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LELAND-STANFORD JVNTOR: ANIVERSITY
LIBXARY
UNIVERSITY OF CALIFQRNEA
DAVIS
LANE MEDICAL LIBRARY
STANFORD UNIVERSITY
309 PASTEUR DRIVE
PALO ALTO, CALIF.
TPANSPERRED TO LANE
ALBRECHT von GRÆFE'S
ARCHIV
FÜR
OPHTHALMOLOGIE
HERAUSGEGEBEN VON
PROF. E. FUCHS PROF. TH. LEBER
PROF. H. SATTLER PROF. A. WAGENMANN
IN LEIPZIG IN JENA
REDIGIERT VON
PROF. TH. LEBER .., PROF. A. WAGENMANN
LXXIII. BAND
MIT 22 TAFELN, 57 FIGUREN UND 2 KURVEN IM TEXT
LEIPZIG
VERLAG VON WILHELM ENGELMANN
1910
LIBRARY |
IVERAAlY CALIFORNIA
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Inhalt des dreiundsiebzigsten Bandes.
Erstes Heft.
Ausgegeben am 14. Dezember 1909.
Alfred Leber, Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis und Tuberkulose
des Auges
G. Stanculeanu u. D. Mihail, Die yothologischie Anatomie der Ophthal-
moreaktion. (Mit Taf. I, Fig. 1—4.) .
K. Stargardt, Über Störungen der Pusikeladapttión (Mit Taf. II— VI,
Tabelle 1—5 und 15 Figuren im Text).
W. Koster Gen., Nähere Mitteilungen über die Geer EE der
Trünenabflusswege und über die Bildung einer bleibenden Kommuni-
kation des Tränensackes mit der Nase, oberhalb der unteren Concha.
C. Pascheff, Über die „Chlamydozoen“ oder „Trachom-Körperchen“ und
andere eigenartige Körperchen — Ephithelzelleneinschlüsse (Mit
Taf. VII, Abt. I—IX, und 2 Fig. im Text.)
Fritz Schanz u. Karl Stockhausen, Über die Fluorescenz der dnb (Mit
1 Fig. im Text.) .
Richard Seefelder, Über die alsstisehien- Faser der inenschlichen Corada
dargestellt nach der Färbemethode von Held. (Mit Taf. VIII—IX,
Fig. 1—14, und 1 Fig. im Text.) .
M. Wolfrum, Ist das konstante Vorkommen des Glaskorparksnalés Künste
produkt oder prüformierte Struktur? .
R. Seefelder, Zur Frage der Netzhautanomalien in sonst normalen fütalen
menschlichen Augen
Zweites Heft.
Ausgegeben am 25. Januar 1910
Rudolf Schneider, Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der
„Leukine“ für die Heilung infektiöser Bindehautentzündungen. (Mit
1 Fig. im Text.) . : :
Vittorio Carlini, Die ebe Cys sten dor Cohjunetiva (Mit Taf. X,
Fig. 1—3.) . '
K. Ichikawa, Ein Beitrag zur E EN (Mit Taf. XI, Fig. 1 u. 2) . ;
Rudolf Tertsch, Über den Ringabscess der Cornea. (Mit Taf. XII, Fig. 1 u. 2.)
Walther Löhlein, Zur Frage der primären Sehnervengeschwülste. (Mit Taf. XIII,
Fig. 1.)
Richard Krámer, Zur F rage dos Anteils de tr an aer tee
tösen Drucksteigerung. .
RH. Halben, Entwurf eines ‚Merkhlatie. zur Beki imbfune und E EE
der Kurzsichtigkeit*.
Julius Mutermilch, Über die Ge und dis Wesen des E (Mit
Taf. XIV u. XV. Fig. 1—7..
Seite
10
77
165
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184
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IV Inhalt des dreiundsiebzigsten Bandes.
Drittes Heft.
Ausgegeben am 8. März 1910.
R. Seefelder, Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut, des
Pigmentepithels und des Sehnerven. (Nach Untersuchungen am Men-
schen.) (Mit Tafel XVIu. XVII, Fig. 1—5, und 37 Figuren im Text.)
Ginsberg, Zur Kenntnis der chronischen, herdförmig disseminierten Ader-
hauttuberkulose. (Mit Tafel XVIII u. XIX, Fig. 1—6.)
Fritz Schanz u. Karl Stockhausen, Zur Ätiologie des Glasmacherstars.
(Mit Tafel XX u. XXI, Fig. 1u. 2).
Dieselben, Weiteres über Blendung. ;
Ischreyt, Über einen Fall von Glaukom im my mier Auge: mit eDrudisie:
kung auf die Netzhaut.. ; iden
Edmund-Jensen, Zur Ätiologie des Ulcus corneae serpens. . :
E. Hertel u. O. Henker, Über die Schädlichkeit und Brauchbarkeit unserer
modernen Lichtquellen. (Mit Tafel XXII, Fig. 1, und zwei Kurven im
Text.) . EA Ma Ae due eee fd
Seite
419
538
553
561
566
579
Aus der kgl. Universitäts- Augenklinik zu Berlin. (Dir. Geh.-Rat Dr. J. v. Mi chc [A it :
Serodiagnostische Untersuchungen
bei Syphilis und Tuberkulose des Auges.
Von
Dr. Alfred Leber,
Privatdozent und Assistent der Klinik.
Inhalt: Einleitung. — Experimentelle Grundlagen einer ophthalmo-
logischen Serodiagnostik. — Die serologischen Methoden und ihre Bedeutung
für das Auge. Syphilis. — I. Technik der Komplementbindung zum sero-
logischen Nachweis der Syphilis. — II Wesen und Spezifizität der syphilitischen
Antikörper. — III. Klinische Erfahrungen. — Allgemeiner Teil. — I. Klinische
Leistungsfähigkeit und Bedeutung der Luesdiagnostik für die Pathologie der
syphilitischen Augenerkrankungen — 2. Antikörperbefund in den verschiedenen
Perioden der syphilitischen Augenerkrankungen. — 3. Über das Verhalten
syphilitischer Sera gegenüber lipoiden Stoffen. — 4. Über die Beziehungen
von Antikörperbefund zu Heilung und therapeutischem Erfolg. — IV. Klinische
Erfahrungen. Spezieller Teil. — Nosologische Erfahrungen auf Grund serodia-
gnostischer Untersuchungen — 1. Krankheiten der Lider, der Bindehaut und
des Trünensacks. — 2. Krankheiten der Hornhaut. — 3. Krankheiten der
Sklera. — 4. Krankheiten der Iris und des Ciliarkórpers. — D Krankheiten
der Chorioidea. — 6. Krankheiten der Netzhaut und des Sehnerven. —
7. Krankheiten des Auges aus zentraler Ursache — 8. Krankheiten der Orbita.
— V. Zusaminenfassung. Tuberkulose. — I. Grundlagen und Bedeutung sero-
diagnostischer Untersuchungen bei Tuberkulose der Augen. — II. Methoden des
Tuberkulosenachweises auf Grund allergetischer Erscheinungen. — Ill. Klinische
Erfahrungen. Spezieller Teil. — 1. Krankheiten der Bindehaut und der Adnexe
des Auges. — 2. Krankheiten der Hornhaut. — 3 Krankh»-iten der Sklera. —
4. Krankheiten der Iris und des Ciliarkörpers. — 5. Krankheiten der Chorioidea.
— 6. Krankheiten der Netzhaut. — IV. Zusammenfassung.
Einleitung.
Experimentelle Grundlagen einer ophthalmologischen
Serodiagnostik.
Die Erfahrungen der modernen Immunitätslehre haben gezeigt,
dass spezifische Krankheitsursachen und deren Folgen hier mit spezifisch-
wirkenden Heilmitteln zu bekämpfen sind. Eine derartige Behand-
lung hat aber naturgemäss zur Voraussetzung, dass die Kraukheits-
ursache sicher bekannt ist. Es ergibt sich daraus das Bedürfnis
nach andern Methoden der ätiologischen Diagnostik, das um so dring-
v .Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 1. 1
9 Tu A. Leber
licher ist; als gerade zu den infektiósen Noxen solche gehóren, die
überrzschend ähnliche Krankheitsbilder hervorrufen. Von der Syphilis
und der Tuberkulose, den weitaus häufigsten Ursachen infektiöser
Angenerkrankungen, ist dies hinlänglich bekannt. Dass auch gerade
sie einer Behandlung in hohem Masse zugänglich sind, lässt es um
8o wünschenswerter erscheinen, sie durch direkte Reaktionen zu erkennen,
" die auf das Auge selbst keinen Einfluss haben.
Die diagnostischen Methoden, die am Auge selbst einsetzen
oder die zu mikroskopischer Untersuchung von ihm das Material ent-
nehmen, erfahren durch die Bauverháltuisse des Organs eine wesent-
liche und weitgehende Einschränkung. Ein Fortschritt ist deshalb nur von
solchen Methoden zu erwarten, welche diese Schwierigkeit umgehen,
indem sie Reaktionsprodukte, deren Vorhandensein mit dem patho-
logischen Agens in Zusammenhang steht, ausserhalb des Auges oder
seiner Adnexe, eventuell an ferngelegenen Stellen des Organismus
nachzuweisen suchen. Die Umgehung des Auges ist jedenfalls kein
Nachteil, in manchen Fällen sogar wohl als Vorzug zu bezeichnen.
Was nun diese Substanzen anlangt, deren Vorkommen im Blut
oder andern Geweben auf eine Augenerkrankung zurückgeführt werden
soll, so ist es nicht ohne weiteres gestattet, die Erfahrungen an an-
dern Organen auf das Auge zu übertragen. Die Sonderstellung,
welche das Auge seinem anatomischen Bau nach, wie auch hinsicht-
lich seiner Cirkulations- und Ernährungsverhältnisse einnimmt (1),
fordert den exakten Nachweis, dass tatsächlich die im Auge gebil-
deten krankhaften Stofle in genügender Menge und mit der erforder-
lichen Regelmässigkeit in den Kreislauf übergehen. Da der Kreis-
lauf es ist, der durch das Blutserum den Stofftransport vermittelt,
ist der Nachweis dieses Überganges und der Tatsache, dass er unter
gleichen Bedingungen mit Regelmässigkeit erfolgt, die Voraussetzung
aller weiteren Versuche.
Wie die Untersuchungen über den Flüssigkeits- und Stoffwechsel
im Auge gezeigt haben, dringen die meisten der im Kreislauf cirku-
lierenden Stofle in die Medien des Auges ein und sind darin in mehr
oder weniger starker Konzentration nachweisbar. Diese Tatsache,
die zuerst an körperfremden, sowohl anorganischen wie organischen
Substanzen erkannt worden ist, hat eine weitere Bestätigung für die
Stoffe erfahren, die unter pathologischen Verhältnissen im Blut vor-
kommen, die wir als Bakteriengifte und Gegengifte: Toxine und
Antitoxine bezeichnen. Ein objektiv nachweisbarer. pathologisch-
anatomisch wohl charakterisierter Ausdruck dieses Überganges ist in
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 3
den Gefässveränderungen gegeben, auf deren weitgehende Bedeutung
von Michel(3) hingewiesen hat.
Da der Aufnahme fremder Substanzen in das Auge, deren Ab-
gabe nicht in jeder Richtung parallel geht, und da gewisse Stoffe, so
namentlich die hochmolekularen, insonderheit die kolloiden Eiweiss-
körper ein verschiedenes Verhalten zeigen, bedurfte es eingehender
Untersuchungen, um zu zeigen, dass sowohl die im Auge gebildeten
Antigene (d. h. Stoffe, welche die Bildung von Antikörpern hervor-
rufen), als auch diese Antikörper selbst, in den Kreislauf übergehen.
Den ersten beweisenden Versuch in dieser Richtung hat Löffler (4)
erbracht, der gelegentlich seiner Immunitätsstudien feststellen konnte,
dass durch die lokale Entzündung der Mäuseseptikänie-Keratitis,
Kaninchen vor einer neuen Infektion geschützt werden können. Die
massgebenden Tatsachen wurden aber erst erkannt, als das Wesen
und die Eigenart der lokalen Immunität, durch die günstigen Ver-
suchsbedingungen des Auges, gerade an diesem Organe eingehend
studiert wurden.
Bei seinen Untersuchungen über die Giftwirkung des Ricins und
Abrins, war es Ehrlich(5) gelungen, von der Conjunctiva aus eine
Immunisierung herbeizuführen. Calmette und Delarde(6) konnten
diese prinzipiell wichtige Beobachtung bestätigen. Von ihr gehen
P. Römers(7) systematische Untersuchungen aus, bei denen es sich
zeigte, dass sich durch conjunctivale Immunisierung eine all-
gemeine Immunität erzielen lässt, die dem Grad der lokalen Schutz-
wirkung parallel geht und im gesamten Organismus nachweisbar ist.
Ganz analoge Immunitätserscheinungen, die vom Auge ausgehend
auf den übrigen Organismus übergreifen, hat von Dungern(S8) am
Kaninchenauge erzielt. Nach Injektion von wenig Tropfen verdünnten
Serums von Maja squinado in die vordere Augenkammer, gab der
nach acht Tagen abgelassene Humor aqueus dieses Auges mit ver-
dünntem Majaplasma einen starken spezifischen Niederschlag, während
das Kammerwasser des andern Auges, ebenso wie das an diesem
Tag entnommene Blutserum vollkommen klar blieb. Am folgenden
Tag der gleiche Befund, nur fand sich jetzt auch Präcipitin im Serum.
‚In diesem nahm der Präcipitingehalt progredient zu, so dass er nach
vier Tagen demjenigen des Kammerwassers gleich war. In beiden
Medien war das Prücipitin 50 Tage nach der Injektion noch nach-
weisbar.
Ich selbst(9) habe unter Berücksichtigung der Verhältnisse der
vorderen Augenkammer, sowohl in dieser, als auch im subconjuncti-
T
4 A. Leber
valen Gewebe, eine lokale Bildung von Choleraschutzstoffen hervor-
rufen können, deren Werte ich zahlenmässig bestimmt habe. Es hat
sich dabei gezeigt, dass auch hier diejenigen Gewebe, die zugrst mit
einem Antigen in Berührung kommen, zuerst mit der Bildung von
Antikörpern reagieren und einen grösseren Gehalt daran aufweisen,
als das gleichzeitig entnommene Blutserum.
Die Tabellen I und II sollen veranschaulichen, wie sich dabei
die Verhältnisse gestalten.
Es geht aus den Tabellen hervor, dass die an einer scharf um-
Tabelle T.
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schriebenen Stelle gebildeten Antikörper von dieser aus in den Kreis-
lauf gelangen und dass sie in diesem Werte erreichen, die allmählich
denjenigen ihrer Bildungsstätten gleichkommen. Weitere Versuche
haben gezeigt, dass dasselbe für die vordere Augenkammer gilt, dass
auch von hier aus eine allgemeine Immunisierung erfolgt, bei der im
ersten Stadium die Vermehrung der Schutzstoffe auf dıe vordere Augen-
kammer beschränkt bleibt. Dann aber nimmt das Blutserum auch
diese Stoffe auf, und wie bei der conjunctivalen Immunität besteht
dann auch hier eine Tendenz des Blutserums, sich dem Antikörper-
gehalt des Humor aqueus zu nähern. Ähnliche Verhältnisse habe
ich neuerdings auch für die Folgen einer tuberkulösen Infektion des
Kaninchenauges feststellen kónnen (10).
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 5
Es folgt daraus, dass abgesehen von bemerkenswerten Abweichungen
im einzelnen, das Auge sich ähnlich wie die andern Organe verhält.
Auch für seine Gewebe gelten dieselben Gesetzmässigkeiten, wie für
die übrigen Gewebe. Seine Immunitätsvorgänge stellen Analoga dar
zu den Prozessen, die sich im Knochenmark und den Iymphoiden
Organen bei der Cholera [Pfeiffer und Marx (11)] und beim Typhus
[Wassermann und J. Citron 12, 13)] abspielen.
Die prinzipielle Bedeutung der vorhergehenden Untersuchungen
liegt also darin, dass sie dargetan haben, dass das Auge, einschliess-
Tabelle IT.
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Extrakt ]
200
N
lich seiner Adnexe, an deu Vorgängen allgemeiner Immunität teil-
nimmt, anderseits aber auch von sich aus einen allgemeinen Immuni-
tätszustand auszulösen im stande ist. Während die erste Erfahrung
als Vorbedingung einer zweckdienlichen Serumtherapie gelten muss,
ist die zweite massgebend für eine zuverlässige Serodiagnostik.
Wenn sich nun die Oplithalmologie bis vor kurzem einer sero-
logischen Diagnostik und somit in vielen Fällen einer ursächlichen
Erklärung der von ihr behandelten Krankheitsbilder hat begeben
müssen, so liegt das an dem Umstand, dass eine grosse Reihe von
Immunkörpern, deren Bedeutung für die innere Medizin längst be-
kannt ist, bei den Augenerkrankungen entweder fehlen oder keine
bemerkenswerte Rolle spielen. Das gilt insonderheit von den zuerst
6 A. Leber
von Gruber und Durham beschriebenen Agglutininen und den Bak-
teriolysinen, deren genauere Kenntnis wir Pfeiffer verdanken. So
ist es verständlich, wenn wir bislang zur ätiologischen Klärung auf
die am lebenden Auge doch recht beschränkte Anwendung bakterio-
logischer Methoden angewiesen waren.
So fruchtbringend und bedeutungsvoll R. Kochs und Schau-
dinns Grosstaten für das Gesamtgebiet der Medizin gewesen sind,
für die praktische Augenheilkunde ist ihr greifbarer Nutzen gering
geblieben. Ein solcher war nur zu erwarten von Reaktionen, die
direkt den Nachweis führen von solchen Substanzen, die teilweise
wohl im Auge selbst, im Herd der Erkrankung gebildet werden,
jedenfalls aber in ursüchlichem Zusammenhang mit diesem Herd
stehen, aber fern von ihm, im Kreislauf oder den übrigen Geweben
des Organismus zum Nachweis gelangen.
Die serologischen Methoden und ihre Bedeutung für das Auge.
Die Möglichkeit, ungeformte Reaktionsprodukte des Auges im
Blute nachzuweisen, ist durch die Methode der Komplementbindung
gegeben, die im Jahre 1901 von Bordet und Gengou(l4) ange-
geben wurde, um die Einheit des Komplementes gegenüber Ehrlich
zu beweisen. — Durch diese Methode gelingt es, wie Gengou(15)
später zeigen konnte, den Nachweis sowohl von Antigenen (d. h. Stoffen,
die im Tierkörper Antikörper erzeugen) als auch derjenigen Antikörper
zu führen, die als Amboceptoren bezeichnet werden. Es beruht dies
darauf, dass die Verbindung eines Antigens mit seinem spezifischen
Amboceptor eine starke Affinität zum Komplement besitzt, während
das Antigen und der Amboceptor für sich allein nicht im stande
sind, nennenswerte Mengen des Komplements zu binden.
Ob eine Bindung des Komplementes tatsächlich erfolgt oder
unterblieben ist, wird dann dadurch entschieden, ob das Gemisch
von Komplement, Antigen und Amboceptor noch die Fähigkeit be-
sitzt, ein ihr zugesetztes hämolytisches System, d. h. ein inaktives
hämolytisches Serum und rote Blutkörperchen zu lösen, oder ob es
durch Komplementbindung diese Fähigkeit verloren hat. Die Hämo-
lyse tritt ein, wenn während der ersten Phase des Versuches eine
Komplementbindung nicht erfolgt, das Komplement also in unver-
ündertem Zustand in dem Gemisch verblieben ist. Die Hämolyse
bleibt dagegen aus, wenn das Komplement schon vorher von der
Verbindung des Antigens mit seinem Amboceptor verankert wurde,
Es erhellt daraus ohne weiteres, dass dieses Ausbleiben der Hiimo-
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 1
lyse auch ein Beweis ist, nicht nur für die Verbindung von Antigen
und Amboceptor, sondern auch dafür, dass tatsüchlich diese beiden
Faktoren in dem Gemisch vorhanden sind. Liegt also ein Serum
zur Untersuchung vor, von dem wir nicht wissen, ob es ein Antigen,
einen Amboceptor, oder eventuell auch beide enthält, so lässt sich
dies entscheiden durch einen Versuch, bei dem einmal ein Antigen,
ein ander Mal ein Amboceptor von bekannter Reaktionsfähigkeit in
die Gleichung mit einer Unbekannten eingeführt wird.
Nachdem Gengou (15) bereits gezeigt hatte, dass es mit dieser
Methode gelingt, nicht nur Bakterien und geformte Körperelemente,
sondern auch gelöste Eiweisskörper nachzuweisen, hat sie eine ausser-
ordentlich vielseitige Anwendung erfahren. Es muss genügen, hier
an dieser Stelle nur in kurzem darauf hinzuweisen und der Unter-
suchungen von Neisser und Sachs (16) Erwähnung zu tun, die auf
diesem Wege selbst Spuren von Eiweiss differenzieren konnten. Ja,
die durch die Reaktion angegebenen Ausschläge sind so fein, dass
die Methode nach Untersuchungen von Friedberger(17) 50 millionen-
mal schärfer ist, als die Präcipitationsmethode.
Eine wesentliche Erweiterung ihrer Anwendbarkeit hat die Me-
thode erfahren durch Versuche von Wassermann und Bruck (18),
bei denen sich ergab, dass sich bei dieser Versuchsanordnung gelöste
Bakteriensubstanzen ebenso verhalten wie die übrigen, vordem unter-
suchten Eiweisskórper. Da Bordetund Gengou(19) bereits vordem ge-
zeigt hatten, dass Meerschweinchen, die mit Hühnertuberku'ose vorbehan-
delt waren, in ihrem Serum spezifische Antituberkulose -Amboceptoren
enthielten, so gewann die Methode durch diese neuere Erfahrung eine
vermehrte praktische Bedeutung, die sich insonderheit auch für die
Tuberkulose bestätigt hat. Da im zweiten Teil darauf des näheren
eingegangen werden soll, sei hier nur erwähnt, dass Wassermann
und Bruck (20) in tuberkulösen Organen sowohl Tuberkulin, wie
auch das entsprechende Antituberkulin nachweisen konnten. Während
diese beiden Autoren nur bei dem mit Tuberkulin vorbehandelten tuber-
kulósen Menschen im Serum Antituberkulin nachweisen konnten, ist
dies Citron (21), Lüdke(22, 23) und mir (24) auch beim unvorbe-
handelten tuberkulósen Menschen gelungen. Da ich gleichzeitig diesen
Stoff auch im Kammerwasser tuberkulöser Augen feststellen konnte,
ınuss durch diesen Versuch die Möglichkeit eines serologischen Nach-
weises der Augen-Tuberkulose als erwiesen gelten.
Die Serodiagnostik. der Syphilis beruht auf demselben Prinzip
und geht von der Voraussetzung aus, dass die antigenartigen Sub-
S A. Leber
stanzen der Lues in einem wüssrigen Extrakt gelóst und dadurch
einem Nachweis durch die Komplementbindung zugänglich sind.
Wassermann, Neisser und Bruck (25) gingen deshalb so vor,
dass sie Affen mit syphilitischem Virus teils infizierten, teils vorbe-
handelten und das Serum dieser Tiere gegenüber Extrakten aus
syphilitischem Material von Kranken und Leichen prüften. Sieben
bis- acht Wochen nach gelungener Impfung konnten sie in dem Affen-
serum eine Hemmung der Hämolyse feststellen, ein Beweis dafür,
dass 1. in dem hergestellten Affenimmunserum Antikörper gegen
spezifisch syphilitische Substanzen und 2. in den untersuchten Ex-
trakten diese syphilitischen Stoffe selbst sich fanden.
Durch eine Mitteilung von Detre (26), der bei einem syphi-
litischen Menschen im Serum dieselben Antikörper hatte nachweisen
können, gewannen diese Untersuchungen in erheblicher Weise an
Bedeutung. Dies war in vermehrtem Masse der Fall als Wasser-
mann, Neisser, Bruck und Schucht (27) an einem grösseren
Untersuchungsmaterial feststellen konnten, dass etwa 19°), aller Syphi-
litiker. die erwähnten Antikörper iin Serum aufweisen. Diese vor-
läufige, an sich geringe Prozentzahl der positiv reagierenden Syphi-
litiker ist in der Folge nicht bestätigt worden. Es hat sich vielmehr
gezeigt, dass sie tatsächlich und namentlich auch bei den postsyphi-
litischen Erkrankungen (Tabes und progressive Paralyse) viel höher
ist. Es beruht dies einmal auf einer Verbesserung der Versuchs-
anordnung, ein ander Mal aber auch darauf, dass bei späteren Uhnter-
suchungen auch die schwach positiven Reaktionen genügende Be-
rücksichtigung fanden. So haben Wassermann und Plaut(28) in
der Lumbalflüssigkeit und im Serum von Paralytikern in "80, der
Fälle, Citron (29) in 87,0*|, der sicher luetisch Infizierten, A. Leber
(30) in 90°% der syphilitischen Augenkranken die spezifischen Stoffe
nachweisen können. Zu ähnlich günstigen Resultaten sind dann in
der Folge auch die meisten Autoren gelangt, die sich mit der Frage
beschäftigt haben. An dieser Stelle muss die Erwähnung daher ge-
nügen, dass gerade auch die metasyphilitischen Erkrankungen, die in
besonderem Masse das Interesse des Ophthalmologen verdienen, sich
bezüglich ihrer Antikörperbildung von den übrigen syphilitischen Er-
krankungen nicht unterscheiden, und dass auch die Tabes einem sero-
logischen Lues-Nachweis in hohem Masse zugänglich ist. Marie u. Leva-
diti (81), Morgenroth u. Stertz (32), A. Leber (24), A. Schütze (33).
Die vielseitige klinische Verwertung, die die Methode bereits
gefunden hat, und die mannigfaltigen Modifikationen, die ihr durch
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 9
systematische Laboratoriumsuntersuchungen zuteil geworden sind, haben
ihre strenge Spezifizität und damit ihre weittragende Bedeutung er-
wiesen. Auf die Einschrünkung, die sie nach neueren Versuchen in
ganz bestimmter Richtung erfahren soll, wird im folgenden Kapitel
noch eingegangen werden. Die Komplementbindung hat sich aber
auch bei meinen ausgedehnten Vorversuchen zur Prüfung ihrer kli-
nischen Verwertbarkeit insonderheit bei der Syphilis als so wert-
voll erwiesen, dass ich sie zu systematischen Untersuchungen bei
Augenerkrankungen herangezogen habe. Eine Bestätigung und prak-
tische Verwertung haben seitdem die Untersuchungen von C. Cohen (34),
Schumacher(34, 1), und Wolff(34, 2) gebracht. Wie meine Vorunter-
suchungen ergaben und wie ich das für die Tuberkulose bereits oben
mitgeteilt habe, sind die entsprechenden spezifischen Reaktionsprodukte
auch bei syphilitischen Augenaffektionen im Humor aqueus nachweisbar
[A. Leber (34, 3). Die Erwartung, diese Stoffe, selbst wenn sie in
einem bestimmten Stadium der Erkrankung nur gerade im Auge
gebildet werden sollten, auch im Blute nachweisen zu können, hat
sich bestätigt.
Von dieser Erfahrung sind meine weiteren Untersuchungen aus-
gegangen. Es handelt sich dabei im wesentlichen um diagnostische
Untersuchungen. Immerhin wurde auch eine grössere Reihe sicher
nicht spezifisch erkrankter Augenpatienten zur Untersuchung heran-
gezogen. Der Übersicht halber sollen im folgenden zuerst meine
Beobachtungen über syphilitische Augenerkrankungen zur Besprechung
gelangen, während im zweiten Teil meine Erfahrungen des serologi-
schen Nachweises der Augentuberkulose niedergelegt sind.
Teil I.
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis des Auges.
I. Technik der Komplement-Bindung zum serologischen Nachweis
der Syphilis.
Da die Methodik und die technisch richtige Durchführung der
Reaktion von ausschlaggebender Bedeutung und zuverlässige Resul-
tate nur bei Einhaltung der erprobten Versuchsanordnung zu er-
zielen sind, ist auf diese ein ganz besonderes Gewicht zu legen. Die
verschiedenen Modifikationen, sowie die Vorschläge zur Vereinfachung
der Wassermannschen Reaktion, die den ersten Publikationen aus
dem Wassermannschen Laboratorium gefolgt sind, sollen, soweit
dies hier notwendig ist, weiter unten berücksichtigt werden.
10 A. Leber
Die Versuchsanordnung, die ich bei meinen diagnostischen Unter-
suchungen befolgt habe, und die bisher auch allgemein als die zu-
verlässigste angesehen wird, nachdem sie sich in zahllosen Kontroll-
versuchen bewährt hat, ist die folgende.
Antigen.
Das Antigen wird gewonnen durch Extraktion von Lebern hereditär
luetischer Föten. Auch andere Organe, unter Umständen auch solche
normaler Organismen sind dazu verwendbar, haben sich aber weniger
bewährt, ebenso wie die Organe von Erwachsenen, die luetisch waren.
Die Organe werden möglichst frisch verarbeitet, um autolytische Spal-
tungen innerhalb der Gewebe tunlichst zu vermeiden. Um eine recht aus-
giebige Extraktion zu erzielen, werden die Organe mit einer Schere fein
zerkleinert und im Verhältnis von 1:4 mit einer C,85°, Kochsalzlösung
versetzt, die 0,59/, Acid. carb. liq. enthält. — Die Aufschwemmung wird
während 24 Stunden im Schüttelapparat geschüttelt, und dann durch Zentri-
fugieren von den darin enthaltenen festen Bestandteilen getrennt. Das so
gewonnene Extrakt soll móglichst klar, jedenfalls frei von gróberen Suspen-
sionen sein. Voraussetzung seiner Brauchbarkeit ist, dass es steril bleibt.
Die Prüfung eines derartigen Extraktes geschieht in der Weise,
dass es gegen ein sicher luetische Reaktionsprodukte enthaltendes
Serum austitriert wird. Mit einem solchen Serum soll das Antigen
in einer möglichst geringen Dosis eine Hemmung der Hämolyse
geben. Die Dosen, bei welchen das der Fall ist, sind recht schwan-
kend und beginnen bereits bei 0,05 ccm. Nach oben findet die Brauch-
barkeit eine Begrenzung in der Weise, dass 0,4ccm wohl als Maxi-
mum gelten muss, da darüber hinaus auch normale Sera gelegentlich
Komplement-Bindung geben.
Das Prüfungsextrakt ist brauchbar, wenn es 1. mit sicher lue-
tischem Serum eine komplette Hemmung der Hämolyse gibt.
2, Mit normalem Serum in derselben Dosis eine vollständige
Lösung der Blutaufschwemmung bewirkt.
3. Inder doppelten Dosis für sich allein die Hämolyse nicht hemmt.
Ein derartiges Extrakt wird, um seine Reaktionsfähigkeit zu er-
halten, im Eisschrank aufbewahrt und auch während der Ausführung
des Versuches möglichst vor Sonnenlicht und Wärme geschützt.
Seine Haltbarkeit ist eine wechselnde, meist erhält ach die Wirk-
samkeit aber ungeschwächt während mehrerer Monate, so dass Ich
ein Extrakt noch nach acht Monaten in der ursprünglich aus-
titrierten Dosis verwenden konnte, Im übrigen wird die Brauchbar-
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 11
keit des Extraktes in jedem Versuch durch die notwendigen Kon-
trollen festgestellt.
Antistoffe (zu prüfendes Serum).
Als Antistoffe oder Antikörper seien hier alle diejenigen Substanzen
bezeichnet, deren biologische Moleküle mit andern Molekülen feste Bin-
dung eingehen, d.h. eine Affinitäts-Wirkung entfalten. Damit ist über
die Wertigkeit dieser Antikörper, ihre Bedeutung für die Schutz-
und Heilmassnahmen, die der Organismus schädigenden Einflüssen
gegenüber zur Wirkung bringt, nichts ausgesagt. Ob die Mehrzahl
der als Antistoffe bezeichneten Körper irgendwie für die Heilungs-
vorgänge von Bedeutung sind, ist zum mindesten strittig. Dadurch
wird aber ihre Bedeutung in diagnostischer und pathognomonischer
Hinsicht durchaus nicht vermindert, so lange ihr Vorkommen auf
eine bestimmte oder eine engumschriebene Gruppe von Krankheiten
beschränkt bleibt. Es ist aus dem Gesagten verständlich, dass unter
diese Bezeichnung auch solche Stoffe gehören, die sich zu dem ent-
sprechenden Antigen anders verhalten, als die ursprünglich als Anti-
stoffe bezeichneten Körper, denen tatsächlich eine Schutzwirkung
zukommt. Ebenso ist es nach dem Gesagten verständlich, dass bei
diesen Vorgängen physikalisch-chemische Eigenschaften der reagieren-
den Moleküle von massgebender Bedeutung sein können. Es folgt
daraus, dass wir die im syphilitischen Serum nachweisbaren Reaktions-
produkte des Organismus ganz allgemein als Antikörper auffassen
müssen, die sich mit dem Antigen zu einer Verbindung vereinigen,
die im stande ist, Komplement zu verankern. Um dieser Eigen-
schaft willen wird ein derartiger Antikörper zu den Amboceptoren
gezählt, weil er zwei bindende Gruppen aufweist: die antigenophile
und die komplementophile.
Die bei der Syphilis nachzuweisenden Antikörper finden sich,
wie die neueren Untersuchungen gezeigt haben, in fast allen Körper-
flüssigkeiten. Für den praktischen Nachweis kommt in erster Linie
das Blut in Frage, aber auch die Lumbalflüssigkeit [W assermann
und Plaut(28)], die Milch [Bab (35)], Hydrocelenflüssigkeit, Speichel
und Humor aqueus [Leber (36)], Urin [F. Blumenthal und U. J. Wile
(37), F. Hoehne(38)] kónnen gelegentlich zur. Untersuchung heran-
gezogen werden.
Die Blutentziehung wird am zweekmässizsten dureh Venenpunktion
vorgenommen; es ist das ein gefahrloser und bei einizer Ubung seitens des
Operateurs fast schmerzloser Eingriff, dem sieh die Patienten ohne Bedenken
12 A. Leber
unterziehen. Nach sorgfältiger Desinfektion der Ellenbogenbeuge steche ich
mit der Nadel einer grösseren Serumspritze in eine der dort gelegenen
Venen, wenn möglich der V. mediana cubiti, und entziehe durch Saugwir-
kung der Spritze 4— 10 cem Blut. In Füllen, wo die Venen weniger sicht-
bar sind, empfiehlt es sich am Oberarm eine Binde mit Tourniquetwirkung
anzulegen, deren Spannung man aufhebt, noch bevor die Kanüle aus der
Vene entfernt wird. Hat man diese Vorsicht walten lassen, so steht die
Blutung fast momentan und ein Verband mit Heftpflaster oder ein mit
Kollodium befeuchteter Tupfer genügt, um die Einstichstelle vor Verun-
reinigung zu schützen.
Bei dem an sich durchaus harmlosen Eingriff ist nur darauf zu achten,
dass Luftaspiration und Verletzung einer der Hauptarterien des Armes ver-
mieden werden. — Für die Entnahme selbst gebe ich starken Kanülen den Vorzug,
die, wenn sie gut zugespitzt sind, ebenso leicht wie die dünnen die Gewebe
durchdringen, sich aber weniger leicht als diese mit Blutgerinnseln verstopfen.
Bei Kindern, deren Venenkaliber zu dünn, oder Erwachsenen, die sich
vor einer Venenpunktion scheuen, ist die Biutentzielung mittels eines
blutigen Schröpfkopfes zu empfehlen. Bei Säuglingen kann man durch
einen kleinen Schnitt in die grosse Zehe leicht 1,5 ccm Blut gewinnen: das
Mindestmass zur Anstellung einer Reaktion lege artis. Meist wird man aber
versuchen ein grösseres Blutquantum zu erhalten, um nötigenfalls den
Versuch wiederholen zu können.
Durchschnittlich kann man annehmen, dass man von der Blut-
menge den vierten Teil als Serum gewinnt. Zu dem Zweck lässt
man das Blut in sterilem Reagenzglase gerinnen, lóst den Blutkuchen
von der Wand des Róhrchens ab und lüsst die weitere Trennung
des Blutkuchens von dem Serum während 18—24 Stunden im Eis-
schrank vor sich gehen. Man erzielt auf diese Weise ein farbloseres
Serum, als wenn man die Trennung durch scharfes Zentrifugieren
beschleunigt. — Das vom Blutkuchen abgeheberte, zentrifugierte und
erythrocytenfreie Serum wird durch halbstündiges Erhitzen auf dem
Wasserbad bei 569 von seinem Komplement befreit. Der Vorgang
wird als Inaktivierung bezeichnet. Es hat dies möglichst bald zu
zeschehen, ebenso wie es dienlich ist, die Untersuchung bald vor-
zunehmen, da gelegentlich durch längeres Stehen normale Sera ihr
Verhalten wesentlich ändern. Sie gewinnen dann unter Umständen die
Fähigkeit, mit luetischem, eventuell auch schon mit normalem Organ-
Extrakt oder sogar für sich allein die Hämolyse zu verhindern.
Bemerkt sei noch, dass es sich empfiehlt, die Blutentziehung
nicht während der Verdauung der Patienten vorzunehmen, da man
zu der Zeit ein stark lipämisches Serum gewinnt, dessen Trübung
zu Irrtümern Anlass geben kann. Eine durch Hämoglobindiffusion
bedingte Rötung des Serums beeinträchtigt die Reaktion in keiner Weise.
-æ -
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 13
Komplement.
Als Komplement dient frisches Serum normaler Meerschweinchen,
das mit 0,85?|, Kochsalzlósung im Verhältnis 1:10 verdünnt wird.
— Soll das Meerschweinchen-Serum zu weiteren Versuchen aufbewahrt
werden, so empfiehlt es sich, dazu den von Morgenroth angegebenen
Frigo-Apparat zu benutzen, in dem das Serum in gefrorenem Zustand
sich unverändert hält.
Von den drei bisher besprochenen biologischen Reagentien wird
jedes auf das Volumen von 1,0 ccm gebracht, so dass in jedem Röhr-
chen des Versuches 3ccm enthalten sind. — Dabei lässt sich eine
Bemessung des Antikörpergehalts im Serum dadurch erzielen, dass
man es auch, wie es Citron empfohlen, in einer Probe in der Hälfte
der üblichen Dosis, also mit 0,1 ccm ansetzt und zwar ebenfalls mit
der halben Dosis des verwandten Extraktes. Der Ausfall der Reak-
tion gestattet auf diese Weise eine gewisse titrimetrische Beurteilung
des Antıkörpergehaltes im Serum, auf dessen Bedeutung ich noch
zurückkomme. — Die Protokollierung erfolgt dann mit + Zeichen,
ganz in analoger Weise wie bei den Agglutinationsproben, wobei
+++ die stärkste, + die schwächste Reaktion bezeichnet. Nach-
dem Antigen-Serum und Komplement eine Stunde bei 37° im Brut-
schrank zur Bindung erwärmt worden sind, wird ihnen das hämolytische
System zugefügt.
Hämolytisches System.
Das hämolytische Serum wird gewonnen durch Vorbehandlung
von Kaninchen mittels intravenöser Injektionen von frischen, ge-
waschenen Hammelblutkörperchen. Nach dreimaliger Injektion ab-
nehmender Dosen in fünftägigen Zwischenräumen wartet man zehn
Tage, ehe man die Entblutung des Tieres vornimmt, dessen Gesamt-
serum, nach vorausgegangenem Inaktivieren, in eingeschmolzenen
Röhrchen auf Eis aufbewahrt wird. Allerdings lässt sich dadurch
nicht immer eine Abschwächung des Titers vermeiden, die manch-
mal in den allerersten Tagen nach der Eutnahme einsetzt.
Als Hámolysinverdünnung empfiehlt es. sich, etwa das zweiein-
halbfache der eben lösenden Hämolysinmenge zu verwenden, wodurch
einerseits die Reaktion wesentlich beschleunigt, anderseits unvoll-
kommene Lösung in den Kontrollröhrchen, bzw. bei den normalen
Sera vermieden wird. Ein derartig starkes Hämolysin beeinträchtigt
den Versuch in keiner Weise, gestattet. vielmehr die Unterschiede in
sinnenfälliger Weise zu beobachten, da die Hämolyse viel schneller
einsetzt. — Naturgemüss erfordert jeder Versuch eine genaue Kennt-
14 A. Leber
nis der Hämolysinstärke, die durch Titration, unter denselben Be-
dingungen wie beim Hauptversuch, gewonnen wird.
Zur Herstellung der Erythrocytenaufschwemmung wird Hammel-
blut defibriniert, mehrmals mit phys. Kochsalzlósung gewaschen und
im Verhältnis von 5:100 mit Kochsalzlösung versetzt.
Hämolysinverdünnung und Blutaufschwemmung werden in den-
selben Mengen wie die übrigen Reagentien zugefügt, das heisst je
l ccm. — Für den Fall, dass der Titer des Hämolysins ein mässiger
ist oder dass es erwünscht erscheint, den hämolytischen Prozess zu
beschleunigen, kann man dies Ziel dadurch erreichen, dass man Hä-
molysinverdünnung und Blutkórperchenaufschwemmung in gleichen
Mengen gemischt, vor dem Zusetzen zu den übrigen drei Faktoren
bereits eine halbe Stunde in dem Brutschrank zur Bindung vor-
wärmt. Auf die Weise kann die Verbindung des Hammelblutambo-
ceptors + Hammelblutkörperchen von Beginn der zweiten Versuchs-
phase an die Wirkung seiner gesteigerten Affinität entfalten. Diese
Massnahme wird als Sensibilisierung bezeichnet.
Nachdem Hámolysin und Erythrocytenaufschwemmung dem Ge-
misch zugefügt worden ist, kommt der Versuch wiederum in den
Brutschrank und zwar mindestens so lange, bis die Kontrollproben
vollkommene Hämolyse aufweisen. Es empfiehlt sich, den Verlauf
des Versuchs mit halbstündigen bis viertelstündigen Pausen zu ver-
folgen und ihn spätestens nach Verlauf von zwei Stunden auf Eis
zu bringen, wo man die ungelösten Blutkörperchen während 18 bis
20 Stunden sich absetzen lässt. Nach deren Verlauf wird die end-
gültige Feststellung des Versuchsergebnisses vorgenommen, wobei, wie
bereits erwähnt, quantitative Unterschiede der Hämolyse eine be-
sondere Berücksichtigung verdienen. Am zweckmässigsten nimmt
man die Bewertung in der von Citron angegebenen Weise vor, die
aus dem folgenden Schema ersichtlich ist.
Schema zur Wertbestimmung des Antikörpergehaltes eines syphilitischen Serums.
e EE — m —
| Dosis von
Bewertung
ı Antigen + Serum |
Ausfall der Härmolyse EE E
I. | 0,2 Kompl. Hemmung nA
0,1 "
I. 0,2 Lr weh
| 0,1 Inkompl. Hemmung
III. | 0,2 Kompl. Hemmung | bee
| 0,1 Lösung |
IV. | 0,2 Inkompl. Hemmung -+
0,1 | Lösung
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 15
Es folgt aus den bisherigen technischen Erórterungen über die
Reaktion, dass deren Zuverlässigkeit eine genaue Kenntnis der bio-
logischen Reagentien seitens des Experimentators zur Voraussetzung
hat. Da es sich bei diesen Versuchen nicht um chemisch definier-
bare Substanzen handelt, ist es deshalb nötig, sich durch Kontrollen
von deren Brauchbarkeit bzw. deren erforderlichen Eigenschaften zu
überzeugen. Ein nach jeder Richtung einwandfreier Versuch fordert
die folgenden Kontrollproben:
l. Das zu prüfende Serum geprüft gegen normales Organ- Extrakt.
2. Das Lues-Extrakt geprüft gegen sicher normales und sicher
syphilitisches Serum (zur Prüfung seiner spezifischen Wirksamkeit).
3. Das normale Organ-Extrakt geprüft gegen dieselben Sera wie
bei 2, zur Feststellung ob diese tatsächlich den erforderlichen Be-
dingungen entsprechen.
4. Sämtliche zur Reaktion verwandten Reagentien dürfen für
sich allein Komplement nicht binden.
5. Das hämolytische System muss die geforderte Wirkungsstärke
haben.
Bei fortgesetzten und systematischen Untersuchungen, die es er-
möglichen, stets über die Brauchbarkeit der verwandten Extrakte
und Kontrollsera orientiert zu sein, erübrigt sich eine Reihe dieser
Kontrollproben, so vor allem die unter 3. erwähnten. Naturgemäss
darf aber niemals unterlassen werden, das syphilitische Extrakt so-
wohl gegen normales wie gegen syphilitisches Serum zu prüfen.
Wird die Reaktion unter Einhaltung der vorgeschriebenen Kau-
telen ausgeführt, so ermöglicht sie, entsprechend ihrer Spezifizität, ein-
wandfreie Resultate von hoher praktischer Bedeutung.
II. Wesen und Spezifizität der syphilitischen Antikörper.
Die zahlreichen Publikationen, die sich auf den serologischen
Luesnachweis beziehen, haben die klinische Verwertbarkeit der Me-
thode bewiesen. In theoretischer Hinsicht dagegen sind die Akten
über Wesen und Natur der nachgewiesenen Stotfle längst noch nicht
geschlossen und gerade eine Reihe neuester Publikationen hat die
Frage nach der Spezifizität von neuem aufgeworfen.
Die ursprüngliche und theoretisch an sich begründete Ansicht,
dass es sich bei den syphilitischen Antikörpern um echte Ambo-
ceptoren (wie die Typhus- Amboceptoren z. B.) handeln könne, hatte
ihre Hauptstütze in dem Umstand, dass nur syplnlitische Organe ein
wirksames Antigen-Extrakt zu liefern schienen. Dass bei der Bin-
16 A. Leber
dung von Antigen- Antikörper und Komplement echte Spirochäten-
amboceptoren das bindende Agens seien, war um so wahrscheinlicher,
als Bab(39) geglaubt hatte, einen dem Spirochätengehalt parallel
gehenden Antigengehalt der Organe feststellen zu können. Immerhin
waren die Beweise für eine derartige sirenge Spezifizität zu gering,
als dass man darin mehr als eine theoretisch postulierte Vermutung
hätte sehen können.
Den ersten Beweis gegen die Spezifizität der Reaktion schien
L. Michaelis(40) zu liefern, der in seiner ersten Publikation über
die Frage angab, auch bei syphilitisch-unverdächtigen Patienten eine
positive Reaktion erzielt zu haben. Seine späteren Erfahrungen (41)
konnten ihn aber davon überzeugen, dass in dieser Hinsicht die prak-
tische Verwertbarkeit des serologischen Lues-Nachweises keine Ein-
busse erleidet.
Weit bemerkenswerter sind aber die Beobachtungen, die sich
auf das Antigen beziehen und gegen dessen Spezifizität sprechen, die
jedenfalls ein Beweis dafür sind, dass dessen wirksames Prinzip keine
spezifische Spirochätensubstanz darstellt.
In dieser Beziehung hatten Marie und Levaditi(42) die über-
raschende Beobachtung gemacht, dass auch ein Extrakt aus normalen
Lebern gelegentlich eine spezifische Komplement-Bindung mit syphi-
litischen Sera gibt. Weitere Untersuchungen haben diesen Befund
bestätigt und die hierauf bezüglichen Erfahrungen erweitert. Weil
(43), Weil und Braun(44), Kraus und Volk (45), Weygandt(46),
Plaut(47) Landsteiner, Müller und Pótzl(4S) Im Anschluss
daran konnte ich (36) feststellen, dass ein normales Organ, das nach
der üblichen Behandlungsweise kein spezifisch bindendes Extrakt liefert,
spezifisch bindende Substanzen abgibt, wenn mit der Extraktion eine
eingreifende Maceration der Gewebselemente verbunden wird.
Einen wesentlichen Fortschritt in der Kenntnis der Lues- Anti-
körper verdanken wir Porges und Meier(49) und deren Feststellung,
dass eine bei der Syphilisreaktion hauptsächlich in Frage kommende
Komponente alkohollöslich ist. Weiterhin konnten diese Autoren
mit reinem Lecithin dieselbe spezifische Reaktion wie mit wüssrigem
oder alkoholischem Extrakt erhalten und schliesslich auch in einer
grossen Anzahl von Fällen die Komplementbindungsreaktion durch
die Lecithin- Ausflockung ersetzen. — Während die Lecithin- Prä-
cipitation sich nun als nicht spezifisch erwiesen hat (Kraus, A. Leber),
sind die Beobachtungen über die Alkohollöslichkeit des bei der Kom-
plement-Bindung wirksamen Prinzips bestätigt worden, so von Land-
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 17
steiner, Müller und Pötzl(50) und von Levaditi(51). — Dem
letzteren gelang es, wie mit Lecithin so auch mit gallensauren Salzen
eine positive Reaktion zu erzielen und zwar nur bei syphilitischen Sera.
Eine weitere Ergänzung lieferten Sachs und Altmann (52), die
mit oleinsaurem Natron sowohl Komplementbindung als auch Aus-
flockung im Syphilitikerserum zu erzeugen vermochten.
Während diese interessanten Beobachtungen uns zwar noch kein
Urteil darüber gestatten, ob es angángig sein wird, beim praktischen
Lues-Nachweis das schwer zu beschaffende wáüssrige Extrakt aus
syphilitischen Organen, durch ein chemisch wohl definiertes Reagens
zu ersetzen, so bieten sie doch bereits einige Anhaltspunkte, die uns
der Erklärung des Phänomens nähern. Ohne allen Zweifel geht
aus unsern bisherigen Erfahrungen hervor, dass auch das im wäss-
rigen Extrakt enthaltene Lues-Antigen keine Mikroorganismensubstanz
ist, sondern, wie Bruck und Stern (53) hervorheben, ein normaler-
weise im Körper vorkommender Stoff, der unter dem Einfluss des
Syphiliserregers eine starke Vermehrung erfährt. Die Antikörper
selbst stehen in keinem Zusammenhang mit den Vorgängen echter
Immunität. Immerhin ist aber eine direkte Beziehung ihres Vor-
kommens zu dem Lues-Erreger insofern festzustellen, als eine Be-
handlung, die zu Heilungsvorgängen (d. h. Bekämpfung des Virus)
führt, auch eine Verminderung des Antikörpergehaltes im Serum
auslöst.
Auf Grund eingehender experimenteller Untersuchungen beschäf-
tigen sich H. Elias, E. Neubauer, O. Porges und H. Salomon
(54) mit dem Wesen der Reaktion, die sie auffassen als eine Füllungs-
Reaktion zwischen gewissen hydrophilen Kolloiden und den Globu-
linen zuzurechnenden Eiweisskórpern, die im Luesserum infolge ge-
ringerer Stabilitit eine gróssere Füllungszone verursachen.
Diese befriedigende Erklärung macht es auch verständlich, wes-
halb manche normale Sera eine Ausflockung geben, die entsprechend
der schmäleren Füllungszone auch nur geringere Werte erreicht.
Dass eine Verschiebung der Fällungszone unter Umständen auch
durch andere Ursachen ausgelöst werden kann, ist zu erwarten. Da-
durch würde sich dann auch erklären, weshalb die Sera gewisser
Infektionskrankheiten (Scharlach z. B.) unter Umständen sich den
syphilitischen ähnlich verhalten können, wofür Weil und Braun (55)
neuerdings Belege erbracht haben. Da aber der Scharlach und event.
Lepra und Tryponosomenerkrankungen bei uns gegenüber der Syphilis
differentialdiagnostisch nicht in Betracht kommen, so erfährt die
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 1. 2
18 A. Leber
klinische Verwertbarkeit der Reaktion nach dieser Richtung hin keine
Einschränkung.
III. Klinische Erfahrungen.
1. Klinische Leistungsfähigkeit und Bedeutung der Lues-
Diagnostik für die Pathologie der syphilitischen Augen-
erkrankungen.
Die praktische Verwertbarkeit einer diagnostischen Methode ist
davon abhängig, ob sie sowohl nach der positiven wie nach der
negativen Seite einwandfreie und deshalb für die Praxis brauchbare
Resultate liefert. Ich habe in dem vorhergehenden bereits die klinische
Spezifizität der Wassermannschen Reaktion betont, die von zahl-
reichen Autoren an einem ausserordentlich grossen Material fest-
gestellt werden konnte. Auch in meinen früheren Mitteilungen bin
ich auf Grund selbständiger Erfahrungen von dieser Voraussetzung
ausgegangen. Bevor ich aber auf meine neueren Beobachtungen
eingehe, die sich auf die serologische Untersuchung von 350 Augen-
kranken, unter Hinzuziehung einiger 30 Kontrollsera, beziehen, ist es
erforderlich, auch für dieses grössere Material zu betonen, dass die
Sera von sicher nicht syphilitischen Augenkranken niemals eine posi-
tive Lues-Reaktion gaben.
Zu dem Zweck wurden die Sera von 50 Augenkranken unter-
sucht, die einmal in ihrer Vorgeschichte luetische Erkrankungen nicht
aufwiesen, ein ander Mal aber auch ihrem klinisch-ophthalmologischen
Befund nach für Syphilis ganz unverdächtig waren. Es waren das
in der Mehrzahl Patienten mit traumatischen und arteriosklerotischen
Erkrankungen, aber vor allem auch tuberkulöse. Gerade auf deren
Untersuchung wurde besonderer Wert gelegt, weil bei diesen ein
negatives Ergebnis grundlegend war für die Beurteilung der Reaktion.
Alle diese Kranken, die als nicht syphilitisch angesehen werden
konnten, gaben eine negative Reaktion.
In der weitaus grössten Reihe der syphilisverdächtigen 231 Pa-
tienten habe ich alle diejenigen zusammengefasst, bei denen die
Anamnese entweder gar keinen Anhalt für Syphilis, oder nur einen
Wahrscheinlichkeitsschluss für eine luetische Infektion ergab und bei
denen das klinische Bild für eine syphilitische Erkrankung sprach,
ohne dass andere Ursachen mit Sicherheit ausgeschlossen werden
konnten. Dadurch ist dies Material ein ausserordentlich vielseitiges
und umfasst naturgemäss eine grössere Anzahl von Kranken, die
nach den bisherigen Erfahrungen von manchen Beurteilern als syphi-
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 19
litisch angesprochen und dementsprechend behandelt worden wären.
Sichere Syphilitiker finden sich aber in dieser Reihe nicht, wohl aber
eine ganze Anzahl von Kranken, bei denen eine tuberkulóse Affek-
tion angenommen werden musste und die untersucht wurden, um die
Reaktion in differentialdiagnostischer Hinsicht zu erproben. Es er-
gibt sich aus dem Gesagten von selbst, dass unter diesen Patienten
sich auch mehrere befanden, die bereits früher auf Grund des Lues-
Verdachtes antisyphilitisch behandelt worden waren, meistenteils ohne
Erfolg, so dass auch ex juvantibus eine Sicherung der Diagnose in
keiner Richtung möglich war.
Von diesen ?31 syphilisverdächtigen Augenkranken — bei denen
der Verdacht also in weitestem Sinn aufgefasst war — gaben 38,1°|,
eine positive Lues- Reaktion. Es ist dies ein ausserordentlich hoher
Prozentsatz, der aber ungefáhr demjenigen von 42,1?|, meiner ersten
Zusammenstellung (in die weniger Tuberkulóse aufgenommen waren)
entspricht. — Naturgemäss entspricht diese Zahl noch nicht der
Gesamtsumme der Syphilitiker. Da die Reaktion bei den sicheren
Syphilitikern, die unbehandelt sind in 10—20°),, bei den behandelten
in 30—40?|, negativ ausfällt, so ist die Zahl der tatsächlich syphi-
litischen unter den syphilisverdächtigen Augenkranken bei dieser Zu-
sammenstellung entsprechend höher zu veranschlagen.. Da mein
Material nicht nur aus der Kgl. Berliner Universitäts- Augenklinik,
sondern auch aus der Universitäts- Augenklinik zu Heidelberg, aus
der Tübinger Universitäts - Augenklinik und mehreren Polikliniken
Berlins und der Provinz stammt, so ist es nur unerheblich durch
das häufigere Vorkommen von Syphilis hier in Berlin beeinflusst.
Ohne allen Zweifel beweist aber diese Zahl, wie häufig wir von
dem serologischen Nachweis der Lues- Antikörper einen Aufschluss
erwarten dürfen, wo unsere andern Methoden versagen. — Natur-
gemäss wäre es ein grosser Fehler, wollte man bei der Beurteilung
des einzelnen Falles, unter Hintansetzung des objektiven Befundes,
das serologische Ergebnis in den Vordergrund stellen. Es be-
darf ja kaum einer Erwähnung, dass ein Tuberkulöser gleich-
zeitig latent syphilitisch und dementsprechend mit seinem Serum
reagieren kann. Immerhin sind derartige Fälle selten, so dass durch.
diese Schwierigkeit die praktische Brauchbarkeit der Reaktion keine
Einschränkung erfährt. — Gleichgültig ist es dabei auch, ob wir
annehmen wollen, dass in der Mehrzahl der Fälle die im Serum
nachgewiesenen und auf das syphilitische Virus zurückzuführenden
Antikörper im Auge selbst, am Herd der syphilitischen Erkrankung
| =
20 A. Leber
oder im übrigen Organismus gebildet werden. An sich scheint das
letztere Vorkommnis wohl das häufigere zu sein, wenn auch meine
Untersuchungen, bei denen ich syphilitische Antikörper im Humor
aqueus nachgewiesen habe, auch für die zweite Möglichkeit sprechen,
um so mehr als auch bei den metasyphilitischen Cerebro- Spinal-
erkrankungen gerade die Lumbalflüssigkeit meist einen stärkeren
Antikörpergehalt aufweist, als das Blutserum. `
Die dritte Gruppe dieser Vergleichsreihe umfasst die zweifellos
syphilitischen Fälle, solche, bei denen entweder Anamnese, Allge-
mein- oder Lokalbefund am Auge die syphilitische Erkrankung er-
kennen lies. Es gehören hierher 71 Fälle, von denen 79°, eine
positive Lues-Reaktion gaben.
Da in dieser Gruppe wiederum sehr verschiedenartige Fälle zu-
sammengefasst sind, habe ich sie in drei Unterabteilungen gesondert,
deren Betrachtung mir von Interesse zu sein scheint.
Zu den ersten gehören die sicher syphilitischen Augenkranken,
deren okulare Affektion auf die syphilitische Erkrankung zurück-
zuführen war und bei denen sich unter 45 Fällen in 79,0°, eine
positive Reaktion erzielen liess.
Entsprechend meinen früheren und den Erfahrungen anderer
Autoren gaben die metasyphilitischen Kranken der zweiten Unter-
abteilung (Tabes, progressive Paralyse, Lues cerebri, mit okularen
Veränderungen 22 Fülle) den hóheren Prozentsatz 82 positiver
Reaktionen.
Schliesslich die dritte Untevabteilung: Augenkranke mit Sympto-
men, die sich nicht auf die sicher überstandene luetische Infektion zurück-
führen lassen, umfasst nur vier Fülle, von denen allerdings nur einer,
d. h. 25^, positiv war. Dies Resultat, wenn es sich auch nur auf
wenige Fälle bezieht, ist immerhin wichtig und für die differential-
diagnostische Beurteilung schwieriger Fälle von praktischer Bedeutung.
Es zeigt eben, dass ein Zusammenhang besteht zwischen Reaktion
und Symptomenkomplex, auf den weiter unten gelegentlich der Aus-
führungen über die Therapie noch einzugehen sein wirt.
Während diese Zusammenstellung nun einem Material und einer
Einteilung entspricht, wie sie auf Grund klinischer Erfahrungen und
anamnestischer Angaben möglich ist, so zeigt die folgende bereits,
wie sich ungefähr die tatsächlichen Verhiiltnisse bei demselben Mate-
rial gestalten. Als Grundfige dieser Zusammenstellung dienen die
serologischen Ergebnisse, und dementsprechend sind hier sowohl die
Fälle der ersten Aufstellung wie alle diejenigen vereinigt, bei denen
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. ^9]
erst die Reaktion die syphilitische Natur der Erkrankung nachwies.
Eine besondere Berücksichtigung haben dabei die verschiedenen Pe-
rioden der Syphilis gefunden. Gerade bei den Syphilisverdüchtigen,
die sich nachher als luetisch herausstellten, stiess diese Einteilung
auf besondere Schwierigkeiten. Da sie manchmal nach gewissen
anamnestischen Angaben oder nach dem objektiven Untersuchungs-
befund erfolgte, seltener auf Grund einer körperlichen Allgemein-
untersuchung möglich war, so ist dieser Einteilung eine gewisse Will-
kürlichkeit im einzelnen nicht abzusprechen. Sie scheint mir aber
bei den 101 Fällen, auf die sie sich bezieht, zu gering, um eine
wesentliche Verschiebung der Tatsachen bedingen zu können.
2. Antikörperbefund in den verschiedenen Perioden der
syphilitischen Augenerkrankungen.
Initialperiode. — Es war mir nur möglich, einen Fall primär
syphilitischer Augenerkrankung aus der Initialperiode serologisch zu
untersuchen. Er ist von praktisch so bedeutendem Interesse, dass
ich ihn kurz skizzieren möchte.
Nr. 328. Frau F. A., seit mehreren Jahren verheiratet (Mann und
3 Kinder gesund), selbst angeblich nie krank gewesen, sucht am 24. VIII.
08 die Poliklinik auf wegen einer nässenden Stelle am Oberlid des linken
Auges. Die objektive Untersuchung ergibt am linken Oberlid eine etwa
kleinfingernagelgrosse náüssende Stelle von gelbliehgrauem Aussehen, die nach
Angabe der Patientin erst seit dem 21. VIII. O8 besteht. — Induration
der Lidhaut besteht nicht. — Präaurikulardrüse ist mässig vergrössert, hart,
aber nicht schmerzhaft. — Die mikroskopische Untersuchung des Reiz-
serums ergibt sehr spärliche Spirochäten, die am selben 'Tage vorgenommene
serologische Untersuchung des Blutes positive Luesreaktion.
Dieser Befund, der auch als Beweis dafür gelten muss, dass
eine Allgemeininfektion eintreten kann, noch bevor Allgemeinsymp-
tome aufgetreten sind, zeigt, in welcher Weise der serologische Lues-
nachweis unsere diagnostischen Methoden auch da ergänzt, wo die
mikroskopische Untersuchung allein bisher uns Auskunft versprach.
Die in dem vorliegenden Fall sofort eingeleitete Schmierkur,
unter deren Einfluss die ihrem Aussehen nach atypische Initialskle-
rose zur Abheilung gelangte, war eine Bestätigung der serologischen
Diagnose.
Frühperiode (sekundäre Syphilis). — Hierher gerechnet sind
sämtliche Kranke, die sich noch innerhalb der ersten vier Jahre nach
der Infektion befanden, sowie diejenigen, deren allgemeiner Körper-
befund sekundärsyphilitische Erscheinungen darbot. In diese Gruppe
22 A. Leber
gehören 37 meiner Fälle, die mit 97,2 den höchsten positiven
Prozentsatz in den verschiedenen Perioden der Syphilis darstellen.
Es entspricht das den übrigen Erfahrungen, insonderheit auch den
statistischen Angaben von Blaschko (56), der mitteilt, dass im all-
gemeinen bei Beginn der syphilitischen Erkrankung 90°, positiven
Befund zeigen, dass im weiteren Verlauf der Frühperiode der Pro-
zentsatz auf fast 100 steigt, und auch in der Spätperiode, sofern
Krankeitserscheinungen da sind, noch etwa 91°), beträgt. -- Der
ausserordentlich hohe Prozentsatz meiner Fälle findet eine Erklärung
dadurch, dass die meisten unter ihnen unbehandelt waren.
Spätperiode (tertiäre Syphilis). — Die Spätperiode ist vom
5. Erkrankungsjahr an gerechnet, mit Ausnahme derjenigen Fälle,
bei denen ausgesprochene tertiäre Erscheinungen einen schnelleren
Verlauf der Erkrankung dartaten. — Von den 64 Fällen dieser
Periode reagierten 53 =— 82,8°;, positiv, wobei zu berücksichtigen ist,
dass fast alle negativen Fälle vorbehandelt waren.
Hereditäre Syphilis (kongenitalsyphilitische Augenerkran-
kungen). — Eine besondere Berücksichtigung verdient diese Kate-
gorie, da wohl auf keinem medizinischen Gebiet die hereditäre Syphilis
eine so bedeutende Rolle spielt wie gerade in der Ophthalmologie.
Wenn es auch gelingt, auf Grund der Hutchinsonschen Zahnbil-
dung, der strahligen Narbenbildung in der Gegend der Mundwinkel
und des eingefallenen Nasenrückens, auf die Förster zuerst hin-
gewiesen hat, durch das Auftreten von Schwerhörigkeit und syphi-
litischer Kniegelenkentzündung die Diagnose zu sichern, so fehlen
diese Symptome doch oft genug in Fällen, bei denen eine luetische
Infektion der Eltern in Frage kommt.
Unter den 59 Fällen von hereditärer Lues der Augen, die ich
untersuchte, reagierten 90°, positiv. Da bei dieser Zusammenstellung
naturgemäss die anamnestischen Angaben recht dürftig waren, so ist
die Mehrzahl dieser Patienten erst durch die Reaktion als svphilitisch
erkannt worden. Wie viele Patienten, deren Eltern tatsächlich syphi-
litisch sind und die negativ reagierten, hierbei fehlen, lässt sich
nicht mit Sicherheit ermitteln, nur mit Wahrscheinlichkeit einschätzen,
nach den Erfahrungen bei Keratitis parenchymatosa, auf die weiter
unten einzugehen sein wird. Sehr gross ist die Zahl jedenfalls nicht,
und nach meinen bisherigen Erfahrungen scheint das luetische Virus
gerade, wenn es vererbbare Erkrankungen auslöst, auch In den meisten
Fällen die Bildung von Antikörpern zu bewirken.
Die Regelmässigkeit des Vorkommens dieser Stofle gerade auch
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 23
bei den hereditär-syphilitischen Augenerkrankungen ist praktisch nicht
unwichtig, weil sich dieser Befund weder nach Qualität noch Quan-
DL von dem der acquirierten Syphilis unterscheidet. — Noch im
25. Lebensjahr konnte ich sicher hereditär bedingte Antikörper im
Blute nachweisen. Über deren Vorkommen in der zweiten Genera-
tion habe ich keine Erfahrungen.
Tabellarische Übersicht
über die klinische Leistungsfähigkeit des serologischen Luesnachweises
bei syphilitischen Augenerkrankungen.
Positive Fällein
Art der untersuchten Fälle Pröyentzallen
I. Sicher nicht syphilitische Augenkranke (50) 0 9j,
II. Syphilis-verdáchtige Augenkranke (231) 38,19/,
A. Mit syphiliti-
schen Sympto-
men d. Augen HU D,
II. Sicher syphilitische Augenkranke
(71) (Syphilis in der Anamnese oder 0 0:
einwandfrei syphilitische Erkran- Mittel 79%
kungen des Körpers oder der Augen)
B. Ohne syphili-
tische Symp-
|
|
|
tome d. Augen 25 ?/,
A. Lues Il 97,20
IV. Sicher syphilitische Augenkranke
(101) (Gruppe [II zuzüglich der sero- e
logisch als syphilitisch erkannten ` EES
Fálle aus Gruppe II) |
B. Lues III 82,8
V. Hereditär-syphilitische Augenerkrankungen 90 °
3. Über das Verhalten syphilitischer Sera gegenüber
lipoiden (alkohollöslichen) Stoffen.
Nach den vorhergehenden Erfahrungen, die sämtlich auf Grund
von Versuchen mit wüssrigem Extrakt aus hereditür-luetischen Organen
gewonnen sind, bedürfen diejenigen Untersuchungen eine besondere
Besprechung, in denen das wässrige Antigen durch ein alkohollös-
liches, bzw. durch Lecithin ersetzt wurde. Es ist bereits erwähnt
worden, dass Porges und Meier(49) feststellen konnten, dass der
bei der Reaktion wirksame Faktor der luetischen Lebern alkohollöslich
ist, und dass sich, wie die wässrigen, auch die alkoholischen Extrakte
aus syphilitischen und normalen Organen für die Reaktion verwenden
lassen. Da es sich gezeigt hat, dass auch aus tierischen Organen die
wirksamen Substanzen zu gewinnen sind, so war die Beobachtung
24 A. Leber
nicht nur für die Deutung der Antikörper von weittragender Bedeu-
tung, sondern auch für ihren praktischen Nachweis. Da die Be-
schaffung eines wirksamen Extraktes aus syphilitischer Leber gelegent-
lich recht schwer ist, so habe ich auch vergleichende Versuche mit
den Sera, von Augenkranken angestellt, bei denen ich die Resultate,
die ich mit den verschiedenen Antigenen gewann, untereinander ver-
glich. Während bei diesen Untersuchungen es sich nun zeigte, dass
die Resultate mit alkoholischem Extrakt, sei es aus syphilitischen,
sei es aus normalen Lebern, denjenigen, die mit wässrigem Extrakt
gewonnen waren, ungefähr entsprachen, so traten bei den Versuchen,
in denen eine wässrige Lecithinemulsion das Organextrakt ersetzte,
gewisse Ungleichmässigkeiten auf. Vor allem war bemerkenswert,
worauf ich bereits an anderer Stelle hingewiesen habe, dass mehrere
tuberkulöse Sera die für Syphilis unverdächtig waren, eine gewisse,
wenn auch nicht sehr hochgradige Hemmung der Hämolyse gaben.
— Das mag eine Erscheinung sein, die an sich vielleicht selten ist,
die aber die Möglichkeit, das Organextrakt durch eine chemisch de-
finierbare Substanz zu ersetzen, fraglich erscheinen Jässt. Ähnlich ver-
hält es sich mit dem interessanten Phänomen der Ausflockung, das
ebenfalls Porges und Meier beobachten konnten, wenn sie luetische
Sera mit Lecithinemulsion versetzten. Diese Ausflockung ist aber
jedenfalls nicht pathognomonisch für die Syphilis, wenn sie auch in
einem hohen Prozentsatz der Fälle in syphilitischen Sera nachgewiesen
werden kann. Da sie aber auch in tuberkulósen Sera vorkommt,
von mir auch einmal bei einem nicht syphilitischen Trachomatösen
beobachtet wurde, so fehlt dieser Reaktion jede diagnostisch verwert-
bare Bedeutung, und die Erwartung, sie als Schnellreaktion verwen-
den zu können, ist wohl inzwischen allerseits aufgegeben worden.
Wahrscheinlich handelt es sich bei diesem Vorgang um eine all-
gemeine Infektionsreaktion, die verschiedenen Krankheitsgruppen zu-
kommt.
Während nun durch alkoholische Extraktion unter Umständen
auch aus normalen Lebern brauchbare Extrakte gewonnen werden
können, die sich den wässrigen und alkoholischen aus syphilitischen
Organen analog verhalten, so ist das bisherige Vergleichsmaterial wohl
noch zu gering, als dass man das bewährte wässrige Extrakt ohne
weiteres durch sie ersetzen könnte. Weitere und ausgedehnte Unter-
suchungen werden erst zeigen, inwieweit das moglich ist. Für die
Lecithinemulsion, die Ja der leichten Beschaffung wegen grosse Vor-
züge gehabt hätte, gilt das in vermehrtem Masse, wie aus der folgen-
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. Op
den Tabelle erhellt, in der eine Reihe von Vergleichswerten zu-
sammengestellt ist.
| ^ Komplementbindung mit |
F mE I A. Wässrigem | | Präcipitation
\r. Klinische Diagnose Extrakt B. Lecithin- | mit Lecithin-
(syphilitische | Emulsion Emulsion
Fótusleber)
53 | Iritis 0 |
04 | Iritis 0
63 | Irtis 0
67 | Kerat. parenchym. (L. hered.)| ++++
69 | Sklerokeratitis -E4- ac.
-+
+++ | o0
+ +
70 | Iritis speret er
14 | Iritis cap
16 | Iritis 2414
19 | Chorioretin. centr.
80 | Iritis, Neuritis n. optici
81 | Iridocyclitis
85 | Iritis
84 | Iritis
85 | Iridocyclitis(L. hered.) Verdacht
86 ' Neurit.n. optici(L. Infektion +)
89 ! Abducensparese
90 | Kerat. parenchym.
93 | Iritis (TB) |
94 | Iritis papulosa
95 | Iritis (Arteriosklerose)
96 | Iritis
97 | Iritis
95 | Ophthalmopleg. interna
99 | Iritis
100 | Iridocyclitis
101 | Ker. parenchym.
105 | Abducensparese
104 | Neuritis n. optici
105 | Iridocyclitis
108 | Iritis (T B)
109 | Neuritische Atrophie
110 | Chorioid. disseminata
112 | Neuralg. luetica (?)
113 | Anisokorie
114 | Stauungspapille
115 | Iritis
116 | Chorioretinitis centr.
117 | ritis
118 | Iritis
119 Skleritis
-+
4
oo--Fooooooc
+
+
EE
+
ooccoccoocoooriocoooclic]
+
S++o|oocol]
+
+
+
+
|lo|ooo-ro
+
jo ee
+
4
E
c-d-ooclLlooooooococ
Ss
120 i Chorioretinitis
121 | Chorioretinitis TB
193 | Abducensparese deduc
124 | Skleritis 0
128 | Retinitis centralis 0
129 | Lues cerebri (?) 0
130 | Iridocyclitis Luessicher'. Meh-
| rere Hg-Kuren. Lange Zeit
| Jodkaliumordination 0
+
+
+
j:
I cec +o+tocc:+tocooc] oooc
2t
ocotc+oc
+
+
©
4-
+
-+
| Komplementbindung mit
| Prácipitation
ME : | A. Wässrigem AU
Nr. Klinische Diagnose Extrakt B. Lecithin- mit Lecithin-
(syphilitisehe | Emulsion | Emulsion
| Fótusleber) | :
131 | Anisokorie E GE tr | ecu.
132 | Pupillenstarre ++++ 0 | ++
133 | Meningomyelitis | 0 0 | 0
131 | Iritis | 0 | — | 0
138 | Ker. parench. (L. hered. ?) + +++ | — | +++
139 | Iritis FEEF" — +
140 | Iritis (L. ?) | 0 | — 0
141 | Atroph. n. optic. © +++ | +++ +
Ähnlich wie mit der Lecithinausflockung verhält es sich mit dem
Phänomen der Präcipitation, welches Fornet und Schereschewski
(57) beobachten konnten, wenn sie syphilitische Sera der Frühstadien
mit solchen der Spätperiode zusammenbrachten. Die theoretisch interes-
sante Folgerung, welche sie daraus ziehen, dass die Reaktion durch
Zusammentritt von Luespräcipitinogenen mit Luespräcipitinen erfolgt,
entspricht unsern anderweitigen Erfahrungen über das Auftreten von
Präcipitinen. Die Erscheinung tritt aber so unregelmässig auf und
ihre Beurteilung ist auch für den Geübten nicht immer leicht, so
dass sie als allgemein verwertbare diagnostische Methode nicht in
Betracht kommt.
Dasselbe gilt von der Füllung, welche E. Klausner (58) in
syphilitischen Sera durch Hinzufügung von destilliertem Wasser er-
zielte und die vermutlich auf einer vermehrten Füllbarkeit oder im
Serum vorhandenen Globulinen beruht.
Schliesslich sei .der Vollständigkeit wegen noch der Modifikation
Erwähnung getan, die J. Bauer(59) vorgeschlagen hat, um das bei
der Komplementbindung erforderliche hämolytische System und die
aus dessen Beschaffung resultierenden Schwierigkeiten zu umgehen.
Zu dem Zweck benutzt er den normalerweise im menschlichen Blut-
serum enthaltenen Amboceptor gegen Hammelblutkórperchen und ver-
meidet auf die Weise den Zusatz eines künstlichen Hämolysins.
Obwohl das Vorkommen dieses natürlichen Amboceptors ein regel-
mässiges zu sein scheint, so ist es doch von so schwankender Wertig-
keit, dass es fraglich erscheint, ob es mit ihm möglich ist, einwand-
freie. quantitative Unterschiede des Antikórpergehaltes festzustellen.
Mit einem künstlich gewonnenen Hämolysin, dessen Wertbestimmung
einmal für alle Sera des Versuches genügt, ist das eben möglich.
Setzt man an seine Stelle den natürlichen Amboceptor, was in vielen
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 27
Fällen das Ergebniss nicht beeinträchtigen mag, so führt man eine
Unbekannte in die Gleichung ein, die bei Grenzwerten eine mass-
gebende Bedeutung gewinnt. :
4. Über die Beziehungen von Antikórperbefund zu Heilung
und therapeutischem Erfolg.
Die tabellarische Zusammenstellung der syphilisverdüchtigen
Augenkranken, bei denen auf Grund der serologischen Untersuchung
die Ätiologie des Leidens geklärt werden konnte, erfährt eine wesent-
liche Ergänzung durch die therapeutischen Erfahrungen, die sich da-
bei ergeben haben. Wenn auch in einer Reihe von Fällen die
pathologisch-anatomische Untersuchung oder ein nachtrügliches Ge-
ständnis einer vorausgegangenen Infektion seitens der Patienten eine
Bestätigung der serologischen Diagnose ergab, so geschah diese doch
zumeist aus dem Erfolg der eingeschlagenen Therapie. Im grossen
und ganzen — vorausgesetzt, dass die pathologischen Verhältnisse
etwas derartiges erwarten liessen — hat die spezifische Therapie bei
positirem Antikörperbefund nicht versagt. Abgesehen von wenigen
refraktären Fällen, wie sie bei der Syphilis maligna bekannt sind,
trat nach eingeleiteter Schmier- oder Jodkaliumkur eine wesentliche
Besserung der Symptome, insonderheit auch des Sehvermögens ein.
Für praktische Gesichtspunkte ist das ja der springende Punkt,
zu dessen Erläuterung die folgenden Fälle dienen mögen.
1. Frau H. K. (40). J.-Nr. 1366. 234 Jahre. — 22. I.
Diagnose: L.Skleritis. Keratitis parenchymatosa. Diffuse und geformte
Glaskörpertrübungen. Grosse Bindegewebsschwarte in der oberen Hälfte
der Netzhaut.
Anamnese: Ohne Besonderheiten. I. nexiert.
Allgemeinuntersuchung: Keine Zeichen von Lues. — Beginnende Mitral-
insuffizienz.
Serumreaktion: L. positiv (+).
Therapie: Ausser Atropin Jodkalium.
L. Visus: Lichtschein aufgehoben.
15. III. L. Visus: Projektion nach unten und innen. — Glaskörper-
trübungen wesentlich geringer.
9. IV. L. Visus: Handbewegungen vor dem Auge. Gleichzeitig Reiz-
zustand nur noch gering. Hornliaut autgehellt. Skleritis in rasch zunelimen-
der Heilung.
2. Else J. (45). J.-Nr. 11089. 28. VIII. 08. 14 Jahre.
Diagnose: L. Keratitis parenchymatosa. R. Chorioretinitis, hauptsäch-
lich in der Peripherie.
Allgemeinuntersuchung: Keine Zeichen von Lues. — Zähne: Andeutung
von Hutchinsons Deformation.
28 A. Leber
Serumreaktion: L. positiv (+ —+--).
Therapie: Atropin, Jodkalium.
L. Visus: 28. VIII. Finger in 2m. 30.X. = !|..
3. Ernst S. (263). 14 Jahre. Schüler.
Diagnose: Bds. Keratitis parenchymatosa.
Anamnese: Ohne Besonderheiten.
Allgemeinuntersuchung: Lues hereditaria wahrscheinlich.
Serumreaktion: Positiv (4-------). Auf Zg- Behandlung schnelle
Besserung.
4. Anna K. (300). J.-Nr. 8446. 25 Jahre. Hausmädchen.
Diagnose: L. Sklero-Keratitis.
Anamnese: Ohne Besonderheiten. — Vater verunglückt, Mutter und
zwei Geschwister gesund.
Allgemeinuntersuchung: Keine Zeichen von Lues. — Anämie.
Serumreaktion: Positiv (-- -]- -4- --).
Therapie: Atropin, Jodkalium. — Schnelle Besserung.
5. Marie R. (70). J.-Nr. 13216. 17. VIII. 07. 28 Jahre. Schneiderin.
Diagnose: R. akute Iritis.
Anamnese: Ohne Besonderheiten.
Dermatologischer Befund: Papulöses Exantlıem.
Serumreaktion: L. positiv (+++ -+-).
Therapie: Atropin. Schmierkur.
28. X. Visus — Finger in 4m. 6. XL — !|. 17. XII = |,
Ophth.: Vereinzelte, kleine hintere Synechien, sonst normal.
6. Wilhelm H. (116). 59 Jahre. Kassendiener.
Diagnose: Bds. Mydriasis. Reflektorische Pupillenstarre. — Chorio-
retinitis centralis.
Anamnese: Vor 20 Jahren Schanker, damals 5 oder 6 Schmierkuren,
seitdem keine Erscheinungen mehr, niemals Hautausschlag. Seit 5 Jahren
Verschlechterung des Sehvermógens.
Serumreaktion: L. positiv (++).
Laut Mitteilung des Arztes nach Schmierkur wesentliche Besserung des
Sehvermögens.
27. 21. = 1:
7. Hermann A. (235). J.-Nr. 6285. 25 Jahre. Handlungsgehilfe.
7. V. 08.
Diagnose: R. Neuritis n. optiei (Gumma n. opt.?).
Anamnese: Vor 12 Jahren spezifische Infektion, damals eine Sehmier-
kur. Seit 14 Tagen Augenbeschwerden.
Serumreaktion: L. positiv ++-+--).
Therapie: Schmierkur.
Visus: 7. V. = Fingerzählen in 25 em,
9. VL ji so du
€ Z t
28. VI. 5 » 3m.
8. Karl B. (200)... J-Nr. 4469. 29 Jahre. Sehankwirt. 30. III. 08.
Befund: R. Mydriasis. Amaurose.
Ophthalmoskopisch: Normal. L. ohne Besonderheiten.
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 929
Diagnose: Lues cerebri?
Anamnese: Lues streng negiert, angeblich vor 4—5 Jahren Phimose,
die vom Arzt behandelt wurde. Frau und einziges Kind gesund.
Serumreaktion: L. positiv (-4- 4- - 4-).
Therapie: Jodkalium.
4. IV. Schwache Pupillarreaktion. Lichtempfindung bei starker Licht-
quelle. Projektion nach unten und aussen.
6. IV. Projektion auch nach oben.
8. IV. Handbewegungen vor dem Auge. Projektion richtig.
13. IV. Finger werden vor dem Auge gezählt.
15. IV. Fingerzählen in 1m.
9. Richard G. (334). J.-Nr. 10509. 36 Jahre. Arbeiter. 1. VIII. 08.
Befund: Bds. Stauungspapille, in Atrophie übergehend.
Diagnose: Tumor cerebri.
Anamnese und allgemeiner Untersuchungsbefund: Keine Zeichen für Lues.
Serumreaktion: L. positiv (+).
Therapie: Jodkalium.
Visus: 1. VIIL !|. 10. VIIL u, 24. VII ĉi
10. Wilhelm L. (311). J.-Nr. 8685. 54 Jahre. Arbeiter. 1. VII. O8.
Befund: L. Exophthalmus. Vortreibung des Bulbus, hauptsächlich nach
aussen. Chemosis der Übergangsfalte. Beginnende Stauungspapille.
Diagnose: Tumor der Orbita.
Anamnese: Lues negiert.
Allgemeinuntersuchung: Abgesehen von einigen vergrösserten Drüsen
keine Zeichen, die für Lues sprechen.
15. VII. Serumreaktion: L. positiv (++).
Therapie: Jodkalium.
Verlauf: Langsamer Rückgang des Exophtlialmus und der chemotischen
Bindehautschwellung.
10. VIII. Probeexeision: Mikroskopischer Befund: Gumma der Orbita.
Aus dem vorhergehenden, aber vor allem auch aus den statistischen
Zusammenstellungen, die ich weiter oben gegeben habe, ist es er-
sichtlich, dass ein gewisser Parallelismus besteht zwischen Antikörper-
gehalt des Serums und den vorhandenen Symptomen. Fehlen syphi-
litische Symptome, bei vorausgegangener luetischer Infektion und
sonstigen, nicht syphilitischen Veränderungen der Augen, so ist auch
häufiger der serologische Befund negativ als in solchen Fällen mit
ausgesprochen syphilitischen Erscheinungen. Dieser statistisch zu er-
hebende Befund trifft nun aber in praxi manchmal nicht zu, und vor
allem lässt sich aus dem Grad der Reaktion, bezüglich der Schwere
des Leidens, kein bindender Schluss ziehen. Es kommt bei dem
Ausfall der Reaktion sehr wesentlich auf den Verlauf des Krankheits-
prozesses an, und zweifellos hängt das Auftreten der Antikörper auch
30 A. Leber
mit dem Auftreten neuer Symptome, mit den Rezidiven zusammen.
Bekanntlich sind diese nach vorausgegangener syphilitischer Infektion
niemals ganz ausgeschlossen. Da nunim Zeitraum der Latenz die Pro-
zentzahl der positiven Reaktionen erheblich geringer ist, als in der
Periode der Symptome, so muss man schon durch diese Erfahrung
annehmen, dass zur Zeit eines Rezidivs, entweder vor oder nachher,
eine Vermehrung des Antikórpergehaltes im Serum vor sich geht.
Während ich über eine Antikörpervermehrung vor dem Auftreten
eines Rezidivs keine Erfahrungen besitze, verfüge ich über einen
Fall, bei dem ich im Verlauf der Erkrankung das Auftreten der
Reaktion beobachten konnte, und der seines praktischen Interesses
wegen hier skizziert sei. |
Frau Mathilde W. (86). 39 Jahre. Uhrmacherstrau. 11. XI. 07.
Diagnose: R. Neuritis n. optici.
Visus: R. Fingerzählen in 2m. L. 1. Jäger 1.
Anamnese: Ohne Besonderheiten, Augenerkrankung seit Anfang November.
Allgemeinuntersuchung: Keine luetischen Symptome.
14. XI. Serumreaktion: L. negativ.
22. XI. R. Amaurose.
28. NI. R. Ilandbewegungen vor dem Auge.
SA Ri ees lg
12. XI. R. S = Ue-A Neuritis nicht mehr deutlich.
30. XII. R. $ = 1. Ophthalmoskopisch: Normal.
3. VII. 08. Wieder in Behandlung.
Diagnose: R. Beginnende Atrophie des Sehnerven. Konzentrische
Einschränkung des Gesichtsfeldes mit zentralem absolutem Skotom. Pupillar-
reaktion bei Lichteintall erheblich herabgesetzt.
Visus = ln,
31. VII. R. Amaurose. Parese des N. oculomotorius und N. trochlearis.
5. VIII. R. Vollkommene Oculomotoriuslihmung.
17. VIII. Serumreaktion: L. positiv (++).
Therapie: Schmierkur.
1. IX. Wesentliche Besserung, geringe Bewegungen des Bulbus in
allen Richtungen, Oberlid wird etwas gehoben.
5. IX. Weitere Fortschritte: Handbewegungen vor dem Auge. —
Druckgefühl im Bulbus angeblich geringer.
Dieser Fall, der wohl als gummöse Neubildung am Canalis opti-
cus aufzufassen ist, zeigt wie im Verlauf einer spezifischen Erkran-
kung der Antikörperbefund ein wechselnder ist und namentlich im
Beginn eines syphilitischen Prozesses überhaupt fehlen kann. Er lehrt
also, dass unter Umständen, namentlich wenn die Untersuchung ım
Beginn einer Erkrankung oder eines Rezidivs vorgenommen wurde,
eine zweite Untersuchung erforderlich seim kann, falls die erste nega-
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 31
tiv ausfiel. Vor allem lehrt er aber auch, dass eine negative Reak-
tion nicht gegen Lues spricht und in differential-diagnostischer Be-
ziehung stets mit grosser Vorsicht zu verwerten ist. —
Da nun mit Zunahme der Symptome, mit dem Fortschreiten
lokaler oder allgemeiner Prozesse eine Vermehrung der Antikörper
einhergeht, so fragt es sich, wie gestalten sich die Verhältnisse im
andern Sinn. Werden die Antikörper durch therapeutische Mass-
nahmen beeinflusst? Durch die spezifische Therapie bringen wir die
Symptome zum Verschwinden, vermutlich durch eine Schädigung des
syphilitischen Virus. Da mit diesem die Antikörper in ursächlichem
Zusammenhang stehen und die Symptome eine Funktion des Virus
darstellen, so ist eine therapeutische Beeinflussung a priori zu er-
warten. Bewiesen wird sie auch durch die beiden folgenden Fille,
die vor und nach der Behandlung serologisch untersucht wurden.
Felix G. (156). 29 Jahre. Grosskaufmann.
19. II. 08. Accommodationslähmung.
Anamnese: 1901 spezifische Infektion, Exanthem und syphilitische Ver-
änderungen des Rachens.
In den ersten 3 Jahren sehr energische antiluetische Behandlung (Hy
und J£). Seit 1904 keine syphilitischen Erscheinungen mehr.
Augenerkrankung besteht seit 1 II. O8.
Serumreaktion: L. positiv (+++ +).
Therapie: Schmierkur.
27. IV. 07. Accommodation normal.
Serumreaktion: L. negativ.
Frau Hanna M. 42 Jahre. Witwe.
26. IV. 07. Diagnose: L. Gumma des Sehnerven.
Visus: Finger in 1 m.
Serumreaktion: L. positiv.
Anamnese und Allgemeinbefund: Keine Zeichen für Lues.
Therapie: Z/9C7,-Injektionen.
24. 1. 08. Visus !|,.
Serumreaktion: L. negativ.
Während der Fall (S6) gezeigt hat, dass aus einer negativen
Reaktion kein Schluss auf eingetretene Heilung gezogen werden darf.
so geht aus diesen beiden letzten Füllen hervor, dass ein gewisser
Parallelismus zwischen beiden Vorgängen besteht. Deutlicher aber
als aus diesen kasuistischen Belegen geht der Einfluss der Behand-
lung auf den Ausfall der Reaktion, aus der Gegenüberstellung be-
handelter und nicht behandelter Syphilitiker hervor. (Der statistische
Fehler, der durch etwaige negative Reaktion von Syphilitikern, die
als solche nicht erkannt wurden, bedingt sein kann. trifft sowohl die
32 A. Leber
Behandelten wie die Unbehandelten, und ist um so belangloser, als
er wahrscheinlich die Zahl der negativ reagierenden behandelten
Syphilitiker um einiges herabsetzt.)
In meiner Zusammenstellung aller sicher syphilitischen Augen-
kranken gaben in der Frühzeit die unbehaudelten und ungenügend
behandelten (d. h. lokal behandelt oder eine Schmierkur) in 1009?/,
der Fälle eine positive Reaktion, während bei den Behandelten der
Prozentsatz sich nur auf 75°/, belief.
In der Spätperiode war der Unterschied noch sinnenfälliger. Bei
den Unbehandelten 93°, positiv, bei den ungenügend Behandelten
92,89], positiv und bei den sachgemäss behandelten 61,9?/, positiv.
Einfluss der antiluetischen Behandlung auf den Anti-
körpergehalt des Serums:
Lues II. Unbehandelt 100%, positiv.
Ungenügend behandelt 100°, ii
Behandelt TOS ^o
Lues III. Unbehandelt 90395 a
Ungenügend behandelt 02S 3
Behandelt 61,99, ,,
Wenn auch diese Zahlen, weil sie sich auf das geringe Material
von 101 Fällen beziehen, nur einen begrenzten Wert haben, so geben
sie doch eine Bestätigung dessen, was die kritische Betrachtung der
einzelnen Fälle zeigt. Nicht nur nehmen die Antikörper im Lauf
der Behandlung ab, sondern auch im weiteren Verlauf der Erkran-
kung, wenn diese von selbst in Heilung bzw. in das Latenzstadium
übergeht. Während die stark behandelten Luetiker mit Symptomen
vielfach einen geringeren Antikörpergehalt aufweisen, als die unbehan-
delten Fälle, die klinisch ein ganz analoges Bild zeigen, so tritt
das noch deutlicher hervor bei den Patienten, die sich in der Latenz
befinden und bei denen nur noch etwa 50°, eine Reaktion geben.
So lange positiver Antikörperbefund erhoben wird, darf aber der
Prozess, die luetische Infektion nicht als ausgeheilt gelten. Sind
gleichzeitig Symptome vorhanden, deren syplilitiscehe Natur móglich ist,
so wird man sie auf die Lues beziehen und eine entsprechende
Therapie einleiten. Eine negative Reaktion wird man aber stets, be-
sonders wenn vordem versucht worden ist, ex juvantibus die Diagnose
zu stellen, nur mit grösster Vorsicht verwerten.
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 33
IV. Spezieller Teil.
Nosologische Erfahrungen auf Grund serodiagnostischer
Untersuchungen.
Die serologische Untersuchung einer Reihe von 350 Augen-
kranken, deren objektiver Untersuchungsbefund eine eindeutige Beur-
teilung nicht zuliess, hat zu klinisch wicbtigen Ergebnissen geführt,
die im folgenden Abschnitt Berücksichtigung finden. Eine notwendige
Ergänzung erfährt dies klinische Material durch diejenigen Fälle, bei
denen der Befund eindeutig war und durch das Ergebnis der Diagno-
stik bestätigt wurde. Eine weitere ebenso wichtige Ergänzung liefern
diejenigen Fälle, bei denen erfahrungsgemäss eine syphilitische Infek-
tion für die Ätiologie nicht in Betracht kommt (Tuberkulose, Arterio-
sklerose, Nephritis usw.) Als letzte Gruppe kommen schliesslich
diejenigen Erkrankungen hinzu, bei denen auf Grund bestimmter
klinischer Erfahrungen Syphilis oder Tuberkulose als Ursache an-
genommen werden, eine Annahme, für deren Beurteilung meine kli-
nischen Erfahrungen einigen Anhalt geben.
Bei dieser synoptischen Zusammenstellung wird mehrfach auf
den folgenden Teil, der über die Erfahrungen bei Tuberkulose handelt,
zu verweisen sein.
Einer besseren Übersicht wegen habe ich eine Einteilung nach
den verschiedenen Abschnitten des Auges vorgenommen.
Auch hierbei führe ich einige statistische Zahlen an. Obwohl
sich diese nur auf ein kleines Material beziehen, geben sie doch
einigen Anhalt zur Beurteilung der Syphilis als Ursache bestimmter
Krankheitsbilder. Da ich dabei nicht nur die symptomatischen, son-
dern auch die anamnestischen und therapeutischen Beziehungen ein-
gehend berücksichtigte, glaube ich den Fehler einer statistischen Über-
schätzung vermieden zu haben. Zweifellos sind unter den negativen
Fällen, mit negativer Anamnese, noch eine Reihe von Syphilitikern,
bei denen die Reaktion aus einer der bereits erwähnten Ursachen
negativ war, und die deshalb den Prozentsatz der Syphilitiker in
meinen Angaben niedriger erscheinen lassen, als er tatsächlich ist.
1. Erkrankungen der Lider, der Bindehaut und des
Tränensacks.
Entsprechend der ausserordentlichen Seltenheit der Primäraftekte
am Augenlid bzw. der Bindehaut, die von Münchheimer (60) mit
4,519], aller extragenitalen Primäraffekte angegeben wird, konnte ich
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIL. 1. 9
34 A. Leber
nur einen derartigen Fall untersuchen. Es ist das der bereits be-
schriebene Fall A. (328), bei dem sich die Initialsklerose am linken
Oberlid fand, ohne dass es möglich gewesen wäre, die Art der
Übertragung festzustellen. Die Sicherung der Diagnose war erst
durch die serodiagnostische Untersuchung möglich, da der objektive
Befund kein charakteristischer war. Die Ränder der Sklerose waren
nicht zerklüftet, die Infiltration mässig, nur der Grund zeigte speckige
Verfärbung, wie sie allerdings auch sonst bei schlecht granulierenden
Ulcera vorkommt. — Die sofort eingeleitete Therapie führte zu Hei-
lung, der bisher keine Sekundärerscheinungen gefolgt sind. — Im
ganzen war der Fall dem von Allen (61) beschriebenen ähnlich, auch
insofern, als wohl hier eine Verletzung als veranlassendes Moment
angenommen werden darf.
Gummöse Neubildungen der Lider konnte ich entsprechend ihrer
Seltenheit auch nur zweimal beobachten:
Fall 166. Paul St. 19 Jahre. Hausdiener.
Anamnese: Ohne Besonderheiten, angeblich seit 2 Jahren augenkrank
und früher mit Kauterisation behandelt.
Untersuchungsbefund: In der oberen Übergangsfalte, aussen, kirsch-
kerngrosse, mässig harte Neubildung, von zerklüfteter Oberfläche, gelb- bis
graurötlicher Färbung. — Präaurikulardrüse nicht vergrössert.
Diagnose: Lues, 'Tuberkulose, Trachom ?
Serumreaktion: L. positiv +++).
Therapie: Schmierkur.
Erfolg: Rückbildung.
Fall 349. Hermann G. 55 Jahre. Maurer.
Anamnese: 1879 Infektion, 1896 Spritzkur, anscheinend wegen gum-
möser Neubildung der Glutaei. Augenkrank seit 189V.
Serumreaktion: L. positiv (+).
Befund: Am Unterlid, etwas temporal von der Mitte, erbsengrosse Ver-
diekung des Unterhautbindegewebes, temporalwärts exulceriert.
Fall 202. Alma $8. 22 Jahre. Tischlersfrau.
Anamnese: Oline Besonderheiten. — Seit letztem Wochenbett Ausschlag
am Rumpf und Entzündung der Augen.
Untersuchungsbefund: Lidrandekzem. Tarsitissyphilitica? Lues II
wahrscheinlich.
Serumreaktion: L. positiv GE EL
Eine gummöse Neubildung der Tränensackwand wurde bei
Fall 72, Anna K., 28 Jahre, beobachtet, bei der die Diagnose zwischen
Lues und Tuberkulose schwankte, um so mehr als hier auch eine Zerstö-
rung des weichen Gaumens vorlag, für deren Deutung ätiologische Momente
fehlten.
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. — 35
Klinisches Interesse verdienen ferner zwei Fälle von Mikulicz-
scher Krankheit, die berücksichtigt wurden, weil es vordem A. Gut-
mann(62) gelungen ist, in einem Fall dieser Krankheit Lues nach-
zuweisen. In diesen beiden Fällen, von denen der erste bereits von
O. Napp(63) publiziert, der zweite auch von ihm untersucht wurde,
war Lues serologisch nicht nachzuweisen. Die mikroskopische Unter-
suchung excidierter Bindehautteile ergab in beiden Fällen Tuberkulose,
beim ersten Fall mit positivem Bacillenbefund.
2. Erkrankungen der Hornhaut.
Bei der Seltenheit gummöser Prozesse in der Hornhaut kommt
hier nur die Keratitis parenchymatosa in Betracht, deren verschie-
dene Formen bezüglich der Ätiologie Interesse verdienen.
Seitdem Hutchinson (65) auf das häufige gleichzeitige Vor-
kommen von Keratitis parenchymatosa mit der nach ihm benannten
Zahndeformität und der progressiv zunehmenden Schwerhörigkeit
hingewiesen hat, ist es zwar gelungen, in zahlreichen Fällen die
Ätiologie als syphilitisch zu erkennen. Bisher sind aber sämtliche
statistischen Angaben, die sich auf die Ursachen der Keratitis paren-
chymatosa beziehen, auf verhältnismässig unsichere Anhaltspunkte
angewiesen gewesen. Dem entspricht es, dass die statistischen Daten
innerhalb weiter Grenzen schwanken und dass wir vor allem bisher
über die Häufigkeitsverhältnisse von Lues hereditaria und Lues acqui-
sita als Ursachen der Keratitis parenchymatosa noch nicht orientiert
sind. — So ist es verständlich, dass die Prozentzahlen, welche die
Häufigkeit der Lues hereditaria als ursächlichen Faktor bezeichnen,
sich zwischen Werten von 5 (Graefe) und 96,7 (Parinaud) bewegen.
Ähnlich verhält es sich mit der Lues acquisita, von der bekanntlich
früher angenommen wurde, dass sie für die Entstehung der paren-
chymatösen Hornhautentzündung überhaupt nicht in Betracht käme.
Während Alexander dafür einen Prozentsatz von 12,7 bestimmt
hat, hält Jakolewna sie nur in 3,1?|, der Fälle für die Ursache
der Keratitis parenchymatosa.
Von den 82 Fällen von Keratitis parenchymatosa, die ich sowohl
bezüglich einer syphilitischen wie einer tuberkulösen Atiologie unter-
sucht habe, waren 61 luetisch = 74,4°%. Unter diesen 61 Fällen
von Keratitis parenchymatosa syphilitischer Ursache waren 9 mit
acquirierter Lues (also 1-L%/, der syphilitischen Hornhautentzündungen).
Auf die Gesamtsumme berechnet, ergibt das also 11°, acqurıerte,
63,4%), hereditäre Lues als Ursache der Keratitis parenchymatosa.
E
36 A. Leber
(Der Prozentsatz von 74,4 differiert einigermassen von dem früher
von mir bei einem Gesamtmaterial von 160 Fällen erhobenen, der
83,9 betrug und sich fast ausschliesslich auf ein grossstädtisches Ma-
terial bezog.)
Die Prozentzahl von 74,1?|, die aus bereits mehrfach erwähnten
Gründen etwas hinter der tatsächlichen Häufigkeit zurückbleibt, ent-
spricht in ihrer Zerlegung 11°, für die acquirierte, 63,4°|, für die
hereditäre Lues, einigermassen den früheren Mitteilungen. So geben
Saemisch (66) in 62°), v. Michel (67) in 55°, Ancke(68) in 61,0,
Hirschberg (69) in 61,0°%,, Leplat(70) in 64,2°),, Nettleship in
680%), Pfister (71) in 64,6%, Lues hereditaria als Ursache der Kera-
titis parenchymatosa an.
Bezüglich der Lues acquisita nähert sich mein statistisches Ergebnis
von 11°), demjenigen, das Alexander (72) angibt, nämlich 12,7°),.
Sehr bemerkenswert ist der Befund, den ich bei diesen Unter-
suchungen bezüglich weiterer Komplikationen seitens der Augen er-
heben konnte. — Von den neun Fällen acquirierter Lues zeigten ledig-
lich drei eine einfache Entzündung der Hornhaut, bei den sechs `
übrigen waren Sklera oder Iris, oder auch beide an der Erkrankung
mitbeteiligt. Bezüglich ihrer Komplikationen, die bei der Keratitis
parenchymatosa e Lues hereditaria seltener zu sein scheinen, unter-
schieden sich diese Fälle meines Materials recht wesentlich von den
vorhergehenden.
Unter den 52 Fällen von Keratitis parenchymatosa bei Lues
hereditaria waren nur sechs von weiteren Komplikationen seitens des
Auges befallen (zwei Iritis, zwei Skleritis, zwei Chorio-Retinitis). Dieser
Unterschied erklärt sich dadurch, dass ein Teil der Fälle nach völliger
Aufhellung der Hornhaut nicht mehr untersucht werden konnte!)
Da bezüglich der Wertigkeit und Häufigkeit sonstiger Zeichen
hereditärer Syphilis die Akten nicht abgeschlossen sind, habe ich
in meinen Untersuchungen auch deren Vorkommen berücksichtigt.
Wir wissen, dass von der Hutchinsonschen Trias ein einzelnes
Symptom nicht verwertbar ist, da sowohl die Zahndeformität als
auch die Schwerhörigkeit ohne luetische Ursache vorkommen. Erst
die Summierung mehrerer Symptome, wozu auch die strahligen Narben
am Mund, die Knochen- und Gelenkaftektionen [v. Michel(3), v. Hippel]
zu zühlen sind, vermag unsere diagnostischen Vermutungen zu sichern.
!) Siehe auch. F. Silbersiepe, Beitrag zum Studium der Keratitis paren-
chymatosa auf luetischer Basis unter Zuhilfenahme der Wassermannschen
Reaktion, Inaug.-Diss. Berlin 1408.
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 37
Unter den 52 Fällen von Keratitis parenchymatosa (Lues heredi-
taria) boten 22 keine andern, für Lues verwertbaren Symptome.
19 hatten nur Hutchinsonsche Zahndeformität.
3 Hutchinsonsche Zahndeformität, kombiniert mit Ostitis luetica
(Nr. 88), mit strahligen Narben am Mund (Nr. 268), mit Gonitis
(Nr. 183).
8 hatten ostitische, periostitische und arthritische Veránderungen,
für deren Erklárungen nur die Syphilis in Frage kam.
Von den Fällen, bei denen serologisch Lues nicht nachgewiesen
werden konnte, handelte es sich zweimal um gleichzeitige Skrofu-
lose, sechsmal um sichere Tuberkulose (vgl. Teil II, Tuberkulose) und
zweimal um begründeten Verdacht auf Tuberkulose. In 11 Fällen
war nach keiner Richtung ein Anhalt bezüglich der Ätiologie zu
gewinnen.
3. Erkrankungen der Sklera.
Unter elf Fällen von Skleritis bzw. Episkleritis konnte ich drei-
mal eine luetische Ursache feststellen, in zwei von diesen Fällen wies
die Anamnese eine Infektion nach. — Nicht inbegriffen sind dabei
die Fälle, bei denen nach vorausgegangener Keratitis eine Skleritis
hinzugetreten war. Nach den Angaben aller früheren kasuistischen
und statistischen Mitteilungen ist die Skleritis selten auf eine syphi-
litische Ursache zurückzuführen, und vor allem, wie Peppmüller (64)
angibt, in den Frühstadien der Lues besonders selten. Dem ent-
spricht auch, dass die übrigen acht Fälle keine Lues-Reaktion gaben.
Während bei drei unter ihnen die Ätiologie ungeklärt blieb, stellte
bei einem die Allgemeinuntersuchung einen Verdacht auf Tuberkulose
fest. Die vier übrigen erwiesen sich als sichere Tuberkulosen durch
serodiagnostische Untersuchungen, über die der daraufbezügliche Ab-
schnitt im zweiten Teil berichtet.
Von den syphilitischen Skleritiden gehörten zwei dem Spät-
stadium, eine dem Frühstadium der Lues an.
4. Krankheiten der Iris und des Ciliarkórpers.
Bei der übersichtlichen Zusammenstellung der Erkrankungen
der Iris war es mehrfach besonders schwierig, falls Lues vorlag,
deren Stadium zu bestimmen. Immerhin gelang es in den meisten
Fällen unter Berücksichtigung besonderer Symptome, der Zahl der
Rezidive und sonstiger Angaben der Patienten, die auf die voraus-
gegangene Infektion zu beziehen waren.
38 A. Leber
Was die Zahl der syphilitischen Iritiden im Vergleich zu andern
syphilitischen Erkrankungen anlangt, die von Schubert (73) mit
52,4°),, von Bäuerlein(74) mit 40%, angegeben wird, so erlaubt
mein Material in dieser Beziehung keinen massgebenden Schluss.
Es scheint mir aber, dass die Keratitis parenchymatosa der Iritis
nicht viel nachsteht. |
Unter den 96 Fällen von Iritis, die ich serologisch untersucht
habe, waren 29 — 30,2°;, syphilitischen Ursprungs, davon waren:
3 Lues hereditaria — — 3,0"j,,
19 Lues II == 7009
7 Lues III E o
Die drei Fülle von Lues hereditaria zeigten Mitbeteiligung des
Ciliarkórpers. — Bei den Iritiden des Frühstadiums fanden sich zwei-
mal Papeln auf der Regenbogenhaut, einmal eine ausgedehnte Er-
krankung der ganzen Uvea. — Die Fälle des Spätstadiums verliefen
ohne besondere Komplikationen.
Was die Natur der Erkrankungen anlangt, so handelte es sich
zumeist um akute Entzündung der Iris, häufig auch um Rezidive,
deren Vorläufer manchmal zeitlich weit zurücklagen.
Die Häufigkeit der Lues, als Ursache der primären Iritis, wird
von den verschiedenen Beobachtern mit sehr weit voneinander ab-
weichenden Zahlen angegeben.
Während Mooren (75) 8,1?j, Schaefer (76) 7—8°,,, Haas
(77) 109, und v. Michel(7S) sogar nur 5,9", dafür angeben,
so liegen andere Mitteilungen vor, in denen der Prozentsatz weit
höher gefunden wurde. So von Coccius(79) mit 46,6, von Schu-
bert{S0) mit 23.0%, von Albrand(S1) mit 23,7% von Seggel (82)
sogar mit 85%. — Eine Erklärung für diese ausserordentlich ver-
schiedenen Angaben hat v. Michel bereits gegeben, indem er auf
die wechselnde Häufigkeit der Tuberkulose hinwies, die neben der
Lues als Hauptursache der Iritis in Betracht kommt.
Die von mir bei meinem Material mit 30,2°, erhobene Prozent-
zahl entspricht vielleicht mehr städtischen Verhältnissen und steht
im Einklang mit der Ansicht von. Wilbrand und Staelin (83), so-
wie derjenigen von Peppmüller(64), die ein gutes Drittel bis die
Hältte aller Iritiden auf Syphilis zurückführen.
Die nicht-luetischen Iritiden, bei deren ätiologischer Beurteilung
serodiagnostische Massnahmen (vgl. Teil IT) wertvollen Aufschluss
gaben, waren zu 229%, tuberkulöser Natur. Unter den übrigen fanden
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 39
sich vorwiegend solche, deren Erkrankung auf Arteriosklerose und
Nephritis zurückzuführen war. Nächstdem folgten Gonorrhöe und
dreimal Infektionskrankheiten (Masern, Scharlach, Diphtherie), in
deren Verlauf die Entzündung aufgetreten war. — Naturgemäss blieb
auch hier eine grössere Reihe übrig, in der die serologische Unter-
suchung nach keiner Richtung einen Aufschluss zu geben vermochte,
und bei deren Fällen auch der weitere Verlauf keine Erklärung für
die Ätiologie brachte. Als klinisch bemerkenswerter Fall sei nur
zum Schluss noch der Patient Nr. 315 erwähnt.
Neben Hornhautinfiltration und cyklitischen Reizerscheinungen fand sich in
der Iris eine Granulationsgeschwulst, die ihrem Aussehen nach sowohl luetischer,
als auch tuberkulöser Natur sein konnte. Die Anamnese gab keinen Auf-
schluss und Lues wurde streng negiert. Auch die Allgemeinuntersuchung
konnte keinen Anhalt zur ätiologischen Beurteilung beibringen. Eine mit
meinem fettfreien Tuberkulin vorgenommene Cutanimpfung verlief negativ,
dagegen war die Serumreaktion für Lues positiv, das einzige Zeichen der
vorausgegangenen spezifischen Infektion.
5. Krankheiten der Chorioidea.
Unter den Erkrankungen der Chorioidea, die nächst Iris und
Hornhaut wohl der häufigste von Lues befallene Abschnitt des Auges
ist, steht im Vordergrund des praktischen Interesses die von Förster
beschriebene Chorioiditis syphilitica, deren Symptome (Glaskörper-
trübung, Hemeralopie, Herabsetzung der Sehschärfe, zonuläre Defekte
im Gesichtsfeld, Photopsien) und deren häufiger Zusammenhang mit
Iritis und andern spätsekundären Symptomen der Lues, mit der
Verlaufsweise einer syphilitischen Allgemeinerkrankung harmoniert.
Da nach der Ansicht von Förster (84) die Retina stets und
schon im Anfang in ausgedehnte Mitleidenschaft gezogen wird, habe
ich hierher auch diejenigen Affektionen gerechnet, bei denen das der
Fall war und die füglich mit dem Namen Chorioretinitis bezeichnet
werden. Im übrigen handelt es sich im wesentlichen um chorioideale
Erkrankungen, bei denen der Sitz der pathologischen Veründerungen
die Chorioidea war, ohne dass an Netzhaut und Sehnerv besondere
Befunde hátten erhoben werden kónnen.
Bezüglich der Häufigkeit einer luetischen Ätiologie hei chorioi-
ditischen Erkrankungen lassen sich natürlich keine bestimmten An-
gaben machen. Es ist ja wichtiger für bestimmte Formen derselben
— ich habe dabei besonders die Chorioiditis disseminata im Sinn —
einen ätiologischen Anhalt zu gewinnen.
Unter den 46 Fällen von Erkrankungen der Chorioidea, die ich
A0 A. Leber
serologisch untersucht habe, konnte 13mal Lues, unter Ausschluss
anderer infektiöser Ursachen, festgestellt werden. Bei den sechs
weiteren Fällen war die Serum-Reaktion negativ, aber gewisse Eigen-
heiten des okularen wie des allgemeinen Körperbefundes oder be-
sondere anamnestische Angaben liessen trotzdem eine syphilitische
Infektion vermuten, um so mehr, als bei diesen Patienten meist vor-
dem bereits eine antisyphilitische Kur stattgefunden hatte. Rechnet
man diese syphilisverdächtigen hinzu, so bekommt man für die Chorioiditis
in 41,39j, eine syphilitische Ursache zu verzeichnen, im andern Fall
nur 28,29]. — Dabei handelt es sich aber um alle zur Beobachtung
gelangten Erkrankungen der Chorioidea nicht nur um die von Fórster
beschriebene, die man als spezifisch-luetisch betrachten muss. Für
diese würde sich ein weit hóherer Prozentsatz ergeben, da derartige
Fülle unter den serologisch negativen meines Materials nur ganz
vereinzelt vorkommen.
Berücksichtigt sind aber unter den Syphilitischen auch die Kon-
genital-luetischen. Dass ich deren nur eine geringere Zahl beobachten
konnte, was einen Gegensatz zu den Mitteilungen von E. v. Hippel
bedeuten würde, der sie fast stets bei Keratitis parenchymatosa ge-
funden hat, liegt daran, dass ein Teil dieser hereditär - luetischen
Fälle nach vollständiger Aufhellung der Hornhaut noch nicht wieder
untersucht werden konnte.
Bezüglich der Zeit des Auftretens, für die von Schmidt-Rimpler
(85), Knies (S6) und Haas (77) das Spätstadium angegeben wird,
zeigen meine Fülle ein Verhalten, das mehr den Angaben von Badal
(87) entspricht, insofern, als sich doch auch verschiedene Patienten
darunter befanden, die dem ersten Teil des Frühstadiums angehörten.
Dass die syphilitische Chorioiditis meist erst an der Grenze von Früh-
und Spätstadium zur Beobachtung und statistischen Verzeichnung
gelangt, mag daran liegen, dass erst die bleibenden Störungen, die
Komplikationen bzw. Rezidive von seiten der Iris die Patienten zum
Arzt führen. ‚Je länger das syphilitische Virus sich wirksam erhält,
um so schwerwiegender sind auch seine Äusserungen für die Sinnes-
funktionen des Auges.
Ob je nach dem Stadium, in dem die Erkrankung der Ader-
haut auftritt, bestimmte Bilder häufiger sind, als andere, ist eine
bisher unentschiedene Frase, bezüglich deren Lösung Badal angibt,
dass die Chorioiditis exsudativa mehr im Frühstadium, die Chorioi-
ditis disseminata häufiger im Spätstadium auftritt. Ich kann in
Übereinstimmung mit dieser Angabe bemerken, dass die zwei Fälle
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 4]
von Chorioiditis exsudativa luetica, die ich beobachten konnte, zweifel-
los dem Frühstadium angehörten, und zwar dessen erster Hälfte.
Von den vier Patienten, die an Chorioiditis disseminata litten, be-
fanden sich drei sicher im Spätstadium, während das gleiche beim
vierten mit grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen war.
Die luetische Ursache dieser Fälle sei hier besonders betont,
um so mehr, als zwei weitere Fälle diese Erkrankungsform bei Lues
hereditaria zeigten. Einmal spricht das dafür, dass die Chorioiditis
disseminata doch häufiger syphilitischer Natur ist, als man nach den
Angaben Fórsters(88) allgemein geneigt ist anzunehmen; ein ander-
mal aber spricht das auch dafür, dass in gewissen Füllen dem atro-
phischen Prozess ein exsudativer vorausgeht, der einem früheren
Stadium zugehört und deshalb in diesem häufiger beobachtet wird,
als der zweite. |
Unter den nicht syphilitischen Chorioidealerkrankungen, die ich
serologisch untersucht habe, fanden sich 12mal Tuberkulose, 3mal
Verdacht auf Tuberkulose und bei den 12 übrigen war eine Ätiologie
mit Sicherheit nicht festzustellen. Mehrfach wies die Anamnese ge-
rade in dieser letzten Gruppe eine antisyphilitische Kur nacli, über
deren Berechtigung sich aber nichts näheres eruieren liess. Erst
wenn serodiagnostische Massnahmen die Indikation zur Therapie ab-
geben, wird diese Gruppe der Statistik sich vermindern und unsere Einsicht
in die ätiologischen Verhältnisse eine wertvolle Bereicherung erfahren.
6. Krankheiten der Netzhaut und des Sehnerven.
Zur Beurteilung der syphilitischen Erkrankungen der Netzhaut
und des Sehnerven, von denen die letzteren wohl noch mehr Schwierig-
keiten bereiten als die ersteren, bietet der serologische Lues-Nachweis
ein wertvolles Hilfsmittel. Wenn auch vielfach Gefüssveründerungen,
auf deren ausserordentliche Bedeutung als diagnostisches Moment
v. Michel(89) zuerst hingewiesen hat, einen Anhalt gewühren, so
ist doch gerade für diese Affektionen jede Vermehrung unserer dia-
gnostischen Hilfsmittel von Bedeutung, und das ist um so mehr der
Fall, als hierbei auch eine Differenzierung gegenüber Tuberkulose
nicht selten in Betracht kommt.
Eine isolierte Erkrankung der Netzhaut konnte ich nur einmal
im Frühstadium der Lues beobachten. Ein weiterer Fall, der dem
von Th. Leber(90) als atypische Retinitis pigmentosa beschriebenen
sehr ühnlich war, liess eine Entscheidung bezüglich der Art der In-
fektion, ob hereditir oder acquiriert, nicht zu.
42 A. Leber
Neuroretinitis syphilitischen Ursprungs konnte ich in einem Fall
feststellen, der gleich nach der Infektion und in zwei aufeinander
folgenden Jahren antiluetisch behandelt worden war, und der sich
zur Zeit der Augenerkrankung an der Grenze von Früh- und Spät-
stadium befand.
Primäre Neuritis des Optikus konnte ich zweimal auf Lues zu-
rückführen, einmal davon, sicherlich im Spätstadium der Infektion.
Auf mehrere Fälle von Neuritis und Neuroretinitis, in denen
Tuberkulose als Ursache festgestellt wurde, komme ich im Abschnitt
über Tuberkulose noch zurück.
7. Krankheiten des Auges aus zentraler Ursache (Lues cerebri
und Systemerkrankungen des Zentralnervensystems).
Nicht nur wegen der Analogie im zeitlichen Auftreten, sondern
auch wegen der häufig sehr ählichen Symptome, die eine anatomische
Diagnose sehr erschweren, habe ich sämtliche Erkrankungen zentraler
Ursache zusammengestellt. — Da es sich bei diesen Untersuchungen
in erster Linie um ursächliche Diagnosen, um die Frage, ob Lues
oder nicht, handelt, hat die Entscheidung, ob Lues cerebri oder
metasyphilitische Systemerkrankung, eine mehr untergeordnete Be-
deutung.
Gerade bei der Tabes und der progressiven Paralyse, deren
Beginn und erste Anzeichen häufig von augenärztlicher Seite zuerst
festgestellt werden, ist die Erkennung der Lues ebenso wertvoll, wie
sie praktisch schwierig ist. Die neuesten Untersuchungen, bei denen
Blutserum und Lumbalflüssigkeit in vergleichenden Versuchen er-
forscht wurden, haben die bereits früher von Erb (91) vertretene
Ansicht bestätigt, dass dabei vorwiegend, wenn nicht ausschliesslich
die Lues als ätiologisches Moment in Betracht kommt. Der prak-
tische Lues-Nachweis war vordem gerade deshalb schwierig, weil in
diesen Fällen die Infektion fast ausnahmslos lange Zeit zurück-
liegt und weil die metasyphilitischen Erkrankungen bei Individuen
auftreten, unter denen sich zahlreiche finden, deren Allgemeinsym-
ptome offenbar sehr geringfügig gewesen sind. Im seltenen Fällen
mögen sie sogar ganz gefehlt haben, so dass für diese die Bezeich-
nung einer kryptogenetischen Infektion wohl gerechtfertigt ist. Fast
stets fand ich bei den metasyphilitischen und sehr häufig bei den
luetischen Erkrankungen des Zentralnervensystems einen sehr reich-
lichen Antikörpergehalt im Blutserum, ein Befund, der das Auftreten
der krankhaften Veränderungen lange Zeit nach der Infektion ver-
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 43
stándlich macht. Dieser Befund stützt aber auch die von Strümpell,
Móbius und Gowers vertretene Ansicht, dass Tabes und progressive
Paralyse als degenerative Krankheitsprozesse aufzufassen und für
die Toxine des Luesvirus verantwortlich zu machen sind.
Bei sämtlichen Augenkranken, die aus zentraler Ursache (ab-
gesehen von traumatischen Läsionen) okulare Störungen darboten,
konnte ich unter 44 Fällen 34mal —= 72,7°|, Lues nachweisen.
Lues cerebri. — Von den Augenveründetungen zentraler Ur-
sache, bei denen, so weit dies überhaupt möglich ist, Tabes und
Paralyse auszuschliessen waren, fanden 72°% eine Erklärung durch
Lues, 12°% durch die Anamnese, 60°, durch den serologischen
Nachweis.
Dabei erfolgte dieser Nachweis 3—30 Jahre nach überstandener
Infektion.
In Übereinstimmung mit den Angaben von Uhthoff (92) waren
. darunter am häufigsten die Lähmungen des N. oculomotorius 15, dann
folgten die des N. abducens 5 und schliesslich diejenigen des N. tro-
chlearis 2.
Ferner gelang der Antikörpernachweis in je einem Fall von
Stauungspapille (Infektion vor 30 Jahren), einem Fall von hereditärer
Atrophie (Lues von seiten der Eltern negiert) und einem Fall von
luetischer Spinalerkrankung mit gleichzeitigem Nystagmus.
Metasyphilitische Erkrankungen mit okularen Symptomen,
deren fast ausschliesslichen Zusammenhang mit Syphilis Terrien (93)
neuerdings wiederholt hat, ergaben mit 16 unter 19 einen Prozent-
satz von 84,2?/, positiven Lues-Reaktionen. Berücksichtigt man hier-
bei, dass eine ganze Reihe dieser Fülle doch vorbehandelt waren,
dass ferner die Reaktion auch bei sicher Syphilitischen nicht immer
positiv ausfällt, so wird der Wahrscheinlichkeitsschluss, dass es sich
bei diesen Krankheiten stets um Lues handelt, nicht unbegründet
erscheinen.
Was die negativen Reaktionen anlangt, so lassen sich diese in
besonders schwierigen Fällen durch eine Untersuchung der Lumbal-
flüssigkeit auf Antikörper, oder wie Fleischer (94) vorgeschlagen
hat, durch cytologische Untersuchungen ergänzen. Mir selbst (95)
scheint es nicht unwahrscheinlich, dass wir durch letztere einen Lues-
Nachweis führen können, wo die Komplement-Bindung versagt.
Im ganzen konnte ich unter den aus zentraler Ursache ver-
änderten Augen auch den Unterschied konstatieren, auf den Bern-
heimer(96) hinweist, nämlich dass bei Lues mehr die äusseren, bei
44 A. Leber
Systemerkrankungen mehr die inneren Augenmuskeln beteiligt sind.
— Von 12 Kranken, die aber lediglich eine Pupillendifferenz oder
eine mit Anisokorie verbundene reflektorische Pupillenstarre zeigten,
gaben 9 eine positive Lues-Reaktion, und zwar 10—31 Jahre nach
überstandener Infektion.
8. Krankheiten der Orbita.
Während ich über Erfahrungen bei syphilitischer Periostitis der
Orbitalwand nicht verfüge, gelang es mir zweimal, Neubildungen der
Orbita als syphilitisch zu erkennen.
Bei dem ersten Fall handelte es sich um ein 26jähriges Fräulein, dessen
Anamnese keinen Anhalt für die Ätiologie ergab. Seit 2 Jahren, teilte sie
mit, sei ihr Tränensack entzündet, während seit 14 Tagen erst ein Hervor-
treten des Auges zu bemerken sei. — Nach dem serologischen Luesnach-
weis entzog sich die Patientin der Behandlung.
Der zweite Fall betraf einen 54jährigen Arbeiter mit linksseitigem
Exophthalmus, für dessen Ursache Patient keine bemerkenswerten Angaben
machen konnte. Der Untersuchungsbefund liess eine infiltrierende Neubildung
innerhalb der Orbita vermuten. Nachdem die Serumreaktion syphilitische
Antikörper nachgewiesen hatte, wurde eine spezifische Therapie eingeleitet.
Da der Heilungsverlauf, die Rückbildung, eine auffallend langsame war,
wurde eine Probeexeision auf der nasalen Seite der Orbita vorgenommen.
Die mikroskopische Untersuchung des exeidierten Gewebsstückes zeigte aber,
dass es sich tatsächlich um eine gummöse Neubildung handelte.
V, Zusammenfassung der für praktische Beurteilung syphilitischer
Augenkrankheiten wichtigen Gesichtspunkte.
1. Der serologische Lues-Nachweis durch Komplementbindung
ist in der von Wassermann, Neisser und Bruck angegebenen
Form eine klinisch-spezitische Reaktion. Sie ist für die Beurteilung
infektiöser Augenerkrankungen von massgebender Bedeutung. Ihr
positiver Ausfall ist ein absoluter Beweis für eine manifeste oder
latente Syphilis-Infektion des Organismus.
2. Die durch Komplementbindung nachweisbaren syphilitischen
Reaktionsprodukte finden sich bei syphilitischen Augenkranken in
einem ausserordentlich hohen Prozentsatz, selbst wenn die Infektion
viele Jahre zurückliegt.
3. Bei hereditär-luetischen Augenerkrankungen gelingt der sero-
logische Lues-Nachweis in einem ähnlich hohen Prozentsatz wie bei
acquirierter Syphilis. Die Reaktion ist deshalb geeignet, in der ur-
sächlichen Erklärung bestimmter Krankheitsbilder eine Entscheidung
zu ermöglichen.
Serodiaynostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 45
4. Nur die positive Reaktion hat vollgültige Beweiskraft. Sie
beweist aber nur den Fortbestand des syphilitischen Prozesses; einen
Anhalt für dessen Lokalisation gibt sie nicht.
5. Durch die Natur der syphilitischen Antikörper ist die Mög-
lichkeit gegeben, dass gleichzeitig mit deren Vorkommen im Blut
eine nicht syphilitische Erkrankung des Auges vorliegt. — Eine ein-
gehende klinische Beurteilung eines jeden Falles muss deshalb der
serologischen Untersuchung vorausgehen und sie ergänzen. Eine
wichtige Unterstützung beider Massnahmen liefern die im Teil II
zum Tuberkulosenachweis beschriebenen Methoden.
6. Das Fehlen syphilitischer Reaktionsprodukte ist kein zuverlässiger
Beweis gegen das Bestehen einer syphilitischen Infektion. Immerhin
ist eine negative Reaktion differentialdiagnostisch mit Vorsicht zu ver-
werten, unter Berücksichtigung des folgenden:
Eine negative Reaktion kann entsprechen
a. der Inkubationszeit, bevor eine Allgemeininfektion ein-
gesetzt hat, — für syphilitische Augenerkrankungen ein seltenes Vor-
kommnis; |
b. einem Refraktärzustand des Organismus, der nicht in der Lage
ist, auf die Infektion mit den entsprechenden Antistoffen zu reagieren:
c. dem Stadium der Latenz, eventuell nach vorausgegangener,
antiluetischer Behandlung;
d. der Heilung, mit oder ohne Behandlung.
7. Zuverlässig ist das serodiagnostische Resultat bei luetischen
Erkrankungen nur unter Berücksichtigung sämtlicher Kautelen. Es
wird daher nur von geschulten, mit der Technik wohlvertrauten Ex-
perimentatoren zu erwarten sein, stets unter Berücksichtigung des
objektiven Untersuchungsbefundes.
8. Da unbehandelte Fälle syphilitischer Augenerkrankungen und
zumal solche, deren Infektion lange Zeit zurückliegt, besonders reich-
lichen Antikórpergehalt im Blutserum aufweisen, so ist deren Nach-
weis für die Beurteilung ätiologisch unklarer Fälle ein Hilfsmittel
von hoher Bedeutung.
Teil II.
Serodiagnostische Untersuchungen bei Tuberkulose des Auges.
I. Grundlagen und Bedeutung serodiagnostischer Untersuchungen
bei Tuberkulose der Augen.
Mehr als die syphilitischen sind bisher die tuberkulösen Augen-
erkrankungen einer ätiologischen Erkenntnis zugänglich gewesen, die
46 A. Leber
Möglichkeit dazu war von dem Augenblick an gegeben, da durch
die bahnbrechenden Untersuchungen R. Kochs Wesen und Lebens-
bedingungen des Tuberkelbacillus bekannt geworden waren. Durch
Impfübertragung tuberkulósen Materiales auf das empfàngliche Ka-
ninchenauge, durch den mikroskopischen und kulturellen Nachweis
und schliesslich durch die diagnostische Tuberkulininjektion stehen
uns Methoden zu Gebot, die in zahlreichen Fällen eine ätiologische
Aufklärung zu geben im stande sind. Immerhin und zumal da, wo
es sich um die häufig sehr schwer zu beurteilenden inneren Erkran-
kungen des Auges handelt, sind die beiden an erster Stelle erwähnten
Methoden in ihrer Anwendung ausgeschlossen. Was die dritte an-
langt, so wird auch sie nur mit grösster Vorsicht eine ausgedehntere
Anwendung finden können, da die durch eine positive Tuberkulin-
reaktion bedingten Herderscheinungen am Auge nicht selten zu
dauernden Exacerbationen des Leidens führen. Angesichts der be-
merkenswerten Heilerfolge, die durch eine sachgemässe Tuberkulin-
therapie der tuberkulösen Augenerkrankungen zu erzielen ist, ist es
doppelt wünschenswert, deren Ursache frühzeitig und zwar durch
Methoden zu erkennen, die für das Auge durchaus unschädlich sind
und wenn möglich auf dieses selbst ohne jede Einwirkung bleiben.
Da meine Untersuchungen sich im wesentlichen auf derartige
Massnahmen beziehen, und nur in vereinzelten Zweifelsfällen die
diagnostische Tuberkulininjektion zur Ergänzung benutzten, gehe
ich auf diese nicht ein und verweise in bezug deren auf die Arbeiten
von Schieck (97), Groenouw (98), A.v. Hippel(99),G. Weiss (100),
Kayser (101) und Stock (102). Wenn auch die überaus zuverlässige
diagnostische Tuberkulininjektion Herderscheinungen und gelegent-
lich tatsächliche Verschlimmerungen zur Folge hat, wie sie v. Michel,
Haab, Manz, Uhthoff, Hess und Stock beschrieben haben, so
werden wir ihrer in der Ophthalmologie doch niemals ganz entraten
können. Es scheint mir aber erforderlich, sie durch andere Me-
thoden zu ergänzen, die technisch einfacher und für das Auge harm-
loser sind und die aus bestimmten Gründen auch da noch eine tuber-
kulöse Infektion anzeigen, wo die diagnostische Tuberkulininjektion
negativ verläuft. Den Wert der im folgenden beschriebenen Methoden
hoffe ich dureh meine klinischen Untersuchungen erwiesen zu haben.
In dem Kapitel des ersten Teils, das von den experimentellen
Grundlagen einer ophthalmologischen Serotdiagnostik handelt, ist das
wesentliche bereits gesagt, das auch für den Nachweis der Tuber-
kulose gilt. Ich habe bereits früher (2-4) mitteilen können, dass in
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 47
ähnlicher Weise, wie bei andern Antigenen, auch unter dem Einfluss
des tuberkulösen im Auge eine lokale Antikörperbildung, eine Bildung
des sogenannten Antituberkulins erfolgt, die gelegentlich auf das Auge
beschränkt bleibt, gelegentlich aber auch zu einem Übertritt des be-
treffenden Antikörpers in den Kreislauf führt. Ein greifbarer Aus-
druck dieser Antikörperbildung, die durch Komplementbindung nach-
weisbar ist, sind dann gewisse Immunitätserscheinungen, auf die ich
neuerdings (10) hinweisen konnte. — Analog liegen zweifellos die
Verhältnisse bei den Immunitätsvorgängen, die sich im menschlichen
Auge nach einer endogenen tuberkulösen Infektion abspielen. Die
Natur des als Antituberkulin bezeichneten Antikörpers ist zwar noch
nicht seiner Bedeutung nach vollkommen geklärt. Als das Produkt
eines spezifischen, allergetischen Vorganges ist er. aufzufassen und
als solcher findet er sich auch gelegentlich im Humor aqueus des
tuberkulösen Menschenauges. In drei Fällen von tuberkulöser Kera-
titis parenchymatosa gelang es mir, im Kammerwasser einen Ambo-
ceptor mit spezifisch bindender Gruppe für Tuberkulin nachzuweisen.
Damit ist die Möglichkeit gegeben, ähnliche Stoffe auch im Kreis-
lauf zu finden und nachzuweisen. Bei allgemeinen tuberkulösen Er-
krankungen ist das früher bereits gelungen, und so liegen Beobach-
tungen von J. Citron (21), Lüdke (22,23) und mir (24,10) vor, aus
denen hervorgeht, dass gelegentlich der Organismus im stande ist,
auf eine tuberkulöse Infektion mit der Bildung von Antituberkulin
zu reagieren, genau so, wie es das fast regelmässig unter dem Ein-
fluss einer regelrechten Tuberkulinkur tut. Während derartige Anti-
tuberkulinbefunde im Blutserum von tuberkulösen Lungenkranken bis-
her nicht gerade häufig erhoben werden konnten, ist es mir bei meinen
Untersuchungen von tuberkulösen Augenkranken aufgefallen, dass sich
unter diesen eine verhältnismässig grosse Anzahl fand, deren Serum
mit Tuberkulin zusammengebracht eine spezifische Hemmung der
Hämolyse gab. Dieser Ausdruck für das Vorhandensein von Anti-
tuberkulin könnte im ersten Augenblick befremden. Eingehendere
Betrachtungen, die vorläufig nicht mehr als hypothetischen Wert
beanspruchen können, dürften die Tatsache erklären. Wright(103)
hat in seiner Opsoninlehre, der vielleicht in diagnostischer ebenso
hoher Wert zukommt wie in therapeutischer Hinsicht, gezeigt, dass
gerade die örtlichen, in ihrer Ausdehnung wohl begrenzten Erkran-
kungen tuberkulöser Natur einer spezifischen opsonischen Therapie
besonders zugänglich sind. Er findet bei diesen lokalen Tuberkulosen
andere Immunitätsverhältnisse, als bei der Lungentuberkulose Es
48 A. Leber
ist denkbar, dass die Lunge bei ihrem ausserordentlich regen Flüssig-
keitswechsel, bei dem fortgesetzten Gasaustausch, der in ihr statthat,
aber vor allem auch durch den mechanischen Einfluss ihrer rhyth-
misch schwankenden Volumsverhältnisse weniger geeignet ist, spezi-
fische Antikörper zu bilden, als ein Gewebsbezirk, der sich mehr in
biologischem Gleichgewicht und physikalischer Ruhelage befindet.
Die klinischen und pathologisch-anatomischen Merkmale, durch die
sich tuberkulöse Erkrankungen der Lunge von den schärfer um-
schriebenen anderer Organe und der Haut unterscheiden, sind oft
genug beschrieben worden, so dass ich mich auf sie als eine Er-
gänzung zu dem Gesagten beziehen kann. Das Auge und seine tuber-
kulösen Affektionen lassen sich ohne Zwang unter die lokalen Tuber-
kulosen eingliedern. In klinischer Hinsicht hat v. Michel (3, 89)
zuerst darauf hingewiesen und betont, dass die Augentuberkulose
oft der einzige Ausdruck einer stattgehabten Infektion ist. In in-
munisatorischer Hinsicht aber auch entsprechen sie den uns bekannten
Lokaltuberkulosen, die lange Zeit auf ihren Ausgangspunkt beschränkt
bleiben, und deren Hauptmerkmal der benigne Charakter und die
Tendenz zur Selbstheilung sind. Dass die Immunititsvorgünge, die
Reaktion des Organismus durch vermehrte Receptorenbildung dafür
massgebend sind, ist nach allen unsern bisherigen Erfahrungen, die
aus der Ehrlichschen Lehre gewonnen wurden, selbstverständlich.
Wahrscheinlich, wenn auch nicht erwiesen, ist dieser Unterschied
durch die biologischen Verhältnisse des Organismus und sein Ver-
mögen der Antikörperbildung zu erklären. Minder verständlich wäre
es, wenn Eigenschaften des infizierenden Virus diesen Unterschied
bedingten. Wie dem auch immer sei, der oft scharf umschriebene
Charakter tuberkulóser Prozesse am Auge, ihre Tendenz zu Rück-
bildung (Th. Leber(104)| und Heilung, auf die Stock(102) neuer-
dings in bemerkenswerter Weise hingewiesen hat, zeigen, dass hier
besondere Immunitätsverhältnisse vorliegen, die einmal im klinischen
Verlauf, ein andermal in der vermehrten Antikörperbildung zum Aus-
druck kommen. Ein dritter Beweis dessen ist der Erfolg, den wir
bei der Tuberkulintherapie dieser Erkrankungen beobachten.
II. Methoden des Tuberkulosenachweises auf Grund allergetischer
Erscheinungen.
Die Methoden, die das oben aufgestellte Postulat erfüllen und
daher für die Diagnostik der tuberkulösen Augenerkrankungen ge-
eignet sind, beruhen auf Phänomenen, die als Allergieerscheinungen
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 49
zu deuten sind. Während mit dem Begriff von Immunität und Im-
munitätsvorgängen die Vorstellung von etwas heilsamem und für den
Körper nützlichem untrennbar verknüpft ist, sagt die Bezeichnung von
Allergie in der von v. Pirquet (105) aufgestellten Anschauung nur
aus, dass sich der Organismus in einem Zustand veründerter Re-
aktionsfähigkeit befindet. Diese Veränderung der Reaktionsfähigkeit,
die durch die Bekanntschaft des Organismus mit irgendeinem orga-
nischen, lebenden oder leblosen Gift ausgelöst wird, kann sich nach
quantitativer, qualitativer und zeitlicher Richtung erstrecken. Der-
artige Zustandsänderungen müssen bei gewissen Vorgängen zum
Ausdruck gelangen, und wo das der Fall, verdienen sie in diagno-
stischer Beziehung eine ebenso hohe Wertung, wie diejenigen, die
als echte Immunitätsphänomene eine stattgehabte Infektion beweisen.
An erster Stelle sei die Komplement-Bindung erwähnt. Da sie
zum Nachweis sowohl eines Antigens wie des zugehörigen Ambo-
ceptors dient, so kann ihre Anwendung auf ophthalmologische Dinge
eine doppelte sein. Gilt es den spezifischen Antikörper, d. h. Anti-
tuberkulin im Blutserum, oder, was gelegentlich auch vorkommen mag,
in Gewebsteilen nachzuweisen, so wird man sich eines bekannten
Antigens, d. h. des Tuberkulins bedienen, um festzustellen, ob unter
dessen Einfluss eine Bindung des Komplements erfolgt. Aber auch
zum Nachweis des Antigens ist die Methode anwendbar. In dieser
Beziehung hat sie eigentlich nur theoretische Bedeutung, denn in
Fällen, wo dem Untersucher hinreichend grosse Gewebsteile zur Ver-
fügung stehen, um daraus ein wirksames, antigenhaltiges Extrakt zu
gewinnen, werden meist auch die histologischen und bakteriologischen
Untersuchungen eine Sicherung der Diagnose erlauben. Immerhin
ist es interessant, dass ich unter Anwendung eines Antituberkulin-
haltigen Kaninchenserums in einem Extrakt, das aus tuberkulösen
Granulationen der Conjunctiva gewonnen war, das spezifische Antigen
nachweisen konnte.
Was die Technik anlangt, so ist zu bemerken, dass sie schwieriger
ist, als bei dem serologischen Lues-Nachweis. Fällt auch dabei die
Beschaffung eines wirksamen Organ-Extraktes fort, das, wie erwähnt,
durch ein entsprechendes Tuberkulin ersetzt wird, so sind doch die
Fehlerquellen, die Berücksichtigung verdienen, an Zahl und Bedeu-
tung nicht gering. Es ist das von allen Autoren, die sich mit dieser
Methode praktisch beschäftigt haben, betont worden. Sie sind so
bemerkenswert, dass Weil und Nakajama (106) sogar ihre Verwert-
barkeit, Morgenroth und Rabinowitsch(107) ihre strenge Spezifizitüt
v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 1. 4
50 A. Leber
anzweifeln konnten. Durch die Arbeiten von Citron und Lüdke
und meine eigenen experimentellen Untersuchungen hat sich aber
der Wert dieser Methode bestätigen lassen. Zuverlässige Resultate
kann man aber nur dann von ihr erwarten, wenn sie mit sorgfältiger
Technik unter Einhaltung der vorgeschriebenen Versuchsanordnung
ausgeführt wird. Eine Hauptschwierigkeit erwächst dem Experimen-
tator dabei aus der Beschaffung eines brauchbaren Tuberkulins. Da
zahlreiche Präparate bereits für sich allein, eine Hemmung der Hä-
molyse, durch Bindung des Komplements geben, ist die Kenntnis
dieses Bindungsvermógens Vorbedingung für einen zuverlässigen Versuch.
Zahlenmässige Angaben lassen sich in der Beziehung nicht geben,
nur ist es selbstverständlich, dass man nur eine Tuberkulindosis wird
anwenden können, die für sich keine Beeinflussung der Hämolyse
verursacht und deren doppelte Menge den hämolytischen Vorgang
auch noch nicht wesentlich beeinflusst. Ist diese Dosis zum Beispiel
0,1ccm, so ist es zweckmässig, sie auch noch in halber Menge zu
verwenden, um jeden unspezifischen Einfluss, der, wie ich zeigen
konnte, auf der Gegenwart von Lipoiden beruht, auszuschliessen.
Empfehlenswert ist es ferner, ein starkes hämolytisches System
zu verwenden, da unter dem Einfluss des Tuberkulins die Hämolyse
meist langsamer verläuft, als bei Anwendung von Organextrakten.
Durch ein hochwertiges Hämolysin wird der Verlauf des Versuchs
beschleunigt, seine Ditferentialwerte deutlicher. Mehr noch als bei
den Luesversuchen ist hierbei eine Beobachtung des Versuches not-
wendig, da die Unterschiede, auf die es ankommt, nicht selten nach
längerem Stehen der Flüssigkeit an Sinnenfälligkeit verlieren. Zweck-
mässig ist es ferner, stets mehrere Sera auf eınmal zu untersuchen,
mindestens mehrere von Patienten, die für Tuberkulose ganz unver-
dächtig sind und mindestens ein Serum, das vordem auch im sero-
logischen Versuch als tuberkulös erkannt worden ist. Werden mehrere
derartige Sera zum Vergleich herangezogen, so steigert das nur die
Zuverlässigkeit des Ergebnisses, da, wie bei allen biologischen Reak-
tionen, auch hierbei gelegentlich Resultate erzielt werden, deren Be-
urteilung schwierig oder gar unsicher ist. Ich habe deshalb nur
ganz deutliche Unterschiede berücksichtigt und als positiv angesehen.
Reaktionen, bei denen eine vermehrte Bindung des Komplements für
die Anwesenheit von Antituberkulin sprach, die aber so gering war,
dass sie noch fast innerhalb der Fehlergrenzen einer Methode liegen,
deren Wesen. wir noch nicht ganz kennen, habe ich als - bezeichnet
und deshalb als nicht voll beweisend erachtet. Bemerkenswert ist,
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 5]
dass ihr Vorkommen meist doch bei Fällen beobachtet wurde, deren
klinisches Bild durch eine tuberkulöse Infektion in befriedigender
Weise hätte erklärt werden können. Deutlich positiver Antituber-
kulingehalt im Serum fand sich nur bei tuberkulösen und solchen
Kranken, deren Symptome auf Tuberkulose erfahrungsgemäss zurück-
zuführen waren.
Da der serologische Antituberkulinnachweis, infolge der beson-
deren Verhältnisse, welche die Antikörperbildung beherrschen, vor-
läufig nur in einer gewissen Anzahl von Fällen gelingt, so bedarf es
weiterer diagnostischer Ergänzungen.
In dem Phänomen der cutanen Tuberkulinreaktion, das als eine
Erscheinung lokaler Überempfindlichkeit zuerst von v. Pirquet be-
obachtet und in seiner Bedeutung erkannt wurde, besitzen wir eine
Methode, deren negativer Ausfall, wenigstens beim Erwachsenen,
mehr beweist, als der positive. Wie v. Pirquet zeigen konnte,
handelt es sich bei dieser Reaktion um die Äusserung eines Über-
empfindlichkeitszustandes, in den der Organismus gelangt, unter dem
Einfluss des tuberkulösen Virus. Während sich dieser Zustand unter
den Erwachsenen, nicht nur bei Individuen mit floriden tuberkulösen
Prozessen, sondern auch bei solchen, deren Allgemeinzustand und
subjektives Wohlbefinden eine nennenswerte tuberkulöse Affektion
ausschliessen lassen, ist es für Kinder der ersten Lebensjahre der
Ausdruck eines nicht erloschenen Krankheitsherdes.
Bei der Reaktion verfährt man in der von v. Pirquet an-
gegebenen Weise, indem man an einer möglichst haarfreien Stelle
der Körperhaut mittels eines kleinen Schabers nicht blutende Ero-
sionen vornimmt, am besten drei, von denen man zwei mit 25°), Alt-
tuberkulin betupft, während die dritte als Kontrolle für den trauma-
tischen Reizzustand dient. Nach 2—4 minutenlanger Einwirkungs-
dauer wird das überschüssige Tuberkulin abgetupft und der Verlauf
der Reaktion während der folgenden Tage beobachtet. Ein positiver
Ausfall erfolgt durch Rötung und Infiltration der betupften Stellen,
die unter Umständen so stark werden, dass sie zu Quaddelbildung
führen und Pusteln hinterlassen, die langsam abheilen.
Sehr bemerkenswert sind die klinischen Erfahrungen, zu denen
die Anwendung dieser Technik geführt hat (10S—111) und mit der
sich seitdem eine Fülle von Publikationen befassen, auf die ich be-
züglich der allgemein wichtigen Fragen verweisen muss.
Eine experimentelle Beobachtung führte Wolff-Eisner (112)
dazu, was v. Pirquet an der Haut vorgenonimen, in entsprechender
4*
52 A. Leber
Weise, durch Instillation von Tuberkulin in den Conjunctivalsack,
auf der Bindehaut des Auges zu wiederholen. Es zeigte sich, dass
auch an dieser Stelle nach vorausgegangener allergetischer Umstim-
mung des Organismus Überempfindlichkeitserscheinungen gegenüber
Tuberkulin nachzuweisen sind. Diese sogenannte Conjunctivalreak-
tion tritt vorwiegend bei tuberkulösen Individuen auf, ist aber in
ihrem Vorkommen nicht auf diese beschränkt. Die von Calmette (113)
aufgenommenen Untersuchungen, denen Citron(114) bald eine Be-
stätigung an einem grösseren Material folgen lassen konnte, zeigten,
dass die conjunctivale Reaktion eine diagnostisch sehr bemerkenswerte
Erscheinung ist. Auf Grund seiner weiteren Untersuchungen kommt
Wolff-Eisner zu dem Schluss (115, 116), dass der conjunctivalen
Reaktion grössere klinische Bedeutung zukommt, als der cutanen
Impfung. Die erstere, die durch das Auftreten von vermehrter Tränen-
sekretion, fibrinösen Belägen auf der Karunkel, Chemosis, Lichtscheu
und brennendem Gefühl charakterisiert ist, soll angeblich nur bei
aktiven tuberkulösen Prozessen auftreten, während die Cutanreaktion
auch inaktive Prozesse anzeigt. — Würde dieser vorläufig noch nicht
bewiesene Unterschied sich weiterhin bestätigen lassen, so würden wir
darin eine ausserordentlich wichtige Differenzierungsmethode besitzen.
Es sei aber an dieser Stelle bemerkt, dass bei der Cutanimpfung
nach v. Pirquet 25?|, bei der Conjunctivalreaktion von Wolff-
Eisner nur 1—2°, Tuberkulin zur Anwendung gelangt. Bei der-
artig grossen quantitativen Unterschieden der Reaktionsdosen scheint
mir ein uneingeschränkter Vergleich der beiden Phänomene unzu-
lässig.
Wie nun aber die Cutanreaktion in ihrer Anwendungsweise sehr
beschränkt ist, durch die Häufigkeit ihres positiven Ausfalles bei an-
scheinend gesunden, d. h. nicht tuberkulósen Menschen, so trifft eine
ähnliche Einschränkung die conjunctivale Reaktion. Wenig später,
nachdem sie in ausgedehnterer Weise und uneingeschränkter Freigabe
zur Verwendung gelangt war, zeigten sich eine Reihe von Folgezu-
ständen, die eigentlich a priori zu erwarten waren. Schon bei den
ersten Versuchen bei anscheinend gesunden Augen, in vermehrtem
Masse bei solchen mit katarrhalischen und phlyktänulären Erscheı-
nungen, traten ım Anschluss an die Tuberkulininjektion schwere
Komplikationen ein: Phlyktänen, Keratitiden und vor allem Follikel-
bildung und Granulationen auf der Conjunetiva bulbi und palpebra-
rum. Auf Grund eigener ungünstiger Erfahrungen (24) konnte ich
bereits kurz nach dem Bekanntwerden der Reaktion vor ihrer unein-
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 53
geschránkten und vor allem vor ihrer Anwendung bei Augenerkran-
kungen warnen. Wenig später haben dann auch Pfaundler und
Feer Phlyktänen im Anschluss an die Reaktion auftreten sehen.
Wenn dann de Lapersonne (117) unter 100000 Reaktionen etwa
nur 10—12 ernstere Komplikationen sah, und Francke(118) in
24 Fällen überhaupt keine, so mag das im letzteren Fall durch die
geringe, im ersteren durch die grosse Zahl von Kranken bedingt sein,
deren eingehende Beobachtung sich wohl nur auf kurze Zeit erstreckt
hat. — Im Gegensatz dazu stehen ausser den meinigen die Angaben
von Klieneberger(117, 118), von Plehn (119), Wiens und Gün-
ther(120), Gaupp (121), Eppenstein (122) und Collin (123), die
sämtlich mehr oder weniger ernste Folgezustände beobachten konnten.
Gewisse, besonders schwere und für die Patienten von dauerndem
Nachteile gebliebene Fälle sind später in die Literatur aufgenommen
worden. Man hat für diese Komplikationen dann das betreffende,
jeweils angewandte Tuberkulinpräparat verantwortlich gemacht. Bei
dem französischen von Calmette zuerst angegebenen trifft das zu,
ebenso bei dem ersten Höchster, dessen mehrfach Erwähnung ge-
schah. Aber auch das jetzt als durchaus harmlos empfohlene Alt-
tuberkulin ist in der zur Reaktion angewandten Dosis auch bei an-
scheinend ganz gesunden Augen unter Umständen von deletärem
Einfluss. Dass die Conjunctivalreaktion bei allen nur mit den aller-
geringsten Symptomen erkrankten Augen zu unterbleiben hat, ist jetzt
allgemein angenommen. Der folgende Fall beweist aber, dass damit
die Möglichkeit ernster Komplikationen noch nicht ausgeschlossen ist.
Frieda S. 23 Jahre. Verkäuferin.
Im 7. Lebensjahr Diphtheritis und Masern. Seitdem gesund, bis zum
3. VIII. 07, damals erkrankte Pat. mit Magenblutung und Magengeschwür-
beschwerden. Nach einmonatlicher Behandlung geheilt entlassen.
Am 12. II. 1908 wiederum Magenbeschwerden, deshalb Aufnahme ın
die innere Abteilung eines berliner Krankenliauses, wo ConjJunctivalreaktion
mit 1°% Höchster Alttuberkulin in der vorgeschriebenen Weise vorgenommen
wurde. Im Anschluss an die Einträufelung sollen Schmerzen und Rötung
des betreffenden Auges eingetreten sein. Die Entzündungserscheinungen
sollen seitdem nicht mehr verschwunden sein und das Sehvermögen sich
wesentlich verschlechtert haben.
Die Untersuchung ergibt auf dem aflizierten rechten Auge eine sehr
mässige Injektion der Gesamteonjunetiva, die Ifornhaut ist fast in ganzer
Ausdehnung leicht, im Zentrum aber intensiv parenehymatös getrübt. Vas-
kularisation besteht nicht, ebenso fehlen Symptome, die auf einen älteren,
aus der Kindheit staminenden ekzematósen Prozess schliessen lassen könnten.
54 A. Leber
Visus: R. = Finger in 2m. Gläser bessern nicht. L. + 0,5 D = 1.
Jäger 1.
Mehr als alle früheren misslichen Erfahrungen scheint mir dieser
Fall von einer ausgedehnten Anwendung der conj. Tuberkulinreaktion
abzuraten. Ohne allen Zweifel ist die Methode unter gewissen Um-
ständen von so ausserordentlichem Nutzen, dass sie in der internen
Medizin eine begrenzte Rolle mit Recht wird behaupten können. Für
die Augenheilkunde wäre sie'ein Danaergeschenk, wollte man sie da in
ausgedehnter Weise zur Anwendung bringen. Bei Augen, die für
den Sehakt nicht mehr in Betracht kommen, sind die aus der Reak-
tion resultierenden Komplikationen verhältnismässig belanglos, da mag
sie in besonders schwierigen Verhältnissen und nur mit dem Einver-
ständnis der Patienten zur Aufklärung ätiologischer Fragen heran-
gezogen werden, wenn andere Methoden versagt haben.
Da auch die von Moro(126) angegebene Tuberkulinsalbe bisher
noch zu keinen eindeutigen Ergebnissen geführt hat, ist jeder Ver-
such, dies Ziel zu erreichen, an sich gerechtfertigt. Auf Grund
experimenteller Resultate konnte ich beim Menschen mit einen fett-
freien Tuberkulin befriedigende Impfungsversuche vornehmen, die sich
derart gestalteten, dass mit diesem Präparat weitaus die Mehrzahl
der Gesunden eine negative Reaktion gaben. Nach Vorversuchen
und ausgedehnteren Erfahrungen bei andern Tuberkulosen (127) habe
ich diese Cutanreaktion auch bei meinen diagnostischen Untersuchungen
an Augenkranken verwandt. Ihre Zuverlässigkeit hat sich dabei
weiterhin bestätigt, und da sie durch ihre Anwendung fern vom Auge
harmlos ist, hat sie sich als nützlich erwiesen. Auch an nicht tuber-
kulösen Augenkranken habe ich die Reaktion in häufiger Wieder-
holung angestellt und dabei kein irreführendes positives Resultat er-
zielt. Ich habe deshalb diese Methode bei meinen diagnostischen
Untersuchungen an Augenkranken vorzugsweise angewandt. Häufig
wurden Parallelversuche mit der v. Pirquetschen Methode angestellt.
die aber nicht selten zu weniger eindeutigen Ergebnissen führte.
Die Resultate und ätiologischen Erhebungen sind meist durch ver-
schiedene Reaktionen gewonnen worden, deren Ausfälle untereinander
verglichen wurden. Fast stets wurde auch bei den tuberkulösen
Kranken eine serologische Untersuchung auf Lues vorgenommen und
wo es erforderlich, eine Allgemeinuntersuchung von medizinischer
Seite angestellt. Schliesslich wurden die bereits beschriebenen Metho-
den in gewissen Fällen noch durch die Bestimmung des opsonischen
Index ergänzt. Bezüglich dieser Technik muss ich auf das Referat
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. — 55
von Rosenthal(128) verweisen, das die Opsoninlehre eingehend be-
handelt. Hier mag es genügen zu erwähnen, dass unter Einhaltung
einer stets gleichmässigen Technik die Methode zu Resultaten führt,
die ausserhalb der Fehlermöglichkeiten liegen und die auch in diagno-
stischer Beziehung für die Ophthalmologie von grossem Werte sind.
III. Spezieller Teil.
Nach den vorausgegangenen mehr theoretischen Erörterungen
sollen im folgenden die praktischen Ergebnisse zusammengestellt
werden, zu denen meine klinisch-diagnostischen Untersuchungen ge-
führt haben. Da sie sich nur auf ein beschränktes Material sicherer
Tuberkulosen, deren Natur einwandsfrei festgestellt werden konnte,
beziehen, so habe ich hierbei zahlenmässige Erhebungen ganz unter-
lassen. Diese werden weit umfangreicheren Untersuchungen vor-
behalten bleiben müssen. Ich glaube aber durch die bisherigen den
Beweis erbracht zu haben, dass wir durch die vorgeschlagenen Metho-
den, deren Wahl durch die Natur des Falles bestimmt wird, in die
Lage versetzt sind, nicht nur bei praktisch schwierigen Fällen deren
ursächlichen Zusammenhang zu erkennen, sondern auch in theoretischer
Beziehung unsere Auffassungen zu berichtigen oder zu ergänzen.
1. Krankheiten der Bindehaut und der Adnexe des Auges.
In Untersuchungen, die ich gemeinsam niit Prof. Hethey an dem
poliklinischen Material der Berliner Univ.- Augenklinik vornehmen
konnte, stellten wir fest, dass bei den untersuchten Kindern alle
Fälle von tuberkulóser Keratitis parenchymatosa, Conjunctivaltuber-
kulose, Lupus der Hornhaut stark und ausgesprochen auf die von
Pirquetsche Cutanimpfung reagierten, wührend das gleiche bei den
Fällen von ekzematöser Conjunctivitis etwa nur in 15 —80"/, zu ver-
zeichnen war. Während zu diesen hauptsächlich Patienten mit pustu-
lösen Randgeschwüren und sonstigen skrofulösen Erscheinungen ge-
hörten, hatten die übrigen fast nur die besprochene Augenveränderung.
Dies Verhalten weist auf gewisse Beziehungen zwischen tuber-
kulösen und skrofulösen Erscheinungen, die neuerdings auch durch
das bereits erwähnte Auftreten von Phlyktänen im Anschluss an eine
Conjunctivalreaktion wahrscheinlich gemacht worden sind. Auf das
Wesen dieser Beziehungen einzugehen muss ich mir für später und
an anderer Stelle vorbehalten.
In einem Fall, der als Tuberkulose «der Tränendrüse diagnosti-
ziert worden war (Nr. 187), hei dem sich an den Ausführungsgängen
56 A. Leber
der Drüse kleine, als Tuberkelknötchen aufgefasste Gebilde nach-
weisen liessen, fand sich Antituberkulin im Serum, die Serumreaktion
auf Lues war negativ, dagegen war die Cutanimpfung mit fettfreiem
Tuberkulin ebenfalls positiv.
Nr. 65. Karl S.
Klinische Diagnose: Tuberkulose der Lidbindehaut?
Antituberkulin im Serum —.
Syphilitische Antikörper fehlen.
Mikroskopische Untersuchung eines excidierten Gewebsstückes: Typisch
tuberkulóse Neubildung mit Tuberkelknótehen und Riesenzellen.
Die Untersuchung von zwei Füllen von Mikuliczscher Krank-
heit, deren erster bereits von O. Napp (63) publiziert, deren zweiter
ebenfalls von ihm mikroskopisch untersucht wurde, gab jeweils eine
negative Luesreaktion. Dagegen fand sich beim ersten Antituber-
kulin im Serum, wührend beim zweiten die Hautimpfung mit meinem
fettfreien Tuberkulin schwach positiv verlief.
2. Krankheiten der Hornhaut.
In dem Abschnitt über lokale Antikörperbildung habe ich bereits
erwähnt, dass es mir in drei Fällen von tuberkulöser Keratitis paren-
chymatosa gelang, spezifische Antikörper als Antituberkulin nachzu-
weisen, die in der Kontrolle normalen Kammerwassers fehlte. Zur
näheren Orientierung mögen die folgenden Krankengeschichten dienen.
Fall 18. Anastasia G. 34 Jahre. Kutschersfrau.
R. Abgelaufene Skleritis. L. Sklerokeratitis tuberculosa.
Anamnese: Ohne Besonderheiten.
Allssemeinuntersuchung ergibt: Über der rechten Lungenspitze: gedämpften
Perkussionssehall. Knistern und vereinzelte kasselgeräusche. Tiefstand der
rechten Lungenspitze.
Fall 20. Bruno B. 16 Jahre. Arbeiter.
Diagnose: Sklerotisehe Knoten, r. am oberen äusseren, l. am unteren
Hornhautrand.
Allgemeinuntersuchung: Catarrhus apicis sinistri.
Fall 21. Otto K. 8 Jahre. Schüler. 8. VIL 07.
Anamnese: Seit Mitte Februar 1906 Erkrankung des rechten Auges.
VINIL. 1906 Tuberkulinbehandlung. — Seit Ostern 1907 Entzündung des
linken Auges.
Untersuehungsbefund: R. reizlos. Hornhautzentrum, dichte Maeula, da-
her kein Einblick. L. starke ciliare Injektion. Unten, aussen vom Horn-
hautzentrum: parenehvmatóse Hornhauttrübung. Iris hyperämisch. Kein
Einblick —
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 57
Cutanimpfung (v. Pirquet) stark positiv.
Aus dem Verhalten des Serums, bzw. dem Ausfall der Hautreak-
tionen wurde in den folgenden Fällen die tuberkulöse Atiologie bestätigt.
Fall 174. Frau H. K. 40 Jahre.
R. Sklerosierender Prozess in der oberen Hälfte der Hornhaut.
Anamnese: Ohne Belang.
Diagnose: Lues oder "Tuberkulose.
Serologische Untersuchung: Lues negativ, Autituberkulin positiv, Cutan-
reaktion (fettfr. Tuberkulin) +.
Fall 206. Wilhelmine H. 63 Jahre.
Anamnese: Ohne Besonderheiten. Augenleiden angeblich erst seit wenigen
Monaten bestehend.
Befund: Präcipitate auf der Hinterfläche der Hornhaut, ebenda fast am
Limbus zwei kleine Knótchen. Iritis.
Diagnose: Tuberkulose der Hornhaut.
Serodiagnostische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +.
Fall 314. Ernst C. 21 Jahre. Buchbinder.
Anamnese: Kein Anhalt für Tuberkulose. Eltern und Geschwister ganz
gesund.
Diagnose: R. Keratitis parenchymatosa. Lues oder Tuberkulose?
Serodiagnostische Untersuchung: Luesantikörper O. Antituberkulin O.
Cutanreaktion (fettfreies Tuberkulin) stark positiv.
Fall F. 27. Helmine P. 16 Jahre.
Anamnese: Vor 7 Jahren lungenkrank (Lungenblutungò. Seit einem
Jahr augenkrank. Angeblich Besserung durch Tuberkulinbehandlung.
Diagnose: Keratitis parenchymatosa tuberculosa.
Cutanreaktion (fettfreies Tuberkulin) +.
Wenn die vorerwühnten Fülle durch die serologische Unter-
suchung eine Sicherung der Diagnose erfahren haben, so trifit das in
der gleichen Weise naturgemäss längst nicht für alle Patienten zu.
Nicht selten — und gerade bei einem grossstädtischen Material wird
das häufiger sein, als bei einem, das sich mehr aus einer ländlichen
Bevölkerung rekrutiert — findet sich neben einer hereditären oder
acquirierten Lues eine nachweisbare tuberkulöse Aftektion. Ich ver-
füge über zwei derartige Fälle (Nr. 47 und 69), beides schwere Kera-
titis parenchymatosa, in denen die serologische Untersuchung svphilitische
und tuberkulöse Antikörper nachwies. Dem entsprach auch die All-
gemeinuntersuchung, die ebenfalls in beiden Fällen ausgesprochene tuber-
kulöse Erkrankung der Lungen feststellte. — Unter derartigen Um-
ständen wird es nahezu unmöglich sein, die Ursache des Augenleidens
auf die eine oder die andere Ursache zurückzuführen. Wahrschein-
58 A. Leber
lich wird unter dem Einfluss der doppelten Schädigung der primäre
Prozess gesteigert sein, so dass an ihm auch der zweite Infekt zur
Geltung kommt. — Handelt es sich dagegen um zwei unabhängig von-
einander verlaufende Affektionen, so wird das klinische Bild, der Ver-
lauf und vor allem der Einfluss therapeutischer Massnahmen die
einzig mögliche Entscheidung bringen.
3. Krankheiten der Sklera.
Von den untersuchten Erkrankungen der Sklera seien hier nur
zwei Fälle erwähnt, von denen der zweite besondere Beachtung
verdient.
Beim ersten (Nr. 124) handelte es sich um ein junges Mädchen,
das vor fünf Jahren angeblich wegen tuberkulöser Skleritis behandelt
worden war. Zur Zeit der Untersuchung bestand die Entzündung
wieder seit zwei Monaten. Im Blutserum fanden sich weder Anti-
tuberkulin noch Syphilisantikörper, dagegen verlief eine diagnostische
Tuberkulininjektion positiv, ebenso wie die Cutanimpfung, zu deren
Ergänzung sie vorgenommen worden war.
Fall 30. Frl. H. 26 Jahre. Gesellschafterin. 16. IX. 07.
Anamnese: Seit 8 Jahren häufig rezidivierende Skleritis. Während dieser
Zeit leidlich gutes Sehvermögen und normaler Spiegelbefund des Augen-
hintergrundes. Seit 8, Jahren erhebliche Abnahme des Sehvermógens und
Auftreten von zahlreichen chorioiditischen Veränderungen in der Gegend der
Macula und der Peripherie.
Untersuchungsbefund: Chorioretinitis centralis und ausgedelinte cho-
rioiditische Herde im Äquator der Chorioidea. *
Allgemeinuntersuchung ergab in wiederholten Malen keinen átiologischen
Anhalt, keine Zeichen von Lues oder Tuberkulose.
Bei der serologischen Blutuntersuchung stellte ich Antituberkulin im
Serum fest, syphilitische Antikörper fehlten. Bei dem sonst doch recht
unklaren Fall entschloss ich mich, die serologische Diagnose durch eine
diagnostische Tuberkulininjektion zu kontrollieren. Der Verlauf bestätigte
das Resultat der ersten Reaktion, war aber insofern ein sehr auffallender,
als weder 'lemperatursteigerung noch Herderscheinungen am erkrankten
Auge auftraten. Das andere, anscheinend ganz gesunde Auge reagierte da-
geven; etwa acht Stunden nach der Injektion klagte Patientin über etwas
schlechteres Sehen auf diesem Auge. Nach 24 Stunden bestanı eine in-
tensive Injektion der palpebralen, eine geringere der bulbären Conjunetiva.
Die Schwellung der Bindehaut und die daraus resultierenden Beschwerden
gingen bis zum Abend des zweiten Tages zurück. Bemerkt sei noch, dass
nach der Injektion eine an der Lippe befindliche Erosion zu einem llerpes-
bläschen exacerbierte.
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 59
4. Krankheiten der Iris und des Ciliarkórpers.
v. Michel hat zuerst nachdrücklich auf die Tuberkulose als Ur-
sache der Iritis hingewiesen, die seiner Ansicht nach ebenso häufig
tuberkulóser wie syphilitischer Natur ist. Auch auf die klinisch be-
merkenswerten Merkmale und differentialdiagnostisch wichtigen Symp-
tome hat er bereits in seinem Lehrbuch (3) hingewiesen. Neuerdings
haben die wichtigen Untersuchungen von Stock(102) diese Ansicht
durch experimentelle Beläge gestützt. Wenn auch nach diesen Be-
funden gewisse klinische Bilder beim Menschen einer zuverlässigeren
Deutung zugänglich sind, so bleibt der endgültige Entscheid doch
dem Nachweis des wirklichen ätiologischen Faktors vorbehalten. In
einer grösseren Reihe von Iritiden bzw. chronischen Entzündungen
der Iris und des Ciliarkörpers ist es mir unter Ausschluss einer
luetischen Infektion gelungen, die tuberkulöse nachzuweisen. Da es
sich durchweg um lebensfähige Augen handelte, bin ich nicht in der
Lage, über anatomische Befunde zu berichten. Da, worauf Denig (129)
bereits hingewiesen hat, die Augentuberkulose bekanntermassen als
echte Lokalerkrankung vorkommt, war es auch hier nur in einer Reihe
von Fällen möglich, anderweitige sichere Zeichen von Tuberkulose
festzustellen, und das um so mehr, als ich versuchte, diagnostische
Tuberkulininjektionen tunlichst zu vermeiden.
Das Nähere ist aus den Krankengeschichten ersichtlich:
Nr. 31. Gertrud Sch. 24 Jahre. Buchhalterin.
Seit 16. Lebensjahr Entzündung beider Augen.
Befund: Bds. Maculae corneae. — Iritis. Zahlreiche hintere Synechien.
— Reichlich Präcipitate auf der Hornhauthinterflüche.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +.
Nr. 53. Karl U. 34 Jahre. Schneider.
Anamnese: Ohne Besonderheiten.
Befund: R. Iritis serosa.
" Allgemeinuntersuchung: Abgesehen von arteriosklerotischen Verände-
rungen keine krankhaften Erscheinungen.
Serologisehe Untersuchung: Luesantikórper O. Antituberkulin -l-.
Nr. 64. Luise Z. 20 Jahre. Landwirtstochter. 31. X. O7.
Anamnese: Von Kindheit an schwächlich. Seit Febr. 07: R. Iritis, die
acht Tage später auch am andern Auge auftrat. Trotz Behandlung Ver-
schlimmerung.
Befund: Ciliarinjektion. Hinterfläche der Hornhaut dicht mit feinen
und grobklumpigen Präcipitaten bedeckt. Pupille unregelmässig. Zahlreiche
hintere Synechien. Subfebrile Temperaturen.
Allgemeinuntersuchung ergibt keinen ätiologischen Anhalt.
60 A. Leber
Diagnose: Tote tuberculosa?
Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +.
Nr. 81. Frau K. 34 Jahre. Kaufmannsfrau.
Anamnese: Seit mehreren Jahren rezidivierende doppelseitige Iridocyclitis.
Allgemeinuntersuchung: Ohne besonderen Befund. |
Befund: Bds. Iridocyelitis, mit hinteren Synechien und Präcipitaten. —
Trotz Atropinbehandlung und Zg-Therapie keine Besserung.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +.
Nr. 83. Wilhelm T. 30 Jahre. Werkmeister. 14. XI. 07.
Anamnese: Luetische Infektion bestimmt negiert.
Seit 16. X. 07. Entzündung des rechten Auges und Verschlechterung
des Sehvermógens.
Befund: R. Iritis serosa mit starken Glaskórpertrübungen.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Antituberkulin +.
Nr. 87. Katharina K. 28 Jahre. Dienstmagd. 14. XI. 07.
Anamnese: Früher Rheumatismus, im April 1907 Lungenspitzenkatarrh.
Befund: Bds. Iridoeyelitis mit Präcipitaten und Glaskörpertrübungen.
Allgemeinuntersuchung: Zurzeit kein Anhalt für Tuberkulose.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +.
Nr. 96. Stanislaus M. 43 Jahre. Töpfer.
Anamnese: Lues negiert. Seit zehn Jahren alle zwei Jahre Iritis.
Befund: R. Iritis serosa.
Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +.
Nr. 108. Rosa R. 23 Jahre. Händlerstochter.
Anamnese und Allgemeinuntersuchung geben keinen ätiologischen Anhalt.
Befund: R. Abgelaufene Iritis. Hintere Synechien und Bindegewebs-
stränge hinter der Linse.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +.
Nr. 32. Elisabet M. 15 Jahre.
Anamnese: Ohne Besonderheiten.
Allgemeinuntersuchung: Apices suspect.
Befund: L. Iritis.
Im Verlauf der Erkrankung treten am Hornhautrand Knötchen auf,
deren Aussehen die serologische Untersuchung bestätigt.
Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Antituberkulin —.
Seitdem ist bei Pat. ausgesprochene Tuberkulose der Lendenwirbelsäule
aufgetreten.
Nr. 54. Martin S. 24 Jahre. Gärtner.
Anamnese: Ohne Besonderheiten.
Allgemeinuntersuchung: Atleetio apicis dextri.
Befund: L. akute, r. abgeheilte Iritis.
Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Antituberkulin +.
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. — 6]
Nr. 82. Katharina S. 23 Jahre. Gastwirtstochter.
Anamnese: Vater an Tuberkulose gestorben. Patientin selbst bemerkt
seit 5 Jahren beiderseitige Sehverschlechterung, die sich angeblich durch
Schmierkur zeitweilig gebessert haben soll.
Befund: Bds. Iritis. Grobe, klumpige Präcipitate auf der Membrana
Descemetii. Bds. ringförmige Synechien. Keine Knötchenbildung auf der Iris.
Allgemeinuntersuchung: Abgeselen von subfebrilen Temperaturen kein
Anhalt für Tuberkulose.
Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Antituberkulin + +.
Diagnostische Tuberkulininjektion —.
Nr. 168. Julius K. 29 Jahre. Arbeiter.
Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne Zeichen von Tuberkulose.
Befund und ophthalmologische Diagnose: Bds. Abgelaufene Iritis tuber-
culosa. — Cataracta complicata, mit ausgedehnten hinteren Synechien.
Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Antituberkulin —.
Nr. 190. Marie E. 392 Jahre.
Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten.
Diagnose: L. alte Iridoeyelitis.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Antituberkulin + +.
Cutanreaktion (fettfreies Tuberkulin) +—.
Nr. 255. H. H. 42 Jahre.
Anamnese: Kein Anhalt für Tuberkulose. Luetische Infektion streng negiert.
Befund: L. Chronische Iridocyclitis mit Cat. secund. und Sekundär-
glaukom. |
Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Cutanrcaktion (fettfreies
Tuberkulin) +.
Nr. 326. Valeska D. 28 Jahre. Kaufmannsfrau. 22. VIII. O8.
Anamnese: Seit 14. VIII. 08 augenkrank, sonst angeblich stets gesund.
Lues negiert und nicht nachweisbar.
Ophthalmologischer Befund: Bds. Iritis.
Allgemeinuntersuchung: Affeet. apic. sinistri.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Cutanreaktion (fettfreies
Tuberkulin) +.
Nr. 344. Berta V. 31 Jahre. Büdnerstochter.
Anamnese: Seit 1901 augenkrank, damals in klinischer Behandlung
wegen tuberkulöser Iritis. Sonst angeblich gesund.
Befund: Alte Cyelitis. — Ditfuse Glaskörpertrübungen.
Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Cutanreaktion (fettfreies
Tuberkulin) +.
5. Kraukheiten der Chorioidea.
Auch für die Chorioretinitis disseminata ist v. Michel(130) früh-
zeitig zu der Ansicht gelangt, dass sie nahezu ebenso oft durch
62 A. Leber
Tuberkulose wie durch Lues hervorgerufen wird. Auch hierfür hat
Stock (102) experimentelle Beläge geliefert. Eine in klinischer Hin-
sicht nicht unwesentliche Ergänzung ist das serodiagnostische Ergeb-
nis bei den folgenden Fällen meines Materiales.
Nr. 110. Sannchen B. 20 Jahre.
Allgemeinuntersuchung und Anamnese: Kein Anhalt für Lues oder
Tuberkulose.
Befund: Chorioiditis disseminata.
Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Antituberkulin +.
Nr. 149. Robert S. 47 Jahre. Schneider. 11. II. 08.
Anamnese: Als Kind Knochenfrass, seit 8 Tagen angeblich Schwach-
sichtigkeit auf dem linken Auge.
Augenbefund: R. normal. L. frische chorioretinitische Herde in der
Macula, ältere unterhalb davon.
Allgemeinuntersuchung: Verschärftes Atmen über der rechten Lungen-
Spitze. Am rechten Unterschenkel lange, breite, verschorfte Narbe.
Ophthalmologische Diagnose: L. Aderhauttuberkulose?
Serologische Untersuchung: Luesantikörper O0. Antituberkulin —.
Nr. 182. Auguste K. 52 Jahre. Plütterin. 27. III. 08.
Anamnese: Seit 4 Jahren augenkrank, sonst früher gesund. Vor mehreren
Monaten Lungenspitzenkatarrh.
Allgemeinuntersuchung: Lungenspitzenkatarrh.
Augenbefund: Bds. Chorioiditis disseminata.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Antituberkulin —.
Nr. 204. Friederike BB Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne
Belang.
Diagnose: R. Chorioiditis disseminata.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Antituberkulin +.
Nr. 294. Frieda S. 9 Jahre. Schülerin.
Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten.
Befund: L. Hintere Corticalkatarakt. In der Peripherie chorioiditische
Herde.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Cutanreaktion (fettfreies
Tuberkulin) —.
Nr. 316. August R. 29 Jahre. Arbeiter.
Anamnese: Lues negiert.
Allremeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten.
Befund: Bds. Zahlreiche starke pigmentierte Herde in der Chorioidea,
daneben kleine, gelblielie, frische Herde. Gefässveränderungen in der Peri-
pherie. L. Frisehe Neuritis n. optiei, Ödem der Netzhaut.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper ©. Antituberkulin O. Cutan-
reaktion (fetttreies Tuberkulin) +.
Serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis u. Tuberkulose d. Auges. 63
Nr. 58. Minna S.
Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten.
Diagnose: R. Aderhauttuberkulose. 3 kleine Herde zwischen Papille
und Maeula.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Antituberkulin —L.
Nr. 296. August L. 29 Jalıre. Arbeiter.
Anamnese: Nachtschweisse, sonst keine Zeichen von Tuberkulose.
Lues negiert.
Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten.
Befund: R. In der Maculagegend kleiner, gelblich gefärbter Herd,
unmittelbar darüber miliarer pigmentierter Herd.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Cutanreaktion (fettfreies
Tuberkulin +.
Nr. 299. Bruno St. 28 Jahre. Kaufmann.
Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne Belang.
Befund: Bds. In symmetrischer Anordnung in der Maculagegend je
ein dunkel gefárbter Erkrankungsherd.
Serologische Untersuchung: Luesantikórper O. Cutanreaktion (fettfreies
Tuberkulin) —+.
Nr. 987. Franz M. 43 Jahre. Arbeiter.
Anamnese: Angeblich nie krank. Lues negiert.
Befund: R. In der nasalen Gegend stecknadelkopfgrosser Pigmentherd,
daneben ein noch kleinerer Herd. Relatives zentrales Skotom.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Cutanreaktion (fettfreies
Tuberkulin) —. Opsonischer Index — 0,70.
Nr. 79. Frl. R. 5. XI 07.
Anamnese: Angeblich seit 2 Tagen Verschlechterung des Sehvermögens
auf dem linken Auge.
Befund: L. Chorioretinitis centralis. In der Maculagegend ziemlich
scharf begrenzter Herd, von unregelmässiger Form, 1!/, Papillendurchmesser
gross. Die umgebende Netzhaut graulich getrübt. Dem Herde entsprechen-
des zentrales Skotom.
Allgemeinuntersuchung: Ohne Besonderheiten.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Antituberkulin +.
6. Krankheiten der Netzhaut.
Nr. 32. Elisabet M. 15 Jahre.
Anamnese und Allgemeinuntersuchung: Ohne Anhalt für 'luberkulose.
Befund: Neuritis n. optici.
Grauweisse Herde entlang der Netzhaut. Gefässe in grosser Anzahl,
die im Verlauf an Deutlichkeit sehr wechseln.
Im weiteren Verlauf erscheint auch die eine Lungenspitze verdäehtig
einer tuberkulósen Aflektion.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper O. Antituberkulin --.
64 A. Leber
Nr. 337. Marta D. 34 Jahre. Wirtsfrau.
Allgemeinuntersuchung: Rechts Lungenspitze suspekt.
Befund: R. Papille blasser als links. Ödem der Netzhaut, entsprechend
der Art. temp. sup. und oberhalb der Macula.
Serologische Untersuchung: Luesantikörper 0. Cutanreaktion (fettfreies
Tuberkulin) +.
IV. Zusammenfassung.
1. Es gelingt in einer gewissen Reihe von Fällen sicher tuber-
kulöser Augenerkrankungen, einen spezifischen Antikörper: Anti-
tuberkulin im Blutserum durch die Methode der Komplementbindung
nachzuweisen.
2. Da das Antituberkulin bisher nur bei Tuberkulösen nach-
gewiesen wurde, muss sein Vorkommen im Blutserum als spezifisch
und pathognomonisch für Tuberkulose gelten. Sein Vorkommen im
Blut berechtigt daher dazu, eine tuberkulöse Erkrankung anzunehmen.
3. Unter Ausschluss einer syphilitischen Infektion wird das Vor-
kommen von Antituberkulin ophthalmologisch unklare Fälle ätiologisch
zu erklären im stande sein.
4. Das Fehlen, einer. Antituberkulinreaktion ist kein Beweis
gegen Tuberkulose, die positive Reaktion kein endgültiger Beweis da-
für, dass die Augenerkrankung tuberkulöser Natur ist. Eine ein-
gehende klinische Untersuchung muss daher mit der serologischen
Diagnostik Hand in Hand gehen.
5. Es können gleichzeitig eine syphilitische und eine tuberkulöse
Infektion serologisch nachgewiesen werden. In solchen Fällen wird
eine ätiologische Klärung, nach der objektiven Untersuchung, am
ehesten durch den Erfolg der Therapie zu erwarten sein.
6. In ganz seltenen Fällen kann die serologische Untersuchung
des Kammerwassers (Komplementbindung, opsonischer Index) bei der
Diagnostik herangezogen werden.
T. Da es bei allgemeiner, bzw. bei Lungentuberkulose seltener,
als bei lokalen, insonderheit Augentuberkulosen gelingt, Antituber-
kulin im Kreislauf nachzuweisen, ist die Vermutung berechtigt, dass
umschriebene Tuberkuloseherde für die Bildung von Antituberkulin
bevorzugt sind.
H Für die ätiolorische Klärung gewisser Krankheitsbilder sind
der serologische Antituberkulinnachweis, unter Einhaltung der not-
wendigen Kautelen, sowie die lokalen Tuberkulinreaktionen von prak-
tischer Bedeutung.
Serodiagnostische Untersuchungen bei Sypbilis u. Tuberkulose d. Auges. 65
9. In einer Reihe von Fällen chronischer Iridocyclitis, sowie bei
Chorioiditis disseminata, konnte deren tuberkulöse Ursache erwiesen
werden.
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130) v. Michel, J., Lehrb. d. Augenheilk. 2. Aufl.
(Aus der Universitäts-Augenklinik in Bukarest.)
Die pathologische Anatomie der Ophthalmoreaktion.
Von
Prof. Dr. G. Stanculeanu und D. Mihail.
Mit Taf. I, Fig. 1—4.
Obwohl man bis jetzt viel auf klinischem und experimentellem
Wege über die Conjunetivalreaktion (Ophthalmoreaktion) auf Tuber-
kulin gearbeitet hat, so ist doch das pathologisch-anatomische Studium
dieser Reaktion ganz vernachlässigt worden.
Alle mikroskopischen Untersuchungen, die bis jetzt über die Oph-
thalmoreaktion gemacht worden sind, beschränken sich nur auf die
cytologische Untersuchung der Conjunetivalsekretion, ohne jedoch ge-
naue Resultate erlangt zn haben. So konstatierte z. B. Sahrazos
(„Eolia haematologica* 1907) in. der. Conjunetivaltlüssigkeit das Vor-
kommen zahlreicher alterierter Epithelialzellen, der Polynukleose und
sehr weniger Lymphocyten und grosser Mononuklearen. Dietschkv
fand Polynukleose und Eymphoeytose. Mongour und Brandeis
wiesen die Bildung von Fibrin nach. F. Lévy fand Lymphocyten-
gruppen.
Zum ersten Male publizierte einer von uns!) in den Klinischen
Monatsblättern für Augenheilkunde, April 1909, eine histologische
Untersuchung. welche in zwei Fällen von Conjunetivalreaktion auf Tuber-
kulin ausgeführt war.
Bei diesen beiden Fällen waren in eines der Angen je 2 Tropfen
Tuberkulin 19), instilliert, und nach 24 Stunden wurde je eine Biopsie
aus der Palpebraleonpunetiva gemacht und zwar in der Nähe des
freien Randes des Augenlides. Die so erhaltenen Conpmnetivastücke
wurden nach Fixierung in Bouinscher Flüssigkeit und Einbettung in
Paraffin nach verschiedenen Doppelfärbungsmethoden gefärbt.
In diesen beiden Fällen konnten wir damals folgendes beobachten:
einen ödematösen Zustand des Epitheltums mit Intiltration von Mono- und
1) Prof. Dr. G. Stanculeanu.
Die pathologische Anatomie der Ophthalmoreaktion. 11
Polynuklearen; die Grundsubstanz war stark verdickt und zeigte zwei
Zonen: eine gleich unter dem Epithelium mit grossen lymphatischen
Räumen, mit ödematöser Erscheinung, infiltriert mit Mono- und Poly-
nuklearen; die zweite Zone befand sich etwas tiefer. In dieser waren
die Blutgefässe mit Polynuklearen gefüllt und zugleich bemerkte man
eine starke Infiltration mit kleinen Mononuklearen. Der Arbeit waren
zwei Bilder beigegeben, welche je einen Durchschnitt von den zwei
Fällen darstellten.
Seither unternahmen wir, beraten von Herrn Prof. Dr. J. Canta-
cuzino, ein genaueres und systematischeres Studium über dasselbe
Thema. Die Untersuchung gestattet uns, die vorige Arbeit teilweise
zu korrigieren, zu vervollständigen und zu Schlüssen zu gelangen, die
endgültige zu sein scheinen. Unser Vorgehen hierbei war folgendes:
Bei vier Patienten, welche an serös-fibrinöser Pleuresie litten, nicht
fieberten und welche mit derselben Intensität nach einer Instillation von
Tuberkulin 1°/,, welche um 12 Uhr mittags gemacht wurde, reagierten,
schnitten wir je ein Stückchen Conjunctiva aus dem unteren Fornix heraus,
bei einem 7 Stunden nach der Instillation, bei einem andern nach 20 Stunden,
bei dem dritten nach 32 Stunden und bei dem vierten nach 56 Stunden.
Die ausgeschnittenen Conjunctivalteilchen, nachdem siemit Flemmings Flüssig-
keit fixiert und in Paraffin eingebettet waren, färbten wir entweder mit
einem einfachen Färbungsmittel: blaues Polychrom-Unna, oder mit Magenta-
rot und Picroindigocarmin, oder mit Safranin und Pieroindigocarmin. Ausser-
dem haben wir bei denselben Patienten nach ebenso viel Stunden auch
die Conjunetivalsekretion mikroskopisch untersucht, was uns erlaubte, zu-
gleich den cytologischen Verlauf der Sekretion zu verfolgen, so dass wir
auf diese Art vergleichende Resultate erhalten konnten.
Das Resultat aller dieser Untersuchungen ist folgendes:
Der erste Fall (Fig. 1) bezieht sich auf den Kranken, bei welchem
wir die Conjunctivalbiopsie 7 Stunden nach der Instillation vorgenommen
hatten. Von klinischen Erscheinungen bemerkten wir eine Anschwellung
der Gefässe, begleitet von Tränenerguss, jedoch ohne feste Sekretion. Über
den histologischen Befund konnten wir folgendes feststellen:
Das Epithelium enthält in der äussersten Schichte eine beträchtliche
Anzahl Becherzellen, angefüllt mit Mucus, welcher den Kern gegen den
unteren Teil der Zelle treibt und ihr dadurch eine dreieckige Form ver-
leiht. Diese Becherzellen üben auf die übrigen Zellen einen derartigen
Druck aus, so dass ihr Kern länglich erscheint. Die Epithelialzellen der
tieferen Schichten sind polygonal und unregelmässig. Die Kerne einiger
dieser Zellen sind intensiv gefärbt, während die anderer blass sind und
isolierte chromatische Granulationen sowie zwei Nucleolen besitzen. Die
Kerne der meisten dieser Zellen sind hufeisenförmig, und in der Konkarität
befindet sich eine Vakuole. In der ganzen Epithelialschichte bemerkt man
ausserdem nur sehr wenige Polynuklearen, die aus der Grundsubstanz ausge-
12 G. Stanculeanu u. D. Mihail
wandert sind. Die &usserste Schichte der Conjunetivalgrundsubstanz ist
dicker als gewöhnlich. Die Verdickung dieser Schichte verdankt ihre Ent-
stehung der Entfernung der Bindegewebsbündel und der Anfüllung der
hierdurch entstandenen Räume vornehmlich mit grossen Mononuklearen, mit
wenigen Lymphocyten und wahrscheinlich auch mit Serum, welches diesem
Teile der Grundsubstanz ein ódematóses Aussehen gibt. Ebenso bemerkt
man in der äusseren Dermaschichte eine grosse Anzahl von erweiterten
Kapillargefässen mit angeschwelltem Endothelium, welches ins Lumen pro-
miniert. In den Kapillaren befinden sich ausser roten Blutkörperchen
einige Lymphocyten. Die lymphatischen Perivaskularráume enthalten auch
Mononukleare mit einem etwas grósseren Protoplasma als das der Lympho-
cyten aus den Kapillaren. Gleich unter dem Epithelium und zumal an
manchen Stellen befindet sich eine grössere Infiltration von grossen Mono-
nuklearen als gewöhnlich, die sich unter vier verschiedenen Formen zeigen:
a. Grosse Mononukleare mit einer kleinen Vakuole in der Nähe des
Kernes.
b. Grosse Mononukleare, deren Protoplasma voll kleiner Vakuolen ist.
c. Grosse Mononukleare mit einer grossen Vakuole, begrenzt von
einer dünnen Protoplasmaschichte.
d. Grosse Mononukleare mit einem intensiv gefärbten Kern, deren
Protoplasma mit feinen Granulationen gefüllt ist, welche der ganzen Zelle
ein dunkles Aussehen geben.
Die unterste Schichte der Derma besteht aus breiten Bindegewebs-
streifen mit grossen Gefässen, deren Endothelium nicht angeschwellt ist
und welche voll von roten Blutkörperchen und einigen Lymphocyten sind.
Was diesen Fall vom histologischen Standpunkte aus charakterisiert,
ist kurz folgendes:
l. Die Sekretionstütigkeit des Conjunctivalepitheliums ist
viel grósser als im normalen Zustande.
2. Eine ödematöse Anschwellung der äusseren Dermaschichte
mit Infiltration grosser Mononuklearen, fast alle in voller Se-
kretionstätigkeit.
Bei der eytologischen Untersuchung der Conjunetivalsekretion bemerkten
wir, dass fast das ganze mikroskopische Feld mit Epithelzellen besät war,
deren Form verschieden war: manche polygonal und mit grösseren Dimen-
sionen, einige evlindrisch, andere konisch und endlich andere sternförmig.
Ausser diesen Zellen sah man sehr wenige Polynuklearen.
Der zweite Fall (Fir. 2) bezieht sieh auf den Kranken, bei welchem
die Conjunetivalbiopsie 20 Stunden nach der Instillation von 'Tuberkulin
gemacht worden ist. Von klinischen Erscheinungen bemerkte man hier
ausser der Ansehwellung der Gefüsse und des 'lrünenergusses, wie im
ersten Falle, ein festes Sekret, welches sieh wie ein feiner Streifen zeigte,
welcher mit einem Ende sich an der Karunkel festlielt, während das an-
dere frei im unteren Fornix schwebte.
Von histologisehen Befunden haben wir folgendes konstatiert:
Das Epithelium hat fast denselben Charakter wie im ersten Stadium.
die Ansehwellung seiner Zellen scheint aber etwas grösser zu sein. Hier
Die pathologische Anatomie der Ophthalmoreaktion. 13
und da sieht man in diesem Falle, dass die Polynuklearen in grösserer
Anzahl durch die Zellenräume des Epitheliums durchgeschlüpft und zur
Oberfläche geschritten sind. In der äusseren Schichte der Grundsubstanz bemerkt
man ebenfalls Ödem mit Mononuklearinfiltration, welche sich im Zustande von
Hypersekretion befindet, und ausserdem findet man Lymphoeytenandrang.
Die Lymphocyten liegen gedrängt gleich unter dem Epithelium, in
diesem Falle stammen sie aus den Kapillaren; in den Kapillaren und in
ihrer Umgebung sind sie an Anzahl vermehrt, wie im ersten Stadium. In
den Blutgefässen mit ihrem stark angeschwellten Endothelium befinden sich
ausser roten Blutkörperchen zahlreiche Lymphocyten und einige Mastzellen.
Diese letzteren Zellen wandern teilweise in das Bindegewebe, welches sich
rings um die Gefässe befindet, und sind zumal an der Grenze, zwischen
der äusseren und der inneren Schichte der Conjunctivalderma, zu sehen.
Folgendes charakterisiert kurz gefasst diesen Fall:
1. Eine Vermehrung der Sekretionstätigkeit der Zellen im
Vergleich mit dem ersten Fall.
2. Ein Andrangsanfang von Lymphocyten und Mastzellen
in der Conjunctivalderma.
Die eytologische Untersuchung der Conjunctivalsekretion zeigt in
diesem Falle ausser den verschiedenen Formen der Epithelzellen, welche
im vorigen Falle beschrieben sind, eine grössere Anzahl von Polynuklearen
als im ersten Falle.
Der dritte Fall (Fig. 3) betrifft den Patienten, bei welchem wir die
Biopsie 32 Stunden nach der Instillation von 'l'uberkulin gemacht haben.
Von klinischen Erscheinungen treffen wir hier dieselben an, wie im vorigen
Falle; der feine, feste Sekretionsstreifen, welchen der Patient manchmal ab-
wischte, erschien sehr bald wieder. Von histologischen Befunden haben
wir folgendes bemerkt:
Das Epithelium hat ein spongiöses Aussehen wegen der zahlreichen
Vakuolen. Von diesen befinden sich manche in den Epithelzellen selbst,
andere zwischen zwei benachbarten Zellen, welche wie entfernt erscheinen
durch eine Flüssigkeit, welche sieh in diesem Zwischenraume ansammelte.
Die Epithelialzellen haben eine sehr unregelmässige Begrenzung und sind
sternförmig. Dieses Aussehen haben zgrösstenteils selbst die Zellen der
äussersten Epithelialschiehte. In diesem Falle erscheint das Epithelium durch
seine ganze Dicke reichlich von Polynuklearen durchzogen, welche zwischen
den Epithelialzellen wie durch Scheiden hindurchziehen, ähnlich den Epi-
thelialscheiden, welehe Renaut im Darm beschrieben hat. Manche von
diesen Polynuklearen dringen in die Intraepithelialvakuolen, andere machen
sich teilweise vom Epithelium los, um seine Oberfläche zu erreichen. Diese
Infiltration von Polynuklearen ist diffus.
In der Grundsubstanz bemerkt man einen sehr grossen Andrang von
Lymphocyten, zumal in ihrer äusseren Schichte, gleich unter dem Epitlıe-
lium. Diese Lymphoeyten erweitern die von den Bindegewebsfasern ve:
bildeten Räume, so dass die Infiltration von grossen Mononuklearen, welche
wir in den vorigen Fällen angegeben haben, kaum bemerkbar ist.
Was in diesem Falle noch auffällig erscheint, ist die grosse Erweite-
14 G. Stanculeanu u. D. Mihail
rung der lymphatischen Kapillaren, die sich gleich unter dem Epithelium
befinden, und ihre Anfüllung mit Lymphocyten.
Die Kapillaren der Blutgefásse, welche auch erweitert sind, enthalten
ausser einer Menge Lymphocyten eine grosse Anzahl von Polynuklearen
und Mastzellen. Ausserdem dringen die Polynuklearen in die äusseren
Schichten der Derma, während die Mastzellen, welche in diesem Falle sehr
häufig in der Derma sind, unabhängiger von den Gefässen zu sein scheinen.
Sie finden sich nicht mehr so regelmässig rings in ihrer Umgebung, son-
dern man trifft sie sogar gleich unter dem Epithelium an. In den tieferen
Schichten der Bindehaut bemerkt man nichts Besonderes, ausser wenigen
Mastzellen und Lymphocyten.
Das Charakteristische dieses Falles ist folgendes:
1. Die spongiöse Erscheinung und die starke, aber diffuse
Polynuklearinfiltration des Epitheliums.
2. Der grosse Lymphocytenandrang der äusseren Binde-
hautschichten.
Die Untersuchung der eytologischen Elemente der Conjunctivalsekretion
dieses Falles zeigt uns dieselben Elemente wie im vorigen Falle, mit Aus-
nahme der Polynuklearen.
Der vierte Fall (Fig. 4) betrifft den Kranken, bei welchem wir die
Biopsie 56 Stunden nach der Tuberkulininstillation gemacht haben. Was
diesen Fall vom klinischen Standpunkte aus charakterisiert, ist das Ver-
schwinden grösstenteils der akuten Phänomene der Entzündungsreaktion.
Die Conjunctiva fängt an blass zu werden und man konstatiert nichts an-
deres als eine unregelmässig konkretierte Sekretion im unteren Fornix.
Von histologischen Befunden haben wir folgendes über die Reaktion
auf Tuberkulin festgestellt: In der Dicke des Epitheliums befindet sich eine
grosse Anzahl von wahren Höhlungen verschiedener Grössen, welche die
Epithelialzellen entstellen. Wie auch im vorigen Falle sind manche von
diesen Höhlungen intraepithelial, andere interepithelial und, was noch cha-
rakteristischer scheint, dieselben sind mit einer enormen Masse von Poly-
nuklearen angefüllt.
Unter den Polynuklearen, welche sich in den Intraepithelialvakuolen
befinden, sind manche degeneriert und erscheinen wie isolierte Fragmente
oder wie feine Granulationen. Dieser Andrang von Polynuklearen ist zu-
gleich von einer intraepithelialen Digestion begleitet. Wir können noch
hinzufügen, dass das ganze Epithelium von Polynuklearen ditfus infiltriert ist.
Die Bindehautgrundsubstanz ist in diesem Falle weniger als im
vorigen von Lymphocyten infiltriert, dagegen aber ist die ganze äussere
Schichte diffus mit zahlreichen Polynuklearen und Mastzellen infiltriert.
Die Blutgefässe sind mit vielen Polynuklearen und einigen Lympho-
cyten angefüllt. Das Charakteristische dieses Falles, vom histologischen
Standpunkte aus, ist folgendes:
1. Die Aushöhlung der Epithelialschichte, hervorgerufen
von zahlreichen Cavitäten, voll Polynuklearen, welche sich
teilweise auf dem Wege intraepithelialer Digestion befinden.
2. Eine reichliche und diffuse Infiltration der Grundsub-
Die pathologische Anatomie der Ophthalmoreaktion. 15
stanz mit Polynuklearen, welche sich in beträchtlicher Anzahl
auch in den Blutgefässen vorfinden.
Die cytologische Untersuchung der Conjunctivalsekretion zeigt die-
selben Epithelialzellen, die jedoch mehr oder weniger entstellt und degeneriert
sind, und ausserdem eine Menge von Polynuklearen.
Wenn wir nun versuchen, allen diesen histologischen Phänomenen,
welche wir im Laufe der Conjunctivalreaktion auf Tuberkulin be-
obachtet haben, eine biologische Auffassung zu geben, gelangen wir
zu folgenden Schlüssen:
Das Tuberkulin in seiner lokalen Aktion bei der Oph-
thalmoreaktion bewirkt, dass die beiden Elementarschichten
der Conjunctiva: das Epithelium und die Conjunctival-
grundsubstanz, von einander getrennt und spezifisch re-
agieren.
Durch seine Einwirkung auf das Epithelium ruft. das
Tuberkulin eine übertriebene Sekretion dieses Epitheliums hervor,
welche Sekretion eine spezifische ist in dem Sinne, dass die in den
Epithelialvakuolen sekretierte und angesammelte Flüssigkeit eine An-
ziehungskraft bloss auf die Polynuklearen ausübt. Nur unter dem
Einflusse der vom Epithelium sekretierten und in den inter- und intra-
epithelialen Vakuolen angesammelten Flüssigkeit ist es erklärlich, dass
diese Polynuklearen massenhaft ins Epithelium einwandern, wo ein
Teil derselben der Digestion der Flüssigkeit unterworfen ist, wieder
ein anderer Teil, welcher dieser Aktion entgeht, an die Oberfläche
des Epitheliums gelangt und dort die konkretierte Sekretion, die
wir früher erwähnten, verursacht.
Diese Attraktion der Polynuklearen, welche durch die spezi-
tische Sekretion des Epitheliums ausgeübt wird, nimmt vom Beginn
und fast bis zu Ende der Ophthalmoreaktion zu, und hört alsdann
auf, während die Polynuklearinfiltration raseh zurückgeht. Durch
seine Einwirkung auf die Grundsubstanz und zwar auf ihre äussere
Schicht, welche nach unsern Untersuchungen selbst im physiologischen
Zustande eine Intiltration von grossen Mononuklearen zeigt, ruft das
Tuberkulin ebenso wie beim Epithelium einen Reiz auf die grossen
Mononuklearen hervor. welche eine spezifische Sekretion geben, so dass
die Sekretion der grossen Mononuklearen einen Andrang von. Lympho-
eyten hervorruft, was wir beim dritten Falle bemerkten. Dieser An-
drang von Lymphoevten, welcher durch die Attraktion der Sekretion
der grossen subepithelialen Mononuklearen bewirkt wurde, ist. wie wir
im Laufe dieser Beschreibung gesehen haben, übermässig gross im
76 G. Stanculeanu u. D. Mihail, Die patholog. Anat. d. Ophthalmoreaktion.
dritten Falle, nämlich 32 Stunden nach der Instillation von Tuber-
kulin, und ist derart ausgeprägt, dass er teilweise den gleichzeitigen
Polynuklearenandrang verdecken könnte. Der Lymphocytenandrang
ist jedoch von kürzerer Dauer, da er im vierten Falle, also 56 Stun-
den nach der ‚Tuberkulininstillation, stark reduziert ist, während der
Polynuklearenandrang sich in voller Tätigkeit befindet, was die Con-
junetivaschnitte und die Conjunetivalsekretion beweisen.
Zum Schlusse können wir feststellen, dass die Reaktion der Con-
junctiva auf Tuberkulin nicht, wie wir in der Veröftentlichung der
ersten Untersuchung glaubten, eine reine Lymphocytenreaktion sei,
sondern sie ist eine gemischte Reaktion: ein Polynuklearenandrang von
längerer und ein Lymphocytenandrang von kürzerer Dauer.
Weniger aufgeklärt sind wir über die Bedeutung der Mastzellen
bei dieser Reaktion. Wenn wir ihre Rolle durch die Stellung, welche
sie den Geweben gegenüber einnehmen, erklären wollten, müssten wır
daraus folgern, dass auch sie, wie die Lymphocyten, von der Sekretion
der grossen subepithelialen Mononuklearen angezogen sind.
Wenn wir uns aber durch ihre nähere Verwandtschaft mit den
Polynuklearen leiten lassen, sowie durch die Zeit ihrer Evolution,
welche sich gerade so wie der Polynuklearenandrang verhält, so nehmen
wir an, dass es wahrscheinlicher ist, dass auch diese Zellen von der
Sekretion des Epitheliums angezogen sind und noch einen spezifischen
anatomo-pathologischen Unterscheidungspunkt der Ophthalmoreaktion
bilden.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. I, Fig. 1—4.
Fig. 1. B: = Becherzellen. Vz. — Vakuolarenzellen. M. V. == Grosse
Mononuklearen mit Vakuolen. M. @. = (irosse Mononuklearen mit Granulationen.
L. = Lymphocyten. 6G. — Gefüsse.
Fir. 2. P. — Polynuklearen. M. V. — Grosse Mononuklearen mit Vakuolen.
G. — Gefüsse. Mz. — Mastzellen. M.G. = Grosse Mononuklearen mit Gra-
nulationen.
Fig. 3. V. — Vakuolen. P. — Polynuklearen. L. = Lymphocyten. C. L.
— Lymphatische Kapillaren. Mz. — Mastzellen. M. — Grosse Mononuklearen.
(r. = Gefüsse.
Fig. 4. V. P. — Vakuolen mit Polynuklearen. M. V. = Grosse Mono-
nuklearen mit Vakuolen. Mz. — Mastzellen.
Aus den Universitäts-Augenkliniken zu Kiel und zu Strassburg i. E.
Über Stórungen der Dunkeladaptation.
Von
Dr. K. Stargardt,
Privatdozent und Oberarzt an der Universitäts- Augenklinik zu Strassburg i. Els.
(Direktor: Prof. Dr. Schirmer.)
Mit Taf. II—VI, Tabelle 1—5 und 15 Figuren im Text.
Einleitung.
Unter Dunkeladaptation verstehen wir seit Aubert die Anpassung
des Auges an so schwache Lichtreize, wie sie uns in stark verdunkelten
Räumen oder in der Dämmerung zur Verfügung stehen. Weil in der
Abenddämmerung, wenigstens in der vorgeschrittenen, ausschliesslich
oder fast ausschliesslich nur so schwache Lichtreize vorhanden sind,
dass das Auge sich erst auf sie adaptieren muss, bezeichnen wir das
Sehen unter diesen Bedingungen auch als Dämmerungssehen.
Es ist eine alltägliche Erfahrung, dass man beim plötzlichen
Übergang aus hellen in stark verdunkelte Räume (z. B. Zimmer für
Röntgenuntersuchungen) zuerst gar nichts sieht, dass erst nach einiger
Zeit einzelne Gegenstände sichtbar werden, wenn sich das Auge an
die „Dunkelheit gewöhnt“ hat. Da diese „Gewöhnung“ an die Dunkel-
heit oder mit andern Worten die Dunkeladaptation durch Verände-
rungen im Sehorgan bedingt ist, da das Sehorgan sich demnach in
einem verschiedenen Zustande befindet, je nachdem wir uns im Hellen
oder im Dunkeln aufhalten, so spricht man auch von „Stimmungen“
des Sehorgans. Es ist schon seit langen Zeiten bekannt, dass die
Dunkeladaptation gestört sein oder auch gänzlich fehlen kann, eine
Erscheinung, die man ja als Hemeralopie bezeichnet. Genauere Unter-
suchungen über die Störungen der Dunkeladaptation liegen aber erst
aus den letzten Jahrzehnten vor.
Auch der Zweck der vorliegenden Arbeit war es, mit Hilfe
neuer Methoden weitere Aufschlüsse über die Art der Störungen
der Dunkeladaptation bei den verschiedensten Augenaffektionen
zu erhalten.
18 K. Stargardt
Wollen wir zu einem Verstündnis der Stórungen der Dunkel-
adaptation gelangen, so müssen wir immer wieder die physiologischen
und anatomischen Grundlagen der Dunkeladaptation berücksichtigen.
Leider ist auf diesen beiden Gebieten unser Wissen noch recht
lückenhaft.
Bis vor wenigen Jahren galt für die Zunahme der Lichtempfind-
lichkeit des Auges bei herabgesetzter Beleuchtung (Dunkeladaptation)
die von Aubert aufgestellte Adaptationsregel. Nach dieser sollte
die Empfindlichkeit des Auges bei Dunkelaufenthalt in den ersten 5,
höchstens 10 Minuten rapide ansteigen, dann ungefähr auf gleicher
Höhe bleiben, auch bei einem Dunkelaufenthalt von mehr als zwei
Stunden. Auberts (auf S. 37 angebrachten) Kurven zeigen dieses
Verhalten in sehr anschaulicher Weise.
Wenn man auch Aubert das Verdienst lassen muss, als erster
auf die Bedeutung der Dunkeladaptation hingewiesen zu haben, so
können seine Resultate heute doch nicht mehr anerkannt werden.
Die Schuld daran ist seiner Methode (Beobachtung glühender Platin-
drähte) beizumessen, auf deren Fehlerhaftiskeit besonders Piper(1)
hingewiesen hat.
Charpentier (2) kam unsern heutigen Anschauungen schon
etwas näher.
Treitel verhalf durch seine Untersuchungen nur der fälschlichen
Auffassung Auberts zu allgemeinerer Annahme.
1903 hat Piper mit einer besonderen Methode (vgl. unten) den
Gang der Adaptation genauer gemessen. Er ist dabei zu wesent-
lich andern Resultaten als Aubert gekommen. Leider ist selbst
in neuesten Lehrbüchern (Axenfeld) noch immer nicht auf diese
Untersuchungen Rücksicht genommen, und wird noch vielfach die
Aubertsche Adaptationsregel als gültig angeführt.
Seine Untersuchungen sind bisher von allen Nachuntersuchern
bestätigt worden. Auch ich bin, soweit es sich um Untersuchung
normaler Augen handelt, zu genau denselben Resultaten gekommen.
Das prinzipiell Wichtige in den Untersuchungen Pipers liegt
darin, dass er nachweisen konnte, dass die Empfindlichkeit des Auges
für Lichtreize in den ersten 10 Minuten so gut wie ear nicht, dann
aber ziemlich gleichmässig bis zur 30. oder 45. Minute ansteirt und
zwar in dieser Zeit sehr erheblich, selbst bis auf das 8000fache
und mehr des Anfangswertes. Von diesem Punkte an erfolste keine
weitere Steigerung, die Adaptationskurve blieb jetzt, auch bei mehr-
stündiger Beobachtung, auf derselben Höhe.
