätte dann mit einem nicht zu niederen Zinsfuß (unſeres Erachtens 
beſſer 5% als 4%) zu erfolgen. 

In dem ſo berechneten Kapital wäre der ganze Ertragswert des 
Hofes enthalten, nicht beſonders hinzuzurechnen wäre: 

a. der Wert der Gebäude, die zur Wohnung des Eigentümers, 
ſeiner Familie und Arbeiter ſowie zur Bewirtſchaftung des Hofes er⸗ 
forderlich ſind; nur wenn dieſe Gebäude in einer das gewöhnliche Be⸗ 
dürfnis überſchreitenden Weiſe hergeſtellt ſind, wäre ein beſonderer Zu⸗ 
ſchlag für dieſelben gerechtfertigt; i 

b. der Wert der Bäume und Holzungen mit Ausnahme der ſoge⸗ 
nannten überſtändigen; 


L. der Wert der Betriebs- und Hausgeräte, der geſäten und 
ernteten Früchte und ſonſtiger Zubehörden. e e 
ö Dagegen wäre in Abzug zu bringen, der Anſchlag aller Laſten, 
die auf dem Gute haften, wie Grunddienſtbarkeiten, Leibrenten, Altenteil 
Sobald einmal auch für Baden ein ländliches Hypothekenkredi 
inſtitut auf genoſſenſchaftlicher Grundlage errichtet ſein wird, wäre die 
Teilnahme des Vertrauensmannes dieſer Bank bei der Gutsſchätzung 
vorzuſchreiben. 
3. Wenn die Vorſchriften über die Gutsſchätzung auf dieſe Weiſe 
geſetzlich neu geregelt würden, würde es unſeres Erachtens genügen, 
das dem Anerben zu Gute kommende Voraus allgemein auf 10% (bis⸗ 
her 10 bezw. 12,5%) des für das Gut berechneten Ertragswerts fe 
zuſtellen; ja es würde ſich vielleicht empfehlen, zu Gunſten der Ge 
ſchwiſter des Gutsübernehmers zu beſtimmen, daß dieſes Voraus — 
ſofern der Erblaſſer nicht ausdrücklich eine andere Anordnung getroffen 
hat — nicht mehr als 40% des geſamten Liegenſchafts- und Fahrnis⸗ 
vermögens des Erblaſſers betragen ſolle, da ſonſt die Geſchwiſter bei 
ſtark verſchuldetem Beſitz allzu geringe Abfindungsbeträge erhielten. 8 
Eine große Wohlthat für den Gutsübernehmer wäre es, wenn die 
Beſtimmung getroffen würde, daß die Abfindungsgelder an die Ge 
ſchwiſter nicht ſchon mit der Erbteilung fällig werden ſollen, ſondern 
erſt nach Erreichung der Volljährigkeit (oder beſſer noch eines Lebens⸗ 
alters von 25 Jahren), und daß ſie auch dann nur bei den Anerben 
gekündigt werden dürfen, wenn die Geſchwiſter nachweiſen, daß ſie das 
Geld zu eigenem Geſchäfte brauchen, es alſo nicht blos anderweitig 
ausleihen wollen. 3 . f . 
Auf dieſe Weiſe wäre dem Gutsübernehmer die Möglichkeit ge⸗ 
geben, ſich ruhig und allmählich zur Zahlung der Abfindungsgelder 
vorzubereiten, jedenfalls aber wäre er gegen plötzliche unbegründete oder 
gar lediglich chikanöſe Kündigungen, welche ihn leicht in die Hand des 
Wucherers führen könnten, geſichert. 5 a 
Als Gegenleiſtung für die mancherlei ihm zugutekommenden Vor⸗ 
teile und insbeſondere für die — abweichend vom gemeinen Recht — 
hinausgeſchobene Zahlungspflicht der Abfindungsgelder wäre anderſeits 
dem Anerben eine Erziehungspflicht für feine Geſchwiſter aufzuerlegen; 
auch wäre es der Erwägung wert, ob man dem Anerben nicht über⸗ 
haupt zur Pflicht machen ſollte, ſeinen Geſchwiſtern im Falle der Unter⸗ 
ſtützungsbedürftigkeit Zuflucht und Unterkunft auf dem Hofe zu gewähren, 
wogegen dieſe nach Kräften auf dem Hofe mitzuarbeiten hätten; auf 
dieſe Weiſe wurde das Gut des „Stammhalters“ wieder zu einer wahren 
„Heimſtätte“ für die Familie, wie dies früher der Fall war, allerdings 
„eine Heimſtätte“ in anderem Sinne, als man ſonſt mit dieſem Ausdruck 
im Hinblick auf die amerikaniſche Schuldgeſetzgebung zu verſtehen pflegt. 
4. Die von uns vorgeſchlagenen Begünſtigungen des Anerben 
ſcheinen uns für ein Inteſtatanerbenrecht vollauf genügend zu ſein; 
ſie noch bedeutend weiter auszudehnen, wie manchmal verlangt wird, 
würden wir für einen groben volkswirtſchaftlichen Fehler halten. 
Die von der Gutsübernahme ausgeſchloſſenen Brüder des Anerben 


1 


lernen zum großen Teil ein Handwerk; würden nun die ihnen zu⸗ 
kommenden Abfindungsgelder gar ſo gering ausfallen, ſo wäre ihnen 
die Möglichkeit, ſich jemals in ihrem Gewerbe ſelbſtſtändig zu machen, 
ben; denn dazu gehört vor allem auch ein gewiſſes Kapital. 

Der Staat hat aber nicht allein ein Intereſſe an der Erhaltung 
eines kräftigen Bauernſtandes, ſondern auch an dem Beſtehen eines 
tüchtigen, gewerblichen Mittelſtandes. 

us dieſem Grunde muß auch der Vorſchlag, welcher allerdings 
den Wünſchen des Anerben wohl am meiſten entſpricht, nämlich daß die 
Geſchwiſter ſtatt mit Kapital mit immerwährenden, unkündbaren Renten 
abgefunden werden ſollen, als zuweitgehend zurückgewieſen werden; mit 
dem Recht auf eine unkündbare Rente könnte ſich eben keines der Ge⸗ 
ſchwiſter ein eigenes Gewerbe begründen. 

Eine zuweitgehende Herabſetzung der geſchwiſterlichen Abfindungs⸗ 
gelder liegt ferner nicht einmal im Intereſſe des Bauernſtandes ſelbſt; 
man muß ſich wohl hüten, den Anerben ſo gut zu ſtellen, daß er dem 
Kampf um's Daſein entrückt wird; denn dann entſtünde die Gefahr, 
daß mit dem Zwang zur Arbeit und der Sorge um die Zukunft auch 
die Freude an zielbewußter Thätigkeit und das Streben nach Fortſchritt 
verſchwindet, und daß ſich an Stelle eines Standes genügſamer, ſitten⸗ 
einfacher Bauern, ein Stand wohllebender „Grundbeſitzer“ herausbildet. 

Dem Erblaſſer allerdings ſollte die Freiheit gelaſſen werden, den 
Anerben noch weiter, als das Inteſtatanerbenrecht beſtimmt, zu bevor⸗ 
zugen und deshalb wäre für die Pflichtteilsberechnung vorzuſchreiben, 
daß das zu vererbende Hofgut hierbei mit dem nach Anerbenrecht 
feſtzuſtellenden Gutswert nach Abzug des 10% igen Vorzuges des An⸗ 
erben in Rechnung zu ſtellen ſei; wir find jedoch nicht im Zweifel, 
daß von dieſer Freiheit, den Anerben noch weiter zu begünſtigen, nur 
ſelten Gebrauch gemacht würde. 

5. Um die Schuldenlaft des Anerben bei der Gutsübernahme 
möglichſt zu mindern, hat man in neuerer Zeit öfter vorgeſchlagen, 
eine Zwangs⸗Lebensverſicherung auf das Ableben des Hofbeſitzers ein⸗ 
zuführen, damit dann beim Tode desſelben ein Teil der Abfindungs⸗ 
gelder aus der Verſicherungsſumme gezahlt werden könnte. 

Wir können uns jedoch dieſem Vorſchlag nicht anſchließen, da 
wir der Anſicht ſind, daß der Bauernſtand ohnedies ſchon mit Ver⸗ 
ſicherungsbeiträgen zu den verſchiedenen neuen Verſicherungseinrichtungen 
ſehr ſtark belaſtet iſt; auch ſcheint es uus ſehr ſchwierig, die Prämien 
je nach dem Alter und der Geſundheit der zu verſichernden Hofbeſitzer 
abzuſtufen; eher würden wir noch die zwangsweiſe Einführung von 
Ausſteuerverſicherungen für die bei der Gutsübernahme ausgeſchloſſenen 
Kinder für möglich halten. 

6. Einer Abänderung dringend bedürftig erſcheint uns die zur 
Zeit noch geltende Beſtimmung in Ziffer 7 des mehrerwähnten Ediktes 
von 1808, wonach als allgemeine Regel gelten ſoll, daß die Vorteils⸗ 
gerechtigkeit dem jüngſten Sohn oder, wo keine Söhne vorhanden ſind, 
der älteſten Tochter zu Gute kommen ſolle. 

Zwar iſt es ein Vorteil dieſes Minoratsrechtes, daß die Eltern 


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ihr Gut in der Regel exit in höherem Lebensalter zu übergeben brauchen, 
als wenn der älteſte Sohn den Anſpruch darauf hätte, und aus dieſem 
Grunde iſt das beſtehende Recht unter den Hofbauern ſelbſt ganz beliebt 
Vergegenwärtigt man ſich aber, mit welchen Nachteilen das Minorat 
verbunden iſt, ſo ſollte man trotzdem nicht zögern, es durch das Majorat 
zu erſetzen. 8 8 
a Oefters ift der jüngſte Sohn bei dem Tode des Vaters noch jo jung, 
daß eine Vormundſchaft für denſelben eintreten muß, was für das Gut 
gewiß nicht von Vorteil iſt; in anderen Fällen braucht zwar eine ſolche 
Vormundſchaft nicht beſtellt zu werden, der künftige Hofbauer iſt jedoch 
immerhin erſt in einem Lebensalter, wo er noch keine Gelegenheit ge⸗ 
habt hat, ſich in der Welt ordentlich umzuſehen und etwas tüchtiges 


zu lernen; als Jüngſter hat er ferner gegenüber den Geſchwiſtern natür⸗ 


lich lange nicht die Autorität als etwa der Aelteſte, auf deſſen Erziehung > 
ja auch häufig mehr Sorgfalt und größere Koſten verwendet werden. 


Sofort nach der Gutsübernahme heiratet nun der junge Hofbeſitzer 


und je mehr Kinder ihm dann geboren werden, deſto länger darf er 
auf dem Hofe bleiben! . ; 
Würde der Aelteſte in den Beſitz des Hofes gelangen, jo wäre er 
jedenfalls bei der Gutsübernahme ſchon älter und erfahrener und ſeine 
Verheiratung würde dann auch wieder in reiferem Lebensalter ſtattfinden. 
Wenn jetzt in Baden in den Gegenden des geſchloſſenen Hofbeſitzes 


die Landwirtſchaft in vieler Beziehung gegen andere Landesteile jo be 2 


deutend zurück iſt, jo hängt dies unſeres Erachtens auch mit den ge 
ſchilderten Nachteilen des Minorates zuſammen und es würde alſo mit 

der Beſeitigung desſelben ein Hemmſchuh des Fortſchrittes wegfallen. 
N Nicht unerwähnt möchten wir noch den nicht ſo ganz ſeltenen Fall 


laſſen, daß ein Beſitzer zugleich mehrere Hofgüter hinterläßt, für dieſen 


Fall ſollte das Anerbenrecht die Vorſchrift enthalten, daß die beiden 


Höfe getrennt von einander an die beiden älteſten Kinder zu vererben = 


wären. 

7. Die Bevorzugungen, welche dem Gutsübernehmer nach Anerben⸗ 
recht zu Teil werden ſollen, haben natürlich nur den einen Zweck, dem 
Hofbauernſtand die ſichere Exiſtenz auf ſeinen Gütern ſelbſt bei gewöhn⸗ 
licher Wirtſchaftsweiſe zu ermöglichen; ganz gegen die Abſicht des An⸗ 
erbenrechtes aber wäre es, wenn ein Anerbe die ihm als Vertreter der 
Familie, als Stammhalter, nicht ſeiner Perſon wegen zugeſtandenen 
Vergünſtigungen durch Verkauf des Gutes zu Geld machen würde. 

Um ſolches möglichſt zu verhüten und alſo auf Erhaltung des 
Gutes in ein und derſelben Familie hinzuwirken, erſcheint es uns not⸗ 


wendig, auch hier mit der Auffaſſung des gemeinen römiſchen Rechtes, 3 


welches dem Hofbeſitzer ein ausſchließliches und nahezu unbeſchränktes 
Individualeigenthum an ſeinem Hof verleiht, zu brechen und die dem 
deutſchen Volksbewußtſein entſprechende Anſchauung wieder zur Geltung 
zu bringen, daß der einzelne Hofbeſitzer über ſein Gut nicht vollſtändig 
ke verfügen darf, ſondern daß es gewiſſermaßen der ganzen Familie 
gehört. f 

In dieſem Sinne möchten wir vorſchlagen, einmal den Kindern 


1 


des Hofbeſitzers und der Frau desſelben ein Einſpruchsrecht gegen Ver⸗ 
käufe und Verpfändungen des Gutes zu gewähren und zweitens für 
den Fall der Nichtausübung dieſes Einſpruchsrechtes den Geſchwiſtern 
des Hofbeſitzers ein Vorkaufsrecht auf den Hof in der Art, daß immer 
der älteſte Sohn — oder beim Fehlen von Söhnen die älteſte Tochter — 
loſungsberechtigt wäre, von dieſem Rechte aber zu Gunſten des Nächſt⸗ 
berechtigten zurücktreten müßte, wenn es ſelbſt oder deſſen Ehegatte 
ſchon im Beſitze eines Hofgutes wäre. - 

Der Betrag, zu welchem dieſes Vorkaufsrecht ausgeübt werden 
könnte, wäre jeweils auf Grund einer neuen Ertragswertberechnung 
feſtzuſtellen, ſo daß der verkaufsluſtige bisherige Hofbeſitzer hierbei für 
etwaige ſeit der Gutsübernahme bewirkte, den Ertrag erhöhende Guts⸗ 
verbeſſerungen entſchädigt würde. 

8. Nachdem wir ſo die Hauptgeſichtspunkte beſprochen haben, welche 
unſeres Erachtens bei Neukodifizierung des Anerbenrechtes zu beachten 


wären, erübrigt noch der Frage näher zu treten, ob das ja für die e 


meiſten Bauerngüter in Geltung bleibende gemeine Erbrecht nicht den 
Intereſſen der landwirtſchaftlichen Bevölkerung mehr als bisher ange⸗ 


paßt werden könnte, event. ob es ſich nicht empfehlen dürfte, Beſtimmungen 


aus dem Anerbenrecht in dasſelbe herüberzunehmen. Wir möchten letztere 
Frage bejahen und unſere Vorſchläge mit folgendem begründen: 

a. Nach L.⸗R.⸗S. 827 (neue Faſſung nach Geſetz vom 26. April 1886) 
ſollen alle Nachlaßliegenſchaften, die ſich füglich nicht teilen laſſen, be⸗ 
hufs Verteilung des Erlöſes gerichtlich verſteigert werden; die Parteien 
können jedoch — bei Beteiligung von Minderjährigen, Mundloſen oder 
Abweſenden unter Zuſtimmung des Familienrats bezw. Amtsgerichts — 
verabreden, daß die Verſteigerung außergerichtlich vorgenommen, oder 
daß die Liegenſchaften aus freier Hand verkauft werden. Dieſe Vor⸗ 
ſchrift bedeutet zweifellos einen weſentlichen Fortſchritt gegen die bis 
zum Jahre 1886 giltig geweſene, dem Code Napoleon entſprechende 


Faſſung desſelben Artikels, wonach eine Verſteigerung der unteilbaren 


Liegenſchaften ſelbſt dann ſtattfinden ſollte, wenn ſämtliche Erben gerne 
davon abgeſehen hätten. Aber auch jetzt noch iſt es nur dann zuläſſig, 
die Verſteigerung zu unterlaſſen, wenn alle Erben damit einverſtanden 
ſind; ein einzelner derſelben kann alſo auch jetzt noch alle übrigen zur 
Verſteigerung der betr. unteilbaren Liegenſchaft zwingen. 


Sicherlich widerſpricht es aber doch dem geſunden Menſchenverſtand, 

wenn etwa das väterliche Haus ſamt Oekonomiegebäude unter den 
Hammer gebracht und ſo der Familie entzogen werden ſoll, weil nur 
einer der Erben es vielleicht ſeinem Bruder, mit dem er verfeindet iſt, 
nicht gönnt, daß dieſer das Haus zu einem mäßigen Anſchlag be⸗ 
kommen ſoll. 
Es ſcheint uns deshalb den Intereſſen der Landwirtſchaft zu ent⸗ 
ſprechen, wenn man von dem urſprünglichen Wortlaut des Satzes 827 
noch weiter abgeht und den Verſteigerungszwang nur noch für den Fall 
beſtehen läßt, daß keiner der Erben die unteilbare Liegenſchaft auf Grund 
eines gerichtlich feſtzuſtellenden Anſchlages übernehmen will. 


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Unter mehreren Erben wäre dabei jeweils dem älteſten Sohn 
bezw. beim Fehlen von Söhnen der älteſten Tochter den Vorzug zu geben. 


Ein ſolches Recht könnte man nach der Hauptart der unteilbaren 
Liegenſchaften gewiſſermaßen als „Gebäudeanerbenrecht“ bezeichnen. 


Auch Staatsrat Buchenberger ſpricht ſich für ein ſolches Gebäude⸗ 
anerbenrecht aus, deſſen Einführung für Baden in Ausſicht genommen 
ſei (vergl. deſſen „Agrarpolitik“, Band I, S. 510,511). 

b. Eine weitere Frage iſt die, ob die Schätzung der Nachlaßliegen⸗ 
ſchaften, auch ſofern ſie nicht dem Anerbenrecht, ſondern dem gemeinen 
Erbrecht unterliegen, künftig nach Ertragswert oder wie bisher nach 
Verkehrswert vorgenommen werden ſollte. : 


Eine Schätzung rein nach Verkehrswert mag für Handelswaren, 
die dazu beſtimmt ſind weiter veräußert zu werden, am Platze ſein; 
für die zu einem Nachlaß gehörigen bäuerlichen Liegenſchaften paßt 
jedoch eine derartige Schätzung banz und gar nicht; Liegenſchaften find 
eben keine Handelswaren und ganz verkehrt wäre es, wollte man bei 
Erlaſſung der Rechtsvorſchriften über die bäuerlichen Erbſchaftsaus⸗ 
einanderſetzungen von der Vorausſetzung ausgehen, als ob jeder mit⸗ 
erbende Bauer die ihm zugeteilten Grundſtücke möglichſt bald und teuer 
weiter veräußern wollte; im Gegenteil, nicht in der Verkaufsmöglichkeit 
beruht für den richtigen Bauer der Wert ſeiner Gründſtücke, ſondern 
in deren Ertragsfähigkeit. 

Es wäre deshalb ſehr zu wünſchen, daß dieſe Ertragsfähigkeit, 
abgeſehen von dem bei der Kapitaliſierung des Reinertrags zu be⸗ 
rechnenden Zinsfuß, den einzigen Maßſtab für die im ländlichen 
Güterverkehr gezahlten Preiſe bilden würde; in Wirklichkeit iſt dies 
aber nicht der Fall und insbeſondere nicht in Gegenden, wo im 
Verhältnis zu dem verfügbaren Land eine gewiſſe Uebervölkerung be⸗ 
ſteht, ſo daß jeder Landwirt zur Ausnutzung ſeiner Arbeitskraft auf 
eine Vergrößerung ſeines verhältnismäßig kleinen Gutes bedacht iſt, und 
dann oft Preiſe für einzelne Parzellen bezahlt werden, welche ſelbſt das 
Mehrfache des wirklichen, dem Ertrag entſprechenden Wertes erreichen; 
auch rechnet ja bekanntlich der Landwirt bei ſeinen wirtſchaftlichen 
Entſchließungen nicht wie ein Kaufmann, ſondern er läßt ſich dabei 
mehr von einem gewiſſen unbeſtimmten Gefühl leiten, und ſo kommt 
es, daß die Güterpreiſe, vor allem die von kleinen Parzellen, auch von 
ſubjektiven Momenten ſtark beeinflußt werden, und daß ſie z. B. nach 
einigen guten Ernten, indem man ſolche nun auch für ſpäter erwartet, 
weit über das berechtigte Maß hinausſteigen. 

Aus alledem geht hervor, daß die Verkaufspreiſe auch für das 
Gebiet des gemeinen Rechtes nicht die richtige Grundlage für Schätzungen 
von Nachlaßliegenſchaften bilden können, ſondern ſich hierbei oft viel 
zu hohe Schätzungswerte angeben müſſen; es iſt deshalb den Worten 
des Herrn Staatsrats Buchenberger in Band J ſeiner „Agrarpolitik“ S. 510 
vollſtändig beizuſtimmen: 

„Die grundſätzliche Annahme des Ertragswertsprinzips für alle 
unter Mitwirkung der Staatsbehörde erfolgenden Nachlaßauseinander⸗ 


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5 ſetun darf als einer der wichtigſten Reformpunkte gerade auch bei 
* * des gemeinen Erbrechtes mit Recht bezeichnet werden.“ 


6 


* 
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* ; 


— 17 — 


Inſofern allerdings muß ſich im Gebiete des gemeinen Rechtes die 

der Nachlaßliegenſchaften von der Schätzung eines Hofgutes 

ud Anerbenrecht unterſcheiden, als bei den gemeinrechtlichen Schätzungen 
g für die Wohn⸗ und Betriebsgebäude ein beſonderer Anſchlag zu 


8 — da dieſe Gebäude ja durch die Erbſchaftsteilung von dem 


mit den einzelnen Grundſtücken losgetrennt werden. 

ec. Für reformbedürftig halten wir ferner die Beſtimmung des badiſchen 
Landrechts (Satz 832 in der Faſſung des Geſetzes vom 26. April 1886), 
wonach jedem Miterben womöglich gleichviel an Liegenſchaften und 
Fahrniſſen zugewieſen werden ſoll, und hiervon nur abgegangen werden 
darf, wenn keiner der Beteiligten Widerſpruch dagegen erhebt. 

Wozu denn aber auch ſolchen Hinterbliebenen Liegenſchaften zuteilen, 
welche gar nicht in der Lage ſind, dieſelben ſelbſt zu bewirtſchaften, ſei 
es daß ſie ſich in einem andern Orte als Landwirte niedergelaſſen haben, 
ſei es daß ſie ein ſtädtiſches Gewerbe betreiben, ſei es daß ſie die Be⸗ 
amtenlaufbahn ergriffen haben? ; 

Der Geiſt der Zeit geht im allgemeinen dahin, den Zwiſchenhandel 
möglichſt einzuſchränken und zwar insbeſondere in jenen Verkehrsgebieten, 
wo die Möglichkeit beſteht, daß er in eine Uebervorteilung und Be⸗ 
wucherung der weniger erfahrenen Volksklaſſen ausartet; forſchen wir 
aber nach den Urſachen des Güterhandels auf dem Lande, ſo kann es 
uns nicht entgehen, daß eine derſelben darin zu finden iſt, daß bei den 
Erbſchaftsauseinanderſetzungen im Gebiete des gemeinen Erbrechtes auch 
un Erben in den Beſitz von Grundſtücken gelangen, welche die⸗ 
ſelben unmöglich ſelbſt bewirtſchaften können und ſie deshalb wider beſt⸗ 
möglich verkaufen wollen. 

Unſer Vorſchlag geht deshalb dahin, daß man bei allen Erbſchafts⸗ 
auseinanderſetzungen künftig nur denjenigen Erben einen Anteil an den 
Nachlaßliegenſchaften zuweiſen ſollte, welche in der Lage ſind, ſie auch 
ſelbſt zu bewirtſchaften, daß dagegen alle diejenigen Erben, bei welchen 
dies nicht der Fall iſt, lediglich Gleichſtellungsgelder erhalten ſollten. 

Durch eine ſolche Geſetzesbeſtimmung würde der Grundſtücksverkehr 
nicht unbeträchtlich eingeſchränkt und ſo auch dem Güterwucher ein Teil 
ſeiner Grundlage entzogen. 


2. Rentenſchuld und Erbpacht. 


Es iſt ein großes Verdienſt von Rodbertus⸗Jagetzow, zu einer Zeit, 
wo alle Welt noch vollſtändig in den römiſch-rechtlichen Anſchauungen 
befangen war, mit allem Nachdruck immer wieder darauf hingewieſen 
zu haben, daß der Grund und Boden eines ganz anderen Rechtes des 
Eigentumsübergangs, der Vererbung und des Schuldenweſens bedarf, 
als das bewegliche Kapital. 5 . 

Im Gegenſatz zu dem Letzteren ſei der Grund und Boden vor⸗ 
nehmlich als ein immerwährender Rentenfond anzuſehen; der⸗ 
ſelbe werfe ſeinem Befitzer nur eine ſtändige jährliche Rente ab, keinen⸗ 
falls aber ſei der Grundeigentümer in der Lage, durch ſeinen Wirt⸗ 
ſchaftsbetrieb jederzeit Kapitalien aus ſeinen Liegenſchaften herauszuziehen, 
wie dies der Gewerbetreibende und insbeſondere der Händler durch Ein⸗ 
ſchränkung ſeines Geſchäftsbetriebes thun könne. ’ 

Daraus folge, daß das bisherige Verſchuldungsſyſtem, wonach der 
Grundbeſitz, ſei es bei der Veräußerung, ſei es bei der Vererbung, 
ſei es zum Zweck von Bauten und Meliorationen mit kündbaren 
Kapitalſchulden belaſtet werde, dem beſonderen Weſen des Grund 
und Bodens nicht entſpreche, und daß dringend zu wünſchen ſei, daß dieſe 
Kapitalſchulden — entſprechend der Eigenſchaft des Grund und Bodens 
als immerwährender Rentenfond — mit der Zeit in unkündbare Ren⸗ 
tenſchulden umgewandelt würden; Letzteres ſei zugleich das einzige 
Mittel, den Grundbeſitzer von den Schwankungen des Zinsfußes un 
abhängig zu machen. 5 PER 

Dies ift unter Weglaſſung alles minder Wichtigen der hier in 
Betracht kommende hauptſächliche Kern der Rodbertus'ſchen Rententheorie. 

Es iſt nicht zu verkennen, daß dieſe Theorie nach und nach eine 
neue Betrachtungsweiſe des ganzen Agrarrechtes und insbeſondere des 
landwirtſchaftlichen Schuldrechtes angebahnt hat; von keiner Seite 
wird jetzt mehr beſtritten, daß man ſ. Zt. bei der Ablöſungsgeſetzgebung 
zu weit gegangen iſt, als man auch die ewigen Renten und Gülten be 
ſeitigte und deren Neubeſtellung für die Zukunft verbot, aus Furcht, 
es könnten ſich aus ſolchen Rentenpflichten mit der Zeit wieder neue 
Erbunterthänigkeiten entwickeln. Eu 

Aber andererſeits muß auch zugegeben werden, daß der größte Tel 
der Vorwürfe, welche Rodbertus gegen die Kapital verſchuldung erhebt, 
hinfällig wird, wenn die Kapitalſchulden ſeitens des Gläubigers nicht 


kündbar find, wenn alſo der Gläubiger beim Steigen des Zinsfußes 
ſeine Zinsforderung an den Schuldner nicht erhöhen kann; die ſo ſehr 
weitgehenden Hoffnungen, welche man häufig an die Wiedereinführung 
der unablösbaren Renten ſchuld geknüpft hat, können wir deshalb 
nicht teilen. 

Wenn ein Landwirt jährlich einen beſtimmten Betrag als Zins einer 
ſeitens des Gläubigers unkündbaren Kapital ſchuld zu zahlen hat, 
iſt er keineswegs ſchlechter geſtellt, als wenn er ebenſoviel als jährliche 
Rentenſchuld zu entrichten hätte; im Gegenteil er hat ſogar in erſterem 
Falle den Vorteil, daß er beim Sinken des Zinsfußes ſeine Kapital- 
ſchuld in eine geringer verzinsliche umwandeln kann, obwohl er gegen 
ein Steigen des Zinsfußes gerade ſo gut geſichert iſt wie ein Renten⸗ 
ſchuldner. 

Auch eine Rentenſchuld muß aber zu Kapital veranſchlagt werden, 
ſobald ein Verkauf des betr. Gutes ſtattfinden ſoll; denn die Berechnung 
des laufenden Wertes einer derartigen Rentenlaſt und damit des der 
Veräußerung unterliegenden unbelaſteten Wertteiles des Gutes kann 
eben auf keine andere Weiſe ſtattfinden, als durch Kapitaliſierung des 
Jahresbetrags der Laſt mit dem zur Zeit giltigen Zinsfuß; und 
ebenſo muß eine ſolche Kapitalwertberechnung ſtattfinden, wenn das 
Gut im Erbwege ſeinen Beſitzer wechſelt, oder wenn zu der be⸗ 
ſtehenden Rentenſchuld noch aus irgend einem Grunde ein weiterer Be⸗ 
trag auf das Gut geliehen werden ſoll; denn in dieſem letzteren Falle 
fragt es ſich eben, ob der Ertrags⸗ und Verkaufswert des Gutes ge⸗ 
nügende Sicherheit bietet für den Wert der bisherigen Rentenſchuld 
und der neu aufzunehmenden Renten- oder Kapitalſchuld. 

So wenig wir hiernach die allzu weitgehenden Hoffnungen auf 
das Syſtem der ſeitens des Gläubigers unkündbaren dinglichen Renten⸗ 
ſchulden (Rentenhypotheken) teilen können, ſo können wir doch auch 
andererſeits keinen Grund einſehen, warum dasſelbe volkswirtſchaftlich 
ſchädlich wirken könnte; wir glauben deshalb wohl befürworten zu kön⸗ 
nen, daß die Rentenſchuld wieder als gleichberechtigte Form neben die 
Kapitalſchuld geſtellt und ſo Jedermann die freie Wahl zwiſchen dieſen 
beiden Verſchuldungsformen gelaſſen werde. 

In Preußen iſt man mit der Wiedereinführung der Rentenſchuld 
bekanntlich durch die beiden Geſetze vom Jahre 1890 und 1891 über 
die Bildung von Rentengütern vorangegangen; das Ziel, das man mit 
dieſen Geſetzen verfolgt, iſt hauptſächlich das, mit Hilfe ſolcher Renten⸗ 
güter in den Gegenden des Großgrundbeſitzes, alſo hauptſächlich den 
öſtlichen Provinzen, neue Bauernkolonien zu ſchaffen, und daraus erklärt 
ſich auch manche Beſtimmung der beiden Geſetze, welche für unſere 
badiſchen Verhältniſſe, wo die Agrarpolitik ganz andere Aufgaben zu 
erfüllen hat, weniger geeignet erſcheinen. 

Der Code civil und das Badiſche Landrecht unterſcheidet bekannt⸗ 
lich zwiſchen Erbrenten, welche bei Grundſtücksveräußerungen vorbehalten 
wurden (Satz 530) und Erbrenten, welche gegen Hingabe eines Kapi⸗ 
tales beſtellt wurden (Satz 1909 f.); die letztere Art von Erbrenten ſtellt 
aber eigentlich nur eine ſeitens des Gläubigers unkündbare Kapitalſchuld 


2+ 


dar; denn eine „Ablöſung“ derſelben ift nur gegen Rückgabe 
a ak Kapitales vorgeſehen, während bei einer wirklichen Ren: 
ſchuld der Kapitalwert nach den Zinsverhältniſſen fteigt oder fällt. 
Faüuülr wichtiger als das Inſtitut der Rentengüter halten wir 
5 195 F Verhältniſſe das hiervon nur wenig verſchiedene 
Erbpacht. 3 
Während der Rentenpflichtige beim Rentengut zugleich Eigentüme 
des Gutes iſt und dem Rentenberechtigten nur ein durch Grundb 
eintrag geſichertes Rentenbezugsrecht zuſteht, verbleibt das Gut bei der 
Erbpacht im Eigentum des Erbzinsberechtigten, und der Erbpächter hat 
nur ein, allerdings wenig beſchränktes, vererbliches Nutzungsrecht an 
demſelben. 8 1 

Die badiſchen Beſtimmungen (L. -R. S. 1831 be folg., 544 e, 577 
folg.) über die Erbpacht ſind vollſtändig veraltet und für das wirkliche Leb 
ſo gut wie unbrauchbar; eine Vereinfachung und Erneuerung derſelben 
modernem Geiſt erſcheint uns aber dringend wünſchenswert; denn der Erb⸗ 
pacht fällt unſeres Erachtens die Aufgabe zu, in Gegenden, wo jetzt die 
Verpachtung des Grundbeſitzes ſei es in Parzellen ſei es in einzelnen Gütern 
vorherrſcht, einen allmählichen Uebergang des Grund und Bodens in das 
Eigentum der jetzigen Pächter bezw. deren Kinder und Kindeskinder zu 
vermitteln, und insbeſondere für den Staat und die andern ewigen Ver⸗ 

waltungen wäre ein modern ausgeſtaltetes Erbpachtrecht häufig die zur 
Zeit volkswirtſchaftlich richtigſte Form der Bewirtſchaftung des nicht 
Selbſtadminiſtration befindlichen landwirtſchaftlichen Beſitzes. 

