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4339.03.20
Harvard College Library!
FROM THE FUND OF
CHARLES MINOT
d (Class of 1828)
Richard Voss,
dem Meister der Campagnaschilderung
in treuer Verehrung
gewidmet.
©
Was die
Campagna erzählt
(Erster Teil)
Vor den Toren Roms
von
Albert Zacher.
Frankfurt a. M.
Neuer Frankfurter Verlag. G. m. b. H.
1903.
‚Maschinensatz von Oscar Brandstetter in Leipzig.
ieee WEDERDE Sa En Sn i nr at a
Vorwort.
Die gütige Aufnahme, die meine früheren Rom-
büchlein in vielen Kreisen fanden, legte mir nahe,
mit einem neuen herauszukommen, mit welchem
ich den gleichen egoistischen Zweck verbinde, der
mich zur Abfassung meiner „Römischen Augen-
blieksbilder“ anregte. In deren Vorwort — man
verzeihe das Selbstzitat — schrieb ich: „Dann aber
-bedachte ich, daß ich „als Fremdenführer im Neben-
-amte“ oft und immer wieder stets dieselben Dinge
zu wiederholen gezwungen war, weshalb ich mich
ein für allemal entschloß, mir mein Führeramt zu
erleichtern — und das Büchlein war fertig.“
Noch eine andere Erwägung leitete mich. Wer
lange in Rom weilt, wie der Verfasser, und mit
vielen Touristen verkehrte, wird gefunden haben,
daß nur diejenigen wahren Genuß von ihrer Rom-
reise hatten, welche morgens Museen und Kirchen,
‚nachmittags aber die Campagna besuchten, da diese
Ausflüge die beste Erholung nach dem Kunst-
studium bieten.
Nun haben aber die in Rom Ansässigen auch
oft die weitere Erfahrung gemacht, daß trotz der
vorzüglichen Reiseführer, wie G’sell Fels, Baedeker
etc., nur wenige Rompilger dazu kommen, sich selbst
die schönsten Ausflüge zusammenzustellen. Ja, sehr
viele Reisende, die aus Erholungsbedürfnis oder
Bequemlichkeit das „trockene Baedekerstudium“,
a | |
wie sie es nannten, zu lästig fanden, nahmen stets
ihre Zuflucht zu Berufsfremdenführern oder zu an-
sässigen Freunden, um sich von diesen belehren
zu lassen. So habe denn auch ich oft Gruppen
von Freunden oder von Freunden empfohlener
Fremden Pläne zu lohnenden Ausflügen auf-
schreiben, oder unbekanntere Landschaftsperlen durch
persönliche Begleitung zeigen müssen.
Um daher meine hiesigen Freunde und mich
zu entlasten — denn non semper repetitio juvat
— schrieb ich dieses Büchlein, das nur Nach-
mittagsausflüge enthält, (ein zweites, das Tages-
ausflüge bringt, ist in Vorbereitung), Ausflüge, die
. zum Teil in den Reisebüchern noch nicht erwähnt,
oder aber sehr kurz behandelt werden. Vielleicht darf
ich mich mit der Hoffnung schmeicheln, mit dieser
Arbeit einem Bedürfnisse entgegenzukommen. Jeden-
falls sollte es mich freuen, wenn sie den Lesern
etwas von der wahren Campagnabegeisterung mit-
teilte, wie sie sich in mir durch den Umgang mit
befreundeten Künstlern entwickelte, die mich mit
ihren Augen „sehen“ lehrten.
Noch eins. Das Büchlein soll die Reisebücher
nicht ersetzen, sondern nur hier und da ergänzen,
und sollte diese Ergänzung stellenweise nicht ge-
lungen sein, so wäre der Verfasser für jeden Wink
aus dem Leserkreise herzlichst dankbar.
Rom, Ende Januar 1903.
Dr. Albert Zacher.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
1. Der PING 442343 2.5 8 824 2% 3 1
2. Castello Costantino. .........2... 10
3. Rund um die Mauern Roms ........ 19
4. Vor Porta del Popolo. (Nach Ponte Molle). . . . 32
5. Von Ponte Molle nach Aqua Traversa. . . . 45
6. Villa Madama . . . .. 2 2 2 2 2 220. 48
7. Monte Mario .... 2.22 2 2 22er. 57
8. Viale Pariöli. (Von Porta Pia nach Porta del Popolo). 67
9. Nach dem Poussinthal und Prima Porta. (Vor
Porta del Popolo) . . . 2 2 2 2 2 2 2 te ww 78
10. Über Monte Mario nach der Storta und Veji. 91
11. Via Salaria 2 0: 0.0 ee u Swe, a OE OS ee 100
12. Vor Porta Pia. (Via Nomentana — S. Agnese — Ponte
Nomentano — Der heilige Berg). . -. - . 2.2... 106
13. Vor Porta San Lorenzo. .......... 116
14. Verbindungsweg von Via Tiburtina nach Via
Appia Nuova. .. 2.22 2220000. 123
15. Vor Porta Maggiore. (Via Praenestina — Via Colla-
tina — Cervaragrotten) ....... ae. HAE 127
16. Vor Porta S. Giovanni. (Via Frascati — Porta Furba) 136
17. Via Appia Nuova. (Latinergräber — Aqua Santa —
Oktoberfeste) - . © . 2 2 0 0 2 te ee es 142
18. Via Appia Antica ..:.::: 222200. 152
19. Der Hain der Egeria...... Be ee 168
— VI —
Seite
. Vor Porta San Paolo. (S. Paolo fuori le Mura — Tre
Fontane — Via Sette Chiese) . . . ....... 177
. Santa Sabba und Monte Testaccio. . . . . . 185
. Vor Bahnhof Trastevere. (Die Osterien der Monte-
verdehiigel) . . 2 2: 22 m m rn en 194
. Von Porta Cavalleggieri nach Porta San Pan-
crazio. (im Rücken des Janiculus) . . . . 2 2... 202
. Abschied von Rom. La passeggiata Margherita 211
Der Pincio.
„Wie? Der Pincio gehört doch nicht zur Cam-
pagna!“ wird mancher sagen. „Was hat er also
hier zu tun?“ Der Einwurf ist richtig. Aber, wer
eine Romreise tut, pflegt gemeiniglich, wenn er sich
von Staub und Rauch gereinigt hat, zum Monte Pincio
zu eilen, um hier in gedrängter Übersicht die Ge-
nüsse, die ihm winken, aus der Vogelschau zu be-
wundern. Der Gang zum Pincio ist die Ouvertüre zum
Aufenthalt in Rom, also auch die Einleitung zum
Studium der Campagna, die wir zum Teil hier er-
blicken, um so mehr, als sich vom Pincio aus auch
das Wahrzeichen Roms, der ewige Petersdom, der
den Campagnafahrer stets begleitet, am besten nament-
lich gegen Abend präsentiert. Aber der Pincio ist
noch mehr. Freilich werden wir dessen erst inne, wenn
wir dieses herrliche Gartenbollwerk, diesen „Hügel
der Gärten‘, wie er bei den Alten hieß, des öftern
besucht, und uns zugleich ein wenig im Werden und
Wandeln der ewigen Stadt umgesehen haben. Dann
ist uns der Pincio nicht bloß mehr Aussichtspunkt,
dann ersetzt er uns Schule und Museum, und wird
zur Offenbarung, kurz, zur Kulturstätte des Schönen.
Zacher, Was dic Campagna erzählte 1
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Vielleicht in keiner andren Stadt der Welt drängt
sich dem empfänglichen Wanderer der Geist der Ver-
gangenheit so gebieterisch auf wie in dem ewig jungen
Rom, und das schafft ja eben den unvergänglichen
Reiz, jenen Zauber, dem jeder Rompilger unterliegt,
und schafft auch das Heimweh, das jeder, der einst
Rom geschaut, im Norden nach ihm empfindet. Auf
Schritt und Tritt löst sich dem schönheitsfreudigen
Wanderer das Schweigen der Vorzeit, und nicht nur
die Steine reden ihm von der Pracht des Gewesenen.
Das erfährt besonders der Reisende, der, anstatt von
der Piazza del Popolo aus zum Monte Pincio auf-
zusteigen, von der Via Sistina aus dem Höhenrücken
folgt, welcher in langsamer Steigung zu dem Hügel
leitet, der den nördlichen Eingang Roms beherrscht.
Hat man die Sistinische Straße durchschritten, so steigt
der Obelisk vor der Kirche Trinità de’ Monti vor uns
auf und mahnt an das Hieroglyphenland und seine
römischen Bezwinger. Wenige Schritte — und ent-
zückt schweift unser Auge über das im Talkessel
gebettete nördliche Rom bis hinauf zur Villa Mellini
auf dem cypressenbestandenen Monte Mario. Zu
unsern Füßen aber geleiten die mächtigen Stufen der
Spanischen Treppe, die Innocenz XIII. erbaute, zum
Spanischen Platze hinunter. Farbenfrohes Treiben auf
den Marmorfliesen! Modelle in bunter Hirtentracht, die
des dingenden Malers harren und sich die Warte-
zeit, die lästige, mit Singen und Tanzen verscheuchen,
mischen sich unter niedliche Blumenmädchen. Hoch
zu unserer Rechten erklingt Orgelgebraus und süßer
Frauensang dazwischen. Wir blicken auf zu der mäch-
tigen Kirche, die uns von Karl VIII. und der franzö-
sischen Invasion erzählt, und lauschen: die frommen
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Nonnen von Sacré Coeur singen vielleicht gerade eine
von den Motetten, die einst Felix Mendelssohn fiir sie
komponierte.
Weiter geht der Weg. Zur Linken drängen sich
flache Dächer an die Brüstung heran. Junge Semi-
naristen in schwarzem Talar wandeln auf ihnen, aber
in anderes Sinnen vertieft, als einst Joseph Viktor
Scheffel auf Don Paganos flachem Dachlabyrinth in
Capri. Weiter! Der bekannte lebende Tunnel aus
immergrünen Steineichen nimmt uns auf. Wir stehen
vor der berühmten Brunnenschale, über welcher ein
Kreisausschnitt in der grünen Wand den herrlichsten
Rahmen zur lichtgebadeten Peterskuppel schafft. Zur
Rechten aber türmt sich die Villa Medici auf, seit
Jahren das Heim der französischen Künstler, die nach
siegreichem Wettkampf daheim den Preis für einen
Studienaufenthalt in Rom davontrugen. Diese franzö-
sische Akademie war aber auch einst das Gefängnis
von Galileo Galilei! ...
Im Weitergehen macht sich die lebendige Gegen-
wart sinnfällig geltend; zur Linken begleiten den
Wanderer auf sanftem Abhang Blumenbeete, Treib-
häuser, in romantischem Dunkel plätschernde Brunnen,
am Talrand drängt sich Atelierhaus an Atelierhaus,
und manchen bekannten deutschen Malersmann ent-
deckt man bei der Arbeit auf luftiger Terrasse. Zur
Rechten aber wuchert an steiler Felswand üppigste
Flora: Efeu, wilder Wein, Agaven, Riesenkakteen...
Endlich ist man oben auf der von weit aus-
ladender Steinbrüstung umrahmten Aussichtsterrasse.
Man steht geblendet. Abgebraucht ist es zwar das
Thema vom römischen Himmel, von der römischen
Sonne, und doch ist’s dem Glücklichen, der es erlebt,
1*
4 _
ewig neu. Licht überall, von allen Seiten drängen,
schmiegen und schmeicheln sich seine Strahlen, und
die von diesen geschaffenen blendenden Farben uns
zu; ja, man scheint sie einzuatmen, diese köstliche
Helle, einzusaugen mit allen Poren, und mit ihr zu-
gleich die sonnigste Heiterkeit. Den Armen müssen
schon bittere Qualen foltern, der hier sich nicht glück-
lich fühlt. Welch Panorama vor uns! Die Peters-
kuppel in ihrer erhabenen Pracht blickt feierlich auf
den gedemütigt staunenden Beschauer, und vergebens
mühen sich daneben in dem Türme-, Häuser- und
Palastgewimmel unter uns die Dutzende und aber
Dutzende von kleinen Kuppeln sich aufzurecken, um
Beachtung zu erzwingen. Im Süden ragt das Kapitol
auf und der baumgekrönte Palatin, im Südosten die
Königsburg auf dem Quirinal, und auf dem grünen
Rücken des Janikulus im Westen schimmern die bunten
Villen, blitzt der dreifache Wassergruß der Aqua Paolo
und reitet der eherne Garibaldi auf hohem Sockel,
Wache haltend gegenüber dem Vatikan, in dessen
grüner Gartenpracht die weiße Kuppel der Sternwarte
blinkt. In der Mitte des Häusermeeres jenseits des
Tibers trotzt die Masse des Hadriansgrabes, die Engels-
burg, auf deren Spitze Erzengel Michael das blitzende
Schwert schwingt. Jahrtausende schauen zu uns her-
auf; denn zuletzt haftet unser trunkener Blick an den
Obelisken, der das weite Rondell zu unsern Füßen,
die Piazza del Popolo schmückt, und an den beiden
Schiffsschnabelsäulen, die auf der ersten Terrasse der
Pincioanlagen von dem ersten Seesieg der Römer er-
zählen. Jetzt bewundern wir auch, wie die Erbauer
dieser Anlagen den Weg von unten zur Basteiplattform,
"f der wir stehen, künstlerisch zu beleben verstanden
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haben mit Terrassen, Arkaden, Statuen und Spring-
brunnen,
Die Fülle der Eindrücke ist zu groß. Man wendet
sich zum Atemholen nach rückwärts und fällt in neues
Staunen; denn man erblickt eine Gartenpracht, die
selbst den Reisenden überrascht, der schon in Nervi,
Pegli, Nizza lustwandelte. Unmittelbar vor uns, hinter
den Ruhebänken der Terrasse, ein weiter Sandplatz,
abgeschlossen durch ein Halbrund von Palmen, über
das sich, ein wirksamer Hintergrund für die Musik-
tribüne, eine dunkelgrüne Wand von Steineichen er-
hebt. In der Mitte öffnet sich die Wand, und der
nordische Gartenfreund, der in der Heimat nur die
Treibhauspracht kennt, bewundert hier im Freien neben
der Fächerpalme den Mahagonibaum, die Aloe, den
Akanthus, den Granatbaum etc., dazwischen Magnolien,
Oleander und Rhododendron in einer Schönheit und
Üppigkeit, die alle Erwartungen schlagen. Man wagt
kaum noch, diese harmonische und duftende Sym-
phonie der Farben in ihre einzelnen Teile zu zer-
legen, und träumt sich allmählich in die Vergangenheit
hinüber, in die Zeit, da der Schwelger Lucullus an
diese Stätte asiatische Blumenpracht verpflanzte, und
so die nach seinem Namen benannten Gärten schuf,
deren Pracht noch nach hundert Jahren so erstaunlich
war, daß Messalina, um in ihren Besitz zu kommen,
nicht den Mord an ihrem Eigentümer Valerius Asiaticus
scheute. Nach Messalinas Ermordung blieben die
Gärten kaiserlich, bis sie an die Familie der Pincii
gelangten. Nach den Gotenkriegen, während derer
Belisar hier oben wohnte, ward der Gartenhügel durch
fromme Mönche zum Weinhügel gewandelt, bis Napo-
leon l., und später Mazzini, ihn dem alten Berufe
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zurückgaben. Napoleon schuf die jetzigen Anlagen,
und Mazzini verschönerte sie, namentlich auch dadurch,
daß er die zahlreichen Büsten der berühmtesten
Italiener in den Alleen aufstellte.
Die Klänge von Wagners „Walkürenritt‘“ wecken
uns. Es ist vier Uhr geworden, und das römische
Stadtorchester in seinen grünen Uniformen und den
grünbebuschten Bonapartehüten hat das Konzert be-
gonnen.
Nun sehen wir auch das Publikum. Kosmo-
politisch ist’s; denn es ist Spätherbst, und die Reise-
und Pilgersaison hat wieder begonnen. Neben der
in roter und blauer Seide funkelnden Amme aus dem
Sabinerlande gleißen die purpurroten Talare der
Priesterkadetten aus dem Collegium Germanicum. Vor
dem deutschen Fremden im Lodenmantel drängt das
Blumenmädchen, ein Hirtenkind aus dem Volsker-
gebirge, dem römischen Stutzer ein Sträußchen auf.
Im Vordergrunde aber disputieren vor dem befrackten
Carabiniere aus den Schneebergen Piemonts zwei fran-
zösische Geistliche . . . dem Völkergemisch entspricht
das Sprachengewirr. Im Hintergrunde erblicken wir —
die Wagenburg.
Der Pincio ist die Krone der täglichen Korso-
fahrt, und dieser tägliche Korso bildet ja den Lebens-
zweck aller römischen Damen, die zur Gesellschaft
gehören. Den ganzen Tag bleibt die feine Römerin
im Negligé daheim, bis es Zeit ist, Korsotoilette zu
machen; dann besteigt sie mit dem Gatten die Car-
rozza und, nachdem sie in mehrfacher Hin- und Her-
fahrt auf dem Corso Umberto den täglichen Appell
über die übrigen Mitglieder der „Gesellschaft‘‘ abgehalten
hat, geht sie zur Rast auf den Pincio, der so zum
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Stelldichein alles dessen geworden ist, was sonst die
Politik grausam trennt. Neben der „schwarzen“ ist
auch die „weiße‘ Aristokratie vertreten. Die glän-
zendsten Namen der römischen Geschichte des Mittel-
alters hört man; in reichen Toiletten erscheinen die
Damen der Häuser Aldobrandini, Colonna, Borghese,
Albani, Buoncompagni, Odescalchi, Doria, Chigi etc.
Zu ihnen gesellen sich die Damen des diplomatischen
Korps. Kaum halten die Wagen, so eilen die Herren,
um im Zickzackgange Besuche abzustatten, von Equi-
page zu Equipage. Recht formgewandt huldigt man
in Rom den Damen; denn die Römerin, die sehr
auf guten Anzug, auch bei den Herren, hält, sieht
auch sehr auf. feine Sprache. Plötzlich stockt die
Unterhaltung. Ein Galawagen zieht auf, besetzt von
Lakaien in Kniehosen und rotem Frack. Würdevoll,
ernst tut Principe Massimi seine tägliche Pflichtfahrt.
Da er von Fabius Maximus Cunctator abstammt,
rangiert er unter den souveränen Familien, folglich
fährt er auch mit souveränem Pomp.
Wir retten uns aus dem Gedränge in die hinteren
Alleen, welche schöne Ausblicke auf den borghesischen
Park und die nördlichen Hügel bieten. Viele glück-
liche Menschen wandeln still zu zweien, einsame
Damen schmachten auf umschatteten Bänken a la Duse
— „duseggiare‘‘ nennt der Römer ihr kokettes Tun
nach der berühmten Schauspielerin — vom Kinder-
tummelplatz mischt sich Jubelgeschrei in die Klänge
des Orchesters.
Wir warten jetzt auf den Sonnenuntergang. Dann
treten wir zur Terrasse zurück. Der westliche Himmel
flammt auf. Die Peterskirche ist auf Goldgrund ge-
malt. Die Konturen der Stadt verschwinden, die
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Hunderte von Türmen und Kuppeln versinken im
violetten Duftmeer, und gespenstisch wächst Michelan-
gelos Riesenschöpfung, die Kuppel des Petersdoms,
in die Höhe. Der Pincio leert sich, nur manch ein
empfindsamer deutscher Rompilger, der an die Abfahrt
denken muß, weilt noch seufzend an der Balustrade,
festgebannt von dem Goldmeer, in dem der Vatikan
schwimmt. Wie gerne möchte er dem davoneilenden
Sonnenwagen in die Speichen fallen. Doch die Nacht
bricht ein — und der Pincio wird geschlossen. —
Reisenden, die im Frühling den Pincio besuchen
und die Apotheose der untergehenden Sonne allzu
lang erwarten müssen, empfiehlt sich zur Ausfüllung
der Zwischenzeit ein Gang in die mit dem Pincio
verbundene Villa Borghese, die man nicht oft genug
besuchen kann, namentlich im März und April, wann
die Blumen sprießen. Viele Reisende betreten den
herrlichen Park ja nur des Museums wegen, das er
umschließt, und doch wetteifert mit der Kunstherrlich-
keit dieses Museums die Zauberschönheit der Garten-
landschaft nicht umsonst. König Ludwig I. von Bayern
und Tieck werden nicht müde, der unvergeBlichen
Villa zu danken, deren Alleen, Brunnen, Bäume, Wiesen
und Lauben Goethe inspirierten, während er ,,Tasso“
und „Iphigenie‘“ schrieb. „Wie oft!‘ ruft Tieck aus,
„habe ich hier den süßen Nektar des Lebens ge-
trunken!‘ Schön und groß ist diese Villa, und wer
sie nicht genauer kennt, kann sich keine Vorstellung
machen von dem Glanz und dem durch Kunstsinn
geadelten Reichtum der römischen Principifamilien der
Renaissance. Schon die hier und da zerstreuten Reste
des Altertums sind so reich, daß sie ein Museum füllen
könnten. Und nun erst die Baumpracht in der Früh-
lingssonne! Der Himmel ist wolkenlos, kein Nebel,
kein Schleierduft trübt den Blick, eine von Tau oder
Regen gebadete Rose könnte nicht reiner, nicht frischer
aussehen, als die Baumsymphonie, die uns umgibt.
Die leise vom Tiber her wehende Brise streicht durch
die Wipfel, umschmeichelt die Riesencypressen, die
knorrigen Eichen und die ernsten, ruhigen, vornehm
großen Pinien. Überall riecht, duftet es nach Früh-
ling, nach taugeküßter Erde, treibendem Saft und Harz,
und Anemonen und Veilchen duften dazwischen.
Jeden Augenblick ändern sich die Bilder, bald sehen
wir dichtes Baum- und Strauchgewirr, durch dessen
Laubfilter das Sonnenlicht nur in goldnen Tropfen
durchsickert, bald elegante, hohe Alleen, bald immense
Wiesen, dazwischen klassische Tempel, Rasenhügel
und Täler, Seen und Teiche, und formenschöne Spring-
brunnen in großer Zahl. Der Blumenschmuck der
Wiesen ist so unglaublich reich, daß der nordische
Fremde, der ihn zum ersten Male schaut, seinen Augen
nicht glaubt, und erst gläubig wird, wenn er mit vollen
Händen in dem schier unerschöpflichen violett-rosa
Duftmeer wühlen kann, das so tief ist, daß unsere
Augen das darunterliegende MARSENETUN kaum zu ent-
decken vermögen.
10955 II III FF TFT TFT HT TTTT TFT TTS
Castello Costantino.
Auch dieses Ausflugsziel gehört ebensowenig, wie
der Pincio, zur eigentlichen Campagna, dafür gestattet
es aber einen der schönsten Blicke auf diese.
Egoistische Archäologen und Künstler behaupteten so-
gar Jahrzehnte lang, es biete das schönste Panorama,
das Rom kenne, und so umgaben sie es mit undurch-
dringlichem Geheimnis, auf daß kein durchreisender
Tourist sie störe. Erst seit kurzem ist das Schloß des
Kaisers Konstantin dem Weltverkehr erschlossen.
Zwar vom Schlosse selbst besteht nichts mehr,
aber auf seiner Stätte ragt jetzt eine Osteria, die wegen
der nahen Kirche gleichen Namens auch Osteria
di Santa Prisca heißt.
Auf dem Aventin liegt die berühmte Schloß-
kneipe. Wir müssen uns also in unserer historischen
Rumpelkammer umsehen, um den Ausflug auf den
an geschichtlichen Erinnerungen überaus reichen Hügel
so stimmungsvoll wie möglich zu gestalten.
Zunächst einige Vorbemerkungen. Wer Über-
raschungen liebt und die Aussicht vom Castel Costan-
tino erst am Spätnachmittage genießen will, besuche
zuerst das Forum, dann das Kolosseum, ziehe darauf
druch den Konstantinsbogen, die Via di San Gregorio
und den Viale die Porta San Paolo entlang, bis er
rechts den langsam ansteigenden Fahrweg Via di
FSFFTIFSIFFSTIFTIFIIFIFIIFIFFIIFSIFTS9 11
S. Prisca findet. Hier hinauf und hinter der Kirche
S. Prisca rechts ins erste Gartentor hinein.
Ein zweiter Weg der Uberraschung: Elektrische
Bahn von Piazza Venezia — S. Paolo bis in das
Testaccioviertel. Halt an der Via Alessandro Volta.
Ihr gegenüber führt ein schöner Hügelweg die Via
del Priorato zum Kloster S. Anselmo (s. unten).
Aber alle Wege führen zum Aventin. Nehmen
wir also den gebräuchlichsten und schlendern zunächst
von Piazza Venezia zu den Füßen des Kapitols. Rechts
von der Treppe biegen wir in die Via di Tor di Specchi
ein, die zur Piazza Montanara führt, auf der Sonntags
nachmittags das bunteste Volksgewimmel herrscht, da
sich die Hirten und Landarbeiter der Campagna hier
ihr Stelldichein geben. Man besichtige das Marcellus-
theater, dann weiter geradeaus auf der Piazza della
Bocca di Verita den Rundtempel des Sole (auch Vesta-
tempel genannt), das dahinterliegende Haus des Cola
di Rienzi und die schöne Kirche Maria in Cosmedin.
(Ist viel Zeit vorhanden, so mache man auch einen
Abstecher zum nahen Janusbogen und zur Cloaca
Maxima.)
Rechts von S. Maria in Cosmedin geht es nun
über die Via Greco nach der von Mauern einge-
schlossenen Via Sabina. Zur Linken erblicken wir
hier durch ein Gittertor üppige Gartenpracht, wir be-
merken Rohr, Cypressen, Aloestauden, Agaven, und
diese reiche Flora schmückt den alten Kirchhof der
Juden, die man also früher nach ihrem Tode auf den
Berg verbannte, der in den Zeiten der alten Römer
12 3593I3IIII III III II II FT IH FH TFT IF FF F
als der Berg der Plebejer verrufen. war. Seitdem
König Ancus Marcius die besiegten Latiner auf dem
Aventinus (Vogelberg) ansiedelte, war dieser verachtet.
Selbst zur Kaiserzeit wurde er noch nicht zur eigent-
lichen Stadt gerechnet, obschon er schon wegen seiner
schroffen den Tiber beherrschenden Höhe als stra-
tegischer Punkt in die Befestigung einbezogen worden.
Auch heute noch ist der Berg ganz einsam und fast
unbewohnt.
Wie wir weitersteigend rechts um die Ecke biegen,
fällt uns im Vordergrunde ein Riesenplakat auf, welches
das Lob der Osteria del Castello di Costantino singt,
doch lassen wir. uns noch nicht verlocken, sondern
ziehen rechts unsere Straße weiter, stets zwischen
hohen Mauern. Bald zeigt eine Lücke zur Rechten,
wo ein Zweig der Via Sabina hinabführt, ein herrliches
Panorama. Weiter kommen wir an die alte Kirche
S. Sabina, dann zum Blindeninstitut, in welchem die
durch die bekannte rührende Sage verherrlichte Kirche
S. Alessio (Alexius) liegt, doch uns drängt es bis zum
letzten Tor rechts gegenüber dem Benediktinerkloster
S. Anselmo. Ein Bettler naht sich uns und zeigt mit
einem Gemisch von Triumph und Schüchternheit auf
eine Messingplatte, die ein kleines Schlüsselloch
umschließt.
Wir schauen hindurch — doch verraten wir unsern
Begleitern nicht, was wir gesehen. Das ist Pflicht
der Höflichkeit. Man soll denen, die zum ersten Male
nach Rom kommen, die Freude der Überraschung
nicht rauben. Nie werde ich den Eindruck vergessen,
den ich empfing, als ich am ersten Tage, den ich in
Rom weilte, durch dieses Schlüsselloch schaute.
Der Bettler läutet; ein Pförtner erscheint und
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führt uns in den Park der Malteservilla hinein.
Ein Tunnel aus kunstvoll gestutztem Buchsbaum zieht
sich bis zur Terrasse hoch über dem Tiber, die ein
Panorama bietet, das —! —! Unter uns liegt der
Hafen Ripa Grande vor dem langgestreckten Sankt
Michaelhospiz, hinter und über diesem schauen wir
Pietro in Montorio mit der spanischen Akademie,
zur Rechten die Loggien des deutschen archäologischen
Instituts auf dem Kapitol, und daneben die deutsche
Botschaft. Dann fällt unser Blick auf die Peters-
kuppel, auf die Villa Mellini, welche die Kuppe des
Monte Mario (s. Seite 57) krönt, und den zackigen
Kopf des Monte Soracte.
Alles in allem ein überwältigendes Bild! Nun
lassen wir uns vom Pförtner die Kirche und das Haus
der Malteserritter aufschließen; denn oben im Kapitel-
saale, wo die Bildnisse aller Großmeister hängen,
geht ein Fenster nach Westen und wiederholt uns die
Terrassenaussicht, gegenüber aber gewährt ein andres
Fenster den Blick auf den ganzen Aventin und die
fernen Albanerberge.
Mittlerweile ist es Zeit geworden, zu unserem
Ziele zu gelangen. Wir kehren den Weg zurück, den
wir gekommen, bis zur Rechten wieder das Riesen-
plakat winkt, und die Straße nach S. Prisca abbiegt.
Wo diese sich zu senken beginnt, ragt links ein Garten-
tor. Wir treten ein, links grüßt ein Weingarten, rechts
eine Klostermauer, vor uns blinkt ein tunnelartiges
Tor, das durch ein schönes Landschaftsbild ausge-
füllt ist. Vor dem grauen, alten, kastenförmigen Bau
zur Rechten halten wir still und steigen die kleine
steile Treppe hinan, die zu einem hallenartigen Raum
führt, der in uns die Erinnerung an die Vorstellung
14 III II III III FI FF FF IH FH FF FF FF IF HF IF FH
wachrüft, die wir uns in Deutschland von der „ita-
lienischen Osteria an sich‘‘ zu machen pflegen. Wir
durchschreiten ihn und kommen in einen kleinen Gang,
der das
Museo di Castello di Costantino
enthält. Hier müssen wir unbedingt verweilen, um...
nun, um einen Begriff von dem Humor der Römer
zu bekommen. Selbst Deutsche, die längere Zeit in
Rom weilen, aber nie den Römer im familiären Ver-
kehr kennen lernen, lassen sich ja durch die ernste
Haltung, die dieser gemeiniglich in der Öffentlichkeit
zeigt, zu dem irrigen Urteil verleiten, daß der Römer
immer trocken und steif sei.*) Zum näheren Ver-
ständnis sei hier bemerkt, daß die römischen Archäolo-
gen und Künstler alljährlich in der Konstantinsosteria
ein feierlich Symposion abzuhalten pflegen, und daß
bei diesen periodischen Banketten der Gedanke ent-
stand, ein „Museum“ zu gründen, das als Selbst-
persiflage der Archäologen Zeugnis davon ablege, wie
Humor sich mit Gelehrsamkeit verbinden könne.
Zunächst bemerken wir eine Urkunde, durch
welche Kaiser Konstantin der Nachwelt kund tut, daß
er hier in der Nähe des Dianatempels im Jahre 1061
der Stadt (308 nach Chr.) dieses Schloß erbaut habe,
um „im Anblick der Stadt und im Kranze vieler schöner
Jungfrauen Bankette‘“ abzuhalten. Weiter fällt uns ein
verrostetes Riesenschwert auf, das, wie Konstantin
durch eigene Unterschrift bekräftigt, einst ihm gehörte.
*) Siehe die Streiche des römischen Tolstoiklubs in den ,,Rémi-
schen "Augenblicksbildern“.
3555535553555 II3III3333 555555555555 15
Die Frankenkönige Ascarius und Regaisus tötete er
damit, sowie auch den Kaiser Maxentius an der mil-
vischen Brücke. Später schwang es der griechische
Held Belisar gegen die Gotenkönige Vitiges und
Totilas. Der Besitzer des Museums ist aber ein edler
Mann. Englische Sammler boten ihm zwei Millionen
Pfund Sterling für dieses Schwert — und er gab’s
nicht her. Unter Glas finden wir weiter ein Hufeisen
von Konstantins Streitroß, und einen meterlangen
Riesenschlüssel, den, wie die zugefügte Urkunde
besagt, Konstantin stets bei sich trug. Im Kriege
benutzte er ihn als Keule, und nicht weniger als —
500000 Goten und Sarmaten erschlug er mit ihr. Auch
den Helm Konstantins erblicken wir hier, den
später Geiserich, der furchtbare Vandalenkönig, be-
nutzte. „Im Jahre 1700 wollte ein Häuflein deutscher
Archäologen dies Kleinod rauben, aber der Kastellan
schlug sie mit Konstantins Schwert in die Flucht.‘
Noch andre Schätze finden wir nun, so eine große
etruskische Tasse. Die. begleitende Inschrift besagt:
„Dieses ist die Tasse Konstantins, in der ihm seine
Gemahlin Fausta, wenn er in schlaflosen Nächten an
der Influenza litt, Malven- und Lindenblütentee reichte.
Diese Tasse entstammt von Lucumo, dem Etrusker.
Napoleon I. wollte sie dem Museum von Paris ein-
verleiben, doch der treue Kastellan lieferte sie nicht
aus.“ — Die Krone aller Museumsschätze bildet aber
die Imitation einer sogenannten „lapide‘“, die zum
Spott und Hohn auf die auch von den Päpsten allzuoft
verübte „steinerne Inschriftenwut“ hier angebracht
wurde. Sie lautet in dem bekannten pomphaften
Lapidarstil:
Questa Memoria ricorda
ai Posteri
Quando la moglie di Costantino
Nella fine del III secolo
Precipitava”da”questa scala
E con™le ‘sue parti carnose
la fracassd
Rendendola impraticabile.
Il Castellano nel secolo XIX
la riedifico
Perpetuandone la Memoria*).
Fe u ee eee ee eee
Wir verlassen das Gang-Museum, steigen einige
Stufen hinauf, und mit einem Ah der Uberraschung
begriiBen wir das herrliche:
Panorama der Campagna,
das uns wie in einem Kompendium alle die land-
schaftlichen Schönheiten zusammenfaßt, die wir in
unseren spätern Ausflügen noch im einzelnen näher
kennen lernen wollen. Der Wirt hat in seinem Plakat
nicht zu viel gesagt. Solch ein Panorama, das links
und im Vordergrunde fast ganz Rom, und rechts den
*) „Dieser Gedächtnisstein erzählt den Nachkommen — Als die
Gattin Konstantins — Gegen Ende des dritten Jahrhunderts — Diese
Treppe hinabfiel — Und sie mit ihren üppigen Formen zerschmet-
terte — Und sie unbrauchbar machte — Stellte sie der Kastellan im
neunzehnten Jahrhundert wieder her — Und verewigte so ihr An-
denken.“
DI IIIIIITITIITI TI III TI OO OO OO U UI UI U 17
schönsten Teil der Campagna umfaßt, bietet in gleicher
Schönheit und Mannigfaltigkeit kein andrer Aussichts-
punkt in Rom. Zuerst sind wir geblendet, da wir die
Empfindung haben, als seinen wir auf der Plattform
eines Rundgemäldebaus.. Nach dem ersten Staunen
wird der bewundernde Blick magisch angezogen von
den Bogennischen des Palatins, die gelbrötlich flammen.
Dann schweift unser schnell reisendes Auge über die
Campagna, die einem grünblauen See gleicht, nach
den Albanerbergen und deren Perle Frascati, das wie
ein Rosenbouquet am Busen der Berghalde prangt.
Bei der Rückkehr vom Mons Albanus entdeckt dann
unser suchender Blick das Grabmal der Caecilia
Metella. Und im Vordergrunde blinkt und gleißt aus
dunklem Laubversteck der goldene Palast der Villa
Mattei, flankiert von der hohen Innenwand des
Kolosseums. Hinter ihm aber tauchen die Marmor-
bilder auf dem Dache des Laterandoms auf. Wir sehen
auf der andren Seite den wie ein flammender Erzengel
hoch zu Roß einherreitenden Garibaldi über dem Jani-
culus, dann im Kreise uns drehend den Monte Mario,
den Pincio, vor uns den Turm des Kapitols, dann die
goldig glühende Masse des Quirinals, dahinter rechts
den sogenannten Neroturm, und kehren dann zum
baumgekrönten Palatin zurück, der einige Stellen weist,
die Böcklin gemalt haben könnte. — Palatin!
„O kaiserlicher Berg! Was ist der Erde Macht?
Schreibt die Geschichte auch der Bände viel,
Wo wäre besser sie als hier geschrieben ?
Hier, wo der üpp’gen Herrscher Wunsch und Will’
Vereint, was Aug’ nur, Ohr und Herz mag lieben.
Zacher, Was die Campagna erzählt- 2
18 III III IF FF FH FF FF FH IH FF TH FF FF TFT THF FF F
Was sollen Worte noch? schau selbst, was hier ge-
blieben!
Bewund’re, jauchze, weine und veracht’!
Du kannst hier Stoff zu diesem allem finden,
O Mensch, der ewig wechselnd weint und lacht,
Schau, wie sich Zeiten hier und Reiche binden
Auf diesem Berg, der, eh’ sein Glanz mußt’ schwinden,
War eines stolzen Reiches Ehrenmal,
Das prächtig leuchtend seinen Ruhm mußt’ künden,
Bis heller sich entflammt der Sonne Strahl!
Wo ist sein golden Dach? Wo sind, die’s bauten all ?“ *)
Zufällig entdecken wir jetzt, daß die Albanerberge
sich in tiefere Farben gekleidet haben. Darin liegt
ja der Hauptreiz der Terrasse des Konstantins-
schlosses, spätnachmittags bei einem guten Glase
Wein den Sonnenuntergang zu erwarten und den
Farbenwechsel zu bestaunen, den das sinkende Tages-
gestirn auf der Campagnaebene und den Bergen her-
vorzaubert. Mit Worten läßt sich dieses prächtigste
aller Sceneriekunststückchen der koketten Mutter Natur
nicht beschreiben, und es mit Farben zu schildern,
wäre ebenfalls kühn, sind doch die Fälle gar nicht
so selten, daß Maler, die mit vollendeter Beherrschung
der Technik Gewissenhaftigkeit in der Wiedergabe
des Wirklichen verbinden, wegen ihrer italienischen
Bilder bei uns im deutschen Norden als Phantasten
und Fabeldichter verketzert wurden.
Unmerklich kommt man ins Träumen hinein, immer
wieder schaut man auf den Palatin und wundert sich
über das reiche Leben, das Frau Sonne, die all-
erweckende Farbenkünstlerin, aus seinen Ruinen her-
*) Byron. Childe Harold. 4. Gesang.
355355555555535335355555 5353353553335 19
vorzaubert, und besonders ziehen uns die Ruinen des
von Septimius Severus erbauten Septizoniums an, eines
Schau- und Prunkgebäudes, vergleichbar dem Maxi-
milianeum in München, das dem aus dem Süden
kommenden Reisenden den ersten Gruß der Kaiser-
stadt brachte. Nur ab und zu überschleicht uns auch
ein Gefühl des Ärgers, wenn drunten im Tal hinter
den Cypressen des alten Judenfriedhofs die lästige
Gasfabrik ihren qualmenden Rauch entsendet. Wann
wird der Tag kommen, da sie dahinsinkt, und an ihrer
Statt die Pracht des alten Circus Maximus wieder aus
dem Erdgrab aufersteht und uns von den Tagen er-
zählt, da hier zweihunderttausend Menschen entzückt
den Wettrennen und Kampfspielen zujauchzten ?
Rund um die Mauern Roms.
Den meisten Reisenden fehlt oft die Zeit dazu,
längere Ausflüge zu machen, die ihnen Roms wunder-
herrliche Umgebung kennen lehren könnten, oft
auch spielt ihnen das Wetter einen Streich. Aber
beiden Arten von Romreisenden, den Zeitarmen und
den vom Wetterungliick Verfolgten kann geholfen
werden, wenn sie eine Fahrt um die Mauern Roms
machen, die seltsamerweise noch von keinem Reise-
buch beschrieben wurde.
Wer sich eine Wagenfahrt leisten kann, oder ein
Zweirad, oder gar ein Automobil besitzt, kann die
Fahrt in wenigen Nachmittagsstunden behaglich be-
2%
20
endigen, als Spaziergang ist die Umkreisung Roms
ja auch nicht zu verachten, vielleicht lohnt sie auch
`am meisten, aber sie erforderte doch wohl einen
ganzen Tag.
Übrigens handelt es sich um eine sichere Tour,
auch für den, der noch an Brigantenfurcht leiden sollte;
verliert man doch keinen Augenblick die Fühlung mit
der Stadt. Man tut auch für alle Fälle gut daran, Sinn
für Landschaft, Phantasie und einiges historisches Ver-
ständnis mitzubringen.
Die Reise beginnt am besten von Piazza del Popolo
aus. Also durch das flaminische Tor. Zwischen der
Villa Borghese und den Bastionen des Pincio betreten
wir die Via delle Mura. Links grüßen die Baumriesen
des Parks, rechts oben winken die Pinien der ehe-
maligen Gärten des Lukullus. Die Straße wendet sich
plötzlich nach Süden, langsam aufsteigend. Eine
malerische Ecke! Links ragt ein mit Adlern und
Greifen geschmücktes Renaissancetor, ihm gegenüber
durchdringt der rötlich schimmernde Rest eines antiken
Gebäudes mit interessantem Netzmauerwerk die von
wucherndem Efeu überhangene Stadtmauer. Im Zick-
zack steigt es weiter. Der Blick auf die Borghesischen
Haine und Wiesenflächen wird immer entzückender;
rechts taucht die Hinterfront des Pincio-Bollwerks auf,
dessen massive Bogen und Pilaster als Krönung die
dunkelste Pinienpracht zeigen, grell abstechend gegen
den blauen Himmel. Gegenüber ragen hohe deutsche
Tannen im Verein mit Riesenkastanien und üppigem
Ahorn in des Himmels Azur hinauf. An der Grenze
des Pincio winkt uns ein Bouquet aus Palmen und
Kakteen den Abschiedsgruß. Die Stadtmauer, die sich
jetzt unterhalb der Villa Medici hinzieht, verschwindet
SSIIIFFFHIFTSTH IH FT HHF HF FF I FH THIS FHFH 21
unter dem grünsten Schlinggestrüpp, aus dem mit
großen neugierigen Fensteraugen die Ateliers der
Pariser Sieger im Rompreis hervorlugen. Welche
Motive für den Landschaftsmaler! Welch Farbenspiel!
Alle Schattierungen von braun, blau und grün sind
vertreten, und von links tritt jetzt noch das Schwarz-
dunkel der ernsten Cypressen hinzu.
Ein neues Bild. Nach steilem Sprung stehen wir
vor dem kleinen Turmtor, der Porta Pinciana. Vor-
bei die Einsamkeit. Aus dem ludovisischen Viertel
strömt der Spaziergänger Flut zur Hintertür der
Borghesischen Villa. In unserem Geiste steigen die
Gotenkriege auf; denn mit der alten Porta ist der
Name Belisar verknüpft.
Die aurelianische Stadtmauer wird niedriger, ein-
förmiger. Eine noch minderjährige Platanenallee öffnet
sich, links protzt eine amerikanische Palastvilla mit
der stolzen, aber nicht recht verständlichen Inschrift:
„Never give up.‘‘ Soll das eine Mahnung an die Neu-
römer sein? Moderne aber langweilige Mietspaläste
begleiten uns zur Linken, nur durchbrochen von einem
hohen braunroten Klosterbau mit schöner romanischer
Kirche. Zum Glück bieten auch die Querstraßen
schöne Ausblicke auf die Villa Borghese und die
Campagna mit ihren festungsartigen Meierhof-Ge-
bäuden.
Nächste Station: Porta Salaria. Nur der Name
ist leider antik, doch der Rest eines Römergrabes
erinnert uns daran, daß wir auf klassischem Boden
stehen. War es nicht in Untersekunda, als wir zuerst
deinen Namen hörten, salarisches Tor, in jenen glück-
lichen Tagen, da uns Cicero mit der ersten katili-
narischen Existenz bekannt machte? — Belisar und
22 3I5IIIIIIIFIFFFH FF FF THF FH FF HI FF FF SSF
Vitiges kämpften an dieser Stätte lange verzweifelt
miteinander.
Doch die Fahrt geht weiter, das hastende Leben
der mit Maultierkarren und den malerischen Wein-
wagen aus dem Albanergebirge gefüllten Straße, so-
wie eine Miniaturausgabe der Berliner Siegessäule
rufen uns in die Neuzeit zurück. Wir sind an der
„Bresche‘‘ angelangt, durch die am 20. September 1870
die Italiener durchzogen. Hinter ihr ragen schlanke
Cypressen in die Höhe, die Villa Bonaparte um-
säumend, in der 1899 Lucian Bonaparte starb. Wenige
Schritte weiter, und wir blicken durch das lange Viereck
der Porta Pia über die Via Venti Settembre (die
Straße des zwanzigsten Septembers) zum Quirinals-
palast.
Zur Linken aber endigt die malerische Via No-
mentana, die Lieblingspromenade der römischen Alt-
bürger, mit dem überraschend schönen Panorama der
Sabinerberge. Jetzt haben wir auch Augen für das
unregelmäßige Platzrund, das dem Tor als Vorhof
dient. Mit dem Rücken zum Tor, schauen wir rechts
auf ein burgähnliches Landhaus, das einladend von
einem Hügel herabwinkt, die katakombenberühmte
Villa Patrizi, links aber verliert sich der Blick in ein
volkreiches Viertel, reich an dem üblichen Zubehör:
Schmutz, Elend, Kinderlärm. Die Kontraste wohnen
nahe beisammen.
Weiter! Rechts quillt über die niedrige, braun-
rote Mauer üppigste Baumpracht, der berühmte Garten
der englischen Botschaft scheint die altersmüden Ziegel-
fesseln sprengen zu wollen. Wir ziehen nach Süden.
Eine Lücke in der Mauer führt zu den schönen Garten-
häusern, die einst Rudini und Siemieradski bewohnten
3535355553555 555335555535I555IIISHHH_ 23
(das erstere ist jetzt russische Botschaft), eine andre
Lücke zum Castrum Praetorium, das auch heute noch
Kaserne ist. Zur Linken ein neuer Scenenwechsel.
Ein weiter runder Platz hat die Straße verschlungen.
Er verjüngt sich im Hintergrunde trichterförmig bis
zu einer von dichtem Grün umdunkelten Stelle, wo
drei moderne Prachtlandhäuser, zwei im Renaissance-,
eines im gotischen Stil mit edlen Formen hervor-
leuchten. — Nun östlich! Die Campagna mit dem
Monte Gennaro, dem Haupte der Sabinerberge, taucht
vor uns auf. Der schroffe Herr, der sich seiner hohen
Stellung bewußt, gern gegen allen Verkehr abschließt,
hat das bläuliche Silberkleid, das er morgens trägt,
mit einem violettrötlichen vertauscht. Zärtlich sieht
er auf seinen geliebten Anio herunter, der ihm bei
Tivoli gar zu viel Sprünge macht. Ob noch lange?
Vielleicht kommen noch mehr seltsam bebrillte Men-
schen, die in den Händen Papierrollen und Meß-
stangen führen, um seiner Freiheit Übermut ganz zu
bändigen. Ein Bein haben sie ihm ja schon ge-
fesselt, — gewaltige Drähte ziehen sich plötzlich über
unsere Köpfe. Die Kraftleitung ist’s, die den Wasser-
fall von Tivoli zwingt, die Römer in bunten Tram-
wagen spazieren zu fahren und ihnen abends ein Licht
aufzustecken.
Halt! Eine neue Ecke. Rechts zieht sich kahl
und öde die prosaisch glatte Mauer, die nur von Zeit
zu Zeit durch vierschrötige Halbtürme belebt wird,
zur Linken prangt die Wissenschaft Neuroms. Wir
passieren das Poliklinikum, d.h. die Versammlung
der Prachtgebäude, durch welche Italien der Welt
zeigen wollte, daß es auch in der Medizin eine Groß-
macht ist. Si capisce, wenn man einen Baccelli hat.
24 FFFFFFFFFFFFSFFFSFFFFFFFFFFFFFFFFFFFF
Leider sind die eleganten Gebäude schon seit zehn
Jahren „fast“ fertig, und bis das „fast‘“ fortfallt, werden
wohl wieder zehn Jahre vergehen; Zeit genug, daß
die unbenutzten Räume sich stellenweise dem antiken
Ruinen-Rom assimilieren können. Doch — solch
politisch-pessimistische Gedanken halten nicht lange
vor, wenn hinter und zwischen den klinischen Pavillons
Tivoli so neckisch hervorlugt, daß man sich not-
gedrungen mit der koketten Bergschönen beschäftigen
muß. Neben ihr funkeln im goldenen Sonnenlichte
die Marktflecken S. Angelo und Monticelli. Die Berg-
kegel, auf denen sie thronen, sind so steilspitz, als
seien es Kreisel, die ein Riesenkind aus Versehen
liegen gelassen. l
Die Bilder, die wir nun, der Mauer folgend,
schauen, sind weniger schön. Der Militarismus löst
die Wissenschaft ab. In rechtwinkligen Windungen
umziehen wir ein kleines Fort und einen großen Exer-
zierplatz. Nur rasch weiter! Endlich klettern wir
zur Höhe des sich langsam abdachenden Mons
Esquilinus und kommen an ein antikes Tor, die
Porta Tiburtina. Innerhalb derselben steht der
Bogen des Augustus, durch welchen dieser drei Wasser-
leitungen über die Straße führte. Mehrere Inschriften,
die zum Teil von Titus und Caracalla herrühren, be-
stätigen die Tatsache. Vor dem Tore aber erblicken
wir die Reste des Torbaus des Arcadius und Honorius,
Zeugen der absterbenden Kaiserzeit. Auch Stilicho,
„der Restaurator der Mauern Roms‘, verewigte sich
hier. Folgen wir der Mauer, so verbrüdert sich noch
auf einer langen Strecke das augusteische Zeitalter
mit dem des Honorius; denn die Mauer, die in die
Bogen der augusteischen Aquädukte hineingebaut ist,
SIIIISIIISIHIHHIHITH THF HIT T HF TH HF HF H HF FH 25
zeigt noch neunzehn Türme des Honorius. Doch
wieder entreißt uns das flutende Leben der Gegenwart
dem Sinnen über Altrom. Allzuschön bietet es sich
hier allerdings nicht dar, kommen wir doch zu der
Eisenbahnunterführung Arco Bibbiano, die in der nächt-
lichen Verbrecherchronik oft verzeichnet ist, und tags-
über den vielen Leichenzügen, die zum Camposanto
wallen, als Durchlaß dient. Trist und leidvoll, doch
auch sehr schmutzig, ist das „quartiere Lorenzo“,
das hier anhebt. Armut grinst aus den zur Zeit des
Baufiebers geborenen Mietshäusern, Armut, Elend, Ver-
brechen und Schmutz. Die Natur aber kontrastiert
wiederum in ihrer vornehmen Gleichgültigkeit mit der
Not der Menschen. Blickt man die breite Zeile, die
zum Friedhof führt, hinunter, so haftet der bewun-
dernde Blick an der blauen sabinischen Felswand, die
aus den Cypressen des Kirchhofs herauszuwachsen
scheint.
Weiter! Südlich mit einer kleinen Wendung nach
Südosten. Zur Linken werfen wir schaudernd einen
Blick in die Nebenadern des Lorenzo-Viertels. Die
Wäsche, die über dem Fahrdamm hängt, unterscheidet
sich von der von Neapel nur dadurch, daß sie in
ihrem Schmutze besser zur Geltung kommt; denn die
Straßen sind modern, breiter und folglich heller. Wie
die Wäsche, so die langweiligen Schablonenhäuser.
Trostlos grau. Ihre Toilette ist die denkbar unordent-
lichste, kein Fenster schließt, keine Tür hängt richtig
in den Angeln. Und zwischen ihnen krabbelt und
kriecht, läuft, springt, tanzt, lärmt, pfeift, prügelt sich
ein solcher Kinderreichtum im Schmutzkleid herum,
daß man für den Fortbestand Italiens keine Sorge
zu haben braucht.
20 $IIHIIIIH III HF FI FF HF FF FF FIT FH HF FF FF I
Eine scharfe Biegung. Durch tunnelartige Eisen-
bahn-Unterführung erreichen wir Porta Maggiore,
Roms schönstes Tor. Selten kommen die Reisenden
hierher, und doch lohnt’s der Mühe. Im Goldton
leuchtet das Tor mit dem stattlichen Oberbau, der
drei Wasserleitungen als Durchlaß dient. Nicht minder
interessant ist das originelle Grab des Bäckermeisters
nn
Kann nn On en na
Eurysaces, das unterhalb des Tors aus der Tiefe her- '
vorragt. Was uns jedoch ebenso fesselt, das ist das |
malerische Volksleben, das sich hier vor der langen
Reihe der Osterienbaracken entwickelt. Welch buntes
Durcheinander von Vehikeln, Droschken, Reisekaleschen,
Weinkarren, Ochsenwagen, welch bunte Gruppen von
Hirten und Bauern im Ziegenfellkleid! Dazwischen
leuchten im grellsten Farbenkauderwelsch die „Fassa- '
den“ der in den unmöglichsten Formen aufgebauten
Kneipen. In der Ecke am Tor aber ducken sich die
ambulanten. Wohnungen: armer Besenbinder und fahren-
der Gaukler, dräuend bewacht vom strengen Auge
der Zollwächter und Carabinieri.
Noch ein Blick auf das rötlich-braungelbe Tor
und seine verwitterten korinthischen Säulen, und wir
folgen etwa fünfhundert Schritte lang der Häuserzeile,
die uns die in die Wasserleitung eingebaute Stadt-
mauer verbirgt. Die erste Öffnung rechts! Durch
einen weitgespannten Bogen kommen wir wieder zur
Mauerstraße in einsamste Stille. Im Halbkreis eilen
wir jetzt von Osten nach Westen um die Ausläufer
des Caelius und des Aventin nach dem Tiber. Links
ziehen sich Wein- und Blumengarten von hoch-
sprieBendem, leise flüsterndem Rohr umsäumt, rechts
taucht plötzlich das mächtige Halbrund, das Amphi-
theatrum castrence auf. Der durch jonische Pilaster
FFFFFFFSIFIFSIFSFTFISTFIFSSIFIFSFIFIFSS 27
und Pseudobogen gegliederte rote Ziegelbau blickt
träumerisch still in die südliche Campagna, in der
Cola Rienzi sich so oft mit den Colonnas herumschlug,
vielleicht trauert er auch um den trauten Freund, den
Obelisken, den die Barbaren hier ausgruben und auf
dem Pincio aufstellten.
Zweihundert Schritte weiter. Rechts schaut der
Turm von Santa Croce di Gerusalemme neugierig über
die Mauer herüber, um sich das bewegte Treiben zu
betrachten, das aus der osterienumkränzten Porta
Giovanni hervorquillt. Langeweile kennt der Turm-
greis nicht, ist doch das Johannestor immer recht be-
lebt, namentlich Sonntag nach Pfingsten, wenn der
Sommerkarneval von Divino Amore los ist, oder die
Renntage von Capanelle kommen, oder erst die tolle
Johannisnacht! Und wie viele berühmte Personen
hat das Tor nicht schon im Laufe der Jahrhunderte
herein- und herausgelassen! Spaßig muß dieser histo-
rische Verkehr im Jahre 1848/49 gewesen sein, als
Pius IX. hier, vor Garibaldi flüchtend, im Wagen des
bayerischen Gesandten nach Gaeta strebte, bis dann
die Reihe an Garibaldi kam, von der Stadt und vom
Johannistor zu scheiden, und schließlich Pius IX. wieder
triumphierend durch dasselbe Tor zog, das .einige
Monate vorher seine Flucht gesehen.
In eine Schlucht tauchen wir ein und stehen vor
der jetzt geschlossenen alten Porta Asinaria, deren
braune Rundtürme gar trübe dreinschauen. Recht
haben sie. Es tut weh, vergessen zu sein. Zur Zeit
der Gotenkriege war es doch. ein vergnüglicheres Leben,
da galt man noch etwas, da warben Barbaren und
Byzantiner um den Einlaß und scheuten nicht Geld,
nicht Gut. Doch seitdem Totilas 546 durch den Verrat
28 FIFFFFFFFFFFFSFFFIFFFFFFFFFFFFFSFISIF
der Isaurier hier seinen Einzug hielt, kamen traurigere
Zeiten. Noch zwei andre pensionierte Tore treffen
wir auf der Weiterfahrt, die Porta Metrovia und
die geschichtlich berühmte Porta Latina, den Aus-
gangspunkt der oft genannten Via gleichen Namens.
