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Full text of "Albrecht von Graefes Archiv für Ophthalmologie 73.1910"

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LELAND-STANFORD JVNTOR: ANIVERSITY 





LIBXARY 
UNIVERSITY OF CALIFQRNEA 
DAVIS 


LANE MEDICAL LIBRARY 
STANFORD UNIVERSITY 
309 PASTEUR DRIVE 
PALO ALTO, CALIF. 


TPANSPERRED TO LANE 


ALBRECHT von GRÆFE'S 
ARCHIV 


FÜR 


OPHTHALMOLOGIE 


HERAUSGEGEBEN VON 


PROF. E. FUCHS PROF. TH. LEBER 
PROF. H. SATTLER PROF. A. WAGENMANN 
IN LEIPZIG IN JENA 


REDIGIERT VON 


PROF. TH. LEBER .., PROF. A. WAGENMANN 


LXXIII. BAND 


MIT 22 TAFELN, 57 FIGUREN UND 2 KURVEN IM TEXT 


LEIPZIG 
VERLAG VON WILHELM ENGELMANN 
1910 


LIBRARY | 
IVERAAlY CALIFORNIA 
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Inhalt des dreiundsiebzigsten Bandes. 


Erstes Heft. 
Ausgegeben am 14. Dezember 1909. 

Alfred Leber, Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis und Tuberkulose 
des Auges 

G. Stanculeanu u. D. Mihail, Die yothologischie Anatomie der Ophthal- 
moreaktion. (Mit Taf. I, Fig. 1—4.) . 

K. Stargardt, Über Störungen der Pusikeladapttión (Mit Taf. II— VI, 
Tabelle 1—5 und 15 Figuren im Text). 

W. Koster Gen., Nähere Mitteilungen über die Geer EE der 
Trünenabflusswege und über die Bildung einer bleibenden Kommuni- 
kation des Tränensackes mit der Nase, oberhalb der unteren Concha. 

C. Pascheff, Über die „Chlamydozoen“ oder „Trachom-Körperchen“ und 
andere eigenartige Körperchen — Ephithelzelleneinschlüsse (Mit 
Taf. VII, Abt. I—IX, und 2 Fig. im Text.) 

Fritz Schanz u. Karl Stockhausen, Über die Fluorescenz der dnb (Mit 
1 Fig. im Text.) . 

Richard Seefelder, Über die alsstisehien- Faser der inenschlichen Corada 
dargestellt nach der Färbemethode von Held. (Mit Taf. VIII—IX, 
Fig. 1—14, und 1 Fig. im Text.) . 

M. Wolfrum, Ist das konstante Vorkommen des Glaskorparksnalés Künste 
produkt oder prüformierte Struktur? . 

R. Seefelder, Zur Frage der Netzhautanomalien in sonst normalen fütalen 
menschlichen Augen 


Zweites Heft. 
Ausgegeben am 25. Januar 1910 

Rudolf Schneider, Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der 
„Leukine“ für die Heilung infektiöser Bindehautentzündungen. (Mit 
1 Fig. im Text.) . : : 

Vittorio Carlini, Die ebe Cys sten dor Cohjunetiva (Mit Taf. X, 
Fig. 1—3.) . ' 

K. Ichikawa, Ein Beitrag zur E EN (Mit Taf. XI, Fig. 1 u. 2) . ; 

Rudolf Tertsch, Über den Ringabscess der Cornea. (Mit Taf. XII, Fig. 1 u. 2.) 

Walther Löhlein, Zur Frage der primären Sehnervengeschwülste. (Mit Taf. XIII, 
Fig. 1.) 

Richard Krámer, Zur F rage dos Anteils de tr an aer tee 
tösen Drucksteigerung. . 

RH. Halben, Entwurf eines ‚Merkhlatie. zur Beki imbfune und E EE 
der Kurzsichtigkeit*. 

Julius Mutermilch, Über die Ge und dis Wesen des E (Mit 
Taf. XIV u. XV. Fig. 1—7.. 


Seite 


10 


77 


165 


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188 


213 


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317 


384 


IV Inhalt des dreiundsiebzigsten Bandes. 


Drittes Heft. 
Ausgegeben am 8. März 1910. 

R. Seefelder, Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut, des 
Pigmentepithels und des Sehnerven. (Nach Untersuchungen am Men- 
schen.) (Mit Tafel XVIu. XVII, Fig. 1—5, und 37 Figuren im Text.) 

Ginsberg, Zur Kenntnis der chronischen, herdförmig disseminierten Ader- 
hauttuberkulose. (Mit Tafel XVIII u. XIX, Fig. 1—6.) 

Fritz Schanz u. Karl Stockhausen, Zur Ätiologie des Glasmacherstars. 
(Mit Tafel XX u. XXI, Fig. 1u. 2). 

Dieselben, Weiteres über Blendung. ; 

Ischreyt, Über einen Fall von Glaukom im my mier Auge: mit eDrudisie: 
kung auf die Netzhaut.. ; iden 

Edmund-Jensen, Zur Ätiologie des Ulcus corneae serpens. . : 

E. Hertel u. O. Henker, Über die Schädlichkeit und Brauchbarkeit unserer 
modernen Lichtquellen. (Mit Tafel XXII, Fig. 1, und zwei Kurven im 
Text.) . EA Ma Ae due eee fd 


Seite 


419 


538 


553 
561 


566 
579 


Aus der kgl. Universitäts- Augenklinik zu Berlin. (Dir. Geh.-Rat Dr. J. v. Mi chc [A it : 


Serodiagnostische Untersuchungen 
bei Syphilis und Tuberkulose des Auges. 


Von 
Dr. Alfred Leber, 


Privatdozent und Assistent der Klinik. 


Inhalt: Einleitung. — Experimentelle Grundlagen einer ophthalmo- 
logischen Serodiagnostik. — Die serologischen Methoden und ihre Bedeutung 
für das Auge. Syphilis. — I. Technik der Komplementbindung zum sero- 
logischen Nachweis der Syphilis. — II Wesen und Spezifizität der syphilitischen 
Antikörper. — III. Klinische Erfahrungen. — Allgemeiner Teil. — I. Klinische 
Leistungsfähigkeit und Bedeutung der Luesdiagnostik für die Pathologie der 
syphilitischen Augenerkrankungen — 2. Antikörperbefund in den verschiedenen 
Perioden der syphilitischen Augenerkrankungen. — 3. Über das Verhalten 
syphilitischer Sera gegenüber lipoiden Stoffen. — 4. Über die Beziehungen 
von Antikörperbefund zu Heilung und therapeutischem Erfolg. — IV. Klinische 
Erfahrungen. Spezieller Teil. — Nosologische Erfahrungen auf Grund serodia- 
gnostischer Untersuchungen — 1. Krankheiten der Lider, der Bindehaut und 
des Trünensacks. — 2. Krankheiten der Hornhaut. — 3. Krankheiten der 
Sklera. — 4. Krankheiten der Iris und des Ciliarkórpers. — D Krankheiten 
der Chorioidea. — 6. Krankheiten der Netzhaut und des Sehnerven. — 
7. Krankheiten des Auges aus zentraler Ursache — 8. Krankheiten der Orbita. 
— V. Zusaminenfassung. Tuberkulose. — I. Grundlagen und Bedeutung sero- 
diagnostischer Untersuchungen bei Tuberkulose der Augen. — II. Methoden des 
Tuberkulosenachweises auf Grund allergetischer Erscheinungen. — Ill. Klinische 
Erfahrungen. Spezieller Teil. — 1. Krankheiten der Bindehaut und der Adnexe 
des Auges. — 2. Krankheiten der Hornhaut. — 3 Krankh»-iten der Sklera. — 
4. Krankheiten der Iris und des Ciliarkörpers. — 5. Krankheiten der Chorioidea. 
— 6. Krankheiten der Netzhaut. — IV. Zusammenfassung. 


Einleitung. 


Experimentelle Grundlagen einer ophthalmologischen 
Serodiagnostik. 


Die Erfahrungen der modernen Immunitätslehre haben gezeigt, 
dass spezifische Krankheitsursachen und deren Folgen hier mit spezifisch- 
wirkenden Heilmitteln zu bekämpfen sind. Eine derartige Behand- 
lung hat aber naturgemäss zur Voraussetzung, dass die Kraukheits- 
ursache sicher bekannt ist. Es ergibt sich daraus das Bedürfnis 
nach andern Methoden der ätiologischen Diagnostik, das um so dring- 

v .Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 1. 1 


9 Tu A. Leber 


licher ist; als gerade zu den infektiósen Noxen solche gehóren, die 
überrzschend ähnliche Krankheitsbilder hervorrufen. Von der Syphilis 
und der Tuberkulose, den weitaus häufigsten Ursachen infektiöser 
 Angenerkrankungen, ist dies hinlänglich bekannt. Dass auch gerade 
sie einer Behandlung in hohem Masse zugänglich sind, lässt es um 
8o wünschenswerter erscheinen, sie durch direkte Reaktionen zu erkennen, 
" die auf das Auge selbst keinen Einfluss haben. 

Die diagnostischen Methoden, die am Auge selbst einsetzen 
oder die zu mikroskopischer Untersuchung von ihm das Material ent- 
nehmen, erfahren durch die Bauverháltuisse des Organs eine wesent- 
liche und weitgehende Einschränkung. Ein Fortschritt ist deshalb nur von 
solchen Methoden zu erwarten, welche diese Schwierigkeit umgehen, 
indem sie Reaktionsprodukte, deren Vorhandensein mit dem patho- 
logischen Agens in Zusammenhang steht, ausserhalb des Auges oder 
seiner Adnexe, eventuell an ferngelegenen Stellen des Organismus 
nachzuweisen suchen. Die Umgehung des Auges ist jedenfalls kein 
Nachteil, in manchen Fällen sogar wohl als Vorzug zu bezeichnen. 

Was nun diese Substanzen anlangt, deren Vorkommen im Blut 
oder andern Geweben auf eine Augenerkrankung zurückgeführt werden 
soll, so ist es nicht ohne weiteres gestattet, die Erfahrungen an an- 
dern Organen auf das Auge zu übertragen. Die Sonderstellung, 
welche das Auge seinem anatomischen Bau nach, wie auch hinsicht- 
lich seiner Cirkulations- und Ernährungsverhältnisse einnimmt (1), 
fordert den exakten Nachweis, dass tatsächlich die im Auge gebil- 
deten krankhaften Stofle in genügender Menge und mit der erforder- 
lichen Regelmässigkeit in den Kreislauf übergehen. Da der Kreis- 
lauf es ist, der durch das Blutserum den Stofftransport vermittelt, 
ist der Nachweis dieses Überganges und der Tatsache, dass er unter 
gleichen Bedingungen mit Regelmässigkeit erfolgt, die Voraussetzung 
aller weiteren Versuche. 

Wie die Untersuchungen über den Flüssigkeits- und Stoffwechsel 
im Auge gezeigt haben, dringen die meisten der im Kreislauf cirku- 
lierenden Stofle in die Medien des Auges ein und sind darin in mehr 
oder weniger starker Konzentration nachweisbar. Diese Tatsache, 
die zuerst an körperfremden, sowohl anorganischen wie organischen 
Substanzen erkannt worden ist, hat eine weitere Bestätigung für die 
Stoffe erfahren, die unter pathologischen Verhältnissen im Blut vor- 
kommen, die wir als Bakteriengifte und Gegengifte: Toxine und 
Antitoxine bezeichnen. Ein objektiv nachweisbarer. pathologisch- 
anatomisch wohl charakterisierter Ausdruck dieses Überganges ist in 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 3 


den Gefässveränderungen gegeben, auf deren weitgehende Bedeutung 
von Michel(3) hingewiesen hat. 

Da der Aufnahme fremder Substanzen in das Auge, deren Ab- 
gabe nicht in jeder Richtung parallel geht, und da gewisse Stoffe, so 
namentlich die hochmolekularen, insonderheit die kolloiden Eiweiss- 
körper ein verschiedenes Verhalten zeigen, bedurfte es eingehender 
Untersuchungen, um zu zeigen, dass sowohl die im Auge gebildeten 
Antigene (d. h. Stoffe, welche die Bildung von Antikörpern hervor- 
rufen), als auch diese Antikörper selbst, in den Kreislauf übergehen. 
Den ersten beweisenden Versuch in dieser Richtung hat Löffler (4) 
erbracht, der gelegentlich seiner Immunitätsstudien feststellen konnte, 
dass durch die lokale Entzündung der Mäuseseptikänie-Keratitis, 
Kaninchen vor einer neuen Infektion geschützt werden können. Die 
massgebenden Tatsachen wurden aber erst erkannt, als das Wesen 
und die Eigenart der lokalen Immunität, durch die günstigen Ver- 
suchsbedingungen des Auges, gerade an diesem Organe eingehend 
studiert wurden. 

Bei seinen Untersuchungen über die Giftwirkung des Ricins und 
Abrins, war es Ehrlich(5) gelungen, von der Conjunctiva aus eine 
Immunisierung herbeizuführen. Calmette und Delarde(6) konnten 
diese prinzipiell wichtige Beobachtung bestätigen. Von ihr gehen 
P. Römers(7) systematische Untersuchungen aus, bei denen es sich 
zeigte, dass sich durch conjunctivale Immunisierung eine all- 
gemeine Immunität erzielen lässt, die dem Grad der lokalen Schutz- 
wirkung parallel geht und im gesamten Organismus nachweisbar ist. 
Ganz analoge Immunitätserscheinungen, die vom Auge ausgehend 
auf den übrigen Organismus übergreifen, hat von Dungern(S8) am 
Kaninchenauge erzielt. Nach Injektion von wenig Tropfen verdünnten 
Serums von Maja squinado in die vordere Augenkammer, gab der 
nach acht Tagen abgelassene Humor aqueus dieses Auges mit ver- 
dünntem Majaplasma einen starken spezifischen Niederschlag, während 
das Kammerwasser des andern Auges, ebenso wie das an diesem 
Tag entnommene Blutserum vollkommen klar blieb. Am folgenden 
Tag der gleiche Befund, nur fand sich jetzt auch Präcipitin im Serum. 
‚In diesem nahm der Präcipitingehalt progredient zu, so dass er nach 
vier Tagen demjenigen des Kammerwassers gleich war. In beiden 
Medien war das Prücipitin 50 Tage nach der Injektion noch nach- 
weisbar. 

Ich selbst(9) habe unter Berücksichtigung der Verhältnisse der 
vorderen Augenkammer, sowohl in dieser, als auch im subconjuncti- 

T 


4 A. Leber 


valen Gewebe, eine lokale Bildung von Choleraschutzstoffen hervor- 
rufen können, deren Werte ich zahlenmässig bestimmt habe. Es hat 
sich dabei gezeigt, dass auch hier diejenigen Gewebe, die zugrst mit 
einem Antigen in Berührung kommen, zuerst mit der Bildung von 
Antikörpern reagieren und einen grösseren Gehalt daran aufweisen, 
als das gleichzeitig entnommene Blutserum. 

Die Tabellen I und II sollen veranschaulichen, wie sich dabei 
die Verhältnisse gestalten. 

Es geht aus den Tabellen hervor, dass die an einer scharf um- 

Tabelle T. 


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schriebenen Stelle gebildeten Antikörper von dieser aus in den Kreis- 
lauf gelangen und dass sie in diesem Werte erreichen, die allmählich 
denjenigen ihrer Bildungsstätten gleichkommen. Weitere Versuche 
haben gezeigt, dass dasselbe für die vordere Augenkammer gilt, dass 
auch von hier aus eine allgemeine Immunisierung erfolgt, bei der im 
ersten Stadium die Vermehrung der Schutzstoffe auf dıe vordere Augen- 
kammer beschränkt bleibt. Dann aber nimmt das Blutserum auch 
diese Stoffe auf, und wie bei der conjunctivalen Immunität besteht 
dann auch hier eine Tendenz des Blutserums, sich dem Antikörper- 
gehalt des Humor aqueus zu nähern. Ähnliche Verhältnisse habe 
ich neuerdings auch für die Folgen einer tuberkulösen Infektion des 
Kaninchenauges feststellen kónnen (10). 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 5 


Es folgt daraus, dass abgesehen von bemerkenswerten Abweichungen 
im einzelnen, das Auge sich ähnlich wie die andern Organe verhält. 
Auch für seine Gewebe gelten dieselben Gesetzmässigkeiten, wie für 
die übrigen Gewebe. Seine Immunitätsvorgänge stellen Analoga dar 
zu den Prozessen, die sich im Knochenmark und den Iymphoiden 
Organen bei der Cholera [Pfeiffer und Marx (11)] und beim Typhus 
[Wassermann und J. Citron 12, 13)] abspielen. 

Die prinzipielle Bedeutung der vorhergehenden Untersuchungen 
liegt also darin, dass sie dargetan haben, dass das Auge, einschliess- 

Tabelle IT. 


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Extrakt ] 












200 


N 


lich seiner Adnexe, an deu Vorgängen allgemeiner Immunität teil- 
nimmt, anderseits aber auch von sich aus einen allgemeinen Immuni- 
tätszustand auszulösen im stande ist. Während die erste Erfahrung 
als Vorbedingung einer zweckdienlichen Serumtherapie gelten muss, 
ist die zweite massgebend für eine zuverlässige Serodiagnostik. 
Wenn sich nun die Oplithalmologie bis vor kurzem einer sero- 
logischen Diagnostik und somit in vielen Fällen einer ursächlichen 
Erklärung der von ihr behandelten Krankheitsbilder hat begeben 
müssen, so liegt das an dem Umstand, dass eine grosse Reihe von 
Immunkörpern, deren Bedeutung für die innere Medizin längst be- 
kannt ist, bei den Augenerkrankungen entweder fehlen oder keine 
bemerkenswerte Rolle spielen. Das gilt insonderheit von den zuerst 





6 A. Leber 


von Gruber und Durham beschriebenen Agglutininen und den Bak- 
teriolysinen, deren genauere Kenntnis wir Pfeiffer verdanken. So 
ist es verständlich, wenn wir bislang zur ätiologischen Klärung auf 
die am lebenden Auge doch recht beschränkte Anwendung bakterio- 
logischer Methoden angewiesen waren. 

So fruchtbringend und bedeutungsvoll R. Kochs und Schau- 
dinns Grosstaten für das Gesamtgebiet der Medizin gewesen sind, 
für die praktische Augenheilkunde ist ihr greifbarer Nutzen gering 
geblieben. Ein solcher war nur zu erwarten von Reaktionen, die 
direkt den Nachweis führen von solchen Substanzen, die teilweise 
wohl im Auge selbst, im Herd der Erkrankung gebildet werden, 
jedenfalls aber in ursüchlichem Zusammenhang mit diesem Herd 
stehen, aber fern von ihm, im Kreislauf oder den übrigen Geweben 
des Organismus zum Nachweis gelangen. 


Die serologischen Methoden und ihre Bedeutung für das Auge. 


Die Möglichkeit, ungeformte Reaktionsprodukte des Auges im 
Blute nachzuweisen, ist durch die Methode der Komplementbindung 
gegeben, die im Jahre 1901 von Bordet und Gengou(l4) ange- 
geben wurde, um die Einheit des Komplementes gegenüber Ehrlich 
zu beweisen. — Durch diese Methode gelingt es, wie Gengou(15) 
später zeigen konnte, den Nachweis sowohl von Antigenen (d. h. Stoffen, 
die im Tierkörper Antikörper erzeugen) als auch derjenigen Antikörper 
zu führen, die als Amboceptoren bezeichnet werden. Es beruht dies 
darauf, dass die Verbindung eines Antigens mit seinem spezifischen 
Amboceptor eine starke Affinität zum Komplement besitzt, während 
das Antigen und der Amboceptor für sich allein nicht im stande 
sind, nennenswerte Mengen des Komplements zu binden. 

Ob eine Bindung des Komplementes tatsächlich erfolgt oder 
unterblieben ist, wird dann dadurch entschieden, ob das Gemisch 
von Komplement, Antigen und Amboceptor noch die Fähigkeit be- 
sitzt, ein ihr zugesetztes hämolytisches System, d. h. ein inaktives 
hämolytisches Serum und rote Blutkörperchen zu lösen, oder ob es 
durch Komplementbindung diese Fähigkeit verloren hat. Die Hämo- 
lyse tritt ein, wenn während der ersten Phase des Versuches eine 
Komplementbindung nicht erfolgt, das Komplement also in unver- 
ündertem Zustand in dem Gemisch verblieben ist. Die Hämolyse 
bleibt dagegen aus, wenn das Komplement schon vorher von der 
Verbindung des Antigens mit seinem Amboceptor verankert wurde, 
Es erhellt daraus ohne weiteres, dass dieses Ausbleiben der Hiimo- 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 1 


lyse auch ein Beweis ist, nicht nur für die Verbindung von Antigen 
und Amboceptor, sondern auch dafür, dass tatsüchlich diese beiden 
Faktoren in dem Gemisch vorhanden sind. Liegt also ein Serum 
zur Untersuchung vor, von dem wir nicht wissen, ob es ein Antigen, 
einen Amboceptor, oder eventuell auch beide enthält, so lässt sich 
dies entscheiden durch einen Versuch, bei dem einmal ein Antigen, 
ein ander Mal ein Amboceptor von bekannter Reaktionsfähigkeit in 
die Gleichung mit einer Unbekannten eingeführt wird. 

Nachdem Gengou (15) bereits gezeigt hatte, dass es mit dieser 
Methode gelingt, nicht nur Bakterien und geformte Körperelemente, 
sondern auch gelöste Eiweisskörper nachzuweisen, hat sie eine ausser- 
ordentlich vielseitige Anwendung erfahren. Es muss genügen, hier 
an dieser Stelle nur in kurzem darauf hinzuweisen und der Unter- 
suchungen von Neisser und Sachs (16) Erwähnung zu tun, die auf 
diesem Wege selbst Spuren von Eiweiss differenzieren konnten. Ja, 
die durch die Reaktion angegebenen Ausschläge sind so fein, dass 
die Methode nach Untersuchungen von Friedberger(17) 50 millionen- 
mal schärfer ist, als die Präcipitationsmethode. 

Eine wesentliche Erweiterung ihrer Anwendbarkeit hat die Me- 
thode erfahren durch Versuche von Wassermann und Bruck (18), 
bei denen sich ergab, dass sich bei dieser Versuchsanordnung gelöste 
Bakteriensubstanzen ebenso verhalten wie die übrigen, vordem unter- 
suchten Eiweisskórper. Da Bordetund Gengou(19) bereits vordem ge- 
zeigt hatten, dass Meerschweinchen, die mit Hühnertuberku'ose vorbehan- 
delt waren, in ihrem Serum spezifische Antituberkulose -Amboceptoren 
enthielten, so gewann die Methode durch diese neuere Erfahrung eine 
vermehrte praktische Bedeutung, die sich insonderheit auch für die 
Tuberkulose bestätigt hat. Da im zweiten Teil darauf des näheren 
eingegangen werden soll, sei hier nur erwähnt, dass Wassermann 
und Bruck (20) in tuberkulösen Organen sowohl Tuberkulin, wie 
auch das entsprechende Antituberkulin nachweisen konnten. Während 
diese beiden Autoren nur bei dem mit Tuberkulin vorbehandelten tuber- 
kulósen Menschen im Serum Antituberkulin nachweisen konnten, ist 
dies Citron (21), Lüdke(22, 23) und mir (24) auch beim unvorbe- 
handelten tuberkulósen Menschen gelungen. Da ich gleichzeitig diesen 
Stoff auch im Kammerwasser tuberkulöser Augen feststellen konnte, 
ınuss durch diesen Versuch die Möglichkeit eines serologischen Nach- 
weises der Augen-Tuberkulose als erwiesen gelten. 

Die Serodiagnostik. der Syphilis beruht auf demselben Prinzip 
und geht von der Voraussetzung aus, dass die antigenartigen Sub- 


S A. Leber 


stanzen der Lues in einem wüssrigen Extrakt gelóst und dadurch 
einem Nachweis durch die Komplementbindung zugänglich sind. 
Wassermann, Neisser und Bruck (25) gingen deshalb so vor, 
dass sie Affen mit syphilitischem Virus teils infizierten, teils vorbe- 
handelten und das Serum dieser Tiere gegenüber Extrakten aus 
syphilitischem Material von Kranken und Leichen prüften. Sieben 
bis- acht Wochen nach gelungener Impfung konnten sie in dem Affen- 
serum eine Hemmung der Hämolyse feststellen, ein Beweis dafür, 
dass 1. in dem hergestellten Affenimmunserum Antikörper gegen 
spezifisch syphilitische Substanzen und 2. in den untersuchten Ex- 
trakten diese syphilitischen Stoffe selbst sich fanden. 

Durch eine Mitteilung von Detre (26), der bei einem syphi- 
litischen Menschen im Serum dieselben Antikörper hatte nachweisen 
können, gewannen diese Untersuchungen in erheblicher Weise an 
Bedeutung. Dies war in vermehrtem Masse der Fall als Wasser- 
mann, Neisser, Bruck und Schucht (27) an einem grösseren 
Untersuchungsmaterial feststellen konnten, dass etwa 19°), aller Syphi- 
litiker. die erwähnten Antikörper iin Serum aufweisen. Diese vor- 
läufige, an sich geringe Prozentzahl der positiv reagierenden Syphi- 
litiker ist in der Folge nicht bestätigt worden. Es hat sich vielmehr 
gezeigt, dass sie tatsächlich und namentlich auch bei den postsyphi- 
litischen Erkrankungen (Tabes und progressive Paralyse) viel höher 
ist. Es beruht dies einmal auf einer Verbesserung der Versuchs- 
anordnung, ein ander Mal aber auch darauf, dass bei späteren Uhnter- 
suchungen auch die schwach positiven Reaktionen genügende Be- 
rücksichtigung fanden. So haben Wassermann und Plaut(28) in 
der Lumbalflüssigkeit und im Serum von Paralytikern in "80, der 
Fälle, Citron (29) in 87,0*|, der sicher luetisch Infizierten, A. Leber 
(30) in 90°% der syphilitischen Augenkranken die spezifischen Stoffe 
nachweisen können. Zu ähnlich günstigen Resultaten sind dann in 
der Folge auch die meisten Autoren gelangt, die sich mit der Frage 
beschäftigt haben. An dieser Stelle muss die Erwähnung daher ge- 
nügen, dass gerade auch die metasyphilitischen Erkrankungen, die in 
besonderem Masse das Interesse des Ophthalmologen verdienen, sich 
bezüglich ihrer Antikörperbildung von den übrigen syphilitischen Er- 
krankungen nicht unterscheiden, und dass auch die Tabes einem sero- 
logischen Lues-Nachweis in hohem Masse zugänglich ist. Marie u. Leva- 
diti (81), Morgenroth u. Stertz (32), A. Leber (24), A. Schütze (33). 

Die vielseitige klinische Verwertung, die die Methode bereits 
gefunden hat, und die mannigfaltigen Modifikationen, die ihr durch 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 9 


systematische Laboratoriumsuntersuchungen zuteil geworden sind, haben 
ihre strenge Spezifizität und damit ihre weittragende Bedeutung er- 
wiesen. Auf die Einschrünkung, die sie nach neueren Versuchen in 
ganz bestimmter Richtung erfahren soll, wird im folgenden Kapitel 
noch eingegangen werden. Die Komplementbindung hat sich aber 
auch bei meinen ausgedehnten Vorversuchen zur Prüfung ihrer kli- 
nischen Verwertbarkeit insonderheit bei der Syphilis als so wert- 
voll erwiesen, dass ich sie zu systematischen Untersuchungen bei 
Augenerkrankungen herangezogen habe. Eine Bestätigung und prak- 
tische Verwertung haben seitdem die Untersuchungen von C. Cohen (34), 
Schumacher(34, 1), und Wolff(34, 2) gebracht. Wie meine Vorunter- 
suchungen ergaben und wie ich das für die Tuberkulose bereits oben 
mitgeteilt habe, sind die entsprechenden spezifischen Reaktionsprodukte 
auch bei syphilitischen Augenaffektionen im Humor aqueus nachweisbar 
[A. Leber (34, 3). Die Erwartung, diese Stoffe, selbst wenn sie in 
einem bestimmten Stadium der Erkrankung nur gerade im Auge 
gebildet werden sollten, auch im Blute nachweisen zu können, hat 
sich bestätigt. 

Von dieser Erfahrung sind meine weiteren Untersuchungen aus- 
gegangen. Es handelt sich dabei im wesentlichen um diagnostische 
Untersuchungen. Immerhin wurde auch eine grössere Reihe sicher 
nicht spezifisch erkrankter Augenpatienten zur Untersuchung heran- 
gezogen. Der Übersicht halber sollen im folgenden zuerst meine 
Beobachtungen über syphilitische Augenerkrankungen zur Besprechung 
gelangen, während im zweiten Teil meine Erfahrungen des serologi- 
schen Nachweises der Augentuberkulose niedergelegt sind. 


Teil I. 
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis des Auges. 


I. Technik der Komplement-Bindung zum serologischen Nachweis 
der Syphilis. 

Da die Methodik und die technisch richtige Durchführung der 
Reaktion von ausschlaggebender Bedeutung und zuverlässige Resul- 
tate nur bei Einhaltung der erprobten Versuchsanordnung zu er- 
zielen sind, ist auf diese ein ganz besonderes Gewicht zu legen. Die 
verschiedenen Modifikationen, sowie die Vorschläge zur Vereinfachung 
der Wassermannschen Reaktion, die den ersten Publikationen aus 
dem Wassermannschen Laboratorium gefolgt sind, sollen, soweit 
dies hier notwendig ist, weiter unten berücksichtigt werden. 


10 A. Leber 


Die Versuchsanordnung, die ich bei meinen diagnostischen Unter- 
suchungen befolgt habe, und die bisher auch allgemein als die zu- 
verlässigste angesehen wird, nachdem sie sich in zahllosen Kontroll- 
versuchen bewährt hat, ist die folgende. 


Antigen. 


Das Antigen wird gewonnen durch Extraktion von Lebern hereditär 
luetischer Föten. Auch andere Organe, unter Umständen auch solche 
normaler Organismen sind dazu verwendbar, haben sich aber weniger 
bewährt, ebenso wie die Organe von Erwachsenen, die luetisch waren. 


Die Organe werden möglichst frisch verarbeitet, um autolytische Spal- 
tungen innerhalb der Gewebe tunlichst zu vermeiden. Um eine recht aus- 
giebige Extraktion zu erzielen, werden die Organe mit einer Schere fein 
zerkleinert und im Verhältnis von 1:4 mit einer C,85°, Kochsalzlösung 
versetzt, die 0,59/, Acid. carb. liq. enthält. — Die Aufschwemmung wird 
während 24 Stunden im Schüttelapparat geschüttelt, und dann durch Zentri- 
fugieren von den darin enthaltenen festen Bestandteilen getrennt. Das so 
gewonnene Extrakt soll móglichst klar, jedenfalls frei von gróberen Suspen- 
sionen sein. Voraussetzung seiner Brauchbarkeit ist, dass es steril bleibt. 


Die Prüfung eines derartigen Extraktes geschieht in der Weise, 
dass es gegen ein sicher luetische Reaktionsprodukte enthaltendes 
Serum austitriert wird. Mit einem solchen Serum soll das Antigen 
in einer möglichst geringen Dosis eine Hemmung der Hämolyse 
geben. Die Dosen, bei welchen das der Fall ist, sind recht schwan- 
kend und beginnen bereits bei 0,05 ccm. Nach oben findet die Brauch- 
barkeit eine Begrenzung in der Weise, dass 0,4ccm wohl als Maxi- 
mum gelten muss, da darüber hinaus auch normale Sera gelegentlich 
Komplement-Bindung geben. 

Das Prüfungsextrakt ist brauchbar, wenn es 1. mit sicher lue- 
tischem Serum eine komplette Hemmung der Hämolyse gibt. 

2, Mit normalem Serum in derselben Dosis eine vollständige 
Lösung der Blutaufschwemmung bewirkt. 

3. Inder doppelten Dosis für sich allein die Hämolyse nicht hemmt. 

Ein derartiges Extrakt wird, um seine Reaktionsfähigkeit zu er- 
halten, im Eisschrank aufbewahrt und auch während der Ausführung 
des Versuches möglichst vor Sonnenlicht und Wärme geschützt. 
Seine Haltbarkeit ist eine wechselnde, meist erhält ach die Wirk- 
samkeit aber ungeschwächt während mehrerer Monate, so dass Ich 
ein Extrakt noch nach acht Monaten in der ursprünglich aus- 
titrierten Dosis verwenden konnte, Im übrigen wird die Brauchbar- 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 11 


keit des Extraktes in jedem Versuch durch die notwendigen Kon- 
trollen festgestellt. 


Antistoffe (zu prüfendes Serum). 


Als Antistoffe oder Antikörper seien hier alle diejenigen Substanzen 
bezeichnet, deren biologische Moleküle mit andern Molekülen feste Bin- 
dung eingehen, d.h. eine Affinitäts-Wirkung entfalten. Damit ist über 
die Wertigkeit dieser Antikörper, ihre Bedeutung für die Schutz- 
und Heilmassnahmen, die der Organismus schädigenden Einflüssen 
gegenüber zur Wirkung bringt, nichts ausgesagt. Ob die Mehrzahl 
der als Antistoffe bezeichneten Körper irgendwie für die Heilungs- 
vorgänge von Bedeutung sind, ist zum mindesten strittig. Dadurch 
wird aber ihre Bedeutung in diagnostischer und pathognomonischer 
Hinsicht durchaus nicht vermindert, so lange ihr Vorkommen auf 
eine bestimmte oder eine engumschriebene Gruppe von Krankheiten 
beschränkt bleibt. Es ist aus dem Gesagten verständlich, dass unter 
diese Bezeichnung auch solche Stoffe gehören, die sich zu dem ent- 
sprechenden Antigen anders verhalten, als die ursprünglich als Anti- 
stoffe bezeichneten Körper, denen tatsächlich eine Schutzwirkung 
zukommt. Ebenso ist es nach dem Gesagten verständlich, dass bei 
diesen Vorgängen physikalisch-chemische Eigenschaften der reagieren- 
den Moleküle von massgebender Bedeutung sein können. Es folgt 
daraus, dass wir die im syphilitischen Serum nachweisbaren Reaktions- 
produkte des Organismus ganz allgemein als Antikörper auffassen 
müssen, die sich mit dem Antigen zu einer Verbindung vereinigen, 
die im stande ist, Komplement zu verankern. Um dieser Eigen- 
schaft willen wird ein derartiger Antikörper zu den Amboceptoren 
gezählt, weil er zwei bindende Gruppen aufweist: die antigenophile 
und die komplementophile. 

Die bei der Syphilis nachzuweisenden Antikörper finden sich, 
wie die neueren Untersuchungen gezeigt haben, in fast allen Körper- 
flüssigkeiten. Für den praktischen Nachweis kommt in erster Linie 
das Blut in Frage, aber auch die Lumbalflüssigkeit [W assermann 
und Plaut(28)], die Milch [Bab (35)], Hydrocelenflüssigkeit, Speichel 
und Humor aqueus [Leber (36)], Urin [F. Blumenthal und U. J. Wile 
(37), F. Hoehne(38)] kónnen gelegentlich zur. Untersuchung heran- 
gezogen werden. 

Die Blutentziehung wird am zweekmässizsten dureh Venenpunktion 
vorgenommen; es ist das ein gefahrloser und bei einizer Ubung seitens des 
Operateurs fast schmerzloser Eingriff, dem sieh die Patienten ohne Bedenken 


12 A. Leber 


unterziehen. Nach sorgfältiger Desinfektion der Ellenbogenbeuge steche ich 
mit der Nadel einer grösseren Serumspritze in eine der dort gelegenen 
Venen, wenn möglich der V. mediana cubiti, und entziehe durch Saugwir- 
kung der Spritze 4— 10 cem Blut. In Füllen, wo die Venen weniger sicht- 
bar sind, empfiehlt es sich am Oberarm eine Binde mit Tourniquetwirkung 
anzulegen, deren Spannung man aufhebt, noch bevor die Kanüle aus der 
Vene entfernt wird. Hat man diese Vorsicht walten lassen, so steht die 
Blutung fast momentan und ein Verband mit Heftpflaster oder ein mit 
Kollodium befeuchteter Tupfer genügt, um die Einstichstelle vor Verun- 
reinigung zu schützen. 

Bei dem an sich durchaus harmlosen Eingriff ist nur darauf zu achten, 
dass Luftaspiration und Verletzung einer der Hauptarterien des Armes ver- 
mieden werden. — Für die Entnahme selbst gebe ich starken Kanülen den Vorzug, 
die, wenn sie gut zugespitzt sind, ebenso leicht wie die dünnen die Gewebe 
durchdringen, sich aber weniger leicht als diese mit Blutgerinnseln verstopfen. 

Bei Kindern, deren Venenkaliber zu dünn, oder Erwachsenen, die sich 
vor einer Venenpunktion scheuen, ist die Biutentzielung mittels eines 
blutigen Schröpfkopfes zu empfehlen. Bei Säuglingen kann man durch 
einen kleinen Schnitt in die grosse Zehe leicht 1,5 ccm Blut gewinnen: das 
Mindestmass zur Anstellung einer Reaktion lege artis. Meist wird man aber 
versuchen ein grösseres Blutquantum zu erhalten, um nötigenfalls den 
Versuch wiederholen zu können. 


Durchschnittlich kann man annehmen, dass man von der Blut- 
menge den vierten Teil als Serum gewinnt. Zu dem Zweck lässt 
man das Blut in sterilem Reagenzglase gerinnen, lóst den Blutkuchen 
von der Wand des Róhrchens ab und lüsst die weitere Trennung 
des Blutkuchens von dem Serum während 18—24 Stunden im Eis- 
schrank vor sich gehen. Man erzielt auf diese Weise ein farbloseres 
Serum, als wenn man die Trennung durch scharfes Zentrifugieren 
beschleunigt. — Das vom Blutkuchen abgeheberte, zentrifugierte und 
erythrocytenfreie Serum wird durch halbstündiges Erhitzen auf dem 
Wasserbad bei 569 von seinem Komplement befreit. Der Vorgang 
wird als Inaktivierung bezeichnet. Es hat dies möglichst bald zu 
zeschehen, ebenso wie es dienlich ist, die Untersuchung bald vor- 
zunehmen, da gelegentlich durch längeres Stehen normale Sera ihr 
Verhalten wesentlich ändern. Sie gewinnen dann unter Umständen die 
Fähigkeit, mit luetischem, eventuell auch schon mit normalem Organ- 
Extrakt oder sogar für sich allein die Hämolyse zu verhindern. 

Bemerkt sei noch, dass es sich empfiehlt, die Blutentziehung 
nicht während der Verdauung der Patienten vorzunehmen, da man 
zu der Zeit ein stark lipämisches Serum gewinnt, dessen Trübung 
zu Irrtümern Anlass geben kann. Eine durch Hämoglobindiffusion 
bedingte Rötung des Serums beeinträchtigt die Reaktion in keiner Weise. 


-æ - 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 13 


Komplement. 

Als Komplement dient frisches Serum normaler Meerschweinchen, 
das mit 0,85?|, Kochsalzlósung im Verhältnis 1:10 verdünnt wird. 
— Soll das Meerschweinchen-Serum zu weiteren Versuchen aufbewahrt 
werden, so empfiehlt es sich, dazu den von Morgenroth angegebenen 
Frigo-Apparat zu benutzen, in dem das Serum in gefrorenem Zustand 
sich unverändert hält. 

Von den drei bisher besprochenen biologischen Reagentien wird 
jedes auf das Volumen von 1,0 ccm gebracht, so dass in jedem Röhr- 
chen des Versuches 3ccm enthalten sind. — Dabei lässt sich eine 
Bemessung des Antikörpergehalts im Serum dadurch erzielen, dass 
man es auch, wie es Citron empfohlen, in einer Probe in der Hälfte 
der üblichen Dosis, also mit 0,1 ccm ansetzt und zwar ebenfalls mit 
der halben Dosis des verwandten Extraktes. Der Ausfall der Reak- 
tion gestattet auf diese Weise eine gewisse titrimetrische Beurteilung 
des Antıkörpergehaltes im Serum, auf dessen Bedeutung ich noch 
zurückkomme. — Die Protokollierung erfolgt dann mit + Zeichen, 
ganz in analoger Weise wie bei den Agglutinationsproben, wobei 
+++ die stärkste, + die schwächste Reaktion bezeichnet. Nach- 
dem Antigen-Serum und Komplement eine Stunde bei 37° im Brut- 
schrank zur Bindung erwärmt worden sind, wird ihnen das hämolytische 
System zugefügt. 

Hämolytisches System. 

Das hämolytische Serum wird gewonnen durch Vorbehandlung 
von Kaninchen mittels intravenöser Injektionen von frischen, ge- 
waschenen Hammelblutkörperchen. Nach dreimaliger Injektion ab- 
nehmender Dosen in fünftägigen Zwischenräumen wartet man zehn 
Tage, ehe man die Entblutung des Tieres vornimmt, dessen Gesamt- 
serum, nach vorausgegangenem Inaktivieren, in eingeschmolzenen 
Röhrchen auf Eis aufbewahrt wird. Allerdings lässt sich dadurch 
nicht immer eine Abschwächung des Titers vermeiden, die manch- 
mal in den allerersten Tagen nach der Eutnahme einsetzt. 

Als Hámolysinverdünnung empfiehlt es. sich, etwa das zweiein- 
halbfache der eben lösenden Hämolysinmenge zu verwenden, wodurch 
einerseits die Reaktion wesentlich beschleunigt, anderseits unvoll- 
kommene Lösung in den Kontrollröhrchen, bzw. bei den normalen 
Sera vermieden wird. Ein derartig starkes Hämolysin beeinträchtigt 
den Versuch in keiner Weise, gestattet. vielmehr die Unterschiede in 
sinnenfälliger Weise zu beobachten, da die Hämolyse viel schneller 
einsetzt. — Naturgemüss erfordert jeder Versuch eine genaue Kennt- 


14 A. Leber 


nis der Hämolysinstärke, die durch Titration, unter denselben Be- 
dingungen wie beim Hauptversuch, gewonnen wird. 

Zur Herstellung der Erythrocytenaufschwemmung wird Hammel- 
blut defibriniert, mehrmals mit phys. Kochsalzlósung gewaschen und 
im Verhältnis von 5:100 mit Kochsalzlösung versetzt. 

Hämolysinverdünnung und Blutaufschwemmung werden in den- 
selben Mengen wie die übrigen Reagentien zugefügt, das heisst je 
l ccm. — Für den Fall, dass der Titer des Hämolysins ein mässiger 
ist oder dass es erwünscht erscheint, den hämolytischen Prozess zu 
beschleunigen, kann man dies Ziel dadurch erreichen, dass man Hä- 
molysinverdünnung und Blutkórperchenaufschwemmung in gleichen 
Mengen gemischt, vor dem Zusetzen zu den übrigen drei Faktoren 
bereits eine halbe Stunde in dem Brutschrank zur Bindung vor- 
wärmt. Auf die Weise kann die Verbindung des Hammelblutambo- 
ceptors + Hammelblutkörperchen von Beginn der zweiten Versuchs- 
phase an die Wirkung seiner gesteigerten Affinität entfalten. Diese 
Massnahme wird als Sensibilisierung bezeichnet. 

Nachdem Hámolysin und Erythrocytenaufschwemmung dem Ge- 
misch zugefügt worden ist, kommt der Versuch wiederum in den 
Brutschrank und zwar mindestens so lange, bis die Kontrollproben 
vollkommene Hämolyse aufweisen. Es empfiehlt sich, den Verlauf 
des Versuchs mit halbstündigen bis viertelstündigen Pausen zu ver- 
folgen und ihn spätestens nach Verlauf von zwei Stunden auf Eis 
zu bringen, wo man die ungelösten Blutkörperchen während 18 bis 
20 Stunden sich absetzen lässt. Nach deren Verlauf wird die end- 
gültige Feststellung des Versuchsergebnisses vorgenommen, wobei, wie 
bereits erwähnt, quantitative Unterschiede der Hämolyse eine be- 
sondere Berücksichtigung verdienen. Am zweckmässigsten nimmt 
man die Bewertung in der von Citron angegebenen Weise vor, die 
aus dem folgenden Schema ersichtlich ist. 


Schema zur Wertbestimmung des Antikörpergehaltes eines syphilitischen Serums. 


e EE — m — 
| Dosis von 


Bewertung 
ı Antigen + Serum | 


Ausfall der Härmolyse EE E 


I. | 0,2 Kompl. Hemmung nA 


0,1 " 
I. 0,2 Lr weh 
| 0,1 Inkompl. Hemmung 
III. | 0,2 Kompl. Hemmung | bee 
| 0,1 Lösung | 
IV. | 0,2 Inkompl. Hemmung -+ 


0,1 | Lösung 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 15 


Es folgt aus den bisherigen technischen Erórterungen über die 
Reaktion, dass deren Zuverlässigkeit eine genaue Kenntnis der bio- 
logischen Reagentien seitens des Experimentators zur Voraussetzung 
hat. Da es sich bei diesen Versuchen nicht um chemisch definier- 
bare Substanzen handelt, ist es deshalb nötig, sich durch Kontrollen 
von deren Brauchbarkeit bzw. deren erforderlichen Eigenschaften zu 
überzeugen. Ein nach jeder Richtung einwandfreier Versuch fordert 
die folgenden Kontrollproben: 

l. Das zu prüfende Serum geprüft gegen normales Organ- Extrakt. 

2. Das Lues-Extrakt geprüft gegen sicher normales und sicher 
syphilitisches Serum (zur Prüfung seiner spezifischen Wirksamkeit). 

3. Das normale Organ-Extrakt geprüft gegen dieselben Sera wie 
bei 2, zur Feststellung ob diese tatsächlich den erforderlichen Be- 
dingungen entsprechen. 

4. Sämtliche zur Reaktion verwandten Reagentien dürfen für 
sich allein Komplement nicht binden. 

5. Das hämolytische System muss die geforderte Wirkungsstärke 
haben. 

Bei fortgesetzten und systematischen Untersuchungen, die es er- 
möglichen, stets über die Brauchbarkeit der verwandten Extrakte 
und Kontrollsera orientiert zu sein, erübrigt sich eine Reihe dieser 
Kontrollproben, so vor allem die unter 3. erwähnten. Naturgemäss 
darf aber niemals unterlassen werden, das syphilitische Extrakt so- 
wohl gegen normales wie gegen syphilitisches Serum zu prüfen. 

Wird die Reaktion unter Einhaltung der vorgeschriebenen Kau- 
telen ausgeführt, so ermöglicht sie, entsprechend ihrer Spezifizität, ein- 
wandfreie Resultate von hoher praktischer Bedeutung. 


II. Wesen und Spezifizität der syphilitischen Antikörper. 


Die zahlreichen Publikationen, die sich auf den serologischen 
Luesnachweis beziehen, haben die klinische Verwertbarkeit der Me- 
thode bewiesen. In theoretischer Hinsicht dagegen sind die Akten 
über Wesen und Natur der nachgewiesenen Stotfle längst noch nicht 
geschlossen und gerade eine Reihe neuester Publikationen hat die 
Frage nach der Spezifizität von neuem aufgeworfen. 

Die ursprüngliche und theoretisch an sich begründete Ansicht, 
dass es sich bei den syphilitischen Antikörpern um echte Ambo- 
ceptoren (wie die Typhus- Amboceptoren z. B.) handeln könne, hatte 
ihre Hauptstütze in dem Umstand, dass nur syplnlitische Organe ein 
wirksames Antigen-Extrakt zu liefern schienen. Dass bei der Bin- 


16 A. Leber 


dung von Antigen- Antikörper und Komplement echte Spirochäten- 
amboceptoren das bindende Agens seien, war um so wahrscheinlicher, 
als Bab(39) geglaubt hatte, einen dem Spirochätengehalt parallel 
gehenden Antigengehalt der Organe feststellen zu können. Immerhin 
waren die Beweise für eine derartige sirenge Spezifizität zu gering, 
als dass man darin mehr als eine theoretisch postulierte Vermutung 
hätte sehen können. 

Den ersten Beweis gegen die Spezifizität der Reaktion schien 
L. Michaelis(40) zu liefern, der in seiner ersten Publikation über 
die Frage angab, auch bei syphilitisch-unverdächtigen Patienten eine 
positive Reaktion erzielt zu haben. Seine späteren Erfahrungen (41) 
konnten ihn aber davon überzeugen, dass in dieser Hinsicht die prak- 
tische Verwertbarkeit des serologischen Lues-Nachweises keine Ein- 
busse erleidet. 

Weit bemerkenswerter sind aber die Beobachtungen, die sich 
auf das Antigen beziehen und gegen dessen Spezifizität sprechen, die 
jedenfalls ein Beweis dafür sind, dass dessen wirksames Prinzip keine 
spezifische Spirochätensubstanz darstellt. 

In dieser Beziehung hatten Marie und Levaditi(42) die über- 
raschende Beobachtung gemacht, dass auch ein Extrakt aus normalen 
Lebern gelegentlich eine spezifische Komplement-Bindung mit syphi- 
litischen Sera gibt. Weitere Untersuchungen haben diesen Befund 
bestätigt und die hierauf bezüglichen Erfahrungen erweitert. Weil 
(43), Weil und Braun(44), Kraus und Volk (45), Weygandt(46), 
Plaut(47) Landsteiner, Müller und Pótzl(4S) Im Anschluss 
daran konnte ich (36) feststellen, dass ein normales Organ, das nach 
der üblichen Behandlungsweise kein spezifisch bindendes Extrakt liefert, 
spezifisch bindende Substanzen abgibt, wenn mit der Extraktion eine 
eingreifende Maceration der Gewebselemente verbunden wird. 

Einen wesentlichen Fortschritt in der Kenntnis der Lues- Anti- 
körper verdanken wir Porges und Meier(49) und deren Feststellung, 
dass eine bei der Syphilisreaktion hauptsächlich in Frage kommende 
Komponente alkohollöslich ist. Weiterhin konnten diese Autoren 
mit reinem Lecithin dieselbe spezifische Reaktion wie mit wüssrigem 
oder alkoholischem Extrakt erhalten und schliesslich auch in einer 
grossen Anzahl von Fällen die Komplementbindungsreaktion durch 
die Lecithin- Ausflockung ersetzen. — Während die Lecithin- Prä- 
cipitation sich nun als nicht spezifisch erwiesen hat (Kraus, A. Leber), 
sind die Beobachtungen über die Alkohollöslichkeit des bei der Kom- 
plement-Bindung wirksamen Prinzips bestätigt worden, so von Land- 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 17 


steiner, Müller und Pötzl(50) und von Levaditi(51). — Dem 
letzteren gelang es, wie mit Lecithin so auch mit gallensauren Salzen 
eine positive Reaktion zu erzielen und zwar nur bei syphilitischen Sera. 

Eine weitere Ergänzung lieferten Sachs und Altmann (52), die 
mit oleinsaurem Natron sowohl Komplementbindung als auch Aus- 
flockung im Syphilitikerserum zu erzeugen vermochten. 

Während diese interessanten Beobachtungen uns zwar noch kein 
Urteil darüber gestatten, ob es angángig sein wird, beim praktischen 
Lues-Nachweis das schwer zu beschaffende wáüssrige Extrakt aus 
syphilitischen Organen, durch ein chemisch wohl definiertes Reagens 
zu ersetzen, so bieten sie doch bereits einige Anhaltspunkte, die uns 
der Erklärung des Phänomens nähern. Ohne allen Zweifel geht 
aus unsern bisherigen Erfahrungen hervor, dass auch das im wäss- 
rigen Extrakt enthaltene Lues-Antigen keine Mikroorganismensubstanz 
ist, sondern, wie Bruck und Stern (53) hervorheben, ein normaler- 
weise im Körper vorkommender Stoff, der unter dem Einfluss des 
Syphiliserregers eine starke Vermehrung erfährt. Die Antikörper 
selbst stehen in keinem Zusammenhang mit den Vorgängen echter 
Immunität. Immerhin ist aber eine direkte Beziehung ihres Vor- 
kommens zu dem Lues-Erreger insofern festzustellen, als eine Be- 
handlung, die zu Heilungsvorgängen (d. h. Bekämpfung des Virus) 
führt, auch eine Verminderung des Antikörpergehaltes im Serum 
auslöst. 

Auf Grund eingehender experimenteller Untersuchungen beschäf- 
tigen sich H. Elias, E. Neubauer, O. Porges und H. Salomon 
(54) mit dem Wesen der Reaktion, die sie auffassen als eine Füllungs- 
Reaktion zwischen gewissen hydrophilen Kolloiden und den Globu- 
linen zuzurechnenden Eiweisskórpern, die im Luesserum infolge ge- 
ringerer Stabilitit eine gróssere Füllungszone verursachen. 

Diese befriedigende Erklärung macht es auch verständlich, wes- 
halb manche normale Sera eine Ausflockung geben, die entsprechend 
der schmäleren Füllungszone auch nur geringere Werte erreicht. 
Dass eine Verschiebung der Fällungszone unter Umständen auch 
durch andere Ursachen ausgelöst werden kann, ist zu erwarten. Da- 
durch würde sich dann auch erklären, weshalb die Sera gewisser 
Infektionskrankheiten (Scharlach z. B.) unter Umständen sich den 
syphilitischen ähnlich verhalten können, wofür Weil und Braun (55) 
neuerdings Belege erbracht haben. Da aber der Scharlach und event. 
Lepra und Tryponosomenerkrankungen bei uns gegenüber der Syphilis 
differentialdiagnostisch nicht in Betracht kommen, so erfährt die 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 1. 2 


18 A. Leber 


klinische Verwertbarkeit der Reaktion nach dieser Richtung hin keine 
Einschränkung. 


III. Klinische Erfahrungen. 


1. Klinische Leistungsfähigkeit und Bedeutung der Lues- 
Diagnostik für die Pathologie der syphilitischen Augen- 
erkrankungen. 

Die praktische Verwertbarkeit einer diagnostischen Methode ist 
davon abhängig, ob sie sowohl nach der positiven wie nach der 
negativen Seite einwandfreie und deshalb für die Praxis brauchbare 
Resultate liefert. Ich habe in dem vorhergehenden bereits die klinische 
Spezifizität der Wassermannschen Reaktion betont, die von zahl- 
reichen Autoren an einem ausserordentlich grossen Material fest- 
gestellt werden konnte. Auch in meinen früheren Mitteilungen bin 
ich auf Grund selbständiger Erfahrungen von dieser Voraussetzung 
ausgegangen. Bevor ich aber auf meine neueren Beobachtungen 
eingehe, die sich auf die serologische Untersuchung von 350 Augen- 
kranken, unter Hinzuziehung einiger 30 Kontrollsera, beziehen, ist es 
erforderlich, auch für dieses grössere Material zu betonen, dass die 
Sera von sicher nicht syphilitischen Augenkranken niemals eine posi- 
tive Lues-Reaktion gaben. 

Zu dem Zweck wurden die Sera von 50 Augenkranken unter- 
sucht, die einmal in ihrer Vorgeschichte luetische Erkrankungen nicht 
aufwiesen, ein ander Mal aber auch ihrem klinisch-ophthalmologischen 
Befund nach für Syphilis ganz unverdächtig waren. Es waren das 
in der Mehrzahl Patienten mit traumatischen und arteriosklerotischen 
Erkrankungen, aber vor allem auch tuberkulöse. Gerade auf deren 
Untersuchung wurde besonderer Wert gelegt, weil bei diesen ein 
negatives Ergebnis grundlegend war für die Beurteilung der Reaktion. 
Alle diese Kranken, die als nicht syphilitisch angesehen werden 
konnten, gaben eine negative Reaktion. 

In der weitaus grössten Reihe der syphilisverdächtigen 231 Pa- 
tienten habe ich alle diejenigen zusammengefasst, bei denen die 
Anamnese entweder gar keinen Anhalt für Syphilis, oder nur einen 
Wahrscheinlichkeitsschluss für eine luetische Infektion ergab und bei 
denen das klinische Bild für eine syphilitische Erkrankung sprach, 
ohne dass andere Ursachen mit Sicherheit ausgeschlossen werden 
konnten. Dadurch ist dies Material ein ausserordentlich vielseitiges 
und umfasst naturgemäss eine grössere Anzahl von Kranken, die 
nach den bisherigen Erfahrungen von manchen Beurteilern als syphi- 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 19 


litisch angesprochen und dementsprechend behandelt worden wären. 
Sichere Syphilitiker finden sich aber in dieser Reihe nicht, wohl aber 
eine ganze Anzahl von Kranken, bei denen eine tuberkulóse Affek- 
tion angenommen werden musste und die untersucht wurden, um die 
Reaktion in differentialdiagnostischer Hinsicht zu erproben. Es er- 
gibt sich aus dem Gesagten von selbst, dass unter diesen Patienten 
sich auch mehrere befanden, die bereits früher auf Grund des Lues- 
Verdachtes antisyphilitisch behandelt worden waren, meistenteils ohne 
Erfolg, so dass auch ex juvantibus eine Sicherung der Diagnose in 
keiner Richtung möglich war. 

Von diesen ?31 syphilisverdächtigen Augenkranken — bei denen 
der Verdacht also in weitestem Sinn aufgefasst war — gaben 38,1°|, 
eine positive Lues- Reaktion. Es ist dies ein ausserordentlich hoher 
Prozentsatz, der aber ungefáhr demjenigen von 42,1?|, meiner ersten 
Zusammenstellung (in die weniger Tuberkulóse aufgenommen waren) 
entspricht. — Naturgemäss entspricht diese Zahl noch nicht der 
Gesamtsumme der Syphilitiker. Da die Reaktion bei den sicheren 
Syphilitikern, die unbehandelt sind in 10—20°),, bei den behandelten 
in 30—40?|, negativ ausfällt, so ist die Zahl der tatsächlich syphi- 
litischen unter den syphilisverdächtigen Augenkranken bei dieser Zu- 
sammenstellung entsprechend höher zu veranschlagen.. Da mein 
Material nicht nur aus der Kgl. Berliner Universitäts- Augenklinik, 
sondern auch aus der Universitäts- Augenklinik zu Heidelberg, aus 
der Tübinger Universitäts - Augenklinik und mehreren Polikliniken 
Berlins und der Provinz stammt, so ist es nur unerheblich durch 
das häufigere Vorkommen von Syphilis hier in Berlin beeinflusst. 

Ohne allen Zweifel beweist aber diese Zahl, wie häufig wir von 
dem serologischen Nachweis der Lues- Antikörper einen Aufschluss 
erwarten dürfen, wo unsere andern Methoden versagen. — Natur- 
gemäss wäre es ein grosser Fehler, wollte man bei der Beurteilung 
des einzelnen Falles, unter Hintansetzung des objektiven Befundes, 
das serologische Ergebnis in den Vordergrund stellen. Es be- 
darf ja kaum einer Erwähnung, dass ein Tuberkulöser gleich- 
zeitig latent syphilitisch und dementsprechend mit seinem Serum 
reagieren kann. Immerhin sind derartige Fälle selten, so dass durch. 
diese Schwierigkeit die praktische Brauchbarkeit der Reaktion keine 
Einschränkung erfährt. — Gleichgültig ist es dabei auch, ob wir 
annehmen wollen, dass in der Mehrzahl der Fälle die im Serum 
nachgewiesenen und auf das syphilitische Virus zurückzuführenden 
Antikörper im Auge selbst, am Herd der syphilitischen Erkrankung 

| = 


20 A. Leber 


oder im übrigen Organismus gebildet werden. An sich scheint das 
letztere Vorkommnis wohl das häufigere zu sein, wenn auch meine 
Untersuchungen, bei denen ich syphilitische Antikörper im Humor 
aqueus nachgewiesen habe, auch für die zweite Möglichkeit sprechen, 
um so mehr als auch bei den metasyphilitischen Cerebro- Spinal- 
erkrankungen gerade die Lumbalflüssigkeit meist einen stärkeren 
Antikörpergehalt aufweist, als das Blutserum. ` 

Die dritte Gruppe dieser Vergleichsreihe umfasst die zweifellos 
syphilitischen Fälle, solche, bei denen entweder Anamnese, Allge- 
mein- oder Lokalbefund am Auge die syphilitische Erkrankung er- 
kennen lies. Es gehören hierher 71 Fälle, von denen 79°, eine 
positive Lues-Reaktion gaben. 

Da in dieser Gruppe wiederum sehr verschiedenartige Fälle zu- 
sammengefasst sind, habe ich sie in drei Unterabteilungen gesondert, 
deren Betrachtung mir von Interesse zu sein scheint. 

Zu den ersten gehören die sicher syphilitischen Augenkranken, 
deren okulare Affektion auf die syphilitische Erkrankung zurück- 
zuführen war und bei denen sich unter 45 Fällen in 79,0°, eine 
positive Reaktion erzielen liess. 

Entsprechend meinen früheren und den Erfahrungen anderer 
Autoren gaben die metasyphilitischen Kranken der zweiten Unter- 
abteilung (Tabes, progressive Paralyse, Lues cerebri, mit okularen 
Veränderungen 22 Fülle) den hóheren Prozentsatz 82 positiver 
Reaktionen. 

Schliesslich die dritte Untevabteilung: Augenkranke mit Sympto- 
men, die sich nicht auf die sicher überstandene luetische Infektion zurück- 
führen lassen, umfasst nur vier Fülle, von denen allerdings nur einer, 
d. h. 25^, positiv war. Dies Resultat, wenn es sich auch nur auf 
wenige Fälle bezieht, ist immerhin wichtig und für die differential- 
diagnostische Beurteilung schwieriger Fälle von praktischer Bedeutung. 
Es zeigt eben, dass ein Zusammenhang besteht zwischen Reaktion 
und Symptomenkomplex, auf den weiter unten gelegentlich der Aus- 
führungen über die Therapie noch einzugehen sein wirt. 

Während diese Zusammenstellung nun einem Material und einer 
Einteilung entspricht, wie sie auf Grund klinischer Erfahrungen und 
anamnestischer Angaben möglich ist, so zeigt die folgende bereits, 
wie sich ungefähr die tatsächlichen Verhiiltnisse bei demselben Mate- 
rial gestalten. Als Grundfige dieser Zusammenstellung dienen die 
serologischen Ergebnisse, und dementsprechend sind hier sowohl die 
Fälle der ersten Aufstellung wie alle diejenigen vereinigt, bei denen 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. ^9] 


erst die Reaktion die syphilitische Natur der Erkrankung nachwies. 
Eine besondere Berücksichtigung haben dabei die verschiedenen Pe- 
rioden der Syphilis gefunden. Gerade bei den Syphilisverdüchtigen, 
die sich nachher als luetisch herausstellten, stiess diese Einteilung 
auf besondere Schwierigkeiten. Da sie manchmal nach gewissen 
anamnestischen Angaben oder nach dem objektiven Untersuchungs- 
befund erfolgte, seltener auf Grund einer körperlichen Allgemein- 
untersuchung möglich war, so ist dieser Einteilung eine gewisse Will- 
kürlichkeit im einzelnen nicht abzusprechen. Sie scheint mir aber 
bei den 101 Fällen, auf die sie sich bezieht, zu gering, um eine 
wesentliche Verschiebung der Tatsachen bedingen zu können. 


2. Antikörperbefund in den verschiedenen Perioden der 
syphilitischen Augenerkrankungen. 


Initialperiode. — Es war mir nur möglich, einen Fall primär 
syphilitischer Augenerkrankung aus der Initialperiode serologisch zu 
untersuchen. Er ist von praktisch so bedeutendem Interesse, dass 
ich ihn kurz skizzieren möchte. 

Nr. 328. Frau F. A., seit mehreren Jahren verheiratet (Mann und 
3 Kinder gesund), selbst angeblich nie krank gewesen, sucht am 24. VIII. 
08 die Poliklinik auf wegen einer nässenden Stelle am Oberlid des linken 


Auges. Die objektive Untersuchung ergibt am linken Oberlid eine etwa 
kleinfingernagelgrosse náüssende Stelle von gelbliehgrauem Aussehen, die nach 


Angabe der Patientin erst seit dem 21. VIII. O8 besteht. — Induration 
der Lidhaut besteht nicht. — Präaurikulardrüse ist mässig vergrössert, hart, 
aber nicht schmerzhaft. — Die mikroskopische Untersuchung des Reiz- 


serums ergibt sehr spärliche Spirochäten, die am selben 'Tage vorgenommene 
serologische Untersuchung des Blutes positive Luesreaktion. 


Dieser Befund, der auch als Beweis dafür gelten muss, dass 
eine Allgemeininfektion eintreten kann, noch bevor Allgemeinsymp- 
tome aufgetreten sind, zeigt, in welcher Weise der serologische Lues- 
nachweis unsere diagnostischen Methoden auch da ergänzt, wo die 
mikroskopische Untersuchung allein bisher uns Auskunft versprach. 

Die in dem vorliegenden Fall sofort eingeleitete Schmierkur, 
unter deren Einfluss die ihrem Aussehen nach atypische Initialskle- 
rose zur Abheilung gelangte, war eine Bestätigung der serologischen 
Diagnose. 

Frühperiode (sekundäre Syphilis). — Hierher gerechnet sind 
sämtliche Kranke, die sich noch innerhalb der ersten vier Jahre nach 
der Infektion befanden, sowie diejenigen, deren allgemeiner Körper- 
befund sekundärsyphilitische Erscheinungen darbot. In diese Gruppe 


22 A. Leber 


gehören 37 meiner Fälle, die mit 97,2 den höchsten positiven 
Prozentsatz in den verschiedenen Perioden der Syphilis darstellen. 
Es entspricht das den übrigen Erfahrungen, insonderheit auch den 
statistischen Angaben von Blaschko (56), der mitteilt, dass im all- 
gemeinen bei Beginn der syphilitischen Erkrankung 90°, positiven 
Befund zeigen, dass im weiteren Verlauf der Frühperiode der Pro- 
zentsatz auf fast 100 steigt, und auch in der Spätperiode, sofern 
Krankeitserscheinungen da sind, noch etwa 91°), beträgt. -- Der 
ausserordentlich hohe Prozentsatz meiner Fälle findet eine Erklärung 
dadurch, dass die meisten unter ihnen unbehandelt waren. 

Spätperiode (tertiäre Syphilis). — Die Spätperiode ist vom 
5. Erkrankungsjahr an gerechnet, mit Ausnahme derjenigen Fälle, 
bei denen ausgesprochene tertiäre Erscheinungen einen schnelleren 
Verlauf der Erkrankung dartaten. — Von den 64 Fällen dieser 
Periode reagierten 53 =— 82,8°;, positiv, wobei zu berücksichtigen ist, 
dass fast alle negativen Fälle vorbehandelt waren. 

Hereditäre Syphilis (kongenitalsyphilitische Augenerkran- 
kungen). — Eine besondere Berücksichtigung verdient diese Kate- 
gorie, da wohl auf keinem medizinischen Gebiet die hereditäre Syphilis 
eine so bedeutende Rolle spielt wie gerade in der Ophthalmologie. 
Wenn es auch gelingt, auf Grund der Hutchinsonschen Zahnbil- 
dung, der strahligen Narbenbildung in der Gegend der Mundwinkel 
und des eingefallenen Nasenrückens, auf die Förster zuerst hin- 
gewiesen hat, durch das Auftreten von Schwerhörigkeit und syphi- 
litischer Kniegelenkentzündung die Diagnose zu sichern, so fehlen 
diese Symptome doch oft genug in Fällen, bei denen eine luetische 
Infektion der Eltern in Frage kommt. 

Unter den 59 Fällen von hereditärer Lues der Augen, die ich 
untersuchte, reagierten 90°, positiv. Da bei dieser Zusammenstellung 
naturgemäss die anamnestischen Angaben recht dürftig waren, so ist 
die Mehrzahl dieser Patienten erst durch die Reaktion als svphilitisch 
erkannt worden. Wie viele Patienten, deren Eltern tatsächlich syphi- 
litisch sind und die negativ reagierten, hierbei fehlen, lässt sich 
nicht mit Sicherheit ermitteln, nur mit Wahrscheinlichkeit einschätzen, 
nach den Erfahrungen bei Keratitis parenchymatosa, auf die weiter 
unten einzugehen sein wird. Sehr gross ist die Zahl jedenfalls nicht, 
und nach meinen bisherigen Erfahrungen scheint das luetische Virus 
gerade, wenn es vererbbare Erkrankungen auslöst, auch In den meisten 
Fällen die Bildung von Antikörpern zu bewirken. 

Die Regelmässigkeit des Vorkommens dieser Stofle gerade auch 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 23 


bei den hereditär-syphilitischen Augenerkrankungen ist praktisch nicht 
unwichtig, weil sich dieser Befund weder nach Qualität noch Quan- 
DL von dem der acquirierten Syphilis unterscheidet. — Noch im 
25. Lebensjahr konnte ich sicher hereditär bedingte Antikörper im 
Blute nachweisen. Über deren Vorkommen in der zweiten Genera- 
tion habe ich keine Erfahrungen. 


Tabellarische Übersicht 


über die klinische Leistungsfähigkeit des serologischen Luesnachweises 
bei syphilitischen Augenerkrankungen. 


Positive Fällein 














Art der untersuchten Fälle Pröyentzallen 
I. Sicher nicht syphilitische Augenkranke (50) 0 9j, 
II. Syphilis-verdáchtige Augenkranke (231) 38,19/, 
A. Mit syphiliti- 
schen Sympto- 
men d. Augen HU D, 


II. Sicher syphilitische Augenkranke 
(71) (Syphilis in der Anamnese oder 0 0: 
einwandfrei syphilitische Erkran- Mittel 79% 
kungen des Körpers oder der Augen) 
B. Ohne syphili- 
tische Symp- 
| 
| 
| 


tome d. Augen 25 ?/, 
A. Lues Il 97,20 
IV. Sicher syphilitische Augenkranke 
(101) (Gruppe [II zuzüglich der sero- e 
logisch als syphilitisch erkannten ` EES 
Fálle aus Gruppe II) | 
B. Lues III 82,8 
V. Hereditär-syphilitische Augenerkrankungen 90 ° 


3. Über das Verhalten syphilitischer Sera gegenüber 
lipoiden (alkohollöslichen) Stoffen. 


Nach den vorhergehenden Erfahrungen, die sämtlich auf Grund 
von Versuchen mit wüssrigem Extrakt aus hereditür-luetischen Organen 
gewonnen sind, bedürfen diejenigen Untersuchungen eine besondere 
Besprechung, in denen das wässrige Antigen durch ein alkohollös- 
liches, bzw. durch Lecithin ersetzt wurde. Es ist bereits erwähnt 
worden, dass Porges und Meier(49) feststellen konnten, dass der 
bei der Reaktion wirksame Faktor der luetischen Lebern alkohollöslich 
ist, und dass sich, wie die wässrigen, auch die alkoholischen Extrakte 
aus syphilitischen und normalen Organen für die Reaktion verwenden 
lassen. Da es sich gezeigt hat, dass auch aus tierischen Organen die 
wirksamen Substanzen zu gewinnen sind, so war die Beobachtung 


24 A. Leber 


nicht nur für die Deutung der Antikörper von weittragender Bedeu- 
tung, sondern auch für ihren praktischen Nachweis. Da die Be- 
schaffung eines wirksamen Extraktes aus syphilitischer Leber gelegent- 
lich recht schwer ist, so habe ich auch vergleichende Versuche mit 
den Sera, von Augenkranken angestellt, bei denen ich die Resultate, 
die ich mit den verschiedenen Antigenen gewann, untereinander ver- 
glich. Während bei diesen Untersuchungen es sich nun zeigte, dass 
die Resultate mit alkoholischem Extrakt, sei es aus syphilitischen, 
sei es aus normalen Lebern, denjenigen, die mit wässrigem Extrakt 
gewonnen waren, ungefähr entsprachen, so traten bei den Versuchen, 
in denen eine wässrige Lecithinemulsion das Organextrakt ersetzte, 
gewisse Ungleichmässigkeiten auf. Vor allem war bemerkenswert, 
worauf ich bereits an anderer Stelle hingewiesen habe, dass mehrere 
tuberkulöse Sera die für Syphilis unverdächtig waren, eine gewisse, 
wenn auch nicht sehr hochgradige Hemmung der Hämolyse gaben. 
— Das mag eine Erscheinung sein, die an sich vielleicht selten ist, 
die aber die Möglichkeit, das Organextrakt durch eine chemisch de- 
finierbare Substanz zu ersetzen, fraglich erscheinen Jässt. Ähnlich ver- 
hält es sich mit dem interessanten Phänomen der Ausflockung, das 
ebenfalls Porges und Meier beobachten konnten, wenn sie luetische 
Sera mit Lecithinemulsion versetzten. Diese Ausflockung ist aber 
jedenfalls nicht pathognomonisch für die Syphilis, wenn sie auch in 
einem hohen Prozentsatz der Fälle in syphilitischen Sera nachgewiesen 
werden kann. Da sie aber auch in tuberkulósen Sera vorkommt, 
von mir auch einmal bei einem nicht syphilitischen Trachomatösen 
beobachtet wurde, so fehlt dieser Reaktion jede diagnostisch verwert- 
bare Bedeutung, und die Erwartung, sie als Schnellreaktion verwen- 
den zu können, ist wohl inzwischen allerseits aufgegeben worden. 
Wahrscheinlich handelt es sich bei diesem Vorgang um eine all- 
gemeine Infektionsreaktion, die verschiedenen Krankheitsgruppen zu- 
kommt. 

Während nun durch alkoholische Extraktion unter Umständen 
auch aus normalen Lebern brauchbare Extrakte gewonnen werden 
können, die sich den wässrigen und alkoholischen aus syphilitischen 
Organen analog verhalten, so ist das bisherige Vergleichsmaterial wohl 
noch zu gering, als dass man das bewährte wässrige Extrakt ohne 
weiteres durch sie ersetzen könnte. Weitere und ausgedehnte Unter- 
suchungen werden erst zeigen, inwieweit das moglich ist. Für die 
Lecithinemulsion, die Ja der leichten Beschaffung wegen grosse Vor- 
züge gehabt hätte, gilt das in vermehrtem Masse, wie aus der folgen- 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. Op 


den Tabelle erhellt, in der eine Reihe von Vergleichswerten zu- 
sammengestellt ist. 





| ^ Komplementbindung mit | 


F mE I A. Wässrigem | | Präcipitation 

\r. Klinische Diagnose Extrakt B. Lecithin- | mit Lecithin- 
(syphilitische | Emulsion Emulsion 
Fótusleber) 

53 | Iritis 0 | 

04 | Iritis 0 

63 | Irtis 0 

67 | Kerat. parenchym. (L. hered.)| ++++ 

69 | Sklerokeratitis -E4- ac. 

















-+ 
+++ | o0 
+ + 


70 | Iritis speret er 
14 | Iritis cap 
16 | Iritis 2414 


19 | Chorioretin. centr. 

80 | Iritis, Neuritis n. optici 

81 | Iridocyclitis 

85 | Iritis 

84 | Iritis 

85 | Iridocyclitis(L. hered.) Verdacht 
86 ' Neurit.n. optici(L. Infektion +) 
89 ! Abducensparese 

90 | Kerat. parenchym. 

93 | Iritis (TB) | 
94 | Iritis papulosa 

95 | Iritis (Arteriosklerose) 

96 | Iritis 

97 | Iritis 

95 | Ophthalmopleg. interna 

99 | Iritis 

100 | Iridocyclitis 

101 | Ker. parenchym. 

105 | Abducensparese 

104 | Neuritis n. optici 

105 | Iridocyclitis 

108 | Iritis (T B) 

109 | Neuritische Atrophie 

110 | Chorioid. disseminata 

112 | Neuralg. luetica (?) 

113 | Anisokorie 

114 | Stauungspapille 
115 | Iritis 
116 | Chorioretinitis centr. 
117 | ritis 
118 | Iritis 
119 Skleritis 


-+ 


4 
oo--Fooooooc 
+ 
+ 
EE 


+ 
ooccoccoocoooriocoooclic] 
+ 
S++o|oocol] 


+ 
+ 
+ 


+ 
|lo|ooo-ro 


+ 
jo ee 
+ 
4 


E 
c-d-ooclLlooooooococ 
Ss 





120 i Chorioretinitis 
121 | Chorioretinitis TB 
193 | Abducensparese deduc 
124 | Skleritis 0 
128 | Retinitis centralis 0 
129 | Lues cerebri (?) 0 
130 | Iridocyclitis Luessicher'. Meh- 
| rere Hg-Kuren. Lange Zeit 
| Jodkaliumordination 0 


+ 
+ 
+ 


j: 
I cec +o+tocc:+tocooc] oooc 
2t 


ocotc+oc 


+ 
+ 


© 
4- 
+ 
-+ 





| Komplementbindung mit 


| Prácipitation 








ME : | A. Wässrigem AU 
Nr. Klinische Diagnose Extrakt B. Lecithin- mit Lecithin- 
(syphilitisehe | Emulsion | Emulsion 
| Fótusleber) | : 
131 | Anisokorie E GE tr | ecu. 
132 | Pupillenstarre  ++++ 0 | ++ 
133 | Meningomyelitis | 0 0 | 0 
131 | Iritis | 0 | — | 0 
138 | Ker. parench. (L. hered. ?) + +++ | — | +++ 
139 | Iritis FEEF" — + 
140 | Iritis (L. ?) | 0 | — 0 
141 | Atroph. n. optic. © +++ | +++ + 





Ähnlich wie mit der Lecithinausflockung verhält es sich mit dem 
Phänomen der Präcipitation, welches Fornet und Schereschewski 
(57) beobachten konnten, wenn sie syphilitische Sera der Frühstadien 
mit solchen der Spätperiode zusammenbrachten. Die theoretisch interes- 
sante Folgerung, welche sie daraus ziehen, dass die Reaktion durch 
Zusammentritt von Luespräcipitinogenen mit Luespräcipitinen erfolgt, 
entspricht unsern anderweitigen Erfahrungen über das Auftreten von 
Präcipitinen. Die Erscheinung tritt aber so unregelmässig auf und 
ihre Beurteilung ist auch für den Geübten nicht immer leicht, so 
dass sie als allgemein verwertbare diagnostische Methode nicht in 
Betracht kommt. 

Dasselbe gilt von der Füllung, welche E. Klausner (58) in 
syphilitischen Sera durch Hinzufügung von destilliertem Wasser er- 
zielte und die vermutlich auf einer vermehrten Füllbarkeit oder im 
Serum vorhandenen Globulinen beruht. 

Schliesslich sei .der Vollständigkeit wegen noch der Modifikation 
Erwähnung getan, die J. Bauer(59) vorgeschlagen hat, um das bei 
der Komplementbindung erforderliche hämolytische System und die 
aus dessen Beschaffung resultierenden Schwierigkeiten zu umgehen. 
Zu dem Zweck benutzt er den normalerweise im menschlichen Blut- 
serum enthaltenen Amboceptor gegen Hammelblutkórperchen und ver- 
meidet auf die Weise den Zusatz eines künstlichen Hämolysins. 
Obwohl das Vorkommen dieses natürlichen Amboceptors ein regel- 
mässiges zu sein scheint, so ist es doch von so schwankender Wertig- 
keit, dass es fraglich erscheint, ob es mit ihm möglich ist, einwand- 
freie. quantitative Unterschiede des Antikórpergehaltes festzustellen. 
Mit einem künstlich gewonnenen Hämolysin, dessen Wertbestimmung 
einmal für alle Sera des Versuches genügt, ist das eben möglich. 
Setzt man an seine Stelle den natürlichen Amboceptor, was in vielen 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 27 


Fällen das Ergebniss nicht beeinträchtigen mag, so führt man eine 
Unbekannte in die Gleichung ein, die bei Grenzwerten eine mass- 
gebende Bedeutung gewinnt. : 


4. Über die Beziehungen von Antikórperbefund zu Heilung 
und therapeutischem Erfolg. 


Die tabellarische Zusammenstellung der syphilisverdüchtigen 
Augenkranken, bei denen auf Grund der serologischen Untersuchung 
die Ätiologie des Leidens geklärt werden konnte, erfährt eine wesent- 
liche Ergänzung durch die therapeutischen Erfahrungen, die sich da- 
bei ergeben haben. Wenn auch in einer Reihe von Fällen die 
pathologisch-anatomische Untersuchung oder ein nachtrügliches Ge- 
ständnis einer vorausgegangenen Infektion seitens der Patienten eine 
Bestätigung der serologischen Diagnose ergab, so geschah diese doch 
zumeist aus dem Erfolg der eingeschlagenen Therapie. Im grossen 
und ganzen — vorausgesetzt, dass die pathologischen Verhältnisse 
etwas derartiges erwarten liessen — hat die spezifische Therapie bei 
positirem Antikörperbefund nicht versagt. Abgesehen von wenigen 
refraktären Fällen, wie sie bei der Syphilis maligna bekannt sind, 
trat nach eingeleiteter Schmier- oder Jodkaliumkur eine wesentliche 
Besserung der Symptome, insonderheit auch des Sehvermögens ein. 

Für praktische Gesichtspunkte ist das ja der springende Punkt, 
zu dessen Erläuterung die folgenden Fälle dienen mögen. 

1. Frau H. K. (40). J.-Nr. 1366. 234 Jahre. — 22. I. 

Diagnose: L.Skleritis. Keratitis parenchymatosa. Diffuse und geformte 
Glaskörpertrübungen. Grosse Bindegewebsschwarte in der oberen Hälfte 
der Netzhaut. 

Anamnese: Ohne Besonderheiten. I. nexiert. 

Allgemeinuntersuchung: Keine Zeichen von Lues. — Beginnende Mitral- 
insuffizienz. 

Serumreaktion: L. positiv (+). 

Therapie: Ausser Atropin Jodkalium. 

L. Visus: Lichtschein aufgehoben. 

15. III. L. Visus: Projektion nach unten und innen. — Glaskörper- 
trübungen wesentlich geringer. 

9. IV. L. Visus: Handbewegungen vor dem Auge. Gleichzeitig Reiz- 
zustand nur noch gering. Hornliaut autgehellt. Skleritis in rasch zunelimen- 
der Heilung. 


2. Else J. (45). J.-Nr. 11089. 28. VIII. 08. 14 Jahre. 

Diagnose: L. Keratitis parenchymatosa. R. Chorioretinitis, hauptsäch- 
lich in der Peripherie. 

Allgemeinuntersuchung: Keine Zeichen von Lues. — Zähne: Andeutung 
von Hutchinsons Deformation. 


28 A. Leber 


Serumreaktion: L. positiv (+ —+--). 
Therapie: Atropin, Jodkalium. 
L. Visus: 28. VIII. Finger in 2m. 30.X. = !|.. 


3. Ernst S. (263). 14 Jahre. Schüler. 

Diagnose: Bds. Keratitis parenchymatosa. 

Anamnese: Ohne Besonderheiten. 

Allgemeinuntersuchung: Lues hereditaria wahrscheinlich. 

Serumreaktion: Positiv (4-------). Auf Zg- Behandlung schnelle 
Besserung. 


4. Anna K. (300). J.-Nr. 8446. 25 Jahre. Hausmädchen. 

Diagnose: L. Sklero-Keratitis. 

Anamnese: Ohne Besonderheiten. — Vater verunglückt, Mutter und 
zwei Geschwister gesund. 

Allgemeinuntersuchung: Keine Zeichen von Lues. — Anämie. 

Serumreaktion: Positiv (-- -]- -4- --). 

Therapie: Atropin, Jodkalium. — Schnelle Besserung. 


5. Marie R. (70). J.-Nr. 13216. 17. VIII. 07. 28 Jahre. Schneiderin. 
Diagnose: R. akute Iritis. 

Anamnese: Ohne Besonderheiten. 

Dermatologischer Befund: Papulöses Exantlıem. 

Serumreaktion: L. positiv (+++ -+-). 

Therapie: Atropin. Schmierkur. 

28. X. Visus — Finger in 4m. 6. XL — !|. 17. XII = |, 
Ophth.: Vereinzelte, kleine hintere Synechien, sonst normal. 


6. Wilhelm H. (116). 59 Jahre. Kassendiener. 

Diagnose: Bds. Mydriasis.  Reflektorische Pupillenstarre. — Chorio- 
retinitis centralis. 

Anamnese: Vor 20 Jahren Schanker, damals 5 oder 6 Schmierkuren, 
seitdem keine Erscheinungen mehr, niemals Hautausschlag. Seit 5 Jahren 
Verschlechterung des Sehvermógens. 

Serumreaktion: L. positiv (++). 

Laut Mitteilung des Arztes nach Schmierkur wesentliche Besserung des 
Sehvermögens. 


27. 21. = 1: 


7. Hermann A. (235). J.-Nr. 6285. 25 Jahre. Handlungsgehilfe. 
7. V. 08. 

Diagnose: R. Neuritis n. optiei (Gumma n. opt.?). 

Anamnese: Vor 12 Jahren spezifische Infektion, damals eine Sehmier- 
kur. Seit 14 Tagen Augenbeschwerden. 

Serumreaktion: L. positiv ++-+--). 

Therapie: Schmierkur. 


Visus: 7. V. = Fingerzählen in 25 em, 
9. VL ji so du 
€ Z t 
28. VI. 5 » 3m. 


8. Karl B. (200)... J-Nr. 4469. 29 Jahre. Sehankwirt. 30. III. 08. 
Befund: R. Mydriasis. Amaurose. 
Ophthalmoskopisch: Normal. L. ohne Besonderheiten. 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 929 


Diagnose: Lues cerebri? 

Anamnese: Lues streng negiert, angeblich vor 4—5 Jahren Phimose, 
die vom Arzt behandelt wurde. Frau und einziges Kind gesund. 

Serumreaktion: L. positiv (-4- 4- - 4-). 

Therapie: Jodkalium. 

4. IV. Schwache Pupillarreaktion. Lichtempfindung bei starker Licht- 
quelle. Projektion nach unten und aussen. 

6. IV. Projektion auch nach oben. 

8. IV. Handbewegungen vor dem Auge. Projektion richtig. 

13. IV. Finger werden vor dem Auge gezählt. 

15. IV. Fingerzählen in 1m. 


9. Richard G. (334). J.-Nr. 10509. 36 Jahre. Arbeiter. 1. VIII. 08. 
Befund: Bds. Stauungspapille, in Atrophie übergehend. 

Diagnose: Tumor cerebri. 

Anamnese und allgemeiner Untersuchungsbefund: Keine Zeichen für Lues. 
Serumreaktion: L. positiv (+). 

Therapie: Jodkalium. 

Visus: 1. VIIL !|. 10. VIIL u, 24. VII ĉi 


10. Wilhelm L. (311). J.-Nr. 8685. 54 Jahre. Arbeiter. 1. VII. O8. 

Befund: L. Exophthalmus. Vortreibung des Bulbus, hauptsächlich nach 
aussen. Chemosis der Übergangsfalte. Beginnende Stauungspapille. 

Diagnose: Tumor der Orbita. 

Anamnese: Lues negiert. 

Allgemeinuntersuchung: Abgesehen von einigen vergrösserten Drüsen 
keine Zeichen, die für Lues sprechen. 

15. VII. Serumreaktion: L. positiv (++). 

Therapie: Jodkalium. 

Verlauf: Langsamer Rückgang des Exophtlialmus und der chemotischen 
Bindehautschwellung. 

10. VIII. Probeexeision: Mikroskopischer Befund: Gumma der Orbita. 


Aus dem vorhergehenden, aber vor allem auch aus den statistischen 
Zusammenstellungen, die ich weiter oben gegeben habe, ist es er- 
sichtlich, dass ein gewisser Parallelismus besteht zwischen Antikörper- 
gehalt des Serums und den vorhandenen Symptomen. Fehlen syphi- 
litische Symptome, bei vorausgegangener luetischer Infektion und 
sonstigen, nicht syphilitischen Veränderungen der Augen, so ist auch 
häufiger der serologische Befund negativ als in solchen Fällen mit 
ausgesprochen syphilitischen Erscheinungen. Dieser statistisch zu er- 
hebende Befund trifft nun aber in praxi manchmal nicht zu, und vor 
allem lässt sich aus dem Grad der Reaktion, bezüglich der Schwere 
des Leidens, kein bindender Schluss ziehen. Es kommt bei dem 
Ausfall der Reaktion sehr wesentlich auf den Verlauf des Krankheits- 
prozesses an, und zweifellos hängt das Auftreten der Antikörper auch 


30 A. Leber 


mit dem Auftreten neuer Symptome, mit den Rezidiven zusammen. 
Bekanntlich sind diese nach vorausgegangener syphilitischer Infektion 
niemals ganz ausgeschlossen. Da nunim Zeitraum der Latenz die Pro- 
zentzahl der positiven Reaktionen erheblich geringer ist, als in der 
Periode der Symptome, so muss man schon durch diese Erfahrung 
annehmen, dass zur Zeit eines Rezidivs, entweder vor oder nachher, 
eine Vermehrung des Antikórpergehaltes im Serum vor sich geht. 
Während ich über eine Antikörpervermehrung vor dem Auftreten 
eines Rezidivs keine Erfahrungen besitze, verfüge ich über einen 
Fall, bei dem ich im Verlauf der Erkrankung das Auftreten der 
Reaktion beobachten konnte, und der seines praktischen Interesses 
wegen hier skizziert sei. | 


Frau Mathilde W. (86). 39 Jahre. Uhrmacherstrau. 11. XI. 07. 

Diagnose: R. Neuritis n. optici. 

Visus: R. Fingerzählen in 2m. L. 1. Jäger 1. 

Anamnese: Ohne Besonderheiten, Augenerkrankung seit Anfang November. 

Allgemeinuntersuchung: Keine luetischen Symptome. 

14. XI. Serumreaktion: L. negativ. 

22. XI. R. Amaurose. 

28. NI. R. Ilandbewegungen vor dem Auge. 

SA Ri ees lg 

12. XI. R. S = Ue-A Neuritis nicht mehr deutlich. 

30. XII. R. $ = 1. Ophthalmoskopisch: Normal. 

3. VII. 08. Wieder in Behandlung. 

Diagnose: R. Beginnende Atrophie des Sehnerven. Konzentrische 
Einschränkung des Gesichtsfeldes mit zentralem absolutem Skotom. Pupillar- 
reaktion bei Lichteintall erheblich herabgesetzt. 

Visus = ln, 

31. VII. R. Amaurose. Parese des N. oculomotorius und N. trochlearis. 

5. VIII. R. Vollkommene Oculomotoriuslihmung. 

17. VIII. Serumreaktion: L. positiv (++). 

Therapie: Schmierkur. 

1. IX. Wesentliche Besserung, geringe Bewegungen des Bulbus in 
allen Richtungen, Oberlid wird etwas gehoben. 

5. IX. Weitere Fortschritte: Handbewegungen vor dem Auge. — 
Druckgefühl im Bulbus angeblich geringer. 


Dieser Fall, der wohl als gummöse Neubildung am Canalis opti- 
cus aufzufassen ist, zeigt wie im Verlauf einer spezifischen Erkran- 
kung der Antikörperbefund ein wechselnder ist und namentlich im 
Beginn eines syphilitischen Prozesses überhaupt fehlen kann. Er lehrt 
also, dass unter Umständen, namentlich wenn die Untersuchung ım 
Beginn einer Erkrankung oder eines Rezidivs vorgenommen wurde, 
eine zweite Untersuchung erforderlich seim kann, falls die erste nega- 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 31 


tiv ausfiel. Vor allem lehrt er aber auch, dass eine negative Reak- 
tion nicht gegen Lues spricht und in differential-diagnostischer Be- 
ziehung stets mit grosser Vorsicht zu verwerten ist. — 

Da nun mit Zunahme der Symptome, mit dem Fortschreiten 
lokaler oder allgemeiner Prozesse eine Vermehrung der Antikörper 
einhergeht, so fragt es sich, wie gestalten sich die Verhältnisse im 
andern Sinn. Werden die Antikörper durch therapeutische Mass- 
nahmen beeinflusst? Durch die spezifische Therapie bringen wir die 
Symptome zum Verschwinden, vermutlich durch eine Schädigung des 
syphilitischen Virus. Da mit diesem die Antikörper in ursächlichem 
Zusammenhang stehen und die Symptome eine Funktion des Virus 
darstellen, so ist eine therapeutische Beeinflussung a priori zu er- 
warten. Bewiesen wird sie auch durch die beiden folgenden Fille, 
die vor und nach der Behandlung serologisch untersucht wurden. 


Felix G. (156). 29 Jahre. Grosskaufmann. 
19. II. 08. Accommodationslähmung. 


Anamnese: 1901 spezifische Infektion, Exanthem und syphilitische Ver- 
änderungen des Rachens. 


In den ersten 3 Jahren sehr energische antiluetische Behandlung (Hy 
und J£). Seit 1904 keine syphilitischen Erscheinungen mehr. 
Augenerkrankung besteht seit 1 II. O8. 


Serumreaktion: L. positiv (+++ +). 
Therapie: Schmierkur. 


27. IV. 07. Accommodation normal. 
Serumreaktion: L. negativ. 


Frau Hanna M. 42 Jahre. Witwe. 

26. IV. 07. Diagnose: L. Gumma des Sehnerven. 
Visus: Finger in 1 m. 

Serumreaktion: L. positiv. 

Anamnese und Allgemeinbefund: Keine Zeichen für Lues. 
Therapie: Z/9C7,-Injektionen. 

24. 1. 08. Visus !|,. 

Serumreaktion: L. negativ. 


Während der Fall (S6) gezeigt hat, dass aus einer negativen 
Reaktion kein Schluss auf eingetretene Heilung gezogen werden darf. 
so geht aus diesen beiden letzten Füllen hervor, dass ein gewisser 
Parallelismus zwischen beiden Vorgängen besteht. Deutlicher aber 
als aus diesen kasuistischen Belegen geht der Einfluss der Behand- 
lung auf den Ausfall der Reaktion, aus der Gegenüberstellung be- 
handelter und nicht behandelter Syphilitiker hervor. (Der statistische 
Fehler, der durch etwaige negative Reaktion von Syphilitikern, die 
als solche nicht erkannt wurden, bedingt sein kann. trifft sowohl die 


32 A. Leber 


Behandelten wie die Unbehandelten, und ist um so belangloser, als 
er wahrscheinlich die Zahl der negativ reagierenden behandelten 
Syphilitiker um einiges herabsetzt.) 

In meiner Zusammenstellung aller sicher syphilitischen Augen- 
kranken gaben in der Frühzeit die unbehaudelten und ungenügend 
behandelten (d. h. lokal behandelt oder eine Schmierkur) in 1009?/, 
der Fälle eine positive Reaktion, während bei den Behandelten der 
Prozentsatz sich nur auf 75°/, belief. 

In der Spätperiode war der Unterschied noch sinnenfälliger. Bei 
den Unbehandelten 93°, positiv, bei den ungenügend Behandelten 
92,89], positiv und bei den sachgemäss behandelten 61,9?/, positiv. 


Einfluss der antiluetischen Behandlung auf den Anti- 
körpergehalt des Serums: 


Lues II. Unbehandelt 100%, positiv. 
Ungenügend behandelt 100°, ii 
Behandelt TOS ^o 

Lues III. Unbehandelt 90395 a 
Ungenügend behandelt 02S 3 
Behandelt 61,99, ,, 


Wenn auch diese Zahlen, weil sie sich auf das geringe Material 
von 101 Fällen beziehen, nur einen begrenzten Wert haben, so geben 
sie doch eine Bestätigung dessen, was die kritische Betrachtung der 
einzelnen Fälle zeigt. Nicht nur nehmen die Antikörper im Lauf 
der Behandlung ab, sondern auch im weiteren Verlauf der Erkran- 
kung, wenn diese von selbst in Heilung bzw. in das Latenzstadium 
übergeht. Während die stark behandelten Luetiker mit Symptomen 
vielfach einen geringeren Antikörpergehalt aufweisen, als die unbehan- 
delten Fälle, die klinisch ein ganz analoges Bild zeigen, so tritt 
das noch deutlicher hervor bei den Patienten, die sich in der Latenz 
befinden und bei denen nur noch etwa 50°, eine Reaktion geben. 

So lange positiver Antikörperbefund erhoben wird, darf aber der 
Prozess, die luetische Infektion nicht als ausgeheilt gelten. Sind 
gleichzeitig Symptome vorhanden, deren syplilitiscehe Natur móglich ist, 
so wird man sie auf die Lues beziehen und eine entsprechende 
Therapie einleiten. Eine negative Reaktion wird man aber stets, be- 
sonders wenn vordem versucht worden ist, ex juvantibus die Diagnose 
zu stellen, nur mit grösster Vorsicht verwerten. 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 33 


IV. Spezieller Teil. 


Nosologische Erfahrungen auf Grund serodiagnostischer 
Untersuchungen. 


Die serologische Untersuchung einer Reihe von 350 Augen- 
kranken, deren objektiver Untersuchungsbefund eine eindeutige Beur- 
teilung nicht zuliess, hat zu klinisch wicbtigen Ergebnissen geführt, 
die im folgenden Abschnitt Berücksichtigung finden. Eine notwendige 
Ergänzung erfährt dies klinische Material durch diejenigen Fälle, bei 
denen der Befund eindeutig war und durch das Ergebnis der Diagno- 
stik bestätigt wurde. Eine weitere ebenso wichtige Ergänzung liefern 
diejenigen Fälle, bei denen erfahrungsgemäss eine syphilitische Infek- 
tion für die Ätiologie nicht in Betracht kommt (Tuberkulose, Arterio- 
sklerose, Nephritis usw.) Als letzte Gruppe kommen schliesslich 
diejenigen Erkrankungen hinzu, bei denen auf Grund bestimmter 
klinischer Erfahrungen Syphilis oder Tuberkulose als Ursache an- 
genommen werden, eine Annahme, für deren Beurteilung meine kli- 
nischen Erfahrungen einigen Anhalt geben. 

Bei dieser synoptischen Zusammenstellung wird mehrfach auf 
den folgenden Teil, der über die Erfahrungen bei Tuberkulose handelt, 
zu verweisen sein. 

Einer besseren Übersicht wegen habe ich eine Einteilung nach 
den verschiedenen Abschnitten des Auges vorgenommen. 

Auch hierbei führe ich einige statistische Zahlen an. Obwohl 
sich diese nur auf ein kleines Material beziehen, geben sie doch 
einigen Anhalt zur Beurteilung der Syphilis als Ursache bestimmter 
Krankheitsbilder. Da ich dabei nicht nur die symptomatischen, son- 
dern auch die anamnestischen und therapeutischen Beziehungen ein- 
gehend berücksichtigte, glaube ich den Fehler einer statistischen Über- 
schätzung vermieden zu haben. Zweifellos sind unter den negativen 
Fällen, mit negativer Anamnese, noch eine Reihe von Syphilitikern, 
bei denen die Reaktion aus einer der bereits erwähnten Ursachen 
negativ war, und die deshalb den Prozentsatz der Syphilitiker in 
meinen Angaben niedriger erscheinen lassen, als er tatsächlich ist. 


1. Erkrankungen der Lider, der Bindehaut und des 
Tränensacks. 

Entsprechend der ausserordentlichen Seltenheit der Primäraftekte 
am Augenlid bzw. der Bindehaut, die von Münchheimer (60) mit 
4,519], aller extragenitalen Primäraffekte angegeben wird, konnte ich 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIL. 1. 9 


34 A. Leber 


nur einen derartigen Fall untersuchen. Es ist das der bereits be- 
schriebene Fall A. (328), bei dem sich die Initialsklerose am linken 
Oberlid fand, ohne dass es möglich gewesen wäre, die Art der 
Übertragung festzustellen. Die Sicherung der Diagnose war erst 
durch die serodiagnostische Untersuchung möglich, da der objektive 
Befund kein charakteristischer war. Die Ränder der Sklerose waren 
nicht zerklüftet, die Infiltration mässig, nur der Grund zeigte speckige 
Verfärbung, wie sie allerdings auch sonst bei schlecht granulierenden 


Ulcera vorkommt. — Die sofort eingeleitete Therapie führte zu Hei- 
lung, der bisher keine Sekundärerscheinungen gefolgt sind. — Im 


ganzen war der Fall dem von Allen (61) beschriebenen ähnlich, auch 
insofern, als wohl hier eine Verletzung als veranlassendes Moment 
angenommen werden darf. 


Gummöse Neubildungen der Lider konnte ich entsprechend ihrer 
Seltenheit auch nur zweimal beobachten: 


Fall 166. Paul St. 19 Jahre. Hausdiener. 

Anamnese: Ohne Besonderheiten, angeblich seit 2 Jahren augenkrank 
und früher mit Kauterisation behandelt. 

Untersuchungsbefund: In der oberen Übergangsfalte, aussen, kirsch- 
kerngrosse, mässig harte Neubildung, von zerklüfteter Oberfläche, gelb- bis 
graurötlicher Färbung. — Präaurikulardrüse nicht vergrössert. 

Diagnose: Lues, 'Tuberkulose, Trachom ? 

Serumreaktion: L. positiv +++). 

Therapie: Schmierkur. 

Erfolg: Rückbildung. 


Fall 349. Hermann G. 55 Jahre. Maurer. 

Anamnese: 1879 Infektion, 1896 Spritzkur, anscheinend wegen gum- 
möser Neubildung der Glutaei. Augenkrank seit 189V. 

Serumreaktion: L. positiv (+). 

Befund: Am Unterlid, etwas temporal von der Mitte, erbsengrosse Ver- 
diekung des Unterhautbindegewebes, temporalwärts exulceriert. 


Fall 202. Alma $8. 22 Jahre. Tischlersfrau. 

Anamnese: Oline Besonderheiten. — Seit letztem Wochenbett Ausschlag 
am Rumpf und Entzündung der Augen. 

Untersuchungsbefund: Lidrandekzem. Tarsitissyphilitica? Lues II 
wahrscheinlich. 

Serumreaktion: L. positiv GE EL 

Eine gummöse Neubildung der Tränensackwand wurde bei 


Fall 72, Anna K., 28 Jahre, beobachtet, bei der die Diagnose zwischen 
Lues und Tuberkulose schwankte, um so mehr als hier auch eine Zerstö- 
rung des weichen Gaumens vorlag, für deren Deutung ätiologische Momente 
fehlten. 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. — 35 


Klinisches Interesse verdienen ferner zwei Fälle von Mikulicz- 
scher Krankheit, die berücksichtigt wurden, weil es vordem A. Gut- 
mann(62) gelungen ist, in einem Fall dieser Krankheit Lues nach- 
zuweisen. In diesen beiden Fällen, von denen der erste bereits von 
O. Napp(63) publiziert, der zweite auch von ihm untersucht wurde, 
war Lues serologisch nicht nachzuweisen. Die mikroskopische Unter- 
suchung excidierter Bindehautteile ergab in beiden Fällen Tuberkulose, 
beim ersten Fall mit positivem Bacillenbefund. 


2. Erkrankungen der Hornhaut. 


Bei der Seltenheit gummöser Prozesse in der Hornhaut kommt 
hier nur die Keratitis parenchymatosa in Betracht, deren verschie- 
dene Formen bezüglich der Ätiologie Interesse verdienen. 

Seitdem Hutchinson (65) auf das häufige gleichzeitige Vor- 
kommen von Keratitis parenchymatosa mit der nach ihm benannten 
Zahndeformität und der progressiv zunehmenden Schwerhörigkeit 
hingewiesen hat, ist es zwar gelungen, in zahlreichen Fällen die 
Ätiologie als syphilitisch zu erkennen. Bisher sind aber sämtliche 
statistischen Angaben, die sich auf die Ursachen der Keratitis paren- 
chymatosa beziehen, auf verhältnismässig unsichere Anhaltspunkte 
angewiesen gewesen. Dem entspricht es, dass die statistischen Daten 
innerhalb weiter Grenzen schwanken und dass wir vor allem bisher 
über die Häufigkeitsverhältnisse von Lues hereditaria und Lues acqui- 
sita als Ursachen der Keratitis parenchymatosa noch nicht orientiert 
sind. — So ist es verständlich, dass die Prozentzahlen, welche die 
Häufigkeit der Lues hereditaria als ursächlichen Faktor bezeichnen, 
sich zwischen Werten von 5 (Graefe) und 96,7 (Parinaud) bewegen. 
Ähnlich verhält es sich mit der Lues acquisita, von der bekanntlich 
früher angenommen wurde, dass sie für die Entstehung der paren- 
chymatösen Hornhautentzündung überhaupt nicht in Betracht käme. 
Während Alexander dafür einen Prozentsatz von 12,7 bestimmt 
hat, hält Jakolewna sie nur in 3,1?|, der Fälle für die Ursache 
der Keratitis parenchymatosa. 

Von den 82 Fällen von Keratitis parenchymatosa, die ich sowohl 
bezüglich einer syphilitischen wie einer tuberkulösen Atiologie unter- 
sucht habe, waren 61 luetisch = 74,4°%. Unter diesen 61 Fällen 
von Keratitis parenchymatosa syphilitischer Ursache waren 9 mit 
acquirierter Lues (also 1-L%/, der syphilitischen Hornhautentzündungen). 
Auf die Gesamtsumme berechnet, ergibt das also 11°, acqurıerte, 
63,4%), hereditäre Lues als Ursache der Keratitis parenchymatosa. 

E 


36 A. Leber 


(Der Prozentsatz von 74,4 differiert einigermassen von dem früher 
von mir bei einem Gesamtmaterial von 160 Fällen erhobenen, der 
83,9 betrug und sich fast ausschliesslich auf ein grossstädtisches Ma- 
terial bezog.) 

Die Prozentzahl von 74,1?|, die aus bereits mehrfach erwähnten 
Gründen etwas hinter der tatsächlichen Häufigkeit zurückbleibt, ent- 
spricht in ihrer Zerlegung 11°, für die acquirierte, 63,4°|, für die 
hereditäre Lues, einigermassen den früheren Mitteilungen. So geben 
Saemisch (66) in 62°), v. Michel (67) in 55°, Ancke(68) in 61,0, 
Hirschberg (69) in 61,0°%,, Leplat(70) in 64,2°),, Nettleship in 
680%), Pfister (71) in 64,6%, Lues hereditaria als Ursache der Kera- 
titis parenchymatosa an. 

Bezüglich der Lues acquisita nähert sich mein statistisches Ergebnis 
von 11°), demjenigen, das Alexander (72) angibt, nämlich 12,7°),. 

Sehr bemerkenswert ist der Befund, den ich bei diesen Unter- 
suchungen bezüglich weiterer Komplikationen seitens der Augen er- 
heben konnte. — Von den neun Fällen acquirierter Lues zeigten ledig- 
lich drei eine einfache Entzündung der Hornhaut, bei den sechs ` 
übrigen waren Sklera oder Iris, oder auch beide an der Erkrankung 
mitbeteiligt. Bezüglich ihrer Komplikationen, die bei der Keratitis 
parenchymatosa e Lues hereditaria seltener zu sein scheinen, unter- 
schieden sich diese Fälle meines Materials recht wesentlich von den 
vorhergehenden. 

Unter den 52 Fällen von Keratitis parenchymatosa bei Lues 
hereditaria waren nur sechs von weiteren Komplikationen seitens des 
Auges befallen (zwei Iritis, zwei Skleritis, zwei Chorio-Retinitis). Dieser 
Unterschied erklärt sich dadurch, dass ein Teil der Fälle nach völliger 
Aufhellung der Hornhaut nicht mehr untersucht werden konnte!) 

Da bezüglich der Wertigkeit und Häufigkeit sonstiger Zeichen 
hereditärer Syphilis die Akten nicht abgeschlossen sind, habe ich 
in meinen Untersuchungen auch deren Vorkommen berücksichtigt. 
Wir wissen, dass von der Hutchinsonschen Trias ein einzelnes 
Symptom nicht verwertbar ist, da sowohl die Zahndeformität als 
auch die Schwerhörigkeit ohne luetische Ursache vorkommen. Erst 
die Summierung mehrerer Symptome, wozu auch die strahligen Narben 
am Mund, die Knochen- und Gelenkaftektionen [v. Michel(3), v. Hippel] 
zu zühlen sind, vermag unsere diagnostischen Vermutungen zu sichern. 

!) Siehe auch. F. Silbersiepe, Beitrag zum Studium der Keratitis paren- 
chymatosa auf luetischer Basis unter Zuhilfenahme der Wassermannschen 
Reaktion, Inaug.-Diss. Berlin 1408. 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 37 


Unter den 52 Fällen von Keratitis parenchymatosa (Lues heredi- 
taria) boten 22 keine andern, für Lues verwertbaren Symptome. 

19 hatten nur Hutchinsonsche Zahndeformität. 

3 Hutchinsonsche Zahndeformität, kombiniert mit Ostitis luetica 
(Nr. 88), mit strahligen Narben am Mund (Nr. 268), mit Gonitis 
(Nr. 183). 

8 hatten ostitische, periostitische und arthritische Veránderungen, 
für deren Erklárungen nur die Syphilis in Frage kam. 

Von den Fällen, bei denen serologisch Lues nicht nachgewiesen 
werden konnte, handelte es sich zweimal um gleichzeitige Skrofu- 
lose, sechsmal um sichere Tuberkulose (vgl. Teil II, Tuberkulose) und 
zweimal um begründeten Verdacht auf Tuberkulose. In 11 Fällen 
war nach keiner Richtung ein Anhalt bezüglich der Ätiologie zu 
gewinnen. 


3. Erkrankungen der Sklera. 


Unter elf Fällen von Skleritis bzw. Episkleritis konnte ich drei- 
mal eine luetische Ursache feststellen, in zwei von diesen Fällen wies 
die Anamnese eine Infektion nach. — Nicht inbegriffen sind dabei 
die Fälle, bei denen nach vorausgegangener Keratitis eine Skleritis 
hinzugetreten war. Nach den Angaben aller früheren kasuistischen 
und statistischen Mitteilungen ist die Skleritis selten auf eine syphi- 
litische Ursache zurückzuführen, und vor allem, wie Peppmüller (64) 
angibt, in den Frühstadien der Lues besonders selten. Dem ent- 
spricht auch, dass die übrigen acht Fälle keine Lues-Reaktion gaben. 
Während bei drei unter ihnen die Ätiologie ungeklärt blieb, stellte 
bei einem die Allgemeinuntersuchung einen Verdacht auf Tuberkulose 
fest. Die vier übrigen erwiesen sich als sichere Tuberkulosen durch 
serodiagnostische Untersuchungen, über die der daraufbezügliche Ab- 
schnitt im zweiten Teil berichtet. 

Von den syphilitischen Skleritiden gehörten zwei dem Spät- 
stadium, eine dem Frühstadium der Lues an. 


4. Krankheiten der Iris und des Ciliarkórpers. 


Bei der übersichtlichen Zusammenstellung der Erkrankungen 
der Iris war es mehrfach besonders schwierig, falls Lues vorlag, 
deren Stadium zu bestimmen. Immerhin gelang es in den meisten 
Fällen unter Berücksichtigung besonderer Symptome, der Zahl der 
Rezidive und sonstiger Angaben der Patienten, die auf die voraus- 
gegangene Infektion zu beziehen waren. 


38 A. Leber 


Was die Zahl der syphilitischen Iritiden im Vergleich zu andern 
syphilitischen Erkrankungen anlangt, die von Schubert (73) mit 
52,4°),, von Bäuerlein(74) mit 40%, angegeben wird, so erlaubt 
mein Material in dieser Beziehung keinen massgebenden Schluss. 
Es scheint mir aber, dass die Keratitis parenchymatosa der Iritis 
nicht viel nachsteht. | 

Unter den 96 Fällen von Iritis, die ich serologisch untersucht 
habe, waren 29 — 30,2°;, syphilitischen Ursprungs, davon waren: 


3 Lues hereditaria — — 3,0"j,, 


19 Lues II == 7009 

7 Lues III E o 
Die drei Fülle von Lues hereditaria zeigten Mitbeteiligung des 
Ciliarkórpers. — Bei den Iritiden des Frühstadiums fanden sich zwei- 


mal Papeln auf der Regenbogenhaut, einmal eine ausgedehnte Er- 
krankung der ganzen Uvea. — Die Fälle des Spätstadiums verliefen 
ohne besondere Komplikationen. 

Was die Natur der Erkrankungen anlangt, so handelte es sich 
zumeist um akute Entzündung der Iris, häufig auch um Rezidive, 
deren Vorläufer manchmal zeitlich weit zurücklagen. 

Die Häufigkeit der Lues, als Ursache der primären Iritis, wird 
von den verschiedenen Beobachtern mit sehr weit voneinander ab- 
weichenden Zahlen angegeben. 

Während Mooren (75) 8,1?j, Schaefer (76) 7—8°,,, Haas 
(77) 109, und v. Michel(7S) sogar nur 5,9", dafür angeben, 
so liegen andere Mitteilungen vor, in denen der Prozentsatz weit 
höher gefunden wurde. So von Coccius(79) mit 46,6, von Schu- 
bert{S0) mit 23.0%, von Albrand(S1) mit 23,7% von Seggel (82) 
sogar mit 85%. — Eine Erklärung für diese ausserordentlich ver- 
schiedenen Angaben hat v. Michel bereits gegeben, indem er auf 
die wechselnde Häufigkeit der Tuberkulose hinwies, die neben der 
Lues als Hauptursache der Iritis in Betracht kommt. 

Die von mir bei meinem Material mit 30,2°, erhobene Prozent- 
zahl entspricht vielleicht mehr städtischen Verhältnissen und steht 
im Einklang mit der Ansicht von. Wilbrand und Staelin (83), so- 
wie derjenigen von Peppmüller(64), die ein gutes Drittel bis die 
Hältte aller Iritiden auf Syphilis zurückführen. 

Die nicht-luetischen Iritiden, bei deren ätiologischer Beurteilung 
serodiagnostische Massnahmen (vgl. Teil IT) wertvollen Aufschluss 
gaben, waren zu 229%, tuberkulöser Natur. Unter den übrigen fanden 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 39 


sich vorwiegend solche, deren Erkrankung auf Arteriosklerose und 
Nephritis zurückzuführen war. Nächstdem folgten Gonorrhöe und 
dreimal Infektionskrankheiten (Masern, Scharlach, Diphtherie), in 
deren Verlauf die Entzündung aufgetreten war. — Naturgemäss blieb 
auch hier eine grössere Reihe übrig, in der die serologische Unter- 
suchung nach keiner Richtung einen Aufschluss zu geben vermochte, 
und bei deren Fällen auch der weitere Verlauf keine Erklärung für 
die Ätiologie brachte. Als klinisch bemerkenswerter Fall sei nur 
zum Schluss noch der Patient Nr. 315 erwähnt. 


Neben Hornhautinfiltration und cyklitischen Reizerscheinungen fand sich in 
der Iris eine Granulationsgeschwulst, die ihrem Aussehen nach sowohl luetischer, 
als auch tuberkulöser Natur sein konnte. Die Anamnese gab keinen Auf- 
schluss und Lues wurde streng negiert. Auch die Allgemeinuntersuchung 
konnte keinen Anhalt zur ätiologischen Beurteilung beibringen. Eine mit 
meinem fettfreien Tuberkulin vorgenommene Cutanimpfung verlief negativ, 
dagegen war die Serumreaktion für Lues positiv, das einzige Zeichen der 
vorausgegangenen spezifischen Infektion. 


5. Krankheiten der Chorioidea. 


Unter den Erkrankungen der Chorioidea, die nächst Iris und 
Hornhaut wohl der häufigste von Lues befallene Abschnitt des Auges 
ist, steht im Vordergrund des praktischen Interesses die von Förster 
beschriebene Chorioiditis syphilitica, deren Symptome (Glaskörper- 
trübung, Hemeralopie, Herabsetzung der Sehschärfe, zonuläre Defekte 
im Gesichtsfeld, Photopsien) und deren häufiger Zusammenhang mit 
Iritis und andern spätsekundären Symptomen der Lues, mit der 
Verlaufsweise einer syphilitischen Allgemeinerkrankung harmoniert. 

Da nach der Ansicht von Förster (84) die Retina stets und 
schon im Anfang in ausgedehnte Mitleidenschaft gezogen wird, habe 
ich hierher auch diejenigen Affektionen gerechnet, bei denen das der 
Fall war und die füglich mit dem Namen Chorioretinitis bezeichnet 
werden. Im übrigen handelt es sich im wesentlichen um chorioideale 
Erkrankungen, bei denen der Sitz der pathologischen Veründerungen 
die Chorioidea war, ohne dass an Netzhaut und Sehnerv besondere 
Befunde hátten erhoben werden kónnen. 

Bezüglich der Häufigkeit einer luetischen Ätiologie hei chorioi- 
ditischen Erkrankungen lassen sich natürlich keine bestimmten An- 
gaben machen. Es ist ja wichtiger für bestimmte Formen derselben 
— ich habe dabei besonders die Chorioiditis disseminata im Sinn — 
einen ätiologischen Anhalt zu gewinnen. 

Unter den 46 Fällen von Erkrankungen der Chorioidea, die ich 


A0 A. Leber 


serologisch untersucht habe, konnte 13mal Lues, unter Ausschluss 
anderer infektiöser Ursachen, festgestellt werden. Bei den sechs 
weiteren Fällen war die Serum-Reaktion negativ, aber gewisse Eigen- 
heiten des okularen wie des allgemeinen Körperbefundes oder be- 
sondere anamnestische Angaben liessen trotzdem eine syphilitische 
Infektion vermuten, um so mehr, als bei diesen Patienten meist vor- 
dem bereits eine antisyphilitische Kur stattgefunden hatte. Rechnet 
man diese syphilisverdächtigen hinzu, so bekommt man für die Chorioiditis 
in 41,39j, eine syphilitische Ursache zu verzeichnen, im andern Fall 
nur 28,29]. — Dabei handelt es sich aber um alle zur Beobachtung 
gelangten Erkrankungen der Chorioidea nicht nur um die von Fórster 
beschriebene, die man als spezifisch-luetisch betrachten muss. Für 
diese würde sich ein weit hóherer Prozentsatz ergeben, da derartige 
Fülle unter den serologisch negativen meines Materials nur ganz 
vereinzelt vorkommen. 

Berücksichtigt sind aber unter den Syphilitischen auch die Kon- 
genital-luetischen. Dass ich deren nur eine geringere Zahl beobachten 
konnte, was einen Gegensatz zu den Mitteilungen von E. v. Hippel 
bedeuten würde, der sie fast stets bei Keratitis parenchymatosa ge- 
funden hat, liegt daran, dass ein Teil dieser hereditär - luetischen 
Fälle nach vollständiger Aufhellung der Hornhaut noch nicht wieder 
untersucht werden konnte. 

Bezüglich der Zeit des Auftretens, für die von Schmidt-Rimpler 
(85), Knies (S6) und Haas (77) das Spätstadium angegeben wird, 
zeigen meine Fülle ein Verhalten, das mehr den Angaben von Badal 
(87) entspricht, insofern, als sich doch auch verschiedene Patienten 
darunter befanden, die dem ersten Teil des Frühstadiums angehörten. 
Dass die syphilitische Chorioiditis meist erst an der Grenze von Früh- 
und Spätstadium zur Beobachtung und statistischen Verzeichnung 
gelangt, mag daran liegen, dass erst die bleibenden Störungen, die 
Komplikationen bzw. Rezidive von seiten der Iris die Patienten zum 
Arzt führen. ‚Je länger das syphilitische Virus sich wirksam erhält, 
um so schwerwiegender sind auch seine Äusserungen für die Sinnes- 
funktionen des Auges. 

Ob je nach dem Stadium, in dem die Erkrankung der Ader- 
haut auftritt, bestimmte Bilder häufiger sind, als andere, ist eine 
bisher unentschiedene Frase, bezüglich deren Lösung Badal angibt, 
dass die Chorioiditis exsudativa mehr im Frühstadium, die Chorioi- 
ditis disseminata häufiger im Spätstadium auftritt. Ich kann in 
Übereinstimmung mit dieser Angabe bemerken, dass die zwei Fälle 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 4] 


von Chorioiditis exsudativa luetica, die ich beobachten konnte, zweifel- 
los dem Frühstadium angehörten, und zwar dessen erster Hälfte. 
Von den vier Patienten, die an Chorioiditis disseminata litten, be- 
fanden sich drei sicher im Spätstadium, während das gleiche beim 
vierten mit grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen war. 

Die luetische Ursache dieser Fälle sei hier besonders betont, 
um so mehr, als zwei weitere Fälle diese Erkrankungsform bei Lues 
hereditaria zeigten. Einmal spricht das dafür, dass die Chorioiditis 
disseminata doch häufiger syphilitischer Natur ist, als man nach den 
Angaben Fórsters(88) allgemein geneigt ist anzunehmen; ein ander- 
mal aber spricht das auch dafür, dass in gewissen Füllen dem atro- 
phischen Prozess ein exsudativer vorausgeht, der einem früheren 
Stadium zugehört und deshalb in diesem häufiger beobachtet wird, 
als der zweite. | 

Unter den nicht syphilitischen Chorioidealerkrankungen, die ich 
serologisch untersucht habe, fanden sich 12mal Tuberkulose, 3mal 
Verdacht auf Tuberkulose und bei den 12 übrigen war eine Ätiologie 
mit Sicherheit nicht festzustellen. Mehrfach wies die Anamnese ge- 
rade in dieser letzten Gruppe eine antisyphilitische Kur nacli, über 
deren Berechtigung sich aber nichts näheres eruieren liess. Erst 
wenn serodiagnostische Massnahmen die Indikation zur Therapie ab- 
geben, wird diese Gruppe der Statistik sich vermindern und unsere Einsicht 
in die ätiologischen Verhältnisse eine wertvolle Bereicherung erfahren. 


6. Krankheiten der Netzhaut und des Sehnerven. 


Zur Beurteilung der syphilitischen Erkrankungen der Netzhaut 
und des Sehnerven, von denen die letzteren wohl noch mehr Schwierig- 
keiten bereiten als die ersteren, bietet der serologische Lues-Nachweis 
ein wertvolles Hilfsmittel. Wenn auch vielfach Gefüssveründerungen, 
auf deren ausserordentliche Bedeutung als diagnostisches Moment 
v. Michel(89) zuerst hingewiesen hat, einen Anhalt gewühren, so 
ist doch gerade für diese Affektionen jede Vermehrung unserer dia- 
gnostischen Hilfsmittel von Bedeutung, und das ist um so mehr der 
Fall, als hierbei auch eine Differenzierung gegenüber Tuberkulose 
nicht selten in Betracht kommt. 

Eine isolierte Erkrankung der Netzhaut konnte ich nur einmal 
im Frühstadium der Lues beobachten. Ein weiterer Fall, der dem 
von Th. Leber(90) als atypische Retinitis pigmentosa beschriebenen 
sehr ühnlich war, liess eine Entscheidung bezüglich der Art der In- 
fektion, ob hereditir oder acquiriert, nicht zu. 


42 A. Leber 


Neuroretinitis syphilitischen Ursprungs konnte ich in einem Fall 
feststellen, der gleich nach der Infektion und in zwei aufeinander 
folgenden Jahren antiluetisch behandelt worden war, und der sich 
zur Zeit der Augenerkrankung an der Grenze von Früh- und Spät- 
stadium befand. 

Primäre Neuritis des Optikus konnte ich zweimal auf Lues zu- 
rückführen, einmal davon, sicherlich im Spätstadium der Infektion. 

Auf mehrere Fälle von Neuritis und Neuroretinitis, in denen 
Tuberkulose als Ursache festgestellt wurde, komme ich im Abschnitt 
über Tuberkulose noch zurück. 


7. Krankheiten des Auges aus zentraler Ursache (Lues cerebri 
und Systemerkrankungen des Zentralnervensystems). 


Nicht nur wegen der Analogie im zeitlichen Auftreten, sondern 
auch wegen der häufig sehr ählichen Symptome, die eine anatomische 
Diagnose sehr erschweren, habe ich sämtliche Erkrankungen zentraler 
Ursache zusammengestellt. — Da es sich bei diesen Untersuchungen 
in erster Linie um ursächliche Diagnosen, um die Frage, ob Lues 
oder nicht, handelt, hat die Entscheidung, ob Lues cerebri oder 
metasyphilitische Systemerkrankung, eine mehr untergeordnete Be- 
deutung. 

Gerade bei der Tabes und der progressiven Paralyse, deren 
Beginn und erste Anzeichen häufig von augenärztlicher Seite zuerst 
festgestellt werden, ist die Erkennung der Lues ebenso wertvoll, wie 
sie praktisch schwierig ist. Die neuesten Untersuchungen, bei denen 
Blutserum und Lumbalflüssigkeit in vergleichenden Versuchen er- 
forscht wurden, haben die bereits früher von Erb (91) vertretene 
Ansicht bestätigt, dass dabei vorwiegend, wenn nicht ausschliesslich 
die Lues als ätiologisches Moment in Betracht kommt. Der prak- 
tische Lues-Nachweis war vordem gerade deshalb schwierig, weil in 
diesen Fällen die Infektion fast ausnahmslos lange Zeit zurück- 
liegt und weil die metasyphilitischen Erkrankungen bei Individuen 
auftreten, unter denen sich zahlreiche finden, deren Allgemeinsym- 
ptome offenbar sehr geringfügig gewesen sind. Im seltenen Fällen 
mögen sie sogar ganz gefehlt haben, so dass für diese die Bezeich- 
nung einer kryptogenetischen Infektion wohl gerechtfertigt ist. Fast 
stets fand ich bei den metasyphilitischen und sehr häufig bei den 
luetischen Erkrankungen des Zentralnervensystems einen sehr reich- 
lichen Antikörpergehalt im Blutserum, ein Befund, der das Auftreten 
der krankhaften Veränderungen lange Zeit nach der Infektion ver- 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 43 


stándlich macht. Dieser Befund stützt aber auch die von Strümpell, 
Móbius und Gowers vertretene Ansicht, dass Tabes und progressive 
Paralyse als degenerative Krankheitsprozesse aufzufassen und für 
die Toxine des Luesvirus verantwortlich zu machen sind. 

Bei sämtlichen Augenkranken, die aus zentraler Ursache (ab- 
gesehen von traumatischen Läsionen) okulare Störungen darboten, 
konnte ich unter 44 Fällen 34mal —= 72,7°|, Lues nachweisen. 

Lues cerebri. — Von den Augenveründetungen zentraler Ur- 
sache, bei denen, so weit dies überhaupt möglich ist, Tabes und 
Paralyse auszuschliessen waren, fanden 72°% eine Erklärung durch 
Lues, 12°% durch die Anamnese, 60°, durch den serologischen 
Nachweis. 

Dabei erfolgte dieser Nachweis 3—30 Jahre nach überstandener 
Infektion. 

In Übereinstimmung mit den Angaben von Uhthoff (92) waren 
. darunter am häufigsten die Lähmungen des N. oculomotorius 15, dann 

folgten die des N. abducens 5 und schliesslich diejenigen des N. tro- 
chlearis 2. 

Ferner gelang der Antikörpernachweis in je einem Fall von 
Stauungspapille (Infektion vor 30 Jahren), einem Fall von hereditärer 
Atrophie (Lues von seiten der Eltern negiert) und einem Fall von 
luetischer Spinalerkrankung mit gleichzeitigem Nystagmus. 

Metasyphilitische Erkrankungen mit okularen Symptomen, 
deren fast ausschliesslichen Zusammenhang mit Syphilis Terrien (93) 
neuerdings wiederholt hat, ergaben mit 16 unter 19 einen Prozent- 
satz von 84,2?/, positiven Lues-Reaktionen. Berücksichtigt man hier- 
bei, dass eine ganze Reihe dieser Fülle doch vorbehandelt waren, 
dass ferner die Reaktion auch bei sicher Syphilitischen nicht immer 
positiv ausfällt, so wird der Wahrscheinlichkeitsschluss, dass es sich 
bei diesen Krankheiten stets um Lues handelt, nicht unbegründet 
erscheinen. 

Was die negativen Reaktionen anlangt, so lassen sich diese in 
besonders schwierigen Fällen durch eine Untersuchung der Lumbal- 
flüssigkeit auf Antikörper, oder wie Fleischer (94) vorgeschlagen 
hat, durch cytologische Untersuchungen ergänzen. Mir selbst (95) 
scheint es nicht unwahrscheinlich, dass wir durch letztere einen Lues- 
Nachweis führen können, wo die Komplement-Bindung versagt. 

Im ganzen konnte ich unter den aus zentraler Ursache ver- 
änderten Augen auch den Unterschied konstatieren, auf den Bern- 
heimer(96) hinweist, nämlich dass bei Lues mehr die äusseren, bei 


44 A. Leber 


Systemerkrankungen mehr die inneren Augenmuskeln beteiligt sind. 
— Von 12 Kranken, die aber lediglich eine Pupillendifferenz oder 
eine mit Anisokorie verbundene reflektorische Pupillenstarre zeigten, 
gaben 9 eine positive Lues-Reaktion, und zwar 10—31 Jahre nach 
überstandener Infektion. 


8. Krankheiten der Orbita. 


Während ich über Erfahrungen bei syphilitischer Periostitis der 
Orbitalwand nicht verfüge, gelang es mir zweimal, Neubildungen der 
Orbita als syphilitisch zu erkennen. 


Bei dem ersten Fall handelte es sich um ein 26jähriges Fräulein, dessen 
Anamnese keinen Anhalt für die Ätiologie ergab. Seit 2 Jahren, teilte sie 
mit, sei ihr Tränensack entzündet, während seit 14 Tagen erst ein Hervor- 
treten des Auges zu bemerken sei. — Nach dem serologischen Luesnach- 
weis entzog sich die Patientin der Behandlung. 


Der zweite Fall betraf einen 54jährigen Arbeiter mit linksseitigem 
Exophthalmus, für dessen Ursache Patient keine bemerkenswerten Angaben 
machen konnte. Der Untersuchungsbefund liess eine infiltrierende Neubildung 
innerhalb der Orbita vermuten. Nachdem die Serumreaktion syphilitische 
Antikörper nachgewiesen hatte, wurde eine spezifische Therapie eingeleitet. 
Da der Heilungsverlauf, die Rückbildung, eine auffallend langsame war, 
wurde eine Probeexeision auf der nasalen Seite der Orbita vorgenommen. 
Die mikroskopische Untersuchung des exeidierten Gewebsstückes zeigte aber, 
dass es sich tatsächlich um eine gummöse Neubildung handelte. 


V, Zusammenfassung der für praktische Beurteilung syphilitischer 
Augenkrankheiten wichtigen Gesichtspunkte. 


1. Der serologische Lues-Nachweis durch Komplementbindung 
ist in der von Wassermann, Neisser und Bruck angegebenen 
Form eine klinisch-spezitische Reaktion. Sie ist für die Beurteilung 
infektiöser Augenerkrankungen von massgebender Bedeutung. Ihr 
positiver Ausfall ist ein absoluter Beweis für eine manifeste oder 
latente Syphilis-Infektion des Organismus. 

2. Die durch Komplementbindung nachweisbaren syphilitischen 
Reaktionsprodukte finden sich bei syphilitischen Augenkranken in 
einem ausserordentlich hohen Prozentsatz, selbst wenn die Infektion 
viele Jahre zurückliegt. 

3. Bei hereditär-luetischen Augenerkrankungen gelingt der sero- 
logische Lues-Nachweis in einem ähnlich hohen Prozentsatz wie bei 
acquirierter Syphilis. Die Reaktion ist deshalb geeignet, in der ur- 
sächlichen Erklärung bestimmter Krankheitsbilder eine Entscheidung 
zu ermöglichen. 


Serodiaynostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 45 


4. Nur die positive Reaktion hat vollgültige Beweiskraft. Sie 
beweist aber nur den Fortbestand des syphilitischen Prozesses; einen 
Anhalt für dessen Lokalisation gibt sie nicht. 

5. Durch die Natur der syphilitischen Antikörper ist die Mög- 
lichkeit gegeben, dass gleichzeitig mit deren Vorkommen im Blut 
eine nicht syphilitische Erkrankung des Auges vorliegt. — Eine ein- 
gehende klinische Beurteilung eines jeden Falles muss deshalb der 
serologischen Untersuchung vorausgehen und sie ergänzen. Eine 
wichtige Unterstützung beider Massnahmen liefern die im Teil II 
zum Tuberkulosenachweis beschriebenen Methoden. 

6. Das Fehlen syphilitischer Reaktionsprodukte ist kein zuverlässiger 
Beweis gegen das Bestehen einer syphilitischen Infektion. Immerhin 
ist eine negative Reaktion differentialdiagnostisch mit Vorsicht zu ver- 
werten, unter Berücksichtigung des folgenden: 

Eine negative Reaktion kann entsprechen 

a. der Inkubationszeit, bevor eine Allgemeininfektion ein- 
gesetzt hat, — für syphilitische Augenerkrankungen ein seltenes Vor- 
kommnis; | 

b. einem Refraktärzustand des Organismus, der nicht in der Lage 
ist, auf die Infektion mit den entsprechenden Antistoffen zu reagieren: 

c. dem Stadium der Latenz, eventuell nach vorausgegangener, 
antiluetischer Behandlung; 

d. der Heilung, mit oder ohne Behandlung. 

7. Zuverlässig ist das serodiagnostische Resultat bei luetischen 
Erkrankungen nur unter Berücksichtigung sämtlicher Kautelen. Es 
wird daher nur von geschulten, mit der Technik wohlvertrauten Ex- 
perimentatoren zu erwarten sein, stets unter Berücksichtigung des 
objektiven Untersuchungsbefundes. 

8. Da unbehandelte Fälle syphilitischer Augenerkrankungen und 
zumal solche, deren Infektion lange Zeit zurückliegt, besonders reich- 
lichen Antikórpergehalt im Blutserum aufweisen, so ist deren Nach- 
weis für die Beurteilung ätiologisch unklarer Fälle ein Hilfsmittel 
von hoher Bedeutung. 


Teil II. 
Serodiagnostische Untersuchungen bei Tuberkulose des Auges. 


I. Grundlagen und Bedeutung serodiagnostischer Untersuchungen 
bei Tuberkulose der Augen. 


Mehr als die syphilitischen sind bisher die tuberkulösen Augen- 
erkrankungen einer ätiologischen Erkenntnis zugänglich gewesen, die 


46 A. Leber 


Möglichkeit dazu war von dem Augenblick an gegeben, da durch 
die bahnbrechenden Untersuchungen R. Kochs Wesen und Lebens- 
bedingungen des Tuberkelbacillus bekannt geworden waren. Durch 
Impfübertragung tuberkulósen Materiales auf das empfàngliche Ka- 
ninchenauge, durch den mikroskopischen und kulturellen Nachweis 
und schliesslich durch die diagnostische Tuberkulininjektion stehen 
uns Methoden zu Gebot, die in zahlreichen Fällen eine ätiologische 
Aufklärung zu geben im stande sind. Immerhin und zumal da, wo 
es sich um die häufig sehr schwer zu beurteilenden inneren Erkran- 
kungen des Auges handelt, sind die beiden an erster Stelle erwähnten 
Methoden in ihrer Anwendung ausgeschlossen. Was die dritte an- 
langt, so wird auch sie nur mit grösster Vorsicht eine ausgedehntere 
Anwendung finden können, da die durch eine positive Tuberkulin- 
reaktion bedingten Herderscheinungen am Auge nicht selten zu 
dauernden Exacerbationen des Leidens führen. Angesichts der be- 
merkenswerten Heilerfolge, die durch eine sachgemässe Tuberkulin- 
therapie der tuberkulösen Augenerkrankungen zu erzielen ist, ist es 
doppelt wünschenswert, deren Ursache frühzeitig und zwar durch 
Methoden zu erkennen, die für das Auge durchaus unschädlich sind 
und wenn möglich auf dieses selbst ohne jede Einwirkung bleiben. 

Da meine Untersuchungen sich im wesentlichen auf derartige 
Massnahmen beziehen, und nur in vereinzelten Zweifelsfällen die 
diagnostische Tuberkulininjektion zur Ergänzung benutzten, gehe 
ich auf diese nicht ein und verweise in bezug deren auf die Arbeiten 
von Schieck (97), Groenouw (98), A.v. Hippel(99),G. Weiss (100), 
Kayser (101) und Stock (102). Wenn auch die überaus zuverlässige 
diagnostische Tuberkulininjektion Herderscheinungen und gelegent- 
lich tatsächliche Verschlimmerungen zur Folge hat, wie sie v. Michel, 
Haab, Manz, Uhthoff, Hess und Stock beschrieben haben, so 
werden wir ihrer in der Ophthalmologie doch niemals ganz entraten 
können. Es scheint mir aber erforderlich, sie durch andere Me- 
thoden zu ergänzen, die technisch einfacher und für das Auge harm- 
loser sind und die aus bestimmten Gründen auch da noch eine tuber- 
kulöse Infektion anzeigen, wo die diagnostische Tuberkulininjektion 
negativ verläuft. Den Wert der im folgenden beschriebenen Methoden 
hoffe ich dureh meine klinischen Untersuchungen erwiesen zu haben. 

In dem Kapitel des ersten Teils, das von den experimentellen 
Grundlagen einer ophthalmologischen Serotdiagnostik handelt, ist das 
wesentliche bereits gesagt, das auch für den Nachweis der Tuber- 
kulose gilt. Ich habe bereits früher (2-4) mitteilen können, dass in 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 47 


ähnlicher Weise, wie bei andern Antigenen, auch unter dem Einfluss 
des tuberkulösen im Auge eine lokale Antikörperbildung, eine Bildung 
des sogenannten Antituberkulins erfolgt, die gelegentlich auf das Auge 
beschränkt bleibt, gelegentlich aber auch zu einem Übertritt des be- 
treffenden Antikörpers in den Kreislauf führt. Ein greifbarer Aus- 
druck dieser Antikörperbildung, die durch Komplementbindung nach- 
weisbar ist, sind dann gewisse Immunitätserscheinungen, auf die ich 
neuerdings (10) hinweisen konnte. — Analog liegen zweifellos die 
Verhältnisse bei den Immunitätsvorgängen, die sich im menschlichen 
Auge nach einer endogenen tuberkulösen Infektion abspielen. Die 
Natur des als Antituberkulin bezeichneten Antikörpers ist zwar noch 
nicht seiner Bedeutung nach vollkommen geklärt. Als das Produkt 
eines spezifischen, allergetischen Vorganges ist er. aufzufassen und 
als solcher findet er sich auch gelegentlich im Humor aqueus des 
tuberkulösen Menschenauges. In drei Fällen von tuberkulöser Kera- 
titis parenchymatosa gelang es mir, im Kammerwasser einen Ambo- 
ceptor mit spezifisch bindender Gruppe für Tuberkulin nachzuweisen. 
Damit ist die Möglichkeit gegeben, ähnliche Stoffe auch im Kreis- 
lauf zu finden und nachzuweisen. Bei allgemeinen tuberkulösen Er- 
krankungen ist das früher bereits gelungen, und so liegen Beobach- 
tungen von J. Citron (21), Lüdke (22,23) und mir (24,10) vor, aus 
denen hervorgeht, dass gelegentlich der Organismus im stande ist, 
auf eine tuberkulöse Infektion mit der Bildung von Antituberkulin 
zu reagieren, genau so, wie es das fast regelmässig unter dem Ein- 
fluss einer regelrechten Tuberkulinkur tut. Während derartige Anti- 
tuberkulinbefunde im Blutserum von tuberkulösen Lungenkranken bis- 
her nicht gerade häufig erhoben werden konnten, ist es mir bei meinen 
Untersuchungen von tuberkulösen Augenkranken aufgefallen, dass sich 
unter diesen eine verhältnismässig grosse Anzahl fand, deren Serum 
mit Tuberkulin zusammengebracht eine spezifische Hemmung der 
Hämolyse gab. Dieser Ausdruck für das Vorhandensein von Anti- 
tuberkulin könnte im ersten Augenblick befremden. Eingehendere 
Betrachtungen, die vorläufig nicht mehr als hypothetischen Wert 
beanspruchen können, dürften die Tatsache erklären. Wright(103) 
hat in seiner Opsoninlehre, der vielleicht in diagnostischer ebenso 
hoher Wert zukommt wie in therapeutischer Hinsicht, gezeigt, dass 
gerade die örtlichen, in ihrer Ausdehnung wohl begrenzten Erkran- 
kungen tuberkulöser Natur einer spezifischen opsonischen Therapie 
besonders zugänglich sind. Er findet bei diesen lokalen Tuberkulosen 
andere Immunitätsverhältnisse, als bei der Lungentuberkulose Es 


48 A. Leber 


ist denkbar, dass die Lunge bei ihrem ausserordentlich regen Flüssig- 
keitswechsel, bei dem fortgesetzten Gasaustausch, der in ihr statthat, 
aber vor allem auch durch den mechanischen Einfluss ihrer rhyth- 
misch schwankenden Volumsverhältnisse weniger geeignet ist, spezi- 
fische Antikörper zu bilden, als ein Gewebsbezirk, der sich mehr in 
biologischem Gleichgewicht und physikalischer Ruhelage befindet. 
Die klinischen und pathologisch-anatomischen Merkmale, durch die 
sich tuberkulöse Erkrankungen der Lunge von den schärfer um- 
schriebenen anderer Organe und der Haut unterscheiden, sind oft 
genug beschrieben worden, so dass ich mich auf sie als eine Er- 
gänzung zu dem Gesagten beziehen kann. Das Auge und seine tuber- 
kulösen Affektionen lassen sich ohne Zwang unter die lokalen Tuber- 
kulosen eingliedern. In klinischer Hinsicht hat v. Michel (3, 89) 
zuerst darauf hingewiesen und betont, dass die Augentuberkulose 
oft der einzige Ausdruck einer stattgehabten Infektion ist. In in- 
munisatorischer Hinsicht aber auch entsprechen sie den uns bekannten 
Lokaltuberkulosen, die lange Zeit auf ihren Ausgangspunkt beschränkt 
bleiben, und deren Hauptmerkmal der benigne Charakter und die 
Tendenz zur Selbstheilung sind. Dass die Immunititsvorgünge, die 
Reaktion des Organismus durch vermehrte Receptorenbildung dafür 
massgebend sind, ist nach allen unsern bisherigen Erfahrungen, die 
aus der Ehrlichschen Lehre gewonnen wurden, selbstverständlich. 
Wahrscheinlich, wenn auch nicht erwiesen, ist dieser Unterschied 
durch die biologischen Verhältnisse des Organismus und sein Ver- 
mögen der Antikörperbildung zu erklären. Minder verständlich wäre 
es, wenn Eigenschaften des infizierenden Virus diesen Unterschied 
bedingten. Wie dem auch immer sei, der oft scharf umschriebene 
Charakter tuberkulóser Prozesse am Auge, ihre Tendenz zu Rück- 
bildung (Th. Leber(104)| und Heilung, auf die Stock(102) neuer- 
dings in bemerkenswerter Weise hingewiesen hat, zeigen, dass hier 
besondere Immunitätsverhältnisse vorliegen, die einmal im klinischen 
Verlauf, ein andermal in der vermehrten Antikörperbildung zum Aus- 
druck kommen. Ein dritter Beweis dessen ist der Erfolg, den wir 
bei der Tuberkulintherapie dieser Erkrankungen beobachten. 


II. Methoden des Tuberkulosenachweises auf Grund allergetischer 
Erscheinungen. 

Die Methoden, die das oben aufgestellte Postulat erfüllen und 

daher für die Diagnostik der tuberkulösen Augenerkrankungen ge- 

eignet sind, beruhen auf Phänomenen, die als Allergieerscheinungen 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 49 


zu deuten sind. Während mit dem Begriff von Immunität und Im- 
munitätsvorgängen die Vorstellung von etwas heilsamem und für den 
Körper nützlichem untrennbar verknüpft ist, sagt die Bezeichnung von 
Allergie in der von v. Pirquet (105) aufgestellten Anschauung nur 
aus, dass sich der Organismus in einem Zustand veründerter Re- 
aktionsfähigkeit befindet. Diese Veränderung der Reaktionsfähigkeit, 
die durch die Bekanntschaft des Organismus mit irgendeinem orga- 
nischen, lebenden oder leblosen Gift ausgelöst wird, kann sich nach 
quantitativer, qualitativer und zeitlicher Richtung erstrecken. Der- 
artige Zustandsänderungen müssen bei gewissen Vorgängen zum 
Ausdruck gelangen, und wo das der Fall, verdienen sie in diagno- 
stischer Beziehung eine ebenso hohe Wertung, wie diejenigen, die 
als echte Immunitätsphänomene eine stattgehabte Infektion beweisen. 

An erster Stelle sei die Komplement-Bindung erwähnt. Da sie 
zum Nachweis sowohl eines Antigens wie des zugehörigen Ambo- 
ceptors dient, so kann ihre Anwendung auf ophthalmologische Dinge 
eine doppelte sein. Gilt es den spezifischen Antikörper, d. h. Anti- 
tuberkulin im Blutserum, oder, was gelegentlich auch vorkommen mag, 
in Gewebsteilen nachzuweisen, so wird man sich eines bekannten 
Antigens, d. h. des Tuberkulins bedienen, um festzustellen, ob unter 
dessen Einfluss eine Bindung des Komplements erfolgt. Aber auch 
zum Nachweis des Antigens ist die Methode anwendbar. In dieser 
Beziehung hat sie eigentlich nur theoretische Bedeutung, denn in 
Fällen, wo dem Untersucher hinreichend grosse Gewebsteile zur Ver- 
fügung stehen, um daraus ein wirksames, antigenhaltiges Extrakt zu 
gewinnen, werden meist auch die histologischen und bakteriologischen 
Untersuchungen eine Sicherung der Diagnose erlauben. Immerhin 
ist es interessant, dass ich unter Anwendung eines Antituberkulin- 
haltigen Kaninchenserums in einem Extrakt, das aus tuberkulösen 
Granulationen der Conjunctiva gewonnen war, das spezifische Antigen 
nachweisen konnte. 

Was die Technik anlangt, so ist zu bemerken, dass sie schwieriger 
ist, als bei dem serologischen Lues-Nachweis. Fällt auch dabei die 
Beschaffung eines wirksamen Organ-Extraktes fort, das, wie erwähnt, 
durch ein entsprechendes Tuberkulin ersetzt wird, so sind doch die 
Fehlerquellen, die Berücksichtigung verdienen, an Zahl und Bedeu- 
tung nicht gering. Es ist das von allen Autoren, die sich mit dieser 
Methode praktisch beschäftigt haben, betont worden. Sie sind so 
bemerkenswert, dass Weil und Nakajama (106) sogar ihre Verwert- 
barkeit, Morgenroth und Rabinowitsch(107) ihre strenge Spezifizitüt 

v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 1. 4 


50 A. Leber 


anzweifeln konnten. Durch die Arbeiten von Citron und Lüdke 
und meine eigenen experimentellen Untersuchungen hat sich aber 
der Wert dieser Methode bestätigen lassen. Zuverlässige Resultate 
kann man aber nur dann von ihr erwarten, wenn sie mit sorgfältiger 
Technik unter Einhaltung der vorgeschriebenen Versuchsanordnung 
ausgeführt wird. Eine Hauptschwierigkeit erwächst dem Experimen- 
tator dabei aus der Beschaffung eines brauchbaren Tuberkulins. Da 
zahlreiche Präparate bereits für sich allein, eine Hemmung der Hä- 
molyse, durch Bindung des Komplements geben, ist die Kenntnis 
dieses Bindungsvermógens Vorbedingung für einen zuverlässigen Versuch. 
Zahlenmässige Angaben lassen sich in der Beziehung nicht geben, 
nur ist es selbstverständlich, dass man nur eine Tuberkulindosis wird 
anwenden können, die für sich keine Beeinflussung der Hämolyse 
verursacht und deren doppelte Menge den hämolytischen Vorgang 
auch noch nicht wesentlich beeinflusst. Ist diese Dosis zum Beispiel 
0,1ccm, so ist es zweckmässig, sie auch noch in halber Menge zu 
verwenden, um jeden unspezifischen Einfluss, der, wie ich zeigen 
konnte, auf der Gegenwart von Lipoiden beruht, auszuschliessen. 
Empfehlenswert ist es ferner, ein starkes hämolytisches System 
zu verwenden, da unter dem Einfluss des Tuberkulins die Hämolyse 
meist langsamer verläuft, als bei Anwendung von Organextrakten. 
Durch ein hochwertiges Hämolysin wird der Verlauf des Versuchs 
beschleunigt, seine Ditferentialwerte deutlicher. Mehr noch als bei 
den Luesversuchen ist hierbei eine Beobachtung des Versuches not- 
wendig, da die Unterschiede, auf die es ankommt, nicht selten nach 
längerem Stehen der Flüssigkeit an Sinnenfälligkeit verlieren. Zweck- 
mässig ist es ferner, stets mehrere Sera auf eınmal zu untersuchen, 
mindestens mehrere von Patienten, die für Tuberkulose ganz unver- 
dächtig sind und mindestens ein Serum, das vordem auch im sero- 
logischen Versuch als tuberkulös erkannt worden ist. Werden mehrere 
derartige Sera zum Vergleich herangezogen, so steigert das nur die 
Zuverlässigkeit des Ergebnisses, da, wie bei allen biologischen Reak- 
tionen, auch hierbei gelegentlich Resultate erzielt werden, deren Be- 
urteilung schwierig oder gar unsicher ist. Ich habe deshalb nur 
ganz deutliche Unterschiede berücksichtigt und als positiv angesehen. 
Reaktionen, bei denen eine vermehrte Bindung des Komplements für 
die Anwesenheit von Antituberkulin sprach, die aber so gering war, 
dass sie noch fast innerhalb der Fehlergrenzen einer Methode liegen, 
deren Wesen. wir noch nicht ganz kennen, habe ich als - bezeichnet 
und deshalb als nicht voll beweisend erachtet. Bemerkenswert ist, 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 5] 


dass ihr Vorkommen meist doch bei Fällen beobachtet wurde, deren 
klinisches Bild durch eine tuberkulöse Infektion in befriedigender 
Weise hätte erklärt werden können. Deutlich positiver Antituber- 
kulingehalt im Serum fand sich nur bei tuberkulösen und solchen 
Kranken, deren Symptome auf Tuberkulose erfahrungsgemäss zurück- 
zuführen waren. 

Da der serologische Antituberkulinnachweis, infolge der beson- 
deren Verhältnisse, welche die Antikörperbildung beherrschen, vor- 
läufig nur in einer gewissen Anzahl von Fällen gelingt, so bedarf es 
weiterer diagnostischer Ergänzungen. 

In dem Phänomen der cutanen Tuberkulinreaktion, das als eine 
Erscheinung lokaler Überempfindlichkeit zuerst von v. Pirquet be- 
obachtet und in seiner Bedeutung erkannt wurde, besitzen wir eine 
Methode, deren negativer Ausfall, wenigstens beim Erwachsenen, 
mehr beweist, als der positive. Wie v. Pirquet zeigen konnte, 
handelt es sich bei dieser Reaktion um die Äusserung eines Über- 
empfindlichkeitszustandes, in den der Organismus gelangt, unter dem 
Einfluss des tuberkulösen Virus. Während sich dieser Zustand unter 
den Erwachsenen, nicht nur bei Individuen mit floriden tuberkulösen 
Prozessen, sondern auch bei solchen, deren Allgemeinzustand und 
subjektives Wohlbefinden eine nennenswerte tuberkulöse Affektion 
ausschliessen lassen, ist es für Kinder der ersten Lebensjahre der 
Ausdruck eines nicht erloschenen Krankheitsherdes. 

Bei der Reaktion verfährt man in der von v. Pirquet an- 
gegebenen Weise, indem man an einer möglichst haarfreien Stelle 
der Körperhaut mittels eines kleinen Schabers nicht blutende Ero- 
sionen vornimmt, am besten drei, von denen man zwei mit 25°), Alt- 
tuberkulin betupft, während die dritte als Kontrolle für den trauma- 
tischen Reizzustand dient. Nach 2—4 minutenlanger Einwirkungs- 
dauer wird das überschüssige Tuberkulin abgetupft und der Verlauf 
der Reaktion während der folgenden Tage beobachtet. Ein positiver 
Ausfall erfolgt durch Rötung und Infiltration der betupften Stellen, 
die unter Umständen so stark werden, dass sie zu Quaddelbildung 
führen und Pusteln hinterlassen, die langsam abheilen. 

Sehr bemerkenswert sind die klinischen Erfahrungen, zu denen 
die Anwendung dieser Technik geführt hat (10S—111) und mit der 
sich seitdem eine Fülle von Publikationen befassen, auf die ich be- 
züglich der allgemein wichtigen Fragen verweisen muss. 

Eine experimentelle Beobachtung führte Wolff-Eisner (112) 
dazu, was v. Pirquet an der Haut vorgenonimen, in entsprechender 

4* 


52 A. Leber 


Weise, durch Instillation von Tuberkulin in den Conjunctivalsack, 
auf der Bindehaut des Auges zu wiederholen. Es zeigte sich, dass 
auch an dieser Stelle nach vorausgegangener allergetischer Umstim- 
mung des Organismus Überempfindlichkeitserscheinungen gegenüber 
Tuberkulin nachzuweisen sind. Diese sogenannte Conjunctivalreak- 
tion tritt vorwiegend bei tuberkulösen Individuen auf, ist aber in 
ihrem Vorkommen nicht auf diese beschränkt. Die von Calmette (113) 
aufgenommenen Untersuchungen, denen Citron(114) bald eine Be- 
stätigung an einem grösseren Material folgen lassen konnte, zeigten, 
dass die conjunctivale Reaktion eine diagnostisch sehr bemerkenswerte 
Erscheinung ist. Auf Grund seiner weiteren Untersuchungen kommt 
Wolff-Eisner zu dem Schluss (115, 116), dass der conjunctivalen 
Reaktion grössere klinische Bedeutung zukommt, als der cutanen 
Impfung. Die erstere, die durch das Auftreten von vermehrter Tränen- 
sekretion, fibrinösen Belägen auf der Karunkel, Chemosis, Lichtscheu 
und brennendem Gefühl charakterisiert ist, soll angeblich nur bei 
aktiven tuberkulösen Prozessen auftreten, während die Cutanreaktion 
auch inaktive Prozesse anzeigt. — Würde dieser vorläufig noch nicht 
bewiesene Unterschied sich weiterhin bestätigen lassen, so würden wir 
darin eine ausserordentlich wichtige Differenzierungsmethode besitzen. 
Es sei aber an dieser Stelle bemerkt, dass bei der Cutanimpfung 
nach v. Pirquet 25?|, bei der Conjunctivalreaktion von Wolff- 
Eisner nur 1—2°, Tuberkulin zur Anwendung gelangt. Bei der- 
artig grossen quantitativen Unterschieden der Reaktionsdosen scheint 
mir ein uneingeschränkter Vergleich der beiden Phänomene unzu- 
lässig. 

Wie nun aber die Cutanreaktion in ihrer Anwendungsweise sehr 
beschränkt ist, durch die Häufigkeit ihres positiven Ausfalles bei an- 
scheinend gesunden, d. h. nicht tuberkulósen Menschen, so trifft eine 
ähnliche Einschränkung die conjunctivale Reaktion. Wenig später, 
nachdem sie in ausgedehnterer Weise und uneingeschränkter Freigabe 
zur Verwendung gelangt war, zeigten sich eine Reihe von Folgezu- 
ständen, die eigentlich a priori zu erwarten waren. Schon bei den 
ersten Versuchen bei anscheinend gesunden Augen, in vermehrtem 
Masse bei solchen mit katarrhalischen und phlyktänulären Erscheı- 
nungen, traten ım Anschluss an die Tuberkulininjektion schwere 
Komplikationen ein: Phlyktänen, Keratitiden und vor allem Follikel- 
bildung und Granulationen auf der Conjunetiva bulbi und palpebra- 
rum. Auf Grund eigener ungünstiger Erfahrungen (24) konnte ich 
bereits kurz nach dem Bekanntwerden der Reaktion vor ihrer unein- 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 53 


geschránkten und vor allem vor ihrer Anwendung bei Augenerkran- 
kungen warnen. Wenig später haben dann auch Pfaundler und 
Feer Phlyktänen im Anschluss an die Reaktion auftreten sehen. 
Wenn dann de Lapersonne (117) unter 100000 Reaktionen etwa 
nur 10—12 ernstere Komplikationen sah, und Francke(118) in 
24 Fällen überhaupt keine, so mag das im letzteren Fall durch die 
geringe, im ersteren durch die grosse Zahl von Kranken bedingt sein, 
deren eingehende Beobachtung sich wohl nur auf kurze Zeit erstreckt 
hat. — Im Gegensatz dazu stehen ausser den meinigen die Angaben 
von Klieneberger(117, 118), von Plehn (119), Wiens und Gün- 
ther(120), Gaupp (121), Eppenstein (122) und Collin (123), die 
sämtlich mehr oder weniger ernste Folgezustände beobachten konnten. 
Gewisse, besonders schwere und für die Patienten von dauerndem 
Nachteile gebliebene Fälle sind später in die Literatur aufgenommen 
worden. Man hat für diese Komplikationen dann das betreffende, 
jeweils angewandte Tuberkulinpräparat verantwortlich gemacht. Bei 
dem französischen von Calmette zuerst angegebenen trifft das zu, 
ebenso bei dem ersten Höchster, dessen mehrfach Erwähnung ge- 
schah. Aber auch das jetzt als durchaus harmlos empfohlene Alt- 
tuberkulin ist in der zur Reaktion angewandten Dosis auch bei an- 
scheinend ganz gesunden Augen unter Umständen von deletärem 
Einfluss. Dass die Conjunctivalreaktion bei allen nur mit den aller- 
geringsten Symptomen erkrankten Augen zu unterbleiben hat, ist jetzt 
allgemein angenommen. Der folgende Fall beweist aber, dass damit 
die Möglichkeit ernster Komplikationen noch nicht ausgeschlossen ist. 


Frieda S. 23 Jahre. Verkäuferin. 


Im 7. Lebensjahr Diphtheritis und Masern. Seitdem gesund, bis zum 
3. VIII. 07, damals erkrankte Pat. mit Magenblutung und Magengeschwür- 
beschwerden. Nach einmonatlicher Behandlung geheilt entlassen. 


Am 12. II. 1908 wiederum Magenbeschwerden, deshalb Aufnahme ın 
die innere Abteilung eines berliner Krankenliauses, wo ConjJunctivalreaktion 
mit 1°% Höchster Alttuberkulin in der vorgeschriebenen Weise vorgenommen 
wurde. Im Anschluss an die Einträufelung sollen Schmerzen und Rötung 
des betreffenden Auges eingetreten sein. Die Entzündungserscheinungen 
sollen seitdem nicht mehr verschwunden sein und das Sehvermögen sich 
wesentlich verschlechtert haben. 


Die Untersuchung ergibt auf dem aflizierten rechten Auge eine sehr 
mässige Injektion der Gesamteonjunetiva, die Ifornhaut ist fast in ganzer 
Ausdehnung leicht, im Zentrum aber intensiv parenehymatös getrübt. Vas- 
kularisation besteht nicht, ebenso fehlen Symptome, die auf einen älteren, 
aus der Kindheit staminenden ekzematósen Prozess schliessen lassen könnten. 


54 A. Leber 


Visus: R. = Finger in 2m. Gläser bessern nicht. L. + 0,5 D = 1. 
Jäger 1. 

Mehr als alle früheren misslichen Erfahrungen scheint mir dieser 
Fall von einer ausgedehnten Anwendung der conj. Tuberkulinreaktion 
abzuraten. Ohne allen Zweifel ist die Methode unter gewissen Um- 
ständen von so ausserordentlichem Nutzen, dass sie in der internen 
Medizin eine begrenzte Rolle mit Recht wird behaupten können. Für 
die Augenheilkunde wäre sie'ein Danaergeschenk, wollte man sie da in 
ausgedehnter Weise zur Anwendung bringen. Bei Augen, die für 
den Sehakt nicht mehr in Betracht kommen, sind die aus der Reak- 
tion resultierenden Komplikationen verhältnismässig belanglos, da mag 
sie in besonders schwierigen Verhältnissen und nur mit dem Einver- 
ständnis der Patienten zur Aufklärung ätiologischer Fragen heran- 
gezogen werden, wenn andere Methoden versagt haben. 

Da auch die von Moro(126) angegebene Tuberkulinsalbe bisher 
noch zu keinen eindeutigen Ergebnissen geführt hat, ist jeder Ver- 
such, dies Ziel zu erreichen, an sich gerechtfertigt. Auf Grund 
experimenteller Resultate konnte ich beim Menschen mit einen fett- 
freien Tuberkulin befriedigende Impfungsversuche vornehmen, die sich 
derart gestalteten, dass mit diesem Präparat weitaus die Mehrzahl 
der Gesunden eine negative Reaktion gaben. Nach Vorversuchen 
und ausgedehnteren Erfahrungen bei andern Tuberkulosen (127) habe 
ich diese Cutanreaktion auch bei meinen diagnostischen Untersuchungen 
an Augenkranken verwandt. Ihre Zuverlässigkeit hat sich dabei 
weiterhin bestätigt, und da sie durch ihre Anwendung fern vom Auge 
harmlos ist, hat sie sich als nützlich erwiesen. Auch an nicht tuber- 
kulösen Augenkranken habe ich die Reaktion in häufiger Wieder- 
holung angestellt und dabei kein irreführendes positives Resultat er- 
zielt. Ich habe deshalb diese Methode bei meinen diagnostischen 
Untersuchungen an Augenkranken vorzugsweise angewandt. Häufig 
wurden Parallelversuche mit der v. Pirquetschen Methode angestellt. 
die aber nicht selten zu weniger eindeutigen Ergebnissen führte. 
Die Resultate und ätiologischen Erhebungen sind meist durch ver- 
schiedene Reaktionen gewonnen worden, deren Ausfälle untereinander 
verglichen wurden. Fast stets wurde auch bei den tuberkulösen 
Kranken eine serologische Untersuchung auf Lues vorgenommen und 
wo es erforderlich, eine Allgemeinuntersuchung von medizinischer 
Seite angestellt. Schliesslich wurden die bereits beschriebenen Metho- 
den in gewissen Fällen noch durch die Bestimmung des opsonischen 
Index ergänzt. Bezüglich dieser Technik muss ich auf das Referat 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. — 55 


von Rosenthal(128) verweisen, das die Opsoninlehre eingehend be- 
handelt. Hier mag es genügen zu erwähnen, dass unter Einhaltung 
einer stets gleichmässigen Technik die Methode zu Resultaten führt, 
die ausserhalb der Fehlermöglichkeiten liegen und die auch in diagno- 
stischer Beziehung für die Ophthalmologie von grossem Werte sind. 


III. Spezieller Teil. 


Nach den vorausgegangenen mehr theoretischen Erörterungen 
sollen im folgenden die praktischen Ergebnisse zusammengestellt 
werden, zu denen meine klinisch-diagnostischen Untersuchungen ge- 
führt haben. Da sie sich nur auf ein beschränktes Material sicherer 
Tuberkulosen, deren Natur einwandsfrei festgestellt werden konnte, 
beziehen, so habe ich hierbei zahlenmässige Erhebungen ganz unter- 
lassen. Diese werden weit umfangreicheren Untersuchungen vor- 
behalten bleiben müssen. Ich glaube aber durch die bisherigen den 
Beweis erbracht zu haben, dass wir durch die vorgeschlagenen Metho- 
den, deren Wahl durch die Natur des Falles bestimmt wird, in die 
Lage versetzt sind, nicht nur bei praktisch schwierigen Fällen deren 
ursächlichen Zusammenhang zu erkennen, sondern auch in theoretischer 
Beziehung unsere Auffassungen zu berichtigen oder zu ergänzen. 


1. Krankheiten der Bindehaut und der Adnexe des Auges. 


In Untersuchungen, die ich gemeinsam niit Prof. Hethey an dem 
poliklinischen Material der Berliner Univ.- Augenklinik vornehmen 
konnte, stellten wir fest, dass bei den untersuchten Kindern alle 
Fälle von tuberkulóser Keratitis parenchymatosa, Conjunctivaltuber- 
kulose, Lupus der Hornhaut stark und ausgesprochen auf die von 
Pirquetsche Cutanimpfung reagierten, wührend das gleiche bei den 
Fällen von ekzematöser Conjunctivitis etwa nur in 15 —80"/, zu ver- 
zeichnen war. Während zu diesen hauptsächlich Patienten mit pustu- 
lösen Randgeschwüren und sonstigen skrofulösen Erscheinungen ge- 
hörten, hatten die übrigen fast nur die besprochene Augenveränderung. 

Dies Verhalten weist auf gewisse Beziehungen zwischen tuber- 
kulösen und skrofulösen Erscheinungen, die neuerdings auch durch 
das bereits erwähnte Auftreten von Phlyktänen im Anschluss an eine 
Conjunctivalreaktion wahrscheinlich gemacht worden sind. Auf das 
Wesen dieser Beziehungen einzugehen muss ich mir für später und 
an anderer Stelle vorbehalten. 

In einem Fall, der als Tuberkulose «der Tränendrüse diagnosti- 
ziert worden war (Nr. 187), hei dem sich an den Ausführungsgängen 


56 A. Leber 


der Drüse kleine, als Tuberkelknötchen aufgefasste Gebilde nach- 
weisen liessen, fand sich Antituberkulin im Serum, die Serumreaktion 
auf Lues war negativ, dagegen war die Cutanimpfung mit fettfreiem 
Tuberkulin ebenfalls positiv. 


Nr. 65. Karl S. 

Klinische Diagnose: Tuberkulose der Lidbindehaut? 

Antituberkulin im Serum —. 

Syphilitische Antikörper fehlen. 

Mikroskopische Untersuchung eines excidierten Gewebsstückes: Typisch 
tuberkulóse Neubildung mit Tuberkelknótehen und Riesenzellen. 


Die Untersuchung von zwei Füllen von Mikuliczscher Krank- 
heit, deren erster bereits von O. Napp (63) publiziert, deren zweiter 
ebenfalls von ihm mikroskopisch untersucht wurde, gab jeweils eine 
negative Luesreaktion. Dagegen fand sich beim ersten Antituber- 
kulin im Serum, wührend beim zweiten die Hautimpfung mit meinem 
fettfreien Tuberkulin schwach positiv verlief. 


2. Krankheiten der Hornhaut. 


In dem Abschnitt über lokale Antikörperbildung habe ich bereits 
erwähnt, dass es mir in drei Fällen von tuberkulöser Keratitis paren- 
chymatosa gelang, spezifische Antikörper als Antituberkulin nachzu- 
weisen, die in der Kontrolle normalen Kammerwassers fehlte. Zur 
näheren Orientierung mögen die folgenden Krankengeschichten dienen. 


Fall 18. Anastasia G. 34 Jahre. Kutschersfrau. 


R. Abgelaufene Skleritis. L. Sklerokeratitis tuberculosa. 

Anamnese: Ohne Besonderheiten. 

Allssemeinuntersuchung ergibt: Über der rechten Lungenspitze: gedämpften 
Perkussionssehall. Knistern und vereinzelte kasselgeräusche. Tiefstand der 
rechten Lungenspitze. 


Fall 20. Bruno B. 16 Jahre. Arbeiter. 


Diagnose: Sklerotisehe Knoten, r. am oberen äusseren, l. am unteren 
Hornhautrand. 
Allgemeinuntersuchung: Catarrhus apicis sinistri. 


Fall 21. Otto K. 8 Jahre. Schüler. 8. VIL 07. 

Anamnese: Seit Mitte Februar 1906 Erkrankung des rechten Auges. 
VINIL. 1906 Tuberkulinbehandlung. — Seit Ostern 1907 Entzündung des 
linken Auges. 

Untersuehungsbefund: R. reizlos. Hornhautzentrum, dichte Maeula, da- 
her kein Einblick. L. starke ciliare Injektion. Unten, aussen vom Horn- 
hautzentrum: parenehvmatóse Hornhauttrübung. Iris hyperämisch. Kein 
Einblick — 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 57 


Cutanimpfung (v. Pirquet) stark positiv. 
Aus dem Verhalten des Serums, bzw. dem Ausfall der Hautreak- 
tionen wurde in den folgenden Fällen die tuberkulöse Atiologie bestätigt. 


Fall 174. Frau H. K. 40 Jahre. 


R. Sklerosierender Prozess in der oberen Hälfte der Hornhaut. 

Anamnese: Ohne Belang. 

Diagnose: Lues oder "Tuberkulose. 

Serologische Untersuchung: Lues negativ, Autituberkulin positiv, Cutan- 
reaktion (fettfr. Tuberkulin) +. 


Fall 206. Wilhelmine H. 63 Jahre. 


Anamnese: Ohne Besonderheiten. Augenleiden angeblich erst seit wenigen 
Monaten bestehend. 

Befund: Präcipitate auf der Hinterfläche der Hornhaut, ebenda fast am 
Limbus zwei kleine Knótchen.  Iritis. 

Diagnose: Tuberkulose der Hornhaut. 

Serodiagnostische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +. 


Fall 314. Ernst C. 21 Jahre. Buchbinder. 


Anamnese: Kein Anhalt für Tuberkulose. Eltern und Geschwister ganz 
gesund. 

Diagnose: R. Keratitis parenchymatosa. Lues oder Tuberkulose? 

Serodiagnostische Untersuchung: Luesantikörper O. Antituberkulin O. 
Cutanreaktion (fettfreies Tuberkulin) stark positiv. 


Fall F. 27. Helmine P. 16 Jahre. 


Anamnese: Vor 7 Jahren lungenkrank (Lungenblutungò. Seit einem 
Jahr augenkrank. Angeblich Besserung durch Tuberkulinbehandlung. 

Diagnose: Keratitis parenchymatosa tuberculosa. 

Cutanreaktion (fettfreies Tuberkulin) +. 


Wenn die vorerwühnten Fülle durch die serologische Unter- 
suchung eine Sicherung der Diagnose erfahren haben, so trifit das in 
der gleichen Weise naturgemäss längst nicht für alle Patienten zu. 
Nicht selten — und gerade bei einem grossstädtischen Material wird 
das häufiger sein, als bei einem, das sich mehr aus einer ländlichen 
Bevölkerung rekrutiert — findet sich neben einer hereditären oder 
acquirierten Lues eine nachweisbare tuberkulöse Aftektion. Ich ver- 
füge über zwei derartige Fälle (Nr. 47 und 69), beides schwere Kera- 
titis parenchymatosa, in denen die serologische Untersuchung svphilitische 
und tuberkulöse Antikörper nachwies. Dem entsprach auch die All- 
gemeinuntersuchung, die ebenfalls in beiden Fällen ausgesprochene tuber- 
kulöse Erkrankung der Lungen feststellte. — Unter derartigen Um- 
ständen wird es nahezu unmöglich sein, die Ursache des Augenleidens 
auf die eine oder die andere Ursache zurückzuführen. Wahrschein- 


58 A. Leber 


lich wird unter dem Einfluss der doppelten Schädigung der primäre 
Prozess gesteigert sein, so dass an ihm auch der zweite Infekt zur 
Geltung kommt. — Handelt es sich dagegen um zwei unabhängig von- 
einander verlaufende Affektionen, so wird das klinische Bild, der Ver- 
lauf und vor allem der Einfluss therapeutischer Massnahmen die 
einzig mögliche Entscheidung bringen. 


3. Krankheiten der Sklera. 

Von den untersuchten Erkrankungen der Sklera seien hier nur 
zwei Fälle erwähnt, von denen der zweite besondere Beachtung 
verdient. 

Beim ersten (Nr. 124) handelte es sich um ein junges Mädchen, 
das vor fünf Jahren angeblich wegen tuberkulöser Skleritis behandelt 
worden war. Zur Zeit der Untersuchung bestand die Entzündung 
wieder seit zwei Monaten. Im Blutserum fanden sich weder Anti- 
tuberkulin noch Syphilisantikörper, dagegen verlief eine diagnostische 
Tuberkulininjektion positiv, ebenso wie die Cutanimpfung, zu deren 
Ergänzung sie vorgenommen worden war. 


Fall 30. Frl. H. 26 Jahre. Gesellschafterin. 16. IX. 07. 


Anamnese: Seit 8 Jahren häufig rezidivierende Skleritis. Während dieser 
Zeit leidlich gutes Sehvermögen und normaler Spiegelbefund des Augen- 
hintergrundes. Seit 8, Jahren erhebliche Abnahme des Sehvermógens und 
Auftreten von zahlreichen chorioiditischen Veränderungen in der Gegend der 
Macula und der Peripherie. 


Untersuchungsbefund: Chorioretinitis centralis und ausgedelinte cho- 
rioiditische Herde im Äquator der Chorioidea. * 


Allgemeinuntersuchung ergab in wiederholten Malen keinen átiologischen 
Anhalt, keine Zeichen von Lues oder Tuberkulose. 


Bei der serologischen Blutuntersuchung stellte ich Antituberkulin im 
Serum fest, syphilitische Antikörper fehlten. Bei dem sonst doch recht 
unklaren Fall entschloss ich mich, die serologische Diagnose durch eine 
diagnostische Tuberkulininjektion zu kontrollieren. Der Verlauf bestätigte 
das Resultat der ersten Reaktion, war aber insofern ein sehr auffallender, 
als weder 'lemperatursteigerung noch Herderscheinungen am erkrankten 
Auge auftraten. Das andere, anscheinend ganz gesunde Auge reagierte da- 
geven; etwa acht Stunden nach der Injektion klagte Patientin über etwas 
schlechteres Sehen auf diesem Auge. Nach 24 Stunden bestanı eine in- 
tensive Injektion der palpebralen, eine geringere der bulbären Conjunetiva. 
Die Schwellung der Bindehaut und die daraus resultierenden Beschwerden 
gingen bis zum Abend des zweiten Tages zurück. Bemerkt sei noch, dass 
nach der Injektion eine an der Lippe befindliche Erosion zu einem llerpes- 
bläschen exacerbierte. 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 59 


4. Krankheiten der Iris und des Ciliarkórpers. 


v. Michel hat zuerst nachdrücklich auf die Tuberkulose als Ur- 
sache der Iritis hingewiesen, die seiner Ansicht nach ebenso häufig 
tuberkulóser wie syphilitischer Natur ist. Auch auf die klinisch be- 
merkenswerten Merkmale und differentialdiagnostisch wichtigen Symp- 
tome hat er bereits in seinem Lehrbuch (3) hingewiesen. Neuerdings 
haben die wichtigen Untersuchungen von Stock(102) diese Ansicht 
durch experimentelle Beläge gestützt. Wenn auch nach diesen Be- 
funden gewisse klinische Bilder beim Menschen einer zuverlässigeren 
Deutung zugänglich sind, so bleibt der endgültige Entscheid doch 
dem Nachweis des wirklichen ätiologischen Faktors vorbehalten. In 
einer grösseren Reihe von Iritiden bzw. chronischen Entzündungen 
der Iris und des Ciliarkörpers ist es mir unter Ausschluss einer 
luetischen Infektion gelungen, die tuberkulöse nachzuweisen. Da es 
sich durchweg um lebensfähige Augen handelte, bin ich nicht in der 
Lage, über anatomische Befunde zu berichten. Da, worauf Denig (129) 
bereits hingewiesen hat, die Augentuberkulose bekanntermassen als 
echte Lokalerkrankung vorkommt, war es auch hier nur in einer Reihe 
von Fällen möglich, anderweitige sichere Zeichen von Tuberkulose 
festzustellen, und das um so mehr, als ich versuchte, diagnostische 
Tuberkulininjektionen tunlichst zu vermeiden. 

Das Nähere ist aus den Krankengeschichten ersichtlich: 


Nr. 31. Gertrud Sch. 24 Jahre. Buchhalterin. 

Seit 16. Lebensjahr Entzündung beider Augen. 

Befund: Bds. Maculae corneae. — Iritis. Zahlreiche hintere Synechien. 
— Reichlich Präcipitate auf der Hornhauthinterflüche. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +. 


Nr. 53. Karl U. 34 Jahre. Schneider. 


Anamnese: Ohne Besonderheiten. 

Befund: R. Iritis serosa. 

" Allgemeinuntersuchung: Abgesehen von arteriosklerotischen Verände- 
rungen keine krankhaften Erscheinungen. 

Serologisehe Untersuchung: Luesantikórper O.  Antituberkulin -l-. 


Nr. 64. Luise Z. 20 Jahre. Landwirtstochter. 31. X. O7. 

Anamnese: Von Kindheit an schwächlich. Seit Febr. 07: R. Iritis, die 
acht Tage später auch am andern Auge auftrat. Trotz Behandlung Ver- 
schlimmerung. 

Befund: Ciliarinjektion. Hinterfläche der Hornhaut dicht mit feinen 
und grobklumpigen Präcipitaten bedeckt. Pupille unregelmässig. Zahlreiche 
hintere Synechien. Subfebrile Temperaturen. 

Allgemeinuntersuchung ergibt keinen ätiologischen Anhalt. 


60 A. Leber 


Diagnose: Tote tuberculosa? 
Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +. 


Nr. 81. Frau K. 34 Jahre. Kaufmannsfrau. 


Anamnese: Seit mehreren Jahren rezidivierende doppelseitige Iridocyclitis. 

Allgemeinuntersuchung: Ohne besonderen Befund. | 

Befund: Bds. Iridocyelitis, mit hinteren Synechien und Präcipitaten. — 
Trotz Atropinbehandlung und Zg-Therapie keine Besserung. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +. 


Nr. 83. Wilhelm T. 30 Jahre. Werkmeister. 14. XI. 07. 


Anamnese: Luetische Infektion bestimmt negiert. 

Seit 16. X. 07. Entzündung des rechten Auges und Verschlechterung 
des Sehvermógens. 

Befund: R. Iritis serosa mit starken Glaskórpertrübungen. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Antituberkulin +. 


Nr. 87. Katharina K. 28 Jahre. Dienstmagd. 14. XI. 07. 


Anamnese: Früher Rheumatismus, im April 1907 Lungenspitzenkatarrh. 
Befund: Bds. Iridoeyelitis mit Präcipitaten und Glaskörpertrübungen. 
Allgemeinuntersuchung: Zurzeit kein Anhalt für Tuberkulose. 
Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +. 


Nr. 96. Stanislaus M. 43 Jahre. Töpfer. 


Anamnese: Lues negiert. Seit zehn Jahren alle zwei Jahre Iritis. 
Befund: R. Iritis serosa. 

Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +. 


Nr. 108. Rosa R. 23 Jahre. Händlerstochter. 


Anamnese und Allgemeinuntersuchung geben keinen ätiologischen Anhalt. 

Befund: R. Abgelaufene Iritis. Hintere Synechien und Bindegewebs- 
stränge hinter der Linse. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +. 


Nr. 32. Elisabet M. 15 Jahre. 


Anamnese: Ohne Besonderheiten. 

Allgemeinuntersuchung: Apices suspect. 

Befund: L. Iritis. 

Im Verlauf der Erkrankung treten am Hornhautrand Knötchen auf, 
deren Aussehen die serologische Untersuchung bestätigt. 

Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Antituberkulin —. 

Seitdem ist bei Pat. ausgesprochene Tuberkulose der Lendenwirbelsäule 
aufgetreten. 

Nr. 54. Martin S. 24 Jahre. Gärtner. 

Anamnese: Ohne Besonderheiten. 

Allgemeinuntersuchung: Atleetio apicis dextri. 

Befund: L. akute, r. abgeheilte Iritis. 

Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Antituberkulin +. 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. — 6] 


Nr. 82. Katharina S. 23 Jahre. Gastwirtstochter. 


Anamnese: Vater an Tuberkulose gestorben. Patientin selbst bemerkt 
seit 5 Jahren beiderseitige Sehverschlechterung, die sich angeblich durch 
Schmierkur zeitweilig gebessert haben soll. 

Befund: Bds. Iritis. Grobe, klumpige Präcipitate auf der Membrana 
Descemetii. Bds. ringförmige Synechien. Keine Knötchenbildung auf der Iris. 

Allgemeinuntersuchung: Abgeselen von subfebrilen Temperaturen kein 
Anhalt für Tuberkulose. 

Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Antituberkulin + +. 
Diagnostische Tuberkulininjektion —. 


Nr. 168. Julius K. 29 Jahre. Arbeiter. 


Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne Zeichen von Tuberkulose. 

Befund und ophthalmologische Diagnose: Bds. Abgelaufene Iritis tuber- 
culosa. — Cataracta complicata, mit ausgedehnten hinteren Synechien. 

Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Antituberkulin —. 


Nr. 190. Marie E. 392 Jahre. 


Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten. 

Diagnose: L. alte Iridoeyelitis. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper O.  Antituberkulin + +. 
Cutanreaktion (fettfreies Tuberkulin) +—. 


Nr. 255. H. H. 42 Jahre. 


Anamnese: Kein Anhalt für Tuberkulose. Luetische Infektion streng negiert. 
Befund: L. Chronische Iridocyclitis mit Cat. secund. und Sekundär- 
glaukom. | 

Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Cutanrcaktion (fettfreies 
Tuberkulin) +. 


Nr. 326. Valeska D. 28 Jahre. Kaufmannsfrau. 22. VIII. O8. 


Anamnese: Seit 14. VIII. 08 augenkrank, sonst angeblich stets gesund. 
Lues negiert und nicht nachweisbar. 

Ophthalmologischer Befund: Bds. Iritis. 

Allgemeinuntersuchung: Affeet. apic. sinistri. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Cutanreaktion (fettfreies 
Tuberkulin) +. 


Nr. 344. Berta V. 31 Jahre. Büdnerstochter. 


Anamnese: Seit 1901 augenkrank, damals in klinischer Behandlung 
wegen tuberkulöser Iritis. Sonst angeblich gesund. 

Befund: Alte Cyelitis. — Ditfuse Glaskörpertrübungen. 

Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Cutanreaktion (fettfreies 
Tuberkulin) +. 


5. Kraukheiten der Chorioidea. 
Auch für die Chorioretinitis disseminata ist v. Michel(130) früh- 
zeitig zu der Ansicht gelangt, dass sie nahezu ebenso oft durch 


62 A. Leber 


Tuberkulose wie durch Lues hervorgerufen wird. Auch hierfür hat 
Stock (102) experimentelle Beläge geliefert. Eine in klinischer Hin- 
sicht nicht unwesentliche Ergänzung ist das serodiagnostische Ergeb- 
nis bei den folgenden Fällen meines Materiales. 


Nr. 110. Sannchen B. 20 Jahre. 


Allgemeinuntersuchung und Anamnese: Kein Anhalt für Lues oder 
Tuberkulose. 

Befund: Chorioiditis disseminata. 

Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Antituberkulin +. 


Nr. 149. Robert S. 47 Jahre. Schneider. 11. II. 08. 


Anamnese: Als Kind Knochenfrass, seit 8 Tagen angeblich Schwach- 
sichtigkeit auf dem linken Auge. 

Augenbefund: R. normal. L. frische chorioretinitische Herde in der 
Macula, ältere unterhalb davon. 

Allgemeinuntersuchung: Verschärftes Atmen über der rechten Lungen- 
Spitze. Am rechten Unterschenkel lange, breite, verschorfte Narbe. 

Ophthalmologische Diagnose: L. Aderhauttuberkulose? 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper O0.  Antituberkulin —. 


Nr. 182. Auguste K. 52 Jahre. Plütterin. 27. III. 08. 


Anamnese: Seit 4 Jahren augenkrank, sonst früher gesund. Vor mehreren 
Monaten Lungenspitzenkatarrh. 

Allgemeinuntersuchung: Lungenspitzenkatarrh. 

Augenbefund: Bds. Chorioiditis disseminata. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Antituberkulin —. 


Nr. 204. Friederike BB Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne 
Belang. 

Diagnose: R. Chorioiditis disseminata. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Antituberkulin +. 


Nr. 294. Frieda S. 9 Jahre. Schülerin. 


Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten. 

Befund: L. Hintere Corticalkatarakt. In der Peripherie chorioiditische 
Herde. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Cutanreaktion (fettfreies 
Tuberkulin) —. 


Nr. 316. August R. 29 Jahre. Arbeiter. 

Anamnese: Lues negiert. 

Allremeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten. 

Befund: Bds. Zahlreiche starke pigmentierte Herde in der Chorioidea, 
daneben kleine, gelblielie, frische Herde. Gefässveränderungen in der Peri- 
pherie. L. Frisehe Neuritis n. optiei, Ödem der Netzhaut. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper ©. Antituberkulin O. Cutan- 
reaktion (fetttreies Tuberkulin) +. 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 63 


Nr. 58. Minna S. 

Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten. 

Diagnose: R. Aderhauttuberkulose. 3 kleine Herde zwischen Papille 
und Maeula. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Antituberkulin —L. 


Nr. 296. August L. 29 Jalıre. Arbeiter. 


Anamnese: Nachtschweisse, sonst keine Zeichen von Tuberkulose. 
Lues negiert. 

Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten. 

Befund: R. In der Maculagegend kleiner, gelblich gefärbter Herd, 
unmittelbar darüber miliarer pigmentierter Herd. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Cutanreaktion (fettfreies 
Tuberkulin +. 


Nr. 299. Bruno St. 28 Jahre. Kaufmann. 


Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne Belang. 

Befund: Bds. In symmetrischer Anordnung in der Maculagegend je 
ein dunkel gefárbter Erkrankungsherd. 

Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Cutanreaktion (fettfreies 
Tuberkulin) —+. 


Nr. 987. Franz M. 43 Jahre. Arbeiter. 


Anamnese: Angeblich nie krank.  Lues negiert. 

Befund: R. In der nasalen Gegend stecknadelkopfgrosser Pigmentherd, 
daneben ein noch kleinerer Herd. Relatives zentrales Skotom. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Cutanreaktion (fettfreies 
Tuberkulin) —.  Opsonischer Index — 0,70. 


Nr. 79. Frl. R. 5. XI 07. 


Anamnese: Angeblich seit 2 Tagen Verschlechterung des Sehvermögens 
auf dem linken Auge. 

Befund: L. Chorioretinitis centralis. In der Maculagegend ziemlich 
scharf begrenzter Herd, von unregelmässiger Form, 1!/, Papillendurchmesser 
gross. Die umgebende Netzhaut graulich getrübt. Dem Herde entsprechen- 
des zentrales Skotom. 

Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +. 


6. Krankheiten der Netzhaut. 


Nr. 32. Elisabet M. 15 Jahre. 

Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne Anhalt für 'luberkulose. 

Befund: Neuritis n. optici. 

Grauweisse Herde entlang der Netzhaut. Gefässe in grosser Anzahl, 
die im Verlauf an Deutlichkeit sehr wechseln. 

Im weiteren Verlauf erscheint auch die eine Lungenspitze verdäehtig 
einer tuberkulósen Aflektion. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper O.  Antituberkulin --. 


64 A. Leber 


Nr. 337. Marta D. 34 Jahre. Wirtsfrau. 


Allgemeinuntersuchung: Rechts Lungenspitze suspekt. 

Befund: R. Papille blasser als links. Ödem der Netzhaut, entsprechend 
der Art. temp. sup. und oberhalb der Macula. 

Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Cutanreaktion (fettfreies 
Tuberkulin) +. 


IV. Zusammenfassung. 


1. Es gelingt in einer gewissen Reihe von Fällen sicher tuber- 
kulöser Augenerkrankungen, einen spezifischen Antikörper: Anti- 
tuberkulin im Blutserum durch die Methode der Komplementbindung 
nachzuweisen. 

2. Da das Antituberkulin bisher nur bei Tuberkulösen nach- 
gewiesen wurde, muss sein Vorkommen im Blutserum als spezifisch 
und pathognomonisch für Tuberkulose gelten. Sein Vorkommen im 
Blut berechtigt daher dazu, eine tuberkulöse Erkrankung anzunehmen. 

3. Unter Ausschluss einer syphilitischen Infektion wird das Vor- 
kommen von Antituberkulin ophthalmologisch unklare Fälle ätiologisch 
zu erklären im stande sein. 

4. Das Fehlen, einer. Antituberkulinreaktion ist kein Beweis 
gegen Tuberkulose, die positive Reaktion kein endgültiger Beweis da- 
für, dass die Augenerkrankung tuberkulöser Natur ist. Eine ein- 
gehende klinische Untersuchung muss daher mit der serologischen 
Diagnostik Hand in Hand gehen. 

5. Es können gleichzeitig eine syphilitische und eine tuberkulöse 
Infektion serologisch nachgewiesen werden. In solchen Fällen wird 
eine ätiologische Klärung, nach der objektiven Untersuchung, am 
ehesten durch den Erfolg der Therapie zu erwarten sein. 

6. In ganz seltenen Fällen kann die serologische Untersuchung 
des Kammerwassers (Komplementbindung, opsonischer Index) bei der 
Diagnostik herangezogen werden. 

T. Da es bei allgemeiner, bzw. bei Lungentuberkulose seltener, 
als bei lokalen, insonderheit Augentuberkulosen gelingt, Antituber- 
kulin im Kreislauf nachzuweisen, ist die Vermutung berechtigt, dass 
umschriebene Tuberkuloseherde für die Bildung von Antituberkulin 
bevorzugt sind. 

H Für die ätiolorische Klärung gewisser Krankheitsbilder sind 
der serologische Antituberkulinnachweis, unter Einhaltung der not- 
wendigen Kautelen, sowie die lokalen Tuberkulinreaktionen von prak- 
tischer Bedeutung. 





Serodiagnostische Untersuchungen bei Sypbilis u. Tuberkulose d. Auges. 65 


9. In einer Reihe von Fällen chronischer Iridocyclitis, sowie bei 
Chorioiditis disseminata, konnte deren tuberkulöse Ursache erwiesen 
werden. 


Literaturverzeichnist,. 


1) Leber, Th., Über die Ernährungsverhältnisse des Auges. IX. intern. ophth. 
Kongr. Utrecht 1899. 

2) — Die Cirkulations- und Ernährungsverhältnisse des Auges. Graefe- 
Saemisch, Handbuch 1903. 

3) v. Michel, J., Lehrb. d. Augenheilk. "Wiesbaden 1890. 

4) Löffler, F., Zur Immunitátsfrage. Mitteil. aus d. kaiserl. Gesundheitsamt. 
Bd. I. S. 134. 1881. 


5) Ehrlich, P., Experimentelle Untersuchungen über Immunität. Deutsche 
med. Wochenschr. Nr. 32. 1891. 
6) Calmette, M. Q, etDelarde, A., Sur les toxines non-microbiennes et le 


mécanisme de l'immunité par les tissus antitoxiques. Annal. de l'Inst. Pasteur. 
1596. p. 680. 

D Römer, P., Experimentelle Untersuchungen über Abrin-Immunität. v. Grae- 
fe's Arch. f. Ophth. Bd. LII, 1. 1901. 

8| v. Dungern, E., Die Antikörper. Jena 1903. 

9) Leber, A.„ Immunitätsverhältnisse der vorderen Augenkammer. v. (iraefe's 
Arch. f. Ophth. Bd. LXIV, 3. 1906. 

10) — Experimentelle Beiträge zur Kenntnis der biologischen Vorgänge bei 
Tuberkulose. Zeitschr. f. Hygiene. 1908. 

11) Pfeiffer, R, u. Marx, Die Bildungsstätte der Choleraschutzstoffe. Zeitschr. 
f. Hygiene. Bd. XXVII. 1898. 

12) Wassermann, A., u. Citron, J., Über die Bildungsstätten der Typhus- 
immunkörper. "Zeitschr. f. Hygiene. Bd. L. 1905. 

13) — Die lokale Immunität der Gewebe und ihre praktische Wichtigkeit. 
Deutsche med. Wochenschr. Nr 15. 1905. 

14) Bordet u. Gengou. Annal. de l'Inst. Pasteur. Bd. XV. S. 289. 1901. 

15) Gengou. Annal. de l'Inst. Pasteur. Bd. XVI. 1902. 

16) Neisser u. Sachs. Berl. klin. Wochenschr. Nr. 44. 190». 

Ui Friedberger. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 15. 19060. 

18) Wassermann, A. u. Bruck, Ist die Komplementbindung beim Entstehen 
spezifischer Niederschläge eine mit der Präcipitierung zusammenhängende 
Erscheinung oder Amboceptorenwirkung? Med. Klin. Nr. 55. 1905. 

19) Bordet u. Gengou. Compt. rend. de l'acad. des sciences de Paris. 3. VIII. 
1403. 

20) Wassermann, A., u. Druck, C, Experimentelle Studien über die Wirkung 
von Tuberkelbaeillenpräparaten auf den tuberkulós erkrankten Organismus. 
Deutsche med. Wochenschr. Nr. 12. 1906. 

21) Citron, J., Über Tuberkuloseantikórper und das Wesen der Tuberkulin- 
reaktion. Berl. klin. Wochenschr. Nr. 36. 1907. 

22) Lüdke, H., Über den Nachweis von Antituberkulin. Beitr. zur Klin. d. 
Tuberkulose. Bd. VIL 1907. 

23) — Tuberkulin und Antituberkulin. Münch. med. Wochenschr. Nr. 15. 16. 
1908 


24) Leber, A, Klinisches und Experimentelles zur Serodiagnostik der Angen- 
erkrankungen. Ber. über d. XX NIV. Vers. d. ophth. Ges. zu Heidelberg. 1901. 

25) Wassermann, A., Neisser, A„ u. Bruck, C., Eine serodiagnostische Reak- 
tion bei Syphilis. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 19, 1906. 








!) Da die Arbeit als Habilitationsschrift im Herbst 1908 abgeschlossen 
wurde, konnte nur die bis dahin erschienene Literatur berücksichtigt werden. 


v. Graefe’s Archiv Mr Ophthalmologie. LXXIII. 1. d 


6 6 A. Leber 


26) Detré. Wiener med. Wochenschr. 1906. 

27) Wassermann, A., Neisser, A., Bruck, C., u. Schucht. Zeitschr. f. 
Hygiene u. Infektionskrankh. Bd. LV. 1906. 

28) Wassermann, A., u. Plaut, F., Über das Vorhandensein syphilitischer 
Antistoffe in der Cerebrospinalflüssigkeit von Paralytikern. Deutsche med. 
Wochenschr. Nr. 44. 1906. 

29) Citron, J., Über Komplementbindungsversuche bei infektiósen und postin- 
fektiósen Erkrankungen, sowie bei Nährstoffen. Deutsche med. Wochenschr. 
Nr. 29. 1907. 

30) Leber, A. Internat. Kongr. f. Hygiene u. Demographie. 1907. 

31) Marie u. Levaditi, Sur la réaction des anticorps dans la paralysie générale 
et le tabes. Annal. de l'Inst. Pasteur. 1907. 

32) Morgenroth u. Stertz, Syphilitische Antikörper im Liquor cerebrospinalis 
von Paralytikern. Virchows Arch. Bd. CLXXXVIII, 1. 1907. 

33) Schütze, A., Wassermannsche Serodiagnostik bei Lues. Berl. klin. 
Wochenschr. Nr. 5. 1907. 

34) Cohen, C., Die Serodiagnose der Syphilis in der Ophthalmologie. Berl. klin. 
Wochenschr. Nr. 18. 1908. 

34) 1. Schumacher, Serumreaktion bei 110 Augenkranken. Münch. med. 
Wochenschr. 1908. S. 2467. 

34) 2. Wolff, De serologische Diagnose van de syphilis. Nederl. Tijdschr. v. 
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36) Leber, A. Med. Ges. Berlin. 1908. 

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4T 


— 


50 


— 


Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 67 


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68 A. Leber 


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98) Groenouw. Graefe-Saemisch Handbuch. 2. Aufl. 1904. 

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101) Kayser. klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1909. 

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103) Wright, Lecture on the opsonic-treatment. Lancet 1907. 

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106 Weil, E., u. Nakajama, Uber den Nachweis von Antituberkulin im tuber- 
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109) — Diagnostische Verwertung der Allergie. Wien. klin. Wochenschr. Nr. 41. 
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110) — Der diagnostische Wert der cutanen Tuberkulinreaktion. Wien. klin. 
Wochenschr. Nr. 28. 1901. 

111) — Tuberkulin-Diagnose durch cutane Impfung. Berl. klin. Wochenschr. 


20. V. 1901. 

112) Wolff- Eisner. Berl. med. Ges, 15. V. 1901. 

113) Calinette, A., Sur un nouveau procédé de diagnostice de la tuberculose 
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1907. 

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praktisch nicht brauchbare Methode. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 18. 
1908. 


119: Plehn, A., Die Ophthalmoreaktion auf Tuberkulin als diagnostisches Hilfs- 
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Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 69 


120) Wiens u. Günther. Münch. med. Wochenschr. Nr. 52. 1907. 

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122) Eppenstein. Med. Klin. Nr. 36. 1907. 

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124) de Lapersonne. Presse médicale. Nr. 99. 1907. 

125 Franke, ÜberOphthalmoreaktion bei Tuberkulose. Ee med.Wochenschr. 

‚ Nr. 48. 1907. 

126) Moro. Münch. med. Wochenschr. Nr. 5. 1908. 

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128) Rosenthal, W., Referat über die Wrightsche Opsoninlehre. Jahresber. 
über d. Ergebn. d. Immunitätsforsch. 1907. 

129) Denig, Über die Häufigkeit der Lokaltuberkulose des Auges. Arch. f. 
Augenheilk. Bd. XXXI. S. 359. 

130) v. Michel, J., Lehrb. d. Augenheilk. 2. Aufl. 


(Aus der Universitäts-Augenklinik in Bukarest.) 


Die pathologische Anatomie der Ophthalmoreaktion. 


Von 
Prof. Dr. G. Stanculeanu und D. Mihail. 


Mit Taf. I, Fig. 1—4. 


Obwohl man bis jetzt viel auf klinischem und experimentellem 
Wege über die Conjunetivalreaktion (Ophthalmoreaktion) auf Tuber- 
kulin gearbeitet hat, so ist doch das pathologisch-anatomische Studium 
dieser Reaktion ganz vernachlässigt worden. 

Alle mikroskopischen Untersuchungen, die bis jetzt über die Oph- 
thalmoreaktion gemacht worden sind, beschränken sich nur auf die 
cytologische Untersuchung der Conjunetivalsekretion, ohne jedoch ge- 
naue Resultate erlangt zn haben. So konstatierte z. B. Sahrazos 
(„Eolia haematologica* 1907) in. der. Conjunetivaltlüssigkeit das Vor- 
kommen zahlreicher alterierter Epithelialzellen, der Polynukleose und 
sehr weniger Lymphocyten und grosser Mononuklearen. Dietschkv 
fand Polynukleose und Eymphoeytose. Mongour und Brandeis 
wiesen die Bildung von Fibrin nach. F. Lévy fand Lymphocyten- 
gruppen. 

Zum ersten Male publizierte einer von uns!) in den Klinischen 
Monatsblättern für Augenheilkunde, April 1909, eine histologische 
Untersuchung. welche in zwei Fällen von Conjunetivalreaktion auf Tuber- 
kulin ausgeführt war. 

Bei diesen beiden Fällen waren in eines der Angen je 2 Tropfen 
Tuberkulin 19), instilliert, und nach 24 Stunden wurde je eine Biopsie 
aus der Palpebraleonpunetiva gemacht und zwar in der Nähe des 
freien Randes des Augenlides. Die so erhaltenen Conpmnetivastücke 
wurden nach Fixierung in Bouinscher Flüssigkeit und Einbettung in 
Paraffin nach verschiedenen Doppelfärbungsmethoden gefärbt. 

In diesen beiden Fällen konnten wir damals folgendes beobachten: 
einen ödematösen Zustand des Epitheltums mit Intiltration von Mono- und 


1) Prof. Dr. G. Stanculeanu. 


Die pathologische Anatomie der Ophthalmoreaktion. 11 


Polynuklearen; die Grundsubstanz war stark verdickt und zeigte zwei 
Zonen: eine gleich unter dem Epithelium mit grossen lymphatischen 
Räumen, mit ödematöser Erscheinung, infiltriert mit Mono- und Poly- 
nuklearen; die zweite Zone befand sich etwas tiefer. In dieser waren 
die Blutgefässe mit Polynuklearen gefüllt und zugleich bemerkte man 
eine starke Infiltration mit kleinen Mononuklearen. Der Arbeit waren 
zwei Bilder beigegeben, welche je einen Durchschnitt von den zwei 
Fällen darstellten. 

Seither unternahmen wir, beraten von Herrn Prof. Dr. J. Canta- 
cuzino, ein genaueres und systematischeres Studium über dasselbe 
Thema. Die Untersuchung gestattet uns, die vorige Arbeit teilweise 
zu korrigieren, zu vervollständigen und zu Schlüssen zu gelangen, die 
endgültige zu sein scheinen. Unser Vorgehen hierbei war folgendes: 


Bei vier Patienten, welche an serös-fibrinöser Pleuresie litten, nicht 
fieberten und welche mit derselben Intensität nach einer Instillation von 
Tuberkulin 1°/,, welche um 12 Uhr mittags gemacht wurde, reagierten, 
schnitten wir je ein Stückchen Conjunctiva aus dem unteren Fornix heraus, 
bei einem 7 Stunden nach der Instillation, bei einem andern nach 20 Stunden, 
bei dem dritten nach 32 Stunden und bei dem vierten nach 56 Stunden. 
Die ausgeschnittenen Conjunctivalteilchen, nachdem siemit Flemmings Flüssig- 
keit fixiert und in Paraffin eingebettet waren, färbten wir entweder mit 
einem einfachen Färbungsmittel: blaues Polychrom-Unna, oder mit Magenta- 
rot und Picroindigocarmin, oder mit Safranin und Pieroindigocarmin. Ausser- 
dem haben wir bei denselben Patienten nach ebenso viel Stunden auch 
die Conjunetivalsekretion mikroskopisch untersucht, was uns erlaubte, zu- 
gleich den cytologischen Verlauf der Sekretion zu verfolgen, so dass wir 
auf diese Art vergleichende Resultate erhalten konnten. 


Das Resultat aller dieser Untersuchungen ist folgendes: 


Der erste Fall (Fig. 1) bezieht sich auf den Kranken, bei welchem 
wir die Conjunctivalbiopsie 7 Stunden nach der Instillation vorgenommen 
hatten. Von klinischen Erscheinungen bemerkten wir eine Anschwellung 
der Gefässe, begleitet von Tränenerguss, jedoch ohne feste Sekretion. Über 
den histologischen Befund konnten wir folgendes feststellen: 

Das Epithelium enthält in der äussersten Schichte eine beträchtliche 
Anzahl Becherzellen, angefüllt mit Mucus, welcher den Kern gegen den 
unteren Teil der Zelle treibt und ihr dadurch eine dreieckige Form ver- 
leiht. Diese Becherzellen üben auf die übrigen Zellen einen derartigen 
Druck aus, so dass ihr Kern länglich erscheint. Die Epithelialzellen der 
tieferen Schichten sind polygonal und unregelmässig. Die Kerne einiger 
dieser Zellen sind intensiv gefärbt, während die anderer blass sind und 
isolierte chromatische Granulationen sowie zwei Nucleolen besitzen. Die 
Kerne der meisten dieser Zellen sind hufeisenförmig, und in der Konkarität 
befindet sich eine Vakuole. In der ganzen Epithelialschichte bemerkt man 
ausserdem nur sehr wenige Polynuklearen, die aus der Grundsubstanz ausge- 


12 G. Stanculeanu u. D. Mihail 


wandert sind. Die &usserste Schichte der Conjunetivalgrundsubstanz ist 
dicker als gewöhnlich. Die Verdickung dieser Schichte verdankt ihre Ent- 
stehung der Entfernung der Bindegewebsbündel und der Anfüllung der 
hierdurch entstandenen Räume vornehmlich mit grossen Mononuklearen, mit 
wenigen Lymphocyten und wahrscheinlich auch mit Serum, welches diesem 
Teile der Grundsubstanz ein ódematóses Aussehen gibt. Ebenso bemerkt 
man in der äusseren Dermaschichte eine grosse Anzahl von erweiterten 
Kapillargefässen mit angeschwelltem Endothelium, welches ins Lumen pro- 
miniert. In den Kapillaren befinden sich ausser roten Blutkörperchen 
einige Lymphocyten. Die lymphatischen Perivaskularráume enthalten auch 
Mononukleare mit einem etwas grósseren Protoplasma als das der Lympho- 
cyten aus den Kapillaren. Gleich unter dem Epithelium und zumal an 
manchen Stellen befindet sich eine grössere Infiltration von grossen Mono- 
nuklearen als gewöhnlich, die sich unter vier verschiedenen Formen zeigen: 

a. Grosse Mononukleare mit einer kleinen Vakuole in der Nähe des 
Kernes. 

b. Grosse Mononukleare, deren Protoplasma voll kleiner Vakuolen ist. 

c. Grosse Mononukleare mit einer grossen Vakuole, begrenzt von 
einer dünnen Protoplasmaschichte. 

d. Grosse Mononukleare mit einem intensiv gefärbten Kern, deren 
Protoplasma mit feinen Granulationen gefüllt ist, welche der ganzen Zelle 
ein dunkles Aussehen geben. 


Die unterste Schichte der Derma besteht aus breiten Bindegewebs- 
streifen mit grossen Gefässen, deren Endothelium nicht angeschwellt ist 
und welche voll von roten Blutkörperchen und einigen Lymphocyten sind. 

Was diesen Fall vom histologischen Standpunkte aus charakterisiert, 
ist kurz folgendes: 


l. Die Sekretionstütigkeit des Conjunctivalepitheliums ist 
viel grósser als im normalen Zustande. 


2. Eine ödematöse Anschwellung der äusseren Dermaschichte 
mit Infiltration grosser Mononuklearen, fast alle in voller Se- 
kretionstätigkeit. 

Bei der eytologischen Untersuchung der Conjunetivalsekretion bemerkten 
wir, dass fast das ganze mikroskopische Feld mit Epithelzellen besät war, 
deren Form verschieden war: manche polygonal und mit grösseren Dimen- 
sionen, einige evlindrisch, andere konisch und endlich andere sternförmig. 
Ausser diesen Zellen sah man sehr wenige Polynuklearen. 

Der zweite Fall (Fir. 2) bezieht sieh auf den Kranken, bei welchem 
die Conjunetivalbiopsie 20 Stunden nach der Instillation von 'Tuberkulin 
gemacht worden ist. Von klinischen Erscheinungen bemerkte man hier 
ausser der Ansehwellung der Gefüsse und des 'lrünenergusses, wie im 
ersten Falle, ein festes Sekret, welches sieh wie ein feiner Streifen zeigte, 
welcher mit einem Ende sich an der Karunkel festlielt, während das an- 
dere frei im unteren Fornix schwebte. 

Von histologisehen Befunden haben wir folgendes konstatiert: 

Das Epithelium hat fast denselben Charakter wie im ersten Stadium. 
die Ansehwellung seiner Zellen scheint aber etwas grösser zu sein. Hier 


Die pathologische Anatomie der Ophthalmoreaktion. 13 


und da sieht man in diesem Falle, dass die Polynuklearen in grösserer 
Anzahl durch die Zellenräume des Epitheliums durchgeschlüpft und zur 
Oberfläche geschritten sind. In der äusseren Schichte der Grundsubstanz bemerkt 
man ebenfalls Ödem mit Mononuklearinfiltration, welche sich im Zustande von 
Hypersekretion befindet, und ausserdem findet man Lymphoeytenandrang. 

Die Lymphocyten liegen gedrängt gleich unter dem Epithelium, in 
diesem Falle stammen sie aus den Kapillaren; in den Kapillaren und in 
ihrer Umgebung sind sie an Anzahl vermehrt, wie im ersten Stadium. In 
den Blutgefässen mit ihrem stark angeschwellten Endothelium befinden sich 
ausser roten Blutkörperchen zahlreiche Lymphocyten und einige Mastzellen. 
Diese letzteren Zellen wandern teilweise in das Bindegewebe, welches sich 
rings um die Gefässe befindet, und sind zumal an der Grenze, zwischen 
der äusseren und der inneren Schichte der Conjunctivalderma, zu sehen. 
Folgendes charakterisiert kurz gefasst diesen Fall: 


1. Eine Vermehrung der Sekretionstätigkeit der Zellen im 
Vergleich mit dem ersten Fall. 


2. Ein Andrangsanfang von Lymphocyten und Mastzellen 
in der Conjunctivalderma. 


Die eytologische Untersuchung der Conjunctivalsekretion zeigt in 
diesem Falle ausser den verschiedenen Formen der Epithelzellen, welche 
im vorigen Falle beschrieben sind, eine grössere Anzahl von Polynuklearen 
als im ersten Falle. 


Der dritte Fall (Fig. 3) betrifft den Patienten, bei welchem wir die 
Biopsie 32 Stunden nach der Instillation von 'l'uberkulin gemacht haben. 
Von klinischen Erscheinungen treffen wir hier dieselben an, wie im vorigen 
Falle; der feine, feste Sekretionsstreifen, welchen der Patient manchmal ab- 
wischte, erschien sehr bald wieder. Von histologischen Befunden haben 
wir folgendes bemerkt: 


Das Epithelium hat ein spongiöses Aussehen wegen der zahlreichen 
Vakuolen. Von diesen befinden sich manche in den Epithelzellen selbst, 
andere zwischen zwei benachbarten Zellen, welche wie entfernt erscheinen 
durch eine Flüssigkeit, welche sieh in diesem Zwischenraume ansammelte. 
Die Epithelialzellen haben eine sehr unregelmässige Begrenzung und sind 
sternförmig. Dieses Aussehen haben zgrösstenteils selbst die Zellen der 
äussersten Epithelialschiehte. In diesem Falle erscheint das Epithelium durch 
seine ganze Dicke reichlich von Polynuklearen durchzogen, welche zwischen 
den Epithelialzellen wie durch Scheiden hindurchziehen, ähnlich den Epi- 
thelialscheiden, welehe Renaut im Darm beschrieben hat. Manche von 
diesen Polynuklearen dringen in die Intraepithelialvakuolen, andere machen 
sich teilweise vom Epithelium los, um seine Oberfläche zu erreichen. Diese 
Infiltration von Polynuklearen ist diffus. 

In der Grundsubstanz bemerkt man einen sehr grossen Andrang von 
Lymphocyten, zumal in ihrer äusseren Schichte, gleich unter dem Epitlıe- 
lium. Diese Lymphoeyten erweitern die von den Bindegewebsfasern ve: 
bildeten Räume, so dass die Infiltration von grossen Mononuklearen, welche 
wir in den vorigen Fällen angegeben haben, kaum bemerkbar ist. 

Was in diesem Falle noch auffällig erscheint, ist die grosse Erweite- 


14 G. Stanculeanu u. D. Mihail 


rung der lymphatischen Kapillaren, die sich gleich unter dem Epithelium 
befinden, und ihre Anfüllung mit Lymphocyten. 

Die Kapillaren der Blutgefásse, welche auch erweitert sind, enthalten 
ausser einer Menge Lymphocyten eine grosse Anzahl von Polynuklearen 
und Mastzellen. Ausserdem dringen die Polynuklearen in die äusseren 
Schichten der Derma, während die Mastzellen, welche in diesem Falle sehr 
häufig in der Derma sind, unabhängiger von den Gefässen zu sein scheinen. 
Sie finden sich nicht mehr so regelmässig rings in ihrer Umgebung, son- 
dern man trifft sie sogar gleich unter dem Epithelium an. In den tieferen 
Schichten der Bindehaut bemerkt man nichts Besonderes, ausser wenigen 
Mastzellen und Lymphocyten. 

Das Charakteristische dieses Falles ist folgendes: 


1. Die spongiöse Erscheinung und die starke, aber diffuse 
Polynuklearinfiltration des Epitheliums. 


2. Der grosse Lymphocytenandrang der äusseren Binde- 
hautschichten. 


Die Untersuchung der eytologischen Elemente der Conjunctivalsekretion 
dieses Falles zeigt uns dieselben Elemente wie im vorigen Falle, mit Aus- 
nahme der Polynuklearen. 


Der vierte Fall (Fig. 4) betrifft den Kranken, bei welchem wir die 
Biopsie 56 Stunden nach der Tuberkulininstillation gemacht haben. Was 
diesen Fall vom klinischen Standpunkte aus charakterisiert, ist das Ver- 
schwinden grösstenteils der akuten Phänomene der Entzündungsreaktion. 
Die Conjunctiva fängt an blass zu werden und man konstatiert nichts an- 
deres als eine unregelmässig konkretierte Sekretion im unteren Fornix. 

Von histologischen Befunden haben wir folgendes über die Reaktion 
auf Tuberkulin festgestellt: In der Dicke des Epitheliums befindet sich eine 
grosse Anzahl von wahren Höhlungen verschiedener Grössen, welche die 
Epithelialzellen entstellen. Wie auch im vorigen Falle sind manche von 
diesen Höhlungen intraepithelial, andere interepithelial und, was noch cha- 
rakteristischer scheint, dieselben sind mit einer enormen Masse von Poly- 
nuklearen angefüllt. 

Unter den Polynuklearen, welche sich in den Intraepithelialvakuolen 
befinden, sind manche degeneriert und erscheinen wie isolierte Fragmente 
oder wie feine Granulationen. Dieser Andrang von Polynuklearen ist zu- 
gleich von einer intraepithelialen Digestion begleitet. Wir können noch 
hinzufügen, dass das ganze Epithelium von Polynuklearen ditfus infiltriert ist. 

Die Bindehautgrundsubstanz ist in diesem Falle weniger als im 
vorigen von Lymphocyten infiltriert, dagegen aber ist die ganze äussere 
Schichte diffus mit zahlreichen Polynuklearen und Mastzellen infiltriert. 

Die Blutgefässe sind mit vielen Polynuklearen und einigen Lympho- 
cyten angefüllt. Das Charakteristische dieses Falles, vom histologischen 
Standpunkte aus, ist folgendes: 

1. Die Aushöhlung der Epithelialschichte, hervorgerufen 
von zahlreichen Cavitäten, voll Polynuklearen, welche sich 
teilweise auf dem Wege intraepithelialer Digestion befinden. 

2. Eine reichliche und diffuse Infiltration der Grundsub- 





Die pathologische Anatomie der Ophthalmoreaktion. 15 


stanz mit Polynuklearen, welche sich in beträchtlicher Anzahl 
auch in den Blutgefässen vorfinden. 

Die cytologische Untersuchung der Conjunctivalsekretion zeigt die- 
selben Epithelialzellen, die jedoch mehr oder weniger entstellt und degeneriert 
sind, und ausserdem eine Menge von Polynuklearen. 


Wenn wir nun versuchen, allen diesen histologischen Phänomenen, 
welche wir im Laufe der Conjunctivalreaktion auf Tuberkulin be- 
obachtet haben, eine biologische Auffassung zu geben, gelangen wir 
zu folgenden Schlüssen: 

Das Tuberkulin in seiner lokalen Aktion bei der Oph- 
thalmoreaktion bewirkt, dass die beiden Elementarschichten 
der Conjunctiva: das Epithelium und die Conjunctival- 
grundsubstanz, von einander getrennt und spezifisch re- 
agieren. 

Durch seine Einwirkung auf das Epithelium ruft. das 
Tuberkulin eine übertriebene Sekretion dieses Epitheliums hervor, 
welche Sekretion eine spezifische ist in dem Sinne, dass die in den 
Epithelialvakuolen sekretierte und angesammelte Flüssigkeit eine An- 
ziehungskraft bloss auf die Polynuklearen ausübt. Nur unter dem 
Einflusse der vom Epithelium sekretierten und in den inter- und intra- 
epithelialen Vakuolen angesammelten Flüssigkeit ist es erklärlich, dass 
diese Polynuklearen massenhaft ins Epithelium einwandern, wo ein 
Teil derselben der Digestion der Flüssigkeit unterworfen ist, wieder 
ein anderer Teil, welcher dieser Aktion entgeht, an die Oberfläche 
des Epitheliums gelangt und dort die konkretierte Sekretion, die 
wir früher erwähnten, verursacht. 

Diese Attraktion der Polynuklearen, welche durch die spezi- 
tische Sekretion des Epitheliums ausgeübt wird, nimmt vom Beginn 
und fast bis zu Ende der Ophthalmoreaktion zu, und hört alsdann 
auf, während die Polynuklearinfiltration raseh zurückgeht. Durch 
seine Einwirkung auf die Grundsubstanz und zwar auf ihre äussere 
Schicht, welche nach unsern Untersuchungen selbst im physiologischen 
Zustande eine Intiltration von grossen Mononuklearen zeigt, ruft das 
Tuberkulin ebenso wie beim Epithelium einen Reiz auf die grossen 
Mononuklearen hervor. welche eine spezifische Sekretion geben, so dass 
die Sekretion der grossen Mononuklearen einen Andrang von. Lympho- 
eyten hervorruft, was wir beim dritten Falle bemerkten. Dieser An- 
drang von Lymphoevten, welcher durch die Attraktion der Sekretion 
der grossen subepithelialen Mononuklearen bewirkt wurde, ist. wie wir 
im Laufe dieser Beschreibung gesehen haben, übermässig gross im 


76 G. Stanculeanu u. D. Mihail, Die patholog. Anat. d. Ophthalmoreaktion. 


dritten Falle, nämlich 32 Stunden nach der Instillation von Tuber- 
kulin, und ist derart ausgeprägt, dass er teilweise den gleichzeitigen 
Polynuklearenandrang verdecken könnte. Der Lymphocytenandrang 
ist jedoch von kürzerer Dauer, da er im vierten Falle, also 56 Stun- 
den nach der ‚Tuberkulininstillation, stark reduziert ist, während der 
Polynuklearenandrang sich in voller Tätigkeit befindet, was die Con- 
junetivaschnitte und die Conjunetivalsekretion beweisen. 

Zum Schlusse können wir feststellen, dass die Reaktion der Con- 
junctiva auf Tuberkulin nicht, wie wir in der Veröftentlichung der 
ersten Untersuchung glaubten, eine reine Lymphocytenreaktion sei, 
sondern sie ist eine gemischte Reaktion: ein Polynuklearenandrang von 
längerer und ein Lymphocytenandrang von kürzerer Dauer. 

Weniger aufgeklärt sind wir über die Bedeutung der Mastzellen 
bei dieser Reaktion. Wenn wir ihre Rolle durch die Stellung, welche 
sie den Geweben gegenüber einnehmen, erklären wollten, müssten wır 
daraus folgern, dass auch sie, wie die Lymphocyten, von der Sekretion 
der grossen subepithelialen Mononuklearen angezogen sind. 

Wenn wir uns aber durch ihre nähere Verwandtschaft mit den 
Polynuklearen leiten lassen, sowie durch die Zeit ihrer Evolution, 
welche sich gerade so wie der Polynuklearenandrang verhält, so nehmen 
wir an, dass es wahrscheinlicher ist, dass auch diese Zellen von der 
Sekretion des Epitheliums angezogen sind und noch einen spezifischen 
anatomo-pathologischen Unterscheidungspunkt der Ophthalmoreaktion 


bilden. 


Erklärung der Abbildungen auf Taf. I, Fig. 1—4. 


Fig. 1. B: = Becherzellen. Vz. — Vakuolarenzellen. M. V. == Grosse 


Mononuklearen mit Vakuolen. M. @. = (irosse Mononuklearen mit Granulationen. 
L. = Lymphocyten. 6G. — Gefüsse. 

Fir. 2. P. — Polynuklearen. M. V. — Grosse Mononuklearen mit Vakuolen. 
G. — Gefüsse. Mz. — Mastzellen. M.G. = Grosse Mononuklearen mit Gra- 
nulationen. 

Fig. 3. V. — Vakuolen. P. — Polynuklearen. L. = Lymphocyten. C. L. 
— Lymphatische Kapillaren. Mz. — Mastzellen. M. — Grosse Mononuklearen. 
(r. = Gefüsse. 

Fig. 4. V. P. — Vakuolen mit Polynuklearen. M. V. = Grosse Mono- 


nuklearen mit Vakuolen. Mz. — Mastzellen. 


Aus den Universitäts-Augenkliniken zu Kiel und zu Strassburg i. E. 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 


Von 
Dr. K. Stargardt, 


Privatdozent und Oberarzt an der Universitäts- Augenklinik zu Strassburg i. Els. 
(Direktor: Prof. Dr. Schirmer.) 


Mit Taf. II—VI, Tabelle 1—5 und 15 Figuren im Text. 


Einleitung. 

Unter Dunkeladaptation verstehen wir seit Aubert die Anpassung 
des Auges an so schwache Lichtreize, wie sie uns in stark verdunkelten 
Räumen oder in der Dämmerung zur Verfügung stehen. Weil in der 
Abenddämmerung, wenigstens in der vorgeschrittenen, ausschliesslich 
oder fast ausschliesslich nur so schwache Lichtreize vorhanden sind, 
dass das Auge sich erst auf sie adaptieren muss, bezeichnen wir das 
Sehen unter diesen Bedingungen auch als Dämmerungssehen. 

Es ist eine alltägliche Erfahrung, dass man beim plötzlichen 
Übergang aus hellen in stark verdunkelte Räume (z. B. Zimmer für 
Röntgenuntersuchungen) zuerst gar nichts sieht, dass erst nach einiger 
Zeit einzelne Gegenstände sichtbar werden, wenn sich das Auge an 
die „Dunkelheit gewöhnt“ hat. Da diese „Gewöhnung“ an die Dunkel- 
heit oder mit andern Worten die Dunkeladaptation durch Verände- 
rungen im Sehorgan bedingt ist, da das Sehorgan sich demnach in 
einem verschiedenen Zustande befindet, je nachdem wir uns im Hellen 
oder im Dunkeln aufhalten, so spricht man auch von „Stimmungen“ 
des Sehorgans. Es ist schon seit langen Zeiten bekannt, dass die 
Dunkeladaptation gestört sein oder auch gänzlich fehlen kann, eine 
Erscheinung, die man ja als Hemeralopie bezeichnet. Genauere Unter- 
suchungen über die Störungen der Dunkeladaptation liegen aber erst 
aus den letzten Jahrzehnten vor. 

Auch der Zweck der vorliegenden Arbeit war es, mit Hilfe 
neuer Methoden weitere Aufschlüsse über die Art der Störungen 


der Dunkeladaptation bei den verschiedensten Augenaffektionen 
zu erhalten. 