Die Vererbpachtung läßt ſich ferner mit dem Zweck des Fideikommiß⸗ 
rechtes — Feſtlegung einer ländlichen Ertragsquelle zur Erhaltung eines 
adeligen Familiengeſchlechtes — wohl vereinigen und es wäre deshalb 
ſehr zu wünſchen, daß den Fideikommißbeſitzern durch Neugeſtaltung des 

Erbpachtrechtes die Möglichkeit gegeben werde, ihre Güter ganz oder 
teilweiſe in Parzellen oder größeren Stücken zu vererbpachten; dern 
Vorteil für ſie beſtünde dabei darin, daß ſie ſich der meiſten Mühen 5 

der Gutsverwaltung entſchlagen und hierbei doch die finanzielle 

Sicherſtellung ihrer Familie und damit den Zweck des Fideikommißrechtes 
keineswegs in Frage ſtellen würden, während das Allgemeinwohl anderer⸗ 
ſeits durch die Gründung neuer Bauernſtellen gefördert würde. 5 


3. Zwangsvollſtreckungs⸗ und Verſchuldungsrecht. 


Für den Handelsſtand paßt ein ſchnelles, ſtrenges Vollſtreckungs⸗ 
recht; denn der Kaufmann erhält im Verkaufspreis ſeiner Waren jeweils 
das zum Ankauf derſelben verwendete Kapital wieder zurück und er 
kann ſeinen Geſchäftsbetrieb deshalb ſo einrichten, daß er auf eine be⸗ 
ſtimmte Zeit die Zahlung einer Schuld feſt verſprechen kann; aus 
dieſem Grunde iſt auch eine ſchnelle Exekution gegen denſelben, falls 
er ſeinen Verpflichtungen nicht nachkommt, wohl gerechtfertigt; ſein 
Vermögen beſteht zudem großenteils in Handelsartikeln, welche ohne⸗ 
dies zur Weiterveräußerung beſtimmt find, und dieſe könnten auch von 
einem böswilligen Schuldner leicht bei Seite geſchafft und ſo dem Zu⸗ 
griff der Gläubiger entzogen werden. 

Ganz anders iſt dagegen die Lage des Grundbeſitzers; dieſer erzielt 
von ſeinem Grund und Boden — wie ſchon erwähnt — lediglich eine 
jährliche Rente; zu keiner Zeit des Jahres kommt derſelbe aber in 
den Beſitz des Kapitales, welches ſein Grund und Boden wert 
iſt; ja es iſt ihm ſogar unmöglich, ſein Vermögen ganz oder teil⸗ 
weiſe auf das Andrängen ſeiner Gläubiger ſofort flüſſig zu machen. 
Selbſt auf den Ertrag der Ernte kann er ſich nicht ſicher verlaſſen; denn 
die Ernte iſt nach Quantität und Qualität von der Witterung abhängig 
und ebenſo ihr Wert von der Konjunktur des Weltmarktes; weder Witte⸗ 
rung noch Weltmarktskonjunktur kann er aber beeinfluſſen, noch nur voraus⸗ 
berechnen. Dafür braucht aber andererſeits der Gläubiger des Grundbeſitzers 
weniger zu befürchten, daß dieſer ſein Vermögen in böswilliger Weiſe 
bei Seite ſchaffen und dem Zugriff entziehen werde; denn es iſt ja 
großemeils unbeweglich und der Gläubiger in der Regel durch Pfand⸗ 
einträge für alle Fälle geſichert. 

Aus alledem geht vorerſt ſoviel hervor, daß ein ſtrenges, ſchnel⸗ 
les Vollſtreckungsrecht, wie es den Bedürfniſſen des Handels⸗ 


ſtandes entſpricht, für den Grundbeſitz nicht paßt, ſondern im Gegeteil 


ſeinen Intereſſen vollſtändig widerſpricht. 

Es iſt bekannt, daß ſich gewiſſenloſe Geldverleiher häufig gerade 
die für ihre bäuerlichen Schuldner ungünſtigſte Jahreszeit zur Einleitung 
der Zwangsbetreibung ausſuchen, um dann mit Hilfe unſerer „ſchnell 
arbeitenden Juſtiz“ die Schlinge zuzuziehen und die Güter der Schuld⸗ 
ner um billigen Preis für neue Geſchäfte an ſich zu bringen. 


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Wie ſoll nun aber das Vollſtreckungsrecht zur Verhütung derartiger 
Ausbeutungen einer oft nur vorübergehenden Notlage des Schuldners 
und überhaupt zur beſſeren Sicherung des Grundbeſitzes in den Händen 
der jeweiligen Inhaber geſtaltet werden? . 
1. In dieſer Richtung ſcheint uns vor allem der Vorſchlag be⸗ 
merkenswert, daß man dem Gläubiger an Stelle des Rechts auf den 
ach Zwangsverkauf der ſchuldneriſchen Güter künftig nur ein Recht auf 
Zwangsverwaltung derſelben gewähren ſolle; den Zuſatz möchten wir 
allerdings gleich machen: vorausgeſetzt, daß zu erwarten iſt, der Schuldnern 
werde fi dadurch in nicht zu ferner Zeit in ſeinen wirtſchaftlichen 
Verhältniſſen wieder erholen. | = 
Denn für ganz verfehlt würden wir es halten, wenn man Land⸗ i 
wirte, welche offenkundig abgewirtſchaftet haben und aller Vorausſicht 
nach zur Abtragung ihrer Schulden nie im Stande ſein werden, fünfte 
lich im nominellen Beſitz ihrer Güter erhalten wollte; fie würden ih 
als lebenslängliche Untergebene ihrer Gläubiger doch nie zufrieden fühlen, 
keineswegs aber könnte man ſie einem unabhängigen, vorwärtsſtrebenden 
Bauernſtand zuzählen, welcher die feſteſte Stütze des Staatskörpers bir 
fen SL auf welchen deshalb die Hauptſorge jeder Agrarpolitik gerichtet 
ein ſoll. 5 4 
Ein Recht, wonach auch der ſchlechteſte Wirt unantaſtbar auf dem 
Gute bleibe, würde ferner — wie Lorenz von Stein ſich ausdrückt - 
wie eine Prämie auf den Stillſtand in der Landwirtſchaft, ja auf Une 
ordnung, Unzuverläſſigkeit und Faulheit des Bauern wirken. 
„Nur jenes wirtſchaftliche Gut, welches bei Vernachläſſigung ver⸗ 
loren geht, wird mit Liebe und Fleiß gepflegt, mit Sorgſamkeit und 
Hingebung behütet“ (Ratzinger, Erhaltung des Bauernſtandes S. 41). 
Am leichteſten wäre das Syſtem der Zwangsverwaltung bei dem 
Großgrundbeſitz durchzuführen, welcher ja die Bewirtſchaftung jener 
Güter bei uns in der Regel doch durch Pächter oder Verwalter beſor⸗ 
gen läßt; für ein Bauerngut wird dagegen eine Zwangsverwaltung nur 
viel ſeltener am Platze ſein; denn, wenn man einem Bauer, der ſeinen 
Verpflichtungen nicht nachkommen kann, noch einen Verwalter zur Seite 
ſetzt, ſo wird ja auch deſſen Unterhalt noch aus dem Gut beſtritten wer⸗ 
den müſſen, und die Lage des Schuldners wird ſich deshalb in der 
Regel nur noch ſchwieriger geſtalten als vorher; immerhin iſt aber 
doch ein oder der andere Fall möglich, wo ein Bauer, der z. B. durch 
jugendlichen Leichtſinn oder Unerfahrenheit oder Unglücksfälle in Zahlungs⸗ 
ſchwierigkeiten geraten iſt, dadurch auf ſeinem Beſitzthum erhalten wer⸗ 
den könnte, daß man ſeine Grundſtücke alle oder nur zum Teil zwangs⸗ 
weiſe in Pacht giebt und von einem Zwangs verkauf derſelben 
vorerſt abſieht. a 
Es ſcheint uns deshalb wohl empfehlenswert, dem Gerichte die Be⸗ 
fugnis zu geben, in geeigneten Fällen an Stelle des Zwangsverkaufs 
vorläufig nur die Zwangsverwaltung anzuordnen; wir wiederholen aber, 
daß dies nur dann geſchehen ſollte, wenn eine Beſſerung der Lage des 
Schuldners während der kurzen Zeit der Zwangsverwaltung mit ziem⸗ 
licher Wahrſcheinlichkeit erwartet werden kann. 


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2. Noch eine weitere Ermächtigung an die Gerichte möchten wir 
zur Milderung des Vollſtreckungsrechts vorſchlagen. 

Der Code Napoleon und das badiſche Landrecht gewährten ur⸗ 
ſprünglich in Satz 1244 Abſ. 2 dem Richter das Recht, mit Rückſicht 
auf die Lage des Schuldners mäßige Zahlungsfriſten zu bewilligen und 
unter Fürſorge für Erhaltung des bisherigen Standes der Sache das 
gerichtliche Verfahren eine Zeit lang einzuſtellen. 

Dieſe Vorſchrift wurde jedoch durch § 14 Ziffer 4 des Reichsein⸗ 
führungsgeſetzes zur C.⸗P.⸗O. aufgehoben; denn darnach treten insbeſon⸗ 
dere außer Kraft: die Vorſchriften über Bewilligung von Moratorien, 
über die Urteilsfriſten und über die Befugniſſe des Gerichtes, dem 
Schuldner bei der Verurteilung Zahlungsfriſten zu gewähren. 

Die jetzt geltende Reichszivilprozeßordnung geht — im Gegenſatz 
zu der früheren Badiſchen Prozeßordnung — in ihrer Strenge ſo weit, 
daß bereits zu gleicher Zeit mit der Zuſtellung eines rechtskräftig ge⸗ 
wordenen oder für vorläufig vollſtreckbar erklärten Urteiles Fahrniß⸗ 
pfändung beim Schuldner erfolgen kann. N 

Für die Durchführung der Zwangsvollſtreckung in das liegenſchaftliche 
Vermögen hat das badiſche Einführungsgeſetz zu den Reichsjuſtizgeſetzen 
gleichfalls nur kurze Friſten feſtgeſetzt: der Vollſtreckungsbeamte ſoll nach 
Empfang des Auszuges aus dem Grund⸗ und Pfandbuch, welcher ihm 
innerhalb 15 Tagen nach der richterlichen Verſteigerungsverfügung vor⸗ 
zulegen iſt, ſofort die Schätzung der Güter veranlaſſen und nach Ein⸗ 
kunft der Schätzungsurkunde den Tag der erſten Verſteigerung ſo beſtim⸗ 
men, daß die Zwiſchenzeit vom Tage der Beſtimmung an bis zum 
Verſteigerungstag nicht unter einem und nicht über zwei Monate beträgt. 
Nur mit richterlicher Genehmigung kann der erſte Verſteigerungstag 
bis auf ſechs Monate hinaus geſetzt werden, wenn anzunehmen iſt, daß 
wegen des hohen Wertes oder der beſonderen Beſchaffenheit der zu ver⸗ 
ſteigernden Güter keine oder wenige Bieter fich in der Nähe befinden 
mögen. Letzterer Fall wird aber bei der zwangsweiſen Verſteigerung von 
Parzellen — und dieſe bildet in Baden im Gegenſatz zu der Verſtei⸗ 
gerung ganzer Güter doch weitaus die Regel — nur ſelten zutreffen. 

Vom formal ⸗juriſtiſchen Standpunkt aus wird man das jetzige ſchon⸗ 
ungs⸗ und rückſichtsloſe Syſtem der ſchnellen Zwangsvollſtreckung gewiß ver⸗ 
teidigen können: der Bauer, deſſen Grundſtücke im Vollſtreckungswege 
verſteigert werden, hätte eben das Schuldenmachen bleiben laſſen ſollen. 

Stellt man fich aber auf einen höheren Standpunkt und betrachtet 
die einzelne Rechtsvorſchrift nicht allein nach dem Maßſtabe der konſe⸗ 
quenten Durchführung des einmal angenommenen Hauptprinzipes, ſon⸗ 
dern auch hinſichtlich ihrer volkswirtſchaftlichen und ſozialen Wirkungen, 
ſo wird man von der jetzigen Art der Zwangsvollſtreckung, welche auf 
die Verhältniſſe des Schuldners (insbeſondere des bäuerlichen Schuldners) 
nicht die geringſte Rückſicht nimmt und jo häufig die Exiſtenz desſelben 
unnötigerweiſe aufs Spiel ſetzt, jagen können: summum jus, summa 
iniuria. 

Wie ſchon Eingangs dieſes Abſchnittes ausgeführt, verlangen es 
die Sondereigentümlichkeiten der Landwirtſchaft, daß die Zwangsvoll⸗ 


Geſtattung 


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friſten. 


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ſtreckung in das landwirtſchaftliche Vermögen eine langſamere fein 
als in das Vermögen kaufmänniſcher Geſchäfte, und wir möchten in 
dieſer Hinſicht vorſchlagen, daß eine Zwangsverſteigerung landwirtſcha 
licher Grundſtücke vor allem ſo lange ausgeſetzt bleiben ſollte, als es 
etwaigen Kaufliebhabern nicht möglich iſt, dieſelben behufs Schätzung 
zu beſichtigen, z. B. wenn ſie überſchwemmt oder von Schnee und Eis 
bedeckt ſind. f : 
= Vor allem aber jcheint es uns notwendig, dem Richter wieder 
wie bis zum Jahre 1879 die Ermächtigung zur Bewilligung von Zah⸗ 
lungsfriſten (Moratorien) zu bewilligen, etwa bis einige Wochen 
nach der nächſten und ausnahmsweiſe auch der übernächſten Ernte; 
man könnte dieſe Ermächtigung dabei von der Vorausſetzung ab⸗ 
hängig machen, daß der Schuldner nachweiſt, daß ſeine Verlegenheit 
und Notlage eine nur augenblickliche ſei, d. h. daß ſein Vermögen bei 
Bewilligung entſprechender Zahlungsfriſten zur Tilgung ſeiner Schulden 
hinreicht, während er andererſeits durch ſtrenge Vollſtreckung wegen der 
ihm obliegenden Verbindlichkeiten in bedeutenden Nachtheil verſetzt würde; 
man könnte ferner ein eidliches Verſprechen von dem Schuldner ver⸗ 
langen, daß er keine Beſtandteile ſeines Vermögens auf die Seite 
ſchaffen werde. 8 5 
Wir glauben, daß eine ſolche Milderung des Vollſtreckungsrechtes 
unſerem Kleinbauernſtand zum Segen gereichen, und daß damit die 
bäuerlichen Klagen über die unnötige Strenge und Härte desſelben in 
der Hauptſache beſeitigt würden. z | 
Fordert es nicht zum Nachdenken auf, daß die praktiſchen Engläin | 


der in demſelben Jahre, in welchem bei uns das Recht der Richter, 
Moratorien zu bewilligen, aufgehoben wurde, in dem § 20 des Bauern 
entlaſtungsgeſetzes für Britiſch⸗Indien beſtimmt haben: 

„Das Gericht kann zu jeder Zeit verfügen, daß der Betrag eines 
vor oder nach dem Inkrafttreten dieſes Geſetzes gefällten Urteils in 
Raten gezahlt werde mit oder ohne Zinſen“? en. 


nur uns dagegen weniger befreunden. =. 
— Am eheſten ſcheint uns noch der Vorſchlag berückſichtigungswert, 
gm. daß man, entſprechend dem amerikaniſchen Heimſtätterecht, für reine 


9 


ſchaftliche Vermögen des Schuldners leinſchließlich des zum Betriebe 
notwendigen lebenden und toten Inventars) zulaſſen ſolle, ſondern nur 
noch für hypothekariſch geſicherte Forderungen, und daß man den Ein⸗ 
trag der letzteren auf das Gut wiederum von der Zuſtimmung der f 
au des Bauern abhängig machen ſolle. 7 
So zweckmäßig dieſer Vorſchlag bei erſtmaliger Prüfung erſcheinen F 
mag, jo würde doch durch Ausführung desſelben, wie auch die Erfahrungen f 
in Amerika beweiſen, eine hohe Verſchuldung des Bauernſtandes und die 
Gefahr der Veräußerung des Gutes im Vollſtreckungswege keineswegs ver⸗ 
hütet; ſobald dieſes neue Recht ſich einmal eingelebt hätte, würde eben 
niemand mehr einem Bauern irgend einen Geldbetrag leihen, noch ihm N 
ein Stück Vieh oder eine Maſchine auf Kredit geben, ohne ſich zugleich l 
durch eine Hypothek auf das Gut ſicher zu ſtellen. i 
Der ganze Vorſchlag läuft alſo lediglich auf eine Beſchränkung 
des Perſonalkredites zu Gunſten des Hypothekarkredites hinaus, ſchließt 
alſo die Zwangsvollſtreckung in die Bauerngüter keineswegs aus; doch 
muß man andererſeits anerkennen, daß die ausgedehntere Benutzung 
des Hypothekarkredits den Vorteil hätte, mehr Ordnung in das Schulden⸗ 
weſen der kleineren Bauern zu bringen und daher deren Bewucherung | 
zu erſchweren, und daß das Erfordernis der Zuſtimmung der Ehefrau 3 
zu hypothekariſchen Eintragungen auf das Gut (ebenjo wie zur Ver⸗ 4 
äußerung desſelben) die Familie gegen unüberlegte und leichtſinnige N 
Handlungen des Mannes nicht unbedeutend ſchützen würde. N 85 
5. Ein weiterer Vorſchlag geht dahin, das Recht der unpfänd⸗ Ines 


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5 4 
Perſonalſchulden überhaupt keine Zwangsvollſtreckung mehr in das liegen- 1 


unverlier⸗ 


baren Kompetenzſtücke (C.⸗P.⸗O. § 715) auch auf den unbeweglichen barer Veſtg⸗ 
Beſitz auszudehnen; d. h. alſo ein beſtimmtes Beſitzminimum von allm 
Zugriff durch die Gläubiger auszuſchließen. 
Ein ſolches unangreifbares Beſitzminimum könnte aber natürlich 
nur verhältnismäßig gering ſein, und deshalb iſt dieſer Vorſchlag un⸗ 
ſeres Erachtens überhaupt mehr unter dem Geſichtspunkte der Für⸗ 
ſorge für den grundbeſitzenden ländlichen Taglöhner und Induſtrie⸗ 
arbeiter als dem Geſichtspunkte des Bauernſchutzes zu betrachten. 
Wir können es überhaupt nicht als das Ziel einer geſunden Agrar⸗ 
politik anſehen, einem überſchuldeten Bauern alles bis auf ein kleines, 
unverlierbares Reſtgut zu nehmen; auf dem letzteren wird er wegen dieſer 
Kleinheit und dann auch wegen des Mangels an Betriebskapital und 
Betriebskredit doch keine richtige Bauernwirtſchaft mehr betreiben können 
und es wird ihm hierzu auch häufig an dem feſten Willen fehlen, da E 
er ja weiß, daß er ſelbſt bei der liederlichſten Wirtſchaft von feinem a 
Reſtgut nicht vertrieben werden kann. Die Einführung eines unan⸗ | 
greifbaren Beſitzminimums hat aber ferner den Nachteil, daß die be⸗ 
treffenden Grundſtücke dadurch vollſtändig dem ländlichen Hypothekar⸗ 
kredit entzogen werden; denn niemand wird auf ein Beſitztum etwas 
leihen wollen, auf das ein gerichtlicher Zugriff nicht möglich iſt. Wir 
möchten deshalb ein ſolches Recht ſelbſt nicht für die kleinen Beſitztümer 
der Taglöhner und Arbeiter empfehlen; denn die Lage dieſer kleinen 
Leute würde durch ein ſolches Recht, welches man in gewiſſem Sinn 


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als Zwergfideikommißrecht bezeichnen könnte, nicht geſicherter, ſondern um⸗ 
gekehrt, die nur über geringe Mittel verfügenden Taglöhner wären in der 
Regel überhaupt nicht mehr in der Lage ſich einen kleinen Grundbeſitz zu 
erwerben, da fie denſelben ja bei dem Mangel eines Hypothekarkredits (Un 
verpfändbarkeit der betreffenden Güter) bar bezahlen müßten; an Stelle 
der Grundſtückserwerbung würde deshalb mit der Zeit eine Grundſtücks⸗ 
pachtung treten, indem fich wohl vermögendere Leute ein Geſchäft daraus 
machen würden, kleine Grundſtücke an Arbeiter zu verpachten, was gegen 
den jetzigen Zuſtand gewiß keinen Fortſchritt bedeuten würde. 5 
3 6. Auch der Gedanke, daß man der Zwangsvollſtreckung in die 
bäuerlichen Güter durch eine Beſchränkung der Verſchuldbarkeit derſelben 
vorbeugen ſolle, erſcheint uns undurchführbar. Denn ſetzt man die 
Verpfändungsgrenze ſchematiſch (etwa auf einen gewiſſen Prozentſatz 
des Grundſteuerkapitals) feſt, ſo ſchließt man damit, ſobald dieſe Grenze 
erreicht iſt, zugleich jegliche fernere Belaſtung für Meliorationen, wegen 
vorgekommener Unglücksfälle (3. B. Brandſchaden, Viehſeuchen, Krank⸗ 
heiten in der bäuerlichen Familie) und ferner wegen Kinderausſtattungen, 
Nachlaßauseinanderſetzungen u. ſ. w. aus; will man aber die Verſchuldungs⸗ 
grenze für gewiſſe Fälle nicht gelten laſſen, ſo muß man eine Behörde b 
einſetzen, welche in jedem einzelnen Falle über die Zuläſſigkeit der Ver⸗ 
pfändung zu entſcheiden hätte. ; 8 
Eine ſolche polizeiliche Bevormundung iſt aber für das moderne 
Leben eine reine Unmöglichkeit; ſelbſt die beſtgeleitete Verwaltung 
behörde wird nicht im Stande ſein, in den tauſendfach verſchiedenen 
Fällen des Kreditbedürfniſſes jeweils zur richtigen Zeit ihr „Ja“ oder 
„Nein“ auszuſprechen; zudem würde man dem Bauer mit der Be⸗ b 
ſchränkung der Verfügungsfreiheit über ſeinen Grundbeſitz auch einen b 
Teil ſeiner Selbſtverantwortlichkeit nehmen, und dieſe iſt doch die Grund⸗ | 
lage jedes ernſten Vorwärtsſtrebens. A 
Der Weg, dem Bauernſtand durch Beſchränkung der Verſchuldbar⸗ 
keit ſeiner Güter zu helfen, wird alſo nicht gangbar ſein. | 
Nicht unerwähnt möchten wir hier noch einen weiteren Vorſchlag 


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= laſſen, zu welchem es nur ein kleiner Schritt iſt, wenn man ſich ein 


mal mit dem Gedanken befreundet hat, die Aufnahme von Hypotheken | 
ſeitens der Landwirte von einer polizeilichen Genehmigung abhängig 
zu machen, nämlich der Vorſchlag, der betreffenden Behörde auch die 
Mittel zur Verfügung zu ſtellen, die gewünſchten Darlehen, für die ſie 
ihre Genehmigung zu erteilen bereit iſt, ſelbſt zu gewähren; man kommt 
ſo zu der Forderung der Verſtaatlichung des Hypothekar⸗ 
kredits und weiter der Monopoliſierung desſelben durch 
den Staat. Mit Recht weiſt jedoch Staatsrat Buchenberger in ſeiner 
„Agrarpolitik“ Band II S. 142 gegenüber einem ſolchen Vorſchlage auf 
die politiſchen Nachteile hin, die ſich aus dieſer wirtſchaftlichen Staats⸗ 
allmacht über den Grundbeſitz möglicherweiſe ergeben können; die Ver⸗ | 
ftaatlihung des Hypothekarkredites könne ſehr leicht zu einer Bureau 
kratiſierung des Grundbeſitzes führen, die der ſozialen und wirtſchaftlichen 1 
Stellung desſelben weder angemeſſen, noch feiner Weiterentwicklunng 
förderlich ſein möchte. 


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Dieſe Bedenken gegen den erwähnten Verſtaatlichungsvorſchlag find 
ſicherlich wohl gerechtfertigt und es ſcheint uns, damit die Unzweck⸗ 
mäßigkeit desſelben aufs Klarſte nachgewieſen zu fein. 

7. Mit den unter Ziffer 4, 5 und 6 beſprochenen Vorſchlägen — 
Geſtattung der Zwangsvollſtreckung in Liegenſchaften künftig nur aus 
Hypothekenforderungen, Einführung unverlierbarer Beſitzminima, Be⸗ 
ſchränkung der Verſchuldbarkeit der Bauerngüter auf einen gewiſſen 
Prozentſatz des Werts derſelben oder Geſtattung der Schuldaufnahme 
auf dieſelben nur mit obrigkeitlicher Genehmigung, ferner Verſtaatlichung 
des Hypothekarkredites — kann, wie wir geſehen haben, dem Bauern⸗ 
ſtand nicht geholfen werden. 

Will man gegen die Verſchuldung des Bauernſtandes vorgehen, 
ſo kann dies mit Erſolg nur geſchehen, wenn man den einzelnen Schuld⸗ 
urſachen nachzuforſchen und dieſe dann einzeln zu bekämpfen ſucht. 

Eine Haupturſache der wachſenden Verſchuldung des Bauernſtandes 
iſt, wie wir im erſten Abſchnitt dieſes Buches dargelegt haben, die 
häufig zu teuere Gutsübernahme bei Erbfällen und Kindskäufen und 
als Mittel hiergegen erſcheint: ein zweckmäßiges Anerbenrecht; weitere 
Urſachen der Verſchuldung ſind u. a. Unglücksfälle in der Familie oder 
im Wirtſchaftsbetrieb, niedere Produktenpreiſe, hohe Abgaben, veraltete Be⸗ 
triebsweiſe u. ſ. w., worüber zum Teil an anderen Orten die Rede ſein wird. 

Auch durch unvorſichtige Bürgſchaftsübernahme iſt ſchon 
mancher Bauer in Schulden geraten und hat dann häufig Haus und 
Hof ſelbſt durch den größten perſönlichen Fleiß und die unglaublichſte 
Sparſamkeit und Genügſamkeit nicht mehr vor dem Zwangsverkauf 
retten können. 

So ſoll es zum Schluß dieſes Abſchnittes das Bürgſchaftsrecht 
ſein, das wir noch beſprechen wollen: 

Jahrhunderte lang war der Bauer in Deutſchland unſelbſtändig 
und in der Verfügung über die von ihm bewirtſchafteten Güter, ja 
ſelbſt ſeine Perſon beſchränkt, und von dieſen Zeiten haftet immer noch 
etwas an ſeinem Charakter; formell iſt er jedoch jetzt frei von allen, 
ihm früher auferlegten Verfügungsbeſchränkungen, und dieſe Freiheit 
geht ſogar ſo weit, daß er ſich in einem unbedachtſamen Augenblick 
durch ein einziges Wort, eine einzige Unterſchrift mit ſeinem ganzen 
Vermögen für eine fremde Perſon verbürgen kann. 

Zu einer ſolchen Freiheit liegt aber unſeres Erachtens ein volks⸗ 
wirtſchaftliches Bedürfnis durchaus nicht vor; wir ſehen eben auch hier, 
daß ein Recht, welches für den Handelsſtand paßt, ſich für den Bauern⸗ 
ſtand unter Umſtänden wenig eignet, und daß es verkehrt iſt, für ein 
einheitliches, für alle Staatsbürger gleiches Privatrecht zu ſchwärmen. 

Es erſcheint uns vielmehr der Erwägung wert, ob man nicht die 
Uebernahme von Bürgſchaften ſeitens Nichtkaufleuten künftig dadurch er⸗ 
ſchweren ſollte, daß man die Rechtsgültigkeit derſelben von dem Eintrag 
in ein beim Bürgermeiſteramt geführtes Bürgſchaftsbuch abhängig machen 
oder die Zuſtimmung der Ehefrau des ſich Verbürgenden zur Bürg⸗ 
ſchaftsübernahme verlangen würde. 

Hierdurch würde gewiß eine Verminderung der bäuerlichen Bürg⸗ 
ſchaften erreicht werden; dies ſcheint uns jedoch nur erwünſcht, und 


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ebenſo würden wir es freudig begrüßen, wenn der bäuerliche Perſonal⸗ 
kredit, zu welchem jetzt ſo häufig die Stellung von Bürgen verlangt 
wird, bei Durchführung unſeres Vorſchlages zu Gunſten des Unter⸗ 
pfandskredits eingeſchränkt würde; denn bei den Unterpfandsſchulden 
iſt in der Regel nicht allein der Zinsfuß ein geringerer, ſondern die 
Rückzahlungsfriſten ſind auch länger, ſodaß eine unzeitige Kündigung 
des Kapitales weniger zu befürchten iſt, und auch die Gebühren für 
Prolongationen u. ſ. w. erſpart werden. er 

In das Bürgſchaftsrecht möchten wir ferner die Aufnahme einer 
Beſtimmung dahin vorſchlagen, daß bei Nichtkaufleuten der Verzicht auf 
die Einrede der Vorausklage des Hauptſchuldners (Uebernahme der 
Selbſtſchuldnerſchaft) ungültig ſein ſoll; das jetzige Recht, wonach ein 
ſolcher Verzicht von Seiten jedes Bürgen zuläſſig iſt, entſpricht eben 
auch wieder mehr den Anforderungen des Handelsſtands an eine ſchnelle 
Exekution als den Intereſſen der Bauernbevölkerung auf Erhaltung in 
ihrem Grundbeſitz. 

Wenn wir oben uns damit einverſtanden erklärt haben, daß künftig 
für Bürgſchaftsübernahmen durch Nichtkaufleute die Zuſtimmung der he 
frau des ſich Verbürgenden zur Rechtsgültigkeit erforderlich ſein ſolle, ſo iſt 
dieſer Vorſchlag gewiß nicht dem Vorwurf ausgeſetzt, welchen man gegen 
andere, von uns früher beſprochenen Verſchuldungsbeſchränkungen mit 
Recht geltend machen kann, nämlich daß dadurch das Selbſtverantwort⸗ 
lichkeitsgefühl des Bauern gemindert würde. r 

Durch unſeren Vorſchlag würde allerdings vorerſt nur eine einzige, 4 
dazu nicht ſehr häufige Urſache der bäuerlichen Verſchuldung bekämpft 
werden; wir würden jedoch keine Bedenken tragen, noch einen Schritt 
weiter zu gehen, und wären damit einverſtanden, wenn im Geltungsbereich 4 
des bürgerlichen Rechtes auch noch zu andern Rechtshandlungen des Mannes 
die Zuſtimmung der Ehefrau verlangt würde, nämlich insbeſondere für 
Freigebigkeitshandlungen und für Veräußerungen und Verpfändungen von 
Liegenſchaften, und wir laſſen uns hierbei von dem Gedanken leiten, daß 
Mann und Frau, wie ſie gemeinſam des Lebens Glück und Unglück zu 
tragen haben, auch gemeinſam für die wichtigſten Vermögensverfügungen 
verantwortlich ſein ſollen. 

Die Zuſtimmung der Frau zu Veräußerungen und Verpfändungen 
von Liegenſchaften iſt bekanntlich in der amerikaniſchen Heimſtättegeſetz⸗ 
gebung bereits vorgeſchrieben; dabei findet dieſe Vorſchrift allerdings darin 
ihre Ergänzung, daß nach dem Heimſtätterecht ein Zugriff auf die Liegen⸗ 
ſchaften aus reinen Perſonalſchulden überhaupt nicht zuläſſig iſt, ſondern 
nur aus Forderungen, für welche eine Hypothek auf die betreffenden Liegen⸗ 

ſchaften beſtellt iſt, was eben nur mit Zuſtimmung der Frau geſchehen 
kann. Aber auch ohne dieſe Ergänzung würde unſeres Erachtens das 
Erfordernis der Zuſtimmung der Ehefrau zu Liegenſchaftsveräußerungen 
und ⸗Verpfändungen nur ſegensreich wirken, und gewiß würde z. B. die 
Möglichkeit für den Großgrundbeſitz, Bauerngüter zuſammenzukaufen, 
durch das Erfordernis der Zuſtimmung der betreffenden Ehefrauen zur 
Gutsveräußerung bedeutend erſchwert werden. 5 


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4. Pachtrecht. 


Der bisherige Grundſatz, daß das Pachtweſen einfach den Privat: 
vereinbarungen zu überlaſſen ſei, läßt ſich unſeres Erachtens unter den 
heutigen Verhältniſſen nicht mehr länger aufrechterhalten. 