Ein kurzer Bogen, und die Torburg San Se-
bastiano grüßt uns, die im Innenhof sorglich den
alten Drususbogen hiitet. San Sebastiano! Ein Name
von gleichem Wohllaut dem frommen Pilger, der nach .
den Katakomben und dem Kirchlein Domine quo vadis
strebt, allwo der Herr den fliehenden Petrus zurück-
hielt, und dem Altertumsfreund, den das Grabmal der |
Caecilia Metella lockt. |
Einsam still verläuft die Weiterfahrt. Nur Zoll-
wächter begegnen uns, ab und zu klingt aus den
Gemüsegärten das klagende Lied eines Colonen. Wem
es eintönig scheinen sollte, winkt als Trost die Über-
raschung der Porta San Paolo, die Cestiuspyramide
und der poetischste aller Ruheplätze, der ergreifend
schöne protestantische Cypressenfriedhof.
Wir müssen hier den Mauerweg aufgeben, weil
der nahe Tiber keine Brücke aufweist. Um die Mauer-
fortsetzung am andren Ufer zu finden, bleibt nichts
übrig, als dem Saume des Aventin entlang zu fahren
zum Platze der Bocca della Verità, wo der Ponte Emilio
über den Tiber zum Hafen Roms, Ripa Grande, führt.
Dem Weinfreund ist er verhaßt, dieser Hafen, denn
hier landen die Sizilianer ihren billigen Feuerwein,
den uns zum Schaden manch römischer Oste als
römischen verschleiBt. Aber trotz allen Grolls, den
mir Siziliens Weinschiffe erregen, kann ich ihnen doch
eine gefällige Form nicht absprechen. ...
Bei der Porta Portese, zu der wir uns durch
.
= en
5 29
ein wahres Karrenlabyrinth hindurchwinden müssen,
beginnt wieder die Mauerfahrt. Rechts an einigen
altmodischen Seilspinnern vorbei über die trambahn-
belebte Straße Viale del Re gelangen wir an die
Schleppe des Janiculus. In mühseligem Bogen sollen
wir zur Porta Pancrazio. Doch was will die Müh-
seligkeit besagen bei der Pracht, die wir jetzt schauen ?
Bei jeder Windung der in einem freundlichen Akazien-
hain herankriechenden Schlangenstraße ein neuer ent-
zückender Blick, namentlich auf die westliche Cam-
pagna zum Meere hin. Mit sanften Übergängen tönt
sich das Sattgrüne der villengekrönten Hügel zum
Silbergrün der fernen Ebene ab, bis es sich am Meeres-
saum in blauem Nebel auflöst. Verlassen wir den
Wagen oder das Stahlroß und steigen auf die Bastionen,
welche die Ecken des Aufstiegs krönen, so schweift
unser Blick über den grünen Rücken des Testaccio,
den roten Dächern des anachronistisch sich aufdrängen-
den modischen Schlachthauses im Südosten zum Grabe
der Caecilia Metella, zur Porta Furba, und ihrem Ge-
folge von Aquäduktenresten über den Hain und das
Fort von Centocelle nach Frascati. Einem kleinen
See vergleichbar, lugt im Süden ein Stück Tiber her-
vor, begrenzt durch die braune Eisenbahnbrücke,
hinter der San Paolo fuori le Mura mit seiner Gold-
fassade leuchtet und glitzert, und dahinter dunkelt der
Eukalyptuswald, der die Trappisten-Oase von Tre Fon-
tane umschließt. All diese Schönheit wird aber von
der üppig grünen Campagnawüste umblüht, aus der
wie Rubinen die knallroten Pulverhäuser und Fort-
bauten hervorschimmern. Auch gelegentliche Rück- und
Seitenblicke auf die Stadt, die Konstantinsbasilika, den
Palatin, Maria Maggiore u. s. w. sind nicht zu verachten.
30 3I5I III TI THF FF FF FH FH FH FT H HF IH TTTF SF IH TTTT
Wir fahren weiter an herrlichen Weingärten ent-
lang, in welche sich lauschige Schluchtenwege ver-
lieren. Dann beginnt die Mauerpredigt. Aus zahl-
reichen Tafeln, Inschriften, Breschen und Löchern er-
fahren wir, daß wir auf Roms blutgetränktestem
Schlachtfelde weilen: dem Janiculus. Die Augen
zu! Vor unserem geistigen Blicke tauchen seltsame
Kriegergestalten auf: Etrusker, Vandalen, Goten, Sara-
zenen, Langobarden, deutsche Ritter und Landsknechte,
Garibaldiner und französische Zuaven. Unter deren
Führern bemerken wir Porsenna, Alarich, Ludwig IlI.,
den Karolinger Arnulf, Heinrich IV., den von Canossa,
dann die neueren Feldherrn: Berthier, Garibaldi,
Oudinot. . . .
Durch des Pankratius Pforte, an der jeder Stein
von der gorreichen Revolution von 1849 erzählt, er-
braust der Tageslärm. Die elegante Welt zieht zur
Krone der römischen Parks, der Villa Pamphili, die
weniger elegante, aber durstigere Quiritenschaft zur
Osteria „zum großen Schuh“.
Vom Tor führt die Mauer wieder hinunter zum
Tal, das den Janiculus vom vatikanischen Hügel schei-
det. Unten umfängt uns vor der Porta Cavalleggieri
ein Sammelsurium von Wein- und Heuduft; denn das
ganze Torviertel besteht nur aus Osterien und Heu-
speichern. Dem entspricht auch der eigenartige
Straßenverkehr. Über dem geräusch- und schmutz-
vollen Treiben erhebt sich in goldener Klarheit der
Petersdom, den wir hier von seiner unbekanntesten
Seite kennen lernen. Riesengroß wölbt sich die
Kuppel; denn einen tieferen Standpunkt zu ihrer Be-
trachtung sucht man in Rom vergebens. Hinter ihr
gleißt die Herrlichkeit der vatikanischen Gärten, auch
- —
a ge ne dan rar SS öl a
5555555555333 355333333II3 33H 31
den Turm Leos IV., des Erbauers der Sarazenenmauer,
erblicken wir, und daneben die Sommervilla Leos XIII.
Wir besteigen den vatikanischen Hügel. Die Uhr
heraus, um zu sehen, wie lang die Fahrt um das
„Gefängnis des Papstes‘ dauert! Groß ist es, riesen-
groß. Die Mauern nehmen den Charakter hoher,
dräuender Bastionen an. Ein Blick nach hinten, auf
die Stadt, den Janiculus, den pamphilischen Park.
Plötzlich werden die Mauern durch einen hohen Turm
mit weißem Hut — Format: umgestürzter Eierbecher
— unterbrochen. Die päpstliche Sternwarte ist’s, an
der einst Pater Secchi gearbeitet. Weiter! Wo sich
die Mauer scharf nach Osten wendet, öffnen sich
Landschaftsbilder von überraschender, malerischer Wir-
kung. Unten das Höllental, auf dessen Rasen zahl-
reiche Ziegeleiessen hervorsprieBen, jenseits der Monte
Mario, der sich hier mit seinen begrünten Schroffen
und Hängen am besten darbietet, gekrönt mit den
pinienumrahmten Villen Mellini und Stuart. Der Weg
senkt sich. Die Mauern steigen höher und höher,
fünfzig, sechzig, siebzig Fuß. Pinien in bizarrster
Fächerpracht und künstliche Laubgänge aus Taxus
und Buchsbaum, begleitet von stattlichen Buchen,
grüßen vom Mauerkranz hernieder.
Jäh sind die erfreulichen Bilder verflogen. Durch
ein elendes langes Holzgatter treten wir in das arm-
selige Volksquartier der Prati di Castello, vor dem
selbst die Mauern des Vatikan zurückzuschrecken
scheinen; denn auf einmal sind sie verschwunden und
ziehen sich südlich hinter unscheinbaren Häusern bis
zum Petersplatze, von wo aus sie ein schmaler Mauer-
gang mit der Engelsburg verbindet. Welche Gegen-
sätze! Das moderne Elendsviertel, das Zola zum Vor-
32 FFFIFFFSFFSIFFSFFFISISFFFFFFFFFIF SSS
wand nahm, um die Schale seines Zornes über Neu-
rom auszugieBen, diese StraBen voll zerlumpten Volks,
diese Hauser, aus deren bretterverkleideten Fenstern
das Gespenst des Baukrachs grinst — und die jugend-
liche Engelsburg, die doch so alt und sagenreich
ist. Wie viele Päpste, Dichter, Künstler, Gelehrte,
Fürsten und Könige haben in ihren Mauern geweilt,
oft auch als gezwungene Gäste. Gleich einem Fels
trotzte die Burg der tosendsten Brandung, und doch
waren der Brandungen und Belagerungen, denen sie
zu trotzen hatte, nicht wenige... .
Aber — neues Leben blüht ja jetzt neben den
Ruinen. Wir kommen in eine herrliche Villen-
kolonie, die wie durch einen Zauberschlag entstanden
ist. und Zeugnis ablegt, daß die Tage des Baukrachs
vorüber sind, und neues Vertrauen in die Zukunft
Neuroms erwacht ist... ..
Unsere Fahrt ist zu Ende. Sechsunddreißig Kilo- |
meter sind „gemacht“. Wir eilen der Fassade des
Pincio zu, rollen über den Ponte Margherita und er-
reichen wieder unsern Ausgangspunkt: die Piazza del
Popolo.
Vor Porta del Popolo.
(Nach Ponte Molle.)
Ein kleiner Ausflug, den man bequem auch zu
Fuß tun kann. Wer morgens die Stanzen des Vatikans
besucht, und die Konstantinsschlacht bewundert hat,
wird in dem Gang nach Ponte Molle eine Ergänzung
seiner Morgenandacht finden.
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Wir beginnen auf der Piazza del Popolo die Wan-
derung. Was uns dieser Platz nicht alles erzählt!
Vor allem der Obelisk, der die Erinnerungen an Anto-
nius und Kleopatra weckt, ließ ihn doch Augustus im
Jahre zehn vor Chr. zum Andenken an die Unter-
werfung Agyptens im Circus Maximus aufrichten, wo
er blieb, bis Sixtus V. ihn hierher verpflanzte. Dann
zur Rechten die Kirche Maria del Popolo, die uns von
Luther, Raffael, Chigi und Pinturicchio erzählt; während
uns das Tor selbst an Goethes Wort erinnert: „Unter
der Porta del Popolo war ich mir gewiß, Rom zu
haben.“ Wie viele berühmte Männer werden gleich
ihm Gleiches gedacht haben, als sie durch dieses Tor
kamen, durch das vor der Zeit der Eisenbahnen der
nordische Fremdling zuerst die Stadt betrat. Nach
unsern Begriffen leidet das Tor zu sehr an Inschriften-
manie. Eine sagt uns, daß Bernini seine innere
Fassade errichtete, als 1655 Gustav Adolfs Tochter
Christina von Schweden hier einzog, während die
äußere 1561 unter Pius IV. von Vignola, dem Erbauer
der Kirche S. Gesü, errichtet wurde. Früher war die
alte Porta Flaminia einbogig, die Seitenbogen wurden
nach 1870 zur Erinnerung an den Einzug der Italiener
aufgeführt, wie eine pomphafte Inschrift kündet. ©
Wir treten auf die Via Flaminia, rechts erblicken
wir den Eingang zur Villa Borghese, zu deren Linken
eine mauerumgürtete Fahrstraße zur Villa Strohl-Fern
führt, in der die deutschen Künstler hausen, die Rom-
preise davon getragen.
Weiter! Wie wir die lange Zeile vor uns über-
blicken, werden wir dessen inne, daß wir auf einer
der ältesten Römerstraßen stehen. Die verwöhnte
Menschheit von heute muß schon eine lange geistige
Zacher, Was die Campagna erzählt. 3
34 FFFFFFFFFFSFFFFFIFFFFIFFFIFIFIFFSFSS
Wanderung nach rückwärts machen, um sich wieder
vorstellen zu können, welch große Tat der plebejische
Konsul C. Flaminius, der 223 das cisalpinische Gallien
unterwarf, durch den Bau dieser Straße leistete, die
zwar zunächst nur aus militärischen Gründen erbaut
wurde, und doch die Kultur nach dem Norden Italiens
brachte. Im Geiste verfolgen wir die Straße, die im
berühmten Furlopaß die Apenninen durchbricht, und
so Rom mit Rimini und Piacenza verbindet. Armer
Flaminius, wenige Jahre nach seinen großen Taten
fiel er 217 in der Schlacht am Trasimenischen See,
von Hannibal bezwungen.
Ein alter Graukopf taucht jetzt vor mir auf. Der
Maler Pio Joris ist’s, der die heutige Flaminische
Straße so oft und so herrlich geschildert, in Sonne,
im Staubwind, im Regen. Wie anders erscheint die
Straße, wenn man sie mit seinen Künstleraugen sieht! |
Überhaupt sollte eigentlich niemand die Campagna
betreten, ehe er nicht vorher seinen Blick für deren
Schönheiten an den besten Campagnabildern geschärft
hat. Leider verliert die Flaminia durch das Vordringen |
der Kultur den malerischen Reiz, den sie früher hatte,
namentlich hier in ihrem Beginn. Bald schauen wir
links Atelierhäuser. Nicht weit von dem Atelier von
Pio Joris liegt links das des großen Aquarellisten
Augusto Corelli, eines Meisters, der, wie wenige, die
Campagna und ihre Bevölkerung kennt. Wer hätte ;
nicht schon seine Hirten, seine Serenaden, seine Ernte-
feste und seine Mäher bewundert! Rechts, fast gegen-
über, schaffte Tuaillon, der große Bildhauer, dem wir
die Amazone vor der Berliner Nationalgallerie ver-
danken.
Eine Osteria zieht uns ab. Sie trägt den origi-
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nellen Titel „Zum zufriedenen Herzen“ (Al cuor con-
tento). Doch die andre, die berühmtere, „la Villetta‘‘,*)
die Stätte so mancher lustigen Symposien, suche ich
vergebens. Sie hat als Osteria ausgedient. Eine
Ciociarin (Frau aus dem Sabinergebirge) tritt mir in
den Weg, die einen wohl zwei Zentner schweren
Pack Leinen auf dem Kopf tragt. Diese robuste Dirn
im malerischen Kleid, ob auch sie wohl nervösen
Kopfschmerz kennt? Ein Bauernpaar folgt ihr. Er
scheint schon städtisch zivilisiert zu sein; denn er,
nicht die Gattin, trägt das Kind. Da der Frühling
noch frisch ist, hat er auch den togagleichen Mantel
malerisch um die Schultern geworfen. Dessen Futter
ist aber grün, wie bei allen Mänteln der Campagnolen,
die das Stereotype lieben.
Jetzt erblicken wir rechts zwei malerische Brunnen,
an denen Frauen aus dem Volke Salat und Gemüse,
und andre auf dem Klopfbrett schmutzige Wäsche
reinigen. Sie sind nicht heikel. Über den Brunnen
fallen uns große Inschriften auf. Sie künden, daß
hier das Kasino der Villa des Papstes Julius III. (del
Monte) steht, der durch das Trienter Konzil berühmt
wurde. Begonnen wurde der Bau auf Bestellung seines
Onkels Fabiano del Monte von Baldassare Peruzzi,
dem Erbauer der Villa Farnesina und des Palazzo
Massimi. Die Zeichnungen entwarf aber Jacopo
Sansovino, der Schöpfer der Loggetta und der Markus-
bibliothek in Venedig. Das macht uns den düsteren
Bau interessant; wir betrachten seine zwei Fassaden
und die Inschriften, die uns verraten, welch edle Gäste
hier gewohnt, Carlo Borromeo und Philippus Columna.
Der erstere, ein Neffe des oben genannten Pius IV.,
*) S. „Römische Augenblicksbilder S. 248.
3*
36 HIHI IF TI T TFT FIT IT TFT TTTTTFIFTFHSTTS
der Bildungsapostel und Hexenverfolger, ist den Italien-
reisenden kein Fremder mehr, die in Arona am Lago
Maggiore seine Kolossalstatue schauten, oder auf dem
Corso in Rom die ihm geweihte Kirche besuchten.
Der zweite erinnert uns an das bekannte römische
w et LEN
Patriziergeschlecht der Colonna, dem wir noch öfter .
auf unsern Ausflügen begegnen werden.
Ehe wir weiter gehen, werfen wir noch einen Blick
auf das Haus gegenüber, das so seltsam schmutzige
Loggien aufweist; es erinnert an das, was man sich
in Deutschland unter einem echt italienischen Hause
vorstellt.
Nun tauchen dem belesenen Wanderer allerlei
Erinnerungsbrocken aus Bulwers letzten Tagen von
Pompeji, aus Fabiola, oder aus Quo Vadis und Eck-
steins Claudiern auf; denn der Rundbau im Vorder
grunde gleicht einem antiken Grabe, und so glaubt
man, zweitausend Jahre zurückversetzt zu sein. Die
Reisebücher und Chroniken belehren uns, daß wir es
mit einem christlichen Tempel zu tun haben, der nach
Vignolas Entwurf gebaut wurde, und zwar von dem-
selben Papst, der auch das Casino und die Villa Giulia
bestellte. Dieser Miniaturbau war der steinerne Dank
für seine Errettung. Das römische Volk stiftet in
ähnlichen Fällen der Madonna von S. Agostino oder
dem heiligen Antonius von Ara Coeli ein gut gemeintes |
Ölgemälde mit der Aufschrift P.G.R. (Per grazia rice-
vuta, für empfangene Gnade); die früheren Papst-
könige hatten hingegen die Mittel, ihren Dank kost-
barer und dauerhafter auszudrücken. Der Dank
Julius’ III. gilt dem heil. Andreas. Am 6. Mai 1527
fiel Julius, der damals noch Kardinal war, bei dem
berüchtigten „sacco di Roma‘ (Plünderung Roms) als
SICHT TFT IT TFT TFT FT 37
Geisel in die Hand der Barbaren, die vom Connetable
von Bourbon und Frundsberg befehligt wurden. Bis
zum 30. November desselben Jahres blieb der Kardinal
in Haft, also bis zum Andreastage, und darum ward
durch ihn der heilige Apostel um eine neue Kirche
reicher.
Und wieder wird eine antike Stimmung ausgelöst.
Ein Ah des Entzückens; denn wir erblicken eine antike
Landschaft, wie sie Boecklin so oft gemalt. Zur
Rechten zieht sich auf den Höhen der monti Pariöli
auf schroffem Felsabhang eine lange düstere Cy-
pressenzeile, überspannt vom blauen Himmelsdom.
Links läßt uns jetzt der seltsame Titel einer
Schenke stutzen. ,,Osteria al risorgimento del Ponte
Molle.“ Was soll das heißen? Risorgimento im poli-
tischen Sinne heißt die Wiedererstehung der italischen
Freiheit, also die Periode der Einheitskämpfe im neun-
zehnten Jahrhundert. Wann ist aber je der Ponte
Molle wieder neu entstanden? Vergebens blicke ich
nach der Stelle, wo diese Brücke ragt, ich sehe nur,
daß hoch über ihr ein Pinienbouquet einladend grüßt.
Rechts folgt jetzt verwahrlostes Wiesenland, das
von der heutigen Baupolitik in Rom zeugt. Ein großer
Park sollte vor zwanzig Jahren hier entstehen als
Krönung der großen Ringstraße, die auch nur zum Teil
fertig wurde, aber es blieb, wie so manches in Neu-
rom, beim Projekt.
Im Vordergrunde drängt sich jetzt zum zweiten
Male Sankt Andreas auf. In einem von Mauern um-
hegten Viereck zur Rechten steht eine kleine Kapelle
mit der Statue des Apostels. Den Geschichtskundigen
versetzt der kleine Bau im Geiste in die Zeit, da die
Türken das oströmische Reich wie eine Artischoke
33 5IIIHIIIH IF I FSH FH FF FF TH FH FH THF HF FF FF FF
Blatt für Blatt genommen hatten, und zwar in das
Jahr 1462, zehn Jahre nach der Eroberung Konstan-
tinopels. Damals zog eines Tages Pius Il. Piccolomini
(Aeneas Sylvius) dem griechischen Kardinal Bessarion
entgegen bis zu dieser Stätte. Der als Vorkämpfer
für die Vereinigung der römischen und griechischen
Kirche und als Stifter der Bibliothek in Venedig be-
rühmte Mann brachte das Haupt des Apostels Andreas
nach Rom, das er vor den Türken geflüchtet hatte.
Die Kapelle bezeichnet den Ort, wo er dem Papste die
kostbare Reliquie knieend überreichte.
Wenige Schritte nur, und wir stehen am Pons
Milvius (Ponte Molle), Das ist der Schauplatz der
Schlacht, die den Sieg des Christentums entschied,
hier flatterten zum ersten Male die römischen Fahnen
mit der Aufschrift: 1.H.S.V. (In hoc signo vinces;
in diesem Zeichen wirst du siegen). Hier fand Kon- '
stantins Gegenkaiser Maxentius im ,,blonden‘‘ Tiber ,
jähen Tod. Der Fluß wälzt seine Wogen noch grade .
so wie damals, hastig und unaufhaltsam dem Meere
zu. Die Sonne malt goldene Kringel auf ihn und auf
die seltsamen Netz-Radmühlen, die sich automatisch
drehen. Leer noch ist sein Strandgebiet; denn noch
ist es nicht Sommer, es fehlen also die Indianer-
wigwams oder Negerhütten ähnlichen Rohrgebilde, die
der Römer euphemistisch Badeanstalten nennt.
Wir wenden uns um. Vor uns rekapitulieren wir
zunächst alles, was wir bisher geschaut. Zur Rechten
sehen wir dann, wie auf dem neuen Reitwege, der
dem Tiber folgt, Pferde getummelt werden, drauf steigt
die verwitternde Villa Madama am Abhange des
Monte Mario zu uns herüber, es folgen die Cypressen
dieses Berges, welche die heitere Villa Mellini um-
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kranzen, zuletzt reckt sich die von Sonnenglut um-
zitterte Peterskuppel auf, deren Kleid aus graublauer
Glanzseide gefertigt scheint. Links grüßen die schönen
monti Pariöli, die mit Landhäusern besäet sind, von
denen manche als Dachschmuck Pinien, gleich Federn
auf einem Hute, tragen. Hinter ihnen stellen sich
die Albanerberge voller Neugier auf die Zehen, um
zu erkunden, was hier vorgeht. Noch weiter links
ragt das Fort Antenne, dort, wo einst die alte Stadt
Antemnae stand. Die blaue Wand der Sabinerberge
dient ihm als Folie. Wir wenden uns im Kreise nach
links und erblicken jenseits des Tibers das alte Turm-
grab Tor die Quinto, so genannt nach dem alten
fünften Meilenstein.
Nun über die Brücke! Zwei Statuen amten als
Schildwache. Die eine links, eine Marienstatue, trägt
die Aufschrift „macula non est“. Schwarz besprenkelt
ist sie durch des Wetters Laune, die andre stellt
den heiligen Brückenwärter Nepomuk dar, der das
Kreuz wie ein verliebter Vater hält, der sein Kind
wiegt. Mitten auf der Brücke fällt mir ein, daß der
Ponte Molle in den römischen Volksliedern eine große
Rolle spielt, ist er doch, ebenso wie der Pincio, bei
Selbstmördern als Ausgangsstation für die Reise ins
Jenseits berühmt. Am Ende der Brücke steht ein
triumphbogenartiges Tor, das einem geläuterten Ge-
schmack wenig zusagen dürfte, dann folgen wieder
zwei Statuen, denen der römische Volkswitz übel mit-
zuspielen liebt. Johannes, der die Taufschale wie ein
Bettler hält, der Geld heischt, und Christus sehen
von weitem nämlich so aus, als ob letzterer den Vor-
läufer hauen wolle.
Ich bin zwar kein laudator temporis acti, der
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grundsätzlich nur für das Alte schwärmt, aber wenn
ich bedenke, daß ich nun die Stätte betrete, wo sich
vor fünfzig Jahren die römischen Deutschen zu ver-
sammeln pflegten, um ihren Freunden, die vom Norden
kamen, den ersten Gruß aus der ewigen Stadt zu
bringen, so kann ich nicht umhin, mit einem gewissen
Neidgefühl unserer beiden Alten, des Bildhauers Pro-
fessor Gerhard und des Malers Ziehlke, zu gedenken,
die jene poesievolle Zeit noch mitgemacht. Wie viele
Kameraden haben sie hier empfangen, wie vielen von
Rom Scheidenden bis hierher das Geleit gegeben ?
Kein Wunder daher, daß im Anfange des neun-
zehnten Jahrhunderts der Ponte Molle für die deut-
schen Künstler ein heiliger Ort wurde, und sie
ihm zu Ehren den Orden der „Ritter vom Ponte Molle
und vom Bajocc‘“*) gründeten. Der feuchtiröhliche
Orden, der schon 1814 genannt wird, hatte seine
Glanzzeit in den Jahren, als Maler Nerly, wie Gaudy
im Cottaschen Morgenblatte von 1839 erzählt, „sich
in napoleonischer Manier zum Diktator aufgeschwun-
gen hatte“. Der Generalstab zählte damals u.a. auf:
Nerly, Generalfeldmarschall, Ritter mehrerer unbekann-
ter Orden und dreimal ausgeschlagener Kaiser. Rein-
hardt, Schiedsrichter, Nimrod des Generals und ehr-
licher Fuchs. D. Blumk, Vizegeneral, Vorsitzender der
Brandwache, Einnehmer der Gelder der Provinzen in
Capernaum, Schwanthaler, Obermundschenk, Herein-
lotser der nordischen Völker, Standhaftigkeit des
Obelisks. Hiermit ist die Reihe der Ämter noch nicht
erschöpft, außer fünf andren Generalstabschargen gab
es noch Köche, Medaliöre, Leib- und Magendoktoren,
exotische Gesandte und — eine Hebamme. Diese
*) Bajocc = Baiocco, päpstliche Münze im Werte eines Soldo.
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Hebamme trat jedesmal in Dienst, wenn im Palazzo
Fiano die Ankunft eines Neulings gefeiert wurde.
Mit groBem Geprange versammelte sich dazu der hohe
Orden und hieß den ,,Volkstribunen“ seines Amtes
walten. Dieser stellte den Neuling vor, der im Reise-
anzug und mit Gepäck erschien, und heroldete, der
Fremde bitte um die Erlaubnis, „über den Ponte Molle
gehen zu dürfen‘; so lautete nämlich die geheiligte
Form der Anmeldung. Dann trat der „Hebamme“
auf und stellte feierlich fest, daß der Ankömmling ein
Mann sei, sich also kein Weib sträflicherweise in den
Orden einschleiche. Hierauf folgte in gebundener Rede
ein peinlich Verhör, das stets damit endete, daß der
Neue für simpel erklärt wurde. Zum Schluß mußte
der Simple noch ein Probestück seiner Kunst an der
schwarzen Tafel machen, ehe er als Knappe zugelassen
wurde. Dann erhielt er zum Troste ein Glas Wein,
damit ihm die Schuppen von den Augen fielen‘. Unter
den Neulingen, die also geprüft wurden, befanden sich
Männer wie Thorwaldsen, Ludwig I., Schadow, Gaudy,
Reinick, Viktor Hehn, Ernst Curtius, Moritz Carriere,
Overbeck, Veit.... Doch dahin sind die schönen
Zeiten des Künstlerhumors! Heute herrscht auch in
Rom die Prosa.
Lautes Schreien weckt mich aus der Träumerei.
Eine Bauernfrau trägt soeben eine Meinungsverschie-
denheit mit ihrer halbwüchsigen Tochter derart laut,
ja kreischend, derart lebhaft und eindringlich aus, daß
selbst die abgebrühten Städter rings herum ob dieser
Lungenkraft, dieser Zungenfertigkeit, die tausend Silben
in der Sekunde hervorsprudelt, und dieser Gesten-
freudigkeit, die trotz aller Hast doch immer anmutig
bleibt, erstaunt sich fragen, ob sie nicht gewisse
42 35335 III I TFT TFT FF FF THF IH TFT FF FF FF FI
schlechte Schauspieler hier in die Schule schicken
sollten. Den Fremden aber, die Zeugen dieser Szene
sind, dämmert vielleicht eine leise Ahnung auf, wie |
viel ungebrochene Volkskraft, welch natürlicher Adel |
noch heute in jenen Sabinerbergen schlummert, die |
einst Altrom seine besten Krieger und Staatsmänner |
gaben.
Nach diesem Intermezzo mustere ich die Gegend |
ringsum, der Blick fällt im Hintergrund auf eine rosa-
rote Osteria, die mit ihren Pilasterloggien einer auf-
recht stehenden Riesenkassette gleicht. Diese Kneipe,
Osteria dell’ Alleanza geheißen, weckt uns die Er-
innerung an alle vertraute Weisen, die einst hier der
Trompeter von Säkkingen angestimmt:
„O Ponte Molle, du treffliche Bruck,
Bei der ich geschlurft schon manch tapfern Schluck
Aus strohumflochtener Flaschen,
O Ponte Molle, was ist mit mir?
Ein langsamer Trinker sitz’ ich allhier,
Kaum mag ich des Weines naschen.
O Ponte Molle, du treffliche Bruck,
Ich glaube, du lohnst mit bösem Spuck,
Daß ich mich in Träume verloren!
Es wirbelt ein Staub an der HeerstraB’ auf,
Jetzt sperrt mir ein Ochsen- und Büffelhauf’ |
Den Heimweg zu Romas Toren.‘
Auch vor mir wirbelt Staub auf, aber nicht Ochsen |
und Büffel erregen ihn, sondern ein vieledler Straßen-
kehrer, der statt eines Besens ein Bündel Dornstrauch-
laubs benutzt. Wie verbindet er pflichteifriges Stolz-
gefühl mit dem Phlegma des Philosophen, das einem
Römer geziemt! Doch mit all seinem Stolze zwingt
SSIIISISITTTTSFTIH HI HTHHT TFT TFT IT T TFT 43
er uns zum Seitensprung nach links vor die Osteria
della Stella. Sie hat schon ihre Frühjahrstoilette an-
gelegt. WeiBrot ist sie getüncht, und ihre Läden sind
grün. Auch praktisch ist sie, denn die Preisliste hat
sie auf die Stirnwand des Hauses gemalt. Jedweder
kann also hier linguistisch-kulinarische Studien machen.
Nun drängt sich auch die Staffage auf. Ein Zoll-
wächter mit fliegendem Mantel geht vorüber. Auch
er ist stolz; denn sein Mantel gleicht dem Radmantel
des Grafen Almaviva, sein Lederhut einer mittelalter-
lichen Sturmhaube. Sein Gesicht ist kühn geschnitten.
Sein Auge blitzt feurig. Doch noch stolzer und
schmucker scheinen uns die beiden prächtigen Cara-
binieri, die sich der Ehre bewußt, einem Elitekorps
anzugehören, ernst und würdig Ordnung halten in der
Bauernschar, die am Straßensaum stehend Markt hält
und unter anderem duftige Säulen aus Finocchiknollen
ausbietet. Ein Kellner, der jetzt in den Vordergrund
tritt, fällt auf. Er hat den Ehrgeiz, sich als groß-
städtischen Mann zu geben, prunkt deshalb in schwar-
zer Hose und Weste, und in schneeigen Hemdsärmeln.
Um den schön gesteiften Kragen zu schonen, trägt
er ein Taschentuch um den Hals. Die Neulinge unter
den Fremden erstaunen, daß ein Römer aus dem
Volke so viel Reinlichkeitssinn hat; denn sie wissen
ja noch nicht, daß die Italiener durchwegs in ihrer
Leibwäsche stets auf Reinheit sehen, wenn auch sonst,
namentlich im Süden ihre Empfindlichkeit, was Schmutz
anbetrifft, nicht eben groß sein mag. Die Trambahn
kriecht heran, an der höhnisch ein Automobil vorüber-
saust, in einer Staubwolke verschwindend. Wir gehen
weiter und erfahren an der nächsten Kneipe links,
wie die Römer in Worten zu schwelgen lieben. Osteria
4 HIHI III I TH FH FH FH FH THF HH FF HF HF FF HI
al’ Eden nennt sich die blauweiß getünchte Bretter-
bude mit dem schrägen Dach. Aber wie malerisch
wirkt die elende Baracke in diesem Sonnengeprassel.
Und erst das junge Mädchen im blauen Rock und
der Purpurtaille und der weißen Schürze, wie glüht
und sprüht es in diesem Lichtbad. Würde ein Maler
diese leuchtenden Farben festhalten, im hohen Norden
würde man seine ausschweifende Phantasie verspotten.
In der nächsten Hütte waltet ein Hufschmied. Da-
neben wackelt ein rosaroter Holzbau ohne Fenster.
In blauer Schrift zeigt er die Aufschrift: „Fava Fresca,
Sale e Jabacchi.‘‘ Fava Fresca, frische junge Bohnen,
roh genossen, bilden ja den liebsten Leckerbissen
der Römer zur Frühjahrszeit. Zwei andre Typen treten
jetzt aus der Staffage hervor, als lebendiger Gruß
aus der Campagna ein guardiano, der hoch zu Roß
in blauer eng anliegender Hose, blauer Livreejacke,
hohen Stiefeln und schwarzem schiefem Hut, und mit
dem Speer bewaffnet, einen verwegenen Eindruck
macht, und ihm gegenüber, vor dem Hause, das die
Aufschrift Forno als Bäckerei bezeichnet, der Bäcker
in weißer Unterhose, weißer Jacke und weißem Len-
dentuch, der noch die alte Tracht festhält, die auch
seine Kollegen vor tausend Jahren trugen.
So wird man nicht müde; denn jeden Augenblick
entdeckt unser suchendes Auge ein neues Bild. Wir
treten in die Scheffelosteria ein und erwarten das
Nahen des Abends, dann aber schlendern wir die
herrliche Allee am rechten Tiberufer entlang, am Monte
Mario vorbei, der Stadt zu. UnvergeBlich wird jedem
Wanderer diese Heimkehr sein, spiegelt sich doch im
murmelnden Strom die goldgebadete Peterskuppel —
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359955555: 5335535 45
Von Ponte Molle nach Aqua Traversa.
Dieser Spaziergang ist den wenigsten Reisenden
bekannt; und doch bietet er stimmungsvollen Gemütern
reichen Genuß.
Vom Ponte Molle aus zieht die Straße geradeaus.
Man betritt die alte Via Cassia, die von einem un-
bekannten Cassius erbaut wurde, und über Clusium
(Chiusi) nach Florenz und Lucca führte. Im Vorder-
grunde winkt der herrliche Baumschmuck eines Parks,
zur Rechten erhebt sich ein schöner Eukalyptusbaum
aus einem Cypressen- und Pinienhain. Ein Bettler
naht sich, gebückt und krumm, theatralisch faltet er
die Hände und führt dann unter wimmerndem Geheul
die zum Löffel geballte Rechte hastig zum Munde.
Auf der ersten Höhe links prunkt die Osteria alla
Montagnola, die einen überraschend schönen Rück-
blick auf Rom bietet. Die Vatikanburg mit der Peters-
kuppel blinkt herüber, hoch auf den gleißenden
Kasernenbauten der Engelsburgwiesen. Im schwär-
zesten Schatten dräut der cypressenbediademte Monte
Mario. In seinen bucklichten Flanken und Schluchten,
die mit Bauernhäusern besäet sind, blitzen als Licht-
flecke kleine smaragdgrüne Auen im ersten Frühlings-
flaum. Weiter naht das Pinienbouquet, das dem Wan-
derer, der die Flaminische Straße zieht, stets grüßend
zunickt. Es ist leider in Stein gefaßt; denn es gehört
zu der verschlossenen Villa Cabet. Schade, daß das
Eisen in Rom so teuer ist, würde statt der rötlich
46 3II III IT IH FF FH FF FH HIT THH HH HIHI F FF FT
gleißenden Steinmauern ein Eisengitter den Park um-
schließen, könnten auch wir uns an dessen Pracht
ergötzen. Häßlich sind diese neidischen geizigen
Mauern, doch, wenn die Sonne sie trifft, und sie so
gelb rötliche Reflexe auf die Straße werfen, wirken sie
freundlich, und der Wanderer glaubt in einer goldigen
Luftschicht einherzuziehen. Rechts erinnert uns bald
— SS TE =
ein langgestrecktes bäuerisches Haus an die Inschriften- `
liebhaberei der Römer, rühmt doch eine pomphafte
Marmortafel, daß Pius IX. sich einst herabließ, in
diesem Hause einige Minuten zu rasten. Nach einer
Wanderung von einer Viertelstunde etwa stürzt sich
die Straße zwischen begrasten Dammwänden ins Un-
bekannte. Rechts liegt eine vigna (Weingarten).
Durchs offene Tor sieht man, wie er Frühjahrstoilette
gemacht hat, und seine einzelnen Felder durch grün-
goldig schimmerndes Rohrgestänge neu umgittert
wurden. Links ragt jenseits der Straße eine hohe
Pinie, deren Krone, die sich wollüstig in des Himmel _
Blau hineinwühlt, von der Sonne einen Heiligenschein
erhält. Uber ihr trotzt auf grünem Hügel eine typische ,
römische tenuta (Landgut). Ein viereckiger alter
~
Zinnenturm dient als Rückgrat des Baus, den zwei '
Riesenpinien als Ehrenposten und kleinere Cypressen
als Dienergefolge umstehen. Diese Gruppe erinnert
mich an die Zeichnungen des wanderlustigen Zürichers
Ernst Schweizer. |
Der Hohlweg nimmt uns auf. Bald weitet er
sich. Hinter einer Wigwamosterie tauchen riesige
Maulbeerbäume auf, deren gestutzte knorrige Kronen
die gespenstischsten Fratzen schneiden. Ein Tal liegt
vor uns; eine Brücke kommt, unter der sich zwei
Bäche kreuzen. Daher der Name des Tals Aqua
-n ——
oae e AT e
DLIZIIIITZIIITDITIIIIIITITIIIIIIIIIII 47
Traversa. Einen runden Kessel stellt es dar, dessen
Wände vielfarbig gebuckelte Graswände bilden. Am
Eingange links winkt eine Osteria, in deren Schatten
sich’s gut rastet; denn Stille und Frieden atmet das
einsame Tal. Nach Osten ziehen sich blumenreiche
Wiesen den Bächen entlang, von Erlen und jungen
Buchen belebt. Die Landschaft gibt sich als ein
Zwitterding zwischen Nord und Süd, wie man es in
Roms Umgegend nicht zu finden hoffte. _
Wer von hier weiterziehen will, dürfte sich zu-
erst enttäuscht finden. Es ist ja auch freilich besser,
den Schönheiten der Via Cassia auf dem Umwege
über die Via Trionfale (s. S. 63) nachzuspüren. Doch,
wem dazu die Zeit mangelt, der scheue nicht die
kleine Mühe, und steige die steilen Windungen der
Straße hinauf bis zur Höhe. Das Panorama, das er
dort namentlich bei Abendbeleuchtung genießt, kann
sich mit manch andren in Roms Umgegend getrost
messen. Ist der Blick auch nicht so umfassend wie
der vom Monte Mario (s. S. 57), so kann er bei
schönem Wetter doch derart hinreißen, daß dem Be-
trachter die Worte fehlen, sein Entzücken zu schildern.
Wer es liebt, auf der Heimkehr andre Pfade zu
wandeln, als er gekommen, der schlage, an den Maul-
beerbäumen und der Wigwamosterie angelangt, links
die Via Cassia nuova ein, die ihn ohne jede Steigung
in einer halben Stunde nach der Via Flaminia und
zum Ponte Molle zurückführt. Der stille Weg bietet
malerische Partieen und schöne Ausblicke, nament-
lich auf Tivoli, das über einem Grashügel hervorlugt.
Ist am Ponte Molle noch Zeit vorhanden, so wähle
man da, wo die Steigung der alten Via Cassia be-
ginnt, den Weg zur Linken, und schlendere ein Stück
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Wegs in die Wiesen und Gärten der Farnesina hinein,
um eine schöne Variation des Blicks auf Stadt und
Peterskuppel zu genießen.
Villa Madama.
Nur Samstags von neun Uhr morgens bis
Sonnenuntergang ist diese schöne Halbruine, die uns
von den festlichen Tagen der Renaissance erzählt,
dem Publikum zugänglich. Als gründliche Deutsche
werden wir uns zunächst klar, was ihr Name bedeutet.
Wer sich in Rom schon etwas umgeschaut hat, weiß,
daß die römischen Großen des Mittelalters stets zwei
Residenzen hatten, die Haupt- und Winterresidenz,
den Palazzo, dem im Sommer die Villa entsprach.
So kennt Rom auch außer einer Villa einen Palazzo
Madama, der jetzt Sitz des Senats ist. Mit „Madama“
schlechthin bezeichnet die Geschichte ihrer Zeit Mar-
garete von Parma, die Tochter Kaiser Karls V., und
der schönen Flamländerin Johanna von Gheinst, die
wir auch aus „Egmont“ kennen, da sie auch Statt-
halterin der Niederlande war. In erster Ehe heiratete
sie Alexander Medici, in zweiter Ottavio Farnese, den
Herzog von Parma und Enkel jenes Paul Ill. (Alexan-
der Farnese), der durch den Bannfluch gegen Hein-
rich VIII. die englische Kirche von der römischen
schied, und sich in Rom durch den Palazzo Farnese,
den Sangallo schuf, ein herrliches Denkmal setzte.
Aus dieser zweiten Ehe entsproß Margareta der be-
rühmte Feldherr Alessandro Farnese, der mit seinem
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Onkel, Don Juan d’Austria, der gleichfalls ein natür-
liches Kind Karls V. war, bei Lepanto focht, und später
die Niederlande an Spanien zurückbrachte.
Als Margareta 1567 als Statthalterin der Nieder-
lande von dem schrecklichen Alba abgelöst wurde,
kehrte sie nach Italien zurück und wohnte in der nach
ihr benannten Villa, die sie jedoch nicht erbaut hatte.
Doch davon später.
Den Weg zur Villa Madama findet man am
sichersten, wenn man vom Petersplatze aus durch die
Porta Angelica die Stadt verläßt und dann schnur-
stracks weiterzieht.
Doch vergnüglicher und unterhaltsamer ist’s, zur
Frühlingszeit die Wanderung an dem Ponte Marghe-
rita zu beginnen. Gradeaus geht es zunächst zur
Piazza Cola di Rienzi, dann rechts in die Via Ezio
(so genannt nach Aetius, dem Verteidiger des Abend-
landes, der 451 n. Chr. bei Chalons Attila schlug),
bis zur Kirche mit der Aluminiumkuppel, die noch so
wenig von den Fremden aufgesucht wird, obschon sie
weniger wegen ihres falschen Glanzes, als wegen ihrer
Geschichte interessant ist. Sie ist die Kirche des
Namenspatrons Leos XIII., des heil. Joachim. Sie sollte
zum Andenken an eines der zahlreichen Jubiläen des
Papstes aus den freiwilligen Beiträgen der Christen-
heit erbaut werden, aber Leo mußte außer den
500000 Frs., die andre aufgebracht, noch etwa zwei
Millionen draufzahlen, um einen Skandal zu verhüten.*)
Von der Kirche wenden wir uns durch die erste
Seitengasse rechts, die Via Duilio (Duilius, der Admiral
der ersten römischen Flotte, der 260 v. Chr. die Kar-
*) Assessor Assemacher in Italien S. 509.
Zacher, Was die Campagna erzählt. 4
5093353535959 5 3 II HH HIFI FI 555555 II diji
thager bei Mylae schlug) geradeaus zwischen den
Kasernenbauten, bis wir die grüne Piazza d’armi, den
Exerzierplatz sehen. Jenseits der immensen Rasen-
fläche ragen die Berggipfel Etruriens, rechts die Häuser
der Via Flaminia und die zu Schützenschwärmen aus-
einandergezogene Kompagnie der monti Pariöli, links .
Monte Mario. Villa Madama aber ist noch versteckt
hinter einem Hügelbuckel.
Was erzählt uns der weite Waffenplatz nicht alles,
auf dem so mancher deutscher Kaiser sein Roß ge-
tummelt, von Karl dem Großen angefangen bis zu
Wilhelm II.! Hier mußten im Mittelalter alle deutschen
Könige halten, welche nach Rom gekommen, um die
Kaiserkrone zu heischen, und ihre Truppen auf diesem
„neronischen Felde‘ lagern lassen, das so auch noch
im Mittelalter so hieß, weil Nero dort, wo jetzt der
Vatikan steht, einen Zirkus und die berühmten Gärten
anlegen ließ, in denen er die nicht minder berühmten
oder vielmehr berüchtigten Nachtfeste mit den „bren-
nenden lebenden Fackeln‘ veranstaltete.
Hörnergetön und Kommandorufe erschallen. In-
dem wir links die Rückseite der stattlichen Kasernen
hinaufziehen, sehen wir allerorts Häuflein von Rekru-
ten, unter denen vornehmlich die werdenden Cara-
binieri auffallen. Schöne, ausgesucht starke Burschen.
Sauber angezogen. Um ihre steifen Bauernknochen
geschmeidig zu machen, veranstalten die Offiziere
Haschespiele. Die Rekruten reichen sich die Hände
und bilden einen Kreis, zwei, ein Räuber und sein
Verfolger bleiben draußen und jagen sich hinein in
den Kreis, hinaus aus dem Kreis in toller Hast, und
zum größten Vergnügen aller, da ihnen militärische
Zucht auch spielend gelehrt wird.
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Dort, wo die Kasernen enden, wenden wir uns
rechts und ziehen der Längsseite des Waffenplatzes
entlang mitten durch übende Scharen von Rekruten.
Nach zehn Minuten ist die Barriere des Stadtzolls
‘ erreicht, eine Brücke führt über den Festungsgraben,
gleich darauf wird der turmartige altersbraune Haupt-
bau der Villa sichtbar, und die mächtigen Bogen, die
ihre Terrasse stützen. Zur Linken führt eine gras-
bewachsene Straße zu ihr hinauf. Während des
Steigens ergreift uns die Verlassenheit der Umgebung
der Villa. Das schleichende Gift der Malaria hat
sie verödet, und auch den Verfall der Villa selbst be-
schleunigt. Sie ist unwohnlich geworden, weil die
nicht beaufsichtigten Wässer des Monte Mario den
Boden ringsum versumpften. Deshalb braucht der
Tourist sich aber nicht gleich einen Heidenschrecken
einjagen zu lassen. Die Malaria herrscht nur im Hoch-
sommer, und ihre Erreger, die bösen Mücken (anofele),
schwärmen erst nach Sonnenuntergang aus.
Vor dem Betreten der Villa sei aber vor einem
andren Schaden gewarnt. Reisende, die ihr Reisebuch
schon in der Heimat zu lesen pflegen, machen sich
oft im Vorgenuß eine zu hohe Vorstellung von den
zu erwartenden Sehenswürdigkeiten, und finden sich
dann an Ort und Stelle oftmals enttäuscht. . Besser
ist es ja in vielen Fällen, das Reisebuch erst nachher
zu lesen, wenn man die betreffende Sehenswürdigkeit
schon selbst vorurteilslos genossen hat. Man lasse
sich also durch den Namen Villa Madama nicht zu
der Vorstellung verleiten, daß man ein wohlerhaltenes
Landhaus betrete, nein, wir kommen, wie schon ge-
sagt, nur in eine Halbruine, deren Reiz in erster Linie
nur Architekten und Maler, und dann phantasiebegabte
4*
52 SHFFFFFFFIFITFISIFFFFFIFFIIISFFIIISTISS$
Leute verführt, die Sinn für das Malerische, mit Vor-
liebe fiir Geschichte und Kunst, verbinden. Sicherlich
gewinnt sie aber jeden, der landschaftliche Schön-
heit zu würdigen weiß. Vielleicht wäre die Villa
trotz der Malaria zu retten gewesen, wenn die Sere-
nissimi des 17. und 18. Jahrhunderts den Spruch:
„Noblesse oblige“ mit demselben Eifer verfolgt hätten,
wie ihre Vorfahren der Renaissancezeit. Besonders
sündigten die Bourbonen von Neapel, die 1731 durch
Erbschaft in den Besitz der Villa kamen. Die jetzige
Verwaltung dieser Familie hat versucht, was zu retten
war, aber leider war es nur noch wenig.
Endlich oben! Man ist betroffen und bekiimmert
zugleich. Links schiebt sich ein begraster Hügel als
buckliger Wall vor, im Vordergrunde grüßen zwei
verwitterte Hallenflügel, bei deren Anblick die Er-
— = —_———— =
en
innerung an die Bettler auftaucht, die bei italienischen '
Kirchenfesten dem angewiderten Beschauer die nackten
Armstümpfe entgegenstrecken. Bräunlich rosagrau
sind die zerfallenden Nischen dieser Empfangshalle,
die wohl ähnlichen Zweck haben sollte, wie die Colon-
naden Berninis an der Peterskirche. Wehmut über-
schleicht den Betrachter bei dem Gedanken, daß
Raffaels letztes Bauwerk, das „als sein Meisterwerk
in der Baukunst“ gilt, derartig verfallen konnte. Frei-
lich wurde es auch bei der Plünderung Roms im
Jahre 1527 (s. S. 36) hart mitgenommen. Papst
Clemens VII. hatte als Kardinal Giulio di Medici den
Bau der Villa begonnen, die nach ihm „Vigna dei
Medici“ hieß. Als dieser Papst von den Kaiserlichen
in der Engelsburg belagert wurde, ließ sein Feind
Kardinal Pompeo Colonna, der Führer der Partei
Karls V., die Villa durch seine Horden brandschatzen.
SFFFIFFFFFFFFFFIFFFFFFSFFFFIFIFFIFFFSS 53
Und dieser selbe rohe und kriegerische Kardinal war
doch zugleich ein Dichter, der in sanften Versen, den
sogenannten ,,De laudibus mulierum“, seine edle Ver-
wandte Vittoria Colonna, Michel Angelos Freundin,
besang.
GroBen Schaden verursachte Pompeos Rachedurst,
dem das Theater, die Rennbahn und ein Teil der
herrlichen Sale zum Opfer fielen.
Zuerst betritt man das leere Vestibül, wo die
Schritte hallendes Echo wecken. Der Verwalter er-
scheint und führt uns in die jetzt zugebaute Loggia,
die hohe Tonnengewölbe zieren. Die Stuccatur und
die Freskenreste lassen noch die alte Pracht erkennen.
Während der Besichtigung beschwert sich der gute
Hüter des Hauses über G’sell Fels, er habe diesem
zu einer kunsthistorischen Entdeckung verholfen, und
doch habe der böse Schriftsteller vergessen, ihn des-
halb zu nennen. Dabei zeigt er links vom Eingang an
den Kuppelpfeiler, wo er den Namen des Malers der
Fresken gefunden habe: Giovanni d’ Udine mit der
Jahreszahl 1523.
Nun ziehen die Puttenspiele in der Kuppel den
Blick auf sich, dann am Ende der Loggia die an die
Berglehne gestützte Wand, welche an den Brunnen
der Egeria (s. S. 168) erinnert. An der gegenüber-
liegenden Wand drängt sich der leider stark ver-
stümmelte Polyphem auf, den Raffaels Schüler Giulio
Romano gemalt, als er nach dem Tode des Meisters
den Bau der Villa fortsetzte, der von Sangallo, dem oben-
genannten Erbauer des Palazzo Farnese, beendet wurde.
Jetzt schreiten wir in der Richtung des Vestibüls
in den Hof. Er ist verwahrlost, aber malerisch, und
weckt die Erinnerung an Dornröschens Schloßhof
54 555355 III;I IF FF FF FF FF FH FF FF FF IF FF FF FF
Gras allüberall und Moos. Links starrt die begraste
Bergwand. Die bemooste Fontäne murmelt wie im
traumhaften Selbstgesprach. Geradeaus trotzen zwei
verstümmelte Steinriesen. Nun treten wir zur Mauer,
die den Hof vom Tal abschließt. Sie wirkt wie der
braune Rahmen eines Riesenbildes; und da wir im
Schatten stehen, wirkt auch von hier die Campagna,
als sei sie gemalt. Es ist, als ob man von einem
dunklen Raum aus ein künstlich beleuchtetes Pano-
ramabild schauten. In ihrer ganzen Herrlichkeit liegt
die Landschaft da. Auf dem grünen Rasenbette hinter
Ponte Molle gleißt die goldrote Reitschule als be-
herrschender Lichtfleck. .. .
Doch zurück ins Haus. Unter dem Polyphem
her tritt man in zwei leere Seitengemächer mit ein-
facher Holzdecke, die als Schmuck nur Freskenfriese
zeigen. Dann folgt der gleichfalls leere „Salone‘“,
der wegen seiner Malereien an die Loggien Raffaels
im Vatikan, aber auch an die Papstgemächer in der
Engelsburg erinnert. Manch gläubiges Gemüt wird
wohl hier baß darüber erstaunen, daß der geistliche
Bauherr der Villa solch heidnischen Wandschmuck
bestellen konnte. Zuerst fällt der fast ein Meter hohe
Puttenfries auf blauem Grunde auf, dann Apollo und
Luna an der Decke, und der zoologische Garten an
den Wänden: Widder, die zum Altar geschleppt
werden, Tiger, Löwen, Straußvögel u. s. w. Eine Tür
führt zur Terrasse, von der aus das Campagnabild
wieder einen andren Eindruck macht, da wir jetzt
lichtumflossen im Hellen stehen. Man hat den Blick
auf den Tiber, auf Ponte Molle, Tivoli... . Herrlich
ist auch der Blick auf die Stadt. Kaum vermag man
sich loszureiBen. —
SSSISSIFSISIITHTTITT TFT FF SF FF FF FF TFT 55
Wie wir den alten Palast verlassen, finden wir
den Vorplatz nicht mehr einsam. Andre Besucher
haben sich eingefunden, darunter auch anglosächsische
Damen, die Aquarellstudien machen. Im Hintergrunde
aber leuchtet über Rom der goldschimmernde Quirinal.
Anstatt auf dem gleichen Wege zurückzukehren,
lassen wir uns vom Verwalter einen andren zeigen,
der schnurstracks zum Tiber hinunterführt. Wir kom-
men zunächst zu dem Unterbau der Terrasse mit
seinen Riesenbogen vorüber, die zu Ställen umge-
wandelt sind. Wo einst stolze Krieger und bunt-
farbig gewandete Diener weilten, blöken jetzt Rinder.
Durch prächtige Wein- und Obstgärten, die freund-
liche Colonenhäuser umkränzen, und in denen es duftet,
blüht, sproßt und keimt, gelangt man zu der traulichen
Ulmenallee, die vom Paradefeld an dem Tiber vorbei
zum Ponte Molle führt. Zwei Osterien locken. Die
stadtwärts liegende heißt zur „Sora Natalina‘‘ (Ge-
vatterin Nathalinchen). Die Hausinschrift besagt:
„Hier wohnt Natalina. Mit auserlesenen Weinen und
bester Küche. Eier vom Tage.‘ Stattlicher ist die
zweite Schenke, die der Gevatterin Rosa eignet und
„Zur Ulme“ heißt. Sie hat einen schönen, mit Li-
gustern und Eukalyptusbäumen bestandenen Garten-
hof, dessen Wände lauschige Lauben aus gegitter-
tem Rohr (canna) bilden. Und sauber und rein ist
es hier. Die Ulmenwirtin hat offenbar eine kleine
Ahnung von dem, was sich für Fremde schickt. Ent-
sprechend ihrem Namen, sind auch die verschiedenen
Holzbaracken, aus denen sich ihre Wirtschaft zu-
sammensetzt, rosafarben getüncht, was schön zu all
dem Grün ringsum paßt. Auch sonst kommt Sora
Rosa den Kunden zart entgegen, begrüßt sie doc}
u en
56 3IIIII;IIH FF THF FH TFT FH TFT FF SF IH H THF TS FTF
alle auf einer am Zaun ragenden Tafel mit einem
Gedicht im echtesten römischen Dialekte, das also
lautet: .
„Antifona.
Tu che trapassi avanti a ’sto locale,
Ralenta il passo e legge ’sto cantino,
Voi fatte ’na magnata meno male
Voi bevé er vino vero di Marino,
De Culinaria, proprio soprafino.
C’é pure er pesce nde la funtanella,
Che sta aspettanno per annar in padella.
La sora Rosa.‘‘*)
Wie feierlich! Klingt es nicht fast wie: „Wanderer,
kommst du nach Sparta, verkündige dorten?“...
Der Einladung kann man nicht widerstehen. Und
so bleibt man, bis der Abend herandämmert, und
kehrt dann über Ponte Molle, wo die Pferdebahn
harrt, zur Stadt zurück. Oft aber wird der Wanderer
seinen Schritt hemmen und auf die Peterskuppel
blicken, welche die scheidende Sonne auf Goldhinter-
grund gemalt hat. Des Tibers gelbe Wellen aber
singen das Abendlied. Des Abends Schatten um-
düstern die Hängen und Halden des Monte Mario,
die mit dem Silberglanz des Stroms verglichen, noch
dunkler erscheinen.