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 19
Die Empfindlichkeitszunahme, die sich bei verschiedenen Per-
sonen nachweisen liess, war nun durchaus nicht immer die gleiche,
vielmehr fanden sich Werte zwischen einer 1418- und einer 8393 fachen
Zunahme. Auch der Kurvenverlauf war bei verschiedenen Personen
verschieden. Es liessen sich im wesentlichen aber zwei Typen fest-
stellen, von denen der eine durch eine sehr schnelle und meistens
auch sehr hochgradige Empfindlichkeitszunahme, der andere durch
langsame und in der Hegel weniger ausgiebige Adaptation ausge-
zeichnet ist. Unabhängig sind diese Typen, wie Piper entgegen
Tschermak(1) feststellen konnte, vom Farbensinn und eventuellen
Farbensinnstórungen. Höchstwahrscheinlich handelt es sich hier für
jedes Auge um eine angeborene spezifische Eigenschaft.
Ist auch jetzt über den Gang der normalen Dunkeladaptation
Klarheit geschaffen, so ist das leider nicht der Fall in bezug auf die
Frage, wie denn der Adaptationsvorgang im Auge sich abspielt,
welche anatomischen und physiologischen Veränderungen im Auge
der Dunkeladaptation zugrunde liegen.
Hier stehen sich die verschiedensten Ansichten noch schroff
gegenüber.
Die meisten Anhänger zählt heute wohl die „Duplizitätstheorie‘
(v. Kries 1) Nach der „Duplizitätstheorie“ sind die anatomisch
differenten Netzhautelemente (Stäbchen und Zapfen) auch als physio-
logisch differente Apparate aufzufassen. Die Stäbchen, der „Dämme-
rungsapparat“ können ihre Empfindlichkeit durch „Dunkeladaptation“
in ausgiebigstem Masse steigern, sie sind allein im stande, auf sehr
schwache Reize, die für die Zapfen unterschwellig sind, zu reagieren,
und sie reagieren nach Dunkeladaptation relativ viel kräftiger auf
schwache Reize, als bei Helladaptation auf starke. Sie sind ferner
total farbenblind und können nur quantitativ verschieden stark re-
agieren. Die Zapfen, „der Hellapparat“ sind farbentüchtig, sie reagieren
sowohl quantitativ wie qualitativ verschieden, d. h. sie geben quan-
titativ und qualitativ verschiedene Empfindungseffekte. Sie reagieren
nur auf starke Reize.
Die Reizwertrelationen der homogenen Lichter sind für Stäbchen
und Zapfen verschieden. Die Zapfen werden am stärksten durch
die langwelligen Strahlen erregt und zwar maximal von Licht mit
600 uu Wellenlänge (im Spektrum bei Gelborange) Die Stäbchen
dagegen reagieren maximal auf Licht von mittlerer Wellenlänge,
530 uu (im Spektrum Stelle des Grün), dagegen wenig oder gar
nicht auf langwellige Strahlen.
80 | K. Stargardt
Die Duplizitátstheorie hat sich sehr langsam entwickelt, aber
mit dem Fortschreiten unserer anatomischen und physiologischen
Kenntnisse allmählich immer mehr an Boden gewonnen. Zurück-
zuführen ist sie in letzter Linie wohl auf Max Schultze, der für
die anatomische Verschiedenheit zwischen Stäbchen und Zapfen eine
physiologische Erklärung suchte.
Auf die Differenz in der Lokalisation der Stäbchen und Zapfen
beim Menschen, auf die Verschiedenheit der von den Stäbchen und
Zapfen ausgehenden zentripetal verlaufenden Fasern (bei Zapfen
2—4 u dick, bei Stäbchen von kaum messbarer Dünne), auf das
Fehlen der Zapfen bei denjenigen Tieren, „die im Dunkeln zu leben
vorziehen“, auf die geringe Zahl der Zapfen bei der Katze, auf ihre
rudimentäre Ausbildung beim Kaninchen, auf den Zapfenreichtum
der Tagvögel, den fast vollkommenen Zapfenmangel der Nachtvögel,
auf das Fehlen der Stäbchen bei Eidechsen und Schlangen hat Max
Schultze seine physiologische Erklärung aufgebaut. Die Stäbchen
besitzen nach ihm für „quantitative Lichtperzeption“ einen Vorzug
vor den Zapfen (1, S. 252).
Nehmen wir an, dass der Farbensinn an besondere Nerven-
apparate gebunden ist, so „lässt sich erwarten, dass diese Apparate
den ausschliesslich im Dunkeln lebenden Tieren fehlen, und so kommen
wir folgerichtig auf die Vermutung, die Zapfen möchten die Nerven-
endorgane des Farbensinns sein“.
Durch die Entdeckung des Sehpurpurs ist die Max Schultzesche
Hypothese von der physiologisch verschiedenen Bedeutung der Stäb-
chen und Zapfen weiter gestützt worden. Kühne weist ganz be-
sonders darauf hin, dass von einer Verwertung der Optographie im
Sinne spezifischer Farbenwahrnehmung, wie man anfangs gehofft
hatte (Haab), gar keine Rede sein könnte. Der Sehpurpur hat
mit der Farbenwahrnehmung nichts zu tun. Mit Hilfe des Purpurs
und der Stäbchen vermögen wir das Spektrum zwar wahrzunehmen,
aber nur in Grau schattiert, ähnlich „wie der Farbenblinde“.
Durch physiologische Untersuchungen haben dann vor allem
Charpentier und Parinaud die Duplizitätstheorie zu stützen ge-
sucht. Charpentier (1—3) unterschied die Empfindung farbloser
Helligkeit mit undeutlicher Lokalisation, la perception lumineuse
brute, von der „vision nette“. Die eine wurde durch die „éléments
photesthésiques“, die andere durch die „éléments visuels proprement
dits“ vermittelt. Die ersteren erklärte er später für identisch mit
den Stäbchen, die letzteren mit den Zapten.
Über Störungen der Dunkeladaptation. S1
Parinaud stellte sich ganz auf den Boden der Max Schultze-
schen Theorie. Nach Parinaud sind die Stäbchen mit dem Seh-
purpur die Organe für die „vision nocturne ou crepusculaire“, die
Zapfen die Organe der exakten Raum- und der Farbenwahrnehmung.
Er bezeichnet seine Theorie als die „theorie de deux retines, celle
des cônes et celle des bâtonnets et du pourpre“.
Die purpurfreien Zapfen erhalten durch den Lichtreiz eine Er-
regung de nature plus spécialement physique, die Stäbchen werden
nur durch Vermittlung des Sehpurpurs erregt, diese Erregung ist
gebunden an einen processus de nature chimique.
Eine ganz ähnliche Trennung zwischen physikalischer Reizung
der Zapfen und chemischer der Stäbchen hat in letzter Zeit Meis-
ling vorgenommen. Die Wirkung auf die Stäbchen ist nach ihm
analog der Wirkung des Lichtes auf eine mit Sehpurpur sensibili-
sierte photographische Platte. Die Zapfen fasst er als elektrische
für verschiedene Wellenlängen des Lichtes abgestufte Empfangsappa-
rate auf, ähnlich den Antennen der drahtlosen Telegraphie.
In Deutschland ist die Duplizitätstheorie ganz besonders durch
v. Kries(3) und seine Schüler in einer Reihe von Arbeiten gestützt
worden. Jedenfalls ist bis heute ein reiches Material von Tatsachen,
die für die Duplizitátstheorie sprechen, beigebracht worden (vgl.
Piper3). Dahin gehört der Nachweis des Fehlens der Dunkel-
adaptation in der nur Zapfen führenden Fovea, der Nachweis der
totalen Farbenblindheit der Stäbchen (das sog. „farblose Intervall“
fehlt in der Fovea), der Nachweis, dass die langwelligen Strahlen
beim Dämmerungssehen minimalen oder gar keinen Reizwert für die
Netzhaut haben (Purkinjesches Phänomen), der Nachweis der Über-
einstimmung der Kurve der Bleichungswerte der homogenen Lichter
für Sehpurpur mit der Kurve der nach subjektiver Methode gefundenen
Dämmerungswerte (Trendelenburg), und der Nachweis, dass am
helladaptierten Auge die stärksten Aktionsströme durch Reizung mit
langwelligen Strahlen, am dunkeladaptierten Auge dagegen durch
Reizung mit Strahlen mittlerer Wellenlänge erzeugt werden.
Trotzdem bleiben noch viele Fragen offen. Dahin möchte ich
z. B. die Frage zählen, wieweit Stäbchen und Zapfen gleichzeitig
beim Sehen beteiligt sind. Piper(3) nimmt zwar an, dass für ge-
wóhnlich die beiden anatomisch und funktionell verschiedenen licht-
perzipierenden Apparate gleichzeitig in Tätigkeit sind. Mischt sich
nach Piper zu einer Zapfenerregung, die allein die Empfindung einer
gesättigten Farbe geben würde, die Stäbchenerregung, die eine Weiss-
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, LXXIII. 1. 6
89 K. Stargardt
empfindung auslöst, so muss der Sättigungsgrad der Farbe beein-
trächtigt werden, sie muss weisslicher erscheinen, und zwar soll dies
in um so höherem Grade der Fall sein, je günstiger die Bedingungen
für die Stäbchenfunktion liegen, d. h. je mehr die Netzhaut dunkel-
adaptiert ist und je geringer die Reizstärke ist. Bei herabgesetzter
Beleuchtung mag das gelten. Dass aber die Stäbchen auch bei in-
tensiverer Beleuchtung zum Sehen beitragen, dafür fehlt bis heute
jeder Beweis. Im Gegenteil sprechen manche Beobachtungen direkt
dagegen. Betrachtet man die total Farbenblinden als Stäbchenseher,
so muss gerade deren Verhalten beim helleren Lichte als Gegenbeweis
dienen. Viel wahrscheinlicher scheint es mir, dass bei heller Be-
leuchtung der Sehpurpur ausgebleicht wird und die Stäbchen dadurch `
ausser Funktion gesetzt werden. Auf dieses Ausbleichen des Seh-
purpurs könnte man auch die Blendung zurückführen, die nach
längerem Dunkelautenthalt beim Heraustreten ins Helle auftritt. Zu
der von vornherein guten Zapfenfunktion, die man aus der guten
Sehschärfe und dem Farbensinn schliessen kann, gesellt sich eine
diffuse starke Helligkeitsempfindung (Blendung), die eben durch Aus-
bleichen des Sehpurpurs bedingt ist und mit der völligen Ausbleichung
nach einigen Minuten erlischt. Deswegen kann man meines Er-
achtens nach auch nicht recht von „Helladaptation“ als von einem
zeitlichen Vorgange sprechen. Der Zaptenapparat ist sofort funktions-
fähig, auch wenn er plötzlich nach längerem Dunkelaufenthalt in
Anspruch genommen wird. Nur wird die Zapfenfunktion durch die
plötzliche starke Ausbleichung des Sehpurpurs etwas gestórt. Das
was Lohmann (2) als „Helladaptation“ messend bestimmt hat,
ist nichts weiter, als die durch vorübergehende intensivere Belichtung
gestörte und verminderte Dunkeladaptation. Der Zapfenapparat
braucht eben nicht cine längere Zeit um funktionsfähig zu werden,
sondern er ist es oflenbar sofort, wenn genügend starke Reize auf
ihn einwirken.
Eine ganz andere Frage ist es noch, ob und wieweit die Zapfen
überhaupt adaptationsfählg sind.
Die bisher darüber vorliegenden Resultate sind von einer end-
gültigen Lösung der Frage doch noch weit entfernt.
Die Schwierigkeiten der Beantwortung liegen darin, dass man
zwar den Stäbchenapparat isoliert reizen kann durch Reizlichter, die
für den Zapfenapparat unterschwellig sind, dass der Zapfenapparat
dagegen nur in dem kleinen stäbchenfreien Bezirk der Fovea centralis
isoliert gereizt werden kann und nur mit sehr hellen Lichtern. Bei
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 83
Untersuchung mit sehr kleinen Objekten, die sich nur in der Fovea
abbilden konnten und bei Anwendung von rein rotem Lichte (Rubin-
glas und Methylgrünlösung-Kombination) fanden Nagel und Schaefer
nur eine Steigerung der Empfindlichkeit auf den vierfachen Betrag.
Da die Untersuchungen aber immer erst nach der ersten Minute aus-
geführt werden konnten, glauben sie, dass dieser Betrag noch höher
ist und zwar schätzungsweise das zwanzigfache des Anfangswertes.
Mit einer andern Methode, Beobachtung eines rein roten Feldes unter
einem Gesichtswinkel von 20—30° fanden sie, wenn das Auge nur
missig helladaptiert war (durch Anblicken eines aus !/,m Entfernung
von einer 50 kerzigen Glühlampe beleuchteten Kartons), eine adap-
tative Steigerung um das 16—32 fache, bei starker Helladaptation
dagegen (durch längeren Aufenthalt im Freien an hellen Tagen) eine
Steigerung der Empfindlichkeit auf den etwa 200 fachen Betrag des
Anfangswertes. Und diese Steigerung sollte in den ersten 5 Minuten,
ilso vor Beginn des eigentlichen Dümmerungssehens erreicht werden.
Auch Mayer und Butz sind der Ansicht, dass der Zapfen-
apparat deutlich, aber verhültnismássig wenig an der Umstimmung
des Sehorgans beteiligt ist, da die Farbenschwellen bei Dunkeladap-
tation heruntergehen und zwar in den ersten Minuten betrücht-
lich. Auch Treitel (2) vertrat diesen Standpunkt, doch ist seine
Methode, die in der Messung des farblosen Intervalls bestand, nicht
zuverlässig.
Charpentier und Shermann hielten. die. Farbenschwelle für
unveründerlich. Dass das Optimum des Hellsehens erst nach ge-
wisser Zeit erreicht wird, ist von Schirmer festgestellt worden.
Auf jeden Fall ergibt sich schon aus den verschiedenen Resultaten,
die man mit verschiedenen Methoden erhält, dass von einer Klarheit
auf diesem Gebiete noch keine Rede sein kann.
Den Anhängern der Duplizitätstheorie stehen nun eine ganze
Reihe Gegner gegenüber (Hering, Hess, Tschermak). Sie be-
kämpfen vor allem die v. Kriessche Ansicht vom ,,Doppelweiss* d. h.
die Ansicht, dass die Weissempfindung auf zweierlei verschiedene Weisen
entstehen soll, einmal als monochromatisches Weiss durch Reizung der
Stäbchen, das andere Mal als trichromatisches Weiss durch Reizung
der Zapfen. Diese Ansicht widerspricht allerdings auch der in
der Sinnesphysiologie allgemein gültigen Annahme, dass gleiche
Enpfindungseffekte auf gleiche Erregung des Sinnesorganes schliessen
lassen.
Ferner sind von Gegnern der Duplizitätstheorie einige Grund-
6*
84 K. Stargardt
lagen, auf die die Theorie sich stützte, nicht ohne Erfolg angegriffen
worden, so das angebliche Fehlen der Dunkeladaptation bei Hühnern
(Hess) Hering (vgl. Tschermak 1) sucht die Adaptation in letzter
Linie auf Stoffwechselvorgänge zurückzuführen, indem hier, wie auch
bei andern Anpassungen der Organismen, der Stoffwechsel bei Wechsel
der Bedingungen zunächst eine Störung, eine Reizung, erfährt, dann
aber wieder ins Gleichgewicht kommt.
Noch grössere Schwierigkeiten als die Erklärung der physiolo-
gischen Dunkeladaptation bietet die Erklärung der Störungen der
Adaptation, da unsere positiven Kenntnisse über Veränderungen in
kranken Augen, die in Beziehung zur Adaptation gebracht werden
könnten, ausserordentlich dürftig sind. Stellen wir uns auf den Boden
der Duplizitätstheorie, so werden wir in erster Linie das Verhalten
des Sehpurpurs zu berücksichtigen haben.
Über den Sehpurpur bei pathologischen Prozessen liegen bisher
nur Untersuchungen von Andogsky aus der Leberschen Klinik
vor. Andogsky hat das Verhalten des Sehpurpurs bei Netzhaut-
ablösung untersucht und hat dabei gefunden, dass ın der abgelösten
Netzhaut sich Sehpurpur nur dann nachweisen lässt, wenn das zu
dem Versuche benutzte Auge schon vor dem Eintritt der Ablösung
im Dunkeln gehalten war und auch nach dem Beginn der Ablösung
nicht mehr dem Lichte ausgesetzt wurde. Wurde die Netzhaut dem
Lichte ausgesetzt, so verblasste der Sehpurpur und bildete sich nicht
wieder.
Rein theoretisch hat man den Mangel oder das gänzliche Fehlen
des Sehpurpurs für eine ganze Reihe von Adaptationsstörungen ver-
antwortlich gemacht. Da wo sich schon klinisch Veränderungen im
Pigmentepithel nachweisen liessen, ist das bis zu einem gewissen
Punkte berechtigt. Ganz anders liegt schon die Sache in den Füllen,
in denen Pigmentepithelveränderungen nicht vorhanden waren, z. B.
bei idiopathischer Hemeralopie und gewissen Füllen von Ikterus.
Auch hier hat man ohne tatsächliche Grundlagen einfach eine Störung
oder ein gänzliches Sistieren der Selhpurpurbildung angenommen. Ich
habe bei experimentellem Ikterus bei. Kaninchen (1) und bei Hunden!)
eine Anomalie in der Sehpurpurbildung nicht finden können. Weder
liess sich ein Unterschied in der Menge des gebildeten Sehpurpurs
im Vergleich zum normalen Auge, noch eine Verlangsamung der
Purpurbildung nachweisen.
1) Uber die beim Hunde erhaltenen Resultate werde ich in einer demnächst
erscheinenden Arbeit berichten.
Cher Störungen der Dunkeladaptation. 85
Die Ansicht von einer direkten Beeinflussung des Sehpurpurs
ohne Störungen des Pigmentepithels schwebt demnach noch völlig in
der Luft.
Auch die Frage, ob und welche Vorgänge im Auge wir ausser
der Sehpurpurbildung noch für Adaptationsstörungen verantwortlich
machen können, führt uns in fast gänzlich unbekannte Gebiete. Die
Pigmentwanderung kommt für den Menschen sicher nicht in Betracht.
Auch bei Albinotischen kann sich normale Adaptation und normales
Dunkelgesichtsfeld (mit unterschwelligen Lichtern geprüft) finden. o
Die bei manchen Tieren beobachteten Zapfenänderungen (Ver-
dickung und Verkürzung der Aussenglieder, Verkürzung des Myoids,
Annäherung des Ellipsoids an die Kugelform) sind beim Säugetier
(van Genderen Stort), speziell beim Affen (Garten 1) ausser-
ordentlich gering.
Ob sie beim Menschen überhaupt vorkommen, ist zum mindesten
zweifelhaft (Garten 1). Für die Dunkeladaptation kommen diese
Veränderungen schon deswegen nicht in Frage, weil wir guten Grund
zu der Annahme haben, dass die Adaptation der Zapfen nur eine
ganz nebensächliche Rolle spielt. Die Veränderungen an den Stäb-
chen (Verkürzung, bzw. Streckung) sind bisher auch nur bei manchen
Tieren (Huhn, Bley) beobachtet.
Ob die, auch beim Menschen beobachtete (Greeff) Wanderung
der äusseren Kórner über die Membrana limitans. externa hinaus in
Beziehung zum Adaptationsvorgang steht, darüber wissen wir eben-
falls nichts.
Auch die Veränderungen des färberischen Verhaltens mancher
Netzhautelemente bei Belichtung (Garten 1) und der chemischen
Reaktion (Angelucci, Lodato und Maggio, vgl. Nagel S. 91)
lassen einen Zusammenhang mit der Dunkeladaptation nicht erkennen.
Klinische Untersuchungen über die Adaptation und ihre Stórungen
sind von einer ganzen Reihe von Autoren ausgeführt worden (Parinaud,
Fórster, Treitel, Schirmer u. Anderen. Doch haben diese
Untersuchungen heute nur noch eine beschränkte Gültigkeit, da sie
mit Apparaten ausgeführt wurden, die nicht mehr als einwandsfrei
gelten können. Am beliebtesten war früher das Förstersche Photometer
(richtiger eigentlich Photoptometer). Auf seine Fehler ist schon früher
wiederholt hingewiesen worden. Urbantschitsch zeigte die Differenz
in der Beleuchtung der einzelnen Striche, die sich aus der schrägen
Lage des Fensters ergab; Wolffberg wies nachdrücklich auf die
Fehler, die sich aus der ganzen Konstruktion des Beleuchtungsapparates
86 K. Stargardt
ergaben, hin; Treitel, Mauthner und Bjerrum betonten besonders,
dass bei der Untersuchung auch Anforderungen an den Raumsinn
gestellt würden, und Lohmann hat in letzter Zeit bei vergleichenden
Untersuchungen mit dem Nagelschen Adaptometer ganz erhebliche
Fehler des Försterschen Apparates nachgewiesen.
Neuere Untersuchungen mit einwandfreien Apparaten haben zu
einer Reihe neuer Resultate geführt.
Messmer, Lohmann und Horn haben sich des Naxgzelschen
&Adaptometers, Heinrichsdorf des älteren Piperschen Apparaätes
bedient (1), Hess hat mit einer besonderen, eigenen Methode untersucht.
Alle diese Untersuchungen haben nur den Zweck gehabt, den
Gang der Adaptation und die nach einem bestimmten Dunkelauf-
enthalt vorhandene Endschwelle festzustellen.
Daneben hat man auch versucht, Gesichtsfeldaufnahmen im
Dunkelraum mit Lichtern auszuführen, die unter der Schwelle des
helladaptierten Auges liegen sollten. So haben Wilbrand und Lieb-
recht eine Reihe von Untersuchungen mit einem „Dunkelperimeter“
ausgeführt, bei dem das Objekt aus Leuchtfarbe bestand. Auf das
Unzureichende dieser Metliode werde ich noch später näher eingehen.
Methode.
Meine Untersuchungen erstreckten sich nach zwei Richtungen.
Erstens habe ich den Gang der Adaptation und die nach
längerem Dunkelaufenthalt (gewöhnlich °/, Stunden) vorhandene Em-
pfindlichkeit der Netzhaut mit grossen und kleineren Objekten bei
den verschiedensten Augenerkrankungen gemessen, und zweitens habe
ich Gesichtsfeldaufnahmen im Dunkelzimmer ebenfalls nach guter
Dunkeladaptation mit Objekten vorgenommen, die unter der Schwelle
des helladaptierten Auges lagen.
Zu dem ersten Teil meiner Untersuchungen bediente ich mich
des Piperschen Adaptometers (Piper 4) Im wesentlichen besteht
dieser Apparat aus einem 75cm langen Kasten, in dessen hinterem
geschlossenen Ende eine 50 kerzige Glühlampe brennt. 25cm davor
ist eine Milchglasplatte und unmittelbar vor dieser eine von aussen
verstellbare Aubertsche Blende angebracht. 25cm vor dieser be-
findet sich eine zweite Milchglasplatte mit Aubertscher Blende, und
wieder 25cm vor dieser eine dritte Milchglasplatte mit Aubertscher
Blende. Die durch jede Blende gegebene quadratische Öffnung lässt sich
von 100 mm Seitenlünge auf 4 mm Seitenlänge verengern. Die vorderste
Milehelasplatte dient als Beobachtungsobjekt. Durch die vor ihr ange-
Über Stórungen der Dunkeladaptation. S1
brachte Blende kann man dieses Objekt beliebig vergróssern und ver-
kleinern.
Es stehen uns demnach zur Untersuchung quadratische Objekte
von 100—4mm Seitenlünge zur Verfügung; die Helligkeit dieser
Objekte lässt sich durch Öffnen oder Schliessen der beiden hintersten
Blenden in weiten Grenzen variieren, so dass die höchstmögliche
Helligkeit das 400000 fache der minimalsten beträgt. Bei der zahlen-
mässigen Feststellung des Ganges der Adaptation ist nun im Folgen-
den so verfahren, dass die Empfindlichkeit der Netzhaut, die vor-
handen sein muss, damit das minimal hell beleuchtete Objekt gerade
noch wahrgenommen wird, — 1 gesetzt wird. Wird ein Objekt, das
nur Un dieser Helligkeit besitzt, wahrgenommen, so wird die Empfind-
lichkeit der Netzhaut 10V mal so gross sein, wie im ersten Falle usw.
An dem Apparat ist an jeder Blende eine Skala angebracht,
die man mit Hilfe einer roten Dunkelkammerlaterne bequem ablesen
kann. Aus einer von Piper berechneten Tabelle kann man dann
jederzeit den Empfindlichkeitswert, der einem bestimmten Skalenwerte
entspricht, feststellen.
Die als 1 gesetzte Empfindlichkeit entspricht, wie eine Reihe von
Versuchen an normalen Augen ergeben haben, gerade derjenigen, die
ein normales Auge bei maximaler Helladaptation besitzt. Als maximale
Helladaptation ist dabei diejenige angesehen, die nach etwa einstündigem
Aufenthalt im Freien erreicht wird, wenn das Auge möglichst aus-
siebig, z. B. durch Betrachten des Himmels, dem Lichte ausgesetzt
war. Bei weniger ausgiebiger Helladaptation ist der Schwellenwert ein
wesentlich niedriger, die Empfindlichkeit der Netzhaut erheblich höher.
Da die Empfindlichkeit, die sofort nach Eintritt in das Dunkel-
zimmer am Adaptometer gefunden wird, in recht erheblichen Grenzen
je nach der vorausgesangenen Helladaptation varıiert, habe ich es
nicht für zweckmüssig gehalten, den nach bestimmten Zeiten erreichten
Empfindlichkeitswert durch die Zahl auszudrücken, welche angibt,
um das wie vielfache die Empfindlichkeit ım Verhältnis zur Anfangs-
empfindlichkeit gestiegen ist. Im allgemeinen fand sich eine Antangs-
empfindlichkeit zwischen 1 und 5, daneben kommen aber auch eine
ganze Reihe von Fällen vor, in denen auch das maximal beleuchtete
Objekt im Anfang und selbst nach 1— 2 Minuten nicht erkannt wurde.
In diesen Fällen bleibt es ungewiss, wo wir die Hellschwelle zu suchen
haben, und es ist deswegen auch unmöglich, hier die Steigerung der
Dunkeladaptation durch den Quotienten zwischen End- und Anfangs-
empfindlichkeit auszudrücken.
88 « K. Stargardt
Für diese Fälle müsste das Adaptometer wesentlich grössere
Lichtstärken liefern, als die jetzige maximale Lichtstärke. Ein weiterer
Nachteil des Piperschen Adaptometers, speziell im Vergleich zum
Nagelschen beruht darin, dass es bisher nicht ausphotometriert ist.
Es ist deswegen nicht móglich, die Helligkeit der benutzten Objekt-
fläche ohne weiteres mit den von andern Autoren mit andern Appa-
raten gefundenen Werten zu vergleichen.
Der Untersuchung am Adaptometer ging stets eine möglichst
ausgiebige Helladaptation voraus. Aus äusseren Gründen konnte
diese natürlich nicht in allen Fällen die gleiche sein. Meist wurden
die Patienten !|, Stunde lang ins Freie geschickt und sofort nach
Betreten des Zimmers untersucht. Bei schlechtem Wetter wurden
sie 1,—1 Stunde vor das ungefähr 4:2 m grosse Fenster des Hör-
saals gesetzt. In jedem Falle wurden sie veranlasst, ihre Augen
möglichst intensiv, aber ohne sie zu blenden, dem Lichte auszusetzen.
Im Dunkelzimmer wurde sofort nach dem Eintreten die erste
Bestimmung ausgeführt. Mit der Art der Untersuchung waren die
Patienten vor Beginn der Helladaptation vertraut gemacht worden.
Die Bestimmungen wurden stets in der Weise ausgeführt, dass
das Objekt zuerst so hell gezeigt wurde, dass es deutlich gesehen wurde,
dann zum Verschwinden gebracht wurde und nun langsam heller
beleuchtet wurde, bis es über die Schwelle des Beobachters trat.
Dann wurden noch ein oder mehrere Kontrollprüfungen vorgenommen,
indem das Objekt durch einen genügend grossen Pappschirm bald
verdeckt, bald aufgedeckt wurde. Der zu Untersuchende musste nun
jedesmal angeben, ob das Objekt sichtbar war oder nicht.
In der ersten halben Stunde, wo die Adaptation mit jedem
Moment wächst, verbieten sich allzu häufire Kontrolluntersuchungen
von selbst. Der nach 45 Minuten gefundene Endwert wurde aber in
jedem Falle durch mehrere Nachprüfungen auf seine Richtigkeit unter-
sucht. Meist wurde bis zur 30. Minute von 5 zu 5 Minuten untersucht.
Bei der von mir angewandten Methode erhält man recht genaue
Resultate. Allerdings sind die dabei gefundenen Werte etwas kleiner,
als wenn man das Objekt zunächst überschwellig zeigt, seine Inten-
sitit dann allmählich verringert und sich den Augenblick des Ver-
schwindens angeben lässt (Piper). Diese letztere Methode ist zwar
für physiologische Untersuchungen, wo man es mit geschulten Be-
obachtern zu tun hat, geeignet; für klinische Zwecke ist sie unbrauchbar.
Darauf, dass Lohmann und Horn diese Methode anwandten, ist
es wohl auch zurückzuführen, dass sie in manchen Fällen höchst
Über Störungen der Dunkeladaptation. 89
sonderbare Kurven erhielten, die nach einem gewissen Anstieg einen
Abfall zeigten, um dann wieder zu steigen. Bei Horn speziell finden
sich Kurven mit mehreren solcher Zacken.
Ich selbst habe nicht ein einziges Mal eine ühnliche Kurve ge-
sehen und ich glaube deswegen, dass sie auf die für klinische Zwecke
ungeeignete Methode zurückzuführen sind. Es werden eben bei dieser
Methode viel zu hohe Anforderungen an den Patienten gestellt, An-
forderungen, denen manche Leute nicht im entferntesten gerecht
werden können (z. B. die Alkoholiker Horns). Natürlich wird bei
Untersuchungen, die mit einer solchen Methode ausgeführt sind, auch
immer wieder der Verdacht auftauchen, dass auch die andern Re-
sultate nicht ganz einwandfrei sind.
Für gewöhnlich habe ich ohne Fixierzeichen untersucht, höchstens
die Patienten durch Ausstrecken ihrer Hand in der Richtung des
Objektes auf dessen Lage aufmerksam gemacht, wenn es auch bei
maximaler Helligkeit nicht sogleich wahrgenommen werden konnte.
Nur bei peripheren Untersuchungen wurde das unten noch zu er-
wähnende Fixierzeichen benutzt. Für die meisten Untersuchungen
wurde als Objektgrösse ein Quadrat von 100 mm Seitenlänge gewählt,
daneben aber auch in einer grossen Reihe von Fällen vergleichende
Untersuchungen mit kleineren Objekten angestellt. Bei monokularen
Bestimmungen wurde das zweite Auge mit der Hohlhand verdeckt.
Bei der Untersuchung kranker Augen ist auch die Frage klar-
zustellen, ob durch die Untersuchung des einen Auges der Ablauf
der Adaptation im andern Auge gestört wird. Man ist ja bei klinischen
und poliklinischen Patienten meist gezwungen, in einer Sitzung beide
Augen zu untersuchen.
Eine Beeinflussung des einen Auges durch Belichtung des andern
ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Hat doch Engel-
mann bei Fröschen auch Pigmentwanderung auf dem nicht belichteten
Auge gefunden, wenn das andere Auge belichtet wurde. Der Sehpurpur
wurde allerdings nicht dabei beeinflusst. Analog fand auch Grijns
bei Reizung der freigelegten Augenbecher der einen Seite durch einen
Kochsalzkrystall einen Aktionsstrom im andern Auge.
Anderseits kónnen wir auf pathologische Fülle wohl mit gutem
Grunde die Resultate der auf diese Frage gerichteten physiologischen
Untersuchungen am Menschen anwenden.
Gézá Révész hat eine Beeinflussung des Adaptationsverlaufes
auch dann nicht nachweisen können, wenn er während des Versuches
das zweite Auge mit intensiven Lichtern reizte.
90 K. Stargardt
Demgegenüber haben Nikolai und Rubinowitsch einen solchen
Einfluss feststellen kónnen.
Da es sich bei ihren Versuchen aber doch immer um intensivere
Reizung des einen Auges handelte, kommen auch ihre Resultate für
die klinische Untersuchung nicht in Frage. `
Die Reize, die bei der Adaptationsprüfung eines Auges angewandt
werden, haben jedenfalls keinen Einfluss auf die „Stimmung“ der
andern.
An die Prüfung jedes einzelnen Auges schloss sich schliesslich
die Prüfung des binokularen Sehens. Piper (1) hat ja nachgewiesen,
dass für das dunkeladaptierte Auge eine Addierung der Empfindungen
der beiden einzelnen Augen eintritt. Dieser Satz der binokularen
Reizaddition gilt aber nur für das dunkeladaptierte Auge; für das
helladaptierte Auge ist ein ähnliches Verhalten nicht nachgewiesen.
Wölfflin hat die Richtigkeit des Satzes von der Reizaddition be-
stritten. Er konnte keine Differenz zwischen monokularen und bin-
okularen Schwellenwerten feststellen.
Seine Untersuchungen leiden an dem Fehler, dass zu früh, in
der ersten halben Stunde, auf Reizaddition untersucht wurde, also
zu einer Zeit, wo die Adaptation noch wesentlich steigt. Später hat
Piper mit seinem neueren Apparat die Frage noch einmal nach-
geprüft und ist zu denselben Resultaten wie früher gekommen. Auch
Messmer hat sich im selben Sinne geäussert.
Über die Art und Weise des Zustandekommens der Reizaddition
sind wir vor der Hand nur auf Vermutungen angewiesen.
Der zweite Teil meiner Untersuchungen erstreckte sich auf die
Untersuchung des Gesichtsfeldes bei Dunkeladaptation mit Lichtern,
die unter der Schwelle des helladaptierten Auges liegen.
Ähnliche Untersuchungen sind, wie schon oben erwähnt, schon
von Wilbrand und Liebrecht ausgeführt worden. Sie bedienten
sich schwach leuchtender Objekte, die sie sich mit Leuchtfärbe her-
stellten. Nun besitzt diese Methode aber einen ganz erheblichen
Fehler. Die Leuchtfarbe liefert zwar, wie schon Nagel und Schaeffer
angeben, eine Lichtquelle, die im dunkeln Raum einen erheblichen
Dämmerungswert besitzt und die unter Umständen so schwach leuchtet,
dass sie für das helladaptierte Auge unterschwellig ist. Anderseits
kann das mit Leuchttirbe hergestellte Objekt auch so hell sein, dass
es auch vom helladaptierten Auge sofort wahrgenommen wird!) Ge-
1) Dass das von Liebrecht benutzte Objekt viel zu hell war, ergibt sich
aus seinen eigenen Worten: „es dauert bei fast reifer, unkomplizierter Katarakt,
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 91
rade wegen dieser Eigenschaft hat man ja die Leuchtfarbe vielfach
zur Herstellung von Fixierzeichen benutzt, also von Zeichen, die nur
mit der Fovea wahrgenommen werden sollen.
Da demnach die mit Leuchtfarbe hergestellten. Objekte je nach
der Zeit, die sie dem Tageslicht ausgesetzt waren, für das helladap-
terte Auge bald über- bald unterschwellig sind. so sind sie gerade
für isolierte Untersuchungen des Hell- bzw. Dunkelapparates des
Auges durchaus ungeeignet.
Zu solchen isolierten Untersuchungen können wir allein Objekte
gebrauchen, von denen wir sicher wissen, ob sie für das helladaptierte
Auge über- oder unterschwellig sind.
Denn auch für die Untersuchung pathologischer Verhältnisse
der Stäbchen- und Zapfenfunktion ist es dringend nötig, dass die
Versuchsanordnung oder die Untersuchungsmethode eine solche ist,
dass sie wirklich die isolierte Untersuchung der Stäbchen- oder der
Zapfenfunktion gestattet. Denn wenn Hell- und Dunkelapparat in
inkonstantem Stärkeverhältnis am Sehakte teilnehmen, können wir
unter pathologischen Verhältnissen ebensowenig konstante Resultate
erhalten, wie unter physiologischen.
Die Untersuchung des Gesichtsfeldes mit Leuchtfarben kann
demnach keinen grösseren Anspruch auf Genauigkeit machen, als
die von anderer Seite geübte Untersuchung des Gesichtsfeldes im
Dunkelzimmer bei niedrig geschraubter Lampe (Schirmer, Axenfeld).
Um exaktere Werte zu erhalten. habe ich mir einen besonderen
Apparat (Dunkelperimeter) konstruieren lassen (schon publiziert in
Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. Bd. II. S. 35-4. 1906). Als Fixations-
objekt im Nullpunkt des Perimeterbogens dient eine kleine 7,5 Volt-
lampe, die in einem lichtdichten Kästchen untergebracht ist. In die
vordere Wand dieses Kästchens wurde eine Rubinglasscheibe ein-
gesetzt und diese durch eine Metallblende so weit verdeckt, dass
nur eine kleine kreisförmige Öffnung von 2—3 mm Durchmesser frei-
blieb. Das von dieser Lampe gelieferte Licht ist auch für das hell-
adaptierte Auge überschwellig und kann deswegen leicht mit der
Fovea fixiert werden, und es geschieht das um so prompter, da nach
v. Kries (2?) die Empfindlichkeit für rotes Licht zentral am höchsten
ist. Anderseits wird von dieser Lichtquelle die Umgebung der Fovea
wobei noch Finger in 1—2 m gezählt werden, ebenso wie bei dichter Hornhaut-
trübung eine oder mehrere Minuten, bis das Leuehtobjekt zentral gesehen wird.“
Ein Objekt, das in solchen Fällen überhaupt nach 1—2 Minuten wahrgenommen
wird, ist für Prüfung der Dunkeladaptation gänzlich ungeeignet.
Q2 K. Stargardt
so gut wie gar nicht beeinflusst. Das rote Licht hat speziell auch
keine Wirkung auf den Sehpurpur und die Sehpurpurbildung.
Als Prüfungsobjekt diente eine zweite 7,5 Voltlampe, die eben-
falls in ein lichtdichtes Kästchen eingeschlossen war. In den Deckel
dieses Kästchens konnten Blenden verschiedener Grösse eingesetzt
werden. Für gewöhnlich wurden quadratische Blenden von 1cm
Seitenlänge benutzt.
Um die Helligkeit dieser Lampe auf das gewünschte Mass zu
reduzieren, wurden hinter die Blende eine Milchglasscheibe und be-
liebig viele dünne Kartonblätter eingelegt.
Für gewöhnlich genüsten drei Kartonblätter; das von der kleinen,
schwach brennenden Lampe durch diese Blätter und die Milchglas-
scheibe hindurchgehende Licht war so schwach, dass es vom hell-
adaptierten Auge überhaupt nicht und vom dunkeladaptierten Auge
auch erst nach etwa 5—10 Minuten langem Dunkelaufenthalt wahr-
genommen werden konnte.
Zur genaueren Bestimmung der Helligkeit wurden jedesmal
Vergleiche mit einem ebenso grossen Felde am Adaptometer angestellt.
Die meist benutzte Helligkeit des Perimeterobjektes entsprach einer
Empfindlichkeit von 30,2 am Adaptometer. Sollten geringere In-
tensitäten angewandt werden, so wurde einfach die Zahl der Karton-
blätter erhöht oder der Widerstand vergrössert. In jedem Falle
wurde aber am Schlusse der Perimeteruntersuchung die Helligkeit
des Objektes noch einmal am Adaptometer kontrolliert, um jede
Fehlerquelle zu vermeiden. Der hierbei gefundene Wert, ausgedrückt
durch die Empfindlichkeit der Netzhaut, ist im folgenden jedesmal
in Klammern angegeben.
Das Prüfungsobjekt, d. h. das Kästchen mit der Lampe, wurde
auf einen Holzstiel montiert und freihändig geführt. Zu dieser An-
ordnung wurde ich durch zwei Gründe veranlasst. Erstens ziehe
ich persönlich die freihändige Objektführung hei jeder Art der Peri-
metrierung vor, weil man dadurch völlige Freiheit in bezug auf
Richtung, Schnelligkeit und Art der Objektführung gewinnt; zweitens
ist es gerade bei Untersuchungen im Dunkelzimmer zweckmässig,
jegliches Geräusch bei der Bewegung des Objektes zu vermeiden!)
Der zu Untersuchende darf nicht hören, aus welcher Richtung das
Objekt herangeführt wird, da er sonst allzu leicht verleitet wird, die
scharfe Fixation aufzugeben. Lässt sich auch bei der freihändigen
!j Das ist bel andern Dunkelperimetern, z. B. dem von Pollack, über dessen
Objekthelligkeit und Verwendung nichts Näheres angegeben ist, nicht möglich.
Über Störungen der Dunkeladaptation. 93
Bewegung nicht jedes Geräusch vermeiden, und bemerkt man bei
Kontrolle des zu untersuchenden Auges mit der Dunkelkammer-
lampe ein öfteres Abweichen, so kann man durch gleichzeitige Be-
wegung der freien Hand an irgend einer andern peripheren Stelle
den Patienten zunächst unsicher machen. Er weiss dann, dass er
mit dem Gehór doch nichts Sicheres über die Richtung, aus der das
Objekt herangeführt wird, herausbekommen kann und fixiert dann
im allgemeinen gut. Sollte auch mit dieser Methode die Fixation
nicht sicher sein, so ist der betreffende Patient eben für diese Unter-
suchung nicht geeignet. Im folgenden sind nur solche Untersuchungen
angeführt und verwertet worden, bei denen durch wiederholte Kon-
trolle und vor allem durch richtige Angabe des blinden Fleckes die
grösstmögliche Sicherheit für richtige Resultate gewährleistet war.
Um die Stellung des Objektes in dem Augenblick, wo es gesehen
wurde, genau festzustellen, wurde das Objekt fest an den Perimeter-
bogen angedrückt und mit der andern Hand durch Betasten der von
10 zu 10° am Perimeterbogen angebrachten kleinen Einkerbungen
der Ort auf 5° genau angegeben.
Für gewöhnlich zeichnete eine zweite Person, die sich möglichst
weit vom Perimeter entfernt aufstellte, beim Scheine einer roten
Dunkelkammerlampe die gefundenen Werte sofort in ein Perimeter-
schema ein.
Die ganze Gesichtsfeldaufnahme geht auf diese Weise sehr
schnell vor sich, da man selbst ja ausser dem Fixierzeichen gar
nichts zu sehen und deswegen erst kurz vor der Untersuchung das
Dunkelzimmer zu betreten braucht. Untersucht wurde meist nach
3| stündiger Dunkeladaptation und zwar im Anschluss an die letzte
Bestimmung am Adaptometer.
Im folgenden sind der besseren Übersicht wegen die verschiedenen
Affektionen, die zu Störungen der Dunkeladaptation führen können,
in einzelnen Gruppen zusammengefasst.
Einfluss der Refraktion auf die Dunkeladaptation.
A. Emmetropie.
17 emmetropische Augen sind im ganzen untersucht worden.
Die höchste Endempfindlichkeit schwankte hier zwischen 8764 und
1626; der Durchschnittswert betrug 3601. Ein Grund für besondere
Höhe oder Tiefe der Endempfindlichkeit war weder im Alter noch
in irgendwelchen Besonderheiten der einzelnen Augen, z. B. Pig-
mentierung oder Pupillenweite, zu finden. Vielmehr müssen wir an-
94 K. Stargardt
nehmen, dass die Adaptationsfühigkeit eine Eigenschaft ist, die jedem
Menschen in verschiedenem Grade angeboren ist. Der Gang der
Adaptation, wie er sich kurvenmüssig feststellen lüsst, deckt sich
durchaus mit den von Piper gemachten Angaben. In den crsten
10 Minuten zeigen die Kurven nur einen äusserst geringen Anstieg,
zwischen der 10. und 30. Minute findet sich die grösste Erhebung,
dann haben die meisten Kurven ihr Maximum erreicht und verlaufen
nun parallel zur Abscissenachse weiter, nur einige zeigen noch ein
geringes Steigen.
Das Dunkelgesichtsfeld war bei fünf Personen grösser als nor-
mal, wenn man unter normal die in den meisten gebräuchlichen
Schematen gegebene Aussengrenze versteht. Bei drei Personen war
die Aussengrenze am Dunkelperimeter 5 und selbst 10° weiter, als
am Hellperimeter. Farbensinn, Hellgesichtsfeld und Sehschärfe
waren bei allen von mir untersuchten Emmetropen normal.
Es ist natürlich nicht möglich, aus dieser relativ kleinen Be-
obachtungsreihe an normalen Augen allgememeültige Schlüsse zu
ziehen. Ich möchte das speziell in bezug auf die Frage, ob die
Adaptation durch das Lebensalter beeinflusst wird, bemerken.
Bei meinen Fällen habe ich einen solchen Einfluss nicht kon-
statieren können. ke Gud sch be oner 6-4-Jährigen nach 45 Mi-
nuten noch eine. 77— 2124, bei eiem 55-Jührigen. eine. I — 5505.
Das können aber Ausnahmen sein. Piper(1) hat die Frage auch
offen gelassen; er glaubte auf Grund vereinzelter Beobachtungen,
dass Jüngere Personen eine höhere Endempfindlichkeit erreichen, als
ältere; eine Ähnliche Vermutung stellte Tschermak (2) auf; Wölfflin
hat auf Grund von Massenuntersuchungen den Einfluss des Lebens-
alters auf die Adaptation so gut wie ganz geleugnet, und nur eine
leichte Abnahme ım fünften und sechsten Decennium zugegeben.
B. Hypermetropie.
Die Hypermetropen (22 Augen) verhalten sich genau wie die
Emmetropen. Die Endempfindlichkeit schwankt bei ihnen zwischen
1626 und 16267; als Durchschnittswert ergibt sich 4295. Dieser
Durchschnittswert ist deswegen etwas höher, als bei den Emmetropen,
weil sich unter den Iıypermetropischen Augen zwei mit ganz ausser-
gewöhnlich hoben Endwerten (16267) fanden. Sieht man von
diesen. beiden. Augen ab, so ergibt sich nur ein Durchschnittswert
von 3147, der dem der Eimmetropen sehr nahe kommt.
Der Grad der Hypermetropie ist ohne Einfluss auf die Höhe
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 95
der Endempfindlichkeit. Auch bei höheren Hypermetropien (6 D)
bewegen sich die Endwerte kaum unter dem Durchschnittswert.
Auch bei den Hypermetropen habe ich einen Einfluss des Alters
oder anderer Momente, wie Pigmentreichtum u. dgl., auf den Adap-
tationsvorgang nicht feststellen können.
Die Kurven gleichen durchaus denen der Emmetropen.
Ebenso war das Dunkelgesichtsfeld in den meisten Fällen nor-
mal, in fünf Fällen um 5—10° grösser als die normalen Grenzen.
Der Frage, ob die allgemeine Pigmentierung und speziell die
Pigmentierung des Auges einen Einfluss auf die Adaptationsfähig-
keit eines Auges ausübt, wurde ganz besondere Aufmerksamkeit ge-
widmet. Es konnte aber, wie schon oben bemerkt, ein solcher Einfluss
weder bei Emmetropen noch Hypermetropen festgestellt werden. Auch
bei Myopen (vgl. unten) habe ich einen solchen Einfluss nicht ge-
funden. Es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass die Pigmentierung
eine wesentliche Rolle spielt, vermögen doch selbst ganz pigmentfreie
Individuen (Albinos) zu adaptieren. Allerdings scheint bei diesen
die Endempfindlichkeit eine geringere zu sein, als beim Normalen.
So fand ich in einem Falle nach 60 Minuten E= 625, bei voll-
kommen normalem Dunkelgesichtsfeld (E= 42,2) und in einem
andern Falle 7—210, ebenfalls bei normalem Dunkelxesichtsteld
(E= 64). Es ist allerdings fraglich, ob diesen Resultaten Allgemein-
gültigkeit zukommt, denn im ersteren Falle bestand ein sehr lebhafter,
grossschlägiger Nystagmus, im zweiten eine Myopie von 11 Dioptrien,
beides Umstände, denen man einen wesentlichen Einfluss auf die
Adaptationsbreite nicht absprechen kann.
Dass sich überhaupt beim Albino Dunkeladaptation findet, ist
nichts Sonderbares. Lässt sich doch auch bei albinotischen Tieren
Sehpurpur nachweisen (Greeff) und hat doch schon Kühne (1) auf
die völlige Bedeutungslosiskeit des Pigments für die Regeneration
des Sehpurpurs hingewiesen.
C. Myopie.
Auf ihre Adaptationsfühigkeit untersucht. wurden 68 ein- oder
beiderseits kurzsichtige Personen. Bei den meisten wurden beide
Augen untersucht, bei einzelnen nur ein Auge. Im ganzen wurden
125 kurzsichtige Augen untersucht. Darunter befinden sich zwei, an
denen die Fukalasche Operation ausgeführt war (Fall 14 R. und
Fall 33 RJ, und ein Auge mit son Fuchsschem schwarzem Fleck
(Fall 42 R.). Sämtliche Fälle sind dem Alter nach geordnet in der
96
K. Stargardt
Myopie-Tabelle zusammengestellt. In den späteren Tabellen und
Tafeln sind nur 122 Augen benutzt, die drei eben erwähnten Augen
fortgelassen, aus später zu erwähnenden Gründen.
Die erste uns interessierende Frage ist die, welche maximalen
1 !IIelene A.
2 | Frieda S.
3 |Hans D.
4 | Willi K.
5 Gertrud N.
6 | Dora R.
T | Bruno S.
8 | Johanna S.
9 | Johann W.
10 | Max B.
11 | Walter D.
12 | Frieda K.
13 | Else L.
14 ! Anna M.
Name ECH
PR |
14
14
14
14
i
|
Grad der l
My BEE esl
(m.
1,0
— 4,0
sn Een
5,0
Myopie-
E CHE | Sr
5503 SS (en LS
|
|
609 |. ',PD. — ,
659 99 29
2724 | S KS
2724 | d | L
331 'breit ringfór- Na
331 mig Fu
2571 | 4 PD. , ,
2571 | N Gr
1077 | e |. Pa
1077 | ', l
5503 |
5503 , 4 PD. Ne
716: n PD | „
331 | Å PD. S
1309 , 5 Na
1309 ` " E
1871 | S
2067 jt |^?
2124 ge Nc
4m e
1626 | Ringstaphyl. | Nad
1626 | ] PD. breit ^
|
5903 Ringstaphyl. Pa
55080 34 PD. | ,
331 | Ringstaphyl. | Pb
1626 ',—1PD.Bds. ,
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 97
Empfindlichkeiten nach 45—60 Minuten langer Adaptation erreicht
werden. Das ist zunächst festgestellt mit dem Objekt von 10cm
Seitenlänge. Die für diese Objektgrösse gefundenen Werte sind in
der untenstehenden Tabelle angegeben.
Tabelle.
Hintergrund
Gesichtsfeld
R. Macula gut pigmentiert, übriger Fun-
dus ausserordentlich pigmentarm, breite,
fast weisse Zwischenräume zwischen
Aderhautgefässen.
Macula gut pigmentiert, Fundus sehr
schwach.
Macula gut pigmentiert, Fundus leicht | Bds. normal. 19,9
atrophisch. Peripherie normal.
Macula gut pigmentiert, Fundus dunkel- | Bds. temporal und temporal | 51,8
braun, Peripherie getäfelt. unten um 5°, temporal oben
um 10° eingeengt.
Macula dunkelbraun, Fundus gleichmäs- | Bds. temporal und temporal | 19,9
sig braun. oben um 5—10° erweitert.
Macula gut pigmentiert, Fundus fast al-
binotisch, breite Venen (Vortexform).
Macula braunrot. Bds. normal. 51,8
Macula gut pigmentiert, kein Unterschied | Bds. temporal und temporal | 22,7
zwischen Fundus und Peripherie. unten um 5° eingeengt.
Fundus und Peripherie gleichmässig dun- | Bds. in allen Meridianen 5| 22,7
kelbraun. bis 10° vergrössert.
Fundus dunkelbraun, Peripherie getäfelt. | Bds. nasal und nasal oben 5°| 30,2
eingeengt.
Gut pigmentiert. * |Bds. normal. 19,9
In Umgebung der Papille diffuse Atrophie,
breite Venen, im übrigen Fundus und
Macula gut pigmentiert.
Maeula gut pigmentiert, Fundus wieFalli. | Bds. normal. 26,0
Peripherie normal.
Macula beiderseits fast frei, Umgebung | R. temporal und nasal bis auf | 22,7
stark atrophisch. 5—8 PD. breiter atro-
phischer Hof um Papille.
v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXII. 1. 7
30°, oben und unten auf 20? -
eingeengt. L. Temporal und
temporal unten um 20°, inallen |
übrigen Meridianen um 10°
eingeengt. |
|
l |
98 K. Stargardt
: BcpcGuad dero | ^ ^ dons 4: 2o 090 ever
Nr. Name E Myopie | S | E | Staphylom | Typus
15 | Georg 8. 44 — 30 s, ji 9794 li." PD. Ne
= 30 | s Jam ^", ,
16 | Heinrich B. | 16 — 5,0 V? | 9124 | !, PD Nd |
— 7,0 Is | 2124 39 „
17 | Walter F. 16 — 35 "la 4 2124 1|, PD. Ne Ä
— 2,75 Kë 2124 e de |
18 | Lotte H. 16 — 5,0 sj. 3755 ı/, PD. " '
2 4,5 Ir 9765 » »
19 | Karl L. 16| —140 si, || 3745 || Ringstaphyl. | Pa |
— 16,0 o 695 2 PD. í
20 | Wilhelm St. | 16 — 55 $5. 2067 IL PD. Na
— 55 9. 2061 ji i
21 | Albert D. 17 — 1,0 9, | 9195 keine Nc
TS 1,0 y^ | 4025 » »
22 | Woldemar G.| 17 — 40 Se | 1626 » Na
m. cyl. — 1,5) | ji
oyl +20 | *" | 2724 | j
23 | Claudius H. 17 — 20 Si | 166 | e Nd
SES 6,0 y | . 659 | » »
24 | August M. 17 — 14,0 ae |; 1626 ER Pa
— 10,0 B dU | 1163 » »
25 | Martin L. 17 — 1,75 I, 2067 keine Nc
= 2,15 A 2422 » »
26 | Klara N. 17 — 90 7: 1626 14 PD. 1
— 9,0 11 1422 ,, 39
27 | Frl. T. 18 — 1,0 Im 1450 1j, PD. 5
az 6,0 "h | 1555 » »
(m.cy1.— 0,75)
28 | Albert B. 19 — 5,5 €, | 625 " Nb
— 6,0 e ĉj | 625 e -
99 Johann T. |19| — 70 so | 4899 | 3, PD. Nd
— 8,0 S | 1185 a »
30 | Oskar M. 20 — 6,0 er | 2067 1/, PD. -
T 5,0 Ir | 2124 » »
31 | Adolf N. 90| + 0,75 7 | 3755 :
> 2,25 E a l 3155 „ Nc
32 | Wilhelm P. | 20 — 70 ei . 3755 » Na
— 6,0 Er | 9105 » »
: |
33 |B. 20 | ohne Glas | ai | 331 | Ringstaphyl. | Pb
: | | /
(Fukala) glatt | |
— 90,0 "As || 3755
»
Über Stórungen der Dunkeladaptation.
mEev——— ——A—Ó—— —— —— ——
99
Hintergrund. Gesichtsfeld |
Ohne Besonderheiten.
Macula besonders gut pigmentiert. Bds. temporal und temp. unten
um 10°, im übrigen um 5°
vergrössert.
Ohne Besonderheiten.
Macula gut pigmentiert. Bds. normal.
Macula gut gefärbt, aber Lacksprünge,
besonders rechts. Fundus leicht atro-
phisch.
Fundus gleichmässig rotbraun, Peripherie | L. temp. u. temp. unten D? ver-
etwas schwächer pigmentiert. Gefässe | grössert, im übrigen bds. nor-
etwas durchscheinend. mal.
Ohne Besonderheiten.
Peripherie etwas weniger pigmentiert, | R. konzentrisch um 10—15°
getäfelt. eingeengt. L. nasale Hälfte
10° vergrössert, im übrigen
normal.
Peripherie genau wie Fundus. Überall 10° grösser als normal.
Fundus sehr pigmentarm, Gefässe frei | Bds. normal.
auf Sklera, Peripherie fast albinotisch,
Macula bräunlich.
Ohne Besonderheiten.
Ohne Besonderheiten. R. in temp. Hälfte und L. um
10° eingeengt.
Ohne Besonderheiten.
Ohne Besonderheiten. Bds. konzentrisch um 5—10?
eingeengt.
Macula gut pigmentiert auf beiden Seiten.
R. 19. II. 07 kl. Blutung in Maculagegend,
jetzt kl. weisser Herd.
Peripherie sehr schwach pigmentiert, Ge- | Bds. vollkommen normal.
fisse überall deutlich.
Ohne Besonderheiten.
In náchster Umgebung der Papille ganz | Bds. konzentrisch um 5—10?
geringe Atrophie. Macula und Fundus, eingeengt.
dunkelbraun. Peripherie etwas schwücher |
pigmentiert.
Bds. gleichstarke diffuse Atrophie im gan- | Im Verhältnis zu Hellgesichts-
zen Fundus. Peripherie etwas besser | feld, vgl. Text.
pigmentiert.
7*
19,9
22,7
42,2
22,7
42,2
51,8
22,7
42,2
64,0
64,0
u.
21,0
22,7
100
3 Grad der | j
Nr. | Name = Myopie S | :
34
35
36
31
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
| Theodor H.
Frau K.
Wilh. M.
|
Luise R.
Christ. P.
Karl B.
Käthe J.
Emil H.
|
Louis M.
Frieda H.
Else Sch.
Wilh. Sch.
Gustav N.
Wilhelm E.
Georg M.
Frau A.
| Berta B.
Gertrud Sch. |:
1 S.
K. Stargardt
21 — 18,0
E ,
21 — 12,0
— 12,0
21 — 8,5
— 1,5
21 — 12,0
— 11,0
29 — 80
— 8,5
22 — 1,75
— 0,75
24 — 3,0
— 40
24 |cyl. — 3,0
— 12,0
25 — 25,0
E
25 — 8,0
— 80
| 96 — 40
(m. cyl. — 2,0)
— 80
(m. cyl. — 2,0)
27 — 1,0
— 1,0
21 — 11,0
28 — 2,5
+ 13,0
28 — 12,0
— 15,0
30 — 55
| a 4,5
30 | — 9,0
| — 9,0
34! — 1200
— 1,0
^82. — 30
— 2,5
Flag
6!
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5'
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IE rore em
; 1626 |
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E
1871 .
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166
16267
16267
210
1001
1309
1309
331
210
145
422
1422
331
331
1702
659 |
961
1626
1309 ||
5503
1077
625
210
718
903 '.
8764
8764
698
2890
gong `
2511 —
D
i
i
1 PD.
|
|| 1 PD.
, 1 PD.
1 PD.
1, PD.
1, PD.
??
kein Staphyl.
i, PD.
LE
„
Ringstaphyl.
R. Ringstaph.
temp. 2 PD.
L. kein Staph.
kein Staphyl.
»
i, PD.
33
»
|
|
kein Staphyl.
| 1 PD.
f
'
kein Staphyl.
Ringstaph yl.
] PD.
|
|
© Y PD.
j 29
| "PD,
"R. Ringstaph.
, temp. 1°, PD.
; L. kein Staph.
1/, PD.
H
| Staphylom Typu
Pb
99
Über Stórungen der Dunkeladaptation.
Hintergrund Gesichtsfeld
Lacksprünge hintere Vortexvenen, Um-
gebung der Papille stark atrophisch, fast
weiss, etwa 4 PD. von Papille entfernt
Fundus gut pigmentiert (Typus Nco).
In der Macula zahlreiche weisse glän-
zende Fleckchen, diffuse Atrophie, stark
ausgesprochen.
Fundus überall gleichmässig gut pigmen- | R. 15? konzentrisch. L. in temp
tiert. Hälfte um 5° eingeengt.
Fundus gleichmässig pigmentiert, Peri- | Bds. vollkommen normal.
pherie etwas getäfelt.
L. temp. Hälfte 5° eingeengt.
Peripherie genau wie Fundus. R. 10° konzentrisch eingeengt
Ohne Besonderheiten. | R. 5° konzentrisch. L. normal
Fundus und Peripherie gleich. Bds. 5° konzentrisch eingeengt
Ohne Besonderheiten.
R. 2 zu 2',, PD. grosser schwarzer Fleck | L. temp. Hälfte 10° vergrössert.
in Macula, von 1 PD. breitem weissem | R. nasal 5° eingeengt.
Hof umgeben. (Typus Nc.)
Ohne Besonderheiten.
Ohne Besonderheiten.
Peripherie getäfelt.
Nächste Umgebung der Papille zeigt zarte
Atrophie.
Ohne Besonderheiten. R. normal.
Zahlreiche Lacksprünge in der Macula- | R. temp. Hälfte 10° eingeengt,
gegend, im übrigen Macula gut pigmen- | L. temp. Hälfte 15 bis 20°
tiert. Peripherie etwas besser pigmen- : eingeengt.
tiert, zum Teil leicht getäfelt.
Ohne Besonderheiten.
Maculagegend gut pigmentiert. Peripherie | R. temp. u. temp. unten 5° er-
etwas schwücher pigmentiertals Fundus. | weitert. L. normal.
R. Diffuse Atrophie im Fundus. Peri-
pherie (Typus Nd).
Peripherie etwas schwücher pigmentiert. | Vollkommen normal.
101
64,0
26,0
42,9
14,5
22,7
30,2
30,2
91,8
64,0
.." 54 |Händler W. | 34
p Staphylom X Typus
331 | Ringstaphyl.
145 E
9—
. 63'| Frau V. 32
temp. 2 PD.
55 Herm. A. 34 — 14,0 Man
— 2,0 I
1555 EE G Pe
331 | Ringstaphyl. "
3755 | temp. 3 PD. |
L. kein Staph.
56 | Emil H. 94 — 1,0 Bier 1309 35 PES
— 15,0 o
— 15,0 Las
— 24,0 He
| |
— 7,0 a 766 " »
51 | Herm. Schm. | 36 — 9,5 y^ 2061 » Na
m. cyl. — 2,0 |
— 50 o. 1626 E =
m. cyl. — 2,0 |
58 | Fritz V. 38 — 0,75 Bé 2422 |kein Staphyl.| Na
— 0,5 A 2422 » e
59 | Dora F. 39 — 15,0 Ze 210 | Ringstaphyl. | Pb
— 15,0 A4 145 | » "
60 | Emil H. 39 — 4,0 BE 1871 ii, ED. Na
— 6,0 d 1309 ó »
61 | Adolfine L. | 39 — 70 IC 331 1|, PD. Pb
SS 8,0 Ir 903 | " nm
62 | Bernhard St. | 40 | — 12,0 9s | 1422 | R.1 PD. ^
+ 05 o, | 5503 |L.keinStaph.| Nb
63 | Otto S. 40 — 3,0 BE 1077 y PD: Na
Ges 2,5 D 2124 | p H
64 | Hulda B. 45| — 80 6s 331 1 PD. Pc
— 10,0 y 145 D 1?
|
65 | Kr. 4| — 90 nt. | 106 S Pb
=. 5,0 “las | 625 | » "
|
66 | Pastor H. 45 — 2,0 Sj | 145 | 14 PD. »
| | |
67 |EmilieL.L. || — 80 e, | 766 | 1, PD à
T 8,0 er 145 | an | 39
68 | Sophie D. 49 — 19,0 Bi | 210 | Ringstaphyl. | „
| temp. 2 PD., e
— 15,0 "hs | 210 Ringstaphyl.
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 103
Hintergrund Gesichtsfeld
ib 19,9
Fundus fast völlig atrophisch, Peripherie | Bds. konzentrisch 10—15° ein-
besser pigmentiert (etwa Typus Pa). geengt.
In der Maculagegend 2 (2—3 PD. grosse)
weisse Herde u. etwas Pigment. Hin-
tere Vortexvenen.
Peripherie getäfelt, Fundus auf beiden
Seiten vollkommen gleich.
Peripherie genau wie Fundus. Bds. temp. Hälfte 5° eingeengt. , 64,0
L. 1⁄4 PD. grosser schwarzer Herd neben
Ateria temp. sup. 9 PD. von Papille ent-
fernt.
Bds. Breite Lacksprünge in Macula, zahl- | Temp. Hälfte 5° eingeengt. 30,2
reiche kleine weisse Herde u. Pigment-
häufchen in Umgebung der Papille. Peri-
pherie Typus Xd.
Peripherie etwas schwächer pigmentiert |R. normal. L. temp. Hälfte 5 | 64,0
als Fundus. bis 10° eingeengt.
Zahlreiche Lacksprünge in Macula. Fun- | Bds. konzentrisch 20—25° ein- | 42,2
dus im übrigen getäfelt, bisan Peripherie. | geengt. Vgl. Text.
R. temp. Hälfte 15—40? ein- | 22,7
geengt, für 81,2 auch nasale u.
Hälfte 10°. 81,2
R. Nur Papillenumgebung u. Macula
diffus atrophisch, im übrigen Augen-
hintergrund gleichmässig rotbraun bis
an Peripherie.
Peripherie getäfelt.
Bds. ringsum Papille zahlreiche !/, HE
14 PD. grosse weisse Herde mit schwarzen |
Rändern, dazw. Fundus gut pigmentiert |
(Typus Nd). Peripherie getäfelt.
Bds. konzentrisch um 10? ein- | 51,8
geengt.
Zahlreiche Lacksprünge in Macula, Re- |
tinalgefüsse an versch. Stellen deutlich .
verengt (allgem. hochgradige Arterio- |
sklerose). |
$ , DD. langer. Biss zwischen Papille u. ;
Macula.
Diffuse Atrophie im Fundus sehr schwa- R. normal. L. temp. Hälfte 5°| 51,8
schen Grades. vergróssert.
Bds. zahlreiche Lacksprünge und gelb- |
liche runde Herde in Maculazegend.
Peripherie Typus Ad.
104 K. Stargardt
Die Bedeutung der einzelnen Kolonnen ist wohl ohne weiteres klar.
Um eine bessere Übersicht in bezug auf die Augenhintergrundsver-
änderungen zu ermöglichen, ist in der Tabelle in der 8. Kolonne der
Typus jedes Augenhintergrundes durch eine Abkürzung angegeben. N be-
deutet normaler, 2 pathologischer Fundus. Um die verschiedenen Arten
des normalen Fundus zu kennzeichnen, ist mit Na ein gleichmässig dunkel-
brauner, mit Nb ein getäfelter, mit Nc ein ziemlich gleichmässig roter
Fundus, bei dem die Aderhautgefässe gerade kenntlich sind, und mit Nd
ein hellroter Fundus bezeichnet, bei dem die Aderhautgefüsse dunkel auf
hellem Grunde sichtbar sind. . Ebenso sind die pathologischen Hintergründe
in besondere Gruppen geteilt.
Es bedeutet Pa einen sehr pigmentarmen, fast albinotischen Fundus,
bei dem die Zwischenräume zwischen den Aderhautgefässen sehr breit sind.
Pb diffuse Aderhautatrophie; der Hintergrund sieht wie abgeschabt aus, das
Pigmentepithel fehlt streckenweise, gelbliche oder rosa mehr oder weniger
grosse Flecke sind sichtbar, daneben ist eine sehr unregelmässige Pigmen-
tierung vorhanden; Pe herdförmige Atrophie, weisse scharfrandige, mehr
oder weniger grosse und vereinzelte oder zahlreiche Herde sind vorhanden;
Pd völliger oder fast völliger Schwund der Aderhaut auf grossen Strecken,
so dass die Sklera zum grossen Teil frei liegt.
Diese Einteilung ist natürlich eine etwas künstliche, da sich all’ die
verschiedenen Erscheinungen, die wir im Augenhintergrunde bei Kurz-
sichtigen sehen, nicht ohne Zwang in scharf begrenzte Gruppen bringen
lassen. Wo es sich um wesentliche Abweichungen von diesen Typen
handelt, ist das auch in Tabelle 1 angegeben.
Ein Blick auf die Tabelle I zeigt, dass die maximalen
Empfindlichkeitswerte sich in sehr weiten Grenzen bewegen
und es ist deswegen nótig, einmal festzustellen, von welchen
Ursachen die Adaptationsfähigkeit abhängt. Die erste
Möglichkeit wäre die, dass das Alter einen bestimmten
Einfluss auf die Adaptationsbreite bei Myopen ausübt.
Eine bessere Übersicht über diesen Einfluss als die Ta-
belle gibt uns die Taf. II, in der diemaximalen Empfindlich-
keitswerte für jedes einzelne Auge eingetragen sind.
In der Abscisse ist das Alter, in der Ordinate die Empfindlich-
keit angegeben. Aus praktischen Gründen sind die vier Augen,
deren Empfindlichkeitswert mehr als S000 beträgt, nicht mit in der
Tabelle verzeichnet, sondern oberhalb mit der ihnen entsprechenden
Empfindlichkeitszahl angeführt.
Schon ein Blick auf die Taf II genügt, um zu zeigen, dass ein
gesetzinüssiger Unterschied in der Höhe der Empfindlichkeit in den
verschiedenen Lebensaltern bei Myopie nicht besteht.
Wird für jedes Lebensjahr der Durchschnittswert aus sämtlichen
Empfindlichkeitswerten berechnet, die so gefundenen Durchschnitts-
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 105
werte in die Tafel eingetragen und die eingetragenen Punkte mit-
einander verbunden, so ergibt sich eine Kurve, wie sie ebenfalls Taf. II
zeigt (Kurve 1).
Auch aus dieser Kurve ersieht man, dass sich ein für alle Fälke
gültiges Gesetz über die Zu- oder Abnahme der Adaptationsfähig-
keit des kurzsichtigen Auges in den verschiedenen Lebensaltern nicht
aufstellen lässt.
Es ist allerdings zuzugeben, dass die Möglichkeit, eine in ge-
wisser Beziehung konstante Durchschnittskurve zu erhalten, besteht,
wenn eine bei weitem grössere Zahl von Augen der Berechnung zu-
grunde gelegt wird. |
Hier, wo im ganzen nur wenige Fälle, bisweilen 1 oder 2, höchstens
aber 11 auf ein Jahr entfallen, wird die Kurve durch vereinzelt ex-
quisit hohe oder niedrige Empfindlichkeitswerte viel zu sehr beeinflusst.
Das zeigen ja vor allem die hohen Anstiege im 7., 21. und
30. Lebensjahre.
Eine Kurve, die schon eine gewisse Gesetzmässigkeit erkennen
lässt, erhält man, wenn man nicht für jedes Lebensalter für sich die
Durchschnittswerte berechnet, sondern die Fälle aus mehreren Jahren
zusammenfasst. |
In der Taf. III ist das in der Weise geschehen, dass die Fälle
aus je 5 Jahren zusammengefasst, der Durchschnittswert aus ihnen
berechnet und dieser Durchschnittswert an derjenigen Stelle der
Abscissenachse eingetragen ist, die dem Mittelwert der betreffenden
5 Jahre entspricht. Ä
Es sind also (z. B.) die Fälle aus den Jahren 20—25 zusammen-
gefasst und ihr Durchschnitt bei 22!|, eingetragen.
Diese so erhaltene Kurve (1) Taf. III zeigt nun in der Tat eine
gewisse Gesetzmüssigkeit.
Sie bleibt bis zum 27. Jahre annähernd auf gleicher Höhe, sinkt
dann aber ziemlich gleichmässig bis zum 47. Jahre. Die Abnahme
vom 27. bis 47. Jahre ist eine nicht unbeträchtliche, die Durch-
schnittsempfindlichkeit sinkt in diesen 20 Jahren ziemlich gleich-
mässig von 2646 auf 332; die Empfindlichkeit ist demnach im Durch-
schnitt im 47. Lebensjahre nur noch tl so gross wie im 27.
Ich glaube, dass durch diese Kurve die Verhältnisse in den
verschiedenen Lebensaltern ganz gut wiedergegeben werden und ich
glaube kaum, dass selbst durch Massenuntersuchungen diese Kurve
eine wesentliche Änderung erfahren wird.
Wir können demnach sagen, dass zwar nicht im Einzelfalle
106 K. Stargardt
eine Abhüngigkeit der Adaptationsfáhigkeit des kurzsichtigen Auges
vom Lebensalter festzustellen ist, dass aber bei Zugrundelegung einer
grösseren Zahl von Fällen sich eine durchschnittliche Abnahme der
Adaptationsfähigkeit etwa vom 27. Lebensjahre an ergibt.
Es könnte sich hier nun noch die Frage erheben, ob der Ver-
lauf der zuletzt erwähnten Durchschnittskurve für das Lebensalter
bei Myopen nicht auch noch von andern Umständen beeinflusst wird.
Es kämen da vor allem der Grad der Kurzsichtigkeit (vgl. auch unten)
und das Vorhandensein oder Fehlen von Augenhintergrundsverán-
derungen (vgl. ebenfalls unten) als beeinflussende Faktoren in Be-
tracht.
Was zunächst den Einfluss des Kurzsichtigkeitsgrades auf die
Alterskurve betrifft, so ist er ganz unwesentlich. Nur für die
wenigen Fälle jenseits des 46sten Lebensjahres kommt er etwas in
Betracht.
Anders steht es mit dem Einfluss der Augenhintergrundsver-
änderungen auf die Alterskurve. Kurve 2 gibt die Durchschnitts-
werte für alle Augen ohne, Kurve 3 für die Augen mit Hinter-
erundsveränderungen an. In beiden Kurven sind analog, wie bei
Kurve 1, Taf. Ill, stets die in ein Quinquennium gehörenden Fälle
zusammengefasst. Die beiden Kurven zeigen nun einen wesentlich
verschiedenen Verlauf. Zwar überragt Kurve 3 bis zum 15. Lebens-
jahre etwa noch die Kurve 2; dann aber sinkt sie allmählich auf
einen Wert, der vom 27. Lebensjahre an bis zu Ende sich nur un-
erheblich ändert. Kurve 2 dagegen zeigt im Anfang der zwanziger
Jahre einen starken Anstieg, um dann auch allmählich abzunehmen
bis zum 37. Lebensjahre. Über den weiteren Verlauf kann nichts
weiteres ausgesast werden, da diesbezügliche Beobachtungen fehlen.
Man könnte im Hinblick auf Kurve 2 und'3 darüber streiten, ob
es angebracht ist, überhaupt von einer allgemeinen Altersabnahme,
wie sie durch Kurve 2 wiedergegeben ist, zu sprechen, und ob es
nicht richtiger ist, ein für allemal, zwischen den Augen mit und ohne
Hintergrundsveränderungen eine scharfe Trennung eintreten zu lassen.
Diese Frage wird sich meines Erachtens nur an der Hand eines
sehr grossen Materials entscheiden lassen können. Es muss aber von
vornherein darauf hingewiesen werden, dass gegen eine solche Trennung
der Umstand spricht, dass Augen, die in den höheren Lebensaltern
Augenhintersrundsveränderungen aufweisen, in den ersten Decennien
davon frei sein können, und dass demnach eine einwandfreie Trennung
nicht moglich. ist.
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 107
Die zweite Frage wäre nun die, wieweit der Grad der Kurz-
sichtigkeit auf das Adaptationsvermögen einwirkt.
In Taf. IV sind ganz analog wie in Taf. II die Empfindlichkeits-
maxima für jedes Auge eingetragen, nur stehen hier in der Abscissen-
achse die Dioptrienwerte statt der Jahreszahl.
Aus der Tafel ergibt sich, dass auch für die einzelnen Dioptrien
die Empfindlichkeitswerte ausserordentlich schwanken. Berechnet
man für alle, auf jede Dioptrie entfallenden Augen den Durch-
schnittswert und trägt die gefundenen Durchschnittswerte in die Tafel
ein, so ergibt sich Kurve 1, Taf. V. Diese Kurve zeigt entgegen
dem, was man eigentlich erwarten sollte, ihre höchsten Anstiege bei
9 und 11 Dioptrien, dann einen rapiden Abfall bei 15 Dioptrien.
Dem Kurvenverlauf von 15—28 Dioptrien brauchen wir keine
besondere Bedeutung beizulegen, da die für ihn massgebenden Fälle
zu wenig zahlreich sind.
Die auffallende Erscheinung, dass die höchsten Empfindlichkeits-
werte bei 9 bzw. 11 Dioptrien zu finden sind, bleibt auch dann be-
stehen, wenn man nicht für jede einzelne Dioptrie, sondern für
Dioptrien-Gruppen die Durchschnittswerte bestimmt.
Zu dem Zwecke sind hier 18 Augen von 0,5 —2 Dioptrien,
23 von 2,5—4 D, 22 von 4,5—6 D, 17 von 1—8 D, 21 von 9— 12 D,
13 von 13—15 D, schliesslich 8 Augen von 16—28 Dioptrien zu je
einer Gruppe zusammengefasst, ihr Durchschnittswert berechnet und
die so gefundenen Durchschnittswerte in Taf. V eingetragen. Es
entsteht so die Kurve 2, die ihr Maximum bei etwa 10 Diop-
trien hat.
Es ist nun die Frage, wie wir uns die Erscheinung, dass die
höchsten Empfindlichkeitswerte bei Augen mit 9 bis 12 Dioptrien
gefunden werden, zu erklären haben.
Die Zahl der beobachteten Fälle kann hier nicht in Betracht
kommen, denn es sind nicht weniger als 21 Fälle zwischen 9 und
12 Dioptrien untersucht worden. Dagegen ersehen wir aus der Tafel,
dass es sich im wesentlichen um 4 Augen handelt, von denen je
zwei einer Person angehören (Fall 50 u. 37), die auf die Durchschnitts-
werte gerade an dieser Stelle wesentlich einwirken.
Lassen wir nur die beiden Augen (Fall 37) mit einer Empfindlich-
keit von je 16267 fort, so erhalten wir als Durchschnittswert für die
Gruppe 9—12 Dioptrien einen Wert von 2353 (Kurve 2b, Taf. V),
also einen Wert, der den Durchschnittswerten der Gruppen bis un-
gefähr 9 Dioptrien gleichkommt. Wir können diesen Fall 37 des-
108 K. Stargardt
wegen unberücksichtigt lassen, weil er, wie schon erwähnt, ganz ab-
norm hohe Werte zeigt.
Es ergibt sich demnach, dass die Adaptationsfähigkeit von 0,5 bis
12 Dioptrien zwar in den einzelnen Fällen recht erhebliche Schwan-
kungen zeigt, dass aber die aus einer grösseren Zahl von Beobach-
tungen gewonnenen Durchschnittswerte ziemlich konstant bleiben. Von
12 Dioptrien an zeigt sich eine entschiedene Abnahme der Adap-
tationsfähigkeit, doch ist über den Grad derselben, speziell bei den
höchsten Formen der Kurzsichtigkeit, nach den hier vorliegenden
Beobachtungen wegen ihrer geringen Zahl nichts Sicheres zu sagen.
Von gewissem Interesse ist auch die Frage, ob die sogenannten
Staphylome oder Coni am Sehnerveneintritt einen Einfluss auf die
Hóhe der Adaptationsfühigkeit des kurzsichtigen Auges haben. Ich
habe, um dieser Frage näher zu treten, die 122 Augen in verschie-
dene Gruppen eingeteilt (vgl. folgende Seite).
Die erste Gruppe umfasst 16 Augen, bei denen kein Conus nach-
weisbar war; die zweite Gruppe diejenigen (60) Augen, die einen
temporalen Conus bis zu !/, Papillendurchmesserbreite aufwiesen; die
dritte Gruppe 12 Augen, mit einem Conus von !j,—!|, Papillendurch-
messer Breite; die vierte Gruppe 14 Augen mit einem Conus von
!/, bis 1 Papillendurchmesser Breite; in der fünften Gruppe sind die
16 Augen mit sogenannten Ringstaphylomen zusammengestellt und
zwar sind hier nur diejenigen Ringstaphylome eingerechnet, die sich
durch eine scharfe Grenze von der umliegenden mehr oder weniger
normalen Aderhaut abheben.
Bei allen in dieser Gruppe eingereihten Ringstaphylomen ist der
temporale Teil bedeutend breiter, als der nasale, und variiert zwischen
l und 3 Papillendurchmesser Breite.
Dieser Unterschied ist aber deswegen nicht weiter berücksichtigt,
weil — wie ich gleich vorwegnehmen möchte — dadurch ein Einfluss
auf die Adaptationsbreite nicht herbeigeführt wird.
In der 6. Gruppe sind schliesslich die Fälle vereinigt (4 Augen),
bei denen das breite Ringstaphylom sich nicht mehr von der stark
atıophischen Umgebung abgrenzen liess.
Für jede dieser Gruppen ist dann der Durchschnittswert der
maximalen Empfindlichkeit berechnet worden. Die sich dabei er-
gebenden Zahlen sind aus der nebenstehenden Tabelle zu ersehen. Anf-
fallend in dieser Tabelle ist die hohe Zahl für Gruppe 3. Es ist aber da-
bei zu beachten, dass unter den 12 Augen dieser Gruppe sich die 2 Augen
(Fall 37) mit ganz abnorm hoher Empfindlichkeit (16267) befinden.
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 109
niacin" ——————————————ÉÉÁÉ =
m LL
Zahl | | Durchschnitt
der E | | Augenhintergrunds-
Augen [* ds Dioptrien veränderungen
I 18 |kein Staphylom 1 2169 9.6 | T
Il . 60 1/, PD. breite Staph. 2089 5,3 20/9
4120
III 12- (UL. cw 5 reduz. 1,8 250%,
: |. 2050
V 14 | S Y js | 1155 11,8 11°,
16 ingstap ylome m.
VI | scharfen Grenzen 1499 id Sr
4 iRingstaphyl. ohne | :
| Grenze | 1464 20,0 100^/,
Lásst man diese Augen, die das Resultat ausserordentlich be-
einflussen, fort, so ergibt sich auch für Gruppe 3 ein bedeutend
niedrigerer Wert, 2050.
Betrachten wir nach dieser Reduktion die Tabelle, so finden wir
zwischen den Fällen ohne Staphylom und mit Staphylom bis zu
!, Papillendurchmesser Breite eine auffallende Übereinstimmung.
Ebenso finden wir eine übereinstimmende Höhe der maximalen Emp-
findlichkeit bei den Gruppen 4 bis 6
Es stehen demnach den Fällen, bei denen kein oder höchstens
ein !|, Papillendurchmesser breites Staphylom vorhanden ist, die Fälle
gegenüber, in denen das Staphylom mehr als !|, Papillendurchmesser
breit ist.
Man kónnte demnach glauben, dass durch die Conusbildung eine
Herabsetzung der Adaptationsfühigkeit bedingt ist. Das ist aber in
der Tat nicht der Fall, wie sich aus einer nüheren Betrachtung der
in der Tabelle angegebenen beiden letzten Rubriken ergibt.
In der einen dieser Rubriken ist für jede Gruppe der durch-
schnittliche Grad der Kurzsichtigkeit in Dioptrien verzeichnet, in der
letzten Rubrik ist für jede Gruppe der Prozentsatz der Augen ange-
geben, bei denen sich Augenhintergrundsveränderungen finden.
Es findet sich nun für Gruppe 1—3 im Durchschnitt nur eine
Myopie bis 8 Dioptrien, in Gruppe 4—6 dagegen sehen wir wesentlich
höhere Grade, nämlich 11—20 Dioptrien.
Es finden sich ferner in den 3 ersten Gruppen keine oder höchstens
25%, der Fälle mit Augenhintergrundsveränderungen, wihrend in den
Gruppen 4—6 der Prozentsatz der Augen mit Hintergrundsver-
änderungen 71—100 ist.
Wir werden demnach wohl richtiger die Annahme, dass das
Staphylom einen Eintluss auf die Adaptationsfähigkeit hat, von der
110 K. Stargardt
Hand weisen müssen. Vielmehr lassen sich die Unterschiede in der
Adaptationsbreite auf den verschiedenen Grad der Myopie und vor
allem auf das Vorhandensein oder Fehlen von Augenhintergrunds-
veränderungen zurückführen.
Höchstens können wir sagen, dass im allgemeinen ein Staphylom,
das breiter als !|, Papillendurchmesser ist, auf eine geringe Adaptations-
fähigkeit hinweist. Es gilt dies aber nur im allgemeinen.
Im Einzelfalle sehen wir unter Umständen selbst bei Ringstaphylom
und ausgedehnter peripapillärer Atrophie hohe Empfindlichkeitswerte
(z. B. Fall 33 L. 3755), während bei Fällen ohne Staphylom und
ohne Hintergrundsveränderungen (z. B. Fall 43 R. u. L.) sich ganz
geringe Adaptationsbreiten (331) finden können.
Über die Abhängigkeit der Adaptationsfähigkeit von dem Vorhan-
densein oder Fehlen von Augenhintergrundsveränderungen
gibt auch Taf. IV einen Überblick. Es sind darin die Fälle ohne Augen-
hintergrundsveränderungen durch Punkte, diejenigen mit Augenhinter-
grundsveränderungen durch kleine Kreise angegeben. Man erkennt
sofort, dass die geringen Adaptationsbreiten sich vorwiegend bei Augen
mit Hintergrundsveränderungen finden, während die höheren und
höchsten Adaptationsbreiten, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen,
nur von Augen ohne Hintergrundsveränderungen erreicht werden.
Um eine genauere Einsicht in diese Verhältnisse zu erhalten,
ist es zweckmässig, die beobachteten Fälle in verschiedene (Gruppen
einzuteilen (vgl. folgende Seite).
Ich habe 6 Gruppen gebildet. In der I. Gruppe finden sich die
Augen, die eine maximale Empfindlichkeit von weniger als 500 erreichen,
in der II. Gruppe diejenigen von 500—1000, in der III. diejenigen
von 1000—2000, in der IV. solche von 2000—4000, in der V.
Gruppe diejenigen von 4000—8000 und in der VI. Gruppe die Augen
mit einer Eıinpfindlichkeit von 8000—16 000.
In der I. Gruppe finden sich unter 23 Augen nur 7 ohne Augen-
hintergrundsveränderungen, d. h. 30°. In Gruppe II finden wir, wie
beistehende Tabelle zeigt, schon 57, in Gruppe III 68, Gruppe IV 88,
Gruppe V 66, Gruppe VI 100. Es ergibt sich hiernach eine dauernde
prozentualische Zunahme der Fälle ohne Augenhintergrundsverände-
rungen in den Gruppen mit höheren Empfindlichkeitswerten.
Auffallend ist immerhin, dass in der V. Gruppe, also einer
Gruppe mit recht hohen Empfindlichkeitswerten, sich noch drei Augen
mit Augenhintergrundsveründerungen finden; das sind die Augen von
Fall 1 und 13. In beiden Fällen war die Pigmentierung der Macula
Über Störungen der Dunkeladaptation. 111
Tabelle über die Beziehungen der Adaptation zu den
Augenhintergrundsveränderungen bei Myopie.
Ohne it
Sean | Augenhiutergrundsveränderungen
: e) lpi æ : 2
$| mx E ag ial MEE MEE
= > Te Ze = — eo |! — o
c NE! 1 | A Ng << a ` "P < A
T 1500 |23 |33J.|12 | T= 309, |207. 12 16 = 7097, |383. 11
II ' 500-1000) 21 25, | 7,5112 519,128, | 55^ 9—439, 27, | 9
II (1000—2000; 31 |23, | 8,521 = 687,23, | 6,5 || 10 — 32*/, |21,, | 15
IV ,2000—4000.34 90, | 47]30— 889,|21, | 3,7: 4=12%, |15,, | 12,5
Y E 3 9 |16, | 55| 6— 669,118, | 38: 3—33*, 19, | 9
| 8000 bis | i |
| 16000 4 (25,|10 | 4—100*,/25, |10 |
eine gleichmässig gute, der übrige Fundus wies deutliche Zeichen
von Atrophie auf.
Da der gut pigmentierte Bezirk einen Breitendurchmesser von
etwa 3 PD. und einen Höhendurchmesser von 2 PD. hatte, so ist es
wohl möglich, dass die Adaptation dieser relativ grossen Stelle eine
gute, in der Umgebung dagegen eine schlechtere war. Doch sind
Untersuchungen über die Empfindlichkeit an verschiedenen Stellen
der Netzhaut bei diesen drei Augen nicht angestellt.
Auch bei den beiden Augen, Fall 3 und Fall 19, finden wir
relativ hohe Empfindlichkeit trotz vorhandener Augenhintergrunds-
veránderung, aber auch hier ist die Macula gut piginentiert, wenn
sie auch in einem Falle (Fall 19) Risse aufweist. Ob wir jedoch die
hohe Empfindlichkeit mit der guten Pigmentierung in Zusammenhang
bringen dürfen, wird zum mindesten zweifelhaft durch den Vergleich
mit Fall 33 L. Hier haben wir eine sogar sehr hohe Adaptations-
fáhigkeit, obwohl der ganze Fundus mit Einschluss der Macula aus-
gesprochene Degenerationserscheinungen aufweist.
Wie weit das Alter und die Hóhe der Kurzsichtigkeit auf die
einzelnen Gruppen mit und ohne Augenhintergrundsveränderungen
wirkt, ergibt sich aus der obenstehenden Tabelle. Der einzige Ein-
fluss, den man hier konstatieren kann, ist der, dass auf die Fälle
mit Augenhintergrundsveränderungen das Alter insofern einen Einfluss
ausübt, als die Empfindlichkeitswerte hier mit zunehmendem Alter
ein konstantes Sinken zeigen; ein Verhalten, das wir ja auch schon
in Taf. III, Kurve 1 gesehen haben.
Wir werden also im allgemeinen Stórungen der Adaptation bei
Myopen in erster Linie auf Hintergrundsveränderungen zurückführen
113 K. Stargardt
müssen, wenn wir auch nicht in jedem Falle eine genaue Überein-
stimmung zwischen Adaptationshóhe und objektiv nachweisbaren Ver-
ünderungen finden. Es liegt das offenbar daran, dass wir nicht immer
im stande sind, aus dem Augenspiegelbilde sichere Schlüsse auf den
Grad der degenerativen Prozesse im Auge zu ziehen.
Da von manchen Seiten behauptet worden ist, dass die allgemeine
Pigmentierung des Kórpers einen Einfluss auf die Adaptationsfáhigkeit
hat, so móchte ich auch diese Frage an Hand des daraufhin unter-
suchten Materials (64 Fülle) für die Kurzsichtigen zu beantworten
suchen.
Von den 64 Augen gehóren 27 blonden, 26 brünetten und 11
schwarzhaarigen Personen an.
Total | Ohne Mit
| | | Augenhintergrundsveränderungen
d ës A ;
Gruppe | j e Eu x E > | e e. =
c = « e = « ei = <
E = | | ee | 8 2
I. Blond. | 1916 | op |21J. | ?11 | 54 | 197. |, 1326 | 12.5 95 J.
3035 | 3598 | 69 | 24,
II. a 7,6 | 27, |reduz. |reduz. | reduz. 317 | 11,5 | 43,,
| 1931 2254 65 | 24J. :
III.Schwarz| 1498 | 6,5 | 81, | 1728 49 | 21, | 885 | 9,0 | 39,
en
Eine Übersicht der Augen der I. Gruppe (blond) zeigt recht
grosse Verschiedenheit der Adaptationfähigkeit. Die nach 45 Minuten
gefundene Empfindlichkeit schwankt zwischen 145 und 4329. Zieht
man den Durchschnitt aus sämtlichen 27 Augen der I. Gruppe, so
erhält man eine Durchschnittsempfindlichkeit von 1916.
In der II. Gruppe schwanken die nach 45 Minuten gefundenen
Empfindlichkeitswerte zwischen 145 und 16267. Der Durchschnitts-
wert beträgt hier 3035.
In der III. Gruppe finden sich Werte von 331 bis 3755, und
als Durchschnittswert 1498.
Vergleichen wir die Werte der drei Gruppen, der I. Ggs 1916,
der II. 3035 und der IIT. 1495, so könnte es den Anschein haben,
als ob bei einer mittelstarken Allgemein-Pigmentierung gerade die
höchsten Adaptationsbreiten vorkämen. Nun finden sich aber gerade
in der II. Gruppe zwei Augen mit einer ganz abnorm hohen Emp-
findlichkeit (16267). Um die in der Il. Gruppe gefundenen: Werte
durch diesen aussergewöhnlich seltenen Fall nicht beeinflussen zu
lassen, tun wir gut, die beiden Augen ausser Betracht zu lassen.
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 113
Es bleiben dann in der II. Gruppe 24 Augen, für die sich ein Durch-
schnittswert von 1931 findet.
Vergleicht man nach dieser Reduktion die drei Gruppen mitein-
ander, so findet sich gerade das Umgekehrte dessen, was man eigent-
lich erwartet hatte, nàmlich die niedrigsten Empfindlichkeitswerte bei
schwarzen, die hóchsten bei blonden und brünetten Individuen. Es
fragt sich, ob bei Kurzsichtigkeit nicht doch noch eine Reihe von
andern Momenten vorhanden sind, die den Zusammenhang zwischen
allgemeiner Pigmentierung bzw. Haarfarbe und Adaptationsbreite
verschleiern.
Eine Hauptrolle in dieser Beziehung könnten ja die Augen-
hintergrundsveränderungen spielen. Fasst man in jeder Gruppe die
Augen mit Hintergrundsveränderungen und diejenigen ohne Verände-
rungen zusammen und berechnet aus ihnen die Durchschnittswerte,
so ergibt sich als Durchschnittswert für Augen mit Hintergrunds-
veränderungen bei Blonden (9 Augen) 1326, bei Brünetten (4 Augen)
317, bei Schwarzhaarigen (3 Augen) 885; es ergibt sich ferner für
Augen ohne Hintergrundsveränderungen bei Blonden (18 Augen)
2211, bei Brünetten (22 Augen) 3528, oder richtiger nach Abzug
des abnorm hohen Wertes von Fall 37 (16267) für 20 Augen 2254,
für Schwarzhaarige (8 Augen) als Durchschnittswert 1728.
Bei der Betrachtung der verschiedenen Gruppen fällt auch hier
wieder auf, dass bei den Augen mit Hintergrundsveränderungen die
höchsten Durchschnittswerte bei blonden Individuen zu finden sind,
während bei Augen ohne Augenhintergrundsveränderungen bei Blon-
den und Brünetten sich ungefähr gleich hohe Werte finden, die die
bei Schwarzhaarigen weit überragen.
Wie weit der Grad der Kurzsichtigkeit oder das Alter des be-
treffenden Patienten einen Einfluss auf den Zusammenhang zwischen
Adaptationsbreite und Haarfarbe ausübt, ergibt sich ebenfalls aus
der beistehenden Tabelle. Es werden hier für die schon vorhin er-
wähnten Empfindlichkeitswerte die entsprechenden Durchschnittswerte
sowohl für das Lebensalter als für die Zahl der Dioptrien eingetragen.
Danach ist ein Einfluss des Grades der Kurzsichtigkeit nicht zu kon-
statieren, denn wir finden gerade bei schwarzhaarigen Individuen mit
den niedrigsten Empfindlichkeitswerten nicht etwa die höchsten, son-
dern umgekehrt die niedrigsten Kurzsichtigkeitserade.
Wir sehen ferner, dass bei Blonden. deren. Empfindlichkeitswerte
die der III. Gruppe bei weitem. übertreften, das Lebensalter im
Durchschnitt ein geringeres ist, und man kann deswegen wohl daran
v. Graefe'à Archiv für Oplithalmologie. LX XHI, 1, 3
114 K. Stargardt
denken, dass die hohen Adaptationsgrade bei Blonden durch das
relativ geringe Lebensalter bedingt sind. Ein solcher Einfluss des
Lebensalters auf die Adaptationsfáhigkeit ist ja in der Tat, wie sich
aus der Alterstabelle ergibt, nicht ganz zu leugnen. Dass aber etwa
durch den Einfluss, den das Lebensalter ausübt, ein Überwiegen der
Adaptationsfáhigkeit der stark Pigmentierten vollkommen verschleiert
wird, kann man für ausgeschlossen erklären.
Nach alledem lässt sich über den Einfluss der allgemeinen Pig-
mentierung speziell der Haarfarbe nur soviel sagen, dass eine höhere
Adaptationsfähigkeit bei stark pigmentierten Myopen jedenfalls nicht
vorhanden ist, vielmehr eher das Gegenteil zutrifft.
Der Verlauf derAdaptationskurven bei Myopie bietet im ein-
zelnen keine Besonderheiten. In den ersten 10 Minuten ist die Æ
sehr gering, um bis zur 20. Minute schon recht erheblich zu steigen.
Der grösste Anstieg fällt zwischen 20 und 30 Minuten. Bei 30 Mi-
nuten ist in den meisten Fällen das Maximum schon erreicht.
In Taf. VI sind einige Kurven abgebildet, die das eben ge-
sagte illustrieren. Nur die Kurve von Fall 33 L. weicht etwas von
den übrigen ab. Der abnorme Verlauf im Anfangsteil ist wohl dar-
auf zurückzuführen, dass an dem Tage, an dem die Kurve aufge-
nommen wurde, schr trübes regnerisches Wetter herrschte, so dass
eine gute Helladaptation der Aufnahme nicht vorausgehen konnte.
Was das Dunkelgesichtsfeld bei Myopie betrifft, so ist es bei
71 Augen aufgenommen worden. Eine Übersicht über die dabei
gefundenen Veränderungen ist in Tabelle I gegeben. Normal — d.h.
ın der Grösse, wie die Aussengrenze des Gesichtsfeldes in den gewöhn-
lichen Gesichtsfeldschematen z. B. von Nieden angegeben wird —
wurde das Gesichtsfeld in 23 Fällen gefunden: vergróssert bei 12 Augen,
eingeengt bei 36 Augen.
Der Grund, warum das Gesichtsfeld in dem einen Fall grösser,
im andern kleiner gefunden wurde, lässt sich deshalb in den meisten
Fällen nicht sicher angeben, weil wir ja nicht in der Lage sind, die
entsprechenden peripheren Stellen im Auge zu untersuchen.
Wir sind also auf Vermutungen angewiesen. Immerhin können
wir uns auch bei diesen Vermutungen auf eine einigermassen sichere
Basis stellen, wenn wir den Grad der Kurzsichtiskeit und das Ver-
halten des Augenhintergerundes genauer berücksichtigen.
Vergrössert war das Gesichtsteld in 12 Fällen; sämtliche Fälle
zeigten vollkommen normalen Hintererund, mit Ausnahme eines cin-
zigen Falles ‘67 L.); aber auch in diesem letzteren Falle war der
Über Störungen der Dunkeladaptation. 115
e
Augenhintergrund nur im Fundus oculi verändert, die Peripherie
war vollkommen normal.
Der Grad der Kurzsichtigkeit schwankte bei den Fällen mit
Vergrösserung zwischen 2 und 9 Dioptrien.
Die Vergrösserung war stets eine sehr geringe, 5, höchstens 10°;
da wir solche Vergrösserungen auch bei normalen Augen häufig
finden, können sie etwas besonderes für die Myopie nicht bedeuten,
sondern stellen nur eine besonders grosse Form des normalen Dunkel-
gesichtsfeldes dar.
Normal war das Gesichtsfeld bei 23 Augen. Auch hier war
der Augenhintergrund in der überwiegenden Zahl der Fälle (16)
vollkommen normal. Da wo sich Augenveränderungen fanden,
waren sie nur im Fundus festzustellen (Fall 3 R. u. L; 13 R. u. L;
67 R.), nur in einem Falie (24 R. u. L.) war die Peripherie sehr
pigmentarm, fast albinotisch; direkt krankhafte Prozesse waren aber
auch hier an der Peripherie nicht zu finden. Der Grad der Kurz-
sichtigkeit schwankte bei den Augen mit normalem Gesichtsfeld
zwischen 1,5 und 14 Dioptrien. |
Die Einengung des Gesichtsfeldes war entweder eine konzen-
trische oder eine partielle. Die partielle Einengung betraf gewöhn-
lich die temporale Hälfte (16mal) und betrug im allgemeinen nur
5—109. Nur in zwei Fällen (48 L. und 62) war sie erheblicher,
15—20, bzw. 15—40°. In den beiden letzteren Fällen war die
stärkste Einengung ım horizontalen Meridian festzustellen, und sie
entsprach auf 5° genau der Einengung für Weiss des Hellgesichts-
feldes. Ein Grund war mit dem Augenspiegel nicht zu entdecken.
Eine Einengung nur in der nasalen Hälfte und zwar um 5? fand
sich nur dreimal (10 R. u. L.; 42 R). Bei allen Fällen mit partieller
Einengung wurden periphere Veränderungen von Bedeutung nicht
festgestellt.
Konzentrische Einengunz habe ich 17mal gesehen. Nur ein-
mal war die Einengung stärkeren Grades, 20—25° (Fall61 R. u. L.),
im übrigen bewegte sie sich in miüssigen Grenzen, 5—15?. Neun
Fälle zeigten Veränderungen im Fundus, in keinem einzigen der
Fälle aber waren Veränderungen an der Peripherie zu sehen. Aller-
dings waren die den Gesichtsfelddefekten direkt entsprechenden Par-
tien mit dem Augenspiegel nicht zu kontrollieren. Der Grad der
Kurzsichtigkeit schwankte bei den Fällen mit Einengung des Ge-
sichtsfeldes zwischen 1,5 und 25 Dioptrien.
Ein Eintluss des Grades der Kurzsichtigkeit auf die Grösse
Hi
116 K. Stargardt
des Dunkelgesichtsfeldes ist nun sicher vorhanden. Während bei
den Fällen mit vergróssertem Gesichtsfeld die Kurzsichtigkeit im
Durchschnitt 5 Dioptrien und bei den Fällen mit normalen Ge-
sichtsfeldern 6 Dioptrien beträgt, finden sich bei den Fällen mit
konzentrischen Einengungen 8 und bei den mit partiellen, halb-
seitigen 11 Dioptrien als Durchschnittswerte.
Im allgemeinen nimmt also die Häufigkeit der Gesichtsfeldein-
engungen mit der Häufigkeit von Augenhintergrundsveränderungen
und mit dem Grade der Kurzsichtigkeit zu. Mit sehr schwachen
Lichtern (E=250—500) finden sich auch am Dunkelperimeter
viel häufiger stärkere periphere Einengungen. Wir müssen daraus
schliessen, dass die Peripherie zwar in solchen Fällen dunkel adap-
tiert, aber schlechter als normal.
Es ist nun von einem gewissen Interesse, die Veränderungen
des Dunkelgesichtsfeldes mit denen des Hellgesichtsfeldes zu ver-
gleichen.
Einengung des Hellgesichtsfeldes sind schon von Uschakoff,
Reich, Mitkewitsch, Lievin, Mauthner, Chauvel, Baas (Lit.
bei Baas), ferner von L. Weiss und Bull beschrieben.
Bull behauptete sogar, dass von 4—6 Dioptrien stets eine
konzentrische Einengung gefunden wurde. Das hat schon Baas
widerlegt, der auch bei vielen Fällen von höhergradiger und höchst-
gradiger Kurzsichtigkeit normale Aussengrenzen gefunden hat. Ich
kann mich der Baasschen Ansicht in bezug auf das Hellgesichts-
feld nur anschliessen.
Was ich nun als sehr auffallende Tatsache konstatieren konnte,
ist die in allen meinen Myopie- Füllen gefundene Übereinstimmung
der Aussengrenzen des Dunkelgesichtsfeldes mit den Aussengrenzen
des Hellgesichtsfeldes für Weiss. Diese Übereinstimmung war in
allen meinen Fällen bis auf 5° genau. Abweichungen um 5° können
aber meines Erachtens durch die nicht zu umgehenden Fehlerquellen
beim Perimetrieren allein bedingt sein.
Diese Tatsache ist besonders wichtige mit Rücksicht auf den
Nachweis einer peripheren Solutio-Retinae (vgl. diese).
Was noch andere Veränderungen im Dunkelgesichtsfeld betriftt,
so fand sich in einem Fall (42 R.) mit Fuchsschem „schwarzen
Fleck“ in der Macula ein Zentralskotom, einmal (Fall 64) liess sich
auch für kleinere Objekte (5 mm Seitenlänge) das bei. Chorioiditis
disseminata (vgl. diese) von mir gefundene „Tauchen“ der Objekte
feststellen.
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 117
Nicht ohne Bedeutung für die Beurteilung der gefundenen
Gesichtsfeldwerte scheint mir die Frage zu sein, wie es sich mit
dem Grade der Adaptationsfühigkeit der Peripherie bei Myopie
verhält.
Geprüft wurden mit dem Adaptometer Stellen, die 30 bzw. 60°
seitlich vom Zentrum gelegen waren und zwar mit Objekten von
10cm Seitenlänge In etwas über 50°, der Fälle wurden peripher
etwas höhere Werte gefunden, als zentral. Von diesen Fällen zeigten
die meisten nur mässige Erhöhungen an der Peripherie, etwa um
20°% der zentralen Werte. In einigen Fällen war aber die Diffe-
renz eine erheblichere, um ungefähr das doppelte (Fall 50: zentral
8764, peripher 16267; 61 L.: zentral 903, peripher 1626), ja selbst
um das dreifache (Fall 23: 659 zentral, 1784 oben und 2067 nasal).
In Fall 61 kann die Differenz durch Veränderungen im Zentrum
erklärt werden, in den beiden andern Fällen (23 und 50) fehlten
aber derartige Veränderungen. Ob man hier die zentrale Herab-
setzung der Adaptation schon im Sinne beginnender zentraler Er-
krankung deuten kann, möchte ich dahingestellt sein lassen.
In etwas über 30°), der Fälle waren die Empfindlichkeitswerte
an der Peripherie gleich hoch, wie im Zentrum.
Und in 15°, fand sich ein Überwiegen der zentraleren Netz-
hautteile über die Peripherie.
Auch hier waren die Differenzen recht geringe. Nur zweimal
(Fall 32 und 48) fanden sich grössere Unterschiede. In Fall 32
fand sich zentral X —= 3750, peripher nur 331, ohne dass eine Ur-
sache dafür gefunden werden konnte. In Fall 48 fand sich zentral
E = 625, peripher nur 145, ebenfalls ohne ersichtliche Ursache.
Bei allen peripheren Prüfungen müssen wir daran denken, dass
für ungeübte Beobachter alle Eindrücke, die nicht zentral erfolgen,
besonders schwer zu beurteilen sind. Die meisten Patienten machten
bei der peripheren Schwellenbestimmung so ungenaue Angaben, dass
die Resultate nicht verwertet werden konnten. Die obigen Angaben
beziehen sich nur auf Beobachtungen an 30 Fällen; bei diesen fanden
sich auch bei mehrfachen Kontrollprüfungen immer angenähert die
gleichen Resultate.
Von gewissem Interesse ist auch die Frage, ob durch die Fukala-
sche Operation die Adaptationsfühigkeit eines Auges merklich be-
einflusst wird. Von den beiden wegen Myopie operierten Fällen
(14 und 33), die mir zur Verfügung standen, ist leider nur einer zu
verwerten; da in dem andern noch so dichte Sekundürkataraktmassen
118 | K. Stargardt
vorhanden waren, dass die Herabsetzung der Empfindlichkeit dadurch
allein erklárt werden konnte.
Im Falle 33 handelte es sich um einen intelligenten 21 jährigen
jungen Menschen, bei dem im Jahre 1902 die Linse des rechten
Auges wegen hochgradiger Myopie entfernt worden war. 1903 war
noch einmal eine Discission ausgeführt worden. Zur Zeit der Unter-
suchung seiner Adaptation bestand rechts eine Sehschürfe von al, (glatt)
ohne Glüser. Von der Linse waren nur noch periphere Reste vor-
handen, das Zentrum der Pupille war vollkommen frei.
Der Fundus zeigt auf dem operierten Auge genau dieselben Ver-
ünderungen, wie auf dem linken, nicht operierten, auf dem eine Myopie
von 20 D und S = “h; bestand. Es fand sich beiderseits eine diffuse,
über den ganzen Fundus ausgedehnte Aderhautatrophie mässiren
Grades. Trotzdem stieg auf dem rechten operierten Auge die Emp-
findlichkeit nur auf 331, auf dem linken auf 3755, während die
Anfangswerte (nach 1 Minute) ungefähr gleich waren (9,59 und 14,05).
Dass diese Differenz schon vor der Operation bestanden hatte,
kann aus zwei Gründen als sehr unwahrscheinlich gelten. Erstens
war sie dem Patienten, der sich sehr gut selbst beobachtete, spontan
aufgefallen, er kam direkt mit der Klage, dass er in der Dämmerung
seit der Operation sein rechtes Auge nicht benutzen könnte; und
zweitens finden sich bei Augen mit gleich hoher Myopie und gleichen
Veränderungen im Aussenhintergerunde nie derartige Differenzen zwischen
beiden Seiten.
Nur bei Anisometropie (viel. diese) können erhebliche Unterschiede
in dem Sinne vorkommen, dass auf dem kurzsichtireren Auge wesentlich
niedrigere Werte gefunden werden (z. B. Fall 25, 51, 55, 62). Im
Falle 33 war jedoch vor der Operation die Myopie auf beiden Seiten
gleich hoch, 20 D, und mit dem Augenspiegel liessen sich nie Diffe-
renzen zwischen beiden Augen nachweisen.
Wir müssen also in diesem Fille doch wohl annehmen, dass
die Herabsetzung der Adaptationsfühiskeit durch die Operation be-
dingt ist. Die feineren Vorgänge, die zu dieser Herabsetzung führten,
entziehen sich allerdings unserer Beurteilung. Erwähnen möchte ich
hierbei, dass nach Erfahrungen von Herrn Prof. Schirmer, nach
Fukala Öperierte öfter über Sehstörungen bei herabsesetzter Be-
leuchtunz klagen.
Im Falle 33 war auch das Dunkelgesichtsfeld merklich kleiner
als das Hellgesichtsfeld für Weiss. Es ist das wohl leicht durch die
peripher noch vorhandenen Linsenreste zu erklären, die bei grösseren
Über Störungen der Dunkeladaptation. 119
Helligkeiten noch Licht genug zu den peripheren Netzhautteilen ge-
langen liessen, bei so geringen Helligkeiten aber, wie sie am Dunkel-
perimeter zur Verwendung kommen, nicht mehr genügend durchlässig
waren.
Es ist sehr wohl möglich, dass die Untersuchung der Adaptation
bei Myopen auch für die Praxis speziell in bezug auf die Prognose
von grosser Bedeutung wird. So möchte ich glauben, dass schlechte
Adaptationsfähigkeit vor allem im Kindesalter auf einen malignen
Verlauf der Myopie hinweist, Gewissheit kann in dieser Frage aber
erst durch Untersuchungen gebracht werden, die sich über Jahre und
Jahrzehnte erstrecken.
D. Astigmatismus.
21 Astigmatismusfülle standen mir zur Untersuchung zur Verfügung.
Die bei ihnen gefundenen Endwerte der Empfindlichkeit schwankten
zwischen 625 und 8764. Im Durchschnitt fand sich 3454, also ein Wert
der von dem Durchschnittswert der Emmetropen und Hypermetropen
nicht wesentlich verschieden ist. Auch bei den Astigmatikern war
ein Einfluss des Alters, der Haarfarbe und der Augenpigmentierung
nicht zu konstatieren. Auch gleichen die Kurven in ihrem Verlaufe
völlig den Kurven der Emmetropen und Hypermetropen. Eine an-
dere Frage ist die, ob nicht die Art des Astigmatismus einen Ein-
fluss auf die Adaptation hat. Als Durchschnittswert von 9 hyper-
metropischen Astigmatismen fand ich 3442, von 7 zusammengesetzten
hypermetropischen Astigmatismen 5197 oder, wenn man den einen,
ausnahmsweise hohen Fall (16267) fortlässt, 3352; unter 7 einfachen
myopischen Astigmatismen 3737. Die Durchschnittswerte bewegen
sich also ungefähr auf gleicher Höhe. Eine Ausnahme macht nur
der Astigmatismus mixtus. In zwei Fällen, in denen in einem Me-
ridian eine Myopie von 3,5 bzw. 2,0 D und im andern eine Hyper-
metropie von 0,5 bzw. 1 Dioptrie bestand, fand sich zwar eine durch-
aus gute Adaptationsfühigkeit (E = 5503), in zwei Fällen dagegen
war die Adaptationsfühigkeit eine sehr schlechte. Es handelt sich
hier um zwei Augen, die in einem Meridian eine Hypermetropie von
20, im andern eine Myopie von 5,0 Dioptrien aufwiesen. Trotz
Korrektion blieb die Sehschärfe eine schlechte (°l, bzw. "ho Irgend-
welche krankhaften Veränderungen waren aber nicht nachweisbar.
Die Adaptationskurve zeigte nun in beiden Fällen einen normalen
Verlauf, stieg aber trotz 60 Minuten langer Adaptation nur auf 766
bzw. 625. Wir müssen wohl annehmen, dass die Minderwertiskeit
120 K. Stargardt
von Augen mit gemischtem Astigmatismus, die sich ja in der Un-
möglichkeit, trotz Gläserkorrektion eine normale Sehschärfe zu er-
zielen, zeigt, auch einen Ausdruck in der Herabsetzung der Adapta-
tionsbreite findet.
Was das Dunkelgesichtsfeld bei Astigmatismus betrifft, so war
es in den meisten Fällen normal, in 3 Fällen sogar etwas übernormal.
Nur in den beiden Augen mit gemischtem Astigmatismus fand sich
eine Einengung um 5—10°. Diese Einengung stimmte, ähnlich wie
ich es bei Myopie beobachtet habe, mit der Einengung des Tag-
Gesichtsfeldes für Weiss überein.
E. Aphakie.
Bei Aphakischen fand ich mehrmals Herabsetzung der Adapta-
tionsfähigkeit, trotzdem die übrigen Funktionen, wie Sehschärfe, Ge-
sichtsfeld und Farbensinn durchaus gute waren. Es war in diesen
Fällen auch gleichgültig, ob mit oder ohne Brille untersucht wurde.
Die Adaptationsstörungen machten sich immer nur durch eine nied-
rige Kurvenhöhe bemerkbar, das Dunkelgesichtsfeld war in allen
Fällen normal. |
Die Herabsetzung der Endempfindlichkeit war zum Teil eine
recht beträchtliche; in einem Falle von Aphakie nach traumatischem
Katarakt 210 (auf dem gesunden Auge 2724), in einem andern eben-
solchen 1077 (auf dem gesunden Auge 5503). In beiden Fällen
liess sich eine Ursache nicht nachweisen. Eine Blutung ins Auge,
an die man ja als adaptationsverminderndes Moment denken könnte,
hatte auch nicht stattgefunden.
Bei Aphakie nach Operation unkomplizierter Altersstare war
die Herabsetzung lange nicht so beträchtlich, so fand sich in einem
Falle 1038, in einem andern 1309.
Diese immerhin mässigen Herabsetzungen könnten durch gering-
fürige Anomalien in der Brechung oder Durchlässigkeit der brechen-
den Medien ihre Erklärung finden.
Oflen bleibt aber die Frage nach einer Erklärung für die starke
Herabsetzung in dem einen Fall von traumatischer Katarakt.
F. Anisometropie.
Besondere Beachtung verdienen die Fälle von Anisometropie.
Schon bei Normalen fällt die individuelle Verschiedenheit in der
Kurvenhóhe und in gewisser Beziehung auch im Kurvenverlauf auf
(Piper). Mit diesem individuellen Faktor müssen wir nun auch in
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 191
allen pathologischen Fällen rechnen. Es wird dadurch die Beurtei-
lung, ob wir es mit einer normalen oder pathologischen Adaptation
zu tun haben, wesentlich erschwert. Denn es kann die Adaptation
durch irgendwelche krankhaften Affektionen im Vergleich zu ihrer
früher vorhandenen Höhe wesentlich herabgesetzt sein, und doch
können sich die gefundenen Werte noch in normalen Grenzen be-
wegen. Wir wissen aber in vielen Fällen nicht, ob die Adaptation
früher besser gewesen ist oder nicht. Gerade in solchen Fällen
gibt uns der Vergleich mit dem andern Auge manchen Aufschluss.
Aber auch hier liegt noch eine Fehlerquelle versteckt. Denn es
braucht die Adaptationsfähigkeit auf beiden Augen nicht die gleiche
zu sein.
Bei gleicher Refraktion und im übrigen gleichen Aussehen zweier
Augen sind die Differenzen in der Adaptationshöhe allerdings nur
geringfügige, ja sie liegen meist im Bereich der Feblerquellen, die
der Untersuchung nun einmal anhaften.
Nur bei Myopen kommen auch bei gleichem Grade der Myopie
auf beiden Augen recht verschiedene Adaptationshöhen vor (vgl.
Myopie-Fälle 11: R. 2724, L. 4329, 56: R. 1309, L. 766, 67: R.
(60, L. 145). Es haben aber (vgl. oben) gerade bei Myopie noch
andere Momente, als der Grad der Refraktionsanomalie, einen be-
stimmenden Einfluss auf die Adaptationsbreite.
Bei Anisometropie kann nun auf beiden Seiten die Dunkel-
adaptation vollkommen gleich sein. So fand ich bei einseitigem
Astigmatismus hyperop. von 2D E = 20067, genau wie auf dem an-
dern emmetropischen Auge. Ebenso kann bei verschieden hohem
Grade einer Refraktionsanomalie die Adaptation auf beiden Seiten
dieselbe sein (vgl. Myopie-Fülle 2: R. — 5,0, L. — 2,0; 12: R. — 10,
L. — 13); dasselbe kann der Fall sein, wenn auf dem einen Auge
eine Myopie, auf dem andern eine Hypermetropie oder Astigmatis-
mus besteht (vgl. Myopie- Tabelle Fall 7 und 31).
Viel häufiger aber als eine Übereinstimmung finden wir bei
Anisometropie eine Differenz zwischen beiden Augen in bezug auf
die Adaptationsfähigkeit.
Ist die Differenz auch meist gering (z. B. Myopie-Fälle 23, 24,
25), so kann sie doch auch recht erheblich sein.
So finden wir bisweilen die Endempfindlichkeit doppelt so hoch
auf dem einen, als auf dem andern Auge (vgl. Myopie-Tabelle Fall 29
und 34), ja selbst dreifache (ebenda Fall 4S und 63), vierfache (Fall 62),
sechs- und zehnfache Werte (vel. Fall 65, 19 und 55) können vor-
122 K. Stargardt
kommen. Stets finden sich die höheren Endempfindlichkeitswerte
auf dem Auge mit geringerer Anomalie. Das kommt besonders bei
der Myopie zum Ausdruck. Trotzdem können wir den Grad der
Myopie nicht als allein ausschlaggebend für die Adaptationsfähigkeit
des myopischen Auges ansehen; denn stets fanden sich auf dem
schlechteren Auge auch die stärkeren objektiven Veränderungen.
Dass schon geringe Grade von Anisometropie eine Differenz in der
Adaptationshöhe bedingen, dafür möchte ich einen Fall anführen,
der wegen der einwandsfreien Beobachtungsfähigkeit des Untersuchten
besondere Beachtung verdient.
Es handelt sich um einen 31jührigen Augenarzt, der auf dem
einen Auge eine Hypermetropie von 0,5, auf dem andern einen ein-
fachen hyperopischen Astigmatismus von 0,75 D aufwies. Mit korri-
sierenden Gläsern bestand beiderseits normale Sehschürfe. Farben-
sinn, Gesichtsfeld, auch Dunkelgesichtsfeld waren normal.
Die Adaptationskurven aber zeigten eine deutliche Differenz.
Während der Anfangswert beiderseits gleich war (1,025), stieg die
Kurve in 45 Minuten R. auf 5500, L. auf 3755. Diese Werte
fanden sich ganz konstant, auch bei wiederholter Nachprüfung.
Schielamblyopie.
Dass Amblyopie auf einem Schielauge häufig keinen Einfluss
auf die Adaptation hat, habe ich ebenso wie Lohmann gefunden.
In drei Fällen, in denen die Sehschärfe auf dem Schielauge auf
Fingerzählen gesunken war, war die Endempfindlichkeit dieselbe, wie
auf dem besseren Auge. In zwei Fällen fand ich sie aber auf dem
Schielauge nur halb so hoch, in einem Fall !/, und in einem Fall '!/,
so hoch wie auf dem besseren Auge. In allen diesen Fällen war eın
Grund zu der Herabsetzung weder in der bestehenden Refraktions-
anomalie, noch ın sonstigen Veränderungen im Auge zu finden. Wir
müssen hier also die Herabsetzung der Adaptationsfähirkeit in Zu-
sammenhang mit der Schielamblyopie bringen. Zeigen sich demnach
die Erscheinungen der Schielamblyopie im wesentlichen am „Hell-
ange“ in Form der Herabsetzung der Sehschürfe, so bleibt doch. auch
das „Dunkelauge“ nicht mamer gänzlich von Störungen frei.
Einfluss von Retinal- und Chorioidealerkrankungen auf die
Dunkeladaptation.
Bei den Erkrankungen der Netzhaut und Aderhaut finden wir
mannigfache Adaptationsstörungen. [eh habe beide Gruppen zu-
Über Stórungen der Dunkeladaptation. — 193
sammengefasst, da es bei manchen Erkrankungen, z. B. der Retinitis
pigmentosa, speziell in bezug auf die Dunkeladaptation zweifelhaft
sein kann, ob wir sie mehr zu den Netzhaut- oder den Aderhaut-
erkrankungen rechnen sollen.
Von den Netzhauterkrankungen oder Anomalien erwühne ich
zuerst Markhaltige Nervenfasern bei einem Patienten mit sonst
gesunden Augen. Die Endempfindlichkeit betrug hier nur 1001
Rechts und 903 Links (zu Beginn beiderseits 1,6). Es sind das
Werte, die entschieden als abnorm niedrig aufzefasst werden müssen.
Im übrigen war der Kurvenverlauf und das Dunkelgesichtsfeld normal.
Dass die markhaltigen Nervenfasern auf die Adaptation einen direkten
Einfluss haben, ist wohl auszuschliessen. Eher kónnen wir bei solchen
Augen, ühnlich wie bei gewissen astigmatischen, von einer gewissen
Minderwertigkeit, die sich in bezug auf die Adaptation äussert,
sprechen.
In das Gebiet vorübergehender Adaptationsstörungen gehören
die durch Commotio retinae bedingten Störungen.
Ich habe 3 Fälle peripherer Berlinscher Trübung untersucht.
In zwei Fällen fand sich mit dem Adaptometer vollkommen
normaler Befund, sowohl zentral, wie peripher (Endwerte 3059 und
4667 und normaler Kurvenverlauf) Die befullenen Teile entzogen
sich der Untersuchung, vor allem wohl wegen zu ungenauer Fixation,
dann aber wegen relativer Kleinheit des befallenen Bezirkes. Erst
mit dem Dunkelperimeter liess sich in ihnen ein völliges Fehlen der
Adaptation nachweisen. Auch stärkste Dämmerungswerte wurden
nicht erkannt. In dem einen Falle fand sich an der Stelle des
Defektes im Dunkelgesichtsfeld auch ein absolutes Skotom im Hell-
gesichtsfeld.
Das Skotom im Hellgesichtsfeld war nach zwei Tagen nur noch
ein relatives, und nach drei Tagen völlig verschwunden, das Skotom
im Dunkelgesichtsfeld blieb drei Tage unverändert und war für
schwächere Lichter (Æ = 30,2) auch noch nach 5 Tagen nachweis-
bar. Im andern Falle war das Hellgesichtsfeld auch für Farben
stets normal. Die Trübung war hier allerdings auch viel geringer,
als im ersten Falle. Auch der Defekt im Dunkelgesichtsteld war
im zweiten Falle schon nach zwei Tagen verschwunden.
In einem dritten Falle (vier Tage post trauma) von Berlinscher
Trübung, die ebenfalls an der Peripherie ‚lokalisiert war, fand sich
eine erhebliche Herabsetzung der Adaptationsfüähiekeit (EZ Gu
nach 60 Min. im ganzen Auge) Ein Einfluss der Trübung, der
124 K. Stargardt
übrigens auch im Dunkelgesichtsfeld ein absolutes Skotom entsprach,
während das Hellgesichtsfeld normal war, lag hier jedoch nicht vor.
Vielmehr müssen wir in diesem Falle einer neben der Papille
entstandenen Blutung die Schuld an der Adaptationsstörung bei-
messen. Es entspricht das ganz dem Verhalten, das ich auch sonst
bei Netzhautblutungen gefunden habe.
Dass intraokulare Blutungen überhaupt einen wesentlichen
Einfluss auf die Dunkeladaptation ausüben, ergibt sich aus vier
von meinen Fällen.
1. 16jähriger Arbeiter. Vor 7 Tagen Trauma, Blutung in Vorder-
kammer und in Glaskörper, dicht hinter der Linse. Zur Zeit der Unter-
suchung Iris deutlich grünlich verfärbt, Hyplıaema resorbiert, Glaskörper
klar. Beiderseits S — "|,. Am Adaptometer nach 50 Min. R. 3510, L. 2303.
Diese Werte werden ganz konstant, auch bei mehrfach wiederholter Prüfung
angegeben.
2. 24 jähriger Maurer. Vor 14 Tagen Trauma. Grosse Blutung in
der Maculagegend. S = !|, Am Adaptometer in der Umgebung der
Macula nach 45 Min. Z = 2,99, an der Peripherie nirgends höher als
625. Auf dem andern Auge mit gleicher Refraktion E — 5503. Dunkel-
gesichtsfeld zeigt grosses (25?) Zentralskotom und temporale Einengung
um 259,
3. 34jührige Lehrerin. 6 Wochen alte Blutlache von 4 PD. Durch-
messer nasal] von der Papille. Ursache unbekannt. Ausser leichter Anämie,
gesteigerten Patellarreflexen und positiv rechtsseitigen Babinski nichts Patho-
logisches nachweisbar. R. S = *[;, L. S*|,.
Am Adaptometer findet sich rechts nach 1 Minute E — 1,154, links
erst noch 5 Minuten 1,117. Nach 45 Minuten rechts Z == 27214, links 625.
4. 64,jährige Schneiderin; Arteriosklerose, sonst gesund. Grosse Blutung
in GC Maculagegend links, über deren Dauer nichts SES zu eruieren
; S — Fingerzáhlen in 2 m.
Am Adaptometer zu Beginn rechts 1,79, links 1,19, nach 45 Minuten
rechts 2303, links 967.
Es ergibt sich aus diesen vier Fällen, dass durch Blutungen
im Glaskörper oder in der Netzhaut die Adaptation nicht nur an
der Stelle der Blutung und in deren nächster Umgebung (Fall 2)
hochgradig gestört wird, sondern dass nach einem gewissen Bestande
der Blutung eine Störung der Adaptation im ganzen Auge eintritt.
Dieser Schluss, dass die Blutung an der Herabsetzung der
Adaptation im ganzen Auge schuld ist, ist um so zwingender, als
es sich in allen vier Fällen nur um Blutungen handelte und keinerlei
Komplikationen vorhanden waren, aus denen man die Störung der
Adaptation erklären konnte. In einem Falle (3) könnte man vielleicht
an eine Verspätung und Verlangsamung des À daptationsvorganges
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 125
-—
denken, da an dem kranken Auge erst nach fünf Minuten das maxi-
mal helle Feld am Adaptometer erkannt wurde, ich möchte aber
auch hier annehmen, dass das einfach auf eine geringere Ordinaten-
höhe der Gesamtkurve zurückzuführen ist. Auch Fall 4 bestätigt diese
Ansicht. Hier waren die Empfindlichkeitswerte auf dem kranken
Auge von Anfang an geringere, als auf dem gesunden, und blieben
es auch im ganzen Verlauf.
Während im allgemeinen das Dunkelgesichtsfeld Ausfälle nur
an der Stelle der Blutung zeigte, fand sich in einem Fall auch eine
temporale periphere Einengung (Fall 2).
Eine Erklärung für die bei intraokularen Blutungen auftreten-
den Adaptationsstörungen ist meines Erachtens in einer hämatogenen
Siderosis zu finden.
Besitzen doch gerade die Pigmentepithelzellen eine ganz be-
sondere Affınität zu dem aus Blut oder Fremdkörpern stammenden
Eisenoxyd (v. Hippel jun.).
Die Eisenablagerung in den Pigmentepithelzellen führt zu einer
Funktionsstörung der Zellen, die sich in hemeralopischen Erschei-
nungen äussert. Ob nun bestimmte, z. B. die peripheren Zellgruppen
besonders empfindlich sind und darauf gewisse Gesichtsfeldstörungen
zurückzuführen sind (periphere Einengung in Fall 2), möchte ich
vorläufig dahingestellt sein lassen.
Viel ausgesprochener und deswegen schon länger bekannt sind
die durch exogene Siderosis — d. h. durch Siderosis infolge eines
von aussen in das Auge eingedrungenen und allmählich der Auflösung
verfallenden Eisensplitters — entstandenen Hemeralopien. Ich habe
drei derartige Fälle beobachtet.
In dem einen Falle war dem Patienten von einer Verletzung
gar nichts bekannt. Er kam mit unbestimmten Sehstörungen. Es
fand sich eine ausgesprochene Siderosis bulbı, veranlasst durch einen
mit dem Sideroskop nachweisbaren Splitter an der äussersten Peri-
pherie unten im Glaskörper. Sphincter pupillae und Ciliarmuskel
waren paretisch, die Iris intensiv verfärbt, im übrigen das Auge
normal.
Am Adaptometer fand sich erst nach 5 Minuten eine messbare
Empfindlichkeit 1,93 und nach 50 Minuten X = 331: auf dem andern
normalen Auge fand sich nach 50 Minuten 7 — 3155 (zu Beginn 1,93).
In dem zweiten Falle sass ein kleiner schon stark verrosteter
Eisensplitter in der Linse, die Regenbogenhaut war aber noch nicht
verfärbt. Trotzdem bestand schon ausgesprochene Hemeralopie. Erst
126 K. Stargardt
nach sechs Minuten wurde überhaupt etwas am Adaptometer erkannt
(E — 1,154), nach 50 Minuten war E — 81,2 auf dem kranken,
3755 auf dem gesunden Auge (zu Beginn 2,37) Besonders der
letzte Fall zeigt, wie frühzeitig das Pigmentepithel der Verrostung
anheimfállt. Das Gesichtsfeld auch am Dunkelperimeter zeigte in
beiden Fällen noch keine wesentlichen Einengungen; auch der kurven-
mässig dargestellte Verlauf der Adaptation liess Besonderheiten nicht
erkennen.
Farbensinn und Farbengesichtsfeld zeigt bei den beiden Fällen
von exogener Siderosis ebensowenig Störungen wie in den Fällen
intraokularer Hämorrhagie. Im dritten Falle bestand ebenfalls schon
ausgesprochene Hemeralopie (/7 — 145 nach 45 Min., auf dem ge-
sunden Auge 1626), obwohl sich keinerlei Zeichen einer Siderosis
nachweisen liessen. Der Splitter sass in diesem Falle schon seit
11 Jahren unten an der Peripherie in der Netzhaut oder Aderhaut.
Stórungen der Adaptation habe ich ebenso wie Lohmann und
Horn auch bei Retinitis albuminurica beobachtet. Die Stórungen
waren hier am hochgradigsten im Zentrum, entsprechend dem Haupt-
sitz der retinalen Veränderangen. Aber auch die mit dem Augen-
spiegel frei gefundene Peripherie wies Herabsetzungen der Empfind-
lichkeit auch bei langem Dunkelaufenthalt auf. So fand sich in
einem Falle mit hochgradigen Veränderungen im Fundus (weisse
Plaques und Blutungen) zentral /] — 5,26, peripher an einzelnen
Stellen 331, an andern 625.
Worauf wir die Stórungen der Adaptation gerade bei Albumi-
nurie zurückführen müssen, ist nicht in jedem Falle ganz klar. Es
kommen hier verschiedene Faktoren in Betracht. Erstens können
die Blutungen einen Einfluss ausüben, zweitens können die hoch-
gradigen Veränderungen in der Netzhaut eine Rolle spielen, und
drittens können auch Aderhautveränderungen in Betracht kommen,
die zwar mit dem Augenspiegel nicht nachweisbar, aber doch im
stande sind, das Pigmentepithel in seiner Funktionsfähizkeit wesent-
lich zu schädigen.
Von Retinitis pigmentosa standen mir 7 Fälle aus verschie-
denen Stadien der Erkrankung zur Verfügung.
1. Z, 21jährizer Landmann. 5 —— ^4, Gesielitsteld. für Weiss auf 20°
eingeengt, Farben noch stiäirker; typisehe Ret. pigmentosa; Papille stark
verfärbt, ganzer Augenhintergrund zeigt charakteristische Färbung. Knochen-
körperehen sehr reiehlieh bis 2PD. an Papille heran.
Adaptometer nach 50 Min. noch 7! := 0.
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 191
2. Frau S., 38 Jahre alt. S = */,.; Gesichtsfeld: Aussengrenzen
für Weiss und Farben normal; absolutes Ringskotom vom 5.—30. Grad nach
allen Seiten und temperal bis 40. Grad sich erstreckend. Papille schon
stark verfärbt, Ret. Arterien fadendünn, typische Verfärbung des Fundus,
Peripherie frei; zahllose knochenkörperchenartige Pigmenthaufen nasal bis
1PD., temporal bis 4 PD. an Papille heranreichend.
Adaptometer: zu Beginn E 0, nach 50 Min. E = 1,6.
3. Mathilde U., 36 Jahre alt, 1 Bruder nachtblind. R. S = "hs,
L. S = *|,,; Gesiehtsfeld für Weiss 10—15° gross, für Farben etwas
enger; rechts unten und temporal noch eine schmale periphere Zone, in
der Weiss erkannt wird; kleine hintere Polarkatarakt; starke Verfürbung
der Papille, Retinalgefisse fadendünn, ganzer Hintergrund typisch verfärbt,
Knochenkórperehen bis 2 PD. an Papille heranreichend.
Adaptometer: nach 1 Stunde Æ = O0, naeh 2!, Stunden 1,35,
18 Stunden 1,44, naeh 42 Stunden 1,49.
4. Claus T., 17 Jahre alt. Schwester vgl. Fall 6. S = "|, Aussen-
grenze für Weiss um 20? eingeengt, Blau wird nur noch in einem zentralen
15° grossen Bezirk erkannt, Rot und Grün noch stärker eingeengt.
Typische Ret. pigm. Papillen stark verfärbt, 2—3PD. breite Zone
um Papillen noch relativ gut gefärbt; von dort an zeigt der Hintergrund
das charakteristische fahle Aussehen bis an die äusserste Peripherie. Reich-
lich typische, knochenkórperchenartige Pigmenthaufen, die nasal bis auf 3,
temporal 6 PD. an die Papille heranreichen; in der Maculagesend gelbe
Stippehen und unregelmässige Pigmentierung.
Adaptometer: bis 30 Minuten O,
nach 22 Stunden 1,025,
nach 46 Stunden 1.
5. Andreas Sch, 20 Jahre alt, stud. 1 Grossonkel, die Grossmutter,
3 Onkel, die Mutter, 2 Brüder, 2 Schwestern nachtblind. R.—2,5, S = "hk,
L. S = ^|; Gesichtsteld für Weiss um 20°, für Farben bis auf 15° ungefähr
eingeengt. Papiilen stark verfärbt, (refässe schon recht eng; Fundus und
Peripherie zeigen typische Verfärbung. Spärliche knochenkörperchenartige
Pigmentliaufen.
Adaptometer: zu Beginn E == 1,154, nach 1Min. 1,154, nach 10 Min.
2,60, nach 50 Min. 5,26.
6. Emmi T., 12 Jahre alt, Schwester von Pat. Fall 4. Typische
Het. pig. S = "lo beiderseits. — Gesiehtsfeld Aussengrenzen tür Weiss
und Farben fast normal. Uber hingskotom unzuverlässisge Anraben.
Papille noch gut gefärbt, Peripherie frei, zwischen Papılle und Peri-
pherie breite Zone mit charakteristischer Verfärbung und reichlieh typischen
Pigmenthaufen. Rings um Papille aueh sehon kleine, fliegensehimutzáülinliehe
Pigmenthäufchen.
Adaptometer: zu Beginn X = 0, nach 10 Min. 2,09, nach 20 Min. 2,09,
45 Min. 7,47, 22 Stunden 22,7, 55 Stunden 19,9.
7. Heinrich T., 98 Jahre alt. Geometer; über hereditäre Belastung
nichts bekannt; seit 1 Jahr Flimmern. RS = ^, L. S — ^44 Gesichts-
128 K. Stargardt
feld vgl. Abbildungen. Farbensinn normal, Papillen sehr blass, etwas
schmutzig graugelb verfärbt, Retinalgefässe schon etwas eng; rings um
Papille Fundus normal aussehend, Aderhautgefässe gerade durchschimmernd.
6 PD. von Papille entfernt beginnt eine trübe, typisch bleigrau verfärbte
ringfórmige Zone, in der sich zahllose, meist konfluierende typische knochen-
körperchenartige Pigmenthaufen finden. Die Peripherie ist wieder frei.
Adaptometer: am 3. XII. 06 findet sich nach !/,stündiger Helladaptation
im Freien, aber bei trübem Wetter zu Beginn Æ = 2,37, nach 1 Min. 2,60,
3 Min. 2,99, 5 Min. 2,99, 10 Min. 6,01, 30 Min. 51,8, 45 Min. 210,
60 Min. 766 zentral und 816 peripher. Ohne dass irgend welche Therapie
angewandt worden war, hat sich die Adaptationsfähigkeit in den nächsten
Wochen wesentlich verändert. Am 27. I. 07 fand sich nach !j,stündiger
Adaptation an einem hellen Schneetage zu Beginn E — 2,01, nach 3 Min.
4,63, 10 Min. 106,05, 45 Min. 1784 zentral und 3287 peripher.
Aus den vorstehenden Fällen ergibt sich, dass die. Dunkel-
adaptation so gut wie stets bei Retinitis pigmentosa herabgesetzt ist.
In den hochgradigen Fällen wird selbst nach 50 Minuten noch nicht
ein Objekt erkannt, das gerade unter der Schwelle des helladaptierten
Auges liegt (Fall 1), oder es steigt die Empfindlichkeit auf minimale
Werte (1,6 in 50 Min. in Fall 2).
Die Tatsache, dass nach 30—60 Minuten die Empfindlichkeit
noch so gering ist, dass am Adaptometer überhaupt noch nichts er-
kannt wird, schliesst eine spätere Adaptation nicht aus. So finden
wir in Fall 3 nach 60 Minuten noch E so klein, dass sie nicht
messbar ist, nach 2!j, Stunden aber = 1,35; ähnlich in Fall 4 nach
30 Minuten noch eine so geringe E, dass am Adaptometer nichts
angegeben wird, nach 22 Stunden 1,025. Diese Tatsache kann leicht
dazu verleiten, anzunehmen, dass wir es bei der Retinitis pigmentosa
nur mit einer Verlangsamung der Adaptation zu tun haben, dass
aber nach lüngeren Zeiten vielleicht doch noch normale Höhen er-
reicht werden. Dagegen aber sprechen zwei Umstünde. In Fall 3
konnte eine irgendwie bemerkenswerte Steigerung nach 2!j, Stunden
nicht beobachtet werden, ebensowenig liess sich nach 22 Stunden in
Fall 4 und Fall 6 eine Steigerung nachweisen.
Ferner ergibt sich aus Fall 6, dass die Steigerung, die jenseits
von 45 Minuten auftrat, bis zur 22. bzw. 55. Stunde eine sehr ge-
ringe war, um das dreifache in 21 Stunden. Es handelt sich hier
nur um eine Steigerung, wie sie auch sonst, z. B. bei ganz normalen
Augen noch nach so langer Adaptation beobachtet worden ist (Nagel).
lu Fall 3 und 4 lässt sich über die in grösseren Zeiträumen
eingetretene Empfindlichkeitszunahme deswegen nichts Bestimmites
aussagen, weil die nach !L bzw. 1 Stunde vorhandene Empfindlich-
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 199
keit noch so gering war, dass sie der Messung mit dem Adapto-
meter nicht zugünglich war. Jedenfalls spricht manches auch hier
gegen die Annahme einer wesentlichen Zunahme der Empfindlichkeit.
Aus Beobachtungen in Fall 7 ergibt sich die sehr merkwürdige
Tatsache, dass die Empfindlichkeit der Netzhaut nicht zu allen
Zeiten die gleiche ist. Während sie in dem erwähnten Falle bei
der ersten Untersuchung zentral 766 und peripher 816 betrug, stieg
sie ohne Therapie im Verlauf von zwei Monaten auf normale Höhe
(zentral 1784, peripher auf 3287). Und diese Höhe wurde nicht
etwa nach Stunden, sondern schon nach 45 Minuten erreicht. Wir
sehen also zweifellos Remissionen, ohne dass wir eine Ursache dafür
angeben können.
Fall 7 zeigt gleichzeitig, dass selbst bei ausgesprochener und
schon relativ weit vorgeschrittener Retinitis pigmentosa die Adapta-
tion in manchen Bezirken noch völlig normal sein kann. Die
Störungen in der Dämmerung, die trotzdem vorhanden sind, sind
in diesen Fällen auf das breite absolute Ringskotom für. Dämmerungs-
werte zurückzuführen. In meinem Falle war diese Erscheinung jeden-
falls sehr offenkundig. 2
Am Hellgesichtsfeld fanden sich (vgl. Fig. 1) normale Aussen-
grenzen für weiss und blau, daneben ein Ringskotom, das für Weiss
zum grössten Teile nur relativ und nur in einer schmalen Zone ab-
solut war; am Dunkelperimeter (Fig. 2) dagegen fanden sich zwar
auch normale und selbst übernormale Aussengrenzen, aber dann
folgte eine breite Ringzone, in der selbst die stärksten Dämmerungs-
werte (die etwa einer E — 1,6 entsprachen) nicht erkannt wurden,
und dieses Ringskotom liess nur einen kleinen, 5? im Durchmesser
grossen zentralen Gesichtsfeldteil frei.
Während also im Tageslichte das relativ schmale Ringskotom
das Sehen so gut wie gar nicht störte, trat in der Dämmerung so-
fort die ganze Schwere der Erkrankung in Erscheinung. Das Dümme-
rungsgesichtsfeld war so eng, dass der Patient sich nicht mehr zu-
recht finden konnte, er befand sich dann in derselben Lage, wie
Kranke in den vorgerücktesten Stadien der Erkrankung bei höchst-
gradiger Einengung des Tagesgesichtsfeldes. Das periphere Sehen
war nur wenig von Nutzen, ebenso nützte die hohe Adaptationstühig-
keit im Zentrum gar nichts.
Es ergibt sich aus dieser Beobachtung, dass wir allein, durch
die Messung des Adaptationsverlaufes am Adaptometer, wie sie auch
von Lohmann, Heinrichsdorff, Messmer ausgeführt wurde, über
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, LXXIII. 1. 9
130 K. Stargardt
den Grad der Störung im Dämmerungssehen des Hemeralopen keinen
Aufschluss erhalten. Aus dem Vergleich zwischen dem Hell- und
dem Dunkelgesichtsfeld lassen sich vielleicht auch Schlüsse auf die
Art der Ausbreitung des Prozesses ziehen. Manche Autoren (Dufour
und Gonin, Heinrichsdorff) stehen ja heute auf dem Standpunkte,
dass das Ringskotom eine typische Erscheinung bei Retinitis pigmen-
tosa darstellt. Die Erkrankung beginnt danach in einer ringförmigen
Zone zwischen Zentrum und Peripherie.
Mir scheint es das wahrscheinlichste, dass in dieser Ringzone
zuerst die Adaptation leidet und dass auch bei der Verbreiterung
der erkrankten Zone die Störung; der Adaptation immer den andern
Störungen vorausgeht. Erst bei längerem Ergriffensein einer be-
stimmten Partie geht die Farbenempfindung zugrunde, und schliess-
lich leidet auch die Weissempfindung, indem zunächst ein relatives,
später ein absolutes Skotom für Weiss entsteht. Für diese Art des
Verlaufes scheint mir vor allem die in Fall 7 dicht bis an das Zentrum
heranreichende Einengung des Dunkelgesichtsfeldes zu sprechen, be-
sonders in Anbetracht der Tatsache, dass die Grenzen für Farben
hier noch relativ weite waren.
Nach alledem können wir wohl sagen, dass die Adaptation in
fast allen vorgeschritteneren Fällen von Retinitis pigmentosa wesentlich
herabgesetzt ist, dass es sich aber nicht etwa nur um eine sehr ver-
langsamte Steigerung der Empfindlichkeit handelt.
Die Empfindlichkeit steigt zwar nach 1 Stunde in den ersten
24 Stunden noch, aber die Steigerung übertrifft nicht das Mass
dessen, was man auch bei normalen Fällen in dieser Zeit sieht d. h.
das dreifache des nach 45—60 Min. gefundenen Wertes.
In bestimmten Fällen kann die Steigerung der Adaptation schon
in den ersten 45 Minuten eine völlig normale sein, und doch können
die Kranken hochgradig in der Dämmerung gestört sein. Es rührt
das davon her, dass sich schon frühzeitig für Dämmerungswerte ein
breites Ringskotom ausbildet, das nur ein sehr kleines Zentrum frei
lisst. Dieses Ringskotom kann für Dämmerungswerte absolut sein,
auch wenn die Adaptation im Zentrum und an der Peripherie noch
normal ist.
Sichere Schlüsse in bezug auf die Frage, ob das Primäre bei der
Retinitis pigmentosa in emer Erkrankung der Aderhaut, speziell der
Choriocapillaris, zu suchen ist, oder in einer Erkrankung des Neuro-
epithels, lassen sich aus den Adaptationsstörungen nicht ziehen. Doch
scheint mir gerade der Umstand, dass die Adaptation zuerst leidet, dafür
131
Über Stórungen der Dunkeladaptation.
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132 K. Stargardt
zu sprechen, dass zuerst die Stäbchen, dann die Zapfen in bestimmten
Bezirken ergriffen werden. Und da für die Stäbchen Störungen der
Funktionen des Pigmentepithels, die ja wohl im allgemeinen im An-
schluss an Erkrankungen der Choriocapillaris entstehen, viel mehr
ins Gewicht fallen, als für die Zapfen, móchte ich glauben, dass die
Funktionsstórungen eher auf eine primüre Erkrankung der Aderhaut
hinweisen.
Von Solutio retinae sind insgesamt 15 Fälle untersucht.
Über vier von diesen Fällen habe ich schon früher (Klin. Monatsbl.
f. Augenheilk. 06. Bd. II, S. 353) kurz berichtet. Da in diesen
Fällen die schon damals angekündigte, genauere Helligkeitsbestimmung
der am Dunkelperimeter angewandten Objekte durch Vergleich mit
dem Adaptometer nachträglich ausgeführt worden ist, und da ein
Teil der Fälle später noch weiter verfolgt werden konnte, führe ich
sie noch einmal kurz an.
Fall I. D., 52jähriger Tischler. Juli 1905 Stück Holz gegen rechtes
Auge geflogen. 22. IX. 05 S = iz. Solutio unten und temporal. 23. IX.
und 9. X. 05. Punktion nach Deutschmann. 13. X. nirgends Solutio
mit Augenspiegel nachweisbar.
2. II. 06. Ausgedehnte Solutio. Nur oberer nasaler Quadrant frei.
Gesichtsfeld für Weiss normal, für Farben nur geringe periphere Einengung
an der Stelle der Solutio (um 10°).
Gesichtsfeld bei Dunkeladaptation (30 Min.) mit Objekten, deren Hellig-
keit unter der Schwelle des helladaptierten Auges liegen (nachträglich wurde
durch Vergleich mit dem Adaptometer festgestellt, dass die Helligkeit einer
E von 14,03 entsprach): nur im unteren temporalen Quadranten und dessen
nächster Umgebung werden die für das Hellauge unterschwelligen Objekte
erkannt.
Fall II. B., 17 Jahre alter, intelligenter Gymnasiast. 4. I. 06. Schnee-
ball gegen rechtes Auge: S sofort schlechter. 28. V. 06. Totale Solutio,
teils flach, teils in stark prominenten Falten.
Gesichtsfeld für Weiss, vollkommen normal, für Blau, Rot und Grün
überall in ziemlich gleicher Stärke eingeengt, oben, nasal und unten auf 25 ",
oben temporal auf 30", temporal auf 45°, unten temporal normal. Trotz
3| stündigen Dunkelaufenthaltes ist keine Spur von Adaptation nachzuweisen,
selbst Objekte, deren llelligkeiten der maximalen Helligkeit des Adapto-
meters entsprechen, werden nicht erkannt. Linkes Auge kommt auf Æ ungefähr
8000. Das Sehvermögen auf dem rechten Auge ist später infolge einer
Glaskórperblutung naeh Punktion fast vollkommen verloren gegangen.
Fall II. Adolf B., 47 Jahre alter Knecht. Seit 1 Jahr S auf beiden
Augen schlechter. Beiderseits Solutio retinae intolge alter, chronischer
Chorioiditis. Dureh die abgelóste und zum grössten Teil sehr klare Retina
sieht man noch die grossen, alten Aderhautherde.
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 133
Am 20. VI. O6 bestand rechts Solutio, die nur den oberen nasalen
Quadranten freiliess. Gesichtsfeld war für Weiss normal, für Blau, Rot
und Grün in der nasalen Hälfte um 10—15°, für Grün auch unten etwas
eingeengt. Bei Dunkeladaptation findet sich mit für das Hellauge unter-
schwelligen Objekten (#Z = ungefähr 1,19) nur noch unten temporal
ein Gesichtsfeldrest, der ungefähr einem (JQuadranten entspricht. 8. VI. 06
Punktion nach Deutschmann rechts. Danach Ablösung wesentlich kleiner.
26. VII. 06 besteht nur noch flache Solutio im oberen temporalen Qua-
dranten.
Gesichtsfeld für Weiss und Farben ist jetzt völlig normal. Am Dunkel-
perimeter (Æ = 30,2 ganz dasselbe Resultat mit Æ — 1,23) findet sich
nur noch ein sektorförmiger Defekt, etwas mehr als den unteren nasalen
Quadranten des Gesichtsteldes einnehmend.
Es hat sich also die Dunkeladaptation oben und unten nasal wieder
hergestellt. Am 18. II. 07 wurde B. wieder aufgenommen. Es war wieder
eine Verschlechterung eingetreten. Der Glaskörper war jetzt etwas trüber,
einzelne Flocken lagen vor der Papille. Die Netzhaut hat sich auch unten
temporal wieder völlig abgelöst und die Ablösung hat sich auch noch weit
auf den unteren nasalen Quadranten ausgedelint. Das Gesichtsfeld für
Weiss ist noch normal, das für Farben in der nasalen Hälfte stark ein-
geengt, bis 30 und selhst 10° an den Fixierpunkt. Am Dunkelperimeter
findet sich ein Defekt in der ganzen nasalen Hälfte und es fehlt die an-
grenzende Hälfte des oberen temporalen Quadranten. Am Adaptometer
ergab sich eine Æ =— 3755 (die Herabsetzung gegen später ist wohl auf
die Glaskörpertrübung zurückzuführen). Unter Bettruhe, Druckverband und
Jodkali trat eine Besserung ein.
Am 5. III. 07 fand sich am Adaptometer nach 70 Minuten rechts
— 5503, Gesichtsfeld für Weiss und Farben so gut wie normal; am
Dunkelperimeter (£ — 42,2 und dasselbe Resultat mit 10,45) fehlt der
Quadrant nasal unten. Die Solutio ist genau die gleiche, wie am 26. VII.
O6, d. h. es ist nur der obere temporale Quadrant abgelöst. Es hat sich
demnach zum zweiten Male durch Wiederanlegen der Netzhaut die Dunkel-
adaptation in einem grossen Bezirke wieder hergestellt.
Auf dem linken Auge des Patienten war eine genaue Aufnahme des
Hell- und Dunkelgesichtsfeldes intolge von höchst mangelhafter Fixation (S nur
Fingerzählen in 1m excentrisch) nicht möglich. Doch ergab sich auch
hier, dass die Weiss- und Farbengrenzen sich noch über weite Teile des
Gesichtsfeldes erstreckten, die schon abgelösten Netzhautteilen entsprechen.
Am Dunkelperimeter (Z = 42,2) fand sieh dagegen nur noch ein schmaler
Sektor unterhalb der Mitte erhalten. Am Adaptometer ergab sich nach
TO Min. eine E = 3755. Auch hier entsprach die Grösse des Dunkel-
gesichtsfeldes ziemlich genau dem anliegenden Netzhautbezirk. Eine genaue
Übereinstimmung war bei der schlechten Fixation auch nicht zu erwarten.
Fall IV. Frau D., 31 Jahre. Stets kurzsichtig. Seit 2 Jahren rechts,
seit 6—8 Wochen links Sehvermören schlechter. 1. VIII 06. Rechts:
Amaurose, alte, totale Solutio. Links: Myopie 7 D; S = ?,,; fast totale
Solutio, nur in einem schmalen, sektorenfórmigen Gebiete oberhalb der
134 K. Stargardt
Papille liegt die Netzhaut noch an. Unten stark prominente Falten. Ge-
sichtsfeld (vgl. meine frühere Publikation) für weiss normal, für Farben
fehlt der ganze Quadrant oben nasal und dieser Defekt dehnt sich noch
über die Hälfte der beiden benachbarten Quadranten aus. Am Dunkel-
perimeter (Z = 30,2) findet sich nur noch unterhalb der Mitte ein schmaler,
sektorenförmiger Rest des Gesichtsfeldes, der von der Peripherie bis 5°
vom Mittelpunkt sich erstreckt. Unter Jodnatr., Schwitzen und Druckver-
band tritt in 2 Monaten eine nicht unwesentliche Besserung ein, indem
die Netzhaut sich oben weiter anlegt und zwar nach beiden Seiten von
der auch anfangs anliegenden Stelle nasal bis fast zum horizontalen Meri-
dian, temporal nur halb so weit. Ganz entsprechend dieser Anlegung
dehnt sich das Dunkelgesichtsfeld (Z = 30,2) nach beiden Seiten und zwar
temporal bis zur Horizontalen aus. Dabei bleibt eine periphere Einengung
bis 60° bestehen.
Das Hellgesichtsfeld zeigt entsprechend der Anlegung gar keine Ver-
änderungen, da es an den Stellen, wo die Anlegung erfolgte, auch schon
vorher für Weiss und Farben normal war. Im übrigen weist es eher
eine Verkleinerung auf, speziell oben streckenweise bis auf 30°, ohne dass
dafür Veränderungen im Fundus verantwortlich gemacht werden konnten.
Fal V. Otto A., 27 Jahre. R. Strabismus diverg. 25° (seit frühester
Jugend), S = O, totale Solutio infolge hoher Myopie. L. vor angeblich
8 Wochen Stoss gegen das Auge, seitdem S schlechter. 2. I. 07. Sl =
Fingerzühlen in !|, Meter, mit — 18,0 S — #lhọ Breites, fast ringförmiges
Staphylom, ausgedehnte Maculadegeneration, Lacksprünge; Solutio retinae,
die nur einen sektorenförmigen Streifen oberhalb der Papille bis zur Peri-
pherie freilässt (Fig. 3).
Adaptometer: typischer Kurvenverlauf; nach 45 Min. E — 1450 für
alle Objekte von 2— 10 cm Seitenlänge, für 4 mm Seitenlänge Z nur = 22,7.
Hellgesichtsfeld: Für Weiss nur unbedeutende Einengung oben. Farben-
gesichtsfeld fehlt in der oberen Hälfte fast ganz, und es greift der Defekt
noch auf den unteren nasalen Quadranten über (Fig. 4).
Das Dunkelperimeter (Z = 19,9) zeigt nur noch einen Rest unterhalb der
Mitte bis zur Peripherie, etwas über r des Gesichtsfeldes einnehmend (Fig. 5).
Fall VI. Elsabe F., 53 Jahre alt. 12. II. 07. Links: Maculae
corneae, schmales temporales Staphylom; mit eyl. — 3,0 © — 1,5 S = Hl,
Rechts: @/ = !:.,, mit — 6,0 85 = ?i,., Maculae corneae, objektiv Myopie
8 D; breites, ringförmiges Staphylom; fast totale Solutio retinae, nur
oben nasal findet sieh noeh eine anliegende Stelle (Fig. 6).
Adaptometer: Rechts: Anf. EZ — 3,31, nach 45 Min. 331, Links:
Anf. E — 3,87, naeh 45 Min. 1555.
Hellgesichtsfeld vgl. Fig. 7.
Dunkelgesiehtsfeld (£ — 26,0) vgl. Fir. 8.
Es findet sich hier demnach eine ziemlich weitgehende Übereinstimmung
zwischen Dunkelgesichtsfeld und Gesichtsfeld für Blau.
Fall VII. Karl V. 42 Jahre. Seit 17. Jahre Brille. Am Tage der
Aufnahme 10. III. 07 bemerkte V., dass er mit dem linken Auge nicht
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 135
t
05
136 K. Stargardt
mehr deutlich sah. Rechts: — 6,0 S = ®j,,; Links: Fingerzühlen in 17/, m;
Gläser bessern nicht. Totale Solutio, stark prominente Falten. Druck-
verband, Bettruhe; 21. III. oben kleine Stelle angelegt, Falten flacher.
25. III. Punktion nach Deutschmann. Aus beiden Stichstellen tritt reich-
lieh Flüssigkeit unter die Dindehaut, Bettruhe, Druckverband. 28. III. über-
all Solutio flacher. 4. VII. O7 mehrere diehte Glaskórperflocken, Ring-
staphylom, ausgedehnte Chorioidealatrophie um Papille rings 4—6 PD. weit,
Maculadegeneration in Form von Lacksprüngen. Auch an der Peripherie
starke diffuse Atrophie der Aderhaut. Nirgends Solutio mehr nachweisbar.
Mit — 10,0 S — fs.
Dunkelgesichtsfeld: 21. III. 07: entsprechend der kleinen angelegten
Netzhautstelle findet sich ein etwa 10? grosses Gesichtsfeld für Z — 19,9
unten zwischen 30—40° Ganz analog ist das Gesichtsfeld für Farben,
während das Gesichtsfeld für Weiss fast in der ganzen unteren Hälfte frei ist.
Am 5. VII. 07, also nach Anlegen der gesamten Retina findet sich
links am Adaptometer nach 60 Minuten E — 22,7, dasselbe nach 3 Stunden.
V. erhält einen lichtdichten Verband, nach 28 Stunden findet sich Z — 15,6,
nach 48 Stunden Z = 22,7. Auf dem rechten Auge fand sich nach
60 Minuten E — 1555, nach 3 Stunden 2422.
Das Gesichtsfeld war am 5. VIL. O7 für Weiss fast normal, nur unten
nasal bestand ein sektorenfórmiger Defekt. Blau, Rot und Grün wurden
nur im temporalen unteren Quadranten erkannt. Am Dunkelperimeter
(E — 17,7) fand sich nur ein kleiner Gesichtsfeldrest im unteren tempo-
ralen Quadraten, ungefähr dem Rotgesichtsfeld entsprechend, während der
Bezirk, in dem Blau und Grün erkannt wird, viel kleiner ist, als das Dunkel-
gesichtsfeld.
Fall VIII. Frau Sch., 55 J., stets kurzsichtig, seit !/, Jahr rechtes
Auge schlechter. 11. I. 07. Rechts S = t|., Myopie ungefähr 10 D.,
totale Solutio, unten dicke Falten, oben flache. Links — 10,0 S — °l.,
Ringstaphylom, ausgedehnte Maculadegeneration. Adaptometer: Rechts nach
45 Min. E = O0, links Æ = 903. Hellgesiehtsfeld: Grenze für Weiss
oben bis fast zur Horizontalen eingeengt, Grün wird nicht erkannt, Rot
nur in der unteren Hälfte nach allen Seiten 30—40? vom Nullpunkt.
Blau noch stärker eingeengt auf 20—30°. 26. 1. 07. Punktion R. 28. I.
Falten flacher, oberhalb der Papille kleiner Bezirk angelest. Adaptometer
E = 26,0; am Dunkelperimeter (#7 = 22,71) nur kleiner Fleck, ungefähr
dem Blaugesichtsfeld entsprechend. Hellgesichtsfeld unverändert. Links zeigte
das Dunkelgesichtsfeld (2° = 30,2) ebenso wie das llellgesichtsteld stets
normale Aussengrenzen. Adaptometer links stets unverändert, Æ = 903.
Fall IX. Louis A., 22 Jahre, stud. jur., stets kurzsichtig, 1892 in
Heidelberg links Fukalasche Operation; seit 1903 Solutio retinae.
25. IV. 07: Rechts mit — 2208 = ",,, Links: ohne Glas S? = 75,
mit -2- 3,0 S = ?.,; mit 4+ 7,0 Schweigger IV in 18 em. In der
ganzen unteren Hälfte und oben temporal Solutio retinae, wenig promi-
nente, Schlecht durchseheinende Falten.
Adaptometer zu Beginn beiderseits O, nach 45 Min. Rechts Z = 3755,
Links 1309. Dunkelperimeter (Z = 26,0) kechts temporal und temporal
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 137
unten Einschränkung auf 70, bzw. 80°. Links: Grosser Defekt, der die
ganze obere Hälfte des Gesichtsfeldes, ferner die obere Hälfte des nasalen
unteren Quadranten und die Peripherie des unteren temporalen Quadranten
bis zum 60. bzw. 70. Grad einnimmt.
Hellgesichtsfeld für Weiss nur oben unbedeutend eingeengt, Blau ent-
spricht ungefähr dem Dunkelgesichtsfeld, Rot und Grün sınd etwas grösser.
Fall X. Frau J., 53 Jahre. 3. X. 06. Rechts Katarakt ohne be-
kannte Ursache, gute Q.L. und Projektion. Links: Hyperopie 3,5 D,
S = *|,, Auge normal 5. X. 06. Kataraktextraktion; Heilung unter
ganz geringen Reizerscheinungen. 19. XI. Diseission der dichten Sekun-
därkatarakt. 24. XI. S nur Q-L. Glaskórper getrübt, Solutio retinae.
18. I. 07. Glaskórper etwas klarer, totale Solutio (vermutlich Folge chron.
Chorioiditis. Adaptationsprüfung ergibt, dass nur ein Licht, das 219 mal
80 hell, wie die maximale Helligkeit des Adaptometers ist, wahrgenommen
wird. Eine höhere Empfindlichkeit wird auch nach zweistündigem Dunkel-
aufenthalt nieht erzielt.
Fall XI. Gustav M., 36 J. Seit 14 Tagen S auf dem linken Auge
schlechter; keine Allgemeinerkrankung nachweisbar. 19. I. 07. Rechts
S—*", L. S— Fingerzühlen in 1 m. Rechts einzelne Glaskörpertrübungen,
Links: mit binok. Mikroskop (35fache Vergr.) deutliche Stippung des ganzen
Endothels, Glaskórper sehr trübe besonders zentral, Netzhaut in der unteren
Hälfte völlig, im oberen nasalen Quadranten etwa zur Hälfte abgelöst,
ebenso greift die Ablösung weit auf den oberen temporalen Quadranten
über. Alt-Tuberkulin positiv, aber keine Lokalreaktion. Adaptometer:
Rechts nach 50 Min. E = 5500, Links zentral # = 64, peripher oben 331.
Hellgesichtsfeld für Weiss fehlt fast die ganze obere Gesichtsfeldhälfte, vom
unteren temporalen Quadranten fehlt die äussere Hälfte. Blau und Rot
werden nur mit Mühe in einem ganz umschriebenen, kleinen Bezirk (von
20° Durchmesser, 30° unterhalb der Mitte erkannt. Dunkelperimeter
(E — 26,0): Das Gesichtsfeld zeigt einen zentralen Defekt von 10? Aus-
dehnung; der Defekt breitet sich von hier über die ganze obere Hälfte des
Gesichtsfeldes und über den grössten Teil der beiden unteren Quadranten
aus, so dass nur noch !|, des ganzen Gesichtsfeldes freibleibt. In seiner
Grösse stimmt es durchaus mit dem anliegenden Teil der Netzhaut überein.
Fal XII. Fritz B., 23 Jahre. Als Kind Verletzung des linken
Auges. 16. IX. 07 rechts mit — 0,5 NM zz Ha Auge normal; links mit
ey| — 1,0 S — "tL. Papille normal, Netzhaut in Maeulagegend auffallend
stark reflektierend und etwas trüber, als an andern Stellen, und grosser,
deutlicher, zentraler roter Fleck. 3—4 PD. von Papille entfernt, beginnt
temporal eine halbkugliye Netzhautablósung. —Hetina ist hier zart grau-
weiss getrübt, an einzelnen Stellen aber sehr klar. land der Solutio
scharf, halbkreisfórmig, von Pigment und hellrosa. Aderhautherden gebildet.
An einzelnen Stellen schimmern dureh die Netzhaut grosse, gelbliche Ader-
hautherde hindurch; dichte weisse Strünge liegen vor und in der Retina.
Übriger Fundus normal (Fig. 9).
Adaptometer: Rechts nach 45 Min. E = 8164, links — 1077. Dunkel-
138 K. Stargardt
gesichtsfeld (Fig. 11) (Z =: 42,2): rechts normal, links zeigt es genau den
gleichen halbkreisfórmigen, bis 20? an die Mitte heranreichenden Defekt,
wie das Hellgesichtsfeld (Fig. 10) für Weiss und sämtliche Farben.
Fall XIII. Martin H. 55 Jahre, Zimmermann. Seit !/, Jahr rechtes
Auge schlechter. Ursache nicht sicher festzustellen, wahrscheinlich einmal
Verletzung im Beruf. Linkes Auge normal. Rechts mit +05 S =",
Ausgedehnte Solutio, die nur den oberen nasalen Quadranten und die un-
mittelbar angrenzenden Partien frei lässt. Macula mit abgelöst.
Gesichtsfeld für Weiss zeigt nur einen Defekt oben nasal; für Blau
ist die Einengung fast die gleiche und Rot und Grün zeigen nur geringe
Abweichungen. Es dehnt sich also das Farbengesichtsfeld über den ganzen
unteren nasalen Quadranten und über die Hälfte des temporalen oberen
aus, also über Gebiete, die ohne Zweifel abgelösten Netzhautpartien ent-
sprechen.
Das Dunkelgesichtsfeld (2 = 26,0) ist wesentlich kleiner und greift
kaum auf temporalen oberen und nasalen unteren Quadranten über. Es
entspricht demnach vollkommen der Ausdehnung der Solutio.
Fall XIV. Frau Friederike D., 53 Jahre alt. Seit 1, Jahr rechtes
Auge schlecht. 11. I. 07. Links: + 1,5 © eyl = 2,5 S = |; abge-
sehen vom Astigmatismus normal. Rechts: .$ — Fingerzählen excentrisch
Im "um, Auge äusserlich normal. Ausgedehnte Solutio. Dicke, stark
prominente, graugrüne undurchsichtige Falten, zum Teil schon die Papille
bedeckend; flachere Ablösung im übrigen Teil. Frei geblieben ist nur
ein peripherer Sektor oben und temporal; aber auch dieser ist durch eine
5 —6 PD. breite Zone, in der die Netzhaut flach abgelöst ist, von der
Papille getrennt (Fig. 12). Mit Langescher Lampe erhält man zwar über-
all roten Reflex, aber beim Anlegen an eine Stelle unten 5 mm hinter dem
Hornhautrande nur äusserst schwaches Licht, so dass der Verdacht auf
Tumor eine ziemliche Berechtigung besitzt.
Am Adaptometer findet sich rechts beim Blick geradeaus auch nach
45 Min. E — 0; bei Untersuchung der peripheren anliczenden Netzhaut-
stelle nach 1 Min. E = 12,7, 7 Min. 106,3, 15 Min. 210, 25 Min. 625,
45 Min. 3755. Das entspricht fast ganz genau dem Untersuchungsergebnis
am andern Auge, wo ebenfalls eine Endempfindlichkeit von 3755 ge-
tunden wurde. Am Hellperimeter findet sich für Weiss ein fast die ganze
obere Hälfe einnelimender Defekt, Rot und Blau finden sich nur noch in
einem Bezirk vom 10—50° abwärts von der Papille (Fig. 13). Am Dunkel,
peri 7 — 30.2) sieht man einen Gesichtsfeldrest, der sich nach unten
und unten nasal bis zum 70° erstreckt, nach oben bis zum 30° (Fig. 14).
“all XV. Heinrich G., 70 Jahre. Seit 1 Jahr angeblich erst linkes
Auge Schlechter. 2. VI. 07. Rechts: + 1,0 S = "j; normal, nur Halo.
senilis. Adaptometer naeh 50 Min. E = 331. Links Q.-L., schlechte
Projektion: Farben werden nicht wahrgenommen. Am Adaptometer auch
naeh 60 Min. 0; es wird überhaupt nur noch das Licht einer Kerze in
25cm Entfernung erkannt; auch nach längerer Adaptation kann die Ent-
fernung nicht vergrössert werden, ohne dass die Lichtempfindung sofort
139
Über Stórungen der Dunkeladaptation.
05
ig. 12.
F
Fig. 9.
N 4 AT RE LS
; 4 —-
Sg ee
É Rund
dd Nr
140 K. Stargardt
aufhört. Es besteht totale Solutio, fast trichterförmig, schmutzig graugrüne
Trübung der ganzen Retina.
Ursache nicht sicher festzustellen, es ist nur hochgradige Arterio-
sklerose nachweisbar.
Zur Beurteilung des Verhaltens der Dunkeladaptation bei Netz-
hautablösung standen mir also 15 Fälle zur Verfügung. Die Ätio-
logie der Erkrankung war in diesen Fällen eine recht verschiedene.
Trauma lag in Fall I, II, XII und wahrscheinlich auch. XIII
vor, und zwar handelte es sich stets um vorher gesunde Augen, nur
in Fall II bestand eine geringe Myopie von 1,75 D ohne irgendwelche
myopische Veründerungen.
Chronische äquatoriale Chorioiditis war in 2 Fällen (III u. X)
die Ursache der Solutio, in 1 Fall (XI) lag eine chronische Ent-
zündung des ganzen Uvealtractus, wahrscheinlich auf tuberkulöser
Basis vor. Vermutlich durch Gefässveränderungen infolge von all-
gemeiner Arteriosklerose war die Ablösung in Fall XV bedingt.
Ein intraokularer Tumor musste in Fall XIV angenommen werden.
In sechs Fällen (4, 5, 6, 7, 8, 9) hatte Myopie zur Solutio geführt.
FallIV, V und VII zeigten hochgradige myopische Aderhautverände-
rungen; im Fall VIII waren sie nur wenig ausgesprochen, bei 6
fand sich nur ein Ringstaphylom. Im Falle IX handelte es sich
um eine Solutio, die 11 Jahre nach einer Myopie-Operation (Fukala)
aufgetreten war.
Die Ätiologie ist insofern nicht ohne Bedeutung, weil auch durch
die neben der Netzhautablösung im Auge bestehenden Veränderungen
Störungen der Dunkeladaptation bedingt sein können.
In den Fällen, in denen die von der Netzhautablösung ver-
schonten Teile auch sonst völlig normal sind, ıst hier auch die
Adaptation eine völlig normale. So fand sich im Fall III L. in
der nicht abzelösten Partie eine 77 — 5503, die nur vorübergehend
infolge von diffuser Glaskörpertrübung auf 3755 sank; in Fall XIV
(Tumor?) an der kleinen peripheren Stelle, wo die Netzhaut anlag,
E = 3755, genau wie auf dem andern Auge, das abgesehen von
Astigmatismus völlig normal war.
In den Füllen dagezen, in denen die von der Netzhautablösung
verschonten Stellen Veränderungen aufwiesen, die an sich die Adap-
tation beeinflussen können, fanden sich selbstverständlich auch der-
artige Störungen.
So ergab sich in Fall IV nur eine / — 1450 infolge von
myopischen Aderhautveränderungen, in Fall VI nur cine F = 33
Über Störungen der Dunkeladaptation. 141
infolge von myopischen Veränderungen und Maculae corneae. Hoch-
gradige myopische Veränderungen setzten in Fall VII und VIII die £
sogar auf 22,7 und 26,0 herab. Auch an dem wegen hochgradiger
Myopie operierten Auge (Fall IX) wurde die E nur = 1309 gefunden,
eben wegen der myopischen Veränderungen.
Glaskörpertrübung bedingte in Fall III L. vorübergehende Herab-
setzung von 5503 auf 3755; in Fall XI war die Trübung des Glas-
kórpers eine so erhebliche, dass die E zentral nur auf 64, peripher,
wo die Trübung etwas geringer war, auf 331 stieg.
Nicht ganz klar war der Zusammenhang zwischen altem Trauma
(vor 20 Jahren) und Herabsetzung der Adaptation (Æ = 1077) in
Fall XII. Doch müssen wir hier wohl aus der leichten Trübung
und dem auffallend starken Reflektieren der Netzhaut auf irgend-
welche durch das Trauma entstandene, wenn auch nicht näher zu
definierende anatomische Veränderungen schliessen.
In allen Fällen liessen sich also dort, wo Adaptationsstörungen
an Stellen vorhanden earen, die von der Netzhautablösung verschont
waren, andere Affektionen nachweisen, aus denen die Störungen
zwanglos erklärt werden konnten.
Die Grösse des Bezirkes, in dem die Netzhaut anlag,
stimmte mit Ausnahme eines Falles (VII) (vgl. unten) stets
genau mit der Grösse des am Dunkelperimeter nach +45 Mi-
nuten langer Dunkeladaptation gefundenen Gesichtsfeldes
überein (vgl. die Abbildungen). Natürlich sind der Untersuchung,
wie weit hier die Genauigkeit geht, gewisse Grenzen gezogen. Wir
sind ja nicht immer in der Lage, die Grenze zwischen anliegender
und abgelöster Netzhaut ganz genau mit dem Augenspiegel zu sehen
und anzugeben, ferner vermögen wir über eine gewisse periphere Zone
mit dem Augenspiegel überhaupt keinen Aufschluss zu erhalten
(Fall IX L.) Mit dieser Einschränkung kann also der oben auf-
gestellte Satz von der Übereinstimmung zwischen der Grösse des
Dunkelgesichtsfeldes und des Bezirkes, in dem die Netzhaut anliegt,
überhaupt nur gelten. Auch in Fällen schlechter Fixation (II L.)
kann die Übereinstimmung nur eine annähernde sein.
Sehr wichtig ist der Nachweis, dass die Adaptation wiederkehrt,
wenn die Netzhaut sich anlegt (Fall IV, VII, VIII, III R.) Im
letzteren Falle konnte sogar die Wiederkehr der Adaptation zweimal
beobachtet werden. Hier hatte sich im Anschluss an Punktion (nach
Deutschmann) die Netzhaut auf weite Strecken angelegt, sieben
Monate später war sie wieder abgelöst. Auch jetzt gelang es wieder,
1423 K. Stargardt
sie durch Bettruhe und Druckverband zur Anlegung zu bringen.
Beidemale trat mit der Anlegung eine entsprechende Vergrósserung
des Dunkelgesichtsfeldes ein.
Im Fall VII kehrte die Adaptation trotz totaler Heilung der
Solutio nur in einem kleinen Bezirke wieder. Es ist das darauf
zurückzuführen, dass hier der Aderhautschwund ein so hochgradiger
war, dass über weite Strecken überhaupt nichts mehr von Aderhaut
zu sehen war, mit Ausnahme einiger grösserer Gefässe.
Die Möglichkeit solcher hochgradigen Veränderungen, durch die
die Adaptation völlig vernichtet werden kann, ist besonders bei den-
jenigen Netzhautstellen zu beachten, über deren Verhalten wir mit
dem Augenspiegel keinen Aufschluss erhalten können, d. h. bei peri-
pheren Netzhautstellen.
Hier können wir aus einem Gesichtsteldausfall am Dunkelperimeter
nicht ohne weiteres auf Solutio schliessen. Es finden sich vielmehr,
gerade bei Myopie (vgl. diese), periphere, zum Teil sogar recht er-
hebliche Einschränkungen.
Aber auch bei Myopie können wir aus dem Vergleich des
Dunkelgesichtsfeldes mit dem Hellgesichtsfelde noch weitgehende
Schlüsse auf das Vorhandensein einer Solutio ziehen.
Ich habe oben gezeigt, dass die durch die Myopie allein be-
dingten peripheren Einengungen das Dunkelgesichtsfeld bis auf 5°
genau mit den Einengungen des Hellgesichtsfeldes für Weiss über-
einstimmen.
Haben wir also eine solche Übereinstimmung, dann können wir
Solutio mit grösster Wahrscheinlichkeit ausschliessen; überragt da-
gegen die Einengung des Dunkelsesichtsfeldes erheblicher die des
Weissgesichtsfeldes, oder findet sich nur eine Einengung des Dunkel-
gesichtsfeldes, so liegt mit grósster Wahrscheinlichkeit eine periphere
Netzhautablósung vor. Ein normales Dunkelgesichtsfeld spricht mit
Sicherheit gegen eine Ablösung.
Es erhebt sich nun die interessante Frage, wie weit mit diesen
Befunden auch sonst die Resultate der Gesichtsfelduntersuchung für
Weiss und Farben bei Tageslicht übereinstimmen.
Aus den oben angeführten Krankengeschichten ergibt sich die
ja auch sonst schon bekannte, aber nicht immer genürend gewürdigte
Tatsache, dass aus dem Gesichtsfeld für Weiss so sut wie keine
Schlüsse auf die Grösse, Ja selbst nicht einmal auf das Vorhanden-
sein einer Solutio retinae zu ziehen sind. Das Gesichtsfeld für
Weiss kann bei totaler Solutio (Fall TI) vollkommen normal sein;
Über Störungen der Dunkeladaptation. 143
es kann vollkommen normal sein, wenn fast die ganze Netzhaut ab-
gelöst ist und nur noch kleine Teile der Netzhaut anliegen (Fall I,
III R., 4 L.). Ebenso können grössere Ablösungen vollkommen ver-
borgen bleiben (Fall III R.). Bisweilen finden sich auch bei frischeren
Ablösungen Einengungen (Fall V), aber sie entsprechen nicht im
geringsten der Grösse der Ablösung. Auch über die Wiederanlegung
lässt sich aus dem Weissgesichtsfeld meist nichts erschliessen (IV L.),
da es ja schon während der Ablösung häufig gar keine Defekte
aufweist.
Nur bei älteren Ablösungen (Fall VII, IX, XI u. XIV) treten
stärkere Einengungen auf, aber ohne Beziehung zur Grösse der Ab-
lösung. Solche Einengungen können nach Anlegen in seltenen Fällen
wieder kleiner werden (Fall VII). Eine Übereinstimmung des Weiss-
gesichtsfeldes mit der Grösse der Ablösung scheint sich nur bei ganz
alten, partiell gebliebenen Netzhautablösungen (Fall XII, 20 Jahre
alte partielle Solutio) zu finden.
In solchen Fällen scheint dann auch mit dem Weissgesichts-
feld das Dunkelgesichtsfeld und das Farbengesichtsfeld übereinzu-
stimmen. Wenigstens ist das der einzige Fall, in dem ich eine
solche Kongruenz gefunden habe. Und sie lässt sich hier sehr leicht
dadurch erklären, dass in der fast halbkuglig abgehobenen Netzhaut
allmählich alle Funktionen erloschen sind, während die unmittelbar
angrenzende anliegende Netzhaut in ihrer Funktionsfähigkeit nur
wenig gestört ist.
Auch das Farbengesichtsfeld gibt uns nur in Ausnahmefällen
Aufschluss über die Grösse einer Ablösung. Zwar treten hier schon
viel früher als beim Weissgesichtsfeld Defekte auf, aber die Defekte sind
im Anfang viel kleiner als die Ablösung (z. B. Fall I, II, III, IV,
XIII. Auch kann schon durch Flacherwerden einer Ablösung, z. B.
nach Punktion (Fall III), das vorher eingeengte Farbengesichtsfeld
normal werden.
Eine ungefähre Übereinstimmung zeigte sich in Fall XIV (Tumor?).
Eine völlige ist hier auch nicht zu erwarten, da ja schon normaler-
weise das Dunkelgesichtsfeld bis an die üusserste Peripherie des Hell-
gesichtsfeldes und selbst darüber hinaus reicht, während die Farben-
grenzen weit von der Peripherie entfernt bleiben. In zwei Fällen
ergab sich zwar eine erhebliche Inkongruenz zwischen dem Dunkel-
gesichtsfeld und den HRot- und Grüngrenzen, dagegen eine sehr gute
Übereinstimmung zwischen dem Dunkelgesichtsfeld und den Blau-
grenzen.
144 K. Stargardt
Nur in zwei Fällen war das Farbengesichtsfeld kleiner, als das
Dunkelgesichtsfeld (Fall VII u. XI). In beiden Fällen hatte offenbar
der Farbensinn an den betreffenden Stellen stärker gelitten, als die
Dunkeladaptation. Als Grund dafür finden wir das eine Mal (Fall VII)
hochgradigen Aderhautschwund, das andere Mal (XI) eine chronische
Uveitis (tuberkulöser Natur?).
Aber auch in dem letzteren Falle gab das Dunkelgesichtsfeld
die Grenzen der Ablösung richtig an. In dem andern Falle (VII)
handelte es sich um totale Wiederanlegung der Retina, ohne dass
die Adaptation sich wieder herstellte, was, wie schon oben angeführt,
auf die hochgradige Aderhautatrophie zurückzuführen war.
Es ergibt sich aus dem vorstehenden, dass
l. die Grösse des Dunkelgesichtsfeldes (nach 45 Minuten
langer Dunkeladaptation mit Objekten, deren Helligkeit unter der
Schwelle des helladaptierten Auges liegt, aufgenommen) mit der
Grösse der Netzhautablösung übereinstimmt, soweit nicht
noch andere intraokulare Erkrankungen eine Einschrän-
kung bedingen;
2. dass ein normales Dunkelgesichtsfeld den sicheren
Schluss auf Fehlen von Netzhautablösung zulässt;
3. dass das Weissgesichtsfeld in den meisten Fällen
weder einen Schluss auf die Grösse, noch überhaupt auf
das Vorhandensein einer Netzhautablösung zulässt;
4. dass das Farbengesichtsfeld ebenfalls in den meisten
Fällen unzuverlässig ist und nur in wenigen Fällen eine
Übereinstimmung zwischen dem Blaugesichtsfeld und der
Grösse der Ablösung besteht.
Was den Verlauf der Störungen bei Solutio retinae betrifft, so
haben wir ihn uns wohl so vorzustellen, dass in dem Augenblick,
wo die Netzhautablösung eintritt, falls das Auge nicht im Dunkeln
gchalten wird, die Dunkeladaptation an der abgelösten Stelle erlischt
und darauf eine Einengung des Dunkelgesichtsfeldes folgt. Erst viel
später zeigen sich Einengungen am Farbengesichtsfeld. Zeitweise
kann dann später das Blaugesichtsteld mit dem Dunkelgesichtsteld
übereinstimmen. Erst bei älteren Ablösungen folgt eine Beeinträch-
tirung des Weisstresichtsfeldes.
Die Vorgänge, die diesen Erscheinungen zugrunde liegen, lassen
sich nach der Duplizititstheorie ganz gut erklären. Sobald die Netz-
haut abgelöst ist und der etwa in ihr noch vorhandene Sehpurpur
ausgebleicht ist, hört die Dunkeladaptation auf, da sich der Seh-
Über Störungen der Dunkeladaptation. 145
purpur in der vom Pigmentepithel getrennten Retina nicht wieder
bildet. Die Zapfen dagegen bleiben zunächst noch funktionsfähig,
erst bei längerer Ablösung erlöschen auch in ihnen die feineren
Funktionen (Grün-, Rot- und Blauempfindlichkeit) und es tritt bei
Reizung nur noch eine farblose Empfindung auf, bis auch diese
schliesslich, allerdings meist erst nach sehr langem Bestande der
Ablösung, erlischt. Durch Wiederanlegen der noch nicht zu lange
abgelösten Netzhaut kann die Adaptation wiedergewonnen werden,
indem ein Kontakt zwischen Stäbchen und Pigmentepithel hergestellt
und so die Stäbchen wieder mit Sehpurpur oder den zu seiner Bil-
dung nötigen Stoffen versorgt werden. Dass auch die Zapfenfunk-
Donen wieder bessere werden, wenn die Netzhaut sich anlegt, ist
wohl durch die auf diese Weise auch für die Zapfen geschaffenen
besseren Ernährungsbedingungen zurückzuführen.
Durch meine Untersuchungen finden auch einige frühere Be-
obachtungen eine Erklärung und Bestätigung, so die bisweilen vor-
handene Übereinstimmung des Blaugesichtsfeldes mit der Grösse der
Solutio (Axenfeld), ferner manche bei stark herabgesetzter Beleuch-
tung erhaltenen Resultate (Schirmer, Axenfeld, Liebrecht).
Dass speziell mit der Methode, bei niedrig geschraubter Lampe
zu untersuchen (Schirmer, Axenfeld), nur unsichere Resultate zu
erhalten sind, liegt einmal darin, dass wir nicht in jedem Falle mit
Sicherheit sagen kónnen, ob wir wirklich mit Objekten untersuchen,
deren Helligkeit unter der Schwelle des helladaptierten Auges liegt,
ferner darin, dass bei dieser Methode eine gleichmässige Beleuchtung
der Objekte am Perimeter nicht zu erzielen ist. Die Einwände, die
gegen das von Wilbrand und Liebrecht geübte Verfahren, mit
Objekten aus Leuchtfarbe zu untersuchen, zu erheben sind, habe ich
schon oben angeführt.
Ob man die mit früheren Methoden (niedrig geschraubte Lampe)
nach lüngerem Dunkelaufenthalt gefundenen Erweiterungen des Ge-
sichtsfeldes auf adaptative Vorgünge zurücktühren kann, erscheint
mir zweifelhaft. Soweit sich die früheren Methoden beurteilen lassen,
haben die bei ihnen angewandten Objekte im allgemeinen Dell.
keiten besessen, die über der Schwelle des helladaptierten Auges
legen. Es kann sich hier also sehr wohl um eine „Zapfenerholung“
handeln.
In jüngster Zeit hat Lohmann das Verhalten der abgelösten
Netzhaut untersucht mit Hilfe des Nagelschen Adaptometers. Er
hat einmal ein Auge mit „sozusagen totaler Netzhautablösung“ unter-
v. Graefe's Archiv für Ophthalinologle. LXXIII, 1. 10
146 K. Stargardt
sucht, bei dem „sich nur oben innen ganz geringgradige Anlegungen
zeigten“. An einem sonnigen Tage fand er gar keine Adaptation,
an einem wolkigen Tage nur eine ganz geringe Adaptation, 0,147
nach 2 und 0,417 nach 42 Minuten. Darauf verband er das Auge
sorgfältig mit Watte und schwarzem Taffet und untersuchte nun
nach 24, 48, 72 und 117 Stunden; dabei fand er eine Empfindlich-
keit von 12,5, 100, 357 und nach 117 Stunden 1428.
Dieses Resultat steht zu meinen Resultaten in schroffem Wider-
spruch. Und es erhebt sich zunächst die Frage, ob die von Loh-
mann angewandte Methode einwandsfrei war. Lohmann hat, wie
schon gesagt, das Nagelsche Adaptometer benutzt. Das Adapto-
meter ist nun aber nach meinen Erfahrungen höchst ungeeignet zur
Untersuchung bestimmter Netzhautstellen. Selbst wenn man Fixier-
zeichen anwendet, irrt das Auge des Untersuchers von der angegebenen
Richtung sehr leicht ab. Es ist das eine bei allen Untersuchungen
im Dunkelzimmer immer wieder festzustellende Tatsache. Ich habe
deswegen zur Beobachtung des zu untersuchenden Auges stets eine
rote Dunkelkammerlampe benutzt, die einen Einfluss auf die Dunkel-
adaptation nicht ausübt. Bei den von mir am Adaptometer vor-
genommenen Untersuchungen peripherer Netzhautteile habe ich alle
Fälle ausgeschaltet, bei denen die Fixation nicht einwandsfrei war.
Von den untersuchten Personen waren über 70°, zu solchen peri-
pheren Untersuchungen nicht brauchbar. Trotz wiederholter Be-
lehrung wandten sie immer wieder ihr Auge von dem Fixationsobjekt
ab und dem Adaptometer zu, dessen Stellung sie kannten oder aus
dem Geräusch bei der Blendenbewegung erschlossen.
Ganz im Gegensatz dazu ist am Dunkelperimeter die Fixation
im allgemeinen eine gute und zwar deswegen, weil die zu unter-
suchende Person nicht weiss, aus welcher Richtung das Objekt heran-
geführt wird, und weil sie bei der von mir getroffenen Anordnung
auch von der Objektbewegung nichts hört.
Es liegt also zweifellos die Möglichkeit vor, dass der Loh-
mannsche Patient eine anliesende Stelle seiner Netzhaut bei der
Untersuchung benutzt hat.
Zweitens ist es durchaus denkbar, dass unter dem Verbande
die Netzhaut sich weiter angelegt hat. Ein eklatantes Beispiel für
diese Möglichkeit haben wir ja in dem Falle Wesselys. Eine
Kontrolle mit dem Augenspiegel ist aber nicht ausgeführt worden
und konnte es ja auch nicht, da dadurch die Dunkeladaptation ve
stört worden wäre. Dass die Netzhaut aber, wenn sie sich wie-
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 141
der anlegt, wieder dunkel adaptiert, habe ich schon früher nach-
gewlesen.
Nach alledem muss ich auf Grund der von mir untersuchten
Fälle eine Dunkeladaptation der abgelösten und einmal belichteten
Netzhaut entschieden von der Hand weisen. Der Lohmannsche
Fall kann nur aus den oben erwähnten Gründen nicht als beweisend
für das Gegenteil gelten. Würde in der Tat in der abgelösten Netz-
haut eine Anpassung an Lichtreize, die für das helladaptierte Auge
unterschwellig sind, gefunden, so würde in der Duplizitätstheorie eine
Erklärung dafür nicht gefunden werden können. Die Lohmannsche
Theorie, dass der Sehpurpur ja einfach durch das subretinale Trans-
sudat in die abgelöste Netzhaut hineindiffundieren könnte, steht mit
den Tatsachen in direktem Widerspruch.
Gerade das Verhalten des Sehpurpurs bei Netzhautablösung ist
in sehr exakter Weise von Andogsky in der Leberschen Klinik
untersucht worden. Andogsky fand nur dann Sehpurpur in der
abgelösten Netzhaut, wenn das zu dem Versuche benutzte Auge schon
vor dem Eintritt der Ablösung im Dunkeln gehalten war und auch
nach dem Beginn der Ablösung nicht mehr dem Lichte ausgesetzt
wurde Wurde die Netzhaut dem Lichte ausgesetzt, so verblasste
der Sehpurpur und bildete sich nicht wieder.
Aus diesen Versuchen ergibt sich auch, dass nicht einmal an
eine Autoregeneration des Sehpurpurs (Kühne, Garten) zu denken
ist, die ja unter gewissen Umständen auch in der isolierten und selbst
abgestorbenen Netzhaut beobachtet wurde. Diese Autoregeneration
ist allerdings auch aus andern Gründen im dem Lohmannschen
Falle auszuschliessen. In der vom Pigmentepithel getrennten Netz-
haut ist eine Regeneration des Purpurs nach Kühne nur nach vor-
übergehender Ausbleichung möglich, nach intensiver besonders aber
an mehreren Tagen wiederholter Ausbleichung tritt aber eine Wieder-
bildung des Sehpurpurs nicht mehr ein. In dem Lohmannschen
Falle ist aber der Prüfung der Dunkeladaptation eine Helladaptation
an „sonnigem Tage“ vorausgegangen. Dadurch ist die Möglichkeit
der Regeneration ein für alle Mal aufgehoben worden.
Auch der Gedanke Lohmanns, dass die angeblich in der
algelósten Nelzhaut auf 1428 gestiegene Empfindlichkeit eventuell
auf Rechnung der Zapfen zu setzen sei, ist wohl nicht ernst zu
nehmen, da aus allen bisherigen Untersuchungen über die Zapfen-
adaptation sich erstens nur eine geringe Adaptationsfühirkeit ergab
und zweitens die Adaptation der Zapfen stets in den ersten 5—10 Mi-
10*
148 K. Stargardt
nuten des Dunkelaufenthaltes vor sich ging. Über eine Zapfen-
adaptation, die sich bis zu 117 Stunden ausdehnt, ist bisher nichts
bekannt. Der Nachweis des Fehlens einer Dunkeladaptation in der
abgelósten Netzhaut, wie ich ihn vor 3 Jahren erbracht habe und
durch meine jetzigen Untersuchungen bestütigen kann, bildet zweitel-
los eine Stütze für die Duplizitätstheoriee Würde sich mit einwands-
freier Methode der Beweis für eine ausgiebigere Dunkeladaptation, die
nicht durch die geringe Anpassung der Zapfen zu erklären wäre, in
der abgelösten Netzhaut erbringen lassen, so würde die Duplizitäts-
tlıeorie dadurch einen schweren Stoss erleiden.
12 Augen mit Aderhautentzündungen wurden auf Adap-
tationsstörungen untersucht. Die Fälle waren ätiologisch zum grössten
Teil unklar, oder wenigstens nicht sicher. In der Mehrzahl hat
wohl eine chronische Tuberkulose die Grundlage der Erkrankung
abgegeben. Das klinische Bild war in allen Fällen verschieden,
ebenso waren die Ergebnisse der Funktionsprüfung sehr verschieden.
Ich verzichte deswegen darauf, die Fülle hier ın extenso anzuführen,
und gehe nur auf die Hauptpunkte ein. Die Untersuchung am
Adaptometer ergab sehr wechselnde Befunde. Die niedrigsten Werte
fanden sich bei Maculaherden (LE — 5,26, 30,2, 1,93 nach 45 und
selbst 90 Minuten).
In einem Falle war der Maculaherd so gross, dass bei dem
Versuch, die Mitte des Adaptometerfeldes zu fixieren, das ganze Objekt
von 10cm Seitenlänge verschwand. Aufnahmen mit dem Dunkel-
perimeter ergaben, dass in solchen Maculaherden überhaupt nicht
adaptiert wurde. Das was man mit dem Adaptometer misst, ist nur
die Empfindlichkeit der Umgebung des Herdes. Auffallend ist dabei
der Umstand, dass bei frischen zentralen Herden auch die Adapta-
tion in der nächsten Umgebung hochgradig gestört ıst, wenn dagegen
die Entzündung zurückgegangen ist und sich eine Narbe an Stelle
des alten Herdes findet, so kann die Adaptationsfähiskeit in der
Umgebung wieder annähernd normal werden. So fand sich in einem
Falle während des entzündlichen Stadiums zentral Æ = 30,2, nach
Abheilung des Herdes an. derselben Stelle 1555.
Die Werte, die man mit dem Adaptometer erhält, hängen
wesentlich von der Grösse und der mehr oder weniger dichten Lage
der einzelnen Herde ab. Selbst. klinisch. gleiche. Stellen. geben. aber
auch verschieden hohe Werte (z. B. an einer Stelle 331 und an
einer andern, die dasselbe Aussehen zeigt, 1309).
Die Ursache für diese Erscheinung müssen wir wohl darın suchen,
Über Störungen der Dunkeladaptation. 149
dass wir aus dem Augenspiegelbefunde doch nur relativ annähernden
Aufschluss über die wirklich vorliegenden Veränderungen erhalten
können und dass schon erhebliche Störungen uns gänzlich entgehen
können. In manchen Fällen können auch normale Werte (2067 und
nıehr) an Stellen erhalten werden, an denen schon zahlreiche frische
Herde liegen. Es ist also nicht immer bei Chorioiditis, wie Loh-
mann und Horn behaupten, mit dem Adaptometer eine Störung
nachweisbar. |
Viel eindeutiger als die Adaptometerbefunde sind die Befunde
am Dunkelperimeter. Hier finden wir bei allen grösseren Herden
Skotome. Diese Skotome sind in den meisten Fällen absolut auch
für sehr hohe Dämmerungswerte und für grössere Objekte. In einem
Falle verschwand ja sogar das ganze Adaptometerfeld, trotz seiner
10 cm Seitenlänge.
In einzelnen Fällen musste man aber geringere Helligkeiten
(z. B. einer E von 30,2 entsprechend) anwenden, um Skotome nach-
zuweisen. Mit kleinen sehr lichtschwachen Objekten (E — 30,2 und
eventuell weniger) liess sich in mehreren Fällen mit zahlreichen
Herden eine charakteristische Erscheinung nachweisen, das Objekt
verschwand an verschiedenen Stellen und tauchte bei Weiterbe-
wegung wieder auf. Diese Erscheinung hat offenbar viel Ähnlichkeit
mit dem auch von normalen Augen wahrnehmbaren Punkttauchen
(Hensen) Nur dass es sich bei diesem um minimal kleine Objekte
handelt, die zwischen zwei Zapfen verschwinden, während bei der
disseminierten Chorioiditis die Objekte viel grösser sind, anderseits
aber auch die Lücken zwischen verschiedenen funktionierenden Stellen
entsprechend grösser sind.
Dass bei Aderhautentzündungen in erster Linie das Pigment-
epithel über den Herden geschädigt ist und darauf das Fehlen jeg-
licher Adaptation an der Stelle der Herde zurückzuführen ist, scheint
mir das wahrscheinlichste. In vielen Fällen kommt es über dem
Herde dann ja auch zu einer Schädigung der Zapfen und infolge-
dessen zu Skotomen auch am Tagesgesichtsfeld.
Ähnliche Wirkung auf die Adaptation, wie durch Erkrankungen
der Netzhaut und der Aderhaut, können auch durch pathologische
Zusammensetzung des Blutes bedingt werden. Bei Ikterus haben
Parinaud und Andere häufiger ausgesprochene Hemeralopie gefunden.
Bei Leukämie habe ich etwas ähnliches beobachtet.
Es handelte sich um einen 51jährigen Arbeiter mit linealer Leu-
kämie und kolossaler Milzvergrösserung (Hämoglobin 60%, Erytlro-
150 K. Stargardt
cyten 3700000, Leukocyten 324000). Der Augenhintergrund zeigte
das charakteristische Bild (Liebreich Atlas). Am Adaptometer fand
sich zu Beginn E=1,6 nach 90 Min. auf dem einen Auge, E = 321
auf dem andern, 625 zentral, peripher waren die Werte wesentlich
höher (1163, 1209, 1422 und selbst 1626). Dass hier auch sonst
das Zentrum ganz besonders geschädigt war, ergab sich aus der
Herabsetzung der Sehschärfe (",,,). Das Dunkelgesichtsfeld (.E — 51,5)
war vollkommen normal.
Hemeralopie ohne objektive Veränderungen.
Von angeborener, bzw. erworbener Hemeralopie habe ich nur
zwei Fülle zur Verfügung gehabt.
In dem einen Falle handelte es sich um angeborene Hemeralopie
bei einem 20 jährigen Knecht, dessen Vater und ein Vetter an der-
selben Erkrankung leiden sollten. Während alle übrigen Funktionen
sich als normal erwiesen (Gesichtsfeld, Farbensinn), war die Adap-
tationsbreite wesentlich herabgesetzt. Es fand sich zwar gleich bei
Beginn Æ = 1,35, auch zeigte die Kurve die normalen Krümmungen,
aber die Werte blieben auf sehr geringer Höhe, so dass selbst nach
60 Minuten nur eine Empfindlichkeit rechts = 42,2, links = 33,0
resultierte.
Bei einem andern 415jührigen Patienten. konnte. ebenfalls ein
vollkommen normaler objektiver Befund erhoben werden; auch waren
Sehschárfe, Hellgesichtsfeld und Farbensinn normal; am Adaptometer
dagegen zeigten sich erhebliche Störungen. Erst nach 30 Minuten
wurde überhaupt am Adaptometer das grosse Feld erkannt (E — 1,95)
und nach 45 Minuten war die Empfindlichkeit nur auf 2,99 gestiegen.
Bei diesem Patienten bestand die Hemeralopie angeblich erst seit
sieben Jahren. Er war früher stets gesund gewesen, musste sich
aber 5 Wochen vor der Augenuntersuchung Halsdrüsen entfernen
lassen, die sich als melanotisch erwiesen.
Der erste meiner Fälle zeigt eine Anfangsempfindlichkeit, wie
wir sie auch bei völlig normalen Menschen finden; aber die Emp-
findlichkeit nimmt nur sehr langsam und in sehr engen Grenzen
zu; auch nach 60 Minuten sind erst Höhen erreicht, wie wir sie bei
Normalen nach etwa 5 Minuten finden.
Im zweiten Falle lässt sich über den Kurvenverlauf im Anfang
überhaupt nichts sagen, da das Adaptometer für die hier erforder-
lichen Hellickeiten nieht ausreichte. Jedenfalls war hier auch nach
45 Minuten nur eine minimale Höhe erreicht. Messmer unterscheidet
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 151
bei seinen mit dem Nagelschen Adaptometer untersuchten Hemera-
lopen zwei Typen. Bei dem ersten Typus setzt die Adaptation ver-
spütet ein, steigt aber immerhin noch zu guten Endwerten (1250),
bei dem zweiten beginnt die Adaptation rechtzeitig, steigt aber nur
zu sehr geringer Höhe und hält sich dann dauernd nur auf geringer
Höhe. Heinrichsdorff hatte bei seinen Untersuchungen mit dem
Piperschen Adaptometer nur den zweiten Typus gefunden, während
Lohmann auch Fälle vom ersten Typus beschreibt.
Die ältere Angabe Treitels, der auch Schirmer auf Grund
von Untersuchungen mit dem Foersterschen Photometer zustimnite,
dass es sich bei der Hemeralopie um eine Adaptationsverlangsamung
handelt, besteht demnach für gewisse Fülle zu Recht. Für andere
Fälle aber trifft sie nicht zu. Hess hat speziell selbst bei tagelangem
Zuwarten keine Steigerung auf erheblichere Werte aufgefunden.
Ähnliches habe ich selbst bei der Hemeralopie bei der Retinitis
pigmentosa beobachtet (vgl. oben).
Ein Moment scheint mir auch bei der Beurteilung klinisch ge-
fundener Werte für die Hemeralopie von Bedeutung zu sein, es ist
das die Móglichkeit von Remissionen. Solche Veründerung der Adap-
tationsbreite an verschiedenen Tagen konnte ich an einem meiner
Fälle von Retinitis pigmentosa nachweisen. Durch eine solche Re-
mission könnte bei einer über Tage ausgedehnten Untersuchung eine
erst durch mehrtügigen Lichtabschluss zu stande gekommene Adap-
tationshóhe vorgetüuscht werden.
Man kann sich vor einem derartigen Trugschluss nur dadurch
schützen, dass man in einem solchen Falle erst noch einmal ordentlich
helladaptieren lässt, dann wieder einen genügenden Grad von Dunkel-
adaptation (45 Minuten) eintreten lässt und nun die Schwelle bestimmt.
Erst wenn sich jetzt eine grössere Differenz mit dem nach mehr-
tägiger Dunkeladaptation gefundenen Werte findet, können wir von
einem über mehrere Taxe sich erstreckenden Adaptationsverlaufe
sprechen.
Ob und welche Veränderungen der idiopathischen Hemeralopie
zugrunde liegen, wissen wir bis heute nicht. Nach der Duplizitäts-
theorie wird man ja zuerst an eine Erkrankung der Stäbchen oder
an eine mangelhatte Bildung des Sehpurpurs denken müssen. Pari-
naud hat auch tatsächlich diesen Gedanken zeäussert, indem er sich
vor allem auf die Intaktheit der fovealen Funktionen bei der Heme-
ralopie bezieht.
Hess wendet sich gegen die Annahme einer Erkrankung der
152 K. Stargardt
Stäbchen allein und zwar auf Grund der in seinen Fällen gefundenen
Minderempfindlichkeit auch des stäbchenfreien Bezirkes und des Vor-
handenseins des „farblosen Intervalls“. Da ich in meinen Fällen
Untersuchungen, die sich speziell auf diese beiden Punkte erstreckten,
nicht angestellt habe, kann ich tatsächliches zu dieser Frage nicht
vorbringen. Bei den niedrigen Endwerten, die ich in meinen beiden
Fällen fand, könnte man daran denken, dass die Steigerung der
Empfindlichkeit allein auf Kosten der Zapfenadaptation erfolgte.
Ausschlaggebend ist hier der Nachweis einer binokularen Reizaddition.
Findet sich eine solche, und es war das in der Tat in meinen Fällen
der Fall (z. B. in Fall 1, R. E — 42,2, L. 38,0 binoculus E = 64),
so können die gefundenen Werte nicht durch Reizung der Zapfen
entstanden sein, da eine binokuläre Reizaddition für das „Hellauge“
nicht besteht. |
Dass Klagen über Hemeralopie durchaus nicht immer durch
wirkliche Adaptationsstörungen bedingt sind, ergibt sich aus einem
von mir beobachteten Falle, in dem sich eine vollkommen normale
Endempfindlichkeit (2067) und normaler Adaptationsverlauf nach-
weisen liess. Es ist in diesem Falle offenbar die ganz physiologische
Erscheinung, dass man beim Übergang aus hellen in stark verdunkelte
Räume zunächst nur schlecht sieht, als Zeichen einer Erkrankung
aufgefasst worden. Anderseits kann auch der Vergleich mit einer
Person, die besonders adaptationsfähige Augen, „Katzenaugen“ hat,
zu der Annahme einer krankhaften Störung führen.
Sehnervenerkrankungen.
Von Sehnervenerkrankungen habe ich eine doppelseitige Neuritis
optica aus unbekannter Ursache, eine doppelseitige Stauungspapille,
10 Augen (5 Patienten) mit tabischer Sehnervenatrophie, 1 Auge mit
Tabakamblyopie, 1 Fall von retrobulbärer Neuritis (rheumatisch ?
keine Zeichen für multiple Sklerose) und 6 Fälle von multipler
Sklerose, ferner 4 Glaukomaugen (2 Patienten) untersucht. Bei dem
einen Fall von Neuritis optica (deren Ätiologie nicht festgestellt
werden konnte) fand sich auf beiden Augen eine völlig normale
Adaptationskurve mit einer Endempfindlichkeit von 1163 und 1309.
Der Fall war durch eme Myopie von 3 D kompliziert und es ist
deswegen nicht ganz sicher, ob die geringe Adaptationsfähigkeit der
Neuritis allein zur Last gelegt werden kann. Das Dunkelgesichtsfeld
(EL 42,2) war normal. In einem Fal von Stauungspapille bei
Hirntumor (Lumbaldruck 500 mm) fand sich ebenfalls eime stark
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 153
herabgesetzte Adaptationsfähigkeit, bis zu 2 Minuten E 0, nach
45 Minuten E — 210 rechts und 145 links. Das Dunkelgesichtsfeld
(E 30,2) war links normal, ebenso wie das Weissgesichtsfeld; auf
dem rechten Auge fand sich eine fast hemianopische nasale Ein-
engung für Weiss und Farben. Das Dunkelgesichtsfeld zeigte hier
eine stärkere Einengung als das Weissgesichtsfeld. Auf beiden
Augen war das Farbengesichtsfeld unverhältnismässig stärker ein-
seengt als das Dunkelgesichtsfeld. Der Farbensinn (Ole Bullsche
Tafeln) war beiderseits normal, dagegen die Sehschärfe auf at, und
“ verringert.
Auffallend ist iu diesem Falle die geringe Adaptationshöhe
speziell im Vergleich zur Furbenempfindung.
In sämtlichen von mir untersuchten Fällen von Atrophia nervi
optici infolge von Tabes fand sich ebenfalls eine starke Herabsetzung
der Adaptationsfähigkeit (% nach 45 Minuten = 210, 81,2, 30,2,
und selbst 26). Stets aber liess sich, solange die Sehschärfe noch
nicht unter Fingerzühlen in !,m gesunken war, wenigstens an einer
Stelle eine gewisse Adaptationsfáhigkeit nachweisen. Eine Kon-
gruenz zwischen dem Augenspiegelbilde und der Herabsetzung der
Adaptationsfühigkeit war nicht festzustellen. So konnte sich bei ganz
weisser Papille noch eine E = 1309 finden, während bei kaum
sichtbarer Atrophie die Æ nur 42,2 oder ähnliche Werte betrug.
Ebensowenig bestand eine Beziehung zur zentralen Sehschärfe. So
fand sich bei einer Sehschärfe von Fingerzählen in !,m noch eine
; — 210, wührend in einem andern Falle mit S — "|, die Æ nach
45 Minuten nur 42,2 betrug.
Ebensowenig wie die Adaptationsbreite mit den sonstigen Funk-
tionsstörungen bei der Atrophia nervi optici parallel ging, liess sich
irgendeine Beziehung zwischen dem Hell- und Dunkelgesichtsfeld
nachweisen. Nur ın einem Falle stimmte das Dunkelgesichtsfeld
nit dem Weissgesichtsfeld überein.
In sämtlichen andern Fällen fand sich das Gesichtsfeld aın
Dunkelperimeter grösser, als das eingeengte Weissgesichtsfeld, oder
mit andern Worten, das Weissgesichtsfeld war stärker eingeengt als
das Dunkelgesichtsfeld. Die Differenz war meist gering (5—10°),
betrug aber in einem Fall wesentlich mehr, 20 und in einzelnen
Meridianen selbst 30°.
War so schon das Weissgesichtsfeld ganz bedeutend mehr ge-
schädigt, als das Dunkelgesichtsteld, so galt das in noch höherem
Grade vom Farbengesichtsfeld. Stets war dieses wesentlich enger
154 K. Stargardt
als das Weissgesichtsfeld, von vier Augen wurde Grün überhaupt
nicht mehr erkannt. Es ergibt sich also bei der tabischen Atrophia
nervi optici die auffallende Tatsache, dass in vielen Füllen die Weiss-
und Farbenempfindung ganz unverhältnismässig mehr und früher
geschädigt wird, als die Dunkeladaptation.
In einem Fall von akuter retrobulbärer Neuritis (wahr-
scheinlich im Zusammenhang mit einem häufig rezidivierenden Ge-
lenkrheumatismus stehend, für multiple Sklerose keine Anhaltspunkte)
bei einer 43jührigen Frau war die Sehschärfe auf !|; excentrisch
gesunken und es bestand ein Zentralskotom von 20? Hóhe und 35?