Derſelbe iſt aus der Annahme entſtanden, daß Pächter und Ver⸗ 
pächter ſich als gleich ſtarke Parteien gegenüberſtehen, und daß deshalb 
in den Vereinbarungen dieſer untereinander regelmäßig das wahre volks⸗ 
wirtſchaftliche Bedürfnis zum Ausdruck komme; dieſe Vorausſetzung hat 
ſich aber als vollkommen irrig erwieſen; zum Beweiſe deſſen ſei ledig⸗ 
lich auf die nicht ſelten vorkommenden Pachtüberzahlungen in Gegenden 
mit einer gewiſſen Uebervölkerung in Folge des hier oft herrſchenden 
wahren „Landhungers“ verwieſen. 

Es erſcheint uns deshalb an der Zeit, den Pachtvertrag ebenſo 
einer von ſozialen Erwägungen getragenen, öffentlich⸗rechtlichen Ordnung 
zu unterwerfen, wie dies bereits bezüglich des Arbeitsvertrages geſchehen iſt. 

Vor allem ſollte dem Pächter ein geſetzlicher und vor Ablauf 
der Pachtzeit unveräußerlicher Anſpruch auf mindeſtens den 
größeren Teil des durch etwaige Meliorationen von ihm hervorgebrach⸗ 
ten Mehrwerts des Gutes zugeſtanden werden; etwa in der Weiſe, daß 
man ihm nach Ablauf der Pacht auf etwa 10 oder 12 Jahre den durch 
ſeine Melioration nachgewieſenermaßen verurſachten jährlichen Mehr⸗ 
ertrag der Pachtfläche zugeſtehen würde. 

(Vergl. über den Erſatz von Meliorationskoſten an den Pächter 
auch Buchenberger Agrarpolitik, Band I, S. 195/96.) 

Ein ebenſo un veräußerliches Recht ſollte jedem Pächter auf einen 
Nachlaß am Pachtzins eingeräumt werden, wenn mindeſtens ½ der 
Ernte durch Hagelſchlag oder Ueberſchwemmung zerſtört wird. 

Ferner ſollte beſtimmt werden, daß als Pachtdauer für ein land⸗ 
wirtſchaftliches Grundſtück ohne Genehmigung des Bezirksrats niemals 
eine kürzere Zeit als 9 Jahre vereinbart werden darf. 

Pächtern, welche ihr Pachtſtück gut bewirtſchaftet und ihre Pacht⸗ 
zinſe richtig entrichtet haben, ſollte ein Recht auf vorzugsweiſe Berück⸗ 
ſichtigung bei ſpätern Neuverpachtungen eingeräumt werden. 

Die Verpachtungsbedingungen ſollten bei allen Verpachtungen auf 
Grund öffentlicher Bekanntmachung und bei allen Pacht⸗ 
verſteigerungen dem Gemeinderat des Ortes, wo das Grundſtück 
gelegen iſt, zur Genehmigung vorgelegt werden müſſen, um dieſem — 
gleichſam als Vertreter der Pachtluſtigen — Gelegenheit zu geben, 
etwaige Wünſche z. B. bezüglich der Größe der Pachtloſe, der Zahlungs⸗ 
termine, der Anlage von Zufahrtswegen zur Geltung zu bringen. 

Für den Verpächter wären die von uns vorgetragenen Grundſätze 
allerdings unbequem und beläſtigend, doch würden wir es nur begrüßen, 
wenn dadurch der Uebergang des Eigentums in die Hand des Bewirt⸗ 
ſchafters mehr als bisher befördert würde. 


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unſerer Anficht nach würde es jedoch genügen, die Wechſelſtrenge 
für den Fall zu mildern, daß der Wechſelſchuldner kein Kaufmann iſt. 


5. Wechſelrecht. 


Die Wechſelfreiheit hat man wohl die Schweſter der Wucherfreiheit 
genannt. 3 
Der Wechſel iſt nach den Bedürfniſſen des Handels geſchaffen, er 
paßt mit ſeiner Schärfe und Strenge nicht für die Verhältniſſe der 
Landwirte, welche vor allem langfriſtigen Kredit brauchen, und welchen 
es in Folge von Naturereigniſſen u. ſ. w. leicht vorkommen kann, daß 
ſie eine Zahlungsfriſt nicht pünktlich einhalten können. i 
Wenn Landtagsabgeordneter Muſer in ſeiner „Agrarfrage“ S. 65 
rät, daß man unſere Bauern zum Verſtändnis des Weſens des Wechſels, 
als eines modernen Verkehrs- und Gelderſatzmittels erziehen und über 
die relative Gefährlichkeit wechſelmäßiger Verpflichtungen belehren ſolle, 
eine Lehraufgabe, zu deren Bewältigung einige Schulſtunden genügen 
würden, ſo können wir dem nicht zuſtimmen. > 
Denn einmal hat die Schule auf dem Lande denn doch wichtigere 
Aufgaben, als Belehrung über das Wechſelrecht zu erteilen, und dann 
wären auch einige wenige Schulſtunden hierüber vollſtändig ungenügend 
und deshalb zwecklos. BR 
Was nützen überhaupt dem Bauern etwaige geringe Kenntnife 
über das Weſen des Wechſels, wenn er ſich in großer Geldverlegenheit 
oder in der Gewalt eines Wucherers befindet! a f 
Man mag ſich die Sache überlegen, wie man will, immer muß 
man zu dem Ergebnis kommen, daß der Wechſel für die Verhältniſſe 
der Landwirte und insbeſondere der Kleinbauern durchaus ungeeignet iſt. 
Im Intereſſe des Bauernſtandes hat man deshalb häufig vorge⸗ 
ſchlagen, die jetzige allgemeine Wechſelfähigkeit zu beſchränken; 


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In dieſem Sinne wäre es unſere Anſicht, dem Artikel 82 der 
Wechſelordnung folgende Faſſung zu geben: 

„Der Wechſelſchuldner kann ſich, ſofern er Kaufmann iſt, 
nur ſolcher Einreden bedienen, welche aus dem Wechſelrechte ſelbſt 
hervorgehen oder ihm unmittelbar gegen den jedesmaligen Kläger 
zuſtehen. a a 

Dem Kaufmann im Sinne dieſes Artikels gelten gleich diejenigen 
Perſonen, welche beim Amtsgericht ihres Wohn- oder Geſchäftsortes 
protokollariſch den Wunſch ausgeſprochen haben, als Wechſelſchuldner 
nach Kaufmannsrecht behandelt zu werden.“ 

Auf eine ſolche Weiſe würde unſeres Erachtens ſowohl dem Be⸗ 
dürfniſſe des Handelsſtandes als demjenigen des Bauernſtandes genügt 
werden. 


6. Kammern für Landwirtſchaftsſachen. 


Nicht mit Unrecht kann man behaupten, daß die Geſetzgebung bis⸗ 
her in vieler Beziehung mehr auf die Wünſche des Handelsſtandes als 
die der Landwirtſchaft Rückſicht genommen hat. 

Eine ſolche Bevorzugung des Handels können die Landwirte unter 
Anderm darin erblicken, daß zur Entſcheidung der Handelsſtreitigkeiten 
bei den meiſten Landgerichten beſondere Kammern für Handelsſachen, 
beſtehend aus einem Berufsrichter als Vorſitzenden und zweier Kaufleute 
als Handelsrichter, gebildet ſind, während von der Errichtung beſonderer 
Kammern für Landwirtſchaftsſachen überhaupt nicht die Rede iſt. 

Und doch ſprechen dieſelben allgemeinen Gründe, welche man für 
beſondere Handelsgerichte geltend machen kann (Anteil des Volkes an 
der Rechtſprechung und deshalb volkstümliche Urteile, Verbreitung der 
Rechtskenntnis unter das Volk und in Folge deſſen größerer Einfluß 
desſelben bei Geſetzesänderungen u. ſ. w.), auch für beſondere Land⸗ 
wirtſchaftsgerichte. 

Will man nicht den Gedanken der Handelsgerichte überhaupt auf 
alle bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten ausdehnen und ſo allgemeine Schöffen⸗ 
gerichte für Civil⸗ und Handelsſachen errichten, ſo erſcheint uns deshalb 
die Bildung beſonderer Kammern für Landwirtſchaftsſachen 
nach Art derjenigen für Handelsſachen wohl am Platze; dieſe müßten, ſo⸗ 
weit irgend möglich, ihren Sitz innerhalb des Landgerichtsbezirkes in den 
kleinen Landſtädtchen haben, um ſie den Landwirten möglichſt nahe zu 
bringen und dieſen alle unnötigen Koſten zu erſparen, oder es müßten 
doch mindeſtens Amtstage derſelben in den kleinen Landorten ſtattfinden. 

Den Kammern für Landwirtſchaftsſachen könnten von den jetzt den 
Civilkammern der Landgerichte in erſter Inſtanz zugewieſenen Streitigkeiten 
beiſpielsweiſe überlaſſen werden: die ſämtlichen Prozeſſe zwiſchen Landwir⸗ 
ten aus dem Betriebe ihrer Landwirtſchaft, alle Grenz-, Weg⸗ und Flur⸗ 
ſtreitigkeiten, Streitigkeiten aus Kauf⸗ und Pachtverträgen über land⸗ 
wirtſchaftliche Grundſtücke, aus Viehkäufen u. ſ. w. 

Dankbar iſt es zu begrüßen, daß der deutſche Landwirtſchaftsrat 
ſchon mehrmals zu Gunſten der Errichtung landwirtſchaftlicher Schöffen⸗ 
gerichte bei dem Reichskanzleramte vorſtellig geworden iſt. 


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II. Baupfabjchnift. 


1. Das landwirtſchaftliche Kreditweſen. 


Zweifellos iſt im Gebiet des ländlichen Kreditweſens in 
den letzten Jahren ſeitens der Badiſchen Regierung viel geſchehen, und ge 
wiß iſt der beſchrittene Weg, die Landwirte zur Gründung ländlicher Dar⸗ 
lehnskaſſen aufzumuntern und ihnen bei der Führung der Geſchäfte der⸗ 
ſelben behilflich zu ſein, der richtige, und es iſt nur zu wünſchen, daß dieſer 
Weg energiſch weiter verfolgt werde; denn dieſe Genoſſenſchaften bilden 
wohl das ſicherſte Mittel gegen den ländlichen Wucher; aber andererſeits 
it doch ihre ganze Organiſation nur für kurzfriſtige Darlehen einge 
richtet, da ja ihre eigenen Schuldverbindlichkeiten auch keine langfriſtigen 
ſind; wenn nun trotzdem dieſe Darlehnskaſſen ſeitens der Landwirte 
nicht nur bei vorübergehender Geldbedürftigkeit, ſondern auch zu dauern⸗ 
den Anlehen in Anſpruch genommen werden, indem die mehrjährige 
Verfallzeit event. noch mehrmals verlängert wird, ſo deutet dies darauf 
hin, daß bei uns im Gebiete des landwirtſchaftlichen Kredites noch eine 
Lücke beſteht, daß es an einer den Darlehnsgenoſſenſchaften an Gemein 
nützigkeit gleichkommenden Anſtalt für langfriſtigen ländlichen 
Kredit fehlt. 8 

Das Bedürfnis zur Neuerrichtung einer derartigen Anſtalt wird 


nun allerdings von Nichtlandwirten häufig beſtritten, indem geltend ges 


macht wird, kreditwürdigen Grundbeſitzern ſei auch jetzt ſchon genügend 
Gelegenheit geboten zur Aufnahme langfriſtiger Darlehen, ſei es bei 
Privaten, ſei es bei den zahlreichen Sparkaſſen und Stiftungen, ſei es 
bei der Rheiniſchen Hypothekenbank. i 


Aber alle dieſe betreiben ja das Darlehnsgeſchäft nicht aus ge⸗ = 


meinnützigen, idealen Gründen und nicht im Intereſſe der Landwirte, 
ſondern lediglich in ihrem eigenen; ſie beſtreben ſich alle einen möglichſt 
hohen Zinsfuß zu erreichen, nicht einen möglichſt niederen, und von 
den Privaten, den Stiftungen und der auf Aktien gegründeten Rheiniſchen 
Hypothekenbank wird man dies auch gar nicht anders erwarten; wenn 

die Letztere ſich in den letzten Jahren zu Konzeſſionen bei Gewährung 
von ländlichen Darlehen herbeigelaſſen hat, jo wird ein Hauptbeweg 


35.7 


nd wohl der geweſen ſein, daß man dadurch die Gründung einer 
Eee ländlichen Hypothekenbank hintanhalten wollte; dies fühlen 
zweifellos auch unſere Bauern, und es mag dann die Urſache ſein, 
warum ſie die „Landeskreditkaſſenabteilung“ der Rhein. Hypothekenbank 
nur verhältnismäßig ſo wenig in Anſpruch nehmen. 

Was ferner die Sparkaſſen anbetrifft, ſo ſind auch dieſe nicht zur 
Unterſtützung der kreditbedürftigen Landwirte, ſondern im Gegenteil im 
Intereſſe der Sparenden, d. h. der kleinen Kapitaliſten gegründet, und 
für die Gemeinden, welche die Garantie für die Verbindlichkeiten der⸗ 
ſelben übernommen haben, verfolgen ſie noch den weiteren gemeinde⸗ 
fiskaliſchen Zweck, möglichſt große Ueberſchüſſe in die Gemeindekaſſen zu 
„gemeinnützigen Zwecken“ abzuliefern; Letzteres kann natürlich gleichfalls 
nur auf Koſten der Landwirte geſchehen, welche die Schuldzinſen auf⸗ 
zubringen haben. 


Die Landwirte find eben bei uns gegenüber den Vertretern der 
kapitaliſtiſchen Intereſſen noch durchaus nicht genügend organiſiert; ihr ia 


Einfluß auf den Geldmarkt wird erſt dann ein bedeutenderer werden, 
wenn ſie ſich zwecks Wahrung ihrer gemeinſamen Intereſſen als 
Hypothekenſchuldner zu einer bäuerlichen Hypothekenbank auf 
genoſſenſchaftlicher Grundlage (ähnlich den neueren nord⸗ 
deutſchen Landſchaften) feſt zuſammenſchließen. 

Gegen die Gründung einer ſolchen Genoſſenſchaftsbank haben wir 
nun allerdings ſchon das Bedenken geltend machen hören, daß ſich in 

wegen des ſpärlichen Vorkommens des Großgrundbeſitzes nicht 
genug gebildete Landwirte finden würden, die ſich zur Mitwirkung bei 
der Verwaltung einer Genoſſenſchaftsbank eigneten; es ſei deshalb 
beſſer, der Staat nehme die Sache ſelbſtſtändig in die Hand und 
gründe mit eigenen Mitteln nach mitteldeutſchem Muſter eine Landes⸗ 
kreditkaſſe, deren Geſchäfte dann durch gewiſſenhafte und genügend 
vorgebildete ſtaatliche Beamte beſorgt würden. 

Wir können uns jedoch dieſer Anſicht nicht anſchließen; Baden, 
welches als einer der erſten deutſchen Staaten die ehrenamtliche Mit⸗ 
wirkung der Bürger bei den Geſchäften der inneren Verwaltung einge⸗ 
führt hat, beſitzt Landwirte genug, welche befähigt ſind, gemeinſam die 
Verwaltung einer genoſſenſchaftlichen Hypothekenbank — natürlich unter 
Staatsaufſicht — zu leiten und hierbei ihre bäuerlichen Standesintereſſen 
zur Geltung zu bringen; dabei ſoll es ſelbſtverſtändlich nicht ausgeſchloſſen 
ſein, daß bei der Bank zugleich einige ſtaatliche oder aus dem Staats⸗ 
dienſt hervorgegangene tüchtige Beamte zur Beſorgung der laufenden 
Geſchäfte verwendet werden. Der Staatsregierung aber den maßgeben⸗ 
den Einfluß auf die Leitung der Bank und die Hauptverantwortlichkeit 
dafür zu übertragen, erſcheint uns wenig zweckmäßig; Staatsbeamte 
haben eben den Beruf, zwiſchen den Intereſſen der verſchiedenen Be⸗ 
völkerungsklaſſen in gerechter Weiſe zu vermitteln; die Bank da⸗ 
gegen hätte gerade umgekehrt die Aufgabe, die finan- 
ziellen Sonderintereſſen der Landwirte gegen die⸗ 
jenigen anderer Stände nachdrücklich und unter Um⸗ 
ſtänden rückſichtslos zu vertreten. 


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Thätigkeit 
einer ſolchen 
Genoſſen⸗ 

ſchaftsbank. 


Landwirt könnten zweckmäßigerweiſe die ſchon erwähnten ländlichen Dar⸗ 


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rade jo förmlich und umſtändlich eingerichtet werden, wie bei den 
ſonſtigen ſtaatlichen Vermögensverwaltungen; man würde deshalb wohl 
bald Klagen über die „ſchwerfällige Büreaukratie“, „über die Leitung 
der Bank vom grünen Tiſch aus“ u. ſ. w. zu hören bekommen, und 
ſchließlich würde ein Hauptvorteil der neuen Einrichtung, daß nämlich 
die Landwirte immer mehr lernen und darin geübt werden, ſelbſtſtändig 
und gemeinſam für ihre Intereſſen einzutreten, nicht zur Geltung 
kommen können. 
Wir möchten auch für Baden die Worte des Prof. v. d. Goltz (in 
eh Buche die agrariſchen Aufgaben der Gegenwart S. 145) unter- 
reiben: 0 g a 

„Dem Anſpruch nach unkündbarem und billigem Kredit genügen 
in vollem Maße nur die Landſchaften und andere ähnliche auf Gegen⸗ 
ſeitigkeit gegründete öffentliche Kreditinſtitute.“ 

Bezüglich der Frage, ob der Beitritt zur Genoſſenſchaftsbank in 
das Belieben der einzelnen Landwirte geſtellt oder auf alle mit Schulden 
belaſteten Grundbeſitzer ein Zwang zum Beitritt ausgeübt werden ſollte, 
möchten wir uns für den Grundſatz der Freiwilligkeit entſcheiden; 
denn bei einer Zwangsorganiſation würde der Einfluß des Staates 
auf die Bankverwaltung wiederum ein größerer werden; der Staat 
müßte gewiſſermaßen eine Garantie für die Zweckmäßigkeit und Gere 
tigkeit der einzelnen Entſchließungen der Bank übernehmen, was nicht 
der Fall wäre, wenn jedem Landwirt der Ein- und Austritt offen ſtände; 
in der Politik ſoll man ferner — ſoweit irgend möglich — die 
Thatſache nicht unberückſichtigt laſſen, daß eine Wohlthat, die zwangs⸗ 
weiſe aufgedrängt wird, häufig nicht als ſolche, ſondern nur als eine 
läſtige Freiheitsbeſchränkung empfunden wird. 

Wenn die Genoſſenſchaftsbank ihre Aufgabe richtig erfüllt, ſo ſind 
wir nicht im Zweifel, daß die kreditſuchenden Landwirte ſich der ihnen 
gebotenen Vorteile wegen freiwillig an dieſelbe anſchließen werden. 

Erwägenswert wäre, ob die Bank als einheitliche Anſtalt für das 
ganze Land oder als Kreishypothekenbank jeweils für ein oder mehrere 
Kreiſe errichtet werden ſollte. } 2 

Die Hauptthätigkeit der Bank hätte in der Vermittlung von lang⸗ 
friſtigen ländlichen Darlehen zu beſtehen und zwar vor allem gegen 
hypothekariſche Sicherheit; zu dieſem Zwecke wäre ihr das Recht der 
Ausgabe unkündbarer Pfandbriefe (Hypothekenanteilſcheine) einzu⸗ 
räumen. 

Als örtliche Agenturen und Vermittler des Kredites für den kleinen 


Bei einem Staatsinſtitut würde ferner die Verwaltung wohl ge 5 


lehnsgenoſſenſchaften eingerichtet werden, welche zu dieſem Zwecke in 
feſte organiſche Verbindung mit der Bank zu bringen wären; nur 
Mitglieder der örtlichen Darlehnskaſſen ſollten die Hypothekenbank in 
Anſpruch nehmen dürfen. 5 

„Die örtlichen Genoſſenſchaften“, ſagt Staatsrat Buchenberger bei 
Beſprechung einer ſolchen Organiſation (S. 151 des II. Bandes ſeiner 
Agrarpolitik), „müßten mindeſtens zu einem Bruchteil für die bei ihnen 


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eintretenden Verluſte für verhaftet erklärt werden, während für den 


reſtlichen Bruchteil die Geſamtgenoſſenſchaft aufzukommen hätte; die 


Darlehnsgeſuche wären bei dem örtlichen Genoſſenſchaftsvorſtand anzu⸗ 
melden und von dieſem mit begutachtendem Antrag dem Zentralvorſtand 
vorzulegen, dem die Endentſcheidung verbliebe; durch die aliquote Ver⸗ 
teilung der Haftbarkeit auf die einzelnen Genoſſenſchaften und die Ge⸗ 
ſamtgenoſſenſchaft wäre für eine gewiſſenhafte Prüfung der Darlehns⸗ 
geſuche eine denkbar große Bürgſchaft gegeben; auch die perſönliche 
Kreditwürdigkeit der Darlehnsbegehrer, ein gerade bei Darlehen der 
bäuerlichen Bevölkerung nicht unweſentliches Element, käme zur hin⸗ 


reichenden Geltung.“ 


Neben dem Hypothekarkredit müßte die Genoſſenſchaftsbank durch 
Vermittlung der örtlichen Darlehnskaſſen an Landwirte auch lang⸗ 
friſtigen Perſonalkredit gewähren und zwar deshalb, weil unſere 
kleineren Landwirte und darunter gerade die vermögenderen ſelbſt zu 
langfriſtigen Darlehen häufig lieber ihren Perſonalkredit als ihren 
Hypothekarkredit in Anſpruch nehmen, indem ſie ſich der Hoffnung hin⸗ 
geben, ihre Schulden ſchneller abzahlen zu können, als dies ſpäter in 
Wirklichkeit der Fall iſt. 

Die örtlichen Darlehnskaſſen, welche gegenwärtig dieſem Bedürfnis 
nach langfriſtigem Perſonalkredit genügen, haben in Folge deſſen jetzt 
bedeutende Beträge ſolcher Forderungen ausſtehen, für welche ihnen 
allerdings formell ein Kündigungsrecht gegenüber ihren Schuldnern zu⸗ 
ſteht, das ſie aber in Wirklichkeit ſo gut wie gar nicht geltend machen 
können. Es wäre deshalb ſehr zu wünſchen, daß die Darlehnsvereine ſich 
für den jährlichen Mindeſtbetrag ſolcher ſehr ſchwer realiſierbarer For⸗ 
derungen durch entſprechenden langfriſtigen und unkündbaren Kredit bei 
einer genoſſenſchaftlichen Hauptbank decken könnten. 

Die Vorteile, welche den Landwirten durch die vorgeſchlagene 
Bankorganiſation geboten würden, wären vor allem billiger und un- 
kündbarer Kredit und dann auch im übrigen Darlehnsbedingungen, 


welche den landwirtſchaftlichen Berufsverhältniſſen entſprechen. 


Daß in Baden der Zinsfuß für ſichere ländliche Hypotheken in 
den letzten Jahrzehnten durchſchnittlich ein höherer war als in Nord: 
deutſchland, rührt insbeſondere davon her, daß es bisher bei uns an 
einem genoſſenſchaftlichen Bankinſtitut gefehlt hat, welches, nicht zu Er⸗ 
werbszwecken gegründet, den Landwirten Darlehen zum Selbſtkoſteupreis 
gewährt hätte. 

Von welcher Bedeutung aber eine Ermäßigung des Zinsfußes für 
die Landwirtſchaft iſt, geht aus einer Berechnung hervor, welche Staats⸗ 
rat Buchenberger angeſtellt hat (vgl. deſſen Agrarpolitik, Band II, S. 126); 
danach bedeutet eine Herabminderung des Hypothekenzinsfußes um nur 
½ % für Baden eine dem Betrag der ſtaatlichen Grundſteuer gleich- 
kommende Jahreserſparnis von 2½ Millionen Mark. 

Eine Zinsermäßigung für bäuerliche Darlehen erſcheint uns aber 
noch aus einem anderen Grunde als ſehr erwünſcht: Gegenwärtig ge⸗ 
nießt der Großgrundbeſitz in der Regel einen weſentlich billigeren Kredit 
als der kleine oder mittlere Bauer; dies hat aber zur Folge, daß der 


3* 


Billiger und 
unkündbarer 
Kredit ſeitens 
der neuen 
Bank. 


Großgrundbeſitzer, bei allen Grundſtückserwerbungen gleichfalls einen 
geringeren Zinsfuß zur Kapitaliſierung des für das Grundſtück be⸗ 


rechneten Reinertrags zu Grunde legen und jo ein höheres Kapital als 


Kaufpreis bieten kann als ein Bauer. 5 
Nehmen wir z. B. an, ein Hofbauer auf dem Schwarzwald müſſe 


jeine Schulden zu 4,5% verzinſen, während der angrenzende Groß: 


grundbeſitzer nur 3,5% zu zahlen brauche, ſo bedeutet das, daß der 


Bauer für ein Hofgut mit einem jährlichen Reinertrag von 1800 Mk. 


höchſtens 40,000 Mk. bieten kann, der Großgrundbeſitzer aber rund 
51,400 Mk. oder faſt 29% mehr. 

Der Vorteil des niedrigeren Zinſes wird ſo zur ſchärfſten Waffe 
des Großgrundbeſitzes gegen den Bauernſtand, und das Bauernlegen 
auf dem Schwarzwald iſt mit auf dieſe Zinsverſchiedenheit zurückzuführen; 
auch im Kampfe zwiſchen Handwerk und Fabrik giebt ja oft lediglich 
die geringere Zinsbedürftigkeit des Großkapitals den Ausſchlag zu Gunſten 
des Großbetriebes. Es erſcheint deshalb auch aus dieſem Geſichtspunkte 
als ein ſehr erſtrebenswertes Ziel, auf eine Herabſetzung des Zinsfußes 
für bäuerliche Darlehen hinzuwirken. 

Der zweite Vorteil, den die genoſſenſchaftliche Grundkreditbank dem 
Bauer bieten könnte, wäre die Unkündbarkeit der bäuerlichen Darlehen. 

Wir haben an anderer Stelle darauf hingewieſen, daß es der Eigen⸗ 
art des Landwirtſchaftsbetriebs nicht entſpricht, wenn ein Landwirt künd⸗ 
bare Schulden auf ſein Gut aufnimmt. Der Landwirt erzielt eben von 
ſeinem Gut nur eine jährliche Rente, alſo die Zinſen eines Kapitales, 
nie aber wird ihm das letztere während des Wirſchaftsbetriebes frei 
verfügbar; er wird deshalb in der Regel in die größte Verlegenheit 
kommen, wenn ihm eine Schuld plötzlich gekündigt wird; denn er muß 
dann entweder ein neues, unter Umſtänden höher verzinsliches Darlehen 
aufnehmen oder von ſeinem Gut einzelne Grundſtücke lostrennen und 
veräußern, was aber, wenn überhaupt, in der Regel nur mit Verluſt mög⸗ 
lich iſt, da es eben gerade plötzlich und zu ungelegener Zeit geſchehen muß. 

Vor ſolchen Gefahren und insbeſondere dem Steigen des Zins⸗ 
fußes, welches z. B. bei Ausbruch eines Krieges mit Beſtimmtheit er⸗ 
wartet werden kann, ſelbſt wenn Deutſchland nicht daran beteiligt würde, 
ſollte der Landwirt durch eine immer größere Verbreitung der unkünd⸗ 
baren Darlehnsſchulden an Stelle der kündbaren geſichert werden. Die 
Vorausſetzung hiervon iſt allerdings wieder die Gründung eines gemein⸗ 
nützigen Grundkreditinſtituts; denn Private werden ſich freiwillig wohl 
nicht leicht zum Verzicht auf das Kündigungsrecht bewegen laſſen. 

Billiger und unkündbarer Kredit, das ſind die beiden Haupt⸗ 
vorteile, welche dem Bauernſtand durch eine ländliche Genoſſenſchafts⸗ 
bank mehr als bisher gewährt werden könnten; daneben wäre es 
jedoch nicht gering anzuſchlagen, daß auch die übrigen Kreditbedingungen 
in gemeinnütziger Weiſe den ländlichen Berufsverhältniſſen angepaßt 
würden; ſo wären die Zinstermine auf eine Jahreszeit zu beſtimmen, 
wo der Bauer am eheſten Geld hat; es müßten auch kleinere Darlehen 
von einigen 100 Mark zu demſelben Zinsfuß zugelaſſen werden wie 
größere; es müßten Annuitätendarlehen gewährt werden; auch die ge⸗ 


| 
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ringſte Abſchlagszahlung auf das Kapital müßte jederzeit angenommen 
werden; die Beleihungsgrenze wäre mit Rückſicht auf volkswirtſchaftliche 


Erwägungen 5 beſtimmen, nicht allein mit Rückſicht auf die Verluſt⸗ 


gefahr; Darlehen zu unwirtſchaftlichen Zwecken müßten abgelehnt, 
dagegen müßte umgekehrt bei unverſchuldeten Zahlungsſchwierigkeiten 
die möglichſte Rückſicht geübt werden u. ſ. w. = 5 

Aus Alledem geht zur Genüge hervor, wie ſehr es zu wünſchen 
wäre, daß der Staat die Gründung einer ländlichen Hypothekenbank 
auf genoſſenſchaftlicher Grundlage in die Hand nehme, wie er ja ſ. Zt. 
auch Handelsbanken gegründet hat, als es ſich darum handelte, Handel 
und Gewerbe in die Höhe zu bringen. 

Woher aber ſoll die zu gründende Bank das erſte Kapital zu ihrer 


Gründung, den erſten Betriebsfond hernehmen? 5 
Wir antworten darauf — ohne Rückficht auf etwaiger doktrinär⸗ 
mancheſterliche Einwände —: aus der Staatskaſſe und wir begründen 


dieſe unſere Antwort mit folgenden Bemerkungen: 

1. Als in Baden im Jahre 1874 die Zehntſchuldentilgungskaſſe 
aufgehoben wurde, wurde der Kapitalbeſtand, den ſie im Laufe der Zeit 
angeſammelt hatte, in der Höhe von rund 274,000 Mk. an die General⸗ 
ſtaatskaſſe zur Vereinnahmung überwieſen; es war jedoch bei Gründung 
der genannten Kaſſe durchaus nicht beabſichtigt geweſen, einen ſolchen 
Betrag von den zehntpflichtigen Landwirten einzuſparen, und es erſcheint 
deshalb der Vorſchlag, den ſchon Knies vor Jahren gemacht hat, als nicht 
ungerechtfertigt, daß man dieſen Betrag der Landwirtſchaft wieder zu 
Gute kommen laſſen ſolle, indem man ihn einer neu zu gründenden 
ländlichen Grundkreditbank als unverzinslichen Betriebsfond überwieſe. 

In anderen deutſchen Staaten haben ſich aus den zur Grund⸗ 
ablöſung gegründeten Kaſſen im Lauf der Zeit ſegensreich wirkende 
Grundkreditanſtalten entwickelt, und es würde daher durch den obigen 
Vorſchlag dieſer Entwicklungsgang bei uns lediglich nachgeholt werden. 

2. Es iſt eine ſeitens der Landwirte häufig vorgebrachte Klage, 
daß der Staat das Recht der Ausgabe von Banknoten lediglich an 
Handels⸗ und Gewerbebanken, nicht aber auch an Banken für den länd⸗ 
lichen Kredit verliehen habe; ſo komme es, daß faſt lediglich Handel 
und Induſtrie, nur in geringem Maße dagegen die Landwirtſchaft von der 
Notenausgabe bezw. dem niedrigen Zinsfuß der Notenbanken Vorteil hätten. 

Die dieſer Klage zu Grunde liegenden Thatſachen ſind gewiß 
richtig; trotzdem wird man dem in der Regel damit verbundenen 
Verlangen, daß nämlich der Staat auch den Grundkreditbanken das 
Recht zur Notenausgabe bewilligen oder wenigſtens die beſtehenden Noten⸗ 
banken zur Gewährung billigen Hypothekarkredites an Landwirte ver⸗ 
anlaſſen ſollte, nicht zuſtimmen können. Ein ſolches Verlangen iſt eben 
unausführbar; denn eine Bank, deren Hauptgeſchäftszweig die Ausgabe 
jederzeit fälliger Inhaberſchuldſcheine wie der Banknoten iſt, würde gegen 
den oberſten Grundſatz jeglicher Bankverwaltung verſtoßen und ſich der 
Gefahr des Zuſammenbruches bei der nächſten Handelskriſis ausſetzen, 
wollte ſie die durch die Notenausgabe flüſſig gemachten Gelder in lang⸗ 
friſtigen und ſchwer realiſierbaren Forderungen an Landwirte anlegen. 


Erſter Be⸗ 
triebs fond 
für die neue 
Bank. 


Dagegen ſcheint ein anderer Weg möglich, den berechtigten Klagen 
der Landwirte über die Bevorzugung des Handels und der Induſtrie 


abzuhelfen; und dies wäre der, daß der Staat den beſtehenden Noten? 
banken die Verpflichtung auferlegte, von den durch die Notenausgabe 
flüſſig gemachten Geldern — etwa nach dem Durchſchnitt der letzten 


fünf Jahre — einen gewiſſen prozentualen Teil als unverzinslichen 
und unkündbaren Betriebsfond an die Grundkreditanſtalten abzuliefern 
oder dieſen wenigſtens die Zinſen dieſes Anteiles zu vergüten. 