*) „Du, der du an diesem Lokal vorüberziehst,
Verlangsame deinen Schritt und lese dieses Lied,
Du nimmst ein Essen zu dir, wie sonst du es nicht siehst.
Und trinkst dazu den Wein, der in Marino blüht,
Und den zu trinken, du nimmer wohl wirst müd.
Es harrt auch dein der Fisch im frischen Brunnen drein,
Weil gar zu gern er springen möcht in die Pfann hinein“.
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Monte Mario.
Der Besuch dieses Hügels, der den Norden der
Stadt beherrscht, erfordert zunächst den Gang zum
Festungskommando (Commando del genio) in Via
Quirinale schräg gegenüber dem Palazzo Rospigliosi.
Ein Wappenschild mit Aufschrift läßt das Haus nicht
verfehlen. Man steigt zum zweiten Stock hinauf, und
sagt, indem man seine Visitenkarte abgibt, dem Diener
(usciere), man wünsche einen permesso per il Monte
Mario. Er wird gratis gegeben.
Diese Formalität ist nötig, weil Rom befestigt
ist, und der Berg des Marius zum Festungsbereiche
gehört. —
Wer es liebt, auch landschaftliche Genüsse in
stufenmäßiger Steigerung zu genießen, wähle nicht
den direkten Weg zum Monte Mario oder Clivus
Cinnae, wie er im Altertum hieß, sondern beschleiche
ihn von hinten. Deshalb beginne die Wanderung
mit dem Ponte Molle. Während der Fahrt zu dieser
„trefflichen Bruck“ suchen wir uns klar zu werden,
was unser Ausflugsziel als Berg an sich und in seinem
Verhältnis zur ewigen Stadt bedeutet. Für den Geo-
logen ist der überall sichtbare Berg der „steilste Ufer-
rand des römischen Tibertals‘‘ und eine Fundgrube
von Fossilien, die von seiner vorgeschichtlichen Jugend
zeugen, da er noch Meeresgrund war. Der Historiker
sagt sich hingegen, daß sein Name nichts mit Sullas
Gegner Marius zu tun hat, sondern von Fürst Mario
Mellini herrührt, der unter Sixtus IV. (Rovere) die
gleichnamige Villa auf seiner Kuppe erbaute. Im Mittel-
alter hatte der Berg ja einen andren Namen. Die
58 IIIIIFIFFFIF FH FF IF TFTH FH THF FH FF FF FH TFT HH
Deutschen nannten ihn Mons Gaudii (Freudenberg),
weil zu den Zeiten, wenn der Ponte Molle wieder
einmal aus strategischen Gründen abgebrochen war,
der Weg nach Rom über den Monte Mario führte,
und von ihm aus also die Pilger zum ersten Male das
christliche Mekka erblickten. Die Römer aber tauften
ihn nach dem 28. April 998 den Monte Malo, den
schlimmen Berg, weil an diesem Tage Kaiser Otto Ill.
den in der Engelsburg gefangenen „Herrn“ von Rom
Crescentius enthaupten und seine Leiche auf dem
Berge aufhängen ließ, zur Strafe dafür, daß er die
Treue gebrochen, und dem kaiserlichen Papste Gre-
gor V. Johann XVI. als Gegenpapst eingesetzt hatte.
Auch Dante bezeichnet den Berg noch als Monte Malo
im fünfzehnten Gesang des ,,Paradieses“, wo er ihn
mit dem zwischen Bologna und Florenz liegenden
Berge Uccellatoio und die Aussicht, die man von dort
auf Florenz hat, mit seiner Aussicht auf Rom ver-
gleicht und letztere schöner findet:
„Besiegt war Monte Malo noch von Euerem
Uccellatoio nicht... .“ —
Genug des historischen Kleinkrams! Wir sind
am Ponte Molle. Ende März. Die Frühlingsregen
der letzten Tage haben ausgetobt, nur der Tiber zeugt
noch von ihnen; denn sein Wasser gleicht brodelnder
Schokolade. Dem Deutschen wecken die von weißen
Gischt umrandeten Strudel und Wirbel die Erinnerung
an Bürgers „Lied vom braven Manne“. Fast schwin-
delt einem beim Anblick der tobenden Wellen. Keines-
falls gelüstet es uns, hier dem Schillerschen Taucher
nachzuahmen, zumal wir die geheimen Tücken der
——
—
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Tiberwirbel kennen, die schon bei niedrigem Wasser-
stande dem Schwimmer gefahrlich sind.
Der kithle Nordwind treibt weiter, der jenseits
der Berge her kommt, weshalb ihn die Römer auch
„tramontana“ nennen. Er hat die Luft staubfrei ge-
putzt, und läßt daher die satten Farben der Sabiner-
berge tiefer leuchten. Im veilchenblauen Sammetkleide
prangen sie heute, das oben mit dem Hermelinmantel
besetzt ist, der ihre nackten Schultern gegen den Nord-
hauch schützt. Was die letzten Tage in Rom Sint-
flut, das war im Sabinerland der Frau Holle Flocken-
tanz. Die Frühlingspracht ringsum läßt die Vermutung
aufkommen, daß die Campagna heute ihren „Firnis-
tag“ abhält.
Die Wanderung geht über die Via Cassia (s. S. 94).
Rechts rauschen Pinien und Eukalyptus. Doppelten
Eindruck macht dieses Brausen und Sausen, weil dieser
Teil der Campagna sich sonst großer Stille erfreut.
Der in Rom ansässige Fremdling grüßt den heilenden
Hauch aus dem Norden mit heller Freude, ist er doch
stets nur ein halbtoter Mann, wenn des Sciroccos, des
Saharawinds schwüler grauer Brodem wie eine Blei-
kappe auf der ewigen Stadt lastet. Die Glücklichen,
die erst kurze Zeit von der Heimat trennt, spüren
diesen elendbringenden Druck noch nicht, weil sie
noch „nordischen Kraftüberschuß‘ besitzen.
- Dort, wo nach viertelstündiger Wanderung der
Weg sich nach Aqua traversa senkt (s. S. 46), und
die einsame Pinie ihren Schopf in den blauen Himmel
hineinbohrt, führt der Weg links ab. Rechts ragt ein
Gartentor, das die Inschrift trägt: ,,Colle al bivio““
(Hügel am Kreuzweg). Auf der Hälfte der ersten
Neigung genießt man einen schönen Ausblick. Bei
60
der klaren Luft liegt Tivoli, das wir umblickend
schauen, zum Greifen nahe. Einem Perlendiadem auf
blauer Sammetunterlage gleicht es. Die ganze Land-
schaft prangt in Farben, die ein Unerfahrener für un-
möglich zu erklären versucht ist. Der Reflex der
strahlenden Sabinerberge auf die Campagna zu ihren
Füßen läßt diese als einen grünen Bergsee erscheinen.
Links prangt der starre, schroffe Monte Gennaro, wie
aus Stahl geschmiedet, vor ihm leuchten die Berg-
städtchen Montecelli und Sant Angelo auf ihren Kegel-
bergen, weiter links schimmert ein schneebedeckter
Höhenzug. Rechts von diesem fernen Bilde im Vorder-
grunde prangen zwei Riesenpinien, links äugt, wie
ein Knabe, der eine Mauer erklommen hat, der Monte
Sorakte in das Aqua Traversatal hinein. Heute könnte
ihn Horaz nicht als den schneebedeckten grüßen, an
ihm scheint der Regensturm der letzten Tage spurlos
vorübergegangen zu sein. —
Wie das junge Gras um uns herum tanzt, wie
die jungen Buchen sich vor Freude schütteln, weil
der Kapellmeister der Natur hoch oben in den Lüften
seine Pastoralsymphonie auffihrt. Die Pinien aber
bleiben ruhiger, ernster. Ihr Nadelpelz wogt, wie
die Wellen eines stillen Sees bei zarter Brise. — —
Das Gartentor, No. 28, zeigt uns Lorbeerbäume
und riesige Kakteen. Das nächste Tor rechts läßt
uns enorme Agaven und einen unter Lorbeerbäumen
einsam aufragenden Eukalyptus bewundern. Halt! Wir
blicken auf Rom und sind überrascht ob des Scenerie-
wechsels; denn jetzt tauchen die Albanerberge auf,
und darunter die weißgoldig schimmernden Paläste
des Ludovisiviertels. Das tiefer liegende Altrom ist
durch die Coulissen der monti Pariöli verdeckt, nur
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der sogenannte Turm des Nero und der Uhrturm des
Quirinalschlosses ragen hervor. Ganz rechts erhebt
sich der Janiculus, und zwischen ihm und den Albaner-
bergen öffnet sich ein dreieckiger Ausschnitt, der uns
die südwestliche Campagna als ein violettes Meer
zeigt. In der Nähe vor uns flimmert es aber wie ein
Gestöber aus Rosenschnee: Pfirsich- und Mandelbaum-
blüten sind’s. Drei Winzerhäuser beleben das Bild,
und eines davon trutzt wie eine kleine Trecentoburg.
Weiter! Podere (Landgut), Borgetto, No. 21, neuer
Sceneriewechsel. Im Vordergrunde gähnt eine halb-
kreisförmige Mulde, die zur Linken mit der Treppen-
linie des Albanergebirges und rechts durch die weißen
Flecke des Ludovisiquartiers abschließt. Hoch oben
rechts prunkt eine Miniaturausgabe des Egeriahains.
Unter ihr läuft eine schöngekämmte und gescheitelte
Wiesenhalde, von Hunderten kleiner schwarzer Gräben
durchzogen — ein grünes Linienblatt. Blickt man
weiter nach links, so bemerkt man im Sattel zwischen
den Albaner- und Sabinerbergen eine wagerechte,
blaue, duftige Linie. Die blaue Campagna ver-
schwimmt, aufgelöst im Azur der Luft, es ist, als
ob sie die Sehnsucht nach dem wecke, was hinter
dieser geheimnisvollen lichten Grenze winkt, die das
Einfallstor zu den glücklichen Gefilden Campaniens
darstellt. —
Lautenschläger könnte mit seiner Drehbühne keine
schnelleren Wechseleffekte erzielen, als wir hier er-
leben; denn gegenüber dem Tor, No. 12, kommt wieder
ein andres Bild. Der trunkene Blick taucht in einen
grünen Taltrichter, den krauses Laub ähnlich schmückt,
wie das Wollhaar den Kopf eines Negers. Vorne
schimmern die Rohrstangen der Weingärten, die eben-
62 FSFFFIFSSFFSFFFFFSFFFFFFFFFFFFFFFFS
so gekreuzt sind, wie die Gewehrpyramiden im Lager.
Und darüber erscheint jetzt der Sorakte als halbe blaue
Kreissäge, ähnlich wie der Felsen der Republik San
Marino von Rimini aus sich darbietet.
Weiter! Vor uns hoch oben wird plötzlich ein
Kirchlein sichtbar, bei dessen Anblick ein deutscher
Männersänger sicherlich das hohe Lied anstimmen
wird: „Ein Kirchlein steht im blauen, im blauen Him-
melszelt‘‘ — so durch und durch deutsch sieht es aus.
Die Kirche des Dorfes S. Onofrio ist’s, des einzigen
Dorfes, das die nächste Umgebung Roms kennt. Links
öffnet sich bald eine neue Mulde, die mit drei kleinen
Hügeln ausgefüllt ist, deren frisches Rasenkleid die
Tinten des fernen Albanerberges dunkler erscheinen
läßt. Die Stadt Rom ist in der Versenkung ver-
schwunden, nur der minaretgleiche Turm des neuen
Policlinicums blitzt uns entgegen. — Nun ist die Höhe
erreicht. Im Halbkreis aufsteigend, sind wir auf dem
Rücken des Monte Mario angekommen. Der Weg
biegt scharf links ab, und zieht durch Hecken, die Obst-
gärten einschließen, so daß die Ausblicke seltener
werden. Nur ab und zu sieht man links die Spitze
des Monte Gennaro, und rechts die Campagnaebene,
die in sehnsuchtweckender Ferne zum Meer hinüber-
schlummert, wo sich ihr blauer Duft mit dem des
Himmels vermählt. l
Nach zehn Minuten lugt rechts ein altes verwitter-
tes Kirchlein aus dem Grün. Es ist rotgelb getüncht,
und die Aufschrift M. B. C. kündet uns, daß es der
Madonna del Bon Consiglio (vom guten Rat) gewidmet
ist. Die Stufen vor der Türe laden zur Rast. Wie
man vor sich hinausschaut, möchte man überrascht
sein Entzücken ausjauchzen; denn man ist in der
a
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Achse des Tibers, der Blick trifft den Ponte Molle
mitten in die breite Brust, über ihm schimmern die
Schneeberge, und gleißt das Geschmeide von Tivoli.
Die grüne Nachbarschaft wirft ihre Reflexe auf den
Strom. Wer dies köstliche Panorama mit größerem
Behagen genießen will, ziehe einige Schritte weiter
links zur primitiven Bauernwirtschaft ,,Antica osteria
di Nino“, wo er freundliche Leute, guten Wein und
auch frugale Atzung findet. |
Weiter! Nach kurzer Wanderung mündet unser
Weg in die Chaussee, die Via Trionfale, die sich
hier senkt. Links erscheint die Cypressenpracht der
Villa Stuart, die an einen der letzten aus dieser un-
glücklichen Königsfamilie erinnert, an Kardinal Hein-
rich Benedikt, der 1807 in Frascati starb und sein
von Canova geschmücktes Grab in der Peterskirche
fand. —
Am Hause No. 60 links. Halt! Neue Über-
raschung! Rechts vor uns prunkt die hochragende
Fassade der Kirche Maria del Rosario (Maria vom
Rosenkranz), links taucht die rötliche Trommel und
die blaue Kuppel der Peterskirche riesengroß vor uns
auf. Deren goldene Laterne erinnert an die Krönlein,
die auf den Bildern zu Grimms Märchen die Königinnen
tragen.
Jetzt treten wir links in das Gittertor des Forts
Monte Mario ein, geben den Permeß ab und steigen
bergan. Bald nimmt uns der Schatten einer dunklen
Steineichenallee auf, in deren Lücken Pinien erscheinen,
deren Krone sich baldachingleich spannt. Dazwischen
steht bescheiden die sinnige Melancholie düsterer Cy-
pressen, deren Trauerkleid den tiefblauen Himmel nur
noch lachender erscheinen läßt. Hier kann sich auch
45
der Zweifler, dem die Farbenglut auf den Bildern
Boecklins, oder den Campagnalandschaften eines Fili-
berto Petiti, eines Enrique Serra oder Max Roeder
bisher unglaublich schien, selbst davon überzeugen,
was Wahrheit und Dichtung ist.
Auf der Kuppe vor dem rotgelb schimmernden
Schlosse der Villa Mellini versinkt der Wanderer in
andächtiges Schweigen; denn wer vermöchte die Pracht
zu schildern, in welcher hier die Peterskuppel und
Roms Farbenmeer uns entgegentritt. Diese Aussicht
ist einzig, unvergeßBlich. Auch wer Rom schon zu
kennen glaubt, muß staunen; denn von hier aus sieht
er die ewige Stadt zum ersten Male ohne abschließen-
den Hintergrund. Diese Leere hinter ihr, dieses lichte
Geheimnis paßt zum Charakter der feierlichen, einzigen,
ewigen Roma.
Doch wir müssen weiter, ehe die Sonne ihre
Purpurfackel im Meere auslöscht, und unser Genuß
wäre nicht vollständig, wenn wir nicht zur Rampe
und zum höchsten Absatze der Freitreppe der Rosen-
kranzkirche stiegen.
Die breite Rampe ist von grünem, wolligem, mit
MaBliebchen durchwirktem Teppich bedeckt, in den
sich der Fuß wollüstig eingräbt. Die schimmernden
braunen Mauern rechts scheinen zu träumen. — Ein-
samkeitschauer, Frieden, Dornröschenstimmung rings-
um! Die Natur liegt mit den Kunstbauten im Kriege,
überall beißt und nagt sie am Gemäuer. Auch die
Kirche liegt im Zauberschlaf. Eine riesige Inschriften-
tafel blinzelt wehmütig aus halb erloschenen Augen
und flüstert vor sich hin: — „Es war einmal.“ Wie
wir weitersteigen, ist’s, als ob auch die Peterskuppel
für immer versanke. An Chidher, den ewig jungen,
SIIIITIITTTTHTHT FT CH TFT TFT TFT TFT TFT IF TT TS 05
denke ich, und an Macaulay, der im Geiste schon den
einsamen Wanderer über die Stätte schreiten sah,
wo einst London gestanden. Wird auch die Peters-
kuppel einst zur Ruine werden, wird ein neuer Homer
vielleicht singen: „Einst wird kommen der Tag, wo
die heilige Roma hinsinkt, und der Pontifex auch, und
das Volk der trotzigen Römer?“
Doch oben fällt der Bann des Zweifels. Noch
ragt stolz und gebietend Michel Angelos Dom. Bei
seinem Anblick ergreift uns um so mehr die Stille
des Todes, in der die Rosenkranzkirche und das zu
ihr gehörende Kloster gefangen liegt, das einst Liszt
als Abbate bewohnt.
Nun sucht man die Engelsburgwiesen, die Prati
del Castello. Auch sie sind nicht mehr. Wo früher
Lauben und Weingärten zu Hunderten standen, wächst
Neurom, dem die Klerikalen so oft den Untergang
vorhergesagt, erobernd heran. Neben den Klöstern
der Soldaten und Mönche erhebt sich die Pracht der
stattlichen Villen. |
Der Blick schweift in die Ferne, wo, wie Gerok
sagt: „nieden die Flur, droben der blaue Azur glänzet
im Frühlingsgeschmeide‘ auf das Sabinergebirge. Die
Sonne hat schon stärkeres, tiefes Rot von ihrer Palette
genommen, schminkt jetzt die Villa Mellini, und wirft
auch rötlichen Schein auf Roms Häusermeer. Zur
Abwechslung setzt sie auch Goldlichter auf, und so
glänzt stellenweise die Landschaft, wie ein Christ-
baum, der mit Goldstaub gepudert. Erstaunt haftet
dann das Auge am Albanergebirge. So haben wir
es noch nie erschaut. Wie ein Felseneiland erhebt
es sich, groß, starr, einsam aus der grünblauen Cam-
pagnasteppe, über welche jetzt ab und zu violette
Zacher, Was die Campagna erzählt, 5
66 3355353533 II II I IF FF FT FH HIT II FH II FF 35
Schatten huschen. Es gleicht dem Circegebirge in
den pontinischen Sümpfen. Wie leer erscheint die
Lücke zwischen Albaner- und Sabinergebirge, wie leer
die größere dort, wo sich die letzten Ausläufer des
ersteren in die pontinische Ebene hineinwühlen. Das
Gefühl der Neugier und Sehnsucht nach dem fernen
Süden überschleicht uns. Manchem Wanderer wird
wohl hier auch die Frage nach dem Unbekannten
auftauchen, was jenseits der Grenzen seines Lebens-
horizontes liegt. Darin beruht ja der Sehnsuchts-
zauber, den die UnermefBlichkeit der nassen und der
trockenen Meere erzeugt, mögen letztere nun Wüste,
Steppe, Heide oder römische Campagna heißen. Was
mag wohl der letzte Hohenstaufe Konradin empfunden
haben, als er im Jahre 1268 im Julimond auf dem
Monte Mario stand, und nach Süden schauend, von
der Wiederaufrichtung seines italischen Reiches träumte.
Ob ihn wohl eine Ahnung überschlich, daß dort an
der pontinischen Küste der Verrat auf ihn lauere? —
Immer feurigere Purpurstrahlen sendet die Sonne.
Gelb, rot, feurigbraun, rotgold flammt Roms riesiges
Häusermeer.
Wir brechen auf und ziehen den Berg: hinunter,
bis wir zu den verlassenen Osterien-Chalets kommen,
die einst so reiches Leben gesehen. Der moderne
Verkehr hat diese Gegend getötet. Seitdem die elek-
trischen Wagen die Römer von Rom bequemer nach
Sant Agnese und S. Paolo fuori le Mura bringen,
ziehen sie nicht mehr, wie einst, in hellen Scharen
zum Fuße des Marioberges.
Im Elendviertel der Baukrachruinen staunen wir;
denn auch die halbfertigen Paläste werden zu neuem
Leben erweckt, der Ruhm der nahen Villenkolonie ließ
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Nur re er ET ea) ee ee rere ee
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ihre Herren nicht schlafen. Eine neue Zeit scheint
angebrochen. Freilich ist dieser Teil Neuroms noch
immer kein Westend. Noch tummelt sich viel schmutzi-
ges Volk in den zu Märkten gewandelten Straßen
und in den greulich verwahrlosten Kneipen, noch läuft
uns viel zerlumptes Jungvolk zwischen den Beinen
herum. Und doch, wer einen Augenblick stehen bleibt,
und diese schmutzigen Kinder bei ihren Spielen be-
obachtet, ist überrascht, wenn er die Intelligenz be-
merkt, die aus ihren Kohlenaugen hervorleuchtet. —
Viale Paridli.
(Von Porta Pia nach Porta del Popolo.)
Dieser schöne Spaziergang ist den Durchreisenden
fast unbekannt. o
Ausgangspunkt: Porta Pia. Zehn Minuten vor
dem Tor, wo hinter einem Garten mit schönen Pinien
sich die überraschend schöne Aussicht auf die Albaner-
berge öffnet, und im Vordergrunde der Minaretschorn-
stein des Policlinicums sichtbar wird, der zum Wahr-
zeichen des östlichen Roms geworden ist, beginni
links gegenüber der Viale della Regina eine Pla-
tanenallee, die den Anfang der projektierten großen
Ringstraße bildet. Man schlendert nur langsam, wird
uns doch hier Gelegenheit geboten, Roms krasseste
Gegensätze zu studieren. Das Viertel, das man be-
tritt, war als Prachtquartier gedacht und wurde Elends-
viertel. Zunächst kommt man auf einen Platz, dessen
Wände großartige Mietspaläste verunzieren; weil sie
5*
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verwahrlost wurden. Trotzdem scheinen sie nicht häß-
lich, weil die römische Frühlingssonne auch sie ver-
schönt. Die römische Sonne mildert aber auch das
lebende Elend, da das Volk auf der Straße, die warm
und lichterfüllt ist, lebt, wohnt, arbeitet, ruht, scherzt
und plaudert, oder sich wohlig im Sonnenschein badet
und sich in werktätiger Sorge für die Nachbarschaft
vergnügt; denn in Rom gibt es noch Nachbarnfreund-
lichkeit.*) Zum Teil bildet es auch nur Publikum
und ergötzt sich an dem stets wechselnden Schauspiel
der Straße. Nur die Schusterphilosophen sind blind
für das Treiben der andern; denn ihre emsige Arbeit
erlaubt keine Zerstreutheit. Diese ihre fleiBige Seß-
haftigkeit wird wohl der Grund sein, weshalb in
Rom des Crispinus Söhne auch so gern zum hohen
Portiersamte erkürt werden. Die Wände ringsum
zeigen malerische Wäscheausstellungen. Hier scheinen
die Spitzhüte (pizzi cardoni, Name für die römischen
Stadtpolizisten) nicht so protokolleifrig zu sein, wie
im Innern der Stadt, wo sie sofort einschreiten, wenn
auch jemand nur ein Taschentuch vors Fenster hängt.
Und doch! Wo sollen die armen römischen Haus-
frauen mit ihrer Wäsche hin, da die ewige Stadt keine
Speicher und Bleichen kennt? Wie das Volk aber
die Wäsche vor dem Hängen behandelt, sehen wir
auch; denn neben dem Schuster steht eine ärmlich
gekleidete Frau vor einem Bottich und klopft auf einem
Brette ihre Lumpen mit steinbeschwerter Hand. Neben
ihr aber sieht man eine Freilichtküche. Lautes Rufen
lenkt ab, ein Mann trottet heran, der einen ganzen
Laden von Haushaltartikeln, malerisch geordnet, trägt,
Stubenbesen, Flederwische, Spinngewebefänger mit
*) Römische Augenblicksbilder S. 101.
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riesigen Rohrstangen, vor allem aber den Herdfächer
aus Truthahnfedern (sventola), der das Holzkohlen-
feuer zu größerem Eifer anspornt.
Im Weiterschreiten erblickt man wieder. Baukrach-
ruinen, aus deren öden Fenstern das Grauen .grinst.
Rechts öffnet sich ein Blick auf die Campagna. : Selt-
sam! Wie eine landschaftliche Rumpelkammer er-
scheint sie hier. Weiße arabische Würfelhäuser, rot-
gelbe Landhäuser, rosarote Osterien, Rohrhütten, kleine
Gebüsche und grüne Wiesenflecken sind durch- und
aufeinander geschachtelt, und darüber ragt der spitz-
haubige Monte Gennaro, der in all diesem Misch-
masch kleiner, als sonst, erscheint. Aber IA ETISCH
ist dieser tolle Farbenrummel.
Rechts erscheint wieder ein Baukrachdokument;
dieses Palazzobruchstück ist dreifarbig, der Unterbau
— der Gesamtbau gleicht einem Palazzo in Unter-
hosen — ist ziegelrot, die Weste blauweiB beworfen,
das Oberkleid gelbgrau. Schaut man eine alte. Hexe
mit zahnlosem . Munde, erhält man einen ähnlichen
Eindruck. Und doch regt sich Leben in dieser Ruine,
drei Fenster im ersten Stock sind rot verhangen. Die
Neugier, die Phantasie werden angeregt. Wer mag
dort hausen?
Weiter! Links ragt ein Pinien- und Cypressen-
hain. Ein rotgelber Palast lugt darüber hervor, dessen
flachen Dachrand Statuen krönen. Wir stehen an der
Rückseite der leider so schwer zugänglichen Villa
Albani. (S. S. 101.)
Rechts folgt ein unschöner Kasernenbau, der als
Motto die Worte zeigt: „Educandatorio, Villa Maria
delle Orsoline‘“ (Erziehungsheim der Ursulinerinnen).
Aha. Wir sind im klerikalen Neurom. Da fällt unser
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Blick gegenüber auf ein graues Kastell im Trecento-
stil, das sich durch die Aufschrift als ein Erziehungs-
haus der Methodisten kennzeichnet. Diese feindliche
Nachbarschaft spricht Bände. Schier unglaublich ist,
wie in Rom, wo doch alle Klöster gesetzlich aufge-
hoben sind, täglich neue wie Pilze aus der Erde
schießen, so daß die ewige Stadt dank der subtilsten
juristischen Strohmännerkniffe mehr Klöster zählt, als
zur päpstlichen Zeit. Diese rege Propaganda reizte
natürlich den Eifer des kampffrohen Protestantismus,
für den nach 1870 auch hier die Bahn frei ist, und so
mühen sich Anglikaner, Methodisten, Lutheraner, Hoch-
und Niederkirchler um die Wette, dem Vatikan aus
nächster Nähe beizukommen.*)
Beim Weiterschreiten bemerkt man, wie die klugen
Römer auch die Vegetation als Trockenboden benutzen.
Ganz ungeniert zogen sie hier an langen Leinen ihre
Wäsche von Baum zu Baum. Auch neues, wenn auch
kein arbeitsames Volksleben sieht man. Der Nach-
mittag ist so schön, der Himmel so blau, die Luft
so lind, weshalb soll man da nicht auf der Landstraße
Boccia spielen oder das mit lautem Geschrei begleitete
Fingerspiel (morra), das in der Osteria verboten ist?
Wir kreuzen die Via Salaria. Die Allee nimmt
jetzt einen vornehmeren Charakter an. Man begegnet
vielen Reitern in Civil und Uniform, auch vielen ele-
ganten Radfahrern beiderlei Geschlechts. Dazwischen
reitet eine Patrouille Carabinieri, deren roter Mantel
auf dem Pferderücken als beherrschender Lichtfleck
in dem Straßenbilde wirkt. Rechts entzückt uns über
grauer Mauer ein Pinienwald, der, eine rotgelbe Zinnen-
burg umschattet. Wie das leuchtet, und wie die rot-
*) Assessor Assemacher in Italien S. 490, 632, 633.
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braunen Fensterladen vom Goldton der Fassade ab-
stechen! Nun rollen vornehme Equipagen heran und
zeugen wieder von dem Luxus, den die vornehmen
Romer mit Pferden und Wagen zu treiben lieben.
Links schauen wir jetzt der Baumpracht der Villa
Borghese in den Rücken, erblicken dann eine typische
Campagnafarm, ein graues massiges Haus, aus dem
zwei viereckige Tiirme hervorstehen, und die Cypressen
des Monte Mario.
Im Vordergrunde schimmert es weiß. Wir sind
nach Spanien versetzt und sehen ein maurisches SchloB,
das Prunkheim, das Villegas sich vor vielen Jahren
vertrauensselig erbaute, als er glaubte, die neue Ring-
straBe wiirde sich bald mit Villen beleben. Aber er
blieb allein, bis er Rom verließ, und als Direktor des
Pradomuseums nach Madrid zog. In diesem Märchen-
schloß schuf er unter anderem „die Dogaressa“, den
„Tod des Toreador“, „das Redentorefest in Venedig“.
Es lohnt sich schon der Mühe, hier zu halten und
durch das verschlossene Gittertor in den mit zierlichen
Säulen und Arabeskenwerk geschmückten Hof und
in den Garten zu schauen, wo prächtige Agaven und
Palmen blühen, und eine hohe Aloestaude ragt, deren
kahle Zweige in Pilgermuscheln zu endigen scheinen.
Der Weg senkt sich in schönen Windungen zum
Tibertal. Die Ausblicke ändern sich. Links sehen wir
wieder ein herrschaftliches Landhaus, grauer Turmbau
von Pinien flankiert, rechts ein schönes Wiesental mit
einem Pinienhain, vor uns ein Stück Tiber, das einem
See gleicht, dann weiter rechts die langgestreckte gelb-
rote Reitschule von Tor di Quinto und dahinter die
spitzen Linien der duftumflossenen etrurischen Berge.
Man steigt hinunter bis zu dem Punkte, wo sich
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in spitzem Winkel die Straße nach Aqua Cetosa ab-
zweigt. Brevierbetenden Mönchen und Geistlichen,
jungen Seminaristen begegnen wir, welche die Kirche
schon im frühesten Alter in den schwarzen Talar
zwängt.
Aqua Cetosa.
Beim Heruntersteigen glauben wir im Geiste den
gellenden Ruf ,,A—a—qua ceto—o—o—sa‘‘ wieder zu
hören, der uns so oft morgens im besten Schlafe stört.
Auch Goethes gedenken wir, der allmorgentlich von
Porta del Popolo her zum „essigsauren‘‘ pranses
pilgerte. .
Unten an der Tiberbucht empfängt uns lautes
Geschrei. Männer und Kinder balgen sich. Pferde
wiehern, und schöne Esel, die faul im Grase liegen,
schreien melodisch darein. Man bemerkt viele Karren,
die mit großen Körben beladen sind, aus denen un-
zählige kleine Fiaschetti hervorlugen. Rechts steht
eine große offene Rohrlaube, an der Schlingpflanzen
sich üppig emporranken, vor uns ein „städtisches“
Amtshäuslein, das gar nicht in diese poetische Um-
gebung paßt.
Wir sind am Brunnen angekommen, zu dem viele
mit Schlamm und Wasserlachen bedeckte Stufen hinab-
führen. Über den drei Brunnenöffnungen ragt ein
tempelartiger Rundbau, der mit zahlreichen marmornen
Inschrifttafeln prunkt. Eine kündet, daß Papst Alexan-
der VII. (Chigi), der Mann, der als Nuntius den
Friedensverhandlungen nach dem dreißigjährigen Kriege
beiwohnte und später die Kolonnaden der Peterskirche
erbauen ließ, „den Brunnen errichtete“. Den Archi-
tekten nennt aber die Inschrift nicht. Bernini war’s,
SISSIIIIIIISIIICHHITTTHHIITHHITTHTF FT 73
der Meister der Kolonnaden. Andre Tafeln künden,
daß Paul V. (Borghese) und Clemens XI. (Albani) den
Brunnenbau restaurierten.
Das Treiben ringsum ist malerisch. Die Aqua
cetosa genießt ja in Rom geradezu abergläubische Ver-
ehrung, da sie gegen alle Krankheiten feien soll.
Ärmere Leute kommen daher selbst, oder schicken
ihre Kinder, um das köstliche Heilwasser zu schöpfen.
Andre Leute aus dem Volke haben den Transport des
Wassers zur Industrie erhoben, sie füllen Hunderte
von kleinen strohumflochtenen Flaschen, die sie in
der Stadt für einen Soldo verkaufen —. ohne Glas
natürlich, das am andren Tage wieder abgeholt wird.
Ein Mann, der schon bessere Manieren hat, löst
sich jetzt aus der Gruppe der Freunde los; denn er
hat die forestieri erspäht. Diensteifrig reinigt er einige
Gläser, füllt sie am Brunnen, und reicht sie den Be-
suchern, die auf die Frage, wie sie seine Mühe lohnen
sollen, die stereotype Antwort erhalten: „A vostra
buona grazia.“ i
Nachdem wir getrunken, schauen wir uns um und
betrachten die Bäume und Bänke ringsum, die, wie
eine neue Inschrift kündet, Ludwig I. von Bayern im
Jahre 1821 setzen ließ. Dann gehen wir an des Tibers
Rand, dessen gegenüberliegendes Ufer eine Landzunge
bildet, welche die Form einer sabinischen conca (bron-
zenes Wassergefäß) hat. Auf dem linken Ufer ziehen
grüne Hügel bis dicht an den Strom, noch weiter links
taucht der Turmstumpf Tor di Quinto auf, vor uns in
weiter Ferne ragt Castel Giubileo (s. S. 83), das von
hier einem grünen Bonapartehut ähnelt. Rechts gleicht
das Tiberufer einem ausgetrockneten See, zu dessen
Grün die braunroten Bauten des Militärschießplatzes
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seltsam kontrastieren. Ein Gang auf diese Wiese lohnt
sich. Es lohnt sich aber auch, im Garten der Fischer-
osterie „Osteria del Pescatore“ zu sitzen.
Wer jedoch noch schönere Aussicht genießen will,
breche auf und ziehe zur
Villa Glori.
Wir kehren zur Hauptstraße zurück, und gehen
auf dieser stadtwärts in der Richtung zur Via Flaminia
geradeaus, bis rechts ein schnurgerader Weg eine
sanft geneigte Hügelhalde hinaufführt. Man begegnet
Schafherden, in denen die kleinen Schäflein lustige
Sprünge tun. Beim Steigen grüßt links ein Ölhain,
dessen Silberlaub dem Auge wohltut, während seine
zerrissenen Baumstämme die Phantasie reizen, da sie
die groteskesten Gestalten annehmen. Oben erblicken
wir zur Rechten eine rote Säule. Wir klettern den
Grabenrain hinauf, und befinden uns vor einem um-
zäunten Blumen- und Laubgarten. Eine Inschrift an
der Säulenbasis belehrt uns, daß dieser heilige Hain
historisch ist; denn hier kämpften am 23. Oktober 1867
die Gebrüder Cairoli, deren Denkmal jeder Besucher
des Pincio kennt. :
1867! Wie weit scheint diese Zeit des patriotischen
Heroismus hinter uns zu liegen. Garibaldi hatte seinen
Kreuzzug gegen das päpstliche Rom angetreten, der
nur gelingen konnte, wenn in Rom selbst die Revo-
lution ausbrach. Aber die Römer, die damals nicht
gerade sehr wagemutig waren, wiesen auf den Mangel
an Waffen hin. Die beiden Brüder Enrico und Gio-
vanni Cairoli wagten daher mit siebzig Genossen das
tollkühne Unternehmen, einen großen Kahn voller
Waffen in Rom einzuschmuggeln. Aber am Ponte
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Molle wurden sie festgehalten, und es blieb ihnen
nichts andres übrig, als sich auf diesen Hügel zu
flüchten, wo sie von dreifacher Übermacht angegriffen
und halb niedergemacht, halb gefangen wurden. Enrico
fiel zuerst. Während er im Todeskampfe lag, erhielt
sein Bruder von den französischen Zuaven zehn
Bajonettstiche. „Feige Franzosen!“ rief Enrico und
verschied. Giovanni aber starb erst nach einem Jahre.
Außer den beiden starben noch zwei andre Brüder
Cairoli in den Einheitskämpfen, der fünfte, dem der
Opfertod der andren zugute kam, wurde Minister-
präsident.
Wir blicken rund und schauen viel Stullenpapier,
das uns daran erinnert, daß den Sonntag nach dem
dreiundzwanzigsten Oktober Tausende von Römern
hierher zu wallen pflegen, um das Andenken der
„Märtyrer‘‘ zu feiern.
Wir sind aber nicht bloß ihretwegen gekommen,
sondern auch der Aussicht wegen, drum steigen wir
zur höchsten Graskuppe des Hügels. Dort winkt ein
Rundpanorama, wie es selbst Rom, das doch so
reich ist an herrlichen Aussichten, kaum mehr zum
zweiten Male bietet. Besonders schön ist der Blick
nach Norden. Das Tibertal scheint wie von den Armen
einer Riesenzange, links von den Hügeln der Flami-
nischen, rechts von denen der Salarischen Straße zu-
sammengedrickt zu sein, auch gleicht es einem See,
dessen Wasser durch das natürliche Tor abgeflossen
sind, das die bei Castel Giubileo sich nähernden Hügel
gebildet. Blaue Berge schimmern durch dieses ge-
öffnete Tor herein, rechts grüßt der gezackte Monte
Sorakte. Phantastisch wechselt das Licht- und Schatten-
spiel auf den Hügeldämmen rechts und links. Rechts
ERGBLTERSSESOTERTHEN
fast greifbar nahe tauchen die grünen Buckel des Forts
Antenne auf, dann erblickt man den Monte Gennaro,
Tivoli, die Albanerberge und die Türme der Villa
Medici. Von dem tieferliegenden Rom ist nichts zu
sehen, nur die Häuser der Via Nomentana und die
Turmesse des Policlinico werden sichtbar. Weiter
rechts! Welche Überraschung! In feierlicher Majestät
ragt die Peterskuppel hinter den monti Pariöli auf,
befremdend groß, weil auch ein gutes Stück des röt-
lichen Tambours sichtbar wird. Weiter im Kreise uns
drehend, entdecken wir die Cypressenpracht von Monte
Mario, den Ponte Molle, der von hier aus gesehen,
besonders malerisch scheint, die etrurischen Hügel,
das rotgelbe Band der Reitschule, bis wir wieder zum
Felsen von Castel Giubileo zurückkehren, der einem
sich duckenden gekrönten Löwen gleicht.
Aber!... Wir sind allein mit all dieser Pracht.
Noch machte kein Reisebuch auf sie aufmerksam. In
der schweigenden Einsamkeit wird aber Genuß und
Eindruck gesteigert. Doch das Leben von draußen
macht sich trotz der Ferne öfters bemerkbar, munteres
Lachen trägt der Wind aus der Ebene herauf, da-
zwischen trillern Lerchen, blöken. Schafe, und von Zeit
zu Zeit tönt Trompetenschall herüber.
Feierlich gestimmt treten wir den Rückweg an
über den
Arco Scuro.
Der Villa Glori gegenüber biegt links ein Fahr-
weg von der Hauptstraße ab. Nach wenigen Schritten
schon genießt man einen herrlichen Rückblick auf das
Ponte Molle-Gebiet, das rechts von der Villa Glori
' links von den düstern Flanken des Monte Mario
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eingezwängt ist. Während wir weiter gehen, scheint
sich unser Weg zur Sackgasse auszubilden. Vor uns
liegen wellige Hügel, die mit zahlreichen Winzer-
häusern prunken. Nach zehn Minuten betritt man-
einen schmalen, gepflasterten Mauerengpaß, der berg-
an führt, bis auf der höchsten Höhe mit einem Schlage
die Scene sich ändert. Die Straße weitet sich, rechts
und links starren höhere, graugrüne und laubgekrönte
Parkmauern, im Vordergrunde aber leuchtet plötzlich
über einem dunklen Tunnel (arco scuro) die in Gold
getauchte Peterskuppel, die auf einem Pinienpolster
ruht. Das ist ein erlebtes Bild, das gegen Abend
seine Wirkung nie verfehlt, und daher auch immer
von neuem die Maler lockt. Besonders schön fest-
gehalten sah ich diesen poetischen Punkt einst in
einem Bilde des römischen Holländers Romolo Koel-
man. Wie feierlich still es hier ist. Bis hierher dringt
der Tageslärm nicht, nur vereinzelt klingen Abend-
glockentöne herauf.
Der Weg schießt jäh hinunter; nach dem Tunnel
erblicken wir hoch vor uns die Baumsymphonie der
Villa Strohl-Fern, und links die Villa Papa Giulio,
deren ernste Fassade so stimmungsvoll im stillen
Winkel liegt. Ihr gegenüber führt die Straße zur Via
Flaminia und Porta del Popolo.
Wer die monti Pariöli besuchen will, und
Freund italienischer Landschaftspoesie ist, schlage kurz
vor dem arco scuro rechts den Fahrweg ein, der
zur Höhe führt und einen Rundgang auf dem Plateau
gestattet. Die Gegend ist sehr einsam, bietet aber im
Frühling herrliche Ausblicke auf die zahlreichen Gärten
der Land- und Winzerhäuser, die hier oben, trotz der
Nähe der Stadt, doch ihrem lärmehden Treiben ent-
18 3I5IIIIII IT HI IF FF THF FH FH HF FH FF FF FHH
rückt sind, und daher selten von Fremden bestaunt,
ja selbst von den Römern kaum jemals besucht werden.
Nach dem Poussintal und Prima Porta.
(Vor Porta del Popolo.)
Der Ausflug nach dem Poussintal kann bequem
zu Fuß gemacht werden, nach Prima Porta bedarf
es aber schon eines Wagens oder Rades, wenn man nur
einen Nachmittag aufwenden will. |
Vorerst wieder eine Warnung als Vorbemerkung.
Man lasse sich durch den Namen ,,Poussintal‘ nicht
a priori zu der Annahme verführen, daß man die !eben-
den Originale der schönen Landschaften Gaspards
Poussin sehen würde, die man in der Gallerie Colonna
oder dem Museum Doria bewundert hat. —
Ausgangspunkt der Wanderung ist die Scheffel-
osteria am Ponte Molle, die „Osteria dell’ Alleanza“.
Wir wenden uns rechts. Einige Schritte weiter erblickt
man zur Linken die hochgelegene, von Rosen und
Akazien umblihte „Osteria all’ antico Melafumo“,
auch Pincetto (kleiner Pincio) genannt, die uns in die
päpstliche Zeit zurückversetzt. Hier passierte nämlich
ein Pendant zur Geschichte der Waschfrau in Paris,
der es zu viel war, den Bottich zu verlassen, um den
Einzug Napoleons I. anzusehen. Eines Tages hatte
Pius IX. mit dem üblichen Pompe eine Ausfahrt vor
den Ponte Molle gemacht. Dragoner und Nobel-
gardisten sprengten voraus, um dem Volke das Nahen
des Papstes zu melden. Alles sinkt in die Knie, nur
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ein Winzer bleibt ruhig sitzen. „Was tust du?“
herrscht ihn ein Nobelgardist an. „Me la fumo“ (Ich
rauche mir eine), versetzte der respektlose Phlegmatiker
und zeigte auf seine Pfeife. Das Wort machte Glück,
und seit der Zeit hieß der Mann nur noch Melafumo,
und seine Schenke ward berühmt.
Es ist Ende März. Ringsum blüht, sprießt, treibt
es, leuchtet es grün am Saum der Landstraße, oben
auf dem Hügelrand, wo mitten im Sumpfrohrgebüsch
ein gelbes Landhaus winkt. Die Via Flaminia steigt
langsam. Wo diese auf halber Höhe sich nach links
schlängelt, genießt man einen herrlichen Rückblick
auf die Peterskuppel. Nun spendet eine Ulmenallee
Schatten. Auf der Höhe rechts leuchtet mit rosaroter
Fassade als Parodie auf einen antiken Tempel die
Osteria di Tor di Quinto. Man steige neben ihr
auf den Chausseerand zum Zaun, und wird überrascht
sein von dem schönen und weiten Landschaftsbilde.
Vor uns wühlt sich eine Schlucht ins grüne Tal, wo
grüne Sammetwellen wogen. Rechts erblickt man das
Obergeschoß der Albanerberge, das Fort Antemnae
und den Tiber, dann die Aniobrücke an der Via Salaria
mit dem charakteristischen Römergrab. Links leuchtet
das lang hingestreckte goldrote Gebäude der Reit-
schule von Tor di Quinto, die als Stirnschmuck einen
grünen Busch trägt. Plötzlich belebt sich das grüne
Wellenmeer im Tal; denn wir sind in der Rennsaison,
wo die Prüfungen der Reitschüler stattfinden. Blitzende
Fahrzeuge durchschneiden die grüne Flut, eine Equi-
page folgt der andern.
Weiter! Links an einer stattlichen Villa vorbei,
rechts an der Reitschule. Dann stürzt sich die Land-
straße in die Tiefe. Wie doch die Gegensätze nahe
80 9555I5I5I3IIII II II IF IF FF FF II THF HF FF HF FF IH
beieinander wohnen! Eben erblickten wir noch Ka-
rossenpracht, und jetzt schauen wir ein Bild aw
Afrika. Auf dem gerippten grünen Tuffsteinhiigel
rechts sehen wir ein malerisches Dorf aus Rohrhütten,
die elenden Wohnungen halb vertierter Campagna-
hirten. Aber bald wird man abgezogen; denn wie
in einem Wandelpanorama ist schon ein andres Bild
vor unser entzücktes Auge gezaubert, links und rechts
starren grüne kahle Felshügel in den bizarrsten Formen,
gleicht doch einer einer ruhenden Riesenkuh. Und
wieder wird man abgelenkt. Im Automobil rast der
Vater der Stadt, Fürst Colonna, heran, ihm folgen
berittene Carabinieri in Gala, Schutzleute tauchen auf.
Wo die Straße die Ebene erreicht, und der Weg nach
den Tor di Quinto-Wiesen abgeht, halten wir. Aus
dem Tal im Norden glitzert es in allen Farben. Wohl
achtzig Offiziere reiten aus dem Grün hervor. Wie
das Braun und Schwarz der glatten Pferde gegen das
Campagnagrün absticht! Jetzt kommen die Reitschüler
heran. Graue helle Hosen mit gelben, weißen, grünen
und weinroten Generalsstreifen sehen wir, und schwarze
verschiedenfarbig passepoilierte kurze Jackets. Schnei-
dige, schmucke Reitergestalten! Sie verschwinden bald.
Im grünen Talgrund funkeln jetzt goldene Helmspitzen.
Des Königs Leibkürassiere nahen, die mehrere Hof-
wagen eskortieren. Rasselnd ziehen sie vorbei. Die
Königin-Witwe Margherita grüßt mit ihrem bekannten
Zauberlächeln, Königin Elena grüßt auch freundlich,
aber ernster. Und schon ist der Wagenzug ver-
schwunden. Neue Reiter kommen; französische, mon-
tenegrinische Uniformen erblickt man in dem Trupp.
Ihm voran reitet der König, ernst, doch freundlich
nach allen Seiten hin grüßend. Als Reiter „macht
FFFISIFIFITFITIFSIFSFIFSIFIFIFIFTSSS 81
er gute Figur“. Ein neuer Wagenzug folgt. Die
Menge der Neugierigen verläuft sich stadtwärts oder —
fallt in die nachste Osteria ein.
Wir sind wieder allein mit der Campagna. Lang-
sam ziehen wir weiter. Rechts tauchen wieder Wig-
wams aus Rohr und Reisig auf, es folgt eine Brücke,
unter der sich zwei Bächlein vereinen, rechts winkt
im tiefen Schatten die von mächtigen Eukalyptus-
bäumen umrahmte gelbrote ,,Osteria del Ponte‘, die
zur traulichen Rast einladet.
Gegenüber führt durch ein Gattertor ein Weg
geradeaus zum
Poussintal,
das Gaspard Poussins Lieblingsspaziergang war. Einige
Minuten lang kommt man durch Wiesen, dann zeigen
sich links und rechts Hügelzüge. Der letztere ist
kahl, während den andren wolliges Unterholz bedeckt.
Weiter schlendern wir am laut murmelnden Bache
vorbei, an dessen Ufern Tausende der buntesten
Wiesenblumen sprieBen. Poussins Bilder steigen in
uns auf. Doch leider, seit des Meisters Tode sind
Jahrhunderte vergangen, und mit ihnen hat sich leider
auch das Tal geändert. Es ist zum Teil der Land-
wirtschaft nutzbar gemacht. Links und rechts heben
die Kornhalme schüchtern ihre Spitzen aus der er-
wachten Frühlingserde. Wo sind Poussins herrliche
Baumgruppen? Nur am Bachesrand stehen noch
einige; vereinzelte Bäume erblickt man auch auf den
Hügeln, sie gleichen schwarzen Perrücken auf dem
Haubenstock. Der Spaziergang ist also eine Ent-
täuschung für den, der sich Wunderdinge erwartete,
ein Hochgenuß aber für jeden, der elegische Matthison-
Zacher, Was die Campagna erzählt. 6
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stimmungen liebt; denn uns umfangt, langsam und
zagend sich nahernd, wie es die Freundschaft liebt,
die Friedenseinsamkeit, die nur durch das Murmeln
des Baches und das Trillern der Lerche belebt wird.
Nach viertelstündiger Wanderung wird unser Aus-
harren belohnt. Ecco! Da ist sie, die Poussinsche
Landschaft, eine entzückende Gruppe von deutschen
Eichen, von Steineichen und efeuumstrickten Ulmen.
Rechts auf der Höhe überrascht ein „Gehöft‘“, wie die
Reisebücher es nennen, ein Schloß, wie wir es taufen
möchten. Es ruht schweigend, wie es die Würde
seines graubraunen Alters verlangt. Seine mit rotem
Tuch verhangenen Fenster gleichen funkelnden Augen,
gleich als ob es den Fremdlingen zürne, die gekommen,
seine Ruhe zu stören. Glücklicherweise haben wir
diesen ehrwürdigen Zeugen der Vergangenheit noch
auf keiner Photographie, auf keiner Ansichtspostkarte
gesehen, der Genuß der Überraschung ist uns also
gesichert!*) Dieses Schloß allein lohnt den Gang
zum Poussintal.
Hier endet unsere Wanderung. — — —
Plötzlich hören wir melancholisches Singen. Hinter
dem Ufergebüsch des Baches entdecken wir etwa
zwanzig junge Ciociarinnen aus dem Sabinergebirge
mit dem malerischen weiten Rock, dem bunten Mieder
und weißem Kopftuch. Gebückt stehen sie und jäten
mühsam Unkraut aus. Der „Sklavenaufseher‘‘ — Ver-
zeihung, der „guardiano‘‘ leitet in eigener Person die
Arbeit. Und stramm sieht er aus in seiner blauen,
eng anliegenden Amtstracht. — Melancholisch zieht
der Gesang an unserem Ohr vorüber, und einen be-
°) Wer nicht weiter nach Norden will, kann von hier aus dem
Bache folgend, nach Aqua Traversa (s S. 45) ziehen,
FIFFFFFFSFFIFFFFFFFSFFIFFIFFFIFSFFIFS 83
kannten Vers fangen wir auf, den W. Kaden seiner
Zeit also verdeutschte:
„Mein Schatz ist tot, das hat mich nicht gequält,
Ich meinte, daB der Schmerz viel arger wire.
Es stirbt ein Papst — ein andrer wird erwählt.“
Eine andre Stimme aber unterbricht:
„Man sagte mir, ein andrer freie dich,
Ich will ihn töten, ja beim Blute Christi!
Du wirst zur Witwe, zum Banditen ich.“
So geleitet, treten wir den Rückweg zur Osteria
del Ponte an.
Gleich jenseits dieser Schenke, wenn wir die Via
Flaminia weiter ziehen, erfaßt uns neues Staunen.
Eine Miniaturloreley, aber ohne Rhein, starrt uns
trutzig entgegen. Zerklüftet sind ihre Flanken, ihre
Stirne ist schroff. Dort aber, wo ein grüner Kamm
sie mit den Hügeln hinter ihr verbinden, läuft eine
aus Pinien gebildete Raupe.
Weiter! Rechts in der Ferne schiebt sich eine
grüne Coulisse vor, einem riesigen geduckten Märchen-
löwen gleich, der ein silbernes Krönlein trägt. Das
ist Castel Giubileo, das uns in die Zeiten zurück-
versetzt, da wir auf der Schulbank Titus Livius studier-
ten, denn auf diesem Löwen stand einst die alte Stadt
Fidenae. Der Name dieses Ortes erinnert uns an
die Kämpfe, die das junge Rom einerseits gegen Alba
Longa und andrerseits gegen die etruskischen Städte,
namentlich Veji und Fidenae, führen mußte. Veji
hatte sich mit letzterem verbunden, um den Römern
6*
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die Ausbreitung im oberen Tibertale zu erschweren,
zugleich aber wollten beide abwarten, bis Römer und
Albaner sich in langem Streite gegenseitig geschwächt
hätten, um dann über beide herzufallen. Mettus
Fuffetius, der Albanerfürst, welcher, wie es scheint,
sich schon damals auf Weltpolitik verstand, durch-
schaute den schönen Plan, und wurde so genötigt,
mit den Römern in Unterhandlungen zu treten, die
zu dem Kampfe der drei Horatier und Kuriatier
führten.*) Das Jahr darauf zogen Römer und Albaner
geeint gegen Fidenae. Während der Schlacht nahm
Mettus Fuffetius als echt italienischer Schlaukopf
(furbo) eine abwartende Haltung an, da er sich auf
die Seite des Siegers zu schlagen hoffte. Der Römer-
könig Tullus Hostilius schrie den Seinen zu, daß die
Albaner in seinem Auftrage die Feinde zu umgehen
strebten; das ermutigte die Römer, sie stürmten von
neuem an und siegten, worauf Mettus Fuffetius die
fliehenden Feinde mit ostentativem Eifer verfolgte.
Am folgenden Tage ließ Tullus Hostilius, der die
Politik des „a corsaire corsaire et demi‘‘ verfolgte,
beide Heere zur Tagung antreten. Während die
Albaner unbewaffnet waren, trugen die Römer die
Waffen unter den Kleidern versteckt. Sie umzingelten
die wehrlosen Verbündeten und nahmen ihren König
gefangen, der darauf zur Strafe durch vier Pferde
gevierteilt, während seine Hauptstadt Alba Longa zer-
stört wurde. Fidenae setzte trotzdem den Widerstand
fort. Ancus Marcius, der Nachfolger des Tullus
Hostilius, eroberte es zwar vorübergehend, aber erst
426 v. Chr. wurde es durch den Diktator Quinctius
Pennus vollständig unterworfen. Es bestand noch bis
*) Siehe die darauf bezüglichen Fresken auf dem Kapitol.
KIITIITIITIIIIIIUUTIET UI IE UT I I UT TI 2 85
zum siebenten Jahrhundert nach Christus. Genannt
wird die Stadt nur noch einmal in dieser langen Zeit,
nämlich unter Tiberius, als eines Tages ein hölzernes
Amphitheater einstürzte und 50000 Menschen be-
grub. — — —
Doch es drängt uns weiter. Das dem Castel
Giubileo gegenüberliegende Hügelkap, das mit dem
ersteren die Pfeiler eines offenen Tors bildet, durch
welches die blauen Berge Etruriens hindurchschimmern,
zieht uns jetzt an. Rechts taucht der Kopf des Fürsten
des Sabinerlandes, des Monte Gennaro, auf. Die Hügel
zur Linken nähern sich der Straße. Sie sind bewaldet.
Ab und zu zeigen sich kleine Spitzkegel mit Turm-
ruinen. Dann, etwa acht Kilometer von Ponte Molle
entfernt, erblicken wir die neue Tiberbrücke.
Das Flußufer wird malerischer. Wie der Rhein
unterhalb Boppards im Kreise fließt, und so auf dem
gegenüberliegenden Ufer ein hufeisenförmiges Stück
Land abzirkelt, so macht es hier auch der Tiber. In-
mitten dieses grünen Hufeisens trotzt das Burggehöft
Castel Giubileo, doch vergebens spähen wir nach
den Ruinen von Fidenae, das spurlos verschwunden ist.
Das Schloßgehöft erinnert uns an — hm? — ja an
das Jubeljahr von 1900, als es viel genannt wurde.