Breite. In diesem Fall war am Adaptometer zentral überhaupt
keine Adaptation nachzuweisen und das Zentralskotom am Dunkel-
perimeter zeigte dieselbe Ausdehnung, wie das absolute Skotom des
Hellgesichtsfeldes. Die Peripherie war aber in jeder Beziehung frei,
die Empfindlichkeit erreichte hier dieselbe Höhe, wie auf dem ge-
sunden Auge (2067). In einem Fall von Tabakamblyopie (bei
einem ehemaligen Zigarrenreisenden) fand sich S = *|,, eine deut-
liche Atrophie der Papille im temporalen Quadranten und ein kleines
Zentralskotom für Farben. Zum Nachweis dieses Zentralskotoms
mussten die farbigen Objekte sehr klein gewáhlt werden, !,—1 mm
gross. Am Adaptometer zeigte sich ein zentral normaler Kurven-
verlauf (zu Beginn EZ — 3,31 und nach 1 Stunde eine Empfiud-
lichkeit von 2422; Feldgrösse 10?cm?). Dieser Wert könnte an
sich normal erscheinen, ist es aber doch nicht, denn die Peripherie-
werte übertrafen ihn um fast das Vierfache (// — S164). Die Difle-
renz zwischen Zentrum und Peripherie wurde noch auffallender, wenn
man die Feldgrösse verringerte. Mit einem quadratischen Felde von
2em Seitenlànge fand sich zentral Æ = 331, peripher 2067, also
fast das Siebenfache. Am Dunkelperimeter liess sich mit sehr
schwachen Dámmerungswerten («500 und 2 cm Feldgrösse) ein
deutliches Zentralskotom von 10° Breite und 6° Höhe nachweisen.
Mit höheren Dämmerungswerten (E = 50 und ähnlich) war ein
Zentralskotom nicht nachweisbar.
Das übereinstimmende Verhalten in bezug auf das Zentralskotom
in dem ersten Falle von retrobulbärer Neuritis ist wohl in dem Sinne
aufzufassen, dass die vom Zentrum der Netzhaut stammenden Fasern,
gleichgültig, ob sie in letzter Linie von Stäbchen oder Zapfen aus-
sehen, im Sehnerven eine gleiche Lage haben, d. h. in einem Bündel
verlaufen. Würden nun durch einen schweren entzündlichen Prozess
an einer umschriebenen Stelle im Sehnerven die dort verlaufenden
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 153
Bahnen total unterbrochen, so kommt es zu einem Funktionsausfall
sowohl des Hell- wie des Dunkelapparates in dem betreffenden Be-
zirk. Stellt sich, wie wir es bei der Tabakamblyopie finden, nach
Ablauf der akuteren entzündlichen Erscheinungen ein Teil der Funk-
tion wieder her, so kónnen einzelne Teile im Zentrum wieder funk-
tionsfáhig werden, dazwischen liegen aber Stellen, in denen das nicht
der Fall ist. |
Sind diese Stellen nur klein, so werden sie sich am Hellperimeter
nur schwer als Skotome nachweisen lassen. So gelang es in meinem
Falle nur mit sehr kleinen Objekten (!/J,—1 mn)) Defekte für Farben
aufzufinden.
Am Dunkelperimeter verhült sich die Sache etwas anders. Je
grösser die Feldgrösse ist, desto lichtschwächere Objekte werden
wahrgenommen. Es kommt hier eben nicht auf das einzelne Netz-
hautelement an, sondern es muss gewissermassen eine Addition sänıt-
licher in einem bestimmten Bezirk hervorgerufener Érregungen ein-
treten, damit überhaupt eine Empfindung zu stande kommt. Fehlen
in einem bestimmten Bezirk eine Anzahl von Netzhautelementen,
oder fehlen sogar ganze Gruppen von Elementen, so muss der Reiz
entsprechend stärker gewählt werden, damit durch Addition der Er-
regungen in den noch vorhandenen Netzhautelementen eine Empfin-
dung hervorgerufen werden kann.
Daher war auch in meinem Falle schon für grosse Feldgrössen
im Zentrum eine viermal so intensive Beleuchtung nötig, wie an der
Peripherie, um eine Empfindung auszulösen.
Und daher steigerte sich die Differenz zwischen Zentrum und
Peripherie bei Anwendung kleinerer Feldgrössen auf das Sieben-
fache, da dann nur noch die zentrale Stelle der Netzhaut gereizt
wurde, wo offenbar die meisten Lücken bestanden. \Vurde die Feld-
grósse (2 cm) schliesslich nicht mehr verkleinert, dagegen die Hellig-
keit reduziert, dann genügte die durch Addition der Erregungen in
den noch vorhandenen Netzhautelementen der gereizten zentralen
Stelle erzeugte Gesamterregung nicht. mehr, um noch eine Empfin-
dung auszulösen; während das an den unbeschädigten peripheren
Stellen der Fall war.
Ganz ähnliche Erscheinungen wie in den beiden letzten Fällen
zeigten sich bei multipler Sklerose. Ich habe bei 6 Personen, bei
denen die Diagnose durch Augensymptome und durch den Naeh-
weis anderweitiger charakteristischer Störungen gesichert war, unter-
sucht und zwar jedesmal beide Augen. In zwei Fällen waren
156 i K. Stargardt
sowohl der objektive Befund, wie die Hell- und Dunkelfunktionen
normal.
In einem dritten Falle bestanden die typischen Erscheinungen
eines frischen retrobulbáren Herdes, S war auf Fingerzáhlen in 1m
gesunken, zentral bestand ein absolutes Skotom für Weiss von 10°
Höhe und 15° Breite, die Peripherie war frei. Von Farben wurden
nur Blau und Rot an umschriebenen Stellen erkannt. Am Adapto-
meter fand sich zentral Æ = 1309, peripher E = 3755. Die Aussen.
grenzen des Dunkelgesichtsfeldes waren normal, ebenso wie die des
Hellgesichtsfeldes. Auch am Dunkelperimeter liess sich ein absolutes
Skotom von derselben Grösse wie im Hellgesichtsfeld nachweisen.
Ein vierter Fall zeigte ähnliche Erscheinungen auf dem einen
Auge, wie die Tabakamblyopie. Die Papille war deutlich atrophisch
im temporalen Quadranten, S war normal, der zentrale Farbensinn
mit Ole Bullscher Tafel !|,, keine Zentralskotome am Hellgesichts-
feld nachweisbar.
Am Adaptometer fand sich mit Objekten von 10cm Seitenlünge
E = 5503, mit 2cm Seitenlinge E — 1309. Am Dunkelperimeter
fanden sich zwar normale Aussengrenzen, aber mit sehr schwachen
Helligkeiten (À£ 625) ein deutliches Zentralskotom von 15:109.
Die Erklärung für die in diesem Falle vorliegenden Symptome
deckt sich mit der für die Tabakamblyopie gegebenen.
In einem fünften Falle, der ebenfalls trotz der Atrophie des
temporalen Bündels keine Funktionsstörungen mit Ausnahme des
zentralen Farbensinns bot (Ole Bull = 14) war leider das Zen-
trum am Dunkelperimeter mit zu hellen Lichtern untersucht worden
(I = 42,2), so dass es fraglich bleiben muss, ob auch in diesem
Falle mit sehr schwachen Lichtern ein Zentralskotom nachweisbar
gewesen wäre.
In einem sechsten Falle waren auf dem einen Auge sämtliche
Funktionen trotz deutlicher Abblassung der Papille im temporalen
Teil normal (S — *l,, Farbensinn normal, kein Zentralskotom, Ge-
sichtsfeld für Weiss und Farben normal, am Adaptometer nach
45 Minuten X = 2724); dagegen fand sich am Dunkelperimeter eine
Finengung an der Peripherie temporal und oben (vgl Fig. 15).
Diese Einengung wurde ganz konstant an verschiedenen Tagen, bei
wiederholter Nachprüfung angegeben. Aus der genauen Angabe des
blinden Fleckes liess sich schliessen, dass die Angaben des Patienten zu-
verlässig waren. Da sich derartige Einengzungen bei Normalen nie-
mals am Dunkelperimeter finden, da für eine periphere Solutio re-
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 151
tinae, an die man ja denken müsste, absolut nichts sprach, so muss
man entschieden einen Zusammenhang zwischen dem Gesichtsfeld-
defekt und der multiplen Sklerose annehmen. Die grósste Wahr-
scheinlichkeit bietet wohl die Annahme eines peripheren Herdes im
Optikus. Auch hier ist es móglich, dass nur ein Teil der durch den
Herd verlaufenden Fasern geschüdigt wurde. Für die Wahrnehmung
des Objektes am Hellperimeter genügten die vorhandenen Elemente
noch, für die Wahrnehmung der lichtschwachen Objekte am Dunkel-
perimeter dagegen reichten sie nicht aus. |
DuC we | 135
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180
Fig. 15.
p
150
Zu den Sehnervenerkrankungen gehört auch die glaukomatöse
Excavation.
Dass beim Glaukom die Dunkeladaptation erheblich gestört
sein kann, haben schon Foerster, Treitel, in neuerer Zeit Loh-
mann und Horn gezeigt.
Ich selbst fand in einem Fall mit tiefer Excavation nur eine
minimale Adaptationshöhe (nach 60 Minuten E = 3,87), trotzdem
die Sehschárfe noch 5|, betrug, an einem andern Auge mit tiefer
Excavation und S= ‘|,, stieg E in 60 Minuten bis 210, das Dunkel-
gesichtsfeld, ebenso wie das Weissgesichtsfeld war auf 10 und in
158 K. Stargardt
einzelnen Meridianen bis auf 5° eingeengt. Bei zwei andern Augen,
die gleichfalls schon tiefe Excavationen zeigten, war die Adapta-
tionsbreite noch normal (1626 und 1871), das Dunkelgesichtsfeld
(E = 14,03) auf dem einen Auge normal, auf dem andern Auge
um 5—10° eingeengt. Bei diesen beiden Augen war allerdings
auch das Weissgesichtsfeld noch fast normal und nur das Farben-
gesichtsfeld zeigte schon erhebliche Einengung.
Trübungen der brechenden Medien.
Dass Trübungen der brechenden Medien einen Einfluss auf die
Adaptation im Sinne einer Herabdrückung der Empfindlichkeitswerte
ausüben, ist ohne weiteres zu verstehen.
So kónnen Maculae corneae die Adaptationshóhe sehr wesentlich
beeinflussen. Es spielt aber hier nicht nur die Mucula selbst eine
Rolle, sondern auch die durch sie hervorgerufene unregelmässige
Brechung in den umliegenden Partien der Hornhaut.
Bei Cataracta incipiens und zonularis erhielt ich in gewissen
Stadien noch Werte, die sich durchaus in normalen Grenzen be-
wegten (z. B. 2067 und 2422); trotzdem ist es möglich, dass wir
es hier schon mit Herabsetzung der Empfindlichkeitswerte zu tun
haben, da dieselben Augen ja ohne Linsentrübungen erheblich mehr
leisten könnten. Sehr deutlich machte sich in einzelnen Fällen der
Einfluss der Linsenkernsklerose im Alter auf die Adaptationshöhe
bemerkbar; es kann hier durch Absorption und Reflexion soviel
Licht verloren gehen, dass die Empfindlichkeit nach 45 Min. auf
ganz geringe Werte herabgedrückt wird (100, 42 und ähnliche). Einen
gewissen praktischen Wert hat die Frage, ob bei maturer Alters-
katarakt sich noch adaptative Empfindlichkeitssteigerungen nach-
weisen lassen.
Durch langdauernden Aufenthalt im. Hellen. kann. zweifellos eine
Herabsetzung der Empfindlichkeit bedingt werden, vermutlich durch
Ausbleichen des Sehpurpurs.
Nach ausgiebiger Helladaptation fand ich bei zwei Kataraktösen
Empfindlichkeitswerte, die 20 bzw. 30 mal geringer waren, als die
nach 45 Min. langer Dunkeladaptation. Diese Messungen wurden
mit besonderen Lichtquellen ausgeführt, da die vom Adaptometer
gelieferten Helligkeiten viel zu gering waren. Dass auch Glaskörper-
trübungen Herabsetzung der Adaptationsbreite bedingen, zeigte sich
in einem Falle mit peripherer Solutio retinae (vgl. Fall UI LA
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 159
Einfluss der Objektgrósse und Beizaddition.
Zum Schlusse móchte ich noch auf zwei Punkte kurz eingehen,
den Einfluss der Objektgrósse auf die Schwellenwerte des dunkel-
adaptierten Auges und die sog. „Reizaddition“.
In den meisten meiner Fälle habe ich die Empfindlichkeit
nicht nur mit dem Objekt von 10cm Seitenlänge, sondern auch mit
kleineren Objekten geprüft. Am Piperschen Adaptometer sind ver-
gleichende Messungen mit verschiedenen Feldgrössen deswegen be-
sonders leicht auszuführen, weil die Objektgrösse sich durch eine
Aubertsche Blende beliebig verkleinern lässt.
Nach Piper nimmt für das normale Auge der Reizwert eines
Objektes mit Vergrösserung seiner Flächengrösse nicht unerheblich
zu. Es soll der Reizwert eines Objektes proportional der Quadrat-
wurzel der Flächengrösse des Netzhautbildes sein.
Die Zunahme des Reizwertes habe auch ich in fast allen Fällen
feststellen können. Die Differenzen zwischen den Resultaten bei
Anwendung von Feldsrössen von 10 bis 3cm Seitenlänge sind aber
nur geringe, im allgemeinen überschreiten sie nicht !|,,——!], des End-
wertes.
Wird das Feld noch stürker verkleinert, so nehmen die Ditle-
renzen ganz erheblich zu. Dei 2 cm Seitenlünge finden wir Werte,
die nur !|, !j, und selbst !|, so hoch sind, wie die Werte, die wir
mit Objekten von 10cm Seitenlänge erhalten.
Auch bei diesen Differenzen spielt ein individueller Faktor eine
gewisse Rolle. Die Beachtung dieses Faktors ist von Bedeutung bei
der Gesichtsfelduntersuchung am Dunkelperimeter. Denn nach ihm
richtet sich bis zu einem gewissen Grade die Helliskeit, die wir dem
bei der Dunkelgesichtsfeldaufnahme benutzten Objekte geben müssen.
Es ist deswegen in allen Fällen, in denen ein Dunkelgesichtsfeld
aufgenommen wurde, zuvor der Empfindlichkeitswert für ein Objekt
von 2 bzw. lcm Seitenlänge am Adaptometer festgestellt worden.
Was die HReizaddition betrifft (vgl. auch oben), so hiess sie sich
in den meisten, auch pathologischen Fällen nachweisen. Bisweilen fand
sich ein binokularer Wert, der fast genau der Summe der beiden
monokularen Werte entsprach (z. B. Myopie Fälle 50:8764 R., 8764 L.,
16267 binokular; 52:2590 R., 2511 L., 5045 binokular, 25:2067 R.,
2422 L., 4329 binokular); in den meisten Fällen trat nur eine Er-
höhung ein (z. B. Myopie Fall 39:1309 R., 1309 L., 1626 binokular,
28:625 R., 625 L, 903 binokular, 21:3755 R., 4025 L., 5500 bin-
okular). Diese Erhöhung zeigte sich auch dort, wo eine sehr erheb-
160 ' K. Stargardt
liche Differenz zwischen den monokularen Werten bestand (z. B.
Myopie Fall 67:766 R., 145 L., 967 binokular). Ganz analoge Resul-
tate fanden sich auch bei zahllosen Fällen aus andern Krankheits-
gruppen, so dass ich das Gesetz von der Reizaddition nur bestätigen kann.
Lohmann will die Reizaddition ganz besonders auffallend bei
Schielenden gefunden haben und erklärt das dadurch, dass durch
Reizung nicht korrespondierender Netzhautteile das gereizte bin-
okulare Netzhautareal ein grösseres als bei Nichtschielenden ist.
Ich habe bei meinen 7 Schielfällen einen Unterschied im Ver-
gleich zu andern Fällen nicht gefunden. In einem Falle fand
sich eine Addition (3755 R., 3755 L., 7185 binokular), in 4 Fällen
fand nur eine unwesentliche Erhöhung des Wertes des stärker empfind-
lichen Auges statt (z. B. R. 3059, L. 4329, binokular 4667), uud
in zwei Fällen übertraf der binokulare Wert nicht den Wert des
stärker empfindlichen Auges (R. 1309, L. 744, binokular 1309 und
R. 1077, L. 4329, binokular 4329).
Schluss.
Nehmen wir die Duplizititstheorie als richtig an, so müssen
wir auch klinisch die Prüfung des Hellapparates des Auges von der
Prüfung des Dunkelapparates trennen.
Den Hellapparat prüfen wir, indem wir bei Tageslicht oder
künstlicher, heller Beleuchtung Sehschärfe, Farbensinn und Gesichts-
feld, eventuell auch die Reizschwelle und Unterschiedsschwelle (z. B. mit
den Seggelschen Tafeln oder der Massonschen oder Maxwellschen
Scheibe) untersuchen.
Für die Prüfung des Dunkelapparates stehen uns zwei Methoden
zur Verfügung. Die Untersuchung des Ganges der Adaptation und
Feststellung der maximalen Empfindlichkeit nach etwa 5|, stündigem
Dunkelaufenthalt mit Hilfe des Nagelschen oder Piperschen Adapto-
meters und die Untersuchung des Gesichtsfeldes mit Lichtern, die
unter der Schwelle des helladaptierten Auges liegen, mit dem von
mir angegebenen Dunkelperimeter.
Wir wissen heute, dass die Dunkeladaptation sich in. der Weise
vollzieht, dass die Empfindlichkeit des Auges in den ersten 10 Mi-
nuten nur wenig, in den folgenden 20—25 Minuten sehr erheblich
steigt, um dann nur noch unerheblich oder gar nicht mehr zuzu-
nehmen (Pıpersche Adaptationsregel). Die von Nagel noch nach
Tagen gefundene Steigerung um das dreifiche des nach 45 Minuten
gefundenen Wertes kommt praktisch wenig in Betracht, da Unter-
Über Störungen der Dunkeladaptation. 161
suchungen, die sich über so lange Zeiten ausdehnen, praktisch im
allgemeinen nicht durchführbar sind.
Der Gang der Dunkeladaptation entspricht auch in pathologischen
Fällen im allgemeinen der Piperschen Regel, nur ist dann die
Adaptationskurve insofern veründert, als sie eine sehr niedrige Ordi-
natenhóhe zeigt. Eine Steigerung der Adaptation noch nach Stunden
bzw. Tagen habe ich auch in pathologischen Fällen (es konnten aller-
dings nur wenige Fülle nach dieser Richtung hin untersucht werden)
entweder gar nicht gefunden, oder nur um Betrüge, wie sie auch bei
Normalen vorkommen. Bei Normalen ist schon die Steigerung der
Empfindlichkeit des Auges eine recht verschiedene. Die geringsten
Steigerungen (in 45 Minuten) bei Normalen: betragen das 1600 fache,
die höchsten das 16000fache des Anfangswertes.
Infolge dieser physiologisch sehr weiten Grenzen ist es nicht
immer mit Sicherheit festzustellen, ob wir es im Einzelfalle schon mit
einer pathologischen Störung der Dunkeladaptation zu tun haben.
Einen gewissen Anhaltspunkt können wir hier durch Vergleich mit
dem andern Auge oder mit andern Stellen in dem erkrankten Auge
gewinnen. Bei gleicher Refraktion ist die Adaptationsbreite auf beiden
Augen so gut wie gleich.
Vergleiche zwischen verschiedenen Stellen in einem Auge sind
bei den meisten Personen wegen der mangelnden Übung im indirekten
Beobachten nicht möglich. Störungen der Dunkeladaptation finden
wir bei Myopie, gemischten Astigmatismus, markhaltigen Nerven-
fasern, bei älteren intraokularen Blutungen, bei Siderosis infolge von
Eisensplitterverletzung, Retinitis albuminurica, Retinitis pigmentosa,
Solutio retinae, bei frischen und alten Chorioiditiden, bei Sehnerven-
entzündung, bei Atrophia nervi optici, sowohl primärer als sekun-
därer, bei Glaukom, bei retrobulbären Sehnervenerkrankungen, bei
Hemianopsie und bei Trübungen der brechenden Medien.
Die Störungen können bei diesen verschiedenen Affektionen ein
sehr verschiedenes Aussehen bieten.
Das Adaptometer gestattet uns, schon geringgradige Störungen,
die bei älteren Methoden nicht nachweisbar waren, aufzudecken, es
bietet weiter den Vorzug, dass wir auch die pathologische Adapta-
tionsbreite genau in Zahlen ausdrücken und den Gang der Adapta-
tion kurvenmässig feststellen können. Schon mit dem Adaptometer
lässt sich nachweisen, dass bei pathologischen Prozessen im Auge
die Adaptationsfähigkeit an verschiedenen Stellen eine sehr ver-
schiedene sein kann. z. B. bei Myopie. Genauen Aufschluss über
v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXHI. 1. 11
162 K. Stargardt
die Funktion der verschiedenen Teile des Auges gibt uns aber nur
die Aufnahme des Gesichtsfeldes mit Lichtern, die unter der Schwelle
des helladaptierten Auges liegen. Es zeigen sich da eine Reihe
sonst nicht nachweisbarer Tatsachen.
Bei Solutio retinae findet sich, dass die abgelóste Netzhaut nicht
auf Lichter reagiert, die unter der Schwelle des helladaptierten Auges
liegen, woraus wohl mit Hecht der Schluss gezogen werden kann,
dass die abgelóste Netzhaut überhaupt nicht fähig ist, dunkel zu
adaptieren.
Die geringen Empfindlichkeitsánderungen der abgelósten Netz.
haut, die sich nach längerem Dunkelaufenthalt mit Lichtern, die über
der Schwelle des helladaptierten Auges liegen, nachweisen lassen,
können wir wohl auf Zapfenerholung zurückführen.
Bei Retinitis pigmentosa kann zu gewissen Zeiten an einzelnen
Stellen die Adaptation vollkommen normal sein (sog. Retinitis pig-
mentosa ohne Hemeralopie), und doch bestehen hochgradige hemera-
lopische Erscheinungen, weil für Dàmmerungswerte ein breites Ring-
skotom besteht, das nur ein kleines zentrales Gesichtsfeldareal frei lässt.
Nach abgelaufenen retrobulbären Neuritiden können wir mit dem
Dunkelperimeter bisweilen noch grössere Zentralskotome nachweisen,
die sich mit andern Methoden nicht mehr nachweisen lassen.
Über periphere Gesichtsfeldstörungen im Dämmerungssehen gibt
uns auch nur das Dunkelperimeter Auskunft.
Besitzen nun eine Reihe von Störungen auch nur theoretisches
Interesse, so können andere doch auch ein grosses praktisches Inter-
esse haben, ich erinnere da nur an die Tatsache, dass die Grösse
einer Netzhautablösung sich einzig und allein mit dem
Dunkelperimeter bestimmen lässt und dass wir über gewisse
hemeralopische Störungen (z. B. bei Retinitis pigmentosa)
auch nur dann Aufschluss erhalten, wenn wir nicht nur
eine bestimmte Stelle auf ihre Adaptationsfähigkeit unter-
suchen, sondern den ganzen Augenhintergrund berück-
sichtiren.
Herrn Geheimrat Voelckers und Herrn Prof. Schirmer sage
ich für die Überlassung des Materials und ihr freundliches Interesse
meinen besten Dank.
Über Stórungen der Dunkeladaptation. 163
Literaturverzeichnis.
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Axenfeld, Untersuchung des Auges in Lehrb. d. klin. Untersuchungsmethoden
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Baas, Das Gesichtsfeld. Stuttgart 1896.
Behse, Emil, Über den anatomischen Bau des Conus und der Aderhautver-
ánderungen im myopischen Auge. v. Graefe's Arch. f. Ophth. Bd. LXVII,
3. 1908.
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—
Nühere Mitteilungen über die permanente Drainage der
Tránenabflusswege, und über die Bildung einer bleiben-
den Kommunikation des Tränensackes mit der Nase, ober-
halb der unteren Coneha.
Von
Prof. Dr. W. Koster Gzn.
in Leiden.
Da seit meiner ersten Mitteilung in diesem Archiv über eine
neue Behandlungsweise des Tränensackleidens!) meine Erfahrung sich
wieder erweitert und die Technik der Methode sich ebenfalls noch
wesentlich einfacher gestaltet hat, will ich im folgenden kurz darüber
berichten.
Erstens habe ich über eine Erleichterung bei der Einführung
der Seidenfäden zu berichten. Es hat sich gezeigt, dass für Anfänger
der Gebrauch der sehr dünnen Kupferdrähte ziemlich oft Schwierig-
keiten darbietet. Es findet dies seine Ursache darin, dass man das
kleine Häkchen nicht genügend lateralwärts führt, um hinter der
unteren Concha die Hohlsonde zu palpieren und die Drahtschlinge
zu fassen. Es kann diese Schwierigkeit nun umgangen werden, wenn
man einen Seidenfaden, der mit Mucilago gummi arabici imprügniert
worden ist, durch die Hohlsonde, welche unten offen ist, einführt
und langsam weiterschiebt, bis ungeführ 10— 15cm desselben frei
hinter der Muschel in der Nase boren: es erweicht der Faden nänı-
lich, sobald derselbe von der Flüssigkeit in dem Nasengange berührt
wird. Man lässt den Patienten dann, indem er das andere Nasen-
loch fest verschliesst, ganz kräftige, d. h. kurz und plötzlich, ausblasen
durch das betreffende Nasenloch, und der Faden kommt ohne
weiteres zum Vorschein. Ich verdanke diese Vereinfachung einer
Mitteilung des Herrn Dr. B. Brand, praktizierender Arzt in Sluis
(Holland), der bei einem Patienten in dieser Weise den Faden
durchgeführt hatte. Bei einem andern Patienten gelang es ihm zwar
1) Die permanente Drainige der Tränenabtlusswere. Arch. £. Ophth. Bd. EX VI
S. 87. 1907.
166 W. Koster Gzn.
nicht, und bei meinen ersten Versuchen in dieser Richtung erzielte
ich ebenfalls keinen Erfolg, aber es zeigte sich bald, dass dieses nur
von ganz kleinen Fürsorgen abhängig ist. Man muss nämlich die
Hohlsonde, ehe man den erhärteten Faden einführt, erst ungefähr
Lem aus dem Ductus zurückziehen; dann muss der Faden, sobald
derselbe den Nasengang erreicht hat, nur ganz langsam vorge-
schoben werden, damit eine genügende Erweichung eintreten kann,
denn sonst läuft der Faden nach hinten im Rachen und kann
nicht mehr ausgeblasen werden. In solchen Fällen kann man
sich noch helfen, indem der Faden jetzt mit einer Pincette aus dem
Munde hervorgezogen wird, um dann mit der Bellockschen Sonde
aus dem Nasenloche zurückgezogen zu werden. Aber es wird diese
Unannehmlichkeit umgangen, wenn der Faden Zeit hat, genügend
zu erweichen, und sich dann zu einem Knäuel im unteren Nasen-
gange anhäufen kann. An letzter Stelle kommt es dann darauf an,
den Patienten ganz kurz und kräftig durch das betreffende Nasenloch
ausblasen zu lassen.
Im Juni 1908 hat Dr. Brand mir brieflich seine Erfahrungen
mitgeteilt, und es dann mir überlassen, darüber gelegentlich zu be-
richten. Ohne Zweifel bedeutet diese Änderung eine grosse Ver-
besserung der Methode, und dieselbe dürfte jetzt wohl keinem Arzte
einige Schwierigkeit mehr darbieten.
Ich habe dieselben Seidenfäden benutzt, welche ich bei meinen
ersten Versuchen, als die Methode der permanenten Drainage sich
entwickelte, gebraucht habe, um den Tränenweg direkt zu sondieren,
ohne Hilfe einer Hohlsonde!) Dazu waren dieselben, wie es sich
damals zeigte, aber nicht kräftig genug. Als ich dann nachher mit
den dünnen kupfernen Drahtschlingen gut auskam, habe ich keine
Versuche gemacht, mit den Seidenfäden die Hohlsonde zu passieren;
aber, wie gesagt, bietet dies noch viel weniger Schwierigkeiten.
Man kann den Gummifaden, wenn derselbe genügend dick ge-
wählt worden ist, sofort liegen lassen und zusammenknoten; aber
ich ziehe es vor, einen doppelten, nicht gummierten Faden einzu-
führen. Dazu legt man einfach einen Knoten?) in dem Ende des
Fidens an, welcher aus der Nase hervortritt, zieht die Windungen des-
1) Nederlandsehe Tijdschrift voor Geneeskunde. Nr. II, 10. S. 662. 1907.
2) Um das Durchziehen des Knotens durch den Kanal zu vermeiden, habe
ich auch dünne doppelte gummierte Fäden vorrätig; dieselben sind zu einem
Faden zusammengeklebt; statt des Knotens benutzt man dann die Schlinge am
Ende als Öse. Es bietet aber der Knoten wenig Schwierigkeit beim Durchziehen.
Nähere Mitteilungen über d. perman. Drainage d. Tränenabflusswege usw. 167
selben etwas auseinander, um eine Öse zu bilden, schiebt den ein-
zuführenden Faden durch und zieht dann die Hohlsonde mit dem
Gummifaden aus dem Tränenweg zurück.
Wie ich früher betonte, ziehe ich den doppelten Seidenfaden
dem einfachen vor, da dadurch eine bessere Drainage ermöglicht
wird. Auch muss ich hier hervorheben, dass man sich aus kos-
metischen Gründen nicht dazu verleiten lassen darf, ganz dünne
Seidenfäden zu benutzen; die Dicke meiner Fäden wechselt von
ungefähr 0,5—1 mm.
Um die gummierten Faden zu bereiten, spanne ich die Seide um
zwei messerdünne, aus Messing gearbeitete Seiten eines Rahmens; in Ab-
ständen von 0,5 cm sind am äusseren Rande dieser Messingmesser untiefe
Einkerbungen angebracht, um das Verschieben der Fäden zu verhüten.
Wünscht man einfache Fäden, so windet man so, dass jedesmal eine
nächste Einkerbung gebraucht wird; wünscht man Doppelfäden, so
kommt man natürlich wieder in derselben Einkerbung zurück, und
zwar an derselben Seite der Messingplatte, damit die Fäden gut
aneinanderliegen, und windet dann ein- oder zweimal um die Platte,
um die nächste Einkerbung zu erreichen, usw. Ist der Rahmen mit
Seide bespannt, so wird der Faden mit Sublimat 1:1000 desinfiziert,
und wenn noch nass, mittels der Finger mit gesättigter Mucilago gummi
arabici tüchtig eingerieben. Wenn trocken, wird mit Tinte über die
Faden eine Marke angebracht in 15—20 cm Entfernung vom Ende, um
anzugeben, bis wie weit man dieselben in die Holılsonde einzuführen
wünscht; dann schneidet man die einfachen Fäden an beiden Seiten
innerhalb der Messingmesser mit der Schere ab; hat man doppelte
Fäden ausgespannt und gummiert, so schneidet man nur an einer
Seite die Fäden durch, schiebt die Schlingen über das Messing-
messer und befeuchtet mit dem Finger die Enden wieder ein wenig,
um dieselben ebenfalls richtig zu erstarren. Der von mir benutzte
Rahmen ist ungefähr 40 cm lang und 10cm breit; es fehlt die vierte
Seite desselben, um das Abschieben der Schlingen der Doppelfüden
zu ermöglichen. Die fertiggestellten Fäden kann man in einem ge-
korkten gläsernen Rohr sehr gut aufbewahren.
Über die Erfolge der Behandlung mit der permanenten Drainage
bin ich auch weiterhin immer sehr zufrieden; sogar die schwersten
Fälle der Tränensackblennorrhöe, der Dakryocystitis und der imper-
meablen Stenosen kommen mit dieser Methode zur Heilung. Tränen-
sackexstirpationen habe ich seitdem nicht mehr gemacht. Besonders
jene Fälle, welche mit Nekrose des Knochens kompliziert sind, und
168 W. Koster Gzn.
bei denen man mit Exstirpation des Sackes überhaupt noch nicht am
Ende der Behandlung angelangt ist, bieten für die Verwertung der per-
manenten Drainage ein dankbares Arbeitsfeld. Zwar muss man sich
in solchen komplizierten Fällen nicht vorstellen, dass mit der Ein-
führung des Fadens alles geschehen ist; fortwährende Pflege der
Fisteln, Abscesse, Phlegmonen ist natürlich eine erste Bedingung für
die Heilung. Aber während die Sondenbehandlung hier keine guten
Resultate mehr zeitigt, da immer wieder Schwellung und Stagnie-
rung von Eiter stattfindet, ist mit der Einführung des Fadens die
Möglichkeit von Abfuhr der Entzündungsprodukte geschaffen, und
damit wird die Heilung eingeleitet. Überdies wird dann allmählich
der Kanal, von den Resten der Schleimhaut aus, überhäutet und
damit tritt die wesentliche Genesung der Erkrankung ein. Mit der
Sondenbehandlung ist eine solche Auskleidung des Kanals in der-
artigen Fällen kaum zu erwarten, und es muss daher das Ende der
Behandlung eine Stenose des Ductus sein.
In leichteren Fällen kommt es besonders darauf an, dass der
Faden oftmals gereinigt wird, wie dies früher von mir angegeben
wurde, und dass auch die Nase gut reingehalten, bzw. oft durchgespiilt
wird. Man kann hier oft vieles dem Patienten überlassen, aber bei
schmutzigen Patienten und bei Kindern, die schlecht versorgt werden,
ist es notwendig, dass der Arzt sie oftmals sieht und selber be-
handelt. Viele schwerere Fälle kamen erst zur Heilung, als die Pa-
tienten in der Klinik aufgenommen wurden. Dagegen gab es eben-
falls oft Fälle, bei denen nach der Einführung des Fadens eigentlich
nichts mehr zu tun war, und bei denen der Patient sich selber über-
lassen werden konnte, während früher wöchentlich sondiert werden
musste. Nach Entfernung des Fadens war dann alles in. Ordnung.
Es ist gewiss ein Nachteil der Methode, dass der Faden
äusserlich sichtbar ist. Einige ausländische Kollegen lehnten des-
wegen sogar einen Versuch mit dieser Behandlungsweise ab, indem
sie behaupteten, „die Leute lassen sich das hier nicht gefallen“,
Ich glaube die Furcht davor übertrieben nennen zu dürfen. Jeden-
falls habe ich die Erfahrung nicht gemacht. Dagegen habe ich
wiederholt aus dem Munde der Patienten, und zwar auch bei den
besseren Ständen, vernommen, wie dankbar sie waren, dass das
fürchterliche Sondieren ein Ende genommen. Wie viele entziehen
sich nicht der Behandlung eben wegen des Widerstandes gegen diese
immer wiederkehrende Peinigunge. Nach meiner Erfahrung ertragen
die Leute lieber die Anwesenheit eines sichtbaren Zeichens der
Nähere Mitteilungen über d. perman. Drainage d. Tränenabflusswege usw. 169
Behandlung für kurze Zeit, als die fortwährende Qual des sich an-
häufenden und zutage tretenden Eiters. Wenn man dem Kranken
dieses vor Augen hält, wird er sich immer zur Behandlung ent-
schliessen. Und wenn er wählen muss zwischen einer Operation —
der Exstirpation des Sackes —, die ihn zwar von einigen Beschwer-
den befreit, den Tränenapparat aber verstümmelt, und zwischen einer
Behandlungsweise, wobei er nur gewinnen und nichts verlieren kann,
da wird er unzweifelhaft der permanenten Drainage den Vorzug geben.
Die neue Methode findet in meiner Poliklinik jetzt schon in
mehr Formen von Tränensackleiden Anwendung, als dies bei meiner
ersten Veröffentlichung der Fall war. Damals wurden nur die sehr
ernsten Fälle dazu herangezogen, in dem letzten Jahre ging ich bei
jedem Patienten dazu über, wo die Krankheit nach 3- bis 4maliger
Sondenbehandlung keine wesentliche Verbesserung zeigte oder wo es
sich voraussehen liess, dass die Patienten, besonders Kinder, sich
einer regelmässigen Sondenbehandlung bald entziehen würden.
Beim Vorhandensein einer akuten Entzündung, besonders also
bei der Dakryocystitis mit subcutanen Phlegmonen, werden auch jetzt
in der ersten Woche solche Massnahmen getroffen, welche die Krank-
heit in ein ruhigeres, mehr chronisches Stadium überleiten oder
zurückführen. Ich lege dabei auf die Verwendung eines Priessnitz-
schen Verbandes mit 1:3000 Sublimatlósung grossen Wert. Diese
Konzentration des Quecksilbersalzes irritiert die Haut noch nicht,
wührend dieselbe entweder durch die Imprügnation der Gewebe mit
einem stark desinfizierenden Stoffe die Entzündungserscheinungen
bald bessert oder wohl durch die fortwährende Wärme und die aktive
Hyperämie die Erweichung und baldige Resorption der phlegmonösen
Infiltration herbeiführt. Es ist aber dann nicht notwendig, die völlige
Rückbildung der Cystitis und Pericystitis abzuwarten, ehe der Seiden-
faden durchgeführt wird.
Über die Behandlung der impermeablen Stenosen habe
ich in meiner vorigen Mitteilung ebenfalls schon einige Angaben ge-
macht. Damals handelte es sich um einen Patienten, bei dem ein falscher
Weg vorgefunden wurde, der aus dem Tränensack über die untere
Concha nach dem mittleren Nasengange führte, bei dem es aber schliess-
lich noch gelang den richtigen Ductus zu óffnen und mittels der perma-
nenten Drainage bleibend wegssam zu machen. Ich erwog damals die
Möglichkeit, in Fällen absoluter Stenose diese Kommunikation ober-
halb der unteren Concha absichtlich herzustellen und mittels der
Einlegung eines Fadens derselben die Gelegenheit zu bieten, sich mit
140 W. Koster Gzn.
Schleimhaut von der Nase und von dem Tränensacke aus zu über-
häuten. Es wäre dies, wie ich meinte voraussagen zu dürfen,
eine einfache Operation und für den Patienten ein wenig schmerz-
licher Eingriff. Die Wand zwischen dem Sacke und der Nase ıst
dort nämlich sehr dünn beschaffen. Mit der gewöhnlichen, von
einem Mandrin versehenen Hohlsonde, welche, unten im Sacke an-
gelangt, in medialer Richtung mit einer bohrenden Bewegung vor-
geschoben wird, wäre diese Wandung unschwer zu perforieren.
Tatsächlich ist diese Kommunikation bei oftmals sondierten Fällen
dann und wann schon vorhanden, wovon man sich überzeugt,
wenn die Sonde die Richtung einwärts wählt, wobei dieselbe mit deın
Nasenspeculum direkt im mittleren Nasengang gesehen werden kann.
In einem Falle solcher Art mit impermeabler Stenose habe ich
den Faden eingelegt und den Verlauf über längere Zeit verfolgen
können. Der Patient ist geheilt, und bis jetzt blieb der neue Ab-
flussweg gut wegsam. Es ist dies für mich eine Anleitung, in der-
gleichen Fällen eher zu dieser Behandlungsweise zu greifen. Der
Fall ist weiter unten kurz beschrieben (Nr. 1704 — 1907/1908).
Ich kann nach meiner ersten Mitteilung über folgende Fälle
näher berichten.
Nr. 1085 — 1907/1908. 7jähriges Mädchen wird in die Klinik auf-
genommen; Dakryocystitis O. D., seit lange bestehend und behandelt; aus-
giebige Atonie des Tränensackes; offenliegender nekrotischer Knochen an
verschiedenen Stellen im Sacke und im Ductus mit der Sonde zu fühlen;
weit ausgedehnter Krankheitsprozess. Am 18. X. 1907 Faden eingeführt;
3. XI. 1907 der Zustand fängt an sich zu bessern; die Behandlung wird
dann dem Hausarzte überlassen; am 20.11. 1908 wird die Patientin wieder
in die Klinik aufgenommen, da die Blennorrhoea wieder viel verschlimmert;
3. V. 1908 geheilt, der Faden wird entfernt; am 28. X. 1908 Nachricht
vom lHausarzte, dass der Zustand ausgezeichnet ist. Auch jetzt noch alles
in Ordnung.
Nr. 1264 — 1907/1908. &jähriges Mädehen in der Klinik auf
genommen; O. S. seit lange erkrankt; alte Dakryoeystitis mit Fisteln und
starke Blennorrhoea. Am 29.X.1907 Faden eingeführt, durch den oberen
Trünenpunkt; bald Besserung; am 3. XI. unter Behandlung des Haus-
arztes gestellt; am 30. I. wieder in die Klinik aufgenommen, da die
weitere Heilung keine wesentliehen Fortschritte machte; 27. III. sehr be-
friedigender Zustand, der Faden wird entfernt; 27. V. 1908 geheilt. Auch
später hat sich der Zustand gut gehalten.
Diese beiden Fülle waren veraltet und sehr kompliziert, da
viel Narbengewebe infolge von früher ausgetführter Kauterisation
vorhanden war, während sich überall nekrotische Knochenstellen
Nähere Mitteilungen über d. perman. Drainage d. Tränenabflusswege usw. 171
und falsche Wege vorfanden. Mit der Exstirpation des Tränen-
sackes, vorausgesetzt dieselbe wäre durchführbar gewesen, hätte man
hier ebensowenig in kurzer Zeit einen befriedigenden Zustand herbei-
führen können. Für den Hausarzt ist die Nachbehandlung solcher
komplizierter Fälle offenbar zu schwer und zu zeitraubend; es wurde
daher von neuem Aufnahme in der Klinik notwendig. Wegen zu
grosser Entfernung der Wohnstätte war eine poliklinische Behandlung
ausgeschlossen.
Nr. 1347 — 1907/1908. 26jähriges Mädchen; doppelseitige Dakryo-
stenose; seit 10 Jahren Beschwerden: Epiphora usw.; wurde viel mit Sondie-
rung behandelt; 16. XI. 1907 beiderseitige Einführung von Fäden durch
die unteren Tränenpunkte; der Augenarzt Kröner hat dann die Behandlung
weitergeführt; 27. XI. keine Schleimabsonderung mehr; 20. XII. 1907
Fäden beiderseits entfernt; 23. XII. 1907 Tränenwege beiderseits gut durch-
zuspritzen mit Anel; geheilt. Diese Patientin kehrte aber 27. V. 1908
zurück mit einem Rezidive der Blennorrhoea sacci; sie hat sich dann aber
nicht mehr behandeln lassen.
Nr. 561 — 1907/1908. 33jährige Frau; linksseitige Dakryoblennor-
rhoea; seit 8 Jahren immer Eiterung und fortwährend Epiphora; sie wurde
viel behandelt; 25. VII. 1907 Seidenfaden eingeführt; bald grosse Besse-
rung; Patientin besucht aber nur dann und wann die Poliklinik; immer
etwas Atonie des 'Tränensackes; 31. I. 1908 wurde der Faden entfernt;
Leiden geheilt; 30. IV. 1908 ein akutes Rezidiv der DBlennorrhoea sacci;
keine Stenose; 21. V. 1908 Heilung wieder eingetreten und seitdem keine
Beschwerden mehr.
Nr. 1525 — 1907/1908. 44jährige Frau in der Klinik aufgenommen;
rechtsseitige Dakryoblennorrhoea, mit Cystitis, Stenose und Fistel; 29. XI.
1907 Faden eingelegt durch den unteren Tränenpunkt; 11. XII. entlassen
und die weitere Behandlung dem Hausarzte überlassen. Derselbe berichtete,
dass der Zustand sich nicht wesentlich besserte; die Pflege des Auges
war aber schlecht, es trat dann schnell Besserung und Heilung ein, als der
Faden am 15. III. 1908 sich von selbst lóste und entfernt wurde; seit-
dem dauernde Heilung.
Nr. 196 — 1907. 45jähriger Mann; rechtsseitige Dakryoblennorrhoea
mit Stenose; links Atresie, welche aber beim Spritzen mit Anel wohl durch-
gängig ist; seit 10 Jahren Beschwerden; seit längerer Zeit von vielen Augen-
ärzten behandelt; am 2. XII. rechts Faden durchgeführt; links Sondierung
mit Nr. 3 meiner Sonden; bald viel Besserung; 15 II. 1908 Faden
entfernt; keine Beschwerden mehr; 23. II. 1908 geheilt.
Nr. 15 — 1907/1908. 71jühriger Mann; doppelseitige chronische
Dakryocystitis; am 18. XII. 1907 links und am 31. I. 1908 Faden rechts
durchgeführt; 14. V. 1908 ist der Zustand beiderseits gut; die Fäden ent-
fernt; geheilt.
Nr. 1711 — 1907/1908. 61jähriger Mann; seit 7 Jahren Beschwerden;
rechtsseitige Dakryoeystitis; 23. I. 1908 Faden durch oberen Tränenpunkt
172 W. Koster Gzn.
eingeführt; 26. I. keine Schmerzen, Zustand befriedigend; weitere Notizen
fehlen; der Patient hat sich offenbar nicht mehr vorgestellt.
Nr. 1714 — 1907/1908. 9jähriges Mädchen; rechtsseitige Dakryo-
eystitis; 23. I. 1908 Faden durch den unteren Tränenpunkt eingelegt;
29. II. 1908 Faden entfernt; geheilt. Am 27. X. 1908 war wieder etwas
Schleim aus dem Sacke auszudrücken; 31. X. wieder geheilt. Die Patientin
ist noch in Behandlung wegen chronischer Blepharitis.
Nr. 1691 — 1907/1908. 26jähriges Mädchen; rechtsseitige Dakıyo-
cvstitis mit Bildung von Abscessen und Cysten in der Wand des Sackes;
23. I. 1908 Faden eingeführt durch den unteren Tränenpunkt; am 20. II.
den Faden entfernt wegen der Bildung von Granulomen am Tränenpunkte;
die Schleimeysten rezidivieren immer wieder ungeachtet des Auskratzens mit
scharfem Lóflel, Tamponieren der Fistel mit Jodoformgaze usw.; 22. VI. 1908
wieder ein Faden eingeführt, aber jetzt durch den oberen Tráünenpunkt;
fortwährende Tamponierung der Fistel bis in den Sack; 30. XI. wieder
Granulom am unteren Tränenpunkt abgetragen; von nun an allmähliche
Besserung; Faden entfernt; Dezember 1908 geheilt.
Nr. 1606 — 1907/1908. 57 jährige Frau: linksseitige Dakryocystitis
seit 2 Jahren; 24. I. 1908 Faden eingeführt durch den unteren Tränenpunkt;
1. I. hat sieh der Faden gelöst und ist herausgefallen; Zustand schon viel
schessert, aber bald wieder schlimmer; 7. III. einen Faden dureh den
oberen Trünenpunkt eingeführt; 25. V. 1908 wird der Faden entfernt; geheilt.
Nr. 1883 — 1907/1908. 66jährige Frau; doppelseitige Dakryo-
blennorrhoea, ebenfalls Glaueoma simplex auf beiden Augen, wodurch O. D.
schon erblindet. 29. I. 1908 beiderseits Faden durchgeführt; 14. II. hat
sich der Knoten des Fadens links gelöst; derselbe wird entfernt; Zustand
gut, wodurch am 21. II. eine Iridektomie auf dem linken Auge ausgeführt
werden kann, welche gut verläuft. 27. II. wird der rechte Faden entfernt;
1. III. 1908 geheilt.
Nr. 1885 — 1907/1908. 37jähriger Mann; rechtsseitige Dakryo-
blennorrhoea; 29. I. 1908 Faden durchgeführt und am 20. II. 1908 ent-
fernt; geheilt.
Nr. 1704 — 1907 1908. 37jähriger Mann; Dakrvostenose rechts;
er leidet viel durch seine Epiphora, welehe vor 6 Jahren angefangen. Die
Sonde gelangt beim Sondieren durch einen meiner Assistenten oberhalb der
unteren Concha in die Nase, Es zeigt sieh, dass der normale Ductus voll-
stindig obliteriert ist, da es in keiner Weise gelingt eine Sonde dureh-
zuführen. Es wird am 11. I. 1908 der Faden dureh den falschen Weg
geführt, der also im mittleren Nasenzanze oberhalb der unteren Concha in
die Nase führt. Die Beschwerden sind dann verschwunden, und der Patient
stellt sich nur dann und wann vor. 9. VIL 1908 wurde, da alles sich
ruhig verhielt, der Faden entfernt. Geheilt.
Nr. 2082 — 1907:1908. 54jähriger Mann; rechtsseitige Dakryo-
blennorrhoea; seit 3 Jahren Beschwerden. 28. II. 1908 einen Faden durch
den oberen 'Tränenpunkt eingeführt; der Patient wird in die Klinik auf-
genommen; 15. HL 1908 der Faden entfernt. Geheilt.
Nähere Mitteilungen über d. perman. Drainage d. Trünenabflusswege usw. 113
Nr. 2301 — 1907/1908. 63jähriger Mann; rechtsseitige Dakryo-
blennorrhoea seit 3 Jahren; die Sonde stösst auf nekrotischen Knochen;
28. III. 1908 einen Faden eingeführt durch den oberen Tränenpunkt.
Klinische Behandlung. Da am 23. IV. der Zustand des Auges ganz ruhig
ist, wird die Behandlung dem Hausarzte überlassen, mit dem Auftrage den
Faden noch 3 Wochen liegen zu lassen. Geheilt.
Nr. 2302 — 1907/1908. 30jähriger Mann; rechtsseitige Dakryo-
blennorrhoea. 4. IV. 1908 einen Faden eingelegt; 23. IV. wird der Mann,
der in klinischer Behandlung war, entlassen, und die Nachbehandlung dem Haus-
arzte überlassen, mit der Bitte den Faden noch 3Wochen liegen zu lassen. Heilung.
Nr. 82 — 1908. 30jährige Frau; rechtsseitige Dakryoblennorrhoea
und Stenose; sie wurde seit 7 Jahren behandelt von verschiedenen Augen-
ärzten, wurde viel sondiert, was die Nerven der Patientin wesentlich er.
schüttert hat. Von ibrem letzten Augenarzte war jetzt vorgeschlagen worden,
den Tränensack und auch die Tränendrüse zu exstirpieren. Am 11. V.
1908 wird ein Faden durch den unteren Tränenpunkt geführt. Nach einer
Woche schon sehr viel Besserung in dem Zustande. 30. VI. 1908 wird der
Faden entfernt. Geheilt.
Nr. 2813 — 1907/1908. 30jähriges Mädchen; seit längerer Zeit
viele Beschwerden, seit 6 Wochen aber sehr verschlimmert; Dakryocystitis, Blen-
norrhoea saeci links; in der Wand des Sackes Abscessbildung und Cysten;
überdies leidet Patientin an Myopia gravis O. D. und O. S. kompliziert mit
Iritis und Glaucoma secundarium. 8. VI. 1908 wird ein Faden durch den
unteren Tränenpunkt geführt; die Patientin besucht die Poliklinik nicht
regelmässig; nur einmal in 1—2 Monaten; am 27. X. 1908 wird der
Faden entfernt; geheilt. Am 15. XII. 1908 hielt die Heilung an, und
mit Pilokarpin blieb die Spannung normal. 5. II. 1909 wird eine links-
seitige Iridektomie notwendig, welche gut verläuft; während der Nachbehand-
lung, unter dem feuchtwarmen Verbande, tritt ein leichtes Rezidiv der
Blennorrhoea sacci auf, welches aber unter trockenem Verbande schnell zu-
rückgeht. Geheilt.
Nr. 2840 —- 1907/1908. 52jähriger Mann; seit 2 Jahren viele Be-
schwerden; rechtsseitige Dakryoblennorrhoea mit Cystitis und Fistula. Die
Fistel wird erweitert. 24. VI. 1908 ein Faden durch den unteren Tränen-
punkt geführt. Hier wurde zum ersten Male der gummierte Faden ver-
sucht, der aber durch Blasen, Sehneuzen, selbst zufälliges heftiges Niesen nicht
herauszubefördern war. Mit dem Häkchen wurde dann der Faden gefasst.
8. VII. war der Faden von selbst herausgekommen; die Fistel ist geschlossen.
15. VIII. 1908 goheilt. 12. XI. 1908 zum letzten Male gesehen. Alles
in Ordnung.
Nr. 276 — 1908/1909. 27jährige Frau; Dakryoblennorrhoea puru-
lenta, links; seit einem Jahre Beschwerden; 17. VII. 1908 gummierten Faden
durch die Hohlsonde eingeführt; von der Patientin selber aus der Nase heraus-
geblasen; Faden durch den unteren Tränenpunkt eingeführt. 5. IX. 1908
Faden entfernt. Geheilt.
Nr. 918 — 1908/1909. 26jährige Frau; seit 4 Jahren leidend; links-
seitige Blennorrhoea sacci; 29. IX. gummierter Faden durch die Hohlsonde
174 W. Koster Gzn., Nähere Mitteilungen über d. permanente Drainage usw.
eingeführt; von der Patientin selber hervorgeblasen; 7. XII. 1908 den Faden
entfernt; 27. I. 1909 geheilt.
Nr. 1383 — 1908/1909. 13jähriges Mädchen; seit 5 Monaten viele
Beschwerden; Dakryoblennorrhoea O.S.; 23. XI. 1908 durch den unteren
Tränenpunkt gummierten Faden mittels der Hohlsonde eingeführt; von der
Patientin selber hervorgeblasen; 27. XII. 1908 Faden entfernt; geheilt;
3. II. alles richtig; die Patientin ist sehr zufrieden.
Nr. 1598 — 1908/1909. 33jähriges Mädchen; Stenose des Ductus
laerymalis nach vorausgegangener Blennorrhoea. 21. XII. 1908 gummierter
Faden dureh die Hohlsonde eingeführt, von ihr selber hervorgeblasen; 6. I.
1909 den Faden entfernt; geheilt.
Nr. 1110 — 1908/1909. 33jährige Frau; linksseitige Dakryoblen-
norrhoea purulenta; seit sehr langer Zeit leidend; 27. X. 1908 wird durch
den unteren Tränenpunkt, mittels der Hohlsonde, ein gummierter Faden ein-
gelegt; 19. XI. sehr befriedigender Zustand; 21. XII. fast keine Schleim-
ausscheidung mehr. 29. I. 1909 wird der Faden entfernt. Geheilt.
Nr. 1847 — 1908/1909. 38jährige Frau; linksseitige Dakryoblen-
norrhoea purulenta; seit 6 Monaten viele Beschwerden; 30. I. 1909 gum-
mierter Faden durch den unteren Tränenpunkt mittels der Hohlsonde ein-
geführt, von der Patientin selber herausgeblasen. Verläuft gut. Patientin
besucht die Poliklinik nicht regelmässig. Seit April 1909, als wieder
viel Schleimabsonderung, nicht zurückgekehrt. Bei Nachfrage im Aug. 1909
zeigt es sich, dass der Faden sich gelöst hatte und von Patientin selber
entfernt worden war. Sie war nicht geheilt.
Nr. 1745 — 1908/1909. 31jährige Frau; linksseitige Dakryocystitis
seit 2 Jahren; 6. II. 1909 Faden eingelegt; gummierter Faden von ihr `
selbst hervorgeblasen. Verlüuft gut. 24. II. wenig Schleimabsonderung.
1. V. 09 Faden entfernt; geheilt.
Nr. 1491 — 1908[1909. 38jährige Frau; linksseitige Blennorrhoea
sacci; 12. IL 1909 gummierter Faden eingeführt. Ruhiger Verlauf. Im
April keine Absonderung mehr; im Mai katarrhale Conjunctivitis; 19. V.
Faden entfernt, geheilt. 11. VII. 09 Zustand gut.
Seit ich diese Fälle zusammengetragen, ist schon wieder eine
erhebliche Zahl von Fällen mit Tränenleiden nach den neuen
Methoden behandelt worden; es versteht sich, dass die Behandlung
jetzt in mehr Fällen angewandt wird als beim Anfang meiner Ver-
suche, wo der Weg noch gänzlich abgetastet werden musste Es
hat aber fernerhin keinen Sinn mehr, noch mehr Fälle mitzuteilen,
wenigstens vorläufig nicht. Wenn ich später im stande bin, die
wirklichen Dauererfolge dieser. Behandlungsweise zu untersuchen,
werde ich darüber seinerzeit berichten. Auch hoffe ich in abseh-
barer Zeit über mehrere solcher Fälle, bei denen ein bleibender neuer
Abfuhrweg aus dem Tränensacke nach «dem mittleren Nasengange
hin geschaffen wurde, näheres mitteilen zu können.
Über die „Chlamydozoen“ oder „Lrachom-Körperchen“ und
andere eigenartige Körperchen — Epithelzelleneinschlüsse.
Von
Dr. C. Pascheff
aus Sofia (Bulgarien).
Mit Taf. VII, Abt. I-IX, und 2 Figuren im Text.
Während meiner zahlreichen histologischen Untersuchungen der
Epithelzellen bei allen Bindehautentzündungen, habe ich eigenartige
Zelleneinschlüsse gefunden, von denen einige den sogenannten „Chla-
mydozoen“ oder „Trachomkörperchen“ ähnlich und von denen an-
dere ganz verschieden davon und etwas besonderes sind. Die con-
junctivalen Veränderungen bei allen diesen besonderen Epithelzellen-
einschlüssen zeigen auch mehrere interessante Punkte, die ich in den
folgenden Zeilen darlegen werde.
Beobachtung I.
Es handelt sich um eine 50jührige alte Frau aus einer kleinen Stadt
aus Ost Bulgarien.
Bis vor fünf Wochen waren ihre Augen ganz gesund. Um diese Zeit
sind ohne jede bekannte Ursache die Augen rot geworden, die Lider und
die Nase geschwollen. Die Patientin konnte die Augen nicht aufmachen,
weil sie tránten. Auch waren die Augen morgens beim Erwachen ver-
klebt und die Frau fühlte Jucken und Schmerzen. Nach drei Tagen ist sie
zu einem Arzt gegangen, der ihr Tropfen und Augenwasser gegeben hat.
Nach einer Woche Behandlung war das Ödem verschwunden, aber
das Jucken und die Schmerzen bestanden fort, weshalb die Patientin nach
Sofia zur weiteren Behandlung gekommen ist.
Status praesens: Frau von hoher Statur, schwachentwickelter Mus-
kulatur und schwachem Pannieulus adiposus behaftet.
Rechtes und linkes Auge: Die Lidränder sind gerötet und die
Cilien verklebt. Die Bindehaut der Lider ist rot; diejenige der Übergangsfalte
ist verdickt, etwas wellenförmig, aber deutliche Papillen oder Granula sind
nirgends zu sehen.
Die Augapfelbindehaut ist stark injiziert bis zum Limbus.
Die Hornhaut und die andern Teile der Augen sind normal.
Die Absonderungen sind reichlich und melır fibrinös.
Visus oe. dex. et sin. — "|.
1*6 C. Pascheff
Die Therapie war: Kompressen mit Hg. cy. (1,44) und Arg. nitr. (2^/,).
Nach 15 Tagen Behandlung nahmen die Absonderungen ab, ebenso
die Rötung und Verdickung der Bindehaut. Die Patientin ist mit einer
noclı schwach injizierten Bindehaut, aber ohne papilläre oder follikuläre
Bildungen entlassen worden.
Bei dieser Conjunetivitis, welche nach dem klinischen Ansehen und
Verlauf für eine Conjunctivitis catarrhalis acuta anzusprechen war, habe
ich mehrere Untersuchungen über die Absonderungen und die entzündete
Bindehaut selbst ausgeführt.
Die Präparate von den Absonderungen wurden in Alkohol fixiert und
mit Giemsa (Romanowsky und Azurblau neu, Vorschrift) gefärbt. In
den Präparaten habe ich nur einige Cokken, aber in den Epithelzellen zahl-
reiche, deutliche, eigenartige Körperchen von allen möglichen Formen (Taf. VII,
Abt.I, Fig. 1—5) gefunden. Diese Körperchen sind von verschiedener Grösse
und Form. Sie entwickeln sich meistens in der Umgebung des Kernes,
einzeln oder doppelt, und mit der Zeit ist das ganze Protoplasma von ihnen
erfüllt und der Kern ganz an die Peripherie getrieben und stark gedrückt.
Sie können auch mitten in dem Protoplasma begrenzt liegen, oder an die
Peripherie reichen; wenn sie sich an der Peripherie finden, entleeren sie
sich, olıne das umgrenzende Protoplasma zu infiltrieren oder zu verändern.
Die Kórperchen bestehen aus verdiektem Protoplasma- Plasmin; in
diesem sieht man melırere kleine Körnchen blaugefärbt mit Giemsa. Es
ist nicht selten, dass man in diesen Körperchen grosse, mit Giemsa blau-
gefärbte Kugeln sehen kann, die wie Nukleolen erscheinen. (Taf. VII,
Abt. I, Fig. 2.) Ich muss bemerken, dass die Körnchen nicht immer deut-
lich zu sehen sind; oft sieht man anstatt Kórnchen granulóse Kórperchen.
Diese Körperchen verschwinden nicht leicht nach der Behandlung.
Nach fünf Tagen Behandiung mit Argentum nitricum und einmal mit
Cuprum sulfuricum hatten die Kórperchen an Zahl abgenommen, nur hier
und da konnte man sie in den Epithelzellen noch finden.
Histologischer Befund.
Ein Stück von der verdickten Bindehaut der unteren Übergangsfalte habe
ich in absolutem Alkohol fixiert, in Celloidin gebettet und verschieden ge-
a N ET in
Fig. 1. Senkrechter Längsschnitt der Bindehaut der mittleren Übergangsfalte
von Fall I. Vergr. 194.
färbt: mit Hämatoxylin, Giemsa, Gram modifiziert nach Weigert, Poly-
chrommethylenblau nach Unna usw. (Textlir. 1).
—— = Å ef A —— — ` EE
Über, die ,,Chlamydozoen* oder „Trachomkörperchen“ und andere usw. 177
Schon bei der schwachen Vergrösserung habe ich gesehen, dass die
Bindehaut eine verhältnismässig schwach infiltrierte subepitheliale, adenoide
Schicht zeigt, die nicht überall gleichmässig infiltriert ist, sondern hier und
dort Herde von stärkerer Infiltration aufweist.
Bei stärkerer Vergrösserung erscheint die epitheliale Schicht wie öde-
matös und von polynuklearen Leukocyten infiltriert. Nirgends sind die
charakteristischen vorher beschriebenen Körperchen zu sehen.
Die adenoide Schicht ist mit kleinen Lymphocyten infiltriert, zwischen
ihnen bemerkt man Plasmazellen, Fibroblasten, polynukleare Leukocyten
und Mastzellen. Die Leukocyten sind zahlreicher in den Gefässen, die
starke Proliferation zeigen. Einige von den Plasmazellen weisen hyaline
Degeneration auf und enthalten mehrere Russelsche Kórperchen.
Die kleinen Herde, die man schon bei der schwachen Vergrósserung
sehen kann, sind reich an Lymphocyten, deutliche Follikel mit Keimzentren
sind dagegen nirgends zu finden.
Die Gefässe der fibrösen Schicht der Bindehaut sind erweitert, mit
Blut erfüllt und reich an polynuklearen Leukocyten. Die Mastzellen sind
hier zahlreicher und die Plasmazellen umgeben die Gefässwandungen.
Beobachtung IL
Es handelt sich um einen 65 Jahre alten Bauer aus West- Bulgarien,
der zwei Monate an Rheumatismus gelitten hatte.
Vor vier Monaten war er in einem Mineralbad. Bei seiner Rückkehr
hat er das Gefühl von Staub und von fremden Körpern im linken Auge
gehabt und es lange mit den Fingern gerieben. Am nächsten Tage wurde
das Auge rot, tränte, juckte und die Lider waren beim Erwachen verklebt.
Dieser Zustand dauerte eine Woche und dann entzündete sich auch das
rechte Auge. Seitdem wurde die Entzündung der Augen immer stärker;
die Absonderung nahm zu und die Lider waren geschwollen, so dass er
die Augen nicht aufmachen konnte.
Ein Arzt hatte ihm Kompressen mit Borwasser ohne Erfolg gegeben.
Jetzt, seit zwei Tagen, hat er Schmerzen in der linken Hälfte des Kopfes.
Status praesens: Der Patient ist von mittlerer Statur, mit gut ent-
wickelter Muskulatur, starkem Knochenbau und gutem Pannieulus adiposus.
Rechtes und linkes Auge: Der Patient hat Schwierigkeit, die Augen
aufzumachen, deswegen hält er sie immer geschlossen. Die Absonderungen
sind reichlich und mehr fibrinós.
Die Cilienrinder sind gerótet und die Cilien verklebt.
Die Bindehaut des Tarsus superior und inferior ist etwas verdiekt und
stark gerótet; diejenige der Fornices ist stark verdickt, gerótet, etwas wellen-
förmig, jedoch mit glatter Obertläche; nirgends kann man deutliche papilläre
oder granulöse Gebilde entdecken. Auf Druck lässt sich nichts aus der
verdickten Bindehaut heraus entleeren.
Die Augapfelbindehaut ist auch stark injiziert und gerótet. Zn.
In der Peripherie des oberen inneren Quadranten der Hornhaut zeigt
die linke Hornhaut melırere kleine matte, graue obertlächliche Intiltrationen.
Das Innere der Augen ist normal.
v. Graefe's Archiv für Ophthalmoloygie. LXXIIT. 1. 12
178 C. Pascheff
Visus | 9* dex. 5, mit Glas keine Verbesserung,
oe. sin. 5|, mit Glas keine Verbesserung.
Die histologische Untersuchung der Absonderungen ergab spärliche
Körperehen, ähnlich wie in dem ersten Falle. Nur in einem Präparate
habe ich einen Herd von Körnchen gesehen, der wie ein Freikörperchen
zwischen den polynuklearen Leukoeyten erschien (Taf. VII, Abt. II, Fig. 2).
Die bakteriologische Untersuchung ergab einen grampositiven Bacillus,
der nach der Untersuchung als Saprophyte zu betrachten ist.
Mit der Absonderung konnte ich eine ziemlich starke Entzündung
der normalen Bindehaut hervorrufen. In der Absonderung des inokulierten
Auges konnte ich den obigen Bacillus finden, aber keine charakteristischen
„Lrachom-Körperchen“.
Histologischer Befund.
Zu diesem Zwecke habe ich Stücke von verschiedenen Gegenden der
Bindehaut ausgeschnitten: aus dem Fornix inferior und Fornix superior des
linken und rechten Auges. Die Stücke wurden mit Alkohol fixiert und in
Celloidin gebettet.
Die Schnitte wurden verschieden gefärbt und besonders mit Giemsa
(R) und Polychrommethylenblau (Unna).
Fig. 2. Längsschnitt der unteren Übergangsfalte von Fall II. Vérgr, 7%.
Fornix inferior oc.sinistri (Textfiig. 2). Die epitheliale Schicht ist mit
mehreren polynuklearen Leukocyten infiltriert. Hier und da kann man auch
Lymphocyten und einige Mastzellen bemerken.
Die adenoide Schicht ist stark verdiekt und mit zahlreichen Lympho-
cyten infiltriert, zwischen denen man mehrere Plasmazellen und polynukleare
Leukoeyten bemerkt. Die Lymphoeyten sind in sehr starker Proliferation
und zeigen die verschiedenen karyokinetischen Formen. Die stark proli-
ferierenden Herde sind als unbegrenzte, wenig entwickelte Keimzentren zu
betrachten. Diese Herde sind selten und zerstreut. Die Mastzellen sind
spärlich in der adenoiden Schicht, aber zahlreicher in der fibrösen Schicht
der Bindehaut. Hier konnte ich besonders ihre Granulationen studieren.
Es ist bemerkenswert, dass ich neben den kleinen Körnchen grosse Kugeln
gesehen habe, die sich wie die kleinen färben. (Siehe Taf. VII, Abt. II,
Über die „Chlamydozoen“ oder „Trachomkörperchen“ und andere usw. 179
Fig. 6.) Die Gefässe sind in sehr starker Proliferation. Die grossen Gefässe
sind erweitert, mit Blut gefüllt und enthalten viele polynukleare Leukocyten.
Fornix superior oc. sinistri. Das Epithel ist ganz geschichtet
und kaum deutlich. Die noch am besten sichtbaren Teile sind diejenigen,
die sich in die adenoide Schicht senken. Diese Teile sind auch mit poly-
nuklearen Leukocyten infiltriert; zwischen den Zellen bemerkt man Mastzellen.
Die adenoide Schicht ist ziemlich verdickt und mit zahlreichen Lympho-
cyten infiltriert; zwischen den letzteren bemerkt man viele Plasmazellen,
polynukleare Leukocyten und einige Mastzellen, die zahlreicher in der
fibrösen Schicht sind. Mitten in der adenoiden infiltrierten Schicht sind in
der Umgebung der Gefässe zahlreiche verlängerte, stark basophile Elemente
zu bemerken, die man auch bei Trachom und bei adenoiden Vegetationen
des Nasopharynx sieht. Diese Elemente scheinen von cellularer Natur zu
sein; man kann ähnliche Elemente in der epithelialen Schicht sehen, was
für ihre Migrationsfáhigkeit spricht. Die Gefässe sind in starker Pro-
liferation und ziehen sich bis zum Epithel hin. Sie sind reich an poly-
nuklearen Leukocyten.
Hier wie in dem Fornix inferior sind die Lymphocyten in starker
Proliferation und zeigen alle karyokinetischen Formen. Hier und da bilden
sie kleine, diffuse Keimzentren.
Ich habe auch histologisch die Fornices des rechten Auges untersucht
und überall dieselbe Struktur gefunden.
Beobachtung Ill.
Es handelt sich um eine 53,jährige Klosterfrau, die vor einem Monate
Schmerzen im linken Auge bekam, ohne die Ursache zu wissen. Das
Auge wurde rot und schloss sich in drei Tagen.
Zu der Zeit nahmen die Schmerzen ab und eine eitrige Flüssigkeit
trat aus den Augen aus.
Nach einem Monat kam die Patientin nach Sofia zur weiteren Be-
handlung.
Status praesens: Frau von hoher Statur, mit schwach entwickelter
Muskulatur und schwachem Panniculus adiposus.
Oculi sinistri: Die Lider, besonders das obere, sind rot, geschwollen
und vorgetrieben; die Absonderung ist eitrig.
Die Bindehaut der beiden Tarsi und Fornices ist rot. Es finden sich
zahlreiche Narben und stark verkürzte Fornices, die für Trachom charak-
teristisch sind. Die Augapfelbindehaut ist rot und stark chemotisch. 10 mm
nach hinten von dem Limbus superior der Hornhaut sieht man eine grosse
Öffnung der Sklera, aus welcher sich beim Druck auf den Bulbus Eiter
entleert. 7 — 3.
Die Hornhaut ist ganz eingeschmolzen und durch die prolabierende Iris
ersetzt. /=0.
Das rechte Auge zeist dieselben Narben der Bindehaut, die für einen
alten, evoluierten, trachomatósen Prozess sprechen. Sonst ist das Auge
normal. Es besteht keine Absonderung.
Bei diesem Falle war die histologische Untersuchung der palpebralen
Bindehaut unmöglich und zwecklos, weil die Bindehaut des Tarsus und
12*
180 C. Pascheff
der Fornices durch die zahlreichen Narben ganz verdünnt und verkürzt
erschien.
Die bakteriologische Untersuchung der Absonderung ergab: Strepto-
eoceus pyogenes; diejenige des Eiters aus dem Innern des Auges ergab
denselben Mikroben.
Die abgenommenen Epithelzellen und die Absonderung waren mit ab-
solutem Alkohol fixiert und mit Giemsa gefärbt.
In den Epithelzellen habe ich polynukleare Leukocyten und besondere,
eigenartige Körperchen gefunden, die unsere grösste Aufmerksamkeit ver-
dienen (Taf. VII, Abt. III, Fig. 1—17).
Diese Körperchen sind von verschiedener Grösse. Die kleinen sind
ohne Struktur oder zeigen kleine blaugefärbte Punkte in der Mitte (Taf. VII,
Abt. III, Fig. 1, 5, 7, 14, 15). Sie färben sich rot und manchmal er-
scheinen Granula, wie die „Trachomkörperchen“ (Taf. VII, Abt. III, Fig. 16
und 17). Die grossen färbten sich stark dunkelviolett und sind fast ohne
Struktur (Taf. VII, Abt. III, Fig. 10, 11, 12). Es ist nicht selten zu sehen,
dass die ganze Zelle durch die Körperchen erfüllt und die Kerne an die
Peripherie getrieben und gedrückt sind (Taf. VII, Abt. III, Fig. 10, 11, 12).
Diese beiden eigenartigen Körper können in derselben Zelle vorkommen
(Taf. VII, Abt. III, Fig. 14).
Nur in einem Präparat habe ich neben dem Kerne einen kleinen Herd
von rötlichen Körnchen gefunden, die viel an die Trachomkörperchen erinnern
(Taf. VII, Abt. III, Fig. 4).
Epikrise.
Die Körperchen, die ich in so grosser Zahl in meinen ersten zwei
Fällen gefunden habe, sind ohne Zweifel dieselben, wie sie v. Pro-
waczek und Greeff beschrieben haben.
Diese Körperchen finden sich in der Nähe des Kernes oder sind
in dem umgebenden Protoplasma zerstreut. Sie sind meistens gut
begrenzt und deutlich sichtbar. Man kann sie auch frei im Sekret
finden. Liegen sic an der Peripherie der Zelle, so entleeren sie
sich, ohne das umgebende Protoplasma zu erfüllen.
Nicht selten sieht man zwischen den feinen Körnchen grosse,
blaue Kugeln, die als Nukleolen erscheinen. Die Körnchen, bei starker
Vergrösserung (Ok. +, Obj. x), zeigen verschiedene Form: runde,
ovale oder verlängerte — birntörmige. Die letztere habe ich besonders
deutlich gesehen, wie kleine Rosetten, bei einem Falle von familiàrem
Trachoma granulosum. Sie erinnern sehr an die initialen Elemente
der Trachomkörperchen von Herzog.
Neben den typischen Trachomkörperchen habe ich in derselben
Zelle Körner von verschiedener Grösse gesehen und in andern Zellen
— diplobacillenähnliche Elemente neben dem Kern.
Über die „Chlamydozoen“ oder „Trachomkörperchen“ und andere usw. ]81
Vom morphologischen Standpunkte aus betrachtet, sind das wich-
tigste in allen diesen Befunden, so lange als es keine Kultur von
den Körnchen gibt, nicht die Körnchen, die man bei verschiedenen
Bindehautentzündungen finden kann, sondern die Körperchen.
Diese Körperchen färben sich sehr leicht bei Zimmertempe-
ratur oder im Thermostat mit Giemsa-Lösung (10 Tropfen Giemsa
R. +2 Tropfen Giemsa neu Vorschrift + 10ccm Aqua destillata),
nach Fixierung (5—15’) in absolutem Alkohol oder Methylalkohol.
Sie fürben sich nicht immer gleich: blau oder manchmal dunkel-
violett.
Die Experimente, die ich unternommen habe, um ihre Patho-
genität festzustellen, sind negativ geblieben. Nach Greeff sind sie als
die Erreger des Trachoms zu betrachten.
Ich habe sie auch besonders bei Trachoma meistens gefunden
und trotz vieler Untersuchungen bei Conjunctivitis gonorrhoica, Con-
junctivitis eczematosa acuta, Conjunctivitis vernalis und Vegetatio
adenoides nicht nachweisen können. Ich habe sie auch bei Trachoma
granulosum subacutum angetroffen bei einem Patienten, der vor vier
Jahren an Conjunctivitis gonorrhoica mit Ulcera corneae gelitten hat.
Man kann sie auch bei anderweitiger Conjunctivitis acuta finden,
die nach ihren klinischen und histologischen Veränderungen, nach
ihrem Verlauf mehr den Eindruck eines katarrhalischen Pro-
zesses als eines trachomatösen macht. Zum Beweise dessen dienen
die hier oben beschriebenen ersten zwei Fälle und besonders der
erste Fall, bei dem nur eine sehr mässige lymphocytose Infiltration
der adenoiden Schicht ohne Follikeln mit Keimzentren vorlag. Auch
wenn einige vorhanden wären, so wäre es noch nicht ein sicherer Be-
weis für Trachom; denn man kann Follikel bei Conjunctivitis gonor-
rhoica, Verbrennung der Bindehaut und zahlreichen Reizungen der
Bindehaut finden.
Der beschriebene erste Fall ist von andern Gesichtspunkten
aus auch interessant. Sind diese Körperchen die echten Erreger des
Trachoms, dann tritt das Trachoma nicht nur als Körnerkrankheit,
sondern auch als eine lymphocytose Infiltration der Bindehaut,
ohne Follikelbildung (Textfig. 1) auf. Wenn die Infiltration tief ist,
sieht man oft Keimzentren, die ganz unbegrenzt sind. Solche Keim-
zentren findet man gewöhnlich beim Trachoma acutum, wo sie
sich mitten in der Infiltration ganz unbegrenzt, ohne lymphocytose
Randzone, entwickeln.
Was meinen dritten Fall betrifft, so handelt es sich um ein
182 C. Pascheff
Ulcus serpens, das sich mit Panophthalmitis kompliziert hat; ausser-
dem zeigte die Bindehaut beider Augen zahlreiche, für Trachom
charakteristische Narben. |
Das Interessanteste in diesem Falle ist die Phagocytose der
Epithelzellen. In mehreren Epithelzellen habe ich polynukleare
Leukocyten gesehen.
Neben diesen habe ich besondere Körperchen in den Epithel-
zellen der verdickten Augapfelbindehaut und im Sekret gefunden,
die von verschiedener Grösse sind.
Die kleinen färben sich rot, sind homogen oder zeigen kleine,
tief blaugefärbte Punkte, die an kleine polynukleare Leukocyten er-
innern; die grossen färben sich stark dunkelviolett und zeigen keine
deutliche Struktur.
Beide sind in grosser Zahl zu sehen und man kann beide
Kórperchen in derselben Zelle antreffen. Manchmal erfüllen die
grossen Kórper das ganze Protoplasma, treiben den Kern aus, wie
bei der hyalinen Degeneration der Plasmazellen und bei den „Chla-
mydozoen“ oder „Trachom-Körperchen“.
Ähnliche wie die kleinen Körperchen, habe ich auch beim Trachom,
bei Conjunctivitis eczematosa acuta und bei Conjunctivitis vernalis
gesehen. Sie sind selten, färben sich rot oder blau und zeigen keine
Struktur.
Bei diesem dritten Falle habe ich auch kleine Herde von rot-
getärbten Körnchen und granulösen rotgefärbten Körperchen gesehen,
die sehr an die Trachom- Kórnchen und -Kórperchen erinnern. Ob
sie echte T'rachom-Körperchen oder Degenerations- Produkte sind,
ist schwer zu sagen; jedenfalls ist es wichtig zu wissen, dass solche
Körnchen und Körperchen bei einer entzündeten, ganz narbigen
trachomatösen Bindehaut vorkommen.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. VII, Abt. I—IX.
I. Abt. Fig. 1—5. — Verschiedene „Trachomkörperchen“ bei dem ersten
Falle. (Ok. 2, Obj. Immers. !;,, Zeiss.)
II. Abt. Fig. 1—4. — Verschiedene „Trachomkörperchen“ bei dem zweiten
Falle.
Fig. 5—9. — Mastzellen. Fig. 6. Mastzelle mit grossen Granulationen.
Fig. 7 u. 8. Mastzellen in die Epithelschicht emigriert. Fig. 9. Mastzellen
ohne Nucleus. (Polychrommethylenblau.)
III. Abt. Fig. 17. Epithelzelleneinschlüsse bei dem dritten Falle. Fig. 15.
Kleine rote Körperchen ohne Struktur. Fig. 5. Kleine rote Körperchen mit
Struktur, die an kleine polynukleare Leukocyten erinnern. Fig. 8. Epithel-
zellen mit polynuklearen Leukocyten. Fig. 10—12. Grosse Körper in den
Epithelzellen. Fig. 14. Kleine und grosse Körper in derselben Epithelzelle.
Über die „Chlamydozoen‘“ oder „Trachomkörperchen“ und andere usw. 183
Fig. 4. Ein Herd von Körnchen in der Epithelzelle. Fig. 16 u. 17. Kleine
rótliche granulóse Kórperchen, die an ,,Trachomkórperchen'* erinnern.
IV. Abt. Fig. 1—6. Epithelzelleneinschlüsse bei Trachoma subacu-
tum mit stark infiltrierter Bindehaut von Lymphocyten, die zerstreute, unbegrenzte
Keimzentren hier und da zeigen.
V. Abt. Fig. 1, 2 u. 4. Epithelzelleneinschlüsse bei Trachoma chro-
nicum mit stark verdickter, sulziger, tarsaler Bindehaut. Fig. 3. Freie Kör-
perchen.
VI. Abt. Fig. 1. Epithelzelleneinschlüsse bei Trachoma granulosum des
Tarsus superior. Dieselbe Conjunctiva hat, 4 Jahre früher, an Gonorrhoea
gelitten. Fig. 2. Phagocyten von Villard oder Körperchenzellen von Leber.
VII. Abt. Fig. 1—3. Epithelzellenveränderungen bei Trachoma granulo-
sum ohne „Trachomkörperchen“.
VIII Abt. Fig.1u.2. Epithelzelleneinschlüsse bei Catarrhus aestivus.
IX. Abt. Trachomkórperchen bei einem Falle von familiärem Trachoma
granulosum (Mutter und Tochter) Fig. 1l. Trachomkórperchen (a) und Kórn-
chen (b, c), (Ok. 2, Obj. !4, ); Fig. 2, 3, 4, 5 Kórperchen mit birnfórmigen, ba-
cillenáhnlichen Elementen (Ok. 4, Obj. 1,,"); Fig. 6. Grosse diplobacillen(b')ühn-
liche Elemente neben dem Kern (Ok. 2, Obj. !/4,").
Über die Fluorescenz der Linse.
Von
Dr. med. Fritz Schanz
und
Dr.-Ing. Karl Stockhausen
in Dresden.
Mit einer Figur im Text.
Die Fluorescenz der Linse infolge der Einwirkung der ultravio-
letten Strahlen war schon A. v. Graefe bekannt. Widmark und
Schulek haben auf sie wieder die Aufmerksamkeit gelenkt, als sie
meinten, bei der Fluorescenz der Linse kónnten durch. Umwandlung
der ultravioletten Strahlen in Fluorescenzlicht im Laufe des Lebens
Veränderungen entstehen, die am Ende des Lebens in Trübungen der
Linsenfasern ihren Ausdruck fänden. Wir haben nachgewiesen !), dass
die Linse in viel hóherem Masse, als man dies angenommen hatte,
die ultravioletten Strahlen absorbiert, und dass ein grosser Teil der-
selben absorbiert wird, ohne zu den Fluorescenzerscheinungen wesent-
lich beizutragen, und dass die Absorption dieser Strahlen mit zunehmen-
dem Alter immer intensiver wird. Wir haben ferner gezeigt, dass ein
Teil der ultravioletten Strahlen die Netzhaut und wahrscheinlich auch
ihre hehtempfindlichen Elemente unverändert erreicht. Es ist bekannt,
dass die lichtempfindlichen Teile der Netzhaut von den ultravioletten
Strahlen noch erregt werden. Bei geeigneter Anordnung empfindet
das normale Auge bei der Betrachtung des Tageslichtspektrums jen-
seits von Violett noch einen Lichteindruck, den man als lavendelgrau
bezeichnet. Dieser Lichteindruck könnte, da die ultravioletten Strahlen
unverändert bis zu den liehtempfindlichen Teilen der Netzhaut ge-
langen, durch die ultravioletten Strahlen direkt veranlasst sein. Da
aber die ultravioletten Strahlen auch in der Netzhaut Fluorescenz ver-
anlassen, so könnte es sich auch um Wahrnehmung des Fluoresceenz-
lichtes der Netzhaut handeln, das von den bekanntlich erst in den
hinteren Netzhautschiehten Ttegenden liehtempfindlichen Elementen
1) v. Graefe's Arch. Bd. LXIN, 1 u. 3; Bd. LXXI, 1.
Er ne a ë o O oMŇlioSģöi-
Über die Fluorescenz der Linse. 185
wahrgenommen wird. Es handelte sich dann bei der Wahrnehmung
des Lavendelgrau nicht um die Wahrnehmung eines Spektrallichtes,
sondern um die eines gemischten Lichtes. Es ist aber auch nicht
ausgeschlossen, dass die beiden angeführten Möglichkeiten zusammen-
wirken.
Da wir die Linse unter der Einwirkung der ultravioletten Strahlen
in einem Farbenton fluoreszieren sehen, der dem Ton, den wir als
lavendelgrau bezeichnen, sehr ähnlich ist, so drängt sich die Frage
auf: Handelt es sich hier um eine wirkliche Fluorescenz der Linse
oder werden etwa dabei die ultravioletten Strahlen als solche sicht-
bar? Wir neigten in einer früheren Arbeit mehr zu der letzten Auf-
fassung. Um völlige Klarheit zu schaften, hielten wir es für nötig,
das Fluorescenzlicht der Linse genauer zu untersuchen. Am geeig-
netsten hierfür erschien uns die von Newton zuerst angewandte Me-
thode der gekreuzten Spektren. Bei ihr wird durch einen Spalt und
ein Prisma von dem Licht einer Lichtquelle — wir benutzten eine
elektrische Bogenlampe — ein Spektrum erzeugt, das wir, ehe es auf
einen Schirm aufgefangen wird, erst eine Cylinderlinse passieren liessen.
Durch diese Cylinderlinse, deren Achse parallel zu der Längendimen-
sion des Spektrums war, wird das Spektrum auf einem Schirm, der
sich in der Brennebene der Cylinderlinse befindet, zu einem linearen,
möglichst lichtstarken Spektralstreifen zusammengefasst. Einen Teil
dieses Schirmes bedeckten wir sorgfältig mit einer dünnen Schicht
menschlicher Linsenmassen.. Stellten wir nun. den Schirm so ein, dass
das Spektrum auf die Linsenmassen fiel, so wurde es wesentlich länger,
weil dann die ultravioletten Strahlen dureh die fluoreszierenden. Linsen-
massen sichtbar wurden. Dieses auf den Linsenmassen erzeugte Spek-
trum — wir nennen es das primäre — wurde nun durch ein zweites
Prisma betrachtet, dessen brechende Kante parallel der Längsausdeh-
nung des primären Spektrums gehalten wurde.
Die Versuchsanordnung ergibt sich aus der "Textfigur, die wohl
keiner weiteren Beschreibung bedarf. Der Beobachter betrachtet durch
das zweite Prisma das auf den mit Tansenmassen bedeekten Schirm
aufgefangene, primäre Spektrum. Hierbei sieht er eine eigentümliche
Erscheinung. Das primäre Spektrum wird gewissermassen in zwei
Teile zerlegt, nämlich in ein normales, schräg stehendes Spektrum —
das sekundäre — und in ein zweites Spektrum — das Fluorescenz-
spektrum —, (das dureh die spektrale Zerlegung des Fluorescenzlichtes
entsteht, das von den Lansenmäassen ausgestrahlt wird. Die Farben
des Fluorescenzspektrums sind natürlich lange nicht so intensiv, wie
186 F. Schanz und K. Stockhausen
die des sekundären Spektrums. Wird der Versuch mit Linsen aus
menschlichen Augen ausgeführt, so zeigt sich am roten Ende bis zum
Blau keine weitere Zerlegung des Lichtes, aber schon im Blau be-
ginnt das Fluorescenzspektrum aufzutreten, im Violett wird es stärker,
am stärksten im Ultraviolett. Am intensivsten war es in dem Bezirk,
der den ultravioletten Strahlen von etwa 370—400 uu Wellenlänge
entspricht. In den so von dem Fluorescenzlicht erzeugten Spektren
Schirm
ML OH OT CH TO RN
As
I
Lichtquelle Spalt
Prismatische Zerlegung der Fluoreszenzfarben
Auge des
Beobachters
herrscht die grüne Farbe vor, auch Blau ist stark vertreten, Rot ver-
hältuismässig schwach angedeutet.
Nach diesem Befund unterliegt es keinem Zweifel mehr,
dass es sich bei der Fluorescenz der Linse um eine Um-
wandlung von kurzwelligem Licht in Licht längerer Wellen-
länge handelt. Nicht nur die ultravioletten, sondern auch
blaue und violette Strahlen sind daran beteiligt. Den Haupt-
anteil haben die ultravioletten, vor allem die Strahlen von
etwa 385 uu Wellenlänge.
Diese Feststellung findet eine Ergänzung in der neuesten Unter-
Über die Fluorescenz der Linse. 181
suchung von Hess!): „Weitere Mitteilungen über die Gelbfürbung
der menschlichen Linse und ihr Einfluss auf das Sehen“. Hess zeigt,
dass die Gelbfärbung der Linse damit zusammenhängt, dass dieselbe
im späteren Leben mehr blaue und violette Strahlen absorbiert als
in der Jugend. Die Absorption der Linse für ultraviolette Strahlen
wird, wie wir nachgewiesen haben, mit zunehmendem Alter immer in-
tensiver. Dasselbe gilt, wie Hess gezeigt hat, auch für einen Teil
der sichtbaren Strahlen und gerade für die, die auch an den Fluores-
cenzerscheinungen beteiligt sind.
Auch dieser Umstand dürfte darauf hinweisen, dass
die im Alter auftretenden Linsenveränderungen in engem
Zusammenhang stehen mit der Absorption der Strahlen am
ultravioletten Ende des Spektrums.
1) Arch. f. Augenheilk. Bd. LXIV, 3.
(Aus der Universitäts-Augenklinik zu Leipzig. )
Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea,
dargestellt nach der Färbemethode von Held.
(Eine histologische und histogenetische Studie.)
Von
Stabsarzt Dr. Richard Seefelder,
Privatdozent und Assistent an der Universitäts-Augenklinik in Leipzig.
Mit Taf. VIII—IX, Fig. 1—14, und einer Figur im Text.
Bei der Entscheidung der Frage, ob in der Hornhaut elastische
Fasern vorkommen oder nicht, musste besonders für die deutschen
Ophthalmologen der Umstand schwer ins Gewicht fallen, dass sich
noch vor kurzem Hans Virchow (l) in dem gelesensten deutschen
ophthalmologischen Werke (Handbuch von Graefe-Saemisch, 2. Aufl.,
103. bis 104. Lieferung, S. 92—93, 1906) mehr in verneinendem als
in bejahendem Sinne ausgesprochen hat. Virchow erklürt in seiner
Darstellung der Anatomie der Hornhaut diese Frage noch nicht für
spruchreif und hält es mit Eloui(5) aus optischen Gründen für
zweifelhaft, ob tatsächlich elastische Fasern vorhanden seien.
Bezüglich des von Tartuferi(2) vermittels seiner Silberimpräg-
nierungsmethode dargestellten und in mehreren Abhandlungen be-
schriebenen dichten Fasernetzes in der Hornhaut enthält er sich eines
bestimmten Urteils, da er diese Methode nicht angewendet habe. Br
ist aber, wie aus seinen vorstehenden Ausserungen hervorgeht, nicht
davon überzeugt. dass es elastischer Natur sei, obwohl es Colombo (3)
später geglückt ist, die nach Tartuferis Methode gefundenen Fasern
zum Teil auch mit Orcëin zu färben.
Virchow stellt sieh auf diesen skeptischen Standpunkt aus dem
gleichen Grunde wie schon andere Forscher [Sattler (4), Eloui (5),
Renaut(6)| vor ihm, da es ihm nicht gelungen ist, mittels der sonst
für elastische Fasern angegebenen Färbemethoden ebensolche in der
Hornhaut zu finden.
Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 189
Diese bis dahin gewiss mit Recht gehegten Bedenken zu beseitigen
und damit die Kette der Beweisführung von der Existenz der elasti-
schen Fasern in der Hornhaut zu schliessen, blieb bis in die neueste
Zeit (1907) unserem durch seine exakten histologischen Arbeiten wohl-
bekannten italienischen Kollegen de Lieto Vollaro (7) vorbehalten,
der es nach mühevollen und lange Zeit erfolglosen Versuchen fertig
gebracht hat, auch mittels der zurzeit gebräuchlichsten W eigertschen
elastischen Faserfärbung in der Hornhaut ein reiches elastisches Faser-
netz nachzuweisen. De Lieto Vollaro hat seine Untersuchungen
vorzugsweise an der Hornhaut des Rindes und Pferdes ausgeführt,
ist aber auch bei andern Tieren und, einer mir persönlich gemachten
Mitteilung zufolge, auch beim Menschen zu positiven Resultaten ge-
kommen.
Sein Verfahren, das in der citierten Arbeit genau beschrieben
wird, ist kurz folgendes:
Kleine ausgeschnittene und am besten mit Formalin fixierte Horn-
hautstückchen werden durch mehrstündigen (4—6) Aufenthalt in einer
konzentrierten Kalilösung zum Quellen gebracht, um ein leichteres
Eindringen der Farblósung in die Hornhaut zu ermöglichen.
Nach sorgfältiger Auswaschung in fliessendem Wasser werden
die gequollenen Hornhautstückchen entweder in toto gefärbt (ungefähr
acht Tage bei zweitägiger Erneuerung der Farblösung) oder sofort
mittels der Gefriermethode in so dünne Flächenschnitte als möglich
zerlegt und die erhaltenen Schnitte auf 24 Stunden in die Weigert-
sche Farblösung gebracht. Die Differenzierung der Schnitte. erfolgt in
gewölmlichem Alkohol oder, wenn dies nicht genügt, in destilliertem
Wasser. Zur Erzielung einer Kontrastfärbung wird eine Nachfärbung
mit einer spirituösen Orange-G.-Lösung empfohlen.
Die in toto gefärbten Stückchen kommen solange in absoluten
Alkohol, bis sie keine Farbe mehr abgeben, und können dann eben-
falls entweder der Gefriermethode oder der gewöhnlichen Paraffin-
einbettung unterworfen werden.
Durch die mit dieser Methode erzielten Resultate werden die
Mitteilungen und Befunde von Tartuteri fast in vollem Umfange
bestätist. Als neue und wichtige Errungenschaft kommt hinzu der
von de Lieto Vollaro zuerst mit Sicherheit erbrachte und von Pes(S)
schon vorher vermutete Nachweis des Ursprungs von elastischen Fasern
aus den fixen Hornhautzellen.
De Lieto Vollaro hat auf dem diesjährigen internationalen
Ophthalmologen - Kongresse in Neapel einen Teil seiner Präparate
190 R. Seefelder
demonstriert und die Liebenswürdigkeit gehabt, sie mir nach Schluss
des Kongresses im Laboratorium der Clinica oculistica in St. Andrea
delle Dame mit Musse betrachten zu lassen. Die Präparate sind so
überzeugend, dass meines Erachtens jemand, der nur eine gewisse
Vorstellung von dem Aussehen und der Anordnung des elastischen Ge-
webes hat, keinen Augenblick daran zweifeln kann, dass die vermittels
seiner Methode spezifisch gefärbten Elemente auch wirklich elastische
Fasern sind.
Ich hielt es deshalb im Hinblicke auf die bisherige Stellung-
nahme der deutschen anatomischen und ophthalmologischen Literatur
für angezeigt, auch mit meinen Kräften zur Klärung der ganzen für das
Verständnis der Physiologie und Pathologie der Hornhaut so ungemein
wichtigen Frage beizutragen.
Da mir von Herrn Geheimrat Sattler gerade eine frisch in
Formalin fixierte menschliche Hornhaut zur Verfügung gestellt werden
konnte, verfuhr ich zunächst genau nach der Vorschrift von de Lieto
Vollaro, aber ohne jeden Erfolg. Weder in dem in toto gefärbten
Hornhautstückchen, noch in den mittels der Gefriermethode erzielten
und einzeln behandelten Schnitten war eine elastische Faser gefärbt
worden. Ich bin natürlich weit davon entfernt, die Schuld an diesem
Misserfolg dem Verfahren de Lieto Vollaros beizumessen, sondern
viel eher der Grüblerschen Lösung, die mir wie auch Hosch (9)
schon öfter auch an andern Abschnitten des Auges ungenügende Re-
sultate ergeben hat.
Da machte mich Professor Held gelegentlich darauf aufmerk-
sam, dass er vermittels seiner Molybdänhämatoxylinmethode in Cel-
loidinquerschnitten der Hornhaut elastische Fasern gefunden habe und
zeigte mir ein Präparat, in welchem sich einzelne protoplasmatische
Ausläufer der Hornhautkörperchen in feine glatte Fasern fortsetzten,
welche Held für elastische erklärte. Auch zahlreiche dunkle Punkte,
jedenfalls Durchschnitte elastischer Fasern, waren in diesem Präparate
zu sehen.
Es gelang mir sofort, in verschiedenen C'elloidinschnitten von nor-
malen horizontal oder vertikal geschnittenen Augen meiner Sammlung
analoge Bilder zu gewinnen. Da es mir aber zunächst zu gewagt erschien,
daraufhin allein mit Bestimmtheit das Vorhandensein von elastischen
Fasern in der Hornhaut zu beliaupten und. zudem aus Querschnitten der
Hornhaut allein unmöglich eine klare Vorstellung von dem Ban und
der Anordnung ihres elastischen Gewebes zu gewinnen gewesen wäre,
machte ieh mich daran, Flachschnitte von in Paraffin eingebetteten
Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 191
ausgeschnittenen Hornhautstückchen herzustellen und diese nach der
Heldschen Methode zu färben.
Bevor ich die Resultate aller dieser Untersuchungen schildere, glaube
ich den Fachgenossen damit einen Gefallen zu erweisen, dass ich die
jetzt von Held(10) in seiner Entwicklung des Nervengewebes der
Wirbeltiere selbst entworfene Beschreibung seiner vorzüglichen und
für das Studium der Histologie des Auges geradezu unentbehrlichen
Methode!) mit einigen erläuternden Bemerkungen vorausschicke.
Held schreibt:
Bei der Herstellung derselben bin ich von der schon von Auerbach
verwandten reinen Molybdänsäure ausgegangen. Bringt man ein Quantum
derselben als einen öfter umzuschüttelnden Bodensatz in eine 1°), Lösung
von Hämatoxylin in 70°), Alkohol, so beginnt eine nach 14 Tagen schon
ziemlich weit vorgeschrittene Umwandlung der Tinktur, die sich als eine
tiefe und blauschwarze Farbänderung anzeigt. Mit der Zeit nimmt die Kraft
dieser Molybdän-Hämatoxylintinktur erst an Intensität zu. Monate und 1
bis 2 Jahre alte Tinkturen sind nicht schlechter, sondern besser zum Färben
geworden. Dann giesse ich allerdings die Tinktur vom Bodensatz ab. Un-
mittelbar vor dem Gebrauch werden je nach Bedarf einige Tropfen der
Tinktur in Aq. dest. aufgelöst und heiss bei 50°C. oder längere Zeit kalt
gefärbt. Die Schnitte werden direkt gefärbt, oder vorher gebeizt in Liqu.
alum. acetici oder Alsol. oder Lig. alsoli oder auch Eisenalaun. -Als Fixie-
rung eignet sich im allgemeinen gut die Zenkersche Flüssigkeit. Für
Embryonen der Cyelostomen und Amphibien habe ich dagegen besonders
die Rablsche Mischung von Pikrinsüuresublimat mit Erfolg angewandt, für
Forelle hat mir die Sublimat-Eisessigfixierung gute Resultate gegeben. Differen-
ziert werden die Schnitte mit 5°, wässriger Eisenalaunlösung oder mit der
Weigertschen Ferrideyankali-Boraxlösung. In andern Fällen genügt eine
progressive Färbung.
Den Hauptvorteil dieser Metliode gegenüber der Eisenhämatoxylinfärbung
von Heidenhain!) erblicke ich darin, dass dieselbe auch bei vorgeschrittener
Entfärbung das Protoplasma der Zellen nicht zur totalen Entfärbung bringt,
auch wenn schon mannigfaltige Bildungsprodukte der Zellen herausdifferen-
ziert sind. Der Nachteil oder wenn man will, der Vorteil dieser Methode
ist aber, dass von solchen Zellprodukten eine je nach der Fixierung (die
angegebenen Fixierungen bilden also nur eine sehr kleine Auswahl) sehr ver-
schiedene Reihe dargestellt wird. Ich erwühne, dass die Diplosomen der
Zellen sich gut hiermit darstellen lassen auch an 204 dicken Celloidin-
schnitten, ohne dass die Zentralgeissel von Zimmermann zur Entfärbung
kommt. Infolgedessen habe ich dieselben auch an Bindegewebszellen junger
Kaninchen und Katzen, an dem Corneaendothel des Menschen usw. zur Be-
obachtung bringen können. Ebenso stellt diese Methode unter sicherer und
radikaler Entfärbung des collagenen Gewebes die Grenzhäute der Neuroglia,
!) Jedem, der die Heidenhainsche Methode kennt, wird ihre grosse Ahn-
lichkeit mit der Heldschen ohne weiteres auffallen; doch ist diese der Heiden-
hainschen hei weitem überlegen.
192 R. Seefelder
sowie die protoplasmatischen Anteile der marginalen Glia und zugleich die
Weigertschen Gliafasern dar.
Im Bereiche des Bindegewebes anderseits werden die elastischen Faser-
netze besonders bei Fixierung in Zenkerscher Flüssigkeit oder Sublimateis-
essig lange gefärbt erhalten und zugleich aber auch die protoplasmatischen
Anteile der Bindegewebszellen im gefärbten Bild beibehalten, wodurch sich
jene bleibende Beziehung von elastischen Fasern zu gewissen Bindegewebs-
zellen, die ich früher als Elastinzellen bezeichnet habe, und ihrem Proto-
plasma nachweisen lässt.
Die Vorzüge der Heldschen Methode sind in dem Vorstehenden
von dem Erfinder selbst kurz geschildert und, wie wohl bekannt, auch
schon in verschiedenen aus unserer Klinik stammenden Arbeiten her-
vorgehoben worden.
Zu der heutigen Frage bemerke ich, dass mit ihr das elastische
(Gewebe unter Umständen mit einer Schärfe zur Anschauung gelangt.
welche durch keine der gebräuchlichen Methoden übertroffen wird.
Es erscheinen dabei die dunkelviolett, fast schwarz gefärbten elastischen
“asern auf einem gelben, manchmal orangefarbenen Grunde, so dass
eine Gegenfärbung des collagenen Gewebes, die übrigens in beliebiger
Weise ausgeführt werden kann, durchaus überflüssig ist.
Zum Gelingen der Färbung ist vor allem die Fixierung in Zenker-
scher Lösung oder in Sublimateisessig anzuempfehlen. Bei Formalinfixierung
versagt sie z. B. ganz. Zur Beizung der Schnitte habe ich ausschliesslich
Eisenalaun verwendet (mindestens 3— 4 Stunden). Der Aufenthalt in der
Hämatoxylinlösung, die eine tiefblaue Farbe aufweisen muss, soll mindestens
24— 48 Stunden betragen. Die Temperatur der Farblósung betrug bei meinen
Färbungen 40°C.
Die direkt aus der Farblösung entnommenen Schnitte weisen eine
dunkelblaue Farbe mit einem leichten Stich ins Rötliche auf. Auswaschen
der Schnitte in gewöhnlichem Wasser wenige Minuten. (Bei längerem Be-
lassen der Schnitte in Wasser verschwindet der rötliche Farbenton und die
Schnitte werden blauschwarz; bei der Färbung der elastischen Fasern vor-
sichtshalber nicht zu empfehlen) Die Differenzierung der Schnitte habe
ich ausschliesslich mit der Weigertschen Ferrideyankali-Boraxlösung aus-
geführt, durch welche eine sehr rasche Entfärbung eintritt. Gleichzeitig
verschwindet der rötliche Farbenton und macht einer prächtigen blauen
Färbung der Kerne und ihres Protoplasınas Platz. — Die Zeitdauer der
Ditlerenzierung richtet sich ganz nach der Intensität der Färbung und der Dicke
der Schnitte), welche letztere natürlich möglichst gering sein und nicht über
8§—10 u betragen soll. Bei ganz dünnen Schnitten genügt häufig ein
momentanes Eintauchen des Objektträgers in die Differenzierungsflüssigkeit,
dem ein sofortiges gründliches Abspülen in gewöhnlichem Leitungswasser zu
!) In Betracht kommt natürlich auch die Differenzierungsfähigkeit der Ferrid-
eyankali-Boraxlösung, die bekanntlich im Laufe der Zeit abnimmt, sowie die Kon-
zentration der Lösung.
Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 193
folgen hat. Zuweilen ist ein mehrmaliges Eintauchen erforderlich. Es
empfiehlt sich aber, nach jedem Eintauchen rasch in Wasser abzuspülen und
sich von dem Differenzierungsgrade zu überzeugen. Bei stark gefärbten
Celloidinschnitten ist meist eine etwas längere Differenzierung erforderlich. Die
Differenzierung ist gewöhnlich richtig, wenn die nicht aufgehellten Paraffin-
schnitte noch einen graublauen Farbenton aufweisen und das collagene Horn-
hautgewebe somit nicht vollständig entfärbt ist. -— Bei seiner vollständigen
Entfärbung besteht die Gefahr, dass auch die Färbung der elastischen Fasern
ausgelöscht wird. Bei der mikroskopischen Untersuchung kommt eine leichte
stellenweise Färbung des collagenen Gewebes durchaus nicht als störend
in Betracht. — Eine Gegenfärbung des collagenen Gewebes ist, wie bereits
gesagt, vollkommen überflüssig.
Bei dieser Behandlung eines mit mehreren Schnitten beschickten Ob-
jektträgers sind gewöhnlich stets mehrere Schnitte vorhanden, in welchen
die elastischen Fasern auf das schönste hervortreten. Manche Schnitte sind
zu wenig, manche zu stark differenziert und scheiden dann beim Studium
der Frage naturgemäss aus.
Ein grosser Vorzug der Methode, dessen sich nur noch die 3. Silber-
imprägnatignsmethode Tartuferis sowie die Methode Monesis!), über
deren. Ergebnisse m. W. noch keine genaueren Mitteilungen vorliegen,
rühmen kann, besteht darin, dass sie ohne die Anwendung von Quel-
lungsmitteln gelingt und somit die elastischen Elemente in ihrer natür-
lichen Lage und Form zur Anschauung bringt. Ein weiterer Vorzug
ist darin zu erblicken, dass sie als eine vortreffliche Protoplasmafärbung
auch das Protoplasma der fixen Hornhautzellen färbt und dadurch
über die Beziehungen zwischen den elastischen Fasern und den Horn-
hautkörperchen Aufschluss erteilt.
Ein nicht zu bestreitender Mangel ist darin zu erblicken, dass
sie nicht mit absoluter Sicherheit arbeitet und aus uns zurzeit
noch unerklärlichen Gründen zuweilen selbst in mit Zenkerscher
Flüssigkeit fixierten Hornhäuten versagt. Es gilt das nicht nur für
die Färbung des elastischen Gewebes, sondern auch ganz im all-
gemeinen, Z. B. auch für die Kern-, Protoplasma- und Gliafürbung.
Es ist dies ein Umstand, den ich bei einer eventuellen Nachprüfung
meiner Resultate sehr zu berücksichtigen bitte. In manchen Präpa-
raten entfärben sich die elastischen Fasern schon, bevor die Diffe-
renzierung der Schnitte so weit vorgeschritten ist, dass man sie zu
histologischen Studien gebrauchen kann. Dagegen behielten sie z. B.
in der Hornhaut eines drei Wochen alten Kindes auch bei stärkster
Differenzierung des collagenen Gewebes ihre Färbung bei.
Schliesslich möchte ich von vornherein dem eventuellen Einwand
1, Nachträglich habe ich mich davon überzeugt, dass Monesi seine Methode
auch schon auf dem 19. ital. Ophth.- Kongr. 1907 bekannt gegeben hat.
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXII. 1. 13
194 R. Seefelder
begegnen, dass die Heldsche Methode keine anerkannte spezifische
Färbung des elastischen Gewebes sei und, dass es sich deswegen bei
meinen elastischen Fasern möglicherweise um andere Gewebselemente
handeln könne.
Wir haben uns selbstverstindlich von der Spezifität der Held-
schen Fürbung an verschiedenen Abschnitten des Auges durch einen
Vergleich mit den Resultaten anderer Fürbungen des elastischen Ge-
webes zu wiederholten Malen überzeugt, und man kann das kaum
an einem andern Organ besser tun als am Auge, dessen elastisches
Gewebe dank vorzüglichen Arbeiten in erschöpfender Weise studiert
ist, das der Cornea allerdings vorläufig ausgenommen.
Vermittels der Heldschen Methode ist es mir gelungen,
in der Hornhaut dreier Föten und zwar vom Anfang des A.
der Mitte des 5. (21 cm Länge) und des 8. Monats (42cm Länge),
ferner in der eines 7 Tage und eines 3 Wochen alten Kindes
ungemein zahlreiche elastische Fasern nachzuweisen.
Mit einer geradezu wunderbaren Schönheit und Deutlichkeit kamen
sie in der Hornhaut. des drei Wochen alten Kindes zur Darstellung,
deren Präparate denn auch in erster Linie die Grundlage meiner nun-
mehr folgenden Schilderungen bilden:
Betrachten wir zunächst einen Flachschnitt bei mittelstarker Ver-
grösserung (Zeiss Apochromat 8, Komp. Okular 8), so sehen wir
das ganze Gesichtsfeld von zahlreichen!) elastischen Fasern in den
verschiedensten Richtungen und in scheinbar ganz regelloser Anord-
nung durchquert.
Die Fasern sind bald länger, bald kürzer, ja zum Teil so lang,
dass sie selbst bei dieser mässigen Vergrösserung durch das ganze
(sesichtsfeld und noch darüber hinaus zu verfolgen sind.
Der Verlauf ist zumeist auffallend gestreckt bzw. geradlinig
und keineswegs so gewellt, wie er in einigen nach stark gequollenen
Präparaten hergestellten Abbildungen Tartuferis zu sehen ist. Doch
kommen im Verlaufe einer Faser gar nicht sehr selten kleine Ein-
kniekungen und Biegungen vor, die ihr anf eine kurze Strecke ein
leicht gekränseltes und wellenförniges Aussehen verleihen.
—; Die Dicke der Fasern ist grossen Schwankungen unterworfen.
Neben ganz zarten und kaum noch sichtbaren Fäserechen kommen
solche von ganz erheblicher Dicke und dazwischen alle nur denk-
baren Übergänge vor.
1) Die Zahl der Fasern steht der in einem nach Weigert gefärbten Flach-
schnitte der Sklera nicht nach.
Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 195
Die dicken Fasern behalten ihr Kaliber nicht während ihres
ganzen Verlaufes bei, sondern splittern sich bald früher, bald später
an einem oder beiden Enden in mehrere feinere und gröbere Fasern
auf, die sich dann häufig wiederum teilen und mit andern Fasern ver-
binden, so dass man zuweilen weder den Anfang noch das Ende einer
elastischen Faser bestimmen kann. |
Es tritt also schon bei dieser Vergrósserung der von Tartuferi
und de Lieto Vollaro nachdrücklich betonte syncytiale Cha-
rakter des elastischen Gewebes der Hornhaut mit aller Deut-
lichkeit zutage. Durch die Teilung dickerer elastischer Fasern in so
und so viele feinere und gróbere Fasern werden vielfach Figuren erzeugt,
welche von Tartuferi zutreffender Weise als gänsefussähnlich be-
zeichnet werden. Auch in meinen Abbildungen sind mehrere solche
Teilungsstellen zu sehen. — Der soeben angezogene Vergleich ist um
so berechtigter, als die elastischen Fasern an diesen Teilungsstellen
häufig breite elastische Membranen bilden, welche der Schwimmhaut
des Gränsefusses entsprachen, während die durch die Teilung ent-
standenen Fasern mit den Zehen, deren Zahl hier allerdings stark
variiert, zu vergleichen wären. Elastische Membranen fand ich ferner
wie Tartuferi und de Lieto Vollaro regelmässig an den Stellen,
wo sich zwei dickere Fasern zu einer vereinigen (elastische Knoten-
membranen Tartuferis), sowie an X förmig sich kreuzenden Fasern,
wobei in beiden durch die Kreuzung gebildeten Winkeln Membranen
(Interdigitalmembranen Tartuferis) nachweisbar sind.
Bei Anwendung starker Systeme habe ich in den elastischen
Membranen ebenso wie Tartuferi stets eine in der Längsrichtung
der Faser verlaufende feine fibrilläre Streifung nachweisen können.
An der Stelle der Membranen ist die elastische Substanz im all-
gemeinen weniger intensiv gefärbt, ein Phänomen, das fraglos auf die
durch die flichenhafte Ausbreitung bedingte Verdünnung der elasti-
schen Substanz zurückzuführen ist. Die Ränder der elastischen Mem-
branen treten aber trotzdem mit aller Schärfe hervor. Nicht selten
aber setzt sich eine elastische Faser von geringerem Kaliber als die
Stammfaser entlang dem einen Rande oder beiden Rändern der Mem-
bran fort, so dass diese auf einer oder beiden Seiten von haarscharfen
dunkler gefärbten Tanien eingesäumt erscheint.
Die Neigung der elastischen Fasern zur Membranbildung
macht sich aber nicht nur an den Teilungs- und Kreuzungsstellen,
sondern häufig auch im Verlaufe der diekeren Fasern selbst auf lange
Strecken hin bemerkbar. So sehe ich oft, dass eine. dicke intensiv ge-
13*
196 R. Seefelder
färbte Faser ohne erkennbare Ursache ihre cylindrische Form verliert
und sich in ein plattes, bandartiges, blasser gefärbtes Gebilde ver-
wandelt, welche Form sie noch lange beibehält, ohne sich in End-
fibrillen aufzulösen. Auch in diesen elastischen Bändern ist ebenso
wie in den Membranen regelmässig eine fibrilläre Streifung nach-
zuweisen.
Bei der Teilung und Unterteilung der elastischen Fasern kommen
so viele und mannigfaltige Variationen vor, dass sie weder durch Wort
noch durch Bild in erschöpfender Weise geschildert werden können.
Ich verweise in dieser Hinsicht, um nicht bereits Bekanntes in un-
nötiger Weise zu wiederholen, auf die Beschreibungen und Abbildungen
Tartuferis und de Lieto Vollaros, die den Tatsachen auch nach
meinen mit einer andern Methode erhobenen Befunden in einer mög-
lichst vollständigen Weise gerecht werden.
Ich bestätige vor allem auch die Angabe Tartuferis, dass
die dichotomische Teilung und somit die V-Form der Teilungs-
figur die vorherrschende ist, doch habe ich häufig auch W- und M-Fi-
guren und noch weiter vorgeschrittene Teilungen beobachtet.
Ausser den kürzeren oder längeren Fasern fallen bei Anwendung
stärkerer Vergrösserungen, wobei übrigens noch viele vorher unsicht-
bare, feinste Fasern hervortreten, sehr zahlreiche grössere und kleinere.
ebenso dunkelgefärbte und stark liehtbrechende Punkte!) auf, welche
zum Teil sicherlich Durchsehnitten?) von elastischen Fasern entsprechen.
Sie sind, wie gesagt, ungemein zahlreich, liegen zum Teil frei im
collagenen Gewebe, zuweilen aber mitten im Verlauf einer elasti-
schen Faser, ja gar nicht selten einzeln. oder zu mehreren mitten
im Protoplasma der fixen Hornhautzellen. Die Zahl dieser Punkte
ist aber so gross, dass schon dieser Umstand allein dagegen Bedenken
erwecken müsste, sie alle als Faserdurchschnitte anzusehen. Ganz
unwahrscheinlich ist dies namentlich bei den Punkten, welche nicht
durch die ganze Dicke des betreffenden Schnittes reichen. sondern nur
der einen oder andern Schicht emes Schnittes angehören. Uber die Be-
deutung dieser Punkte bin ich mir ebensowenig ganz klar geworden als
andere Herren. denen ich meine Präparate gezeigt habe. Sicher ist aber,
dass es sich um kein Kunstprodukt. z. B. etwa um Niederschläge,
1) Diese Punkte sind übrigens auch in den Photographien schon mit
unbewäflnetem Auge sehr deutlich zu sehen.
2) Ich sage absichtlich nicht „Querschnitte“, da es sich dabei wohl durchwegs
um Schrärschnitte handeln wird, da die Fasern nicht senkrecht zur Hornhaut-
oberflàche verlaufen,
Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 197
haudelt, da sie sonst öfter in nach Held gefärbten Präparaten vor-
kommen müssten, was weder ich noch Prof. Held selbst je beobachtet
haben. Es handelt sich also offenbar um eine eigentümliche Form
von Granulis, über deren Wesen ich zur Zeit keine befriedigende Er-
klärung abgeben kann. Die erwähnten dunklen in den Verlauf einer
elastischen Faser eingefügten Punkte sind nicht zu verwechseln mit
den schon von Tartuferi erwähnten Biegungs- oder Knickungsstellen
von elastischen Fasern, welche, da man hier eine kurze Strecke in
der Richtung der Welle in die Tiefe der Faser hinein sieht, ein
gleiches optisches Phänomen erzeugen. Diese Stellen unterscheiden sich
aber von den beschriebenen Punkten sehr deutlich dadurch, dass sie
bei Drehungen mit der Mikrometerschraube entlang dem Verlaufe der
e 2. PR 4. D. 6.
Blickrichtung Blickrichtung
Y
a b
o LL T ")Durchschnittsstelle.
längsgetroffenen Faser zu wandern scheinen, was bei den letzteren
nicht der Fall ist. Nicht selten sieht man auch, dass ein ganz ähn-
liches punktförmiges Gebilde dem einen Ende einer langen elastischen
Faser knopffórmig aufsitzt. Dies kommt davon her, dass die Enden
der elastischen Fasern’ schr häufig haken- oder hirtenstabförmig um-
gebogen sind. Ist nun das hakenförmig umgebogene Ende einer
Faser zufällig nach dem Beschauer hin gerichtet (a) oder eine hirten-
stabförmig umgebogene Faser gerade an der in der Textabbildung
bezeichneten Stelle abgeschnitten. (P); dann. sieht man hier in die Tiefe
des umgebogenen Faserendes hinein, das wie ein Faserquerschnitt als
ein dunkler, stark lichtreflektierender Punkt erscheint, welcher den
Abschluss der betreffenden Faser bildet. Zwischen dieser Endigungs-
weise einer Faser und der in Form eines Hirtenstabes kommen
alle nur denkbaren. in der Textfigur schematisch dargestellten Uber-
gänge vor.
198 R. Seefelder
Der der vorstehenden Schilderung zugrunde liegende Hornhaut-
bezirk entspricht einem Schnitte aus den tieferen und zentralen
Schichten der Hornhaut. Überhaupt habe ich bei meinen Unter-
suchungen vorzugsweise Stückchen aus den zentralsten Hornhautpar-
tien verwendet, da das Vorhandensein von elastischen Fasern in der
Peripherie auch schon von älteren Autoren zugegeben worden war.
Tiefgreifende Unterschiede hinsichtlich der Menge und Stärke
der elastischen Fasern zwischen Zentrum und Peripherie der Cornea
sind mir, abgesehen von den hintersten Hornhautschichten, bei meinen
Untersuchungen nicht aufgefallen, doch gebe ich zu, dass in dieser Be-
ziehung noch mehr vergleichende Untersuchungen erforderlich gewesen
wären, um ein abschliessendes Urteil fällen zu können. De Lieto
Vollaro fand die elastischen Fasern in den peripheren und ober-
tlächlichen Partien der Cornea sehr kräftig und zu dicken Bündeln
vereinigt, dagegen näher dem Zentrum feiner und mit schwachen Ver-
grösserungen weniger gut sichtbar.
Ich kann diese letztere Angabe de Lieto Vollaros, dass die
elastischen Fasern in den oberflächlichen und näher dem Zentrum
befindlichen Hornhautpartien sehr fein sind, nach meinen eigenen
Untersuchungen nur bestätigen. Ich finde sie hier aber vor allem
durchschnittlich viel feiner und spärlicher als in den mitt-
eren und tieferen Hornhautschichten, was von de Lieto Vol-
laro nicht ausdrücklich hervorgehoben wird. Und ich bin überzeugt,
dass dieser Befund tatsächlich der Wirklichkeit entspricht und dass
es sich nicht um eine Täuschung durch ein Versagen der Färbung
handelt, da ich ihn in allen meinen Präparaten in übereinstimmender
Weise erhoben und, was noch beweisender ist, auch in ganz gleich-
mässig gefärbten Querschnitten durch die ganze Hornhaut bestätigt ge-
funden habe, halte aber vor seiner Verallgemeinerung selbst noch
weitere vergleichende Untersuchungen für durchaus erwünscht.
Völlig neue Tatsachen vermag ich zu unsern Kennt-
nissen über das Verhalten des elastischen Gewebes in den
tiefsten Hornhautschichten und über seine Beziehungen zur
Descemetschen Membran beizubringen.
Ich gebe die jetzt folgende Schilderung. an der Hand eines gut
gelungenen Flächenpräparates der Cornea, in welchem das Descemet-
sche Endothel in seltener Schönheit und grösserer Ausdehnung in
Form einer fast kreisrunden Scheibe tlächenhaft getroffen ist. Die
Umrahmung dieser Endothelscheibe wird von einem breiten Ringe
der flächenhaft getroffenen Descemetschen Membran gebildet, auf
D Ec
4 —— — M HI Ü M Maa à M MÀ —— ^
€
Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 199
welche die Hornhautgrundsubstanz folgt. Die Schnittdicke beträgt
ungefähr 8u. In diesem Präparat findet sich sowohl direkt über der
zentralen Endothelscheibe als ganz besonders im Bereiche der Desce-
metschen Membran eine grosse Menge allerfeinster, nur mit sehr
starken Systemen auflösbarer elastischer Fasern von zumeist schnur-
geradem Verlaufe. Die Fasern liegen aber nicht alle in einer Ebene,
sondern in mindestens 2—3 Lagen übereinander. Die in einer Ebene be-
findlichen und dicht aneinander liegenden Fasern verlaufen anscheinend
alle streng zueinander parallel, während die Fasern, welche oberhalb
oder unterhalb einer solchen elastischen Faserlamelle dahinziehen, schräg
oder senkrecht zur ersteren verlaufen, so dass das Ganze im Flach-
schnitt als eine dichte Matte elastischer Fasern imponiert. Zwischen
den Fasern ist auch hier eine ausserordentliche Menge von kleineren
und grösseren ebenso gefärbten Punkten nachzuweisen, welche die
Zahl der innerhalb der Hornhautlamellen gefundenen ganz beträcht-
lich übersteigt. Diese Punkte scheinen der Descemetschen Membran
ja selbst dem Endothel unmittelbar aufzusitzen. Die längsgetroffenen
Fasern erstrecken sich im Schnitte alle auf die Hornhautgrundsub-
stanz hinüber. Da sie aber vielfach schon in einer geringen und fast
ringsum gleichmässigen Entfernung von dem Rande der Descemet-
schen Membran abgeschnitten sind, erscheint letztere von einem dichten
Strahlenkranze elastischer Fasern umgeben, deren eines Ende zumeist
haken- oder hirtenstabförmig umgehogen ist, während sich das andere
im Bereiche der Descemetschen Membran oder ihres Endothels ver-
liert, ohne dass sich über die Art und Weise der Endigung etwas
Genaueres feststellen lisst.
Ich habe mir auch die Frage vorgelegt, ob nicht die beschriebenen
feinsten Fasern überhaupt schon der Descemetschen Membran zu-
zurechnen sind. Ihre Lage direkt über dem Endothel ohne eine nach-
weisbare homogene Zwischenschicht scheint ja gebieterisch dafür zu
sprechen. Anderseits habe ich aber im Bereiche des erwähnten Ringes
der Descemetschen Membran nur an der Obertläche eine fibrilläre
Struktur nachweisen können, während die Descemetii selbst voll-
kommen homogen erschien. Es wäre aber wohl übereilt, dieses
schwierige Problem an der Hand eines einzigen Präparates lösen zu
wollen, und so begnüge ich mich vorläufig mit der Beschreibung meiner
Befunde, ohne für heute weitere Schlüsse daraus zu ziehen. Ich
muss aber bei dieser Gelegenheit erwähnen, dass Ciaceio (11) die Ansicht
ausgesprochen hat, dass beim Pferde elastische Fasern durch die
Descemetsche Membran hindurch bis ans Epithel gelangen, und dass
200 R. Seefelder
Peschel(12) auf Grund seiner Untersuchungen mit dem Ultramikro-
skop der Descemetschen Membran eine faserige Struktur zuschreibt,
die in dieser Membran sogar etwas stärker ausgesprochen sei als in
der Bowmanschen Schicht. — Ich werde nicht verfehlen, dieser
Frage auf dem betretenen Wege weiter nachzugehen und so bald als
möglich über die dabei gewonnenen Resultate zu berichten.
Als völlig gesichert kann ich aber schon nach dem bis jetzt
gesagten feststellen, dass unmittelbar vor der Descemetschen
Membran eine besondere Schicht von feinen elastischen
Fasern vorhanden ist, deren Bedeutung für das volle Verständnis
der Physiologie und Pathologie der Hornhaut wohl keiner besonderen
Beleuchtung bedarf.
Über die genaueren Beziehungen zwischen dem collagenen und
elastischen Hornhautgewebe geben die Flach- bzw. Schrägschnittprä-
parate keinen genügenden Aufschluss. ‚Jedenfalls habe ich ein streng
gesetzmässiges Verhalten — das in Wirklichkeit sicher existiert —
nicht nachweisen, aber auch nichts finden können, was für die An-
sicht Tartuferis, dass die elastischen Fasern um die Hornhautbündel
ein Netz mit rautenförmigen Maschen (perifascikulüre Netzchen) bilden.
sprechen würde,
Viel günstiger erwies sich die von mir angewandte Methode zur
Aufklärung des Verhältnisses zwischen gewissen fixen Horn-
hantzellen und elastischen Fasern, da hierbei vor allen Dingen
der Umstand zugute kommt, dass das Protoplasma der Hornhaut-
körperchen selbst bei starker Differenzierung eine, wenn auch blasse
Färbung beibehält. — Trotz alledem gehört die Frage, ob die elastı-
schen Fasern aus den Hornhantzellen entspringen oder nicht, schon
zu den schwierigeren histologischen Problemen. Man muss dazu unbe-
dingt sehr dünne Schnitte zur Verfügung haben, um mit schr starken
Systemen untersuchen zu können. Sobald man sich auf die Anwen-
dung von mittelstarken Systemen beschränken würde, wäre die Zahl
der Stellen, welche für einen direkten Zusammenhang von Hornhaut-
körperchen und elastischen Fasern sprächen, eine sehr grosse. Sehr
häufig stellt sich aber dann bei Untersuchungen mit stärksten Syste-
men das. Gegenteil. heraus. nämlich. dass beide doch nicht in genau
der gleichen Ebene liegen.
Ich habe nur solche Stellen als beweisend für emen direkten Zu-
sammenhang einer elastischen Faser und fixen Hornhautzelle angesehen.
in welchen auch bei 1500 facher Vergrösserung (Zeiss Apochr. 2
homogene Iimmersion. Komp.-Ok.12)kein Zweifeldaran auftauchen konnte.
Uber die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 201
Solche Stellen habe ich aber, wenn auch nicht allzu häufig, so
doch sicher gefunden und ich kann somit mit aller Bestimmt-
heit die von Pes vermutete und von de Lieto Vollaro mit
der Weigertschen Elastinfärbung nachgewiesene Tatsache
bestätigen, dass elastische Fasern mit fixen Hornhautzellen
unmittelbar zusammenhängen.
Dieser Befund, zu dessen Feststellung das Hornhautgewebe in
Anbetracht seiner verhältnismässig einfachen Zusammensetzung, seiner
Zelarmut und seiner Gefüsslosigkeit besser als jedes andere Gewebe
geeignet sein dürfte, ist bekanntlich auch von allgemeinem histologischen
Interesse, da die Meinungen!) über die Beziehungen zwischen den
elastischen Fasern und Bindegewebszellen auch heute noch stark aus-
einandergehen. De Lieto Vollaro hat dieser Frage in seiner mehr-
fach citierten Arbeit ein längeres Kapitel gewidmet und darinnen
auch die andern Autoren zu Worte kommen lassen, so dass ich nur
auf seine Arbeit zu verweisen brauche.
Die Art des Ursprungs der elastischen Faser ist nach meinen
Befunden ziemlich mannigfaltig.
Am häufigsten finde ich, dass ein mehr oder weniger weit aus-
gestreckter Protoplasmafortsatz eines Hornhautkörperchens sem granu-
liertes Aussehen verliert und ziemlich unvermittelt in eine elastische
Faser übergeht, die sich bald eine kürzere bald eine längere Strecke
weit verfolgen lässt. Die Dicke der Fasern weist auch schon an den
Ursprungsstellen gewisse Schwankungen auf, doch habe ich sie stets
grösser gefunden, als die der feineren elastischen Fasern, welche aus
den Teilungen dickerer hervorgehen.
In den bis jetzt beschriebenen Fällen erfolgt der Ursprung der
Faser stets in einer ziemlich grossen Entfernung vom Kern der Horn-
hautzelle.
In andern Fällen liegt vr jedoch mitten im Protoplasma in der
Nähe des Kernes?), und endlich habe ich wie de Lieto Vollaro
Zellen gefunden, in welchen die elastische Faser bis an die Kern-
menibran heranreichte und direkt aus dem Kerne zu entspringen schien.
In einigen wenigen Präparaten habe ich den direkten Übergang
einer elastischen Faser von einer Hornhautzelle ın eine
!; Vgl. die sehr sorgfältige Zusammenstellung von Bruni, Stato attuale
della dottrina dell’ istogenesi delle fibre connetive ed elastiche. Ophthalmologica.
Vol. 1. 1909. i
23) Ähnliche Beziehungen zwischen elastischer Faser und Bindegewebs- (sog.
Elastin-) zelle hat auch Held (13) in der Cutis des menschlichen Augenlids
gesehen.
202 R. Seefelder
andere beobachten können, so dass es unentschieden bleiben musste,
welche von den beiden Zellen als die Mutterzelle anzusprechen sei!).
Einen durchgreifenden Unterschied zwischen den Mutterzellen von
elastischen Fasern und solchen, welche keine elastischen Faserfortsätze
erkennen liessen, habe ich nicht finden können. Auch ist dabei stets
zu bedenken, dass die letzteren möglicherweise doch an einer Stelle
in eine elastische Faser übergehen, welche nur nicht in dem jeweilig
untersuchten Schnitte enthalten ist. Ich möchte aber nicht unerwähnt
lassen, dass der Kern und das Protoplasma der meisten mit elastischen
Fasern ausgestatteten Zellen bei sonst gleicher Struktur viel dunkler
tingiert und schmaler als sonst erschienen, wobei die Längsachse des
Kernes in der Richtung der elastischen - Faser verlief, hin aber vor-
läufig noch im Zweifel, ob diesem in meinen Präparaten fast durch-
wegs bestätigten Befunde eine besondere Bedeutung beizumessen sei.
— Meine Beobachtungen in den jungen fötalen Hornhäuten sprechen
jedenfalls nicht dafür.
Zur Ergänzung der bisherigen, fast ausschliesslich an der Hand
von Flachschnitten entworfenen Beschreibung soll jetzt noch eine
Schilderung von Quer- und Schrägschnittbildern der Cornea
angefügt werden.
In diesen überwiegen an Zahl bei weitem die Faserquerschnitte,
während längsgetroffene Fasern geradezu zu den Seltenheiten gehören.
Die Faserquerschnitte, welche sich von dem gelben Grunde als tiefhlau-
schwarze Punkte prächtig abheben, sind dagegen sehr zahlreich. In
den mittleren und tieferen Hornhautschichten ist das Gesichtsfeld da-
mit wie besät, in den vorderen Schichten sind sie dagegen
viel spärlicher und anscheinend auch zarter, eine Tatsache, die mir
besonders beweisend dafür erscheint, dass meine an den Flach-
schnitten gemachte analoge Beobachtung nicht auf einer Täuschung
beruht.
Durch die Hornhautquerschnitte findet auch mein im
vorstehenden ausgesprochener Satz, dass zwischen der Des-
cemetii und der Cornea propria eine besondere Schicht
elastischen Gewebes eingeschaltet sei, eine glänzende Be-
stütigun g.
Man findet in ihnen unmittelbar vor der Descemetschen Mem-
bran, welche selbst dunkler gefürbt ist als die übrige Cornea, aber bei
') Den direkten Übergang einer elastischen Faser von einer Mesenchym-
zelle in die andere hat auch Nakai Mockichi(14) und zwar im Epicard eines
neuntägigen Jlühnerembryos beobachtet.
Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 203
stärkerer Differenzierung einen ausgesprochen gelben Farbenton erhält,
eine kontinuierliche feine Membran von der gleichen tiefblauschwarzen
Farbe, wie sie die isolierten Querschnitte der elastischen Fasern auf-
weisen, und welche in mehreren meiner Präparate selbst bei starker
Differenzierung nicht ausgelöscht wird.
Die Membran ist auf der der Descemetii zugewendeten Seite
haarscharf begrenzt und von der Descemetii selbst durch einen äusserst
feinen hellen Saum durchwegs auf das schärfste abgegrenzt.
Ihre äussere Oberfläche ist dagegen vielfach rauh und uneben,
dadurch, dass ihr hier zahlreiche elastische Faserquerschnitte unmittel-
bar aufsitzen, welche übrigens noch zu ihr selbst gehören und hier
eine Regelmässigkeit und Dichtigkeit der Anordnung aufweisen, wie
an keiner andern Stelle der Cornea.
Ihre Dicke ist wesentlich (5—6 mal) geringer als die der Desce-
metschen Membran, aber selbst nicht überall vollkommen gleich,
sondern es wechseln leichte Anschwellungen mit dünneren Stellen
ab, was wohl davon herkommen mag, dass sie streckenweise etwas schief
getroffen ist (Taf. IX, Fig. 11).
Eine weitere Struktur ist an ihr zumeist selbst mit stürksten
Systemen nicht wahrzunehmen, sondern sie erscheint fast durchgehends
als eine kontinuierliche und homogene Membran. Je mehr wir uns
jedoch der Peripherie der Cornea náhern, um so mehr geht sie dieser
Eigenschaften verlustig, und zerfüllt in Punkte und kurze leicht ge-
` wellte und gebogene Striche, welche bei Drehungen mit der Mikro-
meterschraube in der Richtung der Grundsubstanz verlaufen, deren
hinterste Schichten hier entschieden viel mehr elastische Fasern ent-
halten als im Zentrum der Cornea (Taf. IX, Fig. 12). Diese Ver-
änderung der elastischen Membran hat ihren besonderen Grund und
beruht darauf, dass sich die Membran schliesslich in eine Anzahl
von noch feineren Fasern oder, richtiger gesagt, Lamellen aufsplittert,
welche die angrenzenden Balken des sklerocornealen Netzes einschei-
den und sich anscheinend mit dem elastischen (ewebe dieses Netzes
innig verbinden (Taf. IX, Fig. 14).
Möglicherweise handelt es sich bei diesen Fasern um die
gleichen, welche Lodato bei einem Fötus des 9. Monats in der
Peripherie der Hornhaut gefunden hat und von denen er S. 21 be-
richtet, dass sie von dem sklerocornealen Netz auf die Oberfläche
der periphersten Abschnitte der Descemetii hinüberziehen und dort
Inserieren.
Ich selbst habe mich von emer Insertion an der Descemetschen
201 R. Seefelder
Membran nicht überzeugen können und glaube auch nicht, dass sie
in Wirklichkeit stattfindet.
Die beschriebene elastische Schicht der Cornea verhält sich also
in mancher Hinsicht ähnlich wie die Lamina elastica chorioideae, deren
tilzartige Struktur auch erst durch Flachschnitte zu beweisen war.
Ihre Zusammensetzung aus lauter feinen elastischen Fasern
kommt im Schrägschnitt fast noch deutlicher zum Ausdruck als in
Flächenschnitten. Wir sehen hier die dunkel gefärbte, homogene und
einen unregelmässig gezackten Ring bildende Descemetii von einem
Strahlenkranze elastischer Fasern umgeben, welche alle auf die an-
grenzende Hornhautgrundsubstanz und Descemetii himüberziehen
und sich beim Wechseln in der Einstellung bestimmt als zwischen
diesen beiden befindlich lokalisieren lassen. Die Verlaufsrichtung
dieser Fasern ist entweder radiär (Taf. IX, Fig. 9) oder mehr
oder weniger schräg (Taf. IX, Fig. 10. Die Enden der Fasern
sind fast durchgehends umgebogen und zwar vielfach so stark, dass
durch das Aneinanderlegen der Faserenden streekenweise das Bild
einer geschlossenen Membran erzeugt wird. welches an das der quer-
getroflenen elastischen Membran erinnert. Dies. ist. namentlich. hei
den sehr schräg verlaufenden Fasern der Fall (Taf. IX. Fig. 10).
An dem Vorhandensein einer besonderen aus elastischen Fasern zu-
sammmengesetzten Schicht zwischen Descemetli und Cornea propria
kann somit nicht mehr gezweifelt werden und ich schlage vor, nach-
dem die früher für die Bowmansche und Descemetsche Membran
üblichen Bezeichnungen Elastica anterior et posterior ohnehin und
verdientermassen aus der anatomischen Nomenklatur fast ganz ver-
schwunden sind. sie als die Lamina elastica corneae zu bezeichnen.
Die elastischen Fasern weisen hier eine solche Regelmässigkeit
und Diehtiekeit der Anordnung auf. dass sie sehon dadurch allein
den Stempel des Besonderen tragen. Für ihre Eigenschaft als elastische
Fasern garantiert ihre spezifische Färbung und ihre unverkennbare
Form. Neben den vradtär verlaufenden Fasern sind auch im Schräg-
schnitt noch in andern Richtungen verlaufende Fasern an der gleichen
Stelle nachweisbar.
Senkrecht zur Hornhautobertläche verlaufende elastische Fasern
habe ich in der ganzen quergeschnittenen Hornhaut nicht gefun-
den. Es sind fast nur quergetrotfene oder parallel zur Hornhautobertläche
verlaufende Fasern nachweisbar. Letztere lassen sich oft eine lange
Strecke verfolgen. wober sie sich dem Verlaufe und der Form der
Hornbautkamnellen, zwisehen denen sie legen, vollkommen anpassen.
Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 205
Zuweilen gelingt es, ihren Zusammenhang mit den fixen Hornhaut-
zellen völlig einwandsfrei festzustellen. Schräg zur Hornhautoberflàche
verlaufende elastische Fasern habe ich nur in der Peripherie der Lamina
elastica nachweisen können. |
Bei vielen Faserquerschnitten lässt sich namentlich dort, wo das
Gefüge der Grundsubstanz etwas gelockert ist, eine reihenweise inter-
lamelläre Lagerung mit Sicherheit feststellen. Bei andern gelingt
dies nicht, was aber vielleicht daran liegen mag, dass sich in den
nicht aufgelockerten Hornhautquerschnitten die Unterscheidung der
verschiedenen Lamellen häufig gar nicht durchführen lässt.
Fibrilläre Verbindungen zwischen der elastischen Schicht und der
Descemetii habe ich an den Querschnitten der Hornhaut ebensowenig
mit Bestimmtheit feststellen können, als an den Schräg- und Flächen-
schnitten. Nach dem Querschnitte allein möchte ich ihre Existenz
sogar als ganz unwahrscheinlich bezeichnen, da auch an den Stellen,
an denen die elastische Schicht etwas abgehoben ist, keine Faserbrücken
zwischen ihr und der Descemetii nachweisbar sind, wogegen die be-
schriebene helle Kontur überall deutlich sichtbar ist. Mit um so
grösserer Skepsis stehe ich deshalb den schon citierten positiven
Angaben Ciaccios gegenüber, zumal dieser Autor auch durch die
Bowmansche Schicht elastische Fasern hindurchtreten gesehen haben
will, was ich auf Grund meiner Präparate am Menschen geradezu
ausschliessen kann. Ich habe in der Bowmanschen Schicht keine
einzige elastische Faser gefunden und behaupte, dass ein Durchtreten
von Fasern zum Epithel sicher nicht stattfindet. Es lässt sich das
in den so dinstinkt gefärbten Celloidinschnitten mit aller Bestimmt-
heit feststellen, da die Bowmansche Schicht ebenso vollkommen ent-
färbt ist, wie die collagene Substanz der Cornea propria.
Was das färberische Verhalten der Descemetii anlangt,
so ist gewiss nicht ohne jedes Interesse, dass sie die Heldsche Färbung
intensiver annimmt und behilt als die Cornea propria und die Bowman-
sche Schicht, was ja bekanntlich auch schon von andern Färbungen auf
elastische Fasern berichtet worden ist. Doch möchte ich deswegen
nicht gleich in den Fehler verfallen, vor dem Virchow ausdrücklich
warnt, und behaupten, die Descemetsche Membran färbt sich nach
Held, ergo ist sie eine elastische Membran, und das um so weniger,
als zwischen ıhr und dem elastischen Gewebe doch sichere tinktorielle
Unterschiede vorhanden sind.
Alles in allem genommen sind meine Querschnittsbilder von
spezifisch auf elastische Fasern gefärbten Hormhäuten doch wesent-
206 R. Seefelder
lich verschieden von denen, die Tartuferi mit seiner Quellungs-
methode erhalten hat, und es wäre sehr interessant, wenn Tartuferi
bald seine durch die dritte Imprügnationsmethode erzielten Resultate.
hei welcher die Quellung durch Sublimatfixierung verhindert wird, des
Vergleiches halber bekannt geben würde.
Es wäre doch, falls die Ansicht Tartuferis, dass die elastischen
Fasern um die Bündel der Homhautlamellen ein Netz mit rauten-
förmigen Maschen bilden, richtig ist, zu erwarten, dass überall schräg
oder senkrecht verlaufende Fasern nachweisbar seien, doch ist dies in
meinen Präparaten. wie gesagt, nur in der Peripherie der Lamina
elastica der Fall.
Ich erwähne noch, dass in meinen Horizontalschnitten durch das
ganze Auge, welche einen bequemen Vergleich des elastischen Ge-
webes der Hornhaut mit dem der übrigen Gewebe des Auges ge-
statten, in den tieferen Schichten der Hornhaut schätzungsweise unge-
fhr ebensoviel elastische Fasern vorhanden sind, als in einem gleich
grossen Bezirke der Sklera.
Schliesslich sei mir noch gestattet. mit wenigen Worten darauf
hinzuweisen, dass es mir als erstem gelungen ist, in der fötalen Cornea
und zwar schon in recht jungen Stadien ein ungemein reich
entwickeltes elastisches Fasernetz nachzuweisen. An und
für sich handelte es sich dabei ja nur um die Feststellung einer Tat-
sache, die a priori keines Beweises bedurfte, da es sich eigentlich von
selbst versteht. dass die elastischen Fillen ungefähr gleichzeitig mit
den collagenen entstehen und in der Architektonik der Cornea
schon frühzeitig die Stellung einnehmen, welche ihnen das ganze
Leben hindurch eigentümlich ist. So lässt denn auch der Reichtuni
und die weit. vorgeschrittene: Entwicklung des elastischen Fasernetzes
bei dem Fötus vom Anfange des 4 Monats keinen Zweifel daran
aufkommen, dass die erste Entwicklung des elastischen Gewebes noch
weit. zurückliegen und mit der des collagenen Gewebes zeitlich ungefähr
zusammenfallen muss. Die Dicke der elastischen Fasern in der jungen
fotalen Cornea. ist. allerdings. durchschnittlich. noch wesentlich. geringer
als in älteren Hornhäuten. so dass mit starken Systemen. am besten
mit Ölimmersion. untersucht werden muss. um von ihrer Menge einen
richtigen. Begriff zu. erhalten.
Wie erwartet. erwies sich aber das jüngste untersuchte Stadium
von besonderer Bedeutung für den Nachweis der Entstehung der
elastischen Fasersubstanz. Es ergibt sich dabei auf das deut-
liehste. dass elastische Fasern aus dem Protoplasma der Horn-
Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 201
hautzellen hervorgehen. Schritt für Schritt und zu wiederholten
Malen lässt sich verfolgen, wie das Protoplasma dieser Zellen allmäh-
lich sein granuliertes Aussehen verliert und die charakteristischen fär-
berischen Eigenschaften der Elastinsubstanz sowie die cylindrische
Form der elastischen Faser annimmt.
(rewöhnlich ist dabei die elastische Substanz entweder ganz oder
auf eine verschieden lange Strecke von Protoplasma eingescheidet, von
diesem aber durch ihr homogenes und stark lichtbrechendes Aus-
sehen leicht zu unterscheiden. Sie findet sich vielfach in den In-
tercellularbrücken zwischen zwei Hornhautzellen und weist in bezug
auf ihre Länge und Dicke ganz erhebliche Verschiedenheiten auf.
Erstere ist fast durchgehends geringer, letztere dagegen zumeist. grösser
als bei den freien d.h. denjenigen elastischen Fasern, bei welchen
sich ein direkter Zusammenhang mit fixen Hornhautzellen nicht nach-
weisen lässt. Die Zahl der letzteren ist in Anbetracht der Jugend
des Embryos sehr hoch zu nennen und steht stellenweise selbst der
im ausgebildeten Auge nicht in nennenswertem Grade nach. Ihre
Verteilung auf das Hornhautareal scheint allerdings noch weniger
sleichmässig zu sein als später, doch zeigt sich auch schon in diesem
Stadium sehr deutlich, dass die hinteren Hornhautschichten reicher an
elastischen Fasern sind als die vorderen. Thre Länge ist zumeist sehr
beträehtlich und nimmt zuweilen selbst bei mässig starken Vergrösse-
rungen das ganze Gesichtsfeld ein. Sie sind durchwegs vollkommen
glatt und mit wenigen Ausnahmen äusserst fein. Nur an einem. Ende
werden sie manchmal breiter und platter und es ist dann schwer, zu
entscheiden, ob diese Formveränderung auf eine membranöse oder
protoplasmatische Umwandlung zu beziehen ist. An einigen wenigen
Stellen kann aber auch an der letzteren Modifikation kaum gezweifelt
werden. |
Teilungen von elastischen Fasern kommen in der embryonalen
Hornhaut viel seltener vor als später, und es handelt sich dabei meist
nur um einfache diehotomische Teilungen, wogegen die in älteren
Augen gefundenen sehr manniefaltigen Teilungsvariationen nur aus-
nahmsweise zu beobachten sind.
Der Unterschied zwischen den freien und den intracellulär ein-
zefügten elastischen Fasern ist somit ganz erheblich und der Umstand.
dass bereits so viele freie elastische Elemente vorhanden sind, sehr
auffällig sowie im Hinblicke auf die Genese der elastischen Fasern sehr
bemerkenswert. Denn wir müssten dann, wenn wir die Intercellular-
brücken ausschliesslich als die ‚Jugendformen der elastischen Fasern
2 08 R. Seefelder
betrachten und alle elastischen Fasern von ihnen ableiten wollten,
eigentlich erwarten, verschiedene und weniger schrofte Übergänge
zwischen ihnen und den freien Fasern zu finden, als tatsächlich nach-
zuweisen sind.
Anderseits braucht man aber auch deswegen meines Erachtens
an der Tatsache, dass die beschriebenen und abgebildeten Intercellu-
larbrücken elastischer Natur sind, nicht zu zweifeln, denn es ist von
vornherein anzunehmen, dass in einer so jungen Cornea neben aus-
gebildeten elastischen Fasern auch ganz jugendliche Elemente vorhanden
sind, da zu dieser Zeit noch fortwährend eine ebenso lebhafte Pro-
duktion von elastischen wie von collagenen Gewebsfasern stattfinden
muss. Auch lässt der selbst noch im ausgebildeten Auge gefundene
Zusammenhang von elastischen Fasern und fixen Hornhautzellen an
dieser Art der Genese keinen Zweifel aufkommen.
Eine andere Frage ist es aber, ob alle elastischen Fasern der
Hornhaut auf diese Weise entstanden sind. Diese Frage entscheidend
zu beantworten und damit der Lösung des schwierigen Problems von
der Entstehung des elastischen Gewebes noch näher zu kommen, bin
ich nach meinen bisherigen Beobachtungen leider ausser stande. Es
bedarf dazu noch weiterer Untersuchungen, vor allem von noch wesent-
lich jüngeren Stadien, mit denen ich denn auch zurzeit bereits be-
schäftigt bin und deren Resultat ich bald in einer besonderen Arbeit
bekannt geben zu können hoffe.
Ich glaube aber, dass es zur Entscheidung dieser histogenetisch
so wichtigen Fragen aus den schon angegebenen Gründen kein besseres
Studierobjekt geben kann, als die embryonale Cornea.
Nicht uninteressant und unwichtig ist auch die Feststellung, die
mir viele Male geglückt ist. dass die elastische Faser an ihrer Ur-
sprungsstelle eine auffallende Dieke aufweisen kann. So sind ja auch
schon in der Hornhaut des 4 monatlichen Fötus die frei verlaufenden
elastischen Fasern durchwegs viel dünner als diejenigen, deren direkter
Zusammenhang mit den Hornhantzellen festzustellen ist. Es geht
daraus wohl hervor, dass die dieken elastischen Fasern nicht erst.
dureh eine Vereinigung von dünnen zu entstehen brauchen, was von
verschiedenen Seiten angenommen: worden ist.
Zusammenfassung.
l. lu der ganzen Hornhaut des Menschen ist mit der Molybdän-
hännatoxylin-Färbemsthode von Held ein diehtes synevtiales Netzwerk
elastischer Fasern nachweisbar.
Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 209
2. Das histologische Verhalten dieses elastischen Fasernetzes stimmt
mit dem von Tartuferi vermittels seiner Silberimprägnationsmethode
und von de Lieto Vollaro mit Weigerts Elastinfürbung nach-
gewiesenen elastischen Fasernetze in allen wesentlichen Punkten überein.
3. Die Zahl und Dicke der elastischen Fasern ist nach meinen
Präparaten in den oberflächlichen Schichten geringer als in den mitt-
leren und tieferen, doch sind in dieser Beziehung noch weitere ver-
gleichende Untersuchungen wünschenswert.
4. Unmittelbar vor der Descemetschen Membran liegt eine be-
sondere Schicht elastischer Fasern, welch letztere hier zumeist eine
grössere und gleichmässigere Feinheit und. emen. noch. gestreckteren
Verlauf aufweisen, als in allen übrigen Hornhautschichten. — Diese
elastische Schicht splittert sich in der Peripherie schon vor und an
der Endigungsstelle der Descemetschen Membran in feine Fasern
auf, welche die hier befindlichen Balken des sklerocornealen Netzes
umsäumen und sich mit seinem elastischen Gewebe anscheinend innig
verbinden. Diese elastische Schicht ist der Lamina elastica chorioideae
prinzipiell gleich zu stellen und dürfte zweckmässigerweise als die
Lamina elastica corneae zu bezeichnen sein.
5. Es gelingt. zuweilen auch noch in der fertigen Hornhaut, einen
direkten Zusammenhang zwischen elastischen Fasern und fixen Horn-
hautzellen nachzuweisen.
Die Ursprungsstelle der elastischen Faser liegt bald dicht am
Kern, bald weit davon entfernt im Protoplasma der Zelle. Die Dicke
der Fasern weist schon an der Ursprungsstelle gewisse Verschieden-
heiten auf.
6. Elastische Fasern sind auch schon in der Hornhaut fötaler
Augen nachweisbar. Das jüngste Stadium, welches ich mit Erfolg
daraufhin untersuchte, stand am Anfange des 4. Monats. Der Ur-
sprung von elastischen Fasern aus fixen Hornhautzellen ist in dem
embryonalen Auge noch häufiger festzustellen als im ausgebildeten
Organ.
Herru Geheimrat Sattler erlaube ich mir für sein freundliches
Interesse an diesen Untersuchungen und Herrn Prof. Held für den
Hinweis auf seine Färbemethode und die Überlassung eines Prüparates
meinen herzlichsten Dank auszusprechen.
v. Graefe’s Archiv für Ophtbalmologie. LXXIL. 1. 14
210 R. Seefelder
Literaturverzeichnis.
1) Virchow, Hans, Mikroskopische Anatomie der äusseren Augenhaut und
des Lidapparats. Graefe-Saemisch, Handb. d. ges. Augenheilk. II. Aufl.
103 u. 104. Liefg. 1906. 126. u. 127. Liefg. 1908.
2) Tartuferi, Nuova impregnazione metallica della cornea. Dimostrazione dei
preparati e delle relative microfotografie. Rendiconto riassuntivo del XII Con-
gresso dell’ associazione Oftalmologica italiana, tenuto in Pisa nel settembre
1890. Annali di Ottalmologia, anno XIX, p. 358.
— Über das elastische Hornhautgewebe und über eine besondere Metallim-
prägnationsmethode. v. Graefe’s Arch. f. Ophth. Bd. LVI. S. 419. 1903.
— Su di una terza nuova impregnazione metallica dei tessuti e specialmente
della cornea. Annali di Ottalmologia, anno XXXIV, fasc. 1—2. 1905.
3) Colombo, Sulla dimostrazione delle fibre elastiche nella cornea di alcuni
mammiferi. Rendiconto del XVI Congresso dell’ associazione Ottalm. Italiana
1902. Annali di Ottalmologia 1903.
4) Sattler, Über die elastischen Fasern der Sklera. Ber. über d. 25. Vers.
d. ophth. Ges. in Heidelberg 1896.
5) Eloui, Recherches histologiques sur le tissu connectif de la cornée des
animaux vertébrés. Thèse de Lyon. 1880.
6) Renaut, Sur les confluents linéaires et lacunaires du tissu conjonctif de la
cornée. Compt. rend. de l'Acad. des Sciences. XC. 1880.
1) De Lieto Vollaro, Sulla esistenza nella cornea di fibre elastiche, colorabili
col metodi del Weigert. Loro derivazione dai corpusculi fissi. Annali di
Ottalmologia. Fasc. XXXVI. p. 713. 19u7.
8) Pes, Über einige Besonderheiten in der Struktur der menschlichen Cornea.
Arch. f. Augenheilk. Bd. LV. 1906.
9) Hosch, Zur neuesten Theorie der progressiven Kurzsichtigkeit von Prof.
Lange. Arch. f. Ophth. Bd LXI. 190b.
10) Held, Die Entwicklung des Nervengewebes bei den Wirbeltieren. Leipzig
1909. S. 12.
11) Ciaccio, Sur une particolarité de structure de la cornée d'un cheval. Journal
de Microgr. Année XVI. 1892
— Sur une étrange et remarquable particolarité de structure observée dans
la cornée d'un cheval. Arch. ital. de Biol. XVII. 1892.
12) Peschel, Die strukturlosen Augenmembranen im Ultramikroskop. Arch. f.
Ophth. Bd. LX. S. 557. 1905.
13) Held, Uber den Bau der Neuroglia und über die Wand der Lymphgefässe
in Haut und Schleimhaut. Abhandl. d. math.-phys. Klasse d. Kgl. Sächs.
Ges. d. Wissensch. Bd. XXVIII. S. 306—307. 1903.
14) Nakai Mockichi, Über die Entwicklung der elastischen Fasern im Organis-
mus und ihre Beziehung zur Gewebsfunktion. Virchows Arch. Bd. CLXXXII.
S. 153. 1908.
15) Lodato, 1l tessuto elastico dell’ occhio umano durante la vita fetale. Archivio
di ottalmologia. Vol. XII. Fasc. 5—6. 1904.
Die übrige hier nicht erwähnte Literatur ist in den Arbeiten de Lieto
Vollaros und Tartuferis eingehend berücksichtigt.
lch erlaube mir noch einen Hinweis auf eine neue Färbemethode des elastischen
Gewebes (Metodo all’ ematossilina per la colorazione del tessuto elastico) zu geben,
welche Monesi auf dem diesjährigen internationalen Ophthalmologenkongress in
Neapel (Fasc. secondo No. LXXIII) bekannt gegeben hat und mittels deren er
ebenfalls elastische Fasern in der Hornhaut gefunden zu haben angibt. Ich selbst
habe noch keine Erfahrungen über ihre Wirksamkeit, doch geht aus ihrer Be-
schreibung hervor, dass sie umständlicher und zeitraubender ist als die Methode
von Held.
Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw. 211
Erklárung der Abbildungen auf Taf. VIII u. IX, Fig. 1—14.
Die Abbildungen 1 u. 2 auf Taf. VIII stellen Mikrophotogramme bei mitt-
lerer Vergrösserung (Zeiss Apochromat 8, Proj.-Okular 2) dar und sind ohne
lange Auswahl nach Schnitten aus den zentralen und tiefen Hornhantpartien
eines 3 Wochen alten Kindes aufgenommen worden. Die Mikrophotographie ver-
schafft selbstverstándlich nur ein sehr unvollstindiges Bild von der Zahl der
vorhandenen elastischen Fasern, da nur die stärkeren deutlich zu sehen sind
und nur die in der Fokalebene des Objektives liegenden zur Aufnahme gelangen.
Immerhin sind die wichtigsten Kennzeichen und Eigenschaften der elastischen
Fasern — Kaliberschwankungen, ihre dichotomi che und gänsefussartige Teilung,
die Membranbildung, ihr teils gestreckter und teils gewundener Verlauf usw.
— schon bei dieser Vergrösserung deutlich zu sehen
Sehr instruktiv bezüglich der Art der Färbung ist Fig. 1.
In der linken oberen Ecke sind nur sehr spärliche und sehr blass gefärbte
elastische Fasern zu sehen, da dieser Bezirk zu stark entfärbt ist, während die
Fasern rechts unten, wo die Differenzierung nur unvollkommen ist, sehr stark
hervortreten. Die vielen grösseren und kleineren dunklen Punkte in den
Bildern entsprechen teils Durchschnitten von elastischen Fasern, teils
den sogenannten Granulis.
Ich empfehle angelegentlich die mikrophotographischen Abbildungen mit
Lupe zu betrachten, da dabei noch manche Einzelheiten deutlich sichtbar werden,
die mit blossem Auge leicht übersehen werden.
Die Abbildung 3, welche aus dem gleichen Auge stammt, soll eine Vor-
stellung von der Anordnung des elastischen Gewebes in der unmittelbaren Nähe
der Descemetschen Membran verschaffen. Sie ist mit Obj. Apochromat 8 und
Projekt. Okular 4 aufgenommen worden. — Die Feinbeit der hier befindlichen
Fasern machte die Anwendung einer stärkeren Vergrösserung notwendig. Leider
hat die Schärfe des Bildes darunter gelitten, doch glaube ich, dass es trotzdem das
Notwendigste naturgetreuer zur Anschauung bringt als es eine Zeichnung vermóchte.
In der rechten Ecke sieht man etwas unscharf, da die Fokalebene auf das
Fibrillennetz eingestellt ist, dasregelmässige Mosaik desDescemetschen Endothels,
dessen Schlussleisten sehr schön hervortreten, und links oben als dunkle unscharfe
Linie die Grenze zwischen der Descemetschen Membran und der Cornea
propia. Uber der Descemetii befindet sich eine Unzahl von feinen elastischen
Fasern und Punkten. Sie sind, wie ein Vergleich mit den andern Abbildungen
ohne weiteres ergibt, viel dünner, gestreckter und regelmässiser angeordnet
als in allen übrigen Schichten der Cornea, und es dürfte auch daraus hervorgehen,
dass sie eine besondere Aufgabe zu erfüllen haben.
Die Fig. 4—7 stellen die Beziehungen von elastischen Fasern zu fixen
Hornhautzellen in Flachschnitten der Hornhaut eines 3 Wochen alten Kindes
dar. In Fig. 4—6 ist die Faser nur in das Protoplasma der Zelle eingefügt,
dessen Fortsetzung sie bildet. In Fig. 7 berührt sie auch den Kern, umgreift
ihn an dem einen Ende und scheint eine Strecke mit der Kernmembran ver-
schmolzen zu sein. Die Kerne und das Protoplasma dieser Zellen (Elastinzellen)
sind dunkler gefärbt als in solchen Aelen, von welchen keine elastischen Fasern
abgehen (vgl. Fig. 11).
In Fig. 8 ist ein Hornhautkórperchen mit Granulis im Protoplasma ab-
gebildet. Es stammt aus einem Flachschnitt der Cornea.
Fig. 9 zeigt die Descemetii und die Lamina elastica corneae im
Schrägschnitt. Die Descemetii erscheint mit zahllosen radiär verlaufenden elasti-
schen Fasern, welche in einiger Entfernung von ihr abgeschnitten sind, wie be-
spickt. Die Fasern ziehen aber über die Descemetii hinweg. Ausserdem sind
noch 2 Hornbautzellen zu sehen, von denen aus je eine elastische Faser in
der Richtung nach der Lamina elastica. veriüuft.
Fig. 10 zeigt ebenfalls einen Schrägschnitt der hintersten Hornhautschichten
von dem gleichen Präparate. Die Fasern der Lamina elastica verlaufen hier sehr
schräg und ihre ungebogenen Enden scheinen streckenweise zu einer kontinuier-
lichen Membran vereinigt zu sein.
14*
212 R. Seefelder, Über die elastischen Fasern der menschlichen Cornea usw.
Fig. 11 stammt von einem Querschnitt aus dem Hornhautzentrum eines
3 Wochen alten Kindes.
Endothel, Descemetii und Lamina elastica corneae sind scharf voneinander
zu unterscheiden. Letztere ist von der Descemetii durchwegs durch einen hellen
Streifen getrennt und nicht überall von ganz gleicher Dicke. Die dunklen Punkte auf
der Elastica entsprechen Querschnitten von elastischen Fasern. (Vergrösserung
Zeiss Apochr. homog. Immersion 2. Komp.-Ok. 12.)
Fig. 12 ist nach einem mir freundlichst von Herrn Prof. Held zur Ver-
fügung gestellten Präparate angefertigt worden. Sie veranschaulicht die Auf-
lösung der Lamina elastica in kurze Stücke und Punkte und den Reichtum der
hintersten Hornhautschichten an elastischen Fasern in den peripheren Abschnitten
der Cornea eines 7 monatlichen menschlichen Fótus. (Zeiss Apochromat homog.
Immers. 2. Komp.-Ok. 12.)
Fig. 13 zeigt das Verhalten der elastischen Substanz in der Hornhaut
eines Fótus vom 3. bis 4. Monat. Ein Teil der elastischen Fasern hängt mit
fixen Hornhautzellen zusammen, ein Teil verläuft anscheinend vollkommen frei.
Bei den ersteren ist die intraprotoplasmatische Einfügung teils eine vollständige
(Intercellularbrücken), teils nur an einem Ende nachweisbar (Kombinations-
bild) (Zeiss Immers. 2. Komp.-Ok. 12.)
Fig. 14 veranschaulicht die periphere Endigung der Descemetii und der
Lamina elastica corneae, welche letztere sich schon vorher auflockert und schliess-
lich in das elastische Gewebe der Balken des sklerocornealen Netzes übergeht.
(Zeiss Apochr. homog. Immers. 2, Komp.-Ok. 8.)
Sämtliche Zeichnungen sind von Herrn A. Kirchner ausgeführt worden.
(Aus der Universitäts-Augenheilanstalt zu Leipzig.)
Ist das konstante Vorkommen des Glaskörperkanales
Kunstprodukt oder präformierte Struktur?
Von
Dr. M. Wolfrum,
Privatdozent und Assistent.
In etwas länger gehaltenen Ausführungen wendet sich Schaaff aber-
mals gegen die Einwände, welche ich gegen das konstante Vorkommen eines
Glaskörperkanales geltend gemacht habe. Wesentlich neue Gesichtspunkte
bringt Schaaff dabei nicht, er fügt nur noch eine Reihe von Details hinzu,
auf welche hier etwas näher eingegangen werden soll.
In meiner Abhandlung über die Entwicklung und normale Struktur
des Glaskörpers war ich zu der Überzeugung gelangt, dass ein Zentral-
kanal im Glaskörper nicht konstant vorhanden ist. Meine Untersuchungen
gründeten sich aber nicht nur auf histologische Studien am Embryo und
am Erwachsenen, sondern auch auf eine Nachprüfung der Experimente
Stillings in verschiedenen Variationen. Vor allem habe ich aber bei
meinen histologischen Untersuchungen die Hilfsmittel der neueren verbesserten
histologischen Technik in Fixierung und Färbung zur Anwendung gebracht.
Und ziehe ich aus alledem das Facit, so stehe ich auch jetzt noch auf dem
Standpunkt, den ich bei meiner ersten Mitteilung einnahm und wohl noch
mit mehr Recht.
Verwunderlich muss es einem zunächst vorkommen, dass Schaaff mit
solcher Bestimmtheit Angaben in histologischen Dingen, die sich auf den
Glaskórper beziehen, macht, ohne dass wir eine Angabe finden, dass er sich
durch eigene Untersuchungen die nötigen Unterlagen verschafft hätte.
Sonst könnte er auch nicht sagen, dass ich meine Befunde vom em-
bryonalen Glaskörper auf den des Erwachsenen übertragen habe. Gerade
das Gegenteil ist ja der Fall. Solange eine Arteria hyaloidea existiert, und
dies ist beim Embryo immer der Fall, existiert auch ein Kanal. Verschwindet
die Arterie, so obliteriert der Kanal, wie man im mikroskopischen Bild deut-
lich beobachten kann. Beim Embryo existiert also der Kanal stets, beim
Erwachsenen nur wenn Reste der Arterie sich erhalten, weitaus in den
meisten Fällen also nicht. Das Gegensätzliche der Befunde ist das auf-
fällige. Inwiefern, so muss man sich fragen, sollen embrvonale Befunde
auf den Erwachsenen übertragen sein?
Nur beiläufig möchte ich bemerken, dass der Zapfen, welcher beim
Menschen manchmal, bei Tieren öfters, von der Papille ein Stück weit in
214 M. Wolfrum
den Glaskórper hineinzieht, kein Bindegewebe, sondern glióses Gewebe ist,
wie denn überhaupt der Glaskórper eine besondere Art von gliósem Gewebe
darstellt und deswegen auch seine innigen Verbindungen an den verschie-
densten Stellen mit der Netzhaut aufweist. Gerade aber der Zapfen hat
wenig Verbindungen aufzuweisen, weitaus die kräftigsten und zahlreichsten
dagegen der Papillenrand, und diese werden bei der Präparation ausgerissen.
Die Glaskörperform und Struktur soll nach Schaaff nicht zu fixieren sein.
Ich stimme mit ihm darin überein, dass dies vor 30—40 Jahren der Fall
gewesen sein mag, aber heutzutage nicht. Man kann den Glaskörper nicht
nur in der Form, sondern auch in seinen feinsten Strukturen durch ge-
eignete Fixierungs- und Färbemittel zur Darstellung bringen.
Die Abbildung, welche Schaaif vom Optikuseintritte und dem dortigen
Verhalten des Glaskórpers gibt, muss das Kopfschütteln eines jeden hervorrufen,
der sich eingehender mit den histologischen Verhältnissen dieses Teiles des
Augapfels beschäftigt hat. Die Angabe, dass die Darstellung nur eine grob
schematische ist, kann kaum darüber hinwegsetzen, dass Verschiedenes den
natürlichen Verhältnissen nicht entspricht. Dass Schaaff keine Verbindungen
zwischen Optikus und Glaskórper annimmt, ja diese sogar strikte in Abrede
stellt, erhebt die Angabe, da sie nicht auf eigenen Untersuchungen basiert,
kaum über den Wert einer willkürlichen Annahme.
Schaaff behauptet weiter, dass langes Liegen und Manipulationen das
Aufsuchen des Kanales erschweren, hat jedoch in seiner früheren Veröffent-
lichung beides zur Aufsuchung des Kanales empfohlen. Siehe S. 60 u. 61
v. Graefe's Arch. Bd. LXVII, 1. Er setzt sich damit auch in direkten
Widerspruch zu den ursprünglichen Angaben von Stilling.
Die eigentümliche Verlaufsrichtung kann Schaaff auch in seiner
letzten Mitteilung nicht erklären. Sie entspricht nicht dem ursprünglichen
Verlauf der Arteria hyaloidea. Um dieses Dilemma zu beseitigen, geht er
soweit zu behaupten, dass ein vollständig aus dem Auge herausgerissener,
im Wasser schwimmender Glaskörper seine natürliche Lage besser beibehält,
als einer der sich noch in seinen natürlichen Verhältnissen im Auge befindet.
Der wenig mit der Sache Vertraute könnte nämlich wirklich annehmen,
wenn er S. 192 Zeile 15 der Schaaffschen Abhandlung liest, ich hätte
den herausgenommenen Glaskörper auf eine Flaschenmündung gepfropft.
Ich habe, wie ich dies ausdrücklich erwähnte, den Augapfel nach Abtragung
von Hornhaut, Regenbogenhaut und sorgfältiger Herausnahrme der Linse
auf eine Flaschenmündung gesetzt. Infolge der Anwesenheit der Sklera und
Aderhaut bleiben alle Teile in natürlicher Lage (v. Graefe's Arch. Bd. LXVII.
S. 374). Die Angabe von Schaatf ist also hier nicht ganz genau.
Wenn nach Sehaaff der Glaskörperkanal ein I,ymphraum ist, so wäre
von Interesse, von ihm etwas näheres über seine Wandbhekleidung zu er-
fahren, über die Struktur derselben, über den dortigen Faserverlauf. Jeder
Kanal muss doch eine Wand, eine örtliche Begrenzung aufweisen.
Schliesslieh beruft sich Sehaaff auf Autoritäten. Sehen wir zu, wie
es hier mit seinen Argumenten steht.
Es handelt sich hier mit Ausnahme von Schwalbe meist um Autoren
von Lelhrbüchern, welche die Angaben von Stilling in die Lehrbücher
herübergenommen haben, ohne mit neuen, besonderen Methoden den Nach-
Ist das konstante Vorkommen des Glaskörperkanales Kunstprodukt usw. 215
weis des Kanales zu führen. Nur Schwalbe hat ein besonderes Verfahren
dazu verwendet, nämlich die Einstichinjektion mit der Pravazschen Spritze.
Aber gerade diese Methode gibt uns den schlagenden Beweis, dass hier
Kunstprodukte geschaffen werden, Erscheinungen, die in natura nicht exi-
stieren. Zunächst ist ja wohl selbstverständlich, dass bei einer Einsticlı-
injektion die Flüssigkeit sich nach der Richtung des geringsten Widerstandes
ausbreitet. Ein Beweis, dass präformierte Räume existieren, ist damit keines-
wegs erbracht. Durch neuere sorgfältige Untersuchungen von Held und
von Krückmann ist der exakte Nachweis geliefert, dass die sogenannten
perivaskulären Hisschen Räume, welche sich durch Einstichinjektion füllen,
weder im Gehirn noch in der Netzhaut existieren, sondern dass ein ungemein
feinfaseriges, zartes Fibrillengerüst vom Gefässrohr zur Limitans sich allent-
halben herüberspannt. Dieses wird bei der Einstichinjektion durchrissen, so
dass ein perivaskulärer Kanal vorgetäuscht wird. Das Verfahren schafit
also hier Kunstprodukte. Natürlich folgt auch im Glaskórper die Flüssig-
keit dem geringsten Widerstand, indem sie sich in der Fibrillenrichtung
fortbewegt und feinfaserige Verbindungen zersprengt werden. Daraus aber
auf einen Kanal zu schliessen ist keineswegs zulässig. Kann man doch auch
in die festesten tierischen Gewebe mit der Pravazschen Spritze ohne
nennenswerte Druckaufbietung Flüssigkeit injizieren, die sich stets nach be-
stimmten Richtungen verteilt, so z. B. in die Muskulatur, in die Hornhaut,
ohne dass heute noch jemandem beifiele, dort die Existenz von Kanälen
anzunehmen. Es fehlt auch diesem anscheinenden Beweise, um so mehr als
es sich um den feingefügten Glaskörper handelt, jeder sichere Boden.
Schliesslich will mich Sechaaff mit meinen eigenen Angaben schlagen.
Er meint, es müssten sich auch Kanäle beim Abreissen des Glaskörpers an
der Zonula bilden. Hätte er aber den grossen Strukturunterschied des Glas-
körpers an der Zonula und an der Papille selbst im mikroskopischen Prä-
parat gesehen, so würde er wohl kaum zu einer derartigen Vermutung
gekommen sein. Die ungemein feinfaserigen und zarten Flocken. die sich
an der Zonula loslösen, gehen keineswegs tiefer in das Gewebe hinein, sie
liefern beim Abreissen nur oberflächliche Substanzverluste, die man auch
deutlich an einem so behandelten Auge wahrnehmen kann und auch noch
als pferdeschweifartige Masse, wie sie von Greeff beschrieben wurde, unter
dem Mikroskop an der Zonula háüngend findet. Ganz anders liegen die
Verhültnisse an der Papille, wo feste Fasern auf lange Strecken ausreissen
kónnen.
Die Beweistührung von Schaaff bringt also in keiner llinsicht neue
Gesichtspunkt in dieser Frage, sie basiert sogar zum Teil auf Angaben, welehe
einer exakten Unterlage entbehren und daher gar nicht als beweiskräftig
angesehen werden können. Die Frage nach dem konstanten Vorkommen
eines Glaskörperkanales erscheint damit keineswegs in einem neuen Lichte,
sondern steht noch auf demselben Punkte, nämlich dass sein konstantes
Vorkommen durch exakte Beweise nicht erwiesen ist, sondern auf Kunst-
produkten beruht.
'Aus der Universitüts- Augenklinik zu Leipzig.
Zur Frage der Netzhautanomalien in sonst normalen
fötalen menschlichen Augen.
Von :
Stabsarzt Dr. R. Seetelder,
Privatdozent und Assistent an der Klinik.
In seiner Arbeit „Zur Gliom- und Rosettenfrage“ (dieses Archiv,
Bd. LXXI, S. 504-—534) unterzieht Wehrli meine Arbeit über „Netzhaut-
anomalien in sonst normalen fötalen menschlichen Augen“ (dieses Archiv,
Bd. LXIN, 1, S. 463 - 478) einer eingehenden Kritik, welche ich infolge
ihrer zahlreichen Unstimmigkeiten nicht unbeantwortet lassen kann.
Einen grossen Teil der Wehrlischen Kritik bildet der Versuch, nach-
zuweisen, dass meine Bezeichnung „sonst normal“ unrichtig sei.
Ganz allgemein möchte ich hierzu bemerken, dass es sich bei diesem
Versuche Welhırlis, da er meine Präparate nicht gesehen hat und infolge-
dessen ausschliesslich auf meine eigene Beschreibung angewiesen ist, in der
Hauptsache nur um eine abweichende Deutung oder Auslegung meiner tat-
sächlichen Befunde handeln kann, und es bedarf wohl kaum einer besonderen
Erwähnung, dass derjenige, der seine Präparate eingehend studiert und seine
Ansichten darüber mit kritisch urteilenden Kollegen, die sie auch gesehen
haben, ausgetauscht hat, ein kompetenteres Urteil besitzen dürfte, als der
Kritiker, der sie nur aus einer Beschreibung kennt, wie Wehrli in
diesem Falle
Wenn ieh die betreffenden Augen als „sonst normal“ bezeichnet habe,
80 habe ich dies in erster Linie deswegen getan, um den eklatanten
Gegensatz zu den schwer misszebildeten oder durch Erkrankungen der
Netzhaut-Aderhaut tiefereifend veränderten Augen zum Ausdruck zu bringen,
in welchen die fraglichen Netzhautanomalien bis dahin ausschliesslich ge-
funden worden waren.
Meine fótalen Augen waren so beschaffen, dass sie bei der klinischen
Untersuchung jeder an meiner Stelle als normal bezeichnet hätte. Dass ın
dem einen Auge bei der anatomischen Untersuchung eine leichte Kerato-
iritis gefunden wurde, kann die Berechtigung meiner Bezeichnung um so
weniger erschüttern, als ein Zusammenhang dieser Entzündungserseheinungen
mit den Netzhautanomalien vollkommen auszuschliessen ist, da die entzünd-
liehen Veränderungen, wie ich in meiner ersten Beschreibung dieses Falles
ausdrücklich betont habe. an der Iris und im Kammerwinkel wie scharf
Zur Frage d. Netzhautanomalien in sonst norm. fótalen menschl. Augen. 217
abgeschnitten aufhören. Wehrli scheint diese ausdrückliche Feststellung
ganz übersehen zu haben, sonst wäre er vielleicht nicht in den Fehler ver-
fallen, weiter hinten befindliche Veränderungen als entzündliche anzusehen,
die es absulut nicht sind. Als solche betrachtet er vor allem die wenigen
leukocytenähnlichen und von mir absichtlich als „Glaskörperzellen“ bezeich-
neten Wanderzellen in der Gegend der Netzhautduplikatur. Ich muss mich
dabei ernstlich gegen die Behauptung Wehrlis verwahren, dass ich diese
Zellen als Leukocyten bezeichnet habe, sondern verweise die Leser dieser
Diskussion auf meine Beschreibung auf S. 469 meiner Arbeit, in welcher
ich die Art der Zellen unbestimmt lasse und mich darauf besehrünke, ihre
Ähnlichkeit mit Leukocyten zu erwähnen. Ich habe mich erst nach reif-
licher Überlegung so vorsichtig ausgedrückt, da ich wohl weiss, dass auch
wandernde Gliazellen, oder allgemeiner gesprochen, wandernde Zellen reti-
naler Abkunft eine täuschende Ähnlichkeit mit Leukocyten erhalten können,
wovon ich mich selbst bei meinen Studien über die Entwicklung der Retina
wiederholt überzeugen konnte.
Aber gesetzt den Fall, Wehrli habe doch das Richtige getroffen, so wäre
damit noch lange nicht erwiesen, dass an dieser Stelle Entzündungserscheinungen
vorhanden sind, weil bekanntlich zum Begriffe der Entzündung mehr als ein paar
Leukocyten gehört, und vor allem auch die entzündliche Exsudation unerlässlich ist.
Wehrli glaubt diese allerdings in meinen Präparaten gefunden zu
haben und zwar in Gestalt der kleinen rundlichen Hohlräume, welche sich
in der inneren Körnerschicht dieser Netzhaut befinden und von denen auch
einige in der Gegend der Netzhautanomalien zu sehen sind. Wehrli hat
aber auch hier sowohl in meiner Beschreibung als in den Abbildungen die
Hauptsache übersehen, nämlich das, dass die betreffenden Hohlräume leer
sind und dass sie von mir schon in verschiedenen, sonst normalen fötalen
Netzhäuten gefunden wurden. — Ein entzündliches Exsudat gerinnt bekannt-
lich bei der Fixation in Zenkerscher Lösung und ist dann bei jeder und
besonders bei der von mir angewandten Heidenhainschen Färbung so
deutlich gefärbt, dass es in der mikrophotographischen Abbildung auf das
deutlichste hervorgetreten wäre. ,
Ich kann aber noch hinzufügen, dass diese Lückenbildung in der inneren
Körnerschicht nach meinen Erfahrungen zu den kadaverösen Veränderungen
gehört, welche zuweilen offenbar schon sehr frühzeitig, ja vielleicht schon in
der Agone auftritt und ganz für sich allein in sonst ausgezeichnet konser-
vierten Netzhäuten vorkommen kann. Da in den Lücken bei keiner Fär-
bung irgendein Inhalt zu finden ist, kann dieser nur in einem sehr eiweiss-
armen Transsudat bestanden haben. In Augen, welehe ich unmittelbar post
mortem enucleieren konnte, habe ich diese Lücken nie gefunden, dagegen
des öfteren in solchen, welche 3 --4 Stunden später, also auch noeh sehr
frühzeitig, zur Enucleation gelangten. Daraus schliesse ich, dass es sich um
eine kadaveröse Veränderung handelt, die vielleicht nur dem fötalen Auge
eirentümlich ist.
Sollte aber trotz meiner Ausführungen doch noch für irgend jemand
ein Zweifel an der Unabhüngizkeit der Netzhautanomalien von entzündlichen
Veränderungen bestehen geblieben sein, dann darf ich ihn wohl auf meinen
zweiten Beitrag und auf die dort bekannt gegebene, meines Erachtens
218 R. Seefelder
interessante Tatsache verweisen, dass in dem andern Auge des gleichen
Falles an einer korrespondierenden Stelle die prinzipiell gleiche Anomalie
verhanden ist, ohne dass an dieser Stelle eine leukocytenverdüchtige Zelle
oder eine Lückenbildung nachzuweisen ist.
Die Frage Wehrlis, welcher Art die epithelial umgeformten Zellen
der Fig. 6 meiner ersten Publikation sein sollen, beantworte ich dahin,
dass, da die Duplikatur sämtliche Netzhautschichten betrifft, Zellen aus allen
Schichten, in erster Linie wohl die Sinnesepithelien, in Frage kommen.
Nicht in Frage kommen jedoch „bei der Faltung verlagerte Ciliarepithelien",
da die Duplikatur, wie die Abbildung zeigt, ganz ausserhalb des Bereiches
der Pars ciliares retinae gelegen ist.
Die Frage Wehrlis, ob auch Gefässzellen oder Lymphocyten in Be-
tracht kommen könnten, wird von jedem in diesen Dingen Erfahrenen ver-
neint werden.
In der sonstigen Beurteilung dieses Falles stimme ich mit Wehrli
vollständig überein und ich begreife deswegen nicht, warum er (S. 10) auch
sie unter die kritische Lupe nimmt, um mit andern und zum Teil den
gleichen Worten dasselbe zu sagen wie ich (S. 473), nämlich, dass die ganze
Veränderung kein maligner Tumor bzw. kein Gliom ist.
Darin bin ich von Wehrli, und wie es scheint, leider auch von
Wintersteiner!) überhaupt arg missverstanden worden. Beide scheinen
zu glauben, dass ich die Netzhautanomalien für Gliome halte, obwohl ich
dies an keiner Stelle ausgesprochen, dafür aber wiederholt, so auch wieder
in meinem letzten Artikel das Gegenteil betont habe. Ich bin nicht weiter
gegangen, als dass ich „der Vermutung Raum gab, dass mit meinen Be-
funden die Urformen der bekannten Gliomtypen gefunden seien“. Damit
habe ich mich, glaube ich, reserviert genug ausgedrückt. Etwas vermuten
ist doch nicht gleichbedeutend mit etwas behaupten. Und es kann doch
irgendein Gegenstand die Form von einem andern haben, ohne mit ihm
identisch zu sein. So und nieht anders lauten meine Worte und nicht
anders waren sie gemeint. Man stelle sich doch die ersten Anfünge eines
Glioms vor, welches, wie es vorkommt, vorzugsweise aus Rosetten besteht,
und daneben ein anderes, in welchem die diffuse Kernwucherung vor-
herrschend ist. Das erstere wird sich wahrscheinlich einmal in einem Stadium
befinden, in welchem nur eine oder ein paar Rosetten vorhanden sind, und
das andere wird auch nicht gleich ein grosser Tumor, sondern erst ein ganz
kleines Zellknötehen sein. Und solche Veränderungen habe ich in sonst
normalen fötalen Augen gefunden. Das sind doch wenigstens positive Be-
funde, welche, so unbedeutend sie auch sind. zum ersten Male etwas Greif-
bares darstellen, mag man über ihre Bedeutung für die Gliomgenese urteilen,
wie man will.
Wehrli stösst sich daran, dass ich keine Angaben über die Ursachen,
welche zur vorzeitisen Ausstossung der betreffenden Fóten geführt haben,
gemacht habe. Auch vermisst er Angaben über llereditit (besonders ob
die Mütter gesund waren), und hält es für durchaus nicht gleichgültig, ob
') Sitzungsbericht der ophthalmologischen Gesellschaft in Wien, 10. März
1909. Ref. Zeitschr. f. Angenheilk. Juni 1909.
Zur Frage d. Netzhautanomalien in sonst norm. fótalen menschl. Augen. 219
wir es in meinen Füllen mit Früchten luetischer, tuberkulóser oder nephri-
tischer Mütter zu tun haben usw.
Dazu bemerke ich, dass nach meiner Ansicht die Kenntnis dieser Fragen
in den vorliegenden Fällen vollständig gleichgültig ist, da es sich bei meinen
Veränderungen um reine, lokale und minimale Entwieklungsanomalien han-
delt, die ich, auch wenn die Anamnese nach irgendeiner Richtung hin noch
so positiv ausgefallen wäre, unter keinen Umständen mit einem Allgemein-
leiden der Mutter oder des Fötus in Zusammenhang zu bringen versucht
hätte. Was die Art der Entbindung, ob spontan oder künstlich, mit den
Netzhautanomalien zu tun haben soll, ist mir völlig unverständlich.
Was meinen Fall I betrifft, so gebe ich zu, dass das dort gefundene
Häufchen von Pigmentepithelien am Rande des Sehnervenstamms mit der
Genese des Glioms nicht in direkten Zusammenhang zu bringen ist, wogegen
es als ein Beispiel eines von seinem Mutterboden abgesprengten Zellkom-
plexes zweifellos Beachtung verdient. Den Beweis dafür, „dass die Zellen
wirklich die Bezeichnung embryonal verdienen“, glaube ich mir aber er-
sparen zu können, dass ich dies gar nicht behauptet, sondern vielmehr (auf
S. 478, Zeile 8 meiner Arbeit) die betreffenden Zellen ausdrücklich als höher
differenzierte Elemente bezeichnet habe.
Im übrigen will ich Wehrli gestehen, dass mir die Beibringung des
geforderten Beweises auch keine allzugrossen Schwierigkeiten bereitet hätte,
da in dem Auge eines 6 monatlichen Fótus fast alle Zellen mit einem gewissen
Rechte als embryonal bezeichnet werden kónnen, und zwar gerade die Pig-
mentepithelien, deren Entwicklung zu dieser Zeit noch lange nicht ab-
geschlossen ist.
Im Falle III findet Wehrli eine gewaltige Kernvermehrung des ganzen
vorderen Sehnervenabschnittes samt angrenzender Netzhaut verknüpft mit
einer offenkundigen starken Veränderung des Zwischengewebes, und er schliesst
daraus, dass dieses Auge „ohne jeden Zweifel, wenn nicht total, so doch
partiell blind gewesen wäre, sofern das Kind gelebt hätte. In diesem patlıo-
logischen Substrat und nur da sind die Rosetten eingestreut inmitten stark
veränderten Gewebes“.
Darüber, ob das betreffende Auge total oder partiell blind gewesen
wäre, möchte ich nicht streiten, sondern jedem Leser meiner Beschreibung
überlassen, sich sein eigenes Urteil zu bilden.
Ich konstatiere nur, dass die Nervenfasern der Retina, welche am
Übergange in den Sehnerven auf der temporalen Seite allerdings teilweise
etwas vom direkten Wege abgeirrt sind, schliesslich doch samt und sonders
den richtigen Weg gefunden zu haben scheinen, da der Sehnerv schon ein
wenig weiter rückwärts ein völlig normales Aussehen darbietet.
Dass er in der nächsten Umgebung der Rosetten nicht ganz normal
ist, habe ich in meiner Beschreibung selbst klar ausgesprochen, und ich bin
ja auch vorzugsweise dureh diesen Umstand auf die Vermutung gekommen,
dass die gefundenen Rosetten als dureh die einsprossenden und vom rich-
tigen Wege etwas abpeirrten Nervenfasern abgedrüngte Zellkomplexe auf
zufassen seien. Es ist also auch an der Beschreibung und Beurteilung
dieses Falles nieht das geringste zu berichtiren und dem freien Ermessen
Jedes Lesers anlıeim gegeben, ob er die Bezeichnung „sonst normal“ gelten
`
220 R. Seefelder
lassen will oder nicht. Darüber noch zu diskutieren, hiesse einen Kampf
um Worte führen, an dem ich mich nicht beteiligen möchte.
Die Veränderungen des peripheren Sehnervenendes, über welche sich
Wehrli „kein Urteil zu bilden vermag“, sind ziemlich eigenartig. Sie be-
treffen hauptsächlich das zentrale Gliagewebe, welches uugewöhnlich breit und
von vielen Kernen (Gliakernen) durchsetzt ist. Sie sind, wie gesagt, auf
die zentraleren Abschnitte des Sehnerven beschränkt, so dass schon in ganz
benachbarten Schnitten kaum noch Anzeichen davon nachzuweisen sind.
Die Ursache dieser letzteren Veränderung erblicke ich zum grossen Teile in der
für das Alter des Fötus ungewöhnlich breiten und tiefen physiologischen
Excavation, welche auf diesem Auge doch wesentlich breiter und tiefer ist
als auf dem andern. Diese wäre auch dem ophthalmoskopierenden Kliniker
aufgefallen, doch wäre ihm dabei kaum der Gedanke an eine Anomalie
aufgetaucht.
Dass es sich aber bei den ganzen geschilderten und abgebildeten Ver-
änderungen um eine in ihrer Genese weit zurückliegende Entwicklungsano-
malie im wahren Sinne des Wortes handelt, und dass sie nicht durch eine
fötale Erkrankung erzeugt worden sind, liegt meines Erachtens auf der Hand.
Bei der Beschreibung meines Falles II habe ich es unterlassen, aus-
drücklich zu erwähnen, dass der Riss im Präparate durch die Präparation
entstanden ist. Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass seine Entstehung
nach der beissegebenen Abbildung „unklar“ sein könne, habe aber Wehrli
hiermit gerne darüber aufgeklärt.
Auf S. 518 seiner Polemik macht mir Wehrli einen ganz unberech-
tigten Vorwurf.
Der Satz, dass die vor der Geburt und im späteren Kindesalter ent-
standenen Gliome inach Wehrli bzw. Wintersteiner 20°,) unmöglich
auf Blutungen intra partum zurückgeführt werden könnten, sei aus dem
Zusammenhang gerissen, und ich hätte die daran sich anknüpfenden Nach-
sätze nicht verschweigen sollen, aus denen hervorgehe, dass nur bei einem
Teile der Fälle die Diagnose des Glioms sichergestellt, bei den übrigen da-
gegen zweifelhaft sei.
Der Vorwurf Wehrlis wäre nur dann begründet, wenn die nach
Abzug der 20°, übrigbleibenden 80°, Gliome der Wintersteinerschen
Statistik sämtlich völlig einwandsfrei erwiesene Gliome wären. Dies ist
aber, wie schon eine tlüchtire Durchsicht der Wintersteinerschen Tabellen
lehrt, bei diesen ebensowenig der Fall als bei den 201, und somit das
Verhältnis von 80:20, soferne man hier, wie Wehrli. überhaupt mit be-
stimmten Verhältniszahlen rechnen will, ungefähr wieder hergestellt.
Was ieh aber in diesem Zusammenhanze verschwiegen habe, das ist
ein Faktor, dessen Anführung sehr zu ungunsten der Wehrlischen
Hypothese gesproehen hätte, nämlich die wohlbezründete Ansicht Winter-
steiners, „dass sämtliche Fälle, welehe im Verlaufe des ersten oder viel-
leicht auch des zweiten Lebensjahres zur Beobachtung gelangten und schon
einen erkleeklich grossen Tumor zeigten, unter die konzenitalen zu rechnen
seien, besonders wenn wir das ausserordentlich langsame Wachstum während
des ersten. Stadiums in Rücksicht ziehen“. Da die Zahl dieser Fälle keine
geringe ist, so blieben, die Richtigkeit der Wintersteinersehen Ansicht
Zur Frage d. Netzhautanomalien in sonst norm. fótalen menschl Augen. 99]
vorausgesetzt, überhaupt nicht mehr viele Gliome übrig, auf welche die
Wehrlische Hypothese anwendbar wäre. Das hätte aber Wehrli unbe-
dingt erwähnen müssen, als er die Wintersteinersche Statistik bemängelte
und mich des Verschweigens und aus dem Zusammenhange Reissens be-
zichtigte.
Ebenso unbegründet ist ein Vorwurf, den mir Wehrli auf der nächsten
Seite macht, wo er eine rein sachliche Äusserung meiner selbst, die ich
Wehrli mit keinem Worte zugeschoben habe und zuschieben wollte, als
eine Unterschiebung bezeichnet. Dass ich mir unter der Wehrlischen
,reaktiven Zellvermehrung* früher mehr vorgestellt habe als jetzt, nachdem
er uns diesen Begriff näher erläutert hat, gebe ich ihm gerne zu, bin aber
überzeugt, dass es in dieser Hinsicht jedem Leser seiner Zeilen ebenso ge-
gangen ist als wie mir. Wer sollte auch alınen, dass sich das Gliom aus
„Zellwucherungen“ entwickelt, „welche auf den ersten Blick gar nicht sicht-
bar sind“ usw.
Was endlich die Frage der Netzhautblutungen anbetrifft, deren im all-
gemeinen durchaus gutartiger Charakter auch in der von Wehrli angeführten
Diskussion auf der letzten Heidelberger Versammlung anerkannt worden
ist, so muss für mich vorläufig, so lange keine das Gegenteil beweisenden
Untersuchungen vorliegen, die eigene anatomische Untersuchung der Augen
von Kindern massgebend sein, welche 3—-7 Tage nach der Geburt gelebt
und intra partum sehr zahlreiche und grosse Netzhautblutungen in den
verschiedensten Netzhautschichten acquiriert hatten. Diese Untersuchung
hat mir einwandsfrei ergeben, dass die Annahme Wehrlis, dass diese Netz-
hautblutungen zu ,Zerreissungen und Gewebszertrümmerungen*, welche an
den getroffenen Stellen eine „reaktive Zellvermehrung* hervorrufen, zu führen
pflegen, für meine Fälle ebenso unzutrefiend ist als für die von Naumoff,
welche 2—5 Tage gelebt haben. Wenn aber von einer solchen „reaktiven
Zellvermehrung“ selbst 7 Tage nach der stattgehabten Läsion — und auch
mit guten Färbungen (Held, Heidenhain usw.) nichts nachweisbar ist,
dann kaun mich auch niemand davon überzeugen, dass sie je als der Aus-
gangspunkt eines malignen Tumors in Frage kommt.
Der Meinung Naumoffs, dass an den verletzten Stellen eine Entwick-
lung von Bindegewebe unausbleiblich gewesen wäre, kann selbstverständlich
nicht ohne weiteres die Bedeutung eines Gegenbeweises zugesprochen werden.
Unbedenklich stimme ich aber mit Wehrli darin überein, dass bei
den Blutungen aus den Netzhautgefässen des öfteren eine Läsion der die
Gefässe einhüllenden gliösen Limitans perivascularis und der mit ihr ver-
bundenen Gliafüsschen erfolgen wird, die dann einer Reparatur bedarf. Un-
bewiesen und nach meinen Präparaten unwalırscheinlich ist dagegen die
Ansicht Wehrlis, dass dieser Vorgang notwendigerweise mit dem "Tode von
Gliazellen einhergehen muss, auf welchen die benachbarten Gliazellen
mit einer „reaktiven Zellvermehrung“ antworten müssten. Wenn aber kein
Zelltod einer Gliazelle erfolgt, dann ist zur Reparatur der Läsionen keine
Zellteilung erforderlich, sondern die Regeneration kann einzig und allein von
seiten der schon vorhandenen Gliazellen ertolgen, welche durch den einen
oder andern ihrer zahlreichen protoplasmatischen Ausläufer mit der Tämitans
perivascularis zusammenhängen, und auch schon seinerzeit an ihrer Bildung
222 R. Seefelder, Zur Frage der Netzhautanomalien usw.
mit beteiligt waren. Ich darf wohl ferner noch darauf aufmerksam machen,
dass Sala (Über die Regenerationserscheinungen im zentralen Nervensystem,
Anat Anzeiger Bd. XXXIV, 1909) sogar an den durchschnittenen Achsen-
cylindern der Pyramidenzellen des Gehirns eine Neubildung von Fasern
ohne die von Wehrli postulierte Zellteilung beobachtet hat. Wie viel mehr
werden die weit niedriger stehenden Gliazellen zur Produktion von faserigen
und protoplasmatischen Fortsätzen ohne Zellteilung befähigt sein!
Das sind die andern in Betracht kommenden Faktoren der Regenera-
tion, welche ich mit dem Satze gemeint habe, dass regenerative’ Prozesse
gewöhnlich nicht ausschliesslich in Zellwucherungen bestehen, und welche
Wehrli in den Lehrbüchern der normalen und pathologischen Anatomie
vergeblich gesucht zu haben angibt.
Auf alle Einzelheiten der Wehrlischen Polemik einzugehen, würde zu
weit führen und einen viel grösseren Raum beanspruchen, als nach meinem
Ermessen der Wichtigkeit der ganzen Angelegenheit entspricht. Nur eines
Punktes sei noch gedacht. Wehrli zeiht mich des absoluten Nihilismus,
weil ich erkläre, dass- wir über die Ursachen der Genese der malignen Ge-
schwülste nichts wissen, und er beruft sich dabei darauf, dass wir uns in
der Zeit von „Darwins“ Jahrhundertfeier befinden, als ob dieser Umstand
etwas mit der Gliomgenese zu tun hätte. Diesen Äusserungen gegenüber
stelle ich nochmals folgendes fest:
Das Problem der Gliomgenese fällt mit dem der Genese der
malignen Geschwülste überhaupt zusammen. Welches die Ur-
sachen der Genese der malignen Geschwülste sind, wissen wir
nicht. Alles, was darüber gesprochen und geschrieben worden
ist, ist und bleibt bis heute Hypothese.
Dies zu leugnen, wäre gleichbedeutend mit einer vollständigen Verken-
nung des heutigen Standes der Geschwulstlehre.
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung
der ,Leukine* für die Heilung infektióser Bindehaut-
entzündungen.
Von
Dr. Rudolf Schneider.
Mit einer Figur im Text.
Einleitung.
Die neuere Immunitätsforschung hat unsere Kenntnisse von den
natürlichen Schutzmitteln des Körpers bedeutend erweitert. Eine Fülle
von Tatsachen wurde gefunden, die das Wesen der natürlichen Resistenz
immer noch komplizierter erscheinen und eine ganze Reihe neuer
Theorien. auftauchen liessen. Es soll nicht geleugnet werden, dass
dadurch die Unsicherheit unserer Vorstellungen von den Abwehrvor-
richtungen des Organismus vermehrt worden sind; wenn aber Sauer-
beck (1) seine vorzügliche letzte Zusammenfassung mit „die Krise in
der Immunitätsforschung“ betitelt, so darf dies nicht dahin verstanden
werden, als ob durch die neuen Erfahrungen und Theorien der Bau
der Immunitätsforschung in den Grundfesten erschüttert sei.
Sind auch die humorale und die celluläre Theorie in ihrer ur-
sprünglichen Form nicht mehr aufrecht zu erhalten, so sind sie deshalb
noch lange nicht abgetan. Es handelt sich in der gegenwärtigen „Krise“
nieht um Sein oder Nichtsein der klassischen Theorien Buchners
und Metschnikoffs. Im Gegenteil, man darf wohl behaupten, dass
durch die fortschreitende Erforschung der natürlichen antibakteriellen
Immunität beide Theorien nur ergänzt, dadurch in vielen Beziehungen
näher gebracht und einer gerechten Würdigung zugeführt worden sind.
Nichts anderes ist durch die Arbeiten von Wright, Gruber
u. A. geschehen, auf «denen die Opsonintheorie aufgebaut ist. Wenn
diese Autoren im normalen Plasma und Serum und Verfasser im
regenerierten Vorderkammerwasser thermolabile Stoffe, „Opsonine* ge-
funden haben, welche die Bakterien so beeintlussen, dass sie von den
I«ukocyten gefressen werden, so erhellt daraus, wie schr die Phago-
cvten. auf die Unterstützung aktiver gelöster Substanzen des Blutes
und der Gewebsflüssigkeiten angewiesen sind.
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, LXXIII. 2. 15
991 R. Schneider
Set
Eine ähnliche vermittelnde Stellung nehmen Neufeld und
Rimpau mit ihrer Bakteriotropintheorie in bezug auf die Ver-
hältnisse beim immunisierten Tiere ein. Nach ihnen sollen neben den
bakteriolytischen Antikörpern im Immunserum thermostabile Stoffe,
„Bakteriotropine“ existieren, welche in spezifischer Weise die Bakterien
für die Phagocytose vorbereiten.
Die Agressinlehre Bails dagegen ist lediglich die klarere und
präcisere Form der Phagocytentheorie Metschnikoffs. Wie dieser
erblickt Bail in den Leukocyten allein die ausreichende Schutzwehr
des Organismus. Werden sie durch die von den Bakterien gebildeten
Angrifisstoffe, „Aggressine“ lahmgelegt, so kommt es zur Infektion.
Durch Immunisierung mit Aggressinen werden Antiaggressine produ-
ziert und diese vermögen die die Phagocytose unterdrückende Wirkung
(der bakteriellen Angriffsstoffe zu neutralisieren. Es haben also hierbei
die Kórpersüfte nur insofern eine Bedeutung, als sie die Phagocytose
ermóglichen und begünstigen.
Inwieweit die neuen Untersuchungen über die strukturellen Ver-
änderungen, welche die Bakterien im Verlaufe der Infektion erleiden
(Bail, Gruber, Ascoli), auf die Lehre von der autibakteriellen Im-
munität modifizierend einwirken werden, lässt sich jetzt noch ebenso-
wenig beurteilen wie die Bedeutung einiger anderer Theorien neuesten
Datums.
Haben so in den letzten Jahren die Leukocyten als Verteidiger
des Körpers endlich auch bei den deutschen Forschern die ihnen ge-
bührende Anerkennung gefunden und neigt man vielleicht gegenwärtig
mehr der cellulären Auffassung der Immunität zu, so wurde die Be-
rechtigung der humoralen besonders durch die Arbeiten von Gruber
und Futaki sowie vom Verfasser in jüngster Zeit von neuem be-
stiitigt.
Gruber und Futaki (2 u. 3) haben bei ihren Studien über die
Milzbrandinfektion festgestellt, dass das im Blute kreisende Alexin,
das an der Vernichtung so zahlreicher Bakterien beteiligt ist, jeder
Wirkung auf den Milzbrandbacillus entbehrt.
Statt dessen stehen dem tierischen Organismus Abwehrmittel gegen
den Milzbrandbacillus in den Leukocyten und Blutplättchen und deren
Stoften zur Verfügung. Die Leukoerten kommen in dreifacher Richtung
als Schutztruppen in Betracht; einmal können sie sich als Phagocyten
betätigen, indem sie die Milzbrandbacillen auffressen und verdauen,
dann können sie, wie sie es besonders beim Kaninchen und Meer-
schweinchen tun, durch „Umklammerung* und „Kontaktverdauung”
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 995
der Bacillen Herr werden, und schliesslich können sie zu deren extra-
cellulären Vernichtung dadurch beitragen, dass sie anthrakocide Stoffe
unter Einwirkung der normalen Lymphe oder Stauungslymphe im
Unterhautzellgewebe abgeben. |
Die Blutplättchen des Kaninchens und der Ratte, die sich nach
einer vom Verfasser (4 u. 5) angegebenen Methode reichlich und bequem
gewinnen lassen, sind durch einen enormen Gehalt an milzbrandfeind-
lichen Substanzen, den „Plakinen“ ausgezeichnet, die ihnen durch
verschiedene Extraktionsmittel entzogen werden können und die in
einem gewissen Stadium der Milzbrandinfektion auch in das Plasma
des lebenden Tieres übergehen.
Gegen all diese Schutzwehren wappnet sich seinerseits der Milz-
brandbacillus in den tierischen Säften durch Bildung einer Kapsel,
die ihn vor der Phagocytose und der Umklammerung schützt und die
Plättchen von der Abgabe ihres Plakines abhält. In der Verhütung
der Kapselbildung durch den raschen Untergang, welchen die Milz-
brandbacillen extracellulär im Unterhautzellgewebe finden, haben Gruber
und Futaki die lang gesuchte Ursache für die Unempfänglichkeit
des Hundes und Huhnes erkannt, während die Wehrlosigkeit des
Kaninchens und des Meerschweinchens trotz all seiner Schutzeinrich-
tungen, sich aus der geringen Wirksamkeit der Unterhautlymphe und
der Fähigkeit des Milzbrandbacillus in letzterer Kapseln zu bilden,
erklärt. Fürwahr ein glänzender Beweis für die Bedeutung der Säfte-
baktericidie!
Die Untersuchungen, welche Verfasser (6u.7) gleichzeitig mit
den Studien Grubers und Futakis angestellt hat, erstrecken sich
auf die baktericide und hämolytische Wirkung der tierischen Gewebs-
flüssigkeiten überhaupt und ihre Beziehungen zu den Leukocyten.
Dass letztere baktericide Stoffe enthalten, war schon durch die Ar-
beiten von Denys und seinen Schülern sowie besonders durch Buchner
und seine Mitarbeiter Hahn und Trommsdorff mit Sicherheit er-
wiesen. Buchner identifizierte bekanntlich die Leukocytenstoffe mit
dem Alexin des cirkulierenden Blutes, das er wie das histolytische
Enzym, das. Leber in den Leukocyten nachgewiesen hatte, für ein
von den lebenden Leukocyten, „Alexoeyten“ secerniertes Endoenzym
hielt. Dem gegenüber bezeichnete Metschnikoff und seine Schüler
das Alexin des Blutserums für ein Absterbeprodukt der Leukocyten,
das er je nach seiner Herkunft von den polymorphkernigen Leuko-
cyten, den „Mikrocyten“ oder den mononukleären Leukoeyten, den
„Makrocyten“, Mikroeytase oder Makrocytase nannte. Diese sollte
15*
296 R. Schneider
ind
hämolytische, jene baktericide Funktion haben und beide sollten im
cirkulierenden Blute fehlen und im lebenden Tiere nur intracellulär
zur Geltung kommen.
Buchners wie Metschnikoffs Ansicht blieb nicht unwider-
sprochen und, wie die Zusammenstellung in Verfassers Arbeit (loc.
cit.) dartut, knüpfte sich im Laufe der Jahre eine ziemlich umfang-
reiche Literatur an die Frage des leukocytären Ursprunges des Alexins.
ohne jedoch deren Lösung herbeiführen zu können.
Das Ergebnis der eigenen Untersuchungen ist nun, dass die polv-
morphkernigen Leukocyten’die in ihnen enthaltenen baktericiden Sub-
stanzen weniger bei ihrem Zugrundegehen als infolge einer vitalen
sekretorischen Tätigkeit abgeben können. Die Leukocytenstoffe vom
Verfasser „Leukine“ genannt, weichen in vieler Beziehung von dem
Alexin ab und zeichnen sich u. a. durch Thermostabilität und be-
sonders dadurch aus, dass ihre Wirkung sich auch auf Mikroorganismen
erstreckt, gegen die das Serum nichts vermag. Sie sind also wohl
charakterisierte Substanzen eigener Art und spielen, wie ja auch die
Versuche von Gruber und Futaki beweisen, neben dem Blutalexin
und dem Plakin bei der humoralen Baktericidie eine Rolle, verdankt
doch die Lymphe des Unterhautzellgewebes ihre baktericide Wirkung
hauptsächlich ihrem Gehalte an Leukinen, und in frischen leukocyten-
reichen Exsudaten der Pleura- und Peritonealhóhle wird man sie kaum
vermissen.
Aus den mononukleären Leukoeyten, die sich wie die polymorph-
kernigen an der Phagocytose und intracellulären Verdauung von Bak-
terien beteiligen können, liessen sich weder bakterieide noch hämolv-
tische Stoffe extrahieren.
Die. Blutplättchen betätigen sich in Übereinstimmung mit früheren
eigenen Versuchen und denen von Gruber und Futaki sowie von
Ohtaki(8) als die Spender von Substanzen, deren abtötende Wirkung
sich nur auf den Milzbrandbacillus und seine Verwandten erstreckt.
In dem Bestreben, obige Beobachtungen aus dem Gebiete der
Immmunitätsforschung auch dem speziellen Fache der Ophthalmologie
nutzbar zu machen, wurden die folgenden experimentellen Untersuchun-
gen angestellt, welche die Bedeutung der „Leukine“ für die Hei-
lung der infektiösen Bindehauterkrankungen klarlegen sollten.
Die Lösung dieser Frage wurde in der Weise in Angriff ge-
nommen, dass nach Applikation der bei der Behandlung von Con-
junctivitiden am meisten verwandten Heilmittel das im Bindehautsack
sich bildende Sekret anf seine antibakterielle Wirksamkeit geprüft wurde.
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 227
Dabei ergab sich von selbst die Notwendigkeit, vorerst festzu-
stellen, wie sich die normale Tränen- und Conjunctivalflüs-
sigkeit hinsichtlich ihres Gehaltes an bakteriolytischen
Substanzen verhält, eine Frage, die, wie mir scheint, trotz viel-
facher Bearbeitung noch nicht definitiv gelöst ist.
Über die bakteriolytischen Eigenschaften der normalen Tränen-
flüssigkeit.
Die bakterientötende Funktion der Tränen fand hauptsächlich
als einer der bei der Selbstreinigung des Bindehautsackes beteiligten
Faktoren Beachtung.
Schon die gute Heilung operativer Wunden am Auge in der
vorantiseptischen Zeit im Vergleich zu der Häufigkeit der Eiterungen
chirurgischer Wunden an andern Stellen wies darauf hin, dass das
Auge über besondere Schutzvorrichtungen verfügen müsse, welche die
Vermehrung von Eitererregern verhindern. Wie anders wäre es ferner
bei der Ubiquität der Bakterien und der freien Kommunikation nit
der Aussenwelt, durch die der Conjunctivalsack der Infektion durch
die verschiedensten Bakterien preisgegeben ist, denkbar, dass nicht
öfters Wundinfektionen und ausgedehnte Bakterienansiedelungen in dem
als Aufenthaltsort für Mikroorganismen an sich nicht ungeeigneten
Bindehautsacke zu stande kämen.
Wir wissen, dass auch die normale Conjunetiva die mannigfaltigsten
— auch pathogene — Keime beherbergen kann, und dennoch besitzt
sie eine geringe Infizierbarkeit.
