Skip to main content

Full text of "Archiv für klinische und experimentelle Ophthalmologie"

See other formats


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  preserved  for  generations  on  library  shelves  before  it  was  carefully  scanned  by  Google  as  part  of  a  project 
to  make  the  world's  books  discoverable  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 
to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 
are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  culture  and  knowledge  that 's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  marginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  file  -  a  reminder  of  this  book's  long  journey  from  the 
publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prevent  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  technical  restrictions  on  automated  querying. 

We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  of  the  file s  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  files  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  from  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machine 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  large  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encourage  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attribution  The  Google  "watermark"  you  see  on  each  file  is  essential  for  informing  people  about  this  project  and  helping  them  find 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  responsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can't  off  er  guidance  on  whether  any  specific  use  of 
any  specific  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  means  it  can  be  used  in  any  manner 
any  where  in  the  world.  Copyright  infringement  liability  can  be  quite  severe. 

About  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organize  the  world's  Information  and  to  make  it  universally  accessible  and  useful.  Google  Book  Search  helps  readers 
discover  the  world's  books  white  helping  authors  and  publishers  reach  new  audiences.  You  can  search  through  the  füll  text  of  this  book  on  the  web 


at|http  :  //books  .  google  .  com/ 


► 


UNIVERSITY  OF  CALIFORNIA 

SAN  FRANCISCO  MEDICAL  CENTER 

LIBRARY 


^ALBRECHT  VON  GRiEFE'8 
ARCHIV 

FÜR 

OPHTHALMOLOGIE, 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

PROF.  TH.  LEBER  Prof.  H.  SATTLER 

IN   HEIDELBERG  IN   LEIPZIG 

UND 

PROF.  H.  SNELLEN 

IN  UTRECHT. 


SIEBENUNDDREISSIGSTER  BAND 

ABTHEILUNG   III. 
MIT  5  FIGUREN  IM  TEXT  UND  9  TAFELN. 


LEIPZIG 

VERLAG   VON  WILHELM  ENGELMANN 
18^1 


lahaltfi-Verzeicliiiiss 

zu 
Band  XXXVII,  3.  Abtheiiung. 

Ausgegebeu  am  2S.  October  1891. 


Seite 


I.  lieber  Ermüdung  und  Erholung  des  Sehorgans.   Von 
Ewald  Heringr,  Professor  der  Physiologie  an  der 

deutschen  Universität  Prag 1 — 36 

II.  £hrlich*s  Methylenblaumethode  und  ihre  Anwendung 
auf  das  Auge.  Von'  Dr.  Friedr.  Hoseh  in  Basel. 
(Mittheilung  aus  dem  normal-anatomischen  Institut 
in  Basel.)    Mit  Taf.  I— II,  Fig.  1-^8 37-54 

III.  Weitere  Grössensch&tzungen  im  Gesichtsfeld.  Von 
*t>r.  R.  Fischer,  Augenarzt  in  Leipzig.  Mit  1  Text- 
figur     55—85 

IV.  Ueber  die  Abflusswege  des  Humor  aqueus.  Experi- 
mentelle und  anatomische  Untersuchungen  von  Dr. 
Carlo  Staderini,  Privatdocenten  an  der  Königl. 
üniversit&t  Siena.   (Aus  dem  Laboratorium  des  Prof. 

H.  Sattler  in  Prag.)    Mit  Taf.  III,  Fig,  1  — 3  .    .    86—124 
V.  Ueber  das  Vorkommen  von  Riesenzellen  und  eitriger 
Exsudation  in  der  Umgebung  des  intraocularen  Cysti- 
cercus.    Von    Dr.   Aagust   Wagenmann,    Privat- 
docenten und  erstem  Assistenten  der  Universit&ts- 

Augenklinik  zu  Heidelberg 125—142 

VI.  Zur  Anatomie  der  Pinguecula.    Von  Prof.  E,  Fachs 

in  Wien.  Mit  Taf.  IV  und  V,  Fig.  1  —  16  .  .  .  143-191 
VII.  Beitrftge  zur  Entstehungsgeschichte  der  angeborenen 
Missbildungen  des  Auges.  Von  Dr.  G.  BlndfleiBeb, 
Assistenzarzt  an  der  Universit&ts- Augenklinik  zu 
Heidelberg.  Mit  Taf.  VI— VIII  und  4  Figuren  im 
Text 192-252 


1231 


IV  Inhalt. 

Seite 

yill.  Eine  eigenthümliche  oberflächliche  Neubildung  der 
Cornea.  Von  Dr.  Eduard  Zirm,  I.  Assistenten  an 
der  I.  Augenklinik  in  Wien.  Mit  Taf.  IX,  Fig.  1—3  253—260 
IX.  Eine  Bemerkung  über  den  Helligkeitssinn,  veran- 
lasst durch  die  Abhandlung  TreiteKs  in  den  letzten 
Heften  dieses  Archivs.  Von  J.  BJerrum  in  Kopen- 
hagen   261—262 

X.  Anmerkung  zu  meiner  in  der  II.  Abtheilung  dieses 
Bandes  veröffentlichten  Mittheilung  „lieber  Sehner- 
ven Veränderung  bei  hochgradiger  Sclerose  der  Ge- 
hirn arterien^S  Von  Dr.  St.  Bernheimer,  Privat- 
docenten  in  Heidelberg 263 — 264 


Ueber  Ermttdimg  und  Erholung  des  Sehorgans. 

Von 

Ewald  Hering, 

Professor  der  Physiologie 

an  der  deutschen  Universit&t  Prag. 


Nach  einer  noch  hente  von  Helmholtz,  A.  Fick  u.  A. 
vertretenen  Ansicht  über  Ermüdung  des  Sehorganes  müsste 
dasselbe,  da  es  bei  offenem  Auge  fortwährend  und  zwar 
aach  von  den  schwarz  erscheinenden  Theilen  des  Gesichts- 
feldes mehr  oder  weniger  Licht  empfängt,  in  seiner  ganzen 
Ausbreitung  ununterbrochen  ermüdet  werden,  so  lange  es 
nicht  gänzlich  verfinstert  ist  Denn  dass  auch  die  schwarz 
erscheinenden  Dinge  noch  hinreichendes  Licht  aussenden, 
um  zu  „ermüden^,  soll  daraus  hervorgehen,  dass  wenn  man 
ein  schwarzes  Object  (Papier,  Tuch,  Sammet)  auf  einen 
fast  vollkommen  licbtfreien  Grund  legt,  z.B.  einen  schwar- 
zen Streifen  über  ein  grösseres  Loch  im  Deckel  eines  tiefen 
mit  schwarzem  Sammet  ausgekleideten  Kastens  brückt  und 
den  Streifen  einige  Zeit  fixirt,  nachher  beim  Blicken  auf 
eine  graue  oder  weisse  Fläche  ein  deutliches  negatives  Nach- 
bild des  Streifens  sichtbar  wird.  Ein  solches  Nachbild  aber 
soll  stets  die  Folge  der  Ermüdung  sein.  Hiernach  könnte 
das  Auge  aus  der  fortwährenden  Ermüdung  gar  nicht  her- 
auskommen; denn  wo  wir  auch  hinblicken,  immer  müsste 
es  ermüdet  werden,  und  die  einzige  Abwechslung  bestände 
darin,  dass  die  Ermüdung  bald  langsamer  bald  schneller 

▼.  Graefe's  ArcUr  fflr  Ophthalmologie.  XXXVII.  3.  1 


2  E.  Hering. 

fortschritte.  Anderseits  ist  es  eine  bekannte  Tfaatsache, 
dass  wir  des  Abends  nicht  merklich  schlechter  sehen  als 
des  Morgens,  und  dass  dies  auch  dann  noch  der  Fall  ist^ 
wenn  dem  Tage  eine  in  hellen  Räumen  durchwachte  Nacht 
und  ein  neuer  schlafloser  Morgen  folgt  Also  einerseits 
fortwährende  Ermüdung  und  zwar  eine  so  schnell  vor  sich 
gehende,  dass  schon  nach  einer  wenige  Secunden  währen- 
den Fixirung  eines  weissen  Objects  auf  dunklem  Grunde 
sich  die  Folgen  der  „Ermüdung*'  durch  ein  deutliches  nega- 
tives Nachbild  yerrathen,  und  anderseits  trotz  solcher  fort- 
währenden raschen  Ermüdung  keine  merkliche  Beeinträch- 
tigung des  Sehens  selbst  bei  tagelanger  Belichtung  der 
Netzhaut. 

Dieser  Widerspruch  fiel  Eugen  Fick  und  A.  Gür- 
ber^)  auf  und  sie  suchten  nach  einer  Lösung  desselben. 
Negatiye  Nachbilder  entstehen  im  Allgemeinen  nur  dann, 
wenn  das  Auge  ruhig  gehalten  wird;  beim  gewöhnlichen 
Sehen  aber  ist  das  Auge  fast  fortwährend  in  Bewegung. 
Hiermit  schien  ihnen  die  Lösung  des  Räthsels  gegeben: 
nur  die  Netzhaut  des  sozusagen  künstlich  festgehaltenen 
Auges  ermüdet,  die  Netzhaut  des  in  natürlicher  Weise  be- 
wegten Auges  aber  ermüdet  nicht.  Ganz  in  üebereinstim- 
mung  hiermit  fanden  sie  die  von  Helmholtz  u,  A.  aufge- 
stellte Ansicht,  dass  Augonbewegungen  die  Nachbilder  d.  h. 
die  Folgen  der  Ermüdung  wieder  zum  Verschwinden  brin- 
gen sollen.  In  den  Bewegungen  schien  also  der  Grund  der 
Unermüdlichkeit  des  in  gewöhnlicher  Weise  benutzten,  näm- 
lich mehr  oder  minder  bewegten  Auges  zu  liegen.  Diese 
Bewegungen  sollen  in  irgend  einer  noch  näher  zu  unter- 
suchenden Weise  den  Blut-  oder  Lymphstrom  befördern 
und  ihm  dasjenige  Ausmaass  geben,  welches  nöthig  ist,  die 
Ermüdungstoffe  der  Netzhaut  immer  in  zureichender  Weise 
fortzuschaffen  und  neue  Nährstoffe  zuzuführen.   Halten  wir 


^)  Ueber  Erholung  der  Netzhaut:  Dies.  Arch.  XXXVI,  2,  S.  246. 


üeber  Ermüdang  and  Erholung  des  Sehorgans.  3 

das  Auge  ruhig,  so  yerlangsamt  sich  sogleich  die  Strömung» 
und  infolge  dessen  ent^ckebi  sich  Ermüdung  und  negative 
Nachbilder. 

So  ungefähr  folgerten  Fick  und  Gürber,  und  schon 
der  erste  Versuch,  den  sie  zur  Prüfung  ihrer  Hypothese 
anstellten,  schien  ihnen  dieselbe  durchaus  zu  bestätigen. 
Sie  fixirten  einen  Buchstaben  einer  Druckseite  so  lange, 
bis  sich  das  Blatt  mit  einem  „NebeP^  überzog,  blickten 
dann  rasch  nach  einem  daneben  liegenden,  sogar  noch  hel- 
ler beleuchteten  weissen  Blatte  und  kehrten  sofort  mit  dem 
Blicke  wieder  zu  dem  zuvor  fixirten  Buchstaben  zurück: 
„der  Nebel  :war  verschwunden^',  obwohl,  wie  sie  hervorheben, 
die  Netzhautstellen,  welche  das  Bild  der  Druckseite  em- 
pfangen hatten,  während  der  Abschweifung  des  Blickes  so- 
gar von  hellerem  Weiss  getroffen  worden  waren  imd  also 
nadi  der  Rückkehr  des  Blickes  zum  früheren  Orte  noch 
stärker  „ermüdet^  sein  mussten,  ak  wenn  die  Fixirung  des 
Buchstabens  ununterbrochen  fortgedauert  hätte.  Durch  die 
Augenbewegung  und  die  dadurch  gesteigerte  Saftbewegung 
war,  so  schien  es,  der  Nebel  gleichsam  „weggewischt''  worden. 

In  ganz  anderer  Weise  habe  ich  seinerzeit^)  die  That- 
sache  zu  erklären  versucht,  dass  das  Sehorgan  trotz  lange 
anhaltendem  Gebrauche  functionsfähig  bleibt,  und  noch  vor 
Kurzem')  habe  ich  auseinandergesetzt,  dass  die  Augenbe- 
wegungen als  solche  keinen  nachweisbaren  Einfluss  auf  den 
Verlauf  der  Nachbilder  haben  und  dieselben  nicht  zum  Ver- 
schwinden zu  bringen  vermögen,  wie  dies  auch  Plateau 
und  Aubert  angegeben  haben.  Somit  erwächst  mir  die 
Aufgabe,  für  meine  ältere  Auffassung  gegenüber  der  neuen 
einzutreten,  was  ich  thun  will,  indem  ich  zuerst  die  Haupt- 
versuche von  Fiok  und  Gürber  erörtere  und   zweckent- 


^)  Zur  Lehre  vom  Lichtsinn.  Sitzungsberichte  der  Wiener  Aca- 
demie  1872—1874. 

*)  Zeitschrift  fflr  Psychologie  und  Physiologie  der  Sinnesorgane. 
L  Bd.  S.  20—23. 


4  £.  Hering. 

entsprechende  Abänderungen  derselben  beschreibe,  weiterhin 
aus  älteren  hierher  gehörigen  Erfahrungen  Einiges  mit- 
theile und  endlich  jene  Erklärung  der  ünermüdlichkeit  des 
Sehorgans  kurz  entwickle,  welche  sich  aus  der  von  mir 
vertretenen  Theorie  des  Lichtsinns  ergiebt. 


Fiok  und  Gürber's  Hauptversuche. 

Wenn  man  auf  einem  bedruckten  Blatte  einen  bestimm- 
ten Punkt  eines  Buchstabens  unter  Vermeidung  des  Lid- 
schlages fest  fixirt,  so  bemerkt  man  bald,  dass  die  Buch- 
staben an  Schwärze  verlieren.  Der  minder  Geübte  verdecke 
mit  einem  unbedruckten  Blatte  von  gleicher  Weisse  die 
eine  Hälfte  des  bedruckten  und  fixire  einen  bestimmten 
Punkt  eines  Buchstabens  in  der  Nähe  der  Grenzlinie  des 
unbedruckten.  Zieht  er  nach  10—20  Secunden  das  weisse 
Blatt  weg,  ohne  die  Augen  irgend  zu  verschieben,  so  wer- 
den ihm  die  zuvor  verdeckt  gewesenen  Buchstaben  merk- 
lich schwärzer  und,  besonders  bei  sehr  kleiner  Schrift,  auch 
deutlicher  erscheinen,  als  die  übrigen,  schon  länger  sicht- 
bar gewesenen,  lieber  der  unbedeckt  gewesenen  Hälfte 
des  Blattes  scheint  ein  leichter  Nebel  zu  liegen,  weil  Grund 
und  Buchstaben  nicht  mehr  so  auffallend  in  ihrer  Hellig- 
keit verschieden  sind  und  sich  minder  scharf  von  einander 
abheben. 

Bei  längerer  Dauer  des  Fixirens  zeigt  sich  dann  in 
mehr  oder  minder  schneller  Wiederholung  ein  Aufleuchten 
heller  Ränder  an  einer  Seite  der  Buchstaben,  bald  nach 
rechts,  bald  nach  links,  nach  oben  oder  unten  von  den 
Buchstaben.  Dies  ist  die  bekannte  Folge  jener  unwillkür- 
lichen kleinen  Augenbewegungen,  welche  auch  beim  soge- 
nannten festen  Fixiren  stets  mehr  oder  weniger  vorhanden 
sind,  aber  anfangs  nicht  merklich  werden,  theils  weil  sie 


Ueber  ErmaduDg  und  Erholung  des  Sehorgan    . 

noch  kleiner  und  seltener  siDd,  theils  weil  sie  sich  eben 
erst  durch  das  Aufleuchten  der  Ränder  verrathen,  welches 
eine  längere  Fixation  zur  Voraussetzung  hat  Letzteres  er- 
kennt num  wieder  am  besten,  wenn  man  z.  B.  die  rechte 
Hälfte  der  Seite  mit  dem  weissen  Blatte  yerdeckt,  dann  so 
lange  fixirt«  bis  das  Aufleuchten  sich  zeigt,  und  nun  das 
Blatt  wegzieht,  ohne  die  Fixirung  zu  unterbrechen:  die  nun 
sichtbar  gewordenen  Buchstaben  zeigen  zunächst  keine  Spur 
von  Aufleuchten,  während  dasselbe  an  den  schon  vorher 
sichtbar  gewesenen  immer  deutlicher  wird. 

Dieses  sich  gleichsam  ruckweise  wiederholende  Auf- 
leuchten heller  Säume  bringt  nun  eine  immer  mehr  wach- 
sende Unruhe  in  das  Gesichtsfeld,  die  Buchstaben  und  die 
hellen  Säume  scheinen  wohl  auch  kleine  Bewegungen  zu 
machen,  als  ob  sie  schwankten.  In  dem  Maasse  als  das 
Aufleuchten  deutlicher  wird,  verliert  auch  das  zwischen  den 
Buchstaben  liegende  Weiss  des  Grundes  merklich  an  Hellig- 
keit und  erscheint  neben  den  hellweissen  Säumen  mehr 
grauweiss.  Man  hat  bei  alledem  das  Gefühl  einer  Art 
Blendung,  wozu  sich  ein  lästiges  Gefühl  von  Druck,  Span- 
nung xmd  Wärme  in  den  Augen  gesellt.  Es  hängt  von  der 
Stimmung  des  Sehorgans  und  von  der  Beleuchtung  ab,  ob 
die  beschriebenen  Erscheinungen  sich  mehr  oder  minder 
rasch  entwickeln.  Auch  ist  man  zum  festen  Fixiren  bald 
mehr  bald  weniger  befähigt. 

Ich  sagte  oben,  dass  man  einen  bestimmten  Punkt  eines 
Buchstabens  fixiren,  nicht  bloss  einen  Buchstaben  überhaupt 
ins  Auge  fassen  solle.  Denn  wenn  man  den  Blickpunkt 
innerhalb  desselben  Buchstabens  immer  wieder  wechselt,  so 
ist  es  nicht  möglich,  das  ganze  beschriebene  Phänomen  so 
schnell  und  deutlich  sich  entwickeln  zu  sehen. 

Hat  man  einen  Punkt  so  lange  fixirt,  bis  die  Buch- 
staben deutlich  an  Schwärze  verloren  haben  und  verlegt 
sodann  den  Blickpunkt  durch  eine  entsprechend  kleine  Au- 
genbewegung zwischen  zwei  Zeilen,  so  erscheinen  die  Buch- 


6  E.  Hering. 

Stäben  plötzlich  wieder  schwarz,  weil  ihre  Bilder  auf  Netz- 
hautstellen  rücken,  auf  denen  sich  zuvor  der  weisse  Grund 
abbildete;  auch  kann  man  dabei  mehr  oder  minder  deut- 
lich die  helleren  Nachbilder  der  zuvor  fixirten  Buchstaben 
sehen.  Jedenfalls  verschwindet  sofort  der  scheinbare  Nebel, 
der  sich  über  den  Buchstaben  auszubreiten  begonnen  hatte. 
.  Verlegt  man  nach  entsprechend  langer  Fizirung  eines  Punk- 
tes der  einen  Zeile  den  Blickpunkt  auf  die  nächst  untere 
oder  obere  Zeile,  so  sieht  man  deutlich,  dass  schwärzere 
und  mehr  graue  Buchstaben  bezw.  Buchstabentheile  in  re- 
gelloser Folge  nebeneinander  liegen,  weil  die  Nachbilder 
der  Buchstaben  der  erst  fixirten  Zeile  sich  nur  mit  einzel- 
nen Theilen  der  Bachstaben  der  neu  fixirten  Zeile  decken. 
Man  hat  jetzt  nicht  mehr  den  Eindruck  eines  über  der 
Schrift  liegenden  Nebels,  sondern  den  eines  schlechten 
Druckes  mit  ungleichmässig  geschwärzten  Buchstaben. 

Hat  man  einen  Punkt  eines  bedruckten  Blattes  so  lange 
fixirt,  bis  sich  der  „Nebel"  zeigt,  und  nähert  dann,  unter 
Vermeidung  jeder  anderweiten  Verschiebung  des  Blattes, 
dasselbe  dem  Auge,  während  man  denselben  Punkt  unverän- 
dert weiter  fixirt,  so  werden  die  Buchstaben  wieder  schwär- 
zer; ihre  Netzhautbilder  vergrössem  sich  und  rücken  theil- 
weise  oder  ganz  auf  andere  Theile  der  Netzhaut.  Analoges 
findet  statt,  wenn  man  das  Blatt  vom  Auge  entfernt. 

Alle  bis  hierher  beschriebenen  Thatsachen  sind  nur 
weitere  Belege  für  die  alte  Erfahrung,  dass  beim  anhalten- 
den Fixiren  einer  Fläche,  welche  kleine  dunkle  Felder  auf 
hellerem  Grunde  zeigt,  die  dunklen  Felder  sich  allmählich 
aufhellen,  während  der  Grund  zugleich  an  Helligkeit  ver- 
liert, und  dass  nachher  jede  Verschiebung,  Vergrösserung 
oder  Verkleinerung  des  Netzhautbildcs  der  dunklen  Felder 
dieselben  theilweise  oder  gänzlich  wieder  dunkler,  den 
Grund  theilweise  wieder  heller  erscheinen  lässt  Wer  diese 
Erscheinungen  noch  nicht  genauer  aus  eigner  Erfahrung 
kennt,  wird  übrigens  gut  thun,  dieselben  zunächst  unter 


lieber  Ermüdang  und  Erholung  des  Sehorgans.  7 

einfacheren  Bedingungen  zu  beobachten,  wofür  im  IL  Ab- 
schnitte einige  Beispiele  angeführt  sind.  — 

Wenn  E.  Fick  bei  Lampenlicht  einen  Buchstaben  nur 
10  —  20  Secunden  fixirte,  sah  er  bereits  die  ganze  Blatt- 
seite sich  mit  einem  Nebel  überziehen.   Warf  er  dann  den 
Blick  plötzlich  auf  ein  neben  der  Druckseite  liegendes  weis- 
ses Blatt  und  kehrte  sofort  wieder  zu  dem  ,,fixirten  Buch- 
staben" zurück,  so  war  der  Nebel  verschwunden.  Nach  mei- 
nen eigenen  Beobachtungen  ist  hier  streng  zu  unterschei- 
den der  Eindruck,  den  man  erhält,  sobald  der  Blick  in  die 
Nähe  des  wieder  zu  fixirenden  Punktes  gelangt  ist,  ohne 
denselben  doch  bereits  wieder  erfasst  zu  haben,  und  der 
Eindruck,  welchen  man  hat,  sobald  der  Blick  wieder  genau 
die  alte  Lage  eingenommen  hat.    Auch  wenn  man  die  Au- 
genbewegung möglichst  rasch  ausführt,   erfolgt   doch   der 
letzte  Theil  derselben  relativ  langsam.    Sobald  nämlich  bei 
der  raschen  Rückkehr  des  Blickes  der  Buchstabe  oder  viel- 
mehr Punkt,  den  man  wieder  zu  fixiren  hat,  in  Sicht  kommt, 
bremst  man  gleichsam  die  Bewegung,  um  mit  dem  Blicke 
nicht  daneben  zu  treffen,  und  erst  in  diesem  Momente  kann 
man  sich  von  dem  Aussehen  der  Schrift  wieder  eine  ge- 
wisse Rechenschaft  geben.  Die  Schrift  bildet  sich  jetzt  noch 
nicht  wieder  genau  auf  denselben  NetzhautsteUen  ab  und 
kann  schon  deshalb  nicht  so  matt  erscheinen,  wie  unmittel- 
bar vor  der  Bew^ung;  erst  wenn  der  Blick  wirklich  den 
anfänglichen  Fixationspunkt  wieder  erfasst  hat,  ist  das  Aus- 
sehen der  Schrift  maassgebend.   Nun  ist  richtig,  dass  jetzt 
die  Buchstaben  wieder  schwärzer,  minder  nebelig  erschei- 
nen als  vor  Beginn  der  Bewegung;  fixirt  man  aber  jetzt 
weiter,  so  verlieren  sie  viel  schneller,  als  bei  der  ersten 
Fixation,  wieder  an  Schwärze  und  der  „Nebel**  stellt  sich 
viel  eher  ein,  als  damals.    Das  ist  um  so  mehr  der  Fall, 
je  weniger  Zeit  die  Bewegung  in  Anspruch  genommen  hat. 
Es  ist  also  offenbar  von  der  ersten  Fixirung  her  noch  eine 
Aenderung  zurückgeblieben,  d.h.  die  Nachbilder  der  Buch- 


8  £.  Hering. 

Stäben  sind  während  der  Bewegung  nicht  ganz  verschwun- 
den. War  die  erste  Fixirung  eine  längere  gewesen,  so  be- 
merkt man  auch  nach  Ablauf  der  Bewegung  sofort,  dass 
die  Schrift  keineswegs  so  schwarz  und  scharf  erscheint,  wie 
beim  Beginne  des  ganzes  Versuches.  Aber  auch  wenn  die 
Fixirung  nur  10  bis  20  Secunden  dauerte,  kann  man  den 
nach  der  Bewegung  zurückbleibenden  Rest  von  „Ermüdung^ 
leicht  nachweisen,  wenn  man  zuvor  wieder  die  eine  Hälfte 
der  Druckseite  mit  einem  Blatt  von  gleicher  Weisse  be- 
deckt und  einen  Punkt  in  unmittelbarer  Nähe  seiner  Grenz- 
linie fixirt  hat.  Zieht  man  das  Blatt  weg,  sobald  der  Blick 
nach  Ablauf  der  Bewegung  wieder  zum  anfänglichen  Fixa- 
tionspunkte  zurückgekehrt  ist,  so  sieht  man  deutlich,  dass 
die  Buchstaben  der  bedeckt  gewesenen  Seite  schwärzer  er- 
scheinen, als  die  wie  mit  einem  leichten  Nebel  bedeckten 
der  anderen  Seite.  Fehlt  die  Möglichkeit  dieser  Yerglei- 
chung,  so  kann  man  allerdings  unter  Umständen  zu  der 
irrthümlichen  Meinung  kommen,  die  Buchstaben  sähen  nach 
Ablauf  wieder  genau  ebenso  aus,  wie  beim  Beginne  des 
Versuches.  Die  Augenbewegung  ist  also  unter  den  ange- 
gebenen Bedingungen  zwar  im  Stande,  den  „Nebel"  zu  ver- 
mindern, nicht  aber  ihn  ganz  zu  beseitigen.  Es  ist  selbst- 
verständlich, dass  die  Verminderung  des  Nebels  um  so  merk- 
licher sein  muss,  je  länger  die  Abschweifung  des  Blickes 
gedauert  hat;  ich  bedurfte  zur  Ausfuhrung  der  Bewegung 
höchstens  eine  Secunde. 

Es  ist  nun  zu  untersuchen,  ob  eine  solche  vorüber- 
gehende Abschweifung  des  Blickes  vielleicht  nur  dann  ge- 
nügt, die  Nachwirkung  der  Fixirung  gänzlich  zu  beseitigen, 
wenn  man  der  letzteren  eine  kürzere  Dauer,  z.B.  von  nur 
5  Secunden  giebt.  Stellte  ich  den  Versuch  unter  solchen 
Umständen  an,  so  sah  ich  gleichwohl  nach  der  Rückkehr 
des  Blickes  zum  Fixationspunkte  und  nach  Entfernung  des 
erwähnten  weissen  Blattes  immer  noch  einen  ganz  deut- 
lichen Unterschied  beider  Hälften  der  Druckseite  in  dem- 


lieber  Ermadung  and  Erholung  des  Sehorgans.  9 

selben  Sinne  wie  nach  längerer  Fixirung.  Ja  ich  konnte 
die  Dauer  der  Fixirung  noch  weiter  abkürzen,  ohne  dass 
die  Augenbewegung  im  Stande  gewesen  wäre,  die  Nachwir- 
kung einer  solchen  Fixirung  gänzlich  aufzuheben.  Da  je- 
doch schon  bei  einer  Dauer  der  letzteren  von  5  Secunden 
möglicherweise  dem  Einen  oder  Anderen  der  Unterschied 
beider  Hälften  der  Druckseite  nicht  so  merklich  ist,  wie 
mir,  so  empfehle  ich  folgenden  Versuch. 

Nach  einer  Fixirung  von  fünf  Secimden  führe  man 
eine  Augenbewegung  aus,  fixire  dann  wieder  fünf  Secunden, 
mache  wieder  eine  Augenbewegung,  fixire  nochmals  fünf 
Secunden  u.  s,  f.  Wenn  jetzt  jede  einzelne  Augenbewegung 
die  Nachwirkung  der  vorhergegangenen  Fixirung  vollstän- 
dig wieder  beseitigt,  so  können  keine  Reste  der  einzelnen 
Nadhwirkungen  zurückbleiben  und  sich  also  auch  nicht  so- 
zusagen summiren.  Ist  aber  das  Gegentheil  der  Fall,  so 
wird  sich  trotz  der  eingeschalteten  Augenbewegungen  doch 
das  eingangs  beschriebene  Ermüdungsphänomen  entwickelu, 
wenn  auch  langsamer,  als  wenn  die  Fixirung  nicht  durch 
Augenbewegungen  unterbrochen  worden  wäre.  Letzteres 
ist  nun  in  der  That  der  Fall  und  zwar  in  ganz  deutlicher 
Weise. 

Man  fixire  also  einen  bestimmten  Punkt  der  Druck- 
seite, indem  man  nach  dem  Tacte  eines  Secundenpendels 
von  0  bis  5  zählt,  blicke  dann  auf  ein  daneben  liegendes 
weisses  Blatt  und  kehre  sofort  zum  anfänglich  fixirten 
Punkte  zurück,  was  im  Laufe  einer  Secunde  möglich  ist, 
so  dass  der  Blick  mit  dem  Pendelschlag  6  wieder  auf  dem 
bezüglichen  Punkte  liegt.  Nun  fixire  man  weiter  bis  zum 
Pendelschlag  11,  führe  wieder  die  Bewegung  aus,  fixire 
nochmak  bis  zum  Pendelschlage  17  u.8.  f.  Bald  entwickelt 
sich  dann  das  beschriebene  Phänomen,  es  zeigt  sich  allmä- 
lig  der  „Nebel''  und  selbst  bis  zum  beschriebenen  Auf- 
leuchten der  Bandscheine  kann  es  kommen.  Bis  zu  dem- 
selben Grade,  wie  bei  ununterbrochener  Fixirung  lässt  sich 


10  K  Hering. 

das  ErmüduDgspbänomen  nicht  entwickeln,  weil  es  mit  der 
Zeit  immer  langsamer  zunimmt  und  schliesslich  jene  Grenze 
erreicht,  wo  der  kleine  Zuwachs  an  „Ermüdung^*  während 
der  Fixation  durch  die  nachfolgende  Verschiebung  der 
Netzhautbilder  bei  der  Augenbewegung  wieder  aufgehoben 
wird. 

Selbst  wenn  ich  bei  solchen  Versuchen  die  Augenbe- 
wegung  jede  zweite  Secunde  wiederhole,  so  dass  das  Auge 
abwechselnd  eine  Secunde  fixirt  und  eine  Secunde  bewegt 
ist,  bin  ich  nicht  im  Stande,  ein  deutliches  Mattwerden, 
also  das  Auftreten  eines  leichten  „Nebels**  zu  yerhüten,  was 
sich  besonders  dann  ganz  deutlich  zeigt,  wenn  ich  wieder 
die  halbe  Blattseite  mit  einem  gleichweissen  Blatte  verdecke 
und  z.B.  nach  einer  20  Secunden  dauernden  Versuchsreihe, 
also  nach  Einschaltung  yon  10  Augenbewegungen  das  weisse 
Blatt  unmittelbar  nach  Ablauf  der  zehnten  Bewegung  weg- 
ziehe. Bei  so  häufig  unterbrochener  Fixirung  kommt  es 
freilich  nicht  zu  den  höheren  Graden  des  Phänomens,  d.b. 
zum  Aufleuchten  Ton  Randscheinen. 

Nachdem  wir  so  den  Einfluss  der  Augenbewegungen 
auf  das  beschriebene  Phänomen  genauer  kennen  gelernt 
haben,  kommen  wir  zu  der  Frage,  ob  es  die  Augenbewe- 
gung an  sich  ist,  welche  die  Folgen  der  Fixirung  zu  einem 
Theile  wieder  ruckgängig  macht,  oder  ob  es  lediglich  die 
Unterbrechung  der  Fixirung  und  die  während  der  Unter* 
brechung  yeränderte  Belichtung  der  Netzhaut  ist,  oder  ob 
vielleicht  beide  Umstände  in  demselben  Sinne  wirken.  Wäh- 
rend der  Blick  vom  fixirten  Punkte  weg  nach  dem  neben- 
liegenden weissen  Blatte  abschweift,  treten  an  die  Netzhaut- 
stellen, auf  welchen  zuvor  die  Buchstaben  dauernd  abge- 
bildet waren,  in  rascher  Folge  die  Bilder  anderer  Buch- 
staben, hierauf  kurze  Zeit  hindurch  die  gleichmässige  Be- 
lichtung seitens  des  weissen  Blattes,  endlich  bei  der  Rück- 
kehr des  Blickes  abermals  die  rasch  abwechselnden  Bilder 
von  Buchstaben.     Diese  ganze  Folge  von  Eindrücken  lässt 


Ueber  £rmadang  und  Erholung  des  Sehorgans.  11 

sich  auch  herstellen ,  wenn  wir  das  Auge  ganz  unyerrüekt 
festhalten,  dagegen  das  bedruckte  Blatt  unter  dem  fest- 
stehenden Blicke  rasch  zur  Seite  schieben,  das  weisse  Blatt 
an  seine  Stelle  treten  lassen  und  sofort  das  bedruckte  Blatt 
wieder  in  die  alte  Lage  zurückschieben.  Diese  Bewegung 
der  Blätter  haben  wir  beiläufig  mit  derselben  Geschwindig* 
keit  auszufuhren,  mit  welcher  zuvor  die  Blickbewegung  voll- 
zogen wurde.  Ich  erreichte  dies  Alles  in  folgender  ein- 
facher Weise. 

Auf  eine  kleine  ebene  Papptafel  wurde  ein  bedrucktes 
und  ein  weisses  Blatt  aufgeklebt,  so  dass  ersteres  die  rechte, 
letzteres  die  linke  Hälfte  der  Pappe  bedeckte.  An  der 
Schmalseite  eines  dicht  neben  einem  Fenster  stehenden 
hohen  Schrankes  war  eine  lange,  sehr  dünne  Latte  aus 
hartem  Holze  so  aufgehängt,  dass  sie  um  einen  durch  ihr 
oberes  Endstück  gehenden  Drahtstift  als  Axe  hin  und  her- 
pendeln konnte.  Am  unteren  Endstück  der  Latte  wurde 
die  Papptafel  befestigt  Dieselbe  trug  nach  rechts  hin  einen 
Fortsatz,  an  welchem  man  sie  fassen  und  auf  der  Wand 
des  Schrankes  als  Unterlage  nach  rechts  und  wieder  in  die 
Mittellage  zurückschieben  konnte.  Eine  Verschiebung  nach 
links  war  durch  eine  Hemmung  unmöglich  gemacht  Dicht 
über  der  Pappe  war  eine  grosse  Glasscheibe  so  an  der 
Schrankwand  befestigt,  dass  die  Papptafel  bei  ihren  Bewe- 
gungen dicht  unter  dem  Glase  hinglitt  Die  Hinterfläche 
der  Glastafel  trug  einen  kleinen  schwarzen  Punkt,  welcher 
der  Mitte  des  bedruckten  Blattes  entsprach,  wenn  die  Papp- 
tafel sich  in  der  Mittellage  befand  und  also  die  Latte  senk- 
recht herabhing.  Fizirte  ich  diesen  Punkt  und  verschob 
sodann  die  Pappe  unter  der  Glastafel  soweit  nach  rechts, 
bis  die  Mitte  des  unbedruckten  Blattes  unter  den  fixirten 
Punkt  zu  liegen  kam,  so  verschoben  sich  die  Bilder  auf 
der  Netzhaut  in  ganz  analoger  Weise,  wie  wenn  ich  die 
Papptafel  unbewegt  liess  und  den  Blick  von  der  Mitte  des 
bedruckten  zur  Mitte  des  unbedruckten  Blattes  bewegte. 


12  E.  Hering. 

Ich  stellte  nun  zunächst  fest,  wieviel  Zeit  eine  rasche 
Bewegung  meines  Blickes  von  der  Mitte  des  einen  Blattes 
zur  Mitte  des  anderen  und  wieder  zurück  in  Anspruch  nahm. 
Es  stellte  sich  heraus,  dass  ich  zu  zwanzig  solchen  Hin* 
und  Herbewegungen  b.eiläufig  zwanzig  Secunden  brauchte 
so  dass  auf  jede  einzelne  etwa  eine  Secunde  entfiel.  So* 
dann  wiederholte  ich  zuerst  mit  Benützung  des  Secunden- 
pendels  die  oben  beschriebenen  Versuche,  indem  ich  wie 
dort  die  Papptafel  unbewegt  liess,  z.  B.  20  Secunden  fixirte 
und  dann  die  Augenbewegung  ausführte,  oder  indem  ich 
eine  längere  Fixation  während  jeder  sechsten  Secunde  durch 
eine  Augenbewegung  unterbrach  u.  s.  f.  Sodaim  wiederholte 
ich  genau  die  analogen  Versuche  mit  völlig  unbewegten 
Augen,  indem  ich  nach  einer  Fixirung  von  20  Secunden 
die  Papptafel  während  der  nächsten  Secunde  nach  rechts 
und  wieder  zurückschob,  oder  bei  ununterbrochener  Fixi« 
rung  in  jeder  sechsten  Secunde  eine  Bewegung  der  Papp- 
tafel ausführte. 

Wenn  man  bei  diesen  Versuchen  während  der  Bewe- 
gung der  Papptafel  seine  Aufmerksamkeit  nicht  vorwiegend 
auf  den  schwarzen  Punkt  der  Glastafel  richtet,  sondern  zu 
viel  auf  die  Buchstaben  achtet,  so  erfolgt  leicht  eine  unge- 
wollte Augenbewegung,  indem  die  bewegten  Buchstaben  den 
Blick  gleichsam  nachziehen;  man  lernt  aber  sehr  bald  die 
Augen  trotz  der  Bewegung  der  Tafel  festzuhalten.  Nach 
jeder  Hin-  und  Herbewegung  der  Tafel  kommt  dieselbe 
wieder  ganz  genau  in  die  anfängliche  Lage  und  die  Buch- 
staben bilden  sich  wieder  genau  auf  denselben  Netzhaut- 
stelleu ab,  wie  vor  der  Bewegung. 

Bei  diesen  Versuchen  zeigte  sich,  dass  es  für  die 
Entwickelung  und  den  Verlauf  der  sogenannten  Er- 
müdungserscheinungen ganz  gleichgültig  ist,  ob 
man  die  Tafel  unbewegt  lässt  und  die  Augen  be- 
wegt oder  umgekehrt:  dass  also  nicht  die  Augen- 
bewegung als  solche,  sondern  lediglich  die  durch 


üeber  Ermüdung  und  Erbolang  des  Sehorgans.  13 

diese  Bewegung  veränderte  Belichtung  der  Netz* 
haut  die  Nachwirkungen  der  Fixirung  zum  Theil 
wieder  beseitigt. 

Hat  man  den  Punkt  auf  der  Glastafel  so  lange  fixirt,  bis 
sich  der  „NeheP  entwickelt  hat,  und  verschiebt  dann  die  Papp- 
tafel ein  wenig,  während  die  Augen  jenen  Punkt  weiter  fixiren, 
80  sieht  man  die  Buchstaben  theilweise  wieder  schwärzer  wer- 
den, wie  dies  oben  als  Folge  einer  entsprechend  kleinen  Yer- 
Bchiebung  des  Blickpunktes  beschrieben  wurde.  Hemmt  man 
bei  der  beschriebenen  Hin-  und  Herbewegung  der  Tafel  ihre 
Bewegung  beim  Rückgange  ein  wenig,  sobald  sie  der  Anfangs- 
lage bereits  nahe  ist,  so  erscheinen  ebenfalls  die  Buchstaben 
theilweise  schwärzer  als  unmittelbar  nachher,  wenn  die  Papp- 
tafel wieder  genau  in  die  alte  Lage  gekommen  ist  und  die 
Ketzhautbilder  der  Buchstaben  wieder  genau  auf  dieselben 
Stellen  fallen.  Auch  hier  verhält  sich  Alles  ebenso,  wie  wenn 
man  nach  einer  der  beschriebenen  Blickbewegungen  die  Bewe- 
gung zu  hemmen  beginnt,  noch  ehe  der  Blick  den  anfänglichen 
Fixationspunkt  wieder  erfasst  hat. 

Die  Yermuthung  Fick's  und  Gürber's,  dass  die  Au- 
genbewegungen als  solche  eine  »JErmüdung^^  des  Auges  wie- 
der zu  beseitigen  vermögen,  hat  sich  also  bei  genauerer 
Untersuchung  des  von  ihnen  beschriebenen  Phänomens  als 
nicht  begründet  erwiesen.  Ganz  ebenso  verhält  es  sich  mit 
dem  Lidschlage,  welchem  die  Genannten  eine  ähnliche  Rolle 
zuschreiben,  wie  den  Bewegungen  des  Augapfels.  Auch  hier 
lässt  sich  leicht  zeigen,  dass  der  Lidschlag,  weil  er  dem 
Auge  eine  kurz  vorübergehende  Erholung  gewährt,  die 
„Ermüdung**  zwar  ein  wenig  zu  verzögern,  aber  durchaus 
nicht  zu  beseitigen  vermag. 

„Man  fixire,  sagt  E.  Fick,  einen  Buchstaben,  bis  die 
ganze  Blattseite  trübe  erscheint;  nun  blinzle  man;  der  Nebel 
ist  verschwunden!  Freilich  kehrt  er  bei  fortgesetztem  Fixiren 
bald  wieder,  weit  schneller  als  wenn  man  ihn  durch  eine  Au- 
genbewegung ausgelöscht  hätte.  Immerhin  ist  der  Yersuch  voll- 
kommen überzeugend,  da  kurzes  Yerschieben  eines  schwarzen 
Schirmes  vor  die  fixirte  Blattseite  den  Nebel  nicht  auslöscht. 
Von  einem  Homhautnebel   kann  hierbei  gar   nicht  die  Rede 


14  £.  Hering. 

sein,  da  man  den  fraglichen  Nebel  durch  Angenbewegong  noch 
gründlicher  wegwischen  kann  als  durch  Lidschlag.  Es  ist  also 
klar,  dass  der  Lidschlag,  ähnlich  wie  die  Augenbewegnngen,  im 
Stande  ist,  die  ermüdende  Netzhaut  zu  erholen/^ 

Wenn  ich  einen  bestimmten  Punkt  eines  Buchstabens 
fixire  und  nach  dem  Schlage  eines  Secundenpendels  jede 
fünfte  Secunde  einen  Lidschlag  ausführe,  so  entwickelt  sich 
mir  nicht  nur  der  beschriebene  Nebel ,  sondern  ich  sehe 
nach  etwa  60  Secunden  auch  das  Aufleuchten  der  hellen 
Säume  ganz  deutlich.  Blicke  ich  dann  nach  einer  ganz 
homogenen  weissen  Fläche,  so  sehe  ich  deutlich  die  hellen 
negativen  Nachbilder  der  Buchstaben,  wenn  sie  auch  nicht 
so  scharf  sind,  dass  ich  die  Schrift  im  Nachbilde  lesen  kaim. 
Bei  grösserer  Schrift  gelingt  mir  übrigens  auch  letzteres 
sehr  leicht.  Die  Entwickelung  des  „Nebels",  des  Aufleuch- 
tens und  der  Nachbilder  erfolgt  freilich  merklich  langsamer, 
als  beim  Fixiren  ohne  Lidschlag. 

Bedecke  ich  die  Hälfte  des  bedruckten  Blattes  wieder 
mit  einem  gleichweissen  Blatte  und  fixire  einen  Punkt  eines 
am  Rande  dieses  Blattes  gelegenen  Buchstabens,  mache 
dann  jede  Secunde  einen  Lidschlag  und  ziehe  nach  zehn 
Secunden  das  weisse  Blatt  weg,  so  sehe  ich  ganz  unver- 
kennbar, dass  auf  der  unbedeckt  gewesenen  Blatthälfte  die 
Schrift  trüber  erscheint,  als  auf  der  anderen.  Setze  ich 
einen  solchen  Versuch  20 — 30  Secunden  fort,  so  ist  der 
„Nebel"  auf  der  imbedeckt  gewesenen  Seite  natürlich  ent- 
sprechend deutlicher. 

Dies  Alles  beweist  zur  Genüge,  dass  sich  die  Folgen 
der  „Ermüdung",  wenn  sie  nicht  sehr  geringfügige  sind, 
durch  Lidschlag  nicht  beseitigen  lassen.  Lisbesondere  ist 
dies  nach  einer  Fixirungsdauer  von  20  Secunden  auch  nicht 
entfernt  möglicL  Nur  wenn  man  nach  Entstehung  eines 
deutlichen  „Nebels"  den  Lidschlag  so  vollzieht,  dass  der 
Blick  nach  Ablauf  desselben  nicht  wieder  genau  auf  den- 
selben Punkt  des  fixirt  gewesenen  Buchstabens  fallt  oder 


Ueber  Ermüdung  und  Erholung  des  Sehorgans.  15 

gar  neben  den  letzteren  oder  auf  einen  anderen  Buchstaben 
zu  liegen  kommt,  verschwindet  der  „Nebel^S  weil  sich  jetzt 
die  Buchstaben  nicht  wieder  genau  auf  denselben  Netzhaut- 
steilen  abbilden,  wie  dies  oben  bereits  erörtert  wurde.  Jeder 
Lidschlag  verschiebt  auch  den  Augapfel  ein  wenig,  wie  man 
sich  leicht  mit  Hülfe  der  negativen  Nachbilder  überzeugen 
kann  (s.  u.). 

Dass  auch  die  Accommodationsbewegungen  nidit,  wie 
Fick  und  Gürber  meinen,  die  Folgen  der  „Ermüdung**  zu 
beseitigen  vormögen,  wird  weiter  unten  ausführlich  gezeigt 
werden. 


IL 

Bm&chere  Versuche  zum  Beweise  der  Unabhängigkeit 
der  Nachbilder  von  Augenbewegungen. 

Schon  bei  meinen  ersten  Untersuchungen  über  den 
Raumsinn  und  die  Bewegungen  des  Auges  habe  ich  mich 
vielfach  der  Nachbilder  als  eines  methodischen  Hülfsmittels 
bedient  und  mich  davon  überzeugen  können,  dass  weder 
Augenbewegungen  noch  Accommodation,  insoweit  sie  nicht 
von  Veränderungen  der  Netzhautbelichtung  begleitet  sind, 
auf  die  Nachbilder  einen  merklichen  Einfluss  haben.  Später 
habe  ich  die  Entstehung  und  den  Verlauf  der  negativen 
Nachbilder  eingehend  untersucht  und  dabei  wieder  zahl- 
reiche hierhergehörige  Erfahrungen  gemacht.  Mir  schien 
daher  die  vorliegende  Frage  längst  entschieden.  Gleichwohl 
fiihlte  ich  mich  verpflichtet,  auch  an  den  von  Fick  und 
Gürber  gewählten  Beispielen  zu  zeigen,  dass  der  Verlauf 
der  sogenannten  Ermüdungserscheinungen  von  den  Bewe- 
gungen des  Auges  unabhängig  ist. 

Ich  wiU  noch  einige  Versuche  auswählen,  welche  dies 
in  einfadherer  Weise  und  noch  eindringlicher  darthun,  als 
die  oben  erörterten. 


16  K  Hering. 

Bringt  man  auf  einer  ganz  ebenen  und  mögliehst  ho- 
mogenen weissen  Fläche  einen  dunklen  Fleck  an,  z.  B.  eine 
kleine  Scheibe  dünnen  mattschwarzen  Papiers,  und  fixirt 
einen  Punkt  derselben,  so  übernimmt  die  schwarze  Scheibe 
dieselbe  Rolle  wie  bei  den  Versuchen  von  Fick  und  Gar- 
be r  die  schwarzen  Buchstaben,  nur  lassen  sich  die  Folgen 
der  Fixirung  jetzt  viel  leichter  beobachten;  auch  bleibt  das 
Netzhautbild  der  Scheibe  beim  Fixiren  trotz  kleinen  unwill- 
kürlichen Augenbewegungen  nahezu  auf  derselben  Netz- 
hautstelle, während  die  schmalen  Striche  der  kleinen  Buch- 
staben leicht  auf  vorher  weissbeleuchtete  Netzhautstellen 
verschoben  werden. 

Fixire  ich  10  bis  20  Secunden  lang  einen  Punkt  der 
Scheibe,  wie  dies  Fick  mit  den  Buchstaben  that,  richte 
dann  schnell  den  Blick  auf  eine  erheblich  abseits  liegende 
Stelle,  führe  ihn  aber  sofort  wieder  in  die  Nähe  der  Scheibe 
zurück  und  fixire  einen  in  der  Nähe  derselben  schon  vor- 
her markirten  Punkt  des  weissen  Grundes,  so  sehe  ich  jetzt 
im  Umkreise  des  Punktes  das  deutliche  helle  Nachbild  der 
Scheibe.  Die  Augenbewegung  hat  also  dasselbe  nicht  zum 
Verschwinden  gebracht,  auch  wenn  sie  ebenso  gross  oder 
noch  grösser  war,  als  bei  den  eingangs  beschriebenen  Ver- 
suchen. Das  Nachbild  hat  seine  bestimmte  Dauer;  inner- 
halb derselben  kann  ich  die  beschriebene  Augenbewegung 
beliebig  oft,  z.  B.  zehnmal  wiederholen  und  doch  sehe  ich 
nach  der  letzten  Rückkehr  des  Blickes  und  sobald  derselbe 
wieder  den  erwähnten  Punkt  fixirt,  immer  noch  das  Nach- 
bild, wenn  auch  schwach  und  minder  deutlich.  Zehn  Au- 
genbewegungen konnten  also  das  Nachbild  ebenfalls  nicht 
auslöschen.  Fixire  ich  die  Scheibe  nur  fünf  Secunden  und 
führe  dann  eine  Augenbewegung  aus,  so  sehe  ich  doch  wie- 
der das  Nachbild.  Ganz  analoge  Versuche  lassen  sich  mit 
einer  weissen  Scheibe  auf  schwarzem  Grunde  und  mit  einer 
grauen  auf  weissem  oder  schwarzen  Grunde  ausfuhren.  Je 
grösser  der  Helligkeitsunterschied  zwischen  der  Scheibe  und 


Ueber  Ermüdung  und  Erholung  des  Sehorgans.  17 

dem  Grande  ist  und  je  länger  die  Fixirung  dauert,  desto 
dauerhafter  ist  nachher  das  Nachbild,  möge  man  nun  Au- 
genbewegungen ausführen  oder  nicht. 

Auch  die  Entstehung  eines  deutlichen  Nachbildes 
lässt  sich  durch  Augenbewegungen  nicht  hindern.  Fixire 
ich  einen  bestimmten  Punkt  der  schwarzen  Scheibe  auf 
weissem  Grunde  nach  dem  Tacte  eines  Secundenpendels 
eine  Secunde  lang,  mache  nach  dem  zweiten  Pendelschlage 
rasch  eine  Augenbewegung  in  dem  von  Fick  gewählten 
Ausmaasse,  fixire  wieder  während  der  dritten  Secunde,  mache 
nach  dem  vierten  Pendelschlage  abermals  eine  Bewegung 
u.  s.  f.  bis  etwa  zum  zwanzigsten  Pendelschlage,  so  sehe  ich, 
wenn  ich  nunmehr  einen  Punkt  der  weissen  Fläche  fixire, 
ein  deutliches  helles  Nachbild,  dessen  allmälige  Entwicke- 
lung  ich  übrigens  noch  während  des  Versuchs  sehr  gut  be- 
merke, weil  es  sich  schon  nach  wenigen  Pendelschlägen 
immer  in  dem  Momente  zeigt,  wo  der  rasch  seitwärts  ab- 
gelenkte Blick  anhält,  um  zur  Scheibe  zurückzukehren. 

In  den  ersten  Paragraphen  meiner  Mittheilungen  „zur 
Lehre  vom  Lichtsinn''  habe  ich  eine  Reihe  yon  Erscheinuii- 
gen  besprochen,  welche  man  an  Nachbildern  im  geschlosse- 
nen und  verdunkelten  Auge  beobachtet.  Ich  hatte  bei  sol- 
chen Versuchen  reiche  Gelegenheit  festzustellen,  dass  Au- 
genbewegungen den  gesetzmässigen  Verlauf  dieser  Nach- 
bilder gar  nicht  merklich  beeinflussen.  Auch  habe  ich  zahl- 
reiche Versuche  in  einem  Zimmer  angestellt,  welches  voll- 
ständig verdunkelt  werden  konnte,  nachdem  ich  mir  das 
Nachbild  erzeugt  hatte.  Hier  hatte  ich  den  Vortheil,  die 
Augenbewegungen  bei  ebenfalls  offenen  Augen  ausführen 
zu  können.  Nie  war  es  mir  möglich,  ein  irgend  deutliches 
Nachbild  durch  Augenbewegungen,  auch  wenn  sie  ungewöhn- 
lich gross  und  lebhaft  waren,  zum  Verschwinden  zu  brin- 
gen. Wenn  man  freilich  eine  Bewegung  gerade  dann  aus- 
führt, wenn  das  Nachbild  ganz  von  selbst  im  Verschwinden 
begriffen  ist,  so  kann  es  zufällig  während  der  Bewegung 

T.  Graefe's  Archiv  für  Ophthalmologie.  XXXVII.  3.  2 


18  K  Hering. 

YoUeuds  verschwindon.  Doch  kehrt  es  wieder,  wenn  dieses 
Verschwinden  nach  dem  Gesetze  des  Nachbildverlaufs  nicht 
sein  letztes  Verschwinden  war  ^).  Möglich,  dass  für  Manche 
ein  äusserst  schwaches  Nachbild  unbemerklich  wird,  wenn 
ihre  Aufmerksamkeit  wegen  der  auszuführenden  Bewegung 
getheilt  ist,  aber  dies  hätte  mit  der  hier  vorliegenden  Frage 
nichts  zu  thun. 

E.  Fick  sagt,  „dass  es  sich  bei  geschlossenem  Auge 
in  der  Regel  um  positive  Nachbilder  handle^S  und  dass  er 
das  Erlöschen  durch  Augenbewegungen  nur  von  negativea 
Nachbildern  behaupte.  Aber  es  steht  doch  ganz  im  Be- 
lieben des  Experimentirenden,  sich  entweder  positive  oder 
negative  Nachbilder  zu  erzeugen.  Gesunde  Augen  erhalten 
von  jedem  hellen  Objecto  auf  dunklem  Grunde  (oder  um- 
gekehrt), wenn  sie  es  10,  20  oder  30  Secunden  fixiren,  in 
dem  verdunkelten  Auge  ein  negatives  Nachbild,  vorausge- 
setzt, dass  die  Helligkeit  des  Objectes  oder  Grundes  keine 
leuchtende  war,  wie  z.B.  die  einer  Flamme  oder  Lampen- 
glocke, in  welchem  Falle  auch  deutliche  positive  Phasen  des 
Nachbildes  auftreten.  An  den  ersterwähnten  Nachbildern 
aber  erfordert  es  sogar  besondere  Aufmerksamkeit  wahrzu- 
nehmen, dass  das  negative  Nachbild  nach  längerem  Beste- 
hen nicht  bloss  vorübergehend  verschwindet,  sondern  dass 
sich  zwischen  sein  Verschwinden  und  eventuelles  Wieder- 
erscheinen eine  schwache  positive  Phase  einschiebt,  die  frei- 
lich oft  genug  überhaupt  nicht  merklich  wird.  Im  Obigen 
habe  ich  immer  nur  von  negativen  Nachbildern  gesprochen, 
weil  Fick  und  Gürber  nur  solche  im  Sinne  hatten. 


')  Interessant  ist  bei  solchen  Versuchen  die  geringe  scheinbare 
Ortsver&nderung,  welche  das  Nachbild  erfährt,  selbst  wenn  man  sehr 
ausgiebige  Augenbewegungen  macht;  man  erh&lt  bei  starken  Blick- 
wendungen den  Eindruck,  als  läge  der  vermeintlich  fizirte  Punkt  des 
dunklen  Gesichtsfeldes  viel  weiter  seitwärts  als  das  der  Netzhaut- 
mitte entsprechende  Nachbild. 


Ueber  ErmQdang  und  Erholung  des  Sehorgans.  IQ 

Schon  Aubert^)  hat  bemerkt,  dass  wenn  er  sich  das 
Nachbild  mehrerer  Quadrate  auf  andersfarbigem  Grunde 
erzeugt  hatte,  die  Nachbilder  der  einzelnen  Quadrate  nicht 
gleichzeitig  verschwanden  bezw.  wieder  auftauchten,  was  eben- 
falls zeigt,  dass  das  Verschwinden  nicht  auf  Augenbewegungen 
zurückzuführen  ist,  weil  ja  sonst  diese  Bewegung  alle  Nachbil- 
der, die  nicht  allzu  energisch  sind,  zugleich  „wegwischen^*  würde. 
Ein  nur  theilweises  Verschwinden  und  Wiederauftauchen  eines 
Nachbildes  oder  Nachbildercomplexes  ist  überhaupt  etwas 
sehr  Gewöhnliches.  Ich  habe  dasselbe  auch  willkürlich  in 
folgender  Weise  herbeigeführt:  Neben  einen  schwarzen  Punkt 
auf  einer  weissen  Fläche  legte  ich  z.  B.  in  5  mm  Abstand 
vom  Punkte  einen  centimeterbreiten  kurzen  Streifen  von 
schwarzem  Papier  und  fixirte  den  schwarzen  Punkt  zehn 
Secunden.  Mit  Beginn  der  elften  Secunde  brachte  ich  schnell 
einen  ganz  gleichen  Streifen  auf  die  andere  Seite  des  immer- 
fort fixirten  Punktes,  so  dass  der  Streifen  von  letzterem 
ebenfalls  um  5  mm  abseits  und  dem  ersten  parallel  lag. 
Nach  weiteren  10  Secunden  entfernte  ich  rasch  den  ersten 
Streifen  und  fixirte  dann  den  Punkt  noch  10  Secunden 
weiter.  So  kamen  also  auf  jeden  Streifen  20  Secunden  Ex- 
positionszeit, aber  beide  Expositionszeiten  waren  um  10  Se- 
cunden gegeneinander  verschoben.  Infolgedessen  liefen  nun 
auch  die  verschiedenen  Phasen  beider  Nachbilder  nicht 
gleichzeitig  ab,  gleichviel  ob  ich  nachher  die  Augen  ge- 
schlossen oder  auf  eine  homogene  Fläche  gerichtet  hatte. 
Solche  Versuche  lehren  nun  aufs  Eindringlichste  die  Un- 
richtigkeit der  Ansicht  von  Helmholtz,  dass  das  vorüber- 
gehende Verschwinden  der  Nachbilder  auf  Augenbewegun- 
gen oder  anderen  Zufälligkeiten  beruhe  und  also  keine  ge- 
setzmässige,  im  Wesen  der  Nachbilder  selbst  begründete 
Erscheinung  sei,  weil  jedes  der  beiden  Nachbilder  für  sich 
und  ganz  unabhängig  von  den  Augenbewegungen  seine  ver- 


>)  Physiologie  der  Netzhaut  S.  375. 

2* 


20  £•  Hering. 

schiedenen  Phasen  durchläuft.  Mit  Hülfe  kleiner  mechani- 
scher Kunstgriffe  lassen  sich  solche  Versuche,  die  auch  in 
anderen  Beziehungen  sehr  belehrend  sind,  auf  ganz  exacte 
Weise  ausfuhren. 

Die  Ansicht,  dass  Nachbilder  durch  Augenbewegungen 
zum  Verschwinden  gebracht  werden  können,  ist  offenbar 
dadurch  entstanden,  dass  bei  Blickbewegungen  mit  offenen 
Augen  und  in  einem  mit  allerlei  Unterscheidbaren  erfüllten 
Gesichtsfelde  ein  zuvor  erzeugtes  Nachbild  immer  nur  dann 
gesehen  wird,  wenn  der  Blick  eben  still  hält,  und  dass  es 
dabei  jedesmal  von  neuem  zu  entstehen  scheint.  Dies  würde 
freilich  nicht  für,  sondern  nur  gegen  £.  F ick 's  Hypothese 
angeführt  werden  können.  Denn  dass  das  Nachbild  nach 
einer  Augenbewegung  wieder  gesehen  w^ird,  beweist,  dass 
die  sogen.  Ermüdungserscheinungen  durch  die  Bewegmig 
nicht  beseitigt  w^erden  können. 

Der  Vorgang  bei  einer  Bewegung  der  offenen  Augen 
ist  gewöhnlich  folgender:  Ein  mehr  oder  minder  indirect 
gesehenes  Object  zieht  unwillkürlich  imsere  Aufmerksam- 
keit auf  sich  oder  wird  von  vorn  herein  willkürlich  zum 
Gegenstande  derselben  gemacht.  Hierdurch  wird  dieses  zu- 
nächst indirect  gesehene  Object  zum  Zielpunkte  einer  Be- 
wegung der  Augen,  welche  sozusagen  ganz  von  selbst  der 
Ortsveränderung  der  Aufmerksamkeit  folgen.  Die  Bewegung 
selbst  erfolgt  sehr  rasch  und  sozusagen  in  einem  Sprunge. 
Entsprechend  rasch  gleiten  die  Netzhautbilder  über  die 
Netzhaut,  viel  zu  rasch,  um  eine  Unterscheidung  der  be- 
züglichen Objecte  zu  gestatten.  Thatsächlich  unterscheidet 
man  dieselben  nur  vor  Beginn  und  gegen  Ende  oder  nach 
Ende  der  Bewegung,  im  indirecten  oder  directen  Sehen. 
Giebt  man  sich  Mühe,  die  zwischen  dem  Ausgangs-  und 
Endpunkt  einer  Blickbahn  gelegenen  Dinge  zu  unterschei- 
den, so  hat  das  lediglich  zur  Folge,  dass  man  statt  eines 
grossen  Blicksprungs  eine  Reihe  kleinerer  ausführt.  Hier- 
von überzeugt  mau  sich  sehr  leicht,   wenn  man  sich  ein 


üeber  Ermüdung  and  Erholang  des  Sehorgans.  21 

kleines  sehr  deutliches  Nachbild  auf  der  Stelle  des  directen 
Sehens  erzeugt.  Ich  bin  nicht  im  Stande,  den  Blick  mit 
einer  beliebigen,  ganz  gleichmässigen  Langsamkeit  über 
eine  bedruckte  oder  auch  unbedruckte  Seite  hin  wegzuführen; 
immer  geht  der  Blick  sprungweise  vorwärts^). 

Eine  langsamere  und  doch  stetige  Bewegung  der  Augen 
lässt  sich  nur  dadurch  erzielen,  dass  man  den  eben  fixirten 
Punkt  langsam  und  stetig  verschiebt,  wobei  die  Augen  getreu 
der  Ortsänderung  des  fixirten  Objectes  folgen,  oder  dadurch, 
dass  man  während  man  einen  Punkt  fixirt,  den  Kopf  langsam 
wendet  oder  im  Räume  verschiebt.  In  beiden  Fällen  darfen 
die  Bewegungen  nicht  zu  rasch  sein,  weil  sonst  wieder  ruck- 
weise erfolgende  Augenbewegungen  eintreten.  Ein  dauerhaftes 
Nachbild  gestattet  auch  hier,  das  Verhalten  der  Augen  fort- 
während zu  controliren. 

Da  wie  gesagt  beim  gewöhnlichen  Gebrauche  der  Au- 
gen jeder  Blickbewegung  eine  Ortsveränderung  der  Auf- 
merksamkeit vorangeht,  indem  dieselbe  von  der  Stelle  des 
directen  Sehens  abgewendet  und  einer  excentrischen  Stelle 
zugewendet  wird,  so  befindet  sich  auch  ein  auf  der 
Stelle  des  directen  Sehens  liegendes  Netzhautbild 
unmittelbar  vor  und  während  der  schnellen  Blick- 
bewegung gar  nicht  da,  wo  eben  die  Aufmerksam- 
keit ist,  und  erst  mit  Schluss  der  Bewegung  fällt 
der  Ort  des  Nachbildes  wieder  mit  dem  Orte  der 
Aufmerksamkeit  zusammen. 


*)  Wenn  ich  meine  Gesichtslinien  symmetrisch  oder  nach  links 
convergiren  lasse  und  dann  die  Augen  sich  selbst  überlasse,  so  glei- 
ten sie  langsam  bis  zu  einem  gewissen  Grade  nach  rechts,  wie  ich 
an  der  ganz  gleichmässigen  Bewegung  des  erwähnten  Nachbildes 
erkenne.  Sobald  ich  aber  willkürlich  in  diese  Spontanbewegung 
eingreife,  sie  z.  B.  zu  beschleunigen  oder  zu  verlangsamen  suche, 
wird  sie  wieder  eine  sprunghafte.  Uebrigens  tritt  jene  Spontanbewe- 
guDg  ausschliesslich  in  der  genannten  Richtung  auf  und  ist  wahr- 
scheinlich in  meiner  Kopfhaltung  beim  Lesen  und  Schreiben  und 
dem  dadurch  bedingten  unsymmetrischen  Gebrauche  des  motorischen 
Apparates  begründet. 


22  E.  Hering. 

Dazu  kommt  nun,  dass  wenn  die  Blickbahn  keine  ab- 
solut gleichartige  ist,  sondern  allerlei  ünterscheidbares  ent- 
hält, die  Belichtung  der  dem  Nachbilde  entsprechenden 
Netzhautstelle  rasche  Aenderungen  erleidet,  welche  noth- 
wendig  das  Nachbild  alteriren  müssen,  und  nach  Ablauf 
der  Blickbewegung  eine  wenn  auch  noch  so  kurze  Zeit  nach- 
wirken. Dass  besonders  ein  schwaches  Nachbild  leiden  muss, 
wenn  sich  über  seine  Netzhautstelle  eine  ganze  Reihe  an- 
derer Netzhautbilder  hinwegschiebt  und  wären  es  auch  nur 
die  Bilder  der  Ungleichartigkeiten  (des  Kornes  oder  der 
Faseruug)  oder  der  Knickungen  eines  weissen  oder  schwar- 
zen Papiers,  ist  eigentlich  selbstyerständlich. 

Es  lässt  sich  leicht  durch  den  Versuch  zeigen,  wie  die 
Wahrnehmimg  von  Nachbildern  durch  darüber  hinwegglei- 
tende andere  Netzhautbilder  gestört  wird.  Ich  lege  z.  B. 
eine  kleine  schwarze  Scheibe  auf  eine  horizontale  Glasplatte, 
welche  im  Abstände  von  ^2  —  ^  ^^  ^^^^  einer  Tischplatte 
befestigt  ist.  In  einiger  Entfernung  von  der  schwarzen 
Scheibe  befindet  sich  auf  dem  Glase  ein  schwarzer  Punkt. 
Nachdem  ich  die  Mitte  der  kleinen  Scheibe  einige  Zeit 
fixirt  habe,  während  unter  der  Glasplatte  ein  weisses  Blatt 
liegt,  fixire  ich  den  schwarzen  Punkt  und  sehe  jetzt  das 
negative  Nachbild  der  Scheibe  als  helleren  Kreisfleck.  Dann 
schiebe  ich  ein  bedrucktes  Blatt  unter  die  Glasplatte  und 
bewege  es  hin  und  her,  während  ich  den  Punkt  unverän- 
dert fortfixire.  Hierbei  kann  man  nun  oft  genug  sehen, 
wie  das  Nachbild,  besonders  wenn  es  schon  verblasst  ist, 
während  der  Bewegung  des  bedruckten  Blattes  verschwin- 
det und  erst  wieder  auftaucht,  sobald  man  das  Blatt  ruhig 
hält.  Da  bei  alledem  eine  Augenbewegung  nicht  stattfindet, 
so  kann  hier  das  zeitweilige  Verschwinden  des  Nachbildes 
nur  durch  die  wechselnde  Belichtung  der  Netzhaut  veran- 
lasst worden  sein.  Ein  schwaches  Nachbild  wird,  wie  sich 
leicht  zeigen  lässt,  schon  merklich  alterirt,  wenn  seine  Um- 
gebung und  zwar  sogar  in  ziemlicher  Entfernung  vom  Nach- 


lieber  firmadong  und  Erholung  des  Sehorgans.  23 

bilde  eine  yeräuderte  Belichtung  erfährt.  Dies  hat  seinen 
Grund  in  der  Wechselwirkung  der  Sehfeldstellen  und  zum 
Theile  auch  darin,  dass  die  AugeDmedien  nicht  ganz  homo- 
gen sind  und  daher  immer  mehr  oder  weniger  Licht  von 
der  Bahn  abirrt^  die  wir  ihm  theoretisch  zuschreiben.  Die- 
ses abirrende  Licht  trifft  eine  Netzhautstelle  um  so  reich« 
licher,  je  näher  sie  einem  hellen  Netzhautbilde  liegt 

Alle  hier  aufgezählten  Fehlerquellen  lassen  sich  nur 
dann  ToUständig  ausschliessen,  wenn  man  nach  Erzeugung 
des  Nachbildes  die  Augen  Tollständig  verdunkelt  und  dann 
die  Augenbewegungen  ausführt. 

Hat  man  ein  kleines  Feld  auf  hellerem  oder  dunklerem 
Grande  anhaltend  fixirt  und  wendet  dann  den  Blick  auf  einen 
Punkt  des  Grundes,  so  vergeht  eine  gewisse  wenn  auch  kurze 
Zeit,  ehe  das  negative  Nachbild  seine  grösste  Deutlichkeit  er- 
langt hat.  Dies  ist  jedoch  keineswegs  die  Folge  der  inzwischen 
erfolgten  Augenbewegnng.  Jedes  negative  Nachbild  bedarf  nach 
dem  Verschwinden  des  Vorbildes  eine  gewisse  Zeit  zu  seiner 
vollen  Entwickelang.  Man  überzeugt  sich  hiervon,  wenn  man 
nach  der  Fixirung  des  kleinen  Feldes  dasselbe  von  der  Fläche 
des  Grandes  verschwinden  lässt,  ohne  die  Augen  irgend  zu  be- 
wegen, was  sich  mit  Hülfe  besonderer  Vorrichtungen  in  der 
exactesten  Weise  erreichen  lässt. 

Ich  komme  zur  Besprechung  des  Einflusses,  welchen 
der  Lidschlag  auf  die  Entwickelung  eines  Nachbildes  oder 
auf  den  weiteren  Verlauf  eines  bereits  entwickelten  hat. 
Man  fixire  den  weiss  markirten  Mittelpunkt  einer  kleinen 
schwarzen  Scheibe  von  etwa  2  cm  Durchmesser  auf  weissem 
Grunde  20  Secunden,  entferne  dann  die  schwarze  Scheibe 
mit  einer  Pincette  und  merke  sich  die  Beschaffenheit  des 
jetzt  auf  dem  weissen  Grunde  erscheinenden  negativen  Nach- 
bildes. Hierauf  beschäftige  man  die  Augen  einige  Zeit  an- 
derweit in  gewöhnlicher  Weise  und  wiederhole  denselben 
Versuch,  mache  aber  bei  jedem  Schlage  eines  Secunden- 
pendels  einen  Lidschlag,  im  Ganzen  also  zwanzig,  und  be- 
obachte wieder  das  Nachbild.   Man  wird  es  gleichwohl  ganz 


24  £.  Hering. 

gut  entwickelt  finden.  Hierauf  wiederhole  man  nach  ent- 
sprechender Pause  den  Versuch  nochmals,  mache  aber  jede 
Secunde  zwei  Lidschläge,  also  zusammen  40;  abermals  wird 
man  ein  deutliches  Nachbild  sehen.  Ich  kann  sogar  bei 
solchen  Versuchen  drei  Lidschläge  in  jeder  Secunde  machen, 
ohne  dadurch  die  Entwickelung  eines  Nachbildes  verhindern 
zu  können.  Natürlich  ist  das  Nachbild  um  so  weniger  ener- 
gisch, je  häufiger  die  Lidschläge  waren,  aber  ich  sehe  es, 
wenn  ich  z.  B.  zwanzig  Lidschläge  während  einer  zehn  Se- 
cunden  dauernden  Fixirung  gemacht  habe,  nachher  länger 
als  zehn  Secunden  ganz  deutlich. 

Man  kann  auch  vergleichende  Versuche  mit  beiden 
Augen  zugleich  machen,  indem  man  die  Lider  des  einen 
Auges  mit  zwei  gespreizten  Fingern  festhält,  so  dass  der 
Wille  und  die  Innervation  zu  beiderseitigem  Lidschlage 
nur  am  einen  Auge  Lidschluss  bewirkt,  während  das  an- 
dere dauernd  oflfen  bleibt  Man  legt  einen  etwa  centimeter- 
breiten  schwarzen  Streifen  in  der  Medianebene  des  Kopfes 
auf  ein  weisses  Blatt  und  zeichnet  rechts  und  links  davon 
ein  kleines  schwarzes  Kreuz  auf  das  weisse  Papier  in  je 
einem  Abstände  von  5  mm  vom  Streifen  und  so,  dass  beide 
Kreuze  einander  ganz  gleich  und  ihre  Schenkel  parallel 
sind.  Hierauf  stellt  man  die  linke  Gesichtslinie  auf  die 
Mitte  des  linken,  die  rechte  auf  die  des  rechten  Kreuzes 
ein,  so  dass  beide  binocular  verschmelzen.  Man  sieht  jetzt 
ein  einfaches  Kreuz  und  rechts  und  links  davon  einen 
schwarzen  Streifen^).  Die  Mitte  des  Kreuzes  fixirt  man 
nun  z.B.  zwanzig  Secunden  und  macht  jede  Secunde  einen 
Lidschlag,  der  aber  wie  gesagt  nur  am  einen  Auge  zum 
Lidschluss  führt.  Nachher  fixirt  man  einen  markirten  Punkt 
der  weissen  Fläche  und  beobachtet  das  Nachbild.     Jeder 


^)  Wenn  ich  den  Versuch  mit  gekreuzten  Gesichtslinien  an- 
stellte, so  verschob  sich  das  Auge,  dessen  Lider  ich  festhielt,  bei 
jedem  Lidschlage  viel  stärker,  als  bei  der  oben  beschriebenen  Ver- 
suchsweise. 


üeber  £rmüdaiig  und  Erholaog  des  Sehorgans.  25 

Streifen  hat  ein  deutliches  Nachbild  erzeugt,  doch  ist  das 
des  periodisch  verdeckt  gewesenen  Auges  Ton  geringerer 
Eindringlichkeit  bezw.  Dauer.  Der  Versuch  eignet  sich  nur 
für  Geübtere. 

Es  ist  also  unter  irgend  günstigen  Umständen,  wie  sie 
z.  B.  das  Fixiren  kleiner  schwarzer  Felder  auf  weissem 
Grunde  bietet,  nicht  möglich,  das  Entstehen  des  Nachbildes 
durch  periodisch  wiederkehrenden  Lidschlag  zu  verhindern. 
Ebensowenig  ist  es  möglich,  ein  bereits  deutUch  entwickel- 
tes Nachbild  durch  Lidschläge  wieder  zu  beseitigen.  Man 
fixire  einen  schwarzen  Streifen  auf  weissem  Grunde  10  bis 
20  Secunden,  fixire  dann  einen  Punkt  des. weissen  Grundes 
und  versuche,  das  Nachbild  durch  Lidschläge  zu  vernichten: 
man  wird  zwar  bei  jedem  Lidschlage  eine  momentane  Aen- 
derung  des  Nachbildes  sehen,  aber  das  Nachbild  bleibt. 
Dasselbe  ist  der  Fall  bei  dem  Nachbilde  eines  kleinen  weis- 
sen Feldes  auf  schwarzem  Grunde.  Nach  einer  Fixirungs- 
dauer  von  nur  fünf  Secunden  konnte  ich  ein  Nachbild  noch 
nach  15  Secunden  sehen,  obwohl  ich  inzwischen  30  Lid- 
schläge ausgeführt  hatte. 

Einen  gewissen  Einfiuss  muss  freilich  der  Lidschlag 
auf  das  Nachbild  haben,  nämlich  denselben,  den  eine  perio- 
disch wiederkehrende  Verdunkelung  des  Auges  von  gleicher 
Dauer  wie  beim  Lidschlage  auch  haben  würde.  Deshalb 
ist  es  auch  hier  am  besten,  die  Versuche  in  einem  Zimmer 
anzustellen,  welches  sich  unmittelbar  nach  Erzeugung  des 
Nachbildes  vollständig  verdunkeln  lässt.  Hier  kann  man 
blinzeln,  so  viel  man  will,  ohne  dass  das  Nachbild 
irgendwie  anders  verläuft  als  ohne  jeden  Lidschlag. 

Auch  den  Einäuss  der  Accommodation,  welche  nach 
Fick  und  Gürber  ebenfalls  die  negativen  Nachbilder  be- 
seitigen soll,  untersucht  man  am  besten  in  einem  solchen 
Zimmer  oder  bei  geschlossenen  und  überdies  verdeckten 
Augen.  Freilich  ist  dazu  nöthig,  dass  man  auch  bei  ver- 
dunkelten Augen   im  Stande  ist,  abwechselnd   für   seinen 


26  £•  Hering. 

Nahepunkt  und  seinen  Fempunkt  einzustellen.  In  der  That 
hat  eine  schnelle  maximale  Accommodation  für  die  Nähe 
bei  mir  einen ,  allerdings  äusserst  schwachen  aber  doch 
eben  noch  bemerklichen  Einfluss  auf  das  Aussehen  des 
deutlich  entwickelten  Nachbildes;  aber  die  spur  weise  Hel- 
ligkoitsänderung,  welche  ich  am  Nachbilde  beobachten  kann, 
verschwindet  sofort  wieder  und  beeinfiusst  nicht  irgend 
merklich  die  Dauer  des  Nachbildes.  Auch  im  übrigen  Seh- 
felde, besonders  nach  seiner  Peripherie  hin,  beobachte  ich 
dabei  äusserst  schwache  Helligkeitsänderungen  ^).  Da  sich 
unter  den  angegebenen  Umständen  mit  der  Accommodation 
für  die  Nähe  stets  eine  Einwärtsdrehung  der  Augen  ver- 
bindet, so  ist  der  Versuch  zwiefach  beweisend.  Habe  ich 
mir  in  einem  Auge  das  Nachbild  eines  kleinen  schwarzen 
Feldes  auf  weissem  Grunde  erzeugt,  fixire  dann  einen  Punkt 
der  weissen  Fläche  und  accommodire  unter  dauernder  Be- 
obachtung des  Nachbildes  maximal  für  die  Nähe,  wobei 
das  andere  Auge  immer  geschlossen  bleibt,  so  bemerke  ich, 
abgesehen  von  den  kleinen,  dabei  unvermeidlichen  Ortsän- 
derungen des  Nachbildes  nur  eine  schwache  vorübergehende 
Helligkeitsabnahme  des  ganzen  Gesichtsfeldes,  welche  natür- 
lich auch  Einfluss  auf  das  Nachbild  nimmt,  ohne  dasselbe 
jedoch  wesentlich  zu  ändern.  Sobald  ich  dann  wieder  für 
die  Entfernung  des  Papieres  accommodire,  erscheint  mir 
das  Nachbild  nach  wie  vor  in  derselben  Deutlichkeit.  Die 
schwache  Helligkeitsänderung  des  ganzen  Gesichtsfeldes  ist 
die  Folge  der  raschen  und  starken  Verengerung  meiner  Pu- 
pille bei  der  starken  Accommodationsanstrengung  für  die 
Nähe.  Auch  bei  geschlossenen,  aber  gegen  die  Fenster  ge- 
richteten Augen  sehe  ich  bei  jeder  starken  Accommodation 
für  die  Nähe  eine  deutliche  Helligkeitsminderung  des  Seh- 

^)  Dabei  setze  ich  ein  nicht  längere  Zeit  für  Dunkel  adaptirtes 
Auge  voraus;  denn  in  einen  solchen  können  starke  Accommodations- 
Änderungen  oder  Augenhewegangen  sehr  deutliche  Erscheinungen 
herbeifahren. 


Ueber  Ermadong  und  Erholung  des  Sehorgans.  27 

feldes  infolge  der  Pupillen  Verengerung,  umgekehrt  wieder 
Aufhellung  beim  Nachlassen  der  Accommodationsanstrengung. 
Das  Nachbild  kann  dabei  schwache  Helligkeits-  und  Far- 
beuänderungen,  unter  Umständen  auch  Veränderungen  der 
Schärfe  seines  Umrisses  zeigen.  Diese  Aenderungen  hier 
näher  zu  beschreiben,  erscheint  überflüssig,  weil  der  Ge- 
sammtverlauf  des  Nachbildes  durch  diese  Accommodations- 
änderungen  nicht  irgend  merklich  geändert  wird  und  ein 
Torher  deutliches  Nachbild  auch  nachher  deutlich  bleibt. 
Eine  merkliche  Abschwächung  oder  gar  Verschwinden  des 
Nachbildes  ist  nachher  nie  zu  beobachten,  falls  nicht  das 
Nachbild  ohnedies  schon  äusserst  schwach  bezw.  im  Ver- 
schwinden begriffen  war.  Massige  Accommodationsänderun- 
gen  haben  auf  die  Nachbilder  wie  auf  das  ganze  Sehfeld 
überhaupt  keinen  Einfluss,  weil  sie  nicht,  wie  die  maximale 
Accommodation  die  Netzhaut  mechauisch  reizen. 

Fixirt  man,  nachdem  man  sich  ein  deutliches  negatives 
Nachbild  erzeugt  hat,  einen  markirten  Punkt  auf  einer  mög- 
lichst homogenen  und  ganz  ebenen  Fläche  und  nähert  die- 
selbe dem  Gesichte,  so  wird  das  Nachbild  scheinbar  kleiner, 
entfernt  man  die  Fläche,  so  wird  es  grösser.  Obgleich  man 
dabei  abwechselnd  für  die  Nähe  und  Feme  accommodirt, 
ändert  sich  doch  dabei  nichts  Wesentliches  an  der  Deut- 
lichkeit des  Nachbildes,  wenn  man  nur  dafür  sorgt,  dass 
die  Beleuchtung  der  Fläche  eine  ganz  gleichmässige  bleibt. 
Noch  bequemer  ist  es,  das  Gesicht  der  Fläche  näher  und 
wieder  femer  zu  bringen.  Jedenfalls  ist  es  nicht  möglich, 
ein  gut  entwickeltes  Nachbild  auf  diese  Weise  dauernd  ver- 
schwinden zu  machen  oder  auch  nur  seine  Dauer  irgend 
wesentlich  abzukürzen,  auch  wenn  man  die  Versuche  ohne 
besondere  Vorsorge  für  eine  möglichst  gleichbleibende  Be- 
lichtung der  Netzhaut  anstellt. 

Da  meine  Accommodationsbreite  bereits  sehr  abgenom- 
men hat  und  man  hierin,  wenngleich  kaum  mit  Recht,  den  ^ 
Grand  für  das  negative  Ergebniss  obiger  Versuche  suchen 


28  E.  Hering. 

könnte,  so  bat  ich  Herrn  Dr.  Sachs  dieselben  zu  wieder- 
holen. Auch  er  fand  keinen  Einfluss  der  Accommodation 
auf  den  Verlauf  der  negativen  Nachbilder. 

III. 
Erklärung  der  Unermüdlichkeit  des  Sehorgans. 

Wir  können  das  psychische  und  das  somatische  Seh- 
feld unterscheiden.  Das  erstere  besteht  in  jedem  Augen- 
blick aus  der  Gesammtheit  der  räumlich  ausgedehnten  Ge- 
sichtsempfindungen; das  letztere  wird  von  den  Netzhäuten, 
den  Sehnerven  und  den  zugehörigen  Himtheilen  gebildet 
Wer  sich  dasselbe  derart  aus  Einzeltheilen  zusammengesetzt 
denken  will,  dass  jeder  derselben  von  der  Netzhaut  bis  ins 
Gehirn  reicht,  darf  nie  vergessen,  dass  das  somatische  Seh- 
feld ein  in  sich  zusammenhängendes  organisches  Ganzes  ist 
und  dass  funktionelle  Aenderung  eines  Theiles  zugleich 
Aenderungen  in  allen  übrigen  und  besonders  den  nächsfc- 
benachbarten  Theilen  hervorruft,  und  jeder  Reiz  nicht  nur 
direct  auf  den  betroflfenen  Theil,  sondern  indirect  auch 
auf  alle  übrigen  wirken  kann.  Die  jeweiligen  Zustände  die- 
ses somatischen  Sehfeldes  bestimmen  den  jeweiligen  Inhalt 
des  psychischen  Sehfeldes. 

Insoweit  nur  die  farblosen  Gesichtsempfindungen  in 
Betracht  kommen,  lassen  sich  die  wechselnden  Zustände 
des  somatischen  Sehfeldes  in  folgende  drei  Gruppen  bringen: 

1.  Der  Zustand  des  Gleichgewichtes  zwischen  Verbrauch 
und  Ersatz,  zwischen  Dissimilirung  und  Assimilirung 
der  lebendigen  Substanz:  D  =  A.  Hierbei  ändert  sich 
trotz  fortwährendem  Stoffwechsel  die  Beschaffenheit 
der  lebendigen  Substanz  nicht. 

2.  Die  Zustände,  bei  welchen  der  Verbrauch  den  gleich- 
zeitigen Ersatz  mehr  oder  weniger  überwiegt:  D  >  A. 
Diese  Zustände  habe  ich  als  die  der  absteigenden 
Aenderung  bezeichnet. 


Ueber  Ermüdung  and  Erholong  des  Sehorgans.  29 

3.  Die  Zustände»  bei  welchen  der  Ersatz  den  gleichzei- 
tigen Verbrauch  überwiegt:  A>>D.  Dies  sind  die  Zu- 
stände der  aufsteigenden  Aenderung. 

Wie  man  sieht,  könnte  man  die  absteigende  Aenderung 
auch  als  ermüdende,  die  aufsteigende  als  erholende 
Aenderung  bezeichnen. 

Dem  durch  die  Formel  D  =  A  bezeichneten  Zustande 
im  somatischen  Sehfelde  entspricht  im  psychischen  eine 
Empfindung,  welche  ich  als  neutrales  Grau  bezeichnet  habe, 
d.  i.  eine  Empfindung  Ton  bestimmter  massiger  Helligkeit 
oder,  wenn  man  so  will,  Dunkelheit.  Den  Zuständen  der 
absteigenden  Aenderung  (D  >>  A)  entsprechen  alle  (farb- 
losen) Empfindungen,  welche  heller,  den  Zuständen  aufstei- 
gender Aenderung  (A  >>  D)  alle,  welche  dunkler  sind  als 
jenes  neutrale  Grau.  Je  grösser  die  Geschwindigkeit  der  ab- 
steigenden Aenderung,  desto  heller  ist  die  Empfindung,  desto 
mehr  nähert  sie  sich  dem  hellsten  Weiss;  je  geschwinder 
die  aufsteigende  Aenderung,  desto  dunkler  ist  die  Empfin- 
dung, desto  näher  dem*  tiefsten  Schwarz. 

Hiernach  ist  also  jedes  hellere  Grau  oder  Weiss  (als 
Empfindung  genommen)  das  psychische  Symptom  einer  ab- 
steigenden Aenderung  im  entsprechenden  Theile  des  soma- 
tischen Sehfeldes,  ein  Zeichen  dafür,  dass  der  Verbrauch 
den  Ersatz  überwiegt  imd  dass  der  betroffene  Theil  ermü- 
det Umgekehrt  ist  jedes  dunklere  Grau  ein  Zeichen  da- 
für, dass  der  Wiederersatz  den  gleichzeitigen  Verbrauch 
überwiegt,  dass  der  betroffene  Theil  iü  aufsteigender  Aen- 
derung begriffen  ist  und  sich  also  erholt.  Beides  gilt  um 
so  mehr,  je  heller  ersteren  Falls  die  graue  oder  weisse,  je 
dunkler  letzteren  FaUs  die  graue  oder  schwarze  Empfin- 
dung ist. 

Nach  dieser  Auffassung  kann  eine  Ermüdung  und 
entsprechende  Abnahme  der  Erregbarkeit  für  Licht 
an  denjenigen  Stellen  des  somatischen  Sehfeldes, 


30  £•  Hering. 

welche  uns  eben  ein  dunkleres  Grau,  ein  Grau- 
schwarz oder  Schwarz  empfinden  lassen,  gar  nicht 
in  Frage  kommen;  vielmehr  sind  eben  diese  Em- 
pfindungen ein  Zeichen  dafür,  dass  die  bezüglichen 
Theile  in  der  Erholung  begriffen  sind  und  dass 
ihre  Erregbarkeit  für  Licht  im  Wachsen  ist. 

Fixirt  man  also,  wie  dies  E.  Fick^)  that,  ein  kleines, 
schwarzes  Feld  auf  noch  schwärzerem  Grunde,  so  wird  das 
nachher  bemerkliche  Nachbild  nicht  dadurch  verursacht, 
dass  das  schwache  Licht  des  kleinen  schwarzen  Feldes  auf 
den  betroflfenen  Theil  ermüdend  gewirkt,  sondern  dadurch, 
dass  dieser  Theil  sich  minder  geschwind  und  deshalb  we- 
niger erholt  hat,  als  die  dem  umgebenden,  noch  lichtschwär 
cheren  Grunde  entsprechenden  Theile,  daher  schliesslich 
die  Erregbarkeit  der  letzteren  grösser  ist,  als  die  des  erste- 
ren.  In  diesem  Falle  wäre  also  das  Nachbild  viel- 
mehr als  eine  Erholungserscheinung  aufzufassen, 
nicht  aber,  wie  Helmholtz*),  E.  Fick  und  Gürber 
dies  thun,  als  eine  Ermüdungserscheinung. 

Die  absteigende  oder  ermüdende  Aenderung  macht  den 
betroffenen  Theil  mehr  und  mehr  unterwerthig,  wie  ich 
es  genannt  habe;  durch  aufsteigende  Aenderung  wird  er 
wieder  mehr  und  mehr  auf  jenes  Maass  der  Werthigkeit 
zurückgeführt,  welches  ihm  nach  langdauemdem  Schutze 
des  Auges  vor  jedem  Lichte  eigen  ist.  Jede  absteigende 
Aenderung  mindert  die  Disposition  des  unterwerthig  gewor- 
denen Theiles  zur  Dissimilirung  und  steigert  seine  Dispo- 
sition zur  Assimilirung,  setzt  demgemäss  die  Erregbarkeit 
durch  Licht  herab  und  erzeugt  ein  Streben  nach  aufstei- 
gender Aenderung.  Mit  wachsender  Dauer  eines  gleich- 
massig  fortwirkenden  Lichtreizes,  welcher  zunächst  eine 
heller  graue  oder  weisse  Empfindung  hervorruft,  nimmt  des- 
halb die  Geschwindigkeit  der  absteigenden  Aenderung  ab 


*)  1.  c.  S.  245.  «)  Physiolog.  Optik  S.  365. 


Ueber  Ermüdnog  and  Erholung  des  Sehorgans.  31 

und  sinkt  schliesslich  auf  Null,  sobald  der  durch  das  Licht 
bedingte  Anreiz  zur  absteigenden  Aenderung  soweit  abge- 
nommen und  das  Streben  nach  aufsteigender  Aenderung 
soweit  zugenommen  hat,  dass  beide  sich  das  Gleichgewicht 
halten  und  A  wieder  gleich  D  geworden  ist.  Nunmehr  ver- 
harrt der  betroffene  Theil  auf  der  bis  dahin  erreichten 
Stufe  der  Unterwerthigkeit  und  ändert  sich  nicht  weiter 
trotz  Fortdauer  des  Lichtreizes.  So  schützt  sich  das 
Organ  selbst  vor  Erschöpfung.  Die  anfänglich  hell- 
graue oder  weisse  Empfindung  ist  dabei  ganz  allmälig  in 
die  des  neutralen  Grau  übergegangen  und  der  betroffene 
Theil  ist  jetzt  vollständig  für  den  noch  stetig  fortwirken- 
den Lichtreiz  adaptirt.  Tritt  jetzt  an  die  Stelle  dieses 
Lichtreizes  ein  schwächerer,  so  ist  der  durch  ihn  gegebene 
Anreiz  zu  absteigender  Aenderung  zu  schwach,  um  dem 
Streben  des  unterwerthig  gewordenen  Theiles  nach  aufstei- 
gender Aenderung  das  Gleichgewicht  zu  halten  und  es  er- 
folgt somit  eine  aufsteigende  Aenderung  und  entsprechend 
eine  Empfindung,  welche  dunkler  ist,  als  das  zuletzt  em- 
pfundene neutrale  Grau.  Wirkt  sodann  der  genannte  schwä- 
chere Lichtreiz  andauernd  fort,  so  mindert  sich  infolge  der 
aufsteigenden  Aenderung  die  Unterwerthigkeit  des  betrof- 
fenen Theiles,  die  Erregbarkeit  für  Licht  nimmt  wieder  zu 
und  das  Streben  nach  aufsteigender  Aenderung  ab,  bis 
abermals  D  gleich  A  und  die  Empfindung  wieder  neutral 
grau  geworden  ist.  Der  betroffene  Theil  ist  wieder  voll- 
ständig, aber  jetzt  für  einen  schwächeren  Lichtreiz  adaptirt. 