Im ersten Jubel- oder heiligen Jahre (anno santo)
von 1300 waren so reiche Pilgerspenden eingegangen,
daß Papst Bonifaz VIII. (Gaetani), der von Dante ver-
fluchte Feind der Colonna, sehr viele Ländereien, und
mit ihnen auch dieses Castellgebiet kaufen konnte, das
daher den Namen Jubelkastell erhielt.*)
Wie gesagt, das Tiberufer ist schön, von hohen,
*) Siehe, Aus Vatikan und Quirinal. (Bilder aus dem Neben-
einanderleben beider Höfe.) S. 169.
80 33II3I3I3II III IF II TE II FH I 33T II FF 5FFH
langästigen Bäumen besetzt. Wir passieren nun einige
Steinhäuser, die halb in den Fels gebaut sind, und
kommen zum Bach Valchetta. — Wiederum klopft
Titus Livius an das Tor, das den Schatz unserer Schul-
erinnerungen verschließt; denn der alte Name dieses
Baches Cremera erinnert uns an Veji und an die
Kämpfe zwischen der Plebs und den Patriziern im
alten Rom. 476 v. Chr. hatte der sozialistische Ab-
geordnete (Volkstribun) Spurius Cassius den Antrag
eingebracht, daß die Plebs Anteil an den Staats-
domänen haben sollte. Die Aristokraten antworteten
auf Drängen ihres mächtigsten Clans, dem der Fabier,
die jahrelang stets einen Konsulposten für sich reser-
viert hatten, indem sie den Tribun als einen ehr-
geizigen Streber verdächtigten, der nach der Königs-
würde strebte. Und so wurde er von Rechts wegen
durch Hinrichtung an weiterer Nörgelei gehindert.
Bald nachher bereuten die düpierten Plebejer ihre
Dummheit und protestierten durch einen Waffenstreik
mitten in einem Treffen gegen die Vejenter, als diese
von der patrizischen Reiterei Roms schon halb besiegt
waren. Um den Schaden gut zu machen, beschlossen
die Fabier 479, nach dem bewährten Grundsatz, wo-
nach man innere Fehden am besten durch eine Aktion
anch außen paralysiert, den Krieg gegen Veji zu einem
chronischen zu gestalten. Sie selbst aber gingen mit
gutem Beispiel voran, und lagerten sich, dreihundert-
undsechs Mann stark, vor Veji. Zwei Jahre hielten
sie sich, aber 477 wurden sie am Bache Cremera in
einen Hinterhalt gelockt und alle niedergemacht. Der
Tag dieser Niederlage wurde als Unglückstag (dies
ater) proklamiert, und das karmentalische Tor, durch
welches die Fabier in der Nähe des Kapitols die Stadt
SSISSISISSSSFISIIFSISISFSIIS SF IF 5 I FF IH $FHH 87
verlassen hatten, zum Zeichen der Trauer geschlossen.
Nur ein noch nicht waffenfähiger Jüngling, der in der
Stadt zurückgeblieben war, rettete das Geschlecht
der Fabier vor dem Untergange, das später durch
Fabius Maximus Cunctator, den Besieger Hannibals,
nochmals berühmt wurde. Auf diesen berühmten
Fabier leitet der jetzige Principe Massimo, dem wir
auf dem Pincio begegneten, seinen Ursprung zurück4 —
Einige Schritte nach dem Fluß Cremera kommt
man zu einer malerischen Osteria la Celsa, die an
einen grauen 6lbaumbesetzten Tuffsteinklotz angelehnt
ist. Sie stellt einen turmähnlichen Bau dar, dessen
Seiten x-beinig auseinanderlaufen. Ihre Farbe ist grau,
doch zieht sich in ihrer Mitte ein weißes Band von
oben nach unten. Rechts von der Türe steht eine
Rohrlaube, darinnen ein alter Altaropfertisch antike
Stimmung hervorruft. Links von der Türe befindet
sich ein Brunnen, und hinter dem Hause erblickt man
in den Fels geschnittene Kellergrotten.
Wir treten ein. Es lohnt sich schon, diese alte
charakteristische Campagnakneipe zu sehen. Mehrere
Stufen führen in den viereckigen, steinkastenförmigen
Hauptraum, den ein verräuchertes Tonnengewölbe
deckt. Rechts vom Eingang glimmt ein knorriger
Riesenholzblock im hohen Kamin. Die freundliche
Wirtin kommt und fragt nach unserem Begehr.
Während sie Wein holt, mustern wir das „ambiente“
(Milieu), das an holländische Interieurs à la Teniers
erinnert. Zwei ungeschlachte Landarbeiter spielen mit
schmutzigen Karten, der Puffton aneinanderschlagender
Kugeln verrät, daß sich ihre Genossen draußen mit
dem Bocciaspiel vergnügen. Möbel zeigt die Schenke
wenig, auch Schmuck nicht, nur prangt an der Wand
88 3IIIIIIIFSIFTI FF FF FT F FI THF HI TF HS FFFH
ein buckliger Zwerg (der Buckel gilt den Römern als
glückbringend) im blauen Frack und roter Hose, und
daneben steht in blauer Schrift: „Quando il gobbo
canterà, allor credenza si farä.‘‘ (Singt der Bucklige,
dann wird Credit gegeben.) Noch einen andren
Schmuck erblicken wir, ein Bündel trockener Farren-
kräuter, das von dem quer durchs Zimmer laufenden
Balken herabhängt. Die Wirtin bemerkt unsern fragen-
den Blick. „Das ist die Fliegenfalle,“ erklärt sie,
„wir tun etwas Süßes hinein, und wenn sich genug
krabbelndes Fliegenzeug angesammelt hat, stülpen wir
von unten einen Sack drüber und fangen die ganze
Gesellschaft.‘ —
Wein, Brot und Eierkuchen sind vorzüglich. Frisch
gestärkt ziehen wir weiter.
Es . folgt ein neuer Bach. Die Gegend hat fast
ganz deutsches Aussehen. Geradeaus bildet die wieder
ansteigende Straße einen Hohlweg, links von ihr ist
eine Baumgruppe, rechts steht auf grünem Kegel ein
brauner viereckiger Turmstumpf. Geradeaus grüßt
eine moderne Zinnenburg in toskanischem Trecentostil.
Wir sind am Ziel. Links liegt der Gutshof:
Prima Porta.
Der Name kommt von zwei zertrümmerten Tor-
pfeilern her, die einst hier standen, wo nach G’sell
Fels schon zu Ciceros Zeiten eine Osteria sich befand.
Wir nehmen den Führer und steigen mit ihm rechts
auf den Tuffsteinhügel, wo wir einen halb offenen
Schuppenbau erblicken, dessen Dach die Reste der
Villa Livia ad gallinas albas schützt.
Diese Villa, auch Villa Vejentina, oder Villa der
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Casaren genannt, wurde von des Kaisers Augustus
Gemahlin Livia erbaut, deren Stadthaus auf dem Palatin
ebenfalls heute noch zu sehen ist. Den Namen ad
gallinas albas (zu den weiBen Hennen) hat die Villa
von einem Wunder, das Suetonius erzählt. Das Haus
der Julier hatte ja die Wunderfabrikation zur Er-
höhung seines Prestiges zum System erhoben, wie
es sich auch durch die ,,Aeneis des Virgil göttlichen
Ursprung andichten ließ. Livia fing eines Tages einen
Adler, der eine weiße Henne in seinen Fängen trug.
Die gerettete Henne wuchs und mehrte sich, des-
gleichen ein Lorbeerzweig, den sie in ihrem Schnabel
getragen; er wurde eingepflanzt, und aus ihm entstand
ein Wald, der den späteren Kaisern die Lorbeerkränze
zu ihren Triumphzügen lieferte. Jetzt ist der Lorbeer-
wald verschwunden, ebenso wie seine Herren, die
Cäsaren. An deren Stelle traten die Päpste und die
römische Kirche, und wie diese an jene Stelle traten,
das erfährt man von dem Führer. Fragt man ihn
nach den Besitzern des weiten Gebiets rings herum,
so glaubt man, wie im Märchen vom gestiefelten
Kater, die Antwort zu hören: „Alles Land gehört dem
Grafen von Carabas.“ Alles Land, das im Nord und
Süd das Tibertal füllt, gehört dem Domkapitel von
Sankt Peter oder andren großen Kirchen.
Doch der Führer steigt jetzt eine Treppe hinab,
und wir betreten zwei Zimmer, die das Erdgeschoß
der ehemaligen Villa bildeten. Das größere zeigt
an den Wänden einen gemalten Garten, der merk-
würdig gut erhalten ist. Die ganze südliche Vege-
tation marschiert in ihm zur Parade auf. Schade, daß
nicht mehr von der alten Pracht vorhanden ist. Die
berühmte Augustusstatue, die einst hier prunkte,
00 $3399999999999959935 35;
schaffte man nach ihrer Auffindung im Jahre 1863 in
das vatikanische Museum... .
Nun steigen wir aus dem Garten der Vergangen-
heit wieder zu dem sonnendurchglihten Garten der
Campagna von heute hinauf, und genieBen in einem
großartigen Gesamtüberblick als ein Ganzes alle die
schönen landschaftlichen Einzelheiten, die wir auf
unserer Wanderung nacheinander kennen lernten.
Mitten im Genusse muß ich aber immer an das
Domkapitel von St. Peter denken, dessen Canonici so
reiche Einkünfte von der Arbeit der Campagnasklaven
beziehen, — und an den Fluch der Latifundienwirt-
schaft. —
Während wir vom Hügel heruntersteigen, erinnert
uns der Führer daran, daß einige Schritte jenseits der
Osteria eine rote Felswand aufragt, welche alle Touristen
bestaunen. Folglich tun auch wir unsere Pflicht; denn
diese rote Wand (Saxa rubra) ist eng verknüpft mit der
Geschichte des Ponte Molle, da sich hier die Ouvertüre
zur Konstantinsschlacht abspielte. Maxentius, der wider
Willen aus Rom ausgezogen war, traf hier im Vor-
postengefecht zum ersten Male auf den Feind, der
ihn zur milvischen Brücke zurückwarf.
Auf der Rückkehr nehmen wir, am Eingang zum
Poussintal und an der Osteria del Ponte angelangt,
den Weg zur Linken, durch die Wiesen von Tor di
Quinto, um eine Abwechslung zu haben. Wir passieren
rechts die Schießschule, links den Rennplatz, genießen
den herrlichen Blick auf St. Peter und ziehen an der
Tor’ di Quinto vorbei, der gegenüber jetzt ein Stein-
FFSFFFFTIFFTFSFFFFFFFIFFSFFIFSFIFFFIFIFS 91
bruch in Angriff genommen wurde, und kommen durch
eine schöne Allee zum Ponte Molle zurück.
Über Monte Mario nach der Storta und Veji.
Auch dieser Ausflug ist fiir Rad- und Wagen-
fahrer in einem Nachmittag bequem ausführbar, voraus-
gesetzt, daß man darauf verzichtet, die ganze Stätte
des alten Veji archäologisch gründlich und gewissen-
haft zu erforschen. Da aber die wenigsten Rom-
reisenden amtlich zu wissenschaftlichen Studien ver-
pflichtet sind, so genügt denen, welche hauptsächlich
nur römische Landschaft genießen wollen, ein
Nachmittag vollauf. Vorbedingung ist freilich früher
Aufbruch.
Am lohnendsten ist der Ausflug Mitte April und
im Mai.
Historisch empfindende Reisende tun gut daran,
nach Veji erst zu wandern, wenn sie schon den
Albanersee und Prima Porta besucht haben, weil dies
die drei bemerkenswertesten Stätten sind, die mit der
Geschichte der letzten Vejenterkriege verknüpft sind.
An einem schönen Maientage besuchte ich Veji.
Es ging ein frischer Wind, der Himmel war wolken-
los und festlich, als feiere auch er ein Jubiläum.
Diese klare blaue Himmelsheiterkeit wirkt auf den
Besucher zurück, seine sonnigen Augen betrachten
unwillkürlich die Schönheit ringsum nur mit Feier-
tagsbrille. - |
Die Reise beginnt an Ponte Margherita (s. S. 49).
Dort, wo wir die Stadt verlassen, an dem elenden
92 IIIIITT HIT TH TI TH TFT HT TTTTTTTTFTTTHE
Holztor unter der Vatikanburg schaut heute selbst die
zum Markte gewandelte Straße trotz ihres Schmutzes
malerisch aus. Auf niedrigen, viereckigen Kistenkarren
werden Kirschen, frische Bohnen und der von Goethe
gelobte saftige Lattich ausgeboten, der wie die fava
fresca roh gegessen wird. Dazwischen sehen wir die
mit Mauleseln bespannten roten Karren der Nettezza
Urbana (N. U. = städtische Reinlichkeit). Wir retten
uns aus dem lebhaft wimmelnden Volkstreiben und
ziehen rechts längs der Holzwand, welche die hier
fehlende Stadtmauer ersetzt, um den Stadtschmuggel
zu hindern, und gehen dann geradeaus. Haben wir
die Häuserreihe mit ihren Baukrachruinen hinter uns,
so erblicken wir links ein mit vielen großen Essen
und Ziegeleien besetztes Tal, das „Höllental‘‘ (valle
dell’ Inferno), als nächsten Nachbarn des Vatikans.
Diese Hölle ist aber segenbringend; denn ihre Ton-
erde ist so vorzüglich, wie die beste etrurische, welche
die bekannten antiken Vasen lieferte. Weiter schrei-
tend, erblickt man links den hohen malerischen Viadukt
der Eisenbahn, die nach Viterbo führt. Rechts und
links folgen jetzt Osterien, die den süßen Rotwein
Aleatico anpreisen. Besonders aber sticht uns eine
ins Auge, die Osteria del Falcone, ein mächtiger alter
Bau. Ein Gruß vom Lande nähert sich uns, ein von
weißen Ochsen gezogener, hochräderiger, roter Karren.
Auf beiden Seiten der Straße zeigen sich aber Be-
weise römischer Gemütlichkeit: Gruppen von Schlä-
fern, die den Straßengrabenrain zum Divan der Siesta
erwählt. Niemand stört sie; denn der Schlaf ist den
Römern heilig. Noch gemütlicher gibt sich ein Ar-
beiter, der ungeniert in Gottes freier Natur sein Hemd
wechselt.
SISIIIITTTTTITITTIHTITTCHTHTHHHT HIHI IHHSHH 93
Dort, wo die Straße ansteigt und sich zur Allee
wandelt, zeigen sich neue Osterien mit schönen
Holunderlauben. Wie wohltuend der Schatten der
Bäume links und rechts! Die Erinnerung an die
Alleen von Homburg, Wiesbaden, Baden-Baden wird
wach. — Je mehr sich die Straßenschlange empor-
windet, desto häufiger werden die schönen Ausblicke
auf den Pincio, S. Peter, die Engelsburg, die Vatikan-
gärten mit dem Rieseneierbecher der Sternwarte. Auch
den Janiculus erblickt man, der freilich von hier aus
stark zusammengequetscht erscheint. Er erinnert uns
daran, daß auf ihm die Etrusker mit ihrem Könige
Porsenna sich zuerst der Stadt Rom näherten, und
die Sagen von Horatius Cocles, Mucius Scaevola und
Cloelia, der tapferen Schwimmerin, ruft er uns ins
Gedächtnis zurück. Doch bald zieht die mächtige
Klosterburg der Benediktiner auf dem Aventin heraus-
fordernd unsere Aufmerksamkeit auf sich.
Weiter! Wie das Grün der Pinien auf dem Monte
Mario vor uns leuchtet und funkelt. Bald passieren
wir die Kirche Maria del Rosario (s. S. 63) und
beim dritten Kilometerstein eine Villa, der gegenüber
die Straße sich gabelt. Rechts führt der uns be-
kannte Weg nach Aqua Traversa, links zieht die Via
Trionfale. Im Vordergrunde taucht der spitze Gipfel
der Rocca Romana vom Braccianosee auf und die
Kirche des Dorfes San Onofrio. Dann stürzt sich
die Straße ins Tal. Hinab, hinauf, und wir sind im
Dorfe, wo wir rechts eine Reihe aneinandergeklebter
feuerrosenrot-gelblicher Kastenhäuser sehen, zu denen
senkrecht zur Straße eingemauerte Freitreppen hinauf-
führen, die gerippten Kufen gleichen. Natürlich stellen
sich auch wieder Osterien in Rosakleidern ein, links
94 FFFFFFFFSFFIFISFIFFFFFIFFFFFIFFFFFS
sieht man einen rohen Bau, der einem primitiven
Tempel mit plumpen Pfeilern gleicht: das Wasch-
haus.
Hinter dem Dorfe folgt rechts das Fort Trionfale.
Der Wind setzt stärker ein und frischer. Wir haben
die Höhe des Hügelrückens erklettert, die wir jetzt
auch nicht mehr verlassen. Links ragt aus frischem
Grün eine weißlich gelbgraue Zinnenschloßvilla her-
vor. Hinter ihr genießen wir nach Südwesten einen
köstlichen Blick auf die in blauem Duft verschwim-
mende Campagna, die sich nahe dem Meer im Nichts
verliert.
Beim fünften Kilometer umgibt uns auf allen Seiten
Weideland. Kuhglocken ertönen, wie auf der Alm,
Herden, von Hirten im zottigen Lammfellkleid be-
hütet, zeigen sich ringsum. Am Wegrand sitzt ‘ein
alter Hirtengreis und schneidet sich soeben aus einem
alten Lammfell eine Hose zurecht. Wenige Schritte
weiter, gegenüber dem Zwölfkilometerhäuschen der
Eisenbahn, die uns jetzt begleitet, eröffnet sich senk-
recht zur Straße eine tiefe bewaldete Schlucht, die
in einem köstlichen Blick auf den Monte Gennaro
endet. Ähnliche Schluchten kommen jetzt links und
rechts, die schöne Ausblicke, aber stets wechselnd
zeigen, bis wir etwa nach dem zehnten Kilometer in
die gepflasterte Via Cassia antica einmünden, die von
Ponte Molle kommt. Rechts sehen wir einige halb
verschlafene Bauernhäuser, links winkt, ein Rest aus
alter Zeit, ein schmaler, viereckiger, brauner Ruinen-
turm, über welchem ein Raubvogel majestätisch seine
Kreise zieht. Wie der Bursche zur einsamen Cam-
pagna paßt! Rechts drängen sich jetzt die Hügel
von Ronciglione und Formello auf, die sich auf den
SIIISIIHIHHTTIHHTET II HHHTIT THF FF TF TFT FEN
ersten Blick als eine verkleinerte Ausgabe der Albaner-
berge darstellen. —
Nach einer Viertelstunde erreichen wir:
die Storta,
die letzte Poststation zu alter Zeit. Der Ort besteht
nur aus wenigen Häusern. In der ,,Osteria della
Stazione“ halten wir Rast. Freundlich ist sie, aber
auch schmutzig malerisch, sie hat eine Pfeilerhalle
vorgebaut, die einem verpfuschten Triumphbogen aus
Travertin gleicht. Die Seitenbogen sind ausgefüllt
mit einladendem, schattenspendendem Schlinggrün.
Viel bietet sie nicht, die gute Schenke, aber Wein,
Gazosa, Eier, Schinken und Brot liefert sie schon. —
Verschiedene Reisebücher melden, daß der Weg
nach Veji schwer zu finden sei, wahrscheinlich, weil
ihre Verfasser von der Eisenbahnstation (s. unten)
herkamen. Von unserer Osteria aus aber ist der Weg
nicht zu verfehlen.
Geht man von ihr in der Richtung nach Norden
weiter, so findet man draußen vor dem Ort, daß die
Straße sich gabelt. Man halte sich rechts und
folge dann nach wenigen Minuten dem ersten Fahr-
weg, der ebenfalls zur Rechten abbiegt. In bewaldetem
Talkessel geht es langsam — und unterhaltsam hinab;
denn zu unserer Überraschung zeigen sich plötzlich
die edlen Linien des Sabinergebirges mit dem hellen
weißen Streifen von Tivoli. Herrlich wirkt der Kon-
trast ihres leuchtenden Blaus mit dem gleißenden Grün
ringsum. Bei der nächsten Wendung naht uns wieder
eine freundliche Überraschung: auf isoliertem Kegel
erhebt sich eine mittelalterliche Veste, trutzig, vier-
schrötig, aber trotz ihrer Schwere doch gefällig. Sie
III IT TH FH HIHI HT TH HH TI TH SH HH THF TH
bildet mit den Häusern, die sich Schutz suchend um
sie geduckt haben, den Ort
Isola Farnese.
Im Mittelalter, als sich die römischen Barone unter-
einander und mit dem Papst und Roms Bürgern
herumschlugen, bildete Isola Farnese den Stützpunkt
der Rospigliosi, dann kam sie in den Besitz der Far-
nese, deren Nachfolger die Könige von Neapel wurden,
und jetzt gehört sie dem Marchese Ferraiuoli, der
auch einer der größten Besitzer in den pontinischen
Sümpfen ist. Wir gehen zunächst noch weiter hinab,
dann wieder steil hinauf, und um die Burg herum
und durch den Ort in den Schloßhof, der durch seine
stille Schönheit und durch seltsame Kasten vor Tür
und Fenstern überrascht, die größeren Drahtgeflecht-
schränken ähneln, wie man sie braucht, um Speisen
vor den Fliegen zu schützen. Sie schützen gegen die
Fiebermücken; denn hier herrscht im Sommer die
Malaria, die jedoch seit Grassis Entdeckung von ihrem
Schrecken viel verloren hat. Schauen wir vom Portal
der Burg in die Landschaft, so entzückt uns das
herrliche Tal im Vordergrunde mit seinem sprühenden
Wald von Edelkastanien. Bald erscheint auch der
Kustode und prüft mit schnellem Blick, ob wir Ge-
lehrte, Antiquitätensammler, oder nur simple Touristen
scheinen; denn im ersteren Falle müßte er mehrere
Stunden laufen, und das tut kein Römer gern, im
zweiten würde er uns seinen Schuppen zeigen, wo
er durchaus, zweifellos und wirklich echte Schätze
aus vejentischen Gräbern feilhalt. Da wir aber nur
landschaftfreudige Wanderer sind, so begnügt er sich
damit, uns den Gang zur Mühle zu empfehlen, den
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er auch durch einen seiner Angehörigen weisen lassen
kann; „denn,‘“ so sagt er, „in Veji selbst ist nichts
zu sehen, man hat ja nur das Bewußtsein, daß man
jetzt dort spazieren geht, wo einst die Stadt stand.
Wenn Sie aber wollen, zeige ich Ihnen alles, aber es
ist sehr weit und lohnt nicht.‘‘*) Nun, wir glauben
ihm; denn er hat im Grunde recht. Nur wer sehr
viel Zeit hat, und viel Verständnis für schweigende
Landschaftspracht, möge die ganze Stadtfläche um-
wandern, dann genügt ihm aber ein Nachmittag nicht.
Übrigens lohnt der Gang zur Mühle allein schon die
Fahrt.
Wir kehren ein Stück des Weges, den wir ge-
kommen, zurück, und biegen unterhalb der Burg rechts
in einen Waldweg ein, der einem Laubtunnel gleicht.
Köstliche Frische umfängt uns in dieser von mächtigen
Haselnußstauden umstandenen Tuffsteinschlucht, die
uns fast deutsch anheimelt. Silberweiß gesprenkelte
Stämme von Edelkastanien tauchen bald aus einem
Meer von Farren auf. Plötzlich rauscht es zur Rechten.
Wir treten neugierig lauschend an die Wegbrüstung
und erblicken tief unter uns ein zerrissenes Flußbett,
das die Erinnerung an das Ilsetal im Harz wachruft.
Allmählich wird dieses Schluchtenbett romantischer,
wilder, italienischer, und ähnelt mehr dem Aniotal
bei Tivoli. Immer tiefer steigend, kommen wir an
die kleine weiße Mühle. Und stärker rauscht es.
Der Führer zeigt nach rechts, und nun merken wir erst,
daß wir zu Häupten eines ganz respektablen Wasser-
falls stehen, der namentlich durch seine Umrahmung
von Steineichen das Entzücken eines jeden Landschafts-
*) Die Etruskergräber von Cervetri im Westen von Rom oder
die von Orvieto, Chiusi und Perugia sind viel lohnender.
Zacher, Was die Campagna erzählt. 7
98 335553533 I III FF FF FF FH FH FF IH FF FF FH FF FH
malers bildet. Der Bach Formello ist es, der hier
so tolle Sprünge macht.
Jetzt blicken wir in die Höhe. Trotzig wie ein
Wall ragen Tuffwände auf, es sind die natürlichen
Fundamente, auf denen die Mauern des alten Veji
standen. Versunken und vergessen! Nichts zeugt
mehr von der alten Pracht des „römischen Troja“,
um das die alten Römer ihre Ilias zu dichten ver-
suchten, um ihren Erfolg zu erhöhen. Hier also kämpf-
ten die Römer von 405—396 v. Chr., zehn Jahre lang,
wie die Griechen vor Ilion, bis sie erst durch die List
des Camillus siegten, der einen Stollen unter der
Stadt her bis in deren Haupttempel trieb, weil die
Prophezeiung ging, nur der würde gewinnen, der da-
selbst ein bestimmtes Opfer darbrächte.
Ist noch Zeit vorhanden, so lasse man sich vom
Führer noch zum Ponte Sodo führen, wer aber
vorzieht, auf dem Rückwege auf der Via Cassia das
Panorama von Rom bei Sonnenuntergang zu genießen,
breche lieber auf, nachdem er im Orte selbst noch
einen Blick auf die Kirche und die äußere Ringmauer
getan, oder in der gegenüberliegenden Schenke zur
Ulme gerastet hat. —
Via Cassia.
Man kehrt zur Storta zurück und ziehe von dort
aus immer geradeaus. Gleich nach der Stelle, wo
die Via Trionfale rechts abbiegt, zeigt sich ein herr-
licher Blick auf Sant Onofrio, Fort Trionfale und die
diesem benachbarten Landhäuser. Bald darauf wird
die Gegend zu einem freien Podium, von dem man
abwechselnd zu beiden Seiten in malerische Wald-
schluchten hinabblickt, oder in der Ferne das Sabiner-
FFFFFFSFFFFFFFFFFFSFFFFFFIFFSIFFIFSS II
gebirge schaut. Später taucht auch das Albanergebirge
auf, auf welchem Frascati in der Pracht der rot-
schimmernden Abendtoilette mit dem neidisch er-
blassenden Tivoli zur Linken wetteifert. Die Schön-
heit des Panoramas steigert sich von Minute zu Minute;
man kann das Staunen der früheren Rompilger nach-
fühlen, denn jetzt liegt sie vor uns, die ewige Roma,
soweit sie auf den Hügeln thront. Wie das glitzert,
flimmert, brennt und glüht in der Abendbeleuchtung!
Den Schluß der sich steigernden schönen Blickserie
bildet aber die Höhe über dem Tal Aqua Traversa,
wo sich die Straße in steilstem Schraubengange in
das Tal hineinbohrt; denn nun taucht plötzlich die
Peterskuppel auf.*) Ihr stahlblaues Seidenkleid flammt
und funkelt, als sei es von Tausenden von Diamanten
und Rubinen bedeckt. Kaum vermag man sich los-
zureißen.
Bald kommt man in den Kessel des Tals, und hat
das Gefühl, als ob man bei einem Feste im Hause
eines Großen, dem Lichterglanz des Ballsaales ent-
flohen, Ruhe und Kühle im Schatten des Wintergartens
finde. Traulich umschweben uns die Fittiche der
stillen Dämmerung. Weiche Düfte entsenden Wiesen
und Bäume, leise murmelt der Bach längs der Zeile
der üppig grünen Maulbeerbäume Wir biegen in
die Via Cassia nuova ein (s. S. 47), kommen zur Via
Flaminia, und kurz vor Ponte Molle grüßt uns wieder,
aber diesmal ernster, feierlicher, die Kuppel von Michel
Angelos Dom.
*) Siehe Gaudy’s ,,Venezianische Novellen“, wo er die Ge-
schichte der reisenden Engländerin erzählt.
7*+
10 HI5IIII I I I II FF HH FF FF HT TH TFT TFT TFTFTH TH
NB. Man kann den Ausflug nach Veji auch mit der
Eisenbahn Rom-Viterbo machen, doch ist der Aus-
flug mit Wagen für zeitarme Reisende vorzuziehen,
da die Verwaltungen der römischen Eisenbahnen noch
so vorsintflutlich sind, daß sie noch nicht zu wissen
scheinen, daß zur Fremdenindustrie auch Erleichterung
des Verkehrs durch Vermehrung und Verbilligung der
Fahrgelegenheit gehört.
Via Salaria.
Dieser Ausflug ist ebenso interessant fiir den
Freund der vorchristlichen Geschichte Roms, als für
den christlichen Archäologen. Für den Landschafts-
pilger jedoch dürfte sich nur der erste Teil bis zur
Aniobrücke lohnen, da er die gleiche Gegend auf der
Fahrt nach Prima Porta in reicherer Abwechslung
genießt.
Der Besuch der Via Salaria beginnt an dem gleich-
namigen Tor, zu dem man am besten von der Via
Settembre gelangt. Die alte Salaria (Salzstraße) führte
und führt noch heute über Rieti durch das Sabiner-
land in das Land der Picener und zu deren schöner
Hauptstadt Ascoli Piceno, und von dort zum adria-
tischen Meer. Sie erschloß dem Verkehr landschaftlich
reizvolle Gegenden. Wer jemals ihren letzten Ab-
schnitt sah, dort, wo sie jenseits des Monte Vettore
aus den Apenninen heraustritt, und das vom Tronto-
fluB bespülte Ascoli Piceno berührt, wird die schöne
Straße nie vergessen. —
FFFFFFFFFIFFFFIFSFIFFFFFIFFIFFFSIIFTSS 101
Vor dem salarischen Tor schauen wir die Reste
eines alten Römergrabes, auch erinnern wir uns, daß
hier zahlreiche Kämpfe zwischen den Ostgoten und
den Byzantinern unter Belisar stattfanden.
Wir überschreiten die Ringstraße und betreten ein
schmutziges Vorstadtviertel, das fast ganz ländlichen
Charakter hat. Rechts erblicken wir über den Mauern
Lärchen und Pinien, links drängt sich Osterie an
Osterie, geschmückt mit laubhüttenähnlichen Vorbauten.
Die erste Querstraße links führt zu dem riesigen
Velodrom, das freilich selten genug Gäste sieht.
Rechts gegenüber drängt sich ein hohes eisernes Gitter-
tor auf, durch das wir zunächst nur eine Reihe von
kunstvoll gestutzten Buchsbaumcoulissen sehen, dann
aber tauchen Fächerpalmen, Bambusstauden, und zu
ihren Füßen viele antike Marmorsarkophage auf, und
weiter im Hintergrunde eine Gruppe von Riesenpinien,
die gewissermaßen eine offene Kuppelhalle bilden.
Hinter ihnen links schimmert ein gelbroter Palazzo
hervor; denn wir stehen am Eingang der leider ver-
schlossenen Villa Albani, die nur den Bevorzugten
offen steht, die direkte Empfehlungen an ihren Be-
sitzer, den Principe Torlonia, haben. Juristische Gründe
waren es, die diesen Patrizier zur Schließung der Villa
zwangen, da zu befürchten stand, daß durch zu liberale
Freigebung von Park und Museum sein Besitzrecht
gefährdet werde. Mit einem Gefühl des Bedauerns
betrachten wir das verbotene Paradies, und entdecken
jetzt erst, daß über seiner wundervollen Gartenpracht
der Monte Gennaro hervorlugt.
Auf unserer weiteren Wanderung passieren wir
wieder neue jämmerliche Zeugen des Baukrachs der
achtziger Jahre. Zum Glück winkt links der große
102 3I3III II II IT IF FF FF FT TFT HT THF HT FT FH F 5
freundliche Osteriengarten der Villa Ciampi mit seinen
Riesenlauben. Die Straße wird enger. Grell bemalte
Häuser kommen zudringlich heran, und bald erhält
die Salaria wieder den echt italienischen Charakter,
den wir, da unser Auge durch so viele Italienbilder
verwöhnt ist, in Rom sonst so oft vermissen. Wir
treffen schloßähnliche Villen und viele echte Osterien,
wie die „Osteria antica‘‘, die „Osteria dei tre pupazzi“
(der drei Puppen), später erschauen wir den Lorbeer-
hain der Villa Horiz, dem gegeniiber eine malerische
Gruppe von Pinien und Cypressen als Pendant dient.
Weiter links folgt die Villa Ada, die einen Urwald
von Prachtbaumen zeigt, rechts bei No. 152 die Villa
Svizzera, in deren Garten ein Panorama sich er-
öffnet, wie es jetzt noch kein Gemälde, keine Handels-
Photographie festgehalten hat, so daß es auch blasier-
ten Romkennern wieder etwas Neues bietet. Wie
hier die Albanerberge von einem dunklen Bande von
Pinien und Cypressen unterstrichen sind, als habe hier
ein Künstler als dekorativer Landschaftskorrektor ge-
wirkt!
Drei Kilometer vor dem Tore geht die Straße tief
bergab. Jedem Landschaftsfreunde sei aber geraten,
zunächst rechts auf der Höhe zu bleiben und etwa
zweihundert Schritte weiter zu gehen, da die Aussicht,
die sich ihm bietet, diesen Seitensprung mehr wie
lohnt. Gebietend macht sich links ein Fort auf grünem
Rasenhügel geltend, das auf der Stelle der alten Stadt
Antemnae steht, links von ihm wogt ein Meer von
Pinienkronen, rechts schweift unser Blick zu den
Hügeln hinüber, die sich längs der Via Flaminia hin-
ziehen, bis wir uns im Kreise drehend die etrurischen
Berge und rechts den Sorakte sehen. —
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„In weit geschweiftem Bogen er sich hebt,
Gleich einer Well’, die, eh’ sie brandend bricht,
Noch zögernd in getürmter Höhe schwebt
Und harrend ruht in schwankem Gleichgewicht.‘ *)
Wir kehren zur Landstraße zurück und sehen jetzt
zur Linken, gerade dort, wo sie abschüssig zu werden
beginnt, ein Tor mit der Überschrift „Priscillae Coeme-
terium“. Der Romkenner denkt bei diesen Worten
an die Kirche Santa Pudenziana in der Via Urbana,
an die von Santa Prassede bei S. Maria Maggiore und
an Santa Prisca auf dem Aventin neben dem Castello
Costantino (s. S. 10); denn diese Kirchen sind drei
heiligen Frauen geweiht, die nach der Tradition mit
jener Priscilla verwandt waren, bei welcher Petrus
(siehe die Römerbriefe) abstieg, als er nach Rom kam.
Das Coemeterium ist sehenswert auch für den, der
nicht speziell christliche Archäologie betreibt.
Nun heißt’s, die steile Straße hinunterziehn bis
zum AniofluB. Bei dem Anblick der Brücke erschauen
wir im Geiste Manlius Torquatus. Zwar halten es in
unserer Zeit viele Gebildete mit Byron, der in seinem
„Childe Harold“ klagt, als ihm der Anblick des Sorakte
das Horazische Wort: „Vides ut alta stet nive candidus
Soracte‘‘ wachruft:
„Nicht denken mag ich meiner Schulzeit Plagen,
Und hat die Zeit mich auch versteh’n gelehrt,
Was sinnlos plappernd einst ich mußte sagen:
Der Abscheu, den die Schul’ in mir genährt,
Wird nicht wie Spreu aus meinem Geist gekehrt.
*) Byron: „Childe Harold‘.
104 35I535IIII III TI FF FTF IF FF HF TFT FF TFTHHT
Mir ging des Fühlens Frische lang verloren,
Eh’ ich genoß, was des Genießens wert:
Was tot schon war, wird nicht mehr neu geboren,
Ich hasse heute noch, was einstens ich verschworen.“
Wer diesen Worten Byrons folgt, der sieht natür-
lich in der Brücke vor sich nur eine Brücke, wie er
schon so viel gesehen; wer aber an die Hymnen
denkt, mit denen derselbe Byron die Geister der Ver-
gangenheit beschwörend die Schönheiten der Cam-
pagna besingt, dem wirkt der Anblick der Brücke wie
eine momentane Rückkehr in die selige Jugendzeit,
da man noch für David schwärmte, der den Goliath
schlug, für Klein Roland, der den Ardennenriesen be-
siegte, und also auch für Titus Manlius, der zwar kein
Kind mehr war, aber doch gegen einen Riesen sieg-
reich kämpfte, und zwar an dieser Stelle. Es war im
Jahre 360 v. Chr. zur Zeit des zweiten gallischen
Krieges; und der Stolz der Gallier war ein unbesiegter
und für unbesieglich gehaltener Riese. Doch mußte
er dem Titus Manlius nicht nur sein Leben, sondern
auch die schöne goldene Kette ,,torques“ lassen, worauf
dieser als „Herr von der Kette“ (Torquatus) in den
Adelstand erhoben wurde.
Hinter der Brücke taucht ein zur Osteria ver-
wandeltes Römergrab auf. Auch eröffnet sich die
schöne Aussicht auf das Tibertal.
Hier endet für jeden, den nicht Pietät für die
Geschichte weitertreibt, die Wanderung. Wer aber
bei schönem Wetter sich aus zehn oder zwölf Kilo-
meter mehr oder weniger nichts macht, ziehe weiter
an der Villa Spada, in deren Gebiet zwischen der
Salaria und Nomentana Kaiser Nero seinen Tod ge-
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funden haben soll, und unter dem Kegel von Castel
Giubileo (s. S. 85) vorüber nach dem nahen Häuser-
komplex „Casali Sette Bagni“, denn hier liegt
der Fluß Marcigliana, der im Altertum Allia hieß.
An diesem Wässerlein begann am 18. Juli 390 v. Chr.
Roms gallisches Unglück. Brennus schlug hier die
drei Fabier und rückte vor das verlassene Rom. Die
Erinnerung an die achtzig Senatoren, die allein auf
dem Forum blieben, an die Errettung des Kapitols
durch die Gänse taucht auf, auch sehen wir, wie
Brennus, als die Besatzung des Kapitols später
dennoch kapitulieren muß, unter dem Rufe „Vae victis“‘
sein Schwert in die Wagschale wirft. Prosaische Real-
praktiker mögen noch so sehr über den spotten, der
solchem „Sentimentalitätsdusel‘‘ nachhange, sie werden
dafür es aber auch nie empfinden, wie solche „Lieb-
haberei‘“ dem Betrachter historische oder sagenbe-
rühmte Stätten wunderbar verschönt.
NB. Wem, wie gesagt, der Weg bis zur Allia zu
weit ist, der gehe, falls er nicht die gleiche Straße,
die er gekommen, zurückkehren will, von der Anio-
brücke links am linken Ufer des Anio quer durch die
Wiesen bis nach Aqua Acetosa (s. S. 72) oder rechts,
ebenfalls durch Wiesen, dem Anio entlang zum Ponte
Nomentano. (S. folgendes Kapitel.) Beide Wege
sind sehr schön und stimmungsvoll — aber nicht
fahrbar.
106 5955535555333 333 II III FI IF FF FF IF HH II
Vor Porta Pia.
(Via Nomentana — S. Agnese — Ponte Nomentano
— Der heilige Berg.)
Die meisten Reisenden klagen darüber, daß sie
in Rom nie Volksleben studieren können. Nun!
Ist eines schönen Sonntags nachmittags im Frühling,
Frühsommer oder im Oktober warmes Wetter, und
droht kein Regen, so daß das Volk der „Römer von
Rom“ sich ohne Scheu ins Freie wagen kann, so
wähle jeder, den die Sehnsucht nach römischem Volks-
leben erfüllt, die Via Nomentana. Er wird dann
sicherlich auf seine Kosten kommen.
Damit soll nicht gesagt sein, daß die Via Nomentana
nicht auch an schönen Werktagen eines Besuches
wert sei, im Gegenteil; bietet sie doch hinter Sant
Agnese eines der herrlichsten Campagnapanora-
men, die Roms Umgegend kennt.
Im folgenden, wie noch vorausgeschickt sein soll,
werden die monumentalen Sehenswürdigkeiten nur auf-
gezählt, da jedes Reisebuch ausführlich über sie be-
richtet. — Wem es nur um die Kirche Sant. Agnese
zu tun ist, findet bis dahin Fahrgelegenheit mit der
elektrischen Tram. Das Volksleben betrachtet man
aber am besten in einer Fußwanderung oder in lang-
samer Wagenfahrt.
Vor dem Tor, das Pius IV. (Medici) erbaute, der-
selbe, der auch die äußere Fassade der Porta del
Popolo errichtete, treten wir in ein Volksquartier, das
erst in der neueren Zeit entstand. Als die Italiener
am 20. September 1870 hier erschienen, erstreckten sich
EITIIIIIIITITITI TI OT IT TI TI TI 2 2 107
hier, wie auch eine lange Strecke innerhalb der Mauern,
wo jetzt die Via Venti Settembre steht, nur unabseh-
bare Weingärten. Auch die Straße vor uns war vor
1870 noch so eng, wie die Via Salaria heute noch ist,
und folglich malerischer. Freilich, der Verkehr hat
auch seine Rechte, aber es ist schade drum, daß man
jetzt auf zwei Kilometer Länge die ganze Via Nomen-
tana zum weiten Boulevard verbreitern will.
Während wir rechts den weißen Bau auf grünem
Hügel betrachten, die Villa Patrizi, die auch für den
christlichen Archäologen Bedeutung hat, da unter ihr
Katakomben liegen, lenkt uns eine krächzende Stimme
ab. Links vom Tor hat sich an der Mauer ein trag-
bares Pulcinellatheater aufgestellt — ein viereckiges
mit rotem Tuch bekleidetes Brettergestell, in welchem
ein Mann Platz hat. Mörderlich schlägt die Puppe
des weißen Pulcinella, die schwarze Halbmaske mit
Hakennase trägt, auf den hölzernen Priester, und gleich
darauf auf den hölzernen Carabiniere los, und mit
verhaltenem Atem lauschen die Kinder auf die stark
saftigen Redensarten, welche die Schlägerei begleiten
und schlecht geeignet sind, ihren Autoritätssinn und
die Achtung vor Polizei und Geistlichkeit zu fördern.
Im Weiterschreiten bewundern wir den fahrbaren
StraBenhandel, wir sehen kistenförmige Handkarren
mit Apfelsinen und Zitronen gefüllt, oder mit ge-
schälten Kastanien. Dazwischen schlendern Hausierer
herum, die Körbe mit Blumen auf dem Kopfe tragen,
oder vor der Brust Brettergestelle hängen haben, auf
denen gelbe Bohnen oder Düten, mit Kürbiskernen
gefüllt, aufgeschichtet sind. Dann folgen Buden, in
denen fieberhaft tätige Öfen aufgestellt sind, die
Waffeln oder Anisküchlein liefern.
108 9335953553535 II II FIT FT FH FH FF FF FF FF FH
Nach fünf Minuten zieht links die Pinienpracht der
Schenke zum heiligen Patrickbrunnen (pozzo di San
Patrizio) unsere Aufmerksamkeit auf sich; sie ist die
erste der unzähligen Osterien, die sich jetzt auf drei
Kilometer Entfernung folgen und die durstigen Kehlen
der Römer anlocken. Auch rechts winken Pinien-
gruppen, die leider durch die immer mehr sich vor-
drängenden Villenanlagen stark gelichtet werden.
Gegenüber dem Viale della Regina hat man den ersten
Blick auf das Albanergebirge. Es folgen als Paläste
gedachte und zu elenden Mietskasernen gewordene
Bauten, dann blickt man links durch ein weites Tor
in den weiten Hof der Osteria di Mezzo miglio
(Schenke zur halben Meile), ein Lieblingsziel bankett-
froher Romer.
Nun wird die StraBe wieder eng, italienisch und
malerisch. Sie ist besonders schön abends bei Mond-
licht, da rechts die Baumpracht der Villa Torlonia
aus den Mauern heraussprießt. Schade, daß kein
Eisengitter die neidischen altersschwachen Mauern er-
setzt, so müssen wir uns schon damit begnügen, durch
das Tor einen Blick zu tun auf das weißschimmernde
Palastlandhaus mit der griechischen Tempelfassade,
vor der ein Obelisk Schildwache steht — aber mit
Vorsicht; denn die Römer sind Freunde des Wagen-
rennens. Unbekümmert um die Fußgänger, auf die
sie verachtungsvoll herabsehen, jagen sie in tollstem
Eifer daher, als wollten sie selbst die roten elek-
trischen Wagen in den Grund bohren. Hinter der
Villa führt ein verwahrloster Feldweg zur Kneipe „Zum
guten Wetter“. Nehmen wir diesen Titel als gutes
Zeichen. Der Klang einer Harmonika schreckt uns
auf. Ein Trupp Bäuerinnen zieht vorbei, die Alten
SIIIITISITISTIHITCHTTF HT H FT FH TFT FH HF FF HF TH 109
zeigen ausgemergelte, gelbe, fieberdurchfurchte Ge-
sichter und tief liegende Augen, die jungen Mädchen
aber sind fesch und drall und prunken in Landes-
tracht: roter Rock, rosa Schürze, niedriges rotes Mieder,
aus dem die blaue Bluse hervorquillt, dickes, weißes,
viereckiges Kopftuch. Auf dem Kopfe tragen sie: Körbe.
Mit gellender, schneidender Stimme singen sie ein-
förmige Melodien, und ein junger Bursche, der in
Sandalen steckt und einen kecken Spitzhut trägt, spielt
die Harmonika dazu. Es ist ein herrliches Bild, zu-
mal in dieser Umgebung. —
Jetzt folgen links und rechts moderne Villenhäuser,
würfelförmige, turmbekrönte, und dazwischen weiße,
braune und rote Cottages. Dort, wo jetzt die Straße
steigt, schauen wir rechts wieder zahllose dunkle Pinien
von seltenster Größe und bizarrster Form. Sie bilden
den Hauptschmuck einer Parkvilla, die jetzt zu einem
Waisenhause gewandelt ist. |
Eine kurze Strecke wird die Straße jetzt Allee.
Links auf der Höhe führt links ein kleines Tor zu
S. Costanza, dem architektonisch so merkwürdigen
Mausoleum der Töchter Konstantins, Konstantia und
Helena. Einige Schritte weiter erblicken wir wieder
links ein Torgebäude, hinter welchem, einem ver-
sunkenen alten Festungsturm gleich, ein malerischer
Glockenturm aufsteigt — die berühmte Kirche Sant
Agnese fuori le mura. Wer sie besucht, vergesse
ja nicht, im Vorhofe rechts durch das Glasfenster zu
sehen, um sich an dem Gemälde zu erbauen, welches
das Wunder darstellt, das im April 1855 Pius IX. hier
vom Tode errettete.
Kirchen und Kneipen haben sich von jeher gut
miteinander vertragen, und da S. Agnese ein viel be-
110 959555333 I III TFT IF FH FF SH FH HIST FH FF SIT
suchter Wallfahrtsort ist, nimmt es nicht Wunder, wenn
gegenüber der Kirche ein mehr oder weniger aussicht-
berühmter Osteriagarten dem andern folgt, zumal hier
auch die elektrische Straßenbahn endet.
Weiter! Links schaut man eine stattliche Villa,
auf deren Stirnwand eine große Marmorinschrift kün-
det, daß hier im Jahre 1875 Italiens Nationalheros
gewohnt habe. Wie doch in Rom die Jahrhunderte
ineinander spielen! Auf einem Raum von hundert
Meter Länge treffen wir Konstantin und seine Töchter,
die heilige Agnes, Pius IX., Garibaldi — und haben wir
erst die „Osteria di Cettinje‘ links passiert, welche
an die Hochzeit des italienischen Königspaares erinnert,
und kommen zur Villa des Baron Leopardi, so machen
wir gar die Bekanntschaft des heiligen Petrus. Wer
Sienkiewiczs Roman. „Quo vadis‘ gelesen hat, wird
wohl nicht verfehlen, falls die Zeit es gestattet, in
diese Villa einzutreten und sich das Coemeterium
Ostrianum zeigen zu lassen, wo die herrliche Scene
spielt, in welcher Vicinius mit dem Gladiator Kroto
die Versammlung der Christen beschleicht, denen Sankt
Petrus predigt.
Das Leben der Gegenwart ruft uns aus alten
Zeiten zurück. Aus der Osteria ,,Antica Monticelli“,
deren hochgelegener Terrassengarten sich links weithin
langs der StraBe zieht, klingt Mandolinenklang. Es
muß sich wohl gut in ihr sitzen; denn sie ist stark
besucht. Freilich bietet sie auch einen unterhaltsamen
Ausblick auf die stets belebte Straße und den gegen-
überliegenden großen Park des Barons Blanc, der unter
Crispi Minister des Auswärtigen war. Seine ameri-
kanische Gattin verbindet Reichtum mit Geschmack,
davon spricht die wohlgepflegte Gartenpracht, die statt-
SISISSSIHIISITTTTIC HF HH HH HH IH IF FH HF HH FFC 111
liche Piniengruppen zeigt. Auf der Mauer fällt uns
eine architektonische Spielerei auf, die einer Miniatur-
ausgabe des Caecilia Metallagrabes gleicht. Blanc hat
nämlich viele antike Fragmente, die bei dem Bau
seiner Villa gefunden wurden, in Turmform zusammen-
setzen lassen.
Eine riesige Inschrift im Vordergrunde schreit uns
jetzt laut „Mangani“ entgegen, und ladet so zum
Besuche einer der beliebtesten Osterien ein, die wegen
ihrer weiten Aussicht auf das Albanergebirge be-
rühmt ist.
Uns aber erwarten noch schönere Ausblicke.
Rechts im Vordergrunde lockt ein knallrotes Gebäude,
das zur Batteria Nomentana, einem kleinen
Brückenkopffort, gehört. Wir passieren die Zoll-
barriere und stehen nun auf der Brücke über der
Eisenbahnschlucht.
Schön, feierlich, erhaben zeigt sich hier die Cam-
pagna.
Auf dem grünen Teppich der Hügelwüste, die sich
bis zum Monte Gennaro hinzieht, wogt und wallt,
huscht, zittert, wabert und zuckt ein toller Farben-
und Lichtertanz, der alle Schattierungen von Grün,
Blau, Schwarz und Gold zeigt. Wir drehen uns, um
das Landschaftsschauspiel methodisch zu genießen.
Rechts erblicken wir zuerst das Cypressendiadem des
Monte Mario, dann entziehen uns bizarre Hügel den
Ausblick nach Norden, bis braune Schluchten klaffen,
und der Sorakte sichtbar wird. Im Osten vor uns
schimmern die veilchenblauen Sabinerberge mit dem
goldig funkelnden, behaglich zur Ruhe ausgestreckten
Tivoli, drauf erscheinen rechts über dem vom Anio
durchzogenen und durch Dutzende von alten Wart-
112 III III IF TFT TFT TFT TFT TFT TFT TFTHITTNT
türmen interpunktierten Steppenmeer die dunkelblauen
Albanerberge.
Links und rechts in nächster Nähe bauen sich
jetzt Wagenburgen auf; denn die Osterien auf den
Hügelkuppen erfreuen sich guten Zuspruchs. Der
Drehklaviere Gejammer scheucht uns weiter. Wir eilen
den Berg hinunter, obschon uns noch manche Osteria
zum Bleiben lockt, unter andrem die „Wirtschaft zum
Hügel der Hebe‘‘, die sogar frische Forellen aus dem
Anio verheiBt. Bald kommen wir zum . Pro
Ponte Nomentano,
der alten Torburgbrücke, die sich über dem von den
Frühlingswassern geschwellten braunen Anio zieht. Ist |
das malerisch! Kein Wunder, daß fast kein Land-
schaftsmaler Rom verläßt, ohne sein Können an der
Wiedergabe dieses idyllischen Bildes erprobt zu haben.
Wenn dieser alte düstere Bau erzählen könnte, was
und wen er schon alles gesehen, wie oft um ihn hed
gestritten, wie oft er auch abgebrochen und wieder
erneuert wurde! Römische, gallische, gotische,
griechische, sarazenische, deutsche, spanische, franzö- |
sische Ritter und Reisige zogen im Laufe der Jahr- |
hunderte über ihn, in Gesellschaft von Kaisern, |
Königen, Päpsten und Fürsten. Einstmals kamen je-
doch auch zur Abwechslung Plebejer; haben wir näm-
lich die Brücke überschritten, so hält uns zur Rechten
die „Osteria Panorama“ an, die auch den Nebentitér
führt: „Trionfo di Roma per vedere il Monte Sacro.“
Wir sind am
heiligen Berge.
Unsere Jugendzeit dämmert wieder herauf au a
Zeiten Schoß. Auf der Schulbank sitzend, laus
FFFFFISFIFFSFFFIFFFFFFFFFIFIIFITFFSSS 113
wir auf den Lehrer, der uns von dem Auszug der
Plebs im Jahre 494 v. Chr. erzählt. Das ist also der
Berg, auf welchem die von den Patriziern so oft
betrogene Plebs eine eigene Stadt gründen wollte!
Neben der Osterie führt ein primitiver Treppenweg
zum grünen kahlen Hügel hinan, der nach modernen
Begriffen als Bauplatz für eine Stadt etwas klein er-
scheint. Hier also war die Stätte, wo der schlaue
„krasse Bourgeois‘‘ Menenius Agrippa die streikenden
Proletarier durch die Fabel von der Rebellion der
Glieder gegen den Magen zur Besinnung brachte.
Heute würde wohl etwas mehr dazu gehören, um
eine Episode des ewigen Klassenkampfes zu beenden.
Aber — Schönheitssinn läßt sich den Plebejern von
dazumal nicht absprechen; denn die Aussicht von
diesem isolierten grünen Tuffsteinklotz ist einzig. Da
Sonntag ist, ist sie zudem eine Aussicht mit Dreh-
klavierbegleitung, in welche hie und da auch Guitarre
und Mandoline hineinzirpen. Im Norden grüßt der
ciminische Wald, die Rocca Romana und die Berge
von Bazzano. Auch die Straße unter uns ist schön,
namentlich an der Stelle, wo zwei Grabruinen trotzig
Wache halten vor der weißen ,,Osteria alla Mon-
tagnola‘‘, die, weil sie auch mit Wagen erreicht werden
kann, reicher besucht ist, als die Wigwamkneipe auf
unserem Hügel. Wir erblicken jetzt weiter, gen Osten,
das malerische, turmgekrönte „Casale dei Pazzi“ (Land-
haus der Familie Pazzi) mit seinem Gefolge von Pracht-
pinien, aus denen die Pyramide des Januariusberges
(Gennaro) herauszuwachsen scheint. Die grüne Hügel-
steppe rings umher ist mit weißen und braunen Schafen
gesprenkelt, zwischen denen muntere Esel grasen.
Hellere Töne bringen in das Grün die rotblauen Helm-
Zacher, Was die Campagna erzählt. 8
114 5955995359595955595995999993939939999999 39
büsche der Carabinieri, und die leuchtenden Kleider
blumensuchender Mädchen, die in den von Gänse-
blümchen beschneiten Wiesen lustwandeln. Und wieder
schweift unser Blick zu den Stadtburgen der Albaner-
berge.
Fürwahr ein schöner Platz und zu allen Jahres-
zeiten schön, auch im Winter, wenn die tollen Fuchs-
jagden durch die Campagna rasen.*) —
Hier und da fällt ein Schuß aus der Flinte eines
Sonntagsjägers, der aus Mangel an andrem Wild auf
Singvögel pürscht. Die Luft ist lind und weich. Da
wir wissen, daß die Farben der Landschaft, je näher
der Abend kommt, desto satter und leuchtkräftiger
werden, so nehmen wir vor dem Wigwam an einem
Tische Platz, um Aussicht mit Wein zu genießen.
Plötzlich erinnert uns Gläser- und Tellerklappern daran,
daß wir in der österlichen Zeit sind, wo der
Römer seine Bankette in der Campagna abzuhalten
beginnt, die er fortsetzt, bis ihm Pfingsten Vorwand
zu neuen gibt, und die er erst recht wieder aufnimmt,
wenn der zweite Frühling des Oktobers kommt. Schon
nahen sich auch die Hausierer, die Kürbiskerne, ge-
brannte Haselnüsse und Biskuits feil bieten. Selbst
der Austernhändler, der „ostricaro‘“, kommt, dessen
Ware jedoch nur mit Vorsicht zu genießen ist. Jetzt
singt auch das tapfer bechernde Volk ringsum, ja einige
Männer tanzen miteinander und zeigen dabei in ihren
Mienen den traditionell vorgeschriebenen Ernst. Wir
schauen auf die reich besetzten Tische: Schinken,
Eier, Salat, Lammfleisch, frische grüne Bohnen werden
in ganz unglaublichen Mengen vertilgt. Ein schäbig-
gentiler Herr in schwarzem, fettigem Jacket, kragen-
*) „Aus Vatikan und Quirinal‘“ S. 78.