Zur Allgemeininfektion von der Conjunetiva aus dürfte es nur
in den seltensten Fällen kommen; hat doch Römer (9) durch seine
Untersuchungen gezeigt, dass die intakte Bindehaut den pathogenen
(Milzbrand-) Keimen einen erheblichen Widerstand entgegensetzt,
wie denn nur in einzelnen Fällen hineingebrachter Staub im Verein
mit gleichzeitigem Reiben den als Infektionserreger benutzten Milz-
brandbacillen den Weg in die Lymphbahnen und so zur allgemeinen
Uberschwemmung des Organismus eröffnete.
Der lokalen Vermehrung der im Bindehautsacke vorhandenen
Keime wirken eine Reihe Momente entgegen, die in ihrer Bedeutung
für seine Selbstreinigung verschieden bewertet worden sind.
Sehen wir von dem Umstande ab, dass ununterbrochen die ober-
Hlächlichsten Epithelien mit den an ihnen haftenden Keimen abge-
stossen werden, und dass die pathogenen Pakterienarten im Conjune-
228 R. Schneider
tivalsack durch Saprophyten überwuchert werden können, so kommen
für die Regulierung des Keimgehaltes vor allem. der Lidschlag und
der Tränenstrom in Betracht.
I. Literaturübersicht.
Die mechanische Bedeutung dieser Momente hatten schon Horner (10),
John (11), Widmark (12), Michel(13), Gombert (14) und Leber (15)
hervorgehoben.
Van Genderen Stort (16) hat zuerst experimentell gezeigt, wie durch
den mechanischen Vorgang des Wegspülens eine bedeutende Verringerung
des Keimgehaltes des Bindehautsackes bewirkt wird. Kolibacillen, welche
in grossen Mengen in den Conjunctivalsack von Kaninchen gebracht waren,
liessen sich bereits nach einer Stunde nicht mehr in ihm nachweisen und wurden
statt dessen in der Nasenhöhle gefunden. War aber der Abfluss der Tränen
nach der Nase durch Verlegung der Tränenspalte verhindert, so war von
einer Abnahme der Bacillen in den im Bindehautsack angesammelten Tränen
nichts zu bemerken. Van Genderen Stort erblickt daher den Grund
für den geringen Keimgehalt des Conjunctivalsackes in dem Transport der
Keime nach der Nasenhöhle und nicht etwa in der bakterientötenden Eigen-
schaft der Tränen.
Dass jedoch letztere existiert, hat Bernheim(17), der baktericide Ver-
suche mit Tränen im Reagenzglase angestellt hat, beobachtet. Hinsichtlich
der Gewinnung der notwendigen Quantitäten von Tränen sei hier eigens
betont, dass das Untersuchungsmaterial von Augen, die an Keratitis und
Conjunctivitis ekzematosa mit starkem Tränenträufeln litten, herrührte und
dass Tränen gesunder Augen dadurch verschafft wurden, dass durch Ein-
atmen von Ammoniakdämpfen Tränenträufeln erzeugt worden war. Die
Tränen, welche meist leicht getrübt waren, wurden mit einem kleinen
Apparat, der aus einem Kautschukballon, Verbindungsrohr, Rezipienten und
kapillarem Saugrohr bestand, aus dem Bindehautsack aufgesaugt. Die
Wirkung der Tränen wurde gegenüber dem Staphylococeus pyogenes aureus,
Bacillus subtilis und dem Micrococcus prodigiosus geprüft. Die Versuche
liessen einen deutlichen bakterieiden Einfluss auf die Staphylokokken bei
kleinen und mittleren Einsaaten erkennen, der Bacillus subtilis wurde in
ausserordentlich rascher Weise vernichtet, während dem Micrococcus prodi-
giosus gegenüber die Tränen nichts vermochten. Bernheim weist auf
den Unterschied zwischen Tränen und Blutserum hin, welches nach den
damals vorliegenden Versuchen von Nuttall (18) und Nissen (19) olıne
jede Wirkung auf den Staphylococcus sich gezeigt hatte. Auch fiel ihm
die Tatsache auf, dass die Tränen im Gegensatz zu dem Blutserum in
einzelnen Fällen ein Erhitzen auf 58° olıne Einbusse ihrer antibakteriellen
Funktion vertragen hatten. Bei Besprechung der etwaigen Ursachen hier-
für drückt Bernheim die Vermutung aus, es könne vielleicht die bakterien-
tötende Eigenschaft der Tränen andersartig und abhängig von andern Ei-
weisskörpern als die des Serums sein; dass der Salzgehalt der Tränen nicht
schuld ist, hatte Bernheim durch eigene Versuche konstatiert.
Eine Ergänzung und Bestätigung der Untersuchungen Bernheims
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine‘“ usw. 229
bildet die Arbeit Marthens (20). Seine Versuchsanordnung war im wesent-
lichen dieselbe wie diejenige Bernheims. In Speziellen stammten die
untersuchten Tränen ebenfalls von Patienten, die infolge Keratitis interstitialis
und Conjunctivitis ekzematosa an starkem Tränenträufeln litten. Als Test-
objekte benutzte Marthen (20) verschiedene Mikroorganismen, die aus dem
menschlichen Bindehautsack gezüchtet waren. Von diesen Keimen erfuhren
die meisten entschieden eine Verminderung, manche eine langsame unsichere
Abtötung und einzelne eine Vermehrung. Auf Grund seiner Versuchs-
reihen erblickt Marthen in der bakterienfeindlichen Eigenschaft der Tränen-
flüssigkeit neben dem Lidschlage die Schutzvorrichtung, welche die Ober-
fläche der Conjunctiva vor der Invasion der Mikroorganismen schütze. Die
Tränen spielen dabei die Hauptrolle, während der Lidschlag lediglich die
gleichmässige Bespülung der Conjunctiva zu besorgen habe.
Dem gegenüber kommt. Bach (21) bei seinen Untersuchungen zu dem
Resultat, dass der Keimgehalt des Bindehautsackes in erster Linie durch
die mechanische Wegschwemmung der Bakterien nach der Nase beeinflusst
wird. Brachte Bach den leicht nachweisbaren roten Kieler Wasserbacillus
auf die menschliche Conjunctiva, so konnte er letzteren in dem Grade,
wie er aus dem Conjunctivalsack verschwand, in der Nase auftreten und
an Zahl zunehmen sehen.
Dass jedoch den Tränen auch eine bakterienfeindliche Wirkung zu-
"kommt, ging aus der grossen Mehrzahl seiner Versuche hervor. Auch
Bach gewann nach dem Beispiele obiger Autoren sein Untersuchungs-
material von Kindern, die an Conjunctivitis und Keratitis ekzematosa litten,
und andern Patienten, die bei normaler Bindehaut starke Epiphora zeigten.
Die Tränen wurden mittels eines Saugapparates aus dem unteren Teil des
Bindehautsackes gesammelt und waren meist mehr oder minder flockig ge-
trübt. Bei 19 baktericiden Versuchen mit Staphylococcus pyogenes aureus
trat in der Regel Keimverminderung und nur 4mal Keimvermehrung ein.
Die bakterienfeindliche Eigenschaft blieb in 16 Fällen, in denen die Tränen
eine Stunde auf 58° erhitzt waren, ganz oder zum Teil erhalten. Während
auch Typhusbacillen abgetötet wurden, konnten sich der Kieler Wasser-
bacillus und die Sareina aurantiaca ungehemmt in den Tränen entwickeln.
Im Bestreben den wirksamen Bestandteil der Tränen zu eruieren,
stellte Bach eine Reihe Untersuchungen mit verschiedenartigen Salzlösungen
und Pferdeblutserumdialvsat an und kam zu dem Schluss, dass die keiinver-
nichtende Aktion der Tränen unabhängig von ihrem Gehalt an Serumalbumin
sei und vielleicht in einer gewissen Beziehung zu ihrem Salzgehalt stelie.
Von der immerhin hohen Bewertung, die Bach in vorstehender Arbeit
der bakterieiden Eigenschaft der Tränen angedeihen liess und die er dann
noch Ahlstroem gegenüber verteidigt hatte (22), scheint er einer späteren
Publikation (23) nach zu schliessen abgekommen zu sein, wenn er den Lid-
schlag, ohne den nach Schirmer(24) keine Tränen abgeleitet werden, als
den wichtigsten Faktor bei der Reinigung des Bindehautsackes bezeichnet
und die Wirkung der Tränen als eine chemische mit derjenigen der Koch-
salzlósung vergleicht.
Hatten die bisher citierten Autoren in den von ihnen geprüften „Tränen“
das gemischte Sekret der Tränendrüse und der Bindehaut verwendet, so
230 R. Schneider
war Ahlstroem (25) der Erste, der in der fraglichen Hinsicht echte Tränen,
d. h. das Sekretionsprodukt der Glandula lacrimalis untersuchte. Ahlstroem
bekam einen seltenen Fall zur Beobachtung, bei dem sich im Anschluss an
eine akute Dakryoadenitis eine Fistel der Tränendrüse gebildet hatte. Ehe
er diese schloss, benutzte er die günstige Gelegenheit, sich mit Hilfe einer
kleinen Retorte, deren Spitze er in den Fistelgang einführte, eine hin-
reichende Menge Tränenflüssigkeit zu verschaffen, um diese auf ihr bakteri-
cides Vermögen gegenüber Staphylokokken zu prüfen. Das Ergebnis war
eine Wachstumshemmung der eingesäten Keime, die Ahlstroem als durch
das ungünstige Medium bedingt auffasste. Vergleichshalber verschaffte er
sich auch Tränen von Kindern mit phlyktänulösen Augenaffektionen und
konstatierte bei diesen einen schwachen abtötenden Einfluss auf die Staphy-
lokokken. Den Unterschied in der Wirkung der beiden Tränenflüssigkeiten
erklärte sich der Autor aus der verschiedenen chemischen Zusammensetzung,
indem die Tränen aus der Fistel stärkere alkalische Reaktion zeigten als
die aus dem Bindehautsack gesammelten. Jedenfalls spricht er den Tränen
eine eigentliche bakterieide Kraft ab und schreibt die Beseitigung der Keime
den mechanischen Momenten zu.
Versuche von G oufrein (26) galten der Widerlegung von Valude (27).
Diesem war es nicht gelungen, bei Kaninchen durch Injektion von wäss-
riger Tuberkelbacillenemulsion in den Tränensack dessen tuberkulöse Er-
krankung zu erzeugen, und hatte das negative Resultat auf eine dre
Tuberkelbacillen schädigende Wirkung der Tränenflüssigkeit zurückgeführt.
Goufrein nun glaubte die Unhaltbarkeit dieser Anschauung damit dar-
getan zu haben, dass er bei normalen Kaninchen und bei solchen, denen
er 2—3 Wochen vorher die Tränendrüse exstirpiert hatte, durch Einver-
leibung von Tuberkelbacillen-Reinkultur in den Tränensack ausnahmslos
typische Tränensacktuberkulose hervorrufen konnte.
Trotzdem beharrt Valude (28) in einer späteren Arbeit auf seinem
ursprünglichen Standpunkt. Er hatte einer Frau wegen Epitheliom der
Lider die Lidränder samt den Tränenröhrchen reseziert. Als nach 1!j, Jahren
die Patientin ihn wieder aufsuchte, hatte sie vor dem operierten rezidivfrei
gebliebenen Auge einen stattlichen 'Tumor, der sich durch Ansammlung von
Tränen unter der Conjunctiva gebildet hatte. Die 22 ccm betragende Re-
tentionsflüssigkeit erwies sich steril, opaleszierte leicht und enthielt feine
Flocken, die sich beim Stehen zu Boden senkten. In dieser Flüssigkeit
starben Milzbrandbacillen und Staphylokokken in 14 bzw. 8 Tagen ab,
Kolibacillen in grösserer Menge eingesät, vermehrten sich erst, um dann
allmählich zu degenerieren, während Tuberkelbaeillen wohl in ihr wuchsen,
aber ihre Virulenz verloren. Aus diesen Versuchen schliesst er von neuem,
dass die Tränen ein schlechter Nährboden für Mikroorganismen sind. Auch
er findet in der alkalischen Reaktion ein für die Vernichtung der Keime
förderliches Moment, hatte er doch 3 mal unter 80 darauf untersuchten
Fällen bei Patienten mit sauer reagierenden Tränen postoperative Infektion
beobachtet.
Zur Erlangung reichlicherer Quantitäten Tränen benutzten De Bono
und Friseco (24) grössere Tiere: Esel, Ziegen und Kälber, denen sie die
Flüssigkeiten aus dem Bindehautsack mit einer entsprechend gestalteten
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 231
Pipette entnahmen; eine ausgiebigere Sekretion der Tränendrüse erreichten
sie dabei durch Berührung der Cornea mit der Pipettenspitze und leichte
Massage. Die in vitro geprüfte Wirkung gegen Typhus-, Cholera-, Diphtherie-
bacillen und Staphylokokken war im günstigsten Falle als eine Wachstums-
hemmung zu bezeichnen. Eine Abschwächung der Virulenz und Giftigkeit
verursachten diese Tiertränen bei Koli- und 'Typhusbacillen sowie Diphtherie-
gift, während sie Tuberkelbacillen, Milzbrandbacillen und Staphylokokken
unbeeinflusst liessen. Eine Bakterienausscheidung durch die Tränen nach
subcutaner oder intravenöser Infektion mit Milzbrand- und Prodigiosus-
bacillen sowie Pneumokokken kam weder unter normalen Verhältnissen, noch
wenn den Tieren (Hund und Kaninchen) der Nervus lacrimalis durchschnitten
war, vor. Nur in 4 Fällen, in denen den Kaninchen der Halssympathicus
durchtrennt war, konnten sie, wie sie annehmen, infolge der Gefässlähmung
nach frühestens 30 Stunden in den Tränen lebende Milzbrandbacillen feststellen.
Nach Römer (loc. cit.) kommt den Tränen die Fähigkeit, infektiöses
Material abzutöten, nicht zu. Bis zu 8 Tagen fand er im Bindehautsack
von Kaninchen und Meerschweinchen, denen nach der Implantation die
Lider vernäht waren, vollvirulente und lebensfähige Milzbrandsporen. Wenn
daher auch ein gewisser entwicklungshemmender Einfluss den Tränen zu-
zusprechen sei, so sei ihre Hauptwirkung doch in der mechanischen Fort-
spülung und ständigen Verdünnung des Keimgehaltes zu suchen. In diesem
Sinne spräche auch der Umstand, dass dort, wo der normale Abfluss der
Tränen behindert sei, so unter dem Verbande und bei Erkrankung der Tränen-
wege, die Zahl der Keime zunimmt. Auch die Ergebnisse seiner Staub-
versuche können als Beweise für seine Anschauung dienen. Brachte er
zugleich mit Milzbrandbacillen einige Ösen sterilen Staubes verschiedener
Provenienz in den Bindehautsack von Kaninchen und Meerschweinen, so
stieg, obgleich durch den Staub eine Vermehrung der Reizung des Auges,
der conjunctivalen Hyperämie und der Tränensekretion eingesetzt hatte,
der Keimgehalt des Bindehautsackes ausserordentlich.
Der Beimischung von Alexinen verdanken, wie Helleberg (30) an-
nimmt, die Tränen das Staphylokokken tötende Vermögen, das er bei seinen
Versuchen in geringem und nicht immer gleich deutlichem Grade gefunden
hatte und das durch Erhitzen auf 58° aufgehoben wurde.
Plaut und Zelewski(31) hatte Axenfeld die Aufgabe gestellt, den
Widerspruch zu erklären, der dadurch gegeben ist, dass die 'Tränensack-
exstirpation auf der einen Seite die für die physiologische Selbstreinigung
des Bindehautsackes wichtige Ableitung der Tränen aufhebt und auf der
andern eine von der Conjunctiva zu befürchtende Infektion geradezu ausschaltet.
Sie untersuchten im ganzen 40 Bindehäute von Patienten, deren Tränen-
säcke exstirpiert waren, auf ihren Keimgehalt. Von diesen konnten 30 als
klinisch gesund gelten; alle 30 waren stark bakterienhaltig, und zwar wurde
29 mal Xerosebacillen, 17 mal Staphylococcus albus, 6 mal Staphylococcus
aureus, 2 mal Pneumokokken und 3 mal Diplobacillen gefunden. Die Zahl
der mit einer Doppelöse aus der unteren Übergangsfalte abgeimpften Bak-
terien war im Vergleich zu der von normalen Conjunctiven mit normalem
Tränenabfluss sehr gesteigert. Wenn trotzdem die Bindehaut klinisch normal
war, so erhellt daraus, dass die Tränensackexstirpation nur eine quantitative
232 R. Schneider
Vermehrung, aber keine Virulenzsteigerung und Erhöhung der Infektiosität
im Gefolge habe. Damit sei auch ein Schluss auf die grosse Bedeutung
der mechanischen Fortspülung und auf die untergeordnete Rolle, welche die
bakterieiden Eigenschaften der Tränen spielen, gestattet. —
So schreibt denn auch Axenfeld (32) den Tränen nur eine beschränkte
Bakterieidie zu. Ausschliessen möchte er sie gänzlich für die Bacillen der
Diphtheriegruppe, nachdem er die enorme Vermehrung der Xerosebacillen in
den eben angeführten Versuchen von Plaut und Zelewski gesehen hat.
Und wenn auch eine gewisse bakterientötende Rolle den Tränen dem
Staphylococcus aureus gegenüber zukomme, so sei sie nicht für andere
Infektionserreger erwiesen. Wünschenswert seien daher vor allem Unter-
suchungen, in denen die Wirkung der Tränen auf andere für die Conjunc-
tiva wichtige pathogene Keime geprüft würden. Versuche, die Blair mit
Gonokokken und Ogawa mit Pneumokokken in seinem Laboratorium an-
gestellt haben, ergeben keine Baktericidie; sie scheinen aber nicht zu einer
völligen Entscheidung dieser Frage geführt zu haben, hält er selbst sie doch
noch der Ergänzung und Vervollständigung bedürftig.
Von den als Erreger von Conjunctivitiden in Betracht kommenden
Mikroorganismen hat in neuerer Zeit zur Nedden (33) einen aus einer
Hypopyonkeratitis gezüchteten Diplobaeillus Morax-Axenfeld, welcher hin-
sichtlich seines Wachstums auf künstlichen Nährböden ausnahmsweise so
anspruchslos war, dass er auf Glycerinagar gedieh, als willkommenes Test-
objekt neben Typhus- und Dysenteriebacillen benutzt. Er experimentierte
zunächst mit Tränen von normalen und katarrhalisch erkrankten Binde-
häuten — über ihre Gewinnung wird nichts Genaueres verlautet — und
konstatierte in ihnen das völlige Fehlen einer für die 3 Keimarten bakteri-
ciden Kraft, welche sich im Blutserum der entsprechenden Individuen leicht
nachweisen liess. Indem zur Nedden zwischen seröser Tränenflüssigkeit
und Bindehautsekret, d. h. dem schleimigen, flockigen oder eitrigen Ab-
sonderungsprodukt der Conjunctiva unterscheidet, dehnte er seine Unter-
suchungen auch auf normales und pathologisches Bindehautsekret aus. Leider
vermissen wir genauere Versuchsprotokolle, die ich mit Rücksicht auf die
mannigfaltigen Berührungspunkte, die seine Arbeit mit der meinen bietet,
sehr begrüsst hätte.
Da ich später auf die Versuche mit den pathologischen Bindehaut-
sekreten zurückkommen werde, sei hier nur erwühnt, dass das der normalen
Conjunetiva, welches zur Nedden in Gestalt von etwas Schleim morgens
aus der Übergangsfalte und dem inneren Augenwinkel abnahm, keine bak-
tericiden Eigenschaften besass, dass jedoch bei den verschiedenen Formen
von Conjunetivitis das Absonderungsprodukt stets bakterientötende Kraft
zeigte. Diese ging durch ®;,stündliches Erhitzen auf 589 verloren, weshalb
zur Nedden die bakterieciden Substanzen des Sekretes mit den im normalen
Blute vorhandenen identifizierte.
In seiner letzten Mitteilung weist zur Nedden (34) darauf hin, dass
die Tränentlüssigkeit und das normale Bindellautsekret der Opsonine ebenso
wie des Alexines entbelre, indem die Leukoevten in ihnen nieht mehr als
in physiologischer Kochsalzlösung phagoevtieren, dass dagegen die Normal-
opsonine in die katarrhalischen Sekrete der Conjunetiva übertreten.
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,,Leukine* usw. 233
ini
Schliesslich hat Lindahl(35) bei seinen Versuchen eine ungleichmissige
Wirkung der Tränenflüssigkeit auf Pneumokokken und Streptokokken be-
obachtet. Er erklärt sich dies daraus, dass verschiedene Kulturen und
Tränen verschiedener Patienten verwendet wurden. Die baktericide Wirkung
führt er auf enzymartige Eiweisskörper zurück, die durch Erwärmen ver-
nichtet wurden, aber trotzdem nicht aus dem Serum, sondern aus den
Tränendrüsen oder der Bindehaut stammen sollen.
Es kann zunächst als Ergebnis der bisherigen Versuche bezeichnet
werden, dass der Lidschlag und die physiologische Berieselung als
mechanischer Vorgang für die Selbstreinigung der Bindehaut sicherlich
grösste Bedeutung besitzt. Was die bakterienfeindliche Wirkung der
Tränen betrifft, so kann ein grosser Glaube an sie nicht mehr ent-
stehen. Allerdings scheinen für sie in einem gewissen Grade die
Resultate einer Anzahl von Autoren (Bernheim, Marthen, Bach,
Helleberg, Lindahl) zu sprechen. Die Beweiskraft aber dieser
Versuche wird teilweise dadurch beeinträchtigt, dass, was ihre Technik
anbelangt, sie kaum vor einer strengeren, auf den jetzigen bakterio-
logischen Erfahrungen fussenden Kritik bestehen können. Dann aber
ist zu berücksichtigen, dass mangels genügender normaler Tränen-
flüssigkeit ohne Bedenken mit Sekret kranker Augen experimentiert
worden ist. Auch die nach Einatmen von Ammoniakdämpfen secer-
nierten Tränen gesunder Augen können nicht als normal gelten, gibt
doch Bernheim selbst an, dass sie meist trüb waren, und sieht Bach
von der Verwendung von Ammoniakdämpfen deshalb ab, weil er bei
Kaninchen beobachtet hatte, dass dadurch die Tränen sehr getrüht
waren.
Beachtenswert ist immerhin die Wirksamkeit gegenüber Staphylo-,
Strepto- sowie Pneumokokken und die Thermostabilität der Bakteri-
cidie, welche einzelne Autoren bei ihren Untersuchungen konstatiert
haben, und die sie zu den verschiedensten Deutungen hinsichtlich der
Natur der baktericiden Substanz geführt haben.
Echte Tränen standen eigentlich nur Ahlstroem zur Verfügung;
die Retentionsflüssigkeit, die Valude verarbeitet hat, kann nimmer-
mehr dem physiologischen Produkt der menschlichen Tränendrüse
gleichgesetzt werden.
II. Eigene Versuche.
Die Schwierigkeit der Behandlung der Frage nach den bakterici-
den Eigenschaften der Tränen liegt vor allem in der Beschaffung
genügenden Untersuchungsmateriales und dem exakten Arbeiten mit
kleinen Quantitäten, sowie in der zweckmässigen Gestaltung des bak-
2341 - R. Schneider
tericiden Reagenzglasversuches. Die Uberwindung dieser technischen
Schwierigkeiten nun ist mir gelungen, und ich glaube mit meiner Ver-
suchsanordnung zu einer zutreffenden Lösung der vorliegenden Frage
gelangt zu sein.
Sind auch meine Versuche vorwiegend an Kaninchen angestellt,
so lässt sich meine Methode unter entsprechender Modifikation auch
beim Menschen verwenden.
Der Kunstgriff bei der Gewinnung der Tränen zunächst besteht darin,
dass ich die Tränenflüssigkeit im Bindehautsack durch Watte-
bäusche aufsaugen liess und diesen wieder die aufgenommene
Flüssigkeit völlig entzog. Die Wattebäusche wurden in der Weise
vorbereitet, dass gewöhnliche entfettete Verbandwatte erst mehrere Tage in
flliessendem Wasserleitungswasser und dann in mehrmals erneutem destil-
liertem Wasser gehalten wurde. Hierauf wurde sie getrocknet, in kleinere
Flecken geschnitten, und sorgfáültig sterilisiert. Dies geschah entweder im
Trockensterilisator durch mehrmalige vorsichtige Erhitzung, wobei zur Ver-
meidung von etwaigen desinfizierenden Verbrennungsstoffen jede Bräunung
der Watte verhütet werden muss, oder im Dampfsterilisator mit nachherigem
gutem Trocknen. Von dieser Watte nun wurden kleine lockere Bäusche
mit sterilen Pincetten unter Verhütung der Berührung der Lidränder in den
oberen und unteren Teil des Bindehautsackes eingelegt. Die Lider wurden
dann mit einer feinen, durch die äussere Lidhaut gelegten Sutur oder mit
Dieffenbachschen Klemmen geschlossen gehalten. Nach !|, bis 8 Stunden
erfolgte die Ilerausnahme der mehr oder minder mit Flüssigkeit getränkten
Wattebüáusche. Durch den mechanischen Reiz derselben injiziert sich meist
die Conjunctiva, und wird die Tränenabsonderung gesteigert, zu einem Aus-
tritt von Blut kommt es jedoch nicht, so dass die Bäusche ungefärbt sind,
wenn nicht zufällig ein Tröpfehen Blut von der Lidnaht in den Bindehaut-
sack geflossen ist.
Um die Flüssigkeit den Bäuschen restlos zu entziehen, benutzte ich
folgende einfache Vorrichtung (siehe Abbildung). Ein gewöhnliches spitzes
Zentrifugenröhrchen von 10—12 cem Inhalt und ungefähr 1,5 ccm lichte
Weite wird mit einem doppeltdurchbohrten Gummipfropfen verschlossen.
Durch die eine seiner Óffnungen geht ein kniefórmig gebogenes Glasrohr,
dureh die andere der auf ungefähr 2 mm Durchmesser verjüngte Teil eines
trichterförmig ausgezogenen Stückes Reagenzrohr. In diesen Trichter bringt
man die feuchten Wattebäusche, drückt sie mehr oder minder fest in der
Verjüngungsstelle zusammen, während man dureh Verbindung des Knierohres
mit einer Wasserstrahlluftpumpe in dem Zentrifugenröhrchen das nötige
Vakuum herstellt!).
D Diese Wattebauschmethode haben wir bereits früher (loc. cit) zur Ge-
winnung der Unterhautzellzewebslymphe benutzt. Das Prinzip, das Sammeln
der Flüssigkeit durch Aufsaugenlassen zu bewerkstelligen, hat mein Verfahren
mit der von Sehirmer: Mikroskopische Anatomie und Physiologie der Tránen-
organe, Graefe-Saemisch, Handb. d. ges. Augenheilk. Bd. I. Kap. 7. 1904
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine' usw. 235
Die abgesaugte Flüssigkeit ist meist durch mitgerissene Wattefaserchen
etwas getrübt und wird daher zentrifugiert. Alsdann stellt sie eine farblose
oder blassgelbliche klare Flüssigkeit dar, die nieht gerinnt und in den meisten
Fällen keine oder nur so wenige Keime enthält, dass sie nicht stören.
Hier und da enthielt der ausgeschleuderte Bodensatz einige Epithelien, Ery-
throcyten oder polymorphkernige Leukocyten. Der Ertrag an Tränenflüssig-
keit aus den Wattebäuschen eines Auges belief sich je nach der Dauer des
Verweilens im Bindehautsack auf !|,—1 cem.
Diese Quantität genügt bei meiner
Methodik vollkommen zur exakten
Durchführung des bakterieiden Ver-
suches. Zum Abmessen der Flüssig-
keitsmengen besitze ich in reichlicher
Anzahl genau geeichte Kapillarpipetten,
die oben mit einem kleinen Kautschuk-
ballon versehen werden und mit denen
sich unschwer 0,01— 0,1 cem abmessen
lässt. Grosse Sorgfalt muss auf ihre
Reinigung verwendet werden; nach
dem Gebrauch kommen sie in eine
ungefähr 10 prozentige Sodalösung und
aus dieser naeh Abspülen mit Wasser
in ein Gemisch von 6 prozentiger Ka-
liumbiehromatlósung und konzentrierter
Schwefelsäure. Hierin werden sie er-
wärmt, dann mit Leitungs- und destil-
lierttem Wasser gründlich durch- und
abgespült, getrocknet und in weiten
Reagenzröhren bei 160° sterilisiert.
Als Testobjekte wurden die
hauptsächlichsten der für die Conjunc-
tiva und für das Auge im allgemeinen
pathogenen Keime herangezogen. Es
wurde darauf gesehen, dass die Mikro-
organismen nicht alte Sammlungsob-
jekte, sondern mógliehst frisch aus dem
Ausgangsmaterial gezüchtet und virulent waren. Leider konnte ich trotz vieler
Bemühungen nicht in den Besitz des Koch-W eeksschen Bacillus gelangen.
Die Bakterienemulsionen wurde jeweils von hóchstens 14 Stun-
den alten Kulturen dargestellt; und zwar wurden fast durchgehends von
Kulturen auf festen Nührbóden (Agar, Lófflerserum) ausgegangen. Das
Kulturmaterial wurde mit der 1 mg Aqua destillata fassenden Platinóse in
angewendeten Methode gemein, worauf mich Herr Geheimrat Eversbusch auf-
merksam zu machen die Güte hatte. Schirmer mass die abgesonderten Trünen-
mengen in der Weise, dass er Fliesspapierstreifen von 3,5 cm Länge an einem
Ende umbog, das umgebogene 0,5cm lange Stück hinter das Unterlid schob,
und die Länge der in einer gewissen Zeit befeuchteten Strecke des Streifens notierte.
236 R. Schneider
einer Flüssigkeit aufgeschwemmt und weiter verteilt, von der im Vorversucli
festgestellt war, dass sie den betreffenden Keim nicht schädigte; meist war
es physiologische Kochsalzlösung mit Bouillon oder Serumzusützen. Um
mit der Aufschwemmungsflüssigkeit möglichst wenig Stoffe, die etwa vor-
handene baktericide Substanzen paralysieren konnten, den Proben guzusetzen,
wurde die gewünschte Keimzahl in nur 0,05 cem Flüssigkeit emulgiert in
die zu untersuchenden Tränen eingesät.
Die Aussaaten zu den verschiedenen Zeiten wurden in der Regel
mit der sogenannten grossen Öse, die genau 0,0125 g Aqua destillata von 15°C.
fasst, gemacht. Da nun eine Reihe der in Betracht kommenden Mikro-
organismen in Gelatine und Peptonagar nicht gedeihen, so wurden die je-
weils den Röhrchen entnommenen Proben nicht, wie sonst üblich ist, in
diesen verflüssigten Nährboden verteilt und dann Platten gegossen, sondern
der Inhalt der grossen Öse wurde auf Petrischalen, die das den Keimen
zusagende Medium: Agar, Serum-, Glycerin-, Blutagar, Löfflerserum in er-
starrtem Zustande enthielten, ausgestrichen. Dass dies ohne Beeinträchtigung
der notwendigen Genauigkeit geschehen durfte, war in Vorversuchen fest-
gestellt und lässt sich auch aus den anzuführenden Versuchsprotokollen ent-
nehmen. Gewöhnlich wurden Aussaten sofort, 1, 3, 7 und 24 Stunden
nach der Impfung der Röhrchen gemacht.
Baktericide Versuche
mit normaler Kaninchentränenflüssigkeit.
Versuch I.
Dem Tier werden beiderseits Wattebäusche unter die Lider eingelegt,
diese durch je eine Sutur, welche durch die Haut in der Nähe der Lid-
ränder ging, geschlossen. Nach 6 Stunden Herausnahme der gut durelı-
feuchteten Báusche. Nach Absaugen derselben und Zentrifugieren werden
fast 2 ccm einer klaren, blassgelblichen Flüssigkeit erhalten, die sich so gut
wie keimfrei erweist. Gleichzeitig wird dem Tier etwas Blut entzogen und
von dem aus diesem ausgepressten Serum, sowie von der Tränenflüssigkeit
je eine Portion eine Stunde auf 56? erhitzt.
Bakterieider Versuch. Typhusbaeillen.
Inhalt der Róhrchen je 0,5 eem; davon 0,05 cem verdünnte Aut-
schwemmung von einer 12 Stunden alten Typhusbaeillen-Agarkultur in plıy-
siologischer Kochsalzlósung, der einige Tropfen Bouillon zugesetzt sind.
Aussaat mit grosser 0,0125 ccm fassender Öse sofort, nach 1, 3, 7 und
24 Stunden auf in Petrischalen erstarrtem Agar.
| Koloniezahl
Art und Menre der zu | | i ho h ,
rüfenden Flüssigkeiten — ', pr OBAT n a nach
S Sofort Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. | 24 Stdn.
"T n i am 2 a e _\ | : Ge
2 ES EPUM PIS 2 AE ` ^| i qoc cras EE uis DS RT
0.415 cem akt. Kaninehenserum 105 | 30 7 4 0
045 , inakt. s 103 ! 106 185 reichl. ac
0,45 „ akt. Trünensekret In 109 204 ls ac
0,15 , inakt. 5 .. 100 | 114 213 : oo
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 237
Im folgenden Versuch wurde mit Absicht ein TTyphusbacillus (Stamm
„Gabersee‘) verwendet, von dem mir bekannt war, dass Kaninchenserum
ihn so gut wie nicht abtötet.
Versuch II. Typhusbacillen.
Die Wattebäusche werden nach Vernähung der Lidränder 21/, Stunden
im Bindehautsack belassen und sind bei der Herausnahme mässig durch-
tränkt. Die abgesaugte und zentrifugierte Flüssigkeit ist fast farblos, steril
und beträgt je 0,7 ccm bei einem Auge.
Baktericider Versuch.
Inhalt der Röhrchen je 0,5 ccm; davon 0,05 eem verdünnte Emulsion
einer 13 Stunden alten Agarkultur von Typhus „Gabersee“ in physiolo-
gischer Kochsalzlösung, der einige Tropfen Bouillon zugesetzt sind. Aus-
saaten mit der grossen Öse sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden auf Agar
ausgestrichen.
Koloniezahl
Art und Menge der zu
prüfenden Flüssigkeiten nach nach nach
|
3 Stän. | 7 Stdn. | 24 Stdn.
0,45 ccm akt. Kaninchenserum | 74 | 62 64 89 196
045 , , Trünensekret 16 | 66 58 105 115
Versuch III.
Schon nach !lj,stündigem Verweilen im geschlossenen Bindehautsack
eines Auges werden die Bäusche herausgenommen und ihrer spärlichen
Flüssigkeit beraubt.
Baktericider Versuch. Staphylokokken.
Inhalt der Röhrchen nur 0,35 ccm; davon 0,05 cem Aufschwemmung
einer 12stündigen Agarkultur von Staphylococcus pyogenes aureus in mit
etwas Bouillon versetzter physiologischer Kochsalzlösung. Aussaat mit grosser
Öse sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden durch Ausstreichen auf Agar.
Ce ee ee En mn
Koloniezahl
Art und Menge der zu | :
prüfenden Flüssigkeiten sofort „Nach | nach nach ' nach
7 | 1 Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. 24 Stdn.
0,3 cem akt. Trăānensekret | 197 | 158 | 205 | 450 ©
Versuch IV.
0,6 cem Flüssigkeit lieferten die Bäusche eines Auges, nachdem sie
2 Stunden im Bindehautsack gelegen hatten. Behuts Gewinnung von Serum
wurde dem Tier etwas Blut entzogen.
Baktericider Versuch. Streptokokken.
Inhalt der Röhrchen 0,35 cem; davon 0,05 eem Emulsion einer 12 Stun-
den alten Agarkultur von Streptokokken in physiologischer Kochsalzlösung,
238 R. Schneider
die 10°, Bouillonzusatz enthält. Aussaat mit grosser Öse auf Agar sofort.
nach ?j,, 3, 7 und 24 Stunden.
| Koloniezahl
| |. nach
‚sofort 37, Stde.
`
Art und Menge der zu |
prüfenden Flüssigkeiten nach | nach ! nach
3 Stdn. | 7 Stdn. . 24 Stdn.
0,3 ccm akt. Kaninchenserum | 177 ' 208 reichl. Isehrreichl. oo
03 , , Trünensekret ı 165 | 189 m reich), æ
Versuch V.
2 Stunden hatten die Wattebäusche diesmal im Bindehautsack gelegen
und aus einem Auge 0,77 ccm blassgelblicher Flüssigkeit ergeben. Vergleiclis-
halber wird auch Serum für den baktericiden Versuch gewonnen.
Baktericider Versuch. Pneumokokken.
Inhalt der Röhrchen 0,4 cem; davon 0,05 eem Aufschwemmung von
Pneumokokken, Stamm Rómer, der nach intraperitonealer Injektion von
0,0025 cem einer Pferdeserumbouillonkultur eine Maus in 24 Stunden tótete.
Aufschwemmungsflüssigkeit ist physiologische Kochsalzlósung mit 10^,
Pferdeserumbouillonzusatz und die Einsaat enthielt !|,;44, cem einer 14stün-
digen Pferdeserumbouillonkultur. Aussaat mit grosser Öse durch Aufstreichen
auf Löfflerserum in Petrischalen sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden.
Koloniezahl
Art und Menge der zu |
prüfenden Flüssigkeiten | nach | nach ' nach ` nach
[oon
] Stde. | 3 Stdn. 7 Stdn. '24 Stdn.
0,35 cem akt. Kaninchenserum , 196 | 190 , 275 — ` reichl.
0,30 , ,, Trünensekret | 194 | 235 | 155 | 26 | 0
Nach diesem Versuche könnte es fast scheinen, als ob das Sekret
die Pneumokokken abzutöten vermöge. Dem widerspricht jedoch das
Ansteigen der Keimzahl in der ersten Stunde; es macht vielmehr den
Eindruck, dass die eingesäten Pneumokokken nach anfänglicher Ver-
mehrung und Erschöpfung der hierzu notwendigen Stofte spontan zu-
grunde gehen. Diese Ansicht bekräftigt der nächste Versuch, in dem
dasselbe Tränensekret gegenüber echten Diphtheriebacillen. die hin-
sichtlich des Nährbodens weniger anspruchsvoll sind, geprüft wurde.
sowie Versuch XI und XIa.
Versuch VI.
Dasselbe Tränensekret und dasselbe Serum wie im Versuch V wird
am gleichen Tage auf sein Verhalten gegen Diphtlieriebaeillen untersucht.
Bakterieider Versuch. Diphtheriebaeillen.
Inhalt der Röhrchen 0,4 eem ` davon 0,05 eem Aufschwemmung einer
14stündigen Kultur von Diphtheriebaeillen auf Löfflerserum. Die Emulsion
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 939
wird in physiologischer Kochsalzlösung, die mit 10 |, Pferdeserumbouillon
versetzt ist, gemacht. Aussaat mit grosser Öse durch Ausstreichen auf Lóffler-
serum sofort, nach 1, 3 und 7 Stunden.
Kolonierall
Art und Menge der zu prüfenden
Flüssigkeiten Sotori nach | nach | nach
1 Stde. GE 3 Stdn. 4 Stdn.
ETT ccm akt. Kaninchenserum | 130 | 1 MI 188 | ungefähr 600
0,35 » Tränensekret 125 | 121 375 | a; 100
Aud der nächste Versuch bestätigt die vollkommene Unwirksam-
keit des Kaninchenserums wie der Bindehautflüssigkeit gegen Diph-
theriebacillen.
Versuch VII.
Aus den Wattebüuschen, die 2!|, Stunden im Bindehautsack eines
Auges gelegen haben, werden 0,6 ccm Flüssigkeit gewonnen und ebenso
wie das Serum des Tieres gegenüber Diphtheriebacillen geprüft.
Baktericider Versuch. Diphtheriebaeillen.
Inhalt der Röhrchen je 0,35 cem; davon 0,05 cem Diphtheriebacillen-
aufschwemmung einer 12 Stunden alten Kultur in physiologischer Kochsalz-
lösung, die 10°, Pferdeserumbouillon enthält. Aussaat mit grosser Öse auf
Lófflerserum sofort, nach 1, 3 und 7 Stunden.
- Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden | i i i
Flüssigkeiten ; | nach nach nach
: SS | 1 Stde. | 3 Stan. | 7 Stdn.
EE geseet C SIT. — Set. ———— Mà ` | = "lo E ae Ge re
0,3 cem akt. Kaineheiserin (0171 || 160 212 x
0,3 » » Tränensekret Ä 200 | 227 242 reich].
Dass die den Diphtheriebacillen stammesverwandten Xerosebacillen
sih Kaninchenserum und Tränensekret gegenüber ähnlich verhalten,
zeigt der nächste Versuch.
Versuch VIII.
Das verwendete 'Tränensekret wurde aus Wattebäuschen, die 2!|, Stun-
den im Bindehautsack gelegen hatten, ausgesaugt und zentrifugiert, wonaclı
eine lichtgelbe Flüssigkeit resultierte.
Bakterieider Versuch. Xerosebacillen.
Inhalt der Röhrchen je 0,5 cem; davon wieder 0,05 eem Emulsion einer
12stündigen Löfflerserumkultur von Xerosebacillen, die von einer leicht
katarrhalisch atlizierten menschlichen Conjunctiva sofort in Reinkultur ge-
züchtet waren. Aufschwemmung in physiologischer Kochsalzlösung mit 10 |,
Bouillonzusatz. Aussaat mit grosser Öse auf Löflerserum sofort, nach 1,
3, 7 und 24 Stunden.
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, LXXII. 2. 16
240 R. Schneider
Art und Menge der zu h h h I nach
üf d Flü E k it nac nac naci x
prüfenden Flüssigkeiten sofort | 4 Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. | 24 Stdn.
84 140
18 131
Dass die normale Conjunctivalflüssigkeit dem Diplobacillus Morax-
Axenfeld reichliche Vermehrung gestattet, während Kaninchen- —
und auch nebenbei bemerkt — Menschenserum ihn energisch abtötet,
erkennt man aus folgendem Versuch.
'
i
|
T1
102
44
41
53
50
0,45 ccm akt. Kaninchenserum
0,45 „ , Trünensekret
Versuch IX.
Das 2!/,stündige Sekret und das Serum ist mit dem von Versuch VII
identisch. Das Menschenserum ist durch Punktion der Vena mediana von
einem gesunden Menschen entzogen.
Der benutzte Diplobacillus stammte aus der Klinik Axenfelds und gedieh
auf unserm Fleischwasserpeptonagar recht gut, so dass im baktericiden Ver-
such die Aussaaten auch auf Agar hatten gemacht werden können; da je-
doch bei vergleichenden Untersuchungen immer etwas mehr Kolonien auf
Löfflerserum als auf Agar angegangen waren, wurden die den Röhrchen
entnommenen Proben durchgehends auf Löfflerserum ausgestrichen.
Bakterieider Versuch. Diplobacillen.
Inhalt der Röhrchen je 0,35 ccm; davon 0,05 cem Aufschwemmung
von einer 12stündigen Agarkultur des Diplobacillus in physiologischer Koch-
salzlösung, der 10°), Pferdeserumbouillon beigemischt ist. Aussaat mit
grosser Öse auf Löfflerserum sofort, nach 1, 3 und 7 Stunden.
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden
Flüssiekeiten g nach nach nach
; T Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn.
0,3 ccm akt. Kaninchenserum 118 0 | 0 0
03 , , Menschenserum 116 0 | 0 0
03 , , Trünensekret 113 118 | 310 oo
Die grosse Hinfälliekeit im Serum und im Gegensatz dazu die
gute Entwicklung in der Conjunctivaltlüssigkeit wurde für Diplobacillen
eigener Züchtung noch in einigen. andern. Versuchen der gleichen. Art
beobachtet.
Infolge einer kleinen Genickstarreepidemie, welche bei einem
hiesigen. Truppenteile ausgebrochen war, war es mir möglich, auch den
Meningocoeeus mit in den Bereich meiner Untersuchungen zu ziehen.
Der als Testobjekt verwendete Stamm rührte von einem Fälle her,
der in 30 Stunden letal geendet hatte, und war erst 2mal auf Löffler-
serum gezüchtet.
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 94]
Versuch X.
Zur Aufsaugung der Conjunctivalflüssigkeit hatten sich die Wattebäusche
2 Stunden im Bindehautsack befunden. Sekret und Serum spendete natür-
lich dasselbe Tier.
Baktericider Versuch. Meningokokken.
Inhalt der Röhrchen je 0,35 ccm; davon 0,05 cem Meningokokkenauf-
schwemmung. “Und zwar wurde eine Öse Löfflerserumkultur i in 109j, Pferde-
serumbouillon enthaltender Kochsalzlósung emulgiert. Aussaat mit grosser
Öse auf Löfflerserum en nach 1, 3 und 8 Stunden.
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden . h h h
Flüssigkeite nac nac nac
TONS sotort | 1 Stde. | 8 Stdn. | 8 Stdn.
0,3 ccm akt. Kaninchenserum 116 1 0 0
03 , aw Trünensekret 118 135 320 —
Als Ergänzung zu Versuch V, in dem die Pneumokokken im
Gegensatz zu. den Diphtheriebacillen im. normalen Conjunctivalsekret
langsam absterben, seien zwei Versuche noch hier angeführt, welche
die geringe Widerstandsfähigkeit des Pneumococcus erkennen lassen
und meiner Vermutung recht geben, dass sein Zugrundegehen wohl
weniger durch baktericide Substanzen als durch schlechte Ernährungs-
verhältnisse verursacht werde.
Versuch XI.
Einem Kaninchen wird in den Bindehautsack eines Auges Watte auf
l!|, Stunden eingelegt. Das aufgesaugte Sekret beträgt 0,4 cem; ausserdem
wird etwas Blut aus der Ohrrandvene entzogen.
Bakteriecider Versuch. Pneumokokken.
Inhalt der Röhrchen je 0,4cem; davon 0,05 ccm Pneumokokkenauf-
schwemmung in physiologischer NaC/-Lösung mit 10°), Pferdeserumbouillon-
zusatz. Aussaat mit grosser Öse auf Löfflerserum sofort, nach 3, 7 und
24 Stunden.
Kolonien "m
Art und Menge der zu prüfenden
Flüssigkeiten , nach nach nach
a SEN | 3 Stdn. 7 Stdn. E Stdn.
0,35 ccm akt. Kaninchenserum o "ma 112 ungefähr 600 —
0,39 , ,, Tráünensekret E: 10 | 67 D
0,35 „ phys. NaCl-Lósung 60 D , 29 14
Das Tränensekret verhält sich gegenüber den Pneumokokken in
diesem Versuch fast wie physiologische. IKochsalzlósung.
In dem folgenden Versuche scheint cine geringe Spur bakteri-
16*
949 | R. Schneider
cider Substanz unter dem Reiz der Wattebäusche in das Tränensekret
übergegangen zu sein, das eine langsame Vernichtung der hinfälligen
Pneumokokken bedingt.
Versuch XIa.
Beim Kaninchen werden auf beiden Augen Wattebäusche unter die
Lider geschoben und 1!|, Stunden daselbst gelassen. Dann wird die auf-
genommene Flüssigkeit in der üblichen Weise den Bäuschen entzogen und
zentrifugiert. Ausserdem wird dem Tiere etwas Blut zur Gewinnung von
Serum entzogen, von letzterem und von dem Tränensekret werden Proben
30 Minuten auf 56° erhitzt.
Baktericider Versuch. Pneumokokken.
Inhalt der Röhrchen je 0,35 ccm; davon 0,05 cem Pneumokokken-
emulsion in physiologischer Kochsalzlösung mit 10 prozentigem Zusatz von
Pferdeserumbouillon. Aussaat mit grosser Öse auf Löfflerserum sofort, nach
3, 7 und 24 Stunden.
Koloniozahl
Art und Menge der zu prüfenden P mdr | nach Ld
Flüssiekeit :
TOUT LONE Sii. | 7 Stdn. |24 Stdn.
0,3 cem akt. Kaninchenserum 19 | 82 | ungeführ500- oo
0,3 , inakt. 4 | 9 , 50 e
0,3 , akt. Tränensekret 10 | 49 2 , 1
0,3 „ inakt. " 138 | 19 1 | 0
Versuche mit Gonokokken scheiterten gänzlich, indem letztere in
dem erhitzten wie in dem nicht erhitzten Serum und Tränensekret
des Kaninchens rasch abstarben, obgleich die aus frischem Urethral-
eiter gezüchteten Kokken aus Ascitesagar verhältnismässig gut gediehen.
Aus den angeführten Versuchen geht also hervor, dass
die normalerweise im Bindehautsacke anzutreffende Flüssig-
keit, die ich kurz Tränensekret oder auch Conjunctivalflüssigkeit ge-
nannt habe, und die eine Mischung der Absonderungsprodukte, Tränen-
drüse und der Bindehaut darstellt, aktiver baktericider Stoffe
entbehrt.
Die Abnahme der Pneumokokken in obigen Beispielen habe ich
schon als ein durch die Ungunst des Nährmediums bedingtes spon-
tanes Absterben charakterisiert. Dies ist wohl auch bei dem anspruchs-
vollen und empfindlichen Gonococeus die hauptsächlichste Ursache für
die Raschheit, mit der er in allen Flüssigkeiten im Vitroversuch zu-
grunde geht.
Bei dem weitgehenden Parallelismus, der zwischen der bakteri-
ciden, hämolytischen und opsonierenden Aktion des normalen
Serums besteht, musste eine Orientierung, wie sich hinsichtlich der
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 243
beiden letzteren die Conjunctivalflüssigkeit verhält, von Interesse sein.
Dies um so mehr, als im allgemeinen der hämolytische Versuch
eine noch feinere Reaktion zum Nachweise etwa vorhandenen Alexins
ist als der baktericide.
Mehrmals daher wurden vergleichende Untersuchungen über die
elobulicide Kraft des Tränensekretes und des entsprechenden Kanin-
chenserums angestellt. Das stets gefundene Ausbleiben der Auf-
lösung der Erythrocyten in der Conjunectivaltlüssigkeit illustriere
der eine folgende Versuch.
Versuch XII.
Das Tränensekret und Blutserum ist identisch mit dem im Versuch I
gegen Typhusbacillen geprüften.
Hämolytischer Versuch.
Inhalt der Röhrchen 3 cem; davon a Leem einer 5 prozentigen Auf-
schwemmung gewaschener Ziegenblutkórperehen und b. Leem einer Ver-
dünnung (1: 320) eines inaktiven Antiziegenblutkórperchenserums vom
Kaninchen. a. und b. werden !|, Stunde vor Beginn des Versuches bei
Zimmertemperatur miteinander gemischt. Auffüllungsflüssigkeit: physiolo-
gische Kochsalzlösung. |
Art und Menge der zu prufenden en eh á
Flüssigkeiten || Hämolyse nach 2 Stdn. 38
0,2 ccm akt. Karinchenserum | vollständig
0, 1 29 H 39 an .
0,05 Ex 295 e | fast vollständig
» inakt. keine
0,3 „ akt. Tränensekret
PP
Ebensowenig wie von einer baktericiden und hämoly-
tischen Wirkung kann von einer eigentlichen opsonierenden
bei der normalen Conjunetivalflüssigkeit die Rede sein. Dies
konstatierte ich an mehreren in der früher geschilderten Weise aus-
geführten Phagocytoseversuchen.
Wohl nahmen die Kaninchenleukoeyten nach Y, bis 1 Stunde die
dargebotenen Typhusbacillen und Staphylokokken pone besser in ak-
tiver 'Trünentlüssigkeit als in inaktivem. Kaninchenserum, dem bekannt-
lich ein hemmender Eintluss zukommt, auf, doch liess sich die Phago-
eytose nicht mit der intensiven und sogleich einsetzenden im aktiven
Kaninchenserum vergleichen.
Es kann somit auf Grund meiner Versuche jede Alexinwirkung
wie bakteriolytische Wirkung überhaupt der normalen Tränen und
Conyunctivaltlüssigkeit beim Kaninehen ausgeschlossen werden. Man
darf daher wohl auch annehmen, dass beim lebenden Tier und Men-
244 R. Schneider
schen keine baktericiden Substanzen in jene Sekrete normalerweise
übergehen, und dass eine aktive desinfizierende Wirkung der
Tränen bei der Selbstreinigung des Bindehautsackes keine
Rolle spielt.
Demnach müssen auch wir in den mechanischen Momenten
die wichtigsten Faktoren für die Regulierung des Keim-
gehaltes des Bindehautsackes erblicken. Es sei jedoch hier auf einen
Punkt hingewiesen: Erstaunlich ist die rasche Abnahme der Zahl der
Mikroorganismen, die nach künstlicher Infektion mit der Platinöse aus
dem Conjunctivalsack wieder entnommen werden können. Van Gen-
deren Stort und Bach haben ziffernmässige Zusammenstellungen
nach eigenen Versuchen mitgeteilt, bei denen selbst von grossen
Mengen eingeführter Bakterien schon nach kurzer Zeit — nach !], bis
1 Stunde — keine oder nur wenige Exemplare nachzuweisen waren.
Folgende zwei Beispiele, die hóchstens hinsichtlich der Art der im-
plantierten Keime etwas Neues bieten, sollen diese Erscheinung noch-
mals vor Augen führen.
Versuch XIII.
Einem Kaninchen mit gesunder Conjunctiva und normalen Tränen-
wegen wird 0,05 cem einer 12stündigen Pferdeserumbouillonkultur von
Pneumokokken in den unteren Bindehautsack unter Abhebung des Lides
instilliert. In bestimmten Intervallen wird mit Platinóse etwas von dem
Inhalt des Conjunctivalsackes entnommen und auf Lófflerserum ausgestrichen.
Zeit nach der Infektion | Zahl der Kolonien
sofort unzühlige
nach 20 Minuten reichliche
» 40 » 126
» 90 , 14
» 90 "n 0
Versuch XIV.
Einem gesunden Kaninchen werden in 0,05ccm Aufschwemmungs-
flüssigkeit ungefähr 10 Millionen Diplobacillen eingeträufel. Von Zeit zu
Zeit wird auf Löfflerserum die über die untere Conjuncetiva geführte Platin-
öse ausgestrichen.
Zeit nach der Infektion ! Zahl der Kolonien
sofort | unzählige
nach 5 Minuten | -
ee 19 5 reichliche
», 390 5 312
» 49 » | 40
» 60 ” 21
» 2 Stunden | 9
» 2l » 14
» A » | 13
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 245
Es geht nun nicht an, diese rapid fortschreitende Reduktion der
Koloniezahl allein als den Effekt des Lidschlages, der Berieselung und
Verdünnung durch die Trünen und des Transportes nach der Nase
zu anzusehen. Man würde ‘diese Faktoren überschätzen, würde man
die grosse Oberfläche, auf welche die in 0,05ccm Aufschwemmungs-
flüssigkeit enthaltenen 10 Millionen Keime durch Kapillarattraktion
beim Lidschluss verteilt werden, nicht berücksichtigen. Wieviel 100 qmm
Bindehautoberfläche im Vergleich zu der schmalen Fläche, welche die
nicht über 4 qmm messende Platinöse bestreicht! Wieviel Schlupf-
winkel bieten sich den Keimen in den Falten und Taschen der Con-
junctiva, besonders der des unteren und oberen Fornix.
Die Zahlen der Kolonien auf der Löfflerserumplatte spiegeln
nicht den Grad des Verschwindens der Bakterien aus dem Bindehaut-
sacke wider. Die regulierende Wirkung der mechanischen Momente
ist bei weitem nicht so gross als wie es bei künstlichen Infektions-
versuchen und nach obigen Zahlen den Anschein hat. Man könnte
sonst nicht begreifen, wie bei normalem Lidschlag und durchgängigen
Tränenwegen der Bindehautsack relativ häufig eine nicht unbeträcht-
liche Zahl Keime enthalten kann. Ihr Schicksal wird jedenfalls durch
das Zusammenwirken verschiedener Faktoren bestimmt; von diesen
rangieren die bekannten mechanischen Momente wohl an erster Stelle,
während die vielfach angenommene baktericide Eigenschaft der nor-
malen Tränenflüssigkeit nicht existiert.
Einfluss der Adstringentia und Antiseptica
auf die Baktericidie der Conyunctivalflüssigkeit.
Nachdem so die Vorfrage gelöst war, konnte an die Behandlung
der eigentlich gestellten Aufgabe herangetreten und geprüft werden,
wie sich die antibakterielle Aktion der Conjunctivalflüssigkeit nach
Anwendung der hauptsächlich bei der Behandlung von Bindehauter-
kankungen in Betracht kommenden Heilmittel gestaltet.
Allgemeines über die Wirkung der Adstringentia.
Seit langer Zeit spielen in der Therapie der Bindehauterkran-
kungen die „Adstringentien® eine grosse Rolle Im Unkenntnis über
die Ätiologie der Conjunctivitiden wurde bei ihrer Behandlung das
Hauptaugenmerk auf ihre Symptome: die Rötung, Schwellung und
Absonderung der Bindehaut und deren Beseitigung gerichtet. Man
hatte Mittel gefunden, die infolge ihrer Fähigkeit mit dem Eiweiss
der Sekrete und Zellen eigentümliche Verbindungen einzugehen und
246 R. Schneider
so koagulierend zu wirken, den Symptomenkomplex des Bindehaut-
katarrhs heilend beeinflussen sollten. Wird ein solches Mittel in ent-
sprechend konzentrierter Lösung auf eine Schleimhaut gebracht, so
entsteht auf ihr ein häutchenförmiger Überzug, der sich wohl auch
runzeln und die darunter liegende Schleimhaut in kleine Falten zu-
sammenziehen kann; — daher der Name „Häutchenbildner“ — und
„Adstringens“. Der therapeutische Effekt derselben sollte nun darin
bestehen, dass nach Abstossung des Koagulationsschorfes und während
der Neubildung der oberflächlichen Epithelschicht die entzündlichen
Erscheinungen unter das frühere Niveau heruntergingen, und durch
erneute Applikation der Mittel der Entzündungsgrad immer weiter
herabgesetzt wurde.
Als man dann in gewissen Mikroorganismen die Erreger der
meisten Conjunctivitiden kennen gelernt hatte, sah man neben dem
symptomatischen Erfolg der durch die Adstringentien verursachten
Escharabildung auch darin ein heilendes Moment, dass mit Abstossung
der koagulierten, oberflächlichen Epithelschicht auch gleichzeitig die
ihr anhaftenden Bakterien abgestossen würden. Daneben rechnete man
mit einer direkt desinfizierenden Wirkung der Adstringentia, die sich
entsprechend ihrer Einwirkung auf lebendes tierisches und pflanzliches
Eiweiss auch als Bakteriengifte, „Antiseptica“ — in vitro wenigstens
— bewährt hatten.
Dies sind die Vorstellungen, die man sich von der Wirkung der
Adstringentien gebildet hat, und wie sie in den zusammenfassenden
Arbeiten von Th. Saemisch (36) und H. Snellen jr. (37), sowie in
der von ihnen bis zum Jahre 1904 citierten umfangreichen Literatur
zum Ausdruck gebracht sind.
Erst in neuerer Zeit wurde die Bedeutung der Adstringentien
auch in anderer Richtung gewürdigt. Zur Nedden (loc. cit.) hatte,
wie oben schon erwähnt wurde, im Sekret katarrhalisch erkrankter
Bindehäute Dysenterie-, Typhus- und Diplobacillen abtötende Sub-
stanzen sowie Opsonine nachweisen können. Ausserdem hatte er wegen
der Schwierigkeiten, die andere augenpathogene Bakterien für die ein-
wandfreie Durchführung von. Reagenzglasversuchen machen, im mikro-
skopischen Präparat die Veränderungen, welche die Keime im Binde-
hautsekret erleiden, ausser an Dysenterie- und Diplobacillen auch an
Pneumokokken, Koch-W eeksschen Bacillen und Gonokokken studiert.
Brachte er in blennorrhoisches Bindehautsekret Dysenteriebacillen,
so wurden sie teilweise phagocytiert, teilweise gingen sie auch extra-
eellulär zugrunde, was an ihrem Zerfall und ihrer schlechten Färb-
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 247
barkeit zu erkennen war. Diplobacillen wurden von den Leukocyten
nicht aufgenommen, erlitten aber stellenweise nicht zu verkennende
Veränderungen. Die Pneumokokken, Koch- Weeksschen Bacillen und
Gonokokken untersuchte zur Nedden nicht in Reinkultur, sondern
im Sekret der von ihnen infizierten Conjunctiven, indem er die be-
treffenden Sekretflocken im hohlgeschliftenen Objektträger bei 37° hielt.
Morphologische Veränderungen waren nicht zu beobachten, jedoch
soll hie und da eine Keimvermehrung nach nigen Stunden einge-
treten sein.
Mit Recht erblickt zur Nedden in dem Wirksamwerden der
pathologischen Conjunctivalsekrete die Folge einer Heilung bringenden
Reaktion des infizierten Gewebes, indem die Entzündung den Austritt
baktericider Substanzen aus dem Blute bedinge. Aufgabe der Behand-
lung der Conjunctivitiden nun sei es, die Selbstheilung im Sinne Biers
durch Hyperämisierung der erkrankten Schleimhaut zu unterstützen;
dies geschehe seit langer Zeit durch die Adstringentien.
Als zur Nedden die eben angeführten Untersuchungen und Er-
wägungen anstellte, war ihm von der Existenz der Leukine noch nichts
bekannt. Für ihn kam als keimtötende Substanz nur das Alexin des
Blutes in Frage. Dass er auf dieses die Wirkung der Sekrete zurück-
führt, erhellt auch aus seinem inzwischen erschienenen Vortrage (38),
in welchem er behauptet, dass „das Blutserum schon unter normalen
Verhältnissen für alle Arten von Mikroorganismen in hohem Masse
bakterientötende Eigenschaften besitze“. Dem ist jedoch nicht so,
bildet doch z. B. das Blutserum für eine Reihe Bakterien, Pneumo-
kokken, Streptokokken, Diphtheriebacillen sogar einen guten Nährboden.
Wenn also im Conjunctivalsekret derartige Infektionserreger zugrunde
gehen sollen, so müssen neben dem Blutalexin noch andere Stoffe vor-
handen sein. Im übrigen hat zur Nedden die Baktericidie der patho-
logischen Sekrete nur gegenüber solchen Bakterien geprüft, die der
Alexinwirkung zugänglich sind.
In der oben citierten Publikation erwähnt in Beziehung auf meine
Arbeit zur Nedden mit einigen Worten auch schon, wie er sich habe
überzeugen können, dass die Leukocyten des blennorrhoischen Binde-
hautsekretes sich bakterientötenden Sekretes entäussern können; doch
stehe die Wirkung des letzteren hinter der des Serums zurück.
Hat auch somit zur Nedden, wie wir noch genauer schen wer-
den, das bakterientötende Moment der Conjunetivalsekrete nicht voll-
kommen erkannt, so hat er doch das Verdienst, auf die Möglich-
keit hingewiesen zu haben, dass die Adstringentien durch Vermeh-
94S R. Schneider
rung der baktericiden Substanzen der Entzündungsprodukte wirken
könnten.
Aus der Schar der heute noch verwendeten Adstringentien habe
ich für meine Versuche das Argentum nitricum, das Protargol und
das Zincum sulfuricum ausgewählt. Diese drei Mittel empfahlen sich
von selbst für die Experimente, sind sie doch in ihrer Wirkung und
hinsichtlich der Indikation ihrer Anwendung am besten studiert und
auch heute noch allen Ersatzpräparaten zum Trotz am meisten im
Gebrauch.
Argentum nitricum.
Es ist der Veteran der Adstringentien, indem es schon anfangs des
18. Jahrhunderts von St. Yves als Augenheilmittel benutzt wurde. Und
heute marschiert es immer noch an der Spitze, nachdem A. v. Graefe (39)
es 1854 der Vergessenheit entzogen und die Prinzipien seiner Wirkungs-
weise und Anwendung in seiner klassischen Arbeit fixiert hat. Eine be-
sondere Wertschätzung erfuhr das Silbernitrat, als es vor 28 Jahren in
Gestalt des Credéschen Tropfens als Prophylaktikum der Ophthalmoblen-
norrhoea neonatorum seine Einführung fand. Als solches und als Adstringens
erfreut es sich, wie gesagt, auch heute noch bei allen akuten, mit Schwel-
lung und starker Sekretion einhergehenden Katarrhen der Conjunctiva all-
gemeiner Beliebtheit. In 1—2 prozentiger Lösung wird es empfohlen und
seine Wirkung auch in den neuesten Lehrbüchern von Fuchs (40) und
Axenfeld(41) noch als besonders auf seiner Schorfbildung in oben skiz-
ziertem Sinne beruhend gedeutet.
Eigene Untersuchungen.
In meinen Versuchen wurde das Argentum nitricum meist in
1 prozentiger Lösung verwendet. Ein oder mehrere Tropfen derselben
wurden unter Abhebung des Unterlides in den unteren Bindehautsack
eingeträufelt und dann durch leichtes Streichen mit den Lidern für
ihre gleichmässige Verteilung auf der Bindehaut gesorgt. Hierbei oder
schon beim Anlegen des abgehobenen Lides fliesst der grösste Teil
der Flüssigkeit milchig getrübt wieder ab, so dass die zur Neu-
tralisation etwaigen überschüssigen Silbernitrats eingegossene physio-
logische Kochsalzlösung durch Chlorsilber kaum oder gar nicht ge-
trübt wird.
Welches. sind. nun. die Erscheinungen. an. dem. Kaninchenauge
nach der Instillation2 Nehmen. wir z. B. an, es sei 0,05 cem einer
] prozentigen Argentum nitricum- Lösung in obiger Weise eingeträufelt
und neutralisiert worden. Fast momentan überzieht sich die bespülte
Conjunetiva mit einem weissbläulichen Hiäutchen, durch welches das
darunter befindliche Rot der gleichmässig injizierten Schleimhaut zu
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 9249
einem zarten Rosa gemildert wird. Auch die Cornea hat eine zarte
obertlächliche Trübung bekommen. Die Tränenabsonderung ist etwas
vermehrt, aber nicht so sehr, dass der Abfluss nach der Nase nicht
genügte. In der noch klaren Flüssigkeit finden sich abgestossene
Epithelien und bereits vereinzelte Leukocyten von schlechtem Aussehen.
Nach ungefähr 10 Minuten schon beginnt die Abstossung des dünnen,
weisslichen Schorfes, der zu Fäden zusammengerollt oder in Flocken
zusammengeballt in den Canthus internus zu liegen kommt. Das
Sekret staut sich im Bindehautsack etwas, vielleicht fliesst ein Tröpf-
chen am inneren Augenwinkel über und benetzt dessen äussere Haut.
Macht man eine Viertelstunde nach der Instillation ein Ausstrich-
präparat von der inzwischen makroskopisch leicht getrübten Conjunc-
tivaltlüssigkeit, so findet man neben zugrunde gegangenen Epithelzellen
und deren karyolysierten Kernen polymorphkernige Leukocyten in nicht
mehr geringer Anzahl. Indem sich nun die Eschara immer mehr ab-
löst und die gerötete Conjunctiva mit ihren injizierten Gefässen sich
deutlicher präsentiert, sammelt sich das Sekret etwas reichlicher an;
dies halte ich weniger durch eine weiter gesteigerte Absonderung, als
dadurch verursacht, dass infolge einer inzwischen stärker gewordenen
Schwellung der Conjunctiva der Abfluss durch die Tränenspalte be-
hindert wird. Während der zweiten Viertelstunde schreitet die Trü-
bung der Tränenflüssigkeit durch die in ihr suspendierten Schorfteil-
chen, isolierten Epithelien und ausgewanderten Leukocyten fort; sie
erhält dadurch eine grosse Viskosität und mehr schmieriges Aussehen.
Saugt man von ihr etwa !|, Stunde nach der Hóllensteininstillation
etwas auf, so zeigt sie milchige Trübung und im mikroskopischen
Präparat neben den abgestossenen Epithelien und ihren Trümmern
ziemlich zahlreiche Leukocyten. Während sich dann die Schleimhaut-
oberfläche von den letzten Resten anhaftenden Schorfes befreit, behält
das Sekret seine milchige Trübung, indem die Leukocyten immer zahl-
reicher werden und die Epithelien verschwinden. Allmählich sistiert
auch die Leukocytenemigration, das Epithel der Conjunctiva regeneriert
sich und nach einigen Tagen ist das Auge zu normalem Aussehen
zurückgekehrt.
So etwa verläuft die Reaktion nach Instillation der geringen
Mengen von 0,05 ccm 1lprozentiger Silbernitratlösung. Atzt man durch
Benutzung grösserer Mengen oder konzentrierterer Lösungen stärker,
so sind natürlich die entzündlichen Erscheinungen auch grösser; be-
sonders hält die eitrige Sekretion länger an und die Restitutio ad
integrum nimmt, wenn sie überhaupt eintritt, mehr Zeit in Anspruch.
950 R. Schneider
Die Stärke der Reaktion ist bei gleicher Quantität und Konzentration
auch individuell verschieden.
Das Charakteristische des Effektes der Argentuminstillation ist,
wie wir gesehen haben, neben der Schorfbildung die rasche und inten-
sive Leukocytenemigration. Nimmt man sich die Zeit und gibt man
sich Mühe, so kann man, wie es in folgendem Versuch geschehen ist,
das Sekret nach der Einträufelung in einer bescheidenen Menge sammeln
und nach Trennung von den cellulären Bestandteilen auf seine bakte-
ricide Wirksamkeit untersuchen.
Versuch XV.
Einem Kaninchen werden in den Bindehautsack beider Augen je zwei
Tropfen einer 1 prozentigen Silbernitratlösung eingeträufelt; letztere fliesst,
milchig getrübt, sofort zum grössten Teile ab. Dann werden die Augen
mit je 10 ccm physiologischer Kochsalzlösung ausgespült. Eine Viertelstunde
nach der Instillation wird mit Hilfe einer Kapillarpipette begonnen, das
weissliche Sekret aus den Conjunctivalsäcken aufzusaugen — -mit dem Re-
sultat, dass in 15 Minuten 0,35 cem desselben gesammelt werden — „Con-
junctivalsekret I“ —. Eine Stunde nach der Einträufelung wird wieder
etwas Sekret in der geringen Menge von 0,15 cem aufgesaugt — „Con-
junctivalsekret II^ —. Beide Flüssigkeiten werden klar zentrifugiert; der
Bodensatz enthält zahlreiche Leukocyten, die im Bodensatz des Conjunctival-
sekretes I mit reichlichen Epithelzellen vermischt sind. Ausserdem wird dem
Tier etwas Blut entzogen; von dem ausgepressten Serum und der Con-
junetivalflüssigkeit wird je O,1 cem !|, Stunde auf 56° erhitzt.
Baktericider Versuch.
Inhalt der Röhrchen 0,5 cem, davon 0,05 cem Aufschwemmung von
Typhusbacillen in physiologischer Kochsalzlösung, der einige Tropfen Bouillon
zugesetzt sind. Auffüllungsflüssigkeit ist physiologische Kochsalzlösung. Aus-
saat mit grosser Öse (0,0125 ccm fassend) auf Agarplatten sofort nach 1,
3, 7 und 24 Stunden.
Koloniezahl
Art und Menge der zu
prüfenden Flüssigkeiten sofort nach nach nach nach
1 Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. | 24 Stdn.
|
0,1 cem akt. Kaninchenserum ' 123 | 29 0 38 reichlich
0,1 ,, inakt. » 120 118 260 reichlich o
0,1 „ akt. Conjunct.-Sekret I! 126 0 0 0 0
0,1 , inakt. 5 I| 121 0 0 0 Ü
0,1 , akt. e II! 116 1 0 0 0
0,45,, phys. NaCl-Lósung | 114 96 | 959 7 91 oc
Wir sehen also bei beiden Conjunctivalsekreten eine baktericide
Wirkung auf die eingesäten Keime, die stärker als die des Serums
ist und im (Gegensatz zu dieser einhalbstündiges Erhitzen auf 56°
verträgt.
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 251
Bei meinen weiteren Versuchen benutzte ich zur Gewinnung der
Sekrete die früher geschilderte Wattebauschmethode. Dies war ge-
stattet, nachdem früher festgestellt war, dass der Reiz der eingelegten
Watte noch keinen Übertritt baktericider Substanzen veranlasst und
der vorige Versuch gezeigt hatte, dass das Sekret infolge der Iustil-
lation des Adstringens allein baktericide Eigenschaft erhült. Allerdings
kann nicht bestritten werden, dass durch die Summation des mecha-
nischen und chemischen Reizes die entzündliche Reaktion wohl etwas
verstärkt wird.
Versuch XVI.
Einem Kaninchen werden nach Instillation mehrerer Tropfen 1 pro-
zentiger Höllensteinlösung und nachfolgender Neutralisation mit physiolo-
gischer Kochsalzlösung kleine Wattebäusche unter die Lider geschoben und
diese durch je eine oberflächliche Hautnaht geschlossen gehalten. Nach
3!|, Stunden erfolgt die Herausnahme und Absaugung der farblosen Bäusche,
die eine 1,4 ccm betragende, weissgelbliche Flüssigkeit liefern. Nach Ent-
nahme der Watte wird aus einem Bindehautsack 0,05 cem des noch in ihm
befindlichen milchigen Sekretes aufgesaugt und behufs Feststellung der
Lebensfähigkeit der Leukoeyten hierzu 1, Öse einer Typhusbacillenkultur,
welche in 0,05ccm einer 4 °,, natriumzitrathaltigen physiologischen Koch-
salzlósung emulgiert ist, hinzugesetzt. Nach weiterer Zugabe von 0,2 ccm
aktiven Kaninchenserums wird das Gemisch bei 38° gehalten und aus ihm
in viertelstündigen Intervallen Ausstriche gemacht. Es zeigt sich an den
hitzefixierten und nach Giemsa gefärbten Ausstrichpräparaten, dass die reich-
lich vorhandenen polymorphkernigen Leukocyten fast durchgehends die dar-
gebotenen Typhusbacillen massenhaft aufgenommen haben.
Baktericider Versuch a. Typhusbacillen.
Von dem Conjunctivalsekret und dem frisch gewonnenen Serum des
Tieres ist eine kleine Portion 35 Minuten auf 56° erhitzt worden. Der
Inhalt der Röhrchen beträgt 0,35 ccm; hiervon ist 0,05 cem eine Aufschwem-
mung des Typhusbaeillus „Gabersee“, für den das Serum kaum eine ab-
tötende Wirkung hat. Aussaat mit grosser Öse auf Agar sofort, nach 3,
7 und 24 Stunden.
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden | , | i
- Flüssigkeiten nacn MACAE F a EN
B SES 3 Stdn. | 7 Stdn. ' 24 Stdn.
0,3 ccm akt. Kaninchenserum 64 15 39 | o
03 , inakt. 5 61 ! 11 296 | oo
03 , akt. Conjunctivalsekret 65 | 0 0 ! 0
0,3 „ inakt. e 65 | 0 0 | 0
Baktericider Versuch b. Staphylokokken.
Inhalt der Róhrchen ebenfalls 0,35 eem; davon 0,05 cem Emulsion
einer 12stündigen Agarkultur von Staphylococcus pyogenes aureus in phy-
2592 R. Schneider
siologischer Kochsalzlösung mit Zusatz einiger Tropfen Bouillon. Aussaat
mit grosser Öse wie im vorigen Versuch.
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden
Flüssigkeiten nach
sofort nach
| 3 Stdn. 7 Stdn. 24 Stdn.
0,8 ccm akt. Kaninchenserum 74 3 95 oo
03 , inakt. - 15 165 reichl. o
0,3 „ akt. Conjunctivalsekret 77 0 0 0
0,3 „ inakt. de 80 0 0 0
Hämolytischer Versuch.
Je Leem 5 prozentiger Ziegenblutkörperaufschwemmung und 1 cem
eines verdünnten Antiziegenblutserums wird in den Röhrchen eine halbe
Stunde vor Zusatz der zu prüfenden Flüssigkeiten behufs Präparierung der
ersteren zusammengemischt. Die Röhrchen werden mit physiologischer Koch-
salzlósung auf 3 cem aufgefüllt und bleiben 2 Stunden bei 389.
nach
Art und Menge der zu prüfenden
u. Flüssigkeiten Ee Hämolyse nach 2 Stunden
0,1 ccm akt. Kaninchenserum | vollständig
005 , » » teilweise
0,025, ,, m deutliche Spur
001 , s» » Spur
03 , , Conjunctivalsekret së
Qo 3s e keine
1,0 ,, Kochsalzlósung »
Im Gegensatz zu dem Serum des Tieres ist die nach der Höllen-
steineintráufelung produzierte Conjunctivalflüssigkeit durch eine kräftige
thermostabile Aktion für den Typhusbacillus „Gabersee“ und den
Staphylococeus aureus ausgezeichnet. Dies schliesst schon eine Identi-
fizierung mit der Alexinwirkung aus; ausserdem aber weist auch die
geringe hämolytische Wirkung des Sekretes im Vergleich zu der des
Serums darauf hin, dass nur eine minimale Menge von gelösten Serum-
bestandteilen ausgetreten ist.
Das Conjunetivalsekret hat hinsichtlich seiner Wirksamkeit eine
weitgehende Ähnlichkeit mit der Unterhautzellgewebsiymphe; es lag
daher der Gedanke nahe, dass jene ihre Bakterieidie wie diese ihre
Gehalte an Leukoeytenstoften verdankt.
Zur Bestätigung dieser Vermutung wurden m dem folgenden
Versuche Leukoerten, die in das Conpunetivalsekret nach der Silber-
nitratlösung ausgewandert waren, in unwirksamer, normaler Conjunc-
tivaltlüssigkeit digeriert und dann das Digest auf seine bakterientötende
Fähigkeit geprüft.
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 253
Versuch XVII.
Von zwei Kaninchen wird, bei dem einen ohne dass etwas vorher
eingeträufelt wurde, in beide Bindehautsäcke Watte eingelegt. Dem zweiten
wird beiderseits 0,2 ccm einer 1prozentigen Argentum nitricum - Lösung ein-
geträufelt, aber nur auf dem einen Auge Watte unter die Lider geschoben.
Nach 2 Stunden werden die Wattebäusche bei beiden Tieren in der üb-
lichen Weise entnommen, abgesaugt und die gewonnenen Flüssigkeiten ge-
trennt zentrifugiert: „normales Conjunctival-Sekret“ und „Watte AgNO;-
Sekret‘. Aus dem Auge, das nach der Silbernitratlösung keine Wattebäusche
erhalten hatte, wird nach 2 Stunden in kleinen Portionen das im Binde-
hautsack befindliche Sekret in der Gesamtmenge von nicht ganz 0,35 ccm
aufgesaugt, zentrifugiert — „AgyNO,-Sekret‘“ — und von dem ausgeschleu-
derten Bodensatz 0,04 cem in 0,8ccm normaler Conjunctivalflüssigkeit des
ersten Tieres 25 Minuten bei 38? digeriert und dann wieder mit der Zen-
triffuge eliminiert — „A9NO,-Leuk. Digest“ —. Alle Flüssigkeiten sind klar,
von leicht gelblicher Farbe und gerinnen nicht.
Baktericider Versuch. Typhusbacillen.
Inhalt der Röhrchen je 0,5 ecm, davon 0,05 eem Aufschwemmung einer
12 Stunden alten Typhusbacillenagarkultur in physiologischer Kochsalzlösung
mit geringem Bouillonzusatz. Aussaat mit grosser Öse auf Agar sofort,
nach 3, 7 und 24 Stunden.
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden
Flüssigkeit nach nach nach
MEET SE | 3 Stdn. | 7 Stdn. | 94 Stdn.
0,3 ccm AgNO,-Sekret” 103 d 0 0
0,45 Watte AgNO,- Sekret 107 0 0 0
0,45 ,, Norm.-Conjunctivalsekr. 108 161 362 ao
045 , AgNO,-Leuk.-Digest 100 36 4 0
War durch diesen Versuch schon mit grosser Wahrscheinlichkeit
dargetan, dass das Silbernitratsekret seine Wirkung durch die von den
ausgewanderten Leukocyten herrührenden Leukine enthält, so wurden
doch noch einige Experimente angestellt, auf Grund deren ich jede
etwa mit dem Höllenstein zusammenhängende chemische Wirkung des
Sekretes wollte ausschliessen können.
Dass nicht etwa nach der Neutralisation des Argentum nitricum
zurückgebliebene chlorsilberhaltige Flüssigkeit in die Bäusche eindringt
und den wirksamen Bestandteil der später abgesaugten Conjunctival-
flüssigkeit abgibt, erhellt aus dem nächsten Versuch.
Versuch XVIII.
Das eine Auge eines Kaninchens wird mit einer Flüssigkeit, in der
auf 1Ocem physiologischer Kochsalzlösung 4 Tropfen einer 1 prozentigen
254 R. Schneider
Silbernitratlósung zugesetzt sind, ausgiebig bespült; dann wird in seinen
Conjunetivalsack Watte eingelegt; das gleiche geschieht auf dem andern
Auge, ohne dass vorher etwas an ihm vorgenommen ist. Die Bäusche
werden nach 2!|, Stunden herausgenommen und die in ihnen enthaltene
Flüssigkeit in der üblichen Weise gewonnen und zentrifugiert. Die Aus-
beute beträgt auf jedem Auge ungefähr 0,7 cem.
Baktericider Versuch. Typhusbacillus „Gabersee“.
Inhalt der Röhrchen je 0,5 cem, davon 0,05 cem Emulsion von einer
12stündigen Agarkultur des Typhusbacillus „Gabersee“. Aussaat mit grosser
Öse auf ios sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden.
e | Kolonieankl
Art und Menge der zu prüfenden |
Flüssigkeit 4. |; nach | nach nach nach
EE sofort |4 Stde.|3 Stdn. | 7 Stdn. | 24 Stdn.
0,45 ccm akt. Norm. - Conjunetiv al- | | | |
sekret | 16 66 58 | 165 | 115
045 , , ChHlorsilber-Conjunc- | |
tivalsekret 74 | 62 64 | 89 , 196
Um dem Einwand zu begegnen, dass etwa dem Atzschorf von
dem Argentum nitricum herrührende bakterienfeindliche Stoffe an-
haften, wurde in folgendem Versuch mit dem Einlegen der Watte
D Bun nach der Instillation gewartet, damit sich die Eschara
erst abstossen konnten.
Versuch XIX.
In das eine Auge eines Kaninchens wird 0,5 cem 1 prozentige Hóllen-
steinlósung eingetrüufelt und dann neutralisiert. Die Conjunetiva zeigt dar-
aufhin die typischen Veränderungen: weisslicher Ätzschorf, Injektion und
ziemlich starke Absonderung. Nach UL, Stunden hat sich die Sehorfsehichte
in weisslichen Fäden und Flocken abgestossen. Erst dann erfolgt beider-
seits — auf dem zweiten Auge ohne vorangegangene Instillation — die
Einlegung der Watte, die im Höllensteinauge nur eine Viertelstunde, im
kontrollauge !/, Stunde liegen bleibt. Gewinnung der Sekrete in gewohnter
Weise.
Bakterieider Versuch. Staphylokokken.
Inhalt der Röhrchen 0,35 eem; davon 0,05 eem Emulsion einer 13 stün-
digen Staphylokokkenkultur auf Agar. Aussaat mit grosser Öse sofort, nach
1, 3, 7 und 24 Stunden auf Agar.
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden |
Flüssigkeiten nach ; nach : nach ' nach
Stde. -3 Stdn. | 7 T Stdn. | 24 Stdn.
sofort 1n 1
|
|
o cem Size Xorm.-Conj. Sukret | Xp : ET
0, | 203 | ond 500 E: ac
Od ue se NUES. uw. 0 429 D a 0
0,3 , inakt. ,, ss E . 130 | 345 | o" 0 | 0
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 255
Wurde in den bisherigen Versuchen auf die gründliche Beseiti-
gung der instillierten Flüssigkeiten aus dem Bindehautsack gesehen,
so geschah dies in dem nächsten Versuch in besonderem Grade. Sollte
doch gezeigt werden, dass nicht etwaige Reste der Einträufelungs-
flüssigkeiten, sondern die Dauer des Verweilens der Wattebäusche im
Auge die Stärke der Wirkung der Flüssigkeit beeinflusst.
Versuch XX.
In den Conjunctivalsack eines Kaninchenauges wird 0,1 cem 1prozen-
tige Argentum nitricum-Lösung vorsichtig eingeträufelt; trotzdem fliesst so-
fort ein Teil milchigweiss getrübt ab. Der Rest wird durch Öffnen und
Schliessen, Abheben und Anlegen der Lider möglichst über die ganze Binde-
hautoberfläche verteilt und dann durch Streichen und Andrücken der Lider
an den Bulbus möglichst wieder herausbefördert. Darauf hat die Conjunc-
tiva ein mattes, trockenes, blassrötliches Aussehen und im Bindehautsack ist
keine Spur von Flüssigkeit. Alsdann werden 10 ccm physiologische Koch-
salzlösung in Portionen von je 2ccm in den Bindehautsack eingegossen
und dieser möglichst überall bespült. Durch obige Manipulationen wird die
Neutralisationsflüssigkeit, die keine Spur von Trübung zeigt, eliminiert und
ausserdem der Conjunctivalsack mit kleinen Wattetupfern vollständig aus-
getrocknet. All diese Manöver nehmen 7 Minuten in Anspruch, worauf
Wattebäusche eingelegt und die Lider geschlossen werden. Nach einer
Viertelstunde werden sie herausgenommen und durch neue ersetzt; diese
bleiben ebenso lange liegen und werden abgelöst von Bäuschen, die 1!/, Stunde
im Bindehautsack verweilen. Dann wird jede Gruppe für sich abgesaugt
und werden die Flüssigkeiten zentrifugiert. Die Menge des ersten !|,stün-
digen Sekretes beträgt 0,52 cem, die des zweiten 0,55 und die des dritten
0,85 cem.
Baktericider Versuch. Staphylokokken.
Inhalt der Röhrchen 0,45 ccm, davon 0,05 ccm Emulsion von Staphylo-
kokkenkultur in Kochsalzlósung mit einigen Tropfen Bouillon. Aussaat mit
grosser Öse auf Agar sofort, nach 1!/, 3!| und 9 Stunden.
- -——.ILLIL——————————————————-——-
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden
Flüssigkeiten sofort nach nach nach
1'/, Stdn. | 3'/j, Stdn. | 9 Stdn.
0,4 cem akt. Conjunctivalsekret I| 98 86 28 | 6
04 , , d | 104 59 40 6
0f 4 3 e III | 91 2 0 0
Im hämolytischen Versuch, der wegen Materialmangels nicht komplett
anzustellen ist, lóst 0,1 cem Sekret I in geringer Spur, 0,15 ccm Sekret II
ebenfalls in geringer Spur und 0,45 cem Sekret III in deutlicher Spur in
2 Stunden, die als Testobjekt benutzten präparierten Ziegenblutkörperchen,
während 0,05 cem Serum des Tieres vollständige Lyse bewirken.
Nach den vorhergehenden Versuchen kann es kaum mehr
einem Z weifel unterliegen, dass die Conjunctivalsekrete nach
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 2. 17
256 R. Schneider
Silbernitratlósunginstillation ihre baktericide Wirksamkeit
hauptsüchlich ihrem Gehalte an Leukinen verdanken.
Entsprechend erstreckt sich ihre baktericide Wirkung, wie ich
noch an einigen weiteren Beispielen zeigen will, auch auf Bakte-
rien, die in dem entsprechenden Blutserum reichlich sich vermehren
können.
Versuch XXI
Nach Einträufelung mehrerer Tropfen 1prozentiger Höllensteinlösung
werden Wattebiusehe in den Bindehautsaek eingelegt und 2!|, Stunden
darin gelassen, bis sie in üblicher Weise ihrer Flüssigkeit beraubt werden.
Bakterieider Versuch. Pneumokokken.
Inhalt der Röhrchen je 0,5 cem, davon 0,05 cem Aufschwemmung von
einer 12 stündigen Pneumokokken-Pferdeserumbouillonkultur. Aufschwem-
mungsflüssigkeit: physiologische Kochsalzlösung, die 10°, Pferdeserumbouillon
enthält. Aussaat mit grosser Öse auf Löfflerserum sofort, nach 1, 3 und
7 Stunden.
Bo d DEE — — — e Mm M — —
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden |
Flüssigkeiten sofort | „nach nach _ nach
| | 1 Stde. 3 Stdn. 7 Stdn.
0,45ccm akt. Kaninchenserum | 40 | 68 195 | reich].
045 , , Conjunctivalsekret | 44 | 0 0 0
|
Versuch XXII.
Es bleibt die Watte 2 Stunden nach der Instillation des Argentum
nitricum und seiner Neutralisation liegen, um dann wie immer ihre Imbi-
bitionsflüssigkeit herzugeben. Das Serum ist aus dem tags zuvor ent-
zogenen Blut desselben Tieres ausgepresst.
Baktericider Versuch. Streptokokken und Meningokokken.
Die Streptokokken stammen von einer 12stündigen Agarkultur, die
Meningokokken von einer ebenso alten Kultur auf Löfflerserum. Die Auf-
schwemmung der Keime wird in physiologischer Kochsalzlósung, die mit
10°, Pferdeserum versetzt ist, gemacht. Inhalt der Röhrchen 0,35 cem;
davon 0,05 eem Dakterienemulsion. Aussaat der Streptokokken auf Agar,
der Meningokokken auf Lófflerserum mut grosser Öse sofort, nach ?|,, 3,
7 und 24 Stunden. In Röhre 1 und 2 sind Streptokokken, in 3 und 4
Meningokokken eingesit.
= | Koloniezahl
Röhre Art und Menge der zu prüfenden |
PUES Flüssigkeiten | tnach | nach ^ nach | nach
ae : Be 2 x
| sofort D Std.'3 Stdn. 7 Stdn. 24 Stdn.
1 0,3 cem akt. Kaninchenserum 17 215 rechl. e oc
2. 03 , , Conjunetivakerum | 179 2 0 5 Q Q
à 103 , , — huninehenserun. , 110 0. 0 , 0
4 02 , , Conunetivakerun , 102. 0, 0 , O0 i
i
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 257
Versuch XXIII.
2cem Conjunetivalsekret, das 2!|, Stunden nach der Silbernitratein-
träufelung aus der eingelegten Watte entzogen worden ist, und Serum des-
selben Tieres werden zusammen mit Proben von frischem Menschenserum
und Kaninchenleukocytendigest in 5 prozentiger Serum-Kochsalzlösung (,„Ka-
ninchenleukin‘“) auf ihre Wirksamkeit für Diphtherie und Xerosebacillen
geprüft.
Baktericider Versuch. Diphtherie- und Xerosebacillen.
Beide Bacillen sind auf Löfflerserum 12 Stunden gewachsen; der Xerose-
bacillus ist nach Isolierung aus Bindehautsekret erst zum dritten Male um-
geimpft. Aufschwemmungsflüssigkeit ist Kochsalzlósung mit 10 /, Bouillon.
Inhalt der Röhrchen 0,5 cem, davon 0,05 cem Bakterienemulsion. Aussaat
mit grosser Öse auf Löfflerserum sofort, nach 1, 3 und 7 Stunden.
In Röhre 1—5 sind Diphtheriebacillen, in Röhre 6—9 Xerosebaßillen
eingesät.
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden
Röhre Basiclei nach nach nach
n
EE Sen | 1 Stde. |3 Stdn. | 7 Stdn.
1 0,45 ccm akt. Kaninchenserum 256 296 | 370 | reichl.
2 045 , , Conjunctivalsekret 253 0 0 0
9 0,45 ,, inakt. ab 261 0 0 0
4 0,45 ,, akt. Kaninchenleukin 250 0 0 0
5 045 , wo Menschenserum 204 285 316 | reichl.
6 045 , , Kaninchenserum 135 160 215 430
7 045 , , Conjunctivalsekret 138 0 0 0
8 045 , „ Kaninchenleukin 142 0 0 0
9 045 , ,, Menschenserum 147 169 | 272 540
|
Die Beispiele mögen zur Illustrierung der Leukinwirkung der
Höllenstein-Conjunctivalsekrete auf vom Serum nicht lysierbare Bak-
terien genügen.
In dem nächsten Versuche haben die Wattebüusche verschieden
lange Zeit sich zu imbibieren gehabt.
Versuch XXIV.
Von zwei Kaninchen wird dem einen nach Instillation und Neutrali-
sation von 4 Tropfen Silbernitratlösung in beide Augen Watte eingelegt;
letztere wird rechts nach 2 Stunden, links nach 1 Stunde herausgenommen.
Dem andern Tier wird in das rechte Auge ebenfalls Argentum nitricum
eingeträufelt und dann in ihm Watte nur eine halbe Stunde liegen gelassen,
während in dem linken, nicht vorbehandelten Auge die Bäusche 2 Stunden
liegen bleiben. Die Ausbeute an !/,stündigem A9.N 0,-Sekret beträgt 0,81 cem,
an 1stündigem AgNO,-Sekret 0,353 cem, an 2stündigem AyNO,-Sekret
1,4 cem und an 2stündigem Normal-Sekret 0,84 cem.
17*
958 R. Schneider
Baktericider Versuch. Pneumokokken und Diphtheriebacillen.
Die Pneumokokken entstammen einer 13stündigen Pferdeserumbouillon-
kultur, von der 0,002 ccm eine Maus in 24 Stunden tötet. Die Diphtherie-
bacillen rühren von einer ebenso alten Löfflerserumkultur her. Aufschwem-
mungsflüssigkeit: physiologische Kochsalzlösung mit 10°], Pferdeserumbouillon.
Inhalt der Röhrchen 0,4 cem, davon 0,05 cem Emulsion. Aussaat mit grosser
Öse sofort, nach 1, 3 und 7!|, Stunden auf Lófflerserum. Röhre 1—4
enthült Pneumokokken, 5— 8 Diphtheriebacillen.
| Koloniezahl
* Art und Menge der zu prüfenden
Róhre Flüssigkeiten sofort nach nach ! nach
1 Stde. |a Stdn. | Tia Stdn.
0,35 cem akt. !, h AgNO, -Sekret oan |
1 E 0 0
2 0, 35 , , l, » » 220 0 0 0
3 0,35 "o 192 0 0 0
4 |09385 , , 2, ' Norm. -Sekret 230 220 268 310
b 103b , ew Yiv Ai O,-Sekret 133 0 0 0
6 |035 , , 1, | 181 0 0 0
T 108b , dn 2, - 115 0 0 0
8 1035 „p „ 9. = Norm. -Sekret | 135 133 405 | reich.
Im hämolytischen Versuch löst 0,1 ccm des Kaninchenserums die prä-
parierten Ziegenblutkörperchen komplett, 0,05 ccm fast komplett, während
0,1 cem des !},stündigen AgN O,-Sekretes keine, das 1- und 2stündige 49V O,-
Sekret nur spurweise Hämolyse bewirkt.
Man erkennt also aus dem letzten Versuche, dass schon 1], Stunde
post instillationem eine ausgiebige Leukinproduktion im Conjunctival-
sekret stattgefunden hat.
Interessant war es nun, zu erfahren, bis zu welcher Konzentra-
tion das Silbersalz noch wirksame Sekrete schafft. Dies sollte in
folgendem Versuche festgestellt werden.
Versuch XXV.
Von einer !|,;, !|;, !|, und !|,prozentigen Silbernitratlósung wird je
!|,eem in ein Kaninchenauge einfliessen gelassen und für eine gute Be-
netzung der ganzen Bindehaut gesorgt. Dann wird mit 2 eem physiolo-
gische NaCl-Lösung neutralisiert. Die !|, und !/„prozentige Lösung hinter-
lässt eine kaum sichtbare Verätzung der Schleimhautoberfläche. Die ein-
gebrachten Wattebäusche werden nach genau 2 Stunden entfernt und durch
frische ersetzt, die ebenfalls 2 Stunden liegen bleiben. Die Gewinnung der
verschiedenen Flüssigkeiten geht in bekannter Weise vor sich: „Us, bis 1],-
prozentiges AyNO,-Sekret I und I“.
Bakterieider Versuch. Staphylokokken.
Inhalt der Röhrchen 0,45 cem; davon 0,05 eem Emulsion einer Staphylo-
kokkenagarkultur in Kochsalzlösung mit etwas Bouillonzusatz. Aussaat mit
grosser Öse sofort, nach 1, 3, 7 und 24 stunden.
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 259
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden en
Flüssigkeite ! nach | nach nach nach
en sofort | 1 Stde.!3 Stdn.) 7 Stdn. | 24 Sdn.
0,4 cem akt. /,*/, AgNO,-Sekret I| 185 | 46 | 72 | reichlich
0; 0
ao
Ot 4, n "Dei » I| 183 0 0 0
DÄ o on is fe 5 I| 190 0 0 0 0
0,4 » » ri y^ » I| 183 0 0 0 0
0,4 » » lido Jo » II 184 45 90 reichlich oo
QE a ds c oe 5; II| 186 67 0 0 0
04 , , !.'h 5 II| 175 19 0 0 0
0,4 39 19 1s % 99 lI 176 113 13 9 0
04 , , Kaninchenserum 176 | — | 92920 | reichlich oo
04 , phys. NaCl-Lósung | 180 — | 206 oo
29
Baktericider Versuch. Diphtheriebacillen.
Dasselbe Material wie in vorstehendem baktericiden Versuch in der
geringen Menge von 0,1 cem gegenüber Diphtheriebacillen geprüft. Diese
werden in Kochsalzlösung mit 10°), Pferdeserumbouillonzusatz emulgiert
und von der Aufschwemmung 0,05 cem den Röhrchen hinzugefügt. Ausser-
dem werden die Röhrchen mit 0,2cem physiologischer NaC/-Lösung auf
0,35 cem aufgefüllt. Aussaat mit grosser Öse auf Löfflerserum sofort, nach
1, 3, 7 und 24 Stunden.
1 — 2 2 Á DDR
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden
Flüssigkeite nach | nach nach nach
EN, sofort |Sto. 3Stdn.| 7 Stdn. | 24 Stan.
0,1 ccm akt. !,,*, AgNO,-Sekret I 118 | 109 | 91 | reichlich] œ
01 TC g 1,195 | 0| 0 0 0
Ql, nn ho m (moi ol o0 0
0l, "bd f I|126| 0| 0| o 0
Ol os s Ut. is II, 197 | 147 | 260 | reichlich oo
01 , wn A" E II | 128 | 186 | 296 | 400 0
Ol, ,» !*, E II | 130 | 125 | 100 0 0
0l, » : II | 130 | 84 | 10 0 0
Dieser Versuch zeigt, dass Argentum nitricum bereits in ![,, pro-
zentiger Lösung eine Baktericidie des Conjunctivalsekretes verursacht,
die, wenn sie auch rascher als die nach konzentrierten Lösungen auf-
tretende vorübergeht, dieser nicht viel nachsteht. Darf diese an ge-
sunder Kaninchenbindehaut gemachte Beobachtung nicht ohne weiteres
auf die katarrhalisch erkrankte menschliche Conjunctiva übertragen
werden, so lässt sie sich vielleicht doch als Hinweis verwerten, dass
in gewissen Fällen schwächere Lösungen in häufigerer Anwendung
indiziert sind. Ich werde auf diesen Punkt später noch zurückkommen.
Protargol.
Von den 8 Ersatzpräparaten des Höllensteins, der wegen seiner
stark reizenden verschorfenden und nur oberflächlichen Wirkung viel-
260 D Schneider
fach Anfechtungen erlitten hat, wurde allein das Protargol, als dessen
Vorzüge relative Reizlosigkeit und grössere Tiefenwirkung bei gleicher
antiseptischer Kraft von verschiedenen Seiten gerühmt worden ist,
hinsichtlich seines leukinbildenden Vermögens untersucht.
Versuch XXVI.
Nach Instillation einer 10 prozentigen, vorschriftsmässig hergestellten
Protargollósung werden Wattebiusche in den Conjunctivalsack eingelegt
und nach 2!/, Stunden herausgenommen. Das gewonnene Sekret wird
gegenüber Diphtheriebacillen und Pneumokokken auf seine baktericide Eigen-
schaft geprüft.
Bakterieider Versuch. Diphtheriebacillen und Pneumokokken.
Inhalt der Röhrchen 0,45 cem, davon 0,05 ccm Aufschwemmung von
Diphtheriebacillen bzw. Pneumokokken in phys. NaC/-Lösung mit 10°, Zu-
satz von Pferdeserumbouillon. Aussaat mit grosser Öse sofort, nach 3, 9
und 24 Stunden und zwar aus dem Diphtherieröhrchen 1 auf Löfflerserum
und dem Pneumokokkenröhrchen 2 auf Agarplatten, die mit Pferdeserum-
bouillon bestrichen sind.
Koloniezahl
Röhre Art und Menge der zu , , h
-üfenden Flüssirkeite I nacn nach nac
zc CM Uu | 3 Stdn. | 9 Stdn. 24 Stdn.
1 | 0,4 ccm | 199 | 0 | 0 0
2 | 04 , || 1398 o 0 0
Das Protargol teilt also mit dem Argentum nitricum die Fähigkeit,
die Leukinproduktion zu veranlassen und. das Conjunctivalsekret durch
diese Leukocytenstoffe zu einer für alle in Betracht kommenden Mikro-
organismen baktericiden Flüssigkeit zu machen.
Nachdem uns diese Erkenntnis durch das Experiment geworden
ist, sel es gestattet, einmal die bisher den Silbersalzen vindizierten
Funktionen mit kritischen Augen anzuschauen.
„Adstringierend®, d. h. zusammenzichend solle das Argentum
nitricum wirken und man verknüpft damit die Vorstellung, dass durch
Verminderung der Blutfülle der entzündeten Conqunetiva die Ent-
zündung vermindert werde. Nun in der gebräuchlichen Konzentration
von 1—2 Prozent bewirkt der Höllenstein keine Gefässverengerung
oder sie dauert so kurz an, dass sie gegenüber der sofort sich ein-
stellenden Hyperämie nicht in Betracht kommt. Wir erstreben aber
auch gar nieht so sehr eine Gefässkontraktion, können doch die Leu-
koevten dureh erweiterte Gefässe leichter und zahlreicher durchtreten.
Und. wenn. es auch. gelinge, die Dlutüberfüllung herabzusetzen, so ist
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 26]
damit nur ein Symptom gemildert, was bei fortbestehender ursächlicher
Noxe noch keine Heilung bedeutet.
Wie steht es mit der Elimination durch die Schorfbildung? Ich
bin nicht der erste, der auf die geringe Tiefe der Verätzung durch
Argentum nitricum hinzuweisen für angebracht hält. Gewiss werden
mit der Abstossung der Eschara eine Anzahl anhaftender Keime mit
entfernt, aber eine radikale Arbeit ist damit auch nicht geleistet, denn
tiefer sitzende und etwa in Schorfresten zurückbleibende Bakterien
werden sich in den für ihr Wachstum geeigneten. Gewebstrümmern
vermehren und durch die Schädigung des schützenden Epithels leichter
eindringen können.
Aus ähnlichen Gründen kann auch die antiseptische Wirkung
der Höllensteineinträufelungen nur gering sein. Ist sie doch auch
oberflächlich und kann die in den Taschen und Unebenheiten der
Schleimhaut versteckten Bakterien kaum treffen; dazu kommt, dass
das Argentum nitricum sehr rasch durch das Eiweiss der Zellen und
des Sekretes gebunden und durch das Chlornatrium neutralisiert wird.
ganz abgeschen davon, dass infolge der Verdünnung die Konzentra-
tion der eingeträufelten Lösung stark reduziert wird.
So bleibt nur wenig von dem übrig, was man als den therapeu-
tischen Effekt des Argentum nitricum angesehen hat, und wenn darin
seine ganze Leistung bestände, so könnte man die Geringschätzung.
die manche Autoren dem Höllenstein als Heilmittel zu teil werden
liessen, schon verstehen. Die Emigration der Leukocyten und
die Leukinbildung ist das Wertvolle der Höllensteintherapie
bei infektiösen Bindehauterkrankungen. Wenn man sich zu
dieser Anschauung bekennt, so wird man auch eine praktische Nutz-
anwendung daraus ziehen. Statt einer möglichst tief ätzend und
möglichst stark desinfizierend wirkenden Lösung wird man eine Kon-
zentration wählen, die etwa hinreicht, die Leukocyten zur Auswande-
rung und zur Abgabe ihrer Stoffe zu bringen. Dadurch werden eine
grössere Schonung des Gewebes uud eine wirksamere Unterstützung
des natürlichen Heilungsvorganges garantiert.
Ob und wie die aus meinen Versuchen sich ergebenden Gesichts-
punkte praktisch zu realisieren sind, ist Sache der klinischen Be-
obachtung zu entscheiden. Jedenfalls kann ich mir vorstellen, dass
es unter Umständen dem Praktiker erwünscht ist, zu wissen, dass
auch in schwächerer Konzentration das Argentum nitricum in der
von mir angegebenen Richtung von Nutzen ist. Er wird sich eher
zur Applikation dieses Mittels entschliessen, wenn er die mit der
969 R. Schneider
üblichen Konzentration. von !| bis 1 Prozent verbundenen Reizungen
und Schüdigungen der Conjunctiva nicht mit in Kauf zu nehmen
braucht. Letztere zu vermeiden, ohne auf die Silbersalzwirkung ver-
zichten zu müssen, war der Grund dafür, warum man auf die Suche
nach Ersatzpräparaten des Höllensteins ging. Ja, man sah deshalb
ganz von der Anwendung des Silbernitrates ab und begnügte sich —
ich denke hier besonders an die Behandlung der Ophthalmoblennorrhöe —
mit Spülungen mit dünnen Lösungen von Kalium hypermanganicum
|Kalt(42—43)], mit ganz indifferenter physiologischer Kochsalzlösung,
Lambhofer!), [v. Ammon (44)], oder mit dem sicher auch nicht harm-
losen Hydrargyrum oxycyanatum [Schlösser — v. Sicherer (45)}.
Auch die Behandlung der Ophthalmoblennorrhöe, die Gilbert (46) in
der Klinik vor Eversbusch und Lenz in der Uhthoffschen Klinik
in der Form wiederholter Spülungen mit Rinderserum bei einer Reihe
Fälle durchgeführt hat, ist als ein Versuch mit einer schonenderen The-
rapie anzusehen. An Publikationen über günstige Erfolge mit schwächeren
Lösungen des Höllensteins hat es nicht gefehlt [Burchardt (47),
Greeff (48)].
Will ich mich hinsichtlich der therapeutischen Anwendung der
Silbernitratlösung zu der Äusserung im Sinne einer zu erstrebenden
Herabsetzung ihrer Konzentration enthalten und dem Kliniker anheim-
geben, ob er mit Rücksicht auf meine Resultate es mit öfter zu wieder-
holenden schwächeren Instillationen versuchen will, so möchte ich
schon eher einer Reduktion des Silbergehaltes des als Prophylaktikum
verwendeten Credeschen Tropfens das Wort reden. Dürften doch
auch nach einer etwa ![jj- bis !|, prozentigen Höllensteinlösung hin-
reichend Leukinmengen im Bindehautsack anzutreffen sein, dass einer
Ansiedelung von Infektionserregern dadurch vorgebeugt wäre. Sicher
würden dann auch die allerdings seltenen Fälle vermieden werden, in
denen es im Anschluss an die Credésche Einträufelung zu Reizer-
scheinungen der Conjunctiva kam [v. Ammon (loc. cit), Cramer (49),
Bischof£(50), Seipiades (50a)].
Am Schlusse dieser Erörterungen über die Argentum-Wirkung
muss ich einem naheliegenden Einwande begegnen. Ich habe die
Emigration der Leukocyten und die Abgabe ihrer Stoffe als die wesent-
1) Lamhofer hat nach einer Mitteilung, die Eversbusch auf der deutschen
Naturforscherversammlung 1899 gemacht hat, die Behandlung der Ophthalmo-
blennorrhóe mit warmer physiologischer Kochsalzlósung und 3 proz. Boricinlósung
eingeführt. Eversbusch: Behandlung der gonorrhoischen Erkrankungen des
Auges; Penzoldt-Stintzing, Handh. d. spez. Ther. inn. Krankh. Bd. VI. S. 1138
bis 114, 1903 hat diese milde Behandlung durchweg bewährt gefunden.
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 263
lichsten, durch das Silbernitrat bewirkten Momente bezeichnet, die für
die Heilung der infektiösen Bindehautkatarrhe in Betracht kommen.
Nun gibt es Bindehautinfektionen — der akute Schwellungskatarrh
und besonders die Blennorrhöe —, deren Krankheitsbild durch die
Produktion eines äusserst leukocytenreichen Sekretes geradezu charak-
terisiert ist und bei denen wir mit Vorliebe die Silberpräparate ver-
wenden. Liegt darin kein Widerspruch? Durchaus nicht; denn An-
sammlung von Leukocyten besagt noch nicht ausgiebige Bildung von
Leukinen. Dass eine gewisse Menge baktericider Stoffe in patholo-
gischen Sekreten der Bindehaut vorkommt, zeigen die Versuche von
Bernheim, Bach, zur Nedden u. A. Die von ersterem angegebene
Thermostabilität und Wirksamkeit auf Strepto- und Staphylokokken
lässt die Anwesenheit von Leukinen vermuten. Aber immerhin war
die Baktericidie doch recht schwach. Auch in dem Eiter der Dakryo-
cystoblennorrhöe sind massenhaft Leukocyten vorhanden; aber wie zur
Nedden gefunden hat, ist die Flüssigkeit des Eiters ebensowenig
baktericid wie die Leukocyten befähigt sind, Mikroorganismen zu fressen.
Zur Nedden erklärt dies baktericide Unvermögen damit, dass das
Tränensacksekret meist viel Schleim und Tränenflüssigkeit enthalte,
die nicht baktericid sind, und dass etwaige aktive Substanzen durch
die im Eiter zahlreich enthaltenen Bakterien gebunden würden. Diese
Erklärung genügt jedenfalls nur teilweise.
Wie ich gezeigt habe (loc.cit), geben die Leukocyten nicht von selbst —
weder im Leben noch bei ihrem Absterben — ihre wirksamen Stoffe
ab; sie bedürfen hierzu eines Reizes. Heile(51) konnte dartun, wie
der mit Eiter angefüllte tuberkulöse Abscess erst eine heilende Ten-
denz erhielt, wenn durch Jodoforminjektionen neue Leukocyten in die
Abscesshöhle gelockt und zur Abgabe ihres Leibesinhaltes gebracht
wurden. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den eitrigen Bindehaut-
katarrhen; durch den von den Mikroorganismen und ihren Produkten
ausgelösten Reiz kommt es wohl zu einer massenhaften Auswanderung
der Leukocyten. Diese sterben, wenn nichts geschieht, in dem stag-
nierenden Sekret allmählich ab, ohne sich ihrer wirksamen Stoffe zu
entiussern. Wird dagegen ein Silbersalz eingeträufelt, so kommt es
zu einer Emigration frischer Leukocyten und diese werden, wie viel-
leicht auch ein Teil der vorhandenen, durch den gesetzten Reiz zur
Absonderung gebracht. Es wirkt demnach das Argentum nitri-
cum auf die Leukocyten nicht nur anlockend, sondern es
veranlasst sie auch zur Abgabe der Leukine.
Dass die Leukoeyten. nur. nebenbei: durch. Phagocytose. bei. der
264 R. Schneider
Vernichtung der Keime im Bindehautscekret mithelfen, habe ich bei
einigen Infektionsversuchen beobachtet, von denen nur einer kurz
skizziert sei.
Versuch XXVII.
Einem Kaninchen wird 20 Minuten nach Instillation von 0,1 eem einer
] prozentigen Hóllensteinlósung und deren Neutralisation mit Na C/-Lösung in den
Bindehautsack 0,025 eem einer 14stündigen virulenten Pneumokokkenkultur
in Pferdeserumbouillon eingetrüufelt. Aus dem Bindehautsack wurden mit der
Platinóse von Zeit zu Zeit Ausstriche auf Lófflerserum und Objekttrüger gemacht.
Nach einer Stunde bereits sind die massenhaft eingebrachten Pneu-
mokokken kulturell nicht mehr nachzuweisen. In den mikroskopischen
Präparaten, die nach 10 Minuten angefertigt sind, findet man ausserhalb
der polymorphkernigen Leukocyten zum Teil schon stark veränderte Keime
vor. Nach !/, Stunde sind die Pneumokokken fast nur mehr als schemen-
hafte, blasige Gebilde, zu denen ich sie auch bei Vitroversuchen in Leukin-
lósungen werden sah, vorhanden. Nur ganz vereinzelt war ein Leukocyt mit
einigen solcher degenerierten Pneumokokken in seinem Zelleibe zu erblicken.
Zu bemerken ist noch, dass das Tier 63 Stunden nach Beginn des
Versuches an einer Pneumokokkensepsis verendete. Die Augen wurden
fixiert, gehärtet und in Paratfin eingebettet geschnitten. In den histologischen
Präparaten imponierte besonders die Zerstörung der oberen Epithelzellen-
schichten der Conjunctiva, die Ansammlung von vorwiegend mononukleären
Leukocyten und die ausgedelinte Ansiedlung der Pneumokokken unterhalb
der Epithelien; es hatte also eine Allgemeininfektion mit Pneumokokken von
der Conjunctiva aus stattgefunden.
Zincum sulfuricum.
Das Zinksulfat gehört in Y,—1prozentiger Lösung ebenfalls schon
lange zu dem therapeutischen Rüstzeug gegen die verschiedenen Formen
der Bindehautentzündungen. Besondere Beachtung hat es jedoch er-
fahren, seitdem man in ihm ein souveränes Mittel gegen die Diplo-
bacillenceonjunctivitis kennen gelernt hat. Als Erreger dieser weit ver-
breiteten. Infektionskrankheit haben. fast gleichzeitig Morax(52) und
Axenfeld(53) 1896 den nach ihnen benannten Diplobacillus entdeckt:
auch das eigenartige klinische Bild, das meist der Krankheit zukommt.
haben diese Autoren bereits präcisiert. Bald wurde auch festgestellt.
dass Hornhautkomplikationen-Intiltrate Geschwüre, ja sehwere Hypo-
pyonkeratitis durch den Diplobacillus verursacht sein kann, so durch
Morax (loe. cit.) und Axenfeld (loc. cit.) selbst, Uhthoff (55).
Peters(56) zur Nedden(57), Petit(58), Paul(59) Erdmann(060)
Stoewer(61), Agricola (62). Zade (62a). Gegenüber allen Diplo-
bacilleninfektionen. des. Auges erweist sieh. das. Zineum. sulfuricum als
ein sicher und rasch wirkendes Mittel.
Die Ursache für die auffallend gute Wirkung der Zinktherapie
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 965
auf die Diplobacilleninfektion zu ergründen, wurden von Paul (loc. cit.),
Silva(63) und zur Nedden (loc. cit. Untersuchungen angestellt.
Paul stellte einen regelrechten Desinfektionsversuch mit Zink an und
fand, dass selbst nach einer 5 Minuten langen Einwirkung von 1 prozentiger
Lösung die an Granaten angetrockneten Diplobacillen widerstehen. Da un-
möglich die Zinklösung so lange und in so hoher Konzentration im Binde-
hautsack sich halten könne, hält Paul für ausgeschlossen, dass die heilende Wir-
kung des Zink einfach durch dessen desinfizierende Kraft erklärt werden könne.
Silva führte im bakteriologischen Laboratorium der Freiburger Augen-
klinik ähnliche Versuche wie Paul aus und konstatierte erst nach !|, stün-
diger Einwirkung einer !/, prozentigen Zinklösung eine desinfizierende Wirkung.
Dagegen konnte er Entwicklungshemmungen der in Aseitesagar eingesäten
Diplobacillen beobachten, wenn er auf 7 cem des Nührbodens 0,8 cem einer
!/,prozentigen Zinksulfatlösung zusetzte.e In den Kontrollen mit Staphylo-
kokken und Pneumokokken behinderten diese Quantitäten Zink das Waclis-
tum nicht. Silva erachtet die Heilwirkung des Zinks als hauptsächlich auf
dessen entwicklungshemmenden Einfluss beruhend.
Auch zur Nedden untersuchte das Verhalten von Diplobacillenkulturen
gegenüber Zinksulfat und ausserdem gegenüber Silbernitrat und Quecksilber-
oxyeyanat und zog vergleichsweise Versuche mit Staphylokokken heran.
Zu diesem Zwecke bereitete er sich Aufschwemmungen dieser beiden Bak-
terienarten in Bouillon und Aqua destillata. In je 2ccm dieser Emulsionen
setzte er einen Tropfen einer J prozentigen Silbernitrat-, !/, prozentigen
Zinksulfat. oder 0,39|,, Quecksilberoxycyanatlósung. Nach einer eine Minute
lang währender Einwirkung sollen nun die Diplobacillen wie die Staphylo-
kokken durch das Argentum nitricum und das Hydrargyrum oxycyanatum
vollständig abgetótet worden sein, während das Zincum sulfuricum kaum
von Einfluss auf beide Keimarten war. Zur Nedden hält daher eine be-
sondere Beziehung zwischen Diplobacillen und Zinksulfat nicht für gegeben,
wie überhaupt letzteres ein ganz ungeeignetes Desinfektionsmittel sei. Weit
entfernt daher die Erfolge der Zinktherapie auf eine desinfizierende oder
entwicklungshemmende Wirkung des Zinksulfats zurückzuführen, erklärte er sie
als eine Folge der durch das Zinksalz hervorgerufenen Hyperämie der Conjunc-
tivalgefässe und des aus diesen erfolgenden Austrittes bakterieider Substanzen.
Eigene Untersuchungen über die Wirkung des Zinks.
Mit Rücksicht auf die geringe Klarheit, die nach dem Gesagten
immer noch über die Ursache der Heilwirkung des Zincum sulfuricum
herrscht, war es natürlich doppelt interessant, die Leukinbildung nach
Zinkinstillationen zu studieren. Vorher wollte ich mir selbst ein Urteil
über die direkt bakterientötende Eigenschaft des Zinksalzes bilden.
Zu diesem Zwecke stellte ich einige vergleichende Desinfektionsver-
suche mit Zinksulfat, Silbernitrat und Quecksilberoxweyanat gegenüber
Diplobacillen, Staphylokokken und Pneumokokken an. Folgender Ver-
such lehnt sich an die Methode an, die zur Nedden anwandte.
R. Schneider
Versuch XXVIII.
Von einer 12stündigen Agarkultur des Diplobacillus Morax-Axenfeld
wird eine Öse — ungefähr 70 Millionen Keime in 10 cem Bouillon emulgiert
und von dieser Aufschwemmung kommen je 2,0 ccm in die Röhrchen I—IV.
Zu Róhre I. (Kontrolle) wird dann 0,05 eem Aqua destill., zu II. 0,05 cem
1?|, Argentum nitricum, zu III. 0,05 cem !|,?|, Zineum sulfuricum und zu
IV. 0,05 eem 1:1500 eem Hydrargyrum oxycyanat. hinzugesetzt. 1 Minute,
24 und 60 Minuten, sowie 16 Stunden, nachdem die letzteren Zusätze ge-
macht sind, wird mit der grossen Óse 0,0125 cem entnommen und auf
Löfflerserumplatten ausgestrichen.
In derselben Weise wird eine Öse einer Agarkultur von Staphylococcus
pyogenes aureus in 10 ccm Bouillon emulgiert, diese in die A Röhrchen
V—VIII verteilt und mit den entsprechenden Zusátzen versehen. Die Aus-
striche des entnommenen Öseninhaltes erfolgen auch in denselben Intervallen,
jedoch auf Agarplatten. Hervorgehoben sei, dass der als Testobjekt be-
nutzte Staphylokokkenstamm recht resistent war, d. h. er widerstand 1proz.
Karbolsäurelösung 1!/, Stunden. Bei Röhre IX—XII ist in 2ccm Aqua
destill. je eine ganze Öse Diplobacillen bzw. Staphylokokken emulgiert und
die Entnahme der Proben erfolgt sofort, nach 2, 10, 30 Minuten und
16 Stunden. Alles Weitere ist aus der Tabelle ersichtlich. Die mit Silber-
nitratlösung versetzten Röhrchen trüben sich leicht.
Uere u Te — 07
N Aufschwem- Test- | ; & ; =
Röhre mungsflüssigkeit! objekt Zusätze 33 25 33 | SE
R Ha 18^.
I 2 ccm Bouillon. | Diplobac. 005 SCH Aqu. dest. IS oo oo WEE j
II 2 = » h AgNO; —| © J|reichl.| 86 | 0
II |2 , » 2 li ZnSO, —| oo oo oo —
IV- 42:5, T | ge | 1: 1500 Hg(ÓN), — © |c2.500| 0 | 0
V 2-5 ji Staphyl. Aqu. dest. | æ oo o , D
VI äi? | » 1h AINO, || © | © | ® | 155
VII |2 , " 170), ZnSO —| o oo oo oo
VII]? , —, E 1:1500 HÊN} |-| » | c | c | c
Ei a E BE BE
2| aa | 32 | Ss
Sl fa | Fo |fe
Be?
IX |2ccm Aqu. dest. Diplobac.! 0,05 cem Aqu. dest. a o oo | X o
x. 19. = | Staphyl. 0,05 y joo oo oo | oo o
NL 29 5 5 Diplobac. o ZnSO, | æ 233 83 0
X2. , Staphyl. ist . el e | x» | c |reichl.
Wir sehen, dass die Diplobacillen nur in Aqua destillata emulgiert
durch das Zink beeinflusst werden, da eine so rapide Vernichtung
der. Diplobacillen und Staphylokokken, durch. Silbernitrat und Queck-
silberoxyevanat, Nedden schon nach einer Minute an-
gibt, in diesem Versuche nicht zu beobachten war, wurden im nächsten
Versuch kleinere Mengen Bakterien als Einsaaten verwendet.
wie sie zur
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 267
Versuch XXIX.
Die Versuchsanordnung entspricht der des vorstehenden Versuches, nur wer-
den die Proben sofort, nach 1 und 15 Minuten mit der grossen Öse entnommen.
Ee EE E el — 11. nn a! en =.
deed ie | Koloniezahl
Röhre Man. GN Zusätze madi tnai
mungstlüssigkeit | objekt sofort | Min. 15Min.
I | 9 cem Bouillon. | Diplobac 0.05 ccm vie. NaCl, 1 161 1 15: 154 117
IL- 523 e | sp 1% AgNO; | 153 151 100
HI .2 , g ES 1,0, ZnSO, | 133 130 113
IV" 0125 y: ge | 1:1500 Hg( ON, 126 109 10
LONE Gg gp Staphyl. phys. NaCl 195 181 202
1:-12 4 jj | i 1", Ag NO, 180 180 210
VII |2 , ss | js n d ZnSO, 191 192 206
VIII |2 ,, » | » 1: 1500 Hg CN), 194 200 208
IX |2ccm Aqu. dest. , Diplobac. phys. NaCl 134 127 131
X 2 , j ir nu ‚1% AgNO, 128 31 0
XI |2 „ Se | » o 2nS0, 134 91 0
XII |9 , E 1: Gr Hg(CN), | 119 41 0
XIII |2 ,, is | Staphyl. phys. NaCl 261 201 231
XIV |2 ,, - ge 1°/, AgNO, 209 175 167
AN |2 ,„ 5 , 1/0, ZnSO, 258 233 221
AME T2. 3 5 e 1:1500 Hg(CN), | 201 176 128
Aus dieser Tabelle geht hervor, dass selbst innerhalb 15 Minuten
von den in Bouillon emulgierten Bakterien. nur der Diplobacillus und
dieser allein durch den zugesetzten Tropfen Quecksilberoxycyanat merklich
geschädigt wird. Das Absterben der mit Aqua destillata aufge-
schwemmten Diplobacillen lässt keinen grossen Unterschied zwischen
den 3 Salzen erkennen, zum mindesten sieht man, dass Zink keine
elektive Wirkung auf den Diplobacillus ausübt. Die auffällige Dif-
ferenz der Ergebnisse zur Neddens und meiner Desinfektionsver-
suche lässt sich nur aus der Annahme erklären, dass zur Nedden
äusserst wenig widerstandsfähige Keime als Testobjekte benutzt hat.
Dass aber Zinksulfat tatsächlich ein schlechtes Desinfektionsmittel
ist und in keiner Weise spezifisch auf Diplobacillen wirkt, zeigt der
folgende Versuch, in dem wieder kleine Bakterienmengen mit relativ
grossen Quantitäten der zu untersuchenden Substanzen zusammen-
gebracht wurden.
Versuch XXX.
Diplobaeillen, Staphvlokokken und Pneumokokken 12 Stunden alter
Kultur werden in phys. Kochsalzlösung, der 5°, Pferdeserumbouillon zu-
gesetzt sind, emulgiert und 0,5 cem dieser Emulsionen als Testobjekt mit
je 0,5 cem einer Lösung von 1°, Zinksulfat, 1°], Silbernitrat und (ueck-
silberoxyeyanat (1:1500) zusammenzebracht. Sofort nach Vermischen der
Flüssigkeiten sowie nach weiteren 7, 10, 70, 90 Minuten und nach 15
Stunden wird eine grosse Öse voll aus den Proben entnommen und auf
968 R. Schneider
Löfflerserum und Agar ausgestrichen oder in Pferdeserumbouillon verteilt.
Die Röhrchen mit den Höllensteinzusätzen trüben sich natürlich sofort, die
mit Zinksulfat versetzten bleiben zunächst klar, trüben sich allmählich und
lassen nach einigen Stunden einen weissen, flockigen Niederschlag ausfallen.
| Koloniezahl oder Wachstum
A+ | œj a]
D a O G lana
2 XS B ou e Se | : : =
= Testobjekt GES | SD 28 € EE sz zi
= EA L| mE Sex EARS i5
| — E pesos ee ES
ccm cem. cem | cem | cem | | | |
I |0,5Diplobac.-Emuls. 05 213 | -- | 194 | 181 ! + | 140
non ` 0,5 53] L| 0| 010 0
9 3 3 ! (
It [05 : | Ke Gi ol ol on 0
IV 05 : 05| 0| 0, 0| 0/0, 0
V 0,5Staphylok.-Emuls, 0,5 | 320| -+ |307|257 + |232
VI Jop ; 0,5 3161 + |276| 270. + 0
VII 05 : H 286 | -- |270|174| + | 21
vıno5 : | 05|39| -| 0| 0,0 o
IX 0,5 Pneumok,-Emuls.:; 0,5 318 | + 310 |) 315 | + | 310
x Jos i | 0,5 248| + |132| 214+] 0
XI 10,5 ^ " 105 151| -- [1901152 +: 0
XII 0,5 : | | o5 |152 -| 0| 0,0 0
Diese Zahlen sind recht instruktiv; sie zeigen wieder die grosse
Hinfülligkeit des Diplobacillus, und die geringe desinfizierende Wirkung
des Zinksulfats, die eigentlich nur dem Diplobacillus gegenüber zur
Geltung. kommt.
Auch das Silbernitrat hat nur eine unbeträchtliche bakterien-
tótende Kraft, werden doch in einer Y, prozentigen Lösung Staphylo-
kokken und Pneumokokken innerhalb 70 Minuten nur in geringer
Anzahl vernichtet. Diese Tatsache beruht auf der Bindung des Ar-
gentum nitricum an die Eiweisskörper und seine Fällung durch das
Chlornatrium der Medien und schliesst weiter die Möglichkeit aus,
(lass das Conjunetivalsckret nach Höllensteineinträufelung eine Bak-
terieidie etwa seinem Gehalte an Instillationstlüssigkeit verdankt. Das
(Juecksilberoxyeyanat dagegen betätigt sich als kräftiges Desinfektions-
mittel, indem in der Lösung 1:1500 die Staphylokokken und. Pneu-
mokokken innerhalb 10 Minuten gänzlich verschwunden sind und die
Diplobacillen momentan abgetötet werden.
Die Wirkung von Zinksulfatlösungen geringeren Konzentrations-
grades auf. Diplobacillen sei im folgenden illustriert.
Versuch AAA),
Wie im vorhergehenden Experiment werden Diplobaeillen einer 12 stün-
digen Kultur in physiol. Kochsalzlösung, die 5°, Pferdeserumbouillen ent-
hält, aufzeschwemmt. Je 0,5 cem der Emulsion werden in die Röhrchen
als Testobjekte gebracht, dann die entsprechende Menge physiol. Kochsalz-
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 269
lösung als Auffüllungsflüssigkeit zugesetzt und zuletzt 0,1—0,5 ccm einer
1 prozentigen Zinksulfatlösung hinzugemischt. Sofort, nachdem letzteres ge-
schehen ist, wird der Inhalt der grossen Öse auf Löfflerserum ausgestrichen.
Nach 11, 20, 40, 60 Minuten und 16 Stunden werden weitere Proben
der Röhrchen mit der grossen Öse entnommen und diese teils auf Löffler-
serum ausgestrichen, teils in 5 prozentige Pferdeserumbouillon verteilt. Bei
der Übertragung der entnommenen Proben in Pferdeserumbouillon — nach
11 und 40 Minuten — wird aus den erst beschickten Bouillonróhrehen —
1 und 2 — wieder eine grosse Öse in ein zweites — la und 2a — eingesät.
Koloniezahl oder Wachstum m
qi Ba S lg
=5 ywl Dw !
E ER z ES A nach g nach el £
2 18253 |,8 |NS| 2 |1 Min g3 |40 Min |33| 33
„ar Z |z z iiel Fa 2 | 2a | fg | Äg
Í
eem | ccm | ccm | | |
I 05 | 05 | — | 404 | +!+ 1424 | +| + | 402 | 362
II |05 | 04 l01 ao | 4-| 4 193 | +| 0| 82 0
II | 05 | 03 | 02 | 390 | dus Opa. 5 0
IV |05 | 02 03 |314 | - 0 | 34 | | - |. 1 0
V 05 | 01/04 |396 | -|0 ; 99 | &-| 0 0 0
VI [05|—]|05.|8531| 2|] 20| 0] 0] 0| 0
Demnach ist selbst die Wirkung des Zinksulfates auf den Diplo-
bacilus eine recht bescheidene zu nennen, wenn wir sehen, dass die
lhoprozentige Lósung nach 60 Minuten noch nicht und die tj, prozen-
tige erst nach 40 Minuten die relativ kleine Anzahl Keime abtötet.
Können wir daher dem Zinksulfat in der therapeutisch verwen-
deten Konzentration eine gewisse desinfizierende Kraft unter den
günstigen Bedingungen des Invitroversuches auch nicht absprechen,
so wird sie am Auge kaum eine Rolle spielen. Denn die instillierte
Zinklösung wird sich rasch über die gesamte Oberfläche der Conjunc-
tiva verteilen, durch Tränentlüssigkeit verdünnt und zur Nase abge-
leitet werden, ehe sie Zeit gehabt hat, mit einer nennenswerten Zahl
von Infektionserregern auch nur in Berührung zu kommen.
Der Leukingehalt der Conjunctivalflüssigkeit nach Zink-
sulfatinstillation.
Da auch meine Desinfektionsversuche es verbieten, in der ein-
fachen, desinfizierenden und entwicklungshemmenden Wirkung des
Zinks die Erklärung für die Erfolge der Zinktherapie zu erblicken,
so kann man mit Rücksicht auf ihre tatsächlich bestehende Heilwirkung
und auf Grund unserer experimentellen Ergebnisse fast voraussetzen,
dass auch das Zincum sulfuricum. die Leukinbildung im Bindehaut-
sack anregt.
270 R. Schneider
Es ist von vornherein plausibel, dass entsprechend der geringeren
Reizwirkung des Zinkes — ätzt es doch erst in einer Konzentration
von ungefähr 5 Prozent — auch der Leukingehalt der Conjunctival-
flüssigkeit nach Instillation von 1, prozent. Zinksulfatlösung hinter
dem nach Einträufelung von 1—2 prozentiger Höllensteinlösung zurück-
steht. Diese Voraussetzungen werden durch meine Versuche bestätigt.
Versuch XXXII.
Nach Einfliessenlassen mehrerer Tropfen einer !/,prozentigen Zinksul-
fatlósung werden einem Kaninchen beiderseits in den Conjunctivalsack Watte-
bäusche gelegt, diese nach 21, Stunden wieder entfernt und die in ihnen
enthaltene Flüssigkeit in der üblichen Weise gewonnen und zentrifugiert:
es werden so nicht ganz 2,0 ccm einer blassgelblichen Flüssigkeit gewonnen.
Ausserdem wird dem Tier behufs Serumgewinnung Blut entzogen. Von
dem Serum und der Conjunctivalflüssigkeit wird je eine Probe von 0,3 cem
50 Minuten auf 55,5? erhitzt.
Bakterieider Versuch. Diplobacillen, Staphylokokken und
Streptokokken.
Inhalt der Röhrchen je 0,35 cem; davon ist 0,05 ccm Bakterienauf-
schwemmung und zwar wurden in Röhre 1—5 Diplobacillen, in Röhre
5—6 Staphylokokken und in Röhre 9—11 Streptokokken eingesät. Aus-
saaten werden mit grosser Öse sofort, nach 1, 3!|, 7!|, und 24 Stunden
gemacht. Dabei werden die Diplobaeillen- und Streptokokkenproben auf
EE de SE OKOIKeQ probed. d auf GE KEE
Kolonezahl:
= Art und Menge der zu ı Test- i i | NC im 5 e
S prüfenden Flüssigkeiten objekt | ZS |'Sz|'eoc Su |<SZ
= - BC BI 1
alle
e) An eech Henn — à E - £z ^ ENS EN nee ts e Se Doe Cm A Er, einen
1 '0,3ccm akt. Kannehensehm Diplobae. ! 135 | 0 0 | 0, 0
2 |03 , inakt. = EI? 1180| 400 | 500 | £
3 |03 , akt. Zink.-Sekret Lm 168| 98| 0 | 0, 0
4 |03 , inakt. | » 02'16| 20] 0 | 0
5 |03 , phys. Nacl- Lösung “ 160 | 196 | reichl.' reichl. œ
6 :0,3 „ akt. Kaninchenserum Staphyl. ı 98 | 50 2| ol 0
T 10,3 , an Zink.-Sekret d | 96! 51 0 0, 0
8 /.03 , phys. NaCl-Lósung 5 ;, 94,135, 310 reich) æ
9 |03 , akt. Kaninchenserum — Streptok. 81, 92;reichl| œ |^ o
10:03 , . Zink-Sekret — | , | 85| 81 93 E. | 9
11 /|0,3 , phys. NaCl-Losung i 80 | 83 | 111 | 140 | —
i |
Wir konstatieren hieraus eine kräftige baktericide Wirkung des
Kaninchenserums auf Diplobacillen, die im Gegensatz zu der des Con-
\unetivalsekretes thermolabil ist, also als Alexinwirkung zu gelten hat.
Die Staphvlokokken, denen gegenüber das Serum in diesem Falle aus-
nahmsweise auch einige abtötende Kraft hat, werden ebenfalls. aber
weniger prompt als die Diplobacillen, vernichtet. In noch geringerem
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 97]
Grade geschieht dies mit den Streptokokken, die sich in dem Serum
des Tieres reichlich vermehren.
Dass die Wirkung des Conjunctivalsekretes nach Zinkeinträufelung
auch gegen Diphtheriebacillen gerichtet ist, und dass sie gegenüber
diesen Keimen, wie auch gegen die Diplobacillen hinter der des
Höllensteinsekretes deutlich zurücksteht, zeigt der nächste Versuch.
Versuch XXXIII.
Einem Kaninchen wird in das eine Auge !|,proz. Zinklósung, in das
andere 1proz. Silbernitratlösung eingeträufelt und danach Watte eingelegt;
mit einem zweiten Tier wird dasselbe gemacht, ohne vorhergehende Instil-
lation. Nach 2!), Stunden werden die Bäusche herausgenommen und ab-
gesaugt.
Baktericider Versuch. Diplo- und Diphtheriebacillen.
In physiologischer Kochsalzlösung, der 10 Prozent Pferdeserumbouillon
zugesetzt ist, werden Diplo- und Diphtheriebacillen von einer 12 stündigen
Serumkultur emulgiert und von der Aufschwemmung wird je 0,05 ccm zu
den Róhrehen, die ausserdem noch 0,8 eem Flüssigkeit enthalten, hinzuge-
geben. Aussaaten mit grosser Öse sofort, nach 1, 3!j, und 8 Stunden auf
Löfflerserum.
Koloniezahl
Art und Menge der zu Test- aa SE -—
prüfenden Flüssigkeiten objekt sofort | 1 Stde. |31/. Stdn. | 8 Stdn.
Mal ig M nein E E
0,3 cem akt. Kaninchenserum |Diplobac. | 118 | 0 0 0
O3 , , AgNO,-Sekret e 104 0 0 0
98 , , £^0SO0, sg 106 26 10 1
03 , ,, norm. Sekret 5 113 118 310 oo
03 , , Kaninchenserum jDiphth.-B.| 171 160 212 oo
0,3 , oa AgNO,-Sekret s 200 0 0 0
083 , , ZnSO, » 202 6 | 0 0
03 , , norm. Sekret 5s 200 ` 227 | 242 reichl.
Die Überlegenheit des Silbernitrates in bezug auf die Leukin-
bildung und der durch diese bedingten Baktericidie auch gegenüber
dem Diphtheriebacillus geht aus vorstehenden Zahlen deutlich hervor.
Dasselbe erhellt auch aus dem folgenden Experiment.
Versuch XXXIV.
In das eine Auge wird !|prozentige Zinklósung, in das andere 1 pro-
zentige Höllensteinlösung eingeträufelt. Die hierauf eingelegten Wattebäusche
bleiben nur ! Stunde liegen und werden dann ihrer Flüssigkeit beraubt.
Baktericider Versuch. Diplobacillen.
Inhalt der Röhrchen 0,4 cem, davon 0,05 eem Aufsehwemmung von
Diplobacillen. Aussaat mit grosser Ose sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden
auf Lófflerserum. -
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 18
212 R. Schneider
Koloniezahl
Art und Menge der zu e i dn -—
: Be |
WEE EE AE 1 Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. | 24 Stdn.
Re EE EE E T CS Se Gelee
0,35 cem akt. 1⁄,h ZnSO, ‚Schr. 256 | 133 29 0 0
035 , 1.» AgNÓ,- = 260 0 0 0 0
Die Baktericidie der Conjunctivalflüssigkeit, welche nach Zink-
instillation und verschieden langem Liegenlassen der Watte gewonnen
ist, gegenüber Pneumokokken, kann man im nächsten Versuch verfolgen.
Versuch XXXV.
Von 2 Kaninchen wird dem einen rechts !j,prozentige Zinklósung,
links 1 prozentige Höllensteinlösung eingeträufelt und Watte auf !|, Stunde
in den Bindehautsack eingelegt. Dem andern Tier wird beiderseits !|, ?/,
Zinklósung instilliert, die Wattebäusche des einen Auges bleiben 1 Stunde,
die des andern 2 Stunden liegen. Die Gewinnung der Conjunctivalflüssig-
keiten geht wie gewöhnlich vor sich.
Baktericider Versuch. Pneumokokken.
Zu den 4 je 0,35 eem des betreffenden Conjunctivalsekretes enthalten-
den Röhrchen wird je 0,05 eem Pneumokokkenemulsion hinzugefügt, und
aus ihnen sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden mit grosser Öse auf
Löfflerserum Aussaaten gemacht.
Koloniezahl
nach ! nach nach nach
=
Art und Menge der zu |
prüfenden Flüssigkeiten |
| 1 Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn. | 24 Stdn.
-l 5 | N _
sofort |
0, 35 com akt. th Zn80, eet 198 159 0 83 ; 0
035 , » 1, : | 123 0 0,00
035 , , 2, 191 108 0 0 0
0,35 » » "an AgNO,- » 175 d 0 | 0 | 0
Mit den übriggebliebenen !|,. und 2stündigen Sekreten und dem Serum
desselben Tieres wurde noch ein baktericider Versuch gegenüber Meningo-
kokken als Testobjekten angestellt.
Baktericider Versuch. Meningokokken.
Von dem 0,35 ecm betragenden Inhalt der Röhrchen ist 0,05 cem eine
Aufschwemmung von Meningokokken in physiologischer NaC7-Lösung mit
10 °|, Pferdeserumbouillonzusatz. Aussaaten sofort, nach 1, 3 und 8 Stun-
den mit re Öse auf Lótf lerserum. -
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden |
Flüssigkeiten Sofort nach | nach nach
` e i E 1 Side. | 3 Stdn. | 8 Stdn.
0,3 cem akt. Kaninchenseruin 116 | 1 0 0
03 „ dnakt. 113 125 210 310
03, 1,h ZnSO,-Sekr. 115 | 9 0 0
d ur UM 5 115 | 0 . 0 ` 0
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine‘“ usw. 273
Um den Einfluss, den die Konzentration der Zinklósung auf die
Leukinbildung ausübt, festzustellen, wurde folgender Versuch gemacht.
Versuch XXXVI.
Von 2 Kaninchen wird dem einen in das rechte Auge 0,5 eem einer
1 prozentigen Zinklösung, in das linke 0,5 ccm einer !/, prozentigen Zink-
lösung, dem andern Tiere in das rechte Auge 0,5 cem einer !/, prozentigen
Zinklósung und in das linke 0,5 eem einer !/|,prozentigen Zinklósung ein-
geträufelt und möglichst über die ganze Bindehautoberfläche verteilt. Nach
Austrocknung des Conjunctivalsackes werden Wattebáusche eingelegt, die
1!| Stunden liegen bleiben; die aus ihnen entzogenen Flüssigkeiten seien
1—!|,9|, ZnSO,Sekret I bezeichnet. Darauf wird eine 2. Serie Bäusche
unter die Lider "reschoben und ebenfalls 1!|, Stunden liegen gelassen; die
aus diesen Büuschen abgesaugte Flüssigkeit heisse 1—!/;,, ETC Sekret II.
Bakterieider Versuch. Staphylokokken.
. Die Röhrchen enthalten 0,35 ccm, davon 0,05 ccm Aufschwemmung
von 12stündiger Agarkultur des Staphylococcus pyogenes aureus in physio-
logischer Kochsalzlösung mit einigen Tropfen Bouillonzusatz. Aussaat mit
grosser Öse auf Agar sofort, nach 1, 3 und 8 Stunden.
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden Kb edi
"Jüssigkeiten > nach nac ac
MUSEUMS s sofort | 1 Stde, | 3 Stdn. " 8 Stdn.
Pros akt, 10, Zn80, -Sekr. I | 135 T 113 ET 0 | 0
uc gio 4 78 d I 130 113 0 | O
0,3 nm an e » I 131 116 | 0 | 0
0,3 LA »» oo 99 I 130 124 | 10 0
03 » » 1% " II 132 96 0 0
0,3 » » pu „ II 116 13 | O O
08 p s » H | 9 i? 0 0
0,3 » » Us 0 » II | 95 13 0 0
Es zeigt also das Zinksulfat, wenn es auf normale Kaninchen-
conjunctiva einwirkt, bis zu einer Konzentration von. 159], ungeschwücht
seine leukmbildende Funktion. Dies ist ebenso beachtenswert wie der
anhaltende Erfolg des Zinks, der sich darin ausdrückt, dass die Con-
junetivaltlüssigkeiten aus der zweiten Wattebauschserie die aus der
ersten Serie an Wirksamkeit sogar etwas übertreffen. Wie aus einem
Vergleiche des vorstehenden Versuches mit dem ıhm entsprechenden
Silbernitratversuch zu entnehmen ist, steht an Gleichmässigkeit die
Wirkung des Zinks der des Höllensteins nicht nach, wenngleich sie
weniger drastisch als letztere ist.
Die geringere Intensität des Reizes, den das Zinksulfat bei Ver-
15*
274 R. Schneider
wendung der therapeutischen Konzentration auf die Bindehaut im Ver-
gleich zu dem Silbernitrat ausübt, prägt sich auch in dem Grade aus,
in dem es zur Transsudation gelöster Blutsubstanzen nach Applikation
der beiden Mittel kommt. An sich ist, wie wir ja gesehen, der Gehalt
an hämolytischem Alexin, das nur aus der Blutbahn ausgetreten sein
kann, schon bei den Höllenstein-Conjunctivalsekreten recht gering; wie
die folgenden zwei hämolytischen Versuche illustrieren sollen, geht in
die Zink-Bindehautsekrete noch weniger globulicides Alexin aus den
Blutgefässen über.
Versuch XXXVII.
. . Einem Kaninchen wird das eine Auge mit 0,5 cem einer 1|, prozentigen
Zinksulfatlósung, das andere mit O,5 eem einer 1 prozentigen Hóllenstein-
lösung, und dann beide mit physiologischer Kochsalzlösung ausgespült. Dann
werden beiderseits auf 1 Stunde Wattebäusche in den Conjunctivalsack ein-
gelegt und aus ihnen in der üblichen Weise die aufgesaugten Flüssigkeiten
gewonnen.
Hämolytischer Versuch.
Als Testobjekt enthalten die Röhrchen je Leem einer 5 prozentigen
Aufschwemmung präparierter Ziegenbluterythrocyten. Auffüllungsflüssigkeit:
physiologische NaC7-Lösung.
mm u hmmm nl LITE ll mtl ÁÁÉ————— .-
Art und Menge der zu prüfenden | molyse nach 2 Stdn. 38°
Flüssigkeiten
0,2 ccm akt. Kaninchenserum vollständig
0,1 nm nm „ »
005, , " fast vollständig
05 , ,, Zinksekret Spur
02 e, a e geringe Spur (?)
0,5 , , Silbersekret teilweise
0.2. 5 o vi deutliche Spur
OL uos » Spur
10 , phys. Kochsalzlósung keine
Versuch XXXVIII.
1! Stunden bleiben die Wattebáusche nach Instillation von !/, pro-
zentiger Zinklósung und 1prozentiger Silbernitratlósung in dem betreffenden
Auge liegen und werden dann behufs Gewinnung der von ihnen aufge-
nommenen Flüssigkeit abgesaugt.
Hämolytischer Versuch.
Als Testobjekt werden wieder präparierte Ziegenblutkörperchen in 5 pro-
zentiger Aufschwemmung den Röhrchen zugesetzt. Auffüllungstlüssigkeit:
physiologische Kochsalzlösung.
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 9275
Art und Menge der zu prüfenden x Š
Flüssigkeiten" Hümolyse nach 2 Stdn. 38
0,4 cem akt. Kaninchenserum vollständig
0,2 » » » »
0,1 nm am »" »
006, , " fast vollständig
0,01 nm a » deutliche Spur
04 , „ AgNO,Sekret teilweise
0,2. ui o5 5 deutliche Spur
O1 , , » keine
02 , , ZnSO,-Sekret deutliche Spur
01 , , » keine
0,5 ,, phys. NaCl-Lósung 5
Aus alledem ersieht man, dass das Zincum sulfuricum ein in jeder
Hinsicht viel milder wirkendes Mittel als das Argentum nitricum ist.
Ist auch seine desinfizierende Kraft praktisch fast gleich Null zu
erachten, so besitzen wir in ihm ein Mittel, das ebenfalls Leukinbil-
dung im Bindehautsack in sicherer und nachhaltiger Weise hervorruft;
nur ein einziges Mal versagte es bei meinen Versuchen. Dem schwücheren
Grad dieser seiner Fühigkeit steht als Vorteil die geringere Reizung
der Bindehaut gegenüber.
Seine vorzügliche Heilwirkung auf die Diplobacillenconjunctivitis
dürfte nicht als eine spezifische zu deuten sein und mehr in der La-
bilitàt des Diplobacillus liegen; es sei darauf aufmerksam gemacht,
dass er der einzige von den hauptsüchlich als Erreger von Conjunc-
tivitiden in Betracht kommenden Keimen ist, der auch durch das Blut-
alexin abgetótet wird. Vielleicht spielt auch dieses Moment bei seiner
raschen Vernichtung bei der Zinktherapie noch mit.
Da sich die Conjunctivalsekrete nach den Zinkinstillationen auch
auf andere Mikroorganismen wirksam gezeigt haben, so ist damit auch
bewiesen, warum das Zinksulfat durch seine leukinbildende Fähigkeit
auch auf ätiologisch andersartige Entzündungen heilend einwirken kann.
Antiseptica.
Der Gebrauch der Antiseptica in der Augenheilkunde ist be-
deutend zurückgegangen und zwar mit Recht. Alle Versuche durch
Desinfektion des Bindehautsackes ein keimfreies Operationsfeld zu
schaffen sind gescheitert. Es sei hier nur an die experimentellen
Arbeiten von Gayet (64), Hildebrandt (65), Bernheim (loc. cit.),
Marthen (loc. cit.), Bach (loe. cit. u. 66—68), Morax (69), Dalén (70),
Randolph (71), Kalt (72) u. A. erinnert, nach denen eine völlige
Keimfreiheit der Bindehaut mit Antisepticis unmöglich zu erzielen ist.
276 R. Schneider
Und dennoch hat es lange gedauert, bis die von Steffan (73) und
Eversbusch (74) schon vor 20 Jahren empfohlene aseptische Reini-
gung des Bindehautsackes mit physiologischer Kochsalzlösung über die
antiseptische mit Sublimat usw., die in A. v. Graefe(75) einen miich-
tigen Verteidiger gefunden hatte, den Sieg davongetragen hat. Wenn
man heute die grossen infektionsfreien Serien von Bulbusoperationen
betrachtet, wie sie z. B. Hauenschild(76) aus der Klinik v. Michels
zusammengestellt hat und bei denen nur physiologische Kochsalzlósung
zur Reinigung des Bindehautsackes verwendet wurde, so hat man den
besten Beweis für die Richtigkeit der Anschauungen, die damals schon
Steffan und Eversbusch über den geringen Wert der Antiseptica
in der Ophthalmiatrik ausgesprochen haben.
Wegen ihrer das Gewebe schädigenden Eigenschaften sind die
Antiseptica nur in schwachen Lösungen gestattet, und von der Wir-
kung dieser gilt das schon bei Erörterung der antiseptischen Kraft
der Adstringentia Gesagte, dass sie nämlich zu oberflächlich und zu
kurz einwirkt, um alle Keime treffen zu können.
Trotzdem finden das Sublimat und noch mehr das Quecksilber-
oxycyanat bei der Behandlung infektióser stark secernierender Binde-
hautaffektion in einer Konzentration von 1:2000—3000 und in der
Gestalt ausgiebiger Spülungen, den sogenannten „grands lavages“ noch
ziemlich viel Anwendung. Mit Rücksicht hierauf prüfte ich in einigen
Versuchen, ob das Conjunctivalsekret nach. Applikation von Queck-
silberoxycyanat baktericide Substanzen enthält.
Versuch XXXIX.
Einem Kaninchen wird 1,0cem einer Quecksilberoxyeyanatlósung in
den Bindehautsack eingegossen und 1 Minute darin gelassen. Durch Strei-
chen und Ausdrücken der Lider gegen den Bulbus wird die Flüssigkeit
wieder entfernt. Dann werden Wattebüusche eingelegt und nach 21), Stun-
den wieder entfernt. Die Ausbeute aus den Bäuschen des Auges beträgt
nur 0,4cem Flüssigkeit.
Baktericider Versuch.
Diphtheriebacillen werden in physiologische Kochsalzlösung mit 10°,
Pferdeserum versetzt, aufgeschwemmt und dienen als Testobjekt. Wie ge-
wöhnlich wird 0,05 eem Emulsion den Röhrchen zugesetzt, das ausserdem
noch 0,4 eem Quecksilberoxyeyanatsekret enthält. Aussaat sofort, nach 1,
3 und 9 Stunden auf Löfflerserum mit grosser Öse.
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden |
Flüssigkeiten aton nach nach nach
3 1 Stde. | 3 Stdn. | 9 Stdn.
—
-———-
0,4 ccm akt. Oxycyanatsekret | 18 | 182 | 180 | 163
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der ,Leukine* usw. 277
Obgleich also das Quecksilberoxycyanat — wie auch meine Des-
infektionsversuche ergeben haben — das Zinksulfat und. Argentum
nitricum an antiseptischer Kraft weit überflügelt, ist in diesem Ver-
suche das 21], stündige Conjunctivalsekret wirkungslos. Das ist ein
Beweis dafür, dass nach den angegebenen Manipulationen die Instil-
lationsflüssigkeit aus dem Conjunctivalsack gründlich entfernt wird und
dass das Quecksilbersalz in der Konzentration von 1:1500 auf die
Bindehaut nicht den Reiz auszuüben vermag, der zur Leukinbildung
notwendig ist.
Dass die Oxycyanatlósung (1:1500) quoad Leukinbildung nicht
anders als physiologische Kochsalzlósung zu wirken scheint, kann man
aus dem nüchsten Versuch schliessen.
Versuch XL.
Einem Kaninchen werden in ein Auge in kleineren Portionen im ganzen
nach und nach 3,0 cem einer Oxycyanatlósung 1:1500 in den Bindehaut-
sack eingefüllt, so dass die Conjunetiva 2—3 Minuten von dieser Flüssig-
keit benetzt wird. Dann wird letztere mit den Lidern möglichst ausge-
strichen und der Bindehautsack mit ungefähr 30 cem physiologischer Koch-
salzlösung von Zimmertemperatur ausgespült. Das andere Auge wird zur
Kontrolle nur mit der gleichen Menge physiologischer Kochsalzlösung be-
rieselt; darauf wird beiderseits Watte eingelegt, die 1?|, Stunden liegen
bleibt und sofort abgesaugt wird; die gewonnenen Flüssigkeiten werden mit
Normalsekret I und 77g-Sekret I bezeichnet. Dann werden nochmals Bäusche
eingelegt, die 1!|, Stunde in den Augen verweilen und dann abgesaugt
werden: ihre Flüssigkeiten mögen Normalsekret II und Zg-Sekret heissen;
ihre Mengen betragen nur die Hälfte der ersten Sekrete, d. h. nur je 0,4 ccm.
Baktericider Versuch.
Inhalt der Röhrchen je 0,45 cem; davon je 0,05 ccm Bakterienemul-
sion in physiologischer Kochsalzlósung mit 10%, Pferdeserumbouillonzusatz;
-— 2
2 Astuad M d Koloniezahl
= oe Einsaat | nach | nach nach
E prüfenden Flüssigkeiten s ofort * 1 Sedo. 3 Stdn. See
1 04 ccm akt. Kunmellenzesum. || Preumokokk: 42 | 69 [rei ria] oo
2/04 , , Norm.-Sekret " 41 37 0
3/04 aw Hg-Sekret I e 45 41 T 0
4|04 „ , Norm.-Sekret II i 43 40 9 0
510,4 „ „ Hg-Sekret lI s 44 42 10 0
6/04 , phys. NaCl-Lösung +
10°, Serumbouillon 39 110 | 207 | reichl.
710,4 ,„ akt. Kaninchenserum Staphylokokk. 33 6 0 | ca. 500
8/04 , , Norm.-Sekret We 30 11 1 0
9/04 , , Hg-Sekret I We 34 15 U 0
10 e » phys. NaCl-Lósung 4-|
10°/, Serumbouillon | x | 33 51 | 346 reichl.
1
278 R. Schneider
und zwar werden in Röhrchen 1—6 Pneumokokken und in Röhrchen 7—10
Staphylokokken eingesät. Aus den ersteren Röhrchen werden auf Löffler-
serum, aus den letzteren auf Agar mit der grossen Öse sofort, nach 1, 3
und 8 Stunden Aussaaten gemacht.
Wie immer ist im aktiven Kaninchenserum der Pneumococcus
sehr gut gewachsen, während die Staphylokokken erst eine teilweise
Abtötung erfahren, um sich dann zu vermehren. Alle Sekrete sind
schwach wirksam; die zweiten sogar etwas stärker als die ersten. Kein
Unterschied ist jedoch zwischen dem sogenannten Normal- und dem
Hg-Sekret; die vorherige Bespülung mit Quecksilberoxycyanat hat also
keinen Effekt gehabt. Dagegen hat der milde Reiz, der durch die
Benetzung mit den 30 ccm physiologischer Kochsalzlósung von Zimmer-
temperatur gesetzt wurde, genügt, eine schwache Baktericidie der Con-
junctivalflüssigkeit hervorzurufen.
Dieser Befund ist von praktischem Wert und bestätigt klinische
Erfahrungen. Einmal lässt er den Gebrauch von Antisepticis noch
weiter entbehrlich erscheinen. Dann spricht er für die Spülungen mit
indifferenten Lösungen, indem durch sie ohne Schädigung des Gewebes
nicht nur das pathologische Sekret mit den Infektionserregern und
ihren toxischen Produkten entfernt, sondern auch gleichzeitig infolge
des mechanischen, sowie Kälte- oder Wärmereizes. der Spülflüssigkeit
eine heilende Reaktion von seiten des Gewebes ausgelöst wird.
Pyocyanase.
Aus den vielfach erörterten Gründen dürfte es wohl als ausge-
schlossen gelten, dass man eine nur einigermassen von Bakterien be-
siedelte Conjunctiva absolut keimfrei machen kann. Immerhin wäre
ein Mittel sehr wertvoll, mit dem rasch und ohne Atzwirkung eine
relative Sterilisierung des Bindehautsackes erreicht werden könnte. Als
ein solches Mittel dürfte die von Emmerich und Loew (77—78)
entdeckte Pyocyanase noch mehr, als es bisher geschehen ist, in der
Augenheilkunde zu versuchen sein. Ihre ausserordentlich prompte,
bakterientótende Eigenschaft in vitro ist von den Entdeckern, Scha-
piro(79) u. A. zur Evidenz dargetan, und auch die Erfolge bei den
verschiedensten Schleimhautaffektionen scheinen ausgezeichnete zu sein.
Am Auge hat Locwenstein (SO) zuerst den Einfluss der Pyocyanase
auf den Keimgehalt des Bindehautsackes untersucht. Auf Grund .
seiner Resultate hält er sich für berechtigt, die Procvanase als das
Desinficiens zu bezeichnen, das die Forderung Behrings erfülle,
„pflanzliche Zellen zu zerstören, ohne tierische Schleimhäute zu zer-
stören“,
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 279
Inwieweit dieses Urteil zutrifft, bleibe dahingestellt, mich regte
es zu folgenden Versuchen an, die sich nur auf die etwaige leukin-
bildende Fähigkeit der Pyocyanase erstrecken sollten.
Versuch XLI.
In den Bindehautsack des rechten Auges eines Kaninchens wird 0,2 ccm
unverdünnter käuflicher Pyocyanase eingeträufelt. Nach 2 — 3 Minuten
langer Einwirkung wird letztere durch Streichen und Abheben der Lider
wieder entfernt. Danach werden in dieses Auge und in das linke Kontroll-
auge auf 2 Stunden Wattebäusche eingelegt. Bei ihrer Herausnahme ist
die Conjunctiva des rechten Auges glatt, stark injiziert, aber ohne Ätzschorfe.
Baktericider Versuch. Typhusbacillus „Gabersee“.
Inhalt der Röhrchen je 0,45 cem; davon 0,05 cem Typhusbacillenauf-
schwemmung. Aussaaten mit grosser Öse auf Agar, sofort, nach 1], 3 und
7 Stunden.
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden ES
0,4 ccm akt. Norm. we Contuncdvalicke- H 146 , 131 215
reichl.
??
0,4 » » Pyocyanasesekret 147 140 290
Da die gewóhnliche Pyocyanase reich an verschiedenen Salzen
ist, die auf die Conjunctiva reizend einwirken können, wurde das
nächste Mal die käufliche Pyocyanase in Eiskochsalzgemisch abgekühlt.
Hierdurch krystallisieren die Salze in grossen Massen aus und lassen
sich dann bequem von der salzarmen Pyocyanaseflüssigkeit abgiessen.
Versuch XLII.
In das rechte Auge wird 0,75 eem gewöhnliche, in das linke ebenso
viel salzarme Pyocyanase eingeträufelt. Die beiderseits eingelegten Watte-
bäusche werden nach 2!|, Stunden herausgenommen. Auch diesmal sind die
Conjunctiven stark injiziert, rechts allerdings mehr als links; die gewonnene
Flüssigkeit beträgt hier 0,8 ccm, dort 1,2cem. Der Bodensatz der rechts-
seitigen Flüssigkeit besteht aus Erythrocyten und wenigen Leukocyten, der-
jenige der linksseitigen enthält etwas mehr Leukoeyten.
Baktericider Versuch. Diplo- und Diphtheriebaeillen.
Inhalt der Röhrchen je 0,45 cem; davon in Röhre 1 und 2 je 0,05 cem
Diplobacillenaufschwemmung, in Röhre 3 und 4 je 0,05 cem Diphtherie-
bacillenemulsion. Aufschwemmungstlüssigkeit: physiologische Kochsalzlösung
mit 10°, Pferdeserumbouillonzusatz. Aussaaten mit grosser Öse auf Löffler-
serum sofort, nach 1, 3, 7 und 24 Stunden.
9S0 R. Schneider
|
Koloniezahl
|
©
E Art und Menge der zu BR = Bu | d | m uS
= prüfenden Flüssigkeiten Einsaat 3 Er EK | EE TI
o EE D
| d = 2 E Ee KE E | = =
1 |0,4ccm akt. gewóhnl. Pyocyan.-. | | | |
Sekret ! Diplobac. | 160 996 | 310 | o ix
2 0,4, , entsalz. Pyocyan.- , | | maurs
| Sekret | 3 | 150 | 173 | 206 |reichl.| x
38,04, , gewöhnl. Pyocyan.- | |
| Sekret Diphth.-Dac. | 287 | 256 41 5 | 0
404 , , entsalz. Pyocyan.- | | '
| Sekret | F 260 | 196 | 25| 0 0
|
Die Instillation von gewöhnlicher und entsalzter Pyocvanase hat
also ein Wirksamwerden der darauf gebildeten Conjunetivalflüssigkeit
nicht zur Folge.
Versuche am Menschen.
Nachdem gezeigt war, dass das Leukin eine wertvolle Schutz-
waffe des Kaninchens ist, war es von grossem Interesse, zu unter-
suchen, ob das Gleiche auch bei dem Menschen der Fall ist. Denn
sollten die beim Tierexperimente gemachten Beobachtungen Berück-
sichtigung und Verwendung beim Menschen finden, so musste vor
allem gezeigt werden, dass auch in der menschlichen Conjunctiva nach
Instillation von Argentum nitricum und Zincum sulfuricum Leukine
in wirksamer Weise auftreten. Ganz leicht war die Gewinnung des
notwendigen Materials nicht; immerhin waren mehrere Personen bereit,
mir als Versuchsobjekte zu dienen, und die bei ihnen erzielten Resul-
tate waren eindeutig genug, um unsere Frage als im bejahenden Sinne
gelöst erachten zu dürfen.
Die ersten Versuche wurden an phthisischen Augen mit normaler
Conjunetiva ausgeführt. — Als es sich herausgestellt hatte, dass bei ent-
sprechender Vorsicht mit dem Experiment keine Gefahr für die Augen
verknüpft ist, wurden auch völlig normale Augen benutzt. Nach Ko-
kainisierung wurde das 1%, ige Silbernitrat auf die Conjunctiva der
evertierten. Lider aufgetrüufelt und sogleich mit physiologischer Kochsalz-
lösung neutralisiert. Dass die Cornea vor jeder Benetzung mit der
Höllensteinlösung geschützt wurde, ist selbstverständlich. Das Zineum
sulfuricum wurde in 1h prozentiger Lösung ohne besondere Schutzmass-
regeli in das Auge ausgiebig eingeträufelt. Die Wattebäusche wurden
nur in den unteren Bindehautsack eingelegt und bis zu 35 Minuten
darin gelassen. Die nach dem Versuch vorhandenen Beschwerden
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine“ usw. 98]
konnten mit Kokainsalbe und kühlen Kompressen leicht unterdrückt
werden. Nach einigen Tagen hatte die Conjunctiva wieder normales
Aussehen.
Folgende Beispiele mögen zur Illustration des Gesagten dienen.
Versuch XLIII.
Einem jungen Manne wird in das eine Auge O,1cem einer 1?|igen
Silbernitratlösung in den unteren. Bindehautsack unter Eversion des Lides
eingeträufelt und mit physiologischer NaCl-Lösung neutralisiert. Die sodann
in beide Augen eingelegte Watte bleibt 20 Minuten liegen, ist bei ihrer
Herausnahme vollkommen durchfeuchtet und gibt 0,3 eem Normal-Sekret
und 0,4 ccm 4gNO0,-Flüssigkeit. Von dieser sowie von dem Blutserum der
Versuchsperson wird eine Probe auf 56? !|, Stunde erhitzt. Zur Kontrolle
wird auch eine Probe mit physiologischer Kochsalzlösung und eine mit
Kochsalzlösung, die in Wattebäusche aufgesaugt eine halbe Stunde bei 38°
gehalten war, mit herangezogen.
Baktericider Versuch. Typhusbacillen.
Inhalt der Röhrchen je 0,35 ecm, davon 0,5 cem "Typhusbacillen-
emulsion in Koehsalzlósung mit 10?|, Pferdeserumbouillonzusatz. Auffüllungs-
flüssigkeit physiologische Kochsalzlösung. Aussaat mit grosser Öse auf Agar
sofort, nach 3, 7 und 24 Stunden.
Koloniezalıl
Art und Menge der zu prüfenden d | sah
D SE PT 3 Stan, tdn. | 7 Std 7 Stdn. |24 Stdn.
0,2 ccm akt. Menschenserum 53 0 | 0
0,2 ,, inakt. (!/ St. 56") Menschenser. | 50 67 261 —
0,2 „ akt. Normalsekret 53 39 35 21
02, , AgNO,-Sekret 59 0 0 0
0,2 ,, inakt. (!, St. 56% AgNO,-Sekr. | 52 0 0 0
0,3 , phys. NaCl-Lósung 58 71 356 —
0,3 „ Watte NaCl-Lösung 57 76 325 —
Versuch XLIV.
Einem 14jährigen Mädchen wird in das linke Auge, dessen Bulbus
infolge Blennorrhoea neonatorum phthisisch geworden war, auf die Conjunetiva
des Unterlides 0,1 cem 1prozentiger Hóllensteinlósung aufgetrüufelt. Die
in den unteren Bindehautsack eingelegte Watte bleibt nur !/, Stunde liegen
und enthált 0,2 cem Flüssigkeit. Von letzterer und dem Serum des Mäd-
chens wird je 0,1 cem !|, Stunde auf 56? erhitzt.
Bakterieider Versuch. Staphylokokken.
Inhalt der Röhrchen je 0,35 eem; davon 0,05 eem Emulsion von
]?stündiger Agarkultur des Staphylococcus pyogenes aureus in physiologischer
Kochsalzlösung, der einige Tropfen Bouillon zugesetzt sind. Aussaat mit
grosser Öse auf Agar sofort, nach 1, 3 und 7 Stunden.
282 R. Schneider
p—————————————————————————
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden
üssigkei nach nach nach
ac c "in 1 Stde. | 3 Stdn. | 7 Stdn.
0,1 ccm akt. Menschenserum 126 128 152 reichl.
0,1 ,, inakt. (!/, St. 56?) Menschenser. | 135 169 — "
01 , akt. AgNO,-Sekret 150 99 45 13
0,1 , inakt. (!/4 St. 56% AgNO,-Sekr. | 145 98 62 28
Q1 , phys NaCi-Lósung . 156 155 301 reich].
Versuch XLV.
Einem 30jährigen Manne wird nach Kokainisierung beider Augen links
1, "bige Zinksulfatlösung eingeträufelt und rechts die Conjunctiva des ever-
tierten Ober- und Unterlides mit 1prozentigem Argentum nitricum benetzt.
Nach Neutralisation mit Kochsalzlósung werden beiderseits auf !|, Stunde
Wattebáusche in den unteren Bindehautsack eingelegt. Bei ihrer Heraus-
nahme sind sie sehr gut durchfeuchtet und ergeben 0,5 bzw. 0,6 ccm
Flüssigkeit. Durch !|stündiges Erhitzen auf 56° wird von den Conjunc-
tivalflüssigkeiten je eine Probe inaktiviert.
Baktericider Versuch. Pneumokokken.
Inhalt der Röhrchen je 0,35 cem; davon je 0,05 cem Pneumokokken-
emulsion in physiologischer Kochsalzlösung mit 10°), Zusatz von Pferde-
serumbouillon. Aussaat mit grosser Öse auf Löfflerserum, sofort, nach 1,
3, 81, und 20 Stunden.
Koloniezahl
Art und Menge der zu Wee
rüf üssigkei nach nach nach nach
BEE sofort | 1 Stde. | 3 Stdn. |814 Stdn.) 20 Stdn.
0,3 cem akt. Menschenserum 70 87 185 312 verunrein.
03 , , AgNO,-Sekret 10 0 0 0
'0,3 ,, inakt. 5 15 0 0 0 0
03 „ akt. Zn SO,-Sekret 77 24 0 0 0
03 , inakt. is 14 27 0 0 0
Versuch XLVI.
Der Versuchsperson wird in das linke Auge !|,prozentiges Zinksulfat
eingeträufelt und auf dem rechten die Conjunctiva des Ober- und Unter-
lides mit 1prozentigem Argentum nitricum befeuchtet. Nach Neutralisation
des Höllensteins bleiben Wattebäusche beiderseits in den unteren Bindehaut-
säcken 25 Minuten liegen und werden in gewohnter Weise der in ihnen
aufgesaugten Flüssigkeit beraubt und zwar wird 0,35 com AgNO,-Sekret
und 0,3 cem ZnSO,-Sekret erhalten. Die Hälfte letzterer Flüssigkeiten wird
ebenso wie eine Blutserumprobe 25 Minuten auf 56° erwärmt.
Baktericider Versuch. Staphylokokken.
Inhalt der Röhrchen 0,35 cem; davon 0,05 cem Staphylokokkenemulsion
in Kochsalzlösung mit 10°), Zusatz einiger Tropfen Bouillon. Auffüllungs-
Experimentelle Untersuchungen über die Bedeutung der „Leukine‘“ usw. 983
flüssigkeit physiologischer Kochsalzlösung. Aussaat mit grosser Öse sofort,
nach 1, 3, und 9 Stunden.
Koloniezahl
Art und Menge der zu prüfenden we
"üssigkei , nach nach nach
SEET E 1 Stde. | 3 Stdn. | 9 Stdn.
0,2ccm akt. Menschenserum | 144 145 174 | reich].
2 ,, inakt. » 140 233 ca. 600 —
0,15 „ akt. AgNO,-Sekret 136 8 1 0
0,15 „ inakt. - 139 21 5 d
0,15 „ akt. ZnSO,-Sekret 141 102 91 18
0,15 „ inakt. j 137 99 84 31
03 „ phys. NaCl-Lösung 131 158 160 reichl.
Wir sehen also aus den vorstehenden Versuchen, dass auch beim
Menschen durch das Silbernitrat und das Zinksulfat die Conjuncti-
valflüssigkeit baktericide Eigenschaften erhält. Diese werden durch
Erhitzen nicht abgeschwächt und betätigen sich auch Bakterien gegen-
über, die vom Serum nicht abgetötet werden. Unter Berücksichtigung
und in Übereinstimmung mit den am Kaninchen gemachten Beobach-
tungen schreibe ich daher die antibakterielle Wirkung der Conjuncti-
valflüssigkeiten dem in ihnen enthaltenen Leukin zu. Letzteres
ist somit auch für den Menschen ein wirksames Verteidi-
gungsmittel gegen die verschiedenen Mikroorganismen.
Zusammenfassung und Schluss.
Da in den einzelnen Abschnitten der Arbeit den Ergebnissen
der Versuche unmittelbar eine Würdigung ihrer theoretischen und
praktischen Bedeutung angeschlossen worden ist, sollen hier nur ganz
kurz die wichtigsten Resultate zusammengefasst werden.
Das normale Sekret der Tränendrüse und der Conjunctiva ent-
hält keine baktericiden, hämolytischen und opsonisierenden Substanzen.
Nach Instillation von Silbernitrat-, Protargol- und Zinksulfat-
lösung wandern Leukocyten in den Bindehautsack aus und geben unter
dem Einflusse jener Mittel ihre baktericiden Stoffe, die „Leukine“, ab,
Die Heilwirkung der „Adstringentien“ beruht nicht so sehr auf
der durch sie verursachten Schorf- oder Häutchenbildung und ihrer
desinfizierenden Kraft, als vor allem auf ihrer Fähigkeit, die Leukin-
bildung hervorzurufen.
Die Vernichtung der Infektionskeime erfolgt vorwiegend extra-
cellulär im Conjunctivalsekret dank des in ihm enthaltenen Leukines
und nicht durch Alexin, das gegenüber den meisten Conjunetivitis-
2S4 R. Schneider
erregern unwirksam ist und nur in geringer Menge nach der Appli-
kation der Silber- und Zinksalze aus dem Blute austritt.
Ist auch nach meiner Ansicht das Auftreten des Leukines in der
Conjunctivalflüssigkeit das wesentlichste Moment, auf dem die heilende
Wirkung des Argentum nitricum und des Zincum sulfuricum beruht,
so soll damit nicht gesagt sein, dass die therapeutischen Leistungen
dieser Metallsalze mit der Leukin- und Schorfbildung sowie ihrer ge-
ringen Desinfektionswirkung erschöpft sind. Denn da neben den be-
kannten Abwehrvorrichtungen des Organismus noch solche unbekannter
Art existieren dürften, so ist es sehr wohl möglich, dass von dem
Silbernitrat und Zinksulfat noch andere das Gewebe „umstimmende“
Einflüsse ausgehen.
Die Tatsache, dass die lokale resistenzsteigernde und heilende
Wirkung der „Adstringentien“ am Auge hauptsächlich in der Bildung
des Leukines zum Ausdruck komnit, ist ein Beweis dafür, dass mit
Recht das Lenk dem Blutalexin und der Phagocytose als Haupt-
waffen der natürlichen Resistenz an die Seite gestellt wird.
Für die Therapie der infektiösen Bindehautentzündungen ergibt
sich daraus die Indikation, zur Bekämpfung der Infektionserreger auf
eine ausgiebige Erzeugung des Leukines bedacht zu sein.
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36) Saemisch, T h., Die Krankheiten der Conjunctiva usw. Graefe-Saemisch,
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37) Snellen, H. jr., Die augenärztlichen Heilmittel. Graefe-Saemisch,
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39) v. Graefe, A., Vergleichende Therapie der Blennorrhöe und Diphtheritis,
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40: Fuchs. Lehrb. d. Augenheilk. 1908. 8. 62.
41; Axenfeld. Lehrb. d. Augenheilk. 1909. S. 256.
286 R. Schneider
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69)
AR
71)
12,
19)
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v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXIL. 2. 19
Die traumatischen Cysten der Conjunctiva.
Von
Dr. Vittorio Carlini,
Augenarzt in Livorno.
Mit Taf. X, Fig. 1—3.
Uber die Conjunctivaleysten existiert eine ausgedehnte Literatur.
Trotz der beträchtlichen Anzahl der Veröftentlichungen ist das Krank-
heitsbild dieser Neubildungen noch nicht vollständig.
Wenn auch einige Arten der Cysten ziemlich bekannt sind, wie
die kongenitalen, diejenigen, welche von der Lymphangiektasie (Hirsch-
berg, Makrocki, Panas, Delecoeuillerie), von den Krauseschen
(de Vincentiis, Antonelli, Faravelli und Rampoldi, Moauro,
Rombolotti), von den Henleschen Drüsen (Wintersteiner, Cirin-
cione), von drüsenförmigen Faltenbildungen im Pterygium (Gallenga)
oder im Naevus der Conjunetiva (Wintersteiner, Pindikowski)
ihren Ursprung haben, ferner die parasitären (C'ysticercus, Filaria), so
sind andere in ihrem ätiologischen Wesen und in ihrer Entwicklungs-
weise noch nicht hinreichend aufgeklärt worden. Unter den letzteren
befinden sich die traumatischen Cysten.
Uber die Entstehungsart der traumatischen Cysten der Conjunc-
tiva hat man ziemlich unvollständige Kenntnisse, da es sich um Neu-
bildungen handelt, die selten unserer Beobachtung unterliegen. Viel-
leicht. sind diese Fälle nicht so selten als es den Anschein hat und
zwar aus dem Grunde, weil sie gewöhnlich nicht stören, und dem-
gemäss den Kranken nicht veranlassen, den Augenarzt zu konsultieren.
Jedenfalls ist das anatomisch-pathologische Material, das bis dahin ge-
sammelt und untersucht ist, noch gering.
Die traumatischen Cysten sind als Einschliessungseysten angesehen
worden, gemiiss der Pfropfungstheorie von Rothmund-Masse, die
ohne Zweifel für die Entstehung der perlförmigen Jristumoren an-
genommen Ist. Man hat sie entsprechend den Pfropfungen im Nub-
Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 289
conjunctivalgewebe und der nachfolgenden Vermehrung der losgelósten
Epithelelemente, die von einem traumatischen Agens in die Tiefe ge-
rissen waren, zugeschrieben.
Die Beobachtungen, die indes dazu führten, diese Kategorie von
Cysten der Conjunctiva festzustellen — abgesehen von denjenigen, die
einer histologischen Untersuchung ermangeln und selbstverständlich
nicht in Betracht gezogen werden können —, sind, wie schon gesagt,
äusserst wenige. Man kann sagen, dass die traumatischen Cysten an-
statt auf Grund genauer und erschópfender Beobachtungen aus Ana-
logie angenommen seien, wobei man die Pathogenese der perlförmigen
Iristumoren, der perlfórmigen Fingergeschwülste, der Epithelcysten im
allgemeinen, die hinlänglich durch die Erfahrungen Masses und
Kauffmanns nachgewiesen sind, sich gegenwärtig hielt.
Tatsächlich sind Cysten als traumatisch angesehen worden, nur
weil diesen ein Trauma vorausgegangen war, Cysten von denen eine
weitere Untersuchung nachweisen konnte, dass man sie für Cysten
anderer Natur anzusprechen hatte, z. B. als Iymphatische (Beobach-
tungen von Makrocki und von Hache) oder als parasitäre Cysten.
Im übrigen ist die Neigung aller Kranken bekannt, den Ursprung
ihrer eigenen Krankheit in annehmbarer Weise zu erklären, sowie den
Anfang auf ein Trauma zurückzuführen.
Man muss in jedem Falle bestimmen, ob man einem Trauma
Bedeutung in der Ätiologie einer Cyste der Bindehaut zuzumessen
hat. Eine Cyste kann nicht aus dem blossen Grunde für traumatisch
erklärt werden, weil sie sich nach einem Trauma entwickelte. Ein
Trauma kann auch indirekt wirksam gewesen sein, indem es z. B. die
Obturation eines Ausführungsganges einer Drüse hervorgerufen hat.
Um mit Sicherheit sagen zu können, dass eine Cyste traumatischen
Ursprungs sei, muss man eine histologische Untersuchung anstellen,
die die Art und Weise präcisiert, in der das Trauma gewirkt hat,
und zudem nachweist, dass die Cyste tatsächlich der Verschleppung
von Ektodermelementen in das Subepithelgewebe zuzuschreiben ist.
Nicht alle der wenigen Beobachtungen, die von den Autoren an-
geführt werden, um die Existenz wirklich traumatischer Cysten der
Conjunctiva darzutun, sind klar und überzeugend.
Die wichtigsten sind Uhthoff zu verdanken, der 1879 drei
Fälle veröffentlichte, durch die er bereits die von Sichel und Arlt
über die traumatische Entstehung der Cysten der Conjunctiva aus-
gesprochenen Ideen bestätigte.
19*
290 V. Carlini
Der erste Fall von Uhthoff betrifft eine Frau von 20 Jahren, die
wegen Strabismus operiert war. Die Operation war regelrecht verlaufen
und die Heilung ohne Komplikation vor sich gegangen. Fünf Wochen nach
der Operation zeigte sich auf der Fläche des operierten Muskels eine Er-
höhung von 3—4 mm, bedeckt mit Bindehaut normalen Aussehens mit allen
Zeichen einer serósen Cyste. Diese wurde durchstochen und es floss
eine helle Flüssigkeit ab, die sich bald aufs neue bildete. Man excidierte
die Cyste sodann und bei der histologischen Untersuchung zeigte sie eine
Wand aus Fasergewebe, das innen mit einer regelrechten Epithelzellenschiclıt
gepflastert war.
Der zweite Fall Uhthoffs ist noch deutlicher. Er bezieht sich auf
eine Cyste auf der Bulbareonjunctiva, die einen Centimeter vom Limbus ent-
fernt lag und die fünf. Wochen nach einem Trauma aufgetreten war, das
das obere Augenlid durchbohrt und den Augapfel erreicht hatte. Diese Cyste
lag im subconjunctivalen Gewebe, war linsengross und wurde excidiert. Dei
Durchleuchtung wurde in ihrem Innern die Existenz von drei Härchen auf
der Wand festgestellt.
' Die mikroskopische Untersuchung zeigte, dass die Wand aus einem
Fasergewebe bestand und im Innern mit Pflasterepithel bekleidet war.
Der dritte Fall endlich ist sehr zweifelhaft und weist nicht gerade ein
wirkliches Trauma auf. Bei einer Frau von 45 Jahren, welche erzählte,
dass zuvor ein kleines Insekt in den inneren Winkel des rechten Auges ein-
gedrungen war, entwickelte sich eine wurmförmige Cyste ähnlich einer
Lympherweiterung mit klarem serösem Inhalt. In diesem Fall ist die Cyste
voraussichtlich einer Lympherweiterung zuzuschreiben.
Von diesen drei Fällen sind die ersten beiden von Uhthoff als
wirklich traumatische angesehen worden, welche die Folge einer Epi-
thelpfropfung waren, woraus sich der Überzug mit Pflasterepithel er-
klärt. Ausser den Beobachtungen Uhthoffs finden wir in der ganzen
ophthalmologischen Literatur bis heute nur vier andere Beobachtungen
traumatischer Cvsten, von denen drei indes sich auf die blosse kli-
nische Beschreibung beschränken.
Fin Fall ist von Baudry (1882) besprochen worden. Es handelt sich
hier um einen Kranken, dem ein Stück brennenden Schwefels in ein Auge
geflogen war. Drei Monate nach dem Unfall zeigte sich ein kleines Bläs-
chen, das allmählich grösser wurde und den Charakter einer Epidermeyste
annahm.
Ein anderer Fall ist von Lopez (1885) beschrieben worden. Es be-
trifft einen Arbeiter von 24 Jahren, der vor zwölf Jahren einen Stoss von
dem Horn einer Kuh in die linke Augenhöhle erhalten hatte. Die zwei
freien Ränder der Augenlider vereinigten sieh und die beiden Bindehautsäcke
bildeten eine Höhle, in der sich einige Knochentragymente fanden, die aus
dem Augenhöhlenrand entstammten; der Augapfel war unverschrt hinter
der Cyste.
Lange bespricht (1903) in neuerer Zeit einen dritten Fall. Ein Patient
Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 291
meldete sich bei ihm eineinhalb Stunden nachdem ihm vermittels eines
Schraubenziehers ein Schlag ins Auge versetzt worden war. Dieser hatte
im rechten Auge die Conjunctiva verletzt und ein Stück von 6—8 mm
entblösst. Lange nähte die Wunde zu. Sieben Monate später bei er-
neutem Besuch klagte der Patient über ein Gefühl einer Hemmung im
rechten Auge infolge einer Cyste, die gerade dort entstanden war, wo zu-
vor die Verletzung erfolgt war. Die Cyste wurde ausgeschnitten, die histo-
logische Untersuchung konnte nicht vorgenommen werden.
Schliesslich bringt 1905 Mayou in Royal London Ophthalmic
Hospital Reports die klinische und pathologisch-anatomische Beschreibung
einer traumatischen Cyste der Conjunctiva, die unzweifelhaft dem direkten
Eindringen des Epithels in das Subconjunctivalgewebe vermittels eines
Fremdkörpers zuzuschreiben ist.
Der Fall Mayous verdient ausführlich wiedergegeben zu werden. Ein
Knabe von 11 Jahren stellte sich ihm, fünf Tage nachdem ihn ein Holz-
splitter im rechten Auge getroffen hatte, vor. Bei der Inspektion erschien
im äusseren Teil der Bulbusconjunctiva, ungefähr 6 mm vom Limbus, eine
rote Anschwellung wie eine dicke Phlyktäne. Die kleine Geschwulst wurde
excidiert und der mikroskopischen Untersuchung unterworfen. Diese zeigte,
dass die Wunde der Conjunetiva noch nicht vollständig mit Epitliel bekleidet
war, und dass die Cyste, die im unterstehenden Gewebe vorhanden war, in
ihrem Innern den kleinen Holzsplitter enthielt, der die Verletzung hervor-
zerufen hatte, zusammen mit ein- und mehrkernigen Zellen aller Arten,
Plasmazellen und einer oder zwei Hiesenzellen. Das Epitlel, das die Cyste
bekleidete, war aus drei oder vier Zellenschichten jener Art zusammengesetzt,
welche die Oberfläche der Bulbusconjunetiva bekleiden. Es umgab den
Splitter mit Ausnahme einer kleinen Fläche, welche an der Eintrittswunde
lag. Augenscheinlich war das Epithel von der Spitze des Splitters losgelöst,
in die Tiefe fortgerissen und hatte sich in ihrer Umgebung vermehrt, wie
die karyokinetischen Figuren zeigten, welche sich in den Zellenelementen
vorfanden, die auf der noch nicht mit Epithel bekleideten Fläche gelegen sind.
Die Tatsache, dass keine Verbindung zwischen dem Epithel der Obertläche
der Conjunctiva und dem der Cyste existierte, und dass die Epithelschieht,
welche die Cystenwand darstellte, nicht vereinigt war, sondern eine Unter-
brechung an der Stelle aufwies, an der das Eindringen des Fremdkórpers.
erfolgt war, zeigt die Möglichkeit, dass das Bindehautepithel, losgelöst und
in die Tiefe fortgerissen durch ein verwundendes Agens, eine cystische Im-
plantation verursachen kann.
Alles, was wir über traumatische Cysten der Conpunetiva wissen,
beschränkt sich auf einige Fille, die nicht alle klar in ihrem Ur-
sprung sind.
Die geringe Anzahl der Beobachtungen und die Unvollständig-
keit derselben hinsichtlich des histologischen Bildes zeigt deutlich,
dass man sogar an der Existenz wirklich traumatischer Cvsten. zwei-
feln kann.
292 V. Carlini
Cirincione!) der über die Cysten der Conjunctiva die wichtigste
und die am meisten mit Belegen versehene Arbeit geschrieben hat,
sagt, niemals wirklich traumatische Cysten beobachtet zu haben, und
behauptet von ihrer Entstehung nicht überzeugt zu sein, wie sie von
andern Autoren angenommen und beschrieben worden ist.
Es ist wichtig zu wissen, wie Cirincione die veröffentlichten Fälle
angesehen hat. Er meint, dass es sich in den beschriebenen Fällen um
Bläschen handelte, die infolge von Faltenbildungen der Conjunctiva entstanden
seien, um falsche Cysten, d.h. um solche, die aus Taschen der Conjunctiva
herrührten, sei, es, dass diese Taschen aus einer schlecht verheilten Naht
(erster Fall von Uhthoff) oder aus einem Symblepharon als Folge eines
Traumas (Fall Lopez) oder aus einer Verletzung (Fall Baudry) entstanden.
Cirincione gibt die Möglichkeit traumatischer Cysten zu, aber in ganz
anderem Sinne. Er glaubt nämlich, dass man in der Conjunctiva, wie in
jedem andern Teil des Organismus, wo Drüsen existieren, die Entwicklung
von Retentionscysten infolge der Einwirkung eines Trauma haben könne,
das früher oder später durch den nachfolgenden Vernarbungsprozess zur
Verstopfung des Ausführungsgangs einer Drüse führe. Besonders der Fornix
superior, wo die kleinen Tränendriüsenkanäle münden, muss ein günstiger
Herd für die Bildung solcher Cysten sein (Dakryops der Alten), obschon
eine solche Entwicklung noch nicht anatomisch beschrieben sei.
Cirincione kommt zu der Schlussfolgerung, dass „die traumatischen
Cysten theóretisch wohl existieren können, aber in Wirklichkeit von nie-
mand beobachtet worden sind“.
Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass nicht nur nicht
der Mechanismus klar ist, vermittels dessen die traumatischen Cysten
in der Conjunctiva ihren Ursprung nehmen, sondern dass nicht einmal
ihre Existenz sicher nachgewiesen ist.
Weitere Untersuchungen sind daher unbedingt notwendig, um die
Möglichkeit ihrer Existenz darzutun, die jetzt mehr auf Grund theore-
tischer Begriffe als auf Tatsachen beruhend, zugestanden ist; ferner-
hin muss man den Mechanismus bestimmen, durch den das Trauma
eine Cystenbildung veranlasst.
Diese Frage, die theoretisch wichtig ist, kann ihre Lösung nur
von wiederholten anatomiseh-pathologisehen Untersuchungen erhalten.
Ich glaube daher, dass es nützlich. ist, den folgenden Fall zu be-
schreiben, der durch seinen histologischen Befund beitragen kann, den
Entstehungsgrund einer wenig bekannten Aftektion zu erklären.
Krankengeschiehte: Eine Frau von 38 Jahren gab an, dass sie vor
15 Jahren, während sie auf dem Lande Wäsche ausbreitete, durch einen
!! Deutschmanns Beitr. zur Augenheilk. 1903.
Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 293
Zweig mit starker Wucht getroffen wurde und zwar auf der Bulbusconjunc-
tiva des linken Auges, so dass dieses für einige Tage rot blieb. Nach
kurzer Zeit sah sie im linken Auge an dem entsprechenden inneren Horn-
hautrande gerade dort, wo angeblich die Conjunctiva vom Trauma verletzt
war, eine kleine rötliche Anschwellung, die sich nach und nach vergrösserte,
bis sie nach einigen Monaten Dimensionen annahm, die den gegenwärtigen
fast gleichkamen. Die Kranke gab an, dass seit einiger Zeit auf dieser
Seite die Anschwellung noch an Volumen zugenommen habe, und will des-
halb davon befreit werden, obschon sie an keiner Störung leidet. Sie weist
ein ausgezeichnetes Allgemeinbefinden auf, hat angeblich niemals in irgend
einer Weise an den Augen gelitten und, gemäss den von ihrer Familie ein-
gelaufenen Berichten, scheint keine Vererbung vorzuliegen.
Bei der Untersuchung ist folgendes beobachtet worden:
Rechtes Auge vollständig gesund.
Im linken Auge sind die Augenlider, die Tränengänge, die Conjunetiva
des Augenlides und der Übergangsfalte vollständig normal. Die Bulbar-
conjunctiva ist ebenfalls normal; es ist auch kein Anzeichen von Pinguecula
noch Tendenz von Pterygium vorhanden.
An dem Limbus befindet sich eine kleine bläschenartige Anschwellung
genau in dem horizontalen Meridian, auf der Nasenseite der Hornhaut. Sie
liegt rittlings zum Teil auf der Conjunctiva, zum Teil auf der Hornhaut,
besitzt eine genau rundliche Form, reguläre Oberfläche und Rosafarbe. Sie
ist halbdurchsichtig, mit serösem Inhalt, unbeweglich unter der Conjunctiva.
Die Dimensionen sind: 4mm horizontal, 5mm vertikal, 3mm von
vorne nach hinten.
Auf Grund der klinischen Merkmale erscheint die Diagnose einer serösen
Cyste am Limbus sicher. Es ist unmöglich, sie mit einem serösen Subcon-
junctivalergusse, der von einer Fistel des sklero-cornealen Randes oder von
einer Cystoidalvernarbung in dieser Gegend herrührte, zu verwechseln. Noch
weniger möglich ist es sie für einen Cysticereus der Conjunctiva zu halten
aus Mangel der charakteristischen weisslichen Zentralscheibe, oder für
eine lymphatische Cyste wegen des Volumens und der Form.
Die totale Excision der Cyste war nicht möglich. Man konnte nur
ihre Vorderwand zusammen mit der darüberliegenden Conjunctiva ablösen;
die Hinterwand war vom Episkleralgewebe und von der Hornhaut nicht zu
lösen. Der Inhalt der Cyste war eine klare, leicht zitronenfarbige Flüssigkeit.
Der Heilungsprozess ging regelmässig von statten.
Das anatomische Stück wurde in Müllerscher Flüssigkeit fixiert, in oft
während des Tages erneuertem Wasser gewaschen, in Alkohol steigender
Konzentration gelegt und in Celloidin eingeschlossen. |
Die Sehnitte wurden auf dem Objekttrüger befestigt nach der Mayer-
schen Methode mit Albuminglyeerin und mit Hámalaun, Chloralhámatox ylin
und Eosin, van Gieson und mit Mayerschem Muchháümatein gefáürbt.
Die Präparate geben schon bei geringer Vergrösserung Rechenschaft
von der topographischen Anlage ihrer verschiedenen Teile. Sie zeigen die
exeidierte Vorderwand der Cyste mit Bulbarconjunctiva bekleidet und infolge
der Reagentien umgestülpt, so dass sie konvex anstatt konkav erscheint.
Diese Wand ist mit vielsehielitigem Ptlasterepithel ausgekleidet, aber nicht
)
2041 V. Carlini
in ununterbrochener Weise. Das was auffällt, ist auf der einen Seite im
Subeonjunetivalgewebe nahe der Cystenwand das Vorhandensein einiger
Zellenanhäufungen, die den Eindruck von Querschnitten von Drüsenschläuchen
machen können (Taf. X, Fig. 1).
Bei stärkerer Vergrösserung kann man die Einzelheiten der Struktur
dieser verschiedenen Elemente ersehen.
Das Epithel, das die Bindehaut bekleidet, ist das der normalen Bulbus-
conjunctiva: es ist ein Pflasterepithel, aus seinen drei charakteristischen Schichten
(Platten-, Rund- und Cylinderzellen) ohne kelchförmige Zellen zusammen-
gesetzt. Unter dem Epithel findet sich eine Schicht von lockerem Binde-
gewebe mit einer gewissen Anzalıl von spindelförmigen Zellenelementen und
Blutgefässen. In den mehr oberflächlich gelegenen Teilen dieser Schicht
bemerkt man an einigen Stellen um die Gefässe eine leichte Infiltrierung
von Lymphzellen.
Unter diesem Bindegewebe, der Conjunetiva angehórig, befindet sich die
Wand der Cyste, welche eine bindegewebige Membran und ein Bekleidungs-
epithel umfasst (Taf. X, Fig. 2).
Das Epithel, das die Cyste bekleidet und sein besonders Element bildet,
ist ein vollständig typisches geschichtetes Pflasterepithel. Es fehlt in einigen
Teilen; dort, wo es am stärksten ist, besteht es aus sechs oder sieben
Zellenschichten. Die Elemente, die es ausmachen, sind ziemlich umfangreich,
länglich, mit dem Kern im Zentrum und dichtem Protoplasma.
Die Cystenmembran hat nicht die gleiche Struktur in ihrer ganzen
Dicke. Sofort unter dem Epithel ist sie kernlos und erscheint homogen;
nur bei starker Vergrösserung zeigt sich eine feine Streifung. Im Rest ist
sie aus kernreichem Faserbindegewebe gebildet.
Die Zellenanhäufungen, die ich in nächster Nähe der Wand fand, be
stehen aus Elementen, die gemäss ihrer Struktur klar von epithelialer Natur
erscheinen (Taf. X, Fig. 3). Diese Elemente sind gut gebildet und untätig,
weisen daher keine progressiven oder regressiven Erscheinungen auf, weder
am Protoplasma noch am Kern. Diese Anläufungen von Epithelzellen haben
kein Lumen im Mittelpunkt und stehen in direkter Beziehung mit dem be-
nachbarten Bindegewebe, olıne eine eigene Membran zu besitzen.
Aus dieser Beschreibung ergibt sich also, dass die Neubildung,
die ich exeidierte, eine seröse Epithelevste ist.
Man muss zunächst untersuchen, wie dieselbe. entstanden ist.
Ein Drüsenwsprung der Cvste lässt sich a priori nicht zurück-
weisen, trotz ihres Sitzes längs des Limbus.
Angenommen ist, dass in dem Bulbarteil der Conjunetiva keine
Drüsen unter normalen Bedinenngen vorkommen. Dies ist indes eine
Frage, in der nicht alle Autoren, die sich mit der Anatomie der Con-
junetiva beschäftigten, einig sind. Stromeyer, Kleinschmidt,
Henle und Ciaccio haben in nächster Nähe des Randes der Horn-
haut Drüsenbildungen angetroffen, die den von Manz im Corneallim-
Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 295
bus des Schweins und von Meissner in dem des Kalbes beschriebenen
Otrikulardrüsen analog sind.
Ciaccio schreibt in seinem klassischen Werke (1874):
„In der Bulbarconjunctiva gibt es fast ständig keine Drüsen; ich sage
ständig, weil es mir zweimal vorgekommen ist, einige ganz denen der
Augenlideonjunctiva ähnliche zu finden, und ein anderes Mal sah ich in dem
unteren und äusseren Teil der Bulbareonjunctiva, 1!/,mm vom Rand der
Hornhaut, neun sehr kleine Drüschen wie ein kleiner Sack, meistenteils zwei-
seitig in ihrem Grunde, mit vielmehr weiter und fast kreisförmiger Mündung
und innerlich mit einer Reihe von poligonalen Epithelzellen garniert. Diese
Drüschen waren über einen Quadratmillimeter zerstreut und ich finde sie
äusserst ähnlich denen zuerst von Manz in der Schweineconjunctiva und
von Stromeyer und auch einmal von Henle in der menschlichen Con-
Junctiva beobachteten.“
In diesen Bildungen sieht indes die Mehrzahl der Autoren nicht,
wie Waldeyer, wirkliche Drüsen, sondern nur Anhäufungen von
Epithelzellen, in einer der Vertiefungen der Conjunctiva in der Nähe
des Limbus gruppiert. Die Frage von der Existenz von Drüsen in
der Bulbusconjunetiva ist noch in neuerer Zeit in einer Veröftent-
liehung von Calderaro (1908) behandelt worden, einer besonders
wichtigen Arbeit, weil in ihr die Entstehung der Epitheleysten Er-
wähnung findet.
Calderaro hat in einem Augapfel, der mit einer chronischen leprösen
Entzündung am Limbus und an der Hornhaut behaftet war, ungefähr 3 mm
vom Limbus, das Vorkommen von fünf Drüsenkrypten beobachtet. Zwei
von ihnen hatten die Form von Drüsenotrikeln oder Drüsenklaven; von den
andern drei waren zwei embryonale Epithelknospen, die letzte zwischen
beiden Kategorien eine leichte Epitheleinsenkung.
Calderaro glaubt nicht, diese Drüsensehlauehknospen ehronischer Ent-
zündung zuschreiben zu können, weil er einen solchen Befund nicht hat
konstatieren können bei der Untersuchung vieler Augäpfel, die mit chro-
nischer Syphilis des Limbus, chronischer Tuberkulose, Episkleritis behaftet
waren, und auch eines andern Augzapfel mit Lepra am Limbus. Seine
Schlüsse sind folgende: „Dieser Befund ist, wenn auch nur rudimentär, dem
von Meissner am Corneallimbus des Kalbes und des Schafes, und bald
darauf von Manz in dem des Schweins bemerkten, älnlich, und erklärt die
Entstehung der durchsichtigen Epitheleysten, die wir bisweilen in der Bulbus-
conjunctiva des Menschen beobachten.“
Diese Bemerkungen werden von mir erwähnt, weil in meinem
Falle in der Nähe der Eystenwand Anhäufungen von Epithelzellen
vorkommen, die auf den ersten Blick den Eindruck von Quersehnitten
von Drüsenschläuchen machen können. Eine genauere Untersuchung
lässt indes eine solche Auslegung nicht zu. Diese Zellenanhäufungen
296 V. Carlini
haben eine ganz andere Struktur als die von Ciaccio und von
Calderaro beschriebenen Drüsenschläuche: der Sitz, die Form. die
Disposition ihrer Elemente, ihre Beziehungen zu dem umstehenden
Gewebe, der Mangel einer Verbindung mit der Oberfläche, schliessen
Drüsenstruktur aus. Ein Vergleich zwischen den vorliegender Arbeit
beigefügten Figuren und denen Calderaros kann jeden Zweifel be-
seitigen.
Wenn also die Auffassung, dass die Cvste aus einer zufälligen
Drüse des Limbus entstanden sei, ausgeschlossen werden kann, so
muss man noch erwägen, ob sie nicht von einer pathologischen Drüsen-
neubildung$jhervorgebracht sei.
In der Tat ist bei verschiedenen pathologischen Prozessen der
Conunetiva die Entwicklung von Depressionen der Schleimhaut oder
Epitheleinsenkungen möglich, die als pathologische Drüsen die Basis
einer. Cystenbildung darstellen können. Rogman, Ginsberg und
Wintersteiner haben eine solche Auffassung von Cystenursprung
in der Conjunetiva vertreten. Man muss ihre Beobachtungen und
ihre Auffassungen genau kennen, weil, wie Cirincione bemerkt, der
Hauptgrund, auf den sie sich stützen, d. h. die Neubildung in der
Conjunctiva von Drüsenschläuchen infolge von Epitheleinsenkungen,
in keinem andern Entzündungsprozess der Schleimhäute und der Haut
sich vorfindet.
Rogman untersuchte (1895) eine.seröse Epitheleyste, kleinerbsengross,
bei einer Frau von 56 Jahren in der Epibulbargegend zwischen der Horn-
haut und der Karunkel.
In der Epibulbargegend, von wo die Cyste entfernt wurde, gibt es
unter normalen Bedingungen keine Drüsen. Rogman gibt für diese Cyste
auf Grund ihres histologischen Charakters eine conjunctivale Entstehung zu,
sowie einen Bildungsgang, den er wie folgt darstellt: „Man kann annelımen,
dass Falten, Bögen oder Krypten, die so zahlreich in der Conjunctiva sich
isoliert finden, sich in die Tiefe gesenkt, sodann abgeschnürt und schliess-
lich gänzlich von der Membran, die ihnen den Ursprung gegeben, ab-
getrennt hätten, um Cystenform anzunehmen und sich dann im Subeonjunc-
tivalgewebe zu verlieren.“
Ginsberg beschrieb (1897) in einer umfangreichen und wichtigen
Schritt zwei Fälle von Epitheleysten. Im ersten Falle handelt es sich um
eine seróse Epithelevste linsengross, von dem unteren Conjunctivalsack
in der Nähe der Karunkel entfernt. Im zweiten Falle handelt es sich um
eine Cvste von der Grösse eines Pfellerkorns, ebenfalls an dem unteren Con-
junctivalsack gelegen, und an ihrer inneren Oberfläche mit einer einzigen
Schicht von Pilasterzellen bedeckt. — Sie zeigt sich volltindig von der Con-
junetiva getrennt, aber überall von zahlreiehen Epitheleinsenkungen umgeben.
Ginsberg kommt, nachdem die verschiedenen Hypothesen, welche zur
Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 297
Erklärung dieser Cysten in Frage kommen, von ihm geprüft und verworfen
sind, zu der Schlussfolgerung, dass sie von neugebildeten epithelialen Fort-
setzungen herrühren (ähnlich denen, die sich in seinem zweiten Falle finden),
welche ihrerseits einer Proliferation des Epithels infolge von chronischem
Katarrh der Conjunctiva zuzuschreiben sind. Er erinnert zur Unterstützung
seiner Auffassung daran, dass bei Krankheiten der Conjunctiva die Neu-
bildung von Epitheleinsenkungen keineswegs eine Neuheit sei. Die Neu-
bildung von Epithelschläuchen in der Tarsalschleimhaut ist wiederholt be-
schrieben, vor allem irrtümlich von Berlin, der das Anwachsen der Furchen
von Stieda als neugebildete Drüsen, pathognomonisch dem Trachom, inter-
pretiert hat. Jacobson hat die gleichen Bildungen bei Lupus und Tuber-
kulose der Conjunctiva, ferner in einem Falle von einer eine Uleeration der
Hornhaut komplizierenden Conjunetivitis gefunden. Rählmann fand im
Trachom die Formation wirklicher Drüsen und wies nach, dass das Platzen
der Follikel durch schleimige Erweichung des Epithels vorbereitet und dass,
wenn der Follikel sich nach aussen ausleerte, während der Vernarbung des
Substanzverlustes, die Epithelreste oft in die Grundteile in einer Weise hin-
eingezogen werden, dass sie Ergüsse und Kanäle bilden. Schliesslich hat
Fuchs auf der Bulbarconjunctiva bei einer langdauernden katarrhalischen
Reizung eine wirkliche Drüsenbildung ohne Follikel, sogar ohne merkliche
Änderungen der Bindegewebe, wie kleinzellige Infiltration usw., gefunden.
Auf Grund aller dieser Tatsachen schloss Ginsberg, dass sich bei
einfachem Katarrh der Conjunctiva wirkliche pathologische Drüsen bilden
können, die anderseits das Vorkommen von Cysten erklären.
Wintersteiner bestätigte (1898) die Auffassungen von Ginsberg
und veröffentlichte einen Fall eines Neugeborenen, der an Eingeweidekatarrh
verstarb, nachdem er zuvor an einer schweren eitrigen Conjunctivitis gelitten
hatte. In diesem Falle zeigte die histologische Untersuchung die Existenz
einer retrotarsalen atypischen Drüse, welche das Vorkommen einer grossen
eystischen Geschwulst, wie der von Vossius beobachteten symmetrischen,
erklären kann; ebenso zeigte sie in der Übergangsfalte die Existenz einer
Reihe von mikroskopischen Cysten, von einfachen epithelialen, an ihrem
äusseren Ende geschwollenen Zapfen, und von Epithelgruppen, die im Zen-
trum den Beginn einer Höhlenbildung anzeigten. Wintersteiner be-
trachtete die Epithelzapfen als Vorläufer der Cystenbildung und sah die
Ursache der Epitheleinsenkungen in der schweren Ophthalmie, welche das
Kind durchgemacht hatte. Bei dieser Reizung der Schleimhaut haben sich
von der einen Seite die Papillen gegen die Oberfläche hin entwickelt, auf der
andern Seite wuchs das Epithel gegen die tieferen Schichten hin, indem es
80 Epithelzapfen bildete. Die Cysten nehmen ihren Ursprung von dem
Oberflàchenepithel, infolge einer heftigen Reizung oder auch infolge einer
langdauernden, wie die Ophthalmie der Neugeborenen.
Der Befund von Wintersteiner bestätigt völlig den von Ginsberg.
In dem einen wie in dem andern Falle ist der Prozess — d. h. die Bildung
von Epitheleinsenkungen infolge eines Entzündungsprozesses der Conjunetiva
— der gleiche.
298 V. Carlini
Wie man sieht, ist die Auffassung, dass sich infolge von Reizungs-
prozessen langer Dauer in. der Conjunctiva. Epitheleinsenkungen, wirk-
lich drüsenartige Neubildungen, entwickeln kónnen, genügend begründet.
Man muss daher für die Erklärung des Cystenursprungs der Con-
junetiva nicht nur die Krauseschen und Henleschen Drüsen in Be-
tracht ziehen, sondern auch die Einbiegungen und Einsenkungen des
Epithels infolge von Reizungsprozessen längerer Dauer. In meinem
Falle kann man indes den Ursprung dieser Cyste nicht von einer
dieser pathologischen Drüsen zulassen, aus dem Grunde, weil die
Präexistenz eines pathologischen Prozesses fehlt. Ich habe
bereits hervorgehoben, dass die Kranke mir bestimmt versichert hatte,
dass sie niemals an irgendeiner Augenkrankheit gelitten habe. Die
Einwendung, dass es sich trotzdem um einen Reizungsprozess, der in
Vergessenheit geraten oder nicht in Betracht gezogen, handelte, kann
keine Geltung haben, denn die Eyste hat ihren Sitz längs des Limbns.
Wenn man schon einen leichten Katarrh, welcher die Conjunctiva des
Tarsus oder der Ubergangsfalte angeht, nicht beachten oder vergessen
kann, so kann das gleiche nicht der Fall sein bei einem Reizungs-
prozess von langer Dauer, der die Bulbusconjunctiva betrifft. Ander-
seits habe ich in Übereinstimmung mit den Aussagen der Kranken
weder einen gegenwärtigen noch vergangenen Entzündungsprozess oder
eine Spur dieser, weder bei objektiver noch bei histologischer Unter-
suchung entdecken können.
Es ist deshalb nicht anzunehmen, dass die von mir beschriebene
Cyste ihren Ursprung von einer zufälligen oder pathologischen Drüse
der Bulbusconjunetiva habe, sowohl wegen des histologischen Befundes
als auch wegen des Mangels eines vorausgegangenen pathologischen
Prozesses. In der Vorgeschichte der Kranken findet sich nur ein
Faktum, das mit. Genauigkeit. beschrieben. wil: ein Trauma, das
auf die Bulbuseonjunetiva gewirkt hat. Und nur dieses kann den
Ursprung der Cyste erklären.
Die Cyste ist eine ätiologisch traumatische Neubildung und die ana-
tomische Untersuchung stellt die Art, wie das Trauma gewirkt hat, fest.
Der histologische Befund zeigt in der Tat die anatomische Ana-
logie zwischen dem Epithel der Bulbusconpunetiva und dem, das die
('yste auskleidet. Die Uvste ist augenscheinlich eine Bildung. die von
den Elementen des Conpumetivalepithels herrührt.
Dennoch ist diese. Bildung nicht, wie in dem Falle von Uhthoff
und Mayou, durch Einmstung der dureh das Trauma losgelösten
und in das Subeonjunetivalgewebe fortgerissenen Elemente erfolgt.
Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 299
Die histologische Untersuchung beseitigt die Unsicherheit, weil sie
die Existenz ‚von Anhäufungen von Epithelzellen in nächster Nähe
der C'ystenwand nachweist, in denen kein Verbindungssteg zwischen
dem Epithel der conjunctivalen Oberfläche und dem Bekleidungsepi-
thel der Cyste zu sehen ist. Diese Epithelansammlungen können nur
den Rest einer Epitheleinsenkung, die auf dem Niveau einer Ver-
wundung der Conjunctiva stattgefunden hat, darstellen. Die Cyste hat
sich demgemäss aus Elementen entwickelt, die, auf dem Niveau einer
Verwundung, direkt aus der Proliferation des conjunetivalen Epithels
herrührten; welche sodann in das unterstehende Gewebe eingedrungen
sind und somit Epitheleinsenkungen oder -einschlüsse gebildet haben,
von denen man jetzt nur das Überbleibsel unter der Form von Anhäu-
fungen von untätigen Zellen, die von der Oberfläche unabhängig sind,
beobachtet.