18 K. Stargardt 


Wollen wir zu einem Verstündnis der Stórungen der Dunkel- 
adaptation gelangen, so müssen wir immer wieder die physiologischen 
und anatomischen Grundlagen der Dunkeladaptation berücksichtigen. 
Leider ist auf diesen beiden Gebieten unser Wissen noch recht 
lückenhaft. 

Bis vor wenigen Jahren galt für die Zunahme der Lichtempfind- 
lichkeit des Auges bei herabgesetzter Beleuchtung (Dunkeladaptation) 
die von Aubert aufgestellte Adaptationsregel. Nach dieser sollte 
die Empfindlichkeit des Auges bei Dunkelaufenthalt in den ersten 5, 
höchstens 10 Minuten rapide ansteigen, dann ungefähr auf gleicher 
Höhe bleiben, auch bei einem Dunkelaufenthalt von mehr als zwei 
Stunden. Auberts (auf S. 37 angebrachten) Kurven zeigen dieses 
Verhalten in sehr anschaulicher Weise. 

Wenn man auch Aubert das Verdienst lassen muss, als erster 
auf die Bedeutung der Dunkeladaptation hingewiesen zu haben, so 
können seine Resultate heute doch nicht mehr anerkannt werden. 
Die Schuld daran ist seiner Methode (Beobachtung glühender Platin- 
drähte) beizumessen, auf deren Fehlerhaftiskeit besonders Piper(1) 
hingewiesen hat. 

Charpentier (2) kam unsern heutigen Anschauungen schon 
etwas näher. 

Treitel verhalf durch seine Untersuchungen nur der fälschlichen 
Auffassung Auberts zu allgemeinerer Annahme. 

1903 hat Piper mit einer besonderen Methode (vgl. unten) den 
Gang der Adaptation genauer gemessen. Er ist dabei zu wesent- 
lich andern Resultaten als Aubert gekommen. Leider ist selbst 
in neuesten Lehrbüchern (Axenfeld) noch immer nicht auf diese 
Untersuchungen Rücksicht genommen, und wird noch vielfach die 
Aubertsche Adaptationsregel als gültig angeführt. 

Seine Untersuchungen sind bisher von allen Nachuntersuchern 
bestätigt worden. Auch ich bin, soweit es sich um Untersuchung 
normaler Augen handelt, zu genau denselben Resultaten gekommen. 

Das prinzipiell Wichtige in den Untersuchungen Pipers liegt 
darin, dass er nachweisen konnte, dass die Empfindlichkeit des Auges 
für Lichtreize in den ersten 10 Minuten so gut wie ear nicht, dann 
aber ziemlich gleichmässig bis zur 30. oder 45. Minute ansteirt und 
zwar in dieser Zeit sehr erheblich, selbst bis auf das 8000fache 
und mehr des Anfangswertes. Von diesem Punkte an erfolste keine 
weitere Steigerung, die Adaptationskurve blieb jetzt, auch bei mehr- 
stündiger Beobachtung, auf derselben Höhe. 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 19 


Die Empfindlichkeitszunahme, die sich bei verschiedenen Per- 
sonen nachweisen liess, war nun durchaus nicht immer die gleiche, 
vielmehr fanden sich Werte zwischen einer 1418- und einer 8393 fachen 
Zunahme. Auch der Kurvenverlauf war bei verschiedenen Personen 
verschieden. Es liessen sich im wesentlichen aber zwei Typen fest- 
stellen, von denen der eine durch eine sehr schnelle und meistens 
auch sehr hochgradige Empfindlichkeitszunahme, der andere durch 
langsame und in der Hegel weniger ausgiebige Adaptation ausge- 
zeichnet ist. Unabhängig sind diese Typen, wie Piper entgegen 
Tschermak(1) feststellen konnte, vom Farbensinn und eventuellen 
Farbensinnstórungen. Höchstwahrscheinlich handelt es sich hier für 
jedes Auge um eine angeborene spezifische Eigenschaft. 

Ist auch jetzt über den Gang der normalen Dunkeladaptation 
Klarheit geschaffen, so ist das leider nicht der Fall in bezug auf die 
Frage, wie denn der Adaptationsvorgang im Auge sich abspielt, 
welche anatomischen und physiologischen Veränderungen im Auge 
der Dunkeladaptation zugrunde liegen. 

Hier stehen sich die verschiedensten Ansichten noch schroff 
gegenüber. 

Die meisten Anhänger zählt heute wohl die „Duplizitätstheorie‘ 
(v. Kries 1) Nach der „Duplizitätstheorie“ sind die anatomisch 
differenten Netzhautelemente (Stäbchen und Zapfen) auch als physio- 
logisch differente Apparate aufzufassen. Die Stäbchen, der „Dämme- 
rungsapparat“ können ihre Empfindlichkeit durch „Dunkeladaptation“ 
in ausgiebigstem Masse steigern, sie sind allein im stande, auf sehr 
schwache Reize, die für die Zapfen unterschwellig sind, zu reagieren, 
und sie reagieren nach Dunkeladaptation relativ viel kräftiger auf 
schwache Reize, als bei Helladaptation auf starke. Sie sind ferner 
total farbenblind und können nur quantitativ verschieden stark re- 
agieren. Die Zapfen, „der Hellapparat“ sind farbentüchtig, sie reagieren 
sowohl quantitativ wie qualitativ verschieden, d. h. sie geben quan- 
titativ und qualitativ verschiedene Empfindungseffekte. Sie reagieren 
nur auf starke Reize. 

Die Reizwertrelationen der homogenen Lichter sind für Stäbchen 
und Zapfen verschieden. Die Zapfen werden am stärksten durch 
die langwelligen Strahlen erregt und zwar maximal von Licht mit 
600 uu Wellenlänge (im Spektrum bei Gelborange) Die Stäbchen 
dagegen reagieren maximal auf Licht von mittlerer Wellenlänge, 
530 uu (im Spektrum Stelle des Grün), dagegen wenig oder gar 
nicht auf langwellige Strahlen. 


80 | K. Stargardt 


Die Duplizitátstheorie hat sich sehr langsam entwickelt, aber 
mit dem Fortschreiten unserer anatomischen und physiologischen 
Kenntnisse allmählich immer mehr an Boden gewonnen.  Zurück- 
zuführen ist sie in letzter Linie wohl auf Max Schultze, der für 
die anatomische Verschiedenheit zwischen Stäbchen und Zapfen eine 
physiologische Erklärung suchte. 

Auf die Differenz in der Lokalisation der Stäbchen und Zapfen 
beim Menschen, auf die Verschiedenheit der von den Stäbchen und 
Zapfen ausgehenden zentripetal verlaufenden Fasern (bei Zapfen 
2—4 u dick, bei Stäbchen von kaum messbarer Dünne), auf das 
Fehlen der Zapfen bei denjenigen Tieren, „die im Dunkeln zu leben 
vorziehen“, auf die geringe Zahl der Zapfen bei der Katze, auf ihre 
rudimentäre Ausbildung beim Kaninchen, auf den Zapfenreichtum 
der Tagvögel, den fast vollkommenen Zapfenmangel der Nachtvögel, 
auf das Fehlen der Stäbchen bei Eidechsen und Schlangen hat Max 
Schultze seine physiologische Erklärung aufgebaut. Die Stäbchen 
besitzen nach ihm für „quantitative Lichtperzeption“ einen Vorzug 
vor den Zapfen (1, S. 252). 

Nehmen wir an, dass der Farbensinn an besondere Nerven- 
apparate gebunden ist, so „lässt sich erwarten, dass diese Apparate 
den ausschliesslich im Dunkeln lebenden Tieren fehlen, und so kommen 
wir folgerichtig auf die Vermutung, die Zapfen möchten die Nerven- 
endorgane des Farbensinns sein“. 

Durch die Entdeckung des Sehpurpurs ist die Max Schultzesche 
Hypothese von der physiologisch verschiedenen Bedeutung der Stäb- 
chen und Zapfen weiter gestützt worden. Kühne weist ganz be- 
sonders darauf hin, dass von einer Verwertung der Optographie im 
Sinne spezifischer Farbenwahrnehmung, wie man anfangs gehofft 
hatte (Haab), gar keine Rede sein könnte. Der Sehpurpur hat 
mit der Farbenwahrnehmung nichts zu tun. Mit Hilfe des Purpurs 
und der Stäbchen vermögen wir das Spektrum zwar wahrzunehmen, 
aber nur in Grau schattiert, ähnlich „wie der Farbenblinde“. 

Durch physiologische Untersuchungen haben dann vor allem 
Charpentier und Parinaud die Duplizitätstheorie zu stützen ge- 
sucht. Charpentier (1—3) unterschied die Empfindung farbloser 
Helligkeit mit undeutlicher Lokalisation, la perception lumineuse 
brute, von der „vision nette“. Die eine wurde durch die „éléments 
photesthésiques“, die andere durch die „éléments visuels proprement 
dits“ vermittelt. Die ersteren erklärte er später für identisch mit 
den Stäbchen, die letzteren mit den Zapten. 


Über Störungen der Dunkeladaptation. S1 


Parinaud stellte sich ganz auf den Boden der Max Schultze- 
schen Theorie. Nach Parinaud sind die Stäbchen mit dem Seh- 
purpur die Organe für die „vision nocturne ou crepusculaire“, die 
Zapfen die Organe der exakten Raum- und der Farbenwahrnehmung. 
Er bezeichnet seine Theorie als die „theorie de deux retines, celle 
des cônes et celle des bâtonnets et du pourpre“. 

Die purpurfreien Zapfen erhalten durch den Lichtreiz eine Er- 
regung de nature plus spécialement physique, die Stäbchen werden 
nur durch Vermittlung des Sehpurpurs erregt, diese Erregung ist 
gebunden an einen processus de nature chimique. 

Eine ganz ähnliche Trennung zwischen physikalischer Reizung 
der Zapfen und chemischer der Stäbchen hat in letzter Zeit Meis- 
ling vorgenommen. Die Wirkung auf die Stäbchen ist nach ihm 
analog der Wirkung des Lichtes auf eine mit Sehpurpur sensibili- 
sierte photographische Platte. Die Zapfen fasst er als elektrische 
für verschiedene Wellenlängen des Lichtes abgestufte Empfangsappa- 
rate auf, ähnlich den Antennen der drahtlosen Telegraphie. 

In Deutschland ist die Duplizitätstheorie ganz besonders durch 
v. Kries(3) und seine Schüler in einer Reihe von Arbeiten gestützt 
worden. Jedenfalls ist bis heute ein reiches Material von Tatsachen, 
die für die Duplizitátstheorie sprechen, beigebracht worden (vgl. 
Piper3). Dahin gehört der Nachweis des Fehlens der Dunkel- 
adaptation in der nur Zapfen führenden Fovea, der Nachweis der 
totalen Farbenblindheit der Stäbchen (das sog. „farblose Intervall“ 
fehlt in der Fovea), der Nachweis, dass die langwelligen Strahlen 
beim Dämmerungssehen minimalen oder gar keinen Reizwert für die 
Netzhaut haben (Purkinjesches Phänomen), der Nachweis der Über- 
einstimmung der Kurve der Bleichungswerte der homogenen Lichter 
für Sehpurpur mit der Kurve der nach subjektiver Methode gefundenen 
Dämmerungswerte (Trendelenburg), und der Nachweis, dass am 
helladaptierten Auge die stärksten Aktionsströme durch Reizung mit 
langwelligen Strahlen, am dunkeladaptierten Auge dagegen durch 
Reizung mit Strahlen mittlerer Wellenlänge erzeugt werden. 

Trotzdem bleiben noch viele Fragen offen. Dahin möchte ich 
z. B. die Frage zählen, wieweit Stäbchen und Zapfen gleichzeitig 
beim Sehen beteiligt sind. Piper(3) nimmt zwar an, dass für ge- 
wóhnlich die beiden anatomisch und funktionell verschiedenen licht- 
perzipierenden Apparate gleichzeitig in Tätigkeit sind. Mischt sich 
nach Piper zu einer Zapfenerregung, die allein die Empfindung einer 
gesättigten Farbe geben würde, die Stäbchenerregung, die eine Weiss- 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, LXXIII. 1. 6 


89 K. Stargardt 


empfindung auslöst, so muss der Sättigungsgrad der Farbe beein- 
trächtigt werden, sie muss weisslicher erscheinen, und zwar soll dies 
in um so höherem Grade der Fall sein, je günstiger die Bedingungen 
für die Stäbchenfunktion liegen, d. h. je mehr die Netzhaut dunkel- 
adaptiert ist und je geringer die Reizstärke ist. Bei herabgesetzter 
Beleuchtung mag das gelten. Dass aber die Stäbchen auch bei in- 
tensiverer Beleuchtung zum Sehen beitragen, dafür fehlt bis heute 
jeder Beweis. Im Gegenteil sprechen manche Beobachtungen direkt 
dagegen. Betrachtet man die total Farbenblinden als Stäbchenseher, 
so muss gerade deren Verhalten beim helleren Lichte als Gegenbeweis 
dienen. Viel wahrscheinlicher scheint es mir, dass bei heller Be- 
leuchtung der Sehpurpur ausgebleicht wird und die Stäbchen dadurch ` 
ausser Funktion gesetzt werden. Auf dieses Ausbleichen des Seh- 
purpurs könnte man auch die Blendung zurückführen, die nach 
längerem Dunkelautenthalt beim Heraustreten ins Helle auftritt. Zu 
der von vornherein guten Zapfenfunktion, die man aus der guten 
Sehschärfe und dem Farbensinn schliessen kann, gesellt sich eine 
diffuse starke Helligkeitsempfindung (Blendung), die eben durch Aus- 
bleichen des Sehpurpurs bedingt ist und mit der völligen Ausbleichung 
nach einigen Minuten erlischt. Deswegen kann man meines Er- 
achtens nach auch nicht recht von „Helladaptation“ als von einem 
zeitlichen Vorgange sprechen. Der Zaptenapparat ist sofort funktions- 
fähig, auch wenn er plötzlich nach längerem Dunkelaufenthalt in 
Anspruch genommen wird. Nur wird die Zapfenfunktion durch die 
plötzliche starke Ausbleichung des Sehpurpurs etwas gestórt. Das 
was Lohmann (2) als „Helladaptation“ messend bestimmt hat, 
ist nichts weiter, als die durch vorübergehende intensivere Belichtung 
gestörte und verminderte Dunkeladaptation. Der Zapfenapparat 
braucht eben nicht cine längere Zeit um funktionsfähig zu werden, 
sondern er ist es oflenbar sofort, wenn genügend starke Reize auf 
ihn einwirken. 

Eine ganz andere Frage ist es noch, ob und wieweit die Zapfen 
überhaupt adaptationsfählg sind. 

Die bisher darüber vorliegenden Resultate sind von einer end- 
gültigen Lösung der Frage doch noch weit entfernt. 

Die Schwierigkeiten der Beantwortung liegen darin, dass man 
zwar den Stäbchenapparat isoliert reizen kann durch Reizlichter, die 
für den Zapfenapparat unterschwellig sind, dass der Zapfenapparat 
dagegen nur in dem kleinen stäbchenfreien Bezirk der Fovea centralis 
isoliert gereizt werden kann und nur mit sehr hellen Lichtern. Bei 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 83 


Untersuchung mit sehr kleinen Objekten, die sich nur in der Fovea 
abbilden konnten und bei Anwendung von rein rotem Lichte (Rubin- 
glas und Methylgrünlösung-Kombination) fanden Nagel und Schaefer 
nur eine Steigerung der Empfindlichkeit auf den vierfachen Betrag. 
Da die Untersuchungen aber immer erst nach der ersten Minute aus- 
geführt werden konnten, glauben sie, dass dieser Betrag noch höher 
ist und zwar schätzungsweise das zwanzigfache des Anfangswertes. 
Mit einer andern Methode, Beobachtung eines rein roten Feldes unter 
einem Gesichtswinkel von 20—30° fanden sie, wenn das Auge nur 
missig helladaptiert war (durch Anblicken eines aus !/,m Entfernung 
von einer 50 kerzigen Glühlampe beleuchteten Kartons), eine adap- 
tative Steigerung um das 16—32 fache, bei starker Helladaptation 
dagegen (durch längeren Aufenthalt im Freien an hellen Tagen) eine 
Steigerung der Empfindlichkeit auf den etwa 200 fachen Betrag des 
Anfangswertes. Und diese Steigerung sollte in den ersten 5 Minuten, 
ilso vor Beginn des eigentlichen Dümmerungssehens erreicht werden. 

Auch Mayer und Butz sind der Ansicht, dass der Zapfen- 
apparat deutlich, aber verhültnismássig wenig an der Umstimmung 
des Sehorgans beteiligt ist, da die Farbenschwellen bei Dunkeladap- 
tation heruntergehen und zwar in den ersten Minuten betrücht- 
lich. Auch Treitel (2) vertrat diesen Standpunkt, doch ist seine 
Methode, die in der Messung des farblosen Intervalls bestand, nicht 
zuverlässig. 

Charpentier und Shermann hielten. die. Farbenschwelle für 
unveründerlich. Dass das Optimum des Hellsehens erst nach ge- 
wisser Zeit erreicht wird, ist von Schirmer festgestellt worden. 
Auf jeden Fall ergibt sich schon aus den verschiedenen Resultaten, 
die man mit verschiedenen Methoden erhält, dass von einer Klarheit 
auf diesem Gebiete noch keine Rede sein kann. 

Den Anhängern der Duplizitätstheorie stehen nun eine ganze 
Reihe Gegner gegenüber (Hering, Hess, Tschermak). Sie be- 
kämpfen vor allem die v. Kriessche Ansicht vom ,,Doppelweiss* d. h. 
die Ansicht, dass die Weissempfindung auf zweierlei verschiedene Weisen 
entstehen soll, einmal als monochromatisches Weiss durch Reizung der 
Stäbchen, das andere Mal als trichromatisches Weiss durch Reizung 
der Zapfen. Diese Ansicht widerspricht allerdings auch der in 
der Sinnesphysiologie allgemein gültigen Annahme, dass gleiche 
Enpfindungseffekte auf gleiche Erregung des Sinnesorganes schliessen 
lassen. 

Ferner sind von Gegnern der Duplizitätstheorie einige Grund- 


6* 


84 K. Stargardt 


lagen, auf die die Theorie sich stützte, nicht ohne Erfolg angegriffen 
worden, so das angebliche Fehlen der Dunkeladaptation bei Hühnern 
(Hess) Hering (vgl. Tschermak 1) sucht die Adaptation in letzter 
Linie auf Stoffwechselvorgänge zurückzuführen, indem hier, wie auch 
bei andern Anpassungen der Organismen, der Stoffwechsel bei Wechsel 
der Bedingungen zunächst eine Störung, eine Reizung, erfährt, dann 
aber wieder ins Gleichgewicht kommt. 

Noch grössere Schwierigkeiten als die Erklärung der physiolo- 
gischen Dunkeladaptation bietet die Erklärung der Störungen der 
Adaptation, da unsere positiven Kenntnisse über Veränderungen in 
kranken Augen, die in Beziehung zur Adaptation gebracht werden 
könnten, ausserordentlich dürftig sind. Stellen wir uns auf den Boden 
der Duplizitätstheorie, so werden wir in erster Linie das Verhalten 
des Sehpurpurs zu berücksichtigen haben. 

Über den Sehpurpur bei pathologischen Prozessen liegen bisher 
nur Untersuchungen von Andogsky aus der Leberschen Klinik 
vor. Andogsky hat das Verhalten des Sehpurpurs bei Netzhaut- 
ablösung untersucht und hat dabei gefunden, dass ın der abgelösten 
Netzhaut sich Sehpurpur nur dann nachweisen lässt, wenn das zu 
dem Versuche benutzte Auge schon vor dem Eintritt der Ablösung 
im Dunkeln gehalten war und auch nach dem Beginn der Ablösung 
nicht mehr dem Lichte ausgesetzt wurde. Wurde die Netzhaut dem 
Lichte ausgesetzt, so verblasste der Sehpurpur und bildete sich nicht 
wieder. 

Rein theoretisch hat man den Mangel oder das gänzliche Fehlen 
des Sehpurpurs für eine ganze Reihe von Adaptationsstörungen ver- 
antwortlich gemacht. Da wo sich schon klinisch Veränderungen im 
Pigmentepithel nachweisen liessen, ist das bis zu einem gewissen 
Punkte berechtigt. Ganz anders liegt schon die Sache in den Füllen, 
in denen Pigmentepithelveränderungen nicht vorhanden waren, z. B. 
bei idiopathischer Hemeralopie und gewissen Füllen von Ikterus. 
Auch hier hat man ohne tatsächliche Grundlagen einfach eine Störung 
oder ein gänzliches Sistieren der Selhpurpurbildung angenommen. Ich 
habe bei experimentellem Ikterus bei. Kaninchen (1) und bei Hunden!) 
eine Anomalie in der Sehpurpurbildung nicht finden können. Weder 
liess sich ein Unterschied in der Menge des gebildeten Sehpurpurs 
im Vergleich zum normalen Auge, noch eine Verlangsamung der 
Purpurbildung nachweisen. 


1) Uber die beim Hunde erhaltenen Resultate werde ich in einer demnächst 
erscheinenden Arbeit berichten. 


Cher Störungen der Dunkeladaptation. 85 


Die Ansicht von einer direkten Beeinflussung des Sehpurpurs 
ohne Störungen des Pigmentepithels schwebt demnach noch völlig in 
der Luft. 

Auch die Frage, ob und welche Vorgänge im Auge wir ausser 
der Sehpurpurbildung noch für Adaptationsstörungen verantwortlich 
machen können, führt uns in fast gänzlich unbekannte Gebiete. Die 
Pigmentwanderung kommt für den Menschen sicher nicht in Betracht. 
Auch bei Albinotischen kann sich normale Adaptation und normales 
Dunkelgesichtsfeld (mit unterschwelligen Lichtern geprüft) finden. o 

Die bei manchen Tieren beobachteten Zapfenänderungen (Ver- 
dickung und Verkürzung der Aussenglieder, Verkürzung des Myoids, 
Annäherung des Ellipsoids an die Kugelform) sind beim Säugetier 
(van Genderen Stort), speziell beim Affen (Garten 1) ausser- 
ordentlich gering. 

Ob sie beim Menschen überhaupt vorkommen, ist zum mindesten 
zweifelhaft (Garten 1). Für die Dunkeladaptation kommen diese 
Veränderungen schon deswegen nicht in Frage, weil wir guten Grund 
zu der Annahme haben, dass die Adaptation der Zapfen nur eine 
ganz nebensächliche Rolle spielt. Die Veränderungen an den Stäb- 
chen (Verkürzung, bzw. Streckung) sind bisher auch nur bei manchen 
Tieren (Huhn, Bley) beobachtet. 

Ob die, auch beim Menschen beobachtete (Greeff) Wanderung 
der äusseren Kórner über die Membrana limitans. externa hinaus in 
Beziehung zum Adaptationsvorgang steht, darüber wissen wir eben- 
falls nichts. 

Auch die Veränderungen des färberischen Verhaltens mancher 
Netzhautelemente bei Belichtung (Garten 1) und der chemischen 
Reaktion (Angelucci, Lodato und Maggio, vgl. Nagel S. 91) 
lassen einen Zusammenhang mit der Dunkeladaptation nicht erkennen. 

Klinische Untersuchungen über die Adaptation und ihre Stórungen 
sind von einer ganzen Reihe von Autoren ausgeführt worden (Parinaud, 
Fórster, Treitel, Schirmer u. Anderen. Doch haben diese 
Untersuchungen heute nur noch eine beschränkte Gültigkeit, da sie 
mit Apparaten ausgeführt wurden, die nicht mehr als einwandsfrei 
gelten können. Am beliebtesten war früher das Förstersche Photometer 
(richtiger eigentlich Photoptometer). Auf seine Fehler ist schon früher 
wiederholt hingewiesen worden. Urbantschitsch zeigte die Differenz 
in der Beleuchtung der einzelnen Striche, die sich aus der schrägen 
Lage des Fensters ergab; Wolffberg wies nachdrücklich auf die 
Fehler, die sich aus der ganzen Konstruktion des Beleuchtungsapparates 


86 K. Stargardt 


ergaben, hin; Treitel, Mauthner und Bjerrum betonten besonders, 
dass bei der Untersuchung auch Anforderungen an den Raumsinn 
gestellt würden, und Lohmann hat in letzter Zeit bei vergleichenden 
Untersuchungen mit dem Nagelschen Adaptometer ganz erhebliche 
Fehler des Försterschen Apparates nachgewiesen. 

Neuere Untersuchungen mit einwandfreien Apparaten haben zu 
einer Reihe neuer Resultate geführt. 

Messmer, Lohmann und Horn haben sich des Naxgzelschen 
&Adaptometers, Heinrichsdorf des älteren Piperschen Apparaätes 
bedient (1), Hess hat mit einer besonderen, eigenen Methode untersucht. 

Alle diese Untersuchungen haben nur den Zweck gehabt, den 
Gang der Adaptation und die nach einem bestimmten Dunkelauf- 
enthalt vorhandene Endschwelle festzustellen. 

Daneben hat man auch versucht, Gesichtsfeldaufnahmen im 
Dunkelraum mit Lichtern auszuführen, die unter der Schwelle des 
helladaptierten Auges liegen sollten. So haben Wilbrand und Lieb- 
recht eine Reihe von Untersuchungen mit einem „Dunkelperimeter“ 
ausgeführt, bei dem das Objekt aus Leuchtfarbe bestand. Auf das 
Unzureichende dieser Metliode werde ich noch später näher eingehen. 


Methode. 


Meine Untersuchungen erstreckten sich nach zwei Richtungen. 

Erstens habe ich den Gang der Adaptation und die nach 
längerem Dunkelaufenthalt (gewöhnlich °/, Stunden) vorhandene Em- 
pfindlichkeit der Netzhaut mit grossen und kleineren Objekten bei 
den verschiedensten Augenerkrankungen gemessen, und zweitens habe 
ich Gesichtsfeldaufnahmen im Dunkelzimmer ebenfalls nach guter 
Dunkeladaptation mit Objekten vorgenommen, die unter der Schwelle 
des helladaptierten Auges lagen. 

Zu dem ersten Teil meiner Untersuchungen bediente ich mich 
des Piperschen Adaptometers (Piper 4) Im wesentlichen besteht 
dieser Apparat aus einem 75cm langen Kasten, in dessen hinterem 
geschlossenen Ende eine 50 kerzige Glühlampe brennt. 25cm davor 
ist eine Milchglasplatte und unmittelbar vor dieser eine von aussen 
verstellbare Aubertsche Blende angebracht. 25cm vor dieser be- 
findet sich eine zweite Milchglasplatte mit Aubertscher Blende, und 
wieder 25cm vor dieser eine dritte Milchglasplatte mit Aubertscher 
Blende. Die durch jede Blende gegebene quadratische Öffnung lässt sich 
von 100 mm Seitenlünge auf 4 mm Seitenlänge verengern. Die vorderste 
Milehelasplatte dient als Beobachtungsobjekt. Durch die vor ihr ange- 





Über Stórungen der Dunkeladaptation. S1 


brachte Blende kann man dieses Objekt beliebig vergróssern und ver- 
kleinern. 

Es stehen uns demnach zur Untersuchung quadratische Objekte 
von 100—4mm Seitenlünge zur Verfügung; die Helligkeit dieser 
Objekte lässt sich durch Öffnen oder Schliessen der beiden hintersten 
Blenden in weiten Grenzen variieren, so dass die höchstmögliche 
Helligkeit das 400000 fache der minimalsten beträgt. Bei der zahlen- 
mässigen Feststellung des Ganges der Adaptation ist nun im Folgen- 
den so verfahren, dass die Empfindlichkeit der Netzhaut, die vor- 
handen sein muss, damit das minimal hell beleuchtete Objekt gerade 
noch wahrgenommen wird, — 1 gesetzt wird. Wird ein Objekt, das 
nur Un dieser Helligkeit besitzt, wahrgenommen, so wird die Empfind- 
lichkeit der Netzhaut 10V mal so gross sein, wie im ersten Falle usw. 

An dem Apparat ist an jeder Blende eine Skala angebracht, 
die man mit Hilfe einer roten Dunkelkammerlaterne bequem ablesen 
kann. Aus einer von Piper berechneten Tabelle kann man dann 
jederzeit den Empfindlichkeitswert, der einem bestimmten Skalenwerte 
entspricht, feststellen. 

Die als 1 gesetzte Empfindlichkeit entspricht, wie eine Reihe von 
Versuchen an normalen Augen ergeben haben, gerade derjenigen, die 
ein normales Auge bei maximaler Helladaptation besitzt. Als maximale 
Helladaptation ist dabei diejenige angesehen, die nach etwa einstündigem 
Aufenthalt im Freien erreicht wird, wenn das Auge möglichst aus- 
siebig, z. B. durch Betrachten des Himmels, dem Lichte ausgesetzt 
war. Bei weniger ausgiebiger Helladaptation ist der Schwellenwert ein 
wesentlich niedriger, die Empfindlichkeit der Netzhaut erheblich höher. 

Da die Empfindlichkeit, die sofort nach Eintritt in das Dunkel- 
zimmer am Adaptometer gefunden wird, in recht erheblichen Grenzen 
je nach der vorausgesangenen Helladaptation varıiert, habe ich es 
nicht für zweckmüssig gehalten, den nach bestimmten Zeiten erreichten 
Empfindlichkeitswert durch die Zahl auszudrücken, welche angibt, 
um das wie vielfache die Empfindlichkeit ım Verhältnis zur Anfangs- 
empfindlichkeit gestiegen ist. Im allgemeinen fand sich eine Antangs- 
empfindlichkeit zwischen 1 und 5, daneben kommen aber auch eine 
ganze Reihe von Fällen vor, in denen auch das maximal beleuchtete 
Objekt im Anfang und selbst nach 1— 2 Minuten nicht erkannt wurde. 
In diesen Fällen bleibt es ungewiss, wo wir die Hellschwelle zu suchen 
haben, und es ist deswegen auch unmöglich, hier die Steigerung der 
Dunkeladaptation durch den Quotienten zwischen End- und Anfangs- 
empfindlichkeit auszudrücken. 


88 « K. Stargardt 


Für diese Fälle müsste das Adaptometer wesentlich grössere 
Lichtstärken liefern, als die jetzige maximale Lichtstärke. Ein weiterer 
Nachteil des Piperschen Adaptometers, speziell im Vergleich zum 
Nagelschen beruht darin, dass es bisher nicht ausphotometriert ist. 
Es ist deswegen nicht móglich, die Helligkeit der benutzten Objekt- 
fläche ohne weiteres mit den von andern Autoren mit andern Appa- 
raten gefundenen Werten zu vergleichen. 

Der Untersuchung am Adaptometer ging stets eine möglichst 
ausgiebige Helladaptation voraus. Aus äusseren Gründen konnte 
diese natürlich nicht in allen Fällen die gleiche sein. Meist wurden 
die Patienten !|, Stunde lang ins Freie geschickt und sofort nach 
Betreten des Zimmers untersucht. Bei schlechtem Wetter wurden 
sie 1,—1 Stunde vor das ungefähr 4:2 m grosse Fenster des Hör- 
saals gesetzt. In jedem Falle wurden sie veranlasst, ihre Augen 
möglichst intensiv, aber ohne sie zu blenden, dem Lichte auszusetzen. 

Im Dunkelzimmer wurde sofort nach dem Eintreten die erste 
Bestimmung ausgeführt. Mit der Art der Untersuchung waren die 
Patienten vor Beginn der Helladaptation vertraut gemacht worden. 

Die Bestimmungen wurden stets in der Weise ausgeführt, dass 
das Objekt zuerst so hell gezeigt wurde, dass es deutlich gesehen wurde, 
dann zum Verschwinden gebracht wurde und nun langsam heller 
beleuchtet wurde, bis es über die Schwelle des Beobachters trat. 
Dann wurden noch ein oder mehrere Kontrollprüfungen vorgenommen, 
indem das Objekt durch einen genügend grossen Pappschirm bald 
verdeckt, bald aufgedeckt wurde. Der zu Untersuchende musste nun 
jedesmal angeben, ob das Objekt sichtbar war oder nicht. 

In der ersten halben Stunde, wo die Adaptation mit jedem 
Moment wächst, verbieten sich allzu häufire Kontrolluntersuchungen 
von selbst. Der nach 45 Minuten gefundene Endwert wurde aber in 
jedem Falle durch mehrere Nachprüfungen auf seine Richtigkeit unter- 
sucht. Meist wurde bis zur 30. Minute von 5 zu 5 Minuten untersucht. 

Bei der von mir angewandten Methode erhält man recht genaue 
Resultate. Allerdings sind die dabei gefundenen Werte etwas kleiner, 
als wenn man das Objekt zunächst überschwellig zeigt, seine Inten- 
sitit dann allmählich verringert und sich den Augenblick des Ver- 
schwindens angeben lässt (Piper). Diese letztere Methode ist zwar 
für physiologische Untersuchungen, wo man es mit geschulten Be- 
obachtern zu tun hat, geeignet; für klinische Zwecke ist sie unbrauchbar. 
Darauf, dass Lohmann und Horn diese Methode anwandten, ist 
es wohl auch zurückzuführen, dass sie in manchen Fällen höchst 


Über Störungen der Dunkeladaptation. 89 


sonderbare Kurven erhielten, die nach einem gewissen Anstieg einen 
Abfall zeigten, um dann wieder zu steigen. Bei Horn speziell finden 
sich Kurven mit mehreren solcher Zacken. 

Ich selbst habe nicht ein einziges Mal eine ühnliche Kurve ge- 
sehen und ich glaube deswegen, dass sie auf die für klinische Zwecke 
ungeeignete Methode zurückzuführen sind. Es werden eben bei dieser 
Methode viel zu hohe Anforderungen an den Patienten gestellt, An- 
forderungen, denen manche Leute nicht im entferntesten gerecht 
werden können (z. B. die Alkoholiker Horns). Natürlich wird bei 
Untersuchungen, die mit einer solchen Methode ausgeführt sind, auch 
immer wieder der Verdacht auftauchen, dass auch die andern Re- 
sultate nicht ganz einwandfrei sind. 

Für gewöhnlich habe ich ohne Fixierzeichen untersucht, höchstens 
die Patienten durch Ausstrecken ihrer Hand in der Richtung des 
Objektes auf dessen Lage aufmerksam gemacht, wenn es auch bei 
maximaler Helligkeit nicht sogleich wahrgenommen werden konnte. 
Nur bei peripheren Untersuchungen wurde das unten noch zu er- 
wähnende Fixierzeichen benutzt. Für die meisten Untersuchungen 
wurde als Objektgrösse ein Quadrat von 100 mm Seitenlänge gewählt, 
daneben aber auch in einer grossen Reihe von Fällen vergleichende 
Untersuchungen mit kleineren Objekten angestellt. Bei monokularen 
Bestimmungen wurde das zweite Auge mit der Hohlhand verdeckt. 

Bei der Untersuchung kranker Augen ist auch die Frage klar- 
zustellen, ob durch die Untersuchung des einen Auges der Ablauf 
der Adaptation im andern Auge gestört wird. Man ist ja bei klinischen 
und poliklinischen Patienten meist gezwungen, in einer Sitzung beide 
Augen zu untersuchen. 

Eine Beeinflussung des einen Auges durch Belichtung des andern 
ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Hat doch Engel- 
mann bei Fröschen auch Pigmentwanderung auf dem nicht belichteten 
Auge gefunden, wenn das andere Auge belichtet wurde. Der Sehpurpur 
wurde allerdings nicht dabei beeinflusst. Analog fand auch Grijns 
bei Reizung der freigelegten Augenbecher der einen Seite durch einen 
Kochsalzkrystall einen Aktionsstrom im andern Auge. 

Anderseits kónnen wir auf pathologische Fülle wohl mit gutem 
Grunde die Resultate der auf diese Frage gerichteten physiologischen 
Untersuchungen am Menschen anwenden. 

Gézá Révész hat eine Beeinflussung des Adaptationsverlaufes 
auch dann nicht nachweisen können, wenn er während des Versuches 
das zweite Auge mit intensiven Lichtern reizte. 


90 K. Stargardt 


Demgegenüber haben Nikolai und Rubinowitsch einen solchen 
Einfluss feststellen kónnen. 

Da es sich bei ihren Versuchen aber doch immer um intensivere 
Reizung des einen Auges handelte, kommen auch ihre Resultate für 
die klinische Untersuchung nicht in Frage. ` 

Die Reize, die bei der Adaptationsprüfung eines Auges angewandt 
werden, haben jedenfalls keinen Einfluss auf die „Stimmung“ der 
andern. 

An die Prüfung jedes einzelnen Auges schloss sich schliesslich 
die Prüfung des binokularen Sehens. Piper (1) hat ja nachgewiesen, 
dass für das dunkeladaptierte Auge eine Addierung der Empfindungen 
der beiden einzelnen Augen eintritt. Dieser Satz der binokularen 
Reizaddition gilt aber nur für das dunkeladaptierte Auge; für das 
helladaptierte Auge ist ein ähnliches Verhalten nicht nachgewiesen. 
Wölfflin hat die Richtigkeit des Satzes von der Reizaddition be- 
stritten. Er konnte keine Differenz zwischen monokularen und bin- 
okularen Schwellenwerten feststellen. 

Seine Untersuchungen leiden an dem Fehler, dass zu früh, in 
der ersten halben Stunde, auf Reizaddition untersucht wurde, also 
zu einer Zeit, wo die Adaptation noch wesentlich steigt. Später hat 
Piper mit seinem neueren Apparat die Frage noch einmal nach- 
geprüft und ist zu denselben Resultaten wie früher gekommen. Auch 
Messmer hat sich im selben Sinne geäussert. 

Über die Art und Weise des Zustandekommens der Reizaddition 
sind wir vor der Hand nur auf Vermutungen angewiesen. 

Der zweite Teil meiner Untersuchungen erstreckte sich auf die 
Untersuchung des Gesichtsfeldes bei Dunkeladaptation mit Lichtern, 
die unter der Schwelle des helladaptierten Auges liegen. 

Ähnliche Untersuchungen sind, wie schon oben erwähnt, schon 
von Wilbrand und Liebrecht ausgeführt worden. Sie bedienten 
sich schwach leuchtender Objekte, die sie sich mit Leuchtfärbe her- 
stellten. Nun besitzt diese Methode aber einen ganz erheblichen 
Fehler. Die Leuchtfarbe liefert zwar, wie schon Nagel und Schaeffer 
angeben, eine Lichtquelle, die im dunkeln Raum einen erheblichen 
Dämmerungswert besitzt und die unter Umständen so schwach leuchtet, 
dass sie für das helladaptierte Auge unterschwellig ist.  Anderseits 
kann das mit Leuchttirbe hergestellte Objekt auch so hell sein, dass 
es auch vom helladaptierten Auge sofort wahrgenommen wird!) Ge- 


1) Dass das von Liebrecht benutzte Objekt viel zu hell war, ergibt sich 
aus seinen eigenen Worten: „es dauert bei fast reifer, unkomplizierter Katarakt, 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 91 


rade wegen dieser Eigenschaft hat man ja die Leuchtfarbe vielfach 
zur Herstellung von Fixierzeichen benutzt, also von Zeichen, die nur 
mit der Fovea wahrgenommen werden sollen. 

Da demnach die mit Leuchtfarbe hergestellten. Objekte je nach 
der Zeit, die sie dem Tageslicht ausgesetzt waren, für das helladap- 
terte Auge bald über- bald unterschwellig sind. so sind sie gerade 
für isolierte Untersuchungen des Hell- bzw. Dunkelapparates des 
Auges durchaus ungeeignet. 

Zu solchen isolierten Untersuchungen können wir allein Objekte 
gebrauchen, von denen wir sicher wissen, ob sie für das helladaptierte 
Auge über- oder unterschwellig sind. 

Denn auch für die Untersuchung pathologischer Verhältnisse 
der Stäbchen- und Zapfenfunktion ist es dringend nötig, dass die 
Versuchsanordnung oder die Untersuchungsmethode eine solche ist, 
dass sie wirklich die isolierte Untersuchung der Stäbchen- oder der 
Zapfenfunktion gestattet. Denn wenn Hell- und Dunkelapparat in 
inkonstantem Stärkeverhältnis am Sehakte teilnehmen, können wir 
unter pathologischen Verhältnissen ebensowenig konstante Resultate 
erhalten, wie unter physiologischen. 

Die Untersuchung des Gesichtsfeldes mit Leuchtfarben kann 
demnach keinen grösseren Anspruch auf Genauigkeit machen, als 
die von anderer Seite geübte Untersuchung des Gesichtsfeldes im 
Dunkelzimmer bei niedrig geschraubter Lampe (Schirmer, Axenfeld). 

Um exaktere Werte zu erhalten. habe ich mir einen besonderen 
Apparat (Dunkelperimeter) konstruieren lassen (schon publiziert in 
Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. Bd. II. S. 35-4. 1906). Als Fixations- 
objekt im Nullpunkt des Perimeterbogens dient eine kleine 7,5 Volt- 
lampe, die in einem lichtdichten Kästchen untergebracht ist. In die 
vordere Wand dieses Kästchens wurde eine Rubinglasscheibe ein- 
gesetzt und diese durch eine Metallblende so weit verdeckt, dass 
nur eine kleine kreisförmige Öffnung von 2—3 mm Durchmesser frei- 
blieb. Das von dieser Lampe gelieferte Licht ist auch für das hell- 
adaptierte Auge überschwellig und kann deswegen leicht mit der 
Fovea fixiert werden, und es geschieht das um so prompter, da nach 
v. Kries (2?) die Empfindlichkeit für rotes Licht zentral am höchsten 
ist. Anderseits wird von dieser Lichtquelle die Umgebung der Fovea 
wobei noch Finger in 1—2 m gezählt werden, ebenso wie bei dichter Hornhaut- 
trübung eine oder mehrere Minuten, bis das Leuehtobjekt zentral gesehen wird.“ 
Ein Objekt, das in solchen Fällen überhaupt nach 1—2 Minuten wahrgenommen 
wird, ist für Prüfung der Dunkeladaptation gänzlich ungeeignet. 


Q2 K. Stargardt 


so gut wie gar nicht beeinflusst. Das rote Licht hat speziell auch 
keine Wirkung auf den Sehpurpur und die Sehpurpurbildung. 

Als Prüfungsobjekt diente eine zweite 7,5 Voltlampe, die eben- 
falls in ein lichtdichtes Kästchen eingeschlossen war. In den Deckel 
dieses Kästchens konnten Blenden verschiedener Grösse eingesetzt 
werden. Für gewöhnlich wurden quadratische Blenden von 1cm 
Seitenlänge benutzt. 

Um die Helligkeit dieser Lampe auf das gewünschte Mass zu 
reduzieren, wurden hinter die Blende eine Milchglasscheibe und be- 
liebig viele dünne Kartonblätter eingelegt. 

Für gewöhnlich genüsten drei Kartonblätter; das von der kleinen, 
schwach brennenden Lampe durch diese Blätter und die Milchglas- 
scheibe hindurchgehende Licht war so schwach, dass es vom hell- 
adaptierten Auge überhaupt nicht und vom dunkeladaptierten Auge 
auch erst nach etwa 5—10 Minuten langem Dunkelaufenthalt wahr- 
genommen werden konnte. 

Zur genaueren Bestimmung der Helligkeit wurden jedesmal 
Vergleiche mit einem ebenso grossen Felde am Adaptometer angestellt. 
Die meist benutzte Helligkeit des Perimeterobjektes entsprach einer 
Empfindlichkeit von 30,2 am Adaptometer. Sollten geringere In- 
tensitäten angewandt werden, so wurde einfach die Zahl der Karton- 
blätter erhöht oder der Widerstand vergrössert. In jedem Falle 
wurde aber am Schlusse der Perimeteruntersuchung die Helligkeit 
des Objektes noch einmal am Adaptometer kontrolliert, um jede 
Fehlerquelle zu vermeiden. Der hierbei gefundene Wert, ausgedrückt 
durch die Empfindlichkeit der Netzhaut, ist im folgenden jedesmal 
in Klammern angegeben. 

Das Prüfungsobjekt, d. h. das Kästchen mit der Lampe, wurde 
auf einen Holzstiel montiert und freihändig geführt. Zu dieser An- 
ordnung wurde ich durch zwei Gründe veranlasst. Erstens ziehe 
ich persönlich die freihändige Objektführung hei jeder Art der Peri- 
metrierung vor, weil man dadurch völlige Freiheit in bezug auf 
Richtung, Schnelligkeit und Art der Objektführung gewinnt; zweitens 
ist es gerade bei Untersuchungen im Dunkelzimmer zweckmässig, 
jegliches Geräusch bei der Bewegung des Objektes zu vermeiden!) 
Der zu Untersuchende darf nicht hören, aus welcher Richtung das 
Objekt herangeführt wird, da er sonst allzu leicht verleitet wird, die 
scharfe Fixation aufzugeben. Lässt sich auch bei der freihändigen 





!j Das ist bel andern Dunkelperimetern, z. B. dem von Pollack, über dessen 
Objekthelligkeit und Verwendung nichts Näheres angegeben ist, nicht möglich. 


Über Störungen der Dunkeladaptation. 93 


Bewegung nicht jedes Geräusch vermeiden, und bemerkt man bei 
Kontrolle des zu untersuchenden Auges mit der Dunkelkammer- 
lampe ein öfteres Abweichen, so kann man durch gleichzeitige Be- 
wegung der freien Hand an irgend einer andern peripheren Stelle 
den Patienten zunächst unsicher machen. Er weiss dann, dass er 
mit dem Gehór doch nichts Sicheres über die Richtung, aus der das 
Objekt herangeführt wird, herausbekommen kann und fixiert dann 
im allgemeinen gut. Sollte auch mit dieser Methode die Fixation 
nicht sicher sein, so ist der betreffende Patient eben für diese Unter- 
suchung nicht geeignet. Im folgenden sind nur solche Untersuchungen 
angeführt und verwertet worden, bei denen durch wiederholte Kon- 
trolle und vor allem durch richtige Angabe des blinden Fleckes die 
grösstmögliche Sicherheit für richtige Resultate gewährleistet war. 
Um die Stellung des Objektes in dem Augenblick, wo es gesehen 
wurde, genau festzustellen, wurde das Objekt fest an den Perimeter- 
bogen angedrückt und mit der andern Hand durch Betasten der von 
10 zu 10° am Perimeterbogen angebrachten kleinen Einkerbungen 
der Ort auf 5° genau angegeben. 

Für gewöhnlich zeichnete eine zweite Person, die sich möglichst 
weit vom Perimeter entfernt aufstellte, beim Scheine einer roten 
Dunkelkammerlampe die gefundenen Werte sofort in ein Perimeter- 
schema ein. 

Die ganze Gesichtsfeldaufnahme geht auf diese Weise sehr 
schnell vor sich, da man selbst ja ausser dem Fixierzeichen gar 
nichts zu sehen und deswegen erst kurz vor der Untersuchung das 
Dunkelzimmer zu betreten braucht. Untersucht wurde meist nach 
3| stündiger Dunkeladaptation und zwar im Anschluss an die letzte 
Bestimmung am Adaptometer. 

Im folgenden sind der besseren Übersicht wegen die verschiedenen 
Affektionen, die zu Störungen der Dunkeladaptation führen können, 
in einzelnen Gruppen zusammengefasst. 


Einfluss der Refraktion auf die Dunkeladaptation. 
A. Emmetropie. 


17 emmetropische Augen sind im ganzen untersucht worden. 
Die höchste Endempfindlichkeit schwankte hier zwischen 8764 und 
1626; der Durchschnittswert betrug 3601. Ein Grund für besondere 
Höhe oder Tiefe der Endempfindlichkeit war weder im Alter noch 
in irgendwelchen Besonderheiten der einzelnen Augen, z. B. Pig- 
mentierung oder Pupillenweite, zu finden. Vielmehr müssen wir an- 


94 K. Stargardt 


nehmen, dass die Adaptationsfühigkeit eine Eigenschaft ist, die jedem 
Menschen in verschiedenem Grade angeboren ist. Der Gang der 
Adaptation, wie er sich kurvenmüssig feststellen lüsst, deckt sich 
durchaus mit den von Piper gemachten Angaben. In den crsten 
10 Minuten zeigen die Kurven nur einen äusserst geringen Anstieg, 
zwischen der 10. und 30. Minute findet sich die grösste Erhebung, 
dann haben die meisten Kurven ihr Maximum erreicht und verlaufen 
nun parallel zur Abscissenachse weiter, nur einige zeigen noch ein 
geringes Steigen. 

Das Dunkelgesichtsfeld war bei fünf Personen grösser als nor- 
mal, wenn man unter normal die in den meisten gebräuchlichen 
Schematen gegebene Aussengrenze versteht. Bei drei Personen war 
die Aussengrenze am Dunkelperimeter 5 und selbst 10° weiter, als 
am Hellperimeter. Farbensinn, Hellgesichtsfeld und Sehschärfe 
waren bei allen von mir untersuchten Emmetropen normal. 

Es ist natürlich nicht möglich, aus dieser relativ kleinen Be- 
obachtungsreihe an normalen Augen allgememeültige Schlüsse zu 
ziehen. Ich möchte das speziell in bezug auf die Frage, ob die 
Adaptation durch das Lebensalter beeinflusst wird, bemerken. 

Bei meinen Fällen habe ich einen solchen Einfluss nicht kon- 
statieren können. ke Gud sch be oner 6-4-Jährigen nach 45 Mi- 
nuten noch eine. 77— 2124, bei eiem 55-Jührigen. eine. I — 5505. 
Das können aber Ausnahmen sein.  Piper(1) hat die Frage auch 
offen gelassen; er glaubte auf Grund vereinzelter Beobachtungen, 
dass Jüngere Personen eine höhere Endempfindlichkeit erreichen, als 
ältere; eine Ähnliche Vermutung stellte Tschermak (2) auf; Wölfflin 
hat auf Grund von Massenuntersuchungen den Einfluss des Lebens- 
alters auf die Adaptation so gut wie ganz geleugnet, und nur eine 
leichte Abnahme ım fünften und sechsten Decennium zugegeben. 


B. Hypermetropie. 

Die Hypermetropen (22 Augen) verhalten sich genau wie die 
Emmetropen. Die Endempfindlichkeit schwankt bei ihnen zwischen 
1626 und 16267; als Durchschnittswert ergibt sich 4295. Dieser 
Durchschnittswert ist deswegen etwas höher, als bei den Emmetropen, 
weil sich unter den Iıypermetropischen Augen zwei mit ganz ausser- 
gewöhnlich hoben Endwerten (16267) fanden. Sieht man von 
diesen. beiden. Augen ab, so ergibt sich nur ein Durchschnittswert 
von 3147, der dem der Eimmetropen sehr nahe kommt. 

Der Grad der Hypermetropie ist ohne Einfluss auf die Höhe 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 95 


der Endempfindlichkeit. Auch bei höheren Hypermetropien (6 D) 
bewegen sich die Endwerte kaum unter dem Durchschnittswert. 

Auch bei den Hypermetropen habe ich einen Einfluss des Alters 
oder anderer Momente, wie Pigmentreichtum u. dgl., auf den Adap- 
tationsvorgang nicht feststellen können. 

Die Kurven gleichen durchaus denen der Emmetropen. 

Ebenso war das Dunkelgesichtsfeld in den meisten Fällen nor- 
mal, in fünf Fällen um 5—10° grösser als die normalen Grenzen. 

Der Frage, ob die allgemeine Pigmentierung und speziell die 
Pigmentierung des Auges einen Einfluss auf die Adaptationsfähig- 
keit eines Auges ausübt, wurde ganz besondere Aufmerksamkeit ge- 
widmet. Es konnte aber, wie schon oben bemerkt, ein solcher Einfluss 
weder bei Emmetropen noch Hypermetropen festgestellt werden. Auch 
bei Myopen (vgl. unten) habe ich einen solchen Einfluss nicht ge- 
funden. Es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass die Pigmentierung 
eine wesentliche Rolle spielt, vermögen doch selbst ganz pigmentfreie 
Individuen (Albinos) zu adaptieren. Allerdings scheint bei diesen 
die Endempfindlichkeit eine geringere zu sein, als beim Normalen. 
So fand ich in einem Falle nach 60 Minuten E= 625, bei voll- 
kommen normalem Dunkelgesichtsfeld (E= 42,2) und in einem 
andern Falle 7—210, ebenfalls bei normalem Dunkelxesichtsteld 
(E= 64). Es ist allerdings fraglich, ob diesen Resultaten Allgemein- 
gültigkeit zukommt, denn im ersteren Falle bestand ein sehr lebhafter, 
grossschlägiger Nystagmus, im zweiten eine Myopie von 11 Dioptrien, 
beides Umstände, denen man einen wesentlichen Einfluss auf die 
Adaptationsbreite nicht absprechen kann. 

Dass sich überhaupt beim Albino Dunkeladaptation findet, ist 
nichts Sonderbares. Lässt sich doch auch bei albinotischen Tieren 
Sehpurpur nachweisen (Greeff) und hat doch schon Kühne (1) auf 
die völlige Bedeutungslosiskeit des Pigments für die Regeneration 
des Sehpurpurs hingewiesen. 








C. Myopie. 

Auf ihre Adaptationsfühigkeit untersucht. wurden 68 ein- oder 
beiderseits kurzsichtige Personen. Bei den meisten wurden beide 
Augen untersucht, bei einzelnen nur ein Auge. Im ganzen wurden 
125 kurzsichtige Augen untersucht. Darunter befinden sich zwei, an 
denen die Fukalasche Operation ausgeführt war (Fall 14 R. und 
Fall 33 RJ, und ein Auge mit son Fuchsschem schwarzem Fleck 
(Fall 42 R.). Sämtliche Fälle sind dem Alter nach geordnet in der 


96 


K. Stargardt 


Myopie-Tabelle zusammengestellt. In den späteren Tabellen und 
Tafeln sind nur 122 Augen benutzt, die drei eben erwähnten Augen 
fortgelassen, aus später zu erwähnenden Gründen. 

Die erste uns interessierende Frage ist die, welche maximalen 








1 !IIelene A. 


2 | Frieda S. 


3 |Hans D. 


4 | Willi K. 


5 Gertrud N. 


6 | Dora R. 


T | Bruno S. 


8 | Johanna S. 


9 | Johann W. 


10 | Max B. 


11 | Walter D. 


12 | Frieda K. 


13 | Else L. 


14 ! Anna M. 


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1626 | Ringstaphyl. | Nad 
1626 | ] PD. breit ^ 
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5903  Ringstaphyl. Pa 
55080 34 PD. | , 
331 | Ringstaphyl. | Pb 
1626 ',—1PD.Bds.  , 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 97 


Empfindlichkeiten nach 45—60 Minuten langer Adaptation erreicht 


werden. Das ist zunächst festgestellt mit dem Objekt von 10cm 
Seitenlänge. Die für diese Objektgrösse gefundenen Werte sind in 


der untenstehenden Tabelle angegeben. 


Tabelle. 





Hintergrund 





Gesichtsfeld 





R. Macula gut pigmentiert, übriger Fun- 


dus ausserordentlich pigmentarm, breite, 
fast weisse Zwischenräume zwischen 
Aderhautgefässen. 


Macula gut pigmentiert, Fundus sehr 
schwach. 


Macula gut pigmentiert, Fundus leicht | Bds. normal. 19,9 
atrophisch. Peripherie normal. 
Macula gut pigmentiert, Fundus dunkel- | Bds. temporal und temporal | 51,8 
braun, Peripherie getäfelt. unten um 5°, temporal oben 
um 10° eingeengt. 
Macula dunkelbraun, Fundus gleichmäs- | Bds. temporal und temporal | 19,9 
sig braun. oben um 5—10° erweitert. 
Macula gut pigmentiert, Fundus fast al- 
binotisch, breite Venen (Vortexform). 
Macula braunrot. Bds. normal. 51,8 
Macula gut pigmentiert, kein Unterschied | Bds. temporal und temporal | 22,7 
zwischen Fundus und Peripherie. unten um 5° eingeengt. 
Fundus und Peripherie gleichmässig dun- | Bds. in allen Meridianen 5| 22,7 
kelbraun. bis 10° vergrössert. 
Fundus dunkelbraun, Peripherie getäfelt. | Bds. nasal und nasal oben 5°| 30,2 
eingeengt. 
Gut pigmentiert. * |Bds. normal. 19,9 
In Umgebung der Papille diffuse Atrophie, 
breite Venen, im übrigen Fundus und 
Macula gut pigmentiert. 
Maeula gut pigmentiert, Fundus wieFalli. | Bds. normal. 26,0 
Peripherie normal. 
Macula beiderseits fast frei, Umgebung | R. temporal und nasal bis auf | 22,7 


stark atrophisch. 5—8 PD. breiter atro- 
phischer Hof um Papille. 


v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXII. 1. 7 


30°, oben und unten auf 20? - 
eingeengt. L. Temporal und 
temporal unten um 20°, inallen | 
übrigen Meridianen um 10° 
eingeengt. | 


| 
l | 





98 K. Stargardt 














: BcpcGuad dero | ^ ^ dons 4: 2o 090 ever 
Nr. Name E Myopie | S | E | Staphylom | Typus 
15 | Georg 8. 44 — 30 s, ji 9794 li." PD. Ne 
= 30 | s Jam ^", , 
16 | Heinrich B. | 16 — 5,0 V? | 9124 |  !, PD Nd | 
— 7,0 Is | 2124 39 „ 
17 | Walter F. 16 — 35 "la 4 2124 1|, PD. Ne Ä 
— 2,75 Kë 2124 e de | 
18 | Lotte H. 16 — 5,0 sj. 3755 ı/, PD. " ' 
2 4,5 Ir 9765 » » 
19 | Karl L. 16|  —140 si, || 3745 || Ringstaphyl. | Pa | 
— 16,0 o 695 2 PD. í 
20 | Wilhelm St. | 16 — 55 $5. 2067 IL PD. Na 
— 55 9. 2061 ji i 
21 | Albert D. 17 — 1,0 9, | 9195 keine Nc 
TS 1,0 y^ | 4025 » » 
22 | Woldemar G.| 17 — 40 Se | 1626 » Na 
m. cyl. — 1,5) | ji 
oyl +20 | *" | 2724 | j 
23 | Claudius H. 17 — 20 Si | 166 | e Nd 
SES 6,0 y | . 659 | » » 
24 | August M. 17 — 14,0 ae |; 1626 ER Pa 
— 10,0 B dU | 1163 » » 
25 | Martin L. 17 — 1,75 I, 2067 keine Nc 
= 2,15 A 2422 » » 
26 | Klara N. 17 — 90 7: 1626 14 PD. 1 
— 9,0 11 1422 ,, 39 
27 | Frl. T. 18 — 1,0 Im 1450 1j, PD. 5 
az 6,0 "h | 1555 » » 
(m.cy1.— 0,75) 
28 | Albert B. 19 — 5,5 €, | 625 " Nb 
— 6,0 e ĉj | 625 e - 
99 Johann T. |19| — 70 so | 4899 | 3, PD. Nd 
— 8,0 S | 1185 a » 
30 | Oskar M. 20 — 6,0 er | 2067 1/, PD. - 
T 5,0 Ir | 2124 » » 
31 | Adolf N. 90| + 0,75 7 | 3755 : 
> 2,25 E a l 3155 „ Nc 
32 | Wilhelm P. | 20 — 70 ei . 3755 » Na 
— 6,0 Er | 9105 » » 
: | 
33 |B. 20 | ohne Glas | ai | 331 | Ringstaphyl. | Pb 
: | | / 
(Fukala) glatt | | 


— 90,0 "As || 3755 


» 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 





mEev——— ——A—Ó—— —— —— —— 





99 


Hintergrund. Gesichtsfeld | 


Ohne Besonderheiten. 


Macula besonders gut pigmentiert. Bds. temporal und temp. unten 
um 10°, im übrigen um 5° 
vergrössert. 


Ohne Besonderheiten. 
Macula gut pigmentiert. Bds. normal. 


Macula gut gefärbt, aber Lacksprünge, 

besonders rechts. Fundus leicht atro- 

phisch. 

Fundus gleichmässig rotbraun, Peripherie | L. temp. u. temp. unten D? ver- 
etwas schwächer pigmentiert. Gefässe | grössert, im übrigen bds. nor- 
etwas durchscheinend. mal. 


Ohne Besonderheiten. 


Peripherie etwas weniger pigmentiert, | R. konzentrisch um 10—15° 


getäfelt. eingeengt. L. nasale Hälfte 
10° vergrössert, im übrigen 
normal. 

Peripherie genau wie Fundus. Überall 10° grösser als normal. 


Fundus sehr pigmentarm, Gefässe frei | Bds. normal. 
auf Sklera, Peripherie fast albinotisch, 
Macula bräunlich. 


Ohne Besonderheiten. 


Ohne Besonderheiten. R. in temp. Hälfte und L. um 
10° eingeengt. 


Ohne Besonderheiten. 


Ohne Besonderheiten. Bds. konzentrisch um 5—10? 
eingeengt. 
Macula gut pigmentiert auf beiden Seiten. 
R. 19. II. 07 kl. Blutung in Maculagegend, 
jetzt kl. weisser Herd. 


Peripherie sehr schwach pigmentiert, Ge- | Bds. vollkommen normal. 
fisse überall deutlich. 


Ohne Besonderheiten. 


In náchster Umgebung der Papille ganz | Bds. konzentrisch um 5—10? 
geringe Atrophie. Macula und Fundus, eingeengt. 

dunkelbraun. Peripherie etwas schwücher | 

pigmentiert. 


Bds. gleichstarke diffuse Atrophie im gan- | Im Verhältnis zu Hellgesichts- 
zen Fundus. Peripherie etwas besser | feld, vgl. Text. 
pigmentiert. 


7* 


19,9 


22,7 


42,2 


22,7 


42,2 


51,8 


22,7 


42,2 


64,0 


64,0 
u. 
21,0 


22,7 


100 


3 Grad der | j 
Nr. | Name = Myopie S | : 


34 


35 


36 


31 


38 


39 


40 


41 


42 


43 


44 


45 


46 


47 


48 


49 


50 


51 


52 


| Theodor H. 


Frau K. 


Wilh. M. 


| 

Luise R. 
Christ. P. 
Karl B. 
Käthe J. 
Emil H. 

| 


Louis M. 


Frieda H. 


Else Sch. 


Wilh. Sch. 
Gustav N. 
Wilhelm E. 


Georg M. 


Frau A. 


| Berta B. 


Gertrud Sch. |: 


1 S. 








K. Stargardt 


21 — 18,0 
E , 
21 — 12,0 
— 12,0 
21 — 8,5 
— 1,5 
21 — 12,0 
— 11,0 
29 — 80 
— 8,5 
22 — 1,75 
— 0,75 
24 — 3,0 
— 40 
24 |cyl. — 3,0 
— 12,0 
25 — 25,0 
E 
25 — 8,0 
— 80 
| 96 — 40 
(m. cyl. — 2,0) 
— 80 
(m. cyl. — 2,0) 
27 — 1,0 
— 1,0 
21 — 11,0 
28 — 2,5 
+ 13,0 
28 — 12,0 
— 15,0 
30 — 55 
| a 4,5 
30 | — 9,0 
| — 9,0 
34!  — 1200 
— 1,0 
^82.  — 30 
— 2,5 





Flag 
6! 
i20 


5' 
.85 

5; 
.85 


"a 

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"hs 
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“hs 


"hs 
"hs 


IE rore em 
; 1626 | 
' 908 ‚fast ringförm. 





E 


1871 . 


1871 


698 ` 


166 


16267 
16267 


210 
1001 


1309 
1309 


331 
210 


145 
422 


1422 


331 
331 


1702 


659 | 


961 
1626 


1309 || 


5503 
1077 


625 
210 


718 


903 '. 
8764 


8764 
698 
2890 


gong ` 
2511 — 


D 


i 
i 


1 PD. 


| 
|| 1 PD. 
, 1 PD. 


1 PD. 
1, PD. 
1, PD. 


?? 


kein Staphyl. 


i, PD. 


LE 
„ 


Ringstaphyl. 


R. Ringstaph. 


temp. 2 PD. 

L. kein Staph. 

kein Staphyl. 
» 


i, PD. 


33 


» 


| 
| 

kein Staphyl. 
| 1 PD. 


f 
' 


kein Staphyl. 





Ringstaph yl. 
] PD. 


| 

| 

© Y PD. 
j 29 

| "PD, 
"R. Ringstaph. 
, temp. 1°, PD. 
; L. kein Staph. 
1/, PD. 


H 


| Staphylom Typu 


Pb 


99 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 





Hintergrund Gesichtsfeld 





Lacksprünge hintere Vortexvenen, Um- 
gebung der Papille stark atrophisch, fast 
weiss, etwa 4 PD. von Papille entfernt 
Fundus gut pigmentiert (Typus Nco). 


In der Macula zahlreiche weisse glän- 
zende Fleckchen, diffuse Atrophie, stark 
ausgesprochen. 


Fundus überall gleichmässig gut pigmen- | R. 15? konzentrisch. L. in temp 
tiert. Hälfte um 5° eingeengt. 


Fundus gleichmässig pigmentiert, Peri- | Bds. vollkommen normal. 
pherie etwas getäfelt. 


L. temp. Hälfte 5° eingeengt. 


Peripherie genau wie Fundus. R. 10° konzentrisch eingeengt 
Ohne Besonderheiten. | R. 5° konzentrisch. L. normal 
Fundus und Peripherie gleich. Bds. 5° konzentrisch eingeengt 


Ohne Besonderheiten. 


R. 2 zu 2',, PD. grosser schwarzer Fleck | L. temp. Hälfte 10° vergrössert. 
in Macula, von 1 PD. breitem weissem | R. nasal 5° eingeengt. 
Hof umgeben. (Typus Nc.) 


Ohne Besonderheiten. 


Ohne Besonderheiten. 


Peripherie getäfelt. 


Nächste Umgebung der Papille zeigt zarte 
Atrophie. 


Ohne Besonderheiten. R. normal. 


Zahlreiche Lacksprünge in der Macula- | R. temp. Hälfte 10° eingeengt, 
gegend, im übrigen Macula gut pigmen- | L. temp. Hälfte 15 bis 20° 
tiert. Peripherie etwas besser pigmen- : eingeengt. 
tiert, zum Teil leicht getäfelt. 


Ohne Besonderheiten. 


Maculagegend gut pigmentiert. Peripherie | R. temp. u. temp. unten 5° er- 
etwas schwücher pigmentiertals Fundus. | weitert. L. normal. 


R. Diffuse Atrophie im Fundus. Peri- 
pherie (Typus Nd). 


Peripherie etwas schwücher pigmentiert. | Vollkommen normal. 





101 


64,0 
26,0 
42,9 
14,5 


22,7 


30,2 


30,2 


91,8 


64,0 


.." 54 |Händler W. | 34 








p Staphylom X Typus 
331 | Ringstaphyl. 
145 E 
9— 





. 63'| Frau V. 32 


temp. 2 PD. 


55 Herm. A. 34 — 14,0 Man 


— 2,0 I 


1555 EE G Pe 
331 | Ringstaphyl. " 
3755 | temp. 3 PD. | 


L. kein Staph. 


56 | Emil H. 94 — 1,0 Bier 1309 35 PES 





— 15,0 o 
— 15,0 Las 
— 24,0 He 
| | 
— 7,0 a 766 " » 
51 | Herm. Schm. | 36 — 9,5 y^ 2061 » Na 
m. cyl. — 2,0 | 
— 50 o. 1626 E = 
m. cyl. — 2,0 | 
58 | Fritz V. 38 — 0,75 Bé 2422 |kein Staphyl.| Na 
— 0,5 A 2422 » e 
59 | Dora F. 39 — 15,0 Ze 210 | Ringstaphyl. | Pb 
— 15,0 A4 145 | » " 
60 | Emil H. 39 — 4,0 BE 1871 ii, ED. Na 
— 6,0 d 1309 ó » 
61 | Adolfine L. | 39 — 70 IC 331 1|, PD. Pb 
SS 8,0 Ir 903 | " nm 
62 | Bernhard St. | 40 |  — 12,0 9s | 1422 | R.1 PD. ^ 
+ 05 o, | 5503 |L.keinStaph.| Nb 
63 | Otto S. 40 — 3,0 BE 1077 y PD: Na 
Ges 2,5 D 2124 | p H 
64 | Hulda B. 45| — 80 6s 331 1 PD. Pc 
— 10,0 y 145 D 1? 
| 
65 | Kr. 4| — 90 nt. | 106 S Pb 
=. 5,0 “las | 625 | » " 
| 
66 | Pastor H. 45 — 2,0 Sj | 145 | 14 PD. » 
| | | 
67 |EmilieL.L. || — 80 e, | 766 | 1, PD à 
T 8,0 er 145 | an | 39 
68 | Sophie D. 49 — 19,0 Bi | 210 | Ringstaphyl. | „ 
| temp. 2 PD., e 
— 15,0 "hs | 210  Ringstaphyl. 





Über Stórungen der Dunkeladaptation. 103 


Hintergrund Gesichtsfeld 


ib 19,9 








Fundus fast völlig atrophisch, Peripherie | Bds. konzentrisch 10—15° ein- 
besser pigmentiert (etwa Typus Pa). geengt. 





In der Maculagegend 2 (2—3 PD. grosse) 
weisse Herde u. etwas Pigment. Hin- 
tere Vortexvenen. 


Peripherie getäfelt, Fundus auf beiden 
Seiten vollkommen gleich. 


Peripherie genau wie Fundus. Bds. temp. Hälfte 5° eingeengt. , 64,0 


L. 1⁄4 PD. grosser schwarzer Herd neben 
Ateria temp. sup. 9 PD. von Papille ent- 
fernt. 


Bds. Breite Lacksprünge in Macula, zahl- | Temp. Hälfte 5° eingeengt. 30,2 
reiche kleine weisse Herde u. Pigment- 

häufchen in Umgebung der Papille. Peri- 

pherie Typus Xd. 


Peripherie etwas schwächer pigmentiert |R. normal. L. temp. Hälfte 5 | 64,0 
als Fundus. bis 10° eingeengt. 

Zahlreiche Lacksprünge in Macula. Fun- | Bds. konzentrisch 20—25° ein- | 42,2 
dus im übrigen getäfelt, bisan Peripherie. | geengt. Vgl. Text. 


R. temp. Hälfte 15—40? ein- | 22,7 
geengt, für 81,2 auch nasale u. 
Hälfte 10°. 81,2 


R. Nur Papillenumgebung u. Macula 
diffus atrophisch, im übrigen Augen- 
hintergrund gleichmässig rotbraun bis 
an Peripherie. 








Peripherie getäfelt. 


Bds. ringsum Papille zahlreiche !/, HE 
14 PD. grosse weisse Herde mit schwarzen | 
Rändern, dazw. Fundus gut pigmentiert | 
(Typus Nd). Peripherie getäfelt. 


Bds. konzentrisch um 10? ein- | 51,8 
geengt. 


Zahlreiche Lacksprünge in Macula, Re- | 

tinalgefüsse an versch. Stellen deutlich . 

verengt (allgem. hochgradige Arterio- | 

sklerose). | 

$ , DD. langer. Biss zwischen Papille u. ; 

Macula. 

Diffuse Atrophie im Fundus sehr schwa- R. normal. L. temp. Hälfte 5°| 51,8 
schen Grades. vergróssert. 


Bds. zahlreiche Lacksprünge und gelb- | 
liche runde Herde in Maculazegend. 
Peripherie Typus Ad. 


104 K. Stargardt 


Die Bedeutung der einzelnen Kolonnen ist wohl ohne weiteres klar. 

Um eine bessere Übersicht in bezug auf die Augenhintergrundsver- 
änderungen zu ermöglichen, ist in der Tabelle in der 8. Kolonne der 
Typus jedes Augenhintergrundes durch eine Abkürzung angegeben. N be- 
deutet normaler, 2 pathologischer Fundus. Um die verschiedenen Arten 
des normalen Fundus zu kennzeichnen, ist mit Na ein gleichmässig dunkel- 
brauner, mit Nb ein getäfelter, mit Nc ein ziemlich gleichmässig roter 
Fundus, bei dem die Aderhautgefässe gerade kenntlich sind, und mit Nd 
ein hellroter Fundus bezeichnet, bei dem die Aderhautgefüsse dunkel auf 
hellem Grunde sichtbar sind. . Ebenso sind die pathologischen Hintergründe 
in besondere Gruppen geteilt. 

Es bedeutet Pa einen sehr pigmentarmen, fast albinotischen Fundus, 
bei dem die Zwischenräume zwischen den Aderhautgefässen sehr breit sind. 
Pb diffuse Aderhautatrophie; der Hintergrund sieht wie abgeschabt aus, das 
Pigmentepithel fehlt streckenweise, gelbliche oder rosa mehr oder weniger 
grosse Flecke sind sichtbar, daneben ist eine sehr unregelmässige Pigmen- 
tierung vorhanden; Pe herdförmige Atrophie, weisse scharfrandige, mehr 
oder weniger grosse und vereinzelte oder zahlreiche Herde sind vorhanden; 
Pd völliger oder fast völliger Schwund der Aderhaut auf grossen Strecken, 
so dass die Sklera zum grossen Teil frei liegt. 

Diese Einteilung ist natürlich eine etwas künstliche, da sich all’ die 
verschiedenen Erscheinungen, die wir im Augenhintergrunde bei Kurz- 
sichtigen sehen, nicht ohne Zwang in scharf begrenzte Gruppen bringen 
lassen. Wo es sich um wesentliche Abweichungen von diesen Typen 
handelt, ist das auch in Tabelle 1 angegeben. 


Ein Blick auf die Tabelle I zeigt, dass die maximalen 
Empfindlichkeitswerte sich in sehr weiten Grenzen bewegen 
und es ist deswegen nótig, einmal festzustellen, von welchen 
Ursachen die Adaptationsfähigkeit abhängt. Die erste 
Möglichkeit wäre die, dass das Alter einen bestimmten 
Einfluss auf die Adaptationsbreite bei Myopen ausübt. 

Eine bessere Übersicht über diesen Einfluss als die Ta- 
belle gibt uns die Taf. II, in der diemaximalen Empfindlich- 
keitswerte für jedes einzelne Auge eingetragen sind. 


In der Abscisse ist das Alter, in der Ordinate die Empfindlich- 
keit angegeben. Aus praktischen Gründen sind die vier Augen, 
deren Empfindlichkeitswert mehr als S000 beträgt, nicht mit in der 
Tabelle verzeichnet, sondern oberhalb mit der ihnen entsprechenden 
Empfindlichkeitszahl angeführt. 

Schon ein Blick auf die Taf II genügt, um zu zeigen, dass ein 
gesetzinüssiger Unterschied in der Höhe der Empfindlichkeit in den 
verschiedenen Lebensaltern bei Myopie nicht besteht. 

Wird für jedes Lebensjahr der Durchschnittswert aus sämtlichen 
Empfindlichkeitswerten berechnet, die so gefundenen Durchschnitts- 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 105 


werte in die Tafel eingetragen und die eingetragenen Punkte mit- 
einander verbunden, so ergibt sich eine Kurve, wie sie ebenfalls Taf. II 
zeigt (Kurve 1). 

Auch aus dieser Kurve ersieht man, dass sich ein für alle Fälke 
gültiges Gesetz über die Zu- oder Abnahme der Adaptationsfähig- 
keit des kurzsichtigen Auges in den verschiedenen Lebensaltern nicht 
aufstellen lässt. 

Es ist allerdings zuzugeben, dass die Möglichkeit, eine in ge- 
wisser Beziehung konstante Durchschnittskurve zu erhalten, besteht, 
wenn eine bei weitem grössere Zahl von Augen der Berechnung zu- 
grunde gelegt wird. | 

Hier, wo im ganzen nur wenige Fälle, bisweilen 1 oder 2, höchstens 
aber 11 auf ein Jahr entfallen, wird die Kurve durch vereinzelt ex- 
quisit hohe oder niedrige Empfindlichkeitswerte viel zu sehr beeinflusst. 

Das zeigen ja vor allem die hohen Anstiege im 7., 21. und 
30. Lebensjahre. 

Eine Kurve, die schon eine gewisse Gesetzmässigkeit erkennen 
lässt, erhält man, wenn man nicht für jedes Lebensalter für sich die 
Durchschnittswerte berechnet, sondern die Fälle aus mehreren Jahren 
zusammenfasst. | 

In der Taf. III ist das in der Weise geschehen, dass die Fälle 
aus je 5 Jahren zusammengefasst, der Durchschnittswert aus ihnen 
berechnet und dieser Durchschnittswert an derjenigen Stelle der 
Abscissenachse eingetragen ist, die dem Mittelwert der betreffenden 
5 Jahre entspricht. Ä 

Es sind also (z. B.) die Fälle aus den Jahren 20—25 zusammen- 
gefasst und ihr Durchschnitt bei 22!|, eingetragen. 

Diese so erhaltene Kurve (1) Taf. III zeigt nun in der Tat eine 
gewisse Gesetzmüssigkeit. 

Sie bleibt bis zum 27. Jahre annähernd auf gleicher Höhe, sinkt 
dann aber ziemlich gleichmässig bis zum 47. Jahre. Die Abnahme 
vom 27. bis 47. Jahre ist eine nicht unbeträchtliche, die Durch- 
schnittsempfindlichkeit sinkt in diesen 20 Jahren ziemlich gleich- 
mässig von 2646 auf 332; die Empfindlichkeit ist demnach im Durch- 
schnitt im 47. Lebensjahre nur noch tl so gross wie im 27. 

Ich glaube, dass durch diese Kurve die Verhältnisse in den 
verschiedenen Lebensaltern ganz gut wiedergegeben werden und ich 
glaube kaum, dass selbst durch Massenuntersuchungen diese Kurve 
eine wesentliche Änderung erfahren wird. 

Wir können demnach sagen, dass zwar nicht im Einzelfalle 


106 K. Stargardt 


eine Abhüngigkeit der Adaptationsfáhigkeit des kurzsichtigen Auges 
vom Lebensalter festzustellen ist, dass aber bei Zugrundelegung einer 
grösseren Zahl von Fällen sich eine durchschnittliche Abnahme der 
Adaptationsfähigkeit etwa vom 27. Lebensjahre an ergibt. 

Es könnte sich hier nun noch die Frage erheben, ob der Ver- 
lauf der zuletzt erwähnten Durchschnittskurve für das Lebensalter 
bei Myopen nicht auch noch von andern Umständen beeinflusst wird. 
Es kämen da vor allem der Grad der Kurzsichtigkeit (vgl. auch unten) 
und das Vorhandensein oder Fehlen von Augenhintergrundsverán- 
derungen (vgl. ebenfalls unten) als beeinflussende Faktoren in Be- 
tracht. 

Was zunächst den Einfluss des Kurzsichtigkeitsgrades auf die 
Alterskurve betrifft, so ist er ganz unwesentlich. Nur für die 
wenigen Fälle jenseits des 46sten Lebensjahres kommt er etwas in 
Betracht. 

Anders steht es mit dem Einfluss der Augenhintergrundsver- 
änderungen auf die Alterskurve. Kurve 2 gibt die Durchschnitts- 
werte für alle Augen ohne, Kurve 3 für die Augen mit Hinter- 
erundsveränderungen an. In beiden Kurven sind analog, wie bei 
Kurve 1, Taf. Ill, stets die in ein Quinquennium gehörenden Fälle 
zusammengefasst. Die beiden Kurven zeigen nun einen wesentlich 
verschiedenen Verlauf. Zwar überragt Kurve 3 bis zum 15. Lebens- 
jahre etwa noch die Kurve 2; dann aber sinkt sie allmählich auf 
einen Wert, der vom 27. Lebensjahre an bis zu Ende sich nur un- 
erheblich ändert. Kurve 2 dagegen zeigt im Anfang der zwanziger 
Jahre einen starken Anstieg, um dann auch allmählich abzunehmen 
bis zum 37. Lebensjahre. Über den weiteren Verlauf kann nichts 
weiteres ausgesast werden, da diesbezügliche Beobachtungen fehlen. 

Man könnte im Hinblick auf Kurve 2 und'3 darüber streiten, ob 
es angebracht ist, überhaupt von einer allgemeinen Altersabnahme, 
wie sie durch Kurve 2 wiedergegeben ist, zu sprechen, und ob es 
nicht richtiger ist, ein für allemal, zwischen den Augen mit und ohne 
Hintergrundsveränderungen eine scharfe Trennung eintreten zu lassen. 

Diese Frage wird sich meines Erachtens nur an der Hand eines 
sehr grossen Materials entscheiden lassen können. Es muss aber von 
vornherein darauf hingewiesen werden, dass gegen eine solche Trennung 
der Umstand spricht, dass Augen, die in den höheren Lebensaltern 
Augenhintersrundsveränderungen aufweisen, in den ersten Decennien 
davon frei sein können, und dass demnach eine einwandfreie Trennung 
nicht moglich. ist. 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 107 


Die zweite Frage wäre nun die, wieweit der Grad der Kurz- 
sichtigkeit auf das Adaptationsvermögen einwirkt. 

In Taf. IV sind ganz analog wie in Taf. II die Empfindlichkeits- 
maxima für jedes Auge eingetragen, nur stehen hier in der Abscissen- 
achse die Dioptrienwerte statt der Jahreszahl. 

Aus der Tafel ergibt sich, dass auch für die einzelnen Dioptrien 
die Empfindlichkeitswerte ausserordentlich schwanken. Berechnet 
man für alle, auf jede Dioptrie entfallenden Augen den Durch- 
schnittswert und trägt die gefundenen Durchschnittswerte in die Tafel 
ein, so ergibt sich Kurve 1, Taf. V. Diese Kurve zeigt entgegen 
dem, was man eigentlich erwarten sollte, ihre höchsten Anstiege bei 
9 und 11 Dioptrien, dann einen rapiden Abfall bei 15 Dioptrien. 

Dem Kurvenverlauf von 15—28 Dioptrien brauchen wir keine 
besondere Bedeutung beizulegen, da die für ihn massgebenden Fälle 
zu wenig zahlreich sind. 

Die auffallende Erscheinung, dass die höchsten Empfindlichkeits- 
werte bei 9 bzw. 11 Dioptrien zu finden sind, bleibt auch dann be- 
stehen, wenn man nicht für jede einzelne Dioptrie, sondern für 
Dioptrien-Gruppen die Durchschnittswerte bestimmt. 

Zu dem Zwecke sind hier 18 Augen von 0,5 —2 Dioptrien, 
23 von 2,5—4 D, 22 von 4,5—6 D, 17 von 1—8 D, 21 von 9— 12 D, 
13 von 13—15 D, schliesslich 8 Augen von 16—28 Dioptrien zu je 
einer Gruppe zusammengefasst, ihr Durchschnittswert berechnet und 
die so gefundenen Durchschnittswerte in Taf. V eingetragen. Es 
entsteht so die Kurve 2, die ihr Maximum bei etwa 10 Diop- 
trien hat. 

Es ist nun die Frage, wie wir uns die Erscheinung, dass die 
höchsten Empfindlichkeitswerte bei Augen mit 9 bis 12 Dioptrien 
gefunden werden, zu erklären haben. 

Die Zahl der beobachteten Fälle kann hier nicht in Betracht 
kommen, denn es sind nicht weniger als 21 Fälle zwischen 9 und 
12 Dioptrien untersucht worden. Dagegen ersehen wir aus der Tafel, 
dass es sich im wesentlichen um 4 Augen handelt, von denen je 
zwei einer Person angehören (Fall 50 u. 37), die auf die Durchschnitts- 
werte gerade an dieser Stelle wesentlich einwirken. 

Lassen wir nur die beiden Augen (Fall 37) mit einer Empfindlich- 
keit von je 16267 fort, so erhalten wir als Durchschnittswert für die 
Gruppe 9—12 Dioptrien einen Wert von 2353 (Kurve 2b, Taf. V), 
also einen Wert, der den Durchschnittswerten der Gruppen bis un- 
gefähr 9 Dioptrien gleichkommt. Wir können diesen Fall 37 des- 


108 K. Stargardt 


wegen unberücksichtigt lassen, weil er, wie schon erwähnt, ganz ab- 
norm hohe Werte zeigt. 

Es ergibt sich demnach, dass die Adaptationsfähigkeit von 0,5 bis 
12 Dioptrien zwar in den einzelnen Fällen recht erhebliche Schwan- 
kungen zeigt, dass aber die aus einer grösseren Zahl von Beobach- 
tungen gewonnenen Durchschnittswerte ziemlich konstant bleiben. Von 
12 Dioptrien an zeigt sich eine entschiedene Abnahme der Adap- 
tationsfähigkeit, doch ist über den Grad derselben, speziell bei den 
höchsten Formen der Kurzsichtigkeit, nach den hier vorliegenden 
Beobachtungen wegen ihrer geringen Zahl nichts Sicheres zu sagen. 

Von gewissem Interesse ist auch die Frage, ob die sogenannten 
Staphylome oder Coni am Sehnerveneintritt einen Einfluss auf die 
Hóhe der Adaptationsfühigkeit des kurzsichtigen Auges haben. Ich 
habe, um dieser Frage näher zu treten, die 122 Augen in verschie- 
dene Gruppen eingeteilt (vgl. folgende Seite). 

Die erste Gruppe umfasst 16 Augen, bei denen kein Conus nach- 
weisbar war; die zweite Gruppe diejenigen (60) Augen, die einen 
temporalen Conus bis zu !/, Papillendurchmesserbreite aufwiesen; die 
dritte Gruppe 12 Augen, mit einem Conus von !j,—!|, Papillendurch- 
messer Breite; die vierte Gruppe 14 Augen mit einem Conus von 
!/, bis 1 Papillendurchmesser Breite; in der fünften Gruppe sind die 
16 Augen mit sogenannten Ringstaphylomen zusammengestellt und 
zwar sind hier nur diejenigen Ringstaphylome eingerechnet, die sich 
durch eine scharfe Grenze von der umliegenden mehr oder weniger 
normalen Aderhaut abheben. 

Bei allen in dieser Gruppe eingereihten Ringstaphylomen ist der 
temporale Teil bedeutend breiter, als der nasale, und variiert zwischen 
l und 3 Papillendurchmesser Breite. 

Dieser Unterschied ist aber deswegen nicht weiter berücksichtigt, 
weil — wie ich gleich vorwegnehmen möchte — dadurch ein Einfluss 
auf die Adaptationsbreite nicht herbeigeführt wird. 

In der 6. Gruppe sind schliesslich die Fälle vereinigt (4 Augen), 
bei denen das breite Ringstaphylom sich nicht mehr von der stark 
atıophischen Umgebung abgrenzen liess. 

Für jede dieser Gruppen ist dann der Durchschnittswert der 
maximalen Empfindlichkeit berechnet worden. Die sich dabei er- 
gebenden Zahlen sind aus der nebenstehenden Tabelle zu ersehen. Anf- 
fallend in dieser Tabelle ist die hohe Zahl für Gruppe 3. Es ist aber da- 
bei zu beachten, dass unter den 12 Augen dieser Gruppe sich die 2 Augen 
(Fall 37) mit ganz abnorm hoher Empfindlichkeit (16267) befinden. 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 109 


niacin" ——————————————ÉÉÁÉ = 
m LL 

















Zahl | | Durchschnitt 
der E | | Augenhintergrunds- 
Augen [* ds Dioptrien veränderungen 
I 18 |kein Staphylom 1 2169 9.6 | T 
Il . 60 1/, PD. breite Staph. 2089 5,3 20/9 
4120 
III 12- (UL. cw 5 reduz. 1,8 250%, 
: |. 2050 
V 14 | S Y js | 1155 11,8 11°, 
16 ingstap ylome m. 
VI | scharfen Grenzen 1499 id Sr 
4 iRingstaphyl. ohne | : 
| Grenze | 1464 20,0 100^/, 


Lásst man diese Augen, die das Resultat ausserordentlich be- 
einflussen, fort, so ergibt sich auch für Gruppe 3 ein bedeutend 
niedrigerer Wert, 2050. 

Betrachten wir nach dieser Reduktion die Tabelle, so finden wir 
zwischen den Fällen ohne Staphylom und mit Staphylom bis zu 
!, Papillendurchmesser Breite eine auffallende Übereinstimmung. 
Ebenso finden wir eine übereinstimmende Höhe der maximalen Emp- 
findlichkeit bei den Gruppen 4 bis 6 

Es stehen demnach den Fällen, bei denen kein oder höchstens 
ein !|, Papillendurchmesser breites Staphylom vorhanden ist, die Fälle 
gegenüber, in denen das Staphylom mehr als !|, Papillendurchmesser 
breit ist. 

Man kónnte demnach glauben, dass durch die Conusbildung eine 
Herabsetzung der Adaptationsfühigkeit bedingt ist. Das ist aber in 
der Tat nicht der Fall, wie sich aus einer nüheren Betrachtung der 
in der Tabelle angegebenen beiden letzten Rubriken ergibt. 

In der einen dieser Rubriken ist für jede Gruppe der durch- 
schnittliche Grad der Kurzsichtigkeit in Dioptrien verzeichnet, in der 
letzten Rubrik ist für jede Gruppe der Prozentsatz der Augen ange- 
geben, bei denen sich Augenhintergrundsveränderungen finden. 

Es findet sich nun für Gruppe 1—3 im Durchschnitt nur eine 
Myopie bis 8 Dioptrien, in Gruppe 4—6 dagegen sehen wir wesentlich 
höhere Grade, nämlich 11—20 Dioptrien. 

Es finden sich ferner in den 3 ersten Gruppen keine oder höchstens 
25%, der Fälle mit Augenhintergrundsveränderungen, wihrend in den 
Gruppen 4—6 der Prozentsatz der Augen mit Hintergrundsver- 
änderungen 71—100 ist. 

Wir werden demnach wohl richtiger die Annahme, dass das 
Staphylom einen Eintluss auf die Adaptationsfähigkeit hat, von der 


110 K. Stargardt 


Hand weisen müssen. Vielmehr lassen sich die Unterschiede in der 
Adaptationsbreite auf den verschiedenen Grad der Myopie und vor 
allem auf das Vorhandensein oder Fehlen von Augenhintergrunds- 
veränderungen zurückführen. 

Höchstens können wir sagen, dass im allgemeinen ein Staphylom, 
das breiter als !|, Papillendurchmesser ist, auf eine geringe Adaptations- 
fähigkeit hinweist. Es gilt dies aber nur im allgemeinen. 

Im Einzelfalle sehen wir unter Umständen selbst bei Ringstaphylom 
und ausgedehnter peripapillärer Atrophie hohe Empfindlichkeitswerte 
(z. B. Fall 33 L. 3755), während bei Fällen ohne Staphylom und 
ohne Hintergrundsveränderungen (z. B. Fall 43 R. u. L.) sich ganz 
geringe Adaptationsbreiten (331) finden können. 

Über die Abhängigkeit der Adaptationsfähigkeit von dem Vorhan- 
densein oder Fehlen von Augenhintergrundsveränderungen 
gibt auch Taf. IV einen Überblick. Es sind darin die Fälle ohne Augen- 
hintergrundsveränderungen durch Punkte, diejenigen mit Augenhinter- 
grundsveränderungen durch kleine Kreise angegeben. Man erkennt 
sofort, dass die geringen Adaptationsbreiten sich vorwiegend bei Augen 
mit Hintergrundsveränderungen finden, während die höheren und 
höchsten Adaptationsbreiten, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, 
nur von Augen ohne Hintergrundsveränderungen erreicht werden. 

Um eine genauere Einsicht in diese Verhältnisse zu erhalten, 
ist es zweckmässig, die beobachteten Fälle in verschiedene (Gruppen 
einzuteilen (vgl. folgende Seite). 

Ich habe 6 Gruppen gebildet. In der I. Gruppe finden sich die 
Augen, die eine maximale Empfindlichkeit von weniger als 500 erreichen, 
in der II. Gruppe diejenigen von 500—1000, in der III. diejenigen 
von 1000—2000, in der IV. solche von 2000—4000, in der V. 
Gruppe diejenigen von 4000—8000 und in der VI. Gruppe die Augen 
mit einer Eıinpfindlichkeit von 8000—16 000. 

In der I. Gruppe finden sich unter 23 Augen nur 7 ohne Augen- 
hintergrundsveränderungen, d. h. 30°. In Gruppe II finden wir, wie 
beistehende Tabelle zeigt, schon 57, in Gruppe III 68, Gruppe IV 88, 
Gruppe V 66, Gruppe VI 100. Es ergibt sich hiernach eine dauernde 
prozentualische Zunahme der Fälle ohne Augenhintergrundsverände- 
rungen in den Gruppen mit höheren Empfindlichkeitswerten. 

Auffallend ist immerhin, dass in der V. Gruppe, also einer 
Gruppe mit recht hohen Empfindlichkeitswerten, sich noch drei Augen 
mit Augenhintergrundsveründerungen finden; das sind die Augen von 
Fall 1 und 13. In beiden Fällen war die Pigmentierung der Macula 


Über Störungen der Dunkeladaptation. 111 


Tabelle über die Beziehungen der Adaptation zu den 
Augenhintergrundsveränderungen bei Myopie. 


























Ohne it 
Sean | Augenhiutergrundsveränderungen 

: e) lpi æ : 2 
$| mx E ag ial MEE MEE 
= > Te Ze = — eo |! — o 
c NE! 1 | A Ng << a ` "P < A 
T 1500 |23 |33J.|12 | T= 309, |207. 12 16 = 7097, |383. 11 
II ' 500-1000) 21 25, | 7,5112 519,128, | 55^ 9—439, 27, | 9 
II (1000—2000; 31 |23, | 8,521 = 687,23, | 6,5 || 10 — 32*/, |21,, | 15 
IV ,2000—4000.34 90, | 47]30— 889,|21, | 3,7: 4=12%, |15,, | 12,5 
Y E 3 9 |16, | 55| 6— 669,118, | 38: 3—33*, 19, | 9 
| 8000 bis | i | 

| 16000 4 (25,|10 | 4—100*,/25, |10 | 





eine gleichmässig gute, der übrige Fundus wies deutliche Zeichen 
von Atrophie auf. 

Da der gut pigmentierte Bezirk einen Breitendurchmesser von 
etwa 3 PD. und einen Höhendurchmesser von 2 PD. hatte, so ist es 
wohl möglich, dass die Adaptation dieser relativ grossen Stelle eine 
gute, in der Umgebung dagegen eine schlechtere war. Doch sind 
Untersuchungen über die Empfindlichkeit an verschiedenen Stellen 
der Netzhaut bei diesen drei Augen nicht angestellt. 

Auch bei den beiden Augen, Fall 3 und Fall 19, finden wir 
relativ hohe Empfindlichkeit trotz vorhandener Augenhintergrunds- 
veránderung, aber auch hier ist die Macula gut piginentiert, wenn 
sie auch in einem Falle (Fall 19) Risse aufweist. Ob wir jedoch die 
hohe Empfindlichkeit mit der guten Pigmentierung in Zusammenhang 
bringen dürfen, wird zum mindesten zweifelhaft durch den Vergleich 
mit Fall 33 L. Hier haben wir eine sogar sehr hohe Adaptations- 
fáhigkeit, obwohl der ganze Fundus mit Einschluss der Macula aus- 
gesprochene Degenerationserscheinungen aufweist. 

Wie weit das Alter und die Hóhe der Kurzsichtigkeit auf die 
einzelnen Gruppen mit und ohne Augenhintergrundsveränderungen 
wirkt, ergibt sich aus der obenstehenden Tabelle. Der einzige Ein- 
fluss, den man hier konstatieren kann, ist der, dass auf die Fälle 
mit Augenhintergrundsveränderungen das Alter insofern einen Einfluss 
ausübt, als die Empfindlichkeitswerte hier mit zunehmendem Alter 
ein konstantes Sinken zeigen; ein Verhalten, das wir ja auch schon 
in Taf. III, Kurve 1 gesehen haben. 

Wir werden also im allgemeinen Stórungen der Adaptation bei 
Myopen in erster Linie auf Hintergrundsveränderungen zurückführen 


113 K. Stargardt 


müssen, wenn wir auch nicht in jedem Falle eine genaue Überein- 
stimmung zwischen Adaptationshóhe und objektiv nachweisbaren Ver- 
ünderungen finden. Es liegt das offenbar daran, dass wir nicht immer 
im stande sind, aus dem Augenspiegelbilde sichere Schlüsse auf den 
Grad der degenerativen Prozesse im Auge zu ziehen. 

Da von manchen Seiten behauptet worden ist, dass die allgemeine 
Pigmentierung des Kórpers einen Einfluss auf die Adaptationsfáhigkeit 
hat, so móchte ich auch diese Frage an Hand des daraufhin unter- 
suchten Materials (64 Fülle) für die Kurzsichtigen zu beantworten 
suchen. 

Von den 64 Augen gehóren 27 blonden, 26 brünetten und 11 
schwarzhaarigen Personen an. 


Total | Ohne Mit 
| | | Augenhintergrundsveränderungen 
d ës A ; 
Gruppe | j e Eu x E > | e e. = 
c = « e = « ei = < 
E = | | ee | 8 2 











I. Blond. | 1916 | op |21J. | ?11 | 54 | 197. |, 1326 | 12.5 95 J. 








3035 | 3598 | 69 | 24, 
II. a 7,6 | 27, |reduz. |reduz. | reduz. 317 | 11,5 | 43,, 
| 1931 2254 65 | 24J. : 


III.Schwarz| 1498 | 6,5 | 81, | 1728 49 | 21, | 885 | 9,0 | 39, 


en 


Eine Übersicht der Augen der I. Gruppe (blond) zeigt recht 
grosse Verschiedenheit der Adaptationfähigkeit. Die nach 45 Minuten 
gefundene Empfindlichkeit schwankt zwischen 145 und 4329. Zieht 
man den Durchschnitt aus sämtlichen 27 Augen der I. Gruppe, so 
erhält man eine Durchschnittsempfindlichkeit von 1916. 

In der II. Gruppe schwanken die nach 45 Minuten gefundenen 
Empfindlichkeitswerte zwischen 145 und 16267. Der Durchschnitts- 
wert beträgt hier 3035. 

In der III. Gruppe finden sich Werte von 331 bis 3755, und 
als Durchschnittswert 1498. 

Vergleichen wir die Werte der drei Gruppen, der I. Ggs 1916, 
der II. 3035 und der IIT. 1495, so könnte es den Anschein haben, 
als ob bei einer mittelstarken Allgemein-Pigmentierung gerade die 
höchsten Adaptationsbreiten vorkämen. Nun finden sich aber gerade 
in der II. Gruppe zwei Augen mit einer ganz abnorm hohen Emp- 
findlichkeit (16267). Um die in der Il. Gruppe gefundenen: Werte 
durch diesen aussergewöhnlich seltenen Fall nicht beeinflussen zu 
lassen, tun wir gut, die beiden Augen ausser Betracht zu lassen. 





Über Stórungen der Dunkeladaptation. 113 


Es bleiben dann in der II. Gruppe 24 Augen, für die sich ein Durch- 
schnittswert von 1931 findet. 

Vergleicht man nach dieser Reduktion die drei Gruppen mitein- 
ander, so findet sich gerade das Umgekehrte dessen, was man eigent- 
lich erwartet hatte, nàmlich die niedrigsten Empfindlichkeitswerte bei 
schwarzen, die hóchsten bei blonden und brünetten Individuen. Es 
fragt sich, ob bei Kurzsichtigkeit nicht doch noch eine Reihe von 
andern Momenten vorhanden sind, die den Zusammenhang zwischen 
allgemeiner Pigmentierung bzw. Haarfarbe und Adaptationsbreite 
verschleiern. 

Eine Hauptrolle in dieser Beziehung könnten ja die Augen- 
hintergrundsveränderungen spielen. Fasst man in jeder Gruppe die 
Augen mit Hintergrundsveränderungen und diejenigen ohne Verände- 
rungen zusammen und berechnet aus ihnen die Durchschnittswerte, 
so ergibt sich als Durchschnittswert für Augen mit Hintergrunds- 
veränderungen bei Blonden (9 Augen) 1326, bei Brünetten (4 Augen) 
317, bei Schwarzhaarigen (3 Augen) 885; es ergibt sich ferner für 
Augen ohne Hintergrundsveränderungen bei Blonden (18 Augen) 
2211, bei Brünetten (22 Augen) 3528, oder richtiger nach Abzug 
des abnorm hohen Wertes von Fall 37 (16267) für 20 Augen 2254, 
für Schwarzhaarige (8 Augen) als Durchschnittswert 1728. 

Bei der Betrachtung der verschiedenen Gruppen fällt auch hier 
wieder auf, dass bei den Augen mit Hintergrundsveränderungen die 
höchsten Durchschnittswerte bei blonden Individuen zu finden sind, 
während bei Augen ohne Augenhintergrundsveränderungen bei Blon- 
den und Brünetten sich ungefähr gleich hohe Werte finden, die die 
bei Schwarzhaarigen weit überragen. 

Wie weit der Grad der Kurzsichtigkeit oder das Alter des be- 
treffenden Patienten einen Einfluss auf den Zusammenhang zwischen 
Adaptationsbreite und Haarfarbe ausübt, ergibt sich ebenfalls aus 
der beistehenden Tabelle. Es werden hier für die schon vorhin er- 
wähnten Empfindlichkeitswerte die entsprechenden Durchschnittswerte 
sowohl für das Lebensalter als für die Zahl der Dioptrien eingetragen. 
Danach ist ein Einfluss des Grades der Kurzsichtigkeit nicht zu kon- 
statieren, denn wir finden gerade bei schwarzhaarigen Individuen mit 
den niedrigsten Empfindlichkeitswerten nicht etwa die höchsten, son- 
dern umgekehrt die niedrigsten Kurzsichtigkeitserade. 

Wir sehen ferner, dass bei Blonden. deren. Empfindlichkeitswerte 
die der III. Gruppe bei weitem. übertreften, das Lebensalter im 
Durchschnitt ein geringeres ist, und man kann deswegen wohl daran 


v. Graefe'à Archiv für Oplithalmologie. LX XHI, 1, 3 


114 K. Stargardt 


denken, dass die hohen Adaptationsgrade bei Blonden durch das 
relativ geringe Lebensalter bedingt sind. Ein solcher Einfluss des 
Lebensalters auf die Adaptationsfáhigkeit ist ja in der Tat, wie sich 
aus der Alterstabelle ergibt, nicht ganz zu leugnen. Dass aber etwa 
durch den Einfluss, den das Lebensalter ausübt, ein Überwiegen der 
Adaptationsfáhigkeit der stark Pigmentierten vollkommen verschleiert 
wird, kann man für ausgeschlossen erklären. 

Nach alledem lässt sich über den Einfluss der allgemeinen Pig- 
mentierung speziell der Haarfarbe nur soviel sagen, dass eine höhere 
Adaptationsfähigkeit bei stark pigmentierten Myopen jedenfalls nicht 
vorhanden ist, vielmehr eher das Gegenteil zutrifft. 

Der Verlauf derAdaptationskurven bei Myopie bietet im ein- 
zelnen keine Besonderheiten. In den ersten 10 Minuten ist die Æ 
sehr gering, um bis zur 20. Minute schon recht erheblich zu steigen. 
Der grösste Anstieg fällt zwischen 20 und 30 Minuten. Bei 30 Mi- 
nuten ist in den meisten Fällen das Maximum schon erreicht. 

In Taf. VI sind einige Kurven abgebildet, die das eben ge- 
sagte illustrieren. Nur die Kurve von Fall 33 L. weicht etwas von 
den übrigen ab. Der abnorme Verlauf im Anfangsteil ist wohl dar- 
auf zurückzuführen, dass an dem Tage, an dem die Kurve aufge- 
nommen wurde, schr trübes regnerisches Wetter herrschte, so dass 
eine gute Helladaptation der Aufnahme nicht vorausgehen konnte. 

Was das Dunkelgesichtsfeld bei Myopie betrifft, so ist es bei 
71 Augen aufgenommen worden. Eine Übersicht über die dabei 
gefundenen Veränderungen ist in Tabelle I gegeben. Normal — d.h. 
ın der Grösse, wie die Aussengrenze des Gesichtsfeldes in den gewöhn- 
lichen Gesichtsfeldschematen z. B. von Nieden angegeben wird — 
wurde das Gesichtsfeld in 23 Fällen gefunden: vergróssert bei 12 Augen, 
eingeengt bei 36 Augen. 

Der Grund, warum das Gesichtsfeld in dem einen Fall grösser, 
im andern kleiner gefunden wurde, lässt sich deshalb in den meisten 
Fällen nicht sicher angeben, weil wir ja nicht in der Lage sind, die 
entsprechenden peripheren Stellen im Auge zu untersuchen. 

Wir sind also auf Vermutungen angewiesen. Immerhin können 
wir uns auch bei diesen Vermutungen auf eine einigermassen sichere 
Basis stellen, wenn wir den Grad der Kurzsichtiskeit und das Ver- 
halten des Augenhintergerundes genauer berücksichtigen. 

Vergrössert war das Gesichtsteld in 12 Fällen; sämtliche Fälle 
zeigten vollkommen normalen Hintererund, mit Ausnahme eines cin- 
zigen Falles ‘67 L.); aber auch in diesem letzteren Falle war der 


Über Störungen der Dunkeladaptation. 115 


e 


Augenhintergrund nur im Fundus oculi verändert, die Peripherie 
war vollkommen normal. 

Der Grad der Kurzsichtigkeit schwankte bei den Fällen mit 
Vergrösserung zwischen 2 und 9 Dioptrien. 

Die Vergrösserung war stets eine sehr geringe, 5, höchstens 10°; 
da wir solche Vergrösserungen auch bei normalen Augen häufig 
finden, können sie etwas besonderes für die Myopie nicht bedeuten, 
sondern stellen nur eine besonders grosse Form des normalen Dunkel- 
gesichtsfeldes dar. 

Normal war das Gesichtsfeld bei 23 Augen. Auch hier war 
der Augenhintergrund in der überwiegenden Zahl der Fälle (16) 
vollkommen normal. Da wo sich Augenveränderungen fanden, 
waren sie nur im Fundus festzustellen (Fall 3 R. u. L; 13 R. u. L; 
67 R.), nur in einem Falie (24 R. u. L.) war die Peripherie sehr 
pigmentarm, fast albinotisch; direkt krankhafte Prozesse waren aber 
auch hier an der Peripherie nicht zu finden. Der Grad der Kurz- 
sichtigkeit schwankte bei den Augen mit normalem Gesichtsfeld 
zwischen 1,5 und 14 Dioptrien. | 

Die Einengung des Gesichtsfeldes war entweder eine konzen- 
trische oder eine partielle. Die partielle Einengung betraf gewöhn- 
lich die temporale Hälfte (16mal) und betrug im allgemeinen nur 
5—109. Nur in zwei Fällen (48 L. und 62) war sie erheblicher, 
15—20, bzw. 15—40°. In den beiden letzteren Fällen war die 
stärkste Einengung ım horizontalen Meridian festzustellen, und sie 
entsprach auf 5° genau der Einengung für Weiss des Hellgesichts- 
feldes. Ein Grund war mit dem Augenspiegel nicht zu entdecken. 
Eine Einengung nur in der nasalen Hälfte und zwar um 5? fand 
sich nur dreimal (10 R. u. L.; 42 R). Bei allen Fällen mit partieller 
Einengung wurden periphere Veränderungen von Bedeutung nicht 
festgestellt. 

Konzentrische Einengunz habe ich 17mal gesehen. Nur ein- 
mal war die Einengung stärkeren Grades, 20—25° (Fall61 R. u. L.), 
im übrigen bewegte sie sich in miüssigen Grenzen, 5—15?. Neun 
Fälle zeigten Veränderungen im Fundus, in keinem einzigen der 
Fälle aber waren Veränderungen an der Peripherie zu sehen. Aller- 
dings waren die den Gesichtsfelddefekten direkt entsprechenden Par- 
tien mit dem Augenspiegel nicht zu kontrollieren. Der Grad der 
Kurzsichtigkeit schwankte bei den Fällen mit Einengung des Ge- 
sichtsfeldes zwischen 1,5 und 25 Dioptrien. 

Ein Eintluss des Grades der Kurzsichtigkeit auf die Grösse 

Hi 


116 K. Stargardt 


des Dunkelgesichtsfeldes ist nun sicher vorhanden. Während bei 
den Fällen mit vergróssertem Gesichtsfeld die Kurzsichtigkeit im 
Durchschnitt 5 Dioptrien und bei den Fällen mit normalen Ge- 
sichtsfeldern 6 Dioptrien beträgt, finden sich bei den Fällen mit 
konzentrischen Einengungen 8 und bei den mit partiellen, halb- 
seitigen 11 Dioptrien als Durchschnittswerte. 

Im allgemeinen nimmt also die Häufigkeit der Gesichtsfeldein- 
engungen mit der Häufigkeit von Augenhintergrundsveränderungen 
und mit dem Grade der Kurzsichtigkeit zu. Mit sehr schwachen 
Lichtern (E=250—500) finden sich auch am Dunkelperimeter 
viel häufiger stärkere periphere Einengungen. Wir müssen daraus 
schliessen, dass die Peripherie zwar in solchen Fällen dunkel adap- 
tiert, aber schlechter als normal. 

Es ist nun von einem gewissen Interesse, die Veränderungen 
des Dunkelgesichtsfeldes mit denen des Hellgesichtsfeldes zu ver- 
gleichen. 

Einengung des Hellgesichtsfeldes sind schon von Uschakoff, 
Reich, Mitkewitsch, Lievin, Mauthner, Chauvel, Baas (Lit. 
bei Baas), ferner von L. Weiss und Bull beschrieben. 

Bull behauptete sogar, dass von 4—6 Dioptrien stets eine 
konzentrische Einengung gefunden wurde. Das hat schon Baas 
widerlegt, der auch bei vielen Fällen von höhergradiger und höchst- 
gradiger Kurzsichtigkeit normale Aussengrenzen gefunden hat. Ich 
kann mich der Baasschen Ansicht in bezug auf das Hellgesichts- 
feld nur anschliessen. 

Was ich nun als sehr auffallende Tatsache konstatieren konnte, 
ist die in allen meinen Myopie- Füllen gefundene Übereinstimmung 
der Aussengrenzen des Dunkelgesichtsfeldes mit den Aussengrenzen 
des Hellgesichtsfeldes für Weiss. Diese Übereinstimmung war in 
allen meinen Fällen bis auf 5° genau. Abweichungen um 5° können 
aber meines Erachtens durch die nicht zu umgehenden Fehlerquellen 
beim Perimetrieren allein bedingt sein. 

Diese Tatsache ist besonders wichtige mit Rücksicht auf den 
Nachweis einer peripheren Solutio-Retinae (vgl. diese). 

Was noch andere Veränderungen im Dunkelgesichtsfeld betriftt, 
so fand sich in einem Fall (42 R.) mit Fuchsschem „schwarzen 
Fleck“ in der Macula ein Zentralskotom, einmal (Fall 64) liess sich 
auch für kleinere Objekte (5 mm Seitenlänge) das bei. Chorioiditis 
disseminata (vgl. diese) von mir gefundene „Tauchen“ der Objekte 
feststellen. 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 117 


Nicht ohne Bedeutung für die Beurteilung der gefundenen 
Gesichtsfeldwerte scheint mir die Frage zu sein, wie es sich mit 
dem Grade der Adaptationsfühigkeit der Peripherie bei Myopie 
verhält. 

Geprüft wurden mit dem Adaptometer Stellen, die 30 bzw. 60° 
seitlich vom Zentrum gelegen waren und zwar mit Objekten von 
10cm Seitenlänge In etwas über 50°, der Fälle wurden peripher 
etwas höhere Werte gefunden, als zentral. Von diesen Fällen zeigten 
die meisten nur mässige Erhöhungen an der Peripherie, etwa um 
20°% der zentralen Werte. In einigen Fällen war aber die Diffe- 
renz eine erheblichere, um ungefähr das doppelte (Fall 50: zentral 
8764, peripher 16267; 61 L.: zentral 903, peripher 1626), ja selbst 
um das dreifache (Fall 23: 659 zentral, 1784 oben und 2067 nasal). 
In Fall 61 kann die Differenz durch Veränderungen im Zentrum 
erklärt werden, in den beiden andern Fällen (23 und 50) fehlten 
aber derartige Veränderungen. Ob man hier die zentrale Herab- 
setzung der Adaptation schon im Sinne beginnender zentraler Er- 
krankung deuten kann, möchte ich dahingestellt sein lassen. 

In etwas über 30°), der Fälle waren die Empfindlichkeitswerte 
an der Peripherie gleich hoch, wie im Zentrum. 

Und in 15°, fand sich ein Überwiegen der zentraleren Netz- 
hautteile über die Peripherie. 

Auch hier waren die Differenzen recht geringe. Nur zweimal 
(Fall 32 und 48) fanden sich grössere Unterschiede. In Fall 32 
fand sich zentral X —= 3750, peripher nur 331, ohne dass eine Ur- 
sache dafür gefunden werden konnte. In Fall 48 fand sich zentral 
E = 625, peripher nur 145, ebenfalls ohne ersichtliche Ursache. 

Bei allen peripheren Prüfungen müssen wir daran denken, dass 
für ungeübte Beobachter alle Eindrücke, die nicht zentral erfolgen, 
besonders schwer zu beurteilen sind. Die meisten Patienten machten 
bei der peripheren Schwellenbestimmung so ungenaue Angaben, dass 
die Resultate nicht verwertet werden konnten. Die obigen Angaben 
beziehen sich nur auf Beobachtungen an 30 Fällen; bei diesen fanden 
sich auch bei mehrfachen Kontrollprüfungen immer angenähert die 
gleichen Resultate. 

Von gewissem Interesse ist auch die Frage, ob durch die Fukala- 
sche Operation die Adaptationsfühigkeit eines Auges merklich be- 
einflusst wird. Von den beiden wegen Myopie operierten Fällen 
(14 und 33), die mir zur Verfügung standen, ist leider nur einer zu 
verwerten; da in dem andern noch so dichte Sekundürkataraktmassen 





118 | K. Stargardt 


vorhanden waren, dass die Herabsetzung der Empfindlichkeit dadurch 
allein erklárt werden konnte. 

Im Falle 33 handelte es sich um einen intelligenten 21 jährigen 
jungen Menschen, bei dem im Jahre 1902 die Linse des rechten 
Auges wegen hochgradiger Myopie entfernt worden war. 1903 war 
noch einmal eine Discission ausgeführt worden. Zur Zeit der Unter- 
suchung seiner Adaptation bestand rechts eine Sehschürfe von al, (glatt) 
ohne Glüser. Von der Linse waren nur noch periphere Reste vor- 
handen, das Zentrum der Pupille war vollkommen frei. 

Der Fundus zeigt auf dem operierten Auge genau dieselben Ver- 
ünderungen, wie auf dem linken, nicht operierten, auf dem eine Myopie 
von 20 D und S = “h; bestand. Es fand sich beiderseits eine diffuse, 
über den ganzen Fundus ausgedehnte Aderhautatrophie mässiren 
Grades. Trotzdem stieg auf dem rechten operierten Auge die Emp- 
findlichkeit nur auf 331, auf dem linken auf 3755, während die 
Anfangswerte (nach 1 Minute) ungefähr gleich waren (9,59 und 14,05). 

Dass diese Differenz schon vor der Operation bestanden hatte, 
kann aus zwei Gründen als sehr unwahrscheinlich gelten. Erstens 
war sie dem Patienten, der sich sehr gut selbst beobachtete, spontan 
aufgefallen, er kam direkt mit der Klage, dass er in der Dämmerung 
seit der Operation sein rechtes Auge nicht benutzen könnte; und 
zweitens finden sich bei Augen mit gleich hoher Myopie und gleichen 
Veränderungen im Aussenhintergerunde nie derartige Differenzen zwischen 
beiden Seiten. 

Nur bei Anisometropie (viel. diese) können erhebliche Unterschiede 
in dem Sinne vorkommen, dass auf dem kurzsichtireren Auge wesentlich 
niedrigere Werte gefunden werden (z. B. Fall 25, 51, 55, 62). Im 
Falle 33 war jedoch vor der Operation die Myopie auf beiden Seiten 
gleich hoch, 20 D, und mit dem Augenspiegel liessen sich nie Diffe- 
renzen zwischen beiden Augen nachweisen. 

Wir müssen also in diesem Fille doch wohl annehmen, dass 
die Herabsetzung der Adaptationsfühiskeit durch die Operation be- 
dingt ist. Die feineren Vorgänge, die zu dieser Herabsetzung führten, 
entziehen sich allerdings unserer Beurteilung. Erwähnen möchte ich 
hierbei, dass nach Erfahrungen von Herrn Prof. Schirmer, nach 
Fukala Öperierte öfter über Sehstörungen bei herabsesetzter Be- 
leuchtunz klagen. 

Im Falle 33 war auch das Dunkelgesichtsfeld merklich kleiner 
als das Hellgesichtsfeld für Weiss. Es ist das wohl leicht durch die 
peripher noch vorhandenen Linsenreste zu erklären, die bei grösseren 


Über Störungen der Dunkeladaptation. 119 


Helligkeiten noch Licht genug zu den peripheren Netzhautteilen ge- 
langen liessen, bei so geringen Helligkeiten aber, wie sie am Dunkel- 
perimeter zur Verwendung kommen, nicht mehr genügend durchlässig 
waren. 

Es ist sehr wohl möglich, dass die Untersuchung der Adaptation 
bei Myopen auch für die Praxis speziell in bezug auf die Prognose 
von grosser Bedeutung wird. So möchte ich glauben, dass schlechte 
Adaptationsfähigkeit vor allem im Kindesalter auf einen malignen 
Verlauf der Myopie hinweist, Gewissheit kann in dieser Frage aber 
erst durch Untersuchungen gebracht werden, die sich über Jahre und 
Jahrzehnte erstrecken. 


D. Astigmatismus. 


21 Astigmatismusfülle standen mir zur Untersuchung zur Verfügung. 
Die bei ihnen gefundenen Endwerte der Empfindlichkeit schwankten 
zwischen 625 und 8764. Im Durchschnitt fand sich 3454, also ein Wert 
der von dem Durchschnittswert der Emmetropen und Hypermetropen 
nicht wesentlich verschieden ist. Auch bei den Astigmatikern war 
ein Einfluss des Alters, der Haarfarbe und der Augenpigmentierung 
nicht zu konstatieren. Auch gleichen die Kurven in ihrem Verlaufe 
völlig den Kurven der Emmetropen und Hypermetropen. Eine an- 
dere Frage ist die, ob nicht die Art des Astigmatismus einen Ein- 
fluss auf die Adaptation hat. Als Durchschnittswert von 9 hyper- 
metropischen Astigmatismen fand ich 3442, von 7 zusammengesetzten 
hypermetropischen Astigmatismen 5197 oder, wenn man den einen, 
ausnahmsweise hohen Fall (16267) fortlässt, 3352; unter 7 einfachen 
myopischen Astigmatismen 3737. Die Durchschnittswerte bewegen 
sich also ungefähr auf gleicher Höhe. Eine Ausnahme macht nur 
der Astigmatismus mixtus. In zwei Fällen, in denen in einem Me- 
ridian eine Myopie von 3,5 bzw. 2,0 D und im andern eine Hyper- 
metropie von 0,5 bzw. 1 Dioptrie bestand, fand sich zwar eine durch- 
aus gute Adaptationsfühigkeit (E = 5503), in zwei Fällen dagegen 
war die Adaptationsfühigkeit eine sehr schlechte. Es handelt sich 
hier um zwei Augen, die in einem Meridian eine Hypermetropie von 
20, im andern eine Myopie von 5,0 Dioptrien aufwiesen. Trotz 
Korrektion blieb die Sehschärfe eine schlechte (°l, bzw. "ho Irgend- 
welche krankhaften Veränderungen waren aber nicht nachweisbar. 
Die Adaptationskurve zeigte nun in beiden Fällen einen normalen 
Verlauf, stieg aber trotz 60 Minuten langer Adaptation nur auf 766 
bzw. 625. Wir müssen wohl annehmen, dass die Minderwertiskeit 


120 K. Stargardt 


von Augen mit gemischtem Astigmatismus, die sich ja in der Un- 
möglichkeit, trotz Gläserkorrektion eine normale Sehschärfe zu er- 
zielen, zeigt, auch einen Ausdruck in der Herabsetzung der Adapta- 
tionsbreite findet. 

Was das Dunkelgesichtsfeld bei Astigmatismus betrifft, so war 
es in den meisten Fällen normal, in 3 Fällen sogar etwas übernormal. 
Nur in den beiden Augen mit gemischtem Astigmatismus fand sich 
eine Einengung um 5—10°. Diese Einengung stimmte, ähnlich wie 
ich es bei Myopie beobachtet habe, mit der Einengung des Tag- 
Gesichtsfeldes für Weiss überein. 


E. Aphakie. 


Bei Aphakischen fand ich mehrmals Herabsetzung der Adapta- 
tionsfähigkeit, trotzdem die übrigen Funktionen, wie Sehschärfe, Ge- 
sichtsfeld und Farbensinn durchaus gute waren. Es war in diesen 
Fällen auch gleichgültig, ob mit oder ohne Brille untersucht wurde. 
Die Adaptationsstörungen machten sich immer nur durch eine nied- 
rige Kurvenhöhe bemerkbar, das Dunkelgesichtsfeld war in allen 
Fällen normal. | 

Die Herabsetzung der Endempfindlichkeit war zum Teil eine 
recht beträchtliche; in einem Falle von Aphakie nach traumatischem 
Katarakt 210 (auf dem gesunden Auge 2724), in einem andern eben- 
solchen 1077 (auf dem gesunden Auge 5503). In beiden Fällen 
liess sich eine Ursache nicht nachweisen. Eine Blutung ins Auge, 
an die man ja als adaptationsverminderndes Moment denken könnte, 
hatte auch nicht stattgefunden. 

Bei Aphakie nach Operation unkomplizierter Altersstare war 
die Herabsetzung lange nicht so beträchtlich, so fand sich in einem 
Falle 1038, in einem andern 1309. 

Diese immerhin mässigen Herabsetzungen könnten durch gering- 
fürige Anomalien in der Brechung oder Durchlässigkeit der brechen- 
den Medien ihre Erklärung finden. 

Oflen bleibt aber die Frage nach einer Erklärung für die starke 
Herabsetzung in dem einen Fall von traumatischer Katarakt. 


F. Anisometropie. 

Besondere Beachtung verdienen die Fälle von Anisometropie. 
Schon bei Normalen fällt die individuelle Verschiedenheit in der 
Kurvenhóhe und in gewisser Beziehung auch im Kurvenverlauf auf 
(Piper). Mit diesem individuellen Faktor müssen wir nun auch in 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 191 


allen pathologischen Fällen rechnen. Es wird dadurch die Beurtei- 
lung, ob wir es mit einer normalen oder pathologischen Adaptation 
zu tun haben, wesentlich erschwert. Denn es kann die Adaptation 
durch irgendwelche krankhaften Affektionen im Vergleich zu ihrer 
früher vorhandenen Höhe wesentlich herabgesetzt sein, und doch 
können sich die gefundenen Werte noch in normalen Grenzen be- 
wegen. Wir wissen aber in vielen Fällen nicht, ob die Adaptation 
früher besser gewesen ist oder nicht. Gerade in solchen Fällen 
gibt uns der Vergleich mit dem andern Auge manchen Aufschluss. 
Aber auch hier liegt noch eine Fehlerquelle versteckt. Denn es 
braucht die Adaptationsfähigkeit auf beiden Augen nicht die gleiche 
zu sein. 

Bei gleicher Refraktion und im übrigen gleichen Aussehen zweier 
Augen sind die Differenzen in der Adaptationshöhe allerdings nur 
geringfügige, ja sie liegen meist im Bereich der Feblerquellen, die 
der Untersuchung nun einmal anhaften. 

Nur bei Myopen kommen auch bei gleichem Grade der Myopie 
auf beiden Augen recht verschiedene Adaptationshöhen vor (vgl. 
Myopie-Fälle 11: R. 2724, L. 4329, 56: R. 1309, L. 766, 67: R. 
(60, L. 145). Es haben aber (vgl. oben) gerade bei Myopie noch 
andere Momente, als der Grad der Refraktionsanomalie, einen be- 
stimmenden Einfluss auf die Adaptationsbreite. 

Bei Anisometropie kann nun auf beiden Seiten die Dunkel- 
adaptation vollkommen gleich sein. So fand ich bei einseitigem 
Astigmatismus hyperop. von 2D E = 20067, genau wie auf dem an- 
dern emmetropischen Auge. Ebenso kann bei verschieden hohem 
Grade einer Refraktionsanomalie die Adaptation auf beiden Seiten 
dieselbe sein (vgl. Myopie-Fülle 2: R. — 5,0, L. — 2,0; 12: R. — 10, 
L. — 13); dasselbe kann der Fall sein, wenn auf dem einen Auge 
eine Myopie, auf dem andern eine Hypermetropie oder Astigmatis- 
mus besteht (vgl. Myopie- Tabelle Fall 7 und 31). 

Viel häufiger aber als eine Übereinstimmung finden wir bei 
Anisometropie eine Differenz zwischen beiden Augen in bezug auf 
die Adaptationsfähigkeit. 

Ist die Differenz auch meist gering (z. B. Myopie-Fälle 23, 24, 
25), so kann sie doch auch recht erheblich sein. 

So finden wir bisweilen die Endempfindlichkeit doppelt so hoch 
auf dem einen, als auf dem andern Auge (vgl. Myopie-Tabelle Fall 29 
und 34), ja selbst dreifache (ebenda Fall 4S und 63), vierfache (Fall 62), 
sechs- und zehnfache Werte (vel. Fall 65, 19 und 55) können vor- 


122 K. Stargardt 


kommen. Stets finden sich die höheren Endempfindlichkeitswerte 
auf dem Auge mit geringerer Anomalie. Das kommt besonders bei 
der Myopie zum Ausdruck. Trotzdem können wir den Grad der 
Myopie nicht als allein ausschlaggebend für die Adaptationsfähigkeit 
des myopischen Auges ansehen; denn stets fanden sich auf dem 
schlechteren Auge auch die stärkeren objektiven Veränderungen. 

Dass schon geringe Grade von Anisometropie eine Differenz in der 
Adaptationshöhe bedingen, dafür möchte ich einen Fall anführen, 
der wegen der einwandsfreien Beobachtungsfähigkeit des Untersuchten 
besondere Beachtung verdient. 

Es handelt sich um einen 31jührigen Augenarzt, der auf dem 
einen Auge eine Hypermetropie von 0,5, auf dem andern einen ein- 
fachen hyperopischen Astigmatismus von 0,75 D aufwies. Mit korri- 
sierenden Gläsern bestand beiderseits normale Sehschürfe. Farben- 
sinn, Gesichtsfeld, auch Dunkelgesichtsfeld waren normal. 

Die Adaptationskurven aber zeigten eine deutliche Differenz. 
Während der Anfangswert beiderseits gleich war (1,025), stieg die 
Kurve in 45 Minuten R. auf 5500, L. auf 3755. Diese Werte 
fanden sich ganz konstant, auch bei wiederholter Nachprüfung. 


Schielamblyopie. 

Dass Amblyopie auf einem Schielauge häufig keinen Einfluss 
auf die Adaptation hat, habe ich ebenso wie Lohmann gefunden. 
In drei Fällen, in denen die Sehschärfe auf dem Schielauge auf 
Fingerzählen gesunken war, war die Endempfindlichkeit dieselbe, wie 
auf dem besseren Auge. In zwei Fällen fand ich sie aber auf dem 
Schielauge nur halb so hoch, in einem Fall !/, und in einem Fall '!/, 
so hoch wie auf dem besseren Auge. In allen diesen Fällen war eın 
Grund zu der Herabsetzung weder in der bestehenden Refraktions- 
anomalie, noch ın sonstigen Veränderungen im Auge zu finden. Wir 
müssen hier also die Herabsetzung der Adaptationsfähirkeit in Zu- 
sammenhang mit der Schielamblyopie bringen. Zeigen sich demnach 
die Erscheinungen der Schielamblyopie im wesentlichen am „Hell- 
ange“ in Form der Herabsetzung der Sehschürfe, so bleibt doch. auch 
das „Dunkelauge“ nicht mamer gänzlich von Störungen frei. 


Einfluss von Retinal- und Chorioidealerkrankungen auf die 
Dunkeladaptation. 
Bei den Erkrankungen der Netzhaut und Aderhaut finden wir 
mannigfache Adaptationsstörungen. [eh habe beide Gruppen zu- 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. — 193 


sammengefasst, da es bei manchen Erkrankungen, z. B. der Retinitis 
pigmentosa, speziell in bezug auf die Dunkeladaptation zweifelhaft 
sein kann, ob wir sie mehr zu den Netzhaut- oder den Aderhaut- 
erkrankungen rechnen sollen. 

Von den Netzhauterkrankungen oder Anomalien erwühne ich 
zuerst Markhaltige Nervenfasern bei einem Patienten mit sonst 
gesunden Augen. Die Endempfindlichkeit betrug hier nur 1001 
Rechts und 903 Links (zu Beginn beiderseits 1,6). Es sind das 
Werte, die entschieden als abnorm niedrig aufzefasst werden müssen. 
Im übrigen war der Kurvenverlauf und das Dunkelgesichtsfeld normal. 
Dass die markhaltigen Nervenfasern auf die Adaptation einen direkten 
Einfluss haben, ist wohl auszuschliessen. Eher kónnen wir bei solchen 
Augen, ühnlich wie bei gewissen astigmatischen, von einer gewissen 
Minderwertigkeit, die sich in bezug auf die Adaptation äussert, 
sprechen. 

In das Gebiet vorübergehender Adaptationsstörungen gehören 
die durch Commotio retinae bedingten Störungen. 

Ich habe 3 Fälle peripherer Berlinscher Trübung untersucht. 

In zwei Fällen fand sich mit dem Adaptometer vollkommen 
normaler Befund, sowohl zentral, wie peripher (Endwerte 3059 und 
4667 und normaler Kurvenverlauf) Die befullenen Teile entzogen 
sich der Untersuchung, vor allem wohl wegen zu ungenauer Fixation, 
dann aber wegen relativer Kleinheit des befallenen Bezirkes. Erst 
mit dem Dunkelperimeter liess sich in ihnen ein völliges Fehlen der 
Adaptation nachweisen. Auch stärkste Dämmerungswerte wurden 
nicht erkannt. In dem einen Falle fand sich an der Stelle des 
Defektes im Dunkelgesichtsfeld auch ein absolutes Skotom im Hell- 
gesichtsfeld. 

Das Skotom im Hellgesichtsfeld war nach zwei Tagen nur noch 
ein relatives, und nach drei Tagen völlig verschwunden, das Skotom 
im Dunkelgesichtsfeld blieb drei Tage unverändert und war für 
schwächere Lichter (Æ = 30,2) auch noch nach 5 Tagen nachweis- 
bar. Im andern Falle war das Hellgesichtsfeld auch für Farben 
stets normal. Die Trübung war hier allerdings auch viel geringer, 
als im ersten Falle. Auch der Defekt im Dunkelgesichtsteld war 
im zweiten Falle schon nach zwei Tagen verschwunden. 

In einem dritten Falle (vier Tage post trauma) von Berlinscher 
Trübung, die ebenfalls an der Peripherie ‚lokalisiert war, fand sich 
eine erhebliche Herabsetzung der Adaptationsfüähiekeit (EZ Gu 
nach 60 Min. im ganzen Auge) Ein Einfluss der Trübung, der 


124 K. Stargardt 


übrigens auch im Dunkelgesichtsfeld ein absolutes Skotom entsprach, 
während das Hellgesichtsfeld normal war, lag hier jedoch nicht vor. 

Vielmehr müssen wir in diesem Falle einer neben der Papille 
entstandenen Blutung die Schuld an der Adaptationsstörung bei- 
messen. Es entspricht das ganz dem Verhalten, das ich auch sonst 
bei Netzhautblutungen gefunden habe. 

Dass intraokulare Blutungen überhaupt einen wesentlichen 
Einfluss auf die Dunkeladaptation ausüben, ergibt sich aus vier 
von meinen Fällen. 

1. 16jähriger Arbeiter. Vor 7 Tagen Trauma, Blutung in Vorder- 
kammer und in Glaskörper, dicht hinter der Linse. Zur Zeit der Unter- 
suchung Iris deutlich grünlich verfärbt, Hyplıaema resorbiert, Glaskörper 
klar. Beiderseits S — "|,. Am Adaptometer nach 50 Min. R. 3510, L. 2303. 
Diese Werte werden ganz konstant, auch bei mehrfach wiederholter Prüfung 
angegeben. 

2. 24 jähriger Maurer. Vor 14 Tagen Trauma. Grosse Blutung in 
der Maculagegend. S = !|, Am Adaptometer in der Umgebung der 
Macula nach 45 Min. Z = 2,99, an der Peripherie nirgends höher als 
625. Auf dem andern Auge mit gleicher Refraktion E — 5503. Dunkel- 
gesichtsfeld zeigt grosses (25?) Zentralskotom und temporale Einengung 
um 259, 

3. 34jührige Lehrerin. 6 Wochen alte Blutlache von 4 PD. Durch- 
messer nasal] von der Papille. Ursache unbekannt. Ausser leichter Anämie, 
gesteigerten Patellarreflexen und positiv rechtsseitigen Babinski nichts Patho- 
logisches nachweisbar. R. S = *[;, L. S*|,. 

Am Adaptometer findet sich rechts nach 1 Minute E — 1,154, links 
erst noch 5 Minuten 1,117. Nach 45 Minuten rechts Z == 27214, links 625. 


4. 64,jährige Schneiderin; Arteriosklerose, sonst gesund. Grosse Blutung 
in GC Maculagegend links, über deren Dauer nichts SES zu eruieren 

; S — Fingerzáhlen in 2 m. 

Am Adaptometer zu Beginn rechts 1,79, links 1,19, nach 45 Minuten 
rechts 2303, links 967. 

Es ergibt sich aus diesen vier Fällen, dass durch Blutungen 
im Glaskörper oder in der Netzhaut die Adaptation nicht nur an 
der Stelle der Blutung und in deren nächster Umgebung (Fall 2) 
hochgradig gestört wird, sondern dass nach einem gewissen Bestande 
der Blutung eine Störung der Adaptation im ganzen Auge eintritt. 

Dieser Schluss, dass die Blutung an der Herabsetzung der 
Adaptation im ganzen Auge schuld ist, ist um so zwingender, als 
es sich in allen vier Fällen nur um Blutungen handelte und keinerlei 
Komplikationen vorhanden waren, aus denen man die Störung der 
Adaptation erklären konnte. In einem Falle (3) könnte man vielleicht 
an eine Verspätung und Verlangsamung des À daptationsvorganges 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 125 


-— 


denken, da an dem kranken Auge erst nach fünf Minuten das maxi- 
mal helle Feld am Adaptometer erkannt wurde, ich möchte aber 
auch hier annehmen, dass das einfach auf eine geringere Ordinaten- 
höhe der Gesamtkurve zurückzuführen ist. Auch Fall 4 bestätigt diese 
Ansicht. Hier waren die Empfindlichkeitswerte auf dem kranken 
Auge von Anfang an geringere, als auf dem gesunden, und blieben 
es auch im ganzen Verlauf. 

Während im allgemeinen das Dunkelgesichtsfeld Ausfälle nur 
an der Stelle der Blutung zeigte, fand sich in einem Fall auch eine 
temporale periphere Einengung (Fall 2). 

Eine Erklärung für die bei intraokularen Blutungen auftreten- 
den Adaptationsstörungen ist meines Erachtens in einer hämatogenen 
Siderosis zu finden. 

Besitzen doch gerade die Pigmentepithelzellen eine ganz be- 
sondere Affınität zu dem aus Blut oder Fremdkörpern stammenden 
Eisenoxyd (v. Hippel jun.). 

Die Eisenablagerung in den Pigmentepithelzellen führt zu einer 
Funktionsstörung der Zellen, die sich in hemeralopischen Erschei- 
nungen äussert. Ob nun bestimmte, z. B. die peripheren Zellgruppen 
besonders empfindlich sind und darauf gewisse Gesichtsfeldstörungen 
zurückzuführen sind (periphere Einengung in Fall 2), möchte ich 
vorläufig dahingestellt sein lassen. 

Viel ausgesprochener und deswegen schon länger bekannt sind 
die durch exogene Siderosis — d. h. durch Siderosis infolge eines 
von aussen in das Auge eingedrungenen und allmählich der Auflösung 
verfallenden Eisensplitters — entstandenen Hemeralopien. Ich habe 
drei derartige Fälle beobachtet. 

In dem einen Falle war dem Patienten von einer Verletzung 
gar nichts bekannt. Er kam mit unbestimmten Sehstörungen. Es 
fand sich eine ausgesprochene Siderosis bulbı, veranlasst durch einen 
mit dem Sideroskop nachweisbaren Splitter an der äussersten Peri- 
pherie unten im Glaskörper. Sphincter pupillae und Ciliarmuskel 
waren paretisch, die Iris intensiv verfärbt, im übrigen das Auge 
normal. 

Am Adaptometer fand sich erst nach 5 Minuten eine messbare 
Empfindlichkeit 1,93 und nach 50 Minuten X = 331: auf dem andern 
normalen Auge fand sich nach 50 Minuten 7 — 3155 (zu Beginn 1,93). 

In dem zweiten Falle sass ein kleiner schon stark verrosteter 





Eisensplitter in der Linse, die Regenbogenhaut war aber noch nicht 
verfärbt. Trotzdem bestand schon ausgesprochene Hemeralopie. Erst 


126 K. Stargardt 


nach sechs Minuten wurde überhaupt etwas am Adaptometer erkannt 
(E — 1,154), nach 50 Minuten war E — 81,2 auf dem kranken, 
3755 auf dem gesunden Auge (zu Beginn 2,37) Besonders der 
letzte Fall zeigt, wie frühzeitig das Pigmentepithel der Verrostung 
anheimfállt. Das Gesichtsfeld auch am Dunkelperimeter zeigte in 
beiden Fällen noch keine wesentlichen Einengungen; auch der kurven- 
mässig dargestellte Verlauf der Adaptation liess Besonderheiten nicht 
erkennen. 

Farbensinn und Farbengesichtsfeld zeigt bei den beiden Fällen 
von exogener Siderosis ebensowenig Störungen wie in den Fällen 
intraokularer Hämorrhagie. Im dritten Falle bestand ebenfalls schon 
ausgesprochene Hemeralopie (/7 — 145 nach 45 Min., auf dem ge- 
sunden Auge 1626), obwohl sich keinerlei Zeichen einer Siderosis 
nachweisen liessen. Der Splitter sass in diesem Falle schon seit 
11 Jahren unten an der Peripherie in der Netzhaut oder Aderhaut. 

Stórungen der Adaptation habe ich ebenso wie Lohmann und 
Horn auch bei Retinitis albuminurica beobachtet. Die Stórungen 
waren hier am hochgradigsten im Zentrum, entsprechend dem Haupt- 
sitz der retinalen Veränderangen. Aber auch die mit dem Augen- 
spiegel frei gefundene Peripherie wies Herabsetzungen der Empfind- 
lichkeit auch bei langem Dunkelaufenthalt auf. So fand sich in 
einem Falle mit hochgradigen Veränderungen im Fundus (weisse 
Plaques und Blutungen) zentral /] — 5,26, peripher an einzelnen 
Stellen 331, an andern 625. 

Worauf wir die Stórungen der Adaptation gerade bei Albumi- 
nurie zurückführen müssen, ist nicht in jedem Falle ganz klar. Es 
kommen hier verschiedene Faktoren in Betracht. Erstens können 
die Blutungen einen Einfluss ausüben, zweitens können die hoch- 
gradigen Veränderungen in der Netzhaut eine Rolle spielen, und 
drittens können auch Aderhautveränderungen in Betracht kommen, 
die zwar mit dem Augenspiegel nicht nachweisbar, aber doch im 
stande sind, das Pigmentepithel in seiner Funktionsfähizkeit wesent- 
lich zu schädigen. 

Von Retinitis pigmentosa standen mir 7 Fälle aus verschie- 
denen Stadien der Erkrankung zur Verfügung. 


1. Z, 21jährizer Landmann. 5 —— ^4, Gesielitsteld. für Weiss auf 20° 
eingeengt, Farben noch stiäirker; typisehe Ret. pigmentosa; Papille stark 
verfärbt, ganzer Augenhintergrund zeigt charakteristische Färbung. Knochen- 
körperehen sehr reiehlieh bis 2PD. an Papille heran. 

Adaptometer nach 50 Min. noch 7! := 0. 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 191 


2. Frau S., 38 Jahre alt. S = */,.; Gesichtsfeld: Aussengrenzen 
für Weiss und Farben normal; absolutes Ringskotom vom 5.—30. Grad nach 
allen Seiten und temperal bis 40. Grad sich erstreckend. Papille schon 
stark verfärbt, Ret. Arterien fadendünn, typische Verfärbung des Fundus, 
Peripherie frei; zahllose knochenkörperchenartige Pigmenthaufen nasal bis 
1PD., temporal bis 4 PD. an Papille heranreichend. 

Adaptometer: zu Beginn E 0, nach 50 Min. E = 1,6. 


3. Mathilde U., 36 Jahre alt, 1 Bruder nachtblind. R. S = "hs, 
L. S = *|,,; Gesiehtsfeld für Weiss 10—15° gross, für Farben etwas 
enger; rechts unten und temporal noch eine schmale periphere Zone, in 
der Weiss erkannt wird; kleine hintere Polarkatarakt; starke Verfürbung 
der Papille, Retinalgefisse fadendünn, ganzer Hintergrund typisch verfärbt, 
Knochenkórperehen bis 2 PD. an Papille heranreichend. 

Adaptometer: nach 1 Stunde Æ = O0, naeh 2!, Stunden 1,35, 
18 Stunden 1,44, naeh 42 Stunden 1,49. 


4. Claus T., 17 Jahre alt. Schwester vgl. Fall 6. S = "|, Aussen- 
grenze für Weiss um 20? eingeengt, Blau wird nur noch in einem zentralen 
15° grossen Bezirk erkannt, Rot und Grün noch stärker eingeengt. 

Typische Ret. pigm. Papillen stark verfärbt, 2—3PD. breite Zone 
um Papillen noch relativ gut gefärbt; von dort an zeigt der Hintergrund 
das charakteristische fahle Aussehen bis an die äusserste Peripherie. Reich- 
lich typische, knochenkórperchenartige Pigmenthaufen, die nasal bis auf 3, 
temporal 6 PD. an die Papille heranreichen; in der Maculagesend gelbe 
Stippehen und unregelmässige Pigmentierung. 

Adaptometer: bis 30 Minuten O, 

nach 22 Stunden 1,025, 
nach 46 Stunden 1. 


5. Andreas Sch, 20 Jahre alt, stud. 1 Grossonkel, die Grossmutter, 
3 Onkel, die Mutter, 2 Brüder, 2 Schwestern nachtblind. R.—2,5, S = "hk, 
L. S = ^|; Gesichtsteld für Weiss um 20°, für Farben bis auf 15° ungefähr 
eingeengt. Papiilen stark verfärbt, (refässe schon recht eng; Fundus und 
Peripherie zeigen typische Verfärbung. Spärliche knochenkörperchenartige 
Pigmentliaufen. 

Adaptometer: zu Beginn E == 1,154, nach 1Min. 1,154, nach 10 Min. 
2,60, nach 50 Min. 5,26. 


6. Emmi T., 12 Jahre alt, Schwester von Pat. Fall 4. Typische 
Het. pig. S = "lo beiderseits. — Gesiehtsfeld Aussengrenzen tür Weiss 
und Farben fast normal. Uber hingskotom unzuverlässisge Anraben. 

Papille noch gut gefärbt, Peripherie frei, zwischen Papılle und Peri- 
pherie breite Zone mit charakteristischer Verfärbung und reichlieh typischen 
Pigmenthaufen. Rings um Papille aueh sehon kleine, fliegensehimutzáülinliehe 
Pigmenthäufchen. 

Adaptometer: zu Beginn X = 0, nach 10 Min. 2,09, nach 20 Min. 2,09, 
45 Min. 7,47, 22 Stunden 22,7, 55 Stunden 19,9. 


7. Heinrich T., 98 Jahre alt. Geometer; über hereditäre Belastung 
nichts bekannt; seit 1 Jahr Flimmern. RS = ^, L. S — ^44 Gesichts- 


128 K. Stargardt 


feld vgl. Abbildungen.  Farbensinn normal, Papillen sehr blass, etwas 
schmutzig graugelb verfärbt, Retinalgefässe schon etwas eng; rings um 
Papille Fundus normal aussehend, Aderhautgefässe gerade durchschimmernd. 
6 PD. von Papille entfernt beginnt eine trübe, typisch bleigrau verfärbte 
ringfórmige Zone, in der sich zahllose, meist konfluierende typische knochen- 
körperchenartige Pigmenthaufen finden. Die Peripherie ist wieder frei. 

Adaptometer: am 3. XII. 06 findet sich nach !/,stündiger Helladaptation 
im Freien, aber bei trübem Wetter zu Beginn Æ = 2,37, nach 1 Min. 2,60, 
3 Min. 2,99, 5 Min. 2,99, 10 Min. 6,01, 30 Min. 51,8, 45 Min. 210, 
60 Min. 766 zentral und 816 peripher. Ohne dass irgend welche Therapie 
angewandt worden war, hat sich die Adaptationsfähigkeit in den nächsten 
Wochen wesentlich verändert. Am 27. I. 07 fand sich nach !j,stündiger 
Adaptation an einem hellen Schneetage zu Beginn E — 2,01, nach 3 Min. 
4,63, 10 Min. 106,05, 45 Min. 1784 zentral und 3287 peripher. 


Aus den vorstehenden Fällen ergibt sich, dass die. Dunkel- 
adaptation so gut wie stets bei Retinitis pigmentosa herabgesetzt ist. 
In den hochgradigen Fällen wird selbst nach 50 Minuten noch nicht 
ein Objekt erkannt, das gerade unter der Schwelle des helladaptierten 
Auges liegt (Fall 1), oder es steigt die Empfindlichkeit auf minimale 
Werte (1,6 in 50 Min. in Fall 2). 

Die Tatsache, dass nach 30—60 Minuten die Empfindlichkeit 
noch so gering ist, dass am Adaptometer überhaupt noch nichts er- 
kannt wird, schliesst eine spätere Adaptation nicht aus. So finden 
wir in Fall 3 nach 60 Minuten noch E so klein, dass sie nicht 
messbar ist, nach 2!j, Stunden aber = 1,35; ähnlich in Fall 4 nach 
30 Minuten noch eine so geringe E, dass am Adaptometer nichts 
angegeben wird, nach 22 Stunden 1,025. Diese Tatsache kann leicht 
dazu verleiten, anzunehmen, dass wir es bei der Retinitis pigmentosa 
nur mit einer Verlangsamung der Adaptation zu tun haben, dass 
aber nach lüngeren Zeiten vielleicht doch noch normale Höhen er- 
reicht werden. Dagegen aber sprechen zwei Umstünde. In Fall 3 
konnte eine irgendwie bemerkenswerte Steigerung nach 2!j, Stunden 
nicht beobachtet werden, ebensowenig liess sich nach 22 Stunden in 
Fall 4 und Fall 6 eine Steigerung nachweisen. 

Ferner ergibt sich aus Fall 6, dass die Steigerung, die jenseits 
von 45 Minuten auftrat, bis zur 22. bzw. 55. Stunde eine sehr ge- 
ringe war, um das dreifache in 21 Stunden. Es handelt sich hier 
nur um eine Steigerung, wie sie auch sonst, z. B. bei ganz normalen 
Augen noch nach so langer Adaptation beobachtet worden ist (Nagel). 

lu Fall 3 und 4 lässt sich über die in grösseren Zeiträumen 
eingetretene Empfindlichkeitszunahme deswegen nichts Bestimmites 
aussagen, weil die nach !L bzw. 1 Stunde vorhandene Empfindlich- 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 199 


keit noch so gering war, dass sie der Messung mit dem Adapto- 
meter nicht zugünglich war. Jedenfalls spricht manches auch hier 
gegen die Annahme einer wesentlichen Zunahme der Empfindlichkeit. 

Aus Beobachtungen in Fall 7 ergibt sich die sehr merkwürdige 
Tatsache, dass die Empfindlichkeit der Netzhaut nicht zu allen 
Zeiten die gleiche ist. Während sie in dem erwähnten Falle bei 
der ersten Untersuchung zentral 766 und peripher 816 betrug, stieg 
sie ohne Therapie im Verlauf von zwei Monaten auf normale Höhe 
(zentral 1784, peripher auf 3287). Und diese Höhe wurde nicht 
etwa nach Stunden, sondern schon nach 45 Minuten erreicht. Wir 
sehen also zweifellos Remissionen, ohne dass wir eine Ursache dafür 
angeben können. 

Fall 7 zeigt gleichzeitig, dass selbst bei ausgesprochener und 
schon relativ weit vorgeschrittener Retinitis pigmentosa die Adapta- 
tion in manchen Bezirken noch völlig normal sein kann. Die 
Störungen in der Dämmerung, die trotzdem vorhanden sind, sind 
in diesen Fällen auf das breite absolute Ringskotom für. Dämmerungs- 
werte zurückzuführen. In meinem Falle war diese Erscheinung jeden- 
falls sehr offenkundig. 2 

Am Hellgesichtsfeld fanden sich (vgl. Fig. 1) normale Aussen- 
grenzen für weiss und blau, daneben ein Ringskotom, das für Weiss 
zum grössten Teile nur relativ und nur in einer schmalen Zone ab- 
solut war; am Dunkelperimeter (Fig. 2) dagegen fanden sich zwar 
auch normale und selbst übernormale Aussengrenzen, aber dann 
folgte eine breite Ringzone, in der selbst die stärksten Dämmerungs- 
werte (die etwa einer E — 1,6 entsprachen) nicht erkannt wurden, 
und dieses Ringskotom liess nur einen kleinen, 5? im Durchmesser 
grossen zentralen Gesichtsfeldteil frei. 

Während also im Tageslichte das relativ schmale Ringskotom 
das Sehen so gut wie gar nicht störte, trat in der Dämmerung so- 
fort die ganze Schwere der Erkrankung in Erscheinung. Das Dümme- 
rungsgesichtsfeld war so eng, dass der Patient sich nicht mehr zu- 
recht finden konnte, er befand sich dann in derselben Lage, wie 
Kranke in den vorgerücktesten Stadien der Erkrankung bei höchst- 
gradiger Einengung des Tagesgesichtsfeldes. Das periphere Sehen 
war nur wenig von Nutzen, ebenso nützte die hohe Adaptationstühig- 
keit im Zentrum gar nichts. 

Es ergibt sich aus dieser Beobachtung, dass wir allein, durch 
die Messung des Adaptationsverlaufes am Adaptometer, wie sie auch 
von Lohmann, Heinrichsdorff, Messmer ausgeführt wurde, über 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, LXXIII. 1. 9 


130 K. Stargardt 


den Grad der Störung im Dämmerungssehen des Hemeralopen keinen 
Aufschluss erhalten. Aus dem Vergleich zwischen dem Hell- und 
dem Dunkelgesichtsfeld lassen sich vielleicht auch Schlüsse auf die 
Art der Ausbreitung des Prozesses ziehen. Manche Autoren (Dufour 
und Gonin, Heinrichsdorff) stehen ja heute auf dem Standpunkte, 
dass das Ringskotom eine typische Erscheinung bei Retinitis pigmen- 
tosa darstellt. Die Erkrankung beginnt danach in einer ringförmigen 
Zone zwischen Zentrum und Peripherie. 

Mir scheint es das wahrscheinlichste, dass in dieser Ringzone 
zuerst die Adaptation leidet und dass auch bei der Verbreiterung 
der erkrankten Zone die Störung; der Adaptation immer den andern 
Störungen vorausgeht. Erst bei längerem Ergriffensein einer be- 
stimmten Partie geht die Farbenempfindung zugrunde, und schliess- 
lich leidet auch die Weissempfindung, indem zunächst ein relatives, 
später ein absolutes Skotom für Weiss entsteht. Für diese Art des 
Verlaufes scheint mir vor allem die in Fall 7 dicht bis an das Zentrum 
heranreichende Einengung des Dunkelgesichtsfeldes zu sprechen, be- 
sonders in Anbetracht der Tatsache, dass die Grenzen für Farben 
hier noch relativ weite waren. 

Nach alledem können wir wohl sagen, dass die Adaptation in 
fast allen vorgeschritteneren Fällen von Retinitis pigmentosa wesentlich 
herabgesetzt ist, dass es sich aber nicht etwa nur um eine sehr ver- 
langsamte Steigerung der Empfindlichkeit handelt. 

Die Empfindlichkeit steigt zwar nach 1 Stunde in den ersten 
24 Stunden noch, aber die Steigerung übertrifft nicht das Mass 
dessen, was man auch bei normalen Fällen in dieser Zeit sieht d. h. 
das dreifache des nach 45—60 Min. gefundenen Wertes. 

In bestimmten Fällen kann die Steigerung der Adaptation schon 
in den ersten 45 Minuten eine völlig normale sein, und doch können 
die Kranken hochgradig in der Dämmerung gestört sein. Es rührt 
das davon her, dass sich schon frühzeitig für Dämmerungswerte ein 
breites Ringskotom ausbildet, das nur ein sehr kleines Zentrum frei 
lisst. Dieses Ringskotom kann für Dämmerungswerte absolut sein, 
auch wenn die Adaptation im Zentrum und an der Peripherie noch 
normal ist. 

Sichere Schlüsse in bezug auf die Frage, ob das Primäre bei der 
Retinitis pigmentosa in emer Erkrankung der Aderhaut, speziell der 
Choriocapillaris, zu suchen ist, oder in einer Erkrankung des Neuro- 
epithels, lassen sich aus den Adaptationsstörungen nicht ziehen. Doch 
scheint mir gerade der Umstand, dass die Adaptation zuerst leidet, dafür 


131 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 


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132 K. Stargardt 


zu sprechen, dass zuerst die Stäbchen, dann die Zapfen in bestimmten 
Bezirken ergriffen werden. Und da für die Stäbchen Störungen der 
Funktionen des Pigmentepithels, die ja wohl im allgemeinen im An- 
schluss an Erkrankungen der Choriocapillaris entstehen, viel mehr 
ins Gewicht fallen, als für die Zapfen, móchte ich glauben, dass die 
Funktionsstórungen eher auf eine primüre Erkrankung der Aderhaut 
hinweisen. 

Von Solutio retinae sind insgesamt 15 Fälle untersucht. 
Über vier von diesen Fällen habe ich schon früher (Klin. Monatsbl. 
f. Augenheilk. 06. Bd. II, S. 353) kurz berichtet. Da in diesen 
Fällen die schon damals angekündigte, genauere Helligkeitsbestimmung 
der am Dunkelperimeter angewandten Objekte durch Vergleich mit 
dem Adaptometer nachträglich ausgeführt worden ist, und da ein 
Teil der Fälle später noch weiter verfolgt werden konnte, führe ich 
sie noch einmal kurz an. 


Fall I. D., 52jähriger Tischler. Juli 1905 Stück Holz gegen rechtes 
Auge geflogen. 22. IX. 05 S = iz. Solutio unten und temporal. 23. IX. 
und 9. X. 05. Punktion nach Deutschmann. 13. X. nirgends Solutio 
mit Augenspiegel nachweisbar. 

2. II. 06. Ausgedehnte Solutio. Nur oberer nasaler Quadrant frei. 
Gesichtsfeld für Weiss normal, für Farben nur geringe periphere Einengung 
an der Stelle der Solutio (um 10°). 

Gesichtsfeld bei Dunkeladaptation (30 Min.) mit Objekten, deren Hellig- 
keit unter der Schwelle des helladaptierten Auges liegen (nachträglich wurde 
durch Vergleich mit dem Adaptometer festgestellt, dass die Helligkeit einer 
E von 14,03 entsprach): nur im unteren temporalen Quadranten und dessen 
nächster Umgebung werden die für das Hellauge unterschwelligen Objekte 
erkannt. 


Fall II. B., 17 Jahre alter, intelligenter Gymnasiast. 4. I. 06. Schnee- 
ball gegen rechtes Auge: S sofort schlechter. 28. V. 06. Totale Solutio, 
teils flach, teils in stark prominenten Falten. 

Gesichtsfeld für Weiss, vollkommen normal, für Blau, Rot und Grün 
überall in ziemlich gleicher Stärke eingeengt, oben, nasal und unten auf 25 ", 
oben temporal auf 30", temporal auf 45°, unten temporal normal. Trotz 
3| stündigen Dunkelaufenthaltes ist keine Spur von Adaptation nachzuweisen, 
selbst Objekte, deren llelligkeiten der maximalen Helligkeit des Adapto- 
meters entsprechen, werden nicht erkannt. Linkes Auge kommt auf Æ ungefähr 
8000. Das Sehvermögen auf dem rechten Auge ist später infolge einer 
Glaskórperblutung naeh Punktion fast vollkommen verloren gegangen. 


Fall II. Adolf B., 47 Jahre alter Knecht. Seit 1 Jahr S auf beiden 
Augen schlechter. Beiderseits Solutio retinae intolge alter, chronischer 
Chorioiditis. Dureh die abgelóste und zum grössten Teil sehr klare Retina 
sieht man noch die grossen, alten Aderhautherde. 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 133 


Am 20. VI. O6 bestand rechts Solutio, die nur den oberen nasalen 
Quadranten freiliess. Gesichtsfeld war für Weiss normal, für Blau, Rot 
und Grün in der nasalen Hälfte um 10—15°, für Grün auch unten etwas 
eingeengt. Bei Dunkeladaptation findet sich mit für das Hellauge unter- 
schwelligen Objekten (#Z = ungefähr 1,19) nur noch unten temporal 
ein Gesichtsfeldrest, der ungefähr einem (JQuadranten entspricht. 8. VI. 06 
Punktion nach Deutschmann rechts. Danach Ablösung wesentlich kleiner. 
26. VII. 06 besteht nur noch flache Solutio im oberen temporalen Qua- 
dranten. 

Gesichtsfeld für Weiss und Farben ist jetzt völlig normal. Am Dunkel- 
perimeter (Æ = 30,2 ganz dasselbe Resultat mit Æ — 1,23) findet sich 
nur noch ein sektorförmiger Defekt, etwas mehr als den unteren nasalen 
Quadranten des Gesichtsteldes einnehmend. 

Es hat sich also die Dunkeladaptation oben und unten nasal wieder 
hergestellt. Am 18. II. 07 wurde B. wieder aufgenommen. Es war wieder 
eine Verschlechterung eingetreten. Der Glaskörper war jetzt etwas trüber, 
einzelne Flocken lagen vor der Papille. Die Netzhaut hat sich auch unten 
temporal wieder völlig abgelöst und die Ablösung hat sich auch noch weit 
auf den unteren nasalen Quadranten ausgedelint. Das Gesichtsfeld für 
Weiss ist noch normal, das für Farben in der nasalen Hälfte stark ein- 
geengt, bis 30 und selhst 10° an den Fixierpunkt. Am Dunkelperimeter 
findet sich ein Defekt in der ganzen nasalen Hälfte und es fehlt die an- 
grenzende Hälfte des oberen temporalen Quadranten. Am Adaptometer 
ergab sich eine Æ =— 3755 (die Herabsetzung gegen später ist wohl auf 
die Glaskörpertrübung zurückzuführen). Unter Bettruhe, Druckverband und 
Jodkali trat eine Besserung ein. 

Am 5. III. 07 fand sich am Adaptometer nach 70 Minuten rechts 

— 5503, Gesichtsfeld für Weiss und Farben so gut wie normal; am 
Dunkelperimeter (£ — 42,2 und dasselbe Resultat mit 10,45) fehlt der 
Quadrant nasal unten. Die Solutio ist genau die gleiche, wie am 26. VII. 
O6, d. h. es ist nur der obere temporale Quadrant abgelöst. Es hat sich 
demnach zum zweiten Male durch Wiederanlegen der Netzhaut die Dunkel- 
adaptation in einem grossen Bezirke wieder hergestellt. 

Auf dem linken Auge des Patienten war eine genaue Aufnahme des 
Hell- und Dunkelgesichtsfeldes intolge von höchst mangelhafter Fixation (S nur 
Fingerzählen in 1m excentrisch) nicht möglich. Doch ergab sich auch 
hier, dass die Weiss- und Farbengrenzen sich noch über weite Teile des 
Gesichtsfeldes erstreckten, die schon abgelösten Netzhautteilen entsprechen. 


Am Dunkelperimeter (Z = 42,2) fand sieh dagegen nur noch ein schmaler 
Sektor unterhalb der Mitte erhalten. Am Adaptometer ergab sich nach 
TO Min. eine E = 3755. Auch hier entsprach die Grösse des Dunkel- 


gesichtsfeldes ziemlich genau dem anliegenden Netzhautbezirk. Eine genaue 
Übereinstimmung war bei der schlechten Fixation auch nicht zu erwarten. 


Fall IV. Frau D., 31 Jahre. Stets kurzsichtig. Seit 2 Jahren rechts, 
seit 6—8 Wochen links Sehvermören schlechter. 1. VIII 06. Rechts: 


Amaurose, alte, totale Solutio. Links: Myopie 7 D; S = ?,,; fast totale 
Solutio, nur in einem schmalen, sektorenfórmigen Gebiete oberhalb der 


134 K. Stargardt 


Papille liegt die Netzhaut noch an. Unten stark prominente Falten. Ge- 
sichtsfeld (vgl. meine frühere Publikation) für weiss normal, für Farben 
fehlt der ganze Quadrant oben nasal und dieser Defekt dehnt sich noch 
über die Hälfte der beiden benachbarten Quadranten aus. Am Dunkel- 
perimeter (Z = 30,2) findet sich nur noch unterhalb der Mitte ein schmaler, 
sektorenförmiger Rest des Gesichtsfeldes, der von der Peripherie bis 5° 
vom Mittelpunkt sich erstreckt. Unter Jodnatr., Schwitzen und Druckver- 
band tritt in 2 Monaten eine nicht unwesentliche Besserung ein, indem 
die Netzhaut sich oben weiter anlegt und zwar nach beiden Seiten von 
der auch anfangs anliegenden Stelle nasal bis fast zum horizontalen Meri- 
dian, temporal nur halb so weit. Ganz entsprechend dieser Anlegung 
dehnt sich das Dunkelgesichtsfeld (Z = 30,2) nach beiden Seiten und zwar 
temporal bis zur Horizontalen aus. Dabei bleibt eine periphere Einengung 
bis 60° bestehen. 

Das Hellgesichtsfeld zeigt entsprechend der Anlegung gar keine Ver- 
änderungen, da es an den Stellen, wo die Anlegung erfolgte, auch schon 
vorher für Weiss und Farben normal war. Im übrigen weist es eher 
eine Verkleinerung auf, speziell oben streckenweise bis auf 30°, ohne dass 
dafür Veränderungen im Fundus verantwortlich gemacht werden konnten. 


Fal V. Otto A., 27 Jahre. R. Strabismus diverg. 25° (seit frühester 
Jugend), S = O, totale Solutio infolge hoher Myopie. L. vor angeblich 
8 Wochen Stoss gegen das Auge, seitdem S schlechter. 2. I. 07. Sl = 
Fingerzühlen in !|, Meter, mit — 18,0 S — #lhọ Breites, fast ringförmiges 
Staphylom, ausgedehnte Maculadegeneration, Lacksprünge; Solutio retinae, 
die nur einen sektorenförmigen Streifen oberhalb der Papille bis zur Peri- 
pherie freilässt (Fig. 3). 

Adaptometer: typischer Kurvenverlauf; nach 45 Min. E — 1450 für 
alle Objekte von 2— 10 cm Seitenlänge, für 4 mm Seitenlänge Z nur = 22,7. 

Hellgesichtsfeld: Für Weiss nur unbedeutende Einengung oben. Farben- 
gesichtsfeld fehlt in der oberen Hälfte fast ganz, und es greift der Defekt 
noch auf den unteren nasalen Quadranten über (Fig. 4). 

Das Dunkelperimeter (Z = 19,9) zeigt nur noch einen Rest unterhalb der 
Mitte bis zur Peripherie, etwas über r des Gesichtsfeldes einnehmend (Fig. 5). 


Fall VI. Elsabe F., 53 Jahre alt. 12. II. 07. Links: Maculae 
corneae, schmales temporales Staphylom; mit eyl. — 3,0 © — 1,5 S = Hl, 
Rechts: @/ = !:.,, mit — 6,0 85 = ?i,., Maculae corneae, objektiv Myopie 
8 D; breites, ringförmiges Staphylom; fast totale Solutio retinae, nur 
oben nasal findet sieh noeh eine anliegende Stelle (Fig. 6). 

Adaptometer: Rechts: Anf. EZ — 3,31, nach 45 Min. 331, Links: 
Anf. E — 3,87, naeh 45 Min. 1555. 

Hellgesichtsfeld vgl. Fig. 7. 

Dunkelgesiehtsfeld (£ — 26,0) vgl. Fir. 8. 

Es findet sich hier demnach eine ziemlich weitgehende Übereinstimmung 
zwischen Dunkelgesichtsfeld und Gesichtsfeld für Blau. 





Fall VII. Karl V. 42 Jahre. Seit 17. Jahre Brille. Am Tage der 
Aufnahme 10. III. 07 bemerkte V., dass er mit dem linken Auge nicht 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 135 


t 


05 





136 K. Stargardt 


mehr deutlich sah. Rechts: — 6,0 S = ®j,,; Links: Fingerzühlen in 17/, m; 
Gläser bessern nicht. Totale Solutio, stark prominente Falten. Druck- 
verband, Bettruhe; 21. III. oben kleine Stelle angelegt, Falten flacher. 
25. III. Punktion nach Deutschmann. Aus beiden Stichstellen tritt reich- 
lieh Flüssigkeit unter die Dindehaut, Bettruhe, Druckverband. 28. III. über- 
all Solutio flacher. 4. VII. O7 mehrere diehte Glaskórperflocken, Ring- 
staphylom, ausgedehnte Chorioidealatrophie um Papille rings 4—6 PD. weit, 
Maculadegeneration in Form von Lacksprüngen. Auch an der Peripherie 
starke diffuse Atrophie der Aderhaut.  Nirgends Solutio mehr nachweisbar. 
Mit — 10,0 S — fs. 

Dunkelgesichtsfeld: 21. III. 07: entsprechend der kleinen angelegten 
Netzhautstelle findet sich ein etwa 10? grosses Gesichtsfeld für Z — 19,9 
unten zwischen 30—40° Ganz analog ist das Gesichtsfeld für Farben, 
während das Gesichtsfeld für Weiss fast in der ganzen unteren Hälfte frei ist. 

Am 5. VII. 07, also nach Anlegen der gesamten Retina findet sich 
links am Adaptometer nach 60 Minuten E — 22,7, dasselbe nach 3 Stunden. 
V. erhält einen lichtdichten Verband, nach 28 Stunden findet sich Z — 15,6, 
nach 48 Stunden Z = 22,7. Auf dem rechten Auge fand sich nach 
60 Minuten E — 1555, nach 3 Stunden 2422. 

Das Gesichtsfeld war am 5. VIL. O7 für Weiss fast normal, nur unten 
nasal bestand ein sektorenfórmiger Defekt. Blau, Rot und Grün wurden 
nur im temporalen unteren Quadranten erkannt. Am  Dunkelperimeter 
(E — 17,7) fand sich nur ein kleiner Gesichtsfeldrest im unteren tempo- 
ralen Quadraten, ungefähr dem Rotgesichtsfeld entsprechend, während der 
Bezirk, in dem Blau und Grün erkannt wird, viel kleiner ist, als das Dunkel- 
gesichtsfeld. 


Fall VIII. Frau Sch., 55 J., stets kurzsichtig, seit !/, Jahr rechtes 
Auge schlechter. 11. I. 07. Rechts S = t|., Myopie ungefähr 10 D., 
totale Solutio, unten dicke Falten, oben flache. Links — 10,0 S — °l., 
Ringstaphylom, ausgedehnte Maculadegeneration. Adaptometer: Rechts nach 
45 Min. E = O0, links Æ = 903.  Hellgesiehtsfeld: Grenze für Weiss 
oben bis fast zur Horizontalen eingeengt, Grün wird nicht erkannt, Rot 
nur in der unteren Hälfte nach allen Seiten 30—40? vom Nullpunkt. 
Blau noch stärker eingeengt auf 20—30°. 26. 1. 07. Punktion R. 28. I. 
Falten flacher, oberhalb der Papille kleiner Bezirk angelest. Adaptometer 
E = 26,0; am Dunkelperimeter (#7 = 22,71) nur kleiner Fleck, ungefähr 
dem Blaugesichtsfeld entsprechend. Hellgesichtsfeld unverändert. Links zeigte 





das Dunkelgesichtsfeld (2° = 30,2) ebenso wie das llellgesichtsteld stets 
normale Aussengrenzen. Adaptometer links stets unverändert, Æ = 903. 


Fall IX. Louis A., 22 Jahre, stud. jur., stets kurzsichtig, 1892 in 
Heidelberg links Fukalasche Operation; seit 1903 Solutio retinae. 
25. IV. 07: Rechts mit — 2208 = ",,, Links: ohne Glas S? = 75, 
mit -2- 3,0 S = ?.,; mit 4+ 7,0 Schweigger IV in 18 em. In der 
ganzen unteren Hälfte und oben temporal Solutio retinae, wenig promi- 
nente, Schlecht durchseheinende Falten. 

Adaptometer zu Beginn beiderseits O, nach 45 Min. Rechts Z = 3755, 
Links 1309.  Dunkelperimeter (Z = 26,0) kechts temporal und temporal 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 137 


unten Einschränkung auf 70, bzw. 80°. Links: Grosser Defekt, der die 
ganze obere Hälfte des Gesichtsfeldes, ferner die obere Hälfte des nasalen 
unteren Quadranten und die Peripherie des unteren temporalen Quadranten 
bis zum 60. bzw. 70. Grad einnimmt. 

Hellgesichtsfeld für Weiss nur oben unbedeutend eingeengt, Blau ent- 
spricht ungefähr dem Dunkelgesichtsfeld, Rot und Grün sınd etwas grösser. 


Fall X. Frau J., 53 Jahre. 3. X. 06. Rechts Katarakt ohne be- 
kannte Ursache, gute Q.L. und Projektion. Links: Hyperopie 3,5 D, 
S = *|,, Auge normal 5. X. 06. Kataraktextraktion; Heilung unter 
ganz geringen Reizerscheinungen. 19. XI. Diseission der dichten Sekun- 
därkatarakt. 24. XI. S nur Q-L.  Glaskórper getrübt, Solutio retinae. 
18. I. 07. Glaskórper etwas klarer, totale Solutio (vermutlich Folge chron. 
Chorioiditis. Adaptationsprüfung ergibt, dass nur ein Licht, das 219 mal 
80 hell, wie die maximale Helligkeit des Adaptometers ist, wahrgenommen 
wird. Eine höhere Empfindlichkeit wird auch nach zweistündigem Dunkel- 
aufenthalt nieht erzielt. 


Fall XI. Gustav M., 36 J. Seit 14 Tagen S auf dem linken Auge 
schlechter; keine Allgemeinerkrankung nachweisbar. 19. I. 07. Rechts 
S—*", L. S— Fingerzühlen in 1 m. Rechts einzelne Glaskörpertrübungen, 
Links: mit binok. Mikroskop (35fache Vergr.) deutliche Stippung des ganzen 
Endothels, Glaskórper sehr trübe besonders zentral, Netzhaut in der unteren 
Hälfte völlig, im oberen nasalen Quadranten etwa zur Hälfte abgelöst, 
ebenso greift die Ablösung weit auf den oberen temporalen Quadranten 
über. Alt-Tuberkulin positiv, aber keine Lokalreaktion. Adaptometer: 
Rechts nach 50 Min. E = 5500, Links zentral # = 64, peripher oben 331. 
Hellgesichtsfeld für Weiss fehlt fast die ganze obere Gesichtsfeldhälfte, vom 
unteren temporalen Quadranten fehlt die äussere Hälfte. Blau und Rot 
werden nur mit Mühe in einem ganz umschriebenen, kleinen Bezirk (von 
20° Durchmesser, 30° unterhalb der Mitte erkannt. Dunkelperimeter 
(E — 26,0): Das Gesichtsfeld zeigt einen zentralen Defekt von 10? Aus- 
dehnung; der Defekt breitet sich von hier über die ganze obere Hälfte des 
Gesichtsfeldes und über den grössten Teil der beiden unteren Quadranten 
aus, so dass nur noch !|, des ganzen Gesichtsfeldes freibleibt. In seiner 
Grösse stimmt es durchaus mit dem anliegenden Teil der Netzhaut überein. 


Fal XII. Fritz B., 23 Jahre. Als Kind Verletzung des linken 


Auges. 16. IX. 07 rechts mit — 0,5 NM zz Ha Auge normal; links mit 
ey| — 1,0 S — "tL. Papille normal, Netzhaut in Maeulagegend auffallend 


stark reflektierend und etwas trüber, als an andern Stellen, und grosser, 
deutlicher, zentraler roter Fleck. 3—4 PD. von Papille entfernt, beginnt 
temporal eine halbkugliye Netzhautablósung. —Hetina ist hier zart grau- 
weiss getrübt, an einzelnen Stellen aber sehr klar. land der Solutio 
scharf, halbkreisfórmig, von Pigment und hellrosa. Aderhautherden gebildet. 
An einzelnen Stellen schimmern dureh die Netzhaut grosse, gelbliche Ader- 
hautherde hindurch; dichte weisse Strünge liegen vor und in der Retina. 
Übriger Fundus normal (Fig. 9). 

Adaptometer: Rechts nach 45 Min. E = 8164, links — 1077. Dunkel- 





138 K. Stargardt 


gesichtsfeld (Fig. 11) (Z =: 42,2): rechts normal, links zeigt es genau den 
gleichen halbkreisfórmigen, bis 20? an die Mitte heranreichenden Defekt, 
wie das Hellgesichtsfeld (Fig. 10) für Weiss und sämtliche Farben. 


Fall XIII. Martin H. 55 Jahre, Zimmermann. Seit !/, Jahr rechtes 
Auge schlechter. Ursache nicht sicher festzustellen, wahrscheinlich einmal 
Verletzung im Beruf. Linkes Auge normal. Rechts mit +05 S =", 
Ausgedehnte Solutio, die nur den oberen nasalen Quadranten und die un- 
mittelbar angrenzenden Partien frei lässt. Macula mit abgelöst. 

Gesichtsfeld für Weiss zeigt nur einen Defekt oben nasal; für Blau 
ist die Einengung fast die gleiche und Rot und Grün zeigen nur geringe 
Abweichungen. Es dehnt sich also das Farbengesichtsfeld über den ganzen 
unteren nasalen Quadranten und über die Hälfte des temporalen oberen 
aus, also über Gebiete, die ohne Zweifel abgelösten Netzhautpartien ent- 
sprechen. 

Das Dunkelgesichtsfeld (2 = 26,0) ist wesentlich kleiner und greift 
kaum auf temporalen oberen und nasalen unteren Quadranten über. Es 
entspricht demnach vollkommen der Ausdehnung der Solutio. 


Fall XIV. Frau Friederike D., 53 Jahre alt. Seit 1, Jahr rechtes 
Auge schlecht. 11. I. 07. Links: + 1,5 © eyl = 2,5 S = |; abge- 
sehen vom Astigmatismus normal. Rechts: .$ — Fingerzählen excentrisch 
Im "um, Auge äusserlich normal.  Ausgedehnte Solutio. Dicke, stark 
prominente, graugrüne undurchsichtige Falten, zum Teil schon die Papille 
bedeckend; flachere Ablösung im übrigen Teil. Frei geblieben ist nur 
ein peripherer Sektor oben und temporal; aber auch dieser ist durch eine 
5 —6 PD. breite Zone, in der die Netzhaut flach abgelöst ist, von der 
Papille getrennt (Fig. 12). Mit Langescher Lampe erhält man zwar über- 
all roten Reflex, aber beim Anlegen an eine Stelle unten 5 mm hinter dem 
Hornhautrande nur äusserst schwaches Licht, so dass der Verdacht auf 
Tumor eine ziemliche Berechtigung besitzt. 

Am Adaptometer findet sich rechts beim Blick geradeaus auch nach 
45 Min. E — 0; bei Untersuchung der peripheren anliczenden Netzhaut- 
stelle nach 1 Min. E = 12,7, 7 Min. 106,3, 15 Min. 210, 25 Min. 625, 
45 Min. 3755. Das entspricht fast ganz genau dem Untersuchungsergebnis 
am andern Auge, wo ebenfalls eine Endempfindlichkeit von 3755 ge- 
tunden wurde. Am Hellperimeter findet sich für Weiss ein fast die ganze 
obere Hälfe einnelimender Defekt, Rot und Blau finden sich nur noch in 
einem Bezirk vom 10—50° abwärts von der Papille (Fig. 13). Am Dunkel, 
peri 7 — 30.2) sieht man einen Gesichtsfeldrest, der sich nach unten 
und unten nasal bis zum 70° erstreckt, nach oben bis zum 30° (Fig. 14). 





“all XV. Heinrich G., 70 Jahre. Seit 1 Jahr angeblich erst linkes 
Auge Schlechter. 2. VI. 07. Rechts: + 1,0 S = "j; normal, nur Halo. 
senilis. Adaptometer naeh 50 Min. E = 331. Links Q.-L., schlechte 
Projektion: Farben werden nicht wahrgenommen. Am Adaptometer auch 
naeh 60 Min. 0; es wird überhaupt nur noch das Licht einer Kerze in 
25cm Entfernung erkannt; auch nach längerer Adaptation kann die Ent- 
fernung nicht vergrössert werden, ohne dass die Lichtempfindung sofort 


139 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 


05 





ig. 12. 


F 


Fig. 9. 








N 4 AT RE LS 
; 4 —- 
Sg ee 
É Rund 
dd Nr 


140 K. Stargardt 


aufhört. Es besteht totale Solutio, fast trichterförmig, schmutzig graugrüne 
Trübung der ganzen Retina. 

Ursache nicht sicher festzustellen, es ist nur hochgradige Arterio- 
sklerose nachweisbar. 


Zur Beurteilung des Verhaltens der Dunkeladaptation bei Netz- 
hautablösung standen mir also 15 Fälle zur Verfügung. Die Ätio- 
logie der Erkrankung war in diesen Fällen eine recht verschiedene. 

Trauma lag in Fall I, II, XII und wahrscheinlich auch. XIII 
vor, und zwar handelte es sich stets um vorher gesunde Augen, nur 
in Fall II bestand eine geringe Myopie von 1,75 D ohne irgendwelche 
myopische Veründerungen. 

Chronische äquatoriale Chorioiditis war in 2 Fällen (III u. X) 
die Ursache der Solutio, in 1 Fall (XI) lag eine chronische Ent- 
zündung des ganzen Uvealtractus, wahrscheinlich auf tuberkulöser 
Basis vor. Vermutlich durch Gefässveränderungen infolge von all- 
gemeiner Arteriosklerose war die Ablösung in Fall XV bedingt. 
Ein intraokularer Tumor musste in Fall XIV angenommen werden. 
In sechs Fällen (4, 5, 6, 7, 8, 9) hatte Myopie zur Solutio geführt. 
FallIV, V und VII zeigten hochgradige myopische Aderhautverände- 
rungen; im Fall VIII waren sie nur wenig ausgesprochen, bei 6 
fand sich nur ein Ringstaphylom. Im Falle IX handelte es sich 
um eine Solutio, die 11 Jahre nach einer Myopie-Operation (Fukala) 
aufgetreten war. 

Die Ätiologie ist insofern nicht ohne Bedeutung, weil auch durch 
die neben der Netzhautablösung im Auge bestehenden Veränderungen 
Störungen der Dunkeladaptation bedingt sein können. 

In den Fällen, in denen die von der Netzhautablösung ver- 
schonten Teile auch sonst völlig normal sind, ıst hier auch die 
Adaptation eine völlig normale. So fand sich im Fall III L. in 
der nicht abzelösten Partie eine 77 — 5503, die nur vorübergehend 
infolge von diffuser Glaskörpertrübung auf 3755 sank; in Fall XIV 
(Tumor?) an der kleinen peripheren Stelle, wo die Netzhaut anlag, 
E = 3755, genau wie auf dem andern Auge, das abgesehen von 
Astigmatismus völlig normal war. 

In den Füllen dagezen, in denen die von der Netzhautablösung 
verschonten Stellen Veränderungen aufwiesen, die an sich die Adap- 
tation beeinflussen können, fanden sich selbstverständlich auch der- 
artige Störungen. 

So ergab sich in Fall IV nur eine / — 1450 infolge von 
myopischen Aderhautveränderungen, in Fall VI nur cine F = 33 


Über Störungen der Dunkeladaptation. 141 


infolge von myopischen Veränderungen und Maculae corneae. Hoch- 
gradige myopische Veränderungen setzten in Fall VII und VIII die £ 
sogar auf 22,7 und 26,0 herab. Auch an dem wegen hochgradiger 
Myopie operierten Auge (Fall IX) wurde die E nur = 1309 gefunden, 
eben wegen der myopischen Veränderungen. 

Glaskörpertrübung bedingte in Fall III L. vorübergehende Herab- 
setzung von 5503 auf 3755; in Fall XI war die Trübung des Glas- 
kórpers eine so erhebliche, dass die E zentral nur auf 64, peripher, 
wo die Trübung etwas geringer war, auf 331 stieg. 

Nicht ganz klar war der Zusammenhang zwischen altem Trauma 
(vor 20 Jahren) und Herabsetzung der Adaptation (Æ = 1077) in 
Fall XII. Doch müssen wir hier wohl aus der leichten Trübung 
und dem auffallend starken Reflektieren der Netzhaut auf irgend- 
welche durch das Trauma entstandene, wenn auch nicht näher zu 
definierende anatomische Veränderungen schliessen. 

In allen Fällen liessen sich also dort, wo Adaptationsstörungen 
an Stellen vorhanden earen, die von der Netzhautablösung verschont 
waren, andere Affektionen nachweisen, aus denen die Störungen 
zwanglos erklärt werden konnten. 

Die Grösse des Bezirkes, in dem die Netzhaut anlag, 
stimmte mit Ausnahme eines Falles (VII) (vgl. unten) stets 
genau mit der Grösse des am Dunkelperimeter nach +45 Mi- 
nuten langer Dunkeladaptation gefundenen Gesichtsfeldes 
überein (vgl. die Abbildungen). Natürlich sind der Untersuchung, 
wie weit hier die Genauigkeit geht, gewisse Grenzen gezogen. Wir 
sind ja nicht immer in der Lage, die Grenze zwischen anliegender 
und abgelöster Netzhaut ganz genau mit dem Augenspiegel zu sehen 
und anzugeben, ferner vermögen wir über eine gewisse periphere Zone 
mit dem Augenspiegel überhaupt keinen Aufschluss zu erhalten 
(Fall IX L.) Mit dieser Einschränkung kann also der oben auf- 
gestellte Satz von der Übereinstimmung zwischen der Grösse des 
Dunkelgesichtsfeldes und des Bezirkes, in dem die Netzhaut anliegt, 
überhaupt nur gelten. Auch in Fällen schlechter Fixation (II L.) 
kann die Übereinstimmung nur eine annähernde sein. 

Sehr wichtig ist der Nachweis, dass die Adaptation wiederkehrt, 
wenn die Netzhaut sich anlegt (Fall IV, VII, VIII, III R.) Im 
letzteren Falle konnte sogar die Wiederkehr der Adaptation zweimal 
beobachtet werden. Hier hatte sich im Anschluss an Punktion (nach 
Deutschmann) die Netzhaut auf weite Strecken angelegt, sieben 
Monate später war sie wieder abgelöst. Auch jetzt gelang es wieder, 


1423 K. Stargardt 


sie durch Bettruhe und Druckverband zur Anlegung zu bringen. 
Beidemale trat mit der Anlegung eine entsprechende Vergrósserung 
des Dunkelgesichtsfeldes ein. 

Im Fall VII kehrte die Adaptation trotz totaler Heilung der 
Solutio nur in einem kleinen Bezirke wieder. Es ist das darauf 
zurückzuführen, dass hier der Aderhautschwund ein so hochgradiger 
war, dass über weite Strecken überhaupt nichts mehr von Aderhaut 
zu sehen war, mit Ausnahme einiger grösserer Gefässe. 

Die Möglichkeit solcher hochgradigen Veränderungen, durch die 
die Adaptation völlig vernichtet werden kann, ist besonders bei den- 
jenigen Netzhautstellen zu beachten, über deren Verhalten wir mit 
dem Augenspiegel keinen Aufschluss erhalten können, d. h. bei peri- 
pheren Netzhautstellen. 

Hier können wir aus einem Gesichtsteldausfall am Dunkelperimeter 
nicht ohne weiteres auf Solutio schliessen. Es finden sich vielmehr, 
gerade bei Myopie (vgl. diese), periphere, zum Teil sogar recht er- 
hebliche Einschränkungen. 

Aber auch bei Myopie können wir aus dem Vergleich des 
Dunkelgesichtsfeldes mit dem Hellgesichtsfelde noch weitgehende 
Schlüsse auf das Vorhandensein einer Solutio ziehen. 

Ich habe oben gezeigt, dass die durch die Myopie allein be- 
dingten peripheren Einengungen das Dunkelgesichtsfeld bis auf 5° 
genau mit den Einengungen des Hellgesichtsfeldes für Weiss über- 
einstimmen. 

Haben wir also eine solche Übereinstimmung, dann können wir 
Solutio mit grösster Wahrscheinlichkeit ausschliessen; überragt da- 
gegen die Einengung des Dunkelsesichtsfeldes erheblicher die des 
Weissgesichtsfeldes, oder findet sich nur eine Einengung des Dunkel- 
gesichtsfeldes, so liegt mit grósster Wahrscheinlichkeit eine periphere 
Netzhautablósung vor. Ein normales Dunkelgesichtsfeld spricht mit 
Sicherheit gegen eine Ablösung. 

Es erhebt sich nun die interessante Frage, wie weit mit diesen 
Befunden auch sonst die Resultate der Gesichtsfelduntersuchung für 
Weiss und Farben bei Tageslicht übereinstimmen. 

Aus den oben angeführten Krankengeschichten ergibt sich die 
ja auch sonst schon bekannte, aber nicht immer genürend gewürdigte 
Tatsache, dass aus dem Gesichtsfeld für Weiss so sut wie keine 
Schlüsse auf die Grösse, Ja selbst nicht einmal auf das Vorhanden- 
sein einer Solutio retinae zu ziehen sind. Das Gesichtsfeld für 
Weiss kann bei totaler Solutio (Fall TI) vollkommen normal sein; 


Über Störungen der Dunkeladaptation. 143 


es kann vollkommen normal sein, wenn fast die ganze Netzhaut ab- 
gelöst ist und nur noch kleine Teile der Netzhaut anliegen (Fall I, 
III R., 4 L.). Ebenso können grössere Ablösungen vollkommen ver- 
borgen bleiben (Fall III R.). Bisweilen finden sich auch bei frischeren 
Ablösungen Einengungen (Fall V), aber sie entsprechen nicht im 
geringsten der Grösse der Ablösung. Auch über die Wiederanlegung 
lässt sich aus dem Weissgesichtsfeld meist nichts erschliessen (IV L.), 
da es ja schon während der Ablösung häufig gar keine Defekte 
aufweist. 

Nur bei älteren Ablösungen (Fall VII, IX, XI u. XIV) treten 
stärkere Einengungen auf, aber ohne Beziehung zur Grösse der Ab- 
lösung. Solche Einengungen können nach Anlegen in seltenen Fällen 
wieder kleiner werden (Fall VII). Eine Übereinstimmung des Weiss- 
gesichtsfeldes mit der Grösse der Ablösung scheint sich nur bei ganz 
alten, partiell gebliebenen Netzhautablösungen (Fall XII, 20 Jahre 
alte partielle Solutio) zu finden. 

In solchen Fällen scheint dann auch mit dem Weissgesichts- 
feld das Dunkelgesichtsfeld und das Farbengesichtsfeld übereinzu- 
stimmen. Wenigstens ist das der einzige Fall, in dem ich eine 
solche Kongruenz gefunden habe. Und sie lässt sich hier sehr leicht 
dadurch erklären, dass in der fast halbkuglig abgehobenen Netzhaut 
allmählich alle Funktionen erloschen sind, während die unmittelbar 
angrenzende anliegende Netzhaut in ihrer Funktionsfähigkeit nur 
wenig gestört ist. 

Auch das Farbengesichtsfeld gibt uns nur in Ausnahmefällen 
Aufschluss über die Grösse einer Ablösung. Zwar treten hier schon 
viel früher als beim Weissgesichtsfeld Defekte auf, aber die Defekte sind 
im Anfang viel kleiner als die Ablösung (z. B. Fall I, II, III, IV, 
XIII. Auch kann schon durch Flacherwerden einer Ablösung, z. B. 
nach Punktion (Fall III), das vorher eingeengte Farbengesichtsfeld 
normal werden. 

Eine ungefähre Übereinstimmung zeigte sich in Fall XIV (Tumor?). 
Eine völlige ist hier auch nicht zu erwarten, da ja schon normaler- 
weise das Dunkelgesichtsfeld bis an die üusserste Peripherie des Hell- 
gesichtsfeldes und selbst darüber hinaus reicht, während die Farben- 
grenzen weit von der Peripherie entfernt bleiben. In zwei Fällen 
ergab sich zwar eine erhebliche Inkongruenz zwischen dem Dunkel- 
gesichtsfeld und den HRot- und Grüngrenzen, dagegen eine sehr gute 
Übereinstimmung zwischen dem Dunkelgesichtsfeld und den Blau- 
grenzen. 


144 K. Stargardt 


Nur in zwei Fällen war das Farbengesichtsfeld kleiner, als das 
Dunkelgesichtsfeld (Fall VII u. XI). In beiden Fällen hatte offenbar 
der Farbensinn an den betreffenden Stellen stärker gelitten, als die 
Dunkeladaptation. Als Grund dafür finden wir das eine Mal (Fall VII) 
hochgradigen Aderhautschwund, das andere Mal (XI) eine chronische 
Uveitis (tuberkulöser Natur?). 

Aber auch in dem letzteren Falle gab das Dunkelgesichtsfeld 
die Grenzen der Ablösung richtig an. In dem andern Falle (VII) 
handelte es sich um totale Wiederanlegung der Retina, ohne dass 
die Adaptation sich wieder herstellte, was, wie schon oben angeführt, 
auf die hochgradige Aderhautatrophie zurückzuführen war. 

Es ergibt sich aus dem vorstehenden, dass 

l. die Grösse des Dunkelgesichtsfeldes (nach 45 Minuten 
langer Dunkeladaptation mit Objekten, deren Helligkeit unter der 
Schwelle des helladaptierten Auges liegt, aufgenommen) mit der 
Grösse der Netzhautablösung übereinstimmt, soweit nicht 
noch andere intraokulare Erkrankungen eine Einschrän- 
kung bedingen; 

2. dass ein normales Dunkelgesichtsfeld den sicheren 
Schluss auf Fehlen von Netzhautablösung zulässt; 

3. dass das Weissgesichtsfeld in den meisten Fällen 
weder einen Schluss auf die Grösse, noch überhaupt auf 
das Vorhandensein einer Netzhautablösung zulässt; 

4. dass das Farbengesichtsfeld ebenfalls in den meisten 
Fällen unzuverlässig ist und nur in wenigen Fällen eine 
Übereinstimmung zwischen dem Blaugesichtsfeld und der 
Grösse der Ablösung besteht. 

Was den Verlauf der Störungen bei Solutio retinae betrifft, so 
haben wir ihn uns wohl so vorzustellen, dass in dem Augenblick, 
wo die Netzhautablösung eintritt, falls das Auge nicht im Dunkeln 
gchalten wird, die Dunkeladaptation an der abgelösten Stelle erlischt 
und darauf eine Einengung des Dunkelgesichtsfeldes folgt. Erst viel 
später zeigen sich Einengungen am Farbengesichtsfeld. Zeitweise 
kann dann später das Blaugesichtsteld mit dem Dunkelgesichtsteld 
übereinstimmen. Erst bei älteren Ablösungen folgt eine Beeinträch- 
tirung des Weisstresichtsfeldes. 

Die Vorgänge, die diesen Erscheinungen zugrunde liegen, lassen 
sich nach der Duplizititstheorie ganz gut erklären. Sobald die Netz- 
haut abgelöst ist und der etwa in ihr noch vorhandene Sehpurpur 
ausgebleicht ist, hört die Dunkeladaptation auf, da sich der Seh- 


Über Störungen der Dunkeladaptation. 145 


purpur in der vom Pigmentepithel getrennten Retina nicht wieder 
bildet. Die Zapfen dagegen bleiben zunächst noch funktionsfähig, 
erst bei längerer Ablösung erlöschen auch in ihnen die feineren 
Funktionen (Grün-, Rot- und Blauempfindlichkeit) und es tritt bei 
Reizung nur noch eine farblose Empfindung auf, bis auch diese 
schliesslich, allerdings meist erst nach sehr langem Bestande der 
Ablösung, erlischt. Durch Wiederanlegen der noch nicht zu lange 
abgelösten Netzhaut kann die Adaptation wiedergewonnen werden, 
indem ein Kontakt zwischen Stäbchen und Pigmentepithel hergestellt 
und so die Stäbchen wieder mit Sehpurpur oder den zu seiner Bil- 
dung nötigen Stoffen versorgt werden. Dass auch die Zapfenfunk- 
Donen wieder bessere werden, wenn die Netzhaut sich anlegt, ist 
wohl durch die auf diese Weise auch für die Zapfen geschaffenen 
besseren Ernährungsbedingungen zurückzuführen. 

Durch meine Untersuchungen finden auch einige frühere Be- 
obachtungen eine Erklärung und Bestätigung, so die bisweilen vor- 
handene Übereinstimmung des Blaugesichtsfeldes mit der Grösse der 
Solutio (Axenfeld), ferner manche bei stark herabgesetzter Beleuch- 
tung erhaltenen Resultate (Schirmer, Axenfeld, Liebrecht). 

Dass speziell mit der Methode, bei niedrig geschraubter Lampe 
zu untersuchen (Schirmer, Axenfeld), nur unsichere Resultate zu 
erhalten sind, liegt einmal darin, dass wir nicht in jedem Falle mit 
Sicherheit sagen kónnen, ob wir wirklich mit Objekten untersuchen, 
deren Helligkeit unter der Schwelle des helladaptierten Auges liegt, 
ferner darin, dass bei dieser Methode eine gleichmässige Beleuchtung 
der Objekte am Perimeter nicht zu erzielen ist. Die Einwände, die 
gegen das von Wilbrand und Liebrecht geübte Verfahren, mit 
Objekten aus Leuchtfarbe zu untersuchen, zu erheben sind, habe ich 
schon oben angeführt. 

Ob man die mit früheren Methoden (niedrig geschraubte Lampe) 
nach lüngerem Dunkelaufenthalt gefundenen Erweiterungen des Ge- 
sichtsfeldes auf adaptative Vorgünge zurücktühren kann, erscheint 
mir zweifelhaft. Soweit sich die früheren Methoden beurteilen lassen, 
haben die bei ihnen angewandten Objekte im allgemeinen Dell. 
keiten besessen, die über der Schwelle des helladaptierten Auges 
legen. Es kann sich hier also sehr wohl um eine „Zapfenerholung“ 
handeln. 

In jüngster Zeit hat Lohmann das Verhalten der abgelösten 
Netzhaut untersucht mit Hilfe des Nagelschen Adaptometers. Er 
hat einmal ein Auge mit „sozusagen totaler Netzhautablösung“ unter- 

v. Graefe's Archiv für Ophthalinologle. LXXIII, 1. 10 


146 K. Stargardt 


sucht, bei dem „sich nur oben innen ganz geringgradige Anlegungen 
zeigten“. An einem sonnigen Tage fand er gar keine Adaptation, 
an einem wolkigen Tage nur eine ganz geringe Adaptation, 0,147 
nach 2 und 0,417 nach 42 Minuten. Darauf verband er das Auge 
sorgfältig mit Watte und schwarzem Taffet und untersuchte nun 
nach 24, 48, 72 und 117 Stunden; dabei fand er eine Empfindlich- 
keit von 12,5, 100, 357 und nach 117 Stunden 1428. 

Dieses Resultat steht zu meinen Resultaten in schroffem Wider- 
spruch. Und es erhebt sich zunächst die Frage, ob die von Loh- 
mann angewandte Methode einwandsfrei war. Lohmann hat, wie 
schon gesagt, das Nagelsche Adaptometer benutzt. Das Adapto- 
meter ist nun aber nach meinen Erfahrungen höchst ungeeignet zur 
Untersuchung bestimmter Netzhautstellen. Selbst wenn man Fixier- 
zeichen anwendet, irrt das Auge des Untersuchers von der angegebenen 
Richtung sehr leicht ab. Es ist das eine bei allen Untersuchungen 
im Dunkelzimmer immer wieder festzustellende Tatsache. Ich habe 
deswegen zur Beobachtung des zu untersuchenden Auges stets eine 
rote Dunkelkammerlampe benutzt, die einen Einfluss auf die Dunkel- 
adaptation nicht ausübt. Bei den von mir am Adaptometer vor- 
genommenen Untersuchungen peripherer Netzhautteile habe ich alle 
Fälle ausgeschaltet, bei denen die Fixation nicht einwandsfrei war. 
Von den untersuchten Personen waren über 70°, zu solchen peri- 
pheren Untersuchungen nicht brauchbar. Trotz wiederholter Be- 
lehrung wandten sie immer wieder ihr Auge von dem Fixationsobjekt 
ab und dem Adaptometer zu, dessen Stellung sie kannten oder aus 
dem Geräusch bei der Blendenbewegung erschlossen. 

Ganz im Gegensatz dazu ist am Dunkelperimeter die Fixation 
im allgemeinen eine gute und zwar deswegen, weil die zu unter- 
suchende Person nicht weiss, aus welcher Richtung das Objekt heran- 
geführt wird, und weil sie bei der von mir getroffenen Anordnung 
auch von der Objektbewegung nichts hört. 

Es liegt also zweifellos die Möglichkeit vor, dass der Loh- 
mannsche Patient eine anliesende Stelle seiner Netzhaut bei der 
Untersuchung benutzt hat. 

Zweitens ist es durchaus denkbar, dass unter dem Verbande 
die Netzhaut sich weiter angelegt hat. Ein eklatantes Beispiel für 
diese Möglichkeit haben wir ja in dem Falle Wesselys. Eine 
Kontrolle mit dem Augenspiegel ist aber nicht ausgeführt worden 
und konnte es ja auch nicht, da dadurch die Dunkeladaptation ve 
stört worden wäre. Dass die Netzhaut aber, wenn sie sich wie- 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 141 


der anlegt, wieder dunkel adaptiert, habe ich schon früher nach- 
gewlesen. 

Nach alledem muss ich auf Grund der von mir untersuchten 
Fälle eine Dunkeladaptation der abgelösten und einmal belichteten 
Netzhaut entschieden von der Hand weisen. Der Lohmannsche 
Fall kann nur aus den oben erwähnten Gründen nicht als beweisend 
für das Gegenteil gelten. Würde in der Tat in der abgelösten Netz- 
haut eine Anpassung an Lichtreize, die für das helladaptierte Auge 
unterschwellig sind, gefunden, so würde in der Duplizitätstheorie eine 
Erklärung dafür nicht gefunden werden können. Die Lohmannsche 
Theorie, dass der Sehpurpur ja einfach durch das subretinale Trans- 
sudat in die abgelöste Netzhaut hineindiffundieren könnte, steht mit 
den Tatsachen in direktem Widerspruch. 

Gerade das Verhalten des Sehpurpurs bei Netzhautablösung ist 
in sehr exakter Weise von Andogsky in der Leberschen Klinik 
untersucht worden. Andogsky fand nur dann Sehpurpur in der 
abgelösten Netzhaut, wenn das zu dem Versuche benutzte Auge schon 
vor dem Eintritt der Ablösung im Dunkeln gehalten war und auch 
nach dem Beginn der Ablösung nicht mehr dem Lichte ausgesetzt 
wurde Wurde die Netzhaut dem Lichte ausgesetzt, so verblasste 
der Sehpurpur und bildete sich nicht wieder. 

Aus diesen Versuchen ergibt sich auch, dass nicht einmal an 
eine Autoregeneration des Sehpurpurs (Kühne, Garten) zu denken 
ist, die ja unter gewissen Umständen auch in der isolierten und selbst 
abgestorbenen Netzhaut beobachtet wurde. Diese Autoregeneration 
ist allerdings auch aus andern Gründen im dem Lohmannschen 
Falle auszuschliessen. In der vom Pigmentepithel getrennten Netz- 
haut ist eine Regeneration des Purpurs nach Kühne nur nach vor- 
übergehender Ausbleichung möglich, nach intensiver besonders aber 
an mehreren Tagen wiederholter Ausbleichung tritt aber eine Wieder- 
bildung des Sehpurpurs nicht mehr ein. In dem Lohmannschen 
Falle ist aber der Prüfung der Dunkeladaptation eine Helladaptation 
an „sonnigem Tage“ vorausgegangen. Dadurch ist die Möglichkeit 
der Regeneration ein für alle Mal aufgehoben worden. 

Auch der Gedanke Lohmanns, dass die angeblich in der 
algelósten Nelzhaut auf 1428 gestiegene Empfindlichkeit eventuell 
auf Rechnung der Zapfen zu setzen sei, ist wohl nicht ernst zu 
nehmen, da aus allen bisherigen Untersuchungen über die Zapfen- 
adaptation sich erstens nur eine geringe Adaptationsfühirkeit ergab 
und zweitens die Adaptation der Zapfen stets in den ersten 5—10 Mi- 

10* 


148 K. Stargardt 


nuten des Dunkelaufenthaltes vor sich ging. Über eine Zapfen- 
adaptation, die sich bis zu 117 Stunden ausdehnt, ist bisher nichts 
bekannt. Der Nachweis des Fehlens einer Dunkeladaptation in der 
abgelósten Netzhaut, wie ich ihn vor 3 Jahren erbracht habe und 
durch meine jetzigen Untersuchungen bestütigen kann, bildet zweitel- 
los eine Stütze für die Duplizitätstheoriee Würde sich mit einwands- 
freier Methode der Beweis für eine ausgiebigere Dunkeladaptation, die 
nicht durch die geringe Anpassung der Zapfen zu erklären wäre, in 
der abgelösten Netzhaut erbringen lassen, so würde die Duplizitäts- 
tlıeorie dadurch einen schweren Stoss erleiden. 

12 Augen mit Aderhautentzündungen wurden auf Adap- 
tationsstörungen untersucht. Die Fälle waren ätiologisch zum grössten 
Teil unklar, oder wenigstens nicht sicher. In der Mehrzahl hat 
wohl eine chronische Tuberkulose die Grundlage der Erkrankung 
abgegeben. Das klinische Bild war in allen Fällen verschieden, 
ebenso waren die Ergebnisse der Funktionsprüfung sehr verschieden. 
Ich verzichte deswegen darauf, die Fülle hier ın extenso anzuführen, 
und gehe nur auf die Hauptpunkte ein. Die Untersuchung am 
Adaptometer ergab sehr wechselnde Befunde. Die niedrigsten Werte 
fanden sich bei Maculaherden (LE — 5,26, 30,2, 1,93 nach 45 und 
selbst 90 Minuten). 

In einem Falle war der Maculaherd so gross, dass bei dem 
Versuch, die Mitte des Adaptometerfeldes zu fixieren, das ganze Objekt 
von 10cm Seitenlänge verschwand. Aufnahmen mit dem Dunkel- 
perimeter ergaben, dass in solchen Maculaherden überhaupt nicht 
adaptiert wurde. Das was man mit dem Adaptometer misst, ist nur 
die Empfindlichkeit der Umgebung des Herdes. Auffallend ist dabei 
der Umstand, dass bei frischen zentralen Herden auch die Adapta- 
tion in der nächsten Umgebung hochgradig gestört ıst, wenn dagegen 
die Entzündung zurückgegangen ist und sich eine Narbe an Stelle 
des alten Herdes findet, so kann die Adaptationsfähiskeit in der 
Umgebung wieder annähernd normal werden. So fand sich in einem 
Falle während des entzündlichen Stadiums zentral Æ = 30,2, nach 
Abheilung des Herdes an. derselben Stelle 1555. 

Die Werte, die man mit dem Adaptometer erhält, hängen 
wesentlich von der Grösse und der mehr oder weniger dichten Lage 
der einzelnen Herde ab. Selbst. klinisch. gleiche. Stellen. geben. aber 
auch verschieden hohe Werte (z. B. an einer Stelle 331 und an 
einer andern, die dasselbe Aussehen zeigt, 1309). 

Die Ursache für diese Erscheinung müssen wir wohl darın suchen, 


Über Störungen der Dunkeladaptation. 149 


dass wir aus dem Augenspiegelbefunde doch nur relativ annähernden 
Aufschluss über die wirklich vorliegenden Veränderungen erhalten 
können und dass schon erhebliche Störungen uns gänzlich entgehen 
können. In manchen Fällen können auch normale Werte (2067 und 
nıehr) an Stellen erhalten werden, an denen schon zahlreiche frische 
Herde liegen. Es ist also nicht immer bei Chorioiditis, wie Loh- 
mann und Horn behaupten, mit dem Adaptometer eine Störung 
nachweisbar. | 

Viel eindeutiger als die Adaptometerbefunde sind die Befunde 
am Dunkelperimeter. Hier finden wir bei allen grösseren Herden 
Skotome. Diese Skotome sind in den meisten Fällen absolut auch 
für sehr hohe Dämmerungswerte und für grössere Objekte. In einem 
Falle verschwand ja sogar das ganze Adaptometerfeld, trotz seiner 
10 cm Seitenlänge. 

In einzelnen Fällen musste man aber geringere Helligkeiten 
(z. B. einer E von 30,2 entsprechend) anwenden, um Skotome nach- 
zuweisen. Mit kleinen sehr lichtschwachen Objekten (E — 30,2 und 
eventuell weniger) liess sich in mehreren Fällen mit zahlreichen 
Herden eine charakteristische Erscheinung nachweisen, das Objekt 
verschwand an verschiedenen Stellen und tauchte bei Weiterbe- 
wegung wieder auf. Diese Erscheinung hat offenbar viel Ähnlichkeit 
mit dem auch von normalen Augen wahrnehmbaren Punkttauchen 
(Hensen) Nur dass es sich bei diesem um minimal kleine Objekte 
handelt, die zwischen zwei Zapfen verschwinden, während bei der 
disseminierten Chorioiditis die Objekte viel grösser sind, anderseits 
aber auch die Lücken zwischen verschiedenen funktionierenden Stellen 
entsprechend grösser sind. 

Dass bei Aderhautentzündungen in erster Linie das Pigment- 
epithel über den Herden geschädigt ist und darauf das Fehlen jeg- 
licher Adaptation an der Stelle der Herde zurückzuführen ist, scheint 
mir das wahrscheinlichste. In vielen Fällen kommt es über dem 
Herde dann ja auch zu einer Schädigung der Zapfen und infolge- 
dessen zu Skotomen auch am Tagesgesichtsfeld. 

Ähnliche Wirkung auf die Adaptation, wie durch Erkrankungen 
der Netzhaut und der Aderhaut, können auch durch pathologische 
Zusammensetzung des Blutes bedingt werden. Bei Ikterus haben 
Parinaud und Andere häufiger ausgesprochene Hemeralopie gefunden. 

Bei Leukämie habe ich etwas ähnliches beobachtet. 

Es handelte sich um einen 51jährigen Arbeiter mit linealer Leu- 


kämie und kolossaler Milzvergrösserung (Hämoglobin 60%, Erytlro- 


150 K. Stargardt 


cyten 3700000, Leukocyten 324000). Der Augenhintergrund zeigte 
das charakteristische Bild (Liebreich Atlas). Am Adaptometer fand 
sich zu Beginn E=1,6 nach 90 Min. auf dem einen Auge, E = 321 
auf dem andern, 625 zentral, peripher waren die Werte wesentlich 
höher (1163, 1209, 1422 und selbst 1626). Dass hier auch sonst 
das Zentrum ganz besonders geschädigt war, ergab sich aus der 
Herabsetzung der Sehschärfe (",,,). Das Dunkelgesichtsfeld (.E — 51,5) 
war vollkommen normal. 


Hemeralopie ohne objektive Veränderungen. 


Von angeborener, bzw. erworbener Hemeralopie habe ich nur 
zwei Fülle zur Verfügung gehabt. 

In dem einen Falle handelte es sich um angeborene Hemeralopie 
bei einem 20 jährigen Knecht, dessen Vater und ein Vetter an der- 
selben Erkrankung leiden sollten. Während alle übrigen Funktionen 
sich als normal erwiesen (Gesichtsfeld, Farbensinn), war die Adap- 
tationsbreite wesentlich herabgesetzt. Es fand sich zwar gleich bei 
Beginn Æ = 1,35, auch zeigte die Kurve die normalen Krümmungen, 
aber die Werte blieben auf sehr geringer Höhe, so dass selbst nach 
60 Minuten nur eine Empfindlichkeit rechts = 42,2, links = 33,0 
resultierte. 

Bei einem andern 415jührigen Patienten. konnte. ebenfalls ein 
vollkommen normaler objektiver Befund erhoben werden; auch waren 
Sehschárfe, Hellgesichtsfeld und Farbensinn normal; am Adaptometer 
dagegen zeigten sich erhebliche Störungen. Erst nach 30 Minuten 
wurde überhaupt am Adaptometer das grosse Feld erkannt (E — 1,95) 
und nach 45 Minuten war die Empfindlichkeit nur auf 2,99 gestiegen. 
Bei diesem Patienten bestand die Hemeralopie angeblich erst seit 
sieben Jahren. Er war früher stets gesund gewesen, musste sich 
aber 5 Wochen vor der Augenuntersuchung Halsdrüsen entfernen 
lassen, die sich als melanotisch erwiesen. 

Der erste meiner Fälle zeigt eine Anfangsempfindlichkeit, wie 
wir sie auch bei völlig normalen Menschen finden; aber die Emp- 
findlichkeit nimmt nur sehr langsam und in sehr engen Grenzen 
zu; auch nach 60 Minuten sind erst Höhen erreicht, wie wir sie bei 
Normalen nach etwa 5 Minuten finden. 

Im zweiten Falle lässt sich über den Kurvenverlauf im Anfang 
überhaupt nichts sagen, da das Adaptometer für die hier erforder- 
lichen Hellickeiten nieht ausreichte. Jedenfalls war hier auch nach 
45 Minuten nur eine minimale Höhe erreicht. Messmer unterscheidet 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 151 


bei seinen mit dem Nagelschen Adaptometer untersuchten Hemera- 
lopen zwei Typen. Bei dem ersten Typus setzt die Adaptation ver- 
spütet ein, steigt aber immerhin noch zu guten Endwerten (1250), 
bei dem zweiten beginnt die Adaptation rechtzeitig, steigt aber nur 
zu sehr geringer Höhe und hält sich dann dauernd nur auf geringer 
Höhe. Heinrichsdorff hatte bei seinen Untersuchungen mit dem 
Piperschen Adaptometer nur den zweiten Typus gefunden, während 
Lohmann auch Fälle vom ersten Typus beschreibt. 

Die ältere Angabe Treitels, der auch Schirmer auf Grund 
von Untersuchungen mit dem Foersterschen Photometer zustimnite, 
dass es sich bei der Hemeralopie um eine Adaptationsverlangsamung 
handelt, besteht demnach für gewisse Fülle zu Recht. Für andere 
Fälle aber trifft sie nicht zu. Hess hat speziell selbst bei tagelangem 
Zuwarten keine Steigerung auf erheblichere Werte aufgefunden. 

Ähnliches habe ich selbst bei der Hemeralopie bei der Retinitis 
pigmentosa beobachtet (vgl. oben). 

Ein Moment scheint mir auch bei der Beurteilung klinisch ge- 
fundener Werte für die Hemeralopie von Bedeutung zu sein, es ist 
das die Móglichkeit von Remissionen. Solche Veründerung der Adap- 
tationsbreite an verschiedenen Tagen konnte ich an einem meiner 
Fälle von Retinitis pigmentosa nachweisen. Durch eine solche Re- 
mission könnte bei einer über Tage ausgedehnten Untersuchung eine 
erst durch mehrtügigen Lichtabschluss zu stande gekommene Adap- 
tationshóhe vorgetüuscht werden. 

Man kann sich vor einem derartigen Trugschluss nur dadurch 
schützen, dass man in einem solchen Falle erst noch einmal ordentlich 
helladaptieren lässt, dann wieder einen genügenden Grad von Dunkel- 
adaptation (45 Minuten) eintreten lässt und nun die Schwelle bestimmt. 

Erst wenn sich jetzt eine grössere Differenz mit dem nach mehr- 
tägiger Dunkeladaptation gefundenen Werte findet, können wir von 
einem über mehrere Taxe sich erstreckenden Adaptationsverlaufe 
sprechen. 

Ob und welche Veränderungen der idiopathischen Hemeralopie 
zugrunde liegen, wissen wir bis heute nicht. Nach der Duplizitäts- 
theorie wird man ja zuerst an eine Erkrankung der Stäbchen oder 
an eine mangelhatte Bildung des Sehpurpurs denken müssen. Pari- 
naud hat auch tatsächlich diesen Gedanken zeäussert, indem er sich 
vor allem auf die Intaktheit der fovealen Funktionen bei der Heme- 
ralopie bezieht. 

Hess wendet sich gegen die Annahme einer Erkrankung der 


152 K. Stargardt 


Stäbchen allein und zwar auf Grund der in seinen Fällen gefundenen 
Minderempfindlichkeit auch des stäbchenfreien Bezirkes und des Vor- 
handenseins des „farblosen Intervalls“. Da ich in meinen Fällen 
Untersuchungen, die sich speziell auf diese beiden Punkte erstreckten, 
nicht angestellt habe, kann ich tatsächliches zu dieser Frage nicht 
vorbringen. Bei den niedrigen Endwerten, die ich in meinen beiden 
Fällen fand, könnte man daran denken, dass die Steigerung der 
Empfindlichkeit allein auf Kosten der Zapfenadaptation erfolgte. 
Ausschlaggebend ist hier der Nachweis einer binokularen Reizaddition. 
Findet sich eine solche, und es war das in der Tat in meinen Fällen 
der Fall (z. B. in Fall 1, R. E — 42,2, L. 38,0 binoculus E = 64), 
so können die gefundenen Werte nicht durch Reizung der Zapfen 
entstanden sein, da eine binokuläre Reizaddition für das „Hellauge“ 
nicht besteht. | 

Dass Klagen über Hemeralopie durchaus nicht immer durch 
wirkliche Adaptationsstörungen bedingt sind, ergibt sich aus einem 
von mir beobachteten Falle, in dem sich eine vollkommen normale 
Endempfindlichkeit (2067) und normaler Adaptationsverlauf nach- 
weisen liess. Es ist in diesem Falle offenbar die ganz physiologische 
Erscheinung, dass man beim Übergang aus hellen in stark verdunkelte 
Räume zunächst nur schlecht sieht, als Zeichen einer Erkrankung 
aufgefasst worden. Anderseits kann auch der Vergleich mit einer 
Person, die besonders adaptationsfähige Augen, „Katzenaugen“ hat, 
zu der Annahme einer krankhaften Störung führen. 


Sehnervenerkrankungen. 


Von Sehnervenerkrankungen habe ich eine doppelseitige Neuritis 
optica aus unbekannter Ursache, eine doppelseitige Stauungspapille, 
10 Augen (5 Patienten) mit tabischer Sehnervenatrophie, 1 Auge mit 
Tabakamblyopie, 1 Fall von retrobulbärer Neuritis (rheumatisch ? 
keine Zeichen für multiple Sklerose) und 6 Fälle von multipler 
Sklerose, ferner 4 Glaukomaugen (2 Patienten) untersucht. Bei dem 
einen Fall von Neuritis optica (deren Ätiologie nicht festgestellt 
werden konnte) fand sich auf beiden Augen eine völlig normale 
Adaptationskurve mit einer Endempfindlichkeit von 1163 und 1309. 
Der Fall war durch eme Myopie von 3 D kompliziert und es ist 
deswegen nicht ganz sicher, ob die geringe Adaptationsfähigkeit der 
Neuritis allein zur Last gelegt werden kann. Das Dunkelgesichtsfeld 
(EL 42,2) war normal. In einem Fal von Stauungspapille bei 
Hirntumor (Lumbaldruck 500 mm) fand sich ebenfalls eime stark 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 153 


herabgesetzte Adaptationsfähigkeit, bis zu 2 Minuten E 0, nach 
45 Minuten E — 210 rechts und 145 links. Das Dunkelgesichtsfeld 
(E 30,2) war links normal, ebenso wie das Weissgesichtsfeld; auf 
dem rechten Auge fand sich eine fast hemianopische nasale Ein- 
engung für Weiss und Farben. Das Dunkelgesichtsfeld zeigte hier 
eine stärkere Einengung als das Weissgesichtsfeld. Auf beiden 
Augen war das Farbengesichtsfeld unverhältnismässig stärker ein- 
seengt als das Dunkelgesichtsfeld. Der Farbensinn (Ole Bullsche 
Tafeln) war beiderseits normal, dagegen die Sehschärfe auf at, und 
“ verringert. 

Auffallend ist iu diesem Falle die geringe Adaptationshöhe 
speziell im Vergleich zur Furbenempfindung. 

In sämtlichen von mir untersuchten Fällen von Atrophia nervi 
optici infolge von Tabes fand sich ebenfalls eine starke Herabsetzung 
der Adaptationsfähigkeit (% nach 45 Minuten = 210, 81,2, 30,2, 
und selbst 26). Stets aber liess sich, solange die Sehschärfe noch 
nicht unter Fingerzühlen in !,m gesunken war, wenigstens an einer 
Stelle eine gewisse Adaptationsfáhigkeit nachweisen. Eine Kon- 
gruenz zwischen dem Augenspiegelbilde und der Herabsetzung der 
Adaptationsfühigkeit war nicht festzustellen. So konnte sich bei ganz 
weisser Papille noch eine E = 1309 finden, während bei kaum 
sichtbarer Atrophie die Æ nur 42,2 oder ähnliche Werte betrug. 
Ebensowenig bestand eine Beziehung zur zentralen Sehschärfe. So 
fand sich bei einer Sehschärfe von Fingerzählen in !,m noch eine 
; — 210, wührend in einem andern Falle mit S — "|, die Æ nach 
45 Minuten nur 42,2 betrug. 

Ebensowenig wie die Adaptationsbreite mit den sonstigen Funk- 
tionsstörungen bei der Atrophia nervi optici parallel ging, liess sich 
irgendeine Beziehung zwischen dem Hell- und Dunkelgesichtsfeld 
nachweisen. Nur ın einem Falle stimmte das Dunkelgesichtsfeld 
nit dem Weissgesichtsfeld überein. 

In sämtlichen andern Fällen fand sich das Gesichtsfeld aın 
Dunkelperimeter grösser, als das eingeengte Weissgesichtsfeld, oder 
mit andern Worten, das Weissgesichtsfeld war stärker eingeengt als 
das Dunkelgesichtsfeld. Die Differenz war meist gering (5—10°), 
betrug aber in einem Fall wesentlich mehr, 20 und in einzelnen 
Meridianen selbst 30°. 

War so schon das Weissgesichtsfeld ganz bedeutend mehr ge- 
schädigt, als das Dunkelgesichtsteld, so galt das in noch höherem 
Grade vom Farbengesichtsfeld. Stets war dieses wesentlich enger 


154 K. Stargardt 


als das Weissgesichtsfeld, von vier Augen wurde Grün überhaupt 
nicht mehr erkannt. Es ergibt sich also bei der tabischen Atrophia 
nervi optici die auffallende Tatsache, dass in vielen Füllen die Weiss- 
und Farbenempfindung ganz unverhältnismässig mehr und früher 
geschädigt wird, als die Dunkeladaptation. 

In einem Fall von akuter retrobulbärer Neuritis (wahr- 
scheinlich im Zusammenhang mit einem häufig rezidivierenden Ge- 
lenkrheumatismus stehend, für multiple Sklerose keine Anhaltspunkte) 
bei einer 43jührigen Frau war die Sehschärfe auf !|; excentrisch 
gesunken und es bestand ein Zentralskotom von 20? Hóhe und 35? 
Breite. In diesem Fall war am Adaptometer zentral überhaupt 
keine Adaptation nachzuweisen und das Zentralskotom am Dunkel- 
perimeter zeigte dieselbe Ausdehnung, wie das absolute Skotom des 
Hellgesichtsfeldes. Die Peripherie war aber in jeder Beziehung frei, 
die Empfindlichkeit erreichte hier dieselbe Höhe, wie auf dem ge- 
sunden Auge (2067). In einem Fall von Tabakamblyopie (bei 
einem ehemaligen Zigarrenreisenden) fand sich S = *|,, eine deut- 
liche Atrophie der Papille im temporalen Quadranten und ein kleines 
Zentralskotom für Farben. Zum Nachweis dieses Zentralskotoms 
mussten die farbigen Objekte sehr klein gewáhlt werden, !,—1 mm 
gross. Am Adaptometer zeigte sich ein zentral normaler Kurven- 
verlauf (zu Beginn EZ — 3,31 und nach 1 Stunde eine Empfiud- 
lichkeit von 2422; Feldgrösse 10?cm?). Dieser Wert könnte an 
sich normal erscheinen, ist es aber doch nicht, denn die Peripherie- 
werte übertrafen ihn um fast das Vierfache (// — S164). Die Difle- 
renz zwischen Zentrum und Peripherie wurde noch auffallender, wenn 
man die Feldgrösse verringerte. Mit einem quadratischen Felde von 
2em Seitenlànge fand sich zentral Æ = 331, peripher 2067, also 
fast das Siebenfache. Am Dunkelperimeter liess sich mit sehr 
schwachen Dámmerungswerten («500 und 2 cm Feldgrösse) ein 
deutliches Zentralskotom von 10° Breite und 6° Höhe nachweisen. 
Mit höheren Dämmerungswerten (E = 50 und ähnlich) war ein 





Zentralskotom nicht nachweisbar. 