Fixirt  man  ununterbrochen  einen  Punkt  eines  mit  hel- 
len und  dunklen  Dingen  erfüllten  Gesichtsfeldes,  so  sieht 
man  deutlich,  wie  die  hellen  immer  mehr  an  Helligkeit 
verlieren,  die  dunklen  aber  sich  aufhellen,  obwohl  auch  sie 
fortwährend  Licht  ins  Auge  senden. 

Jeder  Adaptationstufe  entspricht  ein  bestimmter  Grad 
von  Unterwerthigkeit;  unterwerthig  sein  und  adaptirt  sein 
ist  dasselbe.   Für  jeden  bestimmten  Grad  der  Unterwerthig- 


32  £.  Hering. 

keit  oder  Adaptation  giebt  es  eine  bestimmte  objective 
Helligkeit,  welche  eben  stark  genug  ist,  die  Dissimilirung 
mit  der  Assimilirung  im  Gleichgewicht  zu  erhalten.  Es  ist 
dies  also  diejenige  objective  Helligkeit,  welche  an  der  be- 
züglichen Stelle  des  somatischen  Sehfeldes  jetzt  als  neutra- 
les Grau  empfunden  wird,  und  welche  um  so  grösser  ist, 
je  unterwerthiger  und  deshalb  weniger  erregbar  der  bezüg- 
liche Theil  ist.  Jede  grössere  objective  Helligkeit  giebt 
hier  eine  hellere,  jede  kleinere  eine  dunklere  Empfindung, 
als  die  neutral  graue  Empfindung. 

Nach  dieser  Auffassung  giebt  es  eigentlich  nur  eine 
Adaptation  für  verschiedene  Grade  objectiver  Helligkeit; 
was  wir  Adaptation  für  Dunkel  nennen,  ist  nur  ein  Herab- 
gehen von  einer  höheren  auf  immer  niedrigere  Stufen  der 
Adaptation,  und  das  lange  Zeit  vor  jedem  Lichtreize  ge- 
schützt gewesene  Sehorgan,  welches  man  jetzt  vollkommen 
adaptirt  nennt,  ist  nach  obiger  Auffassung  gar  nicht  adap- 
tirt,  denn  es  ist  gar  nicht  mehr  unterwerthig,  sondern  voll- 
ständig erholt 

Nach  einer  solchen  vollkommenen  Erholung  des  soma- 
tischen Sehfeldes  ist  das  psychische  keineswegs  schwarz, 
zeigt  aber  allerdings  auch  nicht  ein  gleichmässig  ausgebrei- 
tetes Grau,  vielmehr  ist  es  stellenweise  heller,  stellenweise 
dunkler  als  dieses,  und  auch  an  derselben  Stelle  wechselt 
hellere  und  dunklere  Empfindung.  Durch  innere  Ursachen 
wird  das  auf  dem  Maximum  seiner  Erregbarkeit  (für  dissi- 
milirend  wirkende  Beize)  befindliche  somatische  Sehfeld 
bald  hier  bald  dort  aus  dem  Gleichgewichtszustand  zwischen 
D  und  A  herausgebracht,  um  bald  nachher  durch  eigene 
Kraft  in  denselben  zurückzukehren^).  Auch  beim  Sehen 
während  des  Tages   wechselt   der  Adaptationszustand   der 


^)  In  anschaulicher  Weise  hat  A über t  die  „Lichtempfindungen*' 
beschrieben,  welche  er  nach  l&ngerem  Aufenthalte  in  einem  absolut 
finsteren  Zimmer  hatte.    Physiologie  der  Netzhaut  S.  333. 


Ueber  Ermüdung  und  Erholung  des  Sehorgans.  33 

einzelnen  Theile  des  Sehfeldes  fortwährend  und  ist  an  ver- 
schiedenen Stellen  desselben  gleichzeitig  ein  verschiedener; 
aber  durchschnittlich  sind  alle  Theile  unterwerthig  und 
also  mehr  oder  weniger  adaptirt.  Fixiren  wir  einige  Zeit 
ein  kleines  Feld  auf  einem  Grunde  von  anderer  Helligkeit 
oder  Dunkelheit,  so  befindet  sich  nachher  der  dem  kleinen 
Felde  entsprechende  Theil  des  somatischen  Sehfeldes  auf 
einer  anderen  Adaptationsstufe,  als  der  dem  Grunde  ent- 
sprechende Theil,  demgemäss  ist  auch  die  Erregbarkeit  bei- 
der Theile  eine  verschiedene,  und  wir  sehen  deshalb  ein 
negatives  Nachbild,  sobald  wir  auf  eine  Fläche  von  gleich- 
massiger  Helligkeit  blicken.  Insofern  beruhen  alle  solche 
negative  Nachbilder  auf  Verschiedenheiten  der  localen  Adap- 
tation. 

Eine  eingehende  Erklärung  der  negativen  Nachbilder 
lässt  sich  ohne  Erörterung  der  Wechselwirkung  der  Einzel- 
theile  des  somatischen  Sehfeldes  nicht  geben  ^).  Hier  galt 
es  nur  zu  zeigen,  wie  die  negativen  Nachbilder  nicht 
einseitiger  Weise  nur  als  Ermüdungserscheinungen, 
sondern  zu  einem  grossen  Theile  als  Erholungs- 
erscheinungen aufzufassen  sind,  wie  der  Verlauf  die- 
ser Erscheinungen  von  Augenbewegungen,  Lidschlag  und 
Accommodation  im  Wesentlichen  ganz  unabhängig  ist,  und 
wie  die  innerhalb  weiter  Grenzen  bestehende  „Unermüd- 
lichheit" des  Sehorganes  im  Wesentlichen  auf  einer  Art 
Selbststeuerung  des  Stoffwechsels  in  der  lebendigen  Sub- 
stanz des  somatischen  Sehfeldes  beruht.  Eine  eigentliche 
Ermüdung  oder  vielmehr  Uebermüdung  kann  hiernach  nur 
eintreten,  wenn  der  Lichtreiz  ein  übermässiger  und  die  Be- 
dingungen der  Assimilirung,  z.B.  durch  vorübergehende  Er- 
schöpfung des  Materials  zur  Assimilirung,  gestört  sind. 

^)  So  bleibt  die  obige  Auseinandersetzung  z.  B.  die  Erklärung 
der  Thatsache  schuldig,  dass  negative  Nachbilder  des  verdunkelten 
Auges  heller  sein  können,  als  die  neutralgraue  Empfindung,  was 
sich  aus  der  erwähnten  Wechselwirkung  leicht  erklären  lässt. 

T,  Graefe'8  Archiv  für  Ophthalmologie.  XXXVII.  3.  3 


34  £•  Hering. 

Man  hat  der  im  Obigen  vertretenen  Theorie  des  Licht- 
sinns den  Vorwurf  gemacht,  dass  sie  nichts  darüber  aassage, 
inwieweit  die  besprochenen  Erscheinungen  auf  Zuständen  und 
Vorgängen  der  Netzhaut  oder  der  cerebralen  Theile  des  Seh- 
organes  beruhen.  Man  kann  sich  freilich  die  durch  das  Licht 
im  Sehorgane  ausgelösten  Ereignisse  in  eine  ganze  Kette  von 
Vorgängen  zerlegt  denken,  deren  Anfangsglied  die  Umsetzung 
der  Aetherbewegung  in  sogenannte  Nervenerregung,  deren  End- 
glied irgend  welcher  Vorgang  in  der  Hirnrinde  ist.  Da  wir 
aber  über  jedes  einzelne  Glied  dieser  Kette  so  viel  wie  nichts 
wissen,  so  ist  es  erspriesslicher,  von  der  Gliederung  der  Kette 
zunächst  abzusehen  und  dieselbe  als  ein  Ganzes  zu  nehmen, 
von  dessen  Zuständen  die  Gesichtsempfindungen  bedingt  sind. 
Verbrauch  und  Ersatz,  Dissimilirung  und  Assimilirung  können 
wir  nach  dem  jetzigen  Stande  unseres  biologischen  Wissens 
jeder  lebendigen  Substanz  zuschreiben,  folglich  auch  jedem 
Gliede  der  Kette  von  lebendigen  Substanzen,  welche  das  mor- 
phologische Substrat  der  erwähnten  Kette  von  Ereignissen  im 
Sehorgane  bilden.  Denken  wir  uns  die  ins  Bewusstsein  tre- 
tende Empfindung  nur  geknüpft  an  das,  was  im  centralen  End- 
gliede  jener  Kette  geschieht,  welches  wir  dann  ausschliesslich 
als  psychophysische  Substanz  des  Sehorgans  auffassen,  so  müsste 
doch  das  Geschehen  in  dieser  Substanz  in  gesetzmässiger  Ab- 
hängigkeit von  dem  gedacht  werden,  was  in  den  andern  Glie- 
dern der  Kette  geschieht,  und  die  Empfindung  stände  zu  den 
Ereignissen  jedes  einzelnen  Gliedes  in  gesetzmässiger  Beziehung. 
Wollen  wir  aber  die  Empfindung  auffassen  als  den  summari- 
schen psychischen  Ausdruck  aller  gleichzeitig  in  der  ganzen 
Kette  stattfindenden  Vorgänge,  so  wäre  doch  wieder  eine  ge- 
setzmässige  Beziehung  zwischen  der  Empfindung  und  dieser 
Summe  physischer  Ereignisse  anzunehmen.  Die  oben  entwickelte 
Hypothese  verträgt  sich  mit  beiden  Auffassungen.  Was  von 
einer  Theorie  des  Lichtsinns  zunächst  gefordert  werden  muss, 
ist,  dass  sie  uns  eine  Mannigfaltigkeit  von  Vorgängen  oder  Zu- 
ständen im  somatischen  Sehfelde  aufzeigt,  welche  sich  mit  der 
Mannigfaltigkeit  der  Empfindungen  im  psychischen  Sehfelde 
deckt,  und  dass  sie  uns  die  Möglichkeit  bietet,  aus  dem  cau- 
salen  und  gesetzmässigen  Zusammenhange  der  physischen  Vor- 
gänge oder  Zustände  den  Verlauf  der  Empfindungen  theore- 
tisch zu  entwickeln  oder,  wie  man  sagt,  zu  erklären.  Diese 
Forderung  sucht  obige  Hypothese  zu  erfüllen  und  hat  sie  be- 
reits in  weitem  Umfange   erfüllt.     Aber  jeden  einzelnen  der 


Ueber  Ermadung  and  Erholung  des  Sehorgana.  35 

angenommenen  Vorgänge  im  somatischen  Sehfelde  noch  genauer 
in  Hinsicht  auf  die  oben  erwähnte  Gliederung  des  nervösen 
Sehorganes  zu  analysiren,  dies  mass  sie  vorerst  der  Zukunft 
ftberlassen.  — 


Wenn  ich  mich  nach  allem  Gesagten  der  Hypothese 
von  Fick  und  Gürber  nicht  anschliessen  kann,  so  halte 
ich  es  doch  für  dankenswerth,  dass  sie  die  Frage  nach  der 
Bedeutung  der  Augenbewegungen  für  den  Säftestrom  des 
Auges  aufgeworfen  haben.  Dafür,  dass  Muskelbewegungen 
den  Strom  des  Blutes  und  der  Lymphe  in  den  bezüglichen 
Organen  fördernd  beeinflussen,  lassen  sich  bekanntlich  viele 
Beispiele  anführen,  und  sehr  verschiedenartig  sind  die  zum 
Theil  näher  bekannten  Einrichtungen,  welche  diese  Förde- 
rung vermitteln.  Dass  also  auch  die  Bewegungen  des  Aug- 
apfels bezw.  der  Lider  für  den  Säftestrom  im  Auge  irgend- 
wie förderlich  sind,  Hesse  sich  nach  Analogie  wahrschein- 
lich finden.  Wenn  mit  der  Thätigkeit  des  Sehorganes  ein 
erhöhter  Stoffwechsel  in  der  Netzhaut  verbunden  ist,  so 
wird  wohl  auch  hier  wie  anderwärts  dafür  gesorgt  sein, 
dass  dem  gesteigerten  Chemismus  auch  ein  gesteigerter  me- 
chanischer Stoffwechsel  entspricht,  und  es  ist  gewiss  dan- 
kenswerth den  hierzu  dienenden  Einrichtungen  nachzufor- 
schen. Die  experimentelle  Physiologie  bietet  ausser  den 
von  Fick  und  Gürber  angeführten  Wegen  noch  andere, 
welche  vielleicht  director  zum  Ziele  führen  könnten. 

Die  Hypothese  der  Genannten  aber  schiesst  über  das 
Ziel  hinaus.  Denn  weitab  von  der  eben  erörterten,  an  un- 
sere physiologischen  Erfahrungen  anschliessendßn  Auffassung 
liegt  die  Annahme,  dass  „Augenbewegungeu  und  Accommo- 
dation  die  Netzhaut  gleichsam  ausquetschen",  dass  hier- 
durch ein  die  Netzhautermüdung  bedingendes  Stoffwechsel- 
erzeugniss  ausgepresst  und  so  die  Funktionstüchtigkeit  so- 
fort wieder  hergestellt  wird.  Schon  der  Gedanke,  dass  ein 
von  Wasser  durchträuktes  Gebilde,  welches  zwischen  anderen 

3* 


36    £•  Heriog,  lieber  Ermadong  und  Erfaolang  des  Sehorgans. 

obenfaUs  wasserdurcbtränkten  Geweben  eingeschlossen  ist, 
dnrch  eine  Augenbewegung  ausgepresst  werden  soll,  ist  be- 
fremdend, mag  man  sich  die  Auspressung  auch  noch  so 
zart  vorstellen.  Denn  es  wäre  wohl  physikalisch  verständ- 
lich, dass  ein  gesteigerter  Druck  im  Glaskörper,  welchen 
Fick  und  Gürber  zur  Erklärung  herbeiziehen,  irgendwie 
den  Säftestrom  in  der  Netzhaut  ändert,  aber  nicht  wohl 
denkbar  ist  unter  den  gegebenen  Verhältnissen  ein  Aus- 
quetschen der  Netzhaut.  Man  kann  z.  B.  einen  mit  Wasser 
getränkten  Schwamm  nicht  auspressen,  wenn  man  ihn  zu- 
vor in  eine  mit  Flüssigkeit  gefüllte  Blase  eingeschlossen 
hat  Vielleicht  aber  haben  Fick  und  Gürber  im  Grunde 
mehr  die  Vorstellung  einer  Art  Auswaschung  oder  Durch- 
spülung der  Netzhaut  gehabt.  Günstigstenfalls  könnte  es 
sich,  soviel  ich  sehe,  doch  nur  um  eine  durch  die  Augen- 
bewegung bewirkte  höchst  massige  Beschleunigung  eines 
stetig  fliessenden  Saftstromes,  nicht  aber  um  eine  gleichsam 
stossweise  erfolgende  Auspressung  oder  Durchspülung  han- 
deln. Durch  das  Verhalten  der  negativen  Nachbilder  und 
der  sogen.  Ermüdungserscheinungen  überhaupt  liesse  sich 
aber  eine  solche  Annahme  am  allerwenigsten  begründen, 
weil,  wie  die  angeführten  Thatsachen  lehren,  dieser  Verlauf 
durch  die  Augenbewegungen  als  solche  nicht  merklich  be- 
einilusst  wird. 


Ehrlich's  Methylenblaumethode  und  ihre 
Anwendung  auf  das  Auge. 

Von 

Dr.  Friedr.  Hosch  in  Basel. 

(Mittheiluiig  aus  dem  normal-anatomischen  Institut  in  Basel.) 

Hierzu  Tafel  I— II,  Fig.  1-8. 


Zur  Darstellung  der  peripheren  Nervenenden  stand  uns 
bis  Yor  Kurzem  eigentlich  nur  die  im  Jahre  1866  von 
Cohnheim  eingeführte  Vergoldungsmethode  zu  Gebote. 
Wenn  dieselbe  seither  auch  wesentlich  verbessert  und  ver- 
vollkonmmet  worden  ist  —  ich  erwähne  nur  die  Namen 
Ranvier  und  Löwitt  — ,  so  wird  doch  Jeder,  der  sich 
etwas  eingehender  damit  beschäftigt  hat,  zugeben  müssen, 
dass  trotzdem  diese  Methode  von  capriciösester  Natur  ist, 
recht  oft  fehlschlägt  und  noch  häufiger  unerklärliche  Arte- 
fakte liefert. 

Wir  haben  daher  allen  Grund,  Professor  Ehrlich  in 
Berlin  dankbar  zu  sein,  dass  er  uns  im  Jahre  1886  in  der 
Deutschen  medic.  Wochenschrift  ein  neues  Verfahren  die 
Nervenendigungen  zu  färben,  gelehrt  hat,  das  bei  einiger 
Technik  stets  gelingt  und  das  namentlich  nicht,  wie  die 
Goldmethode,  nebenbei  noch  alle  möglichen  Dinge  mit  tin- 
girt  Auf  gewisse  Uebelstände,  die  leider  auch  diesem  Ver- 
fahren anhaften,  an  deren  Vermeidung  aber,  wie  ich  gleich 
bemerken  will,  schon  mit  grossem  Erfolg  gearbeitet  worden, 


38  Fr.  Hosch. 

werde  ich  später  zu  reden  kommen.  Da  die  Methode  in 
unserer  Fachliteratur  meines  Wissens  noch  gar  nicht  Er- 
wähnung gefunden  hat,  so  will  ich  erst  die  Technik,  wie 
sie  ursprünglich  von  Ehrlich  empfohlen  und  seither  recht 
glücklich  ausgebildet  worden  ist,  etwas  eingehender  schildern. 

Wenn  man  einem  lebenden  Frosch  oder  einem  frisch 
getödteten  Säugethier  oder  Vogel  (bei  letzteren,  überhaupt 
Warmblütern,  wirkt  Methylenblau  als  heftiges,  rasch  töd- 
tendes  Gift)  eine  gesättigte  Lösung  von  Methylenblau  (in 
physiologischer  Kochsalzlösung)  in  das  Gefässsystem  injicirt, 
so  färben  sich  zunächst  sämmtliche  Organe,  deren  Gefässe 
vom  Farbstoff  erreicht  werden,  intensiv  blau.  Bald  aber 
beginnen  die  gefärbten  Theile  blässer  zu  werden  und  haben 
nach  kurzer  Zeit,  oft  schon  nach  wenigen  Minuten,  jede 
Spur  einer  Blaufärbung  wieder  verloren. 

Bringt  man  nun  ein  Stückchen  eines  Organs,  das  vor- 
her gefärbt  war,  unter  das  Mikroskop,  so  beobachtet  man, 
wie  unter  dem  Einflüsse  der  Luft  (es  darf  also  kein  Deck- 
glas aufgelegt  werden)  die  letzten  Spuren  von  Farbstoff  die 
Gefässe  verlassen,  und  mit  ganz  allmäliger  Steigerung  eine 
blaue  Tinction  der  umgebenden  Nervenelemente  eintritt, 
„zuerst  der  Nervenfibrillen,  der  Nervenendapparate,  der 
Nervenzellenfortsätze  und  der  Zellen  selbst,  darauf  der  nack- 
ten Achsencylinder  und  marklosen  Nervenfasern,  der  Ran- 
vier'sehen  Kreuze  und  der  Theilungsstellen  der  markhal- 
tigen  Fasern.  Am  schwierigsten  färben  sich  die  markhal- 
tigen  Nervenfasern,  wahrscheinlich  weil  die  Markscheide 
dem  Methylenblau  den  Zutritt  zu  den  Achsencylindern  er- 
schwert" (Dogiel). 

Der  Anblick  ist  für  den,  dem  er  zum  ersten  Male  zu 
Theil  wird,  im  höchsten  Grade  überraschend,  und  man  be- 
greift wohl,  dass  ein  Mann  wie  G.  Retzius,  die  Ehrlich- 
sche  Erfindung  für  „eine  der  bedeutungsvollsten  Errungen- 
schaften der  neuesten  histologischen  Technik,  wenn  nicht 
geradezu  für  die  vornehmste  derselben"  erklärt. 


£hrlich*s  Methylenblaamethode  und  ihre  Anwendung  a.  d.  Auge.  39 

Es  mag  hier  am  Platze  sein,  einige  Worte  über  den 
Chemismus,  der  bei  dem  beschriebenen  Vorgang  in  Action 
tritt,  oder  wenigstens  wie  derselbe  von  dem  Erfinder  auf- 
gefasst  wird,  zu  sagen. 

Zunächst  konnte  Ehrlich  durch  mühsame  Gontroll- 
versuche  sich  davon  überzeugen,  dass  das  salzsaure  Methy- 
lenblau, als  dessen  Formel 

C6  H3  —  NCCHs), 

/  \ 

N  S 

\         / 

C6H3  —  N(CH3),C1 


anzusehen  ist,  seine  nervenfärbende  Eigenschaft  dem  Ein- 
tritt des  Schwefels  in  dieselbe  verdankt  und  dass  sie  mit 
Elimination  des  letzteren  dahinfällt. 

Von  Seite  der  Gewebe  müssen  nach  der  Ansicht  von 
Ehrlich  zum  Gelingen  der  Nervenfärbung  drei  Bedingun- 
gen erfüllt  sein: 

1)  müssen  dieselben  gefässhaltig  sein; 

2)  müssen  die  betreffenden  Nervenfasern  mit  Sauer- 
stoff gesättigt  sein; 

3)  müssen  sie  alkalisch  reagiren. 

Sein  Schüler  Aronsohn  führt  dies  in  seiner  Disserta- 
tion weiter  aus:  „Das  Methylenblau  ist  ein  sogen,  küpen- 
bildender Farbstoff.  Durch  reducirende  (resp.  Sauerstoff 
entziehende)  Agentien  wird  er  verhältnissmässig  leicht,  in- 
dem zwei  H-Atome  aufgenommen  werden,  zu  Leukomethy- 
lenblau  reducirt,  welcher  Körper  sich  bei  Luftzutritt  wie- 
der von  selbst  in  sein  blaues  Oxydationsproduct  verwandelt. 
Während  des  Lebens  sind  die  Nerven  so  gut  mit  0  ver- 
sorgt, dass  sie  das  von  ihnen  aufgenommene  Methylenblau 
nicht  zu  reduciren  vermögen.  Nach  dem  Tode  des  Thieres 
werden  dieselben  wie  fast  alle  übrigen  blau  gefärbten  Ele- 


40  Fr.  Bosch. 

mente  farblos,  d.  h.  nachdem  die  Zufuhr  der  natürlichen 
Sauerstoffspender  aufgehört  hat,  wachsen  die  Sauerstoff  an- 
ziehenden Affinitäten  des  Protoplasma  derart,  dass  sie  den 
0  jetzt  dem  Methylenblau  zu  entziehen  im  Stande  sind. 
Jedoch  nehmen  die  farblosen  Gewebe,  in  specie  die  Nerven, 
wenn  sie  —  zumal  in  dünnen  Schichten  —  der  Luft  aus- 
gesetzt werden,  ihre  ursprüngliche  blaue  Farbe  wieder  an.** 

Dieser  Process  der  secundären  Oxydation,  wie  Aron- 
söhn  den  beschriebenen  Vorgang  nennt,  wird  nun  von  an- 
deren Beobachtern  (Schwalbe,  Feist)  in  Abrede  gestellt 
Sie  wollen  nichts  davon  wissen,  dass  die  betreffenden  Ner- 
ven schon  einmal  gefärbt  gewesen  seien  und  durch  Mangel 
an  0  schon  intra  vitam  oder  erst  beim  Tode  ihre  Farbe 
wieder  verloren  hätten,  sondern  nehmen  einfach  an,  dass 
die  Blautinction  unter  dem  Einflüsse  des  atmosphärischen 
Sauerstoffs,  zusammen  mit  gewissen  chemischen  oder  physi- 
kalischen Veränderungen,  welche  die  Gewebe  beim  Abster- 
ben erleiden,  eintritt. 

Ich  will  mich  bei  diesem  noch  streitigen  Punkte  nicht 
länger  aufhalten.  Da  ich  nur  am  todten  Thier  experimen- 
lirt  habe,  kann  ich  mir  ein  bestimmtes  Urtheil  in  dieser 
Hinsicht  nicht  erlauben. 

Wie  Dogiel  gezeigt  hat,  kann  man  ein  ähnliches  Re- 
sultat, wie  durch  Infusion  des  blauen  Farbstoffes  in  das 
Blutgefässsystem,  auch  erreichen,  wenn  man  die  zu  färben- 
den Gewebe  auf  dem  Objectträger  mit  verdünnter  Methy- 
lenblaulösung behandelt,  bei  freiem  Zutritt  der  Luft.  Unter 
seinen  Augen  sieht  man  bald,  schon  nach  5 — 10  Minuten, 
die  vorhandenen  Nerven  sich  färben,  anfangs  sehr  schwach, 
allmälig  aber  wird  die  Färbung  eine  stärkere,  bis  nach 
Verlauf  einer  gewissen  Zeit,  alle  eingelagerten  Nervenele- 
mente in  der  gleichen  Reihenfolge  wie  bei  der  Injection 
tingirt  sind.  Allerdings  färben  sich  hierbei,  im  Gegensatz 
zu  letzterer,  noch  allerlei  Zellen  und  bilden  sich  etwas  stö- 
rende Niederschläge,  so  dass  sich  das  Resultat  doch  nicht 


EhrlicVs  Methylenblaamethode  und  ihre  Anwendung  a.  d.  Auge.  41 

ganz  dem  bei  der  Injection  erhaltenen  an  die  Seite  stellen 
lasst. 

Wie  bereits  angedeutet,  hat  auch  diese  Methode,  so 
trefflich  sie  sonst  ist,  gewisse  Uebelstände  und  Mängel  an 
sich.  Einer  der  unangenehmsten  ist,  dass  die  Färbung  sehr 
vergänglich  ist  Nach  kurzer  Zeit,  oft  schon  nach  10  Mi- 
nuten, beginnen  die  tingirten  Theile  abzublassen,  und  sehr 
bald  ist  von  dem  so  schönen  Bilde  nichts  mehr  übrig  ge- 
blieben; ein  hellblauer  Saum  umrandet  noch  das  Präparat, 
und  auch  dieser  ist  binnen  Kurzem  verschwunden. 

Es  ist  sehr  begreiflich,  dass  man  alle  Anstrengungen 
gemacht  hat,  die  mit  solcher  Mühe  erhaltenen  Präparate 
zu  retten  oder  die  Färbung  derselben  wenigstens  so  lange 
zu  fixiren,  dass  sie  gezeichnet  und  genügend  durchstudirt 
werden  können.  In  diesem  Bestreben  haben  sich  nament- 
lich Prof.  Arnstein  in  Kasan  und  seine  Schüler  Smirnow 
und  Dogiel,  grosse  Verdienste  erworben.  Zunächst  wurde 
hierzu  eine  einprocentwässerige  Lösung  von  Jodkalium  ver- 
wendet, in  welcher  metallisches  Jod  bis  zur  Sättigung  ge- 
löst ist.  Mit  dieser  Lösung  wird  am  besten  das  Blutgefass- 
system  durchspült  Dann  werden  die  Gewebsstücke  aus- 
geschnitten, 6  — 12  Stunden  in  die  Jodlösung  gelegt  und 
ausgewässert  Jetzt  heben  sich  die  früher  blassen  Nerven 
in  schwarzbrauner  oder  grauer  Farbe  auf  dem  fast  farb- 
losen Grunde  ab.  Noch  bessere  Resultate  erhielt  dann 
Smirnow  mit  einer  Lösung  von  Hoyer'schem  Pikrokar- 
min,  als  dessen  fixirendes  Agens  von  Dogiel  das  pikrin- 
saure  Ammoniak  erkannt  wurde.  Seither  wird  wohl  nur 
noch  das  letztere  in  concentrirter  wässeriger  Lösung  ^r 
Fixirung  benützt  und  giebt  recht  schöne  Resultate.  Das 
Methylenblau  wird  in  Form  eines  feinkörnigen,  violetten 
Niederschlags  gefallt,  zugleich  aber  das  Grundgewebe  durch- 
sichtig gemacht  und  somit  ermöglicht,  auch  relativ  dicke 
Häutchen  und  Gewebsstücke  noch  in  toto  zu  untersuchen. 
Zudem  wird  durch  das  pikrinsaure  Ammoniak  das  Gewebe 


42  Fr.  Hosch. 

gelockert  und  zum  Zerzupfen  sehr  geeignet.  Ich  habe  alle 
mir  bekannt  gewordenen  Fixirmittel  durchprobirt,  bin  aber 
stets  gerne  wieder  zum  pikrinsauren  Ammoniak  zurückge- 
kehrt. 

Weniger  glücklich  ist  man  bis  jetzt  gewesen  mit  den 
Versuchen,  die  Methylenblaupräparate  zu  härten  oder  sonst 
wie  zum  Schneiden  geeignet  zu  machen.  Nach  meinen 
schmerzlichen  Erfahrungen  zieht  schon  die  geringste  Spur 
von  Alkohol,  Aether  oder  ätherischen  Oelen  den  Farbstoff 
in  rapidester  Weise  aus.  Auch  Versuche,  die  Präparate  in 
Kl ebs' sehen  Glycerinleim  einzuschliessen,  sind  mir  bis  da- 
hin total  missglückt,  da  dieselben  die  zum  Flüssigmachen 
des  Leims  nöthige  Temperatur  absolut  nicht  ertrugen.  Eben- 
sowenig führte  mich  der  von  Feist  empfohlene  Einschluss 
in  Gummiglycerin  (nach  Joliet)  zu  einem  nennenswerthen 
Resultate.  Entweder  war  die  Einschlussmasse  zu  weich 
und  erlaubte  dann  nur  sehr  dicke  Schnitte,  oder  sie  wurde 
rasch  so  hart,  dass  sie  gar  nicht  mehr  geschnitten  werden 
konnte.  Ein  grosser  Uebelstand  ist  dabei  auch,  dass  man 
das  Messer  stark  mit  Glycerin  befeuchten  muss.  Dass  auch 
Andere  beim  Schneiden  auf  ganz  besondere  Schwierigkeiten 
gestossen  sind,  beweist  mir  die  Thatsache,  dass  alle  Em- 
pfehlungen in  dieser  Hinsicht  durchweg  höchst  ungenau 
redigirt  sind.  Meiner  Ansicht  nach  verdient  einstweilen  nur 
das  Schneiden  der  frisch  gefärbten  Präparate  mit  dem  Ge- 
friermikrotom und  nachheriges  Fixiren  mit  pikrinsaurem 
Ammoniak  wirkliches  Vertrauen.  Leider  bekommt  man  da- 
bei aber  wohl  nur  ziemlich  dicke  Schnitte,  die  das  Erken- 
nen feinerer  Einzelnheiten  und  die  Anwendung  stärkerer 
Vergrösserungen  nicht  zulassen. 

Ich  habe  nun,  auf  Anregung  von  Herrn  Prof.  Koll- 
man,  welchem  ich  für  seine  Unterstützung  hiermit  bestens 
danke,  es  unternommen  zu  untersuchen,  welche  Resultate 
die  so  viel  versprechende  neue  Methode  am  Auge  zu  Tage 
zu  fördern  im  Stande  sei.  Die  Versuche  wurden  ausschliess- 


Ehrliches  Methylenblaumethode  und  ihre  Anwendung  a.  d.  Auge.  43 

lieh  am  albinotisclien  Kaninchen  vorgenommen  und  bezogen 
sich  in  erster  Linie  auf  die  Cornea  und  Iris.  Die  Retina, 
welche  schon  von  Dogiel  selbst  eine  eingehende  Bearbei- 
tung erfahren  hat,  wurde  nur  nebenbei  berücksichtigt. 

Bei  der  Injection  des  Farbstoffes  in  das  Blutgefäss- 
system  verfuhr  ich  folgendermaassen:  Zunächst  wird  das 
Thier  zu  Tode  chloroformirt,  dann  rasch  die  Bauchhöhle 
eröffiiet  und  eines  der  grossen  Gefässe  in  derselben  —  zur 
möglichsten  Entleerung  des  Circulationsapparates  —  durch- 
schnitten. Nun  werden  Aorta  ascendens  und  Art.  pulmo- 
nalis  zusammen  unmittelbar  über  dem  Herzen  umschnürt 
und  die  Canüle  mit  der  —  kopfwärts  gerichteten  —  Spitze 
in  einen  Schlitz  der  Aorta  thoracica  eingebunden. 

Anfangs  machte  ich  die  Injectionen  mit  einer  gewöhn- 
lichen Injectionsspritze  und  kalter  gesättigter  Methylenblau- 
lösung, kam  aber  nur  ausnahmsweise  und  nur  zum  Theil 
zum  gewünschten  Ziele.  Gewöhnlich  stiess  der  Kolben  der 
Spritze  schon  auf  starken  Widerstand,  noch  ehe  die  Blau- 
färbung der  Ohren  und  des  übrigen  Kopfes  genügend  ein- 
getreten war.  Wurde  dann  die  Injection  forcirt,  so  zeigte 
bald  die  da  und  dort  austretende  Farblösung  an,  dass  un- 
liebsame Rupturen  eingetreten  seien  und  damit  das  Experi- 
ment fehlgeschlagen  habe. 

Da  Herr  Prof.  Kollmann  der  Ansicht  war,  dass  an 
diesem  Missgeschick  nur  ein  hochgradiger  Gefässkrampf 
Schuld  sein  könne,  so  habe  ich  mir  mittelst  Trichter  und 
Gummischlauch  einen  gdnz  einfachen  Injectionsapparat  für 
Constanten  Druck  zusammengestellt  und  die  Injectionsflüs- 
sigkeit  jeweilen  im  Wasserbade  auf  Bluttemperatur  erwärmt. 
Damit  waren  jene  Uebelstände  sofort  beseitigt,  und  die  In- 
jectionen geschehen  jetzt  mit  einer  Sicherheit  und  Schnel- 
ligkeit, wie  man  sie  nicht  besser  wünschen  kann.  Schon 
nach  Abflnss  von  wenigen  Cubikcentimetem  der  Farblösung 
färben  sich  die  Ohren  intensiv  blau,  bald  auch  die  Schnauze 
und  der  übrige  Kopf.   Nach  wenigen  Minuten  ist  die  Con- 


44  Fr.  HoBch. 

juDctiva  und  bald  auch  die  Iris  dunkelblau  gefärbt.  In 
letzterer  treten  zuerst  vier  Gefasse  in  Form  von  dicken 
blauen  Strängen  auf,  die  aber  unter  der  allgemeinen  Bläu- 
ung in  kurzer  Zeit  wieder  verschwinden. 

Nach  meiner  Erfahrung  ist  es  am  Platze,  damit  auch 
die  feinen  Gefasse  sich  füllen  und  die  Färbung  der  Nerven 
bis  in  die  Peripherie  genügend  sei,  mit  der  Infusion  noch 
etwas  fortzufahren.  Allerdings  werden  auf  diese  Weise  die 
an  Gefässen  besonders  reichen  Theile,  wie  Cborioidea  und 
Ciliarkörper,  wegen  der  reichlichen  Farbstoffextravasate, 
für  die  spätere  Untersuchung  nahezu  unbrauchbar.  Dafür 
hat  man  aber,  wie  erwähnt,  den  Vortheil,  dass  die  Fär- 
bung der  für  den  gewünschten  Zweck  wichtigen  Parthieen 
eine  um  so  intensivere  ist  und  bleibt. 

Die  Dauer  der  Injectionen  überschreitet  selten  fünf 
Minuten,  seit  ich  dieselben  in  der  beschriebenen  Weise  vor- 
zunehmen pflege. 

Nach  kurzer  Zeit  blassen  die  blau  gefärbten  Theile 
wieder  ab.  Nur  an  den  der  Luft  ausgesetzten  Stellen,  wie 
im  Bereich  der  Lidspalte,  bleibt  die  Färbung  länger  be- 
stehen. 

Alle  Beobachter  geben  den  Bath,  das  injicirte  Thier 
eine  Zeit  lang  liegen  zu  lassen  und  erst  dann  die  zu  unter- 
suchenden Gewebsstücke  auszuschneiden  und  —  unter  freiem 
Zutritt  der  Luft,  also  ohne  Deckglas  —  auf  den  Object- 
träger  zu  bringen.  Wie  lange  man  warten  soll,  darüber 
finden  sich  aber  fast  überall  andere  Angaben,  welche  zwi- 
schen Vi  und  drei,  sogar  noch  mehr  Stunden  schwanken. 

Ich  habe  nun  aus  meinen  Versuchen  den  Eindruck  ge- 
wonnen, als  könne,  vorausgesetzt,  dass  die  Färbung  eine 
genügende  war,  die  Untersuchung  vorgenommen  werden, 
sobald  die  Abblassung  eingetreten  ist  und  damit  der  Farb- 
stoff die  Blutgefässe  verlassen  hat.  Aehnlich  wie  bei  den 
Objectträgerfärbungen  sehen  wir  jetzt,  unter  dem  Einflüsse 
des   atmosphärischen  Sauerstoffis,   vor   unseren   Augen   die 


Ehrliches  Methylenblaamethode  und  ihre  Anwendung  a.  d.  Auge.  45 

feinsten  Ausbreitungen  des  Achsencylinders  ganz  allmälig 
sich  blau  färben  und  können  ganz  sicher  den  Zeitpunkt 
bestimmen,  von  welchem  an  die  Färbung  nicht  mehr  weiter 
schreiten,  sondern  zurückgehen  wird.  Dies  ist  der  Moment, 
wo  es  sich  darum  handelt,  dem  so  vergänglichen  Bilde 
Dauer  zu  geben,  resp.  dasselbe  zu  fixiren. 

Es  ist  dies  ohne  Zweifel  der  heikelste  Theil  des  gan- 
zen Versuchs,  was  schon  aus  den  zum  Theil  sehr  unbe- 
stimmten, zum  Theil  sehr  differenten  Angaben  der  Autoren 
hierüber  zu  ersehen  ist.  Ich  habe  oben  erwähnt,  dass  ich 
nach  mehrfachen  Proben  mit  anderen  Fixirmitteln  stets 
wieder  zur  gesättigten  Lösung  des  pikrinsauren  Ammoniaks 
zurückgekehrt  bin.  Ueber  die  Dauer  seiner  Einwirkung  be- 
stimmte Regeln  aufstellen  zu  wollen,  scheint  mir  ganz  un- 
statthaft; sie  ist  eben  für  jeden  einzelnen  Fall  wieder  eine 
andere,  ohne  dass  sich  eine  bestimmte  Erklärung  dafür  auf- 
finden liesse.  Nach  einiger  Uebung,  aber  auch  nach  man- 
cher Enttäuschung  bringt  man  es  jedoch  dahin,  mit  ziem- 
licher Sicherheit  den  Moment  zu  bestimmen,  in  welchem 
die  Fixation  eine  genügende  ist  und  unterbrochen  werden 
darf.  Durch  das  pikrinsaure  Ammoniak  wird  das  Methylen- 
blau in  Form  eines  feinkörnigen  violetten  Niederschlags  ge- 
fällt; doch  bedarf  dies  an  verschiedenen  Stellen  des  glei- 
chen Präparates  einer  verschieden  langen  Einwirkung  des- 
selben. Man  hat  also  einfach  abzuwarten,  bis  alles,  was 
vorher  blau  war,  entschieden  violett  geworden  ist.  Auf 
diese  Weise  habe  ich  Präparate  bekommen,  die  nun  schon 
5—6  Monate  alt  sind  und  alle  Details  noch  so  vollkommen 
zeigen'),  wie  unmittelbar  nach  der  Fixirung,  während  an- 
dere, bei  denen  ich  die  Fixirung  zu  früh  unterbrochen, 
allmälig  vollständig  abgeblasst  sind. 

^)  Leider  bin  ich  gezwungen,  die  obige  Angabe,  aus  der  man 
schliessen  könnte,  die  Präparate  hätten  nunmehr  eine  unbegrenzte 
Haltbarkeit  gewonnen,  etwas  zu  modificiren.  Die  ältesten  derselben, 
welche  aus  der  ersten  Hälfte  des  November  1890  stammen,  und  noch 


46  Fr.  Hosch. 

Die  fixirten  Präparate  werden  am  besten  in  Glycerin 
aufbewahrt.  Einige  Autoren  empfehlen  diesem  etwas  pikrin- 
saures  Ammoniak  zuzusetzen.  Mir  scheinen  die  —  gut 
fixirten  —  Präparate  ohne  solches  hübscher  und  ebenso 
haltbar  zu  sein.  Um  diejenigen  Präparate,  welche  aufbe- 
wahrt werden  sollen,  pflege  ich  einen  Rand  von  Klebs'schen 
Glycerinleim  zu  ziehen. 

Was  zunächst  die  Cornea  anbelangt,  so  sieht  man 
durch  das  Methylenblau  sofort  viele  Zellen  deutlich  gefärbt. 
Ich  hebe  diesen  Umstand  besonders  hervor,  weil  er  zeigt, 
dass  nicht  bloss  Nervenfasern  und  Nervenzellen  gefärbt 
werden.  Es  ist  wahrscheinlich  das  specifische  Protoplasma 
dieser  Zellen,  das  ähnlich  wie  die  Achsencylinder  reagirt. 
Nach  der  Fixirung  mit  pikrinsaurem  Ammoniak  werden 
noch  mehr  Homhautzellen,  vielleicht  alle,  deutlich.  Hier- 
nach wäre  also  eine  Angabo  Arnstein's  zu  modificireu, 
der  an  den  Zellen  vor  der  Fixirung  keine  Färbung  wahr- 
nahm. 

Die  Grundsubstanz  der  Cornea  bleibt  nach-  wie  vor- 
her ungefärbt,  wodurch  das  Präparat  äusserst  durchsichtig 
wird  und  sämmtliche  Nervenverzweigungen  sich  deutlichst 
verfolgen  lassen,  zum  Unterschiede  von  der  Goldbehand- 
lung, bei  der  auch  das  Grundgewebe  stark  sich  färbt,  wes- 
halb sie  für  Flächenpräparate  nur  bei  dünnen  Hornhäuten 
oder  bei  Zerzupfung  in  Lamellen  sich  eignet 

Die  mit  Methylenblau  erhaltenen  Flächenpräparate  stim- 
men ziemlich  genau  mit  der  Beschreibung,  welche  Ran  vier 
und  Schwalbe  geben.  Die  am  Rande  eintretenden,  sofort 
marklos  werdenden,  aus  dicht  gedrängten  feinen  und  mit 
zarten  Varicositäten  versehenen  Fibrillen  bestehenden  Ner- 
ven verlaufen,  nach  Art  der  Aeste  eines  Baumes  wiederholt 

am  30.  Mai  d.  J.  der  schweizerischen  Aerzte-Yersammlung  in  ihrer 
ganzen  Schönheit  gezeigt  werden  konnten,  beginnen  nun  auch  in 
ihren  zartesten  Parthieen  abzublassen  und  werden  wohl  bald  ganz 
unbrauchbar  geworden  sein. 


Ehrlich's  Methylenblaumethode  und  ihre  Anwendung  a.  d.  Auge.  47 

dichotomisch  sich  theilend  und  reichlich  unter  einander 
anastomosirend,  gegen  die  Hornhautmitte  hin,  um  dort  den 
Basalplexus  zu  bilden.  An  den  Theiluugsstellen  kommt  je- 
weilen  eine  Verbreiterung  zu  Stande;  die  bisher  dicht  an- 
einander liegenden  Axencylinderfibrillen  weichen  auseinan- 
der und  durchkreuzen  sich  auf  das  Mannigfachste  nach 
allen  Richtungen  hin.  In  diese  Knotenpunkte  sind  fast 
regelmässig  längliche  Kerne  eingelagert,  welchen  His  die 
Bedeutung  von  Ganglienzellen  beilegte,  während  Hoyer  u. 
A.  m.  sie  —  wohl  mit  Recht  —  nur  als  Bestandtheile  der 
die  Fibrillen  vereinigenden  Neuroglia  betrachten  (Figur  1). 

Nach  dem  Durchtritt  durch  den  Knoten  sammeln  sich 
die  Fibrillen  zu  entsprechend  verjüngten  Stämmchen,  indem 
sie  sich  innigst  aneinander  lagern,  um  beim  nächsten  Kno- 
tenpunkte wieder  in  gleicher  Weise  auseinander  zu  gehen 
und  sich  von  Neuem  zu  durchflechten.  Dieser  Vorgang 
wiederholt  sich  mehrmals,  während  das  Nervenästchen  in 
radiärer  Richtung  der  Homhautmitte  zustrebt  und  auf  die- 
sem Wege  sowohl  mit  den  benachbarten  Zweigen  als  auch 
mit  den  zwischen  den  vorderen  Schichten  der  Hornhaut 
eintretenden  Aestchen  Verbindungen  eingeht. 

Die  Anastomosen,  welche  die  einzelnen  Nervenstämm- 
chen  unter  sich  bilden,  sind  sehr  verschieden,  bald  etwas 
steif,  ähnlich  den  Zweigen  eines  Baumes,  bald  feine,  leicht 
gebogene  Bälkchen  bildend.  Ein  sehr  zierliches  Bild  er- 
giebt  sich,  wenn  ein  solches  Bälkchen  spiralig  um  ein  dicke- 
res Aestchen  sich  herumwindet.  Nicht  selten  wird  die  Ver- 
bindung auch  durch  eine  einzige  Fibrille  besorgt,  und  zwar 
meist  nicht  auf  dem  kürzesten  Wege,  sondern  die  Faser 
strebt  erst  in  einem  Bogen  gegen  die  Hornhautmitte,  um 
dann  ganz  plötzlich  unter  einem  fast  rechten  Winkel  gegen 
die  Anastomose  sich  zu  wenden.  So  entstehen  die  zierlich- 
sten und  mannigfaltigsten  Bilder,  die  um  so  mehr  frap- 
piren,  weil  sie  sich  so  deutlich  von  dem  farblosen  Grunde 
abheben.     Fig.  2  mag  einen  ungefähren  Begriff  geben  von 


48  Fr.  Hosch. 

der  Mannigfkltigkeit  und  dem  Reichthum  der  in  einem  ein- 
zigen Gesichtsfelde  enthaltenen  Nervenverzweigungen. 

In  einem  Präparate  fand  sich  eine  besonders  auffal- 
lende Anastomosenbildung  vor;  unmittelbar  aus  einem  Kno- 
ten tritt  ein  stark  gekörnter  Strang  hervor,  der  nach  kur- 
zem Verlauf  ganz  plötzlich  in  eine  olivenförmige,  ebenfalls 
gekörnte  und  sehr  dunkel  gefärbte  Anschwellung  ausläuft. 
Aus  dieser  Anschwellung  geht  nun  ein  feiner  Faden  hervor, 
welcher  in  bogenförmigem  Verlaufe  mit  einer  ähnlichen 
olivenförmigen  Anschwellung  sich  verbindet,  die  aus  einem 
anderen  Knoten  des  Grundplexus  sich  entwickelt  (Fig.  3). 
Ob  wir  es  hier  mit  einer  normalen  oder  pathologischen 
Bildung  —  vielleicht  den  Resten  einer  früheren  Verletzung 
—  zu  thun  haben,  konnte  ich  bis  jetzt  nicht  eruiren.  Auf 
letzteres  scheint  mir  einigermaassen  der  Umstand  zu  deu- 
ten, dass  diese  Bildung  sich  eben  nur  in  einer  einzigen 
Cornea,  wenn  auch  mehrfach,  vorfand. 

Einen  Uebergang  der  Stromanerven  in  das  Protoplasma 
der  Hornhautzellen  und  Endigung  in  den  Nerven  derselben, 
wie  es  namentlich  von  Lavdowski  behauptet  und  auf  das 
Deutlichste  gezeichnet  wird,  vermochte  ich  ebenso  wenig 
nachzuweisen  als  die  meisten  anderen  Beobachter.  Da,  wo 
eine  solche  innigere  Beziehung  zu  den  Hornhautzellen  vor- 
handen schien,  konnte  bei  genauerer  Untersuchung  oder 
Anwendung  stärkerer  Vergrösserung  jeweilen  constatirt  wer- 
den, dass  die  betreffenden  Nervenfasern  sich  bloss  den  Rän- 
dern der  Zellen  oder  ihrer  Oberfläche  anlegten  oder  über 
sie  hinwegliefen. 

Für  diese  Beobachtung  eignen  sich  die  so  durchsich- 
tigen Methylenblaupräparate  ganz  ausgezeichnet,  während 
dagegen  die  Frage,  ob  die  Nervenfasern  zu  ihrer  Ausbrei- 
tung vorzugsweise  die  Saftkanälchen  benutzen,  wie  behaup- 
tet wird,  mittelst  derselben  sich  kaum  entscheiden  lässt. 
Immerhin  wird  wohl  Hoyer  Recht  haben,  wenn  er  annimmt, 
dass   sie   mit  Vorliebe   diese   vorgebildeten  Wege  wählen, 


£]urlich*B  Methyl^oblaamethode  und  ihre  Anwendung  a.  d.  Ange.  49 

weil  ihnen  eben  dort  am  wenigsten  Hindernisse  entgegen«' 
treten,  gleichwie  anch  die  Wanderzellen  bei  entzündlichen 
Zustanden  yorzugsweise  nach  dem  vom  Protoplasma  erfüll- 
ten Lückensystem  sich  zu  drängen  pflegen. 

Vom  Hauptgeflecht  trennen  sich  mehr  weniger  lange 
Fäden,  welche  senkrecht  oder  schräg  nach  vom  verlaufen, 
als  rami  perforantes  die  Basalmembran  durchbohren  und 
unter  dem  vorderen  Epithel  den  subepithelialen  Plexus 
bilden.  Von  diesem  sieht  man  wiederum  nach  allen  Rich- 
tungen eine  Unmasse  von  feinsten,  mit  Varicositäten  ver- 
sehenen Fibrillen  abgehen,  welche  meist  auf  lange  Strecken 
ganz  geradlinig,  zuweilen  auch  in  verschiedenen  Richtungen 
sich  schlängelnd  verlaufen,  sich  auch  verzweigen  und  mit 
anderen  Fibrillen  kreuzen  und  verbinden.  Geht  man  die- 
sen feinen  Fädchen  bis  ans  Ende  nach,  wozu  man  nicht 
selten  einen  grossen  Theil  des  Präparates  durchsuchen  muss, 
so  findet  man,  dass  sie  mit  kleinen  Knöpfchen,  ähnlich  den 
im  Verlaufe  des  Fadens  vorhandenen  varicösen  Anschwel- 
lungen, zuweilen  auch  mit  einer  schaufelformigen  Verbrei- 
terung —  scheinbar  frei  —  enden  (Fig.  4). 

Um  hierüber  ins  Klare  zu  kommen,  sind  feine  senk- 
rechte Durchschnitte  unerlässlich.  Da  nun  aber  die  Methy- 
lenblaupräparate, wie  mitgetheilt,  hierfür  nicht  zu  verwen- 
den sind,  habe  ich  Kaninchenhomhäute  nach  der  Vorschrift 
Ranvier's  mit  Gold  behandelt,  in  Alkohol  gehärtet  und 
in  Paraffin  eingebettet.  Es  ergab  sich  nun  des  Unzweifel- 
haftesten, dass  die  Fäden  bis  zu  den  oberflächlichen  Pflaster- 
zellen des  Epithels  hinaufsteigen  und  dort  mit  einer  knopf- 
förmigen  Anschwellung  enden  (Fig.  5).  Hoyer  erklärt  zwar 
sowohl  diese  knopfartigen  Verdickungen  an  den  Enden,  als 
auch  die  Varicositäten  im  Verlaufe  der  Fibrillen  sämmtlich 
für  Knnstprodukte,  welche  theils  durch  unvollkommene  und 
ungleichmässige,  theils  durch  zu  intensive  Goldwirkung  er- 
zeugt sein  sollen.  An  besonders  gelungenen  Präparaten, 
wie  Fig.  5,  sind  die  „Endknöpfchen",  obschon  sie  keinerlei 

T.  GrMfe'a  Arcblv  fQr  Ophthalmologie.  XXXVII.  8.  4 


50  Fr.  Bosch. 

weitete  Structur  erkennen  lassen,  jedoch  Ton  so  diarakte- 
ristischem  Aussehen  und  bilden  so  sehr  das  natürliche  Ende 
der  Nervenfaser,  dass  man  sie  nur  mit  Zwang  für  Arte« 
üakte  halten  würde.  Ich  meines  Theils  stehe  nicht  an,  in 
ihnen  die  Endorgane  der  sensiblen  Hornhautnerven  zu  er- 
kennen. Damit  ist  wohl  die  jüngst  von  Brand  (Arch.  für 
Augenheilk.  XIX)  aufgestellte  Behauptung,  dass  die  Rami 
perforantes  die  letzten  Endigungen  der  Hornhautnerven 
seien,  und  dass  bei  keiner  Thierspecies  das  Nervenendorgan 
„über  das  Hornhautstroma  hinaus^'  rage,  widerlegt 

Der  Nervenreichthum  ist  an  den  Methylenblaupräparar 
ten  ohne  Zweifel  noch  grösser  als  an  den  Goldpräparaten, 
so  gross,  dass,  wenn  man  nicht  so  leicht  die  directe  Be- 
ziehung der  feinsten  Fibrillen  zu  sicher  als  solche  erkenn- 
baren Nervenfasern  nachzuweisen  vermöchte,  man  an  der 
nervösen  Natur  derselben  oft  zweifeln  könnte.  Wir  müssen 
uns  eben  angewöhnen  mit  Hilfe  der  Ehrlich'schen  farfin«- 
dung  in  den  Geweben  viel  mehr  Nervenfasern  aufzufinden, 
als  wir  nach  den  bisher  gebräuchlichen  Methoden  darin  zu 
vermuthen  gewohnt  waren.  Bei  der  Cornea  kann  uns  übri- 
gens die  beschriebene  reiche  Vertheilung  der  Nervenverzwei- 
gungen nicht  so  sehr  wundem,  wenn  wir  an  die  physiolo- 
gische Aufgabe  dieser  Membran  denken,  welche  bei  voll- 
ständiger Durchsichtigkeit  eine  möglichst  ausgebildete  Sen- 
sibilität, vielleicht  sogar  eine  directe  Reizbarkeit  den  Licht- 
strahlen gegenüber  verlangt 

Auch  bei  der  Iris  zeigt  sich  die  Methode  von  grossem 
Vortheil  gegenüber  anderen.  Da  die  Regenbogenhaut  des 
albinotischen  Kaninchens  viel  zu  dick  ist,  um  in  toto  aus- 
gebreitet gute  üebersichtsbilder  über  den  ganzen  Verlauf 
der  Nerven  bis  zu  ihren  Endigungen  zu  geben,  so  muss 
man  gewöhnlich  durch  feine  Flächeuschnitte  oder  Abreissen 
von  einzelnen  Fetzen  sich  Auskunft  über  deren  Verbreitung 
zu  verschaffen  suchen.  Bei  der  Methylenblaumethode,  wo 
durch  die  Procedur  der  Fizirung  das  Grundgewebe,   wie 


ElirlicVB  Methylenblaomethode  und  ihre  Anwendung  a.  d.  Auge.  51 

wir  schon  bei  der  Cornea  gesehen  haben,  ganz  durchsichtig 
wird,  sehen  wir  sämmtliche  Nerven  Verzweigungen  in  über- 
sichtlichster Weise  auf  farblosem  Grunde.  Es  fallt  auch  hier 
zunächst  der  ungeheure  Nervenreichthum  auf,  wie  er  durch 
keine  andere  Methode  auch  nur  annähernd  dargestellt  wird. 

Zweifellos  die  beste  Beschreibung  der  Nervenverthei« 
lung  in  der  Iris  der  Säugethiere,  speciell  des  Kaninchens, 
verdanken  wir  AI.  Meyer  (Archiv  für  mikr.  Anat  1879, 
S.  324).  Er  unterscheidet  motorische  Nerven,  die  in  der 
Gegend  des  Sphincter  meist  aus  nackten  Fibrillenbündeln 
bestehen;  sensible  Nerven,  deren  Endapparate  an  der  vor- 
deren Oberfläche  der  Iris  ein  engmaschiges  Netz  bilden; 
und  endlich  vasomotorische  Nerven,  welche  in  sämmtlichen 
Schichten  der  Iris  verbreitet  sind. 

Unsere  Methyleublaupräparate  ergeben  nun  zunächst, 
dass  die  markhaltigen  Nerven  in  der  Ciliargegend  zwei 
durch  reichliche  Anastomosen  verbundene  circuläre  Plexus 
bilden,  von  denen  der  eine  etwas  tiefer  liegt,  als  der  andere. 
Von  diesen  aus  streben  korkzieherartig  gewundene  mark- 
haltige  Nervenfasern  in  radiärer  Richtung  —  eine  innigere 
Beziehung  zum  Verlauf  der  Gefässe  ist  mir  nicht  aufge- 
üedlen  —  nach  dem  äusseren  Sphincterrande  zu,  wo  sie 
sich  wiederum  zu  einem,  aus  arkadenformigen  Windungen 
bestehenden  Ringgeflecht  gruppiren.  Erst  von  da  gehen 
vorwiegend  marklose  Fasern  in  das  Gewebe  des  Sphincter 
ab,  um  hier  ein  überaus  reiches  Netz  von  feinen,  pnnktir- 
ten  Fäden  zu  bilden.  Ob  dieses  das  eigentliche  Terminal- 
organ bildet,  demnach  als  Endnetz  aufzufassen  ist,  oder  ob 
die  feinen  Fasern  noch  in  einer  intimeren  Beziehung  zu 
den  glatten  Muskelfasern  und  deren  Kernen  stehen,  konnte 
ich  an  den  hierfür  nur  allzudurchsichtigen  Präparaten  bis 
jetzt  nicht  herausfinden  (Fig.  6). 

Selbstverständlich  habe  ich  mein  Augenmerk  ganz  be- 
sonders auf  das  Vorhandensein  von  Nervenzellen  gerichtet. 
Verschiedene  Beobachtungen   deuten   unzweideutig  darauf 


52  Fr.  Hosch. 

hin,  dass  solche  secundäre  nervöse  Centren  als  Vermittler 
zwischen  Muskeln  und  Nerven  in  der  Iris  enthalten  sein 
müssen.  So  namentlich  die  von  Brown-Sequard  gefun- 
dene Thatsache,  dass  die  Pupille  der  ausgeschnittenen  Iris 
noch  durch  Lichteinwirkung  sich  verengert;  femer  der  Um- 
stand, dass  sowohl  Mydriatica  als  Myotica,  local  applicirt, 
auch  nach  Durchschneidung  des  Ganglionciliare  (Hensen 
und  Völckers)  und  sogar  am  enucleirten  Auge  (de  Ruyter) 
ihre  Wirkung  nicht  versagen. 

Und  doch  ist  heute  die  Frage,  ob  in  der  Regenbogen- 
haut des  Säugethieres  Ganglienzellen  sich  vorfinden  oder 
nicht,  noch  eine  vollständig  offene.  Während  ältere  Beob- 
achter (Arnold,  Faber)  solche  in  der  Iris  gesehen  zu  ha- 
ben meinen,  stellen  die  meisten  neueren  Autoren  (Pause, 
Iwanoff,  Fürst,  Meyer,  Schwalbe)  deren  Vorkommen 
in  Abrede.  Nur  in  der  Regenbogenhaut  des  Menschen  be- 
obachtete AI.  Meyer  an  Zupfpräparaten  Zellen,  die  in  Be- 
zug auf  Grösse,  Zahl  der  Fortsätze,  kömiges  Protoplasma 
und  bläschenförmigen  Kern  den  Ganglienzellen  sehr  ähn- 
lich sahen,  jedoch  keinen  Zusammenhang  mit  Nervenfasern 
erkennen  liessen.  Das  Fehlen  von  Ganglienzellen  in  der 
Iris  aller  anderen  Thiere  glaubt  er  aus  der  Thatsache  er- 
klären zu  müssen,  dass  solche  in  die  Stämme  der  Ciliar- 
nerven vor  ihrem  Eintritt  in  die  Iris  eingeschaltet  sind. 

Ich  finde  nun  in  dem  beschriebenen  nervösen  Netz  der 
Sphincterzone  und  an  der  äusseren  Grenze  derselben  da 
und  dort  spindelförmige  oder  dreieckige.  Kern  und  Kern- 
körperchen  enthaltende  Zellen  eingeschaltet,  die  zwar  etwas 
klein  sind  (12— löju),  aber  meist  ganz  den  Ganglienzellen 
entsprechen  und  lange,  aus  punktirten  Linien  zusammen- 
gesetzte Fortsätze  aussenden.  In  einzelnen  Fällen  (Fig.  7) 
konnte  ich  auch  ganz  sicher  einen  Zusammenhang  des  einen 
oder  andem  Ausläufers  mit  markhaltigen  Nervenfasem  nach- 
weisen. Ich  stehe  daher  nicht  an,  diese  Gebilde  als  die 
postulirten  Nervenzellen  aufzufassen. 


£hrlich*8  Methylenblaamethode  und  ihre  Anwendong  a.  d.  Auge.  53 

Sehr  schön  ist  an  einzelnen  stärker  gefärbten  Präpa- 
raten das  über  die  ganze  Vorderfläche  der  Iris  ausgebrei- 
tete, aus  feinsten,  kernlosen,  punktirten  Fädchen  bestehende 
Maschen  werk  dargestellt,  welches  nach  Alex.  Meyer  dem 
Endapparat  der  sensibeln  Nerven  entsprechen  soll. 

An  den  Arterien  sieht  man  nicht  selten  die  Muskel- 
kerne  der  Media  violett  gefärbt  und  das  Gefäss  in  Form 
einer  unterbrochenen  Spirale  umgeben.  Sehr  zierlich  ist 
das  Bild  namentlich  an  den  Stelleu,  wo  das  Gefäss  blut- 
leer ist  Dort  treten  dann  auch  die  feinen  Fäden  des  um- 
spinnenden Nervenplexus  deutlicher  hervor,  in  welchem  das 
Gefäss  wie  in  einem  grobmaschigen  Garne  aufgehängt  er- 
scheint. 

Ueber  meine  bisherigen  Beobachtungen  an  der  Retina 
kann  ich  sehr  rasch  hinweggehen.  Es  macht  sich  hier  eben 
namentlich  der  Mangel  an  genügend  feinen  Durchschnitten 
im  höchsten  Grade  fühlbar.  An  Flächenpräparaten  findet 
man  vor  Allem  sehr  schön  gefärbt  die  multipolaren  Gang- 
lienzellen mit  ihren  Ausläufern  (Figur  8),  welche  sich  zu 
einem  sehr  eleganten,  flächenförmig  ausgebreiteten  Netz- 
werk feiner  varicöser  Fibrillen  gruppiren.  Auch  die  Ele- 
mente der  Kömerschichten  nehmen  die  Färbung  an,  wäh- 
rend die  eigentlichen  Sehzellen,  die  Stäbchen  und  Zapfen, 
durch  das  Methylenblau  nie  tingirt  zu  werden  scheinen. 

Das  ist  in  groben  Zügen,  was  mir  die  Ehrlich 'sehe 
Methode  bis  jetzt  am  Kaninchenauge  ergeben  hat.  Dieselbe 
ist  —  bei  weiterer  Vervollkommnung  in  der  angedeuteten 
Richtung  —  ohne  Zweifel  dazu  berufen,  noch  manches  Räth- 
sel  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie  des  Nervensystems  zu 
lösen.  Jedenfalls  aber  dürfen  wir  sie  heute  schon  als  eine 
höchst  willkommene  Ergänzung  zu  den  bisher  gebräuch- 
lichen, in  mancher  Hinsicht  so  unzuverlässigen  Metallim- 
prägnationen  betrachten. 


54  Fr.  HoBch,  Ehrlich's  MethjlenblAiimethode  etc. 

Figurenerklärung. 

Tafel  I— n. 

Fig.  1.  Knotenpunkt  aas  dem  Basalplezns  mit  dichotomiBcher  Thei- 
luDg,  mit  zwei  Kernen  (Leitz  Obj.  7.  Gam.  Inc.  Vergr. 
ca.  600.  Daneben  dieselbe  Stelle  in  40facher  Vergröss.). 
Wegen  der  grösseren  Deutlichkeit  sind  viele  Fibrillen  weg- 
gelassen. Man  sieht  eine  grosse  Anzahl  derselben  sich  thei- 
len  und  nach  beiden  Seiten  hin  einen  Faden  abgeben. 

Fig.  2.  Uebersicht  der  in  einem  einzigen  Gesichtsfelde  sichtbaren 
NervenTerzweigangen.  Leitz  Oc.  3.  Obj.  3.  Tubus  einge- 
schoben. 

Fig.  3.  Spindelförmige  Verdickung  an  einer  Anastomose  zwischen 
zwei  Nervenstftmmchen  der  Cornea,  a]  Leitz  Obj.  3.  Garn, 
lue.   b)  Leitz  Obj.  7.  Garn.  lue. 

Fig.  4.  Knotenpunkt  aus  dem  subepithelialen  Plexus,  von  welchem 
zahlreiche  Fibrillen  ausgehen,  die  sich  zum  Theil  dicho- 
tomisch  theilen,  zum  Theil  aber  weite  Strecken  hinweg- 
laufen und  mit  kleinen  Knöpfchen  enden.  Leitz  Obj.  3. 
Gam.  lue. 

Fig.  ö.  Knopfförmige  Nerrenendigung  im  vorderen  Homhautepithel 
(Endknöpfchen).  Goldpräparat  nach  Ran  vi  er.  Leitz  Obj.  7. 
Gam.  lue. 

Fig.  6.  Uebersichtsbild  über  die  Verbreitungs weise  der  motorischen 
Nerven  in  der  Iris.  Leitz  Oc.  3.  Obj.  3.  Ans  technischen 
GrOnden  musste  eine  grosse  Anzahl  der  in  Wirklichkeit 
vorhandenen  Verzweigungen,  namentlich  im  Sphinctertheil, 
weggelassen  werden. 

Fig.  7.  Nervenzelle  aus  der  Sphincterzone  der  Iris,  mit  dem  einen 
ihrer  Fortsfttze  in  eine  markhaltige  Nervenfaser  übergehend. 

Fig.  8.  Multipolare  Ganglienzellen  aus  der  Retina.  Leitz  Obj.  7. 
Gam.  lue. 

Sftmmtliche  Pr&parate  sind,  wo  nichts  Anderes  angegeben,  gewonnen 

durch  Ii\jection  der  ges&ttigten  Methylenblaulösung  in  das  Blutgef&ss- 

system  und  nachherige  Fiximng  mit  pikrinsaurem  Ammoniak. 


Weitere  Grössenschätzimgen  im  Gesichtsfeld. 

Von 

Dr.  R.  Fischer, 
Augenarzt  in  Leipzig. 


In  meinem  ersten  Aufsatz  über  die  Grössenschätzungen 
Im  ebenen  Gesichtsfeld  war  ich  zu  der  Vermuthung  gelangt, 
dass  man  die  Fehler  der  Längenmessungen  vielleicht  auf 
die  scheinbare  Sehfeldzusammenziehung  und  so  das  Augen- 
maass  selbst  auf  die  Eenntniss  des  Abstandes  aller  Sehfeld- 
punkte vom  Fixirpunkt  zurückführen  darf^).  Ob  ein  sol- 
cher Zusammenhang  thatsächlich  besteht,  können  naturge- 
mäss  meine  eigenen  Untersuchungen  allein  nicht  entscheiden. 
Die  Versuchsergebnisse,  über  die  ich  jetzt  berichten  werde, 
sollen  daher  auch  nicht  als  weitere  Beweismittel  dienen. 
Sie  scheinen  mir  aber  die  Schlussfolgerung  zu  gestatten, 
dass  jene  „einheitliche"  Art  zu  messen,  falls  sie  wirklich 
existirt,  nicht  nur  bei  den  bereits  besprochenen  Längen- 
Schätzungen,  sondern  wohl  auch  bei  der  Beurtheilung  an- 
derer Grössenyerhältnisse  im  ebenen  Gesichtsfeld  Verwen- 
dung findet 

«)  T.  Graefe'8  Archiv  für  Ophthalm.  XXXVII,  1,  S.  97.  Nicht 
SU  yergessen  ist  die  YoraoBsetzung,  die  ich  dort  gemacht  habe:  die 
Entfemongen  zweier  Punkte  Yom  Fixirpunkt  können  vielleicht  nur 
dann  unmittelbar  mit  einander  verglichen  werden,  wenn  die  beiden 
Punkte  ein  und  demselben  Sehfeldradius  angehören.  Demnach  ist 
es  eigentlich  die  Eenntniss  von  der  relativen  Lage  der  Punkte  eines 
•  Sehfeldiadius,  auf  der  das  Augenmaass  beruhen  würde. 


56  R.  Fischer. 


Veigleiohiing  von  Winkeln. 

Zu  den  Winkelmessungen,  die  ich  vor  einigen  Jahren 
unmittelbar  nach  den  a.  a.  0.  beschriebenen  Versuchen  vor- 
genommen habe,  bediente  ich  mich  wie  dort  der  senkrech- 
ten, schwarzen  Tafel.  Ich  zeichnete  auf  ihr  einen  Kreis 
von  36  cm  Durchmesser  auf  und  gab  der  Kreislinie  eine 
möglichst  genaue  Gradeintheilung;  das  obere  Ende  des  senk- 
rechten Durchmessers  wurde  mit  0^  bezeichnet  und  dann 
rechts  herum  in  der  Richtung  der  Uhrzeigerbewegung  fort- 
gezählt. Die  Winkel  stellte  ich  anfangs  durch  Fädchen 
dar,  die  im  Mittelpunkt  des  Kreises  aus  einer  feinen  Oeff- 
nung  hervortraten  und  deren  freie  Enden  ausserhalb  des 
Kreisbogens  leicht  auf  der  Tafel  befestigt  werden  konnten. 
Meist  verwendete  ich  aber  längere  Fädchen  in  der  Weise, 
dass  sie  sich  im  Kreismittelpunkt  einfach  kreuzten  und  mit 
beiden  Enden  ausserhalb  des  Kreises  auf  der  Vorderfläche 
der  Tafel  angeheftet  wurden.  So  hatte  ich  allerdings  ausser 
den  zu  beurtheilenden  Winkeln  stets  noch  ihre  Scheitel- 
winkel im  Gesichtsfeld.  Diese  beeinträchtigten  aber  die 
Untersuchung  in  keiner  Weise,  jedenfalls  nicht  nach  einiger 
Einübung,  und  sie  ermöglichten  zugleich  eine  grössere  Ab- 
wechselung, da  ich  jetzt  im  Stande  war,  auf  einen  Versuch 
mit  den  einen  Winkeln  immer  sofort  einen  Versuch  mit 
den  anderen  folgen  zu  lassen. 

Wenn  ich  nun  mit  beiden  Augen  untersuchen  wollte, 
so  brachte  ich  den  Mittelpunkt  des  Kreises  auf  18  cm  Ab- 
stand in  die  Höhe  der  Augen,  gegenüber  der  Mittellinie. 
In  den  Versuchen  mit  einem  Auge  dagegen  wurde  die  Lage 
des  Auges  —  in  gleicher  Entfernung  —  durch  ein  vor  der 
Tafel  befestigtes  Zahnbrett,  Visirzeichen  u.  s.  w,  genauer  be- 
stimmt, in  der  Weise,  dass  die  Tafel  von  der  Hauptblick- 
linie stets  im  Kreismittelpunkt,  im  Scheitel  der  zu  verglei- 


Weitere  Grössenschätzungen  im  Gesichtsfeld.  57 

chenden  Winkel  senkrecht  getroffen  werden  konnte.  Das 
Visirzeichen  war  leicht  beweglich;  wenn  es  den  Winkeln 
zu  nahe  kam  oder  sonst  störte,  wurde  es  allemal  nach  An- 
nahme der  richtigen  Augenstellung  augenblicklich  entfernt. 
Mit  diesen  Vorkehrungen  habe  ich  eine  grosse  Zahl 
von  Winkelmessungen  ausgeführt  und  zwar  bestand  die 
Aufgabe  hauptsächlich  darin,  einen  Winkel  nach  dem  Au- 
genmaass  zu  halbiren.  Dem  Winkel  wurden  dabei  die  yer- 
schiedensten  Lagen  um  den  Ereismittelpunkt  herum  und 
die  yerschiedensten  Grössen  gegeben.  In  den  folgenden 
Tabellen  bezeichnet  die  erste  wagrechte  Zahlenreihe  die 
Grösse  der  geforderten  Winkelhälften  und  die  erste  senk- 
rechte Reihe  die  geforderte  Lage  des  halbirenden  Halb- 
messers. Die  übrigen  Zahlen  geben  den  beobachteten  con- 
stanten  Fehler  (=  CF)  an,  d.  h.  die  Mittelwerthe  der  Ab- 
weichungen der  eingestellten  Halbirungslinie  von  der  rich- 
tigen Lage,  jedoch  die  Mittelwerthe  nicht  in  absoluten  Zah- 
len, sondern  in  Procenten  der  wirklichen  Hälften,  jedesmal 
mit  einem  Vorzeichen,  dessen  Bedeutung  keiner  Erklärung 
bedarf.  Nach  jeder  Einstellung  des  scheinbar  halbirenden 
Sdienkels  wurde  dessen  Abweichung  von  der  geforderten 
Lage  an  der  Gradeiotheilung  abgelesen,  ausserdem  aber, 
soweit  sie  nicht  ganze  Grade  betrug,  an  dem  Bareisbogen 
noch  linear  gemessen;  erst  die  Mittelwerthe  rechnete  ich 
ToHständig  in  Grade  um.  Der  hierdurch  eingeführte  Fehler 
ist  jedoch  verschwindend  klein,  namentlich  auch  gegenüber 
etwaigen  Ungenauigkeiten  der  Gradeintheilung  und  des  Ab- 
messens,  die  in  CF  mit  enthalten  sein  mögen. 

1)  CF  der  Winkelhalbirungen  im  Sehfeld  des  rechten 
Auges.  Gesichtslinie  im  Scheitel  der  Winkel  senkrecht  zur 
Sehfeldebene;  Primärlage  des  Auges.  Je  40  Versuche,  für 
10  <^  und  15  <>  nur  je  20. 


58 


B.  Flacher. 


6» 

10» 

15» 

20« 

30» 

45» 

60« 

76« 

0« 

-4,17 

-2,96 

—  2,15 

+  1,79 

+  1,78 

+  2,80 

+  2,92 

+  2,69 

10« 

—  4,83 

—  5,19 

—  4,62 

—  2,31 

-1,58 

—  1,18 

+  1.92 

+  8,56 

20« 

—  3,98 

—  2,61 

—  2,15 

—  2,05 

—  0,82 

—  0,99 

+  1,33 

+  8.64 

30» 

—  1,16 

—  0,97 

+  1,64 

+  8,44 

+  4,79 

+  1,78 

+  2,63 

+  4,06 

40« 
50« 

+  0,97 
+  0,99 

+  2,40 

+  2,78 

+  1,10 

+  5.03 
+  9,17 

+  6,17 
+  6,68 

.+  6,89 

+  8,66 

+  3,80 

60« 

+  1,83 

+  3,14 

— 

+  5,96 

+  8,81 

— 

+  4,18 

+  4,11 

70* 

+  3,83 

+  2,72 

— 

+  6,85 

+  9,47 

+  8,42 

+  6,00 

+  4,60 

80« 

+  5,44 

+  1,67 

— 

+  6,93 

+  6,98 

— 

90» 

+  4,25 

+  3,64 

+  3,01 

+  7,50 

+  7,28  +5,64 

+  5,76 

+  5,84 

100  • 

+  5,66 

+  6,74 



+  6,86 

+  6,93 

— 

+  4,74 

[+6,02 

110« 

+  4,98 

+  6,19 



+  6,86 

+  6,93 

+  4,41 

120« 

+  4,82 

+  4,22 

""" 

+  6,25 

+  8,27 

— 

+  6,19 

+  6,62 

130« 
140« 

+  7,05 

+  4,44 

+  4,09 
+  2,66 

+  3,58 

+  7,52 
+  7,08 

+  8.50 
+  5,62J 

►+  6,46 

+  4,62 

+  3.53 

150« 

+  6,06 

+  4,46 

— 

+  3,41 

+  6,02 

— 

+  8,59 

+  2.65 

160« 

+  4,90 

+  6,85 

— 

+  5,60 

+  6,46 

+  8,08 

+  3,24 

+  1.52 

170« 

+  8,81 

+  5,61 

— 

+  7,59 

+  6.68 

+  6,90 

+  2,56 

+  1,89 

180« 

+  4,63 

+  7,61 

+  5,17 

+  5,83 

+  5.38 

+  4.70 

+  2,69 

+  2.20 

190« 

+  4,64 

+  2,07 

— 

+  3,31 

+  1,10 

+  0,84 

+  0,59 

+  0,78 

200« 

+  3,93 

+  3.16 

— 

+  1,29 

—  0,83 

—  1,01 

—  2,61 

—  0.48 

210« 

+  1,32 

+  2,56 

— 

-2,65 

—  3,27 

—  3.91 

-3,90 

-2,69 

220« 
230« 

+  0,69 
—  1,54 

+  0,43 
-0,96J 

—  0,16 

—  8,64 

—  3,29 

—  3,99 
-4,73 

—  6.72 

—  4,16 

—  3,76 

240« 

—  0,57 

-1,61 

— 

—  3,52 

—  4,98 

— 

-5,13 

-4.86 

250« 
260« 

—  3,85 

—  2,63 

—  1,36 

—  2,76 

— 

-6,05 
-7,57 

—  6,73 

—  6,90 

—  5,68 

—  6,76 

—  8,18 

270« 

-3,41 

—  3,14 

—  3,28 

—  9,95 

—  7,69 

-6,60 

—  6,22 

—  4,72 

280« 
290« 

-4,67 
—  7,03 

—  2.06 

—  2,04 

— 

—  9,18 

—  7,99 

—  7,42 

—  9,91 

-8,59 

f-6,65j 

[—3,94 

300« 

-6,09 

—  2,12 

— 

-8,78 

—  9,33 

— 

—  4,80|— 2,16 

310« 
320« 

—  5,87 

—  6,52 

—  1,64 
-2,66 

—  3,50 

—  5,76 

—  8,10 

—  7,80 
-4,42 

—  3,54 
— 1,76 

-3,14 

+  0,12 

330« 

-4,90 

—  3,02 

— 

-1,68 

—  1,88 

+  2,32 

+  1,13 

+  1,30 

340« 

-3,83 

-4,49 

— 

+  2,70 

+  2,63 

+  5,42 

+  1,79 

+  1,43 

350« 

-4,42 

—  4,06 

-4,12 

+  6,85 

+  6.12 

+  6,25 

+  2,33 

+  2,19 

Weitere  GrösseoBch&tzaiigeii  im  Gesichtsfeld. 


59 


2)  CF  der  Winkelhalbirungen  im  Sehfeld  des  linken 
Auges.  Versachsanordnung  wie  in  1).  Je  40  Einstellungen, 
für  10*  nur  je  20. 


5« 

10» 

20»         30» 

45« 

60» 

75« 

0* 

+  5,01 

+  3,91 

+  2,54 

+  3,72 

+  2,10 

+  3,66 

+  4,85 

10« 

+  4,88 

+  2,77 

+  3,51 

+  4,28 

+  0,92 

+  4,13 

— 

20» 

— 

— 

+  2,20 

— 

+  3,16 

— 

— 

30« 

— 

— 

+  1,74 



+  4,16 

— 

40« 
50« 

+  4,04 

+  4,68 
+  4,62 

"~" 

+  5,70 

— 

■~~ 

+  2,34 

90* 

+  435 

+  3,77 

+  7,66 

+  8,21 

+  6,64 

+  5,01 

+  3,41 

135» 

— 

+  4,07 



+  5,34 

— 

.. 

— 

150* 

+  1,87 

+  1,86 

+  3,10 

— 

— 

— 

— 

leo« 

—  2,17 

—  1,53 

-0.41 

+  2,81 

+  2,66 

+  1,81 

+  1,24 

170« 

-4,26 

—  3,29 

-2,05 

—  0,44 

—  0,62 

+  0,80 

—  0,73 

180» 

—  8,60 

—  2,10 

—  5,00 

—  2,66 

-1,94 

-1,26 

-0,79 

igo«» 

—  4,66 

-4,06 

— 

— 

— 

— 

— 

220» 
230» 

—  3,66 

—  4,58 
-4,87 

— 

—  6,58 

— 

— 

—  3,64 

270* 

—  5,09 

—  4,28 

-  8,31 

-9,03 

-6.37 

-5,55 

-4,12 

315« 

— 

—  3,57 

— 

-4,91 



— 

-0,47 

330* 

-3,12 

—  2,20 

—  2,86 

-1,23 

+  0,81 

—  0,95 

+  0,66 

340* 

+  1,21 

+  1.42 

+  1,89 

+  1,03 

+  0,90 

+  0,90 

+  1,94 

^50» 

+  M1 

+  439 

+  3,21 

+  3,19 

+  2,90 

+  2,23 

+  3,45 

Was  lehrt  nun  die  Zahlenmenge  der  beiden  Tabellen? 
—  Wiewohl  GF  eigentlich  so  wenig  constant  ist,  dass  ich 
mich  über  die  Regelmässigkeit  der  Ergebnisse  fast  wun- 
dern möchte»  so  scheint  mir  doch  eins  sicher  zu  sein:'  Wenn 
der  halbirende  Halbmesser  wagrecht  oder  auch  nur  annä- 
hernd wagrecht  lag,  so  hatte  die  Einstellung  stets  den  Er- 
folg, dass  die  obere  Winkelhälfte  grösser  wurde  als  die 
untere.  Das  gilt  für  das  rechte  wie  für  das  linke  Auge 
und  jedesmal  für  beide  Sehfeldhälften.  Es  gilt  femer  ebenso 
Tollkommen  für  das  Blickfeld,  gleichviel  ob  ich  mit  einem 
Auge  Ton  der  Primärlage  aus  oder  mit  beiden  Augen  unter- 


GO  R-  Fischer. 

suchte.  Diese  Art  der  Winkelmessung  erinnert  aber  deut- 
lich genug  an  die  Halbiruug  senkrechter  Längen:  auch  da 
habe  ich  immer  die  untere  Hälfte  überschätzt,  die  obere 
zu  gross  gemacht  Sollte  eine  solche  Aehnlichkeit  nur  Zu- 
fall sein?  Es  sieht  doch  ganz  so  aus^  als  ob  ich  die  Winkel 
mit  Hülfe  desselben  Maassstabes»  nach  gewissen  linearen 
Abständen  ihrer  Schenkel  (Sehnen?  ^)  beurtheilt  hätte.  Ge- 
nau senkrechte  Lage  der  Abstände  wäre  hierzu  keineswegs 
erforderlich;  nach  mehreren  Versuchsreihen  aus  der  Zeit, 
wo  ich  Strecken  zu  halbiren  begann,  lege  ich  selbst  an 
Linien  von  45^  Neigung  noch  ungefähr  den  senkrechten 
Maassstab  an. 

Auf  Grund  der  Längenschätzungen  müssten  dann  bei 
0^-  und  180^-Lage  des  halbirenden  Schenkels  die  äusseren 
Winkelhälften  kleiner  ausfallen  als  die  inneren.  So  geschah 
es  aber  lediglich  im  Sehfeld  des  rechten  Auges  in  der  0^- 
Lage  und  selbst  da  nur  bei  den  grösseren  Winkeln.  In- 
dessen lässt  ja  die  Anwendung  des  ursprünglichen  Maas- 
ses  (der  scheinbaren  Sehfeldzusammenziehung)  verschiedene 
Möglichkeiten  zu  und  gerade  für  wagrechte  Strecken  um 
so  eher,  als  hier,  sobald  mit  beiden  Augen  gemessen  wird, 
die  Maassstäbe  der  beiden  Sehfelder  in  Widerspruch  mit 
einander  gerathen*).   Habe  ich  mich  doch  selbst  einmal  in 


')  An  die  Tangenten  ist  kaum  zu  denken.  Der  Unterschied  der 
scheinbar  richtigen  Winkelh&lften  w&chst  annfthemd  proportional 
der  Winkelgrösse ;  ebenso  verh&lt  sich  allenfalls  der  Unterschied  der 
Sehnen,  aber  ganz  und  gar  nicht  der  der  Tangenten. 

')  Nach  dieser  Ausdrucksweise  könnte  es  scheinen,  als  ob  ich 
den  Maassstab  der  ein&ugigen  Sehfelder  als  ursprünglich  gegeben 
betrachten  und  daraus  erst  die  Messungen  mit  beiden  Augen  ab* 
leiten  wollte.  Der  Unterschied  in  der  Beständigkeit  des  senkrech- 
.ten  und  des  wagrechten  Maassstabes  l&sst  sich  aber  wohl  verstehen, 
wenn  man  davon  ausgeht,  dass  wir  die  Entfernung  der  Sehfeldpunkte 
vom  Fixirpunkt  kennen  lernen,  während  wir  mit  beiden  Augen  die 
Gegenstände  unserer  Umgebung  sehen.  Der  senkrechte  Abstand 
eines  Punktes  von  der  Yisirebene  hat  hierbei  für  beide  Augen  den- 


Weitere  Qrössensch&tzungen  im  Gesichtsfeld.  61 

einer  Anzahl  von  Streckenhalbirungen  nicht  wie  gewöhn- 
lich nach  dem  Maassstab  der  inneren  Sehfeldhälfte  allein 
gerichtet,  sondern  anscheinend  nach  dem  der  inneren  und 
äusseren  zusammen.  Dass  ich  bei  den  (meisten)  Winkel- 
messungen in  derselben  Weise  verfahre,  erscheint  mir  so- 
nach nicht  als  eine  rein  willkürliche  Annahme.  Zudem  ist 
die  Annahme  nur  für  den  Fall  nöthig,  dass  die  zu  verglei- 
chenden Abstände  nicht  meridional  verlaufen,  nicht  im 
Fixirpunkt  zusammenstossen,  also  nur  für  die  Versuche  mit 
Fixation  des  Scheitels  der  Winkelhälften.  Liess  ich  nach 
einer  Einstellung  den  Blick  nicht  mehr  auf  dem  Scheitel- 
punkt, sondern  auf  einer  anderen  Stelle  der  Halbirungs- 
linie  ruhen  oder  über  den  Winkel  hin  wandern,  so  bemerkte 
ich,  gewisse  Winkel  des  rechten  Sehfeldes  ausgenommen, 
sofort  die  Unrichtigkeit  der  Halbirung  und  war  nun  viel- 
mehr geneigt,  unter  Benutzung  des  gewöhnlichen  Maass- 
stabes, den  entgegengesetzten  Fehler  zu  begehen.  Natür- 
lich erschien  mir  diese  neue  Halbirung  wieder  durchaus 
fehlerhaft,  sowie  ich  mit  dem  Blick  in  die  Nähe  des  Schei- 
telpunktes kam.  So  war  im  Blickfeld  die  Beurtheilung  nie- 
mals eindeutig.  Und  ich  hatte  es  fast  in  der  Gewalt,  einen 
positiven  oder  negativen  oder  gar  keinen  CF  hervorzubrin- 
gen. Nur  wurden  bei  einem  Wechsel  der  Versuchsbedin- 
gungen die  ersten  Einstellungen  der  neuen  Reihe  durch 
die  vorherigen  Versuche  deutlich  beeinflusst,  insofern  als 
ihre  Fehler  Zwischenstufen  zwischen  denen  der  beiden  Rei- 
hen hildeten.  Am  wenigsten  zeigte  sich  eine  derartige  Ein- 
wirkung an  den  kleinen  nach  oben  sich  öffnenden  Winkeln 
des  rechten  Gesichtsfeldes.  Hier  war  auch  dementsprechend, 
wenn  der  Fixirpunkt  seinen  Ort  änderte,  der  Fehler  der 


selben  Gesichtswinkel.  Dagegen  wird  die  wagrechte  Entfernung  von 
den  zur  Yisirebene  senkrechten  Meridianen  oft  von  dem  einen  Auge 
unter  ganz  anderem  Winkel  als  von  dem  zweiten  gesehen.  Fttr 
senkrechte  Strecken  wird  sich  deshalb  ein  festeres  Maass  ausbilden 
können  als  für  wagrechte. 


62 


R.  Fischer. 


Halbirung  am  auffälligsten.  Die  grossen  Winkel  gleicher 
Lage  dagegen  wurden  im  Blickfeld  des  rechten  Auges  ge- 
nau so  wie  bei  Fixirung  des  Scheitels,  d.  h.  beidemal  an- 
scheinend nach  dem  gewöhnlichen  Maassstab  für  wagrechte 
Strecken  beurtheilt.  Sie  zeichnen  sich  also  vor  allen  an- 
deren durch  die  Uebereinstimmung  des  Sehfeldes  mit  dem 
Blickfeld  aus,  eine  Thatsache,  die,  wie  mir  scheint,  nicht 
unwichtig  ist  für  die  Halbirungen  von  180^ 

Diese  richtete  ich  nach  dem  schon  yon  den  kleineren 
Winkeln  her  geläufigen  Verfahren  ein.  Es  war  ein  Winkel 
yon  180^,  ein  Durchmesser  des  Kreises  auf  der  Tafel  ge« 
geben  und  ein  Halbmesser  wurde  nach  dem  Augenmaass 
so  gedreht,  dass  er  den  Winkel  in  scheinbar  gleiche  Ab- 
schnitte, rechte  Winkel  theilte.  Den  Halbmesser  ersetzte 
ich  jedoch  meist,  ebenso  wie  bei  den  übrigen  Winkeln, 
durch  einen  Durchmesser.  Natürlich  beachtete  ich  trotzdem 
immer  nur  den  einen  Winkel  yon  180^,  d.  h.  ich  suchte 
nicht  etwa  ein  rechtwinkliges  Kreuz  herzustellen,  sondern 
eben  nur  zwei  Nebenwinkel  einander  gleich  zu  machen. 
Tabelle  3)  enthält  die  Abweichungen  des  halbirenden  Halb- 
messers yon  der  richtigen  Lage  wie  sonst  in  Procenten  der 
wirklichen  Hälften.  Ich  habe  aber  eine  etwas  ungewöhn- 
liche Anordnung  der  Zahlen  gewählt;  es  kam  mir  darauf 
an,  die  Fehlerreihen  der  yier  Quadranten  unmittelbar  neben 
einander  zu  stellen  und  so  ihre  Vergleichung  zu  erleichtern. 

3)  CF  der  Halbirungen  eines  Winkels  yon  180®  im 
Sehfeld  des  rechten  Auges.  Versuchsanordnung  wie  in  1). 
Je  80  Einstellungen. 


Lage  des  halbirenden 
Halbmessers 

Zugehöriger  constanter  Fehler 

I 

II 

III 

IV 

I 

II 

III 

IV 

0» 

90» 

860» 

270» 

+  1.30 

—  1,32 

+  1.30 

-1,23 

10» 

100» 

350» 

260» 

+  1,51 

-l,5ö 

+  1,51 

-1,56 

20» 

110» 

340» 

250» 

+  2,16 

—  2,01 

+  1,99 

—  2,72 

30* 

120» 

330» 

240» 

+  2,12 

—  1,99 

+  2,25 

—  2,73 

40» 

130» 

320» 

230» 

+  2,22 

-1,98 

+  2,26 

—  2.13 

Weitere  GrGssensch&tzungen  im  Gesichtsfeld. 


63 


Fortsetzung  yon  3). 


La« 

e  des  halbirenden 
Halbmessers 

Zugehöriger  constanter  Fehler 

I 

II 

III 

IV 

I 

II 

III 

IV 

50» 

140« 

310« 

220» 

+  1,74 

-1,34 

+  2,05 

-1,29 

60« 

150» 

300» 

210» 

+  0,96 

-0,66 

+  1,34 

—  0,58 

70* 

160* 

290* 

200« 

-0,63 

+  0,59 

-0,26 

+  0,28 

80* 

170» 

280* 

190* 

—  1,35 

+  1,15 

-0,58 

+  0,89 

90* 

180« 

270« 

180  • 

-1,32 

+  1,27 

-1,23 

+  1,27 

Wären  dies  meine  einzigen  Winkelmessungen,  so  würde 
es  schwer  halten,  in  ihnen  das  ursprüngliche  Maass  aller 
Grössenschätzungen  wiederzuerkennen.  Anders  liegen  aber 
die  Verhältnisse,  nachdem  die  Versuche  mit  den  kleineren 
Winkeln  vorausgegangen  sind.  Wenn  dort  die  Annahme 
zulässig  war,  dass  CF  durch  die  scheinbare  Sehfeldzusam- 
menziehung bedingt  wurde,  so  ist  sie  es  wahrscheinlich 
auch  hier.  Denn  die  Versuchsergebnisse  hier  schliessen 
sich,  soweit  es  möglich  ist,  eng  an  jene  an. 

Fassen  wir  zunächst  die  vier  Hauptrichtungen  des  hal- 
birenden  Schenkels,  d.h.  seine  Lage  bei  0®,  90 ^  180^  und 
270®  näher  ins  Auge.  In  diesen  Fällen  ist  CF  für  die 
Halbirung  von  180^  von  derselben  Art  wie  für  die  von 
150®  (im  Sehfeld  des  rechten  Auges)  —  mit  Ausnahme  der 
90® -Lage:  für  letztere  lautet  er  in  3)  gerade  entgegenge- 
setzt dem  in  1).  Der  Unterschied  erklärt  sich  jedoch  dar- 
aus, dass  es  sich  ja  nunmehr  um  Winkel  von  90®,  um 
Nebenwinkel  handelt.  Die  Halbirungen  von  150®  in  der 
einen  Hauptrichtung  der  Halbirungslinie  können  kaum  auf 
die  Halbirungen  in  einer  anderen  Hauptrichtung  einwirken. 
Anders  hier.  Wenn  der  senkrechte  Durchmesser  gegeben 
und  der  Halbmesser  270®  einzustellen  ist,  so  wird  CF  = 
—  1,3  ®/o,  der  innere  obere  Quadrant  fallt  grösser,  der  in- 
nere untere  kleiner  aus  als  ein  Rechter.  Die  gleiche  Grösse 
behalten  die  beiden  Winkel,  falls  der  gegebene  Durchmes- 
ser wagrecht  liegt  und  nun  die  oberen  oder  unteren  180® 
halbirt  werden«  Dabei  ist  natürlich  der  äussere  obere  Qua- 


64 


R.  Fischer. 


drant  kleiner  als  ein  Rechter,  der  äussere  untere  grösser. 
Dass  dann  die  unmittelbare  Vergleichung  der  beiden  äus- 
seren Quadranten  genau  denselben  Erfolg  hat,  dass  sonach 
bei  90^-Lage  CF  =  —  l>3®/o  wird,  erscheint  mir  fast  noth- 
wendig. 