Die badiſche Bank hat z. B. in den Jahren 1891 und 1892 als 


Gewinnanteil den Betrag von jeweils über 20,000 Mk. an den Badiſchen 


Staat abgeliefert; würde nun der letztere auf dieſen Betrag zu Gunſten Er 


unſerer neuen Grundkreditbank verzichten, oder die Badische Bank derſelben 
in Folge dieſes Verzichtes das 4%ß ige Kapital hiervon mit rund 500,000 Mk. 


als unverzinslichen Betriebsfond zur Verfügung ſtellen, ſo könnte unſeres 
Erachtens darin Niemand eine beſondere Bevorzugung der Landwirtſchaft 
erblicken; dieſe würde vielmehr dadurch hinſichtlich der Vorteile aus 
der Notenausgabe lediglich dem Handel und der Induſtrie gleichgeſtellt. 


Dieſe Gleichſtellung wäre aber für die Landwirtſchaft um ſo wich⸗ 


tiger, als ſie es der Grundkreditbank ermöglichen würde, um ſo leichter = 


eine Ermäßigung des Zinsfußes für bäuerliche Darlehen durchzuſetzen, 
wobei man noch gar nicht dahin zu ſtreben braucht, denſelben bis zu 
dem geringen Zinsſatz herabzudrücken, welchen die Notenbanken gegen⸗ 
1 5 in der Regel bei Diskontierung von Wechſeln zu berechnen 
pflegen. a 

Auch bezüglich des Gewinnanteiles an der Reichsbank, welcher 
allerdings in erſter Linie dem Reich, durch dieſes aber in Folge Ver⸗ 
minderung der Matrikularbeiträge auch dem Einzelſtaate Baden zu Gute 
kommt, erſcheint uns eine Verwendung, ähnlich wie oben vorgeſchlagen, 
wohl zu rechtfertigen. 


Wenn etwa die Befürchtung beſtände, daß es der neuen Grund⸗ : es 


kreditgenoſſenſchaft für den Anfang an dem genügenden Kredit bezw. 


an Abnehmern für ihre Pfandbriefe fehlen würde, jo könnte dieſer Be E 


fürchtung leicht dadurch begegnet werden, daß der Staat den jetzt von 


der Amortiſationskaſſe verwalteten, in barem Gelde bezw. Forderungen 1 
beſtehenden Teil des Domänengrundſtockes — z. Zt. über 10,000,000 M.. 


— ganz oder zum Teil bei der neuen Bank anlegen würde. 8 

Dieſe Gelder rühren — abgeſehen von neueren Einnahmen für 
Bauplätze und Grundſtücksparzellen — größtenteils von der Zehnt⸗ 
ablöſung her, bei welcher ſie von dem Bauernſtand als Ablöſungskapi⸗ 
talien für die domänenärariſchen Zehnten u. ſ. w. aufgebracht wurden. 
So notwendig nun auch die Ablöſung der Zehnten u. ſ. w. aus 
politiſchen und ſozialen Gründen war, jo müſſen doch auch die eifrigſten 
Verteidiger des ganzen Ablöſungswerkes zugeſtehen, daß dieſes eine be⸗ 
trächtliche Kapitalverſchuldung der Landwirtſchaft an Stelle der früheren 
Zehnt⸗ und Gültenpflichtigkeiten zur Folge hatte. Es würde uns nun 
nicht unbillig erſcheinen, wenn das Domänenärar ſeine Grundſtocksgelder, 
welche f. Zt. von der Landwirtſchaft als Ablöſungskapitalien aufgebracht 
wurden, der Landwirtſchaft wieder als Darlehen zuwenden wollte, was 


BU 


am zweckmäßigſten durch Vermittlung der neuen Grundkreditgenoſſen⸗ 
ſchaft geſchehen könnte. Wie ſegensreich wirkt doch z. B. der Mecklen⸗ 
burgiſche Domanialkapitalfond, aus dem unmittelbar Darlehen an Land⸗ 
wirte gewährt werden, im Gegenſatz zu den Badiſchen Domänengrund⸗ 
. die dazu verwendet werden ſollen, Bauernhöfe zur Aufforſtung 
anzukaufen! 


2. Forſtrecht und Forſtwirtſchaft. 


Wie in allen Gebirgsgegenden, ſo gehörten urſprünglich auch im 
Schwarzwalde zu jedem Hofe — mochte derſelbe nun von Freien oder 
Hörigen bewirtſchaftet werden — ausgedehnte Nutzungsrechte an den 
benachbarten Waldungen: jeder Bauer konnte ſich ſeinen Bedarf an 
Bauholz, Wirtſchaftsholz, Waldgras, Streu u. ſ. w. unbeanſtandet aus 
dem Walde holen und konnte unbeanſtandet ſein Vieh in demſelben 
weiden laſſen. Der ganze bäuerliche Gutsbetrieb (Feldwirtſchaft ſowohl 
wie Viehhaltung) war auf dieſe Forſtberechtigungen eingerichtet und 
angewieſen, und deshalb wurde auch der Stand der Waldbauern ſo 
ſchwer in ſeiner Exiſtenz getroffen, als man dieſe bäuerlichen Wald⸗ 
nutzungen und insbeſondere die Weide⸗ und Grasnutzungen — ſei es 
nun gegen Entſchädigung, ſei es ohne ſolche — nach und nach einzu⸗ 
ſchränken und zu beſeitigen begann. 

So bildet die Geſchichte der Forſtwirtſchaft in den Wald- und Ge 
birgsgegenden in vieler Hinſicht geradezu eine Geſchichte des Nieder⸗ 
ganges der Landwirtſchaft daſelbſt: ſeit jeher wurden eben in den Forſt⸗ 
ordnungen die Intereſſen der Waldwirtſchaft denen der Landwirtſchaft 
vorgeſetzt, und es erſcheint uns dies auch ganz erklärlich, wenn wir be- 
denken, daß die Forſtpolizeibehörden, welche die Forſtordnungen ver- 
faßten, früher — wie auch jetzt noch — zugleich Waldeigentümerinnen 
waren und deshalb ein eigenes Intereſſe an der Beſchränkung der 
bäuerlichen Waldnutzungsrechte hatten; auch waren ja früher die oberen 
Verwaltungsbehörden faſt vollſtändig in den Anſchauungen des römiſchen 
Rechtes befangen, und man betrachtete es als ein erſtrebenswertes Ziel, 
auch beim Walde den Begriff des ausſchließlichen, unbeſchränkten Privat⸗ 
eigentums zu möglichſter Klarheit zu bringen, war alſo den deutſch⸗ 
rechtlichen Gebilden der bäuerlichen Waldnutzungen von vornherein abhold. 

Jetzt ſtehen wir nun im Schwarzwalde Mitten im Ende der ganzen 
Entwicklung, die allerdings noch durch manche andere Umſtände, wie 
Vermehrung der bäuerlichen Abgaben, Steigen der Geſindelöhne, Ver⸗ 
änderungen in den Naturalienpreiſen u. ſ. w. befördert wurde: dem 
ſichtbaren Untergang ganzer Schwarzwalddörfer und dem Aufkauf der⸗ 
ſelben durch Staat, Stiftung, Großgrundbeſitz zum Zweck der Auf- 
forſtung. Wo früher einzelne Bauernhöfe ſtanden, da findet der 
Wanderer jetzt vielleicht inmitten eines kräftig aufſtrebenden jungen 
Nadelholzſchlages eine Schutzhütte des Schwarzwaldvereins. 


Als man in Nordoſtdeutſchland den Bauern die gemeinfamen 
Nutzungen an den Allmenden nahm, indem man dieſe unter die Be⸗ 
rechtigten aufteilte, da zeigten ſich die Folgen alsbald in einem bedenk⸗ 
lichen Zurückgehen der Zahl der Bauernhöfe; ſie wurden vom benach⸗ 
barter Großgrundbeſitz aufgekauft und jetzt muß man von neuem 
Bauernkolonien in jenen Gegenden gründen. Soll es ſoweit auch auf 
dem Schwarzwald kommen? Cr 
Allerdings iſt es unmöglich, den ganzen Entwicklungsgang der 
letzten Jahrhunderte wieder rückgängig zu machen; aber darüber 
ſollte unſeres Erachtens keine Meinungsverſchiedenheit 
beſtehen, daß es für den Staat eine heilige Pflicht iſt, 
den Hofbauernſtand auf dem Schwarzwald, ſoweit er 
nicht ſchon untergegangen iſt, zu erhalten; nur darüber, 
welche Maßnahmen zur Erreichung dieſes Zieles erforderlich ſind, ließe 
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Vor allem iſt es nötig, mit dem römiſchrechtlichen Gedanken zu 
brechen, welcher auch in dem Forſtgeſetz von 1833 zu erkennen iſt, daß 
das Eigentum am Walde grundſätzlich keine Nutzungsrechte Fremder 
an demſelben verträgt, daß dieſe Letzteren alſo, ſoweit irgend möglich, 

zu beſeitigen ſeien, und neue nicht mehr entſtehen dürfen. Unſeres Er⸗ 
achtens könnte der Wald, ohne weitere Gefahr für denſelben, wieder 
mehr als bisher der Weide- und Grasnutzung geöffnet werden; in dieſer 
Hinſicht möchten wir um Verallgemeinerung der während des Futter⸗ 

notjahres 1893 ergangenen Verfügung Großh. Domänendirektion vom 

10. Juli Nr. 15564 bitten; dieſe lautet: 2 ER 
„Die Waldweide iſt zuzulaſſen, wo dies von der landwirtſchaft⸗ 
lichen Bevölkerung verlangt und ein wirkliches Bedürfnis dafür für 
begründet erachtet wird; dabei werden die Beſtimmungen des Forſt⸗ 
geſetzes in folgender Weiſe erweitert: § 32: Die Abteilungen der 
Hochwaldungen ſowie die Schläge der Mittel- und Niederwaldungen 
ſollen ohne Rückſicht auf ihr Alter und die Holzart der Viehweide 
geöffnet werden, ſofern das Holz dem Maule des Viehs entwachſen, 
ein erheblicher Schaden durch Verbiß ſomit nicht mehr zu befürchten iſt; 
— § 36: Das Weiden der Schafe und Geiſen iſt unter dieſer 
5 Vorausſetzung gleichfalls zuzulaſſen; . 
38 Abſ. 2: Auch einzelne Gemeindeglieder dürfen ihr Vieh 

auf die Waldweide führen, wenn für genügende Beaufſichtigung des⸗ 

ſelben Sorge getragen wird.“ : : 

Eine bedeutendere Ausdehnung der Weide- und Grasnutzung im 

Walde wird aber nur möglich ſein, wenn man bei der Bewirtſchaftung 

des Letzteren nicht allein einen möglichſt großen Reinertrag aus dem 
Holzerwachs zu erzielen ſucht, ſondern zu dem Grundſatz zurückkehrt, 
daß der Wald, wenigſtens in Gebirgsgegenden, auch dazu beſtimmt iſt, 
der Landwirtſchaft Weide und Grasnutzung zu gewähren. 
In der St. Blaſianiſchen Wald- und Forſtordnung vom Jahre 

1766 findet ſich beiſpielsweiſe in Ziffer 26 noch die Vorſchrift, daß die 
einzelnen Schläge in ſolcher Ordnung geſchlagen werden ſollen, daß 
die jungen Gehäue unter anderm auch durch den ohnentbehrlichen Vieh⸗ 


re 


trieb nicht verdorben werden; es wird alſo hier ausdrücklich vorge: 
ſchrieben, daß die Forſtwirtſchaft auf die im Intereſſe der Landwirt⸗ 
ſchaft erforderliche Weidenutzung Rückſicht zu nehmen habe. Dieſen 
Gedanken möchten wir ausgedehnt und verallgemeinert wiſſen und zwar 
dahin, daß künftig überhaupt bei der ganzen Waldkultur dahin geſtrebt 
werden möge, den Landwirten wieder eine größere Futter-, Weide⸗ und 
Streunutzung gewähren zu können; in Folge der größeren Viehhaltung 
würde ſich dann auch der zur Zeit häufig recht ſchlechte Düngerzuſtand 
der hofbäuerlichen Felder nach und nach wieder beſſern. 

Kein Zweifel kann darüber beſtehen, daß gerade die moderne, ledig⸗ 
lich auf Holzerzeugung gerichtete Forſtwirtſchaft eine Verminderung des 
Graserwachſes in den Wäldern und damit von ſelbſt eine Beſchränkung 
der bäuerlichen Weide⸗ und Grasnutzungen zur Folge hatte; Aufgabe 
einer aus Forſtbeamten, Kulturingenieuren, ſowie Land- und Volks⸗ 
wirten zuſammenzuſetzenden beſonderen Kommiſſion wäre es, darüber 
nähere Vorſchläge zu machen, durch welche einzelne Wirtſchaftsmaß⸗ 
nahmen das aus volkswirtſchaftlichen und ſozialpolitiſchen Gründen ins 
Auge zu faſſende Ziel der Vermehrung der Gras- und Weidenutzung 
in den Wäldern des Schwarzwaldes zu erreichen wäre. 

Wie man die Intereſſen der Land» und Forſtwirtſchaft vereinigen 
kann, hiezu bietet großes Intereſſe ein von dem Forſtmeiſter Bierau 
entworfener Kulturplan, welcher auf die beſſere Bewirtſchaftung der in 
den Vogeſen beſtehenden Oedländereien abzielt. Danach ſollen die 
Letzteren mit Rückſicht auf die bäuerlichen Erwerbsverhältniſſe nicht — 
wie bisher häufig bei uns — vollſtändig aufgeforſtet, ſondern, wo dies 
ihre Lage irgend geſtattet, durch Anpflanzen 5— 6 Meter breiter 
Niederwaldſtreifen in ſchachbrettartige Weide und Ackerplätze eingeteilt 
werden. Dieſer Plan erſcheint uns hinſichtlich des Schwarzwaldes 
nicht allein für die noch vorhandenen „Oedländereien“, ſondern auch 
für die in den letzten Jahrhunderten bereits aufgeforſteten Acker- und 
Weideſtücke erwägenswert, ſelbſt für den Fall, daß damit ein Sinken 
der Waldernte verbunden wäre. 

Solche Gedanken werden allerdings von allen denen von vornherein 
für verwerflich erklärt werden, welche von der Anſicht ausgehen, daß 
ein Landwirtſchaftsbetrieb, der auf die Nebennutzungen im Walde ange⸗ 
wieſen iſt, überhaupt keine ſelbſtſtändige Exiſtenzberechtigung beſitze, 
ſondern als innerlich krank unaufhaltſam dem Untergang entgegengehe. 

Außer der Vermehrung der Gras: und Weidenutzung in den 
Wäldern wäre bezüglich des Forſtrechtes nach mancher Wunſch des 
Bauernſtandes geltend zu machen. 

In 8 57 folg. des Forſtgeſetzes von 1833 iſt beſtimmt, daß keine 
Wohn⸗ oder andere Gebäude in einer Entfernung von weniger als 
400 Fuß vom Walde angelegt werden dürfen, und ebenſo in $ 64 folg., 
daß auf eine Fläche bis zu 50 Schritten vom Walde kein Feuer ange⸗ 
zündet werden darf. Beide Verbote bilden gewiſſermaßen geſetzliche 
Grunddienſtbarkeiten zu Gunſten des Waldes und zu Laſten der land- 
wirtſchaftlichen Nachbargrundſtücke; fie ſollen die Beſchädigung des Waldes 
von den Letzteren aus durch Feuer und durch Forſtvergehen verhüten. 


Recht des 
Waldes zu 
den landwirt⸗ 
ſchaftlichen 
Nach bar⸗ 
grundſtücken. 


geſchützt, welcher ihr durch die Nähe des Waldes entſtehen kann? 


daß dem Beſitzer desſelben ſchließlich auch nichts als die Aufforſtung 


„ der Privatforſt⸗ und Waldwege. Ein beſonderes Recht für dieſe 
Wege beſteht freilich jetzt noch nicht, doch ſcheint uns die Neuſchaffung 


Das erſterwähnte Bauverbot ſcheint uns jedoch hinſichtlich der feſts 
geſetzten Entfernung vom Walde für die heutige Zeit mit ihrem wohl⸗ 
eingerichteten Wald- und Jagdſchutz viel zu weit zugehen, insbe⸗ 
ſondere bei Neubauten an Straßen und Wegen und insbeſondere für 
den Schwarzwald, wo man froh ſein ſollte, an Stelle der aufgeforſteten 
Höfe da und dort ein neues Anweſen entſtehen zu ſehen; wir wollen 
aber hierauf nicht näher eingehen, ſondern ſtellen uns die Frage: 
warum hat man zwar zu Gunſten des Waldes ſolche Servituten ge 
ſchaffen, nicht aber auch umgekehrt die Landwirtſchaft vor dem Schaden 


Wenn ſchon ein einzelner nahe der Grenze ſtehender Baum einen 
ſichtbaren Mindererwachs auf den benachbarten Acker- und Wieſenſtücken 
hervorrufen kann, ſo kann die Neuanlage eines ganzen Waldes unter 
Umſtänden dem Nachbargrundſtück ſoviel Licht und Sonne entziehen, 


übrig bleibt. Wir fragen uns deshalb: wäre hier nicht ein Servitut 
zu Laſten des Waldes und zu Gunſten der Landwirtſchaft am Platze, 
ähnlich wie ſie umgekehrt in dem obenerwähnten Bauverbot und Verbot 
des Feueranzündens beſtehen? etwa in der Art, daß bei Aufforſtungen 
zu Mittelwald oder Hochwald ein beſtimmter Abſtand vom landwirt⸗ 
ſchaftlichen Nachbargrundſtück (und zwar weſentlich mehr als jetzt im 
L.⸗R. S. 671 vorgeſchrieben iſt) eingehalten werden muß, um deſſen 
Ertrag nicht durch den Schatten des Waldes u. ſ. w. zu ſchädigen? 
Den Einwand, daß dieſer Gedanke eine unzuläſſige Beſchränkung des 
freien Privateigentums am Walde bedeuten würde, möchten wir damit 
zurückweiſen, daß ja die beiden erwähnten Verbote der 8S 57 u. 64 folg. 
des Forſtgeſetzes ebenfalls ſolche Beſchränkungen des Privateigentums 
bilden, allerdings nicht zu Laſten des Waldes, ſondern der Land⸗ 
wirtſchaft. 

Mit dem römiſchrechtlichen Grundſatz der möglichſten Unbejhränft: 
heit des Privateigentums kann man eben im Forſtrecht noch weniger 
als ſonſt auskommen; dies lehrt uns auch ein anderer Gegenſtand, zu 
deſſen Beſprechung wir uns jetzt wenden wollen, nämlich das Recht 


eines ſolchen einem dringenden Bedürfnis zu entſprechen. 5 

Nach dem jetzigen Rechte können die Beſitzer privater Wald⸗ und 
Forſtwege das Begehen und Befahren derſelben gerade ſo verbieten, 
wie das Betreten ihrer andern Privatgrundſtücke; dieſer Rechtszuſtand 
ſteht jedoch mit dem Rechtsbewußtſein des Volkes in offenbarem Wider⸗ 
ſpruch; das Volk hat gerade bezüglich des Waldes die Rezeption des 
römiſchen Rechtes am wenigſten anerkannt; es hat es nie begreifen 
können, daß der Beſitzer eines Waldes ein gerade ſo ausſchließliches 
und unbeſchränktes Recht an demſelbeu haben ſolle wie etwa an einer 
Hofraithe oder gar an einem Fahrnißgegenſtand. Aber nicht allein das 
Volksbewußtſein, ſondern auch volkswirtſchaftliche und politiſche Er⸗ 
wägungen verlangen eine Aenderung des dermaligen Zuſtandes, und 
es geht deshalb unſere Anſicht dahin, daß man das Begehen der privaten 


Wald⸗ und Forſtwege ſöwie das Befahren derſelben mit leichten land⸗ 
wirtſchaftlichen und Perſonenfuhrwerken allgemein geſtatten ſollte; den 
intereſſierten Nachbargemeinden könnte dafür die Auflage gemacht werden, 
den Waldeigentümern einen etwa durch die Mehrbenutzung des Weges 
entſtehenden größeren Unterhaltungsaufwand zu erſetzen. 

Was ferner die Neuanlage von Wald und Forſtwegen anbe⸗ 
trifft, ſo erſcheint es uns dringend wünſchenswert, den Waldeigentümern 
das Recht zu geben, ſolche im Falle eines nachgewieſenen dringenden 
Bedürfniſſes — worüber der Bezirksrat zu entſcheiden hätte — auch 
über das forſt⸗ und landwirtſchaftliche Eigentum Fremder gegen ent⸗ 
ſprechende Schadensvergütung anlegen zu dürfen. Wenn wir eine ſolche 
Ausdehnung des landrechtlichen Wegerechtes (L.-R. S. 682 folg.) vor: 
ſchlagen, ſo geſchieht dies keineswegs aus Rückſicht auf die Waldwege 
bauenden Großgrundbeſitzer, ſondern vielmehr zum Schutze und zur 
Erhaltung des Bauernſtandes. 

Nicht ſelten kommt es nämlich im Schwarzwald vor, daß der Beſitzer 
eines größeren Waldes einen neuen Holzabfuhrweg von der Höhe aus 
thalabwärts anlegen möchte; dieſer Weg müßte dabei auch durch das 
Eigentum mehrerer Hofbauern hindurch gehen, welche ſich aber — ſtarr⸗ 
und eigenſinnig, wie die Bauern nun manchmal find — freiwillig mit einer 
ſolchen Weganlage nicht einverſtanden erklären wollen, und ſo findet 
es ſchließlich die „Herrſchaft“ für das Beſte, dieſe Bauernhöfe gleich⸗ 
falls anzukaufen, womit wiederum ein Stück des Bauernſtandes ver⸗ 
nichtet iſt. Dem Verfaſſer iſt ein Fall bekannt, wo das Projekt der 
Anlage eines ſolchen Thalweges der Anlaß zum Auskaufen einer ganzen 
Gemeinde gegeben hat, weil ſich faſt jeder Bauernhof bis zum Thale 
herabzog, und man mit den Beſitzern derſelben wegen Anlage des Weges 
nicht einig werden konnte oder wollte. Hätte die „Herrſchaft“ damals 
das Recht gehabt, die betr. Bauern zur Duldung des Wegbaues durch 
ihre Höfe zu zwingen, ſo würden die Letzteren aller Wahrſcheinlichkeit 
nach auch jetzt noch beſtehen. 

Weiter wäre das Recht der Wald⸗ und Forſtwege dahin auszu⸗ 
bilden, daß die einmal vorhandenen privaten Waldwege von den Be⸗ 
figern der benachbarten Waldungen gegen Erſatz eines verhältnismäßigen 
Teiles der Unterhaltungskoſten und der Zinſen des Anlagekapitals mit⸗ 


d benutzt, und daß zu dieſem Zwecke Anſchlüſſe an dieſelben ſeitens dieſer 
Nachbarn hergeſtellt werden dürfen. 


Auch dieſer Vorſchlag hat lediglich die Erhaltung des Bauern⸗ 
ſtandes zum Zweck: Unter dem gegenwärtigen Rechtszuſtande kann ein 
größerer Wald⸗ und Wegbeſitzer einem benachbarten Bauern, der Holz 
in ſeinem eigenen Walde hauen will, die Benutzung der dem Erſteren 
gehörigen Holzabfuhrwege, ſelbſt wenn ſie ganz in der Nähe des 
Bauernwaldes vorbeiziehen, unterſagen, und er hat ſo ein kräftiges 
Mittel in der Hand, den Bauern mürbe zu machen, um dann ſpäter 
deſſen Hofgut mitſamt dem daraufſtehenden Holzvorrat zur Vergrößerung 
ſeines Beſitzes, womöglich zu billigem Preiſe, zu erwerben; eine ſolche 
Spekulation würde gewiß durch unſern obenerwähnten Vorſchlag un⸗ 
möglich gemacht werden. 


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Wenn ein Waldwegnetz von einer größeren Anzahl von Wald⸗ 
beſitzern in Anſpruch genommen wird, ſo wäre für dieſen Fall ge⸗ 
fetzlich die Errichtung öffentlich-rechtlicher Waldweggenoſſen⸗ 
ſchaften zu ermöglichen. 5 Fa 

Auch nach Schaffung eines Rechts der Forſt- und Waldwege würde 
der Wunſch der Landbevölkerung beſtehen bleiben, daß der Staat die 
bedeutendſten und am meiſten benutzten dieſer Privatwege ganz in 
ee öffentliche Gemeinde- oder Kreiswege umwandeln möge. es 
dung e Ein weiterer von uns zu beſprechender Punkt bildet die Sorge 
a 


En: für die vernünftige Bewirtſchaftung der kleinen Waldpar⸗ 


zellen; häufig iſt dieſe Bewirtſchaftung ſeitens der bäuerlichen Beſitzer 
eine recht ſchlechte, und es pflegt dies dann von dem Domänenärar und 
den ſonſtigen Großgrundbeſitzern zum Anlaß genommen zu werden, um 
ſolche Parzellen — der beſſeren Bewirtſchaftung wegen, wie man ſagt 
— zuſammenzukaufen; hiermit iſt dem Bauernſtand aber nicht geholfen; 
im Gegenteil es iſt ihm wiederum ein Stück ſeines Thätigkeits⸗ und 
Lebensgebietes entzogen. 5 

Die zerſplitterten Eigentumsverhältniſſe am Wald ſind nun in 
der Regel durch Aufteilung früherer Gemein- und Genoſſenſchaft⸗ 
Waldungen entſtanden, indem man von der Vorausſetzung ausging, 
der Einzelne werde ſeinen Anteil am beſten bewirtſchaften, wenn er 
allein über denſelben zu verfügen habe; auch beſtand ja bisher für den 
Wald keine Ausnahme von der Vorſchrift des code civil und Bad. Lande 
rechts (Satz 815 u. 577 bg), daß jedes Mitglied einer Gemeinſchaft auf 
naturale Teilung derſelben dringen kann. 

Die erwähnte Vorausſetzung iſt nun allerdings nicht eingetroffen 
und es geht deshalb unſer Vorſchlag dahin, dieſe Waldparzellen wieder 
zu gemeinſamer Bewirtſchaftung zuſammenzufaſſen, mit andern Worte, 
wir möchten, um dieſelben dem Bauernſtand zu erhalten, die Erlaſſung 
eines Geſetzes über die zwangsweiſe Gründung öffentlich-recht⸗ 
licher Waldgenoſſenſchaften zur gemeinſamen Bewirtſchaftung 
von Waldparzellen anregen. Wo noch von früheren Zeiten Gemein⸗ 
ſchaftsverhältniſſe am Wald beſtehen, da ſollten dieſe möglichſt gehütet, 
zugleich aber auch in moderne wohlgeordnete Genoſſenſchaften überge- 
leitet werden. In vieler Hinſicht könnte man ſich hier das preußiſche 
Geſetz vom 6. Juli 1875 zum Muſter nehmen. 2 

Der Erwägung wert ſcheint es, ob man nicht den Mitgliedern 
ſolcher Waldgenoſſenſchaften, ſofern ſie Bauern ſind, bei Verkäufen von 
Genoſſenſchaftsanteilen an Nichtlandwirte (insbeſondere Auswärtige) ein 
Loſungsrecht nach Analogie des früheren L.-R. S. 1701 aa verleihen 
ſollte, um den Eintritt fremder Kapitaliſten in die Waldgenoſſenſchaft 
a: möglichſt zu erſchweren. N £ 
Be niage man Das Prinzip der öffentlich-rechtlichen Zwangsgenoſſenſchaften möchten 
in den wir ferner vorſchlagen, zur Anlage von größeren Stauweiern in 
dezenten. den Quellengebieten des Schwarzwaldes dienſtbar zu machen. Jeder 

Freund der Landwirtſchaft ſollte ſolchen Unternehmungen ſeine energiſchſte f 

Unterſtützung angedeihen laſſen und zwar nicht allein deshalb, weil da⸗ 
durch neben der Bildung induſtrieller Waſſerkräfte auch die Bewäſſerung 


* 


* 


der Thalwieſen beſſer eingerichtet werden kann, ſondern vor allem, weil 
man es dann vielleicht nicht mehr für nötig erachten wird, im Intereſſe 
der Waſſerwirtſchaft einen Bauernhof nach dem andern zur Wald⸗ 
anlage anzukaufen; denn das dürfte unbeſtritten ſein, daß ein einziger 
größerer Stauweier mehr Waſſer im Gebirge zurückhalten kann, als 
wenn man eine ganze Gemeinde zu Wald aufforſtet. 

Rückſichten auf das Klima werden unſeres Erachtens überhaupt 
nur mit Unrecht für Vermehrung des Waldbeſtandes im Schwarzwald 
geltend gemacht. Vor uns liegt ein Schriftchen des jetzigen Oberzoll⸗ 
inſpektors und früheren Obereinnehmers und Domänenverwalters K. Gräff 
„über die Veränderungen des Klimas und der Bodenkultur am Badiſchen 
Oberrhein“, (Karlsruhe 1886), worin dieſer — unſeres Erachtens mit 
vollem Recht — ausführt, wie das Klima im Schwarzwald durch die 
bedeutenden Neuaufforſtungen in den letzten Jahrzehnten und durch die 
Vermehrung der Holzbeſtände in den ſchon vorhandenen Wäldern zum 
Nachteil der Landwirtſchaft beträchtlich kühler und feuchter geworden ſei. 
Auch wir haben von den Bauern des Schwarzwaldes noch niemals 
darüber klagen hören, daß das Klima daſelbſt nicht feucht genug ſei, 
wohl aber, daß der Frühling in Folge des langen Zurückbleibens des 
Schnees in den bedeutend vergrößerten Waldungen immer ſpäter ein⸗ 
trete, und daß die Früchte in Folge mangelnder Wärme nicht mehr 
ſo ſicher reif würden wie früher. Wir möchten uns deshalb vollſtändig 
dem Herrn Oberzollinſpektor Gräff anſchließen, wenn dieſer am Schluſſe 
ſeines Büchleins (S. 45) ſagt: 

„Wenn die norddeutſchen Forſtverwaltungen die Notwendigkeit 
ausgedehnter Aufforſtungen aus klimatiſchen Rückſichten betonen, ſo 
läßt ſich dieſe Forderung durch den Hinweis auf die obenerwähnte 
Regenarmut und den geringen Prozentſatz der Waldungen begründen; 
dagegen ſind unſere ſüddeutſchen, namentlich Badiſchen Verhältniſſe 
mit einem großen Uebermaß von Pilzkrankheiten, Regen, Hagel und 
Waldungen derart geſtaltet, daß die für Norddeutſchland wohlthätigen 
Maßregeln hier unbedingt Schaden bringen müſſen.“ 
Nicht die Forſtwirtſchaft iſt die Grundlage des Staatslebens, 


ſondern die Landwirtſchaft, und deshalb möchten wir hier zum Schutze 
der Schwarzwälder Hofbauern gegen die Erwerbungs: und Aufforſtungs⸗ 8 


beſtrebungen mancher Forſtwirte noch folgende weiteren Vorſchläge machen: 

Einmal ſollte man zur Erſchwerung des Aufkaufes der Bauern⸗ 
güter ſeitens der toten Hand eine dem ſächſiſchen Hypothekenrecht nach⸗ 
gebildete Geſetzvorſchrift in Erwägung ziehen, dahingehend, daß bei 
Vereinigung mehrerer bäuerlicher Hofgüter in einer Hand die Gebäude 
für jedes Gut erhalten werden müſſen, wie auch jedes Gut für ſich 
kataſtriert bleibt. In Baden ſind jetzt die ſogenannten geſchloſſenen 
Hofgüter des Schwarzwaldes wohl gegen eine Zerſtückelung geſichert; 
mindeſtens ebenſogroß als die Gefahr ihrer Zerteilung iſt jedoch die 
Gefahr ihrer Aufſaugung durch den Großgrundbeſitz, und deshalb er⸗ 
ſcheint uns auch eine Schließung gegen den Letzteren erforderlich, ſoll 
die Geſchloſſenerklärung überhaupt ihren Zweck: Erhaltung des Hof⸗ 
bauernſtandes erfüllen. 