Das übereinstimmende Verhalten in bezug auf das Zentralskotom 
in dem ersten Falle von retrobulbärer Neuritis ist wohl in dem Sinne 
aufzufassen, dass die vom Zentrum der Netzhaut stammenden Fasern, 
gleichgültig, ob sie in letzter Linie von Stäbchen oder Zapfen aus- 
sehen, im Sehnerven eine gleiche Lage haben, d. h. in einem Bündel 
verlaufen. Würden nun durch einen schweren entzündlichen Prozess 
an einer umschriebenen Stelle im Sehnerven die dort verlaufenden 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 153 


Bahnen total unterbrochen, so kommt es zu einem Funktionsausfall 
sowohl des Hell- wie des Dunkelapparates in dem betreffenden Be- 
zirk. Stellt sich, wie wir es bei der Tabakamblyopie finden, nach 
Ablauf der akuteren entzündlichen Erscheinungen ein Teil der Funk- 
tion wieder her, so kónnen einzelne Teile im Zentrum wieder funk- 
tionsfáhig werden, dazwischen liegen aber Stellen, in denen das nicht 
der Fall ist. | 

Sind diese Stellen nur klein, so werden sie sich am Hellperimeter 
nur schwer als Skotome nachweisen lassen. So gelang es in meinem 
Falle nur mit sehr kleinen Objekten (!/J,—1 mn)) Defekte für Farben 
aufzufinden. 

Am Dunkelperimeter verhült sich die Sache etwas anders. Je 
grösser die Feldgrösse ist, desto lichtschwächere Objekte werden 
wahrgenommen. Es kommt hier eben nicht auf das einzelne Netz- 
hautelement an, sondern es muss gewissermassen eine Addition sänıt- 
licher in einem bestimmten Bezirk hervorgerufener Érregungen ein- 
treten, damit überhaupt eine Empfindung zu stande kommt. Fehlen 
in einem bestimmten Bezirk eine Anzahl von Netzhautelementen, 
oder fehlen sogar ganze Gruppen von Elementen, so muss der Reiz 
entsprechend stärker gewählt werden, damit durch Addition der Er- 
regungen in den noch vorhandenen Netzhautelementen eine Empfin- 
dung hervorgerufen werden kann. 

Daher war auch in meinem Falle schon für grosse Feldgrössen 
im Zentrum eine viermal so intensive Beleuchtung nötig, wie an der 
Peripherie, um eine Empfindung auszulösen. 

Und daher steigerte sich die Differenz zwischen Zentrum und 
Peripherie bei Anwendung kleinerer Feldgrössen auf das Sieben- 
fache, da dann nur noch die zentrale Stelle der Netzhaut gereizt 
wurde, wo offenbar die meisten Lücken bestanden. \Vurde die Feld- 
grósse (2 cm) schliesslich nicht mehr verkleinert, dagegen die Hellig- 
keit reduziert, dann genügte die durch Addition der Erregungen in 
den noch vorhandenen Netzhautelementen der gereizten zentralen 
Stelle erzeugte Gesamterregung nicht. mehr, um noch eine Empfin- 
dung auszulösen; während das an den unbeschädigten peripheren 
Stellen der Fall war. 

Ganz ähnliche Erscheinungen wie in den beiden letzten Fällen 
zeigten sich bei multipler Sklerose. Ich habe bei 6 Personen, bei 
denen die Diagnose durch Augensymptome und durch den Naeh- 
weis anderweitiger charakteristischer Störungen gesichert war, unter- 
sucht und zwar jedesmal beide Augen. In zwei Fällen waren 


156 i K. Stargardt 


sowohl der objektive Befund, wie die Hell- und Dunkelfunktionen 
normal. 

In einem dritten Falle bestanden die typischen Erscheinungen 
eines frischen retrobulbáren Herdes, S war auf Fingerzáhlen in 1m 
gesunken, zentral bestand ein absolutes Skotom für Weiss von 10° 
Höhe und 15° Breite, die Peripherie war frei. Von Farben wurden 
nur Blau und Rot an umschriebenen Stellen erkannt. Am Adapto- 
meter fand sich zentral Æ = 1309, peripher E = 3755. Die Aussen. 
grenzen des Dunkelgesichtsfeldes waren normal, ebenso wie die des 
Hellgesichtsfeldes. Auch am Dunkelperimeter liess sich ein absolutes 
Skotom von derselben Grösse wie im Hellgesichtsfeld nachweisen. 

Ein vierter Fall zeigte ähnliche Erscheinungen auf dem einen 
Auge, wie die Tabakamblyopie. Die Papille war deutlich atrophisch 
im temporalen Quadranten, S war normal, der zentrale Farbensinn 
mit Ole Bullscher Tafel !|,, keine Zentralskotome am Hellgesichts- 
feld nachweisbar. 

Am Adaptometer fand sich mit Objekten von 10cm Seitenlünge 
E = 5503, mit 2cm Seitenlinge E — 1309. Am Dunkelperimeter 
fanden sich zwar normale Aussengrenzen, aber mit sehr schwachen 
Helligkeiten (À£ 625) ein deutliches Zentralskotom von 15:109. 

Die Erklärung für die in diesem Falle vorliegenden Symptome 
deckt sich mit der für die Tabakamblyopie gegebenen. 

In einem fünften Falle, der ebenfalls trotz der Atrophie des 
temporalen Bündels keine Funktionsstörungen mit Ausnahme des 
zentralen Farbensinns bot (Ole Bull = 14) war leider das Zen- 
trum am Dunkelperimeter mit zu hellen Lichtern untersucht worden 
(I = 42,2), so dass es fraglich bleiben muss, ob auch in diesem 
Falle mit sehr schwachen Lichtern ein Zentralskotom nachweisbar 
gewesen wäre. 

In einem sechsten Falle waren auf dem einen Auge sämtliche 
Funktionen trotz deutlicher Abblassung der Papille im temporalen 
Teil normal (S — *l,, Farbensinn normal, kein Zentralskotom, Ge- 
sichtsfeld für Weiss und Farben normal, am Adaptometer nach 
45 Minuten X = 2724); dagegen fand sich am Dunkelperimeter eine 
Finengung an der Peripherie temporal und oben (vgl Fig. 15). 
Diese Einengung wurde ganz konstant an verschiedenen Tagen, bei 





wiederholter Nachprüfung angegeben. Aus der genauen Angabe des 
blinden Fleckes liess sich schliessen, dass die Angaben des Patienten zu- 
verlässig waren. Da sich derartige Einengzungen bei Normalen nie- 
mals am Dunkelperimeter finden, da für eine periphere Solutio re- 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 151 


tinae, an die man ja denken müsste, absolut nichts sprach, so muss 
man entschieden einen Zusammenhang zwischen dem Gesichtsfeld- 
defekt und der multiplen Sklerose annehmen. Die grósste Wahr- 
scheinlichkeit bietet wohl die Annahme eines peripheren Herdes im 
Optikus. Auch hier ist es móglich, dass nur ein Teil der durch den 
Herd verlaufenden Fasern geschüdigt wurde. Für die Wahrnehmung 
des Objektes am Hellperimeter genügten die vorhandenen Elemente 
noch, für die Wahrnehmung der lichtschwachen Objekte am Dunkel- 
perimeter dagegen reichten sie nicht aus. | 





DuC we | 135 


Ts \ 


> rg \ 
Tess wi \ 150 
is d o 
180 
Fig. 15. 


p 
150 


Zu den Sehnervenerkrankungen gehört auch die glaukomatöse 
Excavation. 

Dass beim Glaukom die Dunkeladaptation erheblich gestört 
sein kann, haben schon Foerster, Treitel, in neuerer Zeit Loh- 
mann und Horn gezeigt. 

Ich selbst fand in einem Fall mit tiefer Excavation nur eine 
minimale Adaptationshöhe (nach 60 Minuten E = 3,87), trotzdem 
die Sehschárfe noch 5|, betrug, an einem andern Auge mit tiefer 
Excavation und S= ‘|,, stieg E in 60 Minuten bis 210, das Dunkel- 
gesichtsfeld, ebenso wie das Weissgesichtsfeld war auf 10 und in 


158 K. Stargardt 


einzelnen Meridianen bis auf 5° eingeengt. Bei zwei andern Augen, 
die gleichfalls schon tiefe Excavationen zeigten, war die Adapta- 
tionsbreite noch normal (1626 und 1871), das Dunkelgesichtsfeld 
(E = 14,03) auf dem einen Auge normal, auf dem andern Auge 
um 5—10° eingeengt. Bei diesen beiden Augen war allerdings 
auch das Weissgesichtsfeld noch fast normal und nur das Farben- 
gesichtsfeld zeigte schon erhebliche Einengung. 


Trübungen der brechenden Medien. 


Dass Trübungen der brechenden Medien einen Einfluss auf die 
Adaptation im Sinne einer Herabdrückung der Empfindlichkeitswerte 
ausüben, ist ohne weiteres zu verstehen. 

So kónnen Maculae corneae die Adaptationshóhe sehr wesentlich 
beeinflussen. Es spielt aber hier nicht nur die Mucula selbst eine 
Rolle, sondern auch die durch sie hervorgerufene unregelmässige 
Brechung in den umliegenden Partien der Hornhaut. 

Bei Cataracta incipiens und zonularis erhielt ich in gewissen 
Stadien noch Werte, die sich durchaus in normalen Grenzen be- 
wegten (z. B. 2067 und 2422); trotzdem ist es möglich, dass wir 
es hier schon mit Herabsetzung der Empfindlichkeitswerte zu tun 
haben, da dieselben Augen ja ohne Linsentrübungen erheblich mehr 
leisten könnten. Sehr deutlich machte sich in einzelnen Fällen der 
Einfluss der Linsenkernsklerose im Alter auf die Adaptationshöhe 
bemerkbar; es kann hier durch Absorption und Reflexion soviel 
Licht verloren gehen, dass die Empfindlichkeit nach 45 Min. auf 
ganz geringe Werte herabgedrückt wird (100, 42 und ähnliche). Einen 
gewissen praktischen Wert hat die Frage, ob bei maturer Alters- 
katarakt sich noch adaptative Empfindlichkeitssteigerungen nach- 
weisen lassen. 

Durch langdauernden Aufenthalt im. Hellen. kann. zweifellos eine 
Herabsetzung der Empfindlichkeit bedingt werden, vermutlich durch 
Ausbleichen des Sehpurpurs. 

Nach ausgiebiger Helladaptation fand ich bei zwei Kataraktösen 
Empfindlichkeitswerte, die 20 bzw. 30 mal geringer waren, als die 
nach 45 Min. langer Dunkeladaptation. Diese Messungen wurden 
mit besonderen Lichtquellen ausgeführt, da die vom Adaptometer 
gelieferten Helligkeiten viel zu gering waren. Dass auch Glaskörper- 
trübungen Herabsetzung der Adaptationsbreite bedingen, zeigte sich 
in einem Falle mit peripherer Solutio retinae (vgl. Fall UI LA 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 159 


Einfluss der Objektgrósse und Beizaddition. 

Zum Schlusse móchte ich noch auf zwei Punkte kurz eingehen, 
den Einfluss der Objektgrósse auf die Schwellenwerte des dunkel- 
adaptierten Auges und die sog. „Reizaddition“. 

In den meisten meiner Fälle habe ich die Empfindlichkeit 
nicht nur mit dem Objekt von 10cm Seitenlänge, sondern auch mit 
kleineren Objekten geprüft. Am Piperschen Adaptometer sind ver- 
gleichende Messungen mit verschiedenen Feldgrössen deswegen be- 
sonders leicht auszuführen, weil die Objektgrösse sich durch eine 
Aubertsche Blende beliebig verkleinern lässt. 

Nach Piper nimmt für das normale Auge der Reizwert eines 
Objektes mit Vergrösserung seiner Flächengrösse nicht unerheblich 
zu. Es soll der Reizwert eines Objektes proportional der Quadrat- 
wurzel der Flächengrösse des Netzhautbildes sein. 

Die Zunahme des Reizwertes habe auch ich in fast allen Fällen 
feststellen können. Die Differenzen zwischen den Resultaten bei 
Anwendung von Feldsrössen von 10 bis 3cm Seitenlänge sind aber 
nur geringe, im allgemeinen überschreiten sie nicht !|,,——!], des End- 
wertes. 

Wird das Feld noch stürker verkleinert, so nehmen die Ditle- 
renzen ganz erheblich zu. Dei 2 cm Seitenlünge finden wir Werte, 
die nur !|, !j, und selbst !|, so hoch sind, wie die Werte, die wir 
mit Objekten von 10cm Seitenlänge erhalten. 

Auch bei diesen Differenzen spielt ein individueller Faktor eine 
gewisse Rolle. Die Beachtung dieses Faktors ist von Bedeutung bei 
der Gesichtsfelduntersuchung am Dunkelperimeter. Denn nach ihm 
richtet sich bis zu einem gewissen Grade die Helliskeit, die wir dem 
bei der Dunkelgesichtsfeldaufnahme benutzten Objekte geben müssen. 
Es ist deswegen in allen Fällen, in denen ein Dunkelgesichtsfeld 
aufgenommen wurde, zuvor der Empfindlichkeitswert für ein Objekt 
von 2 bzw. lcm Seitenlänge am Adaptometer festgestellt worden. 

Was die HReizaddition betrifft (vgl. auch oben), so hiess sie sich 
in den meisten, auch pathologischen Fällen nachweisen. Bisweilen fand 
sich ein binokularer Wert, der fast genau der Summe der beiden 
monokularen Werte entsprach (z. B. Myopie Fälle 50:8764 R., 8764 L., 
16267 binokular; 52:2590 R., 2511 L., 5045 binokular, 25:2067 R., 
2422 L., 4329 binokular); in den meisten Fällen trat nur eine Er- 
höhung ein (z. B. Myopie Fall 39:1309 R., 1309 L., 1626 binokular, 
28:625 R., 625 L, 903 binokular, 21:3755 R., 4025 L., 5500 bin- 
okular). Diese Erhöhung zeigte sich auch dort, wo eine sehr erheb- 


160 ' K. Stargardt 


liche Differenz zwischen den monokularen Werten bestand (z. B. 
Myopie Fall 67:766 R., 145 L., 967 binokular). Ganz analoge Resul- 
tate fanden sich auch bei zahllosen Fällen aus andern Krankheits- 
gruppen, so dass ich das Gesetz von der Reizaddition nur bestätigen kann. 

Lohmann will die Reizaddition ganz besonders auffallend bei 
Schielenden gefunden haben und erklärt das dadurch, dass durch 
Reizung nicht korrespondierender Netzhautteile das gereizte bin- 
okulare Netzhautareal ein grösseres als bei Nichtschielenden ist. 

Ich habe bei meinen 7 Schielfällen einen Unterschied im Ver- 
gleich zu andern Fällen nicht gefunden. In einem Falle fand 
sich eine Addition (3755 R., 3755 L., 7185 binokular), in 4 Fällen 
fand nur eine unwesentliche Erhöhung des Wertes des stärker empfind- 
lichen Auges statt (z. B. R. 3059, L. 4329, binokular 4667), uud 
in zwei Fällen übertraf der binokulare Wert nicht den Wert des 
stärker empfindlichen Auges (R. 1309, L. 744, binokular 1309 und 
R. 1077, L. 4329, binokular 4329). 


Schluss. 

Nehmen wir die Duplizititstheorie als richtig an, so müssen 
wir auch klinisch die Prüfung des Hellapparates des Auges von der 
Prüfung des Dunkelapparates trennen. 

Den Hellapparat prüfen wir, indem wir bei Tageslicht oder 
künstlicher, heller Beleuchtung Sehschärfe, Farbensinn und Gesichts- 
feld, eventuell auch die Reizschwelle und Unterschiedsschwelle (z. B. mit 
den Seggelschen Tafeln oder der Massonschen oder Maxwellschen 
Scheibe) untersuchen. 

Für die Prüfung des Dunkelapparates stehen uns zwei Methoden 
zur Verfügung. Die Untersuchung des Ganges der Adaptation und 
Feststellung der maximalen Empfindlichkeit nach etwa 5|, stündigem 
Dunkelaufenthalt mit Hilfe des Nagelschen oder Piperschen Adapto- 
meters und die Untersuchung des Gesichtsfeldes mit Lichtern, die 
unter der Schwelle des helladaptierten Auges liegen, mit dem von 
mir angegebenen Dunkelperimeter. 

Wir wissen heute, dass die Dunkeladaptation sich in. der Weise 
vollzieht, dass die Empfindlichkeit des Auges in den ersten 10 Mi- 
nuten nur wenig, in den folgenden 20—25 Minuten sehr erheblich 
steigt, um dann nur noch unerheblich oder gar nicht mehr zuzu- 
nehmen (Pıpersche Adaptationsregel). Die von Nagel noch nach 
Tagen gefundene Steigerung um das dreifiche des nach 45 Minuten 
gefundenen Wertes kommt praktisch wenig in Betracht, da Unter- 


Über Störungen der Dunkeladaptation. 161 


suchungen, die sich über so lange Zeiten ausdehnen, praktisch im 
allgemeinen nicht durchführbar sind. 

Der Gang der Dunkeladaptation entspricht auch in pathologischen 
Fällen im allgemeinen der Piperschen Regel, nur ist dann die 
Adaptationskurve insofern veründert, als sie eine sehr niedrige Ordi- 
natenhóhe zeigt. Eine Steigerung der Adaptation noch nach Stunden 
bzw. Tagen habe ich auch in pathologischen Fällen (es konnten aller- 
dings nur wenige Fülle nach dieser Richtung hin untersucht werden) 
entweder gar nicht gefunden, oder nur um Betrüge, wie sie auch bei 
Normalen vorkommen. Bei Normalen ist schon die Steigerung der 
Empfindlichkeit des Auges eine recht verschiedene. Die geringsten 
Steigerungen (in 45 Minuten) bei Normalen: betragen das 1600 fache, 
die höchsten das 16000fache des Anfangswertes. 

Infolge dieser physiologisch sehr weiten Grenzen ist es nicht 
immer mit Sicherheit festzustellen, ob wir es im Einzelfalle schon mit 
einer pathologischen Störung der Dunkeladaptation zu tun haben. 
Einen gewissen Anhaltspunkt können wir hier durch Vergleich mit 
dem andern Auge oder mit andern Stellen in dem erkrankten Auge 
gewinnen. Bei gleicher Refraktion ist die Adaptationsbreite auf beiden 
Augen so gut wie gleich. 

Vergleiche zwischen verschiedenen Stellen in einem Auge sind 
bei den meisten Personen wegen der mangelnden Übung im indirekten 
Beobachten nicht möglich. Störungen der Dunkeladaptation finden 
wir bei Myopie, gemischten Astigmatismus, markhaltigen Nerven- 
fasern, bei älteren intraokularen Blutungen, bei Siderosis infolge von 
Eisensplitterverletzung, Retinitis albuminurica, Retinitis pigmentosa, 
Solutio retinae, bei frischen und alten Chorioiditiden, bei Sehnerven- 
entzündung, bei Atrophia nervi optici, sowohl primärer als sekun- 
därer, bei Glaukom, bei retrobulbären Sehnervenerkrankungen, bei 
Hemianopsie und bei Trübungen der brechenden Medien. 

Die Störungen können bei diesen verschiedenen Affektionen ein 
sehr verschiedenes Aussehen bieten. 

Das Adaptometer gestattet uns, schon geringgradige Störungen, 
die bei älteren Methoden nicht nachweisbar waren, aufzudecken, es 
bietet weiter den Vorzug, dass wir auch die pathologische Adapta- 
tionsbreite genau in Zahlen ausdrücken und den Gang der Adapta- 
tion kurvenmässig feststellen können. Schon mit dem Adaptometer 
lässt sich nachweisen, dass bei pathologischen Prozessen im Auge 
die Adaptationsfähigkeit an verschiedenen Stellen eine sehr ver- 
schiedene sein kann. z. B. bei Myopie. Genauen Aufschluss über 

v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXHI. 1. 11 


162 K. Stargardt 


die Funktion der verschiedenen Teile des Auges gibt uns aber nur 
die Aufnahme des Gesichtsfeldes mit Lichtern, die unter der Schwelle 
des helladaptierten Auges liegen. Es zeigen sich da eine Reihe 
sonst nicht nachweisbarer Tatsachen. 

Bei Solutio retinae findet sich, dass die abgelóste Netzhaut nicht 
auf Lichter reagiert, die unter der Schwelle des helladaptierten Auges 
liegen, woraus wohl mit Hecht der Schluss gezogen werden kann, 
dass die abgelóste Netzhaut überhaupt nicht fähig ist, dunkel zu 
adaptieren. 

Die geringen Empfindlichkeitsánderungen der abgelósten Netz. 
haut, die sich nach längerem Dunkelaufenthalt mit Lichtern, die über 
der Schwelle des helladaptierten Auges liegen, nachweisen lassen, 
können wir wohl auf Zapfenerholung zurückführen. 

Bei Retinitis pigmentosa kann zu gewissen Zeiten an einzelnen 
Stellen die Adaptation vollkommen normal sein (sog. Retinitis pig- 
mentosa ohne Hemeralopie), und doch bestehen hochgradige hemera- 
lopische Erscheinungen, weil für Dàmmerungswerte ein breites Ring- 
skotom besteht, das nur ein kleines zentrales Gesichtsfeldareal frei lässt. 

Nach abgelaufenen retrobulbären Neuritiden können wir mit dem 
Dunkelperimeter bisweilen noch grössere Zentralskotome nachweisen, 
die sich mit andern Methoden nicht mehr nachweisen lassen. 

Über periphere Gesichtsfeldstörungen im Dämmerungssehen gibt 
uns auch nur das Dunkelperimeter Auskunft. 

Besitzen nun eine Reihe von Störungen auch nur theoretisches 
Interesse, so können andere doch auch ein grosses praktisches Inter- 
esse haben, ich erinnere da nur an die Tatsache, dass die Grösse 
einer Netzhautablösung sich einzig und allein mit dem 
Dunkelperimeter bestimmen lässt und dass wir über gewisse 
hemeralopische Störungen (z. B. bei Retinitis pigmentosa) 
auch nur dann Aufschluss erhalten, wenn wir nicht nur 
eine bestimmte Stelle auf ihre Adaptationsfähigkeit unter- 
suchen, sondern den ganzen Augenhintergrund berück- 
sichtiren. 

Herrn Geheimrat Voelckers und Herrn Prof. Schirmer sage 
ich für die Überlassung des Materials und ihr freundliches Interesse 
meinen besten Dank. 


Über Stórungen der Dunkeladaptation. 163 


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2) — Über Helladaptation. Ber. d. Heidelberger ophthalm. Ges. 1906. S. 253. 

Liebrecht, Untersuchungen über die Adaptation der gesamten Netzhaut im 
kranken Auge. Arch. f. Augenheilk. Bd. XXXVI. S. 211. 1598. 

Meisling, Über die chemisch-physikalisehen Grundlagen des Sehens. Zeitschr. 
f. Sinnesphysiol. Bd. XLH, 4. S. 229. 

pr 


164 K. Stargard, Über Stórungen der Dunkeladaptation. 


Messmer,Über die Dunkeladaptation bei Hemeralopie. Zeitschr. f. Sinnesphysiol. 
Bd. XLII, 2. 1907. 

1) Nagel u. Schaefer, K. L., Über dasVerhalten der Netzhautzapfen bei Dunkel- 
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Bd. XXXIV. S. 271. 1904. 

2) Nagel, W., Die Wirkungen des Lichtes auf die Netzhaut. Handb. d. Physiol. 
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Nicolai, G.F., u. Rabinowitsch, Verhandlungen der Physiol. Ges. zu Berlin. 
Zentralbl. f. Physiol. Bd. XXI. Nr. 18. 1907. 

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Comptes rendus de l'Acad. des sciences. T. CI. p. 821. 1885. Ferner ebenda 
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1) Piper, H., Über Dunkeladaptation. Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. 
Sinnesorgane. Bd. XXXI. S. 161—214. 1903. 

2) — Über die Abhängigkeit des Reizwertes leuchtender Objekte von ihrer 
Flächengrösse. Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorgane. Bd. XXXII. 
S. 161. 

3) — Über die Funktionen der Stäbchen und Zapfen und über die physiolo- 
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4) — Zur messenden Untersuchung und zur Theorie der Hell-Dunkeladaptation. 
Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1907. T. 1. S. 357. 

Gézá Révész, Wird die Lichtempfindlichkeit eines Auges durch gleichzeitige 
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Sinnesorgane. 1905. S. 314. 

Shermann, Wundts Philosoph. Studien. Bd. XIII. S. 434. 1898. 

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Anatomie. Bd. II. Kap IV. S. 247—261. 1866. 

2) — Über Stäbchen und Zapfen der Retina. Arch. f. mikr. Anat. Bd. lI. 
S. 215. (S. 237 u. 371!) 

Schirmer, Uber die Adaptation im gesunden und kranken Auge. Verhandl. 
d. X. intern. med. Kongr. 1890. Abt. X. S. 58. 

1) Stargardt, K., Die Untersuchung des Gesichtsfeldes bei Dunkeladaptation 
mit besonderer Berücksichtigung der Solutio retinae. Klin. Monatsbl. f. 
Augenheilk. Bd. XLIV, 2. S. 353. 

2) — Zur Pathologie der Dunkeladaptation. Ber. d. Heidelberger Ophth. Ges. 
1908. 

Trendelenburg, Über die Bleichung des Sehpurpurs mit spektralem Licht in 
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1) Treitel, Uber Hemeralopie. v. Graefe's Arch. Bd. XXXI, 1. 

2) — Uber das Wesen der Lichtsinnstórung. v. Graefe's Arch. Bd. XXXIII, 
1. S. 31—46. 1887. 

1) Tschermak, Die Hell-Dunkeladaptation des Auges und die Funktion der 
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2) Beobachtungen über die relative Farbenblindheit im indirekten Sehen. 
Pflügers Arch. Bd. LXXXII. 1900. 

Urbantschitsch, Uber den Einfluss von Trigeminusreizungen auf die Sinnes- 
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Weiss, L., Uber das Gesichtsfeld der Kurzsichtigen. Leipzig u. Wien, D. Deu- 
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Wilbrand, Die Erholungsausdehnung des Gesichtsfeldes unter normalen und 
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Woltfberg, Uber die Prüfung des Lichtsinns. v. Graefe’s Arch. f. Ophth. 
Bd. XXNI. $8. I. 

Wölfflin, Der Einfluss des Lebensalters auf den Lichtsinn bei dunkeladap- 
tiertem Auge. v. Graefe's Arch. f. Ophth. Bd. LXI, 3. 


— 


Nühere Mitteilungen über die permanente Drainage der 

Tránenabflusswege, und über die Bildung einer bleiben- 

den Kommunikation des Tränensackes mit der Nase, ober- 
halb der unteren Coneha. 


Von 
Prof. Dr. W. Koster Gzn. 


in Leiden. 


Da seit meiner ersten Mitteilung in diesem Archiv über eine 
neue Behandlungsweise des Tränensackleidens!) meine Erfahrung sich 
wieder erweitert und die Technik der Methode sich ebenfalls noch 
wesentlich einfacher gestaltet hat, will ich im folgenden kurz darüber 
berichten. 

Erstens habe ich über eine Erleichterung bei der Einführung 
der Seidenfäden zu berichten. Es hat sich gezeigt, dass für Anfänger 
der Gebrauch der sehr dünnen Kupferdrähte ziemlich oft Schwierig- 
keiten darbietet. Es findet dies seine Ursache darin, dass man das 
kleine Häkchen nicht genügend lateralwärts führt, um hinter der 
unteren Concha die Hohlsonde zu palpieren und die Drahtschlinge 
zu fassen. Es kann diese Schwierigkeit nun umgangen werden, wenn 
man einen Seidenfaden, der mit Mucilago gummi arabici imprügniert 
worden ist, durch die Hohlsonde, welche unten offen ist, einführt 
und langsam weiterschiebt, bis ungeführ 10— 15cm desselben frei 
hinter der Muschel in der Nase boren: es erweicht der Faden nänı- 
lich, sobald derselbe von der Flüssigkeit in dem Nasengange berührt 
wird. Man lässt den Patienten dann, indem er das andere Nasen- 
loch fest verschliesst, ganz kräftige, d. h. kurz und plötzlich, ausblasen 
durch das betreffende Nasenloch, und der Faden kommt ohne 
weiteres zum Vorschein. Ich verdanke diese Vereinfachung einer 
Mitteilung des Herrn Dr. B. Brand, praktizierender Arzt in Sluis 
(Holland), der bei einem Patienten in dieser Weise den Faden 
durchgeführt hatte. Bei einem andern Patienten gelang es ihm zwar 








1) Die permanente Drainige der Tränenabtlusswere. Arch. £. Ophth. Bd. EX VI 
S. 87. 1907. 


166 W. Koster Gzn. 


nicht, und bei meinen ersten Versuchen in dieser Richtung erzielte 
ich ebenfalls keinen Erfolg, aber es zeigte sich bald, dass dieses nur 
von ganz kleinen Fürsorgen abhängig ist. Man muss nämlich die 
Hohlsonde, ehe man den erhärteten Faden einführt, erst ungefähr 
Lem aus dem Ductus zurückziehen; dann muss der Faden, sobald 
derselbe den Nasengang erreicht hat, nur ganz langsam vorge- 
schoben werden, damit eine genügende Erweichung eintreten kann, 
denn sonst läuft der Faden nach hinten im Rachen und kann 
nicht mehr ausgeblasen werden. In solchen Fällen kann man 
sich noch helfen, indem der Faden jetzt mit einer Pincette aus dem 
Munde hervorgezogen wird, um dann mit der Bellockschen Sonde 
aus dem Nasenloche zurückgezogen zu werden. Aber es wird diese 
Unannehmlichkeit umgangen, wenn der Faden Zeit hat, genügend 
zu erweichen, und sich dann zu einem Knäuel im unteren Nasen- 
gange anhäufen kann. An letzter Stelle kommt es dann darauf an, 
den Patienten ganz kurz und kräftig durch das betreffende Nasenloch 
ausblasen zu lassen. 

Im Juni 1908 hat Dr. Brand mir brieflich seine Erfahrungen 
mitgeteilt, und es dann mir überlassen, darüber gelegentlich zu be- 
richten. Ohne Zweifel bedeutet diese Änderung eine grosse Ver- 
besserung der Methode, und dieselbe dürfte jetzt wohl keinem Arzte 
einige Schwierigkeit mehr darbieten. 

Ich habe dieselben Seidenfäden benutzt, welche ich bei meinen 
ersten Versuchen, als die Methode der permanenten Drainage sich 
entwickelte, gebraucht habe, um den Tränenweg direkt zu sondieren, 
ohne Hilfe einer Hohlsonde!) Dazu waren dieselben, wie es sich 
damals zeigte, aber nicht kräftig genug. Als ich dann nachher mit 
den dünnen kupfernen Drahtschlingen gut auskam, habe ich keine 
Versuche gemacht, mit den Seidenfäden die Hohlsonde zu passieren; 
aber, wie gesagt, bietet dies noch viel weniger Schwierigkeiten. 

Man kann den Gummifaden, wenn derselbe genügend dick ge- 
wählt worden ist, sofort liegen lassen und zusammenknoten; aber 
ich ziehe es vor, einen doppelten, nicht gummierten Faden einzu- 
führen. Dazu legt man einfach einen Knoten?) in dem Ende des 
Fidens an, welcher aus der Nase hervortritt, zieht die Windungen des- 

1) Nederlandsehe Tijdschrift voor Geneeskunde. Nr. II, 10. S. 662. 1907. 

2) Um das Durchziehen des Knotens durch den Kanal zu vermeiden, habe 
ich auch dünne doppelte gummierte Fäden vorrätig; dieselben sind zu einem 
Faden zusammengeklebt; statt des Knotens benutzt man dann die Schlinge am 
Ende als Öse. Es bietet aber der Knoten wenig Schwierigkeit beim Durchziehen. 


Nähere Mitteilungen über d. perman. Drainage d. Tränenabflusswege usw. 167 


selben etwas auseinander, um eine Öse zu bilden, schiebt den ein- 
zuführenden Faden durch und zieht dann die Hohlsonde mit dem 
Gummifaden aus dem Tränenweg zurück. 

Wie ich früher betonte, ziehe ich den doppelten Seidenfaden 
dem einfachen vor, da dadurch eine bessere Drainage ermöglicht 
wird. Auch muss ich hier hervorheben, dass man sich aus kos- 
metischen Gründen nicht dazu verleiten lassen darf, ganz dünne 
Seidenfäden zu benutzen; die Dicke meiner Fäden wechselt von 
ungefähr 0,5—1 mm. 

Um die gummierten Faden zu bereiten, spanne ich die Seide um 
zwei messerdünne, aus Messing gearbeitete Seiten eines Rahmens; in Ab- 
ständen von 0,5 cm sind am äusseren Rande dieser Messingmesser untiefe 
Einkerbungen angebracht, um das Verschieben der Fäden zu verhüten. 
Wünscht man einfache Fäden, so windet man so, dass jedesmal eine 
nächste Einkerbung gebraucht wird; wünscht man Doppelfäden, so 
kommt man natürlich wieder in derselben Einkerbung zurück, und 
zwar an derselben Seite der Messingplatte, damit die Fäden gut 
aneinanderliegen, und windet dann ein- oder zweimal um die Platte, 
um die nächste Einkerbung zu erreichen, usw. Ist der Rahmen mit 
Seide bespannt, so wird der Faden mit Sublimat 1:1000 desinfiziert, 
und wenn noch nass, mittels der Finger mit gesättigter Mucilago gummi 
arabici tüchtig eingerieben. Wenn trocken, wird mit Tinte über die 
Faden eine Marke angebracht in 15—20 cm Entfernung vom Ende, um 
anzugeben, bis wie weit man dieselben in die Holılsonde einzuführen 
wünscht; dann schneidet man die einfachen Fäden an beiden Seiten 
innerhalb der Messingmesser mit der Schere ab; hat man doppelte 
Fäden ausgespannt und gummiert, so schneidet man nur an einer 
Seite die Fäden durch, schiebt die Schlingen über das Messing- 
messer und befeuchtet mit dem Finger die Enden wieder ein wenig, 
um dieselben ebenfalls richtig zu erstarren. Der von mir benutzte 
Rahmen ist ungefähr 40 cm lang und 10cm breit; es fehlt die vierte 
Seite desselben, um das Abschieben der Schlingen der Doppelfüden 
zu ermöglichen. Die fertiggestellten Fäden kann man in einem ge- 
korkten gläsernen Rohr sehr gut aufbewahren. 

Über die Erfolge der Behandlung mit der permanenten Drainage 
bin ich auch weiterhin immer sehr zufrieden; sogar die schwersten 
Fälle der Tränensackblennorrhöe, der Dakryocystitis und der imper- 
meablen Stenosen kommen mit dieser Methode zur Heilung. Tränen- 
sackexstirpationen habe ich seitdem nicht mehr gemacht. Besonders 
jene Fälle, welche mit Nekrose des Knochens kompliziert sind, und 


168 W. Koster Gzn. 


bei denen man mit Exstirpation des Sackes überhaupt noch nicht am 
Ende der Behandlung angelangt ist, bieten für die Verwertung der per- 
manenten Drainage ein dankbares Arbeitsfeld. Zwar muss man sich 
in solchen komplizierten Fällen nicht vorstellen, dass mit der Ein- 
führung des Fadens alles geschehen ist; fortwährende Pflege der 
Fisteln, Abscesse, Phlegmonen ist natürlich eine erste Bedingung für 
die Heilung. Aber während die Sondenbehandlung hier keine guten 
Resultate mehr zeitigt, da immer wieder Schwellung und Stagnie- 
rung von Eiter stattfindet, ist mit der Einführung des Fadens die 
Möglichkeit von Abfuhr der Entzündungsprodukte geschaffen, und 
damit wird die Heilung eingeleitet. Überdies wird dann allmählich 
der Kanal, von den Resten der Schleimhaut aus, überhäutet und 
damit tritt die wesentliche Genesung der Erkrankung ein. Mit der 
Sondenbehandlung ist eine solche Auskleidung des Kanals in der- 
artigen Fällen kaum zu erwarten, und es muss daher das Ende der 
Behandlung eine Stenose des Ductus sein. 

In leichteren Fällen kommt es besonders darauf an, dass der 
Faden oftmals gereinigt wird, wie dies früher von mir angegeben 
wurde, und dass auch die Nase gut reingehalten, bzw. oft durchgespiilt 
wird. Man kann hier oft vieles dem Patienten überlassen, aber bei 
schmutzigen Patienten und bei Kindern, die schlecht versorgt werden, 
ist es notwendig, dass der Arzt sie oftmals sieht und selber be- 
handelt. Viele schwerere Fälle kamen erst zur Heilung, als die Pa- 
tienten in der Klinik aufgenommen wurden. Dagegen gab es eben- 
falls oft Fälle, bei denen nach der Einführung des Fadens eigentlich 
nichts mehr zu tun war, und bei denen der Patient sich selber über- 
lassen werden konnte, während früher wöchentlich sondiert werden 
musste. Nach Entfernung des Fadens war dann alles in. Ordnung. 

Es ist gewiss ein Nachteil der Methode, dass der Faden 
äusserlich sichtbar ist. Einige ausländische Kollegen lehnten des- 
wegen sogar einen Versuch mit dieser Behandlungsweise ab, indem 
sie behaupteten, „die Leute lassen sich das hier nicht gefallen“, 
Ich glaube die Furcht davor übertrieben nennen zu dürfen. Jeden- 
falls habe ich die Erfahrung nicht gemacht. Dagegen habe ich 
wiederholt aus dem Munde der Patienten, und zwar auch bei den 
besseren Ständen, vernommen, wie dankbar sie waren, dass das 
fürchterliche Sondieren ein Ende genommen. Wie viele entziehen 
sich nicht der Behandlung eben wegen des Widerstandes gegen diese 
immer wiederkehrende Peinigunge. Nach meiner Erfahrung ertragen 
die Leute lieber die Anwesenheit eines sichtbaren Zeichens der 


Nähere Mitteilungen über d. perman. Drainage d. Tränenabflusswege usw. 169 


Behandlung für kurze Zeit, als die fortwährende Qual des sich an- 
häufenden und zutage tretenden Eiters. Wenn man dem Kranken 
dieses vor Augen hält, wird er sich immer zur Behandlung ent- 
schliessen. Und wenn er wählen muss zwischen einer Operation — 
der Exstirpation des Sackes —, die ihn zwar von einigen Beschwer- 
den befreit, den Tränenapparat aber verstümmelt, und zwischen einer 
Behandlungsweise, wobei er nur gewinnen und nichts verlieren kann, 
da wird er unzweifelhaft der permanenten Drainage den Vorzug geben. 

Die neue Methode findet in meiner Poliklinik jetzt schon in 
mehr Formen von Tränensackleiden Anwendung, als dies bei meiner 
ersten Veröffentlichung der Fall war. Damals wurden nur die sehr 
ernsten Fälle dazu herangezogen, in dem letzten Jahre ging ich bei 
jedem Patienten dazu über, wo die Krankheit nach 3- bis 4maliger 
Sondenbehandlung keine wesentliche Verbesserung zeigte oder wo es 
sich voraussehen liess, dass die Patienten, besonders Kinder, sich 
einer regelmässigen Sondenbehandlung bald entziehen würden. 

Beim Vorhandensein einer akuten Entzündung, besonders also 
bei der Dakryocystitis mit subcutanen Phlegmonen, werden auch jetzt 
in der ersten Woche solche Massnahmen getroffen, welche die Krank- 
heit in ein ruhigeres, mehr chronisches Stadium überleiten oder 
zurückführen. Ich lege dabei auf die Verwendung eines Priessnitz- 
schen Verbandes mit 1:3000 Sublimatlósung grossen Wert. Diese 
Konzentration des Quecksilbersalzes irritiert die Haut noch nicht, 
wührend dieselbe entweder durch die Imprügnation der Gewebe mit 
einem stark desinfizierenden Stoffe die Entzündungserscheinungen 
bald bessert oder wohl durch die fortwährende Wärme und die aktive 
Hyperämie die Erweichung und baldige Resorption der phlegmonösen 
Infiltration herbeiführt. Es ist aber dann nicht notwendig, die völlige 
Rückbildung der Cystitis und Pericystitis abzuwarten, ehe der Seiden- 
faden durchgeführt wird. 

Über die Behandlung der impermeablen Stenosen habe 
ich in meiner vorigen Mitteilung ebenfalls schon einige Angaben ge- 
macht. Damals handelte es sich um einen Patienten, bei dem ein falscher 
Weg vorgefunden wurde, der aus dem Tränensack über die untere 
Concha nach dem mittleren Nasengange führte, bei dem es aber schliess- 
lich noch gelang den richtigen Ductus zu óffnen und mittels der perma- 
nenten Drainage bleibend wegssam zu machen. Ich erwog damals die 
Möglichkeit, in Fällen absoluter Stenose diese Kommunikation ober- 
halb der unteren Concha absichtlich herzustellen und mittels der 
Einlegung eines Fadens derselben die Gelegenheit zu bieten, sich mit 


140 W. Koster Gzn. 


Schleimhaut von der Nase und von dem Tränensacke aus zu über- 
häuten. Es wäre dies, wie ich meinte voraussagen zu dürfen, 
eine einfache Operation und für den Patienten ein wenig schmerz- 
licher Eingriff. Die Wand zwischen dem Sacke und der Nase ıst 
dort nämlich sehr dünn beschaffen. Mit der gewöhnlichen, von 
einem Mandrin versehenen Hohlsonde, welche, unten im Sacke an- 
gelangt, in medialer Richtung mit einer bohrenden Bewegung vor- 
geschoben wird, wäre diese Wandung unschwer zu perforieren. 
Tatsächlich ist diese Kommunikation bei oftmals sondierten Fällen 
dann und wann schon vorhanden, wovon man sich überzeugt, 
wenn die Sonde die Richtung einwärts wählt, wobei dieselbe mit deın 
Nasenspeculum direkt im mittleren Nasengang gesehen werden kann. 

In einem Falle solcher Art mit impermeabler Stenose habe ich 
den Faden eingelegt und den Verlauf über längere Zeit verfolgen 
können. Der Patient ist geheilt, und bis jetzt blieb der neue Ab- 
flussweg gut wegsam. Es ist dies für mich eine Anleitung, in der- 
gleichen Fällen eher zu dieser Behandlungsweise zu greifen. Der 
Fall ist weiter unten kurz beschrieben (Nr. 1704 — 1907/1908). 

Ich kann nach meiner ersten Mitteilung über folgende Fälle 
näher berichten. 


Nr. 1085 — 1907/1908. 7jähriges Mädchen wird in die Klinik auf- 
genommen; Dakryocystitis O. D., seit lange bestehend und behandelt; aus- 
giebige Atonie des Tränensackes; offenliegender nekrotischer Knochen an 
verschiedenen Stellen im Sacke und im Ductus mit der Sonde zu fühlen; 
weit ausgedehnter Krankheitsprozess. Am 18. X. 1907 Faden eingeführt; 
3. XI. 1907 der Zustand fängt an sich zu bessern; die Behandlung wird 
dann dem Hausarzte überlassen; am 20.11. 1908 wird die Patientin wieder 
in die Klinik aufgenommen, da die Blennorrhoea wieder viel verschlimmert; 
3. V. 1908 geheilt, der Faden wird entfernt; am 28. X. 1908 Nachricht 
vom lHausarzte, dass der Zustand ausgezeichnet ist. Auch jetzt noch alles 
in Ordnung. 


Nr. 1264 — 1907/1908. &jähriges Mädehen in der Klinik auf 
genommen; O. S. seit lange erkrankt; alte Dakryoeystitis mit Fisteln und 
starke Blennorrhoea. Am 29.X.1907 Faden eingeführt, durch den oberen 
Trünenpunkt; bald Besserung; am 3. XI. unter Behandlung des Haus- 
arztes gestellt; am 30. I. wieder in die Klinik aufgenommen, da die 
weitere Heilung keine wesentliehen Fortschritte machte; 27. III. sehr be- 
friedigender Zustand, der Faden wird entfernt; 27. V. 1908 geheilt. Auch 
später hat sich der Zustand gut gehalten. 


Diese beiden Fülle waren veraltet und sehr kompliziert, da 
viel Narbengewebe infolge von früher ausgetführter Kauterisation 
vorhanden war, während sich überall nekrotische Knochenstellen 


Nähere Mitteilungen über d. perman. Drainage d. Tränenabflusswege usw. 171 


und falsche Wege vorfanden. Mit der Exstirpation des Tränen- 
sackes, vorausgesetzt dieselbe wäre durchführbar gewesen, hätte man 
hier ebensowenig in kurzer Zeit einen befriedigenden Zustand herbei- 
führen können. Für den Hausarzt ist die Nachbehandlung solcher 
komplizierter Fälle offenbar zu schwer und zu zeitraubend; es wurde 
daher von neuem Aufnahme in der Klinik notwendig. Wegen zu 
grosser Entfernung der Wohnstätte war eine poliklinische Behandlung 
ausgeschlossen. 


Nr. 1347 — 1907/1908. 26jähriges Mädchen; doppelseitige Dakryo- 
stenose; seit 10 Jahren Beschwerden: Epiphora usw.; wurde viel mit Sondie- 
rung behandelt; 16. XI. 1907 beiderseitige Einführung von Fäden durch 
die unteren Tränenpunkte; der Augenarzt Kröner hat dann die Behandlung 
weitergeführt; 27. XI. keine Schleimabsonderung mehr; 20. XII. 1907 
Fäden beiderseits entfernt; 23. XII. 1907 Tränenwege beiderseits gut durch- 
zuspritzen mit Anel; geheilt. Diese Patientin kehrte aber 27. V. 1908 
zurück mit einem Rezidive der Blennorrhoea sacci; sie hat sich dann aber 
nicht mehr behandeln lassen. 


Nr. 561 — 1907/1908. 33jährige Frau; linksseitige Dakryoblennor- 
rhoea; seit 8 Jahren immer Eiterung und fortwährend Epiphora; sie wurde 
viel behandelt; 25. VII. 1907 Seidenfaden eingeführt; bald grosse Besse- 
rung; Patientin besucht aber nur dann und wann die Poliklinik; immer 
etwas Atonie des 'Tränensackes; 31. I. 1908 wurde der Faden entfernt; 
Leiden geheilt; 30. IV. 1908 ein akutes Rezidiv der DBlennorrhoea sacci; 
keine Stenose; 21. V. 1908 Heilung wieder eingetreten und seitdem keine 
Beschwerden mehr. 


Nr. 1525 — 1907/1908. 44jährige Frau in der Klinik aufgenommen; 
rechtsseitige Dakryoblennorrhoea, mit Cystitis, Stenose und Fistel; 29. XI. 
1907 Faden eingelegt durch den unteren Tränenpunkt; 11. XII. entlassen 
und die weitere Behandlung dem Hausarzte überlassen. Derselbe berichtete, 
dass der Zustand sich nicht wesentlich besserte; die Pflege des Auges 
war aber schlecht, es trat dann schnell Besserung und Heilung ein, als der 
Faden am 15. III. 1908 sich von selbst lóste und entfernt wurde; seit- 
dem dauernde Heilung. 


Nr. 196 — 1907. 45jähriger Mann; rechtsseitige Dakryoblennorrhoea 
mit Stenose; links Atresie, welche aber beim Spritzen mit Anel wohl durch- 
gängig ist; seit 10 Jahren Beschwerden; seit längerer Zeit von vielen Augen- 
ärzten behandelt; am 2. XII. rechts Faden durchgeführt; links Sondierung 
mit Nr. 3 meiner Sonden; bald viel Besserung; 15 II. 1908 Faden 
entfernt; keine Beschwerden mehr; 23. II. 1908 geheilt. 


Nr. 15 — 1907/1908. 71jühriger Mann; doppelseitige chronische 
Dakryocystitis; am 18. XII. 1907 links und am 31. I. 1908 Faden rechts 
durchgeführt; 14. V. 1908 ist der Zustand beiderseits gut; die Fäden ent- 


fernt; geheilt. 


Nr. 1711 — 1907/1908. 61jähriger Mann; seit 7 Jahren Beschwerden; 
rechtsseitige Dakryoeystitis; 23. I. 1908 Faden durch oberen Tränenpunkt 


172 W. Koster Gzn. 


eingeführt; 26. I. keine Schmerzen, Zustand befriedigend; weitere Notizen 
fehlen; der Patient hat sich offenbar nicht mehr vorgestellt. 


Nr. 1714 — 1907/1908. 9jähriges Mädchen; rechtsseitige Dakryo- 
eystitis; 23. I. 1908 Faden durch den unteren Tränenpunkt eingelegt; 
29. II. 1908 Faden entfernt; geheilt. Am 27. X. 1908 war wieder etwas 
Schleim aus dem Sacke auszudrücken; 31. X. wieder geheilt. Die Patientin 
ist noch in Behandlung wegen chronischer Blepharitis. 


Nr. 1691 — 1907/1908. 26jähriges Mädchen; rechtsseitige Dakıyo- 
cvstitis mit Bildung von Abscessen und Cysten in der Wand des Sackes; 
23. I. 1908 Faden eingeführt durch den unteren Tränenpunkt; am 20. II. 
den Faden entfernt wegen der Bildung von Granulomen am Tränenpunkte; 
die Schleimeysten rezidivieren immer wieder ungeachtet des Auskratzens mit 
scharfem Lóflel, Tamponieren der Fistel mit Jodoformgaze usw.; 22. VI. 1908 
wieder ein Faden eingeführt, aber jetzt durch den oberen Tráünenpunkt; 
fortwährende Tamponierung der Fistel bis in den Sack; 30. XI. wieder 
Granulom am unteren Tränenpunkt abgetragen; von nun an allmähliche 
Besserung; Faden entfernt; Dezember 1908 geheilt. 

Nr. 1606 — 1907/1908. 57 jährige Frau: linksseitige Dakryocystitis 
seit 2 Jahren; 24. I. 1908 Faden eingeführt durch den unteren Tränenpunkt; 
1. I. hat sieh der Faden gelöst und ist herausgefallen; Zustand schon viel 
schessert, aber bald wieder schlimmer; 7. III. einen Faden dureh den 
oberen Trünenpunkt eingeführt; 25. V. 1908 wird der Faden entfernt; geheilt. 


Nr. 1883 — 1907/1908. 66jährige Frau; doppelseitige Dakryo- 
blennorrhoea, ebenfalls Glaueoma simplex auf beiden Augen, wodurch O. D. 
schon erblindet. 29. I. 1908 beiderseits Faden durchgeführt; 14. II. hat 
sich der Knoten des Fadens links gelöst; derselbe wird entfernt; Zustand 
gut, wodurch am 21. II. eine Iridektomie auf dem linken Auge ausgeführt 
werden kann, welche gut verläuft. 27. II. wird der rechte Faden entfernt; 
1. III. 1908 geheilt. 

Nr. 1885 — 1907/1908. 37jähriger Mann; rechtsseitige Dakryo- 
blennorrhoea; 29. I. 1908 Faden durchgeführt und am 20. II. 1908 ent- 
fernt; geheilt. 

Nr. 1704 — 1907 1908. 37jähriger Mann; Dakrvostenose rechts; 
er leidet viel durch seine Epiphora, welehe vor 6 Jahren angefangen. Die 
Sonde gelangt beim Sondieren durch einen meiner Assistenten oberhalb der 
unteren Concha in die Nase, Es zeigt sieh, dass der normale Ductus voll- 
stindig obliteriert ist, da es in keiner Weise gelingt eine Sonde dureh- 
zuführen. Es wird am 11. I. 1908 der Faden dureh den falschen Weg 
geführt, der also im mittleren Nasenzanze oberhalb der unteren Concha in 
die Nase führt. Die Beschwerden sind dann verschwunden, und der Patient 
stellt sich nur dann und wann vor. 9. VIL 1908 wurde, da alles sich 
ruhig verhielt, der Faden entfernt. Geheilt. 

Nr. 2082 — 1907:1908. 54jähriger Mann; rechtsseitige Dakryo- 
blennorrhoea; seit 3 Jahren Beschwerden. 28. II. 1908 einen Faden durch 
den oberen 'Tränenpunkt eingeführt; der Patient wird in die Klinik auf- 
genommen; 15. HL 1908 der Faden entfernt.  Geheilt. 


Nähere Mitteilungen über d. perman. Drainage d. Trünenabflusswege usw. 113 


Nr. 2301 — 1907/1908. 63jähriger Mann; rechtsseitige Dakryo- 
blennorrhoea seit 3 Jahren; die Sonde stösst auf nekrotischen Knochen; 
28. III. 1908 einen Faden eingeführt durch den oberen Tränenpunkt. 
Klinische Behandlung. Da am 23. IV. der Zustand des Auges ganz ruhig 
ist, wird die Behandlung dem Hausarzte überlassen, mit dem Auftrage den 
Faden noch 3 Wochen liegen zu lassen.  Geheilt. 


Nr. 2302 — 1907/1908. 30jähriger Mann; rechtsseitige Dakryo- 
blennorrhoea. 4. IV. 1908 einen Faden eingelegt; 23. IV. wird der Mann, 
der in klinischer Behandlung war, entlassen, und die Nachbehandlung dem Haus- 
arzte überlassen, mit der Bitte den Faden noch 3Wochen liegen zu lassen. Heilung. 


Nr. 82 — 1908. 30jährige Frau; rechtsseitige Dakryoblennorrhoea 
und Stenose; sie wurde seit 7 Jahren behandelt von verschiedenen Augen- 
ärzten, wurde viel sondiert, was die Nerven der Patientin wesentlich er. 
schüttert hat. Von ibrem letzten Augenarzte war jetzt vorgeschlagen worden, 
den Tränensack und auch die Tränendrüse zu exstirpieren. Am 11. V. 
1908 wird ein Faden durch den unteren Tränenpunkt geführt. Nach einer 
Woche schon sehr viel Besserung in dem Zustande. 30. VI. 1908 wird der 
Faden entfernt. Geheilt. 


Nr. 2813 — 1907/1908. 30jähriges Mädchen; seit längerer Zeit 
viele Beschwerden, seit 6 Wochen aber sehr verschlimmert; Dakryocystitis, Blen- 
norrhoea saeci links; in der Wand des Sackes Abscessbildung und Cysten; 
überdies leidet Patientin an Myopia gravis O. D. und O. S. kompliziert mit 
Iritis und Glaucoma secundarium. 8. VI. 1908 wird ein Faden durch den 
unteren Tränenpunkt geführt; die Patientin besucht die Poliklinik nicht 
regelmässig; nur einmal in 1—2 Monaten; am 27. X. 1908 wird der 
Faden entfernt; geheilt. Am 15. XII. 1908 hielt die Heilung an, und 
mit Pilokarpin blieb die Spannung normal. 5. II. 1909 wird eine links- 
seitige Iridektomie notwendig, welche gut verläuft; während der Nachbehand- 
lung, unter dem feuchtwarmen Verbande, tritt ein leichtes Rezidiv der 
Blennorrhoea sacci auf, welches aber unter trockenem Verbande schnell zu- 
rückgeht. Geheilt. 


Nr. 2840 —- 1907/1908. 52jähriger Mann; seit 2 Jahren viele Be- 
schwerden; rechtsseitige Dakryoblennorrhoea mit Cystitis und Fistula. Die 
Fistel wird erweitert. 24. VI. 1908 ein Faden durch den unteren Tränen- 
punkt geführt. Hier wurde zum ersten Male der gummierte Faden ver- 
sucht, der aber durch Blasen, Sehneuzen, selbst zufälliges heftiges Niesen nicht 
herauszubefördern war. Mit dem Häkchen wurde dann der Faden gefasst. 
8. VII. war der Faden von selbst herausgekommen; die Fistel ist geschlossen. 
15. VIII. 1908 goheilt. 12. XI. 1908 zum letzten Male gesehen. Alles 
in Ordnung. 

Nr. 276 — 1908/1909. 27jährige Frau; Dakryoblennorrhoea puru- 
lenta, links; seit einem Jahre Beschwerden; 17. VII. 1908 gummierten Faden 
durch die Hohlsonde eingeführt; von der Patientin selber aus der Nase heraus- 
geblasen; Faden durch den unteren Tränenpunkt eingeführt. 5. IX. 1908 
Faden entfernt. Geheilt. 

Nr. 918 — 1908/1909. 26jährige Frau; seit 4 Jahren leidend; links- 
seitige Blennorrhoea sacci; 29. IX. gummierter Faden durch die Hohlsonde 


174 W. Koster Gzn., Nähere Mitteilungen über d. permanente Drainage usw. 


eingeführt; von der Patientin selber hervorgeblasen; 7. XII. 1908 den Faden 
entfernt; 27. I. 1909 geheilt. 

Nr. 1383 — 1908/1909. 13jähriges Mädchen; seit 5 Monaten viele 
Beschwerden; Dakryoblennorrhoea O.S.; 23. XI. 1908 durch den unteren 
Tränenpunkt gummierten Faden mittels der Hohlsonde eingeführt; von der 
Patientin selber hervorgeblasen; 27. XII. 1908 Faden entfernt; geheilt; 
3. II. alles richtig; die Patientin ist sehr zufrieden. 

Nr. 1598 — 1908/1909. 33jähriges Mädchen; Stenose des Ductus 
laerymalis nach vorausgegangener Blennorrhoea. 21. XII. 1908 gummierter 
Faden dureh die Hohlsonde eingeführt, von ihr selber hervorgeblasen; 6. I. 
1909 den Faden entfernt; geheilt. 

Nr. 1110 — 1908/1909. 33jährige Frau; linksseitige Dakryoblen- 
norrhoea purulenta; seit sehr langer Zeit leidend; 27. X. 1908 wird durch 
den unteren Tränenpunkt, mittels der Hohlsonde, ein gummierter Faden ein- 
gelegt; 19. XI. sehr befriedigender Zustand; 21. XII. fast keine Schleim- 
ausscheidung mehr. 29. I. 1909 wird der Faden entfernt. Geheilt. 

Nr. 1847 — 1908/1909. 38jährige Frau; linksseitige Dakryoblen- 
norrhoea purulenta; seit 6 Monaten viele Beschwerden; 30. I. 1909 gum- 
mierter Faden durch den unteren Tränenpunkt mittels der Hohlsonde ein- 
geführt, von der Patientin selber herausgeblasen. Verläuft gut. Patientin 
besucht die Poliklinik nicht regelmässig. Seit April 1909, als wieder 
viel Schleimabsonderung, nicht zurückgekehrt. Bei Nachfrage im Aug. 1909 
zeigt es sich, dass der Faden sich gelöst hatte und von Patientin selber 
entfernt worden war. Sie war nicht geheilt. 

Nr. 1745 — 1908/1909. 31jährige Frau; linksseitige Dakryocystitis 
seit 2 Jahren; 6. II. 1909 Faden eingelegt; gummierter Faden von ihr ` 
selbst hervorgeblasen.  Verlüuft gut. 24. II. wenig Schleimabsonderung. 
1. V. 09 Faden entfernt; geheilt. 

Nr. 1491 — 1908[1909. 38jährige Frau; linksseitige Blennorrhoea 
sacci; 12. IL 1909 gummierter Faden eingeführt. Ruhiger Verlauf. Im 
April keine Absonderung mehr; im Mai katarrhale Conjunctivitis; 19. V. 
Faden entfernt, geheilt. 11. VII. 09 Zustand gut. 


Seit ich diese Fälle zusammengetragen, ist schon wieder eine 
erhebliche Zahl von Fällen mit Tränenleiden nach den neuen 
Methoden behandelt worden; es versteht sich, dass die Behandlung 
jetzt in mehr Fällen angewandt wird als beim Anfang meiner Ver- 
suche, wo der Weg noch gänzlich abgetastet werden musste Es 
hat aber fernerhin keinen Sinn mehr, noch mehr Fälle mitzuteilen, 
wenigstens vorläufig nicht. Wenn ich später im stande bin, die 
wirklichen Dauererfolge dieser. Behandlungsweise zu untersuchen, 
werde ich darüber seinerzeit berichten. Auch hoffe ich in abseh- 
barer Zeit über mehrere solcher Fälle, bei denen ein bleibender neuer 
Abfuhrweg aus dem Tränensacke nach «dem mittleren Nasengange 
hin geschaffen wurde, näheres mitteilen zu können. 


Über die „Chlamydozoen“ oder „Lrachom-Körperchen“ und 
andere eigenartige Körperchen — Epithelzelleneinschlüsse. 


Von 
Dr. C. Pascheff 


aus Sofia (Bulgarien). 


Mit Taf. VII, Abt. I-IX, und 2 Figuren im Text. 


Während meiner zahlreichen histologischen Untersuchungen der 
Epithelzellen bei allen Bindehautentzündungen, habe ich eigenartige 
Zelleneinschlüsse gefunden, von denen einige den sogenannten „Chla- 
mydozoen“ oder „Trachomkörperchen“ ähnlich und von denen an- 
dere ganz verschieden davon und etwas besonderes sind. Die con- 
junctivalen Veränderungen bei allen diesen besonderen Epithelzellen- 
einschlüssen zeigen auch mehrere interessante Punkte, die ich in den 
folgenden Zeilen darlegen werde. 


Beobachtung I. 


Es handelt sich um eine 50jührige alte Frau aus einer kleinen Stadt 
aus Ost Bulgarien. 

Bis vor fünf Wochen waren ihre Augen ganz gesund. Um diese Zeit 
sind ohne jede bekannte Ursache die Augen rot geworden, die Lider und 
die Nase geschwollen. Die Patientin konnte die Augen nicht aufmachen, 
weil sie tránten. Auch waren die Augen morgens beim Erwachen ver- 
klebt und die Frau fühlte Jucken und Schmerzen. Nach drei Tagen ist sie 
zu einem Arzt gegangen, der ihr Tropfen und Augenwasser gegeben hat. 

Nach einer Woche Behandlung war das Ödem verschwunden, aber 
das Jucken und die Schmerzen bestanden fort, weshalb die Patientin nach 
Sofia zur weiteren Behandlung gekommen ist. 

Status praesens: Frau von hoher Statur, schwachentwickelter Mus- 
kulatur und schwachem Pannieulus adiposus behaftet. 

Rechtes und linkes Auge: Die Lidränder sind gerötet und die 
Cilien verklebt. Die Bindehaut der Lider ist rot; diejenige der Übergangsfalte 
ist verdickt, etwas wellenförmig, aber deutliche Papillen oder Granula sind 
nirgends zu sehen. 

Die Augapfelbindehaut ist stark injiziert bis zum Limbus. 

Die Hornhaut und die andern Teile der Augen sind normal. 

Die Absonderungen sind reichlich und melır fibrinös. 

Visus oe. dex. et sin. — "|. 


1*6 C. Pascheff 


Die Therapie war: Kompressen mit Hg. cy. (1,44) und Arg. nitr. (2^/,). 

Nach 15 Tagen Behandlung nahmen die Absonderungen ab, ebenso 
die Rötung und Verdickung der Bindehaut. Die Patientin ist mit einer 
noclı schwach injizierten Bindehaut, aber ohne papilläre oder follikuläre 
Bildungen entlassen worden. 

Bei dieser Conjunetivitis, welche nach dem klinischen Ansehen und 
Verlauf für eine Conjunctivitis catarrhalis acuta anzusprechen war, habe 
ich mehrere Untersuchungen über die Absonderungen und die entzündete 
Bindehaut selbst ausgeführt. 

Die Präparate von den Absonderungen wurden in Alkohol fixiert und 
mit Giemsa (Romanowsky und Azurblau neu, Vorschrift) gefärbt. In 
den Präparaten habe ich nur einige Cokken, aber in den Epithelzellen zahl- 
reiche, deutliche, eigenartige Körperchen von allen möglichen Formen (Taf. VII, 
Abt.I, Fig. 1—5) gefunden. Diese Körperchen sind von verschiedener Grösse 
und Form. Sie entwickeln sich meistens in der Umgebung des Kernes, 
einzeln oder doppelt, und mit der Zeit ist das ganze Protoplasma von ihnen 
erfüllt und der Kern ganz an die Peripherie getrieben und stark gedrückt. 
Sie können auch mitten in dem Protoplasma begrenzt liegen, oder an die 
Peripherie reichen; wenn sie sich an der Peripherie finden, entleeren sie 
sich, olıne das umgrenzende Protoplasma zu infiltrieren oder zu verändern. 

Die Kórperchen bestehen aus verdiektem  Protoplasma- Plasmin; in 
diesem sieht man melırere kleine Körnchen blaugefärbt mit Giemsa. Es 
ist nicht selten, dass man in diesen Körperchen grosse, mit Giemsa blau- 
gefärbte Kugeln sehen kann, die wie Nukleolen erscheinen. (Taf. VII, 
Abt. I, Fig. 2.) Ich muss bemerken, dass die Körnchen nicht immer deut- 
lich zu sehen sind; oft sieht man anstatt Kórnchen granulóse Kórperchen. 

Diese Körperchen verschwinden nicht leicht nach der Behandlung. 
Nach fünf Tagen Behandiung mit Argentum nitricum und einmal mit 
Cuprum sulfuricum hatten die Kórperchen an Zahl abgenommen, nur hier 
und da konnte man sie in den Epithelzellen noch finden. 


Histologischer Befund. 


Ein Stück von der verdickten Bindehaut der unteren Übergangsfalte habe 
ich in absolutem Alkohol fixiert, in Celloidin gebettet und verschieden ge- 


a N ET in 





Fig. 1. Senkrechter Längsschnitt der Bindehaut der mittleren Übergangsfalte 
von Fall I. Vergr. 194. 


färbt: mit Hämatoxylin, Giemsa, Gram modifiziert nach Weigert, Poly- 
chrommethylenblau nach Unna usw. (Textlir. 1). 


—— = Å ef A —— — ` EE 


Über, die ,,Chlamydozoen* oder „Trachomkörperchen“ und andere usw. 177 


Schon bei der schwachen Vergrösserung habe ich gesehen, dass die 
Bindehaut eine verhältnismässig schwach infiltrierte subepitheliale, adenoide 
Schicht zeigt, die nicht überall gleichmässig infiltriert ist, sondern hier und 
dort Herde von stärkerer Infiltration aufweist. 

Bei stärkerer Vergrösserung erscheint die epitheliale Schicht wie öde- 
matös und von polynuklearen Leukocyten infiltriert. Nirgends sind die 
charakteristischen vorher beschriebenen Körperchen zu sehen. 

Die adenoide Schicht ist mit kleinen Lymphocyten infiltriert, zwischen 
ihnen bemerkt man Plasmazellen, Fibroblasten, polynukleare Leukocyten 
und Mastzellen. Die Leukocyten sind zahlreicher in den Gefässen, die 
starke Proliferation zeigen. Einige von den Plasmazellen weisen hyaline 
Degeneration auf und enthalten mehrere Russelsche Kórperchen. 

Die kleinen Herde, die man schon bei der schwachen Vergrósserung 
sehen kann, sind reich an Lymphocyten, deutliche Follikel mit Keimzentren 
sind dagegen nirgends zu finden. 

Die Gefässe der fibrösen Schicht der Bindehaut sind erweitert, mit 
Blut erfüllt und reich an polynuklearen Leukocyten. Die Mastzellen sind 
hier zahlreicher und die Plasmazellen umgeben die Gefässwandungen. 


Beobachtung IL 


Es handelt sich um einen 65 Jahre alten Bauer aus West- Bulgarien, 
der zwei Monate an Rheumatismus gelitten hatte. 

Vor vier Monaten war er in einem Mineralbad. Bei seiner Rückkehr 
hat er das Gefühl von Staub und von fremden Körpern im linken Auge 
gehabt und es lange mit den Fingern gerieben. Am nächsten Tage wurde 
das Auge rot, tränte, juckte und die Lider waren beim Erwachen verklebt. 
Dieser Zustand dauerte eine Woche und dann entzündete sich auch das 
rechte Auge. Seitdem wurde die Entzündung der Augen immer stärker; 
die Absonderung nahm zu und die Lider waren geschwollen, so dass er 
die Augen nicht aufmachen konnte. 

Ein Arzt hatte ihm Kompressen mit Borwasser ohne Erfolg gegeben. 
Jetzt, seit zwei Tagen, hat er Schmerzen in der linken Hälfte des Kopfes. 


Status praesens: Der Patient ist von mittlerer Statur, mit gut ent- 
wickelter Muskulatur, starkem Knochenbau und gutem Pannieulus adiposus. 


Rechtes und linkes Auge: Der Patient hat Schwierigkeit, die Augen 
aufzumachen, deswegen hält er sie immer geschlossen. Die Absonderungen 
sind reichlich und mehr fibrinós. 

Die Cilienrinder sind gerótet und die Cilien verklebt. 

Die Bindehaut des Tarsus superior und inferior ist etwas verdiekt und 
stark gerótet; diejenige der Fornices ist stark verdickt, gerótet, etwas wellen- 
förmig, jedoch mit glatter Obertläche; nirgends kann man deutliche papilläre 
oder granulöse Gebilde entdecken. Auf Druck lässt sich nichts aus der 
verdickten Bindehaut heraus entleeren. 

Die Augapfelbindehaut ist auch stark injiziert und gerótet. Zn. 

In der Peripherie des oberen inneren Quadranten der Hornhaut zeigt 
die linke Hornhaut melırere kleine matte, graue obertlächliche Intiltrationen. 

Das Innere der Augen ist normal. 


v. Graefe's Archiv für Ophthalmoloygie. LXXIIT. 1. 12 


178 C. Pascheff 


Visus | 9* dex. 5, mit Glas keine Verbesserung, 
oe. sin. 5|, mit Glas keine Verbesserung. 


Die histologische Untersuchung der Absonderungen ergab spärliche 
Körperehen, ähnlich wie in dem ersten Falle. Nur in einem Präparate 
habe ich einen Herd von Körnchen gesehen, der wie ein Freikörperchen 
zwischen den polynuklearen Leukoeyten erschien (Taf. VII, Abt. II, Fig. 2). 

Die bakteriologische Untersuchung ergab einen grampositiven Bacillus, 
der nach der Untersuchung als Saprophyte zu betrachten ist. 

Mit der Absonderung konnte ich eine ziemlich starke Entzündung 
der normalen Bindehaut hervorrufen. In der Absonderung des inokulierten 
Auges konnte ich den obigen Bacillus finden, aber keine charakteristischen 
„Lrachom-Körperchen“. 


Histologischer Befund. 


Zu diesem Zwecke habe ich Stücke von verschiedenen Gegenden der 
Bindehaut ausgeschnitten: aus dem Fornix inferior und Fornix superior des 
linken und rechten Auges. Die Stücke wurden mit Alkohol fixiert und in 
Celloidin gebettet. 

Die Schnitte wurden verschieden gefärbt und besonders mit Giemsa 
(R) und Polychrommethylenblau (Unna). 





Fig. 2. Längsschnitt der unteren Übergangsfalte von Fall II. Vérgr, 7%. 


Fornix inferior oc.sinistri (Textfiig. 2). Die epitheliale Schicht ist mit 
mehreren polynuklearen Leukocyten infiltriert. Hier und da kann man auch 
Lymphocyten und einige Mastzellen bemerken. 

Die adenoide Schicht ist stark verdiekt und mit zahlreichen Lympho- 
cyten infiltriert, zwischen denen man mehrere Plasmazellen und polynukleare 
Leukoeyten bemerkt. Die Lymphoeyten sind in sehr starker Proliferation 
und zeigen die verschiedenen karyokinetischen Formen. Die stark proli- 
ferierenden Herde sind als unbegrenzte, wenig entwickelte Keimzentren zu 
betrachten. Diese Herde sind selten und zerstreut. Die Mastzellen sind 
spärlich in der adenoiden Schicht, aber zahlreicher in der fibrösen Schicht 
der Bindehaut. Hier konnte ich besonders ihre Granulationen studieren. 
Es ist bemerkenswert, dass ich neben den kleinen Körnchen grosse Kugeln 
gesehen habe, die sich wie die kleinen färben. (Siehe Taf. VII, Abt. II, 


Über die „Chlamydozoen“ oder „Trachomkörperchen“ und andere usw. 179 


Fig. 6.) Die Gefässe sind in sehr starker Proliferation. Die grossen Gefässe 
sind erweitert, mit Blut gefüllt und enthalten viele polynukleare Leukocyten. 

Fornix superior oc. sinistri. Das Epithel ist ganz geschichtet 
und kaum deutlich. Die noch am besten sichtbaren Teile sind diejenigen, 
die sich in die adenoide Schicht senken. Diese Teile sind auch mit poly- 
nuklearen Leukocyten infiltriert; zwischen den Zellen bemerkt man Mastzellen. 

Die adenoide Schicht ist ziemlich verdickt und mit zahlreichen Lympho- 
cyten infiltriert; zwischen den letzteren bemerkt man viele Plasmazellen, 
polynukleare Leukocyten und einige Mastzellen, die zahlreicher in der 
fibrösen Schicht sind. Mitten in der adenoiden infiltrierten Schicht sind in 
der Umgebung der Gefässe zahlreiche verlängerte, stark basophile Elemente 
zu bemerken, die man auch bei Trachom und bei adenoiden Vegetationen 
des Nasopharynx sieht. Diese Elemente scheinen von cellularer Natur zu 
sein; man kann ähnliche Elemente in der epithelialen Schicht sehen, was 
für ihre Migrationsfáhigkeit spricht. Die Gefässe sind in starker Pro- 
liferation und ziehen sich bis zum Epithel hin. Sie sind reich an poly- 
nuklearen Leukocyten. 

Hier wie in dem Fornix inferior sind die Lymphocyten in starker 
Proliferation und zeigen alle karyokinetischen Formen. Hier und da bilden 
sie kleine, diffuse Keimzentren. 

Ich habe auch histologisch die Fornices des rechten Auges untersucht 
und überall dieselbe Struktur gefunden. 


Beobachtung Ill. 


Es handelt sich um eine 53,jährige Klosterfrau, die vor einem Monate 
Schmerzen im linken Auge bekam, ohne die Ursache zu wissen. Das 
Auge wurde rot und schloss sich in drei Tagen. 

Zu der Zeit nahmen die Schmerzen ab und eine eitrige Flüssigkeit 
trat aus den Augen aus. 

Nach einem Monat kam die Patientin nach Sofia zur weiteren Be- 
handlung. 

Status praesens: Frau von hoher Statur, mit schwach entwickelter 
Muskulatur und schwachem Panniculus adiposus. 

Oculi sinistri: Die Lider, besonders das obere, sind rot, geschwollen 
und vorgetrieben; die Absonderung ist eitrig. 

Die Bindehaut der beiden Tarsi und Fornices ist rot. Es finden sich 
zahlreiche Narben und stark verkürzte Fornices, die für Trachom charak- 
teristisch sind. Die Augapfelbindehaut ist rot und stark chemotisch. 10 mm 
nach hinten von dem Limbus superior der Hornhaut sieht man eine grosse 
Öffnung der Sklera, aus welcher sich beim Druck auf den Bulbus Eiter 
entleert. 7 — 3. 

Die Hornhaut ist ganz eingeschmolzen und durch die prolabierende Iris 
ersetzt. /=0. 

Das rechte Auge zeist dieselben Narben der Bindehaut, die für einen 
alten, evoluierten, trachomatósen Prozess sprechen. Sonst ist das Auge 
normal. Es besteht keine Absonderung. 

Bei diesem Falle war die histologische Untersuchung der palpebralen 
Bindehaut unmöglich und zwecklos, weil die Bindehaut des Tarsus und 


12* 


180 C. Pascheff 


der Fornices durch die zahlreichen Narben ganz verdünnt und verkürzt 
erschien. 


Die bakteriologische Untersuchung der Absonderung ergab: Strepto- 
eoceus pyogenes; diejenige des Eiters aus dem Innern des Auges ergab 
denselben Mikroben. 


Die abgenommenen Epithelzellen und die Absonderung waren mit ab- 
solutem Alkohol fixiert und mit Giemsa gefärbt. 


In den Epithelzellen habe ich polynukleare Leukocyten und besondere, 
eigenartige Körperchen gefunden, die unsere grösste Aufmerksamkeit ver- 
dienen (Taf. VII, Abt. III, Fig. 1—17). 

Diese Körperchen sind von verschiedener Grösse. Die kleinen sind 
ohne Struktur oder zeigen kleine blaugefärbte Punkte in der Mitte (Taf. VII, 
Abt. III, Fig. 1, 5, 7, 14, 15). Sie färben sich rot und manchmal er- 
scheinen Granula, wie die „Trachomkörperchen“ (Taf. VII, Abt. III, Fig. 16 
und 17). Die grossen färbten sich stark dunkelviolett und sind fast ohne 
Struktur (Taf. VII, Abt. III, Fig. 10, 11, 12). Es ist nicht selten zu sehen, 
dass die ganze Zelle durch die Körperchen erfüllt und die Kerne an die 
Peripherie getrieben und gedrückt sind (Taf. VII, Abt. III, Fig. 10, 11, 12). 


Diese beiden eigenartigen Körper können in derselben Zelle vorkommen 
(Taf. VII, Abt. III, Fig. 14). 


Nur in einem Präparat habe ich neben dem Kerne einen kleinen Herd 
von rötlichen Körnchen gefunden, die viel an die Trachomkörperchen erinnern 
(Taf. VII, Abt. III, Fig. 4). 


Epikrise. 

Die Körperchen, die ich in so grosser Zahl in meinen ersten zwei 
Fällen gefunden habe, sind ohne Zweifel dieselben, wie sie v. Pro- 
waczek und Greeff beschrieben haben. 

Diese Körperchen finden sich in der Nähe des Kernes oder sind 
in dem umgebenden Protoplasma zerstreut. Sie sind meistens gut 
begrenzt und deutlich sichtbar. Man kann sie auch frei im Sekret 
finden. Liegen sic an der Peripherie der Zelle, so entleeren sie 
sich, ohne das umgebende Protoplasma zu erfüllen. 

Nicht selten sieht man zwischen den feinen Körnchen grosse, 
blaue Kugeln, die als Nukleolen erscheinen. Die Körnchen, bei starker 
Vergrösserung (Ok. +, Obj. x), zeigen verschiedene Form: runde, 
ovale oder verlängerte — birntörmige. Die letztere habe ich besonders 
deutlich gesehen, wie kleine Rosetten, bei einem Falle von familiàrem 
Trachoma granulosum. Sie erinnern sehr an die initialen Elemente 
der Trachomkörperchen von Herzog. 

Neben den typischen Trachomkörperchen habe ich in derselben 
Zelle Körner von verschiedener Grösse gesehen und in andern Zellen 
— diplobacillenähnliche Elemente neben dem Kern. 


Über die „Chlamydozoen“ oder „Trachomkörperchen“ und andere usw. ]81 


Vom morphologischen Standpunkte aus betrachtet, sind das wich- 
tigste in allen diesen Befunden, so lange als es keine Kultur von 
den Körnchen gibt, nicht die Körnchen, die man bei verschiedenen 
Bindehautentzündungen finden kann, sondern die Körperchen. 

Diese Körperchen färben sich sehr leicht bei Zimmertempe- 
ratur oder im Thermostat mit Giemsa-Lösung (10 Tropfen Giemsa 
R. +2 Tropfen Giemsa neu Vorschrift + 10ccm Aqua destillata), 
nach Fixierung (5—15’) in absolutem Alkohol oder Methylalkohol. 
Sie fürben sich nicht immer gleich: blau oder manchmal dunkel- 
violett. 

Die Experimente, die ich unternommen habe, um ihre Patho- 
genität festzustellen, sind negativ geblieben. Nach Greeff sind sie als 
die Erreger des Trachoms zu betrachten. 

Ich habe sie auch besonders bei Trachoma meistens gefunden 
und trotz vieler Untersuchungen bei Conjunctivitis gonorrhoica, Con- 
junctivitis eczematosa acuta, Conjunctivitis vernalis und Vegetatio 
adenoides nicht nachweisen können. Ich habe sie auch bei Trachoma 
granulosum subacutum angetroffen bei einem Patienten, der vor vier 
Jahren an Conjunctivitis gonorrhoica mit Ulcera corneae gelitten hat. 

Man kann sie auch bei anderweitiger Conjunctivitis acuta finden, 
die nach ihren klinischen und histologischen Veränderungen, nach 
ihrem Verlauf mehr den Eindruck eines katarrhalischen Pro- 
zesses als eines trachomatösen macht. Zum Beweise dessen dienen 
die hier oben beschriebenen ersten zwei Fälle und besonders der 
erste Fall, bei dem nur eine sehr mässige lymphocytose Infiltration 
der adenoiden Schicht ohne Follikeln mit Keimzentren vorlag. Auch 
wenn einige vorhanden wären, so wäre es noch nicht ein sicherer Be- 
weis für Trachom; denn man kann Follikel bei Conjunctivitis gonor- 
rhoica, Verbrennung der Bindehaut und zahlreichen Reizungen der 
Bindehaut finden. 

Der beschriebene erste Fall ist von andern Gesichtspunkten 
aus auch interessant. Sind diese Körperchen die echten Erreger des 
Trachoms, dann tritt das Trachoma nicht nur als Körnerkrankheit, 
sondern auch als eine lymphocytose Infiltration der Bindehaut, 
ohne Follikelbildung (Textfig. 1) auf. Wenn die Infiltration tief ist, 
sieht man oft Keimzentren, die ganz unbegrenzt sind. Solche Keim- 
zentren findet man gewöhnlich beim Trachoma acutum, wo sie 
sich mitten in der Infiltration ganz unbegrenzt, ohne lymphocytose 
Randzone, entwickeln. 

Was meinen dritten Fall betrifft, so handelt es sich um ein 


182 C. Pascheff 


Ulcus serpens, das sich mit Panophthalmitis kompliziert hat; ausser- 
dem zeigte die Bindehaut beider Augen zahlreiche, für Trachom 
charakteristische Narben. | 

Das Interessanteste in diesem Falle ist die Phagocytose der 
Epithelzellen. In mehreren Epithelzellen habe ich polynukleare 
Leukocyten gesehen. 

Neben diesen habe ich besondere Körperchen in den Epithel- 
zellen der verdickten Augapfelbindehaut und im Sekret gefunden, 
die von verschiedener Grösse sind. 

Die kleinen färben sich rot, sind homogen oder zeigen kleine, 
tief blaugefärbte Punkte, die an kleine polynukleare Leukocyten er- 
innern; die grossen färben sich stark dunkelviolett und zeigen keine 
deutliche Struktur. 

Beide sind in grosser Zahl zu sehen und man kann beide 
Kórperchen in derselben Zelle antreffen. Manchmal erfüllen die 
grossen Kórper das ganze Protoplasma, treiben den Kern aus, wie 
bei der hyalinen Degeneration der Plasmazellen und bei den „Chla- 
mydozoen“ oder „Trachom-Körperchen“. 

Ähnliche wie die kleinen Körperchen, habe ich auch beim Trachom, 
bei Conjunctivitis eczematosa acuta und bei Conjunctivitis vernalis 
gesehen. Sie sind selten, färben sich rot oder blau und zeigen keine 
Struktur. 

Bei diesem dritten Falle habe ich auch kleine Herde von rot- 
getärbten Körnchen und granulösen rotgefärbten Körperchen gesehen, 
die sehr an die Trachom- Kórnchen und -Kórperchen erinnern. Ob 
sie echte T'rachom-Körperchen oder Degenerations- Produkte sind, 
ist schwer zu sagen; jedenfalls ist es wichtig zu wissen, dass solche 
Körnchen und Körperchen bei einer entzündeten, ganz narbigen 
trachomatösen Bindehaut vorkommen. 


Erklärung der Abbildungen auf Taf. VII, Abt. I—IX. 


I. Abt. Fig. 1—5. — Verschiedene „Trachomkörperchen“ bei dem ersten 
Falle. (Ok. 2, Obj. Immers. !;,, Zeiss.) 


II. Abt. Fig. 1—4. — Verschiedene „Trachomkörperchen“ bei dem zweiten 
Falle. 

Fig. 5—9. — Mastzellen. Fig. 6. Mastzelle mit grossen Granulationen. 
Fig. 7 u. 8. Mastzellen in die Epithelschicht emigriert. Fig. 9. Mastzellen 
ohne Nucleus. (Polychrommethylenblau.) 

III. Abt. Fig. 17. Epithelzelleneinschlüsse bei dem dritten Falle. Fig. 15. 
Kleine rote Körperchen ohne Struktur. Fig. 5. Kleine rote Körperchen mit 
Struktur, die an kleine polynukleare Leukocyten erinnern. Fig. 8. Epithel- 
zellen mit polynuklearen Leukocyten. Fig. 10—12. Grosse Körper in den 
Epithelzellen. Fig. 14. Kleine und grosse Körper in derselben Epithelzelle. 


Über die „Chlamydozoen‘“ oder „Trachomkörperchen“ und andere usw. 183 


Fig. 4. Ein Herd von Körnchen in der Epithelzelle. Fig. 16 u. 17. Kleine 
rótliche granulóse Kórperchen, die an ,,Trachomkórperchen'* erinnern. 


IV. Abt. Fig. 1—6.  Epithelzelleneinschlüsse bei Trachoma subacu- 
tum mit stark infiltrierter Bindehaut von Lymphocyten, die zerstreute, unbegrenzte 
Keimzentren hier und da zeigen. 


V. Abt. Fig. 1, 2 u. 4. Epithelzelleneinschlüsse bei Trachoma chro- 
nicum mit stark verdickter, sulziger, tarsaler Bindehaut. Fig. 3. Freie Kör- 
perchen. 


VI. Abt. Fig. 1. Epithelzelleneinschlüsse bei Trachoma granulosum des 
Tarsus superior. Dieselbe Conjunctiva hat, 4 Jahre früher, an Gonorrhoea 
gelitten. Fig. 2. Phagocyten von Villard oder Körperchenzellen von Leber. 


VII. Abt. Fig. 1—3. Epithelzellenveränderungen bei Trachoma granulo- 
sum ohne „Trachomkörperchen“. 


VIII Abt. Fig.1u.2. Epithelzelleneinschlüsse bei Catarrhus aestivus. 


IX. Abt. Trachomkórperchen bei einem Falle von familiärem Trachoma 
granulosum (Mutter und Tochter) Fig. 1l. Trachomkórperchen (a) und Kórn- 
chen (b, c), (Ok. 2, Obj. !4, ); Fig. 2, 3, 4, 5 Kórperchen mit birnfórmigen, ba- 
cillenáhnlichen Elementen (Ok. 4, Obj. 1,,"); Fig. 6. Grosse diplobacillen(b')ühn- 
liche Elemente neben dem Kern (Ok. 2, Obj. !/4,"). 


Über die Fluorescenz der Linse. 


Von 


Dr. med. Fritz Schanz 
und 
Dr.-Ing. Karl Stockhausen 


in Dresden. 


Mit einer Figur im Text. 


Die Fluorescenz der Linse infolge der Einwirkung der ultravio- 
letten Strahlen war schon A. v. Graefe bekannt. Widmark und 
Schulek haben auf sie wieder die Aufmerksamkeit gelenkt, als sie 
meinten, bei der Fluorescenz der Linse kónnten durch. Umwandlung 
der ultravioletten Strahlen in Fluorescenzlicht im Laufe des Lebens 
Veränderungen entstehen, die am Ende des Lebens in Trübungen der 
Linsenfasern ihren Ausdruck fänden. Wir haben nachgewiesen !), dass 
die Linse in viel hóherem Masse, als man dies angenommen hatte, 
die ultravioletten Strahlen absorbiert, und dass ein grosser Teil der- 
selben absorbiert wird, ohne zu den Fluorescenzerscheinungen wesent- 
lich beizutragen, und dass die Absorption dieser Strahlen mit zunehmen- 
dem Alter immer intensiver wird. Wir haben ferner gezeigt, dass ein 
Teil der ultravioletten Strahlen die Netzhaut und wahrscheinlich auch 
ihre hehtempfindlichen Elemente unverändert erreicht. Es ist bekannt, 
dass die lichtempfindlichen Teile der Netzhaut von den ultravioletten 
Strahlen noch erregt werden. Bei geeigneter Anordnung empfindet 
das normale Auge bei der Betrachtung des Tageslichtspektrums jen- 
seits von Violett noch einen Lichteindruck, den man als lavendelgrau 
bezeichnet. Dieser Lichteindruck könnte, da die ultravioletten Strahlen 
unverändert bis zu den liehtempfindlichen Teilen der Netzhaut ge- 
langen, durch die ultravioletten Strahlen direkt veranlasst sein. Da 
aber die ultravioletten Strahlen auch in der Netzhaut Fluorescenz ver- 
anlassen, so könnte es sich auch um Wahrnehmung des Fluoresceenz- 
lichtes der Netzhaut handeln, das von den bekanntlich erst in den 
hinteren Netzhautschiehten  Ttegenden  liehtempfindlichen Elementen 


1) v. Graefe's Arch. Bd. LXIN, 1 u. 3; Bd. LXXI, 1. 


Er ne a ë o O oMŇlioSģöi- 


Über die Fluorescenz der Linse. 185 


wahrgenommen wird. Es handelte sich dann bei der Wahrnehmung 
des Lavendelgrau nicht um die Wahrnehmung eines Spektrallichtes, 
sondern um die eines gemischten Lichtes. Es ist aber auch nicht 
ausgeschlossen, dass die beiden angeführten Möglichkeiten zusammen- 
wirken. 

Da wir die Linse unter der Einwirkung der ultravioletten Strahlen 
in einem Farbenton fluoreszieren sehen, der dem Ton, den wir als 
lavendelgrau bezeichnen, sehr ähnlich ist, so drängt sich die Frage 
auf: Handelt es sich hier um eine wirkliche Fluorescenz der Linse 
oder werden etwa dabei die ultravioletten Strahlen als solche sicht- 
bar? Wir neigten in einer früheren Arbeit mehr zu der letzten Auf- 
fassung. Um völlige Klarheit zu schaften, hielten wir es für nötig, 
das Fluorescenzlicht der Linse genauer zu untersuchen. Am geeig- 
netsten hierfür erschien uns die von Newton zuerst angewandte Me- 
thode der gekreuzten Spektren. Bei ihr wird durch einen Spalt und 
ein Prisma von dem Licht einer Lichtquelle — wir benutzten eine 
elektrische Bogenlampe — ein Spektrum erzeugt, das wir, ehe es auf 
einen Schirm aufgefangen wird, erst eine Cylinderlinse passieren liessen. 
Durch diese Cylinderlinse, deren Achse parallel zu der Längendimen- 
sion des Spektrums war, wird das Spektrum auf einem Schirm, der 
sich in der Brennebene der Cylinderlinse befindet, zu einem linearen, 
möglichst lichtstarken Spektralstreifen zusammengefasst. Einen Teil 
dieses Schirmes bedeckten wir sorgfältig mit einer dünnen Schicht 
menschlicher Linsenmassen.. Stellten wir nun. den Schirm so ein, dass 
das Spektrum auf die Linsenmassen fiel, so wurde es wesentlich länger, 
weil dann die ultravioletten Strahlen dureh die fluoreszierenden. Linsen- 
massen sichtbar wurden. Dieses auf den Linsenmassen erzeugte Spek- 
trum — wir nennen es das primäre — wurde nun durch ein zweites 
Prisma betrachtet, dessen brechende Kante parallel der Längsausdeh- 
nung des primären Spektrums gehalten wurde. 

Die Versuchsanordnung ergibt sich aus der "Textfigur, die wohl 
keiner weiteren Beschreibung bedarf. Der Beobachter betrachtet durch 
das zweite Prisma das auf den mit Tansenmassen bedeekten Schirm 
aufgefangene, primäre Spektrum. Hierbei sieht er eine eigentümliche 
Erscheinung. Das primäre Spektrum wird gewissermassen in zwei 
Teile zerlegt, nämlich in ein normales, schräg stehendes Spektrum — 
das sekundäre — und in ein zweites Spektrum — das Fluorescenz- 
spektrum —, (das dureh die spektrale Zerlegung des Fluorescenzlichtes 
entsteht, das von den Lansenmäassen ausgestrahlt wird. Die Farben 
des Fluorescenzspektrums sind natürlich lange nicht so intensiv, wie 


186 F. Schanz und K. Stockhausen 


die des sekundären Spektrums. Wird der Versuch mit Linsen aus 
menschlichen Augen ausgeführt, so zeigt sich am roten Ende bis zum 
Blau keine weitere Zerlegung des Lichtes, aber schon im Blau be- 
ginnt das Fluorescenzspektrum aufzutreten, im Violett wird es stärker, 
am stärksten im Ultraviolett. Am intensivsten war es in dem Bezirk, 
der den ultravioletten Strahlen von etwa 370—400 uu Wellenlänge 
entspricht. In den so von dem Fluorescenzlicht erzeugten Spektren 


Schirm 


ML OH OT CH TO RN 





As 
I 





Lichtquelle Spalt 








Prismatische Zerlegung der Fluoreszenzfarben 


Auge des 
Beobachters 


herrscht die grüne Farbe vor, auch Blau ist stark vertreten, Rot ver- 
hältuismässig schwach angedeutet. 

Nach diesem Befund unterliegt es keinem Zweifel mehr, 
dass es sich bei der Fluorescenz der Linse um eine Um- 
wandlung von kurzwelligem Licht in Licht längerer Wellen- 
länge handelt. Nicht nur die ultravioletten, sondern auch 
blaue und violette Strahlen sind daran beteiligt. Den Haupt- 
anteil haben die ultravioletten, vor allem die Strahlen von 
etwa 385 uu Wellenlänge. 

Diese Feststellung findet eine Ergänzung in der neuesten Unter- 


Über die Fluorescenz der Linse. 181 


suchung von Hess!): „Weitere Mitteilungen über die Gelbfürbung 
der menschlichen Linse und ihr Einfluss auf das Sehen“. Hess zeigt, 
dass die Gelbfärbung der Linse damit zusammenhängt, dass dieselbe 
im späteren Leben mehr blaue und violette Strahlen absorbiert als 
in der Jugend. Die Absorption der Linse für ultraviolette Strahlen 
wird, wie wir nachgewiesen haben, mit zunehmendem Alter immer in- 
tensiver. Dasselbe gilt, wie Hess gezeigt hat, auch für einen Teil 
der sichtbaren Strahlen und gerade für die, die auch an den Fluores- 
cenzerscheinungen beteiligt sind. 

Auch dieser Umstand dürfte darauf hinweisen, dass 
die im Alter auftretenden Linsenveränderungen in engem 
Zusammenhang stehen mit der Absorption der Strahlen am 
ultravioletten Ende des Spektrums. 








1) Arch. f. Augenheilk. Bd. LXIV, 3. 


(Aus der Universitäts-Augenklinik zu Leipzig. ) 


Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea, 
dargestellt nach der Färbemethode von Held. 
(Eine histologische und histogenetische Studie.) 


Von 
Stabsarzt Dr. Richard Seefelder, 


Privatdozent und Assistent an der Universitäts-Augenklinik in Leipzig. 


Mit Taf. VIII—IX, Fig. 1—14, und einer Figur im Text. 


Bei der Entscheidung der Frage, ob in der Hornhaut elastische 
Fasern vorkommen oder nicht, musste besonders für die deutschen 
Ophthalmologen der Umstand schwer ins Gewicht fallen, dass sich 
noch vor kurzem Hans Virchow (l) in dem gelesensten deutschen 
ophthalmologischen Werke (Handbuch von Graefe-Saemisch, 2. Aufl., 
103. bis 104. Lieferung, S. 92—93, 1906) mehr in verneinendem als 
in bejahendem Sinne ausgesprochen hat. Virchow erklürt in seiner 
Darstellung der Anatomie der Hornhaut diese Frage noch nicht für 
spruchreif und hält es mit Eloui(5) aus optischen Gründen für 
zweifelhaft, ob tatsächlich elastische Fasern vorhanden seien. 

Bezüglich des von Tartuferi(2) vermittels seiner Silberimpräg- 
nierungsmethode dargestellten und in mehreren Abhandlungen be- 
schriebenen dichten Fasernetzes in der Hornhaut enthält er sich eines 
bestimmten Urteils, da er diese Methode nicht angewendet habe. Br 
ist aber, wie aus seinen vorstehenden Ausserungen hervorgeht, nicht 
davon überzeugt. dass es elastischer Natur sei, obwohl es Colombo (3) 
später geglückt ist, die nach Tartuferis Methode gefundenen Fasern 
zum Teil auch mit Orcëin zu färben. 

Virchow stellt sieh auf diesen skeptischen Standpunkt aus dem 
gleichen Grunde wie schon andere Forscher [Sattler (4), Eloui (5), 
Renaut(6)| vor ihm, da es ihm nicht gelungen ist, mittels der sonst 
für elastische Fasern angegebenen Färbemethoden ebensolche in der 
Hornhaut zu finden. 


Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 189 


Diese bis dahin gewiss mit Recht gehegten Bedenken zu beseitigen 
und damit die Kette der Beweisführung von der Existenz der elasti- 
schen Fasern in der Hornhaut zu schliessen, blieb bis in die neueste 
Zeit (1907) unserem durch seine exakten histologischen Arbeiten wohl- 
bekannten italienischen Kollegen de Lieto Vollaro (7) vorbehalten, 
der es nach mühevollen und lange Zeit erfolglosen Versuchen fertig 
gebracht hat, auch mittels der zurzeit gebräuchlichsten W eigertschen 
elastischen Faserfärbung in der Hornhaut ein reiches elastisches Faser- 
netz nachzuweisen. De Lieto Vollaro hat seine Untersuchungen 
vorzugsweise an der Hornhaut des Rindes und Pferdes ausgeführt, 
ist aber auch bei andern Tieren und, einer mir persönlich gemachten 
Mitteilung zufolge, auch beim Menschen zu positiven Resultaten ge- 
kommen. 

Sein Verfahren, das in der citierten Arbeit genau beschrieben 
wird, ist kurz folgendes: 

Kleine ausgeschnittene und am besten mit Formalin fixierte Horn- 
hautstückchen werden durch mehrstündigen (4—6) Aufenthalt in einer 
konzentrierten Kalilösung zum Quellen gebracht, um ein leichteres 
Eindringen der Farblósung in die Hornhaut zu ermöglichen. 

Nach sorgfältiger Auswaschung in fliessendem Wasser werden 
die gequollenen Hornhautstückchen entweder in toto gefärbt (ungefähr 
acht Tage bei zweitägiger Erneuerung der Farblösung) oder sofort 
mittels der Gefriermethode in so dünne Flächenschnitte als möglich 
zerlegt und die erhaltenen Schnitte auf 24 Stunden in die Weigert- 
sche Farblösung gebracht. Die Differenzierung der Schnitte. erfolgt in 
gewölmlichem Alkohol oder, wenn dies nicht genügt, in destilliertem 
Wasser. Zur Erzielung einer Kontrastfärbung wird eine Nachfärbung 
mit einer spirituösen Orange-G.-Lösung empfohlen. 

Die in toto gefärbten Stückchen kommen solange in absoluten 
Alkohol, bis sie keine Farbe mehr abgeben, und können dann eben- 
falls entweder der Gefriermethode oder der gewöhnlichen Paraffin- 
einbettung unterworfen werden. 

Durch die mit dieser Methode erzielten Resultate werden die 
Mitteilungen und Befunde von Tartuteri fast in vollem Umfange 
bestätist. Als neue und wichtige Errungenschaft kommt hinzu der 
von de Lieto Vollaro zuerst mit Sicherheit erbrachte und von Pes(S) 
schon vorher vermutete Nachweis des Ursprungs von elastischen Fasern 
aus den fixen Hornhautzellen. 

De Lieto Vollaro hat auf dem diesjährigen internationalen 
Ophthalmologen - Kongresse in Neapel einen Teil seiner Präparate 


190 R. Seefelder 


demonstriert und die Liebenswürdigkeit gehabt, sie mir nach Schluss 
des Kongresses im Laboratorium der Clinica oculistica in St. Andrea 
delle Dame mit Musse betrachten zu lassen. Die Präparate sind so 
überzeugend, dass meines Erachtens jemand, der nur eine gewisse 
Vorstellung von dem Aussehen und der Anordnung des elastischen Ge- 
webes hat, keinen Augenblick daran zweifeln kann, dass die vermittels 
seiner Methode spezifisch gefärbten Elemente auch wirklich elastische 
Fasern sind. 

Ich hielt es deshalb im Hinblicke auf die bisherige Stellung- 
nahme der deutschen anatomischen und ophthalmologischen Literatur 
für angezeigt, auch mit meinen Kräften zur Klärung der ganzen für das 
Verständnis der Physiologie und Pathologie der Hornhaut so ungemein 
wichtigen Frage beizutragen. 

Da mir von Herrn Geheimrat Sattler gerade eine frisch in 
Formalin fixierte menschliche Hornhaut zur Verfügung gestellt werden 
konnte, verfuhr ich zunächst genau nach der Vorschrift von de Lieto 
Vollaro, aber ohne jeden Erfolg. Weder in dem in toto gefärbten 
Hornhautstückchen, noch in den mittels der Gefriermethode erzielten 
und einzeln behandelten Schnitten war eine elastische Faser gefärbt 
worden. Ich bin natürlich weit davon entfernt, die Schuld an diesem 
Misserfolg dem Verfahren de Lieto Vollaros beizumessen, sondern 
viel eher der Grüblerschen Lösung, die mir wie auch Hosch (9) 
schon öfter auch an andern Abschnitten des Auges ungenügende Re- 
sultate ergeben hat. 

Da machte mich Professor Held gelegentlich darauf aufmerk- 
sam, dass er vermittels seiner Molybdänhämatoxylinmethode in Cel- 
loidinquerschnitten der Hornhaut elastische Fasern gefunden habe und 
zeigte mir ein Präparat, in welchem sich einzelne protoplasmatische 
Ausläufer der Hornhautkörperchen in feine glatte Fasern fortsetzten, 
welche Held für elastische erklärte. Auch zahlreiche dunkle Punkte, 
jedenfalls Durchschnitte elastischer Fasern, waren in diesem Präparate 
zu sehen. 

Es gelang mir sofort, in verschiedenen C'elloidinschnitten von nor- 
malen horizontal oder vertikal geschnittenen Augen meiner Sammlung 
analoge Bilder zu gewinnen. Da es mir aber zunächst zu gewagt erschien, 
daraufhin allein mit Bestimmtheit das Vorhandensein von elastischen 
Fasern in der Hornhaut zu beliaupten und. zudem aus Querschnitten der 
Hornhaut allein unmöglich eine klare Vorstellung von dem Ban und 
der Anordnung ihres elastischen Gewebes zu gewinnen gewesen wäre, 


machte ieh mich daran, Flachschnitte von in Paraffin eingebetteten 


Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 191 


ausgeschnittenen Hornhautstückchen herzustellen und diese nach der 
Heldschen Methode zu färben. 

Bevor ich die Resultate aller dieser Untersuchungen schildere, glaube 
ich den Fachgenossen damit einen Gefallen zu erweisen, dass ich die 
jetzt von Held(10) in seiner Entwicklung des Nervengewebes der 
Wirbeltiere selbst entworfene Beschreibung seiner vorzüglichen und 
für das Studium der Histologie des Auges geradezu unentbehrlichen 
Methode!) mit einigen erläuternden Bemerkungen vorausschicke. 


Held schreibt: 


Bei der Herstellung derselben bin ich von der schon von Auerbach 
verwandten reinen Molybdänsäure ausgegangen. Bringt man ein Quantum 
derselben als einen öfter umzuschüttelnden Bodensatz in eine 1°), Lösung 
von Hämatoxylin in 70°), Alkohol, so beginnt eine nach 14 Tagen schon 
ziemlich weit vorgeschrittene Umwandlung der Tinktur, die sich als eine 
tiefe und blauschwarze Farbänderung anzeigt. Mit der Zeit nimmt die Kraft 
dieser Molybdän-Hämatoxylintinktur erst an Intensität zu. Monate und 1 
bis 2 Jahre alte Tinkturen sind nicht schlechter, sondern besser zum Färben 
geworden. Dann giesse ich allerdings die Tinktur vom Bodensatz ab. Un- 
mittelbar vor dem Gebrauch werden je nach Bedarf einige Tropfen der 
Tinktur in Aq. dest. aufgelöst und heiss bei 50°C. oder längere Zeit kalt 
gefärbt. Die Schnitte werden direkt gefärbt, oder vorher gebeizt in Liqu. 
alum. acetici oder Alsol. oder Lig. alsoli oder auch Eisenalaun. -Als Fixie- 
rung eignet sich im allgemeinen gut die Zenkersche Flüssigkeit. Für 
Embryonen der Cyelostomen und Amphibien habe ich dagegen besonders 
die Rablsche Mischung von Pikrinsüuresublimat mit Erfolg angewandt, für 
Forelle hat mir die Sublimat-Eisessigfixierung gute Resultate gegeben. Differen- 
ziert werden die Schnitte mit 5°, wässriger Eisenalaunlösung oder mit der 
Weigertschen Ferrideyankali-Boraxlösung. In andern Fällen genügt eine 
progressive Färbung. 

Den Hauptvorteil dieser Metliode gegenüber der Eisenhämatoxylinfärbung 
von Heidenhain!) erblicke ich darin, dass dieselbe auch bei vorgeschrittener 
Entfärbung das Protoplasma der Zellen nicht zur totalen Entfärbung bringt, 
auch wenn schon mannigfaltige Bildungsprodukte der Zellen herausdifferen- 
ziert sind. Der Nachteil oder wenn man will, der Vorteil dieser Methode 
ist aber, dass von solchen Zellprodukten eine je nach der Fixierung (die 
angegebenen Fixierungen bilden also nur eine sehr kleine Auswahl) sehr ver- 
schiedene Reihe dargestellt wird. Ich erwühne, dass die Diplosomen der 
Zellen sich gut hiermit darstellen lassen auch an 204 dicken Celloidin- 
schnitten, ohne dass die Zentralgeissel von Zimmermann zur Entfärbung 
kommt. Infolgedessen habe ich dieselben auch an Bindegewebszellen junger 
Kaninchen und Katzen, an dem Corneaendothel des Menschen usw. zur Be- 
obachtung bringen können. Ebenso stellt diese Methode unter sicherer und 
radikaler Entfärbung des collagenen Gewebes die Grenzhäute der Neuroglia, 


!) Jedem, der die Heidenhainsche Methode kennt, wird ihre grosse Ahn- 
lichkeit mit der Heldschen ohne weiteres auffallen; doch ist diese der Heiden- 
hainschen hei weitem überlegen. 


192 R. Seefelder 


sowie die protoplasmatischen Anteile der marginalen Glia und zugleich die 
Weigertschen Gliafasern dar. 

Im Bereiche des Bindegewebes anderseits werden die elastischen Faser- 
netze besonders bei Fixierung in Zenkerscher Flüssigkeit oder Sublimateis- 
essig lange gefärbt erhalten und zugleich aber auch die protoplasmatischen 
Anteile der Bindegewebszellen im gefärbten Bild beibehalten, wodurch sich 
jene bleibende Beziehung von elastischen Fasern zu gewissen Bindegewebs- 
zellen, die ich früher als Elastinzellen bezeichnet habe, und ihrem Proto- 
plasma nachweisen lässt. 


Die Vorzüge der Heldschen Methode sind in dem Vorstehenden 
von dem Erfinder selbst kurz geschildert und, wie wohl bekannt, auch 
schon in verschiedenen aus unserer Klinik stammenden Arbeiten her- 
vorgehoben worden. 

Zu der heutigen Frage bemerke ich, dass mit ihr das elastische 
(Gewebe unter Umständen mit einer Schärfe zur Anschauung gelangt. 
welche durch keine der gebräuchlichen Methoden übertroffen wird. 
Es erscheinen dabei die dunkelviolett, fast schwarz gefärbten elastischen 
“asern auf einem gelben, manchmal orangefarbenen Grunde, so dass 
eine Gegenfärbung des collagenen Gewebes, die übrigens in beliebiger 
Weise ausgeführt werden kann, durchaus überflüssig ist. 

Zum Gelingen der Färbung ist vor allem die Fixierung in Zenker- 
scher Lösung oder in Sublimateisessig anzuempfehlen. Bei Formalinfixierung 
versagt sie z. B. ganz. Zur Beizung der Schnitte habe ich ausschliesslich 
Eisenalaun verwendet (mindestens 3— 4 Stunden). Der Aufenthalt in der 
Hämatoxylinlösung, die eine tiefblaue Farbe aufweisen muss, soll mindestens 
24— 48 Stunden betragen. Die Temperatur der Farblósung betrug bei meinen 
Färbungen 40°C. 

Die direkt aus der Farblösung entnommenen Schnitte weisen eine 
dunkelblaue Farbe mit einem leichten Stich ins Rötliche auf. Auswaschen 
der Schnitte in gewöhnlichem Wasser wenige Minuten. (Bei längerem Be- 
lassen der Schnitte in Wasser verschwindet der rötliche Farbenton und die 
Schnitte werden blauschwarz; bei der Färbung der elastischen Fasern vor- 
sichtshalber nicht zu empfehlen) Die Differenzierung der Schnitte habe 
ich ausschliesslich mit der Weigertschen Ferrideyankali-Boraxlösung aus- 
geführt, durch welche eine sehr rasche Entfärbung eintritt. Gleichzeitig 
verschwindet der rötliche Farbenton und macht einer prächtigen blauen 
Färbung der Kerne und ihres Protoplasınas Platz. — Die Zeitdauer der 
Ditlerenzierung richtet sich ganz nach der Intensität der Färbung und der Dicke 
der Schnitte), welche letztere natürlich möglichst gering sein und nicht über 
8§—10 u betragen soll. Bei ganz dünnen Schnitten genügt häufig ein 
momentanes Eintauchen des Objektträgers in die Differenzierungsflüssigkeit, 
dem ein sofortiges gründliches Abspülen in gewöhnlichem Leitungswasser zu 

!) In Betracht kommt natürlich auch die Differenzierungsfähigkeit der Ferrid- 


eyankali-Boraxlösung, die bekanntlich im Laufe der Zeit abnimmt, sowie die Kon- 
zentration der Lösung. 


Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 193 


folgen hat. Zuweilen ist ein mehrmaliges Eintauchen erforderlich. Es 
empfiehlt sich aber, nach jedem Eintauchen rasch in Wasser abzuspülen und 
sich von dem Differenzierungsgrade zu überzeugen. Bei stark gefärbten 
Celloidinschnitten ist meist eine etwas längere Differenzierung erforderlich. Die 
Differenzierung ist gewöhnlich richtig, wenn die nicht aufgehellten Paraffin- 
schnitte noch einen graublauen Farbenton aufweisen und das collagene Horn- 
hautgewebe somit nicht vollständig entfärbt ist. -— Bei seiner vollständigen 
Entfärbung besteht die Gefahr, dass auch die Färbung der elastischen Fasern 
ausgelöscht wird. Bei der mikroskopischen Untersuchung kommt eine leichte 
stellenweise Färbung des collagenen Gewebes durchaus nicht als störend 
in Betracht. — Eine Gegenfärbung des collagenen Gewebes ist, wie bereits 
gesagt, vollkommen überflüssig. 

Bei dieser Behandlung eines mit mehreren Schnitten beschickten Ob- 
jektträgers sind gewöhnlich stets mehrere Schnitte vorhanden, in welchen 
die elastischen Fasern auf das schönste hervortreten. Manche Schnitte sind 


zu wenig, manche zu stark differenziert und scheiden dann beim Studium 
der Frage naturgemäss aus. 


Ein grosser Vorzug der Methode, dessen sich nur noch die 3. Silber- 
imprägnatignsmethode Tartuferis sowie die Methode Monesis!), über 
deren. Ergebnisse m. W. noch keine genaueren Mitteilungen vorliegen, 
rühmen kann, besteht darin, dass sie ohne die Anwendung von Quel- 
lungsmitteln gelingt und somit die elastischen Elemente in ihrer natür- 
lichen Lage und Form zur Anschauung bringt. Ein weiterer Vorzug 
ist darin zu erblicken, dass sie als eine vortreffliche Protoplasmafärbung 
auch das Protoplasma der fixen Hornhautzellen färbt und dadurch 
über die Beziehungen zwischen den elastischen Fasern und den Horn- 
hautkörperchen Aufschluss erteilt. 

Ein nicht zu bestreitender Mangel ist darin zu erblicken, dass 
sie nicht mit absoluter Sicherheit arbeitet und aus uns zurzeit 
noch unerklärlichen Gründen zuweilen selbst in mit Zenkerscher 
Flüssigkeit fixierten Hornhäuten versagt. Es gilt das nicht nur für 
die Färbung des elastischen Gewebes, sondern auch ganz im all- 
gemeinen, Z. B. auch für die Kern-, Protoplasma- und Gliafürbung. 
Es ist dies ein Umstand, den ich bei einer eventuellen Nachprüfung 
meiner Resultate sehr zu berücksichtigen bitte. In manchen Präpa- 
raten entfärben sich die elastischen Fasern schon, bevor die Diffe- 
renzierung der Schnitte so weit vorgeschritten ist, dass man sie zu 
histologischen Studien gebrauchen kann. Dagegen behielten sie z. B. 
in der Hornhaut eines drei Wochen alten Kindes auch bei stärkster 
Differenzierung des collagenen Gewebes ihre Färbung bei. 


Schliesslich möchte ich von vornherein dem eventuellen Einwand 





1, Nachträglich habe ich mich davon überzeugt, dass Monesi seine Methode 
auch schon auf dem 19. ital. Ophth.- Kongr. 1907 bekannt gegeben hat. 


v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXII. 1. 13 


194 R. Seefelder 


begegnen, dass die Heldsche Methode keine anerkannte spezifische 
Färbung des elastischen Gewebes sei und, dass es sich deswegen bei 
meinen elastischen Fasern möglicherweise um andere Gewebselemente 
handeln könne. 

Wir haben uns selbstverstindlich von der Spezifität der Held- 
schen Fürbung an verschiedenen Abschnitten des Auges durch einen 
Vergleich mit den Resultaten anderer Fürbungen des elastischen Ge- 
webes zu wiederholten Malen überzeugt, und man kann das kaum 
an einem andern Organ besser tun als am Auge, dessen elastisches 
Gewebe dank vorzüglichen Arbeiten in erschöpfender Weise studiert 
ist, das der Cornea allerdings vorläufig ausgenommen. 

Vermittels der Heldschen Methode ist es mir gelungen, 
in der Hornhaut dreier Föten und zwar vom Anfang des A. 
der Mitte des 5. (21 cm Länge) und des 8. Monats (42cm Länge), 
ferner in der eines 7 Tage und eines 3 Wochen alten Kindes 
ungemein zahlreiche elastische Fasern nachzuweisen. 

Mit einer geradezu wunderbaren Schönheit und Deutlichkeit kamen 
sie in der Hornhaut. des drei Wochen alten Kindes zur Darstellung, 
deren Präparate denn auch in erster Linie die Grundlage meiner nun- 
mehr folgenden Schilderungen bilden: 

Betrachten wir zunächst einen Flachschnitt bei mittelstarker Ver- 
grösserung (Zeiss Apochromat 8, Komp. Okular 8), so sehen wir 
das ganze Gesichtsfeld von zahlreichen!) elastischen Fasern in den 
verschiedensten Richtungen und in scheinbar ganz regelloser Anord- 
nung durchquert. 

Die Fasern sind bald länger, bald kürzer, ja zum Teil so lang, 
dass sie selbst bei dieser mässigen Vergrösserung durch das ganze 
(sesichtsfeld und noch darüber hinaus zu verfolgen sind. 

Der Verlauf ist zumeist auffallend gestreckt bzw. geradlinig 
und keineswegs so gewellt, wie er in einigen nach stark gequollenen 
Präparaten hergestellten Abbildungen Tartuferis zu sehen ist. Doch 
kommen im Verlaufe einer Faser gar nicht sehr selten kleine Ein- 
kniekungen und Biegungen vor, die ihr anf eine kurze Strecke ein 
leicht gekränseltes und wellenförniges Aussehen verleihen. 

—; Die Dicke der Fasern ist grossen Schwankungen unterworfen. 
Neben ganz zarten und kaum noch sichtbaren Fäserechen kommen 
solche von ganz erheblicher Dicke und dazwischen alle nur denk- 


baren Übergänge vor. 





1) Die Zahl der Fasern steht der in einem nach Weigert gefärbten Flach- 
schnitte der Sklera nicht nach. 


Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 195 


Die dicken Fasern behalten ihr Kaliber nicht während ihres 
ganzen Verlaufes bei, sondern splittern sich bald früher, bald später 
an einem oder beiden Enden in mehrere feinere und gröbere Fasern 
auf, die sich dann häufig wiederum teilen und mit andern Fasern ver- 
binden, so dass man zuweilen weder den Anfang noch das Ende einer 
elastischen Faser bestimmen kann. | 

Es tritt also schon bei dieser Vergrósserung der von Tartuferi 
und de Lieto Vollaro nachdrücklich betonte syncytiale Cha- 
rakter des elastischen Gewebes der Hornhaut mit aller Deut- 
lichkeit zutage. Durch die Teilung dickerer elastischer Fasern in so 
und so viele feinere und gróbere Fasern werden vielfach Figuren erzeugt, 
welche von Tartuferi zutreffender Weise als gänsefussähnlich be- 
zeichnet werden. Auch in meinen Abbildungen sind mehrere solche 
Teilungsstellen zu sehen. — Der soeben angezogene Vergleich ist um 
so berechtigter, als die elastischen Fasern an diesen Teilungsstellen 
häufig breite elastische Membranen bilden, welche der Schwimmhaut 
des Gränsefusses entsprachen, während die durch die Teilung ent- 
standenen Fasern mit den Zehen, deren Zahl hier allerdings stark 
variiert, zu vergleichen wären. Elastische Membranen fand ich ferner 
wie Tartuferi und de Lieto Vollaro regelmässig an den Stellen, 
wo sich zwei dickere Fasern zu einer vereinigen (elastische Knoten- 
membranen Tartuferis), sowie an X förmig sich kreuzenden Fasern, 
wobei in beiden durch die Kreuzung gebildeten Winkeln Membranen 
(Interdigitalmembranen Tartuferis) nachweisbar sind. 

Bei Anwendung starker Systeme habe ich in den elastischen 
Membranen ebenso wie Tartuferi stets eine in der Längsrichtung 
der Faser verlaufende feine fibrilläre Streifung nachweisen können. 
An der Stelle der Membranen ist die elastische Substanz im all- 
gemeinen weniger intensiv gefärbt, ein Phänomen, das fraglos auf die 
durch die flichenhafte Ausbreitung bedingte Verdünnung der elasti- 
schen Substanz zurückzuführen ist. Die Ränder der elastischen Mem- 
branen treten aber trotzdem mit aller Schärfe hervor. Nicht selten 
aber setzt sich eine elastische Faser von geringerem Kaliber als die 
Stammfaser entlang dem einen Rande oder beiden Rändern der Mem- 
bran fort, so dass diese auf einer oder beiden Seiten von haarscharfen 
dunkler gefärbten Tanien eingesäumt erscheint. 

Die Neigung der elastischen Fasern zur Membranbildung 
macht sich aber nicht nur an den Teilungs- und Kreuzungsstellen, 
sondern häufig auch im Verlaufe der diekeren Fasern selbst auf lange 
Strecken hin bemerkbar. So sehe ich oft, dass eine. dicke intensiv ge- 

13* 


196 R. Seefelder 


färbte Faser ohne erkennbare Ursache ihre cylindrische Form verliert 
und sich in ein plattes, bandartiges, blasser gefärbtes Gebilde ver- 
wandelt, welche Form sie noch lange beibehält, ohne sich in End- 
fibrillen aufzulösen. Auch in diesen elastischen Bändern ist ebenso 
wie in den Membranen regelmässig eine fibrilläre Streifung nach- 
zuweisen. 

Bei der Teilung und Unterteilung der elastischen Fasern kommen 
so viele und mannigfaltige Variationen vor, dass sie weder durch Wort 
noch durch Bild in erschöpfender Weise geschildert werden können. 
Ich verweise in dieser Hinsicht, um nicht bereits Bekanntes in un- 
nötiger Weise zu wiederholen, auf die Beschreibungen und Abbildungen 
Tartuferis und de Lieto Vollaros, die den Tatsachen auch nach 
meinen mit einer andern Methode erhobenen Befunden in einer mög- 
lichst vollständigen Weise gerecht werden. 

Ich bestätige vor allem auch die Angabe Tartuferis, dass 
die dichotomische Teilung und somit die V-Form der Teilungs- 
figur die vorherrschende ist, doch habe ich häufig auch W- und M-Fi- 
guren und noch weiter vorgeschrittene Teilungen beobachtet. 

Ausser den kürzeren oder längeren Fasern fallen bei Anwendung 
stärkerer Vergrösserungen, wobei übrigens noch viele vorher unsicht- 
bare, feinste Fasern hervortreten, sehr zahlreiche grössere und kleinere. 
ebenso dunkelgefärbte und stark liehtbrechende Punkte!) auf, welche 
zum Teil sicherlich Durchsehnitten?) von elastischen Fasern entsprechen. 
Sie sind, wie gesagt, ungemein zahlreich, liegen zum Teil frei im 
collagenen Gewebe, zuweilen aber mitten im Verlauf einer elasti- 
schen Faser, ja gar nicht selten einzeln. oder zu mehreren mitten 
im Protoplasma der fixen Hornhautzellen. Die Zahl dieser Punkte 
ist aber so gross, dass schon dieser Umstand allein dagegen Bedenken 
erwecken müsste, sie alle als Faserdurchschnitte anzusehen. Ganz 
unwahrscheinlich ist dies namentlich bei den Punkten, welche nicht 
durch die ganze Dicke des betreffenden Schnittes reichen. sondern nur 
der einen oder andern Schicht emes Schnittes angehören. Uber die Be- 
deutung dieser Punkte bin ich mir ebensowenig ganz klar geworden als 
andere Herren. denen ich meine Präparate gezeigt habe. Sicher ist aber, 
dass es sich um kein Kunstprodukt. z. B. etwa um Niederschläge, 


1) Diese Punkte sind übrigens auch in den Photographien schon mit 
unbewäflnetem Auge sehr deutlich zu sehen. 

2) Ich sage absichtlich nicht „Querschnitte“, da es sich dabei wohl durchwegs 
um Schrärschnitte handeln wird, da die Fasern nicht senkrecht zur Hornhaut- 
oberflàche verlaufen, 


Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 197 


haudelt, da sie sonst öfter in nach Held gefärbten Präparaten vor- 
kommen müssten, was weder ich noch Prof. Held selbst je beobachtet 
haben. Es handelt sich also offenbar um eine eigentümliche Form 
von Granulis, über deren Wesen ich zur Zeit keine befriedigende Er- 
klärung abgeben kann. Die erwähnten dunklen in den Verlauf einer 
elastischen Faser eingefügten Punkte sind nicht zu verwechseln mit 
den schon von Tartuferi erwähnten Biegungs- oder Knickungsstellen 
von elastischen Fasern, welche, da man hier eine kurze Strecke in 
der Richtung der Welle in die Tiefe der Faser hinein sieht, ein 
gleiches optisches Phänomen erzeugen. Diese Stellen unterscheiden sich 
aber von den beschriebenen Punkten sehr deutlich dadurch, dass sie 
bei Drehungen mit der Mikrometerschraube entlang dem Verlaufe der 


e 2. PR 4. D. 6. 


Blickrichtung Blickrichtung 
Y 
a b 


o LL T ")Durchschnittsstelle. 


längsgetroffenen Faser zu wandern scheinen, was bei den letzteren 
nicht der Fall ist. Nicht selten sieht man auch, dass ein ganz ähn- 
liches punktförmiges Gebilde dem einen Ende einer langen elastischen 
Faser knopffórmig aufsitzt. Dies kommt davon her, dass die Enden 
der elastischen Fasern’ schr häufig haken- oder hirtenstabförmig um- 
gebogen sind. Ist nun das hakenförmig umgebogene Ende einer 
Faser zufällig nach dem Beschauer hin gerichtet (a) oder eine hirten- 
stabförmig umgebogene Faser gerade an der in der Textabbildung 
bezeichneten Stelle abgeschnitten. (P); dann. sieht man hier in die Tiefe 
des umgebogenen Faserendes hinein, das wie ein Faserquerschnitt als 
ein dunkler, stark lichtreflektierender Punkt erscheint, welcher den 
Abschluss der betreffenden Faser bildet. Zwischen dieser Endigungs- 
weise einer Faser und der in Form eines Hirtenstabes kommen 
alle nur denkbaren. in der Textfigur schematisch dargestellten Uber- 
gänge vor. 


198 R. Seefelder 


Der der vorstehenden Schilderung zugrunde liegende Hornhaut- 
bezirk entspricht einem Schnitte aus den tieferen und zentralen 
Schichten der Hornhaut.  Überhaupt habe ich bei meinen Unter- 
suchungen vorzugsweise Stückchen aus den zentralsten Hornhautpar- 
tien verwendet, da das Vorhandensein von elastischen Fasern in der 
Peripherie auch schon von älteren Autoren zugegeben worden war. 

Tiefgreifende Unterschiede hinsichtlich der Menge und Stärke 
der elastischen Fasern zwischen Zentrum und Peripherie der Cornea 
sind mir, abgesehen von den hintersten Hornhautschichten, bei meinen 
Untersuchungen nicht aufgefallen, doch gebe ich zu, dass in dieser Be- 
ziehung noch mehr vergleichende Untersuchungen erforderlich gewesen 
wären, um ein abschliessendes Urteil fällen zu können. De Lieto 
Vollaro fand die elastischen Fasern in den peripheren und ober- 
tlächlichen Partien der Cornea sehr kräftig und zu dicken Bündeln 
vereinigt, dagegen näher dem Zentrum feiner und mit schwachen Ver- 
grösserungen weniger gut sichtbar. 

Ich kann diese letztere Angabe de Lieto Vollaros, dass die 
elastischen Fasern in den oberflächlichen und näher dem Zentrum 
befindlichen Hornhautpartien sehr fein sind, nach meinen eigenen 
Untersuchungen nur bestätigen. Ich finde sie hier aber vor allem 
durchschnittlich viel feiner und spärlicher als in den mitt- 
eren und tieferen Hornhautschichten, was von de Lieto Vol- 
laro nicht ausdrücklich hervorgehoben wird. Und ich bin überzeugt, 
dass dieser Befund tatsächlich der Wirklichkeit entspricht und dass 
es sich nicht um eine Täuschung durch ein Versagen der Färbung 
handelt, da ich ihn in allen meinen Präparaten in übereinstimmender 
Weise erhoben und, was noch beweisender ist, auch in ganz gleich- 
mässig gefärbten Querschnitten durch die ganze Hornhaut bestätigt ge- 
funden habe, halte aber vor seiner Verallgemeinerung selbst noch 
weitere vergleichende Untersuchungen für durchaus erwünscht. 

Völlig neue Tatsachen vermag ich zu unsern Kennt- 
nissen über das Verhalten des elastischen Gewebes in den 
tiefsten Hornhautschichten und über seine Beziehungen zur 
Descemetschen Membran beizubringen. 

Ich gebe die jetzt folgende Schilderung. an der Hand eines gut 
gelungenen Flächenpräparates der Cornea, in welchem das Descemet- 
sche Endothel in seltener Schönheit und grösserer Ausdehnung in 
Form einer fast kreisrunden Scheibe tlächenhaft getroffen ist. Die 
Umrahmung dieser Endothelscheibe wird von einem breiten Ringe 
der flächenhaft getroffenen Descemetschen Membran gebildet, auf 


D Ec 


4 —— — M HI Ü M Maa à M MÀ —— ^ 


€ 


Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 199 


welche die Hornhautgrundsubstanz folgt. Die Schnittdicke beträgt 
ungefähr 8u. In diesem Präparat findet sich sowohl direkt über der 
zentralen Endothelscheibe als ganz besonders im Bereiche der Desce- 
metschen Membran eine grosse Menge allerfeinster, nur mit sehr 
starken Systemen auflösbarer elastischer Fasern von zumeist schnur- 
geradem Verlaufe. Die Fasern liegen aber nicht alle in einer Ebene, 
sondern in mindestens 2—3 Lagen übereinander. Die in einer Ebene be- 
findlichen und dicht aneinander liegenden Fasern verlaufen anscheinend 
alle streng zueinander parallel, während die Fasern, welche oberhalb 
oder unterhalb einer solchen elastischen Faserlamelle dahinziehen, schräg 
oder senkrecht zur ersteren verlaufen, so dass das Ganze im Flach- 
schnitt als eine dichte Matte elastischer Fasern imponiert. Zwischen 
den Fasern ist auch hier eine ausserordentliche Menge von kleineren 
und grösseren ebenso gefärbten Punkten nachzuweisen, welche die 
Zahl der innerhalb der Hornhautlamellen gefundenen ganz beträcht- 
lich übersteigt. Diese Punkte scheinen der Descemetschen Membran 
ja selbst dem Endothel unmittelbar aufzusitzen. Die längsgetroffenen 
Fasern erstrecken sich im Schnitte alle auf die Hornhautgrundsub- 
stanz hinüber. Da sie aber vielfach schon in einer geringen und fast 
ringsum gleichmässigen Entfernung von dem Rande der Descemet- 
schen Membran abgeschnitten sind, erscheint letztere von einem dichten 
Strahlenkranze elastischer Fasern umgeben, deren eines Ende zumeist 
haken- oder hirtenstabförmig umgehogen ist, während sich das andere 
im Bereiche der Descemetschen Membran oder ihres Endothels ver- 
liert, ohne dass sich über die Art und Weise der Endigung etwas 
Genaueres feststellen lisst. 

Ich habe mir auch die Frage vorgelegt, ob nicht die beschriebenen 
feinsten Fasern überhaupt schon der Descemetschen Membran zu- 
zurechnen sind. Ihre Lage direkt über dem Endothel ohne eine nach- 
weisbare homogene Zwischenschicht scheint ja gebieterisch dafür zu 
sprechen. Anderseits habe ich aber im Bereiche des erwähnten Ringes 
der Descemetschen Membran nur an der Obertläche eine fibrilläre 
Struktur nachweisen können, während die Descemetii selbst voll- 
kommen homogen erschien. Es wäre aber wohl übereilt, dieses 
schwierige Problem an der Hand eines einzigen Präparates lösen zu 
wollen, und so begnüge ich mich vorläufig mit der Beschreibung meiner 
Befunde, ohne für heute weitere Schlüsse daraus zu ziehen. Ich 
muss aber bei dieser Gelegenheit erwähnen, dass Ciaceio (11) die Ansicht 
ausgesprochen hat, dass beim Pferde elastische Fasern durch die 
Descemetsche Membran hindurch bis ans Epithel gelangen, und dass 


200 R. Seefelder 


Peschel(12) auf Grund seiner Untersuchungen mit dem Ultramikro- 
skop der Descemetschen Membran eine faserige Struktur zuschreibt, 
die in dieser Membran sogar etwas stärker ausgesprochen sei als in 
der Bowmanschen Schicht. — Ich werde nicht verfehlen, dieser 
Frage auf dem betretenen Wege weiter nachzugehen und so bald als 
möglich über die dabei gewonnenen Resultate zu berichten. 

Als völlig gesichert kann ich aber schon nach dem bis jetzt 
gesagten feststellen, dass unmittelbar vor der Descemetschen 
Membran eine besondere Schicht von feinen elastischen 
Fasern vorhanden ist, deren Bedeutung für das volle Verständnis 
der Physiologie und Pathologie der Hornhaut wohl keiner besonderen 
Beleuchtung bedarf. 

Über die genaueren Beziehungen zwischen dem collagenen und 
elastischen Hornhautgewebe geben die Flach- bzw. Schrägschnittprä- 
parate keinen genügenden Aufschluss. ‚Jedenfalls habe ich ein streng 
gesetzmässiges Verhalten — das in Wirklichkeit sicher existiert — 
nicht nachweisen, aber auch nichts finden können, was für die An- 
sicht Tartuferis, dass die elastischen Fasern um die Hornhautbündel 
ein Netz mit rautenförmigen Maschen (perifascikulüre Netzchen) bilden. 
sprechen würde, 

Viel günstiger erwies sich die von mir angewandte Methode zur 
Aufklärung des Verhältnisses zwischen gewissen fixen Horn- 
hantzellen und elastischen Fasern, da hierbei vor allen Dingen 
der Umstand zugute kommt, dass das Protoplasma der Hornhaut- 
körperchen selbst bei starker Differenzierung eine, wenn auch blasse 
Färbung beibehält. — Trotz alledem gehört die Frage, ob die elastı- 
schen Fasern aus den Hornhantzellen entspringen oder nicht, schon 
zu den schwierigeren histologischen Problemen. Man muss dazu unbe- 
dingt sehr dünne Schnitte zur Verfügung haben, um mit schr starken 
Systemen untersuchen zu können. Sobald man sich auf die Anwen- 
dung von mittelstarken Systemen beschränken würde, wäre die Zahl 
der Stellen, welche für einen direkten Zusammenhang von Hornhaut- 
körperchen und elastischen Fasern sprächen, eine sehr grosse. Sehr 
häufig stellt sich aber dann bei Untersuchungen mit stärksten Syste- 
men das. Gegenteil. heraus. nämlich. dass beide doch nicht in genau 
der gleichen Ebene liegen. 

Ich habe nur solche Stellen als beweisend für emen direkten Zu- 
sammenhang einer elastischen Faser und fixen Hornhautzelle angesehen. 
in welchen auch bei 1500 facher Vergrösserung (Zeiss Apochr. 2 
homogene Iimmersion. Komp.-Ok.12)kein Zweifeldaran auftauchen konnte. 


Uber die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 201 


Solche Stellen habe ich aber, wenn auch nicht allzu häufig, so 
doch sicher gefunden und ich kann somit mit aller Bestimmt- 
heit die von Pes vermutete und von de Lieto Vollaro mit 
der Weigertschen Elastinfärbung nachgewiesene Tatsache 
bestätigen, dass elastische Fasern mit fixen Hornhautzellen 
unmittelbar zusammenhängen. 

Dieser Befund, zu dessen Feststellung das Hornhautgewebe in 
Anbetracht seiner verhältnismässig einfachen Zusammensetzung, seiner 
Zelarmut und seiner Gefüsslosigkeit besser als jedes andere Gewebe 
geeignet sein dürfte, ist bekanntlich auch von allgemeinem histologischen 
Interesse, da die Meinungen!) über die Beziehungen zwischen den 
elastischen Fasern und Bindegewebszellen auch heute noch stark aus- 
einandergehen. De Lieto Vollaro hat dieser Frage in seiner mehr- 
fach citierten Arbeit ein längeres Kapitel gewidmet und darinnen 
auch die andern Autoren zu Worte kommen lassen, so dass ich nur 
auf seine Arbeit zu verweisen brauche. 

Die Art des Ursprungs der elastischen Faser ist nach meinen 
Befunden ziemlich mannigfaltig. 

Am häufigsten finde ich, dass ein mehr oder weniger weit aus- 
gestreckter Protoplasmafortsatz eines Hornhautkörperchens sem granu- 
liertes Aussehen verliert und ziemlich unvermittelt in eine elastische 
Faser übergeht, die sich bald eine kürzere bald eine längere Strecke 
weit verfolgen lässt. Die Dicke der Fasern weist auch schon an den 
Ursprungsstellen gewisse Schwankungen auf, doch habe ich sie stets 
grösser gefunden, als die der feineren elastischen Fasern, welche aus 
den Teilungen dickerer hervorgehen. 

In den bis jetzt beschriebenen Fällen erfolgt der Ursprung der 
Faser stets in einer ziemlich grossen Entfernung vom Kern der Horn- 
hautzelle. 

In andern Fällen liegt vr jedoch mitten im Protoplasma in der 
Nähe des Kernes?), und endlich habe ich wie de Lieto Vollaro 
Zellen gefunden, in welchen die elastische Faser bis an die Kern- 
menibran heranreichte und direkt aus dem Kerne zu entspringen schien. 

In einigen wenigen Präparaten habe ich den direkten Übergang 
einer elastischen Faser von einer Hornhautzelle ın eine 





!; Vgl. die sehr sorgfältige Zusammenstellung von Bruni, Stato attuale 
della dottrina dell’ istogenesi delle fibre connetive ed elastiche. Ophthalmologica. 
Vol. 1. 1909. i 

23) Ähnliche Beziehungen zwischen elastischer Faser und Bindegewebs- (sog. 
Elastin-) zelle hat auch Held (13) in der Cutis des menschlichen Augenlids 
gesehen. 


202 R. Seefelder 


andere beobachten können, so dass es unentschieden bleiben musste, 
welche von den beiden Zellen als die Mutterzelle anzusprechen sei!). 

Einen durchgreifenden Unterschied zwischen den Mutterzellen von 
elastischen Fasern und solchen, welche keine elastischen Faserfortsätze 
erkennen liessen, habe ich nicht finden können. Auch ist dabei stets 
zu bedenken, dass die letzteren möglicherweise doch an einer Stelle 
in eine elastische Faser übergehen, welche nur nicht in dem jeweilig 
untersuchten Schnitte enthalten ist. Ich möchte aber nicht unerwähnt 
lassen, dass der Kern und das Protoplasma der meisten mit elastischen 
Fasern ausgestatteten Zellen bei sonst gleicher Struktur viel dunkler 
tingiert und schmaler als sonst erschienen, wobei die Längsachse des 
Kernes in der Richtung der elastischen - Faser verlief, hin aber vor- 
läufig noch im Zweifel, ob diesem in meinen Präparaten fast durch- 
wegs bestätigten Befunde eine besondere Bedeutung beizumessen sei. 
— Meine Beobachtungen in den jungen fötalen Hornhäuten sprechen 
jedenfalls nicht dafür. 

Zur Ergänzung der bisherigen, fast ausschliesslich an der Hand 
von Flachschnitten entworfenen Beschreibung soll jetzt noch eine 
Schilderung von Quer- und Schrägschnittbildern der Cornea 
angefügt werden. 

In diesen überwiegen an Zahl bei weitem die Faserquerschnitte, 
während längsgetroffene Fasern geradezu zu den Seltenheiten gehören. 
Die Faserquerschnitte, welche sich von dem gelben Grunde als tiefhlau- 
schwarze Punkte prächtig abheben, sind dagegen sehr zahlreich. In 
den mittleren und tieferen Hornhautschichten ist das Gesichtsfeld da- 
mit wie besät, in den vorderen Schichten sind sie dagegen 
viel spärlicher und anscheinend auch zarter, eine Tatsache, die mir 
besonders beweisend dafür erscheint, dass meine an den Flach- 
schnitten gemachte analoge Beobachtung nicht auf einer Täuschung 
beruht. 

Durch die Hornhautquerschnitte findet auch mein im 
vorstehenden ausgesprochener Satz, dass zwischen der Des- 
cemetii und der Cornea propria eine besondere Schicht 
elastischen Gewebes eingeschaltet sei, eine glänzende Be- 
stütigun g. 

Man findet in ihnen unmittelbar vor der Descemetschen Mem- 
bran, welche selbst dunkler gefürbt ist als die übrige Cornea, aber bei 


') Den direkten Übergang einer elastischen Faser von einer Mesenchym- 
zelle in die andere hat auch Nakai Mockichi(14) und zwar im Epicard eines 
neuntägigen Jlühnerembryos beobachtet. 


Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 203 


stärkerer Differenzierung einen ausgesprochen gelben Farbenton erhält, 
eine kontinuierliche feine Membran von der gleichen tiefblauschwarzen 
Farbe, wie sie die isolierten Querschnitte der elastischen Fasern auf- 
weisen, und welche in mehreren meiner Präparate selbst bei starker 
Differenzierung nicht ausgelöscht wird. 

Die Membran ist auf der der Descemetii zugewendeten Seite 
haarscharf begrenzt und von der Descemetii selbst durch einen äusserst 
feinen hellen Saum durchwegs auf das schärfste abgegrenzt. 

Ihre äussere Oberfläche ist dagegen vielfach rauh und uneben, 
dadurch, dass ihr hier zahlreiche elastische Faserquerschnitte unmittel- 
bar aufsitzen, welche übrigens noch zu ihr selbst gehören und hier 
eine Regelmässigkeit und Dichtigkeit der Anordnung aufweisen, wie 
an keiner andern Stelle der Cornea. 

Ihre Dicke ist wesentlich (5—6 mal) geringer als die der Desce- 
metschen Membran, aber selbst nicht überall vollkommen gleich, 
sondern es wechseln leichte Anschwellungen mit dünneren Stellen 
ab, was wohl davon herkommen mag, dass sie streckenweise etwas schief 
getroffen ist (Taf. IX, Fig. 11). 

Eine weitere Struktur ist an ihr zumeist selbst mit stürksten 
Systemen nicht wahrzunehmen, sondern sie erscheint fast durchgehends 
als eine kontinuierliche und homogene Membran. Je mehr wir uns 
jedoch der Peripherie der Cornea náhern, um so mehr geht sie dieser 
Eigenschaften verlustig, und zerfüllt in Punkte und kurze leicht ge- 
` wellte und gebogene Striche, welche bei Drehungen mit der Mikro- 
meterschraube in der Richtung der Grundsubstanz verlaufen, deren 
hinterste Schichten hier entschieden viel mehr elastische Fasern ent- 
halten als im Zentrum der Cornea (Taf. IX, Fig. 12). Diese Ver- 
änderung der elastischen Membran hat ihren besonderen Grund und 
beruht darauf, dass sich die Membran schliesslich in eine Anzahl 
von noch feineren Fasern oder, richtiger gesagt, Lamellen aufsplittert, 
welche die angrenzenden Balken des sklerocornealen Netzes einschei- 
den und sich anscheinend mit dem elastischen (ewebe dieses Netzes 
innig verbinden (Taf. IX, Fig. 14). 

Möglicherweise handelt es sich bei diesen Fasern um die 
gleichen, welche Lodato bei einem Fötus des 9. Monats in der 
Peripherie der Hornhaut gefunden hat und von denen er S. 21 be- 
richtet, dass sie von dem sklerocornealen Netz auf die Oberfläche 
der periphersten Abschnitte der Descemetii hinüberziehen und dort 
Inserieren. 

Ich selbst habe mich von emer Insertion an der Descemetschen 


201 R. Seefelder 


Membran nicht überzeugen können und glaube auch nicht, dass sie 
in Wirklichkeit stattfindet. 

Die beschriebene elastische Schicht der Cornea verhält sich also 
in mancher Hinsicht ähnlich wie die Lamina elastica chorioideae, deren 
tilzartige Struktur auch erst durch Flachschnitte zu beweisen war. 

Ihre Zusammensetzung aus lauter feinen elastischen Fasern 
kommt im Schrägschnitt fast noch deutlicher zum Ausdruck als in 
Flächenschnitten. Wir sehen hier die dunkel gefärbte, homogene und 
einen unregelmässig gezackten Ring bildende Descemetii von einem 
Strahlenkranze elastischer Fasern umgeben, welche alle auf die an- 
grenzende Hornhautgrundsubstanz und Descemetii himüberziehen 
und sich beim Wechseln in der Einstellung bestimmt als zwischen 
diesen beiden befindlich lokalisieren lassen. Die Verlaufsrichtung 
dieser Fasern ist entweder radiär (Taf. IX, Fig. 9) oder mehr 
oder weniger schräg (Taf. IX, Fig. 10. Die Enden der Fasern 
sind fast durchgehends umgebogen und zwar vielfach so stark, dass 
durch das Aneinanderlegen der Faserenden streekenweise das Bild 
einer geschlossenen Membran erzeugt wird. welches an das der quer- 
getroflenen elastischen Membran erinnert. Dies. ist. namentlich. hei 
den sehr schräg verlaufenden Fasern der Fall (Taf. IX. Fig. 10). 
An dem Vorhandensein einer besonderen aus elastischen Fasern zu- 
sammmengesetzten Schicht zwischen Descemetli und Cornea propria 
kann somit nicht mehr gezweifelt werden und ich schlage vor, nach- 
dem die früher für die Bowmansche und Descemetsche Membran 
üblichen Bezeichnungen Elastica anterior et posterior ohnehin und 
verdientermassen aus der anatomischen Nomenklatur fast ganz ver- 
schwunden sind. sie als die Lamina elastica corneae zu bezeichnen. 

Die elastischen Fasern weisen hier eine solche Regelmässigkeit 
und Diehtiekeit der Anordnung auf. dass sie sehon dadurch allein 
den Stempel des Besonderen tragen. Für ihre Eigenschaft als elastische 
Fasern garantiert ihre spezifische Färbung und ihre unverkennbare 
Form. Neben den vradtär verlaufenden Fasern sind auch im Schräg- 
schnitt noch in andern Richtungen verlaufende Fasern an der gleichen 
Stelle nachweisbar. 

Senkrecht zur Hornhautobertläche verlaufende elastische Fasern 
habe ich in der ganzen quergeschnittenen Hornhaut nicht gefun- 
den. Es sind fast nur quergetrotfene oder parallel zur Hornhautobertläche 
verlaufende Fasern nachweisbar. Letztere lassen sich oft eine lange 
Strecke verfolgen. wober sie sich dem Verlaufe und der Form der 


Hornbautkamnellen, zwisehen denen sie legen, vollkommen anpassen. 


Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 205 


Zuweilen gelingt es, ihren Zusammenhang mit den fixen Hornhaut- 
zellen völlig einwandsfrei festzustellen. Schräg zur Hornhautoberflàche 
verlaufende elastische Fasern habe ich nur in der Peripherie der Lamina 
elastica nachweisen können. | 

Bei vielen Faserquerschnitten lässt sich namentlich dort, wo das 
Gefüge der Grundsubstanz etwas gelockert ist, eine reihenweise inter- 
lamelläre Lagerung mit Sicherheit feststellen. Bei andern gelingt 
dies nicht, was aber vielleicht daran liegen mag, dass sich in den 
nicht aufgelockerten Hornhautquerschnitten die Unterscheidung der 
verschiedenen Lamellen häufig gar nicht durchführen lässt. 

Fibrilläre Verbindungen zwischen der elastischen Schicht und der 
Descemetii habe ich an den Querschnitten der Hornhaut ebensowenig 
mit Bestimmtheit feststellen können, als an den Schräg- und Flächen- 
schnitten. Nach dem Querschnitte allein möchte ich ihre Existenz 
sogar als ganz unwahrscheinlich bezeichnen, da auch an den Stellen, 
an denen die elastische Schicht etwas abgehoben ist, keine Faserbrücken 
zwischen ihr und der Descemetii nachweisbar sind, wogegen die be- 
schriebene helle Kontur überall deutlich sichtbar ist. Mit um so 
grösserer Skepsis stehe ich deshalb den schon citierten positiven 
Angaben Ciaccios gegenüber, zumal dieser Autor auch durch die 
Bowmansche Schicht elastische Fasern hindurchtreten gesehen haben 
will, was ich auf Grund meiner Präparate am Menschen geradezu 
ausschliessen kann. Ich habe in der Bowmanschen Schicht keine 
einzige elastische Faser gefunden und behaupte, dass ein Durchtreten 
von Fasern zum Epithel sicher nicht stattfindet. Es lässt sich das 
in den so dinstinkt gefärbten Celloidinschnitten mit aller Bestimmt- 
heit feststellen, da die Bowmansche Schicht ebenso vollkommen ent- 
färbt ist, wie die collagene Substanz der Cornea propria. 

Was das färberische Verhalten der Descemetii anlangt, 
so ist gewiss nicht ohne jedes Interesse, dass sie die Heldsche Färbung 
intensiver annimmt und behilt als die Cornea propria und die Bowman- 
sche Schicht, was ja bekanntlich auch schon von andern Färbungen auf 
elastische Fasern berichtet worden ist. Doch möchte ich deswegen 
nicht gleich in den Fehler verfallen, vor dem Virchow ausdrücklich 
warnt, und behaupten, die Descemetsche Membran färbt sich nach 
Held, ergo ist sie eine elastische Membran, und das um so weniger, 
als zwischen ıhr und dem elastischen Gewebe doch sichere tinktorielle 
Unterschiede vorhanden sind. 

Alles in allem genommen sind meine Querschnittsbilder von 
spezifisch auf elastische Fasern gefärbten Hormhäuten doch wesent- 


206 R. Seefelder 


lich verschieden von denen, die Tartuferi mit seiner Quellungs- 
methode erhalten hat, und es wäre sehr interessant, wenn Tartuferi 
bald seine durch die dritte Imprügnationsmethode erzielten Resultate. 
hei welcher die Quellung durch Sublimatfixierung verhindert wird, des 
Vergleiches halber bekannt geben würde. 

Es wäre doch, falls die Ansicht Tartuferis, dass die elastischen 
Fasern um die Bündel der Homhautlamellen ein Netz mit rauten- 
förmigen Maschen bilden, richtig ist, zu erwarten, dass überall schräg 
oder senkrecht verlaufende Fasern nachweisbar seien, doch ist dies in 
meinen Präparaten. wie gesagt, nur in der Peripherie der Lamina 
elastica der Fall. 

Ich erwähne noch, dass in meinen Horizontalschnitten durch das 
ganze Auge, welche einen bequemen Vergleich des elastischen Ge- 
webes der Hornhaut mit dem der übrigen Gewebe des Auges ge- 
statten, in den tieferen Schichten der Hornhaut schätzungsweise unge- 
fhr ebensoviel elastische Fasern vorhanden sind, als in einem gleich 
grossen Bezirke der Sklera. 

Schliesslich sei mir noch gestattet. mit wenigen Worten darauf 
hinzuweisen, dass es mir als erstem gelungen ist, in der fötalen Cornea 
und zwar schon in recht jungen Stadien ein ungemein reich 
entwickeltes elastisches Fasernetz nachzuweisen. An und 
für sich handelte es sich dabei ja nur um die Feststellung einer Tat- 
sache, die a priori keines Beweises bedurfte, da es sich eigentlich von 
selbst versteht. dass die elastischen Fillen ungefähr gleichzeitig mit 
den collagenen entstehen und in der Architektonik der Cornea 
schon frühzeitig die Stellung einnehmen, welche ihnen das ganze 
Leben hindurch eigentümlich ist. So lässt denn auch der Reichtuni 
und die weit. vorgeschrittene: Entwicklung des elastischen Fasernetzes 
bei dem Fötus vom Anfange des 4 Monats keinen Zweifel daran 
aufkommen, dass die erste Entwicklung des elastischen Gewebes noch 
weit. zurückliegen und mit der des collagenen Gewebes zeitlich ungefähr 
zusammenfallen muss. Die Dicke der elastischen Fasern in der jungen 
fotalen Cornea. ist. allerdings. durchschnittlich. noch wesentlich. geringer 
als in älteren Hornhäuten. so dass mit starken Systemen. am besten 
mit Ölimmersion. untersucht werden muss. um von ihrer Menge einen 
richtigen. Begriff zu. erhalten. 

Wie erwartet. erwies sich aber das jüngste untersuchte Stadium 
von besonderer Bedeutung für den Nachweis der Entstehung der 
elastischen Fasersubstanz. Es ergibt sich dabei auf das deut- 
liehste. dass elastische Fasern aus dem Protoplasma der Horn- 


Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 201 


hautzellen hervorgehen. Schritt für Schritt und zu wiederholten 
Malen lässt sich verfolgen, wie das Protoplasma dieser Zellen allmäh- 
lich sein granuliertes Aussehen verliert und die charakteristischen fär- 
berischen Eigenschaften der Elastinsubstanz sowie die cylindrische 
Form der elastischen Faser annimmt. 

(rewöhnlich ist dabei die elastische Substanz entweder ganz oder 
auf eine verschieden lange Strecke von Protoplasma eingescheidet, von 
diesem aber durch ihr homogenes und stark lichtbrechendes Aus- 
sehen leicht zu unterscheiden. Sie findet sich vielfach in den In- 
tercellularbrücken zwischen zwei Hornhautzellen und weist in bezug 
auf ihre Länge und Dicke ganz erhebliche Verschiedenheiten auf. 
Erstere ist fast durchgehends geringer, letztere dagegen zumeist. grösser 
als bei den freien d.h. denjenigen elastischen Fasern, bei welchen 
sich ein direkter Zusammenhang mit fixen Hornhautzellen nicht nach- 
weisen lässt. Die Zahl der letzteren ist in Anbetracht der Jugend 
des Embryos sehr hoch zu nennen und steht stellenweise selbst der 
im ausgebildeten Auge nicht in nennenswertem Grade nach. Ihre 
Verteilung auf das Hornhautareal scheint allerdings noch weniger 
sleichmässig zu sein als später, doch zeigt sich auch schon in diesem 
Stadium sehr deutlich, dass die hinteren Hornhautschichten reicher an 
elastischen Fasern sind als die vorderen. Thre Länge ist zumeist sehr 
beträehtlich und nimmt zuweilen selbst bei mässig starken Vergrösse- 
rungen das ganze Gesichtsfeld ein. Sie sind durchwegs vollkommen 
glatt und mit wenigen Ausnahmen äusserst fein. Nur an einem. Ende 
werden sie manchmal breiter und platter und es ist dann schwer, zu 
entscheiden, ob diese Formveränderung auf eine membranöse oder 
protoplasmatische Umwandlung zu beziehen ist. An einigen wenigen 
Stellen kann aber auch an der letzteren Modifikation kaum gezweifelt 
werden. | 

Teilungen von elastischen Fasern kommen in der embryonalen 
Hornhaut viel seltener vor als später, und es handelt sich dabei meist 
nur um einfache diehotomische Teilungen, wogegen die in älteren 
Augen gefundenen sehr manniefaltigen Teilungsvariationen nur aus- 
nahmsweise zu beobachten sind. 

Der Unterschied zwischen den freien und den intracellulär ein- 
zefügten elastischen Fasern ist somit ganz erheblich und der Umstand. 
dass bereits so viele freie elastische Elemente vorhanden sind, sehr 
auffällig sowie im Hinblicke auf die Genese der elastischen Fasern sehr 
bemerkenswert. Denn wir müssten dann, wenn wir die Intercellular- 
brücken ausschliesslich als die ‚Jugendformen der elastischen Fasern 


2 08 R. Seefelder 


betrachten und alle elastischen Fasern von ihnen ableiten wollten, 
eigentlich erwarten, verschiedene und weniger schrofte Übergänge 
zwischen ihnen und den freien Fasern zu finden, als tatsächlich nach- 
zuweisen sind. 

Anderseits braucht man aber auch deswegen meines Erachtens 
an der Tatsache, dass die beschriebenen und abgebildeten Intercellu- 
larbrücken elastischer Natur sind, nicht zu zweifeln, denn es ist von 
vornherein anzunehmen, dass in einer so jungen Cornea neben aus- 
gebildeten elastischen Fasern auch ganz jugendliche Elemente vorhanden 
sind, da zu dieser Zeit noch fortwährend eine ebenso lebhafte Pro- 
duktion von elastischen wie von collagenen Gewebsfasern stattfinden 
muss. Auch lässt der selbst noch im ausgebildeten Auge gefundene 
Zusammenhang von elastischen Fasern und fixen Hornhautzellen an 
dieser Art der Genese keinen Zweifel aufkommen. 

Eine andere Frage ist es aber, ob alle elastischen Fasern der 
Hornhaut auf diese Weise entstanden sind. Diese Frage entscheidend 
zu beantworten und damit der Lösung des schwierigen Problems von 
der Entstehung des elastischen Gewebes noch näher zu kommen, bin 
ich nach meinen bisherigen Beobachtungen leider ausser stande. Es 
bedarf dazu noch weiterer Untersuchungen, vor allem von noch wesent- 
lich jüngeren Stadien, mit denen ich denn auch zurzeit bereits be- 
schäftigt bin und deren Resultat ich bald in einer besonderen Arbeit 
bekannt geben zu können hoffe. 

Ich glaube aber, dass es zur Entscheidung dieser histogenetisch 
so wichtigen Fragen aus den schon angegebenen Gründen kein besseres 
Studierobjekt geben kann, als die embryonale Cornea. 

Nicht uninteressant und unwichtig ist auch die Feststellung, die 
mir viele Male geglückt ist. dass die elastische Faser an ihrer Ur- 
sprungsstelle eine auffallende Dieke aufweisen kann. So sind ja auch 
schon in der Hornhaut des 4 monatlichen Fötus die frei verlaufenden 
elastischen Fasern durchwegs viel dünner als diejenigen, deren direkter 
Zusammenhang mit den Hornhantzellen festzustellen ist. Es geht 
daraus wohl hervor, dass die dieken elastischen Fasern nicht erst. 
dureh eine Vereinigung von dünnen zu entstehen brauchen, was von 
verschiedenen Seiten angenommen: worden ist. 


Zusammenfassung. 
l. lu der ganzen Hornhaut des Menschen ist mit der Molybdän- 
hännatoxylin-Färbemsthode von Held ein diehtes synevtiales Netzwerk 
elastischer Fasern nachweisbar. 


Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 209 


2. Das histologische Verhalten dieses elastischen Fasernetzes stimmt 
mit dem von Tartuferi vermittels seiner Silberimprägnationsmethode 
und von de Lieto Vollaro mit Weigerts Elastinfürbung nach- 
gewiesenen elastischen Fasernetze in allen wesentlichen Punkten überein. 

3. Die Zahl und Dicke der elastischen Fasern ist nach meinen 
Präparaten in den oberflächlichen Schichten geringer als in den mitt- 
leren und tieferen, doch sind in dieser Beziehung noch weitere ver- 
gleichende Untersuchungen wünschenswert. 

4. Unmittelbar vor der Descemetschen Membran liegt eine be- 
sondere Schicht elastischer Fasern, welch letztere hier zumeist eine 
grössere und gleichmässigere Feinheit und. emen. noch. gestreckteren 
Verlauf aufweisen, als in allen übrigen Hornhautschichten. — Diese 
elastische Schicht splittert sich in der Peripherie schon vor und an 
der Endigungsstelle der Descemetschen Membran in feine Fasern 
auf, welche die hier befindlichen Balken des sklerocornealen Netzes 
umsäumen und sich mit seinem elastischen Gewebe anscheinend innig 
verbinden. Diese elastische Schicht ist der Lamina elastica chorioideae 
prinzipiell gleich zu stellen und dürfte zweckmässigerweise als die 
Lamina elastica corneae zu bezeichnen sein. 

5. Es gelingt. zuweilen auch noch in der fertigen Hornhaut, einen 
direkten Zusammenhang zwischen elastischen Fasern und fixen Horn- 
hautzellen nachzuweisen. 

Die Ursprungsstelle der elastischen Faser liegt bald dicht am 
Kern, bald weit davon entfernt im Protoplasma der Zelle. Die Dicke 
der Fasern weist schon an der Ursprungsstelle gewisse Verschieden- 
heiten auf. 

6. Elastische Fasern sind auch schon in der Hornhaut fötaler 
Augen nachweisbar. Das jüngste Stadium, welches ich mit Erfolg 
daraufhin untersuchte, stand am Anfange des 4. Monats. Der Ur- 
sprung von elastischen Fasern aus fixen Hornhautzellen ist in dem 
embryonalen Auge noch häufiger festzustellen als im ausgebildeten 


Organ. 


Herru Geheimrat Sattler erlaube ich mir für sein freundliches 
Interesse an diesen Untersuchungen und Herrn Prof. Held für den 
Hinweis auf seine Färbemethode und die Überlassung eines Prüparates 


meinen herzlichsten Dank auszusprechen. 


v. Graefe’s Archiv für Ophtbalmologie. LXXIL. 1. 14 


210 R. Seefelder 


Literaturverzeichnis. 


1) Virchow, Hans, Mikroskopische Anatomie der äusseren Augenhaut und 
des Lidapparats. Graefe-Saemisch, Handb. d. ges. Augenheilk. II. Aufl. 
103 u. 104. Liefg. 1906. 126. u. 127. Liefg. 1908. 

2) Tartuferi, Nuova impregnazione metallica della cornea. Dimostrazione dei 

preparati e delle relative microfotografie. Rendiconto riassuntivo del XII Con- 
gresso dell’ associazione Oftalmologica italiana, tenuto in Pisa nel settembre 
1890. Annali di Ottalmologia, anno XIX, p. 358. 
— Über das elastische Hornhautgewebe und über eine besondere Metallim- 
prägnationsmethode. v. Graefe’s Arch. f. Ophth. Bd. LVI. S. 419. 1903. 
— Su di una terza nuova impregnazione metallica dei tessuti e specialmente 
della cornea. Annali di Ottalmologia, anno XXXIV, fasc. 1—2. 1905. 

3) Colombo, Sulla dimostrazione delle fibre elastiche nella cornea di alcuni 
mammiferi. Rendiconto del XVI Congresso dell’ associazione Ottalm. Italiana 
1902. Annali di Ottalmologia 1903. 

4) Sattler, Über die elastischen Fasern der Sklera. Ber. über d. 25. Vers. 
d. ophth. Ges. in Heidelberg 1896. 

5) Eloui, Recherches histologiques sur le tissu connectif de la cornée des 
animaux vertébrés. Thèse de Lyon. 1880. 

6) Renaut, Sur les confluents linéaires et lacunaires du tissu conjonctif de la 
cornée. Compt. rend. de l'Acad. des Sciences. XC. 1880. 

1) De Lieto Vollaro, Sulla esistenza nella cornea di fibre elastiche, colorabili 
col metodi del Weigert. Loro derivazione dai corpusculi fissi. Annali di 
Ottalmologia. Fasc. XXXVI. p. 713. 19u7. 

8) Pes, Über einige Besonderheiten in der Struktur der menschlichen Cornea. 
Arch. f. Augenheilk. Bd. LV. 1906. 

9) Hosch, Zur neuesten Theorie der progressiven Kurzsichtigkeit von Prof. 
Lange. Arch. f. Ophth. Bd LXI. 190b. 

10) Held, Die Entwicklung des Nervengewebes bei den Wirbeltieren. Leipzig 
1909. S. 12. 

11) Ciaccio, Sur une particolarité de structure de la cornée d'un cheval. Journal 
de Microgr. Année XVI. 1892 
— Sur une étrange et remarquable particolarité de structure observée dans 
la cornée d'un cheval. Arch. ital. de Biol. XVII. 1892. 

12) Peschel, Die strukturlosen Augenmembranen im Ultramikroskop. Arch. f. 
Ophth. Bd. LX. S. 557. 1905. 

13) Held, Uber den Bau der Neuroglia und über die Wand der Lymphgefässe 
in Haut und Schleimhaut. Abhandl. d. math.-phys. Klasse d. Kgl. Sächs. 
Ges. d. Wissensch. Bd. XXVIII. S. 306—307. 1903. 

14) Nakai Mockichi, Über die Entwicklung der elastischen Fasern im Organis- 
mus und ihre Beziehung zur Gewebsfunktion. Virchows Arch. Bd. CLXXXII. 
S. 153. 1908. 

15) Lodato, 1l tessuto elastico dell’ occhio umano durante la vita fetale. Archivio 
di ottalmologia. Vol. XII. Fasc. 5—6. 1904. 


Die übrige hier nicht erwähnte Literatur ist in den Arbeiten de Lieto 
Vollaros und Tartuferis eingehend berücksichtigt. 

lch erlaube mir noch einen Hinweis auf eine neue Färbemethode des elastischen 
Gewebes (Metodo all’ ematossilina per la colorazione del tessuto elastico) zu geben, 
welche Monesi auf dem diesjährigen internationalen Ophthalmologenkongress in 
Neapel (Fasc. secondo No. LXXIII) bekannt gegeben hat und mittels deren er 
ebenfalls elastische Fasern in der Hornhaut gefunden zu haben angibt. Ich selbst 
habe noch keine Erfahrungen über ihre Wirksamkeit, doch geht aus ihrer Be- 
schreibung hervor, dass sie umständlicher und zeitraubender ist als die Methode 
von Held. 


Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 211 


Erklárung der Abbildungen auf Taf. VIII u. IX, Fig. 1—14. 


Die Abbildungen 1 u. 2 auf Taf. VIII stellen Mikrophotogramme bei mitt- 
lerer Vergrösserung (Zeiss Apochromat 8, Proj.-Okular 2) dar und sind ohne 
lange Auswahl nach Schnitten aus den zentralen und tiefen Hornhantpartien 
eines 3 Wochen alten Kindes aufgenommen worden. Die Mikrophotographie ver- 
schafft selbstverstándlich nur ein sehr unvollstindiges Bild von der Zahl der 
vorhandenen elastischen Fasern, da nur die stärkeren deutlich zu sehen sind 
und nur die in der Fokalebene des Objektives liegenden zur Aufnahme gelangen. 
Immerhin sind die wichtigsten Kennzeichen und Eigenschaften der elastischen 
Fasern — Kaliberschwankungen, ihre dichotomi che und gänsefussartige Teilung, 
die Membranbildung, ihr teils gestreckter und teils gewundener Verlauf usw. 
— schon bei dieser Vergrösserung deutlich zu sehen 

Sehr instruktiv bezüglich der Art der Färbung ist Fig. 1. 

In der linken oberen Ecke sind nur sehr spärliche und sehr blass gefärbte 
elastische Fasern zu sehen, da dieser Bezirk zu stark entfärbt ist, während die 
Fasern rechts unten, wo die Differenzierung nur unvollkommen ist, sehr stark 
hervortreten. Die vielen grösseren und kleineren dunklen Punkte in den 
Bildern entsprechen teils Durchschnitten von elastischen Fasern, teils 
den sogenannten Granulis. 

Ich empfehle angelegentlich die mikrophotographischen Abbildungen mit 
Lupe zu betrachten, da dabei noch manche Einzelheiten deutlich sichtbar werden, 
die mit blossem Auge leicht übersehen werden. 


Die Abbildung 3, welche aus dem gleichen Auge stammt, soll eine Vor- 
stellung von der Anordnung des elastischen Gewebes in der unmittelbaren Nähe 
der Descemetschen Membran verschaffen. Sie ist mit Obj. Apochromat 8 und 
Projekt. Okular 4 aufgenommen worden. — Die Feinbeit der hier befindlichen 
Fasern machte die Anwendung einer stärkeren Vergrösserung notwendig. Leider 
hat die Schärfe des Bildes darunter gelitten, doch glaube ich, dass es trotzdem das 
Notwendigste naturgetreuer zur Anschauung bringt als es eine Zeichnung vermóchte. 
In der rechten Ecke sieht man etwas unscharf, da die Fokalebene auf das 
Fibrillennetz eingestellt ist, dasregelmässige Mosaik desDescemetschen Endothels, 
dessen Schlussleisten sehr schön hervortreten, und links oben als dunkle unscharfe 
Linie die Grenze zwischen der Descemetschen Membran und der Cornea 
propia. Uber der Descemetii befindet sich eine Unzahl von feinen elastischen 
Fasern und Punkten. Sie sind, wie ein Vergleich mit den andern Abbildungen 
ohne weiteres ergibt, viel dünner, gestreckter und regelmässiser angeordnet 
als in allen übrigen Schichten der Cornea, und es dürfte auch daraus hervorgehen, 
dass sie eine besondere Aufgabe zu erfüllen haben. 


Die Fig. 4—7 stellen die Beziehungen von elastischen Fasern zu fixen 
Hornhautzellen in Flachschnitten der Hornhaut eines 3 Wochen alten Kindes 
dar. In Fig. 4—6 ist die Faser nur in das Protoplasma der Zelle eingefügt, 
dessen Fortsetzung sie bildet. In Fig. 7 berührt sie auch den Kern, umgreift 
ihn an dem einen Ende und scheint eine Strecke mit der Kernmembran ver- 
schmolzen zu sein. Die Kerne und das Protoplasma dieser Zellen (Elastinzellen) 
sind dunkler gefärbt als in solchen Aelen, von welchen keine elastischen Fasern 
abgehen (vgl. Fig. 11). 

In Fig. 8 ist ein Hornhautkórperchen mit Granulis im Protoplasma ab- 
gebildet. Es stammt aus einem Flachschnitt der Cornea. 


Fig. 9 zeigt die Descemetii und die Lamina elastica corneae im 
Schrägschnitt. Die Descemetii erscheint mit zahllosen radiär verlaufenden elasti- 
schen Fasern, welche in einiger Entfernung von ihr abgeschnitten sind, wie be- 
spickt. Die Fasern ziehen aber über die Descemetii hinweg. Ausserdem sind 
noch 2 Hornbautzellen zu sehen, von denen aus je eine elastische Faser in 
der Richtung nach der Lamina elastica. veriüuft. 

Fig. 10 zeigt ebenfalls einen Schrägschnitt der hintersten Hornhautschichten 
von dem gleichen Präparate. Die Fasern der Lamina elastica verlaufen hier sehr 
schräg und ihre ungebogenen Enden scheinen streckenweise zu einer kontinuier- 
lichen Membran vereinigt zu sein. 


14* 


212 R. Seefelder, Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 


Fig. 11 stammt von einem Querschnitt aus dem Hornhautzentrum eines 
3 Wochen alten Kindes. 

Endothel, Descemetii und Lamina elastica corneae sind scharf voneinander 
zu unterscheiden. Letztere ist von der Descemetii durchwegs durch einen hellen 
Streifen getrennt und nicht überall von ganz gleicher Dicke. Die dunklen Punkte auf 
der Elastica entsprechen Querschnitten von elastischen Fasern. (Vergrösserung 
Zeiss Apochr. homog. Immersion 2. Komp.-Ok. 12.) 


Fig. 12 ist nach einem mir freundlichst von Herrn Prof. Held zur Ver- 
fügung gestellten Präparate angefertigt worden. Sie veranschaulicht die Auf- 
lösung der Lamina elastica in kurze Stücke und Punkte und den Reichtum der 
hintersten Hornhautschichten an elastischen Fasern in den peripheren Abschnitten 
der Cornea eines 7 monatlichen menschlichen Fótus. (Zeiss Apochromat homog. 
Immers. 2. Komp.-Ok. 12.) 


Fig. 13 zeigt das Verhalten der elastischen Substanz in der Hornhaut 
eines Fótus vom 3. bis 4. Monat. Ein Teil der elastischen Fasern hängt mit 
fixen Hornhautzellen zusammen, ein Teil verläuft anscheinend vollkommen frei. 
Bei den ersteren ist die intraprotoplasmatische Einfügung teils eine vollständige 
(Intercellularbrücken), teils nur an einem Ende nachweisbar (Kombinations- 
bild) (Zeiss Immers. 2. Komp.-Ok. 12.) 

Fig. 14 veranschaulicht die periphere Endigung der Descemetii und der 
Lamina elastica corneae, welche letztere sich schon vorher auflockert und schliess- 
lich in das elastische Gewebe der Balken des sklerocornealen Netzes übergeht. 
(Zeiss Apochr. homog. Immers. 2, Komp.-Ok. 8.) 


Sämtliche Zeichnungen sind von Herrn A. Kirchner ausgeführt worden. 


(Aus der Universitäts-Augenheilanstalt zu Leipzig.) 


Ist das konstante Vorkommen des Glaskörperkanales 
Kunstprodukt oder präformierte Struktur? 


Von 
Dr. M. Wolfrum, 


Privatdozent und Assistent. 


In etwas länger gehaltenen Ausführungen wendet sich Schaaff aber- 
mals gegen die Einwände, welche ich gegen das konstante Vorkommen eines 
Glaskörperkanales geltend gemacht habe. Wesentlich neue Gesichtspunkte 
bringt Schaaff dabei nicht, er fügt nur noch eine Reihe von Details hinzu, 
auf welche hier etwas näher eingegangen werden soll. 

In meiner Abhandlung über die Entwicklung und normale Struktur 
des Glaskörpers war ich zu der Überzeugung gelangt, dass ein Zentral- 
kanal im Glaskörper nicht konstant vorhanden ist. Meine Untersuchungen 
gründeten sich aber nicht nur auf histologische Studien am Embryo und 
am Erwachsenen, sondern auch auf eine Nachprüfung der Experimente 
Stillings in verschiedenen Variationen. Vor allem habe ich aber bei 
meinen histologischen Untersuchungen die Hilfsmittel der neueren verbesserten 
histologischen Technik in Fixierung und Färbung zur Anwendung gebracht. 
Und ziehe ich aus alledem das Facit, so stehe ich auch jetzt noch auf dem 
Standpunkt, den ich bei meiner ersten Mitteilung einnahm und wohl noch 
mit mehr Recht. 

Verwunderlich muss es einem zunächst vorkommen, dass Schaaff mit 
solcher Bestimmtheit Angaben in histologischen Dingen, die sich auf den 
Glaskórper beziehen, macht, ohne dass wir eine Angabe finden, dass er sich 
durch eigene Untersuchungen die nötigen Unterlagen verschafft hätte. 

Sonst könnte er auch nicht sagen, dass ich meine Befunde vom em- 
bryonalen Glaskörper auf den des Erwachsenen übertragen habe. Gerade 
das Gegenteil ist ja der Fall. Solange eine Arteria hyaloidea existiert, und 
dies ist beim Embryo immer der Fall, existiert auch ein Kanal. Verschwindet 
die Arterie, so obliteriert der Kanal, wie man im mikroskopischen Bild deut- 
lich beobachten kann. Beim Embryo existiert also der Kanal stets, beim 
Erwachsenen nur wenn Reste der Arterie sich erhalten, weitaus in den 
meisten Fällen also nicht. Das Gegensätzliche der Befunde ist das auf- 
fällige. Inwiefern, so muss man sich fragen, sollen embrvonale Befunde 
auf den Erwachsenen übertragen sein? 

Nur beiläufig möchte ich bemerken, dass der Zapfen, welcher beim 
Menschen manchmal, bei Tieren öfters, von der Papille ein Stück weit in 


214 M. Wolfrum 


den Glaskórper hineinzieht, kein Bindegewebe, sondern glióses Gewebe ist, 
wie denn überhaupt der Glaskórper eine besondere Art von gliósem Gewebe 
darstellt und deswegen auch seine innigen Verbindungen an den verschie- 
densten Stellen mit der Netzhaut aufweist. Gerade aber der Zapfen hat 
wenig Verbindungen aufzuweisen, weitaus die kräftigsten und zahlreichsten 
dagegen der Papillenrand, und diese werden bei der Präparation ausgerissen. 
Die Glaskörperform und Struktur soll nach Schaaff nicht zu fixieren sein. 
Ich stimme mit ihm darin überein, dass dies vor 30—40 Jahren der Fall 
gewesen sein mag, aber heutzutage nicht. Man kann den Glaskörper nicht 
nur in der Form, sondern auch in seinen feinsten Strukturen durch ge- 
eignete Fixierungs- und Färbemittel zur Darstellung bringen. 

Die Abbildung, welche Schaaif vom Optikuseintritte und dem dortigen 
Verhalten des Glaskórpers gibt, muss das Kopfschütteln eines jeden hervorrufen, 
der sich eingehender mit den histologischen Verhältnissen dieses Teiles des 
Augapfels beschäftigt hat. Die Angabe, dass die Darstellung nur eine grob 
schematische ist, kann kaum darüber hinwegsetzen, dass Verschiedenes den 
natürlichen Verhältnissen nicht entspricht. Dass Schaaff keine Verbindungen 
zwischen Optikus und Glaskórper annimmt, ja diese sogar strikte in Abrede 
stellt, erhebt die Angabe, da sie nicht auf eigenen Untersuchungen basiert, 
kaum über den Wert einer willkürlichen Annahme. 

Schaaff behauptet weiter, dass langes Liegen und Manipulationen das 
Aufsuchen des Kanales erschweren, hat jedoch in seiner früheren Veröffent- 
lichung beides zur Aufsuchung des Kanales empfohlen. Siehe S. 60 u. 61 
v. Graefe's Arch. Bd. LXVII, 1. Er setzt sich damit auch in direkten 
Widerspruch zu den ursprünglichen Angaben von Stilling. 

Die eigentümliche Verlaufsrichtung kann Schaaff auch in seiner 
letzten Mitteilung nicht erklären. Sie entspricht nicht dem ursprünglichen 
Verlauf der Arteria hyaloidea. Um dieses Dilemma zu beseitigen, geht er 
soweit zu behaupten, dass ein vollständig aus dem Auge herausgerissener, 
im Wasser schwimmender Glaskörper seine natürliche Lage besser beibehält, 
als einer der sich noch in seinen natürlichen Verhältnissen im Auge befindet. 
Der wenig mit der Sache Vertraute könnte nämlich wirklich annehmen, 
wenn er S. 192 Zeile 15 der Schaaffschen Abhandlung liest, ich hätte 
den herausgenommenen Glaskörper auf eine Flaschenmündung gepfropft. 
Ich habe, wie ich dies ausdrücklich erwähnte, den Augapfel nach Abtragung 
von Hornhaut, Regenbogenhaut und sorgfältiger Herausnahrme der Linse 
auf eine Flaschenmündung gesetzt. Infolge der Anwesenheit der Sklera und 
Aderhaut bleiben alle Teile in natürlicher Lage (v. Graefe's Arch. Bd. LXVII. 
S. 374). Die Angabe von Schaatf ist also hier nicht ganz genau. 

Wenn nach Sehaaff der Glaskörperkanal ein I,ymphraum ist, so wäre 
von Interesse, von ihm etwas näheres über seine Wandbhekleidung zu er- 
fahren, über die Struktur derselben, über den dortigen Faserverlauf. Jeder 
Kanal muss doch eine Wand, eine örtliche Begrenzung aufweisen. 

Schliesslieh beruft sich Sehaaff auf Autoritäten. Sehen wir zu, wie 
es hier mit seinen Argumenten steht. 

Es handelt sich hier mit Ausnahme von Schwalbe meist um Autoren 
von Lelhrbüchern, welche die Angaben von Stilling in die Lehrbücher 
herübergenommen haben, ohne mit neuen, besonderen Methoden den Nach- 


Ist das konstante Vorkommen des Glaskörperkanales Kunstprodukt usw. 215 


weis des Kanales zu führen. Nur Schwalbe hat ein besonderes Verfahren 
dazu verwendet, nämlich die Einstichinjektion mit der Pravazschen Spritze. 
Aber gerade diese Methode gibt uns den schlagenden Beweis, dass hier 
Kunstprodukte geschaffen werden, Erscheinungen, die in natura nicht exi- 
stieren. Zunächst ist ja wohl selbstverständlich, dass bei einer Einsticlı- 
injektion die Flüssigkeit sich nach der Richtung des geringsten Widerstandes 
ausbreitet. Ein Beweis, dass präformierte Räume existieren, ist damit keines- 
wegs erbracht. Durch neuere sorgfältige Untersuchungen von Held und 
von Krückmann ist der exakte Nachweis geliefert, dass die sogenannten 
perivaskulären Hisschen Räume, welche sich durch Einstichinjektion füllen, 
weder im Gehirn noch in der Netzhaut existieren, sondern dass ein ungemein 
feinfaseriges, zartes Fibrillengerüst vom Gefässrohr zur Limitans sich allent- 
halben herüberspannt. Dieses wird bei der Einstichinjektion durchrissen, so 
dass ein perivaskulärer Kanal vorgetäuscht wird. Das Verfahren schafit 
also hier Kunstprodukte. Natürlich folgt auch im Glaskórper die Flüssig- 
keit dem geringsten Widerstand, indem sie sich in der Fibrillenrichtung 
fortbewegt und feinfaserige Verbindungen zersprengt werden. Daraus aber 
auf einen Kanal zu schliessen ist keineswegs zulässig. Kann man doch auch 
in die festesten tierischen Gewebe mit der Pravazschen Spritze ohne 
nennenswerte Druckaufbietung Flüssigkeit injizieren, die sich stets nach be- 
stimmten Richtungen verteilt, so z. B. in die Muskulatur, in die Hornhaut, 
ohne dass heute noch jemandem beifiele, dort die Existenz von Kanälen 
anzunehmen. Es fehlt auch diesem anscheinenden Beweise, um so mehr als 
es sich um den feingefügten Glaskörper handelt, jeder sichere Boden. 

Schliesslich will mich Sechaaff mit meinen eigenen Angaben schlagen. 
Er meint, es müssten sich auch Kanäle beim Abreissen des Glaskörpers an 
der Zonula bilden. Hätte er aber den grossen Strukturunterschied des Glas- 
körpers an der Zonula und an der Papille selbst im mikroskopischen Prä- 
parat gesehen, so würde er wohl kaum zu einer derartigen Vermutung 
gekommen sein. Die ungemein feinfaserigen und zarten Flocken. die sich 
an der Zonula loslösen, gehen keineswegs tiefer in das Gewebe hinein, sie 
liefern beim Abreissen nur oberflächliche Substanzverluste, die man auch 
deutlich an einem so behandelten Auge wahrnehmen kann und auch noch 
als pferdeschweifartige Masse, wie sie von Greeff beschrieben wurde, unter 
dem Mikroskop an der Zonula háüngend findet. Ganz anders liegen die 
Verhültnisse an der Papille, wo feste Fasern auf lange Strecken ausreissen 
kónnen. 

Die Beweistührung von Schaaff bringt also in keiner llinsicht neue 
Gesichtspunkt in dieser Frage, sie basiert sogar zum Teil auf Angaben, welehe 
einer exakten Unterlage entbehren und daher gar nicht als beweiskräftig 
angesehen werden können. Die Frage nach dem konstanten Vorkommen 
eines Glaskörperkanales erscheint damit keineswegs in einem neuen Lichte, 
sondern steht noch auf demselben Punkte, nämlich dass sein konstantes 
Vorkommen durch exakte Beweise nicht erwiesen ist, sondern auf Kunst- 
produkten beruht. 


'Aus der Universitüts- Augenklinik zu Leipzig. 


Zur Frage der Netzhautanomalien in sonst normalen 
fötalen menschlichen Augen. 


Von : 
Stabsarzt Dr. R. Seetelder, 


Privatdozent und Assistent an der Klinik. 


In seiner Arbeit „Zur Gliom- und Rosettenfrage“ (dieses Archiv, 
Bd. LXXI, S. 504-—534) unterzieht Wehrli meine Arbeit über „Netzhaut- 
anomalien in sonst normalen fötalen menschlichen Augen“ (dieses Archiv, 
Bd. LXIN, 1, S. 463 - 478) einer eingehenden Kritik, welche ich infolge 
ihrer zahlreichen Unstimmigkeiten nicht unbeantwortet lassen kann. 

Einen grossen Teil der Wehrlischen Kritik bildet der Versuch, nach- 
zuweisen, dass meine Bezeichnung „sonst normal“ unrichtig sei. 

Ganz allgemein möchte ich hierzu bemerken, dass es sich bei diesem 
Versuche Welhırlis, da er meine Präparate nicht gesehen hat und infolge- 
dessen ausschliesslich auf meine eigene Beschreibung angewiesen ist, in der 
Hauptsache nur um eine abweichende Deutung oder Auslegung meiner tat- 
sächlichen Befunde handeln kann, und es bedarf wohl kaum einer besonderen 
Erwähnung, dass derjenige, der seine Präparate eingehend studiert und seine 
Ansichten darüber mit kritisch urteilenden Kollegen, die sie auch gesehen 
haben, ausgetauscht hat, ein kompetenteres Urteil besitzen dürfte, als der 
Kritiker, der sie nur aus einer Beschreibung kennt, wie Wehrli in 
diesem Falle 

Wenn ieh die betreffenden Augen als „sonst normal“ bezeichnet habe, 
80 habe ich dies in erster Linie deswegen getan, um den eklatanten 
Gegensatz zu den schwer misszebildeten oder durch Erkrankungen der 
Netzhaut-Aderhaut tiefereifend veränderten Augen zum Ausdruck zu bringen, 
in welchen die fraglichen Netzhautanomalien bis dahin ausschliesslich ge- 
funden worden waren. 

Meine fótalen Augen waren so beschaffen, dass sie bei der klinischen 
Untersuchung jeder an meiner Stelle als normal bezeichnet hätte. Dass ın 
dem einen Auge bei der anatomischen Untersuchung eine leichte Kerato- 
iritis gefunden wurde, kann die Berechtigung meiner Bezeichnung um so 
weniger erschüttern, als ein Zusammenhang dieser Entzündungserseheinungen 
mit den Netzhautanomalien vollkommen auszuschliessen ist, da die entzünd- 
liehen Veränderungen, wie ich in meiner ersten Beschreibung dieses Falles 
ausdrücklich betont habe. an der Iris und im Kammerwinkel wie scharf 


Zur Frage d. Netzhautanomalien in sonst norm. fótalen menschl. Augen. 217 


abgeschnitten aufhören. Wehrli scheint diese ausdrückliche Feststellung 
ganz übersehen zu haben, sonst wäre er vielleicht nicht in den Fehler ver- 
fallen, weiter hinten befindliche Veränderungen als entzündliche anzusehen, 
die es absulut nicht sind. Als solche betrachtet er vor allem die wenigen 
leukocytenähnlichen und von mir absichtlich als „Glaskörperzellen“ bezeich- 
neten Wanderzellen in der Gegend der Netzhautduplikatur. Ich muss mich 
dabei ernstlich gegen die Behauptung Wehrlis verwahren, dass ich diese 
Zellen als Leukocyten bezeichnet habe, sondern verweise die Leser dieser 
Diskussion auf meine Beschreibung auf S. 469 meiner Arbeit, in welcher 
ich die Art der Zellen unbestimmt lasse und mich darauf besehrünke, ihre 
Ähnlichkeit mit Leukocyten zu erwähnen. Ich habe mich erst nach reif- 
licher Überlegung so vorsichtig ausgedrückt, da ich wohl weiss, dass auch 
wandernde Gliazellen, oder allgemeiner gesprochen, wandernde Zellen reti- 
naler Abkunft eine täuschende Ähnlichkeit mit Leukocyten erhalten können, 
wovon ich mich selbst bei meinen Studien über die Entwicklung der Retina 
wiederholt überzeugen konnte. 

Aber gesetzt den Fall, Wehrli habe doch das Richtige getroffen, so wäre 
damit noch lange nicht erwiesen, dass an dieser Stelle Entzündungserscheinungen 
vorhanden sind, weil bekanntlich zum Begriffe der Entzündung mehr als ein paar 
Leukocyten gehört, und vor allem auch die entzündliche Exsudation unerlässlich ist. 

Wehrli glaubt diese allerdings in meinen Präparaten gefunden zu 
haben und zwar in Gestalt der kleinen rundlichen Hohlräume, welche sich 
in der inneren Körnerschicht dieser Netzhaut befinden und von denen auch 
einige in der Gegend der Netzhautanomalien zu sehen sind. Wehrli hat 
aber auch hier sowohl in meiner Beschreibung als in den Abbildungen die 
Hauptsache übersehen, nämlich das, dass die betreffenden Hohlräume leer 
sind und dass sie von mir schon in verschiedenen, sonst normalen fötalen 
Netzhäuten gefunden wurden. — Ein entzündliches Exsudat gerinnt bekannt- 
lich bei der Fixation in Zenkerscher Lösung und ist dann bei jeder und 
besonders bei der von mir angewandten Heidenhainschen Färbung so 
deutlich gefärbt, dass es in der mikrophotographischen Abbildung auf das 
deutlichste hervorgetreten wäre. , 

Ich kann aber noch hinzufügen, dass diese Lückenbildung in der inneren 
Körnerschicht nach meinen Erfahrungen zu den kadaverösen Veränderungen 
gehört, welche zuweilen offenbar schon sehr frühzeitig, ja vielleicht schon in 
der Agone auftritt und ganz für sich allein in sonst ausgezeichnet konser- 
vierten Netzhäuten vorkommen kann. Da in den Lücken bei keiner Fär- 
bung irgendein Inhalt zu finden ist, kann dieser nur in einem sehr eiweiss- 
armen Transsudat bestanden haben. In Augen, welehe ich unmittelbar post 
mortem enucleieren konnte, habe ich diese Lücken nie gefunden, dagegen 
des öfteren in solchen, welche 3 --4 Stunden später, also auch noeh sehr 
frühzeitig, zur Enucleation gelangten. Daraus schliesse ich, dass es sich um 
eine kadaveröse Veränderung handelt, die vielleicht nur dem fötalen Auge 
eirentümlich ist. 

Sollte aber trotz meiner Ausführungen doch noch für irgend jemand 
ein Zweifel an der Unabhüngizkeit der Netzhautanomalien von entzündlichen 
Veränderungen bestehen geblieben sein, dann darf ich ihn wohl auf meinen 
zweiten Beitrag und auf die dort bekannt gegebene, meines Erachtens 


218 R. Seefelder 


interessante Tatsache verweisen, dass in dem andern Auge des gleichen 
Falles an einer korrespondierenden Stelle die prinzipiell gleiche Anomalie 
verhanden ist, ohne dass an dieser Stelle eine leukocytenverdüchtige Zelle 
oder eine Lückenbildung nachzuweisen ist. 

Die Frage Wehrlis, welcher Art die epithelial umgeformten Zellen 
der Fig. 6 meiner ersten Publikation sein sollen, beantworte ich dahin, 
dass, da die Duplikatur sämtliche Netzhautschichten betrifft, Zellen aus allen 
Schichten, in erster Linie wohl die Sinnesepithelien, in Frage kommen. 
Nicht in Frage kommen jedoch „bei der Faltung verlagerte Ciliarepithelien", 
da die Duplikatur, wie die Abbildung zeigt, ganz ausserhalb des Bereiches 
der Pars ciliares retinae gelegen ist. 

Die Frage Wehrlis, ob auch Gefässzellen oder Lymphocyten in Be- 
tracht kommen könnten, wird von jedem in diesen Dingen Erfahrenen ver- 
neint werden. 

In der sonstigen Beurteilung dieses Falles stimme ich mit Wehrli 
vollständig überein und ich begreife deswegen nicht, warum er (S. 10) auch 
sie unter die kritische Lupe nimmt, um mit andern und zum Teil den 
gleichen Worten dasselbe zu sagen wie ich (S. 473), nämlich, dass die ganze 
Veränderung kein maligner Tumor bzw. kein Gliom ist. 

Darin bin ich von Wehrli, und wie es scheint, leider auch von 
Wintersteiner!) überhaupt arg missverstanden worden. Beide scheinen 
zu glauben, dass ich die Netzhautanomalien für Gliome halte, obwohl ich 
dies an keiner Stelle ausgesprochen, dafür aber wiederholt, so auch wieder 
in meinem letzten Artikel das Gegenteil betont habe. Ich bin nicht weiter 
gegangen, als dass ich „der Vermutung Raum gab, dass mit meinen Be- 
funden die Urformen der bekannten Gliomtypen gefunden seien“. Damit 
habe ich mich, glaube ich, reserviert genug ausgedrückt. Etwas vermuten 
ist doch nicht gleichbedeutend mit etwas behaupten. Und es kann doch 
irgendein Gegenstand die Form von einem andern haben, ohne mit ihm 
identisch zu sein. So und nieht anders lauten meine Worte und nicht 
anders waren sie gemeint. Man stelle sich doch die ersten Anfünge eines 
Glioms vor, welches, wie es vorkommt, vorzugsweise aus Rosetten besteht, 
und daneben ein anderes, in welchem die diffuse Kernwucherung vor- 
herrschend ist. Das erstere wird sich wahrscheinlich einmal in einem Stadium 
befinden, in welchem nur eine oder ein paar Rosetten vorhanden sind, und 
das andere wird auch nicht gleich ein grosser Tumor, sondern erst ein ganz 
kleines Zellknötehen sein. Und solche Veränderungen habe ich in sonst 
normalen fötalen Augen gefunden. Das sind doch wenigstens positive Be- 
funde, welche, so unbedeutend sie auch sind. zum ersten Male etwas Greif- 
bares darstellen, mag man über ihre Bedeutung für die Gliomgenese urteilen, 
wie man will. 

Wehrli stösst sich daran, dass ich keine Angaben über die Ursachen, 
welche zur vorzeitisen Ausstossung der betreffenden Fóten geführt haben, 
gemacht habe. Auch vermisst er Angaben über llereditit (besonders ob 
die Mütter gesund waren), und hält es für durchaus nicht gleichgültig, ob 


') Sitzungsbericht der ophthalmologischen Gesellschaft in Wien, 10. März 
1909. Ref. Zeitschr. f. Angenheilk. Juni 1909. 


Zur Frage d. Netzhautanomalien in sonst norm. fótalen menschl. Augen. 219 


wir es in meinen Füllen mit Früchten luetischer, tuberkulóser oder nephri- 
tischer Mütter zu tun haben usw. 

Dazu bemerke ich, dass nach meiner Ansicht die Kenntnis dieser Fragen 
in den vorliegenden Fällen vollständig gleichgültig ist, da es sich bei meinen 
Veränderungen um reine, lokale und minimale Entwieklungsanomalien han- 
delt, die ich, auch wenn die Anamnese nach irgendeiner Richtung hin noch 
so positiv ausgefallen wäre, unter keinen Umständen mit einem Allgemein- 
leiden der Mutter oder des Fötus in Zusammenhang zu bringen versucht 
hätte. Was die Art der Entbindung, ob spontan oder künstlich, mit den 
Netzhautanomalien zu tun haben soll, ist mir völlig unverständlich. 

Was meinen Fall I betrifft, so gebe ich zu, dass das dort gefundene 
Häufchen von Pigmentepithelien am Rande des Sehnervenstamms mit der 
Genese des Glioms nicht in direkten Zusammenhang zu bringen ist, wogegen 
es als ein Beispiel eines von seinem Mutterboden abgesprengten Zellkom- 
plexes zweifellos Beachtung verdient. Den Beweis dafür, „dass die Zellen 
wirklich die Bezeichnung embryonal verdienen“, glaube ich mir aber er- 
sparen zu können, dass ich dies gar nicht behauptet, sondern vielmehr (auf 
S. 478, Zeile 8 meiner Arbeit) die betreffenden Zellen ausdrücklich als höher 
differenzierte Elemente bezeichnet habe. 

Im übrigen will ich Wehrli gestehen, dass mir die Beibringung des 
geforderten Beweises auch keine allzugrossen Schwierigkeiten bereitet hätte, 
da in dem Auge eines 6 monatlichen Fótus fast alle Zellen mit einem gewissen 
Rechte als embryonal bezeichnet werden kónnen, und zwar gerade die Pig- 
mentepithelien, deren Entwicklung zu dieser Zeit noch lange nicht ab- 
geschlossen ist. 

Im Falle III findet Wehrli eine gewaltige Kernvermehrung des ganzen 
vorderen Sehnervenabschnittes samt angrenzender Netzhaut verknüpft mit 
einer offenkundigen starken Veränderung des Zwischengewebes, und er schliesst 
daraus, dass dieses Auge „ohne jeden Zweifel, wenn nicht total, so doch 
partiell blind gewesen wäre, sofern das Kind gelebt hätte. In diesem patlıo- 
logischen Substrat und nur da sind die Rosetten eingestreut inmitten stark 
veränderten Gewebes“. 

Darüber, ob das betreffende Auge total oder partiell blind gewesen 
wäre, möchte ich nicht streiten, sondern jedem Leser meiner Beschreibung 
überlassen, sich sein eigenes Urteil zu bilden. 

Ich konstatiere nur, dass die Nervenfasern der Retina, welche am 
Übergange in den Sehnerven auf der temporalen Seite allerdings teilweise 
etwas vom direkten Wege abgeirrt sind, schliesslich doch samt und sonders 
den richtigen Weg gefunden zu haben scheinen, da der Sehnerv schon ein 
wenig weiter rückwärts ein völlig normales Aussehen darbietet. 

Dass er in der nächsten Umgebung der Rosetten nicht ganz normal 
ist, habe ich in meiner Beschreibung selbst klar ausgesprochen, und ich bin 
ja auch vorzugsweise dureh diesen Umstand auf die Vermutung gekommen, 
dass die gefundenen Rosetten als dureh die einsprossenden und vom rich- 
tigen Wege etwas abpeirrten Nervenfasern abgedrüngte Zellkomplexe auf 
zufassen seien. Es ist also auch an der Beschreibung und Beurteilung 
dieses Falles nieht das geringste zu berichtiren und dem freien Ermessen 
Jedes Lesers anlıeim gegeben, ob er die Bezeichnung „sonst normal“ gelten 


` 


220 R. Seefelder 
lassen will oder nicht. Darüber noch zu diskutieren, hiesse einen Kampf 
um Worte führen, an dem ich mich nicht beteiligen möchte. 

Die Veränderungen des peripheren Sehnervenendes, über welche sich 
Wehrli „kein Urteil zu bilden vermag“, sind ziemlich eigenartig. Sie be- 
treffen hauptsächlich das zentrale Gliagewebe, welches uugewöhnlich breit und 
von vielen Kernen (Gliakernen) durchsetzt ist. Sie sind, wie gesagt, auf 
die zentraleren Abschnitte des Sehnerven beschränkt, so dass schon in ganz 
benachbarten Schnitten kaum noch Anzeichen davon nachzuweisen sind. 
Die Ursache dieser letzteren Veränderung erblicke ich zum grossen Teile in der 
für das Alter des Fötus ungewöhnlich breiten und tiefen physiologischen 
Excavation, welche auf diesem Auge doch wesentlich breiter und tiefer ist 
als auf dem andern. Diese wäre auch dem ophthalmoskopierenden Kliniker 
aufgefallen, doch wäre ihm dabei kaum der Gedanke an eine Anomalie 
aufgetaucht. 

Dass es sich aber bei den ganzen geschilderten und abgebildeten Ver- 
änderungen um eine in ihrer Genese weit zurückliegende Entwicklungsano- 
malie im wahren Sinne des Wortes handelt, und dass sie nicht durch eine 
fötale Erkrankung erzeugt worden sind, liegt meines Erachtens auf der Hand. 

Bei der Beschreibung meines Falles II habe ich es unterlassen, aus- 
drücklich zu erwähnen, dass der Riss im Präparate durch die Präparation 
entstanden ist. Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass seine Entstehung 
nach der beissegebenen Abbildung „unklar“ sein könne, habe aber Wehrli 
hiermit gerne darüber aufgeklärt. 

Auf S. 518 seiner Polemik macht mir Wehrli einen ganz unberech- 
tigten Vorwurf. 

Der Satz, dass die vor der Geburt und im späteren Kindesalter ent- 
standenen Gliome inach Wehrli bzw. Wintersteiner 20°,) unmöglich 
auf Blutungen intra partum zurückgeführt werden könnten, sei aus dem 
Zusammenhang gerissen, und ich hätte die daran sich anknüpfenden Nach- 
sätze nicht verschweigen sollen, aus denen hervorgehe, dass nur bei einem 
Teile der Fälle die Diagnose des Glioms sichergestellt, bei den übrigen da- 
gegen zweifelhaft sei. 

Der Vorwurf Wehrlis wäre nur dann begründet, wenn die nach 
Abzug der 20°, übrigbleibenden 80°, Gliome der Wintersteinerschen 
Statistik sämtlich völlig einwandsfrei erwiesene Gliome wären. Dies ist 
aber, wie schon eine tlüchtire Durchsicht der Wintersteinerschen Tabellen 
lehrt, bei diesen ebensowenig der Fall als bei den 201, und somit das 
Verhältnis von 80:20, soferne man hier, wie Wehrli. überhaupt mit be- 
stimmten Verhältniszahlen rechnen will, ungefähr wieder hergestellt. 

Was ieh aber in diesem Zusammenhanze verschwiegen habe, das ist 
ein Faktor, dessen Anführung sehr zu ungunsten der Wehrlischen 
Hypothese gesproehen hätte, nämlich die wohlbezründete Ansicht Winter- 
steiners, „dass sämtliche Fälle, welehe im Verlaufe des ersten oder viel- 
leicht auch des zweiten Lebensjahres zur Beobachtung gelangten und schon 
einen erkleeklich grossen Tumor zeigten, unter die konzenitalen zu rechnen 
seien, besonders wenn wir das ausserordentlich langsame Wachstum während 
des ersten. Stadiums in Rücksicht ziehen“. Da die Zahl dieser Fälle keine 
geringe ist, so blieben, die Richtigkeit der Wintersteinersehen Ansicht 


Zur Frage d. Netzhautanomalien in sonst norm. fótalen menschl Augen. 99] 


vorausgesetzt, überhaupt nicht mehr viele Gliome übrig, auf welche die 
Wehrlische Hypothese anwendbar wäre. Das hätte aber Wehrli unbe- 
dingt erwähnen müssen, als er die Wintersteinersche Statistik bemängelte 
und mich des Verschweigens und aus dem Zusammenhange Reissens be- 
zichtigte. 

Ebenso unbegründet ist ein Vorwurf, den mir Wehrli auf der nächsten 
Seite macht, wo er eine rein sachliche Äusserung meiner selbst, die ich 
Wehrli mit keinem Worte zugeschoben habe und zuschieben wollte, als 
eine Unterschiebung bezeichnet. Dass ich mir unter der Wehrlischen 
,reaktiven Zellvermehrung* früher mehr vorgestellt habe als jetzt, nachdem 
er uns diesen Begriff näher erläutert hat, gebe ich ihm gerne zu, bin aber 
überzeugt, dass es in dieser Hinsicht jedem Leser seiner Zeilen ebenso ge- 
gangen ist als wie mir. Wer sollte auch alınen, dass sich das Gliom aus 
„Zellwucherungen“ entwickelt, „welche auf den ersten Blick gar nicht sicht- 
bar sind“ usw. 

Was endlich die Frage der Netzhautblutungen anbetrifft, deren im all- 
gemeinen durchaus gutartiger Charakter auch in der von Wehrli angeführten 
Diskussion auf der letzten Heidelberger Versammlung anerkannt worden 
ist, so muss für mich vorläufig, so lange keine das Gegenteil beweisenden 
Untersuchungen vorliegen, die eigene anatomische Untersuchung der Augen 
von Kindern massgebend sein, welche 3—-7 Tage nach der Geburt gelebt 
und intra partum sehr zahlreiche und grosse Netzhautblutungen in den 
verschiedensten Netzhautschichten acquiriert hatten. Diese Untersuchung 
hat mir einwandsfrei ergeben, dass die Annahme Wehrlis, dass diese Netz- 
hautblutungen zu ,Zerreissungen und Gewebszertrümmerungen*, welche an 
den getroffenen Stellen eine „reaktive Zellvermehrung* hervorrufen, zu führen 
pflegen, für meine Fälle ebenso unzutrefiend ist als für die von Naumoff, 
welche 2—5 Tage gelebt haben. Wenn aber von einer solchen „reaktiven 
Zellvermehrung“ selbst 7 Tage nach der stattgehabten Läsion — und auch 
mit guten Färbungen (Held, Heidenhain usw.) nichts nachweisbar ist, 
dann kaun mich auch niemand davon überzeugen, dass sie je als der Aus- 
gangspunkt eines malignen Tumors in Frage kommt. 

Der Meinung Naumoffs, dass an den verletzten Stellen eine Entwick- 
lung von Bindegewebe unausbleiblich gewesen wäre, kann selbstverständlich 
nicht ohne weiteres die Bedeutung eines Gegenbeweises zugesprochen werden. 

Unbedenklich stimme ich aber mit Wehrli darin überein, dass bei 
den Blutungen aus den Netzhautgefässen des öfteren eine Läsion der die 
Gefässe einhüllenden gliösen Limitans perivascularis und der mit ihr ver- 
bundenen Gliafüsschen erfolgen wird, die dann einer Reparatur bedarf. Un- 
bewiesen und nach meinen Präparaten unwalırscheinlich ist dagegen die 
Ansicht Wehrlis, dass dieser Vorgang notwendigerweise mit dem "Tode von 
Gliazellen einhergehen muss, auf welchen die benachbarten Gliazellen 
mit einer „reaktiven Zellvermehrung“ antworten müssten. Wenn aber kein 
Zelltod einer Gliazelle erfolgt, dann ist zur Reparatur der Läsionen keine 
Zellteilung erforderlich, sondern die Regeneration kann einzig und allein von 
seiten der schon vorhandenen Gliazellen ertolgen, welche durch den einen 
oder andern ihrer zahlreichen protoplasmatischen Ausläufer mit der Tämitans 
perivascularis zusammenhängen, und auch schon seinerzeit an ihrer Bildung 





222 R. Seefelder, Zur Frage der Netzhautanomalien usw. 


mit beteiligt waren. Ich darf wohl ferner noch darauf aufmerksam machen, 
dass Sala (Über die Regenerationserscheinungen im zentralen Nervensystem, 
Anat Anzeiger Bd. XXXIV, 1909) sogar an den durchschnittenen Achsen- 
cylindern der Pyramidenzellen des Gehirns eine Neubildung von Fasern 
ohne die von Wehrli postulierte Zellteilung beobachtet hat. Wie viel mehr 
werden die weit niedriger stehenden Gliazellen zur Produktion von faserigen 
und protoplasmatischen Fortsätzen ohne Zellteilung befähigt sein! 

Das sind die andern in Betracht kommenden Faktoren der Regenera- 
tion, welche ich mit dem Satze gemeint habe, dass regenerative’ Prozesse 
gewöhnlich nicht ausschliesslich in Zellwucherungen bestehen, und welche 
Wehrli in den Lehrbüchern der normalen und pathologischen Anatomie 
vergeblich gesucht zu haben angibt. 

Auf alle Einzelheiten der Wehrlischen Polemik einzugehen, würde zu 
weit führen und einen viel grösseren Raum beanspruchen, als nach meinem 
Ermessen der Wichtigkeit der ganzen Angelegenheit entspricht. Nur eines 
Punktes sei noch gedacht. Wehrli zeiht mich des absoluten Nihilismus, 
weil ich erkläre, dass- wir über die Ursachen der Genese der malignen Ge- 
schwülste nichts wissen, und er beruft sich dabei darauf, dass wir uns in 
der Zeit von „Darwins“ Jahrhundertfeier befinden, als ob dieser Umstand 
etwas mit der Gliomgenese zu tun hätte. Diesen Äusserungen gegenüber 
stelle ich nochmals folgendes fest: 

Das Problem der Gliomgenese fällt mit dem der Genese der 
malignen Geschwülste überhaupt zusammen. Welches die Ur- 
sachen der Genese der malignen Geschwülste sind, wissen wir 
nicht. Alles, was darüber gesprochen und geschrieben worden 
ist, ist und bleibt bis heute Hypothese. 

Dies zu leugnen, wäre gleichbedeutend mit einer vollständigen Verken- 
nung des heutigen Standes der Geschwulstlehre. 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung 
der ,Leukine* für die Heilung infektióser Bindehaut- 
entzündungen. 


Von 
Dr. Rudolf Schneider. 


Mit einer Figur im Text. 


Einleitung. 

Die neuere Immunitätsforschung hat unsere Kenntnisse von den 
natürlichen Schutzmitteln des Körpers bedeutend erweitert. Eine Fülle 
von Tatsachen wurde gefunden, die das Wesen der natürlichen Resistenz 
immer noch komplizierter erscheinen und eine ganze Reihe neuer 
Theorien. auftauchen liessen. Es soll nicht geleugnet werden, dass 
dadurch die Unsicherheit unserer Vorstellungen von den Abwehrvor- 
richtungen des Organismus vermehrt worden sind; wenn aber Sauer- 
beck (1) seine vorzügliche letzte Zusammenfassung mit „die Krise in 
der Immunitätsforschung“ betitelt, so darf dies nicht dahin verstanden 
werden, als ob durch die neuen Erfahrungen und Theorien der Bau 
der Immunitätsforschung in den Grundfesten erschüttert sei. 

Sind auch die humorale und die celluläre Theorie in ihrer ur- 
sprünglichen Form nicht mehr aufrecht zu erhalten, so sind sie deshalb 
noch lange nicht abgetan. Es handelt sich in der gegenwärtigen „Krise“ 
nieht um Sein oder Nichtsein der klassischen Theorien Buchners 
und Metschnikoffs. Im Gegenteil, man darf wohl behaupten, dass 
durch die fortschreitende Erforschung der natürlichen antibakteriellen 
Immunität beide Theorien nur ergänzt, dadurch in vielen Beziehungen 
näher gebracht und einer gerechten Würdigung zugeführt worden sind. 

Nichts anderes ist durch die Arbeiten von Wright, Gruber 
u. A. geschehen, auf «denen die Opsonintheorie aufgebaut ist. Wenn 
diese Autoren im normalen Plasma und Serum und Verfasser im 
regenerierten Vorderkammerwasser thermolabile Stoffe, „Opsonine* ge- 
funden haben, welche die Bakterien so beeintlussen, dass sie von den 
I«ukocyten gefressen werden, so erhellt daraus, wie schr die Phago- 
cvten. auf die Unterstützung aktiver gelöster Substanzen des Blutes 
und der Gewebsflüssigkeiten angewiesen sind. 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, LXXIII. 2. 15 


991 R. Schneider 


Set 


Eine ähnliche vermittelnde Stellung nehmen Neufeld und 
Rimpau mit ihrer Bakteriotropintheorie in bezug auf die Ver- 
hältnisse beim immunisierten Tiere ein. Nach ihnen sollen neben den 
bakteriolytischen Antikörpern im Immunserum thermostabile Stoffe, 
„Bakteriotropine“ existieren, welche in spezifischer Weise die Bakterien 
für die Phagocytose vorbereiten. 

Die Agressinlehre Bails dagegen ist lediglich die klarere und 
präcisere Form der Phagocytentheorie Metschnikoffs. Wie dieser 
erblickt Bail in den Leukocyten allein die ausreichende Schutzwehr 
des Organismus. Werden sie durch die von den Bakterien gebildeten 
Angrifisstoffe, „Aggressine“ lahmgelegt, so kommt es zur Infektion. 
Durch Immunisierung mit Aggressinen werden Antiaggressine produ- 
ziert und diese vermögen die die Phagocytose unterdrückende Wirkung 
(der bakteriellen Angriffsstoffe zu neutralisieren. Es haben also hierbei 
die Kórpersüfte nur insofern eine Bedeutung, als sie die Phagocytose 
ermóglichen und begünstigen. 

Inwieweit die neuen Untersuchungen über die strukturellen Ver- 
änderungen, welche die Bakterien im Verlaufe der Infektion erleiden 
(Bail, Gruber, Ascoli), auf die Lehre von der autibakteriellen Im- 
munität modifizierend einwirken werden, lässt sich jetzt noch ebenso- 
wenig beurteilen wie die Bedeutung einiger anderer Theorien neuesten 
Datums. 

Haben so in den letzten Jahren die Leukocyten als Verteidiger 
des Körpers endlich auch bei den deutschen Forschern die ihnen ge- 
bührende Anerkennung gefunden und neigt man vielleicht gegenwärtig 
mehr der cellulären Auffassung der Immunität zu, so wurde die Be- 
rechtigung der humoralen besonders durch die Arbeiten von Gruber 
und Futaki sowie vom Verfasser in jüngster Zeit von neuem be- 
stiitigt. 

Gruber und Futaki (2 u. 3) haben bei ihren Studien über die 
Milzbrandinfektion festgestellt, dass das im Blute kreisende Alexin, 
das an der Vernichtung so zahlreicher Bakterien beteiligt ist, jeder 
Wirkung auf den Milzbrandbacillus entbehrt. 

Statt dessen stehen dem tierischen Organismus Abwehrmittel gegen 
den Milzbrandbacillus in den Leukocyten und Blutplättchen und deren 
Stoften zur Verfügung. Die Leukoerten kommen in dreifacher Richtung 
als Schutztruppen in Betracht; einmal können sie sich als Phagocyten 
betätigen, indem sie die Milzbrandbacillen auffressen und verdauen, 
dann können sie, wie sie es besonders beim Kaninchen und Meer- 
schweinchen tun, durch „Umklammerung* und „Kontaktverdauung” 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 995 


der Bacillen Herr werden, und schliesslich können sie zu deren extra- 
cellulären Vernichtung dadurch beitragen, dass sie anthrakocide Stoffe 
unter Einwirkung der normalen Lymphe oder Stauungslymphe im 
Unterhautzellgewebe abgeben. | 

Die Blutplättchen des Kaninchens und der Ratte, die sich nach 
einer vom Verfasser (4 u. 5) angegebenen Methode reichlich und bequem 
gewinnen lassen, sind durch einen enormen Gehalt an milzbrandfeind- 
lichen Substanzen, den „Plakinen“ ausgezeichnet, die ihnen durch 
verschiedene Extraktionsmittel entzogen werden können und die in 
einem gewissen Stadium der Milzbrandinfektion auch in das Plasma 
des lebenden Tieres übergehen. 

Gegen all diese Schutzwehren wappnet sich seinerseits der Milz- 
brandbacillus in den tierischen Säften durch Bildung einer Kapsel, 
die ihn vor der Phagocytose und der Umklammerung schützt und die 
Plättchen von der Abgabe ihres Plakines abhält. In der Verhütung 
der Kapselbildung durch den raschen Untergang, welchen die Milz- 
brandbacillen extracellulär im Unterhautzellgewebe finden, haben Gruber 
und Futaki die lang gesuchte Ursache für die Unempfänglichkeit 
des Hundes und Huhnes erkannt, während die Wehrlosigkeit des 
Kaninchens und des Meerschweinchens trotz all seiner Schutzeinrich- 
tungen, sich aus der geringen Wirksamkeit der Unterhautlymphe und 
der Fähigkeit des Milzbrandbacillus in letzterer Kapseln zu bilden, 
erklärt. Fürwahr ein glänzender Beweis für die Bedeutung der Säfte- 
baktericidie! 

Die Untersuchungen, welche Verfasser (6u.7) gleichzeitig mit 
den Studien Grubers und Futakis angestellt hat, erstrecken sich 
auf die baktericide und hämolytische Wirkung der tierischen Gewebs- 
flüssigkeiten überhaupt und ihre Beziehungen zu den Leukocyten. 
Dass letztere baktericide Stoffe enthalten, war schon durch die Ar- 
beiten von Denys und seinen Schülern sowie besonders durch Buchner 
und seine Mitarbeiter Hahn und Trommsdorff mit Sicherheit er- 
wiesen. Buchner identifizierte bekanntlich die Leukocytenstoffe mit 
dem Alexin des cirkulierenden Blutes, das er wie das histolytische 
Enzym, das. Leber in den Leukocyten nachgewiesen hatte, für ein 
von den lebenden Leukocyten, „Alexoeyten“ secerniertes Endoenzym 
hielt. Dem gegenüber bezeichnete Metschnikoff und seine Schüler 
das Alexin des Blutserums für ein Absterbeprodukt der Leukocyten, 
das er je nach seiner Herkunft von den polymorphkernigen Leuko- 
cyten, den „Mikrocyten“ oder den mononukleären Leukoeyten, den 
„Makrocyten“, Mikroeytase oder Makrocytase nannte. Diese sollte 

15* 


296 R. Schneider 


ind 


hämolytische, jene baktericide Funktion haben und beide sollten im 
cirkulierenden Blute fehlen und im lebenden Tiere nur intracellulär 
zur Geltung kommen. 

Buchners wie Metschnikoffs Ansicht blieb nicht unwider- 
sprochen und, wie die Zusammenstellung in Verfassers Arbeit (loc. 
cit.) dartut, knüpfte sich im Laufe der Jahre eine ziemlich umfang- 
reiche Literatur an die Frage des leukocytären Ursprunges des Alexins. 
ohne jedoch deren Lösung herbeiführen zu können. 

Das Ergebnis der eigenen Untersuchungen ist nun, dass die polv- 
morphkernigen Leukocyten’die in ihnen enthaltenen baktericiden Sub- 
stanzen weniger bei ihrem Zugrundegehen als infolge einer vitalen 
sekretorischen Tätigkeit abgeben können. Die Leukocytenstoffe vom 
Verfasser „Leukine“ genannt, weichen in vieler Beziehung von dem 
Alexin ab und zeichnen sich u. a. durch Thermostabilität und be- 
sonders dadurch aus, dass ihre Wirkung sich auch auf Mikroorganismen 
erstreckt, gegen die das Serum nichts vermag. Sie sind also wohl 
charakterisierte Substanzen eigener Art und spielen, wie ja auch die 
Versuche von Gruber und Futaki beweisen, neben dem Blutalexin 
und dem Plakin bei der humoralen Baktericidie eine Rolle, verdankt 
doch die Lymphe des Unterhautzellgewebes ihre baktericide Wirkung 
hauptsächlich ihrem Gehalte an Leukinen, und in frischen leukocyten- 
reichen Exsudaten der Pleura- und Peritonealhóhle wird man sie kaum 
vermissen. 

Aus den mononukleären Leukoeyten, die sich wie die polymorph- 
kernigen an der Phagocytose und intracellulären Verdauung von Bak- 
terien beteiligen können, liessen sich weder bakterieide noch hämolv- 
tische Stoffe extrahieren. 

Die. Blutplättchen betätigen sich in Übereinstimmung mit früheren 
eigenen Versuchen und denen von Gruber und Futaki sowie von 
Ohtaki(8) als die Spender von Substanzen, deren abtötende Wirkung 
sich nur auf den Milzbrandbacillus und seine Verwandten erstreckt. 

In dem Bestreben, obige Beobachtungen aus dem Gebiete der 
Immmunitätsforschung auch dem speziellen Fache der Ophthalmologie 
nutzbar zu machen, wurden die folgenden experimentellen Untersuchun- 
gen angestellt, welche die Bedeutung der „Leukine“ für die Hei- 
lung der infektiösen Bindehauterkrankungen klarlegen sollten. 

Die Lösung dieser Frage wurde in der Weise in Angriff ge- 
nommen, dass nach Applikation der bei der Behandlung von Con- 
junctivitiden am meisten verwandten Heilmittel das im Bindehautsack 
sich bildende Sekret anf seine antibakterielle Wirksamkeit geprüft wurde. 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 227 


Dabei ergab sich von selbst die Notwendigkeit, vorerst festzu- 
stellen, wie sich die normale Tränen- und Conjunctivalflüs- 
sigkeit hinsichtlich ihres Gehaltes an bakteriolytischen 
Substanzen verhält, eine Frage, die, wie mir scheint, trotz viel- 
facher Bearbeitung noch nicht definitiv gelöst ist. 


Über die bakteriolytischen Eigenschaften der normalen Tränen- 
flüssigkeit. 


Die bakterientötende Funktion der Tränen fand hauptsächlich 
als einer der bei der Selbstreinigung des Bindehautsackes beteiligten 
Faktoren Beachtung. 

Schon die gute Heilung operativer Wunden am Auge in der 
vorantiseptischen Zeit im Vergleich zu der Häufigkeit der Eiterungen 
chirurgischer Wunden an andern Stellen wies darauf hin, dass das 
Auge über besondere Schutzvorrichtungen verfügen müsse, welche die 
Vermehrung von Eitererregern verhindern. Wie anders wäre es ferner 
bei der Ubiquität der Bakterien und der freien Kommunikation nit 
der Aussenwelt, durch die der Conjunctivalsack der Infektion durch 
die verschiedensten Bakterien preisgegeben ist, denkbar, dass nicht 
öfters Wundinfektionen und ausgedehnte Bakterienansiedelungen in dem 
als Aufenthaltsort für Mikroorganismen an sich nicht ungeeigneten 
Bindehautsacke zu stande kämen. 

Wir wissen, dass auch die normale Conjunetiva die mannigfaltigsten 
— auch pathogene — Keime beherbergen kann, und dennoch besitzt 
sie eine geringe Infizierbarkeit. 

Zur Allgemeininfektion von der Conjunetiva aus dürfte es nur 
in den seltensten Fällen kommen; hat doch Römer (9) durch seine 
Untersuchungen gezeigt, dass die intakte Bindehaut den pathogenen 
(Milzbrand-) Keimen einen erheblichen Widerstand entgegensetzt, 
wie denn nur in einzelnen Fällen hineingebrachter Staub im Verein 
mit gleichzeitigem Reiben den als Infektionserreger benutzten Milz- 
brandbacillen den Weg in die Lymphbahnen und so zur allgemeinen 
Uberschwemmung des Organismus eröffnete. 

Der lokalen Vermehrung der im Bindehautsacke vorhandenen 
Keime wirken eine Reihe Momente entgegen, die in ihrer Bedeutung 
für seine Selbstreinigung verschieden bewertet worden sind. 

Sehen wir von dem Umstande ab, dass ununterbrochen die ober- 
Hlächlichsten Epithelien mit den an ihnen haftenden Keimen abge- 
stossen werden, und dass die pathogenen Pakterienarten im Conjune- 


228 R. Schneider 


tivalsack durch Saprophyten überwuchert werden können, so kommen 
für die Regulierung des Keimgehaltes vor allem. der Lidschlag und 
der Tränenstrom in Betracht. 


I. Literaturübersicht. 


Die mechanische Bedeutung dieser Momente hatten schon Horner (10), 
John (11), Widmark (12), Michel(13), Gombert (14) und Leber (15) 
hervorgehoben. 

Van Genderen Stort (16) hat zuerst experimentell gezeigt, wie durch 
den mechanischen Vorgang des Wegspülens eine bedeutende Verringerung 
des Keimgehaltes des Bindehautsackes bewirkt wird. Kolibacillen, welche 
in grossen Mengen in den Conjunctivalsack von Kaninchen gebracht waren, 
liessen sich bereits nach einer Stunde nicht mehr in ihm nachweisen und wurden 
statt dessen in der Nasenhöhle gefunden. War aber der Abfluss der Tränen 
nach der Nase durch Verlegung der Tränenspalte verhindert, so war von 
einer Abnahme der Bacillen in den im Bindehautsack angesammelten Tränen 
nichts zu bemerken. Van Genderen Stort erblickt daher den Grund 
für den geringen Keimgehalt des Conjunctivalsackes in dem Transport der 
Keime nach der Nasenhöhle und nicht etwa in der bakterientötenden Eigen- 
schaft der Tränen. 