Mit  dem  CF  der  vier  Hauptrichtungen  ist  weiterhin 
schon  ungefähr  der  Fehler  der  Zwischenstellungen  gegeben, 
da  man  wohl  jedesmal  auf  einen  allmählichen  Uebergang 


♦ua, 


iUO 


,+ui 


+0Ä   +127  +IJS 


rechnen  darf.  Demgemäss  beschränkt  sich  die  Aehnlich- 
keit  mit  den  früheren  Messungen  auf  die  linke  Hälfte  des 
(rechten)  Sehfeldes.  Die  Uebergänge  sind  aber  noch  von 
ganz  besonderer  Art.  Der  leichteren  Uebersicht  wegen 
wiederhole  ich  hier  Tabelle  3)  in  Form  einer  Stemfigur: 
jeder  halbirende  Halbmesser  trägt  seinen  CF. 

Zuerst  stimmen  nun  die  oberen  Quadranten  insofern 
mit  den  unteren  überein,  als  der  CF  jedes  halbirenden 
Halbmessers  des  unteren  Quadranten  in  annähernd  gleicher 
Grösse,  nur  mit  anderem  Vorzeichen  im  oberen  Quadranten 


Weitere  Grössensch&tzangen  im  Gesichtsfeld.  65 

bei  demjenigen  Halbmesser  wiederkehrt,  der  um  90^  Ton 
dem  ersteren  entfernt  ist  Daraus  folgt,  dass  ein  scheinbar 
rechter  Winkel  der  rechten  und  ebenso  der  linken  Hälfte 
des  Sehfeldes  eine  unabänderliche  Grösse  besitzt  und  immer 
mit  demselben  Fehler  eingestellt  wird,  gleichviel  mit  wel- 
chem seiner  beiden  Nebenwinkel  er  zu  yergleichcn  ist.  Z.  B. 
erhalte  ich  einen  richtigen  rechten  Winkel  205^-295^  so- 
wohl wenn  ich  L  115^-205^-295®  halbire,  als  auch  durch 
Halbimng  des  L  205  «  -  295  «  -  25  ^  Oder  nehmen  wir 
L  230^-320®:  dieser  lässt  sich  einmal  mit  L140®-230^ 
einmal  mit  320*^-50®  vergleichen;  in  beiden  Fällen  wird 

er  grösser  als  ein  Rechter,  nach  3)  um  — — ^— —  %• 

Diese  Uebereinstimmung  zweier  Quadranten  erstreckt 
^ich  jedoch  nur  auf  die  rechte  oder  linke  Hälfte  des  Seh- 
feldes, sie  reicht  nicht  über  den  senkrechten  Durchmesser 
liinaus.  Ein  scheinbar  rechter  Winkel,  der  den  beiden  Seh- 
ieldhälften  zugleich  angehört,  z.  B.  L320®-50^  hat  des- 
halb nicht  mehr  einen  ein  für  alle  Mal  feststehenden  Werth, 
sondern  er  nimmt  zwei  verschiedene  Grössen  an,  je  nach- 
dem ich  ihn  gegen  den  einen  oder  den  anderen  seiner  bei- 
den Nebenwinkel  abschätze.  Gleichwohl  bestehen  nahe  Be- 
ziehungen zwischen  den  beiden  Sehfeldhälften.  Beim  ersten 
Blick  auf  die  Tabelle  oder  Figur  erscheinen  sie  symmetrisch 
zu  einander,  da  in  gleichen  Abständen  von  einem  senk- 
rechten Halbmesser  ungefähr  gleiche  Fehler  mit  gleichen 
Vorzeichen  verzeichnet  sind.  Die  Symmetrie  ist  aber  nur 
eine  scheinbare.  Denn  das  gleiche  Vorzeichen  bedeutet  ja 
auf  der  einen  Seite  Annäherung  an  den  senkrechten  Halb- 
messer, auf  der  anderen  Entfernung  von  ihm.  Deutlicher 
tritt  ein  Zusammenhang  hervor,  wenn  ich  die  rechte  (oder 
linke)  Hälfte  so  um  den  wagrechten  Halbmesser  als  Achse 
drehe,  dass  der  Halbmesser  10®  mit  dem  Halbmesser  170^ 
20®  mit  160*  U.S. f.  den  Platz  vertauscht.  Dann  würde  die 
Uebereinstimmung,  die  wir  zwischen  Unten  und  Oben  fan- 

T.  Gnofe'fl  Archir  für  Ophthalmologie.  XXXVII.  3.  5 


66  K.  Fischer. 

den,  auch  für  Rechts  und  Links  und  somit  rings  im  Kreise 
hemm  gelten;  thatsächlich  ist  dies  nur  fiir  die  vier  Haupt- 
richtungen der  FalL  Klar  wird  die  gegenseitige  Beziehung 
aber  erst  durch  folgendes. 

Die  wirkliche  Grösse  eines  scheinbar  rechten  Winkels, 
d^  einen  senkrechten  Halbmesser  einschliesst,  ist,  wie  ge- 
sagt, eine  doppelte  und  richtet  sich  danach,  welcher  seiner 
beiden  Nebenwinkel  zur  Vergleichung  herangezogen  wird. 
Diese  beiden  Nebenwinkel  nun,  die  natürlich  Scheitelwinkel 
mit  einander  bilden,  unterli^en  nicht  etwa  ähnlichen  Schwan- 
kungen, sie  besitzen  vielmehr  als  scheinbar  rechte  Winkel 
fest  bestimmte  Werthe,  da  allemal  der  eine  von  ihnen  ganz 
in  der  linken,  der  andere  ganz  in  der  rechten  Sehfeldhälfte 
liegt  Der  Wechsel  in  der  Beurtheilung  des  zuerst  genann- 
ten Winkels  erfordert  deshalb  die  Annahme,  dass  die  bei- 
den Scheitelwinkel,  obwohl  beide  scheinbar  =s  90  ^  ungleich 
gross  sind  —  und  so  ist  es  in  der  That.  Sie  wechseln  je- 
doch nicht  beliebig,  sondern  der  Winkel  der  linken,  inne- 
ren Sehfeldhälfte  ist  stets  grösser  als  sein  in  der  rechten, 
äusseren  Hälfte  liegender  Scheitelwinkel.  Der  Unterschied 
hat  den  höchsten  Grad  bei  den  Winkeln,  die  sich  gerade 
nach  rechts  und  nach  links  öfifnen,  [__  45®-135ö  und  L  225«- 
315^,  und  er  nimmt  allmählich  ab,  je  mehr  sich  die  Win- 
kel von  dieser  Lage  entfernen,  bis  er  schliesslich  verschwin- 
det, wenn  sie  von  senkrechten  und  wagrechten  Halbmessern 
gebildet  werden.  Tabelle  3  a  enthält  in  I  neben  der  Lage 
eines  scheinbar  rechten  Winkels  in  der  linken  Sehfeldhälfte 
dessen  wirkliche  Grösse,  wie  sie  sich  nach  den  beiden  in 
3)  mitgetheilten  Vergleichungeu  berechnet  (der  Einfachheit 
wegen  %  beibehalten),  und  in  H  die  entsprechenden  Zah- 
len für  die  Scheitelwinkel.  Wie  viel  die  Winkel  unter  I 
grösser  sind  als  die  unter  II,  besagt  die  letzte  Reihe. 

3  a)  Scheinbar  rechte  Winkel  im  Sehfeld  des  rechten 
Auges. 


Weitere  GrössenBch&tzangen  im  Gesichtsfeld.  67 

I  um 


Winkellage,      Wirkliche  WinkeUage,      Wirkliche      I  >  II 

ann&henid  Grösse  ann&hemd  Grösse 

180»— 270*  90«  — l,25Vo  0»—  90«  90«  — l,81Vo  — 

190«— 280«  90«  — 0,73,,  lO«— 100«  90«  —  1,53  „  0,80 

200«- 290«  90«  — 0,27,,  20«- 110«  90«  — 2,08,,  1,81 

210«— 300«  90« +  0,96,,  30«— 120«  90«  — 2,06,,  3,02 

220*— 310«  90«  +  1,67  „  40« — 130«  90«  —  2,10  „  3,77 

230«- 320«  90« +  2,19,,  50«— 140«  90«  — 1,54,,  3,73 

240«— 330«  90«  +  2,49  „  60«— löO«  90«  —  0,81  „  3,30 

250« — 340«  90«  +  2.36  „  70« — 160«  90«  +  0,61  „  1,75 

260«— 350«  90« +  1,53,,  80«— 170«  90«  +  1,25  „  0,28 

270«— 360«  90« +  1,26,;  90«— 180«  90«  +  1,29  „  — 

Die  scheinbar  Fechten  Winkel  der  inneren  Sehfeid- 
hälfte  sind  also  —  am  meisten,  wenn  sie  gerade  nach  in* 
nen  zu  liegen,  —  grösser  als  ihre  Scheitelwinkel,  gleich- 
falls scheinbar  rechte  Winkel,  in  der  äusseren  Hälfte.  Sollte 
sich  hierin  nicht  wiederum  die  Einwirkung  meines  Maasses 
Terrathen?  Durch  letzteres  wäre  dann  doch  das  eigenthüm- 
hohe  Verhalten  des  GF  in  den  Uebergängen  von  der  einen 
Hauptrichtung  zur  anderen  des  Näheren  bedingt.  Dem  Zu- 
fall verdanken  jedenfalls  die  Zahlenreihen  in  3)  ihre  Regel- 
mässigkeit nicht.  Dafür  scheinen  mir  auch  die  Erfahrun- 
gen zu  sprechen,  die  ich  mit  den  Versuchen,  ein  recht- 
winkliges Kreuz  herzustellen,  gemacht  habe.  Ich  konnte  die 
Aufgabe  mit  dem  rechten  Auge  nur  dann  lösen,  wenn  die 
beiden  sich  kreuzenden  Durchmesser  senkrecht  und  wag- 
recht verliefen  oder  höchstens  bis  10®  davon  abwichen. 
Und  der  Fehler  war  in  diesem  Falle  gerade  so*)  wie  bei 
Halbimng  von  ISO®,  z.  B.  einmal  im  Mittel  aus  80  Ver- 
suchen CF  =  -}-  1,20®  oder  =-|-  l,33®/o  für  den  senkrech- 
ten Durchmesser.  In  allen  übrigen  Lagen  war  das  Kreuz 
nicht  eindeutig.  Es  erschien  entweder  nur  das  eine  oder 
nur  das  andere  Winkelpaar  richtig,  niemals  alle  vier.   Diese 

*)  Dies  Yerhftltniss  blieb  aach  in  sp&teren  Tersuchen  bestehen, 
in  denen  CF  andere  Werthe  annahm. 

5* 


68 


R.  Fischer. 


Mehrdeutigkeit  eines  rechtwinkligen  Kreuzes  habe  ich  frei- 
lich erst  erkannt,  nachdem  ich  die  Halbirungen  von  180® 
beendet  hatte.  In  früheren  Versuchen,  die  noch  den  aller- 
ersten Winkelmessungen  voraufgingen,  stand  ich  den  Befun- 
den rathlos  gegenüber,  da  sie  bald  sehr  schön  zusammen- 
passten,  bald  einander  widersprachen  und  da  es  doch  nicht 
den  Eindruck  machte,  als  ob  nur  die  Unbestimmtheit  den 
Wechsel  verschuldete.  —  Die  genannten  Schwierigkeiten 
wären  wohl  weggeblieben,  wenn  die  Form  der  Uebergänge 
des  CF,  wie  ich  sie  für  die  Halbirungen  von  180®  im  Seh- 
feld des  rechten  Auges  beschrieben  habe,  nur  durch  zufäl- 
lige Schwankungen  entstanden  und  nicht  vielmehr  eine 
streng  gesetzmässige  wäre.  Dieselbe  Form  treffen  wir  aus- 
serdem im  Sehfeld  des  linken  Auges  wieder  an. 


4)  CF  der  Halbirungen  eines  Winkels  von   180®  im 
Sehfeld  des  linken  Auges.     Je  40  Versuche. 


Lag 

e  des  halbirenden 

Halbmessers 

Zugehöriger  constanter  Fehler 

I 

II 

III 

IV 

I 

II 

III 

IV 

0« 

90« 

360« 

270« 

+  1,44 

-M2 

+  1,44 

-1,42 

10« 

100« 

350« 

260« 

+  1.71 

-1,74 

+  1,76 

—  1,86 

20» 

110« 

340« 

250« 

+  2,22 

—  2,16 

+  2,48 

—  2,52 

30« 

120« 

330« 

240« 

+  2,40 

-1,90 

+  2,79 

—  2,77 

40« 

130« 

320« 

230« 

+  2,50 

-1,53 

+  2,20 

-2,28 

50« 

140« 

310« 

220« 

+  1,28 

—  0,21 

+  1.10 

-0,46 

60« 

150« 

300« 

210« 

-0,40 

+  0,25 

—  0,25 

+  0,29 

70« 

160« 

290« 

200« 

—  1,23 

+  1,17 

—  0,76 

+  0,90 

80« 

170« 

280« 

190« 

i     -1,26 

+  1,24 

-1,17 

+  1,16 

90« 

180« 

270« 

180« 

I     -1,42 

+  1,44 

-1,42 

+  1,44 

Tabelle  4)  deckt  sich  fast  vollständig  mit  3).  Nur  ist 
der  Ort  der  richtigen  Halbirung  durchweg  der  Quadranten- 
mitte etwas  näher  gerückt.  Die  Bedeutung  dieses  Befun- 
des erhellt  aus  Tabelle  4a,  die  ich  aus  4)  in  gleicher  Weise 
abgeleitet  habe  wie  3  a  aus  3). 


Weitere  Grössensch&tzangen  im  Gesichtsfeld.  69 

4  a)   Scheinbar  rechte  Winkel  im  Sehfeld  des  linken 
Auges. 

I                                           II  III 


Winkellage,       Wirkliche         Winkellage,       Wirkliche 
ann&hernd  Grösse  annähernd  Grösse  I  >  II 

180«— 270«  90»  — M3Vo  O«—  90«  90«  — l,437o  — 

190»— 280«  90«  — 1,16,,  10«— 100«  90«  — 1,72,,  0,56 

200«— 290«  90«  —  0,82  „  20«— 110«  90«  —  2,19  „  1,37 

210«- 300«  90«  — 0,27,,  30«  — 120«  90«  — 2,15,,  1,88 

220«— 310«  90« +  0,78,,  40«— 130«  90«  — 2,01,,  2,79 

230«— 320«  90« +  2,24,,  50«— 140«  90«  — 0,74,,  2,98 

240«— 330«  90« +  2,78,,  60«— 150«  90« +  0,32,,  2,46 

250«— 340«  90« +  2,50,,  70«  — 160«  90« +  1,20,,  1,30 

260«— 350«  90« +  1,81,,  80«— 170«  90«  +  1,25  „  0,56 

270«— 360«  90«  +  1,43  „  90«— 180«  90«  +  1,43  „  — 

Es  sind  sonach  die  scheinbar  rechten  Winkel  der  lin- 
ken Hälfte  des  Sehfeldes  hier  ebenfalls  grösser  als  ihre 
Scheitelwinkel  in  der  rechten,  jedoch  nicht  so  viel  wie  im 
Sehfeld  des  rechten  Auges  —  und  damit  hängt  eben  die 
Verschiebung  des  Punktes,  wo  CF  =  0,  zusammen.  Im 
Uebrigen  stimmen  die  beiden  Sehfelder  vollkommen  über- 
ein. —  Hierdurch  schliessen  sich,  so  scheint  es,  die  Hal- 
birungen  von  180®  wiederum  möglichst  eng  an  die  der 
kleineren  Winkel,  insbesondere  an  die  von  150^  an.  Denn 
bei  letzteren  weichen  die  Sehfelder  nur  wenig  von  einander 
ab,  nämlich  nur  insofern,  als  der  Halbmesser  180®  rechts 
einen  positiven,  links  einen  negativen  *CB'  aufweist;  in  den 
drei  anderen  Hauptrichtungen  besteht  kein  Unterschied 
zwischen  rechts  und  links.  Ist  aber  ebenso  bei  Verglei- 
chung  rechter  Winkel  in  der  0®-,  90®-  und  270®-Lage 
CF  rechts  und  links  der  gleiche,  so  muss  er  es  auch  für 
die  180® -Lage  sein,  weil  ja  nunmehr  der  CF  der  einen 
Hauptrichtung  von  dem  der  anderen  abhängt. 

Allein  eigentlich  wäre  man  wohl  berechtigt,  zwischen 
den  beiden  Sehfeldern  Symmetrie  zu  erwarten.  Die  sym- 
metrische Vertheilung  der  Fehler  (Vorzeichen)  würde  sich 


70  R-  Fischer. 

übrigens  genau  so  gut  wie  die  nicht  symmetrische  aus  den 
bei  den  kleineren  Winkeln  gewonnenen  Ergebnissen  her- 
leiten lassen:  Tabelle  4)  hat  nur  in  zwei  Hauptrichtungen 
denselben  CF  wie  2);  natürlich  bleibt  es  so,  wenn  in  4) 
die  Vorzeichen  durchweg  abgeändert  werden  und  nun  4) 
und  3)  symmetrisch  erscheinen.  Eine  solche  Aenderung 
Imtte  zudem  den  Vortheil,  dass  dann  im  linken  Sehfeld 
ebenso  wie  im  rechten  das  Grössenverhältniss  zwischen  den 
scheinbar  rechten  Winkeln  der  inneren  Hälfte  und  ihren 
Scheitelwinkeln  in  der  äusseren  dem  gewöhnlichen  Maass- 
stab für  Innen  und  Aussen  entsprechen  würde.  Das  linke 
Auge  verräth  denn  auch  hier  und  da  Neigung  zu  „symme- 
trischen" Einstellungen;  namentlich  kommt  der  unterdrückte 
negative  Fehler  des  linksseitigen  Halbmessers  180^,  und 
schliesslich  des  senkrechten  Durchmessers  überhaupt,  öfters 
wieder  zum  Vorschein  —  ein  Verhalten,  das  offenbar  schon 
bei  den  kleineren  Winkeln  dadurch  angebahnt  ist,  dass  der 
CF  der  senkrechten  Halbirungslinien  dort,  besonders  im 
linken  Gesichtsfeld,  eine  doppelte  Form  annehmen  kann. 

Spätere  Halbirungen  von  180^  in  den  vier  Hauptrich- 
tungen ergaben  zuweilen  einen  grösseren  CF  als  die  oben 
mitgetheilten,  häufiger  noch  einen  kleineren;  z.  B.  betrug 
er  nach  je  80  Einstellungen  der  beiden  senkrechten  Halb- 
messer im  rechten  Sehfeld  0,91  ®/o,  im  linken  0,90  ^/q.  Ebenso 
wurde  in  der  Regel  im  Blickfeld  jedes  Auges  CF  etwas 
niedriger,  so  einmal  für  die  senkrechten  Halbmesser  zusam- 
men =  +  0,76®/o  und  +0,78<>/o.  Das  Gleiche  gilt  für  die 
Halbirungen  und  die  Einstellungen  eines  rechtwinkligen 
Kreuzes  mit  beiden  Augen;  bei  ersteren  war  z.  B.  CF  = 
-|-0,6ö®/o,  bei  letzteren  die  Abweichung  des  senkrechten 
Durchmessers  =  +  0,59«  oder  in  »/o  von  90®  =  0,66  % 
ein  zweites  Mal  ==  +  0,83«  =  0,92%.  —  Solche  Schwan- 
kungen  des  CF  haben  nichts  überraschendes;  in  den  an- 
deren Versuchen  war  es  ja  ähnlich.  Bedeutungsvoll  erscheint 
mir  dagegen  die  Beobachtung,  dass  CF  des  Halbmessers 


Weitere  GröaseDsch&tEODgen  im  Gesichtsfeld.  71 

180^  bei  den  Halbirnngen  von  180^  im  Blickfeld  des  lin- 
ken Auges  an  manchen  Tagen  nicht  mehr  das  positive  Vor- 
zeichen hatte,  wie  zu  derselben  Zeit  im  Sehfeld ')  und  wie 
sonst  gewöhnlich,  sondern  das  entgegengesetzte»  ohne  seine 
Grösse  wesentlich  zu  ändern.  Ebenso  fand  ich  dann  den 
negativen  Fehler  bei  den  Einstellungen  eines  senkrecht 
stehenden  rechtwinkligen  Kreuzes  mit  dem  linken  Auge, 
freilich  nur  selten.  Häufiger  schien  aber  die  Symmetrie 
wieder  in  den  Versuchen  mit  beiden  Augen  hervorzutreten; 
denn  hier  wurde  wiederholt  für  den  Halbmesser  180^  CF 
=  0,  ebenso  für  das  rechtwinklige  Kreuz. 

Aehnlich  verhielt  sich  GF,  wenn  ich  nicht  mehr  rechte 
Winkel  beurtheilte,  sondern  den  Durchmesser  0^-180^  nach 
dem  Augenmaass  in  senkrechte  Lage  zu  bringen  suchte. 
Der  scheinbar  senkrechte  Meridian  zeigte,  ebenso  wie  die 
senkrechten  Halbmesser  in  den  Halbirungen  von  180®  und 
offenbar  aus  demselben  Grunde  (also  mittelbar  wegen  der 
scheinbaren  Sehfeldzusammenziehung),  eine  Drehung  nach 
redits  und  es  war  z.  B.  nach  200  Versuchen  im  rechten 
Sehfeld  CF  =  +l,17^  im  linken  =  +  0,970;  im  Blickfeld 
wurde  er  wohl  immer  etwas  kleiner,  aber  links  manchmal, 
bei  gleicher  Grösse,  sogar  negativ,  bei  den  Messungen  mit 
beiden  Augen  endlich  stets  klein,  mit  positivem  Vorzeichen, 
a.  B.  =  +  0,34^  zuweilen  auch  =  0. 

In  einem  Falle  kehrte  aber  jener  negative  Fehler  des 
linken  Gesichtsfeldes  und  so  die  Symmetrie  zwischen  links 
und   rechts  regelmässig  wieder,   nämlich   da,   wo  zu  dem 


*)  Dann  richteten  sich  die  Versuche  im  Sehfeld  stets  eine  Zeit 
lang  nach  den  unmittelbar  Torausgehenden  Einstellungen  im  Blick- 
feld, und  umgekehrt.  Auch  die  Messungen  mit  beiden  Augen  hatten 
zum  Theil  verschiedene  Ergebnisse,  je  nachdem  Yorher  im  linken 
oder  rechten  Blickfeld  untersucht  worden  war.  Aehnliches  sahen 
wir  bei  den  kleineren  Winkeln,  als  festgestellt  wurde,  dass  GF  der 
senkrechten  Halbirungslinien  dort  ebenfalls  bald  positiv,  bald  nega- 
tiv sein  kann. 


72  R.  Fischer. 

scheinbar  senkrechten  Meridian  des  rechten  Sehfeldes  die 
Decklinie  im  linken  gesucht  wurde.  Letztere  war  um  eben- 
soviel nach  links  gedreht  als  ersterer  nach  rechts  und  bil- 
dete mit  ihm  einen  nach  oben  offenen  Winkel,  der  nach 
zahlreichen  Versuchen  im  Durchschnitt  —  2,31  ^  also  noch 
einmal  so  gross  war  als  nach  3)  CF  des  Halbmessers  0^ 
bei  den  Halbirungen  von  180®;  nach  unten  verlängert  wür- 
den sich  übrigens  die  Decklinien,  wenn  ich  aufrecht  stehe, 
gerade  auf  dem  Fussboden  schneiden. 

Diese  Lage  der  Decklinien  führte  freilich  zu  Wider- 
sprüchen. Die  scheinbar  wagrechten  Meridiane  beider  Seh- 
felder verliefen,  wenigstens  allemal  nach  längerer  Dauer 
der  Untersuchung,  auch  wirklich  wagrecht.  Zu  ihnen  stand 
nun  zwar  der  scheinbar  senkrechte  Meridian  des  rechten 
Sehfeldes  rechtwinklig,  aber  nicht  auch  dessen  Decklinie. 
Drehte  ich  diese,  bis  die  Winkel  =  90®  erschienen,  so  war 
sie  zu  jenem  absolut  parallel,  aber  natürlich  nicht  mehr 
Decklinie.  Ueberhaupt  gelang  es  zur  Zeit  jener  Versuche 
nicht,  auf  diese  Weise  ein  rechtwinkliges  Kreuz  herzustellen, 
solange  das  ebene  Gesichtsfeld  streng  festgehalten  wurde. 

So  suchte  sich  die  Symmetrie  der  beiden  Gesichtsfel- 
der immer  wieder  geltend  zu  machen.  Gleichwohl  blieb 
sie  nach  allem  eine  sehr  unvollkommene.  In  den  meisten 
Fällen  richteten  sich  anscheinend  die  Messungen  im  linken 
Gesichtsfeld  und  die  mit  beiden  Augen  zeitweise  oder  regel- 
mässig nach  denen  des  rechten  Auges.  Hiermit  hängt  ver- 
muthlich  eine  Erscheinung  zusammen,  die  ich  bei  den  Ein- 
stellungen der  scheinbar  senkrechten  Decklinien  (beide  Au- 
gen in  der  Primärlage),  aber  auch  sonst  noch  in  stereo- 
skopischen Versuchen  bemerkt  habe:  das  binoculare  Sam- 
melbild befand  sich  häufig  nicht  gegenüber  der  Mittellinie, 
sondern  gerade  vor  dem  rechten  Auge.  Diese  Bevorzugung 
des  rechten  Auges  ist  vielleicht  aus  einem  einseitigen  Ge- 
brauch desselben  hervorgegangen.  Obwohl  meine  Augen 
bei  gleicher  Kurzsichtigkeit  gleich  leistungsfähig  sind,  so 


Weitere  Grössen sch&tzungen  im  Gesichtsfeld.  78 

benutze  ich  doch  seit  langem  das  rechte  weit  mehr  als  das 
linke,  zum  Mikroskopiren,  beim  Gebrauch  eines  Vergrösse- 
mngsglases,  oft  auch  zur  Augenspiegeluntersuchung,  wenig- 
stens im  umgekehrten  Bilde,  femer  z.  B.  selbst  in  den  Ver- 
suchen über  die  Grössenschätzungen,  die  mich  geraume  Zeit 
beschäftigt  haben  u.  s.  w.  Dann  wäre  die  beschriebene  Asym- 
metrie der  Gesichtsfelder  eine  erworbene;  von  den  beiden 
Messungsarten  des  linken  Auges  wäre  die  eine,  die  „sym- 
metrische'S  durch  die  andere,  nicht  symmetrische,  eben  we- 
gen deren  Uebereinstimmung  mit  der  Messungsart  des  rech- 
ten Auges,  in  vielen  Beziehungen  (vielleicht  nicht  für  immer?) 
verdrängt  Dass  bei  den  kleineren  Winkeln  (TabeUe  1  und  2) 
die  Symmetrie  der  beiden  Sehfelder  zum  Theil  gestört  er- 
schien, war  übrigens  ebenfalls,  wenn  auch  in  anderer  Weise, 
die  Folge  einer  Bevorzugung  des  rechten  Auges. 

Ob  bei  Anderen  eine  ähnliche  Asymmetrie  vorkommt, 
ist  mir  nicht  bekannt.  Mehrere  Untersucher  berichten,  dass 
bei  ihnen  die  symmetrisch  liegenden  scheinbar  senkrechten 
Decklinien  mit  den  scheinbar  senkrechten  Meridianen  oder 
doch  mit  den  auf  einer  Wagrechten  scheinbar  senkrecht 
stehenden  Meridianen  zusammenfallen.  Und  der  Winkel, 
imter  dem  sich  erstere  schneiden,  beträgt  etwa  so  viel  wie 
bei  mir  oder  noch  mehr,  öfters  auch  weniger,  ja  er  kann 
=  0  werden.  Der  zuletzt  genannte  Befund  wie  überhaupt 
der  Wechsel  der  Winkelgrösse  würde  an  sich  noch  keines- 
w^s  gegen  die  aus  meinen  Darlegungen  zu  ziehende  Schluss- 
folgerung sprechen,  dass  die  fehlerhafte  Lage  der  schein- 
bar senkrechten  Meridiane  u.s.w.,  wo  sie  vorhanden,  (sym- 
metrisch oder  nicht)  eben  doch  durch  die  Art  der  Ausmes- 
sung des  einäugigen  Gesichtsfeldes  und  somit  schliesslich 
durch  die  scheinbare  Sehfeldzusammenziehung  bedingt  sein 
könnte.  Ist  der  Fehler  =0,  so  wäre  z.B.  daran  zu  den- 
ken, ob  nicht  in  diesem  Falle  die  Sehfeldzusammenziehung 
in  allen  Richtungen  gleich  stark  nach  der  Peripherie  hin 
zunimmt  u.s.f. 


74  R-  Fischer. 

Weitere  einschlägige  Versuche  sind  meines  Wissens 
nur  noch  in  geringer  Zahl  veröffentlicht  worden.  Helm- 
holtz^)  stellte  mit  dem  rechten  Auge  ein  rechtwinkliges 
Kreuz,  das  —  nach  meinen  Bezeichnungen  —  von  den 
Durchmessern  342«- 162«  und  720-252»  gebildet  wurde, 
vollkommen  richtig  ein,  mit  dem  linken  Auge  dagegen  ein 
symmetrisch  zu  jenem  liegendes  Kreuz,  d.  h.  die  Durchmes- 
ser 18<^-198»  und  108<>-288^  am  fehlerhaftesten  erschien 
das  Kreuz,  nachdem  er  es  um  45«  weiter  gedreht  hatte. 
Wie  ein  Blick  auf  meine  Halbirungen  von  180 «  lehrt, 
könnte  sich  bei  mir  das  Kreuz  unter  Umständen  in  fast 
gleichen  Lagen  ebenso  verhalten.  Die  Möglichkeit  ist  ge- 
geben; der  Fehler  hängt  nur  davon  ab,  welches  Winkel- 
l)aar  ich  berücksichtigen  will. 

Femer  spricht  Helmholtz  auch  von  der  Vergleichung 
kleinerer  Winkel.  Wenn  er  durch  den  Scheitel  eines  Win- 
kels von  30«  bis  45«,  dessen  einer  Schenkel  wagrecht  lag, 
eine  dritte,  der  Senkrechten  nähere  Linie  so  zog,  dass  der 
zweite  Winkel  dem  ersten  gleich  zu  sein  schien,  so  fiel  der 
zweite  zu  gross  aus  und  betrug  z.  B.  statt  30«  über  34« 
(d.  h.  CF  >  13 «/oO;  ob  er  mit  dem  rechten  oder  mit  dem 
linken  Auge  untersuchte  imd  ob  sich  der  Winkel  nach 
rechts  oder  nach  links  öffnete,  war  gleichgültig.  Diesen 
Versuchen  entsprechen  wahrscheinlich  meine  eigenen  Hal- 
birungen eines  Winkels  von  60«  bei  60«-  und  300 «-Lage 
des  halbirenden  Schenkels  (wohl  nicht  die  bei  120«-  und 
240«-Lage?)  sowie  die  Halbirungen  von  90«  bei  45«-  und 
315 «-Lage  —  und  sie  waren  auch  mit  einem  ähnlichen 
Fehler  verbunden.  Dass  mein  GF  niemals  die  beträcht- 
liche Höhe  erreichte  wie  der  von  Helmholtz,  kann  Zufall 
sein,  rührt  aber  vielleicht  von  der  Verschiedenheit  der  Auf- 
gaben her.  Ich  habe  wiederholt  die  Winkelvergleichungen 
so   wie   Helmholtz   vorgenonunen,   indem   ich   nicht   den 


>)  Helmholtz,  Handbach  der  physiol.  Optik.    1.  Aufl.   i  28. 


Weitere  GröBsenschiltzangen  im  Gesichtsfeld.  75 

mittelsten  der  drei  gewöhnlich  vorhandenen  Halbmesser, 
sondern  einen  der  beiden  anderen  nach  dem  Augenmaass 
einstellte,  indem  ich  also  nicht  halbirte,  sondern  einem 
Winkel  von  10,  20  oder  30®  einen  zweiten,  anliegenden 
gleich  zu  machen  suchte.  Der  CF,  der  hierbei  nachgewie- 
sen werden  konnte,  wich  nun,  allerdings  nur  für  die  nach 
redits  oder  links  offenen  Winkel,  in  regelmässiger  Form 
von  dem  der  Halbirungen  ab.  Wenn  z.  B.  L.90<^-110® 
gegeben  und  der  Schenkel  70®  in  die  geforderte  Lage  zu 
bringen  war  oder  wenn  umgekehrt  70®  und  90®  von  An- 
fang an  vorhanden  waren  und  der  Schenkel  110®  gesucht 
vmrde,  so  bestätigte  sich  zwar  allemal  die  Erfahrung,  dass 
der  untere  Winkel  kleiner  blieb  als  der  obere,  aber  im 
ersten  Fall  war  der  Unterschied  der  Winkel  bedeutender 
als  nach  Halbirung  eines  [__  70®- 110®,  im  zweiten  Fall  da- 
gegen geringer.  Der  gesuchte  Winkel  nahm  immer  einen 
grösseren  Werth  an,  als  der  Einfluss  der  Ueberschätzung 
des  unteren  Winkels  verlangte.  —  Schon  wogen  dieser  Be- 
einträchtigung des  CF  wird  man  sich  besser  der  Halbirun- 
gen als  der  blossen  Vergleichungen  bedienen,  wenn  es  gilt, 
die  Art  der  Winkelmessung  zu  erforschen.  Was  mich  aber 
von  vornherein  veranlasste,  von  letzteren  abzusehen  und 
mich  in  allen  meinen  Versuchen  auf  jene  zu  beschränken, 
war  die  Rücksicht  auf  die  weit  grössere  Bestimmtheit 
der  Halbirungen.  Der  niedrigere  Grad  ihres  mittleren 
variablen  Fehlers  (=YF)  ermöglichte  es,  so  liess  sich 
voraussehen,  mit  einer  geringeren  Zahl  von  Versuchen  zu 
einem  Urtheil  über  CF  zu  gelangen.  Freilich  war  VF  der 
Halbirungen  immer  noch  ziemlich  stark;  er  hatte,  wenn 
wir  ihn  wie  bei  den  Längenmessungen  in  Procenten  der 
wirklichen  Hälften  ausdrücken,  folgende  Werthe: 

Ib)  VF  der  Winkelhalbirungen  im  Sehfeld  des  rech- 
ten Auges.    Je  40  Versuche,  für  10®  und  15®  nur  je  20. 


76 


R.  Fischer. 


5». 

10» 

15» 

20» 

30» 

45» 

60» 

75» 

0» 

2,76 

2,22 

2,29 

1,90 

1,24 

0,94 

1,19 

1,17 

10« 

2,63 

2,77 

2,86 

2,59 

1,77 

2,05 

1,26 

1,55 

20» 

3,27 

2,42 

2,22 

2.37 

2,77 

2,74 

1,81 

1,46 

30» 

4,20 

2,37 

2,44 

2,38 

2,72 

2,09 

2,06 

1,33 

40» 
50» 

4,24 
3,80 

2,96 
3,01 

2,92 

2,64 
2,40 

1,95 
2,47 

[  ^'^   J 

1,98 

1,48 

60» 

3,98 

3,84 

— 

2,35 

1,95 

— 

2,06 

1,50 

70» 

4,34 

2,55 

— 

2,69 

2,79 

2,35 

1,70 

1,44 

80» 

4,38 

2,51 

— 

2,77 

3,15 

— 

90» 

2,86 

3,69 

2,36 

2,14 

2,30 

1,69 

1,38 

1,51 

100» 

3,86 

2,99 

— 

1,99 

1,66 

— 

1,81 

1,37 

110» 

3,70 

2,27 

___ 

2,34 

2,07 

1,87 

120» 

3,57 

2,21 

— 

3,32 

2,16 

— 

1,24 

1,58 

130» 
140» 

3,32 
5,29 

2,06 
2,34 

2,41 

3,02 
2,56 

1,78 
2,03 

[2,12 

1,21 

1,62 

150» 

4,62 

1,97 

— 

2,74 

1,62 



2,06 

2,00 

160» 

3,14 

2,85 

— 

2,42 

2,55 

1,75 

1,48 

1,96 

170» 

3,26 

2,82 

— 

2,12 

1,68 

1,56 

1,38 

1,73 

180»! 

2,92 

2,88 

1,90 

1,79 

IM 

1,25 

0,94 

1,09 

190» 

2,81 

2,24 

— 

2,73 

1,49 

1,54 

1,50 

1,49 

200» 

3,59 

2,70 

— 

2,73 

3,23 

1,84 

1,11 

1,55 

210» 

3,52 

2,12 

— 

2,47 

2,13 

2,60 

2,44 

1,85 

220» 
230» 

4,71 
4,22 

3,25 
2,64 

^2,62 

2,83 
2,52 

2,49 
2,44 

2,74 

1,80 

1,40 

240» 

3,78 

3,07 

— 

2,03 

1,98 

— . 

1,87 

1,57 

250» 

3,51 

2,04 

— 

2,11 

2,16 

•2,17 

1,71 

1,27 

260» 

3,38 

2,68 

— 

2,31 

1,83 

— 

270» 

2,91 

2,48 

2,41 

2,24 

1,54 

2,31 

1,36 

1,29 

280», 

3,39 

2,87 

— 

2,96 

1,65 

— 

1,48 

1,86 

290» 

4,90 

2,50 

— 

2,40 

2,44 

2,43 

300» 

4,46 

3,10 

— 

2,51 

1,53 

— 

1,76 

1,84 

310» 
320» 

3,07 
4.11 

2,32 
2,61 

2,24 

2,59 
1,93 

2,38 
1,96 

3,05 
3,04 

►  1,93 

^  1,67 

330» 

5,37 

2,88 

— 

1,86 

2,10 

1,36 

2,52 

1,59 

340» 

4,77 

2,46 

— 

2,57 

1,87 

1,64 

1,78 

1,73 

350» 

3,49 

2,90 

2,69 

2,51 

1,40 

2,05 

1,88 

1,61 

Mitte 

1  3,78 

2,66 

2,45 

2,44 

2,07 

2,11 

1,67 

1,55 

Weitere  GröBBenschfttzungen  im  Gesichtsfeld. 


77 


2b)  VF  der  Winkelhalbirungen  im  Sehfeld  des  linken 
Auges.    Je  40  Versuche,  für  10®  nur  je  20. 


5« 

10« 

20« 

30« 

45« 

60« 

75« 

0« 

2,37 

1,53 

1,58 

1,52 

1,43 

1,32 

1,14 

10» 

2,89 

1,63 

1,78 

2,50 

2,05 

1,29 

— 

20» 

— 

— 

2,31 

— 

2,85 

— 

— 

30« 

— 

— 

2,45 

— 

2,47 

— 

— 

40« 
50« 

4,67 

2,19 
3,20 

•"" 

2,18 

z 

^_ 

1,72 

90« 

3,44 

2,65 

2,99 

1,38 

1,12 

1,27 

1,07 

135« 

— 

3,28 

— 

2,38 

— 

— 

— 

150« 

4,19 

2,00 

1,31 

— 

— 

— 

— 

160« 

3,47 

1,93 

1,76 

2,08 

1,62 

1,68 

1,01 

170« 

4,13 

2,47 

2,40 

1,89 

1,45 

1,29     1,10 

180« 

2,62 

1,71 

1,64 

1,24 

1,35 

1,19     0,88 

190« 

2,86 

2,79 

— 

— 

— 

_    ,    _ 

220« 
230« 

4,34 

2,61 
2,41 

__ 

1,91 

"~ 

~~ 

[l,35 

270« 

3,24 

3,06 

2,50 

1,42 

1,73 

1,33 

1,38 

315« 

— 

3,61 

— 

2,77 

— 

— 

1,70 

330« 

4,69 

2,42 

3,63 

2,17 

2,33 

2,04 

1,33 

340« 

2,72 

1,77 

2,40 

1,95 

1,36 

1,79 

1,12 

350« 

4,27 

2,07 

1,75 

1,84 

2,03 

1,13 

1,03 

Mittel 

3,56 

2,41 

2,19 

1,94 

1,82 

1,43 

1,24 

Wir  finden  hier  die  verschiedensten  Grössen  des  VF 
vertreten.  So  weit  die  Versuche  ein  und  denselben  Winkel 
betreffen,  sind  die  Schwankungen  regellos,  unabhängig  von 
<ler  Lage  des  Winkels  und  wahrscheinlich  nur  zufällige. 
Berechnet  man  aber  aus  ihnen  für  jeden  Winkel  das  Mittel, 
wie  ich  es  am  Schluss  der  Tabellen  gethan  habe,  so  wer- 
den, anscheinend  gesetzmässige  Unterschiede  dieser  Durch- 
schnittswerthe  sichtbar:  erstens  ist  jede  Zahl  aus  dem  lin- 
ken Sehfeld  etwas  niedriger  als  die  entsprechende  Zahl  aus 
dem  rechten  und  zweitens  nimmt  in  beiden  Sehfeldern  VF 
(in  %)  ab,  wenn  die  Winkelgrösse  wächst.  Weder  das  eine, 
noch  das  andere  lässt  sich  etwa  auf  den  Einfluss  der  Uebung 


78  R-  Fischer. 

zurückführen.  Zwar  habe  ich  mit  dem  linken  Auge  einen 
Winkel  immer  erst  halbirt,  wenn  ich  die  Versuche  betreffs 
desselben  Winkels  im  rechten  Sehfeld  beendet  hatte,  und 
ich  habe  auch  die  Untersuchungen  der  Winkelgrösse  nach 
auf  einander  folgen  lassen.  -Indessen  geschah  letzteres  nicht 
ausnahmslos:  im  linken  Sehfeld  bestimmte  ich  die  schein- 
baren Hälfben  =  30®  erst  am  Schluss  der  sämmtlichen  Yer- 
gleicbuDgen,  d.  h.  nach  lö^j  und  doch  passt  VF  vollkom- 
men in  die  Reihe  zwischen  20®  und  45®  und  nicht  hinter 
75®;  femer  waren  die  Messungen  des  kleinsten  Winkels,  die 
weitaus  den  grössten  VF  aufweisen,  in  beiden  Sehfeldern 
die  allerletzten,  sie  folgten  erst  auf  30®  im  linken  Sehfeld. 
Eine  Mitwirkung  der  Uebung  will  ich  freilich  nicht  ganz 
ausschliessen.  Denn  diese  machte  sich  sonst  öfters  auffäl- 
lig bemerkbar.  Aber  in  der  Hauptsache  muss  es  einen  an- 
deren Grund  haben,  dass  das  linke  Auge  etwas  bestimmter 
zu  urtheilen  scheint  als  das  rechte  und  dass  meine  Winkel- 
halbirungen  im  Sehfeld  nicht  dem  psychophysischen  Gesetz 
gehorchen. 

Was  den  letzteren,  wichtigeren  Punkt  anlangt,  so  könnte 
man  noch  versuchen,  den  absoluten  variablen  Fehler  v  in 
zwei  Theile  zu  zerlegen,  von  denen  der  eine,  a,  für  alle 
Winkel  Wj,  w,  u.  s.  f.  dieselbe  absolute  Grösse,  der  andere» 
r,  dieselbe  relative  Grösse  besitzt,  so  dass 

l)v  =  a  +  r    und     2)^  =  -^  =  ^ 

'    Wj  W,  W3 

Diese  Bedingungen  wären  noch  am  ersten  erfüllt,  wenn 
a  =  0,l®  gewählt  wird.  Denn  dann  würde  r  in  ^j^  der  ge- 
forderten Winkelhälften  betragen 

für  Vi  L=-  5*       10«       15»      20«      30«      45«       60«       75« 
rechts  1,78    1,66    1,78    1,94    1,74    1,89    1,50    1,42  ®/<, 
links     1,56    1,41     —      1,69    1,61    1,60    1,26    1,11®/^ 

Allein  gegen  das  Ende  der  beiden  Reihen  hin  tritt  doch 
wieder  eine  unzweifelhafte  Abnahme  zu  Tage.     Und  noch 


Weitere  Grössensch&tzungen  im  Gesichtsfeld. 


79 


weiter  würde  die  relative  Zahl  für  r  sinken,  wo  es  sich 
tun  Halbirangen  von  180^  handelt.  Dies  geht  aus  den 
Tabellen  3b  und  4b  hervor. 

3b)  VF  der  Halbirungen  von  180«  im  Sehfeld  des 
rechten  Auges.  Je  80  Versuche.  VF  (nicht  etwa  r)  in  % 
von  90«.     HH  =  Lage  des  halbirenden  Halbmessers. 


HH 

1 
VF 

HH 

VF 

HH 

VF 

HH 

VF 

0« 

0,29 

90« 

0,36 

180« 

0,25 

270« 

0,21 

10» 

0,37 

100« 

0,44 

190« 

0,36 

280« 

0,43 

20» 

0,53 

110« 

0,61 

200« 

0,72 

290« 

0,58 

30« 

0,60 

120« 

0,56 

210« 

0,73 

300« 

0,63 

40« 

0,69 

130« 

0,66 

220« 

0,53 

310« 

0,60 

50« 

0,72 

140« 

0,73 

230« 

0,57 

320« 

0,64 

60« 

0,67 

150« 

0,74 

240« 

0,58 

330« 

0,63 

70» 

0,71 

160« 

0,56 

250« 

0,53 

340« 

0,67 

80* 

0,53 

170« 

0,36 

260« 

0,33 

350« 

0,36 

Mittel  aus  allen  2880  Versuchen:  VF« 0,53 «/o. 


4b)  VF  der  Halbirungen  von  180«  im  Sehfeld  des 
linken  Auges.  Je  40  Versuche.  VF  in  «/^  von  90«.  HH  = 
Lage  des  halbirenden  Halbmessers. 


HH 

VF 

HH 

VF 

HH 

1 r 

VF 

HH 

VF 

0« 

0,22 

90« 

0,23 

180« 

0,23  1 

270« 

0,19 

10« 

0,37 

100« 

0,31 

190« 

0,31 

280« 

0,34 

20« 

0,54 

110« 

0,45 

200« 

0,39 

290« 

0,56 

30« 

0,62 

120« 

0,52 

210« 

0,64 

300« 

0,64 

40« 

0,55 

130« 

0,49 

220« 

0,57 

310« 

0,58 

50« 

0,62 

140« 

0,59 

230« 

0,47 

320« 

0,73 

60« 

0,69 

160« 

0,92 

240« 

0,70 

330« 

0,67 

70« 

0,63 

160« 

0,62 

250« 

0,61 

340« 

0,59 

80« 

0,48 

170« 

0,35 

260« 

0,41 

350« 

039 

Mittel  aas  allen  1440  Versachen:  VF  — 0,60  «/o. 

Die  Tabellen  lassen  ausserdem  erkennen,  was  sonst  höch- 
stens angedeutet  war,  dass  sich  die  vier  Hauptrichtungen 
durch  grosse  Bestimmtheit  der  Einstellungen  auszeichnen» 


80 


R.  Fischer. 


dass  VF  dort  nur  etwa  halb  so  viel  beträgt  als  im  Mittel 
aus  allen  Versuchen  zusammen.  Auch  noch  in  den  benach- 
barten Lagen  bleibt  er  weit  unter  dem  Durchschnitt  Der 
Grund  hierfür  kann  nicht  zweifelhaft  sein.  Nur  dann,  wenn 
die  Schenkel  der  scheinbar  rechten  Winkel  genau  oder  an- 
nähernd in  den  vier  Hauptrichtungen  verlaufen,  herrscht 
ja  scheinbare  Uebereinstimmung  zwischen  sämmtlichen  vier 
Quadranten. 

Zum  Schlüsse  einige  Bemerkungen  über  den  VF  der 
Messungen,  die  ich  sonst  noch  erwähnt  habe.  Im  Blickfeld 
stellt  sich  VF  gewöhnlich  viel  niedriger  als  im  Sehfeld. 
Als  Beispiel  führe  ich  die  beiden  folgenden  Tabellen  an. 
Sie  beziehen  sich  allerdings  nur  auf  den  Fall,  dass  der  hal- 
birende  Halbmesser  einer  der  vier  Hauptrichtungen  ange- 
hört; die  Zwischenstellungen  liefern  aber  nur  wenig  höhere 
Werthe. 

VF  der  Winkelhalbirungen  im  Blickfeld  des  rechten 
Auges,  in  ^Jq  der  Winkelhälften.     Je  40  Versuche. 


10« 

15« 

20« 

30« 

45« 

60« 

75« 

0« 

90« 

180« 

270« 

0,80 
0,73 
0,94 
0,60 

0,67 
0,75 
0,66 
0,65 

0,84 
1,37 
0,92 
0,98 

0,63 
0,79 
0,62 
0,75 

0,58 
0,93 
0,61 
1.01 

0,65 
0,77 
0,70 
0,73 

0,50 
0,70 
0,56 
0,59 

Mittel 

0,77 

0,68 

1,03 

0,70 

0,78 

0,71 

0,59 

Mittel  aas  allen  1120  Versuchen:  VF=»0,75«/o. 

VF  der  Winkelhalbirungen   im   Blickfeld    des   linken 
Auges,  in  ^o  der  Winkelhälften.    Je  40  Versuche. 


10« 

20« 

30« 

45« 

60« 

"75« 

0« 

90« 

180« 

270« 

0,80 
1,25 
0,73 
0,83 

0,88 
0,79 
1,00 
0,94 

0,76 
0,61 
0,62 
0,69 

0,75 
0,72 
0,69 
0,85 

0,62 
0,48 
0,59 
0,62 

0,72 
0,38 
0,52 
0,41 

Mittel 

0,90 

0,90 

0,67 

0,75 

0,58 

0,51 

Mittel  aas  allen  960  Versachen:  VF=«0,72«/o. 


Weitere  Grössenschfttzoiigeii  im  Gesichtsfeld. 


81 


Im  Sehfeld  war  VF  zwei-  bis  dreimal  so  gross,  ein  Unter- 
schied, wie  wir  ihn  bei  den  Längenmessungen  auch  nicht 
annähernd  angetroffen  haben.  Wie  aus  den  beiden  Ta- 
bellen weiterhin  zu  entnehmen  ist,  darf  das  psychophysische 
Gesetz  auf  die  Versuche  im  Blickfeld  allenfalls  angewendet 
werden.  Allein  für  die  Winkelhälften  =  75  ^  sinkt  VF  doch 
jedesmal  am  tiefsten  und  eine  yollkommene  Ausnahme  bil- 
den —  gleichfalls  nur  senkrechte  und  wagrechte  Lage  des 
halbirenden  Schenkels  vorausgesetzt  —  die  Halbirungen 
▼on  180^  mit  VF  =  0,17  «/o  und  die  von  W  mit  VF  = 
1,27  ^Iq.  Genau  so  verhält  sich  VF  bei  den  Winkelmessun- 
gen mit  beiden  Augen: 

VF  der  Winkelhalbirungen  mit  beiden  Augen  im  Blick- 
feld, in  ®/o  der  Winkelhälften.     Je  40  Versuche. 


||ioo 

150 

20« 

30« 

45« 

60« 

75« 

90« 

0* 

90« 

180* 

270« 

'  0.87 
0,77 
0,64 
0,53 

0,84 
0,91 
0,78 
0,91 

0,79 
1,14 
0,47 
0,95 

0,73 
1,09 
0,56 
0,98 

0,86 
1,32 
0,82 
0,93 

0,66 
0,97 
0,69 
1,04 

0,51 
0,69 
0,67 
0,74 

0,14 
0,17 
0,12 
0.14 

Mittel 

0,70 

0,86 

0,84 

0,84 

0.98 

0,84 

0,65 

0,14 

Mittel  aus  aUen  1120  Versuchen  für  10«— 75«:  VF=-0,81«/o. 


Die  Einstellungen  eines  rechtwinkligen,  senkrecht  stehenden 
Kreuzes  ferner  haben  ungefähr  denselben  VF  wie  die  ent- 
entsprechenden Halbirungen  von  180*^.  Bei  anderer  Lage 
des  Kreuzes  kann  aber  VF  mehr  oder  weniger  wachsen, 
und  etwa  doppelt  so  gross  wird  er  in  den  Versuchen  über 
den  scheinbar  senkrechten  Meridian:  ich  fand  im  Mittel 
aus  je  200  Einzelwerthen : 


1)  im  Sehfeld 
rechts        links 


2)  im  Blickfeld  3)  mit  beiden 
rechts        links  Augen 

VF  =  0,4680    0,4360       0,319^    0,336«       0,206«    oder 
in  %  von  90« 

=  0,52«/o    0,48  «/o       0,35  «/o    0,37  «/o       0,23  «/o 

▼.  Qnefe's  AtcUt  fOr  Ophthalmologie.  XXXYII.  3.  6 


82  R.  Fischer. 

Die  Fehler  der  drei  Äbtheilungen  stehen  zu  einander  in 
dem  Yerhältniss  von  4:3:2.  Links  ist  VF  nicht  kleiner 
als  rechts;  der  geringe,  aber  regelmässige  Unterschied,  der 
in  Tabelle  Ib  und  2b  nachgewiesen  wurde,  tritt  sonst  nir- 
gends wieder  deutlich  zu  Tage. 

Nach  100  Einstellungen  der  scheinbar  senkrechten  Deck- 
linien endlich  war  im  Durchschnitt  VF  =  0,22^. 


IL 
Scheinbar  gerade  Linien  des  Sehfeldes. 

Wenn  wir  grösste  Kreise  des  kuglig  gedachten  Seh- 
feldes mit  Hülfe  der  Richtungslinien  auf  eine  Ebene  pro- 
jiciren,  auf  der  die  Gesichtslinie  senkrecht  steht,  so  bilden 
die  Projectionen  gerade  Linien.  Diese  erscheinen  uns  je- 
doch nicht  in  allen  Fällen  geradlinig.  So  bleiben,  Primär- 
lage des  Auges  vorausgesetzt,  zwar  diejenigen  Projectionen 
grösster  Kreise  auch  für  das  Äugenmaass  unverändert  ge- 
radlinig, die  durch  den  Fixirpunkt  gehen,  d.  h.  die  Meri- 
diane. Alle  übrigen  aber  erleiden  scheinbar  eine  Krüm- 
mung und  werden  concav  gegen  den  Fixirpunkt.  Für  diese 
Scheinkrümmung  liesse  sich  wohl  eine  befriedigende  Er- 
klärung finden.  Legt  man  durch  den  Fixirpunkt  eine  Pa- 
rallele zu  der  Projection  eines  beliebigen  grössten  Kreises, 
so  wird  die  gegenseitige  Entfernung  der  beiden  Linien,  die 
überall  gleiche  Grösse  hat,  doch  nicht  überall  unter  dem- 
selben Gesichtswinkel  gesehen;  der  Winkel  ist  am  Fixir- 
punkt am  grössten  und  nimmt  von  da  nach  beiden  Seiten 
hin  mehr  und  mehr  ab.  In  Folge  dessen  müsste  eben  die 
nicht  meridionale  Gerade  concav  erscheinen,  und  dieselbe 
Vorstellung  könnte  für  den  Fall,  dass  der  parallele  Meri- 
dian fehlt,  beibehalten  werden.  Als  feststehend  ist  dabei 
freilich  angenommen,  dass  die  Meridiane,  die  ja  durch  ihre 
Lage  bevorzugt  sind  und  die  der  Wirklichkeit  entsprechend 


Weitere  Grössensch&tzangen  im  Gesichtsfeld.  83 

als  geradlinig  angesehen  werden,  den  Ausgangspunkt  für 
das  UrÜieil  über  die  Richtung  anderer  Linien  abgeben. 

Umgekehrt  liegt  hiemach  die  Frage  nahe,  ob  nicht 
die  Parallelkreise  zu  einem  Meridian  oder  besser  ihre  Pro- 
jectionen  scheinbar  ungekrümmte  Linien  des  ebenen  Seh- 
feldes bei  Priroärstellung  des  Auges  sind.  Denn  da  der  Ab- 
stand zwischen  Meridian  und  Parallelkreis  natürlich  durch- 
weg denselben  Gesichtswinkel  hat,  so  würden  die  beiden 
Projectionen  einander  parallel  und  somit  die  des  Parallel- 
kreises ebenfalls  geradlinig  erscheinen,  wiewohl  sie  im  Bo- 
gen, convex  gegen  den  Fixirpunkt,  verläuft.  Hierüber  habe 
ich  in  letzter  Zeit,  wo  ich  bereits  an  einen  Zusammenhang 
zwischen  der  scheinbaren  Sehfeldzusammenziehung  und  den 
Fehlern  des  Augenmaasses  dachte,  einige  Versuche  ange- 
steUt 

An  einer  senkrechten,  schwarzen  Tafel  war  in  geringer 
Entfernung  (6®  bis  8^)  von  einem  weissen  Punkt,  den  ich 
mit  dem  rechten  Auge,  bei  Primärlage  desselben  und  mit 
rechtwinklig  zur  Tafel  gerichteter  Gesichtslinie,  auf  18  cm 
Abstand  fixirte,  eine  gerade  Linie  ac  oder  vielmehr  nur 
ihre  Endpunkte  a  und  c  angebracht  und  in  der  Mitte  zwi- 
schen a  und  c  wurde  dann  ein  dritter  Punkt  b  so  lange 
hin  und  her  geschoben,  bis  er  mit  jenen  in  einer  Geraden 
zu  liegen  schien.  Die  Einstellungen  erfolgten  sehr  unsicher, 
doch  stimmten  die  Mittel werthe  darin  überein,  dass  b  zu 
nahe  an  den  Fixirpunkt  herangerückt  wurde,  dass  sich  also 
die  scheinbar  gerade  Linie  abc  in  Wirklichkeit  convex  ge- 
-gen  den  Fixirpunkt  krümmte.  Und  nach  der  Berechnung 
war  die  Krümmung  etwas  stärker  als  die  der  Projection 
eines  „Parallelkreises'%  nicht  nur  oben  und  aussen,  wo  sie 
den  höchsten  Grad  zu  erreichen  schien,  sondern  auch  unten 
und  innen.  Denkt  man  sich  einen  Meridian  parallel  zu 
der  scheinbaren  Geraden  abc,  so  wäre  demnach  der  Ge- 
sichtswinkel des  Zwischenraumes  zwischen  den  beiden  Linien 
nicht  überall  gleich  gross,  sondern  am  Fixirpunkt  am  klein- 


84  R-  Fischer. 

sten  und  peripheriewärts  wachsend.  Ganz  so  würde  sich 
aber  (nach  Archiv  für  Ophthabnol.  XXXVU,  1,  S.  135  ft) 
der  Einfluss  der  scheinbaren  Sehfeldzusammenziehung  äus- 
sern, von  der  ja  auch  die  Gradunterschiede  in  den  einzeln 
nen  Sehfeldgegenden,  wiewohl  nur  andeutungsweise,  hervor- 
treten. 

Es  ist  jedoch  hervorzuheben,  dass  während  dieser  Un- 
tersuchungen im  Sehfeld,  von  den  Bandbezirken  abgesehen» 
neben  dem  Fizirpunkt  nur  noch  die  drei  Punkte  a,  b  und 
c  vorhanden  waren.  Eine  ausgezogene  Linie  hätte  wahr- 
scheinlich, nach  einigen  Versuchen  zu  schliessen,  eine  we- 
niger fehlerhafte  Beurtheilung  erfahren  als  die  durch  drei 
Punkte  markirte  Linie  abc.  Noch  weniger  wird  sich  das 
eigentliche  Maass  der  Grössenschätzungen  geltend  machen 
können,  wenn  die  Linien  zusammengesetzten  Formen  ange- 
hören. Endlich  trägt  vielleicht  eine  beträchtliche  Länge 
der  Linien  ebenfalls  dazu  bei,  die  ursprüngliche,  falsche 
Auffassung  mehr  und  mehr  richtig  zu  stellen;  bei  mir  hatte 
ac  nur  eine  Ausdehnung  von  18®  bis  25®.  Deshalb  wun- 
dert es  mich  nicht,  dass  ich  z.  B.  die  Projectionen  von 
Richtkreisen  des  Blickfeldes,  aus  denen  die  Helmholtz- 
sche  Schachbrettfigur  ^)  besteht,  doch  als  gerade  Linien 
(nebenbei  körperlich)  zu  sehen  vermag.  Ferner  dürfen  die 
Versuche,  in  denen  die  Richtkreise  u.  s.  w.  selbst,  z.  B.  am 
Gycloskop  von  Donders,  zur  Verwendung  kamen,  kaum 
ohne  weiteres  mit  denen,  die  sich  auf  die  Projectionen  im 
ebenen  Sehfeld  beziehen,  verglichen  werden,  da  sich  die 
Auslegung  ein  und  desselben  Netzhautbildes  hier  wohl  ver- 
schieden gestalten  kann.  — 

Alles  dies  reicht  freilich  meiner  Meinung  nach  noch 
nicht  hin,  um  die  Ansicht,  nach  der  die  Richtlinien  die 
scheinbar  geraden  Linien  des  Sehfeldes  sein  sollen,  zu  wi- 
derlegen.   Namentlich  haben  meine  eigenen  Versuche  be- 


>)  HelmholtE,  Handbuch  der  physiol.  Optik.   1.  Aufl.   §  28. 


Weitere  Grössensch&tzaogen  im  Gesichtsfeld.  85 

schränkten  Wertb,  da  sie  gering  an  Zahl  sind  und  da  ich 
mich  nur  wenig  eingeübt  hatte.  Gleichwohl  scheint  es  mir 
nicht  mehr  allzugewagt,  wenn  ich  die  Täuschungen  über 
die  kürzesten  Abstände  zwischen  je  zwei  Sehfeldpunkten 
ebenso  mit  der  scheinbaren  Sehfeldzusammenziehung  in  Zu- 
sammenhang bringe  wie  die  Fehler  der  Längenschätzungen 
und  die  der  Vergleichung  von  Winkeln  (darunter  die  Ab- 
weichung der  scheinbar  senkrechten  Meridiane).  Dann  wären 
wenigstens  alle  Fehler  des  Augenmaasses,  so  verschieden- 
artig sie  aussehen,  auf  einen  einzigen  zurückgeführt.  — 


TJeber  die  Abflnsswege  des  Humor  aqnens. 

ExperimenteUe  und  anatomische  Untersachungen 

von 

Dr.  Carlo  Staderini, 
Privatdocenten  an  der  Königl.  Universität  Siena. 

(Aas  dem  Laboratorium  des  Professor  H.  Sattler  in  Prag.) 

Hierzu  Tafel  III,  Fig.  1-3. 


In  früherer  Zeit  herrschte  bekanntlich  über  den  Ab- 
fluss  des  Humor  aqueus  fast  allgemein  die  Anschauung» 
dass  derselbe  aus  der  vorderen  Kammer  in  die  Hornhaut 
eindringe  und,  nachdem  er  diese  in  ihrer  ganzen  Dicke 
durchsetzt,  an  ihrer  vorderen  Fläche  aus  zahlreichen  klein- 
sten Poren  zum  Vorschein  komme. 

Im  Jahre  1870  hat  Schwalbe^),  ohne  die  Frage  nach 
der  Durchlässigkeit  der  Cornea  zu  berühren,  in  einer  aus- 
führlichen, höchst  bemerkenswerthen  Arbeit  die  anatomi- 
schen Verhältnisse  des  Kammerwinkels  beim  Menschen  und 
bei  verschiedenen  Säugethieren  einer  eingehenden  Unter- 
suchung unterzogen  und  auf  Grund  von  Injectionen  von 
Berliner  Blau  in  die  vordere  Kammer  die  höchst  auffallige 
Thatsache  angegeben,  dass  auf  diesem  Wege  sich  nicht  nur 
das  Lückensystem  des  Fontana'schen  Raumes,  sondern  auch 


')  Untersuchungen  aber  die  Lymphbahnen  des  Auges  und  ihre 
Begrenzungen:  Archiv  fQr  mikrosk.  Anat  VI,  S.  261.    1870. 


Ueber  die  AbfluBswege  des  Homor  aqueus.  87 

der  Schlemm'sche  Canal  und  von  diesem  aus  die  den  Horn- 
hautrand umgebenden  sderalen  Yenennetze  füllen  lassen, 
und  die  Masse  endlich  durch  die  vorderen  Ciliarvenen  ab- 
fliesse,  dass  also  die  vordere  Kammer  in  offener  Communica- 
tion  mit  den  Blutgefässen  stehe.  Ferner  gelangte  Schwalbe 
auch  zu  der  Anschauung,  dass  der  Schlemm'sche  Canal  beim 
Menschen  kein  Blutsinus  sei,  sondern,  ebenso  wie  das  Lücken- 
system am  Iriswinkel,  zum  lymphatischen  Apparate  gerech- 
net werden  müsse. 

Schwalbe's  Auffassung  schloss  sich  Waldeyer*)  rück- 
haltslos an  und  erwähnt,  dass  es  auch  ihm  regelmässig  ge- 
lungen sei,  durch  Injection  von  der  vorderen  Kammer  aus 
den  Schlemm'schen  Canal,  selbst  bei  geringem  Drucke,  zu 
füllen.  Ebenso  stimmt  er  auch  darin  Schwalbe  bei,  dass 
bei  gut  gelungenen  Injectionen  von  den  Arterien  aus  eine 
Füllung  des  Schlemm'schen  Canals  nicht  eintrete,  sowie 
dass  er  Blutkörperchen  in  diesem  Canale  niemals  habe 
nachweisen  können.  Die  nahe  liegende  Frage  nach  dem 
Vorhandensein  von  Klappenvorrichtungen  wurde  von  beiden 
Forschem  übereinstimmend  dahin  beantwortet,  dass  solche 
wohl  existiren  dürften,  dass  es  aber  nicht  gelungen  sei, 
Klappen  nachzuweisen. 

Dieser  Annahme  einer  offenen  Verbindung  der  vor- 
deren Augenkammer  mit  dem  Venensysteme  trat  Leber 
in  seiner  berühmt  gewordenen  Arbeit  im  XIX.  Bande  die- 
ses Archivs  entschieden  entgegen  auf  Grund  ausschlagge- 
bender Versuche,  welche  zum  Theile  schon  aus  dem  Jahre 
1863  stammten,  dann  1870,  gemeinsam  mit  Riesenfeld, 
wiederholt  aufgenommen^)  und  seitdem  mit  constantem  Er- 
folge wiederholt  und  beträchtlich  erweitert  wurden.  Durch 
diese  Versuche  wurde  einerseits  die  wichtige  Thatsache  end- 

')  Handbuch  der  ges.  Augenheilkunde  yon  A.  Graefe  und  Th. 
Saemisch,  S.  230.   1874. 

*)  Zar  Frage  über  die  TransfaBionsf&higkeit  der  Cornea  und  die 
Regorption  aus  der  vorderen  Angenkammer.  Inaug.-Diss.  Berlin  1871. 


88  C.  Staderini. 

gültig  festgestellt,  dass  die  Hornhaut  im  normalen  Zustande 
selbst  bei  bedeutend  gesteigertem  Druck  keine  Flüssigkeit 
hindurchtreten  lässt,  und  andererseits  die  Frage  der  Com- 
munication  der  vorderen  Augenkammer  mit  dem  Blutge- 
fasssysteme  dahin  entschieden,  dass  zwar  wässerige  Flüssig- 
keiten, welche  gelöste  Stoffe  enthalten,  vermöge  des  Druck- 
unterschieds zwischen  der  vorderen  Kammer  und  den  6e- 
fässen  des  Plexus  venosus  ciliaris  durch  Filtration  in  die 
letzteren  übertreten  und  durch  dieselben  abfliessen  können, 
eine  Substanz  hingegen,  welche,  wie  das  Berliner  Blau,  durch 
den  Salzgehalt  des  Kammerwassers  geföUt  wird,  nicht  hin- 
durchzudringen vermag,  dass  also  eine  offene  Verbindung 
der  vorderen  Augenkammer  mit  den  Blutgefässen  nicht 
existirt.  Durdi  geeignete  Versuche  hat  es  Leber  in  hohem 
Grade  wahrscheinlich  gemacht,  dass  auch  während  des  Le- 
bens der  Humor  aqueus  vorzugsweise  auf  dem  Wege  der 
Filtration  in  die  Venen  des  Plexus  venosus  ciliaris  die  vor- 
dere Kammer  verlasse. 

Diese  Ergebnisse  sind,  soweit  sie  die  Kammerinjectio- 
nen  an  ausgeschnittenen  Augen  betreffen,  einige  Jahre  spä- 
ter von  Königstein*)  bestätigt  worden.  Auch  hat  dieser 
Forscher  die  von  Schwalbe  und  Waldeyer  gegen  die 
Blutgefassnatur  des  Schlemm'schen  Canals  vorgebrachten 
Einwürfe  zurückgewiesen,  indem  er  zeigte,  dass  sich  der- 
selbe sehr  sicher  von  den  Blutgefässen  aus  ohne  Anwen- 
dung von  starkem  Druck  injiciren  lasse,  wenn  der  intra- 
oculäre  Druck  stärker  herabgesetzt  war  oder  die  vordere 
Kammer  vorher  eröffiiet  wurde,  dass  dabei  aber  niemals 
Injectionsmasse  in  die  vordere  Kammer  austrat,  wie  dies 
Schwalbe  unter  den  erwähnten  Voraussetzungen  beobach- 
tet zu  haben  angiebt^).  Auch  brachte  er  die  Thatsache 
wieder  in  Erinnerung,  dass  wiederholt  Blut  in  diesem  Ca- 


»)  Dieses  Archiv  XXVI,  2,  S.  139.  1880. 
«)  1.  c.  S.  313. 


lieber  die  Abflusswege  des  Humor  aqueus.  89 

nale  angetroffen  wurde.  Dass  die  Rouget-Leber'sche  Auf- 
Cassong  des  Schlemm'sdien  Canals  als  venösen  Gefässplexus 
zu  Recht  besteht,  wurde  von  Königstein  ebenfalls  bestä- 
tigt und  ist  übrigens  schon  von  Leber  selbst  im  Jahre 
1876  eingehend  begründet  worden.  Auch  Angelucci  giebt 
an,  dass  er  durch  Injectionen  von  der  Arteria  sowohl,  als 
von  der  Vena  ophthalmica  aus  vollständige  Füllung  des 
Schlemm'schen  Canals  erhielt,  ohne  dass  eine  Spur  des  inji- 
drten  Materials  in  das  Maschenwerk  des  Fontana'schen 
Raumes  eindrang.  Dagegen  sieht  er  die  Füllung  des  Schlemm* 
sehen  Canals  bei  Injectionen  in  die  Yorderkammer  als  ein 
Kunstprodukt  an  *).  Eine  offene  Communication  der  vor- 
deren Kammer  mit  den  vorderen  Ciliarvenen  sei  als  aus- 
geschlossen zu  betrachten.  Uebrigens  gehe  schon  aus  der 
Entvnckelung  und  Structur  dieser  Theile  hervor,  dass  eine 
solche  Communication  a  priori  undenkbar  sei. 

Inzwischen  hat  auch  Heisrath*),  der  bekanntlich  in 
Bezug  auf  das  Ergebniss  der  Vorderkammerinjectionen  zu 
einer  entgegengesetzten  Anschauung  gekommen  ist,  den 
Schlemm'schen  Canal  als  einen  Anhang  des  Yenensystems, 
als  venösen  Gefässplexus  anerkannt^).  Selbst  Schwalbe 
giebt  in  seiner  letzten  Mittheilung  über  den  in  Frage  ste- 
henden Gegenstand^)  zu,  dass  der  Schlemm'sche  Canal  ein 
den  perforirenden  Aesten  der  vorderen  Ciliarvenen  seitlich 
angesetzter  Recessus  des  Yenensystems  sei,  glaubt  aber, 
dass  derselbe  bei  normaler  Circulation  vollständig  blutleer 
sei  und  bleibt  in  allem  Uebrigen  bei  seiner  früheren  An- 
schauung bestehen,  dass  die  vordere  Kammer  in  offener 
Communication  mit  dem  Yenensystem  stehe.  Theils  auf 
eigene,  neuere  Yersuche  mit  Berliner  Blau,  Alkannin-Ter- 

*)  lieber  Entwicklung  und  Bau  des  vorderen  XJvealtractus  der 
Vertebraten:  Archiv  far  mikrosk.  Anat.  XIX.   1881. 
*)  Dieses  Archiv  XXVI,  1,  S.  202.    1880. 
*)  1.  c.  S.  235;  InaQg.-Diss.  S.  34. 
*)  Lehrb.  der  Anatomie  der  Sinnesorgane.  Erlangen  1887.  S.  176. 


90  C.  Staderini. 

pentin  und  Asphalt -Chloroform  sich  stützend ,  theils  auf 
Heisrath  sich  berufend,  sagt  er:  JLeber's,  Eönigstein'a 
und  Anderer  negative  Angaben  können  also  meinen  und 
Heisrath's  positiven  Erfolgen  gegenüber  nichts  beweisen. 
Ich  wüsste  sonst  nicht»  wie  man  dann  überhaupt  noch  auf 
die  Resultate  von  Injectionen,  die  mit  aller  Vorsicht  ange- 
stellt sind,  Werth  legen  könnte^  ^).  Heisrath  hat  sogar, 
was  besonders  merkwürdig  ist,  behauptet,  dass  selbst  Sus- 
pensionsflüssigkeiten, in  Wasser  aufgeschwemmter  Zinnober 
und  Blut  verschiedener  Thiere  „ohne  erhebliche  Schwierig- 
keiten von  der  vorderen  Augenkammer  in  die  Scleralvenen 
übertreten,  ebenso  an  todten,  wie  an  lebendigen  Augen***). 
Auch  Calori*)  ist  durch  Injectionen  von  körnigen  Farb- 
stoffen, Zinnober  oder  basisch  essigsaurem  Blei,  in  Fisch- 
leim vertheilt,  welche  er  theils  von  den  Blutgefässen  (Caro- 
tis, Jugularis),  theils  von  der  vorderen  Kammer  aus  an  Au- 
gen von  todten  Thieren  (kleinen  Schafen,  Pferden  u,  s.  w.) 
und  von  menschlichen  Leichen  vornahm,  zu  Resultaten  ge- 
langt, aus  welchen  er  eine  offene  Communication  zwischen 
der  vorderen  Kammer  und  den  vorderen  Ciliarvenen  ver- 
mittelst des  Fontana'schen  und  Schlemm'schen  Canals  be- 
weisen zu  können  glaubte.  Er  fügt  übrigens  bei,  dass  hierzu 
ein  verhältnissmässig  starker  Druck  erforderlich  sei;  denn 
ohne  einen  solchen  würde  durch  die  Injection  in  die  vor- 
dere Kammer  zwar  der  Fontana'sche  Canal  erfüllt,  aber  die 
Masse  dringe  nicht  in  die  Venen  selbst  vor.  Während  des 
Lebens  werde  dieser  Druck  durch  Muskelcontraction  ge- 
leistet.    Calberla^),   welcher  zum   Studium   der   Resorp- 

*)  1.  c.  S.  178. 

«)  1.  c.  S.  217;  Inaug.-Difls.  S.  16. 

')  De*  resaltamenti  ottenuti  iniettando  i  canali  di  Fontana  e  di 
Petit  e  la  camera  anteriore  dell*  occhio  umano  e  dei  mammiferi 
domestici.  Memoria  dell*  istituto  delle  scienze  mediche  di  Bologna. 
Serie  3  a,  T.  V,  pag.  34.   1874. 

^)  Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  der  Resorptionswege  des  Humor 
aqueos.   Pflüger^a  Arch.  IX,  S.  468.   1874. 


Heber  die  Abflosswege  des  Humor  aqueus.  91 

tdoDSwege  des  Humor  aqueus  frisches  Blut  eines  gleichen 
Thieres»  das  durch  Zinnoberinjection  in  die  Jugularvene  ge- 
tödtet  worden  war,  in  die  vordere  Kammer  injicirte»  fand 
die  Zinnoberkörnchen  in  den  Gefassen  und  im  Stroma  der 
Iris  und  des  Ciliarkörpers  bis  zur  Ora  serrata,  in  den  6e- 
websliicken  des  Fontana'schen  Raumes  und  im  Circulus 
venosus.  Andere  Forscher,  welche  körnige  Farbstoffe  in 
Wasser  oder  ^/^procentiger  Kochsalzlösung  suspendirt  in  die 
vordere  Kammer  injidrten,  Brugsch^)  und  Morf*)  konn- 
ten sich  dagegen  mit  Bestimmtheit  überzeugen,  dass  Färb- 
stoffkömchen  in  das  Lumen  der  Blutgefässe  nicht  eindrin- 
gen. Während  die  beiden  genannten  Forscher  nach  dieser 
Richtung  übereinstimmten,  gehen  ihre  Ansichten  auseinan- 
der in  Bezug  auf  eine  andere  Frage,  welche  auf  dem  Wege 
der  Kammerinjection  mit  nicht  diffusiblen  Substanzen,  oder 
besser  noch  mit  feinst  vertheilten  körnigen  Farbstoffen  einer 
Lösung  zugeführt  werden  könnte,  nämlich  die  Frage  nach 
dem  Zusammenhang  der  vorderen  Kammer  mit  abführenden 
Lymphwegen.  Dass  ein  solcher  Zusammenhang  mit  eigent- 
hchen  Lymphgefässen  nicht  existiren  könne,  geht  wohl  schon 
aus  den  bis  jetzt  vorliegenden  Resultaten  der  Yorderkam- 
merinjection  mit  Bestimmtheit  hervor  und  ist  derselbe  bei 
Berücksichtigung  der  Natur  und  Bestimmung  der  vorderen 
Augenkammer  als  ein  sehr  wesentlicher  Factor  für  die 
Strahlenbrechung  im  Auge,  von  vorn  herein  höchst  wahr- 
scheinlich, wie  dies  bereits  Leber*)  in  klarer  Weise  zum 
Ausdruck  gebracht  hat.  Es  könnte  sich  also  nur  darum 
handeln,  nachzuweisen,  ob  nicht  feine  Lymphspalten  exis- 
tirten,  welche,  mit  der  vorderen  Kammer  in  offener  Ver- 


^)  üeber  die  Resorption  körniger  Farbstoffe  aus  der  vorderen 
Aagenkammer.  Dieses  Archiv  XXIII,  3,  S.  255—287.   1877. 

')  Experimentelle  Beitrage  zur  Lehre  von  den  Abflusswegen  der 
vorderen  Augenkammer.  Inaug.  -  Dissert  der  Züricher  Universit&t 
Winterthur  1888. 

»)  1.  c.  S.  110. 


92  C.  SUderini. 

bindung  stehend,  dem  Hamor  aqueus  neben  dem  Hanpt- 
abfloss  durch  Filtration  in  die  Venen  des  Circulus  yenosus 
ciliaris  als  Abzagsbahnen  dienen  könnten. 

Brugsch,  welcher  auf  Leber's  Anregung  zum  Zweck 
der  Erforschung  abführender  Lymphwege  Tusche  und  Zinn- 
oberaufschwemmungen in  die  vordere  Kammer  von  Kanin- 
chen injicirte,  fand  zahlreiche,  pigmenthaltige  Wanderzellen 
regellos  im  Stroma  der  Iris  und  der  Ciliarfortsätze  zer- 
streut und  in  den  Maschen  des  Ligamentum  pectinatum, 
sowie  auch  mit  Farbstoffkömehen  gefüllte  lymphoide  Zellen 
Gefässen  entlang,  welche  in  der  Gegend  des  Fontana'schen 
Raumes  beginnend,  in  der  Sclera  eine  Strecke  weit  zu  ver- 
folgen waren,  spricht  sich  aber  in  seinen  Schlussfolgerungen 
ungemein  vorsichtig  aus  und  Mit  sich  nach  seinen  Ergeb- 
nissen noch  nicht  für  berechtigt,  „perivasculäre  Lücken*^  an 
den  Scleralgefässen  in  der  Nachbarschaft  des  Ligamentum 
pectinatum  als  directe  Abflusswege  des  Kammerwassers  an- 
zusprechen. Morf  dagegen,  ein  Schüler  Haab's,  welcher 
sich  zu  seinen  unter  stricter  Antisepsis  vorgenonmienen  Li- 
jectionen  einer  Emulsion  feinst  geriebenen  Zinnobers  be- 
diente, glaubte  beim  Kaninchen  einen  Lymphcanal  gefunden 
zu  haben,  welcher,  aus  dem  Fontana'schen  Räume  entsprin- 
gend, bis  etwa  zur  Grenze  zwischen  innerem  und  mittlerem 
Drittel  der  Sclera  etwas  nach  hinten  verlaufe  und  hier  in 
zwei  Arme  sich  theilend,  einerseits  mit  dem  Perichorioideal- 
raum,  andererseits  mit  den  subconjunctivalen  Venen  in 
Verbindung  trete. 

Es  treten  also,  wie  wir  sehen,  in  den  Resultaten,  welche 
die  Kammerinjectionen  mit  nicht  diffusiblen  und  kömigen 
Farbstoffen  in  der  Hand  verschiedener  Forscher  ergeben, 
beziehungsweise  in  der  Deutung,  welche  dieselben  von  die- 
sen letzteren  erfahren  haben,  noch  immer  so  einschneidende 
Widersprüche  zu  Tage,  dass  es  nicht  überflüssig  erscheint, 
die  Injectionsversuche  von  der  vorderen  Augenkammer  aus 
einer  neuerlichen  Bearbeitung  zu  unterziehen,  einerseits  um 


lieber  die  Abflusswege  des  Humor  aqueus.  93 

den  Ursachen  auf  die  Spur  zu  kommen,  welche  den  in  so 
auffalliger  Weise  hervortretenden  Widersprüchen  in  den  Er- 
gebnissen zu  Grunde  liegen  möchten,  und  andererseits,  um 
wo  möglich  die  Frage  nach  der  Existenz  etwaiger  gebahn- 
ter, spaltförmiger,  abführender  Lymphwege  einer  Lösung 
zuzuführen. 

Von  Versuchen  mit  diffusionsfähigen  Stoffen,  wie  sie  seit 
Knies  (1875)  und  Ehrlich  (1882)  mit  Vorliebe  zum  Studium 
der  FlOssigkeitsströmung  im  Auge  von  verschiedenen  Forschern 
in  Verwendung  gezogen  worden  sind,  musste  zur  Entscheidung 
der  vorgelegten  Frage  aus  nahe  liegenden  Gründen  principiell 
Abstand  genommen  werden.  So  interessant  auch  diese  Ver- 
suche an  und  fttr  sich  sind  und  so  branchbar  ihre  Ergebnisse 
—  namentlich  jene  mit  Fluorescin  —  bei  vorsichtigster  Ver- 
werthung  und  Deutung  sich  erweisen  mögen,  so  haben  sie  doch 
vielfach  unter  sich  Widersprechendes  zu  Tage  gefördert  und 
dazu  beigetragen,  die  Anschauungen  eher  zu  verwirren,  als  zu 
klären,  indem  die  Forscher  nicht  immer  zwischen  Diffusion 
und  Filtration  streng  unterschieden  und  ans  den  Wegen,  welche 
der  Diffusionsstrom  nahm,  wenn  lebhaft  diffundirende  Substan- 
zen den  flüssigen  Augenmedien  oder  dem  Blut  einverleibt  wur- 
den, auf  die  normale  Flüssig|j;eitsströmung  im  Auge  schlössen. 
Ist  ja  doch  gerade,  um  nur  Eines  hervorzuheben,  selbst  diejenige 
Thatsache,  welche  man  nach  Leber 's  Arbeiten  als  unanfecht- 
bar sicher  gestellt  annehmen  zu  dürfen  glaubte,  die  Thatsache 
der  Undurchlässigkeit  der  lebenden  Cornea  für  das  Kammer- 
wasser auf  Grund  der  Ferrocyankalium- Versuche  von  Knies*) 
in  Abrede  gestellt  worden*). 

')  Virchow*8  Archiv  LXV,  8.  409,  sub  6. 

')  Durch  die  Güte  meines  verehrten  Gollegen,  Herrn  Geheim- 
rath  Prof.  His  ist  mir  eine  von  der  Baseler  medicinischen  Fakult&t 
im  Jahre  1871  gekrönte  Preisschrift  des  Stud.  med.  Karl  Merian 
in  die  H&nde  gekommen»  welche  sich  mit  „Untersuchungen  der 
Lymphwege  des  Auges*^  beschäftigt  Die  Drucklegung  der  Arbeit, 
welche  eine  Anzahl  beachtenswerther  Versuchsergebnisse  enth&lt, 
ist  durch  den  vorzeitigen  Tod  des  Verfassers  nicht  zu  Stande  ge- 
kommen; sie  wurde  aber  jetzt,  so  weit  sie  noch  ein  allgemeineres 
Interesse  in  Anspruch  nehmen  kann,  von  Herrn  Geheimrath  His  im 
Arch.  fOr  Anatomie  und  Physiologie  —  Anatomische  Abtheilung  — 
zur  Veröffentlichung  gebracht. 


94  C.  Staderini. 

Die  folgenden  Untersuchungen  wurden  auf  Anregung 
und  unter  Leitung  des  Herrn  Professor  Sattler  in  dessen 
Laboratorium  an  der  Prager  Augenklinik  begonnen,  zum 
grössten  Theile  durchgeführt  und  abgeschlossen.  Ich  be- 
nütze die  Gelegenheit,  um  ihm  für  seine  Anleitung  und 
Unterstützung,  für  die  vielen  Rathschläge  und  das  Wohl- 
wollen, welches  er  stets  meiner  Arbeit  entgegenbrachte,  den 
innigsten  Dank  auszusprechen.  Einen  Theil  der  Unter- 
suchungen nahm  ich  in  Turin  vor  im  Laboratorium  des 
Herrn  Professor  Reymond,  dem  ich  ebenfalls  zu  Dank 
verpflichtet  bin  dafür,  dass  er  in  liberalster  Weise  die 
Mittel  seines  Instituts  mir  zur  Verfugung  stellte. 

Ich  bediente  mich  zu  meinen  Versuchen  einer  gewöhn- 
lichen, gut  gearbeiteten  Pravaz'schen  Spritze  mit  scharfer, 
feiner  Canüle  und  benützte  als  Injectionsmaterial  vorwie- 


Da  Karl  Merlan  auch  eine  grössere  Zahl  von  Yorderkammer- 
injectionen  vorgenommen  hat,  so  glaahe  ich,  im  Interesse  der  YoU- 
st&adigkeit  des  historischen  Ueberblicks,  welcher  den  eigenen  Yer- 
suchen  Dr.  Staderini's  vorausgeschickt  ist,  die  betreffenden  Stel- 
len hier  anführen  zu  sollen. 

„Die  Nachprüfung  der  Yersuche  Schwalbe*s  hat  ein  grössten- 
theils  negatives  Resultat  ergeben.  Ich  stellte  lojectionen  an  an  Au- 
gen von  Menschen,  Schweinen,  Ochsen,  K&lbem,  Ziegen  und  Kanin- 
chen. Etwa  nur  in  einem  Zehntel  der  Fälle  und  zwar  nur  an 
Schweinsauge»,  trat  Füllung  der  Yenen  ein  und  nur,  wenn  unter 
starkem  Druck  mit  der  Hand  injicirt  wurde.  Yerfuhr  ich  bei  den 
Ii^jectionen  mit  constantem  Druck  nach  Schwalbe's  Yorschrift,  so 
erreichte  ich  nie  das  gewünschte  Resultat;  ebenso  wenig  in  vielen 
Fallen  bei  Injectionen  aus  freier  Hand" 

„W&re  die  Operation  in  technischer  Hinsicht  nicht  gar  so  ein- 
fach, so  würde  ich  geneigt  sein,  das  Misslingen  meiner  Ungeschick- 
lichkeit zuzuschreiben.  Auch  den  angewendeten  Injectionsmassen 
kann  wohl  keine  Schuld  beigemessen  werden.  Yorzugsweise  kam 
das  sogen.  Richardsons  Blau  in  Anwendung,  eine  F&Uung  von 
rothem  Blutlaugensalz  durch  Eisensulfat,  verdünnt  mit  Weingeist 
und  Glycerin.** 

„In  den  wenigen  F&llen,  in  denen  ich  8chwalbe*8  Resultat 
erzielte,  entsprach  der  anatomische  Befund  auf  Meridionalschnitten 


lieber  die  Abflusswege  des  Humor  aqueus.  95 

gend  feinkörnige  Substanzen  (Tusche,  Zinnober),  zum  Theil 
aber  auch  nicht  difiusible  Flüssigkeiten  (Berliner  Blau,  As- 
phaltchloroform). Die  ersteren  schienen  sich  mir  zur  Lö- 
sung der  vorgelegten  Aufgaben  besser  zu  empfehlen,  weil 
man  die  Injection  am  lebenden  Thiere  yornehmen,  die  all- 
mähliche Elimination  der  Eömchenmassen  während  des  Le- 
bens beobachten,  und  deren  Verbreitung  in  den  die  vor- 
dere Kammer  umschliessenden  Geweben  nach  dem  Tode 
des  Versuchsthieres  mit  Hilfe  des  Mikroskops  feststellen 
kann. 

Um  gut  brauchbare  Resultate  zu  erlangen,  musste  vor 
Allem  darauf  Rücksicht  genommen  werden,  Substanzen  von 
feinstem  Korn  und  möglichst  geringem  specifischem  Ge- 
wichte zu  benützen,  damit  die  Körnchen  von  den  schwäch- 
sten Strömungen  leicht  mitgeführt  werden  und  in  den  fein- 
sten Spalten  fortbewegt  werden  konnten.   Ich  wählte  Tusche 

völlig  der  Beschreibung  und  der  leider  sehr  schematisch  gehaltenen 
Abbildung,  welche  dieser  Forscher  giebt.  Nicht  nur  der  ganze  Fon- 
tana'sche  Raum,  sondern  auch  ein  schmaler  Gewebsstreifen ,  innen 
vom  Ciliarmuskel )  der  sich  weit  nach  hinten  in  den  Giliarkörper 
erstreckte,  zeigte  sich  so  dicht  mit  Masse  erfdllt,  dass  das  eigent- 
liche Gewebe  yöllig  davon  verdeckt  war.  Ebenso  folgten  die  vom 
Schlemm*8chen  Canal  nach  aussen  verlaufenden  Gef&sse  der  Be- 
schreibung Schwalbe*s/' 

„Dagegen  war  an  den  Augen,  welche  keine  Yenenbildung  dar- 
boten, die  Masse  nur  in  das  grobmaschige  Gewebe  des  Fontana'schen 
Raumes  gedrungen;  das  kleinmaschige  Gewebe  und  der  Schlemm- 
sche  Canal  waren  bei  allen  untersuchten  Augen  unerreicht  geblieben.*' 

Verfasser  discutirt  nun  die  Möglichkeit  von  Zerreissungen  und 
sagt  schliesslich :  „Immerhin  mag  so  viel  sicher  sein,  dass  die  Sache 
trotz  der  Arbeit  Schwalbe*s  noch  keineswegs  zu  beweiskräftiger 
Klarheit  gediehen  ist.  Ich  für  meinen  Theil  w&re  bis  auf  Weiteres 
eher  geneigt,  die  vordere  Kammer  nach  der  alten  Auffassung  zu  be- 
trachten als  einen  Raum  ohne  directen  Abfluss  in  Gef&sse, 
dessen  Inhalt  sich  durch  Filtration  theils  in  die  Blutge- 
fässe, theils  auf  die  vordere  Homhautfl&che  ergiesse"  (die  letz- 
tere Anschauung  bekanntlich  durch  Leber  endgültig  widerlegt). 
Leipzig.  H.  Sattler. 


96  C.  Suderini. 

und  Zinnober  Ton  der  besten  Qualität»  welche  käuflich  zu 
bekommen  war. 

Für  die  Tuscheinjectionen  wurden  albinotische,  für 
Zinnober  andere  Kaninchen  verwendet 

Um  zu  vermeiden,  dass  die  operativen  Eingriffe  von 
Entzündung  oder  Eiterung  gefolgt  würden »  liess  ich  mir 
angelegen  sein,  bei  allen  Versuchen  die  Regehi  der  streng- 
sten Antisepsis  zu  befolgen.  Sowohl  Tusche  wie  Zinnober, 
in  physiologischer  Kochsalzlösung  suspendirt,  wurden  durch 
viertelstündiges  Kochen  sterilisirt.  Einigemale  benützte  ich 
zum  Verreiben  eine  ganz  schwache  Sublimatlösung  (1  zu 
10,000).  Die  Desinfection  der  Hände,  der  Instrumente  und 
des  Operationsfeldes  wurde  auf  das  sorgfältigste  nach  den 
Normen  der  modernen  Chirurgie  durchgeführt. 

Die  Tuscheaufschwemmung  musste  immer  ziemlich  dick 
genommen  werden,  weil  es  sonst  vorkam,  dass  sie  unmittel- 
bar nach  der  Injection  wieder  aus  der  vorderen  Kammer 
durch  die  kleine  Hornhautstichwunde  abfloss.  Bei  den  Zinn- 
oberinjectionen  liess  sich  dieser  letztere  Uebelstand  dadurch 
leicht  vermeiden,  dass  ich  die  Zinnoberkörnchen  in  der  mit 
der  wässerigen  Aufschwemmung  gefüllten  Spritze  sich  ab- 
setzen liess,  dann  das  Wasser,  das  über  dem  Sediment 
stand,'  herausspritzte  und  nun  den  Rest,  d.  i.  den  Bodensatz 
des  Zinnobers  in  die  vordere  Kammer  injicirte.  Wenn  der 
Zinnober  genügend  fein  ist,  gelingt  es  leicht,  die  Canüle 
durchgängig  zu  erhalten. 