Dieser Produktionsmechanismus wird bestätigt durch das Studium
der Regeneration des Epithels bei den Verwundungen der Con-
junctiva.
Dieses Studium wurde in neuerer Zeit (1905) von Mayou unter-
nommen. Seine Schlussfolgerungen sind:
Bei erfolgter Verwundung der Conjunctiva beginnt nach 24 Stunden,
längs den Rändern der Verwundung selbst, die Proliferation des Epi-
thels, welche ihrerseits eine dicke Zellenschicht erzeugt, die andauernd
und schnell die Läsion bedeckt. Sollte indes das Epithel bei seinem
Anwachsen ein Hindernis antreffen, so z. B. eine Lymphexsudation,
wird es in seinem Bestreben, die Oberfläche wieder zu bekleiden, dicht
und dringt tief ein, und erzeugt, bevor es die Wunde vollständig be-
deckt, zahlreiche Epithelzapfen, welche ihrerseits in das subconjunc-
tivale Gewebe eindringen und oft mit der Oberfläche nur vermittels
eines leichten Bandes in Verbindung bleiben. Diese zarte Verbindung
kann auch ganz verschwinden wegen des Druckes des Fasergewebes,
das sich zusammenzieht, so dass es im tieferen Gewebe eine oder
mehrere Epithelzellenanhäufungen zurücklässt, von denen aus die Bil-
dung einer Cyste statthaben kann.
Mayou erwähnte diese Möglichkeit, teilte aber keine Beobach-
tung, welche die Wirklichkeit auf Grund einer kompletten anato-
mischen Untersuchung beweisen könnte, mit. In meinem Falle findet
diese Möglichkeit ihre anatomisch-pathologische Bestätigung.
Von den veröffentlichten Fällen beziehen sich nur die zwei, welche
mit Sicherheit als traumatisch angesehen werden können (der zweite
von Uhthoff und der von Mavou), auf. wirkliche Inklusionscysten,
300 V. Carlini
welche auf direktes Eindringen des Epithels in das darunterliegende
Gewebe zurückzuführen sind. Meine Beobachtung zeigt, dass infolge
von Trauma sich in der Conjunctiva Cysten nicht nur aus losgelösten
und von einem verwundenden Agens in das subconjunctivale Gewebe
geschleuderten Epithelelementen entwickeln können, sondern auch aus
Elementen, die direkt aus der Proliferation des Epithels der Conjunctiva
herrühren, gemäss eines Prozesses, den das Studium der Verwundungen
dieser Membran häufiger nachweist.
Zusammenfassend können wir sagen:
Obschon die Fälle, welche an die Öftentlichkeit gelangt sind, nur
wenige sind, so kommt ohne Zweifel in der Conjunctiva die Entwick-
lung von wirklichen Epitheleysten traumatischen Ursprungs vor.
Wie die Beobachtungen Uhthoffs und Mayous beweisen, können
diese Cysten, ebenso wie die perlfarbigen Tumoren, durch Einnistung
von Epithelelementen, die losgelóst und von einem traumatischen
Agens in die Tiefe fortgerissen waren, entstehen.
Das ist indes nicht die einzige Weise für die Entwicklung der
traumatischen Cysten.
Wenn sich irgendeine Störung im Vernarbungsprozess einer
Verwundung der Conjunctiva findet, so rücken die von der direkten
Proliferation des Conjunctivalepithels herrührenden Elemente, bevor
sie dazu gelangen, andauernd die Trennung zu bedecken, in das unter-
stehende Gewebe vor und geben somit Anlass zur Bildung von Epi-
thelzapfen. Sobald die Vernarbung der Verwundung beginnt, kann
das tiefer eingedrungene Epithel sich unabhängig machen von dem
der Oberfläche und isolierte Zellenanhäufungen bilden, von denen
eine Cyste ihren. Ursprung nehmen kann.
Schlussfolgerungen.
In der Conjunetiva, wie in andern Teilen des Organismus, können
sich Epitheleysten traumatischen Ursprungs bilden, welche der Ver-
ptlanzung von Ektodermelementen in das Subepithelialgewebe zu ver-
danken sind.
Diese Verpflanzung kann in zwei Arten vor sich gehen:
a. Vermöge direkten Eindringens von Epithelelementen, welche
von dem traumatischen Agens losgelöst und in die Tiefe fortgerissen
sind (Beobachtungen von Uhthoff und von Mavon).
b. Infolge von Eindringen von Elementen in das Subepithelial-
gewebe, die, von direkter Proliferation des Congunetivalepithels her-
kommend, gemäss einer Verletzung sich vertiefen und Epithelwuche-
Die traumatischen Cysten der Conjunctiva. 301
rungen bilden. Diese Epithelwucherungen machen sich nach der
Vernarbung der Verletzung von der Obertläche unabhängig und geben
in der Tiefe Anlass zu isolierten Epithelzellenanhäufungen, die ihrer-
seits der Ausgangspunkt einer cystischen Neubildung sind.
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Zander und Geissler, Die Verletzungen des Auges. Leipzig 1864.
309 V. Carlini, Die traumatischen Cysten der Conjunctiva.
Erklürung der Abbildungen auf Taf. X, Fig. 1—3.
Fig. 1. Vorderwand der Cyste von der Conjunctiva bedeckt.
Dieselbe ist umgekehrt infolge der Reagentien, so dass sie konvex anstatt
konkav erscheint und ist — nicht überall — von einem mehrschichtigen Pflaster-
epithel bekleidet. Zur Rechten ganz in der Nähe der Cystenwand existieren Epithel-
zellenanhäufungen, die bei geringer Vergrösserung Querschnitte von Drüsen-'
schläuchen zu sein scheinen.
Koristka Ok. 3. Obb. 2.
Fig. 2. Cystenwand.
Hier sieht man die Einzelheiten der Struktur des Ptlasterepithels, das inner-
lich die Cyste auskleidet.
Koristka Ok. 3. Obb. 8.
Fig. 3 zeigt die Einzelheiten dieser Epithelzellenanhäufungen, welche sich
in nächster Nähe der Cystenwand finden. Es sind wohl geformte und untätige
Elemente, welche weder progressive noch regressive Tatsachen aufweisen, weder
am Protoplasma noch am Kern.
Koristka Ok. 3. Obb. Imm. 1/5
Aus der Univ.-Augenklinik zu Kyoto, Japan. (Direktor: Prof. Asayama.)
Ein Beitrag zur Trachomfrage.
Von
Dr. K. Ichikawa,
Chefarzt der ophthalmologischen Abteilung des Roten-Kreuz-Hospitals zu Osaka,
früher Assist.-Prof. der Univ.-Augenklinik.
Mit Taf. XI, Fig. 1 u. 2.
l. Einleitung.
Trotz eingehendster langjähriger Forschungen ist in der Patho-
logie des Trachoms nicht nur in einzelnen kleinen Punkten, sondern
selbst in der Auffassung des Krankheitsbegriffes keine Einigung er-
zielt. Das einzige allgemein anerkannte Resultat ist das, dass der
Trachomfollikel mit dem sogenannten gutartigen Follikel wenigstens
in seinem Anfangsstadium pathologisch-anatomisch identisch ist. Dies
hat mit der klinischen Tatsache, dass der Follikel auch bei vielen
andern nicht trachomatösen Conjunetivalerkrankungen vorkommt, die
hervorragenden Trachomforscher wie Saemisch. Fuchs, Logetschni-
kow, Peters folgerichtig dazu geführt, dem Follikel seine frühere Be-
deutung für den Trachomprozess abzusprechen.
Die ÄAusserung Saemischs(4), wörtlich angeführt, lautet:
„Oftenbar wird die Bedeutung, welche die Granula für den als
Conjunctivitis granulosa bezeichneten Krankheitsprozess haben. über-
schützt. Das Wesentliche desselben ist die zur unvermeidlichen Narben-
bildung führende diffuse Erkrankung des adenoiden Gewebes, während `
die Entwicklung der Follikel nur als eine. Begleiterscheinung derselben
anzusehen ist. Nie Ist ihr eigen, aber sie könnte auch fehlen, olme
dass der Verlauf und der Ausgang der Krankheit infolge hiervon ein
wesentlich. anderer zu werden brauchte.“
Trotzdem diese von Saemisch vertretene neue Anschauung so-
wohl pathologisch-anatomisch als kliniseh richtig begründet ist, hat
es an Gegnern nicht gefehlt. 7. D. sagt Junius(5) in seiner Dis-
kussion gegen Peters folgendes:
v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LX XIII. 2. 20
304 K. Ichikawa
„Immer hat bisher trotz aller Meinungsverschiedenheiten im ein-
zelnen unbestritten die Anschauung sich erhalten, dass das Auftreten
von Körnern zum klinischen Bilde des Trachoms in seinem ersten
Entwicklungsstadium unbedingt gehört, mag man den Begriff der
Krankheit im Sinne der Unitarier oder Dualisten fassen. Nicht jede
mit Kórnerbildung einhergehende Krankheit ist Trachom, aber es giht
kein frisches Trachom ohne Kórnerbildung. Peters gibt nicht prii-
cise an, wann Vermehrung der adenoiden Schicht als vorliegend zu
erachten ist. Es wird die mikroskopische Untersuchung eines kleinen
Bindehautstückchens vom praktischen Arzt gefordert. Die Adenoidea
ist aber an verschiedenen Stellen der Augenbindehaut ungleich ent-
wickelt. Welche Stelle ist massgebend ?“
Goldzieher (7), der letzte Autor, welcher mit diesem Thema sich
beschäftigt hat, spricht sich in seiner Schlussfolgerung wie folgt. aus:
„vom pathologisch-anatomischen Standpunkt aus betrachtet, ist
das Trachom eine, durch einen noch unbekannten spezifischen Reiz
bedingte und in der Gefüssschicht der Conjunctiva lokalisierte Er-
krankung. Der erste Angriftspunkt des Virus sind die Gefässwände.
deren adventitielle Zellenelemente auf den spezifischen Reiz mit leb-
hafter Produktion Iymphocytärer Zellen antworten, die sich zu ent-
zündlichen Granulomen formieren. Nach Erschöpfung des spezifischen
Reizes erfolgt ein Zerfall der perivaskulären Wucherung und parallel
damit eine von den Fibroblasten der Gefässwandungen gelieferte
Neubildung von Bindegewebe, was gleichbedeutend mit der Beendigung
des trachomatösen Prozesses, seiner Heilung (im anatomischen Sinne) ist.“
Goldzieher ist also der Ansicht, dass die Follikelbildung der
wesentliche pathologisch-anatomische Vorgang bei Trachom sei. Und
er lässt die Narbenbildung bei dieser Krankheit mit der Erweichung
des Follikelinhalts in untrennbare Beziehung treten.
Die Trachomfrage ist daher heute noch als ungelöst zu betrachten.
So lange diese Streitfrage offen ist, steht unsere Trachomtherapie auch
auf schwankendem Boden. Da nach der neuen Anschauung der
Follikel nur en Symptom des Trachoms bildet, wie Greeff (2) mit
Recht hervorhebt, und mit dem Wesen des Trachoms gar nichts zu
tun hat, sollen wir die übliche Behandlungsweise des Trachoms, welche
dureh Expression oder Ansquetschung nur die Elimination des Fol-
likelinhalts bezweckt, als eine symptomatische, eine nicht kausale
verwerten. Eine endgültige Lösung der Frage ist aus praktischen
Gründen dringend wünschenswert.
Ein Beitrag zur Trachomfrage. 305
2. Auf welchem Wege kann man am besten zum Ziele gelangen?
Bekanntlich ist der Tuberkel ein wesentliches anatomisches Sub-
strat der tuberkulösen Gewebsveränderung, ohne ihn wird die Tuber-
kulose im anatomischen Präparat schwer diagnostiziert. Dass der
Tuberkel hauptsächlich aus den gewucherten Epitheloidzellen besteht,
dass diese Wucherung der fixen Gewebszellen schon im ersten Be-
ginn der Krankheit einsetzt und mit dem Vernarbungsprozess, dem
unvermeidlichen spontanen Ausgang dieser Krankheit, innig verknüpft
ist, unterliegt wohl keinem Zweifel mehr. Zuerst die Wucherung von
Epitheloidzellen, dann die Narbenbildung ist ein miteinander untrenn-
bar verbundener Prozess, eins von beiden kann nicht fehlen.
In diesem Verhältnisse ähnelt das Trachom nach der neuen An-
schauung der Tuberkulose sehr. Wollte man das Wesen des Tra-
choms in der zur unvermeidlichen Narbenbildung führenden diffusen
Erkrankung des adenoiden Gewebes sehen, so wäre der Nachweis von
Epitheloidzellenwucherung in der adenoiden Schicht der Conjunctiva
bei beginnendem Trachom unbedingt nötig. Durch diesen Nachweis
hätte die neue Theorie erst eine sichere anatomische Stütze bekommen.
Dies ist aber bisher von keiner Seite geschehen. Die Forderung von
Junius an Peters, eine genaue Mitteilung von pathologisch-anato-
mischen Forschungen zu zeigen, wann und wo die Wucherung der
Adenoidea vorkommt, hat in diesem Sinne Berechtigung. Durch Er-
füllung dieser Forderung in der strittigen Frage beizutragen ist der
Zweck dieser kleinen Arbeit.
Da es mir aber von Anfang an sehr schwer zu sein schien, einen
solchen Beweis unter dem Mikroskop direkt zu bringen, so schlug
ich einen indirekten Weg ein, worauf ich später näher eingehen
möchte.
3. Die trachomatöse Hornhautveränderung ist für die Trachom-
forschung ebenso wichtig wie die conjunctivale Veränderung.
Worauf ich zuerst die Aufmerksamkeit lenken möchte, ist, dass
man bisher bei Trachomforschung den Veränderungen an der Horn-
haut wenig Beachtung geschenkt hat.
Dass es sich beim Pannus nicht um eine einfache Komplikation,
d. bh eine durch sekundäre Veranlassung bedingte Folgeerscheinung
des Trachoms, sondern um ein echtes Trachom der Hornhaut selbst
handelt, könnte man heute wohl als sichergestellt voraussetzen. Wenn-
gleich kein sicherer Beweis dafür noch geliefert ist, sprechen viele
klinische Tatsachen für diese Annahme, keine sprieht gegen sie. Bisher
20*
306 K. Ichikawa
war vorwiegend die Lage desselben in der Hornhaut erörtert worden.
Ob der Pannus unter oder über der Bowmanschen Membran liegt, war
längst der Gegenstand der lebhaften Diskussion gewesen, während
kein Autor die hier sich abspielende Veränderung auf die Begrifts-
bestimmung dieser Krankheit zu beziehen versuchte.
Zwar hatte Rählmann(1) vor 22 Jahren auf Grund der anato-
mischen und klinischen Untersuchung zuerst die Analogie der beiden
Prozesse, der cornealen und der conjunctivalen, behauptet. Er fand
unter der Bowmanschen Membran ein Gewebe, welches zwischen
faserig beschaftenem und netzförmig angeordnetem Gerüstwerk zahl-
reiche Lymphkörper enthielt. In diesem Gewebe fand er weiter in
vielen Fällen typische Follikel mit charakteristischer Hülle, welche
nicht allein oberflächlich, sondern tief im Gewebe ihren Sitz hatten.
in einigen Präparaten sogar mehrschichtig übereinander gelagert waren.
Er hatte diese Veränderungen als eine Bildung adenoider Substanz
mit Follikelentartung gedeutet, und die Analogie der beiden Prozesse
auf anatomischem Wege bewiesen zu haben geglaubt. Aber bevor
man die Richtigkeit dieser Deutung prüft, darf man nicht vergessen.
dass dieser Autor ein eifriger Verteidiger der unitarischen Lehre war
und ist. Solche Deutung beweist aber meines Erachtens jetzt nichts.
sofern man nach der neuen Anschauung den Follikeln eine Bedeutung
für den Trachomprozess ganz abspricht. Wir sind somit jetzt in der
Lage, die pannöse Horuhautveränderung einer genauen anatomischen
Untersuchung von neuem zu unterziehen, um zu prüfen, ob die Rähl-
mannsche Deutung aufrecht erhalten werden kann.
Allerdings war man nach meiner Meinung bei der Trachom-
forschung bisher zu einseitig gewesen, hat nur die von. der. Conjunc-
tiva gewonnenen Resultate auf die Begrifisbestimmung des Trachoms
zu verwerten gesucht und die wichtigere Hornhautveränderung irıtüm-
licherweise gänzlich vernachlässigt. Vielleicht ist dies ein Hauptgrund.
warum bisher bein Krankheitsbegriff des Trachons trotz eingehender
Forschungen keine Einigung erzielt ist.
4. Die in der Hornhaut sich abspielende trachomatöse Veränderung
ist rein, die der Conjunctiva ist oft unrein.
Dass bei einer wissenschaftlichen Untersuchung im allgemeinen
das untersuchte Material in jeder Beziehung möglichst rein sein soll.
bedarf. keiner. Erläuterung. Bei sympathischer Ophthalmie z. B. sind
die Veränderungen am sympatlisierten Auge reiner als die am sm:
pathisierenden. Dies ist Grund, warum man in der Pathologie der
Ein Beitrag zur Trachomfrage. 301
sympathischen Ophthalmie auf die Veränderungen am sympathisierten
Auge mehr Gewicht legt, als auf diejenigen am sympathisierenden.
Ahnlich steht es mit dem Trachom.
Offenbar hat die Conjunctiva, fortwährend den äusseren Schäd-
lichkeiten sich aussetzend, einen sehr komplizierten anatomischen Bau;
F'altungen der Epithelschicht, Menge der Lymphzellen in der'Adenoidea
sind schon in normalem Verhältnisse individuell sehr verschieden, oft
ist es sogar unmöglich zu bestimmen, was pathologisch oder physio-
logisch ist. Es ist daher eine unvermeidliche Folge, dass die in
der Conjuuctiva sich abspielenden pathologischen Prozesse, welcher
Art sie auch sein mögen, mehr oder weniger unrein werden. Die
unnötigen, nebensächlichen Produkte verhindern unser richtiges Urteil
in nicht unerheblichem Grade. Die im Jahre 1881 von Berlin und
Iwanoff gefundene sogenannte Trachomdrüse ist ein eklatantes Bei-
spiel dieser anatomischen Unklarheit.
Ganz anders verhält es sich mit der Hornhaut. Sie ist zur For-
schung von Entzündung höchst geeignet, wie Leber in seiner be-
kannten Arbeit über die Entstehung der Entzündung dieses Gewebe
vorwiegend zum Versuchsmaterial benutzt hat; Gefässlosigkeit macht
erstens unsere äussere Besichtigung sehr leicht möglich, zweitens spielt
sich hier der Prozess frei von jeder Komplikation ganz rein ab. Es
wäre vielleicht richtig zu behaupten, dass der trachomatöse Prozess
an der Hornhaut in seinem eigentlichen Zustande auftrete.
5. Die Veränderung, welche als das Wesen des trachomatösen
Prozesses bezeichnet werden darf, muss in beiden trachomatösen
Veränderungen, der cornealen und der conjunctivalen, gemein-
schaftlich vorkommen.
Das Wesen emer Krankheit ist einheitlich. Die verschiedene
Lokalisation der letzteren, d. h. die Beschaffenheit des Gewebes, worin
die krankhafte Veränderung sitzt, ist ohne Einfluss auf ihr Wesen.
Was durch die Lokalisation eine Modifikation erfährt, ist eine neben-
sächliche, für den Krankheitsprozess unwesentliche, meist von dem
lokalen Ernährungsverhältnisse oder von der Virulenzstirke des Krank-
heitserregers abhängige Begleiterscheinung.
Der Tuberkel ist z. B. ein für die Tuberkulose als wesentlich
angesehenes Gebilde. In welchem Gewebe die Tuberkulose auch anf-
tritt, er ist überall da, wo wir die Tuberkulose diagnostizieren. Sie
beginnt mit seinem Auftreten und geht mit seiner narbigen Umwand-
lung zur Heilung über. |
308 K. Ichikawa
Ebensowenig kann das Wesen des Trachons, sci es Follikel oder
ditftuse Wucherung der Adenoidea, in beiden trachomatösen Verände-
rungen, der cornealen und der conjunctivalen, fehlen. Veränderungen,
welche im conjunctivalen Prozess allein vorkommen und im cornealen
ganz fehlen oder umgekehrt, darf man nicht das Wesen des Trachoms
heissen, wie wichtig sie für die Trachomdiagnose auch seien. Milz-
tumor und Fieber ist z. B. bei manchen Infektionskrankheiten nicht
selten typisch und für die Diagnose der Krankheit oft allein mass-
gebend. Trotzdem sind sie nur ein Symptom einer Krankheit, nicht
das Wesen. Es braucht daher eine Veränderung oder Erscheinung,
welche für die Diagnose einer Krankheit wichtig ist, nicht immer für
den Krankheitsprozess wesentlich zu sein.
Der Trachomfollikel ist gewiss heute noch ein wichtiger Faktor
für die Trachomdiagnose, aber die Frage, ob er für den Trachom-
prozess wesentlich ist, ist erst durch den konstanten Nachweis von Follikel
im Pannusgewebe im bejahenden Sinne zu beantworten.
Wenn dagegen im Pannus die Neubildung von Bindegewebszellen
eine Hauptrolle spielt, so ist der Nachweis geliefert, dass die diffuse
Wucherung des adenoiden Gewebes das Wesentliche für den conjunc-
tivalen Trachomprozess darstellt.
6. Pathologische Anatomie des Pannus trachomatosus.
Trachom bildet in Japan ein Volksübel; ungefähr 18°, unserer
poliklinischen Patienten sind mit dieser Krankheit behaftet, so dass
reiche Materialien uns zu Gebote stehen.
Bei meiner Untersuchung habe ich mit dem v. Graefeschen
Schmalmesser vorsichtig die oberflächliche Lage der pannösen Horn-
haut von verschiedenen Stadien und Graden abgeschabt.
Was bei der histologischen Untersuchung mir zuerst auffiel, war
die grösste Einfachheit des anatomischen Bildes, ganz im Gegensatz
zu der conjunetivalen Veränderung. Konstante Bestandteile, welche
wir in reinem, von Trichiasis, Fintropium, Geschwür usw. nicht kom-
plizierten Pannus regelmässig treffen, sind Zellen von zweierlei Art.
sindegewebe und Blutzefässe.
Eine Art von Zellen. welehe am reichlichsten anzutreffen ist, Ist
meist eiförmig oder dreieckig. schr protoplasmareich. Die Zelle hat
in einem Ende einen rundlichen, durch Hämatoxylin gut fürbbaren
Kern, dessen Chromatinnetz eine radkernförmige Anordnung zeigt.
Ihr halbmondförmiges Protoplasma färbt sich nach Unna-Pappen-
heimscher Methode distinkt rot. durch Hämatoxylin blass violett. Ihre
Ein Beitrag zur Trachomfrage. 309
morphologische Beschaffenheit ist so eigenartig, dass man dieselbe
selbst bei gewöhnlicher Hämatoxylin-Eosin-Färbung als solche noch
gut erkennen konnte. Sie ist als Plasmazelle zu deuten (Taf. XI,
Fig. 1). Sehr oft liegen sie in Schnittfläche zwischen dem Epithel
und der Bowmanschen Membran oder zwischen ihr und der ober-
tlächlichen Hornhautlage in einer linienartigen Reihe angeordnet. An
einer andern Stelle sind die Zellen je nach der Dicke des veränderten
Gewebes zu einem mehr oder weniger breiten Band übereinander ge-
schichte. Am Limbus gruppieren sie sich zuweilen zu einem grossen
Haufen, welcher nicht selten eine rundliche Gestalt annimmt. Aber
eigentliche Follikelbildung kommt nie vor; wenigstens habe ich bisher
keine Gelegenheit gehabt, sie wahrzunehmen.
Eine andere Art von Zellen, welche im Pannusgewebe regel-
mässig vorkommen, sind die Zellen, welche meist spindelförmig ge-
staltet einen grossen, ovalen, hellen Kern besitzen. Sie unterscheiden
sich deutlich durch die schwache Färbbarkeit und die ovale oder mehr
lingliche Form des Kernes von den Zellen der ersten Art. Der
Längendurchmesser ihrer Kerne entspricht genau dem Verlaufe der
neben ihr verlaufenden Bindegewebsfibrillen. Sie sind offenbar Fibro-
blasten. Sie verteilen sich im entzündeten Gewebe gleichmässig
(Taf. XI, Fig. 1).
Bindegewebe oder Bindegewebsfibrillen umspinnen als ein fein-
maschiges Gerüstwerk einzelne Plasmazellen, so dass die letzteren da-
durch eine Art Isolation. gewinnen. Selbst an den Stellen, wo eine
Reihe von Plasmazellen zwischen dem Epithel und der Bowmanschen
Membran linear angeordnet ist, ist diese Isolation noch zu konstatieren.
Diese Veränderungen belehren uns, dass bei dem vorliegenden Binde-
gewebe es sich nicht etwa um ein präexistierendes, sondern um ein
neugebildetes handelt, und dass diese Neubildung sich sehr frühzeitig
Hand in Hand mit der Wucherung der Plasmazellen eingestellt hat.
Die die einzelnen Netze bildenden Fibrillen durchflechten sich über-
einander ganz regellos, aber sie nehmen im ganzen einen der Ober-
fläche parallelen Verlauf, nur der Limbus macht eine Ausnahme
(Taf. XI, Fig. 2).
Blutgefässe sind mehr oder weniger reichlich vorhanden; die grösste
Mehrzahl derselben besteht aus einem einfachen Endothelrohr, die
älteren oder die grösseren Gefässe besitzen ausserdem noch kreisförmig
geschichtete fihrilläre Faserzüge als äussere Wandung.
Polynukleäre Leukocyten und Lymphocyten kommen an der Lim-
busgegend nicht selten vor, ihre Zahl ist aber recht variabel je. nach
310 K. Ichikawa
der Stärke der entzündlichen Reizerscheinungen. In der cornealen
Partie des Pannus gehören sie nicht zu dem konstanten Befund.
Mit obiger Schilderung ist unsere pathologisch-anatomische Studie
des Pannus erschöpft. Sie deckt sich im grossen und ganzen mit der-
jenigen der früheren Autoren; Neubildung der Plasmazellen, der jungen
Bindegewebszellen und der Blutgefässe ist als die pathologisch-anato-
mische Trias beim Pannus zu bezeichnen. Die Verschiedenheit, welche die
einzelnen Fälle zeigen, ist nicht eine qualitative, sondern eine quantitative.
7. Ist die adenoide Beschaffenheit des infiltrierten Gewebes als
| das Charakteristische des Trachoms zu bezeichnen?
Viele Hand- und Lehrbücher der Augenheilkunde definieren den
Paunus als eine Neubildung zwischen dem Epithel und der Bowman-
schen Membran, welche aus Rund- und Spindelzellen und aus Binde-
gewebe besteht. Sie betonen noch übereinstimmend die anatomische
Ähnlichkeit dieser Veränderung mit der trachomatösen conjunctivalen
Veränderung. So schreibt z. B. Fuchs in seinem bekannten Lehr-
buch: „Der Pannus erweist sich bei der histologischen Untersuchung
als eine neugebildete Gewebsschicht, welche vom Limbus aus auf die
Hornhaut sich vorschiebt. Dieselbe ist ein sehr zellenreiches, weiches
(rewebe, welches die grösste Ähnlichkeit mit der infiltrierten tracho-
matösen Bindehaut hat.“
Während Fuchs über die Art und Weise dieser Ähnlichkeit
keine nähere Angabe brachte, hatte Rählmann, wie ich oben kurz
ausgeführt habe, dieselbe in der pathologischen Entwicklung des ade-
noiden Gewebes und der Follikelbildung im Pannus gesucht. - Diese
Rählmannsche Auffassung war von vielen späteren Autoren accep-
tiert worden; so: folgt ihr z. B. Greeff im Orthschen Lehrbuch
der speziellen pathologischen Anatomie (1902) ganz genau. Ver-
änderungen, welche Rählmann bei seiner histologischen Untersuchung
des Pannus gefunden hatte, bieten nach seiner Beschreibung, mit unsern
Befunden verglichen, keinen grossen Unterschied dar. Und er hatte
sie als „adenoid“ aufgefasst, eine Deutung, der ich mich nicht an-
schliessen konnte.
Neubildung von Bindegewebe zu einem Gerüstwerk und reich-
liche Wucherung von Plasmazellen ist eine bei allen chronischen granu-
herenden Entzündungen gemeinschaftlich vorkommende Veränderung.
Wenn man sie adenoid heissen dürfte, so gäbe es keine granulierende
Entzündung. welche nicht adenoid ist.
Adenoide Beschattenheit der normalen sowie der pathologischen
Ein Beitrag zur Trachomfrage. 311
Conjunctiva ist eine physiologisch veranlagte, keine nach dem Auf-
treten der pathologischen Veränderung neu hinzugekommene. Tracho-
matöse Gewebsveränderung und die adenoide Beschaffenheit der Con-
junctiva sind demnach zwei durchaus gesonderte, voneinander ganz
unabhängige Vorgänge; ohne Trachom kann das subconjunctivale Ge-
webe adenoid sein, es gibt auch keine conjunctivale Erkrankung, wo-
bei das subconjunctivale Gewebe nicht adenoid ist. Trachomatöse Con-
junctivalveränderung ist nur deshalb adenoid, weil der trachomatöse
Prozess in einem Gewebe, wo schon normalerweise adenoides Gewebe
vorhanden ist, seinen Sitz hat. Adenoide Beschaftenheit der tracho-
matös veränderten Conjunctiva ist somit ein sicher nebensächliches, dem
Wesen des Trachoms ganz unnötiges Attribut. Ganz ebenso wie die
Berlin-Iwanoffsche Trachomdrüse ist sie auch als eine der anato-
mischen Verunreinigungen der trachomatósen Conjunctiva zu betrachten.
Um so weniger braucht die trachomatóse Hornhautveründerung
adenoid zu sein, da hier normalerweise die adenoide Schicht fehlt.
Die Analogie der beiden Prozesse, der cornealen und der con-
junctivalen, soll man daher nicht mehr in der sogenannten adenoiden
Beschaffenheit des veränderten Gewebes suchen, wie es Rählmann
getan hat.
8. Ist nun der Follikel dem Trachom charakteristisch?
Was das Vorkommen von Follikel im Pannus betrifit, habe ich
mit Bietti(3) selbst an den Stellen, wo die Infiltration sehr intensiv
war, keine Gelegenheit gehabt, ihn wahrzunehmen.
Rählmann hatte ihn im Pannusgewebe gefunden und dadurch
die Analogie der beiden Prozesse, der cornealen und der conjuncti-
‚alen, auf .anatomischem Wege zu erklären versucht.
Elschnig erwähnt auch die Follikelbildung im Pannus im neuen
Lehrbuch der Augenheilkunde von Axenfeld.
Nach meiner Meinung käme Follikel im Pannusgewebe vielleicht
nicht vor. Was ich im vorigen Abschnitt über die adenoide Beschatlen-
heit des trachomatös veränderten Gewebes gesagt habe, gilt auch für
den Follikel. Adenoides Gewebe kann allein Follikel produzieren,
gewöhnliches Bindegewebe aber nie. Der Follikel kommt deshalb sehr
reichlich in der pathologischen, vielleicht in der normalen Conjunetiva
vor, weil die Conjunetiva normalerweise eine adenoide Schicht be-
sitzt und zu. der Follikelbildung ganz besonders befähigt ist. Da dies
aber nicht der Fall in der Hornhaut ist, so ist sein Vorkommen im
Pannus sehr unwahrscheinlich.
312 K. Ichikawa
Sein Auftreten in der trachomatösen Conjunctiva ist nur an das
Vorhandensein der adenoiden Schicht in derselben geknüpft, keines-
wegs an den eigentlichen Trachomprozess. Follikelbildung und Tra-
chomprozess sind demnach zwei ganz gesonderte Erscheinungen.
Mir scheint es, als ob bei der Follikelbildung eine individuelle
Disposition vorliege. Diese Annahme wird um so wahrscheinlicher,
wenn man bedenkt, dass die Mächtigkeit der adenoiden Schicht in der
normalen Conjunctiva einer grossen individuellen Schwankung unter-
worfen ist. Obgleich die Follikelbildung bei Trachom einen höheren
Grad erreicht, da diese Krankheit ihren Sitz in der adenoiden Schicht
findet, kann sie auch fehlen, wenn diese Disposition fehlt. Wenn
diese Disposition gross, d. h. die adenoide Schicht mächtig genug aus-
gebildet ist, den Follikel zu produzieren, so kann der letztere ohne
Trachom und ohne Follikularkatarrh auch in der normalen Conjunc-
tiva auftreten (Folliculosis conjunctivae) Durch diese Disposition kann
man sehr leicht verschiedene Follikelfragen erklären, ohne die von
Greeff (2) angenommene Spezifität des Reizes nötig zu haben.
Jeder beliebige Reiz könnte zur Follikelentwicklung Veranlassung
geben, aber für sein Auftreten ist die Disposition allein entscheidend.
9. Schlussfolgerung.
Wir haben im Pannus drei produktive Veränderungen gefunden:
Neubildung von Plasmazellen, der jungen Bindegewebszellen und der
Blutgefüsse. Plasmazellen sind das Gebilde, welches seit der Ent-
deckung Unnas das allgemeine Interesse von Pathologen auf sich
gezogen hat. Die Frage über ihre Abstammung, ihre Bedeutung bei
der Entzündung, insbesondere die Frage, ob sie stabile Elemente
liefern können, war bisher von namhaften Autoren vielfach diskutiert
worden, ohne dass man darüber bisher einig wurde. Nach welcher
Richtung sie auch ihre Lösung finden mag, eine einzige, nicht ge-
zwungene Folgerung, welche wir im vorliegenden Falle aus unsern Be-
funden sicher schliessen können, ist die, dass der Pannus eine vom
ersten Beginn. der Krankheit mit Wucherung von Plasma- und Binde-
gewebszellen einhergehende chronisch entzündliche Neubildung ist.
Dies Ergebnis wäre vielleicht mit den Befunden Goldziehers
(7) in guten Einklang zu bringen, weleher bei der histologischen
Untersuchung des Trachoms in der adenoiden Schicht der Conjune-
tiva eine lebhafte Wucherung von Plasmazellen, welche der Autor
jedoch als die erste Grannlaanlage anschen will. gefunden hat.
Es stimmt zumal mit der von Saemisch vertretenen neuen An-
Ein Beitrag zur Trachomfrage. 313
schauung über das Wesen des Trachoms völlig überein, da sie als die
wesentliche Veränderung von Trachom eine diffuse entzündliche W uche-
rung der subconjunctivalen Gewebsschicht annimmt. Sie hat dadurch
einen anatomischen Beweis, welcher von Junius gegenüber Peters
gefordert und noch nicht gebracht worden war, erhalten und ist jetzt
auf sichereren Boden gestellt als zuvor.
Eine Analogie der beiden trachomatösen Prozesse, der cornealen
und der conjunctivalen, muss man ebenso in dieser bei beiden ge-
meinschaftlich vorkommenden produktiv entzündlichen Gewebsverände-
rung suchen.
Adenoide Beschaftenheit und Follikelbildung sind eine blosse anato-
mische Verunreinigung der trachomatösen Conjunctivalveränderung.
Der Behauptung Peters (6), in epidemiologischer Hinsicht den
Kreis der trachomverdächtigen Erkrankungen bis auf solche Fälle aus-
zudehnen, welche zwar keine deutlichen Follikel, wohl aber eine Zu-
nahme des adenoiden Gewebes erkennen lassen, stimme ich völlig bei.
Es ist meine angenehme Pflicht, meinem verehrten Lehrer, Herru
Prof. Asayama für die gütigen Ratschläge zu meiner Arbeit, und
Herrn Dr. Isobe für die freundliche Anfertigung der mikroskopischen
Abbildung an dieser Stelle meinen ergebensten Dank auszusprechen.
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6) Peters, Weitere Bemerkungen zur Trachomfrage und zur Therapie chro-
nischer Conjunctivalerkrankungen. Münch. med. Wochenschr. Nr. 1. S. 4. 1905.
7; Goldzieher, Beitrag zur pathologischen Anatomie des Trachoms. v. Graefe's
Arch. f. Ophth. Bd. LXIII. 1900.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XI, Fig. 1 u. 2.
Fig. 1. Plasmazellenhaufen im Pannusgewebe und dazwischen Kerne der
Fibroblasten. Bowmansche Membran unversehrt. (Färbung nach Unna-Pappen-
heimscher Methode.)
Fig. 2. Pannusgewebe zwischen dem Epithel und der teilweise erhaltenen
Bowmanschen Membran. Feinfaseriges Gerüstwerk von neugebildetem Binde-
gewebe. Protoplasma der Plasmazellen blassviolett gefärbt. (van Giesonsche
Färbung.)
f (Aus der Augenklinik des Prof. E. Fuchs in Wien.)
Über den Ringabseess der Cornea.
Von
Dr. Rudolf Tertsch,
Assistent der Klinik.
Mit Taf. XII, Fig. 1 u. 2.
Fuchs(4) hat im Jahre 1903 auf Grund der Untersuchung von
neun Füllen für das klinische Bild des Ringabscesses einen fast immer
gleichen pathologisch-anatomischen Befund erhoben, welcher besteht in
einer primären, von der Hornhauthinterfläche ausgehenden Nekrose
der hinteren Hornhautschichten mit einer eitrigen Infiltration der Horn-
hautperipherie in Ringform. Diese primäre Nekrose der hintersten
Hornhautschichten entsteht durch Produkte von Bakterien, welche ent-
weder ektogen meist auf dem Wege einer Bulbuswunde — seltener
(durch eine Spätinfektion bei Iriseinheilung das Augeninnere infizierten
oder endogen auf dem Wege der Blutbahn in das Auge gelangen,
wo sie eine metastatische Panophthalmie erzeugen, im Verlauf welcher
es dann zu Entstehung eines Ringabscesses kommt.
Schon Fuchs(#) erwähnt, dass der Ringabscess gerade so wie
(lie Panophthalmitis durch verschiedene Bakterien hervorgerufen wer-
den kann — dass es also einen. bestimmten Erreger des Ringabscesses
nicht gebe.
Ich finde in der Literatur folgende bakteriologische Befunde bei
Ringabscess veröffentlicht: In den neun von Fuchs(4) beschriebenen
Fällen wurde gefunden im Deckglas und in der Kultur 5mal Cokken
(Strepto-, Staphylo- und Pneumocokken), in den Schnitten ausserdem
3mal Stäbehen, die die Gramsche Färbung annahmen. (Nach der
Beschreibung scheint es mir imm. Fall I der Bacillus subtilis gewesen
zu sein.) Hanke(6) fand in einem Fall ein Stäbchen, welches er dem
Bacillus proteus tluorescens nahe stellen möchte, das. aber nach der
Meinung von MacNab (9) zur Famile des Pyocyaneus gehört.
Hanne (71 beschrieb je einen Fall mit Bacillus subtilis, Staphylococcus
Über den Ringabscess der Cornea. 315
albus und Pyocyaneus. Stoewer(13) einen Fall mit Bacillus proteus.
Weiter fand. bei metastatischer Ophthalmie Morax(12) und Axen-
feld(2) je einen Fall, in dem der Pneumococcus lanceolatus der Er-
reger war.
Ich hatte nun in der letzten Zeit Gelegenheit, an der II. Augen-
klinik einige Fälle von dem typischen Bilde des Ringabscesses zu be-
obachten, und will hier deren bakteriologischen wie auch histologischen
Befund mitteilen:
Fall I. J. G., 23 Jahre alt, kam am 19. II. 1909 an die Klinik
mit der Angabe, dass ihm vor 2 Tagen beim Hämmern eines eisernen
Rauchfanges ein Splitter gegen das rechte Auge geflogen sei. Am nächsten
Tage war das rechte Auge bereits stark entzündet und schmerzhaft. Da
die Schmerzen und die Schwellung zunahmen, sucht Patient die Klinik auf.
Status praesens: R. A. Lider und Conjunctiva stark geschwollen und
gerötet. Leichter Exophthalmus. Die Hornhaut ist diffus matt und zeigt an
ihrem nasalen Rande etwa 2 mm vom Limbus entfernt eine unregelmässige,
zackige, leicht klaffende, etwa 4 mm lange Perforationswunde. Aus der
Wunde, deren Ränder gelb infiltriert waren, quoll Eiter. Die übrige Cornea
ist diffus rauchig getrübt, so dass sich die tieferen Teile nur schwer er-
kennen lassen. In dieser diffusen Trübung sieht man einen etwa 3 mm
breiten, intensiv gelbgrau saturierten Infiltrationsring, der dem Limbus parallel
läuft und von demselben etwa 1 mm entfernt ist. Die Wunde liegt inner-
halb des nasalen Teiles des Ringinfiltrates. Über dem übrigen Teil des Ring-
infiltrates ist kein Substanzverlust. Vordere Kammer ist aufgehoben. In der
unregelmässigen Pupille liegt Exsudat. Tension vermindert. Amaurose.
Vom 19. II. bis 26. II. ändert sich der Befund nur insofern, dass
die allgemeinen Symptome der Panophthalmitis zunehmen; weiter grenzt
sich der Intiltrationsring gegen die Umgebung schärfer ab. Später nehmen
Exophthalmus und die Schwellung der Conjunctiva wieder ab, dagegen be-
merkt man am 2. III. zwei subeonjunctivale Abseesse im äusseren, oberen
Quadranten der Sklera. Über den Abscessen wird die Conjunctiva gespalten
und man kann mit einer Sonde durch die Augenhüllen in den Glaskörper
gelangen, ein Zeichen, dass die Augenhüllen hier von innen her von
Eiter arrodiert worden sind. Zur Zeit der Enucleation am 22. III. war
folgender Befund. Bulbus geschrumpft. Die ringförmige Trübung der Cornea
ist unten gänzlich verschwunden, im oberen Teil der Cornea noeh ange-
deutet erhalten. Der zentrale Teil der Cornea ist diffus trüb. Von der
Wunde sieht man radiüre, streifige 'Trübungen ausgehen, die grósstenteils an
der Hornhautbinterfläche liegen. Tiefere "Teile nieht gut sichtbar.
Der erhobene histologische Befund ist folgender: Die Cornea erscheint
im ganzen stark verbreitert. Das Epithel verdickt, zeigt in der Nähe
der Wunde breite Epitheleinsenkungen. In dem stark verbreiterten Stroma
ist die Struktur der Lamellen von vorne bis an die Ilintertlüiehe fast dureh-
aus gut erhalten, nur kann man überall zwischen den Lamellen, die aus-
einander gedrängt sind, Streifen von Narbengewebe, aus spindelförmisen
Zellen und Gefässen bestehend, erkennen. Die Hornhautkörperchen sind
316 R. Tertsch
sowohl in den vorderen als auch rückwürtigen Schiehten, wenn auch in
ihrer Anordnung gestört, so doch überall gut gefärbt. Von einem peri-
pheren Ringinfiltrat lässt sich höchstens noch so viel erkennen, dass ent-
sprechend dem vorderen Infiltrationsring die zwischen den Lamellen liegen-
den Narbenzüge breiter und zellreicher sind. Eine stärkere Infiltration, die
dem hinteren Infiltrationsring entsprechen würde, lässt sich nirgends mehr
nachweisen. Die Bowmansche und Descemetsche Membran sind ent-
sprechend der Wunde unterbrochen, sonst normal. Die Wunde selbst ist
von Granulationsgewebe erfüllt, die Wundränder nur wenig verändert,
und es macht nicht den Eindruck, als ob an den Wundrändern eine stärkere
Infiltration vorhanden gewesen wäre. Das Endothel an der Hornhauthinter-
fläche fehlt. Vordere Kammer ist mit blutigem Exsudat erfüllt. Von der
Uvea sind nur noch einzelne Reste der Iris und des Ciliarkörpers zu er-
kennen, welche diffus kleinzellig infiltriert sind. Die Chorioidea und
Retina sind durchaus zerstört. Von der Linse nur die Kapsel und wenige
Reste erhalten. Der Glaskörper ist eingenommen teils von einem Granu-
lationsgewebe, in dem bereits Übergänge zum Narbengewebe zu finden sind,
teils ist er erfüllt von noch frischen Eiterzellen. In dem Granulations-
gewebe hinter den Linsenresten lag ein Eisensplitter. Die Sklera zeigt
an mehreren Stellen, vor allem längs des Durchtrittes von grösseren Ge-
fässen eitrige Infiltration. Aussen oben in der Nähe des Limbus ist sie an
einer breiten Stelle gänzlich zerstört und ist der Defekt von Granulations-
gewebe erfüllt, das sich nach aussen bis unter die Conjunctiva fortsetzt.
Man hat es hier mit dem Ausgang einer Panophthalmitis zu tun,
bei der der Eiter auch durch die Sklera durchgebrochen ist. Be-
merkenswert ist, dass trotz des vorher bestandenen klinischen Bildes
eines Ringabscesses, bei dem man doch eine schwere Schädigung der
hintersten Hornhautlamellen, die sich zu mindest als Verlust der Fürb-
barkeit der Hornhautkórperehen gezeigt hütte, annehmen muss — sich
nach einem Monat nach der Verletzung das Gewebe der Cornea so
weit erholt hat, dass auch in den hintersten Hornhautteilen die La-
mellen und ihre Hornhautkórperchen nur eine geringe Veränderung
aufweisen. Diese besteht in Narbenzügen zwischen den Lamellen —
wodurch ein Bild entsteht ähnlich dem, das man in alten Narben nach
tiefer Keratitis findet.
Die bakteriologische Untersuchung ergab: In den Ausstrichpräparaten
aus der Wunde, wie von dem Eiter aus den tieteren Teilen des Auges und
aus dem subeonjunetivalen Abscess findet man massenhaft Stäbchen, die in
allen ihren Eigenschaften dem Bacillus subtilis entsprechen. Auch in den
Schnittpräparaten des nach einem Monat nach erfolgter Infektion enuceleierten
Bulbus findet man — wenn aueh spärlich — lange eharakteristische Stäb-
chen, die oft an ihren Enden Sporen tragen.
Morphologie: Es handelt sieh um 1,4 dicke bis 3 —4 u lange cylin-
drische Stäbchen, die an den Enden abgerundet sind, sich nach Gram
Über den Ringabscess der Cornea. 317
immer färben, sehr häufig, namentlich in älteren Kulturen lange Ketten
bilden und im hängenden Tropfen lebhafte Eigenbewegung zeigen, die sie
übrigens nach kurzer Züchtung verloren. Weiter findet man endständige
Sporen.
Bouillon: Am ersten Tage findet man leichte Trübung, später erfolgt
Klärung mit Bildung einer Kahmhaut, welche in Form kleiner Fetzchen zu
Boden sinkt. Bouillon reagiert sauer.
Gelatineplatte: Man findet am ersten Tag kleine punktförmige, weiss-
liche, leicht eingesunkene Kolonien, welche zahlreiche Ausläufer in die Um-
gebung entsenden. Den zweiten Tag folgt rasche Verflüssigung des Nähr-
bodens.
Gelatinestich: Üppiges Wachstum mit rascher Verflüssigung und Bildung
eines weissen Häutchens, das in grossen Flocken zu Boden sinkt.
Agarplatte: Grosse, weissgelbe, flache, konfluierende Kolonien mit un-
regelmässigem, ausgezacktem Rand, der aus fadigen Ausläufern besteht und
von einem leicht bläulichen Hof umgeben ist.
Agarstich: Dicker, weissgelber, glänzender, üppig wachsender Rasen.
Löffferserum: Dicker, rahmiger, weisser Rasen mit Verflüssigung des
Nührbodens. Dieser nimmt später eine etwas braune Farbe an.
Kartoffel: Ziemlich üppiger, weisser Rasen.
Milch: Keine Koagulation.
Zucker: Keine Vergärung.
Pathogenität: (Es wurden alle Versuche zuerst mit der ersten Gene-
ration angestellt, dann aber auch mit älteren Generationen wiederholt.) Die
Impfungen in eine Cornealtasche eines Meerschweinchens oder Kaninchens
ergaben ein kleines Infiltrat, das nach zwei Tagen mit Zurücklassung einer
kleinen Narbe verschwand. Impfungen in die Vorderkammer erzeugten eitrige
Iritis, die nach 6—8 Tagen mit Zurücklassung einiger Synechien ausheilte.
Dagegen ergaben Impfungen in den Glaskörper von Kaninchen, Meerschwein-
chen und weissen Mäusen sowohl mit ganz frischer Kultur als auch mit
einem zwei Monate alten Stamm eine heftige Panophthalmitis. Jedoch wurde
bei den einigemale wiederholten Versuchen niemals ein Ringinfiltrat der
Cornea gesehen. Subeutane und intraperitoneale Impfung, auch mit 5 cem
einer frischen Bouillonkultur, ergab bei allen Versuchstieren keine Reaktion;
die Tiere zeigten nieht einmal verminderte Fresslust.
Fall II. R. L, 51 Jahre alter Mann, wurde am Tage vor der Auf-
nahme beim Schleifen einer Säge durch ein abspringendes Eisenstück an
seinem rechten Auge verletzt. Bereits am andern Tage verspürte er starke
Schmerzen und war das Auge geschwollen. |
Status praesens: R. A. Starke Schwellung der Lider, Chemosis, Ex-
ophthalmus von 3— 4 mm. In der Cornea sieht man eine 7 mm lange,
horizontale, leicht klaffende Wunde, deren Ränder etwas stärker getrübt sind,
als die Umgebung. Eine zweite, nieht perforierende Wunde befindet sieh
im inneren, oberen Quadranten. Die Cornea ist matt und leicht diffus ge-
trübt — zeigt mit Ausnalıme der Wunde keinen Substanzverlust. In dieser
diffusen Trübung hebt sich ein 2—3 mm breiter, gelb saturierter, dem Lim-
bus konzentrischer Infiltrationsring stärker ab. Derselbe ist gegen den
318 R. Tertsch
‘ Limbus, von dem er 1mm weit entfernt ist, scharf begrenzt. Das innere
Ende der Wunde reicht bis zum Infiltrationsring, ohne dass sich die eitrige
Infiltration auf die Wundründer fortsetzen würde. Kammer aufgehoben. In
Pupille Eiter. "Tension vermindert. Amaurose.
Das Auge wurde am 3. Tage nach Verletzung enucleiert.
Der histologische Befund ist folgender: Die Cornea zeigt zwei Wunden;
in ihrer Mitte eine perforierende, horizontale Wunde mit scharfen Rändern,
die nicht infiltriert sind, ausser dort, wo die Wunde direkt mit dem peri-
pheren Infiltrationsring zusammenfällt. An der zweiten, oben aussen ge-
legenen Wunde ist der Grund stark kleinzellig infiltriert. Weiter findet man
eine Nekrose der hintersten Hornhautpartien (d. h. die Hornhautkörperchen
sind hier nicht gefärbt, oder nur schlecht gefärbt), am weitesten nach
vorne reichend an der Stelle der Verletzung. Die nekrotische Partie hat
die von Fuchs beschriebene charakteristische Form, rückwärts am breitesten,
ohne aber ganz bis an die Peripherie zu reichen, und nach vorne
sich so verschmälernd, dass die vordersten Partien am wenigsten weit in
die Peripherie gehen. Dieser ganze nekrotische Bezirk wird von einem
vorderen Infiltrationsring umschlossen, der am Rande mässig breit entwickelt
ist, je weiter gegen das Hornhautzentrum, desto schmäler wird und
weniger infiltriert erscheint. Einen hinteren Infiltrationsring findet man nur
oben gut entwickelt, während er unten fehlt. In den peripheren Teilen
der Cornea sieht man dort, wo ein hinterer Infiltrationsring vorhanden ist,
dass sich dieser direkt in eine schmale Infiltrationszone knapp vor der
Descemetii fortsetzt bis zu den dicht infiltrierten Schichten vor dem Liga-
mentum peetinatum. Auch dem vorderen Infiltrationsringe entsprechend ist
der Teil zwischen diesem Ringe und dem Limbus zellreicher. Hornhaut-
epithel ist nur in der Peripherie vorhanden. Bowmansche und Desce-
metsche Membran bis auf die Wunde normal. Endothel nur in den unteren
Partien vorhanden. Die Iris ist in der Nähe der Wunde nekrotisch, ebenso
zeigt der Ciliarkórper oberflüehliche Nekrose, sonst besteht stark eitrize
Infiltration der Iris und in etwas geringem Masse des Ciliarkórpers. Die
Linsenkapsel ist eingerissen und ist Eiter zwischen die Linsenfasern ein-
gedrungen. Die Chorioidea ist zum grössten Teil nekrotisch, der nicht ne-
krotische Teil ist dicht eitrig infiltriert. Weiter besteht eitrige Neuroretinitis.
Die vordere, hintere Kammer und der Glaskörper wird von einem eitrigen
Exsudat eingenommen, in welchem ein Eisensplitter liegt. Auffallend ist der
Befund der Sklera. Dieselbe ist fast durchaus in ihrem inneren t|, nekro-
tisch, in ihren äusseren ?/, dieht kleinzellig infiltriert. An einigen Stellen ist
der nekrotische Teil etwas schmäler und reicht die eitrige Infiltration bis
an die Chorioidea herein.
Fasse ich den histologischen Befund zusammen, so haben wir hier
das Bild einer Panophthalmitis mit hochgradiger Nekrose der Retina
und Uvea, aber auch die inneren Teile der äusseren Augenhüllen.
der Cornea sowohl als auch der Sklera. Es besteht an der Sklera
eigentlich ganz genau das gleiche Bild wie an der Cornea, nur dass
an der Cornea die peripheren Teile wahrscheinlich infolge. von. besserer
Über den Ringabscess der Cornea. 319
Ernährung erhalten blieben. So kam es an der Cornea zur Bildung
eines Ringabscesses, an der Sklera zu einer diffusen Nekrose der
inneren Partien mit eitriger Infiltration der äusseren Teile. welche In-
tiltration gleichsam dem Ringabscess entspricht.
Der bakteriologische Befund ergibt: In den Ausstrichpräparaten aus
der Wunde fand man keine Keime. Ebenso ergaben die Kulturen, die von
der Cornealwunde aus bestrichen wurden, ausser wenigen Staphylocokken-
kolonien keine Resultate. Dagegen fand man in dem Eiter aus der vorderen
Kammer und speziell aus dem Glaskörper massenhafte Gram-positive lange
Stäbchen. Den gleichen Befund zeigen auch die Schnittpräparate. In den
Wundrändern selbst keine Bakterien, dagegen im Exsudat des Augeninneren
massenhafte Stäbchen. Die Stäbchen gleichen sowohl in morphologischer
als auch biologischer Beziehung vollständig dem aus dem Fall I gezüchteten
Bacillus subtilis, so dass es sich wohl um die gleiche Infektion handelt.
Die Pathogenitit des Stammes II gleicht auch der des Stammes I.
Impfungen in Hornhauttaschen ergaben nur leichte Infiltrate, die nach
wenigen Tagen schwinden. Impfung in die vordere Kammer erzeugt heftige
eitrige lritis, Impfung in den Glaskörper eine Panophthalmitis, aber
auch hier ohne Ringabscess. Bei intraperitonealer Impfung war der Stamm
apathogen. Bei intravenöser Impfung des ganz frischen Stammes ging ein
Kaninchen nach 24 Stunden ein. Die Versuche mit diesem Stamm wurden
zuerst direkt mit dem frischen Eiter aus dem Glaskörper unternommen, das
zweite Mal mit dem rein gezüchteten Stamm wiederholt, um in beiden
Fällen das gleiche Resultat zu ergeben.
Fall III. T. G., 29 Jahre alte Frau, verletzte sich 3 Tage vor der
Enucleation bei der Hauarbeit im Weingarten. Es soll ein Stück llolz gegen
das linke Auge gesprungen sein. Bereits einen Tag nach der Verletzung
verspürte sie starke Schmerzen und war das Auge stark geschwollen.
Status praesens: L. A. Conjunctiva, Lider geschwollen, kein Ex-
ophthalmus. Im inneren unteren Teil der Cornea eine 2 mm lange, unregel-
mässige Wunde. Cornea ist oberflächlich matt, zeigt aber ausser der Wunde
keinen Substanzverlust. Sie ist diffus leicht trüb. — In dieser diffusen Trü-
bung sieht man ein gelbes Ringinfiltrat etwa 3mm breit, 2—3 mm vom
Limbus entfernt. Die Wunde liegt innerhalb des inneren unteren Teiles des
Ringes. Kammer seicht, in derselben ein Hypopyon. Iris verwaschen, in
der Pupille Eiter. Tension vermindert. Amaurose. .
Das histologische Bild war: Im inneren, unteren Quadranten der Horn-
haut ist eine perforierende Wunde, die bis an den Limbus reicht. Diese
Wunde, deren Ränder dieht kleinzellig intiltriert sind, liegt innerhalb einer
typischen Ringinfiltration. Auch hier sind in den hinteren Hornliautpartien
in der charakteristischen kalottenförmigen Ausdehnung die Hornhautkörper-
chen schlecht oder gar nicht gefärbt. Am weitesten nach vorne reicht diese
Schädigung der Hornhautzellen in der Nähe der Wunde. Weiter besteht
ein typischer, meist hinter dem vordersten Viertel der Cornea liegender In-
filtrationsring, der nur an der Stelle der Wunde die Oberfläche erreicht. Der
vordere Ring bedeckt das ganze nekrotisehe Gebiet, ist also eigentlich zu
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LX XIII. 2. 21
320 R. Tertsch
einer Scheibe geworden, nur ist er in der Peripherie breiter als im Zentrum.
Besonders stark entwickelt ist hier auch der hintere Einwanderungsring und
dringen von diesem fleckige, eitrige Infiltrate auch ziemlich weit in die ge
schädigten nekrotischen, zentralen Partien ein, besonders dicht vor der
Descemetii. In den peripheren Teilen der Cornea nach aussen von dem
Einwanderungsring sieht man ebenfalls die Zellen allenthalben vermehrt, be-
sonders stark aber vor der‚Descemetii, wo ein ununterbrochener Zug von Eiter-
zellen von den Schichten vor dem Ligamentum pectinatum bis zum hinteren
Einwanderungsring zu verfolgen ist. Die Iris ist der Cornealwunde gegen-
über verletzt, hier in leichter Nekrose begriffen. Die übrigen Teile der
Uvea, besonders die Chorioidea, zeigen dichte, kleinzellige Infiltration.
Die Linsenkapsel ist eröffnet! Zwischen die Linsenfasern dringt Eiter ein.
Weiter besteht starke eitrige Retinitis, Neuritis. Vordere und hintere Kammer,
wie der Glaskórper sind mit Exsudat erfüllt. Die Sklera ist nicht verändert!
Ein Fremdkörper war nicht in dem Auge.
Es handelt sich also um eine beginnende Panophthalmitis mit
typischem Ringabscess.
Bakteriologischer Befund: In den Ausstrichprüparaten, wie in der Kultur
aus der Wunde — hauptsächlich aber aus dem Glaskörper — fanden sich
charakteristische lanzettförmige Gram-positive Diplocokken, die nach ihren
morphologischen wie auch biologischen Eigenschaften als Pneumococcus
lanceolatus bestimmt wurden. In den Schnittpräparaten fand man in der
Wunde keine Bakterien — einige Cokken fanden sich in der vorderen
Kammer — dagegen waren sie massenhaft im Exsudat des Glaskörpers zu
finden. Hier haben sie ziemlich variable Form. Die meisten von ihnen
haben die charakteristische Lanzettform, an der man auch die Kapsel gut
erkennen kann; dann findet man aber auch runde Doppelcokken, manch-
mal auch grosse unregelmiüssige Involutionsformen. Auf Agar und Blutserum
charakteristische, feine glashelle Tröpfehen. In Boujllon entsteht zuerst leichte
Trübung, die am zweiten Tage verschwand. Die Pathogenität war folgende:
Impfung in eine Hornhauttasche von Kaninchen, Meerschweinchen und
weissen Mäusen erzeugt ein kleines, bald verschwindendes Infiltrat, Imp-
fung in die vordere Kammer eine heftige, eitrige Iritis, Impfung in den
Glaskörper eine akut verlaufende Panophthalmitis. Ein Ringabscess konnte
nicht erzeugt werden. Mut Leem einer 24 Stunden alten Bouillonkultur
intraperitoneal geimpfte weisse Mäuse starben nach 12— 24 Stunden.
Fall IV. K.T., 60 Jahre alter Mann, wurde am 7. VI. an Katarakt
operiert und zwar mit normalem Verlauf der Operation. Am 8. VI. ist die
Wunde etwas gequollen, die Hornhaut leicht getrübt. Kammer hergestellt.
Beide Irisschenkel stellen etwas höher. Der Corneallappen zeigt sowohl an
der Ein- wie auelı Ausstielistelle einen. gelben Infiltrationspunkt. Am 9. VI.
ist die ganze Wunde gelb infiltriert, Cornea matt und leicht diffus ve-
trübt, in dieser diffusen Trübung ein typisches Ringinfiltrat, etwa 2 mm
breit: 1mm vom llornhautrande entfernt. Kammerwasser eitrig verfärbt:
am Boden der vorderen Kammer ein HIypopyon. L. E» 3m Projektion
unsicher. Das Auge wurde am 13. VI. enucleiert.
Über den Ringabscess der Cornea. 321
Das histologische Bild des Falles ist folgendes: Am oberen Limbus
liegt die Operationswunde. In ihrem mittleren Teile sind ihre Wundlippen
nieht infiltriert, dagegen fallen die beiden Enden der Wunde mit dem be-
stehenden Ringinfiltrat zusammen. Dieses setzt sich aus einem vorderen
und einem besonders stark entwickelten hinteren Einwanderungsring zu-
sammen, welch letzterer sich als ein breites Infiltrat bis an den Hornhautrand
fortsetzt. Die vordere Infiltrationszone, die hier beiläufig in den mittleren
Teilen des Hornhautstromas liegt, hat sich auch in diesem Fall vorne voll-
ständig geschlossen und bedeckt kappenartig die charakteristische nekro-
tische — keine Kernfärbung zeigende — Zone der hintersten Horn-
hautteile. Das vorderste Drittel der Cornea ist stark gequollen, die Be-
grenzung der Bowmanschen Membran und der Hornbautlamellen ist oft
undeutlich, aber die Kerne sind durchaus gut gefárbt. Die Descemetii ist
normal. Es besteht weiter eitrige Iridocyclitis, Chorioiditis und Retinitis.
Der Glaskórper ist von Exsudat erfüllt. Im Exsudat des Glaskórpers finden
sieh in grosser Anzahl Gram-positive Cokken.
Dieser Fall ist also eine durch die Operation erfolgte. Infektion
des Augeninnern. Es kam zu einer Panophthalmitis mit einem Ring-
abscess.
Die bakteriologische Untersuchung ergab: In den Ausstrichpräparaten
und in der Kultur aus der Wunde, aus dem Exsudat der vorderen Kammer
und des Glaskörpers, weiter in den Schnitten, fand man den Streptococcus
pathogenes longus. Es sind Gram-positive Cokken, die in der Bouillon
Ketten von 8—15 Glieder bilden, häufig aber auch als Diplocokken zu
finden sind. Auf Gelatine, Agar, Serum findet man charakteristisehe kleine,
punktfórmige, runde, etwas weisse Kolonien. Gelatine und Serum wird
nieht verflüssigt. Die Bouillon trübt sich im Anfang, später wird sie klar
und bilden sich am Boden einzelne Krümeln.
Pathogenität: Impfung in eine Cornealtasche von Meerschweinchen,
Kaninchen oder weisser Maus war vollständig negativ. In das Augeninnere
geimpft, und zwar sowohl in die vordere Kammer als auch in den Glas-
körper, entstand eine starke Panophthalmitis, aber stets ohne Ringabscess.
Eine weisse Maus mit 1 ccm einer 24stündigen Kultur intraperitoneal geimpft,
starb naeh 3 Tagen unter Erscheinungen von Septikümie, ohne dass es zu
einer stärkeren lokalen Reaktion an der Impfstelle gekommen wäre.
Fall V. P. K., 59 Jahre alter Mann, wurde 8 Tage vor Aufnahme
durch einen in das rechte Auge springenden Steinsplitter verletzt. Bald
darauf begann eine Entzündung dieses Auges.
Status praesens: h. A. Es besteht Sehwellung der Lider. Chemosis.
Am oberen Limbus ist eine etwa 3mm lange Wunde, deren lWinder gelb
infiltriert sind. Die Hornhaut ist grob gestiehelt, zeigt aber keinen Xub-
stanzverlust. Sie ist ziemlich gleichmässig gelb getrübt, so dass man die
Iris nur undeutlich durclisieht. In dieser gelben diffusen Trübung hebt sich
ein 2—3 mm breiter, vom Limbus 2 mm entfernter, dielit gelb. saturierter
Ring schärfer ab. Es besteht ein 4mm hohes Hypopyon. L. Æ vor dem
Auge. Projektion falsch.
9]*
R. Tertsch
LA
LA
[ID
Eine histologische Untersuchung des Falles konnte noch nicht vor-
genommen werden.
Der bakteriologische Befund war folgender: In den Ausstrichpräparaten
und in der Kultur aus der Wunde und vor allem aus den tieferen Teilen
des Auges finden sich zahlreiche feine Stäbchen, die folgende Eigenschaften
haben:
Morphologie: Es sind 1—3 u lange und 0,3—0,5 breite Stäbchen
mit abgerundeten Ecken. Sie färben sich mit allen Anilinfarben intensiv
und sind durchaus Gram-negativ. In älteren Kulturen wachsen sie manch-
mal zu langen Fäden aus und bilden daselbst endständige Sporen. Im
hängenden Tropfen zeigen sie lebhafte Eigenbewegung, welche auch noch
in älteren Kulturen zu sehen ist. -
Bouillon: Es entsteht eine gleichmässige intensive Trübung mit dicken,
rahmartigen, weissen Häutchen. Die Bouillon nimmt eine leichte grüngelbe,
fluorescierende Farbe an. Später bildet sich ein bräunlicher Bodensatz.
Agar: Es bilden sich kleine, anfangs scharf begrenzte, durchscheinende,
tropfenförmige Kolonien, die später zu einem zusammenhängenden, faden-
ziehenden üppigen Rasen auswachsen. Zu gleicher Zeit tritt intensive grüne
Fluorescenz ein, die sich langsam über den ganzen Nährboden ausbreitet.
Die grüne Fluorescenz geht in älteren Kulturen in eine intensiv braune
Vertärbung des Nährbodens über.
Glycerinagar und Serumagar — Agar.
Zuckeragarstich: Nur sehr spärliches Wachstum längs des Stiches
ohne Gasentwicklung. Dagegen dichte Rasenbildungen der Oberfläche mit
Grünverfärbung des Nährbodens.
Löfflerblutserum: Rasche Verflüssigung des Nährbodens mit brauner
Verfärbung desselben.
Gelatineplatte: Es bilden sich dellenförmige Vertiefungen, die rasch
konfluieren. In den Dellen bildet sich ein weisser Rasen.
Gelatinestich: Rasche napfförmige Verflüssigung des Nährbodens
mit leichter grüner Verfärbung. Nach vollständiger Verflüssigung bildet sich
ein Häutchen und ein brauner, krümelicher Bodensatz.
Kartoffel: Es entsteht ein bräunlicher bis grauer üppiger, schmieriger
Belag.
Aus allen diesen Nährböden lässt sieh mit Chloroform ein himmelblauer
Farbstoff ausschütteln. Beim Verdampfen des Lösungsmittels bilden sich
lange Krystalle.
Behandelt man Stücke einer Agarkultur mit Salwiakgeist, so nimmt
dieser eine grüne fluorescierende Farbe an.
Noch stärker wird die grüne Fluoreseenz des Lösungsmittels beim
Autschütteln mit Wasser. In Salzsäure werden die Agarstücke braun, die
Lösung rosarot.
Tierpathozgenität: Bei Impfung in eine Hornhauttasche eines Kanin-
chenauges entstand ein Uleus serpens, das zu einer raschen Vereiterung der
Cornea führte. Tieb man Kulturen nur auf eine Errosio eorneae ein, ent-
stand keine Veränderung der IHormhaut. Impfungen in die vordere Kammer
oder Glaskórper erzeugten eine rasch verlaufende Panophthalmitis. Ein
Ringabseess konnte nieht beobachtet werden. Mit !5,eem einer. 24 Stunden
Über den Ringabscess der Cornea. 333
alten Kultur geimpfte weisse Mäuse und Meerschweinchen starben nach
12 Stunden bis 3 Tagen. Kaninchen blieben am Leben, doch zeigten
sie einige Tage geringe Fresslust. Nach dem Gefundenen müssen wir den
Stamm als Bacillus pyocyaneus diagnostizieren. Auffallend ist die Sporen-
bildung, die sonst beim Pyocyaneus nicht bekannt ist. Ob dieser Stamm
mit den von Hanke(6) beim Ringabscess gefundenen Bacillus proteus
fluorescens verschieden ist oder nicht, will ich hier nicht erórtern.
Überblicken wir nun diese fünf Fälle, so bestätigt vor allem der
bakteriologische Befund, dass es einen bestimmten Erreger des Ring-
abscesses nicht gibt, sondern die verschiedensten Keime die Ursache
dieses Krankheitsbildes sein. kónnen.
Unter den in den fünf Fällen gefundenen Erregern verdient vor
allem der in Fall I und II gefundene Bacillus subtilis noch einige
Bemerkungen. Es ist ja jetzt bereits aus einer ganzen Reihe von be-
schriebenen Fällen [Literatur siehe Axenfeld(1)] bekannt, dass dieser
sonst apathogene Keim vor allem im Glaskörper des Menschen hohe
Virulenz erreicht und eine meist ungemein rasch verlaufende Pan-
ophthalmitis erzeugt. (Bemerkt sei überdies hier noch, dass er auch
als Erreger von Conjunctivitis[Michalsky(11),Gourfein(5), Makai(10)]
und von Bietti(3) und zur Nedden(14) in Fällen von Hypopyon-
keratitis gefunden wurde.) Als ein ganz besonderer Beweis der hohen
Virulenz, die er im menschlichen Glaskörper erreicht, und dass er hier
auch starke Toxine, die rasch zur Nekrose ganzer Teile des Auges
führen (Fall II), erzeugen könne, ist wohl die Ursache, dass er schein-
bar nicht selten als Erreger eines Ringabscesses gefunden wird. Be-
sonders jene Fälle von Ringabscess, die ausserordentlich rasch —
innerhalb 24 Stunden nach der Verletzung auftreten, müssen an
diesen Bacillus als Erreger denken lassen. Welcher Art aber die
Toxine sind, ob sie an den Bacillen haften oder nicht, ob sie viel-
leicht nur Produkte des zerfallenen, nekrotischen Gewebes sind,
kann ich nicht angeben; doch glaube ich auf Grund der ausgedehnten
Nekrose des Gewebes, das nur in der Nähe des infizierten Herdes
liegt und in dem unmittelbar keine Bacillen zu finden sind, annehmen
zu können, dass es sich wohl um ausserhalb der Bacillenleiber liegende
Gifte handeln müsse. Der negative Versuch. Kaysers(S), der Sub-
tiliskulturen filtrierte und das Filtrat ungiftig für den Glaskörper fand,
ist wohl nicht beweisend, da man annehmen muss, dass dieser ausser-
halb des Glaskörpers durchaus apathogene Kerne, in der Kultur eben
keine Toxine erzeugte. Tech habe überdies die Versuche Kavysers ($)
wiederholt und bin zu dem gleichen negativen Erfolg gekommen.
Im allgemeinen fand man, dass der Subtilis rasch wieder aus
394 R. Tertsch
dem Eiter des Glaskörpers verschwindet und meist schon am dritten
Tage nach der Infektion nicht mehr aufzufinden ist. Im Falle I sehen
wir gerade das Gegenteil. Ich konnte am zwölften Tage nach der In-
fektion aus dem subconjunctivalen Abscess noch Bakterien rein züchten
und fand einen Monat nach der Verletzung noch gut gefärbte Stäbchen
mit Sporen in den Schnittpräparaten. Dagegen waren im Kaninchen-
auge bereits am dritten Tage nach der Impfung keine Bacillen im
Glaskörper mehr nachzuweisen. Ich glaube, dass dieser Unterschied
wohl auch dafür spricht, dass gerade nur der menschliche Glaskörper
ein besonders günstiger Nährboden für den Bacillus subtilis ist.
Der Versuch bei Tieren, durch eine Impfung in das Augeninnere
einen Ringabscess zu erzeugen, fiel in allen Fällen negativ aus. Dieser
Versuch ist bisher nur gelungen Hanke(6) und Happe(7). Schein-
bar verloren meine Stämme durch die Kultivierung rasch ihre hohe
Virulenz, bzw. waren — da ich ja im Fall II direkt frischen Eiter
aus dem menschlichen Auge in den Glaskörper des Tierauges über-
impfte — für das Tierauge nicht so hochgradig pathogen wie für den
Menschen. Die reine Cornealimpfung erzeugte im Pyocyaneus- Fall
ein Ulcus serpens, sonst aber mit Ausnahme eines kleinen, rasch ver-
schwindenden Infiltrates überhaupt keine Veründerung. Auch bei diesen
Versuchen konnte Hanke(6) und Happe (7) klinische Bilder erzeugen.
die dem Ringabscess entsprechen. Ich möchte nun doch im Anschluss
daran die Erörterung knüpfen, ob es denn in Wirklichkeit möglich
ist, durch eine Impfung in eine Hornhauttasche, also durch eine
nicht perforierende Verletzung, einen auch dem histologischen Bilde
des Ringabscesses entsprechenden Befund zu erzeugen, ob also auch
beim Menschen durch eine nicht perforierende Verletzung ein Ring-
abscess entstehen. kann, oder ob diese Frage vielleicht in. diesem Sinne
zu lösen ist, dass doch nicht alle Fälle des klinischen Bildes des Ring-
infiltrates dem entsprechen, was Fuchs(#) histologisch als Ringabscess
bezeichnet hat.
Was ist der Ringabseess? Klinisch: Unter schweren allgemeinen
Fintzündungserscheinungen des Auges entsteht in einer meist dittusen
Trübung der Hornhaut ein dem Tumulus paralleler, von demselben
1—3 mm entfernter, gelb saturierter, 2—4 mm breiter Intiltrationsting:
dabei kann es zu einem Zerfall der Hornhaut kommen, es muss dies
aber nicht immer der Fall sein.
Histologiseh: Wie Fuchs(4) nachgewiesen — eine primäre Ne-
krose der hintersten Hornhautlamellen mit sekundärem Einwanderungs-
rng. Die vordersten Hornhautlamsllen können völlig normal sein.
Über den Ringabscess der Cornea. 325
(Um nun bei den weiteren Erörterungen Verwechslungen vorzubeugen,
werde ich „Ringabscess“ nur das nennen, was dem histologischen Bilde
von Fuchs entspricht, das klinische Bild aber im allgemeinen als
Ringinfiltrat bezeichnen.)
Untersuchen wir nun zuerst, wie man schon nach dem histo-
logischen. Bild die Art und Weise der Wirkung der Bakterien an-
nehmen muss.
Da vor allem die hintersten Schichten der Hornhaut nekrotisch
sind, so müssen wohl die Keime zuerst von rückwärts — von der Tiefe
her — aus der vorderen Kammer und dem Glaskörper her wirken.
Bedingung dazu aber ist, dass sie, sei es durch eine Perforation, sei
es auf metastatischem Wege in das Augeninnere gelangen. Und wie
wir in allen untersuchten Füllen sehen, entspricht dies vollständig den
Tatsachen. Ausser in der Wunde und in ihrer nüchsten Umgebung
— und wie wir im Fall II sehen, auch da nicht immer — findet
man beim Ringabscess in der Cornea selbst keine Keime, dagegen
massenhaft in der vorderen Kammer und vor allem im Glaskörper.
Es ist also eine Fernwirkung der Bakterien. Durch die Toxine, welche
sie produzieren, kommt es neben der Nekrose anderer Teile auch zur
Schädigung der inneren Teile der Cornea. Wenn Bakterien in
das Hornhautparenchym gelangen, so erzeugen sie allenfalls nur eine
Nekrose des umliegenden Gewebes — bei einem nur oberflächlichen
Eindringen eine Nekrose der oberflächlichen Partien, wie dies ja beim
Ulcus serpens der Fall ist —, nicht aber, wie beim Ringabscess, bei
dem die Nekrose, von dem Ort der Wunde ganz unabhängig, nur die
hintersten, der Kammer anliegende Teile trifft. Gerade die Unab-
hängigkeit der Nekrose von dem Ort der Wunde, ist der beste
Beweis, dass die Keime, bzw. ihre Gifte nicht von der Wunde, son-
dern von der Tiefe des Auges her wirken müssen, daher von einer
oberflächlichen Wunde her ein Ringabscess wohl nicht entstehen kann.
Wenn nun Hanke(6) und Happe(7) auch ohne Perforation Ring-
infiltrate an Tieraugen erzeugten, so dürften dies nicht Ringabscesse
im Sinne des histologischen Bildes von Fuchs sein — mit charakte-
ristischer primärer Nekrose der hintersten Hornhautlamellen —, sondern
es dürfte sich wohl um Ulcera serpentia gehandelt haben, bei denen
es nur zu einem besonders heftigen Einwanderungsring gegen die hier
oberflächlichen nekrotischen Partien der Cornea gekommen ist, so dass
das Bild eines Ringinfiltrates entstand. Ich konnte das überdies in
Hankes Präparaten, die er mir zur Untersuchung überliess, nach-
weisen. In jenen Bulbis, in denen es bei der Impfung nicht zur Per-
396 R. Tertsch
foration kam, besteht nur Nekrose der vorderen Partien. In einigen
dieser Bulbi war dann allerdings auch eine Schädigung der hinteren
Hornhautlamellen zu finden — aber immer sind auch in diesen Augen
vor allem die vordersten Teile der Cornea nekrotisch. Zwischen der
nekrotischen vorderen und hinteren Partie findet sich dann oft eine
Infiltrationszone, ein Bild, das man auch beim menschlichen Ulcus
serpens finden kann. Die Fälle von Ulcus serpens bei Tieren mit
Nekrotisierung der Hornhaut bis in die hinteren Partien sind wohl
Infektionen mit besonders virulenten Stämmen, bzw. Infektionen von
Hornhäuten mit nur geringer Widerstandskraft gegen den eindringen-
den Infektionserreger. Diese rasche Nekrotisierung der Hornhaut bis
in die tiefsten Schichten kann man ja auch beim menschlichen Ulcus
serpens beobachten -— wie umgekehrt in schweren Fällen von Ring-
abscessen die Nekrose von rückwärts her bis in die vordersten Schichten
reicht —, Fälle, die dann gewöhnlich rasch zur Einschmelzung der
ganzen Cornea führen.
Nach meiner Meinung ist doch der Hauptunterschied zwischen
Ulcus serpens und Ringabscess darin gelegen, dass beim Ulcus serpens
die Giftwirkung und damit die Schädigung des Gewebes, welche bis
zur Nekrose führen kann, sich von vorne nach rückwärts ausbreitet,
während beim Ringabscess gerade das Umgekehrte der Fall ist, indem
hier die Schädigung der Cornea, die bis zur Nekrose führt, von rück-
wärts her erfolgt. Denn der Ringabscess ist eigentlich nichts anderes
als ein Teil einer Wand einer Abscesshöhle, deren innere Fläche
teilweise nekrotisch geworden ist. In allen beschriebenen Fällen findet
sich eine schwere, eitrige Entzündung des Augeninnern; am deutlichsten
sehen wir dies im Fall IT, in dem fast die ganze innere Wand der
Hornhaut und Sklera nekrotisch geworden ist. Von dieser Nekrose
ausgenommen ist nur die Peripherie der Cornea wahrscheinlich wohl
deshalb. weil gerade dieser Teil der Hornhaut sowohl vorne wie auch
rückwärts infolge der Nähe des Randschlingennetzes unter besonders
günstigen Verhältnissen steht. Diese bessere (sefässversorgung schützt
den Rand der Cornea sowohl durch bessere Ernährung, als auch vor
allem dadurch, dass mit dem Blut auch Antikörper an Ort und Stelle
gebracht werden, welehe in der normalen Cornea selbst bekanntlich
fehlen. Ebenso können sie auch der Sklera bei ihren spärlichen Ge-
fässen nur in geringer Menge zugeführt werden. Iinmerhin ist aber
die Nekrose der Sklera eine viel seltenere, wie die der Cornea. Eine
viel geringere Bedeutung in der Unterscheidung zwischen dem histo-
Jogischen Bilde des Ringabseesses und dem Ulcus serpens möchte ich
Über den Ringabscess der Cornea. 391
ud
der Form des die geschädigten Partien abgrenzenden Infiltrationsringes
beilegen. Dieser hängt lediglich von der Ausbreitung der Schädigung,
bzw. Nekrose ab. -Der nekrotische Teil der Cornea soll nach allen
Seiten gegen die gesunde Hornhaut abgegrenzt werden. Die Ein-
wanderung zu dieser Demarkationszone erfolgt in zwei Schichten, einen
vorderen und einen hinteren Einwanderungsring. Speziell die Lage
und Breite des vorderen Einwanderungsringes, der sich gewöhnlich
eng an die geschädigten Partien der Cornea anschmiegt, hängt in der
Form und in der Ausdehnung von letzterem ab. Damit ist aber auch
-- wie ich glaube — eine Erklärung für die Form des vorderen Ein-
wanderungsringes beim Ringabscess mit der zentral gerichteten Spitze
gegeben. Die geschädigte Hornhautpartie hat die Form einer Kugel-
kalotte — vorne reichen die geschädigten Teile der Lamellen am
wenigsten weit in die Peripherie —, umgekehrt reichen in der Peri-
pherie der gesunden Partien je weiter nach vorne, desto weiter zentral-
wärts —! Zwischen diesen beiden Teilen, sie voneinander trennend,
liegt nun die Infiltrationszone mit ihrer Spitze demgemäss am weitesten
zentral und nach vorne reichend. Ja, manchmal kommt es, wie wir
dies im Fall III und IV sehen, zu einer vollständigen Umhüllung des
nekrotischen Teiles, welcher dann vorne vollständig von einer Infiltra-
tionszone bedeckt wird, der die gesunden vorderen Partien von den
erkrankten hinteren Teilen trennt. Auch beim Ulcus serpens ist der
vordere Einwanderungsring, wenn auch hier durch die primäre ober-
tlächliche Schädigung der Hornhaut in anderer Form, so doch zu
finden und entspricht dem keilfórmigen Randinfiltrat. Er hat nur hier
eine gewöhnlich nicht so starke Entwicklung gefunden wie beim
Ringabscess, da ja auch die Schädigung der Hornhautlamellen nicht
in solchem Ausmasse und vor allem nicht so rasch erfolgt. Der hintere
Einwanderungsring ist hauptsächlich nur beim Ringabscess zu finden,
da es ja vor allem bei diesem zu einer Nekrose der hinteren Partien
kommt. Beim Ulcus serpens, bei dem die hintersten Hornhautlamellen
gar nicht oder nur in geringem Umfang geschädigt sind — fehlt er
vollständig oder ist nur angedeutet. Er kann aber, wie auch der
vordere Einwanderungsring — beim Ulcus serpens zu starker Ent-
wicklung kommen, wenn die Nekrose der Hornhaut eine ausgebreitete
ist und bis in die hinteren Nehichten reicht. So kann dann auch beim
Ulcus serpens das Bild eines Ringabscesses klinisch vorgetäuscht wer-
den. Als Beispiel dafür will ich folgenden Fall anführen:
Fall VI. L. G., 32 Jahre alt, will sieh vor 3 Wochen im Sehlafe
am rechten Auge verletzt haben. Danach sei das Auge rot gewesen. Nach
398 R. Tertsch
einigen Tagen habe ihm jemand in das Auge gestossen. Seit dieser Zeit
sei das Auge stark entzündet und schmerzhaft.
Status praesens: R. A. Lider gerötet, stark geschwollen, leichte
Chemosis. Im oberen äusseren Quadranten des Bulbus besteht starke Gut.
fusion der Conjunctiva. Die Cornea zeigt in ihren mittleren Partien einen
unregelmässigen Substanzverlust, dessen Grund gequollen ist. Sie ist diffus
trüb. In den ziemlich erhaltenen Randpartien sieht man einen 2—3 mm
breiten, allseitig geschlossenen, gelb saturierten Infiltrationsring, der an einigen
Stellen bis an den Limbus reicht, an andern Stellen von denselben etwa
1 mm entfernt ist. Die tieferen Teile des Auges sind wegen der Trübung
der Hornhaut nicht gut sichtbar. Tension vermindert. Lichtempfindung
und Projektion richtig.
Die histologische Untersuchung ergab folgendes: Fast die ganze Ober-
fläche der Hornhaut wird eingenommen von einem oberflächlichen Substanz-
verlust. Der Grund ist teils kleinzellig infiltriert, teils wird er von ge-
quollenen nekrotischen Hornhautlamellen gebildet. Hinter diesen oberflüch-
lichen Schichten des Geschwürsgrundes folgt — den mittleren Teilen der
Cornea entsprechend — eine schmale nekrotische Zone, in der die Horn-
hautkörperchen nicht gefärbt sind. Dagegen sind die Schichten knapp vor
der Descemetii wieder dicht eitrig infiltriert — einem hinteren Horn-
hautabscess entsprechend. Dieses Ulcus ist nun in seinem ganzen Umfang
begrenzt von einer dicht infiltrierten ringförmigen Zone, welche überall von
den vorderen bis in die hinteren Schichten reicht. Einen vorderen und
hinteren Infiltrationsring kann man nur an einigen Stellen bemerken, an
denen man knapp vor der Descemetii eine stärkere Anhäufung von Rund-
zellen findet. Die Bowmansche Membran fehlt vollständig — die Descemetii
ist an vielen Stellen von Eiter arrodiert —, aufgeblättert und endlich unter-
brochen. Zu einer vollständigen Perforation der Cornea ist es noch nirgends
gekommen. Die vom Ringinfiltrat peripheren Teile der Hornhaut erscheinen
namentlich aussen leicht gequollen, die Kerne schlecht gefärbt; diese ganze
dem Limbus entsprechende Zone ist gedehnt und dadurch der Limbus ver-
breiter. Am Boden der vorderen Kammer ist ein Hypopyon. Die Iris ist
kleinzellig infiltriert mit zahlreichen Hämorrhagien ins Gewebe. Die hintere
Kammer ist mit Blut erfüllt. An der Linse findet sich eine vordere Cortical-
katarakt. Der Ciliarkörper und die Chorioidea sind nicht verändert. Die
Retina mit Ausnahme einzelner Hämorrhagien normal. Ebenso Glaskörper
und Sehnerv unverändert.
Die bakteriologische Untersuchung ergab merkwürdigerweise sowohl im
Deckglas, als auch in der Kultur wie im Schnittpräparat ein vollständig
negatives Resultat.
Es handelt sich also in diesem Fall. der klinisch einem Ring-
abscess ausserordentlich ähnlich ist, um ein fast die ganze Cornea ein-
nehmendes tvpiscehes Ulceus serpens mit. Nekrose des Geschwürsgrundes
und der mittleren Hornhautpartien. Von einer Nekrose der hintersten
Partien --- die erste Bedingung eines Ringabscesses — war hier keine
Spur. Ebenso waren die tieferen Teile des Auges mit Ausnahme
Über den Ringabscess der Cornea. 329
einer [ritis und einiger Blutungen in der Retina und Iris unverändert.
Es fehlte die Panophthalmitis, die wir beim Ringabscess immer vor-
tnden müssen. Und demgemiüss fehlte auch die schlechte Licht-
empfindung, welches Symptom für die richtige Diagnose des echten
Ringabscesses stets entscheidend ist.
Was nun die Tierversuche anbelangt, so kommt es scheinbar hier
auch bei einer nur oberflächlichen Schädigung des Gewebes zu einem
viel stärkeren Einwanderungsring wie beim Menschen. Dringt die
Nekrose bis in die mittleren oder gar hinteren Partien, so finden wir
auch einen besonders gut entwickelten hinteren Einwanderungsring,
welcher die geschädigten mittleren Partien gegen die gesunden peri-
pheren und hintersten Partien abgrenzt. So kommt also auch hier
ein Bild zu stande, das klinisch einem Ringabscess ähnlich ist. Aber es
fehlt auch hier die Hauptsache: primäre Nekrose der hintersten Horn-
hautlamellen und die schwere Entzündung der tieferen Teile des Auges.
Beantworten wir nun die früher gestellte Frage, so kommen
wir zu dem Resultate, dass durch eine oberflächliche Verletzung
der Hornhaut nicht ein echter Ringabscess, wohl aber unter Um-
ständen beim Menschen und vor allem im Tierauge das Bild eines
Ringinfiltrates entstehen kann, das klinisch dem Ringabscess ähnlich,
doch nicht mit dem von Fuchs (4) aufgestellten histologischen Bild
identisch ist. Es handelt sich in diesen Fällen um ein Ulcus serpens
mit starkem Einwanderungsring, denn es fehlen die Hauptbedingungen
für das histologische Bild des Ringabscesses: die primäre Nekrose der
hinteren Hornhautlamelle und die schwere Entzündung des Augen-
inneren, dagegen ist immer ein ausgedehnter Substanzverlust vorhanden.
Doch ist es anderseits nach den bisherigen Erörterungen ganz klar,
dass man das, was Fuchs(4) histologisch als Ringabscess bezeichnet
hat, streng von dem Bilde des Ulcus serpens trennen muss. Das
Uleus serpens ist eine primäre Infektion der Hornhaut, bei der der
hintere Abschnitt des Auges nicht erkrankt ist, das Auge selbst,
falls es nicht durch einen Durchbruch zu einer sekundären Infek-
tion des Augeninneren kommt, erhalten bleiben kann. Das Ulcus
serpens ist eine streng umschriebene Erkrankung des Auges an und
für sich. Der Ringabscess dagegen ist nur eine Folgeerscheinung,
eine Teilerkrankung einer primären, besonders schweren Infektion
oder, noch allgemeiner ausgedrückt, einer schweren destruierenden Ver-
änderung des Augeninneren mit ausgedehnter Nekrose. Augen, die
an einem echten Ringabscess erkranken, sind daher stets verloren.
Die Difterentialdiagnose zwischen diesen beiden Krankheitsbildern
330 R. Tertsch
*
wird doch in allen Füllen móglich sein. Ein wichtiges Unterschei-
dungsmerkmal habe ich bereits angeführt: Beim Ringabscess wird be-
reits im Anfang entsprechend der Entzündung der tieferen Teile eine
schlechte Lichtempfindung vorhanden sein — beim Ulcus serpens diese
stets normal gefunden werden, ausser es liegen andere Komplikationen
vor. Weiter werden beim Ringabscess die allgemeinen Symptome
einer schweren Entzündung des Augeninneren, wie Schwellung der
Lider, Chemosis, Exophthalmus stärker entwickelt sein wie beim Uleus
serpens, wo sie ja im Anfange wenigstens meist fehlen. — Wenn min
die beiden ähnlichen Fälle des weit vorgeschrittenen Ulcus serpens,
dessen infiltrierter Rand schon nahe dem Hornhautrand legt, und den
Ringabscess von Anfang an verfolgen kann, so findet man als weiteren
wichtigen Unterschied, dass beim Ulcus serpens der gelbe Ring zuerst
zentral liegt und erst nach und nach gegen den Limbus rückt, beim
Ringabscess aber der gelbe Ring vom Beginn an an der Peripherie
liegt und in den nächsten Tagen gegen die Mitte — also gerade um-
gekehrt — fortschreitet. Überhaupt ist im allgemeinen der Verlauf
des Ringabscesses ein sehr akuter; oft nach 24 Stunden kommt es
zur Entwicklung des Ringinfiltrates. Beim Ulcus serpens wird, wenn
auch ein deutliches Ringinfiltrat entsteht, dieses sich gewöhnlich viel
langsamer entwickeln. Nicht unwichtig für die Differentialdiagnostik
ist wohl noch folgender Punkt: Eine Bedingung des Ulcus serpens ist
ja stets der Substanzverlust, der mehr oder weniger langsam vor der
Oberfläche her sich vertiefend, die Hornhaut zerstört. Beim Ring-
abscess kommt es wohl auch zur Zerstörung der Cornea, die aber
dann rasch und die ganze Hornhaut auf einmal umgreifend erfolst.
Es muss aber gar nicht immer zum Substanzverlust oder zur Zer-
störung der Cornea kommen. Dies ist dann der Fall, wenn die Ne-
krose der Hornhautlamellen keine vollständige war und diese sich nach
einiger Zeit wieder erholen können — wie wir dies im FallI, in dem
nach einem Monat, nach erfolgter Erkrankung, die Hornhautkörper-
chen wieder gut gefärbt sind, gesehen haben.
Man wird wohl verschiedene Grade der Nekrose der Hornhaut
unterscheiden müssen, eine Tatsache, auf die anch bereits Fuchs (4) auf-
merksam gemacht hat. Wir nehmen im allgemeinen au, dass histologisch
bereits dann Nekrose vorhanden ist, wenn sich die Hornhautkörper-
chen nieht färben lassen — und es dürfte dies ein Vorstadium des
vollständigen Zerfalls der Hormhautlamellen sein. Ob aber damit auch
gesagt ist. dass die Hornhautlamellen und ihre Kerne dann auch
immer zerfallen müssen und sich nicht wieder erholen können, möchte
Über deu Ringabscess der Cornea. 331
ich naeh dem Befunde im Fall I nicht so sicher annehmen. Denn ich
glaube, dass man in diesem Fall, falls man den Bulbus gleich nach
dem Entstehen des Ringabscesses untersucht hätte, gewiss gefunden
hätte, dass die hintersten Hornhautpartien nicht gut gefärbt waren
und dass damals die Cornea den Bildern im Falle II und in den
von Fuchs (4) beschriebenen Fällen, die alle bald nach Entstehen
des Ringabscesses enucleiert worden waren, ähnlich gewesen wäre.
Anderseits kann aber eine so geringe Schädigung des Gewebes der
Hornhaut erfolgen, dass sie histologisch als Nichtfärbbarkeit der Horn-
hautkörperchen nicht sichtbar ist, und die doch vorhanden sein muss,
da sie ja zur Entstehung eines Ringinfiltrates führt, welches wir ja
als Demarkationszone zwischen dem gesunden und kranken Gewebe
aufzufassen gewohnt sind. Dies sehen wir in den zwei Fällen von
Melanosarkom der Chorioidea mit Ringabscess, die Fuchs (4) am Schluss
seiner Arbeit erwähnt, und dies erkennen wir auch im Fall III, in
dem das von Ringintiltrat begrenzte Gebiet viel grösser ist als die
ungefürbte Partie in der Nähe der Wunde. Das Infiltrat der De-
markationszone macht, wie wir dies bei allen vollständigen Nekrosen
der Cornea sehen, an der nekrotischen Partie Halt — dringt nicht in
dieselbe ein. Ist jedoch die Schädigung keine vollständige, so ist auch
die Grenze zwischen dem nekrotischen Teil und der Infiltrationszone
nicht scharf und man sieht die Exsudatzellen weit eindringen zwischen
die leicht nekrotischen Hornhautlamellen (Fall TIT). Aus diesen Ex-
sudatzellen dürften dann die Narbenzüge entstehen, welche wir im
Fall I zwischen den Hornhautlamellen gefunden haben.
Ich habe bereits die zwei von Fuchs(4) erwähnten Fälle von
Melanosarkom angeführt, m denen ein Ringinfiltrat vorhanden war,
olıne dass man aber eine sichtbare Nekrose der hinteren Hornhaut-
partien vorfand. Ich will nun zum Schluss einen Fall von Melano-
sarkom der Chorioidea mit Ringabseess hier anführen, in dem auch
sichtbare Nekrose der Hornhaut zu finden war.
Fall VII. M. R, 74 Jahre alt, ist seit einem Jahre augenkrank.
Das Sehvermögen des rechten Auges nahm langsam ab —- seit einiger
Zeit bestehen auch Sehmerzen.
Status praesens: R. A. Odem der Lider, Chemosis, Exophthalmus
von 2—3 mm. Die Cornea ist oberflächlich matt und zeigt im äusseren
unteren Quadranten einen Epithelverlust. Die ganze Cornea ist ditfus rauchig
getrübt. In dieser diffusen Trübung verläuft eine ungefähr 2 mm breite,
gelbgrau saturierte ringförmige, dem Limbus konzentrische 'Trübung, die oben
am breitesten ist und vom Limbus durch eine selir wenig getrübte, nahezu
normale Hornhautpartie getrennt ist. Von der Iris ist nur unten ein
339 R. Tertsch
schmaler Streifen zu erkennen. Aus der Pupille kommt ein graubrauner
Reflex. Tension erhöht. Amaurose.
Das histologische Bild (siehe Abbildung auf Taf. XII) war folgendes:
Epithel der Hornhaut nur in den randständigen Partien erhalten. Bow-
mansche Membran unverändert. In der Peripherie der Hornhant sielit man
einen typischen, dem Limbus konzentrischen Infiltrationsring von 2—4 mm
Breite. In diesem Infiltrationsring kann man an einzelnen Stellen deutlich
einen vorderen und einen hinteren Infiltrationsring beobachten — an andern
Stellen ist dieser Unterschied weniger ausgeprägt. Der vordere Ring
hat die typische, mit der Spitze nach vorn und zentralwärts gerichtete Form.
Besonders gut entwickelt ist der hintere Ring. Seine Form ist jedoch ver-
schieden. Manchmal sind gerade die knapp vor der Descemetii liegenden
Schichten am stärksten infiltriert, an andern Partien sind gerade diese Stellen
am wenigsten beteiligt. In der Einwanderungszone ist das Infiltrat ausser-
ordentlich dicht und scheint es an einzelnen Stellen bereits zur Einschmel-
zung der Hornhautelemente gekommen zu sein. Die nun zentralwärts von
diesem Infiltrationsring gelegenen Teile der Hornhaut zeigen namentlich in
ihrem peripheren Teil eine ausgedehnte Nekrose, die oft die halbe Dicke
der Hornhaut umfasst. Die Hornhautkörperchen sind in diesem Gebiet
nicht zu erkennen. Im Zentrum ist diese ungefärbte Partie am schmälsten.
Im Gegensatz davon sind die ausserhalb des Ringes liegenden Partien, die
oberflächlichen und peripheren Teile der Cornea vollständig normal.
Die Descemetii ist normal. Das Endothel fehlt vollständig. Ausser-
dem findet man an dem Auge auch noch an vielen Stellen Nekrosen der
Sklera und Uvea. Der Glaskörperraum wird von einem stark nekrotischen
Chorioidealsarkom ausgefüllt. Bakterien wurden in den nach Gram und
Löffler gefärbten Schnittpräparaten nicht gefunden.
Das histologische Bild der Hornhautveränderung stimmt. vollständig
mit der Beschreibung überein, die Fuchs(£) von dem durch Bakte-
riengifte hervorgerufenen Ringabscess gegeben hat. Das Bild des
eanzen Bulbus ist — besonders was die Nekrose der Sklera und
Uvea anbelangt — dem Fall TT sehr ähnlich.
Dieser Fall ist zuerst ein Beweis dafür. dass auch die von
Fuchs(4) erwähnten zwei Fälle wirkliche Ringabseesse waren, nur dass
die Schädigung der Hormhautlamellen so gering war, dass sie histolo-
gisch nicht nachgewiesen werden konnte: weiter bietet er uns ein Bei-
spiel dafür, dass nicht nur Gifte der verschiedensten Bakterien Ring-
abscesse erzeugen können, sondern dass dieses Krankheitsbild auch
dureh andere Gifte — hier dureh Toxine. die ans einem nekrotischen
Melanosarkom gebildet wurden — hervorgerufen werden kann. Denn
nicht die Art der Toxine, micht der Ort ihres Eindringens in den
Dulbus ist. für die Entstehung des Ringabseesses in erster Linie mass-
sebend. sondern vor allem. dass ste, ins Augeninnere gelangt. hier
in stande sind, schwere Nekrosen und Entzündungen hervorzurufen,
Über den Ringabscess der Cornea. 333
in Verlauf welcher es auch zur Nekrose der hinteren Hornhaut-
lamellen kommt.
Wir haben also gefunden:
1. Das von Fuchs aufgestellte histologische Bild des Ringabscesses
— (die primäre Nekrose der hinteren Hornhautlamellen mit sekundärem
Einwanderungsring ist nur eine Teilerscheinung einer schweren patho-
logischen Veränderung, meist purulenten Entzündung — des Augen-
inneren, bei der es nebst Nekrose der inneren Augenhäute, auch zur
Nekrose der inneren Oberfläche der äussersten Bulbushülle, der Cornea
und manchmal auch der Sklera kommt.
2. Diese Nekrose, bzw. eitrige Entzündung kann durch verschie-
dene Gifte hervorgerufen werden. Und zwar können diese Toxine
nicht nur Bakteriengifte sein, sondern auch durch zerfallenes Gewebe
(Tumoren) entstehen.
3. Das klinische Bild des Ringinfiltrates stammt nicht in allen
Fällen mit dem histologischen Bild des Ringabscesses überein, und
kann sowohl beim Menschen, als insbesondere beim Tiere auch beim
Ulcus serpens durch Ausbildung einer stärkeren ringförmigen Ein-
wanderungszone ein klinisches Bild entstehen, das dem Ringabscess
ähnlich ist. Doch ist auf jeden Fall das Ulcus serpens vom Ringabscess
zu trennen, da ja das Ulcus serpens eine primäre, im Anfang wenigstens
isolierte Erkrankung der Cornea ist, bei der das Auge in seiner Form
sowohl, als auch in bezug auf sein Sehvermögen erhalten bleiben kann,
während beim Ringabscess, als einer Teilerkrankung einer schweren,
stets zerstörenden Erkrankung des ganzen Auges, dieses stets ver-
loren ist.
4. Es genügt für die klinische. Diagnose des Ringabscesses also
nicht allein das Vorhandensein eines Ringinfiltrates, sondern es müssen
stets auch Zeichen einer schweren pathologischen Veränderung (Ent-
zundung, Tumor) des Augeninneren zu finden sein.
Es erübrigt nur noch, meinem verehrten Chef und Lehrer Herrn
Hofrat Fuchs meinen innigsten Dank für die Überlassung des Ma-
terials und. die vielfache Unterstützung auszudrücken.
Literaturverzeichnis.
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2) — Über die eitrire metastische Ophthalmie, besonders ihre Ätiologie und
prognostische Bedeutung. v. Graefe's Arch. f. Ophth. Bd. XL, 3. S. I.
1594.
à! Bietti, Panoftalmite e cheratoipopion da bacillo sottile. La clinica oculi-
stica. VI. 1907.
334 R. Tertsch, Über den Ringabscess der Cornea.
4) Fuchs, Über Ringabscess der Hornhaut. v. Graefe’s Arch. f. Ophth.
Bd. LVI, 1. S. 1. 1903.
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grés intern. d'Opht. Luzern 1904. S. 10.
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abscesses der Cornea. Zeitschr. f. Augenheilk. Bd. X, 5. S. 373. 1903.
1)Happe, Über den Ringabscess der Cornea. Ophth. Ges. in Heidelberg.
1907. S. 313.
8) Kayser, Ein Beitrag zur Frage der Pathogenitit des Bacillus subtilis.
Zentralbl. f. Bakt. Bd. XXXIII, 4. S. 241. 1903.
9) Mac Nab, Bemerkungen zum Vorkommen des Bacillus pyocyaneus am
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10) Makai, Bakteriologische Befunde bei akuten Bindehauterkrankungen an der
Hand von 100 Füllen. Arch. f. Augenheilk. Bd. LVIII. S. 131. 190%.
11) Michalsky, Ein dem Bacillus subtilis áhnlicher Conjunctivitis- Bacillus.
Rouski Wratsch. Nr. 34. 1909.
12) Morax, L'abscés annulaire de la cornée et sa signification, Annal. d'Oculist.
T. CXXXII. p. 409.
13) Stoewer, Ein Fall von Ringabscess der Hornhaut. Klin. Monatsbl. f.
Augenheilk. Bd. XLV, 3. S. 372. 1907.
14) Zur Nedden, Über einige seltene bakteriologische Befunde beim Ulcus
serpens. Arch. f. Augenheilk. Bd. LII. S. 143. 1905.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XII, Fig. 1 u. 2.
Fig. 1. (8fache Vergrösserung.) Vertikaler Durchschnitt durch den Bulbus
des Falles VII. (Tu = nekrotischer Tumor, der den Glaskörperraum erfüllt.
Ki = Rınginfiltration in der Hornhaut.)
Fig. 2. (17fache Vergrösserung.) Hornhaut des Falles VII mit Ringabscess.
(Ne = nekrotische, hinterste Lamellen der Hornhaut.)
Aus der Universitüts-Augenklinik zu Greifswald. (Direktor: Prof. P. Römer.)
Zur Frage der primären Sehnervengeschwäülste.
Von
Privatdozent Dr. Walther Löhlein,
Assistenten der Klinik.
Mit Taf. XIII, Fig. 1.
Die Beurteilung der primären Tumoren des Nervus opticus hat
verschiedentliche Wandlungen durchgemacht, und wenn ich auch unter
Hinweis auf die zusammenfassenden Besprechungen der älteren Lite-
ratur bei Braunschweig, Jocqs, Salzmann, Helbron u. A. auf
deren Ergebnisse im einzelnen nicht einzugehen brauche, so sind wohl
doch ein paar Worte darüber am Platze, wie sich unsere heutigen
Anschauungen von der Natur dieser seltenen Geschwülste entwickelt
haben.
Bei der für die überwiegende Mehrzahl der beschriebenen Tu-
moren geradezu charakteristischen Vielgestaltigkeit des histologischen
Befundes in ein und demselben Fall, die von den meisten Beobach-
tern betont wird, hat es nichts auffallendes, dass der subjektiven Auf-
fassung im Einzelfall bei der Diagnosenstellung ein weiter Spielraum
gelassen war, und dass infolgedessen in der älteren Literatur eine ver-
wirrende Vielheit der Namen herrscht, die es von vornherein unwahr-
scheinlich macht, dass es sich um ebensoviele selbständige Geschwulst-
gattungen gehandelt haben sollte.
Einen erheblichen Schritt vorwärts bedeutete es unter diesen
Umständen, als sich Vossius, Braunschweig, Salzmann, Jocqs.
Byers u. A. der Mühe unterzogen, das vorliegende Material kritisch zu
sichten; das Vorkommen echter Neurome wurde verneint, die Berech-
tigung der Bezeichnung Gliom für die meisten Fälle in Zweifel ge-
zogen, da man die sehr oft beobachtete Wucherung der Neuroglia
als sekundär betrachtete, und die anfänglich vielfach überschützte
diagnostische Verwertung des Vorkommens von Schleim oder schleim-
ähnlicher Substanz in den Geschwülsten beseitigt. Das Resultat war
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 2. 22
336 W. Löhlein
eine sehr vereinfachte Klassifizierung der am Optikus vorkommenden
primären, d. h. intradural entstandenen Geschwülste, wie sie z. B.
Braunschweig(1893) gibt: „Sämtliche Schnervengeschwülste gehören
zu den bindegewebigen Neubildungen.... Nach den konstituierenden
Bestandteilen lassen sich zwei Gruppen unterscheiden, von denen die
kleinere die Geschwülste endothelialer Natur enthält, während in die
weit umfangreichere alle diejenigen Tumoren fallen, welche als My-
xome, Myxosarkome, Neurogliasarkome, Fibrosarkome, Myxoma fas-
ciculare usw. beschrieben sind.*
In der Tat sind die in der Folge mitgeteilten Fälle, abgesehen
von den seltenen Endotheliomen, meist als Myxosarkome bezeichnet
worden, und auch die Monographien über die pathologische Anatomie
des Auges von Ginsberg (1903), Herbert Parsons (1905) und Greeff
(1902—06) vertreten im wesentlichen diese Auffassung von der Natur
der Optikustumoren, indem sie das Vorkommen echter primärer glio-
matöser Veränderung bezweifeln.
Die Mitteilung weiterer Einzelbefunde würde unter diesen Um-
ständen wenig Interesse bieten, wenn nicht die Literatur der letzten
‚Jahre gezeigt hätte, dass diese bisherige Auffassung von der Natur
der Sehnervengeschwülste durchaus nicht mit allen Befunden in Ein-
klang zu bringen ist und offenbar der Revision bedarf.
Sehen wir ganz ab von den kasuistischen Mitteilungen der letzten
Zeit, die uns in diesem Zusammenhange nicht interessieren und die
darum nur kurz aufgeführt werden mögen (1902: Buller, Fibrom
des Sehnervenstammes; Pick, Myxosarkom. 1903: Pockley, Rund-
zellensarkom der Scheiden; Werner, Sarkom der Pia und Myxosar-
kom. 1904: Franke und Delbanco, Fibroendotheliom der Scheiden;
Dehogues, Neurom. 1905: Mavou, Neurofibromatose; Santucci,
Endotheliom; Tschristjäkow, Glioma myxomatodes; Helbron, ein
Endotheliom, zwei Spindelzellensarkome der Scheiden, zwei Sarkome
der Sehnerven; Duroux et Grandelement, Gliom. 1907: Ssi-
tschew, Fibromelanosarkoma globocellulare: Mysling, Myxosarkoım;
de Vries, Endotheliom), so sind es im wesentlichen die Arbeiten von
Emanuel, Golowin und Fischer, die ein alleemeineres Interesse
für sich in Anspruch nehmen können. insofern sie in histologischer
und ätiologischer Beziehung neue Gresichtspunkte aufstellen.
Auf den genügend bekannten Versuch Emanuels, die primären
Geschwälste mit der Elephantiasis neuromatodes der peripheren Ner-
ven in Parallele zu setzen, brauche ich hier nicht einzugehen, auch
Golowins Auflassung von der Natur der Optikustumoren, die mit
Zur Frage der primären Sehnervengeschwülste. 337
derjenigen Emanuels in einen gewissen Zusammenhang gebracht wer-
den kann, sei nur kurz erwähnt: Golowin fand bei der histologischen
Untersuchung dreier Optikusgeschwülste ein durchaus polymorphes Ge-
webe, Odem und starke Entzündung überall im engsten Zusammen-
hang mit den neugebildeten Zellen. Dieser Befund und die Tatsache,
dass Optikustumoren oft im Anschluss an Traumen und Allgemein-
erkrankungen beobachtet werden, führen Golowin zu der Annahme,
dass es sich um ähnliche Fälle handelt, wie sie Emanuel u. A. be-
schrieben haben, um eine Elephantiasis oder Fibromatosis nervi optici.
Die Pathogenese denkt Golowin sich folgendermassen: Irgendeine
Schädlichkeit (Bakterien, Toxine) kommt intradural zur Wirkung; es
folgt Entzündung, Verklebung der Scheiden, Ernährungsstörungen,
Ödem, Hyperplasie aller Gewebsarten.
Geht schon aus diesen abweichenden Auffassungen hervor, dass
die Frage nach der Natur der Optikusgeschwülste zurzeit durchaus
noch nicht als geklärt bezeichnet werden kann, so sind eingehende
Untersuchungen jedes Einzelfalles neuerdings besonders dadurch wün-
schenswert geworden, dass es Emanuel (1902) in zwei Fällen, Sour-
dille (1904) und Fischer (1908) in je einem Fall gelungen ist, mit
Hilfe der spezifischen Neurogliafärbungen den Nachweis zu führen,
dass es im Gegensatze zu der herrschenden Ansicht, echte primäre
gliomatóse Entartung des Sehnerven unter dem Bilde des primären
Optikustumors gibt, und die Ausführungen Fischers lassen es nicht
unwahrscheinlich erscheinen, dass auch unter den früher schon ge-
legentlich als Gliom bezeichneten , Tumoren, vielleicht auch unter den
sog. Myxosarkomen älterer Autoren echte Gliome gewesen sind.
Unter diesen Umständen gewinnt ein Fall gliomatöser Entartung
des Optikus an Interesse, der im Sommer 1908 an der hiesigen Kli-
nik nach Krönlein operiert wurde und dessen Beschreibung ich hier
zunächst folgen lasse.
Krankengeschichte.
Karl B., Tagelöhner, 35 Jahre alt. (J. 1908. 279.)
Der Patient suchte im Juni 1908 die Klinik auf mit der Angabe, dass
er auf dem rechten Auge allmählich völlig erblindet sei.
Er stammt von gesunden Eltern und ist selbst nie ernstlich krank
gewesen. Schon als Soldat — d. h. vor 13 Jahren sah er auf dem
rechten Auge schlechter als links und hat daher links geschossen. Das
Sehvermögen des rechten Auges nahm allmählich immer mehr ab und ist
seit etwa acht Jahren fast ganz erloschen gewesen. Jetzt bestelit Blindheit.
Seit zwei Jahren hat B. bemerkt, dass sein rechtes Auge langsam
immer mehr aus der Augenliöhle vortrat; die dadurch bedingten Reizzustände
99*
33S W. Löhlein
führen den Patienten in die Klinik. Eines Anlasses für die Erblindung,
speziell eines Unfalles kann er sich nicht erinnern.
Befund: Kräftiger, gesunder Mann.
Linkes Auge normal V — ^|.
Rechtes Auge. Der Bulbus steht sehr stark nach vorne protrudiert
und ist ganz leicht nach oben abgelenkt. Untersuchung mit Hertels
Exophthalmometer ergibt, dass der Hornhautscheitel rechts 13 mm weiter
vorsteht als links; das Auge kónnte mit Leichtigkeit aus der Orbita luxiert
werden. Das völlig erblindete Auge ist nicht in Divergenz getreten; es
zeigt sich aktiv und passiv nach allen Richtungen beweglich und folgt der
Blickrichtung des linken Auges prompt. Passive Rückwärtsbewegung ist
möglich und nicht schmerzhaft. Der Bulbus und seine Teile zeigen nor-
male Grüssenverhültnisse. Der Orbitalrand erweist sich ringsum normal;
umtastet man den Bulbus von unten her, so fühlt man 1!|,cm hinter dem
unteren Orbitalrand eine weich konsistente, ziemlich glatt begrenzte, nicht
fluktuierende Masse, die keinen Zusammenhang mit dem Orbitalboden er-
kennen lässt.
Die Lider können nur mühsam über dem Auge geschlossen werden.
Mässige Injektion der Conj. bulbi. Cornea, Vorderkammer, Iris normal. Pu-
pille weit, rund, reaktionslos.
Ophthalmoskopisch: Absolute Atrophie des Optikus mit scharfen Pa-
pillengrenzen; an den Gefässen, der Macula und Peripherie nichts ab-
normes.
Diagnose: Sehr langsam gewachsener retrobulbärer Tumor (Optikus-
geschwulst?).
24. VI. 08. Operation: Es wird unter temporärer Resektion der
äusseren Orbitalwand nach Krönlein die Orbita freigelegt. Es findet sich
ein etwa walnussgrosser, ziemlich glatt begrenzter Tumor, der mit seinem
vorderen Ende nahe dem Bulbus aus dem Nervus opticus hervorragt und
sich von den Seiten her überall glatt abtastbar in die Tiefe der Orbital-
pyramide hineinerstreckt. An deren Spitze ist er nicht mehr zu umtasten
und kann daher an seinem hinteren Ende nicht in toto entfernt werden;
der Optikus wird dicht hinter dem Bulbus durchtrennt. Der Augapfel
bleibt erhalten; auf die Musculi recti konnte bei der Ausdehnung und
tiefen Lage des Tumors nicht Rücksicht genommen werden. Tampon. Nähte.
30. VI. Nähte zum Teil entfernt. Tampon sauber. Keine Temp.-
Steigerung. Cornea anästhetisch, sonst intakt. Aktive Bewegungen des
Bulbus fast aufgehoben.
3. VII. T. n. Der Bulbus ist etwas zurückgesunken, steht gerade-
aus gerichtet; nur leichte Hebung möglich. Lidhebung gering, Lidschluss
prompt. Cornea unverändert. Die Netzhautgefässe erscheinen als unter-
brochene rote Linien.
11. VII. Wunde sauber geschlossen. Noch geringes Ödem der Lider,
aus dem sich woll die relative Ptosis erklärt (Lidspalte nicht über 5 mm).
Entlassen.
1. Nachuntersuchung: !!, Jahr nach der Operation,
Keine Zeichen eines Rezidives. Gutes Allgemeinbefinden. Auf der
Seite der Operation besteht geringer Enophthalmus; Lidschluss und Hebung
Zur Frage der primáren Sehnervengeschwülste. 339
des Oberlides sind herabgesetzt. Von Bulbusbewegungen ist nur eine ge-
ringe Hebung erhalten. T. n. Conj. bulbi injiziert; Conj. bulbi teilweise,
Cornea in toto anästhetisch. Auf der im übrigen klaren Hornhaut liegen
im Lidspaltenbereich 3 kleine, leicht graubraun erscheinende, sehr ober-
flächliche Trübungen.
Die Umgebung der Papille erscheint grauweiss gefleckt, die Netzhaut-
gefässe sind nur an wenigen Stellen noch zu erkennen.
2. Nachuntersuchung: 1 Jahr nach der Operation.
Keine Zeichen eines Rezidives oder einer Metastase. Operationsnarbe
kaum mehr zu erkennen. Lidschluss und Lidhebung auch jetzt noch un-
vollkommen. Von Bulbusbewegungen besteht geringe Aufwärts- und Ab-
wärtsbewegung. Bindehaut und Hornhaut unverändert, die leichten Trü-
bungen der letzteren im Lidspaltenbereich sind unter geringer Gefässentwick-
lung eher etwas zurückgegangen. Sonst der alte Befund.
Mit Rücksicht auf die geringe Zahl sicher gestellter gleichartiger Fälle
ist es kaum angängig, klinische Daten eines Einzelfalles zu verallgemeinern.
Vor allem möchte ich aus der Tatsache, dass trotz unreiner Exstirpation
der Geschwulst nach einem Jahre noch keinerlei Anzeichen neuen Wachs
tums zu bemerken sind, nicht auf eine besondere Gutartigkeit schliessen.
Denn bekanntermassen kann eine gliomatöse Wucherung im Gehirn — an
ein solches Fortwuchern wäre ja in erster Linie zu denken — lange Zeit
fast symptomlos bleiben; und an die Gefahr dieser Propagation hat der
dem meinen ähnliche Fall M. K. von Emanuel kürzllich wieder erinnert,
der 4 Jahre nach der unreinen Entfernung eines intrapialen Optikusglioms
unter den Symptomen einer Ausbreitung des Prozesses auf die intracraniellen
Teile der Sehbahn zum Exitus kam.
Anatomischer Befund.
Der Tumor war etwa walnussgross, von ziemlich glatter Oberfläche
und in situ von der Gestalt einer Pflaume; die Konsistenz war weich
elastisch, nicht fluktuierend. Die entfernte Geschwulstmasse stellt nicht den
ganzen Tumor dar, da dieser an der Spitze der Orbita quer durchtrennt
werden musste; sie zeigt — wie das meist beschrieben ist — infolgedessen
mehr birnfórmige Gestalt. Den Stiel bildet ein etwa 8 mm langes Stück
des Optikus dicht hinter seinem Eintritt in den Bulbus, das ungefiühr die
normale Stärke zeigt. Aus ihm entwickelt sich allmählich, an Dicke zu-
nehmend, die Geschwulst, die etwa 2cm lang ist und deren hinterer Quer-
schnitt einen Durchmesser von 2!| em hat. Dieser — operativ erzeugte
— Querschnitt lässt erkennen, dass der eigentliche Tumor von einer un-
unterbrochenen, von der Geschwulst sich leicht ablösenden dünnen Hülle —
der Dura — umgeben ist; der Geschwulstquerschnitt lässt eine bandförmige
äussere Zone von 7 mm Breite und graubräunlicher Färbung unterscheiden
von einem sequesterartig im Innern dieses Geschwulsttrichters liegenden
Kern, der einen Durchmesser von 10—12 mm hat, mit der die Wandung
bildenden Geschwulstmasse nur durch schmale Gewebsbrücken verbunden
ist und sich von ihr ausserdem durch seine körnigslasige Beschaffenheit
und seinen Reichtum an Blut und Blutpigment abhebt.
Fixierung in Zenkerscher Flüssigkeit; Einbettung in Celloidin. Das
340 W. Lóhlein
Präparat wurde sagittal halbiert und so einerseits Längsschnitte, andeıseits
halbe Querschnitte aus den verschiedenen Teilen erhalten.
Die Lupenuntersuchung (vgl. die Abbildung auf Taf. XIII) an
Längs- und Querschnitten zeigt, dass — abgesehen von der operativen
Durchtrennung am hinteren Ende der Geschwulst — der Tumor überall von
der unverändert erscheinenden Dura des Optikus umhüllt ist, die normale
Dicke zeigt, mit dem Tumor nicht verwachsen scheint und stellenweise
durch kleine Blutungen sogar etwas von ihm abgehoben ist. Das den Stiel
der Geschwulst bildende Sehnervenstück ist von normaler Dicke und zeigt
nahe der Stelle, wo der Nerv beginnt in die Geschwulst überzugehen, Durch-
schnitte der Zentralgefüsse. Die eigentliche Tumormasse liegt fast aus-
schliesslich intrapial; die Arachnoidea und Pia sind zwar etwas breiter als
normal, doch tritt ihre Veränderung völlig in den Hintergrund gegenüber
der enormen Anschwellung, die der Nerv selbst erfahren hat. Dieser be-
ginnt etwa 1cm hinter dem Bulbus sich gleichmässig birnförmig zu ver-
breitern und bildet so die Geschwulst, die sich auf dem Längsschnitt in
Farbe und Konsistenz nicht von dem den Stiel bildenden Sehnervenstück
unterscheidet. Nachdem der Durchmesser das 4—5fache desjenigen eines
normalen Optikus erreicht hat, nimmt die Geschwulst nach hinten zu
Trichterform an, indem sich in ihrem Zentrum eine Höhle zeigt, die von
einer nekrotischen, sequesterartigen Masse von der Grösse einer Kirsche
ausgefüllt wird. (Vgl. die Abbildung.)
Mikroskopischer Befund.
Bei der Besprechung der mikroskopischen Untersuchung wird es sich
empfehlen, jeweils von dem mit dem Tumor entfernten Sehnervenstück, als
dem relativ normalsten Teile des Präparates auszugehen.
1. Dura. Die Dura ist auf allen Querschnitten vom Tumor nicht
durchbrochen; sie liegt dem in den Tumor übergehenden Sehnerven-
stück ziemlich lose an, ist hier von normaler Dicke, verhältnismässig kern-
arm und nur reich an Blutungen. Wo sie den Tumor überkleidet, verdünnt
sie sich — besonders nach dessen dickster Stelle hin — erheblich, ist aber
überall frei von Geschwulstelementen und auch von den Zellmassen des
Intervaginalraumes deutlich abgrenzbar.
2. Intervaginalraum. Der Zwischenscheidenraum zeigt — einerlei ob
man ihn an dem noch als ziemlich unveränderter Sehnerv erkennbaren Stiel der
Geschwulst oder an der Oberfläche des Tumors selbst untersucht — ein
recht wechselndes Verhalten; auf weite Strecken hin erweist er sich als
völlig normal, ein ziemlich schmaler Spalt, in dem die zarte Arachnoidea
sich meist der Pia angelegt hat. Daneben sind vielfach Stellen zu finden,
an denen eine deutliche Hyperplasie der Arachnoidea stattgefunden hat.
Das bindegewebige Balkenwerk ist vermehrt und auch das Endothel ist
zweifellos vielfach etwas gewuchert. Was die Vermehrung der Bindegewebs-
brücken zwischen Pia und Arachnoidea anlangt, so mag dieselbe allerdings
zum guten Teil auf die zahlreichen Blutungen zurückzuführen sein, die sich
im Intervaginalraum finden und die offenbar vielfach das Gerüst der Arach-
noidea aufzelockert und die einzelnen Fasern auseinander gesprengt haben.
An andern Stellen hat man den Eindruck einer Auffaserung der äusseren
Zur Frage der primären Sehnervengeschwülste. 341
Schichten der Pia, teils durch Blutungen, die in gleicher Weise auch im
Gewebe der Pia hier und da vorkommen, teils aber wohl auch durch eine
Wucherung der Endothelien der Arachnoidea; eine solehe Wucherung muss
angenommen werden, denn einmal findet man das vermehrte Gitterwerk
der Arachnoidea überall mit Endothel versehen, und zweitens sieht man an
einzelnen Stellen kleine Endothelhaufen mit Vorliebe der Arachnoidea der
Dura angelagert. Die stärkste Verbreiterung des Intervaginalraumes liegt
an einer Stelle, die etwa auch der dicksten Partie des Tumors entspricht.
Sie beträgt etwa 1!|,mm; an dieser Stelle zeigt sich eine mehr schwielige
Verdickung des arachnoidalen Bindegewebes in der Umgebung frischer und
älterer (grosse Pigmenthaufen) Blutungen in den Zwischenscheidenraum;
in dieser Partie besteht hyaline Degeneration der Gefässwände der Araclı-
noidea, Nekrose des vermehrten Endothels und mässige Rundzelleninfil-
tration.
Diese am stärksten verdickte Partie des intervaginalen Gewebes zeigt
auch eine erhebliche Auffaserung der pialen Bindegewebsfasern, besonders
der äusseren cirkulär verlaufenden Fasern, die stellenweise ohne deutliche
Grenze in das Gitterwerk der arachnoidalen Bälkchen übergehen und wie
diese meist durch reichliche Blutaustritte auseinander gedrängt sind; doch
erkennt man in den so entstehenden Maschen hier und da auch Endothel-
zellen, meist nur in einfacher Lage, die dann oft nekrotisch, häufig ge-
quollen erscheinen, oft auch Blutpigment aufgenommen haben, das überall im
Zwischenscheidenraum, vielfach in grossen Haufen lieg. An dieser Stelle
stärkster Wucherung im Scheidenraum zeigt die Pia auch die stärkste Ver-
änderung, so dass man sie hier auf eine kurze Strecke eigentlich nur
dureh ihren Verlauf von den benachbarten, etwa normal dieken Septen
unterscheiden kann, denen sie an Breite kaum mehr gleichkommt. Man
gewinnt dabei nieht den Eindruck, dass es sich um ein Hindurchwuchern
des intervaginalen Gewebes in das Innere der Nerven handelt: Die Endo-
thelien dringen nirgends als geschlossene Zellhaufen oder Zapfen durch das
Bindegewebe der Pia. Vielmehr scheint dieses durch den Druck der intra-
pialen Tumormasse einerseits, des gewucherten Scheidengewebes andeıseits
verdünnt und teilweise im Absterben begriffen; dafür spricht die auf diese
Stelle beschränkte hyaline Degeneration seiner Gefässwandungen und ihrer
Umgebung. Auch die Anordnung des intrapialen Tumorgewebes, der kon-
zentrisch ceirkuläre Verlauf der Septen im Tumor auch an dieser Stelle
macht es sehr unwahrscheinlich, dass hier ein Hineinwachsen des hyper-
plastischen Gewebes des Intervaginalraumes in das intrapiale Gebiet statt-
gefunden haben sollte.
Auf die zalılreichen Blutungen und die Anhäufung von Blutpigment
im Zwischenscheidenraum wurde schon hingewiesen. Das Pigment liegt
vielfach frei zwischen den Zellen, vielfach ist es von Rundzellen, stellen-
weise auch von den Endothelien der Arachnoidea aufgenommen. In grosser
Zahl finden sich im Zwischenscheidenraum Corpora amyloidea, die nie im
pialen Gewebe, relativ selten zwischen den Bälkchen der Arachnoidea,
meistens der Durainnenfläche benachbart liegen. Sie sind besonders zalıl-
reich im Scheidenraum des Gesehwnlststieles, wo sie oft zu 3, auch 5 oder
6 zusammen liegen. Sie sind von verschiedener Grösse, die kleineren er-
342 W. Löhlein
scheinen mehr rundlich, die grösseren lassen eine vieleckige oder wellige
Oberfläche erkennen, sie sind glasig durchscheinend und zeigen, je grösser
sie sind, desto deutlicher eine konzentrische Schichtung, meist um ein ho-
mogen erscheinendes Zentrum, um das sich teils schmalere teils breitere
Schichten oft in grosser Zahl anlegen. Häufig gehen die äussersten Schich-
ten allmählich über in einige Lagen konzentrisch angeordneter Zellen, deren
Kerne deutlich zu erkennen sind. Nach van Gieson färbt sich dieser
äussere Zellmantel, der aber durchaus nicht immer nachweisbar ist, rot.
Tinktoriell verhalten sich die Gebilde nicht ganz einheitlich; mit Jod färben
sie sich gelb, nicht braun, bei Zusatz von Schwefelsäure nach der Jodie-
rung nehmen sie keinen violetten Ton an, auch die Metachromasie bei
Färbung mit Gentianaviolett bleibt aus; die Körperchen geben also nicht
die Amyloidreaktionen und gehören zur Gruppe der Corpora flava (nach
Siegerts Bezeichnungsweise). Bei der Färbung mit Hämatoxylin und bei
der van Gieson-Methode verhalten sich die Gebilde — auch des gleichen
Präparates — wechselnd, insofern nicht nur die einzelnen Zonen jedes ein-
zelnen Körperchens sehr verschieden stark die Farbe annehmen, sondern
auch die Farbe der verschiedenen Gebilde bei der Hämatoxylinfärbung zwischen
hellblaubraun und dunkelbraun, bei der van Gieson-Methode zwischen
gelbrosa und dunkelbraunrot schwankt.
Bezüglich der Pia ist schon oben näher besprochen, dass neben er-
heblichen Partien, wo dieselbe normal erscheint, Stellen vorkommen, an
denen sie durch Einlagerung von Pigment, durch Blutaustritt, durch Kom-
pression, durch Einwandern von Endothel aufgelockert und — vereinzelt —
stark verdünnt erscheint. Es bleibt noch zu erwähnen, dass daneben auch
mehrfach Partien in der Pia linsenfórmige Verdickungen aufweisen, die aus
ziemlich kernarmem Bindegewebe bestehen und gegen das intrapiale Gewebe
hin eine glatte Oberflüche zeigen (vgl. Fig. 1). Das Verhalten der Pia-
Innenfläche zum Bindegewebe der Septen erscheint im übrigen normal.
Eine Auffaserung oder Durchwucherung der Pia von innen her ist nicht
nachweisbar.
Das intrapiale Gewebe zeigt im Geschwulststiel bei schwacher
Vergrösserung das ziemlich normale Bild des Sehnerven. Der Nerv er-
scheint hier von etwa normalem Durchmesser, die Bindegewebssepten sind
regulär angeordnet, scheinen an Zahl weder vermehrt noch vermindert, viel-
leicht stellenweise etwas verdickt, aber kaum kernreicher alg gewöhnlich.
Die Gefässe der Septen zeigen keine erheblichen Veränderungen, sind aber
häufig von Rundzellenhaufen umgeben. Die Art. centr. ret. erscheint völlig
normal. Zwischen dem Bindegewebe der Septen ist ebenso wie in den
interseptalen Räumen sehr reichlich Blutpigment angehäuft. Die an den
nachträglich chromierten Schnitten ausgeführte Weigertsche Markscheiden-
färbung lässt nirgends erhaltene Markscheiden erkennen. Dieser totalen
Degeneration der nervösen Elemente entspricht das häufige Vorkommen von
INörnchenzellen sowie von den im atrophischen Sehnerven oft beobaslıteten
amyloidähnlichen Körperehen in den Maschen zwischen den Septen. Diese
Räume sind im übrigen ausgefüllt von einem dichten Filz von Gliafasern,
in dem neben spärlichen Rundzellen die an einzelnen Stellen deutlich ver-
melhrten Kerne der Gliazellen liegen. Diese Gliakerne stehen meist nicht
Zur Frage der primáren Sehnervengeschwülste. 343
besonders dicht an der Wand der bindegewebigen Septen, sondern dichter
ın den zentralen Teilen der Maschenräume.
Dieses atrophische periphere Sehnervenstück geht nun kurz hinter der
Stelle, wo die Vasa centralia zuerst in den Schnitten zu sehen sind, ohne
deutliche Abgrenzung in den eigentlichen Tumor über, der zunächst noch
auf Querschnitten den Eindruck eines auf das vielfache verbreiterten, im
Querschnitt ziemlich genau kreisrund bleibenden Sehnerven macht und keine
Elemente enthält, die nicht auch schon in dem atrophischen Sehnervenstück
vorhanden waren. Querschnitte, die noch nahe dem Tumorstiel gelegen
sind, lassen das Septennetz ziemlich unverändert erkennen, und an Längs-
schnitten kann man diese Septen als direkte Fortsetzung derjenigen des
Nerven deutlich verfolgen (s. Abb.). Eine Änderung erfolgt nur insofern,
als die Septen in der Peripherie mehr eine konzentrische Anordnung er-
halten und einander näher liegen als die zentralen, deren Maschenräume
vielfach erweitert erscheinen. Die Septen selbst erscheinen eher dünner als
im Nerv, ja nach der Mitte des Tumors zu bilden die zentral gelegenen
Septen kein zusammenhängendes Netz mehr, sondern erscheinen auf dem
Querschnitt oft als isolierte Bündel, deren Gefässe sehr starke hyaline De-
generation erleiden. Diese hyalinen Massen und zahlreiche Blutungen und
Pigmenthaufen beherrschen das Bild in den zentralen Partien des Tumors,
in dessen Mitte die hochgradigen Ernährungsstörungen schliesslich zur Abgren-
zung eines kleinkirschgrossen nekrotischen Kernes geführt haben, der se-
questerartig im Innern des Tumors liegt und mit diesem nur noch an einem
Teil seiner Peripherie verwachsen ist. Dieser nekrotische Kern des Tumors
besteht im wesentlichen aus grossen homogenen Massen, in deren Mitte Ge-
fässlumina der verschiedensten Weite gelegen sind. Die stellenweise kon-
zentrische Anordnung um diese Lumina und die orangerote Farbe, die sie
nach van Gieson annehmen, lassen sie als die Endprodukte der hyalinen
Umwandlung erkennen, die in der Umgebung der Gefässe in den zentrale-
ren Partien des Tumors überall zu beobachten war. Daneben enthält der
nekrotische Kern Partien, die noch eine dichtfaserige Struktur bei fast völ-
ligem Kernmangel erkennen lassen, sowie zahlreiche grosse und kleine
Blutungen.
Bei der geringen Stärke der bindegewebigen Septen muss die enorme
Verbreiterung des Nervenquerschnittes, die den Tumor bildet, auf das in
den Septenmaschen enthaltene Gewebe zurückgeführt werden. Der ganze
Raum zwischen den Septen wird nun fast völlig ausgefüllt von dem ausser-
ordentlich vermehrten dichten Faserwerk der Neuroglia, das einen weit
über die Norm hinausgehenden Kernreichtum aufweist. Dieser dichte Glia-
filz zeigt in den Längsschnitt-Präparaten eine der Richtung des Nerven ent-
sprechende Anordnung zu Längsbalken entsprechend den Maschenräumen
des Septennetzes. Vielfach sieht man solche Gliazüge durch schmale Hohl-
räume getrennt, die wohl sicher zum Teil als artifiziell anzusehen sind und
mit dem von Elschnig experimentell erwiesenen „Einbettungsödem“ der
Sehnerven gleichwertig sein dürften. Deutlich sieht man zwischen den solche
Lücken umgebenden Gliamassen zahlreiche Gliafasern herüber und hinüber
laufen. Daneben finden sich allerdings auch vielfach lockerer gefügte Felder
im Glianetz, die mit einer homogenen geronnenen, durch Eosin leicht rosa
344 W, Löhlein
‚gefärbten Masse ausgefüllt sind; hier muss man wohl echte ódematóse
Durchtränkung infolge der Gefässveränderungen annehmen, zumal sich in-
mitten dieser homogenen Masse oft Körnchenzellen und gelegentlich Rund-
zellen finden. Nirgends liess sich in diesen Zwischenräumen Schleim naclı-
weisen. Von erhaltenen Nervenfasern ist nichts zu finden. In sehr grosser
Zahl finden sich dafür die typischen Körnchenzellen in ausserordentlich
wechselnder Grösse, farblos oder bei van Gieson oft schwach orange-
farben, meist mit einem kleinen runden, ziemlich dunkelgefärbten Kern,
oft kernlos. Solche Körnchenzellen finden sich meist einzeln von einem
dichten Netz von Gliafasern umgeben, öfters in kleinen Gruppen, Lücken
im Gliafilz füllend oder gelegentlich auch in Reihen nebeneinander ge-
lagert; daneben finden sich ferner die vielfach in atrophischen — ge-
legentlich auch in normalen Sehnerven beschriebenen — Corpora amylacea
in grosser Zahl meist in Gruppen zusammenstehend und dann von sehr
verschiedener Grösse; sie ähneln in der Form den oben für den Inter-
vaginalraum beschriebenen Gebilden, sind aber durchweg kleiner, zeigen
oft gar keine, meist jedenfalls eine viel ärmere und undeutlichere
Schichtung. Sie färben sich mit Jod gelb, mit Hämatoxylin dunkelblau,
nach van Gieson braunviolett; sie zeigten keine Verkalkung (Probe mit
Arg. nitr.. Sehr intensive Färbung der Körperchen erhielt ich mit der
Weigertschen Fibrinfärbung. In den auf Blutpigment nach Perls und
nach Quinke untersuchten Präparaten nahmen die Corp. amyl. sowohl des
Scheidenraumes als des intrapialen Gewebes die blaue resp. schwarzgrüne
Farbe an; sie scheinen also Blutfarbstoff absorbieren zu können. Die starke
hyaline Degeneration der Gefässwände nach dem Zentrum des Tumors zu,
die zahlreichen Blutaustritte und die reichliche Ablagerung von Blutpigment
— die stärkste Anhäufung desselben findet sich ganz regelmässig in den
periphersten Teilen des Tumors und im Zentrum des Geschwulststieles —
wurden schon erwähnt.
Etwas näher aber muss ich auf die gewucherte Glia zu sprechen
kommen, die das eigentliche Tumorgewebe darstellt. Schon die Schnitt-
präparate zeigten besonders deutlich bei Anwendung der van Giesonfärbung
mit Weigertschem Eisenhämatoxylin, dass wir es mit einer enormen Ver-
mehrung des Gliafaserfilzes und einer erheblichen Vermehrung der Kerne zu tun
haben. Die Anordnung der vermehrten Kerne war eine ganz uncharakteristische.
In den peripheren Partien macht es zwar stellenweise den Eindruck,
als erfolge die Proliferation besonders in der Umgebung der bindegewebigen
Septen, wie das in den Fällen von Michel und Emanuel beobachtet ist.
Nach dem Zentrum zu dagegen, wo die Struktur überhaupt von der eines
verbreiterten Selinerven durch die vielfachen Unterbrechungen der Septen
immer mehr abweicht, lösen kernreichere und kernärmere Gliapartien in
ganz unregelmässiger Weise einander ab. Gelegentlich hat man an einzelnen
Stellen den Eindruck einer nestartigen Anhäufung der in ihrer Gestalt von
der Norm nicht oder doch nur wenig abweichenden Kerne. Die Kerne des
gewucherten Gliagewebes, die an Zahl stark vermehrt sind, liegen, wie er-
wühnt, ziemlich unregelmässig zwischen dem Faserwerk verteilt, öfters zu
kleinen diehteren Gruppen vereinigt. Sie sind teils rund und dann meist
etwas stärker färbbar, meist aber oval, blass gefärbt mit stark hervor-
Zur Frage der primüren Sehnervengeschwülste. 345
tretenden Kernkörperchen. Sehr häufig ist ein Protoplasmasaum überhaupt
nicht nachweisbar, oft jedoch ist ein Zelleib sichtbar, der dann meist nicht
sehr gross, oft unregelmässig spindelig oder vieleckig ist und sich nur
schwach färbt. Sehr häufig sah ich kleine sternförmige Zellen mit schmalem
Protoplasmaleib und mehreren, meist ziemlich kurzen, krausen Fortsätzen,
wie sie Leber u. A. in der gewucherten Glia atrophischer Sehnerven be-
schrieben haben (Gr. Arch. 1868. Taf. VII). Grosse Sternzellen fanden
sich nicht.
Die Fasern des Gliafilzes, die sich nach van Gieson orange färben, sind
bei dieser Färbung nur unscharf zu erkennen, während ihr Verlauf bei
Weigerts Neurogliafärbung sehr deutlich wird; ich wandte Storchs Modi-
fikation der Weigertschen Methode an und erhielt, wenn auch durchaus
nicht gleichmässig, auf allen Präparaten trotz der wenig geeigneten Fixierung
eine deutliche Färbung eines grossen Teiles der Fasern. Diese waren teils
von normaler Gestalt und Dicke, teils in toto oder streckenweise verdickt,
gelegentlich mit kolbigen Enden versehen. Korkzieherformen, wie ich sie in
Zupfpräparaten ebenso wie andere gesehen hatte, konnte ich in den Neu-
rogliaschnittpräparaten nicht erkennen.
Epikrise.
Wir haben es also hier mit einem ganz ähnlichen Fall von glio-
matöser Degeneration des Optikus zu tun, wie sie Emanuel und
Fischer mitgeteilt haben. Eine ziemlich kernreiche glióse Wuche-
rung hat das Parenchym des Nerven ersetzt und unter Auseinander-
drängung der bindegewebigen Septen eine walnussgrosse Geschwulst
gebildet, von der wir nach den anamnestischen Daten annehmen müssen,
dass sie schr langsam im Laufe vieler Jahre entstanden ist. Die Ge-
schwulst ist aufgebaut aus einer Glia, die im Verlauf. der. Wuche-
rung teilweise starke Abweichungen von ihrer normalen Struktur er-
fahren hat — Deutlichwerden des Zellprotoplasmas, Verdickung, Kol-
benbildung und Schlängelung der Fasern usw. —, Erscheinungen, die
in ähnlicher Weise oft an den Hirngliomen sowie an der hyperpla-
stischen Glia des Optikus beschrieben worden sind (Borst; Leber,
Greeff, Fischer). Die Wucherung dieses Gewebes ist eine infil-
trierende, insofern eine deutliche Abgrenzung derselben von dem durch
den peripheren Schnervenrest gebildeten Geschwulststiel nicht möglich
Ist. Was ferner die ausgedehnten Degenerationsvorgänge im Innern
des Tumors, die von einer hyalinen Entartung der Gefässwände ihren
Ausgang nahmen, betrifft und die dadurch bedingten Ernährungsstö-
rungen, Blutungen und Transsudationen, so sind sie seit langem als
charakteristische Vorgänge in den Gliomen des Zentralnervensystems
bekannt. Der Tumor hat die Pia nicht durchbrochen, aber offenbar
3106 W. Löhlein
durch Druck und Dehnung verdünnt. Die Dura ist überall erhalten,
auf der Höhe der Geschwulstbildung mässig verdünnt. Das Gewebe
des Zwischenscheidenraums zeigt fleckweise müssige Proliferation so-
wohl des Bindegewebes als 'des Endothels, die an die Bilder einer
tleckweisen Perineuritis erinnert und als sekundär aufzufassen ist.
Allenfalls wäre im Sinne der Golowinschen Theorie an die
Möglichkeit zu denken, dass die geringe Wucherung im Intervaginal-
raum und die Geschwulstbildung des Gliagewebes als Folgen einer
gemeinsamen Noxe aufgefasst werden könnten; doch erscheint mir das
an der Hand meiner Präparate und im Hinblick auf die gelegent-
lichen Fälle von rein intrapialer Geschwulstbildung der Glia viel un-
wahrscheinlicher. Auch war bei dem nicht unintelligenten Patienten
kein anatomischer Anhaltspunkt für die im Sinne Golowins zu for-
dernde primäre toxische oder bakterielle Schädigung zu finden. Die
dritte Möglichkeit zur Erklärung gliöser Entartung bei gleichzeitiger
Proliferation des intervaginalen Gewebes, auf die Birch-Hirschfeld
hingewiesen hat, wäre die, dass man die Proliferation der Glia als
Folgeerscheinung der intervaginalen Wrucherung auffasst. Ist dem
schon entgegenzuhalten, dass bei einzelnen in der Literatur besproche-
nen Fällen eine Geschwulstbildung im Scheidenraum vollständig ver-
neint wird, so ist es weiterhin, worauf auch Fischer hinweist, mit
dieser Auffassung schwer zu vereinigen, dass eine solche dureh Atro-
phie des Parenchyms ausgelöste Gliawucherung derartige Dimensionen
annehmen sollte, wie sie bei einzelnen der beschriebenen intrapialen
Geschwülste vorhanden war. Wenigstens gilt es doch als die Regel,
dass die Ersatzwucherung der Glia im atrophischen Sehnerven dessen
Volum immer noch hinter dem des gesunden Sehnerven zuriick-
bleiben lässt. In Fällen, wie der hier mitgeteilte, erscheint es doch
sehr. unwahrscheinlich, dass eime nur stellenweise vorhandene, mässige
Proliferation des intervaginalen Gewebes, das an der Stelle ihrer stärk-
sten Intensität etwa 1—1! mm breit ist, eine intrapiale Gliawuche-
rung veranlassen sollte, die den (Querschnitt des atrophischen Seh-
nerven um mehr als das 20fache des Normalen vergrössert.
Die Beurteilung derartiger Fälle von Optikustumoren ist eine
sehr wechselnde gewesen. Zwar ist sehon in früherer Zeit mehrfach
bei Optikustumoren die Diagnose eines Glioms ausgesprochen wor-
den (v. Graefe, Goldzieher, Strawbridge, Schott-Mauthner,
Straub, Rampoldi, Ruschhaupt), doch ist die Richtigkeit dieser
Beurteilung der Fälle im allgemeinen angezweifelt worden (Greeff,
Ginsberg, Parson), und auch wo die Diagnose Gliom sehr nahe
Zur Frage der primüren Sehnervengeschwülste. 341
e
lag, hat man sich darauf beschränkt, sie als möglich zu erwähnen
(Poncet, Pagenstecher) Erst die Untersuchungen, bei denen eine
spezifische Neurogliafürbung Anwendung fand, haben das Vorkommen
echter gliomatóser Degeneration des Sehnerven unter dem Bilde des
primären Optikustumors sicher gestellt. Die Zahl dieser Mitteilungen
ist aber noch eine sehr kleine; so viel ich sehe, liegen bisher nur die
beiden von Emanuel (1902) mitgeteilten und von Sourdille (1904)
und Fischer (1908) je ein Fall vor.
In den beiden Fällen Emanuels handelt es sich um rein intra-
piale Tumoren ohne Beteiligung des Intervaginalraumes, und Ema-
nuel glaubt deshalb, als ein diagnostisches Kriterium für das Gliom
des Optikus ein Freibleiben des Scheidenraumes von dem Wuche-
rungsprozess fordern zu sollen. Dies Kriterium erscheint an sich
wenig sicher, da man nur selten mit aller Bestimmtheit wird sagen
können, ob keinerlei Proliferation des arachnoidalen Gewebes statt-
gefunden hat; die etwas unbestimmte Form, in der dieser Punkt in
mehreren Arbeiten besprochen wird (z. B. Ruschhaupt), lässt diese
Schwierigkeit erkennen. Anderseits glaube ich aber auch, dass diese
Auffassung durch den oben mitgeteilten Fall widerlegt wird. Der-
selbe zeigt, dass sehr wohl eine sekundäre Proliferation im Inter-
vaginalraum bei Gliom des Optikus vorkommen kann, ohne dass man
ein Durchwuchern der Glia in den Scheidenraum vorauszusetzen braucht.
Dazu kommt, dass durch Fischers Mitteilung ferner die Möglichkeit
eines Durchbruchs wuchernder Optikus-Glia in den Intervaginalraum
erbracht wurde, eine Tatsache, die mit neueren Erfahrungen über das
Verhalten der Gliome des Zentralnervensystems in Einklang steht.
Ein Mitbefallensein des Scheidenraunis kann also nach diesen Befun-
den nicht mehr als Grund angesehen werden, von vornherein die glio-
matöse Natur eines Optikustumors zu verneinen.
In Anbetracht dieser Tatsache und im Hinblick auf die Schwierig-
keit, ohne spezifische Färbungen die von der Norm so erheblich ab-
weichenden Fasern und Zellen gewucherten Gliagewebes von den
ähnlich variationsfähigen Elementen der Bindegewebsgeschwülste zu
scheiden — auch in Zupfpräparaten —, erscheint die schon von
Sourdille ausgesprochene Vermutung nicht unberechtigt, dass sich
unter den früher als Myxosarkom, Fibromyxom, Myxoma faseiculare usw.
beschriebenen Optikustumoren manche nicht erkannte Gliome befun-
den haben.
348
1881.
1902.
1903.
1904.
1905.
1908.
W. Lóhlein, Zur Frage der primären Sehnervengeschwülste.
Literaturverzeichnis.
Die Literatur bis 1902 siehe bei Emanuel.
Poncet. Arch. d’opht. Dec.
Emanuel, Über die Beziehungen der Sehnervengeschwülste zur Elephan-
tiasis neuromatodes und über Sehnervengliome. Arch. f. Ophth.
Pagenstecher, Über Optikustumoren. Arch. f. Ophth.
Greeff, Pathologische Anatomie des Auges (1902—1906).
Borst, Geschwulstlehre.
Ginsberg, Pathologische Histologie des Auges.
Sourdille, Les tumeurs névrogliques adultes du nerf optique et de la
rétine. Arch. d’opht.
Parsons, Herbert, Pathology of the eye.
Golowin, cit. nach Michels Jahresberichten.
Fischer, Über gliomatöse Entartung der Optikusbahn. Arch. f. Augen-
heilkunde.
Aus der k. k. II. Univ.-Augenklinik des Hofrates Prof. E. Fuchs in Wien.
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der
glaukomatösen Drucksteigerung.
Von
Dr. Richard Krämer,
Sekundararzt.
Der intraokulare Druck ist eine Funktion mehrerer Variabeln,
von denen der Blutdruck eine um so grössere Bedeutung hat, als er
die einzige, sozusagen aktive Komponente vorstellt, während alle übri-
gen, wie Elastizität der Bulbuswand, Filtrationsfähigkeit des Kammer-
winkels usw., als passive — Widerstände des Flüssigkeitswechsels —
in Betracht kommen. Kein Wunder also, dass man dem Biutdruck
erhöhtes Augenmerk zuwandte, sobald einmal die Tensionserhöhung
des Bulbus als markantes Symptom des Glaukoms festgestellt war.
Welcher Glaukomtheorie man sich auch anschliessen will, die Blut-
druckverhältnisse wird keine bei ihren Erklärungsversuchen gänzlich
vermissen können.
Die Frage aber, wie Blutdruck und intraokularer Druck zusam-
menhängen, ist trotz verschiedener Versuche ihrer Lösung kaum nähet
gebracht.
In neuester Zeit hat Wessely(11) eingehende Versuche ange-
stellt und auf experimentellem Wege manometrisch in einwandfreier
Weise nachgewiesen, dass selbst geringe Blutdruckschwankungen, wie
sie durch Erschrecken des Versuchstieres bei unerwarteten Geräuschen
entstehen, sofort auf das Auge übertragen werden und eine Erhöhung
der parallel geschriebenen Kurve des intraokularen Drucks zur Folge
hat. Ja selbst die physiologischen Schwankungen, bedingt durch Puls
und Atmung, werden im Augendruck reproduziert [ Weber, Belarmi-
noff u. A.; vgl. die Kurven bei Wessely (loc. cit]. Beim Auftreten
von blutdrucksteigernden und herabsetzenden Momenten (Vagusdurch-
schneidung — Vagusreizung) spiegeln sich im Experiment die Er-
scheinungen im Augendruck wieder. Der Parallelismus der Blut-
350 R. Krämer
und Augendruckkurven erscheint somit zunächst in die Augen sprin-
gend. — Und es lag nahe, auch beim Glaukom eine Erhöhung des
Blutdruckes zu erwarten.
Manche Erfahrung aus dem Bilde dieser rätselhaften Krankheit
schien diese Ansicht zu stützen. Man denke nur an Glaukomanfälle.
die nach Anstrengungen, nach Gemütserregungen auftreten; an das
Zusammenfallen des Glaukoms mit andern Krankheiten, die mit er-
höhtem Blutdruck einhergehen (Arteriosklerose, Nephritis, Arthritis).
Es wird sich Gelegenheit ergeben, speziell auf diesen Punkt noch
zurückzukommen.
Leider bringt die klinische Erfahrung auch Gegengründe von
genügendem Gewicht, dieses ganze System ins Wanken kommen zu
lassen. Der schwerste Einwand bleibt immer der, dass der Blutdruck.
ich meine zunächst immer nur allgemein den Druck im gesamten
Gefásssystem, den ich an irgendeiner Arterie ablesen kann, ohne
Rücksicht auf lokale Gefässverhältnisse des Auges, sich doch gleich-
mässig im Druck beider Augen ausdrücken sollte, während die pro-
dromalen Glaukomanfälle doch gewöhnlich einseitig sind, und grosse
Zeiträume — Laqueur spricht selbst von 20 Jahren — zwischen der
Erkrankung beider Augen liegen können.
Es hat sich übrigens auch im Experiment schon gezeigt, dass
der Parallelismus der Drücke nicht immer vorhanden sein müsse. So
fand Wessely bei Applikation eines so eminent blutdrucksteigernden
Mittels wie Adrenalin, die Resultate schwankend; er konnte drei ver-
schiedene Typen aufstellen:
1. vollständiger Parallelismus,
2. Ansteigen des Blutdrucks — sofortige Senkung des Augen-
drucks,
3. zuerst Parallelismus, dann weiteres Steigen des Augendrucks
bei schon sinkendem Blutdruck.
(Typus 1 wurde schon früher von Kahn, Typus 2 von Hen-
derson und Starling beobachtet.)
Bei der Beurteilung unserer Frage kommt auch in Betracht, dass
wir nach. neueren. Untersuchungen (Pilzecker und Leber, Uribe y
Troncoso) wissen, dass sich das Auge in kurzer Zeit Xnderungen
seines Inhaltes zu adaptieren weiss. Schon ältere Beobachter haben
dafür Beispiele gebracht: schon Graefe hat angegeben, dass er wäh-
vend der ausserordentlichen Blutdrucksenkung bei Cholerakranken keine
Anderung der Tension des Auges fand.
Aus dieser Anpassungstihigkeit des Auges ist wohl auch das
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 351
Fehlschlagen der Versuche zur experimentellen Glaukomerzeugung
zurückzuführen. Es liegt nicht im Rahmen dieser Arbeit, auf die
zahlreichen Publikationen dieser Art einzugehen. Ich will in Kürze
nur eine neuere Publikation erwähnen.
Bartels(2) kam auf Grund zahlreicher anatomischer Unter-
suchungen, zu dem Resultat, dass die meisten der übrigens nicht cha-
rakteristischen und als Erklärung für das Zustandekommen des Glau-
koms unzureichenden Gefüssalterationen im vorderen Bulbusabschnitt
zu finden seien und hebt besonders die Veründerungen der vorderen
Ciliararterien hervor; von diesem Befunde ausgehend, umschnürte er
an Kaninchen und Hunden die Recti mit Fäden. Die sofort ein-
setzende Drucksteigerung war enorm, bis 80mm Quecksilberdruck.
Das Resume des uns interessierenden Teiles der Untersuchungen
ist aber folgendes: drei Kaninchen von den fünf behandelten und
länger beobachteten zeigten schon 5—7 Tage nach der Umschnürung
Ulcerationen der Hornhaut; ein Kaninchen ging ein, bei einem sank
der Druck spontan von 50 auf 10mm im Verlauf von 6 Tagen.
Kontrolluntersuchungen an Hunden ergaben gleiche Resultate: d. h.
wenn nicht Ulcerationen der Cornea auftraten, sank die Tension des
Bulbus allmählich zur Norm herab. Bartels schützt sich a priori vor
dem berechtigten Vorwurf, dass das von ihm experimentell erzeugte
Krankheitsbild doch sicher kein Glaukom sei; er spricht auch nur
von einem „Zustandsbild des Glaukoms“, und in der Tat sind die
augenblicklichen klinischen Symptome denen des akuten Glaukom-
anfalles sehr ähnlich. Das Wesen des Krankheitsbildes ist die durch
die plötzliche Versperrung eines grösseren Teiles der Abflusswege be-
dingte Cirkulationsstörung; wir haben gesehen, dass eine Frist von
wenigen Tagen genügt, das Auge den geänderten Verhältnissen anzu-
passen und den Druck zu regulieren.
Dass umgekehrt rapides Sinken des intraokularen Druckes (ohne
lokale Veränderungen) ohne Veränderung im Blutdruck stattfinden
kann, beweist eine Beobachtung von Heine(4), der in einem Falle
von Coma diabeticum den Druck im Auge auf — 3 sinken sah, wäh-
rend der Blutdruck diese enorme Senkung durchaus nicht mitmachte.
Die Adaptationsfühigkeit des intraokularen Druckes an Schwan-
kungen des allgemeinen Blutdrucks ist sohin genügend festgelegt und
man begreift, dass man sich nur mit grosser Skepsis an neue Unter-
suchungen solcher Art an einer grösseren Zahl klinischer Fälle heran-
wagen wird.
Der direkte Anlass für mich, Untersuchungen in dieser Richtung
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 2. 23
352 R. Krämer
anzustellen, bzw. wieder aufzunehmen, war das Erscheinen der Arbeit
von Heinrich Frenkel(3), deren Resultate mir der Nachprüfung wert
erschienen. Frenkel hat die Studien wieder aufgenommen, die vor
ihm von Terson und Campos, Bajardi u. A. angestellt worden
waren. Aus diesen Arbeiten sei im folgenden nur soviel herausgehoben,
als zum Vergleich mit meinen eigenen Resultaten nötig ist.
= Terson und Campos (10) haben 30 Fälle von Glaukom ver-
schiedener Art in den Bereich ihrer Betrachtungen gezogen. Ihre
Resultate waren schwankend und laufen im Wesen darauf hinaus,
dass hoher intraokularer Druck mit normalem Arteriendruck einher-
gehen kann. Hervorgehoben muss dabei namentlich werden, dass die
Autoren gerade in Fällen von akutem Glaukom den Gefässdruck nor-
mal oder nur minimal erhöht fanden, während er in 8 von 15 sub-
akuten Fällen beträchtlich erhöht war; ich glaube nicht, dass man
aus dieser Tatsache einen Schluss zu ziehen berechtigt ist. Dass bei
akutem Glaukom der Druck im Gefässsystem weniger hoch gefunden
wurde als beim subakuten, scheint vielmehr gegen einen direkten
Zusammenhang zu sprechen.
Bajardi(1) dagegen hat in 65 Fällen ganz exorbitant hohe Werte
gefunden, 56mal über 150 (Riva-Rocci). Bedauerlicher Weise sind
keine Angaben über den sonstigen Befund gemacht; und doch sind
Druckhöhen über 200 mm, die mehrmals vorkommen, gewiss selbst in
Fällen von Nephritis nichts alltigliches. Gerade bei den jüngeren
Patienten, von denen er eine grössere Anzahl anführt, wären genaue
Angaben über den allgemeinen somatischen Status unerlässlich. Man
muss sich wundern, dass Frenkel, dessen Resultate bei der gleichen
Methode (Riva-Rocci, modifiziert von Laulanie) durchaus nicht mit
denen Bajardis übereinstimmen, nicht darauf aufmerksam wurde.
Bajardi legt übrigens den Hauptwert weniger auf den Durchschnitts-
druck, als auf die Disposition der Patienten zu Druckschwankungen,
die er durch physische und mechanische Momente erregt. Bajardi
führt leider keine Kontrolluntersuchungen an, die er bei gleichaltrigen,
nicht Glaukomatösen gemacht hätte. Er würde gewiss dieselben Er-
scheinungen gefunden haben; das Gros seiner Patienten steht ja natür-
lich auch in der zweiten Hälfte des Lebens und die Arteriosklerose
ist eine so verbreitete Krankheit. dass man sie fast als den normalen
(refüsszustand älterer Menschen bezeichnen muss. Dass aber beim
Atherom der Gefässe der Druck ein sehr Jabiler ist und mehr als
sonst von dem Zustand des Herzens und seiner Inanspruchnahme
abhängt, Tat selbstverständlich, da die äqwlibrierende Funktion der
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 353
Gefüsswánde mangelhaft ist. Ich muss also darauf verzichten, Ba-
jardis Resultate, die so sehr von denen der andern Untersucher ver-
schieden sind, zum Vergleich heranzuziehen.
Frenkel (loc. cit) endlich hat 15 Glaukomfülle untersucht. Er
fand den arteriellen Druck 14mal erhóht (eigentlich 13mal, denn
Fall 11 mit Druck 180 ist ein Sekundärglaukom nach Iritis und ge-
hört besser in die Tabelle der Kontrollen. Bei den Kontrollmes-
sungen fanden sich bei den älteren Patienten — nur diese kommen
in Betracht! — wohl auch einzelne hohe Werte (einmal sogar 192),
aber der Durchschnitt stellt sich niedriger als bei Glaukomatösen.
Aus dem Vergleiche der Resultate der genannten Autoren ergibt
sich, dass ein endgültiges Urteil in dieser Frage noch aussteht. Der
Widerspruch in den Zahlen, die einerseits Bajardi, anderseits Ter-
son und Campos fanden, ist aber gross genug, einen direkten oder
auch nur indirekten Zusammenhang zwischen allgemeinem Blutdruck
und Glaukomdruck wenig wahrscheinlich erscheinen zu lassen.
Ich mache absichtlich einen Unterschied zwischen direktem und
indirektem Zusammenhang und will diese Gelegenheit nicht vorüber-
gehen lassen, ohne auf diesen Unterschied nachdrücklich hinzuweisen
und damit gleichzeitig sozusagen das Programm der folgenden Aus-
führungen festzulegen.
Den „direkten Zusammenhang“, wie er sich im Experiment zeigt,
kann ich wohl in wenig Worten abtun; denn dass eine auch noch so
hohe Blutsteigerung allein eine pathologische Tensionserhöhung be-
wirken und erhalten kann, diese Behauptung würde jeder Internist
sofort ablehnen; der Internist ist aber in dieser Frage der Kompe-
tentere, denn er ist es, der die Fälle mit Gefässhochspannung und
ohne Glaukom tagtäglich zu sehen Gelegenheit hat. Auch ich denke
nicht daran, einen solchen Konnex konstruieren zu wollen.
Wenn ich also schlechtweg von „Zusammenhang“ spreche, meine
ich stets nur einen indirekten und denke mir einen solchen etwa in
folgender Weise: Erstens könnte bei bestehender Disposition zu Glau-
kom Blutdrucksteigerung einen Anfall auslösen oder bei evolviertem
Anfall die Rückkehr zu normalen Spannungsverhältnissen verhindern.
Der Unterschied gegenüber dem „direkten Zusammenhang“ läge also
darin, dass die Spannungsvermehrung im Blutgefässsystem jetzt nicht
das ausschliessliche Agens, sondern nur unterstützendes, auslösendes
Moment ist. Diese Frage zu beantworten ist teilweise recht schwierig.
Sie würde bedingen, Glaukomkranke wiederholt, im Anfall, im Beginn
des Anfalls, im Intervall usf. zu untersuchen, das heisst im Interesse
23*
354 R. Krämer
der Forschung und zu der Patienten Schaden die Operation hinaus-
zuschieben. Die schon erwähnten Fälle von Glaukomausbruch nach
Gemütserregungen und nach der Operation des ersten Auges würden
wohl zunächst dafür zu sprechen scheinen. Aber kann es sich nicht
ebensogut um eine nervöse Ursache handeln? Die postoperativen Glau-
kome zumal treten doch durchaus nicht zu einer Zeit auf, wo die
Erregung durch die Operation noch fortwirkt, sondern meist erst nach
Tagen, wenn die Patienten sich längst über das Schicksal des erst-
operierten Auges beruhigt haben und ihre Tage auch in völliger
Körperruhe verbrachten.
Dass die Rückkehr zur Norm durch den gesteigerten Blutdruck
verhindert wird, diesen Teil der Frage kann man aber bestimmt ver-
neinen (Wirkung der Miotica).
Zweitens kónnte der Zusammenhang darin bestehen, dass durch
die Blutdrucksteigerung die Disposition selbst vermehrt wird; dann
müsste sich feststellen lassen, dass Glaukomkranke einen durchschnitt-
lich hóheren Blutdruck haben als andere (vgl. die früheren Arbeiten),
oder dass hoher Blutdruck mit durchschnittlich höherem Augendruck
einhergeht.
Nur mit solchen Untersuchungen sollen sich die folgenden Zeilen
bescháftigen.
Ehe ich nun meine eigenen Resultate anführe, móchte ich noch
einge Worte über die Methode unserer Messungen anführen. Wir
bedienten uns in allen Füllen einer Modifikation des Grürtnerschen
Tonometers, die Tauber angegeben hat.
An der Säule eines Gärtnerschen Tonomcters befindet sich ein
kurzes Ansatzstück, das mit einer stark porösen Masse verstopft ist.
Die Verdichtung der Luft im Fingerring und Manometer erfolgt
durch eine kleine Verdichtungsluftpumpe in Spritzenform. Hört die
Verdichtung auf, so strömt die eingepumpte Luft sehr langsam durch
die Poren der Masse, welche das Seitenrohr verschliesst, aus und die
neck T.
RT Er er ee SE = ü E Y X SS IIR Seege Leg Seet e e
re St
l | o T | cel-
Anamnese '7 = Ausserer Befund Spieg
e Er befund
BS
i
|
|
|
Seit 3 Jahren Anfälle L. j Hornhaut etwas matt, F lache totale
von Kopfschmerzen . | Pupille erweitert, Excavation,
u. Nebelsehen. Re- oul Eserin rasche Arterienpuls.
genbogen ? Verengerung.
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 355
Quecksilbersáule fállt; das Ausstrómen der Luft und damit das Sinken
des Druckes kaun'sofort unterbrochen werden, wenn man das Seiten-
rohr mit dem Finger zuhält. Die Vorteile dieses Apparates gegen-
über dem Gärtners liegen neben der Handlichkeit in der geringeren
Zahl der Gummibestandteile, welche bei längerem Gebrauch oft schad-
haft und undicht werden.
Die Patienten wurden der Messung unterzogen, während sie für
die Operation vorbereitet wurden. Es ist nicht unwichtig, auf diesen
Zeitpunkt besonders hinzuweisen.
Zweifellos befanden sich die Patienten darum in einem Stadium
gewisser Erregung, welche die Druckwerte ein wenig beeinflusst und
höher erscheinen lässt. Diesen Einwurf kann ich nicht zurückweisen;
zu bedenken ist aber, dass Kranke fast immer aus dem psychischen
Gleichgewicht kommen, sobald irgendeine Prozedur mit ihnen vor-
genommen werden soll. Der Beobachtungsfehler wäre also zu jeder
andern Zeit auch nicht ganz zu vermeiden. Der wirkliche Durch-
schnittswert kann stets nur durch wiederholte Messungen gefunden
werden, die ich, wie erwähnt, nicht anstellen konnte.
Anderseits befanden sich die Patienten aber unter den gleichen
Bedingungen der körperlichen Ruhe und wurden zur gleichen Tages-
zeit untersucht, wodurch die physiologischen Druckschwankungen zu
verschiedenen Tageszeiten ausgeschaltet erscheinen.
In den folgenden Zeilen sind die Resultate der Blutdruckmessung
bei 45 Glaukomfällen in einer Tabelle niedergelegt. Von der aus-
führlichen Wiedergabe der Krankengeschichten habe ich Abstand ge-
nommen; nur soviel ist daraus angeführt, als zur Begründung der
Diagnose und der Art des Glaukomfalles nötig ist. In allen Fällen
wurde auch auf den Zustand des Herzens, der Gefässe und des Harns
geachtet. Wo nichts notiert ist, handelt es sich um normale oder
nahezu normale Verhältnisse.
Tabelle I.
m m ases eai C RE EE E Ms x a = HB nn a Aem
| z
- e è i ‚ol o
Ten Visus | Diagnose | Befund des zweiten Z E Anmerkung
sion Auges Sr "EN
| gl d ._.
115, ?
—— —— ` EE EK = x
Ji GC | GI. chron. Normal, V = 9A. |
) |
|
|
|
356 R. Krümer
Spiegel-
Anamnese Äusserer Befund
Ein- oder
doppels.
2 |C. K., w.| 57 | Seit3 Jahren Farben- | R.
ringe, Druckgefühl,
Abnahme des Visus.
Hornhautleicht matt, Fundus nor-
Pupille weiter als l., | mal.
Eserin wirkt prompt.
und hintere Syne- | excaviert,
chien.GemischteIn- | Haemorrha-
jektion, Hornhaut | giae retinae.
Kind, seit 8 Tagen
konstant Nebelse-
hen u. Farbenringe.
3 |E. B., w. |58 | Seit einigen i R. | Normal; Pat.hat aber |Fundus nor-
Nebelsehen, Regen- während der Beob- | mal.
bogen, bes. abends. achtungeinen leich-
ten Anfall mit Her-
absetzung des Visus
auf Di und T-.
4 |N. S., w.| 50 | Seit 8 Wochen links | B. |L.: Hornhaut matt, |Totale glauk.
Anfälle von Nebel- Iris leicht atroph., | Excavation,
sehen, seit4 Wochen Pupille erweitert. | Halo.
heftige linksseitige
| Kopfschmerzen.
5 |M. R., w.| 47 | Seit3 Jahren Erschei- Ciliarinjekt., Horn- |Fundus nor-
nungen, die als ty- haut gestichelt, | mal.
pische Anfälle an- Kammer f. aufgeho-
gesprochen werden ben. Pupille weit.
müssen.
6 |B. L., w. |48 | Seit 3 Monaten (?) B. A. haben gleichen |Tiefe, totale
Kopfschmerzen mit Befund. Mässige In- | Excavation.
gleichzeit. Rötung jektion, Hornhaut
der Augen. diffus trübe, Pupil-
len starr.
-7 |R. H., w. |50 | Entzündungen als Alte Maculae corneae |Papille nicht
Auf Tropfen starke | rauchig trübe, Kam-
| Kopfschmerzen. mer seicht, Pupille
starr.
Starke Injekt., Horn- |Excavation ?
haut matt, Pupille
weit, starr.
8 | A. L., w. | 62 | Seit 8 Jahren anfalls- | R.
weise Kopfschmer-
zen mit Nebelsehen.
Vor 1 Jahre schwe-
rer, 6 Wochen dau-
ernder Anfall. Seit
1 Woche wieder ein
Anfall.
9 | A. S, w.| 11 Seit 2 Jahren jeden | B. | L. Starke Injektion, Totale glauk.
Abend Kopfschmer- Hornhaut matt, trü- Excavation.
be, Kammer fast auf-
gehoben. |
zen, seit 10 Mona-
ten ist das r. A.
blind. Seit 9 Tagen |
heft. Entzündungs- |
| erscheinung. links,
i
i
m = E
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 357
Anmerkung
—À
Ten-
sion
Befund des zweiten
Visus
Puls
+ je Gl. chron. | Normal, V = °®/,. |180| ? | Leichte Arterioskle-
rose. Pat. hat wäh-
rend der Untersu-
chung einen leichten
Anfall. Nach der
Operation Bd. 150.
n. wc Ge Normal, V — D, /|155| ? |Macht den Eindruck
einer hypochondri-
schen Hysterica.
SR 910 a Normal, V — */.. 95| ? | Postoperativer Anfall
7 Tage nach der am 2. Auge.
Iridektomie rechts
leichter Anfall, da-
| | her auch hier Iri- |
dektomie.
|
+2 | ®?? |Gl. subak. | Normal, V = fl, |110| ? grs dem Anfall Bd.
100.
ki" Fe |Gl chron. — 110, ? | Am linken Auge Prä-
| v. d. A. cipitate.
|
+ Fgz. | Gl. acut. | Normal, V — 9A, !110| ?
| in6m |
|
+ Fgz. |Gl. chron. | Alte Hornhautnarbe, | 100 | ? | Pat. erlitt vor der
v. d. A. | mit akuten | sonst normal, V ==
Untersuchung einen
Anfällen. “ans
|
| schweren Collaps,
| Temp. 84,3. Der
| | Glaukomanfall un-
beeinflusst.
+3 | Fgz. |Gl. acut. |R.Gl. absolut. V== Q. | 100
v.d.A. |
Anamnese
Als Kind oft augen-
krank. Vor 8Jahren
Nebelsehen,spontan
gebessert. Vor ] Jah-
re erstmals Entzün-
dungserscheinung.
Seit 1 Jahre Schmer-
zen im Kopf u. Ab-
nahme des Visus.
KeineEntzündungs-
erscheinungen.
12 | A. S, w.|60 | Vor 4 Jahren Glau-
komiridektomie 1.
Seit !/, Jahre Nebel-
sehen und Regen-
bogenfarben, seit
24h heft. Schmerz.
13 |H. G., w.| 56 | Seit 2 Mon. Anfälle
von Farbenringen;
keineSchmerzen im
Auge; Kopfschmer-
zen seit langer Zeit.
14 | B. A, w.| 60, Vor3Jahrenr.akuter
Glaukomanfall ohne
Prodrome; seither
Ruhe, vor 3 Tagen
Wiederholg. L. nur
allmähl. Verfall der
Sehschärfe. Momen-
tan keine Beschw.
15 |J. R., w. |73! Seit 1 Jahre Nebel-
sehen; seit kurzer
ZeitSchmerzenohne
bestimmten Charak-
ter.
Vor 7 Mon. plötzlich
einsetzender schwe-
rer Glaukomanfallr.
Vor 4 Mon. ein ühn-
licher Anfall; seit-
her hüufen sich die
Attacken.
Seit ?/, Jahren An-
fälle von Obskura-
tionen mit Regen-
bogenfarben. Keine
Schmerzen.
18 | A. V.. w. ‚68 Vor 9 Jahren Glau-
komiridektomie an
beiden Augen. Seit
| einigen Wochen
neuerlich Erschei-
nungen links.
16 M. H,, w 68
17 |A. P. ele
| Ein- oder
doppels.
R. Krämer
Äusserer Befund
Befund beiderseits
annähernd gleich,
Mac. corn. Hornhaut
matt,Kammerseicht,
Pupille weit, starr.
Befund beiderseits
gleich: Bulbi blass,
Erweiterung derCi-
liargefässe, Horn-
häute leicht matt,
Pupillen erweitert.
Düsterrote Injektion,
Hornhaut sehr matt
und trübe, seichte
Kammer, Pupille
stark erweitert.
Bulbus blass, Horn-
hautglänzend, Kam-
mer nicht seichter,
träge Pupillenreak-
tion.
R. Hornhaut leicht
matt. L. Hornhaut
glänzend. B. Kam-
mer seicht, träge
Reaktion der etwas
erweiterten Pupille.
Leichte düsterrote In-
jektion, Hornhaut
intensiv matt, Pu-
pille weit u. starr.
Starke Ciliarinjekt.
Hornhaut sehr matt,
diffus getrübt, Kam-
mer sehr seicht,wei-
te, starre Pupille.
Die Augen äusserlich
normal, seichte
Kammern.
Bulbus leicht ciliar
gereizt, Hornhaut
etwas matt, seichte
Kammer regelrech-
tes breites Colobom
nach oben.
Spiegel-
befund
Totale alak
Excavation.
L. Arterien-
puls.
R. flache, to-
tale Excavat.,
Netzhautblu-
tung. L. tiefe
totale Exca-
vation.
Fundus nicht
sichtbar.
‚Totale mässig
tiefe Excava-
tion.
B. Tot. glauk.
Excavat. mit
schmal. Halo.
Fundus nicht
sichtbar.
Fundus nicht
sichtbar.
R. flache, aber
deutl. glauk.
Excavation;
L. nur phy-
siolog.
FasttotaleEx-
cavation.
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 359
|
I
Befund des zweiten Anmerkung
| Blutdruck
=
$
=
|
—
&
D
» — 125| ?
. acut. |Status post iridect. | 55! |104 | Geringe Rigidität d.
antiglauc. V — Fgz. peripheren Gefässe,
v. d. A. Pulswelle sehr nie-
drig.
. chron. Normal, V — */,.. |140 | 104 Gefüsse hart, Puls
arhythmisch.
7 — 155, 72| Hochgradige Arterio-
| sklerose mit be-
ginnender Myode-
| generatio cordis.
Aug
» Normal, V $5 125| 96 | Pat. sehr erregt. Bei
Catar. inc. einer spüteren Un-
| tersuchung findet
| man zahlr. Netz-
| hautblutungen,
» Normal, V = *,? |110| 9 | Nach Eserinwirkung
wird die Hornhaut
glänzend, V = Dia
Papille nicht exca-
viert.
" SS 160 | 100 | Keine besonder. Ge-
füsserscheinungen.
ji Status post iridect. z 80
antiglaucom. Opera-
tionsnarbe cystisch. |
y = y |
|
| | |
360 R. Krämer
mm
e EN ———— m IT I II IT
Name,
Spiegel-
eschlecht
Du
Q ..
Nr. G > Anamnese Ausserer Befund befund
Ein- oder
doppels.
19 | A. B, w. Das l. Auge ist seit
13Mon.blind,wurde
wegen beginnender
Vergrösserung iri-
dektomiert. Das r.
Auge sieht nament-
lich in der Nähe
schlecht.
20 | A. P., w. |35 | Pat. hat vor2Wochen
zufällig bemerkt,
dass sie links blind
sei; sie glaubt sich
an Prodromalsymp-
tome erinnern zu
können.
21 | A. G., w.| 62| Seit 3 Mon. Anfälle
v. Nebelsehen, vor-
her angeblich schon
Regenbogenfarben.
Nie Schmerzen.
22 | A. W., w.| 53 | Seit 1 Jahr Obskura-
tionen, seit einigen
Monaten zugleich
linksseitige Kopf-
R. | Das Auge ist äusser- |Totale, nicht
lich normal. Typi- | sehr tiefe Ex-
scher Langbau. |cavation.
Myopie 9. Gesichts-
feld enorm einge-
schränkt.
R. Äusserlich normal, |R. grosse, aber
sehr seichte Kam- | noch nicht
mer.L. Pericorneale | randständige.
Ciliarinjekt., leicht | L. typische
matte Hornhaut. glauk. Excav.
m. Venenpuls.
B. Starke Erweite- |B. Totale Ex-
rung der Ciliarge- | cavation. L.
fässe, Hornhaut rau- | springender
chig trübe, Pupillen | Arterienpuls.
starr.
Bulbusreizlos, Horn- |Totale, sehr
haut glänzend, er- | tiefe Excava-
weiterte Pupille mit | tion m.sprin-
träger Reaktion. gendem Arte-
schmerzen. rienpuls.
23 | A. H., w.| 42 | Typische Anfälle seit B. A. äusserlich nicht |Fundus nor-
5 Jahren. Pat., die verändert. mal.
unt, Eserinwirkung
ist, bekommt in der
Klinik einen leich-
ten Anfall.
24 |J. N., w. | 59 | Seit 6 Mon. krank;
im Ambulatorium
wurde ein schwerer
Anfall beobachtet.
Auch bei der Un-
tersuchung heftige
SehrstarkeInjektion, Fundus nor-
Hornhautgestichelt, | mal.
trübe. Kammer sehr
seicht, Pupille weit
und reaktionslos.
|
25 i V., W.| 64 | Seit 15 Mon. Prodro-
Schmerzen.
B. | Mässige Reizung, Ci- |Totale Exca-
malsymptome. liargefässe stark ge- | vation.
füllt, Hornhäute
matt. Pupillen mäs-
sig weit, starr (Ese- |
rin!). |
B. | Befund beiderseits |R. Totale Ex-
gleich: etwas matte | cavation mit
Hornhaut, leichte j Blutungen, |.
26 A. W., Ww. 58 | Seit?/, Jahren Nebel-
sehen, nie Ent-
zündg., nieSchmerz.
E w E 5 y
Kammern,starrePu- | beginnende.
pillen.
27 |J. Z., W. |49 Seit 4 Jahren krank; | B. | Die Augen sind äus- (Fundus nor-
seit 1 Jahre rasche ' serlich fast normal. | mal.
Verschlimmerung
mit sich häufenden
Anfällen.
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 361
Ten-
sion
Befund des zweiten
Visus | Diagnose Auges
n. Di $ GL. simpl. Iridektomiertes, etw.
vergrössertes Auge.
Totale Excavation.
V6.
R, n. | R.9,?? | Gl. chron.
L.4-2, L.
Hand-
beweg.
R. -3| R. 0 »
L. +2; L.
veneg:
v.d. A
T1 Ke: »
|
etwa+ | 9/,?? » — 150, 96 | Gemessen wührend d.
Anfalls, später Bd.
130, Puls 84.
+3 ? Gl. acut. | Normal. Astigmatis- | 150 | 96
mus. V — *j..
|
|
R+3|R.uL. o chron. — 140 | 96 | Hochgrad. Arterien-
L. +3 Hand- verkalkung, Pulsir-
beweg. regulär. a
v. d. A.
R. --3| R. $/, e -- 105, 80
L. --3| L. */,
B. + |R. %,? » — ES 98 | Nach der Operation
L. % Puls 72.
362 R. Krámer
ame, | © o9 Spiegel-
Nr. ingnsk Anamnese ` 9 Äusserer Befund befund
I Eé
28 | A. B., w. | 57 | Seit1'/,JJahrenleichte
Prodromalerschei-
nungen, zuerst im
Anschluss an eine
rezidivierende Ero-
sion, spăter spontan
auftretend.
29 | E. M., w.| 40| Vor 6 Jahren Glau-
Bulbus fast blass,
Hornhaut etw. matt,
Pupille erweitert.
B. | R. Status nach Glau-
Fundus nor-
mal.
R. physiolog.
komiridektomie r. komiridektomie. L. | Excavation,
Am L Auge 4 An- sehr starke Injek- | L. kein rotes
fälle in grösseren tion, Hornhaut sehr | Licht.
Zwischenräumen.
Gegenwärtig akuter
Anfall.
30 |M.H,, w. 21| Abnahme der Seh-
kraft seit ?/, Jahren
im Anschluss an ein
Wochenbett. Schwe-
re Anfälle mit Kopf-
schmerzen u. Übel-
keiten.
31 |C. B., w. | 70 | Das rechte Auge seit
3lJahren krank ; vor
7 Jahren daselbst
schon absol. Glau-
kom, während da-
mals links eine Iri-
B. | Beiders.
matt, Kammer fast
aufgehoben. Pupille
entrundet, starr.
erweiterte
Ciliargefässe, matte
Hornhaut, leicht
trübe, träges Pupil-
lenspiel.
L. | Mittelstarke Injek-
B. tiefe glauk.
Excavation.
Mässig tiefe,
tion, Hornhaut matt | totale Excav.
und trübe, seichte
Kammer, Iris atro-
phisch. Colobom
nach oben.
dektomie ausge-
führt wurde. Seither
ist dieses Auge in
Ruhe; seit 3 Tagen
neuerlich Schmerz.
in diesem Auge u.
im Kopfe.
32 C. P., m. | 66 | Seit 6Mon. Abnahme
des Sehvermögens,
seit 3 Mon. heftige
Schmerzanfälle im
rechten Auge.
R. | Sehr heftige Injek- [Fundus nor-
tion, Hornhaut in- | mal.
tensiv matt u. trübe,
Kammer fast aufge-
hoben. Weite, starre |
Pupille.
33 IS. V., m.| 59, Seit vielen Jahren
Glaukomsymptome,
vor8 Jahren bestand
L. | Bulbus blass, Horn- ;Glaukomatöse
haut glänzend, į Excavation.
seichte Kammer, re- |
r. schon absolutes gelrechtes breites |
l Glaukom, l. wurde Colobom.
| die Iridekt. ausge- |
führt. "Trotzdem
dauern die Erschei-
nungen an.
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 363
+1 | *4? |Gl. ehron. Normal V — */. |105| 96
L. 4-3 gz. |Gl. acut. | V es 6j. 80| 80
ar v.d. A.
B + |R. *4, |Gl. chron. |. — 110 | 128 | Hysterica.
| In
+1 Fgz. u Atrophia bulbi. 120| 80 Puls arhythmisch,
in 1 m Arterienwand der
Radialis sehr hart.
+3 | Hand- | Gl. acut. | Normal, V = */,.. |135| ? | Weit vorgeschrittene
beweg. Arteriosklerose.
Y... Während der Unter-
suchung so heftige
Schmerzen, dass
Morphium appli-
ziert werden muss.
+1 %,. |Gl. chron. | Glaucoma absolut., | 180 | —
Y= Q.
|
364 R. Krämer
Spiegel-
Ausserer Befund befund
34 | M. F., m.| 69 | Vor 5 Jahren akuter | L.
Glaukomanfall r.,
sich oftmals wieder-
holend, bis dieses
Auge erblindete.
Seit einiger Zeit die
gleichen Erschei-
nungen am l. Auge.
35 | A. S., m. | 59 | Das 1. Auge ist seit) R.
20 Jahren an Glau-
Mässige entzündliche |Beginn. Exca-
Erscheinungen, | vation.
Hornhaut matt,
seichte Kammer.
Pupille entrundet,
starr.
Keine Exca-
vation, Netz-
IntensiveCiliarinjek-
tion, Hornhaut dif-
kom erkrankt und fus rauchig getrübt, , hauthámor-
schliesslich erblin- weite Pupille. rhagien.
det. Seit 13Tagen(?)
auchr.leichteSymp-
tome dieser Krankh.
Keine Exca-
vation, aber
Arterienpuls.
36 |J. S, m. | 46| Vor 5 Jahren Glau- | L.
komiridektomie r.;
seit !/; Jahreanfalls-
weise Sehstórungen
u. Nebelsehen auf
dem l. Auge.
37 | F. S., m. | 40 | Seit 1 Jahre Nebel- | B.
sehen und Regen-
bogenfarben; nie-
mals Schmerzen od.
Rötung der Augen.
38 | A. W., m.| 32 | Seit 2Jahren allmáh-
lich Abnahme der
Sehr geringe Mattig-
keit der Hornhaut,
sonst normal.
Tiefe, kessel-
förmige Ex-
cavation.
Die Augen sind äus-
serlich völlig nor-
mal. Gesichtsfeld
sehr eng.
| rn e e a e a e
Erweiterte Ciliarge- 'Typische Ex-
fässe, sonst äusser- | cavation an
Sehschärfe undAuf- | lich normaler Be- | beid. Augen.
treten von Regen- fund. Gesichtsfeld
bogenfarben. eingeschränkt.
89 | O. S., m. | 52 j Seit 2 Jahren beste- | B. | B. Starke Füllung d. (Totale Exca-
hen typische Anfälle | Ciliargefásse, Horn- | vation.
mitleichten Schmer- | haut sehr matt, Kam-
zen. mer seicht, weite
| Pupille ohne Reak-
tion. Atrophie der
| Iris.
40 |J. R., m. |63 Seit 1',Jahren Atta-| R. | Hornhaut sehr matt, Fundus nor-
cken von Obskura- rauchigtrübe, Kam- | mal.
tionen; seit 6 Tagen mer áusserst flach,
akuter Anfall, der erweiterte reak-
bei d. Untersuchung tionslose Pupille.
fortbesteht.
P
41 |J. M., m./ 53 | Leichte Obskuratio- B. Augenreizl., Horn- Totale Exca-
nen seit !, Jahre. háute glünzend, vation.
seichte Kammern, '
Pupillen eng (Ese-
rin !).
49 |J. B., m. | 61 Seit einigen Monaten | L. | Ciliare Injekt., Horn- Fundus nicht
|j Abnahme der Seh- hautsehr matt, Karn- ' sichtbar.
schärfe, seit mehre- mer scicht, Iris teil- | |
ren Wochen anfalls- weiseatrophisch, Ca- |
weise Kopfschmerz. taracta intumescens.
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 365
Befund des zweiten
Auges | Anmerkung
Puls
Diagnose
Gl. chron. | Glauc. absol., V —0
+3 | Fgz. 160 | 100
6m
n. */s? | Gl. chron. | Status p. glaucoma | 95) 72
operat.; jetzt keine
Erscheinungen, V — |
9/, ?, totale Excava-
tion.
B. n B. 9/, ; 85 | 76
R. S/o » 95| 72
B. --2| R. Js ii — 110 | 120
L. Fgz.
8m
--1 | */,? |Gl. acut. | Normal, V = fl, |100| 68
+1 |R. * , Gl. chron. — 100 | 80
60 '
|
+2 Fgz. » Cataracta incipiensin | 10, 68
6m sonst normal. Auge.
Fundus normal. V
= t/ie: |
366 R. Krümer
"us " 2 ud
Nr. G i mado Anamnese | , Ausserer Befund GR
i
doppels
j|
ve:
1
UE.
43 F. D, m. "m Nard 1 Jahre Wee B. | Äusserlich kein Be- |Physiol. Ex-
akuter Glaukoman- fund. Mit dem Oph- | cavation der
fall m. Kopfschmer- | thalmotonometer | Papillen.
zen, Druckgefühl u. | wird die Tension
Nebelsehen. Oft- aber auf 33 mm er-
malige Wiederho- höht gefunden.
lung. -
44 | P. G., m.|58 Seit 1'/, Jahren Ab- | B. | Ausserlich ohne Be- |Totale Excav.
nahmed.Sehschärfe, fund. mit Halo.
anamnestisch sonst.
nichts Bemerkens-
wertes. |
45 |S., m. 60 | Seit 1 Jahre Auftreten | L. | Ciliare Injektion, dif- Keine Exca-
von Kopfschmerzen | fuse Hornhauttrü- | vation.
in Anfällen. Vor
7 Tagen akuter An-
fall.
bung. Pupille ent-
rundet, lichtstarr.
Der normale Arteriendruck, gemessen nach der Methode Girt-
ner, schwankt beim Erwachsenen um 100; wir können etwa 90 und
115 als obere und untere Grenze annehmen.
Betrachten wir nunmehr unsere Ergebnisse zunächst rein sta-
tistisch, so finden wir:
In 45 Fällen von sicher festgestelltem Glaukom ist der Blut-
druck 22mal (= 44,9?]) normal, 7mal (= 15,59/)) subnormal, 16mal
(= 35,6 °) erhöht. Also nur in etwa einem Drittel der Fälle konnte
eine Vermehrung des Arteriendruckes gefunden werden; von diesen
wurde bei 7 eine geringe Spannungsvermehrung (bis 130), bei 9 eine
höhere konstatiert.
Es ist aber nötig, die Fälle nach dem allgemeinen Körperzustand
zu beurteilen, und gerade deshalb war es besonders wichtig, die Fälle
zu nehmen, wie sie kamen, ohne sie vorher nach dem Gesichtspunkt
des Allgemeinstatus zu sichten. Welche somatischen Momente finden
wir zur Erklärung der Blutedrucksteigerung in den betreffenden Fällen ?
Den grössten Spielraum nimmt natürlich die Arteriosklerose ein, die
6mal notiert ist. Die Fälle gäben bei der Messung nach Riva-
Rocci relativ noch höhere Werte, da die Rigidität der Gefässwand
um so grösseren Eintluss hat, je stärker das gemessene Gefäss ist, an
der Arteria brachialis also Tale als an den Phalangealgefässen. Ein
Zusammenhang zwischen Arteriosklerose und Glaukom wurde seit lan-
gem angenommen. Man darf aber den Eintluss micht überschätzen,
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 367
1.
Ten- | y; | ; Befund des zweiten| E | 5 |
dom | Visus | Diagnose Auges |g & Anmerkung
e E ge KÉ i AD- d
d et, |Gl. chron. | = 75 | 64
|
+1 |R.*4,,Gl. simpl. — 60 | 80
L. Fgz. |
1m |
+3 5As | Gl. acut. | Normal, V — Ba |130 | 72 | Hochgradige Arte-
| riosklerose mit pau-
kendem 2. Aorten-
ton.
denn bei der ungeheuren Verbreitung und stündigen Zunahme dieser
Krankheit müssten die Erkrankungen an Glaukom, die etwa 1°), der
Augenkrankheiten ausmachen, viel zahlreicher sein. Wenn wirklich
ein Konnex zwischen den beiden Leiden besteht, muss er in lokalen
Verhältnissen am Auge begründet sein. Die Blutdrucksteigerung ist
es gewiss nicht; wir finden in unserer Tabelle Fälle, bei denen trotz
ausgesprochener Gefässverkalkung der Druck abnorm niedrig ist, ein-
mal selbst 55!, und doch das Glaukom sich einstellte. Das sind die
Fälle, wo die Blutdrucksteigerung, die infolge der Arteriosklerose zu
erwarten wäre, durch die beginnende Insuffizienz des Herzens paraly-
siert wird. Und wie soll man ferner die Fälle von Glaukom bei jungen
Leuten erklären, die selbst bei genauester Untersuchung keine Zeichen
von Atherom der Gefässe zeigen?
Eine andere Gruppe von Blutdrucksteigerung erklärt sich zwang-
los durch nervöse und psychische Momente. Im Fall 3 und 30
wurden deutliche Symptome von Hysterie gefunden. In andern ist
die Aufregung vor der Operation von eklatantem Einfluss. So ist im
Fall 2 der Druck nach der Operation um 30 mm zurückgegangen, im
Fall 23 um 20 mm. Für die Frage, wieweit Aufregung, Angst, Schmerz
die Beurteilung des Blutdrucks erschweren, gibt die Beobachtung des
Pulses einen Anhaltspunkt. Nicht weniger als neun Fülle mit hohem
Blutdruck zeigen abnorm hohe Pulszahlen; in zwei Füllen ist aus-
drücklich hervorgehoben, dass die Pulsfrequenz nach der Operation
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII, 2. 24
368 R. Krümer
bedeutend zurückgegangen war. So bleibt also nur ein ganz geringer
Rest von Füllen, bei denen die Frage nach der Ursache der Blut-
drucksteigerung offen bleiben muss.
[Besondere Erwähnung verdient der Fall der Patientin Anna L.
(Nr. 8. Diese Frau hatte im Verlauf eines akuten Glaukomanfalles
einen schweren Collaps durchgemacht, der an der Klinik beobachtet
wurde. Die Temperatur erniedrigte sich enorm (34,3); leider sind
weitere Angaben in der Krankengeschichte nicht verzeichnet; gewiss
ist, dass im Verlauf des Collapses der Anfall ungeschwächt fortbe-
stand. Wer Blutdruck und Glaukom in direkten Zusammenhang
bringen will, steht diesem Falle wohl ganz hilflos gegenüber.]
Schliesslich möchte ich noch hervorheben, dass ich zwischen aku-
tem und chronischem Glaukom keinen wesentlichen Unterschied bezüg-
lich der Blutdruckverhältnisse finden konnte.
Zusammenfassend glaube ich mich also zu folgenden Schlüssen
berechtigt. Bei Glaukom ist der Blutdruck in einer Anzahl von Fällen
gesteigert; diese Blutdrucksteigerung lässt sich aber in den meisten
Fällen zwanglos durch allgemein somatische und nervöse Zustände
genügend erklären; anderseits sprechen Beobachtungen von abnorm
niedrigem Druck, ja selbst von plötzlicher Druckherabsetzung, gewichtig
gegen den direkten Zusammenhang zwischen Blutdruck und grünem
Star. Nur der letzte Punkt, die plötzlichen Druckschwankungen, be-
dürfen vielleicht einer Modifikation, die ich später besprechen will.
Vorher möchte ich noch die Fragen der Kontrolluntersuchungen
erledigen. Ich bin zunächst den Weg gegangen, den Frenkel gezeigt
hat; das heisst, ich habe bei einer grösseren Anzahl von nicht glau-
komatösen und etwa gleichaltrigen Patienten den Blutdruck bestimmt.
Dazu waren am besten Kataraktkranke zu brauchen. Selbstverständ-
lich wurden auch diesmal die Patienten ohne Auswahl genommen und
die Messungen zur gleichen Zeit und unter denselben Bedingungen
angestellt, wie bei der ersten. Untersuchungsreihe.
Die Resultate sind in Tabelle IT zusammengestellt.
Tabelle IL
Nr. ` Name u. Alter Geschl. Bd.
= — E E
| Anmerkung
Puls
1 F. T, 60 J. ; weibl. ,125, 98 Arterien leicht rigid.
2 M. S. 51 J. » |108 84
3 51A. G., 60 J. » (In 100 Puls etwa arrhythmisch.
4. K. RH, 74 J. ; In 88
5 IM. M, 45 J. | » i145 100. Spuren von Serumalbumin,
6 (| C. Kk, 61 J. » Lou: (16! klingender 2. Aortenton,
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 369
Nr. | Name u. Alter | Geschl. | Bd. | =
Anmerkung
TEE EE EE EE EE a a H HE
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P es c
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sl CH ka Fi
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e
T
2
weibl.
95.
150
125
120
110
125
140
60
15
25
125
110.
iH
1
1
1
115
120
95 |
115
Läb
95
100
110
Puls stark arrhythmisch.
Arterien hart.
Dumpfe Herztóne.
Kein Diabetes, v.5J. Star am andern Auge.
Schwere Arteriosklerose,
Myodegeneratio cordis.
Puls aussetzend.
Patientin sehr erregt.
Puls arrhythm. und inäqual.
Sklerose der Chorioidealgefässe.
Mitralinsuffizienz.
Schwere Myodegeneratio cordis.
Kein Diabetes.
Herztöne sehr dumpf.
Gicht.
Puls aussetzend.
Schwere Arteriosklerose.
Myodegeneratio cordis.
24*
310 R. Krämer
Nr. | Name u. Alter | Geschl. | Bd. 5 Anmerkung
64 ıT. P., 62 J. | männl. |110| 66
65 A. R. 66 J. e 85| 80| Myodegeneratio cordis.
66 |M. N. 68 J. » 850, 72; Myodegeneratio cordis.
67 |J. W., 58 J. e 95| 72
68 |A. S., 61 J. » 90| 64
69 | M. W., 62 J. T 135 | 84
70 iT. R, 62 J. 2 105; 72
41 |J. D., 66 J. e 60| 76| Myodegeneratio cordis, Puls aussetzend.
72 |E. R., 66 J. i 90| 80
13 |B. H, W J. » 95| 84
44 |J. K,, 71 J. » 85| 64
75 |M. H,, 68 J. 55 160| 76| Arterien mässig hart.
76 |P. S., 43 J. j 90| 68
77T IF. M., 85 J. e 140, 76
78 |i W. H., 65 J. D 100| 72
79 |K. E, 64 J. j 60| 80| Myodegeneratio cordis.
80 |J. S., 65 J. 5; 70| 60
81 iS. H, 77J. s 150 | 84
82 |F. R,, 58 J. e 125| 68
83 |A. O, 75 J. 5 85| 64
84 |M. H., 78 J. 5 115| 80
85 | M. H,, 13 J. 5 90| 84
86 |J. F., 68 J. f 85| 64
87 ,W. F, 69 J. » 195| 52
88 |F. G., 49 J. s 110| 68
89 |A. O., 49 J. s: 145| 60| Harte, geschlängelte Arterien.
90 |J. N., 55 J. Re 118 | 108
Unter 90 Kataraktfällen fanden wir also den Blutdruck 30mal
(= 33,3 °%) über 115, das heisst etwa in dem gleichen Prozentsatz
wie bei den Glaukomatösen, 16mal (=16,7°),) herabgesetzt. Zu
bemerken ist dabei, dass das weibliche Geschlecht öfter gesteiger-
ten Blutdruck aufwies. Diese zunächst überraschende Tatsache glaube
ich mir dadurch erklären zu können, dass bei dem gegenüber den Glau-
komatösen durchschnittlich höheren Lebensalter der Starkranken die
Arteriosklerose weiter fortgeschritten ist und bei den Männern die
Herztätigkeit durch Excesse (Alkohol, Tabak) mehr geschwächt ist.
Es muss auffallen, dass die hohen Druckwerte gerade bei den relativ
jüngeren Individuen vorgekommen sind.
Ich móchte bei dieser Gelegenheit auch hervorheben, dass wir
eine Beziehung zwischen gesteigertem Blutdruck und der Stärke der
Blutung bei der Operation nicht konstatieren konnten.
Hatten wir früher Beziehungen zwischen Blutdruck und Glaukom
dadurch zu finden getrachtet, dass wir bei evidenten Fällen den Blut-
“druck bestimmten, so musste als Kontrolle unserer negativen Resultate
das umgekehrte Verfahren anwendbar sein. Es entstand somit die
Frage: Haben Kranke mit hohem Blutdruck (bedingt der verschiedene
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 371
interne Erkrankungen) Glaukom oder scheinen sie wenigstens durch
relativ hohe Augenspannung zu dieser Krankheit disponiert? Der erste
Teil dieser Frage ist von vornherein zu verneinen, die klinische Be-
obachtung erspart spezielle Untersuchungen. Zur Entscheidung des
zweiten Teils galt es, gleichzeitig Blutdruck- und tonometrische Augen-
untersuchungen anzustellen, die aber bekanntlich bis vor kurzem zu
umständlich waren, um an Kranken anderer Stationen in Anwendung
gebracht zu werden.
Erst seit der Einführung des neuen Tonometers von H. Schiötz (6)
besitzen wir ein für Arzt und Patienten gleich bequemes Instrument,
dessen Gebrauch wenig Zeit in Anspruch nimmt, für den Kranken
keine Beschwerden birgt und doch Resultate gibt, deren Genauigkeit
für klinische Zwecke reichlich ausreicht. Wir erwarten allerdings
nicht die Präcision einer manometrischen Bestimmung, die ja selbst
die durch den Puls bedingten Schwankungen wiedergeben kann; im-
merhin haben wir uns in vielen Fällen überzeugt, dass die Resultate
der Schiötzschen Ophthalmotonometrie viel genauer sind, als die durch
die Palpation erreichten. So konnten ‚wir beispielsweise sehen, dass viele
Fälle von „Excavation ohne Drucksteigerung“ doch leichte, über
30 mm Hg betragende Spannungsvermehrungen zeigen. Anderseits
haben wir das Tonometer als wertvolles Hilfsmittel kennen gelernt,
Schwankungen hoher Druckwerte wahrzunehmen, die sich aus physi-
kalischen und psychophysischen Gründen der palpatorischen Diagnose
entziehen. Tensionerhóhungen von 90mm Hg und von 60 mm Hg er-
scheinen dem tastenden Finger identisch; dass aber eine spontane
Druckherabsetzung, z. B. bei Sekundárglaukom, von grosser Bedeu-
tung für unser therapeutisches Handeln sein wird, liegt auf der Haud.
(Ich habe oben absichtlich die Pulsschwankungen erwähnt. Man
sieht nämlich auch an dem Schiötzschen Tonometer, wenn es richtig
steht, leichte Pulsationen. Nach wiederholten Versuchen haben wir
aber diese Schwankungen als den Puls des Untersuchers erkannt.
Ich erkläre mir diese Erscheinung so, dass bei dem langen Hebel-
arm, den der frei gehaltene Arm vorstellt, die Pulsstösse der Arteria
brachialis leichte Erschütterungen des Armes zur Folge haben, die
ihrerseits feinste Verschiebungen des Apparates auf der Hornhaut
und dadurch minimale Ausschläge des Zeigers bewirken.)
Bei dem grossen Krankenmaterial unseres Krankenhauses war es
nicht schwer, eine Reihe von Patienten zur Untersuchung zu bringen.
Alle Fälle sind liegend untersucht, die Blutdruckmessung (Gärtner)
wurde gleichzeitig mit der Ophthalmotonometrie vorgenommen. — Ich
312 R. Krümer
erlaube mir an dieser Stelle, den Vorständen, die mir meine Unter-
suchungen ermöglichten, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.
Was die internen Befunde dieser Kranken anlangt, so stehen
natürlich die Nephritiker obenan. Glaukom und Nephritis ist ein
relativ seltenes Zusammentreffen. (Unter den 45 Fällen der Tabelle I
bot keiner Erscheinungen dieses Leidens) Schmidt- Rimpler (8)
macht auf das Auffallende dieser Tatsache aufmerksam und hebt her-
vor, dass die meisten der beschriebenen Fälle nicht primäre, sondern
hämorrhagische Sekundärglaukome sind. Die Nephritiker bieten den
Vorteil, dass sie in verschiedenen Lebensaltern stehen. Die übrigen
Kranken litten an Arteriosklerose und Herzfehlern.
Die Resultate sind folgende:
I. J. F., 42jähr. Mann. Arteriosklerose, Retinitis haemorrhagica. Urin
normal. Bd. 180. Tonometer (beiderseits gleich): 2. Gewicht!) — Aus-
schlag 6 = 22mm.
IL J. V., 47jähr. Mann. Tabische Krisen. In der Krise .Bd. 145.
Tonometer (beiderseits gleich): 1. Gewicht — Ausschlag 5 = 18mm. Im
Intervall Bd. 80.
III. M. R, 70 jähr. Mann. Aorten- und Mitralinsuffizienz (Arterio-
sklerose). Bd. 150. Tonometer (beiderseits gleich): 1. Gewicht — Aus-
schlag 4 = 21 mm. Ä
IV. F. M, 64jühr. Mann. Parenchymatöse Nephritis mit 5?/,, Albu-
men, pleuritisches Exsudat. Bd. 140. Tonometer (beiderseits gleich): 1. Ge-
wicht — Ausschlag 4!|, — 19 mm.
V. J. N., 62jähr. Mann. Arteriosklerose. Bd. 125. Tonometer:
1. Gewicht — Ausschlag R. 4!|, — 19 mm, L. 5 = 18 mm.
2. Gewicht — Ausschlag R. 7 = 19mm, L. 8 = 16 mm.
VI. M.M., 38 jähr. Mann. Nephritis chronica mit sekundärer Schrump-
fung, Essbach 5°% Urämie. Bd. 180. |
Tonometer: 1. Gewicht — Ausschlag 6 = 15 mm.
VII. J. N., 66jühr. Mann. Arteriosklerose. Bd. 135. Tonometer
(beiderseits gleich):
| 1. Gewicht — Ausschlag 2 = 30 mm!
2. Gewicht — Ausschlag 4 = 31mm!
VIII J. S., 57 jähr. Mann. Arteriosklerose mit sekundärer Schrumpf-
niere, Essbach 1°. Bd. 170. Tonometer (beiderseits gleich):
1. Gewicht — Ausschlag 41, — 19 mm.
IX. P. 19 jühr. Mann. Mitralinsutlizienz: Dd. 115. Tonometer
(beiderseits gleich):
1) Die Werte wurden dureh Auflegen des nächsthöheren Gewichts nach-
kontrolliert.
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 373
1. Gewicht — Ausschlag 5 = 16mm (Bd. 115 ist mit Rücksicht auf das
Alter als erhöht zu bezeichnen).
X. M. B, 29jähr. Mann. Nephritis parenchymatosa, Essbach 2°|,,.
Urämie. Bd. 200. Tonometer (beiderseits gleich):
1. Gewicht — Ausschlag = 16 mm.
XI. J. K., 63jähr. Mann. Arteriosklerose — Nephritis, Bd. 120.
Tonometer (beiderseits gleich):
1. Gewicht — Ausschlag 41), = 19 mm.
XII. H.J., 30jähr. Frau. Nephritis parenchymatosa, Essbach 2°...
Urämie. Bd. 175. Tonometer (beiderseits gleich):
1. Gewicht — Ausschlag 31, = 22 mm.
2. Gewicht — Ausschlag 5 = 26 mm.
XIII. K. Z., 56jühr. Frau. Genuine Schrumpfniere. Bd. 180. To-
nometer:
1. Gewicht — Ausschlag R. 4 = 21 mm, L. 31, = 22 mm.
XIV. M. S., 16jähr. Mädchen. Nephritis parenchymatosa. Bd. 110
(etwas erhöht). Tonometer (beiderseits gleich):
1. Gewicht — Ausschlag 5 — 16 mm.
XV. J. M., 53jähr. Frau. Atheromatóse Aorta mit sekundárer In-
suffizienz ihrer Klappen, Ascites, Hydropericardium. Bd. 135. Tonometer
(beiderseits gleich): |
1. Gewicht — Ausschlag 4!|, — 19 mm.
XVI. A. P. 47jühr. Frau. Nephritis haemorrhagica, Essbach !/,9|,,.
Bd. 145. Tonometer (beiderseits gleich):
1. Gewicht — Ausschlag 4 = 21 mm.
XVII. M. G., 24 jähr. Frau. Nephritis parenehymatosa, Essbaeh 7 %,.-
Bd. 170. "Tonometer:
1. Gewicht — Ausschlag R. 4! = 19mm.
L. 5 — 16mm.
XVIII. E. K., 55jähr. Frau. Nephritis parenchymatosa, Essbaclı
Tho Bd. 180. Tonometer:
| 1. Gewicht R. 4!|, — 19 mm, L. 5 — 16 mm.
XIX. J. P., Frau. Nephritis parenchymatosa. Bd. 150. Tono-
meter (beiderseits gleich:
1. Gewicht — Ausschlag 3!, = 18 mm.
In seiner letzten Arbeit gibt Schiötz (7) an, der normale Binnen-
druck im Auge liege zwischen 15,5 und 25 mm /Ig, d. h. sein Tono-
meter gebe mit dem ersten Gewicht belastet einen Ausschlag von
drei bis sechs Strichen.
Die Zusammenfassung der gefundenen Resultate ergibt nun, dass
sich in 14 Füllen die Tension der Augen in durchaus normalen Gren-
374 R. Krämer
zen bewegt, wobei zu bemerken ist, dass der Blutdruck bei einzelnen
Patienten sehr beträchtliche Werte ergibt.