Dass jedoch letztere existiert, hat Bernheim(17), der baktericide Ver- 
suche mit Tränen im Reagenzglase angestellt hat, beobachtet. Hinsichtlich 
der Gewinnung der notwendigen Quantitäten von Tränen sei hier eigens 
betont, dass das Untersuchungsmaterial von Augen, die an Keratitis und 
Conjunctivitis ekzematosa mit starkem Tränenträufeln litten, herrührte und 
dass Tränen gesunder Augen dadurch verschafft wurden, dass durch Ein- 
atmen von Ammoniakdämpfen Tränenträufeln erzeugt worden war. Die 
Tränen, welche meist leicht getrübt waren, wurden mit einem kleinen 
Apparat, der aus einem Kautschukballon, Verbindungsrohr, Rezipienten und 
kapillarem Saugrohr bestand, aus dem Bindehautsack aufgesaugt. Die 
Wirkung der Tränen wurde gegenüber dem Staphylococeus pyogenes aureus, 
Bacillus subtilis und dem Micrococcus prodigiosus geprüft. Die Versuche 
liessen einen deutlichen bakterieiden Einfluss auf die Staphylokokken bei 
kleinen und mittleren Einsaaten erkennen, der Bacillus subtilis wurde in 
ausserordentlich rascher Weise vernichtet, während dem Micrococcus prodi- 
giosus gegenüber die Tränen nichts vermochten. Bernheim weist auf 
den Unterschied zwischen Tränen und Blutserum hin, welches nach den 
damals vorliegenden Versuchen von Nuttall (18) und Nissen (19) olıne 
jede Wirkung auf den Staphylococcus sich gezeigt hatte. Auch fiel ihm 
die Tatsache auf, dass die Tränen im Gegensatz zu dem Blutserum in 
einzelnen Fällen ein Erhitzen auf 58° olıne Einbusse ihrer antibakteriellen 
Funktion vertragen hatten. Bei Besprechung der etwaigen Ursachen hier- 
für drückt Bernheim die Vermutung aus, es könne vielleicht die bakterien- 
tötende Eigenschaft der Tränen andersartig und abhängig von andern Ei- 
weisskörpern als die des Serums sein; dass der Salzgehalt der Tränen nicht 
schuld ist, hatte Bernheim durch eigene Versuche konstatiert. 

Eine Ergänzung und Bestätigung der Untersuchungen Bernheims 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine‘“ usw. 229 


bildet die Arbeit Marthens (20). Seine Versuchsanordnung war im wesent- 
lichen dieselbe wie diejenige Bernheims. In Speziellen stammten die 
untersuchten Tränen ebenfalls von Patienten, die infolge Keratitis interstitialis 
und Conjunctivitis ekzematosa an starkem Tränenträufeln litten. Als Test- 
objekte benutzte Marthen (20) verschiedene Mikroorganismen, die aus dem 
menschlichen Bindehautsack gezüchtet waren. Von diesen Keimen erfuhren 
die meisten entschieden eine Verminderung, manche eine langsame unsichere 
Abtötung und einzelne eine Vermehrung. Auf Grund seiner Versuchs- 
reihen erblickt Marthen in der bakterienfeindlichen Eigenschaft der Tränen- 
flüssigkeit neben dem Lidschlage die Schutzvorrichtung, welche die Ober- 
fläche der Conjunctiva vor der Invasion der Mikroorganismen schütze. Die 
Tränen spielen dabei die Hauptrolle, während der Lidschlag lediglich die 
gleichmässige Bespülung der Conjunctiva zu besorgen habe. 

Dem gegenüber kommt. Bach (21) bei seinen Untersuchungen zu dem 
Resultat, dass der Keimgehalt des Bindehautsackes in erster Linie durch 
die mechanische Wegschwemmung der Bakterien nach der Nase beeinflusst 
wird. Brachte Bach den leicht nachweisbaren roten Kieler Wasserbacillus 
auf die menschliche Conjunctiva, so konnte er letzteren in dem Grade, 
wie er aus dem Conjunctivalsack verschwand, in der Nase auftreten und 
an Zahl zunehmen sehen. 

Dass jedoch den Tränen auch eine bakterienfeindliche Wirkung zu- 
"kommt, ging aus der grossen Mehrzahl seiner Versuche hervor. Auch 
Bach gewann nach dem Beispiele obiger Autoren sein Untersuchungs- 
material von Kindern, die an Conjunctivitis und Keratitis ekzematosa litten, 
und andern Patienten, die bei normaler Bindehaut starke Epiphora zeigten. 
Die Tränen wurden mittels eines Saugapparates aus dem unteren Teil des 
Bindehautsackes gesammelt und waren meist mehr oder minder flockig ge- 
trübt. Bei 19 baktericiden Versuchen mit Staphylococcus pyogenes aureus 
trat in der Regel Keimverminderung und nur 4mal Keimvermehrung ein. 
Die bakterienfeindliche Eigenschaft blieb in 16 Fällen, in denen die Tränen 
eine Stunde auf 58° erhitzt waren, ganz oder zum Teil erhalten. Während 
auch Typhusbacillen abgetötet wurden, konnten sich der Kieler Wasser- 
bacillus und die Sareina aurantiaca ungehemmt in den Tränen entwickeln. 

Im Bestreben den wirksamen Bestandteil der Tränen zu eruieren, 
stellte Bach eine Reihe Untersuchungen mit verschiedenartigen Salzlösungen 
und Pferdeblutserumdialvsat an und kam zu dem Schluss, dass die keiinver- 
nichtende Aktion der Tränen unabhängig von ihrem Gehalt an Serumalbumin 
sei und vielleicht in einer gewissen Beziehung zu ihrem Salzgehalt stelie. 

Von der immerhin hohen Bewertung, die Bach in vorstehender Arbeit 
der bakterieiden Eigenschaft der Tränen angedeihen liess und die er dann 
noch Ahlstroem gegenüber verteidigt hatte (22), scheint er einer späteren 
Publikation (23) nach zu schliessen abgekommen zu sein, wenn er den Lid- 
schlag, ohne den nach Schirmer(24) keine Tränen abgeleitet werden, als 
den wichtigsten Faktor bei der Reinigung des Bindehautsackes bezeichnet 
und die Wirkung der Tränen als eine chemische mit derjenigen der Koch- 
salzlósung vergleicht. 

Hatten die bisher citierten Autoren in den von ihnen geprüften „Tränen“ 
das gemischte Sekret der Tränendrüse und der Bindehaut verwendet, so 


230 R. Schneider 


war Ahlstroem (25) der Erste, der in der fraglichen Hinsicht echte Tränen, 
d. h. das Sekretionsprodukt der Glandula lacrimalis untersuchte. Ahlstroem 
bekam einen seltenen Fall zur Beobachtung, bei dem sich im Anschluss an 
eine akute Dakryoadenitis eine Fistel der Tränendrüse gebildet hatte. Ehe 
er diese schloss, benutzte er die günstige Gelegenheit, sich mit Hilfe einer 
kleinen Retorte, deren Spitze er in den Fistelgang einführte, eine hin- 
reichende Menge Tränenflüssigkeit zu verschaffen, um diese auf ihr bakteri- 
cides Vermögen gegenüber Staphylokokken zu prüfen. Das Ergebnis war 
eine Wachstumshemmung der eingesäten Keime, die Ahlstroem als durch 
das ungünstige Medium bedingt auffasste. Vergleichshalber verschaffte er 
sich auch Tränen von Kindern mit phlyktänulösen Augenaffektionen und 
konstatierte bei diesen einen schwachen abtötenden Einfluss auf die Staphy- 
lokokken. Den Unterschied in der Wirkung der beiden Tränenflüssigkeiten 
erklärte sich der Autor aus der verschiedenen chemischen Zusammensetzung, 
indem die Tränen aus der Fistel stärkere alkalische Reaktion zeigten als 
die aus dem Bindehautsack gesammelten. Jedenfalls spricht er den Tränen 
eine eigentliche bakterieide Kraft ab und schreibt die Beseitigung der Keime 
den mechanischen Momenten zu. 

Versuche von G oufrein (26) galten der Widerlegung von Valude (27). 
Diesem war es nicht gelungen, bei Kaninchen durch Injektion von wäss- 
riger Tuberkelbacillenemulsion in den Tränensack dessen tuberkulöse Er- 
krankung zu erzeugen, und hatte das negative Resultat auf eine dre 
Tuberkelbacillen schädigende Wirkung der Tränenflüssigkeit zurückgeführt. 
Goufrein nun glaubte die Unhaltbarkeit dieser Anschauung damit dar- 
getan zu haben, dass er bei normalen Kaninchen und bei solchen, denen 
er 2—3 Wochen vorher die Tränendrüse exstirpiert hatte, durch Einver- 
leibung von Tuberkelbacillen-Reinkultur in den Tränensack ausnahmslos 
typische Tränensacktuberkulose hervorrufen konnte. 

Trotzdem beharrt Valude (28) in einer späteren Arbeit auf seinem 
ursprünglichen Standpunkt. Er hatte einer Frau wegen Epitheliom der 
Lider die Lidränder samt den Tränenröhrchen reseziert. Als nach 1!j, Jahren 
die Patientin ihn wieder aufsuchte, hatte sie vor dem operierten rezidivfrei 
gebliebenen Auge einen stattlichen 'Tumor, der sich durch Ansammlung von 
Tränen unter der Conjunctiva gebildet hatte. Die 22 ccm betragende Re- 
tentionsflüssigkeit erwies sich steril, opaleszierte leicht und enthielt feine 
Flocken, die sich beim Stehen zu Boden senkten. In dieser Flüssigkeit 
starben Milzbrandbacillen und Staphylokokken in 14 bzw. 8 Tagen ab, 
Kolibacillen in grösserer Menge eingesät, vermehrten sich erst, um dann 
allmählich zu degenerieren, während Tuberkelbaeillen wohl in ihr wuchsen, 
aber ihre Virulenz verloren. Aus diesen Versuchen schliesst er von neuem, 
dass die Tränen ein schlechter Nährboden für Mikroorganismen sind. Auch 
er findet in der alkalischen Reaktion ein für die Vernichtung der Keime 
förderliches Moment, hatte er doch 3 mal unter 80 darauf untersuchten 
Fällen bei Patienten mit sauer reagierenden Tränen postoperative Infektion 
beobachtet. 

Zur Erlangung reichlicherer Quantitäten Tränen benutzten De Bono 
und Friseco (24) grössere Tiere: Esel, Ziegen und Kälber, denen sie die 
Flüssigkeiten aus dem Bindehautsack mit einer entsprechend gestalteten 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 231 


Pipette entnahmen; eine ausgiebigere Sekretion der Tränendrüse erreichten 
sie dabei durch Berührung der Cornea mit der Pipettenspitze und leichte 
Massage. Die in vitro geprüfte Wirkung gegen Typhus-, Cholera-, Diphtherie- 
bacillen und Staphylokokken war im günstigsten Falle als eine Wachstums- 
hemmung zu bezeichnen. Eine Abschwächung der Virulenz und Giftigkeit 
verursachten diese Tiertränen bei Koli- und 'Typhusbacillen sowie Diphtherie- 
gift, während sie Tuberkelbacillen, Milzbrandbacillen und Staphylokokken 
unbeeinflusst liessen. Eine Bakterienausscheidung durch die Tränen nach 
subcutaner oder intravenöser Infektion mit Milzbrand- und Prodigiosus- 
bacillen sowie Pneumokokken kam weder unter normalen Verhältnissen, noch 
wenn den Tieren (Hund und Kaninchen) der Nervus lacrimalis durchschnitten 
war, vor. Nur in 4 Fällen, in denen den Kaninchen der Halssympathicus 
durchtrennt war, konnten sie, wie sie annehmen, infolge der Gefässlähmung 
nach frühestens 30 Stunden in den Tränen lebende Milzbrandbacillen feststellen. 

Nach Römer (loc. cit.) kommt den Tränen die Fähigkeit, infektiöses 
Material abzutöten, nicht zu. Bis zu 8 Tagen fand er im Bindehautsack 
von Kaninchen und Meerschweinchen, denen nach der Implantation die 
Lider vernäht waren, vollvirulente und lebensfähige Milzbrandsporen. Wenn 
daher auch ein gewisser entwicklungshemmender Einfluss den Tränen zu- 
zusprechen sei, so sei ihre Hauptwirkung doch in der mechanischen Fort- 
spülung und ständigen Verdünnung des Keimgehaltes zu suchen. In diesem 
Sinne spräche auch der Umstand, dass dort, wo der normale Abfluss der 
Tränen behindert sei, so unter dem Verbande und bei Erkrankung der Tränen- 
wege, die Zahl der Keime zunimmt. Auch die Ergebnisse seiner Staub- 
versuche können als Beweise für seine Anschauung dienen. Brachte er 
zugleich mit Milzbrandbacillen einige Ösen sterilen Staubes verschiedener 
Provenienz in den Bindehautsack von Kaninchen und Meerschweinen, so 
stieg, obgleich durch den Staub eine Vermehrung der Reizung des Auges, 
der conjunctivalen Hyperämie und der Tränensekretion eingesetzt hatte, 
der Keimgehalt des Bindehautsackes ausserordentlich. 

Der Beimischung von Alexinen verdanken, wie Helleberg (30) an- 
nimmt, die Tränen das Staphylokokken tötende Vermögen, das er bei seinen 
Versuchen in geringem und nicht immer gleich deutlichem Grade gefunden 
hatte und das durch Erhitzen auf 58° aufgehoben wurde. 

Plaut und Zelewski(31) hatte Axenfeld die Aufgabe gestellt, den 
Widerspruch zu erklären, der dadurch gegeben ist, dass die 'Tränensack- 
exstirpation auf der einen Seite die für die physiologische Selbstreinigung 
des Bindehautsackes wichtige Ableitung der Tränen aufhebt und auf der 
andern eine von der Conjunctiva zu befürchtende Infektion geradezu ausschaltet. 
Sie untersuchten im ganzen 40 Bindehäute von Patienten, deren Tränen- 
säcke exstirpiert waren, auf ihren Keimgehalt. Von diesen konnten 30 als 
klinisch gesund gelten; alle 30 waren stark bakterienhaltig, und zwar wurde 
29 mal Xerosebacillen, 17 mal Staphylococcus albus, 6 mal Staphylococcus 
aureus, 2 mal Pneumokokken und 3 mal Diplobacillen gefunden. Die Zahl 
der mit einer Doppelöse aus der unteren Übergangsfalte abgeimpften Bak- 
terien war im Vergleich zu der von normalen Conjunctiven mit normalem 
Tränenabfluss sehr gesteigert. Wenn trotzdem die Bindehaut klinisch normal 
war, so erhellt daraus, dass die Tränensackexstirpation nur eine quantitative 


232 R. Schneider 


Vermehrung, aber keine Virulenzsteigerung und Erhöhung der Infektiosität 
im Gefolge habe. Damit sei auch ein Schluss auf die grosse Bedeutung 
der mechanischen Fortspülung und auf die untergeordnete Rolle, welche die 
bakterieiden Eigenschaften der Tränen spielen, gestattet. — 

So schreibt denn auch Axenfeld (32) den Tränen nur eine beschränkte 
Bakterieidie zu. Ausschliessen möchte er sie gänzlich für die Bacillen der 
Diphtheriegruppe, nachdem er die enorme Vermehrung der Xerosebacillen in 
den eben angeführten Versuchen von Plaut und Zelewski gesehen hat. 
Und wenn auch eine gewisse bakterientötende Rolle den Tränen dem 
Staphylococcus aureus gegenüber zukomme, so sei sie nicht für andere 
Infektionserreger erwiesen. Wünschenswert seien daher vor allem Unter- 
suchungen, in denen die Wirkung der Tränen auf andere für die Conjunc- 
tiva wichtige pathogene Keime geprüft würden. Versuche, die Blair mit 
Gonokokken und Ogawa mit Pneumokokken in seinem Laboratorium an- 
gestellt haben, ergeben keine Baktericidie; sie scheinen aber nicht zu einer 
völligen Entscheidung dieser Frage geführt zu haben, hält er selbst sie doch 
noch der Ergänzung und Vervollständigung bedürftig. 

Von den als Erreger von Conjunctivitiden in Betracht kommenden 
Mikroorganismen hat in neuerer Zeit zur Nedden (33) einen aus einer 
Hypopyonkeratitis gezüchteten Diplobaeillus Morax-Axenfeld, welcher hin- 
sichtlich seines Wachstums auf künstlichen Nährböden ausnahmsweise so 
anspruchslos war, dass er auf Glycerinagar gedieh, als willkommenes Test- 
objekt neben Typhus- und Dysenteriebacillen benutzt. Er experimentierte 
zunächst mit Tränen von normalen und katarrhalisch erkrankten Binde- 
häuten — über ihre Gewinnung wird nichts Genaueres verlautet — und 
konstatierte in ihnen das völlige Fehlen einer für die 3 Keimarten bakteri- 
ciden Kraft, welche sich im Blutserum der entsprechenden Individuen leicht 
nachweisen liess. Indem zur Nedden zwischen seröser Tränenflüssigkeit 
und Bindehautsekret, d. h. dem schleimigen, flockigen oder eitrigen Ab- 
sonderungsprodukt der Conjunctiva unterscheidet, dehnte er seine Unter- 
suchungen auch auf normales und pathologisches Bindehautsekret aus. Leider 
vermissen wir genauere Versuchsprotokolle, die ich mit Rücksicht auf die 
mannigfaltigen Berührungspunkte, die seine Arbeit mit der meinen bietet, 
sehr begrüsst hätte. 

Da ich später auf die Versuche mit den pathologischen Bindehaut- 
sekreten zurückkommen werde, sei hier nur erwühnt, dass das der normalen 
Conjunetiva, welches zur Nedden in Gestalt von etwas Schleim morgens 
aus der Übergangsfalte und dem inneren Augenwinkel abnahm, keine bak- 
tericiden Eigenschaften besass, dass jedoch bei den verschiedenen Formen 
von Conjunetivitis das Absonderungsprodukt stets bakterientötende Kraft 
zeigte. Diese ging durch ®;,stündliches Erhitzen auf 589 verloren, weshalb 
zur Nedden die bakterieciden Substanzen des Sekretes mit den im normalen 
Blute vorhandenen identifizierte. 

In seiner letzten Mitteilung weist zur Nedden (34) darauf hin, dass 
die Tränentlüssigkeit und das normale Bindellautsekret der Opsonine ebenso 
wie des Alexines entbelre, indem die Leukoevten in ihnen nieht mehr als 
in physiologischer Kochsalzlösung phagoevtieren, dass dagegen die Normal- 
opsonine in die katarrhalischen Sekrete der Conjunetiva übertreten. 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,,Leukine* usw. 233 


ini 


Schliesslich hat Lindahl(35) bei seinen Versuchen eine ungleichmissige 
Wirkung der Tränenflüssigkeit auf Pneumokokken und Streptokokken be- 
obachtet. Er erklärt sich dies daraus, dass verschiedene Kulturen und 
Tränen verschiedener Patienten verwendet wurden. Die baktericide Wirkung 
führt er auf enzymartige Eiweisskörper zurück, die durch Erwärmen ver- 
nichtet wurden, aber trotzdem nicht aus dem Serum, sondern aus den 
Tränendrüsen oder der Bindehaut stammen sollen. 

Es kann zunächst als Ergebnis der bisherigen Versuche bezeichnet 
werden, dass der Lidschlag und die physiologische Berieselung als 
mechanischer Vorgang für die Selbstreinigung der Bindehaut sicherlich 
grösste Bedeutung besitzt. Was die bakterienfeindliche Wirkung der 
Tränen betrifft, so kann ein grosser Glaube an sie nicht mehr ent- 
stehen. Allerdings scheinen für sie in einem gewissen Grade die 
Resultate einer Anzahl von Autoren (Bernheim, Marthen, Bach, 
Helleberg, Lindahl) zu sprechen. Die Beweiskraft aber dieser 
Versuche wird teilweise dadurch beeinträchtigt, dass, was ihre Technik 
anbelangt, sie kaum vor einer strengeren, auf den jetzigen bakterio- 
logischen Erfahrungen fussenden Kritik bestehen können. Dann aber 
ist zu berücksichtigen, dass mangels genügender normaler Tränen- 
flüssigkeit ohne Bedenken mit Sekret kranker Augen experimentiert 
worden ist. Auch die nach Einatmen von Ammoniakdämpfen secer- 
nierten Tränen gesunder Augen können nicht als normal gelten, gibt 
doch Bernheim selbst an, dass sie meist trüb waren, und sieht Bach 
von der Verwendung von Ammoniakdämpfen deshalb ab, weil er bei 
Kaninchen beobachtet hatte, dass dadurch die Tränen sehr getrüht 
waren. 

Beachtenswert ist immerhin die Wirksamkeit gegenüber Staphylo-, 
Strepto- sowie Pneumokokken und die Thermostabilität der Bakteri- 
cidie, welche einzelne Autoren bei ihren Untersuchungen konstatiert 
haben, und die sie zu den verschiedensten Deutungen hinsichtlich der 
Natur der baktericiden Substanz geführt haben. 

Echte Tränen standen eigentlich nur Ahlstroem zur Verfügung; 
die Retentionsflüssigkeit, die Valude verarbeitet hat, kann nimmer- 
mehr dem physiologischen Produkt der menschlichen Tränendrüse 
gleichgesetzt werden. 


II. Eigene Versuche. 

Die Schwierigkeit der Behandlung der Frage nach den bakterici- 
den Eigenschaften der Tränen liegt vor allem in der Beschaffung 
genügenden Untersuchungsmateriales und dem exakten Arbeiten mit 
kleinen Quantitäten, sowie in der zweckmässigen Gestaltung des bak- 


2341 - R. Schneider 


tericiden Reagenzglasversuches. Die Uberwindung dieser technischen 
Schwierigkeiten nun ist mir gelungen, und ich glaube mit meiner Ver- 
suchsanordnung zu einer zutreffenden Lösung der vorliegenden Frage 
gelangt zu sein. 

Sind auch meine Versuche vorwiegend an Kaninchen angestellt, 
so lässt sich meine Methode unter entsprechender Modifikation auch 
beim Menschen verwenden. 


Der Kunstgriff bei der Gewinnung der Tränen zunächst besteht darin, 
dass ich die Tränenflüssigkeit im Bindehautsack durch Watte- 
bäusche aufsaugen liess und diesen wieder die aufgenommene 
Flüssigkeit völlig entzog. Die Wattebäusche wurden in der Weise 
vorbereitet, dass gewöhnliche entfettete Verbandwatte erst mehrere Tage in 
flliessendem Wasserleitungswasser und dann in mehrmals erneutem destil- 
liertem Wasser gehalten wurde. Hierauf wurde sie getrocknet, in kleinere 
Flecken geschnitten, und sorgfáültig sterilisiert. Dies geschah entweder im 
Trockensterilisator durch mehrmalige vorsichtige Erhitzung, wobei zur Ver- 
meidung von etwaigen desinfizierenden Verbrennungsstoffen jede Bräunung 
der Watte verhütet werden muss, oder im Dampfsterilisator mit nachherigem 
gutem Trocknen. Von dieser Watte nun wurden kleine lockere Bäusche 
mit sterilen Pincetten unter Verhütung der Berührung der Lidränder in den 
oberen und unteren Teil des Bindehautsackes eingelegt. Die Lider wurden 
dann mit einer feinen, durch die äussere Lidhaut gelegten Sutur oder mit 
Dieffenbachschen Klemmen geschlossen gehalten. Nach !|, bis 8 Stunden 
erfolgte die Ilerausnahme der mehr oder minder mit Flüssigkeit getränkten 
Wattebüáusche. Durch den mechanischen Reiz derselben injiziert sich meist 
die Conjunctiva, und wird die Tränenabsonderung gesteigert, zu einem Aus- 
tritt von Blut kommt es jedoch nicht, so dass die Bäusche ungefärbt sind, 
wenn nicht zufällig ein Tröpfehen Blut von der Lidnaht in den Bindehaut- 
sack geflossen ist. 

Um die Flüssigkeit den Bäuschen restlos zu entziehen, benutzte ich 
folgende einfache Vorrichtung (siehe Abbildung). Ein gewöhnliches spitzes 
Zentrifugenröhrchen von 10—12 cem Inhalt und ungefähr 1,5 ccm lichte 
Weite wird mit einem doppeltdurchbohrten Gummipfropfen verschlossen. 
Durch die eine seiner Óffnungen geht ein kniefórmig gebogenes Glasrohr, 
dureh die andere der auf ungefähr 2 mm Durchmesser verjüngte Teil eines 
trichterförmig ausgezogenen Stückes Reagenzrohr. In diesen Trichter bringt 
man die feuchten Wattebäusche, drückt sie mehr oder minder fest in der 
Verjüngungsstelle zusammen, während man dureh Verbindung des Knierohres 
mit einer Wasserstrahlluftpumpe in dem Zentrifugenröhrchen das nötige 
Vakuum herstellt!). 


D Diese Wattebauschmethode haben wir bereits früher (loc. cit) zur Ge- 
winnung der Unterhautzellzewebslymphe benutzt. Das Prinzip, das Sammeln 
der Flüssigkeit durch Aufsaugenlassen zu bewerkstelligen, hat mein Verfahren 
mit der von Sehirmer: Mikroskopische Anatomie und Physiologie der Tránen- 
organe, Graefe-Saemisch, Handb. d. ges. Augenheilk. Bd. I. Kap. 7. 1904 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine' usw. 235 


Die abgesaugte Flüssigkeit ist meist durch mitgerissene Wattefaserchen 
etwas getrübt und wird daher zentrifugiert. Alsdann stellt sie eine farblose 
oder blassgelbliche klare Flüssigkeit dar, die nieht gerinnt und in den meisten 
Fällen keine oder nur so wenige Keime enthält, dass sie nicht stören. 
Hier und da enthielt der ausgeschleuderte Bodensatz einige Epithelien, Ery- 
throcyten oder polymorphkernige Leukocyten. Der Ertrag an Tränenflüssig- 
keit aus den Wattebäuschen eines Auges belief sich je nach der Dauer des 
Verweilens im Bindehautsack auf !|,—1 cem. 

Diese Quantität genügt bei meiner 
Methodik vollkommen zur exakten 
Durchführung des bakterieiden Ver- 
suches. Zum Abmessen der Flüssig- 
keitsmengen besitze ich in reichlicher 
Anzahl genau geeichte Kapillarpipetten, 
die oben mit einem kleinen Kautschuk- 
ballon versehen werden und mit denen 
sich unschwer 0,01— 0,1 cem abmessen 
lässt. Grosse Sorgfalt muss auf ihre 
Reinigung verwendet werden; nach 
dem Gebrauch kommen sie in eine 
ungefähr 10 prozentige Sodalösung und 
aus dieser naeh Abspülen mit Wasser 
in ein Gemisch von 6 prozentiger Ka- 
liumbiehromatlósung und konzentrierter 
Schwefelsäure. Hierin werden sie er- 
wärmt, dann mit Leitungs- und destil- 
lierttem Wasser gründlich durch- und 
abgespült, getrocknet und in weiten 
Reagenzröhren bei 160° sterilisiert. 

Als Testobjekte wurden die 
hauptsächlichsten der für die Conjunc- 
tiva und für das Auge im allgemeinen 
pathogenen Keime herangezogen. Es 
wurde darauf gesehen, dass die Mikro- 
organismen nicht alte Sammlungsob- 
jekte, sondern mógliehst frisch aus dem 
Ausgangsmaterial gezüchtet und virulent waren. Leider konnte ich trotz vieler 
Bemühungen nicht in den Besitz des Koch-W eeksschen Bacillus gelangen. 

Die Bakterienemulsionen wurde jeweils von hóchstens 14 Stun- 
den alten Kulturen dargestellt; und zwar wurden fast durchgehends von 
Kulturen auf festen Nührbóden (Agar, Lófflerserum) ausgegangen. Das 
Kulturmaterial wurde mit der 1 mg Aqua destillata fassenden Platinóse in 





angewendeten Methode gemein, worauf mich Herr Geheimrat Eversbusch auf- 
merksam zu machen die Güte hatte. Schirmer mass die abgesonderten Trünen- 
mengen in der Weise, dass er Fliesspapierstreifen von 3,5 cm Länge an einem 
Ende umbog, das umgebogene 0,5cm lange Stück hinter das Unterlid schob, 
und die Länge der in einer gewissen Zeit befeuchteten Strecke des Streifens notierte. 


236 R. Schneider 


einer Flüssigkeit aufgeschwemmt und weiter verteilt, von der im Vorversucli 
festgestellt war, dass sie den betreffenden Keim nicht schädigte; meist war 
es physiologische Kochsalzlösung mit Bouillon oder Serumzusützen. Um 
mit der Aufschwemmungsflüssigkeit möglichst wenig Stoffe, die etwa vor- 
handene baktericide Substanzen paralysieren konnten, den Proben guzusetzen, 
wurde die gewünschte Keimzahl in nur 0,05 cem Flüssigkeit emulgiert in 
die zu untersuchenden Tränen eingesät. 

Die Aussaaten zu den verschiedenen Zeiten wurden in der Regel 
mit der sogenannten grossen Öse, die genau 0,0125 g Aqua destillata von 15°C. 
fasst, gemacht. Da nun eine Reihe der in Betracht kommenden Mikro- 
organismen in Gelatine und Peptonagar nicht gedeihen, so wurden die je- 
weils den Röhrchen entnommenen Proben nicht, wie sonst üblich ist, in 
diesen verflüssigten Nährboden verteilt und dann Platten gegossen, sondern 
der Inhalt der grossen Öse wurde auf Petrischalen, die das den Keimen 
zusagende Medium: Agar, Serum-, Glycerin-, Blutagar, Löfflerserum in er- 
starrtem Zustande enthielten, ausgestrichen. Dass dies ohne Beeinträchtigung 
der notwendigen Genauigkeit geschehen durfte, war in Vorversuchen fest- 
gestellt und lässt sich auch aus den anzuführenden Versuchsprotokollen ent- 
nehmen. Gewöhnlich wurden Aussaten sofort, 1, 3, 7 und 24 Stunden 
nach der Impfung der Röhrchen gemacht. 


Baktericide Versuche 
mit normaler Kaninchentränenflüssigkeit. 
Versuch I. 


Dem Tier werden beiderseits Wattebäusche unter die Lider eingelegt, 
diese durch je eine Sutur, welche durch die Haut in der Nähe der Lid- 
ränder ging, geschlossen. Nach 6 Stunden Herausnahme der gut durelı- 
feuchteten Báusche. Nach Absaugen derselben und Zentrifugieren werden 
fast 2 ccm einer klaren, blassgelblichen Flüssigkeit erhalten, die sich so gut 
wie keimfrei erweist. Gleichzeitig wird dem Tier etwas Blut entzogen und 
von dem aus diesem ausgepressten Serum, sowie von der Tränenflüssigkeit 
je eine Portion eine Stunde auf 56? erhitzt. 


Bakterieider Versuch. Typhusbaeillen. 


Inhalt der Róhrchen je 0,5 eem; davon 0,05 cem verdünnte Aut- 
schwemmung von einer 12 Stunden alten Typhusbaeillen-Agarkultur in plıy- 
siologischer Kochsalzlósung, der einige Tropfen Bouillon zugesetzt sind. 
Aussaat mit grosser 0,0125 ccm fassender Öse sofort, nach 1, 3, 7 und 
24 Stunden auf in Petrischalen erstarrtem Agar. 











| Koloniezahl 








Art und Menre der zu | | i ho h , 

rüfenden Flüssigkeiten — ', pr OBAT n a nach 

S Sofort Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. | 24 Stdn. 
"T n i am 2 a e _\ | : Ge 
2 ES EPUM PIS 2 AE ` ^| i qoc cras EE uis DS RT 
0.415 cem akt. Kaninehenserum 105 | 30 7 4 0 
045 , inakt. s 103 ! 106 185 reichl. ac 
0,45 „ akt. Trünensekret In 109 204 ls ac 
0,15 , inakt. 5 .. 100 | 114 213 : oo 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 237 


Im folgenden Versuch wurde mit Absicht ein TTyphusbacillus (Stamm 
„Gabersee‘) verwendet, von dem mir bekannt war, dass Kaninchenserum 
ihn so gut wie nicht abtötet. 


Versuch II. Typhusbacillen. 


Die Wattebäusche werden nach Vernähung der Lidränder 21/, Stunden 
im Bindehautsack belassen und sind bei der Herausnahme mässig durch- 
tränkt. Die abgesaugte und zentrifugierte Flüssigkeit ist fast farblos, steril 
und beträgt je 0,7 ccm bei einem Auge. 


Baktericider Versuch. 


Inhalt der Röhrchen je 0,5 ccm; davon 0,05 eem verdünnte Emulsion 
einer 13 Stunden alten Agarkultur von Typhus „Gabersee“ in physiolo- 
gischer Kochsalzlösung, der einige Tropfen Bouillon zugesetzt sind. Aus- 
saaten mit der grossen Öse sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden auf Agar 
ausgestrichen. 





Koloniezahl 







Art und Menge der zu 


prüfenden Flüssigkeiten nach nach nach 


| 
3 Stän. | 7 Stdn. | 24 Stdn. 





0,45 ccm akt. Kaninchenserum | 74 | 62 64 89 196 
045 ,  , Trünensekret 16 | 66 58 105 115 


Versuch III. 


Schon nach !lj,stündigem Verweilen im geschlossenen Bindehautsack 
eines Auges werden die Bäusche herausgenommen und ihrer spärlichen 
Flüssigkeit beraubt. 


Baktericider Versuch. Staphylokokken. 


Inhalt der Röhrchen nur 0,35 ccm; davon 0,05 cem Aufschwemmung 
einer 12stündigen Agarkultur von Staphylococcus pyogenes aureus in mit 
etwas Bouillon versetzter physiologischer Kochsalzlösung. Aussaat mit grosser 
Öse sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden durch Ausstreichen auf Agar. 





Ce ee ee En mn 





Koloniezahl 
Art und Menge der zu | : 
prüfenden Flüssigkeiten sofort „Nach | nach nach ' nach 
7 | 1 Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. 24 Stdn. 
0,3 cem akt. Trăānensekret | 197 | 158 | 205 | 450 © 


Versuch IV. 


0,6 cem Flüssigkeit lieferten die Bäusche eines Auges, nachdem sie 
2 Stunden im Bindehautsack gelegen hatten. Behuts Gewinnung von Serum 
wurde dem Tier etwas Blut entzogen. 


Baktericider Versuch. Streptokokken. 


Inhalt der Röhrchen 0,35 cem; davon 0,05 eem Emulsion einer 12 Stun- 
den alten Agarkultur von Streptokokken in physiologischer Kochsalzlösung, 


238 R. Schneider 


die 10°, Bouillonzusatz enthält. Aussaat mit grosser Öse auf Agar sofort. 
nach ?j,, 3, 7 und 24 Stunden. 


| Koloniezahl 


| |. nach 
‚sofort 37, Stde. 


` 


Art und Menge der zu | 
prüfenden Flüssigkeiten nach | nach ! nach 


3 Stdn. | 7 Stdn. . 24 Stdn. 











0,3 ccm akt. Kaninchenserum | 177 ' 208 reichl. Isehrreichl. oo 
03 , , Trünensekret ı 165 | 189 m reich), æ 
Versuch V. 


2 Stunden hatten die Wattebäusche diesmal im Bindehautsack gelegen 
und aus einem Auge 0,77 ccm blassgelblicher Flüssigkeit ergeben. Vergleiclis- 
halber wird auch Serum für den baktericiden Versuch gewonnen. 


Baktericider Versuch. Pneumokokken. 


Inhalt der Röhrchen 0,4 cem; davon 0,05 eem Aufschwemmung von 
Pneumokokken, Stamm Rómer, der nach intraperitonealer Injektion von 
0,0025 cem einer Pferdeserumbouillonkultur eine Maus in 24 Stunden tótete. 
Aufschwemmungsflüssigkeit ist physiologische Kochsalzlósung mit 10^, 
Pferdeserumbouillonzusatz und die Einsaat enthielt !|,;44, cem einer 14stün- 
digen Pferdeserumbouillonkultur. Aussaat mit grosser Öse durch Aufstreichen 
auf Löfflerserum in Petrischalen sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden. 


Koloniezahl 


Art und Menge der zu | 
prüfenden Flüssigkeiten | nach | nach ' nach ` nach 





[oon 


] Stde. | 3 Stdn. 7 Stdn. '24 Stdn. 











0,35 cem akt. Kaninchenserum , 196 | 190 , 275 — ` reichl. 
0,30 ,  ,, Trünensekret | 194 | 235 | 155 | 26 | 0 


Nach diesem Versuche könnte es fast scheinen, als ob das Sekret 
die Pneumokokken abzutöten vermöge. Dem widerspricht jedoch das 
Ansteigen der Keimzahl in der ersten Stunde; es macht vielmehr den 
Eindruck, dass die eingesäten Pneumokokken nach anfänglicher Ver- 
mehrung und Erschöpfung der hierzu notwendigen Stofte spontan zu- 
grunde gehen. Diese Ansicht bekräftigt der nächste Versuch, in dem 
dasselbe Tränensekret gegenüber echten Diphtheriebacillen. die hin- 
sichtlich des Nährbodens weniger anspruchsvoll sind, geprüft wurde. 
sowie Versuch XI und XIa. 

Versuch VI. 

Dasselbe Tränensekret und dasselbe Serum wie im Versuch V wird 

am gleichen Tage auf sein Verhalten gegen Diphtlieriebaeillen untersucht. 
Bakterieider Versuch. Diphtheriebaeillen. 


Inhalt der Röhrchen 0,4 eem ` davon 0,05 eem Aufschwemmung einer 
14stündigen Kultur von Diphtheriebaeillen auf Löfflerserum. Die Emulsion 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 939 


wird in physiologischer Kochsalzlösung, die mit 10 |, Pferdeserumbouillon 
versetzt ist, gemacht. Aussaat mit grosser Öse durch Ausstreichen auf Lóffler- 
serum sofort, nach 1, 3 und 7 Stunden. 


Kolonierall 
Art und Menge der zu prüfenden 
Flüssigkeiten Sotori nach | nach | nach 











1 Stde. GE 3 Stdn. 4 Stdn. 
ETT ccm akt. Kaninchenserum | 130 | 1 MI 188 | ungefähr 600 
0,35 »  Tränensekret 125 | 121 375 | a; 100 


Aud der nächste Versuch bestätigt die vollkommene Unwirksam- 
keit des Kaninchenserums wie der Bindehautflüssigkeit gegen Diph- 
theriebacillen. 

Versuch VII. 


Aus den Wattebüuschen, die 2!|, Stunden im Bindehautsack eines 
Auges gelegen haben, werden 0,6 ccm Flüssigkeit gewonnen und ebenso 
wie das Serum des Tieres gegenüber Diphtheriebacillen geprüft. 


Baktericider Versuch. Diphtheriebaeillen. 


Inhalt der Röhrchen je 0,35 cem; davon 0,05 cem Diphtheriebacillen- 
aufschwemmung einer 12 Stunden alten Kultur in physiologischer Kochsalz- 
lösung, die 10°, Pferdeserumbouillon enthält. Aussaat mit grosser Öse auf 
Lófflerserum sofort, nach 1, 3 und 7 Stunden. 








- Koloniezahl 
Art und Menge der zu prüfenden | i i i 
Flüssigkeiten ; | nach nach nach 
: SS | 1 Stde. | 3 Stan. | 7 Stdn. 
EE geseet C SIT. — Set. ———— Mà ` | = "lo E ae Ge re 
0,3 cem akt. Kaineheiserin (0171 || 160 212 x 
0,3 » »  Tränensekret Ä 200 | 227 242 reich]. 





Dass die den Diphtheriebacillen stammesverwandten Xerosebacillen 
sih Kaninchenserum und Tränensekret gegenüber ähnlich verhalten, 
zeigt der nächste Versuch. 

Versuch VIII. 
Das verwendete 'Tränensekret wurde aus Wattebäuschen, die 2!|, Stun- 


den im Bindehautsack gelegen hatten, ausgesaugt und zentrifugiert, wonaclı 
eine lichtgelbe Flüssigkeit resultierte. 


Bakterieider Versuch. Xerosebacillen. 


Inhalt der Röhrchen je 0,5 cem; davon wieder 0,05 eem Emulsion einer 
12stündigen Löfflerserumkultur von Xerosebacillen, die von einer leicht 
katarrhalisch atlizierten menschlichen Conjunctiva sofort in Reinkultur ge- 
züchtet waren. Aufschwemmung in physiologischer Kochsalzlösung mit 10 |, 
Bouillonzusatz. Aussaat mit grosser Öse auf Löflerserum sofort, nach 1, 
3, 7 und 24 Stunden. 


v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, LXXII. 2. 16 


240 R. Schneider 


Art und Menge der zu h h h I nach 
üf d Flü E k it nac nac naci x 
prüfenden Flüssigkeiten sofort | 4 Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. | 24 Stdn. 


84 140 
18 131 


Dass die normale Conjunctivalflüssigkeit dem Diplobacillus Morax- 
Axenfeld reichliche Vermehrung gestattet, während Kaninchen- — 
und auch nebenbei bemerkt — Menschenserum ihn energisch abtötet, 
erkennt man aus folgendem Versuch. 





' 
i 
| 


T1 
102 


44 
41 


53 
50 


0,45 ccm akt. Kaninchenserum 
0,45 „  , Trünensekret 

















Versuch IX. 


Das 2!/,stündige Sekret und das Serum ist mit dem von Versuch VII 
identisch. Das Menschenserum ist durch Punktion der Vena mediana von 
einem gesunden Menschen entzogen. 

Der benutzte Diplobacillus stammte aus der Klinik Axenfelds und gedieh 
auf unserm Fleischwasserpeptonagar recht gut, so dass im baktericiden Ver- 
such die Aussaaten auch auf Agar hatten gemacht werden können; da je- 
doch bei vergleichenden Untersuchungen immer etwas mehr Kolonien auf 
Löfflerserum als auf Agar angegangen waren, wurden die den Röhrchen 
entnommenen Proben durchgehends auf Löfflerserum ausgestrichen. 


Bakterieider Versuch. Diplobacillen. 


Inhalt der Röhrchen je 0,35 ccm; davon 0,05 cem Aufschwemmung 
von einer 12stündigen Agarkultur des Diplobacillus in physiologischer Koch- 
salzlösung, der 10°), Pferdeserumbouillon beigemischt ist. Aussaat mit 
grosser Öse auf Löfflerserum sofort, nach 1, 3 und 7 Stunden. 


Koloniezahl 
Art und Menge der zu prüfenden 




















Flüssiekeiten g nach nach nach 

; T Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. 
0,3 ccm akt. Kaninchenserum 118 0 | 0 0 
03 , ,  Menschenserum 116 0 | 0 0 
03 ,  , Trünensekret 113 118 | 310 oo 








Die grosse Hinfälliekeit im Serum und im Gegensatz dazu die 
gute Entwicklung in der Conjunctivaltlüssigkeit wurde für Diplobacillen 
eigener Züchtung noch in einigen. andern. Versuchen der gleichen. Art 
beobachtet. 

Infolge einer kleinen Genickstarreepidemie, welche bei einem 
hiesigen. Truppenteile ausgebrochen war, war es mir möglich, auch den 
Meningocoeeus mit in den Bereich meiner Untersuchungen zu ziehen. 
Der als Testobjekt verwendete Stamm rührte von einem Fälle her, 
der in 30 Stunden letal geendet hatte, und war erst 2mal auf Löffler- 
serum gezüchtet. 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 94] 


Versuch X. 
Zur Aufsaugung der Conjunctivalflüssigkeit hatten sich die Wattebäusche 


2 Stunden im Bindehautsack befunden. Sekret und Serum spendete natür- 
lich dasselbe Tier. 


Baktericider Versuch. Meningokokken. 


Inhalt der Röhrchen je 0,35 ccm; davon 0,05 cem Meningokokkenauf- 
schwemmung. “Und zwar wurde eine Öse Löfflerserumkultur i in 109j, Pferde- 
serumbouillon enthaltender Kochsalzlósung emulgiert. Aussaat mit grosser 
Öse auf Löfflerserum en nach 1, 3 und 8 Stunden. 














Koloniezahl 
Art und Menge der zu prüfenden . h h h 
Flüssigkeite nac nac nac 
TONS sotort | 1 Stde. | 8 Stdn. | 8 Stdn. 
0,3 ccm akt. Kaninchenserum 116 1 0 0 
03 , aw  Trünensekret 118 135 320 — 


Als Ergänzung zu Versuch V, in dem die Pneumokokken im 
Gegensatz zu. den Diphtheriebacillen im. normalen Conjunctivalsekret 
langsam absterben, seien zwei Versuche noch hier angeführt, welche 
die geringe Widerstandsfähigkeit des Pneumococcus erkennen lassen 
und meiner Vermutung recht geben, dass sein Zugrundegehen wohl 
weniger durch baktericide Substanzen als durch schlechte Ernährungs- 
verhältnisse verursacht werde. 


Versuch XI. 


Einem Kaninchen wird in den Bindehautsack eines Auges Watte auf 
l!|, Stunden eingelegt. Das aufgesaugte Sekret beträgt 0,4 cem; ausserdem 
wird etwas Blut aus der Ohrrandvene entzogen. 


Bakteriecider Versuch. Pneumokokken. 


Inhalt der Röhrchen je 0,4cem; davon 0,05 ccm Pneumokokkenauf- 
schwemmung in physiologischer NaC/-Lösung mit 10°), Pferdeserumbouillon- 
zusatz. Aussaat mit grosser Öse auf Löfflerserum sofort, nach 3, 7 und 
24 Stunden. 


Kolonien "m 


Art und Menge der zu prüfenden 























Flüssigkeiten , nach nach nach 

a SEN | 3 Stdn. 7 Stdn. E Stdn. 
0,35 ccm akt. Kaninchenserum o "ma 112 ungefähr 600 — 
0,39 ,  ,, Tráünensekret E: 10 | 67 D 
0,35 „ phys. NaCl-Lósung 60 D , 29 14 





Das Tränensekret verhält sich gegenüber den Pneumokokken in 
diesem Versuch fast wie physiologische. IKochsalzlósung. 


In dem folgenden Versuche scheint cine geringe Spur bakteri- 
16* 


949 | R. Schneider 


cider Substanz unter dem Reiz der Wattebäusche in das Tränensekret 
übergegangen zu sein, das eine langsame Vernichtung der hinfälligen 
Pneumokokken bedingt. 

Versuch XIa. 


Beim Kaninchen werden auf beiden Augen Wattebäusche unter die 
Lider geschoben und 1!|, Stunden daselbst gelassen. Dann wird die auf- 
genommene Flüssigkeit in der üblichen Weise den Bäuschen entzogen und 
zentrifugiert. Ausserdem wird dem Tiere etwas Blut zur Gewinnung von 
Serum entzogen, von letzterem und von dem Tränensekret werden Proben 
30 Minuten auf 56° erhitzt. 


Baktericider Versuch. Pneumokokken. 
Inhalt der Röhrchen je 0,35 ccm; davon 0,05 cem Pneumokokken- 
emulsion in physiologischer Kochsalzlösung mit 10 prozentigem Zusatz von 


Pferdeserumbouillon. Aussaat mit grosser Öse auf Löfflerserum sofort, nach 
3, 7 und 24 Stunden. 








Koloniozahl 








Art und Menge der zu prüfenden P mdr | nach Ld 
Flüssiekeit : 
TOUT LONE Sii. | 7 Stdn. |24 Stdn. 
0,3 cem akt. Kaninchenserum 19 | 82 | ungeführ500- oo 
0,3 , inakt. 4 | 9 , 50 e 
0,3 , akt. Tränensekret 10 | 49 2 , 1 
0,3 „  inakt. " 138 | 19 1 | 0 


Versuche mit Gonokokken scheiterten gänzlich, indem letztere in 
dem erhitzten wie in dem nicht erhitzten Serum und Tränensekret 
des Kaninchens rasch abstarben, obgleich die aus frischem Urethral- 
eiter gezüchteten Kokken aus Ascitesagar verhältnismässig gut gediehen. 

Aus den angeführten Versuchen geht also hervor, dass 
die normalerweise im Bindehautsacke anzutreffende Flüssig- 
keit, die ich kurz Tränensekret oder auch Conjunctivalflüssigkeit ge- 
nannt habe, und die eine Mischung der Absonderungsprodukte, Tränen- 
drüse und der Bindehaut darstellt, aktiver baktericider Stoffe 
entbehrt. 

Die Abnahme der Pneumokokken in obigen Beispielen habe ich 
schon als ein durch die Ungunst des Nährmediums bedingtes spon- 
tanes Absterben charakterisiert. Dies ist wohl auch bei dem anspruchs- 
vollen und empfindlichen Gonococeus die hauptsächlichste Ursache für 
die Raschheit, mit der er in allen Flüssigkeiten im Vitroversuch zu- 
grunde geht. 

Bei dem weitgehenden Parallelismus, der zwischen der bakteri- 
ciden, hämolytischen und opsonierenden Aktion des normalen 
Serums besteht, musste eine Orientierung, wie sich hinsichtlich der 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 243 


beiden letzteren die Conjunctivalflüssigkeit verhält, von Interesse sein. 
Dies um so mehr, als im allgemeinen der hämolytische Versuch 
eine noch feinere Reaktion zum Nachweise etwa vorhandenen Alexins 
ist als der baktericide. 

Mehrmals daher wurden vergleichende Untersuchungen über die 
elobulicide Kraft des Tränensekretes und des entsprechenden Kanin- 
chenserums angestellt. Das stets gefundene Ausbleiben der Auf- 
lösung der Erythrocyten in der Conjunectivaltlüssigkeit illustriere 
der eine folgende Versuch. 

Versuch XII. 


Das Tränensekret und Blutserum ist identisch mit dem im Versuch I 
gegen Typhusbacillen geprüften. 


Hämolytischer Versuch. 


Inhalt der Röhrchen 3 cem; davon a Leem einer 5 prozentigen Auf- 
schwemmung gewaschener Ziegenblutkórperehen und b. Leem einer Ver- 
dünnung (1: 320) eines inaktiven Antiziegenblutkórperchenserums vom 
Kaninchen. a. und b. werden !|, Stunde vor Beginn des Versuches bei 
Zimmertemperatur miteinander gemischt.  Auffüllungsflüssigkeit: physiolo- 
gische Kochsalzlösung. | 








Art und Menge der zu prufenden en eh á 
Flüssigkeiten || Hämolyse nach 2 Stdn. 38 
0,2 ccm akt. Karinchenserum | vollständig 
0, 1 29 H 39 an . 
0,05 Ex 295 e | fast vollständig 


» inakt. keine 


0,3 „ akt. Tränensekret 


PP 





Ebensowenig wie von einer baktericiden und hämoly- 
tischen Wirkung kann von einer eigentlichen opsonierenden 
bei der normalen Conjunetivalflüssigkeit die Rede sein. Dies 
konstatierte ich an mehreren in der früher geschilderten Weise aus- 
geführten Phagocytoseversuchen. 

Wohl nahmen die Kaninchenleukoeyten nach Y, bis 1 Stunde die 
dargebotenen Typhusbacillen und Staphylokokken pone besser in ak- 
tiver 'Trünentlüssigkeit als in inaktivem. Kaninchenserum, dem bekannt- 
lich ein hemmender Eintluss zukommt, auf, doch liess sich die Phago- 
eytose nicht mit der intensiven und sogleich einsetzenden im aktiven 
Kaninchenserum vergleichen. 

Es kann somit auf Grund meiner Versuche jede Alexinwirkung 
wie bakteriolytische Wirkung überhaupt der normalen Tränen und 
Conyunctivaltlüssigkeit beim Kaninehen ausgeschlossen werden. Man 
darf daher wohl auch annehmen, dass beim lebenden Tier und Men- 


244 R. Schneider 


schen keine baktericiden Substanzen in jene Sekrete normalerweise 
übergehen, und dass eine aktive desinfizierende Wirkung der 
Tränen bei der Selbstreinigung des Bindehautsackes keine 
Rolle spielt. 

Demnach müssen auch wir in den mechanischen Momenten 
die wichtigsten Faktoren für die Regulierung des Keim- 
gehaltes des Bindehautsackes erblicken. Es sei jedoch hier auf einen 
Punkt hingewiesen: Erstaunlich ist die rasche Abnahme der Zahl der 
Mikroorganismen, die nach künstlicher Infektion mit der Platinöse aus 
dem Conjunctivalsack wieder entnommen werden können. Van Gen- 
deren Stort und Bach haben ziffernmässige Zusammenstellungen 
nach eigenen Versuchen mitgeteilt, bei denen selbst von grossen 
Mengen eingeführter Bakterien schon nach kurzer Zeit — nach !], bis 
1 Stunde — keine oder nur wenige Exemplare nachzuweisen waren. 
Folgende zwei Beispiele, die hóchstens hinsichtlich der Art der im- 
plantierten Keime etwas Neues bieten, sollen diese Erscheinung noch- 


mals vor Augen führen. 
Versuch XIII. 


Einem Kaninchen mit gesunder Conjunctiva und normalen Tränen- 
wegen wird 0,05 cem einer 12stündigen Pferdeserumbouillonkultur von 
Pneumokokken in den unteren Bindehautsack unter Abhebung des Lides 
instilliert. In bestimmten Intervallen wird mit Platinóse etwas von dem 
Inhalt des Conjunctivalsackes entnommen und auf Lófflerserum ausgestrichen. 





Zeit nach der Infektion | Zahl der Kolonien 
sofort unzühlige 
nach 20 Minuten reichliche 
» 40 » 126 
» 90 , 14 
» 90 "n 0 


Versuch XIV. 


Einem gesunden Kaninchen werden in 0,05ccm Aufschwemmungs- 
flüssigkeit ungefähr 10 Millionen Diplobacillen eingeträufel. Von Zeit zu 
Zeit wird auf Löfflerserum die über die untere Conjuncetiva geführte Platin- 
öse ausgestrichen. 




















Zeit nach der Infektion ! Zahl der Kolonien 
sofort | unzählige 
nach 5 Minuten | - 
ee 19 5 reichliche 
», 390 5 312 
» 49 » | 40 
» 60 ” 21 
» 2 Stunden | 9 
» 2l » 14 


» A » | 13 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 245 


Es geht nun nicht an, diese rapid fortschreitende Reduktion der 
Koloniezahl allein als den Effekt des Lidschlages, der Berieselung und 
Verdünnung durch die Trünen und des Transportes nach der Nase 
zu anzusehen. Man würde ‘diese Faktoren überschätzen, würde man 
die grosse Oberfläche, auf welche die in 0,05ccm Aufschwemmungs- 
flüssigkeit enthaltenen 10 Millionen Keime durch Kapillarattraktion 
beim Lidschluss verteilt werden, nicht berücksichtigen. Wieviel 100 qmm 
Bindehautoberfläche im Vergleich zu der schmalen Fläche, welche die 
nicht über 4 qmm messende Platinöse bestreicht! Wieviel Schlupf- 
winkel bieten sich den Keimen in den Falten und Taschen der Con- 
junctiva, besonders der des unteren und oberen Fornix. 

Die Zahlen der Kolonien auf der Löfflerserumplatte spiegeln 
nicht den Grad des Verschwindens der Bakterien aus dem Bindehaut- 
sacke wider. Die regulierende Wirkung der mechanischen Momente 
ist bei weitem nicht so gross als wie es bei künstlichen Infektions- 
versuchen und nach obigen Zahlen den Anschein hat. Man könnte 
sonst nicht begreifen, wie bei normalem Lidschlag und durchgängigen 
Tränenwegen der Bindehautsack relativ häufig eine nicht unbeträcht- 
liche Zahl Keime enthalten kann. Ihr Schicksal wird jedenfalls durch 
das Zusammenwirken verschiedener Faktoren bestimmt; von diesen 
rangieren die bekannten mechanischen Momente wohl an erster Stelle, 
während die vielfach angenommene baktericide Eigenschaft der nor- 
malen Tränenflüssigkeit nicht existiert. 


Einfluss der Adstringentia und Antiseptica 
auf die Baktericidie der Conyunctivalflüssigkeit. 
Nachdem so die Vorfrage gelöst war, konnte an die Behandlung 
der eigentlich gestellten Aufgabe herangetreten und geprüft werden, 
wie sich die antibakterielle Aktion der Conjunctivalflüssigkeit nach 
Anwendung der hauptsächlich bei der Behandlung von Bindehauter- 
kankungen in Betracht kommenden Heilmittel gestaltet. 


Allgemeines über die Wirkung der Adstringentia. 

Seit langer Zeit spielen in der Therapie der Bindehauterkran- 
kungen die „Adstringentien® eine grosse Rolle Im Unkenntnis über 
die Ätiologie der Conjunctivitiden wurde bei ihrer Behandlung das 
Hauptaugenmerk auf ihre Symptome: die Rötung, Schwellung und 
Absonderung der Bindehaut und deren Beseitigung gerichtet. Man 
hatte Mittel gefunden, die infolge ihrer Fähigkeit mit dem Eiweiss 
der Sekrete und Zellen eigentümliche Verbindungen einzugehen und 


246 R. Schneider 


so koagulierend zu wirken, den Symptomenkomplex des Bindehaut- 
katarrhs heilend beeinflussen sollten. Wird ein solches Mittel in ent- 
sprechend konzentrierter Lösung auf eine Schleimhaut gebracht, so 
entsteht auf ihr ein häutchenförmiger Überzug, der sich wohl auch 
runzeln und die darunter liegende Schleimhaut in kleine Falten zu- 
sammenziehen kann; — daher der Name „Häutchenbildner“ — und 
„Adstringens“. Der therapeutische Effekt derselben sollte nun darin 
bestehen, dass nach Abstossung des Koagulationsschorfes und während 
der Neubildung der oberflächlichen Epithelschicht die entzündlichen 
Erscheinungen unter das frühere Niveau heruntergingen, und durch 
erneute Applikation der Mittel der Entzündungsgrad immer weiter 
herabgesetzt wurde. 

Als man dann in gewissen Mikroorganismen die Erreger der 
meisten Conjunctivitiden kennen gelernt hatte, sah man neben dem 
symptomatischen Erfolg der durch die Adstringentien verursachten 
Escharabildung auch darin ein heilendes Moment, dass mit Abstossung 
der koagulierten, oberflächlichen Epithelschicht auch gleichzeitig die 
ihr anhaftenden Bakterien abgestossen würden. Daneben rechnete man 
mit einer direkt desinfizierenden Wirkung der Adstringentia, die sich 
entsprechend ihrer Einwirkung auf lebendes tierisches und pflanzliches 
Eiweiss auch als Bakteriengifte, „Antiseptica“ — in vitro wenigstens 
— bewährt hatten. 

Dies sind die Vorstellungen, die man sich von der Wirkung der 
Adstringentien gebildet hat, und wie sie in den zusammenfassenden 
Arbeiten von Th. Saemisch (36) und H. Snellen jr. (37), sowie in 
der von ihnen bis zum Jahre 1904 citierten umfangreichen Literatur 
zum Ausdruck gebracht sind. 

Erst in neuerer Zeit wurde die Bedeutung der Adstringentien 
auch in anderer Richtung gewürdigt. Zur Nedden (loc. cit.) hatte, 
wie oben schon erwähnt wurde, im Sekret katarrhalisch erkrankter 
Bindehäute Dysenterie-, Typhus- und Diplobacillen abtötende Sub- 
stanzen sowie Opsonine nachweisen können. Ausserdem hatte er wegen 
der Schwierigkeiten, die andere augenpathogene Bakterien für die ein- 
wandfreie Durchführung von. Reagenzglasversuchen machen, im mikro- 
skopischen Präparat die Veränderungen, welche die Keime im Binde- 
hautsekret erleiden, ausser an Dysenterie- und Diplobacillen auch an 
Pneumokokken, Koch-W eeksschen Bacillen und Gonokokken studiert. 

Brachte er in blennorrhoisches Bindehautsekret Dysenteriebacillen, 
so wurden sie teilweise phagocytiert, teilweise gingen sie auch extra- 
eellulär zugrunde, was an ihrem Zerfall und ihrer schlechten Färb- 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 247 


barkeit zu erkennen war. Diplobacillen wurden von den Leukocyten 
nicht aufgenommen, erlitten aber stellenweise nicht zu verkennende 
Veränderungen. Die Pneumokokken, Koch- Weeksschen Bacillen und 
Gonokokken untersuchte zur Nedden nicht in Reinkultur, sondern 
im Sekret der von ihnen infizierten Conjunctiven, indem er die be- 
treffenden Sekretflocken im hohlgeschliftenen Objektträger bei 37° hielt. 
Morphologische Veränderungen waren nicht zu beobachten, jedoch 
soll hie und da eine Keimvermehrung nach nigen Stunden einge- 
treten sein. 

Mit Recht erblickt zur Nedden in dem Wirksamwerden der 
pathologischen Conjunctivalsekrete die Folge einer Heilung bringenden 
Reaktion des infizierten Gewebes, indem die Entzündung den Austritt 
baktericider Substanzen aus dem Blute bedinge. Aufgabe der Behand- 
lung der Conjunctivitiden nun sei es, die Selbstheilung im Sinne Biers 
durch Hyperämisierung der erkrankten Schleimhaut zu unterstützen; 
dies geschehe seit langer Zeit durch die Adstringentien. 

Als zur Nedden die eben angeführten Untersuchungen und Er- 
wägungen anstellte, war ihm von der Existenz der Leukine noch nichts 
bekannt. Für ihn kam als keimtötende Substanz nur das Alexin des 
Blutes in Frage. Dass er auf dieses die Wirkung der Sekrete zurück- 
führt, erhellt auch aus seinem inzwischen erschienenen Vortrage (38), 
in welchem er behauptet, dass „das Blutserum schon unter normalen 
Verhältnissen für alle Arten von Mikroorganismen in hohem Masse 
bakterientötende Eigenschaften besitze“. Dem ist jedoch nicht so, 
bildet doch z. B. das Blutserum für eine Reihe Bakterien, Pneumo- 
kokken, Streptokokken, Diphtheriebacillen sogar einen guten Nährboden. 
Wenn also im Conjunctivalsekret derartige Infektionserreger zugrunde 
gehen sollen, so müssen neben dem Blutalexin noch andere Stoffe vor- 
handen sein. Im übrigen hat zur Nedden die Baktericidie der patho- 
logischen Sekrete nur gegenüber solchen Bakterien geprüft, die der 
Alexinwirkung zugänglich sind. 

In der oben citierten Publikation erwähnt in Beziehung auf meine 
Arbeit zur Nedden mit einigen Worten auch schon, wie er sich habe 
überzeugen können, dass die Leukocyten des blennorrhoischen Binde- 
hautsekretes sich bakterientötenden Sekretes entäussern können; doch 
stehe die Wirkung des letzteren hinter der des Serums zurück. 

Hat auch somit zur Nedden, wie wir noch genauer schen wer- 
den, das bakterientötende Moment der Conjunetivalsekrete nicht voll- 
kommen erkannt, so hat er doch das Verdienst, auf die Möglich- 
keit hingewiesen zu haben, dass die Adstringentien durch Vermeh- 


94S R. Schneider 


rung der baktericiden Substanzen der Entzündungsprodukte wirken 
könnten. 

Aus der Schar der heute noch verwendeten Adstringentien habe 
ich für meine Versuche das Argentum nitricum, das Protargol und 
das Zincum sulfuricum ausgewählt. Diese drei Mittel empfahlen sich 
von selbst für die Experimente, sind sie doch in ihrer Wirkung und 
hinsichtlich der Indikation ihrer Anwendung am besten studiert und 
auch heute noch allen Ersatzpräparaten zum Trotz am meisten im 
Gebrauch. 


Argentum nitricum. 


Es ist der Veteran der Adstringentien, indem es schon anfangs des 
18. Jahrhunderts von St. Yves als Augenheilmittel benutzt wurde. Und 
heute marschiert es immer noch an der Spitze, nachdem A. v. Graefe (39) 
es 1854 der Vergessenheit entzogen und die Prinzipien seiner Wirkungs- 
weise und Anwendung in seiner klassischen Arbeit fixiert hat. Eine be- 
sondere Wertschätzung erfuhr das Silbernitrat, als es vor 28 Jahren in 
Gestalt des Credéschen Tropfens als Prophylaktikum der Ophthalmoblen- 
norrhoea neonatorum seine Einführung fand. Als solches und als Adstringens 
erfreut es sich, wie gesagt, auch heute noch bei allen akuten, mit Schwel- 
lung und starker Sekretion einhergehenden Katarrhen der Conjunctiva all- 
gemeiner Beliebtheit. In 1—2 prozentiger Lösung wird es empfohlen und 
seine Wirkung auch in den neuesten Lehrbüchern von Fuchs (40) und 
Axenfeld(41) noch als besonders auf seiner Schorfbildung in oben skiz- 
ziertem Sinne beruhend gedeutet. 


Eigene Untersuchungen. 


In meinen Versuchen wurde das Argentum nitricum meist in 
1 prozentiger Lösung verwendet. Ein oder mehrere Tropfen derselben 
wurden unter Abhebung des Unterlides in den unteren Bindehautsack 
eingeträufelt und dann durch leichtes Streichen mit den Lidern für 
ihre gleichmässige Verteilung auf der Bindehaut gesorgt. Hierbei oder 
schon beim Anlegen des abgehobenen Lides fliesst der grösste Teil 
der Flüssigkeit milchig getrübt wieder ab, so dass die zur Neu- 
tralisation etwaigen überschüssigen Silbernitrats eingegossene physio- 
logische Kochsalzlösung durch Chlorsilber kaum oder gar nicht ge- 
trübt wird. 

Welches. sind. nun. die Erscheinungen. an. dem. Kaninchenauge 
nach der Instillation2 Nehmen. wir z. B. an, es sei 0,05 cem einer 
] prozentigen Argentum nitricum- Lösung in obiger Weise eingeträufelt 
und neutralisiert worden. Fast momentan überzieht sich die bespülte 
Conjunetiva mit einem weissbläulichen Hiäutchen, durch welches das 
darunter befindliche Rot der gleichmässig injizierten Schleimhaut zu 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 9249 


einem zarten Rosa gemildert wird. Auch die Cornea hat eine zarte 
obertlächliche Trübung bekommen. Die Tränenabsonderung ist etwas 
vermehrt, aber nicht so sehr, dass der Abfluss nach der Nase nicht 
genügte. In der noch klaren Flüssigkeit finden sich abgestossene 
Epithelien und bereits vereinzelte Leukocyten von schlechtem Aussehen. 
Nach ungefähr 10 Minuten schon beginnt die Abstossung des dünnen, 
weisslichen Schorfes, der zu Fäden zusammengerollt oder in Flocken 
zusammengeballt in den Canthus internus zu liegen kommt. Das 
Sekret staut sich im Bindehautsack etwas, vielleicht fliesst ein Tröpf- 
chen am inneren Augenwinkel über und benetzt dessen äussere Haut. 
Macht man eine Viertelstunde nach der Instillation ein Ausstrich- 
präparat von der inzwischen makroskopisch leicht getrübten Conjunc- 
tivaltlüssigkeit, so findet man neben zugrunde gegangenen Epithelzellen 
und deren karyolysierten Kernen polymorphkernige Leukocyten in nicht 
mehr geringer Anzahl. Indem sich nun die Eschara immer mehr ab- 
löst und die gerötete Conjunctiva mit ihren injizierten Gefässen sich 
deutlicher präsentiert, sammelt sich das Sekret etwas reichlicher an; 
dies halte ich weniger durch eine weiter gesteigerte Absonderung, als 
dadurch verursacht, dass infolge einer inzwischen stärker gewordenen 
Schwellung der Conjunctiva der Abfluss durch die Tränenspalte be- 
hindert wird. Während der zweiten Viertelstunde schreitet die Trü- 
bung der Tränenflüssigkeit durch die in ihr suspendierten Schorfteil- 
chen, isolierten Epithelien und ausgewanderten Leukocyten fort; sie 
erhält dadurch eine grosse Viskosität und mehr schmieriges Aussehen. 
Saugt man von ihr etwa !|, Stunde nach der Hóllensteininstillation 
etwas auf, so zeigt sie milchige Trübung und im mikroskopischen 
Präparat neben den abgestossenen Epithelien und ihren Trümmern 
ziemlich zahlreiche Leukocyten. Während sich dann die Schleimhaut- 
oberfläche von den letzten Resten anhaftenden Schorfes befreit, behält 
das Sekret seine milchige Trübung, indem die Leukocyten immer zahl- 
reicher werden und die Epithelien verschwinden. Allmählich sistiert 
auch die Leukocytenemigration, das Epithel der Conjunctiva regeneriert 
sich und nach einigen Tagen ist das Auge zu normalem Aussehen 
zurückgekehrt. 

So etwa verläuft die Reaktion nach Instillation der geringen 
Mengen von 0,05 ccm 1lprozentiger Silbernitratlösung. Atzt man durch 
Benutzung grösserer Mengen oder konzentrierterer Lösungen stärker, 
so sind natürlich die entzündlichen Erscheinungen auch grösser; be- 
sonders hält die eitrige Sekretion länger an und die Restitutio ad 
integrum nimmt, wenn sie überhaupt eintritt, mehr Zeit in Anspruch. 


950 R. Schneider 


Die Stärke der Reaktion ist bei gleicher Quantität und Konzentration 
auch individuell verschieden. 

Das Charakteristische des Effektes der Argentuminstillation ist, 
wie wir gesehen haben, neben der Schorfbildung die rasche und inten- 
sive Leukocytenemigration. Nimmt man sich die Zeit und gibt man 
sich Mühe, so kann man, wie es in folgendem Versuch geschehen ist, 
das Sekret nach der Einträufelung in einer bescheidenen Menge sammeln 
und nach Trennung von den cellulären Bestandteilen auf seine bakte- 
ricide Wirksamkeit untersuchen. 


Versuch XV. 


Einem Kaninchen werden in den Bindehautsack beider Augen je zwei 
Tropfen einer 1 prozentigen Silbernitratlösung eingeträufelt; letztere fliesst, 
milchig getrübt, sofort zum grössten Teile ab. Dann werden die Augen 
mit je 10 ccm physiologischer Kochsalzlösung ausgespült. Eine Viertelstunde 
nach der Instillation wird mit Hilfe einer Kapillarpipette begonnen, das 
weissliche Sekret aus den Conjunctivalsäcken aufzusaugen — -mit dem Re- 
sultat, dass in 15 Minuten 0,35 cem desselben gesammelt werden — „Con- 
junctivalsekret I“ —. Eine Stunde nach der Einträufelung wird wieder 
etwas Sekret in der geringen Menge von 0,15 cem aufgesaugt — „Con- 
junctivalsekret II^ —. Beide Flüssigkeiten werden klar zentrifugiert; der 
Bodensatz enthält zahlreiche Leukocyten, die im Bodensatz des Conjunctival- 
sekretes I mit reichlichen Epithelzellen vermischt sind. Ausserdem wird dem 
Tier etwas Blut entzogen; von dem ausgepressten Serum und der Con- 
junetivalflüssigkeit wird je O,1 cem !|, Stunde auf 56° erhitzt. 


Baktericider Versuch. 


Inhalt der Röhrchen 0,5 cem, davon 0,05 cem Aufschwemmung von 
Typhusbacillen in physiologischer Kochsalzlösung, der einige Tropfen Bouillon 
zugesetzt sind. Auffüllungsflüssigkeit ist physiologische Kochsalzlösung. Aus- 
saat mit grosser Öse (0,0125 ccm fassend) auf Agarplatten sofort nach 1, 
3, 7 und 24 Stunden. 





Koloniezahl 























Art und Menge der zu 
prüfenden Flüssigkeiten sofort nach nach nach nach 
1 Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. | 24 Stdn. 
| 

0,1 cem akt. Kaninchenserum ' 123 | 29 0 38 reichlich 
0,1 ,, inakt. » 120 118 260 reichlich o 
0,1 „ akt. Conjunct.-Sekret I! 126 0 0 0 0 
0,1 , inakt. 5 I| 121 0 0 0 Ü 
0,1 , akt. e II! 116 1 0 0 0 
0,45,, phys. NaCl-Lósung | 114 96 | 959 7 91 oc 


Wir sehen also bei beiden Conjunctivalsekreten eine baktericide 
Wirkung auf die eingesäten Keime, die stärker als die des Serums 
ist und im (Gegensatz zu dieser einhalbstündiges Erhitzen auf 56° 
verträgt. 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 251 


Bei meinen weiteren Versuchen benutzte ich zur Gewinnung der 
Sekrete die früher geschilderte Wattebauschmethode. Dies war ge- 
stattet, nachdem früher festgestellt war, dass der Reiz der eingelegten 
Watte noch keinen Übertritt baktericider Substanzen veranlasst und 
der vorige Versuch gezeigt hatte, dass das Sekret infolge der Iustil- 
lation des Adstringens allein baktericide Eigenschaft erhült. Allerdings 
kann nicht bestritten werden, dass durch die Summation des mecha- 
nischen und chemischen Reizes die entzündliche Reaktion wohl etwas 
verstärkt wird. 

Versuch XVI. 


Einem Kaninchen werden nach Instillation mehrerer Tropfen 1 pro- 
zentiger Höllensteinlösung und nachfolgender Neutralisation mit physiolo- 
gischer Kochsalzlösung kleine Wattebäusche unter die Lider geschoben und 
diese durch je eine oberflächliche Hautnaht geschlossen gehalten. Nach 
3!|, Stunden erfolgt die Herausnahme und Absaugung der farblosen Bäusche, 
die eine 1,4 ccm betragende, weissgelbliche Flüssigkeit liefern. Nach Ent- 
nahme der Watte wird aus einem Bindehautsack 0,05 cem des noch in ihm 
befindlichen milchigen Sekretes aufgesaugt und behufs Feststellung der 
Lebensfähigkeit der Leukoeyten hierzu 1, Öse einer Typhusbacillenkultur, 
welche in 0,05ccm einer 4 °,, natriumzitrathaltigen physiologischen Koch- 
salzlósung emulgiert ist, hinzugesetzt. Nach weiterer Zugabe von 0,2 ccm 
aktiven Kaninchenserums wird das Gemisch bei 38° gehalten und aus ihm 
in viertelstündigen Intervallen Ausstriche gemacht. Es zeigt sich an den 
hitzefixierten und nach Giemsa gefärbten Ausstrichpräparaten, dass die reich- 
lich vorhandenen polymorphkernigen Leukocyten fast durchgehends die dar- 
gebotenen Typhusbacillen massenhaft aufgenommen haben. 


Baktericider Versuch a. Typhusbacillen. 


Von dem Conjunctivalsekret und dem frisch gewonnenen Serum des 
Tieres ist eine kleine Portion 35 Minuten auf 56° erhitzt worden. Der 
Inhalt der Röhrchen beträgt 0,35 ccm; hiervon ist 0,05 cem eine Aufschwem- 
mung des Typhusbaeillus „Gabersee“, für den das Serum kaum eine ab- 
tötende Wirkung hat. Aussaat mit grosser Öse auf Agar sofort, nach 3, 
7 und 24 Stunden. 


Koloniezahl 


























Art und Menge der zu prüfenden | , | i 
- Flüssigkeiten nacn MACAE F a EN 
B SES 3 Stdn. | 7 Stdn. ' 24 Stdn. 
0,3 ccm akt. Kaninchenserum 64 15 39 | o 
03 , inakt. 5 61 ! 11 296 | oo 
03 , akt. Conjunctivalsekret 65 | 0 0 ! 0 
0,3 „ inakt. e 65 | 0 0 | 0 


Baktericider Versuch b. Staphylokokken. 


Inhalt der Róhrchen ebenfalls 0,35 eem; davon 0,05 cem Emulsion 
einer 12stündigen Agarkultur von Staphylococcus pyogenes aureus in phy- 


2592 R. Schneider 


siologischer Kochsalzlösung mit Zusatz einiger Tropfen Bouillon. Aussaat 
mit grosser Öse wie im vorigen Versuch. 










Koloniezahl 
Art und Menge der zu prüfenden 


Flüssigkeiten nach 


sofort nach 
| 3 Stdn. 7 Stdn. 24 Stdn. 


0,8 ccm akt. Kaninchenserum 74 3 95 oo 
03 ,  inakt. - 15 165 reichl. o 
0,3 „ akt. Conjunctivalsekret 77 0 0 0 
0,3 „ inakt. de 80 0 0 0 


Hämolytischer Versuch. 


Je Leem 5 prozentiger Ziegenblutkörperaufschwemmung und 1 cem 
eines verdünnten Antiziegenblutserums wird in den Röhrchen eine halbe 
Stunde vor Zusatz der zu prüfenden Flüssigkeiten behufs Präparierung der 
ersteren zusammengemischt. Die Röhrchen werden mit physiologischer Koch- 
salzlósung auf 3 cem aufgefüllt und bleiben 2 Stunden bei 389. 


nach 














Art und Menge der zu prüfenden 
u. Flüssigkeiten Ee Hämolyse nach 2 Stunden 


0,1 ccm akt. Kaninchenserum | vollständig 


005 , » » teilweise 
0,025,  ,, m deutliche Spur 
001 , s» » Spur 

03 ,  , Conjunctivalsekret së 
Qo 3s e keine 

1,0 ,, Kochsalzlósung » 


Im Gegensatz zu dem Serum des Tieres ist die nach der Höllen- 
steineintráufelung produzierte Conjunctivalflüssigkeit durch eine kräftige 
thermostabile Aktion für den Typhusbacillus „Gabersee“ und den 
Staphylococeus aureus ausgezeichnet. Dies schliesst schon eine Identi- 
fizierung mit der Alexinwirkung aus; ausserdem aber weist auch die 
geringe hämolytische Wirkung des Sekretes im Vergleich zu der des 
Serums darauf hin, dass nur eine minimale Menge von gelösten Serum- 
bestandteilen ausgetreten ist. 

Das Conjunetivalsekret hat hinsichtlich seiner Wirksamkeit eine 
weitgehende Ähnlichkeit mit der Unterhautzellgewebsiymphe; es lag 
daher der Gedanke nahe, dass jene ihre Bakterieidie wie diese ihre 
Gehalte an Leukoeytenstoften verdankt. 

Zur Bestätigung dieser Vermutung wurden m dem folgenden 
Versuche Leukoerten, die in das Conpunetivalsekret nach der Silber- 
nitratlösung ausgewandert waren, in unwirksamer, normaler Conjunc- 
tivaltlüssigkeit digeriert und dann das Digest auf seine bakterientötende 
Fähigkeit geprüft. 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 253 


Versuch XVII. 


Von zwei Kaninchen wird, bei dem einen ohne dass etwas vorher 
eingeträufelt wurde, in beide Bindehautsäcke Watte eingelegt. Dem zweiten 
wird beiderseits 0,2 ccm einer 1prozentigen Argentum nitricum - Lösung ein- 
geträufelt, aber nur auf dem einen Auge Watte unter die Lider geschoben. 
Nach 2 Stunden werden die Wattebäusche bei beiden Tieren in der üb- 
lichen Weise entnommen, abgesaugt und die gewonnenen Flüssigkeiten ge- 
trennt zentrifugiert: „normales Conjunctival-Sekret“ und „Watte AgNO;- 
Sekret‘. Aus dem Auge, das nach der Silbernitratlösung keine Wattebäusche 
erhalten hatte, wird nach 2 Stunden in kleinen Portionen das im Binde- 
hautsack befindliche Sekret in der Gesamtmenge von nicht ganz 0,35 ccm 
aufgesaugt, zentrifugiert — „AgyNO,-Sekret‘“ — und von dem ausgeschleu- 
derten Bodensatz 0,04 cem in 0,8ccm normaler Conjunctivalflüssigkeit des 
ersten Tieres 25 Minuten bei 38? digeriert und dann wieder mit der Zen- 
triffuge eliminiert — „A9NO,-Leuk. Digest“ —. Alle Flüssigkeiten sind klar, 
von leicht gelblicher Farbe und gerinnen nicht. 


Baktericider Versuch. Typhusbacillen. 


Inhalt der Röhrchen je 0,5 ecm, davon 0,05 eem Aufschwemmung einer 
12 Stunden alten Typhusbacillenagarkultur in physiologischer Kochsalzlösung 
mit geringem Bouillonzusatz. Aussaat mit grosser Öse auf Agar sofort, 
nach 3, 7 und 24 Stunden. 


Koloniezahl 
Art und Menge der zu prüfenden 











Flüssigkeit nach nach nach 
MEET SE | 3 Stdn. | 7 Stdn. | 94 Stdn. 
0,3 ccm AgNO,-Sekret” 103 d 0 0 
0,45 Watte AgNO,- Sekret 107 0 0 0 
0,45 ,, Norm.-Conjunctivalsekr. 108 161 362 ao 
045 , AgNO,-Leuk.-Digest 100 36 4 0 


War durch diesen Versuch schon mit grosser Wahrscheinlichkeit 
dargetan, dass das Silbernitratsekret seine Wirkung durch die von den 
ausgewanderten Leukocyten herrührenden Leukine enthält, so wurden 
doch noch einige Experimente angestellt, auf Grund deren ich jede 
etwa mit dem Höllenstein zusammenhängende chemische Wirkung des 
Sekretes wollte ausschliessen können. 

Dass nicht etwa nach der Neutralisation des Argentum nitricum 
zurückgebliebene chlorsilberhaltige Flüssigkeit in die Bäusche eindringt 
und den wirksamen Bestandteil der später abgesaugten Conjunctival- 
flüssigkeit abgibt, erhellt aus dem nächsten Versuch. 


Versuch XVIII. 


Das eine Auge eines Kaninchens wird mit einer Flüssigkeit, in der 
auf 1Ocem physiologischer Kochsalzlösung 4 Tropfen einer 1 prozentigen 


254 R. Schneider 


Silbernitratlósung zugesetzt sind, ausgiebig bespült; dann wird in seinen 
Conjunetivalsack Watte eingelegt; das gleiche geschieht auf dem andern 
Auge, ohne dass vorher etwas an ihm vorgenommen ist. Die Bäusche 
werden nach 2!|, Stunden herausgenommen und die in ihnen enthaltene 
Flüssigkeit in der üblichen Weise gewonnen und zentrifugiert. Die Aus- 
beute beträgt auf jedem Auge ungefähr 0,7 cem. 


Baktericider Versuch. Typhusbacillus „Gabersee“. 


Inhalt der Röhrchen je 0,5 cem, davon 0,05 cem Emulsion von einer 
12stündigen Agarkultur des Typhusbacillus „Gabersee“. Aussaat mit grosser 
Öse auf ios sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden. 














e | Kolonieankl 
Art und Menge der zu prüfenden | 




















Flüssigkeit 4. |; nach | nach nach nach 
EE sofort |4 Stde.|3 Stdn. | 7 Stdn. | 24 Stdn. 
0,45 ccm akt. Norm. - Conjunetiv al- | | | | 
sekret | 16 66 58 | 165 | 115 
045 ,  , ChHlorsilber-Conjunc- | | 
tivalsekret 74 | 62 64 | 89 , 196 





Um dem Einwand zu begegnen, dass etwa dem Atzschorf von 
dem Argentum nitricum herrührende bakterienfeindliche Stoffe an- 
haften, wurde in folgendem Versuch mit dem Einlegen der Watte 
D Bun nach der Instillation gewartet, damit sich die Eschara 
erst abstossen konnten. 


Versuch XIX. 


In das eine Auge eines Kaninchens wird 0,5 cem 1 prozentige Hóllen- 
steinlósung eingetrüufelt und dann neutralisiert. Die Conjunetiva zeigt dar- 
aufhin die typischen Veränderungen: weisslicher Ätzschorf, Injektion und 
ziemlich starke Absonderung. Nach UL, Stunden hat sich die Sehorfsehichte 
in weisslichen Fäden und Flocken abgestossen. Erst dann erfolgt beider- 
seits — auf dem zweiten Auge ohne vorangegangene Instillation — die 
Einlegung der Watte, die im Höllensteinauge nur eine Viertelstunde, im 
kontrollauge !/, Stunde liegen bleibt. Gewinnung der Sekrete in gewohnter 
Weise. 

Bakterieider Versuch. Staphylokokken. 


Inhalt der Röhrchen 0,35 eem; davon 0,05 eem Emulsion einer 13 stün- 
digen Staphylokokkenkultur auf Agar. Aussaat mit grosser Öse sofort, nach 
1, 3, 7 und 24 Stunden auf Agar. 


Koloniezahl 


Art und Menge der zu prüfenden | 
Flüssigkeiten nach ; nach : nach  ' nach 


Stde. -3 Stdn. | 7 T Stdn. | 24 Stdn. 


sofort 1n 1 








| 
| 


o cem Size Xorm.-Conj. Sukret | Xp : ET 





0, | 203 | ond 500 E: ac 
Od ue se NUES. uw. 0 429 D a 0 
0,3 , inakt. ,, ss E . 130 | 345 | o" 0 | 0 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 255 


Wurde in den bisherigen Versuchen auf die gründliche Beseiti- 
gung der instillierten Flüssigkeiten aus dem Bindehautsack gesehen, 
so geschah dies in dem nächsten Versuch in besonderem Grade. Sollte 
doch gezeigt werden, dass nicht etwaige Reste der Einträufelungs- 
flüssigkeiten, sondern die Dauer des Verweilens der Wattebäusche im 
Auge die Stärke der Wirkung der Flüssigkeit beeinflusst. 


Versuch XX. 


In den Conjunctivalsack eines Kaninchenauges wird 0,1 cem 1prozen- 
tige Argentum nitricum-Lösung vorsichtig eingeträufelt; trotzdem fliesst so- 
fort ein Teil milchigweiss getrübt ab. Der Rest wird durch Öffnen und 
Schliessen, Abheben und Anlegen der Lider möglichst über die ganze Binde- 
hautoberfläche verteilt und dann durch Streichen und Andrücken der Lider 
an den Bulbus möglichst wieder herausbefördert. Darauf hat die Conjunc- 
tiva ein mattes, trockenes, blassrötliches Aussehen und im Bindehautsack ist 
keine Spur von Flüssigkeit. Alsdann werden 10 ccm physiologische Koch- 
salzlösung in Portionen von je 2ccm in den Bindehautsack eingegossen 
und dieser möglichst überall bespült. Durch obige Manipulationen wird die 
Neutralisationsflüssigkeit, die keine Spur von Trübung zeigt, eliminiert und 
ausserdem der Conjunctivalsack mit kleinen Wattetupfern vollständig aus- 
getrocknet. All diese Manöver nehmen 7 Minuten in Anspruch, worauf 
Wattebäusche eingelegt und die Lider geschlossen werden. Nach einer 
Viertelstunde werden sie herausgenommen und durch neue ersetzt; diese 
bleiben ebenso lange liegen und werden abgelöst von Bäuschen, die 1!/, Stunde 
im Bindehautsack verweilen. Dann wird jede Gruppe für sich abgesaugt 
und werden die Flüssigkeiten zentrifugiert. Die Menge des ersten !|,stün- 
digen Sekretes beträgt 0,52 cem, die des zweiten 0,55 und die des dritten 
0,85 cem. 

Baktericider Versuch. Staphylokokken. 

Inhalt der Röhrchen 0,45 ccm, davon 0,05 ccm Emulsion von Staphylo- 
kokkenkultur in Kochsalzlósung mit einigen Tropfen Bouillon. Aussaat mit 
grosser Öse auf Agar sofort, nach 1!/, 3!| und 9 Stunden. 





- -——.ILLIL——————————————————-——- 














Koloniezahl 
Art und Menge der zu prüfenden 
Flüssigkeiten sofort nach nach nach 
1'/, Stdn. | 3'/j, Stdn. | 9 Stdn. 
0,4 cem akt. Conjunctivalsekret I| 98 86 28 | 6 
04 , , d | 104 59 40 6 
0f 4 3 e III | 91 2 0 0 








Im hämolytischen Versuch, der wegen Materialmangels nicht komplett 
anzustellen ist, lóst 0,1 cem Sekret I in geringer Spur, 0,15 ccm Sekret II 
ebenfalls in geringer Spur und 0,45 cem Sekret III in deutlicher Spur in 
2 Stunden, die als Testobjekt benutzten präparierten Ziegenblutkörperchen, 
während 0,05 cem Serum des Tieres vollständige Lyse bewirken. 


Nach den vorhergehenden Versuchen kann es kaum mehr 
einem Z weifel unterliegen, dass die Conjunctivalsekrete nach 
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 2. 17 


256 R. Schneider 


Silbernitratlósunginstillation ihre baktericide Wirksamkeit 
hauptsüchlich ihrem Gehalte an Leukinen verdanken. 
Entsprechend erstreckt sich ihre baktericide Wirkung, wie ich 
noch an einigen weiteren Beispielen zeigen will, auch auf Bakte- 
rien, die in dem entsprechenden Blutserum reichlich sich vermehren 
können. 
Versuch XXI 


Nach Einträufelung mehrerer Tropfen 1prozentiger Höllensteinlösung 
werden Wattebiusehe in den Bindehautsaek eingelegt und 2!|, Stunden 
darin gelassen, bis sie in üblicher Weise ihrer Flüssigkeit beraubt werden. 


Bakterieider Versuch. Pneumokokken. 


Inhalt der Röhrchen je 0,5 cem, davon 0,05 cem Aufschwemmung von 
einer 12 stündigen Pneumokokken-Pferdeserumbouillonkultur. Aufschwem- 
mungsflüssigkeit: physiologische Kochsalzlösung, die 10°, Pferdeserumbouillon 
enthält. Aussaat mit grosser Öse auf Löfflerserum sofort, nach 1, 3 und 
7 Stunden. 


Bo d DEE — — — e Mm M — — 


Koloniezahl 














Art und Menge der zu prüfenden | 
Flüssigkeiten sofort | „nach nach _ nach 
| | 1 Stde. 3 Stdn. 7 Stdn. 
0,45ccm akt. Kaninchenserum | 40 | 68 195 | reich]. 
045 ,  , Conjunctivalsekret | 44 | 0 0 0 
| 


Versuch XXII. 


Es bleibt die Watte 2 Stunden nach der Instillation des Argentum 
nitricum und seiner Neutralisation liegen, um dann wie immer ihre Imbi- 
bitionsflüssigkeit herzugeben. Das Serum ist aus dem tags zuvor ent- 
zogenen Blut desselben Tieres ausgepresst. 


Baktericider Versuch. Streptokokken und Meningokokken. 


Die Streptokokken stammen von einer 12stündigen Agarkultur, die 
Meningokokken von einer ebenso alten Kultur auf Löfflerserum. Die Auf- 
schwemmung der Keime wird in physiologischer Kochsalzlósung, die mit 
10°, Pferdeserum versetzt ist, gemacht. Inhalt der Röhrchen 0,35 cem; 
davon 0,05 eem Dakterienemulsion. Aussaat der Streptokokken auf Agar, 
der Meningokokken auf Lófflerserum mut grosser Öse sofort, nach ?|,, 3, 
7 und 24 Stunden. In Röhre 1 und 2 sind Streptokokken, in 3 und 4 
Meningokokken eingesit. 


= | Koloniezahl 
Röhre Art und Menge der zu prüfenden | 
PUES Flüssigkeiten | tnach | nach ^ nach | nach 


ae : Be 2 x 
| sofort D Std.'3 Stdn. 7 Stdn. 24 Stdn. 


1 0,3 cem akt. Kaninchenserum 17 215 rechl. e oc 
2. 03 , ,  Conjunetivakerum | 179 2 0 5 Q Q 
à 103 , , — huninehenserun. , 110 0. 0 , 0 

4 02 , ,  Conunetivakerun , 102. 0, 0 , O0 i 


i 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 257 


Versuch XXIII. 


2cem Conjunetivalsekret, das 2!|, Stunden nach der Silbernitratein- 
träufelung aus der eingelegten Watte entzogen worden ist, und Serum des- 
selben Tieres werden zusammen mit Proben von frischem Menschenserum 
und Kaninchenleukocytendigest in 5 prozentiger Serum-Kochsalzlösung (,„Ka- 
ninchenleukin‘“) auf ihre Wirksamkeit für Diphtherie und Xerosebacillen 
geprüft. 


Baktericider Versuch. Diphtherie- und Xerosebacillen. 


Beide Bacillen sind auf Löfflerserum 12 Stunden gewachsen; der Xerose- 
bacillus ist nach Isolierung aus Bindehautsekret erst zum dritten Male um- 
geimpft. Aufschwemmungsflüssigkeit ist Kochsalzlósung mit 10 /, Bouillon. 
Inhalt der Röhrchen 0,5 cem, davon 0,05 cem Bakterienemulsion. Aussaat 
mit grosser Öse auf Löfflerserum sofort, nach 1, 3 und 7 Stunden. 

In Röhre 1—5 sind Diphtheriebacillen, in Röhre 6—9 Xerosebaßillen 
eingesät. 





Koloniezahl 











Art und Menge der zu prüfenden 
Röhre Basiclei nach nach nach 
n 
EE Sen | 1 Stde. |3 Stdn. | 7 Stdn. 
1 0,45 ccm akt. Kaninchenserum 256 296 | 370 | reichl. 
2 045 , ,  Conjunctivalsekret 253 0 0 0 
9 0,45 ,, inakt. ab 261 0 0 0 
4 0,45 ,, akt. Kaninchenleukin 250 0 0 0 
5 045 , wo Menschenserum 204 285 316 | reichl. 
6 045 ,  , Kaninchenserum 135 160 215 430 
7 045 ,  , Conjunctivalsekret 138 0 0 0 
8 045 , „ Kaninchenleukin 142 0 0 0 
9 045 , ,, Menschenserum 147 169 | 272 540 


| 
Die Beispiele mögen zur Illustrierung der Leukinwirkung der 
Höllenstein-Conjunctivalsekrete auf vom Serum nicht lysierbare Bak- 
terien genügen. 
In dem nächsten Versuche haben die Wattebüusche verschieden 
lange Zeit sich zu imbibieren gehabt. 


Versuch XXIV. 


Von zwei Kaninchen wird dem einen nach Instillation und Neutrali- 
sation von 4 Tropfen Silbernitratlösung in beide Augen Watte eingelegt; 
letztere wird rechts nach 2 Stunden, links nach 1 Stunde herausgenommen. 
Dem andern Tier wird in das rechte Auge ebenfalls Argentum nitricum 
eingeträufelt und dann in ihm Watte nur eine halbe Stunde liegen gelassen, 
während in dem linken, nicht vorbehandelten Auge die Bäusche 2 Stunden 
liegen bleiben. Die Ausbeute an !/,stündigem A9.N 0,-Sekret beträgt 0,81 cem, 
an 1stündigem AgNO,-Sekret 0,353 cem, an 2stündigem AyNO,-Sekret 
1,4 cem und an 2stündigem Normal-Sekret 0,84 cem. 

17* 


958 R. Schneider 


Baktericider Versuch. Pneumokokken und Diphtheriebacillen. 


Die Pneumokokken entstammen einer 13stündigen Pferdeserumbouillon- 
kultur, von der 0,002 ccm eine Maus in 24 Stunden tötet. Die Diphtherie- 
bacillen rühren von einer ebenso alten Löfflerserumkultur her. Aufschwem- 
mungsflüssigkeit: physiologische Kochsalzlösung mit 10°], Pferdeserumbouillon. 
Inhalt der Röhrchen 0,4 cem, davon 0,05 cem Emulsion. Aussaat mit grosser 
Öse sofort, nach 1, 3 und 7!|, Stunden auf Lófflerserum. Röhre 1—4 
enthült Pneumokokken, 5— 8 Diphtheriebacillen. 





| Koloniezahl 
* Art und Menge der zu prüfenden 
Róhre Flüssigkeiten sofort nach nach ! nach 
1 Stde. |a Stdn. | Tia Stdn. 


0,35 cem akt. !, h AgNO, -Sekret oan | 


1 E 0 0 
2 0, 35 , , l, » » 220 0 0 0 
3 0,35 "o 192 0 0 0 
4 |09385 , , 2, ' Norm. -Sekret 230 220 268 310 
b 103b , ew Yiv Ai O,-Sekret 133 0 0 0 
6 |035 , , 1, | 181 0 0 0 
T 108b , dn 2, - 115 0 0 0 
8 1035 „p „ 9. = Norm. -Sekret | 135 133 405 | reich. 


Im hämolytischen Versuch löst 0,1 ccm des Kaninchenserums die prä- 
parierten Ziegenblutkörperchen komplett, 0,05 ccm fast komplett, während 
0,1 cem des !},stündigen AgN O,-Sekretes keine, das 1- und 2stündige 49V O,- 
Sekret nur spurweise Hämolyse bewirkt. 


Man erkennt also aus dem letzten Versuche, dass schon 1], Stunde 
post instillationem eine ausgiebige Leukinproduktion im Conjunctival- 
sekret stattgefunden hat. 

Interessant war es nun, zu erfahren, bis zu welcher Konzentra- 
tion das Silbersalz noch wirksame Sekrete schafft. Dies sollte in 
folgendem Versuche festgestellt werden. 


Versuch XXV. 

Von einer !|,;, !|;, !|, und !|,prozentigen Silbernitratlósung wird je 
!|,eem in ein Kaninchenauge einfliessen gelassen und für eine gute Be- 
netzung der ganzen Bindehaut gesorgt. Dann wird mit 2 eem physiolo- 
gische NaCl-Lösung neutralisiert. Die !|, und !/„prozentige Lösung hinter- 
lässt eine kaum sichtbare Verätzung der Schleimhautoberfläche. Die ein- 
gebrachten Wattebäusche werden nach genau 2 Stunden entfernt und durch 
frische ersetzt, die ebenfalls 2 Stunden liegen bleiben. Die Gewinnung der 
verschiedenen Flüssigkeiten geht in bekannter Weise vor sich: „Us, bis 1],- 
prozentiges AyNO,-Sekret I und I“. 


Bakterieider Versuch. Staphylokokken. 


Inhalt der Röhrchen 0,45 cem; davon 0,05 eem Emulsion einer Staphylo- 
kokkenagarkultur in Kochsalzlösung mit etwas Bouillonzusatz. Aussaat mit 


grosser Öse sofort, nach 1, 3, 7 und 24 stunden. 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 259 


Koloniezahl 
Art und Menge der zu prüfenden en 


Flüssigkeite ! nach | nach nach nach 
en sofort | 1 Stde.!3 Stdn.) 7 Stdn. | 24 Sdn. 


0,4 cem akt. /,*/, AgNO,-Sekret I| 185 | 46 | 72 | reichlich 
0; 0 








ao 
Ot 4, n "Dei » I| 183 0 0 0 
DÄ o on is fe 5 I| 190 0 0 0 0 
0,4 » » ri y^ » I| 183 0 0 0 0 
0,4 » » lido Jo » II 184 45 90 reichlich oo 
QE a ds c oe 5; II| 186 67 0 0 0 
04 , , !.'h 5 II| 175 19 0 0 0 
0,4 39 19 1s % 99 lI 176 113 13 9 0 
04 , ,  Kaninchenserum 176 | — | 92920 | reichlich oo 
04 , phys. NaCl-Lósung | 180 — | 206 oo 


29 


Baktericider Versuch. Diphtheriebacillen. 


Dasselbe Material wie in vorstehendem baktericiden Versuch in der 
geringen Menge von 0,1 cem gegenüber Diphtheriebacillen geprüft. Diese 
werden in Kochsalzlösung mit 10°), Pferdeserumbouillonzusatz emulgiert 
und von der Aufschwemmung 0,05 cem den Röhrchen hinzugefügt. Ausser- 
dem werden die Röhrchen mit 0,2cem physiologischer NaC/-Lösung auf 
0,35 cem aufgefüllt. Aussaat mit grosser Öse auf Löfflerserum sofort, nach 
1, 3, 7 und 24 Stunden. 


1 — 2 2 Á DDR 


Koloniezahl 





Art und Menge der zu prüfenden 














Flüssigkeite nach | nach nach nach 
EN, sofort |Sto. 3Stdn.| 7 Stdn. | 24 Stan. 
0,1 ccm akt. !,,*, AgNO,-Sekret I 118 | 109 | 91 | reichlich] œ 
01 TC g 1,195 | 0| 0 0 0 
Ql, nn ho m (moi ol o0 0 
0l, "bd f I|126| 0| 0| o 0 
Ol os s Ut. is II, 197 | 147 | 260 | reichlich oo 
01 , wn A" E II | 128 | 186 | 296 | 400 0 
Ol, ,» !*, E II | 130 | 125 | 100 0 0 
0l, » : II | 130 | 84 | 10 0 0 


Dieser Versuch zeigt, dass Argentum nitricum bereits in ![,, pro- 
zentiger Lösung eine Baktericidie des Conjunctivalsekretes verursacht, 
die, wenn sie auch rascher als die nach konzentrierten Lösungen auf- 
tretende vorübergeht, dieser nicht viel nachsteht. Darf diese an ge- 
sunder Kaninchenbindehaut gemachte Beobachtung nicht ohne weiteres 
auf die katarrhalisch erkrankte menschliche Conjunctiva übertragen 
werden, so lässt sie sich vielleicht doch als Hinweis verwerten, dass 
in gewissen Fällen schwächere Lösungen in häufigerer Anwendung 
indiziert sind. Ich werde auf diesen Punkt später noch zurückkommen. 


Protargol. 
Von den 8 Ersatzpräparaten des Höllensteins, der wegen seiner 
stark reizenden verschorfenden und nur oberflächlichen Wirkung viel- 


260 D Schneider 


fach Anfechtungen erlitten hat, wurde allein das Protargol, als dessen 
Vorzüge relative Reizlosigkeit und grössere Tiefenwirkung bei gleicher 
antiseptischer Kraft von verschiedenen Seiten gerühmt worden ist, 
hinsichtlich seines leukinbildenden Vermögens untersucht. 


Versuch XXVI. 


Nach Instillation einer 10 prozentigen, vorschriftsmässig hergestellten 
Protargollósung werden Wattebiusche in den Conjunctivalsack eingelegt 
und nach 2!/, Stunden herausgenommen. Das gewonnene Sekret wird 
gegenüber Diphtheriebacillen und Pneumokokken auf seine baktericide Eigen- 
schaft geprüft. 


Bakterieider Versuch. Diphtheriebacillen und Pneumokokken. 


Inhalt der Röhrchen 0,45 cem, davon 0,05 ccm Aufschwemmung von 
Diphtheriebacillen bzw. Pneumokokken in phys. NaC/-Lösung mit 10°, Zu- 
satz von Pferdeserumbouillon. Aussaat mit grosser Öse sofort, nach 3, 9 
und 24 Stunden und zwar aus dem Diphtherieröhrchen 1 auf Löfflerserum 
und dem Pneumokokkenröhrchen 2 auf Agarplatten, die mit Pferdeserum- 
bouillon bestrichen sind. 





Koloniezahl 











Röhre Art und Menge der zu , , h 
-üfenden Flüssirkeite I nacn nach nac 
zc CM Uu | 3 Stdn. | 9 Stdn. 24 Stdn. 
1 | 0,4 ccm | 199 | 0 | 0 0 
2 | 04 , || 1398 o 0 0 


Das Protargol teilt also mit dem Argentum nitricum die Fähigkeit, 
die Leukinproduktion zu veranlassen und. das Conjunctivalsekret durch 
diese Leukocytenstoffe zu einer für alle in Betracht kommenden Mikro- 
organismen baktericiden Flüssigkeit zu machen. 

Nachdem uns diese Erkenntnis durch das Experiment geworden 
ist, sel es gestattet, einmal die bisher den Silbersalzen  vindizierten 
Funktionen mit kritischen Augen anzuschauen. 

„Adstringierend®, d. h. zusammenzichend solle das Argentum 
nitricum wirken und man verknüpft damit die Vorstellung, dass durch 
Verminderung der Blutfülle der entzündeten Conqunetiva die Ent- 
zündung vermindert werde. Nun in der gebräuchlichen Konzentration 
von 1—2 Prozent bewirkt der Höllenstein keine Gefässverengerung 
oder sie dauert so kurz an, dass sie gegenüber der sofort sich ein- 
stellenden Hyperämie nicht in Betracht kommt. Wir erstreben aber 
auch gar nieht so sehr eine Gefässkontraktion, können doch die Leu- 
koevten dureh erweiterte Gefässe leichter und zahlreicher durchtreten. 
Und. wenn. es auch. gelinge, die Dlutüberfüllung herabzusetzen, so ist 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 26] 


damit nur ein Symptom gemildert, was bei fortbestehender ursächlicher 
Noxe noch keine Heilung bedeutet. 

Wie steht es mit der Elimination durch die Schorfbildung? Ich 
bin nicht der erste, der auf die geringe Tiefe der Verätzung durch 
Argentum nitricum hinzuweisen für angebracht hält. Gewiss werden 
mit der Abstossung der Eschara eine Anzahl anhaftender Keime mit 
entfernt, aber eine radikale Arbeit ist damit auch nicht geleistet, denn 
tiefer sitzende und etwa in Schorfresten zurückbleibende Bakterien 
werden sich in den für ihr Wachstum geeigneten. Gewebstrümmern 
vermehren und durch die Schädigung des schützenden Epithels leichter 
eindringen können. 

Aus ähnlichen Gründen kann auch die antiseptische Wirkung 
der Höllensteineinträufelungen nur gering sein. Ist sie doch auch 
oberflächlich und kann die in den Taschen und Unebenheiten der 
Schleimhaut versteckten Bakterien kaum treffen; dazu kommt, dass 
das Argentum nitricum sehr rasch durch das Eiweiss der Zellen und 
des Sekretes gebunden und durch das Chlornatrium neutralisiert wird. 
ganz abgeschen davon, dass infolge der Verdünnung die Konzentra- 
tion der eingeträufelten Lösung stark reduziert wird. 

So bleibt nur wenig von dem übrig, was man als den therapeu- 
tischen Effekt des Argentum nitricum angesehen hat, und wenn darin 
seine ganze Leistung bestände, so könnte man die Geringschätzung. 
die manche Autoren dem Höllenstein als Heilmittel zu teil werden 
liessen, schon verstehen. Die Emigration der Leukocyten und 
die Leukinbildung ist das Wertvolle der Höllensteintherapie 
bei infektiösen Bindehauterkrankungen. Wenn man sich zu 
dieser Anschauung bekennt, so wird man auch eine praktische Nutz- 
anwendung daraus ziehen. Statt einer möglichst tief ätzend und 
möglichst stark desinfizierend wirkenden Lösung wird man eine Kon- 
zentration wählen, die etwa hinreicht, die Leukocyten zur Auswande- 
rung und zur Abgabe ihrer Stoffe zu bringen. Dadurch werden eine 
grössere Schonung des Gewebes uud eine wirksamere Unterstützung 
des natürlichen Heilungsvorganges garantiert. 

Ob und wie die aus meinen Versuchen sich ergebenden Gesichts- 
punkte praktisch zu realisieren sind, ist Sache der klinischen Be- 
obachtung zu entscheiden. Jedenfalls kann ich mir vorstellen, dass 
es unter Umständen dem Praktiker erwünscht ist, zu wissen, dass 
auch in schwächerer Konzentration das Argentum nitricum in der 
von mir angegebenen Richtung von Nutzen ist. Er wird sich eher 
zur Applikation dieses Mittels entschliessen, wenn er die mit der 


969 R. Schneider 


üblichen Konzentration. von !| bis 1 Prozent verbundenen Reizungen 
und Schüdigungen der Conjunctiva nicht mit in Kauf zu nehmen 
braucht. Letztere zu vermeiden, ohne auf die Silbersalzwirkung ver- 
zichten zu müssen, war der Grund dafür, warum man auf die Suche 
nach Ersatzpräparaten des Höllensteins ging. Ja, man sah deshalb 
ganz von der Anwendung des Silbernitrates ab und begnügte sich — 
ich denke hier besonders an die Behandlung der Ophthalmoblennorrhöe — 
mit Spülungen mit dünnen Lösungen von Kalium hypermanganicum 
|Kalt(42—43)], mit ganz indifferenter physiologischer Kochsalzlösung, 
Lambhofer!), [v. Ammon (44)], oder mit dem sicher auch nicht harm- 
losen Hydrargyrum oxycyanatum [Schlösser — v. Sicherer (45)}. 
Auch die Behandlung der Ophthalmoblennorrhöe, die Gilbert (46) in 
der Klinik vor Eversbusch und Lenz in der Uhthoffschen Klinik 
in der Form wiederholter Spülungen mit Rinderserum bei einer Reihe 
Fälle durchgeführt hat, ist als ein Versuch mit einer schonenderen The- 
rapie anzusehen. An Publikationen über günstige Erfolge mit schwächeren 
Lösungen des Höllensteins hat es nicht gefehlt [Burchardt (47), 
Greeff (48)]. 

Will ich mich hinsichtlich der therapeutischen Anwendung der 
Silbernitratlösung zu der Äusserung im Sinne einer zu erstrebenden 
Herabsetzung ihrer Konzentration enthalten und dem Kliniker anheim- 
geben, ob er mit Rücksicht auf meine Resultate es mit öfter zu wieder- 
holenden schwächeren Instillationen versuchen will, so möchte ich 
schon eher einer Reduktion des Silbergehaltes des als Prophylaktikum 
verwendeten Credeschen Tropfens das Wort reden. Dürften doch 
auch nach einer etwa ![jj- bis !|, prozentigen Höllensteinlösung hin- 
reichend Leukinmengen im Bindehautsack anzutreffen sein, dass einer 
Ansiedelung von Infektionserregern dadurch vorgebeugt wäre. Sicher 
würden dann auch die allerdings seltenen Fälle vermieden werden, in 
denen es im Anschluss an die Credésche Einträufelung zu Reizer- 
scheinungen der Conjunctiva kam [v. Ammon (loc. cit), Cramer (49), 
Bischof£(50), Seipiades (50a)]. 

Am Schlusse dieser Erörterungen über die Argentum-Wirkung 
muss ich einem naheliegenden Einwande begegnen. Ich habe die 
Emigration der Leukocyten und die Abgabe ihrer Stoffe als die wesent- 


1) Lamhofer hat nach einer Mitteilung, die Eversbusch auf der deutschen 
Naturforscherversammlung 1899 gemacht hat, die Behandlung der Ophthalmo- 
blennorrhóe mit warmer physiologischer Kochsalzlósung und 3 proz. Boricinlósung 
eingeführt. Eversbusch: Behandlung der gonorrhoischen Erkrankungen des 
Auges; Penzoldt-Stintzing, Handh. d. spez. Ther. inn. Krankh. Bd. VI. S. 1138 
bis 114, 1903 hat diese milde Behandlung durchweg bewährt gefunden. 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 263 


lichsten, durch das Silbernitrat bewirkten Momente bezeichnet, die für 
die Heilung der infektiösen Bindehautkatarrhe in Betracht kommen. 
Nun gibt es Bindehautinfektionen — der akute Schwellungskatarrh 
und besonders die Blennorrhöe —, deren Krankheitsbild durch die 
Produktion eines äusserst leukocytenreichen Sekretes geradezu charak- 
terisiert ist und bei denen wir mit Vorliebe die Silberpräparate ver- 
wenden. Liegt darin kein Widerspruch? Durchaus nicht; denn An- 
sammlung von Leukocyten besagt noch nicht ausgiebige Bildung von 
Leukinen. Dass eine gewisse Menge baktericider Stoffe in patholo- 
gischen Sekreten der Bindehaut vorkommt, zeigen die Versuche von 
Bernheim, Bach, zur Nedden u. A. Die von ersterem angegebene 
Thermostabilität und Wirksamkeit auf Strepto- und Staphylokokken 
lässt die Anwesenheit von Leukinen vermuten. Aber immerhin war 
die Baktericidie doch recht schwach. Auch in dem Eiter der Dakryo- 
cystoblennorrhöe sind massenhaft Leukocyten vorhanden; aber wie zur 
Nedden gefunden hat, ist die Flüssigkeit des Eiters ebensowenig 
baktericid wie die Leukocyten befähigt sind, Mikroorganismen zu fressen. 
Zur Nedden erklärt dies baktericide Unvermögen damit, dass das 
Tränensacksekret meist viel Schleim und Tränenflüssigkeit enthalte, 
die nicht baktericid sind, und dass etwaige aktive Substanzen durch 
die im Eiter zahlreich enthaltenen Bakterien gebunden würden. Diese 
Erklärung genügt jedenfalls nur teilweise. 

Wie ich gezeigt habe (loc.cit), geben die Leukocyten nicht von selbst — 
weder im Leben noch bei ihrem Absterben — ihre wirksamen Stoffe 
ab; sie bedürfen hierzu eines Reizes. Heile(51) konnte dartun, wie 
der mit Eiter angefüllte tuberkulöse Abscess erst eine heilende Ten- 
denz erhielt, wenn durch Jodoforminjektionen neue Leukocyten in die 
Abscesshöhle gelockt und zur Abgabe ihres Leibesinhaltes gebracht 
wurden. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den eitrigen Bindehaut- 
katarrhen; durch den von den Mikroorganismen und ihren Produkten 
ausgelösten Reiz kommt es wohl zu einer massenhaften Auswanderung 
der Leukocyten. Diese sterben, wenn nichts geschieht, in dem stag- 
nierenden Sekret allmählich ab, ohne sich ihrer wirksamen Stoffe zu 
entiussern. Wird dagegen ein Silbersalz eingeträufelt, so kommt es 
zu einer Emigration frischer Leukocyten und diese werden, wie viel- 
leicht auch ein Teil der vorhandenen, durch den gesetzten Reiz zur 
Absonderung gebracht. Es wirkt demnach das Argentum nitri- 
cum auf die Leukocyten nicht nur anlockend, sondern es 
veranlasst sie auch zur Abgabe der Leukine. 

Dass die Leukoeyten. nur. nebenbei: durch. Phagocytose. bei. der 


264 R. Schneider 


Vernichtung der Keime im Bindehautscekret mithelfen, habe ich bei 
einigen Infektionsversuchen beobachtet, von denen nur einer kurz 
skizziert sei. 
Versuch XXVII. 

Einem Kaninchen wird 20 Minuten nach Instillation von 0,1 eem einer 
] prozentigen Hóllensteinlósung und deren Neutralisation mit Na C/-Lösung in den 
Bindehautsack 0,025 eem einer 14stündigen virulenten Pneumokokkenkultur 
in Pferdeserumbouillon eingetrüufelt. Aus dem Bindehautsack wurden mit der 
Platinóse von Zeit zu Zeit Ausstriche auf Lófflerserum und Objekttrüger gemacht. 

Nach einer Stunde bereits sind die massenhaft eingebrachten Pneu- 
mokokken kulturell nicht mehr nachzuweisen. In den mikroskopischen 
Präparaten, die nach 10 Minuten angefertigt sind, findet man ausserhalb 
der polymorphkernigen Leukocyten zum Teil schon stark veränderte Keime 
vor. Nach !/, Stunde sind die Pneumokokken fast nur mehr als schemen- 
hafte, blasige Gebilde, zu denen ich sie auch bei Vitroversuchen in Leukin- 
lósungen werden sah, vorhanden. Nur ganz vereinzelt war ein Leukocyt mit 
einigen solcher degenerierten Pneumokokken in seinem Zelleibe zu erblicken. 

Zu bemerken ist noch, dass das Tier 63 Stunden nach Beginn des 
Versuches an einer Pneumokokkensepsis verendete. Die Augen wurden 
fixiert, gehärtet und in Paratfin eingebettet geschnitten. In den histologischen 
Präparaten imponierte besonders die Zerstörung der oberen Epithelzellen- 
schichten der Conjunctiva, die Ansammlung von vorwiegend mononukleären 
Leukocyten und die ausgedelinte Ansiedlung der Pneumokokken unterhalb 
der Epithelien; es hatte also eine Allgemeininfektion mit Pneumokokken von 
der Conjunctiva aus stattgefunden. 


Zincum sulfuricum. 

Das Zinksulfat gehört in Y,—1prozentiger Lösung ebenfalls schon 
lange zu dem therapeutischen Rüstzeug gegen die verschiedenen Formen 
der Bindehautentzündungen. Besondere Beachtung hat es jedoch er- 
fahren, seitdem man in ihm ein souveränes Mittel gegen die Diplo- 
bacillenceonjunctivitis kennen gelernt hat. Als Erreger dieser weit ver- 
breiteten. Infektionskrankheit haben. fast gleichzeitig Morax(52) und 
Axenfeld(53) 1896 den nach ihnen benannten Diplobacillus entdeckt: 
auch das eigenartige klinische Bild, das meist der Krankheit zukommt. 
haben diese Autoren bereits präcisiert. Bald wurde auch festgestellt. 
dass Hornhautkomplikationen-Intiltrate Geschwüre, ja sehwere Hypo- 
pyonkeratitis durch den Diplobacillus verursacht sein kann, so durch 
Morax (loe. cit.) und Axenfeld (loc. cit.) selbst, Uhthoff (55). 
Peters(56) zur Nedden(57), Petit(58), Paul(59) Erdmann(060) 
Stoewer(61), Agricola (62). Zade (62a). Gegenüber allen Diplo- 
bacilleninfektionen. des. Auges erweist sieh. das. Zineum. sulfuricum als 
ein sicher und rasch wirkendes Mittel. 

Die Ursache für die auffallend gute Wirkung der Zinktherapie 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 965 


auf die Diplobacilleninfektion zu ergründen, wurden von Paul (loc. cit.), 
Silva(63) und zur Nedden (loc. cit. Untersuchungen angestellt. 


Paul stellte einen regelrechten Desinfektionsversuch mit Zink an und 
fand, dass selbst nach einer 5 Minuten langen Einwirkung von 1 prozentiger 
Lösung die an Granaten angetrockneten Diplobacillen widerstehen. Da un- 
möglich die Zinklösung so lange und in so hoher Konzentration im Binde- 
hautsack sich halten könne, hält Paul für ausgeschlossen, dass die heilende Wir- 
kung des Zink einfach durch dessen desinfizierende Kraft erklärt werden könne. 

Silva führte im bakteriologischen Laboratorium der Freiburger Augen- 
klinik ähnliche Versuche wie Paul aus und konstatierte erst nach !|, stün- 
diger Einwirkung einer !/, prozentigen Zinklösung eine desinfizierende Wirkung. 
Dagegen konnte er Entwicklungshemmungen der in Aseitesagar eingesäten 
Diplobacillen beobachten, wenn er auf 7 cem des Nührbodens 0,8 cem einer 
!/,prozentigen Zinksulfatlösung zusetzte.e In den Kontrollen mit Staphylo- 
kokken und Pneumokokken behinderten diese Quantitäten Zink das Waclis- 
tum nicht. Silva erachtet die Heilwirkung des Zinks als hauptsächlich auf 
dessen entwicklungshemmenden Einfluss beruhend. 

Auch zur Nedden untersuchte das Verhalten von Diplobacillenkulturen 
gegenüber Zinksulfat und ausserdem gegenüber Silbernitrat und Quecksilber- 
oxyeyanat und zog vergleichsweise Versuche mit Staphylokokken heran. 
Zu diesem Zwecke bereitete er sich Aufschwemmungen dieser beiden Bak- 
terienarten in Bouillon und Aqua destillata. In je 2ccm dieser Emulsionen 
setzte er einen Tropfen einer J prozentigen Silbernitrat-, !/, prozentigen 
Zinksulfat. oder 0,39|,, Quecksilberoxycyanatlósung. Nach einer eine Minute 
lang währender Einwirkung sollen nun die Diplobacillen wie die Staphylo- 
kokken durch das Argentum nitricum und das Hydrargyrum oxycyanatum 
vollständig abgetótet worden sein, während das Zincum sulfuricum kaum 
von Einfluss auf beide Keimarten war. Zur Nedden hält daher eine be- 
sondere Beziehung zwischen Diplobacillen und Zinksulfat nicht für gegeben, 
wie überhaupt letzteres ein ganz ungeeignetes Desinfektionsmittel sei. Weit 
entfernt daher die Erfolge der Zinktherapie auf eine desinfizierende oder 
entwicklungshemmende Wirkung des Zinksulfats zurückzuführen, erklärte er sie 
als eine Folge der durch das Zinksalz hervorgerufenen Hyperämie der Conjunc- 
tivalgefässe und des aus diesen erfolgenden Austrittes bakterieider Substanzen. 


Eigene Untersuchungen über die Wirkung des Zinks. 
Mit Rücksicht auf die geringe Klarheit, die nach dem Gesagten 
immer noch über die Ursache der Heilwirkung des Zincum sulfuricum 
herrscht, war es natürlich doppelt interessant, die Leukinbildung nach 
Zinkinstillationen zu studieren. Vorher wollte ich mir selbst ein Urteil 
über die direkt bakterientötende Eigenschaft des Zinksalzes bilden. 
Zu diesem Zwecke stellte ich einige vergleichende Desinfektionsver- 
suche mit Zinksulfat, Silbernitrat und Quecksilberoxweyanat gegenüber 
Diplobacillen, Staphylokokken und Pneumokokken an. Folgender Ver- 

such lehnt sich an die Methode an, die zur Nedden anwandte. 


R. Schneider 


Versuch XXVIII. 


Von einer 12stündigen Agarkultur des Diplobacillus Morax-Axenfeld 
wird eine Öse — ungefähr 70 Millionen Keime in 10 cem Bouillon emulgiert 
und von dieser Aufschwemmung kommen je 2,0 ccm in die Röhrchen I—IV. 
Zu Róhre I. (Kontrolle) wird dann 0,05 eem Aqua destill., zu II. 0,05 cem 
1?|, Argentum nitricum, zu III. 0,05 cem !|,?|, Zineum sulfuricum und zu 
IV. 0,05 eem 1:1500 eem Hydrargyrum oxycyanat. hinzugesetzt. 1 Minute, 
24 und 60 Minuten, sowie 16 Stunden, nachdem die letzteren Zusätze ge- 
macht sind, wird mit der grossen Óse 0,0125 cem entnommen und auf 
Löfflerserumplatten ausgestrichen. 

In derselben Weise wird eine Öse einer Agarkultur von Staphylococcus 
pyogenes aureus in 10 ccm Bouillon emulgiert, diese in die A Röhrchen 
V—VIII verteilt und mit den entsprechenden Zusátzen versehen. Die Aus- 
striche des entnommenen Öseninhaltes erfolgen auch in denselben Intervallen, 
jedoch auf Agarplatten. Hervorgehoben sei, dass der als Testobjekt be- 
nutzte Staphylokokkenstamm recht resistent war, d. h. er widerstand 1proz. 
Karbolsäurelösung 1!/, Stunden. Bei Röhre IX—XII ist in 2ccm Aqua 
destill. je eine ganze Öse Diplobacillen bzw. Staphylokokken emulgiert und 
die Entnahme der Proben erfolgt sofort, nach 2, 10, 30 Minuten und 


















































16 Stunden. Alles Weitere ist aus der Tabelle ersichtlich. Die mit Silber- 
nitratlösung versetzten Röhrchen trüben sich leicht. 
Uere u Te — 07 
N Aufschwem- Test- | ; & ; = 
Röhre mungsflüssigkeit! objekt Zusätze 33 25 33 | SE 
R Ha 18^. 
I 2 ccm Bouillon. | Diplobac. 005 SCH Aqu. dest. IS oo oo WEE j 
II 2 = » h AgNO; —| © J|reichl.| 86 | 0 
II |2 , » 2 li ZnSO, —| oo oo oo — 
IV- 42:5, T | ge | 1: 1500 Hg(ÓN), — © |c2.500| 0 | 0 
V 2-5 ji Staphyl. Aqu. dest. | æ oo o , D 
VI äi? | » 1h AINO, || © | © | ® | 155 
VII |2 , " 170), ZnSO —| o oo oo oo 
VII]? , —, E 1:1500 HÊN} |-| » | c | c | c 
Ei a E BE BE 
2| aa | 32 | Ss 
Sl fa | Fo |fe 
Be? 
IX |2ccm Aqu. dest. Diplobac.! 0,05 cem Aqu. dest. a o oo | X o 
x. 19. = | Staphyl. 0,05 y joo oo oo | oo o 
NL 29 5 5 Diplobac. o ZnSO, | æ 233 83 0 
X2. , Staphyl. ist . el e | x» | c |reichl. 








Wir sehen, dass die Diplobacillen nur in Aqua destillata emulgiert 
durch das Zink beeinflusst werden, da eine so rapide Vernichtung 
der. Diplobacillen und Staphylokokken, durch. Silbernitrat und Queck- 
silberoxyevanat, Nedden schon nach einer Minute an- 
gibt, in diesem Versuche nicht zu beobachten war, wurden im nächsten 
Versuch kleinere Mengen Bakterien als Einsaaten verwendet. 


wie sie zur 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 267 


Versuch XXIX. 


Die Versuchsanordnung entspricht der des vorstehenden Versuches, nur wer- 
den die Proben sofort, nach 1 und 15 Minuten mit der grossen Öse entnommen. 





Ee EE E el — 11. nn a! en =. 








deed ie | Koloniezahl 

Röhre Man. GN Zusätze madi tnai 

mungstlüssigkeit | objekt sofort | Min. 15Min. 
I | 9 cem Bouillon. | Diplobac 0.05 ccm vie. NaCl, 1 161 1 15: 154 117 
IL- 523 e | sp 1% AgNO; | 153 151 100 
HI .2 , g ES 1,0, ZnSO, | 133 130 113 
IV" 0125 y: ge | 1:1500 Hg( ON, 126 109 10 
LONE Gg gp Staphyl. phys. NaCl 195 181 202 
1:-12 4 jj | i 1", Ag NO, 180 180 210 
VII |2 , ss | js n d ZnSO, 191 192 206 
VIII |2 ,, » | » 1: 1500 Hg CN), 194 200 208 
IX |2ccm Aqu. dest. , Diplobac. phys. NaCl 134 127 131 
X 2 , j ir nu ‚1% AgNO, 128 31 0 
XI |2 „ Se | » o 2nS0, 134 91 0 
XII |9 , E 1: Gr Hg(CN), | 119 41 0 
XIII |2 ,, is | Staphyl. phys. NaCl 261 201 231 
XIV |2 ,, - ge 1°/, AgNO, 209 175 167 
AN |2 ,„ 5 , 1/0, ZnSO, 258 233 221 
AME T2. 3 5 e 1:1500 Hg(CN), | 201 176 128 


Aus dieser Tabelle geht hervor, dass selbst innerhalb 15 Minuten 
von den in Bouillon emulgierten Bakterien. nur der Diplobacillus und 
dieser allein durch den zugesetzten Tropfen Quecksilberoxycyanat merklich 
geschädigt wird. Das Absterben der mit Aqua destillata aufge- 
schwemmten Diplobacillen lässt keinen grossen Unterschied zwischen 
den 3 Salzen erkennen, zum mindesten sieht man, dass Zink keine 
elektive Wirkung auf den Diplobacillus ausübt. Die auffällige Dif- 
ferenz der Ergebnisse zur Neddens und meiner Desinfektionsver- 
suche lässt sich nur aus der Annahme erklären, dass zur Nedden 
äusserst wenig widerstandsfähige Keime als Testobjekte benutzt hat. 

Dass aber Zinksulfat tatsächlich ein schlechtes Desinfektionsmittel 
ist und in keiner Weise spezifisch auf Diplobacillen wirkt, zeigt der 
folgende Versuch, in dem wieder kleine Bakterienmengen mit relativ 
grossen Quantitäten der zu untersuchenden Substanzen zusammen- 
gebracht wurden. 


Versuch XXX. 


Diplobaeillen, Staphvlokokken und Pneumokokken 12 Stunden alter 
Kultur werden in phys. Kochsalzlösung, der 5°, Pferdeserumbouillon zu- 
gesetzt sind, emulgiert und 0,5 cem dieser Emulsionen als Testobjekt mit 
je 0,5 cem einer Lösung von 1°, Zinksulfat, 1°], Silbernitrat und (ueck- 
silberoxyeyanat (1:1500) zusammenzebracht. Sofort nach Vermischen der 
Flüssigkeiten sowie nach weiteren 7, 10, 70, 90 Minuten und nach 15 
Stunden wird eine grosse Öse voll aus den Proben entnommen und auf 


968 R. Schneider 


Löfflerserum und Agar ausgestrichen oder in Pferdeserumbouillon verteilt. 
Die Röhrchen mit den Höllensteinzusätzen trüben sich natürlich sofort, die 
mit Zinksulfat versetzten bleiben zunächst klar, trüben sich allmählich und 
lassen nach einigen Stunden einen weissen, flockigen Niederschlag ausfallen. 





| Koloniezahl oder Wachstum 









































A+ | œj a] 
D a O G lana 

2 XS B ou e Se | : : = 
= Testobjekt GES | SD 28 € EE sz zi 
= EA L| mE Sex EARS i5 

| — E pesos ee ES 

ccm cem. cem | cem | cem | | | | 
I  |0,5Diplobac.-Emuls. 05 213 | -- | 194 | 181 ! + | 140 
non ` 0,5 53] L| 0| 010 0 
9 3 3 ! ( 

It [05 : | Ke Gi ol ol on 0 
IV 05 : 05| 0| 0, 0| 0/0, 0 
V 0,5Staphylok.-Emuls, 0,5 | 320| -+ |307|257 + |232 
VI Jop ; 0,5 3161 + |276| 270. + 0 
VII 05 : H 286 | -- |270|174| + | 21 
vıno5 : | 05|39| -| 0| 0,0 o 
IX 0,5 Pneumok,-Emuls.:; 0,5 318 | + 310 |) 315 | + | 310 
x Jos i | 0,5 248| + |132| 214+] 0 
XI 10,5 ^ " 105 151| -- [1901152 +: 0 
XII 0,5 : | | o5 |152 -| 0| 0,0 0 





Diese Zahlen sind recht instruktiv; sie zeigen wieder die grosse 
Hinfülligkeit des Diplobacillus, und die geringe desinfizierende Wirkung 
des Zinksulfats, die eigentlich nur dem Diplobacillus gegenüber zur 
Geltung. kommt. 

Auch das Silbernitrat hat nur eine unbeträchtliche bakterien- 
tótende Kraft, werden doch in einer Y, prozentigen Lösung Staphylo- 
kokken und Pneumokokken innerhalb 70 Minuten nur in geringer 
Anzahl vernichtet. Diese Tatsache beruht auf der Bindung des Ar- 
gentum nitricum an die Eiweisskörper und seine Fällung durch das 
Chlornatrium der Medien und schliesst weiter die Möglichkeit aus, 
(lass das Conjunetivalsckret nach Höllensteineinträufelung eine Bak- 
terieidie etwa seinem Gehalte an Instillationstlüssigkeit verdankt. Das 
(Juecksilberoxyeyanat dagegen betätigt sich als kräftiges Desinfektions- 
mittel, indem in der Lösung 1:1500 die Staphylokokken und. Pneu- 
mokokken innerhalb 10 Minuten gänzlich verschwunden sind und die 
Diplobacillen momentan abgetötet werden. 

Die Wirkung von Zinksulfatlösungen geringeren Konzentrations- 
grades auf. Diplobacillen sei im folgenden illustriert. 

Versuch AAA), 

Wie im vorhergehenden Experiment werden Diplobaeillen einer 12 stün- 
digen Kultur in physiol. Kochsalzlösung, die 5°, Pferdeserumbouillen ent- 
hält, aufzeschwemmt. Je 0,5 cem der Emulsion werden in die Röhrchen 
als Testobjekte gebracht, dann die entsprechende Menge physiol. Kochsalz- 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 269 


lösung als Auffüllungsflüssigkeit zugesetzt und zuletzt 0,1—0,5 ccm einer 
1 prozentigen Zinksulfatlösung hinzugemischt. Sofort, nachdem letzteres ge- 
schehen ist, wird der Inhalt der grossen Öse auf Löfflerserum ausgestrichen. 
Nach 11, 20, 40, 60 Minuten und 16 Stunden werden weitere Proben 
der Röhrchen mit der grossen Öse entnommen und diese teils auf Löffler- 
serum ausgestrichen, teils in 5 prozentige Pferdeserumbouillon verteilt. Bei 
der Übertragung der entnommenen Proben in Pferdeserumbouillon — nach 
11 und 40 Minuten — wird aus den erst beschickten Bouillonróhrehen — 
1 und 2 — wieder eine grosse Öse in ein zweites — la und 2a — eingesät. 





Koloniezahl oder Wachstum m 

















qi Ba S lg 

=5 ywl Dw ! 
E ER z ES A nach g nach el £ 
2 18253 |,8 |NS| 2 |1 Min g3 |40 Min |33| 33 

„ar Z |z z iiel Fa 2 | 2a | fg | Äg 

Í 

eem | ccm | ccm | | | 
I 05 | 05 | — | 404 | +!+ 1424 | +| + | 402 | 362 
II |05 | 04 l01 ao | 4-| 4 193 | +| 0| 82 0 
II | 05 | 03 | 02 | 390 | dus Opa. 5 0 
IV |05 | 02 03 |314 | - 0 | 34 | | - |. 1 0 
V 05 | 01/04 |396 | -|0 ; 99 | &-| 0 0 0 
VI [05|—]|05.|8531| 2|] 20| 0] 0] 0| 0 








Demnach ist selbst die Wirkung des Zinksulfates auf den Diplo- 
bacilus eine recht bescheidene zu nennen, wenn wir sehen, dass die 
lhoprozentige Lósung nach 60 Minuten noch nicht und die tj, prozen- 
tige erst nach 40 Minuten die relativ kleine Anzahl Keime abtötet. 

Können wir daher dem Zinksulfat in der therapeutisch verwen- 
deten Konzentration eine gewisse desinfizierende Kraft unter den 
günstigen Bedingungen des Invitroversuches auch nicht absprechen, 
so wird sie am Auge kaum eine Rolle spielen. Denn die instillierte 
Zinklösung wird sich rasch über die gesamte Oberfläche der Conjunc- 
tiva verteilen, durch Tränentlüssigkeit verdünnt und zur Nase abge- 
leitet werden, ehe sie Zeit gehabt hat, mit einer nennenswerten Zahl 
von Infektionserregern auch nur in Berührung zu kommen. 


Der Leukingehalt der Conjunctivalflüssigkeit nach Zink- 
sulfatinstillation. 

Da auch meine Desinfektionsversuche es verbieten, in der ein- 
fachen, desinfizierenden und entwicklungshemmenden Wirkung des 
Zinks die Erklärung für die Erfolge der Zinktherapie zu erblicken, 
so kann man mit Rücksicht auf ihre tatsächlich bestehende Heilwirkung 
und auf Grund unserer experimentellen Ergebnisse fast voraussetzen, 
dass auch das Zincum sulfuricum. die Leukinbildung im Bindehaut- 
sack anregt. 


270 R. Schneider 


Es ist von vornherein plausibel, dass entsprechend der geringeren 


Reizwirkung des Zinkes — ätzt es doch erst in einer Konzentration 
von ungefähr 5 Prozent — auch der Leukingehalt der Conjunctival- 


flüssigkeit nach Instillation von 1, prozent. Zinksulfatlösung hinter 
dem nach Einträufelung von 1—2 prozentiger Höllensteinlösung zurück- 
steht. Diese Voraussetzungen werden durch meine Versuche bestätigt. 


Versuch XXXII. 


Nach Einfliessenlassen mehrerer Tropfen einer !/,prozentigen Zinksul- 
fatlósung werden einem Kaninchen beiderseits in den Conjunctivalsack Watte- 
bäusche gelegt, diese nach 21, Stunden wieder entfernt und die in ihnen 
enthaltene Flüssigkeit in der üblichen Weise gewonnen und zentrifugiert: 
es werden so nicht ganz 2,0 ccm einer blassgelblichen Flüssigkeit gewonnen. 
Ausserdem wird dem Tier behufs Serumgewinnung Blut entzogen. Von 
dem Serum und der Conjunctivalflüssigkeit wird je eine Probe von 0,3 cem 
50 Minuten auf 55,5? erhitzt. 


Bakterieider Versuch. Diplobacillen, Staphylokokken und 
Streptokokken. 


Inhalt der Röhrchen je 0,35 cem; davon ist 0,05 ccm Bakterienauf- 
schwemmung und zwar wurden in Röhre 1—5 Diplobacillen, in Röhre 
5—6 Staphylokokken und in Röhre 9—11 Streptokokken eingesät. Aus- 
saaten werden mit grosser Öse sofort, nach 1, 3!|, 7!|, und 24 Stunden 
gemacht. Dabei werden die Diplobaeillen- und Streptokokkenproben auf 
EE de SE OKOIKeQ probed. d auf GE KEE 








Kolonezahl: 




















= Art und Menge der zu ı Test- i i | NC im 5 e 
S prüfenden Flüssigkeiten objekt | ZS |'Sz|'eoc Su |<SZ 
= - BC BI 1 
alle 
e) An eech Henn — à E - £z ^ ENS EN nee ts e Se Doe Cm A Er, einen 
1 '0,3ccm akt. Kannehensehm Diplobae. ! 135 | 0 0 | 0, 0 
2 |03 , inakt. = EI? 1180| 400 | 500 | £ 
3 |03 , akt. Zink.-Sekret Lm 168| 98| 0 | 0, 0 
4 |03 , inakt. | »  02'16| 20] 0 | 0 
5 |03 , phys. Nacl- Lösung “ 160 | 196 | reichl.' reichl. œ 
6 :0,3 „ akt. Kaninchenserum Staphyl. ı 98 | 50 2| ol 0 
T 10,3 , an Zink.-Sekret d | 96! 51 0 0, 0 
8 /.03 , phys. NaCl-Lósung 5 ;, 94,135, 310 reich) æ 
9 |03 , akt. Kaninchenserum — Streptok. 81, 92;reichl| œ |^ o 
10:03 , . Zink-Sekret — |  , | 85| 81 93 E. | 9 
11 /|0,3 , phys. NaCl-Losung i 80 | 83 | 111 | 140 | — 
i | 











Wir konstatieren hieraus eine kräftige baktericide Wirkung des 
Kaninchenserums auf Diplobacillen, die im Gegensatz zu der des Con- 
\unetivalsekretes thermolabil ist, also als Alexinwirkung zu gelten hat. 
Die Staphvlokokken, denen gegenüber das Serum in diesem Falle aus- 
nahmsweise auch einige abtötende Kraft hat, werden ebenfalls. aber 
weniger prompt als die Diplobacillen, vernichtet. In noch geringerem 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 97] 


Grade geschieht dies mit den Streptokokken, die sich in dem Serum 
des Tieres reichlich vermehren. 

Dass die Wirkung des Conjunctivalsekretes nach Zinkeinträufelung 
auch gegen Diphtheriebacillen gerichtet ist, und dass sie gegenüber 
diesen Keimen, wie auch gegen die Diplobacillen hinter der des 
Höllensteinsekretes deutlich zurücksteht, zeigt der nächste Versuch. 


Versuch XXXIII. 

Einem Kaninchen wird in das eine Auge !|,proz. Zinklósung, in das 
andere 1proz. Silbernitratlösung eingeträufelt und danach Watte eingelegt; 
mit einem zweiten Tier wird dasselbe gemacht, ohne vorhergehende Instil- 
lation. Nach 2!), Stunden werden die Bäusche herausgenommen und ab- 
gesaugt. 

Baktericider Versuch. Diplo- und Diphtheriebacillen. 


In physiologischer Kochsalzlösung, der 10 Prozent Pferdeserumbouillon 
zugesetzt ist, werden Diplo- und Diphtheriebacillen von einer 12 stündigen 
Serumkultur emulgiert und von der Aufschwemmung wird je 0,05 ccm zu 
den Róhrehen, die ausserdem noch 0,8 eem Flüssigkeit enthalten, hinzuge- 
geben. Aussaaten mit grosser Öse sofort, nach 1, 3!j, und 8 Stunden auf 
Löfflerserum. 





Koloniezahl 

















Art und Menge der zu Test- aa SE -— 

prüfenden Flüssigkeiten objekt sofort | 1 Stde. |31/. Stdn. | 8 Stdn. 

Mal ig M nein E E 
0,3 cem akt. Kaninchenserum |Diplobac. | 118 | 0 0 0 
O3 , , AgNO,-Sekret e 104 0 0 0 
98 , , £^0SO0, sg 106 26 10 1 
03 ,  ,, norm. Sekret 5 113 118 310 oo 
03 ,  , Kaninchenserum jDiphth.-B.| 171 160 212 oo 
0,3 , oa AgNO,-Sekret s 200 0 0 0 
083 , , ZnSO, » 202 6 | 0 0 
03 ,  , norm. Sekret 5s 200 ` 227 | 242 reichl. 


Die Überlegenheit des Silbernitrates in bezug auf die Leukin- 
bildung und der durch diese bedingten Baktericidie auch gegenüber 
dem Diphtheriebacillus geht aus vorstehenden Zahlen deutlich hervor. 

Dasselbe erhellt auch aus dem folgenden Experiment. 


Versuch XXXIV. 


In das eine Auge wird !|prozentige Zinklósung, in das andere 1 pro- 
zentige Höllensteinlösung eingeträufelt. Die hierauf eingelegten Wattebäusche 
bleiben nur ! Stunde liegen und werden dann ihrer Flüssigkeit beraubt. 


Baktericider Versuch. Diplobacillen. 


Inhalt der Röhrchen 0,4 cem, davon 0,05 eem Aufsehwemmung von 
Diplobacillen. Aussaat mit grosser Ose sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden 
auf Lófflerserum. - 


v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 18 


212 R. Schneider 











Koloniezahl 
Art und Menge der zu e i dn -— 
: Be | 
WEE EE AE 1 Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. | 24 Stdn. 
Re EE EE E T CS Se Gelee 
0,35 cem akt. 1⁄,h ZnSO, ‚Schr. 256 | 133 29 0 0 
035 , 1.» AgNÓ,- = 260 0 0 0 0 








Die Baktericidie der Conjunctivalflüssigkeit, welche nach Zink- 
instillation und verschieden langem Liegenlassen der Watte gewonnen 
ist, gegenüber Pneumokokken, kann man im nächsten Versuch verfolgen. 


Versuch XXXV. 


Von 2 Kaninchen wird dem einen rechts !j,prozentige Zinklósung, 
links 1 prozentige Höllensteinlösung eingeträufelt und Watte auf !|, Stunde 
in den Bindehautsack eingelegt. Dem andern Tier wird beiderseits !|, ?/, 
Zinklósung instilliert, die Wattebäusche des einen Auges bleiben 1 Stunde, 
die des andern 2 Stunden liegen. Die Gewinnung der Conjunctivalflüssig- 
keiten geht wie gewöhnlich vor sich. 


Baktericider Versuch. Pneumokokken. 


Zu den 4 je 0,35 eem des betreffenden Conjunctivalsekretes enthalten- 
den Röhrchen wird je 0,05 eem Pneumokokkenemulsion hinzugefügt, und 
aus ihnen sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden mit grosser Öse auf 
Löfflerserum Aussaaten gemacht. 


Koloniezahl 


nach ! nach nach nach 


= 
Art und Menge der zu | 
prüfenden Flüssigkeiten | 
| 1 Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. | 24 Stdn. 
-l 5 | N _ 


sofort | 


0, 35 com akt. th Zn80, eet 198 159 0 83 ; 0 
035 , » 1, : | 123 0 0,00 
035 , , 2, 191 108 0 0 0 
0,35 » » "an AgNO,- » 175 d 0 | 0 | 0 

Mit den übriggebliebenen !|,. und 2stündigen Sekreten und dem Serum 


desselben Tieres wurde noch ein baktericider Versuch gegenüber Meningo- 
kokken als Testobjekten angestellt. 





Baktericider Versuch. Meningokokken. 


Von dem 0,35 ecm betragenden Inhalt der Röhrchen ist 0,05 cem eine 
Aufschwemmung von Meningokokken in physiologischer NaC7-Lösung mit 
10 °|, Pferdeserumbouillonzusatz. Aussaaten sofort, nach 1, 3 und 8 Stun- 
den mit re Öse auf Lótf lerserum. - 








Koloniezahl 





Art und Menge der zu prüfenden | 





Flüssigkeiten Sofort nach | nach nach 

` e i E 1 Side. | 3 Stdn. | 8 Stdn. 
0,3 cem akt. Kaninchenseruin 116 | 1 0 0 
03 „ dnakt. 113 125 210 310 
03, 1,h ZnSO,-Sekr. 115 | 9 0 0 


d ur UM 5 115 | 0 . 0 ` 0 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine‘“ usw. 273 


Um den Einfluss, den die Konzentration der Zinklósung auf die 
Leukinbildung ausübt, festzustellen, wurde folgender Versuch gemacht. 


Versuch XXXVI. 


Von 2 Kaninchen wird dem einen in das rechte Auge 0,5 eem einer 
1 prozentigen Zinklösung, in das linke 0,5 ccm einer !/, prozentigen Zink- 
lösung, dem andern Tiere in das rechte Auge 0,5 cem einer !/, prozentigen 
Zinklósung und in das linke 0,5 eem einer !/|,prozentigen Zinklósung ein- 
geträufelt und möglichst über die ganze Bindehautoberfläche verteilt. Nach 
Austrocknung des Conjunctivalsackes werden Wattebáusche eingelegt, die 
1!| Stunden liegen bleiben; die aus ihnen entzogenen Flüssigkeiten seien 
1—!|,9|, ZnSO,Sekret I bezeichnet. Darauf wird eine 2. Serie Bäusche 
unter die Lider "reschoben und ebenfalls 1!|, Stunden liegen gelassen; die 
aus diesen Büuschen abgesaugte Flüssigkeit heisse 1—!/;,, ETC Sekret II. 


Bakterieider Versuch. Staphylokokken. 


. Die Röhrchen enthalten 0,35 ccm, davon 0,05 ccm Aufschwemmung 
von 12stündiger Agarkultur des Staphylococcus pyogenes aureus in physio- 
logischer Kochsalzlösung mit einigen Tropfen Bouillonzusatz. Aussaat mit 
grosser Öse auf Agar sofort, nach 1, 3 und 8 Stunden. 


























Koloniezahl 

Art und Menge der zu prüfenden Kb edi 
"Jüssigkeiten > nach nac ac 

MUSEUMS s sofort | 1 Stde, | 3 Stdn. " 8 Stdn. 
Pros akt, 10, Zn80, -Sekr. I | 135 T 113 ET 0 | 0 
uc gio 4 78 d I 130 113 0 | O 
0,3 nm an e » I 131 116 | 0 | 0 
0,3 LA »» oo 99 I 130 124 | 10 0 
03 » » 1% " II 132 96 0 0 
0,3 » » pu „ II 116 13 | O O 
08 p s » H | 9 i? 0 0 
0,3 » » Us 0 » II | 95 13 0 0 


Es zeigt also das Zinksulfat, wenn es auf normale Kaninchen- 
conjunctiva einwirkt, bis zu einer Konzentration von. 159], ungeschwücht 
seine leukmbildende Funktion. Dies ist ebenso beachtenswert wie der 
anhaltende Erfolg des Zinks, der sich darin ausdrückt, dass die Con- 
junetivaltlüssigkeiten aus der zweiten Wattebauschserie die aus der 
ersten Serie an Wirksamkeit sogar etwas übertreffen. Wie aus einem 
Vergleiche des vorstehenden Versuches mit dem ıhm entsprechenden 
Silbernitratversuch zu entnehmen ist, steht an Gleichmässigkeit die 
Wirkung des Zinks der des Höllensteins nicht nach, wenngleich sie 
weniger drastisch als letztere ist. 

Die geringere Intensität des Reizes, den das Zinksulfat bei Ver- 

15* 


274 R. Schneider 


wendung der therapeutischen Konzentration auf die Bindehaut im Ver- 
gleich zu dem Silbernitrat ausübt, prägt sich auch in dem Grade aus, 
in dem es zur Transsudation gelöster Blutsubstanzen nach Applikation 
der beiden Mittel kommt. An sich ist, wie wir ja gesehen, der Gehalt 
an hämolytischem Alexin, das nur aus der Blutbahn ausgetreten sein 
kann, schon bei den Höllenstein-Conjunctivalsekreten recht gering; wie 
die folgenden zwei hämolytischen Versuche illustrieren sollen, geht in 
die Zink-Bindehautsekrete noch weniger globulicides Alexin aus den 
Blutgefässen über. 


Versuch XXXVII. 


. . Einem Kaninchen wird das eine Auge mit 0,5 cem einer 1|, prozentigen 
Zinksulfatlósung, das andere mit O,5 eem einer 1 prozentigen Hóllenstein- 
lösung, und dann beide mit physiologischer Kochsalzlösung ausgespült. Dann 
werden beiderseits auf 1 Stunde Wattebäusche in den Conjunctivalsack ein- 
gelegt und aus ihnen in der üblichen Weise die aufgesaugten Flüssigkeiten 
gewonnen. 


Hämolytischer Versuch. 


Als Testobjekt enthalten die Röhrchen je Leem einer 5 prozentigen 
Aufschwemmung präparierter Ziegenbluterythrocyten. Auffüllungsflüssigkeit: 
physiologische NaC7-Lösung. 


mm u hmmm nl LITE ll mtl ÁÁÉ————— .- 


Art und Menge der zu prüfenden | molyse nach 2 Stdn. 38° 





Flüssigkeiten 
0,2 ccm akt. Kaninchenserum vollständig 
0,1 nm nm „ » 
005, , " fast vollständig 
05 , ,, Zinksekret Spur 
02 e, a e geringe Spur (?) 
0,5 , , Silbersekret teilweise 
0.2. 5 o vi deutliche Spur 
OL uos » Spur 
10 , phys. Kochsalzlósung keine 


Versuch XXXVIII. 

1! Stunden bleiben die Wattebáusche nach Instillation von !/, pro- 
zentiger Zinklósung und 1prozentiger Silbernitratlósung in dem betreffenden 
Auge liegen und werden dann behufs Gewinnung der von ihnen aufge- 
nommenen Flüssigkeit abgesaugt. 


Hämolytischer Versuch. 
Als Testobjekt werden wieder präparierte Ziegenblutkörperchen in 5 pro- 
zentiger Aufschwemmung den Röhrchen zugesetzt. Auffüllungstlüssigkeit: 
physiologische Kochsalzlösung. 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 9275 





Art und Menge der zu prüfenden x Š 
Flüssigkeiten" Hümolyse nach 2 Stdn. 38 
0,4 cem akt. Kaninchenserum vollständig 
0,2 » » » » 
0,1 nm am »" » 
006, , " fast vollständig 
0,01 nm a » deutliche Spur 
04 , „ AgNO,Sekret teilweise 
0,2. ui o5 5 deutliche Spur 
O1 , , » keine 
02 , , ZnSO,-Sekret deutliche Spur 
01 , , » keine 
0,5 ,, phys. NaCl-Lósung 5 


Aus alledem ersieht man, dass das Zincum sulfuricum ein in jeder 
Hinsicht viel milder wirkendes Mittel als das Argentum nitricum ist. 

Ist auch seine desinfizierende Kraft praktisch fast gleich Null zu 
erachten, so besitzen wir in ihm ein Mittel, das ebenfalls Leukinbil- 
dung im Bindehautsack in sicherer und nachhaltiger Weise hervorruft; 
nur ein einziges Mal versagte es bei meinen Versuchen. Dem schwücheren 
Grad dieser seiner Fühigkeit steht als Vorteil die geringere Reizung 
der Bindehaut gegenüber. 

Seine vorzügliche Heilwirkung auf die Diplobacillenconjunctivitis 
dürfte nicht als eine spezifische zu deuten sein und mehr in der La- 
bilitàt des Diplobacillus liegen; es sei darauf aufmerksam gemacht, 
dass er der einzige von den hauptsüchlich als Erreger von Conjunc- 
tivitiden in Betracht kommenden Keimen ist, der auch durch das Blut- 
alexin abgetótet wird. Vielleicht spielt auch dieses Moment bei seiner 
raschen Vernichtung bei der Zinktherapie noch mit. 

Da sich die Conjunctivalsekrete nach den Zinkinstillationen auch 
auf andere Mikroorganismen wirksam gezeigt haben, so ist damit auch 
bewiesen, warum das Zinksulfat durch seine leukinbildende Fähigkeit 
auch auf ätiologisch andersartige Entzündungen heilend einwirken kann. 


Antiseptica. 

Der Gebrauch der Antiseptica in der Augenheilkunde ist be- 
deutend zurückgegangen und zwar mit Recht. Alle Versuche durch 
Desinfektion des Bindehautsackes ein keimfreies Operationsfeld zu 
schaffen sind gescheitert. Es sei hier nur an die experimentellen 
Arbeiten von Gayet (64), Hildebrandt (65), Bernheim (loc. cit.), 
Marthen (loc. cit.), Bach (loe. cit. u. 66—68), Morax (69), Dalén (70), 
Randolph (71), Kalt (72) u. A. erinnert, nach denen eine völlige 
Keimfreiheit der Bindehaut mit Antisepticis unmöglich zu erzielen ist. 


276 R. Schneider 


Und dennoch hat es lange gedauert, bis die von Steffan (73) und 
Eversbusch (74) schon vor 20 Jahren empfohlene aseptische Reini- 
gung des Bindehautsackes mit physiologischer Kochsalzlösung über die 
antiseptische mit Sublimat usw., die in A. v. Graefe(75) einen miich- 
tigen Verteidiger gefunden hatte, den Sieg davongetragen hat. Wenn 
man heute die grossen infektionsfreien Serien von Bulbusoperationen 
betrachtet, wie sie z. B. Hauenschild(76) aus der Klinik v. Michels 
zusammengestellt hat und bei denen nur physiologische Kochsalzlósung 
zur Reinigung des Bindehautsackes verwendet wurde, so hat man den 
besten Beweis für die Richtigkeit der Anschauungen, die damals schon 
Steffan und Eversbusch über den geringen Wert der Antiseptica 
in der Ophthalmiatrik ausgesprochen haben. 

Wegen ihrer das Gewebe schädigenden Eigenschaften sind die 
Antiseptica nur in schwachen Lösungen gestattet, und von der Wir- 
kung dieser gilt das schon bei Erörterung der antiseptischen Kraft 
der Adstringentia Gesagte, dass sie nämlich zu oberflächlich und zu 
kurz einwirkt, um alle Keime treffen zu können. 

Trotzdem finden das Sublimat und noch mehr das Quecksilber- 
oxycyanat bei der Behandlung infektióser stark secernierender Binde- 
hautaffektion in einer Konzentration von 1:2000—3000 und in der 
Gestalt ausgiebiger Spülungen, den sogenannten „grands lavages“ noch 
ziemlich viel Anwendung. Mit Rücksicht hierauf prüfte ich in einigen 
Versuchen, ob das Conjunctivalsekret nach. Applikation von Queck- 
silberoxycyanat baktericide Substanzen enthält. 


Versuch XXXIX. 


Einem Kaninchen wird 1,0cem einer Quecksilberoxyeyanatlósung in 
den Bindehautsack eingegossen und 1 Minute darin gelassen. Durch Strei- 
chen und Ausdrücken der Lider gegen den Bulbus wird die Flüssigkeit 
wieder entfernt. Dann werden Wattebüusche eingelegt und nach 21), Stun- 
den wieder entfernt. Die Ausbeute aus den Bäuschen des Auges beträgt 
nur 0,4cem Flüssigkeit. 

Baktericider Versuch. 

Diphtheriebacillen werden in physiologische Kochsalzlösung mit 10°, 
Pferdeserum versetzt, aufgeschwemmt und dienen als Testobjekt. Wie ge- 
wöhnlich wird 0,05 eem Emulsion den Röhrchen zugesetzt, das ausserdem 
noch 0,4 eem Quecksilberoxyeyanatsekret enthält. Aussaat sofort, nach 1, 
3 und 9 Stunden auf Löfflerserum mit grosser Öse. 


Koloniezahl 
Art und Menge der zu prüfenden | 
Flüssigkeiten aton nach nach nach 
3 1 Stde. | 3 Stdn. | 9 Stdn. 


— 
-———- 





0,4 ccm akt. Oxycyanatsekret | 18 | 182 | 180 | 163 





Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 277 


Obgleich also das Quecksilberoxycyanat — wie auch meine Des- 
infektionsversuche ergeben haben — das Zinksulfat und. Argentum 
nitricum an antiseptischer Kraft weit überflügelt, ist in diesem Ver- 
suche das 21], stündige Conjunctivalsekret wirkungslos. Das ist ein 
Beweis dafür, dass nach den angegebenen Manipulationen die Instil- 
lationsflüssigkeit aus dem Conjunctivalsack gründlich entfernt wird und 
dass das Quecksilbersalz in der Konzentration von 1:1500 auf die 
Bindehaut nicht den Reiz auszuüben vermag, der zur Leukinbildung 
notwendig ist. 

Dass die Oxycyanatlósung (1:1500) quoad Leukinbildung nicht 
anders als physiologische Kochsalzlósung zu wirken scheint, kann man 
aus dem nüchsten Versuch schliessen. 


Versuch XL. 


Einem Kaninchen werden in ein Auge in kleineren Portionen im ganzen 
nach und nach 3,0 cem einer Oxycyanatlósung 1:1500 in den Bindehaut- 
sack eingefüllt, so dass die Conjunetiva 2—3 Minuten von dieser Flüssig- 
keit benetzt wird. Dann wird letztere mit den Lidern möglichst ausge- 
strichen und der Bindehautsack mit ungefähr 30 cem physiologischer Koch- 
salzlösung von Zimmertemperatur ausgespült. Das andere Auge wird zur 
Kontrolle nur mit der gleichen Menge physiologischer Kochsalzlösung be- 
rieselt; darauf wird beiderseits Watte eingelegt, die 1?|, Stunden liegen 
bleibt und sofort abgesaugt wird; die gewonnenen Flüssigkeiten werden mit 
Normalsekret I und 77g-Sekret I bezeichnet. Dann werden nochmals Bäusche 
eingelegt, die 1!|, Stunde in den Augen verweilen und dann abgesaugt 
werden: ihre Flüssigkeiten mögen Normalsekret II und Zg-Sekret heissen; 
ihre Mengen betragen nur die Hälfte der ersten Sekrete, d. h. nur je 0,4 ccm. 


Baktericider Versuch. 


Inhalt der Röhrchen je 0,45 cem; davon je 0,05 ccm Bakterienemul- 
sion in physiologischer Kochsalzlósung mit 10%, Pferdeserumbouillonzusatz; 








-— 2 


























2 Astuad M d Koloniezahl 
= oe Einsaat | nach | nach nach 
E prüfenden Flüssigkeiten s ofort * 1 Sedo. 3 Stdn. See 
1 04 ccm akt. Kunmellenzesum. || Preumokokk: 42 | 69 [rei ria] oo 
2/04 , , Norm.-Sekret " 41 37 0 
3/04 aw Hg-Sekret I e 45 41 T 0 
4|04 „  , Norm.-Sekret II i 43 40 9 0 
510,4 „  „ Hg-Sekret lI s 44 42 10 0 
6/04 , phys. NaCl-Lösung + 

10°, Serumbouillon 39 110 | 207 | reichl. 
710,4 ,„ akt. Kaninchenserum Staphylokokk. 33 6 0 | ca. 500 
8/04 ,  , Norm.-Sekret We 30 11 1 0 
9/04 , , Hg-Sekret I We 34 15 U 0 
10 e » phys. NaCl-Lósung 4-| 

10°/, Serumbouillon | x | 33 51 | 346 reichl. 


1 


278 R. Schneider 


und zwar werden in Röhrchen 1—6 Pneumokokken und in Röhrchen 7—10 
Staphylokokken eingesät. Aus den ersteren Röhrchen werden auf Löffler- 
serum, aus den letzteren auf Agar mit der grossen Öse sofort, nach 1, 3 
und 8 Stunden Aussaaten gemacht. 

Wie immer ist im aktiven Kaninchenserum der Pneumococcus 
sehr gut gewachsen, während die Staphylokokken erst eine teilweise 
Abtötung erfahren, um sich dann zu vermehren. Alle Sekrete sind 
schwach wirksam; die zweiten sogar etwas stärker als die ersten. Kein 
Unterschied ist jedoch zwischen dem sogenannten Normal- und dem 
Hg-Sekret; die vorherige Bespülung mit Quecksilberoxycyanat hat also 
keinen Effekt gehabt. Dagegen hat der milde Reiz, der durch die 
Benetzung mit den 30 ccm physiologischer Kochsalzlósung von Zimmer- 
temperatur gesetzt wurde, genügt, eine schwache Baktericidie der Con- 
junctivalflüssigkeit hervorzurufen. 

Dieser Befund ist von praktischem Wert und bestätigt klinische 
Erfahrungen. Einmal lässt er den Gebrauch von Antisepticis noch 
weiter entbehrlich erscheinen. Dann spricht er für die Spülungen mit 
indifferenten Lösungen, indem durch sie ohne Schädigung des Gewebes 
nicht nur das pathologische Sekret mit den Infektionserregern und 
ihren toxischen Produkten entfernt, sondern auch gleichzeitig infolge 
des mechanischen, sowie Kälte- oder Wärmereizes. der Spülflüssigkeit 
eine heilende Reaktion von seiten des Gewebes ausgelöst wird. 


Pyocyanase. 

Aus den vielfach erörterten Gründen dürfte es wohl als ausge- 
schlossen gelten, dass man eine nur einigermassen von Bakterien be- 
siedelte Conjunctiva absolut keimfrei machen kann. Immerhin wäre 
ein Mittel sehr wertvoll, mit dem rasch und ohne Atzwirkung eine 
relative Sterilisierung des Bindehautsackes erreicht werden könnte. Als 
ein solches Mittel dürfte die von Emmerich und Loew (77—78) 
entdeckte Pyocyanase noch mehr, als es bisher geschehen ist, in der 
Augenheilkunde zu versuchen sein. Ihre ausserordentlich prompte, 
bakterientótende Eigenschaft in vitro ist von den Entdeckern, Scha- 
piro(79) u. A. zur Evidenz dargetan, und auch die Erfolge bei den 
verschiedensten Schleimhautaffektionen scheinen ausgezeichnete zu sein. 
Am Auge hat Locwenstein (SO) zuerst den Einfluss der Pyocyanase 
auf den Keimgehalt des Bindehautsackes untersucht. Auf Grund . 
seiner Resultate hält er sich für berechtigt, die Procvanase als das 
Desinficiens zu bezeichnen, das die Forderung Behrings erfülle, 
„pflanzliche Zellen zu zerstören, ohne tierische Schleimhäute zu zer- 
stören“, 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 279 


Inwieweit dieses Urteil zutrifft, bleibe dahingestellt, mich regte 
es zu folgenden Versuchen an, die sich nur auf die etwaige leukin- 
bildende Fähigkeit der Pyocyanase erstrecken sollten. 


Versuch XLI. 


In den Bindehautsack des rechten Auges eines Kaninchens wird 0,2 ccm 
unverdünnter käuflicher Pyocyanase eingeträufelt. Nach 2 — 3 Minuten 
langer Einwirkung wird letztere durch Streichen und Abheben der Lider 
wieder entfernt. Danach werden in dieses Auge und in das linke Kontroll- 
auge auf 2 Stunden Wattebäusche eingelegt. Bei ihrer Herausnahme ist 
die Conjunctiva des rechten Auges glatt, stark injiziert, aber ohne Ätzschorfe. 


Baktericider Versuch. Typhusbacillus „Gabersee“. 


Inhalt der Röhrchen je 0,45 cem; davon 0,05 cem Typhusbacillenauf- 
schwemmung. Aussaaten mit grosser Öse auf Agar, sofort, nach 1], 3 und 
7 Stunden. 





Koloniezahl 
Art und Menge der zu prüfenden ES 


0,4 ccm akt. Norm. we Contuncdvalicke- H 146 , 131 215 





reichl. 


?? 


0,4 » » Pyocyanasesekret 147 140 290 








Da die gewóhnliche Pyocyanase reich an verschiedenen Salzen 
ist, die auf die Conjunctiva reizend einwirken können, wurde das 
nächste Mal die käufliche Pyocyanase in Eiskochsalzgemisch abgekühlt. 
Hierdurch krystallisieren die Salze in grossen Massen aus und lassen 
sich dann bequem von der salzarmen Pyocyanaseflüssigkeit abgiessen. 


Versuch XLII. 


In das rechte Auge wird 0,75 eem gewöhnliche, in das linke ebenso 
viel salzarme Pyocyanase eingeträufelt. Die beiderseits eingelegten Watte- 
bäusche werden nach 2!|, Stunden herausgenommen. Auch diesmal sind die 
Conjunctiven stark injiziert, rechts allerdings mehr als links; die gewonnene 
Flüssigkeit beträgt hier 0,8 ccm, dort 1,2cem. Der Bodensatz der rechts- 
seitigen Flüssigkeit besteht aus Erythrocyten und wenigen Leukocyten, der- 
jenige der linksseitigen enthält etwas mehr Leukoeyten. 


Baktericider Versuch. Diplo- und Diphtheriebaeillen. 


Inhalt der Röhrchen je 0,45 cem; davon in Röhre 1 und 2 je 0,05 cem 
Diplobacillenaufschwemmung, in Röhre 3 und 4 je 0,05 cem Diphtherie- 
bacillenemulsion. Aufschwemmungstlüssigkeit: physiologische Kochsalzlösung 
mit 10°, Pferdeserumbouillonzusatz. Aussaaten mit grosser Öse auf Löffler- 
serum sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden. 


9S0 R. Schneider 





| 


Koloniezahl 




















| 
© 
E Art und Menge der zu BR = Bu | d | m uS 
= prüfenden Flüssigkeiten Einsaat 3 Er EK | EE TI 
o EE D 
| d = 2 E Ee KE E | = = 
1 |0,4ccm akt. gewóhnl. Pyocyan.-. | | | | 
Sekret ! Diplobac. | 160 996 | 310 | o ix 
2 0,4,  , entsalz. Pyocyan.- , | | maurs 
| Sekret | 3 | 150 | 173 | 206 |reichl.| x 
38,04,  , gewöhnl. Pyocyan.- | | 
| Sekret Diphth.-Dac. | 287 | 256 41 5 | 0 
404 , , entsalz. Pyocyan.- | | ' 
| Sekret | F 260 | 196 | 25| 0 0 


| 

Die Instillation von gewöhnlicher und entsalzter Pyocvanase hat 

also ein Wirksamwerden der darauf gebildeten Conjunetivalflüssigkeit 
nicht zur Folge. 


Versuche am Menschen. 

Nachdem gezeigt war, dass das Leukin eine wertvolle Schutz- 
waffe des Kaninchens ist, war es von grossem Interesse, zu unter- 
suchen, ob das Gleiche auch bei dem Menschen der Fall ist. Denn 
sollten die beim Tierexperimente gemachten Beobachtungen Berück- 
sichtigung und Verwendung beim Menschen finden, so musste vor 
allem gezeigt werden, dass auch in der menschlichen Conjunctiva nach 
Instillation von Argentum nitricum und Zincum sulfuricum Leukine 
in wirksamer Weise auftreten. Ganz leicht war die Gewinnung des 
notwendigen Materials nicht; immerhin waren mehrere Personen bereit, 
mir als Versuchsobjekte zu dienen, und die bei ihnen erzielten Resul- 
tate waren eindeutig genug, um unsere Frage als im bejahenden Sinne 
gelöst erachten zu dürfen. 

Die ersten Versuche wurden an phthisischen Augen mit normaler 
Conjunetiva ausgeführt. — Als es sich herausgestellt hatte, dass bei ent- 
sprechender Vorsicht mit dem Experiment keine Gefahr für die Augen 
verknüpft ist, wurden auch völlig normale Augen benutzt. Nach Ko- 
kainisierung wurde das 1%, ige Silbernitrat auf die Conjunctiva der 
evertierten. Lider aufgetrüufelt und sogleich mit physiologischer Kochsalz- 
lösung neutralisiert. Dass die Cornea vor jeder Benetzung mit der 
Höllensteinlösung geschützt wurde, ist selbstverständlich. Das Zineum 
sulfuricum wurde in 1h prozentiger Lösung ohne besondere Schutzmass- 
regeli in das Auge ausgiebig eingeträufelt. Die Wattebäusche wurden 
nur in den unteren Bindehautsack eingelegt und bis zu 35 Minuten 
darin gelassen. Die nach dem Versuch vorhandenen Beschwerden 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 98] 


konnten mit Kokainsalbe und kühlen Kompressen leicht unterdrückt 
werden. Nach einigen Tagen hatte die Conjunctiva wieder normales 
Aussehen. 

Folgende Beispiele mögen zur Illustration des Gesagten dienen. 


Versuch XLIII. 


Einem jungen Manne wird in das eine Auge O,1cem einer 1?|igen 
Silbernitratlösung in den unteren. Bindehautsack unter Eversion des Lides 
eingeträufelt und mit physiologischer NaCl-Lösung neutralisiert. Die sodann 
in beide Augen eingelegte Watte bleibt 20 Minuten liegen, ist bei ihrer 
Herausnahme vollkommen durchfeuchtet und gibt 0,3 eem Normal-Sekret 
und 0,4 ccm 4gNO0,-Flüssigkeit. Von dieser sowie von dem Blutserum der 
Versuchsperson wird eine Probe auf 56? !|, Stunde erhitzt. Zur Kontrolle 
wird auch eine Probe mit physiologischer Kochsalzlösung und eine mit 
Kochsalzlösung, die in Wattebäusche aufgesaugt eine halbe Stunde bei 38° 
gehalten war, mit herangezogen. 


Baktericider Versuch. Typhusbacillen. 


Inhalt der Röhrchen je 0,35 ecm, davon 0,5 cem "Typhusbacillen- 
emulsion in Koehsalzlósung mit 10?|, Pferdeserumbouillonzusatz. Auffüllungs- 
flüssigkeit physiologische Kochsalzlösung. Aussaat mit grosser Öse auf Agar 
sofort, nach 3, 7 und 24 Stunden. 























Koloniezalıl 
Art und Menge der zu prüfenden d | sah 
D SE PT 3 Stan, tdn. | 7 Std 7 Stdn. |24 Stdn. 
0,2 ccm akt. Menschenserum 53 0 | 0 
0,2 ,, inakt. (!/ St. 56") Menschenser. | 50 67 261 — 
0,2 „ akt. Normalsekret 53 39 35 21 
02, , AgNO,-Sekret 59 0 0 0 
0,2 ,, inakt. (!, St. 56% AgNO,-Sekr. | 52 0 0 0 
0,3 , phys. NaCl-Lósung 58 71 356 — 
0,3 „ Watte NaCl-Lösung 57 76 325 — 


Versuch XLIV. 


Einem 14jährigen Mädchen wird in das linke Auge, dessen Bulbus 
infolge Blennorrhoea neonatorum phthisisch geworden war, auf die Conjunetiva 
des Unterlides 0,1 cem 1prozentiger Hóllensteinlósung aufgetrüufelt. Die 
in den unteren Bindehautsack eingelegte Watte bleibt nur !/, Stunde liegen 
und enthált 0,2 cem Flüssigkeit. Von letzterer und dem Serum des Mäd- 
chens wird je 0,1 cem !|, Stunde auf 56? erhitzt. 


Bakterieider Versuch. Staphylokokken. 


Inhalt der Röhrchen je 0,35 eem; davon 0,05 eem Emulsion von 
]?stündiger Agarkultur des Staphylococcus pyogenes aureus in physiologischer 
Kochsalzlösung, der einige Tropfen Bouillon zugesetzt sind. Aussaat mit 
grosser Öse auf Agar sofort, nach 1, 3 und 7 Stunden. 


282 R. Schneider 


p————————————————————————— 


Koloniezahl 
Art und Menge der zu prüfenden 





üssigkei nach nach nach 

ac c "in 1 Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. 
0,1 ccm akt. Menschenserum 126 128 152 reichl. 
0,1 ,, inakt. (!/, St. 56?) Menschenser. | 135 169 — " 
01 , akt. AgNO,-Sekret 150 99 45 13 
0,1 , inakt. (!/4 St. 56% AgNO,-Sekr. | 145 98 62 28 
Q1 , phys NaCi-Lósung . 156 155 301 reich]. 


Versuch XLV. 


Einem 30jährigen Manne wird nach Kokainisierung beider Augen links 
1, "bige Zinksulfatlösung eingeträufelt und rechts die Conjunctiva des ever- 
tierten Ober- und Unterlides mit 1prozentigem Argentum nitricum benetzt. 
Nach Neutralisation mit Kochsalzlósung werden beiderseits auf !|, Stunde 
Wattebáusche in den unteren Bindehautsack eingelegt. Bei ihrer Heraus- 
nahme sind sie sehr gut durchfeuchtet und ergeben 0,5 bzw. 0,6 ccm 
Flüssigkeit. Durch !|stündiges Erhitzen auf 56° wird von den Conjunc- 
tivalflüssigkeiten je eine Probe inaktiviert. 


Baktericider Versuch. Pneumokokken. 

Inhalt der Röhrchen je 0,35 cem; davon je 0,05 cem Pneumokokken- 
emulsion in physiologischer Kochsalzlösung mit 10°), Zusatz von Pferde- 
serumbouillon. Aussaat mit grosser Öse auf Löfflerserum, sofort, nach 1, 
3, 81, und 20 Stunden. 


Koloniezahl 
Art und Menge der zu Wee 











rüf üssigkei nach nach nach nach 
BEE sofort | 1 Stde. | 3 Stdn. |814 Stdn.) 20 Stdn. 
0,3 cem akt. Menschenserum 70 87 185 312 verunrein. 
03 , , AgNO,-Sekret 10 0 0 0 
'0,3 ,, inakt. 5 15 0 0 0 0 
03 „ akt. Zn SO,-Sekret 77 24 0 0 0 
03 , inakt. is 14 27 0 0 0 


Versuch XLVI. 


Der Versuchsperson wird in das linke Auge !|,prozentiges Zinksulfat 
eingeträufelt und auf dem rechten die Conjunctiva des Ober- und Unter- 
lides mit 1prozentigem Argentum nitricum befeuchtet. Nach Neutralisation 
des Höllensteins bleiben Wattebäusche beiderseits in den unteren Bindehaut- 
säcken 25 Minuten liegen und werden in gewohnter Weise der in ihnen 
aufgesaugten Flüssigkeit beraubt und zwar wird 0,35 com AgNO,-Sekret 
und 0,3 cem ZnSO,-Sekret erhalten. Die Hälfte letzterer Flüssigkeiten wird 
ebenso wie eine Blutserumprobe 25 Minuten auf 56° erwärmt. 


Baktericider Versuch. Staphylokokken. 


Inhalt der Röhrchen 0,35 cem; davon 0,05 cem Staphylokokkenemulsion 
in Kochsalzlösung mit 10°), Zusatz einiger Tropfen Bouillon. Auffüllungs- 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine‘“ usw. 983 


flüssigkeit physiologischer Kochsalzlösung. Aussaat mit grosser Öse sofort, 
nach 1, 3, und 9 Stunden. 


Koloniezahl 
Art und Menge der zu prüfenden we 














"üssigkei , nach nach nach 

SEET E 1 Stde. | 3 Stdn. | 9 Stdn. 
0,2ccm akt. Menschenserum | 144 145 174 | reich]. 
2 ,, inakt. » 140 233 ca. 600 — 
0,15 „ akt. AgNO,-Sekret 136 8 1 0 
0,15 „ inakt. - 139 21 5 d 
0,15 „ akt. ZnSO,-Sekret 141 102 91 18 
0,15 „ inakt. j 137 99 84 31 
03 „ phys. NaCl-Lösung 131 158 160 reichl. 


Wir sehen also aus den vorstehenden Versuchen, dass auch beim 
Menschen durch das Silbernitrat und das Zinksulfat die Conjuncti- 
valflüssigkeit baktericide Eigenschaften erhält. Diese werden durch 
Erhitzen nicht abgeschwächt und betätigen sich auch Bakterien gegen- 
über, die vom Serum nicht abgetötet werden. Unter Berücksichtigung 
und in Übereinstimmung mit den am Kaninchen gemachten Beobach- 
tungen schreibe ich daher die antibakterielle Wirkung der Conjuncti- 
valflüssigkeiten dem in ihnen enthaltenen Leukin zu. Letzteres 
ist somit auch für den Menschen ein wirksames Verteidi- 
gungsmittel gegen die verschiedenen Mikroorganismen. 


Zusammenfassung und Schluss. 


Da in den einzelnen Abschnitten der Arbeit den Ergebnissen 
der Versuche unmittelbar eine Würdigung ihrer theoretischen und 
praktischen Bedeutung angeschlossen worden ist, sollen hier nur ganz 
kurz die wichtigsten Resultate zusammengefasst werden. 

Das normale Sekret der Tränendrüse und der Conjunctiva ent- 
hält keine baktericiden, hämolytischen und opsonisierenden Substanzen. 

Nach Instillation von Silbernitrat-, Protargol- und Zinksulfat- 
lösung wandern Leukocyten in den Bindehautsack aus und geben unter 
dem Einflusse jener Mittel ihre baktericiden Stoffe, die „Leukine“, ab, 

Die Heilwirkung der „Adstringentien“ beruht nicht so sehr auf 
der durch sie verursachten Schorf- oder Häutchenbildung und ihrer 
desinfizierenden Kraft, als vor allem auf ihrer Fähigkeit, die Leukin- 
bildung hervorzurufen. 

Die Vernichtung der Infektionskeime erfolgt vorwiegend extra- 
cellulär im Conjunctivalsekret dank des in ihm enthaltenen Leukines 
und nicht durch Alexin, das gegenüber den meisten Conjunetivitis- 


2S4 R. Schneider 


erregern unwirksam ist und nur in geringer Menge nach der Appli- 
kation der Silber- und Zinksalze aus dem Blute austritt. 

Ist auch nach meiner Ansicht das Auftreten des Leukines in der 
Conjunctivalflüssigkeit das wesentlichste Moment, auf dem die heilende 
Wirkung des Argentum nitricum und des Zincum sulfuricum beruht, 
so soll damit nicht gesagt sein, dass die therapeutischen Leistungen 
dieser Metallsalze mit der Leukin- und Schorfbildung sowie ihrer ge- 
ringen Desinfektionswirkung erschöpft sind. Denn da neben den be- 
kannten Abwehrvorrichtungen des Organismus noch solche unbekannter 
Art existieren dürften, so ist es sehr wohl möglich, dass von dem 
Silbernitrat und Zinksulfat noch andere das Gewebe „umstimmende“ 
Einflüsse ausgehen. 

Die Tatsache, dass die lokale resistenzsteigernde und heilende 
Wirkung der „Adstringentien“ am Auge hauptsächlich in der Bildung 
des Leukines zum Ausdruck komnit, ist ein Beweis dafür, dass mit 
Recht das Lenk dem Blutalexin und der Phagocytose als Haupt- 
waffen der natürlichen Resistenz an die Seite gestellt wird. 

Für die Therapie der infektiösen Bindehautentzündungen ergibt 
sich daraus die Indikation, zur Bekämpfung der Infektionserreger auf 
eine ausgiebige Erzeugung des Leukines bedacht zu sein. 


Literaturverzeichnis. 


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Bd. II, 1. 1909. : 

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1901. 

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med. Wochenschr. Nr. 39. 1901. 

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chen 1906. 


5) — Uher die Prüexistenz des Alexins im cirkulierenden Blut. Arch. f. Hyg. 
Bd. LXV. S. 305. 1901. 
6) — Über die baktericide und hümolytische Wirksamkeit der Leukocyten- und 


Plüttchenstoffe sowie der Odem- und Gefüsslymphe. Münch. med. Wochenschr. 
Nr. 10. 1908. 

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S. 40. 1909. 

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teriologie in der Augenheilkunde“. 


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15) Leber, Th., Die Entstehung der Entzündung. 1891. S. 185. 

16) Van Genderen Stort, A. G. H., Über die mechanische Bedeutung der 
natürlichen Irrigation des Auges. Arch. f. Hyg. Bd. XIII. S. 395. 1891. 
17) Bernheim, J., Über die Antisepsis des Bindehautsackes und die bakterien- 

feindliche Eigenschaft der Trinen. Deutschmanns Beitr. Heft VIII. S. 61. 

18) Nuttall, Die bakterienfeindlichen Einflüsse des tierischen Körpers. Zeitschr. 
f. Hyg. 1888. S. 353. 

19) Nissen, Zur Kenntnis der bakterienfeindlichen Eigenschaft des Blutes. 
Zeitschr. f. Hyg. 1889. S. 487. 

20) Marthen, Experimentelle Untersuchungen über Antisepsis bei Augenope- 
rationen und die Bakteriologie des Conjunctivalsackes. Deutschmanns 
Beitr. Heft XII. S. 1. 1893. 

21) Bach, L., Über den Keimgehalt des Bindehautsackes, dessen natürliche und 
künstliche Beeinflussung usw. Arch. f. Ophth. Bd. XL. S. 130. 1894. 

22) — Arch. f. Augenheilk. Bd. XXXIII. S. 102. 1898. 

23) — Die Bedeutung der bakteriologischen Forschung für die operative Augen- 
heilkunde. Ge f. Augenheilk. Bd. XI. S. 1. 1903. 

24) Schirmer, O., Über Lidschlaglähmung und Lidschlussláhmung; zugleich 
ein Beitrag zur - Lehre von der Trünenabfuhr. Zeitschr. f. Augenheilk. Bd. XI. 
S. 91. 1904. 

25) Ahlstroem, G., Über die antiseptische Wirkung der Tränen. Zentralbl. f. 
prakt. Augenheilk. 1895. S. 193. 

26) Goufrein, Etude expérimentale sur la tuberculose des voies lacrymales. 
Annal. d'Ocul. Tome CXXI. p. 363. 1899. 

27) Valude, E., Essais de la tuberculisation expérimental du sac lacrymal. 
Arch. d'opht. de Paris 1889, cit. nach Goufrein. 

28) — Action bactéricide des larmes. Annal. d'Ocul. CXXII. p. 168. 1899. 

29) De Bono, E. P., e Frisco, B., Sul comportamento della glandula lacri- 
male e del suo secreto. Annal. d'ig. sperim. XI. p. 418. 1899. 

30) Helleberg. Windmarks Mitteilungen (Fischer, Jena). III. S. 39. 1901, 
citiert nach Axenfeld, Die Bakteriologie usw. 

31) Plaut und von Zelew ski, Uber den Keimgehalt der Bindehaut nach der 
Tränensackexstirpation. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1901. S. 369. 

32) Axenfeld, Th., Die Bakteriologie ın der Augenheilkunde. 1907. S. 73. 

33) zur Nedden, Untersuchungen über das Vorkommen baktericider Substanzen 
im Bindehautsekret usw. Zeitschr. f. Augenheilk. Bd. XVIII. S. 300. 1901. 

33a) — Über das Vorkommen baktericider Substanzen im Bindehautsekret. Ber. 
üb. d. 34. Vers. d. Ophth. Gesellsch. Heidelberg 1907. S. 36. 

34) — Über die Bedeutung der Opsonine für das Auge. Zeitschr. f. Augenheilk. 
Bd. XIX. S. 314. 1908. 

35) Lindahl, Beitrag zur Kenntnis von der baktericiden Wirkung der Trünen- 
flüssigkeit. Hyg. 1907. p. 353. Ref. d. Ber, d. Arch. f. Augenheilk. Bd. LXI. 
S. 282. 1903. 

36) Saemisch, T h., Die Krankheiten der Conjunctiva usw. Graefe-Saemisch, 
Handb. d. ges. Augenheilk. Bd. V. Abt. I. 1904. 

37) Snellen, H. jr., Die augenärztlichen Heilmittel. Graefe-Saemisch, 
Handb. d. ges. Augenheilk. Bd. IV. Kap. II. 1905. 

38) zur Nedden, Über die natürlichen Heilfaktoren bei infektiösen Augen- 
erkrankungen usw. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. Jahrg. 47. 1909. 

39) v. Graefe, A., Vergleichende Therapie der Blennorrhöe und Diphtheritis, 
und Normen für die Anwendung des Causticum, Arch. f. Ophth. Dd. I, 1. 
S. 199. 

40: Fuchs. Lehrb. d. Augenheilk. 1908. 8. 62. 

41; Axenfeld. Lehrb. d. Augenheilk. 1909. S. 256. 


286 R. Schneider 


42) Kalt. Trait. de l'opht. Arch. d'Opht. 1894. Décemb. 

43) — Nouvelles observations sur le traitement de l'ophtalmie purulente par 
les grandes irrigations. Ber. üb. d. 24. Vers. d. ophth. Gesellsch. z. Heidel- 
berg. S. 208. 

44) v. Ammon, Zur Diagnose und Therapie der Augeneiterung der Neuge- 
borenen. Münchn. med. Wochenschr. 1900. Nr. 1. S. 12. 

45) v. Sicherer, Quecksilberoxycyanid zur Behandlung der Blennorrhoea neo- 
natorum. Münchn. med. Wochenschr. 1895. Nr. 49. 

46) Gilbert, Über die Behandlung der Blennorrhoea neonatorum. Münchn. 
med. Wochenschr. 1908. Nr. 30. 

47) Burchardt, O., Uber die Behandlung der Blennorrhöe. Inaug.-Diss. Berlin. 
1894. 

48) Greeff, Über gonorrhoische Augenerkrankungen. Berlin. klin. Wochensch. 
1901. Nr. 6. 

49) Cramer, Der Argentumkatarrh. Zentralbl. f. Gynäkol. 1899. Nr. 9. 

50) Bischoff, Zur Frage des Argentumkatarrhs in Bonn. Zentralbl. f. Gynäkol. 
1903. Nr. 10. 

50a) Scipiades, E., Die Ophthalmoblennorrhöe und das Argentum aceticum. 
Zentralbl. f. Gynäkol. 1909. Nr. 3. S. 89. 

51) Heile, Über intravitale Beeinflussung autolytischer Vorgänge im Körper. 
Zeitschr. f. klin. Med. Bd. LV. S. 508. 1904. 

52) Morax, Note sur un diplobacille pathogéne pour l& conjonctive humaine. 
Annal. de l'inst. Pasteur. 1896. Juin. 

53) LIN Ber. über d. 2b. Vers. d. ophth. Gesellsch. z. Heidelberg. 

. 155. 

54) Uhthoff und Axenfeld, Beitrüge zur pathologischen Anatomie und Bak- 
ps ie der eitrigen Keratitis des Menschen. Arch. f. Ophth. Bd. XLII, 
1. S. 1. 

55) — — Weitere Beiträge zur Átiologie der Keratitis des Menschen, besonders 
der eitrigen. Arch. f. Ophth. Bd. XLIV. 

56) Peters, Über die chronische Diplobacillenconjunctivitis. Arch. f. Ophth. 
Bd. XLVIII. S. 638. 

57) zur Nedden, Beobachtungen über die Diplobacillenconjunctivitis in der 
Kgl. Universitits- Augenklinik zu Bonn. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 
Bd. XXXIX. 1897. 

58) Petit, Recherches cliniques et bactériologiques sur les infections aiguées de 
la cornée. Paris 1900. 

59) Paul, Über Hornhautulcerationen durch Diplobacillen. Klin. Monatsbl. f. 
Augenheilk. Jahrg. 43. S. 154. 1905. 

60) Erdmann, EinBeitrag zur Kenntnis der Diplobacillengeschwüre der Cornea usw. 
Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. Jahrg. 483. I. Bd. S. 561. 1905. 

61) Stoewer, Über das Diplobacillengeschwür der Hornhaut. Klin. Monatsbl. f. 
Augenheilk. Jahrg. 43. 1I. Bd. S. 142. 1905. 

62) Agricola, Uber eitrige Diplobacillenkeratitis, besonders ihre Therapie. 
Klin. Monatsbl. f. Augenheilh. Jahrg. 44. Beilageheft S. 160. 1906. 

62a) Zade, Beitrag zur Kenntnis des Diplobacillengeschwürs der Hornhaut. 
Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 46. Jahrg. S. 153. Juli-Dezember 1908. 

63) Silva, Experimentelle Untersuchungen über die Einwirkung von Zink auf 
den Morax- Axenfeldschen und Petitschen Diplobacillus. Klin. Monatsbl. 
f. Augenheilk. Jahrg. 44. Beilageheft S. 182. 1900. 

64) Gayet, Recherches expérimentales sur l'antisepsie et l'asepsie oculaires. 
Arch. f. Opht. T. VII. No. 5. p. 355. 1887. 

65) Hildebrandt, Experimentelle Untersuchungen über Antisepsis bei der 
Staroperation. Deutschmanns Beitr. z. Aurenheilk. Heft VIIL. S.33. 1892. 

66) Bach, L., Bakteriologische Untersuchungen über den Wert von verschie- 
denen, speziell antiseptischen Verbänden auf den Keimgehehalt des Lidrandes 
und Bindehautsackes. Arch. f. Augenheilk. Bd. XXX. S. 181. 1895. 

6% — Antisepsis oder Asepsis bei Bulbusoperationen? Arch. f. Augenheilk. 
Bd. XXXIII. 1806. ` 

68) — Bakteriologische Untersuchungen über den Einfluss antiseptischer Uber- 


Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 9287 


69) 
AR 


71) 


12, 


19) 


80) 


schläge auf den Keimgehalt des Lidrandes und der Bindehaut. Arch. f. 
Augenheilk. Bd. XX\XIV. 1897. 

Morax, Recherches bactériologique sur l'étiologie des conjunctivites. Thése 
de Paris. 1894. 

Dalén, Experimentelle Untersuchungen über die Desinfektion des Binde- 
hautsackes. Aus Widmark, Mitteil. aus der Augenklinik d. Carol. Med. 
Chirurg. Instituts zu Stockholm. Jena, G. Fischer. 1898. 

Randolph, Bakterien in der normalen Bindehaut und ihre Beeinflussung 
durch aseptische und antiseptische Irrigation. Journ. Americ. Med. Assoc. 
1898. Jan. 8. 

Kalt, Antisepsie préparatoire de la conjunctive. Société franc. d'Opht. 
Hec. d'Opht. 1897. p. 350. 

Steffan, Th., Weitere Erfahrungen und Studien über die Kataraktopera- 
tion. 1882 — 1886; Antisepis und Technik. Arch. f. Ophth. Dd. XXXV, 2. 
S. 111. 1889. ` 

Eversbusch, Uber die Anwendung der Antimycotica in der Augenheil- 
kunde. Zentralbl. f. prakt. Augenheilk. Jahrg. XIV. S. 65... 1890. 

v. Graefe, Fortgesetzter Bericht über die mittels antiseptischer Wundbe- 
handlung erzielten Erfolge der Staroperationen. Arch. f. Ophth. Bd. XXXV, 
3. S. 248. 1889. . 

Hauenschild, Uber Antisepsis bei Bulbusoperationen. Zeitschr. f. Augen- 
heilk. Bd. I. S. 221. 1899. 


) Emmerich und Loew, Bakteriolytische Enzyme als Ursache der erworbenen 


Immunität und die Heilung von Infektionskrankheiten durch dieselben. Zeitschr. 
f. Hyg. u. Infektionskrankh. Bd. XXXI. 


| — — Die künstliche Darstellung der immunisierenden Substanzen (Nucleasen- 


Immunproteidine) und ihre Verwendung zur Therapie der Infektionskrank - 
heiten und zur Schutzimpfung an Stelle des Heilserums. Zeitschr. f. Hyg. 
u. Infektionskrankh. Bd. XXXVI. 

Schapiro, Uber das baktericide Verhalten der Pyocyanase und ihre Wirkung 
auf Versuchstiere. Hyg. Rundschau 1908. Nr. 8. S. 453. 

Loewenstein, Die Einwirkung der Pyocyanase auf Bakterien des Binde- 
hautsackes. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1908. Juliheft S. 52. 


v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXIL. 2. 19 


Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 


Von 


Dr. Vittorio Carlini, 
Augenarzt in Livorno. 


Mit Taf. X, Fig. 1—3. 


Uber die Conjunctivaleysten existiert eine ausgedehnte Literatur. 
Trotz der beträchtlichen Anzahl der Veröftentlichungen ist das Krank- 
heitsbild dieser Neubildungen noch nicht vollständig. 

Wenn auch einige Arten der Cysten ziemlich bekannt sind, wie 
die kongenitalen, diejenigen, welche von der Lymphangiektasie (Hirsch- 
berg, Makrocki, Panas, Delecoeuillerie), von den Krauseschen 
(de Vincentiis, Antonelli, Faravelli und Rampoldi, Moauro, 
Rombolotti), von den Henleschen Drüsen (Wintersteiner, Cirin- 
cione), von drüsenförmigen Faltenbildungen im Pterygium (Gallenga) 
oder im Naevus der Conjunetiva (Wintersteiner, Pindikowski) 
ihren Ursprung haben, ferner die parasitären (C'ysticercus, Filaria), so 
sind andere in ihrem ätiologischen Wesen und in ihrer Entwicklungs- 
weise noch nicht hinreichend aufgeklärt worden. Unter den letzteren 
befinden sich die traumatischen Cysten. 


Uber die Entstehungsart der traumatischen Cysten der Conjunc- 
tiva hat man ziemlich unvollständige Kenntnisse, da es sich um Neu- 
bildungen handelt, die selten unserer Beobachtung unterliegen. Viel- 
leicht. sind diese Fälle nicht so selten als es den Anschein hat und 
zwar aus dem Grunde, weil sie gewöhnlich nicht stören, und dem- 
gemäss den Kranken nicht veranlassen, den Augenarzt zu konsultieren. 
Jedenfalls ist das anatomisch-pathologische Material, das bis dahin ge- 
sammelt und untersucht ist, noch gering. 

Die traumatischen Cysten sind als Einschliessungseysten angesehen 
worden, gemiiss der Pfropfungstheorie von Rothmund-Masse, die 
ohne Zweifel für die Entstehung der perlförmigen Jristumoren an- 
genommen Ist. Man hat sie entsprechend den Pfropfungen im Nub- 


Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 289 


conjunctivalgewebe und der nachfolgenden Vermehrung der losgelósten 
Epithelelemente, die von einem traumatischen Agens in die Tiefe ge- 
rissen waren, zugeschrieben. 

Die Beobachtungen, die indes dazu führten, diese Kategorie von 
Cysten der Conjunctiva festzustellen — abgesehen von denjenigen, die 
einer histologischen Untersuchung ermangeln und selbstverständlich 
nicht in Betracht gezogen werden können —, sind, wie schon gesagt, 
äusserst wenige. Man kann sagen, dass die traumatischen Cysten an- 
statt auf Grund genauer und erschópfender Beobachtungen aus Ana- 
logie angenommen seien, wobei man die Pathogenese der perlförmigen 
Iristumoren, der perlfórmigen Fingergeschwülste, der Epithelcysten im 
allgemeinen, die hinlänglich durch die Erfahrungen Masses und 
Kauffmanns nachgewiesen sind, sich gegenwärtig hielt. 

Tatsächlich sind Cysten als traumatisch angesehen worden, nur 
weil diesen ein Trauma vorausgegangen war, Cysten von denen eine 
weitere Untersuchung nachweisen konnte, dass man sie für Cysten 
anderer Natur anzusprechen hatte, z. B. als Iymphatische (Beobach- 
tungen von Makrocki und von Hache) oder als parasitäre Cysten. 

Im übrigen ist die Neigung aller Kranken bekannt, den Ursprung 
ihrer eigenen Krankheit in annehmbarer Weise zu erklären, sowie den 
Anfang auf ein Trauma zurückzuführen. 

Man muss in jedem Falle bestimmen, ob man einem Trauma 
Bedeutung in der Ätiologie einer Cyste der Bindehaut zuzumessen 
hat. Eine Cyste kann nicht aus dem blossen Grunde für traumatisch 
erklärt werden, weil sie sich nach einem Trauma entwickelte. Ein 
Trauma kann auch indirekt wirksam gewesen sein, indem es z. B. die 
Obturation eines Ausführungsganges einer Drüse hervorgerufen hat. 
Um mit Sicherheit sagen zu können, dass eine Cyste traumatischen 
Ursprungs sei, muss man eine histologische Untersuchung anstellen, 
die die Art und Weise präcisiert, in der das Trauma gewirkt hat, 
und zudem nachweist, dass die Cyste tatsächlich der Verschleppung 
von Ektodermelementen in das Subepithelgewebe zuzuschreiben ist. 


Nicht alle der wenigen Beobachtungen, die von den Autoren an- 
geführt werden, um die Existenz wirklich traumatischer Cysten der 
Conjunctiva darzutun, sind klar und überzeugend. 

Die wichtigsten sind Uhthoff zu verdanken, der 1879 drei 
Fälle veröffentlichte, durch die er bereits die von Sichel und Arlt 
über die traumatische Entstehung der Cysten der Conjunctiva aus- 


gesprochenen Ideen bestätigte. 
19* 


290 V. Carlini 


Der erste Fall von Uhthoff betrifft eine Frau von 20 Jahren, die 
wegen Strabismus operiert war. Die Operation war regelrecht verlaufen 
und die Heilung ohne Komplikation vor sich gegangen. Fünf Wochen nach 
der Operation zeigte sich auf der Fläche des operierten Muskels eine Er- 
höhung von 3—4 mm, bedeckt mit Bindehaut normalen Aussehens mit allen 
Zeichen einer serósen Cyste. Diese wurde durchstochen und es floss 
eine helle Flüssigkeit ab, die sich bald aufs neue bildete. Man excidierte 
die Cyste sodann und bei der histologischen Untersuchung zeigte sie eine 
Wand aus Fasergewebe, das innen mit einer regelrechten Epithelzellenschiclıt 
gepflastert war. 

Der zweite Fall Uhthoffs ist noch deutlicher. Er bezieht sich auf 
eine Cyste auf der Bulbareonjunctiva, die einen Centimeter vom Limbus ent- 
fernt lag und die fünf. Wochen nach einem Trauma aufgetreten war, das 
das obere Augenlid durchbohrt und den Augapfel erreicht hatte. Diese Cyste 
lag im subconjunctivalen Gewebe, war linsengross und wurde excidiert. Dei 
Durchleuchtung wurde in ihrem Innern die Existenz von drei Härchen auf 
der Wand festgestellt. 

' Die mikroskopische Untersuchung zeigte, dass die Wand aus einem 
Fasergewebe bestand und im Innern mit Pflasterepithel bekleidet war. 

Der dritte Fall endlich ist sehr zweifelhaft und weist nicht gerade ein 
wirkliches Trauma auf. Bei einer Frau von 45 Jahren, welche erzählte, 
dass zuvor ein kleines Insekt in den inneren Winkel des rechten Auges ein- 
gedrungen war, entwickelte sich eine wurmförmige Cyste ähnlich einer 
Lympherweiterung mit klarem serösem Inhalt. In diesem Fall ist die Cyste 
voraussichtlich einer Lympherweiterung zuzuschreiben. 


Von diesen drei Fällen sind die ersten beiden von Uhthoff als 
wirklich traumatische angesehen worden, welche die Folge einer Epi- 
thelpfropfung waren, woraus sich der Überzug mit Pflasterepithel er- 
klärt. Ausser den Beobachtungen Uhthoffs finden wir in der ganzen 
ophthalmologischen Literatur bis heute nur vier andere Beobachtungen 
traumatischer Cvsten, von denen drei indes sich auf die blosse kli- 
nische Beschreibung beschränken. 


Fin Fall ist von Baudry (1882) besprochen worden. Es handelt sich 
hier um einen Kranken, dem ein Stück brennenden Schwefels in ein Auge 
geflogen war. Drei Monate nach dem Unfall zeigte sich ein kleines Bläs- 
chen, das allmählich grösser wurde und den Charakter einer Epidermeyste 
annahm. 

Ein anderer Fall ist von Lopez (1885) beschrieben worden. Es be- 
trifft einen Arbeiter von 24 Jahren, der vor zwölf Jahren einen Stoss von 
dem Horn einer Kuh in die linke Augenhöhle erhalten hatte. Die zwei 
freien Ränder der Augenlider vereinigten sieh und die beiden Bindehautsäcke 
bildeten eine Höhle, in der sich einige Knochentragymente fanden, die aus 
dem Augenhöhlenrand entstammten; der Augapfel war unverschrt hinter 
der Cyste. 

Lange bespricht (1903) in neuerer Zeit einen dritten Fall. Ein Patient 


Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 291 
meldete sich bei ihm eineinhalb Stunden nachdem ihm vermittels eines 
Schraubenziehers ein Schlag ins Auge versetzt worden war. Dieser hatte 
im rechten Auge die Conjunctiva verletzt und ein Stück von 6—8 mm 
entblösst. Lange nähte die Wunde zu. Sieben Monate später bei er- 
neutem Besuch klagte der Patient über ein Gefühl einer Hemmung im 
rechten Auge infolge einer Cyste, die gerade dort entstanden war, wo zu- 
vor die Verletzung erfolgt war. Die Cyste wurde ausgeschnitten, die histo- 
logische Untersuchung konnte nicht vorgenommen werden. 


Schliesslich bringt 1905 Mayou in Royal London Ophthalmic 
Hospital Reports die klinische und pathologisch-anatomische Beschreibung 
einer traumatischen Cyste der Conjunctiva, die unzweifelhaft dem direkten 
Eindringen des Epithels in das Subconjunctivalgewebe vermittels eines 
Fremdkörpers zuzuschreiben ist. 


Der Fall Mayous verdient ausführlich wiedergegeben zu werden. Ein 
Knabe von 11 Jahren stellte sich ihm, fünf Tage nachdem ihn ein Holz- 
splitter im rechten Auge getroffen hatte, vor. Bei der Inspektion erschien 
im äusseren Teil der Bulbusconjunctiva, ungefähr 6 mm vom Limbus, eine 
rote Anschwellung wie eine dicke Phlyktäne. Die kleine Geschwulst wurde 
excidiert und der mikroskopischen Untersuchung unterworfen. Diese zeigte, 
dass die Wunde der Conjunetiva noch nicht vollständig mit Epitliel bekleidet 
war, und dass die Cyste, die im unterstehenden Gewebe vorhanden war, in 
ihrem Innern den kleinen Holzsplitter enthielt, der die Verletzung hervor- 
zerufen hatte, zusammen mit ein- und mehrkernigen Zellen aller Arten, 
Plasmazellen und einer oder zwei Hiesenzellen. Das Epitlel, das die Cyste 
bekleidete, war aus drei oder vier Zellenschichten jener Art zusammengesetzt, 
welche die Oberfläche der Bulbusconjunetiva bekleiden. Es umgab den 
Splitter mit Ausnahme einer kleinen Fläche, welche an der Eintrittswunde 
lag. Augenscheinlich war das Epithel von der Spitze des Splitters losgelöst, 
in die Tiefe fortgerissen und hatte sich in ihrer Umgebung vermehrt, wie 
die karyokinetischen Figuren zeigten, welche sich in den Zellenelementen 
vorfanden, die auf der noch nicht mit Epithel bekleideten Fläche gelegen sind. 
Die Tatsache, dass keine Verbindung zwischen dem Epithel der Obertläche 
der Conjunctiva und dem der Cyste existierte, und dass die Epithelschieht, 
welche die Cystenwand darstellte, nicht vereinigt war, sondern eine Unter- 
brechung an der Stelle aufwies, an der das Eindringen des Fremdkórpers. 
erfolgt war, zeigt die Möglichkeit, dass das Bindehautepithel, losgelöst und 
in die Tiefe fortgerissen durch ein verwundendes Agens, eine cystische Im- 
plantation verursachen kann. 


Alles, was wir über traumatische Cysten der Conpunetiva wissen, 
beschränkt sich auf einige Fille, die nicht alle klar in ihrem Ur- 
sprung sind. 

Die geringe Anzahl der Beobachtungen und die Unvollständig- 
keit derselben hinsichtlich des histologischen Bildes zeigt deutlich, 
dass man sogar an der Existenz wirklich traumatischer Cvsten. zwei- 
feln kann. 


292 V. Carlini 


Cirincione!) der über die Cysten der Conjunctiva die wichtigste 
und die am meisten mit Belegen versehene Arbeit geschrieben hat, 
sagt, niemals wirklich traumatische Cysten beobachtet zu haben, und 
behauptet von ihrer Entstehung nicht überzeugt zu sein, wie sie von 
andern Autoren angenommen und beschrieben worden ist. 


Es ist wichtig zu wissen, wie Cirincione die veröffentlichten Fälle 
angesehen hat. Er meint, dass es sich in den beschriebenen Fällen um 
Bläschen handelte, die infolge von Faltenbildungen der Conjunctiva entstanden 
seien, um falsche Cysten, d.h. um solche, die aus Taschen der Conjunctiva 
herrührten, sei, es, dass diese Taschen aus einer schlecht verheilten Naht 
(erster Fall von Uhthoff) oder aus einem Symblepharon als Folge eines 
Traumas (Fall Lopez) oder aus einer Verletzung (Fall Baudry) entstanden. 

Cirincione gibt die Möglichkeit traumatischer Cysten zu, aber in ganz 
anderem Sinne. Er glaubt nämlich, dass man in der Conjunctiva, wie in 
jedem andern Teil des Organismus, wo Drüsen existieren, die Entwicklung 
von Retentionscysten infolge der Einwirkung eines Trauma haben könne, 
das früher oder später durch den nachfolgenden Vernarbungsprozess zur 
Verstopfung des Ausführungsgangs einer Drüse führe. Besonders der Fornix 
superior, wo die kleinen Tränendriüsenkanäle münden, muss ein günstiger 
Herd für die Bildung solcher Cysten sein (Dakryops der Alten), obschon 
eine solche Entwicklung noch nicht anatomisch beschrieben sei. 

Cirincione kommt zu der Schlussfolgerung, dass „die traumatischen 
Cysten theóretisch wohl existieren können, aber in Wirklichkeit von nie- 
mand beobachtet worden sind“. 


Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass nicht nur nicht 
der Mechanismus klar ist, vermittels dessen die traumatischen Cysten 
in der Conjunctiva ihren Ursprung nehmen, sondern dass nicht einmal 
ihre Existenz sicher nachgewiesen ist. 

Weitere Untersuchungen sind daher unbedingt notwendig, um die 
Möglichkeit ihrer Existenz darzutun, die jetzt mehr auf Grund theore- 
tischer Begriffe als auf Tatsachen beruhend, zugestanden ist; ferner- 
hin muss man den Mechanismus bestimmen, durch den das Trauma 
eine Cystenbildung veranlasst. 

Diese Frage, die theoretisch wichtig ist, kann ihre Lösung nur 
von wiederholten anatomiseh-pathologisehen Untersuchungen erhalten. 
Ich glaube daher, dass es nützlich. ist, den folgenden Fall zu be- 
schreiben, der durch seinen histologischen Befund beitragen kann, den 
Entstehungsgrund einer wenig bekannten Aftektion zu erklären. 


Krankengeschiehte: Eine Frau von 38 Jahren gab an, dass sie vor 
15 Jahren, während sie auf dem Lande Wäsche ausbreitete, durch einen 


!! Deutschmanns Beitr. zur Augenheilk. 1903. 


Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 293 


Zweig mit starker Wucht getroffen wurde und zwar auf der Bulbusconjunc- 
tiva des linken Auges, so dass dieses für einige Tage rot blieb. Nach 
kurzer Zeit sah sie im linken Auge an dem entsprechenden inneren Horn- 
hautrande gerade dort, wo angeblich die Conjunctiva vom Trauma verletzt 
war, eine kleine rötliche Anschwellung, die sich nach und nach vergrösserte, 
bis sie nach einigen Monaten Dimensionen annahm, die den gegenwärtigen 
fast gleichkamen. Die Kranke gab an, dass seit einiger Zeit auf dieser 
Seite die Anschwellung noch an Volumen zugenommen habe, und will des- 
halb davon befreit werden, obschon sie an keiner Störung leidet. Sie weist 
ein ausgezeichnetes Allgemeinbefinden auf, hat angeblich niemals in irgend 
einer Weise an den Augen gelitten und, gemäss den von ihrer Familie ein- 
gelaufenen Berichten, scheint keine Vererbung vorzuliegen. 

Bei der Untersuchung ist folgendes beobachtet worden: 

Rechtes Auge vollständig gesund. 

Im linken Auge sind die Augenlider, die Tränengänge, die Conjunetiva 
des Augenlides und der Übergangsfalte vollständig normal. Die Bulbar- 
conjunctiva ist ebenfalls normal; es ist auch kein Anzeichen von Pinguecula 
noch Tendenz von Pterygium vorhanden. 

An dem Limbus befindet sich eine kleine bläschenartige Anschwellung 
genau in dem horizontalen Meridian, auf der Nasenseite der Hornhaut. Sie 
liegt rittlings zum Teil auf der Conjunctiva, zum Teil auf der Hornhaut, 
besitzt eine genau rundliche Form, reguläre Oberfläche und Rosafarbe. Sie 
ist halbdurchsichtig, mit serösem Inhalt, unbeweglich unter der Conjunctiva. 

Die Dimensionen sind: 4mm horizontal, 5mm vertikal, 3mm von 
vorne nach hinten. 

Auf Grund der klinischen Merkmale erscheint die Diagnose einer serösen 
Cyste am Limbus sicher. Es ist unmöglich, sie mit einem serösen Subcon- 
junctivalergusse, der von einer Fistel des sklero-cornealen Randes oder von 
einer Cystoidalvernarbung in dieser Gegend herrührte, zu verwechseln. Noch 
weniger möglich ist es sie für einen Cysticereus der Conjunctiva zu halten 
aus Mangel der charakteristischen weisslichen Zentralscheibe, oder für 
eine lymphatische Cyste wegen des Volumens und der Form. 

Die totale Excision der Cyste war nicht möglich. Man konnte nur 
ihre Vorderwand zusammen mit der darüberliegenden Conjunctiva ablösen; 
die Hinterwand war vom Episkleralgewebe und von der Hornhaut nicht zu 
lösen. Der Inhalt der Cyste war eine klare, leicht zitronenfarbige Flüssigkeit. 

Der Heilungsprozess ging regelmässig von statten. 

Das anatomische Stück wurde in Müllerscher Flüssigkeit fixiert, in oft 
während des Tages erneuertem Wasser gewaschen, in Alkohol steigender 
Konzentration gelegt und in Celloidin eingeschlossen. | 

Die Sehnitte wurden auf dem Objekttrüger befestigt nach der Mayer- 
schen Methode mit Albuminglyeerin und mit Hámalaun, Chloralhámatox ylin 
und Eosin, van Gieson und mit Mayerschem Muchháümatein gefáürbt. 

Die Präparate geben schon bei geringer Vergrösserung Rechenschaft 
von der topographischen Anlage ihrer verschiedenen Teile. Sie zeigen die 
exeidierte Vorderwand der Cyste mit Bulbarconjunctiva bekleidet und infolge 
der Reagentien umgestülpt, so dass sie konvex anstatt konkav erscheint. 
Diese Wand ist mit vielsehielitigem Ptlasterepithel ausgekleidet, aber nicht 


) 


2041 V. Carlini 


in ununterbrochener Weise. Das was auffällt, ist auf der einen Seite im 
Subeonjunetivalgewebe nahe der Cystenwand das Vorhandensein einiger 
Zellenanhäufungen, die den Eindruck von Querschnitten von Drüsenschläuchen 
machen können (Taf. X, Fig. 1). 

Bei stärkerer Vergrösserung kann man die Einzelheiten der Struktur 
dieser verschiedenen Elemente ersehen. 


Das Epithel, das die Bindehaut bekleidet, ist das der normalen Bulbus- 
conjunctiva: es ist ein Pflasterepithel, aus seinen drei charakteristischen Schichten 
(Platten-, Rund- und Cylinderzellen) ohne kelchförmige Zellen zusammen- 
gesetzt. Unter dem Epithel findet sich eine Schicht von lockerem Binde- 
gewebe mit einer gewissen Anzalıl von spindelförmigen Zellenelementen und 
Blutgefässen. In den mehr oberflächlich gelegenen Teilen dieser Schicht 
bemerkt man an einigen Stellen um die Gefässe eine leichte Infiltrierung 
von Lymphzellen. 


Unter diesem Bindegewebe, der Conjunetiva angehórig, befindet sich die 
Wand der Cyste, welche eine bindegewebige Membran und ein Bekleidungs- 
epithel umfasst (Taf. X, Fig. 2). 

Das Epithel, das die Cyste bekleidet und sein besonders Element bildet, 
ist ein vollständig typisches geschichtetes Pflasterepithel. Es fehlt in einigen 
Teilen; dort, wo es am stärksten ist, besteht es aus sechs oder sieben 
Zellenschichten. Die Elemente, die es ausmachen, sind ziemlich umfangreich, 
länglich, mit dem Kern im Zentrum und dichtem Protoplasma. 


Die Cystenmembran hat nicht die gleiche Struktur in ihrer ganzen 
Dicke. Sofort unter dem Epithel ist sie kernlos und erscheint homogen; 
nur bei starker Vergrösserung zeigt sich eine feine Streifung. Im Rest ist 
sie aus kernreichem Faserbindegewebe gebildet. 


Die Zellenanhäufungen, die ich in nächster Nähe der Wand fand, be 
stehen aus Elementen, die gemäss ihrer Struktur klar von epithelialer Natur 
erscheinen (Taf. X, Fig. 3). Diese Elemente sind gut gebildet und untätig, 
weisen daher keine progressiven oder regressiven Erscheinungen auf, weder 
am Protoplasma noch am Kern. Diese Anläufungen von Epithelzellen haben 
kein Lumen im Mittelpunkt und stehen in direkter Beziehung mit dem be- 
nachbarten Bindegewebe, olıne eine eigene Membran zu besitzen. 


Aus dieser Beschreibung ergibt sich also, dass die Neubildung, 
die ich exeidierte, eine seröse Epithelevste ist. 

Man muss zunächst untersuchen, wie dieselbe. entstanden ist. 

Ein Drüsenwsprung der Cvste lässt sich a priori nicht zurück- 
weisen, trotz ihres Sitzes längs des Limbus. 

Angenommen ist, dass in dem Bulbarteil der Conjunetiva keine 
Drüsen unter normalen Bedinenngen vorkommen. Dies ist indes eine 
Frage, in der nicht alle Autoren, die sich mit der Anatomie der Con- 
junetiva beschäftigten, einig sind. Stromeyer, Kleinschmidt, 
Henle und Ciaccio haben in nächster Nähe des Randes der Horn- 
haut Drüsenbildungen angetroffen, die den von Manz im Corneallim- 


Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 295 


bus des Schweins und von Meissner in dem des Kalbes beschriebenen 
Otrikulardrüsen analog sind. 
Ciaccio schreibt in seinem klassischen Werke (1874): 


„In der Bulbarconjunctiva gibt es fast ständig keine Drüsen; ich sage 
ständig, weil es mir zweimal vorgekommen ist, einige ganz denen der 
Augenlideonjunctiva ähnliche zu finden, und ein anderes Mal sah ich in dem 
unteren und äusseren Teil der Bulbareonjunctiva, 1!/,mm vom Rand der 
Hornhaut, neun sehr kleine Drüschen wie ein kleiner Sack, meistenteils zwei- 
seitig in ihrem Grunde, mit vielmehr weiter und fast kreisförmiger Mündung 
und innerlich mit einer Reihe von poligonalen Epithelzellen garniert. Diese 
Drüschen waren über einen Quadratmillimeter zerstreut und ich finde sie 
äusserst ähnlich denen zuerst von Manz in der Schweineconjunctiva und 
von Stromeyer und auch einmal von Henle in der menschlichen Con- 
Junctiva beobachteten.“ 


In diesen Bildungen sieht indes die Mehrzahl der Autoren nicht, 
wie Waldeyer, wirkliche Drüsen, sondern nur Anhäufungen von 
Epithelzellen, in einer der Vertiefungen der Conjunctiva in der Nähe 
des Limbus gruppiert. Die Frage von der Existenz von Drüsen in 
der Bulbusconjunetiva ist noch in neuerer Zeit in einer Veröftent- 
liehung von Calderaro (1908) behandelt worden, einer besonders 
wichtigen Arbeit, weil in ihr die Entstehung der Epitheleysten Er- 
wähnung findet. 


Calderaro hat in einem Augapfel, der mit einer chronischen leprösen 
Entzündung am Limbus und an der Hornhaut behaftet war, ungefähr 3 mm 
vom Limbus, das Vorkommen von fünf Drüsenkrypten beobachtet. Zwei 
von ihnen hatten die Form von Drüsenotrikeln oder Drüsenklaven; von den 
andern drei waren zwei embryonale Epithelknospen, die letzte zwischen 
beiden Kategorien eine leichte Epitheleinsenkung. 

Calderaro glaubt nicht, diese Drüsensehlauehknospen ehronischer Ent- 
zündung zuschreiben zu können, weil er einen solchen Befund nicht hat 
konstatieren können bei der Untersuchung vieler Augäpfel, die mit chro- 
nischer Syphilis des Limbus, chronischer Tuberkulose, Episkleritis behaftet 
waren, und auch eines andern Augzapfel mit Lepra am Limbus. Seine 
Schlüsse sind folgende: „Dieser Befund ist, wenn auch nur rudimentär, dem 
von Meissner am Corneallimbus des Kalbes und des Schafes, und bald 
darauf von Manz in dem des Schweins bemerkten, älnlich, und erklärt die 
Entstehung der durchsichtigen Epitheleysten, die wir bisweilen in der Bulbus- 
conjunctiva des Menschen beobachten.“ 


Diese Bemerkungen werden von mir erwähnt, weil in meinem 
Falle in der Nähe der Eystenwand Anhäufungen von Epithelzellen 
vorkommen, die auf den ersten Blick den Eindruck von Quersehnitten 
von Drüsenschläuchen machen können. Eine genauere Untersuchung 
lässt indes eine solche Auslegung nicht zu. Diese Zellenanhäufungen 


296 V. Carlini 


haben eine ganz andere Struktur als die von Ciaccio und von 
Calderaro beschriebenen Drüsenschläuche: der Sitz, die Form. die 
Disposition ihrer Elemente, ihre Beziehungen zu dem umstehenden 
Gewebe, der Mangel einer Verbindung mit der Oberfläche, schliessen 
Drüsenstruktur aus. Ein Vergleich zwischen den vorliegender Arbeit 
beigefügten Figuren und denen Calderaros kann jeden Zweifel be- 
seitigen. 

Wenn also die Auffassung, dass die Cvste aus einer zufälligen 
Drüse des Limbus entstanden sei, ausgeschlossen werden kann, so 
muss man noch erwägen, ob sie nicht von einer pathologischen Drüsen- 
neubildung$jhervorgebracht sei. 

In der Tat ist bei verschiedenen pathologischen Prozessen der 
Conunetiva die Entwicklung von Depressionen der Schleimhaut oder 
Epitheleinsenkungen möglich, die als pathologische Drüsen die Basis 
einer. Cystenbildung darstellen können. Rogman, Ginsberg und 
Wintersteiner haben eine solche Auffassung von Cystenursprung 
in der Conjunetiva vertreten. Man muss ihre Beobachtungen und 
ihre Auffassungen genau kennen, weil, wie Cirincione bemerkt, der 
Hauptgrund, auf den sie sich stützen, d. h. die Neubildung in der 
Conjunctiva von Drüsenschläuchen infolge von Epitheleinsenkungen, 
in keinem andern Entzündungsprozess der Schleimhäute und der Haut 
sich vorfindet. 

Rogman untersuchte (1895) eine.seröse Epitheleyste, kleinerbsengross, 
bei einer Frau von 56 Jahren in der Epibulbargegend zwischen der Horn- 
haut und der Karunkel. 

In der Epibulbargegend, von wo die Cyste entfernt wurde, gibt es 
unter normalen Bedingungen keine Drüsen. Rogman gibt für diese Cyste 
auf Grund ihres histologischen Charakters eine conjunctivale Entstehung zu, 
sowie einen Bildungsgang, den er wie folgt darstellt: „Man kann annelımen, 
dass Falten, Bögen oder Krypten, die so zahlreich in der Conjunctiva sich 
isoliert finden, sich in die Tiefe gesenkt, sodann abgeschnürt und schliess- 
lich gänzlich von der Membran, die ihnen den Ursprung gegeben, ab- 
getrennt hätten, um Cystenform anzunehmen und sich dann im Subeonjunc- 
tivalgewebe zu verlieren.“ 

Ginsberg beschrieb (1897) in einer umfangreichen und wichtigen 
Schritt zwei Fälle von Epitheleysten. Im ersten Falle handelt es sich um 
eine seróse Epithelevste linsengross, von dem unteren Conjunctivalsack 
in der Nähe der Karunkel entfernt. Im zweiten Falle handelt es sich um 
eine Cvste von der Grösse eines Pfellerkorns, ebenfalls an dem unteren Con- 
junctivalsack gelegen, und an ihrer inneren Oberfläche mit einer einzigen 
Schicht von Pilasterzellen bedeckt. — Sie zeigt sich volltindig von der Con- 
junetiva getrennt, aber überall von zahlreiehen Epitheleinsenkungen umgeben. 

Ginsberg kommt, nachdem die verschiedenen Hypothesen, welche zur 


Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 297 


Erklärung dieser Cysten in Frage kommen, von ihm geprüft und verworfen 
sind, zu der Schlussfolgerung, dass sie von neugebildeten epithelialen Fort- 
setzungen herrühren (ähnlich denen, die sich in seinem zweiten Falle finden), 
welche ihrerseits einer Proliferation des Epithels infolge von chronischem 
Katarrh der Conjunctiva zuzuschreiben sind. Er erinnert zur Unterstützung 
seiner Auffassung daran, dass bei Krankheiten der Conjunctiva die Neu- 
bildung von Epitheleinsenkungen keineswegs eine Neuheit sei. Die Neu- 
bildung von Epithelschläuchen in der Tarsalschleimhaut ist wiederholt be- 
schrieben, vor allem irrtümlich von Berlin, der das Anwachsen der Furchen 
von Stieda als neugebildete Drüsen, pathognomonisch dem Trachom, inter- 
pretiert hat. Jacobson hat die gleichen Bildungen bei Lupus und Tuber- 
kulose der Conjunctiva, ferner in einem Falle von einer eine Uleeration der 
Hornhaut komplizierenden Conjunetivitis gefunden. Rählmann fand im 
Trachom die Formation wirklicher Drüsen und wies nach, dass das Platzen 
der Follikel durch schleimige Erweichung des Epithels vorbereitet und dass, 
wenn der Follikel sich nach aussen ausleerte, während der Vernarbung des 
Substanzverlustes, die Epithelreste oft in die Grundteile in einer Weise hin- 
eingezogen werden, dass sie Ergüsse und Kanäle bilden. Schliesslich hat 
Fuchs auf der Bulbarconjunctiva bei einer langdauernden katarrhalischen 
Reizung eine wirkliche Drüsenbildung ohne Follikel, sogar ohne merkliche 
Änderungen der Bindegewebe, wie kleinzellige Infiltration usw., gefunden. 