Stets  wurde  in  Aethemarcose  operirt.  Die  Canüle 
wurde  immer  von  der  temporalen  Seite,  ca.  2  mm  vom  Horn- 
hautrande entfernt,  in  die  Cornea  eingestochen  und  parallel 
mit  der  Irisfläche  bis  zur  Gegend  der  Pupillenmitte  in  die 
Kammer  vorgeschoben.  Manchmal  floss  Kammerwasser  so- 
fort zwischen  Nadel  und  Hornhautsubstanz  ab.  Einigemale 
wurde  es  mit  der  Spritze,  welche  zu  diesem  Zwecke  nur 
zum  Theile  mit  der  Injectionsmasse  gefüllt  worden  war, 
langsam  aspirirt.     Im  ersteren  Falle  konnte  ich  dann  so- 


Ueber  die  Abflusswege  des  Humor  aqueus.  97 

fort  in  den  frei  werdenden  Kammerraum  den  Inhalt  der 
Spritze  injiciren,  wobei  ich  immer  darauf  Acht  hatte,  den 
Raum  nicht  ganz  auszufüllen,  um  eine*  künstliche  Druck- 
erhöhung im  Auge  möglichst  zu  vermeiden.  Zuletzt  wurde 
die  Canüle  ganz  langsam  zurückgezogen. 

Die  Tusche  blieb  in  der  Regel  in  jenem  Theile  der 
vorderen  Kammer  liegen,  in  welchen  sie  bei  der  Injectiou 
gelangt  war  und  zwar  auch  dann,  wenn  das  Kammerwasser 
wieder  die  ganze  Kammer  füllte.  Dom  Eingriffe  folgte  nie- 
mals ein  irgend  bemerkenswerther  Reizzustand,  Syueichieeu 
kamen  nicht  zur  Beobachtung,  das  Auge  zeigte  keinerlei 
gesteigerte  Empfindlichkeit,  und  behielt  in  der  ganzen  Zeit 
nach  der  Injection  seine  normale  Spannung.  Auf  der  Ober- 
fläche der  Iris  beobachtete  man,  soweit  dieselbe  von  Tusche- 
masse bedeckt  blieb,  sehr  bald  ein  äusserst  feines  fibrinö- 
ses Exsudathäutchen,  welches  die  Tusche  umschloss,  so  dass 
letztere  wie  von  einem  zartesten  Schleier  eingehüllt  erschien. 
Von  dem  der  Injection  folgenden  Tage  an  zeigte  das  Ex- 
sudat eine  allmähliche  Yolumabnahme,  welche  in  gleichem 
Maa^se  an  der  ganzen  Oberfläche  der  angesammelten  Tusche 
sich  vollzog. 

Am  schönsten  konnte  man  die  Yolumabnahme  der  in- 
jicirten  Tuschemasse  an  einem  grossen  albinotischen  Ka- 
ninchen beobachten,  welchem  in  die  vordere  Kammer  des 
linken  Auges  soviel  Tusche  injicirt  worden  war,  dass  die 
zwei  oberen  Dritttheile  derselben  davon  eingenommen  waren, 
so  zwar,  dass  nach  oben  hin  der  Winkel  zwischen  Iris  und 
Hornhaut  ausgefüllt  und  die  Pupille  bis  nahe  zu  ihrem 
unteren  Rande  davon  bedeckt  erschien.  Am  folgenden  Tage 
schon  war  ein  kleiner  Theil  des  Pupillargebietes  frei;  die- 
ses freie  Gebiet  vergrösserte  sich  noch  in  den  nächsten 
Tagen,  während  die  Tuschemasse  auch  an  ihrer  übrigen 
Peripherie,  insbesondere  entsprechend  dem  Kammerwinkel, 
immer  mehr  abnahm.  Am  fünften  Tage  war  der  Winkel 
vollständig  frei  und  nur  in  der  Mitte  des  oberen  Segmentes 

T.  Onefe'8  ArchiT  für  Ophthalmologie.  XXXYII.  S.  7 


98  C.  Staderini. 

der  vorderen  Kammer  war  ein  kleiner  Tuscherest  von  etwa 
Linsengrösse  übrig.  In  den  folgenden  Tagen  schwand  auch 
dieser  Rest,  indem- er  ooncentrisch  kleiner  und  kleiner  wurde, 
während  an  der  Peripherie  der  vorderen  Kammer,  entspre* 
chend  dem  Ligamentum  »pectinatum,  ein  feiner,  schwarzer 
Streifen  sich  bemerkbar  machte,  welcher  offenbar  aus  Tusche- 
kömchen  bestand,  die  von  dieser  Masse  losgelöst  und  in 
den  Maschen  des  Ligamentum  pectinatum  abgelagert  wor- 
den waren.  Nachdem  sich  inzwischen  das  zarte  fibrinöse 
Exsudat  vollständig  resorbirt  hatte,  gewann  die  Lris  allmäh- 
lich wieder  ihr  normales  Aussehen  mit  Ausnahme  derjeni- 
gen Stellen  ihrer  Oberfläche,  welche  in  directer  Berührung 
mit  der  Tusche  gestanden  hatten.  Dort  hatte  dieselbe  eine 
grauliche  Farbe  angenommen  und  erschien  da  und  dort, 
insbesondere  am  Pupillarrande,  von  dunkleren  oder  geradezu 
schwarzen  Flecken  wie  gesprenkelt. 

Wie  wir  also  gesehen  haben,  nimmt  die  Volumvermin- 
derung der  injicirten  Masse  in  demjenigen  Theile  der  vor- 
deren Kammer  ihren  Anfang,  welcher  der  Pupillaröffnung 
entspricht  und  schreitet  von  hier  allmählich  nach  den  Sei- 
ten bis  zum  Kammerwinkel  hin  fort.  Dieser  letztere  wird 
dann  frei,  noch  bevor  der  letzte  Rest  der  Tuschemasse  die 
vordere  Kammer  verlassen  hat.  In  jenen  Fällen,  in  wel- 
chen die  Tusche  den  grössten  Theil  der  vorderen  Kammer 
einnahm  und  das  ganze  Pupillargebiet  bedeckte,  konnte 
man  beobachten,  dass  entsprechend  der  Pupille  eine  cen- 
trale, rundliche  Lücke  in  der  Masse  auftrat,  so  dass  bald 
das  ganze  Pupillargebiet  frei  und  offen  dalag.  Eine  der- 
artige Fortbewegung  der  in  die  vordere  Kammer  injicirten 
kömigen  Masse  aus  dem  Pupillargebiete  heraus  hat  auch 
Brugsch*)  beobachtet.  Er  schildert  den  Eindmck,  indem 
er  sagt:  die  Lücke  im  Pupillargebiete  sehe  aus  „wie  mit 
dem  Locheisen  ausgehauen,  so  dass  es  den  Anschein  habe, 

»)  1.  c.  S.  260. 


Ueber  die  Abflusswege  des  Hamor  aqueus.  99 

als  ob  das  aas  der  hinteren  Kammer  in  die  vordere  ein- 
fliessende  Kammerwasser  den  Verschluss  gewaltsam  zur 
Seite  gedrängt  hättet  In  der  That  weist  die  eben  mitge- 
theilte  Beobachtung  wohl  in  unzweideutiger  Weise  darauf 
hin,  dass  eine  Strömung  aus  der- hinteren  Kammer  in  die 
vordere  durch  die  capiiläre  Spalte  am  Pupillarrande  wirk- 
lich stattfindet,  wie  sie  auf  Grund  klinischer  Thatsachen 
laoge  schon  angenommen^),  in  neuerer  Zeit  aber  mit  Be- 
rufung auf  die  Resultate  der  Ferrocyankalium-  und  Fluores- 
cemversuche  von  einigen  Forschern  in  Abrede  gestellt  wor- 
den ist. 

In  demselben  Grade  als  die  in  die  Kammer  injicirte 
Tuschemasse  im  Centrum  und  in  der  Peripherie  sich  ver- 
kleinerte, nahm  auch  ihre  Dicke  ab.  Hatte  sie  ursprüng- 
lich mit  der  Descemet'schen  Membran  in  Berührung  ge- 
standen, so  konnte  man  bei  focaler  Beleuchtung  sehr  gut 
beobachten,  wie  sie  sich  von  dieser  allmählich  loslöste, 
immer  dünner  wurde  und  endlich  auf  der  Iris  wie  ein  über 
dieselbe  gebreiteter,  ungleichmässig  dichter  Schleier  haften 
blieb. 

So  weist  also  schon  die  makroskopische  Beobachtung 
darauf  hin,  dass  eine  Aufnahme  corpusculärer  Inhaltsmas- 
sen aus  der  vorderen  Kammer  zum  Theile  wenigstens  durch 
die  vordere  Irisfläche  erfolgt.  Bei  Gelegenheit  der  Schil- 
derung des  mikroskopischen  Befundes  werden  wir  auf  die- 
sen Punkt  noch  einmal  zurückkommen. 

Die  Injectionen  mit  Zinnober  gaben  viel  weniger 
brauchbare  Resultate.  Unmittelbar  nach  der  Injection  senk- 
ten sich  die  rothen  Kömchen  nach  dem  Gesetze  der  Schwere 
gegen  die  tiefste  Stelle  des  Iriswinkels  hin.  Ein  reidi- 
hcheres  fibrinöses  Exsudat  umhüllte  sie  und  überzog  auch 
die  Irisoberfläche.  Ihre  Aufsaugung  erfolgte  äusserst  lang- 
sam.   Bei  der   mikroskopischen  Untersuchung   erhielt  ich 


^)  Yergl.  auch  Leber  1.  c.  S.  88  und  89. 

7* 


100  C.  Staderini. 

Ergebnisse,  welche  denen  bei  der  Tuscheinjection  im  All- 
gemeinen conform  waren.  Die  Tusche  ist  aber  wegen  der 
ausserordentlichen  Feinheit  ihres  Korns  und  ihres  geringen 
specifischen  Gewichtes,  vermöge  welcher  Eigenschaften  sich 
ihre  Körnchen  nicht,  wie  die  des  Zinnobers  oder  anderer 
Niederschläge  in  der  Flüssigkeit  zu  Boden  senken,  sondern 
in  derselben  suspendirt  bleiben,  weit  mehr  geeignet,  selbst 
von  schwachen  Strömungen  fortgeführt  zu  werden  und  überall 
dahin  zu  gelangen,  wo  die  Flüssigkeit  selbst  auf  gebahnten 
^  Wegen  eindringt.  Um  unnöthige  Wiederholung  zu  vermei- 
den, wollen  wir  daher  bloss  die  Beobachtungen,  welche 
durch  Tuscheinjection  am  albinotischen  Kaninchen  gemacht 
worden  sind,  ausfuhrlicher  mittheilen. 

Die  frisch  enucleirten  Augen  wurden  in  Müller'scher 
Lösung  oder  in  Picrinsalpetersäure  gehärtet,  in  bekannter 
Weise  in  toto  mit  Cochenille -Alaun  gefärbt,  in  Celloidin 
eingebettet  und  in  möglichst  feine  Schnitte  zerlegt.  Dieses 
Verfahren  gab  die  besten  Resultate,  da  die  schwarzen  Körn- 
chen sich  sehr  deutlich  vom  Grunde  abheben  und  anderer- 
seits, indem  für  eine  möglichst  vollständige  Durchtränkung 
der  Präparate  mit  der  Einbettungsmasse  Sorge  getragen 
wurde,  eine  Verschleppung  der  Körnchen  durch  die  Messer- 
fuhrung  ziemlich  sicher  ausgeschlossen  war. 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  fällt  zunächst 
auf,  dass  die  injicirte  Tuschemasse  in  ein  zartes  netzförmi- 
ges Fibringerinnsel  eingeschlossen  erscheint,  welches  die- 
selbe an  der  vorderen  Irisfläche  und  manchmal  auch  im 
Pupillargebiete  an  der  vorderen  Linsenkapsel  fixirt  hält 
In  den  Maschen  dieses  feinfadigen  fibrinösen  Exsudates 
finden  sich  im  Ganzen  nur  spärliche  Leukocyten,  meist 
ziemlich  weit  von  einander  entfernt.  Etwas  zahlreicher  sind 
sie  an  der  Oberfläche  des  Goagulums.  Zum  Theile  enthal- 
ten sie  schwarze  Körnchen  in  ihrem  Zellleibe,  zum  Theile 
sind  sie  ganz  frei  davon  und  es  treten  die  Kerne  scharf 
und  deutlich  hervor. 


lieber  die  Abfiosswege  des  Humor  aqueus.  101 

So  waren  die  Verhältnisse  am  Tage  der  Injection  und 
am  folgenden  Tage.  Uebrigens  blieb  das  eben  erwähnte 
Verhältniss  der  Leukocyten  zur  Tuschemasse,  sowie  zum 
Fibringerinnsel  auch  in  der  nächsten  Zeit  ziemlich  constant. 

Wenn  einmal  zwei  oder  drei  Tage  nach  der  Injection 
verstrichen  sind,  so  überzeugt  man  sich,  dass  die  peripheren 
Theile  der  Masse  schon  nicht  mehr  bis  zum  Kammerwinkel 
reichen.  Jedoch  findet  man  dann,  namentlich  an  denjeni- 
,gen  Stellen,  welche  dem  Reste  der  injicirten  Masse  noch 
am  nächsten  liegen,  viele  schwarze  Kömchen  in  den  Maschen 
des  Ligamentum  pectinatum  eingelagert  und  den  Fontana- 
schen  Raum  einnehmend.  Einige  von  ihnen  sind  in  Lymph- 
Zellen  eingelagert,  viele  liegen  frei;  am  zahlreichsten  sind 
sie  da,  wo  die  Maschen  am  dichtesten  sind;  in  der  Regel 
erstrecken  sie  sich  nicht  über  die  Grenzen  des  Fontana- 
schen  Raumes  hinaus;  nur  bei  solchen  Kaninchen,  bei  denen 
eine  reichliche  Injection  gemacht  worden  war,  enthalten  die 
benachbarten  Endothelzellen  der  Descemet'schen  Membran 
einige  schwarze  Kömchen. 

Bevor  wir  in  der  Beschreibung  der  Befunde  weiter 
gehen,  möchte  ich  nochmals  besonders  hervorheben,  dass 
in  der  vorderen  Kammer  ebensowie  im  Fontana- 
schen  Räume  und  in  den  anderen,  im  Folgenden 
besonders  zu  bezeichnenden  Theilen  nur  ein  klei- 
ner Bruchtheil  der  Körnchen  in  weissen  Blutkör- 
perchen eingeschlossen  war,  und  bei  weitem  die 
Mehrzahl  derselben  frei  lag.  Es  stimmt  dies  nicht 
mit  der  Beschreibung  von  Brugsch;  dieser  fand,  dass  die 
Kömchen  in  der  vorderen  Kammer  alle  in  Leukocyten  ein- 
geschlossen waren,  welch'  letztere  jene  auf  den  von  ihnen 
beschrittenen  Bahnen  fortführten,  und  dass  wenigstens  spä- 
terhin,  freier  Farbstoff  überhaupt  nicht  mehr  vorkomme. 

Die  Ursache  dieser  Verschiedenheit  zwischen  unseren 
Ergebnissen  und  denen  von  Brugsch  wird  uns  klar,  wenn 
wir  uns  die   Versuchsanordnung  dieses   Forschers    verge- 


102  C.  Staderini. 

genwärtigen.  Dieselbe  dürfte  von  Torne  herein  yiel  mehr 
geeignet  sein,  die  anatomisch- physiologischen  Verhältnisse 
des  operirten  Auges  zu  stören,  als  der  Ton  uns  befolgte 
Vorgang.  Brugsch  luxirte  nämlich  zunächst  den  Bulbus 
und  injicirte  dann,  nach  Abfluss  des  Kamnierwassers  soyiel 
Zinnober  oder  Tusche,  ,,bis  das  Auge  gut  oder  prall  gefüllt 
schien^'.  Von  besonderen  antiseptischen  Gautelen  wird  nichts 
erwähnt  Auf  einen  solchen  Eingriff  trat  immer  eine  ge- 
wisse Reaction  ein,  Hyperämie  der  Iris  und  des  episcleralen 
Gewebes,  manchmal  auch  Chemosis.  Zuweilen  wurde  die 
Iris  verletzt  und  es  kam  zu  heftigerer  Entzündung.  Das 
fibrinöse  Exsudat,  das  sich  in  der  vorderen  Kammer  bil- 
dete, war  reichlich  und  compact,  so  dass  es  Brugsch  als 
„Schwarte*'  bezeichnete.  Diese  Schwarte  schwand  im  spä- 
teren Verlaufe  nicht,  sondern  erschien  im  Gegentheil  nach 
zwei  bis  vier  Wochen  in  ein  faseriges  Gewebe  umgewan- 
delt, welches  vollkommen  den  Charakter  von  Bindegewebe 
hatte,  mit  nicht  gerade  zahlreichen,  endothelartigen  Zellen 
und  mehr  oder  weniger  reichlichem  Pigment.  Die  Schwarte 
haftete  der  Iris  so  innig  an,  dass  eine  scharfe  Grenze  zwi- 
schen beiden  nicht  mehr  zu  erkennen  war*). 

Bei  den  von  mir  in  der  oben  erwähnten  Weise  operir- 
ten Augen  war  eine  derartige  Reaction  niemals  zu  beob- 
achten. Das  fibrinöse  Exsudat  war  in  der  Regel  so  dünn, 
dass  man  es  oft  nur  bei  seitlicher  Beleuchtung  wahrnehmen 
konnte  und  schwand  im  weiteren  Verlaufe  ganz.  Bei  dem 
Fehlen  der  entzündlichen  Reaction  versteht  es  sich  leicht, 
dass  es  in  unseren  Fällen  nur  zu  einer  geringen  Auswan- 
derung von  Leukocyten  in  die  vordere  Kammer  kam.  So 
ist  auch  in  der  That  in  meinen  zahlreichen  Schnitten  die 
Menge  der  fortgeiiihrten,  freien  Körnchen  sehr  wesentlich 
grösser,  als  jene  der  in  Leukocyten  eingeschlossenen.  Bei 
der  Feinheit  der  Schnitte  und  der  Anwendung  guter  Apo- 


')  1.  c.  S.  269  unten. 


Ueber  die  Abflusswege  des  Humor  aqueus.  103 

chromat-Objective  (Zeiss)  war  es  in  der  Regel  nicht  schwer, 
hierüber  ein  sicheres  Urtheil  zu  gewinnen.  Wenn  irgend 
ein  Zweifel  bestand,  so  wurde  homogene  Immersion  Ap.  1,40, 
Brw.  2,0  mm  zu  Hilfe  genommen. 

Ausser  im  Fontana'schen  Räume  ist  eine  Anzahl  Körn- 
chen, zum  grossen  Theile  frei,  zum  Theil  auch  in  Leuko- 
cyten  eingeschlossen,  in  dem  angrenzenden  Gewebe  zu  fin- 
den, in  der  Sclera  nächst  der  Comeosceralgrenze,  im  Cor- 
pus ciliare  und  in  der  Iris.  Die  Anordnung,  in  welcher 
sich  die  Körnchen  in  diesen  verschiedenen  Theilen  finden, 
erfordert  eine  genauere  Beschreibung,  welche  gesondert  er- 
folgen soll. 

Vom  Fontana'schen  Räume  aus  gelangt  die  Tusche  zum 
Theil  in  das  Gewebe  der  Lederhaut,  und  scheint  hier 
längs  der  Wand  einiger  Gefässe  des  Leber'schen  Plexus 
fortgeführt  zu  werden,  welche  zumeist  in  unmittelbarer 
Nachbarschaft  des  Fontana'schen  Raumes,  dicht  an  der 
Innenseite  der  Sclerotica  verlaufen,  dann  in  das  Gewebe, 
der  letzteren  weiter  eindringen  und  sie  schräg  von  vorn 
und  innen  nach  rückwärts  und  aussen  durchsetzen,  während 
sie  gleichzeitig  unter  einander  und  mit  anderen  Zweigen 
in  Verbindung  treten  (siehe  Fig.  1).  So  kommt  es,  dass 
die  schwarzen  Körnchen,  welche  jene  Gefässe  begleiten,  an 
einzelnen  Schnitten  in  continuirlichem  Zusammenhange  mit 
jenen  angetroffen  werden,  welche  im  Fontana'schen  Räume 
selbst  angehäuft  sind.  Sie  erscheinen  zumeist  frei,  zum 
Theil  in  Lymphzellen  eingeschlossen  um  die  Wand  der  Blut- 
gefässe gelegen,  so  zwar,  dass  sie  sich  auf  Querschnitten 
zuweilen  als  ein  vollständiger  Kranz  um  das  Lumen  herum 
darstellen.  Eigentliche  perivasculäre  Scheiden  lassen  sich 
zwar  hier  allerdings  nicht  nachweisen;  aber  offenbar  be- 
finden sich  um  die  Gefässe  herum  Spalträume,  welche  mit 
dem  Kammerwinkel  in  offener  Communication  stehen.  An 
einzelnen  Stellen,  wo  die  Blutgefässe  in  Capillaren  über- 
gehen, scheint  es,  dass  eine  kleine  Zahl  von  Körnchen  in 


104  C.  Staderini. 

das  Protoplasma  der  Endothelzellen,  welche  das  Lumen 
dieser  kleinen  Gefässe  auskleiden,  eingedrungen  und  sich 
hauptsächlich  um  den  Kern  derselben  gelagert  hat.  Inner- 
halb des  Gefässlumens  selbst  habe  ich  niemals  eine  Spur 
von  Tusche  nachweisen  können,  wohl  schon  deshalb  nicht, 
weil  Kömchen,  die  etwa  hierher  gelangt  waren,  sofort  durch 
den  Blutstrom  hätten  weiter  gefuhrt  werden  müssen. 

Einige  spärliche  Kömchen  finden  sich  da  und  dort 
längs  einer  feinen,  fadenförmigen  Bahn,  welche  von  der 
Scheide  eines  der  obengenannten  Gefässe  schräg  sich  ab- 
zweigend in  der  Sclerotica  sich  verliert,  ohne  weiter  dem 
Verlaufe  eines  Blutgefässes  zu  folgen.  Andere,  ähnlich  an- 
geordnete Körnchen  findet  man  auf  mikroskopischen  Schnit- 
ten auch  völlig  unabhängig  von  den  Verzweigungen  des 
Venenplexus.  Ich  glaube  die  Thatsache  am  richtigsten  durch 
die  Annahme  zu  deuten,  dass  die  Tuschekörnchen,  nachdem 
sie  in  die  Spalträume  um  die  erwähnten  Blutgefässe  ge- 
,langt  sind,  von  hier  aus  in  die  Saftbahnen  der  Sclera  über- 
gehen, die  mit  jenen  in  Verbindung  stehen. 

In  manchen  Schnitten  waren  innerhalb  dieser  scleralen 
Bahnen  überhaupt  keine  Wanderzellen  zu  finden.  Bei  der 
Feinheit  der  Schnitte  und  der  Güte  der  optischen  Hilfs- 
mittel, welche  mir  im  Labbratorium  des  Herrn  Professor 
Sattler  zur  Verfügung  standen,  konnte  ich  mich  sehr  be- 
stimmt überzeugen,  dass  die  Körnchen  meist  isolirt,  jedes 
für  sich  erkennbar,  der  zarten  Contour  der  Gefässwand 
folgend,  der  letzteren  äusserlich  anlagen.  Die  Kerne  der 
Adventitiazellen  traten  deutlich  hervor  und  bisweilen  waren 
Kömchen  um  dieselben  etwas  dichter  angehäuft. 

Niemals  konnte  ich  die  Tusche  im  Scleralgewebe  weiter 
als  5 — 6  mm  vom  Hornhautrande  entfernt  nachweisen.  Aus 
der  Anordnung  der  Tuschekörnchen  im  Scleralgewebe  dürfte 
zu  entnehmen  sein,  dass  der  Strom,  durch  welchen  sie  da- 
hin gelangt  waren,  schräg  nach  aussen  gegen  das  episcle- 
rale  Gewebe  zu  gerichtet  ist. 


Ueber  die  Abflusswege  des  Hamor  aqueus.  105 

In  der  Zarückweisung  der  Annahme  eines  Eindringens 
von  Taschekömehen  in  das  Lumen  von  Blutgefässen  stehen 
wir  in  voller  Uebereinstimmung  mit  Brugsch  und  glauben 
wohl  mit  Bestimmtheit  die  auf  Grund  ungenügender  Prä- 
parate oder  Anwendung  zu  starken  Druckes  oder  nicht  ge- 
nügend frischer  Augen  aufgestellte  Behauptung  zurückwei- 
sen zu  können,  dass  Körnchenmassen  in  die  Blutgefässe 
eindringen  (Calberla,  Heisrath,  Calori). 

Aber  auch  bezüglich  des  von  Morf  beschriebenen 
Lymphcanales  gelang  es  mir  nicht,  irgend  etwas  zu  finden, 
was  auf  die  Existenz  eines  solchen  hindeuten  würde.  Der- 
selbe hat  nach  Morf 's  Zeichnung  ganz  den  Verlauf,  wel- 
cher den  Blutgefässen  in  dieser  Gegend  zukommt,  wie  wir 
uns  selbst  überzeugen  konnten  durch  Injectionen  mit  neu- 
traler Karmin-Gelatine  in  eine  der  tiefen  Jugularvenen  des 
Kaninchens.  Es  gelang  dann  stets,  die  Füllung  von  Ge- 
fässverzweigungen  zu  constatiren,  deren  Verlauf  genau  über- 
einstimmte mit  jenem,  den  Morf 's  Lymphcanal  nehmen . 
sollte.  Ein  gleiches  Ergebniss  erhielt  ich,  wenn  das  Thier 
unmittelbar  nach  dem  Tode  einige  Zeit  lang  an  den  Hin- 
terbeinen aufgehängt  wurde.  Es  fanden  sich  dann  immer 
die  obengenannten  Gefasszweige,  welche  dem  Leb  er 'sehen 
Plexus  und  dessen  Ausläufern  entsprechen,  mit  Blut  gefüllt, 
und  ich  konnte  feststellen,  dass  keines  derselben  in  directer 
Verbindung  mit  dem  Fontana'schen  Räume  steht,  in  wel- 
chen niemals  eine  Spur  von  Blut  eingedrungen  war.  Auf 
die  Un Wahrscheinlichkeit,  dass  die  vordere  Kammer  mit 
einem  so  weiten  Lymphcanale  in  offener  Verbindung  stände, 
haben  wir  schon  oben  mit  Berufung  auf  Leber's  Aus- 
einandersetzung hingewiesen. 

Auch  Brugsch^)  hat  in  der  unmittelbaren  Umgebung 
von  Scleralgefassen,  welche  den  in  Rede  stehenden  Gefäss- 
zweigen  entsprechen,  mit  Farbstoff  gefüllte  Lymphzellen  an- 

»)  1.  c.  S.  278. 


106  C.  Staderini. 

getroffen  und  auch  eiüzelne  Adventitiazellen  pigmentirt  ge- 
funden. Er  hat  sich  aber  mit  Recht  enthalten,  aus  diesem 
Befunde  auf  eine  Verbindung  spaltformiger  Bahnen  in  der 
Comeoscleralgrenze  mit  dem  Kammerraum  zu  schliessen, 
weil  er  bei  den  oben  besprocheneu  Umständen,  unter  denen 
er  seine  Versuche  angestellt  hat,  nidht  ausschliessen  konnte, 
dass  die  pigmenthaltigen  Wanderzellen  nicht  aus  der  Kam- 
mer, sondern  von  der  Iris  oder  dem  Ciliarkörper  aus  in 
die  Spalträume  der  Sclera  eingewandert  seien. 

Mehr  oder  weniger  zahlreiche  schwarze  Kömchen  findet 
man  auch  im  Corpus  ciliare,  wohin  sie  vom  Fontana- 
schen  Räume  aus  gelangt  sind.  Im  Allgemeinen  erscheinen 
sie  regellos  da  und  dort  zerstreut  und  lassen  keine  be- 
stinmite  Anordnung,  keinerlei  Beziehung  zum  anatomischen 
Bau  der  Gewebe  erkennen,  in  welche  sie  "eingelagert  sind. 
Nur  in  einzehicn,  wenigen  Präparaten  fiel  es  auf,  dass  an 
manchen  Stellen  die  Tuschekörnchen  deutlich  in  zwei  paral- 
lelen Fäden  angeordnet  sind,  welche  einem  Blutgefässe  ent- 
lang verlaufen.  Beachtenswerth  ist  der  Umstand,  dass  die 
grössere  Menge  der  Tusche  im  Ciliarkörper  sich  an  der 
Basis  der  Ciliarfortsätze  findet  und  zwar  im  Allgemeinen 
in  einer  Linie,  welche  die  directe  Verlängerung  des  hin- 
teren Endes  des  Fontana'schen  Raumes  darstellt.  Gegen  die 
Spitze  der  Processus  ciliares  nimmt  die  Zahl  der  Körnchen 
allmählich  ab,  so  dass  in  den  letzteren  nur  mehr  ganz  we- 
nige nachzuweisen  sind. 

Die  Tusche  erscheint  im  Ciliarkörper,  wie  gewöhnlich 
theils  frei,  theils  in  Leukocytcn  eingeschlossen,  im  Binde- 
gewebe zwischen  den  Muskelbündeln  und  Blutgefässen.  Die 
spärlichen  Körnchen  in  den  Ciliarfortsätzen  liegen  zum 
grössten  Theile  frei,  ohne  Beziehung  zu  irgend  einem  Zell- 
kern, in  Reihen  hintereinander,  oder  aber  an  Kerne' von 
endothelialem  Charakter  angeschmiegt  oder  endlich  in  ver- 
einzelte Wanderzellen  eingeschlossen.  Niemals  fand  sich 
eine  'Spur  von  Tusche  im  Lumen  von  Blutgefässen,  noch 


üeber  die  Abflasswege  des  Humor  aqueos.  107 

auch  in  den  die  Ciliarfortsätze  überkleidenden  Epithel- 
zellen. 

Weiter  nach  rückwärts  lassen  sich  Tuschekörnchen  ver- 
folgen bis  zürn  Uebergange  des  Ciliarkörpers  in  die  Cho- 
rioidea;  in  deren  vorderstem  Abschnitte,  nächst  der  Ora 
serrata  sind  sie  jedoch  nur  mehr  ganz  vereinzelt  anzutreffen. 
Das  eine  oder  andere  Körnchen  ist  zuweilen  auch  noch  im 
vordersten  Theile  des  Perichorioidealraumes  nachzuweisen. 

Wenn  wir  nun  zur  genaueren  Untersuchung  der  Iris 
übergehen,  so  fällt  vor  allem  auf,  dass  die  vordere  Zell- 
schicht derselben  (das  Irisendothel)  in  ihrem  Protoplasma 
sehr  reich  ist  an  schwarzen  Körnchen,  und  zwar  finden  sich 
dieselben  mit  einer  gewissen  Regelmässigkeit  um  den  Kern 
einer  jeden  Zelle  herum  angeordnet.  In  manchen  ist  der- 
selbe vollständig  von  Tuschekömehen  umschlossen,  in  an- 
deren nur  zum  Theile.  Dieses  Verhalten  ist  besonders  deut- 
lich zu  erkennen  an  Schnitten,  welche  die  Iris  in  etwas 
schräger  Richtung  von  vorn  nach  hinten  getroffen  haben. 
In  grösster  Klarheit  tritt  das  Bild  an  Flächenpräparaten 
der  Iris  hervor  (siehe  Fig.  2).  In  einzelnen  Zellen  ist  das 
Protoplasma  so  vollständig  von  Tuschekörnchen  erfüllt,  dass 
die  ganze  Zelle  wie  eine  einzige  schwarze  polygonale  Masse 
aussieht,  in  deren  Mitte  sich -der  scharf  begrenzte  Kern 
abhebt.  In  anderen  Zellen  findet  man  nur  wenige  Köm- 
chen um  den  Kern  herum  gelagert,  während  die  Zellen- 
peripherie nahezu  vollständig  frei  bleibt.  Auch  die  Inter- 
cellttlarsubstanz  des  Irisendothels  zeigte  sich  reichlich  von 
Kömchen  durchsetzt  in  Präparaten,  welche  von  demjenigen 
Theile  der  Iris  stammten,  der  zur  Zeit  der  Tödtung  des 
Thieres  noch  in  Berühmng  mit  dem  Reste  der  in  die  vor- 
dere Kammer  injicirten  Masse  stand;  da  wo  die  letztere 
zum  Theile  schon  verschwunden  war,  fanden  sich  die  Köm- 
chen nur  spärlich  in  der  Intercellularsubstanz.  Hier  sowohl 
wie  in  den  Endothelzellen  selbst  fehlte  die  Tusche  vollstän- 
dig an  den  Strecken,  wo  die  Irisoberfläche  nicht  in  unmii- 


108  G-  Staderini. 

telbarem  Contact  mit  der  injicirten  Masse  gestanden  hatte. 
Diese  Yorscbiedenheit  widerlegt  zur  Genüge  den  etwaigen 
Einwand,  dass  es  sich  um  natürliches  Pigment  der  Iris  ge- 
handelt haben  könnte.  Uebrigens  haben  wir  uns  stets  durch 
die  mikroskopische  Untersuchung  des  ganzen  Auges  ver- 
sichert, dass  wir  es  in  der  That  mit  vollständig  albinoti- 
schen Kaninchen  zu  thun  hatten. 

Bisweilen  hat  man  Gelegenheit,  eine  ähnliche  Anord- 
nung der  Körnchen  auch  im  Endothel  der  Descemet- 
schen  Membran  zu  beobachten,  wenn  nämlich  die  inji- 
cirte  Masse  einen  grösseren  Theil  der  Kammer  ausfüllte. 
Jedoch  war  dies  bei  weitem  nicht  immer  der  Fall;  in  der 
Regel  schien  das  Descemet'sche  Endothel  an  der  Aufnahme 
von  Tuschekömehen  sich  nicht  zu  betheiligen. 

Die  Ursache  des  verschiedenen  Grades  der  Pigmen- 
tirung  des  Endothels  der  Iris  und  des  Zellbelages  der  Des- 
cemet'schen  Membran  kann  sicherlich  nicht  in  einer  ver- 
schiedenen Fähigkeit  dieser  Zellen,  Farbstoffkömehen  auf- 
zunehmen, gesucht  werden.  Wenn  wir  uns  aber  erinnern  an 
das,  was  schon  bei  Beschreibung  unserer  Beobachtungen  am 
lebenden  Thiere  gesagt  worden  ist,  dass  die  Tuschemasse 
sich  bald*  von  der  hinteren  Hornhaut  wand  ablöste  und  ge- 
gen die  Irisoberfläche  hin  sich  zurückzog,  indem  der  Strom 
des  Humor  aqueus  augenscheinlich  die  Tendenz  hat,  die  in 
die  Kammer  injicirte  Tuschemasse  gegen  die  Oberfläche  der 
Ins  hinzudrängen,  so  werden  wir  verstehen,  dass  die  Endo- 
thelzellen  der  Iris  ungleich  leichter  in  die  Lage  konmien 
müssen,  die  Körnchen  in  sich  aufzunehmen,  als  die  Zellen 
des  Homhautendothels,  welche  schon  bald  den  Contact  mit 
der  Farbstoffmasse  verlieren.  Ueber  die  Art  und  Weise, 
wie  man  sich  den  Vorgang  der  Pigmentimng  an  Endothel- 
zellen  vorzustellen  habe,  hat  Brugsch  durchaus  zutreffende 
Bemerkungen  gemacht*). 


*)  1.  c.  S.  267  unten. 


Ueber  die  Abflasswege  des  Humor  aqaeus.  109 

Iq  die  Substanz  der  Hornhaut  selbst  drang  niemals 
ein  schwarzes  Körnchen  ein,  so  weit  die  Descemet'sche 
Membran  nidit  verletzt  worden  war.  An  der  Eintrittsstelle 
der  Canüle  konnte  man,  wie  wohl  zu  erwarten  stand,  häufig 
ein  Eindringen  von  Tusche  in  die  Homhautsubstanz  beob- 
achten. 

Auch  Morf  *)  giebt  an,  dass  der  in  die  vordere  Kam- 
mer injicirte  kömige  Farbstoff  durch  die  unversehrte  Des- 
cemet'sche  Membran  niemals  in  die  Hornhaut  eindringt. 
Dagegen  fand  er,  dass  die  Zinnoberkörnchen  in  den  Kitt- 
leisten zwischen  den  Endothelzellen  zusammenhängende,  zier- 
liche Bändchen  bildeten,  die  ein  feines  Netzwerk  um  die 
Zellen  herum  darstellten,  während  die  letzteren  selbst  keine 
Kömchen  enthielten.  Von  dem  Verhalten  des  Iris -Endo- 
thels spricht  er  nicht. 

Auffallend  ist,  dass  Brugsch  im  directen  Gegensatze 
zu  Morf  ausdrücklich  angiebt,  dass  die  Farbstoffkörnchen 
stets  im  Inneren  der  Endothelzellen  und  niemals  in  den 
Interstitien  gelegen  waren  *).  Der  Grund  für  diese  Ver- 
schiedenheit der  Befunde  dürfte  wohl  darin  zu  suchen  sein, 
dass  Morf  mit  in  Wasser  angeriebenem  Zinnober  arbeitete, 
während  Brugsch  die  Pigmentirung  von  Endothelien  nur 
bei  Tuscheinjectionen  beobachtete^). 

Im  Stroma  der  Iris,  welches  beim  Kaninchen  aus 
einem  weitmaschigen  Netze  sich  durchkreuzender  Bindege- 
websfibriUenbündel  besteht*),  finden  sich  Tuschekörnchen, 
mehr  oder  weniger  reichlich,  theils  regellos  in  den  Lücken 
vertheilt,  meist  aber  in  Reihen  eines  hinter  dem  anderen 
mid  zwar  vorwiegend  in  einer  Anordnung,  welche  von  vom 
nach  hinten  und  gleichzeitig,  in  verschiedenem  Grade  ge- 
neigt, nach  der  Irisperipherie  zu  gerichtet  erscheint  (siehe 
Figg.  1  und  3). 

In  völlig  gelungenen,  reactionslos  verlaufenden  Fällen 

')  1.  c.  S.  28.  *)  1.  c.  S.  281.  •)  1.  c.  S.  266. 

*)  Michel,  Ueber  Iris  und  Iritis.  Dieses  Arch.  XXVII,  2,  S.  195. 


110  C.  SUderinL 

findet  man  in  diesem  Stratum  der  Iris  nur  selten  eine 
Wanderzelle  mit  Tnschekömchen  beladen.  Die  genaue  Un- 
tersuchung unserer  Präparate  mit  guten  apochromatischen 
Systemen  und  homogener  Immersion  liess  mit  Sicherheit 
constatiren,  dass  in  der  That  fast  alle  Kömchen  frei  sind. 
Der  Widerspruch  mit  den  Befunden  von  Brugsch  erklärt 
sich  leicht,  wenn  wir  uns  erinnern,  dass  seine  Injectionen 
von  nicht  unbeträchtlicher  Reaction  mit  starker  Leukocy- 
tenauswanderung  gefolgt  war.  Von  den  fixen  Zellen,  welche 
den  Bindegewebsfibrillenbündeln  dieser  Schicht  anliegen  oder 
in  den  Lücken  ausgespannt  erscheinen,  zeigen  einige  wenige 
eine  Anzahl  Tuschekömehen  und  zwar  in  yerschiedenem 
Abstände  vom  Zellkerne  in  sich  aufgespeichert. 

In  ganz  analoger  Weise  findet  man  den  Farbstoff  in 
der  Mittelschicht  des  Irisstromas  (der  eigentlichen  Gefass- 
schicht)  vertheilt.  Die  Körnchen  liegen  in  dem  lockeren 
Bindegewebe  zwischen  den  Gefässen  und  Nerven  in  Lücken, 
welche  mit  denen  der  vorderen  Schicht  ein  zusammenhän- 
gendes Lacunensystem  darstelleil :  zum  Theile  folgen  sie  dem 
Verlaufe  von  Blutgefässen,  arteriellen  sowohl  als  venösen, 
indem  sie  in  die  Interfibrillärräume  der  Adventitia  gelangt 
sind.  Sie  sind  zum  grössten  Theil  frei,  vorwiegend  in  Reihen 
geordnet.  Von  den  spärlich  vorhandenen  Lymphzellen  sind 
einige  tuschebeladen.  Auch  die  fixen  Zellen  des  bindege- 
webigen Stromas  und  der  Gefässadventitia  findet  man  stel- 
lenweise pigmenthaltig. 

Je  mehr  man  bei  der  Durchmustemng  der  Schnitte 
nach  den  hinteren  Schichten  der  Iris  fortschreitet,  um  so 
spärlicher  trifft  man  Tuschekömehen.  Ganz  vereinzelte  sind 
noch  bis  zur  hinteren  Begrenzungsschicht  gelangt;  einge- 
drungen in  dieselbe  ist  keines. 

Am  Pupillartheil  der  Iris  ist  Tusche  in  grösster  Menge 
angesammelt  und  sieht  man  namentlich  in  den  Zwischen- 
räumen zwischen  den  Faserbündeln  des  Sphincter  pupillae 
Tuschekörachen  reichlich  abgelagert. 


üeber  die  Abflusswege  des  Humor  aqueus.  Hl 

Wir  haben  schon  bei  der  Beobachtung  am  lebenden 
Thiere  gesehen,  dass  die  Iris  nur  an  den  Stellen ,  wo  sie 
mit  der  injicirten  Masse  länger  in  Berührung  geblieben 
ist«  eine  grauliche  oder  schwärzliche  Färbung  angenommen 
hat,  die  am  Pupillarrande  am  intensivsten  war,  während 
die  übrigen  Partieen  der  Iris  allmählich  wieder  ihr  normales 
Aussehen  erlangten.  Dem  entsprechend  fanden  wir  auch  die 
Pigmentirung  der  Endothelschicht  der  Iris  nur  an  jenen 
Stellen  mehr  oder  weniger  stark  ausgeprägt,  wo  zur  Zeit 
der  TÖdtung  des  Thieres  die  Tuschemasse  mit  derselben 
noch  in  directem  Gontact  stand.  Einen  ganz  analogen  Be- 
fund erweist  nun  auch  das  Stroma  der  Iris.  Die  Tusche- 
körnchen finden  sich  nämlich  in  grösster  Zahl  nur  in  den- 
jenigen Theilen  desselben,  welche  der  Anhäufung  von  In- 
jectionsmasse  in  der  vorderen  Augenkammer  entsprechen  und 
am  reichlichsten,  wie  erwähnt,  im  Bereiche  des  Sphincters. 

Air  diese  Thatsachen  deuten  entschieden  darauf  hin, 
dass  der  Iris  die  Fähigkeit  zukommt,  corpusculäre 
Massen  von  ihrer  vorderen  Oberfläche  aus  sich 
einzuverleiben.  Im  Stroma  der  Iris  selbst  scheint  der 
Lymphstrom  eine  schräge  Richtung  von  vorn  nach  hinten 
und  aussen  (peripherwärts)  zu  nehmen.  Bezüglich  der  Art 
und  Weise,  wie  die  Tuschekörnchen  in  die  Endothelzellen 
der  Iris  gelangen,  wurde  schon  oben  angedeutet,  dass 
Brugsch's  Annahme  die  meiste  Wahrscheinlichkeit  für  sich 
hat,  däss  nämlich  dieselben  durch  den  in  der  vorderen 
Kammer  herrschenden  Druck  in  die  zarten  Zellleiber  des 
Endothels  hineingepresst  werden. 

Ueber  den  Vorgang  des  Eintretens  der  Körnchen  in 
das  Stroma  der  Iris  selbst,  lässt  sich  nach  unseren  Präpa- 
raten eine  bestimmte  Angabe  nicht  machen.  Dass  die  von 
Fuchs  an  der  vorderen  Irisfläche  eingehend  beschriebenen 
Krypten  ^)  hieran  sehr  wesentlich  betheiligt  sind,  lässt  sich 


>)  DieBBB  Archiv  XXXI,  3,  S.  39. 


112  C.  SUderini. 

wohl  kaum  bezweifeln.  Dieselben  sind  bekanntlich  vorwie- 
gend im  Pupillartheil  der  Iris  gelegen.  Bei  der  Aufnahme 
sowohl,  als  namentlich  beim  weiteren  Transport  spielen  die 
Bewegungen  der  Iris,  wobei  ihre  Laeunen  abwechselnd  er- 
weitert und  verengert  werden,  unfraglich  eine  wichtige 
Rolle.  Dass  bei  reizlosem  Verlaufe  nicht  die  Wanderzellen 
das  wesentliche  Transportmittel  körniger  Farbsto£fe  dar- 
stellen, ist  durch  unsere  Versuche  wohl  sicher  gestellt.  Es 
wäre  auch  nicht  wohl  einzusehen,  wie  die  nicht  selten  an- 
zutreffende, regelmässige  Anordnung  in  fadenförmigen  Rei- 
hen durch  nachträgliche  Ablagerung  aus  Leukocyten  sollte 
zu  Stande  kommen  können. 

Wichtig  in  Bezug  auf  die  Frage  des  Resorptionsmodus 
corpusculärer  Substanzen  aus  der  vorderen  Augenkammer 
und  insbesondei^  der  Fähigkeit  der  Iris,  solche  Substanzen 
in  sich  aufzunehmen,  sind  Versuche  mit  Atropin  und 
Physostigmin,  wodurch  es  gelingt,  diese  Aufnahmsfähig- 
keit  künstlich  zu  steigern  oder  herabzusetzen. 

Ich  träufelte  einem  grossen  albinotischen  Kaninchen 
einige  Tropfen  einer  halbprocentigen  Lösung  von  Atropin 
ins  rechte  und  eine  ebensolche  von  Eserin  ins  linke  Auge. 
Darauf  machte  ich,  wie  oben  genauer  beschrieben,  unter 
strengster  Antisepsis  und  in  schonendster  Weise  eine  Tusche- 
injection  in  die  vordere  Kammer  eines  jeden  Auges  unter 
möglichst  gleichen  Verhältnissen,  noch  besonders  darauf 
achtend,  dass  die  Kammer  nur  zu  zwei  Dritttheilen  mit 
Tusche  gefüllt  wurde. 

Nach  sieben  Stunden  bemerkte  ich  an  dem  mit  Atro- 
pin behandelten  Auge,  dass  die  injicirte  Masse,  wie  gewöhn- 
lich, in  einen  Fibrinschleier  eingehüllt  war,  aber  sonst  kei- 
nerlei bemerkenswerthe  Veränderung  aufwies.  Im  Eserin- 
auge  hingegen  hatte  die  ebenfalls  in  ein  zartes,  fibrinöses 
Exsudat  eingeschlossene  Injectionsmasse  an  Volum  abge- 
nommen und  erschien  im  tiefsten  Theile  der  Kammer  eine 
mit  freiem  Auge  eben  wahrnehmbare,  kleine  Menge  Tusche 


üeber  die  Abflusswege  des  Hamor  aqaeaa.  113 

im  Iriswinkel  angesammelt,  welche  ca.  2  mm  von  der  vor 
der  Pupille  und  dem  Pupillartheile  der  Iris  liegenden  Haupt- 
masse getrennt  war. 

Neunzehn  Stunden  nach  der  Injection  erschien  die  in- 
jicirte  Masse  bereits  auf  die  Hälfte  ihres  ursprünglichen 
Volums  vermindert  und  in  ihrer  Mitte  hatte  sich  entspre- 
chend der  PupillaröfiEhung  die  schon  früher  beschriebene, 
scharf  begrenzte  Lücke  gebildet  Die  Tuscheansammlung 
am  tiefsten  Theile  des  Kammerwinkels  hatte  etwas  zuge- 
nommen, erreichte  aber  kaum  eine  Höhe  von  2  mm. 

In  dem  mit  Atropin  behandelten  Auge  war  das  Vo- 
lumen der  injidrten  Masse  auch  nach  neunzehn  Stunden 
nur  wenig  vermindert.  Eine  centrale  Lücke  hatte  sich  noch 
nicht  zu  bilden  angefangen. 

Jetzt  wurden  beide  Bulbi  enucleirt  und  zur  Vorberei- 
tung für  die  mikroskopische  Untersuchung  in  ganz  gleicher 
Weise  behandelt. 

An  dem  atropinisirten  Auge  sah  man  nun  die  Tusche- 
masse in  einem  netzförmigen,  fibrinösen  Exsudat  eingeschlos- 
sen, den  grössten  Theil  der  vorderen  Kammer  füllend.  In 
dem  Maschenwerk  des  Fibrinnetzes  lagen  nur  einige  wenige 
Leukocyten;  ihre  Zahl  war  eine  so  geringe,  dass  man  in 
einem  feinen  Meridionalschnitte  nicht  mehr  als  8  bis  10 
zahlte.  Von  diesen  enthielten  nur  wenige  schwarze  Körn- 
chen in  ihrem  Zellleib,  grösstentheils  waren  sie  von  Körn- 
chen völlig  frei.  In  den  Endothelzellen  und  der  vorderen 
Begrenzungsschicht  der  Iris,  sowie  im  Stroma  zwischen  den 
grösseren  Gefassen  waren  Tuschekömehen  reichlich  vorhan- 
den und  zeigten  die  oben  näher  beschriebene  Anordnung. 
Reichlicher  als  sonst  wo  traf  man  dieselben  am  Pupillar- 
rande.  Die  Trabekel  des  Irisstromas  erschienen  etwas  dich- 
ter und  dem  entsprechend  die  Lacunen  etwas  kleiner  als 
gewöhnlich.  Besonders  war  dies  gegen  die  hinteren  Partieen 
der  Iris  der  Fall;  hier  fanden  sich  auch  nur  mehr  wenige 
Kömchen.     Die   letzteren  waren  wieder   reichlicher   anzu- 

▼.  Gnefe'B  Archiv  für  Ophthalmologie.  XXXVII.  3.  8 


114  C.  StaderinL 

treffen  im  Fontana'schen  Räume,  im  Corpus  ciliare  imd  aQ 
der  Comeosderalgrenze. 

Etwas  abweichend  von  dem  geschilderten  Befände  im 
Atropinange  war  der  Befand  in  dem  Auge,  in  welches  man 
Eserin  getränfeit  hatte.  Innerhalb  der  kleinen  Tnsdie- 
menge,  die  sich  noch  im  Fibrinnetzwerk  eingeschlossen  fand, 
waren  nnr  wenige  Lenkocyten  enthalten;  dagegen  hatte  sich 
an  der  hinteren,  der  Iris  zugekehrten  Seite  der  Masse  eine 
kleine  Lenkoc^tenanhäufang  gebildet,  welche  schon  mit 
freiem  Auge  an  mit  Cochenille- Alaun  gefärbten  Schnitten 
zu  bemerken  war,  indem  sie  einen  rundlichen  Herd  Yon 
nicht  ganz  einem  halben  Millimeter  Durchmesser  darstellte. 
Durch  das  Mikroskop  konnte  man  sich  überzeugen,  dass 
all'  diese  Lenkocyten  yon  Tuschekömehen  frei  waren.  In 
der  Iris  selbst  waren  die  Kömchen  ausser  im  Endothel,  in 
bekannter  Anordnung  in  alle  Theile  des  Stromas  einge- 
drungen bis  an  die  hintere  Begrenzungsmembran,  wo  sie 
noch  in  ziemlich  grosser  Anzahl  anzutreffen  waren.  Die 
Kömchen  lagen  fast  alle  frei  in  den  Gewebslücken,  häufig 
in  fadenförmigen  Reihen  geordnet.  Wanderzellen  fanden 
sich  nur  in  ganz  spärlicher  Zahl  in  der  Iris  und  nur  we- 
nige Yon  ihnen  hatten  Kömchen  in  ihrem  Protoplasma. 
Der  Fontana'sche  Raum,  der  Ciliarkörper  und  die  Comeo- 
sderalgrenze enthielten  zahlreiche  Tuschekömehen,  in  der 
weitaus  überwiegenden  Mehrzahl  frei.  Die  communiciren- 
den  Gewebslücken  des,  Irisstromas  erschienen  weiter,  als  im 
Atropinange.  Dasselbe  gilt  Yom  Balkenwerk  des  Fontana- 
schen  Raumes.  AU'  diese  Umstände  weisen  auf  eine  er- 
leichterte Wegsamkeit  der  der  Resorption  dienenden  Bah- 
nen und  lassen  es  verstehen,  wie  die  Abführung  der  inji- 
cirten  Masse  in  dem  mit  Eserin  behandelten  Auge  so  yiel 
rascher  zu  Stande  kam,  als  in  dem  anderen.  Zu  gleicher 
Zeit  liefern  diese  Versuche  aber  auch  einen  weiteren  Be- 
weis dafür,  dass  den  Lenkocyten  keine  wesentliche  Rolle 
an  der  Abfuhr  kömiger  Substanzen  aus  der  vorderen  Kam- 


üeber  die  Abfltuswege  des  Humor  aqueus.  115 

mer  zukommt  —  grösste  Feinheit  des  Korns  und  yöUig 
reidosen  Verlauf  selbstverständlich  vorausgesetzt  — ;  denn 
abgesehen  davon,  dass  auch  bei  diesen  Versuchen  der  di- 
recte  Augenschein  von  einer  nennenswerthen  Betheiligung 
von  Wanderzellen  nichts  erkennen  liess,  wäre  nicht  einzu- 
sehen, wie  das  Atropin  und  Eserin  einen  so  verschiedenen 
Einfluss  auf  die  Emigration,  Beweglichkeit  und  Wander- 
fähigkeit der  Leukocyten  ausüben  sollten,  wie  er  bei  der 
Verschiedenheit  der  geschilderten  Resultate  angenommen 
werden  müsste. 

Andere  Versuche  mit  Atropin  und  Eserin  an  kleineren 
albinqtischen  Kaninchen  ergaben  im  Grossen  und  Ganzen 
dieselben  Resultate. 

Die  Versuche,  die  Deutschmann  vor  einer  Reihe  von 
Jahren  mit  defibrinirtem  Blute  angestellt  hatte,  welches  er 
in  die  vordere  Augenkammer  von  Kaninchen  injicirte,  führ- 
ten zu  ähnlichen  Ergebnissen  in  Bezug  auf  den  wichtigen 
Antheil,  welcher  der  Iris  zukommt  an  der  Resorption  der 
corpusculären  Elemente  desselben^).  Auch  überzeugte  er 
sich,  dass  durch  Einträufeln  von  Eserin  die  Resorption 
ganz  beträchtlich  beschleunigt  wurde. 

Andere  Forscher  haben  angegeben,  dass  die  in  die  vor- 
dere Kammer  ii^icirten  Massen  mehr  oder  weniger  weit  über 
die  von  uns  angegebenen  Grenzen  hinaus  vordringen  können. 
So  hat  Ulrich^)  bei  seinen  letzten  Versuchen  gefanden,  dass 
die  unter  dem  Druck  einer  Wassersäule  von  60  cm  in  die  vor- 
dere Kammer  injicirte  Tuscheaufschwenmiung,  als  nach  etwa 
einer  Stande  der  Versuch  unterbrochen  wurde,  nicht  bloss  in 
den  Fontana'schen  Raum  und  das  nach  hinten  anschliessende 
Gewebe  gedrungen  war,  sondern  auch  zwischen  die  Fasern  des 
vorderen  Zonulablattes,  so  dass  eine  partielle,  circuläre  Tusche- 
färbung noch  am  Linsenäquator  sich  vorfand.  Bei  diesen  Ver- 
sachen  ist  jedoch  die  Injection  in  die  vordere  Kammer  unter 
einem  Drucke  ausgeführt  worden,  welcher  den  normalen  Kam- 


»)  Dieses  Archiv  XXIV,  2,  S.  223.   1878. 
*)  Archiv  für  Aagenheilk.  XX,  S.  280.   1889. 


116  C.  Staderini. 

merdrnck  mehr  oder  weniger  beträchtlich  überstieg  (in  Ulrich' s 
Yersuch  nahezu  um  das  Doppelte)  and  somit  wohl  im  Stande 
war,  die  Masse  auch  auf  Wegen  fortzutreiben,  welche  unter 
gewöhnlichen  Umständen  der  Resorption  und  dem  Abflüsse  nicht 
dienen.  Bei  meinen  Versuchen  Hess  ich  zuerst  das  Eammer- 
wasser  langsam  abfliessen  und  füllte  dann  die  Kammer  nur  zu 
etwa  zwei  Drittel  mit  der  ziemlich  consistenten  Tuscheauf- 
schwemmung. Beim  langsamen  Zurückziehen  der  feinen  Ca- 
nüle  wurde  darauf  geachtet,  dass  die  Kammer  sich  nicht  wie- 
der entleerte.  Dadurch  wurden  Druckschwankungen  bei  un- 
seren Versuchen  auf  ein  möglichst  geringes  Maass  reducirt. 

Die  Richtigkeit  des  Gesagten  ergab  sich  aus  solchen  Ver- 
suchen, wo  sich  entgegen  der  sonstigen  Gepflogenheit  die  vor- 
dere Kammer  vollständig  mit  Tusche  füllte,  indem  ich  etwas 
kräftiger  als  gewöhnlich  auf  den  Stempel  der  Spritze  drückte. 
Dann  fand  ich  Tuschekömehen  auch  hinter  der  Iris,  wo  sie 
für  gewöhnlich  nie  angetroffen  wurden. 

Wir  haben  auch  eine  Anzahl  von  Yersnchen  vorge- 
nommen mit  Injectionen  von  löslichem  Berliner  Blau 
und  zehnprocentigem  Asphalt-Chloroform  in  die  vor- 
dere Kanmier,  welche  geeignet  sind,  einerseits  die  im  Voran- 
gehenden dargelegten  Thatsachen  zu  bestätigen  und  ande- 
rerseits uns  ein  ürtheil  zu  verschaffen  über  den  Wider- 
spruch, der  in  den  Resultaten  der  verschiedenen  Forscher, 
welche  nicht  diffusible  Flüssigkeiten  in  die  vordere  Kam- 
mer injicirten,  zu  Tage  tritt 

Bei  einer  durch  Aether  narkotisirten  Katze  wurde 
durch  die  Hornhaut  eines  jeden  Auges  je  eine  Ganüle  einer 
Pravaz'sche  Spritze  in  die  vordere  Kammer  eingestochen. 
Nachdem  das  Kanmierwasser  langsam  abgeflossen  war,  inji- 
cirte  ich  in  die  eine  und  andere  Kammer  gerade  so  viel 
einer  zehnprocentigen  Auflösung  von  Asphalt  in  Chloroform, 
dass  die  vordere  Kammer  eben  damit  angefüllt  wurde.  Ich 
unterbrach  die  Injection,  sobald  der  Asphalt  den  Kammer- 
winkel erreicht  hatte  und  am  Spritzenstempel  eine  leichte 
Drucksteigerung  wahrnehmbar  wurde.  Ich  liess  die  Canüle 
in  der  Hornhaut  etwa  20  Minuten  lang  und  tödtete  das 


üeber  die  Abflusswege  des  Humor  aqueus.  117 

Thier  nach  einer  halben  Stunde.  Die  Bulbi  kamen  zur 
Härtung  in  Alkohol  und  wurden  bei  der  mikroskopischen 
Untersuchung  mit  denjenigen  Vorsichtsmaassregeln  behan- 
delt, welche  nothwendig  waren,  um  eine  Lösung  des  As- 
phalts zu  vermeiden.  Ich  fand  nun,  dass  die  Injections- 
masse  überall  in  die  Mäschenräume  des  Fontana'schen  Ga- 
nais eingedrungen  war;  aber  die  Blutgefässe,  welche  in  der 
Comeoscleralgrenze  unmittelbar  am  Fontana'schen  Räume 
gelegen  sind,  enthielten  ebensowenig,  als  die  anderen  6e- 
fasse  in  dessen  Umgebung  die  geringste  Spur  von  Asphalt 
in  ihrem  Lumen.  Nur  rings  um  die  Wandung  von  einigen 
jener  venösen  Gefasse,  welche  dicht  am  Rande  des  Fontana- 
schen  Raumes  in  der  Comeoscleralgrenze  verlaufen,  zeigten 
sich  Andeutungen  von  Asphalt. 

Bei  einer  zweiten  Katze  injicirte  ich  unmittelbar  nach 
der  Tödtung  durch  Aetherinhalation  in  oben  beschriebener 
Weise  Asphalt  in  die  vordere  Kammer  des  einen  in  situ 
gelassenen  Auges.  Das  andere  wurde  zuerst  enudeirt  und 
dann  erst  injicirt.  Sobald  bei  diesem  letzteren  die  Span- 
nung eine  der  normalen  ungefähr  entsprechende  Höhe  er- 
reicht hatte,  wurde  die  Injection  unterbrochen,  die  Caniile 
aber  stecken  gelassen.  Als  die  Spannung  nach  Ablauf  we- 
niger Minuten  wieder  gesunken  war,  spritzte  ich  noch  ein- 
mal so  viel  Asphalt  ein,  bis  der  Druck  die  frühere  Höhe 
wieder  erreicht  hatte.  Und  dies  wiederholte  ich  noch  ein 
drittes  Mal. 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  des  ersten,  in 
situ  injicirten  Auges  zeigte  sich,  dass  der  Asphalt  den  Fon- 
tana'schen Raum  erfüllte  und  dass  ausserdem  feinste,  mehr- 
fach unterbrochene  schwarze  Streifen  entlang  von  venösen 
Blutgefässen  zu  verfolgen  waren,  welche  unmittelbar  an  der 
Aussenwand  des  Fontana'schen  Raumes  in  der  Comeoscleral- 
grenze gelegen  sind.  Im  Inneren  der  Gefässe  war  nichts, 
was  auf  ein  Eindringen  von  Asphalt  in  das  Lumen  der- 
selben hindeuten  könnte,  wahrzunehmen. 


118  C.  StaderinL 

Am  anderen  nach  der  Enucleation  injidrten  Auge  hin- 
gegen £euid  idi,  dass  Asphalt  in  die  Blutgefässe  am  Comeo- 
sderaliande  eingedrungen  war  und  das  Lumen  derselben 
mehr  oder  weniger  ToUständig  erfüllte.  Die  suboonjuncti- 
▼alen  Gefasse  enthielten  bloss  Blutkörperchen  und  keine 
Spuren  Ton  Asphalt  mehr.  Andere  in  derselben  Weise  aus- 
geführte Versuche,  sowie  auch  die  Injection  von  löslichem 
Berliner  Blau  in  die  vordere  Kammer  eines  in  der  Orbita 
belassenen  Katzenauges  unmittelbar  nach  dem  Tode  des 
Thieres  ergaben  völlig  übereinstimmende  Resultate. 

So  lange  also  die  Blutcirculation  in  den  Gefassen  der 
Ciomeoscleralgrenze  im  Gange  war,  drang  die  Injections- 
masse  unter  dem  in  Anwendung  gebrachten  Drucke  nur 
spurenweise  in  die  daselbst  befindlichen,  mit  dem  Fontana- 
schen  Baume  in  Verbindung  stehenden  und  dann  den  Blut- 
gefässen dieser  Gegend  folgenden  Spalträume  ein.  In  viel 
ausgedehnterem  Maasse  war  dies  der  Fall,  wenn  diese  Blut- 
gefässe nach  dem  Tode  leer  oder  nur  unvollständig  gefüllt 
waren.  Bestände  irgend  eine  offene  Gommunication  mit 
dem  Lumen  der  letzteren,  so  würde  ohne  jeden  Zweifel  die 
leicht  bewegliche  Flüssigkeit  in  dasselbe  eingedrungen  sein 
und  die  Gefasse  gefüllt  haben,  statt  in  den  viel  grösseren 
Widerstand  darbietenden,  engen  Spalträumen  nach  aussen 
von  der  Gefässwand  sich  fortzubewegen.  Bei  der  letzten 
Kategorie  von  Versuchen  endlich,  wo  erst  nach  der  Enu- 
cleation die  Kammereinspritzung  in  der  angegebenen  Weise 
ausgeführt  wurde,  genügte  schon  der  bei  der  Injection  an- 
gewendete Druck,  um  an  einer  Stelle  eine  Zerreissung  der 
dünnen  Gefässwand  herbeizuführen,  worauf  die  Masse  das 
Lumen  erfüllte,  ohne  mehr  in  den  circumvasalen  Spalträu- 
men sich  zu  verbreiten. 

Fassen  wir  nun  die  Thatsachen  zusammen,  welche  wir 
in  Bezug  auf  die  Herkunft  und  den  Abfluss  des  Kammer- 
wassers und  die  Resorption  corpusculärer  Elemente  aus 
dem  Kammerraume  nach  dem  gegenwärtigen  Stande  unserer 


Ueber  die  AbfluBswege  des  Humor  aqaeus.  119 

KenntDisse  auszosprechen  uns  für  berechtigt  halten»  so 
wären  diese  ungefähr  in  folgenden  Sätzen  zu  formuliren. 

1)  Das  Kammerwasser  stammt  aus  der  hinteren 
Kammer  und  tritt  am  Pupillarrande  in*  die  vordere 
Kammer  ein. 

Die  mitgetheilten  Ergebnisse  unserer  Versuche  gestatten 
uns  allerdings  nur  den  Schluss,  dass  eine  Secretion  von 
Kammerwasser  von  der  vorderen  Irisfläche  aus  (Schick) 
oder  eine  Durchquerung  der  Iris  durch  einen  Flüssigkeits* 
Strom  (Ulrich)  nicht  statt  hat,  ja  dass  die  Vorderfläche 
der  Iris  an  der  Secretion  des  Kammerwassers  überhaupt 
nicht  betheiligt  ist  und  ferner,  dass  der  Weg,  den  der  Hu- 
mor aqueus  einschlägt,  um  in  die  vordere  Kammer  zu  ge- 
langen, in  der  capillären  Spalte  zwischen  dem  Pupillarrand 
der  Iris  und  der  vorderen  Linsenkapsel  zu  suchen  ist.  Aber 
es  genügen  diese  Thatsachen,  um,  zusammengehalten  mit 
den  schon  von  Leber  angeführten,  bekannten  klinischen 
Erfahrungen  aus  der  Pathologie  des  Auges  ^),  den  obigen 
Satz  auszusprechen'). 


1)  Dieses  Archi?  XIX. 

*)  Auf  einen  Umstand,  der  mir  bezfiglich  der  Frage  nach  dem 
Orte  der  Secretion  des  Kammerwassers  noch  nicht  genügende  Be- 
rQcksichtigimg  gefanden  zu  haben  scheint,  möchte  ich  hier  noch  die 
Aofinerksamkeit  der  Leser  hinlenken,  aof  den  Umstand  n&mlich, 
dass  das  Kammerwasser  nicht  als  ein  einfaches  Transsudat  aus  dem 
Blntplasma,  als  eine  Art  Lymphe  anfgefasst  werden  kann,  sondern 
dass  es  sich  am  ein  wirkliches  Secretionsprodukt  handelt.  Man 
vergleiche  nur  die  chemische  Zusammensetzung  des  Blutserums,  der 
Geweblymphe  und  des  Kammerwassers,  um  sofort  einzusehen,  dass 
wir  in  dem  letzteren  nur  FlOssigkeit  Tor  uns  haben,  in  welcher  die 
Eiweisskörper  und  sonstige  organische  feste  Substanzen  nahezu  voll- 
•t&ndig  fehlen.  Deutschmann,  der  das  Kammerwasser  aus  dem 
Auge  eines  noch  lebenden  Rindes  untersucht  hat,  fand  nicht  wäg- 
bare Mengen  Ton  Ei  weiss  (dieses  Archiv  XXVII,  2,  S.  297).  Da 
die  Eiweissmenge  des  Kammerwassers  nach  dem  Tode  zunimmt,  so 
sind  die  Angaben  anderer  Autoren,  welche  dasselbe  den  Augen  ge- 
tödteter  Thiere  entnahmen  (so  auch  Michel  und  Wagner,  dieses 


120  C.  SUderinL 

^  2)  Langsam  und  gleiclimässig  erfolgt  die  Strö- 
mung des  Kammerwassers  Ton  der  Papille  in  ra- 
diärer Richtung  nach  dem  Kammerwinkel  zu.  Ströme, 
^eren  Theilchen  sich  diyergirend  überkreuzen",  oder  „Wir- 
belphanomene^  kommen  hierbei  niemals  zu  Stande. 

3)  Im  Fontana'schen  Canale  finden  sich  die- 
jenigen anatomischen  Einrichtungen  und  physika- 
lischen Bedingungen,  welche  den  Abfluss  Ton  Hu- 
mor aqueus  durch  Filtration  in  venöse  Blutgefässe 
an  der  Corneoscleralgrenze  ermöglichen  und  unter 
normalen  Verhältnissen  in  ausreichendem  Maasse  sicher- 
stellen. Eine  offene  Verbindung  zwischen  Kammerraum  und 
Blutgefasssystem  existirt  ganz  bestimmt  nicht 


Archiv  XXXII,  2,  S.  173),  bezflglich  des  Eiweissgehaltes  zu  hoch 
aoBgefallen.  Ein  solches,  in  qualitativer  und  quantitativer  Bezie- 
hung von  der  Zosammensetzong  der  Lymphe  abweichendes  Trans- 
Budat  ist  aber  ein  wahres  Secret  und  wird  nur  durch  Vermittlung 
besonderer  Zellen,  Zellen  epithelialer  Natur  geliefert,  welchen  die 
Fähigkeit  zukommt,  ganz  bestimmte  Stoffe  ans  dem  Transsudate 
zurQckzuhalten,  bezw.  eigenartige,  specifische  Stoffe  zu  bilden.  Für 
eine  derartige  elective  Wirkung,  welche  die  fOr  die  dioptrischen 
Zwecke  unerl&ssliche  Constanz  der  Zusammensetzung  der  flQssigen 
Augenmedien  garantirt,  können  wir  nur  den  doppelten  epithelialen 
Ueberzug  der  hinteren  Irisfl&che  und  des  Ciliarkörpers  in  Anspruch 
nehmen.  An  albinotischen  Thieren  hat  man  Gelegenheit,  diesen 
Zellbelag  auf  das  Schönste  wahrzunehmen  (vergl.  Figg.  1  und  2  der 
der  vorliegenden  Abhandlung  beigegebenen  Tafel)  und  die  interes- 
santen Veränderungen  eben  dieser  Zellen  in  Augen  von  diabetischen 
Individuen  mit  Cataracta,  welche  wir  durch  die  Beschreibungen  von 
Becker,  Kamocki  und  Deutschmann  kennen  gelernt  haben  und 
die  ich  selbst  in  zwei  Fällen  in  verschiedenen  Graden  der  Ausbil- 
dung in  exquisiter  Weise  zu  constatiren  Gelegenheit  hatte,  liefern 
uns  ein  Beispiel  für  auffälligere,  pathologische  Störungen  eben  die- 
ses secemirenden  Epithels. 

Es  würde  somit  den  beiden  Blättern  der  Netzhaut  nach  vom 
von  der  Ora  serrata,  welche  schon  in  anatomischer  Beziehung  einen 
eigenartigen  Bau  aufweisen,  indem  ihre  Elemente  den  epithelialen 
Character  der  ursprünglichen  Anlage  dauernd  erhalten  haben,  — 


lieber  die  Abflusswege  des  Humor  aqueus.  121 

Es  ist  schon  in  den  einleitenden  Bemerkungen  daran 
erinnert  worden,  dass  der  Schlemm'sche  Canal  beim  Men- 
schen einen  Anhang  zam  Yenensystem  der  Gomeoscleral- 
grenze  darstellt,  innerhalb  dessen  in  Folge  der  ziemlich 
beträchtlichen  Erweiterung  des  Gesammtquerschnittes  der 
venösen  Blutbahn  der  Druck  ein  verhältnissmässig  niedriger 
sein  muss.  Dazu  kommt  noch,  dass,  wie  Straub  sehr  rich- 
tig hervorgehoben  hat^),  die  hintere  (innere)  Wand  des 
Schlemm'schen  Canals,  welche  zugleich  den  äussersten  An- 
theil  jenes  Platten-  und  Balkensystems  darstellt,  an  das  der 


w&hrend  dieselben,  abgesehen  von  einer  Absorption  des  durch  die 
Sclera  einfallenden  Lichtes,  der  Funktion  des  Sehens  nicht  mehr  zu 
dienen  haben,  —  eine  andere,  fttr  die  Oeconomie  des  Auges  höchst 
wichtige  Funktion  zukommen,  n&mlich  die,  der  Secreüon  der  flüs- 
sigen Augenmedien  vorzustehen.  Dass  die  Thätigkeit  dieser  Zellen 
auch  vom  Nervensystem  beeinflusst  werde,  ist  in  hohem  Grade  wahr- 
scheinlich, jedoch  erst  experimentell  zu  erweisen. 

Beim  Nachsuchen  in  der  Literatur  fand  ich,  dass  Boucheron 
schon  im  Jahre  1883  in  der  Soci^t^  fran^aise  d'ophtalmologie  einen 
ähnlichen  Gedanken  ausgesprochen  hat;  er  ist  zur  Bezeichnung  sei- 
ner Anschauung  um  einen  Namen  nicht  verlegen  und  spricht  von 
einem  Epith^lium  aquipare  et  vitr^ipare  des  proc6s  ciliaires.  In 
einer  der  Acad^mie  des  sciences  am  7.  März  1889  vorgelegten  Mit- 
theilung  verallgemeinert  Boucheron  seine  Anschauung,  indem  er 
darznthun  versucht,  dass  das  terminale  Neuroepithelium  der  Sinnes- 
organe überall  von  einem  secretorischen  Epithel  begleitet  sei,  wel- 
ches mit  dem  ersteren  histogenetisch  denselben  Ursprung  habe.  In 
demselben  Jahre  machte  auch  Nicati  eine  vorläufige  Mittheilung 
ftber  denselben  Gegenstand  (Hecueil  d*ophtalmol.  Nr.  7.  S.  385)  und 
spricht  geradezu  von  einem  appareil  glandulaire  dans  l'oeil  des 
mammif^res.  Die  ausführliche  Bearbeitung,  deren  letzter  Abschnitt 
(Archives  d*Ophtalmologie,  T.  XI,  S.  24  und  152,  1891)  mir  unmit- 
telbar vor  Absendnng  dieser  Arbeit  in  die  Hand  gekommen  ist,  ent- 
hält viele  schätzenswerthe  Beobachtungen  und  Gedanken,  bedarf 
aber,  namentiich  in  ihrem  physiologischen  Theile  gar  sehr  einer 
gründlichen  Nachprüfung  und  es  werden  manche  Schlussfolgerungen 
eine  Einschränkung  und  Correction  erfahren  müssen. 

H.  Sattler. 

*)  Dieses  Archiv  XXXV,  2,  S.  67. 


122  C.  Staderini 

Cilianniiskel  sich  ansetzt,  durch  den  letzteren  gespannt  er- 
halten, dadnrdi  die  Yenenwand  dem  im  Augeninneren  herr- 
schenden Drucke  entzogen  und  so  es  möglich  gemacht  wird, 
dass  der  Blutdruck  in  der  Vene  stets  unter  dem  intra- 
oculären  Drucke  bleibt 

4)  Während  ein  o£fener  Lymphcanal,  welcher  vom  Fon- 
tana'schen  Räume  seinen  Ursprung  nähme  (Morf),  ganz 
bestimmt  nicht  existirt,  können  wir  nach  unseren  Befun- 
den nicht  mehr  bezweifeln,  dass  vom  Fontana'schen 
Räume  ausgehend  feine  Spalten  in  das  Gewebe  der 
Sclera  hineinführen,  welche  zum  Theile  dem  Verlaufe 
der  tieferen  Venen  an  der  Gomeosderalgrenze  folgen  (ohne 
dass  man  von  perivasculären  Lymphscheiden  zu  sprechen 
Berechtigung  hätte),  zum  Theile  von  hier  aus  im  Gewebs- 
spaltensystem  der  Sclera  sich  verlieren.  Aehnliche  Spalten 
fuhren  vom  Fontana'schen  Räume  aus  in  das  bindegewe» 
bige  Stroma  des  Giliarkörpers  und  der  Iriswurzel,  folgen 
aber  hier  keinen  Gefässbahnen. 

Dass  diesen  spaltformigen  Bahnen  unter  normalen  Ver- 
hältnissen eine  wesentliche  Bedeutung  für  den  Abfluss  des 
Kammerwassers  zukomme,  wird  man  wohl  sicher  nicht  be- 
haupten können.  Sie  mögen  jedoch  immerhin  bei  manchen 
pathologischen  Zuständen,  so  z.  B.  bei  der  Resorption  pa- 
thologischer Inhaltsmassen  aus  der  vorderen  Kammer  eine 
gewisse  Rolle  zu  spielen  berufen  sein. 

5)  Dass  eine  Betheiligung  der  Iris  an  der  Re- 
sorption corpusculärer  Elemente  aus  der  vorderen 
Kammer  stattfindet,  ist  nach  den  Resultaten  der  Injec- 
tion  von  kömigen  Farbstoffen  und  von  Blut  (Deutsch- 
mann) in  die  vordere  Augenkammer  lebender  Thiere  ganz 
und  gar  nicht  zu  bezweifeln. 

Eine  andere  Frage  ist,  wie  weit  die  Iris  auch  unter 
gewöhnlichen  Verhältnissen,  beim  Fehlen  fremder  Inhalts- 
raassen  in  der  vorderen  Kammer  an  der  Resorption   von 


üeber  die  Abflosswege  des  Humor  aqaeus.  123 

Humor  aqaeus  sich  betheiligt  Leber  spricht  der  Iris  aller- 
dings einen  gewissen  Antheil  an  der  Resorption  Yon  Kam- 
merwasser zu  ^).  Doch  möchte  ich  auf  den  zu  Gunsten  die- 
ser Ansicht  von  Leber  angeführten  Versuch,  dass  bei  Gar- 
mininjectionen  in  die  vordere  Kammer  nicht  nur  die  Yor- 
keren Ciliarvenen  gefüllt  erschienen,  sondern  auch  rothe 
Flüssigkeit  aus  den  Venae  yorticosae  auslief,  kein  sehr 
grosses  Gewicht  legen,  da  der  Versuch  nur  am  exstiipirten 
Auge  vorgenommen  werden  konnte. 

Der  anatomische  Bau  der  vorderen  Schicht  des  Lris- 
gewebes  ist  einer  resorbirenden  Thätigkeit  zweifellos  günstig 
und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass,  wie  schon  oben 
bemerkt,  durch  die  Bewegungen  der  Iris  auch  die  die  Re- 
sorption fordernden  physikalischen  Bedingungen  hergestellt 
werden. 

6)  Physostigmin  befördert,  Atropin  verzögert 
die  Resorption  aus  der  vorderen  Augenkammer  in 
ganz  erheblichem  Grade. 

Prag,  Anfang  März  1891. 


Erklärung  der  Abbildungen. 
Tafel  m. 

Fig.  1.    Kammerwinkel  eincB  albinotischen  Kaninchenaages  nach 
Tnscheiigection  in  die  vordere  Kammer. 

Die  Oefitesverzweigong  an  der  Comeoscleralgrenze  ist  aas 
mehreren  Schnitten  combinirt  und  die  Taschekörnchen  in  den 
Lücken  des  Fontana*8chen  Raumes  sind  der  Klarheit  der 
Zeichnung  halber  weggelassen.  Im  Uebrigen  ist  die  Figur 
wie  die  beiden  folgenden  genau  nach  der  Natur  gezeichnet. 


*)  1.  c.  B.  106  u.  124  und  Handb.  der  gesammten  Augenheilk. 
von  A.  Graefe  und  Saemisch,  Bd.  n,  2.  Th.,  S.  383. 


124   G.  Staderini,  üeber  die  AbfloBSwege  des  Humor  aqaeos. 

Fig.  2.  Ein  Theil  des  Endothelh&atchens  der  Iris  Yon  einer  Stelle 
nahe  dem  Pupillarrande,  wo  die  Iris  schwarz  gesprenkelt  er- 
schien.   Homog.  Immers.  -y^* 

Fig.  3.  Ein  kleines  Stflck  der  Iris  anweit  des  Sphinctertheiles  der- 
selben, aus  einem  Aage,  in  welches  yor  der  Taschei^jection 

Eserin  eingeträufelt  worden  war.    Apochrom.  Obj.  q'ss'ap  * 

Gompensat.  Ocul.  8. 


Ueber  das  Vorkommeu  von  Eiesenzellen 

und  eitriger  Exsudation  in  der  Umgebung  des 

intraocnlaren  Cysticercus. 

Von 

Dr.  August  Wagenmann, 

Privatdocenten  und  entern  ABsistenten  der  üniyersit&ts- Augenklinik 

zu  Heidelberg. 


Im  XXXV.  Bande  dieses  Archivs  hat  yon  Schröder^) 
einen  merkwürdigen  Fall  eines  zum  Theil  resorbirten  und 
in  eine  anscheinend  tuberculöse  Neubildung  eingeschlosse- 
nen Cysticercus  subretinaUs  mitgetheilt.  Bei  einem  23jähri- 
gen  Mann  war  spontan  Abnahme  des  Sehvermögens  aufge- 
treten. Wegen  Zunahme  der  Augenerkrankung  begab  sich 
der  Patient  ca.  ein  halbes  Jahr  nach  Beginn  der  Sehstö- 
rung in  die  St  Petersburger  Augenheilanstalt,  wo  bei  der 
Aufnahme  das  Bild  einer  Iridochorioiditis  mit  intraocularer 
Tumorbildung  constatirt  wurde,  die  nach  erfolglos  versuch- 
ter Inunctionscur  für  tuberculös  gehalten  wurde.  Das  Auge 
wurde  deshalb  enucleirt.  Bei  der  von  Dr.  Westphalen  in 
Dorpat  vorgenommenen  anatomischen  Untersuchung  des  enu- 
deirten  Auges  fand  sich  im  hinteren  Bulbusabschnitt  unter 
der  abgelösten  Netzhaut  eine  aus  Bindegewebe  und  Granu- 
lationsgewebe bestehende  Geschwulst,  in  der  zahlreiche  Rie- 
senzellen und  epitheloide  Zellen  vorkamen.   Ausserdem  wur- 

»)  T.  Graefe'fl  Archiv  für  Ophthalm.  XXXV,  3,  S.  97. 


126  A.  Wafemuuin. 

den  in  dem  einem  sditaren  Toberkel  ähnlichen  Tomor  Reste 
einer  Chitinmembran,  Haken  nnd  Sangnäpfe  angetroffen» 
Gebilde,  die  ohne  Zweifel  einem  abgestorbenen  nnd  in  einer 
Art  Resorption  befindlichen  Cystioercas  angehörten. 

Die  Untersnchnng  anf  Tnberkelbacillen  war  Yollkommen 
n^atiy,  ein  Umstand,  der  anf  die  Härtung  des  Auges  in 
MüUer'scher  Flässigkeit  bezogen  wurde.  Auch  der  Aus- 
gangspunkt des  yenneintlichen  Tuberkels  liess  sich  anato- 
misch nicht  sicher  bestimmen. 

Hinterher  wurde  noch  das  Resultat  einer  einige  Mo- 
nate Yorher  stattgehabten  Untersuchung  des  Patienten  durch 
einen  Rigaer  Augenarzt  bekannt,  bei  der  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit die  Diagnose  auf  Cysticercus  gestellt  wor- 
den war. 

Ein  Jahr  nach  der  Enudeation  erkrankte  der  bis  da- 
hin Yollkommen  gesunde  Mann,  der  inzwischen  eine  Anstel- 
lung ak  Diener  in  einem  Hospital  gefunden  hatte,  an  einer 
acuten  Phthisis  pulmonum,  die  bald  darauf  seinen  Tod  im 
Gefolge  hatte. 

Bei  der  Epikrise  des  Falles  neigt  y.  Schröder  mit 
ziemlicher  Gewissheit  der  Ansicht  zu,  dass  eine  Coincidenz 
von  Tuberculose  und  Entozoon  vorliege  und  zwar  in  der 
Weise,  dass  das  von  dem  Cysticercus  hervorgerufene  Granu- 
lationsgewebe in  Folge  des  bereits  bestandenen  Allgemein- 
loidens  einen  tuberculösen  Charakter  angenommen  habe. 
Und  weiter  stellt  v.  Schröder  zwischen  der  tuberculösen 
Neubildung  und  der  Resorption  des  Cysticercus  den  Causal- 
nexus  auf,  dass  den  in  Folge  der  Tuberculose  massenhaft 
aufgetretenen  Riesenzellen,  denen  eine  resorbirende  Thätig- 
keit  zukomme,  die  Chitinmembran  des  Blasenwurms  nicht 
habe  widerstehen  können,  und  dass  deshalb  der  Cysticercus 
abgestorben  sei.  v.  Schröder  stützt  sich  bei  seiner  Schluss- 
folgerung darauf,  dass  noch  niemals  Riesenzellen  in  der 
Umgebung  eines  Cysticercus  gefunden,  und  dass  noch  nie- 
mals ein  ähnliches  Gewebe  als  Bett  des  Entozoons  beob- 


üeber  das  Vorkommen  von  RieBenzellen  etc.  127 

achtet  sei  Zur  Annahme  einer  latenten  Toberculose  hält 
er  sich  durch  die  ein  Jahr  später  angetretene  Phthisis  pul- 
monum berechtigt 

Ich  wnrde  durch  die  v.  Schröder'sche  Mittheilung 
damals  daran  erinnert,  dass  ich  im  Jahre  1887  ein  Auge 
mit  einem  intraocularen  Cysticercus  zu  untersuchen  Gelegen- 
heit gehabt  hatte,  in  dem  in  der  Umgebung  des  Entozoons 
Riesenzellen  neben  eitriger  Ezsudation  und  Bildung  Yon 
Grannlationsgewebe  sich  hatten  nachweisen  lassen.  Ich  halte 
die  kurze  Mittheilung  des  genannten  Befundes  als  Beitrag 
zur  Beantwortung  der  auch  für  die  Erklärung  des  v.  Schrö- 
der'sehen  Falles  wichtigen  Frage,  ob  man  die  entzündlichen 
Veränderungen,  besonders  das  Auftreten  yon  Riesenzellen, 
Granulationsgewebe  und  vor  aUem  von  Eiterbildung  ohne 
weiteres  auf  das  Entozoon  zurückführen  kann,  oder  ob  man 
eine  Complication  mit  mikrobischer  Infection  annehmen 
muss,  für  nicht  uninteressant 

Zudem  hat  sich  das  Vorkommen  von  Riesenzellen  bei 
der  in  Rede  stehenden  Erkrankung,  auf  das  schon  vor  län- 
geren Jahren  von  Weiss,  Fuchs  und  de  Vincentiis  hin- 
gewiesen ist,  offenbar  der  allgemeinen  Eenntniss  entzogen. 

Auch  von  anderer  Seite  ist  inzwischen  die  v.  Schrö- 
der'sche Angabe,  dass  bisher  niemals  Riesenzellen  in  der 
Umgebung  des  intraocularen  Cysticercus  beobachtet  worden 
seien,  beanstandet. 

Hirschberg  ^)  hat  im  Centralblatt  für  Augenheilkunde 
beim  Referiren  des  v.  Schröder'schen  Falles  in  einer  Note 
angegeben,  dass  Riesenzellen  auch  bei  sonst  völlig  gesunden 
Menschen  an  der  Innenfläche  des  Cysticercusnestes  ange- 
troffen würden,  und  an  einer  anderen  Stelle*)  fügte  der- 
selbe Autor  in  einer  Note  hinzu,  dass  sich  Riesenzellen 
regelmässig  in  der  Organkapsel  um  den  Cysticercus  fänden. 
Ob  dieses  letztere  sich  wirklich  bestätigt,  können  erst  wei- 


»)  Centralbl.  für  Augenbellk.  1889,  8.  319.       «)  Ibid.  8.  382. 


128  A.  Wagenmann. 

tere  Untersuchungen  feststellen.  Hirschberg  selbst  wird 
erst  in  späterer  Zeit  auf  den  Befund  aufioaerksam  geworden 
sein,  da  in  den  mehrÜGichen  anatomischen  Publicationen  ^) 
über  intraoculare  Gysticerken,  die  wir  ihm  yerdanken,  der- 
selbe nicht  erwähnt  ist.  Die  ersten  Mittheilungen  über  das 
Vorkommen  von  Riesenzellen  in  der  Umgebung  von  Cysti- 
cerken  stammen  aus  dem  Jahre  1877  und  beziehen  sich 
auf  einen  intraocularen  und  zwei  subconjunctivale  Gysti- 
cerken.  Weiss ^)  fand  dieselben  in  dem  Bett  des  Blasen- 
wurms in  einem  von  Hirscherg  enucleirten  Auge;  Fuchs*) 
und  de  Vincentiis ^)  sahen  sie  bei  subconjunctiyal  sitzen- 
den Entozoen.  Was  die  letzteren  betrifft,  so  fand  der  Be- 
fund Bestätigung  durch  Manfredi^),  während  die  Zellen 
in  anderen  Fällen  trotz  genauen  Suchens  nicht  nachgewie- 
sen werden  konnten,  wie  Makoki^)  imd  de  Vincentiis^) 
mittheilten. 

Für  die  intraocularen  Cysticerken  ist  eine  weitere, 
neuerdings  erfolgte  Bestätigung,  die  aus  der  Eönigsberger 
Klinik  stammt  und  in  einer  Dissertation  von  Dolina^)  nie- 
dergelegt ist,  anzuführen.  Dolina  hat  zwei  Fälle  yon  intra- 
ocularem  Blasenwurm  anatomisch  untersucht  und  in  dem 
ersten  der  beiden  Fälle  Riesenzellen  gefunden.  Im  Uebri- 
gen  stimmen  die  pathologisch-anatomischen  Veränderungen 
der  beiden  Bulbi  in  der  Hauptsache  mit  den  früher  be- 


>)  Virchow'B  Arch.  XLIV,  S.  276.  —  Arch.  f.  AugenheUk.  I,  2. 
—  Ibid.  II,  2.  —  Archiv  für  Ophthalm.  XXII,  4,  S.  126.  —  Archiv 
für  Augenheilk.  IX,  1879.  —  Yergl.  Hirschberg:  Cysticercas  im 
Auge,  Artikel  in  Eulenbarg*8  Encyclopädie  der  gesammten  Heil- 
kunde.  2.  Aufl. 

»)  V.  Oraefe's  Archiv  fOr  Ophthalm.  XXHI,  4,  S.  16. 

>)  Elin.  MonaUbl.  für  Augenheilk.  XY,  S.  396. 

*)  Movimento  Med.  Chir.  Napoli  1877. 

^)  Un  caso  di  cisticerco  sotto  coigunctivale  etc.    Torino  1884. 

<)  Klin.  Monatsbl.  für  AngenheUk.  XXI,  S.  829. 

')  Annali  di  ottalm.  XVH.   Fase.  5-6,  S.  61. 

'')  Inaug.-Dissert.  Königsberg  1889. 


Ueber  das  Vorkommen  von  Biesenzellen  etc.  129 

kannten  überein,  denen  sich  auch  das  von  mir  untersuchte 
Auge  im  Wesentlichen  anschliesst.  Auf  einige  seltenere  Ein- 
zelheiten, die  auch  Doli  na  zum  Theil  fand,  werde  ich  bei 
der  Beschreibung  zurückkommen.  * 

Das  von  mir  untersuchte  Auge  ist  von  Dr.  Hessberg 
in  Essen  im  Jahre  1885  enudeirt  und  von  seinem  dama- 
ligen Assistenten,  Herrn  Dr.  Bansohoff,  mit  nach  Göttingen 
gebracht  worden.  Herr  Dr.  Ransohoff  hatte  während  sei- 
ner Assistentenzeit  in  Göttingen  das  Auge  zu  untersuchen 
angefangen  und  bei  seinem  Fortgehen  mir  übergeben.  Bei- 
den Herren  bin  ich  durch  die  Ueberlassung  des  Präparates 
und  die  Mittheilung  der  klinischen  Notizen  zu  grossem 
Dank  verpflichtet. 

Krankengesohichte. 

Die  Patientin,  von  der  das  Auge  stammt,  kam  zuerst  am 
21.  December  1884  in  Behandlang  des  Herrn  Dr.  Hessberg. 
Nach  einem  drei  Jahre  zuvor  erfolgten  Schlaganfall,  der  zu 
einer  L&hmung  der  linken  Körperseite  geführt  hatte,  war  am 
rechten  Auge  eine  Abnahme  der  Sehschärfe  aufgetreten.  Ein 
Augenarzt  hatte  damals  eine  Netzhauterkrankung,  wahrschein- 
lich eine  Ablösung  —  die  Patientin  nannte  es  eine  Lähmung 
der  Netzhaut  —  diagnosticirt.  Die  Frau  stellte  sich  jetzt  vor, 
weil  das  Auge  seit  acht  Tagen  schmerzhaft  geworden  war.  Es 
fand  sich  eine  starke  Giliarinjection,  bedeutende  Irisverfärbnng 
mit  Yascularisation  der  Iris  und  eine  totale  Verwachsung  der 
Papille;  aus  der  Tiefe  bekam  man  einen  gelben  Reflex.  — 
Absolute  Amaurose. 

Die  Patientin  stellte  sich  erst  am  16.  Jan.  1885  wieder 
vor,  da  sie  wegen  eines  fieberhaften  Gastricismus  bettlägerig 
gewesen  war.  Auge  tief  iiyicirt,  Iris  stark  verfärbt,  an  einer 
Stelle  des  Oiliarkörpers  auf  Druck  so  heftige  Schmerzen,  dass 
ein  Ohnmachtsanfall  erfolgt.  Das  linke  Auge  war  bis  auf  mark- 
haltige  Nervenfasern  in  der  Retina  stets  normal.  Wegen  fort- 
dauernder Iridocyclitis  dolorosa  wurde  das  Auge  im  April  1885 
enucleirt,  worauf  sich  die  Patientin  überaus  schnell  erholte. 
Anhaltspunkte  für  Tuberculose  lagen  nicht  vor. 

Die  anatomische  Untersuchung  bestätigt  die  vorher  aufge- 
stellte Yermathung,  dass  ein  intraocalarer  Cysticercus  vorliege. 