EIIIIIIIIIITIITITIITIOITIUIUTI TI IT 115
losem Wollhemd und schwarzem steifen Hut nähert
sich uns. Er setzt sich vor uns ins Gras, und da er
uns als Deutsche erkannt hat, klimpert er auf der
Guitarre — o wie romantisch! — Santa Lucia. Dann
zieht er seinen Hut und — zeigt, daß er ein vor-
sichtiger Mann ist; denn seinen kahlen Schopf schützte
er durch eine eng anliegende schwarze Pelzhaube.
Nachdem er seinen Obolus empfangen, setzt er sich
nieder, klemmt ein Stück Papier zwischen seinen Mund
und die an diesen angepreßte Guitarre und spielt sich
als Mundharmonikakünstler auf. Nach ihm kommt
der übliche „arme Blinde“ in mehreren nicht ganz
einwandfreien Exemplaren.
Unterdessen wird das Landschaftsbild immer
schöner. Einige auf das Sonnenlicht neidische Wolken
sorgen für Variation; die von ihnen beschatteten Stellen
heben sich ganz phantastisch ab von dem in hellster
Lichtflut prangenden Rest der Campagna.
Kurz vor Sonnenuntergang, wenn der westliche
Himmel purpurn zu erglühen beginnt, machen wir uns
auf die Rückkehr; denn nun wird die Landstraße noch
malerischer, als vorher, weil das feinere Bürgertum in
Karosse und Droschke nach Hause zurückkehrt, und
dazwischen Gevatter Schneider und Handschuhmacher
mit Weib und Kind zu Fuße traben, während von der
Stadt her das Landvolk, das seine Wocheneinkäufe
gemacht, zu seinen Campagnahütten strebt. Schaut
doch nur vor der nomentanischen Brücke das junge
Bauernweib, das seinen Esel im Herrensitz reitet! Alles
bleibt bewundernd stehen ob seiner Schönheit. Es
ist dekolletiert, so daß sein herrlicher echt römischer
Hals und die feinen Linien des Nackenansatzes sicht-
bar sind, ein buntes Seidentuch deckt Busen und
g*
116 III III IF FH IF FF FT T CH THF TFT THF FH FF H
Rücken, das viereckige weiße Tuch den Kopf. Weiter
folgt ein Bauernpatriarch, der zu Fuße geht und eine
ganze Herde von Eseln, auf denen Frauen sitzen, vor
sich her treibt. Zum Zeitvertreib haut er ab und zu
mit langem Stab den säumigen Grautieren auf das
viel erprobte Hinterteil. Und zwischen den Landleuten
sieht man die hochbusigen, aber hutlosen Römerinnen
aus dem Volke, die im reichsten Juwelenschmuck
prangen. —
Die vielen Osterien der Via Nomentana aber, die
im Bereiche der ,,tramways“ liegen, sind noch voll
besetzt; denn, wer sich’s leisten kann, hält seine ,,cena“
(Abendessen) lieber im luftigen Kneipgarten, als im
dumpfigen Heim. Nur eines fällt uns als Hauptsache
auf. Nirgends, weder auf der Straße, noch in der
Kneipe, geht es wüst zu; denn der „Römer von Rom“
hält in der Öffentlichkeit auf Würde.
Vor Porta San Lorenzo.
Um mit dieser Tour einen Nachmittag zu füllen,
verbinde man mit ihr die Besichtigung des römischen
Juxplatzes auf der Piazza Guglielmo Pepe,*) der
Kirche San Lorenzo und des Kirchhofs. Bleibt dann
noch Zeit, und ist sehr schönes Wetter, so schließe
man mit der im folgenden Kapitel beschriebenen
Wagentour.
Die Ausreise beginnt unter der Eisenbahnunter-
führung am Arco Bibbiano. Zuerst kommt man auf
*) Römische Augenblicksbilder S. 6.
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einen weiten Platz, der in die Via Tiburtina (StraBe
nach Tibur-Tivoli) ausläuft, die im Hintergrunde die
Cypressen des Kirchhofs zeigt. Wir sind im Elends-
quartier von S. Lorenzo, das man nächtlicherweise gern
vermeidet.*) Schauen wir rechts die Stadtmauer ent-
lang, so entdecken wir vielgestaltiges Volksleben, aus-
staffiert mit viel Kindervolk in schmutzigster, malerisch-
ster Abwechslung. Die Mauernischen sind zu Läden
gewandelt, Fleischer, Schuster, Barbiere, Fruchthändler
hantieren dort unter freiem Himmel. Hausierer um-
schwärmen uns, einer trägt auf einem -Gerüst einen
ganzen Wald von künstlichen Blumen und Papier-
fähnchen. Eine Gruppe großer Schulknaben zieht zu
einem Dauermarsch aus. Sie sehen schmuck, ja fast
elegant aus in ihrer grüngrauen Leinwanduniform.
Einige Samariter, die rotbekreuzte weiße Binde am
rechten Arme, fahren auf dem Zweirad hinter ihnen
drein.
Weiter! Geradeaus gehend drängen sich statt-
liche, aber verwahrloste Großstadthäuser auf. Zwei
elegante Vorstadtstutzer, den Hut herausfordernd im
Nacken und mit frechem Blick, kommen uns entgegen.
Zweifelhafte Gestalten sind’s, denen das Messer viel-
leicht recht locker in der Tasche sitzt. Zur Linken
pfeift die Dampfbahn, die nach Tivoli fährt. Rechts
aber erscheinen jetzt Ladengewölbe, wo der Handel
des Lebens mit dem des Todes abwechselt: Osterien,
Metzgerladen, Kranzläden und Steinmetzgewölbe mit
unzähligen Kreuzen — Osterien, Marmorgeschäfte,
Spezereiliden — Osterien, Blumenladen in bunter
Folge, bis wir zum Vorplatz des Kirchhofs kommen.
*) S. Niceforo „La mala vita a Roma‘.
118 3535355535533 3II333I33I333I 33 333F HF
Wir folgen der Straße links. Eine auffallend mäch-
tige Pinie hoch über uns läßt uns aufschauen, und
wir bemerken eine Inschrift an der Wand: „Nuova
osteria del Pino‘‘ (Neue Pinienschenke). Da sie noch
neu ist, müssen wir sie entdecken. Folglich steigen
wir hinan. Haben wir das alte malerische Tor durch-
schritten, so empfängt es uns wie Friedhofsgeruch.
Boecklinsche Stimmung ergreift uns. Rechts und links
starren dunkle Mauern aus Buchsbaum und Cypresse.
Wie das feierlich ist! Zu einem antiken Tempelhain
scheinen wir. zu schreiten, und jeden Augenblick er-
warten wir aus dem Gebüsche die Priesterinnen von
Boecklins Toteninsel hervorschreiten zu sehen. So
kommen wir zum Vorplatz, der einem kleinen antiken
Amphitheater gleicht, dessen Stufen halb freigelegt
sind. Schön und ruhig ist es hier, doch lange leidet
es uns nicht; denn wir suchen Aussicht.
Zum Tor kehren wir zurück unter den Pinien-
baldachin. Eine Nische, deren Rückwand überwuchert
ist vom ersten Maiengrün, bietet guten Sitz. Der
Fuß wühlt in einem Teppich, der aus MaBliebchen,
Klette, Borax, Wegerich und hunderterlei Gräsern ge-
wirkt ist. Vor uns liegt das Obergeschoß der Fassade
von San Lorenzo, greifbar nahe, so daß wir dessen
Freskenschmuck eingehend betrachten können. Das
Bild ist links und rechts von Cypressen umrahmt.
Auch das weiß und rote Friedhofstor winkt herüber.
Wie kontrastiert die üppige Vegetation ringsum mit
dem Bilde des Todes, das der Friedhof bietet!
Unbemerkt kommt man hier ins Träumen:
„Wir sind aus solchem Stoff geformt, wie Träume,
Und unser kleines Leben umgibt ein Schlaf.“
FFSFFFFSFFFFSISFFIFSFFSIFIFFFFSFFFSS$ 119
Wie viele Tausende zogen schon durch jenes Tor,
um nimmer wiederzukehren!
Der Vorplatz ist still, Hier zog im Sommer 1268
ein deutscher Träumer, Konradin geheißen, vorüber,
der Niederlage von Tagliacozzo entgegen. Hier tobte
am 20. November 1347 die Schlacht der Colonna gegen
den Volkstribunen, der jetzt auf der Kapitolstreppe
verewigt ist, Cola Rienzi, als er von der Belagerung
Marinos zurückkehrte. Drei Colonnas fielen in dem
blutigen Kampfe, und mit ihnen achtzig Edle. Zwei
Menschenalter später sehen wir wieder einen Colonna
auf diesem Platze, 1424; er bringt die Leiche des
größten Condottiere seiner Zeit, Braccio di Montone,
genannt Fortebraccio (Starkarm), der des Papstes
Martin V., des Chefs seines Hauses, heftigster Wider-
sacher gewesen. Martin übte noch an dem Toten
Rache, indem er ihn vor der Lorenzokirche verscharren
und auf seinem Grabe eine Schmähschrift anbringen
ließ. Freilich hatte Starkarm es toll getrieben. In
Viterbo hatte er Mönche lebend in die heißen Quellen
gestoßen, und sich nebenbei hundertmal verschworen,
er werde den Papst noch so weit bringen, daß er
hundert Messen für einen Pfennig lise. —
Genug der alten Historien. Ziehen wir lieber in
die freie Campagna! Zuerst müssen wir um den
großen Kirchhof herum. Zur Rechten schickt dieser
einen vestengleich hoch aufragenden Arm vor, der
San Lorenzo umklammert. Die Mauer ist oben durch
offene Bogenfenster durchbrochen, aus denen weiße
Grabdenkmäler hervorlugen. Eines zieht uns beson-
ders wegen seiner Lieblichkeit an. Es ist das Marmor-
bild eines zarten Kindes, das unser Herz mit Weh-
mut füllt. Und wie die Cypressen, diese Trauer-
120 3IIIIIIT IF HF ICH THF TFT TH TTF TFT FF TFT T
prediger, über der Mauer winken, und uns in die
Stimmung versetzen, als sähen wir Klingers oder
Greiners ernste Radierungen, die den Triumphzug des
Todes behandeln. Das ist die richtige Stimmung für
den, der die Campagna als „das Totenfeld der Ge-
schichte‘‘ betrachten will.
Die Straße wird schlecht, links sehen wir Äcker
und Weingärten, rechts, begleiten uns längs der braunen
Friedhofsmauer von Blüten gepuderte Lärchen, über
denen wieder die „schwarzen Gesellen“, die Cypressen
dräuen. Unwillkürlich atmen wir darum auf, wenn
wir den Eisenbahnübergang erreicht haben. Hier öffnet
sich der freie Ausblick auf die grüne Wiesensteppe
Ist das Panorama auch nicht so imponierend, wie das,
welches die Zollbarriere hinter Sant Agnese bietet,
so ist es doch ein Stück der Campagna, wie es Aristide
Sartorios Künstlerauge liebt. Das ist die Campagna,
wie sie einstmals Sartorios Interpret Ernst Steinmann
in einem Feuilleton schilderte: „Der eigenartige Zauber
der römischen Landschaft tut sich dem Naturfreund
keineswegs auf einmal kund. Erst wenn wir lange
in intimem Verkehr mit ihr gelebt, wenn wir mit
offenen Augen und empfänglichem Gemüt nach allen
Richtungen ihre unendlichen Weiten durchmaßen, wenn .
wir sie ernst und dringend um die Geheimnisse ihrer
Schönheit fragten, beginnt sie zu reden. . . . Schweigen
und Einsamkeit begleiten den Wandrer, und er fühlt
sich allein mit sich selbst und einer ungeheuren schick-
salsschweren Vergangenheit. Dem Meeresspiegel ver-
` gleichbar, breitet sich vor ihm in ruhigen Wellenlinien
die unermeßliche Ebene aus. Hier und dort ragt eine
Pinie empor; ein grauer Turm, die Reste einer antiken
Villa, die Strohhütte eines Campagnolen, der in der
FFFFFTSTISTITIFSIFSSFFFIFIFSSISISSSS 121
Nähe seine Schafe weiden läßt, das sind die wenigen
Zeugen menschlicher Gegenwart in diesen Gefilden
einst und jetzt... . Die Schatten der Vergangenheit
ruhen über diesen Feldern, und keine Menschenhand
vermochte je die träumende Natur aus tausendjährigem
Schlummer zu wecken. Ja, die Campagna Roms würde
wie ein aufgeschlagenes Schicksalsbuch dem Wandrer
nur von dem großen Verhängnis zu erzählen wissen,
dem Mensch und Menschheit unterworfen sind, breitete
nicht der blaue Himmel all seinen Glanz über diesem
erinnerungsvollen Boden aus, begrenzten nicht die
klassisch ruhigen Bergeslinien den fernen Horizont,
schmückte nicht ein unbeschreiblicher Reichtum von
Form und Licht und Farbe die Landschaft mit immer
neuen unerschöpften Reizen. So verklärt hier die
Schönheit das Erhabene, und Vergängliches und Ewiges
reichen sich versöhnt die Hände.“ —
Schritte ertönen. Bürgersleute kommen, die im
nahen Anio dem Fischsport gehuldigt. Wir gehen
weiter, und an der mit rotem Eisenblech bekleideten
„Osteria dei Cacciatori‘‘ (Jägerschenke) vorüber. Die
Straße gräbt sich in die grünen Hügelwogen ein und
führt zum Ponte Mammolo, wo wir Halt machen.
Hier wird man bei längerem Verweilen gewahr, worin
der eigentliche Zauber, der geheimnisvolle Reiz der
Campagna liegt. Stehen wir am Travertingeländer
der Brücke und schauen links auf den braunen Anio,
der von Pappeln besäumt ist und ein Bild stellt, wie
es Poussin gemalt haben könnte; da werden wir auch
wieder inne, daß unser Auge erst durch die Bilder,
Zeichnungen und Stiche der Campagnamaler, mögen
sie nun Filiberto Petiti, Aristide Sartorio, Franz Aerni,
Coleman, Romolo Koelman, Max Roeder oder sonst
122 3533355 II III ETF F FF FF HF TFT THF F FF THF FH
wie heißen, gewissermaßen geschult sein muß, wenn
wir die Campagna recht genießen wollen. Sieht man,
wie sich hier ringsum die kapriziöse grüne Wüste in
Hügelpurzelbäumen, in Beulen und Buckeln gefällt,
und so eine wahre Orgie von Licht- und Schatten-
spielen aufführt, verfolgt man die ruhigen edlen Linien
der Landschaft, erblickt die braunen Rißwunden im
grünen Fleisch der Hügel, die Grotten gleichen, und
klettert dann mit entzücktem Auge die Rampe der
Albanerberge bis zur höchsten Spitze hinauf — dann
überschleicht den Wanderer bald die Ahnung dessen,
was römische Campagna bedeutet.
Und nun erst die Vegetation am Ufer des Anio!
Wie das grünt und blüht in Baum und Strauch!
Patzig flammen die Mohnblumen dazwischen. Und
Finken zwitschern voll Freude über den Frühlings-
schmuck in der Runde, Lerchen trillern. Doch auch
unangenehmere Geräusche hört man in der sonst so
feierlichen Stille. Frösche quaken, und Räder knarren.
Auf hohen Karren fährt ernstes, still vor sich hin-
brütendes Bauernvolk dem Gebirge zu. — Wir kehren
zurück. Links schielen uns die Marmorgruppen vom
Lateransdom zu, rechts grüßen die Cypressen vom
Monte Mario. Vor der roten Osteriehiitte mit dem
roten Eisenblechpanzer machen wir Rast unter Ahorn-
bäumen. Es sitzt sich gut hier in der Einsamkeit,
und des Wirtes Töchterlein ist ein liebliches, wenn
auch ernstes Mädchen, das seinen Pflichten als Hebe
sehr würdevoll nachkommt. Jetzt bemerken wir auch,
daß der Wirt ein unparteiischer Mann ist; denn er
nennt seine Hütte nicht nur „Kneipe für Jäger‘‘, son-
dern auch „für Fischer“ und dann „für alle“, er hat
außerdem noch ein übriges getan, und zu seiner
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Inschrift der besseren Erläuterung wegen — gibt es
doch in der Campagna noch viele Analphabeten —
Jäger und Fischer hübsch malen lassen. —
Während der Rast erquickt außer dem goldenen
Wein die Aussicht auf den von goldnen und silbernen
Blumen durchwirkten: Wiesenteppich. Der Wind fächelt
lau und lind. Fast wäre man versucht, in der Manier
der alten Schäferpoesie ein Lied auf den Zephyr zu
dichten, der Amaryllis und Chloe schäkernd umkost. —
Verbindungsweg von Via Tiburtina nach
Via Appia Nuova.
Vorbemerkung: Dieser Weg eignet sich auch als
Repetirkursus für diejenigen, die schon Porta Furba,
Via Appia nuova und Via Appia antica (siehe unten)
kennen.
Von der Osteria dei Cacciatori hinter dem
Eisenbahnübergang auf Via Tiburtina (siehe vorige
Seite) führt rechts ein fahrbarer Weg ab zum Tal der
Maranella. Geradeaus in der Ferne erblicken wir das
weite Tor des Aquädukts der Aqua Felice, das einen
schönen Durchblick auf die Gegend der Via Appia
nuova bietet. Links erscheint über den Hügeln die
Kuppe des mons Albanus, rechts die Cypressen des
Kirchhofs. Ringsum umgibt uns Hügelland. Links
ragt ein burgähnliches Haus.
Der Weg wimmelt von Eidechsen. Arme Tiere,
die so oft verurteilt werden, im Dienst der Kunst und
Fremdenindustrie unter der Hand des Broncegießers
zu sterben, der sie lebend in Gips begräbt.
124 3953353535355 393I3I III III III EFF 35H
Neben dem burgähnlichen Hause erblickt man
einen offenen Schuppen, ein Dach auf schweren
Pilastern ruhend. Es ist der Typus der römischen
Scheune. In diesem milden Klima braucht des Bodens
Frucht nicht ängstlich vor Wind und Wetter geschützt
zu werden. Bald sieht man auch einen langgestreckten
Brunnen. Wir Schulkinder konnten daheim nie be-
greifen, warum Abraham und Loth in der Bibel soviel
Wesens aus einem Brunnen machten, hätte man uns
aber in die Campagna geführt, und gezeigt, wie die
Herden oft stundenweit zur nächsten Tränke ziehen
müssen, unser Verständnis wäre schnell gekommen.
Jetzt tauchen Rinderherden auf; wie das Sonnenlicht
auf dem braunen und grauen Fell der wiirdevollen
Ochsen herumtanzt, und wie schön deren lange Hörner
wirken! Auch freiheitliebende Pferde traben herum.
Die Frühlingsluft scheint sie zu kitzeln. Ein stolzer
Pferdejüngling scheint besonders empfänglich zu sein
für den Reiz des Frühlings, kosend naht er sich einer
zagen Pferdemaid, die darob entsetzt in ihrer herben
Sprödigkeit über das Gatter auf die Straße springt.
Und er ihr nach! Hei, gibt das ein Jagen. Endlich
hat er sie erreicht und küßt ihr schäkernd Wange und
Mähne. Doch wieder reißt sie sich los, und schreiend
und keuchend laufen die Buben des Hirten den Flücht-
lingen nach, bis die fliehende Stute, durch einen ent-
gegenkommenden Karren erschreckt, sich umwendet
und über das nächste Gatter zum Weideplatz zurück-
kehrt, gefolgt vom Genossen. Dessen Geberdespiel
ist köstlich, bald naht er schüchtern, bald gebieterisch
drohend. Plötzlich schlägt er voller Wut mit den
Hinterbeinen aus, sie tut dasselbe, worauf er fast
brüllend seine Enttäuschung klagt. Doch die Hirten-
FFFFSFFFIFIFFFIFFIFIFIFIFIFISS9IS9S 125
buben kommen und führen beide zur Pflicht zurück.
Der eben noch so übermütige Geselle senkt den Kopf;
ein Bild des Jammers.
Einem blutroten Signal vergleichbar, leuchtet jetzt
mitten aus dem lächelnden sanften Grün das Gemäuer
eines Pulverhauses.
Bald überschreiten wir die von der Porta Maggiore
kommende Via Praenestina, und nach einigen Mi-
nuten kommen wir zur Via Labicana.
Am Kreuzweg steht die Osteria Maranella,
die als Vorbau eine lauschige Rohrlaube zeigt. Halten
wir einen Augenblick; denn diese Kneipe, an der alle
Fuhrleute rasten, um ihre Pferde an dem ewig plät-
schernden Brunnen zu tränken, bietet einen guten
Beobachtungsposten für das Treiben der Campagnolen.
Deren Gespräch untereinander und mit den Kneip-
gästen beweist, daß Amtsstolz und Standeseitelkeit
auch unter ihnen zu finden ist. Ein Kutscher, der
sich fast städtisch herausgeputzt hat, lobt jetzt gerade
seine Geschicklichkeit in der Kunst, den Zollwächtern
am Tor ein Schnippchen zu schlagen. Bald erscheinen
auch liebliche halbflügge Mädchen und pralle schwarz-
haarige Frauen in schreiend buntem Gewand, um
ihre gelb glasierten Töpfe am Brunnen zu füllen.
Aus der Wirtsstube aber dringt Geschrei; denn einige
Fuhrleute spielen ,,tre sette‘‘ oder „briscola“ (ein
unserem Sechsundsechzig ähnliches Spiel) mit ver-
schmutzten Fettkarten, die dem Ausländer unverständ-
lich sind. Neues Geschrei beginnen jetzt ihre draußen
stehenden Kollegen, die zur Abwechslung das ver-
botene Morraspiel beginnen. Zuerst bemerken wir
nur, wie sich die beiden Gegner wütend eine Hand-
voll Finger entgegenschleudern. Es bedarf längerer
126 5555555535335 I III III IF FÄEFI FF HF FF H5
Beobachtung, um hinter den Reiz des Spiels zu kom-
men, das viel Intelligenz erfordert. Jetzt greift die
Spiellust auch auf die Kinder über, ‘sie suchen sich
flache Steine und spielen mit ihnen Boccia. Das
erinnert mich an die Schilderung, die der römische
Maler de Sanctis von den deutschen Kollegen um die
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, den Schülern
von Cornelius- und Overbeck, den sogenannten „Naza-
renern“ entwirft. „Diese Alemannen trugen lange
Haare und langen gespaltenen Bart. In der Kleidung
waren sie nachlässig, sie hatten großes Schuhzeug,
weshalb man sie auch als „scarponi“ (Großstiefel)
verspottete. Sie bildeten eine Art von Sekte, die als
einzigen Lebenszweck das Studium der Kunst be-
zeichnete, und jede fröhliche Gemeinschaft mit andren
und jeden Ort floh, wo es lustig zuging. Ihre einzige
Erholung bildeten Ausflüge zu FuB,*) wobei sie den
Marsch mit Wurfspielen würzten, wie sie von den
Römerzeiten her noch bei den Leuten des Volks
üblich sind.“ —
Und wiederum erhebt sich lautes Geschrei.
Städtische Ausflügler sind in Gigs und leichten Korb-
wägelchen vorbei- und gegeneinandergefahren, da sie
die Lust am Wettfahren erfaßte, die den Römern im
Blute liegt. Nun kann man erleben, wie meisterlich
die „Römer von Rom“ das Fluchen verstehen.
Wir ziehen weiter. In der Richtung, in der wir
gekommen. Vor uns erhebt sich aus blühendem
Erbsenfeld die mächtige braune efeuumsponnene
Ruinenwand der Reste der alten Wasserleitung des
Claudius, und nun schauen wir überrascht nach links.
Eine Lücke zwischen den Hügeln zeigt den Eukalyptus-
*) Das ist natürlich einem Römer unbegreiflich. A. d. V.
FFFFFFFFFFFSSSFFFFFFSSFIFSISFSSSSSS 127
gürtel des Forts Centocelle, und darüber erhebt sich
leuchtend das grell gleißende Frascati.
Durch die Aquädukte und unter zwei Eisenbahn-
linien her kommen wir zur Via di Frascati und
sehen links die Porta Furba (s. S. 138), über der
der Mons Albanus mit der Kapelle der Madonna del
Tufo erscheint, die wie ein weißes Signallicht brennt.
Und weiter ziehen wir der Via Appia nuova zu.
Bald genießen wir wieder einen unvergleichlich schönen
Ausblick auf das Albanergebirge, das links von den
Aquädukten und rechts von einer üppig grünenden
Wiesenhalde umrahmt ist. Dann erblicken wir die
viereckigen roten und gelben Blöcke der Latinergräber
(s. S. 145), und erreichen an der Via Appia Nuova
die „Osteria dei velocipedisti“, eine elende Bretter-
hütte, von der eine Militärstraße zu den rot flammenden
Pulverhäusern und zur Via Appia antica führt. Das
Panorama ist entziickend. Links schauen wir die
Piniengruppe der Aqua santa, im Vordergrunde das
Grabmal der Caecilia Metella und rechts den Busch
der Egeria.
Vor Porta Maggiore.
(Via Praenestina — Via Collatina — Cervaragrotten.)
Die Via Praenestina wird unverdienterweise von
dem Gros der Touristen fast nie besucht. Die egoisti-
schen Campagnakenner freuen sich dessen, ebenso
des Umstandes, daß hier die schönsten Punkte
noch nicht photographiert sind, und also noch nicht
128 I5IIIII III FF F TS IH IF F HH FF HH FT IH HF FF FF HH
schwarz und weiß aus dem Laden mitgenommen wer-
den können. Ganz große Egoisten bemerken sogar,
gerade darin liege der Hauptreiz der Straße, daß sie `
sich durch das Fernbleiben der reisenden Kultur-
menschheit ihre keusche Ursprünglichkeit und den
Charakter der einsamen Größe bewahrt habe. Jeden-
falls ist das eine wahr, noch findet man auf der Straße
nach Palestrina das moderne Plakatungeziefer nicht,
das leider schon die Via Appia heimsucht.
Die Tour ist immer schön, am schönsten freilich
im Frühsommer oder im Oktober. Im letzteren Monat
hat man auch Gelegenheit, das Volkstreiben zu be-
wundern, das sich zur Zeit der Weinernte vor Porta
Maggiore laut macht. |
Porta Maggiore, so genannt, weil sie ein
Doppeltor ist, darf man wohl das schönste Tor Roms
nennen. Während das Johannestor, das Pauls- und
Sebastianstor mehr Torburgen gleichen, stehen wir
hier vor einem Triumphbogen, der auch schon durch
den goldigen Ton seines Gesteins (Travertin, Kalkstein
aus Tivoli) schön wirkt. Die großen Inschriften im
Oberbau belehren uns, daß Kaiser Claudius die beiden
Wasserleitungen Claudia und Anio Novus (s. S. 137)
durch das Tor leitete, und daß Titus und Vespasian
diese ausbesserten. Erinnert uns so der herrliche Bau
an die ersten Zeiten des Kaiserreichs, denen Rom
seine prächtigsten Monumente, wie das Kolosseum
und den Titusbogen verdankt, so mahnt uns das kuriose
Denkmal, das vor dem Tor halb aus der Erde hervor-
ragt, an die Epoche des Pompejus und Lucullus, als
sich in Rom, wie wir heute sagen würden, der Imperia-
lismus breit machte, und der Weltverkehr und der
gesteigerte Geldumlauf riesige Reichtümer in Rom auf-
<I:
FIFFFFIFIFIFFFIFIFFFIFFIFIFSISFSISS 129
hauften. Eurysaces, ein simpler Freigelassener, der
5 aber seine Zeit verstand, wurde damals vom einfachen
~ Bäcker der Getreidekönig Italiens und der erste Trai-
4 teur Roms, der nach und nach fast den gesamten
Ñ Lebensmittelhandel monopolisierte. Ein Zeichen seines
#Reichtums ist dies Grab. Während vom Mausoleum
Ades Augustus nicht viel mehr übrig ist, überdauerte
las bizarre Denkmal des reichen Spekulanten die Jahr-
qunderte. — Besonders interessant an dem ofen-
irmigen Bau sind die Reliefs am oberen Rande,
{elche Darstellungen aus einem Engros- Bäckerei-
eet triebe bringen.
rt Wir wenden uns links, dem Pferdebahngeleise
gend. Zuerst ziehen wir zwischen langweiligen
Y öjusern und Mauern, bis wir auf der Höhe bei einer
"la, deren Wahrzeichen ein riesiger Eukalyptusbaum
i den ersten Blick auf die freie Campagna tun. Die
pa senkt sich wieder, wird enger und malerischer.
Hin den Mauern fallen kaskadengleich Efeufluten her-
us ie vermischt mit wildem Wein, dazwischen prangt
iver dem braunen Gemäuer Holunder, Rosen- und
günstiger Blumenschmuck. Vor dem Bach Maranella
-;ehe voriges Kapitel) bei der „Osteria dei cacciatori“
<iren die Häuser auf. Von der Brücke aus, neben
rer ein geschwätziger Brunnen unermüdlich seinen
oo entsendet, sieht man zunächst nur grünes Ge-
‘nigel, über das sich die Kuppen der Sabiner- und
éalbanerberge erheben.
a Viereinhalb Kilometer vor dem Tore erblickt man
rechts und links Ruinen und Trümmer. Wir treten
‚5 rechts durch ein Gatter auf einen Weg, der zu Gruben
are
feat!
"von Pozzolanerde (Mörtelerde) führt, und stehen vor
: dem viereckigen Ziegelrestenstumpf eines antiken Baus.
Zacher, Was die Campagna erzählt. 9
13093995533 I III I I TI THF FI S FF HH HT FT FF FH
Anziehender als dieser Stumpf ist der Platz, auf dem
er herausragt. Hier fühlt man sich „auf dem Lande“,
hier fühlt man sich wie ein Großstädter, der den ersten
Ferientag in der Sommerfrische Natur kneipt. So weit
man blickt, sieht man nichts als Gras und wieder Gras,
Ochsen, Pferde und blöde Hirten, die für Ordnung,
Zucht und — Trennung der Geschlechter durch Draht-
zaunhürden gesorgt haben, da die männliche Vieh-
jugend frühlingsübermütig wird. Die ganze Archäo-
logie kann einem gestohlen werden, wenn man hier
das geheimnisvolle Wirken des Frühlings in Flora und
Fauna beobachtet, man möchte gar nicht mehr fort
von hier, so schön ist’s. Schauen Sie doch nur, wir
sehen sogar Pyramus und Thisbe durch Pferde dar-
gestellt. Sie möchten hinüberkommen, der Zaun ach
war ihnen zu hoch. Drob empört sich Pyramus, und
in wilden Einherjagen sucht er seiner Gefühle Sturm
zu meistern, wobei er seinen Grimm durch elegisches
Gewieher klagt. Donnerwetter! Wie schön der Kerl
ist in seinem wilden Zorn!
Doch weiter! Von des Lebens Grün kehren wir
zum Ruinenbraun der Archäologie zurück; denn zur
Linken der Landstraße ragen überaus malerische
Ruinen, Tor de’ Schiavi (Sklaventurm) genannt. Das
Volk hat sie, wie viele andre Ruinen gleicher Art,
auch Roma Vecchia getauft. Die Reisebücher erzählen,
daß es sich hier um Reste der Villa des Gordianus III.
handelt, und sagen damit zunächst ihren Lesern —
nichts; denn, Hand aufs Herz — wie viele von uns
verbinden mit dem Namen Gordianus irgendwelche
Vorstellung, wenn das Konversationslexikon nicht zur
Hand ist? Greifen wir also zu diesem oder einem
andren nützlichen Buche! Dann tauchen uns Namen
FFFFFFFFFFFFFFFIFIFSFFFFFFFSIFSS5S 131
wie Caracalla, Heliogabal, Alexander Severus auf. Wir
sind ins Jahr 235 zuriickversetzt. Nachdem Alexander
Severus bei Mainz ermordet worden, beginnt Maxi-
minus die Reihe der Soldatenkaiser barbarischer Ab-
kunft. Er war aber ein böser Mann, der die Tempel,
welche dazumal die Rolle unserer Depotbanken ver-
traten, nicht respektierte. Das gab böses Blut, und
so empörte sich die Provinz Afrika und rief ihren
achtzigjährigen Oberpräsidenten Gordianus zum Kaiser
aus. Dieser wurde aber bald darauf zugleich mit
seinem Sohne Gordianus Il., den er zum Mitregenten
angenommen hatte, von dem Chef der Nachbarprovinz
Mauretanien besiegt und ermordet. Das Parlament
ernannte darauf gleich zwei Kaiser, Balbinus und
Maximus. Das Heer aber rief, um seine Macht zu
zeigen, 239 den Enkel des ersten Gordianus, den da-
mals dreizehnjährigen Gordianus III. zum, Kaiser aus.
Der Kommandant des Gardekorps Misitheus vermählte
den kaiserlichen Jüngling mit seiner Tochter, indem
er ihm zugleich die Bürde der Regierung abnahm, dann
zog er nach Persien, wo er 244 starb. Sein Nach-
folger im Kommando, Philippus Arabs, war nicht
Heuchler genug, um sich mit dem Bewußtsein der
Macht zu begnügen und einem andren deren holden
Schein zu lassen, darum ermordete er den mittlerweile
einundzwanzig Jahre alt gewordenen Gordianus III.
Merkwürdig! Solche Wirren und Greuel ver-
knüpfen sich mit diesen malerischen Ruinen. Leider
können diese wenigen Reste: links das verstüm-
melte Achteck mit seinem spitzen Splitter, dann da-
neben der runde flachkupplige Bau, dem ein Stück
aus Brust und Leib herausgerissen ist, so daß wir in
sein Inneres blicken, uns unmöglich einen Begriff von
g*
132 I$I33I35I II III IH HF FF TH FH FF HF HF FF FF FH
der Pracht der Kaiservilla geben, die einst hier stand.
G’sell-Fels zitiert in seinem vorzüglichen Spezialwerk
über Rom den Geschichtsschreiber Capitolinus, der
die Villa also beschreibt: „Sie hat eine nach einem
großen Viereck angelegte Gallerie mit zweihundert
Säulen; es befinden sich dabei drei Basiliken, jede von
hundert Säulen gestützt; die übrigen Abteilungen ent-
sprechen der Pracht des Ganzen, und die Thermen
sind von der Art, daß man nirgends in der Welt, außer
in Rom, solche sah.“ Wie uns der Vergleich von einst
und jetzt ergreift. Was Menschenhand hier schuf,
zerfiel, während, was Natur hervorbrachte, die herr-
liche Landschaft rings umher, heute noch ebenso
schön und strahlend prangt, wie vor siebzehnhundert
Jahren! Zwar sähe ein Philister hier nur eine Wiese,
eine hügelige Wiese, platterdings nichts anderes, aber
wie erscheint diese dem Campagnafreunde, der nicht
müde wird, nach dem fernen Sorakte zu schauen, oder
im Osten nach den beiden Kegelvorposten des Sabiner-
gebirges mit ihren Stadtkronen S. Angelo und Monte-
celli!
Wir gehen weiter. Links geht unsere Straße die
Via Collatina ab (so genannt nach dem alten
Collatium, das durch die Sage von Lucretia berühmt
ist), wie ein viereckiger Pfeilerstumpf mit der üblichen
Aufschrift S. P. Q. R. (Senatus Populus Que Romanus)
bezeugt. Anfangs sagt uns diese Straße nichts. Wir
überschreiten zweimal die Eisenbahn nach Tivoli und
sehen von Zeit zu Zeit aus dem Wiesengrunde kleine
weiße Pyramidenstümpfe aufragen. Es sind die Köpfe
der Träger der Aqua Virgo (Aqua Vergine, auch Aqua
Trevi genannt), die nicht nur die Fontana Trevi, son-
dern auch die Brunnen auf Piazza Spagna, Navona
SIIISISIIITIHIHHI THF TFT IT THF TFT TFT TFT 133
und Farnese speist. Hundertundfünfzig Kubikmeter
liefert sie in vierundzwanzig Stunden. Es baute sie
aber M. Agrippa, der auch das Pantheon aufführte.
Hinter dem siebenten Kilometer erreichen wir die
Höhe, der „Turm der Weisheit‘, tor di Sapienza
kommt in Sicht. Weiß ist sein Zinnen-Unterbau, braun
sein ebenfalls zinnengekrönter Turmteil. Von unserer
Straße her bis zu ihm zieht sich senkrecht eine Reihe
giebelförmiger Rohrhütten, die Wohnungen der Guts-
arbeiter. Wie ein Negerdorf sieht’s aus.
Wir steigen auf das Gatter zur Linken. Von dem
luftigen Sitze genießt man einen prächtigen Rundblick,
der Rom, Monte Mario und die beiden Gebirgsgruppen
im Osten erfaßt. Dann gehen wir durch das Gatter
links nach Norden, passieren zur Linken das mittel-
alterliche Burggehöft (Casale), Cervaretti und kommen
dann zu andren ländlichen Häuslein und zu den:
Cervaragrotten,
bei deren Schilderung G’sell-Fels irrtümlich schreibt:
„Die Künstler feiern hier zeitweise in großen maleri-
schen Aufzügen das Maifest.“‘ Leider ist das nicht
mehr wahr. Auch von den Cervarafesten heißt es, wie
so oft in der Campagna: Es war einmal.
Bei dem Ponte Molle haben wir schon das lustige
Treiben der alten deutschen Künstler und ihres „Ordens
von Bajocco“ kennen gelernt. Aber die Bajoccoritter
gaben sich mit ihren periodischen Stadtfesten nicht
zufrieden, sondern machten auch zur Lenzeszeit ge-
meinschaftliche Ausflüge. 1814 fand der erste statt.
Das Fest gefiel so gut, daß man beschloß, es all-
jährlich als Maifest zu wiederholen. In den ersten
Jahren wechselte man noch des öftern den Schauplatz,
134 SIIIIIFFITFFFF FF FH FFC H THF FIT IF FF SF FFIH
man zog von dem Metellagrab zum Egeriahain, dann
zur Tor’ di Quinto, oder ins Poussintal, bis der alte
Reinhardt die berühmten Tuffsteingrotten von Cervara
entdeckte. Von diesem Tage an entwickelte sich das
Fest zu dem großen Künstlerspuk, den die Römer von
damals den „Carneval der Deutschen“ nannten. Mor-
gens früh versammelte sich das Künstlervolk, das durch
die „Ordner“ in „Kohorten‘ eingeteilt war, in drei
Abteilungen gesondert, je nachdem es auf Eseln, Pfer-
den oder Füßen spazierte, vor der Porta Maggiore.
Hier beeilte sich männiglich in ein buntes Masken-
kostüm zu schlüpfen, der hohen Geistlichkeit zum
Trotz, die innerhalb der Stadt die Faschingstracht nicht
duldete. Hatte man sich vermummt, und je nach den
verschiedenen Abteilungen die rote, blaue oder grüne
Feder aufgesteckt, die als Erkennungszeichen diente,
so die Wissenden vom profanen Volgus schied, dann
setzte sich der Heerhaufen in Bewegung, gefolgt von
der Artollerei und dem Troß, dessen Hauptobjekt der
große Küchenwagen bildete. Geschäftige Gendarmen
aber sorgten für Wahrung von Ruhe, Sitte und Ord-
nung. Nach kurzem Marsche zeigte sich gewöhnlich
in der Nähe des Sklaventums die Notwendigkeit, dem
Küchenwagen unter die Achsen zu greifen. Man lagerte
sich, aß und trank, und der also geleichterte Wagen
rollte noch einmal so fröhlich über die Campagna.
Der Generalfeldmarschall, der von einem Ochsenwagen
aus den Zug leitete, ließ nach dem Frühstück seine
bunten Scharen allerlei Felddienstübungen machen, um
sie frisch und munter zu halten für die olympischen
Spiele, die angesichts der Berge von Tivoli an den
heiligen Grotten abgehalten wurden. Diese Spiele
bestanden aus Ringen, Sacklaufen, Lanzenstechen auf
SSSISSSFSFIISSFSSFSSFISISISSI FH 33333333_ 135
Vogelscheuchen oder Pappköpfe, die den Namen „Kri-
tiker‘‘ führten, sowie in Wettlauf, Pferderennen und
Eselssteeplechase. War der lustige Trupp in die
Grotten eingezogen, so begab sich der „Präses“ an
den Altar und opferte der Sibylla von Cervara, worauf
in einer Art von gereimtem Festspiel diese selbst
auftrat und auf die Fragen des Präses das Orakel
kündete.
Selbstverständlich wechselten im Laufe der Jahre
die Programmnummern, obschon der äußerliche Rahmen
stets der gleiche blieb, so wurde zum Beispiel im
Jahre 1846, als der erste Präsident des „Deutschen
Künstlervereins‘“ in güldenem Harnisch vom Ochsen-
wagen aus wohl dreitausend Untertanen regierte, statt
des Orakelspiels ein gereimtes Hexenspiel aufgeführt.
Die Revolutionszeit unterbrach die Cervarafeste, erst
1852 feierte man wieder ein Frühlingsfest, international
zivilisiert, aber an andrer Stelle, und zwar in Castel
Giubileo (s. S. 85). 1853 hieß das Fest schon Fidenae-
Cervarafest, als Sieger im Stangenwerfen wird in
diesem Jahre Reinhold Begas genannt. 1857 wurde
mit ungeheurem Glanze, der nachher zu einem Defizit
abdunkelte, unter der Führung des Hanauer Otto Lud-
wig die „Zerstörung von Troja‘ gespielt. Von jetzt
ab traten größere Pausen ein. 1870 feierte man wieder
mit allem Zeremoniell, mit Artillerie und Ochsenwagen.
Als Festidee galt der Kampf des Frühlings mit dem
Winter. Unter den Mitwirkenden zeichnete sich be-
sonders H. Corrodi, der bekannte römische Land-
schaftsmaler, aus — als Hofnarr. Die beiden letzten
Feste 1883 und 1890 waren mehr internationaler Natur.
Das beweist schon der Umstand, daß die Programme
französisch und italienisch abgefaßt waren.
136 SIIIIIIIHTIFT FT H FF FT H THF TCHT IT TFT HIT
Wann und ob wieder einmal ein Cervarafest ge-
feiert werden wird? Sicherlich dann aber nicht
mehr in den Grotten, nicht nur, weil die Eisenbahn
nach Tivoli deren idyllische Ruhe gestört hat, sondern
weil ihr jetziger Besitzer Pinelli, der bekannte Freund
Crispis, zu praktisch ist, um sentimentaler Freund von
Landschaftspoesie zu sein. Die schönen Grotten wur-
den wie der Pegasus des Schillerschen Gedichtes in
den Dienst der Landwirtschaft gestellt; als Scheunen
dienen sie und Ställe. Betritt man sie jetzt, so kann
man sich der Wehmut nicht enthalten. Trotz allem
wirkt der alte Grottenzauber doch noch hier und da,
nur kann man hier nicht mehr träumen, wie ehedem,
der Lärm des Viehs und seiner Hüter ist zu groß.
Vor Porta San Giovanni.
' Via Frascati. Porta Furba.
Wir ziehen die Porta San Giovanni hinaus, bis
einige Minuten vor dem Tore bei der Osteria del
Quintale (früher Baldinotti) die Straße nach Frascati
links abgeht. Die genannte Osteria sei allen denen
empfohlen, die.nach der Rückkehr aus der Campagna
an irgend einem Sonn- oder Festtage noch Zeit und
Lust haben sollten, das hier besonders lebhafte Straßen-
treiben bei gutem Wein und Vesperimbiß zu studieren,
da sie eine geschützte Terrasse hat. Der Wirt emp-
fiehit besonders den etwas süßen und. feurigen Rot-
wein „Cesanese dalla grotta Castro“. _
ee ee. eee
FFFFSFFIFTISIFIFFIIFFSSIFFSISSISSSSS 137
Anfangs zieht die StraBe zwischen Mauern, dann
kommt man an einem Landhause vorüber, dessen
rotbraune Wandfarbe und graublauen Fensterläden leb-
haft gegen den grünen Laubrahmen abstechen. Dann
wechseln Steinmauern mit Baum- und Strauchhecken
ab, die namentlich im Monat Mai im schönsten Früh-
sommerschmuck prangen, Kastanien, Platanen, Holun-
der, Weißdorn, Rosen erscheinen. Als eine Idylle
wirkt links die kleine gelbe tiefgelegene und rings
umgrünte Osterie. Gileichfalls zur Linken folgt die
Villa Diana, die vom Tor zum Hause einen schönen
Laubtunnel zeigt. Wir ziehen dann unter der Eisen-
bahn, die nach Civitavecchia und Pisa-Genua führt,
hindurch, sehen bald links ein weißes Kirchlein, das
von gelben Häusern flankiert ist, dann die leider ge-
schlossene Villa Flavia mit undurchsichtigem Tor, und
kommen nun dort, wo rechts die Via delle Cave ab-
geht, unvermutet ins Freie. Das ist eine Überraschung!
Wiederum liegt sie vor uns, die geheimnisvolle Rätsel-
landschaft mit ihrem Auf und Ab von Wiesenwellen,
die besprenkelt sind mit Mohnblumen, braunen und
roten Karden, Rittersporn, Schafen und Hirten in
Faunsgestalt. Rechts ganz in der Ferne ragt noch ein
Zipfel des Hains der Egeria hervor, daneben prunkt
wie ein riesiger „timballo di maccheroni‘‘ (Maccaroni
in Trommelform gebacken) das Turmgrab der Caecilia
Metella, weiter folgen die Gräber der Via Latina und
links die malerischen Fragmente der alten Claudischen
Wasserleitung. Sie begleiten uns, bis wir die Bahn
nach Albano überschreiten, und unser Blick von dem
offenen Tor gefangen wird, das ihre lange Zeile durch-
bricht. Doch ehe wir an dieses gelangen, sehen wir
ein größeres allein stehendes Anwesen, das einst als
138 IIIIII III TI FH FH FF IH FH FH FH HH F FF FH TFH
„Osteria del Pino“ in allen Reisebüchern verzeich-
net war. Aber ach, die Pinie verschwand und auch
die Osteria, da deren Besitzer zur Ackerwirtschaft
überging. Schade drum. Es becherte sich so schön
in ihrem grünen schattigen Hof. Auch Kaiser Wilhelm
kehrte einst hier ein, als er seinen Ritt in die Albaner-
berge machte.
Bald stehen wir vor der berühmten:
Porta Furba.
Ehe wir das Panorama betrachten, das sie bietet,
schauen wir uns rastend um; denn das Gewirr der
Aquädukte hier verdient schon einige Augenblicke der
Betrachtung, um so mehr, als die kleineren Öffnungen
der noch tätigen Leitung der aqua Felice ebensoviele
Landschaftsbilder stellen. Wir schreiten zum Brunnen,
um uns in der für das Romstudium so wichtigen In-
schriftenkunde zu vervollkommnen, und dabei be-
merken wir links den „Nabel der Campagna“, die
Peterskuppel. Die Brunneninschrift belehrt uns, daß
Clemens XII. aus dem Hause Albani die aqua Felice
restauriert habe. Nun blicken wir durch die kleinen
Offnungen dieser Leitung und schauen in der ersten
das lachende Tivoli, in der zweiten das Fort Cento-
celle, das sich in drei und vier wiederholt, in Nummer
fünf eine abgestumpfte Graspyramide und in der
sechsten den Anfang der Albanerberge. Nun kommt
die große Inschrift über dem Tor an die Reihe. Sie
verkündet, daß Sixtus V. (Peretti) die nach seinem
Vornamen Felice benannte Leitung im Jahre 1581 von
dem fünf Stunden entfernten Colonna nach Rom zog.
Dort speist sie den seltsamen Mosesbrunnen an der
Via Venti Settembre und den Tritonbrunnen auf der
SIIIIHTCHTTH HT TI TT TFT TFT TFT TFT 139
Piazza Barberini. Rechts vom Tor treten wir in einen
Gang, der links vom Felixaquädukt und rechts von
den Trümmern der Aqua Claudia gebildet wird. Letz-
tere wurde im Jahre 33 n. Chr. von Kaiser Claudius
als die größte aller römischen Wasserleitungen ge-
baut, die bis zu dreißig Meter hohe Bogen und eine
Gesamtlänge von achtundsechzig Kilometer hatte. Sie
lieferte täglich 290200 Kubikmeter Wasser.
Schön sind die Ausblicke hier durch die Aqua
Felice, besonders auf den Monte Gennaro, aber die
Perle aller Aussichten zeigt doch das Tor selbst, zu
dem wir jetzt zurückkehren. In seinem Rahmen prä-
sentiert sich Frascati und rechts davon Grottaferrata in
seltenem Glanze.
Wir überschreiten die Geleise, die drei Linien
angehören, die nach Frascati, der Neapler und
der von Terracina, und sehen bald links den schon
genannten Pyramidenstumpf, den die Reisebücher als
Torre del Grano bezeichnen. Leider wurde der
schöne mittelalterliche Turm, der hier stand, im Jahre
1901 abgebrochen. Den Archäologen ist dieser Stumpf
sehr interessant, weil in ihm der berühmte Sarkophag
im Kapitol (früher als der von Alexander Severus be-
zeichnet) gefunden wurde. Ihm gegenüber liegt eine
kaffeebraungefärbte Osteria, hinter welcher ein herrlicher
Blick auf Frascati winkt. Kurz vor dem gelben Haus,
das jetzt rechts folgt, — der Amtswohnung des Straßen-
wärters (cantoniere) — bietet sich ein andrer aber um-
fassenderer Blick, dessen Mittelpunkt die alten Aquä-
dukte rechts bilden, auf denen als Wahrzeichen der
„Torre del Fiscale‘ genannte hohe Wartturm aus dem
dreizehnten Jahrhundert aufragt. Weiter links von
ihm kriechen einige vereinzelte Bruchstücke der Aqua
140 FEFTSFSSISISSSSISSISISSISSSISIIFTS
Claudia wie Riesenraupen über die noch aktiven Bogen
der Aqua Felice hinweg. Geradeaus erblicken wir
Frascati mit seinem Villenkranz, links davon Monte
Porzio und, halb detachiert, weiter links auf einsamem
Hügel Colonna, noch weiter aber am Rande der
Sabinerberge Palestrina. Nach Nordosten ragt ein
alter Turm, umgeben von roten Bauernhäusern, und
daneben die Eukalyptusoase des Forts Centocelle, links
davon der unten halb von einer Hügelwelle verdeckte
Monte Gennaro.
Neue Augenweide erhalten wir am siebenten Kilo-
meterstein. Wir bemerken eine Ruine, die im ersten
Augenblick als eine braun gefärbte Neuauflage des
Chors von Kloster Heisterbach erscheint. Hier kann
man nicht mit Schiller reden; denn in diesen öden
Fensterhöhlen wohnt kein Grauen, da der blaueste
aller nur möglichen Blauhimmel durch sie hindurch
äugt. Später bemerken wir rings herum ein Gerümpel
von Pfeilerstümpfen, Riesensockeln und Kellerlöchern,
die blöde aus dem grünen Boden hervorgrinsen. Es
sind die Ruinen einer altrömischen Villa aus der Kaiser-
zeit, Fundus Bassi (Settebassi) oder vom Volke auch,
wie so oft bei Campagnaruinen, Roma vecchia ge-
nannt.
Zehn Minuten weiter kommen wir zu der einst
berühmten „Osteria del Curato“, einem größeren
Anwesen, das Kirche und Wirtschaftsgebäude enthält.
Aber als Osteria war es auch einmal. Der dreieckige
Vorplatz, auf dem schon so mancher Deutsche kneipend
gesessen, ist mit Gras bewachsen — und der Wirt
ist einen halben Kilometer straBaufwarts ausgewandert,
bis dahin, wo die Straße sich spaltet und rechts nach
Grottaferrata führt. Dort bezog er die alte, halb rosa,
FII5IIIII II III IF FF II FI FF TFT FIT FI 141
halb grau gefärbte Torre di mezzo (Turm des halben
Weges) auch „Osteria antica del quadrato“: genannt.
Wir ziehen ihm nach und halten bei ihm Rast; denn
malerisch sowohl ist die Kneipe außen und innen,
malerisch der Ausblick aufs Gebirge. Wir lassen uns
auf wackliger Bank vor der Türtreppe nieder, schauen
links die Holunderlaube mit ihren tellergroßen weißen
Blüten, welche die Campagnolen so gerne in Eier-
kuchen hineinbacken, einige wenige Pappeln, einige
Strohhütten und zahlreiche Herden von Ochsen und
Pferden. Die rotgesichtige Wirtin und ihr feineres
und blasseres Töchterlein kichern aber mit den vielen
Fuhrleuten, die hier pflichtgemäß anzuhalten pflegen,
über die fremden Besucher. Diese staunen hingegen
über die modernen Fortschritte, welche die Campagna
gemacht hat; prangt doch an der Wand des vier-
schrötigen Turmbaus ein Plakat, das Polvere Cuprica
und andre Mittel zum Schutze der Reben anpreist.
Mancher Künstler und Campagnafreund klagt bei dem
Anblick des Plakates: „Was soll aus der Campagna
noch werden!“ denn im Geiste sieht er schon, daß
der Fortschritt noch größer werden und die poetische
Graswiiste in ein rationell bewirtschaftetes Ackergebiet
verwandelt sein wird. Das wäre ja nationalökonomisch
ein Gewinn, aber die Landschaftspoesie wäre stellen-
weise wohl dahin. Zum Unglück für die Bevölkerung,
zum Glück für Künstler und Campagnaschwärmer hat
es aber bei den verzwickten Besitzverhältnissen in der
Campagna noch gute Weile, bis daß die Wüste ver-
schwindet, haben doch die weltlichen und geistlichen
Großgrundbesitzer kein Interesse daran, mit großen
Geldopfern das Weideland in Acker umzuwandeln.
Der jetzige Betrieb mit den „Sklaven‘ kostet ja wenig
142 35355535553 III III II IT IH III FF FF FF F5
und gibt doch noch gute Rente, trotzdem der Gewinn
durch viele Hände geht, ehe er zum: Eigentümer kommt.
Doch über die Sklavenwirtschaft, die jedem mitfühlen-
den Menschen die Campagna schier verleiden könnte,
ein andermal.
Via Appia nuova.
(Latinergräber — Aqua Santa — Oktoberfeste.)
Die neue Via Appia ist eine der unterhaltsamsten
der Campagna, besonders für Romneulinge. Ange-
sehene Fremde, oder durch wiederholte längere Be-
suche zu Romkennern gewordene Reisende ziehen hin-
gegen weniger laute und einsamere Straßen vor, die
den intimen Reiz des Campagnazaubers besser und
schneller genießen lassen; erfaßt den Wanderer auf
der Appia nuova doch erst zehn Kilometer vor dem
Tor der rechte Feiertagsfrieden der großen klassischen
Landschaft.
Doch die Via Appia nuova hat vor andren Straßen
das eine voraus, daß sie „große Tage hat, und im
Oktober sogar deren einunddreiBig. Das Warum
leuchtet sofort ein, wenn man bedenkt, daß es in
Rom das nicht gibt, was wir in Deutschland Herbst
und Winter nennen. Weder färbt sich hier im Herbst
das Laub der Bäume braun, noch starren deren Äste
im Winter kahl und bloß — von wenigen Ausnahmen
abgesehen; denn es herrschen ja im römischen Gebiet
die immergrünen Bäume vor: Cypressen, Pinien, Stein-
eichen, Oliven. Andrerseits kann auch der Frühling
auf die Römer nicht den poetischen Eindruck machen,
BIIIIIIIIIIIITIIITI I DIT II OO TI IT T 143
wie auf uns; denn, da das Leichentuch des Schnees
fehlt, verbindet der Römer mit dem Winter nicht
die Vorstellung vom allgemeinen Absterben, mit dem
Lenz nicht die Vorstellung der Auferstehung. Wohl
freut er sich, wenn die Blumenpracht in sinnberauschen-
der Farbenglut und betäubender Duftfülle erscheint,
aber was will seine Maifreude besagen gegen die
Oktoberlust! In Rom haben die Jahreszeiten die
Rollen vertauscht. Was belebt, ist die Kälte, was
tötet, die Hitze. Im Juli, August und anfangs Sep-
tember verbrennt die von keiner Wolke gestörte Sonne
Gras, Kraut und Strauch so gründlich, daß die Cam-
pagna bald einer gelbbraunen Steppe gleicht, die um
so trostloser wirkt, als auch die sie sonst belebende
Staffage, die zahllosen Rinder- und Schafherden auf
den Matten der Sabinerberge oder den Almen der
Abruzzen sommerfrischeln. Wohin man blickt, starrt
die endlose Hügelwüste im Gdesten Braun, das nur
abends unter der Sonne Kuß sich in Purpur wandelt.