Auf Grund aller dieser Tatsachen schloss Ginsberg, dass sich bei 
einfachem Katarrh der Conjunctiva wirkliche pathologische Drüsen bilden 
können, die anderseits das Vorkommen von Cysten erklären. 


Wintersteiner bestätigte (1898) die Auffassungen von Ginsberg 
und veröffentlichte einen Fall eines Neugeborenen, der an Eingeweidekatarrh 
verstarb, nachdem er zuvor an einer schweren eitrigen Conjunctivitis gelitten 
hatte. In diesem Falle zeigte die histologische Untersuchung die Existenz 
einer retrotarsalen atypischen Drüse, welche das Vorkommen einer grossen 
eystischen Geschwulst, wie der von Vossius beobachteten symmetrischen, 
erklären kann; ebenso zeigte sie in der Übergangsfalte die Existenz einer 
Reihe von mikroskopischen Cysten, von einfachen epithelialen, an ihrem 
äusseren Ende geschwollenen Zapfen, und von Epithelgruppen, die im Zen- 
trum den Beginn einer Höhlenbildung anzeigten. Wintersteiner be- 
trachtete die Epithelzapfen als Vorläufer der Cystenbildung und sah die 
Ursache der Epitheleinsenkungen in der schweren Ophthalmie, welche das 
Kind durchgemacht hatte. Bei dieser Reizung der Schleimhaut haben sich 
von der einen Seite die Papillen gegen die Oberfläche hin entwickelt, auf der 
andern Seite wuchs das Epithel gegen die tieferen Schichten hin, indem es 
80 Epithelzapfen bildete. Die Cysten nehmen ihren Ursprung von dem 
Oberflàchenepithel, infolge einer heftigen Reizung oder auch infolge einer 
langdauernden, wie die Ophthalmie der Neugeborenen. 

Der Befund von Wintersteiner bestätigt völlig den von Ginsberg. 
In dem einen wie in dem andern Falle ist der Prozess — d. h. die Bildung 
von Epitheleinsenkungen infolge eines Entzündungsprozesses der Conjunetiva 
— der gleiche. 


298 V. Carlini 


Wie man sieht, ist die Auffassung, dass sich infolge von Reizungs- 
prozessen langer Dauer in. der Conjunctiva. Epitheleinsenkungen, wirk- 
lich drüsenartige Neubildungen, entwickeln kónnen, genügend begründet. 
Man muss daher für die Erklärung des Cystenursprungs der Con- 
junetiva nicht nur die Krauseschen und Henleschen Drüsen in Be- 
tracht ziehen, sondern auch die Einbiegungen und Einsenkungen des 
Epithels infolge von Reizungsprozessen längerer Dauer. In meinem 
Falle kann man indes den Ursprung dieser Cyste nicht von einer 
dieser pathologischen Drüsen zulassen, aus dem Grunde, weil die 
Präexistenz eines pathologischen Prozesses fehlt. Ich habe 
bereits hervorgehoben, dass die Kranke mir bestimmt versichert hatte, 
dass sie niemals an irgendeiner Augenkrankheit gelitten habe. Die 
Einwendung, dass es sich trotzdem um einen Reizungsprozess, der in 
Vergessenheit geraten oder nicht in Betracht gezogen, handelte, kann 
keine Geltung haben, denn die Eyste hat ihren Sitz längs des Limbns. 
Wenn man schon einen leichten Katarrh, welcher die Conjunctiva des 
Tarsus oder der Ubergangsfalte angeht, nicht beachten oder vergessen 
kann, so kann das gleiche nicht der Fall sein bei einem Reizungs- 
prozess von langer Dauer, der die Bulbusconjunctiva betrifft. Ander- 
seits habe ich in Übereinstimmung mit den Aussagen der Kranken 
weder einen gegenwärtigen noch vergangenen Entzündungsprozess oder 
eine Spur dieser, weder bei objektiver noch bei histologischer Unter- 
suchung entdecken können. 

Es ist deshalb nicht anzunehmen, dass die von mir beschriebene 
Cyste ihren Ursprung von einer zufälligen oder pathologischen Drüse 
der Bulbusconjunetiva habe, sowohl wegen des histologischen Befundes 
als auch wegen des Mangels eines vorausgegangenen pathologischen 
Prozesses. In der Vorgeschichte der Kranken findet sich nur ein 
Faktum, das mit. Genauigkeit. beschrieben. wil: ein Trauma, das 
auf die Bulbuseonjunetiva gewirkt hat. Und nur dieses kann den 
Ursprung der Cyste erklären. 

Die Cyste ist eine ätiologisch traumatische Neubildung und die ana- 
tomische Untersuchung stellt die Art, wie das Trauma gewirkt hat, fest. 

Der histologische Befund zeigt in der Tat die anatomische Ana- 
logie zwischen dem Epithel der Bulbusconpunetiva und dem, das die 
('yste auskleidet. Die Uvste ist augenscheinlich eine Bildung. die von 
den Elementen des Conpumetivalepithels herrührt. 

Dennoch ist diese. Bildung nicht, wie in dem Falle von Uhthoff 
und Mayou, durch Einmstung der dureh das Trauma losgelösten 
und in das Subeonjunetivalgewebe fortgerissenen Elemente erfolgt. 


Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 299 


Die histologische Untersuchung beseitigt die Unsicherheit, weil sie 
die Existenz ‚von Anhäufungen von Epithelzellen in nächster Nähe 
der C'ystenwand nachweist, in denen kein Verbindungssteg zwischen 
dem Epithel der conjunctivalen Oberfläche und dem Bekleidungsepi- 
thel der Cyste zu sehen ist. Diese Epithelansammlungen können nur 
den Rest einer Epitheleinsenkung, die auf dem Niveau einer Ver- 
wundung der Conjunctiva stattgefunden hat, darstellen. Die Cyste hat 
sich demgemäss aus Elementen entwickelt, die, auf dem Niveau einer 
Verwundung, direkt aus der Proliferation des conjunetivalen Epithels 
herrührten; welche sodann in das unterstehende Gewebe eingedrungen 
sind und somit Epitheleinsenkungen oder -einschlüsse gebildet haben, 
von denen man jetzt nur das Überbleibsel unter der Form von Anhäu- 
fungen von untätigen Zellen, die von der Oberfläche unabhängig sind, 
beobachtet. 

Dieser Produktionsmechanismus wird bestätigt durch das Studium 
der Regeneration des Epithels bei den Verwundungen der Con- 
junctiva. 

Dieses Studium wurde in neuerer Zeit (1905) von Mayou unter- 
nommen. Seine Schlussfolgerungen sind: 

Bei erfolgter Verwundung der Conjunctiva beginnt nach 24 Stunden, 
längs den Rändern der Verwundung selbst, die Proliferation des Epi- 
thels, welche ihrerseits eine dicke Zellenschicht erzeugt, die andauernd 
und schnell die Läsion bedeckt. Sollte indes das Epithel bei seinem 
Anwachsen ein Hindernis antreffen, so z. B. eine Lymphexsudation, 
wird es in seinem Bestreben, die Oberfläche wieder zu bekleiden, dicht 
und dringt tief ein, und erzeugt, bevor es die Wunde vollständig be- 
deckt, zahlreiche Epithelzapfen, welche ihrerseits in das subconjunc- 
tivale Gewebe eindringen und oft mit der Oberfläche nur vermittels 
eines leichten Bandes in Verbindung bleiben. Diese zarte Verbindung 
kann auch ganz verschwinden wegen des Druckes des Fasergewebes, 
das sich zusammenzieht, so dass es im tieferen Gewebe eine oder 
mehrere Epithelzellenanhäufungen zurücklässt, von denen aus die Bil- 
dung einer Cyste statthaben kann. 

Mayou erwähnte diese Möglichkeit, teilte aber keine Beobach- 
tung, welche die Wirklichkeit auf Grund einer kompletten anato- 
mischen Untersuchung beweisen könnte, mit. In meinem Falle findet 
diese Möglichkeit ihre anatomisch-pathologische Bestätigung. 

Von den veröffentlichten Fällen beziehen sich nur die zwei, welche 
mit Sicherheit als traumatisch angesehen werden können (der zweite 
von Uhthoff und der von Mavou), auf. wirkliche Inklusionscysten, 


300 V. Carlini 


welche auf direktes Eindringen des Epithels in das darunterliegende 
Gewebe zurückzuführen sind. Meine Beobachtung zeigt, dass infolge 
von Trauma sich in der Conjunctiva Cysten nicht nur aus losgelösten 
und von einem verwundenden Agens in das subconjunctivale Gewebe 
geschleuderten Epithelelementen entwickeln können, sondern auch aus 
Elementen, die direkt aus der Proliferation des Epithels der Conjunctiva 
herrühren, gemäss eines Prozesses, den das Studium der Verwundungen 
dieser Membran häufiger nachweist. 

Zusammenfassend können wir sagen: 

Obschon die Fälle, welche an die Öftentlichkeit gelangt sind, nur 
wenige sind, so kommt ohne Zweifel in der Conjunctiva die Entwick- 
lung von wirklichen Epitheleysten traumatischen Ursprungs vor. 

Wie die Beobachtungen Uhthoffs und Mayous beweisen, können 
diese Cysten, ebenso wie die perlfarbigen Tumoren, durch Einnistung 
von Epithelelementen, die losgelóst und von einem traumatischen 
Agens in die Tiefe fortgerissen waren, entstehen. 

Das ist indes nicht die einzige Weise für die Entwicklung der 
traumatischen Cysten. 

Wenn sich irgendeine Störung im Vernarbungsprozess einer 
Verwundung der Conjunctiva findet, so rücken die von der direkten 
Proliferation des Conjunctivalepithels herrührenden Elemente, bevor 
sie dazu gelangen, andauernd die Trennung zu bedecken, in das unter- 
stehende Gewebe vor und geben somit Anlass zur Bildung von Epi- 
thelzapfen. Sobald die Vernarbung der Verwundung beginnt, kann 
das tiefer eingedrungene Epithel sich unabhängig machen von dem 
der Oberfläche und isolierte Zellenanhäufungen bilden, von denen 
eine Cyste ihren. Ursprung nehmen kann. 


Schlussfolgerungen. 

In der Conjunetiva, wie in andern Teilen des Organismus, können 
sich Epitheleysten traumatischen Ursprungs bilden, welche der Ver- 
ptlanzung von Ektodermelementen in das Subepithelialgewebe zu ver- 
danken sind. 

Diese Verpflanzung kann in zwei Arten vor sich gehen: 

a. Vermöge direkten Eindringens von Epithelelementen, welche 
von dem traumatischen Agens losgelöst und in die Tiefe fortgerissen 
sind (Beobachtungen von Uhthoff und von Mavon). 

b. Infolge von Eindringen von Elementen in das Subepithelial- 
gewebe, die, von direkter Proliferation des Congunetivalepithels her- 
kommend, gemäss einer Verletzung sich vertiefen und Epithelwuche- 


Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 301 


rungen bilden. Diese Epithelwucherungen machen sich nach der 
Vernarbung der Verletzung von der Obertläche unabhängig und geben 
in der Tiefe Anlass zu isolierten Epithelzellenanhäufungen, die ihrer- 
seits der Ausgangspunkt einer cystischen Neubildung sind. 


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Bd. XLVI. 1898. 

Zander und Geissler, Die Verletzungen des Auges. Leipzig 1864. 


309 V. Carlini, Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 


Erklürung der Abbildungen auf Taf. X, Fig. 1—3. 


Fig. 1. Vorderwand der Cyste von der Conjunctiva bedeckt. 


Dieselbe ist umgekehrt infolge der Reagentien, so dass sie konvex anstatt 
konkav erscheint und ist — nicht überall — von einem mehrschichtigen Pflaster- 
epithel bekleidet. Zur Rechten ganz in der Nähe der Cystenwand existieren Epithel- 
zellenanhäufungen, die bei geringer Vergrösserung Querschnitte von Drüsen-' 
schläuchen zu sein scheinen. 

Koristka Ok. 3. Obb. 2. 


Fig. 2. Cystenwand. 

Hier sieht man die Einzelheiten der Struktur des Ptlasterepithels, das inner- 
lich die Cyste auskleidet. 

Koristka Ok. 3. Obb. 8. 


Fig. 3 zeigt die Einzelheiten dieser Epithelzellenanhäufungen, welche sich 
in nächster Nähe der Cystenwand finden. Es sind wohl geformte und untätige 
Elemente, welche weder progressive noch regressive Tatsachen aufweisen, weder 
am Protoplasma noch am Kern. 

Koristka Ok. 3. Obb. Imm. 1/5 


Aus der Univ.-Augenklinik zu Kyoto, Japan. (Direktor: Prof. Asayama.) 


Ein Beitrag zur Trachomfrage. 


Von 


Dr. K. Ichikawa, 


Chefarzt der ophthalmologischen Abteilung des Roten-Kreuz-Hospitals zu Osaka, 
früher Assist.-Prof. der Univ.-Augenklinik. 


Mit Taf. XI, Fig. 1 u. 2. 


l. Einleitung. 

Trotz eingehendster langjähriger Forschungen ist in der Patho- 
logie des Trachoms nicht nur in einzelnen kleinen Punkten, sondern 
selbst in der Auffassung des Krankheitsbegriffes keine Einigung er- 
zielt. Das einzige allgemein anerkannte Resultat ist das, dass der 
Trachomfollikel mit dem sogenannten gutartigen Follikel wenigstens 
in seinem Anfangsstadium pathologisch-anatomisch identisch ist. Dies 
hat mit der klinischen Tatsache, dass der Follikel auch bei vielen 
andern nicht trachomatösen Conjunetivalerkrankungen vorkommt, die 
hervorragenden Trachomforscher wie Saemisch. Fuchs, Logetschni- 
kow, Peters folgerichtig dazu geführt, dem Follikel seine frühere Be- 
deutung für den Trachomprozess abzusprechen. 

Die ÄAusserung Saemischs(4), wörtlich angeführt, lautet: 

„Oftenbar wird die Bedeutung, welche die Granula für den als 
Conjunctivitis granulosa bezeichneten Krankheitsprozess haben. über- 
schützt. Das Wesentliche desselben ist die zur unvermeidlichen Narben- 
bildung führende diffuse Erkrankung des adenoiden Gewebes, während ` 
die Entwicklung der Follikel nur als eine. Begleiterscheinung derselben 
anzusehen ist. Nie Ist ihr eigen, aber sie könnte auch fehlen, olme 
dass der Verlauf und der Ausgang der Krankheit infolge hiervon ein 
wesentlich. anderer zu werden brauchte.“ 

Trotzdem diese von Saemisch vertretene neue Anschauung so- 
wohl pathologisch-anatomisch als kliniseh richtig begründet ist, hat 
es an Gegnern nicht gefehlt. 7. D. sagt Junius(5) in seiner Dis- 
kussion gegen Peters folgendes: 

v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LX XIII. 2. 20 


304 K. Ichikawa 


„Immer hat bisher trotz aller Meinungsverschiedenheiten im ein- 
zelnen unbestritten die Anschauung sich erhalten, dass das Auftreten 
von Körnern zum klinischen Bilde des Trachoms in seinem ersten 
Entwicklungsstadium unbedingt gehört, mag man den Begriff der 
Krankheit im Sinne der Unitarier oder Dualisten fassen. Nicht jede 
mit Kórnerbildung einhergehende Krankheit ist Trachom, aber es giht 
kein frisches Trachom ohne Kórnerbildung. Peters gibt nicht prii- 
cise an, wann Vermehrung der adenoiden Schicht als vorliegend zu 
erachten ist. Es wird die mikroskopische Untersuchung eines kleinen 
Bindehautstückchens vom praktischen Arzt gefordert. Die Adenoidea 
ist aber an verschiedenen Stellen der Augenbindehaut ungleich ent- 
wickelt. Welche Stelle ist massgebend ?“ 

Goldzieher (7), der letzte Autor, welcher mit diesem Thema sich 
beschäftigt hat, spricht sich in seiner Schlussfolgerung wie folgt. aus: 

„vom pathologisch-anatomischen Standpunkt aus betrachtet, ist 
das Trachom eine, durch einen noch unbekannten spezifischen Reiz 
bedingte und in der Gefüssschicht der Conjunctiva lokalisierte Er- 
krankung. Der erste Angriftspunkt des Virus sind die Gefässwände. 
deren adventitielle Zellenelemente auf den spezifischen Reiz mit leb- 
hafter Produktion Iymphocytärer Zellen antworten, die sich zu ent- 
zündlichen Granulomen formieren. Nach Erschöpfung des spezifischen 
Reizes erfolgt ein Zerfall der perivaskulären Wucherung und parallel 
damit eine von den Fibroblasten der Gefässwandungen gelieferte 
Neubildung von Bindegewebe, was gleichbedeutend mit der Beendigung 
des trachomatösen Prozesses, seiner Heilung (im anatomischen Sinne) ist.“ 

Goldzieher ist also der Ansicht, dass die Follikelbildung der 
wesentliche pathologisch-anatomische Vorgang bei Trachom sei. Und 
er lässt die Narbenbildung bei dieser Krankheit mit der Erweichung 
des Follikelinhalts in untrennbare Beziehung treten. 

Die Trachomfrage ist daher heute noch als ungelöst zu betrachten. 
So lange diese Streitfrage offen ist, steht unsere Trachomtherapie auch 
auf schwankendem Boden. Da nach der neuen Anschauung der 
Follikel nur en Symptom des Trachoms bildet, wie Greeff (2) mit 
Recht hervorhebt, und mit dem Wesen des Trachoms gar nichts zu 
tun hat, sollen wir die übliche Behandlungsweise des Trachoms, welche 
dureh Expression oder Ansquetschung nur die Elimination des Fol- 
likelinhalts bezweckt, als eine symptomatische, eine nicht kausale 
verwerten. Eine endgültige Lösung der Frage ist aus praktischen 
Gründen dringend wünschenswert. 


Ein Beitrag zur Trachomfrage. 305 


2. Auf welchem Wege kann man am besten zum Ziele gelangen? 


Bekanntlich ist der Tuberkel ein wesentliches anatomisches Sub- 
strat der tuberkulösen Gewebsveränderung, ohne ihn wird die Tuber- 
kulose im anatomischen Präparat schwer diagnostiziert. Dass der 
Tuberkel hauptsächlich aus den gewucherten Epitheloidzellen besteht, 
dass diese Wucherung der fixen Gewebszellen schon im ersten Be- 
ginn der Krankheit einsetzt und mit dem Vernarbungsprozess, dem 
unvermeidlichen spontanen Ausgang dieser Krankheit, innig verknüpft 
ist, unterliegt wohl keinem Zweifel mehr. Zuerst die Wucherung von 
Epitheloidzellen, dann die Narbenbildung ist ein miteinander untrenn- 
bar verbundener Prozess, eins von beiden kann nicht fehlen. 

In diesem Verhältnisse ähnelt das Trachom nach der neuen An- 
schauung der Tuberkulose sehr. Wollte man das Wesen des Tra- 
choms in der zur unvermeidlichen Narbenbildung führenden diffusen 
Erkrankung des adenoiden Gewebes sehen, so wäre der Nachweis von 
Epitheloidzellenwucherung in der adenoiden Schicht der Conjunctiva 
bei beginnendem Trachom unbedingt nötig. Durch diesen Nachweis 
hätte die neue Theorie erst eine sichere anatomische Stütze bekommen. 
Dies ist aber bisher von keiner Seite geschehen. Die Forderung von 
Junius an Peters, eine genaue Mitteilung von pathologisch-anato- 
mischen Forschungen zu zeigen, wann und wo die Wucherung der 
Adenoidea vorkommt, hat in diesem Sinne Berechtigung. Durch Er- 
füllung dieser Forderung in der strittigen Frage beizutragen ist der 
Zweck dieser kleinen Arbeit. 

Da es mir aber von Anfang an sehr schwer zu sein schien, einen 
solchen Beweis unter dem Mikroskop direkt zu bringen, so schlug 
ich einen indirekten Weg ein, worauf ich später näher eingehen 
möchte. 


3. Die trachomatöse Hornhautveränderung ist für die Trachom- 
forschung ebenso wichtig wie die conjunctivale Veränderung. 

Worauf ich zuerst die Aufmerksamkeit lenken möchte, ist, dass 
man bisher bei Trachomforschung den Veränderungen an der Horn- 
haut wenig Beachtung geschenkt hat. 

Dass es sich beim Pannus nicht um eine einfache Komplikation, 
d. bh eine durch sekundäre Veranlassung bedingte Folgeerscheinung 
des Trachoms, sondern um ein echtes Trachom der Hornhaut selbst 
handelt, könnte man heute wohl als sichergestellt voraussetzen. Wenn- 
gleich kein sicherer Beweis dafür noch geliefert ist, sprechen viele 
klinische Tatsachen für diese Annahme, keine sprieht gegen sie. Bisher 

20* 


306 K. Ichikawa 


war vorwiegend die Lage desselben in der Hornhaut erörtert worden. 
Ob der Pannus unter oder über der Bowmanschen Membran liegt, war 
längst der Gegenstand der lebhaften Diskussion gewesen, während 
kein Autor die hier sich abspielende Veränderung auf die Begrifts- 
bestimmung dieser Krankheit zu beziehen versuchte. 

Zwar hatte Rählmann(1) vor 22 Jahren auf Grund der anato- 
mischen und klinischen Untersuchung zuerst die Analogie der beiden 
Prozesse, der cornealen und der conjunctivalen, behauptet. Er fand 
unter der Bowmanschen Membran ein Gewebe, welches zwischen 
faserig beschaftenem und netzförmig angeordnetem Gerüstwerk zahl- 
reiche Lymphkörper enthielt. In diesem Gewebe fand er weiter in 
vielen Fällen typische Follikel mit charakteristischer Hülle, welche 
nicht allein oberflächlich, sondern tief im Gewebe ihren Sitz hatten. 
in einigen Präparaten sogar mehrschichtig übereinander gelagert waren. 
Er hatte diese Veränderungen als eine Bildung adenoider Substanz 
mit Follikelentartung gedeutet, und die Analogie der beiden Prozesse 
auf anatomischem Wege bewiesen zu haben geglaubt. Aber bevor 
man die Richtigkeit dieser Deutung prüft, darf man nicht vergessen. 
dass dieser Autor ein eifriger Verteidiger der unitarischen Lehre war 
und ist. Solche Deutung beweist aber meines Erachtens jetzt nichts. 
sofern man nach der neuen Anschauung den Follikeln eine Bedeutung 
für den Trachomprozess ganz abspricht. Wir sind somit jetzt in der 
Lage, die pannöse Horuhautveränderung einer genauen anatomischen 
Untersuchung von neuem zu unterziehen, um zu prüfen, ob die Rähl- 
mannsche Deutung aufrecht erhalten werden kann. 

Allerdings war man nach meiner Meinung bei der Trachom- 
forschung bisher zu einseitig gewesen, hat nur die von. der. Conjunc- 
tiva gewonnenen Resultate auf die Begrifisbestimmung des Trachoms 
zu verwerten gesucht und die wichtigere Hornhautveränderung irıtüm- 
licherweise gänzlich vernachlässigt. Vielleicht ist dies ein Hauptgrund. 
warum bisher bein Krankheitsbegriff des Trachons trotz eingehender 
Forschungen keine Einigung erzielt ist. 


4. Die in der Hornhaut sich abspielende trachomatöse Veränderung 
ist rein, die der Conjunctiva ist oft unrein. 

Dass bei einer wissenschaftlichen Untersuchung im allgemeinen 
das untersuchte Material in jeder Beziehung möglichst rein sein soll. 
bedarf. keiner. Erläuterung. Bei sympathischer Ophthalmie z. B. sind 
die Veränderungen am sympatlisierten Auge reiner als die am sm: 
pathisierenden. Dies ist Grund, warum man in der Pathologie der 


Ein Beitrag zur Trachomfrage. 301 


sympathischen Ophthalmie auf die Veränderungen am sympathisierten 
Auge mehr Gewicht legt, als auf diejenigen am sympathisierenden. 
Ahnlich steht es mit dem Trachom. 

Offenbar hat die Conjunctiva, fortwährend den äusseren Schäd- 
lichkeiten sich aussetzend, einen sehr komplizierten anatomischen Bau; 
F'altungen der Epithelschicht, Menge der Lymphzellen in der'Adenoidea 
sind schon in normalem Verhältnisse individuell sehr verschieden, oft 
ist es sogar unmöglich zu bestimmen, was pathologisch oder physio- 
logisch ist. Es ist daher eine unvermeidliche Folge, dass die in 
der Conjuuctiva sich abspielenden pathologischen Prozesse, welcher 
Art sie auch sein mögen, mehr oder weniger unrein werden. Die 
unnötigen, nebensächlichen Produkte verhindern unser richtiges Urteil 
in nicht unerheblichem Grade. Die im Jahre 1881 von Berlin und 
Iwanoff gefundene sogenannte Trachomdrüse ist ein eklatantes Bei- 
spiel dieser anatomischen Unklarheit. 

Ganz anders verhält es sich mit der Hornhaut. Sie ist zur For- 
schung von Entzündung höchst geeignet, wie Leber in seiner be- 
kannten Arbeit über die Entstehung der Entzündung dieses Gewebe 
vorwiegend zum Versuchsmaterial benutzt hat; Gefässlosigkeit macht 
erstens unsere äussere Besichtigung sehr leicht möglich, zweitens spielt 
sich hier der Prozess frei von jeder Komplikation ganz rein ab. Es 
wäre vielleicht richtig zu behaupten, dass der trachomatöse Prozess 
an der Hornhaut in seinem eigentlichen Zustande auftrete. 


5. Die Veränderung, welche als das Wesen des trachomatösen 

Prozesses bezeichnet werden darf, muss in beiden trachomatösen 

Veränderungen, der cornealen und der conjunctivalen, gemein- 
schaftlich vorkommen. 

Das Wesen emer Krankheit ist einheitlich. Die verschiedene 
Lokalisation der letzteren, d. h. die Beschaffenheit des Gewebes, worin 
die krankhafte Veränderung sitzt, ist ohne Einfluss auf ihr Wesen. 
Was durch die Lokalisation eine Modifikation erfährt, ist eine neben- 
sächliche, für den Krankheitsprozess unwesentliche, meist von dem 
lokalen Ernährungsverhältnisse oder von der Virulenzstirke des Krank- 
heitserregers abhängige Begleiterscheinung. 

Der Tuberkel ist z. B. ein für die Tuberkulose als wesentlich 
angesehenes Gebilde. In welchem Gewebe die Tuberkulose auch anf- 
tritt, er ist überall da, wo wir die Tuberkulose diagnostizieren. Sie 
beginnt mit seinem Auftreten und geht mit seiner narbigen Umwand- 
lung zur Heilung über. | 


308 K. Ichikawa 


Ebensowenig kann das Wesen des Trachons, sci es Follikel oder 
ditftuse Wucherung der Adenoidea, in beiden trachomatösen Verände- 
rungen, der cornealen und der conjunctivalen, fehlen. Veränderungen, 
welche im conjunctivalen Prozess allein vorkommen und im cornealen 
ganz fehlen oder umgekehrt, darf man nicht das Wesen des Trachoms 
heissen, wie wichtig sie für die Trachomdiagnose auch seien. Milz- 
tumor und Fieber ist z. B. bei manchen Infektionskrankheiten nicht 
selten typisch und für die Diagnose der Krankheit oft allein mass- 
gebend. Trotzdem sind sie nur ein Symptom einer Krankheit, nicht 
das Wesen. Es braucht daher eine Veränderung oder Erscheinung, 
welche für die Diagnose einer Krankheit wichtig ist, nicht immer für 
den Krankheitsprozess wesentlich zu sein. 

Der Trachomfollikel ist gewiss heute noch ein wichtiger Faktor 
für die Trachomdiagnose, aber die Frage, ob er für den Trachom- 
prozess wesentlich ist, ist erst durch den konstanten Nachweis von Follikel 
im Pannusgewebe im bejahenden Sinne zu beantworten. 

Wenn dagegen im Pannus die Neubildung von Bindegewebszellen 
eine Hauptrolle spielt, so ist der Nachweis geliefert, dass die diffuse 
Wucherung des adenoiden Gewebes das Wesentliche für den conjunc- 
tivalen Trachomprozess darstellt. 


6. Pathologische Anatomie des Pannus trachomatosus. 


Trachom bildet in Japan ein Volksübel; ungefähr 18°, unserer 
poliklinischen Patienten sind mit dieser Krankheit behaftet, so dass 
reiche Materialien uns zu Gebote stehen. 

Bei meiner Untersuchung habe ich mit dem v. Graefeschen 
Schmalmesser vorsichtig die oberflächliche Lage der pannösen Horn- 
haut von verschiedenen Stadien und Graden abgeschabt. 

Was bei der histologischen Untersuchung mir zuerst auffiel, war 
die grösste Einfachheit des anatomischen Bildes, ganz im Gegensatz 
zu der conjunetivalen Veränderung. Konstante Bestandteile, welche 
wir in reinem, von Trichiasis, Fintropium, Geschwür usw. nicht kom- 
plizierten Pannus regelmässig treffen, sind Zellen von zweierlei Art. 
sindegewebe und Blutzefässe. 

Eine Art von Zellen. welehe am reichlichsten anzutreffen ist, Ist 
meist eiförmig oder dreieckig. schr protoplasmareich. Die Zelle hat 
in einem Ende einen rundlichen, durch Hämatoxylin gut fürbbaren 
Kern, dessen Chromatinnetz eine radkernförmige Anordnung zeigt. 
Ihr halbmondförmiges Protoplasma färbt sich nach Unna-Pappen- 
heimscher Methode distinkt rot. durch Hämatoxylin blass violett. Ihre 


Ein Beitrag zur Trachomfrage. 309 


morphologische Beschaffenheit ist so eigenartig, dass man dieselbe 
selbst bei gewöhnlicher Hämatoxylin-Eosin-Färbung als solche noch 
gut erkennen konnte. Sie ist als Plasmazelle zu deuten (Taf. XI, 
Fig. 1). Sehr oft liegen sie in Schnittfläche zwischen dem Epithel 
und der Bowmanschen Membran oder zwischen ihr und der ober- 
tlächlichen Hornhautlage in einer linienartigen Reihe angeordnet. An 
einer andern Stelle sind die Zellen je nach der Dicke des veränderten 
Gewebes zu einem mehr oder weniger breiten Band übereinander ge- 
schichte. Am Limbus gruppieren sie sich zuweilen zu einem grossen 
Haufen, welcher nicht selten eine rundliche Gestalt annimmt. Aber 
eigentliche Follikelbildung kommt nie vor; wenigstens habe ich bisher 
keine Gelegenheit gehabt, sie wahrzunehmen. 

Eine andere Art von Zellen, welche im Pannusgewebe regel- 
mässig vorkommen, sind die Zellen, welche meist spindelförmig ge- 
staltet einen grossen, ovalen, hellen Kern besitzen. Sie unterscheiden 
sich deutlich durch die schwache Färbbarkeit und die ovale oder mehr 
lingliche Form des Kernes von den Zellen der ersten Art. Der 
Längendurchmesser ihrer Kerne entspricht genau dem Verlaufe der 
neben ihr verlaufenden Bindegewebsfibrillen. Sie sind offenbar Fibro- 
blasten. Sie verteilen sich im entzündeten Gewebe gleichmässig 
(Taf. XI, Fig. 1). 

Bindegewebe oder Bindegewebsfibrillen umspinnen als ein fein- 
maschiges Gerüstwerk einzelne Plasmazellen, so dass die letzteren da- 
durch eine Art Isolation. gewinnen. Selbst an den Stellen, wo eine 
Reihe von Plasmazellen zwischen dem Epithel und der Bowmanschen 
Membran linear angeordnet ist, ist diese Isolation noch zu konstatieren. 
Diese Veränderungen belehren uns, dass bei dem vorliegenden Binde- 
gewebe es sich nicht etwa um ein präexistierendes, sondern um ein 
neugebildetes handelt, und dass diese Neubildung sich sehr frühzeitig 
Hand in Hand mit der Wucherung der Plasmazellen eingestellt hat. 
Die die einzelnen Netze bildenden Fibrillen durchflechten sich über- 
einander ganz regellos, aber sie nehmen im ganzen einen der Ober- 
fläche parallelen Verlauf, nur der Limbus macht eine Ausnahme 
(Taf. XI, Fig. 2). 

Blutgefässe sind mehr oder weniger reichlich vorhanden; die grösste 
Mehrzahl derselben besteht aus einem einfachen Endothelrohr, die 
älteren oder die grösseren Gefässe besitzen ausserdem noch kreisförmig 
geschichtete fihrilläre Faserzüge als äussere Wandung. 

Polynukleäre Leukocyten und Lymphocyten kommen an der Lim- 
busgegend nicht selten vor, ihre Zahl ist aber recht variabel je. nach 


310 K. Ichikawa 


der Stärke der entzündlichen Reizerscheinungen. In der cornealen 
Partie des Pannus gehören sie nicht zu dem konstanten Befund. 
Mit obiger Schilderung ist unsere pathologisch-anatomische Studie 
des Pannus erschöpft. Sie deckt sich im grossen und ganzen mit der- 
jenigen der früheren Autoren; Neubildung der Plasmazellen, der jungen 
Bindegewebszellen und der Blutgefässe ist als die pathologisch-anato- 
mische Trias beim Pannus zu bezeichnen. Die Verschiedenheit, welche die 
einzelnen Fälle zeigen, ist nicht eine qualitative, sondern eine quantitative. 


7. Ist die adenoide Beschaffenheit des infiltrierten Gewebes als 
| das Charakteristische des Trachoms zu bezeichnen? 


Viele Hand- und Lehrbücher der Augenheilkunde definieren den 
Paunus als eine Neubildung zwischen dem Epithel und der Bowman- 
schen Membran, welche aus Rund- und Spindelzellen und aus Binde- 
gewebe besteht. Sie betonen noch übereinstimmend die anatomische 
Ähnlichkeit dieser Veränderung mit der trachomatösen conjunctivalen 
Veränderung. So schreibt z. B. Fuchs in seinem bekannten Lehr- 
buch: „Der Pannus erweist sich bei der histologischen Untersuchung 
als eine neugebildete Gewebsschicht, welche vom Limbus aus auf die 
Hornhaut sich vorschiebt. Dieselbe ist ein sehr zellenreiches, weiches 
(rewebe, welches die grösste Ähnlichkeit mit der infiltrierten tracho- 
matösen Bindehaut hat.“ 

Während Fuchs über die Art und Weise dieser Ähnlichkeit 
keine nähere Angabe brachte, hatte Rählmann, wie ich oben kurz 
ausgeführt habe, dieselbe in der pathologischen Entwicklung des ade- 
noiden Gewebes und der Follikelbildung im Pannus gesucht. - Diese 
Rählmannsche Auffassung war von vielen späteren Autoren accep- 
tiert worden; so: folgt ihr z. B. Greeff im Orthschen Lehrbuch 
der speziellen pathologischen Anatomie (1902) ganz genau.  Ver- 
änderungen, welche Rählmann bei seiner histologischen Untersuchung 
des Pannus gefunden hatte, bieten nach seiner Beschreibung, mit unsern 
Befunden verglichen, keinen grossen Unterschied dar. Und er hatte 
sie als „adenoid“ aufgefasst, eine Deutung, der ich mich nicht an- 
schliessen konnte. 

Neubildung von Bindegewebe zu einem Gerüstwerk und reich- 
liche Wucherung von Plasmazellen ist eine bei allen chronischen granu- 
herenden Entzündungen gemeinschaftlich vorkommende Veränderung. 
Wenn man sie adenoid heissen dürfte, so gäbe es keine granulierende 
Entzündung. welche nicht adenoid ist. 


Adenoide Beschattenheit der normalen sowie der pathologischen 


Ein Beitrag zur Trachomfrage. 311 


Conjunctiva ist eine physiologisch veranlagte, keine nach dem Auf- 
treten der pathologischen Veränderung neu hinzugekommene. Tracho- 
matöse Gewebsveränderung und die adenoide Beschaffenheit der Con- 
junctiva sind demnach zwei durchaus gesonderte, voneinander ganz 
unabhängige Vorgänge; ohne Trachom kann das subconjunctivale Ge- 
webe adenoid sein, es gibt auch keine conjunctivale Erkrankung, wo- 
bei das subconjunctivale Gewebe nicht adenoid ist. Trachomatöse Con- 
junctivalveränderung ist nur deshalb adenoid, weil der trachomatöse 
Prozess in einem Gewebe, wo schon normalerweise adenoides Gewebe 
vorhanden ist, seinen Sitz hat. Adenoide Beschaftenheit der tracho- 
matös veränderten Conjunctiva ist somit ein sicher nebensächliches, dem 
Wesen des Trachoms ganz unnötiges Attribut. Ganz ebenso wie die 
Berlin-Iwanoffsche Trachomdrüse ist sie auch als eine der anato- 
mischen Verunreinigungen der trachomatósen Conjunctiva zu betrachten. 

Um so weniger braucht die trachomatóse Hornhautveründerung 
adenoid zu sein, da hier normalerweise die adenoide Schicht fehlt. 

Die Analogie der beiden Prozesse, der cornealen und der con- 
junctivalen, soll man daher nicht mehr in der sogenannten adenoiden 
Beschaffenheit des veränderten Gewebes suchen, wie es Rählmann 
getan hat. 


8. Ist nun der Follikel dem Trachom charakteristisch? 


Was das Vorkommen von Follikel im Pannus betrifit, habe ich 
mit Bietti(3) selbst an den Stellen, wo die Infiltration sehr intensiv 
war, keine Gelegenheit gehabt, ihn wahrzunehmen. 

Rählmann hatte ihn im Pannusgewebe gefunden und dadurch 
die Analogie der beiden Prozesse, der cornealen und der conjuncti- 
‚alen, auf .anatomischem Wege zu erklären versucht. 

Elschnig erwähnt auch die Follikelbildung im Pannus im neuen 
Lehrbuch der Augenheilkunde von Axenfeld. 

Nach meiner Meinung käme Follikel im Pannusgewebe vielleicht 
nicht vor. Was ich im vorigen Abschnitt über die adenoide Beschatlen- 
heit des trachomatös veränderten Gewebes gesagt habe, gilt auch für 
den Follikel. Adenoides Gewebe kann allein Follikel produzieren, 
gewöhnliches Bindegewebe aber nie. Der Follikel kommt deshalb sehr 
reichlich in der pathologischen, vielleicht in der normalen Conjunetiva 
vor, weil die Conjunetiva normalerweise eine adenoide Schicht be- 
sitzt und zu. der Follikelbildung ganz besonders befähigt ist. Da dies 
aber nicht der Fall in der Hornhaut ist, so ist sein Vorkommen im 
Pannus sehr unwahrscheinlich. 


312 K. Ichikawa 


Sein Auftreten in der trachomatösen Conjunctiva ist nur an das 
Vorhandensein der adenoiden Schicht in derselben geknüpft, keines- 
wegs an den eigentlichen Trachomprozess. Follikelbildung und Tra- 
chomprozess sind demnach zwei ganz gesonderte Erscheinungen. 

Mir scheint es, als ob bei der Follikelbildung eine individuelle 
Disposition vorliege. Diese Annahme wird um so wahrscheinlicher, 
wenn man bedenkt, dass die Mächtigkeit der adenoiden Schicht in der 
normalen Conjunctiva einer grossen individuellen Schwankung unter- 
worfen ist. Obgleich die Follikelbildung bei Trachom einen höheren 
Grad erreicht, da diese Krankheit ihren Sitz in der adenoiden Schicht 
findet, kann sie auch fehlen, wenn diese Disposition fehlt. Wenn 
diese Disposition gross, d. h. die adenoide Schicht mächtig genug aus- 
gebildet ist, den Follikel zu produzieren, so kann der letztere ohne 
Trachom und ohne Follikularkatarrh auch in der normalen Conjunc- 
tiva auftreten (Folliculosis conjunctivae) Durch diese Disposition kann 
man sehr leicht verschiedene Follikelfragen erklären, ohne die von 
Greeff (2) angenommene Spezifität des Reizes nötig zu haben. 
Jeder beliebige Reiz könnte zur Follikelentwicklung Veranlassung 
geben, aber für sein Auftreten ist die Disposition allein entscheidend. 


9. Schlussfolgerung. 

Wir haben im Pannus drei produktive Veränderungen gefunden: 
Neubildung von Plasmazellen, der jungen Bindegewebszellen und der 
Blutgefüsse.  Plasmazellen sind das Gebilde, welches seit der Ent- 
deckung Unnas das allgemeine Interesse von Pathologen auf sich 
gezogen hat. Die Frage über ihre Abstammung, ihre Bedeutung bei 
der Entzündung, insbesondere die Frage, ob sie stabile Elemente 
liefern können, war bisher von namhaften Autoren vielfach diskutiert 
worden, ohne dass man darüber bisher einig wurde. Nach welcher 
Richtung sie auch ihre Lösung finden mag, eine einzige, nicht ge- 
zwungene Folgerung, welche wir im vorliegenden Falle aus unsern Be- 
funden sicher schliessen können, ist die, dass der Pannus eine vom 
ersten Beginn. der Krankheit mit Wucherung von Plasma- und Binde- 
gewebszellen einhergehende chronisch entzündliche Neubildung ist. 

Dies Ergebnis wäre vielleicht mit den Befunden Goldziehers 
(7) in guten Einklang zu bringen, weleher bei der histologischen 
Untersuchung des Trachoms in der adenoiden Schicht der Conjune- 
tiva eine lebhafte Wucherung von Plasmazellen, welche der Autor 
jedoch als die erste Grannlaanlage anschen will. gefunden hat. 

Es stimmt zumal mit der von Saemisch vertretenen neuen An- 


Ein Beitrag zur Trachomfrage. 313 


schauung über das Wesen des Trachoms völlig überein, da sie als die 
wesentliche Veränderung von Trachom eine diffuse entzündliche W uche- 
rung der subconjunctivalen Gewebsschicht annimmt. Sie hat dadurch 
einen anatomischen Beweis, welcher von Junius gegenüber Peters 
gefordert und noch nicht gebracht worden war, erhalten und ist jetzt 
auf sichereren Boden gestellt als zuvor. 

Eine Analogie der beiden trachomatösen Prozesse, der cornealen 
und der conjunctivalen, muss man ebenso in dieser bei beiden ge- 
meinschaftlich vorkommenden produktiv entzündlichen Gewebsverände- 
rung suchen. 

Adenoide Beschaftenheit und Follikelbildung sind eine blosse anato- 
mische Verunreinigung der trachomatösen Conjunctivalveränderung. 

Der Behauptung Peters (6), in epidemiologischer Hinsicht den 
Kreis der trachomverdächtigen Erkrankungen bis auf solche Fälle aus- 
zudehnen, welche zwar keine deutlichen Follikel, wohl aber eine Zu- 
nahme des adenoiden Gewebes erkennen lassen, stimme ich völlig bei. 


Es ist meine angenehme Pflicht, meinem verehrten Lehrer, Herru 
Prof. Asayama für die gütigen Ratschläge zu meiner Arbeit, und 
Herrn Dr. Isobe für die freundliche Anfertigung der mikroskopischen 
Abbildung an dieser Stelle meinen ergebensten Dank auszusprechen. 


Literaturverzeichnis. 


1) Rählmann, Der histologische Bau des trachomatósen Pannus. v. Graefe's 
Arch. f. Ophth. Bd. XXXIII. 1887. 

2) Greeff, Conjunctivitis granulosa. Orthsches Lehrb. d. spez. pathol. Anat. 
1902. 

3) Bietti, Über Histologie des Pannus cornealis trachomatosus. Klin. Monatsbl. 
f. Augenheilk. Bd. XLIII. Beilageh. 1903. 

4) Saemisch, Conjunctivitis granulosa.  Handb. d. ges. Augenheilk. Bd. V. 
1. Abt. 2. Aufl. 1904. 

5) Junius, Zur Diagnose des Trachoms. Münch. med. Wochenschr. 1905. S. 758. 

6) Peters, Weitere Bemerkungen zur Trachomfrage und zur Therapie chro- 
nischer Conjunctivalerkrankungen. Münch. med. Wochenschr. Nr. 1. S. 4. 1905. 

7; Goldzieher, Beitrag zur pathologischen Anatomie des Trachoms. v. Graefe's 
Arch. f. Ophth. Bd. LXIII. 1900. 


Erklärung der Abbildungen auf Taf. XI, Fig. 1 u. 2. 


Fig. 1. Plasmazellenhaufen im Pannusgewebe und dazwischen Kerne der 
Fibroblasten. Bowmansche Membran unversehrt. (Färbung nach Unna-Pappen- 
heimscher Methode.) 

Fig. 2. Pannusgewebe zwischen dem Epithel und der teilweise erhaltenen 
Bowmanschen Membran. Feinfaseriges Gerüstwerk von neugebildetem Binde- 
gewebe. Protoplasma der Plasmazellen blassviolett gefärbt. (van Giesonsche 
Färbung.) 


f (Aus der Augenklinik des Prof. E. Fuchs in Wien.) 


Über den Ringabseess der Cornea. 


Von 


Dr. Rudolf Tertsch, 
Assistent der Klinik. 


Mit Taf. XII, Fig. 1 u. 2. 


Fuchs(4) hat im Jahre 1903 auf Grund der Untersuchung von 
neun Füllen für das klinische Bild des Ringabscesses einen fast immer 
gleichen pathologisch-anatomischen Befund erhoben, welcher besteht in 
einer primären, von der Hornhauthinterfläche ausgehenden Nekrose 
der hinteren Hornhautschichten mit einer eitrigen Infiltration der Horn- 
hautperipherie in Ringform. Diese primäre Nekrose der hintersten 
Hornhautschichten entsteht durch Produkte von Bakterien, welche ent- 
weder ektogen meist auf dem Wege einer Bulbuswunde — seltener 
(durch eine Spätinfektion bei Iriseinheilung das Augeninnere infizierten 
oder endogen auf dem Wege der Blutbahn in das Auge gelangen, 
wo sie eine metastatische Panophthalmie erzeugen, im Verlauf welcher 
es dann zu Entstehung eines Ringabscesses kommt. 

Schon Fuchs(#) erwähnt, dass der Ringabscess gerade so wie 
(lie Panophthalmitis durch verschiedene Bakterien hervorgerufen wer- 
den kann — dass es also einen. bestimmten Erreger des Ringabscesses 
nicht gebe. 

Ich finde in der Literatur folgende bakteriologische Befunde bei 
Ringabscess veröffentlicht: In den neun von Fuchs(4) beschriebenen 
Fällen wurde gefunden im Deckglas und in der Kultur 5mal Cokken 
(Strepto-, Staphylo- und Pneumocokken), in den Schnitten ausserdem 
3mal Stäbehen, die die Gramsche Färbung annahmen. (Nach der 
Beschreibung scheint es mir imm. Fall I der Bacillus subtilis gewesen 
zu sein.) Hanke(6) fand in einem Fall ein Stäbchen, welches er dem 
Bacillus proteus tluorescens nahe stellen möchte, das. aber nach der 
Meinung von MacNab (9) zur Famile des Pyocyaneus gehört. 
Hanne (71 beschrieb je einen Fall mit Bacillus subtilis, Staphylococcus 


Über den Ringabscess der Cornea. 315 


albus und Pyocyaneus. Stoewer(13) einen Fall mit Bacillus proteus. 
Weiter fand. bei metastatischer Ophthalmie Morax(12) und Axen- 
feld(2) je einen Fall, in dem der Pneumococcus lanceolatus der Er- 
reger war. 

Ich hatte nun in der letzten Zeit Gelegenheit, an der II. Augen- 
klinik einige Fälle von dem typischen Bilde des Ringabscesses zu be- 
obachten, und will hier deren bakteriologischen wie auch histologischen 
Befund mitteilen: 


Fall I. J. G., 23 Jahre alt, kam am 19. II. 1909 an die Klinik 
mit der Angabe, dass ihm vor 2 Tagen beim Hämmern eines eisernen 
Rauchfanges ein Splitter gegen das rechte Auge geflogen sei. Am nächsten 
Tage war das rechte Auge bereits stark entzündet und schmerzhaft. Da 
die Schmerzen und die Schwellung zunahmen, sucht Patient die Klinik auf. 

Status praesens: R. A. Lider und Conjunctiva stark geschwollen und 
gerötet. Leichter Exophthalmus. Die Hornhaut ist diffus matt und zeigt an 
ihrem nasalen Rande etwa 2 mm vom Limbus entfernt eine unregelmässige, 
zackige, leicht klaffende, etwa 4 mm lange Perforationswunde. Aus der 
Wunde, deren Ränder gelb infiltriert waren, quoll Eiter. Die übrige Cornea 
ist diffus rauchig getrübt, so dass sich die tieferen Teile nur schwer er- 
kennen lassen. In dieser diffusen Trübung sieht man einen etwa 3 mm 
breiten, intensiv gelbgrau saturierten Infiltrationsring, der dem Limbus parallel 
läuft und von demselben etwa 1 mm entfernt ist. Die Wunde liegt inner- 
halb des nasalen Teiles des Ringinfiltrates. Über dem übrigen Teil des Ring- 
infiltrates ist kein Substanzverlust. Vordere Kammer ist aufgehoben. In der 
unregelmässigen Pupille liegt Exsudat. Tension vermindert. Amaurose. 

Vom 19. II. bis 26. II. ändert sich der Befund nur insofern, dass 
die allgemeinen Symptome der Panophthalmitis zunehmen; weiter grenzt 
sich der Intiltrationsring gegen die Umgebung schärfer ab. Später nehmen 
Exophthalmus und die Schwellung der Conjunctiva wieder ab, dagegen be- 
merkt man am 2. III. zwei subeonjunctivale Abseesse im äusseren, oberen 
Quadranten der Sklera. Über den Abscessen wird die Conjunctiva gespalten 
und man kann mit einer Sonde durch die Augenhüllen in den Glaskörper 
gelangen, ein Zeichen, dass die Augenhüllen hier von innen her von 
Eiter arrodiert worden sind. Zur Zeit der Enucleation am 22. III. war 
folgender Befund. Bulbus geschrumpft. Die ringförmige Trübung der Cornea 
ist unten gänzlich verschwunden, im oberen Teil der Cornea noeh ange- 
deutet erhalten. Der zentrale Teil der Cornea ist diffus trüb. Von der 
Wunde sieht man radiüre, streifige 'Trübungen ausgehen, die grósstenteils an 
der Hornhautbinterfläche liegen. Tiefere "Teile nieht gut sichtbar. 

Der erhobene histologische Befund ist folgender: Die Cornea erscheint 
im ganzen stark verbreitert. Das Epithel verdickt, zeigt in der Nähe 
der Wunde breite Epitheleinsenkungen. In dem stark verbreiterten Stroma 
ist die Struktur der Lamellen von vorne bis an die Ilintertlüiehe fast dureh- 
aus gut erhalten, nur kann man überall zwischen den Lamellen, die aus- 
einander gedrängt sind, Streifen von Narbengewebe, aus spindelförmisen 
Zellen und Gefässen bestehend, erkennen. Die Hornhautkörperchen sind 


316 R. Tertsch 


sowohl in den vorderen als auch rückwürtigen Schiehten, wenn auch in 
ihrer Anordnung gestört, so doch überall gut gefärbt. Von einem peri- 
pheren Ringinfiltrat lässt sich höchstens noch so viel erkennen, dass ent- 
sprechend dem vorderen Infiltrationsring die zwischen den Lamellen liegen- 
den Narbenzüge breiter und zellreicher sind. Eine stärkere Infiltration, die 
dem hinteren Infiltrationsring entsprechen würde, lässt sich nirgends mehr 
nachweisen. Die Bowmansche und Descemetsche Membran sind ent- 
sprechend der Wunde unterbrochen, sonst normal. Die Wunde selbst ist 
von Granulationsgewebe erfüllt, die Wundränder nur wenig verändert, 
und es macht nicht den Eindruck, als ob an den Wundrändern eine stärkere 
Infiltration vorhanden gewesen wäre. Das Endothel an der Hornhauthinter- 
fläche fehlt. Vordere Kammer ist mit blutigem Exsudat erfüllt. Von der 
Uvea sind nur noch einzelne Reste der Iris und des Ciliarkörpers zu er- 
kennen, welche diffus kleinzellig infiltriert sind. Die Chorioidea und 
Retina sind durchaus zerstört. Von der Linse nur die Kapsel und wenige 
Reste erhalten. Der Glaskörper ist eingenommen teils von einem Granu- 
lationsgewebe, in dem bereits Übergänge zum Narbengewebe zu finden sind, 
teils ist er erfüllt von noch frischen Eiterzellen. In dem Granulations- 
gewebe hinter den Linsenresten lag ein Eisensplitter. Die Sklera zeigt 
an mehreren Stellen, vor allem längs des Durchtrittes von grösseren Ge- 
fässen eitrige Infiltration. Aussen oben in der Nähe des Limbus ist sie an 
einer breiten Stelle gänzlich zerstört und ist der Defekt von Granulations- 
gewebe erfüllt, das sich nach aussen bis unter die Conjunctiva fortsetzt. 


Man hat es hier mit dem Ausgang einer Panophthalmitis zu tun, 
bei der der Eiter auch durch die Sklera durchgebrochen ist. Be- 
merkenswert ist, dass trotz des vorher bestandenen klinischen Bildes 
eines Ringabscesses, bei dem man doch eine schwere Schädigung der 
hintersten Hornhautlamellen, die sich zu mindest als Verlust der Fürb- 
barkeit der Hornhautkórperehen gezeigt hütte, annehmen muss — sich 
nach einem Monat nach der Verletzung das Gewebe der Cornea so 
weit erholt hat, dass auch in den hintersten Hornhautteilen die La- 
mellen und ihre Hornhautkórperchen nur eine geringe Veränderung 
aufweisen. Diese besteht in Narbenzügen zwischen den Lamellen — 
wodurch ein Bild entsteht ähnlich dem, das man in alten Narben nach 
tiefer Keratitis findet. 


Die bakteriologische Untersuchung ergab: In den Ausstrichpräparaten 
aus der Wunde, wie von dem Eiter aus den tieteren Teilen des Auges und 
aus dem subeonjunetivalen Abscess findet man massenhaft Stäbchen, die in 
allen ihren Eigenschaften dem Bacillus subtilis entsprechen. Auch in den 
Schnittpräparaten des nach einem Monat nach erfolgter Infektion enuceleierten 
Bulbus findet man — wenn aueh spärlich — lange eharakteristische Stäb- 
chen, die oft an ihren Enden Sporen tragen. 

Morphologie: Es handelt sieh um 1,4 dicke bis 3 —4 u lange cylin- 
drische Stäbchen, die an den Enden abgerundet sind, sich nach Gram 


Über den Ringabscess der Cornea. 317 


immer färben, sehr häufig, namentlich in älteren Kulturen lange Ketten 
bilden und im hängenden Tropfen lebhafte Eigenbewegung zeigen, die sie 
übrigens nach kurzer Züchtung verloren. Weiter findet man endständige 
Sporen. 

Bouillon: Am ersten Tage findet man leichte Trübung, später erfolgt 
Klärung mit Bildung einer Kahmhaut, welche in Form kleiner Fetzchen zu 
Boden sinkt. Bouillon reagiert sauer. 

Gelatineplatte: Man findet am ersten Tag kleine punktförmige, weiss- 
liche, leicht eingesunkene Kolonien, welche zahlreiche Ausläufer in die Um- 
gebung entsenden. Den zweiten Tag folgt rasche Verflüssigung des Nähr- 
bodens. 

Gelatinestich: Üppiges Wachstum mit rascher Verflüssigung und Bildung 
eines weissen Häutchens, das in grossen Flocken zu Boden sinkt. 

Agarplatte: Grosse, weissgelbe, flache, konfluierende Kolonien mit un- 
regelmässigem, ausgezacktem Rand, der aus fadigen Ausläufern besteht und 
von einem leicht bläulichen Hof umgeben ist. 

Agarstich: Dicker, weissgelber, glänzender, üppig wachsender Rasen. 

Löffferserum: Dicker, rahmiger, weisser Rasen mit Verflüssigung des 
Nührbodens. Dieser nimmt später eine etwas braune Farbe an. 

Kartoffel: Ziemlich üppiger, weisser Rasen. 

Milch: Keine Koagulation. 

Zucker: Keine Vergärung. 

Pathogenität: (Es wurden alle Versuche zuerst mit der ersten Gene- 
ration angestellt, dann aber auch mit älteren Generationen wiederholt.) Die 
Impfungen in eine Cornealtasche eines Meerschweinchens oder Kaninchens 
ergaben ein kleines Infiltrat, das nach zwei Tagen mit Zurücklassung einer 
kleinen Narbe verschwand. Impfungen in die Vorderkammer erzeugten eitrige 
Iritis, die nach 6—8 Tagen mit Zurücklassung einiger Synechien ausheilte. 
Dagegen ergaben Impfungen in den Glaskörper von Kaninchen, Meerschwein- 
chen und weissen Mäusen sowohl mit ganz frischer Kultur als auch mit 
einem zwei Monate alten Stamm eine heftige Panophthalmitis. Jedoch wurde 
bei den einigemale wiederholten Versuchen niemals ein Ringinfiltrat der 
Cornea gesehen. Subeutane und intraperitoneale Impfung, auch mit 5 cem 
einer frischen Bouillonkultur, ergab bei allen Versuchstieren keine Reaktion; 
die Tiere zeigten nieht einmal verminderte Fresslust. 


Fall II. R. L, 51 Jahre alter Mann, wurde am Tage vor der Auf- 
nahme beim Schleifen einer Säge durch ein abspringendes Eisenstück an 
seinem rechten Auge verletzt. Bereits am andern Tage verspürte er starke 
Schmerzen und war das Auge geschwollen. | 

Status praesens: R. A. Starke Schwellung der Lider, Chemosis, Ex- 
ophthalmus von 3— 4 mm. In der Cornea sieht man eine 7 mm lange, 
horizontale, leicht klaffende Wunde, deren Ränder etwas stärker getrübt sind, 
als die Umgebung. Eine zweite, nieht perforierende Wunde befindet sieh 
im inneren, oberen Quadranten. Die Cornea ist matt und leicht diffus ge- 
trübt — zeigt mit Ausnalıme der Wunde keinen Substanzverlust. In dieser 
diffusen Trübung hebt sich ein 2—3 mm breiter, gelb saturierter, dem Lim- 
bus konzentrischer Infiltrationsring stärker ab. Derselbe ist gegen den 


318 R. Tertsch 


‘ Limbus, von dem er 1mm weit entfernt ist, scharf begrenzt. Das innere 
Ende der Wunde reicht bis zum Infiltrationsring, ohne dass sich die eitrige 
Infiltration auf die Wundründer fortsetzen würde. Kammer aufgehoben. In 
Pupille Eiter. "Tension vermindert. Amaurose. 

Das Auge wurde am 3. Tage nach Verletzung enucleiert. 

Der histologische Befund ist folgender: Die Cornea zeigt zwei Wunden; 
in ihrer Mitte eine perforierende, horizontale Wunde mit scharfen Rändern, 
die nicht infiltriert sind, ausser dort, wo die Wunde direkt mit dem peri- 
pheren Infiltrationsring zusammenfällt. An der zweiten, oben aussen ge- 
legenen Wunde ist der Grund stark kleinzellig infiltriert. Weiter findet man 
eine Nekrose der hintersten Hornhautpartien (d. h. die Hornhautkörperchen 
sind hier nicht gefärbt, oder nur schlecht gefärbt), am weitesten nach 
vorne reichend an der Stelle der Verletzung. Die nekrotische Partie hat 
die von Fuchs beschriebene charakteristische Form, rückwärts am breitesten, 
ohne aber ganz bis an die Peripherie zu reichen, und nach vorne 
sich so verschmälernd, dass die vordersten Partien am wenigsten weit in 
die Peripherie gehen. Dieser ganze nekrotische Bezirk wird von einem 
vorderen Infiltrationsring umschlossen, der am Rande mässig breit entwickelt 
ist, je weiter gegen das Hornhautzentrum, desto schmäler wird und 
weniger infiltriert erscheint. Einen hinteren Infiltrationsring findet man nur 
oben gut entwickelt, während er unten fehlt. In den peripheren Teilen 
der Cornea sieht man dort, wo ein hinterer Infiltrationsring vorhanden ist, 
dass sich dieser direkt in eine schmale Infiltrationszone knapp vor der 
Descemetii fortsetzt bis zu den dicht infiltrierten Schichten vor dem Liga- 
mentum peetinatum. Auch dem vorderen Infiltrationsringe entsprechend ist 
der Teil zwischen diesem Ringe und dem Limbus zellreicher. Hornhaut- 
epithel ist nur in der Peripherie vorhanden. Bowmansche und Desce- 
metsche Membran bis auf die Wunde normal. Endothel nur in den unteren 
Partien vorhanden. Die Iris ist in der Nähe der Wunde nekrotisch, ebenso 
zeigt der Ciliarkórper oberflüehliche Nekrose, sonst besteht stark eitrize 
Infiltration der Iris und in etwas geringem Masse des Ciliarkórpers. Die 
Linsenkapsel ist eingerissen und ist Eiter zwischen die Linsenfasern ein- 
gedrungen. Die Chorioidea ist zum grössten Teil nekrotisch, der nicht ne- 
krotische Teil ist dicht eitrig infiltriert. Weiter besteht eitrige Neuroretinitis. 
Die vordere, hintere Kammer und der Glaskörper wird von einem eitrigen 
Exsudat eingenommen, in welchem ein Eisensplitter liegt. Auffallend ist der 
Befund der Sklera. Dieselbe ist fast durchaus in ihrem inneren t|, nekro- 
tisch, in ihren äusseren ?/, dieht kleinzellig infiltriert. An einigen Stellen ist 
der nekrotische Teil etwas schmäler und reicht die eitrige Infiltration bis 
an die Chorioidea herein. 


Fasse ich den histologischen Befund zusammen, so haben wir hier 
das Bild einer Panophthalmitis mit hochgradiger Nekrose der Retina 
und Uvea, aber auch die inneren Teile der äusseren Augenhüllen. 
der Cornea sowohl als auch der Sklera. Es besteht an der Sklera 
eigentlich ganz genau das gleiche Bild wie an der Cornea, nur dass 
an der Cornea die peripheren Teile wahrscheinlich infolge. von. besserer 


Über den Ringabscess der Cornea. 319 


Ernährung erhalten blieben. So kam es an der Cornea zur Bildung 
eines Ringabscesses, an der Sklera zu einer diffusen Nekrose der 
inneren Partien mit eitriger Infiltration der äusseren Teile. welche In- 
tiltration gleichsam dem Ringabscess entspricht. 


Der bakteriologische Befund ergibt: In den Ausstrichpräparaten aus 
der Wunde fand man keine Keime. Ebenso ergaben die Kulturen, die von 
der Cornealwunde aus bestrichen wurden, ausser wenigen Staphylocokken- 
kolonien keine Resultate. Dagegen fand man in dem Eiter aus der vorderen 
Kammer und speziell aus dem Glaskörper massenhafte Gram-positive lange 
Stäbchen. Den gleichen Befund zeigen auch die Schnittpräparate. In den 
Wundrändern selbst keine Bakterien, dagegen im Exsudat des Augeninneren 
massenhafte Stäbchen. Die Stäbchen gleichen sowohl in morphologischer 
als auch biologischer Beziehung vollständig dem aus dem Fall I gezüchteten 
Bacillus subtilis, so dass es sich wohl um die gleiche Infektion handelt. 

Die Pathogenitit des Stammes II gleicht auch der des Stammes I. 
Impfungen in Hornhauttaschen ergaben nur leichte Infiltrate, die nach 
wenigen Tagen schwinden. Impfung in die vordere Kammer erzeugt heftige 
eitrige lritis, Impfung in den Glaskörper eine Panophthalmitis, aber 
auch hier ohne Ringabscess. Bei intraperitonealer Impfung war der Stamm 
apathogen. Bei intravenöser Impfung des ganz frischen Stammes ging ein 
Kaninchen nach 24 Stunden ein. Die Versuche mit diesem Stamm wurden 
zuerst direkt mit dem frischen Eiter aus dem Glaskörper unternommen, das 
zweite Mal mit dem rein gezüchteten Stamm wiederholt, um in beiden 
Fällen das gleiche Resultat zu ergeben. 


Fall III. T. G., 29 Jahre alte Frau, verletzte sich 3 Tage vor der 
Enucleation bei der Hauarbeit im Weingarten. Es soll ein Stück llolz gegen 
das linke Auge gesprungen sein. Bereits einen Tag nach der Verletzung 
verspürte sie starke Schmerzen und war das Auge stark geschwollen. 

Status praesens: L. A. Conjunctiva, Lider geschwollen, kein Ex- 
ophthalmus. Im inneren unteren Teil der Cornea eine 2 mm lange, unregel- 
mässige Wunde. Cornea ist oberflächlich matt, zeigt aber ausser der Wunde 
keinen Substanzverlust. Sie ist diffus leicht trüb. — In dieser diffusen Trü- 
bung sieht man ein gelbes Ringinfiltrat etwa 3mm breit, 2—3 mm vom 
Limbus entfernt. Die Wunde liegt innerhalb des inneren unteren Teiles des 
Ringes. Kammer seicht, in derselben ein Hypopyon. Iris verwaschen, in 
der Pupille Eiter. Tension vermindert. Amaurose. . 

Das histologische Bild war: Im inneren, unteren Quadranten der Horn- 
haut ist eine perforierende Wunde, die bis an den Limbus reicht. Diese 
Wunde, deren Ränder dieht kleinzellig intiltriert sind, liegt innerhalb einer 
typischen Ringinfiltration. Auch hier sind in den hinteren Hornliautpartien 
in der charakteristischen kalottenförmigen Ausdehnung die Hornhautkörper- 
chen schlecht oder gar nicht gefärbt. Am weitesten nach vorne reicht diese 
Schädigung der Hornhautzellen in der Nähe der Wunde. Weiter besteht 
ein typischer, meist hinter dem vordersten Viertel der Cornea liegender In- 
filtrationsring, der nur an der Stelle der Wunde die Oberfläche erreicht. Der 
vordere Ring bedeckt das ganze nekrotisehe Gebiet, ist also eigentlich zu 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LX XIII. 2. 21 


320 R. Tertsch 


einer Scheibe geworden, nur ist er in der Peripherie breiter als im Zentrum. 
Besonders stark entwickelt ist hier auch der hintere Einwanderungsring und 
dringen von diesem fleckige, eitrige Infiltrate auch ziemlich weit in die ge 
schädigten nekrotischen, zentralen Partien ein, besonders dicht vor der 
Descemetii. In den peripheren Teilen der Cornea nach aussen von dem 
Einwanderungsring sieht man ebenfalls die Zellen allenthalben vermehrt, be- 
sonders stark aber vor der‚Descemetii, wo ein ununterbrochener Zug von Eiter- 
zellen von den Schichten vor dem Ligamentum pectinatum bis zum hinteren 
Einwanderungsring zu verfolgen ist. Die Iris ist der Cornealwunde gegen- 
über verletzt, hier in leichter Nekrose begriffen. Die übrigen Teile der 
Uvea, besonders die Chorioidea, zeigen dichte, kleinzellige Infiltration. 
Die Linsenkapsel ist eröffnet! Zwischen die Linsenfasern dringt Eiter ein. 
Weiter besteht starke eitrige Retinitis, Neuritis. Vordere und hintere Kammer, 
wie der Glaskórper sind mit Exsudat erfüllt. Die Sklera ist nicht verändert! 
Ein Fremdkörper war nicht in dem Auge. 


Es handelt sich also um eine beginnende Panophthalmitis mit 
typischem Ringabscess. 


Bakteriologischer Befund: In den Ausstrichprüparaten, wie in der Kultur 
aus der Wunde — hauptsächlich aber aus dem Glaskörper — fanden sich 
charakteristische lanzettförmige Gram-positive Diplocokken, die nach ihren 
morphologischen wie auch biologischen Eigenschaften als Pneumococcus 
lanceolatus bestimmt wurden. In den Schnittpräparaten fand man in der 
Wunde keine Bakterien — einige Cokken fanden sich in der vorderen 
Kammer — dagegen waren sie massenhaft im Exsudat des Glaskörpers zu 
finden. Hier haben sie ziemlich variable Form. Die meisten von ihnen 
haben die charakteristische Lanzettform, an der man auch die Kapsel gut 
erkennen kann; dann findet man aber auch runde Doppelcokken, manch- 
mal auch grosse unregelmiüssige Involutionsformen. Auf Agar und Blutserum 
charakteristische, feine glashelle Tröpfehen. In Boujllon entsteht zuerst leichte 
Trübung, die am zweiten Tage verschwand. Die Pathogenität war folgende: 
Impfung in eine Hornhauttasche von Kaninchen, Meerschweinchen und 
weissen Mäusen erzeugt ein kleines, bald verschwindendes Infiltrat, Imp- 
fung in die vordere Kammer eine heftige, eitrige Iritis, Impfung in den 
Glaskörper eine akut verlaufende Panophthalmitis. Ein Ringabscess konnte 
nicht erzeugt werden. Mut Leem einer 24 Stunden alten Bouillonkultur 
intraperitoneal geimpfte weisse Mäuse starben nach 12— 24 Stunden. 


Fall IV. K.T., 60 Jahre alter Mann, wurde am 7. VI. an Katarakt 
operiert und zwar mit normalem Verlauf der Operation. Am 8. VI. ist die 
Wunde etwas gequollen, die Hornhaut leicht getrübt. Kammer hergestellt. 
Beide Irisschenkel stellen etwas höher. Der Corneallappen zeigt sowohl an 
der Ein- wie auelı Ausstielistelle einen. gelben Infiltrationspunkt. Am 9. VI. 
ist die ganze Wunde gelb infiltriert, Cornea matt und leicht diffus ve- 
trübt, in dieser diffusen Trübung ein typisches Ringinfiltrat, etwa 2 mm 
breit: 1mm vom llornhautrande entfernt. Kammerwasser eitrig verfärbt: 
am Boden der vorderen Kammer ein HIypopyon. L. E» 3m Projektion 
unsicher. Das Auge wurde am 13. VI. enucleiert. 


Über den Ringabscess der Cornea. 321 


Das histologische Bild des Falles ist folgendes: Am oberen Limbus 
liegt die Operationswunde. In ihrem mittleren Teile sind ihre Wundlippen 
nieht infiltriert, dagegen fallen die beiden Enden der Wunde mit dem be- 
stehenden Ringinfiltrat zusammen. Dieses setzt sich aus einem vorderen 
und einem besonders stark entwickelten hinteren Einwanderungsring zu- 
sammen, welch letzterer sich als ein breites Infiltrat bis an den Hornhautrand 
fortsetzt. Die vordere Infiltrationszone, die hier beiläufig in den mittleren 
Teilen des Hornhautstromas liegt, hat sich auch in diesem Fall vorne voll- 
ständig geschlossen und bedeckt kappenartig die charakteristische nekro- 
tische — keine Kernfärbung zeigende — Zone der hintersten Horn- 
hautteile. Das vorderste Drittel der Cornea ist stark gequollen, die Be- 
grenzung der Bowmanschen Membran und der Hornbautlamellen ist oft 
undeutlich, aber die Kerne sind durchaus gut gefárbt. Die Descemetii ist 
normal. Es besteht weiter eitrige Iridocyclitis, Chorioiditis und Retinitis. 
Der Glaskórper ist von Exsudat erfüllt. Im Exsudat des Glaskórpers finden 
sieh in grosser Anzahl Gram-positive Cokken. 


Dieser Fall ist also eine durch die Operation erfolgte. Infektion 
des Augeninnern. Es kam zu einer Panophthalmitis mit einem Ring- 
abscess. 


Die bakteriologische Untersuchung ergab: In den Ausstrichpräparaten 
und in der Kultur aus der Wunde, aus dem Exsudat der vorderen Kammer 
und des Glaskörpers, weiter in den Schnitten, fand man den Streptococcus 
pathogenes longus. Es sind Gram-positive Cokken, die in der Bouillon 
Ketten von 8—15 Glieder bilden, häufig aber auch als Diplocokken zu 
finden sind. Auf Gelatine, Agar, Serum findet man charakteristisehe kleine, 
punktfórmige, runde, etwas weisse Kolonien. Gelatine und Serum wird 
nieht verflüssigt. Die Bouillon trübt sich im Anfang, später wird sie klar 
und bilden sich am Boden einzelne Krümeln. 

Pathogenität: Impfung in eine Cornealtasche von Meerschweinchen, 
Kaninchen oder weisser Maus war vollständig negativ. In das Augeninnere 
geimpft, und zwar sowohl in die vordere Kammer als auch in den Glas- 
körper, entstand eine starke Panophthalmitis, aber stets ohne Ringabscess. 
Eine weisse Maus mit 1 ccm einer 24stündigen Kultur intraperitoneal geimpft, 
starb naeh 3 Tagen unter Erscheinungen von Septikümie, ohne dass es zu 
einer stärkeren lokalen Reaktion an der Impfstelle gekommen wäre. 


Fall V. P. K., 59 Jahre alter Mann, wurde 8 Tage vor Aufnahme 
durch einen in das rechte Auge springenden Steinsplitter verletzt. Bald 
darauf begann eine Entzündung dieses Auges. 

Status praesens: h. A. Es besteht Sehwellung der Lider. Chemosis. 
Am oberen Limbus ist eine etwa 3mm lange Wunde, deren lWinder gelb 
infiltriert sind. Die Hornhaut ist grob gestiehelt, zeigt aber keinen Xub- 
stanzverlust. Sie ist ziemlich gleichmässig gelb getrübt, so dass man die 
Iris nur undeutlich durclisieht. In dieser gelben diffusen Trübung hebt sich 
ein 2—3 mm breiter, vom Limbus 2 mm entfernter, dielit gelb. saturierter 
Ring schärfer ab. Es besteht ein 4mm hohes Hypopyon. L. Æ vor dem 
Auge. Projektion falsch. 

9]* 


R. Tertsch 


LA 
LA 
[ID 


Eine histologische Untersuchung des Falles konnte noch nicht vor- 
genommen werden. 

Der bakteriologische Befund war folgender: In den Ausstrichpräparaten 
und in der Kultur aus der Wunde und vor allem aus den tieferen Teilen 
des Auges finden sich zahlreiche feine Stäbchen, die folgende Eigenschaften 
haben: 

Morphologie: Es sind 1—3 u lange und 0,3—0,5 breite Stäbchen 
mit abgerundeten Ecken. Sie färben sich mit allen Anilinfarben intensiv 
und sind durchaus Gram-negativ. In älteren Kulturen wachsen sie manch- 
mal zu langen Fäden aus und bilden daselbst endständige Sporen. Im 
hängenden Tropfen zeigen sie lebhafte Eigenbewegung, welche auch noch 
in älteren Kulturen zu sehen ist. - 

Bouillon: Es entsteht eine gleichmässige intensive Trübung mit dicken, 
rahmartigen, weissen Häutchen. Die Bouillon nimmt eine leichte grüngelbe, 
fluorescierende Farbe an. Später bildet sich ein bräunlicher Bodensatz. 

Agar: Es bilden sich kleine, anfangs scharf begrenzte, durchscheinende, 
tropfenförmige Kolonien, die später zu einem zusammenhängenden, faden- 
ziehenden üppigen Rasen auswachsen. Zu gleicher Zeit tritt intensive grüne 
Fluorescenz ein, die sich langsam über den ganzen Nährboden ausbreitet. 
Die grüne Fluorescenz geht in älteren Kulturen in eine intensiv braune 
Vertärbung des Nährbodens über. 

Glycerinagar und Serumagar — Agar. 

Zuckeragarstich: Nur sehr spärliches Wachstum längs des Stiches 
ohne Gasentwicklung. Dagegen dichte Rasenbildungen der Oberfläche mit 
Grünverfärbung des Nährbodens. 

Löfflerblutserum: Rasche Verflüssigung des Nährbodens mit brauner 
Verfärbung desselben. 

Gelatineplatte: Es bilden sich dellenförmige Vertiefungen, die rasch 
konfluieren. In den Dellen bildet sich ein weisser Rasen. 

Gelatinestich: Rasche napfförmige Verflüssigung des Nährbodens 
mit leichter grüner Verfärbung. Nach vollständiger Verflüssigung bildet sich 
ein Häutchen und ein brauner, krümelicher Bodensatz. 

Kartoffel: Es entsteht ein bräunlicher bis grauer üppiger, schmieriger 
Belag. 

Aus allen diesen Nährböden lässt sieh mit Chloroform ein himmelblauer 
Farbstoff ausschütteln. Beim Verdampfen des Lösungsmittels bilden sich 
lange Krystalle. 

Behandelt man Stücke einer Agarkultur mit Salwiakgeist, so nimmt 
dieser eine grüne fluorescierende Farbe an. 

Noch stärker wird die grüne Fluoreseenz des Lösungsmittels beim 
Autschütteln mit Wasser. In Salzsäure werden die Agarstücke braun, die 
Lösung rosarot. 

Tierpathozgenität: Bei Impfung in eine Hornhauttasche eines Kanin- 
chenauges entstand ein Uleus serpens, das zu einer raschen Vereiterung der 
Cornea führte. Tieb man Kulturen nur auf eine Errosio eorneae ein, ent- 
stand keine Veränderung der IHormhaut. Impfungen in die vordere Kammer 
oder Glaskórper erzeugten eine rasch verlaufende Panophthalmitis. Ein 
Ringabseess konnte nieht beobachtet werden. Mit !5,eem einer. 24 Stunden 


Über den Ringabscess der Cornea. 333 


alten Kultur geimpfte weisse Mäuse und Meerschweinchen starben nach 
12 Stunden bis 3 Tagen. Kaninchen blieben am Leben, doch zeigten 
sie einige Tage geringe Fresslust. Nach dem Gefundenen müssen wir den 
Stamm als Bacillus pyocyaneus diagnostizieren. Auffallend ist die Sporen- 
bildung, die sonst beim Pyocyaneus nicht bekannt ist. Ob dieser Stamm 
mit den von Hanke(6) beim Ringabscess gefundenen Bacillus proteus 
fluorescens verschieden ist oder nicht, will ich hier nicht erórtern. 

Überblicken wir nun diese fünf Fälle, so bestätigt vor allem der 
bakteriologische Befund, dass es einen bestimmten Erreger des Ring- 
abscesses nicht gibt, sondern die verschiedensten Keime die Ursache 
dieses Krankheitsbildes sein. kónnen. 

Unter den in den fünf Fällen gefundenen Erregern verdient vor 
allem der in Fall I und II gefundene Bacillus subtilis noch einige 
Bemerkungen. Es ist ja jetzt bereits aus einer ganzen Reihe von be- 
schriebenen Fällen [Literatur siehe Axenfeld(1)] bekannt, dass dieser 
sonst apathogene Keim vor allem im Glaskörper des Menschen hohe 
Virulenz erreicht und eine meist ungemein rasch verlaufende Pan- 
ophthalmitis erzeugt. (Bemerkt sei überdies hier noch, dass er auch 
als Erreger von Conjunctivitis[Michalsky(11),Gourfein(5), Makai(10)] 
und von Bietti(3) und zur Nedden(14) in Fällen von Hypopyon- 
keratitis gefunden wurde.) Als ein ganz besonderer Beweis der hohen 
Virulenz, die er im menschlichen Glaskörper erreicht, und dass er hier 
auch starke Toxine, die rasch zur Nekrose ganzer Teile des Auges 
führen (Fall II), erzeugen könne, ist wohl die Ursache, dass er schein- 
bar nicht selten als Erreger eines Ringabscesses gefunden wird. Be- 
sonders jene Fälle von Ringabscess, die ausserordentlich rasch — 
innerhalb 24 Stunden nach der Verletzung auftreten, müssen an 
diesen Bacillus als Erreger denken lassen. Welcher Art aber die 
Toxine sind, ob sie an den Bacillen haften oder nicht, ob sie viel- 
leicht nur Produkte des zerfallenen, nekrotischen Gewebes sind, 
kann ich nicht angeben; doch glaube ich auf Grund der ausgedehnten 
Nekrose des Gewebes, das nur in der Nähe des infizierten Herdes 
liegt und in dem unmittelbar keine Bacillen zu finden sind, annehmen 
zu können, dass es sich wohl um ausserhalb der Bacillenleiber liegende 
Gifte handeln müsse. Der negative Versuch. Kaysers(S), der Sub- 
tiliskulturen filtrierte und das Filtrat ungiftig für den Glaskörper fand, 
ist wohl nicht beweisend, da man annehmen muss, dass dieser ausser- 





halb des Glaskörpers durchaus apathogene Kerne, in der Kultur eben 
keine Toxine erzeugte. Tech habe überdies die Versuche Kavysers ($) 
wiederholt und bin zu dem gleichen negativen Erfolg gekommen. 

Im allgemeinen fand man, dass der Subtilis rasch wieder aus 


394 R. Tertsch 


dem Eiter des Glaskörpers verschwindet und meist schon am dritten 
Tage nach der Infektion nicht mehr aufzufinden ist. Im Falle I sehen 
wir gerade das Gegenteil. Ich konnte am zwölften Tage nach der In- 
fektion aus dem subconjunctivalen Abscess noch Bakterien rein züchten 
und fand einen Monat nach der Verletzung noch gut gefärbte Stäbchen 
mit Sporen in den Schnittpräparaten. Dagegen waren im Kaninchen- 
auge bereits am dritten Tage nach der Impfung keine Bacillen im 
Glaskörper mehr nachzuweisen. Ich glaube, dass dieser Unterschied 
wohl auch dafür spricht, dass gerade nur der menschliche Glaskörper 
ein besonders günstiger Nährboden für den Bacillus subtilis ist. 

Der Versuch bei Tieren, durch eine Impfung in das Augeninnere 
einen Ringabscess zu erzeugen, fiel in allen Fällen negativ aus. Dieser 
Versuch ist bisher nur gelungen Hanke(6) und Happe(7). Schein- 
bar verloren meine Stämme durch die Kultivierung rasch ihre hohe 
Virulenz, bzw. waren — da ich ja im Fall II direkt frischen Eiter 
aus dem menschlichen Auge in den Glaskörper des Tierauges über- 
impfte — für das Tierauge nicht so hochgradig pathogen wie für den 
Menschen. Die reine Cornealimpfung erzeugte im Pyocyaneus- Fall 
ein Ulcus serpens, sonst aber mit Ausnahme eines kleinen, rasch ver- 
schwindenden Infiltrates überhaupt keine Veründerung. Auch bei diesen 
Versuchen konnte Hanke(6) und Happe (7) klinische Bilder erzeugen. 
die dem Ringabscess entsprechen. Ich möchte nun doch im Anschluss 
daran die Erörterung knüpfen, ob es denn in Wirklichkeit möglich 
ist, durch eine Impfung in eine Hornhauttasche, also durch eine 
nicht perforierende Verletzung, einen auch dem histologischen Bilde 
des Ringabscesses entsprechenden Befund zu erzeugen, ob also auch 
beim Menschen durch eine nicht perforierende Verletzung ein Ring- 
abscess entstehen. kann, oder ob diese Frage vielleicht in. diesem Sinne 
zu lösen ist, dass doch nicht alle Fälle des klinischen Bildes des Ring- 
infiltrates dem entsprechen, was Fuchs(#) histologisch als Ringabscess 
bezeichnet hat. 

Was ist der Ringabseess? Klinisch: Unter schweren allgemeinen 
Fintzündungserscheinungen des Auges entsteht in einer meist dittusen 
Trübung der Hornhaut ein dem Tumulus paralleler, von demselben 
1—3 mm entfernter, gelb saturierter, 2—4 mm breiter Intiltrationsting: 
dabei kann es zu einem Zerfall der Hornhaut kommen, es muss dies 
aber nicht immer der Fall sein. 

Histologiseh: Wie Fuchs(4) nachgewiesen — eine primäre Ne- 
krose der hintersten Hornhautlamellen mit sekundärem Einwanderungs- 
rng. Die vordersten Hornhautlamsllen können völlig normal sein. 


Über den Ringabscess der Cornea. 325 


(Um nun bei den weiteren Erörterungen Verwechslungen vorzubeugen, 
werde ich „Ringabscess“ nur das nennen, was dem histologischen Bilde 
von Fuchs entspricht, das klinische Bild aber im allgemeinen als 
Ringinfiltrat bezeichnen.) 

Untersuchen wir nun zuerst, wie man schon nach dem histo- 
logischen. Bild die Art und Weise der Wirkung der Bakterien an- 
nehmen muss. 

Da vor allem die hintersten Schichten der Hornhaut nekrotisch 
sind, so müssen wohl die Keime zuerst von rückwärts — von der Tiefe 
her — aus der vorderen Kammer und dem Glaskörper her wirken. 
Bedingung dazu aber ist, dass sie, sei es durch eine Perforation, sei 
es auf metastatischem Wege in das Augeninnere gelangen. Und wie 
wir in allen untersuchten Füllen sehen, entspricht dies vollständig den 
Tatsachen. Ausser in der Wunde und in ihrer nüchsten Umgebung 
— und wie wir im Fall II sehen, auch da nicht immer — findet 
man beim Ringabscess in der Cornea selbst keine Keime, dagegen 
massenhaft in der vorderen Kammer und vor allem im Glaskörper. 
Es ist also eine Fernwirkung der Bakterien. Durch die Toxine, welche 
sie produzieren, kommt es neben der Nekrose anderer Teile auch zur 
Schädigung der inneren Teile der Cornea. Wenn Bakterien in 
das Hornhautparenchym gelangen, so erzeugen sie allenfalls nur eine 
Nekrose des umliegenden Gewebes — bei einem nur oberflächlichen 
Eindringen eine Nekrose der oberflächlichen Partien, wie dies ja beim 
Ulcus serpens der Fall ist —, nicht aber, wie beim Ringabscess, bei 
dem die Nekrose, von dem Ort der Wunde ganz unabhängig, nur die 
hintersten, der Kammer anliegende Teile trifft. Gerade die Unab- 
hängigkeit der Nekrose von dem Ort der Wunde, ist der beste 
Beweis, dass die Keime, bzw. ihre Gifte nicht von der Wunde, son- 
dern von der Tiefe des Auges her wirken müssen, daher von einer 
oberflächlichen Wunde her ein Ringabscess wohl nicht entstehen kann. 
Wenn nun Hanke(6) und Happe(7) auch ohne Perforation Ring- 
infiltrate an Tieraugen erzeugten, so dürften dies nicht Ringabscesse 
im Sinne des histologischen Bildes von Fuchs sein — mit charakte- 
ristischer primärer Nekrose der hintersten Hornhautlamellen —, sondern 
es dürfte sich wohl um Ulcera serpentia gehandelt haben, bei denen 
es nur zu einem besonders heftigen Einwanderungsring gegen die hier 
oberflächlichen nekrotischen Partien der Cornea gekommen ist, so dass 
das Bild eines Ringinfiltrates entstand. Ich konnte das überdies in 
Hankes Präparaten, die er mir zur Untersuchung überliess, nach- 
weisen. In jenen Bulbis, in denen es bei der Impfung nicht zur Per- 


396 R. Tertsch 


foration kam, besteht nur Nekrose der vorderen Partien. In einigen 
dieser Bulbi war dann allerdings auch eine Schädigung der hinteren 
Hornhautlamellen zu finden — aber immer sind auch in diesen Augen 
vor allem die vordersten Teile der Cornea nekrotisch. Zwischen der 
nekrotischen vorderen und hinteren Partie findet sich dann oft eine 
Infiltrationszone, ein Bild, das man auch beim menschlichen Ulcus 
serpens finden kann. Die Fälle von Ulcus serpens bei Tieren mit 
Nekrotisierung der Hornhaut bis in die hinteren Partien sind wohl 
Infektionen mit besonders virulenten Stämmen, bzw. Infektionen von 
Hornhäuten mit nur geringer Widerstandskraft gegen den eindringen- 
den Infektionserreger. Diese rasche Nekrotisierung der Hornhaut bis 
in die tiefsten Schichten kann man ja auch beim menschlichen Ulcus 
serpens beobachten -— wie umgekehrt in schweren Fällen von Ring- 
abscessen die Nekrose von rückwärts her bis in die vordersten Schichten 
reicht —, Fälle, die dann gewöhnlich rasch zur Einschmelzung der 
ganzen Cornea führen. 

Nach meiner Meinung ist doch der Hauptunterschied zwischen 
Ulcus serpens und Ringabscess darin gelegen, dass beim Ulcus serpens 
die Giftwirkung und damit die Schädigung des Gewebes, welche bis 
zur Nekrose führen kann, sich von vorne nach rückwärts ausbreitet, 
während beim Ringabscess gerade das Umgekehrte der Fall ist, indem 
hier die Schädigung der Cornea, die bis zur Nekrose führt, von rück- 
wärts her erfolgt. Denn der Ringabscess ist eigentlich nichts anderes 
als ein Teil einer Wand einer Abscesshöhle, deren innere Fläche 
teilweise nekrotisch geworden ist. In allen beschriebenen Fällen findet 
sich eine schwere, eitrige Entzündung des Augeninnern; am deutlichsten 
sehen wir dies im Fall IT, in dem fast die ganze innere Wand der 
Hornhaut und Sklera nekrotisch geworden ist. Von dieser Nekrose 
ausgenommen ist nur die Peripherie der Cornea wahrscheinlich wohl 
deshalb. weil gerade dieser Teil der Hornhaut sowohl vorne wie auch 
rückwärts infolge der Nähe des Randschlingennetzes unter besonders 
günstigen Verhältnissen steht. Diese bessere (sefässversorgung schützt 
den Rand der Cornea sowohl durch bessere Ernährung, als auch vor 
allem dadurch, dass mit dem Blut auch Antikörper an Ort und Stelle 
gebracht werden, welehe in der normalen Cornea selbst bekanntlich 
fehlen. Ebenso können sie auch der Sklera bei ihren spärlichen Ge- 
fässen nur in geringer Menge zugeführt werden.  Iinmerhin ist aber 
die Nekrose der Sklera eine viel seltenere, wie die der Cornea. Eine 
viel geringere Bedeutung in der Unterscheidung zwischen dem histo- 


Jogischen Bilde des Ringabseesses und dem Ulcus serpens möchte ich 


Über den Ringabscess der Cornea. 391 


ud 


der Form des die geschädigten Partien abgrenzenden Infiltrationsringes 
beilegen. Dieser hängt lediglich von der Ausbreitung der Schädigung, 
bzw. Nekrose ab. -Der nekrotische Teil der Cornea soll nach allen 
Seiten gegen die gesunde Hornhaut abgegrenzt werden. Die Ein- 
wanderung zu dieser Demarkationszone erfolgt in zwei Schichten, einen 
vorderen und einen hinteren Einwanderungsring. Speziell die Lage 
und Breite des vorderen Einwanderungsringes, der sich gewöhnlich 
eng an die geschädigten Partien der Cornea anschmiegt, hängt in der 
Form und in der Ausdehnung von letzterem ab. Damit ist aber auch 
-- wie ich glaube — eine Erklärung für die Form des vorderen Ein- 
wanderungsringes beim Ringabscess mit der zentral gerichteten Spitze 
gegeben. Die geschädigte Hornhautpartie hat die Form einer Kugel- 
kalotte — vorne reichen die geschädigten Teile der Lamellen am 
wenigsten weit in die Peripherie —, umgekehrt reichen in der Peri- 
pherie der gesunden Partien je weiter nach vorne, desto weiter zentral- 
wärts —! Zwischen diesen beiden Teilen, sie voneinander trennend, 
liegt nun die Infiltrationszone mit ihrer Spitze demgemäss am weitesten 
zentral und nach vorne reichend. Ja, manchmal kommt es, wie wir 
dies im Fall III und IV sehen, zu einer vollständigen Umhüllung des 
nekrotischen Teiles, welcher dann vorne vollständig von einer Infiltra- 
tionszone bedeckt wird, der die gesunden vorderen Partien von den 
erkrankten hinteren Teilen trennt. Auch beim Ulcus serpens ist der 
vordere Einwanderungsring, wenn auch hier durch die primäre ober- 
tlächliche Schädigung der Hornhaut in anderer Form, so doch zu 
finden und entspricht dem keilfórmigen Randinfiltrat. Er hat nur hier 
eine gewöhnlich nicht so starke Entwicklung gefunden wie beim 
Ringabscess, da ja auch die Schädigung der Hornhautlamellen nicht 
in solchem Ausmasse und vor allem nicht so rasch erfolgt. Der hintere 
Einwanderungsring ist hauptsächlich nur beim Ringabscess zu finden, 
da es ja vor allem bei diesem zu einer Nekrose der hinteren Partien 
kommt. Beim Ulcus serpens, bei dem die hintersten Hornhautlamellen 
gar nicht oder nur in geringem Umfang geschädigt sind — fehlt er 
vollständig oder ist nur angedeutet. Er kann aber, wie auch der 
vordere Einwanderungsring — beim Ulcus serpens zu starker Ent- 
wicklung kommen, wenn die Nekrose der Hornhaut eine ausgebreitete 
ist und bis in die hinteren Nehichten reicht. So kann dann auch beim 
Ulcus serpens das Bild eines Ringabscesses klinisch vorgetäuscht wer- 
den. Als Beispiel dafür will ich folgenden Fall anführen: 

Fall VI. L. G., 32 Jahre alt, will sieh vor 3 Wochen im Sehlafe 
am rechten Auge verletzt haben. Danach sei das Auge rot gewesen. Nach 


398 R. Tertsch 
einigen Tagen habe ihm jemand in das Auge gestossen. Seit dieser Zeit 
sei das Auge stark entzündet und schmerzhaft. 

Status praesens: R. A. Lider gerötet, stark geschwollen, leichte 
Chemosis. Im oberen äusseren Quadranten des Bulbus besteht starke Gut. 
fusion der Conjunctiva. Die Cornea zeigt in ihren mittleren Partien einen 
unregelmässigen Substanzverlust, dessen Grund gequollen ist. Sie ist diffus 
trüb. In den ziemlich erhaltenen Randpartien sieht man einen 2—3 mm 
breiten, allseitig geschlossenen, gelb saturierten Infiltrationsring, der an einigen 
Stellen bis an den Limbus reicht, an andern Stellen von denselben etwa 
1 mm entfernt ist. Die tieferen Teile des Auges sind wegen der Trübung 
der Hornhaut nicht gut sichtbar. Tension vermindert. Lichtempfindung 
und Projektion richtig. 

Die histologische Untersuchung ergab folgendes: Fast die ganze Ober- 
fläche der Hornhaut wird eingenommen von einem oberflächlichen Substanz- 
verlust. Der Grund ist teils kleinzellig infiltriert, teils wird er von ge- 
quollenen nekrotischen Hornhautlamellen gebildet. Hinter diesen oberflüch- 
lichen Schichten des Geschwürsgrundes folgt — den mittleren Teilen der 
Cornea entsprechend — eine schmale nekrotische Zone, in der die Horn- 
hautkörperchen nicht gefärbt sind. Dagegen sind die Schichten knapp vor 
der Descemetii wieder dicht eitrig infiltriert — einem hinteren Horn- 
hautabscess entsprechend. Dieses Ulcus ist nun in seinem ganzen Umfang 
begrenzt von einer dicht infiltrierten ringförmigen Zone, welche überall von 
den vorderen bis in die hinteren Schichten reicht. Einen vorderen und 
hinteren Infiltrationsring kann man nur an einigen Stellen bemerken, an 
denen man knapp vor der Descemetii eine stärkere Anhäufung von Rund- 
zellen findet. Die Bowmansche Membran fehlt vollständig — die Descemetii 
ist an vielen Stellen von Eiter arrodiert —, aufgeblättert und endlich unter- 
brochen. Zu einer vollständigen Perforation der Cornea ist es noch nirgends 
gekommen. Die vom Ringinfiltrat peripheren Teile der Hornhaut erscheinen 
namentlich aussen leicht gequollen, die Kerne schlecht gefärbt; diese ganze 
dem Limbus entsprechende Zone ist gedehnt und dadurch der Limbus ver- 
breiter. Am Boden der vorderen Kammer ist ein Hypopyon. Die Iris ist 
kleinzellig infiltriert mit zahlreichen Hämorrhagien ins Gewebe. Die hintere 
Kammer ist mit Blut erfüllt. An der Linse findet sich eine vordere Cortical- 
katarakt. Der Ciliarkörper und die Chorioidea sind nicht verändert. Die 
Retina mit Ausnahme einzelner Hämorrhagien normal. Ebenso Glaskörper 
und Sehnerv unverändert. 

Die bakteriologische Untersuchung ergab merkwürdigerweise sowohl im 
Deckglas, als auch in der Kultur wie im Schnittpräparat ein vollständig 
negatives Resultat. 


Es handelt sich also in diesem Fall. der klinisch einem Ring- 
abscess ausserordentlich ähnlich ist, um ein fast die ganze Cornea ein- 
nehmendes tvpiscehes Ulceus serpens mit. Nekrose des Geschwürsgrundes 
und der mittleren Hornhautpartien. Von einer Nekrose der hintersten 
Partien --- die erste Bedingung eines Ringabscesses — war hier keine 
Spur. Ebenso waren die tieferen Teile des Auges mit Ausnahme 


Über den Ringabscess der Cornea. 329 


einer [ritis und einiger Blutungen in der Retina und Iris unverändert. 
Es fehlte die Panophthalmitis, die wir beim Ringabscess immer vor- 
tnden müssen. Und demgemiüss fehlte auch die schlechte Licht- 
empfindung, welches Symptom für die richtige Diagnose des echten 
Ringabscesses stets entscheidend ist. 

Was nun die Tierversuche anbelangt, so kommt es scheinbar hier 
auch bei einer nur oberflächlichen Schädigung des Gewebes zu einem 
viel stärkeren Einwanderungsring wie beim Menschen. Dringt die 
Nekrose bis in die mittleren oder gar hinteren Partien, so finden wir 
auch einen besonders gut entwickelten hinteren Einwanderungsring, 
welcher die geschädigten mittleren Partien gegen die gesunden peri- 
pheren und hintersten Partien abgrenzt. So kommt also auch hier 
ein Bild zu stande, das klinisch einem Ringabscess ähnlich ist. Aber es 
fehlt auch hier die Hauptsache: primäre Nekrose der hintersten Horn- 
hautlamellen und die schwere Entzündung der tieferen Teile des Auges. 

Beantworten wir nun die früher gestellte Frage, so kommen 
wir zu dem Resultate, dass durch eine oberflächliche Verletzung 
der Hornhaut nicht ein echter Ringabscess, wohl aber unter Um- 
ständen beim Menschen und vor allem im Tierauge das Bild eines 
Ringinfiltrates entstehen kann, das klinisch dem Ringabscess ähnlich, 
doch nicht mit dem von Fuchs (4) aufgestellten histologischen Bild 
identisch ist. Es handelt sich in diesen Fällen um ein Ulcus serpens 
mit starkem Einwanderungsring, denn es fehlen die Hauptbedingungen 
für das histologische Bild des Ringabscesses: die primäre Nekrose der 
hinteren Hornhautlamelle und die schwere Entzündung des Augen- 
inneren, dagegen ist immer ein ausgedehnter Substanzverlust vorhanden. 
Doch ist es anderseits nach den bisherigen Erörterungen ganz klar, 
dass man das, was Fuchs(4) histologisch als Ringabscess bezeichnet 
hat, streng von dem Bilde des Ulcus serpens trennen muss. Das 
Uleus serpens ist eine primäre Infektion der Hornhaut, bei der der 
hintere Abschnitt des Auges nicht erkrankt ist, das Auge selbst, 
falls es nicht durch einen Durchbruch zu einer sekundären Infek- 
tion des Augeninneren kommt, erhalten bleiben kann. Das Ulcus 
serpens ist eine streng umschriebene Erkrankung des Auges an und 
für sich. Der Ringabscess dagegen ist nur eine Folgeerscheinung, 
eine Teilerkrankung einer primären, besonders schweren Infektion 
oder, noch allgemeiner ausgedrückt, einer schweren destruierenden Ver- 
änderung des Augeninneren mit ausgedehnter Nekrose. Augen, die 
an einem echten Ringabscess erkranken, sind daher stets verloren. 

Die Difterentialdiagnose zwischen diesen beiden Krankheitsbildern 


330 R. Tertsch 


* 


wird doch in allen Füllen móglich sein. Ein wichtiges Unterschei- 
dungsmerkmal habe ich bereits angeführt: Beim Ringabscess wird be- 
reits im Anfang entsprechend der Entzündung der tieferen Teile eine 
schlechte Lichtempfindung vorhanden sein — beim Ulcus serpens diese 
stets normal gefunden werden, ausser es liegen andere Komplikationen 
vor. Weiter werden beim Ringabscess die allgemeinen Symptome 
einer schweren Entzündung des Augeninneren, wie Schwellung der 
Lider, Chemosis, Exophthalmus stärker entwickelt sein wie beim Uleus 
serpens, wo sie ja im Anfange wenigstens meist fehlen. — Wenn min 
die beiden ähnlichen Fälle des weit vorgeschrittenen Ulcus serpens, 
dessen infiltrierter Rand schon nahe dem Hornhautrand legt, und den 
Ringabscess von Anfang an verfolgen kann, so findet man als weiteren 
wichtigen Unterschied, dass beim Ulcus serpens der gelbe Ring zuerst 
zentral liegt und erst nach und nach gegen den Limbus rückt, beim 
Ringabscess aber der gelbe Ring vom Beginn an an der Peripherie 


liegt und in den nächsten Tagen gegen die Mitte — also gerade um- 
gekehrt — fortschreitet. Überhaupt ist im allgemeinen der Verlauf 


des Ringabscesses ein sehr akuter; oft nach 24 Stunden kommt es 
zur Entwicklung des Ringinfiltrates. Beim Ulcus serpens wird, wenn 
auch ein deutliches Ringinfiltrat entsteht, dieses sich gewöhnlich viel 
langsamer entwickeln. Nicht unwichtig für die Differentialdiagnostik 
ist wohl noch folgender Punkt: Eine Bedingung des Ulcus serpens ist 
ja stets der Substanzverlust, der mehr oder weniger langsam vor der 
Oberfläche her sich vertiefend, die Hornhaut zerstört. Beim Ring- 
abscess kommt es wohl auch zur Zerstörung der Cornea, die aber 
dann rasch und die ganze Hornhaut auf einmal umgreifend erfolst. 
Es muss aber gar nicht immer zum Substanzverlust oder zur Zer- 
störung der Cornea kommen. Dies ist dann der Fall, wenn die Ne- 
krose der Hornhautlamellen keine vollständige war und diese sich nach 
einiger Zeit wieder erholen können — wie wir dies im FallI, in dem 
nach einem Monat, nach erfolgter Erkrankung, die Hornhautkörper- 
chen wieder gut gefärbt sind, gesehen haben. 

Man wird wohl verschiedene Grade der Nekrose der Hornhaut 
unterscheiden müssen, eine Tatsache, auf die anch bereits Fuchs (4) auf- 
merksam gemacht hat. Wir nehmen im allgemeinen au, dass histologisch 
bereits dann Nekrose vorhanden ist, wenn sich die Hornhautkörper- 
chen nieht färben lassen — und es dürfte dies ein Vorstadium des 
vollständigen Zerfalls der Hormhautlamellen sein. Ob aber damit auch 
gesagt ist. dass die Hornhautlamellen und ihre Kerne dann auch 
immer zerfallen müssen und sich nicht wieder erholen können, möchte 


Über deu Ringabscess der Cornea. 331 


ich naeh dem Befunde im Fall I nicht so sicher annehmen. Denn ich 
glaube, dass man in diesem Fall, falls man den Bulbus gleich nach 
dem Entstehen des Ringabscesses untersucht hätte, gewiss gefunden 
hätte, dass die hintersten Hornhautpartien nicht gut gefärbt waren 
und dass damals die Cornea den Bildern im Falle II und in den 
von Fuchs (4) beschriebenen Fällen, die alle bald nach Entstehen 
des Ringabscesses enucleiert worden waren, ähnlich gewesen wäre. 
Anderseits kann aber eine so geringe Schädigung des Gewebes der 
Hornhaut erfolgen, dass sie histologisch als Nichtfärbbarkeit der Horn- 
hautkörperchen nicht sichtbar ist, und die doch vorhanden sein muss, 
da sie ja zur Entstehung eines Ringinfiltrates führt, welches wir ja 
als Demarkationszone zwischen dem gesunden und kranken Gewebe 
aufzufassen gewohnt sind. Dies sehen wir in den zwei Fällen von 
Melanosarkom der Chorioidea mit Ringabscess, die Fuchs (4) am Schluss 
seiner Arbeit erwähnt, und dies erkennen wir auch im Fall III, in 
dem das von Ringintiltrat begrenzte Gebiet viel grösser ist als die 
ungefürbte Partie in der Nähe der Wunde. Das Infiltrat der De- 
markationszone macht, wie wir dies bei allen vollständigen Nekrosen 
der Cornea sehen, an der nekrotischen Partie Halt — dringt nicht in 
dieselbe ein. Ist jedoch die Schädigung keine vollständige, so ist auch 
die Grenze zwischen dem nekrotischen Teil und der Infiltrationszone 
nicht scharf und man sieht die Exsudatzellen weit eindringen zwischen 
die leicht nekrotischen Hornhautlamellen (Fall TIT). Aus diesen Ex- 
sudatzellen dürften dann die Narbenzüge entstehen, welche wir im 
Fall I zwischen den Hornhautlamellen gefunden haben. 

Ich habe bereits die zwei von Fuchs(4) erwähnten Fälle von 
Melanosarkom angeführt, m denen ein Ringinfiltrat vorhanden war, 
olıne dass man aber eine sichtbare Nekrose der hinteren Hornhaut- 
partien vorfand. Ich will nun zum Schluss einen Fall von Melano- 
sarkom der Chorioidea mit Ringabseess hier anführen, in dem auch 
sichtbare Nekrose der Hornhaut zu finden war. 


Fall VII. M. R, 74 Jahre alt, ist seit einem Jahre augenkrank. 
Das Sehvermögen des rechten Auges nahm langsam ab —- seit einiger 
Zeit bestehen auch Sehmerzen. 

Status praesens: R. A. Odem der Lider, Chemosis, Exophthalmus 
von 2—3 mm. Die Cornea ist oberflächlich matt und zeigt im äusseren 
unteren Quadranten einen Epithelverlust. Die ganze Cornea ist ditfus rauchig 
getrübt. In dieser diffusen Trübung verläuft eine ungefähr 2 mm breite, 
gelbgrau saturierte ringförmige, dem Limbus konzentrische 'Trübung, die oben 
am breitesten ist und vom Limbus durch eine selir wenig getrübte, nahezu 
normale Hornhautpartie getrennt ist. Von der Iris ist nur unten ein 


339 R. Tertsch 


schmaler Streifen zu erkennen. Aus der Pupille kommt ein graubrauner 
Reflex. Tension erhöht. Amaurose. 

Das histologische Bild (siehe Abbildung auf Taf. XII) war folgendes: 
Epithel der Hornhaut nur in den randständigen Partien erhalten. Bow- 
mansche Membran unverändert. In der Peripherie der Hornhant sielit man 
einen typischen, dem Limbus konzentrischen Infiltrationsring von 2—4 mm 
Breite. In diesem Infiltrationsring kann man an einzelnen Stellen deutlich 
einen vorderen und einen hinteren Infiltrationsring beobachten — an andern 
Stellen ist dieser Unterschied weniger ausgeprägt. Der vordere Ring 
hat die typische, mit der Spitze nach vorn und zentralwärts gerichtete Form. 
Besonders gut entwickelt ist der hintere Ring. Seine Form ist jedoch ver- 
schieden. Manchmal sind gerade die knapp vor der Descemetii liegenden 
Schichten am stärksten infiltriert, an andern Partien sind gerade diese Stellen 
am wenigsten beteiligt. In der Einwanderungszone ist das Infiltrat ausser- 
ordentlich dicht und scheint es an einzelnen Stellen bereits zur Einschmel- 
zung der Hornhautelemente gekommen zu sein. Die nun zentralwärts von 
diesem Infiltrationsring gelegenen Teile der Hornhaut zeigen namentlich in 
ihrem peripheren Teil eine ausgedehnte Nekrose, die oft die halbe Dicke 
der Hornhaut umfasst. Die Hornhautkörperchen sind in diesem Gebiet 
nicht zu erkennen. Im Zentrum ist diese ungefärbte Partie am schmälsten. 
Im Gegensatz davon sind die ausserhalb des Ringes liegenden Partien, die 
oberflächlichen und peripheren Teile der Cornea vollständig normal. 

Die Descemetii ist normal. Das Endothel fehlt vollständig. Ausser- 
dem findet man an dem Auge auch noch an vielen Stellen Nekrosen der 
Sklera und Uvea. Der Glaskörperraum wird von einem stark nekrotischen 
Chorioidealsarkom ausgefüllt. Bakterien wurden in den nach Gram und 
Löffler gefärbten Schnittpräparaten nicht gefunden. 


Das histologische Bild der Hornhautveränderung stimmt. vollständig 
mit der Beschreibung überein, die Fuchs(£) von dem durch Bakte- 
riengifte hervorgerufenen Ringabscess gegeben hat. Das Bild des 


eanzen Bulbus ist — besonders was die Nekrose der Sklera und 
Uvea anbelangt — dem Fall TT sehr ähnlich. 


Dieser Fall ist zuerst ein Beweis dafür. dass auch die von 
Fuchs(4) erwähnten zwei Fälle wirkliche Ringabseesse waren, nur dass 
die Schädigung der Hormhautlamellen so gering war, dass sie histolo- 
gisch nicht nachgewiesen werden konnte: weiter bietet er uns ein Bei- 
spiel dafür, dass nicht nur Gifte der verschiedensten Bakterien Ring- 
abscesse erzeugen können, sondern dass dieses Krankheitsbild auch 


dureh andere Gifte — hier dureh Toxine. die ans einem nekrotischen 
Melanosarkom gebildet wurden — hervorgerufen werden kann. Denn 


nicht die Art der Toxine, micht der Ort ihres Eindringens in den 
Dulbus ist. für die Entstehung des Ringabseesses in erster Linie mass- 
sebend. sondern vor allem. dass ste, ins Augeninnere gelangt. hier 


in stande sind, schwere Nekrosen und Entzündungen hervorzurufen, 


Über den Ringabscess der Cornea. 333 


in Verlauf welcher es auch zur Nekrose der hinteren Hornhaut- 
lamellen kommt. 


Wir haben also gefunden: 

1. Das von Fuchs aufgestellte histologische Bild des Ringabscesses 
— (die primäre Nekrose der hinteren Hornhautlamellen mit sekundärem 
Einwanderungsring ist nur eine Teilerscheinung einer schweren patho- 
logischen Veränderung, meist purulenten Entzündung — des Augen- 
inneren, bei der es nebst Nekrose der inneren Augenhäute, auch zur 
Nekrose der inneren Oberfläche der äussersten Bulbushülle, der Cornea 
und manchmal auch der Sklera kommt. 

2. Diese Nekrose, bzw. eitrige Entzündung kann durch verschie- 
dene Gifte hervorgerufen werden. Und zwar können diese Toxine 
nicht nur Bakteriengifte sein, sondern auch durch zerfallenes Gewebe 
(Tumoren) entstehen. 

3. Das klinische Bild des Ringinfiltrates stammt nicht in allen 
Fällen mit dem histologischen Bild des Ringabscesses überein, und 
kann sowohl beim Menschen, als insbesondere beim Tiere auch beim 
Ulcus serpens durch Ausbildung einer stärkeren ringförmigen Ein- 
wanderungszone ein klinisches Bild entstehen, das dem Ringabscess 
ähnlich ist. Doch ist auf jeden Fall das Ulcus serpens vom Ringabscess 
zu trennen, da ja das Ulcus serpens eine primäre, im Anfang wenigstens 
isolierte Erkrankung der Cornea ist, bei der das Auge in seiner Form 
sowohl, als auch in bezug auf sein Sehvermögen erhalten bleiben kann, 
während beim Ringabscess, als einer Teilerkrankung einer schweren, 
stets zerstörenden Erkrankung des ganzen Auges, dieses stets ver- 
loren ist. 

4. Es genügt für die klinische. Diagnose des Ringabscesses also 
nicht allein das Vorhandensein eines Ringinfiltrates, sondern es müssen 
stets auch Zeichen einer schweren pathologischen Veränderung (Ent- 
zundung, Tumor) des Augeninneren zu finden sein. 


Es erübrigt nur noch, meinem verehrten Chef und Lehrer Herrn 
Hofrat Fuchs meinen innigsten Dank für die Überlassung des Ma- 
terials und. die vielfache Unterstützung auszudrücken. 





Literaturverzeichnis. 
1: Axenfeld, Die Bakteriolorie in der Augenheilk. Jena 1907. 


2) — Über die eitrire metastische Ophthalmie, besonders ihre Ätiologie und 
prognostische Bedeutung. v. Graefe's Arch. f. Ophth. Bd. XL, 3. S. I. 
1594. 


à! Bietti, Panoftalmite e cheratoipopion da bacillo sottile. La clinica oculi- 
stica. VI. 1907. 


334 R. Tertsch, Über den Ringabscess der Cornea. 


4) Fuchs, Über Ringabscess der Hornhaut. v. Graefe’s Arch. f. Ophth. 
Bd. LVI, 1. S. 1. 1903. 
5) Gourfein, Le róle du bacillus subtilis dans les affections oculaires. X. Con- 
grés intern. d'Opht. Luzern 1904. S. 10. 
6) Hanke, Ein bisher unbekannter Bacillus der Erreger des typischen Ring- 
abscesses der Cornea. Zeitschr. f. Augenheilk. Bd. X, 5. S. 373. 1903. 
1)Happe, Über den Ringabscess der Cornea. Ophth. Ges. in Heidelberg. 
1907. S. 313. 
8) Kayser, Ein Beitrag zur Frage der Pathogenitit des Bacillus subtilis. 
Zentralbl. f. Bakt. Bd. XXXIII, 4. S. 241. 1903. 
9) Mac Nab, Bemerkungen zum Vorkommen des Bacillus pyocyaneus am 
Auge. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. Bd. XLIII, 2. S. 542. 1905. 
10) Makai, Bakteriologische Befunde bei akuten Bindehauterkrankungen an der 
Hand von 100 Füllen. Arch. f. Augenheilk. Bd. LVIII. S. 131. 190%. 
11) Michalsky, Ein dem Bacillus subtilis áhnlicher Conjunctivitis- Bacillus. 
Rouski Wratsch. Nr. 34. 1909. 

12) Morax, L'abscés annulaire de la cornée et sa signification, Annal. d'Oculist. 
T. CXXXII. p. 409. 

13) Stoewer, Ein Fall von Ringabscess der Hornhaut. Klin. Monatsbl. f. 
Augenheilk. Bd. XLV, 3. S. 372. 1907. 

14) Zur Nedden, Über einige seltene bakteriologische Befunde beim Ulcus 
serpens. Arch. f. Augenheilk. Bd. LII. S. 143. 1905. 


Erklärung der Abbildungen auf Taf. XII, Fig. 1 u. 2. 


Fig. 1. (8fache Vergrösserung.) Vertikaler Durchschnitt durch den Bulbus 
des Falles VII. (Tu = nekrotischer Tumor, der den Glaskörperraum erfüllt. 
Ki = Rınginfiltration in der Hornhaut.) 


Fig. 2. (17fache Vergrösserung.) Hornhaut des Falles VII mit Ringabscess. 
(Ne = nekrotische, hinterste Lamellen der Hornhaut.) 


Aus der Universitüts-Augenklinik zu Greifswald. (Direktor: Prof. P. Römer.) 


Zur Frage der primären Sehnervengeschwäülste. 


Von 
Privatdozent Dr. Walther Löhlein, 


Assistenten der Klinik. 


Mit Taf. XIII, Fig. 1. 


Die Beurteilung der primären Tumoren des Nervus opticus hat 
verschiedentliche Wandlungen durchgemacht, und wenn ich auch unter 
Hinweis auf die zusammenfassenden Besprechungen der älteren Lite- 
ratur bei Braunschweig, Jocqs, Salzmann, Helbron u. A. auf 
deren Ergebnisse im einzelnen nicht einzugehen brauche, so sind wohl 
doch ein paar Worte darüber am Platze, wie sich unsere heutigen 
Anschauungen von der Natur dieser seltenen Geschwülste entwickelt 
haben. 

Bei der für die überwiegende Mehrzahl der beschriebenen Tu- 
moren geradezu charakteristischen Vielgestaltigkeit des histologischen 
Befundes in ein und demselben Fall, die von den meisten Beobach- 
tern betont wird, hat es nichts auffallendes, dass der subjektiven Auf- 
fassung im Einzelfall bei der Diagnosenstellung ein weiter Spielraum 
gelassen war, und dass infolgedessen in der älteren Literatur eine ver- 
wirrende Vielheit der Namen herrscht, die es von vornherein unwahr- 
scheinlich macht, dass es sich um ebensoviele selbständige Geschwulst- 
gattungen gehandelt haben sollte. 

Einen erheblichen Schritt vorwärts bedeutete es unter diesen 
Umständen, als sich Vossius, Braunschweig, Salzmann, Jocqs. 
Byers u. A. der Mühe unterzogen, das vorliegende Material kritisch zu 
sichten; das Vorkommen echter Neurome wurde verneint, die Berech- 
tigung der Bezeichnung Gliom für die meisten Fälle in Zweifel ge- 
zogen, da man die sehr oft beobachtete Wucherung der Neuroglia 
als sekundär betrachtete, und die anfänglich vielfach überschützte 
diagnostische Verwertung des Vorkommens von Schleim oder schleim- 
ähnlicher Substanz in den Geschwülsten beseitigt. Das Resultat war 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 2. 22 


336 W. Löhlein 


eine sehr vereinfachte Klassifizierung der am Optikus vorkommenden 
primären, d. h. intradural entstandenen Geschwülste, wie sie z. B. 
Braunschweig(1893) gibt: „Sämtliche Schnervengeschwülste gehören 
zu den bindegewebigen Neubildungen.... Nach den konstituierenden 
Bestandteilen lassen sich zwei Gruppen unterscheiden, von denen die 
kleinere die Geschwülste endothelialer Natur enthält, während in die 
weit umfangreichere alle diejenigen Tumoren fallen, welche als My- 
xome, Myxosarkome, Neurogliasarkome, Fibrosarkome, Myxoma fas- 
ciculare usw. beschrieben sind.* 

In der Tat sind die in der Folge mitgeteilten Fälle, abgesehen 
von den seltenen Endotheliomen, meist als Myxosarkome bezeichnet 
worden, und auch die Monographien über die pathologische Anatomie 
des Auges von Ginsberg (1903), Herbert Parsons (1905) und Greeff 
(1902—06) vertreten im wesentlichen diese Auffassung von der Natur 
der Optikustumoren, indem sie das Vorkommen echter primärer glio- 
matöser Veränderung bezweifeln. 

Die Mitteilung weiterer Einzelbefunde würde unter diesen Um- 
ständen wenig Interesse bieten, wenn nicht die Literatur der letzten 
‚Jahre gezeigt hätte, dass diese bisherige Auffassung von der Natur 
der Sehnervengeschwülste durchaus nicht mit allen Befunden in Ein- 
klang zu bringen ist und offenbar der Revision bedarf. 

Sehen wir ganz ab von den kasuistischen Mitteilungen der letzten 
Zeit, die uns in diesem Zusammenhange nicht interessieren und die 
darum nur kurz aufgeführt werden mögen (1902: Buller, Fibrom 
des Sehnervenstammes; Pick, Myxosarkom. 1903: Pockley, Rund- 
zellensarkom der Scheiden; Werner, Sarkom der Pia und Myxosar- 
kom. 1904: Franke und Delbanco, Fibroendotheliom der Scheiden; 
Dehogues, Neurom. 1905: Mavou, Neurofibromatose; Santucci, 
Endotheliom; Tschristjäkow, Glioma myxomatodes; Helbron, ein 
Endotheliom, zwei Spindelzellensarkome der Scheiden, zwei Sarkome 
der Sehnerven; Duroux et Grandelement, Gliom. 1907: Ssi- 
tschew, Fibromelanosarkoma globocellulare: Mysling, Myxosarkoım; 
de Vries, Endotheliom), so sind es im wesentlichen die Arbeiten von 
Emanuel, Golowin und Fischer, die ein alleemeineres Interesse 
für sich in Anspruch nehmen können. insofern sie in histologischer 
und ätiologischer Beziehung neue Gresichtspunkte aufstellen. 

Auf den genügend bekannten Versuch Emanuels, die primären 
Geschwälste mit der Elephantiasis neuromatodes der peripheren Ner- 
ven in Parallele zu setzen, brauche ich hier nicht einzugehen, auch 
Golowins Auflassung von der Natur der Optikustumoren, die mit 


Zur Frage der primären Sehnervengeschwülste. 337 


derjenigen Emanuels in einen gewissen Zusammenhang gebracht wer- 
den kann, sei nur kurz erwähnt: Golowin fand bei der histologischen 
Untersuchung dreier Optikusgeschwülste ein durchaus polymorphes Ge- 
webe, Odem und starke Entzündung überall im engsten Zusammen- 
hang mit den neugebildeten Zellen. Dieser Befund und die Tatsache, 
dass Optikustumoren oft im Anschluss an Traumen und Allgemein- 
erkrankungen beobachtet werden, führen Golowin zu der Annahme, 
dass es sich um ähnliche Fälle handelt, wie sie Emanuel u. A. be- 
schrieben haben, um eine Elephantiasis oder Fibromatosis nervi optici. 
Die Pathogenese denkt Golowin sich folgendermassen: Irgendeine 
Schädlichkeit (Bakterien, Toxine) kommt intradural zur Wirkung; es 
folgt Entzündung, Verklebung der Scheiden, Ernährungsstörungen, 
Ödem, Hyperplasie aller Gewebsarten. 

Geht schon aus diesen abweichenden Auffassungen hervor, dass 
die Frage nach der Natur der Optikusgeschwülste zurzeit durchaus 
noch nicht als geklärt bezeichnet werden kann, so sind eingehende 
Untersuchungen jedes Einzelfalles neuerdings besonders dadurch wün- 
schenswert geworden, dass es Emanuel (1902) in zwei Fällen, Sour- 
dille (1904) und Fischer (1908) in je einem Fall gelungen ist, mit 
Hilfe der spezifischen Neurogliafärbungen den Nachweis zu führen, 
dass es im Gegensatze zu der herrschenden Ansicht, echte primäre 
gliomatóse Entartung des Sehnerven unter dem Bilde des primären 
Optikustumors gibt, und die Ausführungen Fischers lassen es nicht 
unwahrscheinlich erscheinen, dass auch unter den früher schon ge- 
legentlich als Gliom bezeichneten , Tumoren, vielleicht auch unter den 
sog. Myxosarkomen älterer Autoren echte Gliome gewesen sind. 

Unter diesen Umständen gewinnt ein Fall gliomatöser Entartung 
des Optikus an Interesse, der im Sommer 1908 an der hiesigen Kli- 
nik nach Krönlein operiert wurde und dessen Beschreibung ich hier 
zunächst folgen lasse. 


Krankengeschichte. 
Karl B., Tagelöhner, 35 Jahre alt. (J. 1908. 279.) 


Der Patient suchte im Juni 1908 die Klinik auf mit der Angabe, dass 
er auf dem rechten Auge allmählich völlig erblindet sei. 

Er stammt von gesunden Eltern und ist selbst nie ernstlich krank 
gewesen. Schon als Soldat — d. h. vor 13 Jahren sah er auf dem 
rechten Auge schlechter als links und hat daher links geschossen. Das 
Sehvermögen des rechten Auges nahm allmählich immer mehr ab und ist 
seit etwa acht Jahren fast ganz erloschen gewesen. Jetzt bestelit Blindheit. 

Seit zwei Jahren hat B. bemerkt, dass sein rechtes Auge langsam 
immer mehr aus der Augenliöhle vortrat; die dadurch bedingten Reizzustände 

99* 





33S W. Löhlein 


führen den Patienten in die Klinik. Eines Anlasses für die Erblindung, 
speziell eines Unfalles kann er sich nicht erinnern. 

Befund: Kräftiger, gesunder Mann. 

Linkes Auge normal V — ^|. 

Rechtes Auge. Der Bulbus steht sehr stark nach vorne protrudiert 
und ist ganz leicht nach oben abgelenkt. Untersuchung mit Hertels 
Exophthalmometer ergibt, dass der Hornhautscheitel rechts 13 mm weiter 
vorsteht als links; das Auge kónnte mit Leichtigkeit aus der Orbita luxiert 
werden. Das völlig erblindete Auge ist nicht in Divergenz getreten; es 
zeigt sich aktiv und passiv nach allen Richtungen beweglich und folgt der 
Blickrichtung des linken Auges prompt. Passive Rückwärtsbewegung ist 
möglich und nicht schmerzhaft. Der Bulbus und seine Teile zeigen nor- 
male Grüssenverhültnisse. Der Orbitalrand erweist sich ringsum normal; 
umtastet man den Bulbus von unten her, so fühlt man 1!|,cm hinter dem 
unteren Orbitalrand eine weich konsistente, ziemlich glatt begrenzte, nicht 
fluktuierende Masse, die keinen Zusammenhang mit dem Orbitalboden er- 
kennen lässt. 

Die Lider können nur mühsam über dem Auge geschlossen werden. 
Mässige Injektion der Conj. bulbi. Cornea, Vorderkammer, Iris normal. Pu- 
pille weit, rund, reaktionslos. 

Ophthalmoskopisch: Absolute Atrophie des Optikus mit scharfen Pa- 
pillengrenzen; an den Gefässen, der Macula und Peripherie nichts ab- 
normes. 

Diagnose: Sehr langsam gewachsener retrobulbärer Tumor (Optikus- 
geschwulst?). 

24. VI. 08. Operation: Es wird unter temporärer Resektion der 
äusseren Orbitalwand nach Krönlein die Orbita freigelegt. Es findet sich 
ein etwa walnussgrosser, ziemlich glatt begrenzter Tumor, der mit seinem 
vorderen Ende nahe dem Bulbus aus dem Nervus opticus hervorragt und 
sich von den Seiten her überall glatt abtastbar in die Tiefe der Orbital- 
pyramide hineinerstreckt. An deren Spitze ist er nicht mehr zu umtasten 
und kann daher an seinem hinteren Ende nicht in toto entfernt werden; 
der Optikus wird dicht hinter dem Bulbus durchtrennt. Der Augapfel 
bleibt erhalten; auf die Musculi recti konnte bei der Ausdehnung und 
tiefen Lage des Tumors nicht Rücksicht genommen werden. Tampon. Nähte. 

30. VI. Nähte zum Teil entfernt. Tampon sauber. Keine Temp.- 
Steigerung. Cornea anästhetisch, sonst intakt. Aktive Bewegungen des 
Bulbus fast aufgehoben. 

3. VII. T. n. Der Bulbus ist etwas zurückgesunken, steht gerade- 
aus gerichtet; nur leichte Hebung möglich. Lidhebung gering, Lidschluss 
prompt. Cornea unverändert. Die Netzhautgefässe erscheinen als unter- 
brochene rote Linien. 

11. VII. Wunde sauber geschlossen. Noch geringes Ödem der Lider, 
aus dem sich woll die relative Ptosis erklärt (Lidspalte nicht über 5 mm). 
Entlassen. 

1. Nachuntersuchung: !!, Jahr nach der Operation, 

Keine Zeichen eines Rezidives. Gutes Allgemeinbefinden. Auf der 
Seite der Operation besteht geringer Enophthalmus; Lidschluss und Hebung 


Zur Frage der primáren Sehnervengeschwülste. 339 


des Oberlides sind herabgesetzt. Von Bulbusbewegungen ist nur eine ge- 
ringe Hebung erhalten. T. n. Conj. bulbi injiziert; Conj. bulbi teilweise, 
Cornea in toto anästhetisch. Auf der im übrigen klaren Hornhaut liegen 
im Lidspaltenbereich 3 kleine, leicht graubraun erscheinende, sehr ober- 
flächliche Trübungen. 

Die Umgebung der Papille erscheint grauweiss gefleckt, die Netzhaut- 
gefässe sind nur an wenigen Stellen noch zu erkennen. 

2. Nachuntersuchung: 1 Jahr nach der Operation. 

Keine Zeichen eines Rezidives oder einer Metastase.  Operationsnarbe 
kaum mehr zu erkennen. Lidschluss und Lidhebung auch jetzt noch un- 
vollkommen. Von Bulbusbewegungen besteht geringe Aufwärts- und Ab- 
wärtsbewegung. Bindehaut und Hornhaut unverändert, die leichten Trü- 
bungen der letzteren im Lidspaltenbereich sind unter geringer Gefässentwick- 
lung eher etwas zurückgegangen. Sonst der alte Befund. 

Mit Rücksicht auf die geringe Zahl sicher gestellter gleichartiger Fälle 
ist es kaum angängig, klinische Daten eines Einzelfalles zu verallgemeinern. 
Vor allem möchte ich aus der Tatsache, dass trotz unreiner Exstirpation 
der Geschwulst nach einem Jahre noch keinerlei Anzeichen neuen Wachs 
tums zu bemerken sind, nicht auf eine besondere Gutartigkeit schliessen. 
Denn bekanntermassen kann eine gliomatöse Wucherung im Gehirn — an 
ein solches Fortwuchern wäre ja in erster Linie zu denken — lange Zeit 
fast symptomlos bleiben; und an die Gefahr dieser Propagation hat der 
dem meinen ähnliche Fall M. K. von Emanuel kürzllich wieder erinnert, 
der 4 Jahre nach der unreinen Entfernung eines intrapialen Optikusglioms 
unter den Symptomen einer Ausbreitung des Prozesses auf die intracraniellen 
Teile der Sehbahn zum Exitus kam. 


Anatomischer Befund. 


Der Tumor war etwa walnussgross, von ziemlich glatter Oberfläche 
und in situ von der Gestalt einer Pflaume; die Konsistenz war weich 
elastisch, nicht fluktuierend. Die entfernte Geschwulstmasse stellt nicht den 
ganzen Tumor dar, da dieser an der Spitze der Orbita quer durchtrennt 
werden musste; sie zeigt — wie das meist beschrieben ist — infolgedessen 
mehr birnfórmige Gestalt. Den Stiel bildet ein etwa 8 mm langes Stück 
des Optikus dicht hinter seinem Eintritt in den Bulbus, das ungefiühr die 
normale Stärke zeigt. Aus ihm entwickelt sich allmählich, an Dicke zu- 
nehmend, die Geschwulst, die etwa 2cm lang ist und deren hinterer Quer- 
schnitt einen Durchmesser von 2!| em hat. Dieser — operativ erzeugte 
— Querschnitt lässt erkennen, dass der eigentliche Tumor von einer un- 
unterbrochenen, von der Geschwulst sich leicht ablösenden dünnen Hülle — 
der Dura — umgeben ist; der Geschwulstquerschnitt lässt eine bandförmige 
äussere Zone von 7 mm Breite und graubräunlicher Färbung unterscheiden 
von einem sequesterartig im Innern dieses Geschwulsttrichters liegenden 
Kern, der einen Durchmesser von 10—12 mm hat, mit der die Wandung 
bildenden Geschwulstmasse nur durch schmale Gewebsbrücken verbunden 
ist und sich von ihr ausserdem durch seine körnigslasige Beschaffenheit 
und seinen Reichtum an Blut und Blutpigment abhebt. 

Fixierung in Zenkerscher Flüssigkeit; Einbettung in Celloidin. Das 


340 W. Lóhlein 


Präparat wurde sagittal halbiert und so einerseits Längsschnitte, andeıseits 
halbe Querschnitte aus den verschiedenen Teilen erhalten. 

Die Lupenuntersuchung (vgl. die Abbildung auf Taf. XIII) an 
Längs- und Querschnitten zeigt, dass — abgesehen von der operativen 
Durchtrennung am hinteren Ende der Geschwulst — der Tumor überall von 
der unverändert erscheinenden Dura des Optikus umhüllt ist, die normale 
Dicke zeigt, mit dem Tumor nicht verwachsen scheint und stellenweise 
durch kleine Blutungen sogar etwas von ihm abgehoben ist. Das den Stiel 
der Geschwulst bildende Sehnervenstück ist von normaler Dicke und zeigt 
nahe der Stelle, wo der Nerv beginnt in die Geschwulst überzugehen, Durch- 
schnitte der Zentralgefüsse. Die eigentliche Tumormasse liegt fast aus- 
schliesslich intrapial; die Arachnoidea und Pia sind zwar etwas breiter als 
normal, doch tritt ihre Veränderung völlig in den Hintergrund gegenüber 
der enormen Anschwellung, die der Nerv selbst erfahren hat. Dieser be- 
ginnt etwa 1cm hinter dem Bulbus sich gleichmässig birnförmig zu ver- 
breitern und bildet so die Geschwulst, die sich auf dem Längsschnitt in 
Farbe und Konsistenz nicht von dem den Stiel bildenden Sehnervenstück 
unterscheidet. Nachdem der Durchmesser das 4—5fache desjenigen eines 
normalen Optikus erreicht hat, nimmt die Geschwulst nach hinten zu 
Trichterform an, indem sich in ihrem Zentrum eine Höhle zeigt, die von 
einer nekrotischen, sequesterartigen Masse von der Grösse einer Kirsche 
ausgefüllt wird. (Vgl. die Abbildung.) 


Mikroskopischer Befund. 


Bei der Besprechung der mikroskopischen Untersuchung wird es sich 
empfehlen, jeweils von dem mit dem Tumor entfernten Sehnervenstück, als 
dem relativ normalsten Teile des Präparates auszugehen. 

1. Dura. Die Dura ist auf allen Querschnitten vom Tumor nicht 
durchbrochen; sie liegt dem in den Tumor übergehenden Sehnerven- 
stück ziemlich lose an, ist hier von normaler Dicke, verhältnismässig kern- 
arm und nur reich an Blutungen. Wo sie den Tumor überkleidet, verdünnt 
sie sich — besonders nach dessen dickster Stelle hin — erheblich, ist aber 
überall frei von Geschwulstelementen und auch von den Zellmassen des 
Intervaginalraumes deutlich abgrenzbar. 

2. Intervaginalraum. Der Zwischenscheidenraum zeigt — einerlei ob 
man ihn an dem noch als ziemlich unveränderter Sehnerv erkennbaren Stiel der 
Geschwulst oder an der Oberfläche des Tumors selbst untersucht — ein 
recht wechselndes Verhalten; auf weite Strecken hin erweist er sich als 
völlig normal, ein ziemlich schmaler Spalt, in dem die zarte Arachnoidea 
sich meist der Pia angelegt hat. Daneben sind vielfach Stellen zu finden, 
an denen eine deutliche Hyperplasie der Arachnoidea stattgefunden hat. 
Das bindegewebige Balkenwerk ist vermehrt und auch das Endothel ist 
zweifellos vielfach etwas gewuchert. Was die Vermehrung der Bindegewebs- 
brücken zwischen Pia und Arachnoidea anlangt, so mag dieselbe allerdings 
zum guten Teil auf die zahlreichen Blutungen zurückzuführen sein, die sich 
im Intervaginalraum finden und die offenbar vielfach das Gerüst der Arach- 
noidea aufzelockert und die einzelnen Fasern auseinander gesprengt haben. 
An andern Stellen hat man den Eindruck einer Auffaserung der äusseren 


Zur Frage der primären Sehnervengeschwülste. 341 


Schichten der Pia, teils durch Blutungen, die in gleicher Weise auch im 
Gewebe der Pia hier und da vorkommen, teils aber wohl auch durch eine 
Wucherung der Endothelien der Arachnoidea; eine solehe Wucherung muss 
angenommen werden, denn einmal findet man das vermehrte Gitterwerk 
der Arachnoidea überall mit Endothel versehen, und zweitens sieht man an 
einzelnen Stellen kleine Endothelhaufen mit Vorliebe der Arachnoidea der 
Dura angelagert. Die stärkste Verbreiterung des Intervaginalraumes liegt 
an einer Stelle, die etwa auch der dicksten Partie des Tumors entspricht. 
Sie beträgt etwa 1!|,mm; an dieser Stelle zeigt sich eine mehr schwielige 
Verdickung des arachnoidalen Bindegewebes in der Umgebung frischer und 
älterer (grosse Pigmenthaufen) Blutungen in den Zwischenscheidenraum; 
in dieser Partie besteht hyaline Degeneration der Gefässwände der Araclı- 
noidea, Nekrose des vermehrten Endothels und mässige Rundzelleninfil- 
tration. 

Diese am stärksten verdickte Partie des intervaginalen Gewebes zeigt 
auch eine erhebliche Auffaserung der pialen Bindegewebsfasern, besonders 
der äusseren cirkulär verlaufenden Fasern, die stellenweise ohne deutliche 
Grenze in das Gitterwerk der arachnoidalen Bälkchen übergehen und wie 
diese meist durch reichliche Blutaustritte auseinander gedrängt sind; doch 
erkennt man in den so entstehenden Maschen hier und da auch Endothel- 
zellen, meist nur in einfacher Lage, die dann oft nekrotisch, häufig ge- 
quollen erscheinen, oft auch Blutpigment aufgenommen haben, das überall im 
Zwischenscheidenraum, vielfach in grossen Haufen lieg. An dieser Stelle 
stärkster Wucherung im Scheidenraum zeigt die Pia auch die stärkste Ver- 
änderung, so dass man sie hier auf eine kurze Strecke eigentlich nur 
dureh ihren Verlauf von den benachbarten, etwa normal dieken Septen 
unterscheiden kann, denen sie an Breite kaum mehr gleichkommt. Man 
gewinnt dabei nieht den Eindruck, dass es sich um ein Hindurchwuchern 
des intervaginalen Gewebes in das Innere der Nerven handelt: Die Endo- 
thelien dringen nirgends als geschlossene Zellhaufen oder Zapfen durch das 
Bindegewebe der Pia. Vielmehr scheint dieses durch den Druck der intra- 
pialen Tumormasse einerseits, des gewucherten Scheidengewebes andeıseits 
verdünnt und teilweise im Absterben begriffen; dafür spricht die auf diese 
Stelle beschränkte hyaline Degeneration seiner Gefässwandungen und ihrer 
Umgebung. Auch die Anordnung des intrapialen Tumorgewebes, der kon- 
zentrisch ceirkuläre Verlauf der Septen im Tumor auch an dieser Stelle 
macht es sehr unwahrscheinlich, dass hier ein Hineinwachsen des hyper- 
plastischen Gewebes des Intervaginalraumes in das intrapiale Gebiet statt- 
gefunden haben sollte. 

Auf die zalılreichen Blutungen und die Anhäufung von Blutpigment 
im Zwischenscheidenraum wurde schon hingewiesen. Das Pigment liegt 
vielfach frei zwischen den Zellen, vielfach ist es von Rundzellen, stellen- 
weise auch von den Endothelien der Arachnoidea aufgenommen. In grosser 
Zahl finden sich im Zwischenscheidenraum Corpora amyloidea, die nie im 
pialen Gewebe, relativ selten zwischen den Bälkchen der Arachnoidea, 
meistens der Durainnenfläche benachbart liegen. Sie sind besonders zalıl- 
reich im Scheidenraum des Gesehwnlststieles, wo sie oft zu 3, auch 5 oder 
6 zusammen liegen. Sie sind von verschiedener Grösse, die kleineren er- 


342 W. Löhlein 


scheinen mehr rundlich, die grösseren lassen eine vieleckige oder wellige 
Oberfläche erkennen, sie sind glasig durchscheinend und zeigen, je grösser 
sie sind, desto deutlicher eine konzentrische Schichtung, meist um ein ho- 
mogen erscheinendes Zentrum, um das sich teils schmalere teils breitere 
Schichten oft in grosser Zahl anlegen. Häufig gehen die äussersten Schich- 
ten allmählich über in einige Lagen konzentrisch angeordneter Zellen, deren 
Kerne deutlich zu erkennen sind. Nach van Gieson färbt sich dieser 
äussere Zellmantel, der aber durchaus nicht immer nachweisbar ist, rot. 
Tinktoriell verhalten sich die Gebilde nicht ganz einheitlich; mit Jod färben 
sie sich gelb, nicht braun, bei Zusatz von Schwefelsäure nach der Jodie- 
rung nehmen sie keinen violetten Ton an, auch die Metachromasie bei 
Färbung mit Gentianaviolett bleibt aus; die Körperchen geben also nicht 
die Amyloidreaktionen und gehören zur Gruppe der Corpora flava (nach 
Siegerts Bezeichnungsweise). Bei der Färbung mit Hämatoxylin und bei 
der van Gieson-Methode verhalten sich die Gebilde — auch des gleichen 
Präparates — wechselnd, insofern nicht nur die einzelnen Zonen jedes ein- 
zelnen Körperchens sehr verschieden stark die Farbe annehmen, sondern 
auch die Farbe der verschiedenen Gebilde bei der Hämatoxylinfärbung zwischen 
hellblaubraun und dunkelbraun, bei der van Gieson-Methode zwischen 
gelbrosa und dunkelbraunrot schwankt. 

Bezüglich der Pia ist schon oben näher besprochen, dass neben er- 
heblichen Partien, wo dieselbe normal erscheint, Stellen vorkommen, an 
denen sie durch Einlagerung von Pigment, durch Blutaustritt, durch Kom- 
pression, durch Einwandern von Endothel aufgelockert und — vereinzelt — 
stark verdünnt erscheint. Es bleibt noch zu erwähnen, dass daneben auch 
mehrfach Partien in der Pia linsenfórmige Verdickungen aufweisen, die aus 
ziemlich kernarmem Bindegewebe bestehen und gegen das intrapiale Gewebe 
hin eine glatte Oberflüche zeigen (vgl. Fig. 1). Das Verhalten der Pia- 
Innenfläche zum Bindegewebe der Septen erscheint im übrigen normal. 
Eine Auffaserung oder Durchwucherung der Pia von innen her ist nicht 
nachweisbar. 

Das intrapiale Gewebe zeigt im Geschwulststiel bei schwacher 
Vergrösserung das ziemlich normale Bild des Sehnerven. Der Nerv er- 
scheint hier von etwa normalem Durchmesser, die Bindegewebssepten sind 
regulär angeordnet, scheinen an Zahl weder vermehrt noch vermindert, viel- 
leicht stellenweise etwas verdickt, aber kaum kernreicher alg gewöhnlich. 
Die Gefässe der Septen zeigen keine erheblichen Veränderungen, sind aber 
häufig von Rundzellenhaufen umgeben. Die Art. centr. ret. erscheint völlig 
normal. Zwischen dem Bindegewebe der Septen ist ebenso wie in den 
interseptalen Räumen sehr reichlich Blutpigment angehäuft. Die an den 
nachträglich chromierten Schnitten ausgeführte Weigertsche Markscheiden- 
färbung lässt nirgends erhaltene Markscheiden erkennen. Dieser totalen 
Degeneration der nervösen Elemente entspricht das häufige Vorkommen von 
INörnchenzellen sowie von den im atrophischen Sehnerven oft beobaslıteten 
amyloidähnlichen Körperehen in den Maschen zwischen den Septen. Diese 
Räume sind im übrigen ausgefüllt von einem dichten Filz von Gliafasern, 
in dem neben spärlichen Rundzellen die an einzelnen Stellen deutlich ver- 
melhrten Kerne der Gliazellen liegen. Diese Gliakerne stehen meist nicht 


Zur Frage der primáren Sehnervengeschwülste. 343 


besonders dicht an der Wand der bindegewebigen Septen, sondern dichter 
ın den zentralen Teilen der Maschenräume. 

Dieses atrophische periphere Sehnervenstück geht nun kurz hinter der 
Stelle, wo die Vasa centralia zuerst in den Schnitten zu sehen sind, ohne 
deutliche Abgrenzung in den eigentlichen Tumor über, der zunächst noch 
auf Querschnitten den Eindruck eines auf das vielfache verbreiterten, im 
Querschnitt ziemlich genau kreisrund bleibenden Sehnerven macht und keine 
Elemente enthält, die nicht auch schon in dem atrophischen Sehnervenstück 
vorhanden waren.  Querschnitte, die noch nahe dem Tumorstiel gelegen 
sind, lassen das Septennetz ziemlich unverändert erkennen, und an Längs- 
schnitten kann man diese Septen als direkte Fortsetzung derjenigen des 
Nerven deutlich verfolgen (s. Abb.). Eine Änderung erfolgt nur insofern, 
als die Septen in der Peripherie mehr eine konzentrische Anordnung er- 
halten und einander näher liegen als die zentralen, deren Maschenräume 
vielfach erweitert erscheinen. Die Septen selbst erscheinen eher dünner als 
im Nerv, ja nach der Mitte des Tumors zu bilden die zentral gelegenen 
Septen kein zusammenhängendes Netz mehr, sondern erscheinen auf dem 
Querschnitt oft als isolierte Bündel, deren Gefässe sehr starke hyaline De- 
generation erleiden. Diese hyalinen Massen und zahlreiche Blutungen und 
Pigmenthaufen beherrschen das Bild in den zentralen Partien des Tumors, 
in dessen Mitte die hochgradigen Ernährungsstörungen schliesslich zur Abgren- 
zung eines kleinkirschgrossen nekrotischen Kernes geführt haben, der se- 
questerartig im Innern des Tumors liegt und mit diesem nur noch an einem 
Teil seiner Peripherie verwachsen ist. Dieser nekrotische Kern des Tumors 
besteht im wesentlichen aus grossen homogenen Massen, in deren Mitte Ge- 
fässlumina der verschiedensten Weite gelegen sind. Die stellenweise kon- 
zentrische Anordnung um diese Lumina und die orangerote Farbe, die sie 
nach van Gieson annehmen, lassen sie als die Endprodukte der hyalinen 
Umwandlung erkennen, die in der Umgebung der Gefässe in den zentrale- 
ren Partien des Tumors überall zu beobachten war. Daneben enthält der 
nekrotische Kern Partien, die noch eine dichtfaserige Struktur bei fast völ- 
ligem Kernmangel erkennen lassen, sowie zahlreiche grosse und kleine 
Blutungen. 

Bei der geringen Stärke der bindegewebigen Septen muss die enorme 
Verbreiterung des Nervenquerschnittes, die den Tumor bildet, auf das in 
den Septenmaschen enthaltene Gewebe zurückgeführt werden. Der ganze 
Raum zwischen den Septen wird nun fast völlig ausgefüllt von dem ausser- 
ordentlich vermehrten dichten Faserwerk der Neuroglia, das einen weit 
über die Norm hinausgehenden Kernreichtum aufweist. Dieser dichte Glia- 
filz zeigt in den Längsschnitt-Präparaten eine der Richtung des Nerven ent- 
sprechende Anordnung zu Längsbalken entsprechend den Maschenräumen 
des Septennetzes. Vielfach sieht man solche Gliazüge durch schmale Hohl- 
räume getrennt, die wohl sicher zum Teil als artifiziell anzusehen sind und 
mit dem von Elschnig experimentell erwiesenen „Einbettungsödem“ der 
Sehnerven gleichwertig sein dürften. Deutlich sieht man zwischen den solche 
Lücken umgebenden Gliamassen zahlreiche Gliafasern herüber und hinüber 
laufen. Daneben finden sich allerdings auch vielfach lockerer gefügte Felder 
im Glianetz, die mit einer homogenen geronnenen, durch Eosin leicht rosa 


344 W, Löhlein 


‚gefärbten Masse ausgefüllt sind; hier muss man wohl echte ódematóse 
Durchtränkung infolge der Gefässveränderungen annehmen, zumal sich in- 
mitten dieser homogenen Masse oft Körnchenzellen und gelegentlich Rund- 
zellen finden. Nirgends liess sich in diesen Zwischenräumen Schleim naclı- 
weisen. Von erhaltenen Nervenfasern ist nichts zu finden. In sehr grosser 
Zahl finden sich dafür die typischen Körnchenzellen in ausserordentlich 
wechselnder Grösse, farblos oder bei van Gieson oft schwach orange- 
farben, meist mit einem kleinen runden, ziemlich dunkelgefärbten Kern, 
oft kernlos. Solche Körnchenzellen finden sich meist einzeln von einem 
dichten Netz von Gliafasern umgeben, öfters in kleinen Gruppen, Lücken 
im Gliafilz füllend oder gelegentlich auch in Reihen nebeneinander ge- 
lagert; daneben finden sich ferner die vielfach in atrophischen — ge- 
legentlich auch in normalen Sehnerven beschriebenen — Corpora amylacea 
in grosser Zahl meist in Gruppen zusammenstehend und dann von sehr 
verschiedener Grösse; sie ähneln in der Form den oben für den Inter- 
vaginalraum beschriebenen Gebilden, sind aber durchweg kleiner, zeigen 
oft gar keine, meist jedenfalls eine viel ärmere und undeutlichere 
Schichtung. Sie färben sich mit Jod gelb, mit Hämatoxylin dunkelblau, 
nach van Gieson braunviolett; sie zeigten keine Verkalkung (Probe mit 
Arg. nitr.. Sehr intensive Färbung der Körperchen erhielt ich mit der 
Weigertschen Fibrinfärbung. In den auf Blutpigment nach Perls und 
nach Quinke untersuchten Präparaten nahmen die Corp. amyl. sowohl des 
Scheidenraumes als des intrapialen Gewebes die blaue resp. schwarzgrüne 
Farbe an; sie scheinen also Blutfarbstoff absorbieren zu können. Die starke 
hyaline Degeneration der Gefässwände nach dem Zentrum des Tumors zu, 
die zahlreichen Blutaustritte und die reichliche Ablagerung von Blutpigment 
— die stärkste Anhäufung desselben findet sich ganz regelmässig in den 
periphersten Teilen des Tumors und im Zentrum des Geschwulststieles — 
wurden schon erwähnt. 

Etwas näher aber muss ich auf die gewucherte Glia zu sprechen 
kommen, die das eigentliche Tumorgewebe darstellt. Schon die Schnitt- 
präparate zeigten besonders deutlich bei Anwendung der van Giesonfärbung 
mit Weigertschem Eisenhämatoxylin, dass wir es mit einer enormen Ver- 
mehrung des Gliafaserfilzes und einer erheblichen Vermehrung der Kerne zu tun 
haben. Die Anordnung der vermehrten Kerne war eine ganz uncharakteristische. 
In den peripheren Partien macht es zwar stellenweise den Eindruck, 
als erfolge die Proliferation besonders in der Umgebung der bindegewebigen 
Septen, wie das in den Fällen von Michel und Emanuel beobachtet ist. 
Nach dem Zentrum zu dagegen, wo die Struktur überhaupt von der eines 
verbreiterten Selinerven durch die vielfachen Unterbrechungen der Septen 
immer mehr abweicht, lösen kernreichere und kernärmere Gliapartien in 
ganz unregelmässiger Weise einander ab. Gelegentlich hat man an einzelnen 
Stellen den Eindruck einer nestartigen Anhäufung der in ihrer Gestalt von 
der Norm nicht oder doch nur wenig abweichenden Kerne. Die Kerne des 
gewucherten Gliagewebes, die an Zahl stark vermehrt sind, liegen, wie er- 
wühnt, ziemlich unregelmässig zwischen dem Faserwerk verteilt, öfters zu 
kleinen diehteren Gruppen vereinigt. Sie sind teils rund und dann meist 
etwas stärker färbbar, meist aber oval, blass gefärbt mit stark hervor- 


Zur Frage der primüren Sehnervengeschwülste. 345 


tretenden Kernkörperchen. Sehr häufig ist ein Protoplasmasaum überhaupt 
nicht nachweisbar, oft jedoch ist ein Zelleib sichtbar, der dann meist nicht 
sehr gross, oft unregelmässig spindelig oder vieleckig ist und sich nur 
schwach färbt. Sehr häufig sah ich kleine sternförmige Zellen mit schmalem 
Protoplasmaleib und mehreren, meist ziemlich kurzen, krausen Fortsätzen, 
wie sie Leber u. A. in der gewucherten Glia atrophischer Sehnerven be- 
schrieben haben (Gr. Arch. 1868. Taf. VII). Grosse Sternzellen fanden 
sich nicht. 


Die Fasern des Gliafilzes, die sich nach van Gieson orange färben, sind 
bei dieser Färbung nur unscharf zu erkennen, während ihr Verlauf bei 
Weigerts Neurogliafärbung sehr deutlich wird; ich wandte Storchs Modi- 
fikation der Weigertschen Methode an und erhielt, wenn auch durchaus 
nicht gleichmässig, auf allen Präparaten trotz der wenig geeigneten Fixierung 
eine deutliche Färbung eines grossen Teiles der Fasern. Diese waren teils 
von normaler Gestalt und Dicke, teils in toto oder streckenweise verdickt, 
gelegentlich mit kolbigen Enden versehen. Korkzieherformen, wie ich sie in 
Zupfpräparaten ebenso wie andere gesehen hatte, konnte ich in den Neu- 
rogliaschnittpräparaten nicht erkennen. 


Epikrise. 

Wir haben es also hier mit einem ganz ähnlichen Fall von glio- 
matöser Degeneration des Optikus zu tun, wie sie Emanuel und 
Fischer mitgeteilt haben. Eine ziemlich kernreiche glióse Wuche- 
rung hat das Parenchym des Nerven ersetzt und unter Auseinander- 
drängung der bindegewebigen Septen eine walnussgrosse Geschwulst 
gebildet, von der wir nach den anamnestischen Daten annehmen müssen, 
dass sie schr langsam im Laufe vieler Jahre entstanden ist. Die Ge- 
schwulst ist aufgebaut aus einer Glia, die im Verlauf. der. Wuche- 
rung teilweise starke Abweichungen von ihrer normalen Struktur er- 
fahren hat — Deutlichwerden des Zellprotoplasmas, Verdickung, Kol- 
benbildung und Schlängelung der Fasern usw. —, Erscheinungen, die 
in ähnlicher Weise oft an den Hirngliomen sowie an der hyperpla- 
stischen Glia des Optikus beschrieben worden sind (Borst; Leber, 
Greeff, Fischer). Die Wucherung dieses Gewebes ist eine infil- 
trierende, insofern eine deutliche Abgrenzung derselben von dem durch 
den peripheren Schnervenrest gebildeten Geschwulststiel nicht möglich 
Ist. Was ferner die ausgedehnten Degenerationsvorgänge im Innern 
des Tumors, die von einer hyalinen Entartung der Gefässwände ihren 
Ausgang nahmen, betrifft und die dadurch bedingten Ernährungsstö- 
rungen, Blutungen und Transsudationen, so sind sie seit langem als 
charakteristische Vorgänge in den Gliomen des Zentralnervensystems 
bekannt. Der Tumor hat die Pia nicht durchbrochen, aber offenbar 


3106 W. Löhlein 


durch Druck und Dehnung verdünnt. Die Dura ist überall erhalten, 
auf der Höhe der Geschwulstbildung mässig verdünnt. Das Gewebe 
des Zwischenscheidenraums zeigt fleckweise müssige Proliferation so- 
wohl des Bindegewebes als 'des Endothels, die an die Bilder einer 
tleckweisen Perineuritis erinnert und als sekundär aufzufassen ist. 

Allenfalls wäre im Sinne der Golowinschen Theorie an die 
Möglichkeit zu denken, dass die geringe Wucherung im Intervaginal- 
raum und die Geschwulstbildung des Gliagewebes als Folgen einer 
gemeinsamen Noxe aufgefasst werden könnten; doch erscheint mir das 
an der Hand meiner Präparate und im Hinblick auf die gelegent- 
lichen Fälle von rein intrapialer Geschwulstbildung der Glia viel un- 
wahrscheinlicher. Auch war bei dem nicht unintelligenten Patienten 
kein anatomischer Anhaltspunkt für die im Sinne Golowins zu for- 
dernde primäre toxische oder bakterielle Schädigung zu finden. Die 
dritte Möglichkeit zur Erklärung gliöser Entartung bei gleichzeitiger 
Proliferation des intervaginalen Gewebes, auf die Birch-Hirschfeld 
hingewiesen hat, wäre die, dass man die Proliferation der Glia als 
Folgeerscheinung der intervaginalen Wrucherung auffasst. Ist dem 
schon entgegenzuhalten, dass bei einzelnen in der Literatur besproche- 
nen Fällen eine Geschwulstbildung im Scheidenraum vollständig ver- 
neint wird, so ist es weiterhin, worauf auch Fischer hinweist, mit 
dieser Auffassung schwer zu vereinigen, dass eine solche dureh Atro- 
phie des Parenchyms ausgelöste Gliawucherung derartige Dimensionen 
annehmen sollte, wie sie bei einzelnen der beschriebenen intrapialen 
Geschwülste vorhanden war. Wenigstens gilt es doch als die Regel, 
dass die Ersatzwucherung der Glia im atrophischen Sehnerven dessen 
Volum immer noch hinter dem des gesunden Sehnerven zuriick- 
bleiben lässt. In Fällen, wie der hier mitgeteilte, erscheint es doch 
sehr. unwahrscheinlich, dass eime nur stellenweise vorhandene, mässige 
Proliferation des intervaginalen Gewebes, das an der Stelle ihrer stärk- 
sten Intensität etwa 1—1! mm breit ist, eine intrapiale Gliawuche- 
rung veranlassen sollte, die den (Querschnitt des atrophischen Seh- 
nerven um mehr als das 20fache des Normalen vergrössert. 

Die Beurteilung derartiger Fälle von Optikustumoren ist eine 
sehr wechselnde gewesen. Zwar ist sehon in früherer Zeit mehrfach 
bei Optikustumoren die Diagnose eines Glioms ausgesprochen wor- 
den (v. Graefe, Goldzieher, Strawbridge, Schott-Mauthner, 
Straub, Rampoldi, Ruschhaupt), doch ist die Richtigkeit dieser 
Beurteilung der Fälle im allgemeinen angezweifelt worden (Greeff, 
Ginsberg, Parson), und auch wo die Diagnose Gliom sehr nahe 


Zur Frage der primüren Sehnervengeschwülste. 341 


e 


lag, hat man sich darauf beschränkt, sie als möglich zu erwähnen 
(Poncet, Pagenstecher) Erst die Untersuchungen, bei denen eine 
spezifische Neurogliafürbung Anwendung fand, haben das Vorkommen 
echter gliomatóser Degeneration des Sehnerven unter dem Bilde des 
primären Optikustumors sicher gestellt. Die Zahl dieser Mitteilungen 
ist aber noch eine sehr kleine; so viel ich sehe, liegen bisher nur die 
beiden von Emanuel (1902) mitgeteilten und von Sourdille (1904) 
und Fischer (1908) je ein Fall vor. 

In den beiden Fällen Emanuels handelt es sich um rein intra- 
piale Tumoren ohne Beteiligung des Intervaginalraumes, und Ema- 
nuel glaubt deshalb, als ein diagnostisches Kriterium für das Gliom 
des Optikus ein Freibleiben des Scheidenraumes von dem Wuche- 
rungsprozess fordern zu sollen. Dies Kriterium erscheint an sich 
wenig sicher, da man nur selten mit aller Bestimmtheit wird sagen 
können, ob keinerlei Proliferation des arachnoidalen Gewebes statt- 
gefunden hat; die etwas unbestimmte Form, in der dieser Punkt in 
mehreren Arbeiten besprochen wird (z. B. Ruschhaupt), lässt diese 
Schwierigkeit erkennen. Anderseits glaube ich aber auch, dass diese 
Auffassung durch den oben mitgeteilten Fall widerlegt wird. Der- 
selbe zeigt, dass sehr wohl eine sekundäre Proliferation im Inter- 
vaginalraum bei Gliom des Optikus vorkommen kann, ohne dass man 
ein Durchwuchern der Glia in den Scheidenraum vorauszusetzen braucht. 
Dazu kommt, dass durch Fischers Mitteilung ferner die Möglichkeit 
eines Durchbruchs wuchernder Optikus-Glia in den Intervaginalraum 
erbracht wurde, eine Tatsache, die mit neueren Erfahrungen über das 
Verhalten der Gliome des Zentralnervensystems in Einklang steht. 
Ein Mitbefallensein des Scheidenraunis kann also nach diesen Befun- 
den nicht mehr als Grund angesehen werden, von vornherein die glio- 
matöse Natur eines Optikustumors zu verneinen. 

In Anbetracht dieser Tatsache und im Hinblick auf die Schwierig- 
keit, ohne spezifische Färbungen die von der Norm so erheblich ab- 
weichenden Fasern und Zellen gewucherten Gliagewebes von den 
ähnlich variationsfähigen Elementen der Bindegewebsgeschwülste zu 
scheiden — auch in Zupfpräparaten —, erscheint die schon von 
Sourdille ausgesprochene Vermutung nicht unberechtigt, dass sich 
unter den früher als Myxosarkom, Fibromyxom, Myxoma faseiculare usw. 
beschriebenen Optikustumoren manche nicht erkannte Gliome befun- 
den haben. 


348 


1881. 
1902. 


1903. 
1904. 


1905. 
1908. 


W. Lóhlein, Zur Frage der primären Sehnervengeschwülste. 


Literaturverzeichnis. 
Die Literatur bis 1902 siehe bei Emanuel. 


Poncet. Arch. d’opht. Dec. 

Emanuel, Über die Beziehungen der Sehnervengeschwülste zur Elephan- 
tiasis neuromatodes und über Sehnervengliome. Arch. f. Ophth. 
Pagenstecher, Über Optikustumoren. Arch. f. Ophth. 

Greeff, Pathologische Anatomie des Auges (1902—1906). 

Borst, Geschwulstlehre. 

Ginsberg, Pathologische Histologie des Auges. 

Sourdille, Les tumeurs névrogliques adultes du nerf optique et de la 
rétine. Arch. d’opht. 

Parsons, Herbert, Pathology of the eye. 

Golowin, cit. nach Michels Jahresberichten. 

Fischer, Über gliomatöse Entartung der Optikusbahn. Arch. f. Augen- 
heilkunde. 


Aus der k. k. II. Univ.-Augenklinik des Hofrates Prof. E. Fuchs in Wien. 


Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der 
glaukomatösen Drucksteigerung. 


Von 
Dr. Richard Krämer, 


Sekundararzt. 


Der intraokulare Druck ist eine Funktion mehrerer Variabeln, 
von denen der Blutdruck eine um so grössere Bedeutung hat, als er 
die einzige, sozusagen aktive Komponente vorstellt, während alle übri- 
gen, wie Elastizität der Bulbuswand, Filtrationsfähigkeit des Kammer- 
winkels usw., als passive — Widerstände des Flüssigkeitswechsels — 
in Betracht kommen. Kein Wunder also, dass man dem Biutdruck 
erhöhtes Augenmerk zuwandte, sobald einmal die Tensionserhöhung 
des Bulbus als markantes Symptom des Glaukoms festgestellt war. 
Welcher Glaukomtheorie man sich auch anschliessen will, die Blut- 
druckverhältnisse wird keine bei ihren Erklärungsversuchen gänzlich 
vermissen können. 

Die Frage aber, wie Blutdruck und intraokularer Druck zusam- 
menhängen, ist trotz verschiedener Versuche ihrer Lösung kaum nähet 
gebracht. 

In neuester Zeit hat Wessely(11) eingehende Versuche ange- 
stellt und auf experimentellem Wege manometrisch in einwandfreier 
Weise nachgewiesen, dass selbst geringe Blutdruckschwankungen, wie 
sie durch Erschrecken des Versuchstieres bei unerwarteten Geräuschen 
entstehen, sofort auf das Auge übertragen werden und eine Erhöhung 
der parallel geschriebenen Kurve des intraokularen Drucks zur Folge 
hat. Ja selbst die physiologischen Schwankungen, bedingt durch Puls 
und Atmung, werden im Augendruck reproduziert [ Weber, Belarmi- 
noff u. A.; vgl. die Kurven bei Wessely (loc. cit]. Beim Auftreten 
von blutdrucksteigernden und herabsetzenden Momenten (Vagusdurch- 
schneidung — Vagusreizung) spiegeln sich im Experiment die Er- 
scheinungen im Augendruck wieder. Der Parallelismus der Blut- 


350 R. Krämer 


und Augendruckkurven erscheint somit zunächst in die Augen sprin- 
gend. — Und es lag nahe, auch beim Glaukom eine Erhöhung des 
Blutdruckes zu erwarten. 

Manche Erfahrung aus dem Bilde dieser rätselhaften Krankheit 
schien diese Ansicht zu stützen. Man denke nur an Glaukomanfälle. 
die nach Anstrengungen, nach Gemütserregungen auftreten; an das 
Zusammenfallen des Glaukoms mit andern Krankheiten, die mit er- 
höhtem Blutdruck einhergehen (Arteriosklerose, Nephritis, Arthritis). 
Es wird sich Gelegenheit ergeben, speziell auf diesen Punkt noch 
zurückzukommen. 

Leider bringt die klinische Erfahrung auch Gegengründe von 
genügendem Gewicht, dieses ganze System ins Wanken kommen zu 
lassen. Der schwerste Einwand bleibt immer der, dass der Blutdruck. 
ich meine zunächst immer nur allgemein den Druck im gesamten 
Gefásssystem, den ich an irgendeiner Arterie ablesen kann, ohne 
Rücksicht auf lokale Gefässverhältnisse des Auges, sich doch gleich- 
mässig im Druck beider Augen ausdrücken sollte, während die pro- 
dromalen Glaukomanfälle doch gewöhnlich einseitig sind, und grosse 
Zeiträume — Laqueur spricht selbst von 20 Jahren — zwischen der 
Erkrankung beider Augen liegen können. 

Es hat sich übrigens auch im Experiment schon gezeigt, dass 
der Parallelismus der Drücke nicht immer vorhanden sein müsse. So 
fand Wessely bei Applikation eines so eminent blutdrucksteigernden 
Mittels wie Adrenalin, die Resultate schwankend; er konnte drei ver- 
schiedene Typen aufstellen: 

1. vollständiger Parallelismus, 

2. Ansteigen des Blutdrucks — sofortige Senkung des Augen- 
drucks, 

3. zuerst Parallelismus, dann weiteres Steigen des Augendrucks 
bei schon sinkendem Blutdruck. 

(Typus 1 wurde schon früher von Kahn, Typus 2 von Hen- 
derson und Starling beobachtet.) 

Bei der Beurteilung unserer Frage kommt auch in Betracht, dass 
wir nach. neueren. Untersuchungen (Pilzecker und Leber, Uribe y 
Troncoso) wissen, dass sich das Auge in kurzer Zeit Xnderungen 
seines Inhaltes zu adaptieren weiss. Schon ältere Beobachter haben 
dafür Beispiele gebracht: schon Graefe hat angegeben, dass er wäh- 
vend der ausserordentlichen Blutdrucksenkung bei Cholerakranken keine 
Anderung der Tension des Auges fand. 


Aus dieser Anpassungstihigkeit des Auges ist wohl auch das 


Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 351 


Fehlschlagen der Versuche zur experimentellen Glaukomerzeugung 
zurückzuführen. Es liegt nicht im Rahmen dieser Arbeit, auf die 
zahlreichen Publikationen dieser Art einzugehen. Ich will in Kürze 
nur eine neuere Publikation erwähnen. 

Bartels(2) kam auf Grund zahlreicher anatomischer Unter- 
suchungen, zu dem Resultat, dass die meisten der übrigens nicht cha- 
rakteristischen und als Erklärung für das Zustandekommen des Glau- 
koms unzureichenden Gefüssalterationen im vorderen Bulbusabschnitt 
zu finden seien und hebt besonders die Veründerungen der vorderen 
Ciliararterien hervor; von diesem Befunde ausgehend, umschnürte er 
an Kaninchen und Hunden die Recti mit Fäden. Die sofort ein- 
setzende Drucksteigerung war enorm, bis 80mm Quecksilberdruck. 
Das Resume des uns interessierenden Teiles der Untersuchungen 
ist aber folgendes: drei Kaninchen von den fünf behandelten und 
länger beobachteten zeigten schon 5—7 Tage nach der Umschnürung 
Ulcerationen der Hornhaut; ein Kaninchen ging ein, bei einem sank 
der Druck spontan von 50 auf 10mm im Verlauf von 6 Tagen. 
Kontrolluntersuchungen an Hunden ergaben gleiche Resultate: d. h. 
wenn nicht Ulcerationen der Cornea auftraten, sank die Tension des 
Bulbus allmählich zur Norm herab. Bartels schützt sich a priori vor 
dem berechtigten Vorwurf, dass das von ihm experimentell erzeugte 
Krankheitsbild doch sicher kein Glaukom sei; er spricht auch nur 
von einem „Zustandsbild des Glaukoms“, und in der Tat sind die 
augenblicklichen klinischen Symptome denen des akuten Glaukom- 
anfalles sehr ähnlich. Das Wesen des Krankheitsbildes ist die durch 
die plötzliche Versperrung eines grösseren Teiles der Abflusswege be- 
dingte Cirkulationsstörung; wir haben gesehen, dass eine Frist von 
wenigen Tagen genügt, das Auge den geänderten Verhältnissen anzu- 
passen und den Druck zu regulieren. 

Dass umgekehrt rapides Sinken des intraokularen Druckes (ohne 
lokale Veränderungen) ohne Veränderung im Blutdruck stattfinden 
kann, beweist eine Beobachtung von Heine(4), der in einem Falle 
von Coma diabeticum den Druck im Auge auf — 3 sinken sah, wäh- 
rend der Blutdruck diese enorme Senkung durchaus nicht mitmachte. 

Die Adaptationsfühigkeit des intraokularen Druckes an Schwan- 
kungen des allgemeinen Blutdrucks ist sohin genügend festgelegt und 
man begreift, dass man sich nur mit grosser Skepsis an neue Unter- 
suchungen solcher Art an einer grösseren Zahl klinischer Fälle heran- 
wagen wird. 

Der direkte Anlass für mich, Untersuchungen in dieser Richtung 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 2. 23 


352 R. Krämer 


anzustellen, bzw. wieder aufzunehmen, war das Erscheinen der Arbeit 
von Heinrich Frenkel(3), deren Resultate mir der Nachprüfung wert 
erschienen. Frenkel hat die Studien wieder aufgenommen, die vor 
ihm von Terson und Campos, Bajardi u. A. angestellt worden 
waren. Aus diesen Arbeiten sei im folgenden nur soviel herausgehoben, 
als zum Vergleich mit meinen eigenen Resultaten nötig ist. 

= Terson und Campos (10) haben 30 Fälle von Glaukom ver- 
schiedener Art in den Bereich ihrer Betrachtungen gezogen. Ihre 
Resultate waren schwankend und laufen im Wesen darauf hinaus, 
dass hoher intraokularer Druck mit normalem Arteriendruck einher- 
gehen kann. Hervorgehoben muss dabei namentlich werden, dass die 
Autoren gerade in Fällen von akutem Glaukom den Gefässdruck nor- 
mal oder nur minimal erhöht fanden, während er in 8 von 15 sub- 
akuten Fällen beträchtlich erhöht war; ich glaube nicht, dass man 
aus dieser Tatsache einen Schluss zu ziehen berechtigt ist. Dass bei 
akutem Glaukom der Druck im Gefässsystem weniger hoch gefunden 
wurde als beim subakuten, scheint vielmehr gegen einen direkten 
Zusammenhang zu sprechen. 

Bajardi(1) dagegen hat in 65 Fällen ganz exorbitant hohe Werte 
gefunden, 56mal über 150 (Riva-Rocci). Bedauerlicher Weise sind 
keine Angaben über den sonstigen Befund gemacht; und doch sind 
Druckhöhen über 200 mm, die mehrmals vorkommen, gewiss selbst in 
Fällen von Nephritis nichts alltigliches. Gerade bei den jüngeren 
Patienten, von denen er eine grössere Anzahl anführt, wären genaue 
Angaben über den allgemeinen somatischen Status unerlässlich. Man 
muss sich wundern, dass Frenkel, dessen Resultate bei der gleichen 
Methode (Riva-Rocci, modifiziert von Laulanie) durchaus nicht mit 
denen Bajardis übereinstimmen, nicht darauf aufmerksam wurde. 
Bajardi legt übrigens den Hauptwert weniger auf den Durchschnitts- 
druck, als auf die Disposition der Patienten zu Druckschwankungen, 
die er durch physische und mechanische Momente erregt. Bajardi 
führt leider keine Kontrolluntersuchungen an, die er bei gleichaltrigen, 
nicht Glaukomatösen gemacht hätte. Er würde gewiss dieselben Er- 
scheinungen gefunden haben; das Gros seiner Patienten steht ja natür- 
lich auch in der zweiten Hälfte des Lebens und die Arteriosklerose 
ist eine so verbreitete Krankheit. dass man sie fast als den normalen 
(refüsszustand älterer Menschen bezeichnen muss. Dass aber beim 
Atherom der Gefässe der Druck ein sehr Jabiler ist und mehr als 
sonst von dem Zustand des Herzens und seiner Inanspruchnahme 
abhängt, Tat selbstverständlich, da die äqwlibrierende Funktion der 


Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 353 


Gefüsswánde mangelhaft ist. Ich muss also darauf verzichten, Ba- 
jardis Resultate, die so sehr von denen der andern Untersucher ver- 
schieden sind, zum Vergleich heranzuziehen. 

Frenkel (loc. cit) endlich hat 15 Glaukomfülle untersucht. Er 
fand den arteriellen Druck 14mal erhóht (eigentlich 13mal, denn 
Fall 11 mit Druck 180 ist ein Sekundärglaukom nach Iritis und ge- 
hört besser in die Tabelle der Kontrollen. Bei den Kontrollmes- 
sungen fanden sich bei den älteren Patienten — nur diese kommen 
in Betracht! — wohl auch einzelne hohe Werte (einmal sogar 192), 
aber der Durchschnitt stellt sich niedriger als bei Glaukomatösen. 

Aus dem Vergleiche der Resultate der genannten Autoren ergibt 
sich, dass ein endgültiges Urteil in dieser Frage noch aussteht. Der 
Widerspruch in den Zahlen, die einerseits Bajardi, anderseits Ter- 
son und Campos fanden, ist aber gross genug, einen direkten oder 
auch nur indirekten Zusammenhang zwischen allgemeinem Blutdruck 
und Glaukomdruck wenig wahrscheinlich erscheinen zu lassen. 

Ich mache absichtlich einen Unterschied zwischen direktem und 
indirektem Zusammenhang und will diese Gelegenheit nicht vorüber- 
gehen lassen, ohne auf diesen Unterschied nachdrücklich hinzuweisen 
und damit gleichzeitig sozusagen das Programm der folgenden Aus- 
führungen festzulegen. 

Den „direkten Zusammenhang“, wie er sich im Experiment zeigt, 
kann ich wohl in wenig Worten abtun; denn dass eine auch noch so 
hohe Blutsteigerung allein eine pathologische Tensionserhöhung be- 
wirken und erhalten kann, diese Behauptung würde jeder Internist 
sofort ablehnen; der Internist ist aber in dieser Frage der Kompe- 
tentere, denn er ist es, der die Fälle mit Gefässhochspannung und 
ohne Glaukom tagtäglich zu sehen Gelegenheit hat. Auch ich denke 
nicht daran, einen solchen Konnex konstruieren zu wollen. 

Wenn ich also schlechtweg von „Zusammenhang“ spreche, meine 
ich stets nur einen indirekten und denke mir einen solchen etwa in 
folgender Weise: Erstens könnte bei bestehender Disposition zu Glau- 
kom Blutdrucksteigerung einen Anfall auslösen oder bei evolviertem 
Anfall die Rückkehr zu normalen Spannungsverhältnissen verhindern. 
Der Unterschied gegenüber dem „direkten Zusammenhang“ läge also 
darin, dass die Spannungsvermehrung im Blutgefässsystem jetzt nicht 
das ausschliessliche Agens, sondern nur unterstützendes, auslösendes 
Moment ist. Diese Frage zu beantworten ist teilweise recht schwierig. 
Sie würde bedingen, Glaukomkranke wiederholt, im Anfall, im Beginn 
des Anfalls, im Intervall usf. zu untersuchen, das heisst im Interesse 

23* 


354 R. Krämer 


der Forschung und zu der Patienten Schaden die Operation hinaus- 
zuschieben. Die schon erwähnten Fälle von Glaukomausbruch nach 
Gemütserregungen und nach der Operation des ersten Auges würden 
wohl zunächst dafür zu sprechen scheinen. Aber kann es sich nicht 
ebensogut um eine nervöse Ursache handeln? Die postoperativen Glau- 
kome zumal treten doch durchaus nicht zu einer Zeit auf, wo die 
Erregung durch die Operation noch fortwirkt, sondern meist erst nach 
Tagen, wenn die Patienten sich längst über das Schicksal des erst- 
operierten Auges beruhigt haben und ihre Tage auch in völliger 
Körperruhe verbrachten. 

Dass die Rückkehr zur Norm durch den gesteigerten Blutdruck 
verhindert wird, diesen Teil der Frage kann man aber bestimmt ver- 
neinen (Wirkung der Miotica). 

Zweitens kónnte der Zusammenhang darin bestehen, dass durch 
die Blutdrucksteigerung die Disposition selbst vermehrt wird; dann 
müsste sich feststellen lassen, dass Glaukomkranke einen durchschnitt- 
lich hóheren Blutdruck haben als andere (vgl. die früheren Arbeiten), 
oder dass hoher Blutdruck mit durchschnittlich höherem Augendruck 
einhergeht. 

Nur mit solchen Untersuchungen sollen sich die folgenden Zeilen 
bescháftigen. 

Ehe ich nun meine eigenen Resultate anführe, móchte ich noch 
einge Worte über die Methode unserer Messungen anführen. Wir 
bedienten uns in allen Füllen einer Modifikation des Grürtnerschen 
Tonometers, die Tauber angegeben hat. 

An der Säule eines Gärtnerschen Tonomcters befindet sich ein 
kurzes Ansatzstück, das mit einer stark porösen Masse verstopft ist. 
Die Verdichtung der Luft im Fingerring und Manometer erfolgt 
durch eine kleine Verdichtungsluftpumpe in Spritzenform. Hört die 
Verdichtung auf, so strömt die eingepumpte Luft sehr langsam durch 
die Poren der Masse, welche das Seitenrohr verschliesst, aus und die 


neck T. 
RT Er er ee SE = ü E Y X SS IIR Seege Leg Seet e e 
re St 
l | o T | cel- 
Anamnese '7 =  Ausserer Befund Spieg 
e Er befund 
BS 





i 





| 





| 
| 


Seit 3 Jahren Anfälle L. j Hornhaut etwas matt, F lache totale 
von Kopfschmerzen . | Pupille erweitert, Excavation, 
u. Nebelsehen. Re- oul Eserin rasche Arterienpuls. 
genbogen ? Verengerung. 





Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 355 


Quecksilbersáule fállt; das Ausstrómen der Luft und damit das Sinken 
des Druckes kaun'sofort unterbrochen werden, wenn man das Seiten- 
rohr mit dem Finger zuhält. Die Vorteile dieses Apparates gegen- 
über dem Gärtners liegen neben der Handlichkeit in der geringeren 
Zahl der Gummibestandteile, welche bei längerem Gebrauch oft schad- 
haft und undicht werden. 

Die Patienten wurden der Messung unterzogen, während sie für 
die Operation vorbereitet wurden. Es ist nicht unwichtig, auf diesen 
Zeitpunkt besonders hinzuweisen. 

Zweifellos befanden sich die Patienten darum in einem Stadium 
gewisser Erregung, welche die Druckwerte ein wenig beeinflusst und 
höher erscheinen lässt. Diesen Einwurf kann ich nicht zurückweisen; 
zu bedenken ist aber, dass Kranke fast immer aus dem psychischen 
Gleichgewicht kommen, sobald irgendeine Prozedur mit ihnen vor- 
genommen werden soll. Der Beobachtungsfehler wäre also zu jeder 
andern Zeit auch nicht ganz zu vermeiden. Der wirkliche Durch- 
schnittswert kann stets nur durch wiederholte Messungen gefunden 
werden, die ich, wie erwähnt, nicht anstellen konnte. 

Anderseits befanden sich die Patienten aber unter den gleichen 
Bedingungen der körperlichen Ruhe und wurden zur gleichen Tages- 
zeit untersucht, wodurch die physiologischen Druckschwankungen zu 
verschiedenen Tageszeiten ausgeschaltet erscheinen. 

In den folgenden Zeilen sind die Resultate der Blutdruckmessung 
bei 45 Glaukomfällen in einer Tabelle niedergelegt. Von der aus- 
führlichen Wiedergabe der Krankengeschichten habe ich Abstand ge- 
nommen; nur soviel ist daraus angeführt, als zur Begründung der 
Diagnose und der Art des Glaukomfalles nötig ist. In allen Fällen 
wurde auch auf den Zustand des Herzens, der Gefässe und des Harns 
geachtet. Wo nichts notiert ist, handelt es sich um normale oder 
nahezu normale Verhältnisse. 





Tabelle I. 
m m ases eai C RE EE E Ms x a = HB nn a Aem 
| z 
- e è i ‚ol o 
Ten Visus | Diagnose | Befund des zweiten Z E Anmerkung 

sion Auges Sr "EN 
| gl d ._. 

115, ? 


—— —— ` EE EK = x 
Ji GC | GI. chron. Normal, V = 9A. | 
) | 
| 
| 


| 





356 R. Krümer 










Spiegel- 


Anamnese Äusserer Befund 






Ein- oder 
doppels. 


2 |C. K., w.| 57 | Seit3 Jahren Farben- | R. 
ringe, Druckgefühl, 
Abnahme des Visus. 


Hornhautleicht matt, Fundus nor- 
Pupille weiter als l., | mal. 
Eserin wirkt prompt. 


und hintere Syne- | excaviert, 
chien.GemischteIn- | Haemorrha- 
jektion, Hornhaut | giae retinae. 


Kind, seit 8 Tagen 
konstant Nebelse- 
hen u. Farbenringe. 


3 |E. B., w. |58 | Seit einigen i R. | Normal; Pat.hat aber |Fundus nor- 
Nebelsehen, Regen- während der Beob- | mal. 
bogen, bes. abends. achtungeinen leich- 

ten Anfall mit Her- 
absetzung des Visus 
auf Di und T-. 

4 |N. S., w.| 50 | Seit 8 Wochen links | B. |L.: Hornhaut matt, |Totale glauk. 
Anfälle von Nebel- Iris leicht atroph., | Excavation, 
sehen, seit4 Wochen Pupille erweitert. | Halo. 
heftige linksseitige 

| Kopfschmerzen. 

5 |M. R., w.| 47 | Seit3 Jahren Erschei- Ciliarinjekt., Horn- |Fundus nor- 
nungen, die als ty- haut gestichelt, | mal. 
pische Anfälle an- Kammer f. aufgeho- 
gesprochen werden ben. Pupille weit. 
müssen. 

6 |B. L., w. |48 | Seit 3 Monaten (?) B. A. haben gleichen |Tiefe, totale 
Kopfschmerzen mit Befund. Mässige In- | Excavation. 
gleichzeit. Rötung jektion, Hornhaut 
der Augen. diffus trübe, Pupil- 

len starr. 
-7 |R. H., w. |50 | Entzündungen als Alte Maculae corneae |Papille nicht 
Auf Tropfen starke | rauchig trübe, Kam- 
| Kopfschmerzen. mer seicht, Pupille 
starr. 


Starke Injekt., Horn- |Excavation ? 
haut matt, Pupille 
weit, starr. 


8 | A. L., w. | 62 | Seit 8 Jahren anfalls- | R. 
weise Kopfschmer- 
zen mit Nebelsehen. 
Vor 1 Jahre schwe- 
rer, 6 Wochen dau- 
ernder Anfall. Seit 
1 Woche wieder ein 


Anfall. 
9 | A. S, w.| 11 Seit 2 Jahren jeden | B. | L. Starke Injektion, Totale glauk. 
Abend Kopfschmer- Hornhaut matt, trü- Excavation. 


be, Kammer fast auf- 
gehoben. | 





zen, seit 10 Mona- 

ten ist das r. A. 

blind. Seit 9 Tagen | 

heft. Entzündungs- | 

| erscheinung. links, 
i 


i 


m = E 





Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 357 


Anmerkung 












—À 





Ten- 
sion 


Befund des zweiten 






Visus 


Puls 








+ je Gl. chron. | Normal, V = °®/,. |180| ? | Leichte Arterioskle- 
rose. Pat. hat wäh- 
rend der Untersu- 
chung einen leichten 
Anfall. Nach der 
Operation Bd. 150. 


n. wc Ge Normal, V — D, /|155| ? |Macht den Eindruck 
einer hypochondri- 
schen Hysterica. 


SR 910 a Normal, V — */.. 95| ? | Postoperativer Anfall 
7 Tage nach der am 2. Auge. 
Iridektomie rechts 
leichter Anfall, da- 
| | her auch hier Iri- | 
dektomie. 


| 
+2 | ®?? |Gl. subak. | Normal, V = fl, |110| ? grs dem Anfall Bd. 
100. 





ki" Fe |Gl chron. — 110, ? | Am linken Auge Prä- 
| v. d. A. cipitate. 
| 
+ Fgz. | Gl. acut. | Normal, V — 9A, !110| ? 
| in6m | 
| 
+ Fgz. |Gl. chron. | Alte Hornhautnarbe, | 100 | ? | Pat. erlitt vor der 





v. d. A. | mit akuten | sonst normal, V == 


Untersuchung einen 
Anfällen. “ans 


| 
| schweren  Collaps, 
| Temp. 84,3. Der 
| | Glaukomanfall un- 
beeinflusst. 


+3 | Fgz. |Gl. acut. |R.Gl. absolut. V== Q. | 100 
v.d.A. | 










Anamnese 


Als Kind oft augen- 
krank. Vor 8Jahren 
Nebelsehen,spontan 
gebessert. Vor ] Jah- 
re erstmals Entzün- 

dungserscheinung. 


Seit 1 Jahre Schmer- 
zen im Kopf u. Ab- 
nahme des Visus. 
KeineEntzündungs- 
erscheinungen. 





12 | A. S, w.|60 | Vor 4 Jahren Glau- 
komiridektomie 1. 
Seit !/, Jahre Nebel- 
sehen und Regen- 
bogenfarben, seit 
24h heft. Schmerz. 
13 |H. G., w.| 56 | Seit 2 Mon. Anfälle 
von Farbenringen; 
keineSchmerzen im 
Auge; Kopfschmer- 
zen seit langer Zeit. 
14 | B. A, w.| 60, Vor3Jahrenr.akuter 
Glaukomanfall ohne 
Prodrome; seither 
Ruhe, vor 3 Tagen 
Wiederholg. L. nur 
allmähl. Verfall der 
Sehschärfe. Momen- 
tan keine Beschw. 

15 |J. R., w. |73! Seit 1 Jahre Nebel- 
sehen; seit kurzer 
ZeitSchmerzenohne 
bestimmten Charak- 
ter. 

Vor 7 Mon. plötzlich 
einsetzender schwe- 
rer Glaukomanfallr. 
Vor 4 Mon. ein ühn- 
licher Anfall; seit- 
her hüufen sich die 
Attacken. 

Seit ?/, Jahren An- 
fälle von Obskura- 
tionen mit Regen- 
bogenfarben. Keine 
Schmerzen. 

18 | A. V.. w. ‚68 Vor 9 Jahren Glau- 

komiridektomie an 

beiden Augen. Seit 

| einigen Wochen 
neuerlich Erschei- 
nungen links. 


16 M. H,, w 68 


17 |A. P. ele 


| Ein- oder 
doppels. 


R. Krämer 


Äusserer Befund 





Befund beiderseits 
annähernd gleich, 
Mac. corn. Hornhaut 
matt,Kammerseicht, 
Pupille weit, starr. 


Befund beiderseits 
gleich: Bulbi blass, 
Erweiterung derCi- 
liargefässe, Horn- 
häute leicht matt, 
Pupillen erweitert. 
Düsterrote Injektion, 
Hornhaut sehr matt 
und trübe, seichte 

Kammer, Pupille 
stark erweitert. 


Bulbus blass, Horn- 
hautglänzend, Kam- 
mer nicht seichter, 
träge Pupillenreak- 
tion. 

R. Hornhaut leicht 
matt. L. Hornhaut 
glänzend. B. Kam- 
mer seicht, träge 
Reaktion der etwas 
erweiterten Pupille. 


Leichte düsterrote In- 
jektion, Hornhaut 
intensiv matt, Pu- 
pille weit u. starr. 


Starke Ciliarinjekt. 
Hornhaut sehr matt, 
diffus getrübt, Kam- 
mer sehr seicht,wei- 
te, starre Pupille. 


Die Augen äusserlich 
normal, seichte 
Kammern. 


Bulbus leicht ciliar 
gereizt, Hornhaut 
etwas matt, seichte 
Kammer regelrech- 
tes breites Colobom 
nach oben. 


Spiegel- 
befund 


Totale alak 

Excavation. 
L. Arterien- 
puls. 





R. flache, to- 
tale Excavat., 
Netzhautblu- 
tung. L. tiefe 
totale Exca- 
vation. 
Fundus nicht 
sichtbar. 


‚Totale mässig 


tiefe Excava- 
tion. 


B. Tot. glauk. 
Excavat. mit 
schmal. Halo. 


Fundus nicht 
sichtbar. 


Fundus nicht 
sichtbar. 


R. flache, aber 
deutl. glauk. 
Excavation; 
L. nur phy- 
siolog. 
FasttotaleEx- 
cavation. 


Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 359 





| 
I 










Befund des zweiten Anmerkung 


| Blutdruck 


= 
$ 
= 
| 
— 
& 
D 


» — 125| ? 


. acut. |Status post iridect. | 55! |104 | Geringe Rigidität d. 
antiglauc. V — Fgz. peripheren Gefässe, 
v. d. A. Pulswelle sehr nie- 

drig. 


. chron. Normal, V — */,.. |140 | 104 Gefüsse hart, Puls 
arhythmisch. 


7 — 155, 72| Hochgradige Arterio- 
| sklerose mit be- 
ginnender Myode- 

| generatio cordis. 


Aug 


» Normal, V $5 125| 96 | Pat. sehr erregt. Bei 





Catar. inc. einer spüteren Un- 
| tersuchung findet 
| man zahlr. Netz- 
| hautblutungen, 

» Normal, V = *,? |110| 9 | Nach Eserinwirkung 


wird die Hornhaut 
glänzend, V = Dia 
Papille nicht exca- 
viert. 
" SS 160 | 100 | Keine besonder. Ge- 
füsserscheinungen. 





ji Status post iridect. z 80 
antiglaucom. Opera- 
tionsnarbe cystisch. | 
y = y | 





| 
| | | 


360 R. Krämer 





mm 
e EN ———— m IT I II IT 


Name, 


Spiegel- 
eschlecht 


Du 
Q .. 
Nr. G > Anamnese Ausserer Befund befund 


Ein- oder 
doppels. 


19 | A. B, w. Das l. Auge ist seit 
13Mon.blind,wurde 
wegen beginnender 
Vergrösserung iri- 
dektomiert. Das r. 
Auge sieht nament- 
lich in der Nähe 
schlecht. 

20 | A. P., w. |35 | Pat. hat vor2Wochen 
zufällig bemerkt, 
dass sie links blind 
sei; sie glaubt sich 
an Prodromalsymp- 
tome erinnern zu 
können. 

21 | A. G., w.| 62| Seit 3 Mon. Anfälle 
v. Nebelsehen, vor- 
her angeblich schon 
Regenbogenfarben. 
Nie Schmerzen. 

22 | A. W., w.| 53 | Seit 1 Jahr Obskura- 
tionen, seit einigen 
Monaten zugleich 
linksseitige Kopf- 





R. | Das Auge ist äusser- |Totale, nicht 

lich normal. Typi- | sehr tiefe Ex- 
scher Langbau. |cavation. 

Myopie 9. Gesichts- 

feld enorm einge- 

schränkt. 





R. Äusserlich normal, |R. grosse, aber 
sehr seichte Kam- | noch nicht 
mer.L. Pericorneale | randständige. 
Ciliarinjekt., leicht | L. typische 
matte Hornhaut. glauk. Excav. 

m. Venenpuls. 


B. Starke Erweite- |B. Totale Ex- 
rung der Ciliarge- | cavation. L. 
fässe, Hornhaut rau- | springender 
chig trübe, Pupillen | Arterienpuls. 
starr. 

Bulbusreizlos, Horn- |Totale, sehr 
haut glänzend, er- | tiefe Excava- 
weiterte Pupille mit | tion m.sprin- 
träger Reaktion. gendem Arte- 


schmerzen. rienpuls. 
23 | A. H., w.| 42 | Typische Anfälle seit B. A. äusserlich nicht |Fundus nor- 
5 Jahren. Pat., die verändert. mal. 


unt, Eserinwirkung 
ist, bekommt in der 
Klinik einen leich- 
ten Anfall. 

24 |J. N., w. | 59 | Seit 6 Mon. krank; 
im Ambulatorium 
wurde ein schwerer 
Anfall beobachtet. 
Auch bei der Un- 
tersuchung heftige 


SehrstarkeInjektion, Fundus nor- 
Hornhautgestichelt, | mal. 

trübe. Kammer sehr 

seicht, Pupille weit 

und reaktionslos. 


| 
25 i V., W.| 64 | Seit 15 Mon. Prodro- 


Schmerzen. 
B. | Mässige Reizung, Ci- |Totale Exca- 
malsymptome. liargefässe stark ge- | vation. 


füllt, Hornhäute 
matt. Pupillen mäs- 
sig weit, starr (Ese- | 
rin!). | 
B. | Befund beiderseits |R. Totale Ex- 
gleich: etwas matte | cavation mit 
Hornhaut, leichte j Blutungen, |. 


26 A. W., Ww. 58 | Seit?/, Jahren Nebel- 
sehen, nie Ent- 
zündg., nieSchmerz. 


E w E 5 y 





Kammern,starrePu- | beginnende. 
pillen. 
27 |J. Z., W. |49 Seit 4 Jahren krank; | B. | Die Augen sind äus- (Fundus nor- 
seit 1 Jahre rasche ' serlich fast normal. | mal. 


Verschlimmerung 
mit sich häufenden 
Anfällen. 


Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 361 

















Ten- 
sion 


Befund des zweiten 


Visus | Diagnose Auges 









n. Di $ GL. simpl. Iridektomiertes, etw. 


vergrössertes Auge. 
Totale Excavation. 
V6. 


R, n. | R.9,?? | Gl. chron. 
L.4-2, L. 
Hand- 
beweg. 
R. -3| R. 0 » 
L. +2; L. 
veneg: 
v.d. A 
T1 Ke: » 
| 
etwa+ | 9/,?? » — 150, 96 | Gemessen wührend d. 
Anfalls, später Bd. 
130, Puls 84. 
+3 ? Gl. acut. | Normal. Astigmatis- | 150 | 96 
mus. V — *j.. 
| 
| 
R+3|R.uL. o chron. — 140 | 96 | Hochgrad. Arterien- 
L. +3 Hand- verkalkung, Pulsir- 
beweg. regulär. a 
v. d. A. 
R. --3| R. $/, e -- 105, 80 
L. --3| L. */, 
B. + |R. %,? » — ES 98 | Nach der Operation 


L. % Puls 72. 





362 R. Krámer 
ame, | © o9 Spiegel- 
Nr. ingnsk Anamnese ` 9 Äusserer Befund befund 
I Eé 





28 | A. B., w. | 57 | Seit1'/,JJahrenleichte 


Prodromalerschei- 
nungen, zuerst im 
Anschluss an eine 
rezidivierende Ero- 
sion, spăter spontan 
auftretend. 


29 | E. M., w.| 40| Vor 6 Jahren Glau- 


Bulbus fast blass, 


Hornhaut etw. matt, 
Pupille erweitert. 


B. | R. Status nach Glau- 


Fundus nor- 
mal. 


R. physiolog. 


komiridektomie r. komiridektomie. L. | Excavation, 
Am L Auge 4 An- sehr starke Injek- | L. kein rotes 
fälle in grösseren tion, Hornhaut sehr | Licht. 


Zwischenräumen. 
Gegenwärtig akuter 
Anfall. 


30 |M.H,, w. 21| Abnahme der Seh- 


kraft seit ?/, Jahren 
im Anschluss an ein 
Wochenbett. Schwe- 
re Anfälle mit Kopf- 
schmerzen u. Übel- 
keiten. 


31 |C. B., w. | 70 | Das rechte Auge seit 


3lJahren krank ; vor 
7 Jahren daselbst 
schon absol. Glau- 
kom, während da- 
mals links eine Iri- 


B. | Beiders. 


matt, Kammer fast 
aufgehoben. Pupille 
entrundet, starr. 


erweiterte 
Ciliargefässe, matte 
Hornhaut, leicht 

trübe, träges Pupil- 
lenspiel. 


L. | Mittelstarke Injek- 


B. tiefe glauk. 
Excavation. 


Mässig tiefe, 


tion, Hornhaut matt | totale Excav. 


und trübe, seichte 
Kammer, Iris atro- 
phisch. Colobom 
nach oben. 


dektomie ausge- 
führt wurde. Seither 
ist dieses Auge in 
Ruhe; seit 3 Tagen 
neuerlich Schmerz. 
in diesem Auge u. 
im Kopfe. 


32 C. P., m. | 66 | Seit 6Mon. Abnahme 
des Sehvermögens, 
seit 3 Mon. heftige 
Schmerzanfälle im 
rechten Auge. 


R. | Sehr heftige Injek- [Fundus nor- 
tion, Hornhaut in- | mal. 
tensiv matt u. trübe, 
Kammer fast aufge- 
hoben. Weite, starre | 
Pupille. 





33 IS. V., m.| 59, Seit vielen Jahren 
Glaukomsymptome, 
vor8 Jahren bestand 


L. | Bulbus blass, Horn- ;Glaukomatöse 
haut glänzend, į Excavation. 
seichte Kammer, re- | 


r. schon absolutes gelrechtes breites | 
l Glaukom, l. wurde Colobom. 
| die Iridekt. ausge- | 
führt. "Trotzdem 


dauern die Erschei- 
nungen an. 


Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 363 





+1 | *4? |Gl. ehron. Normal V — */. |105| 96 


L. 4-3 gz. |Gl. acut. | V es 6j. 80| 80 
ar v.d. A. 
B + |R. *4, |Gl. chron. |. — 110 | 128 | Hysterica. 
| In 
+1 Fgz. u Atrophia bulbi. 120| 80 Puls arhythmisch, 
in 1 m Arterienwand der 


Radialis sehr hart. 


+3 | Hand- | Gl. acut. | Normal, V = */,.. |135| ? | Weit vorgeschrittene 
beweg. Arteriosklerose. 

Y... Während der Unter- 

suchung so heftige 

Schmerzen, dass 

Morphium appli- 

ziert werden muss. 


+1 %,. |Gl. chron. | Glaucoma absolut., | 180 | — 
Y= Q. 
| 


364 R. Krämer 






Spiegel- 


Ausserer Befund befund 







34 | M. F., m.| 69 | Vor 5 Jahren akuter | L. 
Glaukomanfall r., 
sich oftmals wieder- 
holend, bis dieses 
Auge erblindete. 
Seit einiger Zeit die 
gleichen Erschei- 
nungen am l. Auge. 
35 | A. S., m. | 59 | Das 1. Auge ist seit) R. 
20 Jahren an Glau- 





Mässige entzündliche |Beginn. Exca- 
Erscheinungen, | vation. 
Hornhaut matt, 
seichte Kammer. 

Pupille entrundet, 
starr. 


Keine Exca- 
vation, Netz- 


IntensiveCiliarinjek- 
tion, Hornhaut dif- 


kom erkrankt und fus rauchig getrübt, , hauthámor- 
schliesslich erblin- weite Pupille. rhagien. 
det. Seit 13Tagen(?) 

auchr.leichteSymp- 

tome dieser Krankh. 


Keine Exca- 
vation, aber 
Arterienpuls. 


36 |J. S, m. | 46| Vor 5 Jahren Glau- | L. 
komiridektomie r.; 
seit !/; Jahreanfalls- 
weise Sehstórungen 
u. Nebelsehen auf 
dem l. Auge. 

37 | F. S., m. | 40 | Seit 1 Jahre Nebel- | B. 
sehen und Regen- 
bogenfarben; nie- 
mals Schmerzen od. 
Rötung der Augen. 

38 | A. W., m.| 32 | Seit 2Jahren allmáh- 
lich Abnahme der 


Sehr geringe Mattig- 
keit der Hornhaut, 
sonst normal. 


Tiefe, kessel- 
förmige Ex- 
cavation. 


Die Augen sind äus- 
serlich völlig nor- 
mal. Gesichtsfeld 
sehr eng. 


| rn e e a e a e 


Erweiterte Ciliarge- 'Typische Ex- 
fässe, sonst äusser- | cavation an 


Sehschärfe undAuf- | lich normaler Be- | beid. Augen. 
treten von Regen- fund. Gesichtsfeld 
bogenfarben. eingeschränkt. 


89 | O. S., m. | 52 j Seit 2 Jahren beste- | B. | B. Starke Füllung d. (Totale Exca- 








hen typische Anfälle | Ciliargefásse, Horn- | vation. 
mitleichten Schmer- | haut sehr matt, Kam- 
zen. mer seicht, weite 
| Pupille ohne Reak- 
tion. Atrophie der 
| Iris. 

40 |J. R., m. |63 Seit 1',Jahren Atta-| R. | Hornhaut sehr matt, Fundus nor- 
cken von Obskura- rauchigtrübe, Kam- | mal. 
tionen; seit 6 Tagen mer áusserst flach, 
akuter Anfall, der erweiterte reak- 
bei d. Untersuchung tionslose Pupille. 
fortbesteht. 


P 


41 |J. M., m./ 53 | Leichte Obskuratio- B. Augenreizl., Horn- Totale Exca- 
nen seit !, Jahre. háute glünzend, vation. 
seichte Kammern, ' 
Pupillen eng (Ese- 
rin !). 


49 |J. B., m. | 61 Seit einigen Monaten | L. | Ciliare Injekt., Horn- Fundus nicht 
|j Abnahme der Seh- hautsehr matt, Karn- ' sichtbar. 
schärfe, seit mehre- mer scicht, Iris teil- | | 
ren Wochen anfalls- weiseatrophisch, Ca- | 


weise Kopfschmerz. taracta intumescens. 


Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 365 






Befund des zweiten 


Auges | Anmerkung 








Puls 


Diagnose 









Gl. chron. | Glauc. absol., V —0 







+3 | Fgz. 160 | 100 
6m 
n. */s? | Gl. chron. | Status p. glaucoma | 95) 72 
operat.; jetzt keine 
Erscheinungen, V — | 
9/, ?, totale Excava- 
tion. 
B. n B. 9/, ; 85 | 76 


R. S/o » 95| 72 


B. --2| R. Js ii — 110 | 120 
L. Fgz. 
8m 


--1 | */,? |Gl. acut. | Normal, V = fl, |100| 68 


+1 |R. * , Gl. chron. — 100 | 80 
60 ' 
| 
+2 Fgz. » Cataracta incipiensin | 10, 68 
6m sonst normal. Auge. 


Fundus normal. V 
= t/ie: | 


366 R. Krümer 


"us " 2 ud 
Nr. G i mado Anamnese | , Ausserer Befund GR 


i 


doppels 





j| 


ve: 
1 














UE. 


43 F. D, m. "m Nard 1 Jahre Wee B. | Äusserlich kein Be- |Physiol. Ex- 


akuter Glaukoman- fund. Mit dem Oph- | cavation der 
fall m. Kopfschmer- | thalmotonometer | Papillen. 
zen, Druckgefühl u. | wird die Tension 
Nebelsehen. Oft- aber auf 33 mm er- 
malige Wiederho- höht gefunden. 
lung. - 

44 | P. G., m.|58 Seit 1'/, Jahren Ab- | B. | Ausserlich ohne Be- |Totale Excav. 
nahmed.Sehschärfe, fund. mit Halo. 


anamnestisch sonst. 
nichts Bemerkens- 


wertes. | 
45 |S., m. 60 | Seit 1 Jahre Auftreten | L. | Ciliare Injektion, dif- Keine Exca- 
von Kopfschmerzen | fuse Hornhauttrü- | vation. 


in Anfällen. Vor 
7 Tagen akuter An- 
fall. 


bung. Pupille ent- 
rundet, lichtstarr. 





Der normale Arteriendruck, gemessen nach der Methode Girt- 
ner, schwankt beim Erwachsenen um 100; wir können etwa 90 und 
115 als obere und untere Grenze annehmen. 

Betrachten wir nunmehr unsere Ergebnisse zunächst rein sta- 
tistisch, so finden wir: 

In 45 Fällen von sicher festgestelltem Glaukom ist der Blut- 
druck 22mal (= 44,9?]) normal, 7mal (= 15,59/)) subnormal, 16mal 
(= 35,6 °) erhöht. Also nur in etwa einem Drittel der Fälle konnte 
eine Vermehrung des Arteriendruckes gefunden werden; von diesen 
wurde bei 7 eine geringe Spannungsvermehrung (bis 130), bei 9 eine 
höhere konstatiert. 

Es ist aber nötig, die Fälle nach dem allgemeinen Körperzustand 
zu beurteilen, und gerade deshalb war es besonders wichtig, die Fälle 
zu nehmen, wie sie kamen, ohne sie vorher nach dem Gesichtspunkt 
des Allgemeinstatus zu sichten. Welche somatischen Momente finden 
wir zur Erklärung der Blutedrucksteigerung in den betreffenden Fällen ? 
Den grössten Spielraum nimmt natürlich die Arteriosklerose ein, die 
6mal notiert ist. Die Fälle gäben bei der Messung nach Riva- 
Rocci relativ noch höhere Werte, da die Rigidität der Gefässwand 
um so grösseren Eintluss hat, je stärker das gemessene Gefäss ist, an 
der Arteria brachialis also Tale als an den Phalangealgefässen. Ein 
Zusammenhang zwischen Arteriosklerose und Glaukom wurde seit lan- 
gem angenommen. Man darf aber den Eintluss micht überschätzen, 


Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 367 























1. 
Ten- | y; | ; Befund des zweiten| E | 5 | 
dom | Visus | Diagnose Auges |g & Anmerkung 
e E ge KÉ i AD- d 
d et, |Gl. chron. | = 75 | 64 
| 
+1 |R.*4,,Gl. simpl. — 60 | 80 
L. Fgz. | 
1m | 


+3 5As | Gl. acut. | Normal, V — Ba |130 | 72 | Hochgradige Arte- 
| riosklerose mit pau- 
kendem 2. Aorten- 

ton. 


denn bei der ungeheuren Verbreitung und stündigen Zunahme dieser 
Krankheit müssten die Erkrankungen an Glaukom, die etwa 1°), der 
Augenkrankheiten ausmachen, viel zahlreicher sein. Wenn wirklich 
ein Konnex zwischen den beiden Leiden besteht, muss er in lokalen 
Verhältnissen am Auge begründet sein. Die Blutdrucksteigerung ist 
es gewiss nicht; wir finden in unserer Tabelle Fälle, bei denen trotz 
ausgesprochener Gefässverkalkung der Druck abnorm niedrig ist, ein- 
mal selbst 55!, und doch das Glaukom sich einstellte. Das sind die 
Fälle, wo die Blutdrucksteigerung, die infolge der Arteriosklerose zu 
erwarten wäre, durch die beginnende Insuffizienz des Herzens paraly- 
siert wird. Und wie soll man ferner die Fälle von Glaukom bei jungen 
Leuten erklären, die selbst bei genauester Untersuchung keine Zeichen 
von Atherom der Gefässe zeigen? 

Eine andere Gruppe von Blutdrucksteigerung erklärt sich zwang- 
los durch nervöse und psychische Momente. Im Fall 3 und 30 
wurden deutliche Symptome von Hysterie gefunden. In andern ist 
die Aufregung vor der Operation von eklatantem Einfluss. So ist im 
Fall 2 der Druck nach der Operation um 30 mm zurückgegangen, im 
Fall 23 um 20 mm. Für die Frage, wieweit Aufregung, Angst, Schmerz 
die Beurteilung des Blutdrucks erschweren, gibt die Beobachtung des 
Pulses einen Anhaltspunkt. Nicht weniger als neun Fülle mit hohem 
Blutdruck zeigen abnorm hohe Pulszahlen; in zwei Füllen ist aus- 
drücklich hervorgehoben, dass die Pulsfrequenz nach der Operation 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII, 2. 24 


368 R. Krümer 


bedeutend zurückgegangen war. So bleibt also nur ein ganz geringer 
Rest von Füllen, bei denen die Frage nach der Ursache der Blut- 
drucksteigerung offen bleiben muss. 

[Besondere Erwähnung verdient der Fall der Patientin Anna L. 
(Nr. 8. Diese Frau hatte im Verlauf eines akuten Glaukomanfalles 
einen schweren Collaps durchgemacht, der an der Klinik beobachtet 
wurde. Die Temperatur erniedrigte sich enorm (34,3); leider sind 
weitere Angaben in der Krankengeschichte nicht verzeichnet; gewiss 
ist, dass im Verlauf des Collapses der Anfall ungeschwächt fortbe- 
stand. Wer Blutdruck und Glaukom in direkten Zusammenhang 
bringen will, steht diesem Falle wohl ganz hilflos gegenüber.] 

Schliesslich möchte ich noch hervorheben, dass ich zwischen aku- 
tem und chronischem Glaukom keinen wesentlichen Unterschied bezüg- 
lich der Blutdruckverhältnisse finden konnte. 

Zusammenfassend glaube ich mich also zu folgenden Schlüssen 
berechtigt. Bei Glaukom ist der Blutdruck in einer Anzahl von Fällen 
gesteigert; diese Blutdrucksteigerung lässt sich aber in den meisten 
Fällen zwanglos durch allgemein somatische und nervöse Zustände 
genügend erklären; anderseits sprechen Beobachtungen von abnorm 
niedrigem Druck, ja selbst von plötzlicher Druckherabsetzung, gewichtig 
gegen den direkten Zusammenhang zwischen Blutdruck und grünem 
Star. Nur der letzte Punkt, die plötzlichen Druckschwankungen, be- 
dürfen vielleicht einer Modifikation, die ich später besprechen will. 

Vorher möchte ich noch die Fragen der Kontrolluntersuchungen 
erledigen. Ich bin zunächst den Weg gegangen, den Frenkel gezeigt 
hat; das heisst, ich habe bei einer grösseren Anzahl von nicht glau- 
komatösen und etwa gleichaltrigen Patienten den Blutdruck bestimmt. 
Dazu waren am besten Kataraktkranke zu brauchen. Selbstverständ- 
lich wurden auch diesmal die Patienten ohne Auswahl genommen und 
die Messungen zur gleichen Zeit und unter denselben Bedingungen 
angestellt, wie bei der ersten. Untersuchungsreihe. 

Die Resultate sind in Tabelle IT zusammengestellt. 


Tabelle IL 





Nr. ` Name u. Alter Geschl. Bd. 


= — E E 


| Anmerkung 


Puls 





1 F. T, 60 J. ; weibl. ,125, 98 Arterien leicht rigid. 

2 M. S. 51 J. » |108 84 

3 51A. G., 60 J. » (In 100 Puls etwa arrhythmisch. 

4. K. RH, 74 J. ; In 88 

5 IM. M, 45 J. | » i145 100. Spuren von Serumalbumin, 
6 (| C. Kk, 61 J. » Lou: (16! klingender 2. Aortenton, 


Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 369 


Nr. | Name u. Alter | Geschl. | Bd. | = 


Anmerkung 





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T 
2 


weibl. 


95. 
150 
125 
120 
110 
125 
140 
60 
15 


25 
125 
110. 
iH 


1 
1 
1 


115 
120 
95 | 
115 
Läb 
95 
100 
110 


Puls stark arrhythmisch. 


Arterien hart. 
Dumpfe Herztóne. 
Kein Diabetes, v.5J. Star am andern Auge. 


Schwere Arteriosklerose, 
Myodegeneratio cordis. 
Puls aussetzend. 


Patientin sehr erregt. 


Puls arrhythm. und inäqual. 


Sklerose der Chorioidealgefässe. 


Mitralinsuffizienz. 


Schwere Myodegeneratio cordis. 
Kein Diabetes. 


Herztöne sehr dumpf. 


Gicht. 


Puls aussetzend. 
Schwere Arteriosklerose. 


Myodegeneratio cordis. 


24* 


310 R. Krämer 


Nr. | Name u. Alter | Geschl. | Bd. 5 Anmerkung 














64 ıT. P., 62 J. | männl. |110| 66 

65 A. R. 66 J. e 85| 80| Myodegeneratio cordis. 
66 |M. N. 68 J. » 850, 72; Myodegeneratio cordis. 
67 |J. W., 58 J. e 95| 72 

68 |A. S., 61 J. » 90| 64 

69 | M. W., 62 J. T 135 | 84 

70 iT. R, 62 J. 2 105; 72 

41 |J. D., 66 J. e 60| 76| Myodegeneratio cordis, Puls aussetzend. 
72 |E. R., 66 J. i 90| 80 

13 |B. H, W J. » 95| 84 

44 |J. K,, 71 J. » 85| 64 

75 |M. H,, 68 J. 55 160| 76| Arterien mässig hart. 
76 |P. S., 43 J. j 90| 68 

77T IF. M., 85 J. e 140, 76 

78 |i W. H., 65 J. D 100| 72 

79 |K. E, 64 J. j 60| 80| Myodegeneratio cordis. 
80 |J. S., 65 J. 5; 70| 60 

81 iS. H, 77J. s 150 | 84 

82 |F. R,, 58 J. e 125| 68 

83 |A. O, 75 J. 5 85| 64 

84 |M. H., 78 J. 5 115| 80 

85 | M. H,, 13 J. 5 90| 84 

86 |J. F., 68 J. f 85| 64 

87 ,W. F, 69 J. » 195| 52 

88 |F. G., 49 J. s 110| 68 

89 |A. O., 49 J. s: 145| 60| Harte, geschlängelte Arterien. 
90 |J. N., 55 J. Re 118 | 108 


Unter 90 Kataraktfällen fanden wir also den Blutdruck 30mal 
(= 33,3 °%) über 115, das heisst etwa in dem gleichen Prozentsatz 
wie bei den Glaukomatösen, 16mal (=16,7°),) herabgesetzt. Zu 
bemerken ist dabei, dass das weibliche Geschlecht öfter gesteiger- 
ten Blutdruck aufwies. Diese zunächst überraschende Tatsache glaube 
ich mir dadurch erklären zu können, dass bei dem gegenüber den Glau- 
komatösen durchschnittlich höheren Lebensalter der Starkranken die 
Arteriosklerose weiter fortgeschritten ist und bei den Männern die 
Herztätigkeit durch Excesse (Alkohol, Tabak) mehr geschwächt ist. 
Es muss auffallen, dass die hohen Druckwerte gerade bei den relativ 
jüngeren Individuen vorgekommen sind. 

Ich móchte bei dieser Gelegenheit auch hervorheben, dass wir 
eine Beziehung zwischen gesteigertem Blutdruck und der Stärke der 
Blutung bei der Operation nicht konstatieren konnten. 

Hatten wir früher Beziehungen zwischen Blutdruck und Glaukom 
dadurch zu finden getrachtet, dass wir bei evidenten Fällen den Blut- 
“druck bestimmten, so musste als Kontrolle unserer negativen Resultate 
das umgekehrte Verfahren anwendbar sein. Es entstand somit die 
Frage: Haben Kranke mit hohem Blutdruck (bedingt der verschiedene 


Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 371 


interne Erkrankungen) Glaukom oder scheinen sie wenigstens durch 
relativ hohe Augenspannung zu dieser Krankheit disponiert? Der erste 
Teil dieser Frage ist von vornherein zu verneinen, die klinische Be- 
obachtung erspart spezielle Untersuchungen. Zur Entscheidung des 
zweiten Teils galt es, gleichzeitig Blutdruck- und tonometrische Augen- 
untersuchungen anzustellen, die aber bekanntlich bis vor kurzem zu 
umständlich waren, um an Kranken anderer Stationen in Anwendung 
gebracht zu werden. 

Erst seit der Einführung des neuen Tonometers von H. Schiötz (6) 
besitzen wir ein für Arzt und Patienten gleich bequemes Instrument, 
dessen Gebrauch wenig Zeit in Anspruch nimmt, für den Kranken 
keine Beschwerden birgt und doch Resultate gibt, deren Genauigkeit 
für klinische Zwecke reichlich ausreicht. Wir erwarten allerdings 
nicht die Präcision einer manometrischen Bestimmung, die ja selbst 
die durch den Puls bedingten Schwankungen wiedergeben kann; im- 
merhin haben wir uns in vielen Fällen überzeugt, dass die Resultate 
der Schiötzschen Ophthalmotonometrie viel genauer sind, als die durch 
die Palpation erreichten. So konnten ‚wir beispielsweise sehen, dass viele 
Fälle von „Excavation ohne Drucksteigerung“ doch leichte, über 
30 mm Hg betragende Spannungsvermehrungen zeigen.  Anderseits 
haben wir das Tonometer als wertvolles Hilfsmittel kennen gelernt, 
Schwankungen hoher Druckwerte wahrzunehmen, die sich aus physi- 
kalischen und psychophysischen Gründen der palpatorischen Diagnose 
entziehen. Tensionerhóhungen von 90mm Hg und von 60 mm Hg er- 
scheinen dem tastenden Finger identisch; dass aber eine spontane 
Druckherabsetzung, z. B. bei Sekundárglaukom, von grosser Bedeu- 
tung für unser therapeutisches Handeln sein wird, liegt auf der Haud. 

(Ich habe oben absichtlich die Pulsschwankungen erwähnt. Man 
sieht nämlich auch an dem Schiötzschen Tonometer, wenn es richtig 
steht, leichte Pulsationen. Nach wiederholten Versuchen haben wir 
aber diese Schwankungen als den Puls des Untersuchers erkannt. 
Ich erkläre mir diese Erscheinung so, dass bei dem langen Hebel- 
arm, den der frei gehaltene Arm vorstellt, die Pulsstösse der Arteria 
brachialis leichte Erschütterungen des Armes zur Folge haben, die 
ihrerseits feinste Verschiebungen des Apparates auf der Hornhaut 
und dadurch minimale Ausschläge des Zeigers bewirken.) 

Bei dem grossen Krankenmaterial unseres Krankenhauses war es 
nicht schwer, eine Reihe von Patienten zur Untersuchung zu bringen. 
Alle Fälle sind liegend untersucht, die Blutdruckmessung (Gärtner) 
wurde gleichzeitig mit der Ophthalmotonometrie vorgenommen. — Ich 


312 R. Krümer 


erlaube mir an dieser Stelle, den Vorständen, die mir meine Unter- 
suchungen ermöglichten, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. 

Was die internen Befunde dieser Kranken anlangt, so stehen 
natürlich die Nephritiker obenan. Glaukom und Nephritis ist ein 
relativ seltenes Zusammentreffen. (Unter den 45 Fällen der Tabelle I 
bot keiner Erscheinungen dieses Leidens) Schmidt- Rimpler (8) 
macht auf das Auffallende dieser Tatsache aufmerksam und hebt her- 
vor, dass die meisten der beschriebenen Fälle nicht primäre, sondern 
hämorrhagische Sekundärglaukome sind. Die Nephritiker bieten den 
Vorteil, dass sie in verschiedenen Lebensaltern stehen. Die übrigen 
Kranken litten an Arteriosklerose und Herzfehlern. 

Die Resultate sind folgende: 


I. J. F., 42jähr. Mann. Arteriosklerose, Retinitis haemorrhagica. Urin 
normal. Bd. 180. Tonometer (beiderseits gleich): 2. Gewicht!) — Aus- 
schlag 6 = 22mm. 


IL J. V., 47jähr. Mann. Tabische Krisen. In der Krise .Bd. 145. 
Tonometer (beiderseits gleich): 1. Gewicht — Ausschlag 5 = 18mm. Im 
Intervall Bd. 80. 


III. M. R, 70 jähr. Mann. Aorten- und Mitralinsuffizienz (Arterio- 
sklerose). Bd. 150. Tonometer (beiderseits gleich): 1. Gewicht — Aus- 
schlag 4 = 21 mm. Ä 


IV. F. M, 64jühr. Mann. Parenchymatöse Nephritis mit 5?/,, Albu- 
men, pleuritisches Exsudat. Bd. 140. Tonometer (beiderseits gleich): 1. Ge- 
wicht — Ausschlag 4!|, — 19 mm. 


V. J. N., 62jähr. Mann. Arteriosklerose. Bd. 125. Tonometer: 
1. Gewicht — Ausschlag R. 4!|, — 19 mm, L. 5 = 18 mm. 
2. Gewicht — Ausschlag R. 7 = 19mm, L. 8 = 16 mm. 


VI. M.M., 38 jähr. Mann. Nephritis chronica mit sekundärer Schrump- 
fung, Essbach 5°% Urämie. Bd. 180. | 
Tonometer: 1. Gewicht — Ausschlag 6 = 15 mm. 


VII. J. N., 66jühr. Mann. Arteriosklerose. Bd. 135. Tonometer 
(beiderseits gleich): 
| 1. Gewicht — Ausschlag 2 = 30 mm! 

2. Gewicht — Ausschlag 4 = 31mm! 

VIII J. S., 57 jähr. Mann. Arteriosklerose mit sekundärer Schrumpf- 

niere, Essbach 1°. Bd. 170. Tonometer (beiderseits gleich): 
1. Gewicht — Ausschlag 41, — 19 mm. 

IX. P. 19 jühr. Mann.  Mitralinsutlizienz: Dd. 115.  Tonometer 
(beiderseits gleich): 

1) Die Werte wurden dureh Auflegen des nächsthöheren Gewichts nach- 
kontrolliert. 


Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 373 


1. Gewicht — Ausschlag 5 = 16mm (Bd. 115 ist mit Rücksicht auf das 
Alter als erhöht zu bezeichnen). 


X. M. B, 29jähr. Mann. Nephritis parenchymatosa, Essbach 2°|,,. 
Urämie. Bd. 200. Tonometer (beiderseits gleich): 
1. Gewicht — Ausschlag = 16 mm. 