Ausdehnung 
des Waldes 
aus Rück⸗ 


ſichten auf 
das Klima. 


dehnung des 
Waldes 


* 


* 


Ferner möchten wir vorſchlagen, die Aufforſtung von Acker 
Wieſengelände für jeden einzelnen Fall von einer bezirksrätlichen ( 
nehmigung abhängig zu machen; dieſelbe wäre nur im Falle eines 
zweifellos nachgewieſenen öffentlichen Bedürfniſſes zu erteilen, und in 


dem Bezirksrat würden dabei jeweils auch die landwirtſchaftlichen J 


tereſſen zur Geltung kommen; umgekehrt iſt ja ſchon jetzt zur Au 
rodung eines Waldes nach § 89 des Forſtgeſetzes die forſtpolizeiliche 
Genehmigung erforderlich. 8 
Der Erwägung wert wäre ferner der Gedanke, der Gemeinde für 
alle Verkäufe von Bauernhöfen an die tote Hand (mit Ausnahme von 
Verkäufen im Zwangs- und Konkurswege) wieder ein Vorkaufsrecht 
einzuräumen. Schon durch das Beſtehen eines ſolchen Rechtes würde 
gewiß manche Hofgutserwerbung ſeitens des Großgrundbeſitzes verhütet; 
auch wäre es im allgemeinen Intereſſe immerhin beſſer, die Gemeinde 
erwürbe ein Hofgut, als dasſelbe geht an den Staat, eine Stiftung 

oder Fideikommißverwaltung über; jedenfalls würde es von einer dieſer 
„Herrſchaften“ nicht wieder ſo leicht an den Bauernſtand herausgegeben 
werden, als von der Gemeinde, welche doch das nächſte Intereſſe an 

dem Gedeihen ihrer Bürger hat und ſich bei der Gutsverwaltung ge— 
wiß am wenigſten von rein forſtwirtſchaftlichen Geſichtspunkten leiten 
ließe. Nicht mit Unrecht ſagt Lorenz v. Stein in ſeinen „drei Fragen 
des Grundbeſitzes“, S. 35: 2 
„Liegt es nicht nahe, einmal darüber ernſthaft nachzudenken, 

ob nicht .. . . das völlige Verſchwinden des urſprünglichen Nachbar⸗ 
rechtes eine jener Gewalten iſt, welche dem Grundbeſitzer alle die 
jenigen Exiſtenzbedingungen in Frage ſtellen, die in der örtlichen 
Gemeinſchaft liegen? und ob es daher nicht ein urſprüngliches Recht 
herſtellen hieße, wenn man der Gemeinde jenes alte Vorkaufsrecht 
wieder einräumt, gegenüber dem Zwangs- wie dem freien Verkaufe.“ 


Zum Schluſſe dieſes Abſchnittes verweiſen wir wegen der ſonſtigen 
Maßnahmen, die unſeres Erachtens zur Erhaltung des Hofbauernſtandes 
auf dem Schwarzwald zu ergreifen wären, auf das an anderer Stelle 
dieſes Schriftchens Geſagte: in erſter Linie erſcheint uns eine veränderte N 
Grundbeſitzpolitik des Domänenärars dringend wünſchenswert, nämlich 
daß dieſes von dem Streben nach Ausdehnung ſeines Waldbeſitzes durch 
Aufkauf und Aufforſtung von Bauernhöfen zurückkommen möge; das 
neben wäre weiter insbeſondere die Neugeſtaltung des Anerbenrechtes 
in Betracht zu ziehen, um der ſteigenden Verſchuldung der Hofbauern 
entgegenzuwirken, und ferner die Errichtung eines ländlichen Hypothekar⸗ 
kreditinſtitutes, damit die Hofbauern künftig ungefähr desſelben mäßigen 
Zinsfußes teilhaftig würden, wie jetzt der Großgrundbeſitz (Staat, 
Stiftungen, Fideikommißverwaltungen) und dadurch die Bevorzugung 
des Letzteren bei allen Gutsverkäufen — bei 30% niedererem Zinsfuß 
kann auch ein 30% höherer Kaufpreis geboten werden — beſeitigt würde. 


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3. Handels⸗ und Marftpolizei. 


I. Von allen Zweigen des Handels iſt es hauptſächlich der Vie h⸗ vie handel. 
handel, deſſen Auswüchſe ſchon ſeit lange die Aufmerkſamkeit der 
Regierung in Anſpruch nehmen. 

Jeder, der einmal längere Zeit unter unſerm Kleinbauernſtand 
gelebt hat, weiß, wie häufig der kleine Mann im Viehhandel übervor⸗ 
teilt wird, und wie der Viehhandel oft geradezu in den Viehwucher 
| ausartet, oder ſich doch andere Wuchergeſchäfte an denſelben anknüpfen; 
N man muß ſich oft wundern, wie wenig der Kleinbauer den Wert ſeines 
Viehes, das er verkaufen will, kennt, und wie er ſich darüber oft erſt 
durch den Handelsmann, der es ihm dann abſchwätzt, belehren laſſen muß. 

Wenn wir uns nun fragen, was kann zur Beſſerung ſolcher Zu⸗ 
4 ſtände geſchehen, ſo möchten wir darauf folgendermaßen antworten: 
F 1. Vor allen Dingen iſt dahin zu ſtreben, den Kleinbauernſtand 
I allgemein in Bildung und Charakter emporzuheben, damit er ſelbſt⸗ 
| ftändiger und unabhängiger in ſeinen Geſchäften werde als bisher; auch 

iſt es demſelben immer wieder vor Augen zu führen, daß es einen 
| Verrat an ſeinen Standesgenoſſen bedeutet, wenn Jemand ein Stück Vieh, 
das auch ein Nachbar oder ſonſtiger Bekannter gern erwerben möchte, 

| zum jelben Preis oder gar noch billiger an einen Handelsmann ver- 
| äußert, damit erſt dieſer noch ſeinen Gewinn davon habe. 
| . Die Kleinbauern ſind ferner immer wieder darauf hinzuweiſen, 
| daß fie ſich ihr Jungvieh (insbeſondere ihre Kühe) jelbit aufziehen und 
| 
N 


dann, wenn ſie ſchlachtreifes Vieh zu verkaufen haben, ihren Abſatz 
möglichſt direkt an den Metzger oder einen Großhändler ſuchen. 

Die Erfahrung lehrt jedoch, daß ſolche Ermahnungen und Be⸗ 
lehrungen bei unſerem Kleinbauernſtand, wenn überhaupt, nur ſehr lang⸗ 
ſam und allmählich wirken, und ſo wird die Regierung wohl auch hier mit 

weiteren poſitiven Maßnahmen der Landwirtſchaftspflege vorgehen müſſen. 

2. Wie bereits oben erwähnt, iſt der Kleinbauer häufig über den 

| Wert jeines Viehes nur ſehr ungenau unterrichtet, und der Grund da⸗ 
| von liegt, abgeſehen von den bäuerlichen Charaktereigenſchaften, unſeres 
| Erachtens insbeſondere darin, daß der Nachrichtendienſt über die auf 
den einzelnen Viehmärkten erzielten Viehpreiſe noch nicht genügend 
| organiſiert iſt; bei dem einen Markte werden die Viehpreiſe nach diejen, 
N bei dem andern wieder nach ganz anderen Grundſätzen feſtgeſtellt, ſo 
| daß es dem Kleinbauern nicht möglich ift, wenn er die betr. Angaben 
f in der Zeitung ließt, daraus klug zu werden; es iſt deshalb dringend 
N 5 zu verlangen, daß möglichſt bald nicht allein für ganz Baden, ſondern 
ö für das ganze Reich einheitliche Grundſätze über die Feſtſtellung der 
Viehpreiſe auf den Märkten und Schlachthöfen im Wege einer öffent⸗ 

lichen Verordnung aufgeſtellt werden. 


48 


In einer ſolchen Verordnung müßte beiſpielsweiſe beſtimmt werden, 
von welcher Beſchaffenheit das Vieh J., II. und III. Qualität zu fein 
hätte; der größte Wert aber wäre darauf zu legen, daß die Feſtſetzung 
und Veröffentlichung der Marktpreiſe künftig überall lediglich nach dem 
Lebendgewicht des verkauften Viehes erfolgte, — wobei die Verwiegung 
nach einem Hungerzuſtand von 10 —12 Stunden zu geſchehen hätte — 
nicht aber nach dem Schlachtgewicht; denn die Angabe des Preiſes 
für das geſchlachtete Vieh (Halbfabrikat) wäre wohl für den Metzger 
angenehm und bequem; ſie würde aber den Bauern nichts nützen, und 
dieſen gilt es doch gerade im Viehhandel vor Uebervorteilung und Be⸗ 
wucherung zu ſichern. f Be: 

Die Preiskommiſſion, welcher die Aufgabe zukäme, die an den 
einzelnen Tagen wirklich gezahlten Preiſe feſtzuſtellen und daraus den 
zu veröffentlichenden Durchſchnitt feſtzuſtellen, ſollte ſelbſtverſtändlich 
nicht lediglich aus Händlern und Metzgern zuſammengeſetzt ſein; viel- 
mehr ſollte der Vorſitzende, wenn irgend möglich, ein ſtaatlich ange⸗ 
ſtellter Tierarzt ſein, und es ſollten der Kommiſſion ebenſoviele Land⸗ 
wirte als Händler und Metzger angehören; denn nur dann iſt eine 
unparteiiſche Feſtſtellung der Preiſe zu erwarten. a 

Sehr empfehlen würde es ſich unter Anderm auch einige Metzger 
für hohe Preisfeſtſtellung zu intereſſieren; ſo ſchwer dies im erſten 
Augenblick erſcheinen möchte, ſo könnte es doch leicht in der Weiſe ge⸗ 
ſchehen, daß die Militär-, Spitalverwaltungen u. ſ. w. veranlaßt würden, 
ihren Fleiſchbedarf nicht mehr wie jetzt zu einem feſten Preiſe für das 
Pfund Fleiſch oder mit einem beſtimmten prozentualen Abzug von den 
jeweiligen öffentlichen Fleiſchdetailpreiſen zu vergeben, ſondern zu einem 
Preiſe, welcher in einem beſtimmten Verhältnis zu den Lebendgewichts⸗ 
preiſen eines Marktortes oder größeren Schlachthofes ſteht; die betreffen⸗ 
den Uebernehmer der Fleiſchlieferung hätten dann ein Intereſſe daran, 
daß alle auf Erhöhung der Preisfeſtſetzung wirkenden Thatſachen zur 
Kenntnis des Vorſitzenden der Preiskommiſſion gelangten. x 

Anmerkung: Wie übrigens die Metzger durch die Vergebung der Steig. 2 

lieferungen ſeitens der größeren Verwaltungen unter beſtimmten prozentualen Ab⸗ 
zügen geradezu gezwungen werden, die Detailpreiſe für das Privatpublikum hoch 
zu halten, hat ſich bei dem vom Stadtrat Freiburg vor einigen Monaten gegen die 
Metzgerinnung daſelbſt geführten Kampfe deutlich gezeigt; die Metzger wollten auf 
eine Herabſetzung der für das Privatpublikum üblichen hohen Detailpreiſe insbe⸗ 
ſondere deshalb nicht eingehen, weil ſie dann infolge der zugeſtandenen prozen⸗ 
tualen Abzüge auch die Fleiſchpreiſe für die größeren Verwaltungen, die ihnen 
ohnehin nur ein geringes Verdienſt übrig ließen, hätten ermäßigen müſſen. 
Um der Preiskommiſſion ihre Aufgabe zu erleichtern bezw. ſie ihr 
überhaupt erſt zu ermöglichen, ſollte jedem Marktbeſucher bezw. jedem das 
Schlachthaus benutzenden Metzger die wahrheitsgemäße Angabe der be⸗ 
treffenden Viehpreiſe nach Lebendgewicht zur Auflage gemacht werden, 
und es müßte die Umgehung dieſer Vorſchrift oder die Vorbringung 
wahrheitswidriger Angaben ausdrücklich unter Strafe geſtellt werden, 
ſelbſt für den Fall, daß der Betreffende von der wahrheitswidrigen 
Angabe keinen erwieſenen Vorteil hätte. 


3. Damit ein Bauer ſich den Wert eines Stückes Vieh berechnen 5 8 


* 


kann, muß ihm vor allem (abgeſehen etwa von Kühen) das Lebend⸗ 


gewicht desſelben bekannt ſein; es ſollten deshalb die Bürgermeiſter⸗ 
ämter derjenigen Orte, wo ſich noch keine Viehwaagen befinden, energiſch 
angehalten werden, für baldige Anſchaffung ſolcher zu ſorgen. 

Wenn es gelänge, die Landwirte daran zu gewöhnen, daß ſie ihr 
Vieh vor dem Abſchluß von Handelsgeſchäften künftig zuerſt wiegen 
würden, ſo wäre zur Geſundung des Viehhandels ſchon viel erreicht. 

Insbeſondere ſollte die Benutzung der Viehwagen vor und bei 
Märkten möglichſt erleichtert werden; man könnte in dieſer Hinſicht die * 
Anordnung treffen, daß alle diejenigen, welche über die ſtattgehabte Ver⸗ 
wiegung einen Waagſchein vorzeigen, von der Marktgebühr befreit ſein 
ſollen. Empfehlen würde es ſich ferner, gegen Ende des Marktes 
Prämien zu verteilen an die beſten Gewichtsſchätzer unter den Vieh⸗ 
ausſtellern, um ſo die Landwirte aufzumuntern, ſich in der Schätzung 
des Viehes zu üben. 

Die Abhaltung der Märkte verdient überhaupt in jeder Weiſe die 
Unterſtützung der Regierung, weil die Landwirte durch ſie in Stand 
geſetzt werden, unter Umgehung der kleinen Händler unmittelbar an 
Berufsgenoſſen oder an Großhändler oder an Metzger zu verkaufen, 
und weil ferner bei Marktgeſchäften in der Regel eine raſche Geſchäfts⸗ 


ahwicklung ſtattfindet, ſodaß alſo nicht wie beim Viehhauſierhandel die 


Gefahr beſteht, daß ſich an das eine Geſchäft noch andere, mehr oder 


weniger wucherartige anſchließen. i 
Auch die Wirkſamkeit der Kreditvereine verdient hier hinſichtlich 
der Beſſerung der Zuſtände im Viehhandel eine anerkennende Würdigung; 
denn dadurch daß ſie den Bauern die Mittel vorſtrecken, ein notwendig 
gebrauchtes Stück Vieh baar zu bezahlen, vermeiden ſie die Gefahren, 
welche ſonſt aus dem Verkehr mit Viehhändlern für den Bauer ent⸗ 
ſpringen können. 

4. Der größte Mißſtand, der im Viehhandel herrſcht, iſt unſtreitig 
ein perſönlicher; er liegt in dem Charakter derjenigen Leute, welche 
den Viehhandel als Haupterwerbszweig betreiben. 

Gott ſei Dank, bietet nun Artikel III des Reichsgeſetzes vom 19. Juni 
1893 endlich eine genügende Handhabe, um gegen gewiſſenloſe Handels⸗ 
gebräuche der Viehhändler vorzugehen; durch den erwähnten Artikel 
wurde nämlich die Beſtimmung in die Gewerbeordnung aufgenommen, 
daß der Viehhandel künftig zu denjenigen beſonders beaufſichtigten Ge⸗ 
werben zählen ſoll, „deren Betrieb zu unterſagen iſt, wenn Thatſachen 
vorliegen, welche die Unzuverläſſigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug 
auf ſeinen Gewerbebetrieb darthun.“ 

Wohlgemerkt! nicht etwa eine Beſtrafung wegen Diebſtahles, Be⸗ 
truges, Unterſchlagung, Wuchers, Vergehens gegen Seuchenverhütungs⸗ 
vorſchriften u. ſ. w. iſt erforderlich, ſondern lediglich Beweiſe der Un⸗ 
zuverläſſigkeit; das Geſetz ordnet auch nicht an: „kann unterſagt werden“, 
ſtellt alſo die Erlaſſung des Verbots nicht dem Ermeſſen der Verwal⸗ 
tungsbehörde anheim, ſondern ſchreibt, ohne Ausnahmen zuzulaſſen, vor: 
„iſt zu unterſagen“. 

Im Intereſſe der Landwirtſchaft ſcheint uns nun eine energiſche 

Es 


Durchführung dieſer neuen Geſetzesvorſchrift nur allzu wünſchenswert; 
wenn ein ſolches Verbot des Viehhandels ſeit Erlaſſung des oben 2. 
wähnten Reichsgeſetzes bis zum 1. Mai l. J. nach den Veröffentlichunge Fi 

Gr. Minifteriums des Innern im Ganzen nur zweimal i 45 
wurde, ſo ſcheint es uns, als ob man bei Verhängung dieſer Strafe 
etwas zu vorſichtig und rückſichtsvoll geweſen wäre; in manchem kleine 
Bauerndorf würde ein ſolches Verbot luftreinigend wirken wie ein 
kühles Gewitter in ſchwüler Sommerhitze. 5 
In Folge des erwähnten Reichsgeſetzes iſt ferner das Miniſterium 
jetzt nach $ 38 der Gewerbeordnung befugt, Vorſchriften zu erlaſſen, in 
welcher Weiſe die Viehhändler ihre Bücher zu führen, und welcher 
polizeilichen Kontrole über den Umfang und die Art ihres Geſchäfts⸗ 
betriebs ſie ſich zu unterwerfen haben. 3 1 
Wer die Geſchäftsweiſe dieſer Handelsleute kennt, wird gewiß mit 
uns in die Bitte an das Miniſterium einſtimmen, dasſelbe möge keine 
Zeit mehr vorübergehen laſſen, um dieſen Paragraphen im Intereſſe 
des kleinen Bauernſtandes gehörig auszunutzen und jo den Vieh 
handel unter die geſetzlich zuläſſige, leider jo ſehr not 
wendige Polizeiaufſicht zuſtellen; mancher dunkle Schleichweg 
würde wohl verſperrt oder bekannt gemacht werden, wenn jeder Vieh⸗ 
händler über jeine ſämtlichen Viehhandelsgeſchäfte ein genaues Regiſter 
führen und dieſes in regelmäßigen Terminen (nicht etwa blos bei be⸗ 
ſtimmten Verdachtsgründen) durch das Bürgermeiſteramt an das Bezirks⸗ 
amt zur Einſicht vorlegen müßte. 1 
5. Von allen Arten des Viehhandels iſt die Viehverſtellung 
(Viehverleihung) die für den Bauernſtand gefährlichſte; am verbreitets 
ſten iſt ſie im Gebiete des franzöſiſchen Rechts, wo die Art. 1800 
folg. des code Napoleon (bezw. Badiſchen Landrechts) den Händler (Vieh⸗ 
verſteller) jo begünſtigen, daß er geradezu zu ſolchen Geſchäften heraus: 
gefordert wird. Sr 
In der Regel findet die Viehverſtellung durch den Händler unter 
der Bedingung ſtatt, daß der Wertzuwachs des beim Bauer eingeſtellten 
Viehs nach Ablauf eines beſtimmten Zeitraumes unter beiden Parteien 
nach einem gewiſſen Verhältnis (z. B. hälftig) geteilt werden ſoll; der 
Händler weiß aber dabei jeweils den Löwenanteil aus ſolchen Ge⸗ 
ſchäften für ſich einzuheimſen; denn der Ortsgebrauch und die Ab⸗ 
hängigkeit des Bauern vom Händler bringt es in der Regel mit ſich, 
daß die Schätzung des Viehes bei der Einſtellung und nach Ablauf der 
hierfür vereinbarten Zeitdauer in Wirklichkeit lediglich vom Händler 
gemacht wird, ſodaß dieſer das Geſchäft ſozuſagen allein in Händen 
hat; nicht ſelten weiß der Händler auch den Bauern zu bewegen, daß 
er Vieh bei ſich einſtellen läßt, welches vorerſt noch keinen Nutzen ges 
währt z. B. eine Kuh, welche trocken ſteht, oder einen jungen Ochſen, 
welcher zum Zug noch zu ſchwach iſt oder erſt dazu angelernt werden 
ſoll, und der Händler nimmt dann dem Bauer das Stück Vieh gerade 
dann wieder aus dem Stall, wenn er ſieht, daß es einen Nutzen zu 
gewähren anfängt. i 
Was gegen ſolche Mißſtände geſchehen könnte, darüber ſeien hier 


N 


die Worte des Staatsrats Buchenberger in Band II ſeiner Agrarpolitik 
S. 226 angeführt: 
| „Den Auswüchſen der Viehpacht könnte wenigſtens einigermaßen 
dadurch begegnet werden, daß dem Verſteller des Viehes die Verpflichtung 
ur amtlichen Abſchätzung des Stellviehes auferlegt, Verſtellung von | 
Vieh in einem Lebensalter, in dem es eine Nutzung noch nicht abwerfen 3 
kann, verboten wird (wie dies das für Elſaß⸗Lothringen erlaſſene Geſetz 1 
— 
* 


vom 18. Juli 1890 vorſchreibt); noch wirkſamer würde eine zivilrecht⸗ 
liche Ergänzung der geltenden Vorſchriften über die Viehpacht in dem 
Sinne ſein, daß dem Verpächter (Einſteller) gegenüber das Recht, das 
eingeſtellte Tier zurücknehmen zu dürfen, nur für beſtimmte Fälle der 
Vertragsverletzung eingeräumt, und daß andere Vorteile als eine im 
Voraus für die ganze Dauer der Pachtzeit feſtzuſetzende Geldentſchädi⸗ 
gung (ſtatt der üblichen Teilung des Nutzens in natura) nicht aus⸗ N; 
bedungen werden dürfen.” Bi 
II. Wenn der Bauer im Viehhandel oft im Kleinen übervorteilt undſass⸗ 
und bewuchert wird, ſo geſchieht es im Grundſtückshandel nicht 
ſelten im Großen; dort handelt es ſich nur um einzelne Märklein, hier 
um Tauſende Mark; um ſo viel ſchneller werden ja auch die ländlichen 
Güterhändler reich als die Viehhändler. 
Da bietet nun auch wieder das mehrerwähnte Reichsgeſetz vom 
19. Juni 1893 die Möglichkeit wenigſtens gegen die gröbſten Aus⸗ 
artungen des Güterhandels einzuſchreiten; denn es beſtimmt in Art. III, 
daß auch der Handel mit ländlichen Grundſtücken künftig (ebenſo wie 
der Viehhandel) zu denjenigen beſonders beaufſichtigten Gewerben ge⸗ 
hören ſoll, welche zu unterſagen ſind, wenn Thatſachen vorliegen, welche 
die Unzuverläſſigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf ſeinen Ge⸗ 
| werbebetrieb darthun; zweitens ermächtigt das erwähnte Reichsgeſetz das 
Miniſterium jetzt, nach §S 38 der Gewerbeordnung Vorſchriften darüber 
® zu erlaſſen, in welcher Weiſe die Güterhändler ihre Bücher zu führen, 
und welcher polizeilichen Kontrole über den Umfang und die Art ihres 
E Geſchäftsbetriebes fie ſich zu unterwerfen haben, und von dieſer Er⸗ 3 
mächtigung hat das Gr. Miniſterium des Innern bereits angefangen * 
Gebrauch zu machen, indem es mit Verordnung vom 15. Mai 1895 = 
| den gewerbsmäßigen Güterhändlern die Führung von Geſchäftsbüchern, 
IE welche jederzeit von den Polizeibehörden eingeſehen werden können, zur i 
Auflage machte; drittens bedroht das erwähnte Reichsgeſetz am Schluſſe 7 
| des Art. I alle diejenigen mit Strafe, „welche den über das Abhalten br 
von öffentlichen Verſteigerungen und über das Verabfolgen geiftiger 
Getränke vor und bei öffentlichen Verſteigerungen erlaſſenen polizei⸗ 
lichen Anordnungen zuwiderhandeln.“ 
N Letztere Geſetzesbeſtimmung ſollte unſeres Erachtens unbedenklich 
N dazu benutzt werden, die Verſteigerung von Liegenſchaften an Sonn⸗ 
1 und Feiertagen oder nach Sonnenuntergang ſowie in Wirtshäuſern oder 
| ſonſt unter Gewährung geiſtiger Getränke ganz zu verbieten; den Güter⸗ 
| 
| 


WIDE FETTE Are An 


händlern jollte ferner die Auflage gemacht werden, dem Gr. Bezirksamt 
von jeder beabſichtigten Güterverſteigerung mindeſtens acht Tage vorher 
unter Anſchluß des Entwurfes der Verſteigerungsbedingungen, welcher 


4* 


- 


außerdem acht Tage lang auf dem Rathaus auszulegen wär 

zu erſtatten, und dem Vorſtand des Bezirksamts wäre dann das 9 
einzuräumen, bei der Verſteigerung ſelbſt zugegen zu ſein ode 
hierbei durch einen anderen Beamten vertreten zu laſſen; die vorgele 

Verſteigerungsbedingungen ſollten ſeitens des Bezirksamtes jeweils ei 
genauen Prüfung und Durchſicht unterworfen werden, ob keine gegen 
die Strafgeſetze oder gegen die guten Sitten verſtoßenden Beſtimmung 
darin enthalten ſind. Geſchähe dies Alles, ſo würde es gewiß nicht 
mehr vorkommen, daß der Händler die Zahlungstermine für den Kauf: 
ſchilling gerade auf die für den Käufer ungelegenſte Jahreszeit feſtſetzt, 
um denſelben dann um ſo feſter in ſeine Hand zu bekommen, oder da 
er die Termine — wie es in einzelnen Grenzorten vorgekommen iſt — 
bei ausländiſchen Kaſſen zahlbar macht, oder daß er eine Beſtimmung 
in das Verſteigerungsprotokoll aufnimmt, wonach ſofort die ganze Schuld 
oder gar noch eine Konventionalſtrafe dazu fällig werden fol und die 
bisherigen Teilzahlungen als nicht geleiſtet angeſehen werden ſollen, 
wenn nur ein Termin um ein paar Tage verſäumt wird u. ſ. w. 

N Wir glauben, daß es durch ſolche Maßnahmen gelingen würde, 
wenigſtens die ärgſten Ausſchreitungen im ländlichen Güterhandel zu 
beſeitigen, zumal wenn man — wie wir in unſerem Abſchnitt über das 
Anerbenrecht vorgeſchlagen haben — alle in der Hauptſache in ſich ab⸗ 
gerundeten Bauerngüter für geſchloſſen erklären d. h. deren Zerſtückelung 
nur noch mit ausdrücklicher obrigkeitlicher Erlaubnis geſtatten würde. 

Beten III. Unter den Maßnahmen, welche ergriffen werden können, um 
den Klagen der Landwirte über zu geringe Getreidepreiſe abzuhelfen, 
verdient in erſter Linie die Reorganiſation des Fruchthandels 
(und Fruchtabſatzes) in nähere Erwägung gezogen zu werden. 5 
Wie viel vollkommener iſt doch in Amerika der Abſatz des Ge⸗ 
treides organiſiert als bei uns! Allerdings iſt die volkswirtſchaftliche 
Aufgabe, welche der Getreidehandel in der neuen Welt zu erfüllen hat, 
eine ganz andere als bei uns: in Amerika handelt es ſich darum, die 
auf den einzelnen Farmen erzeugten Getreidemengen in einen einzigen 
großen Ausfuhrſtrom zuſammenzuleiten, welcher ſich dann von den 
europäiſchen Einfuhrſtellen aus auf die verſchiedenen Konſumtionsgebiete 
verteilt; dieſem Zwecke ſind die amerikaniſchen Einrichtungen des Ge⸗ 
treideabſatzes (Elevatoren mit Reinigungsmaſchinen, Bewertung des 
Getreides nach Standardmuſtern, Ausjtellnng von Getreidelagerſcheinen 
auf den Inhaber, Aufbewahrung und Verſandt des Getreides in loſer 
Schüttung u. ſ. w.) in bewundernswerter Weiſe angepaßt. BE 
Eine Uebertragung dieſer Einrichtungen auf unſere Verhältniſſe 
wird aber trotzdem nicht ohne Weiteres und in Bauſch und Bogen 
ſtattfinden können: in Baden können eben die Landwirte nicht einmal 
den Getreidebedarf des eigenen Landes vollſtändig decken, und es muß 
deshalb eine Einfuhr von außen her ſtattfinden; ſchon daraus geht 
hervor, daß eine Zentraliſierung des Früchtehandels in einen einzigen 
Strom wie in Amerika bei uns nicht am Platze und überhaupt nich 
möglich iſt. . ü 
Die Verwaltung eines Elevators würde ferner bei uns mit bedeutend 


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De 


ßeren Schwierigkeiten verbunden ſein wie in Amerika; denn einmal 
f und die einzelnen von unſeren Landwirten zu Markte gebrachten Frucht— 
quantitäten in der Regel bedeutend geringer und deren Sammlung des= 
halb umſtändlicher als in Amerika, wo die Farmer ihre ohnedies größere 
Wirtſchaftsfläche faſt ausſchließlich mit ein und derſelben Fruchtgattung 
bebauen, und dann find auch die Qualitäten bei uns ſehr viel ver- 
ſchiedener als „drüben“, weil dort jeder Farmer fait gerade jo wirt- 
ſchaftet wie ſein Nachbar, d. h. Unterſchiede in der Bodenbearbeitung, 
Düngung, Vorfrucht, Samenwahl u. ſ. w. ſo gut wie nicht beſtehen; 
aus letzterem Grunde wird insbeſondere die Bewertung des Getreides 
nach beſtimmten Standardmuſtern bei uns ſehr viel ſchwieriger ſein. 
Auch das Klima iſt ja in den Hauptgetreideproduktionsſtätten der neuen 
Welt allen Berichten nach ein anderes als bei uns; es iſt ein mehr 
kontinentales, und deshalb herrſcht zur Erntezeit in der Regel trockene 
und heiße Witterung; die Amerikaner brauchen deshalb keine Scheunen 
zur Aufbewahrung ihrer Ernte, laſſen die Letztere vielmehr im Freien 
liegen, bis die Frucht ausgedroſchen iſt, worauf dann ſofort die Ab⸗ 
lieferung in einen Elevator ſtattfindet; bei uns dagegen iſt wegen des 
häufig regneriſchen Erntewetters die Benutzung von Scheunen l(ins⸗ 
beſondere im Kleinbetrieb) nicht gut zu umgehen, und in dieſen läßt ſich 
dann leicht auch noch ein Platz zur Aufbewahrung der ausgedroſchenen 
Frucht vorſehen. 