Allerdings nicht maximale. Die höchsten bekannten Zahlen dürf-
ten nach Gärtner bei 290 mm (Pal), nach Riva-Rocci bei 350 mm
(Forlanini) liegen. Wir können aber annehmen, dass sich auch bei
solchen paroxysmalen Werten der Augendruck nicht wesentlich beein-
flusst zeigen, wird, um so weniger als wir in den vorliegenden Resultaten
auch in den normalen Grenzen absolut keinen Zusammenhang zwischen
Tension des Auges und geringerer und höherer Blutdrucksteigerung
finden. Auch innerhalb dieser normalen Grenzen gibt es bei sehr
erhöhtem Druck „weiche“ Augen (6, 8, 10, 18) und „harte“ Augen
(1, 12, 13), und ebenso bei nur wenig erhöhtem.
In einem einzigen Fall (7) überschreitet die Spannung des Auges
die normale Grenze. Dieser Mann hat aber Glaukom; er wurde vor
zwei Jahren an unserer Klinik am rechten Auge iridektomiert und
zeigt gegenwärtig bei anscheinend ungeänderter Sehschärfe und —
quoad oculos — subjektivem Wohlbefinden im linken Auge eine so
verdächtige Excavation, dass nur sein elender Allgemeinzustand die
Operation als nicht empfehlenswert erscheinen lässt.
Die Ergebnisse der Kontrollprüfungen bestätigen also die schon
vorher ausgesprochene Meinung, dass sich klinisch ein direkter Kon-
nex zwischen arterieller und intraokularer Spannung nicht aufstellen
lässt. Diese Ansicht teilt jetzt auch Terson(9), der sich auf den
alten Standpunkt zurückbegeben hat, die Blutdruckvermehrung „spiele
wohl eine Rolle in der Pathologie des Glaukoms“; welche aber, da-
rüber herrscht dasselbe geheimnisvolle Dunkel, wie über dem Wesen
dieser Krankheit überhaupt. Denn noch wissen wir nicht, ob die
glaukomatöse Drucksteigerung überhaupt das primäre ist. Sie ist nur
das hervorstechendste Symptom und man begeht nur zu leicht den
Fehler, intraokulare Hypertension und Glaukom zu verwechseln. Wir
können Nuel nicht folgen, wenn er sagt (in der Diskussion zu Tersons
Vortrag)] „La maladie c'est le glaucome, et le glaucome c'est la dureté
anormale de l'œil. Il (Terson) exclut plus ou moins du tableau les for-
mes dites de glaucome secondaire. Pour moi le glaucome secondaire,
y compris celui par occlusion de la pupille, est tout ce qu'il y a de
plus glaucome.“ Wir halten vielmehr dafür, dass Primär- und Sekun-
dlärglaukom verschiedene Krankheiten sind, die nichts gemein haben
als das Symptom der Drucksteigerung, oder besser gesagt, das Pri-
märglaukom ist eine Krankheit mit Tensionserhöhung als augenfällig-
stem Symptom; das sekundäre ist an und für sich nur em Symptom.
Zur Frage des Anteils des Blutdruckes an der glaukom. Drucksteigerung. 375
Da wir also auf Grund unserer Befunde zu negativen Schlüssen
gekommen sind, müssen wir auch die Versuche, das Glaukom durch
diätetische Massnahmen — Regime achlorurique (Cantonnet), Stro-
phantus (Zimmermann) — zu beeinflussen, zurückweisen. Diäte-
tische Massnahmen werden gewiss von grosser Wichtigkeit sein, wenn
der Allgemeinzustand des Kranken es erfordert; für die Therapie des
Glaukoms aber müssen wir uns vorläufig auf die lokalen, erprobten
medikamentösen und operativen Methoden beschränken.
Die Untersuchungen in der Frage des Blutdruckes sollen nach
zwei Richtungen fortgesetzt werden: Die gangbare Theorie des glauko-
matösen Arterienpulses nimmt zur Erklärung die intraokulare Druck-
steigerung; es ist aber auffallend, dass sich keine Proportionalität
zwischen Arterienpuls und Höhe des intraokularen Druckes ergibt
(vgl. Tabelle I); er kommt bei geringer Drucksteigerung ebenso vor
wie bei starker und kann in beiden Fällen fehlen. Die gewöhnliche
Methode der Blutdruckmessung gibt keinen Anhaltspunkt. Hier wird
vielleicht eine Methode Klarkeit bringen, die jetzt mehr und mehr
geübt wird, die Bestimmung des systolischen und diastolischen Druckes.
Ich kann mir vorstellen, dass auch bei mässiger intraokularer Ten-
sionserhöhung Arterienpuls auftritt, wenn die Differenz zwischen sy-
stolischem und diastolischem Druck gross ist, ohne dass der Gesamt-
druck höher zu sein braucht.
Zur Erklärung der Ingruenz der experimentellen und klinischen
Beobachtung des Parallelismus der Blutdruck- und Augendruckkurven
habe ich wiederholt auf die Adaptationsfähigkeit des Auges an Druck-
schwankungen hingewiesen; was geschieht nun aber, wenn diese fehlt,
fehlen muss, weil die Blutdrucksteigerung ganz plötzlich einsetzt. In
einer ausführlichen Monographie über diese Zustände sagt Pal(5):
„In einer Reihe von Krankheiten greifen die Gefässe in paroxysmaler
Weise in den Gang der Ereignisse ein. Es kommen dadurch höchst
charakteristische Erscheinungskomplexe zu stande, welche gewisse Phasen
dieser Krankheitsprozesse kennzeichnen, gelegentlich aber auch auf
den Ablauf derselben bestimmenden Einfluss üben. Die Summe der
Erscheinungen, welche sich an diese Gefässvorgänge anschliessen, be-
zeichne ich als Gefässkrise.“
Die Gefisskrisen äussern sieh in mannigfaltiger Weise und in-
teressieren besonders die „Hochspannungskrisen“, Zustände, bei denen
der Blutdruck rasch fast plötzlich in die Höhe schnellt, um später
in das normale Niveau abzusinken. Geht in solchen Fällen der intra-
okulare Druck mit, so müssten Anfälle entstehen, die in der Perio-
316 R. Krümer, Zur Frage des Anteils des Blutdruckes usw.
dizität ihres Auftretens lebhaft an echtes Glaukom erinnern. Aus
einer mündlichen Mitteilung weiss ich, dass Professor Pal über solche
Beobachtungen verfügt, einen Fall habe ich selbst gesehen; das Ma-
terial ist aber nicht zahlreich genug, Schlüsse zuzulassen und die
Beobachtungen müssen fortgesetzt werden. Sie werden vielleicht zu
dem Schluss führen, dass in dem Krankheitsbild des Glaukoms eine
Unterabteilung „vaskuläres Glaukom“ abzutrennen wäre; es kann sich
anderseits aber auch herausstellen, dass diese Fälle zum Sekundär-
glaukom gehören. |
Meinem hochverehrten Chef, Herrn Hofrat Fuchs, sage ich auch
an dieser Stelle ergebensten Dank für die liebenswürdige Unterstützung
bei meinen. Untersuchungen.
Literaturverzeichnis.
1) Bajardi, La pressione endoarteriosa generale in rapporto col glaucoma. —
Communicazione fatta al Reale Accad. di Med. di Torino nella seduta de
9. Febbraio 1900.
2) Bartels, Über Blutgefüsse des Auges bei Glaukom ... Habilitationsschrift,
Berlin 1905, S. Karger.
äi Frenkel, Recherches sur la tension artérielle dans le glaucome. Arch.
= d'Ophtalm. T. XXV. p. 27. 1905.
4) Heine, Über Lipaemia retinalis und Hypotonia bulbi im Coma diabeticum.
Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. Bd. XLIV, 2. S. 451.
5) Pal, Gefüsskrisen. Leipzig 1905, S. Hirzel.
6) SE Ein neuer Tonometer — Tonometrie. Arch. f. Augenheilk. Bd. LII.
. 401.
T) Schiótz, Tonometrie. Arch. f. Augenheilk. Bd. LXII. S. 317.
8) Schmidt- Rimpler, Glaukom und Ophthalmomalacie. Graefe-Saemisch,
Handb. d. ges. Augenheilk. 2. Aufl. Bd. VI, 1. |
9) Terson, Pathogénie du glaucome. Société belge d'ophtalmologie. Séance
du 26. Nov. 1907. Vide Annales d'ocul. T. CXL. p. 224.
10) Terson et Campos, Recherches sur l'état de la tension artérielle générale
chez les glaucomateux. Arch. d'ophtalm. T. XIX. p. 201. 1898.
11) Wessely, Experinentelle Untersuchungen über den Augendruck. Wies-
baden 1905, J. F. Bergmann.
Entwurf eines „Merkblatts zur Bekämpfung und Verhütung
der Kurzsichtigkeit“.
Von
Dr. R. Halben,
Privatdozent in Greifswald.
Seit einer Reihe von Jahren gibt bekanntlich das Reichsgesundheits-
amt kurzgefasste gemeinverständliche „Merkblätter“ zur Bekämpfung
und Verhütung der verschiedensten Krankheiten heraus, und sorgt
durch geeignete Verteilungsmassnahmen dafür, dass diese zur Auf-
klärung der Gefährdeten bestimmten Blätter in die Hände der Be-
völkerungskreise gelangen, zu deren Schutz sie dienen sollen. Zum
grossen Teil sind es Infektions- und Intoxikationserkrankungen, gegen
die diese Blätter sich wenden, teils häufige weitverbreitete Krank-
heiten und Missbräuche wie Tuberkulose und Alkoholismus, teils
seltenere Erkrankungen, wie Pilzvergiftung, tierische Parasiten, nur
zeitweise in Epidemien bei uns vorkommende Krankheiten wie Cho-
lera und Schádigungen, die vorzugsweise bestimmte kleinere Berufs-
gruppen bedrohen, wie z. B. die Bleivergiftung. Da das Kaiserliche
Gesundheitsamt fortfáhrt, weitere derartige Merkblütter zu bearbeiten
und zu verbreiten, so ist anzunehmen, dass es befriedigende Erfah-
rungen bezüglich der Nützlichkeit der Bekämpfung solcher Schäden
durch derartigen Appell an die Einsicht der Geschädigten und Be-
drohten gemacht hat. Der Nutzen dieser Kampfmethode muss am
grössten sein bei den Krankheiten, zu deren Verhütung ein gewisses
Verständnis für ihr Wesen notwendige Voraussetzung ist. Ja fast
gebieterisch drängt sich die Verpflichtung zur allgemeinen Aufklärung
in den Fällen auf, wo diese Aufklärung über die Entstehungsursachen
fast das einzige Mittel zur Verhütung ist, wo ferner der Ernst der
Krankheit von den Nichtbefallenen unterschätzt zu werden pflegt,
und wo tatsächlich die Beachtung einiger einfacher Vorschriften allein
genügen würde, um in der weitaus grössten Mehrzahl die Entwick-
lung einer ungeheuer verbreiteten Krankheit zu verhindern oder doch
stark zu hemmen. Eine solche Krankheit ist aber in erster Linie
378 R. Halben
die Kurzsichtigkeit. Soweit ich es übersehe, kann unter den weit-
verbreiteten Krankheiten hinsichtlich der Bekämpfbarkeit durch blosse
Aufklärung höchstens die Zahncaries mit ihr rivalisieren. Denn es
gehört beispielsweise zur wirksamen Bekämpfung der Tuberkulose
Hebung des Wohlstandes, damit die Merkblattvorschriften befolst
werden können; dem vollen Erfolg der Aufklärung gegen den Alko-
holismus steht selbst bei erreichter Einsicht das Fehlen des Willens
zur Befolgung im Wege. Bei der Myopie ist einerseits von ganz oder fast
kostenlosen Schutzmassregeln ausreichender Erfolg zu erhoffen, ander-
seits besteht in ganz besonders hohem Masse die Verpflichtung zum
Schutze der Massen durch Aufklärung, weil diese Massen in jungen Jahren
zwangsweise den Schädigungen, die erfahrungsgemäss die Myopieent-
stehung begünstigen, ausgesetzt werden (Schulzwang, Schulmyopie). Und
die Gelegenheit zur Durchführung der nötigen Aufklärung ist besonders
günstig, weil eben in der Schule, die die Gefahren birgt und sie
möglichst auszuschalten verpflichtet ist, die beste Organisation zur
Verbreitung der Aufklärung gegeben ist. Es braucht einfach etwa
vom dritten oder vierten Schuljahr an die Besprechung des „Merk-
blattes“ ins Pensum aller Klassen aufgenommen zu werden. Von der
Schule aus wird die Erkenntnis durch die Kinder in die Familien dringen.
Eine populär gehaltene Darstellung des Wesens der Kurzsichtig-
keit, ihrer Behandlung und Verhütung, ist natürlich für jedermann
reizvoller zu lesen als gerade für den Ophthalmologen. Wenn ich
es trotzdem wage, den folgenden Entwurf eines „Merkblattes“ in
dieser Zeitschrift einem Forum von Fachleuten zu unterbreiten, so
geschieht es, um einmal die Zweckmässigkeit eines Kurzsichtigkeits-
Merkblattes überhaupt, anderseits die Fassung der Einzelheiten des
Entwurfs zur Diskussion zu stellen. Ich wollte eben nicht eigen-
mächtig, etwa durch Vermittlung eines der grossen Vereine für
Volksgesundheit, die Massenverbreitung des Blattes in der von mir
entworfenen Fassung in die Wege leiten. Eine völlige Einigkeit
wird sich natürlich nicht erzielen lassen auf einem Gebiet, in dem
noch soviel Meinungsverschiedenheiten herrschen. Diese Eigenschaft
teilt aber das Gebiet der Myopie mit vielen andern, die trotzdem
mit Nutzen in solchen Merkbhláüttern behandelt sind. Und es ist
eben die Aufgabe, unter Übergehung wissenschaftlicher Streitfragen,
unter Weglassung von Einzelheiten eine Fassung zu finden, auf die
sich eine Majorität wissenschaftlich arbeitender Ophthalmologen einigt.
Man wird sich dabei nicht scheuen dürfen, wo es nótig ist, die Ge-
nauigkeit der Verständlichkeit zu opfern.
Entwurf eines „Merkblatts z. Bekämpfung u. Verhütung d. Kurzsichtigkeit"*. 379
Ich lasse nun den Entwurf folgen. Zur Erlüuterung des ersten
und zweiten Abschnittes des Merkblattes ist event. je eine einfache
schematische Abbildung im Text einzufügen.
Kurzsichtigkoeit- Merkblatt.
Zur Bekämpfung und Verhütung der Kurzsichtigkeit.
Das Auge ist in optischer Beziehung einer photographischen Camera
vergleichbar. Durch die Hornhaut und die Linse wird das Bild betrach-
teter Gegenstände entworfen; die Netzhaut, auf welcher dieses Bild auf-
gefangen wird, entspricht der photographischen Platte. Von ihr aus wird
durch den Sehnerven der Gesichtseindruck zum Gehirn geleitet. Im normal-
sichtigen Auge werden bei flachster Linsenkrümmung ferne Gegenstände
gerade scharf auf der Netzhaut abgebildet. Zur Abbildung naher Gegen-
stände bedarf es vermehrter Linsenkrümmung.
Wesen der Kurzsichtigkeit.
Die Kurzsichtigkeit stellt eine Krankheit bzw. einen Bildungsfehler des
Auges dar, bei welcher von (unendlich) fernen Gegenständen ins Auge
kommende Lichtstrahlenbündel vor der Netzhaut (im Glaskörper) zur punkt-
förmigen Vereinigung kommen, während in der Netzhaut nur von mehr oder
weniger nahen Gegenständen stammendes Licht zur Vereinigung kommen
kann. Mithin kann das kurzsichtige Auge nur mehr oder weniger nahe
Objekte scharf und deutlich sehen (Bild des Gegenstandes auf der Netzhaut);
fernere Gegenstände müssen ihm undeutlich, verwaschen erscheinen, und
zwar je ferner um so weniger scharf (Bild des Gegenstandes im Glaskörper
vor der Netzhaut, wird auf die Netzhaut in Zerstreuungskreisen, also ver-
waschen, entworfen). Ein kurzsichtiges, übrigens gesundes Auge sieht also
dicht bei, im Lesebuch beispielsweise, ebenso scharf wie ein normales, da-
gegen auf grössere Distanz (quer über die Strasse, in der Schule an der
Wandtafel) schlecht.
Grad der Kurzsichtigkeit.
Die Kurzsichtigkeit ist um so höhergradig, je kürzer die Entfernung
ist, innerhalb deren noch scharf (normal) gesehen wird, je näher also der
fernste Punkt, der noch deutlich gesehen (punktförmig) auf der Netzhaut
ahgebildet wird (Fernpunkt), dem Auge liegt. Als hohe Grade von Kurz-
sichtigkeit bezeichnet man etwa solche mit einer Fernpunktsdistanz von
weniger als 15 cm, bei höchsten Graden kann der Fernpunkt bis auf 5, ja 3 cm
ans Auge heranrücken, so dass alle ferneren Gegenstände verschwommen
gesehen werden. Als mittlere Grade rechnet man die Fernpunktslage
zwischen 15 und 50cm, und als leichte die, bei denen der Fernpunkt jen-
seits von 50 cm liegt.
Durch die Kurzsichtigkeit verursachte Beschwerden.
Der geringgradig Kurzsichtige wird sich oft seines Fehlers gar nicht
bewusst; in Schreib- und Lesedistanz sieht er ebenso gut wie der normale,
quer über die Strasse liest er allerdings Namensschilder schon weniger deut-
lich, unterscheidet aber bei guter Tagesbeleuchtung noch die Gesichter seiner
380 | R. Halben
Bekannten; erst in der Dämmerung und bei mangelhafter künstlicher Be-
leuchtung hat es damit Schwierigkeiten, weil die Schärfe des Netzhautbildes
bei der im Dunkeln erweiterten Pupille sehr viel mehr leidet als bei enger
Pupille (in Tageslicht). Diese nicht durch eine Brille äusserlich als kurz-
sichtig kenntlichen Personen kommen, weil sie an ihren Bekannten grusslos
vorübergehen, leicht in den Ruf, hochmütig oder unhöflich oder ungeschickt
zu sein.
Kurzsichtigkeit mittleren Grades nötigt zu ständigem Gebrauch von
Korrektionsgläsern für alle Zwecke des Verkehrs. Unsicherheit im Erkennen
führt zu Unsicherheit im Auftreten, ungeschicktem und linkischem Benehmen.
Der hochgradig Kurzsichtige ist ohne Glas ganz hilflos, in den höchsten
Graden nicht viel besser daran als ein fast Blinder, dazu in höherem Masse
den später anzuführenden Komplikationen der Kurzsichtigkeit ausgesetzt;
sein Auge ist meist an sich krank und seine Sehschärfe herabgesetzt.
Für viele Berufe und Betätigungen sind die Kurzsichtigen nicht oder
in geringerem Grade als die Normalsichtigen tauglich, beispielsweise zum
Jäger, Schützen, Soldaten, Seemann, Sportsmann, Eisenbahner, Luftschiffer,
Kutscher, Chauffeur, Polizist usw. Bei der grossen Verbreitung der Kurz-
sichtigkeit in Deutschland verdient diese Beeinträchtigung der Wehr- und Er-
werbsfähigkeit auch im vaterländischen Interesse ernste Beachtung.
Optische Ursache der Kurzsichtigkeit.
Abnorm grosse Länge des Augapfels ist in der gróssten Mehrzahl die
Ursache der Kurzsichtigkeit, sehr viel seltener trägt bei normaler Länge der
Augenachse abnorm starke Brechkraft des optischen Apparats (vor allem
der Hornhaut und der Linse) die Schuld.
Entstehung und Verlauf.
Das Auge des Neugeborenen ist nie kurzsichtig, sein Augapfel nie zu
lang. Die übergrosse Länge und damit die Kurzsichtigkeit wird immer erst
im Laufe des Wachstums erworben und zwar meist unter dem schädigen-
den Einfluss zu starker Beschäftigung mit Nahearbeit, wie sie die Kultur
mit sich bringt. Das normale Grössenwachstum des Augapfels findet statt
unter dem Einfluss des wanddehnenden Augapfelinnendrucks (Spannung im
Glaskörper).. Dieser Innendruck wird jedmalig durch Richtung des Blicks
auf nahe Gegenstände gesteigert, und zwar durch Pressung des Augapfels
zwischen den diese Blickrichtung (Konvergenz) besorgenden äusseren Augen-
muskeln, welche, den Augapfel grossenteils umgreifend, ihn bewegen. Da
dabei die Seitenteile des Augapfels durch die drückenden Muskeln selbst
und ihre Verbindungen gestützt werden, wirkt diese Drucksteigerung nur
in der Längsrichtung des Augapfels dehnend. Auch im kulturfreien Zustand
beschäftigt der Mensch sich einen bescheidenen Teil seiner Tageszeit lang
mit nahen Gegenständen. Die dabei entstehenden zeitweisen Steigerungen
des Augapfelinnendruckes wirken bei normalwandigen Augen nur fórdernd
auf den normalen Wachstumsprozess des Augapfels und befördern nur bei
krankhaft wenig widerstandsfähiger Augapfelwandung (erbliche Veranlagung,
Kranklaftigkeit der Lederhauti Entstehung von Kurzsichtiskeit (so findet
man auch heute vereinzelt Fälle von höherer Kurzsichtigkeit bei Wilden
Entwurf eines „Merkblatts z. Bekämpfung u. Verhütung d. Kurzsichtigkeit“. 381
und Analphabeten) Die weitaus grösste Mehrzahl der Kurzsichtigkeitsfälle
aber ist der im Gefolge der Kultur einhergehenden übermässigen Beschäf-
tigung mit Nahearbeit (Lesen, Schreiben, Handarbeiten, Zeichnen usw.) zu-
zuschreiben. Eine Brutstätte der Kurzsichtigkeit bildet vor allem die Schule.
Den übermnässig häufigen und dauernden Drucksteigerungen, die die an-
haltende Nahearbeit mit sich bringt, sind sehr viele der im Wachstum be-
findlichen Augen nicht angepasst; das Längenwachstum schiesst unter diesen
ungünstigen Einflüssen über das zweckmässige Mass hinaus. Ist aber hier-
durch erst einmal Kurzsichtigkeit, wenn auch geringen Grades, entstanden,
so ist damit die Gefahr einer Zunahme der Kurzsichtigkeit in ständig sich
steigerndem Grade gegeben. Denn in den physiologischen und anatomischen
Verhältnissen der Augapfelmuskulatur (Verknüpfung zwischen Accommodation
und Konvergenz) ist es bedingt, dass ein kurzsichtiges Augenpaar zu immer
weiterer Verringerung der Arbeitsdistanz neigt (Nähernelimen des Lesebuchs,
„mit der Nase“ auf dem Schreibheft liegen). Je geringer aber die Arbeits-
distanz, um so stärker die Konvergenz beider Augen, um so stärker die
Pressung der Augäpfel zwischen den Augenmuskeln, um so höher der
Binnendruck, um so stärker die Förderung des Längenwachstums des Auges, -
bzw. der Kurzsichtigkeit. Setzen keine Gegenmassregeln ein, so folgt dar-
aus eine ständige Zunahme der Kurzsichtigkeit während der ganzen Waclıs-
tumsperiode, die am Auge erst etwa mit Vollendung des 24. Lebensjahres
ihren Abschluss finde. Diese Zunahme ist um so stärker, je geringer die
Widerstandskraft der Augapfelwand, je dauernder die Nahearbeit und je
grösser die Annäherung derselben. Erzwungen, bzw. begünstigt wird zu
geringe Arbeitsdistanz durch Schwachsichtigkeit aus anderer Ursache (Horn-
hautflecken, unregelmässige Hornhautwölbung, Schichtstar und Augenhinter-
grundskrankheiten), durch ungenügende Beleuchtung und durch schlechten
oder zu feinen Druck. Alle solche Momente begünstigen daher die Ent-
stehung der Kurzsichtigkeit.
Komplikationen.
Hochgradig kurzsichtige Augen sind von zum Teil sehr ernsten Kom-
plikationen bedroht, von Glaskörpertrübungen, Netzhautblutungen, entzün-
dungsartigen Vorgängen um den gelben Fleck und nn und
damit teilweiser bis völliger Erblindung.
Verhütung und Behandlung der Kurzsichtigkeit.
Durch Beseitigung aller genannten Ursachen lässt sich in der grüssten
Mehrzahl der Fälle, wohl in allen, in denen ernstere Augenkrankheiten oder
schwere erbliche Belastung fehlen, die Entstehung der Kurzsichtigkeit so-
wohl wie die Zunahme der bereits entstandenen verhüten. Es genügen
dazu relativ einfache Massnalımen, und mit besonderem Nachdruck ist von
den Schulen zu verlangen, dass sie alle Gefahren für die Gesundheit der
Schüler bestmöglichst ausschalten. Nur in den seltensten Fällen ist zur
Vermeidung der Kurzsichtigkeit Einschränkung der Dauer der Nahearbeit
in der Schule erforderlich, meist genügt es, für gute Beleuchtung (von der
linken Seite), guten, grossen Druck der Schulbücher und grosse steile Schrift
(mit Tinte, nicht mit Blei oder Griflel; zu sorgen, mit Nachdruck auf auf-
382 R. Halben
rechte Körperhaltung, passende Sitze und Tische (nötigenfalls Geradehalter)
und grosse Arbeitsdistanz (!/,m) zu achten und rechtzeitig die Kinder aus-
zusondern, bei denen beginnende Kurzsichtigkeit oder andere Augenfehler
zu Verringerung der Arbeitsdistanz drängen. Dazu genügt die zweimal im
Jahre vorzunehmende Prüfung des Sehvermögens der Kinder für die Ferne
(Lesen von Sehproben in 5—6 m Abstand). Diese einfache Prüfung kann
jeder Lehrer vornehmen. Alle Kinder, die diese Prüfung nicht bestehen,
bedürfen ärztlicher Untersuchung. Die meisten grösseren Städte haben durch
Anstellung von Schulärzten, einige auch von Schulaugenärzten, diesem Be-
dürfnis schon Rechnung getragen. Die allgemeine Einführung dieser Ein-
richtung ist dringend im Interesse der Gerechtigkeit (man erzwingt den
Schulbesuch, also darf die Schule nicht schaden) und des Nationalwohls zu
verlangen. Ergibt die Untersuchung beginnende Kurzsichtigkeit oder Zu-
nahme einer schon vorher vorhandenen, so bedarf es einfach der Verord-
nung der vollkorrigierenden Gläser (d. h. der Konkavgläser, durch
welche eben das Auge wieder scharf für die Ferne eingestellt wird) zu be-
ständigem Tragen auch bei jeglicher Nahearbeit, um dem Auge
. wieder zu ermöglichen, grosse Arbeitsdistanz innezuhalten und dadurch die
Ursache weiterer Zunahme, zu starke Konvergenz, auszuschalten oder ab-
zuschwächen. Andere Augenfehler bedürfen je nach Sachlage besonderer
ärztlicher, bzw. augenärztlicher Behandlung, sollen sie nicht der Entstehung
von Kurzsichtigkeit Vorschub leisten. Dieselbe Aufmerksamkeit wie die
Schulen haben natürlich die Eltern zu Hause im eigensten Interesse ihrer
Kinder auf diesen Gegenstand zu richten. Tatsächlich sind heutzutage die
häuslichen Verhältnisse in bezug auf Beleuchtung beim Lesen und Schreiben,
auf geeigneten Bau von Tischen und Stühlen und die Güte des Druckes
der Privatlektüre der Kinder sehr viel schlechter als in der Schule, und
im Hause wäre auch vielfach eine Einschränkung der Dauer der Nahearbeit
energisch zu befürworten (Bücherwürmer! weibliche Handarbeiten!).
Nach beendetem Augenwachstum (24. Lebensjahr) ist Entstehung von
Kurzsichtigkeit nicht mehr zu befürchten, und eine Zunahme einer schon
bestehenden auch nur bei schon erreichten hohen Graden, besonders auf
der Grundlage erblicher Veranlagung.
Verbreitung der Kurzsichtigkeit.
Die Kurzsichtigkeit ist eine der verbreitetsten Volkskrankheiten. Je
gründlicher der Schulzwang durchgeführt ist, je höher die Arbeitsanforde-
rungen der Schule, um so häufiger die Kurzsichtigkeit. Daher ist die Ver-
breitung der Kurzsichtigkeit in Deutschland viel ärger als in vielen andern
Ländern, und in den höheren Schulen schlimmer als in den Dorfschulen.
In den Oberklassen der Gymnasien sind statistisch bis zu 80°), Kurzsichtige
festgestellt. Bei Frauen ist die Kurzsichtigkeit aus dem gleichen Grunde
im ganzen etwas seltener als bei Männern. Immerhin begünstigt bei Frauen
die Abneigung gegen eine Verunstaltung durch Gläsertragen die weitere
Zunahme einmal bestehender Kurzsichtigkeit sehr. Schlimmer noch wirkt
in dieser Beziehung der unter Árzten und Laien noch verbreitete
Aberglaube, man schone die Augen durch Vermeidung von
Brillen und solle immer suchen mit möglichst schwachen Brillen sich zu
Entwurf eines ,, Merkblatts z. Bekámpfung u. Verhütung d. Kurzsichtigkeit*. 383
behelfen. Das ist falsch. Man verhüte die Entstehung der Kurz-
sichtigkeit. Ist sie aber entstanden, so trage man die richtige
d. h. die vollkorrigierende Brille.
Zusammenfassung.
Kurzsichtigkeit ist bei uns weit verbreitet, sie beeinträch-
tigt ihren Träger vielfach, setzt seine Kriegs- und Erwerbs-
tauglichkeit herab. Sie beruht meist auf zu grosser Länge des
Augapfels. Diese entsteht unter dem Einfluss allzuhäufiger und
zuhoherSteigerungen desAugapfelinnendrucksauf das wachsende
Auge, welche die Folge von Pressungen des Augapfels zwischen
den áusseren Augenmuskeln bei zu andauernd und in zu kurzem
Abstand ausgeübten Nahesehen sind (zu langdauerndes und in
zu kurzer Entfernung vom Auge ausgeübtes Schreiben, Lesen,
Zeichnen, Handarbeiten usw... Schwachsichtigkeit irgendwelcher
Art, schlechte Beleuchtung, schlechter oder zu kleiner Druck,
zu feine Handarbeit, zu hohe Tische, zu niedrige Stühle, kurz
alles, was zu grosse Annäherung der Arbeitsobjekte begünstigt,
begünstigt Entstehung und Zunahme der Kurzsichtigkeit. Vor
allem liegt in einmal erworbener Kurzsichtigkeit der Keim zu
immer stärkerer Annäherung der Objekte und damit zu immer
weiterer Zunahme der Kurzsichtigkeit. Die Kurzsichtigkeit
wird wirksam bekämpft durch ausreichende Arbeitsdistanz (!J, m)
nebst Korrektion jeder etwa schon entstandenen Kurzsichtig-
keit durch das vollkorrigierende Konkavglas. Ausserdem ist
für gute Beleuchtung, guten Druck, passende Tische und Stühle
und móglichste Heilung, bzw. Korrektion sonstiger etwaiger
Augenfehler zu sorgen. Zweimal jährlich sollten alle Schüler
einer Prüfung des Sehvermögens unterzogen werden. Diese
Prüfung kann jeder Lehrer vornehmen. Alle Kinder, deren Seh-
vermögen dabei unternormal gefunden wird, sind dem Arzt,
bzw. Augenarzt, zur weiteren Untersuchung und event. Behand-
lung zu übergeben. Nur so kann die Einschränkung dieser durch-
aus nicht leicht zu nehmenden Krankheit auf wenige besonders
dazu veranlagte Individuen erreicht werden.
v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie, LXXIII. 2. 29
Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms.
Von
Dr. Julius Mutermilch,
Chef der Augenabteilung im Israeliten-Krankenhause zu Warschau.
Mit Taf. XIV u. XV, Fig. 1—7.
Das Trachom ist eine der ältesten und am meisten verbreiteten
Erkrankungen, die die Menschheit plagen.
Die anatomische sowie die klinische Untersuchung dieses Leidens
ist verhältnismässig leicht dank dem Reichtum des Materials und
dem freien Zutritt zu dem erkrankten Gewebe. Und doch unter-
scheiden sich unsere heutigen Anschauungen betreffend das W esen
des Trachoms sehr wenig von denjenigen der Ärzte des Altertums,
und die hervorragendsten Augenärzte gestehen ganz offen, es sei
ihnen unmöglich, eine präcise Definition des Wesens dieser Krank-
heit zu geben. So beginnt z. B. Morax seine Abhandlung über das
Trachom mit folgendem Bekenntnis: „La conjonctivite granuleuse est
une des infections oculaires, dont la nature nous est encore complê-
tement inconnue“ (Encyclopédie Française d’Ophtalmologie V. V.
p. 730).
Andere Forscher versuchen zwar eine konkrete Definition des
Wesens des Trachoms zu geben, doch fehlt es ihren Anschauungen
an strenger Prácision. Als Beispiel dazu diene die Ansicht von Th.
Saemisch, entnommen seiner erschópfenden Monographie: Die Krank-
heiten der Conjunctiva (Graefe-Saemisch, neueste Auflage): „Als
Conjunctivitis granulosa (Körnerkrankheit) wird diejenige Entzün-
dungsform der Bindehaut bezeichnet, bei welcher in der adenoiden
Schicht derselben eine entzündliche Infiltration auftritt, die von der
Entwicklung von Follikeln (Granula, Körner), sowie von einer Wu-
cherung des Papillarkörpers begleitet wird und unter Umwandlung
der erkrankten Bindehautabschnitte in Narbengewebe abläuft“
(Bd. V, 1. Abt., IV. Kap. $ 102). Das Wort Narbengewebe ist vom
Verfasser unterstrichen.
Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 385
Aus dieser Definition gelangt man zu dem Schlusse, dass das
Charakteristikum des Trachoms weder auf Follikelbildung, noch auf
Wucherung des Papillarkórpers, sondern auf Entstehung der ihnen
folgenden Narbe beruhe. Mit andern Worten ist der Augenarzt nie
im stande, die Diagnose auf Trachom im Anfangsstadium der Er-
krankung und während ihres Verlaufs zu stellen; es ist ihm dies erst
möglich im Stadium der Entwicklung des Narbengewebes, d. h. fast
nach dem Ablaufe des krankhaften Prozesses.
Meine 22jährigen anatomischen und klinischen Untersuchungen
des uns interessierenden Leidens haben mich zu dem Schlusse ge-
führt, dass das Wesen und die Ätiologie des Trachoms den Augen-
ärzten bloss deshalb so dunkel und rätselhaft erscheinen, weil sie bei
ihren Forschungen einen Kardinalfehler begangen haben, der stets
von neuem wiederholt wird. Der Fehler beruht darauf, dass man
ganz unrichtig das Trachom aus dem Gebiete der Pathologie als eine
neue, selbstindige, nosologische Form ausgeschlossen hat, die nichts
gemeinsames mit andern wohlbekannten und genau untersuchten
chronischen Krankheiten haben soll.
A priori schon muss man entschieden diese Ansicht bekämpfen.
Die Pathologie besitzt ihre unerschütterlichen Gesetze, genaue Axiome,
die man nicht verkennen und geringschützen darf, an die man sich
stets halten muss, wollen unsere Untersuchungen im Kontakt mit
der strengen Wissenschaft bleiben. Das Gesetz, welchem ich für
unsern Fall die grósste Bedeutung und Wichtigkeit zuschreibe, lüsst
sich folgendermassen formulieren: Gewebe von analogem ana-
tomischem Bau unter dem Einflusse gleicher schädlicher
Faktoren erkranken in analoger Weise, d.h. erleiden gleiche
anatomische Veränderungen und liefern im Resultat ganz
in pathologischer sowie klinischer Beziehung identische
Bilder.
Da es einerseits keine speziellen, bloss für die Augenheilkunde
geltenden Gesetze gibt, und da anderseits die Schleimhaut der Con-
junctiva palpebr. in ihrer anatomischen Struktur sich mutatis
mutandis kaum von der Schleimhaut der Harnróhre, Nasenhóhle,
Gebärmutter usw. unterscheidet, gelangt man zum aprioristischen
Schlusse, dass die chronischen Entzündungen aller genannten Schleim-
häute in ihrer Ätiologie, ihrem Verlaufe und Endresultate identisch
sein müssen. Bei der Äusserung dieser Ansicht werden wir durch
eine wichtige, allgemein bekannte und häufig bestätigte Tatsache
23"
380 J. Mutermilch
unterstützt: die Pathologie kennt eine ganze Reihe von Krankheits-
prozessen, die allen genannten Geweben gemeinsam sind, z. B. die
akute und chronische katarrhalische; die akute und chronische go-
norrhoische; die diphtheritische, tuberkulöse, syphilitische Entzün-
dung usw.
Dessenungeachtet sind die Augenärzte bereit zu behaupten (ja
sie haben es eigentlich schon behauptet), es existiere eine selbstän-
dige infektióse Form der chronischen Entzündung, die ausschliesslich
die Schleimhaut der Lider überfällt; es gäbe eine uns noch unbe-
kannte Species von Mikroorganismen, die ihre schädliche Tätigkeit
einzig und allein auf diesem Gewebe entwickeln und alle andern ihm
ähnlichen Gewebe verschonen; es seien dies die Erreger des. Tra-
choms, eines — hinsichtlich seines Verlaufs — klassischen Leidens,
welches an keinem andern Ort unsers Organismus, wie an der Schleim-
haut der Lider, nachzuweisen sei. Diese Ansicht muss jeden objek-
tiven Forscher, der mit den Grundgesetzen der Bakteriologie gut ver-
traut ist, befremden. Denn alle uns bekannten Bakterien siedeln sich
an und vermehren sich überall, wo sie den ihren speziellen Lebens-
bedürfnissen entsprechenden Boden finden; auf analog anatomisch ge-
bauten Geweben müssen also gleiche Bakterienspecies zu finden sein.
Berücksichtigt man den leichten Zutritt aller Mikroorganismen zu der
Schleimhaut der Nasenhöhle und des Conjunctivalsackes, so gelangt
man ohne Schwierigkeit zu der Überzeugung, dass diese beiden
Schleimhäute sehr oft gleiche Bakterienspecies beherbergen. Und
in der Tat, alle uns bekannten Krankheitsformen der Nasenschleim-
haut (Syphilis, Tuberkulose, Gonorrhoea) finden sich in der Patho-
lore des Conjunctivalsackes. Es wäre den Bakteriologen unmög-
lich, ein Beispiel zu finden, dass eine Bakterienart bloss auf dem
Gewebe eines einzigen Organs lebt und sich vermehrt, während sie
alle übrigen analog gebauten Gewebe meidet; und daher haben wir
Augenärzte keinen Grund, Ausnahmen für den Conjunctivalsack zu
schaffen.
Es ist also notwendig. auf Grund wissenschaftlicher Tatsachen,
auf die Existenz einer selbständigen Krankheitsform, bekannt unter
dem Namen Trachom, zu verzichten, und dieselbe in die Reihe der,
der Pathologie allgemein bekannten, chronischen Entzündungen ein-
zureihen.
Dadurch. würe das Problem der Atiologie und des Wesens des
Trachoms gelóst; es wiüre gelóst, gehórte die ganze Lehre von den
chronischen Entzündungen zu den vollständig und genau aufgcklárten
Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 381
und abgeschlossenen Kapiteln der Pathologie. Dies ist aber leider
nicht der Fall, und wir stossen auf ein neues Hindernis: auf eine
ungenügende wissenschaftliche Begründung des Wesens der chroni-
schen Entzündungen im allgemeinen.
Die Lösung dieser wichtigen Frage wird uns den Schlüssel zur
endgültigen Aufklärung des dunkeln und verwickelten Problems der
Ätiologie des Trachoms liefern.
Welche krankhaften Prozesse rechnen wir nun zu den chroni-
schen Entzündungen? Die sog. „chronische Entzündung“ gehört zu
denjenigen Krankheitsprozessen, die den tierischen Organismus nicht
gerade selten heimsucht. Wir begegnen denselben täglich bei der Unter-
suchung der kranken Gewebe des Menschen; wir sind im stande, die-
selbe auch experimentell in den tierischen Geweben hervorzurufen.
Es wäre zu erwarten, dass wir genau informiert sind nicht bloss über
die Ätiologie dieser Krankheitserscheinung, sondern auch über die
präcise Charakteristik jedes Einzelfalles. In der Wirklichkeit ist dem
aber nicht so.
Die landläufige Definition der chronischen Entzündung als einer
lange anhaltenden Entzündung ist schon aus dem einfachen Grunde
unhaltbar, dass wir in den unzähligen Arbeiten über diesen Gegen-
stand eine Antwort über die Natur und das Wesen der „akuten Ent-
zündung“ ganz vermissen.
Anderseits finden wir, beim Versuch der Gegenüberstellung sämt-
licher typischer Erscheinungen der chronischen mit denen der akuten
Entzündung, solch bedeutende Unterschiede, solch absolutes Fehlen
irgendwelcher Ähnlichkeit, solche abweichende Endziele beider Krank-
heitsprozesse, dass wir von vornherein gezwungen sind, da sich keine
gemeinsamen Merkmale, keine beachtenswerten Berührungspunkte
finden lassen, die beiden Erscheinungen voneinander zu trennen, als
zwei verschiedene Zweige der pathologischen Anatomie.
Es liegt somit die Frage nahe, ob chronische Entzündungen
überhaupt vorkommen. Ja, antworten wir, wir begegnen ihnen sehr
oft in manchen gesunden Geweben, als einen unentbehrlichen, phy-
siologischen Prozess. Diese Behauptung wird niemandem paradox
erscheinen, der die lebhafte Emigration der Leukocyten als typische
Haupterscheinung der Entzündung auffassen wird. Zunächst gehören
sämtliche adenoiden Gewebe zu denjenigen, in denen sich fortwährend
und unaufhörlich von der Geburt an bis zum Tode des tierischen
Organismus eine chronische Entzündung abspielt. Die Emigration
weisser Blutkörperchen hört keinen Moment auf und stellt, analog
388 J. Mutermilch
der fortwührenden Arbeit des Herzens, der Lungen und der Gehirn-
zentren eine wichtige ununterbrochene Funktion des Organismus dar.
Und es genügt tatsächlich, etwas näher auf die Aufgabe der ade-
noiden Gewebe einzugehen, um zu verstehen, dass die scharenweise
Auswanderung der Leukocyten, diese in ihrem Bilde klassische, chro-
nische Entzündung, die sich in den adenoiden Geweben abspielt, eine
notwendige, geradezu unentbehrliche Lebensbedingung höherer Or-
ganismen darstelle.
Lassen wir auf einen Augenblick die uns interessierende Frage
beiseite und sehen uns beiläufig die Rolle des Epithels im Organis-
mus und, daran anknüpfend, die hervorragende Bedeutung des ge-
nannten chronischen Entzündungsprozesses an.
Das Epithel hat zwei wichtige Aufgaben zu erfüllen. Die erste
beruht darauf, dass es die Oberfläche des Körpers und mancher
seiner Höhlen vor jeglicher exogener Noxe schützt. Als Repräsen-
tanten dieses Typus dienen die Epidermis, die Schleimhaut der Mund-
und Nasenhöhle, der Vagina usw. In diesem Falle haben wir es
mit einem mehrschichtigen Epithel zu tun, das direkt, rein mecha-
nisch durch seine Dicke die tiefer liegenden Gewebe vor der unmittel-
baren, unzweifelhaft schädlichen Berührung mit der Aussenwelt schützt.
Die zweite Aufgabe ist eigenartiger, nicht passiver Natur, und beruht
auf aktiver, sehr nutzbringender Teilnahme an der Arbeit, welche in
der histologischen Stufenleiter höher situierte Gewebe im Organismus
zu besorgen pflegen. Diese Art von Epithel wird repräsentiert vom
cylindrischen Epithel mit sämtlichen Varietäten desselben, in welchem
jede einzelne Zelle gelegentlich einen selbständigen Sekretionsapparat
darstellt. Dieses Epithel finden wir auf der Oberfläche der Conjunc-
tiva, einer begrenzten Abteilung der Nasenhöhle, auf der ganzen
Oberfläche des gastrointestinalen Tractus usw. Angesichts seines
ausserordentlich feinen Baues ist dieses Gewebe, aus leicht verständ-
lichen Gründen, nicht im stande, hinreichend die tiefer gelegenen
Schichten zu schützen vor dem Eindringen der ergiebig auf seiner
Oberfläche schmarotzenden vielgestaltigen Mikroorganismen.
Sollte der Schutz der tieferen Gewebe und der Säfte, die sehr
leicht der Infektion verfallen und sehr bequeme Vermehrungsbedingun-
gen der Mikroorganismen darbieten, einzig’ und allein dem cylindri-
schen Epithel überlassen bleiben, dann würde das Leben des Organis-
mus ganz unmöglich sein, und deswegen ruht das Cylinderepithel,
überall wo es sich findet, auf einer Unterlage von adenoidem Gewebe,
Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. . 889
das unter gewöhnlichen Bedingungen eine undurchdringbare Scheide-
wand bildet für die Parasiten, denen es nicht schwer fallen würde,
die dünne Epithelschicht zu durchbrechen.
Unter diesen Bedingungen muss sich beispielsweise im Darm,
wo sich die Mikroorganismen dank den ausnehmend günstigen Be-
dingungen ausgezeichnet vermehren und wahrscheinlich ‘ohne Schwierig-
keit tiefer dringen, das Substrat des Epithels im Zustande chronischer
Entzündung finden, welch letztere sich in ununterbrochenem Zufluss
lymphoidaler Elemente, die ihm seine Sonderstellung schaffen, kund-
gibt. Nur in dieser Weise dürfen wir die Bedeutung des adenoiden
Gewebes im Darme auffassen und die von vielen Physiologen geteilte
Theorie ablehnen, derzufolge den Iymphatischen Elementen bloss die
Rolle fettaufsaugender Körperchen zukäme.
Das adenoide Gewebe dürfte somit repräsentieren den ver-
einzelt im Organismus dastehenden Fall chronischer, das ganze
Leben des Organismus andauernder Entzündung. Aber, wie wir
sehen, ist sie hier physiologischer Natur und unentbehrliche Lebens-
bedingung.
Sieht man von diesem Beispiele ab, so finden sich nirgends
chronische Entzündungsprozesse, weder in normalen, noch in patho-
logischen Zuständen. |
Es entstehen somit folgende Fragen: Zu welcher Kategorie von
Krankheitsprozessen gehóren diejenigen nosologischen Formen, die in
der Medizin allgemein als chronische Entzündungen figurieren? Wozu
dienen und was bedeuten diese äusserst interessanten Erscheinungen,
die beim genannten Prozesse in den Geweben vor sich gehen? Wes-
halb dauern diese Erscheinungen so lange? Dank welchen Bedingun-
gen entwickelt sich regelmässig eine intensive Wucherung des Binde-
gewebes? Welche Ziele und Ursachen treten hier ins Spiel? Wes-
wegen ändern die chronisch entzündeten Gewebe ihren anatomischen
Charakter?
Die Beantwortung all’ dieser Fragen gelingt ohne weiteres, wenn
man diesen Prozess in seinen Details Schritt auf Schritt verfolgt;
vom Momente der Entstehung an bis zum Abschluss, bis zum End-
gliede der langen Kette unmittelbar aufeinander folgender Verände-
rungen.
Angesichts der Tatsache, dass die Schleimhäute leichter und
relativ öfter den chronischen Entzündungsprozessen unterliegen und
dass dieselben hier äusserst charakteristische und intensive anatomische
390 J. Mutermilch
Alterationen verursachen, will ich als Paradigma das Conjunctival-
trachom beschreiben, diese geradezu langwierigste Schleimhaut-
entzündung, insbesondere da sich das betreffende Gewebe ziemlich
leicht untersuchen lässt.
Bemerkt sei von vornherein, dass die genannte Krankheitsform
in keiner Weise sich von sonstigen Schleimhautentzündungen unter-
scheidet und dass die Bezeichnung „Traclıom“ zu den nichts präju-
dizierenden Nachbleibseln pathologischer Systematik gehört. Mit dem-
selben Rechte könnte jede Entzündung der Harnröhrenschleimhaut
Trachoma urethrae genannt werden. Klingt das Conjunctival-
trachom nicht in dem Masse unser Ohr verletzend, wie das Urethral-
trachom, so ist es durchaus nicht der Verschiedenheit der Krank-
heitsprozesse zuzuschreiben, sondern, wie gesagt, einem eigentünlichen
Konservatismus auf dem Gebiete anatomischer Untersuchungen in der
Augenheilkunde und der Bewahrung der alten, durch Nichts gerecht-
fertigten Terminologie. |
Die chronische Conjunctivitis stellt, wie uns die Klinik lehrt,
eine Fortsetzung der akuten dar. Das soll aber nicht sagen, dass
jeder akuten eine chronische folgen muss; in der Mehrzahl der Fälle
kehrt die akut entzündete Schleimhaut ad integrum zurück.
Nicht den ätiologischen Momenten ist dieser oder jener Aus-
gang zuzuschreiben, da, wie man es zu sehen bekommt, bei manchen
Endemien einzelne Patienten rasch gesunden, indem bei andern
Individuen, die die Krankheit aus derselben Quelle acquiriert haben
und unter denselben Bedingungen leben, die akute Conjunctivitis in
eine klassisch chronische Form übergeht.
Die Hauptveränderungen beruhen bei der akuten Bindehaut-
entzündung auf einer schleimigen Degeneration des Epithels, das hier
und da in malignen Fällen ganz zerstört wird, auf Hyperämie und
kleinzelliger Infiltration der adenoiden Schicht.
Lässt die krankheitserregende Ursache nach, so bedeckt auts
neue die sich leicht regenerierende Epithelschicht in unveränderter
Form die Oberfläche, und der Überschuss von lymphatischen Körper-
chen wird teils in den Conjunctivalsack entleert, teils durch die
Lymphgefässe in das gemeinsame Blutcirkulationssystem befördert,
und auf diese Weise kehrt alles zur Norm zurück.
In bestimmten Fällen jedoch, beispielsweise nach schweren akuten
Entzündungen gonorrhoischer oder diphtheritischer Natur, bleiben ab
und zu schwere anatomische Spuren der Zerstörung sowohl im Epithel
Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 391
als im adenoiden Gewebe nach. Beide unterliegen tiefgreifenden
Alterationen, die den Typus der normalen Conjunctiva verwischen,
und diese Veränderungen üben einen enormen Einfluss auf den weite-
ren Verlauf des Prozesses, indem sie ihn hier und da sehr in die
Länge ziehen.
Um die Ursachen und Bedeutung dieser anatomischen Ver-
änderungen genügend zu würdigen, müssen wir uns zunächst ge-
nau verständigen über die wechselseitige Abhängigkeit, die aus-
nahmslos im Organismus zwischen dem Epithel und seinem Sub-
strat, dem Unterhautzellgewebe, herrscht. Das gegenseitige Ver-
hältnis ist ziemlich einfach: da das cylindrische Epithel in seinen
sämtlichen Varietäten eine sehr lebhafte und aktive Teilnahme an
der Arbeit für den Organismus hat, so muss es naturgemäss auf
einem Gewebe ruhen, das reichlich mit ernährenden Säften ver-
sehen ist, und wir finden tatsächlich immer und überall unter der
Epithelschicht ein loses und saftreiches Substrat. Und vice versa
auf der dichtfaserigen, derben und relativ trockenen Bindegewebs-
schicht kann sich nur ein mehrschichtiges epidermoidales Epithel nor-
mal entwickeln.
Stellen wir uns nun vor, dass irgendwelcher Krankheitsprozess
in der Weise das adenoide Gewebe alteriert, dass sein anatomischer
Charakter modifiziert wird, indem es die Eigentümlichkeiten eines
dickmaschigen, derbfaserigen, saftarmen Bindegewebes annimmt. Was
geschieht dann mit dem es überziehenden Cylinderepithel? Es unter-
liegt selbsverständlich sehr mächtigen Veränderungen.
Dasselbe Verhältnis finden wir auch in der Conjunctiva, deren
adenoides Gewebe bei schweren Entzündungen eine intensive Mo-
difikation durchmacht. Infolge der starken Infiltration und des
abnormen Gefässreichtums bei schweren Conjunctivitiden — bei-
spielsweise gonorrhoischer oder diphtheritischer Natur — bilden
sich aus leicht verständlichen Gründen nach Abschluss des akuten
langanhaltenden Stadiums sehr viele bindegewebige Fasern aus,
die den Grundcharakter des adenoiden Gewebes ändern, indem es
die aufliegende Epithelschicht sehr dürftig mit ernährenden Sütten
versieht.
Unmittelbar darauf folgt das Verlorengehen der Fähigkeit, die
histologische Struktur beizubehalten. Wie man sich leicht davon an
anatomischen Präparaten überzeugen kann, weicht das neugebildete
Epithel bedeutend vom normalen Typus ab und nähert sich einiger-
massen dem vielschichtigen: anstatt der üblichen einzigen Zellen-
392 J. Mutermilch
schicht finden wir drei oder vier Reihen, deren oberste aus leicht
abgeplatteten Zellen besteht.
Von dem Moment an, wo das Bindehautzellgewebe dieser Alte-
ration unterlegen ist, beginnt eben die chronische Entzündung,
Trachom genannt, die eine Reihe von Erscheinungen aufweist, welche
ganz abweichender Natur und Ätiologie sind und ganz andere Ziele
verfolgen, als diejenigen, die das Bild der akuten Entzündung aus-
machen.
Die akute Entzündung ist eine Reaktion des Organismus gegen
das Eindringen der Mikroorganismen, ein Kampf gegen die schäd-
lichen exogenen Faktoren; bei der chronischen Entzündung liegen
ganz andere Verhältnisse vor.
Analysieren wir genauer den Endeffekt, der sich darin äussert,
dass an Stelle des weichen adenoiden Gewebes ein derbes binde-
gewebiges Substrat und an Stelle des Cylinderepithels ein epider-
moidales sich ausbildet (Taf. XIV u. XV, Fig. 1 und 7), so drängt
sich uns zunächst die Frage auf: welche unüberwindbaren Fak-
toren verursachen diese schwere Metamorphose, als Endprodukt
jeder intensiven chronischen Conjunctivitis? Weswegen bleibt der
pseudoentzündliche Prozess nicht bei einer der vorangehenden Etappen
stehen ?
Diese Fragen werden sich vom bakteriologischen Gesichtspunkte
aus nicht beantworten lassen: die nachteilige Tätigkeit der Mikro-
organismen äussert sich hauptsächlich in ihrem zerstörenden Einfluss
auf die anatomischen Elemente. Wir sind somit gezwungen, die un-
mittelbare Beteiligung der Bakterien an dieser auffallenden und, fügen
wir hinzu, vom teleologischen Gesichtspunkte ganz zweckmässigen
anatomischen Metamorphose vorderhand auszuschliessen und die Lö-
sung der Frage auf anderm Wege zu suchen. Wir werden die Be-
antwortung unschwer finden beim Vergleichen derjenigen Verhältnisse,
unter denen die einschlägigen Gewebe normaliter funktionieren und
gedeihen, mit denen sie sich im Laufe des schweren Leidens ausge-
bildet haben.
Jedes Gewebe, trotzdem es fortwährend mit verschiedenen, von
aussen einwirkenden Noxen zu kämpfen hat, lebt und funktioniert,
insofern seine anatomischen Elemente in höherem oder schwächerem
Grade eine bestimmte Widerstandsfähigkeit gegen die störenden Ein-
flüsse besitzen. Die Widerstandsfühigkeit des Epithelgewebes kann
zweierlei sein: entweder eine passive, die, wie es bei der Haut der
Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 393
Fall ist, darauf beruht, dass die oberflächlichen, verhornten Zellen die
tiefer liegenden überdeckend, wie eine undurchdringbare Mauer schützen;
oder eine aktive, die, wie wir es beim Cylinderepithel beobachten,
darin sich kundgibt, dass seine Zellen trotz ihrer leichten Zerstör-
barkeit sich sehr rasch regenerieren und zwar dank den äusserst
günstigen Ernährungsbedingungen, dem Saftreichtum und der reich-
lichen Gefässversorgung des adenoiden Gewebes.
Es muss daraus geschlossen werden, dass das Leben des Cy-
linderepithels in engem Zusammenhange mit seinem Substrat sich
befindet, und dass jeder ernste Krankheitsprozess, der dessen ana-
tomischen Bau modifiziert, unumgänglich auch die Lebensfähigkeit
der Epithelzellen aufhebt.
Hat somit im Anschluss an eine akute Entzündung das ade-
noide Gewebe seine Saftigkeit einigermassen verloren, hat sich die
Menge der nötigen Ernährungssäfte vermindert, so wird die unmittelbare
Folge eine geringere Resistenzfähigkeit der Epithelzellen, ein herab-
gesetztes Regenerationsvermögen sein. Alles das leistet neuen Ent-
zündungsvorgängen Vorschub. Letztere rufen ihrerseits immer inten-
sivere anatomische Veränderungen im adenoiden Gewebe hervor, und
in dieser Weise bildet sich ein Circulus vitiosus aus, der sich ins
Unbegrenzte ziehen würde, falls die Gewebe nicht die Fähigkeit
hätten, neuen Lebensbedingungen sich anzupassen.
Wie hilft sich in solchen Fällen das Epithel, das sein physio-
logisches, zur Existenz unentbehrliches Gleichgewicht eingebüsst hat,
welches zwischen ihm und seinem Substrat geherrscht hatte? Es
ändert eben den unzweckmässigen, unter den neuen Lebensbedingungen
wenig resistenzfähigen Typus und nimmt allmählich die Form eines
mehrschichtigen, epidermoidalen an.
Diese Metamorphose geht vor sich ziemlich langsam, stufenweise,
da die Conjunctiva wiederholten akuten Entzündungen unterworfen
ist, bis sich schliesslich und unwiderruflich ein bindegewebiges Sub-
strat ausbildet, auf dem das mehrschichtige Epithel einen festen
Sitz findet.
Letzteres kann in einer zwar veränderten Form seine verlorene
Resistenz wiedererlangen und ın dieser Weise neuen Entzündungs-
prozessen erfolgreich vorbeugen.
Aus dem Gesagten, aus den eingehenden Betrachtungen der
chronischen Conjunctivitis und ihrer stufenmässigen Entwicklung lässt
sich ohne weiteres schliessen, dass der unrichtig als chronische Ent-
zündung bezeichnete Prozess aus einer grösseren Reihe abwechselnd
394 J. Mutermilch
aufeinanderfolgender kurzdauernder akuter Entzündungen sich zu-
sammensetzt, die durch die herabgesetzte Resistenz der betreffenden
Gewebsbestandteile bedingt sind.
Es wurde oben erwähnt, dass dem Trachom keineswegs eine
Sonderstellung in der pathologischen Anatomie zukommt; auch an
sämtlichen übrigen Schleimhäuten ist die chronische Entzündung eine
Folge des gestörten Gleichgewichtes ihrer Bestandteile, und überall
finden wir als Endeffekt an Stelle des weichen adenoiden Gewebes
ein derbes bindegewebiges — und an Stelle des cylindrischen Epithels
ein epidermoidales.
Den trachomatösen analoge Veränderungen finden wir an der
Nasenschleimhaut bei der Rhinitis atrophicans, an der Urethral-
schleimhaut bei der Urethritis chronica, nur sind letztere von den
sie beobachtenden Autoren (Legrain, Fürbringer, Finger, Baraban)
nicht richtig interpretiert worden. Baraban z. B., dem die Meta-
morphose des Epithels in einem Falle von chronischem Tripper auf-
fiel, glaubt sie dem nachteiligen Einfluss der spezifischen Gonocokken
auf die Zellelemente zuschreiben zu dürfen, — eine ebenso völlig
unbegründete Auffassung, da die Tätigkeit der Mikroorganismen eine
zerstörende, nie schöpferische ist.
Über die Umwandlung des cylindrischen in mehrschichtiges Epithel
spricht auch bei chronischer Metritis Cornil in seinen „Lecons sur
l'anatomie pathologique des metrites, des salpingites et
des cancers de l'uterus', ohne jedoch náher auf diese ungewóhn-
liche Erscheinung einzugehen, sie wahrscheinlich als Zufälligkeit auf-
fassend.
Ich bin überzeugt, dass die oben genauer besprochenen Ver-
änderungen der Conjunctivalschleimhaut auch in der Schleimhaut
des Magens bei Gastritis atrophicans zu finden sind, sonst wären
ganz unverständlich die Chronizität des Prozesses und die Atrophie
der Schleimhaut.
So verhält sich die Sache bei der chronischen Entzündung der-
jenigen Schleimhäute, die aus einem einschichtigen Cylinderepithel
und dem Iymphkörperchenreichen adenoiden Substrat bestehen. Es
fragt sich nun, wie sich die angeblich entzündlichen Prozesse in den
Schleimhäuten mit mehrschichtigem Epithel verhalten.
Schon a priori dürfen wir zu dem scheinbar paradoxen Schluss
gelangen, dass hier keine chronische Entzündung vorkommen könne,
insbesondere im Hinblick einerseits auf die uns bekannten ätiolo-
Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 395
gischen Momente der oben besprochenen Schleimhautentzündungen,
anderseits auf die wechselseitige Abhängigkeit der Bestandteile der
erwähnten Schleimhäute. In diesem Falle kann doch tatsächlich
keine Rede sein von einem Verluste des anatomischen Gleichge-
wichtes, der im adenoiden Gewebe die ganze Reihe derjenigen Ver-
änderungen hervorrief, welche unentbehrlich waren, um eine neue
histologische Konfiguration zu schaffen und eine fernere Existenz dem
(Gewebe zu sichern.
Und in der Tat finden wir beispielsweise an der Mundschleim-
haut, soviel wır durch die klinischen Beobachtungen und ana-
tomischen Forschungen unterrichtet sind, keine der Conjunctivitis
analoge, ausgebildete chronische Entzündung, trotzdem diese Schleim-
haut fortwährenden Noxen ausgesetzt ist, trotzdem sie unaufhör-
lich mechanisch durch die Speisen, chemisch durch geistige Ge-
tränke gereizt wird, trotzdem auf ihrer Oberfläche eine enorm reiche
Flora mehr oder weniger bösartiger Mikroorganismen permanent nach-
weisbar ist.
In der Vagina, die häufig von den Neisserschen Gonocokken
heimgesucht wird, begegnen wir ebenfalls nicht einer chronischen Ent-
zündung in oben geschildertem Sinne. Die nachteilige Tätigkeit der
spezifischen Bakterien beschränkt sich einzig und allein auf eine
Reizung des Epithels, die sich ın einer Wucherung der Zellen und
in einer mehr oder minder intensiven Entwicklung von Zotten kund-
gibt. Es handelt sich somit hier um einen hyperplastischen und nicht
inflammatorischen Prozess (Colpitis granulosa).
In der Unmöglichkeit der Ausbildung einer chronischen Ent-
zündung in Schleimhüuten nicht adenoiden Baues finden wir so-
mit wiederum eine Stütze der oben vertretenen Ansicht über die
Natur der Entzündung der Conjunctivalschleimhaut und der ihr nahe-
verwandten Schleimhäute.
Die adenoide Schleimhaut stellt einen integralen Bestandteil dar
mehrerer in physiologischer Hinsicht lebenswichtiger und in bezug
auf den anatomischen Bau äusserst komplizierter Organe des mensch-
lichen Körpers.
Als solches Organ gilt z. B. die Niere, deren Hauptbestandteil vom
Cylinderepithel repräsentiert wird, dem als Substrat naturgemiiss adenoides
Gewebe dient. Jeder akute Krankheitsprozess, der es einmal vermag, den
anatomischen Bau des Epithelsubstrats zu modifizieren, muss somit infolge der
besprochenen Störung des histologischen Gleiehzewichtszustandes unbedinst
396 J. Mutermilch
zum Ausgangspunkt werden einer ganzen Reihe zweckmässiger Veränderungen,
die wir bei der chronischen Conjunctivitis beobachten.
Nur in dieser Weise verstehen wir, weswegen in manchen Fällen die
akute Nephritis sich durch nichts aufhalten lässt. Selbstverständlich unter-
liegt das Nierengewebe nie in toto einer Metamorphose, da der Tod des
Organismus eintritt, bevor der Krankheitsprozess das genannte Ziel erreicht.
Da jedoch die Nierenentzündung meist herdförmig, selten diffus auftritt, so
sind wir im stande, wie uns die anatomische Analyse belehrt, bier und da
eireumseripten Schwund des adenoiden Gewebes mit der entsprechenden
Metamorphose der Epithelzellen nachzuweisen.
Zu den chronischen Entzündungen rechnen die Anatomopatho-
logen diejenigen nicht seltenen Krankheitsprozesse, die hauptsächlich
durch übermässige Hypertrophie des Bindegewebes charakterisiert
sind und als „Sklerosen“ oder genauer „Inflammatio interstitialis“ be-
zeichnet werden. Die letzte Benennung weist darauf hin, dass nach
Ansicht der Untersucher der Prozess im interstitiellen Gewebe be-
ginnt und dort sich hauptsächlich entwickelt. Diese Ansicht wird
durch die Tatsache gestützt, dass man einerseits in solchen Fällen
im Parenchym nicht die üblichen Veränderungen findet, und ander-
seits die lebhafte Teilnahme des intercellulären Bindegewebes wahr-
nimmt.
Will man dennoch zugeben, dass der Ausgangspunkt das Binde-
gewebe sei, so bleibt immerhin unverständlich dem unvoreingenom-
menen Beobachter, welchem das Bild der klassischen und zweck-
mässigen Erscheinungen der akuten Entzündung vor den Augen steht,
weshalb diesem Prozess, der kein charakteristisches Symptom auf-
zuweisen hat, die Bezeichnung „Inflammatio“ überhaupt zukommt.
Man müsste, streng genommen, solche Formen eher als hyperpla-
stische auffassen und sie in eine passendere pathologische Gruppe
unterbringen. So dürfte man vorgehen, wollte man glauben, es be-
sinne der Krankheitsprozess tatsächlich im interstitiellen Gewebe.
(Genauere Beobachtungen und kritische Analyse einschlägiger
Fülle beweisen jedoch, dass auch hier der Prozess nicht im Binde-
gewebe, sondern in den parenchymatósen Elementen beginnt.
Ähnliches finden wir bei den chronischen Erkrankungen des Nerven-
systems. Sowohl die klinischen Beobachtungen wie die anatomischen Unter-
suchungen sprechen ganz deutlich für den Beginn der Degeneration in den
Nervenzellen, die dureh neu sich entwiekelndes Bindegewebe vertreten
werden, indem letzteres bekanntlich eine enorme Wucherungsfähigkeit be-
sitzt und den von höheren Elementen im Organismus verlassenen Platz zu
ersetzen sucht. „Man hat aufgestellt, sagen ganz richtig Leyden und
Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 397
Goldscheider!), dass die Tabes eine sehr chronische Entzündung- Leuko-
myelitis sei; diese Ansicht ist nicht berechtigt. Man gründete sie auf dem
Befund reichlicher Kernwucherung und Bindegewebsbildung. Leyden hat
stets, als einer der ersten, die Ansicht vertreten, dass es sich im wesent-
lichen um einen Schwund der Nervensubstanz, eine parenchyma-
töse Degeneration handle und dass die übrigen Veränderungen sekun-
därer Natur seien.“
In derselben Weise dürfte die chronische Hepatitis aufgefasst werden,
bei der die Hypertrophie des intercellulären Gewebes mit dem Schwund
der Leberzellen gleichen Schritt hält.
Es erübrigt noch, eines der verbreitetsten und interessantesten
Krankheitsprozesses Erwähnung zu tun, den die pathologische Ana-
tomie zu den typischen chronischen Entzündungen zählt. Ich meine
die Tuberkulose, die, wenn sie einmal den Organismus befällt, ihn
in der Mehrzahl der Fälle bis zum Exitus letalis begleitet. Sie ist
Jedoch nur scheinbar eine chronische Entzündung, da die Chro-
nizitit hier nur eine klinische, aber nicht anatomische Be-
deutung besitzt.
Die Tuberkulose setzt sich eben zusammen aus einer Reihe
akuter rasch vorübergehender Entzündungen, die ihr durch Summation
den im klinischen Sinne chronischen Charakter verleihen, und kónnen
auch deswegen die Veründerungen vom anatomischen Gesichtspunkte
aus nicht zu den chronischen gerechnet werden: die sich entwickelnde
akute circumscripte Entzündung (Tuberkel), als Reaktion des Orga-
nismus gegen die lokale Infektion, macht zwar viele Metamorphosen
durch, die jedoch sämtlich den Stempel der Degeneration, aber nicht
Inflammation tragen.
Das Resümee des Gesagten führt uns somit zum Schluss, dass
das Kapitel über chronische Entzündung künstlich geschaffen wurde
und ein Mixtum compositum von Krankheitsprozessen umfasst, die
entweder nichts gemeinsames miteinander besitzen, oder der land-
läufigen Definition der Entzündung sich nicht subsumieren lassen.
Es mag kurz hinzugefügt werden, dass die hier beiläufig be-
rührte fundamentale Frage nicht allein vom theoretischen Gesichts-
punkte äusserst wichtig ist. Sie besitzt auch praktisch manche Be-
deutung, indem sie am einfachsten unsere sämtlichen, am meisten
angewendeten therapeutischen. Handgritfe, z. B. beim Trachom, be-
© E. Leiden und Goldscheider, Die Erkrankungen des Rückenmarkes
und der Medulla oblongata ($ 518).
398 ` J. Mutermilch
gründet. Seit den ältesten Zeiten waren die Augenärzte instinktiv
bestrebt, durch chirurgische und pharmazeutische Methoden beim
Trachom zur möglichst raschen Ausbildung einer, die Conjunctiva
schützenden, neuen, festen, vielschichtigen Schleimhaut zu bringen.
Die Praxis ist somit auch hier, wie es so oft in der Me-
dizin der Fall ist, der Theorie um mehrere Jahrhunderte
vorangeeilt.
Unter zahlreichen anatomischen Veränderungen, die das Trachom
charakterisieren, betrachten die Augenärzte den Follikel als sein
pathognomonisches Hauptmerkmal. Ich will nicht auf alle Details der
Follikelbildung und Bedeutung eingehen; diesem Gegenstand habe ich
eine spezielle Arbeit gewidmet (Anatomie des inflammations
chronique de la conjonctive. Annales d'oculistique, 189?
Mai); erlaube mir aber in Auszügen dasjenige anzuführen, was am
deutlichsten meinen Standpunkt charakterisiert: „Je stärker die Ent-
zündung, je länger sie dauert, desto energischer ist die Auswanderung
der weissen Blutkörperchen, desto dichter und breiter die Zone der
kleinzelligen Infiltration. Die in ihren peripheren Schichten liegenden
zelligen Elemente können von dem umgebenden Gewebe die zu ihrer
Lebensfunktion bzw. Bewegung unentbehrliche Menge Sauerstoff
schöpfen und behalten deswegen länger ihre normalen Eigenschaften;
Zellen, die im Zentrum der Infiltration liegen, befinden sich in be-
zug auf Ernährung in weit schlimmerer Lage und degenerieren leichter
und schneller. Einen entschieden nachteiligen Einfluss auf die Leu-
kocyten üben manche individuellen Eigenschaften des Organismus
und die unhygienischen Lebensbedingungen. Bei sog. Iymphatischen
Individuen, oder bei solchen, deren Organismus durch ein chronisches
Leiden oder mangelhafte und schlechte Ernährung geschwächt ist,
verlaufen die Oxydationsprozesse nicht energisch genug. Die weissen
Blutkörperchen haben ihre Lebenskraft teilweise eingebüsst und ver-
lieren bald nach ihrem Austritt aus den Gefüssen das Bewegungs-
vermögen. Diese Erscheinung hat nichts besonderes an sich; es ist
Ja allgemein bekannt, dass ihre Bewegungen bloss bei freiem Zutritt
von Sauerstoff ausgeführt werden können; dank diesen allgemein
gültigen Momenten erfährt eine beträchtliche Zahl von Leukocyten patlıo-
logische Veränderungen, und mitten in der entzündlichen Infiltration bil-
den siech Hauten, bestehend aus degenerierten Lymphzellen. Der ana-
tomische Bau des subepithelialen adenoiden Bindegewebes begünstigt
sehr solche Haufenbildung; auch in einer normalen Conjunctiva
Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 399
sammeln sich in seinen Maschen mitunter Wanderzellen in betrücht-
licher Zahl an. Einzelne degenerierte Leukocyten oder kleine Gruppen
derselben unterliegen leicht der regressiven Metamorphose und der
Resorption, — nach Ablauf des entzündlichen Prozesses findet man
keine Spur ihrer Anwesenheit in der Conjunctiva. Entstehen jedoch
im Gebiete der kleinzelligen Infiltration umfangreiche Degenerations-
herde, so erfolgt ihre Resorption nicht so leicht; die degenerierenden
Leukocyten quellen auf, zerfliessen miteinander, — es entstehen aus
ihnen mehr oder minder von dem übrigen Gewebe abgegrenzte Ge-
bilde und diese bilden den Ausgangspunkt der spüteren Follikel —
sie sind Kerne derselben.
Bei näherem Studium ihrer weiteren Schicksale ergibt sich, dass
die Follikelkerne sich stets in gleicher Weise zu dem umgebenden
Gewebe verhalten und stets dieselben Veränderungen erleiden, die
zwei verschiedene Stadien aufweisen. Das erste ist das Stadium des
Wachstums und führt zur Ausbildung der charakteristischen reifen
Follikel; ihm folgt das Stadium der regressiven Metamorphose, die
nach und nach zum Schwunde dieser Gebilde führt. Erinnert man
sich an die Experimente von Ranvier (Traité technique d’his-
tologie), der kleine Holundermarkstücke in die Lymphräume des
Frosches brachte, um zu beweisen, dass Leukocyten leicht in poröse
Körper hineinwandern können, so wird schon a priori verständlich,
wie aus einem kleinen Haufen degenerierter Zellen sich der typische
Follikel bildet. Die den Kern desselben umgebenden normalen Wander-
zellen können mit Leichtigkeit von der Peripherie in das Zentrum
desselben hineindringen; sie haben es hier mit einem Fremdkörper
zu tun, dessen Konsistenz ihren Bewegungen keinen Widerstand bietet.
Diese Erscheinung lässt sich in der Conjunctiva leicht nachweisen.
Das Verhältnis der Wanderzellen zu den verschiedenen Schichten
des in die Lymphräume eingeführten Holundermarks und zu den
Degenerationsherden im Conjunctivalgewebe ist ganz identisch: es
sammeln sich in den peripheren Schichten des Follikels in grosser
Zahl normale Zellen; nähert man sich aber seinem Zentrum, so
werden die normalen zelligen Elemente spirlicher und sterben in dem
zentralen Teile des Follikels, wo Sauerstoff fehlt, ab.
Der anatomische Bau des adenoiden Gewebes, das
spezifische Verhalten der Leukocyten Fremdkörpern von
gewisser Konsistenz gegenüber und die individuellen Eigen-
schaften des Organismus — das sind Faktoren, die die
Entstehung von Follikeln bei jeder Bindehautentzündung
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 2, 26
400 J. Mutermilch
beherrschen. . Der mit Hämatoxylin gefärbte Follikel sieht ganz
eigenartig aus: seine Peripherie — normale Zellen enthaltend — ist
viel intensiver gefärbt als das Zentrum, wo degenerierte Zellen vor-
wiegen. Das Bild ändert sich jedoch mit der Zeit, d. h. beim Über-
gang des ersten Stadiums in das zweite.
Jede neue Exacerbation führt zum Wachstum der schon vor-
handenen Follikel und zwar in folgender Weise: die peripher liegen-
den normalen Zellen degenerieren mit der Zeit aus leicht verständ-
lichen Gründen und dienen zur Vergrösserung des Kerns, gleichzeitig
sammeln sich um dieselben herum neue Leukocyten und bilden die
periphere Schicht usw. Es ist klar, warum das Wachstum der Fol-
likel eine Grenze hat. Wenn der Follikel, der bloss in der subepithe-
lialen adenoiden Schicht sich zu entwickeln vermag, bei seinem
Wachstum mit den tieferen Schichten des Bindegewebes in Berührung
kommt, so findet er in der anatomischen Struktur desselben ein Hin-
dernis für seine weitere Entwicklung. Dieses Gewebe ist faserig,
also viel dichter und resistenter und bildet kein günstiges Medium
für Follikelbildung; es gibt nur wenig dem Drucke derselben nach
und zwar nicht ohne entsprechende Reaktionen. Seine, durch hinein-
wachsende Follikel stets gereizten Fasern erleiden nun in unmittel-
barer Nachbarschaft des Follikels gewisse Veränderungen (Verdickung
und Sklerose der Faserbündel) deren Resultat die Bildung einer
homogenen wohlkonturierten Follikelkapsel ist. Dieselbe stellt ein
Hindernis der Einwanderung von Leukocyten dar; deshalb bieten
ältere mit Hämatoxylin gefärbte Follikel ein verschiedenes Aussehen
von den jungen, die das faserige Bindegewebe noch nicht erreicht.
haben. Die jungen besitzen ein schwach sich färbendes Zentrum
und eine intensiv gefärbte periphere zellige Zone; bei den alten ist
diese Zone auf dem Durchschnitt halbmondförmig und umgibt den
dem Epithel zugekehrten Teil des Follikels und seine Seitenflächen.
Da der Follikel bei seiner Entwicklung auf keinen Widerstand von
der Seite des Epithels stösst, nähert er sich immer mehr der Conjunc-
tivaloberfläche und bringt die Epithelzellen zur Atrophie. Der Follikel
bricht durch und sein erweichter Inhalt entleert sich nach aussen.
Niemals kann auf diese Weise der Follikel in toto aus dem Gewebe
entfernt werden — darüber habe ich mich wiederholt bei meinen
Untersuchungen überzeugt.
In den Follikeln spielen sich vom ersten Momente ihrer Ent-
stehung gleichzeitig zwei entgegengesetzte Prozesse ab: die Einwan-
derung gesunder Leukocyten und die Resorption der degenerierten
Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 401
Zellen. Im ersten Stadium überwiegt der erste dieser Prozesse — der
Follikel vergróssert sich rasch; im zweiten ist die Einwanderung stark
reduziert, es überwiegt der Prozess der Resorption, begleitet vom
Hineinwachsen der Blutgefässe und des Bindegewebes — die Dimen-
sionen des Follikels nehmen allmählich ab. Besass der Follikel die
obenerwähnte bindegewebige Kapsel, so verliert er sie in diesem Sta-
dium — er übt keinen Druck mehr auf das umgebende Gewebe
seiner Kleinheit wegen aus. Die zelligen Elemente werden immer spär-
licher, statt dessen wuchert das Bindegewebe; die Konturen der ein-
zelnen Follikel verwischen sich und dieselben sind nur deshalb zu
erkennen, weil sie in einem von kleinzelliger Infiltration freien Ge-
webe liegen. Endlich wird der Follikel total resorbiert und hinter-
lässt in dem Gewebe keine Spuren seiner Existenz. Dieser Prozess
verläuft sehr langsam und dauert manchmal jahrelang. Oft fand ich
Follikel im Stadium der Resorption in Conjunctiven, in denen der
entzündliche Prozess gänzlich erloschen war.
Was für Veränderungen treten nun in einem teilweise resorbier-
ten Follikel während einer neuen Exacerbation auf? Handelt es sich
um frühere Stadien der Krankheit, wo die adenoide Schicht wenig
verändert ist und ihre anatomische Struktur noch nicht eingebüsst
hat, so befindet sich der Follikel unter Bedingungen, die sein Wachs-
tum begünstigen, und erreicht sein ursprüngliches Aussehen. Anders
verhält es sich im Falle, wo infolge des lange dauernden entzünd-
lichen Prozesses oder zahlreicher Exacerbationen das adenoide Gewebe
durch kompaktes faseriges Bindegewebe ersetzt worden ist. Der Fol-
likel vergrössert sich entweder gar nicht oder nur unbedeutend, denn
er ist an seiner ganzen Peripherie von einer derben Kapsel umgeben,
zu deren Bau das wuchernde faserige Bindegewebe das nötige Ma-
terial liefert. Auch unterscheidet sich das Bindegewebe, welches
sich an Stelle des Follikelinhalts entwickelt hat, fast gar nicht
von dem umgebenden und verhindert das Ansammeln der lym-
phoiden Zellen. Der Follikel übt einen sehr geringen Druck auf
die Kapsel, daher erleiden ihre Fasern nicht diejenigen Verände-
rungen, welche man in jungen, rasch wachsenden Follikeln trifit; sie
bleiben deutlich abgegrenzt und zeigen eine konzentrische Anord-
nung. Die zwischen ihnen befindlichen Leukocyten bilden recht sym-
metrische Reihen.
Die infolge einer Exacerbation sich regenerierenden Follikel
treten undeutlich in der kleinzelligen Infiltration auf, man erkennt
sie oft bloss an ihren charakteristischen Kernen.
96*
402 J. Mutermilch
Das eigenartige Aussehen dieser in Regeneration begriffenen
Follikel, ihr Auftreten nur in späteren Stadien der chronischen Ent-
zündung, haben die Augenärzte bewogen, sie als pathognomonisch für
das Trachom zu erkennen und zu behaupten, dass diese Gebilde
nichts gemeinschaftliches mit den bei frischen Entzündungsformen
auftretenden Follikeln haben.“
Daraus liesse sich schliessen, dass ausserhalb der Conjunct.
palp. der Follikel sich in keiner andern Schleimhaut zu entwickeln
vermag und dass der chronische Verlauf des Trachoms lediglich dem
Auftreten der Follikel zugeschrieben werden muss. Dieser Schluss
ist aber nicht richtig. Diese Gebilde trifft man auch bei in andern
Schleimhäuten verlaufenden entzündlichen Prozessen, und im Verlaufe
des Trachoms, besonders in späteren Stadien, wo die Narbenbildung
schon deutlich auftritt, wird die Zahl der Follikel nicht nur geringer,
sondern sie verschwinden manchmal gänzlich.
Raehlmann und manche andere Augenärzte sind der Meinung,
dass die Follikel die einzige Ursache der Narben der Conjunctiva
bilden. Nach Raehlmann brechen die Follikel in den Conjunctival-
sack durch und entleeren ihren Inhalt; es entstehen dadurch sehr
kleine, aber zahlreiche Exulcerationen, die schliesslich vernarben.
Aus der Summierung der zahlreichen kleinen Narben entsteht die
sichtbare Narbe der Conjunctiva. Indessen beobachtet man ja oft
genug das Verschwinden zahlreicher Follikel bei Conjunctivitis folli-
cularis ohne jegliche Spur einer Narbe.
Wie und warum sich beim Trachom der interessante Prozess der
Narbenbildung vollzieht, habe ich schon zu erklären versucht. Ich
citiere die Raehlmannsche Ansicht, bloss um zu beweisen, auf was
für schwachen Grundlagen die Trachomtheorien aufgebaut werden.
In keinem andern Spezialgebiete der Medizin werden die Follikel so
hoch geschätzt und ihnen nirgends solch eine entscheidende Rolle
und wichtiger Einfluss auf den Verlauf des Entzündungsprozesses
beigemessen.
Der Follikel ist bloss eine besondere eigentümliche
Form der entzündlichen Infiltration, er ist das Resultat des
Krankheitsprozesses, darf aber unter keinen Umständen
als Ursache desselben betrachtet werden.
Und so lange diese unzutrefiende Anschauung herrscht, sind
Fortschritte auf dem Gebiete der Untersuchungen über die Ätiologie
und das Wesen des Trachoms nicht zu erwarten.
Von dieser Theorie ausgehend, suchte man nach therapeu-
Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 403
tischen Methoden, die hauptsächlich, wenn nicht ausschliesslich, die
Follikelvernichtung erzielen sollten. Die Bestrebungen in dieser
Hinsicht waren sehr erfolgreich — heutzutage ist es kaum mög-
lich, eine neue Manipulation der Follikelzerstórung zu erfinden.
Alles ist schon versucht worden. Die Follikel werden mit den Nä-
geln oder mittels speziell konstruierter Pincette zerdrückt (Knapp);
mit scharfen Löffeln ausgeschabt; mit Nadeln durchstochen und mit
metallischen Bürsten ausgekratzt; mit Thermo- und Galvanokauteren
ausgebrannt, samt der Übergangsfalte mit Hilfe des Messers ent-
fernt; es wird sogar, um das Ziel zu erreichen, die ganze Conjunc-
tivaloberfläche aufs sorgfältigste zerrissen (Abadie) usw. Und doch
genügt das alles nicht! Die Follikel gehen zugrunde, die Krankheit
aber bleibt und macht Fortschritte. Und der Zerstörung der Follikel,
die ja nur die erste Etappe in der Behandlung des Trachoms bildet,
folgt die lange Periode der Anwendung chemischer Arzneimittel
(Arg. nitr., Cuprum sulf., Protargol usw... Auf Grund der, zum Teil
richtigen, Meinung, das Trachom sei eine Infektionskrankheit, be-
schränken sich Delag£niere, Arnauds, Gustav und Otto Kei-
ning, Guaita, Staderini und manche andern Ärzte auf Anwen-
dung starker Sublimatlösungen (1:400, 1:500). Das Sublimat tötet
zwar die Bakterien, aber seine schädliche Wirkung auf die Gewebs-
elemente lässt nicht lange auf sich warten. Alle genannten thera-
peutischen Methoden führen über kurz oder lang wenn nicht zur
vollständigen Bekämpfung des krankhaften Prozesses, doch jedenfalls
zu einer bedeutenden Milderung seiner Symptome. Wie sind nun
die günstigen Erfolge aller dieser Methoden zu deuten, wie verhalten
sie sich zu der ohne Zweifel günstigen Wirkung eines so reizenden
Mittels wie Jequirity auf den Verlauf des Trachoms oder einer Se-
kundärinfektion mit der Gonorrhöe.
(Ich habe persönlich zwei Kranke mit schweren Trachomformen
in Behandlung gehabt, bei welchen eine Sekundärinfektion mit Go-
norrhöe einen sicher günstigen Einfluss auf die Grundkrankheit aus-
geübt hatte. Die verdickte, infiltrierte, mit Follikeln und Papillen
bedeckte Conjunctiva wurde glatt und dünn und die, mit dichtem
Pannus bedeckte Cornea gewann wieder ihre vollständige Durchsichtig-
keit.) Wie kommt es zu stande, dass die Auspressung der Follikel oder
die Methode von Abadie zu denselben Resultaten führen, wie die
verhältnismässig milde Behandlung mit 1— 2" \,iger Arg. nitr.- Lösung.
Was für gemeinschaftliche Momente lassen sich in dem günstigen
Einflusse von Jequirity, Gonorrhöe, und der, manchmal recht wirk-
404 J. Mutermilch
samen, starken Sublimatlósungen auf den Verlauf des Trachoms ent-
decken? |
Vertritt man den Standpunkt, dass das Wesen des Trachoms
und die Ursache seines chronischen Verlaufes nicht durch Bildung
von Follikeln oder Papillen, sondern durch die Stórung des normalen
Gleichgewichtsverhültnisses zwischen dem Epithel und dem subepithe-
lialen Bindegewebe bedingt ist; dass die Heilung erst dann eintreten
kann, wenn die in ihrer anatomischen Struktur stark veränderte ade-
noide Schicht endlich durch faseriges Bindegewebe ersetzt wird, so
wird es nicht schwer sein, gemeinschaftliche Merkmale aller oben-
genannten therapeutischen Methoden zu formulieren. Es ist ja augen-
scheinlich, dass jede dieser Methoden in schwächerer oder stärkerer
Weise eine zerstórende Wirkung auf das adenoide Gewebe äussert:
sei es rein mechanisch durch Quetschung oder direkte Zerstórung
seiner Elemente, sei es durch Verstärkung und Unterhaltung des
entzündlichen Zustandes (Jequirity, Gonorrhoea, in geringerem Masse
Arg. nitr. und andere Caustica). Dies alles beschleunigt die Bildung
eines neuen anatomisch differenten Bindegewebes, welches wieder die
Entwicklung an der Oberfläche der Conjunctiva des so erwünschten
epidermoidalen oder ihm ähnlichen Epithels begünstigt.
Die gonorrhoische Infektion und Jequirity vernichten in raschem
Tempo die Reste des adenoiden Gewebes; das Auspressen der Fol-
likel und andere Methoden der Quetschung der Conjunctiva führen
langsamer zur Bildung einer Narbe, am schwächsten äussern ihre
Wirkung in diesem Sinne die Caustica. Da wir über so zahlreiche,
sicher zur Narbenbildung führende Behandlungsmethoden verfügen,
wäre die Aufgabe des Arztes angesichts des Trachom einfach und
leicht; die Nachbarschaft der Cornea macht sie aber manchmal recht
schwer. Bei der Wahl dieses oder jenes Mittels ist der Einfluss des-
selben auf die Cornea für den Arzt massgebend; und in Fällen, in
denen das Trachom von Pannus kompliziert ist, richtet er seine
Therapie in erster Linie gegen diese ernste Erkrankung der Cornea.
worin eigentlich die ganze Gefahr des Trachoms besteht.
Trachom und Pannus sind so eng verbunden, dass es unmöglich
ist, in einer Abhandlung, die die Ätiologie und das Wesen des Tra-
choms zum Gegenstand hat, die Ätiolorie des Pannus unberührt zu
lassen. Wie und warum kommt diese interessante und höchst wichtige
Komplikation seitens der Cornea zu stande? In der Literatur finde
ich auf diese Frage keine Antwort. Die Autoren beschreiben genau
Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 405
alle Formen und Symptome dieses Leidens, berühren aber nie die
Frage seines Wesens und seiner Ätiologie. Hier und da findet man
eine eigentliche wenig befriedigende Definition, Pannus sei das Weiter-
schreiten des Trachoms, die anatomischen Veränderungen der Con-
junctiva verbreiten sich auf die Cornea.
Meine anatomischen Untersuchungen, geführt parallel zu den kli-
nischen Beobachtungen, werfen auf die Pannusfrage ein neues Licht
und erklären sie auf eine dem wahren Sachverhalt nähere Weise.
Bei der Beobachtung einer grossen Zahl der mit Pannus behafteten
Trachomkranken konstatierte ich eine Tatsache, die sich stets ohne
Ausnahme wiederholte; fand ich auf der Cornea Pannus, so war
jedesmal die Conjunctiva entweder ganz ihres Epithels beraubt oder
nur stellenweise mit degeneriertem Epithel bedeckt (Taf. XIV, Fig. 3
und 4). Gelang es mir, durch die entsprechende Therapie die Re-
generation des Epithels zu erzielen (jeder Fall wurde durch die
mikroskopische Untersuchung des Conjunctivalgewebes kontrolliert),
so verschwand auch der Pannus. Angeregt durch diese unerwarteten
Ergebnisse, stellte ich Kontrollversuche an Tieren an. Als Folge
mechanischer Zerstörung der Conjunctivaloberfläche beim Kaninchen
erhielt ich stets Erosionen der Cornea, die rasch heilten, wenn die
Conjunctiva nicht weiter lädiert wurde, oder in die zahlreiche Blut-
gefässe hineinwuchsen, wenn ich durch täglich von neuem wieder-
holte Zerstörung des Gewebes dem Epithel der Conjunctiva nicht
Zeit liess, sich zu regenerieren. Diese Experimente bestätigen die
Tatsachen der klinischen Erfahrung. Bei dem Trachom entwickelt
sich, wie bekannt, der Pannus nicht gleich in seiner vollendeten
Form. In den ersten Stadien entstehen auf der Cornea kleine -
circumscripte Erosionen, welche durch eine nicht zu vermeidende
Infektion zu kleinen, entzündlichen Infiltraten werden und erst in
einiger Zeit, wenn der trachomatóse Prozess weiterschreitet, die
conjunctivalen Blutgefüsse an sich ziehen, wodurch nun das typische
Bild des Pannus zu stande kommt. Absichtlich habe ich den Aus-
druck an sich ziehen gebraucht. Der Prozess des Hineinwachsens
der conjunctivalen Blutgefässe ist seinem Charakter und seiner Be-
deutung nach ganz identisch mit der in der Biologie wohlbekannten
Erscheinung der positiven Chemotaxis, welche darauf beruht,
dass die lymphatischen Zellen (Phagocyten) sich allen für das ge-
sunde Gewebe fremden und schädlichen Elementen nähern und um
dieselben herum einen Schutzwall bilden. Blutgefässe wachsen stets
in Gewebe hinein, wo sich ein Heilungsprozess abspielt; wo fremde
406 J. Mutermilch
Substanzen ausgeschieden werden; wo an Stelle abgestorbener sich
neue zellige Elemente bilden, oder ein Kampf mit eingedrungeneu
Mikroorganismen vor sich geht; — denn ohne Blut und Leukocyten
ist eine Restitutio ad integrum undenkbar. Jedoch von manchen
sehr stark toxischen Substanzen bzw. Bakterien, die die Cornea über-
fallen haben und die zu bekämpfen es den Leukocyten unmöglich ist,
halten sich die Blutgefüsse fern; das ist der Grund, weshalb bei
manchen Geschwüren der Cornea (Ulcus serpens, Gonorrhoea) ein
Pannus reparatorius fehlt — negative Chemotaxis.
Wir sind berechtigt, daraus den Schluss zu ziehen, dass die
Geschwüre der Cornea beim Trachom als keine besonders ernste
Komplikation betrachtet werden müssen, denn sie sind hervorgegangen
durch Bakterien von schwacher Virulenz.
Was nun die Abhängigkeit zwischen der Existenz des Epithels
der Cornea und desjenigen der Conj. palp. anbelangt, so betrachte
ich sie als eine Teilerscheinung des so oft im Organismus sich
üussernden gegenseitigen Einflusses zweier naheverwandter Gewebe.
Als klassisches Beispiel diene das Verhalten des Blutes dem Endo-
thel der Blutgefässe gegenüber. Das Blut kreist normal bloss in
Gefässen, deren Intima aus normalen Endothelzellen besteht; jede
krankhafte Veränderung derselben hat die Koagulation des Blutes
zur Folge (Thrombus).
Die ausnehmend reiche Vaskularisation, die den Pannus trachoma-
tosus charakterisiert, wird durch den Umstand begreiflich, dass sich
der Pannus als Folge einer chronischen Entzündung der Conjunctiva
entwickelt, begleitet von Neubildung zahlreicher, oft stark verzweigter
Blutgefüsse; kleine Äste derselben können in grosser Zahl mit Leich-
tigkeit in die Cornea hineindringen. In Fällen, wo eine Corneal-
erkrankung, die eines Pannus reparatorius bedarf, sich bei nor-
malem Zustande der Conjunctiva entwickelt, — ıst die Zahl der in
die Cornea hineinwachsenden Gefässe sehr gering im Vergleich zu
dem Pannus trachomatosus (Keratitis fascicularis, phlyctaenulosa usw.).
Mit den Blutrefässen wächst beim Pannus trachomatosus auch das
Bindegewebe in die Cornea hinein (eine im Organismus sich stets
wiederholende Erscheinung): dieses wird auch kleinzellig infiltriert, und
wegen der langen Dauer des Entzündungsprozesses und sich oft
wiederholender Geschwürsbildungsen der Cornea wird der Pannus zu
einem Bindegewebe, welches fast den Charakter des adenoiden hat
und reichlich vaskularisiert ist — zum Granulationsgewebe oder zum
soy. Pannus crassus. Diese Art von Pannus ist aber sehr lose
Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 401
mit der Cornea verbunden, durchwáüchst bloss ihre oberflüchlichen
Schichten, und wenn durch entsprechende Therapie die Corneal-
geschwüre verheilen und der Pannus reparatorius verschwindet, bleibt
als Folgezustand der scheinbar sehr ernsten Cornealaffektionen eine
verhältnismässig kleine, oberflächliche, ziemlich durchsichtige Narbe
der Cornea.
Die erschöpfende Analyse der Pannusfrage an der Hand der kli-
nischen Beobachtung und der anatomischen Untersuchung führt zu dem
Schlusse, dass in der Atiologie dieser ungemein wichtigen Kompli-
kation, dank welcher das Trachom als eine der schwersten Plagen
der Menschheit erscheint, sich keine besonderen, ungewöhnlichen, nur
diesem Leiden eigenen und den sich in andern Geweben abspielenden
entzündlich infektiösen Prozessen fremden Momente nachweisen lassen.
Der Pannus ist nur ein Komplex der sich stets wiederholenden
anatomischen Erscheinungen, deren Summe als Reaktion des Gewebes
auf die erfolgte Infektion aufgefasst werden muss. Die äussere Form
dieser Reaktion ist eigenartig, weil der entzündliche Prozess unter
speziellen Bedingungen verläuft in der durchsichtigen, der Blutgefässe
entbehrenden Cornea, die während ihrer Erkrankung aus der benach-
barten Conjunctiva Gefässe heranzieht.
Auf Grund meiner klinischen Beobachtnngen, unterstützt durch
anatomische Untersuchungen und mit Berücksichtigung der funda-
mentalen Grundgesetze der Pathologie, fühle ich mich ganz berechtigt,
Follikel und Pannus aus der Reihe pathognomonischer Zeichen des
Trachoms zu streichen und sie bloss für Begleiterscheinungen dieser
Krankheit anzuerkennen. Der Follikel ist nur eine eigentümliche
Form der kleinzelligen Infiltration, hat aber keinen, weder positiven noch
negativen Einfluss auf die Entstehung und den Verlauf des Trachoms
und muss in seiner Ätiologie als nebensächlich betrachtet werden.
Der Pannus stellt ohne Zweifel eine sehr ernste Komplikation dar:
er bedroht ein zartes Organ — die Cornea; dessenungeachtet darf
er aber in keiner Hinsicht als Prozess gleichen Charakters mit dem
in der Conjunctiva verlaufenden betrachtet werden. Die Affektion
der Cornea ist keine Propagation des Trachoms, sie ist nur seine
unangenehme Folge.
Will man eine prücise Antwort auf die Frage geben, was sollen
wir unter Trachom verstehen, so sind wir gezwungen, uns auf folgende
Definition zu beschränken:
Das Trachom besteht aus einer langen Reihe konse-
quenter und in anatomischer sowie physiologischer Be-
408 J. Mutermilch
ziehungunvermeidlicherVeränderungen,dienachHerstellung
eines neuen und dauerhaften Gleichgewichtsverhältnisses
zwischen dem Epithel und dem subepithelialen Bindege-
webe streben, welches durch irgendeinen infektiösen ent-
zündlichen Prozess gestört worden ist.
Das Trachom ist in keiner Beziehung verschieden von
andern der Pathologie bekannten chronischen Prozessen,
die in Schleimhäuten verlaufen, deren anatomische Struktur
derjenigen der Conjunctiva verwandtist(Urethritischronica,
Rinitis atrophicans usw.). Der trachomatöse Prozess bildet
einen Komplex anatomischer Veränderungen, die nach all-
mählicher Entwicklung und Bildung einer dauerhaften
Conjunctivalnarbe streben.
Nun aber stehen wir vor einer neuen interessanten Frage: welche
Bakterien lósen diesen Prozess aus? Gibt es einen spezifischen
Trachomerreger, oder vermógen alle oder wenigstens ein Teil der
virulenten Mikroorganismen alle die geschilderten Veränderungen im
Gewebe der Conjunctiva hervorzurufen ?
In meinen bisherigen Schlussfolgerungen ist eigentlich schon in
ganz konkreter Weise die Antwort auf diese neue Frage enthalten.
Berücksichtigt man die allgemein bekannten Tatsachen:
1. dass die Schleimhaut der Urethra, durch Gonocokken infiziert,
unter gewissen ungünstigen Umständen die ganze Reihe charakteri-
stischer, dem typischen Trachom eigentümlicher Veränderungen durch-
macht: die Umwandlung des Cylinderepithels in das epidermoidale
und des subepithelialen adenoiden in das feste faserige Bindege-
webe (Finger, Archiv für Dermatologie und Syphilis, 1891.
Baraban, Revue medicale de l'Est, 15 Juin 1890);
2. dass die Conjunct. palp. ebenso leicht und oft einer Infektion
durch dieselben Mikroorganismen anheimfällt, so gelangt man a priori
schon zu der Annahme einer Möglichkeit der Trachomentwicklung
durch die Wirkung der Gonocokken. Zahlreiche klinische Beobach-
tungen bestätigen ın eklatanter Weise diese aprioristische Vermutung.
Oft genug habe ich Gelegenheit gehabt, Kranke mit Conjunct. gonorr.
zu beobachten, bei welchen sich aus dieser Krankheit das typische
Bild der Conjunct. trachomatosa chronica entwickelte, begleitet. von
allen typischen klassischen Symptomen des Trachoms (Follikel, Pa-
pillen, Pannus).
Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 409
Die Conjunct. gonorr. hat manchmal einen sehr milden ` Verlauf,
bedingt entweder durch schwache Virulenz der spezifischen Erreger,
oder durch regelrechte und im entsprechenden Momente eingeleitete
Behandlung bei Kranken, die in guten hygienischen Verhältnissen
sich befinden. In diesen Fällen ist die gänzliche Restitutio ad
_ integrum im anatomischen Sinne nach Beendigung des entzündlichen
Prozesses möglich.
In andern Fällen sind die entzündlichen Erscheinungen im Ver-
laufe dieser Krankheit von hoher Intensität: gewaltige Schwellung der
Conjunctiva, die mit schmutzig grauem Belag bedeckt ist, reichliche
eitrige Sekretion, wobei die Cornea trotz der höchsten Sorgfalt bald
infiziert wird. Bei dieser Kategorie von Kranken, die sich fast immer
aus den ärmeren Bevölkerungsschichten rekrutierten, beobachtete ich
sehr oft, dass im Endresultat, nach 8—12 Wochen, d. h. nach de-
finitiver Heilung, ihre Conjunctiva klinisch sowie anatomisch sich
nicht unterscheidet von derjenigen der Kranken, die das typische
chronische Trachom überstanden haben. Der akut verlaufende gonor-
rhoische Prozess hat bei ihnen im raschen Tempo während einiger
Wochen dasselbe Zerstörungswerk vollendet, d. h. in geschilderter W eise
das Conjunctivalgewebe umgewandelt, wie der trachomatöse Prozess,
der dazu wiederholter Exacerbationen und manchmal einiger Jahre
bedarf. -
Viel lehrreicher für das uns interessierende Thema sind aber
diejenigen Fälle von Conjunct. gonorr., bei denen dem ersten akuten
Stadium sich das zweite des chronischen Verlaufes anschliesst. In
diesen Fällen ist die Rückkehr zum Status quo ante sichtlich un-
möglich: das adenoide Gewebe hat viel zu tiefe Störungen erlitten.
Der entzündliche Prozess hat jedoch mit einem Schlage nicht gänz-
lich das adenoide Gewebe zerstört — wie in den oben erwähnten
Fällen —, und dadurch kommt der schon geschilderte Circulus
vitiosus zu stande, der den charakteristischen Verlauf des Trachoms
bedingt. Solche Fälle, die die Ätiologie des Trachoms teilweise wenig-
stens aufzuklüren helfen, hatte ich Gelegenheit zur Genüge zu be-
obachten.
Es unterliegt für mich keinem Zweifel, dass die grosse Ver-
breitung des Trachoms und der Conjunct. gonorr. in Agypten und in
der Armee (Russland) nicht als zufällige Koinzidenz aufgefasst werden
darf, und dass zwischen diesen beiden Erkrankungsformen ein. Kausal-
verháltnis besteht.
Berücksichtigt man, dass bloss die Conjunct. gonorr. von gewisser
410 J. Mutermilch
(mittlerer) Intensität Anlass zur Entwicklung des chronischen Ent-
zündungsprozesses geben kann, so wird es verständlich, warum eine
Infektion mit Gonorrhoea bei Trachomkranken zur raschen Heilung bei-
trägt — solche Experimente und klinische Beobachtungen sind all-
gemein bekannt und vielfach bestätigt —, macht man jedoch von
diesen Tatsachen in praxi keinen Gebrauch, so geschieht dies einzig
und allein aus Rücksicht auf die Cornea, die dabei stets ernst be-
droht wird. In solchen Fällen zerstört der durch die Sekundär-
infektion hervorgerufene frische Entzündungsprozess die Reste des
adenoiden Gewebes und begünstigt die Bildung einer Conjunctival-
narbe. Mit andern Worten, Trachom plus Gonorrhoea sind in ihrer
Wirkung auf die Conjunctiva gleich derjenigen der Gonorrhöe —
aber von starker Intensität — allein. In diesem Gleichnis kann in
seiner ersten Hälfte die Gonorrhöe — als therapeutisches Mittel —
mit Erfolg durch Jequirity ersetzt werden.
Bei der Analyse des bakteritischen Ursprungs des Trachoms habe
ich in erster Linie die Gonorrhöe berücksichtigt, nicht weil ich sie für
die häufigste oder wichtigste Ursache des Trachoms halte; ich wollte
nur beweisen, wie zwei scheinbar so verschiedene Krankheitsformen
sich zu einem harmonischen Ganzen vereinigen können.
Da mir seit 22 Jahren das reiche Material des jüdischen Kranken-
hauses zu Warschau zur Verfügung steht, unter welchem alle mög-
lichen Arten und Intensitätsstufen von akuten Entzündungen der Con-
junctiva sich vertreten finden, deren Mehrzahl bakteriologisch genau
untersucht worden ist, so gelangte ich auf Grund meiner Beobachtungen
zu der festen Überzeugung — besser gesagt zur Gewissheit —, dass
alle bekannten Entzündungsformen (Conjunct. catarrhalis epidemica,
Schwellungskatarrh, Conjunct. catarrhalis acuta Koch-Weeks, Con-
junct. catarrhalis durch Influenza-Bacillus oder durch den Diplobacillus
Morax-Axenfeld hervorgerufen) dank den hóchst unhygienischen
Lebensbedingungen des Warschauer Proletariats, aus welchem sich
die Spitalkranken zum gróssten Teil rekrutieren, als Ausgangspunkt
für Trachomentwicklung dienen kónnen.
Wiederholt hatte ich in Behandlung und längerer Beobach-
tung ganze aus mehreren Mitgliedern bestehende Familien, die alle
gleichzeitig an einer der oben erwähnten akuten Entzündungen er-
krankten, und wiederholt musste ich konstatieren, dass bei ver-
schiedenen Familienmitgliedern, trotz der gleichen Therapie, der Ver-
lauf und Ausgang der Krankheit verschieden waren. Bei Kindern
Über die Átiologie und das Wesen des Trachoms. 411
und Frauen war der Verlauf der Krankheit von kurzer Dauer und
ging gewöhnlich in Heilung aus; bei Männern dagegen, die zum
Zwecke einer systematischen Behandlung ihre Arbeit in Fabriken
und Werkstätten nicht unterbrechen konnten, dauerte sie stets viel
länger und ging in eine mehr oder minder schwere chronische Form
— manchmal in typisches Trachom — über.
In der Literatur lassen sich zahlreiche derartige Beobachtungen
finden, unterstützt durch reiches statistisches Material. (Schilling,
Berlin. Klinische Wochenschrift 1888, Nr. 22; Gerken, Wiestnik
Ottalmologii 1892, oder Annales d'ocul. Bd. CVIII. S 152; Waller-
stein, Berlin. Klin. Wochenschrift Nr.20; Nuel et Leplat, Annales
d'oculistique 1889, Nr. 3 und 4.)
Von zahlreichen persónlichen Beobachtungen, die aufs deutlichste
den Übergang einer akuten Entzündung in Trachom beweisen, erlaube
ich mir zwei ungemein charakteristische und interessante — da ich
sie mehrere Jahre hindurch in Beobachtung hatte — anzuführen.
1. In dem Warschauer Waisenhause erkrankten gleichzeitg mehrere
Knaben — 9—13 Jahre alt — an einer Conjunct. catarrhalis epidemica
(Sehwellungskatarrh) Die Behandlung bestand im akuten Stadium der
Krankheit in mehrmals täglich wiederholten Auswaschungen des Conjunctival-
sackes mit schwacher warmer Sublimatlösung; als die Schwellung der Con-
Junctiva nachliess und das Sekret eitrigen Charakter annahm, ging ich zum
täglichen Touchieren mit einer 1°, Arg. nitr.-Lösung über. Bei allen
Kranken, mit Ausnahme eines 13jährigen Knaben, trat nach zweiwöchiger
Behandlung definitive Genesung ein.
Der genannte Knabe war ein Degenerant und seine Behandlung konnte
nicht regelrecht durchgeführt werden: er sträubte sich gegen die Aus-
waschungen, rieb absichtlich seine Lider mit schmutzigen Fingern, und mit
Mühe und Not gelang es mir bloss einige Male, seine Conjunctiven mit Arg.
nitr. zu touchieren. Nach einigen Monaten sah ich bei ihm eine schwere
Trachomform sich entwickeln (zahlreiehe Follikel und Papillen, Pannus auf
der Cornea usw.). Nach Verlauf von zwei Jahren — während dieser Zeit
war ich genötigt, den Knaben wiederholt, jedesmal für einige Wochen, auf
meine Spitalabteilung aufzunehmen — entwickelte sich endlich die Con-
junctivalnarbe.
2. Der zweite Fall betrifft einen Arbeiter aus den ärmsten Schichten
der Bevölkerung; er war Familienvater und hatte 5 Kinder. Der Kranke
litt an einer recht bösartixen Form der Conjunet. blennorrhoica (Anto-
infektion). Da die Familie eine einzige dunkle und enge Stube bewohnte,
waren bald alle ihre Mitzlieder — die Frau ausgenommen — angesteckt.
Bei allen Kindern entwickelte sich die Conjunetiv. blenn. Die Kinder blieben
zu Hause, der Vater willicte in die Aufnahme ins Krankenhaus ein. Nach
gechswóchiger Behandlung verliess er dasselbe vollständig geheilt: die Cornea
blieb verschont, auf der Conjunctiva entstand eine gleichmässige glatte Narbe.
412 J. Mutermilch
Bei den Kindern, die ambulatorisch behandelt waren, mit Ausnahme des
jüngsten, entwickelte sich das typische Bild des Trachoms. Die Armut und
der Sehmutz, in denen die Familie lebte, und der Widerwille gegen eine
systematische Behandlung im Spital trugen dazu bei, dass die Krankheit
sich in die Länge zog und üble Folgen für die Kinder hatte: der Pannus
hinterliess auf der Cornea aller Kinder ernste Spuren für das Sehvermögen.
Es sei hinzugefügt, dass unter dem jüdischen Proletariat in
Warschau akute Entzündungen der Conjunctiva endemisch herrschen.
Zu den glücklichen Ausnahmen gehören Familien, in welchen nach
überstandener Conjunctivitis acuta keines der Mitglieder von Trachom
befallen worden ist. Man kónnte zwar einwenden, das Trachom
habe sich in allen diesen Fällen nicht unmittelbar aus einer andern
Entzündungsform entwickelt, sondern sei infolge einer sekundären,
spezifisch trachomatösen Infektion, die hier einen empfänglichen Boden
traf, entstanden, aber diese Hypothese steht nicht im Einklange mit
einer langen Reihe genau beobachteter Fälle, wo gesunde Individuen
von typisch trachomatösen angesteckt worden sind.
Der aus dem Militärdienst entlassene Soldat bringt oft genug
in seine Heimat das Trachom mit und wird nun zur Quelle der
Ansteckung seiner gesunden Familienmitglieder.
A priori sollte man meinen, es müsse sich infolge dieser An-
steckung auf der gesunden Conjunctiva Trachom entwickeln. Den-
jenigen, der an die Existenz eines spezifischen Trachomerregers glaubt
und überzeugt ist, aus Trachom könne nur Trachom sich entwickeln,
erwartet eine schwere Enttäuschung.
Bei der Familie des kranken Soldaten, falls sie angesteckt wird,
entwickeln sich akute, doch nicht bösartige Entzündungsformen der
Conjunctiva, welche bei entsprechender Behandlung und — was noch
wichtiger — in guten hygienischen Bedingungen rasch und spurlos
vergehen. Aber wie kann man von Hygiene und ihren Forderungen
reden in Bevölkerungsschichten, wo Analphabetismus, Alkoholismus,
Armut und Unwissenheit herrschen! Und deshalb hat in.Polen, wo
nach der Meinung der Kranken die Krankheit erst dann beginnt,
wenn infolge von Cornealaftektion das Schvermögen merklich zu leiden
anfängt — bis zu diesem Momente wenden die Kranken die undenk-
barsten Hausmittel an —, die Verbreitung des Trachoms so unge-
heure Dimensionen angenommen. Aber in wohlhabenden Gesellschafts-
klassen ist bei uns das Trachom ebenso selten wie in Westeuropa.
Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 413
Meine Schlussfolgerungen über die Ätiologie und das Wesen des
Trachoms haben mich berechtigt, eine Reihe praktischer, entscheiden-
der Experimente anzustellen, um die Frage der Ansteckung gesunder
Menschen durch Trachomatöse zu lösen. Ich experimentierte zuerst
an Kaninchen. Ich brachte in den Conjunctivalsack dieser Tiere
den Inhalt der Follikel eines Kranken mit Trachoma folliculare und
erhielt stets negative Resultate. Das eitrige Sekret von Kranken
mit einer Exacerbation des trachomatösen Prozesses rief bei Kaninchen
eine akute, aber leichte Entzündung der Conjunctiva hervor, welche in
einigen Tagen ohne jede Intervention spurlos verging. In der Voraus-
setzung, Kaninchen seien gegen Trachom weniger empfänglich, wie Men-
schen, wiederholte ich dieselben Experimente an Blinden mit deren Ein-
willigung — ebenfalls mit negativem Erfolg. Der Inhalt der Follikel in den
gesunden Conjunctivalsack eingeführt, rief nie eine entzündliche Re-
aktion hervor; einzig und allein durch Einführen des eitrigen Sekrets
konnte ich auf der gesunden Conjunctiva eine akute Entzündung zu
stande bringen, die aber ebenso wie bei den Kaninchen in kurzer
Zeit und ohne Behandlung verging. Kranke, bei welchen ich die
Impfungen vornahm, blieben stets längere Zeit in meiner Beobach-
tung im Spital, also in guten hygienischen Bedingungen; es ist mög-
lich, dass in andern weniger günstigen Umständen die akute Ent-
zündung der Conjunctiva intensiver verlaufen und in chronische Form
übergehen würde. Jedenfalls bestreiten diese Experimente, die ich
mit möglichst grosser Genauigkeit anstellte, die Existenz eines spezi-
fischen Trachomerregers und beweisen in konkreter Weise, dass der
Trachomkranke als keine so gefährliche Quelle der Ansteckung und
der Epidemie betrachtet werden kann, wie man es sonst annimmt.
Zahlreiche mühsame bakteriologische Untersuchungen bei Tra-
chomkranken durch die hervorragendsten Gelehrten unternommen
(Morax, Peters, zur Nedden, Koch, Kartulis, Demetriades,
Müller und Andere) haben Resultate ergeben, die nicht nur mit
denjenigen meiner Beobachtungen identisch sind, sondern diese sogar
in konkreter Weise ergänzen. Diese Forscher haben im Conjunctival-
sack und im Sekret der Trachomkranken verschiedene Mikroorganismen-
species gefunden, welche als Erreger der verschiedenartigen Entzün-
dungen der Conjunctiva gelten (Bacillus Koch-Weeks, Diplobacillus,
Bacillus influenzae usw. Ich kann aber der durch die meisten
Augenärzte anerkannten Deutung dieser Tatsachen nicht beistimmen
und sie nicht als Beweis einer Sekundärinfektion, die absolut keinen
Einfluss auf den Verlauf des trachomatösen Prozesses übt, halten.
414 J. Mutermilch
(En Egypte Müller, puis Morax ont vu souvent la conjonc-
tivite aigue contagieuse se développer chez les malades at-
teints de la conjonctivite granuleuse. Morax Conjonctivite
aigue contagieuse. Encyclopédie Francaise d'ophtalmologie
V. V. p. 633.)
Nicht nur bestreite ich nicht die Existenz von Sekundärinfek-
tionen, ich halte sie sogar für das Zustandekommen des Trachoms
für unentbehrlich. Es ist für mich über jeden Zweifel erhaben,
dass als erster Erreger, erster Impuls für Trachomentwicklung jede
Bakterienart angesehen werden muss, welche die oben geschilderten
tiefen unverwischbaren Störungen des adenoiden Gewebes verursachen
kann; im weiteren Verlauf infolge verminderter Widerstandsfähigkeit
der Conjunctiva kann sich mit Leichtigkeit jede andere Bakterien-
species an ihrer Oberfläche ansiedeln, was beim direkten Kontakt
dieser Schleimhaut mit der Aussenwelt wohl verständlich ist.
Jeder neue Mikroorganismus, oder oft sich. wiederholende Rein-
fektionen durch dieselbe Bakterienart, z. B. Bacillus Koch-Weeks, rufen,
sich summierend, eine Reihe von Exacerbationen des entzündlichen
Prozesses hervor und tragen zum Zustandekommen des typischen
charakteristischen Bildes des Trachoms bei. (Solch ein Fall ist. von
Müller beschrieben worden; Morax citiert ihn in seiner Abhand-
lung: La conjonctivite contagieuse loc. eit.) Dieser Mannigfaltigkeit
von Nrankheitserrerern verdanken eben die Mannigfaltirkeit von
Trachomtormen und die zahlreichen Unterschiede im klinischen Ver-
laufe dieses Leidens bei verschiedenen Individuen seine Entstehung.
Ausser mir haben vielfach auch andere Forscher die Meinung aus-
gesprochen, das Trachom verdanke seine Entstehung nicht einem
einzigen, also spezifischen Erreger. Th. Saemisch in seiner Ab-
handlung: Die Krankheiten der Conjunetiva (Graefe-Saemisch,
Handbuch der gesamten Augenheilkunde, Rapitel IV, 8.157)
erwähnt auch diese Ansichten:
„Zahlreiche Forscher stehen bierin noch auf einem andern Stand-
punkte, wiez. B. Bock. Ottava. Hoor. True. Cazalis. Würdemann.
Gromakowski. Bock hält es für sicher, dass das Trachom in vielen
Fällen mit einer Intektion von seiten des Tractus genitalis zusammen-
hangt, mit einem Fluor albus eder Catarrhus cervicis beim Weibe
oder den Residuen einer Gonorrhöe beim Manne. Ottava ist der
Ansicht, dass das Trachom dureh Gonocoksen. dureh Skrotulose,
dureh Laes hervorzeruien werden kaun. Hoer schliesst aus seinen
M3. . vods x a in ` SEN 3 ‘ o UR Er > ^.^ 2 zx: - RES ` ` »!
Zei, EE n. diss dic |n KUONI Gonoeok schnee chronische Bi- il-
Über die Ätiologie und das Wesen des Trachonıs. 415
norrhöe oder richtiger gesagt, ein papilläres Trachom, im andern
Auge aber ein körniges Trachom hervorrufen könne. Truc ist wie
Cazalis der Ansicht, dass verschiedene Keime das Trachom zur
Entwicklung bringen können, wenn eine bestimmte Disposition dazu
besteht. Gromakowski spricht sich auch dahin aus, dass sich das
Trachom auf die Infektion mit verschiedenen Mikroorganismen aus-
bilden kann. .. .“
Diese wertvollen klinischen Beobachtungen haben jedoch nicht
die Anerkennung gefunden, welche sie ohne Zweifel verdienen, und
haben zur Aufklärung der rätselhaften Ätiologie des Trachoms wenig
beigetragen. Dies geschah meiner Meinung nach nur deswegen, weil
sie der notwendigen Unterstützung durch anatomische Untersuchungen
entbehrten und somit nicht in ein harmonisches Ganze mit der
langen Reihe interessanter Prozesse, die im kranken adenoiden Ge-
webe verlaufen und zu seiner Umgestaltung führen, vereinigt werden
konnten. Die vorliegende Arbeit hat eben den Zweck, diese Lücke
auszufüllen.
Will man nun endlich zugeben, man solle als ätiologisches Mo-
ment des Trachoms nicht einen spezifischen Erreger betrachten;
will man anerkennen, dass diese Krankheit durch verschiedene viru-
lente Bakterienarten hervorgerufen werden kann, so wird es auch klar,
warum es Völkern, die eine hohe Kulturstufe erreicht haben, so leicht
ist, sich vor Trachom zu schützen, und warum das Trachom so schwer
zu bekämpfen ist dort, wo Armut und Unwissenheit herrschen. Der
ärgste Feind des Trachoms ist die Reinlichkeit, sein bester Verbündeter
— der Schmutz.
Es irren sich gewaltig alle diejenigen, die auf Entdeckung eines
spezifischen Mittels gegen das Trachom hoffen. Die Menschheit wird
erst dann von Trachom befreit, wenn an den Wohltaten der Kultur
und des Wohlstandes nicht bloss eine kleine Gruppe, sondern alle
übrigen Bevölkerungsschichten ihren Anteil haben werden.
Schlussfolgerungen.
1. Das Trachom darf nicht als ein ausserhalb der allgemeinen
Pathologie stehender Krankheitsprozess betrachtet werden.
2. Das Trachom gehört zu der Reihe der typischen, im Orga-
nismus oft vorkommenden sog. chronischen Entzündungen der
Schleimhäute.
v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 2. 27
416 J. Mutermilch
3. Das Wesen des Trachoms beruht auf konsequentem Streben
der Conjunctivalgewebe (des Epithels und des subepithelialen Binde-
gewebes) nach Wiedererreichung in einer anatomisch verschiedenen
Form ihres gestörten Gleichgewichtsverhältnisses.
4. Die Follikel und der Pannus bilden nur Begleiterscheinungen
des Trachoms und haben absolut keine Bedeutung für seine Atiologie,
seinen Verlauf und Ausgang.
5. Eine entscheidende Bedeutung für die Ätiologie des Trachoms
haben verschiedene Bakterienarten, welche akute Entzündungen her-
vorzurufen vermögen. Die individuelle Disposition, das Klima, die
Rasse und das Alter der Kranken sind von ganz nebensächlicher
Bedeutung.
6. Der Trachomkranke ist für seine Umgebung nur insofern ge-
fährlich, als er dieselbe mit akuten Entzündungsformen der Con-
junctiva anstecken kann, welche — ganz von hygienischen Beding-
ungen abhängig — entweder schnell und spurlos heilen, oder zu chro-
nischen werden.
7. Das Trachom kann nur durch Verbreitung der Aufklärung
und Hebung des allgemeinen Wohlstandes bekämpft werden.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XIV u. XV, Fig. 1— 1.
(Dieselben stellen eine Reihe charakteristischer Trachomtypen dar und
illustrieren gleichzeitig den allmählichen Übergang der normalen in die vernarbte
C ica )
Fig. 1. Normale Conjunctiva. Dreischichtiges Epithel; die obertlüch-
liche Schicht besteht aus eylinderartigen Zellen; tiefen Schichten: Junge Zellen
mehr rundlich. Das Epithel bildet an einzelnen Stellen Zapfen nach unten
Im Epithel eine Becherzelle. Das subepitheliale Bindegewebe ziemlich stark
infiltriert und weist zahlreiche erweiterte Kapillaren auf. Dieses Bild erinnert
an ein sich im Zustand der Entzündung befindliches Gewebe (adenoides Gewebe).
Fig. 2. Trachoma folliculare ohne Pannus. Die Bindehaut ist mit
infiltriertem Epithel (Nr. HA: bedeckt. In der adenoidalen Schicht starke In-
filtration, zahlreiche Blutgefüsse und ein sich entwickelnder Follikel.
Fig. 3. Trachoma folliculare mit Pannus. In der adenoidalen
Schicht die Infiltration noch deutlicher ausgeprägt; ein völlig reifer Follikel.
An der Obertlüche fehlt das Epithel stellenweise gänzlich; stellenweise ist sie
mit einer Schicht degenerierter Epithelzellen bedeckt (Nr. IIIA).
Fige. 4. Infiltratio trachomatosa mit Berlinschen Drüsen. Pan-
nus. Die Obertläche entbehrt stellenweise des Epithels; stellenweise finden sich
degenerierte Epithelzellen.
Fig. 5. Trachoma papillare ohne Pannus. Die Oberfläche der Con:
junetiva an ihrer ganzen Länge mit Epithel bedeckt, dessen Zellen ihrem Cha-
rakter nach an epidermoidale Epithelzellen erinnern.
Über die Ätiologie und das Wesen des Trachoms. 417
Fig. 6. Trachoma folliculare in stadio cicatrisationis ohne
Pannus. Das Epithel ist mehrschichtig, fast epidermoidal (Nr. VIA; es ruht
auf einem festen, wenig infiltrierten Bindegewebe. In der Tiefe einige zu-
grunde gehende, in Resorption begriffene Follikel.
Fig. . Anatomisches Bild der Conjunctiva nach Ablauf des
trachomatósen Prozesses. Typisches, mehrschichtiges epidermoidales Epi-
thel. In der Tiefe cylindrische Zellen, die allmählich in flache, epidermoidale
übergehen. Im Bindegewebe, das aus derben Fasern besteht, fehlen die Blut-
gefässe gänzlich. Ganz unbedeutende Infiltration. Dieselbe fehlt gewöhnlich in
diesem Stadium total. In diesem Falle ist sie stärker ausgeprägt dank der
unbedeutenden Reizung der Conjunctiva durch einige unregelmässig wachsende
Wimperhaare. è
Conjunctivalstücke für die anatomische Untersuchung stammen sämtlich
von der gleichen Stelle der Conjunctiva, nämlich von der Grenze der Ubergangs-
falte und des Tarsus.
(Aus der Universitäts- Augenklinik zu Leipzig.)
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut,
des Pigmentepithels und des Sehnerven.
(Nach Untersuchungen am Menschen.)
Von
Stabsarzt Dr. R. Seefelder,
Privatdozent und Assistent an der Klinik.
Mit Taf. XVI—XVII, Fig. 1—5, und 37 Figuren im Text.
—— Áe
Inhalt: Einleitung S. 419. — I. Retina und Pigmentepithel.
Bemerkungen über Literatur und Konservierung S. 420. A. Erste Ent-
wicklung der Retina und des Pigmentepithels. a. Reines Epithel-
stadium der Retina S. 424. b. Stadium der Randschleierentwicklung und der ersten
Pigmentbildung S. 427. c. Die Zellen des Randschleiers S. 436. d Über die Rand-
schleierentwicklung und die Differenzierung der Retinazellen. S. 459. — B. Die
weitere Entwicklung der Retina und des Pigmentepithels S. 446.
a. Die Entwicklung der Ganglienzellen- und Nervenfaserschicht S. 446. b. Die
Entwicklung der beiden Kórnerschichten sowie der beiden plexiformen Schichten
S.461. c. Die Entwicklung der Area und Fovea centralis retinae S. 466. d. Die
Entwicklung der Zapfen und Stäbchen S. 475. e. Über die Veränderungen der
Form und Grösse der Retinazellen und ihre Bedeutung für die Dickenzunahme
der Retina S. 485. f. Die weitere Entwicklung des Pigmentepithels bis zur Ge-
burt S. 488. — II. Der Sehnerv. a Die erste Entwicklung des Augenblasen-
stiels bis zu seiner vollständigen Durchwachsung durch die Nervenfasern S. 495.
b. Verhalten des Mesoderms bis zu diesem Zeitpunkte S. 505. c. Die Teilung
der Stiel-(Glia-\Zellen S. 507 d. Die Glia. I. Der Gliamantel der Arteria
hyaloidea Canalis hyaloideus S 509. 2. Zentraler und peripherer Gliaınantel,
Gliaringe, glióse Lamina cribrosa S. 522. e. Die Entwicklung des mesodermalen
Gewebes im Sehnerven 8.525. f Die Entstehungsweise der physiologischen Exca-
vation S. 528. g. Veränderungen der Dicke, Länge und Form des Sehnerven 8.529. —
III. Literaturverzeichnis 8.533. Erklürung der Tafelabbildungen S. 536.
-——M
Die vorliegende Arbeit verdankt ihre Entstehung einem gemein-
sam mit Herrn Prof. L. Bach-Marburg gefassten Entschlusse, eine
möglichst vollständige bildliche Darstellung der Embryologie des mensch-
lichen Auges herauszugeben. Die Ausführung eines solchen Planes
war natürlich nicht möglich ohne die materielle Unterstützung zahl-
reicher Fachgenossen, vor allem von Embryologen bzw. Anatomen,
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 28
420 R. Seefelder
die uns auch in so bereitwilliger Weise und in so reichem Masse
zu teil geworden ist, dass wir hoffen dürfen, unser Werk in Bälde der
Öffentlichkeit übergeben zu können.
Bei der Bearbeitung der von mir unter anderem übernommenen
Kapitel Retina, Pigmentepithel und Sehnerv, ergab sich nun eine Fülle
von Einzelheiten und Fragen, die einer breiteren Darstellung und Be-
sprechung bedürfen, als dem Umfang und Zwecke unseres Werkes
entsprechen würde. Aus diesem Grunde erlaube ich mir mit dem
Einverständnisse von Herrn Prof. Bach, meine Ergebnisse zunächst
an dieser Stelle in extenso zu publizieren.
I. Die Entwicklung der Retina und des Pigmentepithels.
Bemerkungen über Literatur und Konservierung.
Über die Entwicklung der menschlichen Retina liegt, so viel mir
bekannt, eine systematische Untersuchung eines grösseren und zu-
sammenhüngenden Materials noch nicht vor., Die einzige Arbeit,
welcher ausschliesslich menschliche Embryonen zugrunde liegen,
stammt von Chievitz (1).
Trotzdem sie in jeder Beziehung ausgezeichnet genannt werden
muss, kann sie uns doch nur ein unvollständiges Bild von der Ent-
wicklung der menschlichen Retina verschaffen, da Chievitz’ (1) Ma-
terial empfindliche Lücken aufweist und auch nicht durchgehends gut
kunserviert gewesen zu sein scheint.
Alle übrigen Mitteilungen, so z. B. die von Ritter(2), Falchi (3),
Köllicker(4), Nussbaum (5), van Duyse(6), Lange(?), von Hip-
pel(8) u. A. erstrecken sich nur über einzelne Stadien und sind da-
her dringend ergänzungsbedürftig.
Viel erfolgreicher ist, aus leicht begreiflichen Gründen, die Ent-
wicklung der Retina verschiedener Tiere bearbeitet worden. Aber
auch hier bleibt noch viel zu tun, da fast immer nur niedrigstehende
Tierarten, deren Embryonen in der erforderlichen Zahl und Frische
verhültnismüssig leicht zu beschaffen sind, z. B. Hühnchen, Reptilien
und Fische, verwendet wordeu sind, wogegen unsere Kenntnisse über
die Entwicklung der Retina von einigermassen höher stehenden Tieren,
z. B. der Säugetiere, im allgemeinen noch als sehr unvollständig be-
zeichnet werden müssen.
Der wunde Punkt liegt eben bei diesem Studium in einem be-
sonderen Grade in der Beschaffung des erforderlichen Materials. Ist
doch die Retina das Organ, welches weitaus am empfindlichsten auf
kadaveröse Eintlüsse reagiert, so dass ihr Zustand nach Hochstetter
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 491
geradezu als der Massstab für die Konservierung des ganzen Objektes
angesehen werden kann. Von der Richtigkeit dieses Satzes kann man
sich bei embryologischen Studien immer wieder überzeugen. Ich habe,
ohne zu übertreiben, Dutzende von jungen menschlichen Embryonen
untersucht, welche äusserlich nicht die geringsten kadaverösen Ver-
änderungen erkennen liessen und bei denen sich nachher die Retina
und das Pigmentepithel doch in einen unförmlichen Brei verwandelt
zeigten. Das Gleiche gilt übrigens, zumal bei ganz jungen Stadien,
vom Gehirn. Schneidet' man bei sehr jungen Embryonen gleich nach
der Fixierung eine kleine Hirnkalotte ab und findet man die dünne
Wandung der Hirnblase allseitig glatt dem Mesodarm anliegend, dann
kann man sicher sein, dass auch die Augenblase gut erhalten ist. —
Ist aber das Gehirn breiig zerfallen oder in Falten gelegt, dann ist
es angezeigt, seine Erwartungen bezüglich der Augenanlage auf ein
Minimum zu reduzieren, oder vielleicht noch besser, auf die weitere
zeitraubende Bearbeitung des betreffenden Päparates ganz zu ver-
zichten. |
Eines der zuerst auftretenden kadaverósen Symptome ist bekannt-
lich besonders die Faltenbildung der Netzhaut, welche inter-
essanterweise schon in den jüngsten Stadien die Gegend der Fovea
bzw. Area centralis bevorzugt. So besitze ich tadellos kunservierte
Augen von Embryonen des 3. Monats mit frischen Kernteilungs-
figuren, in welchen aber trotzdem die Gegend der Area centralis
und nur diese leicht gefaltet ist. In ganz glücklich fixierten Objekten
ist aber auch diese Faltenbildung nicht vorhanden und somit ihre
Eigenschaft als Artefakt erwiesen.
Überhaupt halte ich es mit Rücksicht auf die gegenteiligen Be-
hauptungen von Köllicker (69), Minot (70) u. A. nicht für über-
flüssig, zu betonen, dass im menschlichen embryonalen und fötalen
Auge normalerweise zu keiner Zeit eine eigentliche Faltenbildung der
Netzhaut vorkommt. Ich befinde mich dabei in vollkommener Über-
einstimmung mit Keil (68), welcher bei der Untersuchung von Schweine-
embryonen zu der gleichen Ansicht gekommen ist. Eine Reihe von
Tieren verhält sich allerdings in dieser Hinsicht etwas anders, doch
muss ich mich mit dieser kurzen Andeutung begnügen, da diese Frage
von anderer Seite eingehend behandelt werden wird. Sehr beherzigens-
werte Vorschriften und Bemerkungen über die Konservierung Junger
menschlicher Embryonen sind auch in der sorgfältigen Arbeit von
Elze (71) enthalten.
Ich hätte mich mit diesen Bemerkungen, die, wie ich wohl weiss,
25*
422 R. Seefelder
für Viele nur längst Bekanntes bringen, nicht so lange aufgehalten,
wenn nicht bestimmte Beweise dafür vorlägen, dass diese elementaren
Kenntnisse noch nicht Gemeingut aller auf embryologischem Gebiete
arbeitenden und publizierenden Forscher geworden sind. So hat erst
vor kurzem Castaldi(9) auf dem internationalen Ophthalmologen-
kongresse in Neapel Präparate von menschlichen embyronalen Netz-
häuten demonstriert, die so hochgradig kadaverös zerfallen waren,
dass von einer Struktur der Retina mit bestem Willen nichts mehr
zu erkennen war. Ich war leider in der betreffenden Sitzung, in der
Castaldi (9) zu Wort kam, nicht anwesend und habe mich deswegen
zu seiner Publikation nicht óffentlich &ussern kónnen, habe aber Herrn
Kollegen Castaldi (9) meine Ansicht über seine Präparate persönlich
unverhohlen ausgesprochen, allerdings ohne irgendwelchen Glauben
zu finden.
Meines Erachtens hat auch Lange (7) in Braunschweig damit einen
Fehler begangen, dass er die an einem unzulänglichen Material gewonnenen
Ergebnisse als Beispiele des natürlichen Geschehens in der Entwicklung
veröffentlichte. Die in seinen „Einblicken in die normale Anatomie
und Entwicklung des Menschenauges“ enthaltenen Abbildungen auf
Tafel XII, XIII, XIV, XVIII und XIX können unmöglich einen
Einblick in das normale anatomische Verhalten gewühren, da sie, wie
der Kundige ohne weiteres sieht, samt und sonders nach mehr oder
weniger hochgradig kadaverós zerfallenen Augen angefertigt worden sind.
Ich halte diese Feststellung für notwendig, weil dies m. E. von
Lange nicht ausdrücklich genug geschehen ist, und weil derartige Bilder
nur dazu angetan sind, beim Uneingeweihten falsche Vorstellungen zu
erwecken, zumal wenn sie in einem Buche aufgenommen sind, das.
wie ich wohl mit Recht annehmen darf, bestimmt ist, auch zu Iehr-
zwecken zu dienen!)
Von den neueren Publikationen über die Entwicklung der Retina
') Ich möchte damit nicht sagen, dass minder gut konservierte Objekte für
jede Frage gänzlich unbrauchbar sind. Zur Ergänzung von Lücken zwischen
gut konservierten Objekten und zur Feststellung gröberer Verhältnisse können
sie unter Umständen sogar gute Dienste leisten. Ich darf wohl dabei an einen
von mir vor einigen Jahren in Heidelberg (12) demonstrierten Embryo er-
innern, der gewiss nicht gut erhalten, aber doch noch geeignet war, um über
die praktisch wichtige Frage der Art des Spaltenschlusses einen Aufschluss zu
geben, dessen Richtigkeit gleich darauf von A. von Szily (13) an der Hand
eines weit besseren Materials bestütigt werden konnte Aber feinere histogene-
tische Details wie z. B. die Glaskórper- und Pigmententwicklung kónnen an
solchen Präparaten unmöglich dargestellt werden.
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 423
ist besonders die Arbeit von C. M. Fürst (10) über die Netzhaut des
Lachses hervorzuheben, ferner die vor kurzem erschienene und von
der Académie royale de médecine de Belgique preisgekrönte Arbeit
von George Leboucq(11) welcher zu seinen Untersuchungen aus-
schliesslich Säugetierembryonen, speziell der Katze, verwendet hat und
das Hauptgewicht auf die Entwicklung des sensorischen Apparates,
der Stäbchen und Zapfen, legt.
In diesen beiden Arbeiten ist auch die bis dahin erschienene
Literatur in chronologischer Reihenfolge sorgfältig zusammengestellt.
Auch die Arbeit von Falchi (3) enthält einen sehr guten Literaturüber-
blick. Ich glaube deshalb von ihrer erneuten Aufzählung absehen zu
können.
Fürst (10) teilt die Entwicklung der Retina in drei Haupt-
stadien ein:
1. das Cylinderepithelstadium,
2. das Differenzierungsstadium,
3. das Zuwachsstadium.
Das Cylinderepithelstadium ist nach ihm durch Zellver-
mehrung, das Differenzierungsstadium durch Zellentbindung und
Zellverschiebung!) und das Zuwachsstadium durch Hervorwachsen
der Endorgane der Sehzelen und durch Veründerung der Gestalt
und Grösse sämtlicher Zellen der Retina hauptsächlich charakterisiert.
Von Leboucq (11) wird diese Einteilung angenommen.
Mir scheint die Fürstsche (10) Einteilung auf Grund unserer
jetzigen Kenntnisse über die Differenzierungsvorgänge in der Retina
und im Medullarrohr, welche wir vorzugsweise den neuesten Arbeiten
von Held (14) und Cajäl(15) verdanken, nicht mehr im strengen
Sinne des Wortes durchführbar zu sein, da anzunehmen und in der
Retina des Hühnchens von Cajäl (15) direkt nachgewiesen worden ist,
dass schon eine gewisse zellige Differenzierung stattfindet, solange sich die
Netzhaut noch im Epithelstadium Fürsts (10) befindet. Auch finde
ich die Bezeichnung „Zuwachsstadium“ für das letzte Stadium Fürsts (10)
nicht sehr glücklich gewählt, da doch gerade in den jüngsten Stadien
ein sehr reichlicher Zuwachs zur Netzhaut stattfindet, der hier aller-
dings in Zellen besteht, während Fürst(10) eine andere Art des Zu-
wachses meint.
Ich komme auf alle diese Fragen noch ausführlich zurück und
1) Gemeint ist hier vorzugsweise die Bildung der verschiedenen Schichten
der Retina.
424 R. Seefelder
erwähne sie jetzt nur, um meine von der Fürstschen (10) etwas ab-
weichende Einteilung zu begründen.
A. Erste Entwicklung der Retina und des Pigmentepithels.
a. Reines Epithelstadium der Retina.
Unter reinem Epithelstadium verstehe ich den primitivsten Zu-
stand der Retina, in welchem ihre Zellen nach Art eines Deckepithels
einen geschlossenen Epithelverband bilden, welcher noch nicht durch
Fig. 1.
die Entwicklung eines protoplasmatischen Reticulums an der basalen!)
1) Unter basaler Seite einer Epithelzelle versteht Rabl (16) den unter
dem Kern liegenden und der äusseren Fläche der Wand des Medullarrohrs
bzw. der Augenblase angehörenden Teil des Protoplasmakörpers, während der
der inneren Lichtung zugekehrte Abschnitt als die freie Zellseite bezeich-
net wird.
An den Zellen der Retina sind demnach vor der Einstülpung zum Augen-
becher die Begriffe basal und aussen identisch, während nach der Einstülpung
natürlich das Umgekehrte der Fall ist, ebenso wie die anfänglich äussere
Grenzmembram nachher zur Membrana limitans interna wird. Ich werde des-
halb zunächst die Bezeichnung innen und aussen möglichst vermeiden und nur
von der basalen und freien Seite der Zelle und Augenblase reden, da diese
Begriffe ihre Gültigkeit das ganze Leben hindurch beibehalten und, wenn man
sich einmal darüber klar geworden ist, kein Missverständnis aufkommen lassen.
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 495
Zellseite in besonderer Weise verändert ist. Was ich also in der
Retina unter „reiner Epithelzelle“ verstehe, ist ungefähr identisch
mit der „einfachen Epithelzelle“ Helds (14) im Medullarrohr, der Mutter-
zelle der Neuroblasten und Spongioblasten, Begriffe, die ich alle bald
näher erläutern werde.
Dieser Zustand ist in der Retina des Menschen nur von sehr
kurzer Dauer und nur im Stadium der primären Augenblase an-
zutreffen. Ich finde ihn bei einem Embryo von 2,5 mm Länge
(Dr. Rob. Meyer, Berlin, Nr. 300) in aller Reinheit ausgeprägt. (Text-
figur 1.) |
Es handelt sich hier selbstverstándlich um ein sehr frühes Stadium
der primären Augenblase. Augenblase und Gehirn gehen fast unmit-
telbar ineinander über und sind nur durch eine leichte Einziehung
der Hirnwandung voneinander abzugrenzen. Der distale Abschnitt
der Augenblase (die spätere Retina) ist von dem Ektoderm noch
durch mehrere Lagen von locker angeordneten Mesodermzellen ge-
trennt.
Seine Zusammensetzung ist sehr einfach. Er besteht aus hohen
eylindrischen Epithelzellen, welche durch die ganze Dicke der Augen-
blasenwand hindurchreichen — sog. durchreichende Epithelzellen —,
deren ovale Kerne aber bald der äusseren, bald der inneren Seite der
Wandung näher liegen und infolge ihrer engen Aufeinanderpressung
stellenweise in zwei Reihen übereinander liegen. Nur einige zunächst
dem Augenblasenlumen liegende Kerne sind von rundlicher Form
und verraten auch durch ihre intensivere Färbung, dass sie erst vor
kurzem den Teilungsprozess überstanden haben.
In der Höhe dieser Kerne liegen auch, wie längst bekannt, die
Mitosen [sog. Altmannsche (17) Keimzone)].
Ich erwähne schon jetzt, dass die Mitosenbildung auch in der
weiteren Entwicklung zum weitaus grössten Teil in dieser an das
Lumen der Augenblase grenzenden Zone erfolgt und dass deshalb die
dafür übliche Bezeichnung „Keimzone“ ihre volle Berechtigung besitzt,
möchte mich aber gegen die manchmal gebrauchte Bezeichnung
„Keimschicht“ aussprechen, da sie zu der falschen Auffassung verleiten
könnte, dass zu dieser Zeit bereits eine Schichtung in der Retina
vorhanden sei. Die sogenannte Keimzone ist von den übrigen Zell-
lagen der Retina zu keiner Zeit als eine besondere Schicht abzugrenzen,
sondern von ihnen nur dadurch unterschieden, dass in ihr neben den
gewöhnlichen Zellen Mitosen und deren junge Sprösslinge vorhan-
den sind.
496 R. Seefelder
Die Begrenzung der basalen Seite der retinalen Epithelzellen
gegen das Mesoderm ist sehr unscharf und sehr unregelmüssig. Nicht
nur, dass die Kerne in unregelmüssigen Abstünden davon liegen, es
strahlen auch noch Protoplasmafortsütze der Epithelien in das sie um-
gebende Mesoderm hinein und gehen damit anscheinend protoplas-
matische Verbindungen ein.
Fig. 9.
Von einer basalen Grenzmembran kann natürlich unter diesen
Umständen noch keine Rede sein.
Die innere Begrenzung der Epithelien ist schon wesentlich
schärfer und es zeigt sich schon jetzt, dass sich das vorher sehr
schmale Protoplasma verschiedener Zellen nach dem Augenblasenlumen
zu konisch verbreitert und zusammen mit dem der übrigen Zellen an
einem feinen Saum endigt, welcher zwar noch keinen membranösen
Charakter besitzt, aber doch schon eine gemeinsame Begrenzung des
Epithels darstellt.
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 491
b. Stadium der Entwicklung des Bandschleiers (His) und der
ersten Pigmentbildung.
Bei einem 4 mm langen Embryo (Gasser-Marburg) finden
wir ebenfalls noch eine reine primäre Augenblase, aber im Ver-
gleiche mit dem vorigen Stadium bemerkenswerte Veränderungen.
(Textfigur 2.)
Der Pol der Augenblase reicht fast bis an das Ektoderm heran,
das bereits an einer umschriebenen Stelle eine leichte Verdickung er-
kennen lässt. In dem schmalen Spaltraum zwischen Augenblase und
Ektoderm befinden sich nur noch einzelne Mesodermzellen mit langen
Protoplasmafortsätzen.
Die basale (äussere) Begrenzung der Retina ist wesentlich schärfer
wie beim vorigen Stadium, so dass ich sie schon als eine der Mem-
brana limitans medullaris externa (Held) entsprechende Grenzmembran
bezeichnen möchte.
Zwischen ihr und dem Ektoderm sind zahlreiche protoplasmatische
Verbindungen nachweisbar, welche bekanntlich zuerst von v. Lenhossek
(18) und später von v. Szily (19) genau beschrieben und eingehend
gewürdigt und zuletzt in dem Heldschen Buche(14) über die Ent-
wicklung des Nervengewebes der Wirbeltiere unter der Bezeich-
nung „v.Szilysches Fasernetz“ nochmals auf das genaueste besprochen
worden sind.
Der retinale Abschnitt der Augenblase ist dicker geworden, Die
Kerne liegen zumeist in 2—3 Reihen, und an der dicksten Stelle,
welche der erwähnten Verdickung des Epithels entspricht, in 3 bis
4 Reihen übereinander. Der epitheliale Charakter der Zellen ist
noch vollkommen ausgesprochen, desgleichen die Tatsache, dass die
Zellen durch die ganze Wand- bzw. Retinadicke hindurchreichen,
unverkennbar.
Aber es ist bereits an einem umschriebenen Netzhautbezirke
eine sehr wichtige Veränderung der basalen Zellseiten ein-
geleitet.
Zwischen den lang ausgezogenen, radiär gestellten Protoplasma-
körpern der basalen Zellseite sind teils weitere, teils schmalere Lücken
zu konstatieren, welche von feinen, schräg verlaufenden Intercellulär-
brücken durchzogen werden. Der Protoplasmakörper selbst erscheint
im Bereiche der Liicken verschmälert, zuweilen fadendünn, weist aber
kurz vor der Einmündung in die äussere Grenzmembran eine konische
Verbreiterung auf.
428 R. Seefelder
Diese Veränderung der basalen Zellseite der Retinazellen ist
nur auf einen umschriebenen Bezirk ausgedehnt, dort aber bereits so auf-
fallend, dass das, gesamte protoplasmatische Netzwerk, trotzdem es noch
einige Kerne enthält, die zum Teil
bis an die äussere Grenzmembran her-
anreichen, bereits als eine besondere
Zone imponiert. Mit seiner Entwick-
lung ist die Ausbildung einer unter
dem Namen „Randschleier“ [His
(20)] oder „kernlose Zone“ bekann-
ten Formation eingeleitet, mit welcher
wir uns im folgenden noch eingehend
beschäftigen werden.
Bei einem 4,8mm langen Em-
bryo [Hertwig (G 31) K. N. T.
Nr. 14!)] (vgl. Textfigur 3) betrifft die
auffälligste Veränderung die Form
der Augenblase, welche jetzt im Schnitt
als ein Viereck mit abgerundeten Kan-
ten erscheint, dessen eine Seite zum
Teil nach der Hirnblase zu offen ist.
Diese Formveränderung ist einerseits
durch die stärkere Einziehung an der
dorsalen Seite im Bereiche des Augen-
blasenstiels, anderseits durch eine Ab-
plattung der distalen (retinalen) Augen-
blasenwand verursacht, mit welcher
die Einstülpung zum Augen-
becher angedeutet ist. Äusseres
und inneres Blatt des Augenbechers
sind bereits mit einer viel grösseren
Präcision voneinander abzugrenzen als
bei den vorhergehenden Stadien. An
dem Ektoderm ist die Linsenplatte
sehr deutlich entwickelt. In dem
Spalt zwischen Ektoderm und Netz-
haut liegen einzelne Mesodermzellen und das v. Szilysche (13) Faser-
netz. —
1) K.N.T. = Keibel Normentafeln (21).
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 429
Die Netzhaut ist beträchtlich verdickt und weist bereits 6—
Kernreihen auf. Der Randschleier an der basalen Seite ist wesent-
lich stärker ausgebildet als beim vorigen Stadium. Er besteht nach
wie vor in der Hauptsache aus radiär gestellten granulierten Fäden
und enthält fast keine Kerne mehr. Die wenigen vorhandenen Kerne
liegen noch der Membrana limitans interna retinae an. Sämtliche
Kerne haben durchwegs die gleiche ovale Form. Infolge ihrer engen
Aufeinanderpressung ist es schon jetzt nicht mehr möglich, zu ent-
scheiden, ob alle Zellen durch die ganze Dicke der Netzhaut hin-
durchreichen oder nicht. (Vgl. Textfigur 4a.)
Der dem Pigmentepithel entsprechende Abschnitt der Augen-
blase ist aus morphologisch gleichen Zellen "zusammengesetzt wie
der retinale. Es sind hohe cylindrische Epithelien, deren Kerne zu-
meist in drei Reihen übereinander liegen. Der der freien (dem
Augenblasenlumen zugekehrten) Seite entsprechende Protoplasmakörper
ist wesentlich höher als der basale Abschnitt. Die Mitosen liegen
dem Lumen der Augenblase an. Pigment ist auch bei stärkster Ver-
grösserung noch nicht nachweisbar. —
Von der basalen Seite der Epithelien strahlen konisch geformte
Protoplasmafortsätze mit ihren Spitzen in das anliegende Mesoderm
hinein, als ob sie sich dort verankern wollten. (Vgl. Textfigur 4a.)
Bei dem nächstfolgenden Stadium, einem Embryo von 5 mm
Länge (Rob. Meyer 318, K.N.T. Nr.318), ist die primäre Augen-
blase eben im Begriffe, sich zum Augenbecher umzubilden. Retina
und Linsenplatte beschreiben bereits einen leichten hirnwärts konvexen
Bogen. Der Randschleier ist noch weiter ausgebildet als beim vorigen
Stadium, die Kernzone und das äussere Blatt weisen dagegen keine
merkliche Veränderung auf.
Weiterhin verfüge ich über eine Reihe von ausgezeichneten Prä-
paraten, welche sich im Stadium des eben ausgebildeten Augen-
bechers befinden. Embryo Seefelder 5mm, Braus 6,0 mm, Kallius
(Gaylord) K.N.T. Nr.25 6,25 mm, Gasser Embryo Leyding 6,5 mm
K. N.T. Nr.25, Gasser 6,75 mm.
Das Linsenbläschen ist bei einigen (Seefelder, Braus, Gasser
6.75 mm, Gasser Embryo Leyding 6,5 mm) noch geöffnet, bei: den
andern zwar geschlossen, aber noch in direkter Berührung mit dem
Ektoderm.
Allen diesen Stadien ist gemeinsam die mächtige Entwicklung
des Randschleiers zu einer breiten kernlosen Zone, welche nunmehr
fast von einem Umschlagsrande zum andern reicht, in der Nähe des
430 R. Seefelder
Umschlagsrandes aber wesentlich schmäler ist als im Grunde des
Augenbechers.
Das histologische Verhalten des Randschleiers ist dabei un-
verändert geblieben. Er erscheint nach wie vor als ein nahezu kern-
loses Syncytium von vorwiegend radiär verlaufenden Fasern,
zwischen welchen eine Unzahl von schräg und quer verlaufenden
Anastomosen existiert. Der Zusammenhang der Radiärfasern mit
den Kernen der Kernzone ist nur zum Teil mit Sicherheit festzu-
stellen, bei vielen ist dies infolge der dichten Lagerung der Kerne
nicht mehr möglich. Die queren und schrägen Verbindungen zwischen
Mes.
Fig. 4a.
den Radiärfasern scheinen von den letzteren selbst gebildet worden
zu sein. —
Die Kernzone weist durchschnittlich 6—8 Reihen von dicht auf-
einandergepressten und übereinander liegenden Kernen auf, die sich
mit einer noch zu beschreibenden Ausnahme morphologisch fast völlig
gleich verhalten. Geringe Formunterschiede machen sich insofern
bemerkbar, als ein grosser Teil der innerhalb der Kernzone ein-
gezwängten Zellen an der freien (dem Pigmentepithel zugekehrten)
Seite spitz ausgezogen ist, wodurch sich der ganze Kern der Birnen-
form nähert. Die Struktur dieser Kerne stimmt aber mit der der
ovalen vollkommen überein.
Besonders betone ich, dass bei keinem der erwähnten Embryonen,
trotzdem sie in verschiedentlicher Weise gefärbt sind, Nervenfasern
in der Retina nachzuweisen sind. Wir werden sehen, dass dies
auch noch in älteren Stadien der Fall ist, weshalb ich eine kritische
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 431
Besprechung dieser auffälligen Tatsache vorläufig noch hinausschieben
möchte. —
d. B. R. — dorsaler Becher-
rand.
R. = Retina.
Fig. 4b.
Erste Pigmententwicklung.
Das äussere Blatt des eben ausgebildeten Augenbechers
ist aus 2—3 Reihen hoher cylindrischer Zellen zusammengesetzt. —
Es enthält bei den Embryonen Braus und Gasser 6,75 mm
noch keine Spuren von Pigment, ist dagegen bei den übrigen
432 | R. Seefelder
Embryonen bereits in mehr oder minder grossen Mengen nach-
weisbar!).
In ihren allerersten Anfängen befindet sich die Pigmententwicklung
bei den Embryonen Kallius (Gaylord 6,25 mm) und Gasser (Ley-
ding 6,5mm). (Textfigur 4b.) Das Pigment ist bei diesen sowohl in
der basalen als in der freien Protoplasmahälfte in Form von kleinsten,
stark lichtreflektierenden, gelblichbräunlichen runden Tröpfchen oder
kurzen Stäbchen abgelagert. Es findet sich noch ausschliesslich
in der Nähe des dorsalen (oberen) Umschlagsrandes, während
es auf der ventralen Seite vollständig fehlte Auch ist es nicht in
den direkt am Umschlagsrande, sondern erst in den etwas weiter
rückwärts befindlichen Zellen (etwa der 4.—5. Zellenreihe vom Um-
schlagsrande an .gerechnet) nachweisbar. Von hier an finden sich
aber bis in die Nähe des Aquators bulbi Zellen, welche bereits Pig-
ment enthalten. Man kann auch nicht sagen, dass dessen Menge vom
Umschlagsrande nach dem Aquator hin gradatim abnimmt, sondern
es enthalten -manchmal die Zellen in der Gegend des Aquators viel
mehr Pigment als solche, welche nüher am Becherrande liegen. Im
allgemeinen ist die freie (innere Zellhälfte) stärker pigmentiert als
die basale, doch sind die Unterschiede zunächst noch sehr unbedeutend
und kaum in die Augen springend. Die Intensität der Pigmentierung
der Pigmentkörnchen bzw. -stäbchen ist sehr verschieden und schwankt
zwischen einem ganz hellen Gelb und einem schönen Kastanienbraun
Es steht wohl ausser Zweifel, dass die hellen Pigmentklümpchen als
die Jugendformen aufzufassen sind.
Da das Pigment erst bei der Untersuchung mit stärksten Ver-
grósserungen deutlich sichtbar wird, ist es nicht verwunderlich, dass
diese beiden Stadien in den Keibelschen (21) Normentafeln noch als
pigmentlos bezeichnet werden. Über die Art der Entstehung des
Pigmentes hat sich selbst in diesen jungen Stadien nichts Bestimmtes
ermitteln lassen. Man ist einfach vor die Tatsache gestellt, dass es
vorhanden ist, ohne schen zu können, woher es gekommen ist. Trotz
sorgfältigster Untersuchung der benachbarten noch pigmentlosen Zellen
und deren Umgebung habe ich dort keine Veränderungen bemerken
können, welche mit dem Vorgange der Pigmentbildung in Zusammen-
hang zu bringen gewesen wären.
! Die Angabe in den Keibelschen Normentafeln (21, dass bei den Em-
bryonen Gasser (Leyding und Kallius.Gaylord) noch kein Retinalpigment
nachweisbar sei, bedarf demnach der Berichtigung.
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 433
Ich lasse mich deshalb auf die Streitfrage nach der Herkunft
des Pigmentepithels gar nicht ein, da ich keine leeren Hypothesen auf-
stellen móchte.
Die beiden erwähnten Stadien sind bis jetzt meines Wissens die
jüngsten menschlichen Embryonen, in welchen Pigment nachgewiesen
worden ist. Lauber (22) verzeichnet die erste Pigmententwicklung
bei einem 7 mm langen Embryo, er bemerkt aber mit Recht, dass in
diesem Zeitpunkt kleine individuelle Schwankungen vorkommen. Ich
kann diese selbstverständliche Tatsache, die sich in der ganzen Ent-
wicklungsgeschichte immer wieder bewahrheitet, auch in dieser Frage
bestätigen. So besitzt der 6,75 mm lange Embryo Gasser noch keine
Spur von Pigment. Bei diesem ist aber die ganze Augenentwicklung
überhaupt ziemlich stark zurückgeblieben.
Wichtiger erscheint mir dagegen mit Rücksicht auf eine gegen-
telige Behauptung von Raehlmann(23) die Tatsache, dass das Pig-
ment beim Menschen vom allerersten Anfange an, sowohl in Kugel-
als in Stäbchenform auftritt. Selbst die zunächst dem Becherrande
gelegenen Zellen enthalten stäbchenförmiges Pigment. Doch ist die
Kugelform entschieden die vorherrschende. Jedenfalls habe ich aber
den Eindruck, dass sich beim Menschen bezüglich des örtlichen oder
zeitlichen Auftretens zwischen kugel- oder stäbchenförmigem Pigment
keine gesetzmässigen Unterschiede feststellen lassen.
Raehlmann hat aber auch offenbar gar keine so jungen
menschlichen Embryonen untersucht wie ich, und auch von Säuge-
tieren scheint ihm nur eine sehr beschränkte Anzahl jüngster Stadien
zur Verfügung gestanden zu haben.
Seine Behauptungen, dass das erste Pigment am Becherrande
und ausnahmslos in Körnerform gefunden wird, ist, wenigstens was
den Menschen betrifft, entschieden unzutreffend.
Meine Beobachtungen decken sich auch nicht mit der Behaup-
tung Rabls (73), dass das Pigment wie in allen pigmentierten Epi-
thelien auch in den Zellen des Tapetum nigrum zunächst nur an der
freien (id est der Retina zugewendeten Seite) auftritt.
Ich finde beim Menschen vom allerersten Anfange an sowohl in
der freien als in der basalen Seite Pigmentkörnchen vor.
Übrigens ist schon mehrfach, so z. B. von Scherl (87), Krück-
mann (88) u. A. berichtet worden, dass das Retinalpigment bei den
Vögeln zuerst an der basalen Seite auftritt.
Was dagegen meine eigenen, allerdings nicht ganz erschöpfenden
Untersuchungen am Hühnchen anbetrifft, so scheint es mir, dass auch
434 R. Seefelder
bei ihm die allerersten Pigmentspuren über die ganze Pigmentepithel-
zelle verteilt sind. Aber schon bald darauf finde auch ich nur noch
die basale Zellhälfte mit Pigment beladen, während die freie Seite
ganz pigmentlos erscheint. Es ist dies zweifellos ein prinzipieller
Unterschied gegenüber der Pigmententwicklung des Menschen und der
übrigen Säugetiere, bei welchen in einer gewissen Entwicklungsperiode
ein nahezu rein gegenteiliges Verhalten zu konstatieren ist.
Ich glaube aber nicht, dass dieser Gegensatz mit der Verschieden-
heit der Entwicklung des embryonalen Gefässsystems der betreffenden
Tiergruppen erklärt werden kann (Scherl und Krückmann).
Denn einerseits ist die Choriocapillaris auch beim Menschen und
den übrigen Säugern schon einige Zeit vor dem Sichtbarwerden der
ersten Pigmentspuren angelegt, und anderseits kann ich mir nicht vor-
stellen, in welcher Weise die in der Becherspalte verlaufende Arteria
hyaloidea, welche‘ aen Vögeln bekanntlich abgeht, auf die Pigment-
entwicklung des Menschen einen Einfluss ausüben soll, da sich doch
die ersten Pigmentspuren fern von ihr in der Nähe des dorsalen
Augenbecherrandes finden, während die ihr zunächst befindlichen Ab-
schnitte, nämlich die Ränder der Becherspalte, zuletzt pigmentiert
werden.
Man kann also hier nicht sagen, dass sich das Pigment erst
dann neben de „Kern vorbei an die basale Seite schiebt, wenn es
sich in der freien Seite mehr angehäuft hat. [Rabl (73) S. 305.)
(Vgl. hierüber auch S. 491 dieser Arbeit.)
Ungefähr gleichzeitig mit dem Auftreten der ersten Pigment-
körnchen werden die Zellen des Pigmentblattes selbst etwas niedriger
und die Kerne liegen näher als vorher an dem Restlumen der Augen-
hlase. Gegen das Mesoderm ist das Pigmentepithel nunmehr durch
eine zarte Basalmembran scharf abgegrenzt. —
Bei weiteren 6 Embryonen von 8 mm, 8,8 mm, 8,5 mm, 8*|, mm,
9,2 mm und 10 mm grósster Lànge [1, 3, 4 und 6 im Besitze von Dr. Rob.
Meyer, Berlin, Nr. 324, 304, 331 und 315, der 2. im Besitze von
Prof. Rabl, 5 im Besitze von Prof. Kallius (Dr....n, K. N. T. Nr. 38]
hat die Dicke der Retina noch ein wenig zugenommen, ohne dass
ihre Struktur im allgemeinen eine bemerkenswerte Veründerung er-
fahren hat.
Nur im Bereiche der Becherspalte ist in dem ventralen
an die Optikuswand unmittelbar anstossenden Netzhautbezirk eine
zwar unbedeutende, aber doch sehr interessanteVeründerung
zu konstatieren. (Textfigur 5.) Die Netzhaut ist hier in allen Präpa-
Beitrüge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 435
raten konstant etwas cerebralwürts umgebogen, deutlich eingedellt und
dünner als sonst. Die Zahl ihrer Kernreihen betrügt hier nur 4—5
gegen 7—8 weiter oben und ein Randschleier fehlt entweder ganz
oder ist auf einen ganz schmalen Streifen reduziert. In der Netz-
hautdelle liegt die zu einem mächtigen Gefässplexust) ent-
wickelte Arteria hyaloidea, welche hier durch die hinten noch
offene Becherspalte in das Auge eintritt. — Es scheint mir bei der
Konstanz des Befundes in meh-
reren und nur gut konservierten
Embryonen wahrscheinlich, dass
hier im Verlaufe der normalen
Entwicklung eine vorüber-
gehende Entwicklungs-
hemmung durch eine mecha-
nische Ursache stattfindet. An
und für sich mag ja dieser Be-
fund vielleicht belanglos er-
scheinen. Mit Rücksicht auf die
Genese mancher Missbildung FA SE
scheint er mir dagegen von prin- aT E Se en
zipieller Wichtigkeit zu sein. Kä SE
Das Mesoderm sprosstnach
der Abschnürung der Linse vom
Augenbecherrande her von allen
Seiten zwischen Ektoderm und
Linse vor, um bei den beiden
ältesten Stadien bereits eine
zwar schmale aber kontinuier-
liche Schicht zwischen Ektoderm
und Linse zu bilden. Fig. 5.
Die fötale Augenspalte ist bei den beiden jüngsten noch ganz.
bei den übrigen nur noch teilweise offen.
Die Pigmententwicklung hat schon bei dem jüngsten der zuletzt-
genannten Stadien grosse Fortschritte gemacht und ist fast überall,
also auch ventral nahe an den Ansatz des Augenblasenstiels herangerückt.
Doch ist seine Anordnung noch sehr locker, so dass man noch bequem
die einzelnen Stäbchen und Kügelchen, deren Verteilung auch jetzt
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?) Die Bezeichnung Plexus erscheint mir deswegen angebracht, weil sich
die Arteria hyaloidea schon an der Eintrittsstelle in den Augenbecher in mehrere
Áste teilt, die ein in Schnitten geradezu unentwirrbares Geflechtwerk bilden.
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3, 29
436 R. Seefelder
keine Gesetzmässigkeit erkennen lässt, zählen kann. Das Pigment ist
sowohl in der äusseren als in der inneren Zellhälfte abgelagert, in der
letzteren aber entschieden in reichlicherer Menge.
Bei dem 8,5 mm langen Embryo liegen die Verhältnisse ganz
ähnlich, doch ist die Pigmentierung eigentümlicherweise im allgemeinen
spärlicher und weniger ausgedehnt als bei dem vorigen Stadium.
Im auffälligen Gegensatze dazu ist die Pigmentierung bei dem
nur wenig älteren 82, mm langen Embryo bereits auf das ganze
äussere Blatt des Augenbechers ausgedehnt und greift oben sogar
schon etwas auf den Augenblasenstiel hinüber. Die Pigmentkörnchen
sind viel dunkler, ferner von sehr ungleicher und stellenweise schon
sehr erheblicher Grösse, und ihre Anordnung ist bereits so dicht, dass
eine genaue Zählung der einzelnen Körnchen nicht mehr durchzuführen
wäre. In dem mehr stielwärts gelegenen Augenabschnitte ist
das Pigment jetzt auf die äussere und innere Zellhälfte an-
Fig. 6. f. S. — freie (innere) Seite. b. S. — basale (äussere) Seite.
nähernd gleichmässig verteilt, dazwischen liegen die beiden Kern-
reihen, die nur schwach mit Pigmentpartikelchen bestäubt erscheinen.
(Vgl. Textfigur 6.)
In der Nähe des Umschlagsrandes ist dagegen die Hauptmasse
des Pigments nach der inneren Zellhälfte vorgewandert, die jetzt
wesentlich intensiver pigmentiert erscheint als die äussere. Die Stäb-
chen und Kügelchen liegen allerorts anscheinend regellos durcheinander,
doch ist die Zahl der ersteren jetzt entschieden beträchtlich vermehrt.
c. Die Zellen des Randschleiers (ektodermale Glaskörperzellen).
Nach der bisherigen Beschreibung besitzt selbst noch die Retina
eines 10 mm langen Embryos im allgemeinen den primitiven Bau, welcher
bereits im Stadium der primären Augenblase in seinen Grundzügen an-
gedeutet war. Sie zerfällt in zwei grosse Schichten, in eine äussere, die
von 6—8 Kernreihen gebildete Kernschicht, und eine innere, die soge-
nannte kernlose Schicht oder den Randschleier (His), welcher im
Grunde des Augenbechers am breitesten ist und nach dem Becher-
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 431
rande zu immer schmäler wird. Unmittelbar am Becherrande ist da-
gegen noch das Cylinderepithelstadium erhalten geblieben. Die Be-
grenzung der beiden grossen Schichten wird durch die Membranae
limitantes dargestellt. Nervenfasern sind in der Retina auch bei
sorgfältigster Untersuchung noch nicht nachweisbar.
Es ist jetzt aber an der Zeit, in meiner Beschreibung eine Lücke
auszufüllen, die ich bisher absichtlich offen gelassen habe, da ich ihr
ein eigenes kleines Kapitel widmen wollte. Wie schon im Vorher-
e. G. Z.
Fig. 7a. e. G. Z. — ektodermale Glaskórperzellen. G.— Glaskórper. R. S.— Rand-
schleier. K. == primitive Kernzone.
gehenden einige Male angedeutet, ist der Randschleier nümlich zu
keiner Zeit vóllig kernlos, sondern stets von einigen wenigen Kernen
durchsetzt. Im Anfange handelt es sich dabei ausschliesslich um
Epithelkerne, die nahe an der Membrana limitans interna liegen ge-
blieben sind und manchmal auch ganz dort liegen zu bleiben scheinen,
oder vielleicht auch, was sich natürlich schwer entscheiden lässt, aus
der Kernzone etwas weiter in den Randschleier vorgeschoben worden
sind. Eine besondere Bedentung ist diesen einzelnen verlagerten
Elementen nicht zuzusprechen.
Schon gleich nach der Bildung des Augenbechers sind aber in
29*
138 R. Seefelder
dem Randschleier auch noch andere und zwar ganz fremd-
artig aussehende Zellen nachweisbar. (Vgl. Textfigur 7a und b.)
Die Zellen enthalten in ihrem Protoplasma stark lichtbrechende
kuglige Körner von verschiedener Grósse, welche sich tinktoriell in
gleicher Weise verhalten wie die Chromatinsubstanz der Kerne, aber
sich im allgemeinen noch intensiver färben als diese. Sie erscheinen
meist — bei Heidenhainfärbung durchgehends — homogen, stellen-
weise aber auch leicht granuliert. Ihre Zahl ist zuweilen so gross,
dass sie den Kern vollständig verdecken und der Zelle ein trauben- oder
blasenwurmähnliches Aussehen verleihen. (Siehe Textfigur 7b, Zelle a.)
In den Zellen, in welchen ihre Zahl geringer und der Kern
deutlich und vollständig sichtbar ist, weist dieser ganz verschiedene
a. d. Formen (Biskuit-Hantel-Hauben-Form)
auf, lässt aber keine Anzeichen von
Degeneration erkennen. Das Proto-
plasma dieser Zellen ist deutlich sicht-
bar, bald abgerundet, bald mit Fort-
o sitzen versehen und allseitig von seiner
i. Umgebung scharf abzugrenzen. Die
6. Zellen liegen sowohl in den Maschen
| des Randschleiers, die sie auseinander-
zudrängen scheinen, als auch zwischen
den Kernen der Kernzune, und es
kann gar keinem Zweifel unterliegen,
dass sie aus der letzteren abstammen
und von da in den Randschleier hineingewandert sind. Doch ist
auch damit die Wanderungslust dieser Zellen noch nicht gestillt,
sondern wir finden die gleichen Elemente bald in grösseren bald in
kleineren Mengen in dem noch sehr schmalen Glaskörperraum und auf
dem ganzen. Wege, der bis dorthin zurückzulegen ist. In dem Glas-
körperraum ist dann allerdings das zusammengeballte Aussehen der
Kerne häufig nieht mehr so ausgeprägt, sondern es sind längere oder
ig. Tb.
kürzere Kernauswüchse nachweisbar, so dass die Kernform mitunter
ein noch bizarreres Aussehen erhält: Die Zahl der Zelleinschlüsse
ist bei den im Glaskörper ‚befindlichen Zellen durchschnittlich ge-
vinger als bei denen, welehe noch nicht aus der Retina ausgewandert
sind. Mit diesen Beobachtungen, die ich an mehr als einem halben
Dutzend ausgezeichnet kunservierter menschlicher Embryonen immer
wieder bestätigt fand, ist auf das schlagendste bewiesen, dass ein Teil
der Glaskörperzellen retinaler bzw. ektodermaler Herkunft ist.
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 439
Welche Rolle sie als solche zu spielen berufen sind, ob sie z. B.
zum Aufbau des primitiven Glaskórpergerüstes mitverwendet werden, das
zu erörtern gehört nicht in den Rahmen meiner heutigen Mitteilung.
In der embryonalen Retina sind diese Zellen meines Wissens
noch nicht beschrieben worden. Hingegen hat Rabl gelegentlich
seiner bekannten Untersuchungen über die Entwicklung der Linse so-
wohl beim Kaninchen als bei der Ente an den Rändern der Ein-
stülpungsöffnung des Linsenbläschens ganz analoge Zellen beobachtet,
welche hier aber wie die Linsenzellen von dem Epithel abstammen.
Über die Natur der Zelleinschlüsse äussert sich Rabl dahin, dass sie
nicht auf einen Zerfall von Kernen zu beziehen sind, sondern „Zell-
einlagerungen oder Zellprodukte mehr sekundärer Art“ darstellen.
Beim Menschen habe ich sie an dieser Stelle nicht gefunden.
Die beschriebenen Bilder erinnern auch an die Lösungs- und
Wanderungsvorgänge von Gliazellen, welche Held (24) im Gehirn
eines Erwachsenen, Krückmann (25) und Wolfrum(26) im ausge-
wachsenen Auge und ich, wie ich noch genauer beschreiben werde, in
dem Gliamantel der Arteria hyaloidea beobachtet haben. Zweifellos
dürften auch die fraglichen Zellen des Randschleiers und Glas-
körpers den Gliazellen in ihrem Wesen am nächsten stehen. Ich halte
aber auf sie, obwohl ich mir des proteusartigen Charakters der
Gliazelle wohl bewusst bin, diese Benennung doch nicht für ohne
weiteres anwendbar, da sie morphologisch eine eigenartige und be-
sondere Stellung einnehmen, und ich schlage deswegen vor, sie, da sie
doch alle nach dem Glaskörper auswandern, zum Unterschiede von den
dort auch befindlichen mesodermalen Zellen mit dem nichts präjudi-
zıerenden Namen der „ektodermalen Glaskörperzellen“ zu bezeichnen.
d. Über die Randschleierentwicklung und die Differenzierung
| der Retinazellen.
Den Namen Randschleier hat His (20) in die anatomische
Nomenklatur eingeführt, welcher seine darauf bezüglichen Unter-
suchungen hauptsächlich am Medullarrohr, mit welchem die Retina in
ihrem frühesten Stadium bekanntlich nicht bloss genetisch, sondern
auch morphologisch übereinstimmt, ausgeführt hat. His schildert die Ent-
stehung des Randschleiers der Retina in ganz ähnlicher Weise, wie ich es
getan habe. Nach seiner Ansicht geht die Entwicklung des Randschleiers
auch im Medullarrohr der der Nervenfasern voraus und er glaubt,
dass die Nervenfasern zwischen den Lücken und Maschen des Rand-
schleiers ihren Weg suchen. Im Gegensätze zu seinem Lehrer His (20)
vertritt Held (14) auf Grund von Untersuchungen am Medullarrohr
440 R. Seefelder
und am Sehnerven den Standpunkt, dass die Randschleierbildung
erst durch die Ent wicklung der Nervenfasern eingeleitet wird.
Nach Held (14) sind im Medullarrohr schon zur Zeit des Epi-
thelstadiums Neurofibrillen entwickelt. Die Neurofibrillen dringen
randständig dicht an der Membrana limitans medullaris externa in
dem Protoplasma der noch rein epithelialen jungen Gliazele (Spon-
gioblast His, Globlast H. Held) in einer zu ihrer Zellachse
senkrechten Richtung vor (encytialer Verlauf der Nervenfaser).
Diese neurofibrillenhaltigen Spongioblasten (neurofibrillierter Spon-
gioblast Held) unterscheiden sich im übrigen in nichts von den ein-
fachen Epithelzellen des Medullarrohrs. Erst später wandeln sie sich
zu den Elementen des fertigen Randschleiers um. Dies geschieht in
der gleichen Weise, wie ich sie im vorstehenden an der Retina kurz
geschildert habe. Nur geht nach Held, wie nochmals betont sei, die
Ausbildung des Randschleiers mit einer ständigen Zunahme der Zahl
der Neurofibrillen Hand in Hand und ist von dieser geradezu abhängig.
Die Neurofibrilien verlaufen dabei konsequent innerhalb der Balken
des Randschleiers, die zuletzt in ein zartes, feinfädiges Maschenwerk
aufgelöst sind. Mit Recht betont Held, dass es später mitunter sehr
schwer sein kann, diese Beziehungen zwischen dem gliösen Gewebe
des Randschleiers und. den. Neurofibrillen. aufzudecken, da bei der zu-
nehmenden Feinheit der Gerüsthilkchen ,die Knotenpunkte des Gerüst-
werks wohl etwas dicker sind, als die Zwischenbülkchen selber, aber
fast völlig von den Qüerschnitten einer Neurofibrille oder eines Bündels
von ihnen ausgefüllt werden, so dass meistens nur eine minimale und
ein wenig matt gekórnte äussere Hülle um diesen Inhalt sichtbar bleibt“.
Diese Beziehungen zwischen Glia und Nerventibrille sind nach Held
bleibender Art. In das Protoplasma der Gliazelle ist die Nervenfaser
zeitlebens direkt und unmittelbar eingebettet. Die Glia bildet nach
ihm nicht bloss das Stützgerüst der Nervenfasern, sondern besorgt
auch deren ganzen Haushalt, ihre Ernährung und ihren Stoffwechsel.
Von der Richtigkeit der Heldschen Beobachtungen, deren weit-
tragende Bedeutung für das Sehorgan schon in den bekannten Krück-
mannschen (25) Arbeiten über die Neuroglia gebührend gewürdigt
worden ist, habe ich mich durch das freundliche Entgegenkommen
Helds an seinen eigenen Präparaten wiederholt überzeugen
können. Durch eigene Untersuchungen an menschlichen Föten, deren
Resultate in dieser Arbeit niedergelegt werden sollen, kann ich die
Tatsache der dauernden intraprotoplasmatischen Lagerung der Nerven-
faser (die sog. Lehre vom Neureneytium) nur bestätigen.
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 441
Es fragt sich nur, ob nach meinen Untersuchungen und Befunden
die Randschleierentwicklung in der menschlichen Retina genau so ge-
dacht werden muss, wie sie Held vom Medullarrohr und Sehnerven
verschiedener Tiere beschrieben hat, ob auch in der menschlichen
Retina die Bildung der Nervenfasern der des Randschleiers voraus-
eilt, und die letztere somit als ein sekundärer und bis zu einem ge-
wissen Grade passiver Vorgang zu betrachten ist.
Eine eingehende Untersuchung über die Entwicklung des Randschleiers
in der Retina des Menschen und der höheren Säugetiere liegt bis jetzt
m. W. nicht vor. In den entwicklungsgeschichtlichen Arbeiten und Lehr-
büchern (Minot, van Duyse usw.) ist sein Vorkommen immer nur kurz
erwähnt, ohne dass ihm eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden
zu sein scheint. ,
Ich glaube die eben ausgesprochene Frage verneinen zu müssen.
Habe ich doch in keinem der von mir durchsuchten Präparate, trotz-
dem sie mit den verschiedensten und zum Teil mit für die Darstellung
der Nervenfasern gut geeigneten (Heidenhain) Methoden gefärbt
und in verschiedenen Richtungen geschnitten sind, so dass sich die
Nervenfasern entweder im Längs- oder im Querschnitt präsentieren
mussten, mit Sicherheit Nervenfasern zu entdecken vermocht.
Man könnte mir einwenden, und es ist dies auch geschehen, dass
die Präparate ungenügend gefärbt und die Nervenfasern deswegen nicht
sichtbar seien.
Was diesen Punkt anbetrifft, so gebe ich ohne weiteres zu, dass
die in den vielfach schon sehr alten und ausgeblichenen Präparaten
angewandten Färbungen samt und sonders unzureichend sind, um die
ersten Anfänge der Neurofibrillenentwicklung, z. B. das innerhalb
des Neuroblastenprotoplasmas befindliche Neuroreticulum (Held) und
vielleicht auch die ersten kurzen Neuroblastenfortsätze zur Anschauung
zu bringen. Dazu bedarf es besonderer, technisch nicht einfacher
und moderner Färbungen, vor allem der Silberreduktionsmethode von
Ramon y Cajal, vorderen Ausführung an einem gut erhaltenen mensch-
lichen Embryo jeder Besitzer eines solchen Präparates sich so lange
scheuen wird, als sie nicht zuverlässiger arbeitet. Was aber die Dar-
stellbarkeit der jungen ausgebildeten Nervenfaser anbetrifft, so wird
niemand behaupten wollen, dass es dazu besonderer Färbemethoden
bedarf. So finde ich in etwas älteren als den bis jetzt beschriebenen
Stadien trotz ihrer manchmal recht unvorteilhaften Färbung und trotz
der grossen Zartheit und Spärlichkeit der Nervenfasern in der Nerven-
faserschicht der Retina stets Nervenfasern vor. —
442 R. Seefelder
nd
Es liegt, glaube ich, daraufhin nahe, zu sagen, dass, wenn aus-
gebildete Nervenfasern vorhanden sind, sie dann auch unschwer ge-
sehen werden können.
Die Nervenfasern werden dann besonders leicht sichtbar werden.
sobald sie in die zur Netzhautoberfläche parallele Verlaufsrichtung
umgebogen sind. Nun ist aber zu bedenken, dass sie in der Retina
erst von diesem Momente an das Lageverhältnis zur Gliazelle einnehmen.
welches der Achsencylinder des Neuroblasten im Medullarrohr zur
iungen Gliazelle einnimmt, nämlich senkrecht zur Hauptzellachse der
Gliazelle (des Spongioblasten) verlaufen. Vorher können sie aber kaum
die Ursache der Aufsplitterung des Gliaprotoplasmas sein, da sie zu
seiner Hauptmasse, den Radiärfasern, parallel verlaufen.
Es scheint mir also auch damit ein wichtiges Argument gegen
die Abhängigkeit der Randschleierentwicklung in der Retina von der
der Nervenfasern gegeben zu sein.
Doch sehen wir von dieser Frage vorläufig ab und legen wir
uns statt dessen noch einige andere vor.
1. Ist es wahrscheinlich, dass einige wenige mit den ge-
wöhnlichen Methoden ganz unsichtbare Nervenfasern die
Ursache der schon frühzeitig so mächtigen Randschleier-
entwicklung sein werden? Ich bemerke dazu ausdrücklich, dass
ich. diese mächtige Entwicklung des Randschleiers in der Retina nur
beim Menschen und höheren Säugetieren (z.B. Schwein, Schaf und
Rind!) angetroffen habe. Beim Hühnchen z. B. und beim Kaninchen
erreicht sie nicht im entferntesten einen so hohen Grad. Ich würde
deshalb auch Bedenken tragen, die dort gefundenen Verhältnisse ohne
weiteres auf den Menschen zu übertragen.
2. Ist es wahrscheinlich, dass bereits im Stadium der primären
Augenblase, in welchem doch schon die Randschleierentwicklung ein-
setzt, noch ehe überhaupt eine rechte Andeutung eines Augenblasen-
stiels zu sehen ist, Nervenfasern produziert werden?
3. Ist es wahrscheinlich, dass sich die Nervenfaserentwicklung
ebenso wie die Randschleierbildung schon wührend der Umbildung
zum Augenbecher fast auf die ganze Retina erstreckt, während mit
den gewöhnlichen Methoden erst bei mehrere Monate alten Föten in
der äussersten Netzhautperipherie Nervenfasern nachzuweisen sind?
Sollten diese wirklich monatelang vorhanden, aber nicht sichtbar sein?
!) Bei diesen Tieren bin ich bis jetzt auch mit der Heldschen Methode
zu den gleichen Resultaten gekommen wie beim Menschen.
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 443
Ich glaube auch alle diese Fragen ebenso bestimmt verneinen zu
müssen als die erstere und konstatiere nochmals, dass an der inneren
Seite der Retina schon lange Zeit ein müchtiges kernloses
syncytiales Gerüstwerk, der sogenannte Randschleier von
His, ausgebildet ist, bevor mit den gewóhnlichen Fürbe-
methoden irgendwelche Anzeichen einer Nervenfaserent-
wicklung nachweisbar sind.
Doch kann man mir immer noch einwenden, dass alles, was ich
bis jetzt gesagt, vielleicht eine ganz gut begründete Vermutung sei, dass
Fig. 8 b.
ns, I" jua
T ra SH AM:
Fig. 8a. N. — Nervenfaserschicht sive neurofibrillierter Randschleier. G. — Gang-
lienzellenschicht. R. S. — Randschleier. K. = primitive Kernzone.
ich aber keine eigentlichen Beweise dafür beigebracht habe. Der Be-
deutung eines solchen dürfte eine Beobachtung nahe kommen, welche ich
bei einem in meinem Besitze befindlichen etwas älteren 31 mm langen
Embryo gemacht habe. (Vgl. Texttig.8.) Bei diesem Embryo ist der primi-
tive Randschleier zum weitaus grössten Teil durch eine enorme Wucherung
von Neuroblasten zum Verschwinden gebracht (siehe Textfig. 10), so dass
davon nur noch an der inneren Netzhautseite ein schmaler Rest er-
halten geblieben ist. In den periphersten Partien der Retina, wo
noch keine Neuroblastenausscheidung erfolgt ist, weist er jedoch noch
die ursprüngliche Breite auf. In diesem Auge ist nun genau so weit, als
die Neuroblastendifferenzierung reicht, innerhalb der schmalen Rand-
444 R. Seefelder
schleierzone mit aller Leichtigkeit und Sicherheit eine Menge von Nerven-
fasern sowohl im Querschnitt als im Längsschnitt zu konstatieren,
während in dem breiten Randschleier der peripheren weniger hoch-
differenzierten Netzhautpartien keine Spur davon nachweisbar ist. Aus
dieser Beobachtung geht wohl ziemlich eindeutig hervor, dass die Nerven-
fasern, wenn sie vorhanden sind, auch zu sehen sind, und zweitens,
dass es in der menschlichen Netzhaut zweierlei Arten von Rand-
schleier gibt, einen primitiven, welcher keine Nervenfasern enthält,
und einen neurofibrillierten, welcher erst mit dem Auftreten der
Neuroblastenschicht entsteht und durch die Anwesenheit von Nerven-
fasern stark modifiziert ist.
Die Richtigkeit der Heldschen Beobachtungen wird dadurch
naturgemüss nicht angetastet. Die Retina und, wie ich noch aus-
führen werde, auch der Sehnerv des Menschen verhalten sich eben
in dieser Beziehung anders als das Medullarrohr und der Sehnerv
verschiedener Tiere, eine Tatsache, die zwar interessant ist, aber doch
eigentlich gar nichts übermässig Verwunderliches an sich hat. —
Über das Wesen des Randschleiers brauche ich mich nur noch mit
wenigen Worten auszusprechen. Geht doch wohl schon aus dem bis jetzt
Gesagten zur Genüge hervor, dass er dem Stütz- und nach Held (14)
auch dem Nährorgan der Retina, der Glia, entspricht, wie denn auch
His(20) kein Bedenken trägt, schon die ganz jungen Randschleier-
fasern mit den sogenannten M üllerschen Radiürfasern zu identifizieren.
Ich bemerke nochmals, dass auch nach meinen Beobachtungen
am Menschenembryo der syncytiale Charakter der Glia von Anfang
an deutlich ausgesprochen ist und dass schon im Stadium des jungen
Augenbechers die einzelnen Zellterritorien durchaus nicht mehr von-
einander abgegrenzt werden können, und halte diese Tatsache Cajál!)
entgegen, welcher auf Grund von Golgipräparaten den Standpunkt
vertritt, dass die einzelnen epithelialen Zellbezirke voneinander unab-
hängig bleiben.
Es ist von mir bereits mehrfach ausgesprochen worden, dass die
Kerne der primitiven Kernzone alle einander ganz ähnlich sehen.
Gewisse Formunterschiede, wie ich sie erwähnt habe, sind meines Er-
achtens teils durch das verschiedene Alter der Kerne, teils durch
mechanische Ursachen bedingt. Jedenfalls sind sie nicht ausreichend,
um die Unterscheidung bestimmter Zelltvpen zu rechtfertigen. Nur
die in den Glaskörper auswandernden Zellen nehmen eine besondere
Stellung ein.
1) Citiert nach Held (14) S. 84.
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 445
Unter diesen Umständen erscheint mir die Frage naheliegend,
ob überhaupt anzunehmen sei, dass in den besprochenen Stadien be-
reits eine Differenzierung von Nervenzellen, den sogenannten Neuro-
blasten His und Held, stattgefunden habe. —
An der Tatsache, dass gerüstbildende Zellen, sogenannte Spon-
gioblasten (His), entwickelt sind, kann dagegen angesichts eines
so reichlichen Fasernetzes, wie es der Randschleier darstellt, nicht ge-
zweifelt werden. Infolgedessen ist es nicht verwunderlich, dass eine
Anzahl von Forschern, z. B. His selbst, ferner Babuchin (27),
van Duyse(6), Leboucq (11), Mall(32) und;Andere die Ansicht ge-
äussert haben, dass die SES die ersten differenzierten Ele-
mente der Retina seien.
Der Ausdruck ,Spongioblasten* stammt von W. Müller (28) und
ist von ihm auf die innere Zellage der inneren Koórnerschicht (die sog.
Amakrinen oder inneren horizontalen Zellen, Greeff) angewendet worden,
weil er der Ansicht war, dass von ihnen zum grössten Teile die innere
plexiforme Schicht, das Neurospongium, gebildet werde. His (20) hat dann
viel später die gleiche Bezeichnung, ohne auf die ältere Bezeichnung
W. Müllers Rücksicht zu nehmen, auf alle jungen Stützzellen der Retina
und des Medullarrohrs angewendet und für die Bildungszellen der Nerven-
fasern den Namen „Neuroblasten“ eingeführt. Von Held (14) wird die
letztere Bezeichnung ohne weiteres übernommen, dagegen schlägt er vor,
für die Hisschen Spongioblasten „die allgemeinere und umfassender an-
wendbare Bezeichnung der Glioblasten zu gebrauchen“, da aus den
Spongioblasten auch die Gliazellen hervorgehen, welche doch eine mannig-
faltigere Aufgabe als die blosse Gerüstbildung zu erfüllen haben.
Da die Gliazelle auch in der Netzhaut und im Sehnerven nicht aus-
schliesslich als Gerüstbildner (Spongioblast) auftritt, sondern unter verschie-
denen Formen eine verschiedene Funktion ausübt, so dürfte in Zukunft
auch für die junge Vorstufe der Gliazelle im Sehnerven und in der Netz-
haut die Heldsche Bezeichnung vorzuziehen sein.
So einfach lässt sich jedoch diese Frage nicht entscheiden. Dies
ging so lange, als die Hissche Ansicht Gültigkeit besass, dass der
Neuroblast als solcher differenziert sei, sobald eine von dem Endteil
des Neuroblastenkerns abgehende Faser sichtbar sei. Mit modernen
Färbemethoden, vor allem der Ramon y Cajalschen Silberreduktions-
methode, ist dagegen die Differenzierung eines Neuroblasten durch die
intraprotoplasmatische Entwicklung eines Netzwerks von. Nervenfasern,
des Neuroreticulums, in einer bestimmten Stelle des Zelleibs, der
fibrllogenen Zone (Held), schon wesentlich früher zu erkennen und
es liess sich mit ihnen weiterhin feststellen, dass dieser Prozess im
allgemeinen sehr frühzeitig, ja teilweise schon im Epithelstadium der
446 R. Seefelder
Nervenzelle vor sich geht. So hat auch Cajal(15) selbst mit seiner
Methode schon in der Netzhaut von 21), Tage alten Hühnchen, also
zu einer Zeit eine Differenzierung von Neuroblasten nachweisen
können, in welcher dies mit andern Methoden kaum gelingen dürfte.
Die zuletzt erwähnte Tatsache scheint mir namentlich auch mit Rück-
sicht auf die Fürstsche Einteilung der Entwicklung der Retina von In-
teresse zu sein, da sie zeigt, dass die Retina bereits in das Differenzierungs-
stadium eingetreten ist, wenn sie sich noch im Cylinder- Epithelstadium
Fürsts befindet.
Den Begriff des Differenzierungsstadiums (Fürst) möchte ich deshalb
lieber ganz vermeiden, da ich ihn in der Entwicklung der menschlichen
Retina nicht genau zu umgrenzen vermöchte. Eine ausgesprochene Zell-
differenzierung ist schon bei Embryonen von 5—6mm Länge mit dem
Auftreten der sog. ektodermalen Glaskórperzellen zu konstatieren.
Wenn wir diese Tatsache auf die menschliche Retina anwenden.
so können wir nicht umhin, auch für sie die Möglichkeit, ja vielleicht
sogar die Wahrscheinlichkeit einer sehr frühzeitigen Differenzierung
von Neuroblasten zuzugeben, ohne dass diese zunächst mit den ge-
wöhnlichen Färbemethoden zum Ausdruck kommt. Spätere Unter-
suchungen mit Hilfe der erwähnten spezifischen Färbemethoden werden
zu entscheiden haben, ob diese Annahme auch tatsächlich zutreffend
ist. Bewiesen ist sie bis jetzt jedenfalls noch nicht.
Die Ansicht der Mehrzahl der Autoren geht dahin, dass die
Differenzierung der ursprünglichen, mit beiden Anlagesubstanzen aus-
gestatteten Epithelien der Retina vorzugsweise durch die in der Keim-
zone der Retina sich abspielende Teilung eingeleitet werde. Wenn
auch aus der Teilung nicht unmittelbar ein qualifizierter Glioblast oder
Neuroblast hervorgeht, so wird doch durch sie jedenfalls bestimmt, ob
die Tochterzellen der indifterenten Epithelzelle zu Neuroblasten oder
Grlioblasten werden, und damit der Kernteilung ein hervorragender An-
teil an der Zelldifferenzierung beigemessen werden können. Doch
müssen wir uns bewusst sein, dass in dieser Frage noch vieles aufzu-
klären ist und dass wir noch weit davon entfernt sind, in alle Tiefen
des Geheimnisses des biologisch so interessanten Problems der Zell-
differenzierung eingedrungen zu sein.
B. Die weitere Entwicklung der Retina und des Pigment-
epithels.
a. Die Entwicklung der Ganglienzellen- und Nervenfaserschicht.
Die ersten Anzeichen der Entwicklung dieser Schicht habe ich
bei einem 10mm langen Embryo von Robert Meyer in Berlin ge-
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 441
funden. Etwas weiter vorgeschritten ist sie bereits bei einem 11,3 mm
langen Embryo von C. Rabl, hier aber ist sie in so klarer und
anschaulicher Weise ausgeprägt, dass ich dieses Präparat zum Aus-
gangspunkt meiner Schilderung gewählt habe.
Die allgemeine Entwicklung dieses Embryos ist von Rabl selbst
in seiner „Entwicklung des Gesichtes“ (29) eingehend beschrieben. Es
handelt sich um ein Zwillingspaar von Embryonen, deren einer merk-
würdigerweise schon etwas maceriert und auch in der Augenentwick-
lung zurückgeblieben ist, während der in Rede stehende Embryo aus-
gezeichnet konserviert ist und zahlreiche frische Kernteilungsfiguren
aufweist. Die fötale Augenspalte ist bei ihm vorne vielleicht noch
Fig. 9.
eine Spur und hinten sicher noch offen. Der Augenblasenstiel weist
in der Nähe des Auges die bekannte rinnenförmige Einstülpung auf
und ist noch in seinem ganzen Verlaufe hohl.
Bei diesem Embryo (vgl. Textfigur 9) finden wir an einem um-
schriebenen Netzhautbezirke innerhalb des Randschleiers eine neue
Kernschicht, während die ganze übrige Retina zwar erheblich ver-
dickt ist, aber sonst noch den primitiven Zustand der vorhergehenden
Stadien aufweist. Die Kerne dieser jungen Kernschicht sehen wesent-
lich anders aus als die der primitiven Kernzone. Sie sind etwas
grösser, blasser gefärbt und noch länglicher geformt als diese.
Leider ist das Zellprotoplasma bei der angewandten Färbung nicht
zu sehen, so dass ich über diesen wichtigen Punkt keine Angaben
machen kann. Ihre Anordnung erscheint zunächst noch ziemlich
regellos. Besonders in der Richtung der Kernachse scheint die grösste
Willkür obzuwalten. Unverkennbar ist aber ihr Bestreben, sich zu
448 R. Seefelder
einer besonderen Schicht zu gruppieren. Auch ist ohne weiteres zu
sehen, dass noch fortwährend ein Zuströmen von neuen Kernen aus
der primitiven, nunmehr stark verdickten und auf 8—9 Kernreihen an-
geschwollenen Kernzone stattfindet, aus welcher ganze geschlossene
Züge von jungen Kernen bis an die neugebildete Kernschicht heran-
reichen.
Die allgemeine Ansicht geht wohl heute dahin, dass diese
Ortsveránderung nicht auf eine aktive Wanderung, sondern auf
eine Umlagerung und Verschiebung der Kerne durch den Druck des
wachsenden Gewebes zurückzuführen sei. [Held(14), Fürst (10),
Nussbaum(5) u. A.] Dagegen hat sich His seinerzeit für eine aktive
Wanderung ausgesprochen. In meinem Falle können wir, glaube ich,
kaum umhin, auch die letztere Möglichkeit in Erwägung zu ziehen.
Ein Blick auf die Abbildung zeigt uns, dass die meisten Kerne
ziemlich weit einwürts von der primitiven Kernzone in noch lockerer
Anordnung liegen, und dass sie auf dem Wege dorthin, als sie den
Randschleier passierten, keinem nennenswerten Drucke ausgesetzt sein
konnten. Warum sollten aber auch die jungen Retinazellen jeder
aktiven Beweglichkeit entbehren? Haben doch vor kurzem Schreiber
und Wengler (30) durch ihren interessanten experimentellen Versuch
mit Scharlachöl nachgewiesen, dass selbst die ausgewachsenen Ganglien-
zellen unter dem Einflusse chemischer Reize der Teilung und einer
ausgiebigen Wanderung fähig sind.
Von besonderem Interesse ist ferner die Tatsache, dass
innerhalb der neugebildeten Kernschicht eine verhältnis-
mässig grosse Anzahl frischer Mitosen nachweisbar ist.
Es geht daraus mit Bestimmtheit hervor, dass der Zuwachs von
Netzhautzellen nicht ausschliesslich von der Keimzone her, sondern
auch in andern Schichten erfolgt. Es handelt sich bei dieser Teilung
zweifellos um die Vermehrung von bereits differenzierten Elementen,
welche als additionelle Teilung (Nussbaum) der differenzierenden
gegenüberzustellen ist. Vorausgreifend sei erwähnt, dass ich mich von
dieser additionellen Teilung auch an älteren genügend frischen Ob-
jekten überzeugen konnte. Auch innerhalb der von mir so genannten
primitiven Kernzone habe ich dann und wann Kernteilungsfiguren
beobachtet, womit ich eine gleichlautende Angabe Falchis(3) be-
statigen. kann.
Ehe ich auf die weitere Entwicklung der jungen Ganglienzellen-
schicht eingehe, sei nochmals besonders hervorgehoben, dass ihre
erste Differenzierung, wie ich eben gezeigt habe, nicht im ganzen
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 449
Umkreise der Retina, sondern in einem ziemlich scharf umschriebenen
Bezirke erfolgt, welcher im vorliegenden Falle dem ventrocaudalen
(später temporalen und unteren) Abschnitte der Retina entspricht.
Die obere Differenzierungsgrenze liegt gleich unterhalb des hori-
zontalen Meridians, während die untere in beiderseits streng symme-
trischer Anordnung fast bis zum unteren Augenpole reicht.
Es ist kein Zufall, dass gerade dieser Abschnitt den übrigen
in der Differenzierung vorauseilt. Wissen wir doch, dass innerhalb
desselben dereinst die funktionell hochwertigste Stelle der Netzhaut,
die Fovea centralis, zu liegen kommt. Wir werden sehen, dass dieses
Prinzip, welches eigentlich schon bei der Bildung des Randschleiers
in schwachen Zügen angedeutet war, von einer einzigen, aber eigen-
artigen Einschränkung abgesehen, während der ganzen weiteren Ent-
wicklung der Retina gewahrt bleibt, und wir vermögen damit einen
wichtigen Beitrag zu dem bekannten Naturgesetze zu liefern, dass die
Funktion die Entwicklung beherrscht!) [Rabl (72)].
Nervenfasern vermag jch auch in diesem Auge, in welchem doch
z. B. die zarten Glaskörperfibrillen mit genügender Deutlichkeit sicht-
bar sind, nicht nachzuweisen. Man könnte mir deshalb vielleicht einen
Vorwurf daraus machen, dass ich die neugebildete Kernschicht bereits
als junge Ganglienzellenschicht bezeichne, doch geht die Berechtigung
hierzu aus dem weiteren Entwicklungsverlaufe völlig einwandsfrei hervor.
Ich bin mir auch dessen wohl bewusst, dass diese jungen Zellen
auch dann noch nicht den Namen von Ganglienzellen verdienen, wenn
ihre Achsencylinderfortsätze deutlich sichtbar werden, ziehe es aber
im Interesse der Klarheit der Darstellung vor, gleich die bleibende
Nomenklatur anzuwenden, weil bekanntlich auch in anderen Netz-
hautschichten Neuroblasten vorkommen.
Daran, dass die ganzen Zellen dieser Schicht, welche in den
nächsten Wochen eine ganz ausserordentliche Dicke erreicht, zu der
sogenannten Ganglienzellenschicht der Retina gehören, lässt ihr wei-
teres Schicksal keinen Zweifel aufkommen.
Das jüngste Stadium, in welchem ich mit Sicherheit
Nervenfasern in der Retina entwickelt fand, ist der Em-
1) Einen wichtigen und interessanten Beitrag zu diesem Kapitel hat vor
kurzem Flechsig (31) geliefert, indem er nachwies, dass die Markscheiden im
Nervus vestibularis zuerst zur Entwicklung gelangen, was Flechsig damit er-
klärt, dass die Kopfhaltung des Fötus vom 5. Monat an wahrscheinlich nicht
mehr eine rein passive ist, sondern durch die Erregung der Nervenendigungen
im Labyrinth geregelt wird.
450 R. Seefelder
bryo G, von Hertwig, dessen Lánge nicht genau bekannt ist, dessen
Alter aber gegen 5—6 Wochen betragen dürfte.
In diesem ist die beschriebene junge Ganglienzellenschicht nur
wenig weiter entwickelt, aber es ist deutlich zu sehen, dass aus
den meisten ihrer Zellen feine Nervenfasern hervorgehen, welche
gleich nach ihrem Ursprung in eine zur Retinaoberfläche parallele
Richtung umbiegen und in der nächsten Nähe des noch durchwegs
hohlen Augenblasenstiels eine ganz schmale Nervenfaserschicht
bilden.
Demnach würde die erste Entwicklung der Nervenfaserschicht zwar
nicht direkt mit dem ersten Auftreten der Ganglienzellenschicht zu-
sammenfallen, aber fast unmittelbar hinterherfolgen. Bei 2 Em-
bryonen von 13 und 14 mm Länge (Rob. Meyer, Berlin) scheint
ebenfalls schon eine ganz spärliche Nervenfaserbildung erfolgt zu sein.
Es decken sich also diese Beobachtungen mit einer Angabe von
His(20), dass bei einem Embryo von etwa 5 Wochen (13 mm Länge)
die ersten Nervenfasern in der Retina nachweisbar seien.
Über die nächstanschliessenden Entwicklungsvorgänge in der
Ganglienzellenschicht, die ich ebenfalls an einem lückenlosen und
tadellos konservierten Material studieren konnte, glaube ich mit we-
nigen Worten hinweggehen zu können, da sie nichts besonders Be-
merkenswertes bieten.
Die Ganglienzellenschicht breitet sich in der bereits eingehend be-
schriebenen Weise vom hinteren Augenpol allmählich über die ganze
Retina aus, so dass man an ihrer jeweiligen äussersten peripheren
Grenze immer wieder die Art und Weise ihrer ersten Entwicklung
und Absonderung beobachten kann. (Vgl. Textfig. 8.) Im Bereiche der
älteren Differenzierungszone findet zunächst eine Ordnung und gleich-
mässige Lagerung der Kerne, zugleich aber auch ein ununter-
brochener Zuwachs von neuen Zellen statt, der zu einer
erheblichen Dickenzunahme der Schicht und schliesslich zum voll-
ständigen Verschwinden des zwischen den beiden Kernzonen befind-
lichen Randschleierrestes führt, so dass diese unmittelhar aneinander-
stossen.
Nur an der inneren Seite der jungen Ganglienzellenschicht bleibt
der Randschleier dauernd als ein zunächst schr schmaler Streifen er-
halten, innerhalb dessen die Nervenfasern ihren Weg nehmen. Die
Nervenfasern verlaufen aber trotz der Schmalheit der kernlosen Schicht
(des Randschleiers) nicht direkt unter der Limitans interna, sondern
halten ständig einen kleinen Abstand von ihr ein. (Chievitz.)
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 451
Auf das vollständige Verschwinden des Randschleiers zwischen
den jungen Ganglienzellen und der äusseren Kernzone möchte ich
deswegen nochmals besonders hinweisen, weil man ohne Kenntnis der
nächstälteren Stadien glauben könnte, dass die anfänglich noch vor-
handene kernlose Schicht zwischen der jungen Ganglienzellenschicht
und der primitiven Kernzone als die erste Anlage der inneren plexi-
formen Schicht aufzufassen sei, welche sich aber tatsüchlich erst viel
später und auf eine ganz andere Weise entwickelt.
Selbst bei einem Embryo von 31 mm grösster Länge ist die
Ausscheidung der jungen Ganglienzellenschicht noch nicht ganz bis
zum Umschlagsrande vorgeschritten, erstreckt sich aber nahe an ihn
heran. Übrigens erreicht sie den Umschlagsrand selbst nie, da die
periphersten Netzhautpartien die ganze Differenzierung der übrigen
Retina überhaupt nicht durchmachen, sondern zum Aufbau der Pars
coeca retinae verwendet werden.
Bei dem zuletzt genannten Embryo hat die Ganglienzellenschicht
stellenweise eine ganz enorme Dicke erreicht. (Vgl. Textfig. 10.) Die
Zahl der übereinander liegenden Kernreihen beträgt an ihrer dicksten
Stelle temporal gleich neben dem Optikus gegen 20, womit sie die der
äusseren Kernzone etwa um das Doppelte übertrifft. Die Unterschei-
dung und Abgrenzung der beiden Kernschichten ist wegen der grossen
Verschiedenheit ihrer Kerne überall mit Leichtigkeit durchzuführen.
Der Hauptunterschied, welcher schon bei schwacher Vergrösserung
auffällt, besteht, wie schon angedeutet, in der Intensität der Tinktion.
Die Kerne der jungen Ganglienzellenschicht sind viel blasser gefärbt
als die der äusseren Kernzone. Dazu kommen vor allem bemerkens-
werte Unterschiede in der Form der Kerne. Die Kerne der Ganglien-
zellen- bzw. Neuroblastenschicht sind jetzt durchgehends von rundlicher
und höchstens leicht ovaler Form, während sich die der äusseren
Kernzone zu ganz schlanken und an den beiden Polen vielfach spitz
zulaufenden Gebilden ausgewachsen haben. Einzelne Kerne der äusseren
Kernzone sind jedoch wesentlich dunkler gefärbt und länger als die
übrigen, und an beiden Enden mit langen radiär verlaufenden Fort-
sätzen ausgestattet.
In der unmittelbaren Nähe des Sehnerven liegt eine fast ge-
schlossene einfache Reihe von Zellen!) mitten in der Nervenfaser-
schicht, welche von der jungen Ganglienzellenschicht völlig abgesondert
1) Falchi hat diese Zellen ebenfalls beschrieben und ihre Ähnlichkeit
mit den Zellen der jungen Ganglienzellenschicht, welche er als „helle Innen-
zone“ bezeichnet, erwähnt.
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII, 8. 30
452 R. Seefelder
ist. Die Artbestimmung dieser vorgeschobenen oder verlagerten Zellen
ist nicht immer mit der wünschenswerten Präcision durchzuführen.
Ihr Kern ist durchschnittlich etwas grösser als der der jungen Gang-
lienzellen, aber von der gleichen Färbung und Form. Ihre Zellachse
verläuft parallel zur Richtung der Nervenfasern. Von einem grossen
Teil dieser Zellen kann es aber nicht zweifelhaft sein, dass es junge
Ganglienzellen sind, da sie einen deutlichen Achsencylinderfortsatz
und vielfach sogar mehrere nach der freien Zellseite ausstrahlende
EE Dendriten aufweisen. Diese Zellen scheinen
jus Tj gei x e) N also dem Typus der multipolaren Ganglien-
zelle schon näher zu stehen als die jungen
Zellen der eigentlichenGanglienzellenschicht.
Es lässt sich aber nicht ausschliessen,
dass nicht auch bereits ein Teil von diesen
dendritische Fortsätze aufweist. Sieht man
doch in den schmalen Zwischenräumen zwi-
schen den meist dicht aufeinandergepressten
Zellkernen gar manche faserige oder proto-
plasmatische Fortsätze, deren Deutung nicht
immer mit Sicherheitdurchzuführen ist.Selbst
in den nach Held gefärbten Präparaten ist
dies nur selten möglich. An und für sich
ist ja nach Helds Untersuchungen am Me-
dullarrohr anzunehmen, dass sich die Den-
' driten sehr frühzeitig, ja ungefähr gleich-
zeitig mit den Neuriten entwickeln.
Auchdurch Cajals(15) Untersuchungen
an der Hühnchenretina wird bestätigt, dass
schon in ganz jungen Stadien bipolare Neuro-
blasten vorkommen. An der menschlichen embryonalen Retina sind,
soviel mir bekannt, die zu ihrem so frühzeitigen Nachweis erforder-
lichen Färbemethoden noch nicht angewendet worden.