T.  Graefe's  Arcbir  für  Ophthalmoloide.  XXXVII.  3.  9 


130  A.  Wagenmann. 

Es  findet  sich  in  dem  Ange  ein  fast  den  ganzen  hinteren  Bnl- 
bnsranm  einnehmendes  Entozoon,  das  zn  einer  hochgradigen, 
darch  entzündliche  Processe  veranlassten  Destmction  der  in- 
neren Angenhänte  geführt  hat  Der  Durchmesser  der  Blase 
beträgt  in  der  horizontalen  Achse  ca.  13  mm,  in  der  sagittalen 
11  mm,  der  in  der  Blase  steckende  Halstheil  hat  eine  Länge 
Von  4  mm  und  eine  Breite  von  2 — 3  mm.  Der  Bulbus  ist  iu 
toto  ein  wenig  verkleinert  und  misst  im  sagittalen  und  fron- 
talen Durchmesser  24  mm.  Das  Grössenverhältniss  des  Blasen- 
wurms ist  ein  ansehnliches,  wird  aber  von  einigen  bisher  mit^ 
getheilten  Befunden  übertroffen.  So  hat.  Hirschberg  ^)  zwei 
Fälle  von  Cysticercus  untersucht,  von  denen  der  eine  15  mm 
und  der  andere  14  mm  Länge  besass.  Die  Blase  ist  in  meinem 
Fall  nicht  ganz  kugelförmig,  sondern  zeigt  mehrfache  Einsen- 
kungen  und  Abschnärungen,  die  jedenfalls  dadurch  entstanden 
sind,  dass  die  Umhällungsschicht,  die  im  Laufe  der  Zeit  eine 
gewisse  Festigkeit  erlangt  hat,  einer  gleichmässigen  Ausdehnung 
des  Entozoons  Widerstand  entgegengesetzt  hat.  Der  Innen- 
fläche der  Chitinmembran  liegt  eine  ziemlich  dicke  Schicht  von 
detritusartiger  Beschaffenheit  auf,  in  der  man  vielfach  ver-^ 
zweigte  stark  lichtbrechende  Fasern  und  Bänder,  sowie  zahl- 
reiche stark  lichtbrechehde  Kügekhen,  kleine,  Farbstoff  lebhaft 
aufnehmende,  rundliche,  kernähnliche  Gebilde  und  schliesslich 
*  auch  geschichtete  Ealkconcremente  erkennen  kann.  Daneben 
kommen  auch  opake,  gelblich  gefärbte  Detritusmassen  vor,  in 
denen  ich  vereinzelte  Haken  nachweisen  konnte. 

Die  Cysticercusblase  ist  eingebettet  in  eine  dicke  Schicht 
neugebildeten  Bindegewebes,  das  zum  Theil  feinfaserig,  sclero- 
sirt  und  arm  an  Gewebskemen,  zum  Theil  noch  jüngeren  Da- 
tums ist  und  den  Charakter  von  kern-  und  gefössreichem  Gra- 
nulationsgewebe besitzt.  Die  Veränderung  des  hinteren  Bulbus- 
abschnittes  und  besonders  der  Retina  ist  so  hochgradig,  dass 
man  nur  mit  Mühe  bestimmen  kann,  ob  der  Blasenwnrm  vor 
oder  hinter  der  Netzhaut  liegt  Nach  den  Schnitten,  in  denen 
die  Papille  vorhanden  ist,  zu  urtheilen,  scheint  das  Entozoon 
vor  der  Retina  zu  liegen,  da  man  von  der  Papille  aus  Gewebs- 
züge,  die  der  bindegewebig  destruirten  Netzhaut  zu  entsprechen 
scheinen,  sich  hinter  die  BlasdB  erstrecken  sieht  Auch  in  der 
Aequatorialgegend    des  Bulbus  erkennt  man  noch  -hinter  der 


')  Virchow's  Archiv  XLIV. 

Archiv  für  Augenheilkunde  I,  2. 


Ueber  das  Yorkommen  von  Riesenzellen  etc.  131 

Blase  Andentungen  von  necrotischer  und  bindegewebig  degene- 
rirter  Netzhaut,  an  anderen  Stellen  freilich  fehlt  die  Membran 
vollständig.  Wo  der  Blasenwurm  die  Retina  perforirt  hat,  l&sst 
sich  natürlich  nicht  mehr  entscheiden,  doch  wird  er,  wie  aus 
dem  klinischen  Verlauf  erhellt,  anfangs  jedenfalls  subretinal 
gesessen  haben. 

Der  Opticus  ist  vollkommen  atrophisch  und  stark  mit 
Bindegewebe  und  Eiterkörperchen  durchsetzt.  Weit  besser  als 
die  Netzhaut  ist  die  Aderhaut  im  hinteren  Bulbusabschnitt  noch 
zu  erkennen.  Dieselbe  ist  überall  hochgradig  verändert,  viel- 
fach atrophisch,  vielfach  bedeutend  gewuchert  und  verdickt  mit 
reichlicher  Neubildung  von  Gefässen,  deren  Wände  mehrfach 
stark  sclerosirt  sind.  An  anderen  Stellen  freilich  ist  die  Cho- 
rioidea  nicht  mehr  als  solche  abzugrenzen,  sondern  vollständig 
in  dem  neugebildeten  Gewebe  untergegangen.  An  einer  circum- 
scripten  Stelle  findet  sich  in  ihr  ein  kleines  Knochenstückchen, 
ein  Befund,  der  aus  solchen  Augen  längst^)  bekannt  ist. 

Im  vorderen  Bulbustheil  sind  Retina  und  Aderhaut  etwas 
besser  erhalten,  wenn  auch  besonders  die  erstere  stark  binde- 
gewebig verändert  und  in  Granulationsgewebe  eingeschlossen 
von  der  Aderhaut  abgelöst  ist.  Es  findet  sich  nach  vom  von 
der  Kapsel  des  Blasenwurms  noch  ein  schmaler,  dem  Glaskör- 
per entsprechender  Raum,  der  von  der  Linse  begrenzt  wird 
und  von  bindegewebigem,  gefässhaltigem  Granulationsgewebe 
vollkommen  ausgefüllt  ist.  Das  Gewebe  ist  in  starker  Schrum- 
pfung begriffen,  deren  Folgen  sich  an  den  angrenzenden  Thei- 
len  erkennen  lassen.    Ich  komme  darauf  noch  zurück. 

Das  die  Blase  einhüllende  und  umgebende  Gewebe  ist 
überall  von  Eiterkörperchen  durchsetzt.  Am  dichtesten  ist  die 
eitrige  Infiltration  in  der  nächsten  Umgebung  des  Entozoons 
und  streckenweise  so  dicht,  dass  die  Ghitinmembran  unmittel- 
bar an  eine  ziemlich  dicke  Eiterschicht  grenzt,  in  der  man 
kein  Zwischengewebe  zwischen  den  Eiterkörperchen  erkennt. 
Weiter  ab  von  der  Blase  ist  die  Ansammlung  von  Eiterkörper- 
chen nur  fleckweise  dichter,  im  Uebrigen  massig  stark,  diffus 
vertheilt  und  nach  der  Peripherie  zu  abnehmend.  Bemorkens- 
werth  ist,  dass  an  einer  Stelle  des  hinteren  Augenpols  die 
Entzündung  auf  die  Sclera  übergegriffen  hat    Durch  Schwund 


')  0.  Becker,  Atlas  der  patholog.  Topographie  des  Auges. 
S&misch,  Klin.  Monatsbl.  für  Augenheilk.  VIIl,  S.  170, 
Dolina,  Inaug.-Dlssert.  Königsberg  1889. 

9* 


132  A.  Wagenmann. 

der  Netzhaut  und  Aderhaut  liegt  daselbst  die  neugebildete, 
eitrig  durchsetzte  Kapsel  der  Innenfläche  der  Sclera  unmittel- 
bar auf.  Das  Scleralgewebe  ist  aufgelockert,  eitrig  infiltrirt 
und  macht  mehr&ch  einen  necrotischen  Eindruck.  Dolina 
beobachtete  in  seinem  zweiten  Fall  ein  ähnliches  Uebergreifen 
der  Entzündung  auf  die  Sclera. 

In  der  an  die  Chitinmembran  stossenden  Zone  findet  sich 
nun  ferner  meist  in  Eiter  eingeschlossen  eine  beträchtliche 
Anzahl  zum  Theil  auffallend  grosser  Riesenzellen  mit  körni- 
gem Protoplasma  und  zahlreichen  Kernen,  die  nur  in  verein- 
zelten Zellen  mehr  randständig,  im  übrigen  regellos  orientirt 
sind.  Mit  einer  Stelle  der  Oberfläche  berühren  die  Zellen  ge- 
wöhnlich die  Glashaut 

Der  Ton  dem  Cysticercus  nach  Torn  liegende  Abschnitt 
des  Auges  bietet  die  Zeichen  einer  plastischen,  zur  Schwarten- 
bildung führenden,  nicht  eitrigen  Iridocyclitis.  Die  Iris  ist 
verdickt,  sehr  zellenreich,  mit  der  vorderen  Linsenkapsel  ver- 
wachsen; der  Kammerwinkel  vertieft,  die  Pupille  durch  ein 
plastisches  Exsudat  verlegt.  Der  Ciliarkörper  ist  infiltrirt,  auf 
seiner  Innenseite  mit  schwartigen  Massen  bedeckt.  Er  ist  bis 
auf  seinen  vorderen  Ansatzpunkt  an  der  Comeoscleralgrenze 
von  der  Sclera  weit  abgelöst  und  nach  innen  gezogen;  das 
subciliare  und  subchorioideale  Gewebe  ist  dadurch  stark  aufge- 
lockert, mit  weiten  Hohlräumen,  die  geronnene  Eiweisssubstanz, 
Lymphzellen,  rothe  Blutkörperchen  und  neugebildetes  gefilss- 
haltiges  Bindegewebe  enthalten,  durchsetzt.  Die  die  Innenfläche 
des  Corpus  ciliare  überziehenden  schwartigen  Neubildungen  ge- 
hen nach  innen  und  vorn  in  das  den  Glaskörperraum  ausfül- 
lende, ähnlieh  beschaffene  Granulationsgewebe  über  und  ver- 
schmelzen nach  hinten  zu  mit  dem  Cysticercusbett.  Auch  dei* 
vordere  Theil  der  Aderhaut  ist  durch  Zug  von  innen  her  ab- 
gelöst. 

Beachtenswerth  ist,  dass  dicht  hinter  der  Pars  ciliaris 
retinae  die  schwartigen  Auflagerungen  von  dem  Pigmentepithel 
abgezogen  sind  und  zu  der  Bildung  eines  ringförmigen,  ziem- 
lich grossen,  stellenweise  1 — 2  mm  breiten  Hohlraums  Veran- 
lassung gegeben  haben,  der  mit  geronnener  Eiweisssubstanz  aus- 
gefüllt ist.  Die  Wand  der  Cyste  wird  mehrfach  vollständig 
von  Pigmentepithel  ausgekleidet.  Die  Retina,  die  hier  als  ein 
bindegewebiger  Strang  zu  erkennen  ist,  hat  dem  Zug  auch  fol- 
gen müssen  und  ist  nach  innen  gezogen. 

Ohne  Zweifel  ist  die  Entstehung  dieses  ringförmigen  Hohl- 


Ueber  das  Yorkommen  Ton  Riesenzellen  etc.  133 

ranmes  durch  den  von  innen  her  wirkenden  Zag  des  schmni- 
pfenden  Orannlationsgewebes  zn  erklären.  Einen  analogen  Be- 
fand hat  Dolina  in  seinem  zweiten  Fall  beschrieben. 

An  der  Linse  findet  sich  ein  grosser  Yorderkapselstaar 
von  gewöhnlichem  Aassehen  and  ausserdem  eine  Reihe  von 
Yer&nderangen,  die  mit  Sicherheit  eine  intra  vitam  bestandene 
Cataract  annehmen  lassen.  Das  Linsenepithel  reicht  fast  bis 
zum  hinteren  Pol  and  ist  auf  der  Hinterkapsel  vielfach  ge- 
wuchert Der  Kembogen  ist  anregelmässig  und  zeigt  eine  un- 
vollkommene Faserbildung.  Bläschenzellen  und  Eiweisskugeln 
liegen  in  der  Corticalis  za  Gruppen  beisammen,  und  daneben 
kommen  zahlreiche  kleine  Spalten  und  Lücken,  die  mit  Detri- 
tns  angefüllt  sind,  vor. 

Mehrfache  nach  verschiedenen  Methoden  vorgenommene 
Schnittförbangen  auf  Tuberkelbadllen  blieben  resultatlos,  ebenso 
die  wiederholt  ausgeführten  Schnittförbungen  auf  Kokken.  Die 
Untersuchung  auf  Kokken  war  durch  das  Yorkommen  von  Zer- 
fallsproducten  der  Zellkerne  erschwert,  die  sich  ebenfalls  als 
kleinste  Etlgelchen  darstellten,  aber  durch  ihr  ungleiches  Ka- 
liber nnd  ihre  meist  unregelmässige,  eckige  Form  von  Mikro- 
organismen unterschieden.  Unzweifelhafte  Kokken  habe  ich 
nirgends  au£zufinden  vermocht 

Die  Producte  der  entzündlichen  Processe  des  beschrie- 
benen Auges  sind  mannigfacher  Natur  und  bestehen  im 
Wesentlichsten  in  einer  ausgedehnten  Neubildung  eines  zum 
Theil  in  Bindegewebe  umgewandelten  Granulationsgewebes, 
femer  in  Eiterbildung,  die  in  der  nächsten  Umgebung  des 
Entozoons  am  hochgradigsten  ist  und  nach  der  Peripherie 
zu  abnimmt,  und  schliesslich  in  der  Bildung  von  Riesen- 
zellen, die  der  Ghitinmembran  anliegen. 

Meines  Erachtens  kann  kein  Zweifel  bestehen,  dass 
das  Entozoon  als  solches  im  Stande  ist,  eine  Entzündung 
im  Auge  hervorzurufen,  die  die  genannten  pathologisch- 
anatomischen Veränderungen  im  Gefolge  hat  Der  Cysti- 
cercus und  seine  Stoffwechselproducte  müssen  fiir  die  mensch- 
lichen Gewebe  entzündungserregende  Eigenschaften  besitzen. 

Was  nun  das  Vorkommen  von  Riesenzellen  in  der  Um- 
gebung der  Blase  anlangt,  so  kann  schon  durch  den  wieder- 


134  A.  Wagenmann. 

holten,  übereinstimmenden  Nachweis  derselben  als  gesichert 
gelten,  dass  sie  dorch  den  Cysticercus  hervorgerufen  wer- 
den. Es  scheint  übrigens  für  ihr  Auftreten  Bedingung  zu 
sein,  dass  schon  eine  Abkapselung  der  Blase  eingetreten 
ist  Der  Befund  hat  jetzt  nichts  befremdendes  mehr,  da  es 
als  feststehende  Thatsache  gelten  kann,  dass  die  mannig- 
fachsten Fremdkörper,  ohne  dass  Mikroorganismen  mit  im 
Spiele  sind,  zum  Entstehen  von  Riesenzellen  die  Veranlas- 
sung geben  können.  Ich  selbst  habe  zu  den  bekannten 
Erfahrungen  einen  neuen  Fall  von  pseudotuberkulöser  Ent- 
zündung durch  Raupenhaare  hervorgerufen  hinzugefügt  und 
habe  femer  Gelegenheit  gehabt,  die  Bedeutung  der  Riesen- 
zellen zur  Resorption  necrotischer  Massen  am  Kaninchen- 
augc  nach  Cauterisation  der  Papille  experimentell  zu  ver- 
folgen. 

Da  also  jetzt  als  gesichert  angesehen  werden  kann, 
dass  der  Cysticercus  zur  Bildung  von  Riesenzellen  Anlass 
giebt,  so  wird  man  der  Annahme  einer  Complication  mit 
bacillärer  Tuberkulose,  wie  es  der  v.  Schröder'sche  Fall 
zu  fordern  schien,  skeptischer  gegenüber  stehen.  Die  Mög- 
lichkeit, dass  in  einem  Auge,  in  dem  durch  den  Cysticercus 
ein  entzündlicher  Zustand  —  ein  Locus  ininoris  resistentiae 
—  geschaffen  und  unterhalten  wird,  sich  zufallig  im  Blut 
circulirende  Tuberkelbacillen  niederlassen  und  durch  ihr 
Wachsthum  das  Krankheitsbild  compliciren,  ist  a  priori  ja 
zuzugeben  und  steht  in  vollem  Einklang  mit  den  patholo- 
gischen Erfahrungen  z.B.  der  Chirurgie.  Zumal  wenn  der 
Patient  an  anderweitiger  Tuberkulose  litte,  hätte  die  An- 
nahme dieser  Complication  durchaus  nichts  unzulässiges. 
Man  muss  aber,  um  diese  Complication  beweisen  zu  können, 
noch  andere  Kriterien  als  das  Vorkommen  von  Riesenzellen 
und  Granulationsgewebe,  die  beide  durch  den  Cysticercus 
allein  ebenfalls  hervorgerufen  werden  können,  postuliren, 
sei  es  den  Nachweis  von  Tuberkelbacillen,  sei  es  die  mit 
positivem  Erfolg  angestellte  Ueberimpfung. 


Ueber  das  Vorkommen  von  Kiesenzellen  etc.  I35 

In  dem  v.  Schröder'schen  Fall  schien  die  Annahme, 
dass  eine  tuberkulöse  Entzündung  hinzugetreten  sei,  durch 
manche  Umstände  begründet.  Mir  ist  es  höchst  zweifel- 
haft, ob  wirklich  eine  derartige  Goincidenz  der  Processe 
Torlag.  Der  Nachweis  von  Tuberkelbadllen  fiel  negati?  aus, 
was  freilich  auf  die  Härtung  in  MüUer'scher  Flüssigkeit 
bezogen  wurde.  Ich  möchte  aber  glauben,  dass,  wenn  in 
dem  betre£fenden  Auge  eine  bacilläre  Tuberkulose  hinzu- 
getreten wäre,  man  sicher  auch  Bacillen  gefunden  haben 
würde,  da  der  Process  erst  kurze  Zeit  bestanden  haben 
konnte,  und  da  der  Gehalt  an  Bacillen,  wie  man  aus  dem 
zahlreichen  Vorkommen  der  Riesenzellen  schliessen  kann, 
ein  reichlicher  hätte  sein  müssen.  Wenn  auch  die  Mül- 
ler'sche  Flüssigkeit  die  Färbbarkeit  der  Bacillen  herab- 
setzt, so  haben  mich  doch  wiederholte,  eigene  Untersuchun- 
gen von  tuberkulösen  Augen,  die  Jahre  lang  in  Müller- 
scher Flüssigkeit  gelegen  haben,  gelehrt,  dass  man  trotz- 
dem Bacillen  nachweisen  kann,  so  lange  man  nur  ein  Auge 
vor  sidi  hat,  in  dem  der  tuberkulöse  Process  noch  im  flori- 
den  Stadium  sich  befand,  was  hier  jedenfalls  der  Fall  war. 

Der  Umstand  ferner,  dass  in  dem  y.  Schröder'schen 
Fall  der  Patient  ein  Jahr  später  an  acuter  Phthisis  pul- 
moniuu  zu  Grunde  ging,  scheint  in  der  That  die  Annahme 
einer  Complication  mit  Tuberkulöse  nahezulegen.  Aber  man 
darf  vielleicht  auch  darauf  kein  allzugrosses  Gewicht  legen, 
da  hervorgehoben  wird,  dass  der  Mann  bis  zu  seiner  acuten 
Erkrankung  vollkommen  gesund  war,  und  da  ^dererseits 
ang^eben  wird,  dass  er  nach  der  Operation  Diener  in 
einem  Hospital  geworden  ist.  Es  wäre  ja  denkbar,  dass 
der  bis  dahin  völlig  gesunde  Mann  sich  dort  erst  eine  In- 
fection  zugezogen  hätte.  Ungewöhnlich  bleibt,  dass  der 
Cysticercus  in  dem  Auge  abgestorben  und  zum  Theil  resor- 
birt  war.  Dieses  Verhalten  führt  v.  Schröder  auf  die  An- 
nahme des  Causalnezus,  dass  den  in  Folge  der  Tuberkulose 
massenhaft  aufgetretenen  Riesenzellen,   denen   eine   resor- 


136  A.  Wagenmann. 

birende  Eigenschaft  zukomme,  die  Blase  nicht  habe  wider- 
stehen können.  Ich  glaube,  dass  das  Zusammentreffen  von 
dem  Auftreten  massenhafter  Riesenzellen  und  dem  Abge- 
storbensein des  Entozoons  in  anderer  Weise  erklärt  wer- 
den könnte,  wenn  man  das  post  hoc  und  das  propter  hoc 
vertauschte,  und  wenn  man  annähme,  dass  der  Cysticercus, 
wie  es  auch  sonst  im  Körper  vorkonmit,  und  wie  es  auch 
im  Auge  schon  beobachtet  wurde,  spontan  abgestorben  wäre. 
Der  Cysticercus  ist  nicht  abgestorben,  weil  durch  den  tuber- 
kulösen Process  viele  Riesenzellen  aufgetreten  sind,  sondern 
die  Riesenzellen  sind  besonders  massenhaft  vorhanden,  weil 
der  abgestorbene  Cysticercus  zu  resorbiren  war. 

Ich  möchte  aus  den  genannten  Gründen  Bedenken  trar 
gen,  in  dem  v.  Sehr  öd  er 'sehen  Fall  eine  Complication  mit 
bacillärer  Tuberkulose  ohne  weiteres  anzunehmen,  möchte 
vielmehr  glauben,  dass  der  Cysticercus  spontan  abgestorben 
ist  und  dadurch  eine  reichliche  Wucherung  von  Riesen- 
zellen und  Granulationsgewebe  veranlasst  hat,  die  zu  einer 
Art  Resorption  desselben  führten.  Immerhin  bleibt  der  Fall 
höchst  merkwürdig  und  interessant  und  ist  bisher  in  seiner 
Art  ein  Unicum. 

Aehnlich  wie  mit  der  Annahme  einer  Complication  des 
Erankheitsprocesses  mit  Tuberkelbacillen  steht  es  auch  mit 
der  Annahme  der  Niederlassung  von  Kokken  in  solchen 
Augen.  Ich  glaube,  dass  der  Cysticercus  allein  im  Stande 
ist,  verschieden  intensive  Entzündung  hervorzurufen  und 
auch  die  Bildung  von  Eiter  zu  veranlassen.  Dass  der  Cysti- 
cercus überhaupt  entzündungserregend  wirke,  ist  stets  all- 
gemein angenommen;  fraglich  war  nur  geworden,  ob  man 
nicht  für  die  selteneren  Fälle,  in  denen  später  ein  entschie- 
den eitriger  Charakter  zu  bemerken  war,  eine  Complication 
mit  Mikroorganismen  postuliren  und  nach  ihr  suchen  sollte, 
zumal  ja  lange  Zeit  die  Ansicht  herrschte,  dass  es  keine 
Eiterung  ohne  Kokken  gäbe.  Es  handelt  sich  aber  meines 
Erachtens  bei  den  eitrigen  Fällen  nur  um  einen  höheren 


Ueber  das  Vorkommen  Ton  Riesenzellen  etc.  137 

Grad  der  Entzündung,  die  jedes  Entozoon  hervorzurafen 
im  Stande  ist.  Anatomisch  kann  man  schwerlich  die  Grenze 
ziehen,  wo  man  eine  eitrige  Entzündnng  annehmen  soll,  da 
eine  Auswanderung  von  Eiterkörperchen  auch  bei  weniger 
hochgradiger  Entzündung  nie  fehlt,  und  da  andererseits  in 
den  Fällen,  in  denen  man  mehr  eitriges  Exsudat  findet, 
auch  daneben  Veränderungen  geringgradiger  Entzündung 
vorhanden  sind.  Sowie  der  Cysticercus  im  Auge  auftritt, 
macht  sich  seine  entzündungserregende  Eigenschaft  geltend, 
als  deren  erstes  Zeichen  anfanglich  nur  die  Glaskörpertrü- 
bungen zu  erkennen  sind.  Bekanntlich  kann  das  Entozoon 
längere  Zeit  relativ  gut  vertragen  werden,  aber  schliesslich 
fuhrt  es  stets  zu  einer  Destruction  des  Auges  durch  schlei- 
chende Iridochorioiditis.  Die  Acuität  des  entzündlichen  Pro- 
cesses  nimmt  mit  der  Dauer  seines  Verweilens  entschieden 
stetig  zu  und  ist  von  einer  geringen  Ezsudation  in  den 
Glaskörper  bis  zu  einer  plastischen  Iridochorioiditis  mit 
Bildung  von  Granulationsgewebe  dauernd  progressiv.  In 
allen  Stadien  kann  man  gewisse  Grade  von  eitriger  Infil- 
tration nachweisen,  und  es  ist  bisher  noch  kein  Fall  anar 
tomisch  untersucht,  in  dem  die  Infiltration  der  Membranen 
ganz  gefehlt  hätte.  Es  ist  nun  kein  allzugrosser  Schritt 
weiter,  dass  eine  Schicht  reinen  Eiters  auftritt,  oder  dass 
mehr  Eiterkörperchen  in  die  vordere  Kammer  gelangen  und 
sich  als  Hypopyon  absetzen.  Zudem  möchte  ich  hervor- 
heben, dass  in  den  Fällen,  die  einen  mehr  eitrigen  Cha- 
rakter zur  Schau  trugen,  die  Eiterbildung  stets  eine  im  ge- 
wissen Sinne  beschränkte  zu  nennen  war.  Eine  progressive 
Eiterung  etwa  mit  Ausgang  in  Panophthalmitis  purulenta 
ist  dabei  nie  beobachtet  Und  femer  kommt  es,  was  Le- 
ber^) ausdrücklich  hervorhob,  nur  dann  zu  eitriger  Exsu- 
dation, wenn  der  Cysticercus  schon  einige  Zeit  im  Auge 
verweilt  hat. 


')  v.  Graefe's  Archiv  für  Ophthalm.  XXXII,  2,  8.  281. 


138  A.  Wagenmann. 

Man  wird  also,  wie  ich  glaube,  dem  Cysticercus  die 
Eigenschaft  zusprechen  müssen,  bei  längerem  Verbleiben 
im  Auge  die  Entzündung  so  zu  steigern,  dass  die  eitrige 
Infiltration  in  seiner  Umgebung  eine  überaus  dichte  wird. 
Ich  stehe  mit  meiner  Erklärung  auf  dem  Standpunkt,  den 
Leber  schon  im  Jahre  1881  auf  dem  internationalen  medi- 
cinischen  Congress  in  London^)  vertreten  hat,  indem  er 
darauf  hinwies,  dass  man  in  Anbetracht  der  unter  den  ob* 
waltenden  Verhältnissen  wenig  wahrscheinlichen  Microbien- 
betheiligung  zu  der  Annahme  kommen  müsse,  dass  die 
Entozoen  selbst  eine  entzündungserregende  Substanz  abson- 
dern. 

Der  Erklärung  des  constant  progressiven  Charakters 
der  Entzündung  kann  man  nur  vermuthungsweise  näher 
treten.  Als  Ursache  dafür  würde  man  vor  allem  zwei  Punkte 
anführen  können,  erstens,  dass  die  schädlichen  Substanzen 
mit  dem  Wachsthum  des  Entozoons  in  grösserer  Masse  pro- 
ducirt  werden,  und  zweitens,  dass  dieselben  bei  längerem 
Verweilen  des  Wurms  im  Auge  in  höherer  Concentration 
einwirken  werden,  da  die  Diffundirbarkeit  der  Gewebe  durch 
die  entzündlichen  Processe  wohl  abnimmt.  Wenn  das  Ento- 
zoon  z.B.  in  den  Glaskörper  eines  intacten  Auges  gelangt, 
80  werden  bei  gleichbleibender  Production  der  schädlichen 
Stoffe  anfangs  dieselben  viel  weniger  intensiv  auf  die  Ge- 
webe einwirken  können,  da  sie  sich  in  den  normalen  Ge- 
weben gleichmässig  nach  allen  Seiten  verbreiten  und  fort- 
geführt werden.  Es  wird  daher  anfangs  das  entzündung&- 
erregende  Agens  nur  eine  geringe  Concentration  besitzen, 
was  in  der  anfänglich  nur  geringfügigen  exsudativen  Ent- 
zündung zum  Ausdruck  kommt.  Sowie  aber  die  Entzün- 
dung einsetzt,  wird  auch  die  Vertheilung  und  Abfuhr  des 
Agens  erschwert,  und  je  mehr  sie  zunimmt,  desto  conoen- 
trirter  wird  die  schädliche  Substanz  im  Auge  festgehalten. 


^)  Transact.  of  the  intern,  med.  Congr.  YII.  Ses.  London  1881. 


Ueber  das  Vorkommen  von  Biesenzellen  etc.  139 

Es  mus8  also,  wie  ioh  yermüthe,  Hand  in  Hand  mit  der 
Zunahme  der  Entzündung  eine  Abnahme  des  Diffusions- 
coef&cienten  der  Gewebe  und  damit  eine  Zunahme  der  Gon- 
Centration  der  schädlichen  Stoffe  stattfinden,  als  deren  Folge 
wieder  eine  Steigerung  der  Entzündung  eintritt,  die  in  der 
nächsten  Umgebung  des  Entozoons  am  stärksten  sein  wird 
und  nach  der  Peripherie  abnimmt.  Dass  der  Cysticercus 
durch  Diffusion  gewisser  Stoffe  reizend  wirkt,  beweisen  die 
frühzeitig  auftretenden  Glaskörpertrübungen  und  Glaskör^ 
perverdichtungen,  sowie  die  zuweilen  zu  beobachtende  früh- 
zeitige Reizung  der  Iris  bei  weit  entferntem  Sitz.  Die  bei 
Cysticercus  typische  membranöse  und  coulissenartige,  oft 
deutlich  geschichtete  Form  der  Glaskörpertrübungen  scheint 
mir  dafür  zu  sprechen,  dass  ein  nach  allen  Seiten  gleich- 
massig  wirkender  Beiz  von  der  Blase  ausgeht 

Vorwiegend  wohl  aus  den  beiden  genannten  Gründen 
liessen  sich  die  Zunahme  der  Entzündung  mit  der  Dauer 
des  Verbleibens  im  Auge  erklären.  Als  drittes  wäre  noch 
möglich,  dass  die  Stoffe  zu  verschiedener  Zeit  eine  yerschie- 
dene  chemische  Zusammensetzung  besässen,  was  auch  leicht 
yerständlich  wäre  schon  aus  dem  Grund,  weil  die  Emäh- 
rungsbedingungen  des  Entozoons,  sowie  die  Entzündung  ein- 
getreten ist,  sich  ja  auch  ändern. 

Dass  die  Entzündung  übrigens  nicht  immer  einen  eitri- 
gen Charakter  annimmt,  kann  unter  anderem  daran  liegen, 
dass  die  Augen,  bevor  das  Stadium  erreicht  ist,  entfernt 
werden,  sowie  daran,  dass  die  irritative  Beschaffenheit  des 
Entozoons  später  wieder  abnimmt,  da  es  bekanntlich  viel- 
fach in  einen  Zustand  von  Inactivität  verfällt,  in  dem  es 
nur  eine  vita  minima  führt,  auf  deren  Erklärung  ich  mich 
hier  nicht  weiter  einlassen  will. 

Für  die  Annahme,  dass  der  Cysticercus  als  solcher  die 
Entzündungen  im  Auge,  deren  Grad  wechseln  kann,  hervor- 
ruft, spricht,  wie  mehrfach,  besonders  von  Leber,  hervor- 
gehoben wurde,  der  Umstand,  dass  die  Entzündung  nach 


140  A.  Wagenmann. 

aseptisch  gelungener  Extraction  des  Entozoons  spontan  zu- 
rückgeht, und  femer  der  Umstand,  dass  bisher  noch  nie- 
mals eine  sympathische  Entzündung  am  anderen  Auge  be- 
obachtet worden  ist  Wenn  Dolina^)  als  einzige  Beobach- 
tung einer  sympathischen  Ophthalmie  den  Jacobson'schen 
Fall*)  anfuhrt,  so  ist  dem  entgegen  zu  halten,  dass  es  sich 
dabei  kaum  um  eine  solche  gehandelt  haben  -wird,  da  Ja- 
cobson nur  von  einer  cfympathischen  Amblyopie  spricht^ 
woraus  auf  eine  sympathische  Reizung  und  nicht  auf  eine 
sympathische  Entzündung  zu  schliessen  ist 

Der  von  mir  mitgetheilte  Fall,  bei  dem  der  Cysticercus 
über  drei  Jahre  in  dem  Auge  verweilt  hatte,  gehört  klinisch 
wie  anatomisch  entschieden  zu  den  Fällen,  in  denen  eine 
eitrige  Entzündung  hinzutritt,  da  anatomisch  neben  Pro- 
ducten  einer  mehr  plastischen,  granulirenden  Entzündung 
auch  rein  eitrige  Exsudatschichten  in  der  nächsten  Umge- 
bung der  Blase  vorhanden  sind.  Schon  die  anatomische  Lage 
der  Entzündungsproducte  spricht  für  die  angegebene  Auf- 
fassung des  Processes.  Von  dem  klinischen  Erankheitsbild 
sind  die  äusserst  lebhaften  entzündlichen  Symptome,  die 
starke  Druckempfindlichkeit  der  Ciliargegend  und  der  gelbe 
Reflex  aus  der  Tiefe  beachtenswert. 

Mikroorganismen  in  dem  Auge  nachzuweisen,  gelang 
mir  nicht  Dieses  negative  Resultat,  sowie  das  Vorkommen 
der  Riesenzellen  in  dem  Eiter  bestärken  mich  in  der  An- 
nahme, dass  in  dem  von  mir  untersuchten  Auge  die  allei- 
nige, unmittelbare  Wirkung  des  Entozoons  sich  geltend  ge- 
macht hat,  und  dass  sämmtliche  entzündlichen  Processe 
und  Producte  allein  auf  die  entzündungserregende  Eigen- 
schaft desselben  zurückzuführen  sind.  Auf  der  andere^ 
Seite  ist  die  Möglichkeit  nicht  abzustreiten,  dass  in  einem 


")  1.  c. 

«)  V.  Graefe's  Archiv  fOr  Opbtbalm.  XI,  2,  S.  162. 


Ueber  das  Vorkommen  von  Riesenzellen  etc.  141 

derartig  erkrankten  Auge  eine  eitrige  Entzündung,  die  durch 
später  eingewanderte  Mikrobien  veranlasst  wird,  das  Krank- 
heitsbild complicirt.  Und  zwar  müsste  man  sich,  wie  Le- 
ber ausführte,  vorstellen,  dass  zufällig  im  Blut  circulirende 
Kokken  sich  in  dem  geschädigten  Gewebe  niederliessen. 
Soll  man  eine  solche  Complication  annehmen,  so  müssen 
die  Kokken  unzweifelhaft  nachgewiesen  werden.  Das  blosse 
Vorhandensein  von  Eiter  genügt  keineswegs,  auf  eine  mi- 
krobische Natur  der  Entzündung  zurückzugreifen. 

Anders  läge  allerdings  die  Frage,  wenn  in  einem  Fall 
von  intraocularem  Cysticercus  keine  im  gewissen  Sinn  be- 
schränkte, sondern  eine  progressive  Eiterung  aufträte,  oder 
wenn  eine  Eiterung  sofort  nach  dem  Eindringen  des  Ento- 
zoons  ins  Auge  einsetzte,  oder  wenn  beides  der  Fall  wäre. 
Dann  würde  man  mit  vollem  Recht  an  eine  mikrobische 
Pathogenese  denken  müssen.  Ein  derartiger  Fall  ist  aber 
bisher  noch  nicht  beobachtet  worden. 

Von  den  bisherigen  Untersuchungen  auf  Mikroorganis- 
men in  dem  Exsudat  um  den  Cysticercus  liegen  zwei  posi- 
tive Befunde  vor.  Baumgarten  ^)  konnte  in  einem  nach 
vergeblich  versuchter  Eztraction  enucleirten  Auge  in  dem 
die  Cyste  umgebenden  Granulationsgewebe  Mikroorganismen 
in  geringer  Zahl  nachweisen,  während  sie  in  der  Narbe 
nicht  zu  finden  waren.  Doch  ist  dieser  Befund  für  die  An- 
nahme einer  endogenen  Infection  nicht  beweiskräftig,  da 
der  Bulbus  erö£Enet  war,  und  dabei  Kokken  in  die  Tiefe 
gekommen  sein  konnten.  Die  andere  Beobachtung  rührt 
von  Deutschmann*)  her,  der  weissen  und  gelben  Staphy- 
lococcus  pyogenes  aus  dem  einen  intraocularen  Cysticercus 
umgebenden,  gelblich  infiltrirten  Gewebe  züchtete.  Leber*) 
spricht  sich  in  seiner  Arbeit  über  „Cysticercusextraction  und 
Cysticercusentzündung^  über  diese  vereinzelte  Beobachtung 

»)  Archiv  für  Augenheilk.  XV,  3. 

'}  Neuritis  optica.   Jena  1887.   Ophthalm.  suigrator  1889.  S.  93. 

■)  V.  Graefe's  Arch.  für  Ophthalm.  XXXII,  2,  S.  281. 


142    A.  Wagenmann,  Ueber  das  Vorkommen  von  Riesenzellen  etc. 

dahin  aus,  dass  er  sie,  bis  weitere  Erfahrungen  vorliegen, 
mit  Reserve  aufnehmen  möchte,  weil  die  anatomische  Un- 
tersuchung des  den  Cysticercus  einhüjlenden  Gewebes  in 
diesem  Fall  nur  Bindegewebsproliferation  und  nichts  von 
Eiter  nachweissen  liess.  Gesetzt  auch,  die  Deutschmann- 
sehe  Beobachtung  wäre  unanfechtbar  und  richtig,  so  ist 
mir  doch  sehr  fraglich,  ob  dieses  Zusammentreffen  von 
Cysticercus  und  Kokkeninfection  häufiger  vorkommt  und  so- 
gar durchaus  unwahrscheinlich  im  Hinblick  darauf,  dass 
auch  sonst  solche  endogene  Eiterungen,  soweit  es  sich  nicht 
um  offenkundige  Metastasen  bei  infectiösen  Processen  im 
Körper  handelt,  trotz  der  mannigfachen  chronischen  Pro- 
cesse,  die  sich  im  Auge  abspielen,  so  gut  wie  nie  beobach- 
tet sind.  Weshalb  sollte  der  intraoculare  Cysticercus  eine 
Ausnahme  machen? 


Zur  Anatomie  der  Pinguecula. 

Ton 

Professor  E.  Fuchs 
in  Wien. 

Hierzu  Taf.  IV  und  V,  Fig.  1-16. 


Durch  eifriges  Sammeln  im  Secirsaale  war  ich  alhnälig 
zu  einer  Anzahl  von  Augäpfeln  gelangt,  welche  mit  typi- 
schen Fliigelfellen  in  verschiedenen  Stadien  der  Entwicke- 
lang behaftet  waren.  Dieses  werthvolle  Material  veranlasste 
mich  zur  genaueren  anatomischen  Untersuchung  des  Flügel- 
fells, mit  welcher  eine  eingehende  klinische  Beobachtung 
der  vorkommenden  Fälle  Hand  in  Hand  ging.  Aus  beiden 
Arten  der  Untersuchung  gewann  ich  bald  die  Ueberzeugung, 
dass  das  Flügelfell  aus  der  Pinguecula  sich  entwickle  und 
dass  eine  genaue  Kenntniss  dieser  die  unerlässliche  Grund- 
lage für  das  Yerständniss  des  Flügelfelles  bilde.  Ich  schicke 
deshalb  den  später  zu  veröffentlichen  Studien  über  das 
Flügelfell  die  vorliegenden  Untersuchungen  über  die  Pin- 
guecula voraus. 

Die  Pinguecula  oder  der  Lidspaltenfleck  hat  bis  in  die 
jüngste  Zeit  keine  eingehende  Bearbeitung  erfahren.  Die 
meisten  Autoren  äussern  sich  daher  nur  ganz  kurz  über 
dessen  histologische  Beschaffenheit.  Weller*)  war  nach 
Saemisch  der  erste,  welcher  nachwies,  dass  dem  Lidspal- 


^)  Die  Krankheiten  des  menschlichen  Auges.  Berlin  1822.  S.  132. 


144  £.  Fuchs. 

tenflecke  nicht  die  EntwickeluDg  von  Fettgewebe  zu  Grunde 
liege,  wie  man  dies  bis  dahin  geglaubt  hatte.  Saemisch^) 
fügt  hinzu,  dass  man  bei  der  Pinguecula  eine  Verdickung 
des  Epithels,  eine  Bindegewebsentwickelung  in  der  submu- 
cösen  Schichte  und  endlich  Obliteration  eines  Theiles  der 
Blutgefässe  beobachte.  Die  nachfolgenden  Autoren,  welche 
sich  über  die  histologische  Beschaffenheit  der  Pinguecula 
äussern,  betonen  bald  mehr  die  Verdickung  des  Epithels 
(Robin,  Alt),  bald  mehr  die  Vermehrung  und  Verdichtung 
des  unterliegenden  Bindegewebes  (Seitz,  Wedl  und  Bock). 
Von  anderweitigen  Veränderungen  erwähnen  die  beiden  zu- 
letzt genannten  Autoren*)  auch  die  Bildung  Ton  Körnchen 
gelben  Pigments.  Michel')  sagt,  dass  „auch  eine  Zunahme 
der  elastischen  Fasern  vorhanden  sein  und  di^  Tunica  pro- 
pria  mit  einer  coUoiden  Substanz  infiltrirt  sein  soll". 

Ausführliche  Befunde  liegen  aus  der  jüngsten  Zeit  von 
Vassaux  und  von  Gallenga  vor.  Vassaux^)  fand,  wie 
auch  schon  vor  ihm  Wedl  und  Bock  angegeben  hatten, 
nicht  eine  Verdickung,  sondern  eine  Verdünnung  der  Epi- 
thelschichtc,  welche  theilweise  verhornt  war.  Die  Schleim- 
haut selbst  war  in  ihren  mittleren  und  tiefen  Schichten 
von  einer  hell  durchscheinenden,  feinkörnigen  Substanz  in- 
filtrirt, welche  von  colloider  Beschaffenheit  war,  ohne  die 
chemischen  Eigenschaften  der  amyloiden  Substanz  zu  zeigen. 

Gallenga'^)  giebt  zunächst,  im  Gegensatze  zu  Sae- 
misch,  aber  entsprechend  den  thatsächlichen  Verhältnissen, 
an,  dass  die  Pinguecula  auf  der  nasalen  Seite  häufiger  und 
besser  entwickelt  sei  als 'auf  der  temporalen.    Zur  histolo- 


^)  Handbach  der  Augenheilkande ,  herausgeg.  yon  Graefe  und 
Saemisch.   IV.  Band.    S.  145. 

*)  Wedl  und  Bock,  pathologische  Anatomie  des  Auges.   S.  59. 

')  Lehrbuch  der  Augenheilkunde.    1890.   S.  196. 

«)  Comptes  rendus  de  la  Soci^t^  de  Biologie  1886.   S.  432. 

^)  Giomale  della  R.  Accademia  di  Medicina.  Torino  1888,  Nr.  4 
und  5. 


Zar  Anatomie  der  Pingaecola.  145 

gischen  Untersachung  dienten  Stückchen  von  Bindehaut  mit 
Pinguecula,  welche  aus  dem  Bindehautsacke  lebender  Pa- 
tienten excidirt  worden  waren.  Nach  diesen  Untersuchun- 
gen findet  Gallenga  das  Epithel  über  der  Pinguecula  ver- 
dickt»  oft  aufs  drei-  bis  yierfache  seiner  normalen  Dicke, 
und  in  den  oberflächlichen  Schichten  verhornt  Die  tieferen 
Zellenlagen  des  Epithels  enthalten  regelmässig  gelbliches 
Pigment»  welchem  hauptsächlich  die  Farbe  der  Pinguecula 
zuzuschreiben  ist  Allerdings  kommt  auch  im  darunterlie- 
genden Bindegewebe  zuweilen  etwas  gelbes  Pigment  vor, 
doch  im  Verhältnisse  zum  epithelialen  Pigment  stets  in 
untergeordneter  Menge.  —  Unter  dem  Epithel  folgen  feine 
Bindegewebsfasern,  welche  sich  mit  einer  stark  welligen, 
manchmal  geradezu  papillären  Oberfläche  gegen  das  Epithel 
abgrenzen.  Die  Blutgefässe  und  Kerne  sind  in  diesem  Ge- 
webe spärlich,  elastische  Fasern  dagegen  reichlich  vorhan- 
den; desgleichen  finden  sich  auch  locale  Anhäufungen  von 
Rundzellen.  Etwa  in  der  Mitte  der  Oberfläche  der  Pingue- 
cula befindet  sich  eine  Oeffnung,  welche  in  einen  Ganal 
führt.  Derselbe  verläuft  ungefähr  parallel  der  Oberfläche 
der  Bindehaut  und  ist  von  Pflasterepithel  ausgekleidet.  Er 
wird  nach  der  Tiefe  hin  weiter  und  hatte  in  einem  Falle 
die  Lfänge  von  6 — 7  mm. 

Meine  eigenen  Untersuchungen  über  die  Pinguecula 
haben  mich  zu  Ergebnissen  gefährt,  welche  zum  guten  Theile 
von  den  soeben  mitgetheilten  Angaben  abweichen.  Der  Lid- 
spaltenfleck  gehört  zu  den  senilen  Veränderungen  des  Au- 
ges, ist  aber  in  Bezug  auf  sein  Vorkommen  noch  grösseren 
Schwankungen  unterworfen  als  die  meisten  anderen  senilen 
Veränderungen  des  Augapfels.  Man  vermisst  ihn  oft  bei 
sehr  bejahrten  Individuen  oder  findet  ihn  bei  verhältniss- 
mässig  jungen.  Der  ausgebildeten  gelben  Pinguecula  geht 
eine  Verdickung  der  Bindehaut  an  derselben  Stelle  voraus, 
welche  schon  jaJirelang  vorhanden  ist,  ohne  bemerkt  zu 
werden,  weil  sie  ungefärbt  und  daher  nicht  sichtbar  ist 

T.  Gnefe's  Axchir  fOr  Ophthalmologie.  XXXVII.  3.  10 


146  E.  Fachs. 

Das  jüngste  Individuum,  bei  welchem  ich  diese  Verdickung 
feststellen  konnte,  war  ein  fünfzehnjähriger  Junge.  Derselbe 
hatte  am  linken  Auge  durch  eine  kleine  Verletzung  eine 
ausgedehnte  blutige  Suffusion  der  Conjunctiva  bulbi  be- 
kommen. Auf  dem  dunklen  Roth  der  subconjunctivalen 
Ecchymose  hob  sich  nun  eine  dreieckige  weissliche  Ver- 
dickung der  Bindehaut  nächst  dem  inneren  Hornhaut* 
rande  aufs  deutlichste  ab,  wie  man  dies  ja  bei  der  fertigen 
Pinguecula  unter  ähnlichen  Verhältnissen  so  oft  sieht.  Am 
anderen  Auge,  wo  ohne  Zweifel  dieselbe  Verdickung  der 
Bindehaut  bereits  vorhanden  war,  aber  der  rothe  Grund 
fehlte,  war  dieselbe  weder  mit  freiem  Auge,  noch  mit  der 
Lupe  aufzufinden.  —  Es  scheint  also,  dass  die  Veränderun- 
gen der  Bindehaut  im  Bezirke  der  Lidspalte,  welche  mit 
der  Bildung  der  Pinguecula  endigen,  in  manchen  Fällen 
schon  sehr  frühzeitig  beginnen. 

Die  Pinguecula  ist  fast  immer  am  inneren  Homhaut- 
rande  grösser  und  deutlicher  als  am  äusseren.  Nicht  selten 
trifft  man  Fälle,  wo  überhaupt  nur  am  inneren  Hornhaut- 
rande  der  Lidspaltenfleck  nachzuweisen  ist,  indem  er  sich 
am  äusseren  Hornhautrande  noch  nicht  hinreichend  ent- 
wickelt hat,  um  makroskopisch  erkennbar  zu  sein.  Ich  hebe 
diesen  Umstand  hervor  mit  Rücksicht  auf  das  Flügelfell, 
von  welchem  wir  wissen,  dass  es  sich  stets  zuerst  am  inne- 
ren Homhautrande  entwickelt,  und  erst  später,  wenn  über- 
haupt, ein  solches  auch  an  der  äusseren  Seite  der  Horn- 
haut sich  bildet  Fälle,  wo  der  Lidspaltenfleck  an  der 
äusseren  Seite  der  Hornhaut  stärker  entwickelt  ist  als  an 
der  inneren,  kommen  zwar  vor,  sind  aber  selten. 

Die  Pinguecula  bildet  ein  Dreieck,  dessen  Basis  sich 
dem  Homhautrande  anschmiegt  Die  Lage  des  Dreieckes 
entspricht  mehr  der  unteren  als  der  oberen  Hälfte  der 
Hornhaut;  es  wird  durch  den  horizontalen  Meridian  der 
Hornhaut  nicht  halbirt,  sondern  liegt  zum  grössten  Theile 
unterhalb  dieses  Meridians,  nur  zum  kleineren  Theile  ober- 


Zur  Anatomie  der  Pinguecnla.  147 

halb  desselben  (Tafel  IV,  Fig.  1).  Es  giebt  Fälle,  wo  eine 
Pinguecula  so  weit  nach  abwärts  gerückt  ist,  dass  sie 
den  unteren  Homhautrand  zu  beiden  Seiten  flankirt.  Auch 
bei  höherer  Lage  der  Pinguecula  verlängert  sich  die  Basis 
derselben  sehr  häufig  noch  beträchtlich  entlang  dem  un- 
teren Hornhautrande,  ja  es  kann  sich  längs  dieses  Randes 
eine  gelbliche  Verdickung  der  Bindehaut  von  der  Pingue- 
cula der  inneren  bis  zur  Pinguecula  der  äusseren  Seite 
hinüberziehen  und  diese  beiden  in  Verbindung  setzen  (Fig.l). 
Man  findet  dann  die  ganze  untere  Hälfte  der  Hornhaut 
von  entarteter,  d.  h.  gelblicher  und  verdickter  Bindehaut 
begrenzt.  —  Längs  des  oberen  Hornhautrandes  habe  ich 
eine  ähnliche  Veränderung  der  Bindehaut  niemals  gesehen. 
Dieselbe  Lagerung  zur  Hornhaut  und  zu  deren  horizon- 
talem Meridian,  wie  sie  der  Pinguecula  zukommt,  findet  sich 
auch  beim  Flügelfell,  und  bei  der  gürtelförmigen  (bandför- 
migen) Hornhauttrübung.  In  allen  drei  Fällen  hat  sie  die- 
selbe Ursache,  indem  sie  nämlich  dem  Lidspaltenbezirke 
des  Bulbus  entspricht.  Die  Weite  der  Lidspalte  und  deren 
Lage  zum  Bulbus  bleiben  nicht  immer  gleich.  Sie  sind  an- 
ders bei  ruhig  geöffnetem  Auge  und  wieder  anders,  wenn 
wir  z.  B.  gegen  Sturm  und  Regen  gehen.  Im  letzteren  Falle 
kneifen  wir  die  Lider,  um  den  Bulbus  zu  schützen,  so  weit 
zusammen,  als  es  angeht,  ohne  das  Sehen  zu  hindern.  Wir 
ziehen  das  obere  Lid  so  weit  herab,  dass  sein  freier  Rand 
ungefähr  dem  oberen  Rande  der  Pupille  entspricht,  und  wir 
heben  das  untere  Lid,  so  dass  es  den  unteren  Rand  der 
Hornhaut  bedeckt.  Bei  dieser  Gestaltung  der  Lidspalte 
bleibt  zu  beiden  Seiten  der  Hornhaut  nur  ein  kleiner  drei- 
eckiger Bezirk  der  Bulbusbindehaut  von  den  Lidern  unbe- 
deckt, welcher  mehr  der  unteren  Hälfte  der  Hornhaut  ent- 
spricht und  in  welchem  sich  eben  der  Lidspaltenfleck  ent- 
wickelt Dieser  wird  ja  ohne  Zweifel  durch  Unbilden  der 
Witterung,  durch  Rauch,  Staub  u.  s.  w.  verursacht,  welche 
die  Bindehaut  des  Augapfels  treffen,  und  er  bildet  sich  da- 

10* 


148  E.  Fachs. 

her  nur  in  jenem  Bezirke  der  Bindehaut,  welcher  diesen 
Schädlichkeiten  unter  allen  Umständen  ausgesetzt  bleibt 

Der  Lidspaltenfleck  überschreitet  seinen  gewöhnlichen 
Standort  nicht  selten  dadurch,  dass  er  sich  weiter  in  den 
Limbus  erstreckt  und  denselben  gleichsam  ein  wenig  in  die 
durchsichtige  Hornhaut  hinein  vordrängt  Der  Limbus  ist 
an  dieser  Stelle  verdickt  gewulstet,  von  gallertartig  durch- 
scheinendem Aussehen  oder  von  denselben  gelben  Fleckchen 
eingenommen,  welche  die  Pinguecula  selbst  zusammensetzen. 
Solche  Fälle  bilden  den  Uebergang  zum  Flügelfell  und  wer- 
den deshalb  gleichzeitig  mit  diesem  genauer  erörtert  werden. 

Betrachten  wir  nun  die  Pinguecula  im  Ganzen  genauer, 
entweder  am  Lebenden  mit  einer  starken  Lupe,  oder  am 
Präparate  bei  schwacher  Yergrösserung,  z.  B.  unter  einem 
Präparir-Mikroskope.  Die  Fig.  1  zeigt  ein  solches  Präparat, 
welches  man  herstellt,  indem  man  die  Bindehaut  des  Bul- 
bus abpräparirt  und  in  Gljcerin  auf  einem  grossen  Object- 
träger  ausbreitet  Man  bemerkt  dass  die  Pinguecula  nicht 
gleichmässig  gelb  ist  sondern  aus  einer  grösseren  Zahl  gel- 
ber Fleckchen  sich  zusstfnmensetzt.  Dieselben  sind  von  un- 
regelmässiger Form,  nicht  scharf  abgegrenzt  und  hängen 
vielfach  untereinander  zusammen,  während  sie  andererseits 
wieder  durch  helle  Zwischenräume  von  einander  getrennt 
sind.  Nur  ausnahmsweise  sieht  man  auch  einzelne  isolirte, 
scharf  begrenzte  runde  Fleckchen  (Fig.  1  bei  a).  Sehr  häufig 
sind  die  grössten  und  dunkelsten  Flecken  an  den  beiden 
langen  Seiten  des  Dreiecks,  welches  die  Pinguecula  bildet 
gelegen,  so  dass  die  mittleren  Theile  der  Pinguecula  dün- 
ner und  heller  erschemen.  Die  gelbgraue  Verdickung,  welche 
sich  zuweilen  als  Fortsetzung  der  Pinguecula  am  unteren 
Homhautrande  findet,  lässt  gewöhnlich  eine  deutliche  rar 
diäre  Streifung  erkennen,  indem  sich  die  Verdickung  der 
Bindehaut  vorzüglich  an  die  grösseren  Blutgefässe  hält 
welche  in  radiärer  Richtung  dem  Limbus  zustreben.  — 
Beim  Abpräpariren  der  Bindehaut  von  der  Sdera  behufs 


Zar  Anatomie  der  Pingaecula.  149 

Herstellung  eines  solchto  Präparates  überzeugt  man  sich, 
dass  die  gelben  Flecken  der  Pinguecula  kleinen  Läppchen 
von  abgeplatteter  Form  entsprechen.  Dieselben  liegen  unter 
der  Bindehaut,  haften  aber  deren  unterer  Fläche  innig  au, 
so  dass  der  grösste  Theil  derselben  beim  Abpräpariren 
der  Bindehaut  dieser  folgt,  während  einige  wenige,  tiefer 
gelegene  Läppchen  auf  der  Sdera  zurückbleiben. 

Zum  genaueren  Studium  der  Pinguecula  wurden  so- 
wohl Flächenpräparate  als  Schnitte  benützt.  Die  erstereu 
stellte  ich  her,  indem  ich  die  Bindehaut  eines  Bulbus,  wel- 
cher eine  deutliche  Pinguecula  besass,  im  Ganzen  abpräpa- 
rirte.  Dieselbe  wurde  dann  in  toto  mit  Hämatoxylin  stark 
gefärbt  und  dann  in  salzsäurehaltigem  Alkohol  so  weit  wie- 
der entfärbt,  dass  eine  im  Ganzen  schwache  Färbung  bei 
guter  Differenzirung  zurückblieb.  Dies  gestattete  zunächst, 
an  der  ausgebreiteten  Bindehaut  die  Pinguecula  im  Ganzen 
zu  studiren^).  Wenn  dies  geschehen  war,  wurden  die  ein- 
zelnen Schichten  der  Bindehaut,  die  Läppchen  der  Pingue- 
cula u.  s.  w.  durch  Präparation  isolirt,  weiter  zerzupft  und 
mit  yerschiedenen  Reagentien  und  Tinctionsmitteln  behan- 
delt, um  ihre  feinere  Structur  zu  erkennen.  Diese  Art  der 
Untersuchung  wurde  dann  durch  das  Studium  von  Schnit- 
ten ergänzt,  welche  in  meridionaler  Richtung  durch  die 
Pinguecula  gefuhrt  wurden.  Ich  benützte  hierzu  nicht  ab- 
getragene Stücke  der  Bindehaut  (excidirte  Lidspaltenflecke), 
sondern  die  Bindehaut  im  Zusammenhang  mit  der  unter- 
liegenden Sclera,  so  dass  die  natürliche  Lagerung  der  Tbeile 


*)  Zu  diesem  Zwecke  moss  vorher  das  Bindebaatepithel  abge- 
schabt werden,  weil  dasselbe  sich  sehr  stark  tingirt  und  daher  die 
tieferen  Schichten  yerballt.  Die  etwas  umständliche  und  mQbsame 
Entfernong  des  Epithels  kann  man  sich  sehr  erleichtern,  wenn  man 
das  frische  Auge  Yorher  fttr  mehrere  Tage  in  verdOnntem  Alkohol 
(1  Theil  Alkohol  auf  2  TheUe  Wasser)  legt,  wodurch  eine  Macera- 
tion  des  Epithels  eintritt,  ohne  dass  das  übrige  Gewebe  zerfallen 
wttrde. 


150  E-  Fuchs. 

erhalten  blieb.  Es  wurde  der  die  Pinguecula  tragende  Tbeil 
des  vorderen  Bulbusabschnittes  in  Celloidin  eingebettet  und 
in  Serienscbnitte  zerlegt,  welche  nach  verschiedenen  Metho- 
den gefärbt  wurden.  Für  die  Anfertigung  der  Schnittprä- 
parate bin  ich  den  Herren  Dr.  Müller  und  Dr.  Berard  zu 
Danke  verpflichtet,  für  die  Abbildungen  zu  dieser  Arbeit 
dem  Assistenten  meiner  Klinik,  Herrn  Dr.  Salzmann.  Die 
Zahl  der  genau  durchgearbeiteten  Lidspaltenflecke  beträgt 
über  zwanzig. 

Betrachten  wir  zuerst  die  Ergebnisse,  welche  die  Iso- 
lirung  der  einzelnen  Theile  der  Pinguecula  durch  Zerzupfen 
lieferte.  Dieselbe  liess  als  die  wichtigsten  Veränderungen 
der  Bindehaut  erkennen:  die  Ablagerung  einer  amorphen 
hyalinen  Substanz,  die  hyaline  Degeneration  der  Bindege- 
websfasern in  der  Bindehaut  und  in  der  Sclera,  die  Ent- 
Wickelung  und  Yergrösserung  elastischer  Fasern  und  end- 
lich die  Bildung  von  Concrementen. 

1.  Ablagerung  einer  amorphen  hyalinen  Sub- 
stanz. Dieselbe  scheidet  sich  hauptsächlich  in  den  ober- 
flächlichen Schichten  der  Bindehaut  aus,  und  zwar  zuerst 
in  Form  feinster  Körnchen  (Fig.  2  a).  Dieselben  liegen  nicht 
innerhalb  der  Gewebszellen,  sondern  frei  auf  den  Binde- 
gewebsfasern (Fig.  2d),  so  dass  diese  wie  von  einer  Schichte 
feinen  Staubes  bedeckt  aussehen.  Später  werden  die  Köm- 
chen grösser,  so  dass  man  ihre  Form  besser  zu  erkennen 
vermag;  dieselbe  ist  unregelmässig  eckig  (Fig.  2b,  Fig.  3a). 
Die  grösseren  Kömchen  backen  dann  untereinander  zusam- 
men, so  dass  Schollen  entstehen,  welche  aber  noch  deut- 
lich ihren  Zusammenhang  aus  einzelnen  kleinen  Kömchen 
erkennen  lassen  (Fig.  2  c).  Diese  Schollen  hegen  in  einer 
Schichte  nebeneinander  und  bilden  so  an  vielen  Stellen 
eine  grössere  zusammenhängende  Lage.  Dieselbe  erscheint, 
von  der  Fläche  betrachtet,  von  hellen  Linien  durchzogen, 
welche  nichts  anderes  sind  als  schmale  Zwischenräume, 
welche  die  einzelnen  Schollen  trennen  und  sich  wie  Sprünge 


Zar  Anatomie  der  Pinguecula.  151 

ausnehmen.  Es  ist  auch  ganz  wohl  möglich,  dass  es  sich 
hier  wirklich  um  Sprünge  handelt,  welche  durch  die  Präpara-* 
tion  in  der  wahrscheinlich  ziemlich  starren  Masse  hervor- 
gebracht worden  sind.  —  Solche  Conglomerate  amorpher  Sub- 
stanz, welche  übrigens  in  keiner  Weise  scharf  begrenzt  sind, 
entsprechen  zum  Theile  jenen  unregelmässigen,  untereinan- 
der zusammenhängenden,  gelben  oder  gelbgrauen  Fleckchen, 
welche  man  schon  am  lebenden  Auge  in  der  Pinguecula 
bemerkt.  —  Auch  die  gelbliche  Infiltration,  welche  sich  in 
manchen  Greisenaugen  von  der  Pinguecula  längs  des  un- 
teren Homhautrandes  hinzieht,  beruht  auf  der  Gegenwart 
einer  Schichte,  welche  aus  solchen  feinen  amorphen  Schol- 
len besteht.  Ueber  den  grösseren,  zum  Limbus  ziehenden 
Gelassen,  ist  diese  Schichte  unterbrochen  oder  wenigstens 
dünner,  zu  den  Seiten  der  Gefässe  aber  desto  mächtiger, 
woraus  sich  das  radiär  gestreifte  Aussehen  jener  gelblichen 
Infiltration  erklärt^  wie  es  in  Fig.  1  bemerkbar  ist. 

Die  eben  besprochene  amorphe  Substanz  ist  weniger 
durchscheinend,  als  das  Gewebe  der  Bindehaut,  in  welchem 
sie  liegt.  Die  yon  ihr  gebildeten  Läppchen  heben  sich  da- 
her durch  ihre  dunklere  Farbe  in  den  Präparaten  hervor 
und  zwar  sowohl  in  den  frischen,  als  auch  in  den  durch 
Gljcerin  oder  Balsam  aufgehellten.  Die  amorphe  Substanz 
zeigt  im  ungefärbten  Zustande  einen  matten  Glanz;  sie  ist 
sehr  resistent  gegen  chemische  Beagentien,  so  dass  weder 
Säuren  (selbst  starke  Mineralsäuren)  noch  Alkalien  (Kali- 
lauge, Ammoniak)  sie  verändern;  auch  löst  sie  sich  weder 
in  Aether  noch  in  Chloroform.  Sie  besitzt  ein  ziemlich 
grosses  Tinctionsvermögen,  besonders  für  manche  Farbstoffe. 
Alauncarmin  färbt  sie  stärker  als  das  übrige  Gewebe,  die 
Kerne  ausgenommen.  Durch  Eosin  und  durch  Weigert- 
sches  Säurefuchsin  wird  sie  stark  roth  tingirt.  Hämatoxylin 
allein  mit  nachheriger  Differenzirung  durch  salzsäurehalti- 
gen Alkohol  färbt  die  feinsten  staubartigen  Körnchen  nur 
wenig,  die  grösseren  dagegen  viel  stärker  und  die  grössten 


152  E.  Fachs. 

Schollen,  welche  schon  im  Begriffe  sind,  sich  in  Concre- 
mente  umzuwandeln  (wovon  später),  werden  intensiv  blau. 
Bei  combinirterEosin-Hämatoxylinfarbung  werden  die  amor- 
phen Massen  schön  roth  oder  rothbraun  gefärbt,  während 
die  Kerne  blau  sind.  Die  Weigert'sche  Hämatozylinfär- 
bung  verleiht  den  Schollen  je  nach  ihrer  Mächtigkeit  einen 
graubraunen  bis  rothbraunen,  ziemlich  hellen  Ton.  Bei  der 
von  Weigert  angegebenen  Färbung  mit  Gentianaviolett  ^) 
bleibt  diese  Substanz  bald  ungefärbt,  bald  wird  sie  schwach- 
blau. Mit  Jodjodkali  nimmt  sie  einen  gelblichen  Ton  an 
wie  das  übrige  Gewebe  und  auch  mit  Methylviolett  erhält 
man  nicht  die  für  Amjloidsubstanzen  charakteristische  rothe 
Farbe. 

Ich  habe  das  Verhalten  der  amorphen  Substanz  gegen 
Reagentien  und  Färbemittel  so  eingehend  beschrieben,  um 
darzuthun,  dass  dieselbe  ziemlich  vollständig  dem  von 
V.  Recklinghausen  ^)  beschriebenen  Hyalin  entspricht. 
Ich  werde  zu  Ende  dieser  Arbeit  nochmals  darauf  zurück- 
kommen, um  es  besser  zu  begründen,  will  aber  schon  jetzt 
diese  Substanz  kurzweg  als  hyaline  bezeichnen.  Desgleichen 
werde  ich  unter  dem  Namen  der  hyalinen  Degeneration 
einige  andere  Veränderungen  in  der  Pinguecula  beschrei- 
ben, welche  zur  Bildung  ähnlicher  Substanzen  fuhren. 

In  der  hyalinen,  zwischen  den  Bindegewebsfasern  der 
Mucosa  abgelagerten  Substanz  bilden  sich  nun  Concre- 
mente  festerer  Art  Dieselben  entstehen  durch  Zusammen- 
backen der  einzelnen  Krümel  und  zeigen  daher,  so  lange 
sie  noch  jung  sind,  deutlich  ihre  Zusammensetzung  aus  ein- 
zelnen unregelmässigen  Stückchen;  auch  haben  sie  dem  ent- 
sprechend unregelmässige,  eckige  Gontouren  (Fig.  3,  b  und  c). 
Später  wird  die  Vereinigung  der  einzelnen  Krümel  eine 
so  innige,  dass  die  Concremente  ein  homogenes,  durchschei- 
nendes Aussehen  gewinnen;  ihre  Gontouren  runden  sich  ab 

')  Fortschritte  der  Medicin.   1887.   S.  228. 

*)  Handbach  der  allgeiAeinen  Pathologie.   1883.  S.  408. 


Zur  Anatomie  der  Pinguecula.  153 

und  ihre  Oberfläche  ist  nun  nicht  mehr  kantig  und  eckig, 
sondern  maolbeerartig  oder  zuletzt  selbst  ziemlich  glatt 
(Fig.  3d).  An  Schnitten  durch  die  Pinguecula  habe  ich 
zuweilen  Goncremente  angetroffen,  welche  eine  halbmond- 
förmige Gestalt  besassen  (Fig.  14  bei  d).  Dieselben  schmieg- 
ten sich  Lücken  im  Gewebe  an,  welche  manchmal  von  einer 
kernhaltigen  Membran  ausgekleidet  waren  und  demnach 
Gefasslumina  zu  sein  schienen.  —  Die  Goncremente  finden 
sich  in  allen  Grössen  vor.  Manche  derselben  erreichen 
solche  Dimensionen  (über  0,1  mm),  dass  sie  in  den  Präpa- 
raten bereits  mit  freiem  Auge  erkennbar  sind.  Derartig 
grosse  Goncremente  können,  wenn  sie  sehr  oberflächlich 
liegen,  gegen  das  Epithel  der  Bindehaut  andringen  und 
dasselbe  stellenweise  zum  Schwinden  bringen. 

Die  Goncremente  haben  an  imgefärbten  Präparaten  ein 
grünliches,  matt  schimmerndes  Aussehen.  Ihr  Verhalten 
gegen  Reagentien  und  Farbstoffe  gleicht  dem  Verhalten  der 
hyalinen  Substanz,  aus  der  sie  hervorgegangen  sind,  nur 
dass  sie  sich  im  Ganzen  noch  intensiver  färben.  So  wer- 
den sie  durch  einfaches  Hämatozylin  dunkelblau  statt  hell- 
blau, durch  Weigert'sches  Hämatoxylin  schwarz  statt  braun 
wie  die  hyaline  Substanz.  Nur  die  kleinen  Goncremente 
färben  sich  durch  und  durch.  Bei  den  grösseren  sind  nur 
die  Bandtheile  tingirt,  die  centralen  Theile  dagegen  meist 
ungefärbt  Man  könnte  denken,  dass  die  inneren  Schichten 
der  grossen  Goncremente  deshalb  ungefärbt  bleiben,  weil 
die  Farbstofflösung  ins  Innere  der  Goncremente  nicht  ge- 
hörig einzudringen  vermag.  Diese  Erklärung  ist  jedoch 
nicht  stichhaltig,  denn  man  beobachtet  dasselbe  Verhalten 
der  Goncremente  auch  an  feinen  Schnitten,  in  welchen  auch 
die  Goncremente  entzwei  geschnitten  und  daher  auch  ihre 
centralen  Theile  der  Farbstofflösung  zugänglich  gemacht 
sind.  Man  muss  also  wohl  annehmen,  dass  die  innersten, 
ältesten  Theile  der  Goncremente  eine  weitere  Umwandlung 
erfahren  haben,  welche  sie  so  schwer  färbbar  macht. 


154  E.  Fuchs. 

Die  grossen  Goncremente  unterscheiden  sich  noch  in 
einem  Punkte  vom  tinctoriellen  Verhalten  der  hyalinen  Sub- 
stanz. Sie  werden  nämlich  durch  Jodjodkalilösung  zuweilen 
dunkelbraunrothy  mahagonyfarben  und  diese  Färbung  wird 
nach  Zusatz  von  Schwefelsäure  noch  intensiver.  Dieses  Ver- 
halten konmit  jedoch  nur  den  grössten  und  ältesten  unter 
den  Concrementen  zu,  welche  demnach  den  Amjloidsubstan- 
zen  sich  nähern;  die  kleineren  Goncremente  färben  sich  mit 
der  Jodjodkalilösung  nicht  anders  als  das  übrige  Gewebe. 
Methylviolett  lässt  alle  Goncremente,  grosse  wie  kleine,  un- 
gefärbt ^). 

^)  Goncremente  gleicher  Art  wie  die  in  der  Pinguecula  vorkom- 
menden, bedingen  jene  Trübung  der  Hornhaut,  welche  Arcus  senilia 
heisst.  Es  führt  also  in  der  Hornhaut  die  Senescenz  des  Gewebes 
zu  denselben  Bildungen,  wie  in  der  Bindehaut  Deshalb  sei  es  ge- 
stattet, aber  den  Arcus  senilis,  welcher  nicht  in  den  Rahmen  dieser 
Arbeit  gehört,  hier  einige  Worte  zu  verlieren.  Die  grOnlich  schil- 
lernden, rundlichen  Goncremente,  welche  denselben  bilden,  liegen 
zum  grössten  Theile  unmittelbar  unter  der  Bowman*schen  Membran 
(Fig.  4,  bbi).  Man  findet  deren  von  den  kleinsten,  eben  sichtbaren 
bis  zur  Grösse  von  0,03  mm,  zumeist  in  einfacher  Lage  unter  der 
Bowmann'schen  Membran  aneinander  gereiht.  Die  grösseren  Gon- 
cremente haben  sich  durch  Andrängen  an  die  hintere  Fl&che  der 
Bowman*schen  Membran  eine  Art  Nische  in  dieselbe  gegraben,  die 
grössten  unter  ihnen  verdünnen  die  Membran  sehr  erheblich  und 
drängen  sie  etwas  empor.  Nicht  aber  bloss  unmittelbar  unterhalb 
der  Bowman'schen  Membran  finden  sich  die  Goncremente:  es  giebt 
auch  solche,  welche  beträchtlich  tiefer,  mitten  zwischen  den  La- 
mellen der  Hornhaut  liegen  (Fig.  4d).  In  einigen  Fällen  habe  ich 
sogar  nur  hier  grössere  Gruppen  von  Goncrementen  gefunden,  wäh- 
rend unmittelbar  unter  der  Bowman'schen  Membram  keine  vorhan- 
den waren.  Andererseits  giebt  es  Goncremente,  welche  innerhalb  der 
Bowman'schen  Membran  selbst  oder  sogar  über  ihr  sich  befinden. 
Im  ersteren  Falle  sieht  die  Membran,  wenn  die  Goncremente  sehr 
fein  sind,  wie  bestäubt  aus  (Figur  4  bei  b^),  doch  kann  sie  auch 
grössere  Goncremente  einschliessen.  Im  zweiten  Falle  sind  die  Gon- 
cremente zwischen  den  untersten  Zellen  des  Homhantepithels  ein- 
gebettet. Nirgends  ist  eine  Beziehung  der  Goncremente  zu  den  Zel- 
len des  Homhautgewebes  wahrzunehmen ;  die  hyaline  Substanz  wird 


Zur  Anatomie  der  Pinguecula.  155 

2.  Die  hyaline  Degeneration  der  Bindegewebs- 
fasern betrifft  vor  allem  das  lockere  subconjunctivale  Binde- 
gewebe. Die  Fasern  desselben  zeigen  als  erste  Veränderung 
eine  Verdickung  und  ein  mehr  homogenes »  durchscheinen- 
des Aussehen,  während  der  der  Faser  anliegende  Kern  un- 
verändert bleibt  (Fig.  5  a).  Die  so  degenerirten  Fasern  fär- 
ben sich  viel  stärker  mit  den  verschiedenen  Tinctionsmit- 
teln.  Die  Fasern  wachsen  indessen  nicht  bloss  in  die  Dicke, 
sondern  auch  in  die  Länge,  und  da  ihre  Endpunkte  dabei 
nicht  weiter  auseinander  rücken,  so  folgt  daraus,  dass  die 
Fasern  aus  ihrem  gestreckten  Verlaufe  inuner  mehr  in  einen 
welligen  und  endlich  in  einen  vielfach  gewundenen  über- 
gehen, Man  sieht  dieselbe  Faser  in  mehreren  Windungen 
übereinandergelogt  (Fig.  5  b  und  c).  Eine  Gruppe  derarti- 
ger Fasern  sieht  wie  ein  Gonvolut  von  Darmschlingen  aus 
(Fig.  6a).  Dort,  wo  die  Veränderungen  so  weit  gediehen 
sind,  scheinen  die  Kerne  des  Bindegewebes  an  Zahl  bedeu- 
tend abgenonunen  zu  haben  (Fig.  5b),  doch  ist  dies  nur 
scheinbar,  indem  durch  Verdickung  der  Fasern  ihre  Kerne 
weiter  auseinander  gerückt  sind;  Zeichen  von  Absterben 
der  Kerne  sind  nirgends  zu  sehen. 

Die  hyaline  Degeneration  der  subconjunctivalen  Binde- 
gewebsfasern ist  meist  nicht  sehr  weit  oder  gleichmässig  über 
grosse  Strecken  verbreitet,  sondern  tritt  in  der  Regel  nur  an 
umschriebenen  Stellen  auf.  Es  kann  daselbst  zur  Bildung 
kleiner,  umschriebener  Läppchen  kommen.  Indem  nämlich 
eine  Anzahl  neben  einander  liegender  Fasern  degenerirt, 
bildet  sich  aus   denselben   ein   grösseres   Klümpchen    von 


hier,  geradeso  wie  die  gelben  Schollen  der  Pinguecula,  frei  auf  die 
Oberfläche  der  Bindegewebsfasern  (hier  Homhautlamellen)  ausge- 
schieden. Die  Concremente  in  der  Hornhaut  geben  dieselben  Reac- 
tionen  wie  die  Concremente  in  der  Pinguecula.  Ich  möchte  nur 
noch  hervorheben,  dass  dieselben  weder  durch  Aether  noch  durch 
Chloroform  irgend  eine  Veränderung  erfahren,  dass  sie  also  sicher 
nicht  Fett  sind,  wie  allgemein  angenommen  wird. 


156  E.  Fuchs. 

durchscheinendem  Aussehen.  Gewöhnlich  findet  man  meh- 
rere dieser  Elümpchen  von  verschiedener  Grösse  an  einem 
gemeinschaftlichen  Stiele  hängend  (Fig.  6).  Die  grössten 
Elümpchen  erreichen  einen  Durchmesser  von  mehr  als  0,5  mm 
und  sind  demnach  schon  mit  freiem  Auge  sichtbar.  Einige 
der  Läppchen,  aus  welchen  sich  die  Pinguecula  zusammen- 
setzt, entsprechen  solchen  Convoluten  degenerirter  Binde- 
gewebsfasern; dieselben  sind  schon  bei  Lupeübetrachtung 
daran  zu  erkennen,  dass  sie  von  runder  Form  und  scharf 
begrenzt  sind  (Fig.  la). 

Wenn  man  die  Bindehaut  von  der  Sclera  abzieht  und 
dann  von  der  unteren  Fläche  der  Bindehaut  eines  dieser 
Läppchen  isolirt,  so  zeigt  dasselbe,  bei  stärkerer  Yergrösse- 
rung  betrachtet,  folgende  Einzelheiten:  Das  Läppchen  liegt 
Yollkommen  scharf  abgegrenzt  in  dem  umgebenden  Gewebe, 
welches  aus  lockeren  Bindegewebsfasern  und  reichlichen 
elastischen  Fasern  besteht  (Fig.  6).  Die  scharfe  Begren- 
zung geschieht  durch  ein  zartes,  mit  Kernen  besetztes  Häut- 
chen, welches  die  Läppchen  allseitig  überzieht  und  auf  den 
Stiel  des  Läppchens  übergeht  (Fig.  6  bei  c).  Dasselbe  ist 
ein  Endothelhäutchen,  welches  man  an  solchen  Stellen,  wo 
die  Oberfläche  des  Läppchens  Einbuchtungen  zeigt,  sehr 
schön  isolirt  sehen  ksinn  (Figur  6  b).  Es  geht  aus  jenen 
Endothelhäutchen  hervor,  welche  im  normalen  Bindege- 
webe die  einzelnen  Bündel  von  Fasern  bald  in  mehr, 
bald  in  weniger  vollständiger  Weise  einzuscheiden  pflegen 
(Fig.  5d). 

Der  Inhalt  der  Läppchen  besteht  aus  den  verdickten 
und  vielfach  gewundenen  Bindegewebsfasern,  welche  der 
Oberfläche  des  Läppchens  ein  Aussehen  verleihen  wie  die 
Oberfläche  des  Gehirns  oder  wie  ein  Convolut  von  Darm- 
schlingen. Ausserdem  erkennt  man  mit  voller  Deutlichkeit 
die  normal  aussehenden  Kerne  der  Bindegewebsfasern.  Die 
grösseren  Läppchen  setzen  sich  zumeist  aus  mehreren  klei- 
nen, innig   aneinander  geschmiegten  Läppchen  zusammen 


Zur  Anatomie  der  Pinguecala.  157 

(z.  B.  in  Fig.  6  das  Läppchen  bei  b  aus  zwei,  das  Läppchen 
bei  d  aus  drei  kleineren  Läppchen).  Die  grösseren  Läpp- 
chen zeigen  oft  statt  der  anregelmässig  durcheinander  ge- 
wundenen Fasern  eine  mehr  regelmässige  ooncentrische  An- 
ordnung derselben.  Dies  ist  namentlich  an  der  Oberfläche 
der  Läppchen,  unmittelbar  unter  der  Kapsel  der  Fall  (Fig.  6d) 
und  ist  wahrscheinlish  dadurch  herbeigeführt,  dass  hier 
durch  den  Druck,  der  innerhalb  der  Kapsel  besteht,  die 
dicken  Fasern  kugelschalenartig  abgeplattet  worden  sind. 

Sehr  oft  sitzen  die  Läppchen  auf  einem  Stiele  (Fig.  6e). 
Derselbe  zeigt  in  der  Regel  deutliche  Längsstreifung  mit 
spärlichen  Kernen,  als  ob  er  aus  Bindegewebsfasern  be- 
stände, welche  auch  in  geringem  Maasse  hyalin  entartet 
sind.  Nicht  selten  ist  der  Stiel  durch  elastische  Fasern, 
welche  ihn  spiralig  umwinden,  stellenweise  eingeschnürt, 
oder  er  ist  im  Ganzen  spiralig  gedreht.  Einem  solchen 
Stiele  sitzen  gewöhnlich  mehrere  Läppchen  auf,  grössere 
und  kleinere,  zuweilen  in  regelmässiger  Anordnung,  wie  die 
Beeren  an  den  Zweigen  oder  wie  die  Glomeruli  an  den 
Nierengefässen.  Ich  möchte  deshalb  auch  diese  Stiele  für 
hyalin  degenerirte  Gefässe  (kleine  Arterien)  halten,  obwohl 
ich  in  keinem  Falle  im  Stande  war,  ganz  unzweifelhaft  den 
Zusammenhang  derselben  mit  noch  deutlich  erkennbaren 
Blutgefässen  darzuthun. 

In  den  hyalin  degenerirten  Bindegewebsfasern  geht 
noch  eine  weitere  Veränderung  vor  sich,  welche  auch  zur 
Bildung  von  Concrementen  führen  kann.  Es  entstehen 
nämlich  in  der  gleichmässig  hyalinen  Substanz  der  gequol- 
lenen Fasern  feine,  das  Licht  stark  brechende  Körnchen 
oder  Krümel,  welche  sich  stärker  als  die  hyaline  Substanz 
selbst  tingiren.  Diese  Körnung  tritt  in  der  Regel  erst  auf, 
wenn  die  entarteten  Bindegewebsfasern  einen  beträchtlichen 
Umfang  erreicht  haben  und  sie  ist  auch  dann  keine  gleich- 
massige,  sondern  zeigt  sich  an  einigen  Stellen  in  stärkerem 
Maasse,  während  sie  an  anderen  wieder  ganz  fehlt  (Fig.  5b). 


158  E.  Fuchs. 

Durch  Zusammenbacken  der  Krümel  zu  grösseren  Schollen 
entstehen  dann  gelbgrün  schillernde  Concremente.  Dieselben 
erreichen  jedoch,  so  viel  ich  gesehen  habe,  niemals  die 
Grösse  und  Festigkeit  derjenigen,  welche  sich  aus  den  amor- 
phen gelben  Massen  entwickeln. 

Die  chemischen  Eigenschaften  des  hyalin  degenerirten 
Bindegewebes  und  der  daraus  hervorgegangen  Concremente 
stimmen  mit  jenen  überein,  welche  die  amorphe  gelbe  Sub- 
stanz zeigte,  nämlich  starke  Tinctionsfahigkeit  und  grosse 
Resistenz  gegen  Säuren  und  Alkalien. 

In  der  Nähe  jener  Stellen,  wo  die  hyaline  Degenera- 
tion des  Bindegewebes  Platz  gegriffen  hat,  bemerkt  man 
auch  hie  und  da  hyaline  Entartung  an  den  kleineren  Ge- 
fässen  der  Bindehaut.  Die  Wandung  derselben  ist  dicker, 
homogen,  von  glasigem  Aussehen  und  bei  einigen  ganz  klei- 
nen Gefässchen  bietet  der  ganze  Querschnitt  dieses  Aus- 
sehen dar,  ohne  dass  ein  Lumen  zu  sehen  wäre,  so  dass 
sie  also  als  obliterirt  anzusehen  sind. 

3.  Die  hyaline  Degeneration  der  Scleralfasern. 
Diese  scheint  verhältnissmässig  selten  vorzukommen,  da  ich 
sie  nur  in  einem  von  den  untersuchten  Fällen  angetroffen 
habe.  Die  Entartung  betraf  einzelne  Fasern  in  den  ober- 
flächlichen Lagen  der  Sclera  und  zwar  hauptsächlich  solche 
Fasern,  welche  in  den  meridional  geführten  Schnitten  senk- 
recht getroffen  waren,  also  circulär  (concentrisch  mit  der 
Hornhaut)  verlaufen  (Figur  7  b),  Diese  Faserbündel  zei- 
gen, zuerst  nur  an  umschriebenen  Stellen  ihres  Quer- 
schnittes, vermehrten  Glanz  und  erhöhte  Durchsichtigkeit 
und  treten  namentlich  an  den  gefärbten  Präparaten  durch 
ihre  stärkere  Tinction  hervor  (Fig.  7  c).  Diese  Veränderung 
breitet  sich  allmälig  aus,  so  dass  endlich  ein  grösseres  Bün- 
del quer  getroffener  Fasern  zu  einer  homogenen,  durch- 
scheinenden Masse  zusammengebacken  ist,  welche  wachs- 
artig glänzt  und  einen  gelbgrünen  Schimmer  hat.  Man 
sieht  dann  zwischen    den  längsverlaufenden   Scleralfasern 


Zur  Anatomie  der  Pingaecola.  159 

solche  gelbgrtin  glänzende,  wohl  abgegrenzte  Schollen  liegen, 
welche  die  Längsfasem  auseinanderdrängen  (Fig.  7d). 

Diese  Art  der  Degeneration  unterscheidet  sich  einiger- 
maassen  von  derjenigen,  welche  ich  an  den  conjunctivalen 
Bindegewebsfasern  beobachtet  habe.  Letztere  quellen  nur 
auf,  ohne  ihre  Selbstständigkeit,  ihre  scharfe  Begrenzung, 
ihre  Kerne  zu  verlieren.  Die  Scleralfasem  gehen  dagegen, 
wie  dies  bei  der  hyalinen  Degeneration  sonst  die  Regel  ist, 
vollständig  zu  Grunde,  indem  sie  ihre  Kerne  verlieren  und 
mit  den  benachbarten  Fasern  zu  einer  homogenen,  hyalinen 
Masse  zusammenbacken.  —  Die  Rolle,  welche  die  Degenera- 
tion der  Scleralfasem  bei  der  Pinguecula  spielt,  ist  jeden- 
falls eine  sehr  untergeordnete,  denn  erstens  fehlt  sie  in  den 
meisten  Fällen  und  zweitens  scheint  sie  keine  grösseren 
Dimensionen  anzunehmen.  Sie  stellt  meiner  Ansicht  nach 
eine  Art  seniler  Degeneration  der  Sclera  dar,  welche  des- 
halb gleichzeitig  mit  der  Pinguecula,  als  einer  senilen  Ver- 
änderung der  Bindehaut,  sich  finden  kann,  ohne  mit  dieser 
in  unmittelbarem  Zusammenhange  zu  stehen. 

4.  Entwickelung  und  Hypertrophie  von  elasti- 
schen Fasern.  Im  normalen  Zustande  enthält  die  eigent- 
liche Mucosa  der  Bindehaut  nur  wenige  elastische  Fasern, 
während  das  subconjunctivale  Gewebe  sehr  reichlich  damit 
versehen  ist.  Dieselben  sind  äusserst  zarte  Fäden,  welche 
in  ziemlich  gestrecktem  Verlaufe  nach  allen  Richtungen 
hin  ziehen  und  sich  unter  den  verschiedensten  Winkeln 
überkreuzen.  —  In  jenem  Theile  der  Bindehaut  nun,  wo 
sich  der  Lidspaltenfleck  entwickelt,  nimmt  sowohl  die  Zahl 
als  das  Galiber  der  elastischen  Fasern  zu.  Auch  findet  man 
statt  des  regellosen  Verlaufes  derselben  oft  eine  gewisse 
Regehnässigkeit  der  Anordnung,  so  dass  z.  B.  eine  Anzahl 
elastischer  Fasern  auf  grössere  Strecken  hin  parallel  ver- 
laufen (Fig.  8  bei  a),  ja  es  kann  sich  eine  grosse  Zahl  von 
Fasern  zu  einem  dicken  Strange  vereinigen.  Die  überwie- 
gende Zahl  von  Fasern  hat  eine  zum  Homhautraude  radiäre 


160  E-  Fuchs. 

Richtung  angenommen.  Man  findet  zuweilen  Stellen,  wo 
eine  ganze  Schichte  der  Bindehaut  durch  dichtgedrängte, 
vom  Homhautrande  nadi  der  Peripherie  verlaufende  ela- 
stische Fasern  gebildet  wird. 

Ausser  der  Vermehrung  der  Zahl  und  des  Volumens 
geht  noch  eine  andere  Veränderung  in  den  elastischen  Fa- 
sern vor  sich.  Dieselben  sind  jetzt  nicht  mehr  gestreckt, 
sondern  gewellt  oder  lockig  und  zwar  desto  mehr,  je  dicker 
sie  sind.  Diese  oft  enorme  Schlängelung  dürfte  wohl  zum 
grössten  Theile  dadurch  bedingt  sein,  dass  das  Wachsthum 
der  elastischen  Fasern  nicht  bloss  nach  der  Dicke,  sondern 
auch  nach  der  Länge  erfolgt.  Da  nun  die  Fasern  zu  lang 
geworden  sind,  müssen  sie  sich  spiralig  drehen.  Es  könnte 
aber  auch  sein,  dass  der  wellige  oder  spiralige  Verlauf  der 
stärkeren  Fasern  durch  besondere  Ungleichmässigkeiten  im 
Wachsthume  derselben  verursacht  wäre.  In  diesem  Falle 
würden  die  Faserenden  sich  geradezu  nähern  müssen,  wenn 
die  Faser  aus  dem  gestreckten  Verlaufe  in  den  spiraligen 
übergeht  und  es  könnte  dadurch  eine  Verkürzung  der  gan- 
zen Bindehaut  hervorgebracht  werden.  In  der  That  weisen 
einige  Umstände,  auf  welche  ich  noch  später  zurückkommen 
werde,  darauf  hin,  dass  thatsächlich  mit  der  Pinguecula 
auch  eine  Schrumpfung  der  Bindehaut  im  Siime  einer  Ver- 
minderung ihrer  Oberfläche  verbunden  ist 

An  einzelnen  Stellen,  wo  die  elastischen  Fasern  beson- 
ders dicht  liegen,  kommt  es  zur  Bildung  ganzer  Knäuel 
dicht  verworrener  Fasern  (Fig.  9  und  10).  Dieselben  lösen 
sich  an  ihren  Rändern  in  die  einzelnen  Fasern  auf,  welche 
nach  allen  Richtungen  hin  auseinander  laufen.  Wenn 
aber  die  Durchflechtung  besonders  innig  und  dicht  ist,  so 
entstehen  wohl  abgegrenzte  und  abgerundete  Läppchen, 
welche  aus  einem  dichten  Faserfilze  bestehen.  Fig.  9  zeigt 
ein  Bruchstück  eines  solchen  Läppchens,  das  an  der  einen 
Seite  noch  die  scharfe  Begrenzung  zeigt,  welche  dadurch 
entsteht,  dass  hier  die  Fasern  nicht  frei  auslaufen,  sondern 


Zar  Anatomie  der  Pinguecula.  161 

umbiegen  und  in  den  Knäuel  zurückkehren.  Die  andere 
Hälfte  des  Knäuels  ist  durch  Zerzupfen  in  das  Gewirre  elasti- 
scher Fasern  aufgelöst,  welche  es  zusammensetzen.  Man  sieht, 
dass  Fasern  von  allen  Durchmessern  an  der  Bildung  dieses 
üjiäuels  Antheil  genommen  haben.  —  Andere  Läppchen  da- 
gegen bestehen  aus  mehr  gleichartigen  Fasern,  aus  lauter 
dicken  (Fig.  10)  oder  lauter  dünnen.  Letzteres  ist  das  häu- 
figere; namentlich  findet  man  oft  Läppchen,  welche  aus 
einem  Gewirre  so  feiner  Fasern  bestehen,  dass  man  zunächst 
glaubt,  eine  amorphe  kömige  Masse  vor  sich  zu  sehen,  bis 
man  durch  Zerzupfen  die  Fäserchen  an  einzelnen  Stellen 
isolirt  und  dadurch  zur  Anschauung  bringt. 

Die  grösseren  Knäuel  elastischer  Fasern  sind  schon 
mit  freiem  Auge  und  noch  besser  bei  Lupenbetrachtung 
als  dunklere  Fleckchen  in  der  Bindehaut  zu  erkennen.  Ein 
Theil  der  Läppchen,  aus  welchen  sich  die  Pinguecula  zu- 
sammensetzt, entspricht  solchen  Faserknäueln. 

Nebst  den  mehr  gleichmässig  über  die  Bindehaut  ver- 
theilten  elastischen  Fasern  und  nebst  den  aus  Fasern  ge-  ' 
bildeten  Läppchen  lässt  sich  noch  eine  dritte  Art  des  Vor- 
kommens elastischer  Fasern  constatiren.  Dieselbe  besteht 
darin,  dass  zerstreut  im  subconjunctivalen  Gewebe  kleine 
Gruppen  von  lose  durcheinander  geschlungenen,  stark  ver- 
grösserten  elastischen  Fasern  liegen  (Fig.  14  f).  In  diesen 
Gruppen  finden  sich  die  dicksten  elastischen  Fasern,  welche 
überhaupt  in  der  Pinguecula  vorkommen,  nämlich  solche 
von  einem  Durchmesser  über  0,03  mm.  So  dicke  Fasern 
liegen  allerdings  niemals  in  grösserer  Menge  beisammen, 
sondern  man  findet  gewöhnlich  nur  eine  oder  zwei  colossal 
dicke  Fasern  inmitten  einer  Gruppe  von  dünneren  liegen. 
—  Die  elastischen  Fasern  zeigen,  sobald  sie  einmal  sehr 
gross  geworden  sind,  nicht  mehr  die  glatte,  scharfe  Begren- 
zung und  das  homogene  Aussehen  der  dünnen  Fasern.  Sie 
werden  vielmehr  an  den  Rändern  unregelmässig,  wie  schar- 
tig oder  angenagt,  indem  sich  kleine  Bruchstücke  von  ihnen 

▼.  Oniefe*8  Archlr  mr  Ophthalinologie.  XXXVII.  3.  11 


162  E.  Fuchs. 

abgebröckelt  haben  (Fig.  lla,a).  Viele  von  den  dickeren 
Fasern  lassen,  namentlich  bei  Hämatoxylinfarbung,  einen 
mächtigen,  dunklen,  centralen  Strang  erkennen,  welcher  von 
einer  weniger  gefärbten,  sich  abbröckelnden  Hülle  einge- 
scheidet  ist  (Fig.  11,  b,  b).  Andere  Fasern  wieder  besitzen 
eine  deutliche  Längsstreif ung,  welche  besonders  nach  Be- 
handlung mit  Essigsäure  scharf  hervortritt,  doch  auch  ohne 
diese  oft  zu  sehen  ist  (Fig.  12). 