Alle dieſe Verſchiedenheiten zwiſchen den amerikaniſchen Verhält⸗ 
niſſen und den unſrigen weiſen darauf hin, daß ein volkswirtſchaftliches 
Bedürfnis, auch bei uns alles Getreide durch einen Elevatorbetrieb 
hindurchgehen zu laſſen, keineswegs beſteht; aber andererſeits iſt es 
ebenſo zweifellos, daß die Errichtung ſolcher Getreidelagerhäuſer, 
ausgeſtattet mit modernen Reinigungsmaſchinen, auch bei uns im Ge⸗ 
biete des Kleinbauernſtandes ſehr ſegensreich wirken könnte, und zwar 
nicht allein inſofern, als dadurch der Abſatz des bäuerlichen Produktions⸗ 
überſchuſſes an Getreide in der Richtung nach den Konſumtionsſtätten 
unter Umgehung des kleinen Zwiſchenhandels bedeutend erleichtert würde, 
ſondern insbeſondere deshalb, weil der Landbevölkerung durch ſolche 
Getreidelagerhäuſer erſt die jetzt fehlende Gelegenheit geboten würde, 
ihr Getreide zu Zwecken des Betriebskredites zu verpfänden; das Fehlen 
einer ſolchen Möglichkeit für die jetzt zerſtreut auf kleinen Speichern 
lagernden, im Einzelnen geringen Fruchtmengen der Kleinbauern zwingt 
zur Zeit die Letzteren dazu, ihr Erzeugnis kurz nach der Ernte, wo 
ſie ja die meiſten Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen haben, zu jedem 
Preiſe loszuſchlagen, und es pflegt dann gewöhnlich der Getreidepreis 
eben wegen dieſes eiligen Angebots bedeutend herabzugehen, um viel 
leicht erſt ſpäter, wenn die Ernte von dem Zwiſchenhandel aufgekauft 
it, wieder zu ſteigen. Die Erbauung öffentlicher Getreidelagerhäuſer 
wäre aber ſicherlich geeignet, hierin zum Segen unſeres Bauernſtandes 
eine Aenderung hervorzurufen, indem der Zwang zum Verkauf der 
Frucht durch die Möglichkeit der Verpfändung und Beleihung derſelben 
beſeitigt würde; wir tragen deshalb keine Bedenken, ſelbſt eine mäßige 
Unterſtützung ſolcher Silobauten aus Staatsmitteln — 


etwa in derſelben Weiſe, wie jetzt der Bau von Lokalbahnen unterjtüt 
wird — zu empfehlen. e 
Vorausſetzung dafür, daß ſich die von uns an die Erbauung öffent 
licher Getreideſpeicher geknüpften Hoffnungen erfüllen, iſt es allerdings, 
daß man ſich bei uns, um die Veräußerlichkeit und Verpfändbarkeit 
des im Lagerhaus aufbewahrten Getreides zu erleichtern, dazu entſchließt, 
ein dem engliſch-amerikaniſchen Warrantrecht entſprechendes Lager: 
ſcheinrecht einzuführen. 7 5 
Abgeſehen von dem Bau öffentlicher Lagerhäuſer verdient ferner 
behufs Beſſerung der Zuſtände im Produktenhandel die Gründung bäuer⸗ 
licher Abſatzgenoſſenſchaften warme Unterſtützung; dieſe Ges 
noſſenſchaften haben den Zweck, den Landwirt in der Umgehung des 
kleinen Zwiſchenhandels zu unterſtützen und ihm den Abſatz unmittel⸗ 
bar an die Getreideverbraucher (Militärverwaltung, Müller, Bierbrauer 
u. ſ. w.) oder doch wenigſtens an den Großhandel zu erleichtern; ſolche 
Genoſſenſchaften können insbeſondere dann Erfolg haben, wenn ſie nur 
ſorgſam gereinigtes und ſortiertes Getreide, wie es in Großhandel ge⸗ 
wünſcht wird, zu Markte bringen. Si 5 
Viel wäre ferner für unſere kleinen Landwirte erreicht, wenn auf 
die Bäcker und Mehlhändler in den kleinen Landorten ein gewiſſer 
Zwang ausgeübt werden könnte, den Landwirten ihre Früchte abzukaufen, 
um ſie dann auf eigene Rechnung mahlen zu laſſen; wenn man jetzt 
einen Bäcker fragt, woher er ſein Mehl bezieht, ſo erhält man ſelbſt 
auf dem Lande zur Antwort: von der großen Kunſtmühle da und da; 
die Letztere verarbeitet aber doch wieder zum großen Teil ausländiſche 
Frucht, ſodaß es alſo Thatſache iſt, daß ſogar auf dem Lande, wo 
andererſeits oftmals für das inländiſche Erzeugnis nur ſchwer Abſatz 
zu finden iſt, ausländiſches Getreide verzehrt wird; dieſe Thatſache drängt 
von ſelbſt zu dem Vorſchlag hin, allen Mühlen die Vermahlung eines 
beſtimmten Kontingentes inländiſcher Frucht zur Auflage zu machen. 
Weiter ſollte die Regierung den kleinen Mühlen, welche jetzt 
dem Untergang nahe zu ſein ſcheinen, wieder mehr Aufmerkſamkeit 
ſchenken und ihre techniſche Vervollkommnung ſelbſt durch Prämien zu 
befördern ſuchen; denn die kleinen Mühlen ſind in der Regel die 
ſicherſten Abnehmer des inländiſchen Getreides. 1 
Eine Hauptklage der Landwirte bilden die Zuſtände an den 
Produktenbörſen, und es iſt richtig, daß hier Manches zu Gunſten 
der Landwirtſchaft gebeſſert werden könnte. Be: 
Vor allem ſollte dahin geſtrebt werden, die jetzt an den einzelnen 
Produktenbörſen beſtehenden verſchiedenartigen „Börſenüſancen“, welche 
lediglich nach den Bedürfniſſen des Handels geſchaffen wurden, im Wege 
des Geſetzes oder der Verordnung durch gleichartige „Börſenordnungen“ 
zu erſetzen, wobei zu der Abfaſſung der Letzteren nicht allein Vertreter 
des Handels ſondern auch ſolche der Produzenten zuzuziehen wären. 
Die Börſe ſoll keine lediglich den Zwecken der Händler dienende Ein⸗ 
richtung ſein, ſondern eine zum Wohl des ganzen Landes wirkende An⸗ 
ſtalt, wo ſich das reelle Angebot und die reelle Nachfrage treffen können; 
nur dann dürfte es möglich ſein, die Produktenbörſe von den ihr jetzt 


SEN 


2 55 

anhaftenden Mißſtänden zu befreien, wenn der allzu große Einfluß der 
Händler auf die Einrichtungen derſelben beſeitigt, und ein Teil der 
betr. Befugniſſe in die Hand unabhängiger Regierungsorgane gelegt 
wird, welche dann neben den Intereſſen der Händler auch diejenigen der 
Produzenten und Konſumenten, und überhaupt das Gemeinwohl zu 
wahren hätten; dieſen Regierungsorganen wäre ein Börſenausſchuß zur 
Seite zu ſtellen, in welchem aber nicht allein Vertreter des Handels 
ſondern auch ſolche der Produzenten und der Müllerei zu berufen wären; 


großer Wert wäre auch darauf zu legen, daß der ſchon allzu lange 


dauernde Zuſtand endlich beſeitigt wird, wonach die Kurſe der an der 
Börſe gehandelten Produkte vornehmlich von ſolchen Perſonen feſtgeſtellt 
werden, welche an deren Höhe pekuniär intereſſiert ſind. Auch das iſt 
ein berechtigtes Verlangen der Landwirte, daß die reinen Differenz⸗ 
geſchäfte, welche häufig der Grund zu großen Preisſchwankungen ſind, 
und für welche ein volkswirtſchaftliches Bedürfnis nicht beſteht, wenigſtens 


für das Getreide entweder ganz verboten oder doch ſehr erſchwert werden. 


Wünſchenswert erſcheint es uns ferner, den Börſenbeſuchern unter 
ernſter Strafandrohung zur Pflicht zu machen, die bei ihren Abſchlüſſen 
erzielten Preiſe wahrheitsgemäß der die Kurſe feſtſetzenden Kommiſſion 
mitzuteilen; mindeſtens aber ſollte die betrügeriſche Beein 
fluſſung des Kurſes landwirtſchaftlicher Produkte unter 
eine beſondere Strafvorſchrift geſtellt werden: als Muſter könnte unſeres 
Erachtens hierbei die Beſtimmung in § 249d Ziffer 2 des Aktiengeſetzes 
vom 18. Juli 1884 dienen, welche Jedem Gefängnißſtrafe androht, der 
in betrügeriſcher Abſicht auf Täuſchung berechnete Mittel anwendet, um 


auf den Kurs von Aktien einzuwirken. 


4. Gemeindefinanzen. 


Viel häufiger als über die Höhe der Steuern hört man die Land⸗ 
wirte über die Höhe der Gemeindeumlagen klagen. Die Letzteren 
nun könnten gemindert und dadurch die Landbevölkerung entlaſtet 
werden, wenn der Staat diejenigen Gemeindeausgaben, welche zur Er⸗ 
füllung von Staatsaufgaben gemacht werden, künftig mehr als bisher 
auf die Staatskaſſe übernehmen würde. 

Vor allem wäre eine bedeutende Erleichterung der Gemeindefinanzen 
dadurch zu erreichen, daß der Staat einen größeren Teil der Lehrer⸗ 
gehalte als bisher übernehmen, d. h. die betreffenden Gemeindebeiträge 
entſprechend herabſetzen würde. Die Bildung des Volkes iſt doch in 
erſter Linie Staatsaufgabe, nicht Gemeindeaufgabe, und deshalb ſollten 
auch mindeſtens die perſönlichen Koſten hierfür in der Hauptſache von 
dem Staat, nicht der Gemeinde aufgebracht werden; wenn auch zur 
Erreichung dieſes Zieles eine Erhöhung der ſtaatlichen Einkommenſteuer 


P 1 DE ee u U n Ei Dar a SE a A art 


1 


3 7 8 
mae ere 


erfolgen müßte, jo würde dadurch die Ausgabelaſt doch gerechter 
bisher verteilt und die Landbevölkerung weſentlich entlaſtet, weil en 
die Einkommenſteuerkapitalien auf dem Lande verhältnismäßig viel ge⸗ 
ringer ſind als in den Städten. N 
Der Billigkeit würde es ferner entſprechen, den Gemeinden ſeitens 
des Staats Entſchädigungen zu leiſten, für die Thätigkeit der Ge⸗ 
meindebeamten in der Erfüllung von Staatsaufgaben. 
Daß dies bisher nicht geſchah, iſt wiederum zum Nachteil der kleinen 
Gemeinden und damit der Landbevölkerung: in den größeren Gemeinden 
iſt der Sitz der Aemter, Gerichte, Bezirksfinanzverwaltungen u. ſ. w., 
und dieſe pflegen am Amtsſitze die Geſchäfte größtenteils durch ihr 
eigenes Perſonal beſorgen zu laſſen, während ſie für die kleinen Orte 
häufig die Bürgermeiſter und Ratſchreiber in Anſpruch nehmen; die 
Bürgermeiſterämter auf dem Land ſind eben nicht allein Organe der Ge⸗ 
meinde⸗, ſondern auch Organe der Staatsverwaltung, während dies in 
den Städten, wo die Staatsſtellen ihren Sitz haben, in viel geringerem 
Maße der Fall iſt. 
Da nun der Staat bis jetzt die Gemeinden für die Inanſpruch⸗ 
nahme der Gemeindebeamten zu Staatsgeſchäften nicht entſchädigt, iſt 
es um ſo ungerechter, daß er ſich umgekehrt die Thätigkeit ſeiner Be⸗ 
amten in Gemeindeangelegenheiten in einzelnen Fällen beſonders be 
zahlen läßt, indem er z. B. für die Aufſtellung des Umlageregiſters 
durch die Steuerkommiſſäre oder für Einziehung von Gemeindeeinnahmen 
durch die Steuererheber (Umlagenachträge, Hundstaxanteile, Forſtſtraf⸗ 
anteile u. ſ. w.) beſondere Gebühren in die Staatskaſſe erhebt. Anderer⸗ 
ſeits iſt es jedoch dankbar anzuerkennen, daß in dieſer Hinſicht beſonders 
in Folge der bekannten Anträge, die der vorſtorbene Freiherr v. Horn⸗ 
ſtein⸗Bieningen ſ. Zt. in der erſten Kammer geſtellt hat, in den letzten 
Jahren bereits eine bedeutende Beſſerung eingetreten iſt; ſo werden 
jetzt beiſpielsweiſe nach §S 18 der Farrenſchauordnung vom 26. Mai 1890 
wenigſtens die Koſten des Vorſitzenden der Farrenſchaukommiſſion (des 
Bezirkstierarztes) aus der Staatskaſſe beſtritten und in Art. I Ziff. II 
und VIII des Verwaltungsgebührengeſetzes vom 15. Juni 1894 wurde 
neuerdings beſtimmt, daß in Angelegenheiten der Staatsaufſicht über 
die Gemeinden Sporteln nicht mehr erhoben werden ſollen, und daß 
auch die in ſolchen Angelegenheiten an Beamte des Bezirksamts zu ge⸗ 
währenden Dienſtaufwandsentſchädigungen von der Staatskaſſe zu über⸗ 
nehmen ſind. Wenn ſolche Beträge auch im einzelnen nur geringfügig 
waren, ſo waren ſie doch insbeſondere den kleinen Landgemeinden mit 
nur wenigen Tauſend Mark Steuerkapital wohl fühlbar, während ſie 
andererſeits von den Stadtgemeinden verhältnismäßig viel ſeltener in 
Anforderung zu bringen waren. N 
In der Entlaſtung der Landgemeinden von ſolchen im Einzelnen 
kleinen Koſten ſollte man aber noch weiter gehen als bisher und ferner u. A. 
noch auf die Staatskaſſe übernehmen: die Gebühren der beiden bäuer⸗ 
lichen Mitglieder der Farrenſchaukommiſſion, die Koſten der Vor: und 
Nachfeuerſchau, die Gebühren und Reiſekoſten der Wahlmänner bei Land⸗ 
tagswahlen, die Koſten der Maß- und Gewichtsviſitation, die Koſten 


* A 


{ 8 des Aushebungsgeſchäfts u. ſ. w. Um wie viel höher ſind doch z. B. 
im Verhältnis die Koſten der Maß⸗ und Gewichtsviſitation für einen 


abgelegenen armen Landort mit vielleicht zwei oder drei Krämern, als 
für eine kleine oder größere Stadt! 8 

Zur Uebernahme auf die Staatskaſſe würden ſich ferner die ſo⸗ 
genannten Wartegelder an Aerzte und Tierärzte eignen, welche jetzt von 
einzelnen abgelegenen Gemeinden gezahlt werden, die ſonſt keinen Arzt 
oder Tierarzt in erreichbare Nähe bekommen können; ebenſo erſcheint 
es uns wünſchenswert, daß der Staat ärztliche und tierärztliche ſoge⸗ 
nannte Amtstage in Dörfern, wo ein Bedürfnis dazu nachgewieſen 
5 einrichten und die Koſten dafür auf die Staatskaſſe übernehmen 
möchte. 

Auch durch Erhöhung der ſtaatlichen Dotationen an die Kreiſe und 
dadurch bewirkte Verminderung der von den Gemeinden aufzubringenden 
Kreisumlagen könnten die Landgemeinden entlaſtet werden. 

Bei jeder Volkszählung ergibt ſich von Neuem, daß 
die Bevölkerung der kleinen abgelegenen Landorte zu⸗ 
rückgeht, und ein hauptſächliches Mittel, dieſer be 
dauerlichen Erſcheinung entgegenzuwirken, iſt unſeres 
Erachtens eben die Entlaſtung der kleinen Landgemeinden 
von allen denſelben nicht unbedingt zuzuweiſenden 

Ausgaben. 

5 Noch einen weitern Gegenſtand möchten wir in dieſem Abſchnitt 
über die Gemeindefinanzen zur Erwägung ſtellen, nämlich ob der Staat 
nicht zu Gunſten der Gemeinden auf das ihm jetzt nach L.-R. S. 539, 
713, 723 und 768 zuſtehende Recht der Aneignung herrenloſer und 
erbloſer Güter verzichten könnte. Es handelt ſich hierbei für die Regel 
allerdings keineswegs um bedeutende Werte, aber dieſe wären trotzdem 
den betreffenden Gemeinden als unverhoffte Einnahmen ſehr willkommen, 
und ſie könnten dann zu dem einen oder dem andern gemeinnützigen 
Zwecke verwendet werden, zu welchem man nicht gerade Umlagen er⸗ 
heben möchte. Auch iſt zu vermuten, daß alleinſtehende Perſonen wohl 
häufiger von letztwilligen Verfügungen über ihr Vermögen zu Gunſten 
entfernter Verwandter oder zu Gunſten Fremder abſehen würden, wenn 
ſie wiſſen, daß es der ihnen näher ſtehenden Gemeinde zufällt als dem 
entfernteren Staat; denn die Anhänglichkeit der Bürger an ihr Ge⸗ 
meinweſen iſt doch bei Vielen bis zu einem gewiſſen Grade um ſo größer, 
je kleiner dasſelbe iſt, je mehr alſo das Gedeihen desſelben von dem 
Einzelnen empfunden werden kann. Die Gemeinden würden ferner die 
Verwaltung der herrenlos gewordenen Liegenſchaften, deren Lage und 
Beſchaffenheit ja in der Gemeinde genau bekannt iſt, wohl billiger 
beſorgen können als das mehr oder weniger entfernt gelegene Do⸗ 
mänenamt. a 

Zum Schluſſe dieſes Abſchnittes ſei noch wegen einzelner Wünſche 
hinſichtlich der Gemeindeſteuern auf die ſpäteren Darlegungen in dem 
Abſchnitt „Steuerverwaltung“ verwieſen. 


= 
che 
es vor allem die Frage auf: „Liegt es im allgemeinen Staat 


von 


ütern. 
angelegt werden, zu vermehren ſucht!“ 


= 


III. Bauptablchnitt. 


1. Domänen verwaltung. 


I. Hinſichtlich des Bereiches der Domänenverwaltung drängt 1 8 un 


ufer intereſſe und insbeſondere im Intereſſe des Bauer 


ſtandes, wenn das Domänenärar ſeinen Grundbeſ 
durch Ankauf von Bauerngütern, welche dann zu Wa e 


Um dieſe Frage beantworten zu können, müſſen wir uns zunächst 
über die Urſache der bisherigen vielen Gutsankäufe des Domänenära 
in den letzten Jahrzehnten klar zu werden ſuchen und zu dieſem Zwe 

1) eine Beſtimmung der in der Hauptſache auch jetzt noch gelte 
den Verordnung der ehemaligen Direktion der Forſtdomänen und Ber 
werke vom 24. Juli 1846 über die Beſorgung der Ranges 1 
Wald und Waldboden einer Beſprechung unterziehen. Y 

In 8 18 dieſer Verordnung iſt nämlich beſtimmt, daß bei Er⸗ 
mittlung des Kapitalwertes von anzukaufendem Wald und Waldbod 
in der Regel 3% Zins und 2%ů Zinſeszins zu berechnen find. 

Die volkswirtſchaftliche Wirkung der Berechnung ſo geringer Prozent 
ſätze läßt ſich am beſten an einem Beiſpiel veranſchaulichen: Nehmen 


= wir an, ein Bauerngut im Schwarzwald mit zugehörigem kleinem Wald 


habe bisher einen jährlichen Reinertrag von 1500 Mark abgeworfen, 
womit ſich der Eigentümer desſelben ſo leidlich durch's Leben geſchlagen 
hätte; aus dieſer Rente ergiebt ſich unter Zugrundelegung eines Zins 
fußes von 4% ein Kapitalwert des Gutes für den betr. Bauer von 
37 500 Mark. 


4% iſt dabei gewiß der niederſte Zinsfuß, welchen wir bei der Kapitaliſterung 
der Rente berechnen können; denn der Bauer muß ja ſelbſt ſeine Schulden z 


mindeſtens 4% verzinſen; auch iſt ja nach § 34 der Badiſchen Waiſenrichter⸗ 


ordnung (Geſ.⸗ und V.⸗O.⸗Bl. 1889 S. 444/5) den Waiſenrichtern für alle Guts 


ſchätzungen nach dem jährlichen Reinertrag nur die Wahl zwiſchen einem Zinsfuß 8 
von 5 und 49%, nicht auch von weniger freigeſtellt. s 
Nun gefällt aber das Gut auch der Forſtbehörde und dieſe be: 
rechnet beiſpielsweiſe, daß bei vollſtändiger Aufforſtung desſelben e 
jährlicher Reinertrag von 1400 Mark daraus herauszuwirtſchaften ſei, 
und daß deshalb der forſtwirtſchaftliche Kapitalwert desſelben bei einem 
Zinsfuß von 3% 46667 Mark betrage. 
Die Forſtbehörde wäre alſo in der Lage, dem Bau 
25 Gut abzukaufen, trotzdem ſie nach ihrer eigen 
Berechnung jährlich 100 Mark weniger als dieſer N 
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— 59 — 


Selbſt wenn die Forſtbehörde ſich als Wirkung der beabfichtigteu 
Aufforſtung für die erſten 10 Jahre gar keinen Ertrag, dann aber nur 


einen ſol von jährlich 1500 Mark berechnen würde, d. h. vom 


Iten Jahre an gerade ſoviel als der Bauer bisher immer herausgebracht 
„könnte fie wohl alle bäuerlichen Kaufliebhaber des Gutes über⸗ 
ieten; denn die Forſtbehörde würde ſich den Kapitalwert des Gutes 
bei 3% Zins und 2% Zinſeszins auf 37637 Mark berechnen, während 
es für den Bauer, wie oben erwähnt, höchſtens einen Wert von 
37 500 Mark hat, und das Forſtärar wäre außerdem noch dadurch vor 
dem Bauer im Voraus, daß es keine Liegenſchaftsacciſe (2,5% obigen 
Betrages = 941 Mark) in Anrechnung zu bringen bräuchte, und doch 
würde das Fehlen eines Ertrages für die erſten 10 Jahre bei 4% Zins 
und Zinſeszins einem Barverluſt von 12 166 Mark gleichkommen! 

Mag dieſes unſer Beiſpiel auch keinem der in Wirklichkeit vor⸗ 
kommenden Fälle vollkommen entſprechen, ſo zeigt es uns doch ſonnen⸗ 
klar, warum es dem Forſtärar ſo leicht iſt, im Schwarzwald ganze 
Gemeinden auszukaufen; das Forſtärar iſt eben, wie aus den 
Berechnungen unſeres Beiſpieles hervorgeht, in der 
Lage, ſelbſt ſolche Güter zur Aufforſtung zu erwerben, 
welche bisher bei bäuerlicher Bewirtſchaftungsweiſe 
einen größeren Ertrag abgeworfen haben, als dies nach 
Durchführung der geplanten Aufforſtung zukünftig der 
Fall ſein wird. 

Dieſe Bevorzugung des Forſtärars war in früheren Jahren noch größer als 
in der Gegenwart; denn früher waren eben die ländlichen Hypotheken großenteils 

ch höher verzinslich als gegenwärtig, und deshalb war auch der Unterſchied 
m vo den bäuerlichen und forſtlichen Gutswertberechnungen früher noch größer 
a . 

Bei ſolchen Gutsankäufen profitiert dann der Staat in der Regel 
nicht einmal etwas; denn das zu Gutsankäufen verwendete Kapital 
braucht ſich ja nur zu 3% Zins und 2% Zinſeszins zu verzinſen, 
während den Beſitzern ſtaatlicher Schuldverſchreibungen größtenteils noch 
4%, mindeſtens aber 3½ % Zins gezahlt werden muß, ſtatt; und auch beim 
Verkauf landwirtſchaftlicher Domänengrundſtücke in der Regel nicht mehr 
als das 3½ %ige Kapital des Reinertrags erlöſt wird (vgl. Domänen⸗ 
Verordnungsblatt 1894, S. 162). 

Unter dieſen Verhältniſſen erſcheint es gewiß nicht 
ungetechtfertigt, wenn wir im Intereſſe der Erhaltung 
des Bauernſtandes dem Wunſche Ausdruck verleihen, daß 
künftig für alle Waldwertberechnungen der Forſtbe⸗ 
hörden ein einheitlicher Zinsfuß von 4 oder doch min 
deſtens 3½ % vorgeſchrieben werden möge. 


Wenn in der erwähnten Verordnung vom Jahre 1846 zwei verſchiedene 
Zinsſätze für Zins und Zinſeszins (3 bezw. 2%) vorgeſchrieben find, jo hatte dieſe 
Verſchiedenheit ſ. Zt. eine gewiſſe Berechtigung, als man eingehende Zinsbeträge 
noch nicht ſo leicht und ſchnell verzinslich anlegen konnte, wie heutzutage. Aus 
dieſem Grunde wurde ſ. Zt. auch in das Zehntablöſungsgeſetz die Beſtimmung 
aufgenommen, daß bei Berechnung des Kapitales der auf den Zehnten ruhenden 
Baulaſten zwar 5% Zins, aber nur 2¼% Zinſeszins berechnet werden ſolle; ja 
Vogelmann erklärt in ſeinem Buche „Die Zehntablöſung in Baden, Karlsruhe 


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1838“, daß die Zinſeszinſen von 2¼% nach dem damaligen Stande 
noch zu hoch ſeien im Verhältnis zu einem Zinsfuß von 5%. fi 
Seitdem haben ſich aber die Geldverhältniſſe vollſtändig geändert; jedermann 
weiß, daß man heutzutage jedes beliebige kleine oder große Kapital ſofort b 
einer Sparkaſſe, einer Bank, an Private oder in Wertpapieren leicht anlegen kann 
mag es nun eine Kapitalabzahlung oder nur eine Zinſenzahlung darſtellen; e 
hat alſo die Berechnung von zweierlei Prozentſätzen für Zins und Zinſeszin 
gegenwärtig keinen Sinn mehr, und es iſt zu wünſchen, daß dieſe Verſchiedenheit 
der Prozentſätze durch Feſtſetzung eines einheitlichen Satzes für Zins und Zinſes⸗ 
zins beſeitigt werde. g 8 z 
Unſerer Befürwortung eines Zinsfußes von 4 oder 3½ % wird 
man vielleicht entgegenhalten, es ſei ein mäßigerer Zins am Platze, weil 
man mit großer Wahrſcheinlichkeit auf eine weitere Erhöhung der 
Forſtproduktenpreiſe rechnen könne; wir möchten jedoch dieſe Einrede 
dadurch widerlegen, daß wir jagen: wenn für ſpäter höhere Pro⸗ 
duktenpreiſe mit Beſtimmtheit erwartet werden können, ſo gehören 
dieſe höheren Preiſe bei der Berechnung des Geldwertes der jährlichen 
Forſtrenten berückſichtigt, nicht aber von vornherein in einer nach bloßer 
Durchſchnittsſchätzung erfolgenden Herabſetzung des bei der Kapitaliſie⸗ 
rung in Anrechnung zu bringenden Zinsfußes. a . 
Es ſei uns geſtattet, noch auf den $ 14 der mehrerwähnten Ver⸗ 
ordnung vom Jahre 1846 aufmerkſam zu machen, wonach das Betreff 
nis der Beſoldung der Forſtbeamten für Bewirtſchaftung der einzu⸗ 
ſchätzenden Flächen an dem Wirtſchaftsertrag nicht in Abzug gebracht 
werden ſoll, und doch pflegen andererſeits gerade die den Forſtbehörden 
durch Vergrößerung der Wirtſchaftsflächen entſtehenden vermehrten Ge 
ſchäfte von Zeit zu Zeit zur Vermehrung der Zahl der Bezirksforit 
behörden und auch der Kollegialmitglieder bei der Direktivbehörde hin⸗ 
zudrängen. Setzt man dieſes erwähnte Beſoldungsbetreffnis gleich dem 
Betrag der Beförſterungsſteuer (10 Pfg. für 100 Mk. Waldſteuerkapital), 
was wegen der Aufforſtungen gewiß nicht zu hoch ſein wird, ſo ergibt 
ſich, daß an den berechneten Gutswerten lediglich von fiskaliſchem Stande 
punkt aus 2,5% (die erwähnten 10 Pfg. zu 4% kapitaliſiert) in Abzug 
zu bringen ſind. Ebenſo wäre ferner ein entſprechender Abzug für 
die bei den Domänenämtern durch Einzug der Forſtproduktenerlöſe 
entſtehenden Ausgaben und Abgänge zu rechnen. 8 1 
Alle dieſe Erwägungen laſſen es gewiß als berech⸗ 
tigt erſcheinen, wenn wir den Wunſch ausſprechen, für 
die Waldwertberechnungen bei Ankäufen von Bauern⸗ 
gütern möge künftig die Berechnung von mindeſtens 
3½% für Zins und Zinſeszins vorgeſchrieben werden. 
Nur bei Berechnung eines Zinsfußes von mindeſtens 3½ % könnte 
überhaupt von einer Rentabilität des zu Gutsankäufen verwendeten ſtaat⸗ 
lichen Kapitals die Rede ſein; aber nicht der privatwirtſchaftliche Stande 
punkt der Rentabilität des ſtaatlichen Kapitals ſollte beim Ankauf von 
Bauerngütern den Ausſchlag geben, ſondekn höher als dieſer Standpunkt 
ſteht unſeres Erachtens unbedingt das volks- und ſozialpolitiſche Ziel der 
Erhaltung der ſelbſtſtändigen Exiſtenzen des Mittelſtandes, hier des Bauern⸗ 
ſtandes; Produktion und Rentabilität iſt für den Staat doch nicht Selbſt⸗ 
zweck; als Zweck des Staates iſt vielmehr das Wohl der Geſamtheit 


der 


Wr 


der Staatsangehörigen anzuſehen, und dieſes wird doch zweifellos nicht 


befördert, wenn durch das Aufkaufen von Bauerngütern ſeitens der 
todten Hand allmählich ganze Gemeinden von der ſeit Jahrhunderten 
anſäſſigen Bevölkerung entblößt werden — offenbar die größte über⸗ 
haupt denkbare Umwälzung der ökonomiſchen und ſozialen Verhältniſſe 
einer Gegend. 

Noch möchten wir darauf hinweiſen, daß die Zahlung hoher Kauf⸗ 
preiſe ſeitens des Forſtärars naturgemäß auch auf den Preis der dem 
Bauernſtand verbleibenden Güter ſteigernd einwirkt. 

Nehmen wir an, der Staat habe das in unſerem früheren Beiſpiel 
erwähnte Gut in der Hoffnung auf einen jährlichen Reinertrag von 
1400 Mark und mit Rückſicht auf den daraus bei 3% Zins berechneten 
Kapitalwert von 46667 Mk. zu rund 45 000 Mk. erworben d. h. um 
209% über dem bäuerlichen Ertragswert (37 500 Mk.); einige Monate 
ſpäter ſoll nun ein in der Nähe gelegenes anderes Bauerngut, ſei es 
wegen Erbteilung, Gutsübergabe, oder bei Kaufverhandlungen zwiſchen 
Bauern geſchätzt werden; natürlich geſchieht dies jetzt mit Rückſicht auf 
den von dem Domänenärar für das Nachbargut gezahlten hohen Kauf⸗ 
preis; der künftige Gutsbeſitzer wird aber aus einem ſo berechneten 
d. h. für einen Bauer um 20% zu hohen Gutswert unmöglich 4% Zinſen 
herauswirtſchaften können; er wird zurückkommen, wenn er nicht über 
große Mittel verfügt, und nach wenigen Jahren wird ihm vielleicht nichts 
anderes übrig bleiben, als ſein Gut gleichfalls der Forſtbehörde anzubieten. 
Thatſache iſt es jedenfalls, was auch die im Jahre 1883 ſtattgehabten 
landwirtſchaftlichen Erhebungen erwieſen haben, daß zu hohe Gutsüber⸗ 
nahmen in Baden vor allem im Schwarzwald und ſüdlichen Hügelland 
vorkommen, viel ſeltener dagegen im Odenwald, wo andererſeits Guts⸗ 
ankäufe ſeitens des Domänenärars faſt nicht ſtattfinden. 

Auch von dieſer Betrachtungsweiſe aus erſcheint es uns dringend 
erforderlich, für die Ankäufe von Bauerngütern ſeitens des Domänen⸗ 
ärars die Berechnung eines höheren Zinsfußes als bisher vorzuſchreiben; 
zugleich lehrt uns dieſe Betrachtung aber auch, wie wünſchenswert die 
Gründung einer Grundkreditbank auf genoſſenſchaftlicher Grundlage iſt, 
um andererſeits auch dem Bauernſtand die jetzt blos dem Großgrund⸗ 
beſitz zu Gute kommenden Vorteile des geringeren Zinsfußes zu Teil 
werden zu laſſen. 

2) Ein zweiter Grund, welcher das Domänenärar 
zum Ankauf von Bauerngütern veranlaßt, iſt der, daß 
ihm ſo bedeutende Grundſtocksgelder zur Verfügung 
ſtehen, welche zum Ankauf von Bauernhöfen geradezu 
hindrängen. 

Zwar ſchreibt der § 58 der Badiſchen Verfaſſung lediglich vor, daß 
die Einnahmen aus Domänenveräußerungen, einſchließlich derjenigen aus 
der Ablöſung von Zinſen, Gülten, Zehnten u. ſ. w. wieder zu neuen 
Erwerbungen verwendet oder der Schuldentilgungskaſſe zur 
Verzinſung überwieſen werden ſollen; es wird alſo nicht unbedingt 
eine Wiederanlage derſelben in Liegenſchaften verlangt, ſondern es genügt 
auch, wenn das Geld bei der Amortiſationskaſſe verzinslich angelegt 


wird. Die Forſtbehörden neigten fich jedoch immer mehr oder wen 
der Anſicht zu, daß die Anlage der Grundſtockskapitalien bei der A 
tiſationskaſſe gewiſſermaßen nur als ein vorübergehender Notbehelf 
zuſehen ſei, und auch Großh. Domänendirektion ſchloß ſich dieſer An⸗ 
ſicht an, indem dieſelbe z. B. unter dem 23. Januar 1866 (V. O. Bl. 
S. 51) verordnete: BR 
„Grundſtocksgelder ſollen thunlichſt wieder eine feſte und ſichere 
Anlage erhalten und zu dieſem Ende zu käuflicher Erwerbung von 
Grund und Boden verwendet werden; es iſt hierbei die Abſicht vor⸗ 
herrſchend, in erſter Linie größere Flächen von Wald und Waldboden, 
letzteren ſelbſtverſtändlich zur Wiederanpflanzung als Wald, in Gebirgs⸗ 
gegenden anzukaufen.“ „ 
Von den der Schuldentilgungskaſſe überwieſenen Grundſtocksgelden 
des Domänenärars iſt der Betrag von 12000 000 fl = rund 20571428 
Mark, welcher als ſogenannte „todte Schuld des Domänenärars bes- 
zeichnet wird, unverzinslich; dagegen werden für die übrigen Grund⸗ 
ſtocksgelder Zinſen gerechnet und der Stand dieſer verzinslichen Schuld 
betrug am 1. Januar 1860 leinſchließlich der damals bei der Zehnt⸗ 
ſchuldentilgungskaſſe und Papiergeldeinlöſungskaſſe angelegten Beträge) 
* rund 15553 000 Mk. . 
am 1. Januar 1884 „ 11830000 „ 
und am 1. April 1893 „ 11133000 „ 2 
Will man nun nicht, daß dieſes Kapital nach und 
nach zum Aufkauf von Bauerngütern verwendet wird, jo 
muß man eine andere feſte Anlage für dasſelbe ſuchen; 
denn nur dann wird die Gefahr beſeitigt ſein, daß es zu dem erwähnten, 
von uns für ſchädlich gehaltenen Zweck verwendet wird. N 
Vor allem könnte man daran denken, dieſe Grundſtocksgelder des 
Domänenärars dem allgemeinen Staatsvermögen zuzuſchlagen und dann 
zur Tilgung von Staatsſchulden zu verwenden; doch wird dies vorerſt 
wegen der verfaſſungsmäßigen Eigenſchaft des domänenärariſchen Ver⸗ 
mögens als landesfürſtliches Patrimonialeigentum nicht gut möglich ſein. 
Ferner könnte man daran denken, dieſe Grundſtocksgelder zur Ab⸗ 
löſung der dem Domänenärar noch obliegenden Pfarrkompetenzen und 
Kirchen- und Pfarrhausbaulaſten zu verwenden; doch abgeſehen davon, 
daß es ſehr ſchwer halten wird, eine Vereinbarung hierwegen mit den 
Kirchenbehörden zu Stande zu bringen, ſo würden die Letzteren, wenn 
ſie in den Beſitz der großen Ablöſungskapitalien kämen, dieſe wiederum 
in Grund und Boden anzulegen ſuchen, ſodaß damit für die Erhaltung 
des Bauernſtandes nicht viel gethan wäre, wollte man nicht eine ſolche 
Anlage durch Abänderung des Stiftungsgeſetzes zu verhindern ſuchen. 
Wir möchten deshalb hier den Vorſchlag wiederholen, den wir ſchon 
an anderer Stelle bei Beſprechung der landwirtſchaftlichen Kreditfrage 
gemacht haben, nämlich daß das Domänenärar ſeine Grundſtocksgelder 
durch eine neu zu gründende genoſſenſchaftliche Grundkreditbank den 
Landwirten gegen mäßigen Zins zugängig machen ſollte. Die Grund⸗ 
ſtocksgelder ſind doch zum nicht geringen Teile aus der Ablöſung der 
Zehnten, Zinſen, Gülten u. ſ. w. angeſammelt, alſo ſ. Zt. von der land⸗ 


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rtſchaſtlichen Bevölkerung aufgebracht worden, und dieſer ſollten ſie 
nun auf dem vorgeſchlagenen Wege wieder zugängig gemacht werden. 