XI. J. K., 63jähr. Mann. Arteriosklerose — Nephritis, Bd. 120. 
Tonometer (beiderseits gleich): 
1. Gewicht — Ausschlag 41), = 19 mm. 


XII. H.J., 30jähr. Frau. Nephritis parenchymatosa, Essbach 2°... 
Urämie. Bd. 175. Tonometer (beiderseits gleich): 
1. Gewicht — Ausschlag 31, = 22 mm. 
2. Gewicht — Ausschlag 5 = 26 mm. 


XIII. K. Z., 56jühr. Frau. Genuine Schrumpfniere. Bd. 180. To- 


nometer: 
1. Gewicht — Ausschlag R. 4 = 21 mm, L. 31, = 22 mm. 


XIV. M. S., 16jähr. Mädchen. Nephritis parenchymatosa. Bd. 110 
(etwas erhöht). Tonometer (beiderseits gleich): 
1. Gewicht — Ausschlag 5 — 16 mm. 


XV. J. M., 53jähr. Frau. Atheromatóse Aorta mit sekundárer In- 
suffizienz ihrer Klappen, Ascites, Hydropericardium. Bd. 135. Tonometer 
(beiderseits gleich): | 

1. Gewicht — Ausschlag 4!|, — 19 mm. 


XVI. A. P. 47jühr. Frau. Nephritis haemorrhagica, Essbach !/,9|,,. 
Bd. 145. Tonometer (beiderseits gleich): 
1. Gewicht — Ausschlag 4 = 21 mm. 


XVII. M. G., 24 jähr. Frau. Nephritis parenehymatosa, Essbaeh 7 %,.- 
Bd. 170. "Tonometer: 
1. Gewicht — Ausschlag R. 4! = 19mm. 
L. 5 — 16mm. 


XVIII. E. K., 55jähr. Frau. Nephritis parenchymatosa, Essbaclı 
Tho Bd. 180. Tonometer: 
| 1. Gewicht R. 4!|, — 19 mm, L. 5 — 16 mm. 


XIX. J. P., Frau.  Nephritis parenchymatosa. Bd. 150. Tono- 
meter (beiderseits gleich: 
1. Gewicht — Ausschlag 3!, = 18 mm. 


In seiner letzten Arbeit gibt Schiötz (7) an, der normale Binnen- 
druck im Auge liege zwischen 15,5 und 25 mm /Ig, d. h. sein Tono- 
meter gebe mit dem ersten Gewicht belastet einen Ausschlag von 
drei bis sechs Strichen. 

Die Zusammenfassung der gefundenen Resultate ergibt nun, dass 
sich in 14 Füllen die Tension der Augen in durchaus normalen Gren- 


374 R. Krämer 


zen bewegt, wobei zu bemerken ist, dass der Blutdruck bei einzelnen 
Patienten sehr beträchtliche Werte ergibt. 

Allerdings nicht maximale. Die höchsten bekannten Zahlen dürf- 
ten nach Gärtner bei 290 mm (Pal), nach Riva-Rocci bei 350 mm 
(Forlanini) liegen. Wir können aber annehmen, dass sich auch bei 
solchen paroxysmalen Werten der Augendruck nicht wesentlich beein- 
flusst zeigen, wird, um so weniger als wir in den vorliegenden Resultaten 
auch in den normalen Grenzen absolut keinen Zusammenhang zwischen 
Tension des Auges und geringerer und höherer Blutdrucksteigerung 
finden. Auch innerhalb dieser normalen Grenzen gibt es bei sehr 
erhöhtem Druck „weiche“ Augen (6, 8, 10, 18) und „harte“ Augen 
(1, 12, 13), und ebenso bei nur wenig erhöhtem. 

In einem einzigen Fall (7) überschreitet die Spannung des Auges 
die normale Grenze. Dieser Mann hat aber Glaukom; er wurde vor 
zwei Jahren an unserer Klinik am rechten Auge iridektomiert und 
zeigt gegenwärtig bei anscheinend ungeänderter Sehschärfe und — 
quoad oculos — subjektivem Wohlbefinden im linken Auge eine so 
verdächtige Excavation, dass nur sein elender Allgemeinzustand die 
Operation als nicht empfehlenswert erscheinen lässt. 

Die Ergebnisse der Kontrollprüfungen bestätigen also die schon 
vorher ausgesprochene Meinung, dass sich klinisch ein direkter Kon- 
nex zwischen arterieller und intraokularer Spannung nicht aufstellen 
lässt. Diese Ansicht teilt jetzt auch Terson(9), der sich auf den 
alten Standpunkt zurückbegeben hat, die Blutdruckvermehrung „spiele 
wohl eine Rolle in der Pathologie des Glaukoms“; welche aber, da- 
rüber herrscht dasselbe geheimnisvolle Dunkel, wie über dem Wesen 
dieser Krankheit überhaupt. Denn noch wissen wir nicht, ob die 
glaukomatöse Drucksteigerung überhaupt das primäre ist. Sie ist nur 
das hervorstechendste Symptom und man begeht nur zu leicht den 
Fehler, intraokulare Hypertension und Glaukom zu verwechseln. Wir 
können Nuel nicht folgen, wenn er sagt (in der Diskussion zu Tersons 
Vortrag)] „La maladie c'est le glaucome, et le glaucome c'est la dureté 
anormale de l'œil. Il (Terson) exclut plus ou moins du tableau les for- 
mes dites de glaucome secondaire. Pour moi le glaucome secondaire, 
y compris celui par occlusion de la pupille, est tout ce qu'il y a de 
plus glaucome.“ Wir halten vielmehr dafür, dass Primär- und Sekun- 
dlärglaukom verschiedene Krankheiten sind, die nichts gemein haben 
als das Symptom der Drucksteigerung, oder besser gesagt, das Pri- 
märglaukom ist eine Krankheit mit Tensionserhöhung als augenfällig- 
stem Symptom; das sekundäre ist an und für sich nur em Symptom. 


Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 375 


Da wir also auf Grund unserer Befunde zu negativen Schlüssen 
gekommen sind, müssen wir auch die Versuche, das Glaukom durch 
diätetische Massnahmen — Regime achlorurique (Cantonnet), Stro- 
phantus (Zimmermann) — zu beeinflussen, zurückweisen. Diäte- 
tische Massnahmen werden gewiss von grosser Wichtigkeit sein, wenn 
der Allgemeinzustand des Kranken es erfordert; für die Therapie des 
Glaukoms aber müssen wir uns vorläufig auf die lokalen, erprobten 
medikamentösen und operativen Methoden beschränken. 

Die Untersuchungen in der Frage des Blutdruckes sollen nach 
zwei Richtungen fortgesetzt werden: Die gangbare Theorie des glauko- 
matösen Arterienpulses nimmt zur Erklärung die intraokulare Druck- 
steigerung; es ist aber auffallend, dass sich keine Proportionalität 
zwischen Arterienpuls und Höhe des intraokularen Druckes ergibt 
(vgl. Tabelle I); er kommt bei geringer Drucksteigerung ebenso vor 
wie bei starker und kann in beiden Fällen fehlen. Die gewöhnliche 
Methode der Blutdruckmessung gibt keinen Anhaltspunkt. Hier wird 
vielleicht eine Methode Klarkeit bringen, die jetzt mehr und mehr 
geübt wird, die Bestimmung des systolischen und diastolischen Druckes. 
Ich kann mir vorstellen, dass auch bei mässiger intraokularer Ten- 
sionserhöhung Arterienpuls auftritt, wenn die Differenz zwischen sy- 
stolischem und diastolischem Druck gross ist, ohne dass der Gesamt- 
druck höher zu sein braucht. 

Zur Erklärung der Ingruenz der experimentellen und klinischen 
Beobachtung des Parallelismus der Blutdruck- und Augendruckkurven 
habe ich wiederholt auf die Adaptationsfähigkeit des Auges an Druck- 
schwankungen hingewiesen; was geschieht nun aber, wenn diese fehlt, 
fehlen muss, weil die Blutdrucksteigerung ganz plötzlich einsetzt. In 
einer ausführlichen Monographie über diese Zustände sagt Pal(5): 
„In einer Reihe von Krankheiten greifen die Gefässe in paroxysmaler 
Weise in den Gang der Ereignisse ein. Es kommen dadurch höchst 
charakteristische Erscheinungskomplexe zu stande, welche gewisse Phasen 
dieser Krankheitsprozesse kennzeichnen, gelegentlich aber auch auf 
den Ablauf derselben bestimmenden Einfluss üben. Die Summe der 
Erscheinungen, welche sich an diese Gefässvorgänge anschliessen, be- 
zeichne ich als Gefässkrise.“ 

Die Gefisskrisen äussern sieh in mannigfaltiger Weise und in- 
teressieren besonders die „Hochspannungskrisen“, Zustände, bei denen 
der Blutdruck rasch fast plötzlich in die Höhe schnellt, um später 
in das normale Niveau abzusinken. Geht in solchen Fällen der intra- 
okulare Druck mit, so müssten Anfälle entstehen, die in der Perio- 


316 R. Krümer, Zur Frage des Anteils des Blutdruckes usw. 


dizität ihres Auftretens lebhaft an echtes Glaukom erinnern. Aus 
einer mündlichen Mitteilung weiss ich, dass Professor Pal über solche 
Beobachtungen verfügt, einen Fall habe ich selbst gesehen; das Ma- 
terial ist aber nicht zahlreich genug, Schlüsse zuzulassen und die 
Beobachtungen müssen fortgesetzt werden. Sie werden vielleicht zu 
dem Schluss führen, dass in dem Krankheitsbild des Glaukoms eine 
Unterabteilung „vaskuläres Glaukom“ abzutrennen wäre; es kann sich 
anderseits aber auch herausstellen, dass diese Fälle zum Sekundär- 
glaukom gehören. | 


Meinem hochverehrten Chef, Herrn Hofrat Fuchs, sage ich auch 
an dieser Stelle ergebensten Dank für die liebenswürdige Unterstützung 
bei meinen. Untersuchungen. 


Literaturverzeichnis. 


1) Bajardi, La pressione endoarteriosa generale in rapporto col glaucoma. — 
Communicazione fatta al Reale Accad. di Med. di Torino nella seduta de 
9. Febbraio 1900. 

2) Bartels, Über Blutgefüsse des Auges bei Glaukom ... Habilitationsschrift, 
Berlin 1905, S. Karger. 

äi Frenkel, Recherches sur la tension artérielle dans le glaucome. Arch. 

= d'Ophtalm. T. XXV. p. 27. 1905. 

4) Heine, Über Lipaemia retinalis und Hypotonia bulbi im Coma diabeticum. 
Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. Bd. XLIV, 2. S. 451. 

5) Pal, Gefüsskrisen. Leipzig 1905, S. Hirzel. 

6) SE Ein neuer Tonometer — Tonometrie. Arch. f. Augenheilk. Bd. LII. 
. 401. 

T) Schiótz, Tonometrie. Arch. f. Augenheilk. Bd. LXII. S. 317. 

8) Schmidt- Rimpler, Glaukom und Ophthalmomalacie. Graefe-Saemisch, 
Handb. d. ges. Augenheilk. 2. Aufl. Bd. VI, 1. | 

9) Terson, Pathogénie du glaucome. Société belge d'ophtalmologie. Séance 
du 26. Nov. 1907. Vide Annales d'ocul. T. CXL. p. 224. 

10) Terson et Campos, Recherches sur l'état de la tension artérielle générale 
chez les glaucomateux. Arch. d'ophtalm. T. XIX. p. 201. 1898. 

11) Wessely, Experinentelle Untersuchungen über den Augendruck.  Wies- 
baden 1905, J. F. Bergmann. 


Entwurf eines „Merkblatts zur Bekämpfung und Verhütung 
der Kurzsichtigkeit“. 


Von 
Dr. R. Halben, 


Privatdozent in Greifswald. 


Seit einer Reihe von Jahren gibt bekanntlich das Reichsgesundheits- 
amt kurzgefasste gemeinverständliche „Merkblätter“ zur Bekämpfung 
und Verhütung der verschiedensten Krankheiten heraus, und sorgt 
durch geeignete Verteilungsmassnahmen dafür, dass diese zur Auf- 
klärung der Gefährdeten bestimmten Blätter in die Hände der Be- 
völkerungskreise gelangen, zu deren Schutz sie dienen sollen. Zum 
grossen Teil sind es Infektions- und Intoxikationserkrankungen, gegen 
die diese Blätter sich wenden, teils häufige weitverbreitete Krank- 
heiten und Missbräuche wie Tuberkulose und Alkoholismus, teils 
seltenere Erkrankungen, wie Pilzvergiftung, tierische Parasiten, nur 
zeitweise in Epidemien bei uns vorkommende Krankheiten wie Cho- 
lera und Schádigungen, die vorzugsweise bestimmte kleinere Berufs- 
gruppen bedrohen, wie z. B. die Bleivergiftung. Da das Kaiserliche 
Gesundheitsamt fortfáhrt, weitere derartige Merkblütter zu bearbeiten 
und zu verbreiten, so ist anzunehmen, dass es befriedigende Erfah- 
rungen bezüglich der Nützlichkeit der Bekämpfung solcher Schäden 
durch derartigen Appell an die Einsicht der Geschädigten und Be- 
drohten gemacht hat. Der Nutzen dieser Kampfmethode muss am 
grössten sein bei den Krankheiten, zu deren Verhütung ein gewisses 
Verständnis für ihr Wesen notwendige Voraussetzung ist. Ja fast 
gebieterisch drängt sich die Verpflichtung zur allgemeinen Aufklärung 
in den Fällen auf, wo diese Aufklärung über die Entstehungsursachen 
fast das einzige Mittel zur Verhütung ist, wo ferner der Ernst der 
Krankheit von den Nichtbefallenen unterschätzt zu werden pflegt, 
und wo tatsächlich die Beachtung einiger einfacher Vorschriften allein 
genügen würde, um in der weitaus grössten Mehrzahl die Entwick- 
lung einer ungeheuer verbreiteten Krankheit zu verhindern oder doch 
stark zu hemmen. Eine solche Krankheit ist aber in erster Linie 


378 R. Halben 


die Kurzsichtigkeit. Soweit ich es übersehe, kann unter den weit- 
verbreiteten Krankheiten hinsichtlich der Bekämpfbarkeit durch blosse 
Aufklärung höchstens die Zahncaries mit ihr rivalisieren. Denn es 
gehört beispielsweise zur wirksamen Bekämpfung der Tuberkulose 
Hebung des Wohlstandes, damit die Merkblattvorschriften befolst 
werden können; dem vollen Erfolg der Aufklärung gegen den Alko- 
holismus steht selbst bei erreichter Einsicht das Fehlen des Willens 
zur Befolgung im Wege. Bei der Myopie ist einerseits von ganz oder fast 
kostenlosen Schutzmassregeln ausreichender Erfolg zu erhoffen, ander- 
seits besteht in ganz besonders hohem Masse die Verpflichtung zum 
Schutze der Massen durch Aufklärung, weil diese Massen in jungen Jahren 
zwangsweise den Schädigungen, die erfahrungsgemäss die Myopieent- 
stehung begünstigen, ausgesetzt werden (Schulzwang, Schulmyopie). Und 
die Gelegenheit zur Durchführung der nötigen Aufklärung ist besonders 
günstig, weil eben in der Schule, die die Gefahren birgt und sie 
möglichst auszuschalten verpflichtet ist, die beste Organisation zur 
Verbreitung der Aufklärung gegeben ist. Es braucht einfach etwa 
vom dritten oder vierten Schuljahr an die Besprechung des „Merk- 
blattes“ ins Pensum aller Klassen aufgenommen zu werden. Von der 
Schule aus wird die Erkenntnis durch die Kinder in die Familien dringen. 

Eine populär gehaltene Darstellung des Wesens der Kurzsichtig- 
keit, ihrer Behandlung und Verhütung, ist natürlich für jedermann 
reizvoller zu lesen als gerade für den Ophthalmologen. Wenn ich 
es trotzdem wage, den folgenden Entwurf eines „Merkblattes“ in 
dieser Zeitschrift einem Forum von Fachleuten zu unterbreiten, so 
geschieht es, um einmal die Zweckmässigkeit eines Kurzsichtigkeits- 
Merkblattes überhaupt, anderseits die Fassung der Einzelheiten des 
Entwurfs zur Diskussion zu stellen. Ich wollte eben nicht eigen- 
mächtig, etwa durch Vermittlung eines der grossen Vereine für 
Volksgesundheit, die Massenverbreitung des Blattes in der von mir 
entworfenen Fassung in die Wege leiten. Eine völlige Einigkeit 
wird sich natürlich nicht erzielen lassen auf einem Gebiet, in dem 
noch soviel Meinungsverschiedenheiten herrschen. Diese Eigenschaft 
teilt aber das Gebiet der Myopie mit vielen andern, die trotzdem 
mit Nutzen in solchen Merkbhláüttern behandelt sind. Und es ist 
eben die Aufgabe, unter Übergehung wissenschaftlicher Streitfragen, 
unter Weglassung von Einzelheiten eine Fassung zu finden, auf die 
sich eine Majorität wissenschaftlich arbeitender Ophthalmologen einigt. 
Man wird sich dabei nicht scheuen dürfen, wo es nótig ist, die Ge- 
nauigkeit der Verständlichkeit zu opfern. 


Entwurf eines „Merkblatts z. Bekämpfung u. Verhütung d. Kurzsichtigkeit"*. 379 


Ich lasse nun den Entwurf folgen. Zur Erlüuterung des ersten 
und zweiten Abschnittes des Merkblattes ist event. je eine einfache 
schematische Abbildung im Text einzufügen. 


Kurzsichtigkoeit- Merkblatt. 
Zur Bekämpfung und Verhütung der Kurzsichtigkeit. 


Das Auge ist in optischer Beziehung einer photographischen Camera 
vergleichbar. Durch die Hornhaut und die Linse wird das Bild betrach- 
teter Gegenstände entworfen; die Netzhaut, auf welcher dieses Bild auf- 
gefangen wird, entspricht der photographischen Platte. Von ihr aus wird 
durch den Sehnerven der Gesichtseindruck zum Gehirn geleitet. Im normal- 
sichtigen Auge werden bei flachster Linsenkrümmung ferne Gegenstände 
gerade scharf auf der Netzhaut abgebildet. Zur Abbildung naher Gegen- 
stände bedarf es vermehrter Linsenkrümmung. 


Wesen der Kurzsichtigkeit. 


Die Kurzsichtigkeit stellt eine Krankheit bzw. einen Bildungsfehler des 
Auges dar, bei welcher von (unendlich) fernen Gegenständen ins Auge 
kommende Lichtstrahlenbündel vor der Netzhaut (im Glaskörper) zur punkt- 
förmigen Vereinigung kommen, während in der Netzhaut nur von mehr oder 
weniger nahen Gegenständen stammendes Licht zur Vereinigung kommen 
kann. Mithin kann das kurzsichtige Auge nur mehr oder weniger nahe 
Objekte scharf und deutlich sehen (Bild des Gegenstandes auf der Netzhaut); 
fernere Gegenstände müssen ihm undeutlich, verwaschen erscheinen, und 
zwar je ferner um so weniger scharf (Bild des Gegenstandes im Glaskörper 
vor der Netzhaut, wird auf die Netzhaut in Zerstreuungskreisen, also ver- 
waschen, entworfen). Ein kurzsichtiges, übrigens gesundes Auge sieht also 
dicht bei, im Lesebuch beispielsweise, ebenso scharf wie ein normales, da- 
gegen auf grössere Distanz (quer über die Strasse, in der Schule an der 
Wandtafel) schlecht. 

Grad der Kurzsichtigkeit. 


Die Kurzsichtigkeit ist um so höhergradig, je kürzer die Entfernung 
ist, innerhalb deren noch scharf (normal) gesehen wird, je näher also der 
fernste Punkt, der noch deutlich gesehen (punktförmig) auf der Netzhaut 
ahgebildet wird (Fernpunkt), dem Auge liegt. Als hohe Grade von Kurz- 
sichtigkeit bezeichnet man etwa solche mit einer Fernpunktsdistanz von 
weniger als 15 cm, bei höchsten Graden kann der Fernpunkt bis auf 5, ja 3 cm 
ans Auge heranrücken, so dass alle ferneren Gegenstände verschwommen 
gesehen werden. Als mittlere Grade rechnet man die Fernpunktslage 
zwischen 15 und 50cm, und als leichte die, bei denen der Fernpunkt jen- 
seits von 50 cm liegt. 


Durch die Kurzsichtigkeit verursachte Beschwerden. 

Der geringgradig Kurzsichtige wird sich oft seines Fehlers gar nicht 
bewusst; in Schreib- und Lesedistanz sieht er ebenso gut wie der normale, 
quer über die Strasse liest er allerdings Namensschilder schon weniger deut- 
lich, unterscheidet aber bei guter Tagesbeleuchtung noch die Gesichter seiner 


380 | R. Halben 


Bekannten; erst in der Dämmerung und bei mangelhafter künstlicher Be- 
leuchtung hat es damit Schwierigkeiten, weil die Schärfe des Netzhautbildes 
bei der im Dunkeln erweiterten Pupille sehr viel mehr leidet als bei enger 
Pupille (in Tageslicht). Diese nicht durch eine Brille äusserlich als kurz- 
sichtig kenntlichen Personen kommen, weil sie an ihren Bekannten grusslos 
vorübergehen, leicht in den Ruf, hochmütig oder unhöflich oder ungeschickt 
zu sein. 

Kurzsichtigkeit mittleren Grades nötigt zu ständigem Gebrauch von 
Korrektionsgläsern für alle Zwecke des Verkehrs. Unsicherheit im Erkennen 
führt zu Unsicherheit im Auftreten, ungeschicktem und linkischem Benehmen. 

Der hochgradig Kurzsichtige ist ohne Glas ganz hilflos, in den höchsten 
Graden nicht viel besser daran als ein fast Blinder, dazu in höherem Masse 
den später anzuführenden Komplikationen der Kurzsichtigkeit ausgesetzt; 
sein Auge ist meist an sich krank und seine Sehschärfe herabgesetzt. 

Für viele Berufe und Betätigungen sind die Kurzsichtigen nicht oder 
in geringerem Grade als die Normalsichtigen tauglich, beispielsweise zum 
Jäger, Schützen, Soldaten, Seemann, Sportsmann, Eisenbahner, Luftschiffer, 
Kutscher, Chauffeur, Polizist usw. Bei der grossen Verbreitung der Kurz- 
sichtigkeit in Deutschland verdient diese Beeinträchtigung der Wehr- und Er- 
werbsfähigkeit auch im vaterländischen Interesse ernste Beachtung. 


Optische Ursache der Kurzsichtigkeit. 


Abnorm grosse Länge des Augapfels ist in der gróssten Mehrzahl die 
Ursache der Kurzsichtigkeit, sehr viel seltener trägt bei normaler Länge der 
Augenachse abnorm starke Brechkraft des optischen Apparats (vor allem 
der Hornhaut und der Linse) die Schuld. 


Entstehung und Verlauf. 


Das Auge des Neugeborenen ist nie kurzsichtig, sein Augapfel nie zu 
lang. Die übergrosse Länge und damit die Kurzsichtigkeit wird immer erst 
im Laufe des Wachstums erworben und zwar meist unter dem schädigen- 
den Einfluss zu starker Beschäftigung mit Nahearbeit, wie sie die Kultur 
mit sich bringt. Das normale Grössenwachstum des Augapfels findet statt 
unter dem Einfluss des wanddehnenden Augapfelinnendrucks (Spannung im 
Glaskörper).. Dieser Innendruck wird jedmalig durch Richtung des Blicks 
auf nahe Gegenstände gesteigert, und zwar durch Pressung des Augapfels 
zwischen den diese Blickrichtung (Konvergenz) besorgenden äusseren Augen- 
muskeln, welche, den Augapfel grossenteils umgreifend, ihn bewegen. Da 
dabei die Seitenteile des Augapfels durch die drückenden Muskeln selbst 
und ihre Verbindungen gestützt werden, wirkt diese Drucksteigerung nur 
in der Längsrichtung des Augapfels dehnend. Auch im kulturfreien Zustand 
beschäftigt der Mensch sich einen bescheidenen Teil seiner Tageszeit lang 
mit nahen Gegenständen. Die dabei entstehenden zeitweisen Steigerungen 
des Augapfelinnendruckes wirken bei normalwandigen Augen nur fórdernd 
auf den normalen Wachstumsprozess des Augapfels und befördern nur bei 
krankhaft wenig widerstandsfähiger Augapfelwandung (erbliche Veranlagung, 
Kranklaftigkeit der Lederhauti Entstehung von Kurzsichtiskeit (so findet 
man auch heute vereinzelt Fälle von höherer Kurzsichtigkeit bei Wilden 


Entwurf eines „Merkblatts z. Bekämpfung u. Verhütung d. Kurzsichtigkeit“. 381 


und Analphabeten) Die weitaus grösste Mehrzahl der Kurzsichtigkeitsfälle 
aber ist der im Gefolge der Kultur einhergehenden übermässigen Beschäf- 
tigung mit Nahearbeit (Lesen, Schreiben, Handarbeiten, Zeichnen usw.) zu- 
zuschreiben. Eine Brutstätte der Kurzsichtigkeit bildet vor allem die Schule. 
Den übermnässig häufigen und dauernden Drucksteigerungen, die die an- 
haltende Nahearbeit mit sich bringt, sind sehr viele der im Wachstum be- 
findlichen Augen nicht angepasst; das Längenwachstum schiesst unter diesen 
ungünstigen Einflüssen über das zweckmässige Mass hinaus. Ist aber hier- 
durch erst einmal Kurzsichtigkeit, wenn auch geringen Grades, entstanden, 
so ist damit die Gefahr einer Zunahme der Kurzsichtigkeit in ständig sich 
steigerndem Grade gegeben. Denn in den physiologischen und anatomischen 
Verhältnissen der Augapfelmuskulatur (Verknüpfung zwischen Accommodation 
und Konvergenz) ist es bedingt, dass ein kurzsichtiges Augenpaar zu immer 
weiterer Verringerung der Arbeitsdistanz neigt (Nähernelimen des Lesebuchs, 
„mit der Nase“ auf dem Schreibheft liegen). Je geringer aber die Arbeits- 
distanz, um so stärker die Konvergenz beider Augen, um so stärker die 
Pressung der Augäpfel zwischen den Augenmuskeln, um so höher der 
Binnendruck, um so stärker die Förderung des Längenwachstums des Auges, - 
bzw. der Kurzsichtigkeit. Setzen keine Gegenmassregeln ein, so folgt dar- 
aus eine ständige Zunahme der Kurzsichtigkeit während der ganzen Waclıs- 
tumsperiode, die am Auge erst etwa mit Vollendung des 24. Lebensjahres 
ihren Abschluss finde. Diese Zunahme ist um so stärker, je geringer die 
Widerstandskraft der Augapfelwand, je dauernder die Nahearbeit und je 
grösser die Annäherung derselben. Erzwungen, bzw. begünstigt wird zu 
geringe Arbeitsdistanz durch Schwachsichtigkeit aus anderer Ursache (Horn- 
hautflecken, unregelmässige Hornhautwölbung, Schichtstar und Augenhinter- 
grundskrankheiten), durch ungenügende Beleuchtung und durch schlechten 
oder zu feinen Druck. Alle solche Momente begünstigen daher die Ent- 
stehung der Kurzsichtigkeit. 


Komplikationen. 


Hochgradig kurzsichtige Augen sind von zum Teil sehr ernsten Kom- 
plikationen bedroht, von Glaskörpertrübungen, Netzhautblutungen, entzün- 
dungsartigen Vorgängen um den gelben Fleck und nn und 
damit teilweiser bis völliger Erblindung. 


Verhütung und Behandlung der Kurzsichtigkeit. 


Durch Beseitigung aller genannten Ursachen lässt sich in der grüssten 
Mehrzahl der Fälle, wohl in allen, in denen ernstere Augenkrankheiten oder 
schwere erbliche Belastung fehlen, die Entstehung der Kurzsichtigkeit so- 
wohl wie die Zunahme der bereits entstandenen verhüten. Es genügen 
dazu relativ einfache Massnalımen, und mit besonderem Nachdruck ist von 
den Schulen zu verlangen, dass sie alle Gefahren für die Gesundheit der 
Schüler bestmöglichst ausschalten. Nur in den seltensten Fällen ist zur 
Vermeidung der Kurzsichtigkeit Einschränkung der Dauer der Nahearbeit 
in der Schule erforderlich, meist genügt es, für gute Beleuchtung (von der 
linken Seite), guten, grossen Druck der Schulbücher und grosse steile Schrift 
(mit Tinte, nicht mit Blei oder Griflel; zu sorgen, mit Nachdruck auf auf- 


382 R. Halben 


rechte Körperhaltung, passende Sitze und Tische (nötigenfalls Geradehalter) 
und grosse Arbeitsdistanz (!/,m) zu achten und rechtzeitig die Kinder aus- 
zusondern, bei denen beginnende Kurzsichtigkeit oder andere Augenfehler 
zu Verringerung der Arbeitsdistanz drängen. Dazu genügt die zweimal im 
Jahre vorzunehmende Prüfung des Sehvermögens der Kinder für die Ferne 
(Lesen von Sehproben in 5—6 m Abstand). Diese einfache Prüfung kann 
jeder Lehrer vornehmen. Alle Kinder, die diese Prüfung nicht bestehen, 
bedürfen ärztlicher Untersuchung. Die meisten grösseren Städte haben durch 
Anstellung von Schulärzten, einige auch von Schulaugenärzten, diesem Be- 
dürfnis schon Rechnung getragen. Die allgemeine Einführung dieser Ein- 
richtung ist dringend im Interesse der Gerechtigkeit (man erzwingt den 
Schulbesuch, also darf die Schule nicht schaden) und des Nationalwohls zu 
verlangen. Ergibt die Untersuchung beginnende Kurzsichtigkeit oder Zu- 
nahme einer schon vorher vorhandenen, so bedarf es einfach der Verord- 
nung der vollkorrigierenden Gläser (d. h. der Konkavgläser, durch 
welche eben das Auge wieder scharf für die Ferne eingestellt wird) zu be- 
ständigem Tragen auch bei jeglicher Nahearbeit, um dem Auge 
. wieder zu ermöglichen, grosse Arbeitsdistanz innezuhalten und dadurch die 
Ursache weiterer Zunahme, zu starke Konvergenz, auszuschalten oder ab- 
zuschwächen. Andere Augenfehler bedürfen je nach Sachlage besonderer 
ärztlicher, bzw. augenärztlicher Behandlung, sollen sie nicht der Entstehung 
von Kurzsichtigkeit Vorschub leisten. Dieselbe Aufmerksamkeit wie die 
Schulen haben natürlich die Eltern zu Hause im eigensten Interesse ihrer 
Kinder auf diesen Gegenstand zu richten. Tatsächlich sind heutzutage die 
häuslichen Verhältnisse in bezug auf Beleuchtung beim Lesen und Schreiben, 
auf geeigneten Bau von Tischen und Stühlen und die Güte des Druckes 
der Privatlektüre der Kinder sehr viel schlechter als in der Schule, und 
im Hause wäre auch vielfach eine Einschränkung der Dauer der Nahearbeit 
energisch zu befürworten (Bücherwürmer! weibliche Handarbeiten!). 

Nach beendetem Augenwachstum (24. Lebensjahr) ist Entstehung von 
Kurzsichtigkeit nicht mehr zu befürchten, und eine Zunahme einer schon 
bestehenden auch nur bei schon erreichten hohen Graden, besonders auf 
der Grundlage erblicher Veranlagung. 


Verbreitung der Kurzsichtigkeit. 


Die Kurzsichtigkeit ist eine der verbreitetsten Volkskrankheiten. Je 
gründlicher der Schulzwang durchgeführt ist, je höher die Arbeitsanforde- 
rungen der Schule, um so häufiger die Kurzsichtigkeit. Daher ist die Ver- 
breitung der Kurzsichtigkeit in Deutschland viel ärger als in vielen andern 
Ländern, und in den höheren Schulen schlimmer als in den Dorfschulen. 
In den Oberklassen der Gymnasien sind statistisch bis zu 80°), Kurzsichtige 
festgestellt. Bei Frauen ist die Kurzsichtigkeit aus dem gleichen Grunde 
im ganzen etwas seltener als bei Männern. Immerhin begünstigt bei Frauen 
die Abneigung gegen eine Verunstaltung durch Gläsertragen die weitere 
Zunahme einmal bestehender Kurzsichtigkeit sehr. Schlimmer noch wirkt 
in dieser Beziehung der unter Árzten und Laien noch verbreitete 
Aberglaube, man schone die Augen durch Vermeidung von 
Brillen und solle immer suchen mit möglichst schwachen Brillen sich zu 


Entwurf eines ,, Merkblatts z. Bekámpfung u. Verhütung d. Kurzsichtigkeit*. 383 


behelfen. Das ist falsch. Man verhüte die Entstehung der Kurz- 
sichtigkeit. Ist sie aber entstanden, so trage man die richtige 
d. h. die vollkorrigierende Brille. 


Zusammenfassung. 


Kurzsichtigkeit ist bei uns weit verbreitet, sie beeinträch- 
tigt ihren Träger vielfach, setzt seine Kriegs- und Erwerbs- 
tauglichkeit herab. Sie beruht meist auf zu grosser Länge des 
Augapfels. Diese entsteht unter dem Einfluss allzuhäufiger und 
zuhoherSteigerungen desAugapfelinnendrucksauf das wachsende 
Auge, welche die Folge von Pressungen des Augapfels zwischen 
den áusseren Augenmuskeln bei zu andauernd und in zu kurzem 
Abstand ausgeübten Nahesehen sind (zu langdauerndes und in 
zu kurzer Entfernung vom Auge ausgeübtes Schreiben, Lesen, 
Zeichnen, Handarbeiten usw... Schwachsichtigkeit irgendwelcher 
Art, schlechte Beleuchtung, schlechter oder zu kleiner Druck, 
zu feine Handarbeit, zu hohe Tische, zu niedrige Stühle, kurz 
alles, was zu grosse Annäherung der Arbeitsobjekte begünstigt, 
begünstigt Entstehung und Zunahme der Kurzsichtigkeit. Vor 
allem liegt in einmal erworbener Kurzsichtigkeit der Keim zu 
immer stärkerer Annäherung der Objekte und damit zu immer 
weiterer Zunahme der Kurzsichtigkeit. Die Kurzsichtigkeit 
wird wirksam bekämpft durch ausreichende Arbeitsdistanz (!J, m) 
nebst Korrektion jeder etwa schon entstandenen Kurzsichtig- 
keit durch das vollkorrigierende Konkavglas. Ausserdem ist 
für gute Beleuchtung, guten Druck, passende Tische und Stühle 
und móglichste Heilung, bzw. Korrektion sonstiger etwaiger 
Augenfehler zu sorgen. Zweimal jährlich sollten alle Schüler 
einer Prüfung des Sehvermögens unterzogen werden. Diese 
Prüfung kann jeder Lehrer vornehmen. Alle Kinder, deren Seh- 
vermögen dabei unternormal gefunden wird, sind dem Arzt, 
bzw. Augenarzt, zur weiteren Untersuchung und event. Behand- 
lung zu übergeben. Nur so kann die Einschränkung dieser durch- 
aus nicht leicht zu nehmenden Krankheit auf wenige besonders 
dazu veranlagte Individuen erreicht werden. 


v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie, LXXIII. 2. 29 


Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 


Von 


Dr. Julius Mutermilch, 
Chef der Augenabteilung im Israeliten-Krankenhause zu Warschau. 


Mit Taf. XIV u. XV, Fig. 1—7. 


Das Trachom ist eine der ältesten und am meisten verbreiteten 
Erkrankungen, die die Menschheit plagen. 

Die anatomische sowie die klinische Untersuchung dieses Leidens 
ist verhältnismässig leicht dank dem Reichtum des Materials und 
dem freien Zutritt zu dem erkrankten Gewebe. Und doch unter- 
scheiden sich unsere heutigen Anschauungen betreffend das W esen 
des Trachoms sehr wenig von denjenigen der Ärzte des Altertums, 
und die hervorragendsten Augenärzte gestehen ganz offen, es sei 
ihnen unmöglich, eine präcise Definition des Wesens dieser Krank- 
heit zu geben. So beginnt z. B. Morax seine Abhandlung über das 
Trachom mit folgendem Bekenntnis: „La conjonctivite granuleuse est 
une des infections oculaires, dont la nature nous est encore complê- 
tement inconnue“ (Encyclopédie Française d’Ophtalmologie V. V. 
p. 730). 

Andere Forscher versuchen zwar eine konkrete Definition des 
Wesens des Trachoms zu geben, doch fehlt es ihren Anschauungen 
an strenger Prácision. Als Beispiel dazu diene die Ansicht von Th. 
Saemisch, entnommen seiner erschópfenden Monographie: Die Krank- 
heiten der Conjunctiva (Graefe-Saemisch, neueste Auflage): „Als 
Conjunctivitis granulosa (Körnerkrankheit) wird diejenige Entzün- 
dungsform der Bindehaut bezeichnet, bei welcher in der adenoiden 
Schicht derselben eine entzündliche Infiltration auftritt, die von der 
Entwicklung von Follikeln (Granula, Körner), sowie von einer Wu- 
cherung des Papillarkörpers begleitet wird und unter Umwandlung 
der erkrankten Bindehautabschnitte in Narbengewebe abläuft“ 
(Bd. V, 1. Abt., IV. Kap. $ 102). Das Wort Narbengewebe ist vom 
Verfasser unterstrichen. 


Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 385 


Aus dieser Definition gelangt man zu dem Schlusse, dass das 
Charakteristikum des Trachoms weder auf Follikelbildung, noch auf 
Wucherung des Papillarkórpers, sondern auf Entstehung der ihnen 
folgenden Narbe beruhe. Mit andern Worten ist der Augenarzt nie 
im stande, die Diagnose auf Trachom im Anfangsstadium der Er- 
krankung und während ihres Verlaufs zu stellen; es ist ihm dies erst 
möglich im Stadium der Entwicklung des Narbengewebes, d. h. fast 
nach dem Ablaufe des krankhaften Prozesses. 


Meine 22jährigen anatomischen und klinischen Untersuchungen 
des uns interessierenden Leidens haben mich zu dem Schlusse ge- 
führt, dass das Wesen und die Ätiologie des Trachoms den Augen- 
ärzten bloss deshalb so dunkel und rätselhaft erscheinen, weil sie bei 
ihren Forschungen einen Kardinalfehler begangen haben, der stets 
von neuem wiederholt wird. Der Fehler beruht darauf, dass man 
ganz unrichtig das Trachom aus dem Gebiete der Pathologie als eine 
neue, selbstindige, nosologische Form ausgeschlossen hat, die nichts 
gemeinsames mit andern wohlbekannten und genau untersuchten 
chronischen Krankheiten haben soll. 

A priori schon muss man entschieden diese Ansicht bekämpfen. 
Die Pathologie besitzt ihre unerschütterlichen Gesetze, genaue Axiome, 
die man nicht verkennen und geringschützen darf, an die man sich 
stets halten muss, wollen unsere Untersuchungen im Kontakt mit 
der strengen Wissenschaft bleiben. Das Gesetz, welchem ich für 
unsern Fall die grósste Bedeutung und Wichtigkeit zuschreibe, lüsst 
sich folgendermassen formulieren: Gewebe von analogem ana- 
tomischem Bau unter dem Einflusse gleicher schädlicher 
Faktoren erkranken in analoger Weise, d.h. erleiden gleiche 
anatomische Veränderungen und liefern im Resultat ganz 
in pathologischer sowie klinischer Beziehung identische 
Bilder. 

Da es einerseits keine speziellen, bloss für die Augenheilkunde 
geltenden Gesetze gibt, und da anderseits die Schleimhaut der Con- 
junctiva palpebr. in ihrer anatomischen Struktur sich mutatis 
mutandis kaum von der Schleimhaut der Harnróhre, Nasenhóhle, 
Gebärmutter usw. unterscheidet, gelangt man zum aprioristischen 
Schlusse, dass die chronischen Entzündungen aller genannten Schleim- 
häute in ihrer Ätiologie, ihrem Verlaufe und Endresultate identisch 
sein müssen. Bei der Äusserung dieser Ansicht werden wir durch 
eine wichtige, allgemein bekannte und häufig bestätigte Tatsache 

23" 


380 J. Mutermilch 


unterstützt: die Pathologie kennt eine ganze Reihe von Krankheits- 
prozessen, die allen genannten Geweben gemeinsam sind, z. B. die 
akute und chronische katarrhalische; die akute und chronische go- 
norrhoische; die diphtheritische, tuberkulöse, syphilitische Entzün- 
dung usw. 

Dessenungeachtet sind die Augenärzte bereit zu behaupten (ja 
sie haben es eigentlich schon behauptet), es existiere eine selbstän- 
dige infektióse Form der chronischen Entzündung, die ausschliesslich 
die Schleimhaut der Lider überfällt; es gäbe eine uns noch unbe- 
kannte Species von Mikroorganismen, die ihre schädliche Tätigkeit 
einzig und allein auf diesem Gewebe entwickeln und alle andern ihm 
ähnlichen Gewebe verschonen; es seien dies die Erreger des. Tra- 
choms, eines — hinsichtlich seines Verlaufs — klassischen Leidens, 
welches an keinem andern Ort unsers Organismus, wie an der Schleim- 
haut der Lider, nachzuweisen sei. Diese Ansicht muss jeden objek- 
tiven Forscher, der mit den Grundgesetzen der Bakteriologie gut ver- 
traut ist, befremden. Denn alle uns bekannten Bakterien siedeln sich 
an und vermehren sich überall, wo sie den ihren speziellen Lebens- 
bedürfnissen entsprechenden Boden finden; auf analog anatomisch ge- 
bauten Geweben müssen also gleiche Bakterienspecies zu finden sein. 
Berücksichtigt man den leichten Zutritt aller Mikroorganismen zu der 
Schleimhaut der Nasenhöhle und des Conjunctivalsackes, so gelangt 
man ohne Schwierigkeit zu der Überzeugung, dass diese beiden 
Schleimhäute sehr oft gleiche Bakterienspecies beherbergen. Und 
in der Tat, alle uns bekannten Krankheitsformen der Nasenschleim- 
haut (Syphilis, Tuberkulose, Gonorrhoea) finden sich in der Patho- 
lore des Conjunctivalsackes. Es wäre den Bakteriologen unmög- 
lich, ein Beispiel zu finden, dass eine Bakterienart bloss auf dem 
Gewebe eines einzigen Organs lebt und sich vermehrt, während sie 
alle übrigen analog gebauten Gewebe meidet; und daher haben wir 
Augenärzte keinen Grund, Ausnahmen für den Conjunctivalsack zu 
schaffen. 

Es ist also notwendig. auf Grund wissenschaftlicher Tatsachen, 
auf die Existenz einer selbständigen Krankheitsform, bekannt unter 
dem Namen Trachom, zu verzichten, und dieselbe in die Reihe der, 
der Pathologie allgemein bekannten, chronischen Entzündungen ein- 
zureihen. 

Dadurch. würe das Problem der Atiologie und des Wesens des 
Trachoms gelóst; es wiüre gelóst, gehórte die ganze Lehre von den 
chronischen Entzündungen zu den vollständig und genau aufgcklárten 


Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 381 


und abgeschlossenen Kapiteln der Pathologie. Dies ist aber leider 
nicht der Fall, und wir stossen auf ein neues Hindernis: auf eine 
ungenügende wissenschaftliche Begründung des Wesens der chroni- 
schen Entzündungen im allgemeinen. 

Die Lösung dieser wichtigen Frage wird uns den Schlüssel zur 
endgültigen Aufklärung des dunkeln und verwickelten Problems der 
Ätiologie des Trachoms liefern. 

Welche krankhaften Prozesse rechnen wir nun zu den chroni- 
schen Entzündungen? Die sog. „chronische Entzündung“ gehört zu 
denjenigen Krankheitsprozessen, die den tierischen Organismus nicht 
gerade selten heimsucht. Wir begegnen denselben täglich bei der Unter- 
suchung der kranken Gewebe des Menschen; wir sind im stande, die- 
selbe auch experimentell in den tierischen Geweben hervorzurufen. 
Es wäre zu erwarten, dass wir genau informiert sind nicht bloss über 
die Ätiologie dieser Krankheitserscheinung, sondern auch über die 
präcise Charakteristik jedes Einzelfalles. In der Wirklichkeit ist dem 
aber nicht so. 

Die landläufige Definition der chronischen Entzündung als einer 
lange anhaltenden Entzündung ist schon aus dem einfachen Grunde 
unhaltbar, dass wir in den unzähligen Arbeiten über diesen Gegen- 
stand eine Antwort über die Natur und das Wesen der „akuten Ent- 
zündung“ ganz vermissen. 

Anderseits finden wir, beim Versuch der Gegenüberstellung sämt- 
licher typischer Erscheinungen der chronischen mit denen der akuten 
Entzündung, solch bedeutende Unterschiede, solch absolutes Fehlen 
irgendwelcher Ähnlichkeit, solche abweichende Endziele beider Krank- 
heitsprozesse, dass wir von vornherein gezwungen sind, da sich keine 
gemeinsamen Merkmale, keine beachtenswerten Berührungspunkte 
finden lassen, die beiden Erscheinungen voneinander zu trennen, als 
zwei verschiedene Zweige der pathologischen Anatomie. 

Es liegt somit die Frage nahe, ob chronische Entzündungen 
überhaupt vorkommen. Ja, antworten wir, wir begegnen ihnen sehr 
oft in manchen gesunden Geweben, als einen unentbehrlichen, phy- 
siologischen Prozess. Diese Behauptung wird niemandem paradox 
erscheinen, der die lebhafte Emigration der Leukocyten als typische 
Haupterscheinung der Entzündung auffassen wird. Zunächst gehören 
sämtliche adenoiden Gewebe zu denjenigen, in denen sich fortwährend 
und unaufhörlich von der Geburt an bis zum Tode des tierischen 
Organismus eine chronische Entzündung abspielt. Die Emigration 
weisser Blutkörperchen hört keinen Moment auf und stellt, analog 


388 J. Mutermilch 


der fortwührenden Arbeit des Herzens, der Lungen und der Gehirn- 
zentren eine wichtige ununterbrochene Funktion des Organismus dar. 
Und es genügt tatsächlich, etwas näher auf die Aufgabe der ade- 
noiden Gewebe einzugehen, um zu verstehen, dass die scharenweise 
Auswanderung der Leukocyten, diese in ihrem Bilde klassische, chro- 
nische Entzündung, die sich in den adenoiden Geweben abspielt, eine 
notwendige, geradezu unentbehrliche Lebensbedingung höherer Or- 
ganismen darstelle. 

Lassen wir auf einen Augenblick die uns interessierende Frage 
beiseite und sehen uns beiläufig die Rolle des Epithels im Organis- 
mus und, daran anknüpfend, die hervorragende Bedeutung des ge- 
nannten chronischen Entzündungsprozesses an. 


Das Epithel hat zwei wichtige Aufgaben zu erfüllen. Die erste 
beruht darauf, dass es die Oberfläche des Körpers und mancher 
seiner Höhlen vor jeglicher exogener Noxe schützt. Als Repräsen- 
tanten dieses Typus dienen die Epidermis, die Schleimhaut der Mund- 
und Nasenhöhle, der Vagina usw. In diesem Falle haben wir es 
mit einem mehrschichtigen Epithel zu tun, das direkt, rein mecha- 
nisch durch seine Dicke die tiefer liegenden Gewebe vor der unmittel- 
baren, unzweifelhaft schädlichen Berührung mit der Aussenwelt schützt. 
Die zweite Aufgabe ist eigenartiger, nicht passiver Natur, und beruht 
auf aktiver, sehr nutzbringender Teilnahme an der Arbeit, welche in 
der histologischen Stufenleiter höher situierte Gewebe im Organismus 
zu besorgen pflegen. Diese Art von Epithel wird repräsentiert vom 
cylindrischen Epithel mit sämtlichen Varietäten desselben, in welchem 
jede einzelne Zelle gelegentlich einen selbständigen Sekretionsapparat 
darstellt. Dieses Epithel finden wir auf der Oberfläche der Conjunc- 
tiva, einer begrenzten Abteilung der Nasenhöhle, auf der ganzen 
Oberfläche des gastrointestinalen Tractus usw. Angesichts seines 
ausserordentlich feinen Baues ist dieses Gewebe, aus leicht verständ- 
lichen Gründen, nicht im stande, hinreichend die tiefer gelegenen 
Schichten zu schützen vor dem Eindringen der ergiebig auf seiner 
Oberfläche schmarotzenden vielgestaltigen Mikroorganismen. 

Sollte der Schutz der tieferen Gewebe und der Säfte, die sehr 
leicht der Infektion verfallen und sehr bequeme Vermehrungsbedingun- 
gen der Mikroorganismen darbieten, einzig’ und allein dem cylindri- 
schen Epithel überlassen bleiben, dann würde das Leben des Organis- 
mus ganz unmöglich sein, und deswegen ruht das Cylinderepithel, 
überall wo es sich findet, auf einer Unterlage von adenoidem Gewebe, 


Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. . 889 


das unter gewöhnlichen Bedingungen eine undurchdringbare Scheide- 
wand bildet für die Parasiten, denen es nicht schwer fallen würde, 
die dünne Epithelschicht zu durchbrechen. 

Unter diesen Bedingungen muss sich beispielsweise im Darm, 
wo sich die Mikroorganismen dank den ausnehmend günstigen Be- 
dingungen ausgezeichnet vermehren und wahrscheinlich ‘ohne Schwierig- 
keit tiefer dringen, das Substrat des Epithels im Zustande chronischer 
Entzündung finden, welch letztere sich in ununterbrochenem Zufluss 
lymphoidaler Elemente, die ihm seine Sonderstellung schaffen, kund- 
gibt. Nur in dieser Weise dürfen wir die Bedeutung des adenoiden 
Gewebes im Darme auffassen und die von vielen Physiologen geteilte 
Theorie ablehnen, derzufolge den Iymphatischen Elementen bloss die 
Rolle fettaufsaugender Körperchen zukäme. 

Das adenoide Gewebe dürfte somit repräsentieren den ver- 
einzelt im Organismus dastehenden Fall chronischer, das ganze 
Leben des Organismus andauernder Entzündung. Aber, wie wir 
sehen, ist sie hier physiologischer Natur und unentbehrliche Lebens- 
bedingung. 

Sieht man von diesem Beispiele ab, so finden sich nirgends 
chronische Entzündungsprozesse, weder in normalen, noch in patho- 
logischen Zuständen. | 

Es entstehen somit folgende Fragen: Zu welcher Kategorie von 
Krankheitsprozessen gehóren diejenigen nosologischen Formen, die in 
der Medizin allgemein als chronische Entzündungen figurieren? Wozu 
dienen und was bedeuten diese äusserst interessanten Erscheinungen, 
die beim genannten Prozesse in den Geweben vor sich gehen? Wes- 
halb dauern diese Erscheinungen so lange? Dank welchen Bedingun- 
gen entwickelt sich regelmässig eine intensive Wucherung des Binde- 
gewebes? Welche Ziele und Ursachen treten hier ins Spiel? Wes- 
wegen ändern die chronisch entzündeten Gewebe ihren anatomischen 
Charakter? 

Die Beantwortung all’ dieser Fragen gelingt ohne weiteres, wenn 
man diesen Prozess in seinen Details Schritt auf Schritt verfolgt; 
vom Momente der Entstehung an bis zum Abschluss, bis zum End- 
gliede der langen Kette unmittelbar aufeinander folgender Verände- 
rungen. 

Angesichts der Tatsache, dass die Schleimhäute leichter und 
relativ öfter den chronischen Entzündungsprozessen unterliegen und 
dass dieselben hier äusserst charakteristische und intensive anatomische 


390 J. Mutermilch 


Alterationen verursachen, will ich als Paradigma das Conjunctival- 
trachom beschreiben, diese geradezu langwierigste Schleimhaut- 
entzündung, insbesondere da sich das betreffende Gewebe ziemlich 
leicht untersuchen lässt. 

Bemerkt sei von vornherein, dass die genannte Krankheitsform 
in keiner Weise sich von sonstigen Schleimhautentzündungen unter- 
scheidet und dass die Bezeichnung „Traclıom“ zu den nichts präju- 
dizierenden Nachbleibseln pathologischer Systematik gehört. Mit dem- 
selben Rechte könnte jede Entzündung der Harnröhrenschleimhaut 
Trachoma urethrae genannt werden. Klingt das Conjunctival- 
trachom nicht in dem Masse unser Ohr verletzend, wie das Urethral- 
trachom, so ist es durchaus nicht der Verschiedenheit der Krank- 
heitsprozesse zuzuschreiben, sondern, wie gesagt, einem eigentünlichen 
Konservatismus auf dem Gebiete anatomischer Untersuchungen in der 
Augenheilkunde und der Bewahrung der alten, durch Nichts gerecht- 
fertigten Terminologie. | 


Die chronische Conjunctivitis stellt, wie uns die Klinik lehrt, 
eine Fortsetzung der akuten dar. Das soll aber nicht sagen, dass 
jeder akuten eine chronische folgen muss; in der Mehrzahl der Fälle 
kehrt die akut entzündete Schleimhaut ad integrum zurück. 

Nicht den ätiologischen Momenten ist dieser oder jener Aus- 
gang zuzuschreiben, da, wie man es zu sehen bekommt, bei manchen 
Endemien einzelne Patienten rasch gesunden, indem bei andern 
Individuen, die die Krankheit aus derselben Quelle acquiriert haben 
und unter denselben Bedingungen leben, die akute Conjunctivitis in 
eine klassisch chronische Form übergeht. 

Die Hauptveränderungen beruhen bei der akuten Bindehaut- 
entzündung auf einer schleimigen Degeneration des Epithels, das hier 
und da in malignen Fällen ganz zerstört wird, auf Hyperämie und 
kleinzelliger Infiltration der adenoiden Schicht. 

Lässt die krankheitserregende Ursache nach, so bedeckt auts 
neue die sich leicht regenerierende Epithelschicht in unveränderter 
Form die Oberfläche, und der Überschuss von lymphatischen Körper- 
chen wird teils in den Conjunctivalsack entleert, teils durch die 
Lymphgefässe in das gemeinsame Blutcirkulationssystem befördert, 
und auf diese Weise kehrt alles zur Norm zurück. 

In bestimmten Fällen jedoch, beispielsweise nach schweren akuten 
Entzündungen gonorrhoischer oder diphtheritischer Natur, bleiben ab 
und zu schwere anatomische Spuren der Zerstörung sowohl im Epithel 


Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 391 


als im adenoiden Gewebe nach. Beide unterliegen tiefgreifenden 
Alterationen, die den Typus der normalen Conjunctiva verwischen, 
und diese Veränderungen üben einen enormen Einfluss auf den weite- 
ren Verlauf des Prozesses, indem sie ihn hier und da sehr in die 
Länge ziehen. 

Um die Ursachen und Bedeutung dieser anatomischen Ver- 
änderungen genügend zu würdigen, müssen wir uns zunächst ge- 
nau verständigen über die wechselseitige Abhängigkeit, die aus- 
nahmslos im Organismus zwischen dem Epithel und seinem Sub- 
strat, dem Unterhautzellgewebe, herrscht. Das gegenseitige Ver- 
hältnis ist ziemlich einfach: da das cylindrische Epithel in seinen 
sämtlichen Varietäten eine sehr lebhafte und aktive Teilnahme an 
der Arbeit für den Organismus hat, so muss es naturgemäss auf 
einem Gewebe ruhen, das reichlich mit ernährenden Säften ver- 
sehen ist, und wir finden tatsächlich immer und überall unter der 
Epithelschicht ein loses und saftreiches Substrat. Und vice versa 
auf der dichtfaserigen, derben und relativ trockenen Bindegewebs- 
schicht kann sich nur ein mehrschichtiges epidermoidales Epithel nor- 
mal entwickeln. 

Stellen wir uns nun vor, dass irgendwelcher Krankheitsprozess 
in der Weise das adenoide Gewebe alteriert, dass sein anatomischer 
Charakter modifiziert wird, indem es die Eigentümlichkeiten eines 
dickmaschigen, derbfaserigen, saftarmen Bindegewebes annimmt. Was 
geschieht dann mit dem es überziehenden Cylinderepithel? Es unter- 
liegt selbsverständlich sehr mächtigen Veränderungen. 

Dasselbe Verhältnis finden wir auch in der Conjunctiva, deren 
adenoides Gewebe bei schweren Entzündungen eine intensive Mo- 
difikation durchmacht. Infolge der starken Infiltration und des 
abnormen Gefässreichtums bei schweren Conjunctivitiden — bei- 
spielsweise gonorrhoischer oder diphtheritischer Natur — bilden 
sich aus leicht verständlichen Gründen nach Abschluss des akuten 
langanhaltenden Stadiums sehr viele bindegewebige Fasern aus, 
die den Grundcharakter des adenoiden Gewebes ändern, indem es 
die aufliegende Epithelschicht sehr dürftig mit ernährenden Sütten 
versieht. 

Unmittelbar darauf folgt das Verlorengehen der Fähigkeit, die 
histologische Struktur beizubehalten. Wie man sich leicht davon an 
anatomischen Präparaten überzeugen kann, weicht das neugebildete 
Epithel bedeutend vom normalen Typus ab und nähert sich einiger- 
massen dem vielschichtigen: anstatt der üblichen einzigen Zellen- 


392 J. Mutermilch 


schicht finden wir drei oder vier Reihen, deren oberste aus leicht 
abgeplatteten Zellen besteht. 

Von dem Moment an, wo das Bindehautzellgewebe dieser Alte- 
ration unterlegen ist, beginnt eben die chronische Entzündung, 
Trachom genannt, die eine Reihe von Erscheinungen aufweist, welche 
ganz abweichender Natur und Ätiologie sind und ganz andere Ziele 
verfolgen, als diejenigen, die das Bild der akuten Entzündung aus- 
machen. 

Die akute Entzündung ist eine Reaktion des Organismus gegen 
das Eindringen der Mikroorganismen, ein Kampf gegen die schäd- 
lichen exogenen Faktoren; bei der chronischen Entzündung liegen 
ganz andere Verhältnisse vor. 


Analysieren wir genauer den Endeffekt, der sich darin äussert, 
dass an Stelle des weichen adenoiden Gewebes ein derbes binde- 
gewebiges Substrat und an Stelle des Cylinderepithels ein epider- 
moidales sich ausbildet (Taf. XIV u. XV, Fig. 1 und 7), so drängt 
sich uns zunächst die Frage auf: welche unüberwindbaren Fak- 
toren verursachen diese schwere Metamorphose, als Endprodukt 
jeder intensiven chronischen Conjunctivitis? Weswegen bleibt der 
pseudoentzündliche Prozess nicht bei einer der vorangehenden Etappen 
stehen ? 

Diese Fragen werden sich vom bakteriologischen Gesichtspunkte 
aus nicht beantworten lassen: die nachteilige Tätigkeit der Mikro- 
organismen äussert sich hauptsächlich in ihrem zerstörenden Einfluss 
auf die anatomischen Elemente. Wir sind somit gezwungen, die un- 
mittelbare Beteiligung der Bakterien an dieser auffallenden und, fügen 
wir hinzu, vom teleologischen Gesichtspunkte ganz zweckmässigen 
anatomischen Metamorphose vorderhand auszuschliessen und die Lö- 
sung der Frage auf anderm Wege zu suchen. Wir werden die Be- 
antwortung unschwer finden beim Vergleichen derjenigen Verhältnisse, 
unter denen die einschlägigen Gewebe normaliter funktionieren und 
gedeihen, mit denen sie sich im Laufe des schweren Leidens ausge- 
bildet haben. 

Jedes Gewebe, trotzdem es fortwährend mit verschiedenen, von 
aussen einwirkenden Noxen zu kämpfen hat, lebt und funktioniert, 
insofern seine anatomischen Elemente in höherem oder schwächerem 
Grade eine bestimmte Widerstandsfähigkeit gegen die störenden Ein- 
flüsse besitzen. Die Widerstandsfühigkeit des Epithelgewebes kann 
zweierlei sein: entweder eine passive, die, wie es bei der Haut der 


Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 393 


Fall ist, darauf beruht, dass die oberflächlichen, verhornten Zellen die 
tiefer liegenden überdeckend, wie eine undurchdringbare Mauer schützen; 
oder eine aktive, die, wie wir es beim Cylinderepithel beobachten, 
darin sich kundgibt, dass seine Zellen trotz ihrer leichten Zerstör- 
barkeit sich sehr rasch regenerieren und zwar dank den äusserst 
günstigen Ernährungsbedingungen, dem Saftreichtum und der reich- 
lichen Gefässversorgung des adenoiden Gewebes. 

Es muss daraus geschlossen werden, dass das Leben des Cy- 
linderepithels in engem Zusammenhange mit seinem Substrat sich 
befindet, und dass jeder ernste Krankheitsprozess, der dessen ana- 
tomischen Bau modifiziert, unumgänglich auch die Lebensfähigkeit 
der Epithelzellen aufhebt. 

Hat somit im Anschluss an eine akute Entzündung das ade- 
noide Gewebe seine Saftigkeit einigermassen verloren, hat sich die 
Menge der nötigen Ernährungssäfte vermindert, so wird die unmittelbare 
Folge eine geringere Resistenzfähigkeit der Epithelzellen, ein herab- 
gesetztes Regenerationsvermögen sein. Alles das leistet neuen Ent- 
zündungsvorgängen Vorschub. Letztere rufen ihrerseits immer inten- 
sivere anatomische Veränderungen im adenoiden Gewebe hervor, und 
in dieser Weise bildet sich ein Circulus vitiosus aus, der sich ins 
Unbegrenzte ziehen würde, falls die Gewebe nicht die Fähigkeit 
hätten, neuen Lebensbedingungen sich anzupassen. 

Wie hilft sich in solchen Fällen das Epithel, das sein physio- 
logisches, zur Existenz unentbehrliches Gleichgewicht eingebüsst hat, 
welches zwischen ihm und seinem Substrat geherrscht hatte? Es 
ändert eben den unzweckmässigen, unter den neuen Lebensbedingungen 
wenig resistenzfähigen Typus und nimmt allmählich die Form eines 
mehrschichtigen, epidermoidalen an. 

Diese Metamorphose geht vor sich ziemlich langsam, stufenweise, 
da die Conjunctiva wiederholten akuten Entzündungen unterworfen 
ist, bis sich schliesslich und unwiderruflich ein bindegewebiges Sub- 
strat ausbildet, auf dem das mehrschichtige Epithel einen festen 
Sitz findet. 

Letzteres kann in einer zwar veränderten Form seine verlorene 
Resistenz wiedererlangen und ın dieser Weise neuen Entzündungs- 
prozessen erfolgreich vorbeugen. 

Aus dem Gesagten, aus den eingehenden Betrachtungen der 
chronischen Conjunctivitis und ihrer stufenmässigen Entwicklung lässt 
sich ohne weiteres schliessen, dass der unrichtig als chronische Ent- 
zündung bezeichnete Prozess aus einer grösseren Reihe abwechselnd 


394 J. Mutermilch 


aufeinanderfolgender kurzdauernder akuter Entzündungen sich zu- 
sammensetzt, die durch die herabgesetzte Resistenz der betreffenden 
Gewebsbestandteile bedingt sind. 

Es wurde oben erwähnt, dass dem Trachom keineswegs eine 
Sonderstellung in der pathologischen Anatomie zukommt; auch an 
sämtlichen übrigen Schleimhäuten ist die chronische Entzündung eine 
Folge des gestörten Gleichgewichtes ihrer Bestandteile, und überall 
finden wir als Endeffekt an Stelle des weichen adenoiden Gewebes 
ein derbes bindegewebiges — und an Stelle des cylindrischen Epithels 
ein epidermoidales. 

Den trachomatösen analoge Veränderungen finden wir an der 
Nasenschleimhaut bei der Rhinitis atrophicans, an der Urethral- 
schleimhaut bei der Urethritis chronica, nur sind letztere von den 
sie beobachtenden Autoren (Legrain, Fürbringer, Finger, Baraban) 
nicht richtig interpretiert worden. Baraban z. B., dem die Meta- 
morphose des Epithels in einem Falle von chronischem Tripper auf- 
fiel, glaubt sie dem nachteiligen Einfluss der spezifischen Gonocokken 
auf die Zellelemente zuschreiben zu dürfen, — eine ebenso völlig 
unbegründete Auffassung, da die Tätigkeit der Mikroorganismen eine 
zerstörende, nie schöpferische ist. 

Über die Umwandlung des cylindrischen in mehrschichtiges Epithel 
spricht auch bei chronischer Metritis Cornil in seinen „Lecons sur 
l'anatomie pathologique des metrites, des salpingites et 
des cancers de l'uterus', ohne jedoch náher auf diese ungewóhn- 
liche Erscheinung einzugehen, sie wahrscheinlich als Zufälligkeit auf- 
fassend. 

Ich bin überzeugt, dass die oben genauer besprochenen Ver- 
änderungen der Conjunctivalschleimhaut auch in der Schleimhaut 
des Magens bei Gastritis atrophicans zu finden sind, sonst wären 
ganz unverständlich die Chronizität des Prozesses und die Atrophie 
der Schleimhaut. 


So verhält sich die Sache bei der chronischen Entzündung der- 
jenigen Schleimhäute, die aus einem einschichtigen Cylinderepithel 
und dem Iymphkörperchenreichen adenoiden Substrat bestehen. Es 
fragt sich nun, wie sich die angeblich entzündlichen Prozesse in den 
Schleimhäuten mit mehrschichtigem Epithel verhalten. 

Schon a priori dürfen wir zu dem scheinbar paradoxen Schluss 
gelangen, dass hier keine chronische Entzündung vorkommen könne, 
insbesondere im Hinblick einerseits auf die uns bekannten ätiolo- 


Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 395 


gischen Momente der oben besprochenen Schleimhautentzündungen, 
anderseits auf die wechselseitige Abhängigkeit der Bestandteile der 
erwähnten Schleimhäute. In diesem Falle kann doch tatsächlich 
keine Rede sein von einem Verluste des anatomischen Gleichge- 
wichtes, der im adenoiden Gewebe die ganze Reihe derjenigen Ver- 
änderungen hervorrief, welche unentbehrlich waren, um eine neue 
histologische Konfiguration zu schaffen und eine fernere Existenz dem 
(Gewebe zu sichern. 

Und in der Tat finden wir beispielsweise an der Mundschleim- 
haut, soviel wır durch die klinischen Beobachtungen und ana- 
tomischen Forschungen unterrichtet sind, keine der Conjunctivitis 
analoge, ausgebildete chronische Entzündung, trotzdem diese Schleim- 
haut fortwährenden Noxen ausgesetzt ist, trotzdem sie unaufhör- 
lich mechanisch durch die Speisen, chemisch durch geistige Ge- 
tränke gereizt wird, trotzdem auf ihrer Oberfläche eine enorm reiche 
Flora mehr oder weniger bösartiger Mikroorganismen permanent nach- 
weisbar ist. 

In der Vagina, die häufig von den Neisserschen Gonocokken 
heimgesucht wird, begegnen wir ebenfalls nicht einer chronischen Ent- 
zündung in oben geschildertem Sinne. Die nachteilige Tätigkeit der 
spezifischen Bakterien beschränkt sich einzig und allein auf eine 
Reizung des Epithels, die sich ın einer Wucherung der Zellen und 
in einer mehr oder minder intensiven Entwicklung von Zotten kund- 
gibt. Es handelt sich somit hier um einen hyperplastischen und nicht 
inflammatorischen Prozess (Colpitis granulosa). 

In der Unmöglichkeit der Ausbildung einer chronischen Ent- 

zündung in Schleimhüuten nicht adenoiden Baues finden wir so- 
mit wiederum eine Stütze der oben vertretenen Ansicht über die 
Natur der Entzündung der Conjunctivalschleimhaut und der ihr nahe- 
verwandten Schleimhäute. 


Die adenoide Schleimhaut stellt einen integralen Bestandteil dar 
mehrerer in physiologischer Hinsicht lebenswichtiger und in bezug 
auf den anatomischen Bau äusserst komplizierter Organe des mensch- 
lichen Körpers. 


Als solches Organ gilt z. B. die Niere, deren Hauptbestandteil vom 
Cylinderepithel repräsentiert wird, dem als Substrat naturgemiiss adenoides 
Gewebe dient. Jeder akute Krankheitsprozess, der es einmal vermag, den 
anatomischen Bau des Epithelsubstrats zu modifizieren, muss somit infolge der 
besprochenen Störung des histologischen Gleiehzewichtszustandes unbedinst 


396 J. Mutermilch 


zum Ausgangspunkt werden einer ganzen Reihe zweckmässiger Veränderungen, 
die wir bei der chronischen Conjunctivitis beobachten. 

Nur in dieser Weise verstehen wir, weswegen in manchen Fällen die 
akute Nephritis sich durch nichts aufhalten lässt. Selbstverständlich unter- 
liegt das Nierengewebe nie in toto einer Metamorphose, da der Tod des 
Organismus eintritt, bevor der Krankheitsprozess das genannte Ziel erreicht. 
Da jedoch die Nierenentzündung meist herdförmig, selten diffus auftritt, so 
sind wir im stande, wie uns die anatomische Analyse belehrt, bier und da 
eireumseripten Schwund des adenoiden Gewebes mit der entsprechenden 
Metamorphose der Epithelzellen nachzuweisen. 


Zu den chronischen Entzündungen rechnen die Anatomopatho- 
logen diejenigen nicht seltenen Krankheitsprozesse, die hauptsächlich 
durch übermässige Hypertrophie des Bindegewebes charakterisiert 
sind und als „Sklerosen“ oder genauer „Inflammatio interstitialis“ be- 
zeichnet werden. Die letzte Benennung weist darauf hin, dass nach 
Ansicht der Untersucher der Prozess im interstitiellen Gewebe be- 
ginnt und dort sich hauptsächlich entwickelt. Diese Ansicht wird 
durch die Tatsache gestützt, dass man einerseits in solchen Fällen 
im Parenchym nicht die üblichen Veränderungen findet, und ander- 
seits die lebhafte Teilnahme des intercellulären Bindegewebes wahr- 
nimmt. 

Will man dennoch zugeben, dass der Ausgangspunkt das Binde- 
gewebe sei, so bleibt immerhin unverständlich dem unvoreingenom- 
menen Beobachter, welchem das Bild der klassischen und zweck- 
mässigen Erscheinungen der akuten Entzündung vor den Augen steht, 
weshalb diesem Prozess, der kein charakteristisches Symptom auf- 
zuweisen hat, die Bezeichnung „Inflammatio“ überhaupt zukommt. 
Man müsste, streng genommen, solche Formen eher als hyperpla- 
stische auffassen und sie in eine passendere pathologische Gruppe 
unterbringen. So dürfte man vorgehen, wollte man glauben, es be- 
sinne der Krankheitsprozess tatsächlich im interstitiellen Gewebe. 

(Genauere Beobachtungen und kritische Analyse einschlägiger 
Fülle beweisen jedoch, dass auch hier der Prozess nicht im Binde- 
gewebe, sondern in den parenchymatósen Elementen beginnt. 


Ähnliches finden wir bei den chronischen Erkrankungen des Nerven- 
systems. Sowohl die klinischen Beobachtungen wie die anatomischen Unter- 
suchungen sprechen ganz deutlich für den Beginn der Degeneration in den 
Nervenzellen, die dureh neu sich entwiekelndes Bindegewebe vertreten 
werden, indem letzteres bekanntlich eine enorme Wucherungsfähigkeit be- 
sitzt und den von höheren Elementen im Organismus verlassenen Platz zu 
ersetzen sucht. „Man hat aufgestellt, sagen ganz richtig Leyden und 


Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 397 


Goldscheider!), dass die Tabes eine sehr chronische Entzündung- Leuko- 
myelitis sei; diese Ansicht ist nicht berechtigt. Man gründete sie auf dem 
Befund reichlicher Kernwucherung und Bindegewebsbildung. Leyden hat 
stets, als einer der ersten, die Ansicht vertreten, dass es sich im wesent- 
lichen um einen Schwund der Nervensubstanz, eine parenchyma- 
töse Degeneration handle und dass die übrigen Veränderungen sekun- 
därer Natur seien.“ 

In derselben Weise dürfte die chronische Hepatitis aufgefasst werden, 
bei der die Hypertrophie des intercellulären Gewebes mit dem Schwund 
der Leberzellen gleichen Schritt hält. 


Es erübrigt noch, eines der verbreitetsten und interessantesten 
Krankheitsprozesses Erwähnung zu tun, den die pathologische Ana- 
tomie zu den typischen chronischen Entzündungen zählt. Ich meine 
die Tuberkulose, die, wenn sie einmal den Organismus befällt, ihn 
in der Mehrzahl der Fälle bis zum Exitus letalis begleitet. Sie ist 
Jedoch nur scheinbar eine chronische Entzündung, da die Chro- 
nizitit hier nur eine klinische, aber nicht anatomische Be- 
deutung besitzt. 

Die Tuberkulose setzt sich eben zusammen aus einer Reihe 
akuter rasch vorübergehender Entzündungen, die ihr durch Summation 
den im klinischen Sinne chronischen Charakter verleihen, und kónnen 
auch deswegen die Veründerungen vom anatomischen Gesichtspunkte 
aus nicht zu den chronischen gerechnet werden: die sich entwickelnde 
akute circumscripte Entzündung (Tuberkel), als Reaktion des Orga- 
nismus gegen die lokale Infektion, macht zwar viele Metamorphosen 
durch, die jedoch sämtlich den Stempel der Degeneration, aber nicht 
Inflammation tragen. 


Das Resümee des Gesagten führt uns somit zum Schluss, dass 
das Kapitel über chronische Entzündung künstlich geschaffen wurde 
und ein Mixtum compositum von Krankheitsprozessen umfasst, die 
entweder nichts gemeinsames miteinander besitzen, oder der land- 
läufigen Definition der Entzündung sich nicht subsumieren lassen. 

Es mag kurz hinzugefügt werden, dass die hier beiläufig be- 
rührte fundamentale Frage nicht allein vom theoretischen Gesichts- 
punkte äusserst wichtig ist. Sie besitzt auch praktisch manche Be- 
deutung, indem sie am einfachsten unsere sämtlichen, am meisten 
angewendeten therapeutischen. Handgritfe, z. B. beim Trachom, be- 

© E. Leiden und Goldscheider, Die Erkrankungen des Rückenmarkes 
und der Medulla oblongata ($ 518). 


398 ` J. Mutermilch 


gründet. Seit den ältesten Zeiten waren die Augenärzte instinktiv 
bestrebt, durch chirurgische und pharmazeutische Methoden beim 
Trachom zur möglichst raschen Ausbildung einer, die Conjunctiva 
schützenden, neuen, festen, vielschichtigen Schleimhaut zu bringen. 
Die Praxis ist somit auch hier, wie es so oft in der Me- 
dizin der Fall ist, der Theorie um mehrere Jahrhunderte 
vorangeeilt. 


Unter zahlreichen anatomischen Veränderungen, die das Trachom 
charakterisieren, betrachten die Augenärzte den Follikel als sein 
pathognomonisches Hauptmerkmal. Ich will nicht auf alle Details der 
Follikelbildung und Bedeutung eingehen; diesem Gegenstand habe ich 
eine spezielle Arbeit gewidmet (Anatomie des inflammations 
chronique de la conjonctive. Annales d'oculistique, 189? 
Mai); erlaube mir aber in Auszügen dasjenige anzuführen, was am 
deutlichsten meinen Standpunkt charakterisiert: „Je stärker die Ent- 
zündung, je länger sie dauert, desto energischer ist die Auswanderung 
der weissen Blutkörperchen, desto dichter und breiter die Zone der 
kleinzelligen Infiltration. Die in ihren peripheren Schichten liegenden 
zelligen Elemente können von dem umgebenden Gewebe die zu ihrer 
Lebensfunktion bzw. Bewegung unentbehrliche Menge Sauerstoff 
schöpfen und behalten deswegen länger ihre normalen Eigenschaften; 
Zellen, die im Zentrum der Infiltration liegen, befinden sich in be- 
zug auf Ernährung in weit schlimmerer Lage und degenerieren leichter 
und schneller. Einen entschieden nachteiligen Einfluss auf die Leu- 
kocyten üben manche individuellen Eigenschaften des Organismus 
und die unhygienischen Lebensbedingungen. Bei sog. Iymphatischen 
Individuen, oder bei solchen, deren Organismus durch ein chronisches 
Leiden oder mangelhafte und schlechte Ernährung geschwächt ist, 
verlaufen die Oxydationsprozesse nicht energisch genug. Die weissen 
Blutkörperchen haben ihre Lebenskraft teilweise eingebüsst und ver- 
lieren bald nach ihrem Austritt aus den Gefüssen das Bewegungs- 
vermögen. Diese Erscheinung hat nichts besonderes an sich; es ist 
Ja allgemein bekannt, dass ihre Bewegungen bloss bei freiem Zutritt 
von Sauerstoff ausgeführt werden können; dank diesen allgemein 
gültigen Momenten erfährt eine beträchtliche Zahl von Leukocyten patlıo- 
logische Veränderungen, und mitten in der entzündlichen Infiltration bil- 
den siech Hauten, bestehend aus degenerierten Lymphzellen. Der ana- 
tomische Bau des subepithelialen adenoiden Bindegewebes begünstigt 
sehr solche Haufenbildung; auch in einer normalen Conjunctiva 


Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 399 


sammeln sich in seinen Maschen mitunter Wanderzellen in betrücht- 
licher Zahl an. Einzelne degenerierte Leukocyten oder kleine Gruppen 
derselben unterliegen leicht der regressiven Metamorphose und der 
Resorption, — nach Ablauf des entzündlichen Prozesses findet man 
keine Spur ihrer Anwesenheit in der Conjunctiva. Entstehen jedoch 
im Gebiete der kleinzelligen Infiltration umfangreiche Degenerations- 
herde, so erfolgt ihre Resorption nicht so leicht; die degenerierenden 
Leukocyten quellen auf, zerfliessen miteinander, — es entstehen aus 
ihnen mehr oder minder von dem übrigen Gewebe abgegrenzte Ge- 
bilde und diese bilden den Ausgangspunkt der spüteren Follikel — 
sie sind Kerne derselben. 

Bei näherem Studium ihrer weiteren Schicksale ergibt sich, dass 
die Follikelkerne sich stets in gleicher Weise zu dem umgebenden 
Gewebe verhalten und stets dieselben Veränderungen erleiden, die 
zwei verschiedene Stadien aufweisen. Das erste ist das Stadium des 
Wachstums und führt zur Ausbildung der charakteristischen reifen 
Follikel; ihm folgt das Stadium der regressiven Metamorphose, die 
nach und nach zum Schwunde dieser Gebilde führt. Erinnert man 
sich an die Experimente von Ranvier (Traité technique d’his- 
tologie), der kleine Holundermarkstücke in die Lymphräume des 
Frosches brachte, um zu beweisen, dass Leukocyten leicht in poröse 
Körper hineinwandern können, so wird schon a priori verständlich, 
wie aus einem kleinen Haufen degenerierter Zellen sich der typische 
Follikel bildet. Die den Kern desselben umgebenden normalen Wander- 
zellen können mit Leichtigkeit von der Peripherie in das Zentrum 
desselben hineindringen; sie haben es hier mit einem Fremdkörper 
zu tun, dessen Konsistenz ihren Bewegungen keinen Widerstand bietet. 
Diese Erscheinung lässt sich in der Conjunctiva leicht nachweisen. 
Das Verhältnis der Wanderzellen zu den verschiedenen Schichten 
des in die Lymphräume eingeführten Holundermarks und zu den 
Degenerationsherden im Conjunctivalgewebe ist ganz identisch: es 
sammeln sich in den peripheren Schichten des Follikels in grosser 
Zahl normale Zellen; nähert man sich aber seinem Zentrum, so 
werden die normalen zelligen Elemente spirlicher und sterben in dem 
zentralen Teile des Follikels, wo Sauerstoff fehlt, ab. 

Der anatomische Bau des adenoiden Gewebes, das 
spezifische Verhalten der Leukocyten Fremdkörpern von 
gewisser Konsistenz gegenüber und die individuellen Eigen- 
schaften des Organismus — das sind Faktoren, die die 
Entstehung von Follikeln bei jeder Bindehautentzündung 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 2, 26 


400 J. Mutermilch 


beherrschen. . Der mit Hämatoxylin gefärbte Follikel sieht ganz 
eigenartig aus: seine Peripherie — normale Zellen enthaltend — ist 
viel intensiver gefärbt als das Zentrum, wo degenerierte Zellen vor- 
wiegen. Das Bild ändert sich jedoch mit der Zeit, d. h. beim Über- 
gang des ersten Stadiums in das zweite. 

Jede neue Exacerbation führt zum Wachstum der schon vor- 
handenen Follikel und zwar in folgender Weise: die peripher liegen- 
den normalen Zellen degenerieren mit der Zeit aus leicht verständ- 
lichen Gründen und dienen zur Vergrösserung des Kerns, gleichzeitig 
sammeln sich um dieselben herum neue Leukocyten und bilden die 
periphere Schicht usw. Es ist klar, warum das Wachstum der Fol- 
likel eine Grenze hat. Wenn der Follikel, der bloss in der subepithe- 
lialen adenoiden Schicht sich zu entwickeln vermag, bei seinem 
Wachstum mit den tieferen Schichten des Bindegewebes in Berührung 
kommt, so findet er in der anatomischen Struktur desselben ein Hin- 
dernis für seine weitere Entwicklung. Dieses Gewebe ist faserig, 
also viel dichter und resistenter und bildet kein günstiges Medium 
für Follikelbildung; es gibt nur wenig dem Drucke derselben nach 
und zwar nicht ohne entsprechende Reaktionen. Seine, durch hinein- 
wachsende Follikel stets gereizten Fasern erleiden nun in unmittel- 
barer Nachbarschaft des Follikels gewisse Veränderungen (Verdickung 
und Sklerose der Faserbündel) deren Resultat die Bildung einer 
homogenen wohlkonturierten Follikelkapsel ist. Dieselbe stellt ein 
Hindernis der Einwanderung von Leukocyten dar; deshalb bieten 
ältere mit Hämatoxylin gefärbte Follikel ein verschiedenes Aussehen 
von den jungen, die das faserige Bindegewebe noch nicht erreicht. 
haben. Die jungen besitzen ein schwach sich färbendes Zentrum 
und eine intensiv gefärbte periphere zellige Zone; bei den alten ist 
diese Zone auf dem Durchschnitt halbmondförmig und umgibt den 
dem Epithel zugekehrten Teil des Follikels und seine Seitenflächen. 
Da der Follikel bei seiner Entwicklung auf keinen Widerstand von 
der Seite des Epithels stösst, nähert er sich immer mehr der Conjunc- 
tivaloberfläche und bringt die Epithelzellen zur Atrophie. Der Follikel 
bricht durch und sein erweichter Inhalt entleert sich nach aussen. 
Niemals kann auf diese Weise der Follikel in toto aus dem Gewebe 
entfernt werden — darüber habe ich mich wiederholt bei meinen 
Untersuchungen überzeugt. 

In den Follikeln spielen sich vom ersten Momente ihrer Ent- 
stehung gleichzeitig zwei entgegengesetzte Prozesse ab: die Einwan- 
derung gesunder Leukocyten und die Resorption der degenerierten 


Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 401 


Zellen. Im ersten Stadium überwiegt der erste dieser Prozesse — der 
Follikel vergróssert sich rasch; im zweiten ist die Einwanderung stark 
reduziert, es überwiegt der Prozess der Resorption, begleitet vom 
Hineinwachsen der Blutgefässe und des Bindegewebes — die Dimen- 
sionen des Follikels nehmen allmählich ab. Besass der Follikel die 
obenerwähnte bindegewebige Kapsel, so verliert er sie in diesem Sta- 
dium — er übt keinen Druck mehr auf das umgebende Gewebe 
seiner Kleinheit wegen aus. Die zelligen Elemente werden immer spär- 
licher, statt dessen wuchert das Bindegewebe; die Konturen der ein- 
zelnen Follikel verwischen sich und dieselben sind nur deshalb zu 
erkennen, weil sie in einem von kleinzelliger Infiltration freien Ge- 
webe liegen. Endlich wird der Follikel total resorbiert und hinter- 
lässt in dem Gewebe keine Spuren seiner Existenz. Dieser Prozess 
verläuft sehr langsam und dauert manchmal jahrelang. Oft fand ich 
Follikel im Stadium der Resorption in Conjunctiven, in denen der 
entzündliche Prozess gänzlich erloschen war. 

Was für Veränderungen treten nun in einem teilweise resorbier- 
ten Follikel während einer neuen Exacerbation auf? Handelt es sich 
um frühere Stadien der Krankheit, wo die adenoide Schicht wenig 
verändert ist und ihre anatomische Struktur noch nicht eingebüsst 
hat, so befindet sich der Follikel unter Bedingungen, die sein Wachs- 
tum begünstigen, und erreicht sein ursprüngliches Aussehen. Anders 
verhält es sich im Falle, wo infolge des lange dauernden entzünd- 
lichen Prozesses oder zahlreicher Exacerbationen das adenoide Gewebe 
durch kompaktes faseriges Bindegewebe ersetzt worden ist. Der Fol- 
likel vergrössert sich entweder gar nicht oder nur unbedeutend, denn 
er ist an seiner ganzen Peripherie von einer derben Kapsel umgeben, 
zu deren Bau das wuchernde faserige Bindegewebe das nötige Ma- 
terial liefert. Auch unterscheidet sich das Bindegewebe, welches 
sich an Stelle des Follikelinhalts entwickelt hat, fast gar nicht 
von dem umgebenden und verhindert das Ansammeln der lym- 
phoiden Zellen. Der Follikel übt einen sehr geringen Druck auf 
die Kapsel, daher erleiden ihre Fasern nicht diejenigen Verände- 
rungen, welche man in jungen, rasch wachsenden Follikeln trifit; sie 
bleiben deutlich abgegrenzt und zeigen eine konzentrische Anord- 
nung. Die zwischen ihnen befindlichen Leukocyten bilden recht sym- 
metrische Reihen. 

Die infolge einer Exacerbation sich regenerierenden Follikel 
treten undeutlich in der kleinzelligen Infiltration auf, man erkennt 


sie oft bloss an ihren charakteristischen Kernen. 
96* 


402 J. Mutermilch 


Das eigenartige Aussehen dieser in Regeneration begriffenen 
Follikel, ihr Auftreten nur in späteren Stadien der chronischen Ent- 
zündung, haben die Augenärzte bewogen, sie als pathognomonisch für 
das Trachom zu erkennen und zu behaupten, dass diese Gebilde 
nichts gemeinschaftliches mit den bei frischen Entzündungsformen 
auftretenden Follikeln haben.“ 

Daraus liesse sich schliessen, dass ausserhalb der Conjunct. 
palp. der Follikel sich in keiner andern Schleimhaut zu entwickeln 
vermag und dass der chronische Verlauf des Trachoms lediglich dem 
Auftreten der Follikel zugeschrieben werden muss. Dieser Schluss 
ist aber nicht richtig. Diese Gebilde trifft man auch bei in andern 
Schleimhäuten verlaufenden entzündlichen Prozessen, und im Verlaufe 
des Trachoms, besonders in späteren Stadien, wo die Narbenbildung 
schon deutlich auftritt, wird die Zahl der Follikel nicht nur geringer, 
sondern sie verschwinden manchmal gänzlich. 

Raehlmann und manche andere Augenärzte sind der Meinung, 
dass die Follikel die einzige Ursache der Narben der Conjunctiva 
bilden. Nach Raehlmann brechen die Follikel in den Conjunctival- 
sack durch und entleeren ihren Inhalt; es entstehen dadurch sehr 
kleine, aber zahlreiche Exulcerationen, die schliesslich vernarben. 
Aus der Summierung der zahlreichen kleinen Narben entsteht die 
sichtbare Narbe der Conjunctiva. Indessen beobachtet man ja oft 
genug das Verschwinden zahlreicher Follikel bei Conjunctivitis folli- 
cularis ohne jegliche Spur einer Narbe. 

Wie und warum sich beim Trachom der interessante Prozess der 
Narbenbildung vollzieht, habe ich schon zu erklären versucht. Ich 
citiere die Raehlmannsche Ansicht, bloss um zu beweisen, auf was 
für schwachen Grundlagen die Trachomtheorien aufgebaut werden. 
In keinem andern Spezialgebiete der Medizin werden die Follikel so 
hoch geschätzt und ihnen nirgends solch eine entscheidende Rolle 
und wichtiger Einfluss auf den Verlauf des Entzündungsprozesses 
beigemessen. 

Der Follikel ist bloss eine besondere eigentümliche 
Form der entzündlichen Infiltration, er ist das Resultat des 
Krankheitsprozesses, darf aber unter keinen Umständen 
als Ursache desselben betrachtet werden. 

Und so lange diese unzutrefiende Anschauung herrscht, sind 
Fortschritte auf dem Gebiete der Untersuchungen über die Ätiologie 
und das Wesen des Trachoms nicht zu erwarten. 

Von dieser Theorie ausgehend, suchte man nach therapeu- 


Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 403 


tischen Methoden, die hauptsächlich, wenn nicht ausschliesslich, die 
Follikelvernichtung erzielen sollten. Die Bestrebungen in dieser 
Hinsicht waren sehr erfolgreich — heutzutage ist es kaum mög- 
lich, eine neue Manipulation der Follikelzerstórung zu erfinden. 
Alles ist schon versucht worden. Die Follikel werden mit den Nä- 
geln oder mittels speziell konstruierter Pincette zerdrückt (Knapp); 
mit scharfen Löffeln ausgeschabt; mit Nadeln durchstochen und mit 
metallischen Bürsten ausgekratzt; mit Thermo- und Galvanokauteren 
ausgebrannt, samt der Übergangsfalte mit Hilfe des Messers ent- 
fernt; es wird sogar, um das Ziel zu erreichen, die ganze Conjunc- 
tivaloberfläche aufs sorgfältigste zerrissen (Abadie) usw. Und doch 
genügt das alles nicht! Die Follikel gehen zugrunde, die Krankheit 
aber bleibt und macht Fortschritte. Und der Zerstörung der Follikel, 
die ja nur die erste Etappe in der Behandlung des Trachoms bildet, 
folgt die lange Periode der Anwendung chemischer Arzneimittel 
(Arg. nitr., Cuprum sulf., Protargol usw... Auf Grund der, zum Teil 
richtigen, Meinung, das Trachom sei eine Infektionskrankheit, be- 
schränken sich Delag£niere, Arnauds, Gustav und Otto Kei- 
ning, Guaita, Staderini und manche andern Ärzte auf Anwen- 
dung starker Sublimatlösungen (1:400, 1:500). Das Sublimat tötet 
zwar die Bakterien, aber seine schädliche Wirkung auf die Gewebs- 
elemente lässt nicht lange auf sich warten. Alle genannten thera- 
peutischen Methoden führen über kurz oder lang wenn nicht zur 
vollständigen Bekämpfung des krankhaften Prozesses, doch jedenfalls 
zu einer bedeutenden Milderung seiner Symptome. Wie sind nun 
die günstigen Erfolge aller dieser Methoden zu deuten, wie verhalten 
sie sich zu der ohne Zweifel günstigen Wirkung eines so reizenden 
Mittels wie Jequirity auf den Verlauf des Trachoms oder einer Se- 
kundärinfektion mit der Gonorrhöe. 

(Ich habe persönlich zwei Kranke mit schweren Trachomformen 
in Behandlung gehabt, bei welchen eine Sekundärinfektion mit Go- 
norrhöe einen sicher günstigen Einfluss auf die Grundkrankheit aus- 
geübt hatte. Die verdickte, infiltrierte, mit Follikeln und Papillen 
bedeckte Conjunctiva wurde glatt und dünn und die, mit dichtem 
Pannus bedeckte Cornea gewann wieder ihre vollständige Durchsichtig- 
keit.) Wie kommt es zu stande, dass die Auspressung der Follikel oder 
die Methode von Abadie zu denselben Resultaten führen, wie die 
verhältnismässig milde Behandlung mit 1— 2" \,iger Arg. nitr.- Lösung. 
Was für gemeinschaftliche Momente lassen sich in dem günstigen 
Einflusse von Jequirity, Gonorrhöe, und der, manchmal recht wirk- 


404 J. Mutermilch 


samen, starken Sublimatlósungen auf den Verlauf des Trachoms ent- 
decken? | 

Vertritt man den Standpunkt, dass das Wesen des Trachoms 
und die Ursache seines chronischen Verlaufes nicht durch Bildung 
von Follikeln oder Papillen, sondern durch die Stórung des normalen 
Gleichgewichtsverhültnisses zwischen dem Epithel und dem subepithe- 
lialen Bindegewebe bedingt ist; dass die Heilung erst dann eintreten 
kann, wenn die in ihrer anatomischen Struktur stark veränderte ade- 
noide Schicht endlich durch faseriges Bindegewebe ersetzt wird, so 
wird es nicht schwer sein, gemeinschaftliche Merkmale aller oben- 
genannten therapeutischen Methoden zu formulieren. Es ist ja augen- 
scheinlich, dass jede dieser Methoden in schwächerer oder stärkerer 
Weise eine zerstórende Wirkung auf das adenoide Gewebe äussert: 
sei es rein mechanisch durch Quetschung oder direkte Zerstórung 
seiner Elemente, sei es durch Verstärkung und Unterhaltung des 
entzündlichen Zustandes (Jequirity, Gonorrhoea, in geringerem Masse 
Arg. nitr. und andere Caustica). Dies alles beschleunigt die Bildung 
eines neuen anatomisch differenten Bindegewebes, welches wieder die 
Entwicklung an der Oberfläche der Conjunctiva des so erwünschten 
epidermoidalen oder ihm ähnlichen Epithels begünstigt. 

Die gonorrhoische Infektion und Jequirity vernichten in raschem 
Tempo die Reste des adenoiden Gewebes; das Auspressen der Fol- 
likel und andere Methoden der Quetschung der Conjunctiva führen 
langsamer zur Bildung einer Narbe, am schwächsten äussern ihre 
Wirkung in diesem Sinne die Caustica. Da wir über so zahlreiche, 
sicher zur Narbenbildung führende Behandlungsmethoden verfügen, 
wäre die Aufgabe des Arztes angesichts des Trachom einfach und 
leicht; die Nachbarschaft der Cornea macht sie aber manchmal recht 
schwer. Bei der Wahl dieses oder jenes Mittels ist der Einfluss des- 
selben auf die Cornea für den Arzt massgebend; und in Fällen, in 
denen das Trachom von Pannus kompliziert ist, richtet er seine 
Therapie in erster Linie gegen diese ernste Erkrankung der Cornea. 
worin eigentlich die ganze Gefahr des Trachoms besteht. 


Trachom und Pannus sind so eng verbunden, dass es unmöglich 
ist, in einer Abhandlung, die die Ätiologie und das Wesen des Tra- 
choms zum Gegenstand hat, die Ätiolorie des Pannus unberührt zu 
lassen. Wie und warum kommt diese interessante und höchst wichtige 
Komplikation seitens der Cornea zu stande? In der Literatur finde 
ich auf diese Frage keine Antwort. Die Autoren beschreiben genau 


Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 405 


alle Formen und Symptome dieses Leidens, berühren aber nie die 
Frage seines Wesens und seiner Ätiologie. Hier und da findet man 
eine eigentliche wenig befriedigende Definition, Pannus sei das Weiter- 
schreiten des Trachoms, die anatomischen Veränderungen der Con- 
junctiva verbreiten sich auf die Cornea. 

Meine anatomischen Untersuchungen, geführt parallel zu den kli- 
nischen Beobachtungen, werfen auf die Pannusfrage ein neues Licht 
und erklären sie auf eine dem wahren Sachverhalt nähere Weise. 
Bei der Beobachtung einer grossen Zahl der mit Pannus behafteten 
Trachomkranken konstatierte ich eine Tatsache, die sich stets ohne 
Ausnahme wiederholte; fand ich auf der Cornea Pannus, so war 
jedesmal die Conjunctiva entweder ganz ihres Epithels beraubt oder 
nur stellenweise mit degeneriertem Epithel bedeckt (Taf. XIV, Fig. 3 
und 4). Gelang es mir, durch die entsprechende Therapie die Re- 
generation des Epithels zu erzielen (jeder Fall wurde durch die 
mikroskopische Untersuchung des Conjunctivalgewebes kontrolliert), 
so verschwand auch der Pannus. Angeregt durch diese unerwarteten 
Ergebnisse, stellte ich Kontrollversuche an Tieren an. Als Folge 
mechanischer Zerstörung der Conjunctivaloberfläche beim Kaninchen 
erhielt ich stets Erosionen der Cornea, die rasch heilten, wenn die 
Conjunctiva nicht weiter lädiert wurde, oder in die zahlreiche Blut- 
gefässe hineinwuchsen, wenn ich durch täglich von neuem wieder- 
holte Zerstörung des Gewebes dem Epithel der Conjunctiva nicht 
Zeit liess, sich zu regenerieren. Diese Experimente bestätigen die 
Tatsachen der klinischen Erfahrung. Bei dem Trachom entwickelt 
sich, wie bekannt, der Pannus nicht gleich in seiner vollendeten 


Form. In den ersten Stadien entstehen auf der Cornea kleine - 


circumscripte Erosionen, welche durch eine nicht zu vermeidende 
Infektion zu kleinen, entzündlichen Infiltraten werden und erst in 
einiger Zeit, wenn der trachomatóse Prozess weiterschreitet, die 
conjunctivalen Blutgefüsse an sich ziehen, wodurch nun das typische 
Bild des Pannus zu stande kommt. Absichtlich habe ich den Aus- 
druck an sich ziehen gebraucht. Der Prozess des Hineinwachsens 
der conjunctivalen Blutgefässe ist seinem Charakter und seiner Be- 
deutung nach ganz identisch mit der in der Biologie wohlbekannten 
Erscheinung der positiven Chemotaxis, welche darauf beruht, 
dass die lymphatischen Zellen (Phagocyten) sich allen für das ge- 
sunde Gewebe fremden und schädlichen Elementen nähern und um 
dieselben herum einen Schutzwall bilden. Blutgefässe wachsen stets 
in Gewebe hinein, wo sich ein Heilungsprozess abspielt; wo fremde 


406 J. Mutermilch 


Substanzen ausgeschieden werden; wo an Stelle abgestorbener sich 
neue zellige Elemente bilden, oder ein Kampf mit eingedrungeneu 
Mikroorganismen vor sich geht; — denn ohne Blut und Leukocyten 
ist eine Restitutio ad integrum undenkbar. Jedoch von manchen 
sehr stark toxischen Substanzen bzw. Bakterien, die die Cornea über- 
fallen haben und die zu bekämpfen es den Leukocyten unmöglich ist, 
halten sich die Blutgefüsse fern; das ist der Grund, weshalb bei 
manchen Geschwüren der Cornea (Ulcus serpens, Gonorrhoea) ein 
Pannus reparatorius fehlt — negative Chemotaxis. 

Wir sind berechtigt, daraus den Schluss zu ziehen, dass die 
Geschwüre der Cornea beim Trachom als keine besonders ernste 
Komplikation betrachtet werden müssen, denn sie sind hervorgegangen 
durch Bakterien von schwacher Virulenz. 

Was nun die Abhängigkeit zwischen der Existenz des Epithels 
der Cornea und desjenigen der Conj. palp. anbelangt, so betrachte 
ich sie als eine Teilerscheinung des so oft im Organismus sich 
üussernden gegenseitigen Einflusses zweier naheverwandter Gewebe. 
Als klassisches Beispiel diene das Verhalten des Blutes dem Endo- 
thel der Blutgefässe gegenüber. Das Blut kreist normal bloss in 
Gefässen, deren Intima aus normalen Endothelzellen besteht; jede 
krankhafte Veränderung derselben hat die Koagulation des Blutes 
zur Folge (Thrombus). 

Die ausnehmend reiche Vaskularisation, die den Pannus trachoma- 
tosus charakterisiert, wird durch den Umstand begreiflich, dass sich 
der Pannus als Folge einer chronischen Entzündung der Conjunctiva 
entwickelt, begleitet von Neubildung zahlreicher, oft stark verzweigter 
Blutgefüsse; kleine Äste derselben können in grosser Zahl mit Leich- 
tigkeit in die Cornea hineindringen. In Fällen, wo eine Corneal- 
erkrankung, die eines Pannus reparatorius bedarf, sich bei nor- 
malem Zustande der Conjunctiva entwickelt, — ıst die Zahl der in 
die Cornea hineinwachsenden Gefässe sehr gering im Vergleich zu 
dem Pannus trachomatosus (Keratitis fascicularis, phlyctaenulosa usw.). 
Mit den Blutrefässen wächst beim Pannus trachomatosus auch das 
Bindegewebe in die Cornea hinein (eine im Organismus sich stets 
wiederholende Erscheinung): dieses wird auch kleinzellig infiltriert, und 
wegen der langen Dauer des Entzündungsprozesses und sich oft 
wiederholender Geschwürsbildungsen der Cornea wird der Pannus zu 
einem Bindegewebe, welches fast den Charakter des adenoiden hat 
und reichlich vaskularisiert ist — zum Granulationsgewebe oder zum 
soy. Pannus crassus. Diese Art von Pannus ist aber sehr lose 


Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 401 


mit der Cornea verbunden, durchwáüchst bloss ihre oberflüchlichen 
Schichten, und wenn durch entsprechende Therapie die Corneal- 
geschwüre verheilen und der Pannus reparatorius verschwindet, bleibt 
als Folgezustand der scheinbar sehr ernsten Cornealaffektionen eine 
verhältnismässig kleine, oberflächliche, ziemlich durchsichtige Narbe 
der Cornea. 

Die erschöpfende Analyse der Pannusfrage an der Hand der kli- 
nischen Beobachtung und der anatomischen Untersuchung führt zu dem 
Schlusse, dass in der Atiologie dieser ungemein wichtigen Kompli- 
kation, dank welcher das Trachom als eine der schwersten Plagen 
der Menschheit erscheint, sich keine besonderen, ungewöhnlichen, nur 
diesem Leiden eigenen und den sich in andern Geweben abspielenden 
entzündlich infektiösen Prozessen fremden Momente nachweisen lassen. 

Der Pannus ist nur ein Komplex der sich stets wiederholenden 
anatomischen Erscheinungen, deren Summe als Reaktion des Gewebes 
auf die erfolgte Infektion aufgefasst werden muss. Die äussere Form 
dieser Reaktion ist eigenartig, weil der entzündliche Prozess unter 
speziellen Bedingungen verläuft in der durchsichtigen, der Blutgefässe 
entbehrenden Cornea, die während ihrer Erkrankung aus der benach- 
barten Conjunctiva Gefässe heranzieht. 

Auf Grund meiner klinischen Beobachtnngen, unterstützt durch 
anatomische Untersuchungen und mit Berücksichtigung der funda- 
mentalen Grundgesetze der Pathologie, fühle ich mich ganz berechtigt, 
Follikel und Pannus aus der Reihe pathognomonischer Zeichen des 
Trachoms zu streichen und sie bloss für Begleiterscheinungen dieser 
Krankheit anzuerkennen. Der Follikel ist nur eine eigentümliche 
Form der kleinzelligen Infiltration, hat aber keinen, weder positiven noch 
negativen Einfluss auf die Entstehung und den Verlauf des Trachoms 
und muss in seiner Ätiologie als nebensächlich betrachtet werden. 
Der Pannus stellt ohne Zweifel eine sehr ernste Komplikation dar: 
er bedroht ein zartes Organ — die Cornea; dessenungeachtet darf 
er aber in keiner Hinsicht als Prozess gleichen Charakters mit dem 
in der Conjunctiva verlaufenden betrachtet werden. Die Affektion 
der Cornea ist keine Propagation des Trachoms, sie ist nur seine 
unangenehme Folge. 

Will man eine prücise Antwort auf die Frage geben, was sollen 
wir unter Trachom verstehen, so sind wir gezwungen, uns auf folgende 
Definition zu beschränken: 

Das Trachom besteht aus einer langen Reihe konse- 
quenter und in anatomischer sowie physiologischer Be- 


408 J. Mutermilch 


ziehungunvermeidlicherVeränderungen,dienachHerstellung 
eines neuen und dauerhaften Gleichgewichtsverhältnisses 
zwischen dem Epithel und dem subepithelialen Bindege- 
webe streben, welches durch irgendeinen infektiösen ent- 
zündlichen Prozess gestört worden ist. 


Das Trachom ist in keiner Beziehung verschieden von 
andern der Pathologie bekannten chronischen Prozessen, 
die in Schleimhäuten verlaufen, deren anatomische Struktur 
derjenigen der Conjunctiva verwandtist(Urethritischronica, 
Rinitis atrophicans usw.). Der trachomatöse Prozess bildet 
einen Komplex anatomischer Veränderungen, die nach all- 
mählicher Entwicklung und Bildung einer dauerhaften 
Conjunctivalnarbe streben. 


Nun aber stehen wir vor einer neuen interessanten Frage: welche 
Bakterien lósen diesen Prozess aus? Gibt es einen spezifischen 
Trachomerreger, oder vermógen alle oder wenigstens ein Teil der 
virulenten Mikroorganismen alle die geschilderten Veränderungen im 
Gewebe der Conjunctiva hervorzurufen ? 

In meinen bisherigen Schlussfolgerungen ist eigentlich schon in 
ganz konkreter Weise die Antwort auf diese neue Frage enthalten. 

Berücksichtigt man die allgemein bekannten Tatsachen: 


1. dass die Schleimhaut der Urethra, durch Gonocokken infiziert, 
unter gewissen ungünstigen Umständen die ganze Reihe charakteri- 
stischer, dem typischen Trachom eigentümlicher Veränderungen durch- 
macht: die Umwandlung des Cylinderepithels in das epidermoidale 
und des subepithelialen adenoiden in das feste faserige Bindege- 
webe (Finger, Archiv für Dermatologie und Syphilis, 1891. 
Baraban, Revue medicale de l'Est, 15 Juin 1890); 

2. dass die Conjunct. palp. ebenso leicht und oft einer Infektion 
durch dieselben Mikroorganismen anheimfällt, so gelangt man a priori 
schon zu der Annahme einer Möglichkeit der Trachomentwicklung 
durch die Wirkung der Gonocokken. Zahlreiche klinische Beobach- 
tungen bestätigen ın eklatanter Weise diese aprioristische Vermutung. 
Oft genug habe ich Gelegenheit gehabt, Kranke mit Conjunct. gonorr. 
zu beobachten, bei welchen sich aus dieser Krankheit das typische 
Bild der Conjunct. trachomatosa chronica entwickelte, begleitet. von 
allen typischen klassischen Symptomen des Trachoms (Follikel, Pa- 
pillen, Pannus). 


Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 409 


Die Conjunct. gonorr. hat manchmal einen sehr milden ` Verlauf, 
bedingt entweder durch schwache Virulenz der spezifischen Erreger, 
oder durch regelrechte und im entsprechenden Momente eingeleitete 
Behandlung bei Kranken, die in guten hygienischen Verhältnissen 
sich befinden. In diesen Fällen ist die gänzliche Restitutio ad 
_ integrum im anatomischen Sinne nach Beendigung des entzündlichen 
Prozesses möglich. 

In andern Fällen sind die entzündlichen Erscheinungen im Ver- 
laufe dieser Krankheit von hoher Intensität: gewaltige Schwellung der 
Conjunctiva, die mit schmutzig grauem Belag bedeckt ist, reichliche 
eitrige Sekretion, wobei die Cornea trotz der höchsten Sorgfalt bald 
infiziert wird. Bei dieser Kategorie von Kranken, die sich fast immer 
aus den ärmeren Bevölkerungsschichten rekrutierten, beobachtete ich 
sehr oft, dass im Endresultat, nach 8—12 Wochen, d. h. nach de- 
finitiver Heilung, ihre Conjunctiva klinisch sowie anatomisch sich 
nicht unterscheidet von derjenigen der Kranken, die das typische 
chronische Trachom überstanden haben. Der akut verlaufende gonor- 
rhoische Prozess hat bei ihnen im raschen Tempo während einiger 
Wochen dasselbe Zerstörungswerk vollendet, d. h. in geschilderter W eise 
das Conjunctivalgewebe umgewandelt, wie der trachomatöse Prozess, 
der dazu wiederholter Exacerbationen und manchmal einiger Jahre 
bedarf. - 
Viel lehrreicher für das uns interessierende Thema sind aber 
diejenigen Fälle von Conjunct. gonorr., bei denen dem ersten akuten 
Stadium sich das zweite des chronischen Verlaufes anschliesst. In 
diesen Fällen ist die Rückkehr zum Status quo ante sichtlich un- 
möglich: das adenoide Gewebe hat viel zu tiefe Störungen erlitten. 
Der entzündliche Prozess hat jedoch mit einem Schlage nicht gänz- 
lich das adenoide Gewebe zerstört — wie in den oben erwähnten 
Fällen —, und dadurch kommt der schon geschilderte Circulus 
vitiosus zu stande, der den charakteristischen Verlauf des Trachoms 
bedingt. Solche Fälle, die die Ätiologie des Trachoms teilweise wenig- 
stens aufzuklüren helfen, hatte ich Gelegenheit zur Genüge zu be- 
obachten. 

Es unterliegt für mich keinem Zweifel, dass die grosse Ver- 
breitung des Trachoms und der Conjunct. gonorr. in Agypten und in 
der Armee (Russland) nicht als zufällige Koinzidenz aufgefasst werden 
darf, und dass zwischen diesen beiden Erkrankungsformen ein. Kausal- 
verháltnis besteht. 

Berücksichtigt man, dass bloss die Conjunct. gonorr. von gewisser 


410 J. Mutermilch 


(mittlerer) Intensität Anlass zur Entwicklung des chronischen Ent- 
zündungsprozesses geben kann, so wird es verständlich, warum eine 
Infektion mit Gonorrhoea bei Trachomkranken zur raschen Heilung bei- 
trägt — solche Experimente und klinische Beobachtungen sind all- 
gemein bekannt und vielfach bestätigt —, macht man jedoch von 
diesen Tatsachen in praxi keinen Gebrauch, so geschieht dies einzig 
und allein aus Rücksicht auf die Cornea, die dabei stets ernst be- 
droht wird. In solchen Fällen zerstört der durch die Sekundär- 
infektion hervorgerufene frische Entzündungsprozess die Reste des 
adenoiden Gewebes und begünstigt die Bildung einer Conjunctival- 
narbe. Mit andern Worten, Trachom plus Gonorrhoea sind in ihrer 
Wirkung auf die Conjunctiva gleich derjenigen der Gonorrhöe — 
aber von starker Intensität — allein. In diesem Gleichnis kann in 
seiner ersten Hälfte die Gonorrhöe — als therapeutisches Mittel — 
mit Erfolg durch Jequirity ersetzt werden. 

Bei der Analyse des bakteritischen Ursprungs des Trachoms habe 
ich in erster Linie die Gonorrhöe berücksichtigt, nicht weil ich sie für 
die häufigste oder wichtigste Ursache des Trachoms halte; ich wollte 
nur beweisen, wie zwei scheinbar so verschiedene Krankheitsformen 
sich zu einem harmonischen Ganzen vereinigen können. 


Da mir seit 22 Jahren das reiche Material des jüdischen Kranken- 
hauses zu Warschau zur Verfügung steht, unter welchem alle mög- 
lichen Arten und Intensitätsstufen von akuten Entzündungen der Con- 
junctiva sich vertreten finden, deren Mehrzahl bakteriologisch genau 
untersucht worden ist, so gelangte ich auf Grund meiner Beobachtungen 
zu der festen Überzeugung — besser gesagt zur Gewissheit —, dass 
alle bekannten Entzündungsformen (Conjunct. catarrhalis epidemica, 
Schwellungskatarrh, Conjunct. catarrhalis acuta Koch-Weeks, Con- 
junct. catarrhalis durch Influenza-Bacillus oder durch den Diplobacillus 
Morax-Axenfeld hervorgerufen) dank den hóchst unhygienischen 
Lebensbedingungen des Warschauer Proletariats, aus welchem sich 
die Spitalkranken zum gróssten Teil rekrutieren, als Ausgangspunkt 
für Trachomentwicklung dienen kónnen. 

Wiederholt hatte ich in Behandlung und längerer Beobach- 
tung ganze aus mehreren Mitgliedern bestehende Familien, die alle 
gleichzeitig an einer der oben erwähnten akuten Entzündungen er- 
krankten, und wiederholt musste ich konstatieren, dass bei ver- 
schiedenen Familienmitgliedern, trotz der gleichen Therapie, der Ver- 
lauf und Ausgang der Krankheit verschieden waren. Bei Kindern 


Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 411 


und Frauen war der Verlauf der Krankheit von kurzer Dauer und 
ging gewöhnlich in Heilung aus; bei Männern dagegen, die zum 
Zwecke einer systematischen Behandlung ihre Arbeit in Fabriken 
und Werkstätten nicht unterbrechen konnten, dauerte sie stets viel 
länger und ging in eine mehr oder minder schwere chronische Form 
— manchmal in typisches Trachom — über. 

In der Literatur lassen sich zahlreiche derartige Beobachtungen 
finden, unterstützt durch reiches statistisches Material. (Schilling, 
Berlin. Klinische Wochenschrift 1888, Nr. 22; Gerken, Wiestnik 
Ottalmologii 1892, oder Annales d'ocul. Bd. CVIII. S 152; Waller- 
stein, Berlin. Klin. Wochenschrift Nr.20; Nuel et Leplat, Annales 
d'oculistique 1889, Nr. 3 und 4.) 

Von zahlreichen persónlichen Beobachtungen, die aufs deutlichste 
den Übergang einer akuten Entzündung in Trachom beweisen, erlaube 
ich mir zwei ungemein charakteristische und interessante — da ich 
sie mehrere Jahre hindurch in Beobachtung hatte — anzuführen. 


1. In dem Warschauer Waisenhause erkrankten gleichzeitg mehrere 
Knaben — 9—13 Jahre alt — an einer Conjunct. catarrhalis epidemica 
(Sehwellungskatarrh) Die Behandlung bestand im akuten Stadium der 
Krankheit in mehrmals täglich wiederholten Auswaschungen des Conjunctival- 
sackes mit schwacher warmer Sublimatlösung; als die Schwellung der Con- 
Junctiva nachliess und das Sekret eitrigen Charakter annahm, ging ich zum 
täglichen Touchieren mit einer 1°, Arg. nitr.-Lösung über. Bei allen 
Kranken, mit Ausnahme eines 13jährigen Knaben, trat nach zweiwöchiger 
Behandlung definitive Genesung ein. 

Der genannte Knabe war ein Degenerant und seine Behandlung konnte 
nicht regelrecht durchgeführt werden: er sträubte sich gegen die Aus- 
waschungen, rieb absichtlich seine Lider mit schmutzigen Fingern, und mit 
Mühe und Not gelang es mir bloss einige Male, seine Conjunctiven mit Arg. 
nitr. zu touchieren. Nach einigen Monaten sah ich bei ihm eine schwere 
Trachomform sich entwickeln (zahlreiehe Follikel und Papillen, Pannus auf 


der Cornea usw.). Nach Verlauf von zwei Jahren — während dieser Zeit 
war ich genötigt, den Knaben wiederholt, jedesmal für einige Wochen, auf 
meine Spitalabteilung aufzunehmen — entwickelte sich endlich die Con- 
junctivalnarbe. 


2. Der zweite Fall betrifft einen Arbeiter aus den ärmsten Schichten 
der Bevölkerung; er war Familienvater und hatte 5 Kinder. Der Kranke 
litt an einer recht bösartixen Form der Conjunet. blennorrhoica (Anto- 
infektion). Da die Familie eine einzige dunkle und enge Stube bewohnte, 
waren bald alle ihre Mitzlieder — die Frau ausgenommen — angesteckt. 
Bei allen Kindern entwickelte sich die Conjunetiv. blenn. Die Kinder blieben 
zu Hause, der Vater willicte in die Aufnahme ins Krankenhaus ein. Nach 
gechswóchiger Behandlung verliess er dasselbe vollständig geheilt: die Cornea 
blieb verschont, auf der Conjunctiva entstand eine gleichmässige glatte Narbe. 


412 J. Mutermilch 


Bei den Kindern, die ambulatorisch behandelt waren, mit Ausnahme des 
jüngsten, entwickelte sich das typische Bild des Trachoms. Die Armut und 
der Sehmutz, in denen die Familie lebte, und der Widerwille gegen eine 
systematische Behandlung im Spital trugen dazu bei, dass die Krankheit 
sich in die Länge zog und üble Folgen für die Kinder hatte: der Pannus 
hinterliess auf der Cornea aller Kinder ernste Spuren für das Sehvermögen. 


Es sei hinzugefügt, dass unter dem jüdischen Proletariat in 
Warschau akute Entzündungen der Conjunctiva endemisch herrschen. 
Zu den glücklichen Ausnahmen gehören Familien, in welchen nach 
überstandener Conjunctivitis acuta keines der Mitglieder von Trachom 
befallen worden ist. Man kónnte zwar einwenden, das Trachom 
habe sich in allen diesen Fällen nicht unmittelbar aus einer andern 
Entzündungsform entwickelt, sondern sei infolge einer sekundären, 
spezifisch trachomatösen Infektion, die hier einen empfänglichen Boden 
traf, entstanden, aber diese Hypothese steht nicht im Einklange mit 
einer langen Reihe genau beobachteter Fälle, wo gesunde Individuen 
von typisch trachomatösen angesteckt worden sind. 

Der aus dem Militärdienst entlassene Soldat bringt oft genug 
in seine Heimat das Trachom mit und wird nun zur Quelle der 
Ansteckung seiner gesunden Familienmitglieder. 

A priori sollte man meinen, es müsse sich infolge dieser An- 
steckung auf der gesunden Conjunctiva Trachom entwickeln. Den- 
jenigen, der an die Existenz eines spezifischen Trachomerregers glaubt 
und überzeugt ist, aus Trachom könne nur Trachom sich entwickeln, 
erwartet eine schwere Enttäuschung. 

Bei der Familie des kranken Soldaten, falls sie angesteckt wird, 
entwickeln sich akute, doch nicht bösartige Entzündungsformen der 
Conjunctiva, welche bei entsprechender Behandlung und — was noch 
wichtiger — in guten hygienischen Bedingungen rasch und spurlos 
vergehen. Aber wie kann man von Hygiene und ihren Forderungen 
reden in Bevölkerungsschichten, wo Analphabetismus, Alkoholismus, 
Armut und Unwissenheit herrschen! Und deshalb hat in.Polen, wo 
nach der Meinung der Kranken die Krankheit erst dann beginnt, 
wenn infolge von Cornealaftektion das Schvermögen merklich zu leiden 
anfängt — bis zu diesem Momente wenden die Kranken die undenk- 
barsten Hausmittel an —, die Verbreitung des Trachoms so unge- 
heure Dimensionen angenommen. Aber in wohlhabenden Gesellschafts- 
klassen ist bei uns das Trachom ebenso selten wie in Westeuropa. 


Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 413 


Meine Schlussfolgerungen über die Ätiologie und das Wesen des 
Trachoms haben mich berechtigt, eine Reihe praktischer, entscheiden- 
der Experimente anzustellen, um die Frage der Ansteckung gesunder 
Menschen durch Trachomatöse zu lösen. Ich experimentierte zuerst 
an Kaninchen. Ich brachte in den Conjunctivalsack dieser Tiere 
den Inhalt der Follikel eines Kranken mit Trachoma folliculare und 
erhielt stets negative Resultate. Das eitrige Sekret von Kranken 
mit einer Exacerbation des trachomatösen Prozesses rief bei Kaninchen 
eine akute, aber leichte Entzündung der Conjunctiva hervor, welche in 
einigen Tagen ohne jede Intervention spurlos verging. In der Voraus- 
setzung, Kaninchen seien gegen Trachom weniger empfänglich, wie Men- 
schen, wiederholte ich dieselben Experimente an Blinden mit deren Ein- 
willigung — ebenfalls mit negativem Erfolg. Der Inhalt der Follikel in den 
gesunden Conjunctivalsack eingeführt, rief nie eine entzündliche Re- 
aktion hervor; einzig und allein durch Einführen des eitrigen Sekrets 
konnte ich auf der gesunden Conjunctiva eine akute Entzündung zu 
stande bringen, die aber ebenso wie bei den Kaninchen in kurzer 
Zeit und ohne Behandlung verging. Kranke, bei welchen ich die 
Impfungen vornahm, blieben stets längere Zeit in meiner Beobach- 
tung im Spital, also in guten hygienischen Bedingungen; es ist mög- 
lich, dass in andern weniger günstigen Umständen die akute Ent- 
zündung der Conjunctiva intensiver verlaufen und in chronische Form 
übergehen würde. Jedenfalls bestreiten diese Experimente, die ich 
mit möglichst grosser Genauigkeit anstellte, die Existenz eines spezi- 
fischen Trachomerregers und beweisen in konkreter Weise, dass der 
Trachomkranke als keine so gefährliche Quelle der Ansteckung und 
der Epidemie betrachtet werden kann, wie man es sonst annimmt. 

Zahlreiche mühsame bakteriologische Untersuchungen bei Tra- 
chomkranken durch die hervorragendsten Gelehrten unternommen 
(Morax, Peters, zur Nedden, Koch, Kartulis, Demetriades, 
Müller und Andere) haben Resultate ergeben, die nicht nur mit 
denjenigen meiner Beobachtungen identisch sind, sondern diese sogar 
in konkreter Weise ergänzen. Diese Forscher haben im Conjunctival- 
sack und im Sekret der Trachomkranken verschiedene Mikroorganismen- 
species gefunden, welche als Erreger der verschiedenartigen Entzün- 
dungen der Conjunctiva gelten (Bacillus Koch-Weeks, Diplobacillus, 
Bacillus influenzae usw. Ich kann aber der durch die meisten 
Augenärzte anerkannten Deutung dieser Tatsachen nicht beistimmen 
und sie nicht als Beweis einer Sekundärinfektion, die absolut keinen 
Einfluss auf den Verlauf des trachomatösen Prozesses übt, halten. 


414 J. Mutermilch 


(En Egypte Müller, puis Morax ont vu souvent la conjonc- 
tivite aigue contagieuse se développer chez les malades at- 
teints de la conjonctivite granuleuse. Morax Conjonctivite 
aigue contagieuse. Encyclopédie Francaise d'ophtalmologie 
V. V. p. 633.) 

Nicht nur bestreite ich nicht die Existenz von Sekundärinfek- 
tionen, ich halte sie sogar für das Zustandekommen des Trachoms 
für unentbehrlich. Es ist für mich über jeden Zweifel erhaben, 
dass als erster Erreger, erster Impuls für Trachomentwicklung jede 
Bakterienart angesehen werden muss, welche die oben geschilderten 
tiefen unverwischbaren Störungen des adenoiden Gewebes verursachen 
kann; im weiteren Verlauf infolge verminderter Widerstandsfähigkeit 
der Conjunctiva kann sich mit Leichtigkeit jede andere Bakterien- 
species an ihrer Oberfläche ansiedeln, was beim direkten Kontakt 
dieser Schleimhaut mit der Aussenwelt wohl verständlich ist. 

Jeder neue Mikroorganismus, oder oft sich. wiederholende Rein- 
fektionen durch dieselbe Bakterienart, z. B. Bacillus Koch-Weeks, rufen, 
sich summierend, eine Reihe von Exacerbationen des entzündlichen 
Prozesses hervor und tragen zum Zustandekommen des typischen 
charakteristischen Bildes des Trachoms bei. (Solch ein Fall ist. von 
Müller beschrieben worden; Morax citiert ihn in seiner Abhand- 
lung: La conjonctivite contagieuse loc. eit.) Dieser Mannigfaltigkeit 
von Nrankheitserrerern verdanken eben die Mannigfaltirkeit von 
Trachomtormen und die zahlreichen Unterschiede im klinischen Ver- 
laufe dieses Leidens bei verschiedenen Individuen seine Entstehung. 
Ausser mir haben vielfach auch andere Forscher die Meinung aus- 
gesprochen, das Trachom verdanke seine Entstehung nicht einem 
einzigen, also spezifischen Erreger. Th. Saemisch in seiner Ab- 
handlung: Die Krankheiten der Conjunetiva (Graefe-Saemisch, 
Handbuch der gesamten Augenheilkunde, Rapitel IV, 8.157) 
erwähnt auch diese Ansichten: 

„Zahlreiche Forscher stehen bierin noch auf einem andern Stand- 
punkte, wiez. B. Bock. Ottava. Hoor. True. Cazalis. Würdemann. 
Gromakowski. Bock hält es für sicher, dass das Trachom in vielen 
Fällen mit einer Intektion von seiten des Tractus genitalis zusammen- 
hangt, mit einem Fluor albus eder Catarrhus cervicis beim Weibe 
oder den Residuen einer Gonorrhöe beim Manne. Ottava ist der 
Ansicht, dass das Trachom dureh Gonocoksen. dureh Skrotulose, 
dureh Laes hervorzeruien werden kaun. Hoer schliesst aus seinen 


M3. . vods x a in ` SEN 3 ‘ o UR Er > ^.^ 2 zx: - RES ` ` »! 
Zei, EE n. diss dic |n KUONI Gonoeok schnee chronische Bi- il- 


Über die Ätiologie und das Wesen des Trachonıs. 415 


norrhöe oder richtiger gesagt, ein papilläres Trachom, im andern 
Auge aber ein körniges Trachom hervorrufen könne. Truc ist wie 
Cazalis der Ansicht, dass verschiedene Keime das Trachom zur 
Entwicklung bringen können, wenn eine bestimmte Disposition dazu 
besteht. Gromakowski spricht sich auch dahin aus, dass sich das 
Trachom auf die Infektion mit verschiedenen Mikroorganismen aus- 
bilden kann. .. .“ 

Diese wertvollen klinischen Beobachtungen haben jedoch nicht 
die Anerkennung gefunden, welche sie ohne Zweifel verdienen, und 
haben zur Aufklärung der rätselhaften Ätiologie des Trachoms wenig 
beigetragen. Dies geschah meiner Meinung nach nur deswegen, weil 
sie der notwendigen Unterstützung durch anatomische Untersuchungen 
entbehrten und somit nicht in ein harmonisches Ganze mit der 
langen Reihe interessanter Prozesse, die im kranken adenoiden Ge- 
webe verlaufen und zu seiner Umgestaltung führen, vereinigt werden 
konnten. Die vorliegende Arbeit hat eben den Zweck, diese Lücke 
auszufüllen. 


Will man nun endlich zugeben, man solle als ätiologisches Mo- 
ment des Trachoms nicht einen spezifischen Erreger betrachten; 
will man anerkennen, dass diese Krankheit durch verschiedene viru- 
lente Bakterienarten hervorgerufen werden kann, so wird es auch klar, 
warum es Völkern, die eine hohe Kulturstufe erreicht haben, so leicht 
ist, sich vor Trachom zu schützen, und warum das Trachom so schwer 
zu bekämpfen ist dort, wo Armut und Unwissenheit herrschen. Der 
ärgste Feind des Trachoms ist die Reinlichkeit, sein bester Verbündeter 
— der Schmutz. 

Es irren sich gewaltig alle diejenigen, die auf Entdeckung eines 
spezifischen Mittels gegen das Trachom hoffen. Die Menschheit wird 
erst dann von Trachom befreit, wenn an den Wohltaten der Kultur 
und des Wohlstandes nicht bloss eine kleine Gruppe, sondern alle 
übrigen Bevölkerungsschichten ihren Anteil haben werden. 


Schlussfolgerungen. 

1. Das Trachom darf nicht als ein ausserhalb der allgemeinen 
Pathologie stehender Krankheitsprozess betrachtet werden. 

2. Das Trachom gehört zu der Reihe der typischen, im Orga- 
nismus oft vorkommenden sog. chronischen Entzündungen der 
Schleimhäute. 

v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 2. 27 


416 J. Mutermilch 


3. Das Wesen des Trachoms beruht auf konsequentem Streben 
der Conjunctivalgewebe (des Epithels und des subepithelialen Binde- 
gewebes) nach Wiedererreichung in einer anatomisch verschiedenen 
Form ihres gestörten Gleichgewichtsverhältnisses. 


4. Die Follikel und der Pannus bilden nur Begleiterscheinungen 
des Trachoms und haben absolut keine Bedeutung für seine Atiologie, 
seinen Verlauf und Ausgang. 


5. Eine entscheidende Bedeutung für die Ätiologie des Trachoms 
haben verschiedene Bakterienarten, welche akute Entzündungen her- 
vorzurufen vermögen. Die individuelle Disposition, das Klima, die 
Rasse und das Alter der Kranken sind von ganz nebensächlicher 
Bedeutung. 

6. Der Trachomkranke ist für seine Umgebung nur insofern ge- 
fährlich, als er dieselbe mit akuten Entzündungsformen der Con- 


junctiva anstecken kann, welche — ganz von hygienischen Beding- 
ungen abhängig — entweder schnell und spurlos heilen, oder zu chro- 


nischen werden. 


7. Das Trachom kann nur durch Verbreitung der Aufklärung 
und Hebung des allgemeinen Wohlstandes bekämpft werden. 


Erklärung der Abbildungen auf Taf. XIV u. XV, Fig. 1— 1. 


(Dieselben stellen eine Reihe charakteristischer Trachomtypen dar und 
illustrieren gleichzeitig den allmählichen Übergang der normalen in die vernarbte 
C ica ) 


Fig. 1. Normale Conjunctiva. Dreischichtiges Epithel; die obertlüch- 
liche Schicht besteht aus eylinderartigen Zellen; tiefen Schichten: Junge Zellen 
mehr rundlich. Das Epithel bildet an einzelnen Stellen Zapfen nach unten 
Im Epithel eine Becherzelle. Das subepitheliale Bindegewebe ziemlich stark 
infiltriert und weist zahlreiche erweiterte Kapillaren auf. Dieses Bild erinnert 
an ein sich im Zustand der Entzündung befindliches Gewebe (adenoides Gewebe). 


Fig. 2. Trachoma folliculare ohne Pannus. Die Bindehaut ist mit 
infiltriertem Epithel (Nr. HA: bedeckt. In der adenoidalen Schicht starke In- 
filtration, zahlreiche Blutgefüsse und ein sich entwickelnder Follikel. 


Fig. 3. Trachoma folliculare mit Pannus. In der adenoidalen 
Schicht die Infiltration noch deutlicher ausgeprägt; ein völlig reifer Follikel. 
An der Obertlüche fehlt das Epithel stellenweise gänzlich; stellenweise ist sie 
mit einer Schicht degenerierter Epithelzellen bedeckt (Nr. IIIA). 


Fige. 4. Infiltratio trachomatosa mit Berlinschen Drüsen. Pan- 
nus. Die Obertläche entbehrt stellenweise des Epithels; stellenweise finden sich 
degenerierte Epithelzellen. 

Fig. 5. Trachoma papillare ohne Pannus. Die Oberfläche der Con: 


junetiva an ihrer ganzen Länge mit Epithel bedeckt, dessen Zellen ihrem Cha- 
rakter nach an epidermoidale Epithelzellen erinnern. 


Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 417 


Fig. 6. Trachoma folliculare in stadio cicatrisationis ohne 
Pannus. Das Epithel ist mehrschichtig, fast epidermoidal (Nr. VIA; es ruht 
auf einem festen, wenig infiltrierten Bindegewebe. In der Tiefe einige zu- 
grunde gehende, in Resorption begriffene Follikel. 


Fig. . Anatomisches Bild der Conjunctiva nach Ablauf des 
trachomatósen Prozesses. Typisches, mehrschichtiges epidermoidales Epi- 
thel. In der Tiefe cylindrische Zellen, die allmählich in flache, epidermoidale 
übergehen. Im Bindegewebe, das aus derben Fasern besteht, fehlen die Blut- 
gefässe gänzlich. Ganz unbedeutende Infiltration. Dieselbe fehlt gewöhnlich in 
diesem Stadium total. In diesem Falle ist sie stärker ausgeprägt dank der 
unbedeutenden Reizung der Conjunctiva durch einige unregelmässig wachsende 
Wimperhaare. è 


Conjunctivalstücke für die anatomische Untersuchung stammen sämtlich 
von der gleichen Stelle der Conjunctiva, nämlich von der Grenze der Ubergangs- 
falte und des Tarsus. 


(Aus der Universitäts- Augenklinik zu Leipzig.) 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut, 
des Pigmentepithels und des Sehnerven. 


(Nach Untersuchungen am Menschen.) 


Von 


Stabsarzt Dr. R. Seefelder, 
Privatdozent und Assistent an der Klinik. 


Mit Taf. XVI—XVII, Fig. 1—5, und 37 Figuren im Text. 


—— Áe 


Inhalt: Einleitung S. 419. — I. Retina und Pigmentepithel. 
Bemerkungen über Literatur und Konservierung S. 420. A. Erste Ent- 
wicklung der Retina und des Pigmentepithels. a. Reines Epithel- 
stadium der Retina S. 424. b. Stadium der Randschleierentwicklung und der ersten 
Pigmentbildung S. 427. c. Die Zellen des Randschleiers S. 436. d Über die Rand- 
schleierentwicklung und die Differenzierung der Retinazellen. S. 459. — B. Die 
weitere Entwicklung der Retina und des Pigmentepithels S. 446. 
a. Die Entwicklung der Ganglienzellen- und Nervenfaserschicht S. 446. b. Die 
Entwicklung der beiden Kórnerschichten sowie der beiden plexiformen Schichten 
S.461. c. Die Entwicklung der Area und Fovea centralis retinae S. 466. d. Die 
Entwicklung der Zapfen und Stäbchen S. 475. e. Über die Veränderungen der 
Form und Grösse der Retinazellen und ihre Bedeutung für die Dickenzunahme 
der Retina S. 485. f. Die weitere Entwicklung des Pigmentepithels bis zur Ge- 
burt S. 488. — II. Der Sehnerv. a Die erste Entwicklung des Augenblasen- 
stiels bis zu seiner vollständigen Durchwachsung durch die Nervenfasern S. 495. 
b. Verhalten des Mesoderms bis zu diesem Zeitpunkte S. 505. c. Die Teilung 
der Stiel-(Glia-\Zellen S. 507 d. Die Glia. I. Der Gliamantel der Arteria 
hyaloidea Canalis hyaloideus S 509. 2. Zentraler und peripherer Gliaınantel, 
Gliaringe, glióse Lamina cribrosa S. 522. e. Die Entwicklung des mesodermalen 
Gewebes im Sehnerven 8.525. f Die Entstehungsweise der physiologischen Exca- 
vation S. 528. g. Veränderungen der Dicke, Länge und Form des Sehnerven 8.529. — 
III. Literaturverzeichnis 8.533. Erklürung der Tafelabbildungen S. 536. 


-——M 


Die vorliegende Arbeit verdankt ihre Entstehung einem gemein- 
sam mit Herrn Prof. L. Bach-Marburg gefassten Entschlusse, eine 
möglichst vollständige bildliche Darstellung der Embryologie des mensch- 
lichen Auges herauszugeben. Die Ausführung eines solchen Planes 
war natürlich nicht möglich ohne die materielle Unterstützung zahl- 
reicher Fachgenossen, vor allem von Embryologen bzw. Anatomen, 


v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 28 


420 R. Seefelder 


die uns auch in so bereitwilliger Weise und in so reichem Masse 
zu teil geworden ist, dass wir hoffen dürfen, unser Werk in Bälde der 
Öffentlichkeit übergeben zu können. 

Bei der Bearbeitung der von mir unter anderem übernommenen 
Kapitel Retina, Pigmentepithel und Sehnerv, ergab sich nun eine Fülle 
von Einzelheiten und Fragen, die einer breiteren Darstellung und Be- 
sprechung bedürfen, als dem Umfang und Zwecke unseres Werkes 
entsprechen würde. Aus diesem Grunde erlaube ich mir mit dem 
Einverständnisse von Herrn Prof. Bach, meine Ergebnisse zunächst 
an dieser Stelle in extenso zu publizieren. 


I. Die Entwicklung der Retina und des Pigmentepithels. 


Bemerkungen über Literatur und Konservierung. 

Über die Entwicklung der menschlichen Retina liegt, so viel mir 
bekannt, eine systematische Untersuchung eines grösseren und zu- 
sammenhüngenden Materials noch nicht vor., Die einzige Arbeit, 
welcher ausschliesslich menschliche Embryonen zugrunde liegen, 
stammt von Chievitz (1). 

Trotzdem sie in jeder Beziehung ausgezeichnet genannt werden 
muss, kann sie uns doch nur ein unvollständiges Bild von der Ent- 
wicklung der menschlichen Retina verschaffen, da Chievitz’ (1) Ma- 
terial empfindliche Lücken aufweist und auch nicht durchgehends gut 
kunserviert gewesen zu sein scheint. 

Alle übrigen Mitteilungen, so z. B. die von Ritter(2), Falchi (3), 
Köllicker(4), Nussbaum (5), van Duyse(6), Lange(?), von Hip- 
pel(8) u. A. erstrecken sich nur über einzelne Stadien und sind da- 
her dringend ergänzungsbedürftig. 

Viel erfolgreicher ist, aus leicht begreiflichen Gründen, die Ent- 
wicklung der Retina verschiedener Tiere bearbeitet worden. Aber 
auch hier bleibt noch viel zu tun, da fast immer nur niedrigstehende 
Tierarten, deren Embryonen in der erforderlichen Zahl und Frische 
verhültnismüssig leicht zu beschaffen sind, z. B. Hühnchen, Reptilien 
und Fische, verwendet wordeu sind, wogegen unsere Kenntnisse über 
die Entwicklung der Retina von einigermassen höher stehenden Tieren, 
z. B. der Säugetiere, im allgemeinen noch als sehr unvollständig be- 
zeichnet werden müssen. 

Der wunde Punkt liegt eben bei diesem Studium in einem be- 
sonderen Grade in der Beschaffung des erforderlichen Materials. Ist 
doch die Retina das Organ, welches weitaus am empfindlichsten auf 
kadaveröse Eintlüsse reagiert, so dass ihr Zustand nach Hochstetter 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 491 


geradezu als der Massstab für die Konservierung des ganzen Objektes 
angesehen werden kann. Von der Richtigkeit dieses Satzes kann man 
sich bei embryologischen Studien immer wieder überzeugen. Ich habe, 
ohne zu übertreiben, Dutzende von jungen menschlichen Embryonen 
untersucht, welche äusserlich nicht die geringsten kadaverösen Ver- 
änderungen erkennen liessen und bei denen sich nachher die Retina 
und das Pigmentepithel doch in einen unförmlichen Brei verwandelt 
zeigten. Das Gleiche gilt übrigens, zumal bei ganz jungen Stadien, 
vom Gehirn. Schneidet' man bei sehr jungen Embryonen gleich nach 
der Fixierung eine kleine Hirnkalotte ab und findet man die dünne 
Wandung der Hirnblase allseitig glatt dem Mesodarm anliegend, dann 
kann man sicher sein, dass auch die Augenblase gut erhalten ist. — 

Ist aber das Gehirn breiig zerfallen oder in Falten gelegt, dann ist 
es angezeigt, seine Erwartungen bezüglich der Augenanlage auf ein 
Minimum zu reduzieren, oder vielleicht noch besser, auf die weitere 
zeitraubende Bearbeitung des betreffenden Päparates ganz zu ver- 
zichten. | 

Eines der zuerst auftretenden kadaverósen Symptome ist bekannt- 
lich besonders die Faltenbildung der Netzhaut, welche inter- 
essanterweise schon in den jüngsten Stadien die Gegend der Fovea 
bzw. Area centralis bevorzugt. So besitze ich tadellos kunservierte 
Augen von Embryonen des 3. Monats mit frischen Kernteilungs- 
figuren, in welchen aber trotzdem die Gegend der Area centralis 
und nur diese leicht gefaltet ist. In ganz glücklich fixierten Objekten 
ist aber auch diese Faltenbildung nicht vorhanden und somit ihre 
Eigenschaft als Artefakt erwiesen. 

Überhaupt halte ich es mit Rücksicht auf die gegenteiligen Be- 
hauptungen von Köllicker (69), Minot (70) u. A. nicht für über- 
flüssig, zu betonen, dass im menschlichen embryonalen und fötalen 
Auge normalerweise zu keiner Zeit eine eigentliche Faltenbildung der 
Netzhaut vorkommt. Ich befinde mich dabei in vollkommener Über- 
einstimmung mit Keil (68), welcher bei der Untersuchung von Schweine- 
embryonen zu der gleichen Ansicht gekommen ist. Eine Reihe von 
Tieren verhält sich allerdings in dieser Hinsicht etwas anders, doch 
muss ich mich mit dieser kurzen Andeutung begnügen, da diese Frage 
von anderer Seite eingehend behandelt werden wird. Sehr beherzigens- 
werte Vorschriften und Bemerkungen über die Konservierung Junger 
menschlicher Embryonen sind auch in der sorgfältigen Arbeit von 
Elze (71) enthalten. 

Ich hätte mich mit diesen Bemerkungen, die, wie ich wohl weiss, 

25* 


422 R. Seefelder 


für Viele nur längst Bekanntes bringen, nicht so lange aufgehalten, 
wenn nicht bestimmte Beweise dafür vorlägen, dass diese elementaren 
Kenntnisse noch nicht Gemeingut aller auf embryologischem Gebiete 
arbeitenden und publizierenden Forscher geworden sind. So hat erst 
vor kurzem Castaldi(9) auf dem internationalen Ophthalmologen- 
kongresse in Neapel Präparate von menschlichen embyronalen Netz- 
häuten demonstriert, die so hochgradig kadaverös zerfallen waren, 
dass von einer Struktur der Retina mit bestem Willen nichts mehr 
zu erkennen war. Ich war leider in der betreffenden Sitzung, in der 
Castaldi (9) zu Wort kam, nicht anwesend und habe mich deswegen 
zu seiner Publikation nicht óffentlich &ussern kónnen, habe aber Herrn 
Kollegen Castaldi (9) meine Ansicht über seine Präparate persönlich 
unverhohlen ausgesprochen, allerdings ohne irgendwelchen Glauben 
zu finden. 

Meines Erachtens hat auch Lange (7) in Braunschweig damit einen 
Fehler begangen, dass er die an einem unzulänglichen Material gewonnenen 
Ergebnisse als Beispiele des natürlichen Geschehens in der Entwicklung 
veröffentlichte. Die in seinen „Einblicken in die normale Anatomie 
und Entwicklung des Menschenauges“ enthaltenen Abbildungen auf 
Tafel XII, XIII, XIV, XVIII und XIX können unmöglich einen 
Einblick in das normale anatomische Verhalten gewühren, da sie, wie 
der Kundige ohne weiteres sieht, samt und sonders nach mehr oder 
weniger hochgradig kadaverós zerfallenen Augen angefertigt worden sind. 

Ich halte diese Feststellung für notwendig, weil dies m. E. von 
Lange nicht ausdrücklich genug geschehen ist, und weil derartige Bilder 
nur dazu angetan sind, beim Uneingeweihten falsche Vorstellungen zu 
erwecken, zumal wenn sie in einem Buche aufgenommen sind, das. 
wie ich wohl mit Recht annehmen darf, bestimmt ist, auch zu Iehr- 
zwecken zu dienen!) 


Von den neueren Publikationen über die Entwicklung der Retina 





') Ich möchte damit nicht sagen, dass minder gut konservierte Objekte für 
jede Frage gänzlich unbrauchbar sind. Zur Ergänzung von Lücken zwischen 
gut konservierten Objekten und zur Feststellung gröberer Verhältnisse können 
sie unter Umständen sogar gute Dienste leisten. Ich darf wohl dabei an einen 
von mir vor einigen Jahren in Heidelberg (12) demonstrierten Embryo er- 
innern, der gewiss nicht gut erhalten, aber doch noch geeignet war, um über 
die praktisch wichtige Frage der Art des Spaltenschlusses einen Aufschluss zu 
geben, dessen Richtigkeit gleich darauf von A. von Szily (13) an der Hand 
eines weit besseren Materials bestütigt werden konnte Aber feinere histogene- 
tische Details wie z. B. die Glaskórper- und Pigmententwicklung kónnen an 
solchen Präparaten unmöglich dargestellt werden. 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 423 


ist besonders die Arbeit von C. M. Fürst (10) über die Netzhaut des 
Lachses hervorzuheben, ferner die vor kurzem erschienene und von 
der Académie royale de médecine de Belgique preisgekrönte Arbeit 
von George Leboucq(11) welcher zu seinen Untersuchungen aus- 
schliesslich Säugetierembryonen, speziell der Katze, verwendet hat und 
das Hauptgewicht auf die Entwicklung des sensorischen Apparates, 
der Stäbchen und Zapfen, legt. 

In diesen beiden Arbeiten ist auch die bis dahin erschienene 
Literatur in chronologischer Reihenfolge sorgfältig zusammengestellt. 
Auch die Arbeit von Falchi (3) enthält einen sehr guten Literaturüber- 
blick. Ich glaube deshalb von ihrer erneuten Aufzählung absehen zu 
können. 

Fürst (10) teilt die Entwicklung der Retina in drei Haupt- 
stadien ein: 

1. das Cylinderepithelstadium, 

2. das Differenzierungsstadium, 

3. das Zuwachsstadium. 

Das Cylinderepithelstadium ist nach ihm durch Zellver- 
mehrung, das Differenzierungsstadium durch Zellentbindung und 
Zellverschiebung!) und das Zuwachsstadium durch Hervorwachsen 
der Endorgane der Sehzelen und durch Veründerung der Gestalt 
und Grösse sämtlicher Zellen der Retina hauptsächlich charakterisiert. 

Von Leboucq (11) wird diese Einteilung angenommen. 

Mir scheint die Fürstsche (10) Einteilung auf Grund unserer 
jetzigen Kenntnisse über die Differenzierungsvorgänge in der Retina 
und im Medullarrohr, welche wir vorzugsweise den neuesten Arbeiten 
von Held (14) und Cajäl(15) verdanken, nicht mehr im strengen 
Sinne des Wortes durchführbar zu sein, da anzunehmen und in der 
Retina des Hühnchens von Cajäl (15) direkt nachgewiesen worden ist, 
dass schon eine gewisse zellige Differenzierung stattfindet, solange sich die 
Netzhaut noch im Epithelstadium Fürsts (10) befindet. Auch finde 
ich die Bezeichnung „Zuwachsstadium“ für das letzte Stadium Fürsts (10) 
nicht sehr glücklich gewählt, da doch gerade in den jüngsten Stadien 
ein sehr reichlicher Zuwachs zur Netzhaut stattfindet, der hier aller- 
dings in Zellen besteht, während Fürst(10) eine andere Art des Zu- 
wachses meint. 

Ich komme auf alle diese Fragen noch ausführlich zurück und 


1) Gemeint ist hier vorzugsweise die Bildung der verschiedenen Schichten 
der Retina. 


424 R. Seefelder 


erwähne sie jetzt nur, um meine von der Fürstschen (10) etwas ab- 
weichende Einteilung zu begründen. 


A. Erste Entwicklung der Retina und des Pigmentepithels. 
a. Reines Epithelstadium der Retina. 
Unter reinem Epithelstadium verstehe ich den primitivsten Zu- 


stand der Retina, in welchem ihre Zellen nach Art eines Deckepithels 
einen geschlossenen Epithelverband bilden, welcher noch nicht durch 





Fig. 1. 


die Entwicklung eines protoplasmatischen Reticulums an der basalen!) 





1) Unter basaler Seite einer Epithelzelle versteht Rabl (16) den unter 
dem Kern liegenden und der äusseren Fläche der Wand des Medullarrohrs 
bzw. der Augenblase angehörenden Teil des Protoplasmakörpers, während der 
der inneren Lichtung zugekehrte Abschnitt als die freie Zellseite bezeich- 
net wird. 

An den Zellen der Retina sind demnach vor der Einstülpung zum Augen- 
becher die Begriffe basal und aussen identisch, während nach der Einstülpung 
natürlich das Umgekehrte der Fall ist, ebenso wie die anfänglich äussere 
Grenzmembram nachher zur Membrana limitans interna wird. Ich werde des- 
halb zunächst die Bezeichnung innen und aussen möglichst vermeiden und nur 
von der basalen und freien Seite der Zelle und Augenblase reden, da diese 
Begriffe ihre Gültigkeit das ganze Leben hindurch beibehalten und, wenn man 
sich einmal darüber klar geworden ist, kein Missverständnis aufkommen lassen. 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 495 


Zellseite in besonderer Weise verändert ist. Was ich also in der 
Retina unter „reiner Epithelzelle“ verstehe, ist ungefähr identisch 
mit der „einfachen Epithelzelle“ Helds (14) im Medullarrohr, der Mutter- 
zelle der Neuroblasten und Spongioblasten, Begriffe, die ich alle bald 
näher erläutern werde. 

Dieser Zustand ist in der Retina des Menschen nur von sehr 
kurzer Dauer und nur im Stadium der primären Augenblase an- 
zutreffen. Ich finde ihn bei einem Embryo von 2,5 mm Länge 
(Dr. Rob. Meyer, Berlin, Nr. 300) in aller Reinheit ausgeprägt. (Text- 
figur 1.) | 

Es handelt sich hier selbstverstándlich um ein sehr frühes Stadium 

der primären Augenblase. Augenblase und Gehirn gehen fast unmit- 
telbar ineinander über und sind nur durch eine leichte Einziehung 
der Hirnwandung voneinander abzugrenzen. Der distale Abschnitt 
der Augenblase (die spätere Retina) ist von dem Ektoderm noch 
durch mehrere Lagen von locker angeordneten Mesodermzellen ge- 
trennt. 
Seine Zusammensetzung ist sehr einfach. Er besteht aus hohen 
eylindrischen Epithelzellen, welche durch die ganze Dicke der Augen- 
blasenwand hindurchreichen — sog. durchreichende Epithelzellen —, 
deren ovale Kerne aber bald der äusseren, bald der inneren Seite der 
Wandung näher liegen und infolge ihrer engen Aufeinanderpressung 
stellenweise in zwei Reihen übereinander liegen. Nur einige zunächst 
dem Augenblasenlumen liegende Kerne sind von rundlicher Form 
und verraten auch durch ihre intensivere Färbung, dass sie erst vor 
kurzem den Teilungsprozess überstanden haben. 

In der Höhe dieser Kerne liegen auch, wie längst bekannt, die 
Mitosen [sog. Altmannsche (17) Keimzone)]. 

Ich erwähne schon jetzt, dass die Mitosenbildung auch in der 
weiteren Entwicklung zum weitaus grössten Teil in dieser an das 
Lumen der Augenblase grenzenden Zone erfolgt und dass deshalb die 
dafür übliche Bezeichnung „Keimzone“ ihre volle Berechtigung besitzt, 
möchte mich aber gegen die manchmal gebrauchte Bezeichnung 
„Keimschicht“ aussprechen, da sie zu der falschen Auffassung verleiten 
könnte, dass zu dieser Zeit bereits eine Schichtung in der Retina 
vorhanden sei. Die sogenannte Keimzone ist von den übrigen Zell- 
lagen der Retina zu keiner Zeit als eine besondere Schicht abzugrenzen, 
sondern von ihnen nur dadurch unterschieden, dass in ihr neben den 
gewöhnlichen Zellen Mitosen und deren junge Sprösslinge vorhan- 
den sind. 


496 R. Seefelder 


Die Begrenzung der basalen Seite der retinalen Epithelzellen 
gegen das Mesoderm ist sehr unscharf und sehr unregelmüssig. Nicht 
nur, dass die Kerne in unregelmüssigen Abstünden davon liegen, es 
strahlen auch noch Protoplasmafortsütze der Epithelien in das sie um- 
gebende Mesoderm hinein und gehen damit anscheinend protoplas- 
matische Verbindungen ein. 





Fig. 9. 


Von einer basalen Grenzmembran kann natürlich unter diesen 
Umständen noch keine Rede sein. 

Die innere Begrenzung der Epithelien ist schon wesentlich 
schärfer und es zeigt sich schon jetzt, dass sich das vorher sehr 
schmale Protoplasma verschiedener Zellen nach dem Augenblasenlumen 
zu konisch verbreitert und zusammen mit dem der übrigen Zellen an 
einem feinen Saum endigt, welcher zwar noch keinen membranösen 
Charakter besitzt, aber doch schon eine gemeinsame Begrenzung des 
Epithels darstellt. 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 491 


b. Stadium der Entwicklung des Bandschleiers (His) und der 
ersten Pigmentbildung. 


Bei einem 4 mm langen Embryo (Gasser-Marburg) finden 
wir ebenfalls noch eine reine primäre Augenblase, aber im Ver- 
gleiche mit dem vorigen Stadium bemerkenswerte Veränderungen. 
(Textfigur 2.) 

Der Pol der Augenblase reicht fast bis an das Ektoderm heran, 
das bereits an einer umschriebenen Stelle eine leichte Verdickung er- 
kennen lässt. In dem schmalen Spaltraum zwischen Augenblase und 
Ektoderm befinden sich nur noch einzelne Mesodermzellen mit langen 
Protoplasmafortsätzen. 

Die basale (äussere) Begrenzung der Retina ist wesentlich schärfer 
wie beim vorigen Stadium, so dass ich sie schon als eine der Mem- 
brana limitans medullaris externa (Held) entsprechende Grenzmembran 
bezeichnen möchte. 

Zwischen ihr und dem Ektoderm sind zahlreiche protoplasmatische 
Verbindungen nachweisbar, welche bekanntlich zuerst von v. Lenhossek 
(18) und später von v. Szily (19) genau beschrieben und eingehend 
gewürdigt und zuletzt in dem Heldschen Buche(14) über die Ent- 
wicklung des Nervengewebes der Wirbeltiere unter der Bezeich- 
nung „v.Szilysches Fasernetz“ nochmals auf das genaueste besprochen 
worden sind. 

Der retinale Abschnitt der Augenblase ist dicker geworden, Die 
Kerne liegen zumeist in 2—3 Reihen, und an der dicksten Stelle, 
welche der erwähnten Verdickung des Epithels entspricht, in 3 bis 
4 Reihen übereinander. Der epitheliale Charakter der Zellen ist 
noch vollkommen ausgesprochen, desgleichen die Tatsache, dass die 
Zellen durch die ganze Wand- bzw. Retinadicke hindurchreichen, 
unverkennbar. 

Aber es ist bereits an einem umschriebenen Netzhautbezirke 
eine sehr wichtige Veränderung der basalen Zellseiten ein- 
geleitet. 

Zwischen den lang ausgezogenen, radiär gestellten Protoplasma- 
körpern der basalen Zellseite sind teils weitere, teils schmalere Lücken 
zu konstatieren, welche von feinen, schräg verlaufenden Intercellulär- 
brücken durchzogen werden. Der Protoplasmakörper selbst erscheint 
im Bereiche der Liicken verschmälert, zuweilen fadendünn, weist aber 
kurz vor der Einmündung in die äussere Grenzmembran eine konische 
Verbreiterung auf. 


428 R. Seefelder 


Diese Veränderung der basalen Zellseite der Retinazellen ist 
nur auf einen umschriebenen Bezirk ausgedehnt, dort aber bereits so auf- 
fallend, dass das, gesamte protoplasmatische Netzwerk, trotzdem es noch 
einige Kerne enthält, die zum Teil 
bis an die äussere Grenzmembran her- 
anreichen, bereits als eine besondere 
Zone imponiert. Mit seiner Entwick- 
lung ist die Ausbildung einer unter 
dem Namen „Randschleier“ [His 
(20)] oder „kernlose Zone“ bekann- 
ten Formation eingeleitet, mit welcher 
wir uns im folgenden noch eingehend 
beschäftigen werden. 

Bei einem 4,8mm langen Em- 
bryo [Hertwig (G 31) K. N. T. 
Nr. 14!)] (vgl. Textfigur 3) betrifft die 
auffälligste Veränderung die Form 
der Augenblase, welche jetzt im Schnitt 
als ein Viereck mit abgerundeten Kan- 
ten erscheint, dessen eine Seite zum 
Teil nach der Hirnblase zu offen ist. 
Diese Formveränderung ist einerseits 
durch die stärkere Einziehung an der 
dorsalen Seite im Bereiche des Augen- 
blasenstiels, anderseits durch eine Ab- 
plattung der distalen (retinalen) Augen- 
blasenwand verursacht, mit welcher 

die Einstülpung zum Augen- 

becher angedeutet ist. Äusseres 
und inneres Blatt des Augenbechers 
sind bereits mit einer viel grösseren 
Präcision voneinander abzugrenzen als 
bei den vorhergehenden Stadien. An 
dem Ektoderm ist die Linsenplatte 
sehr deutlich entwickelt. In dem 
Spalt zwischen Ektoderm und Netz- 
haut liegen einzelne Mesodermzellen und das v. Szilysche (13) Faser- 
netz. — 





1) K.N.T. = Keibel Normentafeln (21). 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 429 


Die Netzhaut ist beträchtlich verdickt und weist bereits 6— 
Kernreihen auf. Der Randschleier an der basalen Seite ist wesent- 
lich stärker ausgebildet als beim vorigen Stadium. Er besteht nach 
wie vor in der Hauptsache aus radiär gestellten granulierten Fäden 
und enthält fast keine Kerne mehr. Die wenigen vorhandenen Kerne 
liegen noch der Membrana limitans interna retinae an. Sämtliche 
Kerne haben durchwegs die gleiche ovale Form. Infolge ihrer engen 
Aufeinanderpressung ist es schon jetzt nicht mehr möglich, zu ent- 
scheiden, ob alle Zellen durch die ganze Dicke der Netzhaut hin- 
durchreichen oder nicht. (Vgl. Textfigur 4a.) 

Der dem Pigmentepithel entsprechende Abschnitt der Augen- 
blase ist aus morphologisch gleichen Zellen "zusammengesetzt wie 
der retinale. Es sind hohe cylindrische Epithelien, deren Kerne zu- 
meist in drei Reihen übereinander liegen. Der der freien (dem 
Augenblasenlumen zugekehrten) Seite entsprechende Protoplasmakörper 
ist wesentlich höher als der basale Abschnitt. Die Mitosen liegen 
dem Lumen der Augenblase an. Pigment ist auch bei stärkster Ver- 
grösserung noch nicht nachweisbar. — 

Von der basalen Seite der Epithelien strahlen konisch geformte 
Protoplasmafortsätze mit ihren Spitzen in das anliegende Mesoderm 
hinein, als ob sie sich dort verankern wollten. (Vgl. Textfigur 4a.) 

Bei dem nächstfolgenden Stadium, einem Embryo von 5 mm 
Länge (Rob. Meyer 318, K.N.T. Nr.318), ist die primäre Augen- 
blase eben im Begriffe, sich zum Augenbecher umzubilden. Retina 
und Linsenplatte beschreiben bereits einen leichten hirnwärts konvexen 
Bogen. Der Randschleier ist noch weiter ausgebildet als beim vorigen 
Stadium, die Kernzone und das äussere Blatt weisen dagegen keine 
merkliche Veränderung auf. 

Weiterhin verfüge ich über eine Reihe von ausgezeichneten Prä- 
paraten, welche sich im Stadium des eben ausgebildeten Augen- 
bechers befinden. Embryo Seefelder 5mm, Braus 6,0 mm, Kallius 
(Gaylord) K.N.T. Nr.25 6,25 mm, Gasser Embryo Leyding 6,5 mm 
K. N.T. Nr.25, Gasser 6,75 mm. 

Das Linsenbläschen ist bei einigen (Seefelder, Braus, Gasser 
6.75 mm, Gasser Embryo Leyding 6,5 mm) noch geöffnet, bei: den 
andern zwar geschlossen, aber noch in direkter Berührung mit dem 
Ektoderm. 

Allen diesen Stadien ist gemeinsam die mächtige Entwicklung 
des Randschleiers zu einer breiten kernlosen Zone, welche nunmehr 
fast von einem Umschlagsrande zum andern reicht, in der Nähe des 


430 R. Seefelder 


Umschlagsrandes aber wesentlich schmäler ist als im Grunde des 
Augenbechers. 

Das histologische Verhalten des Randschleiers ist dabei un- 
verändert geblieben. Er erscheint nach wie vor als ein nahezu kern- 
loses Syncytium von vorwiegend radiär verlaufenden Fasern, 
zwischen welchen eine Unzahl von schräg und quer verlaufenden 
Anastomosen existiert. Der Zusammenhang der Radiärfasern mit 
den Kernen der Kernzone ist nur zum Teil mit Sicherheit festzu- 
stellen, bei vielen ist dies infolge der dichten Lagerung der Kerne 
nicht mehr möglich. Die queren und schrägen Verbindungen zwischen 


Mes. 





Fig. 4a. 


den Radiärfasern scheinen von den letzteren selbst gebildet worden 
zu sein. — 

Die Kernzone weist durchschnittlich 6—8 Reihen von dicht auf- 
einandergepressten und übereinander liegenden Kernen auf, die sich 
mit einer noch zu beschreibenden Ausnahme morphologisch fast völlig 
gleich verhalten. Geringe Formunterschiede machen sich insofern 
bemerkbar, als ein grosser Teil der innerhalb der Kernzone ein- 

gezwängten Zellen an der freien (dem Pigmentepithel zugekehrten) 
Seite spitz ausgezogen ist, wodurch sich der ganze Kern der Birnen- 
form nähert. Die Struktur dieser Kerne stimmt aber mit der der 
ovalen vollkommen überein. 

Besonders betone ich, dass bei keinem der erwähnten Embryonen, 
trotzdem sie in verschiedentlicher Weise gefärbt sind, Nervenfasern 
in der Retina nachzuweisen sind. Wir werden sehen, dass dies 
auch noch in älteren Stadien der Fall ist, weshalb ich eine kritische 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 431 


Besprechung dieser auffälligen Tatsache vorläufig noch hinausschieben 
möchte. — 





d. B. R. — dorsaler Becher- 
rand. 
R. = Retina. 


Fig. 4b. 


Erste Pigmententwicklung. 


Das äussere Blatt des eben ausgebildeten Augenbechers 
ist aus 2—3 Reihen hoher cylindrischer Zellen zusammengesetzt. — 


Es enthält bei den Embryonen Braus und Gasser 6,75 mm 
noch keine Spuren von Pigment, ist dagegen bei den übrigen 


432 | R. Seefelder 


Embryonen bereits in mehr oder minder grossen Mengen nach- 
weisbar!). 

In ihren allerersten Anfängen befindet sich die Pigmententwicklung 
bei den Embryonen Kallius (Gaylord 6,25 mm) und Gasser (Ley- 
ding 6,5mm). (Textfigur 4b.) Das Pigment ist bei diesen sowohl in 
der basalen als in der freien Protoplasmahälfte in Form von kleinsten, 
stark lichtreflektierenden, gelblichbräunlichen runden Tröpfchen oder 
kurzen Stäbchen abgelagert. Es findet sich noch ausschliesslich 
in der Nähe des dorsalen (oberen) Umschlagsrandes, während 
es auf der ventralen Seite vollständig fehlte Auch ist es nicht in 
den direkt am Umschlagsrande, sondern erst in den etwas weiter 
rückwärts befindlichen Zellen (etwa der 4.—5. Zellenreihe vom Um- 
schlagsrande an .gerechnet) nachweisbar. Von hier an finden sich 
aber bis in die Nähe des Aquators bulbi Zellen, welche bereits Pig- 
ment enthalten. Man kann auch nicht sagen, dass dessen Menge vom 
Umschlagsrande nach dem Aquator hin gradatim abnimmt, sondern 
es enthalten -manchmal die Zellen in der Gegend des Aquators viel 
mehr Pigment als solche, welche nüher am Becherrande liegen. Im 
allgemeinen ist die freie (innere Zellhälfte) stärker pigmentiert als 
die basale, doch sind die Unterschiede zunächst noch sehr unbedeutend 
und kaum in die Augen springend. Die Intensität der Pigmentierung 
der Pigmentkörnchen bzw. -stäbchen ist sehr verschieden und schwankt 
zwischen einem ganz hellen Gelb und einem schönen Kastanienbraun 
Es steht wohl ausser Zweifel, dass die hellen Pigmentklümpchen als 
die Jugendformen aufzufassen sind. 

Da das Pigment erst bei der Untersuchung mit stärksten Ver- 
grósserungen deutlich sichtbar wird, ist es nicht verwunderlich, dass 
diese beiden Stadien in den Keibelschen (21) Normentafeln noch als 
pigmentlos bezeichnet werden. Über die Art der Entstehung des 
Pigmentes hat sich selbst in diesen jungen Stadien nichts Bestimmtes 
ermitteln lassen. Man ist einfach vor die Tatsache gestellt, dass es 
vorhanden ist, ohne schen zu können, woher es gekommen ist. Trotz 
sorgfältigster Untersuchung der benachbarten noch pigmentlosen Zellen 
und deren Umgebung habe ich dort keine Veränderungen bemerken 
können, welche mit dem Vorgange der Pigmentbildung in Zusammen- 


hang zu bringen gewesen wären. 


! Die Angabe in den Keibelschen Normentafeln (21, dass bei den Em- 
bryonen Gasser (Leyding und Kallius.Gaylord) noch kein Retinalpigment 
nachweisbar sei, bedarf demnach der Berichtigung. 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 433 


Ich lasse mich deshalb auf die Streitfrage nach der Herkunft 
des Pigmentepithels gar nicht ein, da ich keine leeren Hypothesen auf- 
stellen móchte. 

Die beiden erwähnten Stadien sind bis jetzt meines Wissens die 
jüngsten menschlichen Embryonen, in welchen Pigment nachgewiesen 
worden ist. Lauber (22) verzeichnet die erste Pigmententwicklung 
bei einem 7 mm langen Embryo, er bemerkt aber mit Recht, dass in 
diesem Zeitpunkt kleine individuelle Schwankungen vorkommen. Ich 
kann diese selbstverständliche Tatsache, die sich in der ganzen Ent- 
wicklungsgeschichte immer wieder bewahrheitet, auch in dieser Frage 
bestätigen. So besitzt der 6,75 mm lange Embryo Gasser noch keine 
Spur von Pigment. Bei diesem ist aber die ganze Augenentwicklung 
überhaupt ziemlich stark zurückgeblieben. 

Wichtiger erscheint mir dagegen mit Rücksicht auf eine gegen- 
telige Behauptung von Raehlmann(23) die Tatsache, dass das Pig- 
ment beim Menschen vom allerersten Anfange an, sowohl in Kugel- 
als in Stäbchenform auftritt. Selbst die zunächst dem Becherrande 
gelegenen Zellen enthalten stäbchenförmiges Pigment. Doch ist die 
Kugelform entschieden die vorherrschende. Jedenfalls habe ich aber 
den Eindruck, dass sich beim Menschen bezüglich des örtlichen oder 
zeitlichen Auftretens zwischen kugel- oder stäbchenförmigem Pigment 
keine gesetzmässigen Unterschiede feststellen lassen. 

Raehlmann hat aber auch offenbar gar keine so jungen 
menschlichen Embryonen untersucht wie ich, und auch von Säuge- 
tieren scheint ihm nur eine sehr beschränkte Anzahl jüngster Stadien 
zur Verfügung gestanden zu haben. 

Seine Behauptungen, dass das erste Pigment am Becherrande 
und ausnahmslos in Körnerform gefunden wird, ist, wenigstens was 
den Menschen betrifft, entschieden unzutreffend. 

Meine Beobachtungen decken sich auch nicht mit der Behaup- 
tung Rabls (73), dass das Pigment wie in allen pigmentierten Epi- 
thelien auch in den Zellen des Tapetum nigrum zunächst nur an der 
freien (id est der Retina zugewendeten Seite) auftritt. 

Ich finde beim Menschen vom allerersten Anfange an sowohl in 
der freien als in der basalen Seite Pigmentkörnchen vor. 

Übrigens ist schon mehrfach, so z. B. von Scherl (87), Krück- 
mann (88) u. A. berichtet worden, dass das Retinalpigment bei den 
Vögeln zuerst an der basalen Seite auftritt. 

Was dagegen meine eigenen, allerdings nicht ganz erschöpfenden 
Untersuchungen am Hühnchen anbetrifft, so scheint es mir, dass auch 


434 R. Seefelder 


bei ihm die allerersten Pigmentspuren über die ganze Pigmentepithel- 
zelle verteilt sind. Aber schon bald darauf finde auch ich nur noch 
die basale Zellhälfte mit Pigment beladen, während die freie Seite 
ganz pigmentlos erscheint. Es ist dies zweifellos ein prinzipieller 
Unterschied gegenüber der Pigmententwicklung des Menschen und der 
übrigen Säugetiere, bei welchen in einer gewissen Entwicklungsperiode 
ein nahezu rein gegenteiliges Verhalten zu konstatieren ist. 

Ich glaube aber nicht, dass dieser Gegensatz mit der Verschieden- 
heit der Entwicklung des embryonalen Gefässsystems der betreffenden 
Tiergruppen erklärt werden kann (Scherl und Krückmann). 

Denn einerseits ist die Choriocapillaris auch beim Menschen und 
den übrigen Säugern schon einige Zeit vor dem Sichtbarwerden der 
ersten Pigmentspuren angelegt, und anderseits kann ich mir nicht vor- 
stellen, in welcher Weise die in der Becherspalte verlaufende Arteria 
hyaloidea, welche‘ aen Vögeln bekanntlich abgeht, auf die Pigment- 
entwicklung des Menschen einen Einfluss ausüben soll, da sich doch 
die ersten Pigmentspuren fern von ihr in der Nähe des dorsalen 
Augenbecherrandes finden, während die ihr zunächst befindlichen Ab- 
schnitte, nämlich die Ränder der Becherspalte, zuletzt pigmentiert 
werden. 

Man kann also hier nicht sagen, dass sich das Pigment erst 
dann neben de „Kern vorbei an die basale Seite schiebt, wenn es 
sich in der freien Seite mehr angehäuft hat. [Rabl (73) S. 305.) 
(Vgl. hierüber auch S. 491 dieser Arbeit.) 

Ungefähr gleichzeitig mit dem Auftreten der ersten Pigment- 
körnchen werden die Zellen des Pigmentblattes selbst etwas niedriger 
und die Kerne liegen näher als vorher an dem Restlumen der Augen- 
hlase. Gegen das Mesoderm ist das Pigmentepithel nunmehr durch 
eine zarte Basalmembran scharf abgegrenzt. — 

Bei weiteren 6 Embryonen von 8 mm, 8,8 mm, 8,5 mm, 8*|, mm, 
9,2 mm und 10 mm grósster Lànge [1, 3, 4 und 6 im Besitze von Dr. Rob. 
Meyer, Berlin, Nr. 324, 304, 331 und 315, der 2. im Besitze von 
Prof. Rabl, 5 im Besitze von Prof. Kallius (Dr....n, K. N. T. Nr. 38] 
hat die Dicke der Retina noch ein wenig zugenommen, ohne dass 
ihre Struktur im allgemeinen eine bemerkenswerte Veründerung er- 
fahren hat. 

Nur im Bereiche der Becherspalte ist in dem ventralen 
an die Optikuswand unmittelbar anstossenden Netzhautbezirk eine 
zwar unbedeutende, aber doch sehr interessanteVeründerung 
zu konstatieren. (Textfigur 5.) Die Netzhaut ist hier in allen Präpa- 


Beitrüge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 435 


raten konstant etwas cerebralwürts umgebogen, deutlich eingedellt und 
dünner als sonst. Die Zahl ihrer Kernreihen betrügt hier nur 4—5 
gegen 7—8 weiter oben und ein Randschleier fehlt entweder ganz 
oder ist auf einen ganz schmalen Streifen reduziert. In der Netz- 
hautdelle liegt die zu einem mächtigen Gefässplexust) ent- 
wickelte Arteria hyaloidea, welche hier durch die hinten noch 
offene Becherspalte in das Auge eintritt. — Es scheint mir bei der 
Konstanz des Befundes in meh- 
reren und nur gut konservierten 
Embryonen wahrscheinlich, dass 
hier im Verlaufe der normalen 
Entwicklung eine vorüber- 
gehende Entwicklungs- 
hemmung durch eine mecha- 
nische Ursache stattfindet. An 
und für sich mag ja dieser Be- 
fund vielleicht belanglos er- 
scheinen. Mit Rücksicht auf die 
Genese mancher Missbildung FA SE 
scheint er mir dagegen von prin- aT E Se en 
zipieller Wichtigkeit zu sein. Kä SE 

Das Mesoderm sprosstnach 
der Abschnürung der Linse vom 
Augenbecherrande her von allen 
Seiten zwischen Ektoderm und 
Linse vor, um bei den beiden 
ältesten Stadien bereits eine 
zwar schmale aber kontinuier- 
liche Schicht zwischen Ektoderm 
und Linse zu bilden. Fig. 5. 

Die fötale Augenspalte ist bei den beiden jüngsten noch ganz. 
bei den übrigen nur noch teilweise offen. 

Die Pigmententwicklung hat schon bei dem jüngsten der zuletzt- 
genannten Stadien grosse Fortschritte gemacht und ist fast überall, 
also auch ventral nahe an den Ansatz des Augenblasenstiels herangerückt. 
Doch ist seine Anordnung noch sehr locker, so dass man noch bequem 
die einzelnen Stäbchen und Kügelchen, deren Verteilung auch jetzt 








." Lët? 
ente we 


Soins ara Za Te 
p url . 








* J M $ 
Ne y^ Sa pen e e 
1 k 


?) Die Bezeichnung Plexus erscheint mir deswegen angebracht, weil sich 
die Arteria hyaloidea schon an der Eintrittsstelle in den Augenbecher in mehrere 
Áste teilt, die ein in Schnitten geradezu unentwirrbares Geflechtwerk bilden. 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3, 29 


436 R. Seefelder 


keine Gesetzmässigkeit erkennen lässt, zählen kann. Das Pigment ist 
sowohl in der äusseren als in der inneren Zellhälfte abgelagert, in der 
letzteren aber entschieden in reichlicherer Menge. 

Bei dem 8,5 mm langen Embryo liegen die Verhältnisse ganz 
ähnlich, doch ist die Pigmentierung eigentümlicherweise im allgemeinen 
spärlicher und weniger ausgedehnt als bei dem vorigen Stadium. 

Im auffälligen Gegensatze dazu ist die Pigmentierung bei dem 
nur wenig älteren 82, mm langen Embryo bereits auf das ganze 
äussere Blatt des Augenbechers ausgedehnt und greift oben sogar 
schon etwas auf den Augenblasenstiel hinüber. Die Pigmentkörnchen 
sind viel dunkler, ferner von sehr ungleicher und stellenweise schon 
sehr erheblicher Grösse, und ihre Anordnung ist bereits so dicht, dass 
eine genaue Zählung der einzelnen Körnchen nicht mehr durchzuführen 
wäre. In dem mehr stielwärts gelegenen Augenabschnitte ist 
das Pigment jetzt auf die äussere und innere Zellhälfte an- 





Fig. 6. f. S. — freie (innere) Seite. b. S. — basale (äussere) Seite. 


nähernd gleichmässig verteilt, dazwischen liegen die beiden Kern- 
reihen, die nur schwach mit Pigmentpartikelchen bestäubt erscheinen. 
(Vgl. Textfigur 6.) 

In der Nähe des Umschlagsrandes ist dagegen die Hauptmasse 
des Pigments nach der inneren Zellhälfte vorgewandert, die jetzt 
wesentlich intensiver pigmentiert erscheint als die äussere. Die Stäb- 
chen und Kügelchen liegen allerorts anscheinend regellos durcheinander, 
doch ist die Zahl der ersteren jetzt entschieden beträchtlich vermehrt. 


c. Die Zellen des Randschleiers (ektodermale Glaskörperzellen). 

Nach der bisherigen Beschreibung besitzt selbst noch die Retina 
eines 10 mm langen Embryos im allgemeinen den primitiven Bau, welcher 
bereits im Stadium der primären Augenblase in seinen Grundzügen an- 
gedeutet war. Sie zerfällt in zwei grosse Schichten, in eine äussere, die 
von 6—8 Kernreihen gebildete Kernschicht, und eine innere, die soge- 
nannte kernlose Schicht oder den Randschleier (His), welcher im 
Grunde des Augenbechers am breitesten ist und nach dem Becher- 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 431 


rande zu immer schmäler wird. Unmittelbar am Becherrande ist da- 
gegen noch das Cylinderepithelstadium erhalten geblieben. Die Be- 
grenzung der beiden grossen Schichten wird durch die Membranae 
limitantes dargestellt. Nervenfasern sind in der Retina auch bei 
sorgfältigster Untersuchung noch nicht nachweisbar. 

Es ist jetzt aber an der Zeit, in meiner Beschreibung eine Lücke 
auszufüllen, die ich bisher absichtlich offen gelassen habe, da ich ihr 
ein eigenes kleines Kapitel widmen wollte. Wie schon im Vorher- 


e. G. Z. 





Fig. 7a. e. G. Z. — ektodermale Glaskórperzellen. G.— Glaskórper. R. S.— Rand- 
schleier. K. == primitive Kernzone. 


gehenden einige Male angedeutet, ist der Randschleier nümlich zu 
keiner Zeit vóllig kernlos, sondern stets von einigen wenigen Kernen 
durchsetzt. Im Anfange handelt es sich dabei ausschliesslich um 
Epithelkerne, die nahe an der Membrana limitans interna liegen ge- 
blieben sind und manchmal auch ganz dort liegen zu bleiben scheinen, 
oder vielleicht auch, was sich natürlich schwer entscheiden lässt, aus 
der Kernzone etwas weiter in den Randschleier vorgeschoben worden 
sind. Eine besondere Bedentung ist diesen einzelnen verlagerten 
Elementen nicht zuzusprechen. 


Schon gleich nach der Bildung des Augenbechers sind aber in 
29* 


138 R. Seefelder 


dem Randschleier auch noch andere und zwar ganz fremd- 
artig aussehende Zellen nachweisbar. (Vgl. Textfigur 7a und b.) 
Die Zellen enthalten in ihrem Protoplasma stark lichtbrechende 
kuglige Körner von verschiedener Grósse, welche sich tinktoriell in 
gleicher Weise verhalten wie die Chromatinsubstanz der Kerne, aber 
sich im allgemeinen noch intensiver färben als diese. Sie erscheinen 
meist — bei Heidenhainfärbung durchgehends — homogen, stellen- 
weise aber auch leicht granuliert. Ihre Zahl ist zuweilen so gross, 
dass sie den Kern vollständig verdecken und der Zelle ein trauben- oder 
blasenwurmähnliches Aussehen verleihen. (Siehe Textfigur 7b, Zelle a.) 
In den Zellen, in welchen ihre Zahl geringer und der Kern 
deutlich und vollständig sichtbar ist, weist dieser ganz verschiedene 
a. d. Formen (Biskuit-Hantel-Hauben-Form) 

auf, lässt aber keine Anzeichen von 
Degeneration erkennen. Das Proto- 
plasma dieser Zellen ist deutlich sicht- 
bar, bald abgerundet, bald mit Fort- 
o sitzen versehen und allseitig von seiner 
i. Umgebung scharf abzugrenzen. Die 

6. Zellen liegen sowohl in den Maschen 
| des Randschleiers, die sie auseinander- 
zudrängen scheinen, als auch zwischen 
den Kernen der Kernzune, und es 
kann gar keinem Zweifel unterliegen, 
dass sie aus der letzteren abstammen 
und von da in den Randschleier hineingewandert sind. Doch ist 
auch damit die Wanderungslust dieser Zellen noch nicht gestillt, 
sondern wir finden die gleichen Elemente bald in grösseren bald in 
kleineren Mengen in dem noch sehr schmalen Glaskörperraum und auf 
dem ganzen. Wege, der bis dorthin zurückzulegen ist. In dem Glas- 
körperraum ist dann allerdings das zusammengeballte Aussehen der 
Kerne häufig nieht mehr so ausgeprägt, sondern es sind längere oder 





ig. Tb. 





kürzere Kernauswüchse nachweisbar, so dass die Kernform mitunter 
ein noch bizarreres Aussehen erhält: Die Zahl der Zelleinschlüsse 
ist bei den im Glaskörper ‚befindlichen Zellen durchschnittlich ge- 
vinger als bei denen, welehe noch nicht aus der Retina ausgewandert 
sind. Mit diesen Beobachtungen, die ich an mehr als einem halben 
Dutzend ausgezeichnet kunservierter menschlicher Embryonen immer 
wieder bestätigt fand, ist auf das schlagendste bewiesen, dass ein Teil 
der Glaskörperzellen retinaler bzw. ektodermaler Herkunft ist. 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 439 


Welche Rolle sie als solche zu spielen berufen sind, ob sie z. B. 
zum Aufbau des primitiven Glaskórpergerüstes mitverwendet werden, das 
zu erörtern gehört nicht in den Rahmen meiner heutigen Mitteilung. 

In der embryonalen Retina sind diese Zellen meines Wissens 
noch nicht beschrieben worden. Hingegen hat Rabl gelegentlich 
seiner bekannten Untersuchungen über die Entwicklung der Linse so- 
wohl beim Kaninchen als bei der Ente an den Rändern der Ein- 
stülpungsöffnung des Linsenbläschens ganz analoge Zellen beobachtet, 
welche hier aber wie die Linsenzellen von dem Epithel abstammen. 
Über die Natur der Zelleinschlüsse äussert sich Rabl dahin, dass sie 
nicht auf einen Zerfall von Kernen zu beziehen sind, sondern „Zell- 
einlagerungen oder Zellprodukte mehr sekundärer Art“ darstellen. 

Beim Menschen habe ich sie an dieser Stelle nicht gefunden. 

Die beschriebenen Bilder erinnern auch an die Lösungs- und 
Wanderungsvorgänge von Gliazellen, welche Held (24) im Gehirn 
eines Erwachsenen, Krückmann (25) und Wolfrum(26) im ausge- 
wachsenen Auge und ich, wie ich noch genauer beschreiben werde, in 
dem Gliamantel der Arteria hyaloidea beobachtet haben.  Zweifellos 
dürften auch die fraglichen Zellen des Randschleiers und Glas- 
körpers den Gliazellen in ihrem Wesen am nächsten stehen. Ich halte 
aber auf sie, obwohl ich mir des proteusartigen Charakters der 
Gliazelle wohl bewusst bin, diese Benennung doch nicht für ohne 
weiteres anwendbar, da sie morphologisch eine eigenartige und be- 
sondere Stellung einnehmen, und ich schlage deswegen vor, sie, da sie 
doch alle nach dem Glaskörper auswandern, zum Unterschiede von den 
dort auch befindlichen mesodermalen Zellen mit dem nichts präjudi- 
zıerenden Namen der „ektodermalen Glaskörperzellen“ zu bezeichnen. 


d. Über die Randschleierentwicklung und die Differenzierung 
| der Retinazellen. 


Den Namen Randschleier hat His (20) in die anatomische 
Nomenklatur eingeführt, welcher seine darauf bezüglichen Unter- 
suchungen hauptsächlich am Medullarrohr, mit welchem die Retina in 
ihrem frühesten Stadium bekanntlich nicht bloss genetisch, sondern 
auch morphologisch übereinstimmt, ausgeführt hat. His schildert die Ent- 
stehung des Randschleiers der Retina in ganz ähnlicher Weise, wie ich es 
getan habe. Nach seiner Ansicht geht die Entwicklung des Randschleiers 
auch im Medullarrohr der der Nervenfasern voraus und er glaubt, 
dass die Nervenfasern zwischen den Lücken und Maschen des Rand- 
schleiers ihren Weg suchen. Im Gegensätze zu seinem Lehrer His (20) 
vertritt Held (14) auf Grund von Untersuchungen am Medullarrohr 


440 R. Seefelder 


und am Sehnerven den Standpunkt, dass die Randschleierbildung 
erst durch die Ent wicklung der Nervenfasern eingeleitet wird. 

Nach Held (14) sind im Medullarrohr schon zur Zeit des Epi- 
thelstadiums Neurofibrillen entwickelt. Die Neurofibrillen dringen 
randständig dicht an der Membrana limitans medullaris externa in 
dem Protoplasma der noch rein epithelialen jungen Gliazele (Spon- 
gioblast His, Globlast H. Held) in einer zu ihrer Zellachse 
senkrechten Richtung vor (encytialer Verlauf der Nervenfaser). 
Diese neurofibrillenhaltigen Spongioblasten (neurofibrillierter Spon- 
gioblast Held) unterscheiden sich im übrigen in nichts von den ein- 
fachen Epithelzellen des Medullarrohrs. Erst später wandeln sie sich 
zu den Elementen des fertigen Randschleiers um. Dies geschieht in 
der gleichen Weise, wie ich sie im vorstehenden an der Retina kurz 
geschildert habe. Nur geht nach Held, wie nochmals betont sei, die 
Ausbildung des Randschleiers mit einer ständigen Zunahme der Zahl 
der Neurofibrillen Hand in Hand und ist von dieser geradezu abhängig. 

Die Neurofibrilien verlaufen dabei konsequent innerhalb der Balken 
des Randschleiers, die zuletzt in ein zartes, feinfädiges Maschenwerk 
aufgelöst sind. Mit Recht betont Held, dass es später mitunter sehr 
schwer sein kann, diese Beziehungen zwischen dem gliösen Gewebe 
des Randschleiers und. den. Neurofibrillen. aufzudecken, da bei der zu- 
nehmenden Feinheit der Gerüsthilkchen ,die Knotenpunkte des Gerüst- 
werks wohl etwas dicker sind, als die Zwischenbülkchen selber, aber 
fast völlig von den Qüerschnitten einer Neurofibrille oder eines Bündels 
von ihnen ausgefüllt werden, so dass meistens nur eine minimale und 
ein wenig matt gekórnte äussere Hülle um diesen Inhalt sichtbar bleibt“. 
Diese Beziehungen zwischen Glia und Nerventibrille sind nach Held 
bleibender Art. In das Protoplasma der Gliazelle ist die Nervenfaser 
zeitlebens direkt und unmittelbar eingebettet. Die Glia bildet nach 
ihm nicht bloss das Stützgerüst der Nervenfasern, sondern besorgt 
auch deren ganzen Haushalt, ihre Ernährung und ihren Stoffwechsel. 

Von der Richtigkeit der Heldschen Beobachtungen, deren weit- 
tragende Bedeutung für das Sehorgan schon in den bekannten Krück- 
mannschen (25) Arbeiten über die Neuroglia gebührend gewürdigt 
worden ist, habe ich mich durch das freundliche Entgegenkommen 
Helds an seinen eigenen Präparaten wiederholt überzeugen 
können. Durch eigene Untersuchungen an menschlichen Föten, deren 
Resultate in dieser Arbeit niedergelegt werden sollen, kann ich die 
Tatsache der dauernden intraprotoplasmatischen Lagerung der Nerven- 
faser (die sog. Lehre vom Neureneytium) nur bestätigen. 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 441 


Es fragt sich nur, ob nach meinen Untersuchungen und Befunden 
die Randschleierentwicklung in der menschlichen Retina genau so ge- 
dacht werden muss, wie sie Held vom Medullarrohr und Sehnerven 
verschiedener Tiere beschrieben hat, ob auch in der menschlichen 
Retina die Bildung der Nervenfasern der des Randschleiers voraus- 
eilt, und die letztere somit als ein sekundärer und bis zu einem ge- 
wissen Grade passiver Vorgang zu betrachten ist. 


Eine eingehende Untersuchung über die Entwicklung des Randschleiers 
in der Retina des Menschen und der höheren Säugetiere liegt bis jetzt 
m. W. nicht vor. In den entwicklungsgeschichtlichen Arbeiten und Lehr- 
büchern (Minot, van Duyse usw.) ist sein Vorkommen immer nur kurz 
erwähnt, ohne dass ihm eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden 
zu sein scheint. , 


Ich glaube die eben ausgesprochene Frage verneinen zu müssen. 
Habe ich doch in keinem der von mir durchsuchten Präparate, trotz- 
dem sie mit den verschiedensten und zum Teil mit für die Darstellung 
der Nervenfasern gut geeigneten (Heidenhain) Methoden gefärbt 
und in verschiedenen Richtungen geschnitten sind, so dass sich die 
Nervenfasern entweder im Längs- oder im Querschnitt präsentieren 
mussten, mit Sicherheit Nervenfasern zu entdecken vermocht. 

Man könnte mir einwenden, und es ist dies auch geschehen, dass 
die Präparate ungenügend gefärbt und die Nervenfasern deswegen nicht 
sichtbar seien. 

Was diesen Punkt anbetrifft, so gebe ich ohne weiteres zu, dass 
die in den vielfach schon sehr alten und ausgeblichenen Präparaten 
angewandten Färbungen samt und sonders unzureichend sind, um die 
ersten Anfänge der Neurofibrillenentwicklung, z. B. das innerhalb 
des Neuroblastenprotoplasmas befindliche Neuroreticulum (Held) und 
vielleicht auch die ersten kurzen Neuroblastenfortsätze zur Anschauung 
zu bringen. Dazu bedarf es besonderer, technisch nicht einfacher 
und moderner Färbungen, vor allem der Silberreduktionsmethode von 
Ramon y Cajal, vorderen Ausführung an einem gut erhaltenen mensch- 
lichen Embryo jeder Besitzer eines solchen Präparates sich so lange 
scheuen wird, als sie nicht zuverlässiger arbeitet. Was aber die Dar- 
stellbarkeit der jungen ausgebildeten Nervenfaser anbetrifft, so wird 
niemand behaupten wollen, dass es dazu besonderer Färbemethoden 
bedarf. So finde ich in etwas älteren als den bis jetzt beschriebenen 
Stadien trotz ihrer manchmal recht unvorteilhaften Färbung und trotz 
der grossen Zartheit und Spärlichkeit der Nervenfasern in der Nerven- 
faserschicht der Retina stets Nervenfasern vor. — 


442 R. Seefelder 


nd 


Es liegt, glaube ich, daraufhin nahe, zu sagen, dass, wenn aus- 
gebildete Nervenfasern vorhanden sind, sie dann auch unschwer ge- 
sehen werden können. 

Die Nervenfasern werden dann besonders leicht sichtbar werden. 
sobald sie in die zur Netzhautoberfläche parallele Verlaufsrichtung 
umgebogen sind. Nun ist aber zu bedenken, dass sie in der Retina 
erst von diesem Momente an das Lageverhältnis zur Gliazelle einnehmen. 
welches der Achsencylinder des Neuroblasten im Medullarrohr zur 
iungen Gliazelle einnimmt, nämlich senkrecht zur Hauptzellachse der 
Gliazelle (des Spongioblasten) verlaufen. Vorher können sie aber kaum 
die Ursache der Aufsplitterung des Gliaprotoplasmas sein, da sie zu 
seiner Hauptmasse, den Radiärfasern, parallel verlaufen. 

Es scheint mir also auch damit ein wichtiges Argument gegen 
die Abhängigkeit der Randschleierentwicklung in der Retina von der 
der Nervenfasern gegeben zu sein. 

Doch sehen wir von dieser Frage vorläufig ab und legen wir 
uns statt dessen noch einige andere vor. 

1. Ist es wahrscheinlich, dass einige wenige mit den ge- 
wöhnlichen Methoden ganz unsichtbare Nervenfasern die 
Ursache der schon frühzeitig so mächtigen Randschleier- 
entwicklung sein werden? Ich bemerke dazu ausdrücklich, dass 
ich. diese mächtige Entwicklung des Randschleiers in der Retina nur 
beim Menschen und höheren Säugetieren (z.B. Schwein, Schaf und 
Rind!) angetroffen habe. Beim Hühnchen z. B. und beim Kaninchen 
erreicht sie nicht im entferntesten einen so hohen Grad. Ich würde 
deshalb auch Bedenken tragen, die dort gefundenen Verhältnisse ohne 
weiteres auf den Menschen zu übertragen. 

2. Ist es wahrscheinlich, dass bereits im Stadium der primären 
Augenblase, in welchem doch schon die Randschleierentwicklung ein- 
setzt, noch ehe überhaupt eine rechte Andeutung eines Augenblasen- 
stiels zu sehen ist, Nervenfasern produziert werden? 

3. Ist es wahrscheinlich, dass sich die Nervenfaserentwicklung 
ebenso wie die Randschleierbildung schon wührend der Umbildung 
zum Augenbecher fast auf die ganze Retina erstreckt, während mit 
den gewöhnlichen Methoden erst bei mehrere Monate alten Föten in 
der äussersten Netzhautperipherie Nervenfasern nachzuweisen sind? 
Sollten diese wirklich monatelang vorhanden, aber nicht sichtbar sein? 


!) Bei diesen Tieren bin ich bis jetzt auch mit der Heldschen Methode 
zu den gleichen Resultaten gekommen wie beim Menschen. 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 443 


Ich glaube auch alle diese Fragen ebenso bestimmt verneinen zu 
müssen als die erstere und konstatiere nochmals, dass an der inneren 
Seite der Retina schon lange Zeit ein müchtiges kernloses 
syncytiales Gerüstwerk, der sogenannte Randschleier von 
His, ausgebildet ist, bevor mit den gewóhnlichen Fürbe- 
methoden irgendwelche Anzeichen einer Nervenfaserent- 
wicklung nachweisbar sind. 

Doch kann man mir immer noch einwenden, dass alles, was ich 
bis jetzt gesagt, vielleicht eine ganz gut begründete Vermutung sei, dass 

Fig. 8 b. 


ns, I" jua 


T ra SH AM: 





Fig. 8a. N. — Nervenfaserschicht sive neurofibrillierter Randschleier. G. — Gang- 
lienzellenschicht. R. S. — Randschleier. K. = primitive Kernzone. 
ich aber keine eigentlichen Beweise dafür beigebracht habe. Der Be- 
deutung eines solchen dürfte eine Beobachtung nahe kommen, welche ich 
bei einem in meinem Besitze befindlichen etwas älteren 31 mm langen 
Embryo gemacht habe. (Vgl. Texttig.8.) Bei diesem Embryo ist der primi- 
tive Randschleier zum weitaus grössten Teil durch eine enorme Wucherung 
von Neuroblasten zum Verschwinden gebracht (siehe Textfig. 10), so dass 
davon nur noch an der inneren Netzhautseite ein schmaler Rest er- 
halten geblieben ist. In den periphersten Partien der Retina, wo 
noch keine Neuroblastenausscheidung erfolgt ist, weist er jedoch noch 
die ursprüngliche Breite auf. In diesem Auge ist nun genau so weit, als 
die Neuroblastendifferenzierung reicht, innerhalb der schmalen Rand- 


444 R. Seefelder 


schleierzone mit aller Leichtigkeit und Sicherheit eine Menge von Nerven- 
fasern sowohl im Querschnitt als im Längsschnitt zu konstatieren, 
während in dem breiten Randschleier der peripheren weniger hoch- 
differenzierten Netzhautpartien keine Spur davon nachweisbar ist. Aus 
dieser Beobachtung geht wohl ziemlich eindeutig hervor, dass die Nerven- 
fasern, wenn sie vorhanden sind, auch zu sehen sind, und zweitens, 
dass es in der menschlichen Netzhaut zweierlei Arten von Rand- 
schleier gibt, einen primitiven, welcher keine Nervenfasern enthält, 
und einen neurofibrillierten, welcher erst mit dem Auftreten der 
Neuroblastenschicht entsteht und durch die Anwesenheit von Nerven- 
fasern stark modifiziert ist. 

Die Richtigkeit der Heldschen Beobachtungen wird dadurch 
naturgemüss nicht angetastet. Die Retina und, wie ich noch aus- 
führen werde, auch der Sehnerv des Menschen verhalten sich eben 
in dieser Beziehung anders als das Medullarrohr und der Sehnerv 
verschiedener Tiere, eine Tatsache, die zwar interessant ist, aber doch 
eigentlich gar nichts übermässig Verwunderliches an sich hat. — 

Über das Wesen des Randschleiers brauche ich mich nur noch mit 
wenigen Worten auszusprechen. Geht doch wohl schon aus dem bis jetzt 
Gesagten zur Genüge hervor, dass er dem Stütz- und nach Held (14) 
auch dem Nährorgan der Retina, der Glia, entspricht, wie denn auch 
His(20) kein Bedenken trägt, schon die ganz jungen Randschleier- 
fasern mit den sogenannten M üllerschen Radiürfasern zu identifizieren. 

Ich bemerke nochmals, dass auch nach meinen Beobachtungen 
am Menschenembryo der syncytiale Charakter der Glia von Anfang 
an deutlich ausgesprochen ist und dass schon im Stadium des jungen 
Augenbechers die einzelnen Zellterritorien durchaus nicht mehr von- 
einander abgegrenzt werden können, und halte diese Tatsache Cajál!) 
entgegen, welcher auf Grund von Golgipräparaten den Standpunkt 
vertritt, dass die einzelnen epithelialen Zellbezirke voneinander unab- 
hängig bleiben. 

Es ist von mir bereits mehrfach ausgesprochen worden, dass die 
Kerne der primitiven Kernzone alle einander ganz ähnlich sehen. 
Gewisse Formunterschiede, wie ich sie erwähnt habe, sind meines Er- 
achtens teils durch das verschiedene Alter der Kerne, teils durch 
mechanische Ursachen bedingt. Jedenfalls sind sie nicht ausreichend, 
um die Unterscheidung bestimmter Zelltvpen zu rechtfertigen. Nur 
die in den Glaskörper auswandernden Zellen nehmen eine besondere 
Stellung ein. 








1) Citiert nach Held (14) S. 84. 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 445 


Unter diesen Umständen erscheint mir die Frage naheliegend, 
ob überhaupt anzunehmen sei, dass in den besprochenen Stadien be- 
reits eine Differenzierung von Nervenzellen, den sogenannten Neuro- 
blasten His und Held, stattgefunden habe. — 

An der Tatsache, dass gerüstbildende Zellen, sogenannte Spon- 
gioblasten (His), entwickelt sind, kann dagegen angesichts eines 
so reichlichen Fasernetzes, wie es der Randschleier darstellt, nicht ge- 
zweifelt werden. Infolgedessen ist es nicht verwunderlich, dass eine 
Anzahl von Forschern, z. B. His selbst, ferner Babuchin (27), 
van Duyse(6), Leboucq (11), Mall(32) und;Andere die Ansicht ge- 
äussert haben, dass die SES die ersten differenzierten Ele- 
mente der Retina seien. 


Der Ausdruck ,Spongioblasten* stammt von W. Müller (28) und 
ist von ihm auf die innere Zellage der inneren Koórnerschicht (die sog. 
Amakrinen oder inneren horizontalen Zellen, Greeff) angewendet worden, 
weil er der Ansicht war, dass von ihnen zum grössten Teile die innere 
plexiforme Schicht, das Neurospongium, gebildet werde. His (20) hat dann 
viel später die gleiche Bezeichnung, ohne auf die ältere Bezeichnung 
W. Müllers Rücksicht zu nehmen, auf alle jungen Stützzellen der Retina 
und des Medullarrohrs angewendet und für die Bildungszellen der Nerven- 
fasern den Namen „Neuroblasten“ eingeführt. Von Held (14) wird die 
letztere Bezeichnung ohne weiteres übernommen, dagegen schlägt er vor, 
für die Hisschen Spongioblasten „die allgemeinere und umfassender an- 
wendbare Bezeichnung der Glioblasten zu gebrauchen“, da aus den 
Spongioblasten auch die Gliazellen hervorgehen, welche doch eine mannig- 
faltigere Aufgabe als die blosse Gerüstbildung zu erfüllen haben. 


Da die Gliazelle auch in der Netzhaut und im Sehnerven nicht aus- 
schliesslich als Gerüstbildner (Spongioblast) auftritt, sondern unter verschie- 
denen Formen eine verschiedene Funktion ausübt, so dürfte in Zukunft 
auch für die junge Vorstufe der Gliazelle im Sehnerven und in der Netz- 
haut die Heldsche Bezeichnung vorzuziehen sein. 


So einfach lässt sich jedoch diese Frage nicht entscheiden. Dies 
ging so lange, als die Hissche Ansicht Gültigkeit besass, dass der 
Neuroblast als solcher differenziert sei, sobald eine von dem Endteil 
des Neuroblastenkerns abgehende Faser sichtbar sei. Mit modernen 
Färbemethoden, vor allem der Ramon y Cajalschen Silberreduktions- 
methode, ist dagegen die Differenzierung eines Neuroblasten durch die 
intraprotoplasmatische Entwicklung eines Netzwerks von. Nervenfasern, 
des Neuroreticulums, in einer bestimmten Stelle des Zelleibs, der 
fibrllogenen Zone (Held), schon wesentlich früher zu erkennen und 
es liess sich mit ihnen weiterhin feststellen, dass dieser Prozess im 
allgemeinen sehr frühzeitig, ja teilweise schon im Epithelstadium der 


446 R. Seefelder 


Nervenzelle vor sich geht. So hat auch Cajal(15) selbst mit seiner 
Methode schon in der Netzhaut von 21), Tage alten Hühnchen, also 
zu einer Zeit eine Differenzierung von Neuroblasten nachweisen 
können, in welcher dies mit andern Methoden kaum gelingen dürfte. 

Die zuletzt erwähnte Tatsache scheint mir namentlich auch mit Rück- 
sicht auf die Fürstsche Einteilung der Entwicklung der Retina von In- 
teresse zu sein, da sie zeigt, dass die Retina bereits in das Differenzierungs- 
stadium eingetreten ist, wenn sie sich noch im Cylinder- Epithelstadium 
Fürsts befindet. 

Den Begriff des Differenzierungsstadiums (Fürst) möchte ich deshalb 
lieber ganz vermeiden, da ich ihn in der Entwicklung der menschlichen 
Retina nicht genau zu umgrenzen vermöchte. Eine ausgesprochene Zell- 
differenzierung ist schon bei Embryonen von 5—6mm Länge mit dem 
Auftreten der sog. ektodermalen Glaskórperzellen zu konstatieren. 

Wenn wir diese Tatsache auf die menschliche Retina anwenden. 
so können wir nicht umhin, auch für sie die Möglichkeit, ja vielleicht 
sogar die Wahrscheinlichkeit einer sehr frühzeitigen Differenzierung 
von Neuroblasten zuzugeben, ohne dass diese zunächst mit den ge- 
wöhnlichen Färbemethoden zum Ausdruck kommt. Spätere Unter- 
suchungen mit Hilfe der erwähnten spezifischen Färbemethoden werden 
zu entscheiden haben, ob diese Annahme auch tatsächlich zutreffend 
ist. Bewiesen ist sie bis jetzt jedenfalls noch nicht. 

Die Ansicht der Mehrzahl der Autoren geht dahin, dass die 
Differenzierung der ursprünglichen, mit beiden Anlagesubstanzen aus- 
gestatteten Epithelien der Retina vorzugsweise durch die in der Keim- 
zone der Retina sich abspielende Teilung eingeleitet werde. Wenn 
auch aus der Teilung nicht unmittelbar ein qualifizierter Glioblast oder 
Neuroblast hervorgeht, so wird doch durch sie jedenfalls bestimmt, ob 
die Tochterzellen der indifterenten Epithelzelle zu Neuroblasten oder 
Grlioblasten werden, und damit der Kernteilung ein hervorragender An- 
teil an der Zelldifferenzierung beigemessen werden können. Doch 
müssen wir uns bewusst sein, dass in dieser Frage noch vieles aufzu- 
klären ist und dass wir noch weit davon entfernt sind, in alle Tiefen 
des Geheimnisses des biologisch so interessanten Problems der Zell- 
differenzierung eingedrungen zu sein. 


B. Die weitere Entwicklung der Retina und des Pigment- 
epithels. 


a. Die Entwicklung der Ganglienzellen- und Nervenfaserschicht. 


Die ersten Anzeichen der Entwicklung dieser Schicht habe ich 
bei einem 10mm langen Embryo von Robert Meyer in Berlin ge- 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 441 


funden. Etwas weiter vorgeschritten ist sie bereits bei einem 11,3 mm 
langen Embryo von C. Rabl, hier aber ist sie in so klarer und 
anschaulicher Weise ausgeprägt, dass ich dieses Präparat zum Aus- 
gangspunkt meiner Schilderung gewählt habe. 

Die allgemeine Entwicklung dieses Embryos ist von Rabl selbst 
in seiner „Entwicklung des Gesichtes“ (29) eingehend beschrieben. Es 
handelt sich um ein Zwillingspaar von Embryonen, deren einer merk- 
würdigerweise schon etwas maceriert und auch in der Augenentwick- 
lung zurückgeblieben ist, während der in Rede stehende Embryo aus- 
gezeichnet konserviert ist und zahlreiche frische Kernteilungsfiguren 
aufweist. Die fötale Augenspalte ist bei ihm vorne vielleicht noch 





Fig. 9. 


eine Spur und hinten sicher noch offen. Der Augenblasenstiel weist 
in der Nähe des Auges die bekannte rinnenförmige Einstülpung auf 
und ist noch in seinem ganzen Verlaufe hohl. 

Bei diesem Embryo (vgl. Textfigur 9) finden wir an einem um- 
schriebenen Netzhautbezirke innerhalb des Randschleiers eine neue 
Kernschicht, während die ganze übrige Retina zwar erheblich ver- 
dickt ist, aber sonst noch den primitiven Zustand der vorhergehenden 
Stadien aufweist. Die Kerne dieser jungen Kernschicht sehen wesent- 
lich anders aus als die der primitiven Kernzone. Sie sind etwas 
grösser, blasser gefärbt und noch länglicher geformt als diese. 
Leider ist das Zellprotoplasma bei der angewandten Färbung nicht 
zu sehen, so dass ich über diesen wichtigen Punkt keine Angaben 
machen kann. Ihre Anordnung erscheint zunächst noch ziemlich 
regellos. Besonders in der Richtung der Kernachse scheint die grösste 
Willkür obzuwalten. Unverkennbar ist aber ihr Bestreben, sich zu 


448 R. Seefelder 


einer besonderen Schicht zu gruppieren. Auch ist ohne weiteres zu 
sehen, dass noch fortwährend ein Zuströmen von neuen Kernen aus 
der primitiven, nunmehr stark verdickten und auf 8—9 Kernreihen an- 
geschwollenen Kernzone stattfindet, aus welcher ganze geschlossene 
Züge von jungen Kernen bis an die neugebildete Kernschicht heran- 
reichen. 

Die allgemeine Ansicht geht wohl heute dahin, dass diese 
Ortsveránderung nicht auf eine aktive Wanderung, sondern auf 
eine Umlagerung und Verschiebung der Kerne durch den Druck des 
wachsenden Gewebes zurückzuführen sei. [Held(14), Fürst (10), 
Nussbaum(5) u. A.] Dagegen hat sich His seinerzeit für eine aktive 
Wanderung ausgesprochen. In meinem Falle können wir, glaube ich, 
kaum umhin, auch die letztere Möglichkeit in Erwägung zu ziehen. 
Ein Blick auf die Abbildung zeigt uns, dass die meisten Kerne 
ziemlich weit einwürts von der primitiven Kernzone in noch lockerer 
Anordnung liegen, und dass sie auf dem Wege dorthin, als sie den 
Randschleier passierten, keinem nennenswerten Drucke ausgesetzt sein 
konnten. Warum sollten aber auch die jungen Retinazellen jeder 
aktiven Beweglichkeit entbehren? Haben doch vor kurzem Schreiber 
und Wengler (30) durch ihren interessanten experimentellen Versuch 
mit Scharlachöl nachgewiesen, dass selbst die ausgewachsenen Ganglien- 
zellen unter dem Einflusse chemischer Reize der Teilung und einer 
ausgiebigen Wanderung fähig sind. 

Von besonderem Interesse ist ferner die Tatsache, dass 
innerhalb der neugebildeten Kernschicht eine verhältnis- 
mässig grosse Anzahl frischer Mitosen nachweisbar ist. 

Es geht daraus mit Bestimmtheit hervor, dass der Zuwachs von 
Netzhautzellen nicht ausschliesslich von der Keimzone her, sondern 
auch in andern Schichten erfolgt. Es handelt sich bei dieser Teilung 
zweifellos um die Vermehrung von bereits differenzierten Elementen, 
welche als additionelle Teilung (Nussbaum) der differenzierenden 
gegenüberzustellen ist. Vorausgreifend sei erwähnt, dass ich mich von 
dieser additionellen Teilung auch an älteren genügend frischen Ob- 
jekten überzeugen konnte. Auch innerhalb der von mir so genannten 
primitiven Kernzone habe ich dann und wann Kernteilungsfiguren 
beobachtet, womit ich eine gleichlautende Angabe Falchis(3) be- 
statigen. kann. 

Ehe ich auf die weitere Entwicklung der jungen Ganglienzellen- 
schicht eingehe, sei nochmals besonders hervorgehoben, dass ihre 
erste Differenzierung, wie ich eben gezeigt habe, nicht im ganzen 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 449 


Umkreise der Retina, sondern in einem ziemlich scharf umschriebenen 
Bezirke erfolgt, welcher im vorliegenden Falle dem ventrocaudalen 
(später temporalen und unteren) Abschnitte der Retina entspricht. 

Die obere Differenzierungsgrenze liegt gleich unterhalb des hori- 
zontalen Meridians, während die untere in beiderseits streng symme- 
trischer Anordnung fast bis zum unteren Augenpole reicht. 

Es ist kein Zufall, dass gerade dieser Abschnitt den übrigen 
in der Differenzierung vorauseilt. Wissen wir doch, dass innerhalb 
desselben dereinst die funktionell hochwertigste Stelle der Netzhaut, 
die Fovea centralis, zu liegen kommt. Wir werden sehen, dass dieses 
Prinzip, welches eigentlich schon bei der Bildung des Randschleiers 
in schwachen Zügen angedeutet war, von einer einzigen, aber eigen- 
artigen Einschränkung abgesehen, während der ganzen weiteren Ent- 
wicklung der Retina gewahrt bleibt, und wir vermögen damit einen 
wichtigen Beitrag zu dem bekannten Naturgesetze zu liefern, dass die 
Funktion die Entwicklung beherrscht!) [Rabl (72)]. 

Nervenfasern vermag jch auch in diesem Auge, in welchem doch 
z. B. die zarten Glaskörperfibrillen mit genügender Deutlichkeit sicht- 
bar sind, nicht nachzuweisen. Man könnte mir deshalb vielleicht einen 
Vorwurf daraus machen, dass ich die neugebildete Kernschicht bereits 
als junge Ganglienzellenschicht bezeichne, doch geht die Berechtigung 
hierzu aus dem weiteren Entwicklungsverlaufe völlig einwandsfrei hervor. 

Ich bin mir auch dessen wohl bewusst, dass diese jungen Zellen 
auch dann noch nicht den Namen von Ganglienzellen verdienen, wenn 
ihre Achsencylinderfortsätze deutlich sichtbar werden, ziehe es aber 
im Interesse der Klarheit der Darstellung vor, gleich die bleibende 
Nomenklatur anzuwenden, weil bekanntlich auch in anderen Netz- 
hautschichten Neuroblasten vorkommen. 

Daran, dass die ganzen Zellen dieser Schicht, welche in den 
nächsten Wochen eine ganz ausserordentliche Dicke erreicht, zu der 
sogenannten Ganglienzellenschicht der Retina gehören, lässt ihr wei- 
teres Schicksal keinen Zweifel aufkommen. 

Das jüngste Stadium, in welchem ich mit Sicherheit 
Nervenfasern in der Retina entwickelt fand, ist der Em- 


1) Einen wichtigen und interessanten Beitrag zu diesem Kapitel hat vor 
kurzem Flechsig (31) geliefert, indem er nachwies, dass die Markscheiden im 
Nervus vestibularis zuerst zur Entwicklung gelangen, was Flechsig damit er- 
klärt, dass die Kopfhaltung des Fötus vom 5. Monat an wahrscheinlich nicht 
mehr eine rein passive ist, sondern durch die Erregung der Nervenendigungen 
im Labyrinth geregelt wird. 


450 R. Seefelder 


bryo G, von Hertwig, dessen Lánge nicht genau bekannt ist, dessen 
Alter aber gegen 5—6 Wochen betragen dürfte. 

In diesem ist die beschriebene junge Ganglienzellenschicht nur 
wenig weiter entwickelt, aber es ist deutlich zu sehen, dass aus 
den meisten ihrer Zellen feine Nervenfasern hervorgehen, welche 
gleich nach ihrem Ursprung in eine zur Retinaoberfläche parallele 
Richtung umbiegen und in der nächsten Nähe des noch durchwegs 
hohlen Augenblasenstiels eine ganz schmale Nervenfaserschicht 
bilden. 

Demnach würde die erste Entwicklung der Nervenfaserschicht zwar 
nicht direkt mit dem ersten Auftreten der Ganglienzellenschicht zu- 
sammenfallen, aber fast unmittelbar hinterherfolgen. Bei 2 Em- 
bryonen von 13 und 14 mm Länge (Rob. Meyer, Berlin) scheint 
ebenfalls schon eine ganz spärliche Nervenfaserbildung erfolgt zu sein. 
Es decken sich also diese Beobachtungen mit einer Angabe von 
His(20), dass bei einem Embryo von etwa 5 Wochen (13 mm Länge) 
die ersten Nervenfasern in der Retina nachweisbar seien. 

Über die nächstanschliessenden Entwicklungsvorgänge in der 
Ganglienzellenschicht, die ich ebenfalls an einem lückenlosen und 
tadellos konservierten Material studieren konnte, glaube ich mit we- 
nigen Worten hinweggehen zu können, da sie nichts besonders Be- 
merkenswertes bieten. 

Die Ganglienzellenschicht breitet sich in der bereits eingehend be- 
schriebenen Weise vom hinteren Augenpol allmählich über die ganze 
Retina aus, so dass man an ihrer jeweiligen äussersten peripheren 
Grenze immer wieder die Art und Weise ihrer ersten Entwicklung 
und Absonderung beobachten kann. (Vgl. Textfig. 8.) Im Bereiche der 
älteren Differenzierungszone findet zunächst eine Ordnung und gleich- 
mässige Lagerung der Kerne, zugleich aber auch ein ununter- 
brochener Zuwachs von neuen Zellen statt, der zu einer 
erheblichen Dickenzunahme der Schicht und schliesslich zum voll- 
ständigen Verschwinden des zwischen den beiden Kernzonen befind- 
lichen Randschleierrestes führt, so dass diese unmittelhar aneinander- 
stossen. 

Nur an der inneren Seite der jungen Ganglienzellenschicht bleibt 
der Randschleier dauernd als ein zunächst schr schmaler Streifen er- 
halten, innerhalb dessen die Nervenfasern ihren Weg nehmen. Die 
Nervenfasern verlaufen aber trotz der Schmalheit der kernlosen Schicht 
(des Randschleiers) nicht direkt unter der Limitans interna, sondern 
halten ständig einen kleinen Abstand von ihr ein. (Chievitz.) 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 451 


Auf das vollständige Verschwinden des Randschleiers zwischen 
den jungen Ganglienzellen und der äusseren Kernzone möchte ich 
deswegen nochmals besonders hinweisen, weil man ohne Kenntnis der 
nächstälteren Stadien glauben könnte, dass die anfänglich noch vor- 
handene kernlose Schicht zwischen der jungen Ganglienzellenschicht 
und der primitiven Kernzone als die erste Anlage der inneren plexi- 
formen Schicht aufzufassen sei, welche sich aber tatsüchlich erst viel 
später und auf eine ganz andere Weise entwickelt. 

Selbst bei einem Embryo von 31 mm grösster Länge ist die 
Ausscheidung der jungen Ganglienzellenschicht noch nicht ganz bis 
zum Umschlagsrande vorgeschritten, erstreckt sich aber nahe an ihn 
heran. Übrigens erreicht sie den Umschlagsrand selbst nie, da die 
periphersten Netzhautpartien die ganze Differenzierung der übrigen 
Retina überhaupt nicht durchmachen, sondern zum Aufbau der Pars 
coeca retinae verwendet werden. 

Bei dem zuletzt genannten Embryo hat die Ganglienzellenschicht 
stellenweise eine ganz enorme Dicke erreicht. (Vgl. Textfig. 10.) Die 
Zahl der übereinander liegenden Kernreihen beträgt an ihrer dicksten 
Stelle temporal gleich neben dem Optikus gegen 20, womit sie die der 
äusseren Kernzone etwa um das Doppelte übertrifft. Die Unterschei- 
dung und Abgrenzung der beiden Kernschichten ist wegen der grossen 
Verschiedenheit ihrer Kerne überall mit Leichtigkeit durchzuführen. 
Der Hauptunterschied, welcher schon bei schwacher Vergrösserung 
auffällt, besteht, wie schon angedeutet, in der Intensität der Tinktion. 
Die Kerne der jungen Ganglienzellenschicht sind viel blasser gefärbt 
als die der äusseren Kernzone. Dazu kommen vor allem bemerkens- 
werte Unterschiede in der Form der Kerne. Die Kerne der Ganglien- 
zellen- bzw. Neuroblastenschicht sind jetzt durchgehends von rundlicher 
und höchstens leicht ovaler Form, während sich die der äusseren 
Kernzone zu ganz schlanken und an den beiden Polen vielfach spitz 
zulaufenden Gebilden ausgewachsen haben. Einzelne Kerne der äusseren 
Kernzone sind jedoch wesentlich dunkler gefärbt und länger als die 
übrigen, und an beiden Enden mit langen radiär verlaufenden Fort- 
sätzen ausgestattet. 

In der unmittelbaren Nähe des Sehnerven liegt eine fast ge- 
schlossene einfache Reihe von Zellen!) mitten in der Nervenfaser- 
schicht, welche von der jungen Ganglienzellenschicht völlig abgesondert 

1) Falchi hat diese Zellen ebenfalls beschrieben und ihre Ähnlichkeit 
mit den Zellen der jungen Ganglienzellenschicht, welche er als „helle Innen- 
zone“ bezeichnet, erwähnt. 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII, 8. 30 


452 R. Seefelder 


ist. Die Artbestimmung dieser vorgeschobenen oder verlagerten Zellen 
ist nicht immer mit der wünschenswerten Präcision durchzuführen. 
Ihr Kern ist durchschnittlich etwas grösser als der der jungen Gang- 
lienzellen, aber von der gleichen Färbung und Form. Ihre Zellachse 
verläuft parallel zur Richtung der Nervenfasern. Von einem grossen 
Teil dieser Zellen kann es aber nicht zweifelhaft sein, dass es junge 
Ganglienzellen sind, da sie einen deutlichen Achsencylinderfortsatz 
und vielfach sogar mehrere nach der freien Zellseite ausstrahlende 
EE Dendriten aufweisen. Diese Zellen scheinen 
jus Tj gei x e) N also dem Typus der multipolaren Ganglien- 
zelle schon näher zu stehen als die jungen 
Zellen der eigentlichenGanglienzellenschicht. 
Es lässt sich aber nicht ausschliessen, 
dass nicht auch bereits ein Teil von diesen 
dendritische Fortsätze aufweist. Sieht man 
doch in den schmalen Zwischenräumen zwi- 
schen den meist dicht aufeinandergepressten 
Zellkernen gar manche faserige oder proto- 
plasmatische Fortsätze, deren Deutung nicht 
immer mit Sicherheitdurchzuführen ist.Selbst 
in den nach Held gefärbten Präparaten ist 
dies nur selten möglich. An und für sich 
ist ja nach Helds Untersuchungen am Me- 
dullarrohr anzunehmen, dass sich die Den- 
' driten sehr frühzeitig, ja ungefähr gleich- 
zeitig mit den Neuriten entwickeln. 

Auchdurch Cajals(15) Untersuchungen 

an der Hühnchenretina wird bestätigt, dass 

schon in ganz jungen Stadien bipolare Neuro- 
blasten vorkommen. An der menschlichen embryonalen Retina sind, 
soviel mir bekannt, die zu ihrem so frühzeitigen Nachweis erforder- 
lichen Färbemethoden noch nicht angewendet worden. 

Die Dicke der jungen Ganglienzellenschicht ist selbstverständlich 
nicht überall gleich. Abgesehen von kleineren Schwankungen kann 
man sagen, dass sie im allgemeinen in der Richtung von hinten nach 
vorne abnimmt. In der Nähe des Pupillarrandes fehlen Ganglien- 
zellen, wie gesagt, ganz (vgl. Fig. 8a) und man kann auch noch in 
dieser Retina die sämtlichen Differenzierungsstadien von dem primi- 
tiven Epithelstadium bis zur Entwicklung einer mächtigen Jungen 
Ganglienzellenschicht in allen Abstufungen verfolgen. Ich betone, 





Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 453 


dass ich auch noch in diesen sowie in den nächstälteren Stadien in 
der Ganglienzellenschicht noch allenthalben Mitosen gefunden habe. 

Die Nervenfaserentwicklung ist sehr weit vorgeschritten. 
Sie erstreckt sich genau so weit'wie die Ganglienzellenschicht, 
die in mässiger Entfernung vom Umschlagsrande ziemlich plötzlich 
aufhört. Eigentümlicherweise sind die Nervenfasern trotz der hori- 
zontalen Schnittführung nur in der Nähe der Papille in der Längs- 
richtung getroffen. Weiter vorne sind nur Querschnitte anzutreffen, 
welche trotz der sehr blassen Heidenhainschen Färbung mit aller 
Deutlichkeit zu sehen sind (vgl. Textfig. 8b). 

Ja selbst die von Held gefundenen innigen Beziehungen zwi- 
schen Gliareticulum und Nervenfasern sind für den, der sie kennt 
und an besser gefärbten Präparaten zu studieren Gelegenheit hatte, 
ohne weiteres wahrzunehmen. Die kernlose Zone oder der neuro- 
fibrillierte Randschleier, in welchen die Nervenfasern eingebettet sind, 
ist viel schmaler, als der weiter peripher gelegene primitive Rand- 
schleier, in welchem weder Neuroblasten noch Nervenfasern nachweisbar 
sind. (Textfig. 8a.) Der Unterschied zwischen diesen beiden Rand- 
schleierarten ist ganz auffallend. In dem ersten, dem sogenannten 
neurofibrillierten, beherrschen die Querschnitte der zu ziemlich dicken 
Fasern vereinigten Neurofibrillen das Bild, während in dem primi- 
tiven Randschleier nichts als das zarte Gerüst der weichen, noch 
rein protoplasmatischen Gliafasern zu sehen ist. — 

Irgendeine sonstige Schichtung ist in der Retina dieses 
Stadiums noch nicht wahrzunehmen. 