Die Dicke der jungen Ganglienzellenschicht ist selbstverständlich
nicht überall gleich. Abgesehen von kleineren Schwankungen kann
man sagen, dass sie im allgemeinen in der Richtung von hinten nach
vorne abnimmt. In der Nähe des Pupillarrandes fehlen Ganglien-
zellen, wie gesagt, ganz (vgl. Fig. 8a) und man kann auch noch in
dieser Retina die sämtlichen Differenzierungsstadien von dem primi-
tiven Epithelstadium bis zur Entwicklung einer mächtigen Jungen
Ganglienzellenschicht in allen Abstufungen verfolgen. Ich betone,
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 453
dass ich auch noch in diesen sowie in den nächstälteren Stadien in
der Ganglienzellenschicht noch allenthalben Mitosen gefunden habe.
Die Nervenfaserentwicklung ist sehr weit vorgeschritten.
Sie erstreckt sich genau so weit'wie die Ganglienzellenschicht,
die in mässiger Entfernung vom Umschlagsrande ziemlich plötzlich
aufhört. Eigentümlicherweise sind die Nervenfasern trotz der hori-
zontalen Schnittführung nur in der Nähe der Papille in der Längs-
richtung getroffen. Weiter vorne sind nur Querschnitte anzutreffen,
welche trotz der sehr blassen Heidenhainschen Färbung mit aller
Deutlichkeit zu sehen sind (vgl. Textfig. 8b).
Ja selbst die von Held gefundenen innigen Beziehungen zwi-
schen Gliareticulum und Nervenfasern sind für den, der sie kennt
und an besser gefärbten Präparaten zu studieren Gelegenheit hatte,
ohne weiteres wahrzunehmen. Die kernlose Zone oder der neuro-
fibrillierte Randschleier, in welchen die Nervenfasern eingebettet sind,
ist viel schmaler, als der weiter peripher gelegene primitive Rand-
schleier, in welchem weder Neuroblasten noch Nervenfasern nachweisbar
sind. (Textfig. 8a.) Der Unterschied zwischen diesen beiden Rand-
schleierarten ist ganz auffallend. In dem ersten, dem sogenannten
neurofibrillierten, beherrschen die Querschnitte der zu ziemlich dicken
Fasern vereinigten Neurofibrillen das Bild, während in dem primi-
tiven Randschleier nichts als das zarte Gerüst der weichen, noch
rein protoplasmatischen Gliafasern zu sehen ist. —
Irgendeine sonstige Schichtung ist in der Retina dieses
Stadiums noch nicht wahrzunehmen.
Das zwischen der 4. bis 8. Woche befindliche Entwicklungsstadium
der Retina ist also vorzugsweise durch eine massenhafte Pro-
duktion von jungen Ganglienzellen bzw. Zellen der Ganglien-
zellenschicht gekennzeichnet, mit welcher die der Nervenfaserschicht
räumlich und zeitlich ungefähr zusammenfällt.
Die Produktion der Ganglienzellen ist so enorm, dass man glauben
möchte, dass schon der bis jetzt geschaftene Vorrat genügen müsste,
um den ganzen zukünftigen Bedarf!) zu decken. Und es scheint auch
bald so weit zu sein, da ich bereits von diesem Stadium an eine
fortschreitende Abnahme der Dicke der Ganglienzellenschicht und nur
noch kurze Zeit Anzeichen eines nennenswerten Zuwachses von Zellen
gefunden habe.
Der nächste Fortschritt in der Entwicklung der Zellen
1 Ich nehme die periphersten Netzhautabschnitte natürlich aus, wo die
Ganglienzellenausscheidung noch längere Zeit anhält.
30*
"IT 30
454 R. Seefelder
der Ganglienzellenschicht gibt sich vorzugsweise durch die Aus-
bildung starker dendritischer Fortsätze kund. Während solche
bei dem 31 mm langen Embryo bei der gleichen Färbung (Held)
nur bei einigen der zu innerst gelegenen Zellen mit Sicherheit fest-
gestellt werden konnten, finde ich bei einem 65 mm langen Embryo
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 455
eine starke Dendritenentwicklung in einem grossen Netzhautabschnitt
und stellenweise in der ganzen Dicke der Ganglienzellenschicht. Ich
betone, dass die stärkste Dendritenentwicklung wiederum in dem zen-
tralsten Abschnitte des Auges temporal und hinten stattgefunden hat.
(Vgl. Textfigur 12.)
Durch die Dendritenentwicklung hat sich das Aussehen der
Ganglienzellenschicht nicht unwesentlich geändert. Die Kerne zeigen
jetzt eine viel unregelmässigere Lagerung und Anordnung als vorher,
wahrscheinlich infolge einer mechanischen Verschiebung durch die
sich zwischen sie drängenden und der äusseren Kernzone zustrebenden
Dendriten. Letztere hinwiederum breiten sich aus, wo sie eben Platz
finden, und verlaufen infolgedessen in den verschiedensten Richtungen
teils senkrecht, teils schräg, ja selbst schon unmittelbar vom Kern weg
horizontal. (Vgl. Textfigur 12.)
In dem der freien (äusseren) Zellseite entsprechenden
Zelleib der jungen Ganglienzelle gelingt es nicht selten,
ein Diplosoma nachzuweisen. Es liegt bald näher am Kern, bald
ziemlich weit davon entfernt und besteht aus zwei ausserordent-
lich kleinen, scharf begrenzten, nur sehr schwer sichtbaren Punkten,
die wiederum in verschiedenen Richtungen zueinander angeordnet sein
können.
Ich schicke schon hier voraus, dass ich die Diplosomen der Gang-
lienzellen bei älteren Föten viel leichter nachweisen konnte, als es mir
bei diesem jungen Stadium gelungen ist. Sie erscheinen bei jenen
sowohl wesentlich grösser, als auch viel dunkler gefärbt. Ganz be-
sonders deutlich!) sind sie in der Retina eines Fötus vom Ende
des 6. Monats zu sehen, und es lässt sich hier in jeder Ganglien-
zelle, falls nicht gerade der Dendrit abgeschnitten oder durch einen
Kern einer andern Zelle verdeckt ist, mit Bestimmtheit ein Diplosoma
nachweisen. Ich möchte aber damit nicht behaupten, dass dieser
Grössenunterschied in Wirklichkeit existiert, sondern glaube vielmehr,
dass er nur durch eine verschiedene Intensität der Färbung vor-
getäuscht wird.
Ich gebe hier eine Anzahl Abbildungen von Geanglienzellen
dieses Stadiums (Textfigur 11, Buchst. a bis 5), aus welchen die
Lage und Anordnung der Diplosomen zu ersehen ist. —
Auch hier zeigt sich, wie in den ganz jungen Stadien, dass die
1) Im ausgewachsenen Auge ist nach meinen Erfahrungen der Nachweis
der Diplosomen in den Ganglienzellen der Retina durch die Mitfärbung der
Nisslschen Granula sehr erschwert. (Vgl. m. n. Textfigur 11.)
456 R. Seefelder
Diplosomen in verschiedener Entfernung vom Kerne liegen. Fast
stets sind sie von einem sehr deutlichen hellen Hof umgeben. Ihre
Form ist fast durchgehends rundlich und nur zuweilen eine Spur
lànglich. Zwischen einigen Diplosomen ist eine feine fadenfórmige
Verbindung (Zelle a u. b), die Zentrodesmose, deutlich. nachzuweisen.
Als ein minder wichtiger, aber doch nicht uninteressanter Befund sei
erwühnt, dass die Grósse der Ganglienzellen schon im fótalen Auge
erhebliche Verschiedenheit aufweist, was auch aus den Abbildungen
ohne weiteres zu ersehen ist. Auf diese Frage komme ich noch
zurück.
Die einwandfreie Feststellung von Diplosomen in den Ganglien-
zellen ist in mehrfacher Hinsicht von Interesse.
Vor allem mit Rücksicht auf eine Angabe von Fürst (10),
welcher in den Ganglienzellen von Lachsembryonen keine Diplosomen
zu finden vermochte und, weil er Teilungen in der Ganglienzellen-
schicht nicht gesehen hat, glaubt, dass „die protoplasmatische Verbindung
zwischen den an der Oberfläche!) gelegenen Diplosomen und dem
Kernteil der Zelle auf die eine oder andere Weise abgebrochen ist“.
Wir haben gesehen, dass in der Retina des Menschen beides
nicht zutrifft. Denn erstens kommen dort bis in den 3. fötalen
Lebensmonat hinein sehr zahlreiche Kernteilungen in der Ganglien-
zellenschicht vor, und zweitens enthält jede Ganglienzelle ihr Zentro-
soma. Ich halte auch für unwahrscheinlich, dass sich die Lachsretina
in diesem prinzipiell wichtigen Punkte anders verhält wie die Men-
schenretina, deren Ganglienzellen nach Schreibers und Wenglers (30)
Untersuchungen auch noch später der Mitosenbildung fähig sind.
Was die Lage der Diplosomen in dem Zelleib der Ganglien-
zelle betrifft, so verdient hervorgehoben zu werden, dass sie stets der
freien Zellseite entspricht. Die Ganglienzellen der Retina ver-
halten sich also in dieser Hinsicht ebenso, wie nach van der Strichts
und Helds Untersuchungen die bipolaren Acusticusganglienzellen
der Maus?).
Mit der Entwicklung dendritischer Fortsätze seitens der Neuro-
blasten der Ganglienzellenschicht geht. ein weiterer grosser Fortschritt
1) Gemeint ist damit die Gegend der Membrana limitans externa, wo Fürst
besonders viel Diplosomen gefunden hat.
3, Es ist hier nicht der Ort, auf diese histogenetisch sehr interessante
Tatsache näher einzugehen. Ich verweise in dieser Hinsicht auf Helds
„Entwicklung des Nervengewebes“ S. 60—64, wo diese I'rage eingehend er-
órtert wird.
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 457
in der Ausbildung der Retina einher, nämlich das Auftreten der
inneren plexiformen Schicht. Diese ist in ihren ersten Anfängen
offenbar vorzugsweise ein Kind der jungen Ganglienzellen, deren
mächtige dendritische Verzweigungen Platz beanspruchen und dadurch
zur Entstehung dieser Schicht Veranlassung geben. Figur 12 ver-
anschaulicht das histologische Verhalten der jungen inneren plexi-
formen Schicht in naturgetreuer Weise und zeigt vor allem, dass die
Hauptmasse ihres faserigen Gewebes dendritischen Ursprungs ist.
Selbstverständlich befinden sich auch die Müllerschen Radiärfasern
und möglicherweise auch schon Fortsätze der bipolaren Zellen mit
darunter, doch kann der Anteil der letzteren nicht bedeutend sein.
da sich die beiden Fortsätze der bipolaren Zellen gleichzeitig ent-
wickeln werden, von einem äusseren Fortsatz aber noch keine sicheren
Anzeichen vorhanden sind.
Als weitere wichtige Veränderung dieses Stadiums (65 mm Länge)
erwähne ich endlich eine bereits deutlich in die Augen springende
Dickenabnahme der Ganglienzellenschicht, Sie beweist, dass
die Vermehrung der Ganglienzellen nicht mehr mit dem Wachstum
des Auges in der Weise Schritt hält, wie in den jüngeren Stadien,
wo sie diesem sogar betrüchtlich vorauseilt. Doch findet schon noch
ein gewisser Zuwachs von Ganglienzellen auch in den zentraleren Ab-
schnitten der Retina statt, was einerseits die immer noch sehr zahl-
reichen Mitosenbildungen!) in der Keimzone und in der Ganglien-
zellenschicht selbst, sowie der Umstand erkennen lassen, dass auch
noch in der äusseren Kernzone Kerne vom Aussehen der jungen
Ganglienzellenkerne zu sehen sind, welche offenbar der Ganglienzellen-
schicht zustreben. | |
Die Dickenabnahme der jungen Gauglienzellenschicht geht so
rasch vor sich, dass die Zahl der Kernreihen bei einem 65 mm langen
Embryo an der dicksten Stelle temporal gleich neben dem Sehnerven
statt 20 (bei dem 31 mm langen Embryo) nur noch etwa 12 betrügt.
Und doch erscheint diese Tatsache bei der raschen Grössenzunahnie
des Auges in dieser Zeit nicht weiter verwunderlich. Die Ganglien-
zellen sind eben auf eine entsprechend grössere Fläche verteilt.
Mit aller Deutlichkeit zeigt sich jetzt auch, dass das Wachs-
tum der gesamten Augenanlage nicht in überall gleich-
máüssiger Weise erfolgt. 5o nimmt der Umfang des temporalen
! Die meisten Mitosen werden wohl jetzt zur Vermehrung der Zellen der
äusseren Kernzone dienen, welche in der Entwicklung verhältnismässig weit
zurück ist.
458 R. Seefelder
Augenabschnittes, der bei einem 11,3 mm langen Embryo dem nasalen
an Grösse noch ungefähr gleich kam, gerade im 3. Monat in ganz
überraschendem Masse zu.
Die Hauptwachstumszone liegt temporal gleich hinter dem Aequator
bulbi und ist als solche schon seit langem unter dem Namen „Pro-
tuberantia sclerae“ (v. Ammon) wohlbekannt. Hier offenbart sich die
Fig. 12. N. = Nervenfaserschicht. G. — Ganglienzellenschicht. ti. p. = innere
plexiforme Schicht. ©. k. = innere Körnerschicht. Z. = Zapfenzellen.
Folge des asymmetrischen Wachstums schon für das unbewaffnete
Auge ganz deutlich durch eine auffällige Abweichung des Bulbus
von der Kugelform. Diese Stelle aber mit der Bezeichnung
„Protuberanz“ zu belegen, halte ich für ungerechtfertigt oder zum
mindesten für überflüssig, denn eine eigentliche Hervorragung, die
doch mit dem Begriffe Protuberanz notwendigerweise verbunden ist,
ist sie nicht und kommt im embryonalen und fótalen Auge normaler-
weise niemals vor. Es mag aber sein, dass sie in dem fótalen Ma-
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 459
terial v. Ammons, das offenbar grossenteils ganz ungenügend kon-
serviert war, infolge dieser Eigenschaft deutlicher hervortrat, als in
frisch konservierten fötalen Augen. —
Dieser Hauptwachstumszone entspricht nun eine erhebliche Ver-
dünnung sämtlicher Schichten der Retina und besonders auch
der Ganglienzellenschicht, welche hier nur noch 4—5 Kernreihen auf-
weist. Gegen die starke Dickenabnahme der Retina an dieser Stelle
treten alle übrigen Dickenschwankungen vollständig in den Hinter-
grund. Die Ausdehnung dieser verdünnten Partie ist schon in diesen
jungen Stadien so beträchtlich, dass dadurch allein der Gedanke,
die Verdünnung der Retina könne mit —
der Bildung der Fovea centralis m e e E N
Zusammenhange stehen, im Keime
erstickt werden muss. Auch spricht
schon ihre doch sehr periphere Lage
allein gegen eine solche Auffassung.
Dazu kommt, dass die Retina an ihrer
' Stelle zwar eine höhere Differenzierung
aufweist, als in ihrer grössten Ausdeh-
nung, aber doch weniger hoch diffe-
renziert ist als an einer näher am
Sehnerven gelegenen Stelle, welche tat-
sächlich dem zentralsten Abschnitte der
Netzhaut entspricht.
Mit dem fortschreitenden Wachs- "7
tum des Auges nimmt zunächst auch y;,.13, @. K.— äussere Körnerschicht.
die Ausdehnung dieser besonderen
Wachstumszone zu, später (etwa vom 6. Monat an) ist sie jedoch von
der übrigen Retina nicht mehr zu unterscheiden.
Die Zahl der Kernreihen der Ganglienzellenschicht vermindert
sich. zusehends in der ganzen Retina.
Bei einem Fötus vom Anfange des 5. Monats (grösste Länge
16—18 cm) gestaltet sich das Dickenverhältnis der Ganglienzellen-
schicht an den verschiedenen Netzhautabschnitten etwa folgendermassen:
Nasal vom hinteren Pol bis über den Aequator bulbi hinaus
3—4 Kernreihen. Temporal im Bereiche der Wachstumszone 2—3
Kernreihen, etwas weiter vorne 4—5 Kernreihen. In den peri-
phersten Abschnitten der Retina, welche noch auf einer niedrigeren
Entwicklungsstufe stehen, 7—8 Kernreihen. (Vgl. Texttig. 13.) Tem-
poral hinten gleich neben dem Optikus 3—4 Kernreihen.
460 R. Seefelder
Zwischen dem letzteren Bezirk und der mehrfach erwähnten
Verdünnungszone endlich liegt ein Abschnitt der Retina, welcher
eine besondere Erwähnung verdient. Er unterscheidet sich von
der ganzen Umgebung durch eine auffallende Müchtigkeit der Gaug-
lienzellenschicht, welche an der zentralsten und zugleich dicksten
Stelle 7—8 Kernreihen aufweist und somit hier doppelt so dick ist
als in den benachbarten Netzhautpartien. Diese Dickenzunahme er-
folgt von allen Seiten her ganz allmählich, so dass der ganze Bezirk
im Schnittpräparate als eine Anschwellung der Ganglienzellenschicht
erscheint, welche nach allen Seiten gleichmässig abfällt. Dieser Be-
zirk ist also eigentümlicherweise von der allgemeinen Verdünnung
der Retina lange nicht in dem Masse betroffen worden, wie die
übrigen Netzhautpartien, vor denen er, was die übrigen Schichten
anlangt, obendrein durch einen wesentlich höheren Differenzierungs-
grad ausgezeichnet ist.
Nach seiner ganzen Lage und seinem weiteren entwicklungs-
geschichtlichen Verhalten ist es klar, dass er der Gegend der hier
später auftretenden Fovea centralis entspricht, deren nächste
Umgebung bekanntlich dauernd eine besondere Dicke der Ganglien-
zelenschicht beibehált Die Entwicklung dieser Gegend aber, der
wichtigsten des ganzen Sehorgans, soll in einem besonderen Abschnitte
besprochen werden. —
Die weitere Entwicklung der Ganglienzellenschicht vollzieht sich.
abgesehen von den Besonderheiten des fovealen Bezirkes, in durchaus
gleichmässiger Weise.
Sie besteht in der Hauptsache in einer Verteilung der Zellen
auf den fortwährend sich vergrössernden Flächenraum der Retina.
die in einer entsprechenden Verdünnung der Ganglienzellenschicht zum
Ausdruck kommt. Aber selbst während des ganzen 5. Monats sind
durchwegs noch mindestens 2—3 Kernreihen von Ganglienzellen
nachweisbar. Und im Bereiche der Area centralis ist selbst noch
beim Neugeborenen die Verdickung der Ganglienzellenschicht auf
einen viel grösseren Bereich ausgedehnt als im erwachsenen Organ.
Diese Zone scheint ein besonderes Reservoir von Ganglienzellen zu
sein, von dem der Bedarf an diesen Zellen noch auf lange hinaus
gedeckt werden muss.
Bei einem Fötus von 30cm Länge ist die Ganglienzellenschicht.
von diesem Bezirk abgesehen, bereits im. ganzen Umfange der Retina
auf eine einfache Zellage reduziert. Eine Neubildung von Ganglien-
zellen scheint vom 4. fötalen Monat an nicht mehr stattzufinden.
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 461
Das jüngste Stadium, in welchem ich die sogenannte Nissl-
granula in dem Zelleib der Ganglienzelle entwickelt fand, war ein
Fötus des 8. Monats von 42cm grösster Länge. (Vgl. Textfigur 12.
Abb. 2.) Die Granula zeigten hier bereits die gleiche Anordnung wie
im ausgebildeten Organ, erstreckten sich aber noch nicht bis an den
dendritischen Hauptfortsatz heran. — Auch waren sie noch nicht in
allen Ganglienzellen dieses Fötus nachzuweisen. In den Ganglien-
zellen anderer Föten des gleichen Alters ist:mir dagegen der Nach-
weis der Nisslgranula nicht gelungen. Es kommen also auch in
dieser Hinsicht individuelle Verschiedenheiten vor. Soviel scheint aber
Jedenfalls sicher zu sein, dass die Ausbildung der Nisslgranula den
Schlussakt in dem Reifungsprozesse der Netzhautganglienzelle bildet und
dass sich dieser Akt im allgemeinen erst kurze Zeit vor oder nach der
Vollendung des intrauterinen Lebens abzuspielen pflegt. Weiteres über
die Form- und Gróssenveründerungen der Ganglienzellen siehe Seite 486.
b. Die Entwicklung der beiden Kórnerschichten sowie der beiden
plexiformen Schichten !).
Die beiden sogenannten Körmerschichten gehen selbstverstünd-
lich ebenfalls aus der zunächst für alle drei Kernschichten gemein-
samen Kernzone hervor. Eine sichtbare Differenzierung bzw. Schei-
dung in die beiden Schichten erfolgt jedoch wesentlich später als
die Abzweigung der Ganglienzellenschicht. So ist bei einem 31 mm
langen Embryo, bei welchem die Ausscheidung der Ganglienzellen
his nahe an den Umschlagsrand vorgeschritten ist und am hinteren
Pol einen enormen Grad erreicht hat, in der äusseren Kernzone noch
keine ausgesprochene Schichtung nachzuweisen (Textfigur 10). Doch sehen
deren Kerne nicht mehr so gleichartig aus, wie in den jüngeren Sta-
dien, und es fallen vor allem lange, schmale, intensiv gefärbte Kerne
auf, welche an einem oder beiden Polen zugespitzt sind und mit langen
Protoplasmafortsätzen durch die ganze Dicke der Retina hindurch-
zureichen scheinen. Von diesen Zellen kann es kaum zweifelhaft
sein, dass sie den sogenannten Müllerschen Stützzellen zuzurechnen
sind. Die übrigen Zellen sind alle ziemlich gleich gebaut, fast durch-
wegs von ovaler Form und im allgemeinen dunkler gefärbt wie die
der Ganglienzellenschicht, so dass sich die beiden Kernzonen, trotz-
dem sie überall hart aneinanderstossen, schon bei ganz schwachen Ver-
grósserungen leicht voneinander unterschieden werden können. (Vgl.
1) Siehe hierüber auch das nächste Kapitel: Die Entwicklung der Area
und Fovea centralis retinae.
462 R. Seefelder
Textfigur 10.) — Die Dicke der äusseren Kernzone ist in dieser und
der nächsten Zeit noch durchgehends wesentlich geringer als die der
Ganglienzellenschicht (ungefähr 8 Reihen). Die Vermehrung ihrer
Kerne erfolgt zunächst anscheinend fast, wenn nicht ganz ausschliesslich,
von der Keimzone der Retina her. Innerhalb der äusseren Kernzone selbst
habe ich Mitosen nur ganz ausnahmsweise und auch da nur bei den
jüngeren Stadien gefunden, im Gegensatze zur Ganglienzellenschicht,
welche bis in den 3. Monat hinein regelmässig Mitosen aufweist. —
Fig. 15.
A. — Amakrinen oder innere horizontale Zellen. b. Z. = bipolare Zellen.
ä.h.— äussere horizontale Zellen. ä.p. = äussere plexiforme Schicht.
Die Scheidung in eine äussere und innere Körnerschicht beginnt in
der Weise, dass sich an der äusseren (dem Pigmentepithel zugewendeten)
Seite der Retina gegen das Ende des 3. Monats eine einfache Kern-
bzw. Zellreihe als eine besondere Schicht abhebt, welche der Anlage
der äusseren Körnerschicht entspricht. (Vgl. Textfig. 13.) Die Kerne
dieser Schicht sind im allgemeinen dunkler gefärbt, schmaler und etwas
kleiner als die Kerne der inneren Körnerschicht. | Eine Ausnahme davon
machen dagegen die jungen Zapfenzellen in der Gegend der Area
centralis, welche in dem Kapitel über Zapfenentwicklung, S. 476, genau
beschrieben sind. (Vgl. auch Textfigur 11.)] Eine eigentliche Trennung
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 463
der Körnerschichten ist aber damit noch nicht vollzogen, sondern liegt
vielmehr noch in weiter Ferne. Die Kerne der äusseren Körner-
schicht reichen sogar noch stellenweise mit ihrem inneren Ende zwi-
schen die der inneren Körnerschicht hinein. (Textfigur 13, Abschnitt
aus der Netzhautperipherie eines 13 cm langen Fötus.) Die Dicke
der äusseren Körnerschicht nimmt dann allmählich zu und zwar nicht
an allen Netzhautabschnitten in gleichmässiger Weise. Mit der Dicken-
zunahme der äusseren Körnerschicht geht eine Änderung des Chro-
matingehaltes und der Form ihrer Kerne 1
einher, welche dann rundlich und heller VA A,
erscheinen als die Kerne der inneren Kör- 6 7 le |
nerschicht. Die Zahl der Kernreihen der A Ba"
äusseren Körnerschicht ist schon stellen- |
weise auf 5—6 angewachsen, ehe eine
vollständige Trennung der beiden Körner-
schichten erfolgt. (Vgl. Textfigur 14, Ab-
schnitt aus der nasalen Netzhauthälfte in
der Gegend des hinteren Pols, 5. Monat.)
Dies geschieht erst durch die Ausbil-
dung der äusseren plexiformen
Schicht, welche einer sehr späten
Entwicklungsperiode vorbehalten
ist. Sie beginnt am nasalen hinteren
Augenpol erst gegen das Ende des 5. Mo-
nats und ist selbst am Ende des 7. Mo-
nats noch nicht ganz bis zur Ora serrata Fig. 16.
vorgeschritten.
Die angegebenen Termine gelten aber nicht für die zentralen
und die daran angrenzenden Abschnitte der Retina, wo sich alle Ent-
wicklungsprozesse frühzeitiger abspielen. (Vgl. Textfig. 15 u. 16, welche
aus zentralen Abschnitten der Retina des gleichen Fötus vom 5. Monat
stammen, sowie das Kapitel über die Fovea.)
Aus der Zellmasse der inneren Körnerschicht, deren zellige Ele-
mente anfangs wenig Unterschiede aufweisen, entwickeln sich die ein-
zelnen Unterabteilungen dieser Schicht in der Weise, dass zuerst die
bipolaren Zellen, dann die inneren horizontalen Zellen und zuletzt
die äusseren horizontalen Zellen herausdifferenziert werden. Die
Kerne der Müllerschen Radiärfasern sind, wie schon erwähnt, bereits
vorher als solche zu erkennen. Sie liegen anfangs regellos zwischen
den übrigen Zellen der inneren Körnerschicht verstreut und rücken
464 R. Seefelder
erst im 5. bis 6. Monat an ihre Stelle zwischen den inneren horizon-
talen und bipolaren Zellen ein.
Die bipolaren Zellen heben sich schon sehr frühzeitig als eine
Schicht sehr dunkel gefürbter, ovaler und dicht aufeinandergepresster
Kerne von den übrigen Kernschichten ab. (Vgl. Textfig. 13, 14 u.
16. Auch sie machen im Laufe der Entwicklung eine ganz beträcht-
liche Metamorphose durch, welche in der Hauptsache darin besteht.
dass ihre Form rundlicher. wird, und dass ihr Chromatingehalt eine
Einbusse erleidet. (Vgl. Textfigur 15.) Etwas später (4. Monat), aber
auch nicht an allen Stellen gleichzeitig, treten an ihrer inneren Seite
die inneren horizontalen Zellen oder Amakrinen auf, welche
von der ersteren durch ihre rundliche Form, hellere Färbung un
lockerere und ungleichmässigere Anordnung von Anfang an deutlich
abstechen. Sie bilden zunächst eine einfache Zellreihe, wachsen dann
auf ungefähr 3 Zellreihen an, um sich später wieder auf eine ein-
fache Zellschicht zu verteilen. (Vgl. Textfig. 14—16.) Auch diese
Vorgänge spielen sich in den verschiedenen Netzhautabschnitten zu
sehr verschiedénen Zeiten ab. ]
Die üusseren horizontalen Zellen werden als solche erst
deutlich erkennbar, kurz bevor die Trennung in eine äussere und innere
Körnerschicht vollzogen ist, was, wie gesagt, ausserhalb der zentraleren
Region erst in einer späten Entwicklungsperiode geschieht. (Vgl. Text-
tig. 15 u. 16.)
Ziehen wir schliesslich einen Vergleich zwischen dem Wachstum
der drei grossen Kernschichten der Retina, so fallen hierin in
erster Linie grosse zeitliche Verschiedenheiten in die Augen. So
scheint das Wachstum der Ganglienzellenschicht bereits beendet zu
sein, wenn das der äusseren Kórnerschicht erst beginnt. (Ende 3. Monat.)
Und die innere Körnerschicht nimmt insofern eine Mittelstellung ein,
als sie zu derselben Zeit zwar schon eine erhebliche Dicke (bis zu
12 Kernreihen) aufweist, aber doch noch eines länger währenden Zell-
zuwachses bedarf, um sich auf ihrer bleibenden Höhe (5—6 Kern-
reihen) zu erhalten.
Dazu kommt, dass die äussere Körunerschicht im Bereiche der
Area centralis noch nicht einmal bei der Geburt mehr als eine Kern-
reihe aufweist, was nur dadurch einigermassen wett gemacht wird, dass
die Entfernung der Fovea centralis von der Papille schofim
siebenten fötalen Monat die gleiche istwie im ausgewachsenen
Auge, und somit das Wachstum des Auges in diesem Bezirke be-
reits sehr frühzeitig als abgeschlossen zu betrachten ist.
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 465
Dagegen sind die beiden Körnerschichten ausserhalb dieses Bereiches
auch noch bei der Geburt entschieden viel zellreicher als später, was man
namentlich an der dichten Aufeinanderpressung der Kerne erkennen kann.,
Diesen Beobachtungen steht nun die Tatsache gegenüber, dass in
der Retina schon etwa vom Ende des vierten fötalen Monats an keine
Mitosen mehr zu sehen sind. Es bliebe also die Frage zu beant-
worten, auf welche Weise die Vermehrung dieser Netzhautzellen ge-
schieht, wozu ich ebensowenig im stande bin, als es Fürst nach
seinen Untersuchungen von Lachsembryonen gewesen ist!).
Die Entwicklung der inneren plexiformen Schicht eilt eben-
so wie die der Ganglienzellenschicht der der übrigen Schichten be-
trüchtlich voraus. Sie beginnt, wie jeder Differenzierungsprozess in -
der Retina, zuerst im Bereiche der Area centralis und schreitet von
hier rasch nach allen Seiten fort, so dass sie schon bei einem Fötus
des 4. Monats temporal bis nahe an die Ora serrata und nasal bis
zum Aequator bulbi vorgeschritten ist. Sie dokumentiert sich meines
Erachtens schon durch die rasche Art und Weise ihrer Entwicklung
in "erster Linie als ein Kind. der Ganglienzellenschicht, wührend die
in der Entwicklung etwas nachhinkende innere Körnerschicht erst
etwas später ihren Anteil dazu liefern dürfte. Ein Blick auf die
Textfigur 12 (Area centralis Embryo 65 mm) lehrt auch ohne weiteres,
dass die Hauptmasse ihres faserigen Geflechtes zu dieser Zeit durch
die zahlreichen dendritischen Fortsätze der jungen Ganglienzellen-
schicht gebildet wird, und dass der Anteil der inneren Körnerschicht
in dieser Zeit viel geringer anzuschlagen sein dürfte. Die Amakrinen
oder inneren horizontalen Zellen, welchen W. Müller (28) seinerzeit
die Hauptrolle bei der Entstehung der inneren plexiformen Schicht zu-
geschrieben hat, werden sogar erst einige Zeit nach ihrem ersten Auf-
treten sichtbar, und die Fortsátze der bipolaren Zellen, welche natur-
gemäss ebenfalls an ihrem Aufbau teilnehmen, dürften noch wenig
entwickelt sein, worauf auch das späte Auftreten der äusseren
plexiformen Schicht schliessen lässt, welche selbstverständlich
in gleicher Weise wie die innere nur als ein Produkt der an
sie angrenzenden Körnerschichten bzw. als die Summe von
deren Fortsätzen anzusehen ist?).
!) Nach Rabl(72) reicht die Teilungsfähigkeit der Zellen des Zentral-
nervensystems beim Menschen nicht über den dritten oder vierten Monat seiner
Entwicklung hinaus.
3) Eigentümliche Anschauungen über die erste Entstehung der inneren
plexiformen Schicht beim Hühnchen hat Bellonci (84) geäussert:
mat
466 R. Seefelder
c. Die Entwicklung der Area und Fovea centralis retinae.
Die Entwicklung der beiden Körnerschichten sowie der beiden
plexiformen Schichten ist von mir in einer von meiner bisherigen Dar-
stellungsweise etwas abweichenden summarischen Form abgehandelt
worden, da es meines Erachtens den Leser ermüden würde, wenn ich
den jeweiligen Stand ihrer Entwicklung in jedem einzelnen Stadium
genau schildern wollte. Die wichtigsten Stadien sind ohnehin er-
wühnt und ihr Entwicklungsgrad durch Abbildungen veranschaulicht
worden. — Dazu kommt, dass wir die Entstehungsweise der einzelnen
Schichten in dem jetzigen Kapitel, das die Entwicklung des zentral-
sten Netzhautabschnittes behandelt, ohnehin nochmals und hier mit
genauer Angabe der einzelnen Entwicklungsphasen verfolgen können.
Das Prinzip, welches die ganze Netzhautentwicklung beherrscht, ist ja
gerade hier in erster Linie ausgesprochen, und die Ausbildungsweise
der peripheren Netzhautschichten streng genommen nur ein Abklatsch
von derjenigen, welche im folgenden geschildert werden soll. —
Es ist vor allem das Verdienst von Rabl (73) und Fürst (10),
nachdrücklich darauf hingewiesen zu haben, dass der zentralste Bezirk
der Retina den übrigen Netzhautabschnitten in der Entwicklung be-
trächtlich vorauseilt.
Es war diese Tatsache gewiss auch schon Chievitz (1), Mall (32).
Babuchin (27), Koganei (33) u. A. nicht verborgen geblieben, doch
ist sie von ihnen entweder nicht so ausdrücklich hervorgehoben oder
nicht mit so guten Gründen belegt worden, als es von Rabl(73) und
Fürst(10) geschehen ist. Von Leboucq(11), dessen Arbeit erst
später erschienen ist, wird dieses Verdienst in erster Linie Fürst (10)
zuerkannt, doch geht aus dem Rablschen Satze ,Namentlich die
Stübchenzapfenschicht lässt gut erkennen, wie die Differenzierung vom
Zentrum nach der Peripherie allmählich zunimmt“, auf das deutlichste
hervor, dass sich Rabl(73) über die Tatsache der rascheren Differen-
Nach ihm existiert zu einer gewissen Zeit an der äusseren Seite dieser
Schicht eine Reihe von heller gefärbten Zellen, während die übrigen dunkel
geblieben seien. Diese helleren Zellen gehen nach B. durch fettige Degene-
ration zugrunde, so dass nach dem 12. Tage nichts mehr von ihnen übrig sei.
Aus ihren Zerfallsprodukten soll nun das Material für die innere plexiforme
Schicht hervorgehen, welche nach ihrem Verschwinden zu wachsen beginne.
Später seien wahrscheinlich auch die Zellen der beiden an sie angrenzenden
Schichten an ihrem Aufbau beteiligt. So richtig der letzte Satz ist, ebenso un-
wahrscheinlich ist nach meiner Meinung die erste Entstehung der inneren plexi-
formen Schicht aus degenerierten Zellen, von deren Existenz ich mich zudem
auch beim Hühnchen nicht zu überzeugen vermochte.
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 461
zierung des Netzhautzentrums schon vorher vollstindig klar ge-
wesen Ist. | |
Ich selbst habe für die Richtigkeit dieses Satzes schon bei der Be-
sprechung der Entwicklung der Ganglienzellenschicht einen gewichtigen
Beweis beizubringen vermocht und werde im Folgenden noch eine
Heihe von weiteren Beweisen hinzufügen. :
Die Entwicklung der Fovea bzw. Area centralis des Menschen
ist bis jetzt nur einmal!) dafür aber von Chievitz(1) gleich in einer
so grundlegenden Weise bearbeitet und beschrieben worden, dass auch
meine heutigen Mitteilungen in der Hauptsache nur als eine Erwei-
terung und Ergänzung seiner Befunde gelten können.
Ich erweitere die Chievitzschen Befunde vor allem dahin, dass
ich den Zeitpunkt, in welchem sich der zentrale Netzhautbezirk anatomisch
von der übrigen Retina scharf unterscheidet, in eine viel frühere Ent-
wicklungsperiode verlege. Schon bei einem Embryo von 54 mm grósster
Länge ist im temporalen hinteren Netzhautabschnitte ein ziemlich
scharf umschriebener Bezirk vor der ganzen übrigen Retina durch
eine höhere Differenzierungsstufe ausgezeichnet. Die innere plexiforme
Schicht ist hier allein in einem kleinen Umkreise zur Entwicklung
gelangt und die Abzweigung der äusseren Körnerschicht als eine
einfache Lage von Zapfenzellen ist ebenfalls nur an dieser Stelle zu
konstatieren.
Die Trennung der drei Kernschichten der Retina erfolgt aber,
wie aus den Textfiguren 11 und 15 hervorgeht, in zunächst durchaus
verschiedener Weise. Während nämlich zwischen der Ganglienzellen-
und inneren Körnerschicht von Anfang an ein wohlausgeprägtes Fasersystem,
die innere plexiforme Schicht, vorhanden ist, ist dies zwischen den beiden
Körnerschichten noch geraume Zeit nicht der Fall.
Zwischen diesen beiden Schichten ist anfangs lediglich ein heller, von
den Müllerschen Radiärfasern durchzogener Saum nachzuweisen, eine eigent-
liche äussere plexiforme Schicht dagegen noch nicht entwickelt. — Dies
äussert sich namentlich auch darin, dass die Breite dieses Zwischenraums
selbst in den nächsten Monaten nur ganz unwesentlich zunimmt, wogegen
die innere plexiforme Schicht schon in den nächsten Wochen eine be-
deutende Mächtigkeit erreicht. Man kann also wohl sagen, dass sich
beim Menschen die Scheidung der drei Kernschichten der
Retina an der zentralsten Stelle des Auges ungefähr zu gleicher
Zeit vollzieht, aber nicht, dass die Entwicklung der inneren
plexiformen Schicht mit der der äusseren zeitlich zusammen-
1) Eine kurze Darstellung der Entstehungsweise der Fovea centralis retinae
habe ich vor kurzem nach einem Vortrage in der Leipziger mediz. Ges. in den
Fortschritten der Medizin Nr, 13, 1909 veröffentlicht.
v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXIII, 3. 31
468 R. Seefelder
fällt. In ganz übereinstimmender Weise hat sich darüber Kupfer (80) in
seiner Arbeit über die Entwicklung der Retina des Fischauges (Esox lusius
und Blennius viyiparus) ausgesprochen.
In der nächstanschliessenden Zeit schreitet die Scheidung der drei Kern-
zonen von dem Netzhautzentrum nach allen Seiten rasch fort. Hierin eilt
aber die Trennung der Ganglienzellen- und inneren Körnerschicht der der
beiden Kórnerschichten weit voraus. Auch ist sie schon lange auch auf
der nasalen Seite eingeleitet, wenn die Trennung der beiden Körnerschichten
noch auf den zentraleren Netzhautbezirk beschränkt ist. Hier greift aber
auch sie ziemlich rasch um sich und sie ist z. B. bei einem 65 mm langen
Embryo schon viel weiter ausgedehnt als bei einem 54mm langen usw.
Bis in den 4. fötalen Lebensmonat hinein bildet die ganze abgegrenzte
äussere Körnerschicht, welche um diese Zeit schon ein ganz ansehnliches
Areal einnimmt, nur eine einfache Zellage. Bei älteren Föten (5. Monat)
nimmt sie dagegen im weiteren Umkreise nach allen Seiten allmählich an
Dicke zu und wächst schliesslich bis auf vier und fünf Kernreihen an.
Je dieker aber die äussere Körnerschicht wird, um so schmaler wird
der zwischen den beiden Körnerschichten befindliche Spaltraum, bis er zu-
letzt ganz verschwindet, so dass jene unmittelbar aneinanderstossen.
Die Trennung der beiden Körnerschichten in der Peripherie erfolgt
eben in der Weise, dass sich dort gleich die ganze Zellmasse der äusseren
Körnerschicht auf einmal abzweigt, was aber erst sehr spät geschieht. Sie
unterscheidet sich dadurch ziemlich beträchtlich von der Art der Trennung
im Zentrum der Retina, wo das Anwachsen der äusseren Körnerschicht
auf mehrere Kernreihen erst lange Zeit nach ihrer Abzweigung erfolgt.
(Vgl. die Textfiguren 12 und 15 mit den Textfiguren 13 und 14.)
Auch im weiteren Entwicklungsverlaufe bleibt das Prinzip der
höheren und rascheren Differenzierung dieses Bezirkes zunächst strikte
gewahrt. So sind hier in der inneren Körnerschicht schon am Anfange
des 4. Monats sämtliche Schichten herausdiflerenziert, wührend die
peripheren und nasalen Netzhautpartien noch viel weiter zurückge-
blieben sind, und bei diesen auch die Trennung in eine äussere und
innere Körnerschicht noch nicht definitiv vollzogen ist: Im 4. Monat
(bei Föten von 15—1Scm Länge) entwickelt sich die eigent-
liche Area centralis, das Analogon der Area centralis verschiedener
Tiere, dadurch gekennzeichnet, dass die Ganglienzellenschicht hier
eine grössere Mächtigkeit aufweist als in der Umgebung, während
eine grubenförmige Vertiefung, die Fovea centralis, noch fehlt. Es ist
bekannt, dass dieses Phänomen nicht durch eine nachträgliche Wuche-
rung der Ganglienzellen an dieser Stelle, sondern dadurch erzeugt
wird, dass die Abnahme der anfangs so mächtigen Ganglienzellen-
schicht an dieser Stelle in einer gewissen Periode Halt macht.
Im 5. Monat gesellt sich hierzu eine weitere Eigentümlichkeit
dieser Region, welche darin besteht, dass die inneren horizontalen
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 469,
Zellen (die Amakrinen) von den Kernen der Müllerschen Radiär-
fasern, denen sie vorher unmittelbar angelegen haben, abrücken, wo-
durch zwischen beiden ein zunächst kleiner kernloser Zwischenraum
entsteht, welcher durch schräg verlaufende Fasern (Müllersche Stütz-
fasern) durchzogen wird.
Die Breite dieser kernlosen Schicht, deren Fasern die bekannten
Merkmale der weichen protoplasmatischen Gliafasern zur Schau tragen
und auch mit den Kernen der Müllerschen Radiärfasern unmittelbar
zusammenhängen, nimmt im Laufe der nächsten Zeit rasch zu. Sie
ist am Ende des 6. Monats schon bei ganz schwacher Lupen-
vergrösserung zu sehen, nimmt bis in den 8. Monat hinein nament-
lich in bezug auf Breite noch fortwährend zu, von da an ganz all-
mählich ab, ist aber selbst noch im Neugeborenenauge deutlich
nachzuweisen. Eine Andeutung von ihr findet sich sogar noch in
Augen von 4 Monate alten Kindern. Ihre flächenhafte Ausbreitung
erstreckt sich ziemlich weit über die Fovea hinaus, ihre Dicke ist am
geringsten im Grunde der Fovea, nimmt von da an nach allen Seiten
allmáhlich zu und dann wieder weiter nach der Peripherie hin ebenso
allmählich ab. Durch das Auffällige ihrer Erscheinung verleiht sie der
fötalen Fovea bzw. Area centralis ein ganz eigenartiges Gepräge. Ihre
physiologische Bedeutung ist völlig unklar. Sie hat von Chievitz,
da sie nur von vorübergehendem Bestand ist, den Namen „transi-
torische Faserschicht“ erhalten.
Die ersten Anzeichen einer Fovea centralis sind erst
gegen das Ende des 6. fötalen Monats nachzuweisen.
So finde ich bei einem 30cm langen Fötus noch keine, dagegen
bei einem 34 cm langen Fötus eine deutliche grübchenförmige Vertiefung
im Zentrum der Area, welche teils durch eine Reduktion, teils durch eine
Ausbiegung der Ganglienzellenschicht nach hinten hervorgerufen ist.
Die Ausdehnung dieser jungen Fovea ist, wie ein Blick auf die
Textabbildung Nr. 2 meiner Arbeit über Aniridie im LXX. Bande
dieses Archivs lehrt, noch sehr gering, nimmt aber sehr rasch zu, so
dass sie schon im 8. Monate die der ausgebildeten Fovea erreicht.
Die Grube selbst ist zwar noch sehr flach, nähert sich aber auch in
bezug auf ihre Form der des erwachsenen Organs. Im Grunde der
Fovea sind nur noch zwei Lagen von Ganglienzellen nachweisbar. Die
Entfernung der Fovea von der Papille ist schon im fótalen
Auge so gross wie im ausgewachsenen Organ.
Bei Fóten des 9. Monats (45 cm Länge) sind in dem anatomischen
Verhalten der Area centralis keine merkliche Anderungen festzustellen.
31”
410 R. Seefelder
In meinen bisherigen Ausführungen wird man mit Recht die
Schilderung desjenigen Anteils des zentralen Netzhautbezirkes ver-
missen, welcher das hervorragendste Interesse beanspruchen kann.
nämlich die des lichtperzipierenden Apparates, der hier be-
kanntlich nur aus Zapfen besteht. Ich habe sie bis jetzt aufgeschoben.
da ich sein Verhalten von dem ersten Auftreten an bis zur Geburt
im Zusammenhang beschreiben wollte. (Siehe auch das nüchste Ka-
pitel: Die Entwicklung der Zapfen und Stäbchen.)
Schon bei Gelegenheit der Zapfenbeschreibung im allgemeinen
habe ich betont, dass schon die jüngsten Zentralzapfen an ihrer freien
Seite mit einem breiten in die Limitans externa eingefügten Proto-
plasmaleib ausgestattet sind, welcher der ersten Anlage des Innen-
glieds entspricht. Dieser Entwicklungsgrad ist schon bei Embryonen
von 54mm aufwärts, aber nur im Zentrum der Retina, ausgebildet,
so dass man Chievitz darin beipflichten kann, dass die Zapfen-
entwicklung von diesem Bezirke ausgeht. Wider alles Erwarten
geht aber die weitere Zapfenentwicklung an dieser Stelle nicht nur
sehr langsam vor sich, sondern bleibt sogar während des ganzen
fütalen Lebens und darüber hinaus hinter der der angrenzenden und
selbst der weiter entfernten Netzhautpartien zurück. Zunächst muss
auffallen, dass die äussere Körnerschicht hier während des
ganzen fötalen Lebens nur eine einzige Kernreihe aufweist,
ein Zustand, welcher bekanntlich selbst noch im Neugeborenenauge
zu konstatieren ist.
Dazu kommt die ungemein langsame Ausbildung der Zapfen-
zellen selbst. Diese sind an der zentralsten Stelle selbst bei einem
Fötus des 7. Monats noch so rudimentär entwickelt, dass die Innen-
glieder kaum über das Niveau der Membrana limitans externa her-
vorragen und die Aussenglieder eben nur als ein von einem Diplo-
somen ausgehender äusserst feiner Faden wahrnehmbar sind. Die
hasale Zellseite wird noch von einem äusserst blassen, kaum sicht-
baren Protoplasma eingenommen, welches noch keine Struktur einer
Zapfenfaser erkennen lässt. Die ganzen Zapfenzellen sind also noch
ungemein plumpe und unfertige Gebilde, deren Form mehr an die
eines eylindrischen Epithels als an die der ausgebildeten Zellen erinnert.
Wenn wir uns aber ein wenig von der Fovea entfernen, dann
tritt iminer deutlicher die bleibende Zapfenform zutage, die Innen-
glieder werden schlanker, länger und ihre Form geschwungener, und
die Aussenglieder sind auch schon mit schwächeren Vergrösserungen
deutlich sichtbar und wesentlich länger als im Grunde der Fovea.
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 471
Der Übergang bis zu diesen schon sehr weit ausgebildeten Elementen
vollzieht sich ganz allmählich und ist auf dem Wege von dem Zen-
trum der Fovea nach der Peripherie Schritt für Schritt zu verfolgen.
Es ist aber zu betonen, dass die bestausgebildeten Zapfen zu-
nächst immerhin noch im engeren Umkreise der Fovea centralis liegen,
so dass die von mir gewählte Bezeichnung „Peripherie“ nur eine
relative Berechtigung besitzt. An und für sich gehört dieser Be-
zirk schon noch zu den zentraleren, wenn auch nicht zu dem zen-
tralsten Abschnitte der Retina.
Um meine Schildernng auch mit Zahlenangaben stützen zu können,
habe ich Messungen der Dicke und Höhe der Zapfen an verschiedenen
Stellen des Auges sowie bei verschiedenen Stadien angestellt. Danach
beträgt die Dicke eines Zapfens in der Fovea eines 34 cm langen Fótus
8,5 bis 9 u, in dem parazentralen Bezirke, dort, wo die ersten Stäb-
chen zwischen den Zapfen erscheinen, 5,1# und nasal gleich neben
dem Optikus sogar nur 3,£ v. Wie wir gleich sehen werden, ist es
eigentümlicherweise auch noch im 8. Monat der nasale hintere Pol,
der die am besten ausgebildeten (id est feinsten und hóchsten) Zapfen
aufweist. Die Dicke des Zapfeninnengliedes beträgt hier ebenfalls
nur 3,4 und die Höhe dieser Zapfen (22 u) übertrifft die an allen
übrigen Stellen der Retina ganz beträchtlich. Es ist also ganz evi-
dent, so merkwürdig dies auch anmuten mag, dass das Sinnes-
epithel an der hochwertigsten Netzhautstelle noch zu einer
Zeit eine ganz rudimentäre Entwicklung aufweist, in welcher
es an minderwertigeren Abschnitten bereits eine ziemlich
hohe Entwicklungsstufe erreicht hat!) Damit ist eine grosse
und sehr eigentümliche Ausnahme von der sonst strikte durchgeführten
Regel gegeben, dass die Differenzierung des zentralsten Netzhautbezirkes
der der übrigen Retina vorauseilt. Diese Regel wird sogar noch, wie
wir gesehen haben, bis zu einem gewissen Entwicklungsstadium der
Zapfen selbst eingehalten, dann aber tritt der beschriebene unerklär-
liche temporäre Stillstand in der weiteren Entwicklung ein.
Man könnte sich angesichts dieser schwer verständlichen Tat-
sache leicht zu der Hypothese verleiten lassen, dass es zur Erreichung
dieser höchsten Difierenzierungsstufe des direkten funktionellen Reizes
selbst bedarf, wenn dem nicht der Umstand entgegenstände, dass das
Neuroepithel an minderwertigeren Netzhautpartien schon vor ihrer
1) Es ist interessant, dass sich niedere Tiere, z. B. das Axolotl, in dieser
Hinsicht anders verhalten, insofern sich bei ihnen auch das Sinnesepithel im
Zentrum der Retina viel rascher entwickelt als in der Peripherie (Rabl 73\.
472 R. Seefelder
funktionellen Inanspruchnahme eine viel weiter vorgeschrittene Difie-
renzierung aufweist als im Bereiche der Fovea.
Dass aber der funktionelle Reiz dabei wenigstens eine gewisse
Rolle spielt, scheint mir trotzdem sehr wahrscheinlich, besonders auch
im Hinblicke auf die bekannte zuerst von Flechsig (85), später
von Bernheimer (79) sowie Ambronn und Held(86) festgestellte
Tatsache, dass die Markscheidenbildung im Sehnerven unter dem
Einflusse des Lichtreizes eine entschiedene Beschleuniguug er-
fährt. — mE
Im Auge des Neugeborenen ist die Fovea centralis bereits
als eine tiefe und geräumige Grube angelegt. Die Ganglienzellen-
schicht ist im Grunde der Grube nur noch als eine einfache, aber
lückenlose Zellreihe nachzuweisen. Die innere plexiforme Schicht und
die äussere Körnerschicht sind hier zwar schmäler als in der Um-
gebung, aber beide noch als selbständige Schichten vorhanden. Die
transitorische Faserschicht fehlt nur im Grunde der Fovea. Die
Zapfenkerne bilden nach wie vor eine einfache Zellreihe und die
Zapfen sind immer noch kurze, plumpe Gebilde, wenn auch insofern
ein Fortschritt in der Entwicklung zu konstatieren ist, als die Aussen-
glieder jetzt stärker hervortreten und die Zapfenfasern zu langen
schlanken Gebilden ausgewachsen sind. Die Henlesche Faserschicht
tritt eigentlich erst damit wirklich deutlich in Erscheinung, wenn sie
auch schon früher angelegt ist.
Die Fovea des Neugeborenen ist also, wie auch schon v. Hippel (8)
und Wolfrum (63) betont haben, noch auf einer sehr niedrigen Ent-
wicklungsstufe, ganz besonders was die Entwicklung des lichtperzi-
pierenden Apparates, der Zapfen, betrifft, und die physiologische
Minderwertigkeit der Neugeborenen-Fovea, die sich dem Praktiker
durch das Fehlen der zentralen Fixation kundgibt, durch ihre ana-
tomische Beschaffenheit in ausreichendem Masse erklärt.
Auch bei einem 8 Wochen alten Kinde ist die Entwicklung der
Fovea noch lange nicht abgeschlossen. So sind in ihr noch sämtliche
Schichten nachweisbar, die Zentralzapfen zwar etwas länger und
schlanker und die äussere Körnerschicht etwas dicker (2—3reihig)
als in der nächsten Umgebung, aber alles noch weit entfernt von den
Ausbildungsgrade im erwachsenen Organ. Es kann also nach dem
anatomischen Befunde auch zu dieser Zeit von einer physiologischen
Uberlegenheit der Fovea noch keine Rede sein. Auch dieser Befund
deckt sich mit der praktischen Erfahrung. dass Kinder dieses Alters
noch nicht zielbewusst zu fixieren pflegen. Eine auffallend mächtige
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 473
Entwicklung zeigt in diesem Stadium die Henlesche Faserschicht
sowohl im Grunde der Fovea als in ihrer nächsten Umgebung. —
Bei 3—4 Monate alten Kindern ist endlich die spezifische Ent-
wicklungsstufe erreicht, durch welche die fertige Fovea vor der ganzen
übrigen Retina ausgezeichnet ist. Die Zentralzapfen sind länger und.
feiner als in der ganzen übrigen Retina, und wir finden als Ausdruck
dafür, dass ihre Zahl in der gleichen Raumeinheit grösser geworden
ist, die äussere Körnerschicht im Grunde der Fovea noch etwas
dicker als vorhin. Es; ist dies auch das jüngste Stadium, in welchem
ich eine deutliche sog. Fovea externa gefunden habe, deren Bildung
bekanntlich durch die besondere Länge der Zentralzapfen bedingt ist.
Ein weiterer Fortschritt in der Entwicklung dieser Region besteht
darin, dass) die Ganglienzellen- fund innere Körnerschicht zu einer
einzigen Zellage zu verschmelzen beginnen, und dass die sog. transi-
torische Faserschicht nur noch in geringen Spuren nachweisbar ist. —
Immerhin ist der Unterschied zwischen dieser und einer ausge-
bildeten Fovea noch sehr erheblich, jedoch damit zu rechnen, dass im
weiteren Entwicklungsverlaufe nach Fritschs (34) verdienstvollen
Untersuchungen auch mit individuellen Verschiedenheiten zu. rechnen
ist. Dies gilt bekanntlich besonders in bezug auf die Feinheit der
Zentralzapfen, welche den Grad der Sehschärfe bestimmt und nach
Fritsch (34) grossen individuellen Schwankungen unterworfen ist.
Die Verschiedenheit der Feinheit der Zentralzapfen ist entschieden
von der grössten Bedeutung für das Verständnis der so stark variierenden
Grade der zentralen Sehschürfe. Und, wenn wir den ganzen Ent-
wicklungsgang dieser Region nochmals überschauen, dann erscheint
uns sogar leicht verständlich, dass durch einen sehr frühzeitigen Still-
stand in der Zapfenentwicklung allein eine höhergradige Amblyopie
bedingt sein kann. !Dieser Umstand dürfte namentlich da-
durch von einer gewissen klinischen Bedeutung sein, dass
eine Fovea ophthalmoskopisch vóllig normal erscheinen
und doch eine rudimentüre Entwicklung ihres lichtperzi-
pierenden Apparates aufweisen kann. Liegt da nicht die Ver-
mutung!) nahe, dass ein grosser Teil der sog. Amblyopien ohne
ophthalmoskopischen Befund auf eine solche rudimentäre
!j Als ein Beispiel für ihre Berechtigung möchte ich eine von mir wiederholt
gemachte Erfahrung, mit welcher ich sicher nicht allein dastehe, erwähnen, näm-
lich, dass Personen mit angeborenem Totalstar auch nach gut gelungener Operation
und mit bester Korrektion trotz jahrelangen angestrengten Gebrauchs ihrer Augen
häufig nicht über ein bescheidenes Mass von Sehvermögen hinauskommen. Es steht
474 R. Seefelder
Entwicklung der Zapfen zurückzuführen sei? Wir sind ja leider
bezüglich der anatomischen Grundlage von kongenitalen Amblyopien
bis jetzt fast ausschliesslich auf Vermutungen angewiesen, wenn wir
von den beiden Füllen [(Fritsch 34) und mein Fall von Aniridie (35)]
absehen, in welchen die Ursache der Amblyopie durch das Ausbleiben
einer Entwicklung der Fovea zu begründen war.
Diese Befunde bringen mich auf die interessante Frage, die ich
seinerzeit nicht angeschnitten habe, ob anzunehmen ist, dass zwischen
der Sehschürfe der mit einer Area centralis ohne Foveabildung und
der mit einer Fovea ausgestatteten Tiere ein prinzipieller Unterschied
besteht.
Es ist selbstverständlich nicht leicht, darauf eine präcise Antwort
zu erteilen, da vergleichende Sehschärfebestimmungen aus einem leicht
begreiflichen Grunde kaum ausführbar sind. Wir sind also hauptsächlich
auf Vermutungen angewiesen, welche sich ausschliesslich auf gewisse
Beobachtungen der Lebensweise der betreffenden Tiere gründen.
Rabl (73) äussert sich darüber ziemlich bestimmt mit folgenden
Worten: |
,Es ist überhaupt ganz irrig, wenn zuweilen gesagt wird, dass die
niederen Säugetiere, vor allem die jagdbaren Tiere, „besser sehen“ als wir.
Man muss eben auch hier wieder zwischen Formensehen und Bewegungs-
sehen unterscheiden. In letzterer Hinsicht mögen uns vielleicht manche
mir dabei besonders deutlich eine Familie vor Augen, in welcher schon 3 Genera-
tionen hindurch angeborener Star vorgekommen war. Der Grossvater hatte den
Star auf die Mutter vererbt, die Mutter ist vor vielen Jahren und ihre
7 Kinder sind in den letzten Jahren hier operiert worden. Die Mutter be-
sass mit starken Konvexgläsern, welche sie übrigens für gewöhnlich nicht trug,
eine Sehschärfe von ungefähr ®,,. Von den Kindern hat jedoch kein ein-
ziges eine solche Sehschärfe erreicht, dass ihm die Aufnahme in eine Blinden-
anstalt erspart werden konnte. Von ähnlichen, wenn auch mit etwas besserem
Erfolge operierten Fällen kenne ich eine ganze Reihe. Da bei ihnen der
Grund der Sehschwäche nicht in den brechenden Medien gelegen sein kann,
liegt es wohl am nächsten, ihn in der Netzhaut zu suchen. Es scheint mir
wahrscheinlich, dass es sich in solchen Fällen um eine ungenügende Entwicklung
der Retina und zwar in erster Linie ihres lichtperzipierenden Apparates handelt,
welche vielleicht nur auf die zentralsten Netzhautpartien beschränkt sein wird.
Ich erinnere hier nochmals an die bekannte Sehschwäche der Augen mit ange-
borener Aniridie und an die Häufigkeit der Kombination dieser Missbildung mit
Watarakt. Inwieweit bei dieser angenommenen Aplasie des Sinnesepithels der Um-
stand eine Rolle spielt, dass bei angeborener Totalkatarakt der natürliche funk-
tionelle Reiz gerade in der ersten Lebensperiode, in welcher sich die volle Ent-
wicklung des Sinnesepithels vollzieht, nicht in entsprechender Weise zur Geltung
kommt, dürfte wohl zu erwägen, aber nicht zu entscheiden sein.
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 475
Säugetiere überlegen sein; in ersterer sind wir und die Affen ihnen sicher
sehr weit überlegen. Dies scheint mir schon aus der anatomischen Tat-
sache hervorzugehen, dass unter den Säugetieren nur der Mensch und die
Affen eine Fovea centralis besitzen, dass diese aber allen andern Säuge-
tieren, und also auch den jagdbaren Tieren, vollständig fehlt. Die Fovea
centralis brauchen wir zum Formensehen, eine blosse Area centralis hat
anatomisch und physiologisch wesentlich nur die Bedeutung der Netzhaut-
peripherie.“
Dass die Tiere ohne eine Fovea centralis eine geringere Seh-
schürfe besitzen, scheint auch mir ausser Zweifel zu sein. So ist mir
von gut beobachtenden Hundebesitzern, zumal von Jügern, überein-
stimmend versichert worden, dass die Hunde ,schlecht sehen* und es
scheint, dass der ausserordentlich hoch entwickelte Geruchssinn dieser
Tiere die Mängel des Gesichtssinns auszugleichen habe. Und vom
Pferde, dem vielfach eine ausgezeichnete Sehschärfe zugeschrieben
wird, scheint mir dies durchaus nicht erwiesen zu sein. Wenigstens
spricht die Neigung sehr vieler Pferde, vor jedem hellen oder durch
den Wind bewegten Gegenstand zu scheuen, sehr dafür, dass das
Formunterscheidungsvermógen dieser Tiere mangelhaft ist. Und vielleicht
geschieht dem Pferde damit ein Unrecht, dass ihm dieses Scheuen vor
ganz harmlosen Objekten vielfach als ein Mangel an Intelligenz ausgelegt
wird. Anderseits sind Formensehen und Fehlen einer Fovea centralis
doch wohl keine Begriffe, welche sich gegenseitig vollständig aus-
schliessen. Bei den Tieren wird man ja darüber schwerlich ein be-
stimmtes Urteil füllen können, aber dem Kliniker ist wohlbekannt,
dass der Verlust des zentralen Sehens nicht auch den des Formen-
sinns zur Folge hat. Immerhin dürfte ausser Zweifel sein, dass die
Fovea centralis eine wesentlich höhere Ditterenzierungsstufe der Retina
darstellt als die blosse Area centralis, wofür mir auch ihr spätes Auf-
treten im Verlaufe der Entwicklung zu sprechen scheint.
d. Die Entwicklung der Zapfen und Stäbchen.
Das Studium der Entwicklung der Zapfen und Stäbchen hat
einen so vorzüglichen Konservierungsgrad der Retina zur Voraus-
setzung, wie ihn menschliche Embryonen und Föten nur ausnahms-
weise besitzen dürften.
Dies wird wohl auch der Grund sein, warum diese Frage bis
jetzt fast ausschliesslich an Tieren studiert worden ist.
Uber die Stäbchen- und Zapfenentwicklung beim Menschen
liegt. meines. Wissens nur von Falchi (3) und Chievitz (1) eine
etwas ausführlichere Mitteilung. vor, doch scheint Chievitzs (1)
416 R. Seefelder
Material nicht allen Ansprüchen in bezug auf Konservierung ent-
sprochen zu haben, da er manche Befunde als normale Erschei-
nungen beschreibt, die ich nach meinen Erfahrungen als kadaveróse
oder zum mindesten artifizielle Veränderungen ansehen muss. Dazu
rechne ich z. B. die von ihm (S. 210) beschriebenen Höcker,
welche gegen den Augenhintergrund miteinander zusammenhängen
und einen nach aussen gezähnelten Saum bilden sollen. Ich habe
solche Veränderungen, welche an die Chievitzsche (1) Beschreibung
erinnerten, nur in nicht ganz einwandsfrei konservierten Netzhäuten
gefunden. Überhaupt enthält diese Beschreibung Chievitzs (1)
mancherlei Unklarheiten, was eben sicherlich darauf zurückzuführen
ist, dass ihm selbst keine klaren Bilder vorgelegen haben. Auch wird
von Chievitz (1) der Termin, in welchem sich die ersten Anlagen
der Zapfen zeigen sollen, in eine viel zu späte Periode, nämlich in
die 17. Woche, verlegt. Dagegen ist seine Angabe, dass die ersten
Zapfenanlagen in der Gegend der Macula lutea auftreten, vollkommen
zutreffend.
Falchis (3) Beschreibung scheint sich ausschliesslich auf das Unter-
suchungsresultat eines 21,5 cm langen Fötus zu stützen. Nie ist so
kompliziert und von der meinigen so grundverschieden, dass sich nicht
einmal ein Vergleich mit meinen Resultaten durchführen lässt.
Ich selbst bin in der glücklichen Lage, eine Anzahl von
Präparaten zu besitzen, in welchen wenigstens die Entwicklung der
Zapfen von den ersten Anfingen bis zur höchsten Vollendung gut ver-
folgt werden kann. Der Zeitraum, in welchem sich dieser Entwick-
lungsprozess vollzieht, ist, wie wir schen werden, sehr lang und beginnt
viel früher, als bis jetzt allgemein angenommen worden ist!).
Ich wende mich zunächst zur Entwicklung der Zapfen, welche
wesentlich bequemer und zuverlässiger studiert werden kann, als die
Stäbchenentwicklung, da in der Retina schon frühzeitig eine Stelle
herausdifferenziert ist, in welcher nur Zapfen zur Entwicklung ge-
langen, nämlich die Gegend der Area bzw. Fovea centralis. —
An dieser Stelle und in ihrer nächsten Umgebung sehen wir be-
reits bei Embryonen von 50—70 mm grösster Länge (9.—10.
Woche) an der Aussenseite der Retina eine einfache Zellage abge-
zweigt, deren Elemente unverkennbare Merkmale von jungen Zapfen-
zellen zur Schau tragen. (Vgl. Textfig. 12, 17 u. 18.)
Ihr hervorstechendstes Merkmal besteht in dem Vorhandensein
1) Dieser Satz bezieht sich vorzugsweise auf die Gegend der Area centralis.
= E
Beitrige zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 477
eines breiten, mit guten Protoplasmafärbungen (Held oder Heiden-
hain) intensiv gefärbten Protoplasmaleibes an der freien Zellseite,
welcher in die Limitans externa mit breiter Basis eingefügt ist. Die
Höhe dieses Protoplasmaleibs ist bei den verschiedenen Zellen ziem-
lichen Schwankungen unterworfen. Bei den jüngsten, welche durch
ihre eigentümliche Kernformation leicht als solche erkennbar sind, ist
nur ein ganz schmaler Protoplasmasaum nachweisbar. (Vgl. Textfigur 19.)
Die Kerne dieser jungen Zellen sind sehr dunkel tingiert, kleiner
als die älteren Kerne, und weisen an ihrer der Limitans externa
zugewendeten Seite eine tiefe Eindellung auf. Sie liegen an-
fangs stets paarweise unmittelbar nebeneinander und verraten auch da-
durch, dass sie eben aus einer Mitose hervorgegangen sind. Die älteren
Zellen (Textfig.17)besitzen einen runden Kern und man kann gewöhnlich in
einem einzigen Schnitte dieser Gegend alle Übergänge von den ein-
gedellten bis zu den runden Kernen beobachten (Textfig. 18). Die Ursache
dieser eigentümlichen Kerneindellung habe ich nicht aufzudecken ver-
mocht, da mir eine deutliche Färbung des Centrosomas und der Pol-
strahlung, womit sie jedenfalls in Zusammenhang zu bringen ist, nicht
gelungen ist. Ich darf aber darauf hinweisen, dass Rabl (36) die
gleichen Kernveränderungen in der Epidermis der Urodelen beobachtet
und als deren Ursache in der Kerndelle das Centrosoma mit der
Polstrahlung gefunden hat. Ich zweifle nicht daran, dass bei den
Zapfenkernen die gleiche Ursache in Frage kommt.
Bei den älteren Zapfenzellen ist der Kern von der Limitans ex-
terna abgerückt und der Protoplasmaleib entsprechend höher geworden
(Textfig. 17). Die Breite des letzteren entspricht etwa der des Kerns
und übertrifft sie sogar noch meist an der Stelle, wo das Proto-
plasma in die Limitans, eingefügt ist. Die ganze) junge Zapfenzelle
besitzt also eine sehr plumpe, gedrungene Form.
Das Centrosoma ist, wie erwiühnt, in den betreffenden Prüpa-
raten nicht so deutlich gefärbt, dass ich darüber bestimmte Angaben
machen kónnte. Wo ich es zu sehen glaube, befindet es' sich als
ein Diplosoma in nüchster Nühe der Limitans externa, welche im
Querschnitt als eine leicht gewellte homogene Membran sehr deut-
lich sichtbar ist und noch an keiner Stelle unterbrochen!) zu sein
scheint. —
An der inneren (basalen) Zellseite gelingt es kaum, eine Proto-
1) Tatsächlich ist sie nach den Untersuchungen von Leboucq (11) schon von
Anfang an eine gefensterte Membran, was aber nur in Tangentialschnitten ein-
wandfrei nachzuweisen ist.
418 R. Seefelder
plasmahülle nachzuweisen, und es scheint die Kernmembran an dieser
Stelle gleichzeitig die Zellgrenze zu bilden.
Die Lagerung der jungen Zapfenzellen ist zunächst noch etwas
unregelmässig und besonders die Abstände der Zellen voneinander
sind, abgesehen von den ganz jungen, paarweise angeordneten Elemen-
ten, im allgemeinen grösser und ungleicher als in älteren Stadien. Die
spätere so regelmässige epitheliale Anordnung ist aber doch schon zu
dieser Zeit angedeutet.
Die weitere Entwicklung der Zapfenzelle lehrt nun in überzeu-
gender Weise, dass der Protoplasmaleib an der freien Seite des Zapfen-
kerns bereits als die erste Anlage des Zapfeninnenglieds anzusehen ist,
und es ergibt sich daraus die bemerkenswerte Schlussfolgerung, zu
welcher auch Cajal (42) durch Untersuchungen an neugeborenen
Katzen gekommen ist, dass die erste Differenzierung der Zapfenzelle
an der freien Seite einsetzt, und dass die Entwicklung des basalen
Zellfortsatzes, der Zapfenfaser, erst später erfolgt. Damit ist ein
prinzipieller Unterschied zwischen den Zapfenzellen und den übrigen
nervösen Elementen der Netzhaut gegeben und ihre Stellung als „be-
sondere Zellen“, welche ihnen Greeff eingeräumt hat, hinreichend
dokumentiert.
Durch meine Ergebnisse bestätigt sich auch die von Chievitz (1)
betonte Tatsache, dass die Zapfenentwicklung zuerst in der zentral-
sten Zone der Retina auftritt, und man kann Chievitz wohl darın
beipflichten, dass die Entwicklung der Zapfen von diesem Bezirke
ausgeht.
In der folgenden Entwicklungsperiode tritt. der epitheliale Cha-
rakter der Zapfenzellen immer deutlicher in die Erscheinung. Die
Zapfenzellen ordnen sich zu einer dichtgeschlossenen Zellreihe. von
einer wunderbaren Regelmüssigkeit der Anordnung, von welcher die
Textfigur 15 (Fötus des 5. Monats) eine Vorstellung verschafft.
Der Unterschied gegenüber der Abbildung 12 ist trotz der
Ungleichheit der angewandten Vergrösserungen ohne weiteres in
die Augen springend. Die Zapfenkörner sind noch viel weiter von
der Limitans externa abgerückt und die Zapfeninnenglieder um so
viel höher geworden. Die Zapfenkerne erscheinen durchwegs Kugel-
rund und an ihrer basalen Seite von der ganz schmalen äusseren
plexiformen Schicht durch einen hellen Zwischenraum getrennt. Die
dunkle Färbung des Zapfeninnenglieds ist dadurch noch auffälliger
als bei dem jüngeren Stadium. Die Kuppe des Innenglieds ragt Jetzt
leicht zugespitzt über die Membrana. limitans. externa. hervor, welche
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 479
nunmehr auch im Querschnitt deutlich als eine gefensterte bzw. durch-
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Fig. 17—23.
brochene Membran erscheint. In der äussersten Spitze des Innen-
glieds liegt je ein Diplosoma. Zwischen den Zapfenzellen verlaufen
180 R. Seefelder `
die als eine scharfe lLinie erscheinenden Müllerschen Radiürfasern
zur Limitans externa. Ich habe diesen Entwicklungsgrad der Zentral-
zapfen in Augen von 12—21cm Länge angetroffen.
Das abgebildete Präparat stammt von einem Fötus von 21cm
Länge. Weitere Details sind in meinen Präparaten dieser Stadien
nicht zu ersehen.
Schon Chievitz erwähnt mit Recht, dass man fast den ganzen
Entwicklungsmodus der Zapfen auch noch in wesentlich älteren
fötalen Augen studieren kaun. Dies liegt bekanntlich daran, dass die
Zentralzapfen so lange ihre ursprüngliche Gestalt beibehalten. So ist
der Unterschied zwischen einem Fötus von 20 und einem solchen
von 34cm in dieser Hinsicht nur ganz unbedeutend.
Textfigur 20 zeigt den Zustand der Zapfen an der zeutralsten
Stelle eines 34cm langen Fötus. Der Konservierungszustand dieses
Prüparates ist gerade an dieser Stelle so vortrefflich, dass alle De-
tails der jungen Zapfenzelle sichtbar sind. Das Präparat ist mit der
für diese Zwecke besonders gut geeigneten Molybdänhämatoxylin-
lösung (Held) gefärbt. Die ganze Zapfenzelle ist noch weit entfernt
von dem gracilen und eleganten Bau des Zentralzapfens im aus-
gewachsenen Organ. Ihre Ähnlichkeit mit einer Cylinderepithelzelle
ist bei schwachen und mittleren Vergrösserungen ganz frappant. Bei
stärkerer Vergrösserung treten dann noch verschiedene, nur ihr und ver-
wandten Zellen eigentümliche Merkmale zutage. Das Zapfenkorn
erscheint noch kugelrund und von geringerem Querdurchmesser als
das Innenglied.
An dem letzteren ist eine etwa rautenfürmige dunkler gefürbte
Zone (wohl die Anlage des Zapfenellipsoids) von der helleren restie-
renden Zone zu unterscheiden. Die zugespitzte Kuppe des Innen-
glieds ragt nur ein wenig über die Membrana limitans externa hervor.
In jeder Spitze der Kuppe liegen die Diplosomen, welche
durchgehends von einem hellen Hof umgeben sind. Die
Stellung der Diplosomen zueinander zeigt grosse Verschiedenheiten,
und ist bald schräg, bald quer, bald senkrecht. Von einem gesetz-
miüssigen Verhalten kann also in dieser Hinsicht keine Rede sein. Fast
stets gelingt es, einen von einem Diplosomenkorn abgehen-
den feinen Faden nachzuweisen, welcher in zumeist schrüger
Richtung bis zum Pigmentepithel verläuft und dort endigt.
Seltener habe ich, wie Held im ausgebildeten Zapfen, auch einen
nach innen verlaufenden Faden (Innenfaden) nachweisen können,
welcher sich in meinen Präparaten stets vor dem Kern in dem Proto-
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 481
plasma des Innenglieds verliert. Ein drittes Granulum, das Held (37
und Leboucq(11) beschrieben haben, kann ich in keiner jungen
Zapfenzelle finden.
Die basale Zellseite des Zapfenkorns ist viel blasser gefürbt
als die freie Seite, Auch gelingt es mir nicht, trotz aufmerksamen
Suchens mit besten Systemen in ihr irgendwelche deutliche Struktur
nachzuweisen. Sie muss also wohl von einem ganz blassen, kaum
färbbaren Protoplasma eingenommen sein. Die Untersuchung dieses
Abschnittes wird aber namentlich dadurch erschwert, dass in den
etwa 10 « dicken Schnitten Fasern der Müllerschen Stützzellen über
die Zapfenzellen hinweg zur Limitans externa ziehen und dadurch
sehr leicht eine fibrilläre Struktur vortäuschen können, welche bei
genauester Einstellung auf die Zapfenzelle selbst in Wirklichkeit nicht
vorhanden ist. Die basale Abgrenzung der Zapfenzelle wird durch
einen dunklen, bei starker Vergrösserung undeutlich granuliert er-
scheinenden Saum, den Zapfenfuss, gebildet. Eine Zapfenfaser ist
aber anscheinend noch nicht entwickelt. —
Ob der beschriebene Aussenfaden auch schon bei den jüngeren
Stadien vorhanden ist, kann ich mangels hierfür geeigneter Präparate
nicht entscheiden. Ich selbst zweifle, angesichts seiner Existenz in so
unvollkommenen Zapfenzellen, wie es die Zentralzapfen des 34 cm
langen Fötus sind, nicht daran, dass er sehr frühzeitig gebildet
wird, wahrscheinlich gleich, nachdem die Diplosomen an die Spitze
des Zapfeninnenglieds vorgerückt sind. Die enge Zusammengehörig-
keit zwischen diesen beiden Gebilden ist ja nach ihrem histologischen
Verhalten ganz evident und ich glaube Leboucq(11) darin unbedenk-
lich beipflichten zu können, dass die Fadenentwicklung von den
Diplosomen selbst ausgeht.
Leboucq (11) betrachtet den 'Aussenfaden als die Anlage des
Aussengliedes, der sich später bis an sein Ende, welches selbst frei
bliebe, mit einer krümligen Masse, der weiteren Substanz des
Aussengliedes umgebe.
Auch in diesem Punkte trete ich Leboucq(11) bei, da die Rich-
tigkeit seiner Auffassung durch die weitere Zapfenentwicklung vollauf
bestätigt wird.
Die grosse Bedeutung der Diplosomen für die Zapfenentwicklung
ist auch schon von C. Fürst(10) richtig geahnt worden.
Fürst hat jedoch nicht verfolgen können, ob diese Gebilde bei
der weiteren Entwicklung der Stäbchen und Zapfen eine Rolle spielen.
Er zweifelt aber nicht daran, „dass eine eingehendere Kenntnis des Ver-
482 R. Seefelder
haltens der Zentralkórperchen bei den Retinazellen von ganz sicher
grosser Wichtigkeit für die Kenntnis der Histogenese der Retina sein
würde*.
Auch der von dem einen Diplosoma ausgehende feine Faden ist
bereits von Fürst(10) (bei Lachsembryonen) gefunden worden, wes-
halb Retzius(61) vorschlügt, ihn als Fürstschen Faden zu be-
zeichnen.
Später haben ihn Kolmer (62) und Held(37) fast gleichzeitig
in den ausgebildeten Zapfen und Stäbchen der Froschretina und letz-
terer hat ihn auch in den gleichen Elementen des Menschen nach-
gewiesen. Zuletzt fand ihn Retzius(61) beim erwachsenen Acanthias
vulgaris. |
Übereinstimmend wird von: diesen Forschern angegeben, dass er
in der ausgewachsenen Zelle in der Peripherie des Aussengliedes, aber
doch noch innerhalb dessen Substanz verläuft. Auch zweifelt keiner
von ihnen an der grossen biologischen Bedeutung sowohl des Diplo-
somas als des Kolmer-Heldschen Aussenfadens, die mir aber erst
durch die Kenntnis der Entwicklung der Zapfenzelle in das rechte
Licht gerückt zu sein scheint. —
Die Zusammensetzung einer Zapfenzelle ist somit schon in einem
relativ frühen Entwicklungsstadium in ihren Grundzügen festgelegt.
Bei der weiteren Entwicklung handelt es sich also mehr um Ver-
änderungen ihrer Form und ihrer Dimensionen als um die Bildung
neuer Organteile. Diese Vorgänge können, wie gesagt, schon in
der nächsten Umgebung der Zentralzapfen gut beobachtet werden.
Wir sehen dort die Zapfenzelle (vgl. Textfigur 20) bereits in einer noch
ganz stäbchenfreien Zone in wesentlich schlankere Gebilde verwandelt,
die Kerne oval geformt und auch am Aussen- und Innenglied die
bleibende Gestalt angedeutet. Noch etwas weiter abseits ist diese
Formveränderung der Zapfenzellen sogar noch ausgesprochener. (Vgl.
Textfigur 21, in welcher zwischen den Zapfen auch schon Stäbchen
zu sehen sind.)
Wahrscheinlich ist bei den letzteren Zapfenzellen auch schon
eine Zapfenfaser zur Entwicklung gelangt, doch ist dies infolge der
dichten Lagerung der Kerne nieht einwandsfrei festzustellen.
An den Zentralzapfen ist selbst bei Föten von 42cm Länge
nicht immer mit Bestimmtheit eine Zapfenfaser nachzuweisen, wäh-
rend sie bei den nur etwas weniger zentral gelegenen Zapfenzellen
deutlich zu sehen ist. Offenbar kommen aber auch bei der Entwicklung
dieses Gebildes zeitliche individuelle Verchiedenheiten vor, deun bei einem
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 483
Fótus von der gleichen Länge (42 cm) waren auch die zentralsten
Zapfenzellen mit Zapfenfasern ausgestattet. Textfigur 23 zeigt den
Entwicklungsgrad von einigen Zellen dieser Region. Die basale Hälfte
der Zellen ist jetzt fast ebenso dunkel gefärbt wie die freie, von ge-
streiftem Aussehen und in der Mitte taillenförmig eingeschnürt, um
«dann unter konischer Verbreiterung am Zapfenfusse zu endigen.
Die Diplosomen liegen in den etwas weiter entwickelten Zapfen
meistens nicht mehr genau in der Kuppe des Innengliedes, sondern
weiter einwärts ungefähr an der Grenze des äusseren und mittleren
Drittels, wo sie bald im Zentrum, bald in den seitlichen Partien des
Innengliedes angetroffen werden.
Genaue Massangaben über die Dicke und Höhe der Zapfen an
verschiedenen Stellen der Retina sind in dem Kapitel über die Ent-
wicklung der Fovea centralis enthalten.
Für das Studium der Stäbchenentwicklung ist mein Material
im allgemeinen weniger gut geeignet als für das der Zapfen. So
kann ich z. B. über den Zeitpunkt und infolgedessen auch über den
Ort des ersten Auftretens von Stäbchen keine genauen Angaben
machen, da ich von den betreffenden Stadien keine genügend gut
konservierten Objekte!) besitze. Am Anfange des 7. Monats (Fótus
von 34cm Länge) sind aber die Stäbchen dort, wo sie infolge ihrer
lockeren Anordnung sehr schön untersucht werden können, nämlich
in der Gegend des hinteren Pols, bereits so weit entwickelt, dass sie
sich von den ausgebildeten Elementen nicht mehr sehr wesentlich
unterscheiden. Und weiter in der Peripherie, wo sie auf allen und
selbst auf den niedrigsten Entwicklungsstufen angetroffen werden,
stehen sie so dicht nebeneinander, dass man kaum ein Stäbchen von
dem andern genau unterscheiden kann. Man kann aber jedenfalls
aus dieser Beobachtung schliessen, dass auch die Stäbchenentwicklung
n In Betracht kämen bekanntlich in erster Linie Föten des 5. Monats,
bei welchen die Stábchenentwicklung beginnt. [Chievitz (1 Falchi(3)] Ich
habe von diesem Stadium sehr viele Augen von ganz frisch eingelegten Objekten
erhalten, aber seinerzeit den grossen Fehler begangen, die Köpfe stets in toto
in die Fixierungsflüssigkeit bringen zu lassen. Die Folge davon ist eine fast
durchgehends ungenügende Konservierung der Retina, da die Fixierungsflüssig-
keit zu lange braucht, bis sie die dicken Augenlider durchdringt und bis zur
Retina gelangt. Ich empfehle deshalb denen, welche sich mit analogen Studien
zu beschäftigen beabsichtigen, vor der Einlegung der Köpfe in die Fixierungs-
flüssigkeit rasch die ganzen Lider abzutragen und entweder die vordere Augen-
kammer breit zu öffnen oder die Flüssigkeit direkt in den Glaskörper zu inji-
zieren, um eine tadellos fixierte Retina zu erhalten,
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIIL, 3. 32
484 R. Seefelder
zuerst am hinteren Pol beginnt und von hier allmählich nach der
Peripherie fortschreitet, ein Prozess, der jedenfalls sehr langsam vor
sich geht, da die periphersten Netzhautpartien sogar noch bei Föten
des 8. Monats keine Stäbchen- und Zapfenentwicklung erkennen
lassen. Die Länge der Stäbchen nimmt von hinten nach vorne all-
mählich ab, so dass zuletzt nur noch ganz kurze Stummelchen über
die Membrana limitans externa hervorragen. Da diese kurzen Stum-
melchen wegen ihrer dichten Aufeinanderpressung schon in ziemlich
dünnen Schnitten zu mehreren übereinander liegen, wimmelt es in
ihnen geradezu von Diplosomen, so dass ich mich nicht entsinnen kann.
jemals soviel Diplosomen auf einem gleich grossen Raum beisammen
gesehen zu haben. Ihre Bedeutung für die Stäbchenentwicklung wird
nicht minder gross sein als für die der Zapfen. Sie liegen durch-
wegs an der Grenze des Aussen- und Innenglieds in dem letzteren.
Ihre Stellung zueinander ist ebenso verschieden wie in den Zapfen-
zellen. Der von Held(37) beim Erwachsenen beschriebene Aussen-
und Innenfaden war in meinen Präparaten nicht zu sehen.
Ich bemerke noch, dass die Stäbchen schon auf ihrer frühesten
Entwicklungsstufe zarte und schlanke Gebilde sind und sich darin
von den Zapfen nicht unwesentlich unterscheiden. Im übrigen
dürften in der Entwicklung dieser beiden so nahe verwandten Ele-
mente keine durchgreifenden Differenzen bestehen.
Vergleichen wir meine Schilderung der Zapfenentwicklung, welche
ich an gut konservierten und günstig gefärbten Objekten beobachten
konnte, mit der Darstellung von Chievitz, so suchen wir in ihr ver-
gebens nach jenen kleinen Höckern, welche miteinander zusammen-
hängend einen nach aussen gezähnelten Saum bilden, „welcher all-
mählich durch die nun aus den Zellen hervorwachsenden Innenglieder
abgehoben wird. Während die letzteren deutlich geschieden zu er-
kennen sind, setzt sich der zusammenhängende, stärker tingierte Saum
über ihre Aussenseite hin ununterbrochen fort. Die Höcker des Saumes
stehen gewöhnlich über den Zapfeninnengliedern“ usw., so lautet die Be-
schreibung von Chievitz, welcher ich, wie erwähnt, nicht beistimmen
kann. Nach meinen Präparaten ist das Zapfeninnenglied sehr früh
als solches zu erkennen. Es sitzt zuerst der Membrana limitans mit
breiter Basis auf bzw. ist in sie eingefügt und von den Schlussleisten
eingefasst. In der weiteren Entwicklungsperiode wölbt sich die Kuppe
jedes Innenglieds über das Niveau der Membrana limitans hervor, und
jetzt entsteht allerdings im Querschnitt ein nach aussen gezähnelter
Saum, welcher aber einzig und allein von den Kuppen der Innen-
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 485
glieder gebildet wird, die auch nirgends miteinander zusammen-
hängen.
Die Chievitzschen Höcker halte ich infolgedessen für Kunst-
produkte; welche ich in weniger gut konservierten Objekten auch ge-
sehen habe, und welche meines Erachtens dadurch entstehen, dass
bei nicht ganz vorzüglicher Konservierung die an das Pigmentepithel
stossenden Kuppen der Innenglieder zerfallen, ineinander fliessen, und
bei der gewöhnlich unter dem Einflusse der Alkoholhärtung statt-
findenden Retraktion der Netzhaut vom Pigmentepithel zu ziemlich
spitzen Höckern ausgezogen werden. Hingegen decken sich meine
Befunde in allen wesentlichen Punkten mit der Beschreibung, welche
Leboucq(11) von der Entwicklung der Stäbchen und Zapfen in
der Katzenretina entworfen hat. |
e. Über dieo Veränderungen der Form und Grösse der Retina-
zellen und ihre Bedeutung für die Dickenzunahme der Retina.
Schon Schiefferdecker(64) und später Chievitz(1), Nuss-
baum(5) und Fürst(10) haben angegeben, dass die Netzhautzellen
im Verlaufe ihrer Entwicklung sowohl eine Veränderung ihrer Form
als ihrer Grösse erfahren. Dass das erstere auch beim Menschen
zutrifft, geht aus meiner bisherigen Beschreibung, wie ich glaube,
deutlich hervor. Sämtliche Netzhautzellen machen während ihrer Ent-
wicklung eine mehr oder weniger tiefgreifende Metamorphose durch,
welche bei den meisten auch mit einer Änderung des Chromatingehalts
der Kerne Hand in Hand geht.
Bezüglich der Veränderung der Grösse der Netzhautkerne liegen
bis jetzt nur von Chievitz einige vergleichende und am Menschen
ausgeführte Messungsresultate vor, aus welchen nach Chievitz eine
mit dem Alter zunehmende Vergrösserung der Kerne zu erkennen
ist, weshalb anzunehmen sei, „dass die Massenzunahme der gesamten
Retina nicht allein auf einer Vermehrung der Elemente beruht, sondern
dass auch die Vergrösserung der einzelnen Elemente hierbei mit-
wirkend ist“.
Zur Ergänzung der Chievitzschen Angaben, welche sich nur
über einige wenige Stadien erstrecken, habe ich zahlreiche Mes-
sungen der Kerndimensionen in verschiedenen Stadien ausgeführt.
Ich bemerke im vornherein, dass die Messung der Kerngrösse sellst-
verständlich nur einen geringen Anhalt für die Zellgrösse ergibt,
weil die Grössenveränderungen des Zellprotoplasmas usw. dabei nicht
32*
486 R. Seefelder
berücksichtigt sind, doch ist aus leicht begreiflichen Gründen nur sie
mit einiger Exaktheit ausführbar.
Was zunüchst die Ganglienzellen anbetrifft, so ist ganz evident.
dass deren Kerne im Laufe der Entwicklung im allgemeinen eine
nennenswerte Gróssenzunahme erfahren, wenn auch sehr zu bedenken
ist, dass die Grósse der verschiedenen Ganglienzellen sowohl beim
Fótus als auch in der Netzhaut des Erwachsenen ganz enorme Unter-
schiede aufweist.
Die durchschnittliche Grósse der jungen Ganglienzellkerne ist in
den ersten 4—5 Monaten ziemlich gleich und schwankt zwischen 6, S
und 8,54, sowohl was ihren Quer- als ihren Längsdurchmesser be-
trifft. — Grössere Kerne kommen kaum vor, überhaupt sind in dieser
Entwicklungsperiode keine nennenswerten Grössendifferenzen nachweis-
bar. Am Ende des sechsten Monats (Fötus 34cm lang) sind dagegen
bereits erhebliche Unterschiede zu konstatieren, welche auch aus den Ab-
bildungen a—k Textfig. 11 (S. 455) ohne weiteres zu ersehen sind. Eine
Reihe von Ganglienzellen hat eine Grösse erreicht, welche bei keinem der
jüngeren Stadien zu finden war. So sind Kerne mit einem Durch-
messer bis zu 12 u, aber auch noch ebenso kleine wie bei den
jüngeren Stadien nachweisbar. Bei Föten des 8. bis 9. Monats sowie
bei Neugeborenen ist das Verhältnis zwischen den grösseren und
kleineren Ganglienzellen ungefähr das gleiche wie bei dem Fötus vom
Anfange des siebenten Monats, doch ist die Entwicklung der Gang-
lienzellen auch beim Neugeborenen bekanntlich noch nicht abgeschlossen.
Dies zeigt sich einerseits dadurch, dass die Entwicklung der Nissl-
granula, deren biologische Bedeutung uns noch gänzlich unbekannt ist,
vielfach erst nach der Geburt zu erfolgen scheint. So habe ich unter
allen meinen Föten nur bei einem einzigen 42cm langen die Nissl-
granula entwickelt gefunden. Sie sind aber auch hier noch nicht so
zahlreich und gross als in den Ganglienzellen des Erwachsenen, finden
sich erst in der Nähe des Kerns und erstrecken sich noch lange nicht
so weit in der Richtung der dendritischen Zellfortsätze. (Vgl. in Textfig. 11,
Zelle | mit Zelle m und n», welch letztere Ganglienzellen aus der Retina
eines 23jährigen Mädchens darstellen.) Die Entwicklung der Nissl-
granula geht aber auch anscheinend mit einer Form- und Grössen-
änderung des Zelleibes der Ganglienzelle einher. Die bis dahin
eckige und eigentümliche starre Form des Zellprotoplasmas geht in
die abgerundete charakteristische Eiform des Protoplasmas der aus-
gereiften Ganglienzelle über. Gleichzeitig nimmt das Volumen des
Protoplasmas noch nach allen Dimensionen zu.
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. ART
Endlich scheint mir ausser Zweifel zu stehen, dass Kerne von
Ganglienzellen auch. noch im extrauterinen Leben eine Vergrösserung
erfahren, denn ich habe in der Retina von Erwachsenen so grosse
Kerndurchmesser (20 4) angetroffen, wie ich sie in fötalen Netzhäuten
nie gefunden habe. Doch gehören solche Grössen auch bei jenen zu
den Ausnahmen, während Durchmesser von 8,5 bis 124 die Regel
bilden.
Dass aber diese Vergrösserung der Ganglienzelle auf die Dicke der
Retina von Einfluss ist, erscheint mir zweifelhaft, weil die Grössen-
zunahme der Ganglienzellen bekanntlich mit einer Verteilung der
Zellen auf eine grössere Fläche einhergeht, wodurch das, was in einer
Hinsicht gewonnen wird, in einer andern wieder verloren geht.
Von allen übrigen Netzhautzellen machen nach meinen Messungen
nur noch die Amakrinen und äusseren horizontalen Zellen eine
nennenswerte Grössenänderung durch. So sind die Kerne der Ama-
krinen unmittelbar nach ihrem ersten Auftreten entschieden viel kleiner
(5,1 bis 6,84) als in älteren Stadien, in welchen sie einen Kern-
durchmesser von 6,8 bis 11 u aufweisen. Weniger bedeutend ist im
allgemeinen schon das Wachstum der äusseren horizontalen Zellen, deren
Kerndurchmesser bei Föten des vierten Monats ungefähr 5,1, dagegen
später ungefähr 6 bis 6,84 beträgt. Auch diese Tatsache scheint
mir für die Dickenzunahme der Retina ziemlich bedeutungslos zu sein.
da sie vor allem auch hier wieder nur Zellen betrifft, welche zu-
letzt in einer einfachen Reihe liegen, während die Hauptmasse der
Retinakerne, die Kerne der äusseren Körnerschicht und der bipolaren
Zellen der inneren Körnerschicht, während der ganzen Entwicklung
ungefähr die gleiche Grösse beibehält.
Die Grössenzunahme der Retinakerne dürfte deshalb bei der
Dickenzunahme der Retina, wenn sie überhaupt in Frage kommt,
dann nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Auch die Ver-
mehrung der Zellen reicht selbstverständlich nicht zur Erklärung
der Dickenzunahme aus, weil sie von einem gewissen Zeitpunkte
an keine Dickenzunahme der Kernschichten mehr bedingt, während
die der Retina selbst noch fortschreitet. Das wesentlichste Mo-
ment für die Massenzunahme der Retina in den späteren
Entwicklungsstadien erblicke ich vielmehr in der Dicken-
zunahme der kernlosen Schichten der Retina, vor allem der
äusseren plexiformen Schicht und der Henleschen Faserschicht, welche
selbst bei der Geburt ihren Abschluss noch nicht erreicht hat!).
1) Eine kurze Beschreibuug der Entwicklung der Pars coeca (Habl:
188 R. Seefelder
f. Die weitere Entwicklung des Pigmentepithels bis zur Geburt.
Die erste Entwicklung des Pigmentepithels ist bereits im Voraus-
gehenden (S. 432ff.) geschildert worden.
Wir fanden bei einem Embryo von 8°, mm grösster Länge die
Pigmentierung fast bis an den Ansatz des Augenblasenstiels ausge-
dehnt. Die unmittelbar an den Augenbecherrand grenzenden Zell-
reihen waren dagegen noch nicht pigmentiert. Ganz ähnlich ver-
halten sich ein 10 mm langer Embryo (Rob. Meyer) und ein
11,3 mm langer Embryo von C. Rabl. Ersterer ist sogar etwas
schwächer pigmentiert als der 8?|,mm lange Embryo. Bei einigen
etwas ülteren Embryonen machen sich solche individuelle Differenzen
vielfach noch in viel auffülligerer Weise bemerkbar.
Bei einem 13 mm langen Embryo von R. Meyer ist die Pig-
mentierung bis zum Augenbecherrand und sogar ein wenig bis auf das
innere Netzhautblatt vorgeschritten. Zuletzt pigmentiert sich die Ver-
schlussstelle der Becherspalte am Becherrande und am Ansatze des
Augenblasenstiels, doch handelt es sich auch hier nur um geringe
zeitliche Unterschiede.
Die Intensität der Pigmentierung nimmt im Laufe der Ent-
wicklung rasch zu. Die Zunahme äussert sich einerseits in der Ver-
mehrung der Zahl und in einem Grösserwerden der Pigmentkórnchen,
anderseits in einer dunkleren Fürbung des Pigments.
Die erste Verteilung des Pigments ist, wie wir gesehen haben,
anscheinend ganz regellos. Später überwiegt im Bereiche der vorderen
(distalen) Augenhälfte die Pigmentmenge in der inneren Zellhälfte be-
trächtlich, während in dem hinteren Augenabschnitte eine ziemlich gleich-
inässige Verteilung des Pigments auf die äussere und innere Zellproto-
plasmahälfte zukonstatieren ist und die Kernzone selbst fast vóllig pigment-
frei bleibt. (Vgl. Texttig. 6, S. 436, Embryo von 10 mm grösster Länge.)
Auch in diesen und den folgenden Stadien kann von einer ge-
setzmüssigen Verteilung des stübehen- und kugelförmigen Pigmentes
keine Rede sein.
Das Pigmentepithel ist bei diesen Stadien durchgehends mindestens
„weireihig. Am Augenbecherrande weist es sogar3-- 4Kernreihen auf. Die
Dickenzunahme erfolgt bereits von der Gegend des Aequator bulbi an.
BeiFöten von etwa 20 mm Länge an ist es im hinteren Augen-
sive ciliaris retinae findet sich in meiner Arbeit über Netzhautanomalien (81)
sowie in den dort citierten Arbeiten von Chievitz:l, O. Schultze(82) und
A. v. Szily (83).
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 489
abschnitte einreihig. Von etwa 30 mm Länge an sind nur noch in der
Nähe des Augenbecherrandes mehrere Pigmentepithelkernreihen zu
konstatieren.
Die Pigmentierung des gesamten Pigmentepithels schreitet in den
ersten Monaten der Entwicklung unaufhaltsam fort und steht nicht
eher still, als bis die ganze Pigmentepithelzelle mit Ausnahme des Kernes
von Pigment vollgestopft ist. Damit ist ein durchgreifender Unter-
schied zwischen dem fötalen und dem ausgewachsenen Auge gegeben,
bei welchem die Kuppe der Pigmentepithelien fast ganz pigmentfrei
ist. Ein weiterer sehr augenfälliger Unterschied besteht in der Form
der Pigmentepithelien. Die fötale Pigmentepithelzelle ist sehr niedrig,
ja fast so flach wie eine Endothelzelle und noch weit entfernt von der
hohen cylindrischen Form der reifen Zelle (vgl. Textfigur 24).
Fig. 24.
Schon mehrfach ist erwähnt worden, dass in bezug auf die
Intensität der Pigmentierung schon frühzeitig erhebliche
Unterschiede zu konstatieren sind. Von dieser Tatsache kann man
sich besonders an Flächenpräparaten des Epithels, die ich durch Ab-
ziehen des Epithels mitsamt der Aderhaut von der Sklera gewonnen
und nach Aufhellung in Glycerin untersucht habe, auf das schönste
überzeugen. — Dazu kommen noch örtliche Verschieden-
heiten innerhalb ein und desselben Auges, die auch vom er-
wachsenen Auge her wohlbekannt sind, so vor allem die inten-
sivere Pigmentierung der Gegend der Fovea centralis, bzw.
Macula lutea. Dieses Phänomen ist schon in jungen fótalen Augen
so deutlich ausgeprügt, dass man diese Stelle schon lange bevor sie
in der Retina makroskopisch sichtbar ist, im Pigmentepithel nach dem
Abziehen der Retina mit Leichtigkeit erkennen kann. Sie ist schon
vom Ende des dritten Monats an als eine wesentlich dunklere an-
genähert scheibenförmige Stelle deutlich von dem übrigen Fundus ab-
zugrenzen. Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigt sich dann,
dass es sich nicht um eine scharfe kreisfórmige Abgrenzung handelt,
sondern dass dann und wann zackige, stärker pigmentierte Ausläufer
in die Umgebung hineinragen. Die stärkere Pigmentierung erscheint vor
allem durch eine dichtere Anhäufung der Pigmentkörnchen bedingt zu
sein; ob und inwieweit auch eine dunklere Färbung des Pigmentes selbst
eine Rolle spielt. vermag ich nicht mit Bestimmtheit zu entscheiden.
490 R. Seefelder
Das Verhalten des Pigmentepithels am Becherrande und
im Bereiche der sich entwickelnden Iris ist von Lauber(22) in seiner
bereits citierten Arbeit ziemlich eingehend besprochen worden, so dass
ich kaum etwas hinzuzufügen habe. Die auffälligste Veränderung in dieser
Region besteht zunächst entschieden darin, dass die Pigmentepithelien
während des 3. Monats im Bereiche der Iris und auch noch etwas
weiter rückwärts eine hohe cylindrische Gestalt annehmen. Auch be-
stätigt sich in entpigmentierten Schnitten, welche Lauber nicht zur
Verfügung standen, dessen Vermutung, dass die Kerne hier in meh-
reren (4—5) Reihen übereinander liegen. Ich stimme aber mit
v. Szily (38), der etwas weniger (ungefähr 2) Kernreihen gefunden
hat wie ich, darin überein, dass es sich nicht um ein mehrschichtiges.
sondern ein mehrzelliges Epithel handelt, dessen Zellen also durch-
reichende Elemente sind.
Auch finde ich ebenso wie Lauber (22), dass die Pigmentierung
von dem Pupillarrande der Iris nach dem Ciliarkörper zu fortschreitet
und es scheinen auch nach "meinen Präparaten die ersten Pigmentkörn-
chen in der inneren (basalen) Zellhälfte der Epithelien aufzutreten.
Ich gebe aber zu, dass es schwer ist, in dieser Frage eine bestimmte
Entscheidung zu treffen, weil die Pigmentierungsgrenze zwischen dem
äusseren und inneren Blatte gewöhnlich so unscharf ist, dass man nicht
sagen kann, ob das eine oder andere Pigmentkörnchen dem äusseren
oder inneren Blatte zuzurechnen ist. Sicher ist aber, dass die basale
(innere) Zellhälfte bereits Pigmentkörnchen enthält, sobald solche in
der freien Seite nachweisbar sind. Diese Beobachtung stimmt nicht
ganz mit der Behauptung Rabls(73) überein, dass in dem retinalen
Blatte des Pigmentepithels die ersten Pigmentkörnchen in der freien
(äusseren) Zellhälfte zur Entwicklung gelangen. —
Nach meinen Beobachtungen vollzieht sich also die Pigmentie-
rung desäusseren Blattes kurz zusammengefasst in folgender Weise:
Schon von Anfang an und zwar zu einer Zeit, in welcher das
Pigment noch in losester Anordnung in den Zellen verteilt und nur
mit stärksten Systemen überhaupt nachweisbar ist, sind sowohl in der
äusseren als in der inneren Zellhälfte Pigmentkörnchen nachzuweisen.
Die Form der letzteren ist von Anfang an sowohl kuglig als stäb-
chenähnlich. Die Intensität der Pigmentierung der einzelnen Pig-
mentpartikelchen schwankt in den jüngsten Stadien zwischen einem
zartesten Gelb und einem dunklen Braun. Die hell pigmentierten
Körnchen dürften als die Jugendformen anzusehen sein.
Auf einer etwas älteren Entwieklungsstufe treffen wir bei dem
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 491
in der Nähe des Becherrandes befindlichen Epithelien die innere Zell-
hälfte wesentlich stärker pigmentiert als die äussere, so dass diese bei
der Untersuchung mit schwachen Systemen fast pigmentlos erscheint.
Von den mehr stielwärts gelegenen Epithelien ist dagegen sowohl
die äussere als die innere Zellhälfte ziemlich gleichmässig pigmentiert,
während die Kernregion zwischen den beiden Pigmentreihen fast ganz
pigmentfrei erscheint. Die Pigmententwicklung ruht aber nicht eher,
bis die ganze Zelle mit Pigment vollgestopft und der Kern fast ganz
dadurch verdeckt wird. Die Form der Pigmentzelle geht während
dieses ganzen Prozesses aus einer hohen cylindrischen in eine ganz
flache, endothelühnliche über!) Erst nach der Geburt erhalten die Pig-
mentepithelien ihr bleibendes Aussehen. Das Pigment rückt in die innere
Zellhülfte vor und die Hóhe der Pigmentzelle nimmt derartig zu, dass
ihre Form wiederum eine cylindrische genannt werden kann. Diese
letzten Veränderungen, welche die Pigmentepithelzelle erst
im extrauterinen Leben erfährt, dürften wohl unter dem
direkten Einflusse des Lichtreizes vor sich gehen.
Die Teilung der Pigmentepithelien.
Die Teilung der Zellen des Pigmentepithels erfolgt bei den
jüngsten Stadien ausschliesslich durch Mitose und zwar liegen die
Mitosen einem bekannten allgemein gültigen Gesetze zufolge dem
Lumen des Augenbechers an.
Die ältesten Stadien, in. denen ich Mitosen beobachtet habe,
hatten eine Lünge von 80—85 mm. Die Mitosen befanden sich bei
diesen nur noch in der Nähe des Becherrandes und waren erst nach
der Entpigmentierung der Schnitte nachzuweisen. Von einer ge-
wissen, nicht genauer zu umgrenzenden Zeitperiode, schätzungs-
weise etwa von dem Ende des dritten Monats an scheint aber eine
Mitosenbildung in dem Pigmentepithel, wenn überhaupt, so nur
noch ganz ausnahmsweise vorzukommen. Denn ich habe in Augen
dieser Stadien, in welchen doch die Retina und der Sehnery noch zahl-
reiche Mitosen aufwiesen, im Pigmentepithel stets vergeblich danach ge-
fahndet. Man kann mir also nicht einwenden, dass mir durch eine
mangelhafte Konservierung oder ungenügende Färbung ein Fehlen
von Mitosen vorgetüuscht worden sei.
Nun genügt aber die Zahl der zunächst durch Mitose gebildeten
Pigmentepithelzellen keineswegs, um den ganzen Bedarf während des
t) Dieser Satz bezieht sich nicht auf die Pigmentepithelien der Iris und
des Ciliarkórpers.
492 R. Seefelder
Wachstums des Auges zu decken, sondern es sind schon frühzeitig
die zunüchst etwas reichlicher gebildeten Zellen in einer einfachen Reihe
auf das ganze Areal des Augapfels verteilt. — Es fragt sich also.
in welcher Weise das Pigmentepithel im Verlaufe der weiteren Ent-
wicklung den gestellten Ansprüchen gerecht zu werden versteht. Es
gibt bekanntlich nur noch eine andere Möglichkeit, nämlich die, dass
an die Stelle der indirekten (mitotischen) Kernteilung die’ direkte tritt.
Nun haben wir ja bereits gesehen, dass die Neurogliazellen des
Optikus, deren nahe Verwandtschaft mit den Pigmentepithelien be-
kannt ist, schon zu einer Zeit, in welcher noch zahlreiche Mitosen-
hildungen festzustellen sind, Veränderungen aufweisen, die den Ge-
danken an eine direkte Kernteilung aufkommen lassen.
Ferner liegt noch eine Arbeit von Kotschetow (39) vor, nach
welcher im Pigmentepithel des Pferdes, Ochsen, Schweines, Hundes
und zahlreicher anderer Tiere eine amitotische Teilung grossen
Stils vorkommen soll. Nach Kotschetow (39) kommen „in den Zellen
des Pigmentepithels zweierlei Arten von Teilungen vor: eine Knospung
und eine Teilung vermittels Zerstäubung des Chromatins, wobei beide
Teilungsarten sowohl in den kleinen Kernen als auch in den Riesen-
kernen angetroffen werden. Die Knospung der Riesenkerne bietet die
verschiedenartigsten Bilder dar, wobei die Knospen stets wenigstens ein
Kernkörperchen enthalten. Die Kerne der kleinen Zellen teilen sich
bei der Knospung gleichmässig in 2, 3 und 4 Teile. Die Knospung
in zwei Teile unterscheidet sich nicht von der typischen Amitose. Die
gleichmässige Knospung in 3, 4 Teilen kann daher als multipolare
Amitose bezeichnet werden“.
Die zweite Art der Teilung „durch Zerstäubung“ soll sich in
folgender Weise vollziehen: das Kernkörperchen verschwindet, das
Chromatin sammelt sich in Schollen an und verteilt sich gleichmässig
im Kern; darauf verschwindet die Kernmembran und das zunächst
in der Zelle fein verstäubte Chromatin sammelt sich in Häufchen an,
welche darauf von einer Kernmembran umgeben werden. Die Zell-
grenzen werden bei dieser Teilung kreisförmig.
Die vielkernigen Zellen zerfallen in Zellen mit einer geringeren
Anzahl von Kernen, wobei der sich absondernde Zellabschnitt sowohl
in der Peripherie als auch im zentralen Teil der mütterlichen Zelle
gelegen sein kann; in letzterem Falle entsteht das Bild einer Zelle in
einer andern Zelle. Ich bemerke noch, dass Zawarzin (40) in neuester
Zeit dafür eingetreten ist, dass in dem Descemetschen Epithel des
Pferdes nach der Geburt nur eine lebhafte amitotische Kernteilung
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 493
und zwar sowohl .durch direkte Amitose als durch Knospung statt-
findet. Sehr richtig bemerkt Zawarzin(40), dass, wenn diese Art
der Kernteilung auch nicht immer zur Zellteilung führe, dadurch
wenigstens eine erhebliche Vergrösserung des Flächenraums der Zelle
und damit ein gewisser Ersatz für zugrunde gegangene Zellen ge-
schaffen werde. —
Ich selbst habe im Pigmentepithel fötaler Augen folgende, für
diese Frage wesentliche Beobachtungen gemacht: (Vgl. Textfig. 25, S.496.)
Zunächst finde ich in bezug auf die Grösse der Zellkerne ausser-
ordentlich grosse Unterschiede, die, wenn auch in etwas geringerem
Masse, auch die ganzen Zellen betreffen. Es gibt sehr kleine und
sehr dunkel tingierte. (rundzellenühnliche) Kerne (a) neben sehr
grossen blassen bläschenförmigen Kernen (b, cl, welch letztere un-
bedenklich als Riesenkerne bezeichnet werden können. Dazwischen
kommen alle möglichen Übergänge vor, so dass man nicht genau
sagen kann, welche Grösse eigentlich den Normaltypus repräsentiert.
In Textfig. 25c habe ich eine solche Stelle abgebildet, in welcher sich
auf einen engen Raum zusammengedrängt Zellen und Kerne der ver-
schiedensten Grösse vorfinden. Es ist dies kein Kombinationsbild,
sondern die getreue Wiedergabe eines kleinen Abschnittes aus dem
Pigmentepithel eines fünfmonatlichen ‘menschlichen Fötus, bei welchem
sich ähnliche Bilder zu beliebigen Malen nachweisen lassen.
Die Variationen in der Grösse der Zellen und Kerne sind dort
so gross, dass man Mühe hat, zwei ganz übereinstimmende Kerne
aufzufinden. Ausser den einkernigen Zellen kommen dort, wie eben-
falls in der betreffenden Abbildung zu sehen ist, fast ebensoviele
zweikernige Zellen vor. Dazu kommen noch drei- und vierkernige
Zellen in allerdings wesentlich geringerer Anzahl. Endlich finde ich
noch, wenn auch sehr selten, Kerne, welche sanduhrfórmig eingeschnürt
sind (d), oder eigentümliche Auswüchse, also Veränderungen zeigen
(Textfig. 5 und e), welche von Zawarzin und Kotschetow als
Knospenbildungen bezeichnet werden. Auffallend ist auch die excen-
trische Lage der Kerne, welche bei den Riesenkernen und den
mehrkernigen Zellen die Regel bildet. |
Sehr verschiedenartig verhalten sich in den zwei- und mehr-
kernigen Zellen die Lagebeziehungen der Kerne zueinander. Die Kerne
sind teils dicht aufeinander gepresst, so dass ihre Grenzen nur mit
Mühe zu erkennen sind (ce, f. g. h), teils sind sie so weit voneinander
abgerückt, dass sich zwischen sie eine schmälere oder breitere Pigment-
schicht eingeschoben hat (& A. Z m). — Endlich. findet man. Zellpaare,
494 R. Seefelder
welche so dicht nebeneinanderliegen, dass kein heller Saum (die sog.
Neurokeratinschicht) zwischen ihnen nachweisbar ist, und man glauben
muss, dass sie noch an einer Seite unmittelbar zusammenhàngen (»).
Mehr als vier Kerne in einer Zelle habe ich nie beobachtet, wobei ich
erwähnen möchte, dass Kotschetow in einer Pigmentzelle des Pferdes
166! Kerne gezählt zu haben angibt.
Für sehr merkwürdig halte ich die Tatsache, dass ich die be-
schriebenen Kern- und Zellvariationen in dieser Mannig-
faltigkeit nur in Augen des 5. fötalen Lebensmonats, hier
aber in mehreren, beobachtet habe, während sie in etwas jüngeren
und älteren Föten zwar auch vorkommen, doch weit seltener und
weniger augenfällig sind.
Berücksichtigen wir endlich noch, dass im erwachsenen Auge
nach Greeff(41) zweikernige Zellen zu den Seltenheiten gehören.
dann können wir nicht umhin, den erwähnten Zellveränderungen eine
besondere Bedeutung zuzuerkennen, welche nur darin beruhen kann.
den durch das Wachstum des Auges entstandenen Bedarf an Pigment-
epithelien zu decken. Da ferner, wie erwähnt, in diesem Stadium:
Mitosen im Pigmentepithel nicht mehr vorzukommen scheinen, werden
wir fast dazu gedrängt, auch im Pigmentepithel des menschlichen
Fótus eine sehr intensive amitotische Kern- bzw. Zellteilung
anzunehmen!) Ob nun die Kernteilungen auch alle zu vollstindigen
Zellteilungen führen werden, lüsst sich naturgemäss in dem jeweilig
untersuchten Stadium nicht entscheiden. Bei der Seltenheit zwei-
kerniger Zellen im erwachsenen Auge mag es gerechtfertigt erscheinen.
diese Frage für die meisten zwei- und mehrkernigen Zellen im be-
jahenden Sinne zu beantworten. Da aber die mehrkernigen Zellen
durchweg wesentlich grósser als die einkernigen (ausgenommen die
Riesenkerne) sind, so wäre ja auch schon mit der blossen Kernteilung
allein für die Vergrösserung des Pigmentepithelareals etwas gewonnen.
Warum sich diese Vorgänge gerade in dem 5. Monat in so lebhafter
Weise abspielen, vermag ich nicht in befriedigender Weise zu erklären.
Da das Grössenwachstum des Auges nach meinen Messungen stets
in ziemlich gleichmässiger Weise erfolgt, scheint mir jedenfalls dieser
Vorgang allein zur Erklärung nicht ganz ausreichend zu sein.
Schliesslich möchte ich noch mit wenigen Worten auf die Be-
merkung Zawarzins eingehen, dass im Pigmentepithel kein Centro-
!) Ich behaupte aber nicht, den Beweis dafür erbracht zu haben. Dafür
sind meine Beobachtungen nicht ausreichend. Die Mitosen könnten immerhin
so schnell ablaufen, dass sie sich dem Nachweise entziehen.
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 495
soma vorkomme, eine Ansicht, die auch Kotschetow zu teilen scheint.
Es steht selbstverständlich ausser jedem Zweifel, dass die Pig-
mentepithelien, welche, wie bekannt, im jungen embryonalen Auge
den gleichen mitotischen Teilungsprozess wie die Retinazellen durch-
machen, mit einem Centrosoma ausgestattet sind. Dass dieses
ohne die Anwendung besonderer Methoden nicht sichtbar ist, ist vor
allem durch den Pigmentgehalt der Zellen bedingt. Aber auch nach
der vollständigen Depigmentierung der Zellen, die ich wiederholt
ausgeführt habe, färben sich in ihrem Protoplasmaleib noch so viel
Granula mit, dass es unmöglich ist, daraus das Centrosoma mit Sicher-
heit herauszukennen. Trotzdem kann aber an seinem Vorhandensein
nicht ernstlich gezweifelt werden.
II. Der Sehnerv.
a. Die erste Entwicklung des Augenblasenstiels bis zur voll-
ständigen Durchwachsung durch die Nervenfasern.
Im Stadium der primären Augenblase ist die Stelle des
späteren Augenblasenstiels nur an der dorsalen Seite durch eine dort
befindliche und von Mesoderm ausgefüllte Einziehung der Augen-
blasen- bzw. Gehirnwand, welche rasch an Tiefe zunimmt, deutlich
markiert. An der ventralen Seite erfolgt der Übergang dieser drei
Gebilde ineinander so allmählich, dass zwischen ihnen keine scharfe
Grenze gezogen werden kann. Stimmt doch der Aufbau von allen dreien
zu dieser Zeit an den Übergangsstellen noch fast vollkommen überein.
Im Stadium des Augenbechers (Textfig. 5) ist die Ab-
grenzung der drei (zebilde voneinander schon leichter durchzu-
führen. Was zunächst den Übergang des äusseren Blattes des Augen-
bechers in den Stiel anlangt, so ist dieser anfangs durch eine all-
mähliche Anschwellung des ersteren von 2 auf 4—5 Kernreihen
gekennzeichnet, etwas später gibt das Aufhören der Pigmentierung
die ungefähre Grenze an. Der Übergang des inneren Blattes in die
ventrale Wand des Stiels ist durch einen stumpfen Winkel markiert,
` welchen Retina und Stiel zusammen bilden. Eine histologische Unter-
scheidung zwischen beiden ist insofern. gegeben, als der zu dieser Zeit
in der Retina mächtig entwickelte Randschleier im Augenblasenstiel
zunächst nur sehr spärlich entwickelt ist. Doch scheinen auch hierin
wiederum individuelle Unterschiede vorzukommen, da ich ihn z. B. bei
einem 8 und 8,5 mm langen Embryo (Rob. Meyer) wesentlich stärker
ausgebildet finde, als bei. einem. 9,2 mm langen. Embryo von Kallius,
wo er fast vollständig fehlt.
496 R. Seefelder
An der dorsalen Seite ist die Übergangsstelle des Stiels in das
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Gehirn noch schärfer ausgeprägt als die in die Retina, da Stiel und
Hirnwandung zusammen fast einen rechten Winkel bilden. Hingegen
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 497
erfolgt der Übergang in die Hirnbasis so allmählich, dass es ganz
unmöglich ist, zu sagen, wo der Stiel aufhört und die Hirnwandung
beginnt. (Vgl. Textfigur 5, Embryo Ch.1, Hochstetter 7 mm.)
Der Augenblasenstiel ist ziemlich lange Zeit sehr kurz,
hingegen unverhältnismässig dick infolge seiner mächtigen
Wandung und seines weiten Lumens. Seine Form ist zunächst
eine cylindrische, wovon man sich besonders an Querschnitten des
Stiels (Sagittalschnitten durch das Auge) deutlich überzeugen kann.
(Vgl. Textfigur 26, Embryo Rabl 8,3 mm.)
Erst bei einem 9,2 mm langen Embryo (Kallius) ist der Stiel
über dieses erste Stadium, in welchem er nur die Bedeutung einer
ganz kurzen Übergangsstelle vom Auge in das Gehirn besitzt, hinaus
und er erscheint als ein einigermassen selbständiges Gebilde. Doch ist
Fig. 27.
der Unterschied gegenüber den etwas jüngeren Stadien immer noch
nicht erheblich zu nennen.
Vor allem fehlt, was ich besonders betonen möchte, auch bei
ihnen noch die rinnenförmige ventrale Einziehung, das Ana-
logon zur Becherspalte der Augenblase. Sie tritt erst auf,
wenn der Stiel eine gewisse Länge erreicht hat, und ich finde sie erst
bei einem 10mm langen Embryo von Rob. Meyer deutlich aus-
geprägt. Die dorsale und ventrale Wand sind bei diesem Embryo
in der Mitte des Stiels bis auf einen schmalen Spalt genähert, wäh-
rend in den seitlichen Partien noch ein weites Lumen nachweisbar
ist. Die sogenannte Einstülpung des Stiels ist somit vollzogen.
Der Stiel ist noch immer sehr kurz (0,3 mm), nimmt aber
von da an rasch an Länge zu, während er gleichzeitig dünner wird.
So beträgt seine Länge bei einem 11,3 mm Embryo (Rabl) be-
reits 0,675 mm, also mehr als das Doppelte des nur wenig jüngeren
vorhergehenden Embryos.
498 R. Seefelder
Die rinnenfórmige ventrale Einziehung erstreckt sich
auf einen ziemlich grossen Abschnitt und ist nicht bloss, wie
bei den meisten Tieren, auf die Ansatzstelle am Auge be-
schränkt. Sie ist bei dem Embryo Rabl in ?; der ganzen Länge
nachzuweisen, und erst das cerebral gelegene Drittel ist von angenähert
cylindrischer Form. Die Tiefe der Rinne nimmt in der Richtung vom Auge
zum Gehirn allmählich ab. (Vgl. Textfigur 27, Optikusquerschnitt in
der Nähe der Augenblase, und Textfigur 28, Querschnitt des gleichen
Optikus kurz vor der Einmündung in das Gehirn.)
Die Zellen des Stiels bilden zu dieser Zeit immer noch einen
geschlossenen epithelialen Verband, welcher nur durch das Auf-
treten des Randschleiers an der Peripherie etwas modifiziert ist!).
Die Randschleierentwicklung ist jetzt am stärksten im hinwärts ge-
legenen Stielabschnitte und nimmt nach dem Auge
zu allmählich ab, um an der Ansatzstelle so gut
wie ganz zu fehlen. Auch dieser Umstand spricht
gegen eine Abhängigkeit der Randschleierentwick-
lung von der Nervenfaserbildung, da wohl auch
beim Menschen die erste Einsprossung von Ner-
venfasern von der Retina her erfolgt und somit
dort der Randschleier zuerst und am stärksten
Fig. 28. entwickelt sein müsste. Im übrigen gilt auch für
die primitive Randschleierbildung im Sehnerven das, was ich bereits
bei der Entwicklung der Retina gesagt habe.
Ausser den Zellkernen und dem Randschleier sind an dem
primitiven Augenblasenstiel noch die beiden der Limitans medullaris
externa und interna entsprechenden Grenzmembranen zu erwähnen.
Letztere wird von Krückmann (43) zum Unterschiede von der Mem-
brana limitans interna der Netzhaut (der eigentlichen Limitans me-
dullaris externa) als Innenhaut des Sehnerven bezeichnet.
Eine Lockerung des Zellgefüges tritt erst mit dem Einwachsen
der Nervenfasern in den Stiel ein, welches, wie gesagt, wohl auch beim
Menschen zuerst von der Retina her erfolgt. — Es ist aber nicht
zu bestreiten, dass in dieser Hinsicht doch noch eine empfindliche
Lücke auszufüllen ist, da sich die bisherigen Angaben darüber nur
auf ungenügend gefärbte und unvorteilhaft geschnittene Präparate
stützen. Entscheidend sind dabei aber nur reine Querschnittserien
des Sehnerven, bei welchen die quergetroffenen Nervenfasern deutlich
1) Der Randschleier ist in dem abgebildeten Präparate abnorm schwach
entwickelt.
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 499
gefürbt sind. Eine solche Untersuchungsserie liegt aber meines Wissens
bis jetzt noch nicht vor und steht auch mir trotz der sonstigen Reich-
haltigkeit meines Materials nicht zur Verfügung!).
Hingegen sind an einer Reihe von Tieren dahingehende be-
weisende Untersuchungen ausgeführt worden.
Als erster hat Keibel(44) bei Reptilienembryonen nachgewiesen,"
dass die ersten Sehnervenfasern von der Peripherie (Retina) zentral-
wärts wachsen, später haben Froriep (45) (an Selachiern), Assheton (46)
(an Reptilien und Vögeln), Robinson (47) (an Säugetierembryonen,
speziell der Ratte) und Nussbaum'(5) (an Lachs und Fledermaus) die
Keibelsche Beobachtung auch an andern Tieren bestätigt gefunden.
Die ersten Nervenfasern sind gewöhnlich in der ven-
tralen Wand des Augenblasenstiels beobachtet worden und
zwar in dessen Peripherie. Nur Froriep (48) hat bei Kaninchen-
embryonen ein etwas anderes Verhalten gefunden. Er sah die ersten
Faserbündel nicht der Membrana limitans basalis siv. externa anliegen,
„sondern höher zwischen den Kernzellen des Epithels, derart, dass die
Kerne der basalen Zellen basalwärts, die der darüberliegenden ventral-
wärts ausweichen“?).
Sicher und unbestritten ist aber, dass die Nervenfasern inner-
halb der Substanz des Stiels ihren Weg nehmen und nicht, wie man
1) Den meisten Embryologen ist das menschliche Material zu kostbar,
um es einzig und allein zur Entscheidung einer solchen Spezialfrage in eine
für sonstige Studienzwecke ungünstig ausgerichtete Schnittserie zu zerlegen.
Anderseits ist es aber auch bekanntlich nicht leicht, sich das menschliche em-
bryonale Material in der gerade zu diesem Studium unbedingt erforderlichen
tadellosen Frische zu verschaffen. So hat Herr Geheimrat Gasser in überaus
zuvorkommender Weise auf meine Bitte hin 3 Embryonen von entsprechender
Länge in der erforderlichen Richtung schneiden lassen, doch hat sich leider ihr
Konservierungszustand nachträglich für meine Zwecke als ungenügend erwiesen.
Es ist mir ein besonderes Bedürfnis, Herrn Geheimrat Gasser für sein weit-
gehendes Entgegenkommen und seine grosse Mühewaltung auch an dieser Stelle
meinen wärmsten Dank zum Ausdruck zu bringen. Auch Herrn Professor
Dr. Rob. Meyer, Berlin, bin ich für die gütige Zuwendung von Material zu
diesem besonderen Zwecke zu grossem Danke verpflichtet.
3) Auch nach meinen eigenen Untersuchungen an Säugetierembryonen
(Schaf und Schwein), die allerdings noch nicht abgeschlossen sind, kommen so-
wohl in dieser als in anderer Hinsicht z. B. auch in der Art und Weise der
Obliteration des Stiellumens grosse Verschiedenheiten vor, so dass ich es als
ganz verfehlt bezeichnen müsste, die an einer Tierklasse gemachten Befunde
ohne weiters auf eine andere oder gar auf den Menschen zu übertragen. Diesen
Fehler hat z. B. Pes begangen. (Siehe S. 502.)
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, LXXIII. 3. 33
500 | R. Seefelder
vielleicht denken kónnte, im Bereiche der Rinne oder in dem Stiel-
lumen verlaufen.
Durch die vorwachsenden Nervenfasern werden die Zellkerne
des Augenblasenstiels aus ihrer Lage verschoben und sie kommen
schliesslich zwischen die Nervenfibrillenbündel zu liegen. Bei den
Tieren, bei welchen anfangs die Einsprossung an der ventralen Stiel-
seite vorherrschend ist, wird ein Teil der Kerne und zugleich das
ohnehin schon erheblich verengte Ventrikellumen zunächst dorsalwärts
verdrängt, so dass dieses eine Zeitlang stark excentrisch liegt und erst
dann wieder mehr nach der Mitte verschoben wird, wenn auch die
dorsale Optikusperipherie von Nervenfasern durchwachsen wird. Bald
darauf verschwindet das Stiellumen ganz.
Bei dieser Art der Umwandlung des hohlen in den soliden Op-
Fig. 29. r= Retina. c= cerebrum.
tikus findet sich dann ein Stadium, wie es O. Schultze (49) in
seinem Grundriss der Entwicklungsgeschichte von einem 11 mm
langen Mäuseembryo abgebildet hat, in welchem die ganze Opti-
kusperipherie von Nervenfasern eingenommen wird, wogegen
annühernd in der Achse des Stieles noch ein schmaler
Rest des Stiellumens und darum herum epithelial angeord-
nete Zellen vorhanden sind. Ein solches Entwicklungs-
stadium habe ich auch bei menschlichen Embryonen ge-
funden. (Vgl. obenstehende Textfigur 29, Embryo von 19 mm grösster
Länge.)
Der Verschluss, bzw. die Ausfüllung der ventralen Opti-
kusrinne würde danach weniger auf eine zu einer gewissen Zeit
auftretende solide Zellwucherung als auf eine natürlich auch
mit einer Zellvermehrung einhergehende Zellverschiebung zurück-
zuführen sein. Für die erstere Möglichkeit der Ausfüllung der Op-
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 501
tikusrinne hat sich Krückmann(43) auf Grund der Untersuchung
eines 15 mm langen Rattenembryos ausgesprochen, bei welchem er an
der Stelle des früheren Spaltes neugebildete und dichtgruppierte epi-
thelial angeordnete Gliazellen gefunden zu haben angibt. Eine dafür
als Beleg gegebene Abbildung scheint auch dieser Auffassung tat-
sächlich Recht zu geben, doch ist dabei zu bedenken, dass Robin-
son (41) bei seinen systematischen Untersuchungen von Sehnervenquer-
schnittserien des gleichen Tieres von 6,5, 8, 9, 10, 11 und 14mm
Länge nichts gefunden hat, was eine derartige Auffassung gestützt
oder auch nur nahegelegt hätte.
Da aber Querschnittserien bei der Entscheidung dieser Frage
viel zuverlässiger sind als Längsschnitte, in welche der Sehnerv von
Krückmanns Rattenembryo zerlegt war, und ausserdem Robinsons
Befunde sich mit denen der übrigen Forscher decken, kann ich nicht
umhin, Robinsons Untersuchungsergebnissen mehr Beweiskraft zu-
zuerkennen.
Die Umwandlung des hohlen in den soliden Optikus erfolgt
demnach auch nicht, wie O. Schultze(49) zu glauben scheint, durch
eine blosse Wucherung seiner Wánde, sondern durch eine Reihe von
Momenten (Zellverschiebung, Einwachsen der Nervenfasern, die doch
auch Platz brauchen usw.), unter denen meines Erachtens die Ein-
sprossung der Nervenfasern eine sehr wichtige Rolle spielt. Auch
Nussbaum (5) hat sich in diesem Sinne ausgesprochen und zwar mit
folgenden Worten: „die neugebildeten Fasern ziehen ebenfalls zum
Augenblasenstiel, dessen Höhle sie zum Schwund bringen und den
sie alsbald auch dorsal durchsetzen.“
Die Art und Weise des Spaltenschlusses im Sehnerven ist so-
mit wesentlich verschieden von der des Verschlusses der Becherspalte,
bei welcher es sich bekanntlich um ein Vorwachsen der Augenbecher-
ränder bis zur Berührung und Verschmelzung handelt.
Alle Zellen des Augenblasenstiels werden zu Glia-
zellen [Krückmann(43)], sie bilden das Stützgewebe des Selinerven,
die Neuroglia. Über diesen Punkt sind sich heutzutage alle Forscher
einig.
Hingegen gehen die Meinungen über die feineren histologischen
und biologischen Beziehungen zwischen Gliazele und Neurofibrille
noch stark auseinander.
Während ein Teil der Autoren |Hıis(20), Froriep(45), Robin-
son (47), Studnicka(51) und Harrison (52)| der Meinung ist, dass
die Nervenfasern zwischen den Gliazellen ihren Weg nehmen, ver-
33%
502 R. Seefelder
treten Held (14), Krückmann (43), Pes (50)!) und auch Wlassak (53)
den Standpunkt, dass die Neurofibrillen innerhalb des Gliazellproto-
plasmas verlaufen. ,In das Protoplasma der sich entwickelnden Glia-
zelle ist die Nervenfaser direkt und unmittelbar eingebettet" (Held).
Held hat die erste Entwicklung der Optikusfasern in ihren ver-
schiedenen Hauptstadien an Rana temporaria und esculenta, sowie an
Ansa domestica und Mus musculus eingehend studiert und bei allen
1) Wenn Pes(50) auch der Ansicht ist, dass die Nervenfasern inmitten
der Intercellularbrücken der Gliazellen verlaufen, so weicht doch seine Ansicht
über die Entstehung der Intercellularsubstanz von der H elds (14) und Krück-
manns (43) (siehe S. 441—442 dieser Arbeit) ganz erheblich ab. Er lässt sie zum
Teil aus dem Detritus von zerfallenen Zellkernen des Augenblasenstiels hervor-
gehen und hält die Ansicht Helds und Krückmanns, dass das Protoplasma
der Stielzellen durch die einwachsenden Nervenfasern durchbohrt und auf-
gesplittert werde, für unhaltbar. Er hat seine Untersuchungen an 2—4 Tage
alten Hühnchenembryonen ausgeführt und gibt an, an zahlreichen Kernen des
Augenblasenstiels eine Karyolyse bis zur vollständigen Auflösung des Kerns in
eine fast farblose krümlige Masse beobachtet zu haben, welche in erster
Linie das Material für die Intercellularsubstanz liefere. Durch die der Krück-
mannschen (43) Arbeit beigegebenen Abbildungen wird er in seiner Anschau-
ung nur bestärkt und er scheint zu glauben, dass die Unterschiede zwischen
seinen und den Krückmannschen Abbildungen nur durch eine genauere Wieder-
gabe (gli stessi fatti riprodotti con maggior dettaglio) der gleichen Tatsachen
seinerseits bedingt seien.
Was diesen letzteren Punkt anbetrifft, so wäre es keinesfalls angängig,
zwei bewährte Autoren wie Held und Krückmann der Ungenauigkeit in der
Beobachtung und Darstellung zu beschuldigen, ohne deren Präparate gesehen
oder für seine eigene Behauptung zwingende Beweise beigebracht zu haben.
Das letztere kann aber bei Des schon deswegen nicht zutreffen, weil er seine
Untersuchungen an einem ganz andern Tiere (Hühnchen) als die beiden Autoren
(Maus) ausgeführt hat. Zur Sache selbst bemerke ich, dass ich die Heldschen
Präparate gerade mit Rücksicht auf den Einwand von Pes persönlich genau
studiert und dort nicht die leisesten Anzeichen einer Karyolyse gefunden habe.
Auch in dem Sehnerven des Menschen kommt nach meinen Beobachtungen zu
keiner Zeit der Entwicklung die Pessche Karyolyse vor.
Meine Untersuchungen an lHühnchenembryonen halte ich nicht für aus-
reichend, um diese Frage in dem einen oder andern Sinne endgültig zu ent-
scheiden. Ich gebe zu, dass sowohl in der Retina als in dem Sehnerven von
3—4 Tage alten Hühnerembryonen Kerne von sehr verschiedenem Chromatin-
gehalt vorkommen, zwischen welchen sich im Sehnerven ovale oder rund-
liche, von einem fädigen und granulierten Inhalte teilweise ausgefüllte Lücken
befinden, getraute mir aber nach meinen Präparaten nicht zu sagen, dass diese
Lücken und ihr Inhait aus zerfallenen Kernen hervorgegangen sind. Auch fehlt
meines Erachtens in der Fig. 3 der Tafel I von Pes’ Arbeit eine Zwischenstufe
zwischen 2 und 3, welche jeden Zweifel daran beseitigte, dass 3 aus 2 hervor-
gegangen ist,
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 503
die gleichen Resultate erhalten. Ich selbst habe mich von der
intraprotoplasmatischen Lagerung der Sehnervenfasern
vermittels der Molybdän-Hämatoxylinfärbung von Held an
zahlreichen menschlichen Embryonen und Föten der ver-
schiedensten Stadien überzeugen können!)
Das jüngste?) Stadium, bei welchem mir dieser Nachweis gelungen
ist, hatte eine Lünge von 80mm. Am deutlichsten war aber die
intraprotoplasmatische Lagerung der Nervenfasern in dem Sehnerven
eines 5 monatlichen menschlichen Fótus zu erkennen. Das Gliareticulum
ist hier mit einer ganz überraschenden Deutlichkeit zur Darstellung
gelangt, aber immer noch weseutlich blasser gefürbt, als die punkt-
fórmigen, blauschwarzen Querschnitte der Nervenfasern, so dass die
gegenseitigen Beziehungen nicht klarer zutage liegen kónnten. Man
kann sich angesichts eines solchen Präparates nicht der Einsicht ver-
schliessen, dass die Nervenfasern in dem weichen granulierten Glia-
protoplasma eingebettet sind. — Ein kleiner Abschnitt dieses Sehnerven,
welcher auch die vielfache sternfórmige Aufsplitterung der Gliazellen
und die haarscharfe Abgrenzung der Glia und des mesodermalen
Septengewebes zeigt, ist auf Taf. XVI, Fig. 4 abgebildet. —
An den mir zur Verfügung stehenden Embryonen der verschie-
densten Stadien kann ich die allmähliche Umwandlung des epithe-
lialen und hohlen Augenblasenstiels in den soliden Optikus ziemlich
gut verfolgen. Es geht aus meinen Beobachtungen vor allem hervor,
dass dieser Vorgang auch beim Menschen von dem Momente des ersten
Auftretens von Nervenfasern an ziemlich rasch abläuft.
Die ersten Nervenfasern finde ich, wie ich schon bei der
Beschreibung der Retinaentwicklung erwähnt habe, bei Embryonen
von 14—15mm Länge. Bei einem 23mm langen Embryo von
Robert Meyer ist dann schon der ganze Optikus in einen
soliden Strang umgewandelt, während bei einem 18,5 mm langen
Embryo von Robert Mever (Nr. 362, K. V. T. 64) und einem
19 mm langen, in meinem Besitz befindlichen Embryo in dem proxi-
malen und distalsten Abschnitte des Schnerven noch ein kleines Lu-
men vorhanden ist, welch’ letzteres sich nach dem Recessus optieus
hin leicht trichterförmig erweitert. (Vgl. Texttig. 29 u. 30.) Der
Zeitpunkt, in welchem sich der Schwund des letzten Restes des Stiel-
1) Besonders schön fand ich sie auch bei Schweineembryonen von 18 bis
20 mm Länge.
3) Jüngere Stadien standen mir zu diesen Untersuchungen nicht zur Ver-
fügung.
504 R. Seefelder
lumens vollzieht, ist somit ziemlich scharf umschrieben. Kleine in-
dividuelle Schwankungen kommen zweifellos auch hierin vor.
Meine Präparate lassen ferner darauf schliessen, dass das erste
Einsprossen von Nervenfasern auch beim Menschen zuerst in der ventralen
Optikuswand erfolgt, und dass die Nervenfasern anfänglich in der
Peripherie dicht unter der Membrana limitans externa verlaufen. Diese
Lagerung behalten die Nervenfasern auch noch eine Zeitlang bei,
nachdem sie schon den ganzen Stiel der Länge nach durchwachsen
haben. In der Textfig. 29!) ist ein Sehnerven-Längsschnitt meines
19 mm langen Embryos dargestellt, welcher sich gerade in diesem Sta-
dium befindet. Die grosse Ähnlichkeit dieser Abbildung mit den Text-
figuren 256 und 257 in O. Schultzes Grundriss der Entwicklungs-
geschichte, welche die Sehnervenentwicklung eines 11 mm langen
Mäuseembryos demonstrieren, ist ganz eklatant. Wir sehen in ihr die
Kerne des Stiels nach dem Zentrum zusammengedrängt, in dessen
proximalen Abschnitte die zu innerst befindlichen das noch erhaltene
kleine Stiellumen epithelartig umsäumen. Rings um diesen axialen
Zellstrang befindet sich eine kernarme Zone, der neurofibrillierte Rand-
schleier, in welchem die blassen, feinen Nervenfasern verlaufen und
1) In dieser Figur ist im Pigmentepithel das Pigment versehentlich nicht
eingezeichnet worden,
= cues GE ERN ERN s o e
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 505
bereits bis zum Gehirn vorgedrungen sind, wo sie sich allmählich ver-
leren. Auf Querschnitten durch den Sehnerven der andern Seite
(Textfig. 30) ergibt sich naturgemäss das gleiche Verhalten. Zur
Feststellung feinerer Verhältnisse, insbesondere der Beziehungen zwischen
Glia und Neurofibrille, war die Konservierung des Präparates leider
nicht mehr ganz ausreichend. Es liess sich aber an ihm des weiteren
die interessante Tatsache feststellen, dass das Zentralgefäss selbst noch
zu dieser Zeit schon gleich hinter dem Auge ganz excentrisch liegt,
also offenbar erst ziemlich spät ganz von dem Sehnerven umwachsen
wird und in seine axiale Lage einrückt.
Mit am längsten dauert es, worauf schon O. Schultze auf
Grund von Beobachtungen an Vespertilio murinus hingewiesen hat,
bis die dorsale Wandung des Stieles am Übergang in das
Pigmentepithel von Nervenfasern durchwachsen ist. Es ist
dies sogar bei meinem 19mm langen Embryo, sowie bei einem unge-
fähr gleichalterigen Stadium Rob. Meyers (18,5 mm) noch nicht er-
folgt, und die Stielwandung daselbst noch von rein epithelialem Bau
wie das Pigmentepithel, mit dem sie unmittelbar zusammenhüngt. Die
nahe Verwandtschaft zwischen dem Pigmentepithel und den Gliazellen,
an welche wir noch ófters erinnert werden, tritt an diesen Übergangs-
stellen besonders offenkundig zutage.
Bei dem 23mm langen Embryo von Rob. Meyer ist auch die
dorsale Stielwand von Nervenfasern durchwachsen und damit die Um-
gestaltung des embryonalen Sehnerven in. seine definitive Form in den
wesentlichsten Punkten vollzogen.
Die Gliakerne sind jetzt über das ganze Areal des Sehnerven
in ziemlich gleichmässiger Weise verteilt, und das Volumen des Seh-
nerven in allen Dimensionen vergróssert. Auch ist jetzt an dem
zentralen Sehnervenende das Chiasma zur Entwicklung
gelangt. — Bei meinem 19 mm langen Embryo ist dagegen ein
Chiasma noch nicht nachweisbar. Ein derartiges Bild, wie es Lange
in seinem Atlas mit Tafel XVII als partielle Sehnervenkreuzung bei
einem 7—8 Wochen alten Embryo abbildet, ist mir bei meinen Unter-
suchungen nie begegnet. Nach der ganzen Abbildung zu urteilen, die
ein hochgradig kadaverös verändertes Auge zeigt, muss ich aber auch
Langes Deutung als etwas gewagt bezeichnen.
b. Verhalten des Mesoderms bis zu diesem Zeitpunkt.
Der Augenblasenstiel ist wie das ganze embryonale Medullarrohr
schon von seiner frühesten Entwicklung an von einem ziemlich lockeren
506 R. Seefelder
und regelmässigen kapillaren Gefässnetz umgeben, das seiner Ober-
fläche eng anliegt und für seine Ernährung Sorge trägt. Er selbst
ist so lange vollständig gefässlos, bis in sein distales rinnenförmig ver-
tieftes Ende die Arteria hyaloidea zu liegen kommt. Aber auch dann
bleibt die Arteria hyaloidea noch lange Zeit das einzige Gefäss im
ganzen Sehnerven, das ihn zunächst nur gewissermassen als die Ein-
trittspforte in das Auge benutzt, ohne an ihn selbst Zweige abzugeben.
Dies ist auch noch bei dem zuletzt beschriebenen Stadium von 26 mm
Länge der Fall. Die Arteria hyaloidea selbst macht während des be-
schriebenen Zeitraums eine eigenartige Veränderung durch. In den
ganz Jungen Stadien ist (bis zu 6,5 mm) sie nur ein ganz zartes klein-
kalibriges Gefäss, wächst aber dann rasch zu einem mächtigen Gefäss
heran, das sich schon gleich am Eintritt in das Augeninnere zu teilen
beginnt und mit seinen Ästen den ventralen und proximalen Glaskörper-
raum grossenteils ausfüllt. Als ein so mächtiges Gebilde habe ich
sie noch bei Embryonen bis zu 12mm grösster Länge gefunden.
Später nimmt das Kaliber der Arterie wieder allmählich ab und sie istam
Schlusse der beschriebenen Entwicklungsperiode, kurz nachdem der
ganze Sehnerv solid geworden ist, wieder auf ein ganz zartes dünnes
Gefässchen reduziert. Ich habe diese Beobachtung an einer fort-
laufenden Embryonenserie regelmässig gemacht und halte es deshalb
für ausgeschlossen, dass die erwähnten auffälligen Kaliberschwankun-
gen etwa nur durch zufällige Verschiedenheiten in der Blutfüllung
der Arterie verursacht waren.
Mit der Arterie dringen auch freie Mesodermzellen
in den Stiel und in das Augeninnere hinein, wo sie zu meso-
dermalen Glaskörperzellen werden. Auch von dieser Tat-
sache habe ich mich an den verschiedensten Präparaten überzeugt.
Ja es scheint sogar, als ob zu einer gewissen Zeit, etwa in der
5.—6. Woche, eine besonders lebhafte Invasion von. Mesodermzellen
in das Augeninnere stattfindet, besonders auch vom Augenbecher-
rande herr. — Sobald aber die Arterie von dem Sehnerven. um-
wachsen ist, ist die Zahl der sie innerhalb des Stiels begleitenden
Mesodermzellen nur noch ganz unbedeutend. Und im distalsten Ab-
schnitte des Schnerven fehlen sie ganz, so dass dort das nackte ka-
pillare Gefässrohr der Arterie den einzigen mesodermalen Abkömm-
ling repräsentiert.
Schon sehr frühzeitig weisen die den Augenblasenstiel umgeben-
den Mesodermzellen eine diehtere Lagerung und regehnässigere Grup-
pierung auf als die weiter entfernt gelegenen. Ihre Zellachse scheint
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 507
in Längsschnitten durch den Sehnerven in der Längsachse des Nerven,
in Querschnitten dagegen in cirkulärer Richtung zu verlaufen, ein Be-
weis dafür, dass sie mit mehreren Protoplasmafortsätzen ausgestattet
sind, die der Oberfläche des Sehnerven in verschiedenen Richtungen
angepasst sind. Es ist damit die erste Anlage der Optikus-
scheiden vollzogen.
c. Über die Teilung der Stiel-(Glia-)Zellen.
Die Vermehrung der Zellen des Augenblasenstiels erfolgt zu-
nächst ausschliesslich durch mitotische Teilung innerhalb der dem
Stiellumen zunächst gelegenen Kernschicht. Auch nach dem Ein-
wachsen der Nervenfasern findet noch eine reichliche Mitosenbildung
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Fig. 31.
statt, nur zeigt deren Lage von da an kein so gesetzmässiges Ver-
halten mehr. — Die Grundform der Gliakerne kann wohl, falls man
bei diesem variablen Gebilde überhaupt von einer bestimmten Form
reden darf, als rundlich oder oval bezeichnet werden. — Neben den
so geformten Kernen treten aber schon kurze Zeit nach dem Ein-
sprossen der Nervenfasern ganz abenteuerliche Kernformen auf, welche
sich von da an noch lange Zeit und zwar ungefähr bis gegen das
Ende des 3. fötalen Lebensmonates nachweisen lassen. (Vgl.
Texttigur 31, Kerne aus dem Schnerven eines 73 mm langen Embryos.)
Die einfachste dieser Formen besteht in einer Einschnürung des
Kerns, durch welche dieser in zwei meist ungleich grosse Abschnitte
geteilt wird, wobei die die beiden Kernabschnitte verbindende Kern-
hrücke bald kurz bald lang ausgezogen erscheint.
Sie ist um so dünner, je länger sie ist, und scheint vielfach unmittelbar
vor dem Eimreissen zu stehen. Die an den Fadenenden befindlichen
508 R. Seefelder
Kernhälften liegen dabei häufig in ganz verschiedenen Ebenen. Da-
neben findet man Kerne, die verschiedene, meist plumpe, kolbige Aus-
wüchse besitzen und dadurch die merkwürdigsten Formen erhalten haben.
Endlich trifft man nicht selten birnenförmige Kerne, welche an ihrem
spitzen Ende einen fadenförmigen Fortsatz von dem Aussehen der
Kernbrücken besitzen, ohne dass am andern Ende des Fadens wieder
ein Kernanhängsel nachweisbar ist. Die Grösse der rundlichen und
ovalen Gliakerne weist sehr erhebliche Schwankungen auf. Einige
von diesen Kernvariationen sind in der Textabbildung 31 veran-
schaulicht. Doch ist damit ihre Mannigfaltigkeit nur schwach an-
gedeutet. Man müsste beinahe alle Kerne abbilden, wenn man alle
Formunterschiede darstellen wollte, da fast jeder Kern etwas anders
aussieht.
Neben diesen Kernformen sind auch noch stets einzelne gut er-
haltene Mitosen nachweisbar, deren eine ebenfalls mit abgebildet ist. —
Es ergibt sich von selbst die Frage, was diese merkwürdigen
und meines Wissens bei den Gliazellen noch nicht beobachteten Kern-
formen für eine Bedeutung haben.
Am nächstliegenden erschien mir, und ich habe mich auch in
meinem Beitrage für den letzten internationalen Ophthalmologenkongress
dahin ausgesprochen, sie als den Ausdruck einer amitotischen
Kernteilung anzusehen. Bestärkt wurde ich in dieser Ansicht noch
durch eine kürzlich erschienene Arbeit von Zawarzin (40), welcher
von ähnlichen Kernveränderungen am Descemetschen Endothel be-
richtet, ferner durch etwas ähnliche Beobachtungen an dem der Glia
genetisch nahestehenden Pigmentepithel, welche bereits in einem be-
sonderen Kapitel dieser Arbeit (S. 492—496) beschrieben sind. Es würde
‘sich dabei, die Richtigkeit dieser Ansicht vorausgesetzt, vorzugsweise
um die Form der regelmässigen Amitose, bei welcher sich der Kern in
zwei annähernd gleiche Hälften teilt, handeln, wogegen für eine Kern-
teilung durch Knospung oder Fragmentierung nur wenig Kernformen
sprechen würden.
Professor Held, dem ich diese Präparate zeigte, und der sich
auch keiner analogen Beobachtung an den Gliazellen erinnerte, gab
mir aber zu bedenken, dass es sich auch um eine vorübergehende,
durch die Nervenfasern mechanisch bewirkte Formveränderung_ der
Kerne handeln könne. Dafür könnte in der Tat der Umstand
sprechen. dass die Kernhälften vielfach nicht in einer Ebene liegen
und dass die dünne. ling ausgezogene Kernbrücke zuweilen einen
Bogen beschreibt, welcher schr wohl der Oberfläche eines Nervenfaser-
Beitrage zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 509
bündels angepasst sein kónnte. Auch gibt der Umstand, dass es sich
um junge embryonale Augen handelt, in welchen sonst die mitotische
Kern- bzw. Zellteilung die Hauptrolle spielt, gewiss zu Bedenken
gegen die Annahme einer so reichlichen amitotischen Teilung Anlass. —
Es ist aber anderseits in Erwügung zu ziehen, dass manche Kern-
veränderungen, so z. B. die tiefen Einschnürungen ohne jedwede sichtbare
Dehnungserscheinung, ferner die kolbigen Auswüchse usw., die doch
wohl die gleiche Bedeutung wie die höhergradigen Veränderungen
besitzen, schwerlich mit einer mechanischeu Deformierung zu erklären
sind. Auch wäre wohl denkbar, dass bei der sicher sehr starken
Kernvermehrung, welche im 3. Monat stattfindet, die mitotische Tei-
lung allein nicht allen Ansprüchen zu genügen vermöchte. — Und
endlich wäre zu erwarten, dass in den noch jüngeren Stadien, in
welchen ohne Zweifel eine ausgiebige Kermverschiebung durch die
einsprossenden Nervenfasern stattfindet, mindestens ebenso starke Kern-
veränderungen zu finden seien, was aber nach meinen Präparaten nicht
der Fall ist.
Auch erscheint es mir überhaupt zweifelhaft, ob so hochgradige
Formveründerungen, wie ich sie beobachtet und abgebildet habe,
wirklich ausschliesslich durch mechanische Ursachen wenigstens unter
den Verhältnissen hervorgerufen werden können, in welchen sich die
Gliazellen im. Sehnerven befinden, wo z. B. einem Ausweichen eines
Kernes vor einer drüngenden oder pressenden Gewalt auch im 3. fö-
talen Lebensmonat kaum ein unüberwindliches Hindernis entgegen-
stehen. dürfte. — Immerhin fühle ich mich nicht kompetent, die er-
örterte Frage in dem einen oder andern Sinne bestimmt zu entscheiden,
und ich möchte es jedem Leser meiner Zeilen überlassen, sich auf
Grund meiner Beschreibung und der beigegebenen Abbildungen sein
eigenes Urteil zu bilden.
d. Die Glia.
1. Der Gliamantel der Arteria hvaloidea.
Von dem Momente an, in welchem der Sehnerv vollständig von
Nervenfasern durchwachsen ist, erweckt das Verhalten der letzteren
so lange kein besonderes entwicklungsgeschichtliches Interesse mehr,
bis sich an ihnen ein neuer histologischer Vorgang. die Markscheiden-
bildung, vollzieht, welehe bekanntlich erst nach der Geburt er-
folgt. — Hingegen spielen sich im Bereiche der Glia und des Meso-
derms fortwährend bemerkenswerte Prozesse ab, welche das ana-
510 R. Seefelder
tomische und histologische Bild des Sehnerven in hohem Grade be-
einflussen und verändern.
Einige Zeit nach der Umwandlung des epithelialen Optikus in den
soliden zeigen die zwischen den Nervenfasern liegenden Stiel- bzw.
Gliakerne noch eine verhältnismässig unregelmässige Lagerung. Wir
finden aber bald, so schon bei Embryonen des dritten Monats, in
Längsschnitten des Sehnerven jene bekannte regelmässige Anordnung
der Gliazellen, welche von Krückmann(43) als säulenförmig be-
zeichnet wird. Für das mikroskopische Bild des Sehnervenlängsschnittes
‚ist diese Bezeichnung auch zutreffend, da die Gliazellen dort lange
Kernsäulen bilden, zwischen welchen die Nervenfaserbündel verlaufen.
Betrachten wir dagegen Querschnitte von jungen fötalen Seh-
nerven, so zeigt es sich, dass die Gliakerne um die von ihnen ein-
geschlossenen Nervenfaserbündel kreis- bzw. röhrenförmig angeordnet
sind, weshalb mir das Lageverhältnis zwischen den Gliakernen und
den Nervenfasern durch die Bezeichnung „Kernröhren“ noch pla-
stischer und anschaulicher ausgedrückt zu sein scheint. —
Die róhrenfórmige Anordnung der Gliakerne brjngt es auch mit
sich, dass sich horizontale und vertikale Lüngsschnitte durch den Seh-
nerven bezüglich der Anordnung der Gliakerne nicht merklich von-
einander unterscheiden.
Selbstverständlich liegen auch einige Gliakerne innerhalb der
Nervenfaserbündel, doch nicht in solcher Anzahl, dass dadurch die
Regelmässigkeit des ganzen mikroskopischen Bildes verwischt wird.
Bei manchen Embryonen dieses Alters (dritter Monat) sieht man
ganz deutlich, dass die Arteria hyaloidea während ihres ganzen Ver-
laufs durch den Sehnerven von einem Mantel von dichtaneinander-
gereihten epithelial angeordneten Gliazellen umgeben ist, welche sich von
den übrigen Gliazellen sonst nicht unterscheiden und mit diesen in der
bekannten Weise zusammenhängen. Die Verbindung zwischen dem
Arterienrohr und dem Gliazellmantel scheint zumeist eine ganz innige
zu sein, auf keinen Fall habe ich in den jungen Stadien irgendein
Zwischengewebe zu finden vermocht. In solchen Sehnerven nun, in
welchen dureh ein stärkeres Auseinanderweichen der Schnervenfasern
an der Eintrittsstelle in das Auge eine mehr oder weniger grosse Ein-
senkung (Exeavation) gebildet wird, bleiben diese zentralen Gliazellen in
deren Bereiche mieht im Kontakt mit der Arterie, sondern kleiden als
eine zunächst einfache Zellage die Wandung der Exeavation aus, wobei
sie sogar noch eine ganz kurze Strecke über das Nervenfaserknie hin-
überreichen.
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 511
Ich habe eine ganz deutliche Excavation und die beschriebene
epitheliale Auskleidung durch Gliazellen schon bei einem 26mm
langen Embryo beobachtet, bei welchem also die vollständige Kon-
solidierung des Optikus erst vor ganz kurzer Zeit vollzogen sein
konnte!) Während aber die die Arterie unmittelbar umgebenden Glia-
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Fig. 32.
zellen auch noch in den nüchsten Wochen als eine nur einfache Reihe
bestehen bleiben, beginnen die Gliazellen an der Stelle des Nerven-
faserknies sehr bald zu wuchern und dringen teils zwischen die
Nervenfasern ein, teils wachsen sie in der Richtung des Arterienrohres
so lange, bis der dazwischen befindliche Raum überbrückt oder, wie bei
1) Ich bemerke, dass sich der Sehnerv von verschiedenen von mir unter-
suchten Sáugetieren (Schwein, Rind und Schaf) in dieser Hinsicht ganz analog
verhält.
512 R. Seefelder
kleineren Excavationen, ganz ausgefüllt ist. — In den Abbildungen 1— 5,
Tafel XVI, ist diese erste Entwicklung des bekannten Gliamantels der
Arterie photographisch dargestellt. In Abbildung 1 (Sehnerveneintritt eines
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Fig. 33.
31 mm langen Embryos) ist die epitheliale Auskleidung des Trichters
und der Beginn der Wucherung dieser Zellen deutlich zu sehen, in
Abbildung 2 (73 mm langer Embryo) ist letztere schon viel weiter
vorgeschritten und die Tendenz der Gliazellen, das Arterienrohr zu
umscheiden, deutlich ausgesprochen. In Abbildung 3. endlich. (S8 mm
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 513
langer Embryo) ist bereits die ganze Basis der Arterie von den Glia-
zellen umgeben. Die Vergrósserung ist in den 3 Abbildungen die gleiche.
In der nächsten Zeit nimmt der Gliamantel sowohl an Länge
als an Dicke noch zu und erreicht im vierten Monat bereits eine be-
deutende Mächtigkeit. Er sitzt zu dieser Zeit der Papille, welche
er grösstenteils bedeckt, mit breiter Basis auf und verschmälert sich
allmählich nach dem Glaskórper zu. Seine Form erinnert an die
eines Hohlkegels mit abgestumpfter Spitze. (Vgl. Textfigur 32, Fötus
von 17 cm Länge.) Das Längenwachstum schreitet auch weiterhin fort
und ist erst am Anfange des siebenten Monats beendet. Die Länge
des Gliamantels beträgt zu dieser Zeit etwa 1,2 mm. Diese Längen-
zunahme erfolgt aber anscheinend auf Kosten der Dicke des Mantels,
da letztere bereits vom fünften Monate an in einer fortschreitenden
Abnahme begriffen ist, welche erst vom siebenten Monate an Halt
macht. (Vgl. Textfigur 33.)
Der Gliamantel weist in dieser Zeit fast in seinem ganzen Ver-
laufe nur noch zwei Zellreihen auf, welche in ziemlich regelmässiger
Anordnung nebeneinander verlaufen und zahlreiche innige protoplas-
matische Verbindungen besitzen. Eine grössere Dicke ist jetzt nur
an seinem im Grlaskörper befindlichen Ende zu konstatieren, an wel-
chem manchmal auch kleine knospenartige Auswüchse vorkommen.
(Textfigur 33.) Dies ist aber nicht bei jedem Fötus der Fall.
Gegen das Ende des siebenten Monats endlich beginnt die Re-
sorption des Gliamantels, welche der der Arteria hyaloidea stets
etwas vorauseilt. So ist der Gliamantel bei Fotoen von 40—42 cm
Länge (Textfigur 34a und b) bereits stark reduziert, während die Arterie
noch den ganzen Glaskörperraum durchzieht, und bei einem Fötus
des neunten Monats verläuft das Arterienrohr noch eine ganze Strecke
frei im Glaskörper, wogegen der Gliamantel nur noch in der nächsten
Nähe der Papille nachweisbar ist. (Vgl. Textfigur 35.) Kurz vor der
endgültigen Resorption der Arterie ist dann auch der Gliamantel voll-
ständig verschwunden (vgl. Textfisur 36a und b), Nur seine Basis
bleibt als die gliöse Auskleidung der Papillenobertläche und der Zen-
tralgefüsse zeitlebens bestehen. —
Im Verlaufe der geschilderten Entwicklung macht nämlich der
Gliamantel zusammen niit der Arterie eine erhebliche Lageverschiebung
durch. Die anfangs ungefähr im Zentrum der Papille verlaufende
Arterie rückt im Laufe der Zeit allmählich mehr und mehr an die
nasale Seite des Schnerven bis auf das Nervenfaserknie hinüber.
Der ringsum von dem Nervenfaserknie entspringende Gliamantel und
514 R. Seefelder
besonders sein temporaler Abschnitt schmiegt sich dabei der Papillen-
oberflüche innig an und überzieht diese sowie die oberflächlich ge-
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Fig. 34a.
legenen Zentralgefüsse mit einer zarten gliósen Hülle. (Vgl. Text-
figur 33—36.)
Nicht selten bleibt bekanntlich ein kurzer Stummel des 'oblite-
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a
Fig. 34b.
rierten Arterienrohrs und ein Rest des Gliamantels bis über die Ge-
burt hinaus erhalten. In diesen Fällen ist dann die ehemalige Struktur
des Gliamantels ganz verwischt und es sind der Mantel und die
Arterie innig miteinander verwachsen [vgl. die Fig. 7 u. 8, Taf. XI in
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 515
Jacobys Arbeit über die Neuroglia des Sehnerven (89)], während nor-
malerweise zwischen dem Gliamantel und der Arterie stets ein kleiner
Spaltraum vorhanden ist. — |
Der Gliamantel umgibt die Arterie, ohne mit ihr eine
engere gewebliche Verbindung einzugehen. Von dieser Tat-
sache habe ich mich in zahlreichen Augen der verschiedensten Stadien
und zwar gerade in den bestkonservierten und schrumpfungsfreiesten
9
DN
,
Fig. 35.
Präparaten immer wieder überzeugt. Der schmale Spaltraum zwischen
dem Gliamantel und der Arterie erscheint, abgesehen von spärlichen
Wanderzellen, jedenfalls mobil gewordenen Gliazellen, im mikroskopi-
schen Bilde fast stets vollkommen leer. Nur an vereinzelten Stellen
gelingt es, feine zwischen der Arterie und dem Gliamantel ausgespannte
Protoplasmafüden nachzuweisen, ohne dass dadurch die oben ange-
gebene Regel umgestossen wird. Der Inhalt des Spaltraums muss also
in vivo aus einer eiweissarmen Flüssigkeit bestehen, welche in An-
betracht ihrer direkten Kommunikation mit dem Glaskórperraum mit
der dort befindlichen Flüssigkeit chemisch übereinstimmen dürfte.
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 34
516 R. Seefelder
Die Tatsache, dass die Arterie und ihr Gliamantel durch einen
Spaltraum getrennt sind, ist auch früheren Untersuchern nicht ent-
gangen.
Fig. 36a.
So hat Vassaux(54) in einem Falle von persistierender Arteria
hyaloidea einen Mantel um die Arterie gefunden, den er als eine
Lymphscheide betrachtet, und van Duyse gibt in seiner Embryologie
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 517
des Auges eine Abbildung eines Gliamantels, welcher ebenfalls von
der Arterie durch einen schmalen Spaltraum geschieden is. Van
Duyse hält jedoch die Zellen des Gliamantels irrtümlicherweise für
die Endothelien des Glaskörperkanals und lässt sie aus dem Meso-
derm der fötalen Augenspalte hervorgehen.
Auch Calderaro(55) gibt ausdrücklich an, dass der Gliamantel
(Zaffo prepapillare) nicht in Kontakt mit der Arterie tritt. Er be-
findet sich aber darin in dem gleichen Irrtum wie van Duyse und
auch Versari(56), dass er den Gliamantel für ein mesodermales Ge-
bilde hält.
Ich kann mir diesen Irr-
tum der genannten Autoren
nur damit erklüren, dass sie
nicht die erste Entstehung des
Gliamantels beobachtet haben.
Calderaro(55) gibt ja auch
ausdrücklich an, dass er ihn
erst bei Embryonen von 63 mm
Länge gesehen habe, während
ich ihn schon bei 26 mm langen
Embryonen angelegt gefunden
habe. Aber auch das spätere Fig. 36b.
histologische und färberische
Verhalten, so vor allem der unmittelbare Übergang in das Gliagewebe des
Sehnervenkopfes stempeln den Gliamantel deutlich zu einem ektodermalen
Gebilde. — Ganz unverständlich sind mir endlich die Zeitangaben Cal-
deraros(55) über die Rückbildung des Gliamantels und der Arterie.
Er findet die letztere schon bei Fóten von 21 cm nicht mehr in ihrem
ganzen Verlaufe durchgüngig und im sechsten Monat bereits ganz
obliteriert, während ich noch bei verschiedenen Fóten von 40—42 cm
Länge eine vollständig bluthaltige Arteria hyaloidea und erst bei 45 cm
langen Fóten die Obliteration soweit vorgeschritten fand, dass nur
noch ein kurzer Stummel an der Papille kanalisiert und von Blut-
körperchen ausgefüllt war. Bei der Grösse meines Materials und der
Übereinstimmung meiner Befunde in den verschiedensten Stadien bin
ich der festen Überzeugung, dass meine Zeitangaben der Norm ent-
sprechen.
Nach Calderaro(55) hat der Gliamantel keine andere Funktion
als die, den Netzhautgefässen mit seinem der Papille anliegenden
Teile Platz zu verschaffen (dare luogo), während seine cylindrische
34*
518 R. Seefelder
Fortsetzung dazu diene, den in ihrem Innern verlaufenden Gefäss-
stamm einzuscheiden und später die Obliteration zu bestimmen (e a de-
terminare più tardi la obliterazione). Meines Erachtens ist aber damit
über seine Funktion nicht viel gesagt. Denn die retinalen Aste der
Zentralarterie würden ihren kurzen Weg zur Netzhaut wohl auch ohne
den Gliamantel finden, und die Arteria hyaloidea existiert schon
einige Wochen, bevor der Gliamantel ausgebildet ist, kann also in
keinem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm stehen.
Auch kann ich mir nicht vorstellen, welchen Einfluss der Glia-
mantel auf die Rückbildung der Arteria hyaloidea ausüben soll. Meines
Erachtens wird diese in erster Linie dadurch eingeleitet, dass zunächst
immer mehr von ihren Endverzweigungen obliterieren, bis schliesslich
der Stamm der Hyaloidea selbst an die Reihe kommt.
Die physiologische Bedeutung des Gliamantels scheint mir viel-
mehr recht unklar zu sein. Vielleicht beruht sie, wenigstens zum Teil,
in seiner Eigenschaft als Matrix des sogenannten zentralen Glas-
körpers, welcher ebenso wie der Gliamantel ein vergängliches Gebilde
ist. Allerdings erhebt sich dabei von selbst die nicht minder schwer zu
beantwortende Frage, welche Aufgabe dem zentralen Glaskörper zu-
zusprechen ist. Vielleicht kann durch vergleichend anatomische Unter-
suchungen auf diese Frage Licht geworfen werden, wenigstens will
ich selbst versuchen, auf diesem Wege etwas weiter zu kommen.
Das feinere histologische Verhalten des Gliamantels ist aus den
Textfig. 34b und 37a zu ersehen, von denen Fig. 37a einen Abschnitt
der Fig. 32 bei stärkerer Vergrösserung darstellt. Man findet in ihnen
wieder die bekannte netzige und syneytiale Anordnung des Glia-
gewebes, so vor allem auch die sternfórmige Verästelung und die
Anastomosenbildung der Gliazellen.
An der Ursprungsstelle aus der Papille sind auch direkte Ver-
bindungen des Gliamantels mit dem Gliagewebe des Schnervenkopfes
insbesondere mit denjenigen Gliafasern nachweisbar, welche von dem
vorderen marginalen Gliaringe ausgehen und die Nervenfaserschicht am
Papillenrande in radiärer Riehtung durchsetzen. (Vgl. Textfig. 32.)
Fast die ganze Oberfläche des Gliamantels ist mit
äusserst feinen straffen Fibrillen besetzt, welche zunächst
in schnurgerader. Richtung zur hinteren Linsenfläche ziehen, vor der-
selben aber nach allen Seiten trichterförmig auseinanderweichen und
zusammen mit den innerhalb des Triehters befindlichen Glaskörper-
fibrillen den sog. zentralen Glaskörper |Retzius(57)] bilden.
Diese Fasern entspringeu samt und sonders aus dem
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 519
Gliamantel der Arterie und sind als reine Gliafasern auf-
zufassen. Sie entstehen gegen das Ende des 3. Monats, vielleicht auch
schon etwas früher, und verschwinden zum grössten Teile gleichzeitig
mit der Resorption des Gliamantels. Nur unmittelbar an der Seh-
nervenpapille selbst bleibt ein kleiner Rest von ihnen dauernd er-
halten.
Zwischen den Maschen des Gliamantels sind schon von seiner
ersten Entwicklung an teils vereinzelte, teils zu kleineren oder grösseren
Häufchen vereinigte freie Zellen nachzuweisen. (Vgl. Textfig. 34 a
und b, sowie Fig. 3, Taf. XVI. Der Kern dieser Zellen ist rundlich
und lebhaft gefärbt, der Protoplasmaleib ebenfalls meist von rundlicher
Form und im ganzen .von einem leicht gekörnelten Aussehen. Zu-
weilen findet man aber auch ähnlich aussehende Zellen, welche mit
mehreren Protoplasmafortsätzen ausgestattet sind und vermittels dieser
mit den Zellen des Gliamantels zusammenhängen. (Textfig. 34 b.)
Dieser letztere Befund gibt uns einen Anhalt dafür, welcher Zell-
gattung die freien Zellen des Gliamantels zuzurechnen sind. Nach
ihm bleibt keine andere Deutung übrig, als dass es sich um mobil
gewordene oder mobil werdende Gliazellen handelt, welche nach dem
Glaskörper auswandern, wo sie in der nächsten Nähe des Gliamantels
häufig anzutreffen sind. Diese Beobachtung liefert eine Ergänzung
zu dem in dieser Arbeit enthaltenen Kapitel über die Herkunft der
Glaskörperzellen im jungen embryonalen Auge, sowie zu den bereits
citierten Mitteilungen von Krückmann (25) und Wolfrum (26), welche
auf Grund einwandfreier Beobachtungen in älteren Augen für eine
Auswanderung von Gliazellen aus der Retina in den Glaskörper ein-
getreten sind. Held(24) hat analoge Beobachtungen im Gehirn ge-
macht und hier Gliazellen aus der Hirnrinde in die adventitiellen
Lymphwege des Gehirns übergehen sehen. Nach ihm verliert auch
die Gliazelle des Gehirns nach ihrer Loslösung aus dem Gliazellver-
bande ihr sternförmiges Aussehen und wird rund, genau so, wie ich
es an den freien Zellen innerhalb des Grliamantels beobachtet habe.
Endlich erwähne ich noch, dass Fritz Marchand (90) bei verschie-
denen Erkrankungsprozessen des Centralnervensystems ebenfalls eine
aktive Wanderung von Gliazellen nachgewiesen hat.
Die Zahl der freien Gliamantelzellen ist am grössten im 4. und
5. Monat, später sind nur noch vereinzelte freie Elemente nachzu-
weisen. Über ihr weiteres Schicksal im Glaskörper habe ich keinen
bestimmten Aufschluss gewinnen können. Es scheint mir aber, als
ob dort ein Teil von ihnen seiner vollständigen Auflösung entgegen-
590 R. Seefelder
ginge, da manche dieser Zellen schon bei ihrem Eintritt in den Glas-
körper mit ausgesprochenen Degenerationserscheinungen — Vakuoli-
sierung des Protoplasmas, Verlust der Kernstruktur usw. — behaftet
sind. Eine nennenswerte physiologische Bedeutung kommt ihnen jeden-
falls nach meiner Ansicht nicht zu.
Der Zusammenhang des erórterten embryonalen Verhaltens
Fig. 37a.
m. G. Z. — mobil werdende Gliazellen.
der Arteria hyaloidea und ihres Gliamantels mit den unter dem
Namen ,persistierende Arteria hyaloidea, persistierender
Canalis Cloqueti usw.“ bekannten Missbildungen ist von mir
bereits in meiner Arbeit über die angeborenen Colobome des Aug-
apfels v. Graefe’s Arch. Bd/LXVIII S. 340—345 so eingehend be-
sprochen worden, dass ich darauf nur zu verweisen brauche
Es erübrigt aber noch, auf die mit unserm jetzigen Thema in
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 521
engstem Zusammenhange stehende Frage nach der Existenz eines
Glaskórperkanals einzugehen, welche bekanntlich gerade in der neuesten
Zeit zu dem Gregenstande einer lebhaften und selbst jetzt noch nicht
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Fig. 31b.
abgeschlossenen Diskussion zwischen Wolfrum (74—76) einerseits
und Stilling (78), Schaaff (77) anderseits geworden ist. Ich selbst
habe in meinen fötalen Augen zum Nachweise des fraglichen Kanals
weder Stillings noch Wolfrums Methode angewendet, sondern ver-
füge ausschliesslich über Schnittpräparate, deren Glaskörper aber viel-
599 R. Seefelder
fach sehr gut in situ fixiert ist. Nach diesen Präparaten bin ich ganz
unabhängig und unbeeinflusst von anderer Seite zu der Überzeugung
gekommen, dass ein Glaskörperkanal im menschlichen Auge weder
zur Zeit der Anwesenheit der Arteria hyaloidea noch nach ihrer Re-
sorption existiert, sondern dass bei dem spurlosen Verschwinden der Ar-
terie und ihres Mantels der von diesen beiden Gebilden eingenommene
Raum allmählich durch Glaskörpergewebe substituiert wird, das sich
im Gegensatz zu dem fötalen zentralen Glaskörper von dem der Um-
gebung im allgemeinen nicht merklich unterscheidet. Von einem
kanalfórmigen Raum habe ich nie das geringste Anzeichen wahrzu-
nehmen vermocht, bin aber überzeugt, dass es mir hätte gelingen
müssen, falls es einen gäbe.
2. Zentraler und peripherer Gliamantel, Gliaringe, gliöse
Lamina cribrosa.
Der Seite 511 beschriebene epitheliale Gliamantel, welcher die
Arterie während ihres Verlaufes durch den Sehnerven einhüllt, ändert
sein Aussehen mit dem Wachstum des Sehnerven ganz beträchtlich.
Die epitheliale Anordnung seiner Zellen geht im Laufe der Zeit voll-
ständig verloren, und die Abstände der Zellen von einander werden un-
gleich gross, doch bleibt die scharfe Abgrenzung des Nervengewebes von
dem axialen Bindegewebs- und Gefässstrang durch die Glia stets streng
erhalten. Taf. XVII, Fig. 5 zeigt den zentralsten Abschnitt eines nach
Mallory gefärbten Sehnervenquerschnittes vom Anfange des 4. Mo-
nats, in welchem sich das blaue mesodermale Gewebe von den ekto-
dermalen Anteilen des Sehnerven auf das schärfste abhebt. Wir
sehen im Zentrum der Figur neben dem grossen Gefässquerschnitt der
Arterie (a. ¢.) die beiden sie begleitenden primitiven Zentralvenen (r. c.)
und noch einen dritten kleinen Gefässquerschnitt, welcher von einer
Anastomose zwischen den beiden Venen herrührt. In der nächsten
Umgebung der Gefässe ist ein. lockeres, sehr kernarmes, feintibrilläres
Bindegewebe zur Entwicklung gelangt, das mit dem adventitiellen
Gewebe der Gefässe unmittelbar zusammenhängt. In der Peripherie
ist das axiale Bindegewebe zu einer von dem übrigen Schnerven
scharf abgeerenzten mesodermalen Grenzhaut verdichtet. Dieser sitzen
die Zellen des zentralen Gliamantels dieht und unmittelbar auf und
bewerkstelligen so einen vollkommenen Abschluss gegen die nach
aussen von ihnen betindlichen Nervenfasern. Die Gliazellen bilden m
diesem Stadium noch einen einfachen Zellmantel um die mesodermale
Grenzhaut. —
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 523
Eine stärkere Entwicklung des zentralen Gliagewebes, zumal von
Gliafasern findet erst in späteren Stadien, aber selbst bei gleichaltrigen
Stadien in ganz verschiedenem Grade statt. So finde ich bei einem
25cm langen Fötus einen sehr mächtig entwickelten Gliamantel 1),
während er bei manchen gleich langen Föten nicht annähernd so
stark ausgebildet ist. Auch in der Entwicklung des peripheren Glia-
mantels und der Gliaringe kommen grosse individuelle Verschieden-
heiten vor, worauf auch schon Krückmann (43) aufmerksam ge-
macht hat.
Das jüngste Stadium, in welchem ich einen deutlichen faserigen
peripheren und zentralen Gliamantel sowie auch einen Gliaring ent-
wickelt fand, befand sich am Ende des 4. Monats und mass 18cm.
Der periphere Gliamantel erschien hier bereits wie ein Filz von in
verschiedenen Richtungen verlaufenden Fasern, und der hintere Glia-
ring markierte sich deutlich als eine umschriebene Zellanhäufung in
der äussersten Papillenperipherie mit zahlreichen dazwischen gelagerten
quergetroffenen Fasern. Der Zellhaufen ist in diesem Falle auf der
nasalen Seite grösser als auf der temporalen.
Eine so frühzeitige Entwicklung eines Gliaringes bildet aber nach
meinen Erfahrungen eine grosse Ausnahme. Im allgemeinen gehören
nämlich die Gliaringe zu den Spätbildungen, welche ich in meinen
Präparaten fast durchgehends erst vom Ende des 6. fötalen Monats
an deutlich nachweisen kann. Aber auch von da an treten sie bei
weitem nicht in allen Präparaten mit der gleichen Deutlichkeit hervor.
Von dem inneren Gliaring sind übrigens auch bei dem genannten
Fötus noch keine Anzeichen nachweisbar.
In dem Verhalten des peripheren Gliamantels sind selbst
schon in viel jüngeren Stadien grosse individuelle Verschiedenheiten
zu konstatieren. So besitze ich einen 54mm langen Embryo, in
welchem die ganze Sehnervenperipherie von einem fast lückenlosen
Zellmantel eingenommen ist, wogegen bei einem 80 mm langen Fötus
die Nervenfasern unmittelbar an die mesodermale Optikusscheide zu
grenzen scheinen.
Dort, wo das Pigmentepithel und der Sehnerv aneinanderstossen,
setzen sich zuweilen die Pigmentepithelien so wnvermittelt in die
epithelialen Zellen des peripheren Gliamantels fort, dass es unmöglich
ist, zwischen beiden eine scharfe Grenze zu ziehen. Bekanntlich hat
jedes Auge während seiner Entwicklung einmal eine Phase zu durch-
7) Vel. Textabbildung S. 461 in meiner Arbeit über die Entwicklung der
Netzhautgefässe des Menschen. (v. Graefe's Arch. f. Ophth. Bd. LXX. 1909.)
524 R. Seefelder
laufen, in welcher dieses Verhältnis zwischen Pigmentepithel und
Augenblasenstiel besonders stark ausgesprochen und der Übergang
von dem einen in den andern zumal an der dorsalen Seite so ver-
schwommen ist, dass man in anatomischen Beschreibungen häufig an-
gegeben findet, die Pigmentierung des äusseren Blattes habe auf die
Zellen des Optikusstiels übergegriffen. (Lange u. A.)
Dass ein solches Hinüberreichen der Pigmentierung auf den
Augenblasenstiel tatsächlich vorkommt, geht besonders deutlich aus
einer Beobachtung hervor, welche ich bei einem etwas älteren Sta-
dium, wo die Grenzen zwischen Pigmentepithel und Sehnerv bereits
scharf zu ziehen sind, gemacht und in der vorstehenden Text-
figur 37 illustriert habe. —
Über das Alter und die Länge dieses Embryos, dessen Kopf
mir von Herrn Prof. Rob. Meyer in Berlin freundlichst zugeschickt
worden ist, liegen mir leider keine Angaben vor, doch lehrt ein Ver-
gleich mit dem Entwicklungsgrade des Schnerven in der Textfigur 29,
dass er nur wenig älter sein kann, als der Embryo, von dem diese
Abbildung stammt. Ich schätze seine Länge auf 22—23 mm. Der
ganze Augenblasenstiel ist bereits von Nervenfasern durchwachsen
und das Stiellumen vollständig verschwunden, jedoch ist der embryo-
nale Charakter des Sehnerven zum Teil noch gewahrt. Die Haupt-
masse der Gliakerne ist nämlich in dem zentralen Abschnitt noch
nach dem Zentrum des Sehnerven 'zusammengedrängt, wogegen die
Nervenfasern grösstenteils in der Stielperipherie verlaufen. Der Zu-
sammenhang zwischen der Retina und dem Pigmentepithel ist nur
an einer ganz kurzen Strecke erhalten, hingegen sonst überall durch die
einsprossenden Nervenfasern aufgehoben. An jener Stelle erstrecken
sich nun pigmentierte Zellen verhältnismässig weit nach hinten in den
Sehnerven, welche von der Peripherie her durch die Nervenfasern
etwas nach dem Zentrum des Schnerven abgedrängt werden, so dass
ein kleiner Zellkomplex von Pigmentepithelien fast ganz isoliert zwischen
den Nervenfasern liegt.
Dieser an sich unbedeutende aber gewiss interessante Befund er-
innert ohne weiteres an meinen Fall I in meiner Arbeit über Ano-
malien im Bereiche des Sehnerven usw. (dieses Archiv Bd. LXIX),
in welehem sich eine abgeschnürte Insel von Pigmentepithelien inner-
halb des Schnerven vorfand, und er liefert zugleich eine Bestätigung
für meme dort geäusserte Vermutung. dass diese Veränderung viel-
leicht auf eine Abdrängung des betreftenden Zellkomplexes durch
die einwachsenden Nervenfasern zurückzuführen sei.
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 595
end
Bei älteren Stadien ist es aber häufig unmöglich zu entscheiden,
ob der gefundene direkte Zusammenhang der Pigmentepithelien mit
den Zellen des peripheren Gliamantels aus jener frühen Entwicklungs-
periode datiert oder ob er nicht doch erst später zu stande gekommen
ist. — Denn beim normalen Entwicklungsgange werden ja, worauf
wenigstens meine Beobachtungen schliessen lassen, alle Zellen des
Augenblasenstiels durch die einsprossenden Nervenfasern zunächst aus
ihrer Lage verschoben und nach dem Zentrum zusammengedrängt, und
erst später rücken die von Held deshalb so genannten „sekundären
Gliazellen“ nach der Optikusperipherie vor, wodurch die zeitweilig
kernfreie Peripherie des Sehnerven wieder mit Kernen versehen wird.
Immerhin wäre denkbar, dass die Abdrängung eines Teils der
Stielzellen am okularen Ende ausnahmsweise unterbleibt und dass sonach
der Zusammenhang der Pigmentepithelien mit den peripheren Glia-
zellen aus der jüngsten Embryonalzeit herrührt.
Weiteres über die Entwicklung der Glia des Sehnerven ist in
der mehrfaeh citierten Arbeit von Krückmann enthalten. Ich ver-
misse in ihr nur den Vermerk, dass sich die Gliazellen etwa vom
4. Monat an in der Gegend der Lamina cribrosa dichter aufeinander
schliessen als im übrigen Sehnerven und mit ihren senkrecht zur
Sehnervenachse verlaufenden Fortsätzen eine Art von glióser Lamina
cribrosa bilden, welche schon vor der Entwicklung der mesodermalen
bzw. eigentlichen Lamina cribrosa vorhanden ist.
e. Die Entwicklung des mesodermalen Gewebes im Sehnerven.
In einem vorausgehenden Kapitel habe ich erwähnt, dass selbst
noch bei einem 26 mm langen Embryo ausser der Arteria hyaloidea
und den wenigen sie bei ihrem Eintritt in den Sehnerven begleitenden
Bindegewebszellen kein Gefäss und überhaupt kein mesodermales Ge-
webe im ganzen Sehnerven enthalten sei. — Von da an ändert sich
aber das Bild rasch und beträchtlich, denn im ganzen hirnwärts ge-
legenen Abschnitte des Sehnerven dringen von allen Seiten junge Ge-
fisse in die Substanz des Schnerven ein, welche ausnahmslos von den
Scheidengefässen abstammen und in ihrem Verlaufe von Anfang an
die bekannte Anordnung des Septengewebes aufweisen.
Die Entwicklung und Verteilung des letzteren ist bekanntlich
auf das engste mit der der Gefässe verknüpft und durch diese voll-
kommen bestimmt. Wo kein Gefäss. dort kein Septengewebe und
umgekehrt. Dieser Satz gilt für das junge embryonale Auge ohne Ein-
schränkung. Das Eindringen der Gefässe erfolgt in der von Held und
596 R. Seefelder
Krückmann genau beschriebenen Weise unter Bildung von meso-
dermalen (bindegewebigen) und ektodermalen (gliósen) Grenzmembranen,
durch welche allerorts eine scharfe Trennung der beiden den Sehnerven
zusammensetzenden einander fremden Gewebsarten bewerkstelligt wird.
Die Vaskularisation des peripheren Sehnervenendes ist von mir
in meiner Arbeit über die Entwicklung der Netzhautgefüsse bereits
eingehend beschrieben. worden: Ich beschrünke mich deshalb darauf,
dass ich auf sie verweise. In dieser Arbeit ist auch die Entwicklung
des Septengewebes in dem betreffenden Sehnervenabschnitte in ihren
Grundzügen beschrieben. — Ich wiederhole hier nur, was ich auch in
meiner Mitteilung über die Entwicklung der physiologischen Excavation
betont habe, dass die mesodermale Lamina cribrosa erst sehr spät ent-
steht und sogar noch im 6. Monat recht schwach entwickelt ist. —
Damit steht auch die Mitteilung Lodatos (58), dass vor dem
7. Monat in der Gegend der Lamina cribrosa nur Spuren elastischen
Gewebes nachzuweisen scien, im besten Einklang. — Auch Kuhnt(59)
hat in fótalen Augen von dem Balkensystem in der Nähe des Bulbus
nur sehr wenig zu sehen vermocht. —
Einem rückläufigen Ast der Zentralarterie bin ich nur
einmal und zwar in dem sagittal geschnittenen Sehnerven eines Fötus
vom Ende des 5. Monats begegnet. Es ist dies ein starker Grefäss-
zweig von nur wenig schwächerem Kaliber wie die Arterie selbst,
welcher gleich an seinem Ursprung zwischen der Pialscheide und dem
Sehnerv fast rechtwinklig nach hinten abbiegt, und, so lange er in
dem Präparat zu sehen ist, die angegebene Lage beibehält, ohne in
die Substanz des Nerven einzudringen oder an ihn Äste abzugeben.
Weiterhin erlaube ich mir noch einen besonderen Hinweis auf
das eigentümliche Verhalten des axialen Bindegewebes im fötalen
Leben zu geben, das in den genannten Abhandlungen ebenfalls be-
schrieben und in der Textabbildung auf S. 461 der ersteren Arbeit
sowie in der heute beigefügten Abbildung 5 auf Tafel XVII im Quer-
schnitt veranschaulicht ist. Es ist lange Zeit ein ganz lockeres und
ziemlich weitmaschiges Gewebe, das mit den zahlreichen in ihm ver-
laufenden Gefässen auf das engste verbunden und zunächst sehr kern-
arm, später aber vorübergehend geradezu kernreich zu nennen ist.
Zuletzt wird das lockere Gewebe immer dichter und die zahlreichen
darm befindlichen Gefässzweige reduzieren sich bis auf die beiden
grossen und bleibenden Stämme der Arteria und Vena centralis
vetinac, mit welchen es dauernd auf das inmigste verbunden bleibt.
Schliesslich komme ich noch mit wenigen Worten auf die Art
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 591
und Weise der Rückbildung der Arteria hyaloides zurück, nach-
dem ich mich über den Zeitpunkt, in welchem sich dieser Prozess
vollzieht, bereits im Vorhergehenden ausgesprochen habe.
Die Rückbildung der Arteria wird eingeleitet mit einer allmäh-
lichen Abnahme ihres Kalibers, welcher eine von dem Momente der
Konsolidierung des Sehnerven an bis in den 4. fötalen Monat hinein
währende Zunahme vorausgeht. Eine genaue Bestimmung des Zeit-
punktes, in welchem diese Kaliberabnahme einsetzt, halte ich für un-
möglich, denn es können z. B. aus einem Vergleiche der Gefässkaliber
verschiedener Stadien nur mit grösster Reserve Schlüsse gezogen werden,
weil verschiedene Umstände (Art der Fixierung und Härtung, Blut-
füllung usw.) die Weite eines Gefässes im anatomischen Präparate
stark beeinflussen können. Dazu kommt, dass auch stets mit der Mög-
lichkeit individueller Verschiedenheiten zu rechnen ist. Nach meiner
Ansicht erfolgt die Abnahme des Gefässkalibers erst sehr spät, dann
aber sehr rasch und fast gleichzeitig in der ganzen Länge des Ge-
fässstammes. Ich schliesse dies daraus, dass ich das Arterienlumen
bei einem 42 cm langen Fótus noch mindestens so weit wie in jün-
geren Stadien und im ganzeu Verlaufe des Gefüsses bluthaltig ge-
funden habe, wogegen es bei einem nur wenig längeren Fötus fast
vollständig obliteriert, die Arterienwandung aber noch in grosser Länge
nachweisbar war. Vgl. Textfig. 34a mit Textfig. 36a. Das letztere Präparat
gibt auch ganz interessante Aufschlüsse über die sich dabei abspielen-
den histologischen Vorgänge. Wir sehen hier (Textfigur 36a u. b)
das Lumen der Arteria hyaloidea schon gleich an ihrer Abgangsstelle
von der Zentralarterie höchstgradig verengt und nur noch bis zum
Eintritt in den Glaskörper für ein einzelnes Blutkörperchen durch-
gängig. Der Rest des Gefässrohrs ist bis auf einige Endothelzellen
in eine fast ganz homogene, bei schr starken Vergrösserungen leicht
gekörnelte Masse verwandelt, welche in vollständiger Auflösung be-
griffen ist.
Schon ziemlich lange vor der Obliteration der Arterie (etwa
gegen das Ende des 6. Monats) scheint eine geringe Verdünnung der
Wandung des ganzen Gefüsshauptstammes stattzufinden.
Die primäre Ursache der Gefäss-Rückbildung liegt meines Er-
achtens in der Resorption der Gefässe der Tunica vasculosa lentis,
durch deren Wegfall seine Hauptaufgabe als Ernährungsorgan der Linse
erledigt ist. Wahrscheinlich werden dabei auch reflektorisch ausgelöste
vasomotorische Einflüsse mit im Spiele sein.
528 R. Seefelder
f. Die Entstehungsweise der physiologischen Excavation.
Die Entwicklung der physiologischen Excavation und die ihre
Form und Ausdehnung bestimmenden Umstände habe ich (81) bereits
in meinem Beitrage zum diesjährigen internationalen Ophthalmologen-
kongresse besprochen. Er ist gewissermassen nur eine Zusammen-
stellung von verschiedenen Einzelheiten, welche ich teils in der vor-
liegenden, teils in meiner Arbeit über die Entwicklung der Netzhaut-
gefässe bekannt gegeben habe. Eine nochmalige eingehende Erörte-
rung dieses Themas erübrigt sich infolgedessen von selbst.
Das wichtigste Ergebnis dieser Untersuchungen, das durch die
heute beigegebenen Abbildungen deutlich illustriert wird, ist die Tat-
sache, dass die Entscheidung, ob eine physiologische Excavation zur
Ausbildung gelangt oder nicht, bereits im ganz jungen embryonalen
Leben fällt. Man findet nämlich schon in ganz jungen embryonalcn
Augen, bei welchen sich die vollständige Durchwachsung des Seh-
nerven mit Nervenfasern erst vor ganz kurzer Zeit vollzogen hat, Pa-
pillen mit und ohne physiologische Excavation. Das jüngste Stadium.
in welchem ich eine sehr schöne und verhältnismässig tiefe trichter-
förmige Einsenkung der Papillenoberfläche beobachtet habe, wies eine
Länge von 26 mm auf. Der ganze Trichter war hier bereits von einer
einfachen Lage regelmässig angeordneter epithelialer Gliazellen aus-
gekleidet. |
Auf Taf. XVI, Fig. list die Sehnerveneintrittsstelle eines 31 mm
langen Embryos abgebildet, welche ebenfalls eine kleine zentrale Ein-
buchtung aufweist, deren Wand mit Gliazellen dicht besetzt ist. Die
folgenden Abbildungen 2 u. 3 auf der gleichen Tafel sowie die Test-
abbildungen 32—35 veranschaulichen neben der weiteren Entwicklung
des Gliamantels auch das Schicksal der physiologischen Excavation.
welche je nach ihrer Grösse von den wuchernden Gliazellen entweder
ganz oder teilweise ausgefüllt und vorübergehend vom Glaskörper-
raume vollständig abgeschlossen wird. Durch die beschriebene Rück-
bildung und Lageveränderung der Arterie und ihres Mantels wird die
Entwicklung der bleibenden Form der Excavation eingeleitet. Doch
wird diese schon etwas früher durch die Entwicklung der Zentralvene
und des damit in engstem Zusammenhange stehenden axialen Binde-
gewebes in. kaum minder hohem Grade beeinflusst. Auch zweifle ich
nicht daran, dass auch noch im extrauterinen Leben gewisse
Modifikationen der in jedem Falle angeborenen Excavation
eintreten ‚können, wenn ich auch nicht glanbe, dass diese unter nor-
malen Verhältnissen noch sehr bedeutend sein werden.
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 599
Denn ich habe bei Neugeborenen schon fast alle von Elschnig (60)
beschriebenen Verschiedenheiten sowohl in der Form der Excavation,
als in der Form und Weite des Durchschnittskanals mehr oder weniger
deutlich ausgeprägt und zuweilen so tiefe und voluminöse Excavationen
gefunden, wie sie selbst in den Augen von Erwachsenen nur aus-
nahmsweise zur Beobachtung gelangen.
Vor dem 6. Monate sind jedoch grössere Unterschiede in der
Form des Durchtrittskanals in meinen Präparaten so gut wie nicht
nachzuweisen. Es handelt sich bis dahin fast durchgehends um einen
zunächst cylindrischen, später — und zwar vom 4. Monat an — konischen
Kanal mit glatten, nirgends ausgebuchteten Wandungen, so dass dieser
Faktor bis dahin bei der Form- und Grössenbestimmung der Ex-
cavation nicht in Betracht kommen kann. Zur Entscheidung der
Frage, welche Rolle ihm später beizumessen sei, war mein fötales
Material nicht ausreichend.
Endlich kann ich noch auf Grund zahlreicher eigener ophthal-
moskopischer Untersuchungen die von Elschnig u. A. bekannte Tat-
sache bestätigen, dass in hyperopischen Augen physiologische Ex-
cavationen wesentlich seltener sind als in myopischen Augen, doch
habe ich selbst in hóhergradig hyperopischen Augen (5—7 D) aus-
nahmsweise so tiefe Excavationen gefunden, dass die Lamina cribrosa
frei zutage zu liegen schien. Dass in den myopischen Augen der
die Myopie bedingende Dehnungsprozess der Bulbushüllen auch die
Form und Grösse der physiologischen Excavation stark zu beeinflussen
vermag, scheint mir unbestreitbar zu sein.
Dass im Auge von Neugeborenen und Föten eine physiologische
Excavation vorkommt, ist durch E. v. Hippel, Hess (66), Sattler (66),
W eiss (66), Merkel und Orr (65) und Lange (67) schon vor Jahren,
jedoch durchwegs nur in vereinzelten Fällen anatomisch nachgewiesen
worden.
g. Veränderungen der Dicke, Länge und Form des Sehnerven.
Die Veränderungen der Dicke und Länge des Augenblasenstiels
in den ersten Wochen des embryonalen Lebens sind bereits auf
Seite 496—506 geschildert worden. Sie bestehen, um das dort Ge-
sagte kurz zu rekapitulieren, zunächst vorzugsweise in einer allmäh-
lichen Zunahme seiner Länge, welche auf Kosten seiner Dicke vor
sich geht. Den Abschluss des embryonalen Stadiums bildet die voll-
ständige Durchwachsung des Stiels durch die Nervenfasern bis zum
530 R. Seefelder
vollständigen Verschwinden des Stiellumens, sowie die gleichmässige
Verteilung der Gliakerne auf den ganzen Sehnerven.
Von da an nehmen sowohl die Länge als auch die Dicke des
Sehnerven rasch zu. Die Dickenzunahme erfolgt zunächst wohl fast
ausschliesslich durch die Vermehrung der Nervenfasern, welche da-
durch zu stande kommt, dass immer mehr junge Ganglienzellen ihren
Achsencylinder von der Netzhaut zum Sehnerven entsenden. Die
ersten, die dies taten, waren selbstverständlich die dem Augenblasen-
stiel am meisten benachbarten, und am weitesten nach innen vor-
geschobenen, id est ältesten Ganglienzellen.
Der weitere Zuwachs von Nervenfasern erfolgt aber meines Er-
achtens nicht bloss in der, wie es scheint, von mancher Seite an-
genommenen Weise, dass die Nervenfaserentwicklung mit der der
Ganglienzellen einfach allmählich bis zur Netzhautperipherie vor-
schreitet und, sobald sie dort angelangt ist, ihr Ende erreicht, sondern
es findet gleichzeitig und auch noch einige Zeit, nachdem bereits
ziemlich nahe an der Ora serrata Nervenfasern nachweisbar sind, im
ganzen Netzhautbereiche ein Zuwachs aus den tieferen Lagen der
Ganglienzellschicht statt, wo sich die jüngsten Elemente dieser Schicht
befinden.
Nur so ist es meines Erachtens auch zu erklären, dass die Menge
der Nervenfasern im Sehnerven noch so rasch und erheblich zunimmt,
nachdem bereits in der Netzhautperipherie Nervenfasern nachweisbar
sind. Denn wenn auch gewiss damit zu rechnen ist, dass die Nerven-
fasern einige Zeit brauchen, um von dort bis zum Schnerven zu ge-
langen, so dürfte dies bereits einem Teil von ihnen zu einer Zeit ge-
lungen sein, in welcher noch im ganzen Netzhautbereiche junge
Ganglienzellen ausgeschieden. werden, welche vielleicht noch mit keinem
oder doch nur mit einem ganz kurzen Achsencylinderfortsatz ausge-
stattet sind.
Ob auch, wie es Mall(32) in der Retina von Amblyostoma und
Necturus nachgewiesen hat, aus der inneren Körnerschicht Fasern zum
Sehnerven ziehen, kann ich nach meinen Präparaten nicht entscheiden.
Auch über das Auftreten von zentrifugalen Sehnervenfasern vermag
ich leider keine Angaben zu machen.
Zur Volumenzunahme des Sehnerven trägt selbstverständlich auch
die lebhafte Vermehrung der Gliazellen etwas bei, doch dürfte dieser
Anteil im Verhältnis zu dem der Nervenfasern anfangs nur gering
anzuschlagen sein.
Dagegen gehört die etwas später einsetzende reichliche Entwick-
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 531
lung von Gliagewebe sicherlich zu den wesentlichsten Ursachen der
Volumenzunahme des Sehnerven.
Dazu gesellt sich noch als ein weiteres wichtiges Moment die
Entwicklung des Gefässsystems und des Mesoderms im Sehnerven-
stamme, und zuletzt wird wohl auch noch durch die Markscheiden-
entwicklung!) eine gewisse Dickenzunahme des Sehnerven verursacht.
Ein wie grosser Anteil einem Stárkerwerden der Nervenfasern
im 6. und 7. Monat beizumessen sei (Kuhnt), vermag ich nicht zu
bestimmen. | '
Im folgenden erlaube ich mir noch einige Zahlen anzuführen,
welche über die Dicke und Länge des Sehnerven von verschiedenen
Stadien Aufschluss geben. Ein absoluter Wert in dem Sinne, dass
bei jedem gleichaltrigen Embryo ein gleich dicker Sehnerv vorhanden
sel, kommt ihnen natürlich nicht zu, weil auch in dieser Beziehung
individuelle Verschiedenheiten vorkommen. |
Doch glaube ich, dass sie mit diesem Vorbehalt immerhin als
ein gewisses Schema für die allmühliche Volumenzunahme des Seh-
nerven dienen können. Die Messungen wurden durchwegs an einer mög-
lichst korrespondierenden Stelle kurz hinter der Lamina cribrosa und
an Schnitten, welche die Zentralgefässe enthalten, vorgenommen. Um
möglichst vergleichbare Werte zu bekommen, habe ich dazu aus-
schliesslich horizontale Längsschnitte durch den Sehnerven verwendet,
aber vielfach auch Querschnitte zur Kontrolle herangezogen. Ich be-
merke noch, dass die Form von reinen Sehnervenquerschnitten von
Anfang an rund ist.
Diekendurchmesser des Sehnerven (ausschliesslich Selhnerven-
scheiden):
1. Embryo 19— 20 mm Linge:
2. 5 etwas Alter : 0,112 mm
3. » 3l mm » : 0,304 ,
4. 5 04 , » 35 0,320 ,
5. » 65 , » : 0,170 ,
!) Wann diese erfolgt, kann ich leider nicht genau angeben, weil die
bekannten spezifischen Markscheidenfärbungen bei meinem durchwegs in Zen-
kerscher Flüssigkeit fixierten Material nicht anwendbar sind. Nach meinen mit
der Heldschen und Stölznerschen Methode gefärbten Präparaten, in welchen
auch die Markscheiden zur Anschauung gelangen, finde ich die Angabe Bern-
heimers(79) bestätigt, dass die Markscheidenbildung bei einem drei Wochen
alten Kinde bis zur Lamina cribrosa vorgerückt ist, während dies bei einem
sieben Tage alten Kinde noch nicht der Fall zu sein scheint. Indessen sind
über diese Frage noch weitere gründliche Untersuchungen durchaus vonnöten.
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 39
532 R. Seefelder
6. Embryo 73 mm Länge: 0,470 mm
T. » 80 , » ' 0496 ,
8. » 88 , » : 0,940 ,
9. Fötus 100 ,, » : 0,630 „
10. „ 170, » : 0,705 ,
11. » 210, » : 0,900 ,
12. » 260 , » : 1,020 ,
13. » 940 , » $ 1,290.,
14. » 420, » * 19 »
15. » 500 „ (Neug) „ : 2,1 5
16. Kind 3 Wochen : 2175 ,„
17. » 9 Monate : 24. —,
Die ganze Länge des Sehnerven vom Auge bis zum Gehirn
bzw. Chiasma habe ich nur von wenigen Stadien bestimmen können,
weil die Schnittrichtung nur selten hierfür geeignet war.
Doch zeigen schon die wenigen Zahlen, über die ich verfüge,
dass die Längenzunahme bei den jüngeren Stadien sehr rasch vor
sich geht.
So beträgt die ganze Länge des Sehnerven bei einem
11,3 mm langen Embryo (Rabl) 0,675mm
19—20 » » » 0,688 »
31 » » » 1 »
94 » » d 1,8 »
65 » » » 2,8 »
80 » » » 3 »
ca. 150 » » » 9 »
also am Ende des 3. Monats bereits das 3fache von der Länge, welche zu
Beginn des gleichen Monats vorhanden ist.
Von älteren Embryonen vermag ich nur die Länge des Seh-
nerven vom Auge bis zur Spitze des Muskeltrichters anzugeben und
auch dies nur von einigen wenigen Stadien, bei welchen ich die ganze
Orbita geschnitten habe.
Sie beträgt bei einem
Fötus vom Anfang des 4. Monats: 3,2 mm
„ , Ende » » » 145,
» des 5. Monats € 30.6 3;
Neugeborenen e e, oa
Die bekannte S-fórmige Krümmung des Sehnerven ist bereits im
dritten fötalen Monate und zwar besonders schön bei einem in Celloi-
din eingebetteten und in bezug auf die topographischen Verhältnisse
selten gut konservierten Embryo von 80 mm Länge in beiderseits
à
Beitráge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 533
streng symmetrischer Form nachzuweisen. — Vorher zeigt der Seh-
nerv vom Auge bis zum Chiasma einen angenähert geradlinigen Ver-
lauf. —
Zum Schlusse ist es mir ein Bedürfnis, allen Herren, welche
mich durch Zuwendung von Material in so reichlichem Masse unter-
stützt haben, ferner ganz besonders Herrn Geheimrat Sattler für
die weitgehende Förderung der vorliegenden Arbeit meinen herz-
lichsten Dank auszusprechen. —
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Erklärung der Abbildungen und Abkürzungen auf |
Taf XVI u. XVII, Fig. 1—5.
Die Abbildung 5 der Taf. XVII stellt das Zentrum eines Sehnervenquer-
schnitts von einem etwa 4 Monate alten Fótus dar. (Gegend der Lamina cribrosa.)
Das Prüparat ist nach Mallory gefárbt, wobei die herne und das ektodermale
Beiträge zur Histogenese und Histologie der Netzhaut usw. 537
Gewebe (Glia- und Nervenfasern) rot, das mesodermale Bindegewebe dagegen
lau erscheinen.
Die Arteria centralis (a. c.) ist von den beiden primitiven Zentralvenen
(v. c.) begleitet, welche ihr eng anliegen. Das noch vorhandene kleinere vierte
Gefässlumen entspricht einem schräg getroffenen Verbindungsaste zwischen den
beiden primitiven Zentralvenen.
Sämtliche Gefässe sind in ein sehr lockeres, fein fibrilläres und fast kern-
loses Bindegewebe (a. B.) (das sog. axiale Bindegewebe) eingebettet, welches mit
der Adventitia der Gefässe innig verbunden, hingegen von dem eigentlichen Seh-
nervengewebe durch eine dichtere Grenzhaut (m. @.) auf das schärfste abgesetzt
ist. Dieser mesodermalen Grenzhaut sitzt ein Mantel von dicht aneinander ge-
reihten Gliazellen (gl. m.), der sog. zentrale Gliamantel, unmittelbar auf und
bildet dadurch eine lückenlose Scheidewand zwischen dem axialen Bindegewebe
und den nach aussen von ihm befindlichen Nervenfasern (N. F\.). Die Lücken
zwischen den Nervenfaserbündeln und den Fortsätzen der Gliazellen sind arti-
fiziell durch eine Schrumpfung der ersteren bewerkstelligt worden.
Die Erklärung der Abbildungen 1—4 auf Taf. XVI ist im Texte enthalten.
Zur Kenntnis der chronischen, herdförmig disseminierten
Aderhauttuberkulose.
Von
Dr. Ginsberg,
Augenarzt in Berlin.
Mit Taf. XVIII u. XIX, Fig. 1-6.
——— —À
Unter den chronischen tuberkulósen Erkrankungen des inneren
Auges ist bei Iritis, Iridocyclitis und Iridochorioiditis, sowie bei dem
in Tumorform auftretenden Konglomerattuberkel der Aderhaut ziem-
lich hüufig Gelegenheit gegeben, die klinische Diagnose durch die
anatomische Untersuchung zu bestätigen.
Anders liegt dies bei der in Form vereinzelter Herde auftreten-
den, unter Freibleiben des vorderen Bulbusabschnittes auf die Ader-
haut beschränkten chronischen tuberkulösen Entzündung, jener Form,
die wir durch die klinischen Beobachtungen von Michels kennen
gelernt haben.
Eine anatomische Untersuchung dieser Form liegt nur bei dem `
von Schulz-Zehden!) veröffentlichten Fall vor; klinisch war dieser
nicht verfolgt, der ophthalmoskopische Befund einen Tag ante exi-
tum erhoben worden.
Da der vorliegende Fall der erste ist, in welchem beim Men-
schen diese Form der Aderhauttuberkulose nach längerer klinischer
Beobachtung (fast !|, Jahr) auch anatomisch untersucht werden konnte,
halte ich die Mitteilung desselben für geboten. Es dürfte dabei von
besonderem Interesse sein, die ophthalmoskopisch sichtbaren Ver-
ünderungen mit den anatomisch gefundenen zu vergleichen und ein
Urteil darüber zu gewinnen, einmal, was dem klinisch ophthalmo-
skopischen Bilde hier zugrunde lag und was überhaupt von der
anatomischen Ausbreitung des Prozesses klinisch in Erscheinung trat,
sowie ferner, ob etwas im ophthalmoskopischen Bilde uns dazu ver-
1) Zeitschrift f. Augenheilk. Bd. XIV. 1905.
Zur Kenntnis d. chronischen, herdfórmig dissemin. Aderhauttuberkulose. 539
helfen kann, ohne weiteres die Diagnose auf Tuberkulose der Ader-
haut zu stellen.
Krankengeschichte.
Der 27 Jahr alte Fritz F. wurde mir am 2. II. 1909 von dem
Ohrenarzt Herrn Dr. Lebram zur Untersuchung des Augenhintergrundes
in die Poliklinik geschickt.
Das Kind war seit 4 Wochen ohrenkrank und hatte seit 14 Tagen
einen schiefen Mund.
Herr Kollege Lebram konstatierte eine linksseitige Otitis mit stinken-
dem Ausfluss und Beteiligung des Knochens, sowie eine rechtsseitige Facia-
lislähmung. Seine Diagnose schwankte zwischen otogenem Hirnabscess und
tuberkulöser Meningitis.