Hypertrophische  elastische  Fasern  finden  sich  aber  nicht 
bloss  in  der  Bindehaut,  sondern  auch  im  episcleralen  Ge- 
webe, sowie  in  der  Sclera  selbst  (Fig.  14  zeigt  bei  6  ela- 
stische Fasern  im  episcleralen  Gewebe  und  bei  7  elastische 
Fasern  in  der  Sclera  selbst).  In  der  Sclera  setzt  das  feste 
Gewebe  der  Bildung  von  grösseren  Knäueln  ein  unüber- 
steigbares  Hindemiss  entgegen.  Die  elastischen  Fasern  lie- 
gen daher  entweder  einzeln  oder  nur  zu  zweien  oder  dreien 
beisammen  zwischen  den  Scleralfasern  und  sind  gleich  die- 
sen radiär  zum  Hornhautrande  gerichtet.  Sie  heben  sich 
Yon  den  Scleralfasern  sofort  durch  ihre  starke  Schlängelung 
hervor,  welche  sie  einer  zierlichen  Haarlocke  vergleichbar 
macht  (Fig.  13a).  —  Die  hypertrophischen  elastischen  Fa- 
sern finden  sich  immer  nur  in  den  äusseren  Lagen  der 
Sclera  und  zwar  hauptsächlich  etwas  weiter  vom  Rande  der 
Hornhaut  entfernt;  zuweilen  kann  man  sie  bis  in  die  Seh- 
nen des  äusseren  oder  inneren  geraden  Augenmuskels  ver- 
folgen. Nur  ausnahmsweise  habe  ich  derartige  Fasern  nahe 
dem  Rande  der  Hornhaut,  ja  fast  schon  in  dieser  selbst  ge- 
sehen. 

Die  elastischen  Fasern  verfallen  später  einer  hyalinen 
Degeneration,  wodurch  es  zum  Zerfalle  der  Fasern  und  zur 
Bildung  von  Concrementen  kommt.  Diese  Entartung 
lässt  sich  am  besten  bei  den  elastischen  Fasern  in  der  Sclera 
verfolgen.  Dieselben  schwellen  immer  mehr  an,  und  zwar 
nicht  die  ganze  Faser  gleichmassig,  sondern  die  mittleren 
Theile  mehr  als  die  Enden  (Fig.  13  b).    Gleichzeitig  werden 


Zar  Anatomie  der  Pinguecula.  163 

die  Fasern  infolge  ihres  langen  Wacbsthums  immer  mehr 
spiralig  gewunden  und  die  einzelnen  Windungen  legen  sich 
als  dicke  Wülste  aneinander.  Dabei  nimmt  die  Faser  mehr 
und  mehr  ein  gleichmässig  durchscheinendes,  matt  glänzen- 
des Aussehen  und  eine  gelbgrüne  Farbe  an,  wie  sie  der 
hyalinen  Degeneration  zukommt.  Endlich  zerfällt  die  Faser 
in  eine  Anzahl  von  unregelmässigen  Bruchstücken  von  gleich 
wachsartiger,  gelbgrüner  Beschaffenheit  (Fig.  13c).  —  An 
den  hypertrophischen  elastischen  Fasern  der  Bindehaut  be- 
reitet sich  der  Zerfall,  wie  schon  oben  beschrieben,  so  vor, 
dass  die  Fasern  wie  angenagt  aussehen;  dann  zerbröckeln 
sie  immer  mehr  und  verwandeln  sich  schliesslich  in  ein 
Häufchen  unregelmässiger  Bruchstücke  (Fig.  11c,  Fig.  14  f).* 

In  der  Regel  zerfallen  die  elastischen  Fasern  der  Binde- 
haut und  der  Sclera  erst,  nachdem  sie  eine  bedeutende 
Grösse  erreicht  haben,  doch  sieht  man  ausnahmsweise  auch 
wohl  inmitten  einer  Gruppe  ziemlich  feiner  Fasern  schon 
Concremente,  welche  aus  dem  Zerfalle  solcher  Fasern  her- 
vorgegangen sind.  In  einem  Falle  fand  ich  die  oberfläch- 
liche Schichte  der  Sclera  und  selbst  die  angrenzenden  Rand- 
theile  der  Hornhaut  dicht  durchsetzt  von  kleinen,  rund- 
lichen, matt  glänzenden  Bröckeln,  welche  sich  durch  ihre 
Reactionen  als  die  Abkömmlinge  zerfallener  elastischer  Fa- 
sern kundgaben,  während  doch  diese  selbst  kaum  mehr 
vorhanden  waren.  Nur  mit  Mühe  gelang  es  an  einzelnen 
Stellen,  solche  eben  noch  im  Zerfalle  begriffenen  Fasern 
nachzuweisen.  In  solchen  Fällen  also,  wo  die  Fasern,  kaum 
gebildet,  auch  schon  in  kleine,  runde  Bröckel  zerfallen, 
könnte  man  leicht  zur  irrigen  Annahme  einer  Fettinfiltra- 
tion der  Sclera  verleitet  werden,  wie  z.B.  Coccius  sie  be- 
schrieben hat.  Die  gehörige  Anwendung  von  Reagentien 
und  Färbemitteln  wird  einen  solchen  Irrthum  vermeiden 
lassen. 

Die  Concremente,  welche  aus  den  elastischen  Fasern 
der  Bindehaut  und  der  Sclera  entstehen,  erreichen  in  der 

11* 


164  E.  Fuchs. 

Regel  weder  die  Zahl  noch  die  Grösse  jener  Concremente, 
welche  sich  in  der  amorphen  hyalinen  Substanz  bilden. 
Auch  werden  sie  nicht  so  abgerundet  und.ktigelformig,  son- 
dern verrathen  sich  in  der  Regel  noch  lange  durch  ihre 
Form  als  Bruchstücke  grösserer  Fasern. 

Die  elastischen  Fasern  und  die  aus  ihnen  hervorgehen- 
den Concremente  verhalten  sich  gegen  Reagentien  und  Färbe- 
mittel im  Allgemeinen  so,  wie  die  bisher  beschriebenen 
hyalin  degenerirten  Gewebe.  Die  Fasern  färben  sich  um 
so  intensiver,  je  grösser  sie  sind,  ohne  Zweifel  deshalb,  weil 
dann  die  hyaline  Entartung  in  ihnen  weiter  vorgeschritten 
ist.  Es  ist  daher  sehr  leicht,  die  elastischen  Fasern  durch 
•  Tinction  im  Gewebe  deutlich  hervortreten  zu  lassen.  Am 
besten  eignet  sich  hierzu  die  Weigert' sehe  Hämatozylin- 
färbung,  durch  welche  die  grösseren  Fasern  schwarz  werden. 
Eine  sehr  schöne  Differenzirung  giebt  %uch  Picrocarmin 
sowie  Fuchsin.  Ersteres  färbt  die  Fasern  gelb  im  Gegen- 
satze zur  rothen  Färbung  des  übrigen  Gewebes.  Säure- 
fuchsin mit  nachheriger  Entfärbung  durch  schwefelsäure- 
haltigen Alkohol  lässt  die  elastischen  Fasern  schön  dunkel- 
roth  in  dem  sonst  entfärbten,  gelblichen  Gewebe  hervor- 
treten. Die  besonders  grossen,  bereits  der  Degeneration 
anheimfallenden  elastischen  Fasern  sowie  die  Concremente, 
welche  aus  deren  Zerfall  hervorgehen,  geben  dagegen  in  der 
Säure  ihre  rothe  Farbe  wieder  ab*). 


^)  An  den  hypertrophischen  Fasern  der  Sclera  habe  ich  aus- 
nahmsweise folgende  zwei  Färbungen  beobachtet:  Jo4Jodkali,  wel- 
ches die  meisten  dieser  Fasern  nicht  anders  als  das  übrige  Gewebe 
f&rbte,  liess  einige  sehr  dicke  altere  Fasern  dunkelbrannroth  wer- 
den und  dieselbe  Farbe  hatten  auch  die  ans  solchen  Fasern  hervor- 
gegangenen Schollen.  Dies  würde  also  einen  üebergang  der  hyalin 
degenerirten  Fasern  in  Amyloid  anzeigen  und  dem  entsprechen,  was 
wir  einigemale  an  den  grösseren  Concrementen  gesehen  haben,  welche 
aus  der  amorphen  hyalinen  Substanz  her?orgegangen  sind.  Die  Wei- 
gert*8che  F&rbung  mit  Gentianaviolett  liess  einmal  die  Fasern  — 
dicke  sowie  feine  —  schön  blau  gefärbt  in  der  vollständig  farblosen 


Zar  Anatomie  der  Pingaecala.  165 

Wir  finden  also  bei  der  Pinguecula  Veränderungen  so- 
wohl an  den  Bindegewebsfasern,  als  auch  an  den  elastischen 
Fasern,  welche  alle  in  letzter  Linie  zur  Bildung  von  amor- 
phen Schollen,  von  Goncrementen  fuhren  können.  Diese  Ver- 
änderungen sind  theils  AiSua  über  die  ganze  Gegend  ver- 
breitet, welche  die  Pinguecula  einnimmt,  theils  umschrie- 
bener Art  Zu  den  ersteren  gehört  z.  B.  die  Vermehrung 
und  Hypertrophie  der  elastischen  Fasern  in  der  Bindehaut 
und  in  der  Sdera,  vielleicht  auch  die  hyaline  Degeneration 
der  Scleralfasem.  Es  ist  wohl  möglich,  ja  wahrscheinlich, 
dass  sich  diese  Processe  nicht  ausschliesslich  auf  jene  Stel- 
len beschränken,  wo  makroskopisch  die  Pinguecula  zu  sehen 
ist,  sondern  dass  es  sich  hier  um  senile  Veränderungen  han- 
delt» welche  in  geringerem  Grade  auch  an  anderen  Stellen 
des  vorderen  Augapfelabschnittes  vorkommen  können. 

Zu  den  umschriebenen  Veränderungen  gehört  die  Bildung 
von  Läppchen,  welche  unter  der  Bindehaut  sich  befinden; 
diese  sind  es,  welche  der  makroskopisch  sichtbaren  Pingue- 
cula vor  Allem  zu  Grunde  liegen..  Diese  Läppchen,  welche 
schon  mit  der  Lupe  gut  erkennbar  sind,  können  von  dreierlei 
histologischer  Beschafifenheit  sein:  Sie  bestdien  entweder 
aus  Schollen  amorpher  hyaliner  Substanz,  oder  es  sind  Con- 


Umgebung  hervortreten.  Diese  Färbung  nach  Weigert  würde  an- 
zeigen, dass  die  fOr  elastische  Fasern  angesehenen  Gebilde  nicht 
solche,  sondern  eigenthamlich  geformtes  Fibrin  sind.  Dagegen  muss 
ich  vor  allem  bemerken,  dass  ich  nnz&hlige  Male  die  Entstehung 
der  dicken  elastischen  Fasern  aus  den  dOnnen,  noch  normal  aus- 
sehenden durch  alle  üebergangsstadien  verfolgen  konnte,  so  dass 
ich  unmöglich  daran  glauben  kann,  dass  es  nur  Fibringerinnungen 
seien.  Zweitens  muss  ich  hervorheben,  dass  ich  unter  vielen  Prä- 
paraten diese  Färbung  nur  ein  einzigesmal  erhielt.  Endlich  ist  die 
Weigert*8che  Färbung,  obwohl  ein  sehr  werthvolles  Verfahren,  doch 
noch  nicht  so  genau  gekannt,  dass  man  völlig  sicher  sein  könnte, 
dass  nur  Fibrin  und  Mikroorganismen  sich  dabei  färben,  wie  Wei- 
gert angiebt,  und  nicht  unter  besonderen  Umständen  vielleicht  noch 
andere  Substanzen. 


166  E.  Fuchs. 

Volute  hyalin  degenerirter  Bindegewebsfasern  oder  endlich 
es  sind  Knäuel  elastischer  Fasern.  Welches  ist  nun  das  Ver- 
hältnis und  die  gegenseitige  Lagerung  dieser  drei  Arten 
von  Läppchen?  Die  meisten  Läppchen  sind  solche,  welche 
entweder  aus  amorpher  hyaliner  Substanz  oder  aus  elasti- 
schen Fasern  bestehen;  in  dem  einen  Falle  von  Pinguecula 
überwiegt  die  eine,  in  einem  anderen  Falle  die  andere  Art. 
Diese  Läppchen  sind  von  unregelmässiger  Form,  nicht  scharf 
begrenzt  und  mit  den  benachbarten  Läppchen  zusammen- 
hängend. Sie  sind,  wie  schon  eingangs  erwähnt  wurde, 
sehr  häufig  am  grössten  und  am  dichtesten  gelagert  längs 
des  oberen  und  unteren  Randes  der  Pinguecula,  während 
in  dem  dazwischen  eingeschlossenen  Areale  die  Läppchen 
kleiner  sind.  Diejenigen  Läppchen,  welche  aus  hyalinen 
Bindegewebsfasern  bestehen,  sind  im  Vergleiche  zu  den 
beiden  anderen  Arten  in  viel  geringerer  Zahl  .vorhanden 
ja  sie  fehlen  oft  ganz.  Man  erkennt  sie  schon  bei  Betrach- 
tung mit  der  Lupe  an  ihrer  regelmässigen  rundlichen  Form 
und  scharfen  Abgrenzung.  (Fig.  la),  welche  bei  den  anderen 
Läppchen  niemals  so  ausgeprägt  vorkommt. 

Die  Gruppen  sehr  grosser  elastischer  Fasern,  welche 
auf  S.  161  erwähnt  wurden,  sind  makroskopisch  nicht  als 
deutliche  Läppchen  zu  erkennen.  Man  findet  sie  nicht  in 
jeder  Pinguecula;  wenn  sie  vorhanden  sind,  liegen  sie  vor- 
zugsweise entlang  dem  oberen  oder  unteren  Rande  der 
Pinguecula. 

Die  bis  jetzt  gemachten  Angaben  über  die  histologische 
Beschaffenheit  des  Lidspaltenfleckes  ergaben  sich  aus  der 
Untersuchung  der  abpräparirten  Pinguecula  und  aus  der 
Isolirung  und  Färbung  ihrer  einzelnen  Theile.  Das  so  ge- 
wonnene Bild  wird  durch  die  Untersuchung  von  Schnitten 
vervollständigt,  welche  in  meridionaler  Richtung  durch  die 
Pinguecula  gelegt  sind.  Man  sieht  an  denselben,  dass  an 
der  Stelle   der  Pinguecula   die  Oberfläche   der  Bindehaut 


Zur  Anatomie  der  Pingaecula.  167 

uneben,  hügelig  oder  wellig  ist  (Fig.  14).  In  derselben  Aus- 
dehnung besteht  nicht  selten  eine  ganz  seichte  Delle  in  der 
Oberfläche  der  Sclera  zur  Aufnahme  der  Pinguecula.  An 
den  Schnitten  kann  man  folgende  Schichten  unterscheiden: 
1)  Das  Epithel  Dasselbe  überzieht  überall  die  Ober- 
fläche der  Pinguecula,  jedoch  in  ungleichmässiger  Weise. 
Es  ist  auf  der  Höhe  der  welligen  Erhebungen  viel  dünner 
als  in  den  dazwischen  gelegenen  Thälern,  so  dass  es  die 
oberflächlichen  Unebenheiten  der  Pinguecula  einigermaassen 
ausgleicht  (Fig.  14).  Ohne  Zweifel  ist  das  Epithel  auf  der 
Kuppe  der  Erhöhungen  —  zwischen  diesen  und  den  Lidern 

—  einem  stärkeren  Drucke  ausgesetzt  als  in  den  Vertie- 
fungen, und  ist  deshalb*  an  den  ersteren  Stellen  auf  eine 
dünne  Lage  reducirt  An  den  vertieften  Stellen  besteht  das 
Epithel  zunächst  aus  einer  untersten  einfachen  Lage  von 
Basalzellen  (Fig.  15  a).  Dieselben  haben  einen  kleinen,  aber 
sehr  stark  färbbaren  Kern  und  so  wenig  Protoplasma,  dass 
es  manchmal  aussieht,  als  ob  man  bloss  eine  Reihe  von 
Kernen  vor  sich  hätte.  Auf  die  Basalzellen  folgen  mehrere 
Lagen  polygonaler  oder  unregelmässig  runder  Zellen,  welche 
sich  durch  einen  grösseren,  aber  blasseren  Kern  und  nament- 
lich durch  einen  grösseren  Protoplasmaleib  vor  den  Basal- 
zellen auszeichnen  (Fig.  15  b).  In  der  obersten  Lage  (c) 
sind  diese  Zellen  zuweilen  ganz  schöne  grosse  Cylinderzellen. 

—  Wenn  man  von  den  Vertiefungen  auf  die  Erhöhungen 
übergeht,  so  verändert  sich  nicht  bloss  die  Zahl  der  Zellen, 
sondern  auch  deren  Form;  die  Zellen  platten  sich  immer 
mehr  ab.  Die  Abflachung  betrifft  zuerst  nur  die  oberfläch- 
lichsten Zellen,  später  aber  auch  die  Basalzellen.  Man 
findet  daher  die  Kuppe  der  Erhöhungen  nur  von  einer  ganz 
dünnen  Epithelschichte  überzogen,  ja  zuweilen  ist  hier  das 
Epithel  auf  eine  zweifache  Lage  abgeplatteter  Zellen  redu- 
cirt (welche  auf  dem  Querschnitte  spindelförmig  aussehen, 
wie  in  Fig.  16).  —  Das  Epithel  der  Bindehaut  ist  also  — 
entgegen  den  Behauptungen  der  Autoren  —  über  der  Pin- 


168  E.  Fache. 

guecula  weder  im  Ganzen  verdickt  noch  verdünnt  Es  hat 
viehnehr  in  den  Einsenkungen  ungefähr  seine  normale  Dicke, 
während  es  auf  der  Höhe  der  Hügel  bedeutend  verdünnt 
ist.  Nur  wo  die  Pinguecula  eine  ganz  gleichmässige  Er-> 
hebung  bildet»  was  zuweilen  vorkommt,  ist  auch  das  Epi- 
thel in  grösserer  Ausdehnung  gleichmässig  verdünnt. 

^  Das  Epithel  über  der  Pinguecula  soll  nach  Gallenga 
Pigment  enthalten,  welches  in  den  tieferen  Lagen  des  Epi- 
thels sitzt  und  die  gelbe  Farbe  der  Pinguecula  bedingt. 
Wedl  und  Bock  haben  auch  in  der  Pinguecula  selbst 
(welche  sie  aus  derbem  Bindegewebe  bestehen  lassen)« 
schmutzig«gelbe  Pigmentkörnchen  gesehen.  Dem  gegenüber 
muss  ich  sagen,  dass  das  Pigment  in  der  Pinguecula  eine 
sehr  untergeordnete  Rolle  spielt.  Von  allen  Fällen  von 
Pinguecula,  welche  ich  in  Serienschnitte  zerlegte,  habe  ich 
nur  bei  zweien  Pigment  im  Epithel  nachweisen  können. 
Dasselbe  lag  in  Form  feiner  gelber  oder  brauner  Körnchen 
in  den  Basalzellen  des  Epithels.  Es  fand  sich  nur  an  ein-- 
zelnen  Stellen  und  in  so  geringer  Menge,  dass  es  nur  durch 
eine  genaue  Durchmusterung  aller  Schnitte  mit  stärkerer 
Yergrösserung  entdeckt  werden  konnte.  Unterhalb  des  Epi- 
thels, in  der  Bindehaut  oder  in  dem  Gewebe  der  Pingue- 
cula selbst  habe  ich  dagegen  in  keinem  einzigen  dieser 
Fälle  Pigment  gefunden.  Damit  will  ich  durchaus  nicht  in 
Abrede  stellen,  dass  ausnahmsweise  in  der  Pinguecula  reich- 
liches Pigment  vorkommen  kann.  Das  Epithel  der  Binde- 
haut enthält  am  Limbus  und  in  dessen  Nachbarschaft  häufig 
Pigment,  namentlich  bei  brünetten  Personen.  Man  erkennt 
bei  diesen  nicht  selten  schon  mit  freiem  Auge  kleine  braune 
Flecken  am  Limbus,  durch  Pigmentanhäufung  bedingt.  Bei 
einem  solchen  Lidividuum  habe  ich  auch  einmal  die  Binde- 
haut über  der  Pinguecula  braun  gefleckt  gesehen,  so  dass 
diese  besonders  dunkel  aussah.  Ich  habe  diese  Pinguecula 
excidirt  und  geschnitten.  Dieselbe  zeigte  in  der  That  eine 
reichliche  Pigmentirung   des  Epithels,  dessen  Basalzellen 


Zur  Anatomie  der  Pinguecula.  169 

überall  zahlreiche  Pigmentkömchen  in  ihrem  Protoplasma 
enthielten«  An  einzelnen  Stellen,  welche  den  makroskopisch 
sichtbaren  bratmen  Flecken  entsprachen ,  reichte  die  Pig- 
mentimng  bis  in  die  obersten  Zellenlagen.  Auch  das  Stroma 
der  Bindehaut  enthielt  Pigment^  jedoch  nur  in  Form  ganz 
vereinzelter  kleiner  Häufchen  von  Pigmentkörnchen,  welche 
keinen  Einfluss  auf  die  Farbe  der  Pinguecula  im  Ganzen 
haben  konnten.  Eine  so  starke  Pigmentirung  der  Pingue- 
cula mag  in  den  südlichen  Ländern,  wo  die  Menschen  im 
Allgemeinen  stärker  pigmentirt  sind,  häufiger  vorkommen, 
woraus  sich  Gallenga's  Angaben  erklären;  bei  uns  aber 
muss  dies  als  Ausnahmsfall  angesehen  werden.  Wir  können 
somit  als  Regel  aufstellen,  dass  die  gelbe  Färbung  der  Pin- 
guecula nicht  durch  Pigment  bedingt  ist,  sondern  durch 
die  gelbliche  Farbe  der  abgelagerten  hyalinen  Massen  ver^- 
schiedener  Art,  sowie  die  Concremente. 

Yassaux  und  Gallenga  geben  an,  dass  das  Epithel 
über  der  Pinguecula  oberflächliche  Yerhomung  zeige.  Ich 
habe  nur  in  zwei  Fällen  gesehen,  dass  über  einem  Theile 
der  Pinguecula  die  oberflächlichsten  Epithelzellen  besonders 
stark  a'bgeplattet  waren,  während  die  Zellengrenzen  sowie 
die  Kerne  theils  weniger  deutlich,  theils'ganz  verschwun- 
den waren  und  die .  Zellen  im  Ganzen  mit  Carmin  oder 
Hämatoxylin  sich  weniger  färbten.  Es  machte  mir  den 
Eindruck,  als  ob  diese  Stellen  vielleicht  einem  jener  trocken 
aussehenden  Flecken  entsprächen,  welche  man  nicht  selten 
im  Bereiche  der  Pinguecula 'sieht 

In  zwei  Fällen  habe  ich  stellenweise  an  den  Epithel- 
zellen jene  Veränderung  gefunden,  welche  zuerst  von  de 
Vincentius  als  coUoide  Degeneration  an  den  Zellen  des 
Hornhautepithels  beschrieben  wurde  ^).  Die  Epithelzellen 
sind  vergrössert,  rund,  von  mehr  homogener  Beschaffenheit, 
und  sehen  gleichsam  wie  blasig  aufgetrieben  aus.  Der  Kern 

0  Contribuzione  all*  anatomia  patologica  dell*  occhio.  Napoli 
1873.   S.  18  (Estratto  del  Movimento  Medico-chirurgico). 


170  E.  Fuchs. 

liegt  in  Form  eines  schmalen  Halbmondes  ganz  an  der 
Peripherie  der  Zelle  und  zwar  stets  an  jener  Seite,  welche 
der  Tiefe  zugewendet  ist  Diese  Veränderung  betrifft  alle 
Zellen  gleichmässig,  mit  Ausnahme  der  Basalzellen  und  etwa 
noch  der  unmittelbar  darauffolgenden  Zellenreihe. 

•  Gleichfalls  als  ausnahmsweisen  Befund  erwähne  ich  das 
Vorkommen  von  Concrementen,  wie  sie  der  Pinguecula  eigen- 
thümlich  sind,  im  Epithel.  Dieselben  sind  nicht  im  Epithel 
selbst  entstanden,  sondern  in  den  oberflächlichsten  Schichten 
der  Bindehaut.  Durch  Usur  der  unmittelbar  unter  dem  Epi- 
thel liegenden  Bindegewebslage  gelangten  sie  in  das  Epithel. 
Einmal  sah  ich  sogar  das  Epithel  über  einem  grossen  Goncre- 
mente  fehlen:  es  wäre  daher  wohl  denkbar,  dass  auf  solche 
Weise  manchmal  Goncremente  ganz  ausgestossen  würden. 

Gallenga  beschreibt  in  der  Pinguecula  einen  von  der 
Oberfläche  in  die  Tiefe  gehenden  Ganal,  welcher  als  Blind- 
sack endigt  (siehe  Seite  145).  Ich  habe  hauptsächlich  zu 
dem  Zwecke,  diesen  Canal  zu  finden,  die  Methode  der  Se- 
rienschnitte beim  Schneiden  der  Pinguecula  angewendet,  so 
dass  er  mir  in  den  Fällen,  welche  ich  untersuchte,  sicher 
nicht  entgangen  wäre,  wenn  er  vorhanden  gewesen  wäre. 
Trotzdem  habe  ich  niemals  auch  nur  eine  Andeutung  die- 
ses Ganales  finden  können.  Derselbe  ist  also  entweder  ein 
seltenes  Vorkommniss,  so  dass  er  in  den  von  mir  unter- 
suchten Fällen  zufalliger  Weise  nicht  existirte,  oder  er  ist 
ein  Artefact.  Gallenga  hat  nur  abgetragene  Bindehaut- 
stückchen mit  Pinguecula  histologisch  untersucht.  Da  ist 
es  wohl  möglich,  dass  durch  Schrumpfung  dieser  Stückchen 
in  den  Erhärtungsflüssigkeiten  Unebenheiten  der  Oberfläche 
entstehen,  welche  an  Querschnitten  selbst  als  grössere  Ein- 
stülpungen imponiren  können,  die  aber  am  lebenden  Auge 
nicht  vorhanden  waren.  Auf  ähnliche  Weise  erklärt  sich 
vielleicht  auch  die  von  Gallenga  beschriebene  papilläre 
Beschaffenheit  der  Bindehautoberfläche  über  der  Pingue- 
cula, welche  ich  gleichfalls  niemals  habe  sehen  können. 


Zur  Anatomie  der  Pinguecula.  171 

In  zwei  Fällen  von  Pingnecala  wurden  im  Epithel  der 
Bindehaut  Körper  gefunden,  welche  für  Psorospermien  an- 
gesehen werden  müssen.  Die  kleinsten  derselben  maassen  kaum 
0,006mm  im  Durchmesser,  während  die  grössten  bis  zu  0,025mm 
heranwuchsen.  Sie  waren  hell,  stark  lichtbrechend,  rund,  scharf 
begrenzt  und  zwar  von  einem  doppelten  Contour.  Einige  ent^ 
hielten  eine  grosse  Zahl  kleiner  Krümel,  oder  einige  wenige 
unregelmässig  geformte  grössere  Bröckel,  andere  dagegen  ein 
bis  drei  kornartige  Körper,  welche  zuweilen  noch  einen  Nu- 
cleolus  hatten.  Die  Psorospermien  und  ihr  Inhalt  hatten  im 
ungefärbten  Zustande  einen  grünlichen  Schimmer  und  färbten 
sich  mit  den  verschiedenen  Tinctionsmitteln  gar  nicht  oder  nur 
sehr  schwach.  Bei  den  kleinsten  von  ihnen  war  es  leicht  fest- 
zustellen, dass  sie  sich  im  Protoplasma  einer  Epithelzelle  ent- 
wickelten, deren  Kern  dadurch  immer  mehr  zur  Seite  gedrängt 
wurde.  Bei  den  grösseren  Psorospermien,  welche  die  Zelle 
vollständig  erfüllten,  war  deren  Lage  innerhalb  der  Zelle  nicht 
mehr  deutlich  zu  erkennen,  wenn  auch  der  plattgedrückte  und 
der  Peripherie  des  Körperchens  anliegende  Zellkern  noch  dar- 
auf hinwies.  —  In  weit  grösserer  Menge  fand  ich  diese  Kör- 
per in  einem  Falle  von  Pterygiunl  und  zwar  im  Epithel  jener 
Einstülpungen,  welche  sich  oft  ziemlich  weit  unter  das  Ptery- 
gium  erstrecken.  Hier  mögen  im  Ganzen  mehrere  Hundert 
solcher  Körper  vorhanden  gewesen  sein.  Dieselben  Körper  hat 
kürzlich  einer  meiner  Schüler,  Herr  Dr.  Wintersteiner,  bei 
der  Untersuchung  eines  Stückchens  Bindehaut  gefunden,  wel- 
ches ich  einmal  excidirt  hatte,  weil  sich  ein  schwarzer  Pig- 
mentfleck in  demselben  entwickelte.  Auch  in  diesem  Falle  la- 
gen die  Körperchen  in  den  Epithelzellen,  welche  Einstülpungen 
auskleideten,  die  von  der  Oberfläche  in  die  Tiefe  sich  erstreck- 
ten. Ich  halte  die  Psorospermien  in  diesen  Fällen  für  zubil- 
lige Befunde,  welche  mit  der  Pinguecula  oder  dem  Pterygium 
weiter  nichts  zu  thun  haben  und  führe  sie  nur  deshalb  an, 
weil  meines  Wissens  in  der  menschlichen  Bindehaut  bisher 
keine  Psorospermien  gesehen  worden  sind.  In  anderen  Theilen 
des  menschlichen  Körpers  hat  man  sie  dagegen  öfter  nachge- 
wiesen, so  namentlich  im  Molluscum  contagiosum  cBollinger 
u.  A.)  und  anderen  kleinen  Geschwülsten  der  Haut  (Darier), 
bei  der  Paget'schen  Krankheit  der  Brustwarze  (Darier),  in 
der  Leber  (G übler  und  Leuckart),  in  pleuritischen  Exsudaten 
(Künstler  und  Pitres)  u.s.  w. 


172  E.  Fuchs. 

2)  Als  zweite  Schichte  folgt  eine  Bindegewebslage. 
Dieselbe  liegt  unmittelbar  unter  dem  Epithel  und  ist  nichts 
anderes  als  das  Bindegewebe  der  Bindehaut  selbst,  die 
eigentliche  Mucosa.  Dieselbe  zeigt  etwas  weiter  vom  Hom- 
hautrande  entfernt  noch  ihre  normale  Beschaffenheit»  näm- 
lich die  Zusammensetzung  aus  welligem  Bindegewebe  mit 
ziemlich  reichlichen  Kernen  und  Gefassen.  Nahe  dem  Hom- 
hautrande  dagegen,  auf  der  Höhe  der  Pinguecula,  ist  diese 
Schichte  durch  den  Druck,  welchen  die  unterliegende  Pin- 
guecula ausübt,  verändert  Die  Bindegewebsfasern  sind  innig 
aneinander  gepresst,  so  dass  ein  sehr  dichtes  Gewebe  ent- 
steht, welches  nur  mehr  eine  ganz  zarte  Streifung  zeigt;  die 
Blutgefässe  sind  gänzlich,  die  Kerne  bis  auf  einige  wenige 
daraus  verschwunden.  Die  Dicke  dieser  Schichte  ist  ver- 
schieden, da  sie  oft  auf  der  Kuppe  der  Hügel  dünner  ist 
als  in  den  Vertiefungen.  Sie  kann  so  dünn  und  so  homo- 
gen werden,  dass  man  eine  structurlose  Basalmembran  des 
Epithels  vor  sich  zu  haben  glaubt  (Fig.  14,  2);  stollenweise 
kann  sie  sogar  ganz  fehlen. 

Am  Homhautrande  setzt  sich  die  zweite  Schichte  in 
die  oberflächL'chsten  Lamellen  der  Hornhaut  fort.  Bald  sind 
es  mehr,  bald  weniger  von  diesen  Lamellen,  welche  so  in 
die  Bindehaut  übergehen,  aber  immer  lässt  sich  ein  solcher 
Uebergang  unzweifelhaft  feststellen  (Fig.  14  bei  e).  Der- 
selbe springt  sogar  an  den  Präparaten  mit  Pinguecula  be- 
sonders deutlich  in  die  Augen,  weil  sich  diese  zwischen 
Bindehaut  und  Sclera  einlagert  und  bei  ihrem  Vordringen 
gegen  die  Hornhaut  die  Bindehaut  mehr  und  mehr  Von  der 
Unterlage  abhebt,  gleichsam  in  natürlicher  Weise  abprä- 
parirt  Die  oberflächlichsten  Homhautlamellen  gehören  da- 
her anatomisch  nicht  zur  Sclera,  sondern  zur  Conjunctiva, 
wenigstens  was  die  Randtheile  der  Hornhaut  anlangt^). 

*)  Nach  Schwalbe  (Lehrbuch  der  Anatomie  der  SinneBorgane, 
S.  149),  existirt  diese  Pars  conjuncüvalis  corneae  nur  am  Rande  der 
Hornhaut,  bis  zum  Beginne  der  Bowman*8chen  Membran,  welche 


Zur  Anatomie  der  Pingaecala.  173 

Bemerkenswerth  ist  die  Beschaffenheit  der  Oberfläche 
der  zweiten  Schichte.  Dieselbe  zeigt  zunächst  flache,  hügel- 
förmige  Erhebungen,  indem  sie  durch  die  darunter  liegen- 
den Läppchen  der  Pinguecula  in  unregelmässiger  Weise 
empoi^ehoben  wird  (z.  B.  in  Fig.  14  bei  2).  Ausserdem  be- 
stehen aber  nicht  selten  Unebenheiten,  welche  wie  Fal- 
tungen der  Oberfläche  aussehen  (Fig.  14,  bei  a).  Es  scheint 
als  ob  die  Bindehaut  durch  einen  unter  ihr  wirkenden  Zug 
nach  dem  Homhautrande  hin  zusammengeschoben  würde, 
80  dass  sich  ihre  Oberfläche  in  Fallen  legt.  Auf  einen  glei- 
chen Zug  gegen  den  Hornhautrand  hin  deutet  der  Um- 
stand, dass  der  Rand  der  Pinguecula  öfter  gegen  den  Hom- 
hautrand  gleichsam  andringt  und  denselben  überlagert.  Da- 
bei werden  die  obersten  Lamellen  der  Hornhaut,  welche 
die  Fortsetzung  der  zweiten  Schichte  bilden,  von  der  Un- 
terlage, abgedrängt  und  mit  in  die  Bedeckung  der  Pingue- 
cula einbezogen  (Fig.  14  bei  e).  Ich  hebe  diesen  Umstand 
hauptsächlich  deshalb  hervor,  weil  das  Hinüberwachsen  der 
Pinguecula  auf  die  Hornhaut  mit  der  Bildung  des  Flügel- 
felles zusammenhängt. 

3)  Die  nun  folgende  Schichte  besteht  aus  länglichen 
Lappen  (Fig.  14,  3),  welche  theils  gegen  das  Nachbarge- 
webe gut  abgegrenzt  sind  —  am  besten*  gegen  die  zweite 
Schichte  hin  —  an  anderen  Stellen  dagegen  in  die  folgen- 
den Schichten  allmälig  übergeheiL  Es  sind  die  Läppchen, 
welche  die  Pinguecula  selbst  bilden,  im  Querschnitte  ge- 
sehen. Die  ganze  Schichte  hat  bei  schwacher  Vergrösse- 
rung  ein  dichtes  und  ziemlich  homogenes  Aussehen.  Blut- 
gefässe finden  sich  fast  gar  nicht  in  ihr  und  auch  die  Kerne 


Schwalbe  zum  seienden  TheUe  der  Hornhaut  rech^et.  Waldeyer 
dagegen  sieht  das  vordere  Homhantepithel,  die  Bowman'sche  Mem- 
bran und  die  oberflächlichsten  Lamellen  der  Hornhaut  in  der  gan- 
zen Ausdehnung  der  letzteren  als  den  conjunctivalen  TheU  der  Horn- 
haut an  (Handbuch  der  Augenheilkunde  von  Graefe-Saemisch, 
I.  Band,  S.  170). 


174  E.  Fuchs. 

sind  sehr  spärlich  und  fast  nur  an  den  Rändern  der 
Läppchen  vorhanden.  Diese  letzteren  zeigen  sich  auf  den 
Querschnitten  aus  zwei  Bestandtheilen  zusammengesetzt. 
Der  erste  sind  Fasern,  welche  in  verschiedenen  Richtungen 
sich  durchkreuzen,  hauptsächlich  aber  der  Oberfläche  der 
Bindehaut  ungefähr  parallel  verlaufen;  der  zweite  sind  sehr 
kleine  Felder,  theils  rundlich,  theils  unregelmässig  polygo- 
nal, welche  zwischen  den  Fasern  eingeschlosseii  sind.  Die 
Fasern  entsprechen  den  meridional  verlaufenden  Fasern  der 
Bindehaut.  Die  Bedeutung  der  kleinen  Felder  wird  klar, 
wenn  man  dieselben  an  sehr  feinen  Schnitten  durch  Zer- 
zupfen isolirt  Die  kleinsten  rundlichen  Felder  sind  Quer- 
schnitte von  Bindegewebsfasern,  welche  in  circulärer  Rich- 
tung ziehen  und  daher  an  den  meridional  geführten  Schnit- 
ten quer  getroffen  sind.  Die  meisten  Felder  aber,  welche 
etwas  grösser  und  polygonal  sind,  entsprechen  Schollen  der 
amorphen  hyalinen  Substanz,  welche  frei  zwischen  den  Binde- 
gewebsfasern lagert  (siehe  S.  150).  —  An  anderen  Präpa- 
raten ist  die  feinere  Structur  dieser  Lappen,  welche  die 
dritte  Schichte  zusammensetzen,  etwas  anders;  man  erkennt 
schon  an  den  Schnitten,  dass  es  sich  um  Querschnitte  von 
stark  gewundenen,  elastischen  Fasern  verschiedener  Grösse 
handelt.  Dies  ist  dann  der  Fall,  wenn  der  Schnitt  eines 
jener  Läppchen  getroffen  hat,  welche  aus  elastischen  Fa- 
sern bestehen. 

Die  dritte  Schichte  ist  es  also,  welche  der  Pinguecula 
selbst  entspricht  Sie  bedingt  die  eigentliche  Verdickung 
der  Bindehaut  an  dieser  Stelle;  die  ungleichmässigen  Dimen- 
sionen der  Läppchen,  aus  welchen  diese  Schichte  besteht, 
verursachen  die  Unebenheit  der  Oberfläche,  welche  die  bei- 
den vorderen  Schichten  zeigen. 

Die  dritte  Schichte  ist  der  Hauptsitz  der  Concremente. 
Je  nach  dem  Falle,  den  man  vor  sich  hat,  findet  man  darin 
bald  nur  wenige,  bald  viele  und  von  bedeutender  Grösse. 
Die  kleinsten  Concremente  erscheinen  in  den  ungefärbten 


Zar  Anatomie  der  Pinguecula.  175 

Schnitten  als  stark  lichtbrechende,  grünlich  schillernde  Krü- 
mel Dieselben  liegen  gewöhnlich  gruppenweise  beisammen 
(Fig.  14  unter  b)  und  bilden  oft  eine  der  Bindehautober- 
fläche ungefähr  parallele  Lage.  Die  grösseren  Cohcremente 
fallen  sofort  in  die  Augen  und  können  oft  schon  mit  freiem 
Auge  in  den  Schnitten  wahrgenommen  werden  (Figur  14 
unter  c  und  d).  Die  Concremente  entwickeln  sich  in  jenen 
Theilen  der  Läppchen,  welche  der  Oberfläche  der  Binde- 
haut zugewendet  sind,  in  grösserer  Anzahl  als  in  den  tiefen. 
Ausserdem  scheinen  sie  aber  auch  die  Neigung  zu  besitzen, 
nach  der  Oberfläche  zu  wandern,  denn  man  sieht  sie  nicht 
selten  die  Grenzen  der  dritten  Schichte  durchbrechen  und 
in  die  zweite  Schichte,  ja  selbst  in  das  Epithel  gelangen. 

4)  Unter  der  eben  beschriebenen  Schichte  folgen  die 
hyalinen  Bindegewebsfasern  (Fig.  14,4).  Die  Art  ihrer 
Anordnung  ist  zweifach.  Dieselben  liegen  entweder  als  eine 
nicht  scharf  abgegrenzte  Schichte  auf  grössere  Strecken  hin 
ausgebreitet.  Sie  haben  einen  ziemlich  geradlinigen  Ver- 
lauf, fallen  aber  durch  ihre  bedeutende  Dicke,  ihr  homo- 
genes Aussehen  und  ihre  verschiedene  Tinction  sofort  zwi- 
schen den  normalen  Bindegewebsfasern  auf.  Die  zweite  Art 
der  Anordnung  besteht  darin,  dass  man  Querschnitte  von 
Läppchen  sieht,  welche  aus  gewundenen  und  mehrfach  zu- 
sammengelegten hyalinen  Fasern  bestehen  (Fig.  14,4,  Fig.  5) 
und  von  Endothelhäutchen  eingeschlossen  werden.  Es  sind 
die  auf  S.  156  beschriebenen  rundlichen  und  wohl  abge- 
grenzten Läppchen  (Figur  6).  In  den  hyalin  degenerirten 
Bindegewebsfasern  kann  man  sehr  häufig  das  Auftreten  von 
kleinen  krümeligen  Goncrementen  constatiren. 

Die  Läppchen  der  Pinguecula  entwickeln  sich  vorzugs- 
weise unterhalb  der  eigentlichen  Mucosa  im  subconjuncti- 
valen  Bindegewebe,  welches  sie  verdrängen,  so  dass  von 
demselben  nur  eine  dünne  Lage  übrig  bleibt  (Fig.  14,  5). 
Die  auf  die  Läppchen  folgende 

5)  Schichte  wird  daher  von  diesem  lockeren  sub- 


176  E.  Fuchs. 

conjunctivalen  Zellgewebe  gebildet.  Dasselbe  lässt  hie 
und  da  bereits  den  Beginn  jener  Veränderungen  erkennen, 
aus  welchen  sich  später  die  Läppchen  entwickeln.  So  sieht 
man  an  einzelnen  Stellen  zwischen  den  Bindegewebsfasern 
sehr  feine  Krümel,  welche  einer  beginnenden  Ausscheidung 
amorpher  hyaliner  Substanz  entsprechen.  Viel  mehr  als  diese 
springen  jedoch  die  zahlreichen  vergrösserten  elastischen 
Fasern  in  die  Augen.  Dieselben  bilden  hier  noch  nicht 
grosse  Läppchen,  sondern  liegen  zumeist  in  kleineren  Grup- 
pen lose  beisammen.  Es  giebt  solche  Gruppen,  deren  Fa- 
sern alle  ziemlich  das  gleiche  Caliber  haben;  dann  könnte 
man  Teranlasst  sein,  diese  für  Pilzrasen  anzusehen,  wozu 
auch  das  glänzende,  grünlich  schillernde  Aussehen  dieser 
Fasern  im  ungefärbten  Zustande,  ihre  Resistenz  gegen  Rea- 
gentien  u.  s.  w.  verleiten  könnte.  Zumeist  jedoch  sind  die 
Gruppen  aus  Fasern  von  ungleicher,  oft  sehr  bedeutender 
Stärke  gebildet;  die  auf  S.  161  erwähnten  Gruppen  beson- 
ders didcer  Fasern  haben  hier  im  subconjunctivalen  Binde- 
gewebe ihren  Sitz  (Fig.  14 f).  Die  grössten  Fasern  findet 
man  in  mehrere  Bruchstücke  zerfallen.  Die  Verbreitung 
dieser  elastischen  Fasern  im  subconjunctivalen  Bindegewebe 
erstreckt  sich  ziemlich  weit  über  die  Grenzen  der  eigent- 
lichen Pinguecula  hinaus.  Das  Gleiche  gilt  für  das  nun 
folgende 

6)  episclerale  Bindegewebe  (Fig.  14  £p).  Auch  die- 
ses enthält  sehr  oft  vergrösserte  elastische  Fasern  (Fig.  14,6), 
welche  man  selbst  noch  weit  entfernt  vom  Homhautrande 
antri£Pt.  Zur  Bildung  grosser  Gruppen  von  elastischen  Fa- 
sern kommt  es  jedoch  hier  nicht  und  ebenso  wenig  errei- 
chen sie  hier  jene  bedeutende  Grösse,  wie  im  subconjunc- 
tivalen Bindegewebe.  —  Das  lockere  episclerale  Bindegewebe 
geht  ohne  scharfe  Grenze  in  die 

7)  Sclera  über  (Fig.  14S).  Diese  ist  in  ihren  ober- 
flächlichen Lagen  gleichfalls  oft  der  Sitz  von  vergrösserten 
elastischen  Fasern,  welche  man  zuweilen  bis  in  die  ober- 


Zur  Anatomie  der  Pinguecula.  177 

flächlichen  Schichten  der  Sehne  des  Rectus  internus  oder 
extemos  verfolgen  kann  (Fig.  14,  7).  Auch  die  auf  S.  158 
beschriebene  hyaline  Degeneration  der  Scleralfasern  selbst 
muss  hier  erwähnt  werden. 

Das  hier  entworfene  histologische  Bild  der  Pinguecula 
ist  das  Ergebniss  einer  grossen  Anzahl  von  mikroskopischen 
Befunden.  Es  ist  aus  denselben  zusammengefasst  und  da- 
her nothwendig  etwas  schematisirt.  Man  darf  deshalb  nicht 
erwarten,  in  jedem  Schnitte,  den  man  durch  eine  beliebige 
Pinguecula  fuhrt,  alle  beschriebenen  Veränderungen  wohl 
ausgeprägt  anzutreffen  und  ebensowenig  sind  die  hier  an- 
geführten Schichten  alle  vorhanden  oder  scharf  von  einan- 
der abgegrenzt 

Es  bandelt  sich  also  bei  der  Pinguecula  um  eine  histo- 
logische Veränderung  der  Bindehaut,  welche  man  als  De- 
generation bezeichnen  muss.  Dieselbe  äussert  sich  als  Ab- 
lagerung freien  Hyalins  und  als  hyaline  Entartung  der  phy- 
siologischen Gewebselemente  (Bindegewebs-  und  elastische 
Fasern).  Die  Ursache  dieser  Veränderung  ist  zweifach,  näm- 
lich die  Senescenz  des  Gewebes  verbunden  mit  der  dauern- 
den Einwirkung  äusserer  Schädlichkeiten.  Wir  wollen  uns 
zuerst  mit  der  Bildung  des  Hyalins  und  mit  dessen  Eigen- 
schaften im  Allgemeinen  beschäftigen  und  dann  sehen,  ob 
dasselbe  auch  an  anderen  Orten  des  Körpers  unter  ähnlichen 
Bedingungen  entsteht,  wie  sie  bei  der  Pinguecula  gege- 
ben sind. 

Das  Hyalin  wurde  zuerst  von  Recklinghausen ^)  aus 
der  grossen  Gruppe  der  coUoiden  Substanzen  ausgeschieden. 
Es  hat  Aehnlichkeit  mit  dem  Amyloid,  indem  es  gleich  die- 
sem ein  unlöslicher  Eiweisskörper  ist,  welcher  bei  Ernäh- 
rungsstörungen im  Gewebe  abgeschieden  wird.  Die  charak- 
teristischen Eigenschaften  des  Hyalins  sind  nach  Reckling- 

')  Handbuch  der  allgem.  Pathologie  1883,  S.  405. 

T.  Oraefe'B  Archiv  fOr  Ophthidinologie.  XXXVII.  3.  12 


178  £•  FacbB. 

hausen:  1)  eine  homogene  Beschaffenheit  und  grosses  Licht- 
brechungSYormögen;  2)  grosse  Widerstandsfähigkeit  gegen 
Reagentien,  wie  starke  Säuren  und  Alkalien  und  endlich 
3)  starke  Tinctionsfähigkeit.  »^Karmin,  Pikrokarmin,  weni- 
ger das  Hämatoxylin,  namentlich  Eosin  und  das  säurebe- 
ständige Fuchsin  tingiren  das  Hyalin  in  auffällig  starkem 
Grade/'  —  Das  Hyalin  findet  sich  in  den  verschiedensten 
Organen  und  als  Folge  der  Terschiedensten  Processe,  so 
dass  man  wohl  zweifeln  möchte,  ob  es  sich  hier  wirklich 
immer  um  dieselbe  Substanz  handelt  „Es  ist  vielmehr  noch 
Ungewisses  sagt  Recklinghausen,  „ob  nicht  Zusammen- 
setzungen, Mischungen  verschiedener  Körper  vorliegen  und 
ob  die  geschilderte  Substanz  in  allen  Fällen  identisch  ist/^ 
Das  Hyalin  ist  mit  dem  Fibrin  verwandt  und  Fibrin  kann 
höchstwahrscheinlich  in  Hyalin  übergehen.  Weigert^)  geht 
noch  weiter  und  meint,  dass  das  meiste  von  dem,  was 
Recklinghausen  als  Hyalin  beschrieben  hatte,'  nichts  an- 
deres sei  als  geronnenes  Fibrin.  Zum  Nachweise  des  Fi- 
brins hat  Weigert  eine  Färbungsmethode  mit  Gentianavio- 
lett  angegeben,  welche  charakteristisch  für  Fibrin  sein  soll. 
Die  von  Recklinghausen  für  das  Hyalin  geforderten 
Eigenschaften  treffen  zum  grÖssten  Theile  für  die  patholo- 
gisch veränderten  Gewebsbestandtheile  der  Pinguecula  zu* 
Die  amorphen  Schollen,  die  degenerirten  Bindegewebsfasern 
und  die  vergrösserten  elastischen  Fasern,  endlich  die  Con- 
cremente  verschiedenen  Ursprunges  zeichnen  sich  durch 
homogene  Beschaffenheit,  starken  Glanz  und  grosse  Wider- 
standsfähigkeit gegen  Säuren  und  Alkalien  aus,  welche  die- 
selben nicht  zu  verändern  vermögen.  Was  das  Verhalten 
gegen  Tinctionsmittel  anlangt,  so  sagt  Recklinghausen 
vom  Pikrokarmin  nicht,  ob  das  Hyalin  dadurch  roth  oder 
gelb  gefärbt  wird.   Ich  kann  dies  dahin  ergänzen,  dass  die 

^)  Kritische  und  ergänzende  Bemerkungen  zur  Coagalations- 
necrose  mit  Berficksichügnng  der  Hyalinbildung.  Deutsche  medic 
Wochenschrift  1885,  Nr.  44,  S.  747. 


Zur  Anatomie  der  Pinguecula.  179 

hyalin  degenerirten  Theile  damit  schön  gelb  werden  im 
Gegensatze  zu  dem  umgebenden  roth  gefärbten  Oewebe. 
Vom  Hämatoxylin  meint  Recklinghausen,  dass  es  das 
Hyalin  nicht  stark  färbe;  dem  gegenüber  haben  wir  gese- 
hen, dass  in  der  Pinguecula  die  hyalin  degenerirten  Theile 
zum  Theil  sehr  intensiv  gefärbt  werden,  wie  z.B.  vergrös- 
serte  elastische  Fasern  und  Goncremente  verschiedener  Art. 
Am  intensivsten  ist  jedoch  die  Färbung  mittelst  der  Wei- 
gert'schen  Hämatoxylinmethode,  welche  Recklinghausen 
noch  nicht  erwähnt  Was  endlich  das  von  Recklinghau- 
sen besonders  hervorgehobene  Säurefuchsin  betrifft,  so  habe 
ich  dasselbe  so  angewendet,  dass  ich  die  in  wässeriger 
Säurefuchsinlösung  gefärbten  Schnitte  in  schwefelsäurehal- 
tigem Alkohol  wieder  entfärbte.  Dabei  bleiben  die  Kerne 
roth,  während  alles  übrige  Gewebe  einen  blassgelben  oder 
bräunlichen  Ton  annimmt  Gleich  den  Kernen,  treten  in 
solchen  Präparaten  die  feinen  elastischen  Fasern  in  der 
Bindehaut  und  Sclera,  sowie  die  kleineren  Goncremente 
durch  ihre  dunkelrothe  Farbe  sofort  hervor;  dasselbe  gilt 
für  die  degenerirenden  Bindegewebsfasern  der  Sclera.  Die 
ganz  dicken,  schon  zerfallenden  elastischen  Fasern  haben 
dagegen  ihre  rothe  Farbe  abgegeben  und  erscheinen  leicht 
bräunlich.  Dieselbe  lichte  Farbe  konunt  den  völlig  dege- 
nerirten und  in  amorphe  Schollen  verwandelten  Bindege- 
websfasern der  Sclera  zu  und  auch  die  ganz  grossen  Gon- 
cremente in  der  Pinguecula  (sowie  auch  im  Arcus  senilis) 
sind  nur  mehr  an  ihren  Rändern  roth  gefärbt  Es  scheint 
also,  dass  die  hyalinen  Produkte,  wenn  sie  älter  werden, 
nun  weiteren  Veränderungen  unterliegen,  wodurch  ihre  Färb- 
barkeit  wieder  abnimmt.  Die  hyalin  degenerirten  Binde- 
gewebsfasern der  Bindehaut  zeigen  jedoch  schon  vom  An- 
fange an  dieses  Verhalten  gegen  Säurefuchsin,  welches  sie 
bei  Zusatz  einer  Säure  wieder  fahren  lassen  und  stimmen 
somit  in  dieser  Beziehung  mit  den  Zerfallsprodukten  der 
anderen   hyalin   degenerirten   Elemente   überein.     Analoge 

12* 


180  E.  Fuchs. 

Tinctionseffecte  erhält  man,  wenn  man  mit  einem  Gemenge 
von  gewöhnlicher  alkoholischer  Fnchsinlösung  und  von  Me- 
ihylgrün  färbt  und  die  Schnitte  dann  in  Alkohol  entfärbt. 

Die  tinctoriellen  Eigenschaften  der  degenerirten  Ele- 
mente der  Pinguecula  stimmen  also,  wenn  auch  nicht  in 
jedem  einzelnen  Punkte,  so  doch  im  Allgemeinen  mit  den 
von  Recklinghausen  aufgestellten  Sätzen  überein.  Dass 
die  Uebereinstimmung  keine  vollkommene  ist,  darf  uns  nicht 
Wunder  nehmen,  da  ja  nach  Recklinghausen  selbst  die 
Reactionen  des  Hyalins  in  gewissem  Grade  variabel  sind. 
Was  die  Weigert'sche  Behauptung  anlangt,  dass  das  Hya- 
lin zumeist  nichts  anderes  als  geronnenes  Fibrin  sei,  so 
kann  ich  dieselbe  für  die  Pinguecula  nicht  bestätigen.  Ge- 
rade die  von  Weigert  selbst  angegebene  Methode  der  Fi- 
brinfarbung  liess  die  degenerirten  Gewebselemente  der  Pin- 
guecula stets  ungefärbt,  wenn  ich  einen  einzigen,  auf  S.  164 
angeführten  Fall  ausnehme. 

Das  Hyalin  steht  dem  Amyloid  nahe  und  kann  eigent- 
lich nur  dadurch  mit  Sicherheit  von  demselben  unterschie- 
den werden,  dass  es  dessen  charakteristische  Reactionen 
mit  Jod  und  Methylviolett  nicht  giebt  Wenn  man  aber 
zuweilen  hyaline  Substanzen  findet,  welche  diese  Reactionen 
zum  Theil  und  gleichsam  angedeutet  zeigen,  so  muss  man 
annehmen,  dass  man  es  mit  Substanzen  zu  thun  habe,  welche 
auf  dem  Wege  der  Umwandlung  des  Hyalins  in  Amyloid 
sich  befinden.  Recklinghausen  hat  zuerst  die  Behaup- 
tung autgestellt,  dass  das  Hyalin  wahrscheinlich  eine  Vor- 
stufe des  Amyloids  sei.  Diese  Ansicht  wurde  durch  die  Be* 
obachtungen  anderer  Forscher  bestätigt,  welche  die  directe 
Umwandlung  des  Hyalins  in  Amyloid  nachwiesen^).  Für  die 
Bindehaut  selbst  wurde  der  Uebergang  hyalin  entarteten 
Gewebes  in   Amyloidmassen   durch  Rählmann   in   einem 

')  Die  einschl&gige  Literatur  findet  sich  angegeben  bei  Yos- 
siuB:  Ueber  Amyloiddegeneration  der  Conjunctira.  Ziegler*8  Bei- 
tr&ge  zur  pathologischen  Anatomie,  IT.  Band,  1889,  S.  340. 


Zur  Anatomie  der  Pinguecala.  181 

Falle  von  Amyloiddegeneratioa  der  Bindehaut  dargethan^). 
Ich  habe  in  der  Pinguecula  in  keinem  einzigen  Falle  wirk- 
liches Amyloid  finden  können,  welches  sich  mit  Jodlösung 
braunroth  und  dann  mit  Schwefelsäure  feuerroth,  violett 
oder  blau  gefärbt  hätte,  oder  welches  durch  Methylviolett 
roth  geworden  wäre.  Dagegen  zeigten  die  ganz  grossen 
Concremente  auf  die  Behandlung  mit  Jodlösung  allerdings 
zuweilen  eine  dunkel-braunrothe  Farbe  (Mahagonyfarbe)  im 
Gegensatze  zu  dem  hellgelb  gefärbten  umgebenden  Gewebe, 
und  diese  Färbung  wurde  auf  Zusatz  von  Schwefelsäure 
noch  intensiver.  Die  gleiche  Farbenreaction  wurde  einige- 
mal bei  sehr  grossen  elastischen  Fasern  und  den  aus  ihnen 
hervorgegangenen  Concrementen  beobachtet.  Diese  Reactiou 
kommt  nun  dem  reinen  Hyalin  nicht  zu,  welches  sich  durch 
Jodlösung  nicht  anders  sds  das  übrige  Gewebe  färbt  Es 
ist  also  wohl  berechtigt,  in  diesen  letzten  Produkten  der 
hyalinen  Degeneration  bereits  den  Uebergang  in  echtes 
Amyloid  zu  sehen. 

In  Bezug  auf  die  Art  der  Bildung  des  Hyalins  sagt 
Recklinghausen,  dass  dasselbe  der  Hauptsache  nach  in 
dem  Protoplasma  der  Zellen  sich  bilde,  möglicherweise  erst 
unter  Aufnahme  von  Eiweisskörpern,  welche  die  Zellen  aus 
dem  Blute  entnehmen.  Bei  diesem  Processe  gehen  aber 
die  Zellen  selbst  zu  Grunde;  sie  verlieren  ihre  Abgrenzung, 
schweissen  mit  benachbarten  Zellen  zusammen  und  die  Zell- 
kerne verchwinden.  Derselben  Ansicht  ist  Weigert.  Er 
sieht  das  Hyalin  als  geronnenes  Fibrin  an',  welches  das 
Zellprotoplasma  aus  dem  Blute  aufgenommen  hat  und  wel- 
ches dann  innerhalb  der  Zellen  geradeso  gerinnt  wie  bei 
der  Blutgerinnung;  die  Zelle  selbst  stirbt  dabei  ab  (Coagu- 
lationsnecrose).  Es  ist  also  auch  nach  Weigert  mit  der 
hyalinen  Degeneration  nothwendig  ein  Untergang  der  Zellen 


^)  Zar  Lehre  der  Amyloiddegeneration  der  Bindehaat.   Archiv 
für  Aagenheilkaode,  X.  Band,  S.  129. 


182  £•  Fachs. 

Terbanden,  welcher  sich  durch  das  Verschwinden  der  Zell- 
keme  und  durch  das  Zusammenbacken  benachbarter  Zellen 
zu  amorphen  Massen  kundgiebt 

Beide  Autoren  sind  somit  darin  einig,  dass  das  Hyalin 
im  Zellprotoplasma  selbst  entstehe  und  dass  die  Zelle  da- 
bei als  solche  zu  Grunde  gehe.  Wie  verhalt  sich  dies  bei 
der  Pinguecula?  Was  zunächst  die  Entstehung  des  Hyalins 
anbelangt,  so  sind  es  allerdingB,  in  Uebereinstimmung  mit 
Recklinghausen  und  Weigert,  die  zelligen  Elemente 
selbst,  welche  degeneriren.  Die  Bindegewebsfasern  der  Binde- 
haut und  der  Sdera,  sowie  die  elastischen  Fasern  ver- 
grössem  sich  und  nehmen  hyaline  Beschaffenheit  an.  Da- 
neben kommt  aber  auch  eine  Ausscheidung  freien  Hyalins 
zwischen  die  zelligen  Elemente  vor,  welche  letztere  dabei 
unverändert  bleiben.  Dies  ist  der  Fall  bezüglich  der  amor- 
phen hyalinen  Schollen,  welche  zwischen  den  Bindegewebs- 
fasern der  Bindehaut  abgelagert  werden  und  bezüglich  der 
Concremente,  welche  den  Arcus  senilis  bilden.  Letzterer 
gehört  zwar  nicht  zur  Pinguecula,  stimmt  jedoch  in  gene- 
tischer und  histologischer  Beziehung  so  sehr  mit  gewissen 
Bildungen  in  letzterer  überein,  dass  er  hier  auch  mit  an- 
geführt werden  muss.  Weder  die  amorphen  Massen  in  der 
Bindehaut,  noch  die  Concremente  des  Arcus  senilis  sind 
etwa  aus  hyalin  zerfallenen  zelligen  Elementen  hervorge- 
gangen, sondern  liegen  frei  zwischen  den  unversehrten  Fä- 
ssern der  Bindehaut  und  der  Hornhaut. 

In  Bezug  auf  den  zweiten  Punkt,  den  Untergang  der 
hyalin  entarteten  Zellen,  sehen  wir  das  gleiche  in  der 
Pinguecula.  Die  vergrösserten  elastischen  Fasern  zerfallen, 
sobald  sie  ein  gewisses  Volumen  erreicht  haben,  in  form- 
lose Bruchstücke;  noch  schneller  tritt  der  Zerfall  in  ein- 
zelne Schollen  bei  den  entarteten  Bindegewebsfasern  der 
Sclera  ein.  Was  aber  die  hyalin  degenerirteh  Bindegewebs- 
fasern der  Bindehaut  anlangt,  so  habe  ich  einen  wirklichen 
Zerfall  derselben   auch   bei   weit  gediehener  Degeneration 


Zur  Anatomie  der  Pinguecula.  183 

nicht  sehen  können.  In  den  Läppchen,  welche  aus  derarti- 
gen Zusammengelegten  Fasern  gebildet  sind  (Fig.  6),  haben 
sich  die  Fasern  wohl  auf  das  Vielfache  ihres  Volumens  ver- 
dickt, aber  dennoch  sind  die  Contouren  jeder  einzelnen  Fa- 
ser scharf  und  ihre  Kerne  wohl  erhalten. 

Es  verhalten  sich  also  sowohl  in  Bezug  auf  den  Ent- 
stehungsort des  Hyalins  als  in  Bezug  auf  die  Folgen  der 
Entartung  nicht  alle  Qewebselemente  der  Pinguecula  gleich; 
wir  sehen  Hyalin  innerhalb  und  ausserhalb  der  Zellen  ent- 
stehen; wir  sehen  diese  dabei  zu  Grunde  gehen  oder  be- 
stehen  bleiben.  Ich  möchte  darum  nicht  glauben,  dass  sich 
in  der  Pinguecula  mehrere  völlig  von  einander  verschiedene 
Processe  absi)ielen.  Dagegen  spricht  die  Gleichartigkeit  der 
Aotiologie,  sowie  der  Endprodukte  der  Entartung.  Ich 
meine  vielmehr,  dass  der  Process  der  Hyalinbildung  nicht 
immer  genau  derselbe  ist,  sowie  auch  die  dadurch  gebildete 
Substanz,  das  Hyalin,  nicht  immer  genau  dieselben  Reao* 
tionen  zeigt.  Man  beobachtet  ja  Aehnliches  auch  in  Bezug 
auf  die  Bildung  des  Amyloids.  Eine  Reihe  von  Beobach- 
tern behauptet  die  Entstehung  desselben  im  Zellprotoplasma, 
während  andere,  nicht  weniger  geübte  Untersucher  behaup- 
ten, dass  der  amyloide  Process  nie  von  den  Gewebszellen 
ausgehe,  sondern  sich  stets  auf  die  Zwischensubstanz  be- 
schränke. Es  ist  daher  wohl  sehr  wahrscheinlich,  dass  so- 
wohl das  Eine  wie  das  Andere  stattfinde,  eine  Ansicht,  wel- 
cher auch  Recklinghausen  beipflichtet^).  Wenn  dies  nun 
für  das  Amyloid  richtig  ist,  warum  soll  dies  nicht  auch  für 
das  Hyalin  möglich  sein,  welches  doch  dem  Amyloid  so 
nahe  steht.  Ich  halte  also  an  dem  fest,  was  aus  den  Prä- 
paraten der  Pinguecula  hervorgeht,  dass  nämlich  hier  das 
Hyalin  sowohl  innerhalb  der  Zellen  ab  auch  ausserhalb 
derselben  gebildet  wird. 

Die  Bildung  des  Hyalins  in  der  Pinguecula  ist  die 
Folge  der  combinirten  Wirkung  der  Senescenz  des  Gewe- 

>)  1.  c.  S.  401. 


184  E.  Fuchs. 

bes  und  der  äusseren  Schädlichkeiten.  Ich  werde  mich  be- 
mühen, zu  zeigen,  dass  dieselben  Factoren  sowohl  im  Augo 
als  auch  in  anderen  Körpertheilen  zu  gleichen  Bildungen 
führen  können. 

Was  zunächst  dieSenescenz  anlangt,  so  bietet  gerade 
das  Auge  zahlreiche  Beispiele,  dass  infolge  derselben  Hya- 
linbildung  auftritt.  Ich  erinnere  zunächst  an  den  oben  er- 
wähnten Arcus  senilis.  Ausserdem  betrifft  die  Hyalinbil- 
düng  Tor  allem  die  Glashäute:  Descemet'sche  Membran, 
Glashaut  der  Aderhaut  und  des  Giliarkörpers,  Linsenkapsel. 
Diese  Membranen  zeigen  sowohl  eine  diffuse  Verdickung, 
als  auch  umschriebene  Auflagerungen,  wie  z.  B.  die  drusigen 
Auswüchse  der  Descemet'schen  Membran  und  der  Glashaut 
der  Chorioidea,  welche  von  Recklinghausen  geradezu  als 
Paradigmata  der  hyalinen  Degeneration  angeführt  wer- 
den. Zu  den  senilen  Veränderungien  gehört  femer  die  Ver- 
dickung der  Stützfasern  der  Netzhaut  (Kuhns)  und  die 
hyaline  Entartung  des  Bindegewebes  der  Ciliarfortsätze  ^), 


>)  Frau  Dr.  Kerschbaumer  sagt  (Arch.  für  Ophth.  XXXIV,  3, 
S.  24) :  ,,In  manchen  Fällen  nimmt  das  Bindegewebe  der  Ciliarfort* 
Sätze  einen  homogenen  Charakter  an  und  man  findet  dann,  dass  die 
Ciliarfortsätze  sowie  der  Bindegewebssaum  zwischen  diesen  und  dem 
Musculus  ciliaris  zum  Theil  —  seltener  ganz  —  aus  einem  homo- 
genen hyalinartigen  Bindegewebe  besteht."  Ich  kann  diese  Angabe 
dahin  ergänzen,  dass  man  eine  hyaUne  Entartung  des  Bindegewebes 
der  Ciliarfortsätze  stets  an  bestimmten  Stellen  besonders  ausgeprägt 
findet.  Die  äussersten  Spitzen  der  Ciliarfortsätze  werden  nämlich 
durch  secundäre  Erhebungen  gebildet,  welche  durch  einen  schmä- 
leren Isthmus  mit  der  Hauptmasse  des  Ciliarfortsatzes  zusammen- 
hängen. Das  Bindegewebe  dieses  Isthmus  ist  es  nun,  welches  vor 
Allem  die  hyaline  Degeneration  zeigt  und  zwar  sind  es  wieder  haupt- 
sächlich die  in  demselben  central  verlaufenden  Bindegewebsbfindel, 
während  die  peripheren,  unmittelbar  unter  der  Glasmembran  liegen- 
den davon  verschont  bleiben.  Ferner  sieht  man  die  hyaline  Ent- 
artung auch  in  den  weiter  rückwärts  sich  anschUessenden,  kleineren 
secundären  Erhebungen,  welche  den  Firsten  der  Ciliarfortsätze  auf- 
sitzen. 


Zur  Anatomie  der  Pinguecula.  185 

sowie  der  Gefasswandungen  in  denselben  (Kerschbaumer); 
endlich  auch,  bei  seniler  Cataract,  die  Abscheidung  hyaliner 
Kugeln  (der  Morgagni'schen  Kugeln)  aus  den  Linsenfasem. 
Auch  im  Sehnerrenkopfe  kommen  zuweilen  hyaline  Massen 
vor.  —  Von  hyaliner  Degeneration  in  anderen  Körpertheilen 
als  Folge  einfacher  Senesoenz  führe  ich  hier  nur  die. Beob- 
achtung von  J.  Neumann  über  die  senilen  Veränderungen 
der  Haut  an^).  Derselbe  fand,  dass  in  der  Haut  von  Grei-; 
sen  die  Faserbündel  der  Cutis  durch  glasartige  Verquellung 
ganz  homogen  geworden  sind. 

Wenn  nun  auch  die  Senescenz  des  Bindehautgewebes 
eine  der  Ursachen  der  Pinguecula  ist,  so  ist  sie  doch  nicht 
die  einzige.  Es  müsste  sich  dann  diese  Degeneration  in 
gleichmässiger  Weise  rings  um  die  Hornhaut  erstrecken. 
Beim  Arcus  senilis  ist  dies  thatsächlich  der  Fall  Da  die 
Pinguecula'  sich  aber  nur  im  Lidspaltenbezirke  entwickelt, 
so  muss  den  äusseren  Schädlichkeiten,  welchen  dieser 
Bezirk  ausgesetzt  ist,  eine  Rolle  hierbei  zugeschrieben  wer- 
den. Ich  sehe  dieselben  als  die  veranlassende  Ursache  an, 
während  die  senile  Beschaffenheit  des  Gewebes  die  prädis- 
ponirende  Ursache  darstellt,  welche  für  die  Einwirkung  der 
äusseren  Schädlichkeiten  den  Boden  vorbereitet.  Dieses  be- 
steht vielleicht  in  der  Verlangsamung  des  Stoffwechsels  in 
den  alternden  Geweben,  wodurch  die  Abscheidung  eines  un- 
löslichen Ei  Weisskörpers,  wie  das  Hyalin  es  ist,  begünstigt 
werden  muss.  Das  Auge  selbst  bietet  noch  andere  Bei- 
spiele, welche  zeigen,  dass  in  Geweben  mit  herabgesetzter 
Ernährung  durch  äussere  Schädlichkeiten  hyaline  Ablage- 
rungen entstehen.  Das  auffälligste  Beispiel  dieser  Art  ist 
die  bandförmige  oder  gürtelförmige  Hornhauttrübung. 
Dieselbe  befällt  in  der  Begel  solche  Augen,  welche  durch 
Glaucom  oder  Iridocyclitis  erblindet  sind,  welche  also  eine 

^)  Ueber  die  senilen  Yerftnderangen  der  Haut  des  Menschen: 
Bericht  der  Wiener  Academie  der  Wissensch.,  59.  Band,  1.  Abth., 
1869,  S.  47. 


180  £•  FochB. 

schwere  Schädigang  ihrer  Emähmng  erfahren  haben.  Dass 
diese  auch  die  Hornhaut  betrifft,  wird  bewiesen  durch  die 
Trübung  und  Unempfindlichkeit  derselben,  durch  die  gele» 
gentlidie  bläschenförmige  Abhebung  des  Epithels  u.  s.  w. 
Wenn  die  gürtelförmige  Hornhauttrübung  ausnahmsweise 
sonst  gesunde  Augen  befallt,  so  handelt  es  sich  stets  um 
Personen  im  oder  nahe  dem  Oreisenalter.  In  diesen  Augen 
$klso,  welche  entweder  durch  Krankheit  oder  Senesoenz  we- 
niger widerstandsfähig  geworden  sind,  entwickelt  sich  die 
gürtelförmige  Hornhauttrübung,  und  zwar  in  einem  Bezirke 
der  Hornhaut,  welcher  seiner  Lage  nach  der  Pinguecula 
entspricht  Sowie  diese  nicht  im  horizontalen  Meridian  des 
Auges,  sondern  etwas  tiefer  liegt,  so  zieht  auch  die  gürtel- 
förmige Hornhauttrübung  stets  unter  der  Mitte  der  Pupille 
vorbei  und  entspricht  genau  der  Lage  der  Lidspalte  bei 
zugekniffenen  Augen.  Es  ist  daher  kein  Zweifel,  dass  sie 
in  jenem  Theile  der  Hornhaut  sich  entwickelt,  welcher  am 
andauerndsten  der  Einwirkung  der  Kälte,  des  Windes,  Stau- 
bes  u.  s.  w.  ausgesetzt  ist.  In  der  gürtelförmigen  Hornhaut- 
trübung findet  man  nebst  Verkalkungen  auch  hyaline  Gon- 
cremente.  Ooldzieher^)  hat  dieselben  zuerst  als  CoUoid- 
häufen  beschrieben,  ohne  deren  chemische  Reactionen  näher 
anzuführen.  Ausführlicher  besdiäftigt  sich  Bock')  mit  der 
gürtelförmigen  Hornhauttrübung  und  erwähnt  neben  Ver- 
kalkungen auch  Concremente  colloider  Beschaffenheit.  Er 
nennt  nämlich  jene  Concremente  so,  welche  sich  zum  Un- 
terschiede von  den  Verkalkungen  unter  der  Einwirkung  von 
starken  Säuren  nicht  verändern.  Manche  der  von  Bock 
beschriebenen  Concremente  erinnern  nach  seiner  Beschrei- 
bung ganz  an  die  grösseren  Concremente  der  Pinguecula. 
Sie  haben  einen  hellen  Schimmer,  der  bisweilen  ins  Grün- 
liche oder  Bläuliche  übergeht    Meist  haben  sich  ihre  Rän- 

*)  Centralbl.  far  Augenheilkonde  heraosgeg.  von  Hirschberg. 
1879.   S.  2. 

*)  Zar  Kenntniss  der  bandförmigen  Homhanttrabung.  Wien  1887. 


Zur  Anatomie  der  Pinguecula.  187 

der  mit  den  Anilinfarben  stark  inhibirt,  während  die  eigent- 
liche Substanz  ungefärbt  bleibt  (vergl.  S.  153  dieser  Ar- 
beit). Ich  selbst  besitze  ältere  Präparate  von  einem  Auge 
mit  gürtelförmiger  Hornhauttrübung,  welches  die  gleichen 
hyalinen  Concremente  zeigt 

Länger  bekannt  als  bei  der  gürtelförmigen  Hornhaut- 
trübung sind  die  hyalinen  Concremente  in  alten  Homhaut- 
narben.  Wir  wissen,  dass  diese  mit  der  Zeit  oft  eine  gelb- 
liche Farbe  annehmen,  namentlich  an  solchen  Stellen,  welche 
besonders  der  Luft  ausgesetzt  sind,  wie  z.  B.  die  hervor- 
ragendsten Theile  eines  Hornhautstaphyloms.  Wir  haben 
also  auch  hier  die  beiden  Bedingungen,  herabgesetzten  Sto£F- 
wechsel  und  äussere  Schädlichkeiten,  vereinigt.  Diese  gel- 
ben Flecken  wurden  früher  in  der  Regel  als  Fettbildung 
angesehen.  Saemisch^)  giebt  aber  schon  eine  Abbildung, 
welche  zeigt,  dass  an  solchen  Stellen  sowohl  im  Epithel 
als  im  Stroma  der  Hornhaut  stark  lichtbrechende  Massen 
liegen,  welche  nicht  Fett,  sondern  „wohl  coUoider  Natur" 
sind.  Genauer  werden  solche  Cgncremente  in  alten  Hom- 
hautnarben  von  Wedl  und  Bock^)  beschrieben.  „Sie  sind 
glatt,  von  homogener  Beschaffenheit,  starker  Reflexion,  oval, 
ellipsoidisch,  nierenformig,  höckerig,  von  verschiedener  Grösse, 
farblos  oder  bei  Aufnahme  von  Farbstoffen  gelblich,  gelb- 
röthlich  oder  bräunlich,  resistent  gegen  das  schneidende 
Messer,  zeigen  keine  amyloide  Reaction,  widerstehen  kalten 
Säuren  und  Alkalien,  wenigstens  bis  auf  eine  gewisse  Zeit." 
Aehnliche  Concremente  fand  Beselin')  in  einem  Hornhaut- 

^)  Handbuch  der  Augenheilkunde,  herausgeg.  von  Graefe  und 
Baemisch,  lY.  Band,  S.  206. 

>)  Pathologische  Anatomie  des  Auges.  Wien  1886.  S.  43. 

*)  Amyloid  in  der  Cornea  eines  staphylomatösen  Auges.  Archiv 
für  Augenheilkunde,  XVI.  Band,  1886,  S.  130.  Die  von  Beselin 
beschriebenen  Concremente  worden  durch  Jod  mahagonybraun  ge- 
i&rbt.  Beselin  h&lt  sich  auf  Orund  dieser  einzigen  Reaction  fOr 
berechtigt,  dieselben  für  Amyloid  zu  erklären.  Ich  möchte  nicht  so 
weit  gehen,  sondern  glauben,  dass  es  sich  um  Hyalin  handelte,  wel- 


188  E.  Fuchs. 

fitaphylom«  Ich  selbst  besitze  Präparate  von  Hornhautnar* 
ben,  welche  makroskopisch  jene  gelbe  Färbung  zeigten  und 
unter  dem  Mikroskope  die  hyalinen  Concremente  in  den 
oberflächlichen  Lagen  der  Hornhaut  erkennen  liessen.  Das 
Gleiche  gilt  von  einem  Falle,  von  welchem  Herr  Dr.  Czer- 
mak,  Assistent  au  meiner  Klinik,  Präparate  anfertigte^). 

Hyaline  Ablagerungen  sind  auch  noch  bei  anderen 
pathologischen  Processen  in  der  Hornhaut  beobachtet  wor- 
den, namentlich  nach  Verletzungen.  Diese  Fälle  sind  jedoch 
sowohl  ätiologisch  als  in  Bezug  auf  den  mikroskopischen 
Befund  so  sehr  von  den  bis  jetzt  betrachteten  verschieden, 
dass  ich  mich  nicht  näher  darauf  einlasse.  Ich  verweise 
auf  Yossius^),  welcher  das  bis  jetzt  darüber  Bekannte 
anführt. 

Die  Pinguecula  besteht  also  in  einer  Verdick- 
ung der  Bindehaut,  an  welcher  eine  hyaline  Ent- 

ches  im  Begriff  stand,  sich  in  Amyloid  umzuwandeln,  welcher  Pro«- 
cess  wahrscheinlich  sehr  langsam  vor  sich  geht.  Dass  ähnliche 
Massen  auch  in  der  Pinguecula  vorkommen ,  wurde  auf  S.  154  be- 
sprochen. Schiele  (Archiv  für  Augenheilkunde,  XIX.  Bd.,  S.  277), 
sieht  alle  Massen,  welche  sich  mit  Jodlösung  mahagonybraun  färben, 
ohne  die  weiteren  Amyloidreactionen  zu  geben,  fttr  Olycogen  an. 
Er  h&lt  daher  auch  die  von  Beselin  beschriebenen  Concremente 
für  Glycogen.  Beselin  verwahrt  sich  gegen  diese  Auffassung  (Arch. 
für  Augenheilk.,  XX.  Band,  S.  90)  und  ich  möchte  dasselbe  thun 
bezaglich  jener  Concremente  in  der  Pinguecula,  welche  durch  Jod 
mahagonybraun  werden.  Es  geht  nicht  an,  dieselben  als  Glycogen 
anzusehen,  denn  erstens  sind  dieselben  nicht  wie  Glycogen  zähflüs- 
sig, sondern  starr  und  brüchig  und  zweitens  lösen  sie  sich  nicht 
wie  Glycogen  in  Glycerin  oder  Wasser  auf.  Ich  habe  manche  Binde- 
häute mit  Pinguecula  viele  Monate  lang  in  grösseren  Mengen  von 
Glycerin  aufbewahrt,  ohne  dass  die  Concremente  in  demselben  die 
geringste  Veränderung  erfahren  hätten. 

^)  Die  Concremente  gaben  in  diesem  FaUe  einerseits  die  Reac- 
tion  des  Hyalins,  andererseits  aber  auch  die  Blaufärbung  mit  Gen- 
tianaviolett  nach  der  von  Weigert  für  das  Fibrin  angegebenen 
Methode. 

»)  Archiv  für  Ophthalm.  XXXV,  2,  8.  207. 


Zur  Anatomie  der  Pinguecula.  189 

artung  der  Gewebselemente,  sowie  die  Ablagerung 
freien  Hyalins  wesentlichen  Antheil  hat.  Die  Ur- 
sachen dieser  Entartung  sind  die  senilen  Verän- 
derungen des  Gewebes  zusammen  mit  dem  Einflüsse 
äusserer  Schädlichkeiten.  Dieselben  Bedingungen 
führen  auch  in  der  Hornhaut  zu  ähnlicher  hyaliner 
Entartung  (Arcus  senilis,  gürtelförmige  Hornhaut- 
trübung, gelbe  Flecken  in  Hornhautnarben).  Eine 
andere  wichtige  Veränderung  der  Bindehaut  an  der 
Stelle  der  Pinguecula  besteht  in  der  ausserordent- 
lichen Vermehrung  und  Vergrösserung  der  elasti- 
schen Fasern,  für  welche  ich  aber  keine  Analogie, 
sei  es  im  Auge,  sei  es  an  anderen  Organen  anzu- 
bringen vermag. 


Erklärung  der  Zeichnungen. 
Tafel  rv  und  V. 

Fig.  1.  Yergr.  1:3.  Scieralbindehaut  mit  Pinguecula,  ab- 
pr&parirt  und  ausgebreitet.  Es  befindet  sich  eine  grössere 
Pinguecula  an  der  inneren,  eine  kleinere  an  der  äusseren  Seite 
der  Hornhaut,  welche  am  unteren  Homhautrande  zusammen- 
hängen. Bei  a  einige  isolirte,  scharf  begrenzte  L&ppchen,  aus 
hyalinem  Bindegewebe  bestehend. 

Fig.  2.  Yergr.  1:280.  Amorphe  hyaline  Substanz,  a in  feinen, 
staubartigen  Partikelchen,  h  in  etwas  grösseren  Körnchen,  e 
zu  Schollen  zusammengebacken  auf  den  Bindegewebsfasern 
d  liegend. 

Fig.  3.  Vergr.  1 :2ö0.  a  kleine  Schollen  hyaliner  Substanz,  h  und 
c  junge  Concremente,  welche  noch  deutlich  die  Zusammen- 
setzung ans  einzelnen  Schollen  erkennen  lassen,  d  ein  grösse- 
res und  älteres  Goncrement. 

Fig.  4.  Yergr.  1 : 500.  Arcus  senilis,  a  Homhautepithel,  an  einer 
Stelle  zwischen  den  untersten  Zellen  ein  Goncrement  ein- 
schliessend,  h  h^  Bowman'sche  Membran,  welche  bei  h  von 
grösseren  Concrementen  an  ihrer  hinteren  Fläche  usurirt  ist, 


190  £.  Fuchs. 

bei  bj  in  Folge  der  Gegenwart  feiner  Ck>ncremente  wie  be* 
staubt  aussieht,  cc  Stroma  der  Hornhaut,  d  ein  awischen  den 
Homhautlamellen  liegendes  Goncrement 

Fig.  5.  Yergr.  1:350.  Hyalin  degenerirte  Bindegewebsfasern 
aus  dem  subconjunctivalen  Bindegewebe.-  a  Bindegewebsfasern 
im  Beginne  der  Verdickung  &,  c  stark  verdickte,  hyaline  Fa- 
sern, S förmig  zusammengelegt;  bei  b  körnige  Trübung  der 
hyalinen  Substanz,   d  Endothelh&utchen  mit  Kernen. 

Fig.  6.  Yergr.  1:42.  Läppchen» hyalinen  Bindegewebes,  im 
lockeren  subcoigunctivalen  Bindegewebe  gelegen.  Die  grösse- 
ren L&ppchen  sind  aus  mehreren  kleinen  zusammengesetzt, 
z.  Bl  das  L&ppchen  a  aus  zwei  kleineren.  Bei  b  sieht  man 
das  die  L&ppchen  umhüllende  Endothelh&utchen,  welches  bei 
c  auf  den  Stiel  des  L&ppchens  übergeht.  Bei  d  zeig^  die 
an  der  Peripherie  des  L&ppchens  gelegenen  Bindegewebs- 
fasern concentrische  Lagerung,  e  gemeinschaftlicher  Stil  der 
L&ppchen. 

Fig.  7.  Yergr.  1:450.  Hyalin,  entarte te  Scleralfasern. 
a  Meridionale  Scleralfasern,  b  quer  geschnittene,  circul&re  Scle- 
ralfasern, c  beginnende  hyaline  Degeneration  derselben,  d  grös- 
sere hyaline  Scholle. 

Fig.  8.  Yergr.  1:300.  Elastische  Fasern  in  der  Bindehaut;  a 
mehrere  bereits  etwas  verdickte  Fasern  parallel  verlaufend. 

Fig.  9.  Yergr.  1:300.  L&ppchen,  aus  elastischen  Fasern 
bestehend.  Auf  der  einen  Seite  hat  das  L&ppchen  seine 
natürliche  scharfe  Begrenzung,  auf  der  anderen  ist  das  Faser- 
gewirre durch  Zerzupfen  aufgelöst 

Fig.  10.  Yergr.  1:300.  L&ppchen,  aus  dickeren  elastischen 
Fasern  von  ziemlich  gleichem  Galiber  bestehend. 

Fig.  11.  1:300.  Yerdickte  elastische  Fasern,  in  ZerÜEill  be- 
griffen, a  a  Fasern,  welche  wie  angenagt  aussehen,  b  b  Fa- 
sern, welche  aus  einem,  stark  tingirten,  centralen  Strange  und 
aus  einer  schw&cher  gefärbten  mantelartigen  Hülle  bestehen, 
€  g&nzlich  zerfallene  Fasern. 

Fig.  12.  Yergr.  1:560.  Grosse  elastische  Faser  mit  L&ngs- 
streifung. 

Fig.  13.  Yergr.  1  :  500.  Elastische  Fasern  in  der  Sclera. 
aaa  spiralig  gewundene  Fasern,  b  sehr  verdickte  und  hyalin 
entartete  Faser,  welche  an  dem  einen  Ende  in  einzelne  Bruch- 
stücke e  zerfällt. 


Zar  Anatomie  der  Plnguecala.  igi 

Fig.  14.  Yergr.  1:120.  Meridionaler  Schnitt  darch  eine  Pin- 
guecula. JE  Epithel  der  Bindehaut,  B  Bindehaut,  Ep  Epi- 
sclerales  Bindegewehe,  S  Sclera,  E^  Epithel  der  Cornea, 
C  Cornea.  1  Epithel,  2  verdichtete  Bindehaut,  3  L&ppchen 
der  Pinguecula,  4  hyaline  Bindegewehsfasem,  5  lockeres  sub- 
conjunctivales  Gewebe,  6  episclerales  Gewebe  mit  elastischen 
Fasern,  7  elastische  Fasern  in  der  Sclera.  —  Bei  a  Faltung 
der  Bindehautoberfl&che,  durch  das  Epithel  ausgeglichen, 
unter  b  kleine  Concremente,  unter  c  ein  grösseres,  unter  d 
ein  halbmondförmiges  Concrement,  welches  neben  sich  ein 
offenes  Lumen  hat,  e  Uebergang  der  Bindehaut  in  die  obersten 
Lagen  der  Hornhaut,  f  grosse  elastische  Fasern,. theil weise 
zerfallen. 

Fig«  15.  Yergr.  1:300.  Epithel  in  den  Einsenkungen  der  Ober- 
fläche der  Pinguecula,  a  niedrige  Basalzellen,  h  mittlere  poly- 
gonale Zellen,  c  oberste  cubische  Zellen. 

Fig.  16.  Yergr.  1:300.  Epithel  auf  den  Erhebungen  der  Ober- 
fläche der  Pinguecula. 


Beiträge  zur  Entstehnngsgescliichte 
der  angeborenen  Missbildongen  des  Anges. 

Von 

Dr.  6.  Rindfleisch, 
Assistenzarzt  an  der  Unlversit&ts-Augenklinik  zu  Heidelberg. 

Hierzu  Tafel  VI— VUI  und  4  Figuren  im  Text, 


I. 

Ein  Fall  von  beiderseitigem  Idkrophthalmos  mit 

oystisoher  Eotasia  posterior« 

Die  Frage  nach  der  Entstehung  des  Mikrophthalmus 
hat  durch  eine  Reihe  hervorragender  Arbeiten  besonders 
in  der  neuesten  Zeit  eine  wesentliche  Förderung  erfahren, 
jedoch  geht  aus  der  noch  immer  herrschenden  Verschieden- 
heit ihrer  Beantwortung  immittelbar  hervor,  dass  sie  noch 
keineswegs  als  endgültig  gelöst  zu  betrachten  ist.  Auch 
wenn  wir  darauf  verzichten,  für  den  uncomplicirten  Mi- 
krophthalmus, der  ja  in  mehreren  Fällen  sicher  beob- 
achtet, aber  von  den  Autoren  selbst  gar  nicht  oder  doch 
nur  unbefriedigend  gedeutet  worden  ist  (Anm.  ^ — *)  eine 


{})  Falchi  (Mikroft.  congenito:  Annali  di  OtUlmoL  XIII.  S.  213), 
beschreibt  einen  Mikrophthalmus  ohne  Colobom  und  knüpft  daran 
die  auffallende  Behauptung:  „Che  il  maggior  numero  di  mikrof- 
talmo  congenito  fu  osservato  senza  presentare  coloboma  della  coroi- 
dea  e  dell*  iride,  della  retina  e  del  nervo  ottico."  —  Eine  befrie- 
digende Erklärung  für  das  Zustandekommen  solcher  Fälle  giebt  er 
nicht. 


Beitr.  z.  EnUtehongsgesch.  der  angeb.  MUsbildungen  des  Auges.  193 

Erklärung  zu  suchen,  so  stösst  die  Erforschung  der  ge- 
wöhnlichen Formen  von  Zwergbildung  des  Auges,  d.  h. 
derjenigen,  welche  mit  Colobom  bezw.  hinterer  Ectasie  ge- 
ringeren oder  höheren  Grades  verbunden  sind,  noch  immer 
auf  manches  Räthselhafte.  Es  dürfte  daher  ein  neuer  Fall 
von  beiderseitigem  Mikrophthalmus  um  so  mehr  das  Inter- 
esse der  Fachgenossen  verdienen,  als  derselbe  nicht  nur 
einem  verhältnissmässig  jungen  menschlichen  Fötus  ent- 
stammt, und  mit  einem  ungewöhnlich  hohen  Grade  und 
einer  seltenen  Form  von  Ectasia  posterior  complicirt  ist, 
sondern  auch  bezüglich  seiner  Entstehungsweise  auf  ein  bis 
jetzt  noch  wenig  berücksichtigtes  Moment  zurückge- 
führt werden  muss. 

Ich  verdanke  das  vorliegende  Object  der  Güte  meines 
Onkels,  des  Professors  E.  Bindfleisch  za  Würzbarg,  welcher 
zufällig  Gelegenheit  hatte,  einen  in  vielfacher  Hinsicht  höchst 
eigentbümlichen  Foetns  zu  erlangen,  dessen  übrige  ausführliche 
Beschreibung  er  sich  vorbehalten  hat,  während  er  mir  die  Un- 
tersuchung der  Augen  überliess.  Soweit  das  Sectionsprotocoll 
für  den  Oculisten  von  speciellem  Interesse  ist,  soweit  es  also 
den  Kopf  betrifft^  sei  es  hier  in  Kürze  vorausgeschickt: 

„Der  Umfang  des  fast  kugligen  Kopfes  betrug  41  cm. 
doch  fand  sich  ein  Erguss  von  Blut  zwischen  Haut  und  Galea, 
Der  Umfang  des  Schädels  betrug  nur  32  cm.    Die  Entwicke- 


(*)  C.  Hess  (Zur  Pathogenese  des  Mikrophthalmus:  dieses  Arch. 
XXXIV,  3,  S.  147),  welcher  die  erste  genauere  histologische  Be- 
schreibung eines  reinen  Falles  von  Mikrophthalmus  giebt,  sagt  be- 
züglich der  Genese  desselben:  „Für  eine  Erklärung  fehlt  uns  vor 
der  Hand  jeder  Anhaltspunkt.'* 

(')  Fr.  Martin  (Ueber  Mikrophthalmus:  Inaug.-Diss.  Erlangen 
1888),  meint  im  Anschluss  an  die  Beschreibung  zweier  wohlgebildeter 
Augen,  welche  nur  durch  ihre  Kleinheit  abnorm  waren,  man  müsse 
für  solche  Fälle  eine  „verminderte  Bildungsenergie'*  annehmen,  und 

(^)  W.  V.  Grolman  (Ueb.  Mikrophthahnus  und  Cataracta  conge- 
nita vasculosa:  dieses  Archiv  XXXY,  3,  S.  187)  gesteht  zu,  dass  für 
seinen  Bulbus,  welcher  gleichfalls  einen  Mikrophthalmus  ohne  Colo- 
bom repr&sentirt,  „die  Frage,  ob  ein  Entzündungsproduct  oder  eine 
Hemmung$bildung  vorliegt,  nicht  mit  Sicherheit  zu  entscheiden  ist." 