Sollte dieſer Vorſchlag jedoch keinen Anklang finden, ſo könnte man 


vielleicht in Erwägung ziehen, mittelſt der Grundſtocksgelder die beiden 


Salinen Dürrheim und Rappenau für das Domänenärar zu erwerben, 
wodurch wohl der größte Teil der verfügbaren Grundſtocksgelder feſt⸗ 

würde; jetzt gehören dieſe beiden Werke einem von dem Domänen⸗ 
ärar verſchiedenen „Fiskus“, werden aber doch ſeit dem Jahre 1880 von 
Großh. Domänendirektion verwaltet. 

Unter jeder Bedingung ſollte man aber unſeres Erachtens alsbald 
eine feite Verwendung für die erwähnten Domänengrundſtocksgelder 
ſuchen, um ſie ihrem jetzigen Zweck „Ankauf von Bauerngütern“ zu 
= Wie bedeutend die Ankäufe des Forſtärars in den letzten Jahr⸗ 
zehnten geweſen ſind, geht daraus hervor, daß der forſtwirtſchaftliche 
2 des Domänenärars 

a im Jahre 1848 87 607 ha 

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und „ „ 1893 91866 „ 
betragen hat; derſelbe hat alſo in den Jahren 1848/82 um 1554 ha 
und in den Jahren 1882/93 um 2705 ha zugenommen. 

Es wäre eine ſchöne Aufgabe für den Badiſchen Landwirtſchafts⸗ 
rat einmal im Einzelnen feſtſtellen zu laſſen, wie viele Bauern⸗ und Tag⸗ 
löhnergüter bei dieſer Waldvermehrung ſchon verſchwunden ſind, und wie 
viele ſolche in Folge Ankaufs durch das Domänenärar dieſes Schickſal 
noch 35 erwarten haben. 

) Ein dritter Grund, den man für Aufforſtung von 
Bauerngütern durch das Domänenärar geltend macht, iſt 
der, daß durch eine Waldvermehrung die Feuchtigkeit 
der Gegend erhöht und ſo das Klima verbeſſert, und daß 
ferner der Waſſerabfluß aus dem Gebirge verlangſamt 
und ſo gleichmäßiger auf die verſchiedenen Jahreszeiten 
verteilt werde. 

Wir verkennen nun durchaus nicht den Wert der Wälder für Feucht⸗ 
erhaltung des Klimas, möchten denſelben aber doch nicht ſo hoch an⸗ 
ſchlagen, daß wir es für richtig hielten, ganze Gegenden der Landwirt⸗ 
ſchaft zu entziehen und zu Wald anzulegen (vergl. hierüber auch das 
auf Seite 45 dieſes Schriftchens Geſagte). 

Unſer Standpunkt zur Frage des Ankaufs und der Auf⸗ 
forſtung von Bauerngütern iſt folgender: 

Wir beſtreiten keineswegs, daß die Lage der Hofbauern auf 
dem Schwarzwalde in Folge des beſtehenden Erbrechtes, in Folge Zurück⸗ 
gehens der Ernteerträge wegen jahrelang getriebener Raubwirtſchaft, in 
Folge Steigens der Geſindelöhne ſowie der Staats⸗ und Gemeindelaſten, 

in Folge niederer Produktenpreiſe, in Folge erhöhter Anſprüche der 
Bauern ſelbſt an das Leben u. ſ. w. ſich recht ungünſtig geſtaltet hat. 
Aus dieſer mißlichen Lage der Hofbauern auf dem Schwarzwalde darf 
man aber unſeres Erachtens nicht folgern, daß nun der Staat die betr. 


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Höfe nach und nach aufkaufen ſolle, „um die Bauern aus ihrer mißlichen 
Lage zu erlöſen“ und ihnen die Möglichkeit zu geben, ſich mit dem e 
löſten Gelde in beſſerer Gegend neu anzuſiedeln; denn wir wiſſen woh 


eeinen nicht leicht zu erſetzenden Verluſt für den Stag, 


denſelben, ſoweit irgend möglich, zu helfen; dies kann z. B. geſchehen 
durch Fürſorge für billigen Realkredit, durch Neugeſtaltung des Anerben⸗ 
rechtes, durch Ermäßigung der Steuer- und Umlagenlaſt, Verbeſſerung 
der Wieſe⸗ und Weidewirtſchaft u. ſ. w., und bei dem gehörigen Willen 
wird und muß es gelingen, den Bauern auf dem Schwarzwald auch 


ſtand bildet doch die Grundlage des ganzen Staatsweſens. 


Um nicht mißverſtanden zu werden, fügen wir hier noch bei, daß 
wir ſelbſtverſtändlich dagegen keine Einwendungen zu machen haben, 
wenn das Domänenärar bei ſich bietender Gelegenheit z. B. von einer 
Grundherrſchaft einen größeren Waldkomplex erwirbt; denn die 
Intereſſen der Landbevölkerung würden durch ſolche Erwerbungen — 
wir möchten jagen: von einer todten Hand an die andere — nicht bee 
rührt; nur gegen das Aufkaufen von Bauerngütern zur Aufforſtung 
wenden ſich unſere Betrachtungen. f 


II. Was die Bewirtſchaftung des land wirtſchaftlich genutzten, 
domänenärariſchen Beſitzes anbetrifft, ſo haben wir vor allem die vom 
Gr. Finanzminiſterium im vorigen Jahre erlaſſenen Normativbeſtim⸗ 
mungen über die Veräußerung und Verpachtung des domänenärariſchen 
Grundbeſitzes ſowie die dazu ergangene Ausführungsverordnung Großh. 
Domänendirektion mit großer Freude begrüßt. 


Daß für die kleinen Pachtgrundſtücke des Domänenärars noch mehr 
als bisher Gelegenheit zur Veräußerung geſucht werden ſoll, und zwar 
womöglich an die bisherigen Pächter und eventuell auch gegen Annui⸗ 
tätenzahlungen, daß die Dauer der Zeitpachtverträge verlängert, daß 
ſorgſamen Pächtern in Ausſicht geſtellt wird, ihre Grundſtücke auch für 
ſpätere Pachtperioden behalten zu dürfen u. ſ. w., das ſind lauter vom 
richtigen ſozialen Geiſt getragene Anordnungen, die den Intereſſen der 
landwirtſchaftlichen Bevölkerung wohl entſprechen. 

Mäoöge die Letztere dies erkennen und ſich die Vorſchriften zu Nutzen 
machen, damit deren Zweck voll und ganz erreicht wird, und möchten 
ferner in Bälde von dem gleichen Geiſt und dem gleichen Wohlwollen 
für den Bauernſtand getragene Normativbeſtimmungen über den Neu⸗ 
ankauf von Gelände für das Domänenärar — insbeſondere zu Wald⸗ 
anlagen — erlaſſen werden! 

Auch bei der Bewirtſchaftung des landwirtſchaftlichen Geländes iſt 
die Domänenverwaltung in ihren Maßnahmen ſicherlich nicht allein an 
finanzielle Rückſichten gebunden; ſie ſoll ſich vielmehr auch von volks⸗ 


daß den Bauern das für ihre Höfe erhaltene Geld gar zu häufig ſozu⸗ 
ſagen unter den Fingern verſchwindet, und wir halten außerdem 
den Untergang jedes ſelbſtſtändigen Bauernhofes für 


Aus der ungünſtigen Lage der Hofbauern auf dem Schwarzwald folgern 3 
wir vielmehr nur, daß die Staatsregierung auf Mittel finnen muß. 


für die Zukunft eine Exiſtenzmöglichkeit zu erhalten; denn der Bauern? = 


wirtſchaftlichen und ſozialen Erwägungen leiten laſſen und hierin den 3 
andern, den Privatverwaltungen als Vorbild und Muſter vorangehen. E. 
In dem Pachtweſen fällt der Domänenverwaltung unſeres Er- 75 
achtens die Aufgabe zu, die Bildung eines von ſozialen Gedanken ge- i 
tragenen Pachtrechtes zu befördern, und in dieſer Hinſicht find die oben⸗ 3 
er ten Buchenberger'ſchen Normativbeſtimmungen ein bedeutender ; 
Fortſchritt. 3 
en Erachtens könnte aber noch mehr geſchehen; insbeſondere 
ſollte man bei der Verpachtung des ärariſchen Geländes nicht mehr, 
wie bisher, den Hauptwert darauf legen, einen möglichſt hohen Pacht⸗ 
zins herauszuſchlagen, ſondern man ſollte es als feſten Verwaltungs⸗ 
grundſatz ausſprechen, daß man nur einen ſolchen Pachtzins zu erzielen 
ſucht welcher der Ertragsfähigkeit des Grundſtückes unter den betreffen⸗ 
den Abſatz⸗ und Produktionsverhältniſſen bei tüchtiger Bewirtſchaftungs⸗ 
weiſe entſpricht. Dieſe Syſtemänderung würde allerdings an die betr. 
Verwaltungsbeamten bedeutend erhöhte Anforderungen ſtellen. 
Dem Pächter ſollte man ferner ein bedingungsloſes Recht auf den 
durch etwaige Meliorationen von ihm hervorgebrachten Mehrwert des 
Gutes zugeſtehen; ebenſo möchten wir einen Pachtzinsnachlaß nicht erſt 
bei Zerſtörung von mindeſtens der Hälfte der Ernte durch Hagelſchlag, 
Ueberſchwemmung u. ſ. w. anempfehlen, ſondern bereits dann, wenn 
durch ſolche Unglücksfälle nur ein Drittel der Ernte zu Grunde ge⸗ | 
ngen iſt; denn ein Schaden bis zur Hälfte wird z. B. bei Wieſen N 
durch Hagelſchlag oder Ueberſchwemmung nur ſehr ſelten eintreten, weil, 5 
wenn auch die Heuernte zum größern Teil vernichtet wird, doch der 7 
DOienhmdertrag den Schaden in der Regel bis unter die Hälfte des er⸗ 
warteten Jahreserwachſes herabdrückt (vergl. hierüber auch die Dar⸗ 
legungen auf Seite 29 dieſes Schriftchens); für billig würden wir es 
ferner halten, wenn der Staat auf ſeine Pächter einen Zwang zur Verſiche⸗ 
ww en gegen Hagel, Feuerſchaden u. ſ. w. ausüben, dabei aber auch einen 
N Teil der Prämien auf ſeine Kaſſe übernehmen würde; auch bei der 
Feeſtſetzung der Größe der einzelnen Pachtflächen ſollte ſich das Domänen⸗ 
gdälrar weniger von fiskaliſchen als volkswirtſchaftlichen und ſozialpolitiſchen 
Beweggründen leiten laſſen, alſo z. B. niemals eine Verkleinerung der 
Pachtſtücke lediglich deshalb vornehmen, um die Konkurrenz unter den 
Pächtern zu ſteigern und höhere Pachterlöſe zu erzielen. 
| Was die in Selbſtbewirtſchaftung ſtehenden Wies⸗ 
flächen anbetrifft, ſo ſollte unſeres Erachtens ſeitens des Domänen⸗ 
aäälrars mit dem Syſtem der öffentlichen Verſteigerung des Graserwachſes 
grundſätzlich gebrochen werden, wie man ja jetzt auch nach den Buchen⸗ 
bberger'ſchen Normativbeſtimmungen für einen großen Teil der pachtfrei 
N werdenden Grundſtücke von einer öffentlichen Verpachtung abſieht. 
| Das Syſtem der öffentlichen Verſteigerung it allerdings 
| für die Verwaltung das bequemſte und einfachſte; es erfordert von dem betr. 
Beamten ſozuſagen gar keine geiſtige Thätigkeit, ſondern nur die mecha⸗ 
| niſche Arbeit der Protokollausfüllung; dafür ift es aber um jo nach⸗ 
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teiliger für diejenigen Landwirte, welche auf die regelmäßige Teilnahme 
bei der Verſteigerung angewieſen ſind; denn nicht allein beſteht die Ge⸗ 


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Ankauf von 
Gütern durch 
das 
Domänen⸗ 
5 ärar zum 
mmbwecke der 
Wieder⸗ 
veräußerung. 


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fahr, daß ſich Mancher in der Aufregung der Verſteigerung zu un⸗ 


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beſonnenen Geboten hinreißen läßt, ſodaß dann eine Ueberzahlung ein? 


zelner Looſe ſtattfindet, ſondern es iſt auch der Ausübung von Ränken 
und Feindſchaften bei der Verſteigerung Thür und Thor geöffnet, ſodaß 
kein Steigerungsluſtiger im Voraus wiſſen kann, zu welchem Preiſe er 
ein oder zwei Looſe erhalten wird, wenn er auch andererſeits vielleicht im 
Voraus angeben kann, was ungefähr der Durchſchnittserlös für den Morgen 
ſein wird. Durch dieſe Abhängigkeit des Steigerungserlöſes für die ein⸗ 
zelnen Looſe vom Zufall kommt etwas Unſicheres und Schwankendes in 
den bäuerlichen Haushalt, was gewiß nicht erwünſcht iſt; insbeſondere iſt 
dies der Fall in Gegenden, wo die Landwirte im Hinbick auf die Größe 
ihres eigenen Betriebs auf die regelmäßige Erſteigerung mehrerer Looſe 
angewieſen ſind. 

Wie man bei der Vergebung der ſtaatlichen Arbeiten und Liefe⸗ 
rungen neuerdings bemüht iſt, die kleinen Handwerksmeiſter vor un⸗ 
überlegten gegenſeitigen Unterbietungen zu ſchützen, ſo ſollte man ſich 
auch bei der Verwertung des Graserwachſes der ärariſchen Wieſen 
beſtreben, unſere Kleinbauern vor zu hohen Angeboten zu bewahren, 
und wir möchten deshalb zur Erwägung ſtellen, ob das Domänen⸗ 
ärar die erwähnten offenbaren Mängel des Verſteigerungsweſens nicht 
dadurch beſeitigen ſollte, daß es von einer Verſteigerung des Graser⸗ 
wachſes der ſelbſtbewirtſchafteten Wieſen allmählich überhaupt abſieht 
und denſelben aus der Hand an bäuerliche Genoſſenſchaften d. h. die or⸗ 
ganiſch vereinigten Kaufliebhaber des Graserwachſes der betreffenden 
Wieſen verwertet. Wenn dieſe Konſumgenoſſenſchaften mit der Zeit auch 
ein dingliches Recht auf Abgabe des Graserwachſes zu entſprechenden 
Preiſen erwerben und ſich ſo zu eigentlichen realen Wieſengenoſſen⸗ 
ſchaften umbilden würden, ſo könnte man unſerer Anſicht nach darin 
nur einen Fortſchritt gegen die jetzige Verwertungsweiſe der Wieſen⸗ 
erträgniſſe erblicken. 

Noch einen Wunſch möchten wir zum Schluſſe dieſes Abſchnittes 
geltend machen, nämlich daß, wie dies ſ. Zt. ſchon Freiherr von Horn⸗ 
ſtein in der I. Badiſchen Kammer beantragt hat, die Bezirksſtellen der 
Domänenverwaltung dazu denutzt werden ſollen, Bauerngüter, deren 
Zerſtückelung an die benachbarten Grundbeſitzer erwünſcht iſt, zum Zwecke 
des Wiederverkaufs zu erwerben. 

Selbſtverſtändlich hat dieſer Vorſchlag weniger die jogen. ge⸗ 
ſchloſſenen Hofgüter im Auge, deren Zertheilung ja nur in ſeltenen 
Fällen einem volkswirtſchaftlichen Bedürfnis entſprechen wird, als viel⸗ 
mehr ſolche Höfe, deren Grundbeſitz in der ganzen Gemarkung zerſtreut 
it, und welche aus irgend einem Grunde (z. B. Todesfall oder Ueber⸗ 
ſchuldung) nicht mehr zuſammengehalten werden können; dem verkaufs⸗ 
luſtigen Beſitzer eines ſolchen Hofes gelingt es in der Regel nicht, mit 
den Liebhabern ſeiner einzelnen Grundſtücke handelseinig zu werden; 
ſchon deshalb nicht, weil er in ſolchen Geſchäften gar nicht bewandert 
iſt; da muß dann erſt ein Handelsmann eingreifen, um die Güterkäufe 
gegen ein ſchönes Verdienſt und gegen die Ausſicht auf weitere gewinn⸗ 
bringende Geſchäfte zwiſchen den nun mit ihm in Verbindung gekomme⸗ 


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nen Bauern zu vermitteln. Ganz anders aber wäre es, wenn etwa 
6—10 der kaufluſtigen Bauern zu dem Domänenamt gehen könnten, 
um hier zu erklären: „Wir wollen den und den Hof zum Preiſe von 
ſo und ſo viel Mark kaufen und unter uns verteilen, haben aber dieſen 
Betrag natürlich nicht zur ſofortigen Verfügung; wir bitten deshalb 
dieſen Betrag für uns an den bisherigen Beſitzer des Hofes und deſſen 
Gläubiger auszuzahlen und verpflichten uns ſamtverbindlich den ge⸗ 
leiſteten Vorſchuß nebſt 4% Zinſen und allen Koſten wieder rück⸗ 
zuerſtatten.“ 5 3 

Das Domänenamt hätte hierauf die wirtſchaftliche Grundlage des 
beabſichtigten Geſchäftes ſowie, ob die kaufluſtigen Geſuchſteller zweifel⸗ 
los zahlungsfähig ſind, und ob ein volkswirtſchaftliches Bedürfnis zu 
der Aufteilung des Hofes vorliegt, in kürzeſter Friſt zu prüfen und 
dann Bericht hierüber zu erſtatten. 

Gewiß wäre bei einem ſolchen Verfahren die Gefahr eines Ver⸗ 
luſtes für das Domänenärar nur eine ganz geringe, dagegen könnte 
dadurch mancher Grundſtückswucher zum Segen der Landbevölkerung 
vermieden, und mancher kaufluſtige Bauer frei gehalten werden von der 
— mit dem in der Regel gewiß wenig ſkrubulöſen Güter⸗ 

er. 


2. Steuer: und Zollverwaltung. 


Bezüglich der Grundſteuer iſt es eine ſtändige Klage unſerer 
Landwirte, daß es nicht zuläſſig iſt, die Schulden vom Steuer⸗ 
kapital in Abzug zu bringen. 

In dieſer Klage liegt gewiß viel Berechtigtes; denn es iſt doch 
ſicherlich keine gleichmäßige Beſteuerung nach der Leiſtungs⸗ 
fähigkeit, wenn beiſpielsweiſe ein Bauer mit einem Gute im Werte 
von 50000 Mark und 30 —40 000 Mark Schulden darauf denſelben 
Betrag an Grundſteuer zahlen ſoll, wie ein anderer Bauer mit einem 
gleich wertvollen, aber ganz oder nahezu ſchuldenfreien Gut; die Grund⸗ 
ſteuern rühren eben aus einer Zeit her, wo man eine Verſchuldung des 
Bauernſtandes in der jetzigen Höhe nicht kannte, und wo deshalb der 
Wert des Grundbeſitzes für ſich allein eher einen Maßſtab der Steuer⸗ 
fähigkeit bildete als jetzt. 

Andere Zeiten bringen aber auch andere Anforderungen an die 
Steuerverwaltung mit ſich: Unter den gegenwärtigen Verhältniſſen 
widerſpricht die Unzuläſſigkeit des Schuldabzugs geradezu dem Gebot 
der Gerechtigkeit der Beſteuerung, und man ſollte deshalb umſo mehr 
eine Aenderung hierin eintreten laſſen, als die dermalige Notlage der 
Landbevölkerung gebieteriſch eine weitere Verminderung ihrer Belaſtung 
mit Steuern, Umlagen u. ſ. w. verlangt. 

Allerdings iſt die Geſtattung des Schuldabzuges ein folgen⸗ 

5* 


Grundſteuer 


68 


ſchwerer und deshalb wohl zu überlegender Schritt; fie bedeutet den 
Uebergang zu einem ganz anderen Steuerſyſtem, von dem der Ertrags- 
ſteuern zu dem der partiellen Vermögensſteuern; dieſer Schritt ſcheint 
uns aber den Badiſchen Verhältniſſen beſſer zu entſprechen, als wenn 
man, dem Vorgange Preußens folgend, die Grundſteuer ganz an die 
Gemeinden überweiſen und den ſtaatlichen Einnahmeausfall durch Er⸗ 
höhung der Einkommenſteuer und Einführung einer allgemeinen Ver: 
mögensſteuer decken würde. 

Der Haupteinwurf, den man bei der Grundſteuer gegen die Ge⸗ 
ſtattung des Schuldabzuges und gegen die Umwandlung in eine partielle 
Vermögensſteuer geltend machen wird, beſteht wohl — abgeſehen von der 
Verminderung des Steuerertrages — darin, daß man ſagt, die Grund⸗ 
ſteuer habe im Laufe der Zeit den Charakter einer Reallaſt angenommen, 
und es bedeute deshalb die Herabſetzung derſelben rein ein Geſchenk an 
die Landwirte im Betrage des kapitaliſierten Steuernachlaſſes; wer jedoch 
die Sitten unſerer Landbevölkerung kennt, der weiß, daß es wenigſtens 
bei uns, im Gebiete vornehmlich des kleinen und mittleren Grundbeſitzes 
durchaus unzutreffend iſt, die Grundſteuer mit einer Reallaſt zu ver⸗ 
gleichen; unſere Bauern pflegen bekanntlich bei An- und Verkäufen von 
Grundſtücken keineswegs eine genaue Ertragswertberechnung vorzunehmen, 
und vollends davon, daß ſie hierbei die auf dem Kaufgegenſtand ruhende 
Steuerlaſt berückſichtigen würden, iſt gar keine Rede; der erwähnte Ein⸗ 
wand kann alſo als ſtichhaltig nicht bezeichnet werden. 

Auf Einzelheiten bezüglich der Umwandlung der Grundſteuer in eine par⸗ 
tielle Vermögensſteuer einzugehen, iſt hier nicht der geeignete Ort; doch ſei es uns 
erlaubt, folgendes zu bemerken: a 

Für andere als hypothekariſch eingetragene Schulden einen Abzug am Grund⸗ 
ſteuerkapital zu geſtatten, erſcheint uns wenigſtens vorerſt nicht notwendig und 
nicht zweckmäßig; denn einmal ſind die reinen Perſonalſchulden bezüglich ihrer 
Höhe nicht ſo leicht mit Sicherheit feſtzuſtellen und dann bilden ſie ja auch zum 
großen Teil ſogenannte Betriebsſchulden, die um deßwillen hier außer Betracht 
zu bleiben haben, weil ja auch das Betriebskapital der Landwirte nicht beſonders 
zur Steuer veranlagt wird; die Begünſtigung der Hypothekenſchulden vor den reinen 
Perſonalſchulden hätte aber ferner den nicht gering anzuſchlagenden Vorteil, daß 
die Landwirte ſich mehr als bisher daran gewöhnen würden, ihren Grundkredit in 
Anſpruch zu nehmen, anſtatt ſich mit oft zweifelhaften Geldverleihern einznlafjen, 
h wenigſtens für ihre erſten Geſchäfte keine Liegenſchaftsverſchreibung bean⸗ 
pruchen. 

Eine weitere Frage iſt es, ob bei der vorgeſchlagenen Umwandlung der 
jetzigen Grundſteuer in eine partielle Vermögensſteuer die bisherigen Grundſteuer⸗ 
kapitalien als Grundlage für die neue Steuer beibehalten oder die Letztere auf 
Grund jährlicher Vermögensdeklarationen der Pflichtigen erhoben werden ſoll, wie 
es eigentlich dem Weſen einer Vermögensſteuer am meiſten entſprechen würde; 
wir möchten jedoch befürworten, ſich die mit ſo vieler Mühe und ſo vielen Koſten 
nach den Verkehrswerten veranlagten Grundſteuerlapitalien auch fernerhin nutzbar 
zu machen, wobei ja eine Reviſion des Kataſters in längeren Friſten nicht aus⸗ 
geſchloſſen zu ſein braucht; die jährliche Neufeſtſtellung der Grundvermögenswerte 
würde unſeres Erachtens der Steuerbehörde zu viel Arbeit und Schwierigkeiten 
verurſachen und auch zu große Schwankungen des Steuerertrages hervorrufen; 
nur hinſichtlich der Bauplätze könnte man vielleicht eine Ausnahme machen und 
deren Vermögenswerte, die ja das betr. Grundſteuerkapital in der Regel be⸗ 
deutend überſteigen, jährlich neu feſtſtellen. 5 a 

Sehen wir von dieſer Ausnahme bezüglich der Bauplätze ab, ſo ergibt ſich 
uns ferner die Frage, wie es in dem Falle gehalten werden ſoll, wenn die ein⸗ 


enen Schulden dem Steuerkapital nahe oder gleichkommen oder es gar über⸗ 
gewiß wäre es zu weit gegangen, wenn man in ſolchen Fällen von einer 
ung überhaupt abſehen wollte; wir hielten es vielmehr für das Beſte, 


Steuerer N i 
im Hinblick auf ſolche Fälle bis auf Weiteres zu beſtimmen, daß die Hypotheken 


an dem Grundſteuerkapital nur bis etwa ſieben oder acht Zehntel der Höhe des 
Letzteren abgezogen werden dürfen. 

Bei der Umwandlung der Grundſteuer in eine partielle Vermögens⸗ 
ſteuer könnte man auch die Freilaſſung eines agrariſchen 
Exiſtenzminimums in Erwägung ziehen; wir halten jedoch die 
gegenwärtige Zeit zu einem ſolchen Schritt nicht für geeignet und zwar 
nicht allein wegen des dabei vorauszuſehenden großen Einnahmeaus⸗ 
falles, ſondern insbeſondere auch deshalb, weil die dermalige landwirt⸗ 
ſchaftliche Notlage es erforderlich macht, vor allem dem eigentlichen 


Bauernſtand zu helfen, während für die grundbeſitzenden Taglöhner, 


denen die Freilaſſung eines agrariſchen Exiſtenzminimums hauptſächlich 
zu Gute käme, eine Steuererleichterung gegenwärtig viel weniger dringend 
erſcheint. 

Dagegen ſcheint uns andererſeits eine mäßige Progreſſion 
des Steuerfußes für die großen Grundvermögen wohl ge⸗ 
rechtfertigt; eine ſolche Progreſſion würde einerſeits der Thatſache ent⸗ 
ſprechen, daß die Steuerfähigkeit der Pflichtigen in ſtärkerem Maße zu⸗ 
nimmt als die Größe ihres Vermögens, und dann könnte man durch eine 
ſolche Progreſſion wenigſtens einen Teil des durch Abzug der Schulden am 
Steuerkapital entſtehenden Einnahmeausfalles wieder einbringen; den 
Hauptvorteil würden wir aber darin erblicken, daß dadurch der Lati- 
1 durch Ankauf von Bauerngütern etwas entgegengewirkt 
würde. 


Ferner ſei hier noch die Freiheit des Domänenärars von 
der Grundſteuer kurz berührt: Wenn man lediglich von dem Ge⸗ 
danken ausgeht, daß die Einkünfte des Domänenärars in dieſelbe Staats⸗ 
kaſſe fließen wie die Steuereinkünfte, dann erſcheint es allerdings ſelbſt⸗ 
verſtändlich, daß man von der „Verrechnung“ der Grundſteuer für das 


domänenärariſche Gelände abſieht; aber jede Steuer hat doch auch ihre 


volks⸗ und ſozialwirtſchaftlichen Wirkungen, und dieſe gehen bei der 
Unterlaſſung einer ſolchen Verrechnung für das Domänenärar verloren; 
das Domänenärar braucht z. B. bei den aus Anlaß von Grundſtücks⸗ 
käufen und Verkäufen aufzuſtellenden Ertragswertberechnungen keinen 
Betrag an Grundſteuer einzuſtellen, und jo wirkt dieſe Steuerfreiheit 
dann wie eine nicht unbeträchtliche Prämie auf Nichtveräußerung der 
domänenärariſchen Grundſtücksparzellen, ja unter Umſtänden auf Ver⸗ 
größerung des ſtaatlichen Grundbeſitzes; wir möchten deshalb die Frage 
der Aufhebung der Grundſteuerfreiheit für das Domänenärar nicht 
ohne Weiteres von der Hand weiſen. 

Einen beſonderen Beſtandteil der Grundſteuer bildet in Baden die 
Steuer von dem bewaldeten Gelände; deſſen Kataſtrierung 
richtet ſich nach den Geſetzen vom 23. März 1854 und 25. März 1886, 
in letzterem Geſetz wurde für alles Gelände, welches erſtmals zu Wald 
angelegt wird, eine zwanzigjährige Steuerfreiheit angeordnet, was nach 


Beſteuerung 
der l 
Waldungen. 


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der beſtehenden Gemeindeordnung eine ebenſo lange Umlagefreiheit 
zur Folge hat. 

Der Grund dieſer 20 jährigen Steuerfreiheit iſt einmal der Ge⸗ 
danke, daß aufgeforſtetes Gelände in der Regel während der erſten 
20 Jahre keinen Reinertrag abwirft (eine Thatſache, aus der allein 
man übrigens unſeres Erachtens nur eine 20 jährige Befriſtung der 
Steuer folgern kann, da ja nach Umlauf der 20 Jahre der durchſchnitt⸗ 
liche Jahresertrag des betreffenden Grundſtückes wohl um ſo größer 
ſein wird als vor der Aufforſtung), und dann wollte man durch dieſe 
Vorſchrift offenbar auch Gemeinden und Private zur ſchnelleren Auf- 
forſtung ihrer „Oedländereien“ veranlaſſen. 

Eine nicht beabſichtigte und durchaus nicht rühmenswerthe Neben: 
wirkung dieſer Steuerbefreiung iſt es aber, daß hierdurch dem Do: 
mänenärar, den Stiftungen, Standesherrſchaften u. ſ. w. geradezu eine 
Beihilfe gewährt wird, Bauerngüter zur Aufforſtung anzukaufen. Wenn 
eine ſolche Herrſchaft ein Bauerngut erwerben will, ſo berückſichtigt 
ſie natürlich jetzt bei der zuvor anzuſtellenden Wertberechnung, daß 5 
ſie für den bisher landwirtſchaftlich genutzten Teil des Gutes bei — 
Durchführung der geplanten Aufforſtung 20 Jahre lang keine Steuern 5 
und Umlagen zu zahlen braucht. Nehmen wir an, der Staat würde 
während dieſer 20 Jahre an Grundſteuer jährlich 15 Pfg. von 100 Mk. 
Steuerkapital und die Gemeinde an Umlage 60 Pfg. erheben, ſo 
kommt die erſparte Steuer und Umlage bei Berechnung eines Zins- 
fußes von 4% einem baren Kapitalvorteil von 10 Mk. 19 Pfg. für 
je 100 Mk. Steuerkapital gleich, und ſetzen wir das Steuerkapital gleich 
dem Gutswert, ſo beträgt alſo der bare Vorteil in Folge der 
Steuer⸗ und Umlagebefreiung mehr als 10% des Guts⸗ 
wertes; daß eine ſolch hohe Beihilfe es der betreffenden Verwaltung 
weſentlich erleichtert, den an ſeiner bisherigen Wirtſchaftsweiſe hängen⸗ 
den Bauernſtand auszukaufen, iſt klar. 

Sind nun im Laufe einiger Jahre mehrere Höfe einer Gemeinde 
an die tote Hand übergegangen, ſo iſt der Umlagefuß der Gemeinde 

nicht allein deshalb höher geworden, weil die ausgekauften Bauern 
nebſt Familien zum größten Teil fortgezogen ſind, und keine Umlage 
von ihrem Einkommensanſchlag mehr eingeht, ſondern auch deshalb, 
weil das landwirtſchaftliche Gelände derſelben, welches jetzt aufgeforſtet 
iſt, zu den Umlagen nicht mehr herangezogen werden darf, d. h. durch 
jeden Verkauf eines Hofes an die tote Hand zur Auf⸗ 
forſtung wird die Umlagelaſt der zurückbleibenden 
Bauern nur um jo größer und deren Exiſtenz um jo 
ſchwieriger. 