Haben aber die Septemberregen und der fürchterliche
Septemberscirocco sich ausgetobt, dann sprieBt im
Oktober mit schier unglaublicher Schnelle das frische
Grün, und schon nach wenig Tagen hat die Campagna
ein neues Kleid, als hätte sie sich gleich einer Schlange
gehäutet. Nun ist der „Römer von Rom“ nicht mehr
zu halten, nun macht er seine „ottobrate‘“, seine
Oktoberausflüge, die zwar infolge der wirtschaftlichen
Krisis der achtziger Jahre nicht mehr an die tolle
Ausgelassenheit vor 1870 heranreichen, aber doch nicht
selten noch zu großen Freudenfesten werden, weil der
Römer der konservativste Mensch der Welt ist, und
sich die Tradition stärker erweist, als das Elend, das
sich ja auch bei linder Luft und blauestem Sonnen-
144 33553533 I III III III FF FI FH I HF III IF
himmel so leicht vergißt. Übrigens haben sich ja auch
die wirtschaftlichen Verhältnisse in Rom seit einigen
Jahren gebessert, und so hat sich die Lust an den
„ottobrate‘‘ auch wieder gesteigert.
Mit obigem soll nicht gesagt sein, daß die Via
Appia Nuova nicht auch zu andren Zeiten schön sei,
namentlich in den Monaten April, Mai und Juni. Wer
aber mit ihrem Besuch das Studium harmlos lustigen
Volkslebens studieren will, suche sie eines Donnerstags
oder Sonntags im Oktober auf.*)
* *
*
Die neue appische StraBe weckt zwar weniger
historische Erinnerungen als die alte, aber an ihrem
Ausgangspunkte bietet sie dem historisch Gebildeten
immer noch genug, passiert man doch auf der Fahrt
zum Johannestor den Lateran, erinnert dieses Tor
selbst doch an das Sturmjahr 1849 und das benach-
barte Tor, die Porta Asinaria, an die Gotenkriege.
DrauBen vor der Mauer halten wir an. Es ist
ein Oktoberdonnerstag. Viel Landvolk hat sich rechts
und links am StraBenrand gesammelt, und halt in
Karren und Bottichen, die müde Esel herbeigeschleppt
haben, Trauben zu vier Soldi das Kilo feil. Besonders
vor der Osteria zur Rechten drängt sich die Menge
der Händler und Hausierer, Männer und Frauen, die
Kastanien, Zwieback, Kuchen aus Kastanienmehl,
Bretzeln und Kürbiskerne feilbieten. Der ,,barbiere
degli operai“ (Arbeiterbartputz) waltet im Freien seines
*) Andre „große Tage“ sind die Renntage der Osterwoche,
Pfingstmontag und Sonntag nach Pfingsten, wenn das Fest des Divino
Amore stattfindet und am 23. Juni, am Vorabend des Johannistages,
wenn das berühmte Lichterfest spukt.
SSISISISIFIIEHIHIHFFHIHSSFHHS SS IFIISSSHHH/II5
Amtes. Dazwischen jammern Drehklaviere. In großen
Omnibussen, in Landauern und Droschken ziehen die
Städter zum Oktobertrunk hinaus, während Dutzende
von malerischen Weinkarren, welche den Wein aus
den Grotten des Gebirges zur Stadt gebracht, unter
dem Schellengeklingel der kokett aufgeputzten Gäule
heimwärts trollen.
Schaut man geradeaus, so sieht man zwischen der
langen Reihe hoher gelber Mietskasernen links und
rechts viele rosafarbene Osterien, vor allem rechts
die große Gartenwirtschaft „Faccia fresca“ (,,Frisches
Gesicht“ mit der Nebenbedeutung ,,unverschamtes“
Gesicht), die namentlich in der Johannisnacht von
schmausendem, zechendem, tanzendem Volke wimmelt.
Links, wo die StraBe nach Frascati abgeht, lockt die
„Osteria del Quintale‘ (Schenke zum Zentner). Ab-
wechselnd folgen jetzt Gärten, über deren Mauern
Rohr, Ligustern, Feigenbäume hervorschauen, und
Osterien, wie die „zur schönen Niccolina“ oder „zum
römischen Reiche‘‘, bis etwa anderthalb Kilometer vor
dem Tor sich die Straße in das Campagnagrün ein-
taucht. Bald erscheinen links die Ungetüme des Clau-
dischen Aquädukts, die sich zur Porta Furba hinziehen,
und wieder ein Kilometer weiter biegt links ein Weg
ab, der, wie ein Schild besagt, zu den Latiner-
gräbern führt. Über deren archäologischen Wert
gibt jedes Reisebuch Aufschluß. Ihr Besuch lohnt
sich, auch wenn man nur Landschaftsschwärmer ist;
denn, läßt man, nachdem man die Gräber, die an ein
teils vernichtetes, halb von den Römern aufgesogenes
Volk erinnern, betrachtet hat, den Blick rundschweifen,
so findet man auch, daß die Campagna sich hier in
seltener Anmut repräsentiert. Rechts grüßt der Hain
Zacher, Was die Campagne erzählt, 10
146 3III III IF TH HF HIHI FH FF IH FF SH SF FF TFT FF IF FT
der Egeria und sein Nachbar, der zur Urbanskirche
gewandelte antike Tempel, links das riesige Aquä-
duktengerümpel, das von der Porta Furba unter der
Tor Fiscale her, dem hohen mittelalterlichen Wart-
turm, über den Wiesenteppich kriecht, bis es in diesem
verschwindet. Wie feierlich heben sich diese Trümmer,
die uns von der Glanzzeit des römischen Kaiserreichs
erzählen, vom funkelnden frischen Grün der Steppe
und vom blau violetten Hintergrund der Albanerberge
ab. Der stille Frieden um uns her, der Vergangenheits-
zauber, der die Gräber umwittert, die frische Brise,
die Lichtflut, die uns schier blendet, alles das ergreift,
faßt, packt und erhebt uns in halb wehmütigem, halb
begeisterndem Wonneschauer, so daß man sich nur
mit Bedauern trennt.
Wir kehren zur appischen Straße zurück und sehen
nun rechts vor uns eine Oase von Pinien und Euka-
lyptusbaumen. Die Straße steigt zu ihr hinan. Stim-
mungsvoll wirkt der Eingang zu dieser Baumpracht-
insel des Aqua Santa genannten Brunnenetablisse-
ments, das für Landschaftsmaler reiche Ausbeute liefert.
Als Badeetablissement macht das Anwesen aber
weniger Geschäfte; denn den Römern fehlt es ge-
meiniglich an Initiative, und dem „heiligen Wasser“
mangelt es nicht an Konkurrenten. Das römische
Publikum trinkt lieber Aqua Cetosa, oder die in der
Nähe der Braccianosees entspringende Aqua Claudia,
und wenn es heilkräftige Bäder nehmen will, zieht
es lieber nach dem Schwefelbad der Aquae Albulae
bei Tivoli, oder nach Anzio, Fiumicino, Ladispoli ins
Seebad. So ist denn das alte Schwimmbad der Aqua
Santa halb zerfallen, aber trotzdem bildet dessen
rauschende, schattige Umgebung ein schönes Bild,
SIIIISISIIIITH HT SH TS H TH HH FH HF FF FF HS 147
und die ganze Stätte wegen des herrlichen Panoramas
ringsum eine schöne, augenerfreuende Rast.
Gehen wir weiter, so erreichen wir dort, wo die
Aquäduktenzeile, die näher an die Straße rückt, unter-
brochen ist und als in Einzelgruppen aufgelöstes
Staccato auftritt, ein Tal, in das die Appia Nuova sich
hinunterwindet. Dieser Punkt ist aus zahllosen Ge-
mälden, Photographien und Ansichtspostkarten be-
kannt; denn auf dem hohen Bord der Landstraße
strecken mehrere Riesenpinien ihre funkelnden Wipfel
in die reine Himmelsbläue empor. Kommt man zur
Höhe, so rücken uns zur Rechten auch die Trümmer
des fünf Stunden lang hinausgestreckten Kirchhofs
der Via Appia Antica näher mit ihrem geheimnisvollen
Wehmutschauer. Nun führt unsere Straße in glatter
Ebene auf Castel Gandolfo zu, das noch halb im
Schatten geborgen, greifbar nahe scheint, da uns die
unglaublich klare Luft über die Entfernung täuscht.
| Daß wir im Oktober sind, werden wir bald wieder
gewahr, wenn wir zur Osteria del Tavolato kom-
men; denn sie ist von zahlreichen Gästen besucht.
Wir haben Zeit und mischen uns daher in die frohe
Gesellschaft, doch fürsichtig und langsam; denn der
Römer ist Fremden gegenüber mißtrauisch und liebt
es nicht, wenn man sich ihm zu schnell vertraulich
nähert, zumal, wenn die forestieri seine Sprache nicht
kennen.
Die Zeiten sind freilich vorüber, wo es in Rom
noch hieß:
„A la Reale!
„L’ottobre e fatto com’ er Carnevale.“
(Der Oktober gleicht dem Karneval), voriiber auch
die Zeiten, da die Leute vom niedern Volke das ganze
10*
148 II II II FH TFT FF TFT ICH TH HTTH TFT TFT SH
Jahr hindurch ihre Tombola- und Lottogewinne, und
auch Sparbeiträge für Divino Amore und die Oktober-
feste sammelten, und dann an einem Tage alles ver-
jubelten. In großen Wagen fuhren sie hinaus, Männer
und Frauen getrennt. Muß das malerisch gewesen
sein! Das jetzige Divino Amorefest gibt ja nur einen
schwachen Schimmer wieder. Frauen und Mädchen
prangten in neuen Festkleidern, die meist rot, veilchen-
blau, grün und orangefarben leuchteten. Im dichten
Haar, das ein schwarzer oder weißer Männerfilzhut
schmückte, steckte der hohe durchbrochene Kamm,
wenn die üppige Fülle nicht durch grünes Seidennetz
gebändigt war; von den Ohren hingen die glocken-
oder traubenförmigen goldenen „scioccaglie‘‘ herab.
Die ganze Frauengesellschaft glich aber einer Schar
von Bacchantinnen, sie schwang das Tamburin und
sang Ritornelle zum Preise der Liebe dazu, wie zum
Beispiel:
„Fior di granato!
La vigna non po star senza canneto,
Come la donna senza innamorato.“
(Granatenbliite! Die Rebe kann sich nicht halten
ohne Rohr, Und ohne Geliebten nicht die Maid.) Und
die Manner kargten nicht mit Antwortritornellen, die
oft improvisiert wurden. Auch sie trugen noch die
traditionelle Festuniform, anstatt des niichternen Fabrik-
gewandes von heute: Schwarzsammetjacke, die mit
einer dichten Reihe blinkender Knöpfe besetzt war,
Scharlachweste, bunter Seidengürtel mit Fransen, kurze
Kniehosen, himmelblaue Strümpfe, durchbrochene
Schuhe und links aufgekrempelter Spitzhut mit der
Kapaunenfeder — aber was sehen wir? Da erscheint
FFFFIFFSIFFSFFSFFSFIFSFFFFFFFFFFFIFSISS 149
ja ein Mann in dieser alten Tracht! Ein Volksredner
und Cantastorie (Bänkelsänger) ist’s, der aus der
Wiederauffrischung des alten Zeitkostiims ein Geschäft
macht. Jubelnd wird er als „poveta‘“ (Poet) begrüßt,
und nun singt er eine ,,canzone“ nach der andren
und oft auch recht eindeutige prickelnde dazwischen,
nach dem Gelächter zu schließen, das er erregt.
Wir ziehen weiter, einer andren Lieblingsosteria
der Römer entgegen. Bald sehen wir links aus lang-
gestrecktem hohen Busch einen kleinen Kirchturm
auftauchen, er zeigt uns die Nähe der Wiesen von
Capanelle an, die an den Renntagen die Römer nach
Zehntausenden anlocken. Am neunten Kilometer kom-
men wir zur „Osteria di Mezza via‘‘, die zwischen der
Via Appia nuova und der hier rückwärts nach der
Kirche San Sebastiano führenden Via Pignatelli wie
zwischen den Schenkeln eines Nußknackers einge-
klemmt ist. Auch sie ist stark besetzt, freilich nicht
so stark, wie am Pfingstmontag, wenn sich um sie
Tausende und Abertausende Divino Amore-Pilger in
die Wiesen lagern. Wir kehren ein und steigen auf
das flache Dach, um Aussicht zu genieBen; denn rings-
um hat die Natur die schönsten Schaugerichte auf-
getischt. Wenden wir uns nach Südosten, so befinden
wir uns Frascati gegenüber, das einer Sonne gleicht,
die von ihren Planeten umkreist wird; denn die Pracht-
bauten der Villen funkeln auf dem schwarzen Laub
ringsum, wie Sterne auf dunklem Nachthimmel. Fras-
cati selbst aber gleicht einer Goldstickerei auf grün-
blauem Sammet, während rechts davon in der Höhe
das spitzwinklige Dreieck von Rocca di Papa mehr
silbern gleißt. Auf der andren Seite kämpfen braune
engbogige Wasserleitungsruinen mit den bizarren
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Türmen, Pfeilern, Nadeln, Riesenkreiseln und Trom-
meln der Via Appia Antica um den Vorrang.
Die Sonne neigt sich dem Meere zu, und nun
erleben wir wieder das einzige Schauspiel des römi-
schen Sonnenuntergangs. Ist dieses schon überwäl-
tigend, wenn wir es vom Castello di Costantino auf
dem Aventin oder vom Tor San Pancrazio aus be-
trachten, so versagt einem hier die Sprache, um die
Pracht zu schildern; denn bei der Nähe des Gebirges
sind die Tinten leuchtender, kräftiger, aufdringlicher.
Je tiefer das Tagesgestirn sinkt, desto grüner, goldig-
grüner wird das neue Gras, als ob die Campagna sich
kokett ihres neuen Kleides freute, und sich gefall-
süchtig wiegend dessen Glanz vor den alten bär-
beißigen Klötzen der Wasserleitungen spiegeln lassen
wollte, die selbst noch in der gleichen braunen Kahl-
heit starren, wie die Campagna selbst noch vor wenig
Wochen. Und darob scheint die alten Gesellen Scham
zu erfassen; denn mehr und mehr erröten sie. Der
Berghintergrund wird jetzt violett, und nun errötet
auch Frascati; die keusche Bergstadt zittert vor dem
allzuglühenden Kusse des Helios, der sich anschickt,
bei der Circeinsel ins Meer zu tauchen. Grottaferrata
ist weniger zimperlich, es gleicht dem rosigen Antlitz
eines weinfrohen Zechers, während die Fenster von
Rocca die Papa spöttische Blitze senden. Die weiße
Wand der Madonna del Tufo glüht und loht, gleichwie
das berühmte Loch im Theatervorhang in den dunklen
Zuschauerraum hineinleuchtet, fast scheint’s, als ob
durch ein Loch im Monte Cavo dessen vulkanisches
Feuer herausstrahle, das die Geologen schon erloschen
glaubten.
Jetzt treibt es uns, ehe es völlig Nacht geworden,
FFFFFFFFFSFFFFFIFSIFFIFFIFIFSIFFFIFS 151
zur Osteria del Tavolato zurück, da wir sehen wollen,
wie die heutige ottobrata verlaufen ist. Während der
Fahrt umgaukeln uns rechts gespenstisch gleiBende
Wasserleitungsbogen, links die geheimnisvollen Graber-
reste, die in Purpur getaucht scheinen. In der Osteria
geht es toll zu, Mandolinenklang und lustiger Sang
erschallt. Der gute Schmaus und der noch bessere
Trunk haben schon gewirkt; die Kinder jeglichen
Alters, des süßen Weines voll, den römische Mütter
aus dem Volk selbst schon den Säuglingen reichen,
sind schläfrig, die heiratsfähigen Mädchen erglühen,
die Jünglinge strahlen, und die Eltern lauschen ver-
ständnisinnig der zirpenden, kreischenden, schrillenden,
brummenden Musik, die drei Männer höchst ver-
wegenen Aussehens mit Baßgeige, Violine, Guitarre
und eine schreiend bunt kostümierte Jungfer mit einer
Mandoline verüben. Unser „poveta‘ ist aber ver-
schwunden. Doch wie wir auf der Weiterfahrt der
Stadt uns nähern, und der Puppentanz auf dem Dach
der Lateranbasilika sichtbar wird, treffen wir auch ihn
wieder, da er gewissenhaft alle Osterien abklappert,
wo sich „ottobranti‘ finden. In einer Osteria nahe
der Eisenbahn, wo er für seiner Lieder süßen Reiz
Beifall und Geld eingeheimst hat, verabschiedet er
sich soeben mit dem Spruch:
„E Palbero fiorisce e fa la pera,
A tutti ve la damo la buona sera.
E Valbero fiorisce e fa i frutti,
La buona sera ve do a tutti.‘
(„Es blüht der Baum und bringt die Birn’ hervor,
Drum sag’ ich guten Abend euch allen hier im Chor.
Es bringen Frucht die blühenden Bäume,
Und allen wünsch’ ich schöne Träume.‘)
152 955553555555 III II FI FI FF IF FH 55H HI 33 FF
Kaum ist er gegangen, so erscheint der Koch der
Osteria in blendend weißem Amtskleid, um sich zu
erkunden, wie es den Herrschaften geschmeckt hat,
und ihre Lobeshymne einzuernten. Wir aber brechen
auf. Zu lange würde es dauern, wollten wir den Auf-
bruch der Römer abwarten; denn diese müssen sich
erst noch stärken, um kräftig genug zu sein, im ersten
großen Kaffeehause der Stadt den Schluck zum Ab-
gewöhnen zu tun, da eine „ottobrata‘ doch voll und
ganz genossen sein will.
Via Appia antica.
Für diesen Ausflug seien einige längere Vorbe-
merkungen gestattet, da ihn wohl jeder Rompilger
unternimmt. Um es aber gleich herauszusagen, viele
kommen zur Via Appia, aber die wenigsten nur ge-
nießen sie in ihrer wahren Pracht und Feierlichkeit.
Die Durchschnittsreisenden wollen oder müssen zu
viel auf einmal und mit möglichst wenig Zeitverlust
sehen. Dabei vermögen sich auch manche nicht von
ihrer Hausordnung daheim loszumachen, indem sie,
aus Furcht, zu spät zum Abendessen zu kommen, die
Via Appia gerade dann verlassen, wenn sie sich am
schönsten zeigt, nämlich gegen Sonnenuntergang. Solche
Sklaven der Ordnung werden niemals hinter die Ge-
heimnisse der Campagna kommen. Sie ist eine spröde
Schöne, die nur denen all ihre Reize erschließt, die
noch ganz unmodern für den Bummel nach Handwerks-
EIIIIIITIIIITITITTIT IT TI III 02 153
burschenart schwärmen und, unbekümmert um das
Hotelgesetz, das namentlich in den kurzen Frühlings-
tagen die Table d’hote viel zu frühe ansetzt, eines
schönen Panoramas wegen auch einmal mit den fru-
galen Genüssen einer Landschenke vorlieb nehmen
können.
Meines Erachtens sollte man auch in Rom den
Mut haben, multum, non multa zu sehen, wenig also,
dies aber gründlich. Das heißt, auf die Via Appia
antica angewandt, man soll, selbst wenn der Rom-
aufenthalt ganz kurz bemessen ist, sich zwei Nach-
mittage für ihren Besuch nehmen, am ersten nur die
antiken Monumente von den Caracallathermen bis zu
den Katakomben besuchen, und am zweiten von dem
Grabmal der Caecilia Metella bis zur Casa Rotonda
fahren und von dort über die Via Appia Nuova zur
Stadt zurückkehren.
Geübtere Reisende, die Zeit haben, tun freilich
noch besser daran, wenn sie für die Via Appia einen
ganzen Tag nehmen, sich in einem Wagen bis zur
Caecilia Metella fahren lassen und zu Fuß bis an
das Gebirge gehen (zur Vorsicht können sie den
Wagen, der den Proviant mitführt, auf dem holprigen
antiken Pflaster nachfahren lassen). Ganz raffiniert
aber ist an schönen Tagen der umgekehrte Weg.
Morgens mit der Eisenbahn nach Castel Gandolfo
(Blick auf den Albanersee) und zu Fuß nach Albano
und von dort die Via Appia hinunter, und zwar so,
daß man eine Stunde vor Sonnenuntergang an der
Caecilia Metella anlangt, um den Prachtblick zu be-
wundern, der jedem unvergeßlich sein wird.
154 FFFSFISSSSFFSIFSSFFFSFFFSFFFFFIFIFFFFSS
Verlassen wir das Tor S. Sebastiano, dessen Türen
und Fenster durch „Malariadrahtkästen‘‘ geschützt sind,
so entdecken wir, daß der erste Teil der Straße noch
gar nicht antik, sondern im Gegenteil den Lebenden
gewidmet ist, wie die vielen Osterien und Garten-
wirtschaften beweisen. Gleich links vor dem Tor
finden wir in großer Schrift die Einladung: „Kommt
alle zum kleinen Hans, dem Winzer, bei ihm werdet
ihr den reinsten Wein von Genzano finden.“ Weiter
schreitend, passiert man lange Mauern, über denen
Holunder, Ahorn, Akazien blühen. Bald hinter dem
Viadukt der Eisenbahn nach Pisa, Genua erscheint
ein träg fließender brauner Bach, bei den Alten Almo,
jetzt Caffarella oder Aquatoccio genannt. Besonders
schön, jedenfalls nicht so schön, wie an der Grotte
der Egeria (s. S. 170), wirkt er an dieser Stelle nicht;
aber die Archäologen belehren uns, daß hier Ende
März ein religiöses Fest gefeiert wurde, das der Kybele,
der „großen Mutter“, und ihrem Liebling Attis ge-
widmet war. 204 v. Chr. war dieser halb mystische,
halb karnevalistische Kultus aus Pessinus in Galatien
nach Rom gebracht worden. Drei Tage dauerte das
Fest. Am letzten verwundeten sich die „Galli‘‘ ge-
nannten Priester der Cybele wehklagend Brust und
Arme, und wuschen dann der Göttin hölzernes Bild,
das der Sage nach vom Himmel gefallen sein sollte,
in: diesem Flusse. Dann trug das Volk eine mit
Veilchen geschmückte Fichte, die das Festsymbol dar-
stellte, jubelnd herum und umtanzte sie unter allerlei
Mummenschanz. —
Links folgt nun gegenüber einem goldgelben Hause
das erste Trümmergrab der alten Gräberstraße. Es
ist ein alter abgestumpfter Kegel, der jetzt nur als
FFFFFFFFFFSFSFSIFSFSIFIFFFSSFIFIFIFS 155
Untersatz eines kleinen Häuschens dient, darin der
Kneipwirt wohnt, der in der blauen Baracke zu Füßen
der Ruine sein Gewerbe treibt. Rechts kommt die
belebte „Osteria der Karrner“ und die ein malerisches
Bild stellende „Osteria del vero Genzano“, die einen
offenen Pfeilervorbau zeigt, den namentlich Sonntags
schöne ländliche Staffage füllt. Neben ihr hantiert
ein Stellmacher und flickt zerbrochene Räder, während
die Führer der Wagenkrüppel in den Laden ziehen,
der als die letzte Station, wo Brot und Salz und Tabak
zu haben ist, einen wichtigen Stapelplatz darstellt,
da sich die Campagnahirten hier für die Woche ver-
sorgen; ihre Steppe liefert ihnen ja nichts andres als
Salat und Cichorie.
Schräg gegenüber ist das sagenberühmte Kirchlein
„Quo vadis“, wo dem fliehenden Petrus der Herr
begegnete:
„Und der Jünger sinkt zur Erde — doch das Herz
läßt ihm nicht Ruh,
Und er ruft, mein Herr und Heiland, rede, wohin
gehest du?
Und der Heiland spricht, das Auge unverwandt auf
ihn gerichtet,
Mit dem Blick, der an der Tage letztem Falsch und
Wahrheit sichtet:
Meine Kirche steht verödet, meine Treuen sind ver-
irrt,
Zu der Stadt ist meine Straße, wo man neu mich
kreuz’gen wird.‘
Kinkel.*)
a n
Siehe Sienkiewicz „Quo vadis“.
156 35955535 III3I II; FI FIT FF FF FF TFT FF FF TSF
Wir ziehen geradeaus zur Höhe und wenden uns
um. Vor sich erblickt man wie zwei Schildwachen
Turmgrabreste, und weit dahinter die braune malerische
Stadtmauer mit der Torburg S. Sebastiano, die düster
absticht von der lachenden Gartenlandschaft. Wie
muß dieses Bild im Mittelalter ausgesehen haben, als
der ganze Mauerkreis noch dreihundert Türme zählte
und in der Stadt ebensoviele turmbewehrte Trutz-
burgen des kampffrohen Adels aufragten, die ihrer-
seits wieder mit den vielen Kirchtürmen wetteiferten.
Die Sehenswürdigkeiten, die zum Verweilen
locken, mehren sich. Da wir jedoch keine Archäo-
logen von Beruf sind, lassen wir einige, wie links
das Columbarium der Freigelassenen des Augustus
unbeachtet, und schauen lieber ab und zu durch die
offenen Tore der vigne (Weingärten), die herrliche
Ausblicke auf die hier noch reich angebaute Cam-
pagna bieten, und auf die Aquädukte. Auch an No. 33,
dem Eingang zu den Callistuskatakomben, und
an der Vigna San Sebastiano, an der links die Via
Appia Pignatelli abgeht, die nach der Osteria di mezza
via (s. S. 149) führt, schreiten wir vorüber; obschon
die Judenkatakomben, die hier liegen, recht interessant
sind; denn das Hauptziel der Wanderung ist die
Gräberstraße. Bald erreicht man, immer zwischen
Mauern wandelnd, die Stelle, wo die Straße sich senkt,
um Kraft zum Sprung auf die Höhe des Caecilia
Metella-Grabes zu sammeln, dessen Trommel leuchtend
lockt, zugleich mit der hohen Pinie, die ihm zur Rechten
Gesellschaft leistet.
Wer des Kardinal Wiseman schönes Buch „Fa-
biola“ kennt, wird jetzt an den pfeildurchbohrten
heiligen Sebastian denken, stehen wir doch vor
ETIIIIIIIIITITITE TI TI TI III I U 2 U 2 d 157
seiner uralten Kirche, die zu den sieben Hauptkirchen
Roms gehört, die jeder fromme katholische Rompilger
ex officio besuchen muß. Zur Linken der Straße ragt
baumumrahmt neben einem Brunnen eine Säule, die
in ihrer untätigen Einsamkeit stolz auf die grauen
und braunen Schwestern blickt, welche den Vorbau
der Kirche ‚tragen müssen.
Links ragt ein malerisches altes Tor, in welchem
ein emsiger Schuster arbeitet. Es führt zu dem gut
erhaltenen Circus des Maxentius, des Gegen-
kaisers von Constantin. Man könnte ihn ganz
gut zum Velodrom restaurieren und so wieder das
laute Volksleben erstehen lassen, das er bei seiner
Eröffnung im Jahre 309 n. Chr. zeigte, als zwanzig-
tausend Personen sich hier an den Wagenrennen er-
götzten. Ostern 1876 versuchten die Neurömer hier
die alten Spiele wieder zu beleben, aber das schöne
Fest ward leider nicht wiederholt.*)
Nur wenige Schritte noch, und man erreicht die
Stelle, wo eines der schönsten Wahrzeichen der Cam-
pagna, und abends eines der glühendsten Glanzlichter
des Landschaftsbildes, das Turmgrabmal der Caecilia
Metella aufragt. Gerade wie beim Denkmal des
Großbäckers Eurysaces an der Porta Maggiore (s.S.128)
fragt man sich auch hier, warum das Schicksal so
ungerecht war, die Denkmäler der Heroen vergehen
zu lassen, und dagegen die andrer zu erhalten, die
nur den Vorzug des Reichtums hatten. Denn wer
und was war Caecilia Metella? Diese Frage stellt
auch Byron in seinem „Childe Harold“ (4. Ges.,
Stanze 99):
*) Siehe Justus Ebhardt „Aus dem heutigen Rom“ S. 171.
158 555353355 I3I II III IF III IITI III III SF IF
„Dort steht ein runder Turm aus alter Zeit,
Gleich einer Burg, die in dem Wall von Stein
Noch kräftig Schutz vorm Sturm des Feindes leiht,
Ständ’ sie auch halb so stark nur da allein.
Wohl zwei Jahrtausend schaut er so darein,
Mit einem Netz von Efeu übersponnen,
Das die Verwüstung hüllt mit grünem Schein —
Zu welchem Zweck ward wohl der Bau ersonnen ?
Es schläft darin ein Weib, das dieser Welt entronnen.
Wer war sie denn, die man so hoch geehrt,
Daß man zum Grab ihr gab ein solches Schloß ?
Doch wohin will sich die Vermutung wagen?
Metella war’s — nur das weiß unsere Zeit —
Des reichsten Römers Weib, der ihr dies Mal ge-
weiht,“‘
Zwar bemerkt man nichts mehr von dem ,,griinen
Schein“ um den Turm; denn viele Jahre später, nach-
dem Byron hier stand, ließ Pius IX. die alte Gräber-
straße ausgraben und als Straße wieder herstellen,
wobei auch der Wissenschaft zu Liebe und den Malern
zum Leid alle Gräber gesäubert wurden. Die Maler
führen ja ebenso bewegliche Klage darüber, daß man
auch auf dem Palatin jeden alten Gebäudeknochen
kahl und bloß gelegt hat, während früher Mutter Natur
den schimmerndsten Blumenmantel über die starren
Reste breitete.
Efeumantel und Efeuschulterkragen zeigen hier nur
noch die Reste der Mittelalterlichen Burg, welche die
Caetani auf Geheiß des Chefs ihres Hauses Bonifaz VIII.
im Bürgerkriege gegen die mächtigen Colonna er-
SISIIIIISIHIHTTHT IT TI T HT TFT THF THF FF FF FF 159
richteten. Auch eine Kirche gehört zu der stattlichen
Veste, doch auch sie ist nur Ruine.
Wiederum treibt es jetzt den Wanderer, einen
Rückblick auf die ewige Stadt zu tun. Zunächst be-
merkt man die Sebastianskirche und einen Teil der
Peterskirche, dann den Monte Mario, die etru-
rischen Berge und die gelbrote Reitschule von Tor
di Quinto (s. S. 79). Doch Rom selbst ist im tiefen
Talkessel versunken, als hätte die Erde sich gespalten
und es verschlungen.
Jetzt schaut man wieder nach Süden, wie einst
Joseph Viktor Scheffel hier auf die Gräberstraße
blickte:
„Nun schreit’ ich aus dem Tore
Ins weite, öde Feld,
Dort ist der große Kirchhof
Der alten Römerwelt.
Die ruht von Lieb und Hasse,
Von Lust und Kampf und Strauß
Dort an der appischen Straße
Im Marmorgrabe aus.
Mich grüßt der Turm, vergüldet
Vom Abendsonnenstrahl,
Caecilia Metella,
Dein trutzig Totenmal.“ | |
(Trompeter.)
Einige Schritte weiter, nachdem wir die Burg der
Caetani verlassen, geht links eine Militärstraße zu den
roten Pulverhäusern und zur Via Appia Nuova ab.
Ihr gegenüber steht eine einfache Landkneipe ohne
1609953535 I I II IH I II IF FI FI FF FH FH HF SF FF FH
Namen, die als Aufschrift nur „Paste e generi diversi“
(Teig- und Spezereiwaren) trägt. Hier soll man Hütten
bauen; denn die Aussicht, die man hier namentlich vor
Sonnenuntergang genießt, verdient nicht nur sechs
Sterne im Baedeker, sondern auch, daß man nach dem
Besuch der Gräberstraße nur ihretwegen nochmals
hierher zurückkehrt.
Den Hauptreiz des hier gebotenen Panoramas
bilden die Reste der Claudischen Wasserleitung mit
ihrem Zentralbau der Porta Furba (s. S. 138) und die
von Warttürmen und Trümmern übersäete grüne Wüste,
welche als Schleppe des Königsmantels dient, der die
Albanerberge bedeckt, und auf dem die „römischen
Schlösser‘‘ (Castelli Romani) Frascati, Rocca di Papa,
Marino als Goldrosablumen aufgestickt sind. Wahrhaft
zauberisch erglänzen aber sowohl Schleppe als Mantel,
wenn sie an schönen Oktoberabenden im Purpur flam-
men. Stundenlang könnte man hier verweilen; denn
jeder Sonnenstrahl erzeugt neue Beleuchtungseffekte,
jede vorüberhuschende Wolke zaubert die bizarrste
Jagd einander haschender Schattengespenster hervor,
die wie von der Laterna Magica entsandt über das
paradiesische Feld hingleiten.
In den ersten zehn Minuten zeigen sich noch
wenige Gräberruinen, und diese wenigen sind meist
im Verein mit angebauten Schuppen in den Dienst
der Landwirtschaft gestellt, dafür genießt man aber
links und rechts immer malerischere Ausblicke auf
die Aquädukte. Dort, wo links ein durch eine Kette
abgesperrter Weg abgeht, winkt eine neue über-
raschende Aussicht: auf den Hain der Egeria, auf
Rom, die Latinergräber, die Aqua Santa (s. S. 146) und
die Sabiner- und Albanerberge, die sich „wie schim-
FFFFIFIFFFFFFFFFFFFFTFFFFIFITIIF9S 161
mernde Wolkenziige vom frühlingsgrünen Grunde der
weiten Steppe aufbäumen‘. (VoB.)
Nun erblickt man geradeaus, wie die lange Zeile
der alten Appia schnurgerade zum Gebirge zieht und
dieses bei dem hinter einer Bergwelle verborgenen
Albano iibersteigt. Diese gerade starre Linie hat etwas
Imponierendes, sie kennzeichnet das ZielbewuBtsein
der alten Römer, und namentlich ihres Erbauers, eines
der typischsten Staatsmänner des alten Roms. Der
aus Etrurien stammende Censor Appius Claudius, der
312 v. Chr. diese Straße bis nach Capua hin als die
erste ihrer Art — aber für die Ewigkeit baute, schuf
mit ihr das Muster für das bewundernswerte Netz der
Militärstraßen, durch die Rom seine Weltherrschaft
sicherte. Später wurde sie über Capua und Benevent
bis nach Brindisi verlängert, wie wir unter andrem aus
den Satiren des Horaz wissen, in denen er seine Reise
nach Apulien so launig beschreibt.
Bald betritt man auch das alte Lavapflaster der
Straße.
Rechts erscheint jetzt das von einem Eukalyptus-
ring umgebene Fort Via Appia Antica, dessen knall-
rote Häuser grell sich abheben von dem Grün der
Schnitzelblätter der „Fieberbäume‘ und den Porphyr-
säulen ähnelnden Stämmen der Pinien und dem
Schwarzgrün ihrer Kronen. Hier beginnt — etwa
fünf Kilometer von dem Sebastianstor entfernt — der
schönste Teil der Gräberstraße, der sich etwa
eine Stunde fortsetzt.
Bei einem mit Efeu bewachsenen Turmgrab, das
nun sichtbar wird, taucht dem Scheffelfreund die Scene
auf, in der dem Papste die Conduitenliste des Trom-
peters vorgelegt wird:
Zacher, Was die Campagna erzählt. 11
162 35IIII III I II I IF THF THF FFF FH FF FH IH FF FF
„S hat ein römischer Patron einst
Seiner jüd’schen Freigelassenen,
Die er als Andenken an den
Tempelbrand Jerusalems
Mitnahm, dort ein Grab errichtet.
Glaub, sie hieß Zetcha Achyba.
Dorten saß er, und die Späher
Sagten, ’s war ein schön Effektstück:
Die Campagna nächtlich düster,
Er, den Mantel umgeschlagen,
Mondschein auf dem Marmordenkmal.
Klagend blies er die Trompete . . .“
Nach dem Empfinden vieler Leute waren die alten
Römer doch kuriöse Leute, weil sie ihre Gräber an
die besuchteste Heerstraße aufstellten! Schreckte sie
nicht der Tod, oder wollten sie durch reichen Prunk
ihr Familienprestige erhöhen? Fehlen auch dem Nicht-
archäologen die Kenntnisse, um die alte Gräberpracht
im Geiste streng historisch wieder aufzubauen, so wird
es doch auch manchem empfindungsreichen und phan-
tasiebegabten Manne gelingen, hier, „wo dem denken-
den Manne die Geistesflügel wachsen“, die nackten
Knochengerüste und Skelettreste wieder mit dem Mus-
kelfleisch des Marmors zu bekleiden, den die Römer
des Mittelalters raubten, um entweder ihr eigenes Heim
zu schmücken, oder aus schnöder Gewinnsucht Kalk
daraus zu brennen. Schade, daß die nun so öden
Trümmer nicht reden können. Sonst erzählten sie uns
von den Triumphzügen siegreicher Feldherrn, die hier
vorüber nach dem Mons Albanus zogen, oder von den
Transporten wilder Tiere, die für die blutigen Schau-
spiele des Kolosseums bestimmt waren. Wie mußte
EIUITIIIIIIIIIIILIIIIIIIIIIIIUIII 163
sich ferner der Glanz des kaiserlichen Pompes in dieser
gleißenden Marmorallee heben, wenn zum Beispiel
Nero hindurchzog auf dem Wege zu seinen Meer-
palästen von Antium. Aber auch groteske Bilder sah
die alte Appia. So im Jahre 49 v. Chr., als Cäsar den
Rubicon überschritten hatte, und die Pompejaner mit
dem ganzen Senat Hals über Kopf in panischem
Schrecken nach dem Süden flohen.
Schade! Die Grabmäler, die wir nun schauen, ge-
hören meist Leuten an, die uns so unbekannt sind,
wie irgend ein Schulze und Müller der heutigen Zeit.
So zeigt links ein Inschriftenbruchstück auf einer vier-
eckigen Mauer, daß hier ein gewisser M. Servilius
Quartus die letzte Ruhe fand. Das folgende Grab-
fragment, auf dem ein Relief den Tod des Attis, des
Lieblings der Kybele, darstellt (s. S. 154), erregt schon
höheres Interesse; denn die Archäologen behaupten,
daß es das Grab des Philosophen Seneca sei, den
Nero zum Selbstmord trieb. Es folgt ein runder Denk-
malstumpf. Hier halte man und steige links auf die
roh gefügte Einfassungsmauer; denn hier erblickt man
die sich kilometerweit von der Porta Furba bis zu den
Capanelle hinziehende Linie der Aqua Claudia. Auch
das Bergpanorama und die Campagnaebene erscheinen
hier wie neu in dieser linden Luft, in dieser gleißen-
den Lichtfülle, in diesem Blumenflor ringsum, auf dem
die erhabene Ruhe poetischster Einsamkeit lagert.
Keinen Laut vernimmt man, nur hier und da ein Jubi-
lieren und Trillern aus Lerchenkehlen. Hier atmet man
auf, wie auf Bergeshöhen, hier schwelgt man nach
Herzenslust in Landschaftspracht.
Doch neue Schönheiten locken uns. Links er-
blicken wir auf neu aufgerichteter Mauer eine Stein-
11*
164 33553335333 I II III IF FF FF FF FH FH HF FF STH
tafel, in der in lateinischen Versen das Lob des Frei-
gelassenen, Justus Pompeius, gesungen wird. Gegen-
über ragt auf der Mauer ein modernes Gittertor mit
der Aufschrift: „Proprietà Lugari“, und links von ihm
neben einer Miniaturtreppe ein Schild: „Ingresso
Scavi“. (Eintritt zu den Ausgrabungen.) Man trete
ein und lasse sich von dem Wächter in dieser von den
Reisebüchern noch nicht erwähnten Sehenswürdigkeit
herumführen, die uns die Anlage einer altrömischen
Villa mit Kalt- und Warmbad u. s. w. kennen
lehrt.
Im Weitergehen macht sich auch das Tierleben
der Campagna bemerkbar. Schmetterlinge umgaukeln
uns, Eidechsen huschen verschüchtert umher, Heu-
schrecken springen, und früh aufgestandene Zikaden
schrillen dazwischen, so dem Reisenden einen Vor-
geschmack davon gebend, wie ihr Massenkonzert im
Sommer wirkt — unerträglich, ohrenzerreißend.
Die rohen Umfassungsmauern der Wiesen zur
Linken werden niedriger, also der Blick auf die wie mit
Edelsteinen besäten Fluren freier, auf denen nach
G’sell-Fels siebentausend Ostgoten lagerten, als Belisar
im Jahre 536 Rom besetzt hatte. Bald naht rechts ein
Grabmal, das eine Sarkophagwand mit fünf Relief-
köpfen zeigt, etwas weiter kommt das Grab des Steuer-
einnehmers Secundus, der nach der Inschrift ein großer
Pantoffelheld gewesen sein muß. Links liegt mitten
im Grün der Straße der Torso einer Gewandstatue, die
wie mit Goldplatten gespickt erscheint, so sehr ist sie
von einer gelben Moosflechte besprenkelt. Nun zeigen
sich mehrere noch fast ganz erhaltene Grabmäler von
namentlich aufgeführten, aber trotzdem unbekannten
Leuten, die uns auch weniger interessieren, als die
|
rn a,
FFFIFIFFFISISIFIFSISIFISIFSSSSSSIFS 105
Blütendichtung, die ihre Ruhestätten umspinnt: blaue,
rote Wicken, blutroter Mohn, Schierling u. s. w. Um
ein Grabmal, das Altarform hat, ziehen sich rote und
blaue Winden, und wuchern mannshoch purpurne und
ultraminblaue Disteln. Und in dieser duftenden Pracht
wecken die Denksteine der fremden Toten den Schauer
der Ehrfurcht, ebenso wie die alten Wasserleitungs-
trümmer, die sich jetzt nähern. Durch ihre Bogen
ebenso wie durch die Risse und Löcher der Grabreste
lugt aber des reinsten Himmels Blau.
Links bemerkt man jetzt auch die Staffage der
Campagnawüste: Dachzelte und Kegelhütten aus Rohr
und Stroh, die Wohnungen ärmlicher Hirten, Pferde
und Ochsen, und große zottige weiße Campagnahunde,
die mit wütendem Gebell heranspringen, aber von
einem strengen Pfiff ihrer Herren zurückgerufen wer-
den. Knurrend gehorchen die Bestien, die zur Nacht-
zeit wohl unbefugten Eindringlingen gefährlich sein
mögen. !
Die Grabtrümmer nehmen jetzt immer bizarrere
Formen an, man sieht umgestülpte Riesenhämmer,
versteinerte Baßgeigen und Violinschlüssel oder vier-
beinige Riesenschemel. Rechts fällt ein grüngrauer
fast noch ganz erhaltener Grabbau aus Peperin auf,
auf welchem kleine Putten Biumeniestons halten, über
der Brüstung aber liegen zwei steinerne Schlummer-
rollen, deren Enden Gorgonenhäupter zeigen. Daneben
folgen wieder vier Büsten mit bartlosen mürrischen
Gesichtern. Die Torsos von Gewandstatuen, die am
Boden liegen, mehren sich. Libellen umschweben uns.
Plötzlich. erscheint ein Grab, das wie der Kopf einer
vergrabenen Sphinx aussieht. Pinien und Cypressen
beleben jetzt auch die steinerne Allee und laden zur
166 I3IIIIIIIITIFTF TFT TH FF FF FF FF FF FH FF FF
Rast ein. Einen besseren Picknickplatz könnte man
lange suchen; denn jeder Bissen, den man nimmt,
wird durch unvergeßliche Rückblicke auf die bis jetzt
durchmessene Strecke gewürzt.
Weiter links taucht ein größeres Bauernhaus auf,
das an einen alten Kirchenbau angeklebt ist. Die
schönen Pinien und Eukalyptusbäume, die nahe bei
ihm stehen, erhöhen die Schönheit des Blicks auf
Frascati, das greifbar nahe gekommen ist. Nun er-
blicken wir dahinter im Felde einen Komplex von
Ruinen, viereckige durchlöcherte Kasten und Funda-
mentkellerreste, deren runde schwarze Öffnungen wie
ebensoviel offene Mäuler aus dem Wiesengrün hervor-
grinsen. Die Archäologen nehmen an, es seien dies
die Reste der Villa Quintiliana, die ihr Besitzer
Kaiser Commodus berüchtigt gemacht, des Philosophen
Mark Aurels unwürdiger Sohn. 189 n. Chr. war’s, als
sich das römische Volk gegen des Kaisers Günstling
und ehemaligen Kammerdiener Cleander empörte, der
für diesen herrschte, während Commodus selbst hier
in der Quintiliana ein schnödes Sünderleben führte.
Das Volk machte vor der Villa eine Straßendemon-
stration, und der Kaiser gab seinen Günstling preis,
um sich selbst zu retten.
Weiter links folgt ein riesiges Grabmal, das einem
tausendfach vergrößerten Pinienapfel gleicht, dann
rechts zwei ganz mit Rasen bewachsene Pyramiden-
tumuli, die mit prächtigen Cypressen und Pinien um-
rahmt sind, links gegenüber humpelt ein geborstener
halber Turm. Dann wird die Straße auf eine längere
Strecke ganz kahl, wodurch der Blick auf die Berge
freier wird, die einen Coulissenwechsel vorgenommen
haben, da der Hügel von Colonna jetzt vor Palestrina
FSFFSTSIFFFFIFIFSSFFIFSFSFFFIFSFIFSGS 167
liegt und so die Grenzgraben-Lichtung zwischen den
Sabiner- und Albanerbergen verdeckt. Die Triimmer
im Grase mehren sich, man sieht steinerne Polster,
geschuppte Säulen, kopflose Gewandstatuen, Fries- und
Pfeilerfragmente, von VergiBmeinnicht und Alpen-
veilchen umkost. Dann kommt ein gleichsam zum
bloBen Tor zusammengeschrumpftes Denkmal, dessen
Inneres Peperinfutter zeigt, dann ein versteinertes
Korsett oder Stundenglas, und schlieBlich die Haupt-
und SchluBnummer unseres Programms: die Casa
Rotonda, eine runde ,,indigesta moles“, fast doppelt
so groß wie die Caecilia Metella, nur ohne den Über-
rock wie diese; denn nur zum Teil ist hier die Peperin-
panzerung noch erhalten. Auf den Schultern trägt
der Koloß ein ganz respektables Bauernhaus, das schier
in einem silberig schimmernden Ölhain erstickt. Vor
uns ragt links die größte senkrechte Mauer-Vetrine, die
wir bis jetzt gesehen; sie zeigt als Auslage all den
interessanten Inschriften- und Figurenschmuck, der
unter Pius IX. noch von dem alten Grabe gerettet
werden konnte. Aus ihm ersehen wir, daß die Casa
Rotonda als Grabstätte einem Herrn, namens Cotta,
errichtet war. Zugleich erblitken wir eine Reihe von
Köpfen, mystisch, stächelgekrönt, die Christusköpfen
gleichen, sowie ebenso exotische Frauenköpfe, sowie
Kandelaber, Festons — kurzum, eine herrliche Aus-
beute für Archäologen. Wir steigen nun zu dem
Bauernhaus hinauf, und wiederholen aus der Vogel-
schau die Prüfung aller SEHERSVALDIERENEN, die wir
bisher gesehen.
Die Fahrt ist zu Ende.
Wer nicht desselbigen Weges zurückkehren will,
sondern Abwechslung liebt, mag gleich hinter der Casa
168 III IF FF HT TH HH TI THTTTTTTTT TFT TFT TH
Rotonda den Fahrweg links einschlagen, der zur Via
Appia Nuova führt, und von hier den Heimweg an-
treten.
Der Hain der Egeria.
Es unterliegt keinem Zweifel. Der heilige Hain
ist wohl der stimmungsvollste Fleck, den die Cam-
pagna nahe bei der Stadt aufzuweisen hat, und nicht
umsonst haben sich ihn die besten Campagnamaler
immer und immer wieder zum Vorwurf genommen.
Doch, um von vorn herein vor einer Enttäuschung zu
bewahren, man erwarte nicht, einen großen Wald zu
finden; denn der bosco sacro ist nur klein. Worin
aber sein Zauber liegt? Chi lo sa? Zum Teil ist viel-
leicht unsere Jugendzeit daran schuld, in der wir so
viel von dem märchenhaft reizvollen Beginn der ewigen
Stadt und von König Numa hörten, der oft zur Nymphe
Egeria ging, um sich von ihr politisch belehren zu
lassen. Zwar haben die Archäologen mit heißem Be-
mühen herausgefunden, daß der wahre Hain der Egeria
noch innerhalb der Stadtmauern lag, aber für alle
übrigen Leute wird unser Hain immer mit der Er-
innerung an Egeria verknüpft bleiben.
Wann man den „bosco sacro“ besuchen soll? Bei
schönem Wetter zu allen Jahreszeiten, freilich sind die
Monate Mai und Oktober am schönsten für seinen
Besuch geeignet. Wer Freund düsterer charakteristi-
scher Stimmung ist, mag ihn auch aufsuchen, wenn der
Scirocco sein graues Wolkenheer heranwälzt, weil dann
seine Umgebung eine solch eindrucksvolle klassische
NS niall
Dane
FFFFIFFIFIFFTIFFITFIFTFIFSSIFISSSISSSF 109
Schwermut atmet, wie sie zur Campagna, als dem
Totenfeld der Geschichte, paBt.*)
Im folgenden sei eine Pilgerfahrt zu dem einsamen
Hügel geschildert, die in der Stimmung dem Eindruck
des deutschen Touristen entsprechen dürfte, welchen
die Frühlingssehnsucht dem nordischen Winter ent-
fliehen hieß. Mit einer gewissen Schadenfreude
schwelgt solch ein Glücklicher in Lenzesjubel zu einer
Zeit, wo im Norden noch Schnee und Eis die Fluren
bedecken.
Unendlicher Regen hatte uns Römer vierzehn Tage
lang ans Haus gefesselt. Der erste Frühlingstag blaute,
und die Sonne brannte derart, daß es geraten war,
schattigen Ort zu suchen; denn römische Frühlings-
sonne ist gefährlich, sie berauscht wie Alkohol, wie
schon so manche Unbelehrte, die sich ihr zu lange
ausgesetzt hatten, am eigenen Leibe erfuhren, wenn
sie sich dessen Taumelgang nicht erklären konnten,
da sie doch kein Tröpflein Wein getrunken.
Also hinaus zur Via Appia Antica bis zum Kirch-
lein Domine Quo vadis (s. S. 155). Hier begegnen
wir vielen Touristen, die in der Droschke die Pflicht-
fahrt zu den Callistuskatakomben machen. Links geht
hinter dem sagenberühmten Kirchlein ein Weg ab,
der sich zwischen knospenden Hecken hinzieht. Er
heißt nach dem Flusse Via Caffarella (antik: Almo),
weil er in dessen Tal führt. Nach wenigen Schritten
ist man im Freien. Links erblickt man eine Mühle
und nebenan ein seltsames Haus, das sich bei näherer
Prüfung als ein antiker kleiner Tempel entpuppt. Es
ist in der Tat ein altes Grabmal, dem die späteren
Römer den Namen „Tempel des Deus Rediculus‘‘ (des
*) S. Assessor Assemacher in Italien S. 416ff.
170395 I I I IH IH FH IH FH FF FH FF HH THF THF FFF FT
die Rückkehr erzwingenden Gottes) gaben, weil der
Sage nach hier der Hannibalsschrecken (‚Hannibal
ante portas‘‘) sein Ende gefunden haben soll. 211 v.Chr.
war's. Hannibal war aus Apulien hergezogen, um
durch einen Angriff auf Rom das römische Heer, das
Capua belagerte, zum Rückmarsch zu zwingen. Doch
die Römer taten ihm den Gefallen nicht, ihm nach-
zuziehen, und so mußte er selbst den Rückzug an-
treten; denn er hatte nur für zehn Tage Lebensmittel
mit, und besaß kein Belagerungsgerät, außerdem ließen
sich die in Rom weilenden Soldaten nicht hervorlocken.
Damals zeigte sich Roms Energie und Trutz im hellsten
Lichte, erzählt doch die Sage, daß, als ein Stück Land,
auf dem die Karthager lagerten, während der Anwesen-
heit Hannibals auf dem Forum versteigert wurde, es
durchaus nicht im Preise sank. Das faßte Hannibal
als Prahlerei auf, und als Antwort darauf ließ er die
Tische der Wechsler auf dem Forum, also nach heutiger
Auffassung die Firmen der größten römischen Bankiers
von damals öffentlich in seinem Lager ausbieten. Die
Sage will freilich nichts von der prosaischen Begrün-
dung des Abzugs Hannibals wissen, sie erzählt viel-
mehr, daß dort, wo jetzt der Tempel steht, dem puni-
schen Feldherrn Geister erschienen seien, die ihn so
erschreckten, daß er schleunigst abzog.
Zur Linken fließt der in Stein gefaßte Caffa-
rella, unser Blick fällt auf dessen Wiesental und die
jenseitigen mit Landhäusern und Herden bedeckten
Hügel, bis nach zehn Minuten rechts eine gemauerte
Höhlengrotte zu unsern Füßen gähnt, die sich tief in
des Hügels Inneres hineinzieht. Das ist die malerische
Grotte des Flußgottes Almo, oder die Grotte der
Egeria, die schon so viele Maler begeistert hat;
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denn das Licht- und Farbenspiel, das die Grotte bietet,
ist an hellen Sonnentagen einzig schön. Noch sieht man
Reste der früheren Marmor- und Stuckbekleidung ;
die Gewölbe und Wände dieses Nymphaeums schmückte
auch noch ein Fragment der Statue des Flußgottes.
Moos und Wasserpflanzen bedecken den feuchten
Boden und bringen so neue Farbentöne in das Gesamt-
bild. Byron singt in seinem Childe Harold:
„Noch liegen auf dem Moos an deinem Quell
Die Nektartropfen, köstlich klar, verstreut!
Noch strahlt dein Frühling, ewig jung und hell,
Zurück den Genius, dem der Ort geweiht!
Doch stürzte hier die rauhe Hand der Zeit,
Was einst die Kunst an diesem Ort erbaut:
Kein Marmorbau mehr Schutz und Schatten leiht;
Es quillt die Flut mit leisem Flüsterlaut
Aus deines Standbilds Riß hin über Blum’ und Kraut.
An diesem Ort du wohntest weltverloren,
O Göttin, und dein Herz erharrte ihn,
Der doch nur war von dieser Erd’ geboren.
Es hat die Mitternacht euch hold gelieh’n
Als schützend Dach ihr Sternenbaldachin!
Fürwahr! Die Grotte wohl geeignet schien
Für eine Göttin, die nach Lieb’ begehrt.“ —
Wir ziehen weiter, und bald erscheint der kleine
wollige Busch, der wie ein Bouquet am Busen einer
schönen Frau an diesem grünen Hügel prangt. Schade!
Man hat den heiligen Hain im Laufe der Zeit stark
gelichtet.
Wir steigen den Grasteppich hinauf und treten in
den Hain, der ein Kuppeldom mit Baumkronenge-
wölben scheint. Froh aufatmend legen wir uns ins
172 III TFT HT HT TFT TH TH HT TH TH TH THF THF TH
Gras und schauen durch die Dachlücken die blauen
Himmelsfetzen, die durch den Kontrast des üppigen
Steineichengrüns doppelt blau, ja fast violett erscheinen.
Mit Scheffel denkt man: „Nicht neid’ ich der Welt
alle Wonnen!‘ Drinnen in der ewigen Stadt kämpfen
die Schwarzen mit den Weißen und Roten, betrügt der
Minister die Kammer, der Advokat den Richter, der
Wucherer den kleinen Beamten, stundenlang sitzen
dort die Politiker in dumpfer Apotheke oder schwälen-
dem Kaffeehause, Hunderte von Dichtern schwitzen
Verse, und in Deutschland in Schnee und Eis schlagen
sich Junker und Schlotbarone herum — hier jedoch
herrscht Ruhe, Stille, Frieden. Nur der Wind macht
sich mausig und zerrt den würdigen Steineichen mut-
willig im krausen Haar. Doch sie wissen ihren Adel
zu schätzen, stammen sie doch aus Numas Zeit, drum
kümmern sie sich nicht darum, was außer ihnen vor-
geht, auch der Besuch gewöhnlicher Menschen läßt sie
kalt, haben sie doch schon so viel erlauchte Geistes-
riesen gesehen, wie Goethe, Seume, Gaudy, Byron,
Shelley, Heyse, Gregorovius, Scheffel, Allmers,
Boecklin, der andren alle zu schweigen, die hier am
Busen der Campagna römische Landschaftswonne und
Sonnenpracht genossen.