T.  Onefe's  Archiv  Ar  Ophthalmologie.  XXXVII.  3.  13 


194  G.  Rindfleisch. 

lang  des  Gehirns  erwies  sich  in  allen  Theilen  durch  eine  hy- 
drocephalische  Flüssigkeitsansammlang  gestört,  welche  sich  am 
Yentrikelsjstem  und  durch  den  grossen  Hirnspalt  einen  Weg 
an  die  äussere  Oberfläche  der  Hemisphären  gebahnt  und  das 
Kleinhirn  in  eine  hühnereigrosse  Blase  verwandelt  hat.  Wäh- 
rend nun  die  letztere  sich  mit  ihrer  Oberfläche  innig  an  die 
Schädelkapsel  anlegte,  erschienen  die  Hemisphären  des  Gehirns 
durch  einen  subarachnoidalen  Flüssigkeitserguss  von  der  Schä- 
delfläche abgedrängt.  Zu  dem  Hydrocephalus  internus  hatte 
sich  also  ein  Hydrocephalus  externus  gesellt.  Durch  diese  Cu- 
mulation  centrifrugaler  Druckkräfte  ist  der  Schädel  aufs  stärkste 
ausgedehnt.  Die  Ossification  hat  zwar  an  den  normalen  Ossi- 
flcationspunkten  begonnen,  ist  aber  überall  weit  im  Rückstande 
geblieben. 

Alle  Unebenheiten  der  Schädelbasis:  Sattellehne,  Kanten 
der  Keilbeinflügel  sind  durch  den  abnormen  Druck  des  Schä- 
delinneren fast  nivellirt.  Die  Orbitaldecken  sind  nicht 
convex  nach  oben,  sondern  leicht  concav  nach  unten 
gebogen;  kurz,  der  ganze  Schädelraum  strebt  der  Form  einer 
inwendig  glatten  Kugel  zu,  so  dass  über  den  Bestand  eines 
mächtigen  Binnendruckes  als  einzige  Ursache  der  ganzen  Yei^ 
änderung  kein  Zweifel  bestehen  kann/^ 

Da  der  6  —  7  Monate  alte  Foetus  vor  der  künstlich 
eingeleiteten  Geburt  nach  Angabe  der  Mutter  bereits  drei 
Wochen  keine  Lebenszeichen  von  sich  gegeben  hatte  und 
sein  Aussehen  nach  der  Entbindung  ein  längeres  Verweilen 
in  Utero  in  leblosem  Zustande  bestätigte,  liessen  die  fei- 
neren histologischen  Details  der  mikroskopischen  Präparate 
des  Auges  naturgemäss  manches  zu  wünschen  übrig.  Immer- 
hin konnte  alles  Wesentliche  der  merkwürdigen  keratolo- 
gischen  Bildung  genügend  klar  zur  Anschauung  gebracht 
werden. 

In  situ  fiel  am  Foetus,  der  vom  Scheitel  bis  zum  Steiss- 
bein  35  cm  maass,  zunächst  die  Enge  der  Lidspalten  auf. 
Die  Länge  derselben  betrug  9  mm,  nach  beiden  temporalen 
Seiten  hin  setzten  sie  sich  in  eine  Hautfalte  fort,  welche, 
genau  horizontal  ziehend,  das  Gebiet  des  ausgedehnten  Hirn- 
schädels von  dem  des  Gesichtsschädels  trennte.   Die  Lider, 


fieitr.  z.  Entstehangsgesch.  der  angeb.  Missbildangen  des  Auges.  195 

welche,  von  aussen  gesehen,  tief  eingezogen  waren,  kenn- 
zeichneten sich,  von  der  Innenseite  betrachtet,  als  zwei 
schmale,  quere  Leisten.  Die  vorderen  Lidränder,  sowohl 
die  oberen,  als  die  unteren  trugen  je  eine  Reihe  feiner  Ci- 
Uen;  auch  waren  die  Augenbrauen  bereits  angedeutet.  Durch 
ausgiebiges  Auseinanderziehen  der  nur  leicht  verklebten 
Lidränder  konnte  man  links  den  weit  in  der  Orbita  zurück- 
gelegenen sehr  kleinen  Augapfel  gewahren;  der  Inhalt  der 
rechten  Orbita  war,  als  ich  den  Foetus  zu  Gesicht  bekam, 
bereits  in  toto  herausgenommen  und  zur  Herstellung  eini- 
ger   wohlgelungener  Horizontalschnitte   verwendet  worden. 

Das  linke  Orbitaldach,  welches,  wie  schon  oben  erwähnt, 
leicht  convex  in  die  Augenhöhle  hineinragte,  trug  ich  ab: 
Eis  maass  vom  Foramen  opticum  bis  zur  vorderen  Kante 
ca.  20  mm,  die  Orbita  war  hier  12  mm  breit  und  9,5  mm 
hoch. 

Die  rechte  Augenhöhle  bot  dieselben  Form-  und  Grös- 
senverhältnisse  dar. 

Nach  Herausnahme  des  ganzen  Orbitalinhaltes,  liess 
sich  eine  gute  Ausbildung  der  gesammten  Augenmuskulatur 
nachweisen.  Zur  genaueren  Betrachtung  der  Form  des  Bul- 
bus befreite  ich  ihn  von  sämmtlichen  Adnexis  und  härtete 
ihn  so  in  allmälig  verstärktem  Alkohol,  zumal  mir  über 
die  histologische  Structur  der  Muskeln  und  des  peribulbäreu 
Gewebes  die  vom  anderen  Auge  vorliegenden  Schnitte  ge- 
nügenden Aufschluss  zu  geben  geeignet  waren. 

Das  so  frei  präparirte  Gebilde  —  abgesehen  von  einem 
längeren  Stück  des  Sehnerven  ^  misst  in  der  längsten 
sagittalen  Axe  14  mm,  in  seiner  grössten  queren  Axe  11mm, 
der  grösste  verticale  Durchmesser  beträgt  8  mm.  —  Es 
lassen  sich  an  ihm  zwei  Anschwellungen  unterscheiden,  deren 
vordere  als  der  eigentliche  Augapfel,  deren  hintere  als  ein 
Anhängsel  dieses  imponirt  (vergl.  Fig.  la). 

Von  der  nasalen  Seite  aus  betrachtet,  kann  man  deut- 
lich die  Grenzen  des  Anhangsgebildes  nach  oben  hin  ver- 

13* 


196  G.  Rindfleisch. 

folgen,  indem  von  ihm  hier  die  Fortsetzung  des  Sehnerven 
nach  dem  Bulbus  zu  durch  eine  seichte  Furche  getrennt 
ist  (vergl.  Fig.  1  a  bei  f).  An  der  gegenüberli^enden,  also 
temporalen  Seite  ist  diese  Furche  kaum  angedeutet  Die 
obere  Seite  des  Bulbus  ist  vom  Sehnerven  bis  zum  Forniz 
conjunctivae  hin  abgeflacht  bezw.  leicht  concav;  auch  die 
untere  Fläche  ist  nur  ganz  flach  gewölbt,  während  die  bei- 
den Seitentheile  sehr  stark  convex  herausgekrümmt  sind, 
so  dass  das  ganze  Gebilde  etwa  die  Form  einer  in  der 
Richtung  von  oben  nach  unten  zusammengedrückten  Birne 
wiedergiebt  *). 

Ueber  die  gröbere  Zusammensetzung  des  Augeninneren 
giebt  ein  durch  den  grössten  verticalen  Meridian  gelegter 
Halbirungsschnitt,  welcher  den  Sehnerven  —  da  dieser  etwas 
nach  innen  von  der  grössten  sagittalen  Längsaxe  abweicht 
—  nur  am  Rande  gestreift  hat  (vergl.  Fig.  2,  Vergr.  4:1) 
Aufschluss.  Die  oben  leicht  concav  begrenzte  Sclera  ist 
vom  (bei  a)  staphylomähnlich  hervorgebuchtet  und  fällt  auf 
der  Vorderseite  des  Bulbus  steil  und  etwas  nach  hinten 
geneigt  gegen  die  Cornea  ab.  Die  Dicke  der  Sclera  be- 
trägt auf  ihrer  horizontalen  Strecke  0,7  mm,  im  Bereiche 
der  Ectasie  hingegen  nur  0,4 — 0,6  mm.  Auf  der  Unterfläche 
des  Bulbus  ist  die  Lederhaut  mehr  bestrebt,  diesem  eine 
kugelige  Gestalt  zu  verleihen,  doch  schliesst  sie  ihn  nicht 
vollständig  ab,  sondern  lässt  in  seiner  Hinterwand  eine 
weite  Lücke  frei,  durch  welche  eine  offene  Communication 
des  Augapfels  mit  einem  hinter  ihm  liegenden  Räume  her- 
gestellt wird.  Die  äusseret  Schichten  des  unteren  Sderal- 
theils  weichen  (bei  b)  von  dem  aufsteigenden  Scleralbogen 


^)  Es  scheint  mir  nicht  überflüssig  zu  bemerken,  dass  die  be- 
schriebene Einziehung  nach  der  Form,  in  welcher  sie  beim  Pr&pa- 
riren  des  Bulbus  hervortrat,  nicht  das  Product  einer  nachtr&glichen 
Schrumpfung  durch  Alkohol  vorstellen  kann,  wie  überhaupt  eine 
erhebliche  alkoholische  Schrumpfung  am  Bulbus  mit  Sicherheit  aus- 
zuschliessen  war. 


Beitr.  z.  EntstehmigsgeBch.  der  angeb.  Missbilduogen  des  Auges.  197 

ab,  um  sackartig  jenen  retrobulbären  Raum  zu  umschlies« 
sen,  welcher  auf  der  Schnittfläche  eine  si^ittale  Ausdeh- 
nung von  ca.  6  mm,  vorn  eine  Höhe  von  3  mm  aufweist,  wäh- 
rend er  sich  nach  hinten  zu  verjüngt,  bis  er  blasenartig 
unter  dem  Sehnerven  (bei  c)  endet  Nach  vom  zu  bildet 
er  unten  noch  einen  niedrigen  Nebenraum,  mit  mehreren 
Ausbuchtungen,  welcher  von  dem  aufsteigenden  Scleralbogen 
und  den  sich  abzweigenden  äusseren  Schichten  der  Leder- 
haut begrenzt  wird.  Sowohl  der  eigentliche  Bulbus,  als 
auch  die  Cyste  sind  mit  Netzhaut  erfüllt«  Die  von  der 
Gystenwand  umschlossene  Netzhaut  stellt  eine  Aussackung 
der  secundären  Augenblase  nach  hinten  und  unten  dar. 

Die  hier  vorliegenden  Cystenbildungeu  bei  Mikrophthalmie, 
welche  von  van  Dayse(^)  mit  dem  Namen  „Colobome  enkyst^" 
und  „Kyste  colobomatenx^'  belegt  wurden,  sind  nicht  all  zu 
selten  zur  Beobachtung  gekommen,  wenn  auch  nur  spärliches 
histologisches  Material  darüber  vorliegt.  £wetzky(^)  hat  allein 
21  FäUe  von  „Colobomcysten^^  zusammengestellt  und  bringt 
ebenso,  wie  nach  ihm  H.  Virchow(^),  Lang(®),  Rubinski(^) 
und  C.  HessC*^),  weitere  Mittheilungen  hierüber.  Besonders 
möchte  ich  an  dieser  Stelle  den  von  C.  Hess  neuerdings  bei 
einem  mit  Mikrophthalmus  behafteten  Kaninchen  beobachteten 
Fall  hervorheben,  weil  er  —  abgesehen  von  einer  etwas  aus- 
gedehnteren ColobombilduDg  im  vorderen  Bulbusabschnitte  — 
in  mancher  Beziehung  eine  auffallende  Uebereinstimmung  mit 


(*)  Van  Duyse,  Cryptophthalmos  1889. 

{^)  Ewetzky,  Beitrag  zur  Kenntniss  der  Colobomcysten.  Inaug.« 
Dlssert.  Dorpat  1886. 

C)  H.  Yircbow,  Ein  Fall  von  angeborenem  Hydrocephalus  in- 
ternus zugleich  ein  Beitrag  zur  Mikrocephalenfrage :  Aus  der  Fest* 
Schrift  für  A.  v.  Kölliker.   Leipzig  1887. 

(")  W.  Lang,  The  Royal  London  Ophthalmie  Hospital  Reports. 
Vol.  XII.   Part  IV.    1889. 

\^^  Rubinski,  Beitrag  zur  Lehre  von  den  aDgeborenen  Cysten 
des  unteren  Augenlides  mit  Mikrophthalmus  (Colobomcysten).  Inang.- 
Dissert.  Königsberg  1890. 

<'®)  C.  Hess,  Weitere  Untersuchungen  über  angeborene  Missbil- 
dungen des  Auges:  dieses  Archiv  XXXII,  1,  S.  135. 


198  G.  Rindfleisch. 

den  meinigen  bietet.  Auch  hier  befindet  sich  am  hinteren,  un- 
teren Bulbusabschnitte  eine  ausgedehnte  Ectasie.  „Die  Grenze 
zwischen  der  ectatischen  hinteren  und  der  vorderen  Bulbus- 
partie  wird  durch  eine  seichte  etwas  hinter  dem  Aequator 
rings  um  das  Auge  zu  verfolgende  Furche  angedeutet  Der 
grösste  Theil  der  Ectasie  liegt  direct  nach  unten  vom  Sehner- 
ven. Die  Länge  des  Auges  von  der  Cornea  bis  zum  Scheitel 
der  Ausbuchtung  gemessen,  beträgt  19  mm,  davon  entfallen  9 
auf  die  ectatische  Partie.  Auch  hier  zeigt  sich  nach  Eröff* 
nung  des  Auges  im  horizontalen  Meridian,  dass  die  Ausdeh- 
nung am  hinteren  Pole  im  Wesentlichen  gebildet  ist  durch 
eine  cjstenartige  Höhle,  welche  in  der  Sclera  gele- 
gen ist  und  nur  durch  eine  kleine  kreisrunde  Oeff- 
nung  mit  dem  Bulbusinneren  in  Verbindung  steht 

Einen  so  ausgesprochenen  Fall  von  blasenartiger  Hervor- 
treibung  der  Netzhaut  in  der  ganzen  Ausdehnung  der  Scleral- 
ectasie  wie  den  meinigen,  vermag  ich  hingegen  in  der  oculisti- 
schen  Literatur  bis  jetzt  nicht  zu  finden.  Ob  die  von  Arlt(^^) 
und  Wal  Im  an  nC^*)  beobachteten  Divertikelbildungen  der  Netz- 
^haut  hierhergehörig  sind,  möchte  ich  unentschieden  lassen.  Man 
kann  jedoch  den  von  Kundrat(^^)  im  Jahre  1855  in  der  K. 
K.  Gesellschaft  der  Wiener  Aerzte  demonstrirten  Fall  von  bei- 
derseitigem Mikrophthalmus  mit  einer  grossen  und  mehreren 
kleinen  Cysten  als  geringeren  Grad  des  von  mir  beobach- 
teten Falles  auffassen,  denn  am  linken  Auge  ragte  auch  hier 
in  eine  kleine  Cyste  unterhalb  des  Sehnerveneintrittes  gefal- 
tete Retina  hinein.  —  Auch  bietet  eine  gewisse  Aehnlichkeit 
mit  meinem  Falle  der  von  G.  Hess  (')  beschriebene  Mikroph- 
thalmus mit  Einwucherung  der  Netzhaut  in  eine  zwischen  der 
Gegend  des  Opticus  und  der  nach  hinten  dislocirten  Linse  be- 
findliche „ampuUenförmige  Yorbuchtung  der  Sclera'*. 

Anlangend  die  übrigen  Theile  des  Bulbus  lässt  sich 
schon  makroskopisch  die  Cornea  durch  ihre  blaugraue  Farbe 
von  der  Sclera  diflferenziren.  Die  Linse  weist  eine  beträcht- 
liche relative  Grösse  auf.   Ihre  Breite  beträgt  4,75  mm,  ihre 

(")  V.  Arlt,  Die  Krankheiten  des  Auges.   Bd.  II.   S.  219. 

(<*)  Wallmann,  Zeitschr.  der  Gesellschaft  der  Wiener  Aerzte. 
1858.   S.  445. 

(>*)  Kundrat,  Wiener  medlc.  Presse,  Nr.  6,  Nr.  51  n.  52  citirt 
nach  dem  Jahresbericht  aber  die  Leistungen  etc.   Jahrg.  1885. 


Beitr.  z.  Entstehungsgesch.  der  angeb.  Missbildungen  des  Auges.  199 

Dicke  4  mm;  man  kann  an  ihr  einen  dunkelbraunen  Kern 
und  eine  graue  Binde  —  letztere  etwa  0,4  mm  dick»  — 
unterscheiden  (vergl.  Fig.  2).  Die  vordere  Kammer  ist  aus- 
gebildet, aber  seicht.  Vorn  über  der  Linse  hat  sich  durch 
die  erwähnte  Vorwölbung  der  Sclera  ein  Hohlraum  gebil- 
det, dessen  Wandung  Yon  Aderhaut  ausgekleidet  ist;  letz- 
tere hat  sich  aber  an  der  Stelle  der  stärksten  Krümmung 
etwas  abgehoben,  lieber  den  Verlauf  des  Sehnervenstran- 
ges  giebt  der  betreffende  Durchschnitt  noch  keinen  genü- 
genden Aufschluss,  dodi  lässt  das  continuirliche  Uebergehen 
der  Cyste  in  die  äussere  Umhüllung  des  Opticus  vermuthen, 
dass  dieselbe  an  der  Bildung  ihrer  Wand  nicht  unbethei- 
ligt  ist 

Von  beiden  Bulbushälften  wurden  nach  weiterer  Här- 
tung in  absolutem  Alkohol  und  Einbettung  in  Celloidin  yer- 
ticale  Meridionalschnitte  paraUel  der  beschriebenen  Schnitt- 
fläche angelegt  und  eine  fortlaufende  Serie  nach  Färbung 
Yomehmlich  mit  Eosin -Hämotoxylin  der  mikroskopischen 
Betrachtung  unterworfen. 

Die  histologische  Structur  der  Bindehaut  bietet  nichts 
Bemerkenswerthes.  Die  etwas  stark  gewölbte  Hornhaut 
zeigt  im  Centrum  einen  Dickendurchmesser  von  genau  1  mm, 
um  nach  der  Peripherie  hin  dünner  zu  werden;  ihre  Höhe 
beträgt  etwa  3,5  mm,  ihre  Breite  4  mm.  Das  Epithel  be- 
steht nirgends  aus  mehr  als  drei  übereinander  liegenden 
Zellschichten;  an  den  meisten  Stellen  findet  sich  sogar  nur 
eine  einzige  Lage  cubischer  Zellen,  welche  von  einem  nie- 
drigen Pflasterepithel  überzogen  ist.  Die  Schichten  der 
Grundsubstanz  zeigen  in  der  oberen  Hornhauthälfte  auf 
dem  Durchschnitt  einen  mehr  welligen,  in  der  unteren  einen 
gestreckteren  Verlauf.  Die  Dicke  der  bereits  hervortreten- 
den Descemet'schen  Haut  mit  ihrem  Epithelbelage  schätze 
ich  auf  2 — Sfi,  Die  Lfederhaut  ist  in  der  oberen  Bulbus- 
wand  stärker  entwickelt,  als  in  der  unteren.  Ihr  Bau  ist 
im  Allgemeinen,  abgesehen  von  starkem  Kernreichthum,  ein 


200  0.  Rindfleisch. 

normaler  zu  nennen.  In  dem  ectatischen  Gebiete  sind  ihre 
inneren  Lamellen  gelockert  und  gefältelt  (vgl.  Fig.  3  bei  1), 
während  sie  auf  der  Höhe  der  Convexität  straff  gespannt 
erscheinen.  An  dieser  Stelle  ist  die  Aderhaut,  welche  im 
Uebrigen  der  inneren  Scleralwand  dicht  anliegt,  derselben 
nicht  gefolgt,  sondern  hat  sich  von  ihr  abgehoben.  Das 
die  Lücke  zwischen  beiden  Häuten  ausfüllende  Gewebe 
setzt  sich  aus  netzartig  verzweigten  Fasern  mit  zahlreichen 
Kernen  zusammen  und  repräsentirt  die  auseinander  gezo- 
gene Suprachorioidea  (vergl.  Fig.  3  bei  m). 

Nach  hinten  setzt  sich  das  seiende  Bulbusdach,  ohne 
seine  Structur  auffallend  zu  ändern,  in.  die  Duralscheide 
des  Opticus  fort.  Bis  zur  Mitte  ihrer  sagittalen  Ausdeh- 
nung verlaufen  die  Sderallamellen  in  stark  welliger  Rich- 
tung, während  sie  weiter  nach  hinten  zu  mehr  gerade  ge- 
richtet sind.  Die  den  Boden  des  Bulbus  bildende  Sclera 
zeigt  einen  gleichniässigeren  lamellären  Bau.  Der  Kem- 
reichthum  der  Sclera  ist  allenthalben  gleich  stark  ausge- 
sprochen. Durch  Vergleichung  der  Serienschnitte  ergiebt 
sich,  dass  die  Oeffnung  in  der  Hinterwand  des  Bulbus  um 
weniges  nach  innen  von  seiner  sagittalen  Mittelaxe  begin- 
nend, hauptsächlich  in  der  temporalen  Hälfte  liegt  und 
nach  dieser  Seite  hin  von  2  bis  zu  4  mm  an  Höhe  zunimmt^ 
indem  der  aufsteigende  Scleralbogen  an  der  nasalen  Seite 
ein  viel  höherer  ist  als  an  der  temporalen  (vgl.  Fig.  3  bei  e 
und  4  bei  c).  Die  quere  Weite  der  ganzen  Oeffnung  beträgt 
ca.  3  mm.  Die  oberflächlichsten  Lamellen  des  Scleralbo- 
dens,  welche  von  dem  aufsteigenden  Scleralbogen  abzwei- 
gend in  sagittaler  Richtung  weiter  ziehen,  um  zur  Bildung 
der  Wand  des  retrobulbären  Raumes  beizutragen,  sollen 
weiter  unten  Erwähnung  finden.  Die  vordere  Kammer  ist 
flach,  aber  vollkommen  ausgebildet^). 

^)  In  Figur  3  erscheint  sie  durch  leichtes  Yerschobensein  der 
Linse  nach  hinten  etwas  tiefer,  als  sie  vermuthlich  vor  der  Pr&pa- 
ration  war. 


Beitr.  z.  Entstehungsgesch.  der  angeb.  Missbildungen  des  Auges.  201 

Die  Iris  stellt  einen  allseitig  geschlossenen  Ringwulst 
von  OTalem  Querschnitt  dar.  Eine  Golobombildung  ist  dem- 
nach mit  Sicherheit  auszuschliessen.  Die  Breite  des  Ringes, 
welcher  nach  unten  und  aussen  etwas  geringere  Entwicke- 
lung  erüediren  hat>  als  an  den  anderen  Seiten,  schwankt 
zwischen  0,3  und  0,4  mm.  Die  Iris  dürfte  also  als  in  ihrer 
Ausbildung  zurückgeblieben  zu  bezeichnen  sein;  die  pigmen* 
tirte  und  unpigmentirte  Schichte  ist  etwa  von  gleicher  Stärke. 
Ein  Sphincter  ist  noch  nicht  nachweisbar.  Die  Pupillar- 
membran ist  auf  einzelnen  Schnitten  angedeutet,  doch  scheint 
sie  vom  nicht  geschlossen  zu  sein.  Das  Corpus  ciliare  bie- 
tet eine  kräftige  Muskulatur  und  auffallenden  Kernreich- 
thum.  Die  Cüiarfortsätze  sind  stark  ausgebildet,  sehr  lang 
und  blutreich.  Sie  zeigen  eine  ausgeprägte  Verlaufsrich- 
tung nach  dem  Innern  des  Bulbus  zu.  Die  ziemlich  gefäss- 
reiche  Aderhaut  reicht  oben  und  seitlich  bis  zur  Gegend 
der  hinteren  Oeffnung  in  normaler  Ausbildung;  weiter  nach 
hinten  zu,  also  iin  Gebiete  des  retrobulbären  Raumes,  geht 
sie  ganz  allmälig  in  eine  gefässhaltige  innere  Schicht  der 
Sdera  über  (vergl.  Fig.  3  bei  n).  Am  Boden  des  Bulbus 
findet  sich  lateral  von  der  Mitte  ein  deutlich  hervortreten- 
des Golobom  dieser  Membran  (vergl.  Fig.  4  bei  b,  schema- 
tisch), welches  von  emporsteigenden  Gefässchen  und  locke- 
rem Mesodermgewebe  ausgefüllt  ist.  Dieses  Golobom  er- 
streckt sich  nach  vom  bis  gegen  den  Giliarkörper,  ohne 
dass  dieser  sich  an  der  Spaltbildung  betheiligt.  Uebrigens 
enthält  die  Aderhaut  schon  einige  leicht  pigmentirte  Stern- 
zellen. Eine  Suprachorioidea  (vgl.  Fig.  3  bei  p)  tritt  au  der 
unteren  Bulbushälfte  mehr  als  an  der  oberen  hervor.  Eine 
Glaslamelle  ist  überall  nachweisbar,  wenn  auch  strecken- 
weise nur  schwach  angedeutet. 

Die  vollkommen  normal  entwickelte  Linse  zeigt  in  der 
Gegend  des  hinteren  Pols  eine  Schicht  ovoider,  heller  bläs- 
chenförmiger Gebilde,  welche  ich  um  so  mehr  auf  catarac- 
töse  bezw.  cadaveröse  Ursachen  zurückführen  möchte,  als 


202  Gt.  Kindfleisch. 

sich  hier  und  da  am  hinteren  Pole  Continuitätstrennnngen 
der  Linsenoberfläche  Yorfindcn.  Die  Linse  ist  bis  auf  ihre 
Vorderfläche  von  der  gefässhaltigen  Kapsel  umschlossen. 
Das  äussere  Blatt  der  secundären  Augenblase  erstreckt  sich, 
abgesehen  vom  Colobomgebiete,  wo  es  ToUkommen  fehlt, 
unten  bis  an  die  Baibusöffnung  heran  als  wohlausgebildetes 
Pigmentepithel.  Oben  lässt  sich  dasselbe,  wenn  auch  nicht 
mehr  in  der  gleichen  Ausbildung  wie  innerhalb  des  eigent- 
lichen Bulbus,  noch  bis  zum  Eintritt  des  Sehnerven  hin 
(vergl.  Fig.  3  bei  b)  yerfolgen.  Es  ist  hier  in  der  Gegend 
der  stärksten  Einsenkung  des  Scleraldaches  streckenweise 
durch  ein  seröses  Exsudat  abgehoben  (vergL  Fig.  3  bei  a). 
—  Unten  verliert  es  von  der  Kante  des  aufsteigenden  Scle- 
ralbogens  ab  (vergl.  Fig.  3  bei  e)  sein  Pigment,  doch  sind 
die  constituirenden  Elemente  des  äusseren  Augenblasenblat- 
tes  auch  hier  noch  bis  zum  Sehnerven  verfolgbar,  wenn  si» 
auch  auf  diesem  Wege  erhebliche  Veränderungen  erfahren 
haben.  Das  innere  Blatt  der  secundären  Augenblase  — 
also  die  Netzhaut  im  engeren  Sinne  —  hat  sich  fast  voll* 
kommen  vom  Pigmcntblatte  abgehoben  und  gefaltet.  Sie 
steht  mit  diesem  nur  am  Sehnerveneintritt  (vergl.  Fig.  3 
bei  b  und  b*)  und  am  Ciliarkörper  ^)  in  Verbindung.  Oben 
ist  die  vorderste  Strecke  der  Netzhaut  mit  der  gefässhalti- 
gen Linsenkapsel  verklebt  und  zieht  auf  dieser  entlang  bis 
in  die  Gegend  des  hinteren  Linsenpols,  wo  sie  am  Ansätze 
der  Centralarterienverzweigung  (vgl.  Fig.  3  bei  d)  umbiegt, 
um  von  da  zum  Sehnerven  hinzuziehen.  Der  untere  Theil 
der  Retina  liegt  der  Linsenkapsel  weniger  dicht  an,  dage- 
gen werden  von  ihm  vorwiegend  die  zahlreichen  Falten  und 
Fältchen  geliefeit,  welche  das  Bulbusinnere  fast  vollkommen 


^)  Am  Pr&parat  war  durch  die  erw&hnte  YerschiebuDg  der  Linse 
Dach  hinten  der  Ansatz  der  Retina  am  Cillarkörper  abgerissen,  doch 
konnte  die  Ansatzstelle  (vergL  Fig.  3  bei  c  und  c')  mikroskopisch 
sicher  nachgewiesen  werden;  deshalb  wurde  in  Figur  3  diese  Ter- 
bindang  durch  Punktlinien  angedeutet. 


Beitr.  z.  Entstehangsgesch.  der  angeb.  Mifisbildangen  des  Auges.  203 

ausfüllen  (yergl.  auch  Fig.  2).  Dächte  man  sich  diese  Fal- 
tungen ausgeglichen,  so  vrürde  die  Netzhaut  eines  weit 
grösseren  Bulbus  bedürfen,  um  in  ihm  eine  normale  Lage 
annehmen  zu  können.  Gentralwärts  zieht  die  Netzhaut  über 
den  Rand  des  aufsteigenden  Scleralbogens  hinweg,  um  in 
der  nasalen  Hälfte  des  Bulbus  sich  direct  dem  Sehnerven- 
eintritt zuzuwenden,  während  sie  sich  in  der  temporalen 
Hälfte  in  ihrer  hintersten  Strecke  gegen  den  Boden  des 
retrobulbären  Raumes  hinabsenkt. 

Histologisch  hat  die  intrabulbäre  Netzhaut,  welche 
durchschnittlich  eine  Dicke  von  0,2  mm  besitzt,  bereits  einen 
hohen  Grad  der  Ausbildung  erlangt.  Man  erkennt  an  ihr 
Ton  innen  nach  aussen  betrachtet: 

1)  Eine  Membrana  limitans  interna,  oder  vielmehr  eine 
scharfe  lineare  Abgrenzung; 

2)  eine  helle  Schicht,  welche  die  kegelförmigen  Enden 
der  Stützfasem  mit  einzelnen  dazwischen  gelagerten  Ker- 
nen und  darüber  in  einem  reticulären  Fasergewebe  eine 
einfache  Reihe  grösserer  Kerne  enthält; 

3)  zwei  deutliche  Kömerschichten,  durch  eine  helle 
Zwischenkömerschicht  getrennt; 

4)  eine  Membrana  limitans  externa  und 

5)  jenseit  derselben  in  Zerfall  begriffene  Stäbchen  und 
Zapfen,  ein  Zustand,  der  jedenfalls  als  cadaveröser  aufzu- 
fassen ist,  da  der  Fötus  längere  Zeit  vor  der  Geburt  abge- 
storben war. 

Der  von  der  abgelösten  Netzhaut  umschlossene  Binnen- 
raum enthält  wenig  Glaskörpersubstanz.  Vom  hinteren 
Linsenpole  zieht  centralwärts  ein  strangartiges  aus  äusserst 
feinen  Fibrillen  bestehendes  Gebilde,  mit  zahlreichen  Zell- 
kernen, welches  in  seiner  Axe  die  Arteria  centralis  retinae 
(vergL  Fig.  3  bei  d)  birgt,  die  sich  hier  verzweigt. 

Eine  höchst  eigenthümliche  Zusammensetzung  bietet 
der  retrobulbäre  Raum,  welcher  seinem  Aussehen  nach  eine 
gewisse  Aehnlichkeit  mit  der  in  der  Pathologie  als  „Hernie" 


204  6.  BindfleiBclL 

bezeichneten  Erscheinung  bietet,  wenn  sich  auch  bei  Be- 
rücksichtigang  des  Umstandes»  dass  sich  im  Torliegenden 
Falle  streng  genommen  keine  präformirte  oder  neugeschaf« 
fene  Lücke  in  der  Bolboswand  (welche  den  Inhalt  heraustre- 
ten liess)  TorfSEUidy  dieser  Vergleich  nicht  nach  allen  Rieh« 
tungen  hin  durchfuhren  lässt  Die  „Bruchpforte''  wird 
Tom  vom  unteren  Rand  der  Gommunicationsöffiiung  zwi- 
schen Bulbus  und  retrobulbären  Raum  (vgl.  Fig.  3  bei  e)  seit- 
lich Ton  einer  ins  Innere  des  Raumes  vorspringenden  hori- 
zontalen Falte  der  Sdera  (yergl.  Fig.  la),  hinten  von  einer 
ähnlichen  Einziehung  des  Sderalgewebes  unter  dem  Seh- 
nerveneintritt  (vergL  Fig.  3  bei  b^)  b^renzt.  Der  ^»Bruch- 
sack"  wird  theils  Ton  einem  nach  innen  zu  straff  gespann- 
ten, aussen  mehr  oder  weniger  lockeren  mesodermalen  Ge- 
webe gebildet  (vgL  Fig.  von  3f  bis  f  ^),  theils  von  dem  mehr- 
fach erwähnten  aufsteigenden  hinteren  Sderalbogen.  Den 
„Bruchiuhalf'  repräsentirt  eine  blasenartige  Ausstülpung 
der  secundären  Augenblase  dicht  an  der  Eintrittsstelle  des 
Sehnerven.  Diese  Ausstülpung  ist  vorwiegend  in  temporal- 
und  abwärtsfuhrender  Richtung  erfolgt,  so  dass  ein  an  ihrem 
Beginne  vertical  angelegter  Sagittalschnitt  noch  ein  gutes 
Stück  ihrer  medialen  Wand  von  der  Fläche  trifft  (vgl.  Fig.  3 
bei  g).  Nach  vom  zu  bildet  diese  Netzhautblase  mehrere 
weit  vorspringende  Aussackungen  bis  gegen  den  Aequator 
des  eigentlichen  Bulbus  hin,  welche  von  einander  durch 
einspringende  bindegewebige  Zapfen  (vgl.  Fig.  3  bei  o^  o'o^) 
getrennt  werden;  doch  communiciren  sie,  wie  eine  Reihe 
von  Schnitten  beweist  (vergl.  Fig.  4  bei  a),  nicht  nur  unter 
sich,  sondern  auch  mit  dem  Hauptraume  des  Bruchsackes. 
Schon  bei  schwacher  Vergrösserung  lässt  sich  mit  Leichtig- 
keit constatiren,  dass  sich  innerhalb  des  Bruchsackes  das 
innere  Blatt  der  secundären  Augenblase  —  die  Netzhaut 
(Figur  3  bei  i)  —  vom  äusseren  Blatte,  —  dem  Pigment- 
epithelblatte (vergl.  Figur  3  bei  h)  — ,  welch  letzteres  dem 
Bruchsacke  anliegt,  auf  eine  weite  Strecke  abgehoben  hat» 


Beitr.  z.  Entstehongsgesch.  der  angeb.  MissbildoDgen  des  Aages.  205 

während  beide  Blätter  sich  vom  am  Beginn  der  kleineren 
Ausstülpungen  (vgl.  Fig.  3  bei  k)  wiederum  vereinigen,  um 
weiterhin  ungetrennt  in  diese  einzutreten. 

Was  nun  die  feineren  histologischen  Details  dieses  gan- 
zen Gebietes  anbetrifiFt,  so  sind  diese  in  dem  Theile,  wel- 
cher rückwärts  von  der  vorderen  Vereinigung  beider  Netz- 
hautlamellen liegt,  ziemlich  einfacher  Natur,  während  sie 
nach  vorn  von  dieser  Stelle  als  äusserst  vervnckelt  bezeich- 
net werden  müssen.  Der  Opticus,  welcher  zuerst  den  binde- 
gewebigen Augenstiel  durchlaufen  hatte  und  von  diesem  — 
seiner  Duralscheide  —  fest  umschlossen  wird,  der  aber  nun 
wegen  der  Ausstülpung  der  Augenblase  dicht  am  proximalen 
Ende  scheibenförmig  von  oben  in  den  retrobulbären  Baum 
eintritt  (vgl.  Fig.  3  bei  g),  besteht  aus  vielfach  sich  durch- 
flechtenden Fasern  mit  ovalen  meist  quergestellten  Kernen. 
Deutliche  Markscheiden  Hessen  sich  mit  Hilfe  der  Weigert- 
scheu Methode  nicht  darin  nachweisen.  Ganz  allmälig  geht 
das  Sehnervengewebe  auf  die  Netzhaut  über,  auch  das  Pig- 
mentblatt zeigt  da,  wo  es  noch  dem  inneren  Blatt  anliegt 
(vgl.  Fig.  3  bei  b^)  keine  scharfe  Grenze  gegen  den  Opticus 
hin.  Oben  (vgl.  Fig.  3  bei  b)  ist  sein  Anfang  schärfer  aus- 
geprägt Dort  wo  die  beiden  Blätter  von  einander  getrennt 
liegen  (Fig.  3  bei  k  bis  b^),  ist  die  Netzhaut  nur  0,1  mm 
dick,  also  etwa  halb  so  dick,  als  die  im  Bulbus  befindliche 
und  zeigt  auch  eine  geringere  Differenzirung  als  diese. 
Immerhin  lässt  sich  an  ihrer  Innenseite  (vergL  Fig.  5  mi) 
eine  Art  Membrana  limitans  interna  erkennen,  auf  welche 
nach  aussen  hin  zunächst  eine  hauptsächlich  aus  Stützfasem 
und  einzelnen  Kernen  bestehende  Schicht  (vergl.  Fig.  5e) 
folgt,  weiterhin  aber  längliche  Kemmassen  (vgl.  Fig.  5d) 
hierauf  solche  von  mehr  rundlicher  Gestalt  (vgl.  Fig.  5  c) 
sich  anschliessen;  auch  ist  eine  deutliche  Membrana  limi- 
tans externa  (vgl.  Fig.  5me)  mit  aufgelag^ten  körneligen 
Massen  —  wohl  Rudimente  von  Stäbchen  und  Zapfen  — 
nachweisbar.    Das  Pigmentepithelblatt   bildet  eine  gleich- 


206  O.  Rindfleisch. 

massige  innere  Auskleidung  der  aus  lockerem  kemreicben 
Bindegewebe  bestehenden  Wand  des  Bruchsackes  (Fig.  5f). 
Es  setzt  sich  aus  mehreren  Lagen  grosser  Epithelzellen  zu- 
8ammen>  welche  nach  der  Wandung  zu  länglich  oval  bis 
spindelig  gespaltet  sind  (vergl.  Fig.  5  a),  während  sie  nach 
innen  mehr  cubisch  und  rundlich  erscheinen  (vgl.  Fig.  5  b). 
Stellenweise  sind  die  Zellen  stark  pigmentirt  oder  es  liegt 
freies  Pigment  zwischen  ihnen  und  zwar  entsprechen  solche 
Stellen  genau  dem  Verlaufe  kleiner  Gefasschen,  welche  im 
Allgemeinen  spärlich  vorhanden,  hier  die  Gystenwandung 
durchziehen  (vergl.  Fig.  5  bei  g). 

Es  ist  eine  solche  Membran  von  der  Mehrzahl  der 
Autoren  in  übereinstimmender  Weise  als  innerer  Ueberzug 
von  Golobomen,  Colobomcysten  u.  s.  w.  geschildert,  wenn 
auch  gewöhnlich  anders  gedeutet  worden  (siehe  Anmerkgn.). 
Eine  Eigenthümlichkeit  bietet  jedoch  das  vorliegende  Prä- 
parat insofern,  als  hier  die  Zellenschicht  nach  aussen  hin 
in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  durch  eine  deutliche  homogene 
Membran  (vergl.  Fig.  5  bei  m)  begrenzt  wird.  Wir  haben 
hier  demnach  eine  „Glasmembram  der  Chorioidea''  vor  uns, 
ohne  dass  letztere  auch  nur  im  geringsten  angedeutet  wäre; 
ein  Umstand,  welcher  die  Entstehung  der  Glasmembran  aus 
dem  Pigmentepithel  der  Netzhaut  wenigstens  für  unseren 
Fall  ausser  Zweifel  setzt. 

Anm.  So  fand  Stellwag  v.  Carion(^*)  die  innere  Wand 
der  Scleralectasie  bei  Mikrophthalmus  „von  einem  mehr  weniger 
aagenfölligen  Ueberzug  eines  flockigen  von  sparsamem  Pigment- 
gehalt bald  lichter  bald  dankeler  braun  gefärbten  Gewebes^^  aus- 
gekleidet 

Nach  HaaseC^^)  bestand  die  Struetur  der  Membran,  welche 
die  Innenseite  eines  Coloboms  überzog,  „ans  Bindegewebsbttn- 
deln,  in  denen  einzelne  lange  spindelförmige  Zellen,  sowie  Kerne 

('*)  Stellwag  V.  Gar ion,  Die  Ophthalmologie  Yom  naturwissen- 
schaftlichen Standpunkte  aus  betrachtet.   Bd.  II,  1,  S.  35.   1855. 

('^)  Haase,  Zur  patholog.  Anatomie  des  Goloboma  iridis  etc. 
Dieses  Archiv  XVI,  S.  118.    1870. 


Beitr.  z.  Entstehaogsgesch.  der  angeb.  MisBbildangen  des  Aages.  207 

und  lymphkörperartige  Zellen  in  grosser  Anzahl  vorhanden 
sind.  —  Anch  fand  er  „hier  und  da  amorphe  Pigmentmoleküle 
in  dem  Gewebe  eingebettet*\ 

Nach  Manz(^^)  zeigte  das  Häutchen,  welches  die  Verbin- 
dung zwischen  den  Colobomrändern  übernimmt,  aussen  zunächst 
eine  dünne  Schicht  von  fibrillärem  Bindegewebe,  dann  folgte 
Plattenepithel,  theils  mit  Pigment,  dann  Blutgefilsse  und  end- 
lich Netzhautfiragmente. 

TalkoC^"^)  fand  in  einer  bei  Mikrophthalmus  bestehenden 
—  doch  nach  dem  Verfasser  mit  diesem  nicht  zusammenhän- 
genden —  serösen  Cyste  unter  dem  unteren  Augenlid  die  in- 
nere Fläche  mit  gespitztem  cylindrischem  £pithelium 
ausgekleidet,  die  Substanz  der  Wand  bestand  aus  netzartigem 
Bindegewebe. 

Dor(^*)  thut  eines  von  Chandeloux  untersuchten  Falles 
von  Colobomcyste  Erwähnung,  welcher  „a  demontrö  la  pr^sence 
d*un  sarcome  fasciculaire  k  cellules  füsiformes  d^velopp^  au 
milieu  du  tissu  cellulaire^ 

In  dem  von  Kundrat(*^)  in  der  Gesellschaft  der  Wiener 
Aerzte  demonstrirten  Falle  von  beiderseitigem  Mikrophthalmus 
zeigte  die  Cyste  aussen  faseriges  Gewebe,  innen  gliomatöse  Aus- 
kleidung. 

Ausführliche  histologische  Untersuchungen  der  die  Cysten- 
wandungen  zusammensetzenden  Elemente  liegen  endlich  von 
Ewetzky(«),  Lang(«),  Rubinski (^)  und  C.  He8s(^^)  vor. 

Nach  Ewetzky  besteht  die  Wand  der  Colobomcyste  aus 
einem  scieralen  und  einem  retinalen  Theile.  Nicht  allein 
ergiebt  die  Beschreibung  und  Zeichnung  derselben  vollkommen 
analoge  Verhältnisse,  wie  die  von  mir  geschilderten,  sondern 
es  geht  auch  aus  den  beigefügten  Zeichnungen  unzweideutig 
hervor,  dass  eine  ähnliche  homogene  Schicht  zwischen  beiden 
vorhanden  war,  wie  ich  sie  oben  hervorhob  und  als  Glasmem- 
bran bezeichnete. 

Lang  fand  die  innere  Wand  einer  ähnlichen  Cyste  mit 


{}*)  Manz,  Anatomische  Untersuchungen  eines  Coloboma  iridis 
et  chonoideae:  Zehenders  klin.  Monatsbl.  f.  A.  XIV,  S.  1.   1876. 

(")  Talko,  Ein  Fall  von  Mikrophthalmus  mit  angeborenen  se- 
rösen Cysten  unter  den  Unteren  Augenlidern:  Zehender's  klinische 
MonatsbL  f.  A.  1877,  S.  137. 

(<")  Dor,  Revue  gönärale  d'Ophtalmologie  1882,  S.  82. 


208  0,  Bindfleisch. 

feinen  sich  verzweigenden  Zellen  mit  zarten  Fortsätzen  ausge- 
kleidet. 

Rubinski  unterscheidet  auch  an  der  Cystenwand  eine 
innere  aus  kemreichem  Fasergewebe  mit  spindeligen  langfase- 
rige Ausläufer  tragenden  Zellen  bestehende  Schicht  und  eine 
äussere  faserige.  Mehr  als  seine  Beschreibungen  haben  seine 
Abbildungen  mit  den  meinigen  Aehnlichkeit. 

Schliesslich  sei  hier  noch  die  kürzlich  yon  C.  Hess  (^^) 
veröffentlichte  Arbeit  hervorgehoben.  £r  stellt  darin  vier  Fälle 
mit  angeborener  hinterer  Ectasie  verschiedenen  Grades  zusam- 
men, die  sich  sämmtlich  durch  vollkommenes  Fehlen  der  Cho- 
rioidea  im  ectatischen  Gebiete,  durch  allmäliges  Aufhören  des 
äusseren  Blattes  der  secundären  Augenblase  mit  plötzlichem 
Verlust  des  Pigmentes  (wo  solches  vorhanden  war)  am  Rande 
des  Goloboms  und  durch  Ausgekleidetsein  der  £ctasie  selbst 
mit  einer  Membran  charakterisiren,  welche  nach  der  Beschrei- 
bung der  meinigen  ähnlich  ist,  doch  wird  sie  vom  Verfasser 
als  modificirte  Netzhaut  aufgefasst.  Dagegen  betrachtet  H  a  a  b  ( ^  ^), 
der  ein  Colobom  von  zwei  retinalen  Lamellen  ausgekleidet  fand, 
die  äussere,  welche  eine  ähnliche  Structur,  wie  die  oben  be- 
schriebenen aufwies,  als  äusseres  Blatt  der  secundären  Augen- 
blase, welches  an  den  Bändern  in  das  innere  übergeht 

Thalberg(*®),  welcher  ein  Colobom  von  einem  Kinde  mit 
Mikrophthalmus  beschreibt,  sagt  bezüglich  des  Pigmentepithels: 
„Es  lässt  sich  im  Colobom  noch  eine  kleine  Strecke  weit  als 
einfache  Lage  pigmentirter  Zellen  verfolgen,  geht  dann  durch 
Theilung  in  eine  mehrfache  Schicht  nicht  pigmentirter  etwas 
kleinerer  Zellen  mit  überwiegend  ovalen  Kernen  über.^^  Auch 
fand  er  am  Colobomrande  stellenweise  „zwischen  Pigmentepithel 
und  Sclera^'  eine  „der  Bowman'schen  gleiche  Membran^^ 

Ich  halte  bei  meinen  Befanden  einen  Zweifel  über  die 
Deutung  der  Auskleidungsmembran  als  äusseres  Blatt  der 
secundären  Augenblase  für  absolut  ausgeschlossen. 

Das  Beschränktsein  der  Pigmentirung  auf  nur  wenige 
Stellen  führe  ich,  wie  gesagt,  auf  die  geringe  Zahl  der  Ge- 
fässe  in  der  Wand  des  Bruchsackes  zurück. 

('^  Ha  ab,  Beiträge  zu  den  angeborenen  Fehlem  des  Auges: 
Dieses  Archiv  XXIV,  2,  S.  257. 

(■^  Thalberg,  Zar  pathol.  Anatomie  des  Coloboma  chorioideae 
et  iridis  congenitum:  Aixh.  f  Augenheük.  XIII,  1,  S.  81. 


Eeitr.  z.  Entstehuagsgesch.  der  angeb.  MissbildaDgen  des  Auges.  209 

lu  der  vorderen  Hälfte  der  Cyste  —  dem  Gebiete 
des  mehrfach  getheüten  Rocessus  — ,  sind  die  Verhältnisse 
äusserst  verwickelte.  Mit  Bestimmtheit  lässt  sich  nur  Fol- 
gendes darüber  sagen:  Es  finden  sich  hier  3  —  4  kleine 
langgestreckte  Hohlräume,  welche  nach  hinten  zu  in  einen 
etwas  grösseren  (vergl.  Fig.  4  bei  a)  und  durch  diesen  in 
den  Hohlraum  des  Bruchsackes  münden.  Sämmtliche  Hohl* 
räume  sind  nach  aussen  von  mesodermalem  kemreichem  Ge- 
webe umschlossen,  welches  an  einzelnen  Stellen,  besonders 
an  der  Aussenseite  des  Bulbus,  den  Charakter  des  Scleral- 
gewebes  trägt,  an  anderen  vielfach  von  Kömermassen  durch- 
setzt ist,  welche  offenbar  der  Netzhaut  entstammen,  an  noch 
anderen  zahlreiche  elastische  Fasern  aufweist,  —  vorwiegend 
jedoch  findet  sich  ein  charakteristisches  Narbengewebe 
von  langen  aus  Spindelzellen  bestehenden  Strängen  und 
kurzen  Bindegewebsfasern  mit  langen  grossen  Kernen.  Ge- 
fasse  sind  in  sehr  verschiedener  Menge  vorhanden;  hier 
und  da  sind  sie  prall  mit  Blut  gefüllt.  Die  Innenwandung 
jedes  einzelnen  Recessus  ist  mit  Netzhautgewebe  ausgeklei- 
det, welches  hier  mehr  den  Charakter  des  Pigmentepithels, 
dort  mehr  den  einer  differenzirten  oder  modifizirten  Retina 
trägt,  im  Allgemeinen  aber  sich  durch  eine  ganz  enorme 
Faltung  auszeichnet.  Die  Fältchen,  welche  bisweilen  auf 
dem  Durchschnitt  als  eine  Kette  von  grossen  und  kleinen 
Ringen  erscheinen  und  bald  die  äussere  bald  die  innere 
Retinalschicht  nach  innen  kehren,  sind  vielfach  miteinander 
verklebt  und  zusammengewachsen;  mitunter  enthalten  sie 
freie  Blutkörperchen  und  an  zwei  Stellen  (vgl.  Fig.  3  bei  q) 
Haufen  von  eigenthümlichen  scholligen  Gebilden,  welche 
bei  Zusatz  von  Schwefelsäure  zu  schönen  Drusen  von  fei- 
nen Spiessen  auskrystallisiren,  ohne  Gas  zu  entwickeln,  also 
jedenfalls  als  Concremente  von  phosphorsaurem  Kalk  auf- 
zufassen sind.  Der  Glaskörper,  welcher  sehr  stark  ge- 
schrumpft die  Mitte  des  Bruchsackes  durchzieht,  sendet 
Ausläufer  in  jeden  einzelnen   Recessus,   die  aus  feinsten 

T.  Gnef6*8  ArchiT  fOr  Ophthalmologie.  XXXVII.  8.  14 


210  0.  Rindfleiseb. 

mit  Rundzellen  durchsetzten  Fibrillen  bestehend,  auch  nur 
genau  die  Mittelaxe  der  Hohlräume  einnehmen,  also  offen- 
bar in  sich  selbst  zusammengezogen  und  geschrumpft  sind. 

Im  Allgemeinen  erinnert  der  obige  Befand  an  den  frflber 
citirten  Arlt'schen  Fall,  bei  welchem  sich  in  ein  Divertikel 
der  Netzhaut  am  Boden  des  Bulbus  eine  Ausstülpung  des  Glas- 
körpers erstreckte,  und  bei  welchem  Verfasser  erwähnt,  dass 
sich  im  Grunde  des  Recessus  alle  Formbestandtheile  der  Netz- 
haut mikroskopisch  nachweisen  Hessen,  aber  „wie  auseinander- 
gezogen und  schütter''. 

Aus  den  mir  zu  Gebote  stehenden  Horizontalschnitten 
des  rechten  Bulbus  konnte  ich  mit  Sicherheit  entnehmen» 
dass  im  Wesentlichen  dieselben  Verhältnisse  vorlagen,  wie 
ich  sie  am  linken  geschildert  habe.  Auch  dort  liegt  hinter 
dem  Bulbus,  welcher  das  Bild  des  Mikrophthalmus  bietet» 
ein  weites  blasenartiges  Gebilde,  dessen  Wandung  eine  Fort- 
setzung der  äusseren  Scleralschichten  darstellt  und  welches 
nach  vorne  zu  mit  dem  Bulbus  durch  eine  in  dessen  Hin- 
terwand befindliche  Lücke  in  offener  Communication  steht 
Auch  dort  ist  die  Netzhaut  abgehoben,  stark  gefaltet  und 
lässt  ein  ausgedehntes  Divertikel  gleichsam  in  den  cysti- 
schen Raum  hineinquellen.  Derselbe  ist  innen  von  der  glei- 
chen Epithelmembran,  wie  am  anderen  Auge  überzogen. 
Um  Wiederholungen  zu  vermeiden,  sei  nur  kurz  zur  Er- 
gänzung aus  dem  vorliegenden  Befunde  erwähnt,  dass  die 
Betrachtung  der  histologischen  Verhältnisse  der  Augenmus- 
keln eine  sehr  gute  Entwickolung  ihrer  Elemente  ergaK 
Die  kräftigen  Muskelbäuche  setzen  sich  mit  starken  Sehnen 
an  die  Sclera  an;  nach  hinten  zu  wird  die  Wand  des  Bruch- 
sackes streckenweise  nur  von  Muskelfasern  gebildet,  indem 
die  scleralen  Schichten  auf  ein  Minimum  reducirt  sind.  Ein 
Hauptunterschied  zwischen  dem  vorher  beschriebenen  und 
diesem  Auge  besteht  jedoch  darin,  dass  hier  das  Colobom 
sich  viel  weiter  nach  vom  erstreckt  und  den  ganzen  Ciliar- 
körper  mit  einbegreifk.  Ein  Horizontalschnitt,  welcher  vom 
den  untersten  Theil  der  Linse  (vergl,  Fig.  6L),  hinten  den 


Beitr.  z.  Entstehongsgesch.  der  angeb.  Missbildongen  des  Aages.  211 

Uebergang  des  äusseren  Blattes  der  Augenblase  in  das  in- 
nere Blatt  (vergl.  Fig.  6  bei  a  und  a')  getroffen  hat,  zeigt 
diese  Verhältnisse  aufs  klarste,  weshalb  ich  ihn  in  zehn- 
facher Vergrösserung  beifüge. 

An  solchen  Horizontalschnitten,  welche  die  Liinse  in 
etwas  weiterer  Entfernung  vom  Centrum  getroffen  haben, 
fiel  mir  das  Bild  eines  zweiten,  hinteren  Kernbogens 
auf  (vergl.  Fig.  7  a — a').  Derselbe  liegt  genau  im  hinteren 
Linsenpol  in  einer  Ausdehnung  von  2  mm.  Seine  Enden 
sind  an  beiden  Seiten  vom  vorderen  Kernbogen  etwa  1,5  mm 
entfernt.  Letzterer  ist  gleichfalls  auf  demselben  Schnitte 
deutlich  zu  sehen.  Ich  möchte  diesen  zweiten  Kembogen 
als  dem  Randtheile  der  proximalen  nach  vorn  pilzförmig 
vorwachsenden  Fasermassen  zugehörig  auffassen,  doch  ist 
es  immerhin  auffällig,  dass  diese  Kerne  bei  der  weit  ent- 
wickelten Linse  noch  so  proximal  gelegen  sind. 

Da  ich  eine  ähnliche  Zeichnung  in  der  Literatur  nicht 
finde,  habe  ich  einen  der  beschriebenen  Schnitte  in  15facher 
Yergrösserang  halbschematisch  an  meine  Zeichnungen  angereiht. 

Kurz  gefasst  würde  also  die  Untersuchung  der  beiden 
Augen  des  hydrocephalischen  ca.  sieben  Monate  alten  Foe- 
tus  Folgendes  ergeben  haben: 

Durch  Hydrocephalus  platt  gedrückte  Augenhöhlen. 
Dieselben  enthalten  Gebilde  von  entsprechender  Gesanunt- 
form,  bestehend  aus  je  einem  platt  gedrückten  mikroph- 
thalmischen  Bulbus  mit  cystischem  Anhangsgebilde,  welches 
mit  jenem  durch  eine  weite  Oeffnung  communizirt.  Der 
Bulbus  enthält  eine  rudimentäre  Iris,  ein  Aderhaut -Colo- 
bom,  totale  Netzhautablösung  und  starke  Faltung  dieser 
Membran.  Das  Anhangsgebilde  besteht  aus  einem  cysti- 
schen Raum,  welcher  eine  bruchähnliche  Ausstülpung  der 
Netzhaut  umschliesst.  Dieselbe  erstreckt  sich  nach  vorn  in 
mehrere  diverticalartige  Räume,  deren  Wandungen  aus  Nar- 
bengewebe bestehen,  welches  auch  NetzhautelementQ  ent- 
hält.   An  dem  einen  Auge  findet  sich  auch  ein  Golobom 

14* 


212  O.  RiiidfleiBch. 

des  Corpus  ciliare  und  ein  eigenthümlicher  zweiter  Kern- 
bogen  der  Linse. 

Die  Frage>  wie  im  vorliegenden  Falle  das  Zustande- 
kommen der  Cyste  und  das  damit  offenbar  im  Zusammen- 
bang stehende  Zurückbleiben  der  Bulbi  in  ihrer  Entwicke- 
lung  zu  erklären  sei,  dürfte  sich  kaum  mit  voller  Bestimmt- 
heit beantworten  lassen,  immerhin  scheint  mir  der  vorste- 
hende Befund  folgende  Erklärung  ziemlich  nahe  zu  legen: 
Der  hydrocephalische  Process  hatte  nicht  nur  die  Basis  des 
Schädels  nahezu  nivellirt,  sondern  hatte  auch  auf  die  Orbi- 
taldächer einen  so  starken  Druck  ausgeübt,  dass  diese  sich 
convex  in  die  Augenhöhle  hineinwölbten.  Dass  die  hier- 
durch hervorgerufene  Gestaltveränderung  der  Orbita  nicht 
ohne  wesentlichen  Einfluss  auf  die  Form  des  Bulbus  und 
sein  weiteres  Wachsthum  bleiben  konnte,  liegt  auf  der  Hand. 
Die  gute  Ausbildung  fast  aller  Theile  des  vorderen  Augen- 
abschnittes rechtfertigt  die  Annahme,  dass  der  Bulbus  bis 
zum  Eintritt  des  schädigenden  Momentes  eine  ganz  normale 
Entwickelung  durchgemacht  hatte.  Die  secundäre  Augen- 
blase hatte  sich  vollkommen  oder  doch  bis  auf  eine  sehr 
kleine  der  Linse  zunächst  gelegene  Strecke  geschlossen.  Das 
Mesoderm  hatte  sie  continuirlich  umhüllt  und  so  dem  Aug- 
apfel einen  vollkommenen  äusseren  Abschluss  verliehen. 
Die  Linse  war  dem  Alter  entsprechend  ausgebildet;  Iris 
und  Corpus  ciliare  waren  normal  angelegt.  Der  Binnenraum 
der  Augenblase  war  vermuthlich  ganz  mit  jungem  Glaskör- 
per erfüllt  (vergl.  Schema  I,  S.  213).  Als  nun  der  gewal- 
tige Druck  des  Schädelinhaltes  auf  das  Orbitaldach  erfolgte 
und  vermittelst  desselben  den  Bulbus  von  oben  her  com- 
primirte,  mussten  sich  dessen  Wände  bei  Einengung  des 
Raumes  in  verticaler  Richtung,  in  horizontaler  Richtung 
ausweiten.  Die  Folge  davon  war  eine  Dehnung  des  Scleral- 
bodens  und  vermuthlich  auch  eine  Erweiterung  bezw.  eine 
Wiedereröffnung  des  frisch  geschlossenen  Augenblasenspal- 
tes  an  dieser  Stelle.     In  diesen  Spalt  konnten  Gefassver- 


Beitr.  zur  Entstehongsgesch.  etc. 

zweigungen  von  den  inneren 
Schichten  der  Sclera  unbehin- 
dert einwachsen,  ohne  hier 
eine  eigentliche  Aderhaut  zu 
bilden.  Wir  finden  also  am 
Boden  des  Bulbus  ein  kleines 
aus  Scleralgewebe  bestehen- 
des Gebiet,  welches  nach  in- 
nen zu  einige  zarte  Gefäss- 
sprossen  trägt  und  welches 
von  den  Rändern  der  secun- 
dären  Augenblasenspalte  be- 
grenzt ist  —  also  eine  Art 
Retinal-  bez  w.  Pigmentepithel- 
Colobom.  —  Doch  noch  an- 
dere Folgen  hatte  die  erhöhte 
Spannung,  unter  welche  der 
Glaskörper  gesetzt  war.  Es 
wurden  diejenigen  Gebiete  der 
Sclera,  welche  noch  bis  kurz 
vor  der  Geburt  am  dünnsten 
zu  sein  pflegen^), ausgebuchtet. 
Auf  diese  Weise  entstand  eine 
Art  Scleralstaphylom  vorn 
über  dem  Hornhautrande  (vgl. 
Schema  II,  III,  IV).  Hinten 
—  unterhalb  der  Eintritts- 
stelle des  Sehnerven  —  kam 
als  begünstigender  Factor  für 
eine  Ectasirung  zu  der  gerin- 
geren Wandstärke  der  Sclera 
noch  der  Umstand  hinzu,  dass 
das  Gewebe  hier  einer  aus- 


213 


»)  Vgl.  Kölliker'8  Entwicke- 
langsgeschichte.   2.  Aufl.   S.  476. 


^  Sclera. 
•-  Chorioidea^ 
—  Tigmentepühel. 

Reitneu. 

Corpusviircnm . 


214  G.  RindfleiBch. 

gesprochenen  Entzündung  anheimgefaUen  war.  Es  bleibt 
dahin  gestellt,  ob  dieser  Entzündongsprocess  bereits  Torber 
bestanden  hatte,  oder  ob  —  wie  es  mir  wahrscheinlicher 
ist  —  bei  der  diesem  Fotos  Termnthlich  innewohnenden 
Disposition  znr  Entzündung  seiner  Gewebe,  es  nur  eines 
geringen  Anstosses  (wie  in  diesem  Falle  der  besonders  star- 
ken Spannung)  zum  Ausbruch  einer  entzündlichen  Local- 
erkrankung  bedurfte.  War  so  das  fehlerhafte  Wachsthum 
der  Augenanlage  einmal  eingeleitet,  so  konnte  bei  weiterer 
Einwirkung  der  schädigenden  Kräfte  die  Ausbildung  der 
eigenthümUchen  Verhältnisse,  wie  wir  sie  jetzt  vor  uns  ha- 
ben, nicht  ausbleiben:  die  Fortdauer  des  Druckes  tou  oben 
bei  reichlicher  Absonderung  der  Glaskörperflüssigkeit  (dank 
der  guten  Entwickelung  der  Ciliarfortsätze  und  des  Haupt- 
gebietes der  Aderhaut),  der  kräftige  Wachsthumstrieb  der 
Netzhaut,  die  Wucherung  des  Mesoderms,  welches  alle  Lücken 
auszufüllen  und  aussen  auf  das  Gebiet  immer  neue  Gewebs- 
lamellen abzulagern  bemüht  war,  yomehmlich  aber  die  Ten- 
denz zeigte,  den  eigentlichen  Bulbus  hinten  abzuschliessen, 
wirkten  hierbei  als  bestimmende  Momente.  Im  Bulbusraum 
wuchs  die  Netzhaut  unbekümmert  um  die  Engigkeit  des  ihr 
zu  Gebote  stehenden  Raumes  stetig  weiter.  Sie  musste  sich 
daher  in  Falten  legen,  welche  sich  stellenweise  weit  von 
der  Sclera  abhoben,  stellenweise  gegen  sie  andrängten  und 
sich  selbst  ineinander  zwängten  (vergl.  Schema  IV).  Was 
noch  an  flüssigem  Glaskörper  im  Bulbusraume  vorhanden 
war,  oder  neu  abgesondert  wurde,  musste  nach  hinten  aus- 
weichen. Die  Gewebsbestandtheile  wurden  in  Form  eines 
Stranges  aus  feinsten  Fibrillen  um  die  Arteria  centralis  zu- 
sammengepresst.  Während  die  hemienartige  Ausweitung  im 
retrobulbären  Räume  immer  grössere  Ausdehnung  annahm, 
blieb  naturgemäss  der  Augapfel  im  Wachsthum  zurück. 
Der  ciliare  Theil  der  Uvea  gelangte  unten  zu  geringerer 
Entwickelung  als  oben,  was  wohl  auf  das  Colobom  der  Ader- 
haut in  dieser  Gegend  zurückzuführen  ist.    Die  Netzhaut- 


Beitar.  z.  Entstehungsgescli.  der  angeb.  Missbildungen  des  Auges.  215 

ectasie  fand  jedoch  endlich  auch  eine  Grenze  ihrer  Aus- 
dehnungy  nachdem  sie  den  ganzen  dreieckigen  retrobulbären 
Raum  ausgefüllt  und  eine  Ausstülpung  bis  gegen  den  Aequa- 
tor  des  Bulbusbodens  getrieben  hatte  (vergl.  Schema  lY). 
Aussen  wurde  sie  von  einer  dünnen  Scleralschicht  umgeben^ 
die  stellenweise  fast  Yollkommen  geschwunden  sein  mochte, 
aber  wohl  durch  neue  Mesodermauflagorungen  verstärkt 
wurde.  Am  rechten  Auge  wurde  die  Augenblasen-Ausstül- 
pung hier  und  da  nur  Yon  den  Augenmuskeln  überdeckt. 
—  Dadurch,  dass  der  Druck  des  Orbitaldaches  noch  immer 
zu  wirken  fortfuhr,  wurde  späterhin  die  vordere  Ausstül- 
pung des  Bruchsackes  zwischen  Scleral-  und  Orbitalboden 
zusammengedrückt,  doch  gab  sie  ebensowenig  wie  das  ihr 
entgegenwachsende  Mesodermgewebe  ihr  Wachsthum  auf. 
So  legte  sie  sich  in  Faltungen,  zwischen  welche  das  Meso- 
derm  lange  Zapfen  bildete.  Mitunter  durchbrach  wohl  auch 
Mesodermgewebe  das  Gefuge  der  Netzhaut,  wodurch  ein 
buntes  Durcheinander  von  retinalen  und  bindegewebigen 
Elementen  entstand.  Hochgradige  Circulationsstörungen 
konnten  natürlich  bei  der  Compression  dieses  ganzen  Ge- 
bietes nicht  ausbleiben.  So  fanden  wir  einige  Gefasse  prall 
gefüllt,  und  konnten  freie  Blutkörperchen  in  den  Netzhaut- 
falten nachweisen.  Andere  Stellen  waren  ganz  ausser  Er- 
nährung gesetzt,  daher  lagerten  sich  Kalkmassen  daselbst 
ab  (vergl.  Fig.  3  bei  q).  An  noch  anderen  Stellen  fanden 
entzündliche  Yerklebungen  zwischen  den  Netzhautfalten  statt. 
Das  endliche  Resultat  der  ganzen  Vorgänge  war  eine  aus- 
gedehnte Narbenbildung  im  Umkreis  der  vorderen  Ausstül- 
pung, wie  sich  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  un- 
zweideutig ergiebt. 

Manz  (^^)  giebt  eine  eingehende  histologische  Schilderung 
eines  Gewebes,  welches  ein  Colobom  ausfüllt  Er  bezeichnet 
dieses  selbst  als  „Narbengewebe^S  Dasselbe  enthielt  „ein  bun- 
tes Gemisch  von  Gewebselementen  und  -fragmenten,  Blutgefässe, 
fibrilläres  Bindegewebe,  Pigmentepithelien,  sowie  Netzhautfrag- 
mente, welche  letztere  oft  sehr  gut  differenzirt  waren."    Auch 


216  G.  Rindfleisch. 

eine  structurlose  Membran,  „die  wohl  als  Fortsetzung  der  Limi- 
tans  gedeutet  werden  kann^%  fand  sich  als  oberer  Abschluss 
der  Narbe  ähnlich,  wie  auch  ich  sie  im  Gebiete  der  Ausbuch- 
tungen an  Stellen,  wo  das  Pigmentepithel  frei  auf  die  Sclera 
zu  liegen  kommt,  nachweisen  kann. 

Wenn  ich  hinsichtlich  der  Recessusbildung  im  vorde- 
ren Theile  der  Cyste  im  Gegensatz  zu  Manz  (^*,  '*)  von 
einer  Hineinziehung  der  Netzhaut  in  das  Narbengewebe  ab- 
sehe und  dafür  im  Anschluss  an  v.  Hof fmann(*'),  Hahn('*X 
Van  Duyse  (")  und  Arlt(**^)  in  erster  Linie  lediglich 
eine  vis  a  tergo  —  den  intraocularen  Druck,  —  in  zwei- 
ter Linie  aber,  ähnlich  wie  Kundrat  ("*)  einen  Ausstül- 
pungsprocess  des  Netzhautgewebes  in  das  Mesoderm  und 
eine  Einwucherung  des  letzteren  in  die  Netzhautfalten  ver- 
antwortlich mache,  so  muss  ich  doch  Manz  vollkommen 
beistimmen,  wenn  er  (*^)  betont,  „dass  ein  solcher  Druck 
eine  gewisse  Entwickelung  des  Glaskörpers  voraussetzt«. 
Zugegeben  auch,  dass  sich  in  den  Präparaten  eine  nur  ge- 
ringe Menge  Glaskörpergewebe  nachweisen  lässt,  so  scheint 
mir  doch  die  gute  Entwickelung  der  Uvea  dafiir  zu  spre- 
chen, dass  dasselbe  intra  vitam  ausreichend  vorhanden» 
wenn  auch  sehr  wasserreich  war,  späterbin  aber  eine  be- 
deutende zum  Theil  präparatorische  Schrumpfung  erfuhr. 
Schon  die  bauchige  Form  der  Cyste,  wie  ihrer  Ausbuch- 
tungen lässt  kaum  eine  andere  Deutung  zu  und  widerspricht 

('<)  Manz,  Jahresber.  über  die  Leistongen  und  Fortschritte  etc. 
1878.    S.  202. 

('*)  V.  Hoffmann,  lieber  ein  Colobom  der  Innern  Augenhfiate. 
Inaug.-Dlss.  Bonn  1871. 

(*')  Hahn,  lieber  das  Colobom  der  innem  Augenh&ute.  Inaug.- 
Dlss.  Bonn  1876. 

{**)  Van  Duyse,  Le  Colobome  de  FOeul  etc.  Annales  d*Ocu« 
listiques  T.  86.   S.  144. 

{^'^)  Arlt,  Anzeiger  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien» 
Nr.  17  (citirt  nach  den  Jahresberichten). 

(")  Kundrat,  Wiener  medic.  Presse  Nr.  17  und  Nr.  6  (citirt 
nach  den  Jahresberichten). 


Beitr.  z.  Entstehungsgesch.  der  angeb.  Missbildungen  des  Auges.  217 

der  Annahme  einer  Zerrung  der  Retina  nach  der  Narbe 
hin  anfs  entschiedenste. 

Wenn  ich  oben  hervorhob,  dass  mehrere  Autoren,  wie 
besonders  Talko(^'),  Dor("),  Kundrat(^ö),  Ewetzky(«), 
Lang(®),  Rubinski  (®)  und  Hess  (^®)  als  inneren  Ueber- 
zug  ectatischer  Bulbusgebiete  eine  der  yon  mir  beschriebe- 
nen sehr  ähnliche  Membran  vorfanden,  aber  sie  nicht  als 
Pigmentblatt  der  secundären  Augenblase  deuteten,  so  will 
ich  damit  keineswegs  die  Richtigkeit  ihrer  Befunde  in  Frage 
ziehen.  Wäre  in  meinen  Fällen  der  hintere  Theil  der  se- 
cundären Augenblase  nach  dem  Schlüsse  weniger  ausgebildet 
gewesen,  als  ich  es  annehmen  musste,  so  hätte  sich  recht 
wohl  die  Vcrschlussstelle  selbst  derartig  dehnen  können, 
dass  wir  nur  eine  einzige  Membran  in  der  Ectasie  vorge- 
funden hätten,  welche  seitlich  in  die  beiden  Lamellen  über- 
gegangen wäre. 

Das  Vorhandensein  eines  Hydrocephalus  bei  Mikrophthal- 
mus mit  Cyste  ist  bereits  beobachtet  worden:  Wenn  auch  die- 
ser von  Hans  YirchowC^)  veröfifentlichte  Fall  noch  nicht  histo- 
logisch näher  beschrieben  worden  ist,  so  haben  doch  die  von 
Bernheimer  vorgenommenen  Untersuchungen  zur  Genüge  er- 
geben, dass  dieser  Fall  als  ein  Parallelfall  zu  dem  meinigen 
aufgefasst  werden  kann,  abgesehen  davon,  dass  hier  eine  Netz- 
hautausbnchtung  ausznschliessen  war  und  der  Gausalznsammen- 
hang  von  Virchow  anders  erklärt  wird.  Es  sei  mir  daher  ge- 
stattet, ihn  kurz  zu  recapituliren:  „Es  handelt  sich  hier  um 
ein  sechs  Wochen  altes  Kind,  welches  mit  Hydrocephalus  inter- 
nus zur  Obdnction  gekommen  war  und  an  welchem  doppelsei- 
tiger Mikrophthalmus  vorlag.  Die  Lidspalte  mass  rechts  12, 
links  13  mm,  der  Eingang  in  die  rechte  Orbita  war  14  mm 
hoch  und  20,5  mm  breit,  der  in  die  linke  13  mm  hoch  und 
20  mm  breit.  Die  Axe  des  linken  Auges  betrag  12  mm,  der 
Pupillardarchmesser  4  mm.  An  der  lateralen  Seite  des  lin- 
ken Sehnerven  befand  sich  ein  6  mm  langer  rundlicher  Kör- 
per „scheinbar  eine  mit  klarer  Flüssigkeit  gefüllte  Blase^S 
Am  rechten  Auge  lässt  sich  von  einer  Augenaxe  nicht  reden, 
da  sich  das  Auge  am  hinteren  Pol  in  einen  dicken  Stiel  fort- 
setzt.   Der  Opticus  besteht  nur  aus  Scheide  mit  einem  Geföss. 


218  0.  RindfleisclL 

„Für  den  von  mir  beschriebenen  Fall",  sagt  Yirchow  wörtlich, 
„ist  es  Yon  der  grössten  Wichtigkeit,  dass  eine  Parallelstömng 
am  Auge  vorhanden  war.  Mass  man  daraus  schliessen,  dass 
die  Hirnstörung  schon  im  Gange  war,  als  die  Augenblase  noch 
mit  der  Hirnblase  in  Verbindung  stand,  also  im  Stadium  der 
primären  Augenblase?  Die  Bejahung  dieser  Frage  folgt  noch 
nicht  aus  der  Thatsache,  dass  Hirn  und  Auge  von  parallellen 
Störungen  betroffen  sind,  denn  warum  sollte  nicht  der  Kampf 
zwischen  Ectoderm  und  Mesoderm  an  beiden  Stellen  entbren- 
nen? Aber  die  erwähnten  Cysten  fallen  hier  sehr  ins  Gewicht, 
die  Grösse  derselben  ist  oben  geschildert.  Da  die  Wand  dieser 
Cyste,  in  der  sich  FaserzQge  des  Nervus  opticus  durch  Meso- 
dermgewebe  zersprengt,  in  der  sich  pigmentirtes  epithelartiges 
Gewebe  findet,  vom  Charakter  des  Pigmentepithels  der  Netz- 
haut, Bestandtheile  enthält,  die  denen  der  Augenblase  ähnlich 
sehen,  so  ist  daraus  eine  Stütze  für  die  Anschauung  gegeben, 
dass  die  Augenblase,  schon  während  sie  noch  in  offe- 
ner Verbindung  mit  der  Hirnblase  war,  unter  einem 
Processe  zu  leiden  hatte,  der  zu  einer  Abspaltung  ihrer  Be- 
standtheile führte.  Indessen  man  wird  gewiss  eine  Betrachtung 
sehr  vorsichtig  aufnehmen,  welche  die  Störung  in  eine  so  frühe 
Zeit  zurückverlegt.  Würde  man  jedoch  sichere  Beweise  dafür 
haben,  dass  sie  so  Mhe  beginnt,  dann  würde  man  bekannt  ge- 
worden sein  mit  einem  das  Mesoderm  treffenden  krankhaften 
Processe  der  seltsamsten  Art,  denn  dieser  Process  lässt  dem 
Gehirn,  welches  er  in  so  frühem  Stadium  angreift,  doch  die 
Möglichkeit,  sich  zu  einem  hohen  Grade  von  Vollkommenheit 
heranzuentwickeln." 

Für  meinen  Fall  kann  ich  mich  der  Annahme  Vir- 
chow's,  wie  sie  früher  auch  Kundrat  (^•)  vertrat,  dass 
die  Missbilduug  der  Augen  zu  einer  Zeit,  zu  welcher  die 
Augenblase  noch  in  oflfener  Communication  mit  dem  Gehirn 
stand,  eingeleitet  wurde,  nicht  gänzlich  verschliessen,  da 
auch  hier  die  sowohl  im  Gehirn  wie  im  Auge  vorhandene 
Entzündung  für  eine  Fortleitung  des  Processes  vom  Gehirn 
aufs  Auge  zu  sprechen  scheint.  Immerhin  geht  wohl  aus 
meinen  Befunden  mit  Bestimmtheit  hervor,  dass  der  Hydro- 
cephalus  durch  Druck  auf  die  Orbita  an  sich  mechanisch 
oinen  Mikrophthalmus  mit  cystischer  Ectasia  posterior  zu 


Beitr.  z.  Entstehungsgesch.  der  angeb.  l^sbildangen  des  Auges.  219 

erzeugen  im  Stande  ist.  Der  intrabolbäre  Entzündungsvor- 
gang  fördert  zwar  das  Zustandekommen  der  Missbildung 
nicht  unbeträchtlich  9  doch  ist  er  wahrscheinlich  erst  als 
secundärer  durch  den  Druck  zum  Ausbruch  gekommener 
aufzufassen. 

Ob  solche  mechanische  Ursachen  häufiger  zur  Mikroph- 
thalmie führen I  als  zur  Zeit  noch  angenommen  wird,  ob 
vielleicht  die  Mehrzahl  aller  intrauterin  entstandener  Ecta- 
sien  ähnlich  zu  erklären  ist,  kann  sich  erst  dann  zeigen, 
wenn  ein  grösseres  Obductionsmaterial  Yon  mikrophthalmi- 
schen  Föten,  als  bis  jetzt  noch  Yorliegen,  zur  Untersuchung 
gekommen  ist. 

Zum  Schluss  sei  es  mir  gestattet,  Herrn  Prof.  Leber 
für  die  Unterstützung,  welche  er  mir  bei  Abfassung  dieser 
Arbeit  zu  Theil  werden  Hess,  meinen  aufrichtigsten  Dank 
auszusprechen. 

Erklärung  der  Figuren  auf  Tafel  VI. 

Fig.  la.  Linker  Mikrophthalmus  in  natürlicher  Grösse  von  der 
nasalen  Seite  gesehen  (h  Bulbus,  c  Cyste  »  „Bruchsack**,  f 
Einziehung  der  Wandung). 

Fig.  Ib.    Derselbe  Yon  unten  gesehen. 

Fig.  2.  Derselbe  in  Tiennaliger  Vergrösserung  ungeÄhr  in  der 
sagittalen  Mittelaxe  yertical  durchschnitten  (a  Scleralectasie, 
b  Recessus,  darüber  der  aufsteigende  hintere  Scleralbogen, 
d  bindegewebiger  Stiel,  den  Opticus  enthaltend). 

Fig.  3.  Aehnlicher  Verticalschnitt  wie  der  vorige,  etwas  weiter 
nasal  durchgelegt,  so  dass  er  die  Innenwand  der  blasenartigen 
Netzhautectasie  noch  bei  g  von  der  Fl&che  triflft.  —  Ver- 
grösserung 12 : 1.  —  Der  hintere  Theil  des  Scleraldaches  so- 
wie die  Linse  sind  zum  Theil  schematisch  gehalten  —  desglei- 
chen sind  Gontinult&tstrennungen  innerhalb  der  Netzhaut  durch 
punktirte  Linien  verbunden  worden.  —  Die  Linse  ist  etwas 
nach  hinten  dislociert. 

a  durch  seröses  Exsudat  streckenweise  abgehobenes  Pig- 
mentepithel. 


220  6.  Kindfleisch! 

6  oberer  Anfang  des  Pigmentepithels  scharf  begrenzt. 

h^  onterer  Anfang  etwas  schrftg  getroffen,  hier  allm&lig  io 
das  innere  Blatt  der  secand&ren  Augenblase  übergehend. 

c  oberer  Giliaransatz  der  Netzhaut. 

c^  unterer  Giliaransatz  derselben. 

d  Verzweigung  der  Centralarterie  am  hinteren  Linsenpol,, 
umgeben  yon  61askö.rpergewebe. 

e  obere  Kante  des  aufsteigenden  hinteren  Scleralbogens  =» 
Eingangsstelle  in  den  retrobulbären  Raum. 

f  Stelle  der  weitesten  Ausbuchtung  der  Ectasie  nach  vom. 

P  Stelle  der  weitesten  Ausbuchtung  derselben  nach  hinten» 

g  scheibenartig  verbreiterte  Eintrittstelle  des  Sehnerven. 

h  mesodermale  Wand  der  Cyste,  nach  innen  zu  vom  Pig- 
mentepithelblatt ausgekleidet. 

%  inneres  Blatt  der  ausgestülpten  Augenblase. 

k  Uebergangsstelle  beider  Blätter  und  Beginn  des  Recessus. 

l  Gelockerte  innere  Lamellen  der  Scleralectasie. 

m  Suprachorioidealer  Raum  zwischen  der  Ectasie  und  der 
abgehobenen  Chorioidea. 

n  allmäliger  Uebergang  der  Aderhaut  in  die  gefässreiche 
innere  Schicht  der  Sclera. 

o'  0*  0*  vorspringende  vorwiegend  aus  Narbengewebe  be- 
stehende Leisten  des  Mesoderms,  welche  die  Ausstül- 
pungen der  Retina  gegeneinander  abgrenzen. 

p  untere  Suprachorioidea. 

q  Kalkablagerungen  innerhalb  der  Netzhautfalten. 

Fig.  4.  Schematischer  Durchschnitt,  etwas  temporal  von  dem  vorigen 
gelegt.  Vergr.  5:1,  um  die  Communication  sämmtlicher  Aus- 
stülpungen der  Cyste  zu  demonstriren. 

a  Vorraum  zu  den  kleineren  Ausstülpungen. 

€  Höhe  des  aufsteigenden  Scleralbogens. 

h  Colobomgebiet. 

Fig.  5.  Stück  aus  der  Cyste  etwa  in  der  Gegend  von  t  auf  Fig.  3. 
Vergrösserung  200 : 1. 

a  äussere,  h  innere  Zelllage  des  Pigmentblattes, 
c  die  Netzhaut. 

me  Membrana  limitans  externa,  mi  Membr.  limit.  interna, 
m  Glaslamelle  der  Chorioidea. 

g  Gefäss,  welches  zum  pigmentirten  Gebiete  des  Pigment- 
epithels hinzieht. 
h  Eiweissgerinnsel,  t  Glaskörper. 


Beitr.  z.  Entstehungsgesch.  der  angeb.  MiBabildungen  des  Auges.  221 

Fig.  6.  Horizontalschnitt  vom  rechten  Bulbus,  welcher  die  Linse 
L  unten  noch  getroffen  hat  —  zur  Demonstration  des  Cillar- 
körper-Coloboms. 

%  inneres  Blatt,  e  äusseres  Blatt  der  secund&ren  Augenblase. 

a  und  a  Uebergang  beider. 

Fig.  7.  Etwas  schematischer  Horizontalschnitt  durch  die  Linse  des 

rechten  Auges  zur  Demonstration  des  hinteren  Kembogens 

a^-a   {b  und  b'  Torderer  Kembogen).    Yergrösserung  15 : 1. 


IL 

Zur  pathologisohen  Anatomie  und  Genese  des 
angeborenen  Irismangels. 

Wenn  es  noch  im  zweiten  Decennium  unseres  Jahr- 
hunderts geschehen  konnte,  dass  eine  Commissioa  der  Societe 
du  Cercle  Medical  zu  Paris  ihr  Urtheil  über  einen  der 
ersten  sicher  beobachteten  Fälle  von  Irideremie  (yon  Alex- 
ander Morison  (4)  zu  London)  dahin  abgab,  es  sei  nur 
eine  »^angeborene  Mydriasis^^  für  Irismangel  gehalten  wor- 
den, und  wenn  auch  im  Laufe  der  nächsten  Jahre  die  von 
KHnko8ch(l),  Baratta (2),  D8ondi(3)  und  Poenitz(5) 
publizirten  Fälle  erst  ganz  allmälig  allgemeine  Anerkennung 
fanden,  so  darf  uns  das  um  so  weniger  Wunder  nehmen, 
als  wir  noch  heute,  nachdem  die  Veröffentlichungen  über 
diese  eigenthümliche  Missbildung  bereits  eine  stattliche  Zahl 
erreicht  haben,  über  das  Wesen  des  angeborenen  Irisman- 
gels keineswegs  yöUig  im  Klaren  sind  und  eine  in  jeder 
Hinsicht  befriedigende  Erklärung  für  ihre  Entstehungs- 
weise zur  2ieit  noch  nicht  gegeben  ist. 

An  Versuchen  dazu  fehlt  es  freilich  keineswegs  und 
so  rathlos,  wie  Klinkosch  (1),  der  im  Jahre  1766  als 
höchst  wunderbare  Thatsache  von  der  Mutter  einer  mit 
Irideremie  behafteten  Missgeburt  berichtet:  „durante  gravi- 
ditate  nullis  affecta  injuriis  nullaque  perversa  imaginationis 
vi  correpta  fuit",  stehen  wir  jetzt  der  Frage  nach  der  Ge- 


222  (i-  Budfleiach. 

nese  der  Irideremie  nicht  mehr  gegenüber.  Schon  im  Jahre 
1829  tritt  ▼.  Ammon  (9)  —  der  bis  dahin  heirschendeD 
Meckel-Behr'schen  Anschanong  entgegen»  welche  an- 
nimmt, dass  beim  Zerstreonngsprocess  der  Pupillarmembran 
die  Iris  zugleich  mit  zerstört  werde,  y.  Ammon  betont» 
dass  man,  falls  obige  Ansicht  richtig  sei,  wahrscheinlich 
öfters  weniger  yollständige  Zerstörungen  der  Iris  finden 
und  den  Process  selbst  noch  nach  der  Geburt  beobachten 
müsse  —  man  habe  ab  Ursache  vielmehr  eine  ^ildungs- 
hemmung^'  anzunehmen.  Während  v.  Ammon  an  dieser 
Stelle  durchblicken  lässt,  dass  solche  Bildungshemmung  mit 
der  Colobombildung  in  der  Aderhaut  zusammenzubringen 
sei,  glaubt  F.  Arnold  (11)  die  Bildungsfehler  an  der  Iris 
überhaupt  nicht  in  so  enge  Beziehung  zur  Aderhaut  setzen 
zu  dürfen.  „Fehlen^,  so  sagt  er,  „die  vorderen  und  langen 
Ciliargefässe  alle,  oder  einzelne,  so  wird  dadurch  gänzlicher 
oder  theilweiser  Mangel  der  Blendung  erzeugt'';  eine  An- 
schauung, welcher  sich  später  auch  Seiler  und  Jäger  (16) 
anschlössen. 

Andere  Erklärungen,  wie  die  von  Prael  (14),  welcher 
meint,  dass  die  Iris  bei  ihrer  Entwickelung  mit  derjenigen 
des  übrigen  Auges  und  der  hierbei  ausgesprochenen  Präva- 
lenz der  Linse  nicht  Schritt  halten  konnte,  die  von  Himly 
(17)  stammende,  dass  ein  zu  geringer  Bildungstrieb  in  der 
frühesten  Periode  der  Augenentwickelung  vorgelegen  habe 
und  die  Sichel' sehe  (24),  welche  eine  „MydriasiB  conjenial'', 
eine  „dilatation  conjeniale  extreme  de  la  pupille''  annimmt, 
seien  hier  nur  beiläufig  erwähnt,  da  sie  sich  nicht  auf  ana- 
tomische Thatsachen  stützen. 

v;  Ammon  (25)  geht  bei  der  Erklärung  von  seinen 
eigenen  Erfahrungen  über  die  Entwickelungsgeschichte  des 
menschlichen  Auges  aus:  Nach  ihm  nimmt  die  Natur  bei 
der  Bildung  der  Iris  gleichsam  „einen  neuen  Anlauf".  — 
Wird  dieses  verhindert,  so  bleibt  das  Auge  ohne  Iris,  und 
es  entsteht  der  totale  Irismangel  (Irideremia  totalis);  be- 


Beitr.  z.  Entstehond^gesch.  der  angeb,  Missbildungen  des  Aages.  223 

ginnt  dagegen  die  Irisbildung  ungestört  und  circulär  und 
steht  das  Wachsthum  dann  still,  so  sehen  wir  den  partiel- 
len Irismangel.  Dasselbe  wird  dann  stattfinden,  wenn  die 
Iris  nicht  circulär  beginnt,  sondern  wenn  nur  an  einzelnen 
Stellen  des  Chorioidealrandes  dieselbe  in  Form  einzelner 
Lappen  hervorwächst  Jene  ersten  beiden  Fälle  werden 
den  Bildungshemmungen  beizuzählen  sein,  der  letztere  ge- 
hört in  das  Qebiet  der  ursprünglich  pathologischen  Bil- 
dungsrichtung. 

Die  verschiedenen  Erklärungsweisen  der  späteren  Au- 
toren lassen  sich  kurz  in  zwei  Gruppen  zusammenfassen: 

Entweder  wird  angenommen,  dass  die  von  der  Natur 
angelegte  Iris  in  ihrer  weiteren  Entwickelung  aufgehalten, 
oder,  dass  die  in  der  Entwickelung  bereits  weiter  fortge- 
schrittene durch  einen  krankhaften  Process  nachträglich 
wieder  zerstört  wurde. 

Die  Anhänger  der  ,3ildung8hemmung^'  sind  bei  wettern 
die  zahlreicheren,  wenn  auch  nur  ausnahmsweise  bestimm- 
tere Vermuthungen  über  die  Art  und  Weise,  wie  eine  solche 
zu  Stande  kommen  soll,  laut  geworden  sind.  Die  einzige 
wirklich  ansprechende  Erklärung  giebt  Manz  (37),  indem 
er  sagt:  „Nehmen  wir  an,  es  bestände  länger  als  gewöhn- 
lich ein  besonders  fester  Zusammenhang  zwischen  Linse 
und  vorderer  Wand  der  Bulbuskapsel,  wie  es  für  einzelne 
angeborene  Staarformen  als  wahrscheinlichste  Ursache  an- 
genommen werden  muss,  so  wird  ein  Verwachsen  der  Iris 
nicht  möglich  sein,  oder,  wenn  jene  Verbindung  an  einzel- 
nen Stellen  weniger  fest  ist,  eben  auch  nur  an  diesen  er- 
folgen können."  .,Wir  können  also  die  Irideremie  immer- 
hin für  eine  Hemmungsbildung  nehmen,  indem  wir  die  Ur- 
sache für  diese  Hemmung  in  die  Linse  verlegen." 

Für  ein  Zustandekommen  der  Irideremie  dui-ch  Zer- 
störung des  bereits  weiter  ausgebildeten  Organes  tritt  Brun- 
huber  (39)  ein.  Er  macht  als  Ursache  des  Schwundes 
einen  gesteigerten  intraocularen  Druck  verantwortlich. 


224  O.  RindfleiBch. 

Vossius  (49)  nimmt  in  emem  Falle  von  partieller 
Irideremie  Hemmungsbildung  und  fötale  Erkrankung  zu- 
gleich an,  doch  lässt  er  sich  auf  die  Frage,  inwiefern  hier- 
durch die  Missbildung  hervorgerufen  sei,  nicht  näher  ein. 

Eine  eigenartige  Erklärung  giebt  endlich  de  Bene- 
detti  (55).  Er  glaubt  in  einem  Fehler  der  Entwickelung 
der  Retina  die  Ursache  der  Irideremie  suchen  zu  müssen. 
Es  wäre  dadurch  der  Rand  der  Augenblase  zu  langsam 
vorgewachsen  und  infolge  dessen  das  die  Iris  bildende  Ge- 
webe noch  nicht  in  genügender  Stärke  vorhanden  gewesen, 
als  der  Aufsaugungsprocess  vorn  schon  begonnen  hätte. 

Um  ein  bestimmtes  Urtheil  über  die  Genese  des  Iris- 
maugels zu  gewinnen,  wäre  selbstverständlich  in  erster  Linie 
eine  Berücksichtigung  der  anatomischen  Erfahrungen  be- 
züglich dieser  Missbildung  erforderlich.  Leider  aber  sind 
wir  zur  Zeit  an  solchen  noch  auffallend  arm. 