Das zwischen der 4. bis 8. Woche befindliche Entwicklungsstadium 
der Retina ist also vorzugsweise durch eine massenhafte Pro- 
duktion von jungen Ganglienzellen bzw. Zellen der Ganglien- 
zellenschicht gekennzeichnet, mit welcher die der Nervenfaserschicht 
räumlich und zeitlich ungefähr zusammenfällt. 

Die Produktion der Ganglienzellen ist so enorm, dass man glauben 
möchte, dass schon der bis jetzt geschaftene Vorrat genügen müsste, 
um den ganzen zukünftigen Bedarf!) zu decken. Und es scheint auch 
bald so weit zu sein, da ich bereits von diesem Stadium an eine 
fortschreitende Abnahme der Dicke der Ganglienzellenschicht und nur 
noch kurze Zeit Anzeichen eines nennenswerten Zuwachses von Zellen 
gefunden habe. 

Der nächste Fortschritt in der Entwicklung der Zellen 


1 Ich nehme die periphersten Netzhautabschnitte natürlich aus, wo die 


Ganglienzellenausscheidung noch längere Zeit anhält. 
30* 


"IT 30 


454 R. Seefelder 


der Ganglienzellenschicht gibt sich vorzugsweise durch die Aus- 
bildung starker dendritischer Fortsätze kund. Während solche 








bei dem 31 mm langen Embryo bei der gleichen Färbung (Held) 
nur bei einigen der zu innerst gelegenen Zellen mit Sicherheit fest- 
gestellt werden konnten, finde ich bei einem 65 mm langen Embryo 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 455 


eine starke Dendritenentwicklung in einem grossen Netzhautabschnitt 
und stellenweise in der ganzen Dicke der Ganglienzellenschicht. Ich 
betone, dass die stärkste Dendritenentwicklung wiederum in dem zen- 
tralsten Abschnitte des Auges temporal und hinten stattgefunden hat. 
(Vgl. Textfigur 12.) 

Durch die Dendritenentwicklung hat sich das Aussehen der 
Ganglienzellenschicht nicht unwesentlich geändert. Die Kerne zeigen 
jetzt eine viel unregelmässigere Lagerung und Anordnung als vorher, 
wahrscheinlich infolge einer mechanischen Verschiebung durch die 
sich zwischen sie drängenden und der äusseren Kernzone zustrebenden 
Dendriten. Letztere hinwiederum breiten sich aus, wo sie eben Platz 
finden, und verlaufen infolgedessen in den verschiedensten Richtungen 
teils senkrecht, teils schräg, ja selbst schon unmittelbar vom Kern weg 
horizontal. (Vgl. Textfigur 12.) 

In dem der freien (äusseren) Zellseite entsprechenden 
Zelleib der jungen Ganglienzelle gelingt es nicht selten, 
ein Diplosoma nachzuweisen. Es liegt bald näher am Kern, bald 
ziemlich weit davon entfernt und besteht aus zwei ausserordent- 
lich kleinen, scharf begrenzten, nur sehr schwer sichtbaren Punkten, 
die wiederum in verschiedenen Richtungen zueinander angeordnet sein 
können. 

Ich schicke schon hier voraus, dass ich die Diplosomen der Gang- 
lienzellen bei älteren Föten viel leichter nachweisen konnte, als es mir 
bei diesem jungen Stadium gelungen ist. Sie erscheinen bei jenen 
sowohl wesentlich grösser, als auch viel dunkler gefärbt. Ganz be- 
sonders deutlich!) sind sie in der Retina eines Fötus vom Ende 
des 6. Monats zu sehen, und es lässt sich hier in jeder Ganglien- 
zelle, falls nicht gerade der Dendrit abgeschnitten oder durch einen 
Kern einer andern Zelle verdeckt ist, mit Bestimmtheit ein Diplosoma 
nachweisen. Ich möchte aber damit nicht behaupten, dass dieser 
Grössenunterschied in Wirklichkeit existiert, sondern glaube vielmehr, 
dass er nur durch eine verschiedene Intensität der Färbung vor- 
getäuscht wird. 

Ich gebe hier eine Anzahl Abbildungen von Geanglienzellen 
dieses Stadiums (Textfigur 11, Buchst. a bis 5), aus welchen die 
Lage und Anordnung der Diplosomen zu ersehen ist. — 

Auch hier zeigt sich, wie in den ganz jungen Stadien, dass die 

1) Im ausgewachsenen Auge ist nach meinen Erfahrungen der Nachweis 
der Diplosomen in den Ganglienzellen der Retina durch die Mitfärbung der 
Nisslschen Granula sehr erschwert. (Vgl. m. n. Textfigur 11.) 


456 R. Seefelder 


Diplosomen in verschiedener Entfernung vom Kerne liegen. Fast 
stets sind sie von einem sehr deutlichen hellen Hof umgeben. Ihre 
Form ist fast durchgehends rundlich und nur zuweilen eine Spur 
lànglich. Zwischen einigen Diplosomen ist eine feine fadenfórmige 
Verbindung (Zelle a u. b), die Zentrodesmose, deutlich. nachzuweisen. 
Als ein minder wichtiger, aber doch nicht uninteressanter Befund sei 
erwühnt, dass die Grósse der Ganglienzellen schon im fótalen Auge 
erhebliche Verschiedenheit aufweist, was auch aus den Abbildungen 
ohne weiteres zu ersehen ist. Auf diese Frage komme ich noch 
zurück. 

Die einwandfreie Feststellung von Diplosomen in den Ganglien- 
zellen ist in mehrfacher Hinsicht von Interesse. 

Vor allem mit Rücksicht auf eine Angabe von Fürst (10), 
welcher in den Ganglienzellen von Lachsembryonen keine Diplosomen 
zu finden vermochte und, weil er Teilungen in der Ganglienzellen- 
schicht nicht gesehen hat, glaubt, dass „die protoplasmatische Verbindung 
zwischen den an der Oberfläche!) gelegenen Diplosomen und dem 
Kernteil der Zelle auf die eine oder andere Weise abgebrochen ist“. 

Wir haben gesehen, dass in der Retina des Menschen beides 
nicht zutrifft. Denn erstens kommen dort bis in den 3. fötalen 
Lebensmonat hinein sehr zahlreiche Kernteilungen in der Ganglien- 
zellenschicht vor, und zweitens enthält jede Ganglienzelle ihr Zentro- 
soma. Ich halte auch für unwahrscheinlich, dass sich die Lachsretina 
in diesem prinzipiell wichtigen Punkte anders verhält wie die Men- 
schenretina, deren Ganglienzellen nach Schreibers und Wenglers (30) 
Untersuchungen auch noch später der Mitosenbildung fähig sind. 

Was die Lage der Diplosomen in dem Zelleib der Ganglien- 
zelle betrifft, so verdient hervorgehoben zu werden, dass sie stets der 
freien Zellseite entspricht. Die Ganglienzellen der Retina ver- 
halten sich also in dieser Hinsicht ebenso, wie nach van der Strichts 
und Helds Untersuchungen die bipolaren Acusticusganglienzellen 
der Maus?). 

Mit der Entwicklung dendritischer Fortsätze seitens der Neuro- 
blasten der Ganglienzellenschicht geht. ein weiterer grosser Fortschritt 


1) Gemeint ist damit die Gegend der Membrana limitans externa, wo Fürst 
besonders viel Diplosomen gefunden hat. 

3, Es ist hier nicht der Ort, auf diese histogenetisch sehr interessante 
Tatsache näher einzugehen. Ich verweise in dieser Hinsicht auf Helds 
„Entwicklung des Nervengewebes“ S. 60—64, wo diese I'rage eingehend er- 
órtert wird. 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 457 


in der Ausbildung der Retina einher, nämlich das Auftreten der 
inneren plexiformen Schicht. Diese ist in ihren ersten Anfängen 
offenbar vorzugsweise ein Kind der jungen Ganglienzellen, deren 
mächtige dendritische Verzweigungen Platz beanspruchen und dadurch 
zur Entstehung dieser Schicht Veranlassung geben. Figur 12 ver- 
anschaulicht das histologische Verhalten der jungen inneren plexi- 
formen Schicht in naturgetreuer Weise und zeigt vor allem, dass die 
Hauptmasse ihres faserigen Gewebes dendritischen Ursprungs ist. 
Selbstverständlich befinden sich auch die Müllerschen Radiärfasern 
und möglicherweise auch schon Fortsätze der bipolaren Zellen mit 
darunter, doch kann der Anteil der letzteren nicht bedeutend sein. 
da sich die beiden Fortsätze der bipolaren Zellen gleichzeitig ent- 
wickeln werden, von einem äusseren Fortsatz aber noch keine sicheren 
Anzeichen vorhanden sind. 

Als weitere wichtige Veränderung dieses Stadiums (65 mm Länge) 
erwähne ich endlich eine bereits deutlich in die Augen springende 
Dickenabnahme der Ganglienzellenschicht, Sie beweist, dass 
die Vermehrung der Ganglienzellen nicht mehr mit dem Wachstum 
des Auges in der Weise Schritt hält, wie in den jüngeren Stadien, 
wo sie diesem sogar betrüchtlich vorauseilt. Doch findet schon noch 
ein gewisser Zuwachs von Ganglienzellen auch in den zentraleren Ab- 
schnitten der Retina statt, was einerseits die immer noch sehr zahl- 
reichen Mitosenbildungen!) in der Keimzone und in der Ganglien- 
zellenschicht selbst, sowie der Umstand erkennen lassen, dass auch 
noch in der äusseren Kernzone Kerne vom Aussehen der jungen 
Ganglienzellenkerne zu sehen sind, welche offenbar der Ganglienzellen- 
schicht zustreben. | | 

Die Dickenabnahme der jungen Gauglienzellenschicht geht so 
rasch vor sich, dass die Zahl der Kernreihen bei einem 65 mm langen 
Embryo an der dicksten Stelle temporal gleich neben dem Sehnerven 
statt 20 (bei dem 31 mm langen Embryo) nur noch etwa 12 betrügt. 
Und doch erscheint diese Tatsache bei der raschen Grössenzunahnie 
des Auges in dieser Zeit nicht weiter verwunderlich. Die Ganglien- 
zellen sind eben auf eine entsprechend grössere Fläche verteilt. 

Mit aller Deutlichkeit zeigt sich jetzt auch, dass das Wachs- 
tum der gesamten Augenanlage nicht in überall gleich- 
máüssiger Weise erfolgt. 5o nimmt der Umfang des temporalen 


! Die meisten Mitosen werden wohl jetzt zur Vermehrung der Zellen der 
äusseren Kernzone dienen, welche in der Entwicklung verhältnismässig weit 
zurück ist. 


458 R. Seefelder 


Augenabschnittes, der bei einem 11,3 mm langen Embryo dem nasalen 
an Grösse noch ungefähr gleich kam, gerade im 3. Monat in ganz 
überraschendem Masse zu. 

Die Hauptwachstumszone liegt temporal gleich hinter dem Aequator 
bulbi und ist als solche schon seit langem unter dem Namen „Pro- 
tuberantia sclerae“ (v. Ammon) wohlbekannt. Hier offenbart sich die 





Fig. 12. N. = Nervenfaserschicht. G. — Ganglienzellenschicht. ti. p. = innere 
plexiforme Schicht. ©. k. = innere Körnerschicht. Z. = Zapfenzellen. 


Folge des asymmetrischen Wachstums schon für das unbewaffnete 
Auge ganz deutlich durch eine auffällige Abweichung des Bulbus 
von der Kugelform. Diese Stelle aber mit der Bezeichnung 
„Protuberanz“ zu belegen, halte ich für ungerechtfertigt oder zum 
mindesten für überflüssig, denn eine eigentliche Hervorragung, die 
doch mit dem Begriffe Protuberanz notwendigerweise verbunden ist, 
ist sie nicht und kommt im embryonalen und fótalen Auge normaler- 
weise niemals vor. Es mag aber sein, dass sie in dem fótalen Ma- 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 459 


terial v. Ammons, das offenbar grossenteils ganz ungenügend kon- 
serviert war, infolge dieser Eigenschaft deutlicher hervortrat, als in 
frisch konservierten fötalen Augen. — 

Dieser Hauptwachstumszone entspricht nun eine erhebliche Ver- 
dünnung sämtlicher Schichten der Retina und besonders auch 
der Ganglienzellenschicht, welche hier nur noch 4—5 Kernreihen auf- 
weist. Gegen die starke Dickenabnahme der Retina an dieser Stelle 
treten alle übrigen Dickenschwankungen vollständig in den Hinter- 
grund. Die Ausdehnung dieser verdünnten Partie ist schon in diesen 
jungen Stadien so beträchtlich, dass dadurch allein der Gedanke, 
die Verdünnung der Retina könne mit — 
der Bildung der Fovea centralis m e e E N 
Zusammenhange stehen, im Keime 
erstickt werden muss. Auch spricht 
schon ihre doch sehr periphere Lage 
allein gegen eine solche Auffassung. 
Dazu kommt, dass die Retina an ihrer 
' Stelle zwar eine höhere Differenzierung 
aufweist, als in ihrer grössten Ausdeh- 
nung, aber doch weniger hoch diffe- 
renziert ist als an einer näher am 
Sehnerven gelegenen Stelle, welche tat- 
sächlich dem zentralsten Abschnitte der 
Netzhaut entspricht. 

Mit dem fortschreitenden Wachs- "7 
tum des Auges nimmt zunächst auch y;,.13, @. K.— äussere Körnerschicht. 
die Ausdehnung dieser besonderen 
Wachstumszone zu, später (etwa vom 6. Monat an) ist sie jedoch von 
der übrigen Retina nicht mehr zu unterscheiden. 

Die Zahl der Kernreihen der Ganglienzellenschicht vermindert 
sich. zusehends in der ganzen Retina. 





Bei einem Fötus vom Anfange des 5. Monats (grösste Länge 
16—18 cm) gestaltet sich das Dickenverhältnis der Ganglienzellen- 
schicht an den verschiedenen Netzhautabschnitten etwa folgendermassen: 

Nasal vom hinteren Pol bis über den Aequator bulbi hinaus 
3—4 Kernreihen. Temporal im Bereiche der Wachstumszone 2—3 
Kernreihen, etwas weiter vorne 4—5 Kernreihen. In den peri- 
phersten Abschnitten der Retina, welche noch auf einer niedrigeren 
Entwicklungsstufe stehen, 7—8 Kernreihen. (Vgl. Texttig. 13.) Tem- 
poral hinten gleich neben dem Optikus 3—4 Kernreihen. 


460 R. Seefelder 


Zwischen dem letzteren Bezirk und der mehrfach erwähnten 
Verdünnungszone endlich liegt ein Abschnitt der Retina, welcher 
eine besondere Erwähnung verdient. Er unterscheidet sich von 
der ganzen Umgebung durch eine auffallende Müchtigkeit der Gaug- 
lienzellenschicht, welche an der zentralsten und zugleich dicksten 
Stelle 7—8 Kernreihen aufweist und somit hier doppelt so dick ist 
als in den benachbarten Netzhautpartien. Diese Dickenzunahme er- 
folgt von allen Seiten her ganz allmählich, so dass der ganze Bezirk 
im Schnittpräparate als eine Anschwellung der Ganglienzellenschicht 
erscheint, welche nach allen Seiten gleichmässig abfällt. Dieser Be- 
zirk ist also eigentümlicherweise von der allgemeinen Verdünnung 
der Retina lange nicht in dem Masse betroffen worden, wie die 
übrigen Netzhautpartien, vor denen er, was die übrigen Schichten 
anlangt, obendrein durch einen wesentlich höheren Differenzierungs- 
grad ausgezeichnet ist. 

Nach seiner ganzen Lage und seinem weiteren entwicklungs- 
geschichtlichen Verhalten ist es klar, dass er der Gegend der hier 
später auftretenden Fovea centralis entspricht, deren nächste 
Umgebung bekanntlich dauernd eine besondere Dicke der Ganglien- 
zelenschicht beibehált Die Entwicklung dieser Gegend aber, der 
wichtigsten des ganzen Sehorgans, soll in einem besonderen Abschnitte 
besprochen werden. — 

Die weitere Entwicklung der Ganglienzellenschicht vollzieht sich. 
abgesehen von den Besonderheiten des fovealen Bezirkes, in durchaus 
gleichmässiger Weise. 

Sie besteht in der Hauptsache in einer Verteilung der Zellen 
auf den fortwährend sich vergrössernden Flächenraum der Retina. 
die in einer entsprechenden Verdünnung der Ganglienzellenschicht zum 
Ausdruck kommt. Aber selbst während des ganzen 5. Monats sind 
durchwegs noch mindestens 2—3 Kernreihen von Ganglienzellen 
nachweisbar. Und im Bereiche der Area centralis ist selbst noch 
beim Neugeborenen die Verdickung der Ganglienzellenschicht auf 
einen viel grösseren Bereich ausgedehnt als im erwachsenen Organ. 
Diese Zone scheint ein besonderes Reservoir von Ganglienzellen zu 
sein, von dem der Bedarf an diesen Zellen noch auf lange hinaus 
gedeckt werden muss. 

Bei einem Fötus von 30cm Länge ist die Ganglienzellenschicht. 
von diesem Bezirk abgesehen, bereits im. ganzen Umfange der Retina 
auf eine einfache Zellage reduziert. Eine Neubildung von Ganglien- 
zellen scheint vom 4. fötalen Monat an nicht mehr stattzufinden. 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 461 


Das jüngste Stadium, in welchem ich die sogenannte Nissl- 
granula in dem Zelleib der Ganglienzelle entwickelt fand, war ein 
Fötus des 8. Monats von 42cm grösster Länge. (Vgl. Textfigur 12. 
Abb. 2.) Die Granula zeigten hier bereits die gleiche Anordnung wie 
im ausgebildeten Organ, erstreckten sich aber noch nicht bis an den 
dendritischen Hauptfortsatz heran. — Auch waren sie noch nicht in 
allen Ganglienzellen dieses Fötus nachzuweisen. In den Ganglien- 
zellen anderer Föten des gleichen Alters ist:mir dagegen der Nach- 
weis der Nisslgranula nicht gelungen. Es kommen also auch in 
dieser Hinsicht individuelle Verschiedenheiten vor. Soviel scheint aber 
Jedenfalls sicher zu sein, dass die Ausbildung der Nisslgranula den 
Schlussakt in dem Reifungsprozesse der Netzhautganglienzelle bildet und 
dass sich dieser Akt im allgemeinen erst kurze Zeit vor oder nach der 
Vollendung des intrauterinen Lebens abzuspielen pflegt. Weiteres über 
die Form- und Gróssenveründerungen der Ganglienzellen siehe Seite 486. 


b. Die Entwicklung der beiden Kórnerschichten sowie der beiden 
plexiformen Schichten !). 


Die beiden sogenannten Körmerschichten gehen selbstverstünd- 
lich ebenfalls aus der zunächst für alle drei Kernschichten gemein- 
samen Kernzone hervor. Eine sichtbare Differenzierung bzw. Schei- 
dung in die beiden Schichten erfolgt jedoch wesentlich später als 
die Abzweigung der Ganglienzellenschicht. So ist bei einem 31 mm 
langen Embryo, bei welchem die Ausscheidung der Ganglienzellen 
his nahe an den Umschlagsrand vorgeschritten ist und am hinteren 
Pol einen enormen Grad erreicht hat, in der äusseren Kernzone noch 
keine ausgesprochene Schichtung nachzuweisen (Textfigur 10). Doch sehen 
deren Kerne nicht mehr so gleichartig aus, wie in den jüngeren Sta- 
dien, und es fallen vor allem lange, schmale, intensiv gefärbte Kerne 
auf, welche an einem oder beiden Polen zugespitzt sind und mit langen 
Protoplasmafortsätzen durch die ganze Dicke der Retina hindurch- 
zureichen scheinen. Von diesen Zellen kann es kaum zweifelhaft 
sein, dass sie den sogenannten Müllerschen Stützzellen zuzurechnen 
sind. Die übrigen Zellen sind alle ziemlich gleich gebaut, fast durch- 
wegs von ovaler Form und im allgemeinen dunkler gefärbt wie die 
der Ganglienzellenschicht, so dass sich die beiden Kernzonen, trotz- 
dem sie überall hart aneinanderstossen, schon bei ganz schwachen Ver- 
grósserungen leicht voneinander unterschieden werden können. (Vgl. 





1) Siehe hierüber auch das nächste Kapitel: Die Entwicklung der Area 
und Fovea centralis retinae. 


462 R. Seefelder 


Textfigur 10.) — Die Dicke der äusseren Kernzone ist in dieser und 
der nächsten Zeit noch durchgehends wesentlich geringer als die der 
Ganglienzellenschicht (ungefähr 8 Reihen). Die Vermehrung ihrer 
Kerne erfolgt zunächst anscheinend fast, wenn nicht ganz ausschliesslich, 
von der Keimzone der Retina her. Innerhalb der äusseren Kernzone selbst 
habe ich Mitosen nur ganz ausnahmsweise und auch da nur bei den 
jüngeren Stadien gefunden, im Gegensatze zur Ganglienzellenschicht, 
welche bis in den 3. Monat hinein regelmässig Mitosen aufweist. — 





Fig. 15. 
A. — Amakrinen oder innere horizontale Zellen. b. Z. = bipolare Zellen. 
ä.h.— äussere horizontale Zellen. ä.p. = äussere plexiforme Schicht. 


Die Scheidung in eine äussere und innere Körnerschicht beginnt in 
der Weise, dass sich an der äusseren (dem Pigmentepithel zugewendeten) 
Seite der Retina gegen das Ende des 3. Monats eine einfache Kern- 
bzw. Zellreihe als eine besondere Schicht abhebt, welche der Anlage 
der äusseren Körnerschicht entspricht. (Vgl. Textfig. 13.) Die Kerne 
dieser Schicht sind im allgemeinen dunkler gefärbt, schmaler und etwas 
kleiner als die Kerne der inneren Körnerschicht. | Eine Ausnahme davon 
machen dagegen die jungen Zapfenzellen in der Gegend der Area 
centralis, welche in dem Kapitel über Zapfenentwicklung, S. 476, genau 
beschrieben sind. (Vgl. auch Textfigur 11.)] Eine eigentliche Trennung 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 463 


der Körnerschichten ist aber damit noch nicht vollzogen, sondern liegt 
vielmehr noch in weiter Ferne. Die Kerne der äusseren Körner- 
schicht reichen sogar noch stellenweise mit ihrem inneren Ende zwi- 
schen die der inneren Körnerschicht hinein. (Textfigur 13, Abschnitt 
aus der Netzhautperipherie eines 13 cm langen Fötus.) Die Dicke 
der äusseren Körnerschicht nimmt dann allmählich zu und zwar nicht 
an allen Netzhautabschnitten in gleichmässiger Weise. Mit der Dicken- 
zunahme der äusseren Körnerschicht geht eine Änderung des Chro- 
matingehaltes und der Form ihrer Kerne 1 
einher, welche dann rundlich und heller VA A, 
erscheinen als die Kerne der inneren Kör- 6 7 le | 
nerschicht. Die Zahl der Kernreihen der A Ba" 
äusseren Körnerschicht ist schon stellen- | 
weise auf 5—6 angewachsen, ehe eine 
vollständige Trennung der beiden Körner- 
schichten erfolgt. (Vgl. Textfigur 14, Ab- 
schnitt aus der nasalen Netzhauthälfte in 
der Gegend des hinteren Pols, 5. Monat.) 
Dies geschieht erst durch die Ausbil- 
dung der äusseren plexiformen 

Schicht, welche einer sehr späten 
Entwicklungsperiode vorbehalten 
ist. Sie beginnt am nasalen hinteren 
Augenpol erst gegen das Ende des 5. Mo- 
nats und ist selbst am Ende des 7. Mo- 
nats noch nicht ganz bis zur Ora serrata Fig. 16. 
vorgeschritten. 

Die angegebenen Termine gelten aber nicht für die zentralen 
und die daran angrenzenden Abschnitte der Retina, wo sich alle Ent- 
wicklungsprozesse frühzeitiger abspielen. (Vgl. Textfig. 15 u. 16, welche 
aus zentralen Abschnitten der Retina des gleichen Fötus vom 5. Monat 
stammen, sowie das Kapitel über die Fovea.) 

Aus der Zellmasse der inneren Körnerschicht, deren zellige Ele- 
mente anfangs wenig Unterschiede aufweisen, entwickeln sich die ein- 
zelnen Unterabteilungen dieser Schicht in der Weise, dass zuerst die 
bipolaren Zellen, dann die inneren horizontalen Zellen und zuletzt 
die äusseren horizontalen Zellen herausdifferenziert werden. Die 
Kerne der Müllerschen Radiärfasern sind, wie schon erwähnt, bereits 
vorher als solche zu erkennen. Sie liegen anfangs regellos zwischen 
den übrigen Zellen der inneren Körnerschicht verstreut und rücken 








464 R. Seefelder 


erst im 5. bis 6. Monat an ihre Stelle zwischen den inneren horizon- 
talen und bipolaren Zellen ein. 

Die bipolaren Zellen heben sich schon sehr frühzeitig als eine 
Schicht sehr dunkel gefürbter, ovaler und dicht aufeinandergepresster 
Kerne von den übrigen Kernschichten ab. (Vgl. Textfig. 13, 14 u. 
16. Auch sie machen im Laufe der Entwicklung eine ganz beträcht- 
liche Metamorphose durch, welche in der Hauptsache darin besteht. 
dass ihre Form rundlicher. wird, und dass ihr Chromatingehalt eine 
Einbusse erleidet. (Vgl. Textfigur 15.) Etwas später (4. Monat), aber 
auch nicht an allen Stellen gleichzeitig, treten an ihrer inneren Seite 
die inneren horizontalen Zellen oder Amakrinen auf, welche 
von der ersteren durch ihre rundliche Form, hellere Färbung un 
lockerere und ungleichmässigere Anordnung von Anfang an deutlich 
abstechen. Sie bilden zunächst eine einfache Zellreihe, wachsen dann 
auf ungefähr 3 Zellreihen an, um sich später wieder auf eine ein- 
fache Zellschicht zu verteilen. (Vgl. Textfig. 14—16.) Auch diese 
Vorgänge spielen sich in den verschiedenen Netzhautabschnitten zu 
sehr verschiedénen Zeiten ab. ] 

Die üusseren horizontalen Zellen werden als solche erst 
deutlich erkennbar, kurz bevor die Trennung in eine äussere und innere 
Körnerschicht vollzogen ist, was, wie gesagt, ausserhalb der zentraleren 
Region erst in einer späten Entwicklungsperiode geschieht. (Vgl. Text- 
tig. 15 u. 16.) 

Ziehen wir schliesslich einen Vergleich zwischen dem Wachstum 
der drei grossen Kernschichten der Retina, so fallen hierin in 
erster Linie grosse zeitliche Verschiedenheiten in die Augen. So 
scheint das Wachstum der Ganglienzellenschicht bereits beendet zu 
sein, wenn das der äusseren Kórnerschicht erst beginnt. (Ende 3. Monat.) 
Und die innere Körnerschicht nimmt insofern eine Mittelstellung ein, 
als sie zu derselben Zeit zwar schon eine erhebliche Dicke (bis zu 
12 Kernreihen) aufweist, aber doch noch eines länger währenden Zell- 
zuwachses bedarf, um sich auf ihrer bleibenden Höhe (5—6 Kern- 
reihen) zu erhalten. 

Dazu kommt, dass die äussere Körunerschicht im Bereiche der 
Area centralis noch nicht einmal bei der Geburt mehr als eine Kern- 
reihe aufweist, was nur dadurch einigermassen wett gemacht wird, dass 
die Entfernung der Fovea centralis von der Papille schofim 
siebenten fötalen Monat die gleiche istwie im ausgewachsenen 
Auge, und somit das Wachstum des Auges in diesem Bezirke be- 
reits sehr frühzeitig als abgeschlossen zu betrachten ist. 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 465 


Dagegen sind die beiden Körnerschichten ausserhalb dieses Bereiches 
auch noch bei der Geburt entschieden viel zellreicher als später, was man 
namentlich an der dichten Aufeinanderpressung der Kerne erkennen kann., 

Diesen Beobachtungen steht nun die Tatsache gegenüber, dass in 
der Retina schon etwa vom Ende des vierten fötalen Monats an keine 
Mitosen mehr zu sehen sind. Es bliebe also die Frage zu beant- 
worten, auf welche Weise die Vermehrung dieser Netzhautzellen ge- 
schieht, wozu ich ebensowenig im stande bin, als es Fürst nach 
seinen Untersuchungen von Lachsembryonen gewesen ist!). 

Die Entwicklung der inneren plexiformen Schicht eilt eben- 
so wie die der Ganglienzellenschicht der der übrigen Schichten be- 
trüchtlich voraus. Sie beginnt, wie jeder Differenzierungsprozess in - 
der Retina, zuerst im Bereiche der Area centralis und schreitet von 
hier rasch nach allen Seiten fort, so dass sie schon bei einem Fötus 
des 4. Monats temporal bis nahe an die Ora serrata und nasal bis 
zum Aequator bulbi vorgeschritten ist. Sie dokumentiert sich meines 
Erachtens schon durch die rasche Art und Weise ihrer Entwicklung 
in "erster Linie als ein Kind. der Ganglienzellenschicht, wührend die 
in der Entwicklung etwas nachhinkende innere Körnerschicht erst 
etwas später ihren Anteil dazu liefern dürfte. Ein Blick auf die 
Textfigur 12 (Area centralis Embryo 65 mm) lehrt auch ohne weiteres, 
dass die Hauptmasse ihres faserigen Geflechtes zu dieser Zeit durch 
die zahlreichen dendritischen Fortsätze der jungen Ganglienzellen- 
schicht gebildet wird, und dass der Anteil der inneren Körnerschicht 
in dieser Zeit viel geringer anzuschlagen sein dürfte. Die Amakrinen 
oder inneren horizontalen Zellen, welchen W. Müller (28) seinerzeit 
die Hauptrolle bei der Entstehung der inneren plexiformen Schicht zu- 
geschrieben hat, werden sogar erst einige Zeit nach ihrem ersten Auf- 
treten sichtbar, und die Fortsátze der bipolaren Zellen, welche natur- 
gemäss ebenfalls an ihrem Aufbau teilnehmen, dürften noch wenig 
entwickelt sein, worauf auch das späte Auftreten der äusseren 
plexiformen Schicht schliessen lässt, welche selbstverständlich 
in gleicher Weise wie die innere nur als ein Produkt der an 
sie angrenzenden Körnerschichten bzw. als die Summe von 
deren Fortsätzen anzusehen ist?). 


!) Nach Rabl(72) reicht die Teilungsfähigkeit der Zellen des Zentral- 
nervensystems beim Menschen nicht über den dritten oder vierten Monat seiner 
Entwicklung hinaus. 

3) Eigentümliche Anschauungen über die erste Entstehung der inneren 
plexiformen Schicht beim Hühnchen hat Bellonci (84) geäussert: 


mat 


466 R. Seefelder 


c. Die Entwicklung der Area und Fovea centralis retinae. 


Die Entwicklung der beiden Körnerschichten sowie der beiden 
plexiformen Schichten ist von mir in einer von meiner bisherigen Dar- 
stellungsweise etwas abweichenden summarischen Form abgehandelt 
worden, da es meines Erachtens den Leser ermüden würde, wenn ich 
den jeweiligen Stand ihrer Entwicklung in jedem einzelnen Stadium 
genau schildern wollte. Die wichtigsten Stadien sind ohnehin er- 
wühnt und ihr Entwicklungsgrad durch Abbildungen veranschaulicht 
worden. — Dazu kommt, dass wir die Entstehungsweise der einzelnen 
Schichten in dem jetzigen Kapitel, das die Entwicklung des zentral- 
sten Netzhautabschnittes behandelt, ohnehin nochmals und hier mit 
genauer Angabe der einzelnen Entwicklungsphasen verfolgen können. 
Das Prinzip, welches die ganze Netzhautentwicklung beherrscht, ist ja 
gerade hier in erster Linie ausgesprochen, und die Ausbildungsweise 
der peripheren Netzhautschichten streng genommen nur ein Abklatsch 
von derjenigen, welche im folgenden geschildert werden soll. — 

Es ist vor allem das Verdienst von Rabl (73) und Fürst (10), 
nachdrücklich darauf hingewiesen zu haben, dass der zentralste Bezirk 
der Retina den übrigen Netzhautabschnitten in der Entwicklung be- 
trächtlich vorauseilt. 

Es war diese Tatsache gewiss auch schon Chievitz (1), Mall (32). 
Babuchin (27), Koganei (33) u. A. nicht verborgen geblieben, doch 
ist sie von ihnen entweder nicht so ausdrücklich hervorgehoben oder 
nicht mit so guten Gründen belegt worden, als es von Rabl(73) und 
Fürst(10) geschehen ist. Von Leboucq(11), dessen Arbeit erst 
später erschienen ist, wird dieses Verdienst in erster Linie Fürst (10) 
zuerkannt, doch geht aus dem Rablschen Satze ,Namentlich die 
Stübchenzapfenschicht lässt gut erkennen, wie die Differenzierung vom 
Zentrum nach der Peripherie allmählich zunimmt“, auf das deutlichste 
hervor, dass sich Rabl(73) über die Tatsache der rascheren Differen- 


Nach ihm existiert zu einer gewissen Zeit an der äusseren Seite dieser 
Schicht eine Reihe von heller gefärbten Zellen, während die übrigen dunkel 
geblieben seien. Diese helleren Zellen gehen nach B. durch fettige Degene- 
ration zugrunde, so dass nach dem 12. Tage nichts mehr von ihnen übrig sei. 
Aus ihren Zerfallsprodukten soll nun das Material für die innere plexiforme 
Schicht hervorgehen, welche nach ihrem Verschwinden zu wachsen beginne. 
Später seien wahrscheinlich auch die Zellen der beiden an sie angrenzenden 
Schichten an ihrem Aufbau beteiligt. So richtig der letzte Satz ist, ebenso un- 
wahrscheinlich ist nach meiner Meinung die erste Entstehung der inneren plexi- 
formen Schicht aus degenerierten Zellen, von deren Existenz ich mich zudem 
auch beim Hühnchen nicht zu überzeugen vermochte. 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 461 


zierung des Netzhautzentrums schon vorher vollstindig klar ge- 
wesen Ist. | | 

Ich selbst habe für die Richtigkeit dieses Satzes schon bei der Be- 
sprechung der Entwicklung der Ganglienzellenschicht einen gewichtigen 
Beweis beizubringen vermocht und werde im Folgenden noch eine 
Heihe von weiteren Beweisen hinzufügen. : 

Die Entwicklung der Fovea bzw. Area centralis des Menschen 
ist bis jetzt nur einmal!) dafür aber von Chievitz(1) gleich in einer 
so grundlegenden Weise bearbeitet und beschrieben worden, dass auch 
meine heutigen Mitteilungen in der Hauptsache nur als eine Erwei- 
terung und Ergänzung seiner Befunde gelten können. 

Ich erweitere die Chievitzschen Befunde vor allem dahin, dass 
ich den Zeitpunkt, in welchem sich der zentrale Netzhautbezirk anatomisch 
von der übrigen Retina scharf unterscheidet, in eine viel frühere Ent- 
wicklungsperiode verlege. Schon bei einem Embryo von 54 mm grósster 
Länge ist im temporalen hinteren Netzhautabschnitte ein ziemlich 
scharf umschriebener Bezirk vor der ganzen übrigen Retina durch 
eine höhere Differenzierungsstufe ausgezeichnet. Die innere plexiforme 
Schicht ist hier allein in einem kleinen Umkreise zur Entwicklung 
gelangt und die Abzweigung der äusseren Körnerschicht als eine 
einfache Lage von Zapfenzellen ist ebenfalls nur an dieser Stelle zu 
konstatieren. 

Die Trennung der drei Kernschichten der Retina erfolgt aber, 
wie aus den Textfiguren 11 und 15 hervorgeht, in zunächst durchaus 
verschiedener Weise. Während nämlich zwischen der Ganglienzellen- 
und inneren Körnerschicht von Anfang an ein wohlausgeprägtes Fasersystem, 
die innere plexiforme Schicht, vorhanden ist, ist dies zwischen den beiden 
Körnerschichten noch geraume Zeit nicht der Fall. 

Zwischen diesen beiden Schichten ist anfangs lediglich ein heller, von 
den Müllerschen Radiärfasern durchzogener Saum nachzuweisen, eine eigent- 
liche äussere plexiforme Schicht dagegen noch nicht entwickelt. — Dies 
äussert sich namentlich auch darin, dass die Breite dieses Zwischenraums 
selbst in den nächsten Monaten nur ganz unwesentlich zunimmt, wogegen 
die innere plexiforme Schicht schon in den nächsten Wochen eine be- 
deutende Mächtigkeit erreicht. Man kann also wohl sagen, dass sich 
beim Menschen die Scheidung der drei Kernschichten der 
Retina an der zentralsten Stelle des Auges ungefähr zu gleicher 
Zeit vollzieht, aber nicht, dass die Entwicklung der inneren 
plexiformen Schicht mit der der äusseren zeitlich zusammen- 


1) Eine kurze Darstellung der Entstehungsweise der Fovea centralis retinae 
habe ich vor kurzem nach einem Vortrage in der Leipziger mediz. Ges. in den 
Fortschritten der Medizin Nr, 13, 1909 veröffentlicht. 

v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXIII, 3. 31 


468 R. Seefelder 


fällt. In ganz übereinstimmender Weise hat sich darüber Kupfer (80) in 
seiner Arbeit über die Entwicklung der Retina des Fischauges (Esox lusius 
und Blennius viyiparus) ausgesprochen. 

In der nächstanschliessenden Zeit schreitet die Scheidung der drei Kern- 
zonen von dem Netzhautzentrum nach allen Seiten rasch fort.  Hierin eilt 
aber die Trennung der Ganglienzellen- und inneren Körnerschicht der der 
beiden Kórnerschichten weit voraus. Auch ist sie schon lange auch auf 
der nasalen Seite eingeleitet, wenn die Trennung der beiden Körnerschichten 
noch auf den zentraleren Netzhautbezirk beschränkt ist. Hier greift aber 
auch sie ziemlich rasch um sich und sie ist z. B. bei einem 65 mm langen 
Embryo schon viel weiter ausgedehnt als bei einem 54mm langen usw. 
Bis in den 4. fötalen Lebensmonat hinein bildet die ganze abgegrenzte 
äussere Körnerschicht, welche um diese Zeit schon ein ganz ansehnliches 
Areal einnimmt, nur eine einfache Zellage. Bei älteren Föten (5. Monat) 
nimmt sie dagegen im weiteren Umkreise nach allen Seiten allmählich an 
Dicke zu und wächst schliesslich bis auf vier und fünf Kernreihen an. 

Je dieker aber die äussere Körnerschicht wird, um so schmaler wird 
der zwischen den beiden Körnerschichten befindliche Spaltraum, bis er zu- 
letzt ganz verschwindet, so dass jene unmittelbar aneinanderstossen. 

Die Trennung der beiden Körnerschichten in der Peripherie erfolgt 
eben in der Weise, dass sich dort gleich die ganze Zellmasse der äusseren 
Körnerschicht auf einmal abzweigt, was aber erst sehr spät geschieht. Sie 
unterscheidet sich dadurch ziemlich beträchtlich von der Art der Trennung 
im Zentrum der Retina, wo das Anwachsen der äusseren Körnerschicht 
auf mehrere Kernreihen erst lange Zeit nach ihrer Abzweigung erfolgt. 

(Vgl. die Textfiguren 12 und 15 mit den Textfiguren 13 und 14.) 


Auch im weiteren Entwicklungsverlaufe bleibt das Prinzip der 
höheren und rascheren Differenzierung dieses Bezirkes zunächst strikte 
gewahrt. So sind hier in der inneren Körnerschicht schon am Anfange 
des 4. Monats sämtliche Schichten herausdiflerenziert, wührend die 
peripheren und nasalen Netzhautpartien noch viel weiter zurückge- 
blieben sind, und bei diesen auch die Trennung in eine äussere und 
innere Körnerschicht noch nicht definitiv vollzogen ist: Im 4. Monat 
(bei Föten von 15—1Scm Länge) entwickelt sich die eigent- 
liche Area centralis, das Analogon der Area centralis verschiedener 
Tiere, dadurch gekennzeichnet, dass die Ganglienzellenschicht hier 
eine grössere Mächtigkeit aufweist als in der Umgebung, während 
eine grubenförmige Vertiefung, die Fovea centralis, noch fehlt. Es ist 
bekannt, dass dieses Phänomen nicht durch eine nachträgliche Wuche- 
rung der Ganglienzellen an dieser Stelle, sondern dadurch erzeugt 
wird, dass die Abnahme der anfangs so mächtigen Ganglienzellen- 
schicht an dieser Stelle in einer gewissen Periode Halt macht. 

Im 5. Monat gesellt sich hierzu eine weitere Eigentümlichkeit 
dieser Region, welche darin besteht, dass die inneren horizontalen 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 469, 


Zellen (die Amakrinen) von den Kernen der Müllerschen Radiär- 
fasern, denen sie vorher unmittelbar angelegen haben, abrücken, wo- 
durch zwischen beiden ein zunächst kleiner kernloser Zwischenraum 
entsteht, welcher durch schräg verlaufende Fasern (Müllersche Stütz- 
fasern) durchzogen wird. 

Die Breite dieser kernlosen Schicht, deren Fasern die bekannten 
Merkmale der weichen protoplasmatischen Gliafasern zur Schau tragen 
und auch mit den Kernen der Müllerschen Radiärfasern unmittelbar 
zusammenhängen, nimmt im Laufe der nächsten Zeit rasch zu. Sie 
ist am Ende des 6. Monats schon bei ganz schwacher Lupen- 
vergrösserung zu sehen, nimmt bis in den 8. Monat hinein nament- 
lich in bezug auf Breite noch fortwährend zu, von da an ganz all- 
mählich ab, ist aber selbst noch im Neugeborenenauge deutlich 
nachzuweisen. Eine Andeutung von ihr findet sich sogar noch in 
Augen von 4 Monate alten Kindern. Ihre flächenhafte Ausbreitung 
erstreckt sich ziemlich weit über die Fovea hinaus, ihre Dicke ist am 
geringsten im Grunde der Fovea, nimmt von da an nach allen Seiten 
allmáhlich zu und dann wieder weiter nach der Peripherie hin ebenso 
allmählich ab. Durch das Auffällige ihrer Erscheinung verleiht sie der 
fötalen Fovea bzw. Area centralis ein ganz eigenartiges Gepräge. Ihre 
physiologische Bedeutung ist völlig unklar. Sie hat von Chievitz, 
da sie nur von vorübergehendem Bestand ist, den Namen „transi- 
torische Faserschicht“ erhalten. 

Die ersten Anzeichen einer Fovea centralis sind erst 
gegen das Ende des 6. fötalen Monats nachzuweisen. 

So finde ich bei einem 30cm langen Fötus noch keine, dagegen 
bei einem 34 cm langen Fötus eine deutliche grübchenförmige Vertiefung 
im Zentrum der Area, welche teils durch eine Reduktion, teils durch eine 
Ausbiegung der Ganglienzellenschicht nach hinten hervorgerufen ist. 

Die Ausdehnung dieser jungen Fovea ist, wie ein Blick auf die 
Textabbildung Nr. 2 meiner Arbeit über Aniridie im LXX. Bande 
dieses Archivs lehrt, noch sehr gering, nimmt aber sehr rasch zu, so 
dass sie schon im 8. Monate die der ausgebildeten Fovea erreicht. 
Die Grube selbst ist zwar noch sehr flach, nähert sich aber auch in 
bezug auf ihre Form der des erwachsenen Organs. Im Grunde der 
Fovea sind nur noch zwei Lagen von Ganglienzellen nachweisbar. Die 
Entfernung der Fovea von der Papille ist schon im fótalen 
Auge so gross wie im ausgewachsenen Organ. 

Bei Fóten des 9. Monats (45 cm Länge) sind in dem anatomischen 
Verhalten der Area centralis keine merkliche Anderungen festzustellen. 

31” 


410 R. Seefelder 


In meinen bisherigen Ausführungen wird man mit Recht die 
Schilderung desjenigen Anteils des zentralen Netzhautbezirkes ver- 
missen, welcher das hervorragendste Interesse beanspruchen kann. 
nämlich die des lichtperzipierenden Apparates, der hier be- 
kanntlich nur aus Zapfen besteht. Ich habe sie bis jetzt aufgeschoben. 
da ich sein Verhalten von dem ersten Auftreten an bis zur Geburt 
im Zusammenhang beschreiben wollte. (Siehe auch das nüchste Ka- 
pitel: Die Entwicklung der Zapfen und Stäbchen.) 

Schon bei Gelegenheit der Zapfenbeschreibung im allgemeinen 
habe ich betont, dass schon die jüngsten Zentralzapfen an ihrer freien 
Seite mit einem breiten in die Limitans externa eingefügten Proto- 
plasmaleib ausgestattet sind, welcher der ersten Anlage des Innen- 
glieds entspricht. Dieser Entwicklungsgrad ist schon bei Embryonen 
von 54mm aufwärts, aber nur im Zentrum der Retina, ausgebildet, 
so dass man Chievitz darin beipflichten kann, dass die Zapfen- 
entwicklung von diesem Bezirke ausgeht. Wider alles Erwarten 
geht aber die weitere Zapfenentwicklung an dieser Stelle nicht nur 
sehr langsam vor sich, sondern bleibt sogar während des ganzen 
fütalen Lebens und darüber hinaus hinter der der angrenzenden und 
selbst der weiter entfernten Netzhautpartien zurück. Zunächst muss 
auffallen, dass die äussere Körnerschicht hier während des 
ganzen fötalen Lebens nur eine einzige Kernreihe aufweist, 
ein Zustand, welcher bekanntlich selbst noch im Neugeborenenauge 
zu konstatieren ist. 

Dazu kommt die ungemein langsame Ausbildung der Zapfen- 
zellen selbst. Diese sind an der zentralsten Stelle selbst bei einem 
Fötus des 7. Monats noch so rudimentär entwickelt, dass die Innen- 
glieder kaum über das Niveau der Membrana limitans externa her- 
vorragen und die Aussenglieder eben nur als ein von einem Diplo- 
somen ausgehender äusserst feiner Faden wahrnehmbar sind. Die 
hasale Zellseite wird noch von einem äusserst blassen, kaum sicht- 
baren Protoplasma eingenommen, welches noch keine Struktur einer 
Zapfenfaser erkennen lässt. Die ganzen Zapfenzellen sind also noch 
ungemein plumpe und unfertige Gebilde, deren Form mehr an die 
eines eylindrischen Epithels als an die der ausgebildeten Zellen erinnert. 

Wenn wir uns aber ein wenig von der Fovea entfernen, dann 
tritt iminer deutlicher die bleibende Zapfenform zutage, die Innen- 
glieder werden schlanker, länger und ihre Form geschwungener, und 
die Aussenglieder sind auch schon mit schwächeren Vergrösserungen 
deutlich sichtbar und wesentlich länger als im Grunde der Fovea. 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 471 


Der Übergang bis zu diesen schon sehr weit ausgebildeten Elementen 
vollzieht sich ganz allmählich und ist auf dem Wege von dem Zen- 
trum der Fovea nach der Peripherie Schritt für Schritt zu verfolgen. 

Es ist aber zu betonen, dass die bestausgebildeten Zapfen zu- 
nächst immerhin noch im engeren Umkreise der Fovea centralis liegen, 
so dass die von mir gewählte Bezeichnung „Peripherie“ nur eine 
relative Berechtigung besitzt. An und für sich gehört dieser Be- 
zirk schon noch zu den zentraleren, wenn auch nicht zu dem zen- 
tralsten Abschnitte der Retina. 

Um meine Schildernng auch mit Zahlenangaben stützen zu können, 
habe ich Messungen der Dicke und Höhe der Zapfen an verschiedenen 
Stellen des Auges sowie bei verschiedenen Stadien angestellt. Danach 
beträgt die Dicke eines Zapfens in der Fovea eines 34 cm langen Fótus 
8,5 bis 9 u, in dem parazentralen Bezirke, dort, wo die ersten Stäb- 
chen zwischen den Zapfen erscheinen, 5,1# und nasal gleich neben 
dem Optikus sogar nur 3,£ v. Wie wir gleich sehen werden, ist es 
eigentümlicherweise auch noch im 8. Monat der nasale hintere Pol, 
der die am besten ausgebildeten (id est feinsten und hóchsten) Zapfen 
aufweist. Die Dicke des Zapfeninnengliedes beträgt hier ebenfalls 
nur 3,4 und die Höhe dieser Zapfen (22 u) übertrifft die an allen 
übrigen Stellen der Retina ganz beträchtlich. Es ist also ganz evi- 
dent, so merkwürdig dies auch anmuten mag, dass das Sinnes- 
epithel an der hochwertigsten Netzhautstelle noch zu einer 
Zeit eine ganz rudimentäre Entwicklung aufweist, in welcher 
es an minderwertigeren Abschnitten bereits eine ziemlich 
hohe Entwicklungsstufe erreicht hat!) Damit ist eine grosse 
und sehr eigentümliche Ausnahme von der sonst strikte durchgeführten 
Regel gegeben, dass die Differenzierung des zentralsten Netzhautbezirkes 
der der übrigen Retina vorauseilt. Diese Regel wird sogar noch, wie 
wir gesehen haben, bis zu einem gewissen Entwicklungsstadium der 
Zapfen selbst eingehalten, dann aber tritt der beschriebene unerklär- 
liche temporäre Stillstand in der weiteren Entwicklung ein. 

Man könnte sich angesichts dieser schwer verständlichen Tat- 
sache leicht zu der Hypothese verleiten lassen, dass es zur Erreichung 
dieser höchsten Difierenzierungsstufe des direkten funktionellen Reizes 
selbst bedarf, wenn dem nicht der Umstand entgegenstände, dass das 
Neuroepithel an minderwertigeren Netzhautpartien schon vor ihrer 


1) Es ist interessant, dass sich niedere Tiere, z. B. das Axolotl, in dieser 
Hinsicht anders verhalten, insofern sich bei ihnen auch das Sinnesepithel im 
Zentrum der Retina viel rascher entwickelt als in der Peripherie (Rabl 73\. 


472 R. Seefelder 


funktionellen Inanspruchnahme eine viel weiter vorgeschrittene Difie- 
renzierung aufweist als im Bereiche der Fovea. 
Dass aber der funktionelle Reiz dabei wenigstens eine gewisse 


Rolle spielt, scheint mir trotzdem sehr wahrscheinlich, besonders auch 
im Hinblicke auf die bekannte zuerst von Flechsig (85), später 
von Bernheimer (79) sowie Ambronn und Held(86) festgestellte 
Tatsache, dass die Markscheidenbildung im Sehnerven unter dem 
Einflusse des Lichtreizes eine entschiedene Beschleuniguug er- 
fährt. — mE 

Im Auge des Neugeborenen ist die Fovea centralis bereits 
als eine tiefe und geräumige Grube angelegt. Die Ganglienzellen- 
schicht ist im Grunde der Grube nur noch als eine einfache, aber 
lückenlose Zellreihe nachzuweisen. Die innere plexiforme Schicht und 
die äussere Körnerschicht sind hier zwar schmäler als in der Um- 
gebung, aber beide noch als selbständige Schichten vorhanden. Die 
transitorische Faserschicht fehlt nur im Grunde der Fovea. Die 
Zapfenkerne bilden nach wie vor eine einfache Zellreihe und die 
Zapfen sind immer noch kurze, plumpe Gebilde, wenn auch insofern 
ein Fortschritt in der Entwicklung zu konstatieren ist, als die Aussen- 
glieder jetzt stärker hervortreten und die Zapfenfasern zu langen 
schlanken Gebilden ausgewachsen sind. Die Henlesche Faserschicht 
tritt eigentlich erst damit wirklich deutlich in Erscheinung, wenn sie 
auch schon früher angelegt ist. 

Die Fovea des Neugeborenen ist also, wie auch schon v. Hippel (8) 
und Wolfrum (63) betont haben, noch auf einer sehr niedrigen Ent- 
wicklungsstufe, ganz besonders was die Entwicklung des lichtperzi- 
pierenden Apparates, der Zapfen, betrifft, und die physiologische 
Minderwertigkeit der Neugeborenen-Fovea, die sich dem Praktiker 
durch das Fehlen der zentralen Fixation kundgibt, durch ihre ana- 
tomische Beschaffenheit in ausreichendem Masse erklärt. 

Auch bei einem 8 Wochen alten Kinde ist die Entwicklung der 
Fovea noch lange nicht abgeschlossen. So sind in ihr noch sämtliche 
Schichten nachweisbar, die Zentralzapfen zwar etwas länger und 
schlanker und die äussere Körnerschicht etwas dicker (2—3reihig) 
als in der nächsten Umgebung, aber alles noch weit entfernt von den 
Ausbildungsgrade im erwachsenen Organ. Es kann also nach dem 
anatomischen Befunde auch zu dieser Zeit von einer physiologischen 
Uberlegenheit der Fovea noch keine Rede sein. Auch dieser Befund 
deckt sich mit der praktischen Erfahrung. dass Kinder dieses Alters 
noch nicht zielbewusst zu fixieren pflegen. Eine auffallend mächtige 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 473 


Entwicklung zeigt in diesem Stadium die Henlesche Faserschicht 
sowohl im Grunde der Fovea als in ihrer nächsten Umgebung. — 
Bei 3—4 Monate alten Kindern ist endlich die spezifische Ent- 
wicklungsstufe erreicht, durch welche die fertige Fovea vor der ganzen 
übrigen Retina ausgezeichnet ist. Die Zentralzapfen sind länger und. 
feiner als in der ganzen übrigen Retina, und wir finden als Ausdruck 
dafür, dass ihre Zahl in der gleichen Raumeinheit grösser geworden 
ist, die äussere Körnerschicht im Grunde der Fovea noch etwas 
dicker als vorhin. Es; ist dies auch das jüngste Stadium, in welchem 
ich eine deutliche sog. Fovea externa gefunden habe, deren Bildung 
bekanntlich durch die besondere Länge der Zentralzapfen bedingt ist. 
Ein weiterer Fortschritt in der Entwicklung dieser Region besteht 
darin, dass) die Ganglienzellen- fund innere Körnerschicht zu einer 
einzigen Zellage zu verschmelzen beginnen, und dass die sog. transi- 
torische Faserschicht nur noch in geringen Spuren nachweisbar ist. — 
Immerhin ist der Unterschied zwischen dieser und einer ausge- 
bildeten Fovea noch sehr erheblich, jedoch damit zu rechnen, dass im 
weiteren Entwicklungsverlaufe nach Fritschs (34) verdienstvollen 
Untersuchungen auch mit individuellen Verschiedenheiten zu. rechnen 
ist. Dies gilt bekanntlich besonders in bezug auf die Feinheit der 
Zentralzapfen, welche den Grad der Sehschärfe bestimmt und nach 
Fritsch (34) grossen individuellen Schwankungen unterworfen ist. 
Die Verschiedenheit der Feinheit der Zentralzapfen ist entschieden 
von der grössten Bedeutung für das Verständnis der so stark variierenden 
Grade der zentralen Sehschürfe. Und, wenn wir den ganzen Ent- 
wicklungsgang dieser Region nochmals überschauen, dann erscheint 
uns sogar leicht verständlich, dass durch einen sehr frühzeitigen Still- 
stand in der Zapfenentwicklung allein eine höhergradige Amblyopie 
bedingt sein kann. !Dieser Umstand dürfte namentlich da- 
durch von einer gewissen klinischen Bedeutung sein, dass 
eine Fovea ophthalmoskopisch vóllig normal erscheinen 
und doch eine rudimentüre Entwicklung ihres lichtperzi- 
pierenden Apparates aufweisen kann. Liegt da nicht die Ver- 
mutung!) nahe, dass ein grosser Teil der sog. Amblyopien ohne 
ophthalmoskopischen Befund auf eine solche rudimentäre 


!j Als ein Beispiel für ihre Berechtigung möchte ich eine von mir wiederholt 
gemachte Erfahrung, mit welcher ich sicher nicht allein dastehe, erwähnen, näm- 
lich, dass Personen mit angeborenem Totalstar auch nach gut gelungener Operation 
und mit bester Korrektion trotz jahrelangen angestrengten Gebrauchs ihrer Augen 
häufig nicht über ein bescheidenes Mass von Sehvermögen hinauskommen. Es steht 


474 R. Seefelder 


Entwicklung der Zapfen zurückzuführen sei? Wir sind ja leider 
bezüglich der anatomischen Grundlage von kongenitalen Amblyopien 
bis jetzt fast ausschliesslich auf Vermutungen angewiesen, wenn wir 
von den beiden Füllen [(Fritsch 34) und mein Fall von Aniridie (35)] 
absehen, in welchen die Ursache der Amblyopie durch das Ausbleiben 
einer Entwicklung der Fovea zu begründen war. 

Diese Befunde bringen mich auf die interessante Frage, die ich 
seinerzeit nicht angeschnitten habe, ob anzunehmen ist, dass zwischen 
der Sehschürfe der mit einer Area centralis ohne Foveabildung und 
der mit einer Fovea ausgestatteten Tiere ein prinzipieller Unterschied 
besteht. 

Es ist selbstverständlich nicht leicht, darauf eine präcise Antwort 
zu erteilen, da vergleichende Sehschärfebestimmungen aus einem leicht 
begreiflichen Grunde kaum ausführbar sind. Wir sind also hauptsächlich 
auf Vermutungen angewiesen, welche sich ausschliesslich auf gewisse 
Beobachtungen der Lebensweise der betreffenden Tiere gründen. 

Rabl (73) äussert sich darüber ziemlich bestimmt mit folgenden 
Worten: | 


,Es ist überhaupt ganz irrig, wenn zuweilen gesagt wird, dass die 
niederen Säugetiere, vor allem die jagdbaren Tiere, „besser sehen“ als wir. 
Man muss eben auch hier wieder zwischen Formensehen und Bewegungs- 
sehen unterscheiden. In letzterer Hinsicht mögen uns vielleicht manche 


mir dabei besonders deutlich eine Familie vor Augen, in welcher schon 3 Genera- 
tionen hindurch angeborener Star vorgekommen war. Der Grossvater hatte den 
Star auf die Mutter vererbt, die Mutter ist vor vielen Jahren und ihre 
7 Kinder sind in den letzten Jahren hier operiert worden. Die Mutter be- 
sass mit starken Konvexgläsern, welche sie übrigens für gewöhnlich nicht trug, 
eine Sehschärfe von ungefähr ®,,. Von den Kindern hat jedoch kein ein- 
ziges eine solche Sehschärfe erreicht, dass ihm die Aufnahme in eine Blinden- 
anstalt erspart werden konnte. Von ähnlichen, wenn auch mit etwas besserem 
Erfolge operierten Fällen kenne ich eine ganze Reihe. Da bei ihnen der 
Grund der Sehschwäche nicht in den brechenden Medien gelegen sein kann, 
liegt es wohl am nächsten, ihn in der Netzhaut zu suchen. Es scheint mir 
wahrscheinlich, dass es sich in solchen Fällen um eine ungenügende Entwicklung 
der Retina und zwar in erster Linie ihres lichtperzipierenden Apparates handelt, 
welche vielleicht nur auf die zentralsten Netzhautpartien beschränkt sein wird. 
Ich erinnere hier nochmals an die bekannte Sehschwäche der Augen mit ange- 
borener Aniridie und an die Häufigkeit der Kombination dieser Missbildung mit 
Watarakt. Inwieweit bei dieser angenommenen Aplasie des Sinnesepithels der Um- 
stand eine Rolle spielt, dass bei angeborener Totalkatarakt der natürliche funk- 
tionelle Reiz gerade in der ersten Lebensperiode, in welcher sich die volle Ent- 
wicklung des Sinnesepithels vollzieht, nicht in entsprechender Weise zur Geltung 
kommt, dürfte wohl zu erwägen, aber nicht zu entscheiden sein. 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 475 


Säugetiere überlegen sein; in ersterer sind wir und die Affen ihnen sicher 
sehr weit überlegen. Dies scheint mir schon aus der anatomischen Tat- 
sache hervorzugehen, dass unter den Säugetieren nur der Mensch und die 
Affen eine Fovea centralis besitzen, dass diese aber allen andern Säuge- 
tieren, und also auch den jagdbaren Tieren, vollständig fehlt. Die Fovea 
centralis brauchen wir zum Formensehen, eine blosse Area centralis hat 
anatomisch und physiologisch wesentlich nur die Bedeutung der Netzhaut- 
peripherie.“ 

Dass die Tiere ohne eine Fovea centralis eine geringere Seh- 
schürfe besitzen, scheint auch mir ausser Zweifel zu sein. So ist mir 
von gut beobachtenden Hundebesitzern, zumal von Jügern, überein- 
stimmend versichert worden, dass die Hunde ,schlecht sehen* und es 
scheint, dass der ausserordentlich hoch entwickelte Geruchssinn dieser 
Tiere die Mängel des Gesichtssinns auszugleichen habe. Und vom 
Pferde, dem vielfach eine ausgezeichnete Sehschärfe zugeschrieben 
wird, scheint mir dies durchaus nicht erwiesen zu sein. Wenigstens 
spricht die Neigung sehr vieler Pferde, vor jedem hellen oder durch 
den Wind bewegten Gegenstand zu scheuen, sehr dafür, dass das 
Formunterscheidungsvermógen dieser Tiere mangelhaft ist. Und vielleicht 
geschieht dem Pferde damit ein Unrecht, dass ihm dieses Scheuen vor 
ganz harmlosen Objekten vielfach als ein Mangel an Intelligenz ausgelegt 
wird. Anderseits sind Formensehen und Fehlen einer Fovea centralis 
doch wohl keine Begriffe, welche sich gegenseitig vollständig aus- 
schliessen. Bei den Tieren wird man ja darüber schwerlich ein be- 
stimmtes Urteil füllen können, aber dem Kliniker ist wohlbekannt, 
dass der Verlust des zentralen Sehens nicht auch den des Formen- 
sinns zur Folge hat. Immerhin dürfte ausser Zweifel sein, dass die 
Fovea centralis eine wesentlich höhere Ditterenzierungsstufe der Retina 
darstellt als die blosse Area centralis, wofür mir auch ihr spätes Auf- 
treten im Verlaufe der Entwicklung zu sprechen scheint. 


d. Die Entwicklung der Zapfen und Stäbchen. 

Das Studium der Entwicklung der Zapfen und Stäbchen hat 
einen so vorzüglichen Konservierungsgrad der Retina zur Voraus- 
setzung, wie ihn menschliche Embryonen und Föten nur ausnahms- 
weise besitzen dürften. 

Dies wird wohl auch der Grund sein, warum diese Frage bis 
jetzt fast ausschliesslich an Tieren studiert worden ist. 

Uber die Stäbchen- und Zapfenentwicklung beim Menschen 
liegt. meines. Wissens nur von Falchi (3) und Chievitz (1) eine 
etwas ausführlichere Mitteilung. vor, doch scheint Chievitzs (1) 


416 R. Seefelder 


Material nicht allen Ansprüchen in bezug auf Konservierung ent- 
sprochen zu haben, da er manche Befunde als normale Erschei- 
nungen beschreibt, die ich nach meinen Erfahrungen als kadaveróse 
oder zum mindesten artifizielle Veränderungen ansehen muss. Dazu 
rechne ich z. B. die von ihm (S. 210) beschriebenen Höcker, 
welche gegen den Augenhintergrund miteinander zusammenhängen 
und einen nach aussen gezähnelten Saum bilden sollen. Ich habe 
solche Veränderungen, welche an die Chievitzsche (1) Beschreibung 
erinnerten, nur in nicht ganz einwandsfrei konservierten Netzhäuten 
gefunden. Überhaupt enthält diese Beschreibung Chievitzs (1) 
mancherlei Unklarheiten, was eben sicherlich darauf zurückzuführen 
ist, dass ihm selbst keine klaren Bilder vorgelegen haben. Auch wird 
von Chievitz (1) der Termin, in welchem sich die ersten Anlagen 
der Zapfen zeigen sollen, in eine viel zu späte Periode, nämlich in 
die 17. Woche, verlegt. Dagegen ist seine Angabe, dass die ersten 
Zapfenanlagen in der Gegend der Macula lutea auftreten, vollkommen 
zutreffend. 

Falchis (3) Beschreibung scheint sich ausschliesslich auf das Unter- 
suchungsresultat eines 21,5 cm langen Fötus zu stützen. Nie ist so 
kompliziert und von der meinigen so grundverschieden, dass sich nicht 
einmal ein Vergleich mit meinen Resultaten durchführen lässt. 

Ich selbst bin in der glücklichen Lage, eine Anzahl von 
Präparaten zu besitzen, in welchen wenigstens die Entwicklung der 
Zapfen von den ersten Anfingen bis zur höchsten Vollendung gut ver- 
folgt werden kann. Der Zeitraum, in welchem sich dieser Entwick- 
lungsprozess vollzieht, ist, wie wir schen werden, sehr lang und beginnt 
viel früher, als bis jetzt allgemein angenommen worden ist!). 

Ich wende mich zunächst zur Entwicklung der Zapfen, welche 
wesentlich bequemer und zuverlässiger studiert werden kann, als die 
Stäbchenentwicklung, da in der Retina schon frühzeitig eine Stelle 
herausdifferenziert ist, in welcher nur Zapfen zur Entwicklung ge- 
langen, nämlich die Gegend der Area bzw. Fovea centralis. — 

An dieser Stelle und in ihrer nächsten Umgebung sehen wir be- 
reits bei Embryonen von 50—70 mm grösster Länge (9.—10. 
Woche) an der Aussenseite der Retina eine einfache Zellage abge- 
zweigt, deren Elemente unverkennbare Merkmale von jungen Zapfen- 
zellen zur Schau tragen. (Vgl. Textfig. 12, 17 u. 18.) 

Ihr hervorstechendstes Merkmal besteht in dem Vorhandensein 


1) Dieser Satz bezieht sich vorzugsweise auf die Gegend der Area centralis. 
= E 


Beitrige zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 477 


eines breiten, mit guten Protoplasmafärbungen (Held oder Heiden- 
hain) intensiv gefärbten Protoplasmaleibes an der freien Zellseite, 
welcher in die Limitans externa mit breiter Basis eingefügt ist. Die 
Höhe dieses Protoplasmaleibs ist bei den verschiedenen Zellen ziem- 
lichen Schwankungen unterworfen. Bei den jüngsten, welche durch 
ihre eigentümliche Kernformation leicht als solche erkennbar sind, ist 
nur ein ganz schmaler Protoplasmasaum nachweisbar. (Vgl. Textfigur 19.) 
Die Kerne dieser jungen Zellen sind sehr dunkel tingiert, kleiner 
als die älteren Kerne, und weisen an ihrer der Limitans externa 
zugewendeten Seite eine tiefe Eindellung auf. Sie liegen an- 
fangs stets paarweise unmittelbar nebeneinander und verraten auch da- 
durch, dass sie eben aus einer Mitose hervorgegangen sind. Die älteren 
Zellen (Textfig.17)besitzen einen runden Kern und man kann gewöhnlich in 
einem einzigen Schnitte dieser Gegend alle Übergänge von den ein- 
gedellten bis zu den runden Kernen beobachten (Textfig. 18). Die Ursache 
dieser eigentümlichen Kerneindellung habe ich nicht aufzudecken ver- 
mocht, da mir eine deutliche Färbung des Centrosomas und der Pol- 
strahlung, womit sie jedenfalls in Zusammenhang zu bringen ist, nicht 
gelungen ist. Ich darf aber darauf hinweisen, dass Rabl (36) die 
gleichen Kernveränderungen in der Epidermis der Urodelen beobachtet 
und als deren Ursache in der Kerndelle das Centrosoma mit der 
Polstrahlung gefunden hat. Ich zweifle nicht daran, dass bei den 
Zapfenkernen die gleiche Ursache in Frage kommt. 

Bei den älteren Zapfenzellen ist der Kern von der Limitans ex- 
terna abgerückt und der Protoplasmaleib entsprechend höher geworden 
(Textfig. 17). Die Breite des letzteren entspricht etwa der des Kerns 
und übertrifft sie sogar noch meist an der Stelle, wo das Proto- 
plasma in die Limitans, eingefügt ist. Die ganze) junge Zapfenzelle 
besitzt also eine sehr plumpe, gedrungene Form. 

Das Centrosoma ist, wie erwiühnt, in den betreffenden Prüpa- 
raten nicht so deutlich gefärbt, dass ich darüber bestimmte Angaben 
machen kónnte. Wo ich es zu sehen glaube, befindet es' sich als 
ein Diplosoma in nüchster Nühe der Limitans externa, welche im 
Querschnitt als eine leicht gewellte homogene Membran sehr deut- 
lich sichtbar ist und noch an keiner Stelle unterbrochen!) zu sein 
scheint. — 

An der inneren (basalen) Zellseite gelingt es kaum, eine Proto- 


1) Tatsächlich ist sie nach den Untersuchungen von Leboucq (11) schon von 
Anfang an eine gefensterte Membran, was aber nur in Tangentialschnitten ein- 
wandfrei nachzuweisen ist. 


418 R. Seefelder 


plasmahülle nachzuweisen, und es scheint die Kernmembran an dieser 
Stelle gleichzeitig die Zellgrenze zu bilden. 

Die Lagerung der jungen Zapfenzellen ist zunächst noch etwas 
unregelmässig und besonders die Abstände der Zellen voneinander 
sind, abgesehen von den ganz jungen, paarweise angeordneten Elemen- 
ten, im allgemeinen grösser und ungleicher als in älteren Stadien. Die 
spätere so regelmässige epitheliale Anordnung ist aber doch schon zu 
dieser Zeit angedeutet. 

Die weitere Entwicklung der Zapfenzelle lehrt nun in überzeu- 
gender Weise, dass der Protoplasmaleib an der freien Seite des Zapfen- 
kerns bereits als die erste Anlage des Zapfeninnenglieds anzusehen ist, 
und es ergibt sich daraus die bemerkenswerte Schlussfolgerung, zu 
welcher auch Cajal (42) durch Untersuchungen an neugeborenen 
Katzen gekommen ist, dass die erste Differenzierung der Zapfenzelle 
an der freien Seite einsetzt, und dass die Entwicklung des basalen 
Zellfortsatzes, der Zapfenfaser, erst später erfolgt. Damit ist ein 
prinzipieller Unterschied zwischen den Zapfenzellen und den übrigen 
nervösen Elementen der Netzhaut gegeben und ihre Stellung als „be- 
sondere Zellen“, welche ihnen Greeff eingeräumt hat, hinreichend 
dokumentiert. 

Durch meine Ergebnisse bestätigt sich auch die von Chievitz (1) 
betonte Tatsache, dass die Zapfenentwicklung zuerst in der zentral- 
sten Zone der Retina auftritt, und man kann Chievitz wohl darın 
beipflichten, dass die Entwicklung der Zapfen von diesem Bezirke 
ausgeht. 

In der folgenden Entwicklungsperiode tritt. der epitheliale Cha- 
rakter der Zapfenzellen immer deutlicher in die Erscheinung. Die 
Zapfenzellen ordnen sich zu einer dichtgeschlossenen Zellreihe. von 
einer wunderbaren Regelmüssigkeit der Anordnung, von welcher die 
Textfigur 15 (Fötus des 5. Monats) eine Vorstellung verschafft. 

Der Unterschied gegenüber der Abbildung 12 ist trotz der 
Ungleichheit der angewandten Vergrösserungen ohne weiteres in 
die Augen springend. Die Zapfenkörner sind noch viel weiter von 
der Limitans externa abgerückt und die Zapfeninnenglieder um so 
viel höher geworden. Die Zapfenkerne erscheinen durchwegs Kugel- 
rund und an ihrer basalen Seite von der ganz schmalen äusseren 
plexiformen Schicht durch einen hellen Zwischenraum getrennt. Die 
dunkle Färbung des Zapfeninnenglieds ist dadurch noch auffälliger 
als bei dem jüngeren Stadium. Die Kuppe des Innenglieds ragt Jetzt 
leicht zugespitzt über die Membrana. limitans. externa. hervor, welche 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 479 


nunmehr auch im Querschnitt deutlich als eine gefensterte bzw. durch- 


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Fig. 17—23. 


brochene Membran erscheint. In der äussersten Spitze des Innen- 
glieds liegt je ein Diplosoma. Zwischen den Zapfenzellen verlaufen 


180 R. Seefelder ` 


die als eine scharfe lLinie erscheinenden Müllerschen Radiürfasern 
zur Limitans externa. Ich habe diesen Entwicklungsgrad der Zentral- 
zapfen in Augen von 12—21cm Länge angetroffen. 

Das abgebildete Präparat stammt von einem Fötus von 21cm 
Länge. Weitere Details sind in meinen Präparaten dieser Stadien 
nicht zu ersehen. 

Schon Chievitz erwähnt mit Recht, dass man fast den ganzen 
Entwicklungsmodus der Zapfen auch noch in wesentlich älteren 
fötalen Augen studieren kaun. Dies liegt bekanntlich daran, dass die 
Zentralzapfen so lange ihre ursprüngliche Gestalt beibehalten. So ist 
der Unterschied zwischen einem Fötus von 20 und einem solchen 
von 34cm in dieser Hinsicht nur ganz unbedeutend. 

Textfigur 20 zeigt den Zustand der Zapfen an der zeutralsten 
Stelle eines 34cm langen Fötus. Der Konservierungszustand dieses 
Prüparates ist gerade an dieser Stelle so vortrefflich, dass alle De- 
tails der jungen Zapfenzelle sichtbar sind. Das Präparat ist mit der 
für diese Zwecke besonders gut geeigneten Molybdänhämatoxylin- 
lösung (Held) gefärbt. Die ganze Zapfenzelle ist noch weit entfernt 
von dem gracilen und eleganten Bau des Zentralzapfens im aus- 
gewachsenen Organ. Ihre Ähnlichkeit mit einer Cylinderepithelzelle 
ist bei schwachen und mittleren Vergrösserungen ganz frappant. Bei 
stärkerer Vergrösserung treten dann noch verschiedene, nur ihr und ver- 
wandten Zellen eigentümliche Merkmale zutage. Das Zapfenkorn 
erscheint noch kugelrund und von geringerem Querdurchmesser als 
das Innenglied. 

An dem letzteren ist eine etwa rautenfürmige dunkler gefürbte 
Zone (wohl die Anlage des Zapfenellipsoids) von der helleren restie- 
renden Zone zu unterscheiden. Die zugespitzte Kuppe des Innen- 
glieds ragt nur ein wenig über die Membrana limitans externa hervor. 
In jeder Spitze der Kuppe liegen die Diplosomen, welche 
durchgehends von einem hellen Hof umgeben sind. Die 
Stellung der Diplosomen zueinander zeigt grosse Verschiedenheiten, 
und ist bald schräg, bald quer, bald senkrecht. Von einem gesetz- 
miüssigen Verhalten kann also in dieser Hinsicht keine Rede sein. Fast 
stets gelingt es, einen von einem Diplosomenkorn abgehen- 
den feinen Faden nachzuweisen, welcher in zumeist schrüger 
Richtung bis zum Pigmentepithel verläuft und dort endigt. 
Seltener habe ich, wie Held im ausgebildeten Zapfen, auch einen 
nach innen verlaufenden Faden (Innenfaden) nachweisen können, 
welcher sich in meinen Präparaten stets vor dem Kern in dem Proto- 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 481 


plasma des Innenglieds verliert. Ein drittes Granulum, das Held (37 
und Leboucq(11) beschrieben haben, kann ich in keiner jungen 
Zapfenzelle finden. 

Die basale Zellseite des Zapfenkorns ist viel blasser gefürbt 
als die freie Seite, Auch gelingt es mir nicht, trotz aufmerksamen 
Suchens mit besten Systemen in ihr irgendwelche deutliche Struktur 
nachzuweisen. Sie muss also wohl von einem ganz blassen, kaum 
färbbaren Protoplasma eingenommen sein. Die Untersuchung dieses 
Abschnittes wird aber namentlich dadurch erschwert, dass in den 
etwa 10 « dicken Schnitten Fasern der Müllerschen Stützzellen über 
die Zapfenzellen hinweg zur Limitans externa ziehen und dadurch 
sehr leicht eine fibrilläre Struktur vortäuschen können, welche bei 
genauester Einstellung auf die Zapfenzelle selbst in Wirklichkeit nicht 
vorhanden ist. Die basale Abgrenzung der Zapfenzelle wird durch 
einen dunklen, bei starker Vergrösserung undeutlich granuliert er- 
scheinenden Saum, den Zapfenfuss, gebildet. Eine Zapfenfaser ist 
aber anscheinend noch nicht entwickelt. — 

Ob der beschriebene Aussenfaden auch schon bei den jüngeren 
Stadien vorhanden ist, kann ich mangels hierfür geeigneter Präparate 
nicht entscheiden. Ich selbst zweifle, angesichts seiner Existenz in so 
unvollkommenen Zapfenzellen, wie es die Zentralzapfen des 34 cm 
langen Fötus sind, nicht daran, dass er sehr frühzeitig gebildet 
wird, wahrscheinlich gleich, nachdem die Diplosomen an die Spitze 
des Zapfeninnenglieds vorgerückt sind. Die enge Zusammengehörig- 
keit zwischen diesen beiden Gebilden ist ja nach ihrem histologischen 
Verhalten ganz evident und ich glaube Leboucq(11) darin unbedenk- 
lich beipflichten zu können, dass die Fadenentwicklung von den 
Diplosomen selbst ausgeht. 

Leboucq (11) betrachtet den 'Aussenfaden als die Anlage des 
Aussengliedes, der sich später bis an sein Ende, welches selbst frei 
bliebe, mit einer krümligen Masse, der weiteren Substanz des 
Aussengliedes umgebe. 

Auch in diesem Punkte trete ich Leboucq(11) bei, da die Rich- 
tigkeit seiner Auffassung durch die weitere Zapfenentwicklung vollauf 
bestätigt wird. 

Die grosse Bedeutung der Diplosomen für die Zapfenentwicklung 
ist auch schon von C. Fürst(10) richtig geahnt worden. 

Fürst hat jedoch nicht verfolgen können, ob diese Gebilde bei 
der weiteren Entwicklung der Stäbchen und Zapfen eine Rolle spielen. 
Er zweifelt aber nicht daran, „dass eine eingehendere Kenntnis des Ver- 


482 R. Seefelder 


haltens der Zentralkórperchen bei den Retinazellen von ganz sicher 
grosser Wichtigkeit für die Kenntnis der Histogenese der Retina sein 
würde*. 

Auch der von dem einen Diplosoma ausgehende feine Faden ist 
bereits von Fürst(10) (bei Lachsembryonen) gefunden worden, wes- 
halb Retzius(61) vorschlügt, ihn als Fürstschen Faden zu be- 
zeichnen. 

Später haben ihn Kolmer (62) und Held(37) fast gleichzeitig 
in den ausgebildeten Zapfen und Stäbchen der Froschretina und letz- 
terer hat ihn auch in den gleichen Elementen des Menschen nach- 
gewiesen. Zuletzt fand ihn Retzius(61) beim erwachsenen Acanthias 
vulgaris. | 

Übereinstimmend wird von: diesen Forschern angegeben, dass er 
in der ausgewachsenen Zelle in der Peripherie des Aussengliedes, aber 
doch noch innerhalb dessen Substanz verläuft. Auch zweifelt keiner 
von ihnen an der grossen biologischen Bedeutung sowohl des Diplo- 
somas als des Kolmer-Heldschen Aussenfadens, die mir aber erst 
durch die Kenntnis der Entwicklung der Zapfenzelle in das rechte 
Licht gerückt zu sein scheint. — 

Die Zusammensetzung einer Zapfenzelle ist somit schon in einem 
relativ frühen Entwicklungsstadium in ihren Grundzügen festgelegt. 
Bei der weiteren Entwicklung handelt es sich also mehr um Ver- 
änderungen ihrer Form und ihrer Dimensionen als um die Bildung 
neuer Organteile. Diese Vorgänge können, wie gesagt, schon in 
der nächsten Umgebung der Zentralzapfen gut beobachtet werden. 
Wir sehen dort die Zapfenzelle (vgl. Textfigur 20) bereits in einer noch 
ganz stäbchenfreien Zone in wesentlich schlankere Gebilde verwandelt, 
die Kerne oval geformt und auch am Aussen- und Innenglied die 
bleibende Gestalt angedeutet. Noch etwas weiter abseits ist diese 
Formveränderung der Zapfenzellen sogar noch ausgesprochener. (Vgl. 
Textfigur 21, in welcher zwischen den Zapfen auch schon Stäbchen 
zu sehen sind.) 

Wahrscheinlich ist bei den letzteren Zapfenzellen auch schon 
eine Zapfenfaser zur Entwicklung gelangt, doch ist dies infolge der 
dichten Lagerung der Kerne nieht einwandsfrei festzustellen. 

An den Zentralzapfen ist selbst bei Föten von 42cm Länge 
nicht immer mit Bestimmtheit eine Zapfenfaser nachzuweisen, wäh- 
rend sie bei den nur etwas weniger zentral gelegenen Zapfenzellen 
deutlich zu sehen ist. Offenbar kommen aber auch bei der Entwicklung 
dieses Gebildes zeitliche individuelle Verchiedenheiten vor, deun bei einem 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 483 


Fótus von der gleichen Länge (42 cm) waren auch die zentralsten 
Zapfenzellen mit Zapfenfasern ausgestattet. Textfigur 23 zeigt den 
Entwicklungsgrad von einigen Zellen dieser Region. Die basale Hälfte 
der Zellen ist jetzt fast ebenso dunkel gefärbt wie die freie, von ge- 
streiftem Aussehen und in der Mitte taillenförmig eingeschnürt, um 
«dann unter konischer Verbreiterung am Zapfenfusse zu endigen. 

Die Diplosomen liegen in den etwas weiter entwickelten Zapfen 
meistens nicht mehr genau in der Kuppe des Innengliedes, sondern 
weiter einwärts ungefähr an der Grenze des äusseren und mittleren 
Drittels, wo sie bald im Zentrum, bald in den seitlichen Partien des 
Innengliedes angetroffen werden. 

Genaue Massangaben über die Dicke und Höhe der Zapfen an 
verschiedenen Stellen der Retina sind in dem Kapitel über die Ent- 
wicklung der Fovea centralis enthalten. 

Für das Studium der Stäbchenentwicklung ist mein Material 
im allgemeinen weniger gut geeignet als für das der Zapfen. So 
kann ich z. B. über den Zeitpunkt und infolgedessen auch über den 
Ort des ersten Auftretens von Stäbchen keine genauen Angaben 
machen, da ich von den betreffenden Stadien keine genügend gut 
konservierten Objekte!) besitze. Am Anfange des 7. Monats (Fótus 
von 34cm Länge) sind aber die Stäbchen dort, wo sie infolge ihrer 
lockeren Anordnung sehr schön untersucht werden können, nämlich 
in der Gegend des hinteren Pols, bereits so weit entwickelt, dass sie 
sich von den ausgebildeten Elementen nicht mehr sehr wesentlich 
unterscheiden. Und weiter in der Peripherie, wo sie auf allen und 
selbst auf den niedrigsten Entwicklungsstufen angetroffen werden, 
stehen sie so dicht nebeneinander, dass man kaum ein Stäbchen von 
dem andern genau unterscheiden kann. Man kann aber jedenfalls 
aus dieser Beobachtung schliessen, dass auch die Stäbchenentwicklung 


n In Betracht kämen bekanntlich in erster Linie Föten des 5. Monats, 
bei welchen die Stábchenentwicklung beginnt. [Chievitz (1 Falchi(3)] Ich 
habe von diesem Stadium sehr viele Augen von ganz frisch eingelegten Objekten 
erhalten, aber seinerzeit den grossen Fehler begangen, die Köpfe stets in toto 
in die Fixierungsflüssigkeit bringen zu lassen. Die Folge davon ist eine fast 
durchgehends ungenügende Konservierung der Retina, da die Fixierungsflüssig- 
keit zu lange braucht, bis sie die dicken Augenlider durchdringt und bis zur 
Retina gelangt. Ich empfehle deshalb denen, welche sich mit analogen Studien 
zu beschäftigen beabsichtigen, vor der Einlegung der Köpfe in die Fixierungs- 
flüssigkeit rasch die ganzen Lider abzutragen und entweder die vordere Augen- 
kammer breit zu öffnen oder die Flüssigkeit direkt in den Glaskörper zu inji- 
zieren, um eine tadellos fixierte Retina zu erhalten, 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIIL, 3. 32 


484 R. Seefelder 


zuerst am hinteren Pol beginnt und von hier allmählich nach der 
Peripherie fortschreitet, ein Prozess, der jedenfalls sehr langsam vor 
sich geht, da die periphersten Netzhautpartien sogar noch bei Föten 
des 8. Monats keine Stäbchen- und Zapfenentwicklung erkennen 
lassen. Die Länge der Stäbchen nimmt von hinten nach vorne all- 
mählich ab, so dass zuletzt nur noch ganz kurze Stummelchen über 
die Membrana limitans externa hervorragen. Da diese kurzen Stum- 
melchen wegen ihrer dichten Aufeinanderpressung schon in ziemlich 
dünnen Schnitten zu mehreren übereinander liegen, wimmelt es in 
ihnen geradezu von Diplosomen, so dass ich mich nicht entsinnen kann. 
jemals soviel Diplosomen auf einem gleich grossen Raum beisammen 
gesehen zu haben. Ihre Bedeutung für die Stäbchenentwicklung wird 
nicht minder gross sein als für die der Zapfen. Sie liegen durch- 
wegs an der Grenze des Aussen- und Innenglieds in dem letzteren. 
Ihre Stellung zueinander ist ebenso verschieden wie in den Zapfen- 
zellen. Der von Held(37) beim Erwachsenen beschriebene Aussen- 
und Innenfaden war in meinen Präparaten nicht zu sehen. 

Ich bemerke noch, dass die Stäbchen schon auf ihrer frühesten 
Entwicklungsstufe zarte und schlanke Gebilde sind und sich darin 
von den Zapfen nicht unwesentlich unterscheiden. Im übrigen 
dürften in der Entwicklung dieser beiden so nahe verwandten Ele- 
mente keine durchgreifenden Differenzen bestehen. 

Vergleichen wir meine Schilderung der Zapfenentwicklung, welche 
ich an gut konservierten und günstig gefärbten Objekten beobachten 
konnte, mit der Darstellung von Chievitz, so suchen wir in ihr ver- 
gebens nach jenen kleinen Höckern, welche miteinander zusammen- 
hängend einen nach aussen gezähnelten Saum bilden, „welcher all- 
mählich durch die nun aus den Zellen hervorwachsenden Innenglieder 
abgehoben wird. Während die letzteren deutlich geschieden zu er- 
kennen sind, setzt sich der zusammenhängende, stärker tingierte Saum 
über ihre Aussenseite hin ununterbrochen fort. Die Höcker des Saumes 
stehen gewöhnlich über den Zapfeninnengliedern“ usw., so lautet die Be- 
schreibung von Chievitz, welcher ich, wie erwähnt, nicht beistimmen 
kann. Nach meinen Präparaten ist das Zapfeninnenglied sehr früh 
als solches zu erkennen. Es sitzt zuerst der Membrana limitans mit 
breiter Basis auf bzw. ist in sie eingefügt und von den Schlussleisten 
eingefasst. In der weiteren Entwicklungsperiode wölbt sich die Kuppe 
jedes Innenglieds über das Niveau der Membrana limitans hervor, und 
jetzt entsteht allerdings im Querschnitt ein nach aussen gezähnelter 
Saum, welcher aber einzig und allein von den Kuppen der Innen- 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 485 


glieder gebildet wird, die auch nirgends miteinander zusammen- 
hängen. 

Die Chievitzschen Höcker halte ich infolgedessen für Kunst- 
produkte; welche ich in weniger gut konservierten Objekten auch ge- 
sehen habe, und welche meines Erachtens dadurch entstehen, dass 
bei nicht ganz vorzüglicher Konservierung die an das Pigmentepithel 
stossenden Kuppen der Innenglieder zerfallen, ineinander fliessen, und 
bei der gewöhnlich unter dem Einflusse der Alkoholhärtung statt- 
findenden Retraktion der Netzhaut vom Pigmentepithel zu ziemlich 
spitzen Höckern ausgezogen werden. Hingegen decken sich meine 
Befunde in allen wesentlichen Punkten mit der Beschreibung, welche 
Leboucq(11) von der Entwicklung der Stäbchen und Zapfen in 
der Katzenretina entworfen hat. | 


e. Über dieo Veränderungen der Form und Grösse der Retina- 
zellen und ihre Bedeutung für die Dickenzunahme der Retina. 


Schon Schiefferdecker(64) und später Chievitz(1), Nuss- 
baum(5) und Fürst(10) haben angegeben, dass die Netzhautzellen 
im Verlaufe ihrer Entwicklung sowohl eine Veränderung ihrer Form 
als ihrer Grösse erfahren. Dass das erstere auch beim Menschen 
zutrifft, geht aus meiner bisherigen Beschreibung, wie ich glaube, 
deutlich hervor. Sämtliche Netzhautzellen machen während ihrer Ent- 
wicklung eine mehr oder weniger tiefgreifende Metamorphose durch, 
welche bei den meisten auch mit einer Änderung des Chromatingehalts 
der Kerne Hand in Hand geht. 

Bezüglich der Veränderung der Grösse der Netzhautkerne liegen 
bis jetzt nur von Chievitz einige vergleichende und am Menschen 
ausgeführte Messungsresultate vor, aus welchen nach Chievitz eine 
mit dem Alter zunehmende Vergrösserung der Kerne zu erkennen 
ist, weshalb anzunehmen sei, „dass die Massenzunahme der gesamten 
Retina nicht allein auf einer Vermehrung der Elemente beruht, sondern 
dass auch die Vergrösserung der einzelnen Elemente hierbei mit- 
wirkend ist“. 

Zur Ergänzung der Chievitzschen Angaben, welche sich nur 
über einige wenige Stadien erstrecken, habe ich zahlreiche Mes- 
sungen der Kerndimensionen in verschiedenen Stadien ausgeführt. 
Ich bemerke im vornherein, dass die Messung der Kerngrösse sellst- 
verständlich nur einen geringen Anhalt für die Zellgrösse ergibt, 
weil die Grössenveränderungen des Zellprotoplasmas usw. dabei nicht 

32* 


486 R. Seefelder 


berücksichtigt sind, doch ist aus leicht begreiflichen Gründen nur sie 
mit einiger Exaktheit ausführbar. 

Was zunüchst die Ganglienzellen anbetrifft, so ist ganz evident. 
dass deren Kerne im Laufe der Entwicklung im allgemeinen eine 
nennenswerte Gróssenzunahme erfahren, wenn auch sehr zu bedenken 
ist, dass die Grósse der verschiedenen Ganglienzellen sowohl beim 
Fótus als auch in der Netzhaut des Erwachsenen ganz enorme Unter- 
schiede aufweist. 

Die durchschnittliche Grósse der jungen Ganglienzellkerne ist in 
den ersten 4—5 Monaten ziemlich gleich und schwankt zwischen 6, S 
und 8,54, sowohl was ihren Quer- als ihren Längsdurchmesser be- 
trifft. — Grössere Kerne kommen kaum vor, überhaupt sind in dieser 
Entwicklungsperiode keine nennenswerten Grössendifferenzen nachweis- 
bar. Am Ende des sechsten Monats (Fötus 34cm lang) sind dagegen 
bereits erhebliche Unterschiede zu konstatieren, welche auch aus den Ab- 
bildungen a—k Textfig. 11 (S. 455) ohne weiteres zu ersehen sind. Eine 
Reihe von Ganglienzellen hat eine Grösse erreicht, welche bei keinem der 
jüngeren Stadien zu finden war. So sind Kerne mit einem Durch- 
messer bis zu 12 u, aber auch noch ebenso kleine wie bei den 
jüngeren Stadien nachweisbar. Bei Föten des 8. bis 9. Monats sowie 
bei Neugeborenen ist das Verhältnis zwischen den grösseren und 
kleineren Ganglienzellen ungefähr das gleiche wie bei dem Fötus vom 
Anfange des siebenten Monats, doch ist die Entwicklung der Gang- 
lienzellen auch beim Neugeborenen bekanntlich noch nicht abgeschlossen. 
Dies zeigt sich einerseits dadurch, dass die Entwicklung der Nissl- 
granula, deren biologische Bedeutung uns noch gänzlich unbekannt ist, 
vielfach erst nach der Geburt zu erfolgen scheint. So habe ich unter 
allen meinen Föten nur bei einem einzigen 42cm langen die Nissl- 
granula entwickelt gefunden. Sie sind aber auch hier noch nicht so 
zahlreich und gross als in den Ganglienzellen des Erwachsenen, finden 
sich erst in der Nähe des Kerns und erstrecken sich noch lange nicht 
so weit in der Richtung der dendritischen Zellfortsätze. (Vgl. in Textfig. 11, 
Zelle | mit Zelle m und n», welch letztere Ganglienzellen aus der Retina 
eines 23jährigen Mädchens darstellen.) Die Entwicklung der Nissl- 
granula geht aber auch anscheinend mit einer Form- und Grössen- 
änderung des Zelleibes der Ganglienzelle einher. Die bis dahin 
eckige und eigentümliche starre Form des Zellprotoplasmas geht in 
die abgerundete charakteristische Eiform des Protoplasmas der aus- 
gereiften Ganglienzelle über. Gleichzeitig nimmt das Volumen des 
Protoplasmas noch nach allen Dimensionen zu. 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. ART 


Endlich scheint mir ausser Zweifel zu stehen, dass Kerne von 
Ganglienzellen auch. noch im extrauterinen Leben eine Vergrösserung 
erfahren, denn ich habe in der Retina von Erwachsenen so grosse 
Kerndurchmesser (20 4) angetroffen, wie ich sie in fötalen Netzhäuten 
nie gefunden habe. Doch gehören solche Grössen auch bei jenen zu 
den Ausnahmen, während Durchmesser von 8,5 bis 124 die Regel 
bilden. 

Dass aber diese Vergrösserung der Ganglienzelle auf die Dicke der 
Retina von Einfluss ist, erscheint mir zweifelhaft, weil die Grössen- 
zunahme der Ganglienzellen bekanntlich mit einer Verteilung der 
Zellen auf eine grössere Fläche einhergeht, wodurch das, was in einer 
Hinsicht gewonnen wird, in einer andern wieder verloren geht. 

Von allen übrigen Netzhautzellen machen nach meinen Messungen 
nur noch die Amakrinen und äusseren horizontalen Zellen eine 
nennenswerte Grössenänderung durch. So sind die Kerne der Ama- 
krinen unmittelbar nach ihrem ersten Auftreten entschieden viel kleiner 
(5,1 bis 6,84) als in älteren Stadien, in welchen sie einen Kern- 
durchmesser von 6,8 bis 11 u aufweisen. Weniger bedeutend ist im 
allgemeinen schon das Wachstum der äusseren horizontalen Zellen, deren 
Kerndurchmesser bei Föten des vierten Monats ungefähr 5,1, dagegen 
später ungefähr 6 bis 6,84 beträgt. Auch diese Tatsache scheint 
mir für die Dickenzunahme der Retina ziemlich bedeutungslos zu sein. 
da sie vor allem auch hier wieder nur Zellen betrifft, welche zu- 
letzt in einer einfachen Reihe liegen, während die Hauptmasse der 
Retinakerne, die Kerne der äusseren Körnerschicht und der bipolaren 
Zellen der inneren Körnerschicht, während der ganzen Entwicklung 
ungefähr die gleiche Grösse beibehält. 

Die Grössenzunahme der Retinakerne dürfte deshalb bei der 
Dickenzunahme der Retina, wenn sie überhaupt in Frage kommt, 
dann nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Auch die Ver- 
mehrung der Zellen reicht selbstverständlich nicht zur Erklärung 
der Dickenzunahme aus, weil sie von einem gewissen Zeitpunkte 
an keine Dickenzunahme der Kernschichten mehr bedingt, während 
die der Retina selbst noch fortschreitet. Das wesentlichste Mo- 
ment für die Massenzunahme der Retina in den späteren 
Entwicklungsstadien erblicke ich vielmehr in der Dicken- 
zunahme der kernlosen Schichten der Retina, vor allem der 
äusseren plexiformen Schicht und der Henleschen Faserschicht, welche 
selbst bei der Geburt ihren Abschluss noch nicht erreicht hat!). 


1) Eine kurze Beschreibuug der Entwicklung der Pars coeca (Habl: 


188 R. Seefelder 


f. Die weitere Entwicklung des Pigmentepithels bis zur Geburt. 


Die erste Entwicklung des Pigmentepithels ist bereits im Voraus- 
gehenden (S. 432ff.) geschildert worden. 

Wir fanden bei einem Embryo von 8°, mm grösster Länge die 
Pigmentierung fast bis an den Ansatz des Augenblasenstiels ausge- 
dehnt. Die unmittelbar an den Augenbecherrand grenzenden Zell- 
reihen waren dagegen noch nicht pigmentiert. Ganz ähnlich ver- 
halten sich ein 10 mm langer Embryo (Rob. Meyer) und ein 
11,3 mm langer Embryo von C. Rabl. Ersterer ist sogar etwas 
schwächer pigmentiert als der 8?|,mm lange Embryo. Bei einigen 
etwas ülteren Embryonen machen sich solche individuelle Differenzen 
vielfach noch in viel auffülligerer Weise bemerkbar. 

Bei einem 13 mm langen Embryo von R. Meyer ist die Pig- 
mentierung bis zum Augenbecherrand und sogar ein wenig bis auf das 
innere Netzhautblatt vorgeschritten. Zuletzt pigmentiert sich die Ver- 
schlussstelle der Becherspalte am Becherrande und am Ansatze des 
Augenblasenstiels, doch handelt es sich auch hier nur um geringe 
zeitliche Unterschiede. 

Die Intensität der Pigmentierung nimmt im Laufe der Ent- 
wicklung rasch zu. Die Zunahme äussert sich einerseits in der Ver- 
mehrung der Zahl und in einem Grösserwerden der Pigmentkórnchen, 
anderseits in einer dunkleren Fürbung des Pigments. 

Die erste Verteilung des Pigments ist, wie wir gesehen haben, 
anscheinend ganz regellos. Später überwiegt im Bereiche der vorderen 
(distalen) Augenhälfte die Pigmentmenge in der inneren Zellhälfte be- 
trächtlich, während in dem hinteren Augenabschnitte eine ziemlich gleich- 
inässige Verteilung des Pigments auf die äussere und innere Zellproto- 
plasmahälfte zukonstatieren ist und die Kernzone selbst fast vóllig pigment- 
frei bleibt. (Vgl. Texttig. 6, S. 436, Embryo von 10 mm grösster Länge.) 

Auch in diesen und den folgenden Stadien kann von einer ge- 
setzmüssigen Verteilung des stübehen- und kugelförmigen Pigmentes 
keine Rede sein. 

Das Pigmentepithel ist bei diesen Stadien durchgehends mindestens 
„weireihig. Am Augenbecherrande weist es sogar3-- 4Kernreihen auf. Die 
Dickenzunahme erfolgt bereits von der Gegend des Aequator bulbi an. 

BeiFöten von etwa 20 mm Länge an ist es im hinteren Augen- 


sive ciliaris retinae findet sich in meiner Arbeit über Netzhautanomalien (81) 
sowie in den dort citierten Arbeiten von Chievitz:l, O. Schultze(82) und 
A. v. Szily (83). 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 489 


abschnitte einreihig. Von etwa 30 mm Länge an sind nur noch in der 
Nähe des Augenbecherrandes mehrere Pigmentepithelkernreihen zu 
konstatieren. 

Die Pigmentierung des gesamten Pigmentepithels schreitet in den 
ersten Monaten der Entwicklung unaufhaltsam fort und steht nicht 
eher still, als bis die ganze Pigmentepithelzelle mit Ausnahme des Kernes 
von Pigment vollgestopft ist. Damit ist ein durchgreifender Unter- 
schied zwischen dem fötalen und dem ausgewachsenen Auge gegeben, 
bei welchem die Kuppe der Pigmentepithelien fast ganz pigmentfrei 
ist. Ein weiterer sehr augenfälliger Unterschied besteht in der Form 
der Pigmentepithelien. Die fötale Pigmentepithelzelle ist sehr niedrig, 
ja fast so flach wie eine Endothelzelle und noch weit entfernt von der 
hohen cylindrischen Form der reifen Zelle (vgl. Textfigur 24). 





Fig. 24. 


Schon mehrfach ist erwähnt worden, dass in bezug auf die 
Intensität der Pigmentierung schon frühzeitig erhebliche 
Unterschiede zu konstatieren sind. Von dieser Tatsache kann man 
sich besonders an Flächenpräparaten des Epithels, die ich durch Ab- 
ziehen des Epithels mitsamt der Aderhaut von der Sklera gewonnen 
und nach Aufhellung in Glycerin untersucht habe, auf das schönste 
überzeugen. — Dazu kommen noch örtliche Verschieden- 
heiten innerhalb ein und desselben Auges, die auch vom er- 
wachsenen Auge her wohlbekannt sind, so vor allem die inten- 
sivere Pigmentierung der Gegend der Fovea centralis, bzw. 
Macula lutea. Dieses Phänomen ist schon in jungen fótalen Augen 
so deutlich ausgeprügt, dass man diese Stelle schon lange bevor sie 
in der Retina makroskopisch sichtbar ist, im Pigmentepithel nach dem 
Abziehen der Retina mit Leichtigkeit erkennen kann. Sie ist schon 
vom Ende des dritten Monats an als eine wesentlich dunklere an- 
genähert scheibenförmige Stelle deutlich von dem übrigen Fundus ab- 
zugrenzen. Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigt sich dann, 
dass es sich nicht um eine scharfe kreisfórmige Abgrenzung handelt, 
sondern dass dann und wann zackige, stärker pigmentierte Ausläufer 
in die Umgebung hineinragen. Die stärkere Pigmentierung erscheint vor 
allem durch eine dichtere Anhäufung der Pigmentkörnchen bedingt zu 
sein; ob und inwieweit auch eine dunklere Färbung des Pigmentes selbst 
eine Rolle spielt. vermag ich nicht mit Bestimmtheit zu entscheiden. 


490 R. Seefelder 


Das Verhalten des Pigmentepithels am Becherrande und 
im Bereiche der sich entwickelnden Iris ist von Lauber(22) in seiner 
bereits citierten Arbeit ziemlich eingehend besprochen worden, so dass 
ich kaum etwas hinzuzufügen habe. Die auffälligste Veränderung in dieser 
Region besteht zunächst entschieden darin, dass die Pigmentepithelien 
während des 3. Monats im Bereiche der Iris und auch noch etwas 
weiter rückwärts eine hohe cylindrische Gestalt annehmen. Auch be- 
stätigt sich in entpigmentierten Schnitten, welche Lauber nicht zur 
Verfügung standen, dessen Vermutung, dass die Kerne hier in meh- 
reren (4—5) Reihen übereinander liegen. Ich stimme aber mit 
v. Szily (38), der etwas weniger (ungefähr 2) Kernreihen gefunden 
hat wie ich, darin überein, dass es sich nicht um ein mehrschichtiges. 
sondern ein mehrzelliges Epithel handelt, dessen Zellen also durch- 
reichende Elemente sind. 

Auch finde ich ebenso wie Lauber (22), dass die Pigmentierung 
von dem Pupillarrande der Iris nach dem Ciliarkörper zu fortschreitet 
und es scheinen auch nach "meinen Präparaten die ersten Pigmentkörn- 
chen in der inneren (basalen) Zellhälfte der Epithelien aufzutreten. 
Ich gebe aber zu, dass es schwer ist, in dieser Frage eine bestimmte 
Entscheidung zu treffen, weil die Pigmentierungsgrenze zwischen dem 
äusseren und inneren Blatte gewöhnlich so unscharf ist, dass man nicht 
sagen kann, ob das eine oder andere Pigmentkörnchen dem äusseren 
oder inneren Blatte zuzurechnen ist. Sicher ist aber, dass die basale 
(innere) Zellhälfte bereits Pigmentkörnchen enthält, sobald solche in 
der freien Seite nachweisbar sind. Diese Beobachtung stimmt nicht 
ganz mit der Behauptung Rabls(73) überein, dass in dem retinalen 
Blatte des Pigmentepithels die ersten Pigmentkörnchen in der freien 
(äusseren) Zellhälfte zur Entwicklung gelangen. — 

Nach meinen Beobachtungen vollzieht sich also die Pigmentie- 
rung desäusseren Blattes kurz zusammengefasst in folgender Weise: 

Schon von Anfang an und zwar zu einer Zeit, in welcher das 
Pigment noch in losester Anordnung in den Zellen verteilt und nur 
mit stärksten Systemen überhaupt nachweisbar ist, sind sowohl in der 
äusseren als in der inneren Zellhälfte Pigmentkörnchen nachzuweisen. 
Die Form der letzteren ist von Anfang an sowohl kuglig als stäb- 
chenähnlich. Die Intensität der Pigmentierung der einzelnen Pig- 
mentpartikelchen schwankt in den jüngsten Stadien zwischen einem 
zartesten Gelb und einem dunklen Braun. Die hell pigmentierten 
Körnchen dürften als die Jugendformen anzusehen sein. 

Auf einer etwas älteren Entwieklungsstufe treffen wir bei dem 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 491 


in der Nähe des Becherrandes befindlichen Epithelien die innere Zell- 
hälfte wesentlich stärker pigmentiert als die äussere, so dass diese bei 
der Untersuchung mit schwachen Systemen fast pigmentlos erscheint. 
Von den mehr stielwärts gelegenen Epithelien ist dagegen sowohl 
die äussere als die innere Zellhälfte ziemlich gleichmässig pigmentiert, 
während die Kernregion zwischen den beiden Pigmentreihen fast ganz 
pigmentfrei erscheint. Die Pigmententwicklung ruht aber nicht eher, 
bis die ganze Zelle mit Pigment vollgestopft und der Kern fast ganz 
dadurch verdeckt wird. Die Form der Pigmentzelle geht während 
dieses ganzen Prozesses aus einer hohen cylindrischen in eine ganz 
flache, endothelühnliche über!) Erst nach der Geburt erhalten die Pig- 
mentepithelien ihr bleibendes Aussehen. Das Pigment rückt in die innere 
Zellhülfte vor und die Hóhe der Pigmentzelle nimmt derartig zu, dass 
ihre Form wiederum eine cylindrische genannt werden kann. Diese 
letzten Veränderungen, welche die Pigmentepithelzelle erst 
im extrauterinen Leben erfährt, dürften wohl unter dem 
direkten Einflusse des Lichtreizes vor sich gehen. 


Die Teilung der Pigmentepithelien. 


Die Teilung der Zellen des Pigmentepithels erfolgt bei den 
jüngsten Stadien ausschliesslich durch Mitose und zwar liegen die 
Mitosen einem bekannten allgemein gültigen Gesetze zufolge dem 
Lumen des Augenbechers an. 

Die ältesten Stadien, in. denen ich Mitosen beobachtet habe, 
hatten eine Lünge von 80—85 mm. Die Mitosen befanden sich bei 
diesen nur noch in der Nähe des Becherrandes und waren erst nach 
der Entpigmentierung der Schnitte nachzuweisen. Von einer ge- 
wissen, nicht genauer zu umgrenzenden Zeitperiode, schätzungs- 
weise etwa von dem Ende des dritten Monats an scheint aber eine 
Mitosenbildung in dem Pigmentepithel, wenn überhaupt, so nur 
noch ganz ausnahmsweise vorzukommen. Denn ich habe in Augen 
dieser Stadien, in welchen doch die Retina und der Sehnery noch zahl- 
reiche Mitosen aufwiesen, im Pigmentepithel stets vergeblich danach ge- 
fahndet. Man kann mir also nicht einwenden, dass mir durch eine 
mangelhafte Konservierung oder ungenügende Färbung ein Fehlen 
von Mitosen vorgetüuscht worden sei. 

Nun genügt aber die Zahl der zunächst durch Mitose gebildeten 
Pigmentepithelzellen keineswegs, um den ganzen Bedarf während des 

t) Dieser Satz bezieht sich nicht auf die Pigmentepithelien der Iris und 
des Ciliarkórpers. 


492 R. Seefelder 


Wachstums des Auges zu decken, sondern es sind schon frühzeitig 
die zunüchst etwas reichlicher gebildeten Zellen in einer einfachen Reihe 
auf das ganze Areal des Augapfels verteilt. — Es fragt sich also. 
in welcher Weise das Pigmentepithel im Verlaufe der weiteren Ent- 
wicklung den gestellten Ansprüchen gerecht zu werden versteht. Es 
gibt bekanntlich nur noch eine andere Möglichkeit, nämlich die, dass 
an die Stelle der indirekten (mitotischen) Kernteilung die’ direkte tritt. 

Nun haben wir ja bereits gesehen, dass die Neurogliazellen des 
Optikus, deren nahe Verwandtschaft mit den Pigmentepithelien be- 
kannt ist, schon zu einer Zeit, in welcher noch zahlreiche Mitosen- 
hildungen festzustellen sind, Veränderungen aufweisen, die den Ge- 
danken an eine direkte Kernteilung aufkommen lassen. 

Ferner liegt noch eine Arbeit von Kotschetow (39) vor, nach 
welcher im Pigmentepithel des Pferdes, Ochsen, Schweines, Hundes 
und zahlreicher anderer Tiere eine amitotische Teilung grossen 
Stils vorkommen soll. Nach Kotschetow (39) kommen „in den Zellen 
des Pigmentepithels zweierlei Arten von Teilungen vor: eine Knospung 
und eine Teilung vermittels Zerstäubung des Chromatins, wobei beide 
Teilungsarten sowohl in den kleinen Kernen als auch in den Riesen- 
kernen angetroffen werden. Die Knospung der Riesenkerne bietet die 
verschiedenartigsten Bilder dar, wobei die Knospen stets wenigstens ein 
Kernkörperchen enthalten. Die Kerne der kleinen Zellen teilen sich 
bei der Knospung gleichmässig in 2, 3 und 4 Teile. Die Knospung 
in zwei Teile unterscheidet sich nicht von der typischen Amitose. Die 
gleichmässige Knospung in 3, 4 Teilen kann daher als multipolare 
Amitose bezeichnet werden“. 

Die zweite Art der Teilung „durch Zerstäubung“ soll sich in 
folgender Weise vollziehen: das Kernkörperchen verschwindet, das 
Chromatin sammelt sich in Schollen an und verteilt sich gleichmässig 
im Kern; darauf verschwindet die Kernmembran und das zunächst 
in der Zelle fein verstäubte Chromatin sammelt sich in Häufchen an, 
welche darauf von einer Kernmembran umgeben werden. Die Zell- 
grenzen werden bei dieser Teilung kreisförmig. 

Die vielkernigen Zellen zerfallen in Zellen mit einer geringeren 
Anzahl von Kernen, wobei der sich absondernde Zellabschnitt sowohl 
in der Peripherie als auch im zentralen Teil der mütterlichen Zelle 
gelegen sein kann; in letzterem Falle entsteht das Bild einer Zelle in 
einer andern Zelle. Ich bemerke noch, dass Zawarzin (40) in neuester 
Zeit dafür eingetreten ist, dass in dem Descemetschen Epithel des 
Pferdes nach der Geburt nur eine lebhafte amitotische Kernteilung 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 493 


und zwar sowohl .durch direkte Amitose als durch Knospung statt- 
findet. Sehr richtig bemerkt Zawarzin(40), dass, wenn diese Art 
der Kernteilung auch nicht immer zur Zellteilung führe, dadurch 
wenigstens eine erhebliche Vergrösserung des Flächenraums der Zelle 
und damit ein gewisser Ersatz für zugrunde gegangene Zellen ge- 
schaffen werde. — 

Ich selbst habe im Pigmentepithel fötaler Augen folgende, für 
diese Frage wesentliche Beobachtungen gemacht: (Vgl. Textfig. 25, S.496.) 
Zunächst finde ich in bezug auf die Grösse der Zellkerne ausser- 
ordentlich grosse Unterschiede, die, wenn auch in etwas geringerem 
Masse, auch die ganzen Zellen betreffen. Es gibt sehr kleine und 
sehr dunkel tingierte. (rundzellenühnliche) Kerne (a) neben sehr 
grossen blassen bläschenförmigen Kernen (b, cl, welch letztere un- 
bedenklich als Riesenkerne bezeichnet werden können. Dazwischen 
kommen alle möglichen Übergänge vor, so dass man nicht genau 
sagen kann, welche Grösse eigentlich den Normaltypus repräsentiert. 
In Textfig. 25c habe ich eine solche Stelle abgebildet, in welcher sich 
auf einen engen Raum zusammengedrängt Zellen und Kerne der ver- 
schiedensten Grösse vorfinden. Es ist dies kein Kombinationsbild, 
sondern die getreue Wiedergabe eines kleinen Abschnittes aus dem 
Pigmentepithel eines fünfmonatlichen ‘menschlichen Fötus, bei welchem 
sich ähnliche Bilder zu beliebigen Malen nachweisen lassen. 

Die Variationen in der Grösse der Zellen und Kerne sind dort 
so gross, dass man Mühe hat, zwei ganz übereinstimmende Kerne 
aufzufinden. Ausser den einkernigen Zellen kommen dort, wie eben- 
falls in der betreffenden Abbildung zu sehen ist, fast ebensoviele 
zweikernige Zellen vor. Dazu kommen noch drei- und vierkernige 
Zellen in allerdings wesentlich geringerer Anzahl. Endlich finde ich 
noch, wenn auch sehr selten, Kerne, welche sanduhrfórmig eingeschnürt 
sind (d), oder eigentümliche Auswüchse, also Veränderungen zeigen 
(Textfig. 5 und e), welche von Zawarzin und Kotschetow als 
Knospenbildungen bezeichnet werden. Auffallend ist auch die excen- 
trische Lage der Kerne, welche bei den Riesenkernen und den 
mehrkernigen Zellen die Regel bildet. | 

Sehr verschiedenartig verhalten sich in den zwei- und mehr- 
kernigen Zellen die Lagebeziehungen der Kerne zueinander. Die Kerne 
sind teils dicht aufeinander gepresst, so dass ihre Grenzen nur mit 
Mühe zu erkennen sind (ce, f. g. h), teils sind sie so weit voneinander 
abgerückt, dass sich zwischen sie eine schmälere oder breitere Pigment- 
schicht eingeschoben hat (& A. Z m). — Endlich. findet man. Zellpaare, 


494 R. Seefelder 


welche so dicht nebeneinanderliegen, dass kein heller Saum (die sog. 
Neurokeratinschicht) zwischen ihnen nachweisbar ist, und man glauben 
muss, dass sie noch an einer Seite unmittelbar zusammenhàngen (»). 
Mehr als vier Kerne in einer Zelle habe ich nie beobachtet, wobei ich 
erwähnen möchte, dass Kotschetow in einer Pigmentzelle des Pferdes 
166! Kerne gezählt zu haben angibt. 

Für sehr merkwürdig halte ich die Tatsache, dass ich die be- 
schriebenen Kern- und Zellvariationen in dieser Mannig- 
faltigkeit nur in Augen des 5. fötalen Lebensmonats, hier 
aber in mehreren, beobachtet habe, während sie in etwas jüngeren 
und älteren Föten zwar auch vorkommen, doch weit seltener und 
weniger augenfällig sind. 

Berücksichtigen wir endlich noch, dass im erwachsenen Auge 
nach Greeff(41) zweikernige Zellen zu den Seltenheiten gehören. 
dann können wir nicht umhin, den erwähnten Zellveränderungen eine 
besondere Bedeutung zuzuerkennen, welche nur darin beruhen kann. 
den durch das Wachstum des Auges entstandenen Bedarf an Pigment- 
epithelien zu decken. Da ferner, wie erwähnt, in diesem Stadium: 
Mitosen im Pigmentepithel nicht mehr vorzukommen scheinen, werden 
wir fast dazu gedrängt, auch im Pigmentepithel des menschlichen 
Fótus eine sehr intensive amitotische Kern- bzw. Zellteilung 
anzunehmen!) Ob nun die Kernteilungen auch alle zu vollstindigen 
Zellteilungen führen werden, lüsst sich naturgemäss in dem jeweilig 
untersuchten Stadium nicht entscheiden. Bei der Seltenheit zwei- 
kerniger Zellen im erwachsenen Auge mag es gerechtfertigt erscheinen. 
diese Frage für die meisten zwei- und mehrkernigen Zellen im be- 
jahenden Sinne zu beantworten. Da aber die mehrkernigen Zellen 
durchweg wesentlich grósser als die einkernigen (ausgenommen die 
Riesenkerne) sind, so wäre ja auch schon mit der blossen Kernteilung 
allein für die Vergrösserung des Pigmentepithelareals etwas gewonnen. 
Warum sich diese Vorgänge gerade in dem 5. Monat in so lebhafter 
Weise abspielen, vermag ich nicht in befriedigender Weise zu erklären. 
Da das Grössenwachstum des Auges nach meinen Messungen stets 
in ziemlich gleichmässiger Weise erfolgt, scheint mir jedenfalls dieser 
Vorgang allein zur Erklärung nicht ganz ausreichend zu sein. 

Schliesslich möchte ich noch mit wenigen Worten auf die Be- 
merkung Zawarzins eingehen, dass im Pigmentepithel kein Centro- 








!) Ich behaupte aber nicht, den Beweis dafür erbracht zu haben. Dafür 
sind meine Beobachtungen nicht ausreichend. Die Mitosen könnten immerhin 
so schnell ablaufen, dass sie sich dem Nachweise entziehen. 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 495 


soma vorkomme, eine Ansicht, die auch Kotschetow zu teilen scheint. 
Es steht selbstverständlich ausser jedem Zweifel, dass die Pig- 
mentepithelien, welche, wie bekannt, im jungen embryonalen Auge 
den gleichen mitotischen Teilungsprozess wie die Retinazellen durch- 
machen, mit einem Centrosoma ausgestattet sind. Dass dieses 
ohne die Anwendung besonderer Methoden nicht sichtbar ist, ist vor 
allem durch den Pigmentgehalt der Zellen bedingt. Aber auch nach 
der vollständigen Depigmentierung der Zellen, die ich wiederholt 
ausgeführt habe, färben sich in ihrem Protoplasmaleib noch so viel 
Granula mit, dass es unmöglich ist, daraus das Centrosoma mit Sicher- 
heit herauszukennen. Trotzdem kann aber an seinem Vorhandensein 
nicht ernstlich gezweifelt werden. 


II. Der Sehnerv. 
a. Die erste Entwicklung des Augenblasenstiels bis zur voll- 
ständigen Durchwachsung durch die Nervenfasern. 


Im Stadium der primären Augenblase ist die Stelle des 
späteren Augenblasenstiels nur an der dorsalen Seite durch eine dort 
befindliche und von Mesoderm ausgefüllte Einziehung der Augen- 
blasen- bzw. Gehirnwand, welche rasch an Tiefe zunimmt, deutlich 
markiert. An der ventralen Seite erfolgt der Übergang dieser drei 
Gebilde ineinander so allmählich, dass zwischen ihnen keine scharfe 
Grenze gezogen werden kann. Stimmt doch der Aufbau von allen dreien 
zu dieser Zeit an den Übergangsstellen noch fast vollkommen überein. 

Im Stadium des Augenbechers (Textfig. 5) ist die Ab- 
grenzung der drei (zebilde voneinander schon leichter durchzu- 
führen. Was zunächst den Übergang des äusseren Blattes des Augen- 
bechers in den Stiel anlangt, so ist dieser anfangs durch eine all- 
mähliche Anschwellung des ersteren von 2 auf 4—5 Kernreihen 
gekennzeichnet, etwas später gibt das Aufhören der Pigmentierung 
die ungefähre Grenze an. Der Übergang des inneren Blattes in die 

ventrale Wand des Stiels ist durch einen stumpfen Winkel markiert, 
` welchen Retina und Stiel zusammen bilden. Eine histologische Unter- 
scheidung zwischen beiden ist insofern. gegeben, als der zu dieser Zeit 
in der Retina mächtig entwickelte Randschleier im Augenblasenstiel 
zunächst nur sehr spärlich entwickelt ist. Doch scheinen auch hierin 
wiederum individuelle Unterschiede vorzukommen, da ich ihn z. B. bei 
einem 8 und 8,5 mm langen Embryo (Rob. Meyer) wesentlich stärker 
ausgebildet finde, als bei. einem. 9,2 mm langen. Embryo von Kallius, 
wo er fast vollständig fehlt. 


496 R. Seefelder 


An der dorsalen Seite ist die Übergangsstelle des Stiels in das 













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Gehirn noch schärfer ausgeprägt als die in die Retina, da Stiel und 
Hirnwandung zusammen fast einen rechten Winkel bilden. Hingegen 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 497 


erfolgt der Übergang in die Hirnbasis so allmählich, dass es ganz 
unmöglich ist, zu sagen, wo der Stiel aufhört und die Hirnwandung 
beginnt. (Vgl. Textfigur 5, Embryo Ch.1, Hochstetter 7 mm.) 

Der Augenblasenstiel ist ziemlich lange Zeit sehr kurz, 
hingegen unverhältnismässig dick infolge seiner mächtigen 
Wandung und seines weiten Lumens. Seine Form ist zunächst 
eine cylindrische, wovon man sich besonders an Querschnitten des 
Stiels (Sagittalschnitten durch das Auge) deutlich überzeugen kann. 
(Vgl. Textfigur 26, Embryo Rabl 8,3 mm.) 

Erst bei einem 9,2 mm langen Embryo (Kallius) ist der Stiel 
über dieses erste Stadium, in welchem er nur die Bedeutung einer 
ganz kurzen Übergangsstelle vom Auge in das Gehirn besitzt, hinaus 
und er erscheint als ein einigermassen selbständiges Gebilde. Doch ist 





Fig. 27. 


der Unterschied gegenüber den etwas jüngeren Stadien immer noch 
nicht erheblich zu nennen. 

Vor allem fehlt, was ich besonders betonen möchte, auch bei 
ihnen noch die rinnenförmige ventrale Einziehung, das Ana- 
logon zur Becherspalte der Augenblase. Sie tritt erst auf, 
wenn der Stiel eine gewisse Länge erreicht hat, und ich finde sie erst 
bei einem 10mm langen Embryo von Rob. Meyer deutlich aus- 
geprägt. Die dorsale und ventrale Wand sind bei diesem Embryo 
in der Mitte des Stiels bis auf einen schmalen Spalt genähert, wäh- 
rend in den seitlichen Partien noch ein weites Lumen nachweisbar 
ist. Die sogenannte Einstülpung des Stiels ist somit vollzogen. 

Der Stiel ist noch immer sehr kurz (0,3 mm), nimmt aber 
von da an rasch an Länge zu, während er gleichzeitig dünner wird. 

So beträgt seine Länge bei einem 11,3 mm Embryo (Rabl) be- 
reits 0,675 mm, also mehr als das Doppelte des nur wenig jüngeren 
vorhergehenden Embryos. 


498 R. Seefelder 


Die rinnenfórmige ventrale Einziehung erstreckt sich 
auf einen ziemlich grossen Abschnitt und ist nicht bloss, wie 
bei den meisten Tieren, auf die Ansatzstelle am Auge be- 
schränkt. Sie ist bei dem Embryo Rabl in ?; der ganzen Länge 
nachzuweisen, und erst das cerebral gelegene Drittel ist von angenähert 
cylindrischer Form. Die Tiefe der Rinne nimmt in der Richtung vom Auge 
zum Gehirn allmählich ab. (Vgl. Textfigur 27, Optikusquerschnitt in 
der Nähe der Augenblase, und Textfigur 28, Querschnitt des gleichen 
Optikus kurz vor der Einmündung in das Gehirn.) 

Die Zellen des Stiels bilden zu dieser Zeit immer noch einen 
geschlossenen epithelialen Verband, welcher nur durch das Auf- 
treten des Randschleiers an der Peripherie etwas modifiziert ist!). 
Die Randschleierentwicklung ist jetzt am stärksten im hinwärts ge- 
legenen Stielabschnitte und nimmt nach dem Auge 
zu allmählich ab, um an der Ansatzstelle so gut 
wie ganz zu fehlen. Auch dieser Umstand spricht 
gegen eine Abhängigkeit der Randschleierentwick- 
lung von der Nervenfaserbildung, da wohl auch 
beim Menschen die erste Einsprossung von Ner- 
venfasern von der Retina her erfolgt und somit 
dort der Randschleier zuerst und am stärksten 

Fig. 28. entwickelt sein müsste. Im übrigen gilt auch für 
die primitive Randschleierbildung im Sehnerven das, was ich bereits 
bei der Entwicklung der Retina gesagt habe. 

Ausser den Zellkernen und dem Randschleier sind an dem 
primitiven Augenblasenstiel noch die beiden der Limitans medullaris 
externa und interna entsprechenden Grenzmembranen zu erwähnen. 
Letztere wird von Krückmann (43) zum Unterschiede von der Mem- 
brana limitans interna der Netzhaut (der eigentlichen Limitans me- 
dullaris externa) als Innenhaut des Sehnerven bezeichnet. 

Eine Lockerung des Zellgefüges tritt erst mit dem Einwachsen 
der Nervenfasern in den Stiel ein, welches, wie gesagt, wohl auch beim 
Menschen zuerst von der Retina her erfolgt. — Es ist aber nicht 
zu bestreiten, dass in dieser Hinsicht doch noch eine empfindliche 
Lücke auszufüllen ist, da sich die bisherigen Angaben darüber nur 
auf ungenügend gefärbte und unvorteilhaft geschnittene Präparate 
stützen. Entscheidend sind dabei aber nur reine Querschnittserien 
des Sehnerven, bei welchen die quergetroffenen Nervenfasern deutlich 





1) Der Randschleier ist in dem abgebildeten Präparate abnorm schwach 
entwickelt. 





Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 499 


gefürbt sind. Eine solche Untersuchungsserie liegt aber meines Wissens 
bis jetzt noch nicht vor und steht auch mir trotz der sonstigen Reich- 
haltigkeit meines Materials nicht zur Verfügung!). 


Hingegen sind an einer Reihe von Tieren dahingehende be- 
weisende Untersuchungen ausgeführt worden. 

Als erster hat Keibel(44) bei Reptilienembryonen nachgewiesen," 
dass die ersten Sehnervenfasern von der Peripherie (Retina) zentral- 
wärts wachsen, später haben Froriep (45) (an Selachiern), Assheton (46) 
(an Reptilien und Vögeln), Robinson (47) (an Säugetierembryonen, 
speziell der Ratte) und Nussbaum'(5) (an Lachs und Fledermaus) die 
Keibelsche Beobachtung auch an andern Tieren bestätigt gefunden. 

Die ersten Nervenfasern sind gewöhnlich in der ven- 
tralen Wand des Augenblasenstiels beobachtet worden und 
zwar in dessen Peripherie. Nur Froriep (48) hat bei Kaninchen- 
embryonen ein etwas anderes Verhalten gefunden. Er sah die ersten 
Faserbündel nicht der Membrana limitans basalis siv. externa anliegen, 
„sondern höher zwischen den Kernzellen des Epithels, derart, dass die 
Kerne der basalen Zellen basalwärts, die der darüberliegenden ventral- 
wärts ausweichen“?). 


Sicher und unbestritten ist aber, dass die Nervenfasern inner- 
halb der Substanz des Stiels ihren Weg nehmen und nicht, wie man 


1) Den meisten Embryologen ist das menschliche Material zu kostbar, 
um es einzig und allein zur Entscheidung einer solchen Spezialfrage in eine 
für sonstige Studienzwecke ungünstig ausgerichtete Schnittserie zu zerlegen. 
Anderseits ist es aber auch bekanntlich nicht leicht, sich das menschliche em- 
bryonale Material in der gerade zu diesem Studium unbedingt erforderlichen 
tadellosen Frische zu verschaffen. So hat Herr Geheimrat Gasser in überaus 
zuvorkommender Weise auf meine Bitte hin 3 Embryonen von entsprechender 
Länge in der erforderlichen Richtung schneiden lassen, doch hat sich leider ihr 
Konservierungszustand nachträglich für meine Zwecke als ungenügend erwiesen. 
Es ist mir ein besonderes Bedürfnis, Herrn Geheimrat Gasser für sein weit- 
gehendes Entgegenkommen und seine grosse Mühewaltung auch an dieser Stelle 
meinen wärmsten Dank zum Ausdruck zu bringen. Auch Herrn Professor 
Dr. Rob. Meyer, Berlin, bin ich für die gütige Zuwendung von Material zu 
diesem besonderen Zwecke zu grossem Danke verpflichtet. 


3) Auch nach meinen eigenen Untersuchungen an Säugetierembryonen 
(Schaf und Schwein), die allerdings noch nicht abgeschlossen sind, kommen so- 
wohl in dieser als in anderer Hinsicht z. B. auch in der Art und Weise der 
Obliteration des Stiellumens grosse Verschiedenheiten vor, so dass ich es als 
ganz verfehlt bezeichnen müsste, die an einer Tierklasse gemachten Befunde 
ohne weiters auf eine andere oder gar auf den Menschen zu übertragen. Diesen 
Fehler hat z. B. Pes begangen. (Siehe S. 502.) 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, LXXIII. 3. 33 


500 | R. Seefelder 


vielleicht denken kónnte, im Bereiche der Rinne oder in dem Stiel- 
lumen verlaufen. 

Durch die vorwachsenden Nervenfasern werden die Zellkerne 
des Augenblasenstiels aus ihrer Lage verschoben und sie kommen 
schliesslich zwischen die Nervenfibrillenbündel zu liegen. Bei den 
Tieren, bei welchen anfangs die Einsprossung an der ventralen Stiel- 
seite vorherrschend ist, wird ein Teil der Kerne und zugleich das 
ohnehin schon erheblich verengte Ventrikellumen zunächst dorsalwärts 
verdrängt, so dass dieses eine Zeitlang stark excentrisch liegt und erst 
dann wieder mehr nach der Mitte verschoben wird, wenn auch die 
dorsale Optikusperipherie von Nervenfasern durchwachsen wird. Bald 
darauf verschwindet das Stiellumen ganz. 

Bei dieser Art der Umwandlung des hohlen in den soliden Op- 





Fig. 29. r= Retina. c= cerebrum. 


tikus findet sich dann ein Stadium, wie es O. Schultze (49) in 
seinem Grundriss der Entwicklungsgeschichte von einem 11 mm 
langen Mäuseembryo abgebildet hat, in welchem die ganze Opti- 
kusperipherie von Nervenfasern eingenommen wird, wogegen 
annühernd in der Achse des Stieles noch ein schmaler 
Rest des Stiellumens und darum herum epithelial angeord- 
nete Zellen vorhanden sind. Ein solches Entwicklungs- 
stadium habe ich auch bei menschlichen Embryonen ge- 
funden. (Vgl. obenstehende Textfigur 29, Embryo von 19 mm grösster 
Länge.) 

Der Verschluss, bzw. die Ausfüllung der ventralen Opti- 
kusrinne würde danach weniger auf eine zu einer gewissen Zeit 
auftretende solide Zellwucherung als auf eine natürlich auch 
mit einer Zellvermehrung einhergehende Zellverschiebung zurück- 
zuführen sein. Für die erstere Möglichkeit der Ausfüllung der Op- 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 501 


tikusrinne hat sich Krückmann(43) auf Grund der Untersuchung 
eines 15 mm langen Rattenembryos ausgesprochen, bei welchem er an 
der Stelle des früheren Spaltes neugebildete und dichtgruppierte epi- 
thelial angeordnete Gliazellen gefunden zu haben angibt. Eine dafür 
als Beleg gegebene Abbildung scheint auch dieser Auffassung tat- 
sächlich Recht zu geben, doch ist dabei zu bedenken, dass Robin- 
son (41) bei seinen systematischen Untersuchungen von Sehnervenquer- 
schnittserien des gleichen Tieres von 6,5, 8, 9, 10, 11 und 14mm 
Länge nichts gefunden hat, was eine derartige Auffassung gestützt 
oder auch nur nahegelegt hätte. 

Da aber Querschnittserien bei der Entscheidung dieser Frage 
viel zuverlässiger sind als Längsschnitte, in welche der Sehnerv von 
Krückmanns Rattenembryo zerlegt war, und ausserdem Robinsons 
Befunde sich mit denen der übrigen Forscher decken, kann ich nicht 
umhin, Robinsons Untersuchungsergebnissen mehr Beweiskraft zu- 
zuerkennen. 

Die Umwandlung des hohlen in den soliden Optikus erfolgt 
demnach auch nicht, wie O. Schultze(49) zu glauben scheint, durch 
eine blosse Wucherung seiner Wánde, sondern durch eine Reihe von 
Momenten (Zellverschiebung, Einwachsen der Nervenfasern, die doch 
auch Platz brauchen usw.), unter denen meines Erachtens die Ein- 
sprossung der Nervenfasern eine sehr wichtige Rolle spielt. Auch 
Nussbaum (5) hat sich in diesem Sinne ausgesprochen und zwar mit 
folgenden Worten: „die neugebildeten Fasern ziehen ebenfalls zum 
Augenblasenstiel, dessen Höhle sie zum Schwund bringen und den 
sie alsbald auch dorsal durchsetzen.“ 

Die Art und Weise des Spaltenschlusses im Sehnerven ist so- 
mit wesentlich verschieden von der des Verschlusses der Becherspalte, 
bei welcher es sich bekanntlich um ein Vorwachsen der Augenbecher- 
ränder bis zur Berührung und Verschmelzung handelt. 

Alle Zellen des Augenblasenstiels werden zu Glia- 
zellen [Krückmann(43)], sie bilden das Stützgewebe des Selinerven, 
die Neuroglia. Über diesen Punkt sind sich heutzutage alle Forscher 
einig. 

Hingegen gehen die Meinungen über die feineren histologischen 
und biologischen Beziehungen zwischen Gliazele und Neurofibrille 
noch stark auseinander. 

Während ein Teil der Autoren |Hıis(20), Froriep(45), Robin- 
son (47), Studnicka(51) und Harrison (52)| der Meinung ist, dass 
die Nervenfasern zwischen den Gliazellen ihren Weg nehmen, ver- 

33% 


502 R. Seefelder 


treten Held (14), Krückmann (43), Pes (50)!) und auch Wlassak (53) 
den Standpunkt, dass die Neurofibrillen innerhalb des Gliazellproto- 
plasmas verlaufen. ,In das Protoplasma der sich entwickelnden Glia- 
zelle ist die Nervenfaser direkt und unmittelbar eingebettet" (Held). 

Held hat die erste Entwicklung der Optikusfasern in ihren ver- 
schiedenen Hauptstadien an Rana temporaria und esculenta, sowie an 
Ansa domestica und Mus musculus eingehend studiert und bei allen 


1) Wenn Pes(50) auch der Ansicht ist, dass die Nervenfasern inmitten 
der Intercellularbrücken der Gliazellen verlaufen, so weicht doch seine Ansicht 
über die Entstehung der Intercellularsubstanz von der H elds (14) und Krück- 
manns (43) (siehe S. 441—442 dieser Arbeit) ganz erheblich ab. Er lässt sie zum 
Teil aus dem Detritus von zerfallenen Zellkernen des Augenblasenstiels hervor- 
gehen und hält die Ansicht Helds und Krückmanns, dass das Protoplasma 
der Stielzellen durch die einwachsenden Nervenfasern durchbohrt und auf- 
gesplittert werde, für unhaltbar. Er hat seine Untersuchungen an 2—4 Tage 
alten Hühnchenembryonen ausgeführt und gibt an, an zahlreichen Kernen des 
Augenblasenstiels eine Karyolyse bis zur vollständigen Auflösung des Kerns in 
eine fast farblose krümlige Masse beobachtet zu haben, welche in erster 
Linie das Material für die Intercellularsubstanz liefere. Durch die der Krück- 
mannschen (43) Arbeit beigegebenen Abbildungen wird er in seiner Anschau- 
ung nur bestärkt und er scheint zu glauben, dass die Unterschiede zwischen 
seinen und den Krückmannschen Abbildungen nur durch eine genauere Wieder- 
gabe (gli stessi fatti riprodotti con maggior dettaglio) der gleichen Tatsachen 
seinerseits bedingt seien. 

Was diesen letzteren Punkt anbetrifft, so wäre es keinesfalls angängig, 
zwei bewährte Autoren wie Held und Krückmann der Ungenauigkeit in der 
Beobachtung und Darstellung zu beschuldigen, ohne deren Präparate gesehen 
oder für seine eigene Behauptung zwingende Beweise beigebracht zu haben. 
Das letztere kann aber bei Des schon deswegen nicht zutreffen, weil er seine 
Untersuchungen an einem ganz andern Tiere (Hühnchen) als die beiden Autoren 
(Maus) ausgeführt hat. Zur Sache selbst bemerke ich, dass ich die Heldschen 
Präparate gerade mit Rücksicht auf den Einwand von Pes persönlich genau 
studiert und dort nicht die leisesten Anzeichen einer Karyolyse gefunden habe. 
Auch in dem Sehnerven des Menschen kommt nach meinen Beobachtungen zu 
keiner Zeit der Entwicklung die Pessche Karyolyse vor. 

Meine Untersuchungen an lHühnchenembryonen halte ich nicht für aus- 
reichend, um diese Frage in dem einen oder andern Sinne endgültig zu ent- 
scheiden. Ich gebe zu, dass sowohl in der Retina als in dem Sehnerven von 
3—4 Tage alten Hühnerembryonen Kerne von sehr verschiedenem Chromatin- 
gehalt vorkommen, zwischen welchen sich im Sehnerven ovale oder rund- 
liche, von einem fädigen und granulierten Inhalte teilweise ausgefüllte Lücken 
befinden, getraute mir aber nach meinen Präparaten nicht zu sagen, dass diese 
Lücken und ihr Inhait aus zerfallenen Kernen hervorgegangen sind. Auch fehlt 
meines Erachtens in der Fig. 3 der Tafel I von Pes’ Arbeit eine Zwischenstufe 
zwischen 2 und 3, welche jeden Zweifel daran beseitigte, dass 3 aus 2 hervor- 
gegangen ist, 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 503 


die gleichen Resultate erhalten. Ich selbst habe mich von der 
intraprotoplasmatischen Lagerung der Sehnervenfasern 
vermittels der Molybdän-Hämatoxylinfärbung von Held an 
zahlreichen menschlichen Embryonen und Föten der ver- 
schiedensten Stadien überzeugen können!) 

Das jüngste?) Stadium, bei welchem mir dieser Nachweis gelungen 
ist, hatte eine Lünge von 80mm. Am deutlichsten war aber die 
intraprotoplasmatische Lagerung der Nervenfasern in dem Sehnerven 
eines 5 monatlichen menschlichen Fótus zu erkennen. Das Gliareticulum 
ist hier mit einer ganz überraschenden Deutlichkeit zur Darstellung 
gelangt, aber immer noch weseutlich blasser gefürbt, als die punkt- 
fórmigen, blauschwarzen Querschnitte der Nervenfasern, so dass die 
gegenseitigen Beziehungen nicht klarer zutage liegen kónnten. Man 
kann sich angesichts eines solchen Präparates nicht der Einsicht ver- 
schliessen, dass die Nervenfasern in dem weichen granulierten Glia- 
protoplasma eingebettet sind. — Ein kleiner Abschnitt dieses Sehnerven, 
welcher auch die vielfache sternfórmige Aufsplitterung der Gliazellen 
und die haarscharfe Abgrenzung der Glia und des mesodermalen 
Septengewebes zeigt, ist auf Taf. XVI, Fig. 4 abgebildet. — 

An den mir zur Verfügung stehenden Embryonen der verschie- 
densten Stadien kann ich die allmähliche Umwandlung des epithe- 
lialen und hohlen Augenblasenstiels in den soliden Optikus ziemlich 
gut verfolgen. Es geht aus meinen Beobachtungen vor allem hervor, 
dass dieser Vorgang auch beim Menschen von dem Momente des ersten 
Auftretens von Nervenfasern an ziemlich rasch abläuft. 

Die ersten Nervenfasern finde ich, wie ich schon bei der 
Beschreibung der Retinaentwicklung erwähnt habe, bei Embryonen 
von 14—15mm Länge. Bei einem 23mm langen Embryo von 
Robert Meyer ist dann schon der ganze Optikus in einen 
soliden Strang umgewandelt, während bei einem 18,5 mm langen 
Embryo von Robert Mever (Nr. 362, K. V. T. 64) und einem 
19 mm langen, in meinem Besitz befindlichen Embryo in dem proxi- 
malen und distalsten Abschnitte des Schnerven noch ein kleines Lu- 
men vorhanden ist, welch’ letzteres sich nach dem Recessus optieus 
hin leicht trichterförmig erweitert. (Vgl. Texttig. 29 u. 30.) Der 
Zeitpunkt, in welchem sich der Schwund des letzten Restes des Stiel- 








1) Besonders schön fand ich sie auch bei Schweineembryonen von 18 bis 
20 mm Länge. 

3) Jüngere Stadien standen mir zu diesen Untersuchungen nicht zur Ver- 
fügung. 


504 R. Seefelder 


lumens vollzieht, ist somit ziemlich scharf umschrieben. Kleine in- 
dividuelle Schwankungen kommen zweifellos auch hierin vor. 

Meine Präparate lassen ferner darauf schliessen, dass das erste 
Einsprossen von Nervenfasern auch beim Menschen zuerst in der ventralen 
Optikuswand erfolgt, und dass die Nervenfasern anfänglich in der 
Peripherie dicht unter der Membrana limitans externa verlaufen. Diese 
Lagerung behalten die Nervenfasern auch noch eine Zeitlang bei, 
nachdem sie schon den ganzen Stiel der Länge nach durchwachsen 
haben. In der Textfig. 29!) ist ein Sehnerven-Längsschnitt meines 





19 mm langen Embryos dargestellt, welcher sich gerade in diesem Sta- 
dium befindet. Die grosse Ähnlichkeit dieser Abbildung mit den Text- 
figuren 256 und 257 in O. Schultzes Grundriss der Entwicklungs- 
geschichte, welche die Sehnervenentwicklung eines 11 mm langen 
Mäuseembryos demonstrieren, ist ganz eklatant. Wir sehen in ihr die 
Kerne des Stiels nach dem Zentrum zusammengedrängt, in dessen 
proximalen Abschnitte die zu innerst befindlichen das noch erhaltene 
kleine Stiellumen epithelartig umsäumen. Rings um diesen axialen 
Zellstrang befindet sich eine kernarme Zone, der neurofibrillierte Rand- 
schleier, in welchem die blassen, feinen Nervenfasern verlaufen und 








1) In dieser Figur ist im Pigmentepithel das Pigment versehentlich nicht 
eingezeichnet worden, 


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Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 505 


bereits bis zum Gehirn vorgedrungen sind, wo sie sich allmählich ver- 
leren. Auf Querschnitten durch den Sehnerven der andern Seite 
(Textfig. 30) ergibt sich naturgemäss das gleiche Verhalten. Zur 
Feststellung feinerer Verhältnisse, insbesondere der Beziehungen zwischen 
Glia und Neurofibrille, war die Konservierung des Präparates leider 
nicht mehr ganz ausreichend. Es liess sich aber an ihm des weiteren 
die interessante Tatsache feststellen, dass das Zentralgefäss selbst noch 
zu dieser Zeit schon gleich hinter dem Auge ganz excentrisch liegt, 
also offenbar erst ziemlich spät ganz von dem Sehnerven umwachsen 
wird und in seine axiale Lage einrückt. 

Mit am längsten dauert es, worauf schon O. Schultze auf 
Grund von Beobachtungen an Vespertilio murinus hingewiesen hat, 
bis die dorsale Wandung des Stieles am Übergang in das 
Pigmentepithel von Nervenfasern durchwachsen ist. Es ist 
dies sogar bei meinem 19mm langen Embryo, sowie bei einem unge- 
fähr gleichalterigen Stadium Rob. Meyers (18,5 mm) noch nicht er- 
folgt, und die Stielwandung daselbst noch von rein epithelialem Bau 
wie das Pigmentepithel, mit dem sie unmittelbar zusammenhüngt. Die 
nahe Verwandtschaft zwischen dem Pigmentepithel und den Gliazellen, 
an welche wir noch ófters erinnert werden, tritt an diesen Übergangs- 
stellen besonders offenkundig zutage. 

Bei dem 23mm langen Embryo von Rob. Meyer ist auch die 
dorsale Stielwand von Nervenfasern durchwachsen und damit die Um- 
gestaltung des embryonalen Sehnerven in. seine definitive Form in den 
wesentlichsten Punkten vollzogen. 

Die Gliakerne sind jetzt über das ganze Areal des Sehnerven 
in ziemlich gleichmässiger Weise verteilt, und das Volumen des Seh- 
nerven in allen Dimensionen vergróssert. Auch ist jetzt an dem 
zentralen Sehnervenende das Chiasma zur Entwicklung 
gelangt. — Bei meinem 19 mm langen Embryo ist dagegen ein 
Chiasma noch nicht nachweisbar. Ein derartiges Bild, wie es Lange 
in seinem Atlas mit Tafel XVII als partielle Sehnervenkreuzung bei 
einem 7—8 Wochen alten Embryo abbildet, ist mir bei meinen Unter- 
suchungen nie begegnet. Nach der ganzen Abbildung zu urteilen, die 
ein hochgradig kadaverös verändertes Auge zeigt, muss ich aber auch 
Langes Deutung als etwas gewagt bezeichnen. 


b. Verhalten des Mesoderms bis zu diesem Zeitpunkt. 
Der Augenblasenstiel ist wie das ganze embryonale Medullarrohr 
schon von seiner frühesten Entwicklung an von einem ziemlich lockeren 


506 R. Seefelder 


und regelmässigen kapillaren Gefässnetz umgeben, das seiner Ober- 
fläche eng anliegt und für seine Ernährung Sorge trägt. Er selbst 
ist so lange vollständig gefässlos, bis in sein distales rinnenförmig ver- 
tieftes Ende die Arteria hyaloidea zu liegen kommt. Aber auch dann 
bleibt die Arteria hyaloidea noch lange Zeit das einzige Gefäss im 
ganzen Sehnerven, das ihn zunächst nur gewissermassen als die Ein- 
trittspforte in das Auge benutzt, ohne an ihn selbst Zweige abzugeben. 
Dies ist auch noch bei dem zuletzt beschriebenen Stadium von 26 mm 
Länge der Fall. Die Arteria hyaloidea selbst macht während des be- 
schriebenen Zeitraums eine eigenartige Veränderung durch. In den 
ganz Jungen Stadien ist (bis zu 6,5 mm) sie nur ein ganz zartes klein- 
kalibriges Gefäss, wächst aber dann rasch zu einem mächtigen Gefäss 
heran, das sich schon gleich am Eintritt in das Augeninnere zu teilen 
beginnt und mit seinen Ästen den ventralen und proximalen Glaskörper- 
raum grossenteils ausfüllt. Als ein so mächtiges Gebilde habe ich 
sie noch bei Embryonen bis zu 12mm grösster Länge gefunden. 
Später nimmt das Kaliber der Arterie wieder allmählich ab und sie istam 
Schlusse der beschriebenen Entwicklungsperiode, kurz nachdem der 
ganze Sehnerv solid geworden ist, wieder auf ein ganz zartes dünnes 
Gefässchen reduziert. Ich habe diese Beobachtung an einer fort- 
laufenden Embryonenserie regelmässig gemacht und halte es deshalb 
für ausgeschlossen, dass die erwähnten auffälligen Kaliberschwankun- 
gen etwa nur durch zufällige Verschiedenheiten in der Blutfüllung 
der Arterie verursacht waren. 

Mit der Arterie dringen auch freie Mesodermzellen 
in den Stiel und in das Augeninnere hinein, wo sie zu meso- 
dermalen Glaskörperzellen werden. Auch von dieser Tat- 
sache habe ich mich an den verschiedensten Präparaten überzeugt. 
Ja es scheint sogar, als ob zu einer gewissen Zeit, etwa in der 
5.—6. Woche, eine besonders lebhafte Invasion von. Mesodermzellen 
in das Augeninnere stattfindet, besonders auch vom Augenbecher- 
rande herr. — Sobald aber die Arterie von dem Sehnerven. um- 
wachsen ist, ist die Zahl der sie innerhalb des Stiels begleitenden 
Mesodermzellen nur noch ganz unbedeutend. Und im distalsten Ab- 
schnitte des Schnerven fehlen sie ganz, so dass dort das nackte ka- 
pillare Gefässrohr der Arterie den einzigen mesodermalen Abkömm- 
ling repräsentiert. 

Schon sehr frühzeitig weisen die den Augenblasenstiel umgeben- 
den Mesodermzellen eine diehtere Lagerung und regehnässigere Grup- 
pierung auf als die weiter entfernt gelegenen. Ihre Zellachse scheint 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 507 


in Längsschnitten durch den Sehnerven in der Längsachse des Nerven, 
in Querschnitten dagegen in cirkulärer Richtung zu verlaufen, ein Be- 
weis dafür, dass sie mit mehreren Protoplasmafortsätzen ausgestattet 
sind, die der Oberfläche des Sehnerven in verschiedenen Richtungen 
angepasst sind. Es ist damit die erste Anlage der Optikus- 
scheiden vollzogen. 


c. Über die Teilung der Stiel-(Glia-)Zellen. 


Die Vermehrung der Zellen des Augenblasenstiels erfolgt zu- 
nächst ausschliesslich durch mitotische Teilung innerhalb der dem 
Stiellumen zunächst gelegenen Kernschicht. Auch nach dem Ein- 
wachsen der Nervenfasern findet noch eine reichliche Mitosenbildung 





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Fig. 31. 


statt, nur zeigt deren Lage von da an kein so gesetzmässiges Ver- 
halten mehr. — Die Grundform der Gliakerne kann wohl, falls man 
bei diesem variablen Gebilde überhaupt von einer bestimmten Form 
reden darf, als rundlich oder oval bezeichnet werden. — Neben den 
so geformten Kernen treten aber schon kurze Zeit nach dem Ein- 
sprossen der Nervenfasern ganz abenteuerliche Kernformen auf, welche 
sich von da an noch lange Zeit und zwar ungefähr bis gegen das 
Ende des 3. fötalen Lebensmonates nachweisen lassen. (Vgl. 
Texttigur 31, Kerne aus dem Schnerven eines 73 mm langen Embryos.) 

Die einfachste dieser Formen besteht in einer Einschnürung des 
Kerns, durch welche dieser in zwei meist ungleich grosse Abschnitte 
geteilt wird, wobei die die beiden Kernabschnitte verbindende Kern- 
hrücke bald kurz bald lang ausgezogen erscheint. 

Sie ist um so dünner, je länger sie ist, und scheint vielfach unmittelbar 
vor dem Eimreissen zu stehen. Die an den Fadenenden befindlichen 


508 R. Seefelder 


Kernhälften liegen dabei häufig in ganz verschiedenen Ebenen. Da- 
neben findet man Kerne, die verschiedene, meist plumpe, kolbige Aus- 
wüchse besitzen und dadurch die merkwürdigsten Formen erhalten haben. 
Endlich trifft man nicht selten birnenförmige Kerne, welche an ihrem 
spitzen Ende einen fadenförmigen Fortsatz von dem Aussehen der 
Kernbrücken besitzen, ohne dass am andern Ende des Fadens wieder 
ein Kernanhängsel nachweisbar ist. Die Grösse der rundlichen und 
ovalen Gliakerne weist sehr erhebliche Schwankungen auf. Einige 
von diesen Kernvariationen sind in der Textabbildung 31 veran- 
schaulicht. Doch ist damit ihre Mannigfaltigkeit nur schwach an- 
gedeutet. Man müsste beinahe alle Kerne abbilden, wenn man alle 
Formunterschiede darstellen wollte, da fast jeder Kern etwas anders 
aussieht. 

Neben diesen Kernformen sind auch noch stets einzelne gut er- 
haltene Mitosen nachweisbar, deren eine ebenfalls mit abgebildet ist. — 

Es ergibt sich von selbst die Frage, was diese merkwürdigen 
und meines Wissens bei den Gliazellen noch nicht beobachteten Kern- 
formen für eine Bedeutung haben. 

Am nächstliegenden erschien mir, und ich habe mich auch in 
meinem Beitrage für den letzten internationalen Ophthalmologenkongress 
dahin ausgesprochen, sie als den Ausdruck einer amitotischen 
Kernteilung anzusehen. Bestärkt wurde ich in dieser Ansicht noch 
durch eine kürzlich erschienene Arbeit von Zawarzin (40), welcher 
von ähnlichen Kernveränderungen am Descemetschen Endothel be- 
richtet, ferner durch etwas ähnliche Beobachtungen an dem der Glia 
genetisch nahestehenden Pigmentepithel, welche bereits in einem be- 
sonderen Kapitel dieser Arbeit (S. 492—496) beschrieben sind. Es würde 
‘sich dabei, die Richtigkeit dieser Ansicht vorausgesetzt, vorzugsweise 
um die Form der regelmässigen Amitose, bei welcher sich der Kern in 
zwei annähernd gleiche Hälften teilt, handeln, wogegen für eine Kern- 
teilung durch Knospung oder Fragmentierung nur wenig Kernformen 
sprechen würden. 

Professor Held, dem ich diese Präparate zeigte, und der sich 
auch keiner analogen Beobachtung an den Gliazellen erinnerte, gab 
mir aber zu bedenken, dass es sich auch um eine vorübergehende, 
durch die Nervenfasern mechanisch bewirkte Formveränderung_ der 
Kerne handeln könne. Dafür könnte in der Tat der Umstand 
sprechen. dass die Kernhälften vielfach nicht in einer Ebene liegen 
und dass die dünne. ling ausgezogene Kernbrücke zuweilen einen 
Bogen beschreibt, welcher schr wohl der Oberfläche eines Nervenfaser- 


Beitrage zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 509 


bündels angepasst sein kónnte. Auch gibt der Umstand, dass es sich 
um junge embryonale Augen handelt, in welchen sonst die mitotische 
Kern- bzw. Zellteilung die Hauptrolle spielt, gewiss zu Bedenken 
gegen die Annahme einer so reichlichen amitotischen Teilung Anlass. — 

Es ist aber anderseits in Erwügung zu ziehen, dass manche Kern- 
veränderungen, so z. B. die tiefen Einschnürungen ohne jedwede sichtbare 
Dehnungserscheinung, ferner die kolbigen Auswüchse usw., die doch 
wohl die gleiche Bedeutung wie die höhergradigen Veränderungen 
besitzen, schwerlich mit einer mechanischeu Deformierung zu erklären 
sind. Auch wäre wohl denkbar, dass bei der sicher sehr starken 
Kernvermehrung, welche im 3. Monat stattfindet, die mitotische Tei- 
lung allein nicht allen Ansprüchen zu genügen vermöchte. — Und 
endlich wäre zu erwarten, dass in den noch jüngeren Stadien, in 
welchen ohne Zweifel eine ausgiebige Kermverschiebung durch die 
einsprossenden Nervenfasern stattfindet, mindestens ebenso starke Kern- 
veränderungen zu finden seien, was aber nach meinen Präparaten nicht 
der Fall ist. 

Auch erscheint es mir überhaupt zweifelhaft, ob so hochgradige 
Formveründerungen, wie ich sie beobachtet und abgebildet habe, 
wirklich ausschliesslich durch mechanische Ursachen wenigstens unter 
den Verhältnissen hervorgerufen werden können, in welchen sich die 
Gliazellen im. Sehnerven befinden, wo z. B. einem Ausweichen eines 
Kernes vor einer drüngenden oder pressenden Gewalt auch im 3. fö- 
talen Lebensmonat kaum ein unüberwindliches Hindernis entgegen- 
stehen. dürfte. — Immerhin fühle ich mich nicht kompetent, die er- 
örterte Frage in dem einen oder andern Sinne bestimmt zu entscheiden, 
und ich möchte es jedem Leser meiner Zeilen überlassen, sich auf 
Grund meiner Beschreibung und der beigegebenen Abbildungen sein 
eigenes Urteil zu bilden. 


d. Die Glia. 
1. Der Gliamantel der Arteria hvaloidea. 

Von dem Momente an, in welchem der Sehnerv vollständig von 
Nervenfasern durchwachsen ist, erweckt das Verhalten der letzteren 
so lange kein besonderes entwicklungsgeschichtliches Interesse mehr, 
bis sich an ihnen ein neuer histologischer Vorgang. die Markscheiden- 
bildung, vollzieht, welehe bekanntlich erst nach der Geburt er- 
folgt. — Hingegen spielen sich im Bereiche der Glia und des Meso- 
derms fortwährend bemerkenswerte Prozesse ab, welche das ana- 


510 R. Seefelder 


tomische und histologische Bild des Sehnerven in hohem Grade be- 
einflussen und verändern. 

Einige Zeit nach der Umwandlung des epithelialen Optikus in den 
soliden zeigen die zwischen den Nervenfasern liegenden Stiel- bzw. 
Gliakerne noch eine verhältnismässig unregelmässige Lagerung. Wir 
finden aber bald, so schon bei Embryonen des dritten Monats, in 
Längsschnitten des Sehnerven jene bekannte regelmässige Anordnung 
der Gliazellen, welche von Krückmann(43) als säulenförmig be- 
zeichnet wird. Für das mikroskopische Bild des Sehnervenlängsschnittes 
‚ist diese Bezeichnung auch zutreffend, da die Gliazellen dort lange 
Kernsäulen bilden, zwischen welchen die Nervenfaserbündel verlaufen. 

Betrachten wir dagegen Querschnitte von jungen fötalen Seh- 
nerven, so zeigt es sich, dass die Gliakerne um die von ihnen ein- 
geschlossenen Nervenfaserbündel kreis- bzw. röhrenförmig angeordnet 
sind, weshalb mir das Lageverhältnis zwischen den Gliakernen und 
den Nervenfasern durch die Bezeichnung „Kernröhren“ noch pla- 
stischer und anschaulicher ausgedrückt zu sein scheint. — 

Die róhrenfórmige Anordnung der Gliakerne brjngt es auch mit 
sich, dass sich horizontale und vertikale Lüngsschnitte durch den Seh- 
nerven bezüglich der Anordnung der Gliakerne nicht merklich von- 
einander unterscheiden. 

Selbstverständlich liegen auch einige Gliakerne innerhalb der 
Nervenfaserbündel, doch nicht in solcher Anzahl, dass dadurch die 
Regelmässigkeit des ganzen mikroskopischen Bildes verwischt wird. 

Bei manchen Embryonen dieses Alters (dritter Monat) sieht man 
ganz deutlich, dass die Arteria hyaloidea während ihres ganzen Ver- 
laufs durch den Sehnerven von einem Mantel von dichtaneinander- 
gereihten epithelial angeordneten Gliazellen umgeben ist, welche sich von 
den übrigen Gliazellen sonst nicht unterscheiden und mit diesen in der 
bekannten Weise zusammenhängen. Die Verbindung zwischen dem 
Arterienrohr und dem Gliazellmantel scheint zumeist eine ganz innige 
zu sein, auf keinen Fall habe ich in den jungen Stadien irgendein 
Zwischengewebe zu finden vermocht. In solchen Sehnerven nun, in 
welchen dureh ein stärkeres Auseinanderweichen der Schnervenfasern 
an der Eintrittsstelle in das Auge eine mehr oder weniger grosse Ein- 
senkung (Exeavation) gebildet wird, bleiben diese zentralen Gliazellen in 
deren Bereiche mieht im Kontakt mit der Arterie, sondern kleiden als 
eine zunächst einfache Zellage die Wandung der Exeavation aus, wobei 
sie sogar noch eine ganz kurze Strecke über das Nervenfaserknie hin- 
überreichen. 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 511 


Ich habe eine ganz deutliche Excavation und die beschriebene 
epitheliale Auskleidung durch Gliazellen schon bei einem 26mm 
langen Embryo beobachtet, bei welchem also die vollständige Kon- 
solidierung des Optikus erst vor ganz kurzer Zeit vollzogen sein 
konnte!) Während aber die die Arterie unmittelbar umgebenden Glia- 






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Fig. 32. 


zellen auch noch in den nüchsten Wochen als eine nur einfache Reihe 
bestehen bleiben, beginnen die Gliazellen an der Stelle des Nerven- 
faserknies sehr bald zu wuchern und dringen teils zwischen die 
Nervenfasern ein, teils wachsen sie in der Richtung des Arterienrohres 
so lange, bis der dazwischen befindliche Raum überbrückt oder, wie bei 


1) Ich bemerke, dass sich der Sehnerv von verschiedenen von mir unter- 
suchten Sáugetieren (Schwein, Rind und Schaf) in dieser Hinsicht ganz analog 


verhält. 


512 R. Seefelder 


kleineren Excavationen, ganz ausgefüllt ist. — In den Abbildungen 1— 5, 
Tafel XVI, ist diese erste Entwicklung des bekannten Gliamantels der 
Arterie photographisch dargestellt. In Abbildung 1 (Sehnerveneintritt eines 





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Fig. 33. 


31 mm langen Embryos) ist die epitheliale Auskleidung des Trichters 
und der Beginn der Wucherung dieser Zellen deutlich zu sehen, in 
Abbildung 2 (73 mm langer Embryo) ist letztere schon viel weiter 
vorgeschritten und die Tendenz der Gliazellen, das Arterienrohr zu 
umscheiden, deutlich ausgesprochen. In Abbildung 3. endlich. (S8 mm 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 513 


langer Embryo) ist bereits die ganze Basis der Arterie von den Glia- 
zellen umgeben. Die Vergrósserung ist in den 3 Abbildungen die gleiche. 

In der nächsten Zeit nimmt der Gliamantel sowohl an Länge 
als an Dicke noch zu und erreicht im vierten Monat bereits eine be- 
deutende Mächtigkeit. Er sitzt zu dieser Zeit der Papille, welche 
er grösstenteils bedeckt, mit breiter Basis auf und verschmälert sich 
allmählich nach dem Glaskórper zu. Seine Form erinnert an die 
eines Hohlkegels mit abgestumpfter Spitze. (Vgl. Textfigur 32, Fötus 
von 17 cm Länge.) Das Längenwachstum schreitet auch weiterhin fort 
und ist erst am Anfange des siebenten Monats beendet. Die Länge 
des Gliamantels beträgt zu dieser Zeit etwa 1,2 mm. Diese Längen- 
zunahme erfolgt aber anscheinend auf Kosten der Dicke des Mantels, 
da letztere bereits vom fünften Monate an in einer fortschreitenden 
Abnahme begriffen ist, welche erst vom siebenten Monate an Halt 
macht. (Vgl. Textfigur 33.) 

Der Gliamantel weist in dieser Zeit fast in seinem ganzen Ver- 
laufe nur noch zwei Zellreihen auf, welche in ziemlich regelmässiger 
Anordnung nebeneinander verlaufen und zahlreiche innige protoplas- 
matische Verbindungen besitzen. Eine grössere Dicke ist jetzt nur 
an seinem im Grlaskörper befindlichen Ende zu konstatieren, an wel- 
chem manchmal auch kleine knospenartige Auswüchse vorkommen. 
(Textfigur 33.) Dies ist aber nicht bei jedem Fötus der Fall. 

Gegen das Ende des siebenten Monats endlich beginnt die Re- 
sorption des Gliamantels, welche der der Arteria hyaloidea stets 
etwas vorauseilt. So ist der Gliamantel bei Fotoen von 40—42 cm 
Länge (Textfigur 34a und b) bereits stark reduziert, während die Arterie 
noch den ganzen Glaskörperraum durchzieht, und bei einem Fötus 
des neunten Monats verläuft das Arterienrohr noch eine ganze Strecke 
frei im Glaskörper, wogegen der Gliamantel nur noch in der nächsten 
Nähe der Papille nachweisbar ist. (Vgl. Textfigur 35.) Kurz vor der 
endgültigen Resorption der Arterie ist dann auch der Gliamantel voll- 
ständig verschwunden (vgl. Textfisur 36a und b), Nur seine Basis 
bleibt als die gliöse Auskleidung der Papillenobertläche und der Zen- 
tralgefüsse zeitlebens bestehen. — 

Im Verlaufe der geschilderten Entwicklung macht nämlich der 
Gliamantel zusammen niit der Arterie eine erhebliche Lageverschiebung 
durch. Die anfangs ungefähr im Zentrum der Papille verlaufende 
Arterie rückt im Laufe der Zeit allmählich mehr und mehr an die 
nasale Seite des Schnerven bis auf das Nervenfaserknie hinüber. 
Der ringsum von dem Nervenfaserknie entspringende Gliamantel und 


514 R. Seefelder 


besonders sein temporaler Abschnitt schmiegt sich dabei der Papillen- 
oberflüche innig an und überzieht diese sowie die oberflächlich ge- 






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Fig. 34a. 
legenen Zentralgefüsse mit einer zarten gliósen Hülle. (Vgl. Text- 
figur 33—36.) 
Nicht selten bleibt bekanntlich ein kurzer Stummel des 'oblite- 


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Fig. 34b. 


rierten Arterienrohrs und ein Rest des Gliamantels bis über die Ge- 
burt hinaus erhalten. In diesen Fällen ist dann die ehemalige Struktur 
des Gliamantels ganz verwischt und es sind der Mantel und die 
Arterie innig miteinander verwachsen [vgl. die Fig. 7 u. 8, Taf. XI in 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 515 


Jacobys Arbeit über die Neuroglia des Sehnerven (89)], während nor- 
malerweise zwischen dem Gliamantel und der Arterie stets ein kleiner 
Spaltraum vorhanden ist. — | 

Der Gliamantel umgibt die Arterie, ohne mit ihr eine 
engere gewebliche Verbindung einzugehen. Von dieser Tat- 
sache habe ich mich in zahlreichen Augen der verschiedensten Stadien 
und zwar gerade in den bestkonservierten und schrumpfungsfreiesten 


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Fig. 35. 


Präparaten immer wieder überzeugt. Der schmale Spaltraum zwischen 
dem Gliamantel und der Arterie erscheint, abgesehen von spärlichen 
Wanderzellen, jedenfalls mobil gewordenen Gliazellen, im mikroskopi- 
schen Bilde fast stets vollkommen leer. Nur an vereinzelten Stellen 
gelingt es, feine zwischen der Arterie und dem Gliamantel ausgespannte 
Protoplasmafüden nachzuweisen, ohne dass dadurch die oben ange- 
gebene Regel umgestossen wird. Der Inhalt des Spaltraums muss also 
in vivo aus einer eiweissarmen Flüssigkeit bestehen, welche in An- 
betracht ihrer direkten Kommunikation mit dem Glaskórperraum mit 
der dort befindlichen Flüssigkeit chemisch übereinstimmen dürfte. 
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 34 


516 R. Seefelder 


Die Tatsache, dass die Arterie und ihr Gliamantel durch einen 


Spaltraum getrennt sind, ist auch früheren Untersuchern nicht ent- 
gangen. 





Fig. 36a. 


So hat Vassaux(54) in einem Falle von persistierender Arteria 
hyaloidea einen Mantel um die Arterie gefunden, den er als eine 
Lymphscheide betrachtet, und van Duyse gibt in seiner Embryologie 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 517 


des Auges eine Abbildung eines Gliamantels, welcher ebenfalls von 
der Arterie durch einen schmalen Spaltraum geschieden is. Van 
Duyse hält jedoch die Zellen des Gliamantels irrtümlicherweise für 
die Endothelien des Glaskörperkanals und lässt sie aus dem Meso- 
derm der fötalen Augenspalte hervorgehen. 

Auch Calderaro(55) gibt ausdrücklich an, dass der Gliamantel 
(Zaffo prepapillare) nicht in Kontakt mit der Arterie tritt. Er be- 
findet sich aber darin in dem gleichen Irrtum wie van Duyse und 
auch Versari(56), dass er den Gliamantel für ein mesodermales Ge- 
bilde hält. 

Ich kann mir diesen Irr- 
tum der genannten Autoren 
nur damit erklüren, dass sie 
nicht die erste Entstehung des 
Gliamantels beobachtet haben. 
Calderaro(55) gibt ja auch 
ausdrücklich an, dass er ihn 
erst bei Embryonen von 63 mm 
Länge gesehen habe, während 
ich ihn schon bei 26 mm langen 
Embryonen angelegt gefunden 
habe. Aber auch das spätere Fig. 36b. 
histologische und färberische 
Verhalten, so vor allem der unmittelbare Übergang in das Gliagewebe des 
Sehnervenkopfes stempeln den Gliamantel deutlich zu einem ektodermalen 
Gebilde. — Ganz unverständlich sind mir endlich die Zeitangaben Cal- 
deraros(55) über die Rückbildung des Gliamantels und der Arterie. 
Er findet die letztere schon bei Fóten von 21 cm nicht mehr in ihrem 
ganzen Verlaufe durchgüngig und im sechsten Monat bereits ganz 
obliteriert, während ich noch bei verschiedenen Fóten von 40—42 cm 
Länge eine vollständig bluthaltige Arteria hyaloidea und erst bei 45 cm 
langen Fóten die Obliteration soweit vorgeschritten fand, dass nur 
noch ein kurzer Stummel an der Papille kanalisiert und von Blut- 
körperchen ausgefüllt war. Bei der Grösse meines Materials und der 
Übereinstimmung meiner Befunde in den verschiedensten Stadien bin 
ich der festen Überzeugung, dass meine Zeitangaben der Norm ent- 
sprechen. 

Nach Calderaro(55) hat der Gliamantel keine andere Funktion 
als die, den Netzhautgefässen mit seinem der Papille anliegenden 
Teile Platz zu verschaffen (dare luogo), während seine cylindrische 

34* 





518 R. Seefelder 


Fortsetzung dazu diene, den in ihrem Innern verlaufenden Gefäss- 
stamm einzuscheiden und später die Obliteration zu bestimmen (e a de- 
terminare più tardi la obliterazione). Meines Erachtens ist aber damit 
über seine Funktion nicht viel gesagt. Denn die retinalen Aste der 
Zentralarterie würden ihren kurzen Weg zur Netzhaut wohl auch ohne 
den Gliamantel finden, und die Arteria hyaloidea existiert schon 
einige Wochen, bevor der Gliamantel ausgebildet ist, kann also in 
keinem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm stehen. 

Auch kann ich mir nicht vorstellen, welchen Einfluss der Glia- 
mantel auf die Rückbildung der Arteria hyaloidea ausüben soll. Meines 
Erachtens wird diese in erster Linie dadurch eingeleitet, dass zunächst 
immer mehr von ihren Endverzweigungen obliterieren, bis schliesslich 
der Stamm der Hyaloidea selbst an die Reihe kommt. 

Die physiologische Bedeutung des Gliamantels scheint mir viel- 
mehr recht unklar zu sein. Vielleicht beruht sie, wenigstens zum Teil, 
in seiner Eigenschaft als Matrix des sogenannten zentralen Glas- 
körpers, welcher ebenso wie der Gliamantel ein vergängliches Gebilde 
ist. Allerdings erhebt sich dabei von selbst die nicht minder schwer zu 
beantwortende Frage, welche Aufgabe dem zentralen Glaskörper zu- 
zusprechen ist. Vielleicht kann durch vergleichend anatomische Unter- 
suchungen auf diese Frage Licht geworfen werden, wenigstens will 
ich selbst versuchen, auf diesem Wege etwas weiter zu kommen. 

Das feinere histologische Verhalten des Gliamantels ist aus den 
Textfig. 34b und 37a zu ersehen, von denen Fig. 37a einen Abschnitt 
der Fig. 32 bei stärkerer Vergrösserung darstellt. Man findet in ihnen 
wieder die bekannte netzige und syneytiale Anordnung des Glia- 
gewebes, so vor allem auch die sternfórmige Verästelung und die 
Anastomosenbildung der Gliazellen. 

An der Ursprungsstelle aus der Papille sind auch direkte Ver- 
bindungen des Gliamantels mit dem Gliagewebe des Schnervenkopfes 
insbesondere mit denjenigen Gliafasern nachweisbar, welche von dem 
vorderen marginalen Gliaringe ausgehen und die Nervenfaserschicht am 
Papillenrande in radiärer Riehtung durchsetzen. (Vgl. Textfig. 32.) 

Fast die ganze Oberfläche des Gliamantels ist mit 
äusserst feinen straffen Fibrillen besetzt, welche zunächst 
in schnurgerader. Richtung zur hinteren Linsenfläche ziehen, vor der- 
selben aber nach allen Seiten trichterförmig auseinanderweichen und 
zusammen mit den innerhalb des Triehters befindlichen Glaskörper- 
fibrillen den sog. zentralen Glaskörper |Retzius(57)] bilden. 

Diese Fasern entspringeu samt und sonders aus dem 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 519 


Gliamantel der Arterie und sind als reine Gliafasern auf- 
zufassen. Sie entstehen gegen das Ende des 3. Monats, vielleicht auch 
schon etwas früher, und verschwinden zum grössten Teile gleichzeitig 
mit der Resorption des Gliamantels. Nur unmittelbar an der Seh- 
nervenpapille selbst bleibt ein kleiner Rest von ihnen dauernd er- 
halten. 

Zwischen den Maschen des Gliamantels sind schon von seiner 
ersten Entwicklung an teils vereinzelte, teils zu kleineren oder grösseren 
Häufchen vereinigte freie Zellen nachzuweisen. (Vgl. Textfig. 34 a 
und b, sowie Fig. 3, Taf. XVI. Der Kern dieser Zellen ist rundlich 
und lebhaft gefärbt, der Protoplasmaleib ebenfalls meist von rundlicher 
Form und im ganzen .von einem leicht gekörnelten Aussehen. Zu- 
weilen findet man aber auch ähnlich aussehende Zellen, welche mit 
mehreren Protoplasmafortsätzen ausgestattet sind und vermittels dieser 
mit den Zellen des Gliamantels zusammenhängen. (Textfig. 34 b.) 
Dieser letztere Befund gibt uns einen Anhalt dafür, welcher Zell- 
gattung die freien Zellen des Gliamantels zuzurechnen sind. Nach 
ihm bleibt keine andere Deutung übrig, als dass es sich um mobil 
gewordene oder mobil werdende Gliazellen handelt, welche nach dem 
Glaskörper auswandern, wo sie in der nächsten Nähe des Gliamantels 
häufig anzutreffen sind. Diese Beobachtung liefert eine Ergänzung 
zu dem in dieser Arbeit enthaltenen Kapitel über die Herkunft der 
Glaskörperzellen im jungen embryonalen Auge, sowie zu den bereits 
citierten Mitteilungen von Krückmann (25) und Wolfrum (26), welche 
auf Grund einwandfreier Beobachtungen in älteren Augen für eine 
Auswanderung von Gliazellen aus der Retina in den Glaskörper ein- 
getreten sind. Held(24) hat analoge Beobachtungen im Gehirn ge- 
macht und hier Gliazellen aus der Hirnrinde in die adventitiellen 
Lymphwege des Gehirns übergehen sehen. Nach ihm verliert auch 
die Gliazelle des Gehirns nach ihrer Loslösung aus dem Gliazellver- 
bande ihr sternförmiges Aussehen und wird rund, genau so, wie ich 
es an den freien Zellen innerhalb des Grliamantels beobachtet habe. 
Endlich erwähne ich noch, dass Fritz Marchand (90) bei verschie- 
denen Erkrankungsprozessen des Centralnervensystems ebenfalls eine 
aktive Wanderung von Gliazellen nachgewiesen hat. 

Die Zahl der freien Gliamantelzellen ist am grössten im 4. und 
5. Monat, später sind nur noch vereinzelte freie Elemente nachzu- 
weisen. Über ihr weiteres Schicksal im Glaskörper habe ich keinen 
bestimmten Aufschluss gewinnen können. Es scheint mir aber, als 
ob dort ein Teil von ihnen seiner vollständigen Auflösung entgegen- 


590 R. Seefelder 


ginge, da manche dieser Zellen schon bei ihrem Eintritt in den Glas- 
körper mit ausgesprochenen Degenerationserscheinungen —  Vakuoli- 
sierung des Protoplasmas, Verlust der Kernstruktur usw. — behaftet 
sind. Eine nennenswerte physiologische Bedeutung kommt ihnen jeden- 
falls nach meiner Ansicht nicht zu. 


Der Zusammenhang des erórterten embryonalen Verhaltens 





Fig. 37a. 
m. G. Z. — mobil werdende Gliazellen. 


der Arteria hyaloidea und ihres Gliamantels mit den unter dem 
Namen ,persistierende Arteria hyaloidea, persistierender 
Canalis Cloqueti usw.“ bekannten Missbildungen ist von mir 
bereits in meiner Arbeit über die angeborenen Colobome des Aug- 
apfels v. Graefe’s Arch. Bd/LXVIII S. 340—345 so eingehend be- 
sprochen worden, dass ich darauf nur zu verweisen brauche 

Es erübrigt aber noch, auf die mit unserm jetzigen Thema in 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 521 


engstem Zusammenhange stehende Frage nach der Existenz eines 
Glaskórperkanals einzugehen, welche bekanntlich gerade in der neuesten 
Zeit zu dem Gregenstande einer lebhaften und selbst jetzt noch nicht 





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Fig. 31b. 


abgeschlossenen Diskussion zwischen Wolfrum (74—76) einerseits 
und Stilling (78), Schaaff (77) anderseits geworden ist. Ich selbst 
habe in meinen fötalen Augen zum Nachweise des fraglichen Kanals 
weder Stillings noch Wolfrums Methode angewendet, sondern ver- 
füge ausschliesslich über Schnittpräparate, deren Glaskörper aber viel- 


599 R. Seefelder 


fach sehr gut in situ fixiert ist. Nach diesen Präparaten bin ich ganz 
unabhängig und unbeeinflusst von anderer Seite zu der Überzeugung 
gekommen, dass ein Glaskörperkanal im menschlichen Auge weder 
zur Zeit der Anwesenheit der Arteria hyaloidea noch nach ihrer Re- 
sorption existiert, sondern dass bei dem spurlosen Verschwinden der Ar- 
terie und ihres Mantels der von diesen beiden Gebilden eingenommene 
Raum allmählich durch Glaskörpergewebe substituiert wird, das sich 
im Gegensatz zu dem fötalen zentralen Glaskörper von dem der Um- 
gebung im allgemeinen nicht merklich unterscheidet. Von einem 
kanalfórmigen Raum habe ich nie das geringste Anzeichen wahrzu- 
nehmen vermocht, bin aber überzeugt, dass es mir hätte gelingen 
müssen, falls es einen gäbe. 


2. Zentraler und peripherer Gliamantel, Gliaringe, gliöse 
Lamina cribrosa. 

Der Seite 511 beschriebene epitheliale Gliamantel, welcher die 
Arterie während ihres Verlaufes durch den Sehnerven einhüllt, ändert 
sein Aussehen mit dem Wachstum des Sehnerven ganz beträchtlich. 
Die epitheliale Anordnung seiner Zellen geht im Laufe der Zeit voll- 
ständig verloren, und die Abstände der Zellen von einander werden un- 
gleich gross, doch bleibt die scharfe Abgrenzung des Nervengewebes von 
dem axialen Bindegewebs- und Gefässstrang durch die Glia stets streng 
erhalten. Taf. XVII, Fig. 5 zeigt den zentralsten Abschnitt eines nach 
Mallory gefärbten Sehnervenquerschnittes vom Anfange des 4. Mo- 
nats, in welchem sich das blaue mesodermale Gewebe von den ekto- 
dermalen Anteilen des Sehnerven auf das schärfste abhebt. Wir 
sehen im Zentrum der Figur neben dem grossen Gefässquerschnitt der 
Arterie (a. ¢.) die beiden sie begleitenden primitiven Zentralvenen (r. c.) 
und noch einen dritten kleinen Gefässquerschnitt, welcher von einer 
Anastomose zwischen den beiden Venen herrührt. In der nächsten 
Umgebung der Gefässe ist ein. lockeres, sehr kernarmes, feintibrilläres 
Bindegewebe zur Entwicklung gelangt, das mit dem adventitiellen 
Gewebe der Gefässe unmittelbar zusammenhängt. In der Peripherie 
ist das axiale Bindegewebe zu einer von dem übrigen Schnerven 
scharf abgeerenzten mesodermalen Grenzhaut verdichtet. Dieser sitzen 
die Zellen des zentralen Gliamantels dieht und unmittelbar auf und 
bewerkstelligen so einen vollkommenen Abschluss gegen die nach 
aussen von ihnen betindlichen Nervenfasern. Die Gliazellen bilden m 
diesem Stadium noch einen einfachen Zellmantel um die mesodermale 
Grenzhaut. — 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 523 


Eine stärkere Entwicklung des zentralen Gliagewebes, zumal von 
Gliafasern findet erst in späteren Stadien, aber selbst bei gleichaltrigen 
Stadien in ganz verschiedenem Grade statt. So finde ich bei einem 
25cm langen Fötus einen sehr mächtig entwickelten Gliamantel 1), 
während er bei manchen gleich langen Föten nicht annähernd so 
stark ausgebildet ist. Auch in der Entwicklung des peripheren Glia- 
mantels und der Gliaringe kommen grosse individuelle Verschieden- 
heiten vor, worauf auch schon Krückmann (43) aufmerksam ge- 
macht hat. 

Das jüngste Stadium, in welchem ich einen deutlichen faserigen 
peripheren und zentralen Gliamantel sowie auch einen Gliaring ent- 
wickelt fand, befand sich am Ende des 4. Monats und mass 18cm. 
Der periphere Gliamantel erschien hier bereits wie ein Filz von in 
verschiedenen Richtungen verlaufenden Fasern, und der hintere Glia- 
ring markierte sich deutlich als eine umschriebene Zellanhäufung in 
der äussersten Papillenperipherie mit zahlreichen dazwischen gelagerten 
quergetroffenen Fasern. Der Zellhaufen ist in diesem Falle auf der 
nasalen Seite grösser als auf der temporalen. 

Eine so frühzeitige Entwicklung eines Gliaringes bildet aber nach 
meinen Erfahrungen eine grosse Ausnahme. Im allgemeinen gehören 
nämlich die Gliaringe zu den Spätbildungen, welche ich in meinen 
Präparaten fast durchgehends erst vom Ende des 6. fötalen Monats 
an deutlich nachweisen kann. Aber auch von da an treten sie bei 
weitem nicht in allen Präparaten mit der gleichen Deutlichkeit hervor. 

Von dem inneren Gliaring sind übrigens auch bei dem genannten 
Fötus noch keine Anzeichen nachweisbar. 

In dem Verhalten des peripheren Gliamantels sind selbst 
schon in viel jüngeren Stadien grosse individuelle Verschiedenheiten 
zu konstatieren. So besitze ich einen 54mm langen Embryo, in 
welchem die ganze Sehnervenperipherie von einem fast lückenlosen 
Zellmantel eingenommen ist, wogegen bei einem 80 mm langen Fötus 
die Nervenfasern unmittelbar an die mesodermale Optikusscheide zu 
grenzen scheinen. 

Dort, wo das Pigmentepithel und der Sehnerv aneinanderstossen, 
setzen sich zuweilen die Pigmentepithelien so wnvermittelt in die 
epithelialen Zellen des peripheren Gliamantels fort, dass es unmöglich 
ist, zwischen beiden eine scharfe Grenze zu ziehen. Bekanntlich hat 
jedes Auge während seiner Entwicklung einmal eine Phase zu durch- 

7) Vel. Textabbildung S. 461 in meiner Arbeit über die Entwicklung der 
Netzhautgefässe des Menschen. (v. Graefe's Arch. f. Ophth. Bd. LXX. 1909.) 


524 R. Seefelder 


laufen, in welcher dieses Verhältnis zwischen Pigmentepithel und 
Augenblasenstiel besonders stark ausgesprochen und der Übergang 
von dem einen in den andern zumal an der dorsalen Seite so ver- 
schwommen ist, dass man in anatomischen Beschreibungen häufig an- 
gegeben findet, die Pigmentierung des äusseren Blattes habe auf die 
Zellen des Optikusstiels übergegriffen. (Lange u. A.) 


Dass ein solches Hinüberreichen der Pigmentierung auf den 
Augenblasenstiel tatsächlich vorkommt, geht besonders deutlich aus 
einer Beobachtung hervor, welche ich bei einem etwas älteren Sta- 
dium, wo die Grenzen zwischen Pigmentepithel und Sehnerv bereits 
scharf zu ziehen sind, gemacht und in der vorstehenden Text- 
figur 37 illustriert habe. — 

Über das Alter und die Länge dieses Embryos, dessen Kopf 
mir von Herrn Prof. Rob. Meyer in Berlin freundlichst zugeschickt 
worden ist, liegen mir leider keine Angaben vor, doch lehrt ein Ver- 
gleich mit dem Entwicklungsgrade des Schnerven in der Textfigur 29, 
dass er nur wenig älter sein kann, als der Embryo, von dem diese 
Abbildung stammt. Ich schätze seine Länge auf 22—23 mm. Der 
ganze Augenblasenstiel ist bereits von Nervenfasern durchwachsen 
und das Stiellumen vollständig verschwunden, jedoch ist der embryo- 
nale Charakter des Sehnerven zum Teil noch gewahrt. Die Haupt- 
masse der Gliakerne ist nämlich in dem zentralen Abschnitt noch 
nach dem Zentrum des Sehnerven 'zusammengedrängt, wogegen die 
Nervenfasern grösstenteils in der Stielperipherie verlaufen. Der Zu- 
sammenhang zwischen der Retina und dem Pigmentepithel ist nur 
an einer ganz kurzen Strecke erhalten, hingegen sonst überall durch die 
einsprossenden Nervenfasern aufgehoben. An jener Stelle erstrecken 
sich nun pigmentierte Zellen verhältnismässig weit nach hinten in den 
Sehnerven, welche von der Peripherie her durch die Nervenfasern 
etwas nach dem Zentrum des Schnerven abgedrängt werden, so dass 
ein kleiner Zellkomplex von Pigmentepithelien fast ganz isoliert zwischen 
den Nervenfasern liegt. 

Dieser an sich unbedeutende aber gewiss interessante Befund er- 
innert ohne weiteres an meinen Fall I in meiner Arbeit über Ano- 
malien im Bereiche des Sehnerven usw. (dieses Archiv Bd. LXIX), 
in welehem sich eine abgeschnürte Insel von Pigmentepithelien inner- 
halb des Schnerven vorfand, und er liefert zugleich eine Bestätigung 
für meme dort geäusserte Vermutung. dass diese Veränderung viel- 
leicht auf eine Abdrängung des betreftenden Zellkomplexes durch 
die einwachsenden Nervenfasern zurückzuführen sei. 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 595 


end 


Bei älteren Stadien ist es aber häufig unmöglich zu entscheiden, 
ob der gefundene direkte Zusammenhang der Pigmentepithelien mit 
den Zellen des peripheren Gliamantels aus jener frühen Entwicklungs- 
periode datiert oder ob er nicht doch erst später zu stande gekommen 
ist. — Denn beim normalen Entwicklungsgange werden ja, worauf 
wenigstens meine Beobachtungen schliessen lassen, alle Zellen des 
Augenblasenstiels durch die einsprossenden Nervenfasern zunächst aus 
ihrer Lage verschoben und nach dem Zentrum zusammengedrängt, und 
erst später rücken die von Held deshalb so genannten „sekundären 
Gliazellen“ nach der Optikusperipherie vor, wodurch die zeitweilig 
kernfreie Peripherie des Sehnerven wieder mit Kernen versehen wird. 

Immerhin wäre denkbar, dass die Abdrängung eines Teils der 
Stielzellen am okularen Ende ausnahmsweise unterbleibt und dass sonach 
der Zusammenhang der Pigmentepithelien mit den peripheren Glia- 
zellen aus der jüngsten Embryonalzeit herrührt. 

Weiteres über die Entwicklung der Glia des Sehnerven ist in 
der mehrfaeh citierten Arbeit von Krückmann enthalten. Ich ver- 
misse in ihr nur den Vermerk, dass sich die Gliazellen etwa vom 
4. Monat an in der Gegend der Lamina cribrosa dichter aufeinander 
schliessen als im übrigen Sehnerven und mit ihren senkrecht zur 
Sehnervenachse verlaufenden Fortsätzen eine Art von glióser Lamina 
cribrosa bilden, welche schon vor der Entwicklung der mesodermalen 
bzw. eigentlichen Lamina cribrosa vorhanden ist. 


e. Die Entwicklung des mesodermalen Gewebes im Sehnerven. 


In einem vorausgehenden Kapitel habe ich erwähnt, dass selbst 
noch bei einem 26 mm langen Embryo ausser der Arteria hyaloidea 
und den wenigen sie bei ihrem Eintritt in den Sehnerven begleitenden 
Bindegewebszellen kein Gefäss und überhaupt kein mesodermales Ge- 
webe im ganzen Sehnerven enthalten sei. — Von da an ändert sich 
aber das Bild rasch und beträchtlich, denn im ganzen hirnwärts ge- 
legenen Abschnitte des Sehnerven dringen von allen Seiten junge Ge- 
fisse in die Substanz des Schnerven ein, welche ausnahmslos von den 
Scheidengefässen abstammen und in ihrem Verlaufe von Anfang an 
die bekannte Anordnung des Septengewebes aufweisen. 

Die Entwicklung und Verteilung des letzteren ist bekanntlich 
auf das engste mit der der Gefässe verknüpft und durch diese voll- 
kommen bestimmt. Wo kein Gefäss. dort kein Septengewebe und 
umgekehrt. Dieser Satz gilt für das junge embryonale Auge ohne Ein- 
schränkung. Das Eindringen der Gefässe erfolgt in der von Held und 


596 R. Seefelder 


Krückmann genau beschriebenen Weise unter Bildung von meso- 
dermalen (bindegewebigen) und ektodermalen (gliósen) Grenzmembranen, 
durch welche allerorts eine scharfe Trennung der beiden den Sehnerven 
zusammensetzenden einander fremden Gewebsarten bewerkstelligt wird. 

Die Vaskularisation des peripheren Sehnervenendes ist von mir 
in meiner Arbeit über die Entwicklung der Netzhautgefüsse bereits 
eingehend beschrieben. worden: Ich beschrünke mich deshalb darauf, 
dass ich auf sie verweise. In dieser Arbeit ist auch die Entwicklung 
des Septengewebes in dem betreffenden Sehnervenabschnitte in ihren 
Grundzügen beschrieben. — Ich wiederhole hier nur, was ich auch in 
meiner Mitteilung über die Entwicklung der physiologischen Excavation 
betont habe, dass die mesodermale Lamina cribrosa erst sehr spät ent- 
steht und sogar noch im 6. Monat recht schwach entwickelt ist. — 

Damit steht auch die Mitteilung Lodatos (58), dass vor dem 
7. Monat in der Gegend der Lamina cribrosa nur Spuren elastischen 
Gewebes nachzuweisen scien, im besten Einklang. — Auch Kuhnt(59) 
hat in fótalen Augen von dem Balkensystem in der Nähe des Bulbus 
nur sehr wenig zu sehen vermocht. — 

Einem rückläufigen Ast der Zentralarterie bin ich nur 
einmal und zwar in dem sagittal geschnittenen Sehnerven eines Fötus 
vom Ende des 5. Monats begegnet. Es ist dies ein starker Grefäss- 
zweig von nur wenig schwächerem Kaliber wie die Arterie selbst, 
welcher gleich an seinem Ursprung zwischen der Pialscheide und dem 
Sehnerv fast rechtwinklig nach hinten abbiegt, und, so lange er in 
dem Präparat zu sehen ist, die angegebene Lage beibehält, ohne in 
die Substanz des Nerven einzudringen oder an ihn Äste abzugeben. 

Weiterhin erlaube ich mir noch einen besonderen Hinweis auf 
das eigentümliche Verhalten des axialen Bindegewebes im fötalen 
Leben zu geben, das in den genannten Abhandlungen ebenfalls be- 
schrieben und in der Textabbildung auf S. 461 der ersteren Arbeit 
sowie in der heute beigefügten Abbildung 5 auf Tafel XVII im Quer- 
schnitt veranschaulicht ist. Es ist lange Zeit ein ganz lockeres und 
ziemlich weitmaschiges Gewebe, das mit den zahlreichen in ihm ver- 
laufenden Gefässen auf das engste verbunden und zunächst sehr kern- 
arm, später aber vorübergehend geradezu kernreich zu nennen ist. 
Zuletzt wird das lockere Gewebe immer dichter und die zahlreichen 
darm befindlichen Gefässzweige reduzieren sich bis auf die beiden 
grossen und bleibenden Stämme der Arteria und Vena centralis 
vetinac, mit welchen es dauernd auf das inmigste verbunden bleibt. 

Schliesslich komme ich noch mit wenigen Worten auf die Art 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 591 


und Weise der Rückbildung der Arteria hyaloides zurück, nach- 
dem ich mich über den Zeitpunkt, in welchem sich dieser Prozess 
vollzieht, bereits im Vorhergehenden ausgesprochen habe. 

Die Rückbildung der Arteria wird eingeleitet mit einer allmäh- 
lichen Abnahme ihres Kalibers, welcher eine von dem Momente der 
Konsolidierung des Sehnerven an bis in den 4. fötalen Monat hinein 
währende Zunahme vorausgeht. Eine genaue Bestimmung des Zeit- 
punktes, in welchem diese Kaliberabnahme einsetzt, halte ich für un- 
möglich, denn es können z. B. aus einem Vergleiche der Gefässkaliber 
verschiedener Stadien nur mit grösster Reserve Schlüsse gezogen werden, 
weil verschiedene Umstände (Art der Fixierung und Härtung, Blut- 
füllung usw.) die Weite eines Gefässes im anatomischen Präparate 
stark beeinflussen können. Dazu kommt, dass auch stets mit der Mög- 
lichkeit individueller Verschiedenheiten zu rechnen ist. Nach meiner 
Ansicht erfolgt die Abnahme des Gefässkalibers erst sehr spät, dann 
aber sehr rasch und fast gleichzeitig in der ganzen Länge des Ge- 
fässstammes. Ich schliesse dies daraus, dass ich das Arterienlumen 
bei einem 42 cm langen Fótus noch mindestens so weit wie in jün- 
geren Stadien und im ganzeu Verlaufe des Gefüsses bluthaltig ge- 
funden habe, wogegen es bei einem nur wenig längeren Fötus fast 
vollständig obliteriert, die Arterienwandung aber noch in grosser Länge 
nachweisbar war. Vgl. Textfig. 34a mit Textfig. 36a. Das letztere Präparat 
gibt auch ganz interessante Aufschlüsse über die sich dabei abspielen- 
den histologischen Vorgänge. Wir sehen hier (Textfigur 36a u. b) 
das Lumen der Arteria hyaloidea schon gleich an ihrer Abgangsstelle 
von der Zentralarterie höchstgradig verengt und nur noch bis zum 
Eintritt in den Glaskörper für ein einzelnes Blutkörperchen durch- 
gängig. Der Rest des Gefässrohrs ist bis auf einige Endothelzellen 
in eine fast ganz homogene, bei schr starken Vergrösserungen leicht 
gekörnelte Masse verwandelt, welche in vollständiger Auflösung be- 
griffen ist. 

Schon ziemlich lange vor der Obliteration der Arterie (etwa 
gegen das Ende des 6. Monats) scheint eine geringe Verdünnung der 
Wandung des ganzen Gefüsshauptstammes stattzufinden. 

Die primäre Ursache der Gefäss-Rückbildung liegt meines Er- 
achtens in der Resorption der Gefässe der Tunica vasculosa lentis, 
durch deren Wegfall seine Hauptaufgabe als Ernährungsorgan der Linse 
erledigt ist. Wahrscheinlich werden dabei auch reflektorisch ausgelöste 
vasomotorische Einflüsse mit im Spiele sein. 


528 R. Seefelder 


f. Die Entstehungsweise der physiologischen Excavation. 


Die Entwicklung der physiologischen Excavation und die ihre 
Form und Ausdehnung bestimmenden Umstände habe ich (81) bereits 
in meinem Beitrage zum diesjährigen internationalen Ophthalmologen- 
kongresse besprochen. Er ist gewissermassen nur eine Zusammen- 
stellung von verschiedenen Einzelheiten, welche ich teils in der vor- 
liegenden, teils in meiner Arbeit über die Entwicklung der Netzhaut- 
gefässe bekannt gegeben habe. Eine nochmalige eingehende Erörte- 
rung dieses Themas erübrigt sich infolgedessen von selbst. 

Das wichtigste Ergebnis dieser Untersuchungen, das durch die 
heute beigegebenen Abbildungen deutlich illustriert wird, ist die Tat- 
sache, dass die Entscheidung, ob eine physiologische Excavation zur 
Ausbildung gelangt oder nicht, bereits im ganz jungen embryonalen 
Leben fällt. Man findet nämlich schon in ganz jungen embryonalcn 
Augen, bei welchen sich die vollständige Durchwachsung des Seh- 
nerven mit Nervenfasern erst vor ganz kurzer Zeit vollzogen hat, Pa- 
pillen mit und ohne physiologische Excavation. Das jüngste Stadium. 
in welchem ich eine sehr schöne und verhältnismässig tiefe trichter- 
förmige Einsenkung der Papillenoberfläche beobachtet habe, wies eine 
Länge von 26 mm auf. Der ganze Trichter war hier bereits von einer 
einfachen Lage regelmässig angeordneter epithelialer Gliazellen aus- 
gekleidet. | 

Auf Taf. XVI, Fig. list die Sehnerveneintrittsstelle eines 31 mm 
langen Embryos abgebildet, welche ebenfalls eine kleine zentrale Ein- 
buchtung aufweist, deren Wand mit Gliazellen dicht besetzt ist. Die 
folgenden Abbildungen 2 u. 3 auf der gleichen Tafel sowie die Test- 
abbildungen 32—35 veranschaulichen neben der weiteren Entwicklung 
des Gliamantels auch das Schicksal der physiologischen Excavation. 
welche je nach ihrer Grösse von den wuchernden Gliazellen entweder 
ganz oder teilweise ausgefüllt und vorübergehend vom Glaskörper- 
raume vollständig abgeschlossen wird. Durch die beschriebene Rück- 
bildung und Lageveränderung der Arterie und ihres Mantels wird die 
Entwicklung der bleibenden Form der Excavation eingeleitet. Doch 
wird diese schon etwas früher durch die Entwicklung der Zentralvene 
und des damit in engstem Zusammenhange stehenden axialen Binde- 
gewebes in. kaum minder hohem Grade beeinflusst. Auch zweifle ich 
nicht daran, dass auch noch im extrauterinen Leben gewisse 
Modifikationen der in jedem Falle angeborenen Excavation 
eintreten ‚können, wenn ich auch nicht glanbe, dass diese unter nor- 
malen Verhältnissen noch sehr bedeutend sein werden. 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 599 


Denn ich habe bei Neugeborenen schon fast alle von Elschnig (60) 
beschriebenen Verschiedenheiten sowohl in der Form der Excavation, 
als in der Form und Weite des Durchschnittskanals mehr oder weniger 
deutlich ausgeprägt und zuweilen so tiefe und voluminöse Excavationen 
gefunden, wie sie selbst in den Augen von Erwachsenen nur aus- 
nahmsweise zur Beobachtung gelangen. 

Vor dem 6. Monate sind jedoch grössere Unterschiede in der 
Form des Durchtrittskanals in meinen Präparaten so gut wie nicht 
nachzuweisen. Es handelt sich bis dahin fast durchgehends um einen 
zunächst cylindrischen, später — und zwar vom 4. Monat an — konischen 
Kanal mit glatten, nirgends ausgebuchteten Wandungen, so dass dieser 
Faktor bis dahin bei der Form- und Grössenbestimmung der Ex- 
cavation nicht in Betracht kommen kann. Zur Entscheidung der 
Frage, welche Rolle ihm später beizumessen sei, war mein fötales 
Material nicht ausreichend. 

Endlich kann ich noch auf Grund zahlreicher eigener ophthal- 
moskopischer Untersuchungen die von Elschnig u. A. bekannte Tat- 
sache bestätigen, dass in hyperopischen Augen physiologische Ex- 
cavationen wesentlich seltener sind als in myopischen Augen, doch 
habe ich selbst in hóhergradig hyperopischen Augen (5—7 D) aus- 
nahmsweise so tiefe Excavationen gefunden, dass die Lamina cribrosa 
frei zutage zu liegen schien. Dass in den myopischen Augen der 
die Myopie bedingende Dehnungsprozess der Bulbushüllen auch die 
Form und Grösse der physiologischen Excavation stark zu beeinflussen 
vermag, scheint mir unbestreitbar zu sein. 

Dass im Auge von Neugeborenen und Föten eine physiologische 
Excavation vorkommt, ist durch E. v. Hippel, Hess (66), Sattler (66), 
W eiss (66), Merkel und Orr (65) und Lange (67) schon vor Jahren, 
jedoch durchwegs nur in vereinzelten Fällen anatomisch nachgewiesen 
worden. 


g. Veränderungen der Dicke, Länge und Form des Sehnerven. 


Die Veränderungen der Dicke und Länge des Augenblasenstiels 
in den ersten Wochen des embryonalen Lebens sind bereits auf 
Seite 496—506 geschildert worden. Sie bestehen, um das dort Ge- 
sagte kurz zu rekapitulieren, zunächst vorzugsweise in einer allmäh- 
lichen Zunahme seiner Länge, welche auf Kosten seiner Dicke vor 
sich geht. Den Abschluss des embryonalen Stadiums bildet die voll- 
ständige Durchwachsung des Stiels durch die Nervenfasern bis zum 


530 R. Seefelder 


vollständigen Verschwinden des Stiellumens, sowie die gleichmässige 
Verteilung der Gliakerne auf den ganzen Sehnerven. 

Von da an nehmen sowohl die Länge als auch die Dicke des 
Sehnerven rasch zu. Die Dickenzunahme erfolgt zunächst wohl fast 
ausschliesslich durch die Vermehrung der Nervenfasern, welche da- 
durch zu stande kommt, dass immer mehr junge Ganglienzellen ihren 
Achsencylinder von der Netzhaut zum Sehnerven entsenden. Die 
ersten, die dies taten, waren selbstverständlich die dem Augenblasen- 
stiel am meisten benachbarten, und am weitesten nach innen vor- 
geschobenen, id est ältesten Ganglienzellen. 

Der weitere Zuwachs von Nervenfasern erfolgt aber meines Er- 
achtens nicht bloss in der, wie es scheint, von mancher Seite an- 
genommenen Weise, dass die Nervenfaserentwicklung mit der der 
Ganglienzellen einfach allmählich bis zur Netzhautperipherie vor- 
schreitet und, sobald sie dort angelangt ist, ihr Ende erreicht, sondern 
es findet gleichzeitig und auch noch einige Zeit, nachdem bereits 
ziemlich nahe an der Ora serrata Nervenfasern nachweisbar sind, im 
ganzen Netzhautbereiche ein Zuwachs aus den tieferen Lagen der 
Ganglienzellschicht statt, wo sich die jüngsten Elemente dieser Schicht 
befinden. 

Nur so ist es meines Erachtens auch zu erklären, dass die Menge 
der Nervenfasern im Sehnerven noch so rasch und erheblich zunimmt, 
nachdem bereits in der Netzhautperipherie Nervenfasern nachweisbar 
sind. Denn wenn auch gewiss damit zu rechnen ist, dass die Nerven- 
fasern einige Zeit brauchen, um von dort bis zum Schnerven zu ge- 
langen, so dürfte dies bereits einem Teil von ihnen zu einer Zeit ge- 
lungen sein, in welcher noch im ganzen Netzhautbereiche junge 
Ganglienzellen ausgeschieden. werden, welche vielleicht noch mit keinem 
oder doch nur mit einem ganz kurzen Achsencylinderfortsatz ausge- 
stattet sind. 

Ob auch, wie es Mall(32) in der Retina von Amblyostoma und 
Necturus nachgewiesen hat, aus der inneren Körnerschicht Fasern zum 
Sehnerven ziehen, kann ich nach meinen Präparaten nicht entscheiden. 
Auch über das Auftreten von zentrifugalen Sehnervenfasern vermag 
ich leider keine Angaben zu machen. 

Zur Volumenzunahme des Sehnerven trägt selbstverständlich auch 
die lebhafte Vermehrung der Gliazellen etwas bei, doch dürfte dieser 
Anteil im Verhältnis zu dem der Nervenfasern anfangs nur gering 
anzuschlagen sein. 

Dagegen gehört die etwas später einsetzende reichliche Entwick- 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 531 


lung von Gliagewebe sicherlich zu den wesentlichsten Ursachen der 
Volumenzunahme des Sehnerven. 

Dazu gesellt sich noch als ein weiteres wichtiges Moment die 
Entwicklung des Gefässsystems und des Mesoderms im Sehnerven- 
stamme, und zuletzt wird wohl auch noch durch die Markscheiden- 
entwicklung!) eine gewisse Dickenzunahme des Sehnerven verursacht. 

Ein wie grosser Anteil einem Stárkerwerden der Nervenfasern 
im 6. und 7. Monat beizumessen sei (Kuhnt), vermag ich nicht zu 
bestimmen. | ' 

Im folgenden erlaube ich mir noch einige Zahlen anzuführen, 
welche über die Dicke und Länge des Sehnerven von verschiedenen 
Stadien Aufschluss geben. Ein absoluter Wert in dem Sinne, dass 
bei jedem gleichaltrigen Embryo ein gleich dicker Sehnerv vorhanden 
sel, kommt ihnen natürlich nicht zu, weil auch in dieser Beziehung 
individuelle Verschiedenheiten vorkommen. | 

Doch glaube ich, dass sie mit diesem Vorbehalt immerhin als 
ein gewisses Schema für die allmühliche Volumenzunahme des Seh- 
nerven dienen können. Die Messungen wurden durchwegs an einer mög- 
lichst korrespondierenden Stelle kurz hinter der Lamina cribrosa und 
an Schnitten, welche die Zentralgefässe enthalten, vorgenommen. Um 
möglichst vergleichbare Werte zu bekommen, habe ich dazu aus- 
schliesslich horizontale Längsschnitte durch den Sehnerven verwendet, 
aber vielfach auch Querschnitte zur Kontrolle herangezogen. Ich be- 
merke noch, dass die Form von reinen Sehnervenquerschnitten von 
Anfang an rund ist. 


Diekendurchmesser des Sehnerven (ausschliesslich Selhnerven- 


scheiden): 
1. Embryo 19— 20 mm Linge: 
2. 5 etwas Alter : 0,112 mm 
3. » 3l mm » : 0,304 , 
4. 5 04 , » 35 0,320 , 
5. » 65 , » : 0,170 , 


!) Wann diese erfolgt, kann ich leider nicht genau angeben, weil die 
bekannten spezifischen Markscheidenfärbungen bei meinem durchwegs in Zen- 
kerscher Flüssigkeit fixierten Material nicht anwendbar sind. Nach meinen mit 
der Heldschen und Stölznerschen Methode gefärbten Präparaten, in welchen 
auch die Markscheiden zur Anschauung gelangen, finde ich die Angabe Bern- 
heimers(79) bestätigt, dass die Markscheidenbildung bei einem drei Wochen 
alten Kinde bis zur Lamina cribrosa vorgerückt ist, während dies bei einem 
sieben Tage alten Kinde noch nicht der Fall zu sein scheint. Indessen sind 
über diese Frage noch weitere gründliche Untersuchungen durchaus vonnöten. 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 39 


532 R. Seefelder 


6. Embryo 73 mm Länge: 0,470 mm 


T. » 80 , » ' 0496 , 
8. » 88 , » : 0,940 , 
9. Fötus 100 ,, » : 0,630 „ 
10. „ 170, » : 0,705 , 
11. » 210, » : 0,900 , 
12. » 260 , » : 1,020 , 
13. » 940 , » $ 1,290., 
14. » 420, » * 19 » 
15. » 500 „ (Neug) „ : 2,1 5 
16. Kind 3 Wochen : 2175 ,„ 
17. » 9 Monate : 24. —, 


Die ganze Länge des Sehnerven vom Auge bis zum Gehirn 
bzw. Chiasma habe ich nur von wenigen Stadien bestimmen können, 
weil die Schnittrichtung nur selten hierfür geeignet war. 

Doch zeigen schon die wenigen Zahlen, über die ich verfüge, 
dass die Längenzunahme bei den jüngeren Stadien sehr rasch vor 
sich geht. 


So beträgt die ganze Länge des Sehnerven bei einem 
11,3 mm langen Embryo (Rabl) 0,675mm 


19—20 » » » 0,688 » 
31 » » » 1 » 
94 » » d 1,8 » 
65 » » » 2,8 » 
80 » » » 3 » 
ca. 150 » » » 9 » 


also am Ende des 3. Monats bereits das 3fache von der Länge, welche zu 
Beginn des gleichen Monats vorhanden ist. 


Von älteren Embryonen vermag ich nur die Länge des Seh- 
nerven vom Auge bis zur Spitze des Muskeltrichters anzugeben und 
auch dies nur von einigen wenigen Stadien, bei welchen ich die ganze 
Orbita geschnitten habe. 


Sie beträgt bei einem 
Fötus vom Anfang des 4. Monats: 3,2 mm 


„ , Ende » » » 145, 
» des 5. Monats € 30.6 3; 
Neugeborenen e e, oa 


Die bekannte S-fórmige Krümmung des Sehnerven ist bereits im 
dritten fötalen Monate und zwar besonders schön bei einem in Celloi- 
din eingebetteten und in bezug auf die topographischen Verhältnisse 
selten gut konservierten Embryo von 80 mm Länge in beiderseits 


à 


Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 533 


streng symmetrischer Form nachzuweisen. — Vorher zeigt der Seh- 
nerv vom Auge bis zum Chiasma einen angenähert geradlinigen Ver- 
lauf. — 

Zum Schlusse ist es mir ein Bedürfnis, allen Herren, welche 
mich durch Zuwendung von Material in so reichlichem Masse unter- 
stützt haben, ferner ganz besonders Herrn Geheimrat Sattler für 
die weitgehende Förderung der vorliegenden Arbeit meinen herz- 
lichsten Dank auszusprechen. — 


Literaturverzeichnis. 


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Internat. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol. Bd IV 1887. 

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Ophth. Bd. X. 1864. 

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Arch f Ophth. Bd. XXXIV, 2. 1888. 


< 


wl 


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und dessen Verhältnis zur Glaskórperfrage. Anat. Hefte. S. 107. 1908. 


35* 


534 R. Seefelder 


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delberger Ber. 1908. 

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in der Netzhaut des Auges, besonders am Orte des deutlichsten Sehens bei 
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37) Held, Zur weiteren Kenntnis der Nervenendfüsse und zur Struktur der 
Sehzellen.  Abh. d. math.-phys. kl. d. Kgl. süchs. Ges. d. Wissenschaften. 
Leipzig 1906. 

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sammenhange mit der Frage über die Teilung der Zellen. Travaux de la 
Société Impériale des Naturalistes de St. Petersburg. | Bd. XXXIX. Lfg. 1. 
1908, 

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Zeitschr. z. Psych. u. Physiol. Bd. XVI. 1898. 

43) Krück mann, Uber die Entwicklung und Ausbildung der Stützsubstanz im 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 535 


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schrift. 15. Jahrg. 1889. 

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Entwicklungslehre d. Wirbeltiere. Bd. II. 2. Tl. 1906. 

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Sáugetiere. Leipzig 1897. 

50a) Pes, Problemi e ricerche sull' histogenesi de nervo ottico. Biologica. 
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Bd. VI. 1898. ` 

54). Vassaux, Persistancede l’artere hyaloidienne et de la membrane pupillaire etc. 
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d’oftalm. Napoli 1909. 

56) Versari, La morfogenese dei vasi sanguini della retina umana. Ricerche 
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Denkschr. d. math.-naturw. kl. d. kais. Akad. d. Wissensch. Bd. LXX. 
Wien 1900. 

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Bd. XII. 1905. 

62) Kolmer, Über ein Strukturelement der Stäbchen und Zapfen der Frosch- 
retina. Anat. Anz. Bd XXV, 2, 4. 1904. 

63) Wolfrum, Untersuchungen über die Macula lutea der höheren Säugetiere. 
36. Heidelberger Der. 1908. 

64) Schiefferdecker, Studien zur vergleichenden Histologie der Retina. 
Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. XXVIII. 1886. 

65) Merkel und Orr, Das Auge des Neugeborenen an einem schematischen , 
Durchschnitt erläutert. Anat. Hefte. Bd. I. Abt. 1. 1592, ` 

66) Sattler, Hess, Weiss, Diskussion zum Vortraze v. Hippels, Über das 
normale Auge des Neugeborenen. 20. lleidelberzer Ber. 1797. 

67) Lange, Zur Anatomie des Auges des Neugeborenen. 2. Tl. Klin. Monatsbl. 
f. Augenheilk, Bd. XXXIX. 1901. 


536 R. Seefelder 


68) Keil, Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Auges vom Schwein mit be- 
sonderer Berücksichtigung des Verhaltens der fótalen Augenspalte. Anat. 
Hefte. Bd. XXXII. Heft 96. 1906. 

69) Kólliker, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der hóheren Tiere. 
1879. 

70) Minot, Entwicklungsgeschichte des Menschen. 1894. 

71) Elze, Beschreibung eines menschlichen Embryos von ungefähr 7 mm grösster 
Länge. Anat. Hefte. Heft 106. 1907. 

12) Rabl, Uber die züchtende Wirkung funktioneller Reize. Rektoratsrede. 
Leipzig 1904. 


v 73) Rabl, Über den Bau und die Entwicklung der Linse. Zeitschr. f. wissensch. 


Y 


Zoologie. Bd. LXIII, LXV, LXVII. Leipzig 1900. 

14) Wolfrum, Zur Entwicklung und normalen Struktur des Glaskórpers. Arch. 
f. Ophth. Bd. LXV. 1907. 

15) — Zur Frage nach der Existenz des Glaskórperkanals. Arch. f. Ophth. 
Bd. LXVII. 1908. 

16) — Zur Bemerkung Professor Stillings betreffs: Zur Frage nach der Exi- 
stenz des Glaskörperkanals. Arch. f. Ophth. Bd. LXX. 1909. 

77) Schaaff, Der Zentralkanal des Glaskórpers. Arch. f. Ophth. Bd. LXVII. 
1908. 

18) Stilling, Bemerkungen zu der Mitteilung von Dr. Wolfrum: Zur 
Frage nach der Existenz des Glaskórperkanals. Arch. f. Ophth. Bd. LXIX. 
1908. 

19) Bernheimer, Über die Entwicklung und den Verlauf der Markfasern im 
Chiasma nervorum opticorum des Menschen. Arch. f. Augenheilk. Bd. XX. 
1889. 

80 Kupfer, Die Entwicklung der Retina des Fischauges. Zentralbl. f. d. 
med. Wissensch. Nr. 41. 1868. 

81) Seefelder, Weitere Beispiele von Netzhautanomalien in sonst normalen 
fötalen menschlichen Augen. Arch. f. Ophth. Bd. LXXI. 1909. 

82) Schultze, O., Über die bilaterale Symmetrie des menschlichen Auges und 
die Bedeutung der Ora serrata.  Sitzungsber. d. phys. med. Ges. z. Würz- 
burg. Jahrg. 1900. 

83) v. Szily, A., Beiträge zur Kenntnis der Anatomie und Entwicklungsre- 
schichte der hinteren Irisschichten usw. Arch. f. Ophth. Bd. LIII. 1902. 


^ 84) Bellonci, Contribution à l'histogenése de la couche moléculaire interne de 


la rétine. Archives ital. de Biologie. T. III. 1883. 

85) Flechsig, Die Leitungsbahnen im Gehirn und Rückenmark des Men- 
schen. Leipzig 1876. . 

86 Ambronn und Held, Über Entwicklung und Bedeutung des Nerven- 
marks. Arch. f. Anat, u. Phys. Anat, Abt. 3. u. 4. Heft. 1896. 

87) Scherl, Einige Untersuchungen über das Pigment des Auges. Arch. f. 
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88) Krückmann, Ein Beitrag über die Pigmentepithelzellen der Retina. Arch. 
f. Ophth. Bd. LVII u. LVIII. 1595. 

89) Jacoby, Über die Neuroglia des Sehnerven. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 
Bd. XLIII. Jahrg. 1905. 

90) Marchand, Fritz, Untersuchungen über die Herkunft der Kórnchenzellen 
des Zentralnervensystems. Beiträge zur pathol. Anat. u. allgem. Pathol. 
Bd. XLV. 1909. 


Erklärung der Abbildungen und Abkürzungen auf | 
Taf XVI u. XVII, Fig. 1—5. 
Die Abbildung 5 der Taf. XVII stellt das Zentrum eines Sehnervenquer- 


schnitts von einem etwa 4 Monate alten Fótus dar. (Gegend der Lamina cribrosa.) 
Das Prüparat ist nach Mallory gefárbt, wobei die herne und das ektodermale 


Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 537 


Gewebe (Glia- und Nervenfasern) rot, das mesodermale Bindegewebe dagegen 
lau erscheinen. 


Die Arteria centralis (a. c.) ist von den beiden primitiven Zentralvenen 
(v. c.) begleitet, welche ihr eng anliegen. Das noch vorhandene kleinere vierte 
Gefässlumen entspricht einem schräg getroffenen Verbindungsaste zwischen den 
beiden primitiven Zentralvenen. 


Sämtliche Gefässe sind in ein sehr lockeres, fein fibrilläres und fast kern- 
loses Bindegewebe (a. B.) (das sog. axiale Bindegewebe) eingebettet, welches mit 
der Adventitia der Gefässe innig verbunden, hingegen von dem eigentlichen Seh- 
nervengewebe durch eine dichtere Grenzhaut (m. @.) auf das schärfste abgesetzt 
ist. Dieser mesodermalen Grenzhaut sitzt ein Mantel von dicht aneinander ge- 
reihten Gliazellen (gl. m.), der sog. zentrale Gliamantel, unmittelbar auf und 
bildet dadurch eine lückenlose Scheidewand zwischen dem axialen Bindegewebe 
und den nach aussen von ihm befindlichen Nervenfasern (N. F\.). Die Lücken 
zwischen den Nervenfaserbündeln und den Fortsätzen der Gliazellen sind arti- 
fiziell durch eine Schrumpfung der ersteren bewerkstelligt worden. 


Die Erklärung der Abbildungen 1—4 auf Taf. XVI ist im Texte enthalten. 


Zur Kenntnis der chronischen, herdförmig disseminierten 
Aderhauttuberkulose. 


Von 
Dr. Ginsberg, 


Augenarzt in Berlin. 


Mit Taf. XVIII u. XIX, Fig. 1-6. 


——— —À 


Unter den chronischen tuberkulósen Erkrankungen des inneren 
Auges ist bei Iritis, Iridocyclitis und Iridochorioiditis, sowie bei dem 
in Tumorform auftretenden Konglomerattuberkel der Aderhaut ziem- 
lich hüufig Gelegenheit gegeben, die klinische Diagnose durch die 
anatomische Untersuchung zu bestätigen. 

Anders liegt dies bei der in Form vereinzelter Herde auftreten- 
den, unter Freibleiben des vorderen Bulbusabschnittes auf die Ader- 
haut beschränkten chronischen tuberkulösen Entzündung, jener Form, 
die wir durch die klinischen Beobachtungen von Michels kennen 
gelernt haben. 

Eine anatomische Untersuchung dieser Form liegt nur bei dem ` 
von Schulz-Zehden!) veröffentlichten Fall vor; klinisch war dieser 
nicht verfolgt, der ophthalmoskopische Befund einen Tag ante exi- 
tum erhoben worden. 

Da der vorliegende Fall der erste ist, in welchem beim Men- 
schen diese Form der Aderhauttuberkulose nach längerer klinischer 
Beobachtung (fast !|, Jahr) auch anatomisch untersucht werden konnte, 
halte ich die Mitteilung desselben für geboten. Es dürfte dabei von 
besonderem Interesse sein, die ophthalmoskopisch sichtbaren Ver- 
ünderungen mit den anatomisch gefundenen zu vergleichen und ein 
Urteil darüber zu gewinnen, einmal, was dem klinisch ophthalmo- 
skopischen Bilde hier zugrunde lag und was überhaupt von der 
anatomischen Ausbreitung des Prozesses klinisch in Erscheinung trat, 
sowie ferner, ob etwas im ophthalmoskopischen Bilde uns dazu ver- 


1) Zeitschrift f. Augenheilk. Bd. XIV. 1905. 


Zur Kenntnis d. chronischen, herdfórmig dissemin. Aderhauttuberkulose. 539 


helfen kann, ohne weiteres die Diagnose auf Tuberkulose der Ader- 
haut zu stellen. 


Krankengeschichte. 


Der 27 Jahr alte Fritz F. wurde mir am 2. II. 1909 von dem 
Ohrenarzt Herrn Dr. Lebram zur Untersuchung des Augenhintergrundes 
in die Poliklinik geschickt. 

Das Kind war seit 4 Wochen ohrenkrank und hatte seit 14 Tagen 
einen schiefen Mund. 

Herr Kollege Lebram konstatierte eine linksseitige Otitis mit stinken- 
dem Ausfluss und Beteiligung des Knochens, sowie eine rechtsseitige Facia- 
lislähmung. Seine Diagnose schwankte zwischen otogenem Hirnabscess und 
tuberkulöser Meningitis. 

Ich fand die linke Pupille weiter als die rechte, Lichtreaktion schien 
vorhanden, war aber bei dem sehr unruhigen Kinde nicht mit Sicherheit 
zu konstatieren. 