Boten des Frühlings kommen, KohlweiBlinge,
Mücken, verschüchterte Eidechsen, und naseweise
Lerchen trillern schon ihre Lenzhymne. Ein junger
Esel stört die stille Betrachtung. Philosophisch peri-
patetisiert er, trinkt Frühlingsodem und speist duftiges
Gras dazu. Ein schöner Kerl, nicht so steif, grau,
würdevoll, wie seine philiströsen nordischen Brüder.
Er ist auch zutraulicher als diese und fürchtet sich
nicht vor dem zweibeinigen Nachbarn, der neben ihm
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im Grase liegt und Naturfreund ist, wie er. Seine
noch von keinem Zahnarzt entweihten Zähne sicheln
das Gras, daß man es auf hundert Meter Entfernung
hört. Seine Furchtlosigkeit macht auch andren braunen
Gesellen Mut, und so kommen auch einige Maultiere
heran, um sich den Besucher zu beäugen, der ganz
versunken ist in den Anblick der Sonnenflecke, die
durch den Laubfilter auf den grünen Rasen durch-
gesickert sind, wo sie ein zierliches Menuett tanzen,
das die Kunst eines Siemieradski oder eines Paul
Höcker reizen könnte. Bald fallen dem Betrachter auch
die Stämme der Eichen ringsum auf, da jeder von ihnen
bemüht ist, sich als Individuum zu geben.
Nun beginnt die Bergpredigt der Campagna. Zu-
erst knüpft diese an das nahe Grab der Caecilia
Metella an, das von hier einer am oberen Rand zer-
fetzten Riesentrommel gleicht, dann springt sie links
zur neuen Epoche des Militarismus über, indem sie
auf das eukalyptusumkränzte Fort verweist, drauf be-
schäftigt sie sich mit der Landwirtschaft, denn im
Norden krabbeln wollige, weiße und graue Punkte
auf den grünen Wiesen herum. Nun kommt auch
der Monte Gennaro, der heute wie aus bläulichem
Silber getrieben erscheint. Armer Kerl! Er sieht
etwas grämlich aus, geht es ihm doch wie Klopstock,
viel gelobt wird er nur. Nun, er hat ja auch genug
getan, wenn er der Campagna als Folie dient. Jetzt
drängen sich auch die roten und gelben Latinergräber
auf und die bizarren Linien der antiken Wasserleitungs-
bogen, die bei Porta Furba einen wahren Rattenkönig
der malerischsten Ruinen bilden. Auf der Wiese im
Vordergrunde rückt drauf plötzlich ein Wartturm
Irohend heran. Auch er ist ein armer Kerl. Er ist
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doch längst pensioniert und bildet sich wohl im Traume
ein, er sei noch jung und tue noch mit in den Kämpfen
der römischen Barone, oder bringe mit seinen Feuer-
zeichen den Tempelritter-Bankherren die neuesten
Kurse aus Rhodus! Auch die Sabinerberge sind heute
eigentümlich. Sie tragen Kopfbinden, wie die antiken
Priester, Schneetücher sind’s, die der Regen der letzten
Tage gewebt. Doch die herrlichen Piniengruppen der
Aqua Santa an der neuen appischen Straße ziehen uns
ab, dahinter leuchtet die Citadelle von Frascati, das
hoch gelegene Monte Porzio, und jetzt gleißt Frascati
selbst auf seinem bläulich braun--violetten Berges-
polster, umgrünt von den Parks, in denen die Burg-
schlösser der römischen Großen ragen, die jetzt die
Geistlichkeit besitzt. In einer dieser Villen steht jetzt
vielleicht der größte Schilderer der Campagna, Richard
Voß, auf hohem Balkone und weidet seine nie ge-
sättigten Augen an dem ewig neuen Landschaftszauber.
Rechts in der Höhe bemerkt man jetzt auch Rocca di
Papa, hingehaucht wie schmelzender Schnee; denn
noch liegt es im Schatten, der Abendsonne gewärtig,
die ihm die Wangen röten soll. Dann verfolgt man
die edlen Linien des Albanergebirges, die in sanftem
Adagio aufsteigen bis zum Monte Cavo, der seinen
Schopf vor Zorn sträubt, weil ihm ein weißes Wölklein
zu nahe gekommen. In ergreifendem Andante fällt
die Bergeslinie meerwärts ab, bis sie im Steppenmeer
erstirbt, über welchem in stolzer Selbstgenügsamkeit
ein Raubvogel kreist.
Die Sonne beginnt zu sinken. Vier Uhr ist
vorüber. Wir erheben uns und machen einen Rund-
gang um den äußern Baumring. Auch hier beschleicht
uns wieder das Gefühl des Friedens. Der große Geist
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der unendlichen Campagnaruhe erfaßt uns. Der
Caecilia Metella-Turm ist erwacht, er schimmert rötlich,
auch in die Schafe ist neues Leben gekommen; ihr
Mantel scheint auf dem Rückensaum mit goldschim-
merndem Hermelinstreifen besetzt, den Frau Sonne
angestickt. Im Norden drängt sich die reiche Ver-
gangenheit der braunen Stadtmauern auf, überragt von
Roms Wahrzeichen, der blauen Peterskuppel. Ein
Hirt mit Faunsfüßen schleicht neugierig näher, er
möchte wohl gerne wissen, warum ich jetzt so entzückt
auf den Hügel starre, auf dem das Tempelkirchlein
S. Urban thront, oder warum ich mich plötzlich um-
wende und erstaunt die Augen weite. Wie soll er
auch verstehen, daß ich ergründen will, weshalb die
besten Maler jedesmal in Verzweiflung geraten, wenn
sie sehen, wie die Sonne den römischen Farben eine
Leuchtkraft gibt, die jeder Wiedergabe spottet. Schaut
doch nur hin, wie das Landhaus jenseits des Baches
Caffarella in blendendem Oker leuchtet! ...
Langsam nur und ungern verlasse ich jetzt den
seligen Hain, der so viel Freuden spendet, und schreite
zu dem westlichen Hügel, auf dem
St. Urban
liegt. Zwar ist es noch frühe in der Jahreszeit; denn
den größten Zauber entfaltet das zur christlichen Kirche
umgewandelte antike Tempelgrab, wenn der Frühling
auf die Berge stieg, und die Wiesen ringsumher in
märchenhafter Blumenfülle prangen, wenn Rittersporn,
Skabiosa, Steinklee, Hasenfuß, Löwenzahn, Mohn-
blumen zu Millionen um- und nebeneinander wimmeln
und den Fuß des Wanderers hemmen, und Bodenstedts
Gedicht uns in den Sinn kommt:
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„Das Gras wird zertreten,
Das saftig die Herd’ nährt,
Und niemand beachtet
Die heilenden Kräuter,
Die wundertät’gen,
Verborgen im Grase —
Derweilen der Efeu
Sich stolz um den Baum rankt,
Und die Blumen prangen
In lieblichem Dufte
Und blendendem Farbenspiel.“
Hundegebell ertönt, wir treten durch die Hecke
auf des Hügels Plateau, das von Fliederbäumen, Cy-
pressen, Steineichen, Ulmen, Obstbäumen und Euka-
lyptusriesen umrahmt ist. Stellenweise finden sich
auch lauschige Lauben, in denen antike Altarreste als
Tische, und geborstene Säulen als Stühle dienen,
Lauben, die in weihevoller Einsamkeit zum Träumen
und längerem Verweilen einladen. Die feierliche Stim-
mung steigert sich, wenn wir nun die Fassade des
antiken Baus betrachten, der noch in voller Stilreinheit
glänzt, wenn man auch die Säulen seines großen
Portikus durch Ziegelwände verbunden hat. Ein Tem-
pel des Bacchus soll er gewesen sein, ehe man ihn
zur christlichen Kirche bekehrte. Als solche scheint
er aber jetzt pensioniert zu sein; denn tritt man in
sein hohes, kahles Innere, so sieht man, daß der Altar
abgerüstet hat, und die Kirche selbst zum Haushaltungs-
dienst des nebenan wohnenden Pächters herangezogen
wurde.
Es lohnt sich auch ein Gang um Kirche und
Haus herum durch den Gemüsegarten. .. .
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„Und junge Blüten spenden süßen Duft.
Die muntere Eidechs’ schlüpft durchs Gras behende
Und Vogelstimmen klingen durch die Luft.
Ein Blumengarten uns zum Weilen ruft,
Der mannigfach an Farben und Gestalt _
Sich zeigt auf Hügel und auf Bergeskluft:
In sanftem Blau des Veilchens Auge strahlt,
Als hätt’ des Himmels Kuß ihm seinen Kelch gemalt.“
(Byron, „Childe Harold.)
Da der Pachter auf gute Worte hin auch neben-
amtlich den Wirt spielt und guten Wein hergibt, so
empfiehlt es sich für jeden Besucher, der Zeit hat, in
einer der feierlich stillen Lauben dem nahen Sonnen-
untergang vespernd entgegenzuharren. Dann ist der
Augenblick gekommen, über den heiligen Hain nach
den südlich gelegenen roten Pulverhäusern zu gehen,
wo links die Militärstraße nach der Via Appia Nuova
führt.
Übrigens ist der Ausflug nach dem heiligen Hain
auch mit Wagen möglich, da der Weg von Domine
Quo Vadis bis zur Militärstraße fahrbar ist.
Vor Porta San Paolo.
(S. Paolo — Tre Fontane — Via Sette Chiese.)
Auch dieser Ausflug wird zum Teil wenigstens fast
von allen Romreisenden gemacht, da wohl niemand
Rom verläßt, ohne die elegante Basilica S. Paolo fuori
le mura gesehen zu haben, die seit dem Brande von
Zacher, Was die Campagna erzählt. 12
178 III III IH FF IT TFT HF HH HIFI CH SHIT IT IF IF IFFT
1823 ganz neu aufgeführt wurde, bis auf die Fassade,
an der noch gebaut wird.
Wie die alte Kirche, so ist auch, aber schon Jahr-
hunderte vorher, der alte Portikus geschwunden, der
das Tor San Paolo mit der berühmten Wallfahrtskirche
verband, damit die Pilger, gegen Sonne und Regen
geschützt, leichtere Wanderung fänden. Heutzutage
erleichtert der elektrische Wagen die Pilgerfahrt noch
mehr.
Die viel belebte Straße bildet eben wegen des
starken Lebens und Verkehrs wenig Interessantes für
den, der Campagnaschönheiten studieren will; doch
kann der Stimmungen liebende Rompilger diesen
Mangel ersetzen, wenn er den elektrischen Tram ver-
schmäht und in langsamer Wagenfahrt hinauszieht und
seine Augen fleißig spazieren gehen heißt. Sehr emp-
fehlenswert ist auch ein Besuch des protestanti-
schen Friedhofs, der am Paulstor liegt, gehört er
doch wegen seiner malerischen Lage und Landschafts-
pracht zu den stimmungsvollsten, welche die Welt
kennt.
Das Paulstor selbst verdient auch eine längere
Betrachtung, da es durch die zwei großen Rundtürme
links und rechts burgähnlichen Charakter erhält, und
rechts von ihm die schwarze Cestiuspyramide ragt.
Schön ist der Blick an der Flucht der betürmten Stadt-
mauer entlang bis zum Tiber, weil über ihr die Cy-
pressen und Pinien des Friedhofs doppelt eindrucks-
voll wirken. Weiterziehend bemerkt man nur viele
Osterien, zur Linken auch eine kleine Kapelle, die
„Cappella della Separazione‘‘, die an der Stelle steht,
wo Petrus und Paulus der Sage nach voneinander Ab-
schied nahmen, als sie zur Hinrichtung gingen. Bald
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tritt man in eine Akazienallee ein, an deren Ende der
bekrönte weiße Turm der Paulsbasilika winkt. Bei der
ersten Lichtung rechts bietet sich ein schöner Rück-
blick auf den Testaccio, bald darauf erblickt man links
über einem Baumkronenmeer den oberen Saum der
Albanerberge, und noch weiter kurz vor der Basilika
links einen malerischen, schön bewachsenen Tuffstein-
klotz. — |
Haben wir die Basilika bewundert, so schreiten
wir dem Tiber zu, um die noch in Gerüsten starrende
Hauptfassade des Doms zu sehen. Sie strotzt von
Gold und farbenreicher Mosaik, welche in moderni-
sierter Form das alte Motiv vom Gotteslamm be-
handelt, das auf dem Berge thront, dem die vier
mystischen Ströme entspringen. Schäflein, welche die
frommen Gläubigen symbolisieren, ziehen zu ihm, zwei
Palmen ragen, und die heiligen Städte Bethlehem und
Jerusalem erscheinen.
Vergebens sucht man nach einem Ausblick auf den
Tiber, dessen Nähe bei Überschwemmungen der Kirche
sehr gefährlich ist; denn zwischen Strom und Dom
ließ die Spekulation des heiligen Jahres die Osteria
„Porta Santa‘ entstehen, die außen und im Hofe
schöne Lauben zeigt.
Zur Heerstraße, die, weil sie nach Roms Hafen-
stadt Ostia führte, einst Via Ostiensis hieß, zurück-
gekehrt, ziehen wir südwestlich an dem alten Pauls-
Kloster vorbei, das jetzt auch von Carabinieren be-
wohnt ist, einige Minuten weiter, bis die Straße sich
gabelt. Man halte sich links, auf der Via Laurentina,
oder auch Ardeatina genannt, von ihrem Endpunkte
dem alten Ardea, das nahe dem Meere in todähnlichem
Schlafe liegt. Man steigt bis rechts die hochgelegene
12*
180 5355359555533 53I III III III FF FF FH 5 HI
Osteria Montagnola ragt, die selbst im heißesten
Sommer ein angenehmes Ausflugsziel ist, da sie stets
von kühlem Seewind bestrichen wird und zahlreiche
schattige Lauben bietet. Die Aussicht von dem Garten
ist überraschend schön; man hat einen Prachtblick auf
Monte Gennaro, im Südwesten dräut über dem sich
schlängelnden Tiber das Fort Ostia, man sieht die
malerische neue Tiberbrücke und auf dem andern Ufer
die letzten Ausläufer der Monte Verde-Hügel. Dem
Meere zu verliert sich der Blick in das Gebiet der
alten Hafenstädte Portus und Ostia. Im Südosten
tauchen die Albanerberge mit den „Castelli Romani“
auf. Auch die Nordseite des mit Kaktus und Wein
umsäumten Gartens ist aussichtsreich. Über dem Turm
des Paulsdoms, dessen Krone einem luftigen Säulen-
tempel gleicht, wird S. Maria Maggiore, der Laterans-
dom und der Sorakte sichtbar. —
Nachdem wir rechts die rosarote Osteria dei
Cacciatori passiert haben, gelangen wir in ein-
sames, kahles Hügelland, auf dessen welliger Höhe
ein schöner Rundblick sich bietet, in welchem auch
Rom vertreten ist. Und noch einsamer, stiller, wüsten-
ähnlicher wird das Hügelgebuckel, bis vor uns im
Tale eingebettet eine Waldoase sichtbar wird, deren
hohe Bäume sich schützend wie eine Boa um eine
größere Häusergruppe legen. Der Eindruck, den diese
Baumprachtinsel im grünen Steppenmeer macht, ist un-
beschreiblich. Auf Meilen hinaus findet man ja keinen
Wald, keinen Hain, kein Gebüsch mehr. Und der
Eindruck erhöht sich, wenn man weiß, daß Menschen-
hand in rastlosem Schaffen diese üppige Vegetation
der Ode abgerungen, um den Umwohnern ein Beispicl
zu geben, wie Fleiß und Beharrlichkeit selbst der
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Malaria, die jahrhundertlang das seewärts gelegene
Gebiet der Provinz Rom verheerte, Trotz bieten könn-
ten. Als Hauptmittel in diesem Kampfe benutzten die
Mönche, welche hier sich so tapfer angesiedelt, den
Eukalyptusbaum, der wegen seines schnellen Wachs-
tums den Boden austrocknet und mit seinem reichen
Blätterschmuck die Luft reinigen sollte. Das war ja
auch der Grund, weshalb später alle Eisenbahnstationen
und Forts in der Campagna mit diesen Bäumen um-
rahmt wurden. Aber der Erfolg blieb doch aus, es
gelang zwar, das: vor uns liegende Eukalyptusgebiet
fruchtbar zu machen, aber da es vereinzelt blieb, konnte
es die Malaria nicht ganz bannen, da, wie man jetzt
weiß, dieses Fieber nicht durch die schlechte Luft,
sondern durch die Malariazanzaren erzeugt wird. Sind
wir jetzt auch besser belehrt, so nimmt darum unsere
Achtung vor den Mönchen nicht ab, auch nicht, wenn
sie noch immer fortfahren, das Öl ihrer Eukalyptus-
bäume zum sogenannten Eukalyptusliqueur zu ver-
arbeiten, und als unfehlbares Mittel gegen das Fieber
zu verkaufen, gebührt ihnen doch der Dank aller
Landschaftsfreunde, weil sie diese idyllische Oase, diese
weihevolle und poetische Stätte des Friedens ge-
schaifen, die niemand ohne Rührung betritt.
Tre Fontane heißt die Ansiedlung, weil nach
der Sage hier das Haupt des Paulus niederfiel, und
drei Quellen entspringen ließ, die schon im frühesten
Mittelalter heilige Verehrung genossen.
Durch eine Allee von Eukalyptusbäumen, unter die
auch vereinzelt Cypressen und Akazien gemischt sind,
kommt man zu einem alten Torbau und durch ihn in
einen wundervoll gepflegten Garten, in dem hie und
da einige fromme Trappisten umherwandeln. Die sel-
182 33I3 III III IF IF FF FH FF FH FH FH FF FF FTFHH
tensten Blumen, Blattpflanzen und Zierbäume sind
hier zu schauen, und Kaktusschlangen von erstaunlicher
Höhe und Dicke. Schade, daß die Pracht ringsum
durch moderne Heiligenstatuen, Fabrikware scheuß-
lichster Art, verschimpft ist. Geradeaus kommt man
zur größten der drei Kirchen, welche zur Abtei ge-
hören, San Vincenzo ed Anastasio geheißen, die eine
der ältesten Formen der christlichen Kirchen, die der
Pfeilerbasiliken, darstellt. Sie ist ganz kahl, weiß ge-
tüncht und leer. Ein einfaches Holzdach deckt sie.
Sie macht in dieser großen, stillen Leere einen feier-
lichen Eindruck, zumal der lichte Altar geheimnisvoll,
mystisch aus der dunklen Apsis hervorleuchtet. Rechts
von dieser Kirche geht ein schnurgerader Gartenweg
zur zweiten, zur Quellenkirche „San Paolo alle tre
Fontane‘, die eigentlich mehr eine ausgereckte Quer-
kapelle ist, eine Art Brunnenhalle, welche die drei
nebeneinanderliegenden Quellen bedeckt. Im Eingange
blitzen am Fußboden herrliche Mosaiken, die aus Ostia
stammen. Nun kehren wir zum Vorgarten zurück und
links in die dritte Kirche „Santa Maria Scala Coeli
(Kirche der Himmelsleiter), so genannt, weil Sankt
Bernhard, als er einst hier für das Seelenheil eines
Verstorbenen betete, diesen auf einer Leiter zum Him-
mel steigen sah. Die Kirche ist ein kleiner Rundbau
mit abscheulich blau gemalter Kuppel, deren Anblick
man schleunigst draußen durch einen Blick zum Him-
melsdom zu vergessen sucht. l
Anstatt gleich zurückzukehren, ziehen wir nun
neben Tre Fontane weiter auf der Via Laurentina,
um, langsam steigend, die Waldpracht des hier aus
achtzig verschiedenen Arten zusammengesetzten Euka-
lyptushains zu genießen, welche den meisten Reisenden
—r
\
SISIISSHTITIHITH HIT H HH HT FH TH FH FF FH FF HH 183
entgeht. Namentlich im Spätfrühling klingt es hier
wie im Schubertschen Liede „Aufenthalt‘, wenn
auch hier „hoch in den Kronen wogend sich’s regt“,
und dazu der Sang der Lerchen, Finken und Meisen
sich mit dem leisen Ton des Klosterglöckchens mischt.
Die Luft ist rein und köstlich, und gegen die Gold-
glut des Ginsters erscheint der Himmel noch einmal so
blau. Unglaublich, ja schwindelnd hoch, wachsen hier
die Riesenbäume zum Himmel auf. Gespenstisch
gleißen ihre oft rindenlosen Stämme, rubinengleich
funkeln im Laubgrün die verwelkenden roten Blätter.
Auch Riesenfarrenkraut belebt den Wald. Bei dem
Wegwärterhaus gegenüber der Osteria tre Fontane
senkt sich der Weg durch eine Tuffsteinschlucht. Bald
hört der Wald auf, und wir sind wieder in einem Gras-
hügelmeer, das um so stiller erscheint, je lauter das
Leben des rauschenden Waldes war. Diesen ein-
samen Teil der Campagna kennen nur Fuhrleute, Jäger
und Fuchsjagdreiter. Eben deshalb sollte man es
nicht versäumen, nach dem Besuche der Abtei hier
wenigstens bis zur nahen Brücke über den Fluß Cecchi-
gnola vorzudringen; denn so bequem wird dem eiligen
Reisenden nirgendwo ein Einblick in den Einsamkeits-
zauber der Campagna geboten wie hier. Der Brücke
gegenüber öffnet sich nach links ein breites Tal, in
welchem man auf Feldwegen zu dem etwa fünf Kilo-
meter entfernten Schloßgut Cecchignola, das herrliche
Wasseranlagen besitzt, und weiter zur einsamen Straße
des Divino Amore gelangt, die von der Via Appia
Antica in der Nähe von Domine quo vadis abgeht.
Doch empfiehlt sich dieser Spaziergang nur für karten-
kundige Campagnapraktiker, die längere Zeit in Rom
verweilen. Die andren lassen sich am besten mit dem
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herrlichen Blick genügen, den man von der Brück:
auf das Albanergebirge genießt, und kehren dann durch
den Wald zur Abtei zurück. Wer die Steigung ver-
meiden will, nehme nun links die Straße, die zum
Tiber führt und kehre auf diesem kleinen Umwege
nach S. Paolo fuori le mura zurück.
Hat man, dort angekommen, noch Zeit, so schlage
man rechts vom Turm die Straße „Sette Chiese‘“ (die
von den sieben Hauptkirchen Roms [s. S. 157] so ge-
nannt ist) ein. Zunächst steigt man um den begrünten
Tuffsteinklotz herum, der namentlich im Mai und Früh-
sommer ein wahrhaft homerisches Landschaftsbild stellt,
das um so schöner wirkt, wenn im Goldginster die
Nachtigallen schlagen. Links wird der Monte Testaccio
und das Benediktinerkloster auf dem Aventin sichtbar.
Dann verschwindet der sinkende Weg wieder zwischen
Baumhecken. Wo er wieder steigt, starren neue
ginstergekrönte Tuffsteinfelsen, gegen die sich des
Himmels Blau leuchtend abhebt. Bald nimmt uns eine
Tuffsteinschlucht auf, auf deren Bord Efeu und deutsche
Eichen prangen. Nach ihr folgt eine Lichtung, die zur
Rechten den Blick auf die öde Campagna und das
Gehölz von Tre Fontane gewährt. Bald taucht auch
das Albanergebirge auf. Nun passieren wir viele um-
mauerte oder hochumzäunte Villengärten. Nur ab und
zu können wir rechts durch einige Lücken im Fluge
einen Blick auf die Stadt und den Laterandom er-
haschen. Rechts taucht ein noch in frischen Farben
gleißender Schuppenbau auf, er bedeckt die Kata-
komben und die Basilika von Domitilla und Petronilla,
fünf Minuten später schauen wir dort, wo der Weg
sich senkt, den hinteren Eingang der Callistuskata-
komben und die von Pinien überragten Kuppeltürme
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der S. Sebastianskirche, über der in der Ferne der
Mons Algidus auftaucht. Kurze Zeit darauf kommen
wir auf die Via Appia Antica, und vielleicht noch gerade
recht, um von dem Grabmal der Caecilia Metella aus
den S. 160 geschilderten Blick vor Sonnenuntergang
zu genießen.
Santa Sabba und Monte Testaccio.
Die Kirche Santa Sabba ist nur Donnerstags ge-
öffnet.
Man erreicht sie am besten von der Via Appia
Antica aus, dort, wo hinter dem Palatin die S. 10 ge-
nannte Verbindungsstraße nach dem TorS. Paolo
führt. In der Mitte dieses Wegs, der Via S. Prisca
gegenüber, die den Aventin hinansteigt, zieht der Feld-
weg zur Kirche hinan, deren Loggienvorbau weithin
sichtbar den Hügel krönt, sich scharf abhebend gegen
den blauen Himmel. Der Weg ist malerisch, rings-
um prangen Eukalyptusbäume und Obstbäume, links
schauen wir eine malerische Torruine, welche dichter
Efeu wie ein Hut bedeckt. Bald stehen wir vor dem
tiefen Nischentor, an dessen Wänden die merkwürdige
Inschrift prangt: „Ecclesia S. Sabae et Andreae apud
cellam novam ubi olim domus et deinde oratorium
Matris S. Gregorii P. P. ex qua domo Pia mater
mittebat ad Clivum Scauri Filio scutellam leguminum.“
[Kirche des heiligen Sabas (Abt Sabas aus Kappa-
dokien 588 +) und des heil. Andreas bei der neuen
Zelle gelegen, wo einst das Haus und das Oratorium
der Mutter (Silvia) des heiligen Papstes Gregor stand,
und aus diesem Hause schickte die fromme Mutter
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dem Sohne zum skaurischen Hügel (am Abhang des
Caelius, wo jetzt die S. Gregoriokirche steht) täglich
eine Schüssel Gemüse.] Im Vorgarten trifft man im
Mai duftende Rosenpracht. Rechts geht es zum
Klosterhof, dem dunkeln, traulich anheimelnden. Er
ist dicht mit schattigen Ulmen besetzt, durch deren
dunkles Laub die Sonne zitternde Kringel auf den
Boden tropfen läßt. An den Wänden prangen blü-
hende Apfelsinenbäume und schöne Ochsenaugen, und
ringsum liegen antike Trümmer, Friese, Altarstücke,
Säulenstücke und Kapitäle aus Serpentin.
Hat man diesen kühlen, schattigen Hof, der wegen
seiner friedlichen Stille von Beschaulichkeit liebenden
Damen aufgesucht wird, und die Kirche, die von dem
Collegium Germanicum, ihrem Besitzer, mit großen
Geldopfern völlig und streng in den alten Formen
restauriert wurde, bewundert, so wirkt der Auf-
stieg zur lichten Loggia doppelt schön; denn die
Aussicht, die sich hier bietet, ist von entzückendstem
Reiz. Links erblickt man den Testaccio und das neue
Stadtviertel, das sich um ihn herumgebaut hat, dann
den Aventin mit dem Benediktinerkloster, die Spitze
der Peterskirche, und den Monte Mario. Dann im
Vordergrunde Santa Prisca, das Kapitol und den Palatin
und die hohe Innenwand des Kolosseums, die man
von keinem entfernteren Punkte der Umgebung je in
ähnlicher Schönheit schaut. Rechts aber endet der
Blick mit dem grünen Hügel nördlich der Caracalla-
thermen, auf dem die alte Kirche S. Balbina ragt.
Um zum
Monte Testaccio
zu gelangen, schreite man, wieder auf dem Viale di
Porta S. Paolo angekommen, tiberwärts, halte sich
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aber dort, wo der große Rest der alten Servianischen
Mauer aufragt, zur Rechten und gehe immer geradeaus
über die Trambahngeleise der Via delle Marmorate
in die Via Galvani hinein. (Werden Monte Testaccio
allein besuchen will, erreicht ihn am leichtesten, wenn
er auf der Piazza Venezia die elektrische Bahn nach
S. Paolo nimmt und an der Via Galvani aussteigt.)
Am Ende dieser StraBe bringt uns ein FuBweg den
Wiesenhügel hinauf. Dessen höchste Spitze schmiickt
ein Holzkreuz, das an schönen Tagen lebende Figuren
zu tragen pflegt. Straßenjungen sind’s, die der übri-
gens abwesenden Polizei zum Trotz hinaufgeklettert
sind, um mit der an langer Rute und Schnur befestigten
Angel die die Höhe umkreisenden Schwalben zu
fangen. Uns steigt bei diesem Anblick der Unmut
auf, aber wir dürfen ihn nicht äußern; denn erstens
würden diese echten Söhne Roms unser Mitleid für
die Vögel nicht verstehen und zweitens unsere Pro-
teste um so übler aufnehmen, als sie unsern störenden
Bergausflug schon nur ingrimmig dulden.
Das Steigen auf dem leuchtenden Grün ist ein
Genuß; denn, da der alte Testacciohügel, über dessen
Ursprung verschiedene Gelehrte noch nicht ganz klar
sind, frei liegt, so haben wir die Illusion, als befänden
wir uns vom blauesten Äther umflossen, auf der Spitze
eines hohen Berges. Von Zeit zu Zeit fällt unser
bewundernder Blick zur Linken auf die Cypressen-
und Pinienpracht des protestantischen Kirchhofs, aus
dem die malerische romantische Kapelle unseres Lands-
manns Holzinger mit ihrem lieblichen Rot und Weiß
hervorlugt, und weiter auf die Innennischen der alt-
ehrwürdigen Stadtmauer. Andere junge Römer sehen
wir, die in der Frihlingsbrise — und hier oben
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geht die Luft wirklich frisch und rein — Drachen
steigen lassen. Fremde aber sehen wir nicht, das Gros
der Touristen fährt ja ahnungslos mit dem elektrischen
Tram an der Testacciopracht vorbei nach S. Paolo fuori
le. Mura. Nun sind wir oben, in Licht gebadet, ge-
blendet von dieser goldenen Flut. Nach Augenblicken
erst begreifen wir, wo wir sind, und welch köstliche
Augenweide dieser Platz uns gewährt. Vor uns im
Westen winken die Ausläufer des Janiculus, die unter
dem Namen Monteverde bekannt sind. Auf ihrem
grünen Kleid huschen die Schatten, die ihre Buckel
und Furchen schaffen. Unter uns sehen wir die rot-
gelben Bauten der riesigen Schlachthausanlage mit den
reinlich gehürdeten Höfen, wo Hunderte von Rindern,
ihres Schicksals vielleicht bewußt, über die Philosophie
des Daseins grübeln. Nun folgt der Bahnhof Traste-
vere, und über ihm die Villa Savorelli, die wie mit
Goldplatten belegt scheint, die um so mehr leuchten,
als ihre Lorbeerbasis dunkel dräut. Von der nahen
spanischen Akademie aus auf Pietro in Montorio über-
fliegen wir den Janiculus bis zur Peterskuppel, die nur
halb hervorragt, steigen dann auf den Monte Mario,
den Vorposten der etrurischen Berge, deren Gros sich
aus duftiger Ferne bläulich bemerkbar macht, und
erreichen drauf, im Kreise uns drehend, das grüne,
krause Gewoge der Villa Borghese und den Pincio
mit der doppelt getürmten Villa Medici, neben denen
der Sorakte sein Struwelpeterhaupt erhebt. Nun drängt
sich uns fast protzig vom nahen Aventin das Sankt
Anselmokloster der Benediktiner auf. Dieser funkel-
nagelneue martialische Bau, so schön er auch ist, will
uns heute nicht gefallen. Er paßt nicht zum stillen
Frieden des Benediktinerordens, dem die Menschheit
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so viel verdankt. Maria Laach, Subiaco, Montecassino,
das sind die Klöster, die für die Söhne des heiligen
Benedikt passen, nicht aber dieses hier, der einer
pschiitten Burg eines Parvenus oder der trotzigen Ver-
körperung des angriffslustigen Katholizismus gleicht.
Rechts daneben glüht das gelbe flammende Landhaus
der Villa Mattei, der malerischsten und stimmungs-
vollsten Roms. Auch die Cypressen, welche die Villa
Mill auf dem Palatin umrahmen, wollen beachtet sein,
ebenso wie der Spitzturm von S. Maria Maggiore und
das Statuenmeeting auf der Attika des Laterandoms.
Im Vordergrunde meldet sich jetzt das idyllisch auf
niedrigem Hügelgrün eingebettete Kloster San Sabba.
Und hinter all diesen Schönheiten ragt die blaue Wand
des Sabinergebirges mit ihrer trotzigen Hauptpyramide,
dem Monte Gennaro, auf. Bei ganz klarer Luft schaut
ihm auch der fast im Duft verschwimmende Monte
Velino, der im Abruzzenland Wache hält, über die
spitzen Schultern. Wir gleiten nun suchend über die
Linien der sabinischen Berge bis zur Lücke, die bei
Palestrina beginnt. Wie nur angedeutete, leise auf-
getupfte graue Farbenflecke lugen die Volskerberge
in diese Lücke hinein, dann folgt, einem Felseneiland
vergleichbar, das Albanergebirge, an dessen Ufer das
Meer der grünen Campagnaebene funkelt und brandet.
Und hinter der Pyramide des Cestius, die von der
Stadtmauer umklammert ist, ragt in der Ferne als röt-
liche Klippe in blaugrünem Wiesensee das Grab der
Caecilia Metella. Rechts gleißt der Tiber, spannt sich
die rotbraune Eisenbahnbrücke und funkelt im gol-
denen Mosaikschuppenpanzer die Fassade von San
Paolo fuori le Mura. Am Rande des geheimnisvoll
blinkenden Horizontes duckt sich das friedliche Trap-
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pistenkloster Tre Fontane in sein Eukalyptusbett. Dann
hört es auf. Das Landschaftsbild ist wie abgeschnitten,
als begänne gleich hinter dem Eukalyptuswald das
Meer, während sich doch die Campagnaniederung noch
viele Miglien weit träumerisch bis zu den Dünen hin-
schleppt.
Nun schreiten wir über den Rücken des Hügels,
wobei unser wißbegieriger Fuß jeden Augenblick gelb-
rötliche Tonscherben, meist konkave Bruchstücke von
Amphoren, aufstöbert. Der Berg Testaccio ist ja nur
eine Stätte, auf der die Alten Schutt abluden, einen
Schutt, über welchen, wie schon gesagt, verschiedene
Gelehrte noch streiten. Nach der neuesten Annahme
lieferten die zerbrochenen Tonfässer, die Öl und Wein
nach dem nahen Tiberhafen gebracht hatten, das
Material, aus dem die Zeit den Testaccio allmählich
aufgetürmt.
Wieder fällt unser Blick auf die klagenden Ochsen,
die sich aus ihrem luftigen Gefängnis nach der Frei-
heit der Campagnawiese zurücksehnen; denn sie fühlen
nicht den Beruf in sich, als „zoologisches Gartenvieh“
zu wirken.
Langsam kehren wir zurück. Die Landschaft im
Osten und Westen erscheint uns wieder als eine
Überraschung. Darin liegt ja Roms geheimste An-
ziehungskraft, daß es auch dem, der sein ganzes Leben
dort zubrachte, täglich immer wieder neu erscheint.
Und wieder versenken wir uns in dieses einzige Pano-
rama.
Dem muß ein Stein statt des Herzens im Busen
liegen, der hier nicht weihevolle Andacht empfindet
und mit jedem Atemzuge, ja mit allen Poren Schön-
heit, ewige und ewig lebensvolle Schönheit einsaugt,
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. die ihn auch im nordischen Nebel in der Erinnerung
„ noch erquickt und erhebt über die Kleinlichkeit des
_ täglichen Lebens. Und nun kommt Staffage in diese
. Wonnepoesie. Schlanke junge Mädchen in funkelndem
blauen und roten Gewande, mit Blumen bekränzt, sie,
die sich selbst in der Schönheit ihres rotbraunen
_ Antlitzes wie wandelnde Blumen abheben gegen
. das flimmernde Wiesengrün — ziehen tänzelnd, schä-
. kernd und singend den Berg hinauf. Wie die Purpur-
- rosen leuchten in ihrem rabenschwarzen Haar! Ist denn
_ kein Maler da, um diesen Sylphidentanz festzuhalten ?
l Jetzt erst entdecke ich auch die impertinent weiß,
. gold und rot schimmernden flachbedeckten Häuser des
_ Volksquartiers zu Füßen des Berges. Wie ihr Glanz
_ trägt! Welcher Kontrast zwischen dem von der Sonne
. verschönten Äußern und dem Elend, das im Innern
grinst! Und der Zeiten gedenken wir, als auch hier
_ im Anfange alles wüst und leer war, und sich zwischen
. Aventin, der Cestiuspyramide und dem Scherbenberge
~ eine öde Wiese hinzog, die nur einmal im Jahre fest-
. liches Leben zeigte — zur Karnevalszeit. Vom
frihen Mittelalter bis zur Renaissance war diese Wiese
. der Haupttummelplatz des römischen Karnevalstreibens,
— die letzte Stätte, wo sich noch das mühsam unter-
drückte Heidentum regen konnte. Am ersten Karne-
valssonntage zog Roms Volk und Senat unter den
dumpfen Festklängen der Glocke des Kapitols in feier-
licher, prunk- und pompreicher Prozession hierher, oft
auch begleitet vom Papste, der hoch zu Roß erschien.
Eine ganze Wagenburg sammelte sich, die Honora-
tioren gingen in die für sie errichteten Tribünen,’
während auf dem Scherbenberge wütende Stiere an
den Fesseln zerrten, die sie festhielten.
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Das Kampfspiel*) beginnt. Die hundertundvier
Wettkämpfer, welche Roms Stadtteile (die „rioni‘‘) als
die besten einzeln ausgewählt, schreiten in die Arena.
Vom Berge rollt ein mit rotem Tuch bekleideter Karren,
darinnen ein wohl frisiertes Schwein grunzt. Die
„giocatori“ stürzen sich auf das verzweifelte Borsten-
vieh, da aber erscheint ein Stier, der toll vor Wut den
Berg heruntergerast ist, und stürzt sich auf Schwein
und Karren, die Fechter ihm entgegen und töten ihn.
Und wohl sechs- bis zehnmal erneuert sich das blutige
Schauspiel. Dann wird die Arena gesäubert und zum
Rennplatz gewandelt. Sind auch die Pferderennen
vorüber, und die Preise verteilt, so kommt die Nummer,
welche das Maskenvolk am höchsten schätzt: der Wett-
lauf der nackten Juden. Aber oft genug genügte auch
diese Nummer dem rasenden Mob nicht, oft auch
wurde der altersschwächste Hebräer (il pit: decrepito)
aus dem Ghetto geholt, nackt in ein mit Nägeln ge-
spicktes Faß gesteckt und den Berg hinuntergerollt,
an dessen Füßen ihn die klagenden Glaubensgenossen
erwarteten, — um ihn zu bestatten. Und doch mußten
die Juden, die man so abscheulich mißhandelte, die
Gelder für das „Fest‘“ aufbringen. Elfhundert Gold-
gulden betrug der Tribut, den sie jährlich zahlen
mußten. Robert I. von Neapel erhöhte ihn 1334 noch
um dreißig Goldgulden — in Erinnerung an die dreißig
Silberlinge des Judas, wie er spöttisch sagte.
Doch hinweg mit diesen Bildern aus einer häß-
lichen Vergangenheit. Werfen wir noch einen Blick
auf die sonnige Frühlingspracht ringsumher und steigen
wir dann hinunter zu den Grotten des Testaccio, um
dort „Sonne aus zweiter Hand“, in Rebenblut ge-
*) S. Filippo Clementi, „Il Carnevale Romano“.
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wandelte Sonne zu schlürfen, allen Antialkoholisten
und Kostverächtern zum Trutz; denn was Goethe in
seinen „Römischen Elegien‘ von der Liebe sagt:
„Eine Welt zwar bist du, o Rom, doch ohne die Liebe
Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom
auch nicht Rom“ —
das gilt auch vom römischen Wein, den man
freilich in den Hotels nicht kennen lernt.
Auch die Osterien haben ihre Schicksale. Die
Grotten des Testaccio, in denen der Wein sich so
frisch und duftig erhält, werden nicht mehr so intensiv
besucht wie ehedem, weil der Tram die durstige Be-
völkerung bequemer vor die Tore bringt. Und dem
ist gut so; denn so stellen die Kneipen am Scherben-
berge noch stille Oasen dar, wo sinnige Gemüter in
poetischer Umgebung meditieren und geruhsam poku-
lieren können.
Nach dem Abstieg ziehen wir rechts an den Fassa-
den der lang gestreckten Keller vorüber, die sich tief
in den Bauch des Berges hineingraben. Ihnen ist eine
Terrasse vorgebaut, auf der allerlei Zierpflanzen, auch
Palmen in rot bemalten Amphoren blühen. Dann
kommen wir zu einer rosafarbenen Schenke ,,Osteria
del Cocchio‘‘ geheiBen, die eine schattige Laube eignet.
Wir aber durchschreiten sie, da wir den Ausblick auf
den poetischen Friedhof nicht missen wollen und: lassen
uns einen Tisch auf den Vorplatz stellen, wo eine
Gruppe von Platanen und Akazien grünt. Wie die
Stille hier wohltut! Stimmungsvoll wirkt auch die
Osteria, ihre Hallen und Terrassen. Und im Geiste
gedenken wir der vielen, vielen Landsleute, die vor
uns schon an dieser Stätte geträumt und geschwärmt —
Zacher, Was die Campagna erzählt. 13
194 III III FH FF TH FF HH FIT TI SH IH THF HFC TH TFT TH
„Ich weiß nicht, was da noch werden soll ?
Schon dämmert’s im feuchten Grunde,
Die Fledermaus macht ahnungsvoll
Um den alten Stadtwall die Runde.
Am Scherbenberg wird’s öd und still,
Ich glaub’, die alte Wirtin will _
Bereits die Schenke verschließen.
Ein Käuzlein hör’ ich drüben schrein,
Wo die Grabcypressen traueren,
Campagnanebel ziehn herein,
Verhüllt stehn Tor und Maueren,
Es wogt und wallt, wie ein Geisterchor
Von Cestius’ Pyramide her,
Was mögen die Geister wollen?“ —
(Scheffel, „Trompeter‘‘.)
Wir brechen auf. Der Wirtin freundlicher Sohn
reicht uns Rosen zum Abschied.
Vor Bahnhof Trastevere.
(Die Osterien der Monteverde-Hügel.)
Dieser Ausflug eignet sich besonders an Sonntags-
nachmittagen zum Studium des Volkslebens. Die be-
quemste Art, um diese kleine, aber landschaftlich höchst
lohnende Tour zu machen, ist die Fahrt mit der
elektrischen Tram von Piazza Venezia bis Bahnhof
Trastevere.
Wer die Hügel von Monteverde und den Ausblick,
den sie bieten, zum Finale einer sich von Genuß zu
Genuß steigernden Wanderung machen will, die zu-
SISISICIHITTTTT TH TT IT TH HIT TH TFT THF HH 195
dem auch den Vorzug hat, den meisten Romtouristen
unbekannt zu sein, wähle die im folgenden be-
schriebene Zickzackroute, die noch niemand bereute,
der sie auf die Empfehlung des Verfassers hin zog.
Man beginnt an dem Palazzo Venezia. Hier
ersucht man den Pförtner um Einlaß in den malerischen
Hof und gehe dann zur Piazza Gesü. Von dort links
die Via Aracoeli dem Kapitol zu bis zur ersten Quer-
straße rechts der Via delle botteghe scure (die
Straße der dunklen Ladengewölbe). Man folge dieser,
bis links die Via Funari (die Straße der Seiler) abgeht.
Die ganze Straßenfront zur Rechten ist von zwei
Palästen eingenommen, die zusammengewachsen schei-
nen, zuerst kommt der Palazzo des großen Fürsten-
geschlechts Caetani, dessen Haupt jetzt Herzog von
Sermoneta heißt, und dann der Palazzo Mattei. Die
große, ernste Masse der Palastwände ist ab und zu
von schönen, blumenumrahmten Fenstern belebt. Wir
halten, ehe wir rechts um die Ecke des Palazzo biegen,
einen Augenblick inne; denn das Straßenbild, das wir
nun schauen, hat sich seit Jahrhunderten nicht ge-
ändert: so war Rom im Mittelalter. Dann gehen
wir durch das Portal des Palazzos, melden uns beim
Pförtner und treten in den Hof, in welchem, wenn
das zu sagen erlaubt ist, uns eine ähnliche Stimmung
umfängt, wie in den romantischen Höfen alter Ritter-
burgen. Hier stehen wir vielleicht im schönsten
Schloßhof, den Rom aufzuweisen hat. Der Blick auf
die büstenverzierte Loggia des ersten Stocks, auf die
Palastwände, die mit unzähligen antiken Sarkophag-
reliefs tapeziert sind, die düstere Stille des Orts, die
graubraune Altersfarbe der Wände haben einen der-
artig imponierenden Ausdruck des feierlichsten: „Es
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16 $99999999999999999999959S9S9999S95
war einmal“-Märchenzaubers, daß auch Verstandes-
menschen sich ergriffen fühlen. Und steigt man erst
die mit den herrlichsten antiken Skulpturen und in den
Gewölben mit den heitersten Stuckreliefs geschmückte
Treppe hinauf bis zur Loggia, so mischt sich in das
stets sich steigernde Entzücken die Bewunderung ob
des Kunstsinns der römischen Großen, die solch einen
Fürstensitz geschaffen. —
Weiter! Vom Palazzo aus rechts. Auch die Höfe
der beiden folgenden Häuser sind sehenswert mit ihren
Säulenhallen, Loggien und Freitreppen, die jeden Maler
in Ekstase versetzen.
Auf dem Platze selbst erschauen wir den berühm-
ten Schildkrötenbrunnen (Fontana delle tarta-
rughe), der an Leichtigkeit der Komposition und des
Aufbaus in Rom keinen Rivalen hat. Rechts in der
Ecke ragt der berühmte Palazzo Costajuti, der wegen
seiner Fresken sehenswert ist. Dann kommen wir
dem Brunnen gegenüber durch ein schmales Gäßlein,
das fast nur von Juden bewohnt ist, auf einen verwahr-
losten, weiten und leeren Platz: die Stätte des alten
Ghetto. Vor uns haben wir das bunteste, aber auch
wenig reinliche Marktgewimmel, unter Riesenschirmen
von vier bis fünf Meter Umfang sitzen Höker und
Hökerinnen, die das seltsamste Mischmasch von Früch-
ten und Leckerbissen feilbieten. Ein Blick auf die
Rückwand des Platzes zeigt uns manches antike Tem-
pelfragment mit Inschriften bedeckt, das in die Wände
der schmierigen Häuser eingeflickt ist. In der Ecke,
dem Kapitol zu, sehen wir den Rest des Portikus der
Octavia. Wir durchqueren den Platz in der Richtung,
in der wir gekommen, hüten uns aber, der laut betteln-
den Kinderschar einen Soldo zu geben; denn sonst
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werden wir die Geister, die wir riefen, nicht los, und
zu Dutzenden umheult uns die schmutzige Schwefel-
bande. Im Vordergrunde erblickt man die alte Syna-
goge und rechts davon, etwas versteckt, den berühmten
Palazzo Cenci, der uns an das Bild in der Galleria
Barberini erinnert, das die ungliickliche Beatrice
Cenci verewigt. Auf dem kleinen diistern Burgplatz
liegt auch die berühmte Artischocken-Osteria des „Vater
Abraham“, in welcher im Frühjahr allabendlich der
Artischocken-Karneval (die sogenannte carciofo-
lata) stattfindet.
Wir kehren zurück und schreiten an der neuen
Synagoge vorbei zur Brücke quattro Capi, so genannt
nach den vierköpfigen Hermen, die an ihrem Eingang
stehen, und über sie zur Insel des Äskulap, zur
„Tiberinsel‘“, deren Name lange Zeit nur eine
Ironie war. Jetzt ragt hier an Stelle des Äskulap-
tempels ein Tempel des Apostels Bartholomäus,
der hier und merkwürdigerweise auch in Benevent
begraben ist. Am andren Ufer angekommen, wen-
den wir uns links und genießen auf dem schönen
Quai die prächtigsten Ausblicke auf das Kapitol, auf
die deutsche Botschaft, das deutsche archäologische
Institut und auf den Aventin, dessen steile hochragende
Kuppe mit Cypressen, Pinien, Kirchen, Palästen ge-
schmückt ist. Bald kommen wir, rechts an der un-
ermeßlichen Flucht des S. Michaelhospizes vorbei zum
Hafen Ripa Grande, wo die Seeschiffe halten, die den
Wein aus Sizilien bringen, und die wenigen Dampfer
ankern, welche den Verkehr zur Tibermündung auf-
recht erhalten.
Es folgt die Porta Portese, die verkehrreiche.
Vor ihr betritt man rechts neben der malerischen
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Osteria die Via dei Cordari, so genannt nach den vielen
Seilern, die wir hier inmitten ihrer „rückschrittlichen“
Arbeit bewundern können. Man folgt der Stadtmauer.
Der Weg bietet schöne Ausblicke auf den Janiculus.
Bald gelangt man zum breiten Viale del Re, und zur
Linken, stets den Geleisen folgend, zum
Bahnhof Trastevere.
Im Hintergrunde auf der Höhe winkt eine Fahne.
Sie weist das nächste Ziel. Man geht immer gerade-
aus, an der Mauer des Bahnhofs vorbei, bis ein von
zwei Stangen getragenes Schild sichtbar wird, das
als Tor zu einem Fußpfad dient und die Aufschrift
zeigt „Osteria del gran Panorama. Montagnola dei
due pini“ (Hügel zu den zwei Fichten). Es steht
zwar nur noch eine. Man steigt mit der Illusion hinan,
mitten im einsamsten Gebirge zu sein, meilenweit von
Rom entfernt, bis wir zu der Fahne und zu der von
ihr geschmückten Brüstung kommen, die den ersten
Ausblick bietet. Dann schreiten wir auf dem Rasen-
plateau weiter bis zur Osteria, die einst ein Winzer-
haus war. Zahlreiche Tische auf dem Vorplatz zeugen
von Massenbesuch, sie sind zwar ebenso wie die Bänke
ländlich schändlich — aber der Wein, den man hier
findet, geht an — und für die Aussicht kann man
auch ein bißchen unbequeme Sitzgelegenheit mit in
den Kauf nehmen.
Der Platz stellt eine nach Osten und Süden zu-
gleich geöffnete Kuppe dar, dabei ist der Blick auf
die südliche Campagna weiter, als ihn irgend ein andrer
Aussichtspunkt des Janiculus bietet. Malerisch be-
lebt ist das Panorama auch dadurch, daß wir dem von
der Eisenbahnbrücke überspannten Tiber näher sind,
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der bei der goldstrotzenden Fassade von S. Paolo fuori
einen See bildet. Von hier aus gesehen wirkt auch
die Eukalyptusoase der Abtei Tre Fontane malerisch,
malerisch auch die endlose Campagnaebene, die sich
rechts von ihr hinzieht. Dieses Stück Campagna,
dieses reich bewegte Hügelmeer im Vordergrunde, in
welchem Turmschiffen gleich gleiBende Landhäuser
schwimmen, wird auch dem gefallen, der auf der Reise
nach Rom die Campagna zwischen Civitavecchia und
Galera nur als sumpfige öde Steppe kennen gelernt hat.
Und nun der Blick nach Osten und Nordosten: die
Schlachthausanlage, der langgestreckte grüne Rücken
des Monte Testaccio, dahinter Santa Sabba, das Al-
baner-, das Sabinergebirge, das gelbe Häusermeer der
Stadt! Doch wozu beschreiben! Man sehe selbst,
man bewundere selbst!
Nachdem der populus von Trastevere seinen Nach-
mittagsschlaf beendet hat, zieht er in hellen Scharen
zu unserer Osteria herauf, bald kommt auch die Zunft
der Bänkelsänger und Mandolinen-, Flöten- und Geigen-
spieler, selbst der Baßgeigenkünstler fehlt nicht, der
in den Pausen, den Kindern zu Liebe, auch als Tier-
stimmenimitator fungiert. Und nun hebt ein fröhliches
Schmausen an; denn das ist dem Römer bei jedem
Ausfluge die Hauptsache, über der er freilich, wenn
er erst die solide Grundlage geschaffen hat, das biedere
Zechen nicht vergißt.
Wer Abwechslung — auch in der Landschaft liebt
— ziehe, nachdem er einige Zeit hier oben verweilt
hat, wieder zur Ebene zurück, und pilgere eine Viertel-
stunde weiter zur
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Osteria del Monteverde.
Hier versammelt sich das feinere oder feiner sein
wollende Bürgertum; denn diese Schenke ist auch
Wagen zugänglich, und der Römer, der sich’s eben
leisten kann, geht nicht gern zu Fuß. Der Weg geht
an der Bahnhofsmauer, etwas holperig zwar, entlang,
bis zu der Stelle, wo links der Fahrweg die Eisenbahn
überbrückt. Rechts gegenüber steht ein größeres An-
wesen, dessen Tor die Nummern, 5 und 6 zeigt. Wir
sind am Ziel und treten ein. Gleich rechts hinter dem
Tor bemerkt man einen tennenartigen Sandplatz, der
für das Bocciaspiel reserviert ist, dann kommen wir auf
einen großen Hof, der mit Laub- und Rohrhütten ein-
gefaßt ist, und links hinauf zur Terrassenbrüstung.
Es sitzt sich gut hier, hoch über der Straßenschlucht,
und die Aussicht, die uns hier grüßt, verdient zwei
Baedekersterne. Es ist die gleiche, die auch die vorige
bot, aber doch wie verschieden, da das ganze Pano-
rama, das uns intimer näher gerückt erscheint, unter
einem andren Gesichtswinkel gesehen wird. Links
prunkt trotzig das Kastellkloster der Benediktiner auf
dem Aventin, die Villa Mattei auf dem Caelius ent-
sendet goldenen Schein, der Monte Gennaro zeigt seine
blaue Zipfelmütze, und geradeaus tanzen die ,,Puppen‘
auf dem Laterandom. Weiterhin bemerkt man die
Lücke, die zwischen Palestrina am Rande der Sabiner-
berge und Colonna am Rande der Albanerberge klafft,
der Hain der Egeria blinzelt uns einladend an, und
über der Baumpracht von Aqua Santa an der appischen
Straße und dem Eukalyptusregiment vom Fort Cento-
celle, das in Parade aufgestellt ist, kokettiert Frascati
in Rosatoilette, um den Preis der Farbenpracht wett-
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eifernd mit den andren „Schlössern‘‘ (Castelli) des
Albanergebirges: Marino, Rocca di Papa, Grottaferrata,
die unter dem baumbekrönten Haupte des mons
Albanus liegen.
Wer dieselbe Landschaft noch von andrem Winkel
und in andrer Gruppierung schauen will, gehe rechts
vom Tor den links und rechts vom üppigsten Blumen-
flor umsäumten Hohlweg einige Minuten weiter, bis
er an der Vigna Pellegrini eine Osteria findet, die im
Garten ein zum Regenschirm gewandelter Baum ziert.
Wer von hier aus das Panorama betrachtet, wird mit
den in Rom Ansässigen bekennen müssen, daß bei der
unglaublich klaren Luft Roms, die es seiner günstigen
Lage zwischen Gebirge und Meer verdankt, und bei
dem Spiel des intensiven Lichts, das beständig wech-
selnde Beleuchtungseffekte erzielt, auch das dutzendmal
schon Gesehene immer neu und reizvoll wirkt. Und
wenn nun erst im Frühling der Himmel von leichten
Cirruswölkchen bedeckt ist, und der blutrote Horizont
im Westen seine Reflexe gen Himmel wirft, und so
die rosig erglühenden Wölklein von violetten und
purpurnen Strahlen getroffen werden, dann hebt ein
Farbenspuk an, den zu malen in Rom nur wenigen,
wie Pio Joris, Franz Aerni und dem „Farbenseher“‘
Julius von Hofmann u.s.w., gelingen dürfte.
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Von Porta Cavelleggieri nach Porta San
Pancrazio.
(Im Rücken des Janiculus.)
Dieser Ausflug, so lohnend er, namentlich nach
der malerischen Seite ist, ist in weiteren Touristen-
kreisen, und selbst bei vielen in Rom Ansässigen
gänzlich unbekannt, während viele Campagnamaler, wie
Aristide Sartorio und Max Roeder, sich gerade in
diesem Teil der Campagna die schönsten, Motive holten.
Ausgangspunkte für die Wagenfahrt; denn nur
ganz rüstige Fußgänger können die ganze Tour
machen, ist der Petersplatz, die Route folgende: Links
durch die Kolonnaden in die Via Carretta und zur
Porta Cavalleggieri, die ihren Namen von der Kaserne
der „leichten Reiter‘‘ hat, die vor der Einführung der
guardia nobile des Papstes Leibwache bildeten.