Eine bauernfreundliche Regierung ſollte eine Geſetzgebung, welche 
ſolche Folgen hat, baldthunlichſt berichtigen! Unſer Vorſchlag in 
dieſer Hinſicht geht dahin, daß die zwanzigjährige Umlagefreiheit 
für aufgeforſtetes Gelände ganz beſeitigt, und daß ferner der ſtaat— 
liche Nachlaß an der Grundſteuer für jeden Pflichtigen auf 
einen Höchſtbetrag von etwa 200 Mk. jährlich beſchränkt werde. Das 
Geſetz würde dann immer noch die Wirkung haben, die kleinen 


2 


Schwarzwaldgemeinden und die Schwarzwaldbauern zur Aufforſtung 
ihrer Oedländereien aufzumuntern; es würde aber nicht mehr die Neben- 
wirkung haben, den Uebergang der Bauernhöfe in die tote Hand zu 
befördern, wie wir dies oben für die gegenwärtige Geſetzesfaſſung 
nachgewieſen haben. 

Erforderlichenfalls könnte man ja die Aufforſtung der „Oedlän⸗ 
dereien“ noch mehr als bisher durch Prämien zu befördern ſuchen; 
die Unterſtützung würde aber dann aus allgemeinen Staatsmitteln 
ſtattfinden und nicht wie bisher durch die Umlagefreiheit auf Koſten 
der betreffenden Gemeindekaſſe bezw. der zur Letzteren fernerhin Ume 
lage zahlenden Gemeindegenoſſen. 

Was wir bei der Grundſteuer über die Geſtattung des Schuldenab⸗ 
zuges gejagt haben, gilt mutatis mutandis auch für die Häuſerſteuer. 
1 Ein alter Wunſch der Landbevölkerung iſt es, daß die landwirt⸗ 
N ſchaftlichen Betriebsgebäude von der Häuſerſteuer befreit werden möchten. 
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Man begründet dieſen Wunſch in der Regel damit, daß man jagt, 
der Landwirt ziehe ja aus ſeinen Betriebsgebäuden eigentlich keinen 
Ertrag, dieſe ſeien für ihn vielmehr nur Laſtengebäude, welche er eben 
brauche, um den Ertrag ſeiner Aecker zu verwerten; da nun der letztere 
Ertrag bereits vollſtändig zur Steuer herangezogen ſei, To ſolle man 
doch die ertragloſen Betriebsgebäude ſteuerfrei laſſen. Gegen dieſe 
Beweisführung kann man vom finanz⸗politiſchen Standpunkt aus 
mit Recht einwenden, daß die landwirtſchaftlichen Betriebsgebäude 
allerdings einen Ertrag abwerfen, wenn auch keinen Geldertrag, ſo 
doch einen Naturalertrag; wäre es anders, ſo würden ſie ja von 
der Landbevölkerung nicht weiter unterhalten und hätten auch keinen 
Verkehrswert; zudem ſeien ja in Baden ſowohl Grund und Boden als 
die Gebäude nach ihren Verkehrswerten kataſtriert; es ſei deshalb kein 
finanz⸗techniſcher Grund vorhanden, die landwirtſchaftlichen Betriebsge⸗ 
bäude mit ihren Verkehrswerten von der Ertragsſteuer frei zu laſſen. 
Bei der vorliegenden Frage ſollte man aber unſeres Erachtens nicht 
allein finanz⸗techniſche, ſondern auch ſozial-politiſche Erwägungen maß⸗ 
gebend ſein laſſen, und die Letzteren führen zu dem Ergebnis, daß eine 
weitere Steuerentlaſtung des Bauernſtandes dringend zu wünſchen iſt, 
und daß eine ſolche in Baden unter anderm durch eine Steuerbefreiung 
der landwirtſchaftlichen Betriebsgebäude erreicht werden könnte; eine 
ſolche Steuerbefreiung möchten wir aber wenigſtens für den Fall em⸗ 
pfehlen, daß die Umwandlung der Ertragſteuern in Vermögensſteuern 
nicht in Bälde zu Stande kommt; wenn in Elſaß⸗Lothringen, wo die 
Verhältniſſe ähnlich liegen wie in Baden, eine ſolche Steuerbefreiung 
der landwirtſchaftlichen Betriebsgebäude nach dem Geſetz vom 6. April 
nn durchgeführt wird, jo wird ſich dieſelbe auch in Baden ermöglichen 
ſſen. 

Durch die Geſtattung des Schuldenabzuges bei der Grund- und 
Häuſerſteuer und die Umwandlung dieſer Steuern in Vermögensſteuern 
würde natürlich auch eine Abänderung des Geſetzes über die Ge 
werbeſteuer erforderlich werden; übrigens hat die Letztere ja ſchon jetzt 
viel von einer Vermögensſteuer an ſich. 


Häuſerſteuer. 


Gewerbe⸗ 
ſteuer. 


Einkommen⸗ 
ſteuer. 


Weinſteuer. 


7 


Hinſichtlich der Gewerbeſteuer beſteht im Intereſſe der Landbe⸗ 


völkerung vor allem der Wunſch nach einer höheren Beſteuerung des 
Hauſierhandels, einſchließlich des Gewerbes der Detailreiſenden und 
einſchließlich des ſo gefährlichen und meiſtens ſo unnötigen Viehhauſier⸗ 
handels, und zwar der Wunſch nach einer Beſteuerung, welche dieſe 
Gewerbebetriebe bezüglich der Steuerlaſt nicht allein den übrigen Ge⸗ 
werben vollſtändig gleich ſtellt, ſondern welche — darüber hinaus⸗ 
gehend — dieſelbe möglichſt erſchwert und einſchränkt. 

Was den Beizug der eingetragenen Genoſſenſchaften — dieſe be⸗ 
ſtehen ja großenteils auf dem Lande und in den kleinen Städten — 
zu der Gewerbeſteuer anbetrifft, ſo möchten wir hierüber folgendes bei⸗ 
fügen: Nach § 1 des dermaligen Gewerbeſteuergeſetzes werden eingetragene 
Genoſſenſchaften nur dann der Gewerbeſteuer unterworfen, wenn ihr 
Betrieb ein bankähnlicher iſt; ſtatt dieſer zu manchen Zweifeln Anlaß 
gebenden Vorſchrift würden wir vorſchlagen, zu beſtimmen, daß künftig nur 
diejenigen Genoſſenſchaften von der Gewerbeſteuer frei bleiben ſollen, 
welche höchſtens ſoviel Prozent Gewinn an ihre Mitglieder verteilen, 
als der Zinsfuß für gute Hypotheken in der betreffenden Gegend beträgt; 
ein Teil der Genoſſenſchaften nämlich, insbeſondere der Vorſchußvereine 
hat leider den gemeinnützigen Zweck, zu dem ſie gegründet ſind, ver⸗ 
geſſen und ſetzt bedauerlicherweiſe ſeine Aufgabe darein, wie eine kapi⸗ 
taliſtiſche Erwerbsgeſellſchaft einen möglichſt großen Gewinn für ſeine 
Mitglieder herauszuwirtſchaften; wir denken, daß der von uns gemachte 
Vorſchlag bezüglich der Beſteuerung manche dieſer Genoſſenſchaften zum 
Segen der Landbevölkerung auf den richtigen Weg zurückbringen würde. 

Von allen Steuern iſt wohl die Einkommenſteuer diejenige, welche 
den Landwirt am wenigſten drückt, und bezüglich welcher er am wenigſten 
gerechtfertigte Wünſche geltend machen kann. 

Wegen der Beſteuerung der eingetragenen Genoſſenſchaften erlauben 
55 uns dabei auf das eben bei der Gewerbeſteuer Geſagte Bezug zu 
nehmen. 

Nicht allein von allen indirekten, ſondern überhaupt von allen 
Steuern, welche in Baden beſtehen, entſpricht wohl die Weinſteuer am 
wenigſten den Bedürfniſſen und Wünſchen der Landwirtſchaft. 

Vor allem iſt es eine ſtändige Klage der Weinbauern, daß die 
geringeren Weine demſelben Steuerſatz unterworfen ſeien, wie die wert⸗ 
volleren; wir müſſen jedoch offen bekennen, daß wir keinen gangbaren 
Weg wiſſen, dieſen Mißſtand zu beſeitigen; denn die Beſteuerung nach 
dem Wert erſcheint uns ſelbſt bei den ſtrengſten Kontrolmaßregeln als 
kaum durchführbar. 

Ein weiterer Mißſtand der jetzigen Weinſteuer iſt die Zweiteilung 
derſelben in Acciſe und Ohmgeld; für jede dieſer Steuerarten beſtehen 
wieder beſondere Kontrolvorſchriften; dieſe äußerſt beläſtigende 
Mannigfaltigkeit der Kontrolmaßregeln iſt unſeres Er⸗ 
achtens ein Hauptgrund dafür, daß in Baden der Wein⸗ 
handel lange nicht auf der Stufe ſteht, wie es zu wün⸗ 
ſchen wäre; insbeſondere iſt es jetzt den Wirten ſehr erſchwert, 
neben ihrem Wirtſchaftsgewerbe zugleich noch einen eigentlichen Wein⸗ 


78 — 


l zu betreiben, da fie dazu zwei durch eine offene Straße voll⸗ 
ig von einander getrennte Keller nötig hätten, nämlich einen für 

Wein, der zum Weiterverkauf in Mengen von mindeſtens 20 Liter 
* beſtimmt iſt, und einen für Wein zum Ausſchank in der Wirt⸗ 


. ſchaft. Die Badiſchen Weine wären aber z. B. im Norden Deutſchlands 
er. noch viel bekannter, wenn fie mehr in handelsüblicher Weiſe empfohlen 


und abgeſetzt würden. Auch iſt meiſtens die Kellerbehandlung des 
Weines bei den Weinhändlern eine viel beſſere als bei den Weinbauern 
ſelbſt; bei den Letzteren haben alle bezüglichen Bemühungen und Be⸗ 
lehrungen der Regierungsorgane bisher nur einen ſehr geringen Erfolg 
ehabt ); die Weinhändler dagegen ſuchen in der Regel die Kellerbe⸗ 
dlung den Fortſchritten der Technik anzupaſſen, da ja ein großer 
Teil des Erfolges ihres Gewerbes davon abhängt. 
Mit Recht weiſt Staatsrat Buchenberger in ſeiner Agrarpolitik 
Band II, S. 513,15 darauf hin, wie gerade beim Wein und den andern 
landwirtſchaftlichen Produkten, die eine Art Veredlungsprozeß durchzu⸗ 
machen haben, eine relative Unentbehrlichkeit des Zwiſchenhandels an⸗ 
zuerkennen iſt. Um aber im Intereſſe der Weinbauern die Kräftigung 
und weitere Ausdehnung eines ſolchen geſunden Weinhandels zu unter⸗ 
ſtützen, giebt es unſeres Erachtens kein beſſeres Mittel, als einmal die 
Abſchaffung des Ohmgeldes, ſo daß auch die kleineren Wirte 
. ſich mehr als bisher dem Weinhandel widmen können, und dann, hier⸗ 
; mit verbunden und hierdurch ermöglicht, eine weſentliche Verein⸗ 
1 fachung der Kontro le bei der beſtehenbleibenden Weinacciſe. 


Den durch Abſchaffung des Ohmgeldes entſtehenden Einnahmeaus⸗ 
fall von jährlich etwa 250000 Mark würden wir vorſchlagen, durch 
eine allgemeine Wirtſchaftsabgabe, als Zuſchlag zur Ge⸗ 
werbeſteuer wieder einzubringen; dieſe letztere Steuer wäre dann 
ſelbſtverſtändlich nicht allein von den Weinwirten, ſondern auch von 
den Bierwirten zu erheben; es würde dies wiederum eine verhältnis⸗ 
mäßige Erleichterung des Weinkonſums zu Ungunſten des Bierkonſums 
bedeuten, was von den Weinbauern natürlich nur freudig begrüßt würde. 
Was die Bierſteuer anbetrifft, ſo hat unter der Herrſchaft des 
gegenwärtigen Bierſteuergeſetzes in den letzten Jahren die Zahl der 
kleinen Brauereien immer mehr abgenommen, das Brauereigewerbe hat 
ſich immer mehr zu einer Großinduſtrie zentraliſiert. 


Gerade die kleinen Brauer ſind es aber, deren Fortbeſtand für die 
Landwirtſchaft von großem Werte iſt; denn bei ihnen findet der Land⸗ 
wirt einen ſicheren Abſatz für ſeine Gerſte, ſelbſt wenn dieſelbe einmal 
nicht vollſtändig tadellos iſt; die Großbrauereien dagegen brauchen für 


/ 


D 


A 


*) Sogar den Küfern in den kleinen Landorten fehlt es häufig an den 
notwendigſten Kenntniſſen hinſichtlich des Gährungsprozeſſes, welchen der Wein 
durchzumachen hat, jo daß grobe Fehler in der Weinbehandlung ſeitens derjelben 
nicht ſelten vorkommen; es erſcheint deshalb der Erwägung wert. ob man nicht | 
den Betrieb des Küfereigewerbes in ähnlicher Weiſe von der Beibringung eines 5 
Prüfungszeugniſſes abhängig machen ſollte, wie dies bezüglich des Hufbeſchlages 2 
in § 30 der Reichsgewerbeordnung geſchehen iſt. ? 


ihren Betrieb größere Mengen gleichmäßig keimender Ware, und eine 
ſolche gleichmäßige Keimung iſt natürlich dann nicht zu erwarten, wenn 
ein Gerſtenhaufen aus vielen geringen Verkaufsmengen kleiner Bauern 
zuſammengemiſcht iſt; die Großbrauereien ſuchen deshalb möglichſt von 

Großgütern zu kaufen, und ſie ſind auch leicht geneigt zur Verwendung 
ausländiſcher Gerſte. N 

Im Intereſſe der kleinbäuerlichen Landwirtſchaft iſt es deshalb dringend 

zu wünſchen, daß dem allmählichen Untergang des Standes der Klein⸗ 
brauer durch eine Aenderung der Bierſteuergeſetzgebung entgegengewirkt 
werde, und am beſten würde dies geſchehen durch Erſetzung der ver⸗ 
alteten Keſſelſteuer durch eine Malzſteuer und zwar mit geringeren 
Steuerſätzen für die Kleinbrauer und insbeſondere diejenigen 
unter denſelben, welche ihren Malzbedarf ſelbſt erzeugen 
(landwirtſchaftliche Brauereien und Mälzereien). 


Die Malzſteuer ſollte dabei nicht nach dem Maß (wie in Bayern) 
ſondern nach dem Gewicht (wie in Württemberg) erhoben werden; 
denn das erſtere Syſtem drängt zur Verwendung möglichſt ſchweren 
5 wodurch die Gerſte der Kleinbauern wiederum zurückgeſetzt 
würde. x 


Auch die Einführung des „Surrogatverbotes“ könnte der Land: 
bevölkerung nur erwünſcht ſein; denn in ihrem Vorteil liegt es jeden⸗ 
falls nicht, wenn an Stelle inländiſcher Gerſte ausländiſches Reis und 
Mais verwendet wird. 

i Häufig hören wir die Landwirte die Forderung nach einer: voll: 
ſtändigen Beſeitigung der Liegenſchaftsacciſe aufſtellen, weil ſie haupt⸗ 
ſächlich die Landwirtſchaft belaſte. 

Das Letztere iſt jedoch nicht richtig; denn der Liegenſchaftsverkehr 
iſt bekanntlich auf dem platten Lande ein viel geringerer als in den 
Städten; aus den letzteren, wo ſich zudem die wertvollſten Liegen⸗ 
ſchaften (insbeſondere Gebäude) befinden, geht deshalb auch der größere 
Teil der Liegenſchaftsacciſe ein, ſo daß dem Bauernſtand mit der Be⸗ 
ſeitigung derſelben und Erſetzung durch andere Steuern nicht geholfen 
würde. Auch hat die Liegenſchaftsacciſe immerhin den hochanzuſchlagen— 
den Vorteil, daß ſie den Güterhandel auf dem Lande erſchwert. 

Unſere Wünſche bezüglich der Liegenſchaftsacciſe ſind vom Stand 
punkt der Landbevölkerung folgende: & 
| 1. Erſtens iſt es unſere Anficht, daß der Steuerfuß geringer fein 
ſollte für diejenigen Grundſtückskäufer, welche in der gleichen Gemeinde 
wohnen, wo das gekaufte Grundſtück gelegen iſt, oder wenigſtens in 
einer an dieſe angrenzenden Gemeinde. 


Es würden dann die Liegenſchaftskäufe ſeitens der toten Hand 
ſowie ſeitens der Güterhändler in der Regel ſchwerer getroffen als 
diejenigen ſeitens der ortsanſäſſigen Bauern — eine Geſetzeswirkung, 
welche aus volkswirtſchaftlichen und ſozialpolitiſchen Gründen gewiß 
gerechtfertigt werden kann. > 

2. Dagegen jollte zweitens die Steuer im doppelten Betrage, näm⸗ 
lich ſowohl vom Käufer als Verkäufer erhoben werden, wenn ſeit der 


3 


letzten früheren Veräußerung des Grundſtückes noch keine zwei Jahre 
verfloſſen ſind; hierdurch würde das Gewerbe der Güterhändler wiederum 
nicht unbedeutend erſchwert, und 

3. ſollte die Steuer erhoben werden nicht allein, wenn es ſich um 
Liegenſchaftskäufe im juriſtiſchen Sinne handelt, ſondern auch dann, 
wenn ein Güterhändler die Grundſtücke eines Bauern in deſſen Auftrag 
und Namen verſteigert oder ſonſt veräußert, dabei aber ausgemacht iſt, 
daß der Erlös über eine beſtimmte Summe dem Händler zu Gute kommt. 

Gewiß liegt hier im wirtſchaftlichen Sinne gleichfalls ein Güter⸗ 
verkauf an den Händler vor; der betr. Vertrag wurde nur nicht in der 
Form des Kaufes und Verkaufes abgeſchloſſen, weil man die Pflicht 
zur Zahlung der Liegenſchaftsacciſe u. ſ. w. umgehen wollte. 

4. Wie bei der Grundſteuer, jo möchten wir ferner bei der Liegen⸗ 
ſchaftsacciſe die Frage der Steuerfreiheit des Domänenärars berühren. 

Auch die Liegenſchaftsacciſe hat eben — wie überhaupt jede Steuer 
— außer der Beeinfluſſung der betreffenden ſteuerpflichtigen Einzelwirt⸗ 
ſchaft zugleich ſozial⸗ und volkswirtſchaftliche Wirkungen zur Folge, und 
deshalb geht es nicht an, die Frage der Steuerfreiheit des Domänen⸗ 
ärars lediglich vom Standpunkt des ſtaatlichen Rechnungsweſens zu be⸗ 
trachten, etwa indem man ſagt, es ſei doch einerlei, ob eine Staatskaſſe 
der andern einen Betrag erſetzt oder nicht; vielmehr hat man ſich zu 
vergegenwärtigen, daß man dem Domänenärar durch die Befreiung 
von der Liegenſchaftsacciſe ein nicht unbeträchtliches Voraus vor allen 
privaten Kaufliebhabern einer Liegenſchaft gewährt; eine ſolche Be⸗ 
günſtigung erſchiene uns aber nur in dem Fall gerechtfertigt, wenn es 
wünſchenswert wäre, daß noch mehr Gelände als bisher in den Beſitz 
der toten Hand käme; wir können uns jedoch, wie wir wiederholt aus⸗ 
geführt haben, hiermit nicht einverſtanden erklären, ſind vielmehr der 
Anſicht, daß das Domänenärar mit dem Aufkaufen von Bauernhöfen 
einhalten ſollte. 

Ebenſogut wie das Domänenärar bei dem Betrieb ſeiner einen 
Bierbrauerei der Bierſteuerpflicht unterworfen iſt, und die Militärverwal⸗ 
tungen zutreffendenfalls Getreidezoll, Salzſteuer u. ſ. w. zahlen müſſen, 
ebenſo ſollte das Domänenärar unſeres Erachtens auch zur Zahlung 
der Liegenſchaftsacciſe für ſeine Gütererwerbungen angehalten werden. 

Die gleiche Betrachtungsweiſe gilt ſelbſtverſtändlich auch für die 
Güterkäufe ſeitens öffentlicher Anſtalten für Wohlthätigkeit und Unter⸗ 
richt; auch dieſe ſollten unſeres Erachtens der Liegenſchaftsacciſe unter⸗ 
worfen werden, ſofern die Erwerbungen nicht zur Erfüllung der betr. 
Stiftungszwecke gemacht wurden. 

Die bisherige Gewichtsſteuer vom Rohtabak laſtet ſchwer auf dem 
Tabakbauer, welchem in erſter Linie die Pflicht zur Steuerzahlung ob⸗ 
liegt; dieſe Pflicht kann er nur bei rechtzeitigem Verkauf ſeines Tabakes 
an den Händler überwälzen; deshalb iſt er häufig gezwungen, unter 
allen Umſtänden und zu nur geringen Preiſen zu verkaufen; auch bringt 
es das gegenwärtige Steuerſyſtem mit ſich, daß die Pfeifentabake gerade 
ſo hoch beſteuert ſind als die wertvolleren Cigarrentabake, ſodaß das 
Pfeifenrauchen immer mehr durch das Cigarrenrauchen verdrängt wird, 


Tabakſteuer. 


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Geetreidezölle. 


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wodurch der Landwirtſchaft wiederum eine Abſatzmöglichkeit für die ge⸗ 
ringeren Tabake verloren geht. 


Im Intereſſe der Landwirtſchaft iſt daher dringend zu verlangen, 
daß das jetzt beſtehende Steuerſyſtem durch eine Tabakfabrikatſteuer, 
womöglich abgekauft nach dem Wert der Fabrikate, erſetzt und ſo die Steuer⸗ 
laſt anſtatt den Tabakbauern in erſter Linie den Tabak- und Cigarren⸗ 
fabrikanten auferlegt werde. Für wünſchenswert würden wir es dabei 
halten, wenn die Tabakfabrikatſteuer für diejenigen Betriebe, welche im 
Sommer ſtillſtehen, ähnlich wie bei der Branntweinſteuer, in geringerem 
Betrage erhoben würde, als für die, welche das ganze Jahr hindurch 
arbeiten laſſen; hierdurch würde man es erreichen, daß die Tabak⸗ 
induſtrie gerade wie die Branntweinproduktion ſich mehr auf dem platten 
Lande anſiedelte, und daß ſie hier im Winter den überſchüſſigen Ar⸗ 
beitskräften Beſchäftigung böte, während dieſe im Sommer in der Land⸗ 
wirtſchaft thätig ſein könnten. 5 


Noch eine andere Frage möchten wir hier kurz anregen: Der 
Staat unterſtützt die Rentabilität des norddeutſchen Großgrundbe⸗ 
ſitzes durch Exportprämien für Branntwein und Zucker; wie wäre es, 
wenn er nun auch den in der Regel von Kleinbauern betriebenen 
Tabakbau, welcher ja in den letzten Jahren in ſeiner Rentabilität 


zweifelsohne bedeutend zurückgegangen iſt, durch Exportprämien auf 


Rohtabake und Tabakfabrikake wieder lohnender machen würde? 


Bei den Getreidezöllen iſt es naturgemäß hauptſächlich die 
Frage nach der Höhe derſelben, welche in den Tagesblättern und der 
Broſchürenlitteratur zu Erörterungen hinüber und herüber Anlaß gibt; 
unſererſeits ſoll jedoch hier von Beſprechung dieſer Frage abgeſehen 
werden, weil wir uns nur mit Erreichbarem beſchäftigen wollen, 
die Getreidezölle aber durch die Handelsverträge auf Jahre hinaus feit- 
gelegt ſind. 

Von den ſonſtigen Wünſchen der Landwirte hinſichtlich der Ge— 
treidezölle wird neuerdings insbeſondere der häufig wiederholt, die Zoll⸗ 
verwaltung möge die ſogenanten gemiſchten Privattranſitlager 
aufheben d. h. diejenigen Lager fremden Getreides, aus welchen ſolches 


ſowohl in das Inland nach ſtattgehabter Verzollung als unverzollt in's 


Ausland verſendet werden kann. Durch Aufhebung der gemiſchten 
Tranſitlager würde man jedoch die Händler lediglich zwingen, das an: 


kommende fremde Getreide gleich auf zwei verſchiedene Läger zu ver⸗ 


teilen, von welchem dann aus dem einen nur ein Abſatz in's Inland 
und aus dem andern nur eine Wiederausfuhr in's Ausland geſtattet 
wäre; es würde alſo dem Lagerinhaher die Möglichkeit genommen, je 
nach der Weltmarktskonjunktur über das Getreide bald zur Einfuhr bald 
zur Ausfuhr zu verfügen und insbeſondere würde ihm die Sortenwahl 
für dieſe beiden Abſatzzwecke beſchränkt. Hierdurch würde in Baden 
zweifellos der Handel mit fremdem Getreide nach der Schweiz u. ſ. w. 
Not leiden und zwar insbeſondere zu Gunſten des Handels der italieni⸗ 
ſchen und franzöſiſchen Mittelmeerhäfen, ohne daß dabei eigentlich ab— 
zuſehen iſt, welcher größere Vorteil für die Landwirtſchaft daraus 


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igen ſoll; wir können uns deshalb für den Vorſchlag der 
ig der gemiſchten Tranſitlager nicht erwärmen. 
egen würden wir eher dem neuerdings e öfters ausge— 
nen Wunſche zuſtimmen können, die Zollverwaltung möge die 
matlichen Zollkredite für das eingeführte Getreide aufheben; 
ch würde die Getreideeinfuhr um mindeſtens den Zinsbetrag 
bisherige Kreditfriſt verteuert und, wenn der ſo erzielte Vor— 
auch nicht groß wäre, jo ſtehen doch unſeres Erachtens grund- 
lich e Bedenken dem erwähnten Vorſchlage nicht entgegen; ebenſo 
t es uns möglich, dem weiteren Wunſche zu entſprechen, der da⸗ 
eht, die Zollverwaltung möge wöchentlich einen Nachweis über 
in den Zollniederlagen gelagerte Getreide veröffentlichen (ev. auch 
den Ausſtand an Einfuhrberechtigungsſcheinen), um ſo den In⸗ 
ereſſenten eine wichtige Grundlage zur Schätzung des zu erwartenden 
votes ausländiſcher Ware zu gewähren und andererſeits die Be⸗ 
influſſung der Getreidepreiſe durch falſche Börſennachrichten über die 
denen Vorräte zu erſchweren. f 


IV. Anhang. 


Welche landwirtſchaftlichen Wünſche beſtehen bezüglich 
des Eiſenbahnweſens? 


Mit Recht ſagt Prof. von der Goltz in ſeinem Buche „Die agrari⸗ 
ſchen Aufgaben der Gegenwart, Jena 1895 S. 132: „Zu den wichtigſten 
agrariſchen Aufgaben der Gegenwart muß die Sorge für die Herſtellung 
guter Verkehrsmittel gerechnet werden“. ö 

Allerdings wurden in den letzten Jahren die Tarife für landwirt⸗ 
ſchaftliche Produkte ſowie diejenigen für Dünger- und Futtermittel viel⸗ 
fach ermäßigt und den Bedürfniſſen der Landwirtſchaft angepaßt; doch 
ſind die bezüglichen Wünſche der Landwirte noch lange nicht alle be 
friedigt; insbeſondere wäre eine Herabſetzung der Gütertarife für Wein, 
Tabak, Obſt, Butter u. ſ. w. dringend zu wünſchen; ferner ſollten die Tarife 
für Frucht billiger geſtaltet werden als die für Mehl, um die Einfuhr 
des Letzteren aus der Ferne (z. B. aus Nord- und Oſt-Deutſchland) zu 
erſchweren und umgekehrt die inländiſchen Mühlen, die doch auch wie⸗ 
der inländiſche Frucht verarbeiten, zu unterſtützen; dagegen wäre gegen 
die Wiedereinführung der Differenzialtarife für das oſtpreußiſche Ge⸗ 
treide und Mehl mit aller Energie Widerſtand zu leiſten. 

Viel geringeres Intereſſe als an den Gütertarifen hat der Bauer 
an der Geſtaltung der Perſonentarife; er reiſt eben nur wenig; die 
neu eingeführten Tauſendkilometerhefte kommen deshalb keineswegs dem 
Landwirte zu Gute, den Vorteil davon haben vielmehr in der Haupt⸗ 
ſache nur die Geſchäfts- und Vergnügungsreiſenden; was für Gründe 
aber kann man dafür geltend machen, daß man einem armen Bauer, 
der z. B. morgens zu Fuß in das benachbarte Amtsſtädtchen gegangen 
it und dann nach Hauſe zurückfahren will, für eine Strecke, von — ſagen 
wir — 10 km 35 Pfennig abnimmt, während der Geſchäftsreiſende, dern 
ſich den Rabatt des Tauſendkilometerheftes zu Nutzen machen kann, nur 
12,5 Pfennig für die gleiche Strecke zu zahlen braucht? Gewiß iſt 
5 a ſolche Tarifgeſtaltung alles eher als eine bauernfreundliche Maß⸗ 
nahme. 

Dazu kommt noch, daß die Tauſendkilometerhefte zur Benützung 
der Schnellzüge berechtigen, ſodaß das reiſende Publikum ſich immer 
mehr an dieſe gewöhnt, und in Folge davon dann nur noch das Be⸗ 
dürfnis nach Einrichtung neuer Schnellzüge, nicht aber auch neuer 
gewöhnlicher Züge hervortritt; die Landbevölkerung hat aber keinen 
Vorteil von den Schnellzügen, welche, ohne zu halten, an den kleinen 
Bauerndörfern vorbeieilen; ſie wünſcht ſich vielmehr zahlreichere 


welche leinen Statio anhalten, und i „ 
e . würden br 
nen. Beides — zahlreichere Lokalzüge und ne 

* es ein, je 

der Perſonentarife 


Bhlußwort, 


Mit den vorausgegangenen Ausführungen glauben wir in der 
Hauptſache alle diejenigen ſtaatlichen Maßnahmen erörtert zu haben, 
welche in Betracht kommen können, um die Lage der Badiſchen Land⸗ 
wirtſchaft zu verbeſſern. 

Darauf ſind wir allerdings gefaßt, daß man uns von der einen 
Seite vorwerfen wird, unſere Vorſchläge enthielten zum großen Teil 
reine Geſchenke an die Agrarier und würden lediglich dazu 
beitragen, die Unerſättlichkeit der Letzteren zu ſteigern; und ebenſo er⸗ 
warten wir auch umgekehrt, daß uns gerade von agrariſcher Seite ent— 
gegengehalten werden wird: „Mit ſolchen kleinen Mitteln iſt 
der Landwirtſchaft nicht mehr zu helfen; wo bleiben unſere 
Hauptforderungen, wie Verſtaatlichung der Getreideeinfuhr, Einführung 
der Doppelwährung, Ablöſung der Hypothekenſchulden unter Staats- 
zuſchuß, Färbungszwang für die Margarine u. ſ. w.?“ 

Wir geſtehen, daß wir dieſen letzteren Forderungen nicht zuſtimmen 
können, ſehen jedoch davon ab, dies im Einzelnen auszuführen, weil 
un der für dieſes Schriftchen vorgeſehene Umfang weit überſchritten 
würde. 

Der Verfaſſer möchte dieſes Schriftchen nicht ſchließen, ohne noch darauf 
hinzuweiſen, daß alle Staatshilfe nur halben Erfolg haben kann, wenn 
die Landwirte ſich nicht mehr als bisher ſelbſt zu helfen ſuchen durch 
Verbeſſerung ihres Wirtſchaftsbetriebs, durch Vereinigung zu gemein⸗ 
ſamem Ein⸗ und Verkauf u. |. w.; denn — jo jagt Lorenz von Stein in 
ſeinen „drei Fragen des Grundbeſitzes“ S. 106 — „die Verwaltung 
hat keinem Menſchen zu geben, was er ſich ſelber ſchaffen kann; ihre 
Aufgabe iſt es allein, dem Einzelnen diejenigen Bedingungen ſeiner ge⸗ 
ſamten perſönlichen Entwicklung zu bieten, die er durch ſeine einzelne 
wirtſchaftliche oder perſönliche Kraft nicht herſtellen kann.“ 


Es wird noch bemerkt, daß bei Abfaſſung dieſer Schrift nicht mehr berück⸗ 
ſichtigt werden konnten: 


1. die während des Druckes erſchienene Verordnung des Miniſteriums des 
Innern vom 27. Nov. 1895 (Geſ.⸗ u. V.⸗O.⸗Bl. 1895 S. 483), worin die 
Abhaltung von Verſteigerungen in Wirtshäuſern oder überhaupt unter 
Gewährung geiſtiger Getränke verboten wird (vergl. hierzu auch Seite 51 
dieſes Schriftchens); 

2. der den Ständen vorgelegte neue Bierſteuergeſetzenwurf und 

3. die den Ständen vorgelegte Denkſchrift über die Reform der direkten 
Steuern in Baden. 


— . 2.— 


Univerſitäts⸗ Buchdruckerei von J. Hörning in Heidelberg. 


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