Ich fand die linke Pupille weiter als die rechte, Lichtreaktion schien
vorhanden, war aber bei dem sehr unruhigen Kinde nicht mit Sicherheit
zu konstatieren.
Sonst war äusserlich an den Augen alles normal. Ophthalmoskopisch
war bei enger Pupille im linken Auge nichts Pathologisches zu bemerken.
Im rechten Auge zeigten sich bei normaler Papille die Venen etwas stärker
gefüllt. Im umgekehrten Bild oberhalb der Macula lag ein ca. 1 P.D.
langer, nicht ganz so breiter, von Pigmentlinien und Punkten durchsetzter
Herd, nach unten von der Macula ein ca. 2 P.D. grosser, unregelmässig
rundlicher, heller, unscharf begrenzter Herd mit etwas verstreutem Pigment,
darin eine intensiv weisse rundliche Stelle, welche den Eindruck einer Delle
machte.
Auf Grund des gesamten Befundes stellte ich die Diagnose auf Tuber-
kulose der Aderhaut und des Gehirns. —
Das Kind wurde ins stüdtische Krankenhaus am Urban gebracht, wo-
selbst ich, als Konsiliarius der Anstalt, Gelegenheit hatte, den kleinen Patienten
weiter zu beobachten.
Für die Erlaubnis, das Krankenjournal zu benutzen, bin ich Herrn
Geh. Rat Prof. A. Fraenkel zu Dank verpflichtet. —
Im Krankenhaus konnte ich am 4. II. die erste Untersuchung, die
aus äusseren Gründen nur flüchtig hatte vorgenommen werden können,
unter Mydriasis vervollständigen.
Die folgende Beschreibung bezieht sich stets auf das umgekehrte Bild;
das aufrechte war bei Unruhe des Kindes nicht zu verwerten.
Im rechten Augenhintergrund zeigten sich drei Herde, einer oberhalb,
zwei ziemlich dicht aneinanderliegende unterhalb der Macula. Der obere
Herd ist länglich, ca. 1 P.D. lang, ca. th P.D. breit, scharf begrenzt,
grösstenteils stark pigmentiert, sonst rein weiss. — Über jeden der beiden
andern Herde zieht ein Netzhautgefüss, ohne Parallaxe zu geben, glatt hin-
weg. Der nahe an der Macula gelegene dieser beiden llerde ist der
grössere, sein Durchmesser beträgt ca. 2 P. D., die Gestalt ist unregelmissig
rundlich, die Grenze nicht ganz scharf, die Farbe grauweisslich. Eine
excentrisch gelegene rundliche Partie in Ausdehnung von ca. !|, P.D. er-
scheint intensiv weiss und macht den Eindruck einer kleinen Delle. —
540 Ginsberg
Der dritte Herd ist unregelmässig rundlich, ca. !|, P.D. gross, weisslich,
scharf begrenzt.
Im linken Auge findet sich weit peripher aussen ein ca. !|, P. D.
grosser, runder, gelblichgrauer, unscharf begrenzter Herd, der als Miliar-
iuberkel angesprochen wurde.
Im übrigen war der ophthalmoskopische Befund normal.
Die Augen wurden alle 8 Tage von mir untersucht. Erst am 25. II.
war eine Veränderung zu bemerken (Taf. XVIII, Fig. 1). Rechts waren alle drei
Herde grösser geworden, besonders nach der Macula zu, so dass sie näher
aneinander gerückt erschienen. Der obere (U. B.) zeigte einen makulär-
wärts gerichteten, rötlichen, zungenförmigen, scharfbegrenzten Fortsatz. Der
mittlere Herd ist oben innen ganz verwaschen, sonst besser begrenzt. Die
weisse, dellenartige Partie ist grösser geworden und durch einen grauen
Pigmentsaum gegen die Umgebung abgegrenzt. Auch der unterste Herd
ist innen oben verwaschen begrenzt. Auch in diesem ist eine rundliche,
reinweisse, dunkelgrau umsäumte, dellenartig erscheinende Scheibe aufge-
treten. — Die Papille ist ganz verwaschen, mässig getrübt.
Links Stat. idem.
4. III. Weitere Vergrösserung der beiden unteren Herde.
19. III. Die weisse dellenartige Partie und der graue Pigmentsaum
im mittleren Herd grösser geworden, sonst bds. Stat. id. — Das Allgemein-
befinden hatte sich ständig verschlechtert. Das Kind war benommen, sprach
nieht mehr. "Temperatur subfebril. Dauernd Ausfluss stinkenden Eiters
aus dem linken Ohr, in welchem Tuberkelbacillen nicht nachgewiesen
werden kónnen.
Eine weitere Veründerung war erst am 1. IV. zu konstatieren: Der
obere Herd war noch stärker pigmenter. An dem mittleren war ein
temporalwärts gerichteter, intensiv schwarz pigmentierter Fortsatz aufge-
treten, etwa von der Form eines Papageienschnabels (Taf. XVIII, Fig. 2). —
Es entwickelte sich dann eine fast vollständige Lähmung des rechten
Abducens. Seit dem 21. III. bestand unregelmässig remittierendes Fieber,
seit dem 15. IV. oft Erbrechen ohne sonstige Hirnerscheinungen.
Am 22. IV. untersuchte ich den Patienten zum letzten Mal; es war
keine weitere Änderung des Augenbefundes zu bemerken, speziell war auch
der Miliartuberkel im linken Auge ganz unverändert.
Unter zunehmender Schwäche erfolgte am 28. IV. der Exitus.
Sektionsergebnis.
Das Resultat der am nächsten Tage vorgenommenen Sektion war:
Allgemeine Miliartuberkulose und Konglomerattuberkel des Hirns. — Disse-
minierte Tuberkulose beider Lungen. Submiliare bis miliare Tuberkel der
Milz. Disseminierte Miliartuberkulose der Nieren, umschriebene Tuberkulose
eines Markkegels. Schwellung und Verkäsung der Mesenterialdrüsen. Tuber-
kulose der Leber, Gallengangtuberkulose, Perihepatitis adhaesiva, Multiple
Konglomerattuberkel des Hirns. Walnussgrosser Tuberkel der linken Klein-
hirnhemisphäre, ein haselnussgrosser im Oberwurm und in der rechten Seite
des Pons. Bohnengrosser Tuberkel auf der Oberfläche des linken Corp.
Zur Kenntnis d. chronischen, herdförmig dissemin. Aderhauttuberkulose. 541
striatum, beiderseits mehrere kleine Tuberkel der Hirnkonvexität. Hydro-
cephalus internus. —
Die Bulbi, welche mir von Herrn Prosektor Dr. Koch freundlichst
überlassen wurden, kamen für einige Tage in Formol, dann in 75?|, Alkohol.
Der rechte Bulbus wurde nach 8 Tagen äquatorial halbiert. Man sah
durch die Retina hindurch deutlich die drei Herde oberhalb und unterhalb
der Plica centralis. Bei Lupenbetrachtung in starkem durchfallendem Licht
(Taf. XVIII, Fig. 2) erschienen sie als unregelmässig gestaltete weissliche, stellen-
weise mehr durchscheinende Stellen mit ungleichmässiger Pigmentierung. Die
stärkere Pigmentierung des unterhalb der Macula gelegenen Herdes sowie
die Pigmentringe der beiden andern waren deutlich zu erkennen. Sonst
erschien der Bulbus bis auf die Neuritis normal.
Im linken Auge zeigte sich als einzige pathologische Veränderung der
miliare Tuberkel in der Peripherie als graues Knötchen.
Zur mikroskopischen Untersuchung wurde dann der hintere Abschnitt
des rechten Auges in vertikale Streifen geschnitten, deren einer alle drei
Herde vollständig enthielt; dieses Stück wurde nach Paraffineinbettung in
eine fast lückenlose Serie à 10 wu zerlegt.
Mikroskopischer Befund.
Der im U. B. oberhalb der Macula gelegene Herd hat in der Chorioidea
eine grösste Länge von ungefähr 1,7 bei einer Breite von ungefähr 1,25 mm.
In seiner nächsten Umgebung ist das Pigmentepithel etwas schütter
und verworfen und z. T. ungleichmässig abgeplattet. Über dem Herd
selbst liegt auf der Aderhaut pigmentiertes und gefässhaltiges Bindegewebe
(Taf. XIX, Fig. 3 u. 4). Die Gefässe sind dünnwandig und ziemlich weit, sie sind
am reichlichsten in den mittleren Partien der makulären Hälfte des Herdes
entwickelt. Stellenweise ist der direkte Übergang eines chorioidalen Ge-
fässes in ein epichorioidales in den Präparaten zu sehen. Das epichorioi-
dale Gewebe ist reich an Bindegewebszellen und Bindegewebsfasern, ent-
hält ferner Leukocyten und teils gewucherte, teils in der bei Chorioiditis
bekannten Weise regressiv veränderte Pigmentepithelien. Elastische Fasern
fehlen vollständig. An der Oberfläche der Schicht liegen noch ganz spär-
liche, fibrinös aussehende Gerinnsel sowie klumpige Zerfallsprodukte von
Stäbchen und Zapfen.
In der äquatorialen Hälfte des Herdes nahe dem temporalen Rande
findet sich innerhalb der epichorioidalen Gewebsschicht eine 0,25 mm breite,
0,7 mm lange und 0,07 mm hohe kalottenförmig der Aderhaut aufsitzende
Bindegewebsbildung (Taf. XIX, Fig. 3). Sie besteht aus meist derben, stellenweise
auch mehr faserigen, parallel geschichteten Lamellen mit langen schmalen
Kernen und Gefässen, enthält keine elastischen Fasern und kein Pigment,
ist aber von letzterem in ungleichmässiger Weise zum grössten Teil über-
zogen. Das Gewebe färbt sich nach v. Gieson rot wie die Sklera, mit
Eosin aber viel blasser als diese, und nimmt keine Elastinfärbung an. Nach
aussen und äquatorialwärts geht diese Kalotte unter Aufsplitterung in
Streifen derben, homogenen Bindegewebes mit starker Pigmentepithel-
wucherung dazwischen über, welche sich bis an die Grenze des Stroma-
herdes hinauserstrecken.
542 Ginsberg
Dieses epichorioidale Gewebe — Granulationsgewebe in mehr weniger
weit fortgeschrittenem Übergang zu Bindegewebe — erreicht stellenweise
die Dicke der Aderhaut und bedeckt fast den ganzen Stromaherd.
Dieser selbst besteht grösstenteils aus stark verkäster Infiltration mit
unregelmässig verteilten, epitheloiden und meist mächtigen, schön ausge-
bildeten Riesenzellen. Von Stromaresten ist wenig zu sehen; Elastinpräpa-
rate zeigen in der Tiefe hie und da collabierte Elastinróhren. Blutungen
fehlen.
Der Herd nimmt nicht nur die ganze Dicke der Aderhaut ein, sondern
erstreckt sich auch ein beträchtliches Stück in die Sklera hinein (Taf. XIX, Fig. 5).
Die Randpartie des Herdes besteht zum grössten Teil aus kleinen ein-
kernigen Rundzellen vom Charakter der kleinen Lymphocyten; zwischen
diesen finden sich auch stellenweise unregelmässig verteilt teils vereinzelt,
teils zu mehreren zusammenliegend rundliche und längliche Zellen mit reich-
lichem Granoplasma, deren Leib bei Färbung nach Unna-Pappenheim
intensiv rot gefärbt erscheint; die Kerne dieser Zellen sind teils rund, teils
unregelmässig und zeigen nur selten die für Plasmazellen typische, rad-
speichenartige Anordnung des Chromatins in groben Bröckeln.. Während
aber auf der nasalen Seite dieser kleinzellige Wall sich allmählich in nor-
maler Chorioidea verliert, wird die Begrenzung oben, unten und besonders
temporal unter starker Verdünnung der Aderhaut grösstenteils von derb-
lamellärem, kernarmem Bindegewebe gebildet, welches gegen die normale
Umgebung allmáhlich ausstreicht; an diesen Teilen des Randes nimmt die
kleinzellige Infiltration nur die oberflächlichsten Schiehten der Aderhaut ein.
Die Verdünnung der letzteren ist dabei stellenweise so hochgradig, dass das
chorioidale Bindegewebe fast an das epichorioidale anstösst (Taf. XIX, Fig. 4).
Die Suprachorioidea fehlt ungefähr so weit, als die Stromaveränderungen
reichen; nasal erstreckt sich die kleinzellige Infiltration noch etwas über den
Rand der Suprachorioidea hinüber, temporal entspricht ihr Ende dem Rande
des chorioidalen Narbengewebes. Die Stelle der fehlenden Suprachorioidea
nimmt am ganzen Rande zunächst eine ziemlich schmale Schicht derb-
lamellären Bindegewebes ein. Dieses ist von der Sklera, der es sonst etwas
ähnlich sieht, durch die schmaleren, dichter aneinanderliegenden Lamellen,
das fast völlige Fehlen der elastischen Fasern, sowie die grössere Zahl der
meist strichförmigen, z. T. auch unregelmässig rundlichen und leukocyten-
artigen Kerne unterschieden. Temporal geht dies sklerotische Bindegewebe
in das chorioidale Narbengewebe (s. o.) über, nasal liegt es nur an Stelle
der fehlenden Suprachorioidea; dabei reicht es auf der temporalen Seite
auch nach oben und unten viel weiter als auf der nasalen.
Die sklerotisch bindegewebige Randschicht geht zentralwärts allseitig
unter Dickenzunahme in ein locker maschiges, aus Bindegewebszellen und
schmalen, keine elastischen Fasern enthaltenden Bindegewebsbündeln be-
stehendes Gewebe über (Taf. XIX, Fig. 5). Dieser Übergang vollzieht sich in
der Weise, dass zunächst das sklerotische Gewebe zellreicher wird, so dass
zwischen dicht aneinanderliegenden Bindegewebszellen spärliche, nach v.Gieson
rotzefärbte Fasern sichtbar werden, worauf dann Zellen und Fasern weiter
auseinandertreten; diese Fasern färben sich dann nur noch zum Teil rot,
sonst wie das Zellprotoplasma gelblichbraun, und stellen dann wolıl Zellaus-
Zur Kenntnis d. chronischen, herdfórmig dissemin. Aderhauttuberkulose. 543
làufer dar, jedenfalls keine fertigen leimgebenden Fasern. Stellenweise
strahlen in dieses maschige Gewebe vom Rande her Stücke fertigen, faserigen,
nach v. Gieson rot gefürbten Bindegewebes in die mittleren Partien ein,
In den Gewebsmaschen desselben finden sich gewöhnliche Bindegewebs-
zellen, auch grössere Elemente mit unregelmässigem, blasser färbbarem Kern,
wohl endothelialer Natur; das Bindegewebe ist ganz frei von elastischen
Fasern.
Die sklerale Grenze dieses Bindegewebes verläuft in einer skleralwärts
ausgebuchteten Linie, so dass ungefähr !/, der Lederhautdicke von jenem
eingenommen wird.
Der tuberkulöse Herd grenzt also nirgends direkt an Sklerallamellen,
sondern erscheint von der Lederhaut durch das zentral mehr lockere und
zellreiche, peripher derbere Bindegewebe getrennt. Nur in der Mitte des
skleralen Randes des letzteren findet sich eine ganz kleine verkäste Ge-
webspartie.
Der Aderhautherd ist also temporal, oben und unten unter Bildung
narbigen Gewebes und Verdünnung der Aderlıaut zur Ausheilung gekommen;
nasal felılt diese Fibrose, hier findet sich noch der Lymphocytenrand. Auch
skleralwärts ist eine Abgrenzung des Herdes durch Bindegewebsneubildung
im Gange, sie hat aber zentral noch nicht zu einem festen Abschluss gegen
die Sklera geführt. Von der Oberfläche her sehen wir eine weit vorge-
schrittene Bindegewebsentwicklung in dem epichorioidalen Granulations-
gewebe, welche stellenweise am Rande fast mit dem chorioidalen Narben-
gewebe in Berührung tritt. —
Von diesem Herde durch ein kleines Stückchen ganz normaler Ader-
haut getrennt findet sich unter dem unteren-inneren Quadranten der Macula
ein kleiner, bis an die Choriocapillaris heranreichender und somit fast die
ganze Dicke der Aderhaut einnehmender Herd mit zentraler Verkäsung,
Riesenzellen und peripherem Lymphocytensaum. Dieser Herd war makro-
skopisch nicht sichtbar gewesen. —
Der grosse, im U.B. unterhalb der Macula gelegene Herd hat in der
Aderhaut eine grösste Ausdehnung von ungefähr 2,5:1,25 mm.
Über ihm liegt Granulationsgewebe von ähnlichem Aussehen wie bei
dem erstbeschriebenen Herd; doch entliält es nicht so reichlich Bindegewebs-
fasern wie dort und ist gefässreicher, also offenbar jünger. Auch hier
finden wir ein kalottenförmiges Gebilde (im inneren unteren Quadranten) von
1,3 mm Länge, 0,5 mm Breite und 0,1 mm Höhe. Dieses ist von einer
dicken, parallelfaserigen, einige Zellen und auch spärliche, nach v. Gieson
rot gefärbte (also wohl leimgebende) Fasern einschliessenden Fibrinschicht
überlagert, welche sich auch noch über die makuläre Hälfte des Herdes
hinaus erstreckt. Die Exsudatschicht mit der Bindegewebskalotte hat die
Form eines allseitig sanft ansteigenden Hügels (Taf. XIX, Fig. 6).
Die Pigmentepithelwucherung ist hier ebenso stark wie über dem erst-
beschriebenen Herd. Doch ist hier die Oberfläche der Kalotte ganz pig-
mentírei, nur deren länder sind, namentlich an der Unterfläche, stärker
pigmentiert, Entsprechend dem ophthalmoskopiseh sichtbar gewesenen,
schwarzen, schnabeltürmigen Bezirk ist die Pigmentepithelwucherung nicht
oder nur spurweise von Exsudat bedeckt.
544 Ginsberg
Der Aderhautherd ist ähnlich wie der erste zusammengesetzt aus
einer zum grossen Teil verkästen Masse mit epitheloiden und lymphocy-
tären Elementen und regellos verstreuten Riesenzellen, ohne knötchenförmige
Anordnung, und einem schmalen, wesentlich aus Lymphocyten gebildeten
Rand. Auch hier nimmt die tuberkulöse Infiltration nicht nur die ganze
Dicke der Chorioidea ein, sondern sie dringt (im inneren unteren Quadranten)
weit in die Sklera hinein.
Die Suprachorioidea ist temporal noch bis fast zur Mitte des Herdes
erhalten und skleralwärts verdrängt, nasal reicht sie nur wenig über den
Rand des Herdes hinaus. In Aderhaut und Sklera finden wir auch hier
neugebildetes Bindegewebe, welches meist faserärmer und zellreicher, also
jünger erscheint als unter dem ersten Herd. In der Aderhaut selbst ist das
Bindegewebe temporal unten am Rande des Herdes, über der intakten
Suprachorioidea, locker maschig und derbfaserig und enthält weite Kapillaren;
es nimmt hier die untere Hälfte der hier nicht verdünnten Chorioidea ein,
die obere Hälfte der letzteren ist kleinzellig infiltriert. Nach der Gegend
des Skleraleinbruchs zu wird das Bindegewebe mehr sklerotisch und er-
streckt sich äquatorialwärts (in situ nach oben) noch weit in die hier auf
ungefähr !|, der Norm verdünnte Aderhaut hinein. Nasal findet sich in
der Hóhe der fehlenden Suprachorioidea sklerotisches Bindegewebe mit
strichförmigen Kernen und sehr spärlichen "elastischen Fasern, welches sich
über den Rand der Suprachorioidea noch weit in die tiefen Aderhaut-
schichten hineinerstreckt. In der makulären Hälfte des Herdes finden wir
maschiges Bindegewebe über der Suprachorioidea, ungefähr !|, der Ader-
hautdicke einnehmend.
Im inneren unteren Teil des Aderhautlierdes, also da, wo der Skleral-
einbruch erfolgt ist, ist innerhalb der Skleralinfiltration eine ziemlich mäch-
tige Bindegewebsentwicklung zu konstatieren. Wir sehen hier eine Menge
dichtliegender länglicher Zellen mit spärlichen Fasern, stellenweise auch, be-
` Sonders nasal, mehr maschig faseriges, nach v. Gieson rot gefürbtes Ge-
webe; letzteres enthält an elastischen Elementen nur ganz vereinzelte
Häufchen von feinen, dicht zusammengeknäulten Fäserchen, welche offenbar
Reste des präformierten, erst durch die Infiltration zerstörten und dann von
Bindegewebe durchwachsenen bzw. ersetzten Gewebes darstellen.
Das neugebildete Bindegewebe durchsetzt hier also die verkästen
Partien mehr weniger vollständig; es schliesst in seinen Maschen auch noch
grosse Zellen mit unregelmässigen Kernen, Lymphocyten und hie und da
auch noch eine Riesenzelle ein.
Die an den vorgebuchteten Teil des Ganzen angrenzenden Skleral-
lamellen sind in ganz geringer Ausdehnung kleinzellig infiltriert. —
Also auch dieser tuberkulöse Ilerd ist in mehr weniger weit vorge-
schrittener bindegewebiger Ausheilung begriffen. Durch die histologische
Beschaffenheit des Bindegewebes und des epichorioidalen Granulationsgewebes
mit der grösseren Menge fibrinösen, noch nieht organisierten Exsudats er-
weist sich der Prozess als jünger wie bei dem erstbeschriebenen Herd. —
Der im Präparat unterste Ilerd ist 1,9: 1,7 mm gross und liegt
gänzlich innerhalb der Aderhaut, welche er jedoch in seiner medialen Hälfte
stark gegen die Sklera vorwölbt. Seine histologische Zusammensetzung
Zur Kenntnis d. chronischen, herdförmig dissemin. Aderhauttuberkulose 545
entspricht ganz den beiden andern, doch sind hier darin noch grosse Ge-
fässe mit zersetzten Blutresten erhalten. Die Suprachorioidea ist nirgends
durchbrochen, nur verdünnt und, da ihre Pigmentzellen weniger dicht an-
einander liegen als sonst, auch gedelınt. Auf ihr liegt faserig maschiges
Bindegewebe, welches, ungefähr !j, mm vom medialen Herdrande als dünne
Lage beginnend, dann rasch an Dicke zunehmend und sich über die ganze
Fläche verbreitend den gesamten ausgebuchteten Teil überzieht. Dieses
Bindegewebe schiebt sich lateralwärts auch in den nicht ausgebuchteten Teil
vor, so dass hier die tiefere Hälfte der Aderhaut vollständig von ihm ein-
genommen wird. Der laterale Rand des Herdes ist in einer Ausdehnung
von ungefähr !| mm in der Tiefe frei davon, doch findet sich hier in den
oberflächlichsten Schichten der Aderhaut ein Stück neugebildeten derben
sklerotischen Bindegewebes. Die äussere Begrenzung dieses Herdes wird
allseitig von locker angehäuften Lymphocyten gebildet, die sich rasch in
normaler Aderhaut verlieren.
Auf dem Herd liegt im Bereich seiner grössten Dicke Granulations-
gewebe von gleichem Typus wie über dem mittleren; doch ist es hier noch
gefässreicher und die Pigmentepithelwucherung ist geringer als dort. Auch
hier ist es darin zu einer kalottenförmigen, gefässhaltigen Bindegewebs-
bildung (0,3:0,34 mm) gekommen, sonst findet sich ausser einem derben,
zellarmen Streifen in der temporalen Hälfte kein Bindegewebe darin. Die
Pigmentwucherung ist unter der Kalotte und auch über ihrem Rande am
stärksten. Das Granulationsgewebe ist in ganzer Ausdehnung von einer
dieken Schicht geronnenen, parallel gestreiften Exsudats, mit Leukocyten
und länglichen Kernen darin, bedeckt. —
Tuberkelbaecillen fanden sich in 59 darauf untersuchten Präparaten
nur ganz vereinzelt. Im ersten Herd konnte ich keine nachweisen, im
zweiten nahe dem temporalen Rande zwei, im dritten je zwei nahe dem
medialen und dem temporalen Rande in Riesenzellen. —
In den Aderhautgefässen finden sich in ganz auffallender Menge
runde Zellen mit grossem Protoplasmaleib und grossem, rundlichem oder
unregelmässig gelapptem Kern; es handelt sich um „grosse Lymphocyten“.
Da der gleiche Befund auch im linken Auge zu erheben ist, so ist er
jedenfalls nicht auf die lokalen tuberkulösen Veränderungen, sondern auf
eine allgemeine Lymphocytose des Blutes zu beziehen.
Die hinteren Ciliargefässe sind normal bis auf zwei, welche in
die oberhalb und unterhalb der Macula (U.B.) gelegenen Herde eintreten.
Zu ersterem zieht ein sich in zwei kleine Zweige teilender Ast; diese Ge-
fässe zeigen starke Verdickung und Fältelung der Elastica sowie mässige
zellige Intimawucherung, durch welehe das Lumen verkleinert und excen-
trisch verschoben ist. In den andern Herd tritt am makulären Rande eine
grössere Arterie ein, deren Lumen von Leukocyten, roten Blutkörperchen,
blasipen Zellen mit gekörntem Leib sowie freien Körnchen erfüllt ist; es
dürfte sich hier um einen frischeren Thrombus handeln. — Die Endarteriitis
ist wohl im Sinne Tlioma' als eine kompensatorische, zur Lumenverklei-
nerung bei Ausfall eines Gefässgebietes dienende zu deuten, während
Thrombose von Ciliargefässen auch bei miliaren Aderhauttuberkeln nicht
selten beobachtet wird, wenn ein Ast gerade in ein Knótchen eintritt. —
546 ` ' Ginsberg
Die Sklera zeigt vielfach unter den Herden Kernvermehrung.
Diese ist ganz locker und ungleichmässig (abgesehen von der S. 544
beschriebenen, unmittelbar unter dem zweiten Herd gelegenen Stelle:
und betrifft Zellen verschiedener Art. Man erkennt in den Saftspalten hie
und da mehr einkernige kleine Rundzellen als normal, dazwischen auch
einige Mastzellen, ferner grosse, protoplasmareiche Zellen mit grossem, ge-
lapptem oder doppeltem Kern, endlich sind auch stellenweise die Binde-
gewebszellen geschwollen, die sonst strichförmigen Kerne verdickt, das
Protoplasma deutlich sichtbar. Unter dem erst beschriebenen Herd ist es
mitten in der Skleraldicke zu einer ganz umschriebenen kleinen (0,3: 0,07
mm Dm.) Erweichung gekommen. Hier ist das Skleralgewebe bis auf ganz
spärliche Bindegewebsbündel und elastische Fasern geschwunden, man sieht
grössere Räume, die intra vitam wohl von Flüssigkeit erfüllt waren, und
darin locker verteilt Zellen, die grösstenteils als ein- und zweikernige
endotheliale, teils als geschwollene Bindegewebszellen und kleine Lympho-
cyten anzusprechen sind.
Die Retina ist abgesehen von den die Herde bedeckenden Stellen
kaum verändert. Während die Stäbchen und Zapfen sonst gut erkennbar
sind, sind sie über den Herden zerfallen und z. T. verschwunden. Die
Körnerschichten erscheinen i. a. ungleichmässig locker, was wohl auf post-
mortale Konservierungs- und Einbettungseinflüsse zu beziehen ist. Über
den Herden aber ist die äussere Körnerschicht teils besonders aufgelockert
und zeigt dann kernarmes, mehr faseriges Gewebe, teils ist sie an Stellen
stärkerer Vorwölbung des epichorioidalen Gewebes eingedrückt, verschmälert,
und ihre Kerne liegen dichter aneinander gepresst. Die Form der inneren
Netzhautoberfläche wird aber i. a. dadurch in keiner Weise alteriert, nur
über dem dritten Herd zeigt sie eine minimale Vorwölbung bis ungefähr
0,1 mm im Präparat.
Über diesem Herd verläuft eine Vene, von der ein Zweig vertikal
nach oben in die Zwischenkörnerschicht geht; an dieser Stelle ist die äussere
Körnerschicht fast ganz geschwunden, die nächste Umgebung der Vene ist
stärker ödematös. Diese Vene zeigt an einer Stelle Infiltration der Wand
und zwar am stärksten in dem nach aussen, zum Aderhautherd hin liegenden
Teil des Umfangs; das Lumen des Zweiges ist ausserdem von ein- und
melrkernigen Leukoeyten angefüllt. Diese Phlebitis und beginnende 'Throm-
bose dürfte ebenso wie das über den Herden zu bemerkende Netzhautödem
auf eine von den Herden ausgehende Toxinwirkung zurückzuführen sein.
Der Optikus zeigt auf den untersuchten Schnitten sehr geringe ent-
zündliche Veränderungen im Stamm, in der Papille Ödem, mässige peri-
kapillare Infiltration und erhebliche prälaminare Gliawucherung wie bei
älterer Neuritis. —
Das Stück des linken Auges, welches den gelblichen Herd enthielt,
ist leider verloren. gegangen. Im Präparat war, wie erwähnt, makrosko-
pisch an der entsprechenden Stelle ein graues Aderhautknötchen deutlich
sichtbar. Bei der fehlenden mikroskopischen Untersuchung kann ich nicht
mit Sıcherheit behaupten, dass hier tatsächlich ein Aderhauttuberkel vorlag,
der sieh ein Vierteljahr hindurch ganz unverändert gehalten hat. —
Zur Kenntnis d. chronischen, herdfórmig dissemin. Aderhauttuberkulose. 547
Kurz zusammengefasst würe also das Wesentlichste des anato-
misch-mikroskopischen Befundes: Drei tuberkulóse Herde der Ader-
haut, von denen zwei in die Sklera eingebrochen sind. Diese beiden
zeigen fast an allen Stellen des Randes mehr weniger weit vor-
geschrittene Ausheilung unter Entwicklung von Bindegewebe, stellen-
weise mit Schwund der Aderhaut, der dritte noch ganz intrachorioidal
gelegene Herd weist in der Tiefe ausgedehnte, im Sinne einer im
Gange befindlichen Ausheilung zu deutende Bindegewebsentwicklung
auf. Schnitte durch derartige Randstellen lassen von tuberkulösen
Veränderungen nicht eine Spur erkennen. Die Oberfläche der drei
Herde ist von pigmentiertem Granulationsgewebe bzw. jungem Binde-
gewebe und Exsudat bedeckt; ausserhalb der Herde ist das Pigment-
epithel normal. Der nach der Mächtigkeit und histologischen Be-
schaffenheit des Bindegewebes älteste Herd (der im U. B. oberste)
hat auch epichorioidal das meiste Bindegewebe und nur Spuren von
Exsudat, die beiden andern sind jünger und ihr epichorioidales Ge-
webe ist von einer dicken Exsudatschicht bedeckt. Der noch ganz
intrachorioidal gelegene (im U. B. unterste) Herd scheint auch nach
der Beschaffenheit des epichorioidalen Gewebes der jüngste zu sein.
Über diesem ist auch die Retina in ganz geringem Grade durch das
Exsudat vorgewölbt, sonst sind durch das Granulationsgewebe höch-
stens die äusseren Netzhautschichten eingedrückt, ohne dass auf der
inneren Netzhautoberfläche eine Niveaudifferenz vorhanden ist. Im
übrigen ist die Retina über den Herden stärker ödematös.
Nach der Beschaffenheit des neugebildeten Bindegewebes unter
Berücksichtigung der langsam während der klinischen Beobachtung
aufgetretenen Veränderungen dürfte das Alter aller drei Herde auf
viele Monate, wahrscheinlich auf mindestens ein Jahr anzusetzen sein.
Entsprechend dem sehr chronischen Verlauf finden sich nur ganz
vereinzelte Tuberkelbacillen.
Epikrise,
Vergleichen wir nun mit dem Ergebnis der mikroskopischen
Untersuchung den letzten ophthalmoskopischen Befund, welcher ziem-
lich der Abbildung Taf. XVIII, Fig. 2, entspricht, so können wir zu-
nüchst feststellen, dass eine Prominenz der Retina über den Herden
auch im A. B. nicht zu bemerken gewesen wäre, wie denn auch der
Grad .der Vorwölbung über dem dritten Herd zu gering war,
um Parallaxe der darüber verlaufenden Netzhautgefässe erkennen
zu lassen. Wie von Graefe in der Diskussion nach Cohnheims
v. Graefo's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 8. 36
548 Ginsberg
Vortrag über die Miliartuberkulose der Aderhaut!) bemerkte, würde
schon eine Prominenz der Knótchen von !j,mm durch Parallaxe
eventuell darüber verlaufender Netzhautgefásse erkennbar sein. Im
vorliegenden Fall würde die Prominenz der Retina unter Berück-
sichtigung der bei der Härtung und Einbettung des Präparates ein-
getretenen Schrumpfung (um ungefähr 12°),) erst 0,112 mm betragen
haben. :
Ferner können wir konstatieren, dass das ophthalmoskopische
Bild über die Tiefenausdehnung des Prozesses kein Urteil ge-
stattete. Dies ist gewiss nicht verwunderlich. Können wir doch
selbst bei skleralen Prozessen in dem der direkten Besichtigung offen
daliegenden Vorderabschnitt oft nur geringe episklerale Veränderungen
wahrnehmen. Ich möchte hier besonders auf den von mir in der Berliner
Ophth. Gesellschaft?) demonstrierten Fall von tuberkulöser Skleritis
erinnern, bei welchem nach einer Tuberkulineinträufelung ein phlyk-
tänenartiges Knötchen bei so gut wie reizlosem Auge in der Con-
junctiva bulbi aufgetreten war, welches sich bis zu dem drei Monate
später erfolgten Tode des Patienten nicht wesentlich veränderte,
und welches von der im mikroskopischen Präparat nachweisbaren
wesentlich skleralen Ausbreitung des tuberkulösen Prozesses nichts
ahnen liess.
Was nun weiter die ophthalmoskopisch sichtbare Flächen-
ausdehnung der Herde betrifft, so ist diese bedingt erstens durch
die Alteration des Pigmentepithels; dem entspricht auch die Aus-
dehnung im Präparat bei makroskopischer Betrachtung im durch-
fallenden Licht.
Dazu kommt aber als wesentliches Moment die grau-
weisse, grösstenteils verwaschen begrenzte Trübung, welche
zum kleineren Teil auf das Ödem der Netzhaut, besonders
und wesentlich aber auf die zwischen dem epichorioidalen
Granulationsgewebe und der Retina gelegene Exsudat-
schicht zu beziehen ist. . Daher sehen wir den im U. B. ober-
halb der Macula gelegenen Herd, über welchem fast kein Exsudat mehr
vorhanden ist, ophthalmoskopisch schwarz pigmentiert, während die
nicht weniger intensive Pigmentierung des epichorioidalen Granula-
tionsgewebes über dem mittleren Herde, wo dieses von der Exsudat-
schicht bedeckt ist, nur an den Stellen stärkster Wucherung grau
1) Virchows Arch. Bd. XXXIX. 1867.
3) Vgl. Zentralbl. f. Augenheilk. 1908. S. 204.
Zur Kenntnis d. chronischen, herdfórmig dissemin. Aderhauttuberkulose. 549
durchscheint; wo die Pigmentepithelwucherung aber nicht vom Ex-
sudat bedeckt war, erschien ein tiefschwarzer Fleck (Taf. X VIII, Fig. 2).
Dass schon blosses Netzhautódem (wobei auch wohl meist feine
Veränderungen der Netzhautzellen, speziell der Ganglienzellen vor-
handen sind) Aderhautinfiltrate vollständig verdecken kann, dürfte
als bekannt anzusehen sein. Das Ödem braucht im Präparat nicht
einmal besonders hochgradig zu erscheinen. Ich hatte durch Herrn
Kollegen Dr. Richard Simon Gelegenheit, die Augen eines Säug-
lings mit Lues congenita zu untersuchen, in welchen je eine ausgedehnte
grauweissliche Trübung mit verwaschenen Rändern ophthalmoskopisch
sichtbar war. Die mikroskopische Untersuchung zeigte entsprechend
der Trübung einen grossen, aus Plasmazellen mit Lymphocyten und
Eosinophilen zusammengesetzten Aderhautherd, über welchem die Re-
tina am Rande nekrotisch, sonst stark atrophisch — zentral bis auf ein
dünnes faserig-zelliges Gliagewebe geschwunden — und dabei öde-
matös war. Durch die Netzhauttrübung war also die massige Ader-
hautinfiltration vollkommen unsichtbar gewesen. Dies trifft bekanntlich
auch bei frischer Chor. disseminata zu. Bei älteren Herden kann also,
wie wir sehen, epichorioidales fibrinöses Exsudat die gleiche Rolle spielen.
Bei dem ersten Herd, welcher im wesentlichen weiss mit starker,
unregelmässiger Pigmentierung erschien, waren die Aderhautverände-
rungen, welche nach unsern sonstigen Erfahrungen graugelblich hät-
ten erscheinen müssen, durch das pigmentierte epichorioidale Granu-
lations- bzw. Bindegewebe vollständig verdeckt. Nach dem ophthal-
moskopischen Bilde hätte man einen abgelaufenen Prozess (mit Ver-
wachsung und Pigmentierung der Retina) annehmen können, wenn
nicht die fortschreitende Vergrösserung dieses scheinbar atrophischen
Pigmentherdes in dieser Beziehung auffallend gewesen wäre.
Wie in der klinischen Darstellung angeführt wurde, zeigten die
beiden unteren Herde (U. B) je eine kleine, hellweisse, von einem
dunkelgrauen Ring umgebene Partie, welche den Eindruck einer
Delle machte. Das anatomische Substrat dafür können wohl nur
die kalottenförmigen Bindegewebshügel gebildet haben. Der Grund
dafür, dass diese, obwohl über allen drei Herden vorhanden, doch
nur bei den beiden unteren (U.B.) ophthalmoskopisch sichtbar waren,
ist darin zu suchen, dass die Kalotte des obersten Herdes durch die
weit auf sie heraufreichende Pigmentierung grösstenteils verdeckt war
und sich, bei der stärkeren Entwicklung von Bindegewebsfasern in
diesem Granulationsgewebe, wohl auch von den übrigen, durch das `
Pigment nicht verdeckten weissen Stellen nicht abhob: das Ganze
36*
550 Ginsberg
erschien eben als intensiv und unregelmässig schwarzgesprenkelte
Fläche. Bei den beiden andern Herden ist die Oberfläche der Hügel
vollständig frei von Pigment, Diese Hügel reflektierten das Licht
so stark, dass sie durch das sie bedeckende Exsudat weiss hindurch-
schienen. Dass dabei der Eindruck einer Delle hervorgerufen wurde,
während tatsächlich eine gewölbte Oberfläche vorhanden war, dürfte
nicht befremden, da es bekanntlich bei der Untersuchung im um-
gekehrten Bilde schwer ist das zu unterscheiden, und man von dem
zuerst gewonnenen Eindruck nicht leicht loskommt. Ähnliches be-
wirkte bekanntlich die erste irrtümliche Deutung der glaukomatösen
Excavation als blasige Auftreibung. Das fibrinóse Exsudat, in
welchem wohl auch verfettete Zellen vorhanden waren, bedingte eine
Trübung, welche die Pigmentierung des Granulationsgewebes ver-
deckte und nur die stürkste Pigmentepithelwucherung am dünneren
Rande der Kalotten als dunkelgrauen Ring durchschimmern liess.
Die grau umsáumten Stellen waren also hier nicht Tuberkelknötchen,
über denen das Pigment verschwunden und an deren Rande das
Pigmentepithel gewuchert ist.
Da nun, wie wir gesehen haben, das ophthalmoskopische
Bild durch die Beschaffenheit des nicht tuberkulósen epi-
chorioidalen Gewebes bedingt war, welches die tuberkulósen
Stromaherdevóllig verdeckte, so ist es klar, dass dieses Bild
vielgestaltig war und nichts für Tuberkulose charakteristi-
sches haben konnte. Eben dieser Mangel an etwas Einheitlichem
und für Tuberkulose als solche charakteristischem hat es wohl wesent-
lich bedingt, dass die Anerkennung dieser chronischen, in Form ein-
zelner Herde auftretenden Aderhautentzündung als Tuberkulose, wie
das v. Michel behauptet hatte, sich so langsam Bahn gebrochen hat.
Vergleichen wir mit dem Ergebnis unserer Untersuchung die
Darstellung v. Michels!), so finden wir auch in dieser Beschreibung
der uns hier beschäftigenden Chorioiditisform nichts für Tuberkulose
absolut charakteristisches; auch hier erscheint das ophthalmoskopische
Bild recht vielgestaltig. Dies letztere dürfte allgemein in dem Ver-
halten des epichorioidalen Granulations- bzw. Bindegewebes, in dem
wechselnden gegenseitigen Verhältnis von Pigment, Exsudat und
Bindegewebe seinen Grund haben.
Dass ein tuberkulöser Aderhautherd im frischen Stadium oph-
thalmoskopisch sich von entzündlichen Herden anderer Ätiologie nicht
») z. B. Grundriss der Augenheilk. 3. Aufl. S. 242.
Zur Kenntnis d. chronischen, herdfórmig dissemin. Aderhauttuberkulose. 57]
wesentlich unterscheidet, bedarf keiner weiteren Ausführung. Der
anatomischen Zellanhäufung mit gar nicht oder wenig ausgesprochenen
Pigmentveränderungen und Netzhautödem entspricht das gewöhnliche
Bild des frischen chorioiditischen Herdes. Ich möchte hier noch beson-
ders auf die „bindegewebigen Membranen zwischen Aderhaut und Netz-
haut“ hinweisen, welche v. Michel (loc. cit) beschreibt. Diese
Membranen gehen offenbar aus epichorioidalem Granulationsgewebe
hervor, wie wir es im vorliegenden Fall in einem jüngeren Stadium
gefunden haben. Dies Granulationsgewebe dürfte nicht nur die
Organisation des Exsudates bewirken, sondern nach definitiver Um-
wandlung in Bindegewebe auch zur Einkapselung und Aus-
heilung des Herdes von oben her wesentlich beitragen.
Entsprechend den Erfahrungen an andern Organen kam die
Ausheilung tuberkulóser Aderhautherde bei Stocks!) Kaninchen-
experimenten unter zwei Formen zur Beobachtung: erstens einfache
Resorption ohne Hinterlassung von Spuren, zweitens Heilung unter
Bildung einer bindegewebigen Narbe oder Sklerose der Aderhaut,
meist mit Verdünnung der letzteren. Soweit die Ausheilung im vor-
liegenden Fall gediehen ist, entspricht sie dem letzteren Modus. Es
dürfte durch diesen beim Menschen zum erstenmal klinisch und ana-
tomisch erhobenen Befund für die Anschauung v. Michels, dass
vereinzelte ophthalmoskopisch sichtbare atrophische chorioretinitische
Herde in sonst normalem Hintergrund öfter als ausgeheilte tuber-
kulöse Herde anzusprechen seien, eine neue Stütze gegeben sein.
Unser Befund zeigt aber nicht nur, dass die typische tuberkulöse
Aderhautentzündung durch die epichorioidalen Prozesse gänzlich ver-
deckt werden kann, sondern auch, dass auf Grund des ophthal-
moskopischen Bildes ein sicheres Urteil über das Stadium
des Prozesses nicht zu bilden ist; man würde nach dem Augen-
spiegelbild des oberhalb der Macula (U. B., Taf. X VIII, Fig. 1) gelegenen
Herdes einen abgelaufenen Prozess, einen atrophischen Stromaherd
mit Verwachsung der pigmentierten und atrophischen Retina erwartet
haben, während im Stroma noch reichlich tuberkulöse Masse und
floride Entzündung vorhanden, die Pigmentierung auf die Oberfläche
der Aderhaut beschränkt und die Retina frei war.
Das Gesagte dient zur Illustrierung der Schwierigkeiten, welche
dem Versuch, die Diagnose dieser chronischen, herdförmig disseminierten
Aderhauttuberkulose lediglich auf Grund des ophthalmoskopischen Be-
!) v. Graefe's Arch. f. Ophth. Bd. LXVI.
559 Ginsberg, Zur Kenntnis d. chron., herdfórmig diss. Aderhauttuberkulose.
fundes zu stellen, entgegenstehen. Es wird dementsprechend auch
wohl allgemein anerkannt, dass wir hier ganz besonders unsere ge-
samten allgemeindiagnostischen Hilfsmittel heranziehen müssen.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XVIII u. XIX, Fig. 1—6.
Fig.1. Skizze des Augenhintergrundes im umgekehrten Bild vom 25. II. 1909
(in Haabs Schema eingezeichnet, daher Gefässverlauf nicht dem Fall entsprechend).
(Vgl. Text, S. 540.)
Fig. 2. Hintergrund des anatomischen Präparates im durchfallenden Licht
bei Lupenvergrösserung. Das Bild, namentlich der beiden unterhalb der Plica
centralis gelegenen Herde entspricht dem letzten ophthalmoskopischen Befund.
(Vgl. Text, S. 540.) O — oben, U = unten, T = temporal, N — nasal.
Fig. 3. Schnitt durch den (im U. B.) obersten Herd, zwischen Mitte und
Rand. Hüm.-Eosin. — V — ungefáhr 60. Epichorioidales pigmentiertes Binde-
gewebe mit Gefüssen, Bindegewebskalotte. In der Chorioidea kleinzellige Infil-
tration und Bindegewebe. Defekt der Suprachorioidea. In der Sklera kleiner
Erweichungsherd. Die Sklera erscheint in den Figg. 3—6 zu stark aufgefasert
bzw. geschrumpft.
Fig. 4. Vertikalschnitt durch den temporalen Rand desselben Herdes wie
Fig.3. van Gieson. — V = ungefähr 60. Sklerotisches Bindegewebe epichorioi-
dal und chorioidal, dazwischen kleinzellige Infiltration. Starke Verdünnung der
Aderhaut.
Fig. 5. Schnitt durch die Mitte des gleichen Herdes. van Gieson. —
V = ungefähr 60. Sklerale Ausbreitung. Junges, zellreicheres (gelblich) und
älteres, faserreiches (rot) neugebildetes Bindegewebe. In dem llerd zwei Riesen-
zellen.
Fig. 6. Vertikalschnitt durch den mittleren Herd. van Gieson. V —
ungefähr 60. Epichorioidale Bindegewebskalotte (rot) von fibrinóser Exsudat-
schicht (gelb) bedeckt. Sklerale Ausbreitung des Herdes mit Entwicklung von
Bindegewebe jüngeren und älteren Stadiums in kontinuierlichem Übergang
(ersteres zellreich, gelblich gefärbt, letzteres faserig, rot). Unter dem Herd Rand
einer thrombosierten Art. ciliaris.
Zur Àtiologie des Glasmacherstars.
Von
San Rat Dr. med. Fritz Schanz
und
Dr.-Ing. Karl Stockhausen
in Dresden.
Mit Taf. XX u. XXI, Fig. 1 u. 2.
Die Untersuchungen über die Wirkungen der kurzwelligen Strahlen
auf das Auge haben die Frage nach der Entstehung des Glasmacher-
stars wieder angeregt. Die eigentümliche Form dieser Katarakte
muss mit Eigentümlichkeiten in der Beschäftigung des Glasbläsers
zusammenhängen.
Bei vielen Glasbläsern nämlich Bu sich meist anfangs der
vierziger Jahre eine kreisrunde Trübung am hinteren Pol der Linse.
Hat diese längere Zeit bestanden, so beginnt sich auch eine Trübung
am vorderen Linsenpol einzustellen. Mit der Zeit bildet sich dann
eine Linsentrübung heraus, die vom hinteren zum vorderen Linsenpol
zieht und schliesslich das ganze Gebiet der Linse ausfüllt, soweit es
bei der Arbeit vor dem Glasofen von den Lichtstrahlen getroffen
wird. Nur der Teil der Linse wird befallen, der von der Iris nicht
gedeckt wird. Die Peripherie der Linse ist dabei vollständig klar.
Es ist dies eine ganz charakteristische Starform, die sonst nicht vor-
kommt.
Bei der Frage nach der Entstehung dieser eigentümlichen Star-
form ist in erster Linie daran zu denken, dass die aus den glühenden
Massen ausstrahlende Energie das Auge direkt schädigt. Es käme
ferner in Frage, dass der Körper des Glasbläsers durch die von dem
Ofen ausstrahlende Energie Schädigungen erleidet, die indirekt zu
den Veränderungen im Auge führen, und drittens ist in Erwägung
zu ziehen, ob nicht in der Art der Bearbeitung des Glases Momente
liegen, die die besonders eigentümliche Schädigung in der Linse her-
vorrufen. Es sind in der Tat alle drei Möglichkeiten schon in Betracht
524 F. Schanz und K. Stockhausen
gezogen worden. Peters!) glaubte, dass der Star beim Glasbläser
mit der durch das Blasen erzeugten Stauung der Vortexvenen in
Verbindung zu bringen sei. Es würde sich daraus nicht erklären lassen,
warum der Glasblüserstar lange Jahre nur auf einem Auge und
immer in dem Auge zuerst vorhanden ist, das der Glasbläser der
Feuerstätte zukehrt. Meyhöfer?) hatte unter anderem dem starken
Wasserverlust des Körpers durch Schwitzen eine wesentliche Bedeu-
tung bei der Entstehung des Glasmacherstars eingeräumt. Der starke
Wasserverlust schaffe für das Auge Bedingungen, die die Bil-
dung der Startrübung veranlassen. Cramer?) hat schon darauf hin-
gewiesen, dass die Glasbläser durch häufiges Trinken den Verlust
ausgleichen, und dass unter den staroperierten Glasmachern der all-
gemeine Körperzustand eher zu einer für das in Frage kommende
Alter zu grossen Behäbigkeit, als zu einer infolge der riesigen Schweiss-
entwicklung zu erwartenden Abmagerung neigt. Schanz, der eben-
falls viel Gelegenheit hat, Glasmacherstare zu behandeln, kann diesen
Angaben nur beipflichten. Auch andere Feuerarbeiter (Eisengiesser,
Schmiede, Heizer) sind in ähnlicher Weise grossem Wasserverlust aus-
gesetzt und zeigen keine Starformen von den Eigentümlichkeiten des
Glasmacherstars. Dass die Feuerarbeiter in verháültnismássig frühem
Alter an Star erkranken, soll dabei nicht bestritten werden. Doch ist
dann der Befund in keiner Weise verschieden von den Befunden, die
wir sonst bei dem Altersstar sehen.
Da die eigentümliche Form des Glasmacherstars weder durch
die durch das Blasen erzeugte Stauung der Vortexvenen im Auge,
noch durch den durch Schwitzen erzeugten Wasserverlust des Kór-
pers erklärt werden kann, ist zu prüfen, ob durch die von den weiss-
glühenden Glasmassen ausstrahlende Energie solche Veränderungen
direkt erzeugt werden können. Es müsste dabei unterschieden werden
die Wirkung der Wärmestrahlen, der sichtbaren Strahlen und der
chemisch wirksamen Strahlen. Meyhöfer hat schon in der furcht-
baren Hitze, die direkt auf das Auge einwirkt, eine Ursache dieser
Schädigungen sehen wollen. Leber!) meint, dass die Wiasserver-
1) Peters, Weitere Deitrige zur Pathologie der Linse. Monatsbl. f.
Augenheilk. Bd. XLII. 1904.
2) Meyhöfer, Zur Ätiologie des grauen Stars. Monatsbl. f. Augenheilk.
1886. S. 49.
3) Cramer, Entstehung und klinische Besonderheiten des Glasbläserstars.
Monatsbl. f. Augenheilk. 1907.
*) Leber, Die Ernührungs- und Cirkulationsverhültnisse des Auges. Graefe-
Saemisch. 1908.
Zur Ätiologie des Glasmacherstars. 555
dunstung an der Hornhautoberfläche und der starke Wasserverlust
durch Schwitzen des ganzen Körpers eine stärkere Konzentration des
Kammerwassers veranlasst, die ihrerseits die Ursache zu der Linsen-
trübung abgeben kann. Hess hat schon darauf hingewiesen, dass
man dann eine Trübung am vorderen, nicht aber, wie dies beim
Glasmacherstar der Fall ist, am hinteren Linsenpol zuerst erwarten
müsste. Ferner muss man bedenken, dass die Linse vor der direkten
Einwirkung der Wärmestrahlen durch die Hornhaut und das Kam-
merwasser erheblich geschützt ist. Gegenüber den Wärmestrahlen
würde die Iris als gutleitender Körper kein Hindernis bieten. Es
wäre nicht verständlich, warum sich die Veränderungen des Glas-
macherstars so lange auf das Gebiet erstrecken, das von der Iris
nicht gedeckt wird. |
Können also die Wärmestrahlen nicht zur Erklärung der Er-
scheinungen herangezogen werden, so wäre zu prüfen, ob die sicht-
baren Strahlen die Eigentümlichkeiten im Verlauf dieser Erkrankung
erzeugen können.
Die sichtbaren Strahlen passieren die Linse zum grössten Teil
unverändert. Soweit dies der Fall ist, können sie für die Verände-
rungen in ihr nicht verantwortlich gemacht werden. Aber ein ge-
ringer Teil von ihnen wird von der Linse absorbiert!). Es sind dies
ein Teil der blauen und violetten Strahlen. Diese Strahlen erzeugen
auch Fluorescenz der Linse. Die Gelbfürbung der Linse im Alter
hängt auch mit der Absorption dieser Strahlen zusammen, wie dies
von Hess?) eingehend klargelegt wurde.
Grössere Bedeutung als diesen sichtbaren Strahlen aber, die von
der Linse absorbiert werden, dürfte den unsichtbaren, den sog. ultra-
violetten Strahlen zukommen. Von ihnen ist erwiesen, dass sie
chemisch besonders wirksam sind, und wir haben festgestellt, dass sie
sehr intensiv und mit zunehmendem Alter immer intensiver von der
Linse absorbiert werden.
Es fragt sich nun, ob bei der Entstehung des Glasmacherstars
die direkte Einwirkung der kurzwelligen Strahlen ın Frage kommen
kann. Wir besitzen darüber schon eine sehr schöne Untersuchung
von Cramer?), der auf Grund lediglich klinischer Erwägungen
1) Schanz u. Stockhausen, Über die Fluorescenz der Linse. v. Graefe’s
Arch. Bd. LXXIII, 1.
?) Hess. Arch. f. Augenheilk. Bd. LXIV, 3.
3) Cramer, Entstehung und klinische Besonderheiten des Glasblüserstars.
Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1907.
556 F. Schanz und K. Stockhausen
zu dem Schluss kommt, dass die direkte Ursache der Star-
bildung bei den Glasmachern die langjährige Einwirkung
der chemischen Strahlen ist, während die Hitze nur ein
unterstützendes Moment darstellt.
Wir haben geglaubt, die Entscheidung dieser Frage fördern zu
können, wenn wir die Verhältnisse festlegen, unter denen der Glas-
bläser Tag für Tag arbeitet. Wir haben die Temperatur am Glas-
ofen, die Temperatur des flüssigen Glases, die Lichtmenge, die der
Glasofen ausströmt, gemessen und dieses Licht während einer ganzen
Arbeitsperiode spektrographisch untersucht.
Die Versuchsanordnung ist aus Taf. XX, Fig. 1 ersichtlich. Die
drei Apparate, der Spektrograph, das Universalphotometer und das
Pyrometer, sind auf eine Arbeitsöffnung des Glasofens, die zwischen
den beiden Glasbläsern links sichtbar ist, gerichtet. Vor der strah-
lenden Wärme des Glasofens sind die Apparate durch Asbesttafeln,
die mit einer entsprechenden Öffnung versehen sind, geschützt.
Von der Arbeitsöffnung sind die Apparate 2,70m entfernt!) Zu
jeder vollen Stunde wurde mit jedem Apparat eine Messung aus-
geführt. Ebenso wurden die Temperaturen von zwei berussten Thermo-
metern, von denen das eine sich an der Stelle befand, an der sich
der Kopf des Glasmachers befindet, wenn er einen Posten Glas aus
dem Ofen nimmt, das andere an der Arbeitsstelle, an der der Glas-
macher einen halbfertig geblasenen Gegenstand nochmals anwärmt,
zu derselben Zeit abgelesen. Die Untersuchungen wurden einmal
von dem Ende einer Schmelzperiode über die ganze Arbeitsperiode
bis zum Beginn der neuen Schmelzperiode, das andere Mal von dem
Ende der Arbeitsperiode über die Schmelzperiode bis zum Anfang
der neuen Schmelzperiode durchgeführt. Die erhaltenen Resultate
hier alle auszuführen, würde zu weit führen. Hier interessieren auch
nur die der Arbeitsperiode, und da während der Arbeitsperiode ziem-
lich konstante Verhältnisse herrschen, so genügen die Angaben von
Mittelwerten.
Das Thermometer zeigte an der Stelle, an der der Glas-
macher das Glas aus dem Hafen nimmt, eine durchschnittliche
Temperatur von 110° C., in der Stellung des Anwärmens von halb-
fertigen Glasgegenständen durchschnittlich 45°C. Bei dem Blasen
und Bearbeiten des Glaspostens an dem Ende der Arbeitsbühne be-
1) Bei dem Versuch, die Apparate in geringerer Entfernung aufzustellen,
hatten dieselben so unter der Hitze gelitten, dass sie zum Teil unbrauchbar ge-
worden waren.
Zur Ätiologie des Glasmacherstars. 557
findet sich der Glasbläser in einer Temperatur von etwa 20°C. Das
Auge des Glasbläsers erhält bei der Entnahme von Glas aus dem
Ofen eine Beleuchtung von durchschnittlich 540 Lux.
Diese Untersuchung zeigt, das der Glasbläser sehr hohen und
sehr wechselnden Temperaturen ausgesetzt ist. Solchen Tempera-
turen sind aber zweifellos auch andere Arbeiter ausgesetzt. Cramer
macht z. B. auf die Heizer an den Dampfkesseln der Riesendampfer
aufmerksam, die jedenfalls noch grössere Hitze zu ertragen haben,
ohne dass man bei ihnen je die Starform beobachtet, die für Glas-
bläser eigentümlich ist. Die leuchtenden Strahlen sind ebenfalls von
sehr hoher Intensität, und man muss sich eigentlich wundern, dass
die grosse Lichtmenge, die auf die Netzhaut anhaltend einwirkt, nicht
doch mit der Zeit Veränderungen in ihr erzeugt. Besonders wichtig
war uns der Befund über den Anteil der ultravioletten Strahlen an
der Gesamtstrahlung, die von dem Ofenloch ausgeht. Das Licht,
das der Glasofen ausstrahlt, stammt von den glühenden Glasmassen,
den glühenden Häfen und dem Feuerungsgas. Das Licht enthält
ultraviolette Strahlen etwa bis 320 uu Wellenlänge. Am intensivsten
sind vertreten die ultravioletten Strahlen von 400 — 350 uu Wellen-
länge, darunter schwächt sich das Spektrum sehr ab. Das Licht
enthält also die ultravioletten Strahlen, die vor allem auf
die Linse einwirken. Es ist frei von den Strahlen, die das
äussere Auge reizen. Dieses gibt uns die Erklärung für die
dunklen Punkte in dieser Frage.
Birch- Hirschfeld hat in seiner Abhandlung!) die Frage auf-
geworfen: „Und wie ist es zu erklären, dass Fälle von akuter Blen-
dung durch ultraviolettes Licht, wie sie in andern Betrieben (Eisen-
schmelzen [Ogneff], bei Installateuren und Elektrotechnikern) nicht
selten vorkommen, bei Glasbläsern nicht beobachtet worden sind.“
Er meint damit die Erscheinungen der elektrischen Ophthalmie. Aus
unsern Untersuchungen erklärt sich dies ohne weiteres. Die Rei-
zungen am äusseren Auge, wie sie in diesen Betrieben beobachtet
werden, werden durch die kurzwelligsten ultravioletten Strahlen
veranlasst, durch die Strahlen von weniger als 320 uu Wellenlänge.
Diese sind aber in dem Licht, das auf die Augen der Glasbläser
einwirkt, nicht enthalten.
Wenn Birch-Hirschfeld?) bei seinen Versuchstieren durch
oft wiederholte Blendung mit elektrischem Licht eigenartige Ver-
! Zeitschr. f. Augenheilk. Dd. XXI, 5. S. 402.
3) Ebenda S. 404.
558 F. Schanz und K. Stockhausen
ünderungen erzeugen konnte, die mit den anatomischen Befunden
bei Frühjahrskatarrhen Ahnlichkeit haben, und angibt, dass solche
Veründerungen bei Glasblüsern nicht beobachtet werden konnten, so
ist dies nach unserem Befund ganz verständlich. Die ultravioletten
Strahlen, die in der Bindehaut solche Veränderungen erzeugen, sind
in dem Licht, das auf die Augen der Glasbläser einwirkt, nicht ent-
halten. Das Licht enthält von den ultravioletten Strahlen eben bloss
die Strahlen, die vor allem auf die Linse wirken. Nur dadurch,
dass das Licht, das von der glühenden Glasmasse aus-
strömt, frei ist von den Strahlen, welche das äussere Auge
reizen, istes dem Glasmacher möglich, während seiner gan-
zen Arbeitszeit seine Augen der Einwirkung dieses Lichtes
auszusetzen. Das Licht, das der Glasofen ausstrahlt, steht in
seiner Zusammensetzung zwischen dem der Petroleumlampe und der
Auerlampe. Wäre es zusammengesetzt wie das Licht einer Auerlampe
oder elektrischen Glühlampe, so würden Reizungen am äusseren
Auge nicht fehlen; wäre es zusammengesetzt wie das Licht einer
Bogenlampe, so würden den Glasblüsern sicher die Reizungen am
Auge, die elektrische Ophthalmie, zwingen, seine Arbeit einzustellen.
In Taf. XXI, Fig. 2 finden sich eine Anzahl Spektren verschiedener
Lichtquellen, die mit demselben Apparat und derselben Aufstellung
aufgenommen sind. Über den Spektren befindet sich eine Skala der
Wellenlängen; bei 400 wu Wellenlänge ist die Grenze der Sichtbarkeit.
Die Marke, welche man bei 300 uu Wellenlänge sieht, befindet sich
bei allen Aufnahmen an derselben Stelle. Das erste Spektrum ist
das Spektrum der geschmolzenen glühenden Glasmasse; das zweite
das von einer guten Petroleumlampe. Das dritte Spektrum ist von
einer Auerlampe. Das Spektrum 4 ist von einer Osramlampe und
ist noch ausgedehnter als das des Auerlichtes. Die Spektren 5 und
6 sind von einer Bogenlampe mit und ohne Glocke. Sie zeigen,
dass bei diesen Lampen das kurzwellige Ende des Spektrums noch
ausgedehnter ist.
Diese Feststellung zeigt recht deutlich, dass es bei den Schä-
digungen des Auges durch kurzwellige Lichtstrahlen nicht
nur auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität der
kurzwelligen Strahlen ankommt. Dass die Blendung bei den
Glasmachern durch das Fluorescenzlicht eine recht erhebliche ist, er-
gibt sich daraus, dass einige von den Glasmachern, denen Schanz
zu ihrer Arbeit helle Euphosbrillen verordnet hatte, von selbst an-
gegeben haben, dass ihnen die Glasmassen mit diesen Brillen „kalt“
Zur Ätiologie des Glasmacherstars. 559
erschienen sind. Der geringe Lichtverlust von sichtbaren Strahlen
wird es wahrscheinlich nicht sein, der diesen veränderten Eindruck
hervorruft. Wahrscheinlich erklärt sich dies daraus, dass mit der
Euphosbrille die Fluorescenz wegfállt, die ihnen beim Anblick der
feurigen Massen einen gewohnten Eindruck hervorruft.
Die Eigentümlichkeiten des Glasmacherstars sind auf
die Wirkung der kurzwelligen Lichtstrahlen zu beziehen,
die von dem Glasofen ausgestrahlt werden. Der Einwirkung
dieses Lichts kann sich der Glasmacher nur aussetzen, weil
die Strahlen die Reizung am äusseren Auge veranlassen,
vollständig fehlen. Die stark pigmentierte Iris, die für
Wärmestrahlen gut leitend ist, absorbiert eben wegen ihres
Pigmentes die kurzwelligen Strahlen besonders gut. Die
Einwirkung auf die Linse bleibt deshalb auf das Pupillen-
gebiet beschränkt.
Dass die hinteren Linsenschichten den ersten Angriffspunkt bilden,
sucht Cramer aus der durch die Brechungsverhältnisse dort bedingten
grösseren Konzentration innerhalb des optischen Systems zu erklären.
In ganz ähnlicher Weise erklären sich die Veränderungen in der
Gesichtshaut der Glasmacher. Es sind dies, wie auch Cramer schon
ausgesprochen, keine durch die Hitzewirkung entstehenden Ver-
letzungen, auch keine dem Gletscherbrand gleichzustellende Wirkungen
der kurzwelligsten Strahlen, sondern der relativ langwelligen ultra-
violetten Strahlen. Diesen kommt eine grössere Tiefenwirkung zu,
sie veranlassen die Pigmentierung der Haut, wührend jene Erytheme
erzeugen, die hóchstens zur Abhebung des Epithels führen. Die Ver-
änderungen in der Haut und in der Linse sind Wirkungen
der Strahlen ein und desselben Strahlungsgebietes.
Was die Entstehung des Altersstars betrifft, so hat Handmann
im letzten Hefte der klinischen Monatsblätter für Augenheilkunde
(47. Jahrgang, Dezember) an der Hand einer grossen Statistik ge-
zeigt, dass derselbe in der Mehrzahl der Fälle in der unteren Linsen-
hälfte und zwar unten nasal häufiger als unten temporal beginnt.
Er schliesst daraus, dass er durch Ernährungsstörungen entsteht, die
sich in der unteren Hälfte stärker geltend machen als in der oberen.
Er weist auch darauf hin, dass die Lichtstrahlen, die physiologisch
auf die Linse einwirken, die untere Linsenhälfte ausgiebiger bestrahlen
als die obere. Das Himmelslicht und das direkte künstliche Licht
ist reicher an kurzwelligen Strahlen als das nochmals diffus reflek-
tierte Licht, das vorwiegend zur oberen Linsenhälfte gelangt.
560 F. Schanz und K. Stockhausen, Zur Ätiologie des Glasmacherstars.
In demselben Heft ist ferner eine Arbeit von Hallauer er-
schienen, in der er an einer grossen Zahl menschlicher Linsen zeigt,
dass die Absorption derselben gegenüber den kurzwelligen Strahlen
eher noch grösser ist, als wir angegeben. Dabei bestätigt er auch
unsere Feststellung, dass diese Absorption mit zunehmendem Alter
grösser wird.
Die Momente, die darauf hinweisen, dass die Entstehung des
Altersstars mit der Einwirkung der kurzwelligen Strahlen auf die
Linse zusammenhängt, mehren sich, und es bedarf diese Frage sicher
einer ernsteren Prüfung. Warum sollten die kurzwelligen Strahlen
des Tageslichtes nicht im stande sein, im Laufe des Lebens Verände-
rungen in der Linse zu erzeugen, die mit denjenigen identisch sind,
die dieselben Strahlen in der Linse vieler Glasmacher nach etwa
zwanzigjühriger Berufsarbeit erzeugen? Die Eigentümlichkeiten des
Altersstars lassen sich vielleicht aus den Ernührungsverhültnissen der
Linse, aus der Regeneration des Kapselepithels, aus Eigentümlich-
keiten im Wachstum der Linsenfasern oder aus der Sklerose des
Linsenkerns erklären.
Weiteres über Blendung.
Von
San Rat Dr. med. Fritz Schanz
und
Dr.-Ing. Karl Stockhausen
in Dresden.
Die vorstehende Untersuchung über die Ätiologie des Glasmacher-
stars zeigt recht deutlich, dass es bei der Beurteilung der
Wirkung des kurzwelligen Lichts auf die Augen nicht nur
auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität dieser
Strahlen ankommt. Die kurzwelligsten (weniger als 320 uu Wellen-
länge) werden vom äusseren Auge absorbiert, sie wirken auf Augen-
teile, die mit einem sehr empfindlichen Nervenapparat versehen sind.
Es ist verständlich, dass diese Teile auf Reizung durch diese Strahlen
sofort reagieren, es kommt zu unangenehmen Empfindungen am äusseren
Auge, bei intensiver, länger anhaltender Einwirkung entwickeln sich
Entzündungen. Anders verhält es sich mit den kurzwelligen Strahlen,
die in das Augeninnere eindringen und von den Augenmedien ab-
sorbiert werden. Diese Teile sind ohne sensible Nerven. Es werden
daher keine sofort wahrnehmbaren Veränderungen hervorgerufen. Nur
ein Teil dieser Strahlen, der in Fluorescenzlicht umgewandelt wird,
vermag die lichtempfindlichen Elemente der Netzhaut zu erregen und
so indirekt auch eine sofort wahrnehmbare Empfindung zu erzeugen.
Durch sehr intensive, langanhaltende Einwirkung kommt es aber auch
direkt zu Schädigungen wenigstens in der Linse, in dem Organ, das am
intensivsten diese Strahlen aufnimmt, wie wir dies beim Glasmacherstar
gezeigt haben. Dass die kurzwelligen Lichtstrahlen, die tagtäglich
durch das Tageslicht der Linse in reichstem Masse zugeführt und
von ihr aufgenommen werden, ohne Wirkung bleiben, scheint uns un-
wahrscheinlich. Nach dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft
können wir nicht annehmen, dass diese Strahlen wirkungslos verloren
1) Vgl. Schanz u. Stockhausen, Über Blendung. v. Graefe’s Arch.
f. Ophth. Bd. LXXI, 1.
562 F. Schanz und K. Stockhausen
gehen. Wir halten es vielmehr für unwahrscheinlich, dass diese Um-
setzung der Energie ohne jede Wirkung auf das Organ bleibt, in
dem die Umsetzung stattfindet. Vogt sagt zwar: ,,Es ist nicht be-
kannt, dass irgendwelche der zahlreichen fluoreszierenden Kórper (wie
Haut, Knochen, Holz, Papier, Kastanienrindenextrakt usw.) durch die
Fluorescenz irgendwelche Veränderungen erleiden.“ Die Gruppe von
Stoffen, an denen die Erscheinungen der Fluorescenz am eingehendsten
studiert sind, hat er nicht erwähnt. Es sind dies die Farbstoffe,
deren Lösungen fluoreszieren. Von einem grossen Teil dieser Farben
ist bekannt, dass sie unter der Einwirkung des Lichts sehr rasch
verschiessen. Es treten bei diesen Farbstoffen dabei sicher molekulare
Veränderungen auf, die die Farbe verändern. Wenn wir bei den
von Vogt angeführten Stoffen keine Veränderungen nachweisen können,
so liegt dies mit Wahrscheinlichkeit nicht daran, dass keine moleku-
laren Veränderungen bei der Fluorescenz stattfinden, sondern daran,
dass unsere Hilfsmittel nicht ausreichen, diese festzustellen. Dasselbe
dürfte auch für die Linse meist zutreffen. Bei sehr intensiver an-
haltender Einwirkung jedoch lassen sich in ihr sogar sehr augen-
fällige Veränderungen nachweisen, wie wir dies in dem vorhergehenden
Artikel über die Ätiologie des Glasmacherstars gezeigt haben.
Unsere Untersuchungen haben zweifellos dargetan, dass die
Strahlen des Spektrums auch jenseits der Sichtbarkeit kontinuier-
lich auf das Auge einwirken. Sie erzeugen im Auge Wirkungen,
die für den Sehakt keinen Vorteil bieten, die aber da, wo sie in-
tensiv auftreten, ihn wesentlich stören. Dass auch das Fluorescenz-
licht sich störend geltend macht, kann nicht zweifelhaft sein. Wir
haben verschiedenfach gezeigt, dass man in der Linse mit dem Lichte
einer Bogenlampe lebhafte Fluorescenz erzeugen kann. Diese ist in
ziemlicher Entfernung wahrnehmbar. Vermag sie auf eine solche
Entfernung noch die Netzhaut des Beobachters zu erregen, so muss
die Erregung der Netzhaut in dem Auge, in dem sich eine solche
Linse befindet, eine viel erheblichere sein. Ferner lässt sich die
Fluorescenz der toten Netzhaut wahrnehmen. Die lebende Netzhaut
wird ihr eigenes Fluorescenzlicht noch intensiver empfinden. Dieses
Fluorescenzlicht muss die Schärfe des Netzhautbildes beeinträchtigen.
Prof. Best hat diese Beeinträchtigung für unwesentlich gehalten. Er
hat gemeint, das Fluorescenzlicht werde nur bei dem Versuch im
Dunkelzimmer wahrnehmbar und werde für gewöhnlich in ähnlicher
Weise vernachlässigt, wie das Licht, das durch die Lederhaut dringt.
Das kann nicht zutreffen. Wir haben gezeigt, dass das Fluorescenz-
Weiteres über Blendung. . 563
licht, das von dem Licht einer Bogenlampe von 10 Amp. erzeugt
wird, so erheblich ist, dass man bei einem Versuchstier in einigen
Metern Entfernung von der Lampe lebhaften Pupillen- und Lidschluss-
reflex damit auslösen kann. Ein Licht, das so erhebliche Reflexe
auslöst, muss auf die Netzhaut einen intensiveren Reiz ausüben, als
dies Prof. Best annimmt.
Da die Strahlen, die Fluorescenz der Augenmedien erzeugen,
auch im Tageslicht reichlich vertreten sind, so war zu prüfen, ob
sich bei der Blendung durch Tageslicht eine Wirkung dieser Strahlen
geltend macht. Stellen wir uns bei Sonnenschein ins Freie zu einer
Zeit, wo die Sonne etwa 30° über dem Horizont steht, und blicken
wir in der Richtung der Sonne auf Gegenstände in der Nähe des
Horizontes, so erscheinen sie wie mit einem Schleier überzogen. Halten
wir die Hand an die Stirn und beschatten damit die Pupille, oder
neigen den Kopf so, dass die Pupille vom oberen Augenhöhlen-
rand und der Lidkante beschattet wird, so lichtet sich dieser Schleier.
Durch die Beschattung der Pupille wird erreicht, dass kein direktes
Sonnenlicht zur Linse und zur Netzhaut gelangt. Das diffuse Tages-
licht, das in die beschattete Pupille gelangt, ist wesentlich ärmer an
kurzwelligen Strahlen und vermag keine Fluorescenz hervorzurufen,
die so intensiv ist, dass sie sich auch am hellen Tage störend be-
merkbar macht. Die Pupillenveränderung, die mit der Beschattung
der Pupille verbunden ist, reicht nicht aus, um das Verschwinden des
Schleiers zu klären. Auch die Reizung der Netzhaut durch Strahlen,
welche durch die Lederhaut dringen, genügt nicht zur Erklärung
dieser Erscheinung. Schaltet man aber die kurzwelligen Strahlen,
die die Fluorescenz erzeugen, aus dem direkten Sonnenlicht aus, hält
man z. B. vor das Auge ein helles Euphosglas, so verschwindet bei
dem eben beschriebenen Versuch der Schleier, der über den Gegen-
ständen am Horizont liegt, noch vollkommener als bei der Beschat-
tung der Pupille mit der Hand. |
` Welche Massnahmen empfehlen sich nun als Schutz gegen
Blendung? Dass wir uns beim Tageslicht gegen die Wirkung der
kurzwelligen Lichtstrahlen, die Reizung am äusseren Auge veranlassen,
schützen müssen, ist bekannt. Der Bewohner der Tiefebene, der in
das Hochgebirge kommt, bewaffnet sich mit einer Schutzbrille, die die
Lichtstrahlen schwächt. Bei Reisen in arktischen Gegenden, bei
Ballonhochfahrten wird man sich auch mit geeigneten Schutzbrillen
versehen. In der Tiefebene sind diese Strahlen im Tageslicht nicht
mehr in der Intensität vorhanden, dass sie stärkere Reizungen am
v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 31
564 | F. Schanz und K. Stockhausen
äusseren Auge veranlassen.. Immerhin werden Stadtbewohner, die
einmal längere Touren durch sonniges Gelände machen müssen, auch
in der Tiefebene mit leichten Entzündungen am äusseren Auge noch
empfindlich belästigt.
Die Strahlen, die Fluorescenz in den Augenmedien hervorrufen,
sind im Sonnenlicht auch in der Tiefebene: noch reichlich vorhanden.
Um uns gegen die intensive Wirkung dieser Strahlen zu schützen,
müssen wir die Pupille beschatten. Wir haben unsere Kopfbedeckung
so eingerichtet, dass sie die Beschattung übernimmt, wenn die natür-
liche Beschattung durch den Augenhöhlenrand und die Lidkante
wegfült. Da, wo ein solcher Schutz andauernd nicht möglich ist,
oder wo bei Einwirkung direkt gespiegelten Sonnenlichts die natür-
lichen Schutzmittel versagen, ist sicher eine Schutzbrille, die diese
Strahlen abfängt, angebracht. Eine solche Schutzbrille soll die
kurzwelligen Strahlen, die Fluorescenz in den Augen-
medien erzeugen, möglichst vollständig absorbieren, die
sichtbaren aber nicht unnötig schwächen.
Das künstliche Licht ist auch verschieden zusammengesetzt (vgl.
die Spektren in der vorgehenden Arbeit: „Über die Ätiologie des
Glasmacherstars^). Das Licht der Petroleumlampe enthält von den
kurzwelligen Strahlen nur Strahlen, die Fluorescenz der Augenmedien
erzeugen; die Strahlen, die Reizungen am äusseren Auge hervorrufen,
fehlen vollständig, Man kann die Intensität des Lichtes steigern bis
zu der, die ein Glasschmelzofen in der höchsten Glut ausstrahlt,
man wird keine Entzündungen am äusseren Auge erhalten. Beim
Auerlicht enthält das Licht schon Strahlen, die Reizungen am äusseren
Auge hervorrufen. Dasselbe gilt von den Glühlampen und erst recht
von den Bogenlampen. Das Licht dieser Lampen gleicht in seiner
Zusammensetzung dem Tageslicht im Hochgebirge. Das Licht der
Bogenlampen, selbst wenn diese mit Glasglocken versehen sind, wird
im Gehalt an ultravioletten Strahlen, die das äussere Auge reizen,
dem Tageslicht im Hochgebirge nicht nachstehen, da man mit diesen
Lampen trotz der Glasglocke noch elektrische Ophthalmie bei Ver-
suchstieren erzeugen kann, und auch bei Menschen Beobachtungen
vorliegen, dass trotz Lampenglocke und Brille elektrische Ophthalmie
von solchem Bogenlicht erzeugt worden ist. Im Licht der Auerlampe
und der Glühlampe erreichen diese Strahlen keine solche Intensität,
dass heftige Entzündungen entstehen. Sie erzeugen aber die unan-
genehmen Empfindungen aın äusseren Auge, die wir beim Petroleum-
licht nicht haben.
Weiteres über Blendung. 565
Da im Lichte der Petroleumlampe nur solche kurzwelligen Licht-
strahlen enthalten sind, die Fluorescenz der Augenmedien veranlassen,
würde es, um sich gegen die unerwünschte Wirkung dieser Strahlen
zu schützen, genügen, die Beleuchtung so einzurichten, dass das Licht
der Lampe nicht direkt in die Pupille fällt. Lässt sich die Petroleum-
lampe nicht so aufstellen, steht sie wie gewöhnlich in Augenhöhe auf
dem Tisch, so wird es sich auch empfehlen, diesem Licht die kurz-
welligen Strahlen zu entziehen.. Bei den andern intensiveren Licht-
quellen enthält das Licht sowohl Strahlen, die Fluorescenz der Augen-
medien erzeugen, als auch Strahlen, die das äussere Auge reizen.
Diesen Lichtquellen muss man die kurzwelligen Strahlen entziehen,
auch wenn sie so aufgestellt sind, dass direktes Licht nichtžin die
Pupille gelangt, um die Reizung am äusseren Auge zu vermeiden.
Durch diffuse Reflexion verliert das Licht sehr viel von diesen
Strahlen. Daher empfiehlt sich die indirekte Beleuchtung: Die Be-
leuchtung wird wegen des grossen Verlustes an sichtbaren Strahlen
kostspielig bleiben. Einfacher und billiger können wir jetzt dem
künstlichen Licht die kurzwelligen Strahlen entziehen durch Glas-
hüllen aus Euphosglas, das alle kurzwelligen Strahlen gleichmässig
absorbiert. Die jetzt aus diesem Glas im Handel befindlichen Euphos-
gläser sind so abgepasst, dass sie die Fluorescenz der Linse, wie sie
eine Bogenlampe von 10 Amp. in einigen Metern Entfernung zu er-
zeugen vermag, eben zum Verschwinden bringen.
Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge
mit Druckwirkung auf die Netzhaut.
Von |
Dr. Ischreyt,
Augenarzt in Libau (Russland).
Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, zehn Fälle von Augen mit
Glaukom und Myopie pathologisch-anatomisch zu untersuchen und die
sich ergebenden Resultate mit ülteren Angaben zu vergleichen. Durch
Herrn Spezialkollegen M. v. Middendorff (Reval) bin ich nun wie-
der in den Besitz eines derartigen Prüparates gelangt und gebe hier
die Beschreibung der in mancher Hinsicht interessanten Befunde
wieder.
Krankengeschichte.
Friedrich R., 71 Jahre alt, gibt an, mit dem linken Auge als Knabe
noch gesehen zu haben; sehschwach war es jedoch immer und ist bereits
seit vielen Jahren ganz blind. Das Schielen hat sich allmählich ent-
wickelt.
Status praesens: Strabismus convergens des linken Auges im
höchsten Grade, doch besteht keine Lähmung des M. externus; bei äusserster
Linkswendung der Augen erscheint der laterale Cornearand des linken
Auges im inneren Winkel: man sieht eine mittelweite starre Pupille und
auf der vorderen Linsenkapsel Auflagerungen (oder kleine Linsentrübungen ?).
Die Injektion des Bulbus ist màssig. Tension -- 1. Kammer scheint von
normaler Tiefe. 9 = 0: Glaucoma absolutum. Rechtes Auge normal,
V mit 4- 1,0 D = 0,6. Links wird ein Tropfen Eserin eingeträufelt, worauf
sich die Pupille etwas verengt, es tritt aber ein furchtbarer Schmerzanfall
ein und macht die Enucleation nötig. Bei der Operation zeigt es sich,
dass der Externus zu einem dünnen atrophischen Strang geworden ist.
Der Bulbus ist nach hinten hochgradig verlängert und am hinteren Pol
saekartig erweitert. Die hintere Augenwand ist so stark verdünnt, dass
man durch sie hindurch (von der Hornhaut her) das Fensterkreuz er-
kennen kann.
Pathologisch-anatomische Untersuchung.
Der in Formol fixierte Bulbus ist auffallend lang und misst sagittal
32 mn, in der Querachse 23,3 mm, in der vertikalen 24mm. Der vordere
Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge usw. 567
Abschnitt scheint in seiner Form nicht verändert; an der Grenze des mitt-
leren und hinteren Drittels befindet sich eine leichte Einschnürung, hinter
der die Wölbung der Sklera wieder zunimmt: es besteht nämlich im hin-
teren Abschnitt eine hochgradige Ektasie, wodurch der Optikus ganz zur
Seite gedrängt und mit seiner Längsachse parallel zur horizontalen Quer-
achse des Bulbus gestellt ist. Die Entfernungen der Vortexvenen betragen
oben aussen vom Limbus 17 mm, vom Optikus 18 mm, vom hinteren
Pol 18,5 mm; oben innen vom Limbus 15 mm, vom Optikus 12,7 mm, vom
hinteren Pol 20mm; unten aussen vom Limbus 15,5 mm, vom Optikus
17,5 mm, vom hinteren Pol 19,5 mm; unten innen vom Limbus 15,2 mm,
vom Optikus 13,6 mm, vom hinteren Pol 19 mm.
Das Präparat wurde in Alkohol gehärtet, in Celloidin eingebettet und
in horizontale Serienschnitte zerlegt.
Die Sklera zeigt ihrer Struktur nach keine Veränderungen; über ihre
Dicke geben folg. Zahlen Aufklärung. Dieselbe beträgt
am Corneafalz aussen 0,52 mm
innen 0,37 „
an der Ora serrata aussen 0,64 ,,
innen 0,64 „
am Äquator aussen 0,67 ,,
l innen 0,69 ,
am hinteren Pol 0,09 ,,
Durehschnittsmasse an der Ora serrata vorderer Abschnitt 0,41 mm
hinterer 3 04 ,
vom mittleren und gróssten Durchmesser vorderer s 0,52 ,,
hinterer 5 0,34 „
Trotz der ausserordentlich hochgradigen Verdünnung in der Gegend
des hinteren Pols — dieselbe erreichte an einer Stelle den Wert von
0,07 mm, das ist !/,mm —- waren nirgends Rupturen eingetreten.
Conjunetiva bulbi ödematös, hyperämisch mit geringfügigen Rund-
zellenansammlungen in den tiefsten Schichten. Auf der nasalen Seite senkt
sich das Epithel zapfenförmig in das subepitheliale Gewebe, so dass dieses
echte papillenartige Erhebungen bildet.
Cornea. Das Epithel ist vollständig erhalten, aber in seinen ober-
flächlichen und mittleren Schichten etwas unregelmässig. Zwischen den
Fusszellen befinden sich Ödemlücken.
Die Bowmansche Membran fehlt fast überall und ist nirgends gut
entwickelt. Meist ruht das Epithel direkt auf der Cornea propria, ohne
dass sich zwischen sie und das Epithel etwa ein fremdartiges Gewebe
eingeschoben hätte. Es macht den Eindruck, als wenn sich die Bow-
mansche Membran in normale Hornliautlamellen aufgelöst hätte. An ver-
schiedenen Stellen ist dieser Prozess verschieden weit gediehen und beginnt
überall von der Propriaseite. Eine entzündliche Zelleninfiltration findet
sich nirgends, auch nicht dort, wo die Umwandlung noch nicht abgeschlossen
ist. Die Zahl und das Aussehen der Kerne ist in den Lamellen, die der
Bowmanschen Membran entsprechen, nicht grösser als in der Hornhaut-
propria selbst.
568 Ischreyt
In der Cornea propria finden sich zahlreiche winzige spaltförmige
Lücken, meist im Anschluss an die normalerweise vorhandenen Saft-
lücken, die hierdurch erweitert scheinen. Die Descemetsche Haut sielıt
normal aus.
Die vordere Kammer ist seitlich infolge einer peripheren Irissyne-
chie abgeflacht, sonst von normaler Tiefe. Sie ist mit einer eiweissreichen
Flüssigkeit angefüllt gewesen, was sich aus geronnenen, auf der Cornea-
hinterfläche und in der Kammerbucht liegenden Massen schliessen lässt.
Rote Blutkörperchen finden sich nirgends, wohl aber pigmenthaltende
Zellen, die einzeln oder in kleinen Gruppen der Descemetica anliegen und
aus der Iris stammen.
Lumina des Plexus venosus Schlemmii sind vorhanden, aber
wenig deutlich, klein und wenig an Zahl, teilweise durch Pigmentierung
verdeckt. Die Maschenriume des Reticulum sclerocorneale sind kaum
nachweisbar; fast überall liegen die Bindegewebsbalken fest aufeinander
und lassen nur spärliche Lücken frei, in denen Pigment liegt.
Die Iris liegt mit ihrem peripheren Teil auf der temporalen Seite
0,7 mm, auf der nasalen 0,6 mm der Corneosklera an. Am festesten ist
die Vereinigung ganz peripher; weiter zentral ist sie unvollständig, indem
nur die Kuppen der hier vorbandenen Irisfalten die Cornea berühren, wäh-
rend nebenbei im Bereiche der Faltentäler Zwischenräume bestehen bleiben.
Die Iriswurzel ist hochgradig atrophisch, stark pigmentier. Auch sonst
zeigen sich die gewöhnlichen atrophischen Veränderungen an der Pigment-
schicht und in mässigem Grade am Sphinkter. Über der Pigmentschicht ist
das Irisgewebe fibrös verdichtet, während der übrige Teil durch ein hoch-
gradiges Ödem verbreitert ist. Der ödematöse Teil dürfte ziemlich genau
der Gefässschicht der Iris entsprechen, der fibröse der hinteren Grenzlamelle.
Das Ödem hat die Krypten vollständig ausgeglichen und betrifft am meisten
den Pupillarteil. Hier erreicht die Iris die grösste Dicke und misst ohne
Pigmentschicht 0,43—0,49 mm, während die entsprechenden Masse eines
normalen Auges nur 0,14 mm betrugen (bei der gleichen Pupillenweite‘.
Auch in den übrigen Abschnitten übertrifft die glaukomatöse Iris an Dicke
die normale. Das Ödem hört nicht vor der Irissynechie auf, sondern lässt
sich fast bis an die (primäre) Iriswurzel verfolgen; die Dicke des erweiterten
Irisanteils nimmt selbstverständlich in dieser Richtung stetig ab, während der
firöse Anteil etwas zunimmt. Im Bereiche des Ödems sind gut gefärbte
Zellkerne sehr selten, in der vorderen Grenzschicht häufiger. Zahlreiche
Kerne haben ihre Färbbarkeit verloren. Die Gefässe sind geschlängelt und
weit, die Wände meist dünn; nur hin und wieder finden sich dickere Ad-
ventitien.
Ciliarkórper flach, von typisch myopischem Bau, die Ringportion
des Muskels sehr schwach entwickelt; überall ist das Bindegewebe stark
auf Kosten der übrigen Bestandteile verbreitert. Es sind nur vereinzelte,
aber gut gefüllte Gefässe vorhanden. Die Fortsätze sind zu fast gefässlosen
bindegewebigen Zapfen geworden. Das Epithel sehr unregelmässig.
Zonula Zinnii kräftig entwickelt, vielleicht verdickt. Die Linse
zeigt keine sehr ausgesprochenen Veränderungen, enthält zahlreiche kleine
Spalten in den Rindenschichten.
Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge usw. 569
Die Chorioidea ist dünn, gefässarm. Die Gefässe haben oft ver-
dickte und hyalinisierte Wände, zwischen ihnen bisweilen kernreiche Binde-
gewebszüge. In dem hinteren Abschnitt wird die Chorioidea immer dünner
und besteht schliesslich nur noch aus einer Lage platter Gefässe und den
Resten des Pigmentepithels. Im Bereiche des Staphyloms geht sie dann
allmählich ganz verloren. In der Gegend des hinteren Pols hat eine leichte
Abhebung der Retina stattgefunden; der spaltförmige Zwischenraum ist mit
einer krümligen Masse angefüllt, in die die Reste des Pigmentepithels und
der Stäbchenzapfenschicht eintauchen. Die Stämme der hinteren Ciliar-
arterien zeigen konzentrische Endarteriitis. Von den Vortexvenen kam nur
eine zur Untersuchung; ihr Lumen war relativ eng. Zerreissungen der
Wand fanden sich nicht.
Die Retina ist bis auf die unbedeutende Abhebung am hinteren Pol
überall angelegt. An der Ora serrata finden sich nur wenige Blessigsche
Hohlräume. Im ganzen ist die Struktur der Netzhaut gut erhalten, am
allerbesten in dem äquatoriellen Abschnitt, am wenigsten hinten. Die Ge-
fässe sind in mässigem Grade erweitert, bisweilen auf Kosten der inneren
Körnerschicht, die an die äussere angepresst sein kann. Fast überall findet
sich eine ausgesprochene Lückenbildung in der Nervenfaser- und Ganglien-
zellenschicht. Die Zwischenkörnerschicht ist manchmal unregelmässig er-
weitert, als wenn die Körnerschichten durch ein formloses Extravasat aus-
einander gedrängt worden wären. Die äussere Körnerschicht ist unregel-
mässiger als die innere und weist oft Lücken auf. In der Stäbchen- und
Zapfenschicht finden sich zahlreiche, auf der Limitans externa sitzende bla-
sige Hohlräume, die wenigstens zu einem Teil als aufgeblähte Zapfen an-
zusehen sind; die Zapfenkörner sind dabei in grosser Anzahl durch die
Limitaus externa hindurchgewandert. Am hinteren Pol ist die Retina stark
verändert: die Stäbchenzapfenschicht fehlt hier vollkommen und die Retina
ist zu einem dünnen fibrösen Häutchen geworden. Weiter ab treten dann
zwei Schichten auf: die eine entspricht den beiden inneren Retinaschichten
und die andere besteht aus Körnern. Noch weiter tritt eine Trennung der
Körnerschichten ein und auch die übrigen Schichten werden erkennbar.
In der Nachbarschaft des hinteren Pols sind die Stäbchen verbogen,
ohne dass sich dabei eine bestimmte Regel feststellen liesse; die Konvexität
der Biegung kann medial oder lateral gerichtet sein; häufig ist die Krüm-
mung deutlich S-förmig, wobei die Konvexität nach der Papille gerichtet
ist Am nächsten zum hinteren Pol können die Stäbchen ganz flach ge
legt sein. Die Zapfen sind an den Verlagerungen ebenfalls beteiligt, bis-
weilen bei sonst ziemlich regelmässiger Struktur des Neuroepithels voll-
ständig umgekippt.
Der Sehnerv ist seitlich sehr stark verschoben. Die Zentralgefässe
biegen, kurz bevor sie die Netzhaut erreichen, fast rechtwinklig temporal-
wärts ab. Die temporalen Äste verlaufen in der eingesehlagenen Richtung
weiter, die nasalen schlagen sich in einem sehr scharfen Bogen um den
vorgezogenen nasalen Skleralrand, um dann die entgegengesetzte Richtung
einzuschlagen. Dieser eigentümliche Gefässverlauf wird dadurch bewirkt,
dass der nasale Skleralrand mit der Netzhaut weit über die Optikuslüngs-
achse hinübergewandert ist.
570 Ischreyt
Beide Optikusgefässe sind sehr weit, zeigen aber sonst keine wesent-
lichen Veränderungen. Innerhalb der Optikusbündel finden sich oft Lücken,
während das bindegewebige Gerüst verdickt ist.
Eine glaukomatöse Excavation liegt nicht vor, die Papille fehlt aber
infolge von Atrophie seiner Elemente. Die Lamina cribrosa ist flach aus-
gebuchtet. Die die Scheidenráume überdachende Sklera ist ausserordentlich
verdünnt und in die Lünge gezogen, ganz besonders auf der nasalen Seite.
Sie geht beiderseits ohne Absatz in die ebenfalls ektatische Sklera des
ganzen hinteren Abschnitts über und bildet so eine enorme kesselfórmige
Erweiterung der Bulbuswand, deren Boden seitlich der Optikus aufsitzt.
Rupturen sind trotz der hochgradigen Verdünnung nicht vorhanden.
Pathologisch-anatomischer Befund: Myopie (lange Sagit-
talachse, flacher Bau des Ciliarkörpers, Verdünnung der Sklera in der
hinteren Augenhälfte, Staphyloma posticum, hochgradige Supertraktion
des nasalen Skleralrandes des Optikuskanals), Ödem der Cornea
(Auffaserung der Bowmanschen Membran). PeripherelIrissynechie,
Ödem der Iris, Kompression des Reticulum sclero-corneale.
Fibróse Degeneration der Ciliarfortsütze und der Chorioidea.
Endarteriitis der hinteren Ciliararterien. Hochgradige
Atrophie der inneren Netzhautschichten, Verbiegung des
Neuroepithels, Atrophie der Papille, Atrophie mit Lücken-
bildung des Optikus.
Epikrise.
Myopische Charaktere.
Die Form des Bulbus ist eine typisch myopische und zeigt den
myopischen Langbau in einem aussergewöhnlich hohen Grade Die
Dickenverhältnisse der Sklera weisen auf die Ursache jener Form-
veränderung hin, denn auch in diesem Falle steht dem relativ wenig
veränderten vorderen ein stark gedehuter hinterer Abschnitt gegenüber.
Da diese Frage noch in den letzten Jahren durch Heine(2)
und Marschke(3) erschöpfend behandelt wurde, braucht hier weder
auf die Literatur noch auf das Allgemeine eingegangen zu werden.
Der Befund an meinem Präparat ordnet sich gut dem Schema ein,
das aus den Untersuchungen Heines abzuleiten ist. Auffallend ist
aber die grosse Dicke der Sklera in ihren vorderen und mittleren
Teilen. Ein Vergleich mit den Fällen Marschkes zeigt schr hohe
und für myopische Augen jedenfalls ungewöhnliche Werte.
Die Durchschnittszahlen zeigen an der hinteren Hälfte die starke
Dickenabnahme, die für Mvopie charakteristisch ist.
Da die Sklera am hinteren Pol. im Bereiche der Ektasie, ganz
Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge usw. 511
ausserordentlich verdünnt ist, könnte der Einwand gemacht werden,
dass die niedrige Durchschnittszahl für die hintere Sklerahälfte nicht
die Folge einer allgemeinen Dehnung dieses Gebietes sei, sondern
durch ein verhältnismässig starkes UÜberwiegen der niedrigen Werte
der Ektasie vorgetäuscht sei. Bekanntlich berechnete Heine, dessen
Methode auch ich angewandt habe, die Durchschnittszahlen aus mög-
lichst vielen aufeinanderfolgenden Einzelmessungen. Mir scheint, dass
man sich auch noch auf eine etwas andere Weise ein Bild über die
Zunahme oder Abnahme der Dicke machen könne. Wenn man näm-
lich die sämtlichen Einzelmessungen beider Hälften von vorn nach
hinten in Gruppen teilt und für jede derselben die Durchschnittszahl
berechnet, erhält man eine fortlaufende Zahlenreihe, die einer ent-
sprechenden Anzahl von Zonen an der Sklerakapsel entspricht. Ich
habe willkürlich fünf Zonen angenommen, die natürlich mit dem ana-
tomischen Bau nichts zu tun haben, und folgende Zahlenreihe be-
rechnet: I. 0,44 mm, II. 0,6 mm, III. 0,5 mm, IV. 0,3 mm und
V. 0,12 mm. Wir sehen hieraus, dass von der zweiten Zone an, die
noch zum gróssten Teil vor dem Aquator liegt, eine stete Dicken-
abnahme der Sklera nach hinten eintritt.
Auch die Abstünde der Vortexvenen vom Limbus und Optikus
illustrieren die hochgradige Verlängerung des hinteren Sklerabschnittes
in deutlicher Weise. Über die Berechtigung derartiger Messungen
und ihre Verwendung muss ich hier auf eine frühere Arbeit (im
Arch. f. Augenheilk. LXTV, Seite 223 u. ff.) verweisen. Im Hinblick auf
den vorliegenden Fall sei aber folgendes hervorgehoben. Zunächst
fanden sich ungewöhnlich niedrige Limbusabstände, denn während die
Durchschnittszahl für alle vier Vortexvenen in einer Reihe von elf
normalen Augen 17,1mm betrug, berechnete ich für das vorliegende
myopische Auge einen Durchschnitt von nur 15,7 mm. Anderseits
war wiederum der durchschnittliche Optikusabstand schr hoch, näm-
lich 15,4mm, während er normal nur 8,9 mm beträgt. Und die Ent-
fernung bis zum hinteren Pol, der ja die Optikuspforte um ein Be-
trächtliches überragte, betrug sogar 19,2 mm. Somit lagen die Vortex-
venen in diesem myopischen Auge näher zum Limbus als zum hinteren
Pol, während sie sich unter normalen Verhältnissen auf der Grenze
des mittleren und letzten Drittels befinden.
Die eigentümliche nasale Verschiebung des Optikus, sowie die
aussergewöhnliche Ektasierung der Sklera in der Gegend des hinteren
Pols, kennzeichnen Veränderungen, die in einer gewissen Beziehung
zu dem stehen, was v. Graefe(4) die „Mitbeteiligung einer gewissen,
t
t
13 Ischreyt
der Papille benachbarten Skleralbreite an der Excavation“ nennt. In
neuer Zeit haben Kampherstein (5), Hotta (6) und ich (1) weitere
Beispiele hierzu geliefert. Der vorliegende Fall deckt sich aber doch
nicht ganz mit diesen Befunden, insofern nämlich, als es in ihm noch
nicht zu einer richtigen glaukomatösen Papillenexcavation gekommen
ist, die benachbarte Sklera also nicht eine Hilfsrolle bei ihrer Ent-
stehung übernehmen konnte. Es brauchte aber nur ein weiteres Zu-
rücksinken der Lamina cribrosa zu erfolgen, um ein ganz ähnliclıes
Bild zu bewirken. In grösserem Masse lässt sich mein Fall mit
einem Fall von Wintersteiner (7) vergleichen. Hier bestand Myo-
pie ohne Druckerhöhung, und wenn man seine Abbildung mit der
meinigen vergleicht, wird man in der seitlichen Verschiebung des Op-
tikus und in der Ausbuchtung der Sklera Analogien finden. In
Wintersteiners Fall sind die Veründerungen bloss nicht so hoch-
gradig. Es liegt der Gedanke nahe, dass der Prozess der Ektasierung
bis zu einem gewissen Grade die Excavationsbildung an der Papille
zu verhüten im stande wäre. Man kann sich nämlich vorstellen, dass
die Ausbildung eines locus minoris resistentiae seitlich von der Papille
eine Entlastung der Lamina cribrosa bewirke.
Bemerkenswert ist die Form der Papille. Wie wir oben sahen.
ist sie hochgradig atrophisch und wird zu etwa Dreivierteln überdeckt
von dem ungewöhnlich supertrahierten nasalen Skleralrande und der
Netzhaut. Der Gefässtrichter erhält auf diese Weise einen fast recht-
winkligen Verlauf. Wie diese Verbildung zu stande gekommen ist,
lässt sich bei ihrer hohen Ausbildung nicht mehr mit Sicherheit fest-
stellen. Auf Grund der Heineschen Hypothese von der Supertraktion
kann man indessen annehmen, dass infolge der hochgradigen Ekta-
sierung der temporalen Seite ein besonders starker Zug auf die nasale
Elastica eingewirkt habe. Da sich nun die Sklera auch auf der na-
salen Seite stark verdüunte, folgte sie der hinüberwandernden Elastica
und Retina besonders leicht und weit.
Glaukomatóse Charaktere.
Entsprechend der langen Dauer der Druckerhóhung besteht eine
alte periphere Irissynechie, ohne dass sich indessen an ihr irgend-
welche Besonderheiten finden. Von den Veränderungen, die man sonst
noch auf die Druckerhöhung zurückführen könnte, ist das eigentüm-
liche Fehlen der Bowmanschen Membran bemerkenswert. Wie aus
der mikroskopischen Untersuchung mit Sicherheit hervorgeht, handelt
es sich nicht etwa um den Ersatz der Membran durch ein Narben-
Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge usw. 513
:gewebe, wie denn ebenfalls auch alle frischeren entzündlichen Zeichen
vollständig fehlen, sondern um eine von innen nach aussen erfolgende
Auffaserung. Da die Bowmansche Haut auch nach den neuesten
Untersuchungen (8) nichts anderes ist, als eine „aufs Äusserste poten-
zierte“ Durcheinanderschiebung der Hornhautbänder, kann man sich
vorstellen, dass sich Ödeme unter Umständen bis in sie hinein fort-
setzen. Die Anwesenheit der zahlreichen Lücken in den mittleren
und äusseren Lagen der Hornhaut scheint diese Annahme zu be-
stätigen.
Das Verhalten der Netzhautstäbchen in der Umgebung des hin-
teren Pols muss ebenfalls auf die Druckerhöhung zurückgeführt wer-
den. Es fanden sich nämlich dort Verkrümmungen der Stäbchen, wie
es in ähnlicher Weise bereits von Berenstein(9) und v. Hippel(10)
beschrieben worden ist.
Berenstein schildert diese Veränderungen mit folgenden Worten:
„Die Stäbchen und Zapfen zeigen in der ganzen Netzhaut bald mehr,
bald weniger ausgesprochene, ganz eigentümliche Veränderungen. Stellen-
weise liegen sie besonders in der Äquatorialgegend, ganz platt zu-
sammengedrückt, fast parallel der Oberfläche; in den vertikal an-
gelegten Schnitten nehmen sie eine von vorn nach hinten vollständig
schiefe Richtung ein, dabei sind die Stäbchen und Zapfen schwer
voneinander zu unterscheiden, ihre äusseren Enden sind spindelförmig
verdickt und kolbig angeschwollen. Am hinteren Pol des Auges
findet man Stellen, wo die Stäbchen und Zapfen nicht so stark zu-
sammengedrückt sind und nur einen welligen Verlauf zeigen; beson-
ders das der äusseren Körnerschicht zugekehrte Ende macht oft eine
starke S-förmige Krümmung, dabei sind die betreftenden Enden oft
zu Büscheln zusammengedrängt; hier und da findet man auch ver-
schiedene Übergangsstellen von parallel der Oberfläche angeordneten
bis zu den mehr senkrecht stehenden Stäbchen. Hier und da sind
sie bis zur Unkenntlichkeit aneinandergedrängt, scheinbar verschmolzen;
zugleich ist die Dicke der Schicht stark vermindert, oder diese völlig
geschwunden. Letzteres ist besonders der Fall nahe der Ora serrata,
in der Fovea centralis und in der Umgebung der Macula lutea.“
v. Hippel beschreibt an einem früh erblindeten und an akutem
Glaukom erkrankten Auge, wie die Aussenglieder der Stäbchen und
Zapfen zu beiden Seiten der Fovea und nasal von der Papille um-
gebogen waren und zwar die temporal von der Papille gelegenen tem-
poralwärts, die nasal gelegenen nasalwärts.
Nach Berenstein ist die schiefe Lage „höchstwahrscheinlich®
574 Ischreyt
durch die Drucksteigerung bedingt, während sich v. Hippel ent-
schieden dafür ausspricht und aus der Umbiegung der Stäbchen und
Zapfen auf einen sehr intensiven Innendruck schliesst.
Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass diese Annahme
die grösste Wahrscheinlichkeit für sich hat, jedenfalls erklären sich
die beschriebenen Veränderungen so am zwanglosesten. Die Schwierig-
keit liegt aber in einer andern Richtung und lässt sich in die Frage
fassen, warum diese Druckveränderungen der Netzhaut so selten auf-
treten. Es müssen jedenfalls ganz besondere Voraussetzungen da sein,
damit jene Umformungen eintreten können.
Wenn wir mit Nicolai in der Netzhaut die Trägerin des intra-
okularen Druckes sehen dürften, brauchten wir nur einen Verlust
ihrer Elastizität anzunehmen, um derartige Kompressionserscheinungen
zu erklären. Durch Koster(11) wurde aber die Nicolaische Hy-
pothese widerlegt, so dass jener Erklärungsversuch nicht angängig
ist. Wir müssen vielmehr annehmen, dass sich jede Druckerhöhung
im Glaskörperraum momentan den lockeren und mit Flüssigkeit ge-
füllten Netzhautgeweben mitteilt, so dass eine Kompression für ge-
wöhnlich unmöglich wird. Es liegen in bezug auf die Netzhaut die-
selben Verhältnisse vor, wie sie für die Papille von Birnbacher und
Czermak(12) festgestellt wurden: „Der Angriffspunkt des intraoku-
laren Druckes muss in die vordersten Laminaschichten verlegt werden,
nicht in die innere Oberfläche der Papille. Der Druck im Glaskörper
muss sich auf die Flüssigkeit des Papillengewebes ebenso übertragen,
als ob offene Kommunikationen bestünden.“ Etwas ähnliches findet
sich auch an der Iris im Zustande der peripheren vorderen Synechie.
Es gibt nämlich, wie Fuchs(13) ausführt, Fälle, in denen die Iris-
wurzel im ganzen Umfange an das Lig. pectinatum angewachsen ist,
ohne dass Druckerhóhung bestünde. Er erklürt das folgendermassen:
„Die dem Lig. pect. anliegende Iris beeinträchtigt die Filtration des
Kammerwassers nur in schr geringem Grade, so wenig, dass dies von
vielen Augen ohne Schaden ertragen wird. In andern Augen führt
sie zunächst zu einer ganz geringen Retention von Augenflüssigkeit.
Die dadurch gesetzte Drucksteigerung ist zwar zuerst sehr gering, be-
wirkt aber doch allmählich leichte Kompression der Iriswurzel mit
Verdichtung des Gewebes. Dadurch wird wieder die Filtration noch
mehr erschwert und so entsteht ein Circulus vitiosus, der mit der
vollständigen Verdichtung des Irisgewebes, Anpressung desselben an
das Lig. pect. und Verödung dieses, sowie des Schlemmschen Ka-
nales unter starker Drucksteigerung endigt.*
Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge usw. 575
Wir müssen nun ebenfalls für die Netzhaut nach Gründen suchen,
die uns ihre Kompression verständlich machen. Dass die normale
Netzhaut die Fähigkeit besitzt, sich in ausserordentlichem Masse dem
vergrösserten Bulbus anzupassen, haben noch in letzter Zeit Schreiber
und Wengler (LA am Tierauge gezeigt. Und dasselbe lässt sich ja
auch an zahlreichen Myopieaugen feststellen, an denen sich nach
Heine die Dehnung erheblich auf die inneren, minimal auf die
äusseren Netzhautschichten erstreckt. In der unmittelbaren Nachbar-
schaft der Papille tritt eine Verschiebung der retinalen Pigmentlage
in toto gegen das Neuroepithel ein!)
Stellen wir uns nun vor, dass die Netzhaut an irgendeiner Stelle
mit ihrer Unterlage, also der Chorioidea und Sklera, verwächst und
sich verdichtet, werden ähnliche Bedingungen wie bei der angelagerten
Iris gegeben sein und es wird zu einer Kompression kommen können.
In meinem Fall war die Schrägstellung der Stäbchen in der Um-
gebung der Skleraektasie eingetreten, also eines Bezirkes, in dem sich
die Netzhaut in fester Vereinigung mit den beiden andern Augen-
häuten befand. In dem Falle Berensteins haben ebenfalls Verwach-
sungen auf Grund von chorioretinitischen Herden bestanden und zwar
„in den vorderen unteren Partien“ (der Bulbus war vertikal geschnitten),
während die Veränderungen des Neuroepithels besonders „in der Äquator-
gegend“ aufgetreten waren. Ob Ähnliches in dem Falle von Hippels
vorgelegen hat, lässt sich seiner Beschreibung nicht entnehmen; er
sagt nur: „Sklera-Chorioidea und Retina lagen überall fest aufeinan-
der.“ Nach dem Gesagten glaube ich, dass man in dem Verlust der
Dehnbarkeit und Verschiebbarkeit der Netzhaut eine Bedingung für
das Zustandekommen des geschilderten Phänomens erblicken darf; dass
sie die einzige sei, braucht dabei nicht angenommen zu werden.
Schreiber und Wengler beschreiben noch eine andere Erschei-
nung als Wirkung des Binnendruckes. Sie schreiben nämlich: „Eine
nicht geringe Zahl von Ganglienzellen fand sich in der inneren Kórner-
schicht; man kónnte daran denken, dass dieselben infolge der Druck-
steigerung dort hineingepresst worden sind.“ Eine Beobachtung, die
man der eben referierten an die Seite stellen kann, ist das Hindurch-
wandern von Zapfenkörnern durch die Limitans externa meines Falles.
Ich möchte aber hierfür nicht den gesteigerten Druck verantwortlich
machen, sondern die Zerrung, welche die Zapfenendglieder durch die
Blasenbildung erfahren haben müssen. Man kann sich ganz gut vor-
stellen, dass die Zapfenkörner dem dabei enstandenen Zug gefolgt sind.
! Heine. Arch. f. Augenheilk. Bd. XLIV. S. 75.
516 Ischreyt
Die von Schreiber und Wengler für ihre Beobachtung gemachte
Erklärung befriedigt meiner Ansicht nach nicht ganz, da es schwer
verständlich ist, wie sich die Wirkung des intraokularen Druckes auf
einzelne Zellen der vorderen Netzhautschicht begrenzen sollte.
Eine andere Erscheinung möchte ich dagegen wohl als Folge der
Druckerhöhung ansehen, das ist die Ausdehnung von Netzhautgefässen
auf Kosten der äusseren Netzhautschichten. In dem vorliegenden Falle
war diese Veränderung nicht sehr ausgesprochen. Es kann aber vor-
kommen, dass die Gefässe alle Schichten durchdringen und bis an die
Chorioidea gelangen (15). Offenbar verhindert in solchen Fällen der unter
erhöhtem Druck stehende Augeninhalt die Ausweitung der gestauten
Gefässe nach innen und so kommt es zu einer Usur der äusseren
Netzhautschichten.
Beachtung verdient der Umstand, dass die Entwicklung einer ty-
pischen glaukomatösen Excavation in meinem Falle ausgeblieben ist.
Dass hierfür vielleicht die Entstehung der hinteren Ektasie verant-
wortlich zu machen sei, wurde bereits oben gesagt. Hier soll nur noch
darauf hingewiesen werden, dass dieses Ausbleiben gegen die Schnabel-
Elschnigsche Hypothese von der Entstehung der glaukomatösen Ex-
cavation spricht. Es besteht in hohem Masse eine Atrophie des vor
und hinter der Lamina cribrosa liegenden Nervengewebes und eine
Lückenbildung innerhalb seines Gewebes, und doch ist es zu keinem
Einsinken der Lamina cribrosa gekommen, wie man nach jener An-
sicht erwarten müsste. Nehmen wir aber eine aufsteigende Atrophie
im Sinne Schreibers und eine teilweise Kompensation des erhöhten
Druckes durch die Skleraldehnung an, so konnte unseres Erachtens
der Sehnerv gar kein anderes Bild darbieten, als er es in der Tat hat.
Es muss nun noch die Frage behandelt werden, worin die Ur-
sache der Drucksteigerung und. Druckerhóhung!) zu suchen sei. Die
Letzere ist jedenfalls als die Folge der peripheren Irissynechie und
der Kompression des Reticulum selero-corneale anzusehen; die Ver-
änderungen an der primären Kammerbucht sind jedenfalls derartige,
dass eine Retention der Augentlüssigkeit angenommen werden darf.
Etwas anderes ist es aber mit der Frage, welches die Ursachen der
Drucksteigerung gewesen seien, und darauf gibt uns der gegenwärtige
!) Es empfiehlt sich, dem Sprachgebrauch folgend, stets mit Drucksteige-
rung das Werden, mit Druckerhöhung das Sein des Glaukoms zu bezeichnen.
Im letzteren Falle handelt es sich um den Zustand des erhöhten Druckes, im
ersteren um seine Entstehung.
Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge usw. 577
Zustand keine Antwort. Nur soviel ist zu erkennen, dass sich nicht
Veränderungen finden, welche die Einreihung des vorliegenden Falles
in eine der bekannten Gruppen des Sekundärglaukoms ermöglichen.
Und ebensowenig finden sich Veränderungen, die für eine unmittel-
bare Entstehung des Glaukoms aus der Myopie sprechen. Wir
werden also gezwungenermassen diesen Fall als „primäres“ Glaukom
im myopischen Auge bezeichnen müssen, in der Hoffnung, dass zu-
künftig geeignetere Fälle seinen sekundären Charakter dartun möchten.
Nach der Anamnese hat in dem vorliegenden Falle die Eserin-
einträufelung einen fulminanten Glaukomausbruch zur Folge gehabt,
während bis dahin keine besonderen Schmerzen vorhanden gewesen
zu sein scheinen und der Verlauf ein sehr chronischer war. Aus der
Literatur sind mehrere Fälle bekannt, in denen das Eserin eine ähn-
liche Wirkung hervorgebracht hat.
Die Präparate meines Falles zeigen Veränderungen, die zur Er-
klärung dieser Erscheinung verwandt werden können. Es findet sich
nämlich an ihnen ein hochgradiges Ödem der Gefässschicht der Iris,
das sich bis an die primäre Iriswurzel erstreckt und jedenfalls im
Sinne einer Kompression auf das Reticulum sclero-corneale gewirkt
hat. Dem Aussehen nach ist das Ödem ein akutes; es ist nur zu
einem Austritt ungeformten Gefässinhaltes gekommen, es fehlen Blu-
tungen und kleinzellige Infiltrationen; das Irisgewebe zeigt ausser
Kernabblassung keinerlei Veränderungen. Alles dieses legt den Ge-
danken nahe, dass das Ödem die Ursache des Glaukomausbruchs
infolge von erhöhter Retention gewesen ist und dass ferner die Eserin-
einträufelung in einem engen Zusammenhang mit dem Odem steht.
Da klinisch eine Pupillenverengerung infolge des Eserin beobachtet
wurde, lässt sich annehmen, dass die Iriskontraktion eine Abklem-
mung des durch den geschrumpften Wurzelteil zum Pupillarteil
ziehenden Irisgefässe bewirkt und dadurch ein Stauungsödem hervor-
gerufen hat. Zu gleicher Zeit fand eine weitere Verlegung der
Kammerbucht statt, indem die geschwellte Iris in der Nachbarschaft
des sekundären Kammerwinkels an die Cornea angepresst wurde.
Literaturverzeichnis.
1) Ischreyt, Über die Beziehungen zwischen Glaukom und Myopie. Arch. f.
Augenheilk. Bd. LXIV, 2, 3. 1909.
2) Heine. Im Arch. f. Augenheilk. Bd. XXXVII, XL, XLI, XLIV, XLIX.
1899—1903.
3) Marschke, Beitrag zur pathologischen Anatomie der Myopie usw. Klin.
Monatsbl. f. Augenheilk. 1901.
578 Ischreyt, Über einen Fall von Glaukom im myopischen Auge.
4) v. Graefe, A., Beiträge zur Pathologie und Therapie des Glaukoms. Arch.
f. Ophth. Bd. XV. 1869.
5) Kampherstein, Glaukomatöse Skleralexcavation im Bereiche des Conus
hochgradig myopischer Augen. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1903.
6) Hotta, Uber die pathologisch-anatomischen Veränderungen hochgradig my-
opischer Augen durch Glaukom. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1904.
7) Wintersteiner, Ruptura sclerae in Staphylomat. postico. Klin. Monatsbl.
f. Augenheilk. 1903.
8) Virchow im Handb. von Graefe-Saemisch. 2. Aufl.
9) Berenstein, Über einen Fall von glaukomatöser Entzündung nach Katarakt-
extraktion mit Druckwirkung auf die Stäbchenschicht der Netzhaut. Arch.
f. Ophth. Bd. LI. 1900.
10) v. Hippel, Zur pathologischen Anatomie des Glaukoms, nebst Bemerkungen
über Netzhautpigmentierung vom Glaskörper aus. Arch. f. Ophth. Bd. LII.
1901. Fall 1.
11) Koster Gzn., Het draagvermogen der retina an der chorioidea. Nederl.
Tijdschr. v. Geneesk. I. 1895 (nach einem Referat).
12) Birnbacher und Czermak, Beiträge zur pathologischen Anatomie und
Pathogenese des Glaukoms. Arch. f. Ophth. Bd. XXXII. S. 124.
13) Fuchs, Vordere Synechie und Hypertonie. Arch. f. Ophth. Bd. LXIX.
1908. S. 254.
14) Schreiber und Wengler, Über experimentelles Glaukom mit besonderer
Berücksichtigung seiner Wirkung auf Netzhaut und Sehnerv. Arch. f.
Ophth. Bd. LXXI. 1909.
15) Ischreyt, Beiträge zur pathologischen Anatomie der hämorrhagischen Netz-
hauterkrankungen. Arch. f. Augenheilk. Bd. XLI. Siehe Taf. VI—VII. Fig. 4.
Zur Ätiologie des Uleus corneae serpens.
Von
Prof. Dr. Edmund-Jensen,
Privatdozent in Kopenhagen.
Seit Saemisch vor ungefähr 40 Jahren eine klassische Beschrei-
bung des Hornhautleidens gab, welches er wegen seiner Verbreitungs-
art Ulcus corneae serpens nannte, sind wohl alle darüber einig, dass
wir hier einem Morbus sui generis gegenüberstehen, einem ungewöhn-
lich typischen, ausgeprägten Krankheitsbilde.
Das Leiden gestaltet sich in seinen Hauptzügen kurz folgender-
massen :
Den Anfang bildet ein begrenztes Rundzelleninfiltrat, gewöhnlich
in der Gegend der Mitte der Cornea, mit unebenem gesticheltem
Epithel; beim Abstossen dieses Epithels und der unmittelbar darunter
liegenden Schichten wird ein scheibenfórmiges Ulcus gebildet, das
sich schnell als vorwiegend am Rande infiltriert zeigt, jedoch in der
Regel nur in einem Teil desseiben.
Dieses bogenförmige, weissgelbe Infiltrat bezeichnet den progres-
siven Teil der Ulceration; diese verbreitet sich, indem das purulente
Infiltrat das Epithel unterminiert, das Gewebe auflöst und beständig
den Bogen nach vorne schiebt; gleichzeitig kann sich der ursprüng-
lich zentrale Teil der Wunde reinigen und sogar relativ geheilt
werden. Das Leiden, das frühzeitig mit Iritis und Hypopyon kom-
pliziert wird, hört selten auf, bevor die ganze Cornea destruiert ist.
Es hat seine Ursache in einem oberflächlichen Trauma, und den
]ufektionsstoff liefert eine Triinensackblennorrhöe oder eine Con-
junctivitis.
Die seit der Saemischschen Beschreibung verlaufenen Jahre haben
uns die Aufklärung gegeben, dass der pathogene Mikrob, den das
Sekret des entzündeten Tränensacks enthält und der an der Ulce-
ration die Schuld trägt, in der grossen Mehrzahl der Fälle der
Pneumococcus ist. Dieses in vieler Beziehung überaus wertvolle
Wissen bringt uns indessen nicht dem Verständnis des rätselhaftesten
v. Gracfe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 33
580 Edmund-Jensen
Punktes näher, weshalb das Infiltrat einen scharfrandigen Bogen mit
der Konkavität zur Mitte der Cornea bildet. Zu vermuten, dass dies
auf besondere biologische Eigentümlichkeiten des Pneumococcus
zurückzuführen ist, ist in Wirklichkeit ja keine Erklärung; ausserdem
ist es ja bekannt, dass auch andere Mikroben, wenn auch seltener,
dasselbe Bild hervorrufen können; ferner, dass man nicht experi-
mentell einen typischen „Randbogen“ bei Tieren zu erzeugen vermochte.
Als Leber seine Untersuchungen über Entzündung veröffent-
lichte, sah es aus, als ob diese Experimente die Sache aufklären
würden. Lebers klassische Versuche zeigen, dass bei Einimpfung
pathogener Mikroorganismen (Aspergillus, Staphylococcus) in der
Cornea nicht nur eine purulente Infiltration mit nachfolgender Ne-
krose an der Impfstelle gebildet wird; es tritt gleichzeitig — durch
Chemotaxis — eine Leukocyteneinwanderung vom Randschlingennetz
zur Läsionsstelle auf. Sind die Leukocyten in einen gewissen Ab-
stand von dem kranken Punkte gelangt, wird die Toxinwirkung so
stark, dass sie gelähmt werden; hierdurch wird in einem gewissen
Abstand vom Herd eine ringförmige Infiltrationszone gebildet. In
der Beschreibung des Ulcus serpens der neueren Lehrbücher werden
gerne im Anschluss an diese Lebers Versuche besprochen; hierin
liegt allenfalls ein stillschweigender „fiat applicatio*. Der Infiltrations-
ring sollte also dem Randbogeninfiltrat bei Ulcus serpens entsprechen.
So ansprechend ein solcher Analogieschluss beim ersten Blick
erscheinen könnte, zeigt er sich bei näherer Betrachtung undurch-
führbar. Um dies nachzuweisen ist es notwendig, die übliche Be-
schreibung der Entwicklung des Ulcus serpens einer Revision zu
unterziehen. Wir stossen hier sofort auf die Schwierigkeit, dass die
Anzahl Fälle, die man von ihrem allerersten Beginn unter Beobach-
tung hat, eine sehr begrenzte ist. In der Regel ist das Leiden so-
weit vorgeschritten, dass man die weiss- gelbe prominente Randinfil-
tration sieht; innerhalb derselben, in der Richtung nach dem Zentrum
der Cornea kann man finden: die Oberfläche uneben, gestichelt, das
Gewebe graulich intiltriert, seltener purulent infiltriert (doch immer
in geringerem Grade als am Rande), nicht selten fast ganz klar.
Dass es andern. Klinikern ebenso. wie. mir. gegangen ist, sieht man
daraus, dass dieser Zustand in der Regel als Anfangsstadium be-
schrieben wird. Es gibt indessen ein früheres Stadium, wo der Rand-
bogen noch nicht gebildet ist; dass sich selten Gelegenheit bietet,
dieses zu beobachten, liegt wohl teils darin, dass die Patienten sich
nicht frühzeitix genug eimiinden, aber auch vielleicht darin, dass der
Zur Ätiologie des Ulcus corneae serpens. 5S1
Gedanke uns nicht auf Ulcus serpens leitet, bevor sich die Rand-
infiltration offenbart hat. Dieses Stadium wird nur andeutungsweise
beschrieben, von einigen als ein Infiltrat mit sekundärer Abstossung
von Epithel und unterliegendem Gewebe, von andern als ein ursprüng-
liches Ulcus. Meine eigene Erfahrung ergibt das Resultat, dass dieses
allererste Stadium in einer scheibenförmigen Trübung, wesentlich von
der Unebenheit des Epithels herrührend, besteht, welche nicht sonder-
lich gesättigt zu sein braucht, und welche nicht durch eine heftige
Reaktion den Gedanken auf das kommende schwere Leiden lenkt.
Man beobachtet daher eher mit Überraschung bei der nächsten Unter-
suchung die vollentwickelte Randinfiltration; vielleicht findet man nur
einen grösseren oder kleineren gelben Punkt, der, wenn er nicht durch
Behandlung beseitigt wird, sich schnell zum Randbogen entwickelt, oder
man findet zwei oder mehrere solche Punkte, die später durch Zusammen-
fliessen den typischen Randbogen bilden. In andern Fällen sieht
man die primäre Trübung mehr gelblich, und einförmig in ihrem
ganzen Umfang; ein begrenztes purulentes Infiltrat, nur oder
vorwiegend dem Zentrum des späteren Randbogens ent-
sprechend, wird nicht beobachtet.
Der spätere Verlauf wird ja leicht durch die Behandlung modi-
fiziert, so dass eine grosse Anzahl Fälle der klinischen Beobachtung
verloren geht. Aber es bleiben doch immer einige, bei denen man
aus diesem oder jenem Grund nicht gleich Platina candens benutzt,
z. B. bei sehr zentralem Sitz, oder wo man auf Grund der verhält-
nismässig geringen Reaktionsphänomene einen friedlichen Verlauf
erhofft. Hier beobachtet man dann, dass die Progression der
Infiltration keineswegs nur an den konvexen Teil des Bo-
gens gebunden ist; von einer wellenfórmigen Ausbreitung derselben
ist keine Rede. Das Infiltrat kann wohl vorwiegend die Tendenz
haben, an der konvexen Seite zu wachsen, aber ohne irgendwelche
Regelmässigkeit; bald bildet sich ein Ausläufer an dem einen Ende
des Bogens, bald an dem andern, und nicht nur auf der konvexen
Seite des Bogens, sondern auch auf der konkaven Seite.
Die Analogie mit dem durch Lebers Experiment hervorgerufenen
Krankheitsbild ist demnach nicht gross. Hier vermissen wir vor allem
den primären Infektionsherd im Zentrum des Bogens; man sieht
niemals eine begrenzte Suppuration oder eine nennenswerte Nekruse,
ausser einer oberflächlichen Epithelabstossung, und man sollte doch
erwarten, dass ein Infektionsherd, der zu einem so mächtigen „De-
markationsring Anlass säbe, recht hervortretend sein müsste. Danach
OO A
co
582 Edmund-Jensen
hätte man sich darüber zu wundern, dass der Ring so ausserordent-
lich selten vollständig ist, sondern in wenigstens neun von zehn Fällen
nur einen geringen Teil eines Kreises ausmacht. Schliesslich, und
das ist der wesentlichste Einwand, ist der Lebersche Infiltrations-
ring ja als eine Barriere gegen eine weitere Verbreitung der Mikroben,
als eine „Demarkation‘“ aufzufassen. Aber bei Ulcus serpens ge-
schieht gerade das entgegengesetzte: das Zentrum des Prozesses ist
ganz evident der Infiltrationsbogen; er hat im entferntesten keine
gute Wirkung, gerade von ihm stammen alle Schädlichkeiten. Man
hat gesagt, dass die Virulenz der Mikroben so gross wäre, dass sie
die Barriere zu sprengen vermóchten und weiterwüchsen. Für Aus-
nahmefälle liesse sich diese Erklärung wohl verfechten; dahingeren
nicht, wenn dieses Verhältnis die Regel ist.
Hier liesse sich ferner anführen, dass man nicht selten einen
schwach graulichen Ring im Hornhautparenchym ausserhalb des Rand-
bogens und konzentrisch mit diesem beobachtet; schon Saemisch er-
wähnte dies. Sollte dieser nicht eher den Infiltrationsring im Sinne
Lebers repräsentieren ?
Der rätselhafte Punkt, die Genese der Randinfiltration, steht
also noch fernerhin unaufgeklärt. In folgendem will ich versuchen,
eine Erklärung zu geben.
Ich will damit berinnen, die Aufmerksamkeit auf das Ursachıs-
moment zu lenken. Alle sind darüber einig, dass ein Trauma voraus-
geht; Ulcus serpens figuriert ja häufig unter den ersatzberechtissten
Unglücksfällen. Sollen wir aber die Frage beantworten: Wann trat
der Unglücksfall ein?, befinden wir uns oft in einer gewissen Ver-
legenheit: der Patient kann häufig keinen bestimmten Zeitpunkt an-
geben. Dies findet darin seine Erklärung, dass die primäre Ver-
letzung in der Regel ganz unbedeutend ist; beim Steinklopfen hat
ein Fragment das Auge berührt, oder bei der Erntearbeit ist cin
Strohhalm ins Auge geraten. Diese letzte Ursache ist so häufig,
dass man "sogar gemeint hat — vermeintlich mit Unrecht —, der
warmen ‚Jahreszeit als Ursachsmoment eine Rolle beimessen zu müssen.
Ein zweites Moment, das die genaue Angabe des Verletzungstages
schwer macht, haben wir darin, dass die zwischen dem Verletzungs-
tage und dem Ausbruch des Leidens verstreichende Zeit bedeutend
variieren kann; ein drittes, dass der Patient hüufig so viele ähnliche
kleine Verletzungen früher erlitten hat, welche keinen Anlass zu
weiteren Folgen gegeben haben, dass er sie nicht berücksichtigt.
Diese Verhältnisse deuten darauf, dass die Infektion in der
Zur Ätiologie des Ulcus corneae serpens. 583
Regel nicht bei oder gleichzeitig mit der primären Ver-
letzung eintritt. Wäre dies der Fall, so würde der Patient wahr-
scheinlich eine begrenzte purulente Infektion der Verletzungsstelle wenige
Tage nach der Verletzung bekommen und der ursprüngliche Herd
würde nicht immer einen annähernd zentralen Sitz haben. Es liegt
daher die Annahme nahe, dass zwischen der ursprünglichen Ver-
letzung und dem infektiösen Leiden ein Zwischenglied existiert, und
ein solches finde ich in der Keratitis bullosa recidivans. Be-
kanntlich entsteht dieses Leiden gerade nach oberflächlichen Abscha-
bungen des Hornhautepithels, solche welche als Ursache für Ulcus
serpens figurieren. Die Blasenbildung kann schon am Tage nach
der Abrasion entstehen, und sie kaun noch etliche Jahre nach der-
selben rezidivieren. Die Blase kann eine deutliche, schwabbende
Prominenz auf der Oberfläche der Cornea bilden, oder sie kann, wenn
die Flüssigkeitsmenge gering ist, sich nur durch Bildung einer
schwachen Schwellung im unteren Teil der Cornea zeigen, nur er-
kennbar mit Hilfe seitlicher Beleuchtung oder der Placidoschen
Scheibe; nichtsdestoweniger kann das Epithel leicht abziehbar über
der ganzen Oberfläche der Cornea sein, so dass man beim Erfassen
der kleinen Prominenz mit einer Pincette fast das ganze Epithel ab-
heben kann. Nicht in allen Fällen löst sich das Epithel über der
Obertläche der ganzen Cornea; es ist dann konstant, dass die Grenze
zwischen dem abziehbaren und dem festen Teil so einigermassen
einen Kreis bildet.
Nimmt man an, dass die erste Wirkung der Verletzung in der
Bildung einer Keratitis bullosa besteht, so versteht man, dass es dem
Kranken manchmal schwer fällt, den Verletzungstag anzugeben; er
hat die ursprüngliche Verletzung vielleicht ganz vergessen, oder hat
willkürlich eine der zahlreichen kleinen Verletzungen, die er erlitten
hat, als Ursache herausgegriffen; oder er. betrachtet ein. Blasenrezidiv
als eine neue Verletzung.
Dass nun ein Patient mit einer bullösen Keratitis in bedeuten-
dem Grade der Intektion ausgesetzt ist, wenn die Blase berstet und die
beschützende Decke des Epithels fehlt, ist ja ganz einleuchtend; ganz
besonders ist dies der Full, wenn der Kranke eine Blennorrhoea sacci
lacrymalis, eine chronische Conjunctivitis usw. hat, oder die Augen
mit unreinen Fingern zu reiben pflest alles Verhältnisse, die bei
der Klientel, welehe Ulcus serpens bekommt, gewöhnlich sind. Ich
habe schon im Jahre 159S in einem Artikel über Keratitis bullosa!)
3 Arch. d'opht. Tome XVII. p. 229.
5S4 Edmund -Jensen
diese Infektionsgefahr hervorgehoben, sowohl bei gewöhnlicher Keratitis
bullosa, sowie bei der so häufig bei Glaukoma absolutum auftretenden
Form; hierdurch meinte ich die Erklärung dafür zu finden, dass
Augen mit Glaukoma absolutum so häufig durch septisches Horn-
hautleiden zugrunde gehen. Im Laufe der Jahre wurde es mir
beständig mehr und mehr klar, dass etliche septische Keratitiden,
besonders Ulcus serpens, eine Keratitis bullosa zum Zwischenglied
haben. Durch diese Annahme werden alle Eigentümlichkeiten des
Ulcus serpens auf befriedigende Weise erklärt; man braucht sich nur
klar zu machen, wie eine Kombination einer geborstenen Blase und
septische Infektion ausfallen muss; sie wird das Bild eines Ulcus
serpens hervorbringen.
Nehmen wir also an, dass eine geborstene Blase septischen In-
fektionsstoff aufgenommen hat. Das erste Stadium wird dann sein:
eine begrenzte Trübung der Cornea, zur Mitte derselben oder eher
etwas unter der Mitte liegend; hier finden wir am allerhäufigsten die
Blasen, welche sich nicht über die ganze Oberfläche der Cornea er-
strecken. Die Trübung ist teils auf Unebenheit des Epithels (i. e.
Faltungen der normalen oder krankhaft veränderten Blasenwand)
zurückzuführen, teils vielleicht auf eine oberflächliche Infektion des
Bodens, so dass dieser graulich oder sogar gelblich wird. Aber es
ist klar, dass die Stelle, wo die Mikroben sich am leichtesten fest-
setzen und am leichtesten entwickeln können, unter dem Rand des
„Siickehens“ liegt; hier werden sie vom Epithel beschützt, und hier sind
sie weniger der Gefahr ausgesetzt, weggespült zu werden, als in den
mittleren Teilen, wo das Epithel vielleicht schon abgestossen ist.
A priori müssten als Prädilektionsstellen die seitlichen Ränder der
Blase betrachtet werden; vom oberen Rand würde die Schwere sie
fortführen, nach unten ist der Sack häufig offen. Es ist deshalb
wahrscheinlich, dass das Infiltrat in den meisten Fällen die Form
eines Bogens haben wird, der seine Konvexitüt nasal oder temporal
wendet. Dergestalt findet man es auch bei Ulcus serpens. Ist die
Infiltration von vornherein auf den einen Rand beschränkt gewesen.
ist es ganz natürlich, dass sich der übrige, speziell der gegenüber-
liegende Teil des „scheibenförmigen Infiltrates“ reinigt und ausheilt:
das will nur sagen, dass die Blasenwand abrestossen und neues
Epithel gebildet wird. Dass das Infiltrat Bogenform annimmt,
mit dem konvexen Rand nach aussen, ist eine einfache
Folse davon, dass es im Rande der kreisförmigen Blase
gebildet wird: dass es das Epithel unterminiert, kommt
Zur Átiologie des Ulcus corneae serpens. 585
daher,dass der Infektionsstoff von vornherein subepithelial
deponiert gewesen ist.
Das bogenfórmige Infiltrat wird also — abgesehen von
der in der Regel weniger ausgeprägten Infektion des Bodens der
Blase — der eigentliche Anfang der septischen Infektion.
Da dessen Form von rein mechanischen Umständen abhängig ist,
welche nur im Entstehungsaugenblick ihre Wirkung ausüben, und
nicht von besonderer Eigentümlichkeit des Infektionsstoffes, liegt kein
Grund vor, dass es in seiner weiteren Ausbreitung die Bogenform
beibehalten soll.
Man versteht nun, dass es nicht gelungen ist, ein typisches Ulcus
serpens bei Tieren hervorzurufen; das erforderliche Zwischenglied für
die Bogenbildung, die Blase, fehlt. Man versteht ebenfalls, dass Kinder,
welche nicht Keratitis bullosa bekommen, wohl von septischer Ke-
ratitis, aber nicht in Form von Ulcus serpens befallen werden können.
Man könnte sich darüber wundern, dass Frauen, welche häufiger als
Männer Keratitis bullosa haben, im ganzen seltener Ulcus serpens be-
kommen. Dies erklärt sich doch dadurch, dass Blennorrhoea sacci lacry-
malis, vernachlässigte Conjunctivitis und andere äussere Momente am
häufigsten bei den Mann der Arbeitsklassen angetroffen werden.
Übrigens ist Ulcus serpens bei Frauen, besonders nach Nagelkratzen,
kein ganz seltenes Vorkommnis. Man könnte einwenden, dass die
Ulcus-serpens- Patienten vorher keine Zeichen einer rezidivierenden
bullösen Keratitis aufweisen; aber dieser Einwand wird dadurch ent-
kräftet, dass eine Blase in unmittelbarem Anschluss an die primäre
Abrasion entstehen kann, was ich durch klinische Beobachtungen in
meiner vorher citierten Abhandlung gezeigt habe; ausserdem können
Anfälle bullöser Keratitis früher aufgetreten und vom Kranken als
Traumata aufgefasst sein. Schliesslich hat man ja bisher nicht die
(Gewohnheit gehabt, die Patienten betreffs dieser Verhältnisse auszu-
fragen. Dass ein Auge, welches ein Ulcus serpens überstanden hat,
danach im allgemeinen keine weiteren Anfälle einer bullösen Keratitis
aufweist, ist wohl natürlich: denn es ist eine allgemeine Erfahrung,
dass Rezidive einer Keratitis bullosa aufhören, wenn ein Anfall mit
Infektion, selbst leichteren Grades, kompliziert gewesen ist.
Ich habe im vorhergehenden gezeigt, wie meine Hypothese über
die Abhängigkeit des Ulcus serpens von einer vorausgehenden Keratitis
bullosa dadurch gestützt wird, dass sie bezüglich aller Punkte in Über-
einstimmung mit den klinischen Tatsachen steht. Die direkte Beobach-
tung bekräftigt deren Richtigkeit. Hier ist es ja indessen von vornherein
580 Edmund-Jensen
klar, dass sich nicht alle Fälle in gleichem Grade zum Nachweis eignen.
Das günstigste Stadium ist das frühzeitige, in dem die Randintiltration
der scheibenförmigen Trübung gerade so deutlich ist, dass sich die
Diagnose stellen lässt. Fasst man hier das Epithel mit einer Pincette,
so ist es abziehbar in einem Umfang, der zu einem Kreis passt, von
dem das Randinfiltrat einen Teil ausmacht, und vielleicht etwas dar-
über hinaus. Wenn das Infiltrat einen vollständigen Ring bildet —
wovon ich vor kurzem ein Beispiel sah —, so bildet dieser die Grenze
für die Abziehbarkeit des Epithels. In einem späteren Stadium wird
das Bild dadurch verwischt werden, dass das Epithel ganz oder teil-
weise abgestossen ist, vielleicht an einer einzelnen Stelle regeneriert;
der über das Randinfiltrat herabhüngende Epithelrand kann der
einzige Rest der Wand der Blase sein. In einem noch weiter vor-
seschrittenen Stadium kann es vorkommen, dass die Abziehbarkeit
des Epithels sich von ihrem ursprünglich begrenzten Gebiet auf die
Obertläche der ganzen Cornea ausgedehnt hat — oder dass der Ent-
zündungsprozess das Epithel ganz oder teilweise an die unterliegende
Schicht gebunden hat; im letzten Falle sieht man eine oder mehrere
inselförmige Erhabenheiten an der Oberfliiche.
Bekanntlich sieht man mitunter nach oberflächlichem Trauma
suppurative Keratitiden von ähnlicher Malignitit wie die des Ulcus
serpens, aber ohne BhRandbogen. Für diese Fülle nehme ich an, dass
die Blasenbildung entweder gefehlt hat, oder dass die Blase von
vornherein. die. ganze Corneaoberfläche einzenommen hat; die Be-
dingung für Bogenbildung ist eine circumscripte Blase im
Entstehungsaugenblick.
Dass das Epithel bei Ulcus serpens leicht abziehbar ist, wies
Peters!) nach; er benutzt diesen Befund u. a. zur Erklürung der
Malienität des Ulcus serpens, indem er meint, dass die Blasenbil-
dung als neurotisches Odem der Cornea die Widerstandskratt des
(rewebes verringert; er will auch die günstige Wirkung der Saemisch-
schen Spaltung dadurch erklären, dass die ödematöse interlamelläre
Flüssigkeit auf diese Weise ihren Abtluss bekommt. Diese Erkli-
rung mag zutreffend sein, doch finde ich es nicht wahrscheinlich.
dass in den meisten Fillen von Keratitis bullosa — bei denen die
Hornhaut völlig durchsichtig ist — sich eine nennenswerte inter-
lamelläre Ansammlung findet, durch deren Abtluss das Corneagewebe
entlastet werden könnte. Auch sieht man ja, wie andere suppurative
1 v. Graefe's Arch. Bd. LVII, 1. S. 93.
Zur Ätiologie des Ulcus corneae serpens. 587
Hornhautleiden von spontanen oder künstlich herbeigeführten Perfo-
rationen günstig beeinflusst werden. Die Anhänger der Saemisch-
schen Operation schreiben ja ausserdem der Schnittlage eine grosse
Bedeutung zu; vielleicht könnte der Umstand, dass der Schnitt eine
Blase óffnet bzw. die Abstossung des Epithels erleichtert, die gün-
stige Wirkung der Operation teilweise erklären.
Dies führt mich zu dem Punkt, den ich als letzten besprechen
will, nämlich die Frage, inwiefern die Therapie etwas durch die Er-
kenntnis des Zusammenhanges zwischen Ulcus serpens und Keratitis
bullosa gewinnen kann. Ich meine ja. Wenn man davon ausgeht,
dass der Prozess einen wesentlichen Teil seiner Malignität dem Um-
stand verdankt, dass es den Mikroben möglich wird, sich unter be-
sonders günstigen Verhältnissen zu entwickeln, nämlich in einer Art
Brutkasten, wo sie sich in dem epithelberaubten Hornhautgewebe
festsetzen können, während das Epithel sie gegen äussere Einwirkung
schützt, ist die Vermutung berechtigt, dass eine Entfernung des losen
Epithels so schnell wie möglich und in so grossem Umfang wie mög-
lich, dem Prozess in wesentlichem Grad entgegenwirken können wird.
Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass dies richtig ist; wenn man
‚ährend eines frühzeitigen Stadiums, in dem das Randinfiltrat gerade
begonnen hat, das Epithel entfernt und den Grund mit Jodtinktur
pinselt, kann es sogar gelingen, den Prozess zum Sistieren zu bringen,
so dass sich Kauterisation mit Platina candens vermeiden lässt. Dies
hat ja seine grosse Bedeutung, besonders bei zentral liegendem Herd,
wo das Horuhautgewebe kostbar ist, und wo es darauf ankommt,
die Destruktion des normalen Gewebes innerhalb möglichst enger
Grenzen zu halten.
Nachtrag: Durch die Freundlichkeit des Herrn Prof. Wagen-
mann ist meine Aufmerksamkeit nach Abschluss dieser kleinen Arbeit
auf die einschlägige Abhandlung von Fuchs!) gelenkt worden; die-
selbe war mir wegen ihrer Veroflentlichung in einer nicht speziell
ophthalmologisehen Zeitschrift leider entgangen.
In dieser Arbeit verwirft Fuchs seine frühere Ansicht, infolge
deren die Ringform des Ulcus serpens durch Abstossung der nekro-
tisch gewordenen Mitte einer anfangs gleichmässigen Infiltration ent-
stehen sollte. Nach Beobachtung von 32 Fällen von beginnenden
Ulcus serpens ist Verfasser der Ansicht geworden, dass dasselbe sich
direkt aus einer Erosion entwickelt „in der Weise, dass die Horn-
(D Wiener klin. Wochenschr. Nr. 1. 1909.
558 Edmund-Jensen
haut im Bereiche der Erosion sich zuerst zart trübt und dann, am
zweiten bis vierten Tage nach der Verletzung, durch zunehmende In-
filtration am Rande dieser Trübung ein kleiner grauer Ring entsteht“.
Die Angabe, dass der Infiltrationsring dem Rande der primären
Erosion entspricht, ist wohl nicht ganz buchstáblich zu verstehen,
denn erstens sind die Erosionen, die zum Ulcus serpens Anlass geben,
gewühnlich grósser als die angegebenen Durchmesser des Infiltrations-
ringes (1 —2 mm), und zweitens sind sie nur üusserst selten kreisrund.
Der Ring muss sich also unabhängig von der Form (und Grösse?)
der primären Erosion entwickelt haben; man darf vermuten, dass er
sich rings um die Stelle entwickelt hat, wo die Verletzung und mit
ihr die Infektionskeime am tiefsten eingedrungen sind. Der kleine
Ring entspricht also am ehesten dem Infiltrationshof, den man mit-
unter durch Infektion nach Stichwunden entstehen sieht.
Dass der Verfasser die Mehrzalıl seiner Fälle in dieser Weise
auffasst, lernt man aus seiner Würdigung des Impfversuches, den er
mittels einer Pneumocokkenkultur an die gesunde Hornhaut eines
menschlichen Auges anstellte. Nach drei Tagen hatte sich ein Infil-
trat entwickelt, das in der Mitte deutlich weniger saturiert war als
am Rande, also beinahe dasselbe Aussehen darbot, wie die Mehrzahl
der beobachteten Fälle.
Diesen Fall betrachtet Fuchs als typisches Anfangsstadium eines
Ulcus serpens; er findet es wahrscheinlich, dass die anatomischen
Veränderungen dieses Falles, speziell die gefundene Zerreissung der
Bowinanschen Membran und die keilfórmige Infiltration unter der-
selben auch in den gewöhnlichen Fällen von Ulcus serpens für den
Verlauf des Leidens eine ausschlaggebende Bedeutung haben. „Der
Vorgang bei der Impfung dürfte nicht wesentlich verschieden sein
von dem, durch welchen die spontane Entstehung eines Ulcus serpens
geschieht.“ Verfasser trägt daher kein Bedenken, diesen Fall das
jüngste bisher untersuchte Ulcus serpens zu nennen.
Dieser Auffassung kann ich mich nicht anschliessen. Die Impf-
keratitis erfolgt nach einer Stichwunde mit gleichzeitig stattfindender
Infektion; die zu Ulcus serpens führende Läsion ist gewöhnlich ganz
oberflächlich (mit Strohhalm u. dgl), so dass eine Zerreissung der
Bowmanschen Membran nicht wahrscheinlich ist: die Infektion findet
nicht gleichzeitig mit der Läsion statt, sondern erfolgt später. Dass
ein solcher Unterschied im Entstehungsmechanismus sich im Anfangs-
stadium des Leidens abspiegeln wird, ist doch von vornherein wahr-
scheinlich.
Zur Átiologie des Ulcus corneae serpens. 589
Da nun nach Aussage des Verfassers die Mehrzahl seiner Fälle
von beginnendem Ulcus corneae sich analog der Impfkeratitis ver-
halten, i. e. als ob sie aus einer kleinen Stichwunde hervorgegangen
wären, kann ich nicht umhin, einen gewissen Zweifel hinsichtlich der
Natur dieser Fälle zu hegen.
Fuchs sagt: „Die Diagnose des Ulcus serpens wurde gestellt,
sobald der progressive Rand sich zeigte.“ Der progressive Rand be-
deutet aber hier die kleine ringförmige [Infiltration von 1—2 mm
Durchmesser; nur der Verlauf kann entscheiden, ob dieser Rand pro-
gressiv wird oder nicht. Es geht aber aus der Beschreibung hervor,
„dass man es in keinem einzigen Fall zu einem ausgewachsenen
Ulcus serpens kommen liess“. Nur in vereinzelten Fällen fand ein
Fortschreiten statt, und hier wurde das Geschwür durch Galvano-
kaustik zur Heilung gebracht. In der Mehrzahl der Fälle ging das
(seschwür, ohne sich auszubreiten, durch einfache Behandlung zurück.
Der Übergang vom kleinen Infiltrationsring bis zum typischen Rand-
bogen wurde also in diesen Fällen nicht beobachtet. Der Beweis da-
für, dass sie das Anfangsstadium des Ulcus serpens repräsentieren,
ist somit nicht erbracht.
In einigen wenigen Fällen hat Verfasser ein Anfangsstadium
getroffen, ganz analog demjenigen, das ich als das gewöhnliche an-
sche, nämlich einen unvollständigen Ring von grösserem Durchmesser;
Fig. 4 der Abhandlung entspricht genau dem Bilde, das ich öfters
gesehen habe. In diesen Fällen wurde auch die Gegenwart einer
Blase konstatiert. Der Verfasser betrachtet diese Fülle als Ausnahme-
file; er glaubt, dass eine Infektion bei rezidivierenden Erosionen
selten ist, weil die Verletzung der Bowmanschen Membran fehlt.
Nach meiner Ansicht darf man a priori annehmen, dass die
Tasche, die von der Blase gebildet wird, ebenso gut im stande ist,
die Keime festzuhalten, als die kleine Taschenwunde, die bei Läsion
der Bowmanschen Membran gebildet wird.
Jedenfalls zeigen des Autors 4 Fülle, ebenso wie meine Beobach-
tungen, dass ein solcher Vorgang möglich ist.
Über die Schädlichkeit und Brauchbarkeit unserer
modernen Lichtquellen.
Von
Prof. Dr. E. Hertel, u. Dr. O. Henker,
I. Assistenten der Universitätsaugen- \Vissenschaftlichem Mitarbeiter der Firina
klinik in Jena. C. Zeiss in Jena.
Mit Taf. XXII, Fig. 1—23, und 2 Kurven im Text.
Die Fortschritte, die die Beleuchtungstechnik in den letzten Jahr-
zehnten namentlich durch die Einführung des Auerbrenners und. des
elektrischen Lichtes in hygienischer und ökonomischer Beziehung ge-
macht hat, sind ausserordentlich gross. Denn einmal ist die Qualität
des Lichtes durch die grössere Ähnlichkeit mit dem Tageslicht eine
viel bessere, anderseits ist die unnötige und lästige Wärmestrahlung
ebenso wie die Entwicklung von Nebenprodukten (Kohlensäure und
Wasser) wesentlich vermindert. Daraus ergibt sich die beträchtlich
bessere Ausnutzung der lichtspendenden Kraft, wie die folgende Ta-
belle (Nr. D) nach Zahlen von Wedding und Gärtner leicht cer-
kennen lässt:
Tabelle I.
Kalorien | Kosten Kohlensáure
Lichtart p. 1 Kerze | p. 1 Kerze p. Kerzenstunde
Petroleumlicht 36,4 | 0,083 5,4 1
Gasschnittbrenner 66,7 — 101
Gasrundbrenner 50,7 — 5,3 1
Auerbrenner 11,0 0,027 1,051
Elektrische Kohlenfaden- |
lampe 2,6 | 0,12 keine
Nernstlampe | 1,69 | 0,075 5
Tantallampe | 1,4 | — i
Osiniumlampe | 1,34 | 0,062 | 2
Wolfrumlampe | 0,58 | =; ' 5
3orenlicht | 0,5 | 0,044 | 0,0271
Diese Fortschritte sind ermöglicht worden dureh Nutzbarmachung
von besonders hochtemperierten Strahlern. Mit der Erhöhung der
"Temperatur. wurde das Energiemaximum im Spektrum der Lichtquelle
mehr nach dem für die Belenehtungszwecke wichtigen sichtbaren Teile
Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 591
verschoben, woraus die bessere Qualität des Lichtes und die bessere
kalorische Ökonomie ohne weiteres resultierten.
Mit dieser Verlegung des Energiemaximums mehr nach der
rechten Seite des Spektrums geht nun, wie bekannt und neuerdings
auch wieder durch die Untersuchungen von Schanz und Stock-
hausen bestätigt ist, eine Verbreiterung des Spektrums nach rechts,
also nach dem ultravioletten Teile zu Hand in Hand. Da nun aber
nach allem, was wir wissen, Strahlen kürzer als 2 300 vu überhaupt
nicht in das Auge und unter 2 330 uu wohl kaum bis zur Netzhaut
gelangen (de Chardonnet, Schuleck, Hertel, Schanz und Stock-
hausen, Birch-Hirschteld), so sind diese Strahlen für Beleuch-
tungszwecke überflüssig und könnten aus der Strahlung der Lampen
verschwinden.
Von verschiedenen Seiten (Schuleck, Stärkle, Hallauer,
Vogt, Schanz und Stockhausen) ist nun aber die Forderung
aufgestellt worden, dass diese kurzwelligen Strahlen aus unserem
Beleuchtungslicht ausgeschaltet werden müssten, weil sie
den Augen schädlich seien. Schanz und Stockhausen möchten
den zu eliminierenden Bezirk sogar bis A 400 wu ausgedehnt wissen,
weil gerade der Spektralbezirk zwischen 2 400 und A 300 ww die
Augen ganz besonders schädige.
Begründet wird diese Forderung durch Hinweise auf eine Reihe
von experimentellen Arbeiten, in denen Schädigungen der Augen-
gewebe durch starke Lichtquellen beschrieben worden sind.
Sehen wir von den Arbeiten von Czerny und Deutschmann,
die Blendungen mit konzentriertem Sonnenlicht vornahmen, ab, so
werden vor allem die klassisch gewordenen Untersuchungen Wid-
marks angeführt. Er liess konzentriertes Licht von Bogenlampen von
1200—4000 Kerzen aus einer Entfernung von etwa 25cm 2—4 Stun-
den und länger auf Tieraugen einwirken. Ogneff schiekte bei seinen
Experimenten durch starke Eisenplatten oder Klötze einen Strom von
250—500 Akkumulatoren und exponierte dann dem entstandenen
Licht, dessen Intensität er auf 5—S000 Kerzen schätzte, verschiedene
Tiere in einer Entfernung von 1,—-2m 15— 20 Minuten und länger,
Birch-Hirschfeld gebrauchte bei seinen umfangreichen Nachprü-
fungen der früheren Arbeiten konzentriertes Dogenlampenlicht: nit
oder olme Zerlegung durch Prismen. ferner konzentriertes Eisenlicht
emer Dermolunpe. Mit letzterer hat auch Strebel Versuche an-
gestellt. Herzog berichtete über Versuche mit konzentriertem Nonnen-
und Bogenlampenlicht, letzterem wurden die Tiere 1 -1 Ntunde aus-
592 E. Hertel und O. Henker
gesetzt. Hess experimentierte mit einer Schottschen Uviollampe
von 65cm Lünge und 3—3! Amp. Belastung. Die Tiere wurden in
einem Abstand von 10—20 cm 1—16 Stunden lang bestrahlt. Uviel-
licht liess auch. Birch-Hirschfeld bei seinen neuesten Unter-
suchungen in häufigen bis zu 150 mal wiederholten je 10 Minuten
dauernden Sitzungen aus einer Entfernung von 10 cm auf die Ver-
suchstiere einwirken. Die Untersuchungen von Hertel und Terrien
wurden mit Induktionsfunkenlicht ausgeführt.
Aus dieser kurzen Übersicht über die Versuchsanordnungen bei
den einzelnen Autoren geht ohne weiteres hervor, dass keiner die
Frage bearbeitet hat, welchen Einfluss unsere moderne Be-
leuchtung auf unser Auge hat. Denn niemals gelangt bei Be-
leuchtung konzentriertes Bogenlicht in unser Auge. Auch die Uviol-
lampe wird niemand, falls er überhaupt dieses intensiv gefärbte Licht
zur Beleuchtung verwenden will, für Beleuchtungszwecke in einer Ent-
fernung von 10—20 cm vom Auge aufstellen. Versuche mit elektri-
schem Glühlicht und Auerlicht — also mit den jetzt am häufigsten
zur Verwendung kommenden Beleuchtungsmitteln — fehlen ganz.
Daraus ergibt sich schon, dass wir keinesfalls die von den genannten
Autoren erhaltenen Resultate auf die Wirkung unserer modernen Be-
leuchtung übertragen dürfen.
Und das muss um so mehr betont werden, als diese Resultate
selbst nichts weniger als einheitlich und überzeugend sind. Denn
Widmark fand nach seinen Blendungen entzündliche Veränderungen
des vorderen Bulbusabschnittes, verschiedentlich Veränderungen der
Linse, ferner solche der Netzhaut und der Aderhaut. Dagegen hebt
Ogneff ausdrücklich hervor, dass sich die Netzhaut bei seinen Ex-
perimenten als sehr widerstandsfühig gegen die Blendungsversuche
erwiesen habe. Birch-Hirschfeld anderseits sah stets Netzhautver-
änderungen, auch wenn im vorderen Bulbusabschnitt keine Gewebs-
läsionen nachweisbar waren. Linsentrübungen hat er bei einer
Reihe von Beobachtungen nicht schen können, bei andern wieder
fand er solche. Auch die Resultate mit Eisenlichtblendungen sind
sehr verschieden. Birch- Hirschfeld. fand. Netzhautveründerungen.
Strebel dagegen nieht, ebensowenig in der Aderhaut. Nach Ein-
wirkung von Uviollicht konnte Hess Linsentrübungen feststellen,
während sie Birch-Hirschfeld niemals geschen hat.
Noch verworrener werden die Resultate, wenn wir dem nach-
schen, was die einzelnen Autoren anf die ultraviolette Strahlung be-
zichen. Widmark führt auf sie die Veränderungen im vorderen
Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 593
Bulbusabschnitt und die Linsentrübungen zurück, während er die
Veränderungen in der Tiefe des Auges auf die Strahlen des sicht-
baren Spektrums bezieht. Nach Ogneff können aber die ultra-
violetten Strahlen auch Aderhautveründerungen hervorbringen, die
Netzhaut dagegen werde durch sie nicht angegriffen. Demgegenüber
hat Birch-Hirschfeld ausgedehnte Netzhautveränderungen auf die
Wirkung von U.-V.-Strahlen zurückgeführt und namentlich die kurz-
welligsten derselben — unter 4 300 uu — dafür verantwortlich ge-
macht. Freilich hatte Hertel schon konstatieren können, dass diese
ganz kurzwelligen Strahlen selbst'aus dem Magnesiumfunkenlicht, in
dessen 4 280 uu - Linie wir wohl die intensivste U.-V.-Linie aller
Spektren besitzen, nicht einmal die Hornhaut passieren, viel weniger
zur Netzhaut gelangen können. Ganz neuerdings hat denn auch
Birch-Hirschfeld seine Ansicht dahin geändert, dass Strahlen
unter A 300 wu die Netzhaut nicht schädigen können und dass bei
Blendungen mit intensivem, gemischtem Licht auch die sichtbaren
Strahlen der Netzhaut schädlich sind.
Die von Hess bei Blendungen mit Uviollicht beobachteten Linsen-
trübungen werden von ihm auf die U.-V.-Strahlen bezogen, während
Ogneff, Strebel, Birch-Hirschfeld und Hertel niemals Kata-
rakt mit U.-V.-Strahlen erzielen konnten. Dagegen haben Birch-
Hirschfeld und Herzog Linsentrübungen durch sichtbares Licht
entstehen sehen.
Doch es soll auf die Einzelheiten nicht weiter eingegangen werden,
es genügt ja das Angeführte vollkommen, zu zeigen, wie widersprechend
die Resultate sind, und wie wenig sie sich zu bindenden Schlüssen
allgemeiner Art eignen.
Wir sehen daher auch, dass dureh diese Experimente unsere
Kenntnisse in der Pathologie derjenigen Erkrankungen, bei denen
nach klinischen Beobachtungen Strahlenwirkungen eine gewisse Rolle
zuerteilt werden muss, nicht wesentlich gefördert worden sind. Das
beweisen gerade die neuesten Arbeiten auf diesem Gebiete. Es mag
genügen, auf die Diskussion über die Entstehung des Glasbläser-
stares zwischen Schanz und SNtockhausen eimerseits, DBireh-
Hirschfeld anderseits, ferner über die Ervtlropsie zwischen Vogt,
Schanz und Stockhausen, Best zu verweisen. Die Erscheinungen
der Schneeblindheit führte Birch-Hirschfeld noch in seiner Arbeit im
v. araefe'schen Archiv alle auf UÜ.-V.-Strahlenwirkung zurück. während
Best das entschieden in Abrede stellt. und auch Bireh-Hirschfeld
neuerdings die sichtbaren Strahlen dabei eine Rolle spielen lässt.
594 E. Hertel und O. Henker
Man kann wohl sagen, dass jede der ausgesprochenen Ansichten
über die Genese der genannten und noch anderer hierhergehörigen
Krankheiten — Ophthalmia electrica, Frühjahrskatarrh usw. — durch
Resultate aus den bisher vorliegenden experimentellen Arbeiten ge-
stützt werden kann, weil eben in diesen Arbeiten nahezu alle mög-
lichen Resultate enthalten sind. Wollen wir also auf experimentellen
Grundlagen unsere Kenntnisse über die in Betracht kommenden patho-
logischen Erscheinungen vertiefen, so müssen diese Grundlagen selbst
erst einheitlicher gestaltet werden.
Bis jetzt bleibt nach allem, was wir gesehen haben, nur die
schon von Widmark experimentell erhiirtete Tatsache übrig, dass
man bei Belichtungen des Auges nicht nur auf die Netzhaut, sondern
auch auf andere Teile des Auges einwirken kann, und dass bleibende
Gewebsschädigungen möglich sind.
Es war das nach unsern modernen Anschauungen über die
Lichtwirkung, welche nicht, wie früher angenommen, an bestimmte
Zellen gebunden ist, sondern nach den zuerst von Hertel erbrachten
Beweisen auf alle lebende Zellen möglich ist, zu erwarten. Die
Lichtwirkung ist eben als ein allgemeiner Plasmareiz aufzufassen, der
beim Überschreiten einer gewissen Reizstärke die Funktion der Zellen
lähmen und schliesslich zur Abtötung der Zellen führen kann. Dar-
aus aber, dass durch irgendwelche Lichtquellen diese Reizwirkung
möglıch ist, kann man unmöglich folgern wollen, dass diese Licht-
quellen generell schädigen müssen. Es wird ja auch niemand be-
haupten wollen. dass, weil man sich am Ofen verbrennen kann, der
Ofen im allgemeinen schädlich ist. Daraus ergibt sich ohne weiteres,
dass es Aufgabe zukünftiger Arbeiten sein muss, zunächst
die Bedingungen festzustellen. wann eine Veränderung des
Auges dureh Einwirkung strahlender Energie eintritt.
Dass diese theoretisch und praktisch gleich wichtige Aufgabe
nicht auf dem von den genannten Autoren beschrittenen Were —
Bestrahlung der Augen mit Lichtquellen der verschiedensten Art —
gelöst werden kann, dürfte aus obigen Ausführungen genügend klar
geworden sein. Dagegen besteht berechtigte Aussicht. dass man zum
Ziele kommt bei Anwendung der Methode, die von dem einen von
uns (Hertel) bei zahlreichen liehtbiologischen Studien erprobt ist und
der wir wesentliche Fortschritte in unserer Kenntnis der Liehtbiologie
verdanken (Verworn).
Hertel hat zuerst darauf hingewiesen, dass es, um über die
Vnlnerabilität von lebenden Zellen durch Lichtstrahlen Aufschluss zu
Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 595
bekommen, nicht genügt, beliebige Bestrahlungen mit unzerlegtem oder
mit zerlegtem Licht vorzunehmen. Denn man weiss niemals, ob die
zufällig gewählten, in den einzelnen Spektralbezirken jeder Lampe
sehr differenten Energiemengen gerade der Reizschwelle der Zellen
entsprechen, so dass z. B. bei negativen Resultaten nicht entschieden
werden kann, ob diese auf Unerregbarkeit der Zellen durch die
Strahlung oder nur auf zu schwache Strahlenintensitüten zurückzu-
führen sind. Werden dagegen die verwendeten Energiemengen aus
den einzelnen Spektralbezirken auf thermoelektrischem Wege gemessen
und in geeigneter Weise variiert, so lässt sich für den gemessenen
Bezirk feststellen, bei welcher Intensität seine Wirksamkeit anfängt.
Auf diese Weise wurde zunächst das wichtige Resultat gewonnen,
dass auch Zellen, die früher als nicht beeinflussbar durch Licht galten,
durch Licht reizbar sind, wenn man Strahlen benutzt, die sicher von
diesen Zellen absorbiert werden. Die Aufnahmemöglichkeit der
Strahlen durch die Zellen ist abhängig von der Wellenlänge der
Strahlen, so dass also da, wo wenig von der Strahlung absorbiert
wird, besonders starke Intensitäten zur Reizung nötig sind; festzu-
halten aber ist, dass die physiologische Wirksamkeit nicht an be-
stimmte Wellenlängenbezirke gebunden ist, sondern allen Bezirken
zukommt. Dass für die Zellen der einzelnen Tierarten sehr ver-
schiedene Intensitäten nötig sind, um sie zu schädigen, ergibt sich
aus den umfangreichen vergleichend physiologischen Untersuchungen
Hertels ohne weiteres. Es würde also zunächst durch exakte
Messungen festzustellen sein, welche Intensitäten die einzelnen Spektral-
bezirke haben müssen, um speziell Veränderungen an den Augen-
geweben hervorzurufen. Es wird dann ein leichtes sein, durch
. Variation der Strahlungsintensititen verschiedene Stadien dieser Ver-
änderungen zu erzielen, und es würde auf diese Weise wohl möglich
sein, mehr Klarheit darüber zu bekommen, ob und aus welchem
Wellenlängenbereich Strahlen klinisch bekannte Krankheitsbilder ver-
ursachen können.
Von dieser Basis ausgehend können wir aber auch durch
Vergleiche der gefundenen Werte mit den ebenfalls thermoelek-
trisch gemessenen Intensitäten der entsprechenden Spektralbezirke aus
den uns zur Beurteilung vorliegenden Lampen — deren Energiewerte
zum Teil schon in den Büchern der Physik und Beleuchtungstechnik
niedergelegt sind — ermessen, ob und wann man von diesen Lampen
Veränderungen des Auges bzw. Schädlichkeiten zu erwarten hat.
Es soll nur noch auf einen Punkt hingewiesen werden, der bei der
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 39
590 E. Hertel und O. Henker
Ausführung derartiger Untersuchungen besonders zu beachten sein wird.
Bei allen Lichtwirkungen auf das lebende Gewebe und ganz besonders
auf das Auge spielt natürlich die Durchlässigkeit der Gewebe für die
Strahlen eine grosse Rolie. Es soll hier nicht ausführlich in die Dis-
kussion der grossen Anzahl von Arbeiten, die sich mit diesem Thema
beschäftigt haben (Brücke, de Chardonnet, Helmholtz, Widmark,
Schuleck, Birch-Hirschfeld, Hertel, Schanz u. Stockhausen,
Hallauer u. A.) eingetreten werden. Doch geht aus den Arbeiten
hervor, dass auch hier Differenzen bestehen, die nicht etwa durch
individuelle Schwankungen usw. zu erklären sind. So mag nur die
letzte Arbeit auf diesem Gebiet von Hallauer genannt werden,
der in der Linse im Gegensatz zu früheren Untersuchern wenigstens
bei jugendlichen Individuen ein verschieden starkes Unvermögen fand,
die kurzwelligen Strahlen von 3300—3100 A.E. aufzuhalten. Es muss
betont werden, dass die bisherigen Resultate auch auf diesem Gebiet
nicht ohne weiteres untereinander vergleichbar oder als allgemeingültig
betrachtet werden dürfen. Denn zu den Untersuchungen wurden die
Spektren ganz verschiedener Lichtquellen — Tageslicht, Petroleum-,
Gaslicht, elektrisches Licht, Eisenlicht, Induktionsfunken zwischen ver-
schiedenen Elektroden — benutzt. Die Intensitäten in den einzelnen
Spektralbereichen dieser Lichtquellen sind untereinander ausserordent-
lich verschieden, also kann die Beobachtung der Absorption durch die
Gewebe auch nur eine ganz relative, d.h. für die benutzte Lichtquelle
geltende sein, wie das seinerzeit auch Hertel bei seinen Versuchen
über die Penetrationsfähigkeit des Magnesiumfunkenlichtes ausdrück-
lich betont hat. Will man allgemeingültige und unter sich vergleich-
bare Werte schaffen, so muss man auch hier die auffallende Energie
messen und die Durchlüssigkeit der zwischengeschalteten Gewebe nach
Prozenten bestimmen.
Das gilt natürlich in ähnlicher Weise für die Versuche über die
Sichtbarkeit der U.-V.-Strahlen. wie sie de Chardonnet, Widmark,
Schuleek und Birech-Hirschfeld angestellt haben. Auch diese kön-
nen bei Benutzung anderer Lichtquellen ganz andere Resultate geben,
so dass also die bisher vorliegenden ebenfalls einer Revision bedürfen,
ehe sie eie von den jeweiligen Versuclisbedingungen unabhängige Gel-
tung beanspruchen dürfen.
Wennalsoauch klar geworden sein dürfte, dass auf die angegebene
Weise durchgeführte Untersuchungen die infolge der Unzulänglichkeit
der bisherigen Experimente immer wieder auftauchenden Widersprüche
in den zum allgemeinen Problem der Strahlenwirkung auf die Gewebe
Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 597
gehörenden Fragen der Augenpathologie wegfallen werden, so werden
auch anderseits schon aus den kurzen Andeutungen der Gang der-
artiger Experimente und ihr Umfang und die Schwierigkeit ihrer Aus-
führung nicht verborgen geblieben sein, ganz abgesehen davon, dass
sie stets an ein grosses Apparatenmaterial geknüpft bleiben werden.
Speziell für die Frage, ob die modernen Lichtquellen durch ihren
U.-V.-Gehalt für die Augen schädlich werden können, hat nun in
neuester Zeit Voege einen andern Weg vorgeschlagen. Er verglich
auf photographischem Wege den U.-V.-Gehalt verschiedener künst-
licher Lichtquellen mit dem des Tageslichtes bei gleichgestimmter
Flächenhelligkeit, ferner mit direktem Sonnenlicht und reflektiertem
Sonnenlicht. "Voege folgert aus seinen Aufnahmen, dass eine Schädi-
gung des Auges seitens der künstlichen Lichtquellen durch ein Zuviel
an U.-V.-Strahlen bei den gebräuchlichen Lampentypen und Licht-
stärken nicht zu erwarten sei.
Gegen diese Untersuchungen haben Schanz und Stockhausen
vor allem eingewendet, dass das Tageslicht kein Vergleichslicht sei,
da es selbst schädliche U.-V.-Strahlen enthalte. Daraus aber, dass sie
die Schneeblindheit, die Erythropsie, Entzündungen des äusseren
Auges, Sonnenerythem als Beweis für ihre Anschauung anführen, geht
deutlich hervor, dass sie Tageslicht gleich Sonnenlicht bzw. vom Schnee
reflektiertem Sonnenlicht gesetzt wissen wollen, ganz abgesehen davon,
dass, wie oben schon angeführt, durchaus noch nicht bewiesen ist, dass
die genannten Affektionen etwa nur durch U.-V.-Strahlen verursacht.
werden. Durch das ditfuse Tageslicht aber, sei es das Licht des blauen
Himmels oder reflektiertes Wolkenlicht oder Licht, das durch den
bedeckten Himmel an trüben Tagen zu uns kommt, werden diese Af-
fektionen sicher nicht hervorgerufen. Dieses diffuse Tageslicht repräsen-
tiert für uns die physiologische Beleuchtung und ist seit Jahrtausenden
nicht nur als unschädlich, sondern stets als die beste für unsere Augen
befunden worden und schwebte daher auch der Beleuchtungstechnik
aller Zeiten als Ideallicht vor, das leider auch bis heute noch nicht
erreicht ist.
Wir werden also als Massstab für die Brauchbarkeit
der Lampen geradezu die Forderung aufstellen können, dass
siedem Tageslicht möglichst gleichkommen müssen, und die
Überzeugung haben können, dass die Lampen, die diese For-
derung erfüllen, sicher auch unschädlich sind. Auf die gleiche
Flüchenhellirkeit braucht bei derartigen vergleichenden Untersuchungen
zwischen dem Tageslichte und dem künstlichen Lichte kein Gewicht
39*
598 E. Hertel und O. Henker
gelegt zu werden, da sie praktisch ja doch nicht jedesmal abgeschätzt
werden kann; im Gegenteil, sollen die Vergleiche für die Praxis unter
allen Bedingungen verwertbare Resultate geben, so müssen wir eben
festzustellen suchen, wie sich die Lampen unter den Bedingungen, wie
wir sie sehen, d.h. also bei direkter Betrachtung, bei Beleuchtung durch
indirekte Strahlung, bei Beleuchtung mit oder ohne Schutzhüllen zum
Tageslicht. stellen.
Ganz besonders ist darauf Gewicht zu legen, dass die bei dem
Vergleich anzuwendende Methode Rechenschaft gibt nicht nur über
die Gesamtstrahlung, sondern vor allem über die Verteilung derselben
auf die einzelnen Spektralbezirke, da, wie oben genugsam ausgeführt.
alle Bezirke auf das Auge wirken und dasselbe eventuell auch schä-
digen können. Es genügt also schon ein Zuviel in irgendeinem Spek-
tralbezirk, die untersuchten Lampen als weniger geeignet erscheinen
zu lassen, alsandere, bei denen die Intensitäten in den einzelnen Spek-
tralbezirken dem Tageslicht gleichkommen ; und wollen wir Schädigungen
auf diesem Vergleichswege ausschliessen, so müssen wir die Gewissheit
haben, dass alle Bezirke gleiche oder geringere Intensitäten haben wie
die entsprechenden des Tageslichtes.
Vergleichende Messungen, die nur den U.-V.-Bezirk berücksich-
tigen, wie sie Voege ausgeführt hat, können niemals ein Urteil über
die Brauchbarkeit einer Lampe gestatten, da sie eben von der falschen
Voraussetzung ausgehen, dass Schädigungen nur von dem U.-V.-Teile
zu erwarten sind. Daran wird auch nichts geändert, wenn der U.-V.-
Bezirk etwa bis 2 400 uw ausgedehnt wird, wie das Schanz und
Stockhausen fordern, da auch von diesem nicht bewiesen ist, und
auch niemals bewiesen werden kann, dass er allein schädigt.
Zur Messung hat sich Voege der photographischen Methode be-
dient. Der eine von uns (Hertel) hat seinerzeit schon darauf hin-
gewiesen, dass es nicht angängig ist, photographische Wirksamkeit
und physiologische Wirksamkeit ohne weiteres gleichzusetzen, und hat
u. a. auch gezeigt, welche Differenzen z. B. zwischen der Empfind-
lichkeit der Netzhaut und der photographischen Platte sich finden lassen.
Anders aber liegen die Verhältnisse, wenn man zwei Lichtquellen
ihrer Intensität nach vergleichen will. Dabei kommt es hauptsäch-
lich darauf an, dass man sie mit demselben Masse misst, und als
solches Mass eignet sich die bei gleicher Expositionszeit auf empfind-
liche und gleich "behandelte photographische Platten erzielte Wirkung
sehr gut, schon deshalb, weil sie eine bequeme objektive Darstellung
der Vergleichswerte gestattet. Nur werden bei den für exakte
Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 599
derartige Vergleiche nötigen Aufnahmen von spektralzerlegten Lichtern
die roten Strahlen fehlen. Man wird also über diese nichts aussagen
können. Doch ist das deshalb nicht ein so sehr grosser Nachteil,
weil ja die roten Strahlen auch vom Gewebe am wenigsten auf-
genommen werden.
Nachdem sich aus alledem ergeben haben dürfte, dass zur Be-
urteilung der Brauchbarkeit unserer Lampen Vergleichs-
messungen ihrer Strahlung mit der Strahlung des diffusen
Tageslichtes auf spektrographisch-photographischem Wege
genügen, soll nun zur Schilderung unserer eigenen Versuche in
dieser Frage übergegangen werden.
Alle Aufnahmen sind mit einem Spektrographen hergestellt worden,
der mit zwei Quarzflussspatobjektiven vom Offnungsverhültnis fj20
und einem Cornuschen 60° Prisma ausgerüstet ist. Auf den Spalt
des Kolimators wurde die zu untersuchende Lichtquelle mittels eines
.Quarzflussspatkondensors abgebildet. Die Elemente des Spaltes sind
den Netzhautelementen des Auges vergleichbar, auf die das optische
System ein Bild der Lichtquelle entwirft. Der Kondensor übernimmt
hier die Rolle des optischen Systems des Auges. Es wird also bei
der Versuchsanordnung der Sehvorgang gewissermassen nachgeahmt.
Nur wird beim Spektrographen das auf den Spalt fallende Licht noch
einer weiteren spektralen Zerlegung unterworfen. War es einmal
nötig, ein nicht in der optischen Achse des Spektrographen liegendes
leuchtendes Objekt auf den Spalt abzubilden, so wurde vor dem Kon-
densor ein total retlektierendes Prisma aus Quarz verwendet.
Die Expositionszeiten waren, soweit das möglich war, immer die
gleichen, nämlich 20 Minuten. Wegen der hohen Intensitäten mussten zum
Teil die mit den Bogenlampen und der Quarzquecksilberlampe her-
gestellten Aufnahmen kürzer belichtet werden, falls nicht durch starke
Überstrahlung die ganze photographische Erscheinung undeutlich werden
sollte. Die Spaltbreite blieb für alle Aufnahmen unverändert, näm-
lich gleich 0,05 mm. Zu allen Aufnahmen kamen hintergossene ortho-
chromatische Kranzplatten zur Verwendung. Soweit verschiedene Auf-
nahmen nicht so wie so auf ein und derselben Platte vereinigt waren,
wurden die Bedingungen für die Entwicklung möglichst gleich ge-
staltet. Die Dauer der Entwicklung und die Konzentration des Ent-
wicklers waren stets gleich. Jedes Negativ wurde in frischem Ent-
wickler hervorgerufen. Diese Versuchsbedingungen müssen unbedingt
eingehalten werden, wenn man vergleichbare Resultate erhalten will.
Das erste Spektrum von Tafel XXII ist das Spektrum einer
600 E. Hertel und O. Henker
Wasserstoffquecksilberróhre. Mit Hilfe der Spektrallinien ist der Spek-
tralbereich sicher und bequem bestimmbar. Es soll dieses Spektrum
nur als Orientierungsspektrum dienen.
Die zweite Aufnahme ist das Spektrum von Wolkenlicht. Die
Aufnahme erfolgte an einem trüben Novembertage nachmittags 3 Uhr
bei völlig bedecktem Himmel. Es wurde ein im Zenith liegender
Wolkenbereich abgebildet.
Aufnahme 3 zeigt die Energieverteilung im Spektrum des blauen
Himmels. Sie wurde an einem sonnigen Novembertage hergestellt.
Den beiden vorangehenden Aufnahmen sehr ähnlich ist auch die
Aufnahme 4, die das Spektrum einer diffus beleuchteten ungefähr
1 m vom Kondensor entfernten horizontalen Schneefläche darstellt.
Aufnahme 5 ist das Spektrum des Auerstrumpfes einer Grätzin-
lampe. Der Strumpf war mit einem klaren Schottschen Cwlinder
umgeben. Die Gaslampe hatte einen. Abstand von 50cm vom Kon-
densor.
Bei der nüchsten Aufnahme 6 war dieselbe Lampe noch mit
einer Milchglasglocke versehen, und bei der Aufnahme 7 war über der
Milchglasglocke noch ein Autositschirm angebracht.
Aufnahme 8 zeigt das Spektrum einer klaren Metallfadenlampe
und zwar einer 50kerzigen Siriuslampe. Der leuchtende Faden wurde
auf den Spalt abgebildet.
Die Aufnahme 9 ist in genau derselben Weise hergestellt, nur
wurde dabei eine 50kerzige Tantallampe verwendet.
Bei Aufnahme 10 diente eine mattierte Tantallampe von 25 Ker-
zen als Lichtquelle. Der Abstand der Glühlampen betrug immer
50cm vom Kondensor.
Aufnahme 11 zeigt das Spektrum einer frei brennenden Gleich-
strombogenlampe, wie solche für Beleuchtungszwecke verwendet werden.
Ihre Stromstärke betrug 3,5 Amp. Um den Krater gut abbilden zu
können, war sie in ungefähr Im Abstand vom Kondensor, aber 40 cem
über der optischen Achse des Spektrographen aufgehängt worden.
Hierbei musste also das total reflektierende Quarzprisma verwandt
werden, um die schräg nach unten (ungefähr in der Richtung der
stärksten Strahlung) fallenden Strahlen der Bogenlampe horizontal zu
richten.
Bei Aufnahme 12 war dieselbe Bogenlampe mit einer der üb-
lichen Opalglaseloeken umgeben (Expositionszeit = 40 Sekunden).
Dagegen wurde bei Aufnahme 13 an Stelle der Opalglasglocke
eine halbkuglige nach oben offene Milchglasglocke verwendet, wie
Über die Schädlichkeit u: Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 601
‘man sie bei den Bogenlampen für halb indirekte Beleuchtung braucht.
Das durch die Bogenlampe beleuchtete Milchglas diente also hier als
Lichtquelle.
Aufnahme 14 ist das Bogenspektrum einer 50cm vom Konden-
sor entfernten, geneigten Projektionsbogenlampe, die mit einer Strom-
stirke von 20 Amp. brannte. Die dabei verwandten Kohlen waren
Dochtkohlen „Plania“ von den Planiawerken in Berlin.
Nach der Einschaltung einer gewöhnlichen Fredener Spiegelglas-
platte von 2,7 mm. Dicke zwischen Lampe und Kondensor wurde die
Aufnahme 15 hergestellt.
Den Versuchsanordnungen bei den Aufnahmen 16 und 17 ent-
sprachen die Bedingungen, die bei der Herstellung der Spektren 14
und 15 beobachtet wurden. Als Lichtquelle diente dabei aber eine
Quarzquecksilberbogenlampe von Heraeus, die mit einer Stromstärke
von 4,5 Amp. brannte.
Die zwei nächsten Spektren wurden so erhalten, dass man durch
die Lichtquelle ein weisses Kartonblatt beleuchtete, das nun als Licht-
quelle fungierte. Die Entfernung des Kartons von der Lampe und
vom Kondensor betrug ungefähr Im. Die Lichtstrahlen fielen an-
nähernd senkrecht auf den Karton. Die Lichtquellen standen also
ganz in der Nähe des Spaltkopfes des Kolimators.
Während der Aufnahme 18 diente die mit Dochtkohlen „Plania“
ausgerüstete Projektionsbogenlampe und bei Aufnahme 19 die Quarz-
quecksilberbogenlampe als Lichtuelle.
Die folgenden vier Aufnahmen wurden so hergestellt, dass wieder
der Bogen der mit 20 Amp. brennenden Eftektkohlenbogenlampe auf
den Spalt abgebildet wurde, doch mussten die Strahlen zwischen dem
Kondensor und dem Spalt eingeschaltete Neutralgläser passieren.
Es wurde verwendet bei Aufnahme 20 das Rauchglas Nr. 276
von der Fredener Spiegelglasaktiengesellschaft in einer Dicke von
1,8 mm,
bei Aufnahme 21 das Sonnenglas Nr. 66 der Fredener Spiegel-
glasaktiengesellschaft in einer Dicke von 2,5 mm,
bei Aufnahme 22 das Sonnenglas von Appert Frères in Clichy
in einer Dicke von 1,4 mm,
und bei Aufnahme 23 das Schottsche Neutralglas F 3815 in
einer Dicke von. 0,5 mm.
Wenn wir jetzt mittels der unter gleichen Bedingungen herge-
stellten Aufnahmen die Strahlungsenergie in den verschiedenen Spektral-
bereichen der modernen künstlichen Lichtquellen mit der Strahlungs-
602 E. Hertel und O. Henker
energie des diftusen Wolkenlichtes vergleichen, so finden wir, dass der
Kondensor von dem 50cm entfernten Auerstrumpf unter einem klaren
Schottschen Cylinder eine grössere Energiemenge auf den Spalt ver-
einigt, als wenn er den gleichmässig grauen Himmel dorthin abbildet.
Am meisten überwiegt die Helligkeit des Auerstrumpfes im sicht-
baren Teil. Aber auch im langwelligen Teile des ultravioletten
Spektrums von 4 400 bis A 365 uu ist die Intensität des Auer-
strumpfes grösser als die des Wolkenlichtes. Dagegen übersteigt
die Intensität des diffusen Wolkenlichtes die des Auerstrumpfes
ganz wesentlich unterhalb A4 365 uu. Das Spektrum des Auer-
strumpfes reicht im ganzen nicht weiter als ungefähr bis zur Wellen-
länge 4 300 up, etwa der unteren Grenze des diffusen Tageslichtes.
Durch Anbringung der Milchglasglocke wird die Helligkeit so verteilt,
bzw. absorbiert, dass bereits der sichtbare Teil des Auerlicht-Spek-
trums dem diffusen Tageslicht wenig überlegen ist, während der ge-
samte ultraviolette Teil bedeutend schwächer ist als beim diffusen
Wolkenlicht. Noch weiter sinkt durch Verteilung und Absorption
die Helligkeit bei weiterer Hinzufügung des Autositschirmes, so dass
auch die Helligkeit im sichtbaren Teil geringer als beim Wolkenlicht
ist und nur noch sehr langwellige ultraviolette Strahlen stark geschwächt
in dem ausgestrahlten Lichte enthalten sind. |
Das Spektrum 8 vom glühenden Faden einer klaren Siriuslampe
lässt erkennen, dass ähnlich wie beim. Auerstrumpf die Helligkeit he-
sonders im sichtbaren Teil die Helligkeit des Wolkenlichtes übertriftt.
Ungefähr unter 2 330 au wird die Intensität geringer als die des Wolken-
lichtes. Das Spektrum reicht auch nicht weiter ins Ultraviolett als
das Spektrum des Wolkenlichtes. Ungefähr dasselbe zeigt das Spek-
trum des glühenden Tantalfadens im Spektrum 9. Im wesentlichen
übertrifft auch hier wieder die Helligkeit des sichtbaren Teiles die
Intensität des Wolkenlichtes. Die Aufnahme 10 zeigt, wie durch Ver-
teilung der Helligkeit durch eine matte Birne das Licht dem Wolken-
licht ähnlicher wird. Die Helligkeit im sichtbaren Teil ist nur wenig
grösser, im ultravioletten Teile ist sie schon geringer wie beim Wolkenlicht.
Ganz anders werden die Verhältnisse bei unsern hellsten künst-
lichen Tachtquellen, den Bogenlampen. Der Krater einer Bogenlampe
zeigt (Aufnahme 11) eine grössere Helligkeit im gesamten Spektrum
der Helligkeit des Wolkenlichtes gegenüber. Die Schwärzung der
Platte ist cher stärker als bei Aufnahme 2, obwohl die Exposition
nur l see. betrug. Bemerkenswert ist vor allem, dass das Spektrum
sich jenseits von 4 300 uu weit ins Ultraviolette erstreckt, so dass eine
Über die Schádlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 603
ganz anders beschaffene Strahlung von dem Krater ausgeht, als wie
sie das Wolkenlicht liefert. Wesentlich ühnlicher wird das Bogenlicht
der Tagesbeleuchtung, wenn man die Bogenlampe mit einer Opalglas-
glocke umgibt. Die Opalglasglocke absorbiert ebenso wie die Spiegel-
glasplatte alle Strahlen unter 4 300 up, die im Tageslicht nicht ent-
halten sind. Doch verteilt die Opalglasglocke das Licht des Kraters
nicht genügend, so dass die Helligkeit der von ihr durchgelassenen
Strahlung die Helligkeit des diffusen Wolkenlichtes noch stark über-
trifft, zumal wenn man bedenkt, dass die Expositionszeit.des Normal-
lichtes 30mal so lang ist. Erst die bei Aufnahme 13 gebrauchte
Milchglasglocke verteilt und absorbiert das nach unten ausgestrahlte
Licht so, dass die Helligkeit der Glocke der des Wolkenlichtes an-
nähernd gleicht. Der ultraviolette Teil des Spektrums ist sogar noch
etwas kürzer wie bei dem Wolkenlicht, wobei zu bemerken ist, dass
die Expositionszeit bei dieser Aufnahme wieder gleich 20 min. wie bei
Aufnahme 2 war. |
Die mit viel höherer Stromstärke brennende Effektkohlenbogen-
lampe und auch die Quarzquecksilberlampe zeigen frei brennend
ebenfalls ein weit über 2 300 ou hinausragendes Spektrum. Wie
die Aufnahmen 15 und 17 beweisen, lässt sich aber dieser nicht
im Tageslicht ‘enthaltene Teil durch eine einfache Glasplatte aus-
schalten.
Aus unsern Aufnahmen ergibt sich somit als erstes Resultat,
dass keine von den untersuchten Lampen ohne Bedeckung für Be-
leuchtungszwecke empfehlenswert ist, denn die Spektren der unbe-
deckten Glühkörper weichen alle von dem Tageslicht beträchtlich ab.
Es dürfen also die eigentlichen Lichtquellen, die mit hoher spezifischer
Intensität strahlen, wie der Auerstrumpf, der Glühfaden, der Krater
der Bogenlampe, nie dem Auge direkt zugänglich sein, damit nicht
durch das optische System des Auges eim Bild von diesen leuchten-
den Teilen auf der Netzhaut entworfen werden kann. Dieser Forde-
rung kann man durch richtige Anbringung der Lampen in dem
Lampengehäuse gerecht werden. Sie ist aber bei den wenigsten der
jetzt üblichen Lampen erfüllt.
Es geht aber aus unsern Aufnahmen zweitens hervor, dass die
von der Beleuchtungstechnik zu lösende Aufgabe sich auch erreichen
lässt, wenn die Lichtquellen so ausgestaltet werden, dass die gesamte
Helligkeit auf eine grössere diffus leuchtende Fläche verteilt wird,
z. B. durch Anwendung von Matt- und Milchglasumhüllungen.
Bei dem Gasglühlicht und den elektrischen Metallfadenlanıpen,
604 E. Hertel und O. Henker
deren Spektrum im Ultravioletten ja auch nicht weiter reicht, als das
Spektrum des Tageslichtes, und deren sichtbare Strahlungsenergie die
der ultravioletten übertrifft, hat man also nur dafür Sorge zu tragen,
dass die grosse Helligkeit der Lichtquellen im sichtbaren Spektrum durch
eine geeignete Verteilung soweit herabgesetzt wird, dass die Flächen-
helligkeit der dem Auge direkt zugänglichen Lampenteile die Helligkeit
des diffusen Wolkenlichtes nicht übersteigt. Bei der Auerlampe ist dies
durch Anwendung der Milchglasglocke und des Autositschirmes be-
reits völlig gelungen (Aufnahme 7). Auch die Aufnahme 10 der mat-
tierten Glühlampe zeigt, dass durch eine solche Verteilung der Hellig-
keit eine dem Wolkenlicht ähnlichere Beleuchtung möglich ist. Die
Verteilung genügt nur noch nicht ganz, besonders bei den jetzt vielfach
üblichen hochkerzigen Glühlampen muss die Gesamtstrahlung auf eine
entsprechend grössere Fläche ausgebreitet werden.
Natürlich wird von derartigen Umhüllungen nicht alles von der
Lichtquelle abgegebene Licht wieder ausgestrahlt. Ein Teil geht durch
Absorption verloren. Bei Mattglasumhüllungen ist dieser Teil sehr
gering. Bei dichten Milchgläsern kann er ganz erhebliche Beträge
erreichen, wie z. B. bei der Milchglasglocke für die Bogenlampe. Bei
der für unsere Aufnahmen benutzten Grätzinlampe wurde die in einer
Richtung (horizontal) ausgestrahlte Helligkeit nach der Anbringung
der Milchglasglocke etwa um 25°), geringer. Dabei war aber die
gesamte räumliche Strahlung, die von der Milchglasglocke ausging,
ungefähr nur 10°, kleiner als die gesamte räumliche Strahlung
des vom klaren Cylinder umgebenen Auerstrumpfes, so dass die
durch diese Milchglasglocke bewirkten Gesamtverluste doch nur
gering waren.
Bogenlampen umgibt man für Beleuchtungszwecke meist mit Opal-
glasglocken. Diese schneiden zwar den unter 2 300 uu liegenden Teil
des Spektrums völlig ab; aber wie die Aufnahme 12 zeigt, ist die Ver-
teilung im übrigen Spektrum noch nicht genügend. Um eine genügende
Milderung des sichtbaren und langwelligen ultravioletten Lächtes zu
erreichen, wird man die indirekte oder die bessere halb indirekte
3Zeleuchtung anwenden, so dass also die nach unten gerichtete Strah-
lung einer hängenden Lampe entweder dureh undurchlässige Reflek-
toren nach der Decke und den oberen Teil der Wand der zu beleuch-
tenden Räume geleitet oder dureh eine halbkuglige Milchglasglocke
genügend verteilt und gedämpft wird. Die horizontale und nach
oben gerichtete Strahlung muss aber auch eine Klarglasglocke pas-
sieren, damit die kurzwelligen ultravioletten Strahlen abgehalten wer-
Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen.
den. Denn, wie die Aufnahmen 18
und 19 zeigen, reflektiert ein von frei
brennenden Bogenlampen und Quarz-
quecksilberlampen beleuchtetes Papier
auch noch die kurzwelligen, jenseits
2 300 uu liegenden Strahlen.
Aus unsern Untersuchungen er-
geben sich also zur Erreichung einer
dem normalen Licht möglichst ähnlichen
künstlichen TelueBhüng folgende For-
derungen:
Die eigentlichen Lichtquel-
len sollen dem Auge nie direkt
sichtbarsein. Die zu grosse Hel-
ligkeit der Lichtquellen muss
durch geeignete Verteilung so
zerstreut werden, dass alle dem
Auge zugänglichen Lampenteile
nie mit grösserer Helligkeit
strahlen, wie diffus beleuchtete
Wolken. Alle unter 2 300 uu lie-
genden Strahlen müssen abge-
halten werden.
Wie wir zeigen konnten, lassen
sich alle diese Forderungen durch rich-
tige Anwendung der bisher in der Be-
leuchtungstechnik üblichen Mittel er-
reichen. Es sind nun aber ausserdem
von augenärztlicher Seite noch beson-
dere Schutzgläser
worden, so von Schuleck, Hallauer,
Stärkle, Vogt, Schanz und Stock-
vorgeschlagen
hausen. Namentlich die vier letzt-
genannten halten die von ihnen an-
gegebenen Gläserauch für Beleuchtungs-
zwecke für notwendig, weil nur dann
die Augen vor Schädigungen seitens
der modernen Lichtquellen sicher wä-
Werden nun bei Anwendung
die
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dieser Gläser die Forderungen,
Tabelle II.
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608 E. Hertel und O. Henker
wir an gute künstliche Beleuchtungseinrichtungen stellen müssen,
erfüllt?
Um diese Frage beantworten zu können, haben wir das Absorp-
tionsvermögen der wichtigsten der angegebenen Glasarten quantitativ
bestimmt (vgl. Tab. II. Die Messung der Absorption im sichtbaren
Teil des Spektrums geschah mittels eines Polarisationsspektrophoto-
meters, bei dem die optischen Teile bis auf die Nicols aus Glas
bestanden. Die Untersuchungen im ultravioletten Teile erfolgten mit
einem gleichen Apparate, der aber nur optische Teile aus Quarz und
Flussspat enthielt (vgl. Krüss) Die Resultate sind in Tab. II und
Kurventafel 1 und 2 zusammengestellt.
Die Euphosglüser wurden durch die Deutsche Spiegelglasaktien-
gesellschaft in Freden bezogen. Sie waren bezeichnet als Euphos-Hell-
glas Nr. 1, 2, 3, 4. Von Hallauergläsern wurden Nr. 62, 64 und 66
untersucht, ausserdem noch von Schottschen Gläsern das Gelbglas
F 4313 und das Neutralglas F 3815.
Das Euphosglas Nr. 1 zeigt im sichtbaren Gebiet eine nicht
ganz gleichmässige Absorption, es resultiert daher eine merkliche gelb-
grüne Färbung; denn wührend eine 1mm dicke Schicht bei 4 546 uu
etwa 7°), absorbiert, hält dieselbe Dicke bei 4 405 up 22?|, des auf-
fallenden Lichtes zurück. Unterhalb 2 405 pu setzt die Absorption stärker
ein, keineswegs aber verschluckt dieses Glas alles ultraviolette Licht;
denn bei A 384 wu werden in Imm Dicke noch 52°/,, bei 2 366 uu
37%), bei 2 34l uu 39%), und bei 2 332 uu 24°), durchgelassen. Erst
hinter 2 332 wu fällt die Durchlässigkeitskurve steil ab. Die Durch-
lässigkeitskurve des Euphosglases zeigt also einen den bekannten Farb-
gläsern durchaus entsprechenden Verlauf. Wie Zschimmer schon in
Erfurt hervorhob, sind eben Gläser, die bei ungeschwächter Durch-
lässigkeit des sichtbaren Teils des Spektrums die gesamte darauffol-
gende ultraviolette Strahlung völlig verschlucken, in der Technik noch
nicht hergestellt worden. Das Euphosglas bestätigt dies nur wieder.
Einen viel steileren Abfall der Durchlässigkeitskurve zeigt das
Sehottsehe Gelbglas 4313, das hei 2509 uu 8394, hei 4 480 uu nur
noch 9%, durehlässt, und den ultravioletten Teil so gut wie völlig ab-
sorbiert. Auch das Hallauer Glas 62 weist hinter A 361 un eine stark
einsetzende Absorption auf.
Die Euphosgläser Nr. 2.3 und £ zeigen einen vom Euphosglas Nr. 1
abweichenden, unter sich aber sehr ähnlichen Verlauf. Ihre Färbung
ist noch ausgesprochener, denn die Absorption setzt schon bei 2 480 uu
kräftiger ein und nimmt dann stark zu. Ganz Ähnlich sind auch die
Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 609
Absorptionskurven der Hallauer Gläser 64 und 66; nur ist die Durch-
lässigkeit schon an der Stelle des Maximums bei 2 578 uu auf 62°),
bzw. 37°|, herabgesetzt. Merkwürdig ist dagegen die Eigentümlichkeit,
dass diese beiden letztgenannten Gläser im Ultraviolett noch mehrere
Maxima haben. Sie sind in den Kurven wegen ihrer kleinen Werte nicht
eingezeichnet. Da in dem ultravioletten Gebiet die Durchlässigkeit
sehr gering ist, ist sie in der Tabelle nur für eine Dicke von 0,1 mm
angegeben. Die starke Absorption veranlasste uns auch, bei der Mes-
sung im ultravioletten Gebiete zum Teil sehr dünne Glasplättchen zu
benutzen. Die aus diesen Messungen hervorgegangenen Resultate ent-
halten die Gesamtverluste, die bei senkrechtem Durchtritt entstehen,
also ausser der Absorption noch die Reflexionsverluste. Die Zahlen,
die Absorptions- und Reflexionsverluste gleichzeitig berücksichtigen und
für 0,1 mm Dicke gelten, sind unterstrichen.
Das Schottsche Neutralglas F 3815 absorbiert ausserordentlich
stark, aber im sichtbaren Teil bis A 436 wu fast ganz gleichmässig
und zwar etwa 65°, schon in einer Dicke von 0,1 mm. Der starken
Absorption wegen sind in der Tabelle 2 die Durchlässigkeitsfaktoren
nur für 0,1 mm Dicke angegehen. Von 4436 uu ab nimmt die Ab-
sorption nach dem Ultraviolett hin allmählich zu. Das Glas zeigt also
eine recht geringe Färbung bei starker Herabsetzung der Intensität.
aller Strahlen.
Aus diesen Durchlüssigkeitskurven ergibt sich, dass Hallauer-,
Euphosglüser, S chottsche Gelb- und Neutralglüser sich für allgemeine
Beleuchtungszwecke nicht eignen, da durch sie die künstlichen
Lichter nicht so beeinflusst werden können, dass sie den aufgestellten
Forderungen genügen, d.h. also dem Tageslichte ähnlich werden. Die
stark absorbierenden Sorten würden zudem infolge ihrer Färbung den
Charakter des Lichtes völlig verändern. Auch das von Schanz und
Stockhausen besonders für Beleuchtungszwecke empfohlene Euphosglas
Nr. l ist ungeeignet, weil es ebenfalls wenn auch schwächer gefärbt ist,
und weil es von den sichtbaren Strahlen viel zu wenig absorbiert, als
dass eine genügende Herabsetzung der Intensitäten im sichtbaren Teile
(des Spektrums erreicht werden könnte. Die von Schanz und Stock-
hausen besonders ins Feld geführte stärkere Absorption im Ultra-
violetten allein nützt nichts, denn dadurch ist eine Sicherheit. gegen
Schädigungen gar nicht gewährleistet. Schädigungen sind ja durch
alle Strahlen möglich, wenn die Intensität hoch genug ist. Und wir
haben aus unsern Aufnahmen gesehen, dass die Intensität bei den
künstlichen Lichtquellen gerade auch im sichtbaren Teile des Spek-
610 E. Hertel und O. Henker
trums die erlaubte Intensität des Tageslichtes wesentlich überschreitet
und daher abgeschwächt werden muss. Dafür aber leisten uns die Euphos-
gläser nichts, ebensowenig die von Stärkle und Vogt vorgeschlagenen
Schutzmassregeln, da ja auch sie auf klare Schutzgläser rekurrieren.
Dass diese Schutzgläser etwas mehr U.- V.-Strahlen absor-
bieren, als gewöhnliche Gläser, worauf Stärkle, Vogt, Schanz
und Stockhausen so grossen Wert legen, ist für ihre Anwendung
für Beleuchtungszwecke gänzlich überflüssig, denn, wenn wir in der
von uns als richtig bewiesenen Art — nämlich durch Verteilung der
Strahlung auf eine grössere Fläche durch Matt- oder Milchglashüllen —
die Helligkeit des sichtbaren Spektralgebietes auf den normalen Be-
trag des Tageslichtes reduzieren, so wird ohne weiteres die ultraviolette
Strahlung in den Bezirken zwischen 2 400— 300 uu sogar unter den
erlaubten d.h. im Tageslichte enthaltenen Betrag gebracht. Denn in-
folge der Lage des Energiemaximums ist bei allen unsern künstlichen
Lichtquellen die ultraviolette Strahlung wesentlich schwächer als die
sichtbare. Wir schen also, dass die Anwendung der ange-
gebenen speziellen Schutzgläser für allgemeine Beleuch-
tungszwecke nicht zweckdienlich und nicht erforderlich ist.
. Eine andere Frage ist es, ob sich die vorgeschlagenen Glasarten als
Schutzbrillen für besondere Zwecke eignen. Diese sind überall an-
gebracht, wo unsere Augen eine intensivere und anders zusammengesetzte
Strahlung, als wie sie diffuses Wolkenlicht liefert, ertragen müssen.
Solche Fälle können eintreten, wenn der Zwang vorliegt, von der
Sonne beschienene stark reflektierende Flächen zu betrachten, in ver-
schiedenen technischen Berufen, bei denen es nötig ist, intensive Licht-
quellen unbedeckt aus der Nähe zu betrachten, wie es beispielsweise
erforderlich ist bei dem Einregulieren von Bogenlampen, bei autogener
Schweissung, in Giessereien usw.
Ein ideales Schutzglas würde auch hier ein solches sein, das die
sichtbaren und langwelligen ultravioletten Strahlen so dämpft, dass
die durchgelassene Helligkeit die Helligkeit diffus beleuchteter Wolken.
wie sie bei unsern Aufnahmen verwendet wurden, nicht übertriftt,
die kurzwelligen ultravioletten Strahlen unter 2 300uu völlig ver-
schluckt und im sichtbaren Gebiet so gleichmässig absorbiert, dass
alle Farbwerte richtig wiedergegeben werden. Diese Forderungen erfüllt
aber keines der untersuchten Hallauer- oder Euphos-Gläser. Die
Hallauer-Gläser 62 und 64 und die Euphosgläser Nr. 1, 2, 3 und 4
schwächen den sichtbaren Teil für die meisten Zwecke viel zu wenig
und geben die betrachteten Objekte nicht farbenrichtig wieder. Das
Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 611
dunklere Hallauer-Glas 66 ist besser, da es für gewisse Zwecke auch
das sichtbare Gebiet genügend schwächt.
Am besten ist von den untersuchten Gläsern noch das Schottsche
Neutralglas. Eine gute Vorstellung von der Leistungsfähigkeit dieses
Schutzglases besonders im Vergleich zu andern Rauchgläsern (Fredener
und Appert Freres-Gläsern) geben die Aufnahmen Nr. 20—23
auf der Tafel. Die auf S. 601 schon skizzierten Versuchsanordnungen
dieser Aufnahmen würden in Verhältnisse der Praxis umgesetzt etwa
den Verhältnissen entsprechen, unter den ein mit diesen Gläsern be-
waffnetes Auge den Lichtbogen einer Bogenlampe von 20 Amp. aus
50cm Entfernung sieht, also wohl eine Probe, die besonders hohe An- `
forderungen an ein Schutzglas stellen dürfte. Die Aufnahmen zeigen
nun in Nr. 23, also bei Verwendung von Schottschem Neutralglas,
dass die enorme Lichtfülle der Bogenlampe im sichtbaren und unsicht-
baren Teile des Spektrums soweit abgeschwücht wurde, dass das
Spektrum etwa dem des diffusen Wolkenlichtes gleichkam. In Auf-
nahme Nr. 22 — mit Glas von Appert Frères — ist zwar der
sichtbare Teil des Spektrums noch mehr geschwächt, so dass er so-
gar schwächer ist als beim Wolkenlicht, aber im langwelligen Ultra-
violett ist ein beträchtliches Überwiegen über das Wolkenspektrum zu
konstatieren. Etwas besser ist das Fredener Rauchglas Nr. 276 (Aut-
nahme 20) und noch besser das Sonnenglas Nr. 66 (Aufnahme 21) —
doch auch dieses steht hinter dem Schottschen Glas weit zurück.
Dabei wurde das letztere nur in einer Dicke von 0,8 mm verwendet,
während die andern Gläser wesentlich dicker waren. Die mit dem
Schottschen Glase erzielte und zur Egalisierung des sichtbaren
Teiles des Bogenlichtes und Tageslichtes notwendige Absorption im
sichtbaren Teile liess sich auf 99,977 %, berechnen. Wollte man ein
gleich gutes Resultat z. B. mit Hallauer-Glas Nr. 64 erreichen,
so müsste dieses 8 mm dick sein und ein Euphosglas Nr. 4 sogar etwa
38 mm.
Für viele Zwecke, bei denen die Intensität im sichtbaren Teile
des Spektrums weniger hell als unter den gewählten Bedingungen ist,
ist natürlich das Schottsche Neutralglas in 0,8 mm Dicke un-
nötig dunkel. Es macht sich zudem bei sehr starker Schwächung
des Lichtes wegen der aus der Absorptionskurve (S. 606) ersicht-
lichen, noch nicht völlig gleichmässigen Absorption im sichtbaren Teil
ein leichte gelbrötliche Färbung des Lichtes geltend, die allerdings bei
geringerer Abschwächung ganz verschwindend sein kann. Es muss
der Technik vorbehalten bleiben, ob sie diese geringe Unvollkommen-
v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. LXXIII. 3. 40
612 E. Hertel und O. Henker
heit noch beseitigen kann, womit dann ein Schutzglas hergestellt sein
würde, das den Anforderungen, die wir an Schutzgläser für besondere
Zwecke nach unsern Ausführungen stellen müssen, in jeder Richtung
einwandfrei entsprechen würde.
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d. ophtli. Ges. Heidelberg 1907.
20) — Experimentelles und Klinisches über die Anwendung lokaler Lichttherapie
bei Erkrankungen des ~ insbesondere beim Ulcus corneae, v. Graefe's
Arch. f. Ophth. Bd. LXVI, 1907.
21) non Diskussion zum E Birsch-Hirschfeld. Bericht d. ophth.
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19)
Über die Schädlichkeit u. Brauchbarkeit unserer modernen Lichtquellen. 613
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wirkung der ultravioletten Strahlen unserer künstlichen Lichtquellen ?
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27) — Die Schädigung des Auges durch Einwirkung des ultravioletten Lichtes,
Vortrag auf der 14. Jahresvers. des Verb. deutsch. Elektrotechniker zu Er-
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eine Schädigung des Auges zu befürchten? Vortrag auf der Naturforscher-
vers. zu Dresden 1908.
29) — Zur Beurteilung der Schädigung des Auges durch leuchtende und ultra-
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(Dresden) und Dr. Stockhausen (Dresden), „Wie schützen wir unsere Augen
vor der Einwirkung der ultravioletten Strahlen?“ und „Uber die Wirkung
der ultravivletten Strahlen auf das Auge"; sowie vom Prof. Dr. Best (Dres-
den‘, „Uber die praktische Tragweite der Schädigungen des Auges durch
leuchtende und ultraviolette Strahlen“, nebst experimentellen Untersuchungen
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