Wer bisher in Rom vergebens Volksleben, echt
italienisches Volksleben gesucht hat, weil er nie aus
den Hauptverkehrsadern herauskam, kommt jetzt auf
seine Kosten. Vor dem Tor, etwa nur zweihundert
Schritt vom Petersdom, glauben wir mitten auf dem
Lande zu sein; wir sehen große Ausspannungen,
Osterien mit Riesenhöfen, in denen es von Karren
und Stellwagen wimmelt. Man glaubt sich in die eisen-
bahnlose Zeit unserer Großväter versetzt. Und schöne
Namen zeigen diese Osterien: „Osterie des Blonden“,
„Osteria des Ministers‘, „Osteria der Froschhändlerin“
(osteria della Ranocchiera), die als Spezialität frisch
präparierte Froschschenkel, ein Lieblingsgericht der
römischen Leckermäuler, feilbietet.
Eine berittene Carabinieripatrouille zeigt uns durch
ihre bloße Gegenwart an, daß wir uns ohne jede
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Brigantenfurcht ruhig in das unbekannte Hinterland
wagen können. Rechts ragt die Breitseite der durch
die Stadtmauern halb verdeckten Peterskirche in des
Himmels strahlende Bläue hinauf mit der großen und
einer kleinen Kuppel. Weiter rechts erscheint der luf-
tige, gelbrote Turmpavillon, der die elektrische Kraft-
station enthält, die mehr Licht in den Vatikan bringt.
Noch weiter lugt das halbe Ei aus dem Eierbecher-
turm der vatikanischen Sternwarte hervor.
Wir steigen langsam hinan, sehen bei jedem
Schritte reizende Bilder, Frauen, die ungeniert ihre
Kinder säugen oder waidgerecht frisieren, Bettlerfamilien
im behaglichsten dolce far niente, Landpfarrer, behäbig
und würdig, in ländlicher Kalesche, Milchwagen mit
kupfernen Kesseln, die aus den Campagnagütern kom-
men. Bald überschreiten wir die Eisenbahn nach
Viterbo. Nach einigen Schritten senkt sich die Land-
straße zu einer romantischen Mühlenosteria links, die
an die Wasserleitung Paola angebaut ist, aus der die
Springbrunnen auf dem Petersplatze gespeist werden.
Mit Holzkohlen beladene Wagen halten hier und er-
zählen uns von der Poesie der glimmenden Meiler in
den „macchie“ (Urwäldern der Küste). Am Garten-
zaun beschneiden Gutsknechte die allzu üppig wuchern-
den Hecken. Sonderbare Gesellen; denn sie haben
nicht nur die Oberschenkel, sondern auch die Arme
und Schultern mit Schafpelz bedeckt, sonderbar sind
auch ihre yatagangleichen Faschinenmesser, die sie
ohne Scheide hinten am Rücken baumeln lassen. Ein
trübselig Eselein trabt heran, das einen Hirten trägt.
Seine schlechte Laune ist begreiflich; denn allzu schwer
ist das hölzerne Tonnengewölbe, das man den römi-
schen Grau- und Brauntieren überstülpt.
24 FFFFIFFIFIFIFSFFIFFIFIFIFIFFFFFFIFSS
Nun geht es wieder zu der Hohe bis zu der rosa-
rot gestrichenen Bretterbaracke „Osteria alla Cuccagna“
(Schlaraffenland). Beim Umwenden schaut man ent-
zückt auf die Albanerberge, die von hier aus betrachtet,
majestätischer, höher und kraftvoller erscheinen. Ihr
tiefes Blau ist gehoben durch die dunkle Pinienpracht
der Villa Doria Panfili. Geradeaus tritt ein Segment
der Sabinerberge hervor, und unter uns taucht aus der
im Kessel versunkenen Stadt die gelbrote Wucht des
Quirinalpalastes auf.
Hundert Schritte weiter, bis hart an die Stelle, wo
sich die Straße teilt. Hier trete man rechts. Unter
uns sehen wir das herrliche Höllental (s. S. 92) mit
seinen vielen Essen und dem spielend leicht sich über
das Tal schwingenden Eisenbahnviadukt, rechts zeigen
sich Teile der vatikanischen Gärten mit dem Turm
Leos IV., an welchen sich der jetzige Leo sein Land-
haus drum- und angebaut hat. Auch die vielfarbigen
Winzerhäuser der monti Pariöli sehen wir, und in
weiter Ferne dahinter die mit ihren funkelnden Berg-
nestern gekrönten Spitzkegel von Monte Sant Angelo
und Monte Celli, beide fast erdrückt von der Größe
des Monte Gennaro. —
Der Weg vor uns links, die Via Aurelia, führt
nach Civita Vecchia, der Weg rechts, die Via Boccea,
zu dem Fort gleichen Namens. Diesen nehme man,
und auf der Weiterfahrt lasse man sich nicht von dem
malerischen Weg rechts abziehen, die ,,Lausgasse“
(Via Pidocchio) geheißen. Oben, auf gleicher Höhe
mit dem Fort, sind wir auf einem gebietenden Plateau,
das fast den ganzen Horizont beherrscht. Wer Sinn
für Heidepoesie hat, wie sie Th. Storm beschreibt,
wird sich schwerlich von hier trennen können. Kein
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Laut stört uns, höchstens hier und da das Rascheln
einer verschüchterten Eidechse. Man sieht nicht Baum
noch Strauch, sondern nur grüne Wüste, einem Meer
von Wogen vergleichbar, die in dem Augenblick er-
starrt zu sein scheinen, als ein heftiger Sturm sie in
die Flanken peitschte und so tiefe Querfurchen pflügte.
Nur nach dem Monte Mario zieht sich eine kleine
Pinienallee. Nach Norden zu bilden die im Halbkreis
liegenden etrurischen Berge die Felsküste, an der sich
das wellige Wüstenmeer bricht. Merkwürdig! Dieses
feierliche Schweigen rings umher, es beklemmt, be-
lastet, bedrängt nicht. Unwillkürlich überkommt den
Betrachter die Stimmung des Liedes: „Das ist der
Tag des Herrn.‘ Und doch liegt andrerseits ein furcht-
barer Ernst in dieser verhaltenen Ruhe. Vergessen wir
doch nicht, daß wir auf vulkanischem Boden stehen.
Handelt es sich um Ruhe vor dem Sturm? Werden
die erloschen geglaubten Vulkane rings umher eines
Tages wieder ihren Lava- und Schwefelspuk erneuern?
Oder trauert die Landschaft in finsterem Grimm dar-
über, daß sie im Mittelalter durch die Gier der Barone
und die Nachlässigkeit päpstlicher Nepoten zur ein-
samen Untätigkeit verurteilt wurde? Gedenkt sie der
Tage des Glanzes zur römischen Kaiserzeit?
Die Straße stürzt sich steil hinunter, wir erblicken
endlose grüne Hügel, und auf deren erstem eine
Ansiedlung von zeltartigen, giebeldachförmigen Rohr-
hütten, elender Sklavenarbeiter elende Behausung.
Rund um Villa Doria Panfili.
Um zur Porta San Pancrazio zu gelangen,
kehre man zur Straßengabelung zurück und nehme die
Via Aurelia, folge dieser, bis links eine hohe Park-
200 3IIIIIIIIHIIFH I IT IH FH IF FF H FF FH IF FH HIH
mauer sichtbar wird. Man wähle die Straße links, die
der Mauer folgt, auf der eine viergliedrige Reihe von
Pinien thront. Dort, wo die Mauer einen rechten
Winkel bildet, ragt über einem verschlossenen Tor
eine Cypressengruppe, die an Boecklinsche Bilder er-
innert. Bald kommen wir zu einer „vigna“ (Wein-
berg), deren offenes Tor einen Blick auf Südwesten
bietet und in der Ferne einen langen Hügelrücken
sehen läßt, der mit rot leuchtenden Turmlandhäusern
besetzt ist, über dem sich die Campagna im blauen
Duft der See zu langsam verliert. Ebenso schön ist
das Panorama von der Villa Elvira aus. Hier kann
man sich überzeugen, wie festlich römische Nutzgärten
zur Frühlingszeit prangen. Wir sehen das sprossende
Grün an Rebe und Strauch, Artischoken, keimende
Bohnen und Erbsen, Finocchi, dazwischen rot flim-
mernde Pfirsich- und Mandelbäume, sowie Heumieten,
die schon halb abgesäbelten riesigen „Baumkuchen“
gleichen, dann auch viele Hügel von einsamen Pinien
gekrönt. Der Blumenflor aber in den Hecken und am
Straßenrain ist unbeschreiblich schön. An dieser Stelle,
welche die jagenden Vogelmörder selten betreten, gibt
es auch noch Frühlingskonzert in den Lüften.
Bald verlassen wir den Rücken der Villa Doria
Panfili und kommen links in einen steil abfallenden,
kühl schattigen Hohlweg, der Via Nocetta heißt. Im
Tale führt rechts die breite Straße zu einer Reihe von
Landgütern und Ziegeleien. Wir aber ziehen gerade-
aus, rechts an einer Gerberei vorbei, und steigen hinan
zu einer neuen Höhe, auf der rechts die Via della
Casaletto abgeht. Der Ausblick vor uns in die Tiefe,
die nun folgt, ist so überraschend, daß es uns wundert,
ihn noch nicht im Bilde festgehalten getroffen zu haben.
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Links begrenzen Tannen, rechts Hauser den Ausschnitt,
vor uns liegt das von zwei Ziegeleiessen umrahmte
Frascati, das auf einer funkelnden Wiese aufsitzt.
Rechts und links von ihm grüßt die Campagna, die von
einem duftigen blauen Gazeschleier bedeckt ist.
Die StraBe wird jetzt belebter, man begegnet In-
fanteristen, die schwer bepackt zu den Außenforts
ziehen, dann und wann auch einsamen Männern und
Frauen, die Suppenkraut oder Salatsurrogate und
Cichorie suchen. Ab und zu öffnet sich auch links ein
Blick auf das Tannengrün und die Wiesen der schönen
Villa. Links taucht bald die Kirche San Pancrazio
auf, die für jeden erhöhtes Interesse hat, der Wisemans
„Fabiola“ kennt. Rechts folgt ein gutgepflegter Wein-
und Obstgarten dem andern. Dann kommen wir zum
„großen Stiefel’ (Osteria dello Scarpone), der bei
dem römischen Volke der unteren Schichten mit der
Vorstellung des Pankrazischen Tors zusammenfällt,
während die Gebildeteren bei diesem Tor stets an
Garibaldi denken.
Kommen wir nämlich auf den Vorplatz, wo sich
der Eingang zur Villa Doria Panfili befindet, so er-
blicken wir links an der Straßenmauer vor uns viele
Inschriften und Nischen mit Büsten. Das ist die Mauer
des historischen Landhauses Vascello, das von den
heldischen Kämpfen erzählt, die Garibaldi im Jahre 1849
gegen General Oudinot bestand. Wer diese Epopöe
kennt, kann nicht ungerührt an dieser Stätte verweilen.
Am 9. Februar 1849 war die römische Republik erklärt
worden; daraufhin sandten die Franzosen am 26. April
ein Corps von 10000 Mann, das bei Civitavecchia landete
und natürlich über die Vignen und Villen vor Porta
Pancrazio rücken mußte, um sich von dort aus des
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Rom beherrschenden Janiculus zu bemächtigen. Am
28. April erhielt Garibaldi, der außer seiner 1200 Mann i!
starken Legion noch 1500 andre Mannschaften hatte,
den ehrenvollen Auftrag, die ganze westliche Mauer-
zone der Stadt von Porta Portese bis Porta Cavalleggieri
zu schützen. Am 30. April besetzten die Franzosen
einen Teil der Villa Panfili, wurden aber zurück-
geworfen. Den Tag nachher unterhandelte Oudinot über
einen Waffenstillstand. Garibaldi war dagegen, aber
Mazzini, der immer „den General spielen‘‘ wollte, über-
stimmte ihn. Der Waffenstillstand sollte einen Monat
dauern. Während Oudinot die Zeit ausnutzte, um Ver-
stärkungen heranzuziehen, unterließen es die Römer,
wie Garibaldi geraten hatte, die Positionen auf dem
Janiculus zu befestigen; denn ihre Kommandanten
wiezten sich in dem sicheren Glauben, daß die Pariser
Republikaner nichts gegen ihre Brüder in der ewigen
Stadt unternehmen würden. Zum Unglück war auch
Garibaldi während des Waffenstillstandes nach dem
Siiden geschickt worden, um gegen die Neapolitaner
zu fechten. Dazu kam, daB Oudinot die Romer hatte
wissen lassen, er werde erst einige Tage nach Ablauf
der Waffenruhe, und zwar am 4. Juni, angreifen. Statt
dessen griff er aber in der Nacht vom zweiten auf den
dritten heimlich an, da die feindliche Stellung vor Porta
Pancrazio kaum gesichert war. Die Kunde von dem
unvermuteten Angriff zeitigte in Rom groBe Ver-
wirrung, die Verteidigungstruppen waren in der Stadt
zerstreut. Garibaldi selber litt an den Folgen eines
Sturzes, den er in dem Treffen von Velletri getan,
zudem verbreitete sich die Unglücksnachricht nur lang-
sam.*) Um fünf Uhr morgens war Garibaldi aber
*) Ermanno Loevinson, „Giuseppe Garibaldi e la sua legione
nello Stato Romano 1848—49.
SFSFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFSFFFSSS 209
schon auf dem Janiculus, wenn auch nur mit einer
Kohorte. Schon waren die Franzosen in der Villa
Corsini eingebrochen, und nur das Vascello war
noch in den Händen der Römer. Den ganzen Tag
dauerte der Kampf, die Italiener gewannen mehrere
Male das verlorene Terrain, sie machten im ganzen
zehn Bajonettangriffe, aber die Übermacht war zu
groß. Am Abend war die Situation dieselbe wie am
Morgen. So blieben die Dinge bis zum 21. Juni, wo
die Franzosen die ersten Breschen schossen. Am
30. Juni begannen sie zu stürmen. Garibaldi, dessen
Tätigkeit durch Streit im eigenen Hauptquartier ge-
lähmt war, geriet in Verzweiflung, und suchte im
Kampfe vergebens den Tod. Es blieb ihm nichts
andres übrig, als abzuziehen, da er nicht kapitulieren
wollte. Am 2. Juli versammelte er seine Truppen auf
dem Petersplatze, erklärte ihnen in einer feurigen Rede
die Notwendigkeit des Abzugs und führte sie dann
über das Forum zum Johannestor. Von dort begann
sein epischer Rückzug bis zur Republik San Marino....
Der Traum der römischen Republik war ausgeträumt.
Wir ziehen weiter, vorbei an vielen Osterien, die
„Cucina assortita‘“ (wohlassortierte Küche) und „Tages-
eier“ anpreisen, und — genießen eine der schönsten
Überraschungen; denn die Porta Pancrazio dient
als Rahmen für das köstlichste Gemälde der Albaner-
berge. Wir gehen durch das Tor, halten uns rechts
und steigen durch die Wiesen bis zur höchsten Stelle
der Mauer, an welche angelehnt die
Osteria del Gran Panorama
steht. Sie bietet einen der lohnendsten Aussichts-
punkte Roms, zumal von ihrem flachen Dache aus;
Zacher, Was die Campagna erzählt, 14
210 5455553 I III III IF III I III III IF FFH
denn das Panorama ist nach Südwesten hin umfassen-
der, als das, was man vom Garibaldidenkmal aus oder
von Pietro in Montorio genießt. Schildern will ich
diesen Genuß aller Genüsse nicht, sehen wir doch
nach dem Urteil der meisten Maler die „klassischste
Landschaft der Welt‘. Wer hier, unbekümmert
darum, ob ihn die Pflicht zur Table d’hote des Hotels
ruft, bei gutem Wein und Vesperimbiß die letzten
Stunden des Tages bis zum langsamen Versterben des
Sonnenlichts und der rosigen Farbenpracht verträumt,
wird einen ganz andren Eindruck erhalten, als den
Zola in seinem Roman „Paris“ vom Pariser Sonnen-
untergang empfing. Während er schildert, daß in
Paris die sinkende Sonne die Flamme der Leiden-
schaften entzündet, bringt der römische Sonnenunter-
gang dem sinnigen Betrachter nur Frieden und Ruhe.
Ein Gefühl lieblicher, weicher Geistesbehaglichkeit um-
fängt ihn, und aus Stadt und Campagna dringen Ein-
drücke auf ihn ein, wie er sie nie empfunden, sprechen
geheimnisvolle Stimmen zu ihm, wie er sie nie gehört.
Das Landschaftsbild ist um so schöner, als links
der stattliche langgestreckte Palast der Villa Savorelli
auf einem Kissen von Steineichen, Agaven und Lor-
beerbäumen goldig glühend aufragt, und gelbrote
Reflexe auf den Vordergrund wirft, also wetteifernd
mit der ebenfalls goldig strahlenden Villa Mattei, die
im Osten vor uns liegt. Auch zur Rechten in der röt-
lich, grüngoldig flimmernden Luftschicht über der süd-
östlichen Campagna funkelt ein neues Glanzlicht, die
Trommel des Caecilia Metellagrabes. Was aber das
Wandelpanorama der Farbensymphonie auf den Al-
banerbergen anbetrifft, die jede Minute ihre Toilette
wechseln, so ist es nur mit dem köstlichsten aller
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Farbenschauspiele zu vergleichen, das man gegen
Abend auf der Terrassenosteria am Castel dell’ Ovo
in Neapel genießt, wo man dem Vesuv gegenübersitzt,
der als Verwandlungskünstler zunächst in grünem,
dann blauem, und purpurrotem Sammetmantel prunkt,
bis er aus Trauer um den Abschied der Sonne violette
Halbtrauer anlegt, die zuletzt in die tiefe Trauer des
nächtlichen Schwarz übergeht. ...
Passeggiata Margherita.
(Abschied von Rom.)
An andrer Stelle*) habe ich darauf hingewiesen,
daß die meisten Venedigpilger den Fehler machen,
die Fahrt durch den Canal Grande zu tun, ehe sie die
andren Sehenswürdigkeiten der Lagunenstadt gesehen.
Ähnlich verhält es sich mit den Rompilgern, die so-
fort zu den Höhen des Janiculus ziehen, ehe sie sich
in Rom und seiner Umgebung noch ordentlich um-
geschaut haben; denn den echtesten Genuß gewährt
der Besuch des Janiculus erst, wenn uns die Haupt-
. schönheiten Roms und der Campagna vertraut ge-
worden, dann schafft uns der Spaziergang die ge-
drängte Übersicht alles dessen, was wir bewundernd
betrachtet, und was uns lieb geworden ist. So eignet
er sich also zum Abschiedsbesuch von Rom.
Da die Reisebücher die einzelnen Schönheiten des
Janiculus ausführlich behandeln, so könnte man sich
mit den obigen Bemerkungen begnügen; doch kein
*) Siehe „Venedig als Kunststätte‘‘ Verlag von Jul. Bard, Berlin
14*
212 535353533333 II III I IF IH III III III 54H
Reisebuch macht die Fremden darauf aufmerksam,
daß der Genuß bei der Wanderung über den
Janiculus erst dann vollkommen wird, wenn man
sie nicht, wie gebräuchlich im Süden, also mit S. Pietro
in Montorio, sondern im Norden, vom Petersplatze
aus, beginnt.
Haben wir auf diesem Platze von dem Vatikan-
palast, den Kolonnaden Berninis und dem Petersdom
Abschied genommen, so gehen wir rückwärts durch
Borgo San Michele bis Borgo San Spirito, wo rechts
die Via Penitenzieri abgeht, die zu der unfertig ge-
bliebenen Porta San Spirito führt, deren enthauptete
Säulen trostlos aussehen. Zu unserer Linken liegt
das Irrenhaus, rechts ragt eine hohe Bastion, welche
die Gärten der Villa Barberini trägt und umschließt.
Vor uns zieht sich die lange Straße Via Lungara dem
Tiber entlang.
Nach einigen Schritten zieht rechts eine Allee, und
links von ihr, neben dem alten Hause, das die In-
schrift trägt „Stabilimento Ind. di Calzoni“ (Schuh-
fabrik), die Salita San Onofrio die Höhe hinauf.
Letztere wählen wir, mag sie auch häßlich und ärm-
lich scheinen. Die ganze Straßenfront rechts ist von
Wohltatigkeitsanstalten eingenommen (Hospitälern,
Altersasylen u. s. w.), die zum Teil Stiftungen des
fürstlichen Hauses Torlonia sind. Links folgen ver-
wahrloste Häuser, deren Bewohner aber bei schönem
Wetter Gelegenheit zum Studium des Volkslebens
bieten.
Auf der Höhe ist die Salita (Steige) durch eine
von einem Gittertor durchbrochene Mauer abge-
schlossen. Wir treten durch und sehen uns vor einer
Treppe, die zu einer Kirche mit Säulenhalle führt, die
SIISISITIHITHIH HIHI TH TH I TH TH TFT TTH THF FH 213
aber nur halb erscheint, da der linke Winkel fehlt. Ehe
wir diese dem heiligen Onofrio geweihte Kirche be-
treten, wenden wir uns um und sehen gerade in der
Achse der Treppe die Kirche S. Gioacchino*) mit ihrer
Aluminiumkuppel, zur Linken den Petersdom und zur
Rechten im Vordergrunde hinter Cypressen die Engels-
burg, und sich nach rechts im Halbkreis drehend, be-
merkt man den weiß schimmernden Justizpalast, dann
die Villa Medici, der die Baumpracht der borghesischen
Gärten Relief gibt, den Monte Gennaro, dann einen Teil
des römischen Häusermeers, den goldgelben Quirinals-
palast und Frascati mit den Albanerbergen. Geht
man nun links von dem Kirchenportal an die Brüstung,
so verschiebt und erweitert sich das Landschaftsbild,
namentlich tritt die zweigetürmte Villa Medici mehr
hervor, einem Felseneiland in grüner Meeriflut ver-
gleichbar, nach rechts, also im Süden, schweift das
bewundernde Auge aber dem Janiculus entlang bis zur
dreifachen Fontäne der Aqua Paola und dem stattlichen
an den Ecken zweigiebligen Palast der spanischen
Akademie.
Nun treten wir in die Vorhalle. Über dem Portal
befinden sich einige Fresken, die vom heil. Hieronymus
handeln. Rechts von ihm steckt in der Mauer eine
marmorne Grabplatte mit dem Reliefbild von Forca
Palena aus Sulmona, der die Gelder sammelte zum
Bau dieser Kirche. Im rechten Teil des halben Säulen-
vierecks schauen wir in dem oberen Halbrund der
Nischen neue Fresken, die von Domenichino, dem
bekannten bolognesischen Maler, herrühren, der auch
die Niluskirche in Grottaferrata schmückte. Sie schil-
dern das Leben des heil. Hieronymus, der ebenfalls
*) S. S. 49.
214 FIHIII III II IF FF FF FF FF FF FH FF FF FF FF IF FF FT
hier verehrt wurde, da das Kloster zuerst den Hierony-
miten, deren Orden jetzt erloschen ist, gehörte. Wir
sehen die Taufe des Heiligen, die Scene, wo er in
einer Vision vom Herrn des Himmels getadelt wird,
weil er mehr Ciceronianer als Christ sei, und seine
Versuchung in der Wüste. Der Säulengang endet mit
einer kleinen Kapelle, über dem ein Fresko Rätsel
aufgibt.
In der Kirche selbst zieht uns zunächst die Kapelle
links an, weil Pius IX. sie zu einem Ruhmestempel
für den von Goethe verherrlichten Tasso umgewandelt
hat, gleichsam, als ob Tasso ein Heiliger gewesen.
Die Hälfte der linken Wand der Kapelle nimmt eine
Rieseninschrift ein, welche Pius’ Tat verherrlicht, über
ihr zeigt eine Freskenlunette Tasso auf dem Kranken-
bette. Auf der gegenüberliegenden Seite steht sein
marmornes Standbild. Der ganze Raum ist reich
polychrom ornamentiert. Nun ruft uns die Chornische
der Kirche, sie schmückte der Erbauer der Villa Far-
nesina, Baldassare Peruzzi, mit schönen biblischen Fres-
ken. Ein sonderbares Gefühl tiberschleicht den Be-
sucher, wenn er zum Hauptaltar schreitet; denn er
wandelt auf einem Pflaster von Grabsteinen, und sein
Fuß hilft die Inschriften zerstören, welche das Lob
der dort Begrabenen für die Ewigkeit singen sollten.
Nach dem Besuche der Kirche folgt der des
Klosters, um Tassos Zelle zu schauen, die jetzt zu
einem Tassomuseum umgewandelt ist. Wer Freund
frühchristlicher Legenden ist, weil es ihn reizt, den
Geist des frühen Mittelalters mit dem heutigen zu
vergleichen, versäume es nachher nicht, auch den
kleinen Klosterhof zu besuchen, auch schon aus
dem Grunde, weil er so erfährt, wer S. Onofrio war,
SIIISIIITIHITIHHITIHIHH IF HH IF HH FH FF FF FF TFT 215
dessen Name schon auf dem Monte Mario genannt
wurde. Man gehe rechts von der Hoftüre, und von
dort links im Viereck herum. Gleich rechts kündet
eine Inschrift: „In diesen Bildern ist das Leben, der
Tod, die Wunder des heiligen Honufrius, des Sohnes
des Perserkönigs, geschildert, der sechsundsechzig
Jahre lang, der Welt verborgen, in der großen ägyp-
tischen Wüste lebte.“ — „Im Jubeljahr 1600. Restau-
riert 1682.‘ — Der Bildercyklus beginnt ganz wie in
einem Märchen von Grimm mit dem Vater des Helden,
der um die Geburt eines Sohnes — und zwar in einer
christlichen Kirche betet. Im zweiten Bilde rät ein
Dämon, während der Wunsch des Königs erfüllt wird,
— das deutet links die naive Kindbettscene an —
den Neugeborenen zu verbrennen. Der König läßt
sich auch vom Bösen umgarnen, aber es geschieht
ein Wunder, das Kind fängt nicht Feuer, weshalb sein
Vater in sich geht und es taufen läßt. Der Knabe
kommt nun zu Klosterbrüdern in die Pflege, und erhält
als Amme eine Hirschkuh. Als Honufrius herange-
wachsen ist, wird das Kind Jesu sein Spielkamerad,
und beide beschenken sich gegenseitig mit Brot, woraus
der Abt des Klosters ersieht, daß Honufrius ein Wun-
derkind sei. Er will ihn deshalb zum Superior machen,
doch dieses Amt verträgt sich nicht mit seiner Jugend.
Indes reift der Heilige zum Manne und wird Eremit.
Er zieht zur Wüste, wo ihm zuerst eine flammende
Säule, und dann der Eremit Hermeus begegnet, der
ihn in seiner Liebe zur Wüste bestärkt. Honufrius,
der ganz nackt ist, aber ein Kleid von Haaren er-
hält, lebt dreißig Jahre von dem täglichen Brote, das
ihm ein Engel bringt, dann weitere dreißig Jahre lang
von einer Palme, die ihm zur Nahrmutter heranwuchs,
216 HIHI III III II IF FF FF FH FH FF FF IH FF FF FT
Außerdem reicht ihm ein Engel jeden Sonntag die
heilige Kommunion. In dem folgenden Bilde taucht
ein andrer Eremit, Paenutius, auf, der sich zuerst vor
Honufrius erschreckt, weil er ihn für ein ,,mostro“
(Ungeheuer) oder ,,fiera‘‘ (wildes Tier) hält, dann
aber mit ihm bis zu seinem Tode zusammen lebt.
Der Tod und die Bestattung durch Löwen, die das
Grab höhlen, ist ausführlich geschildert. Nachher ver-
dorrt die Palme, und die Quelle versiegt, so daß
Paenutius fortziehen muß. Honufrius wird aber in
Gestalt einer Taube gen Himmel getragen.
Nach diesem Untertauchen in die frühmittelalter-
liche Sagenwelt wirkt die Rückkehr ins Freie fast
erfrischend. Die Sonne scheint fast noch einmal so
hell, der Himmel noch einmal so blau. Wir gehen
um das Kloster herum und treten an die Holzbrüstung,
die den Fahrweg vom Abhang trennt. Entzückt haftet
unser Blick unten in dem Garten des Palazzo Salviati
(Kardinal, der 1574 den Bau für Heinrich III. von
Frankreich errichtete), auf einer Riesenpinie von sel-
tener Pracht und Formenschönheit. Jetzt bemerken
wir auch unter den Palmen des Ziergartens Jünglinge
in militärischer Uniform, die uns sagen, daß in dem
einst für einen König bestimmten Heim jetzt Kadetten
unterrichtet werden. Links von dem Gipfel der Pinie
schauen wir nun den Turm des Kapitols und den
sogenannten Turm des Nero, rechts aber Frascati,
dessen rosiger Schimmer durch den Kontrast mit dem
satten Grün noch schöner wirkt. Im Südwesten aber
winkt der Palatin, und das Kloster Sant Anselmo, die
Citadelle der aventinischen Klösterfestung. Weiter!
Bei der nächsten Biegung, wo die Fahrstraße nach
rechts sich windet, halt! Man schaut in neuem Glanze
SEIT TTTTCHTTTTHT HIT T TH TH TH HH HH 217
die majestätische Peterskuppel, zu der eine Laubbrücke,
aus jungen Pinien gebildet, vom Janiculus aus hinan-
zieht. Zur Linken ragt eine Art künstliche Grotten-
anlage, deren Stirnseite als Hauptschmuck einen weißen
marmornen Sarkophag zeigt, der zur Blumenvase ge-
wandelt wurde. Eine kleine Treppe führt zu einem
erhöhten Plätzchen, auf dem hinter einer gesundheit-
strotzenden, mächtigen deutschen Eiche ein Eichen-
krüppel sichtbar wird, der Binden und Bandagen aus
Stein und Teer trägt. Eine Inschrift meldet:
„S. P. Q. R.
„All ombra di questa quercia
„Vicino ai sospirati allori e alla morte
Ripensava silenzioso Tasso
Le miserie sue tutte.
E Filippo Neri
Tra liete grida si faceva
Coi fanciulli fanciullo
Sapientemente.“‘‘*) —
„Diese Lieblingsstelle Tassos erobert noch jetzt
durch den herrlichsten Niederblick auf die ewige Stadt
jedes Herz für das neue Jerusalem.“ So sagt G’sell-
Fels in seinem trefflichen Rombuch mit Recht. Und
der Wanderer, der hier an der vom Blitz zerschmetter-
ten Eiche weilt, gedenkt des geisteskranken Dichters
des „Befreiten Jerusalems‘‘, der kurz vor seinem Tode
(1595) und vor der Dichterkrönung auf dem Kapitol
Zuflucht fand bei den Mönchen von S. Onofrio, und
*) Im Schatten dieser Eiche überdachte Tasso, der dem längst
erseufzten Lorbeer, aber auch dem Tode nahe war, schweigend all
sein Elend. Und hier wandelte sich auch Philippus Neri in Oesell-
schaft von Kindern weise zum Kinde unter ihrem fröhlichen Lärm.
218 355II3I II III IF FF TFT FH FF IH FF FF FF 35TH
abends oft an diesen Platz ging, um träumerisch auf
die ewige Stadt herunterzublicken. Wer aber die
schöne Villa Mattei kennt, wird durch die gleichzeitige
Erwähnung des Namens Filippo Neri an jene Laube
erinnert, die den Blick auf die Thermen des Caracalla
bietet, und die so oft den „humoristischen Heiligen“
im Kreise seiner erwachsenen Schüler sah. Den be-
lesenen Deutschen jedoch erinnert die Verknüpfung
der Namen Tasso und Neri wieder an Goethe, der
in seiner „Italienischen Reise‘ von beiden spricht.
Wir gehen um die Eichen herum zu einem kleinen
bastiongleichen Vorsprung, dessen Rückwand durch
eine breite Ziegelsteintreppe ausgefüllt wird. Wiederum
erscheint uns das Panorama von Rom hier neu. Wie
Berninis Kolonnaden den Petersplatz, so umfangen hier
der Janiculus und die Albanerberge das südliche Rom,
wie liebende Arme im Halbkreis. Und wie kontrastiert
mit dieser Pracht das gelbrote Zentralgebäude mit
den vielen Flügeln unter uns, das Strafgefängnis
„Regina Coeli“ (Himmelskönigin)! Erquickender wirkt
dagegen der Palazzo Farnese, der jetzt imposant aus
dem Häusermeer vor uns auftaucht! Wir steigen
die einem Abschnitt aus einem alten Amphitheater
gleichende Treppe hinauf, deren oberste Stufen durch
eine Wand von Cypressen beschirmt sind, die malerisch
sich abheben gegen des Himmels Blau. Stehen wir
oben und kehren uns um, so erblicken wir einen recht-
eckigen Ausschnitt des mittleren Rom, das von vier
Gebäuden beherrscht wird, dem stattlichen Quirinal-
palast, der Kirche von Aracoeli, deren Fassade sich
breit und braun in die Brust wirft, dem Kapitolsturm
und dem Lateran. Links aber gleißt die Peterskuppel,
dahinter der Monte Mario, und etwas rechts davon
FFFFSFFFSFSFSFSSFSSSFSSSSFSSFSSSSSS 219
steckt der Sorakte sein zackiges Haupt aus der griin-
blauen Ebene hervor.
Nun grüßt uns wohlgepflegte Gartenpracht.
Pinien, Palmen, Agaven, Platanen umgeben uns.
Links bietet sich eine schöne Überraschung. Wir
schauen den Tiber und vier seiner berühmtesten
Brücken, Ponte Sisto, Garibaldi, Quattro Capi und
Ponte Rotto. Dahinter drängt sich die goldgelbbräun-
liche Villa Mattei auf, und in weiterer Ferne die
„römischen Schlösser“ der Albanerberge.
Wir lassen die wohlgepflegten Straßen und folgen
stets der Brüstung, da hier, wie in einem Wandel-
panorama, ein schöner Blick den andren ablöst. Die
Aussicht nach Norden weitet sich, aber unser Auge
wird bald vom Häuserwirrwarr im Kessel unter uns
angezogen. Vergeblich suchen wir das Rätsel zu lösen,
warum bei dieser klaren Luft jede Raumvorstellung
aufgehoben erscheint. Die mächtigsten Paläste, Kirchen,
Türme, ob deren Größe wir unten so oft gestaunt,
scheinen ihres Körpers beraubt und zu bloßen Cou-
lissen hingeschwunden zu sein, so sehr sind sie ver-
und in- und umeinander geschoben, als sei Rom zu
einer Rumpelkammer eines Riesentheaters gewandelt.
Selbst der Kundige kennt die einzelnen Gebäude kaum
mehr aus der zusammengeschachtelten Masse heraus,
und vergebens sucht er sich klar zu machen, warum
der Turm der Universität nach waghalsigem Sprunge
nun als Kokarde an der Sturmhaube des Pantheons
prangt. Dort, wo die Brüstung einen rechten Winkel
bildet, hat man ferner einen neuen Blick auf den
Janiculus, der hier eine halbkreisförmige baumbe-
wachsene Muschel scheint, aus deren Grün im Tal
das weiße Kloster der Damen von Sacré Coeur her-
220 II IIIIFIT IF FH FH FH FF FF FH FF HH FT FH FF
vorschimmert, und oben sich nur die Villa Lante,
das Garibaldidenkmal, die Aqua Paola und vor uns
am entgegengesetzten Ende die spanische Akademie
hervorheben.
Und immer weiter folgen wir der Brüstung, bis
an einer neuen Ecke halbrechts das Haus der Villa
Lante über uns erscheint, das Raffaels Schüler Giulio
Romano erbaute. Es ist heute das vielbeneidete Heim
eines Deutschen, des bekannten Antiquars Professor
Helbig. Von unserer Ecke aus überblicken wir den
schönen Klostergarten, der von der Villa bis zur Ebene
reicht, dahinter winken die Palmen des Gartens des
Palazzo Corsini, dann dieser selbst, und ihm gegen-
über die Farnesina, wo wir Raffaels Fresken bewun-
derten. Das Rundbild reicht aber, von hier aus ge-
sehen, vom Monte Sorakte bis zu Castel Gandolfo, dem
ehemaligen Versailles der Päpste. Vergebens suchen
wir den Tiber, dafür entdecken wir nur die grüne
Schlange der Alleen, die seine neuen Quais zieren.
Wir steigen nun hinauf vor das Haus der Villa
Lante, vor welchem alte Eukalyptusbäume Wache hal-
ten. Seltsame Greise, die erst im November und
Dezember jung werden und silbergrüne Blüten treiben!
Neue Gartenpracht umfängt uns, aus Pinien, Agaven,
Steineichen, Palmen jeglicher Art zusammengesetzt.
Zur Abwechslung schlendern wir nun an die Geländer-
mauer der Rückseite des langgestreckten Hügels, um
einen Blick nach Westen zu tun. Zuerst erblicken
wir die Baumsymphonie der Villa Panfili, aus der
das statuengeschmückte Kasino hervortaucht, dann
grünes Gehügel, rechts davon im Tal zahlreiche Essen,
drauf einen Teil der vatikanischen Gärten mit der
Sternwarte, die Peterskuppel und dahinter die Berge
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Etruriens. Wie diese Reihe von Landschaftsbildern,
von der römischen Sonne umbrannt, leuchten und
funkeln!
Durch einen Alleetorso von Steineichen gelangen
wir nun auf einen riesig großen leeren Sandplatz, die
höchste Erhöhung des Janiculus, auf dem fast prahle-
risch und doch imponierend das stattliche Garibaldi-
denkmal aufragt, als Sinnbild des „dritten Roms“. Die
Leute des Vatikans empfinden es zwar als eine Be-
leidigung, daß dies eherne Reiterstandbild gerade auf
der Kuppe steht, die von den Fenstern der Papst-
gemächer aus sichtbar ist; aber, wenn es den Italienern
mit ihrer Einheit ernst ist, und sie also dem Heros,
der ihnen diese Einheit verkörpert, ein Monument er-
richten wollten, das nicht bloß leere Phrase sein sollte,
so konnten sie den kühnen General, den letzten der
Condottieri, nur an dieser Stätte verewigen, die seinen
Verzweiflungskampf von 1849 gesehen. Und so scheint
aus dem ehernen Antlitz des Nationalheros auch der
Triumph herauszuleuchten, daß der Traum seines
Lebens Wahrheit geworden. Wir folgen der Richtung,
die sein Blick weist, und treten an den östlichen Rand
des Hügels, doch entdecken wir, daß der Ausblick auf
Stadt und Campagna nicht so frei ist, wie wir wünschen
möchten, da einzelne Laubcoulissen sich zwischen uns
und das Landschaftsbild drängen. Doch in der rechten
Ecke des Platzes bietet sich uns das südliche Rom,
und diesmal um eine neue Nuance reicher, da auch
das Kolosseum sichtbar wird. Die spanische Akademie
aber, halb verborgen durch Wald und Busch, liegt
jetzt tiefer als wir.
Die Straße senkt sich nun, rechts schiebt sich eine
zum Garten gewandelte Hügelwelle vor, links begleitet
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uns die duftige Kühle eines urwaldgleichen Gewirres
von Eichen, Buchsbaum, Lorbeer und Ilex. Die mäch-
tige Platanenallee aber, durch die wir ziehen, erinnert
uns an den Pincio, da ihre rechte Seite mit Büsten
berühmter Patrioten, Soldaten und Denker *gesäumt
ist, die in den italienischen Freiheitskämpfen hervor-
ragten.
Vor dem Tor angekommen, treten wir links. Ein
schluchtenartiger Weg gähnt unter uns, der längs des
parrhasischen Hains (bosco Parrasio) nach dem Tal
führt. Jetzt ist dieser steile Weg verwahrlost, während
er einst bessere Tage sah, als in dem Haine noch
die Akademie der Arkadier blühte, und ihm gegenüber
die vielen Mühlen klapperten, die einst Belisar hier
anlegte. Das einzige Leben, das man noch gewahrt,
zeigt der große Waschbrunnen, um welchen fleißiges
Frauenvolk malerisch hantiert. Ein Blick nach links,
und in neuem Aufbau präsentieren sich die Schroffen
und Halden des Monte Mario, auch der Sorakte stellt
sich wieder ein; vor uns, leuchtender, als je, auch
die blaue Wand der Sabinerberge mit dem schimmern-
den Tivoli.
Lautes Rauschen lockt uns zum Weitergehen. Bald
stehen wir vor der dreifachen Wasserfall-Fontäne der
Paulinischen Wasserleitung (aqua Paola) die PaulV.
(Borghese) vom Braccianosee nach Rom führfe. Dann
wenden wir uns links und gehen rechts an einer
großen gärtnerischen Anlage vorbei, welche die schön-
sten Zierpflanzen zeigt, zum Vorplatz der Kirche
Pietro in Montorio, welcher die bekannteste Aus-
sichtsterrasse Roms darstellt. Wir sind auf spanischem
Boden; denn die Kirche wurde von Isabella, der Katho-
lischen, gebaut, die Terrasse selbst von Philipp III. von
FFFIFFFSIFSTESFFFFFFFFFFFFFFFFFSFFISS 223
Spanien, und der an die Kirche angebaute Palast,
dessen kleiner Hof über der Stelle, wo Petrus den
Martertod erlitten haben soll, den berühmten Tempel
Bramantes enthält, ist heute Sitz der spanischen Aka-
demie.
Den besten Rundblick gewährt die Nordecke der
großen Terrasse. Wir wiederholen im Gesamtblick
alles, was wir auf unserer Wanderung im einzelnen
geschaut, und finden, daß der herrliche Palazzo Far-
nese, von hier aus gesehen, am stattlichsten erscheint;
stattlich präsentiert sich auch wieder der Palatin und
der mit seinen Kirchenvesten prunkende Aventin. Auch
Neues schauen wir, im Süden. Der Testacciobuckel
im grasgrünen Rock, die goldschimmernde Fassade
der Basilika S. Paolo fuori le Mura werden sichtbar,
und vor allem die rosafarbene Trommel des Caecilia
Metellagrabes, die unsere an Erhebung und Erbauung
reiche Wanderung über die Via Appia antica ins
Gedächtnis zurückruft.
Auch jetzt vermögen wir uns noch nicht zu trennen;
treibt es uns doch, zum Abschied noch einmal an
das Pankratiustor zu pilgern, um auf dem flachen
Dache der „Osteria del Gran Panorama“ Roms
schönstes Farbenschauspiel, den römischen Sonnen-
untergang,*) zu genießen.
*) S. S. 209.
FFFFIFIFFIFFFFSSFFSFFSFFSIFSFIFSFSFIS 225
Anhang:
Zum Besuch der HauptstraBen vor dem Tor sind
besonders folgende Tage zu empfehlen:
21. Januar. Via Nomentana. (Lammerweihe in S. Agnese.)
25. Januar. Via Ostiense. (Fest in S. Paolo fuori le Mura.)
25. Marz. Via Frascati. (Fest in Grottaferrata.)
Ostersonntag. Via Nomentana.
Osterdonnerstag. Via Appia nuova. (Königs-Rennen.)
Pfingstmontag. Via Appia Nuova. (Fest
Erster Sonntag nach Pfingsten.J des Divino Amore.)
23. Juni. Vor Porta S. Giovanni. (Johannisnacht.)
Sonntag nach dem 23. Oktober. Villa Glori.
22. November. Via Appia Antica. (Fest in den Callistus-
katakomben.)
Uber die Fuchsjagden, die von Dezember bis
Marz jeden Montag und Donnerstag in der Campagna
geritten werden, und iiber die Wettrennen in Tor
di Quinto Ende März siehe das Nähere in den römi-
schen Tageszeitungen.
Zacher, Was die Campagna erzählt. 15
220 FFFFSHSSFFSFSSFFSFSFFFFFFFFFFFFFSF
Alphabetisches Register.
A. D.
Agrippa, Menenius 113 Dante 58
Albani, Villa 69, 101 Doria Panfili, Villa 20 5f.
Allia, Schlacht 105 R.
Antemnae 39, 102 a
Aqua Cetosa 72, 105 Egeriahain 168
Aqua Claudia 128, 139, 140 Engelsburg 32
Aqua Felice 139 Eurysaces Grab 129, 157
Aqua Santa 146 F
Aqua Traversa 47, 59, 99 . g
Arco Scuro 76 Fabier, die 87
Aerni, Franz 121 Fabius (Maximus) 7, 87
Artischokenkarneval 197 A on 15
Augustus 24, 33, 89, 156 enae
Aventin 10 ff. a; Flaminius, Konsul 34
B. Fortebraccio 119
Belisar 5, 15, 21, 101, 164, 222 Furba, porta 138
Boecklin 17, 37, 64, 118 G.
Bonifaz VIII. 85, 158 Galilei 3
Borghese, Villa 8, 20, 71 Garibaldi 27, 30, 110, 207 ff., 221
Bresche an Porta Pia 22 Geiserich 15
Byron 18, 103 ff., 157, 171, 177 Giovanni, porta 27, 136
Glori, Villa 74, 76
C. Goethe 33, 72, 92
Cairoli, Gebrüder 74 Guardiano di campagna 44, 82
Cassia Via 45, 94, 98
Castel Giubileo 73, 85 H.
Cavalleggieri, Porta 30, 202 Hannibal 34, 87, 170
Celsa, la, Osteria 87 Höllenthal 31, 92
Cervarafeste der Künstler 133 Honorius 24
Collegium Germanicum 6, 186 Horatier und Curiatier 84
Colonna, Familie 36, 52, 119, 158
Commodus, Kaiser 166 L
Corelli, A. 34 Ianiculus 30, 93, 198, 218
Cremera, Bach 86 Innocenz XIII. 2
Crescentius 58 Isola Farnese 96
FIFFFSTTFFFFIFFFFFFFFFIFFFSFIFFIFFFFF 227
J.
Judenkirchhof 11
Judenviertel 196
Judenwettlauf 192
Julius III. 35, 36
K.
Karneval 191
Konradin 66, 119
Konstantin, Kaiser 15 ff, 38, 90,
109
L.
Latinergräber 145
Leo XIII. 31, 49, 204
Liszt 65
Livia, Villa 88
Lucullus 5, 128
Ludwig I. von Bayern 8, 41, 73
Luther 33
M.
Madama, Villa 38, 48
Maggiore, porta 26, 127
Malteservilla 13
Margarethe von Parma 48
Mario, monte, 45, 57
Martin V. 119
Massimi, principe 7, 87
Mattei, palazzo 195
Maxentius, Kaiser 38, 90, 157
Mazzini 5, 208
Medici, Villa, 3, 20
Melafumo, Osteria 79
‘Mellini, Villa 31, 38, 57, 64
Messalina 5
Modelle 2
Molle, ponte 38, 57
Montanara, piazza 11
Museo, del Castello Costantino 14
N.
Napoleon I. 5, 15, 78
Nazarener 126
Nero 50, 104, 163
Nomentano, ponte 105, 112
O.
Oktoberfeste 114, 143
Oudinot 30, 208
P.
Palatin 17
Pancrazio, porta 29, 209, 223
Parıöli, monti 37, 39, 77
Peterskirche 1, 64
Petiti 64, 121
Petrus, Skt. 103, 110, 178
Pietro in Montorio 222
Pio Joris 34
Pius IX. 27, 46, 78, 110, 158
Plebejer, 12, 112
Policlinico 23, 67
Popolo, piazza 33
Porsenna 30
Portese, porta 28
Poussin 78, 81, 121
Prati di Castello 31, 65
Prima Porta 88
Protestantischer Friedhof 28, 178
Pulcinellatheater 107
Q.
Quo vadis, Kirche 28, 155, 169
Quo vadis, Roman 36, 110, 155
R.
Raffael, 33, 52, 53
Rienzi 11, 27, 119
Ritter vom Ponte Molle 40, 133
Roeder, Max, 64, 121
S.
Salaria, porta 21
Salaria, via 70, 100
Sartorio, Aristide 121
Scheffel, Joseph Viktor 42, 159,
161, 194
Schlüsselloch (Tor der Malteser-
villa) 12
Sixtus V. 33, 138
Sorakte 75, 102
15*
228 3II5I5 III III FH IH FH FH IH FIT HH FH TH IH THF TFT F
Sternwarte, Vatikanische 31 Tre Fontane 181
Storta, la 95 Trionfale, Via 63, 94
Strohl-Fern, Villa 33, 77 U.
Stuart, Villa 31, 63 Urban, S. 175
T. V.
Testaccio, monte 186 Vascello 207
Tieck 8 ai, has an
Tor di Quinto, Osteria 79 ejas
Totilas 15, 27 194, 202
Tullus Hostilius 84 Z.
Trastevere, Bahnhof 198 Zola 31, 210. '
Neuer Frankfurter Verlag G. m. b. H. Frankfurt a. M.
Aus Vatikan und Quirinal.
Bilder
vom Nebeneinanderleben der beiden Höfe.
Von Albert Zacher.
Umschlagzeichnung von Albert Genick (Rom).
Preis broschiert M.4.—. Elegant gebunden M. 5.—.
Leipziger Neueste Maohriohten (141, 24. Mai 1902): ... ist ein"Buch aus
der Feder eines praktischen Journalisten, der sich seit Jahren in
Rom aufhält und mit dem römischen Leben und Treiben genau ver.
traut ist. Das kleine Werk behandelt die jüngste Geschichte der
beiden feindlichen Mächte innerhalb der ewigen Stadt, des Vatikans
und des italienischen Königtums. Es enthält Charakterbilder Papst
Leos, König Umbertos und seines Nachfolgers von grosser psycho-
logischer Feinheit und voll scharfer Beobachtungen ihrer Tätigkeit
Hervorgehoben sei noch ein interessanter Rückblick auf die letzten
Jahrzehnte italienischer Geschichte. Wer überhaupt das römische
Leben und Treiben, wer das königliche und päpstliche Rom und
wer die markantesten Persönlichkeiten aus beiden Lagern kennen
lernen will, dem sei das Zachersche Buch bestens empfohlen, es ist
der Niederschlag der Tagesereignisse der letzten Jahre, gesammelt
von einem scharfen und fleissigen Beobachter.
Von demselben Verfasser erschien:
Assessor Assemacher in Italien.
Freuden und Leiden
eines rheinischen Jubiläumspilgers.
Umschlagzeichnung von Albert Genick (Rom).
Ein starker Band von 672 Seiten.
Preis M. 6.—. Elegant gebunden M. 7.50.
Riohard Voss schrieb dem Verfasser: Hochgeehrter Herr! In Be-
gleitung ihres famosen Assessor Assemacher reiste ich dieser
Tage durch Italien. Es war cine ungemein interessante und amü-
sante Pilgerfahrt, für welche ich Ihnen mit meinem Komplimente
zugleich meinen Dank ausspreche. Ich prophezele Ihrem Rheinländer
einen Triumphzug duroh das deutsche Vaterland.‘
Neuer Frankfurter Verlag G. m. b. H. Frankfurt a. M.
Diplomatenleben
Bunte Bilder aus meiner Tätigkeit in vier Weltteilen.
Von Sir Edward Malet
früheren Botschafter am Berliner Hof.
Einzig autorisierte deutsche Bearbeitung von Heinrich Conrad.
Umschlagzeichnung von Peter Behrens.
Preis brosch. M. 6.—. In eleg. Leinwandeinband M. 7.50.
Berliner Neueste Nachriohten. Sir Edward Malet, der sich seiner
hervorragenden Charaktereigenschaften halber der größten Beliebt-
heit in Berlin erfreute, bringt nun in seinem Werke „Diplomaten-
leben“ eine Fülle interessanter Erinnerungen, die um so höher zu
werten sind, als sie durchweg auf persönlichen Erlebnissen beruhen.
Eine besondere Beachtung verdienen Malets Beziehungen zum Für-
sten Bismarck, mit dem er 1871 zu Meaux, von Paris aus zu ihm
gesandt, zusammentraf.
Mit dem Tornister.
Feldzugs-Erinnerungen
eines Infanteristen aus dem Jahre 1870.
Von C. Rückert.
Preis broschiert M. 3.—. Elegant gebunden M. 4.—.
Berliner Zeitung, Berlin, 8. Februar 1903. ...so fing ich zu lesen
an und las und las, bis ich die letzten Worte gelesen und zu der
Erkenntnis kam, daß hier ein Buch der Öffentlichkeit übergeben
wurde, das zu den wenigen Büchern gehört, nach deren Lektüre
man von dem Bedauern erfüllt ist, daß wir kein anderes Mittel
haben, Taten des Geistes mitzuteilen, als in dem sargartigen Rahmen
eines Buches, den doch nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von
Menschen den Mut hat, zu erbrechen.
loh wünsohte, es würden diesem Buche Apostel erstehen, die es, von
Stadt zu Stadt ziehend, laut verklinden und preisen würden, die die Mensch-
heit in Massen veranlassen würden, es zu lesen und immer wieder zu lesen.
Eine Frühlingsreise in Griechenland
von Å. Déring
o. 8. Professor an der Universität Berlin.
Mit acht ganzseitigen Illustrationen. — In vornehmer Aus-
stattung. Broschiert M. 3.—, gebunden M. 4.—.
Aus dem Italien - Verlage der Schulze’schen
Hofbuchhandlung (A. Schwartz) in Oldenburg.
Dr. Albert Zacher.
Römische Augenblicksbilder.
M. 3.—, in Orig.-Einband M. 4.—.
Wirklich Neues und Interessantes wird hier geboten aus der
Feder des bekannten Publizisten und langjährigen Vertreters der
Frankfurter Zeitung in Rom. An der sicheren Hand dieses bewährten
Führers lernen wir das heutige Rom kennen, das tägliche Leben
der Gegenwart, und schauen alles, was uns in dem lebendigen Gross-
und Kleingetriebe der „ewigen Stadt“ entgegentritt, treu und natur-
wahr als gelungene, scharfe Momentaufnahmen.
Dr. Hans Barth.
Est! Est! Est!
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Mit Titelbild: Jugendlicher Bachus. Originalzeichnung v.C. W. Allers
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Aus der berufenen Feder des bekannten, seit etwa ı5 Jahren in
Italien und besonders in Rom lebenden Journalisten wurde das über-
all willkommen geheissene Büchlein gleich nach seinem ersten Er-
scheinen als notwendige Ergänzung jedes Reisehandbuches für
Italien begrüsst. Als önosophischer Baedeker ist Barths Schenken-
führer ein unentbehrlicher Ratgeber durch die Osterien Italiens
geworden.
Allmers, H., Römische Schlendertage. Illustr. mit 20 Voll-
bildern. 10. Auf. M.6.—, in Orig.-Einband M. 7.—.
von Dalwigk, Briefe aus Rom und Athen. 2. Aufl. M. 2.—,
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Kaden, Woldemar, Italienische Gipsfiguren. 3. Aufl. M.4.—,
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Proelss, Joh., Deutsch-Capri in Kunst, Dichtung, Leben.
Reich illustr. m Orig.-Einband M. 3.—.
Roland, Emil (Emmi Lewald), Italienische Landschaftsbilder.
M. 3.—, in Orig.-Einband M. 4.—.
Salomon, Ludwig, Spaziergange in Siiditalien. Reich illustr.
M. 3.—, in Orig..-Einband M. 4.—.
Stahr, Adolf, Ein Jahr in Italien. 5 Teile in 3 Banden.
4. Aufl. M. ı5.—, in Orig.-Einband M. 18.—.
Stahr, Adolf, Herbstmonate in Oberitalien. 2. Teile. 3. Aufl.
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Wettering, A., Aus der Kunstwelt des Altertums. Dichtungen
Mit 8 Lichtdrucken. M. 2.—, in Orig.-Einband M. 3.—.
Im unterzeichneten Verlage erscheint:
DIE KUNST
SAMMLUNG ILLUSTRIERTER MONOGRAPHIEN
HERAUSGEGEBEN VON
RICHARD MUTHER
Professor der Kunstgeschichte an der Universitat Breslau.
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Vossische Zeitung v. 18. XII 1902:
. Die beste Aussicht auf Erfolg hat eine im Verlage von |
J ulius Bard in Berlin erscheinende Folge, die sich unter
dem weiten Titel: „Die Kunst“ und mit: Richard Muther
als Herausgeber einführt .
. Die Ausstattung der kleinen Büchlein von fünf Bogen
Taschenformat ist eine gefällige und solide; Papier und Satz
sind gut und klar, die Abbildungen sind durchweg gelungen:
kurz, äusserlich unterscheidet sich das neue Unternehmen in vor-
teilhafter Weise von dem Gros der „Künstlermonographien“ , .
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Julius Bard herausgegebenen Bändchen.
Jeder Band in künstlerischer Ausstattung, mit Photogravüren und
mehreren Vollbildern in Tonätsung, elegant kartoniert a M.1.25,
ganz in Leder gebunden mit Goldschnitt a M. 2.50.
JULIUS BARD VERLAG, BERLIN W. 57.
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