Sonst war äusserlich an den Augen alles normal. Ophthalmoskopisch 
war bei enger Pupille im linken Auge nichts Pathologisches zu bemerken. 
Im rechten Auge zeigten sich bei normaler Papille die Venen etwas stärker 
gefüllt. Im umgekehrten Bild oberhalb der Macula lag ein ca. 1 P.D. 
langer, nicht ganz so breiter, von Pigmentlinien und Punkten durchsetzter 
Herd, nach unten von der Macula ein ca. 2 P.D. grosser, unregelmässig 
rundlicher, heller, unscharf begrenzter Herd mit etwas verstreutem Pigment, 
darin eine intensiv weisse rundliche Stelle, welche den Eindruck einer Delle 
machte. 

Auf Grund des gesamten Befundes stellte ich die Diagnose auf Tuber- 
kulose der Aderhaut und des Gehirns. — 

Das Kind wurde ins stüdtische Krankenhaus am Urban gebracht, wo- 
selbst ich, als Konsiliarius der Anstalt, Gelegenheit hatte, den kleinen Patienten 
weiter zu beobachten. 

Für die Erlaubnis, das Krankenjournal zu benutzen, bin ich Herrn 
Geh. Rat Prof. A. Fraenkel zu Dank verpflichtet. — 

Im Krankenhaus konnte ich am 4. II. die erste Untersuchung, die 
aus äusseren Gründen nur flüchtig hatte vorgenommen werden können, 
unter Mydriasis vervollständigen. 

Die folgende Beschreibung bezieht sich stets auf das umgekehrte Bild; 
das aufrechte war bei Unruhe des Kindes nicht zu verwerten. 

Im rechten Augenhintergrund zeigten sich drei Herde, einer oberhalb, 
zwei ziemlich dicht aneinanderliegende unterhalb der Macula. Der obere 
Herd ist länglich, ca. 1 P.D. lang, ca. th P.D. breit, scharf begrenzt, 
grösstenteils stark pigmentiert, sonst rein weiss. — Über jeden der beiden 
andern Herde zieht ein Netzhautgefüss, ohne Parallaxe zu geben, glatt hin- 
weg. Der nahe an der Macula gelegene dieser beiden llerde ist der 
grössere, sein Durchmesser beträgt ca. 2 P. D., die Gestalt ist unregelmissig 
rundlich, die Grenze nicht ganz scharf, die Farbe grauweisslich. Eine 
excentrisch gelegene rundliche Partie in Ausdehnung von ca. !|, P.D. er- 
scheint intensiv weiss und macht den Eindruck einer kleinen Delle. — 


540 Ginsberg 


Der dritte Herd ist unregelmässig rundlich, ca. !|, P.D. gross, weisslich, 
scharf begrenzt. 

Im linken Auge findet sich weit peripher aussen ein ca. !|, P. D. 
grosser, runder, gelblichgrauer, unscharf begrenzter Herd, der als Miliar- 
iuberkel angesprochen wurde. 

Im übrigen war der ophthalmoskopische Befund normal. 

Die Augen wurden alle 8 Tage von mir untersucht. Erst am 25. II. 
war eine Veränderung zu bemerken (Taf. XVIII, Fig. 1). Rechts waren alle drei 
Herde grösser geworden, besonders nach der Macula zu, so dass sie näher 
aneinander gerückt erschienen. Der obere (U. B.) zeigte einen makulär- 
wärts gerichteten, rötlichen, zungenförmigen, scharfbegrenzten Fortsatz. Der 
mittlere Herd ist oben innen ganz verwaschen, sonst besser begrenzt. Die 
weisse, dellenartige Partie ist grösser geworden und durch einen grauen 
Pigmentsaum gegen die Umgebung abgegrenzt. Auch der unterste Herd 
ist innen oben verwaschen begrenzt. Auch in diesem ist eine rundliche, 
reinweisse, dunkelgrau umsäumte, dellenartig erscheinende Scheibe aufge- 
treten. — Die Papille ist ganz verwaschen, mässig getrübt. 

Links Stat. idem. 

4. III. Weitere Vergrösserung der beiden unteren Herde. 

19. III. Die weisse dellenartige Partie und der graue Pigmentsaum 
im mittleren Herd grösser geworden, sonst bds. Stat. id. — Das Allgemein- 
befinden hatte sich ständig verschlechtert. Das Kind war benommen, sprach 
nieht mehr. "Temperatur subfebril. Dauernd Ausfluss stinkenden Eiters 
aus dem linken Ohr, in welchem  Tuberkelbacillen nicht nachgewiesen 
werden kónnen. 

Eine weitere Veründerung war erst am 1. IV. zu konstatieren: Der 
obere Herd war noch stärker pigmenter. An dem mittleren war ein 
temporalwärts gerichteter, intensiv schwarz pigmentierter Fortsatz aufge- 
treten, etwa von der Form eines Papageienschnabels (Taf. XVIII, Fig. 2). — 

Es entwickelte sich dann eine fast vollständige Lähmung des rechten 
Abducens. Seit dem 21. III. bestand unregelmässig remittierendes Fieber, 
seit dem 15. IV. oft Erbrechen ohne sonstige Hirnerscheinungen. 

Am 22. IV. untersuchte ich den Patienten zum letzten Mal; es war 
keine weitere Änderung des Augenbefundes zu bemerken, speziell war auch 
der Miliartuberkel im linken Auge ganz unverändert. 

Unter zunehmender Schwäche erfolgte am 28. IV. der Exitus. 


Sektionsergebnis. 


Das Resultat der am nächsten Tage vorgenommenen Sektion war: 
Allgemeine Miliartuberkulose und Konglomerattuberkel des Hirns. —  Disse- 
minierte Tuberkulose beider Lungen. Submiliare bis miliare Tuberkel der 
Milz. Disseminierte Miliartuberkulose der Nieren, umschriebene Tuberkulose 
eines Markkegels. Schwellung und Verkäsung der Mesenterialdrüsen. Tuber- 
kulose der Leber, Gallengangtuberkulose, Perihepatitis adhaesiva, Multiple 
Konglomerattuberkel des Hirns. Walnussgrosser Tuberkel der linken Klein- 
hirnhemisphäre, ein haselnussgrosser im Oberwurm und in der rechten Seite 
des Pons. Bohnengrosser Tuberkel auf der Oberfläche des linken Corp. 


Zur Kenntnis d. chronischen, herdförmig dissemin. Aderhauttuberkulose. 541 


striatum, beiderseits mehrere kleine Tuberkel der Hirnkonvexität. Hydro- 
cephalus internus. — 

Die Bulbi, welche mir von Herrn Prosektor Dr. Koch freundlichst 
überlassen wurden, kamen für einige Tage in Formol, dann in 75?|, Alkohol. 

Der rechte Bulbus wurde nach 8 Tagen äquatorial halbiert. Man sah 
durch die Retina hindurch deutlich die drei Herde oberhalb und unterhalb 
der Plica centralis. Bei Lupenbetrachtung in starkem durchfallendem Licht 
(Taf. XVIII, Fig. 2) erschienen sie als unregelmässig gestaltete weissliche, stellen- 
weise mehr durchscheinende Stellen mit ungleichmässiger Pigmentierung. Die 
stärkere Pigmentierung des unterhalb der Macula gelegenen Herdes sowie 
die Pigmentringe der beiden andern waren deutlich zu erkennen. Sonst 
erschien der Bulbus bis auf die Neuritis normal. 

Im linken Auge zeigte sich als einzige pathologische Veränderung der 
miliare Tuberkel in der Peripherie als graues Knötchen. 

Zur mikroskopischen Untersuchung wurde dann der hintere Abschnitt 
des rechten Auges in vertikale Streifen geschnitten, deren einer alle drei 
Herde vollständig enthielt; dieses Stück wurde nach Paraffineinbettung in 
eine fast lückenlose Serie à 10 wu zerlegt. 


Mikroskopischer Befund. 


Der im U. B. oberhalb der Macula gelegene Herd hat in der Chorioidea 
eine grösste Länge von ungefähr 1,7 bei einer Breite von ungefähr 1,25 mm. 

In seiner nächsten Umgebung ist das Pigmentepithel etwas schütter 
und verworfen und z. T. ungleichmässig abgeplattet. Über dem Herd 
selbst liegt auf der Aderhaut pigmentiertes und gefässhaltiges Bindegewebe 
(Taf. XIX, Fig. 3 u. 4). Die Gefässe sind dünnwandig und ziemlich weit, sie sind 
am reichlichsten in den mittleren Partien der makulären Hälfte des Herdes 
entwickelt. Stellenweise ist der direkte Übergang eines chorioidalen Ge- 
fässes in ein epichorioidales in den Präparaten zu sehen. Das epichorioi- 
dale Gewebe ist reich an Bindegewebszellen und Bindegewebsfasern, ent- 
hält ferner Leukocyten und teils gewucherte, teils in der bei Chorioiditis 
bekannten Weise regressiv veränderte Pigmentepithelien. Elastische Fasern 
fehlen vollständig. An der Oberfläche der Schicht liegen noch ganz spär- 
liche, fibrinös aussehende Gerinnsel sowie klumpige Zerfallsprodukte von 
Stäbchen und Zapfen. 

In der äquatorialen Hälfte des Herdes nahe dem temporalen Rande 
findet sich innerhalb der epichorioidalen Gewebsschicht eine 0,25 mm breite, 
0,7 mm lange und 0,07 mm hohe kalottenförmig der Aderhaut aufsitzende 
Bindegewebsbildung (Taf. XIX, Fig. 3). Sie besteht aus meist derben, stellenweise 
auch mehr faserigen, parallel geschichteten Lamellen mit langen schmalen 
Kernen und Gefässen, enthält keine elastischen Fasern und kein Pigment, 
ist aber von letzterem in ungleichmässiger Weise zum grössten Teil über- 
zogen. Das Gewebe färbt sich nach v. Gieson rot wie die Sklera, mit 
Eosin aber viel blasser als diese, und nimmt keine Elastinfärbung an. Nach 
aussen und äquatorialwärts geht diese Kalotte unter Aufsplitterung in 
Streifen derben, homogenen Bindegewebes mit starker Pigmentepithel- 
wucherung dazwischen über, welche sich bis an die Grenze des Stroma- 
herdes hinauserstrecken. 


542 Ginsberg 


Dieses epichorioidale Gewebe — Granulationsgewebe in mehr weniger 
weit fortgeschrittenem Übergang zu Bindegewebe — erreicht stellenweise 
die Dicke der Aderhaut und bedeckt fast den ganzen Stromaherd. 

Dieser selbst besteht grösstenteils aus stark verkäster Infiltration mit 
unregelmässig verteilten, epitheloiden und meist mächtigen, schön ausge- 
bildeten Riesenzellen. Von Stromaresten ist wenig zu sehen; Elastinpräpa- 
rate zeigen in der Tiefe hie und da collabierte Elastinróhren. Blutungen 
fehlen. 

Der Herd nimmt nicht nur die ganze Dicke der Aderhaut ein, sondern 
erstreckt sich auch ein beträchtliches Stück in die Sklera hinein (Taf. XIX, Fig. 5). 

Die Randpartie des Herdes besteht zum grössten Teil aus kleinen ein- 
kernigen Rundzellen vom Charakter der kleinen Lymphocyten; zwischen 
diesen finden sich auch stellenweise unregelmässig verteilt teils vereinzelt, 
teils zu mehreren zusammenliegend rundliche und längliche Zellen mit reich- 
lichem Granoplasma, deren Leib bei Färbung nach Unna-Pappenheim 
intensiv rot gefärbt erscheint; die Kerne dieser Zellen sind teils rund, teils 
unregelmässig und zeigen nur selten die für Plasmazellen typische, rad- 
speichenartige Anordnung des Chromatins in groben Bröckeln.. Während 
aber auf der nasalen Seite dieser kleinzellige Wall sich allmählich in nor- 
maler Chorioidea verliert, wird die Begrenzung oben, unten und besonders 
temporal unter starker Verdünnung der Aderhaut grösstenteils von derb- 
lamellärem, kernarmem Bindegewebe gebildet, welches gegen die normale 
Umgebung allmáhlich ausstreicht; an diesen Teilen des Randes nimmt die 
kleinzellige Infiltration nur die oberflächlichsten Schiehten der Aderhaut ein. 
Die Verdünnung der letzteren ist dabei stellenweise so hochgradig, dass das 
chorioidale Bindegewebe fast an das epichorioidale anstösst (Taf. XIX, Fig. 4). 

Die Suprachorioidea fehlt ungefähr so weit, als die Stromaveränderungen 
reichen; nasal erstreckt sich die kleinzellige Infiltration noch etwas über den 
Rand der Suprachorioidea hinüber, temporal entspricht ihr Ende dem Rande 
des chorioidalen Narbengewebes. Die Stelle der fehlenden Suprachorioidea 
nimmt am ganzen Rande zunächst eine ziemlich schmale Schicht derb- 
lamellären Bindegewebes ein. Dieses ist von der Sklera, der es sonst etwas 
ähnlich sieht, durch die schmaleren, dichter aneinanderliegenden Lamellen, 
das fast völlige Fehlen der elastischen Fasern, sowie die grössere Zahl der 
meist strichförmigen, z. T. auch unregelmässig rundlichen und leukocyten- 
artigen Kerne unterschieden. Temporal geht dies sklerotische Bindegewebe 
in das chorioidale Narbengewebe (s. o.) über, nasal liegt es nur an Stelle 
der fehlenden Suprachorioidea; dabei reicht es auf der temporalen Seite 
auch nach oben und unten viel weiter als auf der nasalen. 

Die sklerotisch bindegewebige Randschicht geht zentralwärts allseitig 
unter Dickenzunahme in ein locker maschiges, aus Bindegewebszellen und 
schmalen, keine elastischen Fasern enthaltenden Bindegewebsbündeln be- 
stehendes Gewebe über (Taf. XIX, Fig. 5). Dieser Übergang vollzieht sich in 
der Weise, dass zunächst das sklerotische Gewebe zellreicher wird, so dass 
zwischen dicht aneinanderliegenden Bindegewebszellen spärliche, nach v.Gieson 
rotzefärbte Fasern sichtbar werden, worauf dann Zellen und Fasern weiter 
auseinandertreten; diese Fasern färben sich dann nur noch zum Teil rot, 
sonst wie das Zellprotoplasma gelblichbraun, und stellen dann wolıl Zellaus- 


Zur Kenntnis d. chronischen, herdfórmig dissemin. Aderhauttuberkulose. 543 


làufer dar, jedenfalls keine fertigen leimgebenden Fasern.  Stellenweise 
strahlen in dieses maschige Gewebe vom Rande her Stücke fertigen, faserigen, 
nach v. Gieson rot gefürbten Bindegewebes in die mittleren Partien ein, 
In den Gewebsmaschen desselben finden sich gewöhnliche Bindegewebs- 
zellen, auch grössere Elemente mit unregelmässigem, blasser färbbarem Kern, 
wohl endothelialer Natur; das Bindegewebe ist ganz frei von elastischen 
Fasern. 

Die sklerale Grenze dieses Bindegewebes verläuft in einer skleralwärts 
ausgebuchteten Linie, so dass ungefähr !/, der Lederhautdicke von jenem 
eingenommen wird. 

Der tuberkulöse Herd grenzt also nirgends direkt an Sklerallamellen, 
sondern erscheint von der Lederhaut durch das zentral mehr lockere und 
zellreiche, peripher derbere Bindegewebe getrennt. Nur in der Mitte des 
skleralen Randes des letzteren findet sich eine ganz kleine verkäste Ge- 
webspartie. 

Der Aderhautherd ist also temporal, oben und unten unter Bildung 
narbigen Gewebes und Verdünnung der Aderlıaut zur Ausheilung gekommen; 
nasal felılt diese Fibrose, hier findet sich noch der Lymphocytenrand. Auch 
skleralwärts ist eine Abgrenzung des Herdes durch Bindegewebsneubildung 
im Gange, sie hat aber zentral noch nicht zu einem festen Abschluss gegen 
die Sklera geführt. Von der Oberfläche her sehen wir eine weit vorge- 
schrittene Bindegewebsentwicklung in dem epichorioidalen Granulations- 
gewebe, welche stellenweise am Rande fast mit dem chorioidalen Narben- 
gewebe in Berührung tritt. — 

Von diesem Herde durch ein kleines Stückchen ganz normaler Ader- 
haut getrennt findet sich unter dem unteren-inneren Quadranten der Macula 
ein kleiner, bis an die Choriocapillaris heranreichender und somit fast die 
ganze Dicke der Aderhaut einnehmender Herd mit zentraler Verkäsung, 
Riesenzellen und peripherem Lymphocytensaum. Dieser Herd war makro- 
skopisch nicht sichtbar gewesen. — 

Der grosse, im U.B. unterhalb der Macula gelegene Herd hat in der 
Aderhaut eine grösste Ausdehnung von ungefähr 2,5:1,25 mm. 

Über ihm liegt Granulationsgewebe von ähnlichem Aussehen wie bei 
dem erstbeschriebenen Herd; doch entliält es nicht so reichlich Bindegewebs- 
fasern wie dort und ist gefässreicher, also offenbar jünger. Auch hier 
finden wir ein kalottenförmiges Gebilde (im inneren unteren Quadranten) von 
1,3 mm Länge, 0,5 mm Breite und 0,1 mm Höhe. Dieses ist von einer 
dicken, parallelfaserigen, einige Zellen und auch spärliche, nach v. Gieson 
rot gefärbte (also wohl leimgebende) Fasern einschliessenden Fibrinschicht 
überlagert, welche sich auch noch über die makuläre Hälfte des Herdes 
hinaus erstreckt. Die Exsudatschicht mit der Bindegewebskalotte hat die 
Form eines allseitig sanft ansteigenden Hügels (Taf. XIX, Fig. 6). 

Die Pigmentepithelwucherung ist hier ebenso stark wie über dem erst- 
beschriebenen Herd. Doch ist hier die Oberfläche der Kalotte ganz pig- 
mentírei, nur deren länder sind, namentlich an der Unterfläche, stärker 
pigmentiert, Entsprechend dem  ophthalmoskopiseh sichtbar gewesenen, 
schwarzen, schnabeltürmigen Bezirk ist die Pigmentepithelwucherung nicht 
oder nur spurweise von Exsudat bedeckt. 


544 Ginsberg 


Der Aderhautherd ist ähnlich wie der erste zusammengesetzt aus 
einer zum grossen Teil verkästen Masse mit epitheloiden und lymphocy- 
tären Elementen und regellos verstreuten Riesenzellen, ohne knötchenförmige 
Anordnung, und einem schmalen, wesentlich aus Lymphocyten gebildeten 
Rand. Auch hier nimmt die tuberkulöse Infiltration nicht nur die ganze 
Dicke der Chorioidea ein, sondern sie dringt (im inneren unteren Quadranten) 
weit in die Sklera hinein. 

Die Suprachorioidea ist temporal noch bis fast zur Mitte des Herdes 
erhalten und skleralwärts verdrängt, nasal reicht sie nur wenig über den 
Rand des Herdes hinaus. In Aderhaut und Sklera finden wir auch hier 
neugebildetes Bindegewebe, welches meist faserärmer und zellreicher, also 
jünger erscheint als unter dem ersten Herd. In der Aderhaut selbst ist das 
Bindegewebe temporal unten am Rande des Herdes, über der intakten 
Suprachorioidea, locker maschig und derbfaserig und enthält weite Kapillaren; 
es nimmt hier die untere Hälfte der hier nicht verdünnten Chorioidea ein, 
die obere Hälfte der letzteren ist kleinzellig infiltriert. Nach der Gegend 
des Skleraleinbruchs zu wird das Bindegewebe mehr sklerotisch und er- 
streckt sich äquatorialwärts (in situ nach oben) noch weit in die hier auf 
ungefähr !|, der Norm verdünnte Aderhaut hinein. Nasal findet sich in 
der Hóhe der fehlenden Suprachorioidea sklerotisches Bindegewebe mit 
strichförmigen Kernen und sehr spärlichen "elastischen Fasern, welches sich 
über den Rand der Suprachorioidea noch weit in die tiefen Aderhaut- 
schichten hineinerstreckt. In der makulären Hälfte des Herdes finden wir 
maschiges Bindegewebe über der Suprachorioidea, ungefähr !|, der Ader- 
hautdicke einnehmend. 

Im inneren unteren Teil des Aderhautlierdes, also da, wo der Skleral- 
einbruch erfolgt ist, ist innerhalb der Skleralinfiltration eine ziemlich mäch- 
tige Bindegewebsentwicklung zu konstatieren. Wir sehen hier eine Menge 
dichtliegender länglicher Zellen mit spärlichen Fasern, stellenweise auch, be- 
` Sonders nasal, mehr maschig faseriges, nach v. Gieson rot gefürbtes Ge- 
webe; letzteres enthält an elastischen Elementen nur ganz vereinzelte 
Häufchen von feinen, dicht zusammengeknäulten Fäserchen, welche offenbar 
Reste des präformierten, erst durch die Infiltration zerstörten und dann von 
Bindegewebe durchwachsenen bzw. ersetzten Gewebes darstellen. 

Das neugebildete Bindegewebe durchsetzt hier also die verkästen 
Partien mehr weniger vollständig; es schliesst in seinen Maschen auch noch 
grosse Zellen mit unregelmässigen Kernen, Lymphocyten und hie und da 
auch noch eine Riesenzelle ein. 

Die an den vorgebuchteten Teil des Ganzen angrenzenden Skleral- 
lamellen sind in ganz geringer Ausdehnung kleinzellig infiltriert. — 

Also auch dieser tuberkulöse Ilerd ist in mehr weniger weit vorge- 
schrittener bindegewebiger Ausheilung begriffen. Durch die histologische 
Beschaffenheit des Bindegewebes und des epichorioidalen Granulationsgewebes 
mit der grösseren Menge fibrinösen, noch nieht organisierten Exsudats er- 
weist sich der Prozess als jünger wie bei dem erstbeschriebenen Herd. — 

Der im Präparat unterste Ilerd ist 1,9: 1,7 mm gross und liegt 
gänzlich innerhalb der Aderhaut, welche er jedoch in seiner medialen Hälfte 
stark gegen die Sklera vorwölbt. Seine histologische Zusammensetzung 


Zur Kenntnis d. chronischen, herdförmig dissemin. Aderhauttuberkulose 545 


entspricht ganz den beiden andern, doch sind hier darin noch grosse Ge- 
fässe mit zersetzten Blutresten erhalten. Die Suprachorioidea ist nirgends 
durchbrochen, nur verdünnt und, da ihre Pigmentzellen weniger dicht an- 
einander liegen als sonst, auch gedelınt. Auf ihr liegt faserig maschiges 
Bindegewebe, welches, ungefähr !j, mm vom medialen Herdrande als dünne 
Lage beginnend, dann rasch an Dicke zunehmend und sich über die ganze 
Fläche verbreitend den gesamten ausgebuchteten Teil überzieht. Dieses 
Bindegewebe schiebt sich lateralwärts auch in den nicht ausgebuchteten Teil 
vor, so dass hier die tiefere Hälfte der Aderhaut vollständig von ihm ein- 
genommen wird. Der laterale Rand des Herdes ist in einer Ausdehnung 
von ungefähr !| mm in der Tiefe frei davon, doch findet sich hier in den 
oberflächlichsten Schichten der Aderhaut ein Stück neugebildeten derben 
sklerotischen Bindegewebes. Die äussere Begrenzung dieses Herdes wird 
allseitig von locker angehäuften Lymphocyten gebildet, die sich rasch in 
normaler Aderhaut verlieren. 

Auf dem Herd liegt im Bereich seiner grössten Dicke Granulations- 
gewebe von gleichem Typus wie über dem mittleren; doch ist es hier noch 
gefässreicher und die Pigmentepithelwucherung ist geringer als dort. Auch 
hier ist es darin zu einer kalottenförmigen, gefässhaltigen Bindegewebs- 
bildung (0,3:0,34 mm) gekommen, sonst findet sich ausser einem derben, 
zellarmen Streifen in der temporalen Hälfte kein Bindegewebe darin. Die 
Pigmentwucherung ist unter der Kalotte und auch über ihrem Rande am 
stärksten. Das Granulationsgewebe ist in ganzer Ausdehnung von einer 
dieken Schicht geronnenen, parallel gestreiften Exsudats, mit Leukocyten 
und länglichen Kernen darin, bedeckt. — 

Tuberkelbaecillen fanden sich in 59 darauf untersuchten Präparaten 
nur ganz vereinzelt. Im ersten Herd konnte ich keine nachweisen, im 
zweiten nahe dem temporalen Rande zwei, im dritten je zwei nahe dem 
medialen und dem temporalen Rande in Riesenzellen. — 

In den Aderhautgefässen finden sich in ganz auffallender Menge 
runde Zellen mit grossem Protoplasmaleib und grossem, rundlichem oder 
unregelmässig gelapptem Kern; es handelt sich um „grosse Lymphocyten“. 
Da der gleiche Befund auch im linken Auge zu erheben ist, so ist er 
jedenfalls nicht auf die lokalen tuberkulösen Veränderungen, sondern auf 
eine allgemeine Lymphocytose des Blutes zu beziehen. 

Die hinteren Ciliargefässe sind normal bis auf zwei, welche in 
die oberhalb und unterhalb der Macula (U.B.) gelegenen Herde eintreten. 
Zu ersterem zieht ein sich in zwei kleine Zweige teilender Ast; diese Ge- 
fässe zeigen starke Verdickung und Fältelung der Elastica sowie mässige 
zellige Intimawucherung, durch welehe das Lumen verkleinert und excen- 
trisch verschoben ist. In den andern Herd tritt am makulären Rande eine 
grössere Arterie ein, deren Lumen von Leukocyten, roten Blutkörperchen, 
blasipen Zellen mit gekörntem Leib sowie freien Körnchen erfüllt ist; es 
dürfte sich hier um einen frischeren Thrombus handeln. — Die Endarteriitis 
ist wohl im Sinne Tlioma' als eine kompensatorische, zur Lumenverklei- 
nerung bei Ausfall eines Gefässgebietes dienende zu deuten, während 
Thrombose von Ciliargefässen auch bei miliaren Aderhauttuberkeln nicht 
selten beobachtet wird, wenn ein Ast gerade in ein Knótchen eintritt. — 


546 ` ' Ginsberg 


Die Sklera zeigt vielfach unter den Herden Kernvermehrung. 
Diese ist ganz locker und ungleichmässig (abgesehen von der S. 544 
beschriebenen, unmittelbar unter dem zweiten Herd gelegenen Stelle: 
und betrifft Zellen verschiedener Art. Man erkennt in den Saftspalten hie 
und da mehr einkernige kleine Rundzellen als normal, dazwischen auch 
einige Mastzellen, ferner grosse, protoplasmareiche Zellen mit grossem, ge- 
lapptem oder doppeltem Kern, endlich sind auch stellenweise die Binde- 
gewebszellen geschwollen, die sonst strichförmigen Kerne verdickt, das 
Protoplasma deutlich sichtbar. Unter dem erst beschriebenen Herd ist es 
mitten in der Skleraldicke zu einer ganz umschriebenen kleinen (0,3: 0,07 
mm Dm.) Erweichung gekommen. Hier ist das Skleralgewebe bis auf ganz 
spärliche Bindegewebsbündel und elastische Fasern geschwunden, man sieht 
grössere Räume, die intra vitam wohl von Flüssigkeit erfüllt waren, und 
darin locker verteilt Zellen, die grösstenteils als ein- und zweikernige 
endotheliale, teils als geschwollene Bindegewebszellen und kleine Lympho- 
cyten anzusprechen sind. 


Die Retina ist abgesehen von den die Herde bedeckenden Stellen 
kaum verändert. Während die Stäbchen und Zapfen sonst gut erkennbar 
sind, sind sie über den Herden zerfallen und z. T. verschwunden. Die 
Körnerschichten erscheinen i. a. ungleichmässig locker, was wohl auf post- 
mortale Konservierungs- und Einbettungseinflüsse zu beziehen ist. Über 
den Herden aber ist die äussere Körnerschicht teils besonders aufgelockert 
und zeigt dann kernarmes, mehr faseriges Gewebe, teils ist sie an Stellen 
stärkerer Vorwölbung des epichorioidalen Gewebes eingedrückt, verschmälert, 
und ihre Kerne liegen dichter aneinander gepresst. Die Form der inneren 
Netzhautoberfläche wird aber i. a. dadurch in keiner Weise alteriert, nur 
über dem dritten Herd zeigt sie eine minimale Vorwölbung bis ungefähr 
0,1 mm im Präparat. 

Über diesem Herd verläuft eine Vene, von der ein Zweig vertikal 
nach oben in die Zwischenkörnerschicht geht; an dieser Stelle ist die äussere 
Körnerschicht fast ganz geschwunden, die nächste Umgebung der Vene ist 
stärker ödematös. Diese Vene zeigt an einer Stelle Infiltration der Wand 
und zwar am stärksten in dem nach aussen, zum Aderhautherd hin liegenden 
Teil des Umfangs; das Lumen des Zweiges ist ausserdem von ein- und 
melrkernigen Leukoeyten angefüllt. Diese Phlebitis und beginnende 'Throm- 
bose dürfte ebenso wie das über den Herden zu bemerkende Netzhautödem 
auf eine von den Herden ausgehende Toxinwirkung zurückzuführen sein. 


Der Optikus zeigt auf den untersuchten Schnitten sehr geringe ent- 
zündliche Veränderungen im Stamm, in der Papille Ödem, mässige peri- 
kapillare Infiltration und erhebliche prälaminare Gliawucherung wie bei 
älterer Neuritis. — 

Das Stück des linken Auges, welches den gelblichen Herd enthielt, 
ist leider verloren. gegangen. Im Präparat war, wie erwähnt, makrosko- 
pisch an der entsprechenden Stelle ein graues Aderhautknötchen deutlich 
sichtbar. Bei der fehlenden mikroskopischen Untersuchung kann ich nicht 
mit Sıcherheit behaupten, dass hier tatsächlich ein Aderhauttuberkel vorlag, 
der sieh ein Vierteljahr hindurch ganz unverändert gehalten hat. — 


Zur Kenntnis d. chronischen, herdfórmig dissemin. Aderhauttuberkulose. 547 


Kurz zusammengefasst würe also das Wesentlichste des anato- 
misch-mikroskopischen Befundes: Drei tuberkulóse Herde der Ader- 
haut, von denen zwei in die Sklera eingebrochen sind. Diese beiden 
zeigen fast an allen Stellen des Randes mehr weniger weit vor- 
geschrittene Ausheilung unter Entwicklung von Bindegewebe, stellen- 
weise mit Schwund der Aderhaut, der dritte noch ganz intrachorioidal 
gelegene Herd weist in der Tiefe ausgedehnte, im Sinne einer im 
Gange befindlichen Ausheilung zu deutende Bindegewebsentwicklung 
auf. Schnitte durch derartige Randstellen lassen von tuberkulösen 
Veränderungen nicht eine Spur erkennen. Die Oberfläche der drei 
Herde ist von pigmentiertem Granulationsgewebe bzw. jungem Binde- 
gewebe und Exsudat bedeckt; ausserhalb der Herde ist das Pigment- 
epithel normal. Der nach der Mächtigkeit und histologischen Be- 
schaffenheit des Bindegewebes älteste Herd (der im U. B. oberste) 
hat auch epichorioidal das meiste Bindegewebe und nur Spuren von 
Exsudat, die beiden andern sind jünger und ihr epichorioidales Ge- 
webe ist von einer dicken Exsudatschicht bedeckt. Der noch ganz 
intrachorioidal gelegene (im U. B. unterste) Herd scheint auch nach 
der Beschaffenheit des epichorioidalen Gewebes der jüngste zu sein. 
Über diesem ist auch die Retina in ganz geringem Grade durch das 
Exsudat vorgewölbt, sonst sind durch das Granulationsgewebe höch- 
stens die äusseren Netzhautschichten eingedrückt, ohne dass auf der 
inneren Netzhautoberfläche eine Niveaudifferenz vorhanden ist. Im 
übrigen ist die Retina über den Herden stärker ödematös. 

Nach der Beschaffenheit des neugebildeten Bindegewebes unter 
Berücksichtigung der langsam während der klinischen Beobachtung 
aufgetretenen Veränderungen dürfte das Alter aller drei Herde auf 
viele Monate, wahrscheinlich auf mindestens ein Jahr anzusetzen sein. 

Entsprechend dem sehr chronischen Verlauf finden sich nur ganz 
vereinzelte Tuberkelbacillen. 


Epikrise, 

Vergleichen wir nun mit dem Ergebnis der mikroskopischen 
Untersuchung den letzten ophthalmoskopischen Befund, welcher ziem- 
lich der Abbildung Taf. XVIII, Fig. 2, entspricht, so können wir zu- 
nüchst feststellen, dass eine Prominenz der Retina über den Herden 
auch im A. B. nicht zu bemerken gewesen wäre, wie denn auch der 
Grad .der Vorwölbung über dem dritten Herd zu gering war, 
um Parallaxe der darüber verlaufenden Netzhautgefässe erkennen 
zu lassen. Wie von Graefe in der Diskussion nach Cohnheims 

v. Graefo's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 8. 36 


548 Ginsberg 


Vortrag über die Miliartuberkulose der Aderhaut!) bemerkte, würde 
schon eine Prominenz der Knótchen von !j,mm durch Parallaxe 
eventuell darüber verlaufender Netzhautgefásse erkennbar sein. Im 
vorliegenden Fall würde die Prominenz der Retina unter Berück- 
sichtigung der bei der Härtung und Einbettung des Präparates ein- 
getretenen Schrumpfung (um ungefähr 12°),) erst 0,112 mm betragen 
haben. : 

Ferner können wir konstatieren, dass das ophthalmoskopische 
Bild über die Tiefenausdehnung des Prozesses kein Urteil ge- 
stattete. Dies ist gewiss nicht verwunderlich. Können wir doch 
selbst bei skleralen Prozessen in dem der direkten Besichtigung offen 
daliegenden Vorderabschnitt oft nur geringe episklerale Veränderungen 
wahrnehmen. Ich möchte hier besonders auf den von mir in der Berliner 
Ophth. Gesellschaft?) demonstrierten Fall von tuberkulöser Skleritis 
erinnern, bei welchem nach einer Tuberkulineinträufelung ein phlyk- 
tänenartiges Knötchen bei so gut wie reizlosem Auge in der Con- 
junctiva bulbi aufgetreten war, welches sich bis zu dem drei Monate 
später erfolgten Tode des Patienten nicht wesentlich veränderte, 
und welches von der im mikroskopischen Präparat nachweisbaren 
wesentlich skleralen Ausbreitung des tuberkulösen Prozesses nichts 
ahnen liess. 

Was nun weiter die ophthalmoskopisch sichtbare Flächen- 
ausdehnung der Herde betrifft, so ist diese bedingt erstens durch 
die Alteration des Pigmentepithels; dem entspricht auch die Aus- 
dehnung im Präparat bei makroskopischer Betrachtung im durch- 
fallenden Licht. 

Dazu kommt aber als wesentliches Moment die grau- 
weisse, grösstenteils verwaschen begrenzte Trübung, welche 
zum kleineren Teil auf das Ödem der Netzhaut, besonders 
und wesentlich aber auf die zwischen dem epichorioidalen 
Granulationsgewebe und der Retina gelegene Exsudat- 
schicht zu beziehen ist. . Daher sehen wir den im U. B. ober- 
halb der Macula gelegenen Herd, über welchem fast kein Exsudat mehr 
vorhanden ist, ophthalmoskopisch schwarz pigmentiert, während die 
nicht weniger intensive Pigmentierung des epichorioidalen Granula- 
tionsgewebes über dem mittleren Herde, wo dieses von der Exsudat- 
schicht bedeckt ist, nur an den Stellen stärkster Wucherung grau 


1) Virchows Arch. Bd. XXXIX. 1867. 
3) Vgl. Zentralbl. f. Augenheilk. 1908. S. 204. 





Zur Kenntnis d. chronischen, herdfórmig dissemin. Aderhauttuberkulose. 549 


durchscheint; wo die Pigmentepithelwucherung aber nicht vom Ex- 
sudat bedeckt war, erschien ein tiefschwarzer Fleck (Taf. X VIII, Fig. 2). 

Dass schon blosses Netzhautódem (wobei auch wohl meist feine 
Veränderungen der Netzhautzellen, speziell der Ganglienzellen vor- 
handen sind) Aderhautinfiltrate vollständig verdecken kann, dürfte 
als bekannt anzusehen sein. Das Ödem braucht im Präparat nicht 
einmal besonders hochgradig zu erscheinen. Ich hatte durch Herrn 
Kollegen Dr. Richard Simon Gelegenheit, die Augen eines Säug- 
lings mit Lues congenita zu untersuchen, in welchen je eine ausgedehnte 
grauweissliche Trübung mit verwaschenen Rändern ophthalmoskopisch 
sichtbar war. Die mikroskopische Untersuchung zeigte entsprechend 
der Trübung einen grossen, aus Plasmazellen mit Lymphocyten und 
Eosinophilen zusammengesetzten Aderhautherd, über welchem die Re- 
tina am Rande nekrotisch, sonst stark atrophisch — zentral bis auf ein 
dünnes faserig-zelliges Gliagewebe geschwunden — und dabei öde- 
matös war. Durch die Netzhauttrübung war also die massige Ader- 
hautinfiltration vollkommen unsichtbar gewesen. Dies trifft bekanntlich 
auch bei frischer Chor. disseminata zu. Bei älteren Herden kann also, 
wie wir sehen, epichorioidales fibrinöses Exsudat die gleiche Rolle spielen. 

Bei dem ersten Herd, welcher im wesentlichen weiss mit starker, 
unregelmässiger Pigmentierung erschien, waren die Aderhautverände- 
rungen, welche nach unsern sonstigen Erfahrungen graugelblich hät- 
ten erscheinen müssen, durch das pigmentierte epichorioidale Granu- 
lations- bzw. Bindegewebe vollständig verdeckt. Nach dem ophthal- 
moskopischen Bilde hätte man einen abgelaufenen Prozess (mit Ver- 
wachsung und Pigmentierung der Retina) annehmen können, wenn 
nicht die fortschreitende Vergrösserung dieses scheinbar atrophischen 
Pigmentherdes in dieser Beziehung auffallend gewesen wäre. 

Wie in der klinischen Darstellung angeführt wurde, zeigten die 
beiden unteren Herde (U. B) je eine kleine, hellweisse, von einem 
dunkelgrauen Ring umgebene Partie, welche den Eindruck einer 
Delle machte. Das anatomische Substrat dafür können wohl nur 
die kalottenförmigen Bindegewebshügel gebildet haben. Der Grund 
dafür, dass diese, obwohl über allen drei Herden vorhanden, doch 
nur bei den beiden unteren (U.B.) ophthalmoskopisch sichtbar waren, 
ist darin zu suchen, dass die Kalotte des obersten Herdes durch die 
weit auf sie heraufreichende Pigmentierung grösstenteils verdeckt war 
und sich, bei der stärkeren Entwicklung von Bindegewebsfasern in 
diesem Granulationsgewebe, wohl auch von den übrigen, durch das ` 


Pigment nicht verdeckten weissen Stellen nicht abhob: das Ganze 
36* 


550 Ginsberg 


erschien eben als intensiv und unregelmässig schwarzgesprenkelte 
Fläche. Bei den beiden andern Herden ist die Oberfläche der Hügel 
vollständig frei von Pigment, Diese Hügel reflektierten das Licht 
so stark, dass sie durch das sie bedeckende Exsudat weiss hindurch- 
schienen. Dass dabei der Eindruck einer Delle hervorgerufen wurde, 
während tatsächlich eine gewölbte Oberfläche vorhanden war, dürfte 
nicht befremden, da es bekanntlich bei der Untersuchung im um- 
gekehrten Bilde schwer ist das zu unterscheiden, und man von dem 
zuerst gewonnenen Eindruck nicht leicht loskommt. Ähnliches be- 
wirkte bekanntlich die erste irrtümliche Deutung der glaukomatösen 
Excavation als blasige Auftreibung. Das fibrinóse Exsudat, in 
welchem wohl auch verfettete Zellen vorhanden waren, bedingte eine 
Trübung, welche die Pigmentierung des Granulationsgewebes ver- 
deckte und nur die stürkste Pigmentepithelwucherung am dünneren 
Rande der Kalotten als dunkelgrauen Ring durchschimmern liess. 
Die grau umsáumten Stellen waren also hier nicht Tuberkelknötchen, 
über denen das Pigment verschwunden und an deren Rande das 
Pigmentepithel gewuchert ist. 

Da nun, wie wir gesehen haben, das ophthalmoskopische 
Bild durch die Beschaffenheit des nicht tuberkulósen epi- 
chorioidalen Gewebes bedingt war, welches die tuberkulósen 
Stromaherdevóllig verdeckte, so ist es klar, dass dieses Bild 
vielgestaltig war und nichts für Tuberkulose charakteristi- 
sches haben konnte. Eben dieser Mangel an etwas Einheitlichem 
und für Tuberkulose als solche charakteristischem hat es wohl wesent- 
lich bedingt, dass die Anerkennung dieser chronischen, in Form ein- 
zelner Herde auftretenden Aderhautentzündung als Tuberkulose, wie 
das v. Michel behauptet hatte, sich so langsam Bahn gebrochen hat. 

Vergleichen wir mit dem Ergebnis unserer Untersuchung die 
Darstellung v. Michels!), so finden wir auch in dieser Beschreibung 
der uns hier beschäftigenden Chorioiditisform nichts für Tuberkulose 
absolut charakteristisches; auch hier erscheint das ophthalmoskopische 
Bild recht vielgestaltig. Dies letztere dürfte allgemein in dem Ver- 
halten des epichorioidalen Granulations- bzw. Bindegewebes, in dem 
wechselnden gegenseitigen Verhältnis von Pigment, Exsudat und 
Bindegewebe seinen Grund haben. 

Dass ein tuberkulöser Aderhautherd im frischen Stadium oph- 
thalmoskopisch sich von entzündlichen Herden anderer Ätiologie nicht 





») z. B. Grundriss der Augenheilk. 3. Aufl. S. 242. 


Zur Kenntnis d. chronischen, herdfórmig dissemin. Aderhauttuberkulose. 57] 


wesentlich unterscheidet, bedarf keiner weiteren Ausführung. Der 
anatomischen Zellanhäufung mit gar nicht oder wenig ausgesprochenen 
Pigmentveränderungen und Netzhautödem entspricht das gewöhnliche 
Bild des frischen chorioiditischen Herdes. Ich möchte hier noch beson- 
ders auf die „bindegewebigen Membranen zwischen Aderhaut und Netz- 
haut“ hinweisen, welche v. Michel (loc. cit) beschreibt. Diese 
Membranen gehen offenbar aus epichorioidalem Granulationsgewebe 
hervor, wie wir es im vorliegenden Fall in einem jüngeren Stadium 
gefunden haben. Dies Granulationsgewebe dürfte nicht nur die 
Organisation des Exsudates bewirken, sondern nach definitiver Um- 
wandlung in Bindegewebe auch zur Einkapselung und Aus- 
heilung des Herdes von oben her wesentlich beitragen. 

Entsprechend den Erfahrungen an andern Organen kam die 
Ausheilung tuberkulóser Aderhautherde bei Stocks!) Kaninchen- 
experimenten unter zwei Formen zur Beobachtung: erstens einfache 
Resorption ohne Hinterlassung von Spuren, zweitens Heilung unter 
Bildung einer bindegewebigen Narbe oder Sklerose der Aderhaut, 
meist mit Verdünnung der letzteren. Soweit die Ausheilung im vor- 
liegenden Fall gediehen ist, entspricht sie dem letzteren Modus. Es 
dürfte durch diesen beim Menschen zum erstenmal klinisch und ana- 
tomisch erhobenen Befund für die Anschauung v. Michels, dass 
vereinzelte ophthalmoskopisch sichtbare atrophische chorioretinitische 
Herde in sonst normalem Hintergrund öfter als ausgeheilte tuber- 
kulöse Herde anzusprechen seien, eine neue Stütze gegeben sein. 

Unser Befund zeigt aber nicht nur, dass die typische tuberkulöse 
Aderhautentzündung durch die epichorioidalen Prozesse gänzlich ver- 
deckt werden kann, sondern auch, dass auf Grund des ophthal- 
moskopischen Bildes ein sicheres Urteil über das Stadium 
des Prozesses nicht zu bilden ist; man würde nach dem Augen- 
spiegelbild des oberhalb der Macula (U. B., Taf. X VIII, Fig. 1) gelegenen 
Herdes einen abgelaufenen Prozess, einen atrophischen Stromaherd 
mit Verwachsung der pigmentierten und atrophischen Retina erwartet 
haben, während im Stroma noch reichlich tuberkulöse Masse und 
floride Entzündung vorhanden, die Pigmentierung auf die Oberfläche 
der Aderhaut beschränkt und die Retina frei war. 

Das Gesagte dient zur Illustrierung der Schwierigkeiten, welche 
dem Versuch, die Diagnose dieser chronischen, herdförmig disseminierten 
Aderhauttuberkulose lediglich auf Grund des ophthalmoskopischen Be- 


!) v. Graefe's Arch. f. Ophth. Bd. LXVI. 


559  Ginsberg, Zur Kenntnis d. chron., herdfórmig diss. Aderhauttuberkulose. 


fundes zu stellen, entgegenstehen. Es wird dementsprechend auch 
wohl allgemein anerkannt, dass wir hier ganz besonders unsere ge- 
samten allgemeindiagnostischen Hilfsmittel heranziehen müssen. 


Erklärung der Abbildungen auf Taf. XVIII u. XIX, Fig. 1—6. 


Fig.1. Skizze des Augenhintergrundes im umgekehrten Bild vom 25. II. 1909 
(in Haabs Schema eingezeichnet, daher Gefässverlauf nicht dem Fall entsprechend). 
(Vgl. Text, S. 540.) 


Fig. 2. Hintergrund des anatomischen Präparates im durchfallenden Licht 
bei Lupenvergrösserung. Das Bild, namentlich der beiden unterhalb der Plica 
centralis gelegenen Herde entspricht dem letzten ophthalmoskopischen Befund. 
(Vgl. Text, S. 540.) O — oben, U = unten, T = temporal, N — nasal. 

Fig. 3. Schnitt durch den (im U. B.) obersten Herd, zwischen Mitte und 
Rand. Hüm.-Eosin. — V — ungefáhr 60. Epichorioidales pigmentiertes Binde- 
gewebe mit Gefüssen, Bindegewebskalotte. In der Chorioidea kleinzellige Infil- 
tration und Bindegewebe. Defekt der Suprachorioidea. In der Sklera kleiner 
Erweichungsherd. Die Sklera erscheint in den Figg. 3—6 zu stark aufgefasert 
bzw. geschrumpft. 

Fig. 4. Vertikalschnitt durch den temporalen Rand desselben Herdes wie 
Fig.3. van Gieson. — V = ungefähr 60. Sklerotisches Bindegewebe epichorioi- 
dal und chorioidal, dazwischen kleinzellige Infiltration. Starke Verdünnung der 
Aderhaut. 

Fig. 5. Schnitt durch die Mitte des gleichen Herdes. van Gieson. — 
V = ungefähr 60.  Sklerale Ausbreitung. Junges, zellreicheres (gelblich) und 
älteres, faserreiches (rot) neugebildetes Bindegewebe. In dem llerd zwei Riesen- 
zellen. 

Fig. 6. Vertikalschnitt durch den mittleren Herd. van Gieson. V — 
ungefähr 60. Epichorioidale Bindegewebskalotte (rot) von fibrinóser Exsudat- 
schicht (gelb) bedeckt. Sklerale Ausbreitung des Herdes mit Entwicklung von 
Bindegewebe jüngeren und älteren Stadiums in kontinuierlichem Übergang 
(ersteres zellreich, gelblich gefärbt, letzteres faserig, rot). Unter dem Herd Rand 
einer thrombosierten Art. ciliaris. 


Zur Àtiologie des Glasmacherstars. 


Von 
San Rat Dr. med. Fritz Schanz 
und 
Dr.-Ing. Karl Stockhausen 
in Dresden. 


Mit Taf. XX u. XXI, Fig. 1 u. 2. 


Die Untersuchungen über die Wirkungen der kurzwelligen Strahlen 
auf das Auge haben die Frage nach der Entstehung des Glasmacher- 
stars wieder angeregt. Die eigentümliche Form dieser Katarakte 
muss mit Eigentümlichkeiten in der Beschäftigung des Glasbläsers 
zusammenhängen. 

Bei vielen Glasbläsern nämlich Bu sich meist anfangs der 
vierziger Jahre eine kreisrunde Trübung am hinteren Pol der Linse. 
Hat diese längere Zeit bestanden, so beginnt sich auch eine Trübung 
am vorderen Linsenpol einzustellen. Mit der Zeit bildet sich dann 
eine Linsentrübung heraus, die vom hinteren zum vorderen Linsenpol 
zieht und schliesslich das ganze Gebiet der Linse ausfüllt, soweit es 
bei der Arbeit vor dem Glasofen von den Lichtstrahlen getroffen 
wird. Nur der Teil der Linse wird befallen, der von der Iris nicht 
gedeckt wird. Die Peripherie der Linse ist dabei vollständig klar. 
Es ist dies eine ganz charakteristische Starform, die sonst nicht vor- 
kommt. 

Bei der Frage nach der Entstehung dieser eigentümlichen Star- 
form ist in erster Linie daran zu denken, dass die aus den glühenden 
Massen ausstrahlende Energie das Auge direkt schädigt. Es käme 
ferner in Frage, dass der Körper des Glasbläsers durch die von dem 
Ofen ausstrahlende Energie Schädigungen erleidet, die indirekt zu 
den Veränderungen im Auge führen, und drittens ist in Erwägung 
zu ziehen, ob nicht in der Art der Bearbeitung des Glases Momente 
liegen, die die besonders eigentümliche Schädigung in der Linse her- 
vorrufen. Es sind in der Tat alle drei Möglichkeiten schon in Betracht 


524 F. Schanz und K. Stockhausen 


gezogen worden. Peters!) glaubte, dass der Star beim Glasbläser 
mit der durch das Blasen erzeugten Stauung der Vortexvenen in 
Verbindung zu bringen sei. Es würde sich daraus nicht erklären lassen, 
warum der Glasblüserstar lange Jahre nur auf einem Auge und 
immer in dem Auge zuerst vorhanden ist, das der Glasbläser der 
Feuerstätte zukehrt. Meyhöfer?) hatte unter anderem dem starken 
Wasserverlust des Körpers durch Schwitzen eine wesentliche Bedeu- 
tung bei der Entstehung des Glasmacherstars eingeräumt. Der starke 
Wasserverlust schaffe für das Auge Bedingungen, die die Bil- 
dung der Startrübung veranlassen. Cramer?) hat schon darauf hin- 
gewiesen, dass die Glasbläser durch häufiges Trinken den Verlust 
ausgleichen, und dass unter den staroperierten Glasmachern der all- 
gemeine Körperzustand eher zu einer für das in Frage kommende 
Alter zu grossen Behäbigkeit, als zu einer infolge der riesigen Schweiss- 
entwicklung zu erwartenden Abmagerung neigt. Schanz, der eben- 
falls viel Gelegenheit hat, Glasmacherstare zu behandeln, kann diesen 
Angaben nur beipflichten. Auch andere Feuerarbeiter (Eisengiesser, 
Schmiede, Heizer) sind in ähnlicher Weise grossem Wasserverlust aus- 
gesetzt und zeigen keine Starformen von den Eigentümlichkeiten des 
Glasmacherstars. Dass die Feuerarbeiter in verháültnismássig frühem 
Alter an Star erkranken, soll dabei nicht bestritten werden. Doch ist 
dann der Befund in keiner Weise verschieden von den Befunden, die 
wir sonst bei dem Altersstar sehen. 

Da die eigentümliche Form des Glasmacherstars weder durch 
die durch das Blasen erzeugte Stauung der Vortexvenen im Auge, 
noch durch den durch Schwitzen erzeugten Wasserverlust des Kór- 
pers erklärt werden kann, ist zu prüfen, ob durch die von den weiss- 
glühenden Glasmassen ausstrahlende Energie solche Veränderungen 
direkt erzeugt werden können. Es müsste dabei unterschieden werden 
die Wirkung der Wärmestrahlen, der sichtbaren Strahlen und der 
chemisch wirksamen Strahlen. Meyhöfer hat schon in der furcht- 
baren Hitze, die direkt auf das Auge einwirkt, eine Ursache dieser 
Schädigungen sehen wollen. Leber!) meint, dass die Wiasserver- 


1) Peters, Weitere Deitrige zur Pathologie der Linse. Monatsbl. f. 
Augenheilk. Bd. XLII. 1904. 

2) Meyhöfer, Zur Ätiologie des grauen Stars. Monatsbl. f. Augenheilk. 
1886. S. 49. 

3) Cramer, Entstehung und klinische Besonderheiten des Glasbläserstars. 
Monatsbl. f. Augenheilk. 1907. 

*) Leber, Die Ernührungs- und Cirkulationsverhültnisse des Auges. Graefe- 
Saemisch. 1908. 


Zur Ätiologie des Glasmacherstars. 555 


dunstung an der Hornhautoberfläche und der starke Wasserverlust 
durch Schwitzen des ganzen Körpers eine stärkere Konzentration des 
Kammerwassers veranlasst, die ihrerseits die Ursache zu der Linsen- 
trübung abgeben kann. Hess hat schon darauf hingewiesen, dass 
man dann eine Trübung am vorderen, nicht aber, wie dies beim 
Glasmacherstar der Fall ist, am hinteren Linsenpol zuerst erwarten 
müsste. Ferner muss man bedenken, dass die Linse vor der direkten 
Einwirkung der Wärmestrahlen durch die Hornhaut und das Kam- 
merwasser erheblich geschützt ist. Gegenüber den Wärmestrahlen 
würde die Iris als gutleitender Körper kein Hindernis bieten. Es 
wäre nicht verständlich, warum sich die Veränderungen des Glas- 
macherstars so lange auf das Gebiet erstrecken, das von der Iris 
nicht gedeckt wird. | 

Können also die Wärmestrahlen nicht zur Erklärung der Er- 
scheinungen herangezogen werden, so wäre zu prüfen, ob die sicht- 
baren Strahlen die Eigentümlichkeiten im Verlauf dieser Erkrankung 
erzeugen können. 

Die sichtbaren Strahlen passieren die Linse zum grössten Teil 
unverändert. Soweit dies der Fall ist, können sie für die Verände- 
rungen in ihr nicht verantwortlich gemacht werden. Aber ein ge- 
ringer Teil von ihnen wird von der Linse absorbiert!). Es sind dies 
ein Teil der blauen und violetten Strahlen. Diese Strahlen erzeugen 
auch Fluorescenz der Linse. Die Gelbfürbung der Linse im Alter 
hängt auch mit der Absorption dieser Strahlen zusammen, wie dies 
von Hess?) eingehend klargelegt wurde. 

Grössere Bedeutung als diesen sichtbaren Strahlen aber, die von 
der Linse absorbiert werden, dürfte den unsichtbaren, den sog. ultra- 
violetten Strahlen zukommen. Von ihnen ist erwiesen, dass sie 
chemisch besonders wirksam sind, und wir haben festgestellt, dass sie 
sehr intensiv und mit zunehmendem Alter immer intensiver von der 
Linse absorbiert werden. 

Es fragt sich nun, ob bei der Entstehung des Glasmacherstars 
die direkte Einwirkung der kurzwelligen Strahlen ın Frage kommen 
kann. Wir besitzen darüber schon eine sehr schöne Untersuchung 
von Cramer?), der auf Grund lediglich klinischer Erwägungen 


1) Schanz u. Stockhausen, Über die Fluorescenz der Linse. v. Graefe’s 
Arch. Bd. LXXIII, 1. 

?) Hess. Arch. f. Augenheilk. Bd. LXIV, 3. 

3) Cramer, Entstehung und klinische Besonderheiten des Glasblüserstars. 
Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1907. 


556 F. Schanz und K. Stockhausen 


zu dem Schluss kommt, dass die direkte Ursache der Star- 
bildung bei den Glasmachern die langjährige Einwirkung 
der chemischen Strahlen ist, während die Hitze nur ein 
unterstützendes Moment darstellt. 

Wir haben geglaubt, die Entscheidung dieser Frage fördern zu 
können, wenn wir die Verhältnisse festlegen, unter denen der Glas- 
bläser Tag für Tag arbeitet. Wir haben die Temperatur am Glas- 
ofen, die Temperatur des flüssigen Glases, die Lichtmenge, die der 
Glasofen ausströmt, gemessen und dieses Licht während einer ganzen 
Arbeitsperiode spektrographisch untersucht. 

Die Versuchsanordnung ist aus Taf. XX, Fig. 1 ersichtlich. Die 
drei Apparate, der Spektrograph, das Universalphotometer und das 
Pyrometer, sind auf eine Arbeitsöffnung des Glasofens, die zwischen 
den beiden Glasbläsern links sichtbar ist, gerichtet. Vor der strah- 
lenden Wärme des Glasofens sind die Apparate durch Asbesttafeln, 
die mit einer entsprechenden Öffnung versehen sind, geschützt. 
Von der Arbeitsöffnung sind die Apparate 2,70m entfernt!) Zu 
jeder vollen Stunde wurde mit jedem Apparat eine Messung aus- 
geführt. Ebenso wurden die Temperaturen von zwei berussten Thermo- 
metern, von denen das eine sich an der Stelle befand, an der sich 
der Kopf des Glasmachers befindet, wenn er einen Posten Glas aus 
dem Ofen nimmt, das andere an der Arbeitsstelle, an der der Glas- 
macher einen halbfertig geblasenen Gegenstand nochmals anwärmt, 
zu derselben Zeit abgelesen. Die Untersuchungen wurden einmal 
von dem Ende einer Schmelzperiode über die ganze Arbeitsperiode 
bis zum Beginn der neuen Schmelzperiode, das andere Mal von dem 
Ende der Arbeitsperiode über die Schmelzperiode bis zum Anfang 
der neuen Schmelzperiode durchgeführt. Die erhaltenen Resultate 
hier alle auszuführen, würde zu weit führen. Hier interessieren auch 
nur die der Arbeitsperiode, und da während der Arbeitsperiode ziem- 
lich konstante Verhältnisse herrschen, so genügen die Angaben von 
Mittelwerten. 

Das Thermometer zeigte an der Stelle, an der der Glas- 
macher das Glas aus dem Hafen nimmt, eine durchschnittliche 
Temperatur von 110° C., in der Stellung des Anwärmens von halb- 
fertigen Glasgegenständen durchschnittlich 45°C. Bei dem Blasen 
und Bearbeiten des Glaspostens an dem Ende der Arbeitsbühne be- 





1) Bei dem Versuch, die Apparate in geringerer Entfernung aufzustellen, 
hatten dieselben so unter der Hitze gelitten, dass sie zum Teil unbrauchbar ge- 
worden waren. 


Zur Ätiologie des Glasmacherstars. 557 


findet sich der Glasbläser in einer Temperatur von etwa 20°C. Das 
Auge des Glasbläsers erhält bei der Entnahme von Glas aus dem 
Ofen eine Beleuchtung von durchschnittlich 540 Lux. 

Diese Untersuchung zeigt, das der Glasbläser sehr hohen und 
sehr wechselnden Temperaturen ausgesetzt ist. Solchen Tempera- 
turen sind aber zweifellos auch andere Arbeiter ausgesetzt. Cramer 
macht z. B. auf die Heizer an den Dampfkesseln der Riesendampfer 
aufmerksam, die jedenfalls noch grössere Hitze zu ertragen haben, 
ohne dass man bei ihnen je die Starform beobachtet, die für Glas- 
bläser eigentümlich ist. Die leuchtenden Strahlen sind ebenfalls von 
sehr hoher Intensität, und man muss sich eigentlich wundern, dass 
die grosse Lichtmenge, die auf die Netzhaut anhaltend einwirkt, nicht 
doch mit der Zeit Veränderungen in ihr erzeugt. Besonders wichtig 
war uns der Befund über den Anteil der ultravioletten Strahlen an 
der Gesamtstrahlung, die von dem Ofenloch ausgeht. Das Licht, 
das der Glasofen ausstrahlt, stammt von den glühenden Glasmassen, 
den glühenden Häfen und dem Feuerungsgas. Das Licht enthält 
ultraviolette Strahlen etwa bis 320 uu Wellenlänge. Am intensivsten 
sind vertreten die ultravioletten Strahlen von 400 — 350 uu Wellen- 
länge, darunter schwächt sich das Spektrum sehr ab. Das Licht 
enthält also die ultravioletten Strahlen, die vor allem auf 
die Linse einwirken. Es ist frei von den Strahlen, die das 
äussere Auge reizen. Dieses gibt uns die Erklärung für die 
dunklen Punkte in dieser Frage. 

Birch- Hirschfeld hat in seiner Abhandlung!) die Frage auf- 
geworfen: „Und wie ist es zu erklären, dass Fälle von akuter Blen- 
dung durch ultraviolettes Licht, wie sie in andern Betrieben (Eisen- 
schmelzen [Ogneff], bei Installateuren und Elektrotechnikern) nicht 
selten vorkommen, bei Glasbläsern nicht beobachtet worden sind.“ 
Er meint damit die Erscheinungen der elektrischen Ophthalmie. Aus 
unsern Untersuchungen erklärt sich dies ohne weiteres. Die Rei- 
zungen am äusseren Auge, wie sie in diesen Betrieben beobachtet 
werden, werden durch die kurzwelligsten ultravioletten Strahlen 
veranlasst, durch die Strahlen von weniger als 320 uu Wellenlänge. 
Diese sind aber in dem Licht, das auf die Augen der Glasbläser 
einwirkt, nicht enthalten. 

Wenn Birch-Hirschfeld?) bei seinen Versuchstieren durch 
oft wiederholte Blendung mit elektrischem Licht eigenartige Ver- 


! Zeitschr. f. Augenheilk. Dd. XXI, 5. S. 402. 
3) Ebenda S. 404. 


558 F. Schanz und K. Stockhausen 


ünderungen erzeugen konnte, die mit den anatomischen Befunden 
bei Frühjahrskatarrhen Ahnlichkeit haben, und angibt, dass solche 
Veründerungen bei Glasblüsern nicht beobachtet werden konnten, so 
ist dies nach unserem Befund ganz verständlich. Die ultravioletten 
Strahlen, die in der Bindehaut solche Veränderungen erzeugen, sind 
in dem Licht, das auf die Augen der Glasbläser einwirkt, nicht ent- 
halten. Das Licht enthält von den ultravioletten Strahlen eben bloss 
die Strahlen, die vor allem auf die Linse wirken. Nur dadurch, 
dass das Licht, das von der glühenden Glasmasse aus- 
strömt, frei ist von den Strahlen, welche das äussere Auge 
reizen, istes dem Glasmacher möglich, während seiner gan- 
zen Arbeitszeit seine Augen der Einwirkung dieses Lichtes 
auszusetzen. Das Licht, das der Glasofen ausstrahlt, steht in 
seiner Zusammensetzung zwischen dem der Petroleumlampe und der 
Auerlampe. Wäre es zusammengesetzt wie das Licht einer Auerlampe 
oder elektrischen Glühlampe, so würden Reizungen am äusseren 
Auge nicht fehlen; wäre es zusammengesetzt wie das Licht einer 
Bogenlampe, so würden den Glasblüsern sicher die Reizungen am 
Auge, die elektrische Ophthalmie, zwingen, seine Arbeit einzustellen. 

In Taf. XXI, Fig. 2 finden sich eine Anzahl Spektren verschiedener 
Lichtquellen, die mit demselben Apparat und derselben Aufstellung 
aufgenommen sind. Über den Spektren befindet sich eine Skala der 
Wellenlängen; bei 400 wu Wellenlänge ist die Grenze der Sichtbarkeit. 
Die Marke, welche man bei 300 uu Wellenlänge sieht, befindet sich 
bei allen Aufnahmen an derselben Stelle. Das erste Spektrum ist 
das Spektrum der geschmolzenen glühenden Glasmasse; das zweite 
das von einer guten Petroleumlampe. Das dritte Spektrum ist von 
einer Auerlampe. Das Spektrum 4 ist von einer Osramlampe und 
ist noch ausgedehnter als das des Auerlichtes. Die Spektren 5 und 
6 sind von einer Bogenlampe mit und ohne Glocke. Sie zeigen, 
dass bei diesen Lampen das kurzwellige Ende des Spektrums noch 
ausgedehnter ist. 

Diese Feststellung zeigt recht deutlich, dass es bei den Schä- 
digungen des Auges durch kurzwellige Lichtstrahlen nicht 
nur auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität der 
kurzwelligen Strahlen ankommt. Dass die Blendung bei den 
Glasmachern durch das Fluorescenzlicht eine recht erhebliche ist, er- 
gibt sich daraus, dass einige von den Glasmachern, denen Schanz 
zu ihrer Arbeit helle Euphosbrillen verordnet hatte, von selbst an- 
gegeben haben, dass ihnen die Glasmassen mit diesen Brillen „kalt“ 


Zur Ätiologie des Glasmacherstars. 559 


erschienen sind. Der geringe Lichtverlust von sichtbaren Strahlen 
wird es wahrscheinlich nicht sein, der diesen veränderten Eindruck 
hervorruft. Wahrscheinlich erklärt sich dies daraus, dass mit der 
Euphosbrille die Fluorescenz wegfállt, die ihnen beim Anblick der 
feurigen Massen einen gewohnten Eindruck hervorruft. 

Die Eigentümlichkeiten des Glasmacherstars sind auf 
die Wirkung der kurzwelligen Lichtstrahlen zu beziehen, 
die von dem Glasofen ausgestrahlt werden. Der Einwirkung 
dieses Lichts kann sich der Glasmacher nur aussetzen, weil 
die Strahlen die Reizung am äusseren Auge veranlassen, 
vollständig fehlen. Die stark pigmentierte Iris, die für 
Wärmestrahlen gut leitend ist, absorbiert eben wegen ihres 
Pigmentes die kurzwelligen Strahlen besonders gut. Die 
Einwirkung auf die Linse bleibt deshalb auf das Pupillen- 
gebiet beschränkt. 

Dass die hinteren Linsenschichten den ersten Angriffspunkt bilden, 
sucht Cramer aus der durch die Brechungsverhältnisse dort bedingten 
grösseren Konzentration innerhalb des optischen Systems zu erklären. 

In ganz ähnlicher Weise erklären sich die Veränderungen in der 
Gesichtshaut der Glasmacher. Es sind dies, wie auch Cramer schon 
ausgesprochen, keine durch die Hitzewirkung entstehenden Ver- 
letzungen, auch keine dem Gletscherbrand gleichzustellende Wirkungen 
der kurzwelligsten Strahlen, sondern der relativ langwelligen ultra- 
violetten Strahlen. Diesen kommt eine grössere Tiefenwirkung zu, 
sie veranlassen die Pigmentierung der Haut, wührend jene Erytheme 
erzeugen, die hóchstens zur Abhebung des Epithels führen. Die Ver- 
änderungen in der Haut und in der Linse sind Wirkungen 
der Strahlen ein und desselben Strahlungsgebietes. 

Was die Entstehung des Altersstars betrifft, so hat Handmann 
im letzten Hefte der klinischen Monatsblätter für Augenheilkunde 
(47. Jahrgang, Dezember) an der Hand einer grossen Statistik ge- 
zeigt, dass derselbe in der Mehrzahl der Fälle in der unteren Linsen- 
hälfte und zwar unten nasal häufiger als unten temporal beginnt. 
Er schliesst daraus, dass er durch Ernährungsstörungen entsteht, die 
sich in der unteren Hälfte stärker geltend machen als in der oberen. 
Er weist auch darauf hin, dass die Lichtstrahlen, die physiologisch 
auf die Linse einwirken, die untere Linsenhälfte ausgiebiger bestrahlen 
als die obere. Das Himmelslicht und das direkte künstliche Licht 
ist reicher an kurzwelligen Strahlen als das nochmals diffus reflek- 
tierte Licht, das vorwiegend zur oberen Linsenhälfte gelangt. 


560 F. Schanz und K. Stockhausen, Zur Ätiologie des Glasmacherstars. 


In demselben Heft ist ferner eine Arbeit von Hallauer er- 
schienen, in der er an einer grossen Zahl menschlicher Linsen zeigt, 
dass die Absorption derselben gegenüber den kurzwelligen Strahlen 
eher noch grösser ist, als wir angegeben. Dabei bestätigt er auch 
unsere Feststellung, dass diese Absorption mit zunehmendem Alter 
grösser wird. 

Die Momente, die darauf hinweisen, dass die Entstehung des 
Altersstars mit der Einwirkung der kurzwelligen Strahlen auf die 
Linse zusammenhängt, mehren sich, und es bedarf diese Frage sicher 
einer ernsteren Prüfung. Warum sollten die kurzwelligen Strahlen 
des Tageslichtes nicht im stande sein, im Laufe des Lebens Verände- 
rungen in der Linse zu erzeugen, die mit denjenigen identisch sind, 
die dieselben Strahlen in der Linse vieler Glasmacher nach etwa 
zwanzigjühriger Berufsarbeit erzeugen? Die Eigentümlichkeiten des 
Altersstars lassen sich vielleicht aus den Ernührungsverhültnissen der 
Linse, aus der Regeneration des Kapselepithels, aus Eigentümlich- 
keiten im Wachstum der Linsenfasern oder aus der Sklerose des 
Linsenkerns erklären. 


Weiteres über Blendung. 


Von 
San Rat Dr. med. Fritz Schanz 


und 


Dr.-Ing. Karl Stockhausen 


in Dresden. 


Die vorstehende Untersuchung über die Ätiologie des Glasmacher- 
stars zeigt recht deutlich, dass es bei der Beurteilung der 
Wirkung des kurzwelligen Lichts auf die Augen nicht nur 
auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität dieser 
Strahlen ankommt. Die kurzwelligsten (weniger als 320 uu Wellen- 
länge) werden vom äusseren Auge absorbiert, sie wirken auf Augen- 
teile, die mit einem sehr empfindlichen Nervenapparat versehen sind. 
Es ist verständlich, dass diese Teile auf Reizung durch diese Strahlen 
sofort reagieren, es kommt zu unangenehmen Empfindungen am äusseren 
Auge, bei intensiver, länger anhaltender Einwirkung entwickeln sich 
Entzündungen. Anders verhält es sich mit den kurzwelligen Strahlen, 
die in das Augeninnere eindringen und von den Augenmedien ab- 
sorbiert werden. Diese Teile sind ohne sensible Nerven. Es werden 
daher keine sofort wahrnehmbaren Veränderungen hervorgerufen. Nur 
ein Teil dieser Strahlen, der in Fluorescenzlicht umgewandelt wird, 
vermag die lichtempfindlichen Elemente der Netzhaut zu erregen und 
so indirekt auch eine sofort wahrnehmbare Empfindung zu erzeugen. 
Durch sehr intensive, langanhaltende Einwirkung kommt es aber auch 
direkt zu Schädigungen wenigstens in der Linse, in dem Organ, das am 
intensivsten diese Strahlen aufnimmt, wie wir dies beim Glasmacherstar 
gezeigt haben. Dass die kurzwelligen Lichtstrahlen, die tagtäglich 
durch das Tageslicht der Linse in reichstem Masse zugeführt und 
von ihr aufgenommen werden, ohne Wirkung bleiben, scheint uns un- 
wahrscheinlich. Nach dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft 
können wir nicht annehmen, dass diese Strahlen wirkungslos verloren 








1) Vgl. Schanz u. Stockhausen, Über Blendung. v. Graefe’s Arch. 
f. Ophth. Bd. LXXI, 1. 


562 F. Schanz und K. Stockhausen 


gehen. Wir halten es vielmehr für unwahrscheinlich, dass diese Um- 
setzung der Energie ohne jede Wirkung auf das Organ bleibt, in 
dem die Umsetzung stattfindet. Vogt sagt zwar: ,,Es ist nicht be- 
kannt, dass irgendwelche der zahlreichen fluoreszierenden Kórper (wie 
Haut, Knochen, Holz, Papier, Kastanienrindenextrakt usw.) durch die 
Fluorescenz irgendwelche Veränderungen erleiden.“ Die Gruppe von 
Stoffen, an denen die Erscheinungen der Fluorescenz am eingehendsten 
studiert sind, hat er nicht erwähnt. Es sind dies die Farbstoffe, 
deren Lösungen fluoreszieren. Von einem grossen Teil dieser Farben 
ist bekannt, dass sie unter der Einwirkung des Lichts sehr rasch 
verschiessen. Es treten bei diesen Farbstoffen dabei sicher molekulare 
Veränderungen auf, die die Farbe verändern. Wenn wir bei den 
von Vogt angeführten Stoffen keine Veränderungen nachweisen können, 
so liegt dies mit Wahrscheinlichkeit nicht daran, dass keine moleku- 
laren Veränderungen bei der Fluorescenz stattfinden, sondern daran, 
dass unsere Hilfsmittel nicht ausreichen, diese festzustellen. Dasselbe 
dürfte auch für die Linse meist zutreffen. Bei sehr intensiver an- 
haltender Einwirkung jedoch lassen sich in ihr sogar sehr augen- 
fällige Veränderungen nachweisen, wie wir dies in dem vorhergehenden 
Artikel über die Ätiologie des Glasmacherstars gezeigt haben. 
Unsere Untersuchungen haben zweifellos dargetan, dass die 
Strahlen des Spektrums auch jenseits der Sichtbarkeit kontinuier- 
lich auf das Auge einwirken. Sie erzeugen im Auge Wirkungen, 
die für den Sehakt keinen Vorteil bieten, die aber da, wo sie in- 
tensiv auftreten, ihn wesentlich stören. Dass auch das Fluorescenz- 
licht sich störend geltend macht, kann nicht zweifelhaft sein. Wir 
haben verschiedenfach gezeigt, dass man in der Linse mit dem Lichte 
einer Bogenlampe lebhafte Fluorescenz erzeugen kann. Diese ist in 
ziemlicher Entfernung wahrnehmbar. Vermag sie auf eine solche 
Entfernung noch die Netzhaut des Beobachters zu erregen, so muss 
die Erregung der Netzhaut in dem Auge, in dem sich eine solche 
Linse befindet, eine viel erheblichere sein. Ferner lässt sich die 
Fluorescenz der toten Netzhaut wahrnehmen. Die lebende Netzhaut 
wird ihr eigenes Fluorescenzlicht noch intensiver empfinden. Dieses 
Fluorescenzlicht muss die Schärfe des Netzhautbildes beeinträchtigen. 
Prof. Best hat diese Beeinträchtigung für unwesentlich gehalten. Er 
hat gemeint, das Fluorescenzlicht werde nur bei dem Versuch im 
Dunkelzimmer wahrnehmbar und werde für gewöhnlich in ähnlicher 
Weise vernachlässigt, wie das Licht, das durch die Lederhaut dringt. 
Das kann nicht zutreffen. Wir haben gezeigt, dass das Fluorescenz- 


Weiteres über Blendung. . 563 


licht, das von dem Licht einer Bogenlampe von 10 Amp. erzeugt 
wird, so erheblich ist, dass man bei einem Versuchstier in einigen 
Metern Entfernung von der Lampe lebhaften Pupillen- und Lidschluss- 
reflex damit auslösen kann. Ein Licht, das so erhebliche Reflexe 
auslöst, muss auf die Netzhaut einen intensiveren Reiz ausüben, als 
dies Prof. Best annimmt. 

Da die Strahlen, die Fluorescenz der Augenmedien erzeugen, 
auch im Tageslicht reichlich vertreten sind, so war zu prüfen, ob 
sich bei der Blendung durch Tageslicht eine Wirkung dieser Strahlen 
geltend macht. Stellen wir uns bei Sonnenschein ins Freie zu einer 
Zeit, wo die Sonne etwa 30° über dem Horizont steht, und blicken 
wir in der Richtung der Sonne auf Gegenstände in der Nähe des 
Horizontes, so erscheinen sie wie mit einem Schleier überzogen. Halten 
wir die Hand an die Stirn und beschatten damit die Pupille, oder 
neigen den Kopf so, dass die Pupille vom oberen Augenhöhlen- 
rand und der Lidkante beschattet wird, so lichtet sich dieser Schleier. 
Durch die Beschattung der Pupille wird erreicht, dass kein direktes 
Sonnenlicht zur Linse und zur Netzhaut gelangt. Das diffuse Tages- 
licht, das in die beschattete Pupille gelangt, ist wesentlich ärmer an 
kurzwelligen Strahlen und vermag keine Fluorescenz hervorzurufen, 
die so intensiv ist, dass sie sich auch am hellen Tage störend be- 
merkbar macht. Die Pupillenveränderung, die mit der Beschattung 
der Pupille verbunden ist, reicht nicht aus, um das Verschwinden des 
Schleiers zu klären. Auch die Reizung der Netzhaut durch Strahlen, 
welche durch die Lederhaut dringen, genügt nicht zur Erklärung 
dieser Erscheinung. Schaltet man aber die kurzwelligen Strahlen, 
die die Fluorescenz erzeugen, aus dem direkten Sonnenlicht aus, hält 
man z. B. vor das Auge ein helles Euphosglas, so verschwindet bei 
dem eben beschriebenen Versuch der Schleier, der über den Gegen- 
ständen am Horizont liegt, noch vollkommener als bei der Beschat- 
tung der Pupille mit der Hand. | 
` Welche Massnahmen empfehlen sich nun als Schutz gegen 
Blendung? Dass wir uns beim Tageslicht gegen die Wirkung der 
kurzwelligen Lichtstrahlen, die Reizung am äusseren Auge veranlassen, 
schützen müssen, ist bekannt. Der Bewohner der Tiefebene, der in 
das Hochgebirge kommt, bewaffnet sich mit einer Schutzbrille, die die 
Lichtstrahlen schwächt. Bei Reisen in arktischen Gegenden, bei 
Ballonhochfahrten wird man sich auch mit geeigneten Schutzbrillen 
versehen. In der Tiefebene sind diese Strahlen im Tageslicht nicht 
mehr in der Intensität vorhanden, dass sie stärkere Reizungen am 

v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 31 


564 | F. Schanz und K. Stockhausen 


äusseren Auge veranlassen.. Immerhin werden Stadtbewohner, die 
einmal längere Touren durch sonniges Gelände machen müssen, auch 
in der Tiefebene mit leichten Entzündungen am äusseren Auge noch 
empfindlich belästigt. 

Die Strahlen, die Fluorescenz in den Augenmedien hervorrufen, 
sind im Sonnenlicht auch in der Tiefebene: noch reichlich vorhanden. 
Um uns gegen die intensive Wirkung dieser Strahlen zu schützen, 
müssen wir die Pupille beschatten. Wir haben unsere Kopfbedeckung 
so eingerichtet, dass sie die Beschattung übernimmt, wenn die natür- 
liche Beschattung durch den Augenhöhlenrand und die Lidkante 
wegfült. Da, wo ein solcher Schutz andauernd nicht möglich ist, 
oder wo bei Einwirkung direkt gespiegelten Sonnenlichts die natür- 
lichen Schutzmittel versagen, ist sicher eine Schutzbrille, die diese 
Strahlen abfängt, angebracht. Eine solche Schutzbrille soll die 
kurzwelligen Strahlen, die Fluorescenz in den Augen- 
medien erzeugen, möglichst vollständig absorbieren, die 
sichtbaren aber nicht unnötig schwächen. 

Das künstliche Licht ist auch verschieden zusammengesetzt (vgl. 
die Spektren in der vorgehenden Arbeit: „Über die Ätiologie des 
Glasmacherstars^). Das Licht der Petroleumlampe enthält von den 
kurzwelligen Strahlen nur Strahlen, die Fluorescenz der Augenmedien 
erzeugen; die Strahlen, die Reizungen am äusseren Auge hervorrufen, 
fehlen vollständig, Man kann die Intensität des Lichtes steigern bis 
zu der, die ein Glasschmelzofen in der höchsten Glut ausstrahlt, 
man wird keine Entzündungen am äusseren Auge erhalten. Beim 
Auerlicht enthält das Licht schon Strahlen, die Reizungen am äusseren 
Auge hervorrufen. Dasselbe gilt von den Glühlampen und erst recht 
von den Bogenlampen. Das Licht dieser Lampen gleicht in seiner 
Zusammensetzung dem Tageslicht im Hochgebirge. Das Licht der 
Bogenlampen, selbst wenn diese mit Glasglocken versehen sind, wird 
im Gehalt an ultravioletten Strahlen, die das äussere Auge reizen, 
dem Tageslicht im Hochgebirge nicht nachstehen, da man mit diesen 
Lampen trotz der Glasglocke noch elektrische Ophthalmie bei Ver- 
suchstieren erzeugen kann, und auch bei Menschen Beobachtungen 
vorliegen, dass trotz Lampenglocke und Brille elektrische Ophthalmie 
von solchem Bogenlicht erzeugt worden ist. Im Licht der Auerlampe 
und der Glühlampe erreichen diese Strahlen keine solche Intensität, 
dass heftige Entzündungen entstehen. Sie erzeugen aber die unan- 
genehmen Empfindungen aın äusseren Auge, die wir beim Petroleum- 
licht nicht haben. 


Weiteres über Blendung. 565 


Da im Lichte der Petroleumlampe nur solche kurzwelligen Licht- 
strahlen enthalten sind, die Fluorescenz der Augenmedien veranlassen, 
würde es, um sich gegen die unerwünschte Wirkung dieser Strahlen 
zu schützen, genügen, die Beleuchtung so einzurichten, dass das Licht 
der Lampe nicht direkt in die Pupille fällt. Lässt sich die Petroleum- 
lampe nicht so aufstellen, steht sie wie gewöhnlich in Augenhöhe auf 
dem Tisch, so wird es sich auch empfehlen, diesem Licht die kurz- 
welligen Strahlen zu entziehen.. Bei den andern intensiveren Licht- 
quellen enthält das Licht sowohl Strahlen, die Fluorescenz der Augen- 
medien erzeugen, als auch Strahlen, die das äussere Auge reizen. 
Diesen Lichtquellen muss man die kurzwelligen Strahlen entziehen, 
auch wenn sie so aufgestellt sind, dass direktes Licht nichtžin die 
Pupille gelangt, um die Reizung am äusseren Auge zu vermeiden. 

Durch diffuse Reflexion verliert das Licht sehr viel von diesen 
Strahlen. Daher empfiehlt sich die indirekte Beleuchtung: Die Be- 
leuchtung wird wegen des grossen Verlustes an sichtbaren Strahlen 
kostspielig bleiben. Einfacher und billiger können wir jetzt dem 
künstlichen Licht die kurzwelligen Strahlen entziehen durch Glas- 
hüllen aus Euphosglas, das alle kurzwelligen Strahlen gleichmässig 
absorbiert. Die jetzt aus diesem Glas im Handel befindlichen Euphos- 
gläser sind so abgepasst, dass sie die Fluorescenz der Linse, wie sie 
eine Bogenlampe von 10 Amp. in einigen Metern Entfernung zu er- 
zeugen vermag, eben zum Verschwinden bringen. 


Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge 
mit Druckwirkung auf die Netzhaut. 


Von | 
Dr. Ischreyt, 


Augenarzt in Libau (Russland). 


Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, zehn Fälle von Augen mit 
Glaukom und Myopie pathologisch-anatomisch zu untersuchen und die 
sich ergebenden Resultate mit ülteren Angaben zu vergleichen. Durch 
Herrn Spezialkollegen M. v. Middendorff (Reval) bin ich nun wie- 
der in den Besitz eines derartigen Prüparates gelangt und gebe hier 
die Beschreibung der in mancher Hinsicht interessanten Befunde 
wieder. 

Krankengeschichte. 


Friedrich R., 71 Jahre alt, gibt an, mit dem linken Auge als Knabe 
noch gesehen zu haben; sehschwach war es jedoch immer und ist bereits 
seit vielen Jahren ganz blind. Das Schielen hat sich allmählich ent- 
wickelt. 


Status praesens: Strabismus convergens des linken Auges im 
höchsten Grade, doch besteht keine Lähmung des M. externus; bei äusserster 
Linkswendung der Augen erscheint der laterale Cornearand des linken 
Auges im inneren Winkel: man sieht eine mittelweite starre Pupille und 
auf der vorderen Linsenkapsel Auflagerungen (oder kleine Linsentrübungen ?). 
Die Injektion des Bulbus ist màssig. Tension -- 1. Kammer scheint von 
normaler Tiefe. 9 = 0: Glaucoma absolutum. Rechtes Auge normal, 
V mit 4- 1,0 D = 0,6. Links wird ein Tropfen Eserin eingeträufelt, worauf 
sich die Pupille etwas verengt, es tritt aber ein furchtbarer Schmerzanfall 
ein und macht die Enucleation nötig. Bei der Operation zeigt es sich, 
dass der Externus zu einem dünnen atrophischen Strang geworden ist. 
Der Bulbus ist nach hinten hochgradig verlängert und am hinteren Pol 
saekartig erweitert. Die hintere Augenwand ist so stark verdünnt, dass 
man durch sie hindurch (von der Hornhaut her) das Fensterkreuz er- 
kennen kann. 


Pathologisch-anatomische Untersuchung. 


Der in Formol fixierte Bulbus ist auffallend lang und misst sagittal 
32 mn, in der Querachse 23,3 mm, in der vertikalen 24mm. Der vordere 


Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge usw. 567 


Abschnitt scheint in seiner Form nicht verändert; an der Grenze des mitt- 
leren und hinteren Drittels befindet sich eine leichte Einschnürung, hinter 
der die Wölbung der Sklera wieder zunimmt: es besteht nämlich im hin- 
teren Abschnitt eine hochgradige Ektasie, wodurch der Optikus ganz zur 
Seite gedrängt und mit seiner Längsachse parallel zur horizontalen Quer- 
achse des Bulbus gestellt ist. Die Entfernungen der Vortexvenen betragen 
oben aussen vom Limbus 17 mm, vom Optikus 18 mm, vom hinteren 
Pol 18,5 mm; oben innen vom Limbus 15 mm, vom Optikus 12,7 mm, vom 
hinteren Pol 20mm; unten aussen vom Limbus 15,5 mm, vom Optikus 
17,5 mm, vom hinteren Pol 19,5 mm; unten innen vom Limbus 15,2 mm, 
vom Optikus 13,6 mm, vom hinteren Pol 19 mm. 

Das Präparat wurde in Alkohol gehärtet, in Celloidin eingebettet und 
in horizontale Serienschnitte zerlegt. 

Die Sklera zeigt ihrer Struktur nach keine Veränderungen; über ihre 
Dicke geben folg. Zahlen Aufklärung. Dieselbe beträgt 


am Corneafalz aussen 0,52 mm 
innen 0,37 „ 
an der Ora serrata aussen 0,64 ,, 
innen 0,64 „ 


am Äquator aussen 0,67 ,, 
l innen 0,69 , 
am hinteren Pol 0,09 ,, 


Durehschnittsmasse an der Ora serrata vorderer Abschnitt 0,41 mm 
hinterer 3 04 , 

vom mittleren und gróssten Durchmesser vorderer s 0,52 ,, 
hinterer 5 0,34 „ 


Trotz der ausserordentlich hochgradigen Verdünnung in der Gegend 
des hinteren Pols — dieselbe erreichte an einer Stelle den Wert von 
0,07 mm, das ist !/,mm —- waren nirgends Rupturen eingetreten. 

Conjunetiva bulbi ödematös, hyperämisch mit geringfügigen Rund- 
zellenansammlungen in den tiefsten Schichten. Auf der nasalen Seite senkt 
sich das Epithel zapfenförmig in das subepitheliale Gewebe, so dass dieses 
echte papillenartige Erhebungen bildet. 

Cornea. Das Epithel ist vollständig erhalten, aber in seinen ober- 
flächlichen und mittleren Schichten etwas unregelmässig. Zwischen den 
Fusszellen befinden sich Ödemlücken. 

Die Bowmansche Membran fehlt fast überall und ist nirgends gut 
entwickelt. Meist ruht das Epithel direkt auf der Cornea propria, ohne 
dass sich zwischen sie und das Epithel etwa ein fremdartiges Gewebe 
eingeschoben hätte. Es macht den Eindruck, als wenn sich die Bow- 
mansche Membran in normale Hornliautlamellen aufgelöst hätte. An ver- 
schiedenen Stellen ist dieser Prozess verschieden weit gediehen und beginnt 
überall von der Propriaseite. Eine entzündliche Zelleninfiltration findet 
sich nirgends, auch nicht dort, wo die Umwandlung noch nicht abgeschlossen 
ist. Die Zahl und das Aussehen der Kerne ist in den Lamellen, die der 
Bowmanschen Membran entsprechen, nicht grösser als in der Hornhaut- 
propria selbst. 


568 Ischreyt 


In der Cornea propria finden sich zahlreiche winzige spaltförmige 
Lücken, meist im Anschluss an die normalerweise vorhandenen Saft- 
lücken, die hierdurch erweitert scheinen. Die Descemetsche Haut sielıt 
normal aus. 

Die vordere Kammer ist seitlich infolge einer peripheren Irissyne- 

chie abgeflacht, sonst von normaler Tiefe. Sie ist mit einer eiweissreichen 
Flüssigkeit angefüllt gewesen, was sich aus geronnenen, auf der Cornea- 
hinterfläche und in der Kammerbucht liegenden Massen schliessen lässt. 
Rote Blutkörperchen finden sich nirgends, wohl aber pigmenthaltende 
Zellen, die einzeln oder in kleinen Gruppen der Descemetica anliegen und 
aus der Iris stammen. 
Lumina des Plexus venosus Schlemmii sind vorhanden, aber 
wenig deutlich, klein und wenig an Zahl, teilweise durch Pigmentierung 
verdeckt. Die Maschenriume des Reticulum sclerocorneale sind kaum 
nachweisbar; fast überall liegen die Bindegewebsbalken fest aufeinander 
und lassen nur spärliche Lücken frei, in denen Pigment liegt. 

Die Iris liegt mit ihrem peripheren Teil auf der temporalen Seite 
0,7 mm, auf der nasalen 0,6 mm der Corneosklera an. Am festesten ist 
die Vereinigung ganz peripher; weiter zentral ist sie unvollständig, indem 
nur die Kuppen der hier vorbandenen Irisfalten die Cornea berühren, wäh- 
rend nebenbei im Bereiche der Faltentäler Zwischenräume bestehen bleiben. 
Die Iriswurzel ist hochgradig atrophisch, stark pigmentier. Auch sonst 
zeigen sich die gewöhnlichen atrophischen Veränderungen an der Pigment- 
schicht und in mässigem Grade am Sphinkter. Über der Pigmentschicht ist 
das Irisgewebe fibrös verdichtet, während der übrige Teil durch ein hoch- 
gradiges Ödem verbreitert ist. Der ödematöse Teil dürfte ziemlich genau 
der Gefässschicht der Iris entsprechen, der fibröse der hinteren Grenzlamelle. 
Das Ödem hat die Krypten vollständig ausgeglichen und betrifft am meisten 
den Pupillarteil. Hier erreicht die Iris die grösste Dicke und misst ohne 
Pigmentschicht 0,43—0,49 mm, während die entsprechenden Masse eines 
normalen Auges nur 0,14 mm betrugen (bei der gleichen Pupillenweite‘. 
Auch in den übrigen Abschnitten übertrifft die glaukomatöse Iris an Dicke 
die normale. Das Ödem hört nicht vor der Irissynechie auf, sondern lässt 
sich fast bis an die (primäre) Iriswurzel verfolgen; die Dicke des erweiterten 
Irisanteils nimmt selbstverständlich in dieser Richtung stetig ab, während der 
firöse Anteil etwas zunimmt. Im Bereiche des Ödems sind gut gefärbte 
Zellkerne sehr selten, in der vorderen Grenzschicht häufiger. Zahlreiche 
Kerne haben ihre Färbbarkeit verloren. Die Gefässe sind geschlängelt und 
weit, die Wände meist dünn; nur hin und wieder finden sich dickere Ad- 
ventitien. 

Ciliarkórper flach, von typisch myopischem Bau, die Ringportion 
des Muskels sehr schwach entwickelt; überall ist das Bindegewebe stark 
auf Kosten der übrigen Bestandteile verbreitert. Es sind nur vereinzelte, 
aber gut gefüllte Gefässe vorhanden. Die Fortsätze sind zu fast gefässlosen 
bindegewebigen Zapfen geworden. Das Epithel sehr unregelmässig. 

Zonula Zinnii kräftig entwickelt, vielleicht verdickt. Die Linse 
zeigt keine sehr ausgesprochenen Veränderungen, enthält zahlreiche kleine 
Spalten in den Rindenschichten. 


Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge usw. 569 


Die Chorioidea ist dünn, gefässarm. Die Gefässe haben oft ver- 
dickte und hyalinisierte Wände, zwischen ihnen bisweilen kernreiche Binde- 
gewebszüge. In dem hinteren Abschnitt wird die Chorioidea immer dünner 
und besteht schliesslich nur noch aus einer Lage platter Gefässe und den 
Resten des Pigmentepithels. Im Bereiche des Staphyloms geht sie dann 
allmählich ganz verloren. In der Gegend des hinteren Pols hat eine leichte 
Abhebung der Retina stattgefunden; der spaltförmige Zwischenraum ist mit 
einer krümligen Masse angefüllt, in die die Reste des Pigmentepithels und 
der Stäbchenzapfenschicht eintauchen. Die Stämme der hinteren Ciliar- 
arterien zeigen konzentrische Endarteriitis. Von den Vortexvenen kam nur 
eine zur Untersuchung; ihr Lumen war relativ eng. Zerreissungen der 
Wand fanden sich nicht. 

Die Retina ist bis auf die unbedeutende Abhebung am hinteren Pol 
überall angelegt. An der Ora serrata finden sich nur wenige Blessigsche 
Hohlräume. Im ganzen ist die Struktur der Netzhaut gut erhalten, am 
allerbesten in dem äquatoriellen Abschnitt, am wenigsten hinten. Die Ge- 
fässe sind in mässigem Grade erweitert, bisweilen auf Kosten der inneren 
Körnerschicht, die an die äussere angepresst sein kann. Fast überall findet 
sich eine ausgesprochene Lückenbildung in der Nervenfaser- und Ganglien- 
zellenschicht. Die Zwischenkörnerschicht ist manchmal unregelmässig er- 
weitert, als wenn die Körnerschichten durch ein formloses Extravasat aus- 
einander gedrängt worden wären. Die äussere Körnerschicht ist unregel- 
mässiger als die innere und weist oft Lücken auf. In der Stäbchen- und 
Zapfenschicht finden sich zahlreiche, auf der Limitans externa sitzende bla- 
sige Hohlräume, die wenigstens zu einem Teil als aufgeblähte Zapfen an- 
zusehen sind; die Zapfenkörner sind dabei in grosser Anzahl durch die 
Limitaus externa hindurchgewandert. Am hinteren Pol ist die Retina stark 
verändert: die Stäbchenzapfenschicht fehlt hier vollkommen und die Retina 
ist zu einem dünnen fibrösen Häutchen geworden. Weiter ab treten dann 
zwei Schichten auf: die eine entspricht den beiden inneren Retinaschichten 
und die andere besteht aus Körnern. Noch weiter tritt eine Trennung der 
Körnerschichten ein und auch die übrigen Schichten werden erkennbar. 

In der Nachbarschaft des hinteren Pols sind die Stäbchen verbogen, 
ohne dass sich dabei eine bestimmte Regel feststellen liesse; die Konvexität 
der Biegung kann medial oder lateral gerichtet sein; häufig ist die Krüm- 
mung deutlich S-förmig, wobei die Konvexität nach der Papille gerichtet 
ist Am nächsten zum hinteren Pol können die Stäbchen ganz flach ge 
legt sein. Die Zapfen sind an den Verlagerungen ebenfalls beteiligt, bis- 
weilen bei sonst ziemlich regelmässiger Struktur des Neuroepithels voll- 
ständig umgekippt. 

Der Sehnerv ist seitlich sehr stark verschoben. Die Zentralgefässe 
biegen, kurz bevor sie die Netzhaut erreichen, fast rechtwinklig temporal- 
wärts ab. Die temporalen Äste verlaufen in der eingesehlagenen Richtung 
weiter, die nasalen schlagen sich in einem sehr scharfen Bogen um den 
vorgezogenen nasalen Skleralrand, um dann die entgegengesetzte Richtung 
einzuschlagen. Dieser eigentümliche Gefässverlauf wird dadurch bewirkt, 
dass der nasale Skleralrand mit der Netzhaut weit über die Optikuslüngs- 
achse hinübergewandert ist. 


570 Ischreyt 


Beide Optikusgefässe sind sehr weit, zeigen aber sonst keine wesent- 
lichen Veränderungen. Innerhalb der Optikusbündel finden sich oft Lücken, 
während das bindegewebige Gerüst verdickt ist. 

Eine glaukomatöse Excavation liegt nicht vor, die Papille fehlt aber 
infolge von Atrophie seiner Elemente. Die Lamina cribrosa ist flach aus- 
gebuchtet. Die die Scheidenráume überdachende Sklera ist ausserordentlich 
verdünnt und in die Lünge gezogen, ganz besonders auf der nasalen Seite. 
Sie geht beiderseits ohne Absatz in die ebenfalls ektatische Sklera des 
ganzen hinteren Abschnitts über und bildet so eine enorme kesselfórmige 
Erweiterung der Bulbuswand, deren Boden seitlich der Optikus aufsitzt. 
Rupturen sind trotz der hochgradigen Verdünnung nicht vorhanden. 


Pathologisch-anatomischer Befund: Myopie (lange Sagit- 
talachse, flacher Bau des Ciliarkörpers, Verdünnung der Sklera in der 
hinteren Augenhälfte, Staphyloma posticum, hochgradige Supertraktion 
des nasalen Skleralrandes des Optikuskanals), Ödem der Cornea 
(Auffaserung der Bowmanschen Membran). PeripherelIrissynechie, 
Ödem der Iris, Kompression des Reticulum sclero-corneale. 
Fibróse Degeneration der Ciliarfortsütze und der Chorioidea. 
Endarteriitis der hinteren Ciliararterien. Hochgradige 
Atrophie der inneren Netzhautschichten, Verbiegung des 
Neuroepithels, Atrophie der Papille, Atrophie mit Lücken- 
bildung des Optikus. 


Epikrise. 
Myopische Charaktere. 

Die Form des Bulbus ist eine typisch myopische und zeigt den 
myopischen Langbau in einem aussergewöhnlich hohen Grade Die 
Dickenverhältnisse der Sklera weisen auf die Ursache jener Form- 
veränderung hin, denn auch in diesem Falle steht dem relativ wenig 
veränderten vorderen ein stark gedehuter hinterer Abschnitt gegenüber. 

Da diese Frage noch in den letzten Jahren durch Heine(2) 
und Marschke(3) erschöpfend behandelt wurde, braucht hier weder 
auf die Literatur noch auf das Allgemeine eingegangen zu werden. 
Der Befund an meinem Präparat ordnet sich gut dem Schema ein, 
das aus den Untersuchungen Heines abzuleiten ist. Auffallend ist 
aber die grosse Dicke der Sklera in ihren vorderen und mittleren 
Teilen. Ein Vergleich mit den Fällen Marschkes zeigt schr hohe 
und für myopische Augen jedenfalls ungewöhnliche Werte. 

Die Durchschnittszahlen zeigen an der hinteren Hälfte die starke 
Dickenabnahme, die für Mvopie charakteristisch ist. 

Da die Sklera am hinteren Pol. im Bereiche der Ektasie, ganz 


Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge usw. 511 


ausserordentlich verdünnt ist, könnte der Einwand gemacht werden, 
dass die niedrige Durchschnittszahl für die hintere Sklerahälfte nicht 
die Folge einer allgemeinen Dehnung dieses Gebietes sei, sondern 
durch ein verhältnismässig starkes UÜberwiegen der niedrigen Werte 
der Ektasie vorgetäuscht sei. Bekanntlich berechnete Heine, dessen 
Methode auch ich angewandt habe, die Durchschnittszahlen aus mög- 
lichst vielen aufeinanderfolgenden Einzelmessungen. Mir scheint, dass 
man sich auch noch auf eine etwas andere Weise ein Bild über die 
Zunahme oder Abnahme der Dicke machen könne. Wenn man näm- 
lich die sämtlichen Einzelmessungen beider Hälften von vorn nach 
hinten in Gruppen teilt und für jede derselben die Durchschnittszahl 
berechnet, erhält man eine fortlaufende Zahlenreihe, die einer ent- 
sprechenden Anzahl von Zonen an der Sklerakapsel entspricht. Ich 
habe willkürlich fünf Zonen angenommen, die natürlich mit dem ana- 
tomischen Bau nichts zu tun haben, und folgende Zahlenreihe be- 
rechnet: I. 0,44 mm, II. 0,6 mm, III. 0,5 mm, IV. 0,3 mm und 
V. 0,12 mm. Wir sehen hieraus, dass von der zweiten Zone an, die 
noch zum gróssten Teil vor dem Aquator liegt, eine stete Dicken- 
abnahme der Sklera nach hinten eintritt. 

Auch die Abstünde der Vortexvenen vom Limbus und Optikus 
illustrieren die hochgradige Verlängerung des hinteren Sklerabschnittes 
in deutlicher Weise. Über die Berechtigung derartiger Messungen 
und ihre Verwendung muss ich hier auf eine frühere Arbeit (im 
Arch. f. Augenheilk. LXTV, Seite 223 u. ff.) verweisen. Im Hinblick auf 
den vorliegenden Fall sei aber folgendes hervorgehoben. Zunächst 
fanden sich ungewöhnlich niedrige Limbusabstände, denn während die 
Durchschnittszahl für alle vier Vortexvenen in einer Reihe von elf 
normalen Augen 17,1mm betrug, berechnete ich für das vorliegende 
myopische Auge einen Durchschnitt von nur 15,7 mm. Anderseits 
war wiederum der durchschnittliche Optikusabstand schr hoch, näm- 
lich 15,4mm, während er normal nur 8,9 mm beträgt. Und die Ent- 
fernung bis zum hinteren Pol, der ja die Optikuspforte um ein Be- 
trächtliches überragte, betrug sogar 19,2 mm. Somit lagen die Vortex- 
venen in diesem myopischen Auge näher zum Limbus als zum hinteren 
Pol, während sie sich unter normalen Verhältnissen auf der Grenze 
des mittleren und letzten Drittels befinden. 

Die eigentümliche nasale Verschiebung des Optikus, sowie die 
aussergewöhnliche Ektasierung der Sklera in der Gegend des hinteren 
Pols, kennzeichnen Veränderungen, die in einer gewissen Beziehung 
zu dem stehen, was v. Graefe(4) die „Mitbeteiligung einer gewissen, 


t 


t 


13 Ischreyt 


der Papille benachbarten Skleralbreite an der Excavation“ nennt. In 
neuer Zeit haben Kampherstein (5), Hotta (6) und ich (1) weitere 
Beispiele hierzu geliefert. Der vorliegende Fall deckt sich aber doch 
nicht ganz mit diesen Befunden, insofern nämlich, als es in ihm noch 
nicht zu einer richtigen glaukomatösen Papillenexcavation gekommen 
ist, die benachbarte Sklera also nicht eine Hilfsrolle bei ihrer Ent- 
stehung übernehmen konnte. Es brauchte aber nur ein weiteres Zu- 
rücksinken der Lamina cribrosa zu erfolgen, um ein ganz ähnliclıes 
Bild zu bewirken. In grösserem Masse lässt sich mein Fall mit 
einem Fall von Wintersteiner (7) vergleichen. Hier bestand Myo- 
pie ohne Druckerhöhung, und wenn man seine Abbildung mit der 
meinigen vergleicht, wird man in der seitlichen Verschiebung des Op- 
tikus und in der Ausbuchtung der Sklera Analogien finden. In 
Wintersteiners Fall sind die Veründerungen bloss nicht so hoch- 
gradig. Es liegt der Gedanke nahe, dass der Prozess der Ektasierung 
bis zu einem gewissen Grade die Excavationsbildung an der Papille 
zu verhüten im stande wäre. Man kann sich nämlich vorstellen, dass 
die Ausbildung eines locus minoris resistentiae seitlich von der Papille 
eine Entlastung der Lamina cribrosa bewirke. 

Bemerkenswert ist die Form der Papille. Wie wir oben sahen. 
ist sie hochgradig atrophisch und wird zu etwa Dreivierteln überdeckt 
von dem ungewöhnlich supertrahierten nasalen Skleralrande und der 
Netzhaut. Der Gefässtrichter erhält auf diese Weise einen fast recht- 
winkligen Verlauf. Wie diese Verbildung zu stande gekommen ist, 
lässt sich bei ihrer hohen Ausbildung nicht mehr mit Sicherheit fest- 
stellen. Auf Grund der Heineschen Hypothese von der Supertraktion 
kann man indessen annehmen, dass infolge der hochgradigen Ekta- 
sierung der temporalen Seite ein besonders starker Zug auf die nasale 
Elastica eingewirkt habe. Da sich nun die Sklera auch auf der na- 
salen Seite stark verdüunte, folgte sie der hinüberwandernden Elastica 
und Retina besonders leicht und weit. 


Glaukomatóse Charaktere. 

Entsprechend der langen Dauer der Druckerhóhung besteht eine 
alte periphere Irissynechie, ohne dass sich indessen an ihr irgend- 
welche Besonderheiten finden. Von den Veränderungen, die man sonst 
noch auf die Druckerhöhung zurückführen könnte, ist das eigentüm- 
liche Fehlen der Bowmanschen Membran bemerkenswert. Wie aus 
der mikroskopischen Untersuchung mit Sicherheit hervorgeht, handelt 
es sich nicht etwa um den Ersatz der Membran durch ein Narben- 


Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge usw. 513 


:gewebe, wie denn ebenfalls auch alle frischeren entzündlichen Zeichen 
vollständig fehlen, sondern um eine von innen nach aussen erfolgende 
Auffaserung. Da die Bowmansche Haut auch nach den neuesten 
Untersuchungen (8) nichts anderes ist, als eine „aufs Äusserste poten- 
zierte“ Durcheinanderschiebung der Hornhautbänder, kann man sich 
vorstellen, dass sich Ödeme unter Umständen bis in sie hinein fort- 
setzen. Die Anwesenheit der zahlreichen Lücken in den mittleren 
und äusseren Lagen der Hornhaut scheint diese Annahme zu be- 
stätigen. 

Das Verhalten der Netzhautstäbchen in der Umgebung des hin- 
teren Pols muss ebenfalls auf die Druckerhöhung zurückgeführt wer- 
den. Es fanden sich nämlich dort Verkrümmungen der Stäbchen, wie 
es in ähnlicher Weise bereits von Berenstein(9) und v. Hippel(10) 
beschrieben worden ist. 

Berenstein schildert diese Veränderungen mit folgenden Worten: 
„Die Stäbchen und Zapfen zeigen in der ganzen Netzhaut bald mehr, 
bald weniger ausgesprochene, ganz eigentümliche Veränderungen. Stellen- 
weise liegen sie besonders in der Äquatorialgegend, ganz platt zu- 
sammengedrückt, fast parallel der Oberfläche; in den vertikal an- 
gelegten Schnitten nehmen sie eine von vorn nach hinten vollständig 
schiefe Richtung ein, dabei sind die Stäbchen und Zapfen schwer 
voneinander zu unterscheiden, ihre äusseren Enden sind spindelförmig 
verdickt und kolbig angeschwollen. Am hinteren Pol des Auges 
findet man Stellen, wo die Stäbchen und Zapfen nicht so stark zu- 
sammengedrückt sind und nur einen welligen Verlauf zeigen; beson- 
ders das der äusseren Körnerschicht zugekehrte Ende macht oft eine 
starke S-förmige Krümmung, dabei sind die betreftenden Enden oft 
zu Büscheln zusammengedrängt; hier und da findet man auch ver- 
schiedene Übergangsstellen von parallel der Oberfläche angeordneten 
bis zu den mehr senkrecht stehenden Stäbchen. Hier und da sind 
sie bis zur Unkenntlichkeit aneinandergedrängt, scheinbar verschmolzen; 
zugleich ist die Dicke der Schicht stark vermindert, oder diese völlig 
geschwunden. Letzteres ist besonders der Fall nahe der Ora serrata, 
in der Fovea centralis und in der Umgebung der Macula lutea.“ 

v. Hippel beschreibt an einem früh erblindeten und an akutem 
Glaukom erkrankten Auge, wie die Aussenglieder der Stäbchen und 
Zapfen zu beiden Seiten der Fovea und nasal von der Papille um- 
gebogen waren und zwar die temporal von der Papille gelegenen tem- 
poralwärts, die nasal gelegenen nasalwärts. 

Nach Berenstein ist die schiefe Lage „höchstwahrscheinlich® 


574 Ischreyt 


durch die Drucksteigerung bedingt, während sich v. Hippel ent- 
schieden dafür ausspricht und aus der Umbiegung der Stäbchen und 
Zapfen auf einen sehr intensiven Innendruck schliesst. 

Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass diese Annahme 
die grösste Wahrscheinlichkeit für sich hat, jedenfalls erklären sich 
die beschriebenen Veränderungen so am zwanglosesten. Die Schwierig- 
keit liegt aber in einer andern Richtung und lässt sich in die Frage 
fassen, warum diese Druckveränderungen der Netzhaut so selten auf- 
treten. Es müssen jedenfalls ganz besondere Voraussetzungen da sein, 
damit jene Umformungen eintreten können. 

Wenn wir mit Nicolai in der Netzhaut die Trägerin des intra- 
okularen Druckes sehen dürften, brauchten wir nur einen Verlust 
ihrer Elastizität anzunehmen, um derartige Kompressionserscheinungen 
zu erklären. Durch Koster(11) wurde aber die Nicolaische Hy- 
pothese widerlegt, so dass jener Erklärungsversuch nicht angängig 
ist. Wir müssen vielmehr annehmen, dass sich jede Druckerhöhung 
im Glaskörperraum momentan den lockeren und mit Flüssigkeit ge- 
füllten Netzhautgeweben mitteilt, so dass eine Kompression für ge- 
wöhnlich unmöglich wird. Es liegen in bezug auf die Netzhaut die- 
selben Verhältnisse vor, wie sie für die Papille von Birnbacher und 
Czermak(12) festgestellt wurden: „Der Angriffspunkt des intraoku- 
laren Druckes muss in die vordersten Laminaschichten verlegt werden, 
nicht in die innere Oberfläche der Papille. Der Druck im Glaskörper 
muss sich auf die Flüssigkeit des Papillengewebes ebenso übertragen, 
als ob offene Kommunikationen bestünden.“ Etwas ähnliches findet 
sich auch an der Iris im Zustande der peripheren vorderen Synechie. 
Es gibt nämlich, wie Fuchs(13) ausführt, Fälle, in denen die Iris- 
wurzel im ganzen Umfange an das Lig. pectinatum angewachsen ist, 
ohne dass Druckerhóhung bestünde. Er erklürt das folgendermassen: 
„Die dem Lig. pect. anliegende Iris beeinträchtigt die Filtration des 
Kammerwassers nur in schr geringem Grade, so wenig, dass dies von 
vielen Augen ohne Schaden ertragen wird. In andern Augen führt 
sie zunächst zu einer ganz geringen Retention von Augenflüssigkeit. 
Die dadurch gesetzte Drucksteigerung ist zwar zuerst sehr gering, be- 
wirkt aber doch allmählich leichte Kompression der Iriswurzel mit 
Verdichtung des Gewebes. Dadurch wird wieder die Filtration noch 
mehr erschwert und so entsteht ein Circulus vitiosus, der mit der 
vollständigen Verdichtung des Irisgewebes, Anpressung desselben an 
das Lig. pect. und Verödung dieses, sowie des Schlemmschen Ka- 
nales unter starker Drucksteigerung endigt.* 


Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge usw. 575 


Wir müssen nun ebenfalls für die Netzhaut nach Gründen suchen, 
die uns ihre Kompression verständlich machen. Dass die normale 
Netzhaut die Fähigkeit besitzt, sich in ausserordentlichem Masse dem 
vergrösserten Bulbus anzupassen, haben noch in letzter Zeit Schreiber 
und Wengler (LA am Tierauge gezeigt. Und dasselbe lässt sich ja 
auch an zahlreichen Myopieaugen feststellen, an denen sich nach 
Heine die Dehnung erheblich auf die inneren, minimal auf die 
äusseren Netzhautschichten erstreckt. In der unmittelbaren Nachbar- 
schaft der Papille tritt eine Verschiebung der retinalen Pigmentlage 
in toto gegen das Neuroepithel ein!) 

Stellen wir uns nun vor, dass die Netzhaut an irgendeiner Stelle 
mit ihrer Unterlage, also der Chorioidea und Sklera, verwächst und 
sich verdichtet, werden ähnliche Bedingungen wie bei der angelagerten 
Iris gegeben sein und es wird zu einer Kompression kommen können. 
In meinem Fall war die Schrägstellung der Stäbchen in der Um- 
gebung der Skleraektasie eingetreten, also eines Bezirkes, in dem sich 
die Netzhaut in fester Vereinigung mit den beiden andern Augen- 
häuten befand. In dem Falle Berensteins haben ebenfalls Verwach- 
sungen auf Grund von chorioretinitischen Herden bestanden und zwar 
„in den vorderen unteren Partien“ (der Bulbus war vertikal geschnitten), 
während die Veränderungen des Neuroepithels besonders „in der Äquator- 
gegend“ aufgetreten waren. Ob Ähnliches in dem Falle von Hippels 
vorgelegen hat, lässt sich seiner Beschreibung nicht entnehmen; er 
sagt nur: „Sklera-Chorioidea und Retina lagen überall fest aufeinan- 
der.“ Nach dem Gesagten glaube ich, dass man in dem Verlust der 
Dehnbarkeit und Verschiebbarkeit der Netzhaut eine Bedingung für 
das Zustandekommen des geschilderten Phänomens erblicken darf; dass 
sie die einzige sei, braucht dabei nicht angenommen zu werden. 

Schreiber und Wengler beschreiben noch eine andere Erschei- 
nung als Wirkung des Binnendruckes. Sie schreiben nämlich: „Eine 
nicht geringe Zahl von Ganglienzellen fand sich in der inneren Kórner- 
schicht; man kónnte daran denken, dass dieselben infolge der Druck- 
steigerung dort hineingepresst worden sind.“ Eine Beobachtung, die 
man der eben referierten an die Seite stellen kann, ist das Hindurch- 
wandern von Zapfenkörnern durch die Limitans externa meines Falles. 
Ich möchte aber hierfür nicht den gesteigerten Druck verantwortlich 
machen, sondern die Zerrung, welche die Zapfenendglieder durch die 
Blasenbildung erfahren haben müssen. Man kann sich ganz gut vor- 
stellen, dass die Zapfenkörner dem dabei enstandenen Zug gefolgt sind. 


! Heine. Arch. f. Augenheilk. Bd. XLIV. S. 75. 


516 Ischreyt 


Die von Schreiber und Wengler für ihre Beobachtung gemachte 
Erklärung befriedigt meiner Ansicht nach nicht ganz, da es schwer 
verständlich ist, wie sich die Wirkung des intraokularen Druckes auf 
einzelne Zellen der vorderen Netzhautschicht begrenzen sollte. 

Eine andere Erscheinung möchte ich dagegen wohl als Folge der 
Druckerhöhung ansehen, das ist die Ausdehnung von Netzhautgefässen 
auf Kosten der äusseren Netzhautschichten. In dem vorliegenden Falle 
war diese Veränderung nicht sehr ausgesprochen. Es kann aber vor- 
kommen, dass die Gefässe alle Schichten durchdringen und bis an die 
Chorioidea gelangen (15). Offenbar verhindert in solchen Fällen der unter 
erhöhtem Druck stehende Augeninhalt die Ausweitung der gestauten 
Gefässe nach innen und so kommt es zu einer Usur der äusseren 
Netzhautschichten. 


Beachtung verdient der Umstand, dass die Entwicklung einer ty- 
pischen glaukomatösen Excavation in meinem Falle ausgeblieben ist. 
Dass hierfür vielleicht die Entstehung der hinteren Ektasie verant- 
wortlich zu machen sei, wurde bereits oben gesagt. Hier soll nur noch 
darauf hingewiesen werden, dass dieses Ausbleiben gegen die Schnabel- 
Elschnigsche Hypothese von der Entstehung der glaukomatösen Ex- 
cavation spricht. Es besteht in hohem Masse eine Atrophie des vor 
und hinter der Lamina cribrosa liegenden Nervengewebes und eine 
Lückenbildung innerhalb seines Gewebes, und doch ist es zu keinem 
Einsinken der Lamina cribrosa gekommen, wie man nach jener An- 
sicht erwarten müsste. Nehmen wir aber eine aufsteigende Atrophie 
im Sinne Schreibers und eine teilweise Kompensation des erhöhten 
Druckes durch die Skleraldehnung an, so konnte unseres Erachtens 
der Sehnerv gar kein anderes Bild darbieten, als er es in der Tat hat. 

Es muss nun noch die Frage behandelt werden, worin die Ur- 
sache der Drucksteigerung und. Druckerhóhung!) zu suchen sei. Die 
Letzere ist jedenfalls als die Folge der peripheren Irissynechie und 
der Kompression des Reticulum selero-corneale anzusehen; die Ver- 
änderungen an der primären Kammerbucht sind jedenfalls derartige, 
dass eine Retention der Augentlüssigkeit angenommen werden darf. 
Etwas anderes ist es aber mit der Frage, welches die Ursachen der 
Drucksteigerung gewesen seien, und darauf gibt uns der gegenwärtige 


!) Es empfiehlt sich, dem Sprachgebrauch folgend, stets mit Drucksteige- 
rung das Werden, mit Druckerhöhung das Sein des Glaukoms zu bezeichnen. 
Im letzteren Falle handelt es sich um den Zustand des erhöhten Druckes, im 
ersteren um seine Entstehung. 


Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge usw. 577 


Zustand keine Antwort. Nur soviel ist zu erkennen, dass sich nicht 
Veränderungen finden, welche die Einreihung des vorliegenden Falles 
in eine der bekannten Gruppen des Sekundärglaukoms ermöglichen. 
Und ebensowenig finden sich Veränderungen, die für eine unmittel- 
bare Entstehung des Glaukoms aus der Myopie sprechen. Wir 
werden also gezwungenermassen diesen Fall als „primäres“ Glaukom 
im myopischen Auge bezeichnen müssen, in der Hoffnung, dass zu- 
künftig geeignetere Fälle seinen sekundären Charakter dartun möchten. 

Nach der Anamnese hat in dem vorliegenden Falle die Eserin- 
einträufelung einen fulminanten Glaukomausbruch zur Folge gehabt, 
während bis dahin keine besonderen Schmerzen vorhanden gewesen 
zu sein scheinen und der Verlauf ein sehr chronischer war. Aus der 
Literatur sind mehrere Fälle bekannt, in denen das Eserin eine ähn- 
liche Wirkung hervorgebracht hat. 

Die Präparate meines Falles zeigen Veränderungen, die zur Er- 
klärung dieser Erscheinung verwandt werden können. Es findet sich 
nämlich an ihnen ein hochgradiges Ödem der Gefässschicht der Iris, 
das sich bis an die primäre Iriswurzel erstreckt und jedenfalls im 
Sinne einer Kompression auf das Reticulum sclero-corneale gewirkt 
hat. Dem Aussehen nach ist das Ödem ein akutes; es ist nur zu 
einem Austritt ungeformten Gefässinhaltes gekommen, es fehlen Blu- 
tungen und kleinzellige Infiltrationen; das Irisgewebe zeigt ausser 
Kernabblassung keinerlei Veränderungen. Alles dieses legt den Ge- 
danken nahe, dass das Ödem die Ursache des Glaukomausbruchs 
infolge von erhöhter Retention gewesen ist und dass ferner die Eserin- 
einträufelung in einem engen Zusammenhang mit dem Odem steht. 
Da klinisch eine Pupillenverengerung infolge des Eserin beobachtet 
wurde, lässt sich annehmen, dass die Iriskontraktion eine Abklem- 
mung des durch den geschrumpften Wurzelteil zum Pupillarteil 
ziehenden Irisgefässe bewirkt und dadurch ein Stauungsödem hervor- 
gerufen hat. Zu gleicher Zeit fand eine weitere Verlegung der 
Kammerbucht statt, indem die geschwellte Iris in der Nachbarschaft 
des sekundären Kammerwinkels an die Cornea angepresst wurde. 


Literaturverzeichnis. 


1) Ischreyt, Über die Beziehungen zwischen Glaukom und Myopie. Arch. f. 
Augenheilk. Bd. LXIV, 2, 3. 1909. 

2) Heine. Im Arch. f. Augenheilk. Bd. XXXVII, XL, XLI, XLIV, XLIX. 
1899—1903. 

3) Marschke, Beitrag zur pathologischen Anatomie der Myopie usw. Klin. 
Monatsbl. f. Augenheilk. 1901. 


578 Ischreyt, Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge. 


4) v. Graefe, A., Beiträge zur Pathologie und Therapie des Glaukoms. Arch. 
f. Ophth. Bd. XV. 1869. 

5) Kampherstein, Glaukomatöse Skleralexcavation im Bereiche des Conus 
hochgradig myopischer Augen. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1903. 

6) Hotta, Uber die pathologisch-anatomischen Veränderungen hochgradig my- 
opischer Augen durch Glaukom. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1904. 

7) Wintersteiner, Ruptura sclerae in Staphylomat. postico. Klin. Monatsbl. 
f. Augenheilk. 1903. 

8) Virchow im Handb. von Graefe-Saemisch. 2. Aufl. 

9) Berenstein, Über einen Fall von glaukomatöser Entzündung nach Katarakt- 
extraktion mit Druckwirkung auf die Stäbchenschicht der Netzhaut. Arch. 
f. Ophth. Bd. LI. 1900. 

10) v. Hippel, Zur pathologischen Anatomie des Glaukoms, nebst Bemerkungen 
über Netzhautpigmentierung vom Glaskörper aus. Arch. f. Ophth. Bd. LII. 
1901. Fall 1. 

11) Koster Gzn., Het draagvermogen der retina an der chorioidea. Nederl. 
Tijdschr. v. Geneesk. I. 1895 (nach einem Referat). 

12) Birnbacher und Czermak, Beiträge zur pathologischen Anatomie und 
Pathogenese des Glaukoms. Arch. f. Ophth. Bd. XXXII. S. 124. 

13) Fuchs, Vordere Synechie und Hypertonie. Arch. f. Ophth. Bd. LXIX. 
1908. S. 254. 

14) Schreiber und Wengler, Über experimentelles Glaukom mit besonderer 
Berücksichtigung seiner Wirkung auf Netzhaut und Sehnerv. Arch. f. 
Ophth. Bd. LXXI. 1909. 

15) Ischreyt, Beiträge zur pathologischen Anatomie der hämorrhagischen Netz- 
hauterkrankungen. Arch. f. Augenheilk. Bd. XLI. Siehe Taf. VI—VII. Fig. 4. 


Zur Ätiologie des Uleus corneae serpens. 


Von 
Prof. Dr. Edmund-Jensen, 


Privatdozent in Kopenhagen. 


Seit Saemisch vor ungefähr 40 Jahren eine klassische Beschrei- 
bung des Hornhautleidens gab, welches er wegen seiner Verbreitungs- 
art Ulcus corneae serpens nannte, sind wohl alle darüber einig, dass 
wir hier einem Morbus sui generis gegenüberstehen, einem ungewöhn- 
lich typischen, ausgeprägten Krankheitsbilde. 

Das Leiden gestaltet sich in seinen Hauptzügen kurz folgender- 
massen : 

Den Anfang bildet ein begrenztes Rundzelleninfiltrat, gewöhnlich 
in der Gegend der Mitte der Cornea, mit unebenem gesticheltem 
Epithel; beim Abstossen dieses Epithels und der unmittelbar darunter 
liegenden Schichten wird ein scheibenfórmiges Ulcus gebildet, das 
sich schnell als vorwiegend am Rande infiltriert zeigt, jedoch in der 
Regel nur in einem Teil desseiben. 

Dieses bogenförmige, weissgelbe Infiltrat bezeichnet den progres- 
siven Teil der Ulceration; diese verbreitet sich, indem das purulente 
Infiltrat das Epithel unterminiert, das Gewebe auflöst und beständig 
den Bogen nach vorne schiebt; gleichzeitig kann sich der ursprüng- 
lich zentrale Teil der Wunde reinigen und sogar relativ geheilt 
werden. Das Leiden, das frühzeitig mit Iritis und Hypopyon kom- 
pliziert wird, hört selten auf, bevor die ganze Cornea destruiert ist. 
Es hat seine Ursache in einem oberflächlichen Trauma, und den 
]ufektionsstoff liefert eine Triinensackblennorrhöe oder eine Con- 
junctivitis. 

Die seit der Saemischschen Beschreibung verlaufenen Jahre haben 
uns die Aufklärung gegeben, dass der pathogene Mikrob, den das 
Sekret des entzündeten Tränensacks enthält und der an der Ulce- 
ration die Schuld trägt, in der grossen Mehrzahl der Fälle der 
Pneumococcus ist. Dieses in vieler Beziehung überaus wertvolle 
Wissen bringt uns indessen nicht dem Verständnis des rätselhaftesten 

v. Gracfe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 33 


580 Edmund-Jensen 


Punktes näher, weshalb das Infiltrat einen scharfrandigen Bogen mit 
der Konkavität zur Mitte der Cornea bildet. Zu vermuten, dass dies 
auf besondere biologische Eigentümlichkeiten des Pneumococcus 
zurückzuführen ist, ist in Wirklichkeit ja keine Erklärung; ausserdem 
ist es ja bekannt, dass auch andere Mikroben, wenn auch seltener, 
dasselbe Bild hervorrufen können; ferner, dass man nicht experi- 
mentell einen typischen „Randbogen“ bei Tieren zu erzeugen vermochte. 

Als Leber seine Untersuchungen über Entzündung veröffent- 
lichte, sah es aus, als ob diese Experimente die Sache aufklären 
würden. Lebers klassische Versuche zeigen, dass bei Einimpfung 
pathogener Mikroorganismen (Aspergillus, Staphylococcus) in der 
Cornea nicht nur eine purulente Infiltration mit nachfolgender Ne- 
krose an der Impfstelle gebildet wird; es tritt gleichzeitig — durch 
Chemotaxis — eine Leukocyteneinwanderung vom Randschlingennetz 
zur Läsionsstelle auf. Sind die Leukocyten in einen gewissen Ab- 
stand von dem kranken Punkte gelangt, wird die Toxinwirkung so 
stark, dass sie gelähmt werden; hierdurch wird in einem gewissen 
Abstand vom Herd eine ringförmige Infiltrationszone gebildet. In 
der Beschreibung des Ulcus serpens der neueren Lehrbücher werden 
gerne im Anschluss an diese Lebers Versuche besprochen; hierin 
liegt allenfalls ein stillschweigender „fiat applicatio*. Der Infiltrations- 
ring sollte also dem Randbogeninfiltrat bei Ulcus serpens entsprechen. 

So ansprechend ein solcher Analogieschluss beim ersten Blick 
erscheinen könnte, zeigt er sich bei näherer Betrachtung undurch- 
führbar. Um dies nachzuweisen ist es notwendig, die übliche Be- 
schreibung der Entwicklung des Ulcus serpens einer Revision zu 
unterziehen. Wir stossen hier sofort auf die Schwierigkeit, dass die 
Anzahl Fälle, die man von ihrem allerersten Beginn unter Beobach- 
tung hat, eine sehr begrenzte ist. In der Regel ist das Leiden so- 
weit vorgeschritten, dass man die weiss- gelbe prominente Randinfil- 
tration sieht; innerhalb derselben, in der Richtung nach dem Zentrum 
der Cornea kann man finden: die Oberfläche uneben, gestichelt, das 
Gewebe graulich intiltriert, seltener purulent infiltriert (doch immer 
in geringerem Grade als am Rande), nicht selten fast ganz klar. 
Dass es andern. Klinikern ebenso. wie. mir. gegangen ist, sieht man 
daraus, dass dieser Zustand in der Regel als Anfangsstadium be- 
schrieben wird. Es gibt indessen ein früheres Stadium, wo der Rand- 
bogen noch nicht gebildet ist; dass sich selten Gelegenheit bietet, 
dieses zu beobachten, liegt wohl teils darin, dass die Patienten sich 
nicht frühzeitix genug eimiinden, aber auch vielleicht darin, dass der 


Zur Ätiologie des Ulcus corneae serpens. 5S1 


Gedanke uns nicht auf Ulcus serpens leitet, bevor sich die Rand- 
infiltration offenbart hat. Dieses Stadium wird nur andeutungsweise 
beschrieben, von einigen als ein Infiltrat mit sekundärer Abstossung 
von Epithel und unterliegendem Gewebe, von andern als ein ursprüng- 
liches Ulcus. Meine eigene Erfahrung ergibt das Resultat, dass dieses 
allererste Stadium in einer scheibenförmigen Trübung, wesentlich von 
der Unebenheit des Epithels herrührend, besteht, welche nicht sonder- 
lich gesättigt zu sein braucht, und welche nicht durch eine heftige 
Reaktion den Gedanken auf das kommende schwere Leiden lenkt. 
Man beobachtet daher eher mit Überraschung bei der nächsten Unter- 
suchung die vollentwickelte Randinfiltration; vielleicht findet man nur 
einen grösseren oder kleineren gelben Punkt, der, wenn er nicht durch 
Behandlung beseitigt wird, sich schnell zum Randbogen entwickelt, oder 
man findet zwei oder mehrere solche Punkte, die später durch Zusammen- 
fliessen den typischen Randbogen bilden. In andern Fällen sieht 
man die primäre Trübung mehr gelblich, und einförmig in ihrem 
ganzen Umfang; ein begrenztes purulentes Infiltrat, nur oder 
vorwiegend dem Zentrum des späteren Randbogens ent- 
sprechend, wird nicht beobachtet. 

Der spätere Verlauf wird ja leicht durch die Behandlung modi- 
fiziert, so dass eine grosse Anzahl Fälle der klinischen Beobachtung 
verloren geht. Aber es bleiben doch immer einige, bei denen man 
aus diesem oder jenem Grund nicht gleich Platina candens benutzt, 
z. B. bei sehr zentralem Sitz, oder wo man auf Grund der verhält- 
nismässig geringen Reaktionsphänomene einen friedlichen Verlauf 
erhofft. Hier beobachtet man dann, dass die Progression der 
Infiltration keineswegs nur an den konvexen Teil des Bo- 
gens gebunden ist; von einer wellenfórmigen Ausbreitung derselben 
ist keine Rede. Das Infiltrat kann wohl vorwiegend die Tendenz 
haben, an der konvexen Seite zu wachsen, aber ohne irgendwelche 
Regelmässigkeit; bald bildet sich ein Ausläufer an dem einen Ende 
des Bogens, bald an dem andern, und nicht nur auf der konvexen 
Seite des Bogens, sondern auch auf der konkaven Seite. 

Die Analogie mit dem durch Lebers Experiment hervorgerufenen 
Krankheitsbild ist demnach nicht gross. Hier vermissen wir vor allem 
den primären Infektionsherd im Zentrum des Bogens; man sieht 
niemals eine begrenzte Suppuration oder eine nennenswerte Nekruse, 
ausser einer oberflächlichen Epithelabstossung, und man sollte doch 
erwarten, dass ein Infektionsherd, der zu einem so mächtigen „De- 
markationsring Anlass säbe, recht hervortretend sein müsste. Danach 


OO A 
co 


582 Edmund-Jensen 


hätte man sich darüber zu wundern, dass der Ring so ausserordent- 
lich selten vollständig ist, sondern in wenigstens neun von zehn Fällen 
nur einen geringen Teil eines Kreises ausmacht. Schliesslich, und 
das ist der wesentlichste Einwand, ist der Lebersche Infiltrations- 
ring ja als eine Barriere gegen eine weitere Verbreitung der Mikroben, 
als eine „Demarkation‘“ aufzufassen. Aber bei Ulcus serpens ge- 
schieht gerade das entgegengesetzte: das Zentrum des Prozesses ist 
ganz evident der Infiltrationsbogen; er hat im entferntesten keine 
gute Wirkung, gerade von ihm stammen alle Schädlichkeiten. Man 
hat gesagt, dass die Virulenz der Mikroben so gross wäre, dass sie 
die Barriere zu sprengen vermóchten und weiterwüchsen. Für Aus- 
nahmefälle liesse sich diese Erklärung wohl verfechten; dahingeren 
nicht, wenn dieses Verhältnis die Regel ist. 

Hier liesse sich ferner anführen, dass man nicht selten einen 
schwach graulichen Ring im Hornhautparenchym ausserhalb des Rand- 
bogens und konzentrisch mit diesem beobachtet; schon Saemisch er- 
wähnte dies. Sollte dieser nicht eher den Infiltrationsring im Sinne 
Lebers repräsentieren ? 

Der rätselhafte Punkt, die Genese der Randinfiltration, steht 
also noch fernerhin unaufgeklärt. In folgendem will ich versuchen, 
eine Erklärung zu geben. 

Ich will damit berinnen, die Aufmerksamkeit auf das Ursachıs- 
moment zu lenken. Alle sind darüber einig, dass ein Trauma voraus- 
geht; Ulcus serpens figuriert ja häufig unter den ersatzberechtissten 
Unglücksfällen. Sollen wir aber die Frage beantworten: Wann trat 
der Unglücksfall ein?, befinden wir uns oft in einer gewissen Ver- 
legenheit: der Patient kann häufig keinen bestimmten Zeitpunkt an- 
geben. Dies findet darin seine Erklärung, dass die primäre Ver- 
letzung in der Regel ganz unbedeutend ist; beim Steinklopfen hat 
ein Fragment das Auge berührt, oder bei der Erntearbeit ist cin 
Strohhalm ins Auge geraten. Diese letzte Ursache ist so häufig, 
dass man "sogar gemeint hat — vermeintlich mit Unrecht —, der 
warmen ‚Jahreszeit als Ursachsmoment eine Rolle beimessen zu müssen. 
Ein zweites Moment, das die genaue Angabe des Verletzungstages 
schwer macht, haben wir darin, dass die zwischen dem Verletzungs- 
tage und dem Ausbruch des Leidens verstreichende Zeit bedeutend 
variieren kann; ein drittes, dass der Patient hüufig so viele ähnliche 
kleine Verletzungen früher erlitten hat, welche keinen Anlass zu 
weiteren Folgen gegeben haben, dass er sie nicht berücksichtigt. 

Diese Verhältnisse deuten darauf, dass die Infektion in der 


Zur Ätiologie des Ulcus corneae serpens. 583 


Regel nicht bei oder gleichzeitig mit der primären Ver- 
letzung eintritt. Wäre dies der Fall, so würde der Patient wahr- 
scheinlich eine begrenzte purulente Infektion der Verletzungsstelle wenige 
Tage nach der Verletzung bekommen und der ursprüngliche Herd 
würde nicht immer einen annähernd zentralen Sitz haben. Es liegt 
daher die Annahme nahe, dass zwischen der ursprünglichen Ver- 
letzung und dem infektiösen Leiden ein Zwischenglied existiert, und 
ein solches finde ich in der Keratitis bullosa recidivans. Be- 
kanntlich entsteht dieses Leiden gerade nach oberflächlichen Abscha- 
bungen des Hornhautepithels, solche welche als Ursache für Ulcus 
serpens figurieren. Die Blasenbildung kann schon am Tage nach 
der Abrasion entstehen, und sie kaun noch etliche Jahre nach der- 
selben rezidivieren. Die Blase kann eine deutliche, schwabbende 
Prominenz auf der Oberfläche der Cornea bilden, oder sie kann, wenn 
die Flüssigkeitsmenge gering ist, sich nur durch Bildung einer 
schwachen Schwellung im unteren Teil der Cornea zeigen, nur er- 
kennbar mit Hilfe seitlicher Beleuchtung oder der Placidoschen 
Scheibe; nichtsdestoweniger kann das Epithel leicht abziehbar über 
der ganzen Oberfläche der Cornea sein, so dass man beim Erfassen 
der kleinen Prominenz mit einer Pincette fast das ganze Epithel ab- 
heben kann. Nicht in allen Fällen löst sich das Epithel über der 
Obertläche der ganzen Cornea; es ist dann konstant, dass die Grenze 
zwischen dem abziehbaren und dem festen Teil so einigermassen 
einen Kreis bildet. 

Nimmt man an, dass die erste Wirkung der Verletzung in der 
Bildung einer Keratitis bullosa besteht, so versteht man, dass es dem 
Kranken manchmal schwer fällt, den Verletzungstag anzugeben; er 
hat die ursprüngliche Verletzung vielleicht ganz vergessen, oder hat 
willkürlich eine der zahlreichen kleinen Verletzungen, die er erlitten 
hat, als Ursache herausgegriffen; oder er. betrachtet ein. Blasenrezidiv 
als eine neue Verletzung. 

Dass nun ein Patient mit einer bullösen Keratitis in bedeuten- 
dem Grade der Intektion ausgesetzt ist, wenn die Blase berstet und die 
beschützende Decke des Epithels fehlt, ist ja ganz einleuchtend; ganz 
besonders ist dies der Full, wenn der Kranke eine Blennorrhoea sacci 
lacrymalis, eine chronische Conjunctivitis usw. hat, oder die Augen 





mit unreinen Fingern zu reiben pflest alles Verhältnisse, die bei 
der Klientel, welehe Ulcus serpens bekommt, gewöhnlich sind. Ich 


habe schon im Jahre 159S in einem Artikel über Keratitis bullosa!) 


3 Arch. d'opht. Tome XVII. p. 229. 


5S4 Edmund -Jensen 


diese Infektionsgefahr hervorgehoben, sowohl bei gewöhnlicher Keratitis 
bullosa, sowie bei der so häufig bei Glaukoma absolutum auftretenden 
Form; hierdurch meinte ich die Erklärung dafür zu finden, dass 
Augen mit Glaukoma absolutum so häufig durch septisches Horn- 
hautleiden zugrunde gehen. Im Laufe der Jahre wurde es mir 
beständig mehr und mehr klar, dass etliche septische Keratitiden, 
besonders Ulcus serpens, eine Keratitis bullosa zum Zwischenglied 
haben. Durch diese Annahme werden alle Eigentümlichkeiten des 
Ulcus serpens auf befriedigende Weise erklärt; man braucht sich nur 
klar zu machen, wie eine Kombination einer geborstenen Blase und 
septische Infektion ausfallen muss; sie wird das Bild eines Ulcus 
serpens hervorbringen. 

Nehmen wir also an, dass eine geborstene Blase septischen In- 
fektionsstoff aufgenommen hat. Das erste Stadium wird dann sein: 
eine begrenzte Trübung der Cornea, zur Mitte derselben oder eher 
etwas unter der Mitte liegend; hier finden wir am allerhäufigsten die 
Blasen, welche sich nicht über die ganze Oberfläche der Cornea er- 
strecken. Die Trübung ist teils auf Unebenheit des Epithels (i. e. 
Faltungen der normalen oder krankhaft veränderten Blasenwand) 
zurückzuführen, teils vielleicht auf eine oberflächliche Infektion des 
Bodens, so dass dieser graulich oder sogar gelblich wird. Aber es 
ist klar, dass die Stelle, wo die Mikroben sich am leichtesten fest- 
setzen und am leichtesten entwickeln können, unter dem Rand des 
„Siickehens“ liegt; hier werden sie vom Epithel beschützt, und hier sind 
sie weniger der Gefahr ausgesetzt, weggespült zu werden, als in den 
mittleren Teilen, wo das Epithel vielleicht schon abgestossen ist. 
A priori müssten als Prädilektionsstellen die seitlichen Ränder der 
Blase betrachtet werden; vom oberen Rand würde die Schwere sie 
fortführen, nach unten ist der Sack häufig offen. Es ist deshalb 
wahrscheinlich, dass das Infiltrat in den meisten Fällen die Form 
eines Bogens haben wird, der seine Konvexitüt nasal oder temporal 
wendet. Dergestalt findet man es auch bei Ulcus serpens. Ist die 
Infiltration von vornherein auf den einen Rand beschränkt gewesen. 
ist es ganz natürlich, dass sich der übrige, speziell der gegenüber- 
liegende Teil des „scheibenförmigen Infiltrates“ reinigt und ausheilt: 
das will nur sagen, dass die Blasenwand abrestossen und neues 
Epithel gebildet wird. Dass das Infiltrat Bogenform annimmt, 
mit dem konvexen Rand nach aussen, ist eine einfache 
Folse davon, dass es im Rande der kreisförmigen Blase 
gebildet wird: dass es das Epithel unterminiert, kommt 


Zur Átiologie des Ulcus corneae serpens. 585 


daher,dass der Infektionsstoff von vornherein subepithelial 
deponiert gewesen ist. 

Das bogenfórmige Infiltrat wird also — abgesehen von 
der in der Regel weniger ausgeprägten Infektion des Bodens der 
Blase — der eigentliche Anfang der septischen Infektion. 
Da dessen Form von rein mechanischen Umständen abhängig ist, 
welche nur im Entstehungsaugenblick ihre Wirkung ausüben, und 
nicht von besonderer Eigentümlichkeit des Infektionsstoffes, liegt kein 
Grund vor, dass es in seiner weiteren Ausbreitung die Bogenform 
beibehalten soll. 

Man versteht nun, dass es nicht gelungen ist, ein typisches Ulcus 
serpens bei Tieren hervorzurufen; das erforderliche Zwischenglied für 
die Bogenbildung, die Blase, fehlt. Man versteht ebenfalls, dass Kinder, 
welche nicht Keratitis bullosa bekommen, wohl von septischer Ke- 
ratitis, aber nicht in Form von Ulcus serpens befallen werden können. 
Man könnte sich darüber wundern, dass Frauen, welche häufiger als 
Männer Keratitis bullosa haben, im ganzen seltener Ulcus serpens be- 
kommen. Dies erklärt sich doch dadurch, dass Blennorrhoea sacci lacry- 
malis, vernachlässigte Conjunctivitis und andere äussere Momente am 
häufigsten bei den Mann der Arbeitsklassen angetroffen werden. 
Übrigens ist Ulcus serpens bei Frauen, besonders nach Nagelkratzen, 
kein ganz seltenes Vorkommnis. Man könnte einwenden, dass die 
Ulcus-serpens- Patienten vorher keine Zeichen einer rezidivierenden 
bullösen Keratitis aufweisen; aber dieser Einwand wird dadurch ent- 
kräftet, dass eine Blase in unmittelbarem Anschluss an die primäre 
Abrasion entstehen kann, was ich durch klinische Beobachtungen in 
meiner vorher citierten Abhandlung gezeigt habe; ausserdem können 
Anfälle bullöser Keratitis früher aufgetreten und vom Kranken als 
Traumata aufgefasst sein. Schliesslich hat man ja bisher nicht die 
(Gewohnheit gehabt, die Patienten betreffs dieser Verhältnisse auszu- 
fragen. Dass ein Auge, welches ein Ulcus serpens überstanden hat, 
danach im allgemeinen keine weiteren Anfälle einer bullösen Keratitis 
aufweist, ist wohl natürlich: denn es ist eine allgemeine Erfahrung, 
dass Rezidive einer Keratitis bullosa aufhören, wenn ein Anfall mit 
Infektion, selbst leichteren Grades, kompliziert gewesen ist. 

Ich habe im vorhergehenden gezeigt, wie meine Hypothese über 
die Abhängigkeit des Ulcus serpens von einer vorausgehenden Keratitis 
bullosa dadurch gestützt wird, dass sie bezüglich aller Punkte in Über- 
einstimmung mit den klinischen Tatsachen steht. Die direkte Beobach- 
tung bekräftigt deren Richtigkeit. Hier ist es ja indessen von vornherein 


580 Edmund-Jensen 


klar, dass sich nicht alle Fälle in gleichem Grade zum Nachweis eignen. 
Das günstigste Stadium ist das frühzeitige, in dem die Randintiltration 
der scheibenförmigen Trübung gerade so deutlich ist, dass sich die 
Diagnose stellen lässt. Fasst man hier das Epithel mit einer Pincette, 
so ist es abziehbar in einem Umfang, der zu einem Kreis passt, von 
dem das Randinfiltrat einen Teil ausmacht, und vielleicht etwas dar- 
über hinaus. Wenn das Infiltrat einen vollständigen Ring bildet — 
wovon ich vor kurzem ein Beispiel sah —, so bildet dieser die Grenze 
für die Abziehbarkeit des Epithels. In einem späteren Stadium wird 
das Bild dadurch verwischt werden, dass das Epithel ganz oder teil- 
weise abgestossen ist, vielleicht an einer einzelnen Stelle regeneriert; 
der über das Randinfiltrat herabhüngende Epithelrand kann der 
einzige Rest der Wand der Blase sein. In einem noch weiter vor- 
seschrittenen Stadium kann es vorkommen, dass die Abziehbarkeit 
des Epithels sich von ihrem ursprünglich begrenzten Gebiet auf die 
Obertläche der ganzen Cornea ausgedehnt hat — oder dass der Ent- 
zündungsprozess das Epithel ganz oder teilweise an die unterliegende 
Schicht gebunden hat; im letzten Falle sieht man eine oder mehrere 
inselförmige Erhabenheiten an der Oberfliiche. 

Bekanntlich sieht man mitunter nach oberflächlichem Trauma 
suppurative Keratitiden von ähnlicher Malignitit wie die des Ulcus 
serpens, aber ohne BhRandbogen. Für diese Fülle nehme ich an, dass 
die Blasenbildung entweder gefehlt hat, oder dass die Blase von 
vornherein. die. ganze Corneaoberfläche einzenommen hat; die Be- 
dingung für Bogenbildung ist eine circumscripte Blase im 
Entstehungsaugenblick. 

Dass das Epithel bei Ulcus serpens leicht abziehbar ist, wies 
Peters!) nach; er benutzt diesen Befund u. a. zur Erklürung der 
Malienität des Ulcus serpens, indem er meint, dass die Blasenbil- 
dung als neurotisches Odem der Cornea die Widerstandskratt des 
(rewebes verringert; er will auch die günstige Wirkung der Saemisch- 
schen Spaltung dadurch erklären, dass die ödematöse interlamelläre 
Flüssigkeit auf diese Weise ihren Abtluss bekommt. Diese Erkli- 
rung mag zutreffend sein, doch finde ich es nicht wahrscheinlich. 


dass in den meisten Fillen von Keratitis bullosa — bei denen die 
Hornhaut völlig durchsichtig ist — sich eine nennenswerte inter- 


lamelläre Ansammlung findet, durch deren Abtluss das Corneagewebe 
entlastet werden könnte. Auch sieht man ja, wie andere suppurative 


1 v. Graefe's Arch. Bd. LVII, 1. S. 93. 


Zur Ätiologie des Ulcus corneae serpens. 587 


Hornhautleiden von spontanen oder künstlich herbeigeführten Perfo- 
rationen günstig beeinflusst werden. Die Anhänger der Saemisch- 
schen Operation schreiben ja ausserdem der Schnittlage eine grosse 
Bedeutung zu; vielleicht könnte der Umstand, dass der Schnitt eine 
Blase óffnet bzw. die Abstossung des Epithels erleichtert, die gün- 
stige Wirkung der Operation teilweise erklären. 

Dies führt mich zu dem Punkt, den ich als letzten besprechen 
will, nämlich die Frage, inwiefern die Therapie etwas durch die Er- 
kenntnis des Zusammenhanges zwischen Ulcus serpens und Keratitis 
bullosa gewinnen kann. Ich meine ja. Wenn man davon ausgeht, 
dass der Prozess einen wesentlichen Teil seiner Malignität dem Um- 
stand verdankt, dass es den Mikroben möglich wird, sich unter be- 
sonders günstigen Verhältnissen zu entwickeln, nämlich in einer Art 
Brutkasten, wo sie sich in dem epithelberaubten Hornhautgewebe 
festsetzen können, während das Epithel sie gegen äussere Einwirkung 
schützt, ist die Vermutung berechtigt, dass eine Entfernung des losen 
Epithels so schnell wie möglich und in so grossem Umfang wie mög- 
lich, dem Prozess in wesentlichem Grad entgegenwirken können wird. 
Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass dies richtig ist; wenn man 
‚ährend eines frühzeitigen Stadiums, in dem das Randinfiltrat gerade 
begonnen hat, das Epithel entfernt und den Grund mit Jodtinktur 
pinselt, kann es sogar gelingen, den Prozess zum Sistieren zu bringen, 
so dass sich Kauterisation mit Platina candens vermeiden lässt. Dies 
hat ja seine grosse Bedeutung, besonders bei zentral liegendem Herd, 
wo das Horuhautgewebe kostbar ist, und wo es darauf ankommt, 
die Destruktion des normalen Gewebes innerhalb möglichst enger 
Grenzen zu halten. 


Nachtrag: Durch die Freundlichkeit des Herrn Prof. Wagen- 
mann ist meine Aufmerksamkeit nach Abschluss dieser kleinen Arbeit 
auf die einschlägige Abhandlung von Fuchs!) gelenkt worden; die- 
selbe war mir wegen ihrer Veroflentlichung in einer nicht speziell 
ophthalmologisehen Zeitschrift leider entgangen. 

In dieser Arbeit verwirft Fuchs seine frühere Ansicht, infolge 
deren die Ringform des Ulcus serpens durch Abstossung der nekro- 
tisch gewordenen Mitte einer anfangs gleichmässigen Infiltration ent- 
stehen sollte. Nach Beobachtung von 32 Fällen von beginnenden 
Ulcus serpens ist Verfasser der Ansicht geworden, dass dasselbe sich 
direkt aus einer Erosion entwickelt „in der Weise, dass die Horn- 


(D Wiener klin. Wochenschr. Nr. 1. 1909. 





558 Edmund-Jensen 


haut im Bereiche der Erosion sich zuerst zart trübt und dann, am 
zweiten bis vierten Tage nach der Verletzung, durch zunehmende In- 
filtration am Rande dieser Trübung ein kleiner grauer Ring entsteht“. 

Die Angabe, dass der Infiltrationsring dem Rande der primären 
Erosion entspricht, ist wohl nicht ganz buchstáblich zu verstehen, 
denn erstens sind die Erosionen, die zum Ulcus serpens Anlass geben, 
gewühnlich grósser als die angegebenen Durchmesser des Infiltrations- 
ringes (1 —2 mm), und zweitens sind sie nur üusserst selten kreisrund. 
Der Ring muss sich also unabhängig von der Form (und Grösse?) 
der primären Erosion entwickelt haben; man darf vermuten, dass er 
sich rings um die Stelle entwickelt hat, wo die Verletzung und mit 
ihr die Infektionskeime am tiefsten eingedrungen sind. Der kleine 
Ring entspricht also am ehesten dem Infiltrationshof, den man mit- 
unter durch Infektion nach Stichwunden entstehen sieht. 

Dass der Verfasser die Mehrzalıl seiner Fälle in dieser Weise 
auffasst, lernt man aus seiner Würdigung des Impfversuches, den er 
mittels einer Pneumocokkenkultur an die gesunde Hornhaut eines 
menschlichen Auges anstellte. Nach drei Tagen hatte sich ein Infil- 
trat entwickelt, das in der Mitte deutlich weniger saturiert war als 
am Rande, also beinahe dasselbe Aussehen darbot, wie die Mehrzahl 
der beobachteten Fälle. 

Diesen Fall betrachtet Fuchs als typisches Anfangsstadium eines 
Ulcus serpens; er findet es wahrscheinlich, dass die anatomischen 
Veränderungen dieses Falles, speziell die gefundene Zerreissung der 
Bowinanschen Membran und die keilfórmige Infiltration unter der- 
selben auch in den gewöhnlichen Fällen von Ulcus serpens für den 
Verlauf des Leidens eine ausschlaggebende Bedeutung haben. „Der 
Vorgang bei der Impfung dürfte nicht wesentlich verschieden sein 
von dem, durch welchen die spontane Entstehung eines Ulcus serpens 
geschieht.“ Verfasser trägt daher kein Bedenken, diesen Fall das 
jüngste bisher untersuchte Ulcus serpens zu nennen. 

Dieser Auffassung kann ich mich nicht anschliessen. Die Impf- 
keratitis erfolgt nach einer Stichwunde mit gleichzeitig stattfindender 
Infektion; die zu Ulcus serpens führende Läsion ist gewöhnlich ganz 
oberflächlich (mit Strohhalm u. dgl), so dass eine Zerreissung der 
Bowmanschen Membran nicht wahrscheinlich ist: die Infektion findet 
nicht gleichzeitig mit der Läsion statt, sondern erfolgt später. Dass 
ein solcher Unterschied im Entstehungsmechanismus sich im Anfangs- 
stadium des Leidens abspiegeln wird, ist doch von vornherein wahr- 
scheinlich. 


Zur Átiologie des Ulcus corneae serpens. 589 


Da nun nach Aussage des Verfassers die Mehrzahl seiner Fälle 
von beginnendem Ulcus corneae sich analog der Impfkeratitis ver- 
halten, i. e. als ob sie aus einer kleinen Stichwunde hervorgegangen 
wären, kann ich nicht umhin, einen gewissen Zweifel hinsichtlich der 
Natur dieser Fälle zu hegen. 

Fuchs sagt: „Die Diagnose des Ulcus serpens wurde gestellt, 
sobald der progressive Rand sich zeigte.“ Der progressive Rand be- 
deutet aber hier die kleine ringförmige [Infiltration von 1—2 mm 
Durchmesser; nur der Verlauf kann entscheiden, ob dieser Rand pro- 
gressiv wird oder nicht. Es geht aber aus der Beschreibung hervor, 
„dass man es in keinem einzigen Fall zu einem ausgewachsenen 
Ulcus serpens kommen liess“. Nur in vereinzelten Fällen fand ein 
Fortschreiten statt, und hier wurde das Geschwür durch Galvano- 
kaustik zur Heilung gebracht. In der Mehrzahl der Fälle ging das 
(seschwür, ohne sich auszubreiten, durch einfache Behandlung zurück. 
Der Übergang vom kleinen Infiltrationsring bis zum typischen Rand- 
bogen wurde also in diesen Fällen nicht beobachtet. Der Beweis da- 
für, dass sie das Anfangsstadium des Ulcus serpens repräsentieren, 
ist somit nicht erbracht. 

In einigen wenigen Fällen hat Verfasser ein Anfangsstadium 
getroffen, ganz analog demjenigen, das ich als das gewöhnliche an- 
sche, nämlich einen unvollständigen Ring von grösserem Durchmesser; 
Fig. 4 der Abhandlung entspricht genau dem Bilde, das ich öfters 
gesehen habe. In diesen Fällen wurde auch die Gegenwart einer 
Blase konstatiert. Der Verfasser betrachtet diese Fülle als Ausnahme- 
file; er glaubt, dass eine Infektion bei rezidivierenden Erosionen 
selten ist, weil die Verletzung der Bowmanschen Membran fehlt. 

Nach meiner Ansicht darf man a priori annehmen, dass die 
Tasche, die von der Blase gebildet wird, ebenso gut im stande ist, 
die Keime festzuhalten, als die kleine Taschenwunde, die bei Läsion 
der Bowmanschen Membran gebildet wird. 

Jedenfalls zeigen des Autors 4 Fülle, ebenso wie meine Beobach- 
tungen, dass ein solcher Vorgang möglich ist. 


Über die Schädlichkeit und Brauchbarkeit unserer 
modernen Lichtquellen. 


Von 
Prof. Dr. E. Hertel, u. Dr. O. Henker, 
I. Assistenten der Universitätsaugen- \Vissenschaftlichem Mitarbeiter der Firina 
klinik in Jena. C. Zeiss in Jena. 


Mit Taf. XXII, Fig. 1—23, und 2 Kurven im Text. 


Die Fortschritte, die die Beleuchtungstechnik in den letzten Jahr- 
zehnten namentlich durch die Einführung des Auerbrenners und. des 
elektrischen Lichtes in hygienischer und ökonomischer Beziehung ge- 
macht hat, sind ausserordentlich gross. Denn einmal ist die Qualität 
des Lichtes durch die grössere Ähnlichkeit mit dem Tageslicht eine 
viel bessere, anderseits ist die unnötige und lästige Wärmestrahlung 
ebenso wie die Entwicklung von Nebenprodukten (Kohlensäure und 
Wasser) wesentlich vermindert. Daraus ergibt sich die beträchtlich 
bessere Ausnutzung der lichtspendenden Kraft, wie die folgende Ta- 
belle (Nr. D) nach Zahlen von Wedding und Gärtner leicht cer- 


kennen lässt: 
Tabelle I. 





Kalorien | Kosten Kohlensáure 


Lichtart p. 1 Kerze | p. 1 Kerze p. Kerzenstunde 
Petroleumlicht 36,4 | 0,083 5,4 1 
Gasschnittbrenner 66,7 — 101 
Gasrundbrenner 50,7 — 5,3 1 
Auerbrenner 11,0 0,027 1,051 
Elektrische Kohlenfaden- | 

lampe 2,6 | 0,12 keine 
Nernstlampe | 1,69 | 0,075 5 
Tantallampe | 1,4 | — i 
Osiniumlampe | 1,34 | 0,062 | 2 
Wolfrumlampe | 0,58 | =; ' 5 
3orenlicht | 0,5 | 0,044 | 0,0271 


Diese Fortschritte sind ermöglicht worden dureh Nutzbarmachung 
von besonders hochtemperierten Strahlern. Mit der Erhöhung der 
"Temperatur. wurde das Energiemaximum im Spektrum der Lichtquelle 
mehr nach dem für die Belenehtungszwecke wichtigen sichtbaren Teile 


Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 591 


verschoben, woraus die bessere Qualität des Lichtes und die bessere 
kalorische Ökonomie ohne weiteres resultierten. 

Mit dieser Verlegung des Energiemaximums mehr nach der 
rechten Seite des Spektrums geht nun, wie bekannt und neuerdings 
auch wieder durch die Untersuchungen von Schanz und Stock- 
hausen bestätigt ist, eine Verbreiterung des Spektrums nach rechts, 
also nach dem ultravioletten Teile zu Hand in Hand. Da nun aber 
nach allem, was wir wissen, Strahlen kürzer als 2 300 vu überhaupt 
nicht in das Auge und unter 2 330 uu wohl kaum bis zur Netzhaut 
gelangen (de Chardonnet, Schuleck, Hertel, Schanz und Stock- 
hausen, Birch-Hirschteld), so sind diese Strahlen für Beleuch- 
tungszwecke überflüssig und könnten aus der Strahlung der Lampen 
verschwinden. 

Von verschiedenen Seiten (Schuleck, Stärkle, Hallauer, 
Vogt, Schanz und Stockhausen) ist nun aber die Forderung 
aufgestellt worden, dass diese kurzwelligen Strahlen aus unserem 
Beleuchtungslicht ausgeschaltet werden müssten, weil sie 
den Augen schädlich seien. Schanz und Stockhausen möchten 
den zu eliminierenden Bezirk sogar bis A 400 wu ausgedehnt wissen, 
weil gerade der Spektralbezirk zwischen 2 400 und A 300 ww die 
Augen ganz besonders schädige. 

Begründet wird diese Forderung durch Hinweise auf eine Reihe 
von experimentellen Arbeiten, in denen Schädigungen der Augen- 
gewebe durch starke Lichtquellen beschrieben worden sind. 

Sehen wir von den Arbeiten von Czerny und Deutschmann, 
die Blendungen mit konzentriertem Sonnenlicht vornahmen, ab, so 
werden vor allem die klassisch gewordenen Untersuchungen Wid- 
marks angeführt. Er liess konzentriertes Licht von Bogenlampen von 
1200—4000 Kerzen aus einer Entfernung von etwa 25cm 2—4 Stun- 
den und länger auf Tieraugen einwirken. Ogneff schiekte bei seinen 
Experimenten durch starke Eisenplatten oder Klötze einen Strom von 
250—500 Akkumulatoren und exponierte dann dem entstandenen 
Licht, dessen Intensität er auf 5—S000 Kerzen schätzte, verschiedene 
Tiere in einer Entfernung von 1,—-2m 15— 20 Minuten und länger, 
Birch-Hirschfeld gebrauchte bei seinen umfangreichen Nachprü- 
fungen der früheren Arbeiten konzentriertes Dogenlampenlicht: nit 
oder olme Zerlegung durch Prismen. ferner konzentriertes Eisenlicht 
emer Dermolunpe. Mit letzterer hat auch Strebel Versuche an- 
gestellt. Herzog berichtete über Versuche mit konzentriertem Nonnen- 
und Bogenlampenlicht, letzterem wurden die Tiere 1 -1 Ntunde aus- 


592 E. Hertel und O. Henker 


gesetzt. Hess experimentierte mit einer Schottschen Uviollampe 
von 65cm Lünge und 3—3! Amp. Belastung. Die Tiere wurden in 
einem Abstand von 10—20 cm 1—16 Stunden lang bestrahlt. Uviel- 
licht liess auch. Birch-Hirschfeld bei seinen neuesten Unter- 
suchungen in häufigen bis zu 150 mal wiederholten je 10 Minuten 
dauernden Sitzungen aus einer Entfernung von 10 cm auf die Ver- 
suchstiere einwirken. Die Untersuchungen von Hertel und Terrien 
wurden mit Induktionsfunkenlicht ausgeführt. 

Aus dieser kurzen Übersicht über die Versuchsanordnungen bei 
den einzelnen Autoren geht ohne weiteres hervor, dass keiner die 
Frage bearbeitet hat, welchen Einfluss unsere moderne Be- 
leuchtung auf unser Auge hat. Denn niemals gelangt bei Be- 
leuchtung konzentriertes Bogenlicht in unser Auge. Auch die Uviol- 
lampe wird niemand, falls er überhaupt dieses intensiv gefärbte Licht 
zur Beleuchtung verwenden will, für Beleuchtungszwecke in einer Ent- 
fernung von 10—20 cm vom Auge aufstellen. Versuche mit elektri- 
schem Glühlicht und Auerlicht — also mit den jetzt am häufigsten 
zur Verwendung kommenden Beleuchtungsmitteln — fehlen ganz. 
Daraus ergibt sich schon, dass wir keinesfalls die von den genannten 
Autoren erhaltenen Resultate auf die Wirkung unserer modernen Be- 
leuchtung übertragen dürfen. 

Und das muss um so mehr betont werden, als diese Resultate 
selbst nichts weniger als einheitlich und überzeugend sind. Denn 
Widmark fand nach seinen Blendungen entzündliche Veränderungen 
des vorderen Bulbusabschnittes, verschiedentlich Veränderungen der 
Linse, ferner solche der Netzhaut und der Aderhaut. Dagegen hebt 
Ogneff ausdrücklich hervor, dass sich die Netzhaut bei seinen Ex- 
perimenten als sehr widerstandsfühig gegen die Blendungsversuche 
erwiesen habe. Birch-Hirschfeld anderseits sah stets Netzhautver- 
änderungen, auch wenn im vorderen Bulbusabschnitt keine Gewebs- 
läsionen nachweisbar waren.  Linsentrübungen hat er bei einer 
Reihe von Beobachtungen nicht schen können, bei andern wieder 
fand er solche. Auch die Resultate mit Eisenlichtblendungen sind 
sehr verschieden. Birch- Hirschfeld. fand. Netzhautveründerungen. 
Strebel dagegen nieht, ebensowenig in der Aderhaut. Nach Ein- 
wirkung von Uviollicht konnte Hess Linsentrübungen feststellen, 
während sie Birch-Hirschfeld niemals geschen hat. 

Noch verworrener werden die Resultate, wenn wir dem nach- 
schen, was die einzelnen Autoren anf die ultraviolette Strahlung be- 
zichen. Widmark führt auf sie die Veränderungen im vorderen 


Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 593 


Bulbusabschnitt und die Linsentrübungen zurück, während er die 
Veränderungen in der Tiefe des Auges auf die Strahlen des sicht- 
baren Spektrums bezieht. Nach Ogneff können aber die ultra- 
violetten Strahlen auch Aderhautveründerungen hervorbringen, die 
Netzhaut dagegen werde durch sie nicht angegriffen. Demgegenüber 
hat Birch-Hirschfeld ausgedehnte Netzhautveränderungen auf die 
Wirkung von U.-V.-Strahlen zurückgeführt und namentlich die kurz- 
welligsten derselben — unter 4 300 uu — dafür verantwortlich ge- 
macht. Freilich hatte Hertel schon konstatieren können, dass diese 
ganz kurzwelligen Strahlen selbst'aus dem Magnesiumfunkenlicht, in 
dessen 4 280 uu - Linie wir wohl die intensivste U.-V.-Linie aller 
Spektren besitzen, nicht einmal die Hornhaut passieren, viel weniger 
zur Netzhaut gelangen können. Ganz neuerdings hat denn auch 
Birch-Hirschfeld seine Ansicht dahin geändert, dass Strahlen 
unter A 300 wu die Netzhaut nicht schädigen können und dass bei 
Blendungen mit intensivem, gemischtem Licht auch die sichtbaren 
Strahlen der Netzhaut schädlich sind. 

Die von Hess bei Blendungen mit Uviollicht beobachteten Linsen- 
trübungen werden von ihm auf die U.-V.-Strahlen bezogen, während 
Ogneff, Strebel, Birch-Hirschfeld und Hertel niemals Kata- 
rakt mit U.-V.-Strahlen erzielen konnten. Dagegen haben Birch- 
Hirschfeld und Herzog Linsentrübungen durch sichtbares Licht 
entstehen sehen. 

Doch es soll auf die Einzelheiten nicht weiter eingegangen werden, 
es genügt ja das Angeführte vollkommen, zu zeigen, wie widersprechend 
die Resultate sind, und wie wenig sie sich zu bindenden Schlüssen 
allgemeiner Art eignen. 

Wir sehen daher auch, dass dureh diese Experimente unsere 
Kenntnisse in der Pathologie derjenigen Erkrankungen, bei denen 
nach klinischen Beobachtungen Strahlenwirkungen eine gewisse Rolle 
zuerteilt werden muss, nicht wesentlich gefördert worden sind. Das 
beweisen gerade die neuesten Arbeiten auf diesem Gebiete. Es mag 
genügen, auf die Diskussion über die Entstehung des Glasbläser- 
stares zwischen Schanz und SNtockhausen eimerseits, DBireh- 
Hirschfeld anderseits, ferner über die Ervtlropsie zwischen Vogt, 
Schanz und Stockhausen, Best zu verweisen. Die Erscheinungen 
der Schneeblindheit führte Birch-Hirschfeld noch in seiner Arbeit im 
v. araefe'schen Archiv alle auf UÜ.-V.-Strahlenwirkung zurück. während 
Best das entschieden in Abrede stellt. und auch Bireh-Hirschfeld 
neuerdings die sichtbaren Strahlen dabei eine Rolle spielen lässt. 


594 E. Hertel und O. Henker 


Man kann wohl sagen, dass jede der ausgesprochenen Ansichten 
über die Genese der genannten und noch anderer hierhergehörigen 
Krankheiten — Ophthalmia electrica, Frühjahrskatarrh usw. — durch 
Resultate aus den bisher vorliegenden experimentellen Arbeiten ge- 
stützt werden kann, weil eben in diesen Arbeiten nahezu alle mög- 
lichen Resultate enthalten sind. Wollen wir also auf experimentellen 
Grundlagen unsere Kenntnisse über die in Betracht kommenden patho- 
logischen Erscheinungen vertiefen, so müssen diese Grundlagen selbst 
erst einheitlicher gestaltet werden. 

Bis jetzt bleibt nach allem, was wir gesehen haben, nur die 
schon von Widmark experimentell erhiirtete Tatsache übrig, dass 
man bei Belichtungen des Auges nicht nur auf die Netzhaut, sondern 
auch auf andere Teile des Auges einwirken kann, und dass bleibende 
Gewebsschädigungen möglich sind. 

Es war das nach unsern modernen Anschauungen über die 
Lichtwirkung, welche nicht, wie früher angenommen, an bestimmte 
Zellen gebunden ist, sondern nach den zuerst von Hertel erbrachten 
Beweisen auf alle lebende Zellen möglich ist, zu erwarten. Die 
Lichtwirkung ist eben als ein allgemeiner Plasmareiz aufzufassen, der 
beim Überschreiten einer gewissen Reizstärke die Funktion der Zellen 
lähmen und schliesslich zur Abtötung der Zellen führen kann. Dar- 
aus aber, dass durch irgendwelche Lichtquellen diese Reizwirkung 
möglıch ist, kann man unmöglich folgern wollen, dass diese Licht- 
quellen generell schädigen müssen. Es wird ja auch niemand be- 
haupten wollen. dass, weil man sich am Ofen verbrennen kann, der 
Ofen im allgemeinen schädlich ist. Daraus ergibt sich ohne weiteres, 
dass es Aufgabe zukünftiger Arbeiten sein muss, zunächst 
die Bedingungen festzustellen. wann eine Veränderung des 
Auges dureh Einwirkung strahlender Energie eintritt. 

Dass diese theoretisch und praktisch gleich wichtige Aufgabe 
nicht auf dem von den genannten Autoren beschrittenen Were — 
Bestrahlung der Augen mit Lichtquellen der verschiedensten Art — 
gelöst werden kann, dürfte aus obigen Ausführungen genügend klar 
geworden sein. Dagegen besteht berechtigte Aussicht. dass man zum 
Ziele kommt bei Anwendung der Methode, die von dem einen von 
uns (Hertel) bei zahlreichen liehtbiologischen Studien erprobt ist und 
der wir wesentliche Fortschritte in unserer Kenntnis der Liehtbiologie 
verdanken (Verworn). 

Hertel hat zuerst darauf hingewiesen, dass es, um über die 
Vnlnerabilität von lebenden Zellen durch Lichtstrahlen Aufschluss zu 





Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 595 


bekommen, nicht genügt, beliebige Bestrahlungen mit unzerlegtem oder 
mit zerlegtem Licht vorzunehmen. Denn man weiss niemals, ob die 
zufällig gewählten, in den einzelnen Spektralbezirken jeder Lampe 
sehr differenten Energiemengen gerade der Reizschwelle der Zellen 
entsprechen, so dass z. B. bei negativen Resultaten nicht entschieden 
werden kann, ob diese auf Unerregbarkeit der Zellen durch die 
Strahlung oder nur auf zu schwache Strahlenintensitüten zurückzu- 
führen sind. Werden dagegen die verwendeten Energiemengen aus 
den einzelnen Spektralbezirken auf thermoelektrischem Wege gemessen 
und in geeigneter Weise variiert, so lässt sich für den gemessenen 
Bezirk feststellen, bei welcher Intensität seine Wirksamkeit anfängt. 
Auf diese Weise wurde zunächst das wichtige Resultat gewonnen, 
dass auch Zellen, die früher als nicht beeinflussbar durch Licht galten, 
durch Licht reizbar sind, wenn man Strahlen benutzt, die sicher von 
diesen Zellen absorbiert werden. Die Aufnahmemöglichkeit der 
Strahlen durch die Zellen ist abhängig von der Wellenlänge der 
Strahlen, so dass also da, wo wenig von der Strahlung absorbiert 
wird, besonders starke Intensitäten zur Reizung nötig sind; festzu- 
halten aber ist, dass die physiologische Wirksamkeit nicht an be- 
stimmte Wellenlängenbezirke gebunden ist, sondern allen Bezirken 
zukommt. Dass für die Zellen der einzelnen Tierarten sehr ver- 
schiedene Intensitäten nötig sind, um sie zu schädigen, ergibt sich 
aus den umfangreichen vergleichend physiologischen Untersuchungen 
Hertels ohne weiteres. Es würde also zunächst durch exakte 
Messungen festzustellen sein, welche Intensitäten die einzelnen Spektral- 
bezirke haben müssen, um speziell Veränderungen an den Augen- 
geweben hervorzurufen. Es wird dann ein leichtes sein, durch 
. Variation der Strahlungsintensititen verschiedene Stadien dieser Ver- 
änderungen zu erzielen, und es würde auf diese Weise wohl möglich 
sein, mehr Klarheit darüber zu bekommen, ob und aus welchem 
Wellenlängenbereich Strahlen klinisch bekannte Krankheitsbilder ver- 
ursachen können. 

Von dieser Basis ausgehend können wir aber auch durch 
Vergleiche der gefundenen Werte mit den ebenfalls thermoelek- 
trisch gemessenen Intensitäten der entsprechenden Spektralbezirke aus 
den uns zur Beurteilung vorliegenden Lampen — deren Energiewerte 
zum Teil schon in den Büchern der Physik und Beleuchtungstechnik 
niedergelegt sind — ermessen, ob und wann man von diesen Lampen 
Veränderungen des Auges bzw. Schädlichkeiten zu erwarten hat. 

Es soll nur noch auf einen Punkt hingewiesen werden, der bei der 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 39 


590 E. Hertel und O. Henker 


Ausführung derartiger Untersuchungen besonders zu beachten sein wird. 
Bei allen Lichtwirkungen auf das lebende Gewebe und ganz besonders 
auf das Auge spielt natürlich die Durchlässigkeit der Gewebe für die 
Strahlen eine grosse Rolie. Es soll hier nicht ausführlich in die Dis- 
kussion der grossen Anzahl von Arbeiten, die sich mit diesem Thema 
beschäftigt haben (Brücke, de Chardonnet, Helmholtz, Widmark, 
Schuleck, Birch-Hirschfeld, Hertel, Schanz u. Stockhausen, 
Hallauer u. A.) eingetreten werden. Doch geht aus den Arbeiten 
hervor, dass auch hier Differenzen bestehen, die nicht etwa durch 
individuelle Schwankungen usw. zu erklären sind. So mag nur die 
letzte Arbeit auf diesem Gebiet von Hallauer genannt werden, 
der in der Linse im Gegensatz zu früheren Untersuchern wenigstens 
bei jugendlichen Individuen ein verschieden starkes Unvermögen fand, 
die kurzwelligen Strahlen von 3300—3100 A.E. aufzuhalten. Es muss 
betont werden, dass die bisherigen Resultate auch auf diesem Gebiet 
nicht ohne weiteres untereinander vergleichbar oder als allgemeingültig 
betrachtet werden dürfen. Denn zu den Untersuchungen wurden die 
Spektren ganz verschiedener Lichtquellen — Tageslicht, Petroleum-, 
Gaslicht, elektrisches Licht, Eisenlicht, Induktionsfunken zwischen ver- 
schiedenen Elektroden — benutzt. Die Intensitäten in den einzelnen 
Spektralbereichen dieser Lichtquellen sind untereinander ausserordent- 
lich verschieden, also kann die Beobachtung der Absorption durch die 
Gewebe auch nur eine ganz relative, d.h. für die benutzte Lichtquelle 
geltende sein, wie das seinerzeit auch Hertel bei seinen Versuchen 
über die Penetrationsfähigkeit des Magnesiumfunkenlichtes ausdrück- 
lich betont hat. Will man allgemeingültige und unter sich vergleich- 
bare Werte schaffen, so muss man auch hier die auffallende Energie 
messen und die Durchlüssigkeit der zwischengeschalteten Gewebe nach 
Prozenten bestimmen. 

Das gilt natürlich in ähnlicher Weise für die Versuche über die 
Sichtbarkeit der U.-V.-Strahlen. wie sie de Chardonnet, Widmark, 
Schuleek und Birech-Hirschfeld angestellt haben. Auch diese kön- 
nen bei Benutzung anderer Lichtquellen ganz andere Resultate geben, 
so dass also die bisher vorliegenden ebenfalls einer Revision bedürfen, 
ehe sie eie von den jeweiligen Versuclisbedingungen unabhängige Gel- 
tung beanspruchen dürfen. 

Wennalsoauch klar geworden sein dürfte, dass auf die angegebene 
Weise durchgeführte Untersuchungen die infolge der Unzulänglichkeit 
der bisherigen Experimente immer wieder auftauchenden Widersprüche 
in den zum allgemeinen Problem der Strahlenwirkung auf die Gewebe 


Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 597 


gehörenden Fragen der Augenpathologie wegfallen werden, so werden 
auch anderseits schon aus den kurzen Andeutungen der Gang der- 
artiger Experimente und ihr Umfang und die Schwierigkeit ihrer Aus- 
führung nicht verborgen geblieben sein, ganz abgesehen davon, dass 
sie stets an ein grosses Apparatenmaterial geknüpft bleiben werden. 

Speziell für die Frage, ob die modernen Lichtquellen durch ihren 
U.-V.-Gehalt für die Augen schädlich werden können, hat nun in 
neuester Zeit Voege einen andern Weg vorgeschlagen. Er verglich 
auf photographischem Wege den U.-V.-Gehalt verschiedener künst- 
licher Lichtquellen mit dem des Tageslichtes bei gleichgestimmter 
Flächenhelligkeit, ferner mit direktem Sonnenlicht und reflektiertem 
Sonnenlicht. "Voege folgert aus seinen Aufnahmen, dass eine Schädi- 
gung des Auges seitens der künstlichen Lichtquellen durch ein Zuviel 
an U.-V.-Strahlen bei den gebräuchlichen Lampentypen und Licht- 
stärken nicht zu erwarten sei. 

Gegen diese Untersuchungen haben Schanz und Stockhausen 
vor allem eingewendet, dass das Tageslicht kein Vergleichslicht sei, 
da es selbst schädliche U.-V.-Strahlen enthalte. Daraus aber, dass sie 
die Schneeblindheit, die Erythropsie, Entzündungen des äusseren 
Auges, Sonnenerythem als Beweis für ihre Anschauung anführen, geht 
deutlich hervor, dass sie Tageslicht gleich Sonnenlicht bzw. vom Schnee 
reflektiertem Sonnenlicht gesetzt wissen wollen, ganz abgesehen davon, 
dass, wie oben schon angeführt, durchaus noch nicht bewiesen ist, dass 
die genannten Affektionen etwa nur durch U.-V.-Strahlen verursacht. 
werden. Durch das ditfuse Tageslicht aber, sei es das Licht des blauen 
Himmels oder reflektiertes Wolkenlicht oder Licht, das durch den 
bedeckten Himmel an trüben Tagen zu uns kommt, werden diese Af- 
fektionen sicher nicht hervorgerufen. Dieses diffuse Tageslicht repräsen- 
tiert für uns die physiologische Beleuchtung und ist seit Jahrtausenden 
nicht nur als unschädlich, sondern stets als die beste für unsere Augen 
befunden worden und schwebte daher auch der Beleuchtungstechnik 
aller Zeiten als Ideallicht vor, das leider auch bis heute noch nicht 
erreicht ist. 

Wir werden also als Massstab für die Brauchbarkeit 
der Lampen geradezu die Forderung aufstellen können, dass 
siedem Tageslicht möglichst gleichkommen müssen, und die 
Überzeugung haben können, dass die Lampen, die diese For- 
derung erfüllen, sicher auch unschädlich sind. Auf die gleiche 
Flüchenhellirkeit braucht bei derartigen vergleichenden Untersuchungen 
zwischen dem Tageslichte und dem künstlichen Lichte kein Gewicht 

39* 


598 E. Hertel und O. Henker 


gelegt zu werden, da sie praktisch ja doch nicht jedesmal abgeschätzt 
werden kann; im Gegenteil, sollen die Vergleiche für die Praxis unter 
allen Bedingungen verwertbare Resultate geben, so müssen wir eben 
festzustellen suchen, wie sich die Lampen unter den Bedingungen, wie 
wir sie sehen, d.h. also bei direkter Betrachtung, bei Beleuchtung durch 
indirekte Strahlung, bei Beleuchtung mit oder ohne Schutzhüllen zum 
Tageslicht. stellen. 

Ganz besonders ist darauf Gewicht zu legen, dass die bei dem 
Vergleich anzuwendende Methode Rechenschaft gibt nicht nur über 
die Gesamtstrahlung, sondern vor allem über die Verteilung derselben 
auf die einzelnen Spektralbezirke, da, wie oben genugsam ausgeführt. 
alle Bezirke auf das Auge wirken und dasselbe eventuell auch schä- 
digen können. Es genügt also schon ein Zuviel in irgendeinem Spek- 
tralbezirk, die untersuchten Lampen als weniger geeignet erscheinen 
zu lassen, alsandere, bei denen die Intensitäten in den einzelnen Spek- 
tralbezirken dem Tageslicht gleichkommen ; und wollen wir Schädigungen 
auf diesem Vergleichswege ausschliessen, so müssen wir die Gewissheit 
haben, dass alle Bezirke gleiche oder geringere Intensitäten haben wie 
die entsprechenden des Tageslichtes. 

Vergleichende Messungen, die nur den U.-V.-Bezirk berücksich- 
tigen, wie sie Voege ausgeführt hat, können niemals ein Urteil über 
die Brauchbarkeit einer Lampe gestatten, da sie eben von der falschen 
Voraussetzung ausgehen, dass Schädigungen nur von dem U.-V.-Teile 
zu erwarten sind. Daran wird auch nichts geändert, wenn der U.-V.- 
Bezirk etwa bis 2 400 uw ausgedehnt wird, wie das Schanz und 
Stockhausen fordern, da auch von diesem nicht bewiesen ist, und 
auch niemals bewiesen werden kann, dass er allein schädigt. 

Zur Messung hat sich Voege der photographischen Methode be- 
dient. Der eine von uns (Hertel) hat seinerzeit schon darauf hin- 
gewiesen, dass es nicht angängig ist, photographische Wirksamkeit 
und physiologische Wirksamkeit ohne weiteres gleichzusetzen, und hat 
u. a. auch gezeigt, welche Differenzen z. B. zwischen der Empfind- 
lichkeit der Netzhaut und der photographischen Platte sich finden lassen. 

Anders aber liegen die Verhältnisse, wenn man zwei Lichtquellen 
ihrer Intensität nach vergleichen will. Dabei kommt es hauptsäch- 
lich darauf an, dass man sie mit demselben Masse misst, und als 
solches Mass eignet sich die bei gleicher Expositionszeit auf empfind- 
liche und gleich "behandelte photographische Platten erzielte Wirkung 
sehr gut, schon deshalb, weil sie eine bequeme objektive Darstellung 
der Vergleichswerte gestattet. Nur werden bei den für exakte 


Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 599 


derartige Vergleiche nötigen Aufnahmen von spektralzerlegten Lichtern 
die roten Strahlen fehlen. Man wird also über diese nichts aussagen 
können. Doch ist das deshalb nicht ein so sehr grosser Nachteil, 
weil ja die roten Strahlen auch vom Gewebe am wenigsten auf- 
genommen werden. 

Nachdem sich aus alledem ergeben haben dürfte, dass zur Be- 
urteilung der Brauchbarkeit unserer Lampen Vergleichs- 
messungen ihrer Strahlung mit der Strahlung des diffusen 
Tageslichtes auf spektrographisch-photographischem Wege 
genügen, soll nun zur Schilderung unserer eigenen Versuche in 
dieser Frage übergegangen werden. 

Alle Aufnahmen sind mit einem Spektrographen hergestellt worden, 
der mit zwei Quarzflussspatobjektiven vom  Offnungsverhültnis fj20 
und einem Cornuschen 60° Prisma ausgerüstet ist. Auf den Spalt 
des Kolimators wurde die zu untersuchende Lichtquelle mittels eines 
.Quarzflussspatkondensors abgebildet. Die Elemente des Spaltes sind 
den Netzhautelementen des Auges vergleichbar, auf die das optische 
System ein Bild der Lichtquelle entwirft. Der Kondensor übernimmt 
hier die Rolle des optischen Systems des Auges. Es wird also bei 
der Versuchsanordnung der Sehvorgang gewissermassen nachgeahmt. 
Nur wird beim Spektrographen das auf den Spalt fallende Licht noch 
einer weiteren spektralen Zerlegung unterworfen. War es einmal 
nötig, ein nicht in der optischen Achse des Spektrographen liegendes 
leuchtendes Objekt auf den Spalt abzubilden, so wurde vor dem Kon- 
densor ein total retlektierendes Prisma aus Quarz verwendet. 

Die Expositionszeiten waren, soweit das möglich war, immer die 
gleichen, nämlich 20 Minuten. Wegen der hohen Intensitäten mussten zum 
Teil die mit den Bogenlampen und der Quarzquecksilberlampe her- 
gestellten Aufnahmen kürzer belichtet werden, falls nicht durch starke 
Überstrahlung die ganze photographische Erscheinung undeutlich werden 
sollte. Die Spaltbreite blieb für alle Aufnahmen unverändert, näm- 
lich gleich 0,05 mm. Zu allen Aufnahmen kamen hintergossene ortho- 
chromatische Kranzplatten zur Verwendung. Soweit verschiedene Auf- 
nahmen nicht so wie so auf ein und derselben Platte vereinigt waren, 
wurden die Bedingungen für die Entwicklung möglichst gleich ge- 
staltet. Die Dauer der Entwicklung und die Konzentration des Ent- 
wicklers waren stets gleich. Jedes Negativ wurde in frischem Ent- 
wickler hervorgerufen. Diese Versuchsbedingungen müssen unbedingt 
eingehalten werden, wenn man vergleichbare Resultate erhalten will. 

Das erste Spektrum von Tafel XXII ist das Spektrum einer 


600 E. Hertel und O. Henker 


Wasserstoffquecksilberróhre. Mit Hilfe der Spektrallinien ist der Spek- 
tralbereich sicher und bequem bestimmbar. Es soll dieses Spektrum 
nur als Orientierungsspektrum dienen. 

Die zweite Aufnahme ist das Spektrum von Wolkenlicht. Die 
Aufnahme erfolgte an einem trüben Novembertage nachmittags 3 Uhr 
bei völlig bedecktem Himmel. Es wurde ein im Zenith liegender 
Wolkenbereich abgebildet. 

Aufnahme 3 zeigt die Energieverteilung im Spektrum des blauen 
Himmels. Sie wurde an einem sonnigen Novembertage hergestellt. 

Den beiden vorangehenden Aufnahmen sehr ähnlich ist auch die 
Aufnahme 4, die das Spektrum einer diffus beleuchteten ungefähr 
1 m vom Kondensor entfernten horizontalen Schneefläche darstellt. 

Aufnahme 5 ist das Spektrum des Auerstrumpfes einer Grätzin- 
lampe. Der Strumpf war mit einem klaren Schottschen Cwlinder 
umgeben. Die Gaslampe hatte einen. Abstand von 50cm vom Kon- 
densor. 

Bei der nüchsten Aufnahme 6 war dieselbe Lampe noch mit 
einer Milchglasglocke versehen, und bei der Aufnahme 7 war über der 
Milchglasglocke noch ein Autositschirm angebracht. 

Aufnahme 8 zeigt das Spektrum einer klaren Metallfadenlampe 
und zwar einer 50kerzigen Siriuslampe. Der leuchtende Faden wurde 
auf den Spalt abgebildet. 

Die Aufnahme 9 ist in genau derselben Weise hergestellt, nur 
wurde dabei eine 50kerzige Tantallampe verwendet. 

Bei Aufnahme 10 diente eine mattierte Tantallampe von 25 Ker- 
zen als Lichtquelle. Der Abstand der Glühlampen betrug immer 
50cm vom Kondensor. 

Aufnahme 11 zeigt das Spektrum einer frei brennenden Gleich- 
strombogenlampe, wie solche für Beleuchtungszwecke verwendet werden. 
Ihre Stromstärke betrug 3,5 Amp. Um den Krater gut abbilden zu 
können, war sie in ungefähr Im Abstand vom Kondensor, aber 40 cem 
über der optischen Achse des Spektrographen aufgehängt worden. 
Hierbei musste also das total reflektierende Quarzprisma verwandt 
werden, um die schräg nach unten (ungefähr in der Richtung der 
stärksten Strahlung) fallenden Strahlen der Bogenlampe horizontal zu 
richten. 

Bei Aufnahme 12 war dieselbe Bogenlampe mit einer der üb- 
lichen Opalglaseloeken umgeben (Expositionszeit = 40 Sekunden). 

Dagegen wurde bei Aufnahme 13 an Stelle der Opalglasglocke 
eine halbkuglige nach oben offene Milchglasglocke verwendet, wie 


Über die Schädlichkeit u: Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 601 


‘man sie bei den Bogenlampen für halb indirekte Beleuchtung braucht. 
Das durch die Bogenlampe beleuchtete Milchglas diente also hier als 
Lichtquelle. 

Aufnahme 14 ist das Bogenspektrum einer 50cm vom Konden- 
sor entfernten, geneigten Projektionsbogenlampe, die mit einer Strom- 
stirke von 20 Amp. brannte. Die dabei verwandten Kohlen waren 
Dochtkohlen „Plania“ von den Planiawerken in Berlin. 

Nach der Einschaltung einer gewöhnlichen Fredener Spiegelglas- 
platte von 2,7 mm. Dicke zwischen Lampe und Kondensor wurde die 
Aufnahme 15 hergestellt. 

Den Versuchsanordnungen bei den Aufnahmen 16 und 17 ent- 
sprachen die Bedingungen, die bei der Herstellung der Spektren 14 
und 15 beobachtet wurden. Als Lichtquelle diente dabei aber eine 
Quarzquecksilberbogenlampe von Heraeus, die mit einer Stromstärke 
von 4,5 Amp. brannte. 

Die zwei nächsten Spektren wurden so erhalten, dass man durch 
die Lichtquelle ein weisses Kartonblatt beleuchtete, das nun als Licht- 
quelle fungierte. Die Entfernung des Kartons von der Lampe und 
vom Kondensor betrug ungefähr Im. Die Lichtstrahlen fielen an- 
nähernd senkrecht auf den Karton. Die Lichtquellen standen also 
ganz in der Nähe des Spaltkopfes des Kolimators. 

Während der Aufnahme 18 diente die mit Dochtkohlen „Plania“ 
ausgerüstete Projektionsbogenlampe und bei Aufnahme 19 die Quarz- 
quecksilberbogenlampe als Lichtuelle. 

Die folgenden vier Aufnahmen wurden so hergestellt, dass wieder 
der Bogen der mit 20 Amp. brennenden Eftektkohlenbogenlampe auf 
den Spalt abgebildet wurde, doch mussten die Strahlen zwischen dem 
Kondensor und dem Spalt eingeschaltete Neutralgläser passieren. 

Es wurde verwendet bei Aufnahme 20 das Rauchglas Nr. 276 
von der Fredener Spiegelglasaktiengesellschaft in einer Dicke von 
1,8 mm, 

bei Aufnahme 21 das Sonnenglas Nr. 66 der Fredener Spiegel- 
glasaktiengesellschaft in einer Dicke von 2,5 mm, 

bei Aufnahme 22 das Sonnenglas von Appert Frères in Clichy 
in einer Dicke von 1,4 mm, 

und bei Aufnahme 23 das Schottsche Neutralglas F 3815 in 
einer Dicke von. 0,5 mm. 

Wenn wir jetzt mittels der unter gleichen Bedingungen herge- 
stellten Aufnahmen die Strahlungsenergie in den verschiedenen Spektral- 
bereichen der modernen künstlichen Lichtquellen mit der Strahlungs- 


602 E. Hertel und O. Henker 


energie des diftusen Wolkenlichtes vergleichen, so finden wir, dass der 
Kondensor von dem 50cm entfernten Auerstrumpf unter einem klaren 
Schottschen Cylinder eine grössere Energiemenge auf den Spalt ver- 
einigt, als wenn er den gleichmässig grauen Himmel dorthin abbildet. 
Am meisten überwiegt die Helligkeit des Auerstrumpfes im sicht- 
baren Teil. Aber auch im langwelligen Teile des ultravioletten 
Spektrums von 4 400 bis A 365 uu ist die Intensität des Auer- 
strumpfes grösser als die des Wolkenlichtes. Dagegen übersteigt 
die Intensität des diffusen Wolkenlichtes die des Auerstrumpfes 
ganz wesentlich unterhalb A4 365 uu. Das Spektrum des Auer- 
strumpfes reicht im ganzen nicht weiter als ungefähr bis zur Wellen- 
länge 4 300 up, etwa der unteren Grenze des diffusen Tageslichtes. 
Durch Anbringung der Milchglasglocke wird die Helligkeit so verteilt, 
bzw. absorbiert, dass bereits der sichtbare Teil des Auerlicht-Spek- 
trums dem diffusen Tageslicht wenig überlegen ist, während der ge- 
samte ultraviolette Teil bedeutend schwächer ist als beim diffusen 
Wolkenlicht. Noch weiter sinkt durch Verteilung und Absorption 
die Helligkeit bei weiterer Hinzufügung des Autositschirmes, so dass 
auch die Helligkeit im sichtbaren Teil geringer als beim Wolkenlicht 
ist und nur noch sehr langwellige ultraviolette Strahlen stark geschwächt 
in dem ausgestrahlten Lichte enthalten sind. | 

Das Spektrum 8 vom glühenden Faden einer klaren Siriuslampe 
lässt erkennen, dass ähnlich wie beim. Auerstrumpf die Helligkeit he- 
sonders im sichtbaren Teil die Helligkeit des Wolkenlichtes übertriftt. 
Ungefähr unter 2 330 au wird die Intensität geringer als die des Wolken- 
lichtes. Das Spektrum reicht auch nicht weiter ins Ultraviolett als 
das Spektrum des Wolkenlichtes. Ungefähr dasselbe zeigt das Spek- 
trum des glühenden Tantalfadens im Spektrum 9. Im wesentlichen 
übertrifft auch hier wieder die Helligkeit des sichtbaren Teiles die 
Intensität des Wolkenlichtes. Die Aufnahme 10 zeigt, wie durch Ver- 
teilung der Helligkeit durch eine matte Birne das Licht dem Wolken- 
licht ähnlicher wird. Die Helligkeit im sichtbaren Teil ist nur wenig 
grösser, im ultravioletten Teile ist sie schon geringer wie beim Wolkenlicht. 

Ganz anders werden die Verhältnisse bei unsern hellsten künst- 
lichen Tachtquellen, den Bogenlampen. Der Krater einer Bogenlampe 
zeigt (Aufnahme 11) eine grössere Helligkeit im gesamten Spektrum 
der Helligkeit des Wolkenlichtes gegenüber. Die Schwärzung der 
Platte ist cher stärker als bei Aufnahme 2, obwohl die Exposition 
nur l see. betrug. Bemerkenswert ist vor allem, dass das Spektrum 


sich jenseits von 4 300 uu weit ins Ultraviolette erstreckt, so dass eine 


Über die Schádlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 603 


ganz anders beschaffene Strahlung von dem Krater ausgeht, als wie 
sie das Wolkenlicht liefert. Wesentlich ühnlicher wird das Bogenlicht 
der Tagesbeleuchtung, wenn man die Bogenlampe mit einer Opalglas- 
glocke umgibt. Die Opalglasglocke absorbiert ebenso wie die Spiegel- 
glasplatte alle Strahlen unter 4 300 up, die im Tageslicht nicht ent- 
halten sind. Doch verteilt die Opalglasglocke das Licht des Kraters 
nicht genügend, so dass die Helligkeit der von ihr durchgelassenen 
Strahlung die Helligkeit des diffusen Wolkenlichtes noch stark über- 
trifft, zumal wenn man bedenkt, dass die Expositionszeit.des Normal- 
lichtes 30mal so lang ist. Erst die bei Aufnahme 13 gebrauchte 
Milchglasglocke verteilt und absorbiert das nach unten ausgestrahlte 
Licht so, dass die Helligkeit der Glocke der des Wolkenlichtes an- 
nähernd gleicht. Der ultraviolette Teil des Spektrums ist sogar noch 
etwas kürzer wie bei dem Wolkenlicht, wobei zu bemerken ist, dass 
die Expositionszeit bei dieser Aufnahme wieder gleich 20 min. wie bei 
Aufnahme 2 war. | 

Die mit viel höherer Stromstärke brennende Effektkohlenbogen- 
lampe und auch die Quarzquecksilberlampe zeigen frei brennend 
ebenfalls ein weit über 2 300 ou hinausragendes Spektrum. Wie 
die Aufnahmen 15 und 17 beweisen, lässt sich aber dieser nicht 
im Tageslicht ‘enthaltene Teil durch eine einfache Glasplatte aus- 
schalten. 

Aus unsern Aufnahmen ergibt sich somit als erstes Resultat, 
dass keine von den untersuchten Lampen ohne Bedeckung für Be- 
leuchtungszwecke empfehlenswert ist, denn die Spektren der unbe- 
deckten Glühkörper weichen alle von dem Tageslicht beträchtlich ab. 
Es dürfen also die eigentlichen Lichtquellen, die mit hoher spezifischer 
Intensität strahlen, wie der Auerstrumpf, der Glühfaden, der Krater 
der Bogenlampe, nie dem Auge direkt zugänglich sein, damit nicht 
durch das optische System des Auges eim Bild von diesen leuchten- 
den Teilen auf der Netzhaut entworfen werden kann. Dieser Forde- 
rung kann man durch richtige Anbringung der Lampen in dem 
Lampengehäuse gerecht werden. Sie ist aber bei den wenigsten der 
jetzt üblichen Lampen erfüllt. 

Es geht aber aus unsern Aufnahmen zweitens hervor, dass die 
von der Beleuchtungstechnik zu lösende Aufgabe sich auch erreichen 
lässt, wenn die Lichtquellen so ausgestaltet werden, dass die gesamte 
Helligkeit auf eine grössere diffus leuchtende Fläche verteilt wird, 
z. B. durch Anwendung von Matt- und Milchglasumhüllungen. 

Bei dem Gasglühlicht und den elektrischen Metallfadenlanıpen, 


604 E. Hertel und O. Henker 


deren Spektrum im Ultravioletten ja auch nicht weiter reicht, als das 
Spektrum des Tageslichtes, und deren sichtbare Strahlungsenergie die 
der ultravioletten übertrifft, hat man also nur dafür Sorge zu tragen, 
dass die grosse Helligkeit der Lichtquellen im sichtbaren Spektrum durch 
eine geeignete Verteilung soweit herabgesetzt wird, dass die Flächen- 
helligkeit der dem Auge direkt zugänglichen Lampenteile die Helligkeit 
des diffusen Wolkenlichtes nicht übersteigt. Bei der Auerlampe ist dies 
durch Anwendung der Milchglasglocke und des Autositschirmes be- 
reits völlig gelungen (Aufnahme 7). Auch die Aufnahme 10 der mat- 
tierten Glühlampe zeigt, dass durch eine solche Verteilung der Hellig- 
keit eine dem Wolkenlicht ähnlichere Beleuchtung möglich ist. Die 
Verteilung genügt nur noch nicht ganz, besonders bei den jetzt vielfach 
üblichen hochkerzigen Glühlampen muss die Gesamtstrahlung auf eine 
entsprechend grössere Fläche ausgebreitet werden. 

Natürlich wird von derartigen Umhüllungen nicht alles von der 
Lichtquelle abgegebene Licht wieder ausgestrahlt. Ein Teil geht durch 
Absorption verloren. Bei Mattglasumhüllungen ist dieser Teil sehr 
gering. Bei dichten Milchgläsern kann er ganz erhebliche Beträge 
erreichen, wie z. B. bei der Milchglasglocke für die Bogenlampe. Bei 
der für unsere Aufnahmen benutzten Grätzinlampe wurde die in einer 
Richtung (horizontal) ausgestrahlte Helligkeit nach der Anbringung 
der Milchglasglocke etwa um 25°), geringer. Dabei war aber die 
gesamte räumliche Strahlung, die von der Milchglasglocke ausging, 
ungefähr nur 10°, kleiner als die gesamte räumliche Strahlung 
des vom klaren Cylinder umgebenen Auerstrumpfes, so dass die 
durch diese Milchglasglocke bewirkten Gesamtverluste doch nur 
gering waren. 

Bogenlampen umgibt man für Beleuchtungszwecke meist mit Opal- 
glasglocken. Diese schneiden zwar den unter 2 300 uu liegenden Teil 
des Spektrums völlig ab; aber wie die Aufnahme 12 zeigt, ist die Ver- 
teilung im übrigen Spektrum noch nicht genügend. Um eine genügende 
Milderung des sichtbaren und langwelligen ultravioletten Lächtes zu 
erreichen, wird man die indirekte oder die bessere halb indirekte 
3Zeleuchtung anwenden, so dass also die nach unten gerichtete Strah- 
lung einer hängenden Lampe entweder dureh undurchlässige Reflek- 
toren nach der Decke und den oberen Teil der Wand der zu beleuch- 
tenden Räume geleitet oder dureh eine halbkuglige Milchglasglocke 
genügend verteilt und gedämpft wird. Die horizontale und nach 
oben gerichtete Strahlung muss aber auch eine Klarglasglocke pas- 
sieren, damit die kurzwelligen ultravioletten Strahlen abgehalten wer- 


Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 


den. Denn, wie die Aufnahmen 18 
und 19 zeigen, reflektiert ein von frei 
brennenden Bogenlampen und Quarz- 
quecksilberlampen beleuchtetes Papier 
auch noch die kurzwelligen, jenseits 
2 300 uu liegenden Strahlen. 

Aus unsern Untersuchungen er- 
geben sich also zur Erreichung einer 
dem normalen Licht möglichst ähnlichen 
künstlichen TelueBhüng folgende For- 
derungen: 

Die eigentlichen Lichtquel- 
len sollen dem Auge nie direkt 
sichtbarsein. Die zu grosse Hel- 
ligkeit der Lichtquellen muss 
durch geeignete Verteilung so 
zerstreut werden, dass alle dem 
Auge zugänglichen Lampenteile 
nie mit grösserer Helligkeit 
strahlen, wie diffus beleuchtete 
Wolken. Alle unter 2 300 uu lie- 
genden Strahlen müssen abge- 
halten werden. 

Wie wir zeigen konnten, lassen 
sich alle diese Forderungen durch rich- 
tige Anwendung der bisher in der Be- 
leuchtungstechnik üblichen Mittel er- 
reichen. Es sind nun aber ausserdem 
von augenärztlicher Seite noch beson- 
dere Schutzgläser 
worden, so von Schuleck, Hallauer, 
Stärkle, Vogt, Schanz und Stock- 


vorgeschlagen 


hausen. Namentlich die vier letzt- 
genannten halten die von ihnen an- 


gegebenen Gläserauch für Beleuchtungs- 
zwecke für notwendig, weil nur dann 
die Augen vor Schädigungen seitens 
der modernen Lichtquellen sicher wä- 
Werden nun bei Anwendung 
die 


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dieser Gläser die Forderungen, 


Tabelle II. 





























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608 E. Hertel und O. Henker 


wir an gute künstliche Beleuchtungseinrichtungen stellen müssen, 
erfüllt? 

Um diese Frage beantworten zu können, haben wir das Absorp- 
tionsvermögen der wichtigsten der angegebenen Glasarten quantitativ 
bestimmt (vgl. Tab. II. Die Messung der Absorption im sichtbaren 
Teil des Spektrums geschah mittels eines Polarisationsspektrophoto- 
meters, bei dem die optischen Teile bis auf die Nicols aus Glas 
bestanden. Die Untersuchungen im ultravioletten Teile erfolgten mit 
einem gleichen Apparate, der aber nur optische Teile aus Quarz und 
Flussspat enthielt (vgl. Krüss) Die Resultate sind in Tab. II und 
Kurventafel 1 und 2 zusammengestellt. 

Die Euphosglüser wurden durch die Deutsche Spiegelglasaktien- 
gesellschaft in Freden bezogen. Sie waren bezeichnet als Euphos-Hell- 
glas Nr. 1, 2, 3, 4. Von Hallauergläsern wurden Nr. 62, 64 und 66 
untersucht, ausserdem noch von Schottschen Gläsern das Gelbglas 
F 4313 und das Neutralglas F 3815. 

Das Euphosglas Nr. 1 zeigt im sichtbaren Gebiet eine nicht 
ganz gleichmässige Absorption, es resultiert daher eine merkliche gelb- 
grüne Färbung; denn wührend eine 1mm dicke Schicht bei 4 546 uu 
etwa 7°), absorbiert, hält dieselbe Dicke bei 4 405 up 22?|, des auf- 
fallenden Lichtes zurück. Unterhalb 2 405 pu setzt die Absorption stärker 
ein, keineswegs aber verschluckt dieses Glas alles ultraviolette Licht; 
denn bei A 384 wu werden in Imm Dicke noch 52°/,, bei 2 366 uu 
37%), bei 2 34l uu 39%), und bei 2 332 uu 24°), durchgelassen. Erst 
hinter 2 332 wu fällt die Durchlässigkeitskurve steil ab. Die Durch- 
lässigkeitskurve des Euphosglases zeigt also einen den bekannten Farb- 
gläsern durchaus entsprechenden Verlauf. Wie Zschimmer schon in 
Erfurt hervorhob, sind eben Gläser, die bei ungeschwächter Durch- 
lässigkeit des sichtbaren Teils des Spektrums die gesamte darauffol- 
gende ultraviolette Strahlung völlig verschlucken, in der Technik noch 
nicht hergestellt worden. Das Euphosglas bestätigt dies nur wieder. 

Einen viel steileren Abfall der Durchlässigkeitskurve zeigt das 
Sehottsehe Gelbglas 4313, das hei 2509 uu 8394, hei 4 480 uu nur 
noch 9%, durehlässt, und den ultravioletten Teil so gut wie völlig ab- 
sorbiert. Auch das Hallauer Glas 62 weist hinter A 361 un eine stark 
einsetzende Absorption auf. 

Die Euphosgläser Nr. 2.3 und £ zeigen einen vom Euphosglas Nr. 1 
abweichenden, unter sich aber sehr ähnlichen Verlauf. Ihre Färbung 
ist noch ausgesprochener, denn die Absorption setzt schon bei 2 480 uu 
kräftiger ein und nimmt dann stark zu. Ganz Ähnlich sind auch die 


Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 609 


Absorptionskurven der Hallauer Gläser 64 und 66; nur ist die Durch- 
lässigkeit schon an der Stelle des Maximums bei 2 578 uu auf 62°), 
bzw. 37°|, herabgesetzt. Merkwürdig ist dagegen die Eigentümlichkeit, 
dass diese beiden letztgenannten Gläser im Ultraviolett noch mehrere 
Maxima haben. Sie sind in den Kurven wegen ihrer kleinen Werte nicht 
eingezeichnet. Da in dem ultravioletten Gebiet die Durchlässigkeit 
sehr gering ist, ist sie in der Tabelle nur für eine Dicke von 0,1 mm 
angegeben. Die starke Absorption veranlasste uns auch, bei der Mes- 
sung im ultravioletten Gebiete zum Teil sehr dünne Glasplättchen zu 
benutzen. Die aus diesen Messungen hervorgegangenen Resultate ent- 
halten die Gesamtverluste, die bei senkrechtem Durchtritt entstehen, 
also ausser der Absorption noch die Reflexionsverluste. Die Zahlen, 
die Absorptions- und Reflexionsverluste gleichzeitig berücksichtigen und 
für 0,1 mm Dicke gelten, sind unterstrichen. 

Das Schottsche Neutralglas F 3815 absorbiert ausserordentlich 
stark, aber im sichtbaren Teil bis A 436 wu fast ganz gleichmässig 
und zwar etwa 65°, schon in einer Dicke von 0,1 mm. Der starken 
Absorption wegen sind in der Tabelle 2 die Durchlässigkeitsfaktoren 
nur für 0,1 mm Dicke angegehen. Von 4436 uu ab nimmt die Ab- 
sorption nach dem Ultraviolett hin allmählich zu. Das Glas zeigt also 
eine recht geringe Färbung bei starker Herabsetzung der Intensität. 
aller Strahlen. 

Aus diesen Durchlüssigkeitskurven ergibt sich, dass Hallauer-, 
Euphosglüser, S chottsche Gelb- und Neutralglüser sich für allgemeine 
Beleuchtungszwecke nicht eignen, da durch sie die künstlichen 
Lichter nicht so beeinflusst werden können, dass sie den aufgestellten 
Forderungen genügen, d.h. also dem Tageslichte ähnlich werden. Die 
stark absorbierenden Sorten würden zudem infolge ihrer Färbung den 
Charakter des Lichtes völlig verändern. Auch das von Schanz und 
Stockhausen besonders für Beleuchtungszwecke empfohlene Euphosglas 
Nr. l ist ungeeignet, weil es ebenfalls wenn auch schwächer gefärbt ist, 
und weil es von den sichtbaren Strahlen viel zu wenig absorbiert, als 
dass eine genügende Herabsetzung der Intensitäten im sichtbaren Teile 
(des Spektrums erreicht werden könnte. Die von Schanz und Stock- 
hausen besonders ins Feld geführte stärkere Absorption im Ultra- 
violetten allein nützt nichts, denn dadurch ist eine Sicherheit. gegen 
Schädigungen gar nicht gewährleistet. Schädigungen sind ja durch 
alle Strahlen möglich, wenn die Intensität hoch genug ist. Und wir 
haben aus unsern Aufnahmen gesehen, dass die Intensität bei den 
künstlichen Lichtquellen gerade auch im sichtbaren Teile des Spek- 


610 E. Hertel und O. Henker 


trums die erlaubte Intensität des Tageslichtes wesentlich überschreitet 
und daher abgeschwächt werden muss. Dafür aber leisten uns die Euphos- 
gläser nichts, ebensowenig die von Stärkle und Vogt vorgeschlagenen 
Schutzmassregeln, da ja auch sie auf klare Schutzgläser rekurrieren. 

Dass diese Schutzgläser etwas mehr U.- V.-Strahlen absor- 
bieren, als gewöhnliche Gläser, worauf Stärkle, Vogt, Schanz 
und Stockhausen so grossen Wert legen, ist für ihre Anwendung 
für Beleuchtungszwecke gänzlich überflüssig, denn, wenn wir in der 
von uns als richtig bewiesenen Art — nämlich durch Verteilung der 
Strahlung auf eine grössere Fläche durch Matt- oder Milchglashüllen — 
die Helligkeit des sichtbaren Spektralgebietes auf den normalen Be- 
trag des Tageslichtes reduzieren, so wird ohne weiteres die ultraviolette 
Strahlung in den Bezirken zwischen 2 400— 300 uu sogar unter den 
erlaubten d.h. im Tageslichte enthaltenen Betrag gebracht. Denn in- 
folge der Lage des Energiemaximums ist bei allen unsern künstlichen 
Lichtquellen die ultraviolette Strahlung wesentlich schwächer als die 
sichtbare. Wir schen also, dass die Anwendung der ange- 
gebenen speziellen Schutzgläser für allgemeine Beleuch- 
tungszwecke nicht zweckdienlich und nicht erforderlich ist. 

. Eine andere Frage ist es, ob sich die vorgeschlagenen Glasarten als 
Schutzbrillen für besondere Zwecke eignen. Diese sind überall an- 
gebracht, wo unsere Augen eine intensivere und anders zusammengesetzte 
Strahlung, als wie sie diffuses Wolkenlicht liefert, ertragen müssen. 

Solche Fälle können eintreten, wenn der Zwang vorliegt, von der 
Sonne beschienene stark reflektierende Flächen zu betrachten, in ver- 
schiedenen technischen Berufen, bei denen es nötig ist, intensive Licht- 
quellen unbedeckt aus der Nähe zu betrachten, wie es beispielsweise 
erforderlich ist bei dem Einregulieren von Bogenlampen, bei autogener 
Schweissung, in Giessereien usw. 

Ein ideales Schutzglas würde auch hier ein solches sein, das die 
sichtbaren und langwelligen ultravioletten Strahlen so dämpft, dass 
die durchgelassene Helligkeit die Helligkeit diffus beleuchteter Wolken. 
wie sie bei unsern Aufnahmen verwendet wurden, nicht übertriftt, 
die kurzwelligen ultravioletten Strahlen unter 2 300uu völlig ver- 
schluckt und im sichtbaren Gebiet so gleichmässig absorbiert, dass 
alle Farbwerte richtig wiedergegeben werden. Diese Forderungen erfüllt 
aber keines der untersuchten Hallauer- oder Euphos-Gläser. Die 
Hallauer-Gläser 62 und 64 und die Euphosgläser Nr. 1, 2, 3 und 4 
schwächen den sichtbaren Teil für die meisten Zwecke viel zu wenig 
und geben die betrachteten Objekte nicht farbenrichtig wieder. Das 


Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 611 


dunklere Hallauer-Glas 66 ist besser, da es für gewisse Zwecke auch 
das sichtbare Gebiet genügend schwächt. 

Am besten ist von den untersuchten Gläsern noch das Schottsche 
Neutralglas. Eine gute Vorstellung von der Leistungsfähigkeit dieses 
Schutzglases besonders im Vergleich zu andern Rauchgläsern (Fredener 
und Appert Freres-Gläsern) geben die Aufnahmen Nr. 20—23 
auf der Tafel. Die auf S. 601 schon skizzierten Versuchsanordnungen 
dieser Aufnahmen würden in Verhältnisse der Praxis umgesetzt etwa 
den Verhältnissen entsprechen, unter den ein mit diesen Gläsern be- 
waffnetes Auge den Lichtbogen einer Bogenlampe von 20 Amp. aus 
50cm Entfernung sieht, also wohl eine Probe, die besonders hohe An- ` 
forderungen an ein Schutzglas stellen dürfte. Die Aufnahmen zeigen 
nun in Nr. 23, also bei Verwendung von Schottschem Neutralglas, 
dass die enorme Lichtfülle der Bogenlampe im sichtbaren und unsicht- 
baren Teile des Spektrums soweit abgeschwücht wurde, dass das 
Spektrum etwa dem des diffusen Wolkenlichtes gleichkam. In Auf- 
nahme Nr. 22 — mit Glas von Appert Frères — ist zwar der 
sichtbare Teil des Spektrums noch mehr geschwächt, so dass er so- 
gar schwächer ist als beim Wolkenlicht, aber im langwelligen Ultra- 
violett ist ein beträchtliches Überwiegen über das Wolkenspektrum zu 
konstatieren. Etwas besser ist das Fredener Rauchglas Nr. 276 (Aut- 
nahme 20) und noch besser das Sonnenglas Nr. 66 (Aufnahme 21) — 
doch auch dieses steht hinter dem Schottschen Glas weit zurück. 

Dabei wurde das letztere nur in einer Dicke von 0,8 mm verwendet, 
während die andern Gläser wesentlich dicker waren. Die mit dem 
Schottschen Glase erzielte und zur Egalisierung des sichtbaren 
Teiles des Bogenlichtes und Tageslichtes notwendige Absorption im 
sichtbaren Teile liess sich auf 99,977 %, berechnen. Wollte man ein 
gleich gutes Resultat z. B. mit Hallauer-Glas Nr. 64 erreichen, 
so müsste dieses 8 mm dick sein und ein Euphosglas Nr. 4 sogar etwa 
38 mm. 

Für viele Zwecke, bei denen die Intensität im sichtbaren Teile 
des Spektrums weniger hell als unter den gewählten Bedingungen ist, 
ist natürlich das Schottsche Neutralglas in 0,8 mm Dicke un- 
nötig dunkel. Es macht sich zudem bei sehr starker Schwächung 
des Lichtes wegen der aus der Absorptionskurve (S. 606) ersicht- 
lichen, noch nicht völlig gleichmässigen Absorption im sichtbaren Teil 
ein leichte gelbrötliche Färbung des Lichtes geltend, die allerdings bei 
geringerer Abschwächung ganz verschwindend sein kann. Es muss 
der Technik vorbehalten bleiben, ob sie diese geringe Unvollkommen- 

v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 40 


612 E. Hertel und O. Henker 


heit noch beseitigen kann, womit dann ein Schutzglas hergestellt sein 
würde, das den Anforderungen, die wir an Schutzgläser für besondere 
Zwecke nach unsern Ausführungen stellen müssen, in jeder Richtung 
einwandfrei entsprechen würde. 


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leuchtende und ultraviolette Strahlen. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1909. 
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(Dresden). Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. N. F. Bd. VIII S. 608. 1909. 

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Linse. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. N. F. Bd. VIII. S. 721. 1909. 

14) Helmholtz, Handbuch der physiol. Optik. 1902. 2. Auflage. 

15, Hertel, E, Experimentelles über ultraviolettes Licht. Bericht d. ophth. 
Ges. Heidelberg 1902. 

16) — Uber Beeintlussung des Organismus durch Licht, speziell durch die 
chemisch wirksamen Strahlen, Zeitschr, f. allgem. Physiol. Bd. IV. 1904. 

17) — Über physiologische Wirkung von Strahlen verschiedener W ellenlänge. 
Zeitschr. f. allgem. Physiol. Bd. "V. 1905. 

18; — Uber den Gehalt verschiedener Spektralbezirke an physiologisch wirk- 
samer Energie, Zeitschr. f. physiol, u. diät. Therap. Bd. X. 1405. 

Einiges über die Empfindlichkeit des Auges gegen Lichtstrahlen. Bericht 
d. ophtli. Ges. Heidelberg 1907. 

20) — Experimentelles und Klinisches über die Anwendung lokaler Lichttherapie 
bei Erkrankungen des ~ insbesondere beim Ulcus corneae, v. Graefe's 
Arch. f. Ophth. Bd. LXVI, 1907. 

21) non Diskussion zum E Birsch-Hirschfeld. Bericht d. ophth. 
Ges. Heidelberg 1903. S, 104. 

22) Hess, C., Versuche über die Einwirkung ultravioletten Lichtes auf die 

. Linse. on f. Augenheilk, P. LVII. S. 185. 1907. 

23) Krüss, H. A, Die Durchlässigkeit einer Anzahl Jenaer optischer Gläser 
für ultraviolette Strahlen. Inaug.-Dissert, Jena 1908. 

24) Orneff, Einive Bemerkungen über die Wirkung des elektrischen e 
lichtes d die Gewebe des Auges, Pflügers Arch. f. Physiol. 1896. S. 209. 


19) 





Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 613 


25) Schanz u. Stockhausen, Wie schützen wir unsere Augen vor der Ein- 
wirkung der ultravioletten Strahlen unserer künstlichen Lichtquellen ? 
v. Graefe's Arch. f. Ophth. Bd. LXX. 1908. 

26) — Über die Wirkung der ultravioletten Strahlen auf das Auge. v. Graefe's 
Arch. f. Ophth. Bd. LXIX, 3. 1908. 

27) — Die Schädigung des Auges durch Einwirkung des ultravioletten Lichtes, 
Vortrag auf der 14. Jahresvers. des Verb. deutsch. Elektrotechniker zu Er- 
furt, Elektrotechn. Zeitschr. Bd. XXXIII. S. 777. 1908. 

28) — Ist durch das ultraviolette Licht der modernen künstlichen Lichtquellen 
eine Schädigung des Auges zu befürchten? Vortrag auf der Naturforscher- 
vers. zu Dresden 1908. 

29) — Zur Beurteilung der Schädigung des Auges durch leuchtende und ultra- 
violette Strahlen. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. N. F. Bd. VIII. S. 442. 1909. 

30) — Über Blendung. v. Graefe's Arch. f. Ophth. Bd. LXXI, 1. 1909. 

31) Schuleck, Schutzbrillen gegen Ultraviolett auf Grund photologischer Studien. 
Ungarische Beitr. z. Augenheilk. Bd. II. S. 467. 1900. 

32) Stärkle, A., Über die Schädlichkeit moderner Lichtquellen auf das Auge 
und deren Verhütung. Arch. f. Augenheilk. Bd. L. S. 121. 1904. 

33) Strebel, Lichttherapie und Augenheilkunde. 75. Vers. deutscher Natur- 
forscher in Kassel. 1907. 

34) Terrien, Du pronostic des troubles visuels d'origine électrique. Arch. 
d'ophtalm. XXII. 1902. 

35) Verworn, M., Allgemeine Physiologie. 5. Aufl. Jena 1909, G. Fischer. 

36) Vogt, A., Schutz des Auges gegen die Einwirkung ultravioletter Strahlen 
greller Lichtquellen durch eine reine, nahezu farblose Glasart. Arch. f. 
Augenheilk. Bd. LIX, S. 48. 1908. 

37) — Ursache und Wesen der Erythropsie. Bericht d. ophth. Ges. Heidel- 

berg 1908. 

— Kritik der Abhandlungen und Vortrüge von Sanitütsrat Dr. Schanz 

(Dresden) und Dr. Stockhausen (Dresden), „Wie schützen wir unsere Augen 

vor der Einwirkung der ultravioletten Strahlen?“ und „Uber die Wirkung 

der ultravivletten Strahlen auf das Auge"; sowie vom Prof. Dr. Best (Dres- 
den‘, „Uber die praktische Tragweite der Schädigungen des Auges durch 
leuchtende und ultraviolette Strahlen“, nebst experimentellen Untersuchungen 
über Fluorescenz der Linse, Blendungserytliropsie und „Blendungsxanthopsie“. 

Arch. f. Aurenheilk. Bd. LXIV, 4. 1909. 

39) Voege, Ist durch das ultraviolette Licht der modernen künstlichen Licht- 
quellen eine Schädigung des Auges zu befürchten? Elektrotechn. Zeitschr. 
1908. S. 779. 

40) Wedding, Die neuesten Fortschritte auf dem Gebiete der Beleuchtung. 

Verhandlungen d. deutsch. Ges. f. óffentl. Gesundheitsptlege zu Berlin. Hygien. 

Rundschau Bd. XVII S. 1191. 1908. 

Widmark, J., Uber den Einfluss des Lichtes auf die vorderen Teile des 

Auges. Nord. med. Ak. Bd. XXI. 1889. 

49) — Cher die Blendunz der Netzhaut. Skand. Arch. Bd. IV. 1893. 

43) — Über den Eintluss "des Lichtes auf die Linse. Mitteil. aus d. Augenklin. 
d. Carol. med.-chir. Inst. zu Stockholm. 1901. 

44. — Von den pathologischen Wirkungen starker Lichtquellen auf das Auge. 
IH. nord ophth. Vers. Kopenhagen. 1903. Ref. Klin. Monatsbl. f. Augen- 
heilk. Bd. XVII S. 83. 

45, Zschimmer, E., Diskussion zum Vortrag Schanz auf der Elektrotech- 
niker-Versammlung in Erfurt. Elektrotechn. Zeitschr. 1908. S. 848. 


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