Abgesehen  von  einer  höchst  unvollkommenen  Unter- 
suchung des  bereits  oben  erwähnten  irislosen  Fötus,  bei 
welchem  von  Klinkosch  ein  „oculus  speciem  hydatidis 
praegrandis  praeferens''  ohne  Ghorioidea,  ohne  Retina,  ohne 
Muskeln  etc.  gefunden  wurde,  welcher  also  als  ganz  ab- 
normes Monstrum  betrachtet  werden  muss,  liegen  —  soviel 
ich  aus  der  mir  zugänglichen  in-  und  ausländischen  Lite- 
ratur zu  ersehen  vermochte  — ,  bis  jetzt  acht  anatomische 
Beobachtungen  vor  und  von  diesen  können  nach  unseren 
heutigen  Anschauungen  über  mikroskopische  Technik  eigent- 
lich nur  drei  als  histologische  bezeichnet  werden.  Bevor 
ich  auf  meine  eigenen  Untersuchungen  eingehe,  sei  es  mir 
gestattet,  dieses  bis  zur  Zeit  vorhandenen  anatomischen 
Materiales  kurz  zu  gedenken. 

Der  erste  anatomi/ach  untersuchte  Fall  von  Irideremie 
wird  von  v.  Ammon  (9)  im  Jahre  1829  erwähnt.  Er  sagt 
daselbst:  „Ich  bin  der  Meinung,  dass  sich  der  vollständige  Man- 
gel der  Iris  ohne  Zergliederung  der  Augen  nicht  erweisen 
lässt,  vielmehr  wurde  wenigstens  in  einem  Falle,  wo 


Beitr.  z.  Entstehund^gesch.  der  angeb.  Missbildungen  des  Auges.  225 

die  äussere  Betrachtung  Mangel  vermuthen  Hess,  ein 
kleiner  die  Iris  vorstellender  Rand  gefunden  [von  Ra- 
dius]. 

Im  Jahre  1858  werden  diesem  bis  dahin  einzigen  Falle 
von  F.  A.  V.  Ammon  (25)  vier  weitere  angereiht. 

2.  Sein  erster  betraf  einen  etwa  siebenmonatlichen,  todtge- 
borenen  menschlichen  Fötus,  welcher  halb  in  Fäulniss  überge- 
gangen war  und  wohl  mehrere  Wochen  lang  abgestorben  im 
Uterus  gelegen  hatte.  Das  rechte  Auge  war  so  matsch  und 
zusammengefallen,  dass  sich  keine  Membran  mehr  genau  er- 
kennen Hess.  Das  linke  Auge  war  dagegen  besser  erhalten, 
normal  geformt  und  normal  gross.  Der  Glaskörper  war  theil- 
weise  verflüssigt,  von  seinem  Gewebe  war  nur  ein  compacter 
häutiger  Klumpen  zwischen  Linse  und  Netzhaut  zu  sehen. 
Zwischen  Glaskörper  und  Netzhaut  war  ein  Zusammenhang 
nicht  mehr  sichtbar.  Von  der  Netzhaut  wird  eine  intensiv 
gelbe  Färbung  der  ganzen  hinteren  Ausbreitung  ähnlich  der 
Farbe  der  Macula  lutea  erwähnt.  Nach  oben  war  ein  Theil 
des  Fötalspaltes  der  Netzhaut  vorhanden.  Er  war  schmal  und 
kurz.  Ausserdem  fanden  sich  sehr  viele  fötale  Retinalfalten 
vor,  die  alle  von  der  blinden  Stelle  aus  gegen  den  Ciliartheil 
hin  gelagert  waren.  An  den  faltenfreien  Stellen  erschien  die 
Retina  heller;  sie  war  ausserdem  undurchsichtig.  Der  Ciliar- 
theil der  Retina  war  sehr  dünn,  frei  fluctuirend.  Die  Chorioi- 
dea  lag  der  Sclera  fest  an;  letztere  war  hier  und  dort  eckig. 
Die  innere  Fläche  der  Chorioidea  Hess  ein  braunrothes  zimmet- 
farbiges  Pigment  sehen.  Dasselbe  war  nach  dem  Ciliartheil 
zu  sehr  sparsam,  lag  aber  nach  dem  Augengrund  hin  in  grös- 
serer Menge.  Hier  und  dort  war  es  gelöst  und  bildete  an 
einzelnen  Stellen  grössere  Haufen.  Die  Ciliarfortsätze  waren 
dürftig;  sie  lagen  in  einem  nicht  ganz  regelmässigen  Kreise. 
Dieser  war  hier  und  dort  ausgezackt,  mehr  eckig  als  rund, 
aber  ganz  geschlossen.  Die  Ciliarfortsätze  waren  kurz,  dünn 
aber  schwärzlich  pigmentirt,  es  lag  ein  First  glatt  neben  dem 
anderen.  Ausdehnungen  derselben  fehlten.  Der  ganze  Ciliar- 
körper  war  niedrig,  dürftig,  schmal.  In  dem  eben  beschriebe- 
nen, geschlossenen  Ciliarkörper  der  Chorioidea  lag  die  Linse 
sammt  Kapsel,  auf  deren  hinterer  Wand  hier  und  dort  einzelne 
Stücke  des  Glaskörperstromas  fluctuirten.  Sie  war  sammt  der 
Kapsel  etwas  getrübt;  sie  war  in  ihrer  Peripherie  nicht  ganz 
rund,  hatte  hier  und  dort  an  ihrem  Rande  kleine  Einkerbun- 

▼.  Graefe'8  Archiy  fUr  Ophthalmologie.  XXXVII.  3.  15 


226  O.  Rindfleisch. 

gen,  mit  ihrer  vorderen  Fläche  lag  sie  dicht  an  der  hinte- 
ren Wand  der  etwas  trüben  Cornea.  Es  fand  sich,  nachdem 
die  Linse  ans  ihrer  Lage  innerhalb  des  Ciliarkörpers  hervor- 
gehoben war,  keine  Iris  vor.  Es  war  weder  auf  der  vorderen 
noch  hinteren  Seite  des  Ciliarkörpers  noch  innerhalb  dessen 
geschlossenen  Ringes  irgend  eine  Spur  oder  ein  Saum  von  Iris- 
gewebe wahrzunehmen.  Ebensowenig  konnte  man  etwas  von 
einer  Pupillarmembran  gewahren.  Es  hatte  sich  auch  kein 
Tensor  chorioideae  gebildet  Die  äussere  Fläche  des  geschlos- 
senen Chorioidealringes  also  der  Ciliarrand  der  Chorioidea,  lag 
unmittelbar  an  der  Sclera  da  an,  wo  diese  in  die  Cornea  flber- 
ging.  Die  getrQbte  etwas  röthliche  Cornea  erschien  mehr  oblong 
als  rund  und  war  sehr  flach;  die  Descemet'sche  Membran  war 
etwas  gefaltet  und  endigte  vor  dem  Cornealrande  in  einer  sanft 
verschwimmenden  Linie. 

3.  Bei  dem  zweiten  von  v.  Ammon  anatomisch  untersuch- 
ten Fall  handelte  es  sich  um  das  linke  Auge  eines  fast  aus- 
getragenen Kalbes.  Bei  diesem  wurden  Sclera  und  Glaskörper 
als  normal  bezeichnet.  Die  Netzhaut  war  am  Ciliartheil  plump 
und  an  der  Uebergangsstelle  in  die  Corona  ciliaris  namentlich 
nach  unten  aufgelockert.  Die  Chorioidea  war  im  vorderen  Seg- 
mente schwach  pigmentirt.  Das  Corpus  ciliare  endigte  sich 
nach  unten  in  eine  starke  spitze  Ausbiegung  und  verlor  sich 
dort  in  eine  Ausbuchtung  der  Chorioidea-  und  Sclera -Ueber- 
bleibsel  des  fötalen  Scieral-  und  Chorioidealspaltes.  Die  Falten 
der  Ciliarfortsätze  waren  nach  unten  dicht  gedrängt  und  alle 
stark  pigmentirt.  Von  einer  Iris  fehlte  jede  Spur.  Das  Cor- 
pus ciliare  lag  vom  auf  der  Sclerocornealverelnigung.  Die 
hintere  Fläche  der  sehr  flachen  Cornea  war  normal  etwas  läng- 
lich. Ein  ausgebildeter  Tensor  chorioideae  war  am  Ciliartheil 
der  Chorioidea  nicht  vorhanden,  sondern  nur  ein  weisser  schma^ 
1er  ringförmiger  Streif,  der  am  äusseren  Ciliartheil  der  Cho- 
rioidea liegend  diesen  mit  der  Sclera  verband.  Der  in  dem 
hinteren  Segment  des  zerschnittenen  Bulbus  liegen  gebliebene 
Proportionen  grosse,  hellweisse  Glaskörper  sammt  Linse  zeigte 
eine  vollkommene  Ausbildung,  nur  dass  die  Corona  ciliaris  in 
der  Richtung  des  Coloboma  corporis  ciliaris  etwas  klaffte,  nicht 
am  Linsenkapselrand  geschlossen  war,  dadurch  nach  unten  hin 
eine  pyramidale  Gestalt  hatte  und  dann  in  eine  Rapbe  des 
Glaskörpers  überging,  die  nicht  tief  war  und  sich  am  Rande 
des  Glaskörpers  verlor.  Die  Linse  sammt  Kapsel  hatten  eine 
runde  Gestalt 


Beitr.  z.  Entstehuogsgesch.  der  aogeb.  Missbildungen  des  Auges.  227 

Während  bei  diesen  beiden  Fällen  von  completer  Iri- 
deremie  das  Linsensystem  frei  von  jedem  Bildangsfehler  war, 
verhielt  sich  dies  anders  nach  v.  Ammon's  Untersnchnngen 
an  solchen  Kalbsaugen,  an  denen  eine  angeborene  Yerkttm- 
mernng  der  Iris  vorgefunden  wurde. 

4.  Bei  einem  fast  ausgetragenen  Kalbe,  dessen  rechtes  Auge 
normal  war,  lag  das  linke  tiefer  in  der  Orbita  als  gewöhnlich. 
Es  war  kleiner  als  das  rechte  und  seine  Form  globoser.  Die 
Cornea  erschien  flach,  die  Iris  war  sehr  schmal,  aber  in  ihrem 
ganzen  Zirkel  gleichmässig  breit,  bläulich  gefärbt,  die  Pupille 
gross.  Tiefer  als  gewöhnlich  lag  hinter  der  Iris  eine  trttbe 
Linse,  die  bei  der  Lupenuntersuchung  sehr  deutlich,  weniger 
deutlich  bei  der  Untersuchung  mit  blossem  Auge  auf  der  vor- 
deren Fläche  eine  Dreitheilung  zeigte. 

Bei  der  anatomischen  Untersuchung  des  vorderen  Segmen- 
tes des  Bulbus  constatirte  v.  Ammon  eine  schmale  dunkel  pig- 
mentirte  Uvea  —  kurze  Giliarfortsätze.  Die  Iris  und  der  vor- 
dere Theil  der  durchschnittenen  Chorioidea  lagen  der  Cornea 
nahe.  Die  Sclera  war  dünn,  die  Chorioidea,  an  welcher  ein 
Chorioidealtensor  zu  sehen  war,  lag  ihr  sehr  dicht  an.  Das 
hintere  Segment  des  Bulbus  enthielt  den  Glaskörper  sammt  der 
Linse,  die  fest  in  demselben  gelegen  war.  Die  Corona  ciliaris 
erschien  in  ihren  einzelnen  Theilen  verwirrt  und  bildete  hier 
und  dort  Falten.  Unmittelbar  von  der  Corona  ciliaris  aus 
senkte  sich  die  vordere  Kapselwand  einwärts  und  bildete  die- 
selbe mehr  eine  Concavität,  als  eine  Convexität.  Sie  war  da- 
bei wie  der  ganze  Linsenkörper  getrübt  und  hing  mit  der  vor- 
deren Fläche  des  Linsenkörpers  zusammen.  Man  sah  auf  die- 
sem eine  dreieckige  Figur,  nach  hinten  zu  war  derselbe  beu- 
telförmig  ausgedehnt  und  rund  auslaufend.  Der  Glaskörper 
war  trübe,  flach;  er  hatte  im  Wasser  liegend  keine  Wölbung, 
nach  hinten  war  er  mehr  schalenförmig  gestaltet  als  kugelför- 
mig und  hing  mit  der  Netzhaut  durch  viele  Falten  innig  zusam- 
men. Die  vordere  und  hintere  Kapselwand  hafteten  der  Linse 
fest  an. 

5.  Endlich  fand  v.  Ammon  an  einem  linken  sehr  flachen 
ausgetragenen  fötalen  Schöpsauge  eine  unten  sehr  schmale,  oben 
breite  Iris  mit  einer  ins  Pupillargebiet  vorspringenden  Zunge. 
Hinter  der  Iris  ziemlich  tief  lag  ein  weisser  runder  Körper, 
der  auf  der  vorderen  Fläche  eine  trianguläre  Zeichnung  hatte. 
Die  vordere  Fläche   selbst   hatte  eine  concave  Gestalt.     Der 

15* 


228  6.  Rihdfleiscli. 

Linsenkörper  selbst  war  länglich  und  undurchsichtig.  Er  sass 
im  Glaskörper  durch  eine  regelmässige  Corona  ciliaris  festge- 
halten. Dieser  war  sehr  flach,  entbehrte  jedes  Turgors  und 
war  mit  der  Netzhaut  zusammenhängend.  Eine  nähere  Struc- 
turuntersuchung  wurde  weder  an  dieser  noch  an  der  anderen 
Linse  vorgenommen. 

6.  Die  erste  mikroskopische  Untersuchung  eines  angebore- 
nen Irismangels  verdanken  wir  H.  Pagenstecher  (29),  wel- 
cher darüber  in  der  zweiten  Sitzung  der  Ophthalmologischen 
Gesellschaft  zu  Heidelberg  am  5.  September  1871  Folgendes 
berichtete:  „Vom  Corpus  ciliare  an  Stelle  des  Ligamentum  pec- 
tinatum  zieht  sich  nach  vorn  ein  kleiner,  sich  etwas  zuspitzen- 
der pigment-  und  gefässhaltiger  Fortsatz.  Er  erstreckt  sich 
in  eine  gabelige  Theilung  der  Descemet'schen  Membran  und 
ist  auf  diese  Weise  fest  mit  der  Cornea  verwachsen.  Der  die 
innere  Fläche  dieses  Fortsatzes  begrenzende  Theil  der  Desce- 
met'schen Membran  trägt  das  Homhautepithel  und  setzt  sich 
auf  das  Corpus  ciliare  fort  Der  übrige  Theil  der  Descemet- 
schen  Membran  verliert  sich  in  dem  Gewebe  an  Stelle  des 
Ligamentum  pectinatum.'^ 

Erst  das  letzte  Decennium  hat  zwei  genaue  makro- 
und  mikroskopische  Untersuchungen  aufzuweisen.  Die  erstere 
von  beiden  wurde  von  de  Benedetti  (55)  in  den  Annali 
d'Ottalmologia  im  Jahre  1886,  die  zweite  und  letzte  von 
Lembeck  (64)  zu  Halle  im  Jahre  1890  veröflfentlicht.  Wir 
werden  auf  die  wesentlichsten  Punkte  dieser  beiden  inter- 
essanten Abhandlungen  weiter  unten  wiederholt  hinweisen 
müssen,  weshalb  ich  es  unterlasse,  dieselben  einer  genaue- 
ren vorherigen  Besprechung  zu  unterziehen. 

Eigene  Untersuchung. 

Das  mir  vorliegende  Präparat  wurde  mir  von  Herrn 
Dr.  Eichhorn,  Augenarzt  in  Dessau,  freundlichst  überlas- 
sen. Da  die  Patientin,  welcher  das  Auge  entstammt,  erst 
kurz  vor  ihrem  Tode  und  in  einem  geistig  wie  körperlich 
stark  reducirten  Zustande  dem  genannten  Specialisten  zum 
ersten  Male  zu  Gesicht  kam,  wurden  sowohl  die  anamnesti- 


Beitr.  z.  Entstehongsgesch.  der  angeb.  Missbilduogen  des  Auges.  229 

sehen  Erhebungen,  wie  die  Aufnahme  des  Status  über  ihr 
Augenleiden  wesentlich  erschwert,  doch  gelang  es  noch  Fol- 
gendes festzustellen: 

„Frau  Schwertfeger,  51  Jahre  alt,  befindet  sich  seit  Ende 
November  1890  wegen  eines  schweren  Magen -Carcinoms  im 
Kreiskrankenhaase  zu  Dessau.  —  Anamnese  mangelhaft,  da 
die  geistigen  Functionen  der  Patientin  gelitten  zu  haben  schei- 
nen, und  Angehörige  nicht  vorhanden  sind.  Doch  behauptet 
sie  wiederholt,  schon  in  frühester  Kindheit  so  schlecht  gesehen 
zu  haben,  wie  jetzt;  nur  in  ihr  vollständig  bekannten  Räamen 
habe  sie  sich  ohne  Führung  bewegen  können. 

Eine  genaue  Sehprüfung  ist  wegen  mangelnder  Aufmerk- 
samkeit unmöglich:  Links  werden  Finger  etwa  in  Im  Entfer- 
nung, rechts  nur  dicht  vor  dem  Auge  gezählt.  Die  Prüfung 
des  Gesichtsfeldes  gelingt  nicht. 

Es  besteht  beiderseits  Nystagmus  horizontalis. 

Die  Grösse  der  Bulbi  scheint  normal  zu  sein. 

Die  Spannung  ist  beiderseits  gleich. 

Die  Hornhaut  zeigt  beiderseits  einen  breiten  Arcus  se- 
nilis, 80  dasB  ihr  Areal  verkleinert  erscheint 

Auch  der  centrale  Theil  der  Cornea  ist  durch  verwaschene, 
grauweiss  durchscheinende  Flecke  ziemlich  stark  getrübt.  Am 
linken  Auge,  woselbst  die  Hornhauttrübung  nicht  ganz  so  dicht, 
wie  am  rechten  Auge  ist,  lässt  sich  von  einer  Iris  nichts  nach- 
weisen. Am  rechten  Auge  schien  es  bei  focaler  Beleuchtung 
bisweilen  so,  als  ob  ein  ganz  schmaler  Saum  vorhanden  sei. 

Die  Linse  ist  am  linken  Auge  total  getrübt,  anscheinend 
geschrumpft  und  verkalkt  und  nach  oben  innen  dislocirt;  rechts 
besteht  nur  Cataracta  corticalis  posterior  sowie  polaris  anterior. 
Ihre  Lage  lässt  sich  nicht  genau  bestimmen.  Sie  scheint  jedoch 
auch  nach  oben  dislocirt  zu  sein. 

Die  ophthalmoskopische  Untersuchung  war  durch 
den  Nystagmus  und  die  Trübungen  sehr  erschwert,  jedoch  war 
sicher  beiderseits  ausgedehnte  Chorioiditis  (grössere  helle 
Flecke  mit  Pigmentschollen)  zu  erkennen. 

Die  Papille  liess  sich  rechts  nicht  erkennen,  links  er- 
schien sie  blass. 

Leider  wurde  nach  dem  Tode  der  Patientin  im  Januar 
1891  nur  das  rechte  Auge,  in  Abwesenheit  des  Herrn  Dr. 
Eichhorn  enucleirt  und  diesem  in  Müller'scher  Flüssigkeit 


230  ^'  Rindfleisch. 

übergeben,  das  linke  war  wegen  inzwischen  erfolgter  Beerdi- 
gung der  Patientin  nicht  mehr  zu  erlangen  gewesen. 

Trotz  der  Kürze  des  obigen  klinischen  Befundes  dürfte 
derselbe  doch  fast  alles  Wissenswerthe  enthalten. 

Die  meisten  der  oben  erwähnten  Symptome  sind  bei 
fast  sämmtlicheu  klinischen  Untersuchungen  über  Irideremie 
80  häufig  zur  Beobachtung  gekommen,  dass  sie  als  typische 
Begleiterscheinungen  dieser  Missbildung  hier  nicht  ausführ- 
licher erörtert  werden  sollen.  So  hat  man  die  Beidersei- 
tigkeit des  Auftretens,  den  Nystagmus,  die  Amblyopie,  die 
Hornhauttrübungen  hauptsächlich  in  der  Peripherie,  die  vor- 
wiegend an  beiden  Polen  auftretenden  Linsentrübungen  iu 
der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  von  angeborenem 
Irismangel  gefunden  und  beschrieben.  Auch  die  Dislocatiou 
der  cataractösen  Linse  scheint  als  typisch  aufgefasst  wer* 
den  zu  müssen.  Denn  wir  finden  dieselbe  von  einer  grossen 
Zahl  der  Autoren  erwähnt,  so  von  Baratta  (2),  Ruete(20), 
Gutbier  (13),  Jäger  (16),  Prael  (14),  Müller  (21), 
Hjort  (31),  Jany  (32),  Klein  (38),  Samelsohn  (40), 
V.  Becker  (47),  Vossius  (49),  Ottava  (52),  Van  Duyse 
(50),  Eales  (53),  Schröter  (28),  Herbet-Page  (36), 
tawrentjeff  (54),  De  Benedetti  (55),  Harlan  (48), 
Hirschberg  (59),  Lembeck  (64)  u.  A.  und  zwar  hatte 
diese  Verschiebung  in  der  Regel  nach  oben  stattgefunden, 
bezw.  war  die  Linse  nur  oben  fixirt.  Von  Ruete,  Gut- 
bier, Rau,  Jäger,  Schröter  und  Lawrentjeff  wird  zu- 
gleich erwähnt,  dass  die  Linse  mehr  oder  weniger  dicht 
an  die  Hinterfläche  der  Hornhaut  herangerückt  war. 

Ein  viel  zu  geringes  Gewicht  scheint  mir  jedoch  bis- 
her auf  die  bei  Irideremie  sich  abspielenden  oder  über*' 
standenen  entzündlichen  Vorgänge  gelegt  worden  zu  sein. 
Eine  grössere  Anzahl  von  Autoren  nimmt  auf  dieselbe  über- 
haupt keine  Rücksicht,  andere  erwähnen  solche  nur  ganz 
beiläufig,  nur  wenige  heben  besonders  hervor,  dass  sie  die- 
selben vermisst  oder  vorgefunden  haben. 


Beitr.  z.  Entstehungsgesclu  der  angeb.  Missbildongen  des  Auges.  231 

In  Anbetracht  der  grossen  Bedeutung  der  Entzündun- 
gen für  die  Genese  des  angeborenen  Irismangels  glaube 
ich  kurz  auf  eine  Beihe  einschlägiger  klinischer  Beobach* 
tungen,  welche  in  der  Literatur  der  Irideremie  niedergelegt 
worden  sind,  eingehen  zu  müssen. 

Von  den  bereits  erwähnten  Trübungen  der  Hornhaut 
und  Linse,  deren  entzündlicher  Ursprung  noch  nicht  allge- 
mein anerkannt  wird,  will  ich  hierbei  Yorläufig  absehen. 

An  der  Sclera  finden  sich  Erscheinungen,  welche  auf 
eine  Entzündung  dieser  Haut  hindeuten,  mehrfach  erwähnt. 
So  von  Behr  (7),  welcher  sie  bei  einem  irislosen  Kinde 
bläulich  fand;  dasselbe  berichtet  Gutbier  (13)  von  einem 
achtzehnjährigen  Mädchen.  Bei  einem  21jährigen  Mädchen, 
welche  „an  häufig  wiederkehrenden  Ophthalmieen^^  litt, 
„deren  eine  das  linke  Auge  zerstört  und  Totalstaphylom 
zur  Folge  gehabt  hatte'S  fand  Henzschel  (8)  „die  Sdero- 
tica  sehr  dünn,  so  dass  die  Ghorioidea  an  mehreren  Stellen 
durchschimmerte'S  was  auch  Brunhuber  (39)  bei  einem 
irislosen  Knaben  beobachten  konnte.  Und  Lembeck  (64) 
beschreibt  eine  hydrophthalmische  Entartung  des  Bulbus. 
Den  Glaskörper  fand  Baratta  (2)  in  dem  erwähnten 
Falle,  desgleichen  E.  Müller  (21)  und  Eales  (53)  ver- 
flüssigt. Auch  Manz  (37)  erwähnt,  dass  er  gelegentlich 
der  Extraction  einer  Katarakt  bei  einem  irislosen  Manne 
Glaskörpenrerflüssigungen  vorgefunden  habe.  Trübungen 
des  Glaskörpers  hatte  vielleicht  Henzschel  (8)  bei  einem 
13jährigen  Mädchen  vor  sich  gehabt,  bei  welchem  im  lin- 
ken Auge  „eine  dreieckige  weissblaue  Trübung"  sichtbar 
war,  „die  ihren  Sitz  in  der  Linse  haben  durfte,  obgleich 
sie  tiefer  zu  liegen  schien"  und  Harlan  (48)  konnte 
flottirende  Glaskörpertrübungen  in  einem  irislosen  Auge  be- 
stimmt nachweisen.  Ein  Gleiches  berichtet  Lembeck  (64) 
und  De  Benedetti  (55). 

Man  wird  wohl  annehmen  dürfen,  dass  Glaskörperver- 
änderungen viel  häufiger  vorhanden  gewesen  sind,  dass  je- 


232  G.  Rindfleisch. 

doch  ihr  Nachweis  w^en  der  r^elmässig  bestehenden  Tni- 
bangen  der  brechenden  Medien  äusserst  schwierig  oder  ganz 
unmöglich  war.  Einen  Beweis  dafür  bietet  der  eben  er- 
wähnte Fall  Yon  Manzy  bei  welchem  sich  vor  der  Extrac- 
tion  ausser  einer  leichten  Beweglichkeit  des  unteren  Lin- 
senrandes keine  Anzeichen  einer  Verflüssigung  des  Glaskör- 
pers Yorfanden. 

Veränderungen  im  Fundus  Oculi  finden  wir  aus 
naheliegenden  Gründen  erst  nach  Ruete's  Zeit,  dann  aber 
auch  wiederholt  herrorgehoben.  So  berichten  K  Müller 
(21),  Brunhuber  (39)  und  v.  Becker  (47)  von  Netz- 
hautablösungen. Pathologische  SehneryenezcaTatio- 
nen  erwähnen  Klein  (38),  Brunhuber  (39),  Samelsohn 
(40),  Hirschberg  (59)  und  Lembeck  (64).  Was  endlich 
die  Aderhautveränderungen  anbetrifft,  so  scheinen  diese 
ziemlich  häufig  zu  sein. 

So  fand  E.  Müller  (21)  nur  noch  „in  geringem  Ab- 
stände Yon  der  Comealgrenze  einige  hellgraue  Flecke  als 
letzte  Andeutung  der  Chorioidea".  Rudel  (26)  wies  in 
einem  Falle  Pigmentarmuth  derselben  nach,  in  einem  ande- 
ren Falle  giebt  er  den  Augenhintergrund  als  „YÖllig  degene- 
rirt''  au.  De  Montmeja  (30)  constatirte  ein  kleines  „Golo- 
bome  de  la  choroide'S  welches  keilförmig  mit  der  Spitze 
nach  der  Macula  gerichtet  war,  Adler  (34)  Rarification  des 
Chorioidealpigmentes,  Brunhuber  (39)  „Yereinzelte  grössere 
und  kleinere  Flecke  zum  Theil  schwarz  mit  scharf  umschrie- 
benen, atrophischen  Rändern,  zum  Theil  gelblich  weiss  und 
weniger  deutlich  begrenzt,  im  Ganzen  ziemlich  pigmentarm'^ 
Samelsohn  (40)  und  Wurst  (42)  machten  die  letztere  Be- 
merkung gleichfalls.  Auch  Herbet-Page  (36)  und  Har- 
lan (48)  sahen  „atrophische  Flecke '^  in  dieser  Membran, 
Felser  (57)  fand  eine  „schwache  Entwickelung  der  Gefäss- 
haut"  und  Grünsberg  (63)  vergleicht  sie  bei  einer  par- 
tiellen Irideremie  einer  „albinotischen'S 

Es  bietet  also  die  in  meinem  Falle  klinisch  nachge- 


Beitr.  z.  Entstehongsgesch.  der  angeb.  Missbildangen  des  Auges.  233 

wi^ene  Chorioiditis  disseminata  nur  einen  weiteren  Beleg 
für  das  häufige  Vorkommen  einer  Entzündung  der  Uvea. 

Makroskopischer  Befund  des  rechten  Bulbus. 

Bereits  während  der  Härtung  in  Moller'scher  Flüssigkeit 
trat  im  Aeqnator  des  Bulbus  eine  leichte  Einziehung  auf^  welche 
sich  während  der  weiteren  Behandlung  mit  (allmälig  verstärk- 
tem) Alkohol  zu  einer  tiefen  Ringfurche  ausprägte.  Uebrigens 
boten  die  Form-  und  Grössenverhältnisse  des  Augapfels  nichts 
Auffallendes  dar,  ausser  im  Bereiche  der  Hornhaut  (Fig.  1). 

Dieselbe  zeigt  von  aussen  betrachtet  ein  quer-elliptisches 
Areal  (Diameter  verticalis:  ca.  10  mm,  Diameter  horizontalis: 
ca.  11,5  mm).  Die  getrübte  Randzone  geht  unmerklich  in  die 
Sclera  über,  weshalb  die  Hornhautgrenze  auch  nicht  so  genau 
zu  bestimmen  ist.  Die  Wölbung  der  Hornhaut  ist  im  Cen- 
trum leicht  abgeplattet;  hierselbst  erscheint  auch  das  Gewebe 
diffus  getrübt.  Ausserdem  fällt  eine  höchst  eigenthümliche 
Zeichnung,  die  vermuthlich  auf  die  Hinterfläche  der  Descemeti 
zu  localisiren  ist,  auf.  Dieselbe  stellt  einen  nach  aussen  sich 
gabelnden  dunkeln  Strich  dar,  bezw.  zwei  kleinere  und  eine 
grössere  nahe  am  Centrum  der  Hornhaut  radiär  zusanmienlau- 
fende  etwas  unregelmässig  zackige  Linien  (Tafel  Yil,  Fig.  1). 

Die  Halbirung  des  gehärteten  Auges  erfolgte  im  grössten 
verticalen  Meridian,  wobei  besondere  Sorgfalt  auf  die  Erhal- 
tung der  Linse  in  ihrer  Lage  verwendet  wurde.  Es  ergab  sich 
jedoch,  dass  dies  nicht  ganz  zu  ermöglichen  war,  weil  eine 
festere  Anheftung  der  Linse  nur  oben  und  etwas  nach  innen 
vorhanden  war,  so  dass  sie  im  Uebrigen  frei  in  der  vorderen 
Kammer  schlotterte. 

Die  Hornhaut  erscheint  auf  dem  Durchschnitt  nahe  am 
Centrum  dünner  als  in  der  Peripherie.  Die  Entfernung  der 
beiden  Hornhautränder  von  einander  beträgt  10,5  mm,  die  Höhe 
des  von  der  Cornea  gebildeten  Bogens  2,75  mm  Am  Rande 
greift  der  weissliche  Scleralbord  ziemlich  weit  nach  vorn  über. 
Die  Innenseite  der  Hornhaut  zeigt  zahlreiche  radiär  nach  dem 
Centrum  zusammenlaufende  Falten.  Man  bemerkt  jetzt  die  von 
aussen  sichtbar  gewesene  schwarze  Strichzeichnung  deutlicher. 
Sie  liegt  thatsächlich  auf  der  Descendeti,  der  Yereinigungspunkt 
der  drei  Striche  dürfte  vom  Mittelpunkte  der  Hornhaut  etwas 
nach  oben  und  innen  abweichen. 

Die  Sclera  ist  in   der  vorderen  Bulbushälfte  auffallend 


234  0.  Rindfleisch. 

dünn.  Sie  setzt  sich  scharf  gegen  die  Cornea  ab  (ausser  an 
der  Aossenseite),  so  dass  zwischen  beiden  Membranen  eine  Ring- 
farche  entsteht,  welche  von  einem  kleinen  Irismdimente  theil- 
weise  überbrückt  wird  (Taf.  VII,  Fig.  2  R  u.  R^). 

Am  Aequator  zeigt  die  Lederhant  eine  ringförmige  £in- 
Senkung,  welche  oben  tiefer  als  unten  erscheint.  Im  hinteren 
Bnlbusabschnitte  ist  die  Sclera  von  nahezu  normaler  Dicke. 

Von  der  Iris  ist  ein  ganz  schmaler  Saum  vorhanden;  oben 
ist  derselbe  vielleicht  etwas  breiter  als  unten.  Hier  liegt  er 
der  erwähnten  Sclerocomealfürche  dichter  an. 

Der  Ciliarmuskel  bietet  eine  platte  Gestalt  und  scheint 
unten  breiter  aber  niedriger  zu  sein  als  oben.  Die  Ciliarfort- 
Sätze  sind  ziemlich  normal  entwickelt. 

Die  Aderhaut  ist  nur  unten  vom  Giliarkörper  bis  zum 
Aequator  leicht  abgehoben. 

Die  Netzhaut  hat  sich  ausserdem  oben  vom  Opticus  bis 
zum  Aequator  von  der  hier  dicht  der  Sclera  aufliegenden  Ader- 
haut entfernt.  Man  kann  die  Retinalgef&sse  deutlich  verfolgen. 
Die  Maculagegend  kennzeichnet  sich  als  heller,  querovaler  Wall. 

Der  Sehnerv  hat  eine  centrale  physiologische  Excavation. 

Die  Linse,  welche,  wie*  erwähnt,  nur  oben  und  etwas 
nach  innen  fixirt  ist  und  übrigens  frei  im  vorderen  Bulbusab- 
schnitt  liegt,  giebt  jetzt  über  die  Stellung,  welche  sie  vor  der 
Enucleation  eingenommen  hatte,  keine  ganz  sichere  Auskunft 
mehr.  Nur  bei  genauester  Lupenbetrachtung  wird  uns  hier- 
über ein  gewisser  Aufschluss  gegeben.  An  der  nasalen  Hälfte 
des  Bulbus  bemerkt  man  nämlich,  wie  feine,  schleierartige  Fa- 
sermassen vom  unteren  Giliarkörper  her,  theils  nach  vom  gegen 
das  Homhautcentrum,  theils  nach  hinten  in  den  Glaskörper 
ziehen.  Zwischen  beiden  so  gebildeten  Schenkeln  liegt  eine 
Excavation,  welche  genau  der  Form  des  Linsenäquators  ent- 
spricht (Fig.  2  bei  k).  Doch  noch  eine  andere  Eigenthümlich- 
keit  weist  darauf  hin,  dass  die  Linse  vor  der  Enucleation  zu 
irgend  einer  Zeit  der  Hinterfläche  der  Hornhaut  angelegen  hat. 
Sie  zeigt  auf  ihrer  Yorderfläche  genau  dieselben  radiären  Fal- 
tungen, welche  in  grosser  Zahl  nach  dem  Gentrum  hin  zusam- 
menlaufen, wie  wir  sie  an  der  Descemet'schen  Membran  vor- 
fanden, von  denen  es  sich  recht  gut  denken  lässt,  dass  jedes- 
mal eine  Einsenkung  auf  der  Descemeti  einer  Erhöhung  auf 
der  Linse  entsprochen  hat  und  umgekehrt,  so  dass  sie  dicht 
aufeinander  gepasst  hatten.  Die  Linse  zeigt  eine  abgeplattete 
Form.     Sie  ist  auf  dem  Durchmesser  11  mm  breit  bei  einer 


Beitr.  z.  Entatehongsgesch.  der  angeb.  Missbildangen  des  Auges.  235 

Dicke  von  3,25  mm.  Die  Rinde  ist  grauweiss,  am  hinteren 
Pole  weist  sie  eine  kleine  nabeiförmige  Verdickung  auf,  wäh- 
rend sie  anf  ihrer  Yorderfläche,  besonders  in  der  Gegend  des 
vorderen  Pols  aufgeblättert  und  zerfallen  ist.  In  der  Gorticalis 
liegen  nahe  am  Aequator  mehrere  feine  weisse  „Reiterchen^\ 

Der  Glaskörper  hat  sich  in  toto  abgelöst  und  im  vorderen 
Bnlbusabschnitte  hinter  der  Linse  dicht  zusammengeballt,  mit 
welcher  er  fest  verklebt  erscheint.  — 

Nach  Einbettung  beider  Bulbnshälften  in  Celloidin  wür- 
den mit  dem  Becker 'sehen  Mikrotom  von  der  äusseren  Hälfte 
Serienschnitte  (von  zumeist  20^  Dicke)  in  verticaler  Richtung, 
von  der  nasalen  Hälfte  theils  solche  in  gleicher,  theils  —  an 
der  Stelle,  wo  die  Linse  fixirt  war  —  in  schräg- meridionaler 
nach  dem  Gentram  der  Linse  hinzielender  Richtung  angefertigt 
Die  Färbung  fand  vorwiegend  mit  Eosin-Hämatoxylin  statt. 

Mikroskopischer  Befund. 

Die  Hornhaut,  welche,  wie  bereits  oben  erwähnt,  auf  dem 
Durchschnitt  einen  in  der  Gegend  des  Scheitels  etwas  abge- 
flachten Bogen  beschreibt,  weist  in  dieser  Gegend  nur  einen 
Dickendurchmesser  von  0,4  mm  (Fig.  2  s)  au^  während  derselbe 
nach  der  Peripherie  zn  bis  gegen  0,9  mm  anwächst,  um  im 
Gebiete  der  Ringfurche,  welches  histologisch  eine  der  Sclera 
ähnliche  Beschaffenheit  bietet,  plötzlich  wieder  auf  0,5  mm 
herabzusinken.  Mehrere  leichte  Einziehungen  an  der  Innen- 
fläche der  Cornea  entsprechen  den  makroskopisch  beobachteten 
radiären  Faltungen,  eine  bezw.  zwei  tiefere  mit  Pigment  ge- 
füllte (Fig.  2F)  der  änsserlich  sichtbaren  dreistrahligen  Figur. 
Das  Epithel  ist  nirgends  von  ganz  normalem  Aussehen.  Nur 
an  wenigen  Stellen  wird  es  von  drei  Obereinanderliegenden 
Zellschichten  gebildet  und  nur  an  solchen  wird  eine  Art  Basal- 
zeUenschicht,  deren  Elemente  höchstens  eine  cubische  Gestalt 
zeigen,  angedeutet;  die  überwiegende  Mehrzahl  der  Epithel- 
zellen ist  auffallend  abgeflacht,  so  dass  ihre  Gestalt  etwa  der- 
jenigen der  oberflächlichsten  Schichten  einer  normalen  Horn- 
haut entsprechen  würde.  Dieselben  ziehen  zumeist  nur  als  eine 
dünne  Lage  über  die  Oberfläche  der  Hornhaut  hin;  ja  im  mit^ 
leren  Drittel  derselben  hören  sie  unter  Homogenisirung  ihres 
Protoplasmas  und  Schwinden  ihres  Kernes  allmälig  überhaupt 
auf,  so  dass  ein  weites  Gebiet  der  Hornhautoberfläche  epithel- 
frei wird.     Die  Bowman'sche  Membran  zeigt  sich   gerade   in 


236  0.  Rindfleisch. 

dieser  Gegend  auffallend  verändert  Sie  hebt  sich  hier  von 
den  zonächst  anter  ihr  liegenden  Parenchymschichten,  welche 
wie  hyalin  gequollen  und  fast  zellenfrei  erscheinen,  kaum  merk* 
lieh  ab  und  trägt  an  ihrer  Oberfläche  mehrere  kleine  halb- 
kugelförmige Verdickungen,  welche  sich  von  den  an  anderen 
Glashäuten  beobachteten  Drusen  in  keiner  Weise  unterscheiden. 
Diese  Drusen  der  Bowman'schen  Membran  sind  nicht  sehr 
zahlreich,  treten  aber  stellenweise  recht  scharf  hervor  (Fig.  3Dr). 
Nach  dem  Hornhautrande  zu  lässt  sich  besagte  Membran  noch 
streckenweise  als  sehr  schmales  helles  Band  unter  dem  Epithel 
nachweisen;  dann  aber  setzt  sie  sich  in  immer  feiner  werden- 
den mehrfach  übereinander  liegenden  Lamellen  fort,  welche  von 
langen  Beihen  platter,  spindeliger  und  runder  Zellen  durchwach- 
sen sind  (Taf.  VIII,  Fig.  4  Bm)  und  geht  so  in  die  nächsten  Paren- 
chymschichten allmälig  über.  Vom  Parenchyme  selbst  war  der 
eigenthümlichen  Quellung  der  obersten  Schichten  im  mittleren 
Drittel  der  Hornhaut  bereits  Erwähnung  gethan.  Sie  hat  offen- 
bar intra  vitam  die  leichte  diffuse  Trübung  des  Hornhautcen- 
trums hervorgerufen.  Die  ausgedehnte  periphere  Trübungszone, 
welche  oben  mit  dem  vielleicht  nicht  recht  zutreffenden  Namen 
des  „Arcus  senilis^^  bezeichnet  wurde,  verdankt  ihre  Beschaffen- 
heit in  erster  Linie  einer  auffallend  weit  nach  der  Homhaut- 
mitte  vorgeschobenen  Grenze  zwischen  Gonjunctiva  bulbi  und 
Epithel  der  Hornhaut.  Das  lockere  kernreiche  Episcleralgewebe 
greift  in  der  oberen  Bulbushälfte  2  mm,  in  der  unteren  1,6  mm 
weit  vom  Iriswinkel  an  gerechnet  auf  die  Hornhaut  über,  in- 
dem es  sich  central wärts  allmälig  verjüngt  (Fig.  4 Es),  doch 
schieben  sich  in  seiner  Fortsetzung  noch  eine  weite  Strecke 
zahlreiche  Rund-  und  Spindelzellen  zwischen  die  oberen  Paren- 
chymschichten, sowie  zwischen  diese  und  das  Epithel.  In  der 
unteren  Bulbushälfte  ist  dieses  zellig  infiltrirte  Gebiet  auch 
stark  vascularisirt,  so  dass  hier  ein  dem  Pannus  gleichendes 
Bild  entsteht.  Eine  Verfettung  der  Hornhautzellen  konnte  we- 
gen der  Aether-Alkohol-Behandlung  mit  Osmiumsäure  nicht  mehr 
festgestellt  werden.  Die  Descemet'sche  Membran  ist  gut  ent- 
wickelt und  vollkommen  iutact,  desgleichen  ihr  Endothel.  Letz- 
teres ist  allenthalben  mit  Pigmentkörnchen  versetzt  An  einer 
tieferen  Einsenkung  der  hinteren  Hornhautwand  (Fig.  2F)  la- 
gert, wie  schon  der  makroskopische  Befund  zeigte,  ein  gewal- 
tiger Haufen  freier  Pigmentkörner.  Nach  dem  Rande  zu  wird 
der  Endothel-Ueberzug  allmälig  sehr  flach  und  kemarm.  Die 
Sclera   ist   nur    in    der   Nähe    des    Sehnerven -Eintrittes   von 


Beitr.  z.  Entetehongsgesch.  der  angeb.  Missbildungen  des  Auges.  237 

normaler  Dicke.  Am  Aeqaator  ist  sie  auf  0,3  mm,  gegen  den 
Homhantrand  hin  auf  0,4  mm  verdünnt.  Die  erwähnte  Ein- 
ziehung am  Aequator  ist  an  der  Stelle  der  stärksten  Ver- 
dünnung (Fig.  2E)  an  der  oberen  Bulbuswand  am  meisten  aus- 
gesprochen. In  histologischer  Beziehung  bietet  die  Lederhaut 
nichts  Bemerkenswerthes,  ausser  in  der  Gegend  des  unteren 
Giliarkörperansatzes.  Hier  ist  sie  durch  eine  etwa  1,5  mm 
breite  dem  Homhautrande  concentrisch  gerichtete  Perforation 
in  ihrem  Verlaufe  unterbrochen  (Fig;  4P).  Dieselbe  durch- 
dringt, wie  eine  grössere  Reihe  von  Schnitten  ergiebt,  sämmt- 
liche  meridionalen  Lamellen  der  Sclera  und  macht  erst  an  den 
circulären  Faserbflndeln  des  Scleralwulstes  Halt.  Auf  ihrem 
Verlaufe  kreuzt  sie  eine  spaltförmige  Fortsetzung  des  Circulus 
venosus  ciliaris  (Fig.  4  Cv),  dessen  Lumen  dadurch  in  offener 
Communication  mit  der  Oberfläche  dos  Bulbus  stehen  würde, 
wenn  nicht  die  Rupturstelle  selbst  von  einer  dicht  gedrängten 
Masse  spindeliger  mit  ihren  Kernen  senkrecht  zum  Verlaufe 
der  Sclerallamellen  gestellter  Zellen  erfüllt  wäre.  Der  sehr 
langgestreckte  spaltförmige  Raum  des  Schlemm'schen  Canals 
selbst  enthält  viele  freie  Pigmentkömer.  Auch  sind  einzelne 
Pigmentkörnchen  an  verschiedenen  Stellen  der  Perforations- 
öfPnung  nachzuweisen.  Ebenso  ist  das  kemreiche  Plattenwerk 
der  inneren  Wand  des  Schlemm'schen  Canals  mit  solchen  durch- 
setzt. 

Ein  Eammerwinkel  hat  sich  nur  in  der  oberen  Bulbus- 
hälfte  ausgebildet  Jedoch  liegt  die  Iris  der  Hornhaut  hier  so 
nahe,  dass  derselbe  sehr  spitz  erscheint  und  ein  eigentliches 
Ligamentum  pectinatum  nicht  hervortritt,  wenigstens  sind  die 
Zwischenräume  zwischen  den  Lamellen  der  Descemet'schen  Mem- 
bran so  dicht  zusammengedrängt,  dass  sie  nur  ganz  schmale 
Spaltlücken  darstellen.  Dieselben  sind  bis  zum  Beginn  der 
Descemeti  hin  von  Pigment massen  durchzogen,  die  sich  nur 
durch  ihre  parallele  Anordnung  vom  Pigmentnetze  des  Iris- 
stromas unterscheiden.  Ein  fortlaufender  Endothelbelag  von 
der  Descemeti  auf  die  Vorderfläche  der  Iris  lässt  sich  nicht 
nachweisen.  In  der  unteren  Hälfte  des  Bulbus  ezistirt  nur  ein 
scheinbarer  Eammerwinkel,  thatsächlich  liegt  die  Iris  in  ihrem 
ciliaren  Theile  der  Hornhaut  so  dicht  an,  daas  nur  noch  ein 
enger  spaltförmiger  Raum  die  Lage  desselben  andeutet  (Fig.  4 
Kw).  Eine  scharfe  Begrenzung  nach  innen  in  Gestalt  eines 
Endothelflberzuges  fehlt  auch  hier,  und  an  der  Stelle,  wo  die 
Iris  sich  von  der  Hornhaut  abwendet  und  nach  dem  Innern 


238  G.  Rindfleisch. 

des  Bulbus  gerichtet  ist,  ragen  Ausläufer  sternförmig  verzweig- 
ter Pigmentzellen  zum  TheU  frei  in  das  Lumen  der  Yorderen 
Kammer  hinein.  Der  Baum  zwischen  Iris  und  Hornhaut  ist 
ausser  mit  freien  Pigmentkömehen  mit  einem  Gerinnsel  erfüllt, 
welches  zu  einem  breiten  Strang  zusammengeballt  schräg  nach 
vom  gegen  die  Hornhaut  zieht  Es  enthält  einzelne  Rund- 
zellen (Fig.  4Z). 

Der  Giliarkörper  ist  schwach  entwickelt  und  niedrig, 
so  dass  sein  grösster  Dickendurchmesser  in  der  oberen  Hälfte 
des  Bulbus  0,8,  in  der  unteren  nur  0,6  mm  beträgt  Die 
schmächtigen  Muskelbündel  sind  stark  aufgelockert,  die  circu- 
lären  und  meridionalen  in  normaler  Weise  yertheilt  Auch  hier 
ist  der  Pigmentgehalt  ein  auffallend  grosser;  am  stärksten  prägt 
er  sich  in  der  inneren  bindegewebigen  Grenzschicht  aus,  doch 
ziehen  von  hier  zahlreiche  Pigmentzüge  nach  vom  zwischen  die 
Muskelbündel,  die  sie  förmlich  umspinnen.  Die  Giliarfortsätze 
zeigen  im  Vergleich  zum  Güiarkörper  eine  sehr  gute  Entwicke- 
lung;  die  grössten  steigen  bis  zu  einer  Höhe  von  0,6  mm  an. 
Sie  bieten  eine  Gesammtoberfläche  dar,  welche  an  Ausdehnung 
kaum  hinter  der  eines  normalen  Auges  zurückbleiben  dürfte. 
Ihrer  histologischen  Stmctur  nach  zeigen  sie  keine  bemerkens- 
werthen  Eigenthümlichkeiten.  Auffallend  ist  jedoch  der  Um- 
stand, dass  sämmtliche  Giliarfortsätze  deutlich  nach  hinten 
gerichtet  sind. 

Von  der  Iris  ist  ein  Rudiment  in  Gestalt  eines  schmalen 
Ringes  vorhanden.  Auf  dem  Durchschnitt  ragt  dieser  Ring 
oben  als  0,9,  unten  als  0,5  mm  langer  Zapfen  in  den  zwischen 
Gomea  und  Linse  beflndlichen  Raum  hervor.  Jedoch  ergiebt 
sich  bei  genauerer  Besichtigung,  dass  dieser  Zapfen  noch  nicht 
die  ganze  Iris  darstellt  Der  ciliare  Theil  derselben  liegt  viel- 
mehr —  wie  bereits  oben  erwähnt  war  —  der  Hornhaut  so 
dicht  an,  dass  hier  der  Eammerwinkel  nahezu  oder  vollkommen 
aufgehoben,  das  Ligamentum  pectinatum  platt  gedrückt  erscheint 
Rechnet  man  das  nicht  mit  zur  Bildung  einer  vorderen  Kam- 
mer beitragende  Stück  zur  Iris  hinzu,  so  würde  dieselbe  oben 
noch  fast  einen  Saum  von  1  mm,  unten  einen  solchen  von 
0,7  mm  repräsentiren.  An  den  breiteren  Theilen  ist  die  Iris 
am  Giliaransatze  0,4  mm,  an  den  schmäleren  0,5  mm  dick. 
Ueberhaupt  ist  der  Irisdurchschnitt  oben  mehr  schlank  und  mehr 
einem  normalen,  wenn  auch  embryonalen,  gleichend  (Fig.  2  J), 
während  er  unten  nur  einen  kurzen  unförmigen  Stumpf  dar- 
stellt (Fig.  2J^).    Der  letztere  zeigt  nahe  am  Giliaransatze  an 


Beitr.  z.  EntstehongsgeBch.  der  angeb.  Missbildongen  des  Aages.  239 

der  Innenseite  eine  tiefe,  nach  der  Perforationsstelle  der  Sciera 
hin  gerichtete  Einziehung  (Fig.  4E),  während  eine  solche  oben 
an  der  entsprechenden  Stelle  nnr  schwach  angedeutet  ist.  Das 
Gewebe  der  Iris  zeichnet  sich  durch  einen  grossen  Pigment- 
reichthum  aus,  welcher  gegen  die  Yorderfläche  dermaassen  aus- 
gesprochen ist,  dass  dieselbe  von  einem  gleichmässig  braunen 
Saum  begrenzt  wird.  Ausserdem  ist  der  uveale  Theil  der  Iris 
reich  an  Kernen  und  dickwandigen  Gefässen,  doch  ausserordent- 
lich arm  an  Muskelfasern.  Ein  Sphincter  pupillae  fehlt 
vollkommen.  Der  retinale  Theil  der  Iris  ist  gut  entwickelt 
Sein  Dickendurchmesser  beträgt  durchschnittlich  0,05  mm.  Er 
reicht  bis  gegen  den  vorderen  Saum  des  Pupillarrandes,  doch 
hebt  sich  auch  hier  das  schwarze  Pigment  von  dem  angren- 
zenden bräunlichen  Pigment  auf  der  Vorderseite  der  Regen- 
bogenhaut scharf  ab. 

Die  Zonula  Zinnii  hat,  wie  die  mikroskopische  Unter- 
suchung mit  Bestimmtheit  ergiebt,  intra  vitam  der  Linse  aller- 
seits angehaftet,  doch  scheinen  ihre  Fasern  eine  zu  grosse 
Länge  und  Nachgiebigkeit  besessen  zu  haben,  um  die  Linse 
fest  in  ihrer  normalen  Lage  zu  erhalten.  Oben  war  die  Be- 
festigung offenbar  eine  bessere,  als  unten.  Die  Zonulafasern 
sind  hier  auch  zahlreicher  und  kräftiger.  Wir  sehen  bei 
schwacher  Yergrösserung,  wie  dieselben  oben  in  gewöhnlicher 
Weise  als  Fortsetzung  der  Membrana  hyaloidea  über  die  hin- 
teren Ciliarfortsätze  nach  vom  ziehen  und  sich  an  der  Kapsel 
inseriren.  Dabei  nehmen  sie  einen  welligen  Verlauf,  weil  die 
Linse  bei  der  Halbirung  sich  leicht  nach  oben  verschoben  hat, 
also  die  Entfernung  ihres  Aequators  von  der  Ora  serrata  ver- 
ringert worden  ist  (Fig.  2Z).  Diese  leichte  Verschiebung  der 
Linse  hat  aber  an  der  unteren  Hälfte  zur  Sprengung  der  Kap- 
sel geführt.  Während  diese  an  der  Zonula  haften  geblieben  ist, 
hat  sich  der  Aequator  der  Linse  ein  Stück  von  ihr  entfernt. 
Der  Durchschnitt  zeigt  uns  also  hier  einen  genau  die  Form 
des  Linsenäquators  wiedergebenden  Kapselbogen,  welcher  mit- 
telst der  gespannten  Zonula  an  der  Ora  serrata  bezw.  Mem- 
brana hyaloidea  fixirt  ist  (vergl.  Fig.  2K  und  Fig.  4K).  Aus 
dem  Vorstehenden  bestätigt  sich,  wenn  man  zugleich  die  Länge 
der  Zonula  berücksichtigt,  die  Annahme,  dass  die  Linse  wahr- 
scheinlich gelockert  der  Hornhaut  nahe  gelegen  hat.  Ein  Be- 
weis für  diese  Annahme  wird  auch  durch  das  Verhalten  der 
hinteren  Linsenkapsel  erbracht,  worauf  wir  sogleich  eingehen 
werden. 


240  ^'  Rindfleisch. 

Die  Linse,  deren  leichte  (artificielle)  Verschiebung  nach 
hinten  oben  bereits  hervorgehoben  war,  entspricht  in  ihren  Di- 
mensionen genau  den  makroskopisch  gefundenen  Maassen.  Die 
Kapsel  nmschliesst  sie  —  abgesehen  von  der  artificiellen  Zer- 
reissung  vom  am  Pol  und  hinten  etwa  in  der  Mitte  zwischen 
Pol  und  Aequator  —  continuirlich.  Hinten  ist  sie  auf&Ilend 
stark  gefaltet  und  hebt  sich  genau  am  hinteren  Pole  halbkugel- 
förmig empor  (Fig.  2  Cp),  nach  dem  Aequator  zu  und  auf  der 
Yorderfläche  der  Linse  ist  die  Faltung  geringer;  zugleich  er- 
reicht die  Kapsel  hier  zwischen  Aequator  und  Pol  ihre  grösste 
Dicke,  um  noch  weiter  centralwärts  zuerst  zwei  Lamellen  er- 
kennen zu  lassen  und  sich  genau  am  vorderen  Pole  derartig 
zu  verändern,  dass  hier  mehrere  feine  Lamellen  durch  lange 
Züge  von  Zellen  getrennt  die  Stelle  der  Kapsel  vertreten.  Eine 
continuirliche  Lage  von  Kapselepithel  als  innere  Begrenzung 
dieses  Gebietes  konnte  ich  nicht  mit  Sicherheit  nachweisen, 
während  der  Epithelbelag  an  der  ganzen  übrigen  Yorderfläche 
und  am  Aequator  der  Linse  bis  zum  Kembogen  hin  ununter- 
brochen vorhanden  ist 

Eine  Umwandlung  von  Epithelzellen  in  Bläschenzellen  war 
nicht  zu  sehen,  wohl  aber  lagen  mehrfach  bläschenförmige 
Bäume  hinter  den  langgestreckten  Epithelzellen,  die  sich  scharf 
von  ihnen  abgrenzten.  Im  ganzen  Yerlauf  der  vorderen  Lin- 
senfläche finden  sich  zerstreute  Häufchen  von  Pigmentkömem 
abgelagert 

Die  Corticalis  ist  am  vorderen  Linsenpol  in  einem  Ge- 
biete, welches  breitkegelförmig  der  Kapsel  anliegt,  einem  Zer- 
störungsprocess  anheimgefallen.  Die  Basis  dieses  kegelförmigen 
Herdes  beträgt  etwa  0,5  mm  im  Durchmesser.  Die  Spitze  ist 
gegen  das  Centrum  der  Linse  gerichtet  (Fig.  2  Ca).  Am  Rande 
erscheinen  die  Linsenfasem  der  Rinde  in  weiter  Ausdehnung 
zerklüftet,  während  im  Innern  sich  auch  bei  stärkerer  Yer- 
grösserung  nur  Massen  von  grösseren  und  kleineren  schlecht 
gefärbten  Schollen  nachweisen  lassen.  Yon  anderen  morpho- 
logischen Bestandtheilen  finden  sich  nur  gegen  die  Kapsel  zu 
einzelne  in  Zerfall  begriffene  Epithelzellen.  Yom  Kembogen 
nach  hinten  treten  unter  allmäligem  Zerfall  der  LinsenfisMem 
zahlreiche  Morgagni*sche  Kugeln  auf,  welche  näher  dem  hin- 
teren Pole  einer  homogenen  durchschnittlich  0,1  mm  dicken 
Schiebt  Platz  machen.  Dort,  wo  sich  am  hinteren  Pole  selbst 
die  Kapsel  halbkugelförmig  emporgewölbt  hatte,  ist  sie  beson- 


Beitr.  z.  Entstehungsgesch.  der  angeb.  Missbildangen  des  Auges.  241 

ders  dick,  mit  der  Kapsel  eng  verschmolzen,  nach  innen  zu 
aber  zerfidlen,  in  Schollen  und  in  einzelne  Kugeln  aufgelöst 

Die  makroskopisch  beobachteten  feinen  weissen  „Reiter- 
chen^^  documentiren  sich  mikroskopisch  als  Spaltlücken  zwischen 
den  Linsenfasern  nahe  am  Kern,  welche  mit  äusserst  feinkör- 
nigen durch  das  Hftmatoxylin  dunkelblau  gefärbten  Massen  er- 
füllt sind. 

Der  Kern  selbst  bietet  histologisch  nichts  Bemerkenswerthes. 

Der  Grlaskörper  mit  seiner  Hyaloidea  ist  nach  vorn  hin 
bis  über  den  Aequator  hinaus  vollkommen  von  der  Retina  ab- 
gelöst, von  hier  ab  aber  mit  dieser  Membran  fest  verwachsen. 
Seinen  zusammengeballten  Massen  sind  hinten  geringe  Mengen 
geronnenen  serösen  Exudates  aufgelagert.  Die  Glaskörper- 
fibrillen  sind  von  sehr  welligem  Verlaufe.  Zellige  Bestandtheile 
sind  nur  spärlich  dazwischen  vertreten. 

Die  Aderhaut  ist  von  der  Stelle  der  ringförmigen  Ein- 
senkung  der  Bulbuswand  bis  zur  Ora  serrata  hin  leicht  von 
der  Sclera  abgehoben  (Fig.  2£,  E^).  Diese  Abhebung  ist  je- 
doch offenbar  nur  mechaniBch  durch  den  Druck  eben  jener 
Scleralfalte  hervorgerufen.  Histologisch  betrachtet  bietet  diese 
Membran  in  der  Mehrzahl  der  Schnitte  von  der  Eintrittsstelle 
des  Sehnerven  bis  zum  Aequator  ziemlich  normales  Verhalten. 
Nur  erscheinen  die  Wände  einzelner  kleinerer  Arterien  bis- 
weilen auffallend  verdickt  und  wie  hyalin  gequollen.  Auch  ist 
die  Vertheilung  des  Pigmentes  im  Stroma  eine  sehr  unregel- 
mässige. Die  Suprachorioidea  hat  sich  entsprechend  der  Ab- 
hebung der  Aderhaut  gelockert  und  fällt  gleichfalls  durch  ihren 
Pigmentreichthum  auf.  Nahe  an  der  Ora  serrata  treten  aus- 
gedehnte Veränderungen  des  ganzen  inneren  Ueberzuges  der 
Sclera  hervor.  Die  Geflisse  der  Chorioidea  sind  hier  nur  in 
äusserst  geringer  Zahl,  meist  jedoch  überhaupt  nicht  mehr  nach- 
weisbar. An  ihrer  Stelle  durchziehen  nur  einige  homogene 
Stränge  das  pigmentarme  hier  und  da  von  Gonglomeraten  von 
Rundzellen  durchsetzte  Aderhautgewebe,  welches  letztere  in  der 
Mitte  des  Herdes  nur  noch  schwach  angedeutet  und  von  der 
Suprachorioidea  kaum  zu  unterscheiden  ist. 

Die  Glasmembran  erscheint  hier  unterbrochen,  so  dass  die 
Elemente  der  Retina  unmittelbar  in  die  Aderhaut  übergehen. 
Die  hochgradigsten  Voränderungen  hat  jedoch  das  Pigment- 
epithel erfahren.  Dasselbe  haftet  im  übrigen  Bulbus,  an  den 
Stellen,  wo  sich  die  Netzhaut  abgehoben  hat,  der  Basalmem- 
bran der  Chorioidea   an.     Seine  Armuth   an   Pigmentkörnem 

T.  Graefc*8  Archir  für  Ophthalmologie.  XXXVII.  3.  16 


242  6.  Rindfleisch. 

steht  im  auf&Uenden  Gegensatze  zu  der  starken  Pigmentirung 
im  Uvealtractns.  Stellenweise  liegen  auch  nahe  am  Opticus 
Herdchen,  in  denen  die  Pigmentschicht  nur  aas  einer  Reihe 
von  blan  gefärbten  Epithelzellen  besteht,  die  der  Pigmentköm- 
chen  fast  ganz  entbehren.  Innerhalb  des  oben  erwähnten  Er- 
kranknngsherdes  ist  die  Pigmentepithelschicht  gänzlich  ge- 
schwanden, während  ihre  Zellen  sich  am  Rande  desselben  zu 
dicken,  braunschwarzen  Klumpen  zusammengeballt  haben. 

Die  Netzhaut  ist  in  diesem  Gebiete  verdünnt  und  ist  mit 
der  atrophischen  Aderhaut  eine  innige  Verbindung  eingegangen. 
Sie  setzt  sich  aus  langen  sich  vielfach  kreuzenden  Fasern  zu- 
sammen und  enthält  zahlreiche  Kerne.  Von  einer  typischen 
Schichtung  ist  nicht  mehr  die  Rede.  Erst  in  weiterer  Ent- 
fernung vom  Erkrankungsherde  treten  wieder  zwei  Kömer- 
schichten  der  Netzhaut  hervor,  jedoch  sind  die  bindegewebigen 
Elemente  noch  bei  weitem  vorwiegend.  Zugleich  lagern  nahe 
am  Herde  zahlreiche  freie  Pigmentkörnchen  im  Gewebe  der- 
selben, während  solche  im  Innern  des  erkrankten  Gebietes  nur 
äusserst  spärlich  nachzuweisen  sind.  Der  Glaskörper  haftet 
hier  der  Netzhaut  fest  an.  Wo  die  Netzhaut  nicht  mit  der 
Aderhaut  verklebt  ist,  liegt  zwischen  dem  der  Aderhaut  anlie- 
genden Pigmentepithel  und  der  Retina  überall  eine  dichte  Masse 
feinkörniger  Substanz,  welche  die  theUs  abgelösten,  theils  — 
cadaverös  —  zerfallenen  Stäbchen  und  Zapfen,  sowie  freies 
Pigment  enthält  Der  Cylinderepithel-Ueberzug  der  Ora  ser- 
rata  zeigt  in  der  Nähe  der  atrophischen  Retinapartie  cystische 
Degeneration  seiner  Zellen.  Dieselben  stellen  zumeist  grosse 
ovoide  Blasen  dar,  welche  an  ihrem  dem  Glaskörper  zugewen- 
deten Ende  wenig  färbbares  Protoplasma  mit  einem  Kern  führen. 
—  Zwischen  den  Zellcontouren  lagern  gleichfalls  Reihen  feiner 
Pigmentkörner. 

Der  Sehnerv  bietet  abgesehen  von  der  tiefen  centralen 
physiologischen  Excavation  nichts  Bemerkenswerthes. 

Epikrise. 

Kurz  zusammongefasst  würde  die  vorstehende  anato- 
mische Untersuchung  Folgendes  ergeben  haben: 

Geringe  Verdünnung  der  Sclera  im  vorderen  Bulbus- 
abschnitte.  —  Perforationsnarbe  derselben  nahe  am  unte- 
ren Sclerocomeal-Rande.  —  Faltung  und  stellenweise  Ver- 


Beitr.  z.  Entstehungsgesch.  der  angeb.  Missbildungen  des  Aages.  243 

dünnung  der  Hornhaut  mit  theilweisem  Epithelverlust  und 
weitem  Uebergreifen  der  Episclera  nach  dem  Centrum  hin. 

—  Drusen  der  Bowman'schen  Membran.  —  Dreistrahlige 
Pigmentzeichnung  auf  der  Descemet'schen  Membran.  — 
Rudimentäre  Entwickelung  der  Iris.  —  Fehlen  des  Sphinc- 
ter  pupillae.  —  Geringe  Ausbildung  des  Ciliarmuskels.  — 
Richtung  der  Ciliarfortsätze  nach  hinten.  —  Cystische  De- 
generation des  Cylinderepithels  der  Ora  serrata.  —  Chorioi- 
ditis. —  Glaskörper- Abhebung  und  Verflüssigung.  —  An- 
deutung einer  früher  stattgehabten  Dislocation  nach  vorn. 

—  Ectopie  nach  oben  und  innen.  —  Cataracta  polaris 
anterior  und  posterior. 

Es  stimmen  mit  diesem  Befunde  die  Ergebnisse  der 
von  De  Benedetti  (55)  und  Lembeck  (64)  angestellten 
histologischen  Untersuchungen  im  Wesentlichen  überein.  So 
hebt  De  Benedetti  die  verschiedene  Dicke  der  Cornea  an 
verschiedenen  Stellen,  sowie  ihre  geringe  Differencirung  von 
der  Sclera  hervor.  Auch  beschreibt  er  eine  spornartige 
Hervorragung  an  der  Innenseite  der  Hornhaut  von  der  Höhe 
eines  Comealdurchmessers.  Die  auffallende  Aehnlichkeit 
seiner  Zeichnung  mit  einer  im  Atlas  von  Wedl  und  Bock 
(Tafel  III,  Figur  15)  abgebildeten  perforirenden  Homhaut- 
narbe,  welche  einen  langen  in  die  vordere  Kammer  ragen- 
den Gewebszapfen  darstellt,  legt  die  Vermuthung  nahe,  dass 
es  sich  in  De  Benedetti's  Fall  auch  um  eine  Hornhaut- 
perforation gehandelt  hat.  Lembeck  erwähnt  an  der  Cor- 
nea eine  circumscripte  centrale  Trübung  und  berichtet,  dass 
in  der  ganzen  Ausdehnung  unter  der  Bowman'schen  Mem- 
bran zarte  Gefässchen  verliefen;  femer  war  die  Hornhaut 
konisch  vorgewölbt  An  der  Sclera  werden  Erscheinungen 
erwähnt,  welche  auf  Verfettung  des  Gewebes  hindeuten. 

Einen  vollkommenen  Mangel  der  Iris  konnten  auch 
diese  beiden  Autoren  nicht  nachweisen,  obschon  ihre  Be- 
funde klinisch  imzweifelhaft  als  totale  Irideremie  aufgefasst 
werden  mussten.  Ein  sicherer  Fall  von  vollkommenem  Man- 
ie* 


244  0.  Rindfleisch. 

gel  der  Regenbogenhaut  ist  also  auch  durch  die  neuesten 
Untersuchungen  nicht  erbracht  worden. 

De  Benedetti's  sowohl,  wie  Lembeck's  Untersu- 
chungen haben  in  Uebereinstimmung  mit  Pagenstecher's 
(29)  früheren  Veröffentlichungen  ein  Hineinwachsen  der 
Iris  oder  eines  Theiles  derselben  zwischen  die  Lamellen  der 
Descemetischen  Membran  ergeben.  Wenn  sich  auch  meine 
Befunde  kaum  erheblich  von  den  ihrigen  unterscheiden 
dürften,  so  schien  es  mir  doch  zu  viel  gesagt,  wenn  ich  die 
wenigen  Pigmentzüge,  die  sich  in  meinen  Präparaten  zwi- 
schen das  Ligamentum  pectinatum  nach  vorn  erstrecken 
(Figur  4  bei  Kw — z),  als  Fortsetzung  der  Iris  ansprechen 
wollte.  Der  gänzliche  Mangel  von  Muskelfasern  in  der  ru- 
dimentären Iris  wird  Ton  DeBenedetti  gleichfalls  betont, 
während  Lembeck  hierauf  nicht  eingeht.  Wenn  ich  nach 
meinen  Befunden  als  höchst  wahrscheinlich  annehmen  musste, 
dass  die  vordere  Kammer  wenigstens  zeitweilig  aufgehoben 
war,  so  liefert  De  Benedetti  den  Beweis  hierfür,  indem 
er  Stücke  der  Linsenkapsel  mit  der  Hinterfläche  der  Horn- 
haut fest  verwachsen  fand.  Das  Corpus  ciliare  sahen  beide 
Autoren  gleich  mir  schwach  entwickelt;  und  De  Benedetti 
hat  ausserdem  gleich  mir  die  Ciliarfortsätze  nach  hinten 
gerichtet  gefunden.  Die  Zonula  Zinnii  wird  übereinstim- 
mend als  ziemlich  normal  erkannt,  nur  beschreibt  De  Be- 
nedetti eine  geringe  Stärke  ihrer  Fasern  im  unteren  Au- 
genabschnitt, wie  auch  ich  constatirt  habe  und  hebt  gleich 
Lembeck  und  mir  eine  Loslösung  derselben  von  der  Lin- 
senkapsel hervor,  die  aber  wohl  überall  als  artificiell  auf- 
zufassen ist.  Die  Linsenkapsel  selbst  war  in  allen  Fällen 
verdünnt,  gefaltet  und  zum  Theil  wohl  auch  zerrissen.  Be- 
züglich der  cataractösen  Veränderungen  in  der  Linse  treten 
nur  geringe  Abweichungen  an  den  Befunden  auf.  Der  Glas- 
körper war  bei  allen  theilweise  verflüssigt  und  abgehoben. 
Die  Aderhaut  und  das  Pigmentepithel  fand  auch  De  Bene- 
detti verändert  und  atrophisch,  während  Lembeck  diese 


Beitr.  z.  Entstehangsgesch.  der  angeb.  Missbildongen  des  Auges.  245 

Membranen  als  normal  bezeichnet;  doch  beschreibt  er  einen 
zwischen  Ora  serrata  nnd  Ciliarkörper  befindlichen  Herd 
atrophischer  Netzhaut  mit  Anhäufung  und  Wucherung  des 
Pigmentepithels  am  Bande  desselben.  Der  Sehnervenein- 
tritt war  in  Lembeck's  Fall  und  in  dem  einen  Falle  von 
DeBenedetti  glaucomatös,  im  anderen  Falle  des  letzteren, 
wie  in  dem  meinigen,  nur  tief  physiologisch  excavirt 

Als  besondere  Eigenthümlichkeiten  wies  der  von  mir 
untersuchte  Bulbus  Drusen  an  der  Bowman'schen  Membran, 
sowie  eine  eigenthümliche  Zeichnung  der  Descemeti  auf. 
Die  ersteren  sind  meines  Wissens  noch  nicht  beobachtet 
worden,  während  der  merkwürdige,  von  aussen  sichtbare 
Dreistrahl  Ton  v.  Ammon  (25)  wiederholt  an  Patienten  ge- 
sehen und  beschrieben  wurde,  sowie  auch  hierhergehörige 
anatomische  Untersuchungen  des  gleichen  Autors  an  Thieren 
vorliegen.  Wie  bereits  oben  berichtet  wurde,  ergab  sich 
nun,  dass  die  Zeichnung  durch  eine  eigenthümliche  Ver- 
änderung an  der  vorderen  Linsenfläche  (Hemiphakie  v.  Am- 
mon's)  bedingt  war,  während  ich  bei  den  hochgradigen 
secundären  Veränderungen  an  der  vorderen  Linsenfläche 
einen  gleichen  Nachweis  zu  liefern  ausser  Stande  war;  doch 
drängt  die  eigenthümliche  Configuration  der  Pigmentabla- 
gerung  auf  der  Hornhaut,  welche  eine  auffallende  Ueberein  - 
Stimmung  mit  der  Form  des  Linsenstems  aufweist,  zu  der 
Annahme,  dass  die  Linsenbildung  irgend  welchen  Einfluss 
auf  die  Entstehung  jener  ausgeübt  haben  muss. 

Mögen  sich  auch  im  Einzelnen  mancherlei  Verschieden- 
heiten hinsichtlich  der  histologischen  Beobachtungen  über 
Irideremie  finden,  so  lässt  sich  doch  im  Allgemeinen  sagen, 
dass  überall  deutliche  Folgeerscheinungen  von  hochgradigen 
Entzündungsvorgängen  des  Augapfels  vorlagen,  eine  That- 
sache,  welche  wohl  geeignet  sein  dürfte,  uns  einer  Deutung 
des  Zustandekommens  dieser  Missbildung  näher  zu  bringen: 

Bis  zu  einem  gewissen  Zeitpunkt  hatte  sich  die  Iris 
offenbar  normal  entwickelt.   Dann  trat  irgend  ein  hemmen- 


246  G.  Rindfleisch. 

des  Moment  ein,  welches  man  mit  De  Benedetti  auf  eine 
mangelnde  vis  a  tergo  —  die  zu  geringe  Entwickelung  der 
secundären  Augenblase  —  oder  mit  Manz  in  dem  Wider- 
stand der  vorliegenden  Linse  suchen  könnte.  Gegen  die 
erstere  Möglichkeit  spricht  die  normale  Entwickelung  der 
übrigen  Augenblase  speciell  der  Retina;  auf  die  zweite  Mög- 
lichkeit scheint  der  vorliegende  Befund  hingegen  ganz  ent- 
schieden hinzuweisen.  Schon  bei  oberflächlicher  Betrach- 
tung des  Bulbusdurchschnittes  muss  es  uns  auffallen,  dass 
der  Sclerooomealrand  an  seiner  Hinterseite  eine  Ringfurche 
zeigt  (Fig.  2R  und  R^),  die  ihrer  Grösse  nach  genau  der 
dahinter  liegenden  Iris  entspricht,  so  dass  es  den  Eindruck 
macht,  als  habe  diese  in  der  Furche  gelegen  und  habe  sich 
erst  später  daraus  nach  hinten  emporgehoben.  Zudem  giebt 
die  Vorderfläche  der  Linse,  soweit  sich  dies  nach  dem  ca- 
taractösen  Zerfall  noch  nachweisen  lässt,  ziemlich  genau  die 
Form  der  Homhauthinterfläche  wieder,  und  die  langen  ge- 
lockerten Fasern  der  Zonula  lassen  recht  gut  die  Möglich- 
keit einer  Dislocation  der  Linse  zu.  Wir  werden  also  nach 
unserem  Befunde  dazu  gedrängt,  ein  Anliegen  der  Linse  an 
der  Hornhaut  während  der  Ausbildung  der  Iris  als  sehr 
wahrscheinlich  anzunehmen.  Während  aber  Manz  bei  sei- 
ner Erklärung  für  die  Genese  der  Irideremie  die  Frage 
unbeantwortet  lässt»  weshalb  sich  die  Iris  nicht  rechtzeitig 
abgeschnürt  haben  soll,  sind  wir  nach  unseren  Präparaten 
in  der  Lage,  den  zeitweiligen  Zusammenhang  zwischen  Linse 
und  Hornhaut  zu  erklären.  Eine  intrauterine  Entzündung 
hatte  höchstwahrscheinlich  nicht  nur  zur  Erkrankung  des 
Glaskörpers  und  der  Aderhaut  geführt,  sondern  hatte  sich 
auch  auf  den  vorderen  Bulbusabschnitt  erstreckt  und  hier 
die  beschriebene  Perforation  an  der  Sclerocornealgrenze  her- 
beigeführt. Diese  hatte  die  vordere  Kammer  in  offene  Ver- 
bindung mit  der  Oberfläche  des  Auges  gesetzt.  Das  Kam- 
merwasser  musste  also  abfliessen  und  die  Linse  gegen  die 
Hornhaut  angedrängt  werden.     Dass  sich  durch   entzünd- 


Beitr.  z.  Entstehungsgesch.  der  angeb.  Missbildungen  des  Auges.  247 

liehe  Exsudate  auch  eine  Yerklebung  ausbildete,  ist  kaum 
zu  bezweifeln.  Die  eben  angelegte  Iris  drängte  sich  nun 
wahrscheinlich  zwischen  Linse  und  Hornhaut  vor,  doch 
reichte  ihre  Kraft  nur  dazu  aus,  einen  Eindruck  auf  der 
weichen  fötalen  Hornhaut  zu  hinterlassen  und  einzelne  Fa- 
sern ihres  Gewebes  in  das  Ligamentum  pectinatum  hinein- 
zuschieben, nicht  aber  dazu  die  Verbindung  der  Linse  zu 
lösen.  Erst  ganz  allmälig  wird  sich  dann  vermuthlich  die 
Perforation  durch  Narbengowebe  geschlossen  haben  und 
durch  zunehmende  Absonderung  des  Kammerwassers  die 
Kammer  wieder  hergestellt  worden  sein,  worauf  sich  die 
im  Wachsthum  nicht  weiter  fortgeschrittene  Iris  mit  abhob; 
doch  war  das  Auge  jetzt  schon  fast  völlig  ausgebildet,  so 
dass  auch  die  Regenbogenhaut  keinen  Wachsthumstrieb  mehr 
zeigte.  Für  die  Entstehung  der  Cataract  lassen  sich  ent- 
zündliche und  Ernährungsstörungen  im  Allgemeinen,  die 
Berührung  mit  der  Hornhaut  und  die  Lockerung  der  Zo- 
nula  im  Besonderen  verantwortlich  machen;  die  letztere 
mag  auch  wohl  die  Veranlassung  dazu  gewesen  sein,  dass 
die  Ciliarfortsätze  nicht  durch  die  Fasern  der  Zonula  in 
einer  nach  vorn  gestreckten  Richtung  gehalten  wurden,  son- 
dern nach  hinten  und  senkrecht  emporwachsen  konnten. 
Schwer  zu  erklären  dürfte  jedoch  die  eigenthümliche  Zeich- 
nung auf  der  Hinterfläche  der  Hornhaut  sein.  Denkbar 
wäre  allenfalls,  dass  die  Linse,  wähend  sie  der  Hornhaut 
anlag,  entsprechend  dem  in  Ausbildung  begriffenen  „Sterne*^ 
eine  leichte  dreistrahlige  Einkerbung  ihrer  Vorderfläche  be- 
sessen hatte,  wie  dies  v.  Ammon  in  den  oben  erwähnten 
Fällen  bei  Thieren  beobachtet  hat.  —  Hierdurch  würde 
dann  wohl  zwischen  ihr  und  der  Hornhaut  ein  schmaler 
dreistrahliger  Spaltraum  gebildet,  in  welchem  sich  das  durch 
die  Entzündung  der  Gefässhaut  frei  gewordene  und  im 
Kammerwasser  suspendirte  Pigment  ablagern  konnte. 


248  6-  Rindfleisch. 


Verzeichniss  der  benutzten  Literatur. 


1.  Klinkoscii  (1766),  Anatome  partua  capite  monströse,  im 
Programm  ad  ann.  acad.  Prag,  S.  202. 

2.  Baratta  (1818),  Osserv.  prat.  snll.  principal  malat  etc. 
Milano  T.  11,  S.  349  (citirt  nach  Gescheidt  cfr.  12). 

3.  Dsondi  (1819),  IL  Jahresbericht  von  den  merkw.  Krank- 
heitsföllen  u.  Operationen.  Rust's  Magaz.  Bd.  VI,  Hft  1, 
S.  33—34. 

4.  Morison  (1820),  Aas  dem  Noavean  Joamal  de  MMecin 
T.  II.  Oct  S.  105;  mitgetheilt  von  Jüngken  im  Joum.  f. 
Chirurgie  und  Augenheilk.  von  Graefe  und  v.  Walther, 
Bd.  I,  S.  381. 

5.  Poenitz(1822),  Zeitschr.  für  Natur-  und  Heilkunde  etc. 
Dresden  (citirt  nach  Gescheidt  cfr.  12). 

6.  Lusardi  (1827),  Mem.  sur  la  Cataract  cong^nial.  3.  Edit 
Paris.    S.  35—40  (citirt  nach  Gescheidt  cfr.  12). 

7.  Behr  (1827),  Hecker's  Ann.  der  gesammten  Heilkunde. 
Dresden.  51.  Bd.,  XIII,  S.  387,  citirt  nach  v.  Ammon's 
Zeitschr.  f.  Ophth.,  Bd.  II,  S.  10. 

8.  Henzschel  (1827),  Vorl.  Notiz  über  den  Irismangel  bei 
drei  Geschwistern,  v.  Ammon's  Zeitschr.  für  Ophthalm., 
Bd.  I,  Heft  1,  S.  52—53. 

9.  v.  Ammon  (1829),  v.  Ammon's  Zeitschr.  für  Ophthalm., 
Bd.  II,  S.  10. 

10.  Stoeber  (1831),  Archiv  g^n^ral  de  M^decin.  v.  Ammon's 
Joum.  Bd.  I,  Hft.  4,  S.  490  (cit.  nach  Gescheidt  cfr.  12). 

11.  F.  Arnold  (1831),  Anatomische  und  physiologische  Unter- 
suchungen über  das  Auge  des  Menschen. 

12.  Gescheidt  (1834),  Die  Irideremie,  das  Iridoschisma  etc. 
Journal  f.  Chirurgie  und  Augenheilkunde  v.  Graefe  und 
V.  Walther.    XXII,  2.  Heft,  S.  267. 

13.  Gutbier  (1834),  De  Irideremia.  Diss.  inaug.  Abh.  Würz- 
burg (citirt  nach  Theol.  cfr.  21). 

14.  Prael  (1835),  Totaler  Irismangel,  in  v.  Ammon's  Monats- 
schrift I,  S.  501. 

15.  V.  Ammon  (1838—41),  Klinische  Darstellung  der  Krank- 
heiten und  Bildangsfehler  des  menschlichen  Auges. 


Beitr.  z.  Entstehoiigsgesch.  der  angeb.  Missbildungen  des  Auges.  249 

16.  Jäger  (1841),  Gänzlicher  Mangel  der  Iris-Irideremia  com- 
pleta,  in  y.  Ammon's  Zeitschrift  Y,  S.  10. 

17.  Himly  (1843),  Krankheiten  und  Missbildangen  des  mensch- 
lichen Auges.   Bd.  II. 

18.  Heise  (1844),  Die  Irideremie.   Inaag.-Abh.  Warzburg. 

19.  Tilanus  (1844),  Observation  d'irid^r^mie  cong^nitale  com- 
pliqu6e  de  Cataracta,  in  d.  Annales  d'Oculistique  T.  XII, 
S.  209. 

20.  Ruete  (1854),  Lehrb.  der  Ophthahnologie  IL  Dd.,  S.  632. 

21.  £.  Müller  (1855),  Angeborener  Irismangel,  v.  Graefe's 
Archiv  für  Ophthalm.  II,  2,  S.  159. 

22.  £.  Bichter  (1858),  Prager  Yierteljahresschr.  II.  Bd.,  S.  165. 

23.  Theol  (1858),  Duae  de  Irideremia  totali  congenita  obser- 
vationes.    Inaug.-Diss.  Dorpat. 

24.  Sichel  (1859),  Du  Mydriasis  cong^nial.  Gazette  hebdomad. 
II,  S.  308. 

25.  F.  A.  V.  Ammon  (1858).  Irideremia  und  Hemiphakia  con- 
genita. XXYII.  Bd.  der  Yerhandl.  der  Kais.  Leopold-Caro- 
linischen  Deutschen  Acad.  der  Naturforscher,  S.  86. 

26.  Ruedel  (1863),  Der  angeborene  Irismangel.  Inaug.-Diss. 
Erlangen. 

27.  Rittmann  (1865),  Angeborener  gänzlicher  Mangel  der 
Regenbogenhaut  an  beiden  Augen.  Zehender's  klinische 
Monatsblätter  S.  158. 

28.  Schröter  (1866),  Ein  Fall  von  vererbter  Irideremie.  Kli- 
nische Monatsbl.  S.  100, 

29.  Pagenstecher  (1871),  II.  Sitzung  der  Ophthalm.  Ges.  zu 
Heidelberg.   5.  Sept.  Zehender's  klin.  Monatsbl.  S.  427. 

30.  De  Montmeja  (1872),  Coloboma  de  la  choroide  dans  un 
Beul  oeil;  absence  d'iris  dans  les  yeux.  Revue  photogr. 
des  höpitaux  de  Paris  lY,  S.  48,  pl.  Y  (citirt  nach  dem 
Jahresbericht  über  die  Leistungen  und  Fortschr.  im  Geb. 
d.  Ophth.,  begr.  von  Nagel,  redig.  v.  Michel). 

31.  Hjort  jun.  (1873),  Total  Irismangel  pä  bägge  ögne.  Norsk 
Magaz.  f.  ligevid  R.  3,  Bd.  3;  Forh.  S.  9  (cit  nach  den 
Jahresberichten). 

32.  Jany  (1874),  Irideremia  congenita  totalis.  Sitzungsbericht 
der  schles.  Ges.  für  Cultur.  Sitzung  v.  29.  October  1874 
(citirt  nach  den  Jahresberichten). 

33.  Reuling  (1874),  Oase  of  congenital  absence  of  tho  iris  etc. 
Amer.  Journ.  of  med.  science  Yol.  69,  S.  143  (citirt  nach 
den  Jahresberichten). 


250  Gt'  Rindfleifich. 

34.  Adler  (1874),  Bericht  Aber  die  Behandlung  der  Augen- 
kranken  im  E.  E.  Erankenhaus  Wieden  etc.  Wien  (citirt 
nach  den  Jahresberichten). 

35.  Manz  (1874),  Die  Missbildungen  des  menschlichen  Auges. 
Handb.  der  ges.  Augenheilk.  von  Graefe  und  Saemisch, 
Bd.  II,  S.  58. 

36.  Herbet-Page  (1874),  Transmission  through  three  genera- 
tions  of  Mikrophthalmus,  Irideremia  and  Nystagmus:  Lancet 
Aug.  8th  S.  193  (citirt  nach  den  Jahresberichten). 

37.  Manz  (1875),  Cyclitis  bei  angeborenem  IrismangeL  Elin. 
Monatsbl.  für  Augenheilk.  S.  35. 

38.  Elein  (1877),  Ein  Fall  von  seltener  Missbildung.  Elin. 
Monatsbl.  S.  21. 

39.  Brunhuber  (1877),  Einseitige  totale  Irideremie.  Elin. 
Monatsbl.  S.  104. 

40.  Samelson  (1877),  Angeborene  Aniridie  mit  Sehnerven- 
excavation.    Elin.  Monatsbl.  S.  189. 

41.  Laskiewicz- Friedensfeld  (1877),  Angeborener  Irisman- 
gel.   Elin.  Monatsbl.  S.  319  und  357. 

42.  Wurst  (1877),  Beiderseitige  angeborene  Irideremie.  Przeglad 
Lekarski  Nr.  38  (citirt  nach  den  Jahresberichten). 

43.  Benton  (1878),  Congenital  Irideremia  of  both  eyes.  Brit. 
med.  Journal,  July  (citirt  nach  den  Jahresberichten). 

44.  Bainsford  (1878),  Congenital  Irideremia  of  both  eyes: 
Ibidem  Sept.  (citirt  nach  den  Jahresberichten). 

45.  Galezowski  (1880),  Irideremie  oü  absence  de  Tiris  etc. 
Recueil  d'Ophtalmologie  S.  122. 

46.  Heuner  (1880),  Die  Irideremie  oder  der  angeborene  Man- 
gel der  Iris.    Inaug.-Diss.  Wttrzburg. 

47.  V.  Becker  (1881),  Et  Fall  of  congen.  Irideremie.  Fins- 
lack  Bd.  XII,  S.  434  (citirt  nach  den  Jahresberichten). 

48.  Harlan  (1882),  Five  cases  of  congenital  irideremia.  Boston 
med.  and  surg.  Joum.  (citirt  nach  den  Jahresberichten). 

49.  Yossius  (1883),  Congenitale  Anomalieen  der  Iris.  Elin. 
Monatsblätter  S.  233. 

50.  Van  Duyse  (1884),  Aniridie  double  cong^nitale  avec  d6- 
placement  des  cristallins.  Ann.  de  la  Soc.  de  med.  de  Oau 
d.  7.  October  (citirt  nach  dem  Archiv  für  A.  von  Enapp 
und  Schweigger). 

51.  Czapodi  (1855),  Aniridia  congenita.  Szem^szet  HI,  S.  57 
(citirt  nach  den  Jahresberichten). 


fieitr.  z.  Eatstehungsgesch.  der  angeb.  Missbildongen  des  Auges.  251 

52.  Ottava  (1885),  Irideremia  c.  ectopia  lentis.  Szem^szet 
y,  S.  12  (citirt  nach  den  Jahresberichten). 

53.  Eales  (1885),  Brit  medic.  Joarn.  14.  März  (citirt  nach 
dem  Centralbl.  f.  p.  A.). 

54.  Lawrentjeff  (1886),  Zur  Frage  der  congenitalen  Ano- 
malien der  Iris.  Centralbl.  für  prakt  Augenheilkunde  von 
Hirschberg. 

55.  De  Benedetti  (1886),  Irideremia  totale  congenita  etc. 
Annali  di  Ottalmologia  S.  184  und  399. 

56.  Nicolini  (1887),  Irideremia  congenita  totale  bilaterale  etc. 
BuilL  d'OcuL  Bd.  IX,  10—11,  S.  73  (cit  n.  d.  Jahresber.). 

57.  Felser  (1888),  Aniridia  utriusque  oculi  completa  conge- 
nita.   Klin.  Monatsbl.  für  A.  S.  296. 

58.  Theobald  (1888),  A  case  of  double  congenital  Irideremia 
etc.    Transactions  of  the  American  Ophth.  Soc.  v.  19.  Juli. 

59.  Hirschberg  (1888),  Angeborener  Irismangel  mit  späterer 
Linsenverschiebung  wie  Trübung  und  Drucksteigerung.  Gen- 
tralbL  für  prakt  A.  S.  13. 

60.  Tokkus  (1888),  Ueber  Irideremia  totalis  congenita.  Inaug.- 
Diss.  Strassburg  (citirt  nach  den  Jahresberichten). 

61.  Herrenheiser  (1889),  Zwei  Fälle  von  Aniridia  congenita. 
Wien.  klin.  Wochenschrift  Nr.  6,  S.  118  (citirt  nach  den 
Jahresberichten). 

62.  Franke  (1889),  Fall  ton  partieller  Irideremie.  Klinische 
MonatsU.  f.  A.  S.  13. 

63.  Grünsberg  (1890),  Zur  Casuistik  der  angeborenen  Iris- 
anomalien«  Elin.  Monatsbl.  f.  A.  S.  181. 

64.  Lembeck  (1890),  Ueber  die  pathologische  Anatomie  der 
Irideremia  totalis  congenita.   Inaug.-Diss.  Halle. 


252    O.  BindflelBcb,  Beiträge  nr  Entstehmigageschichte  etc. 

Erklärung  der  Figuren  auf  Tafel  vn  und  vm, 
zu  dem  Falle  Ton  angeborenem  Irismangel  gehörig. 


Fig.  1.    Bulbiu  Ton  vorn  gesehen  in  natürlicher  Grösse  (halbsche- 
matisch). 

Fig.  2.    Sagittalschnitt  dnrch  denselben  Bulbus  in  filnfifacher  Ter- 
grOsserong. 

S  Leicht  abgeplattetes  Gebiet  der  Homhantoberfl&che. 

F  £inziehangen  an  der  Hinterflache. 

R  und  B^  Ringforche  der  Homhant 

J  und  J^  Iris-Radiment 

K  Abgelöstes  Stack  der  Linsenkapsel. 

Ca  Cataracta  polaris  anterior. 

Cp  Cataracta  polaris  posterior. 

E  nnd  E^  Einriehongen  des  Bulbus. 

Fig.  3.   Gegend  der  Drasen  der  Descemetischen  Membran  in  sechs- 
hundertfacher  Yergrösserang. 
Dr  Drasen. 
E  Epithel. 

BM  Bowman*8chen  Membran. 
P  Parenchym  der  Homhaat 

Fig.  4.   Schnitt  ans  dem  Perforationsgebiet  der  Hornhaut  in  rierzig- 
facher  Yergrösserang. 

Es  Epithelschicht  der  Hornhaut. 

O  Gefikss. 

Oü  Mit  dem  Circ.  venosus  in  Yerbindung  stehende  vordere 

Cillanrene. 
P  Perforationsstelle  der  Sclera, 
Kio  Kammerwinkel. 

Z  Gerinnsel  zwischen  Iris  und  Homhaat 
E  Eiiudehung  der  Iris. 
K  Abgelöste  Linsenkapsel. 


Eine  eigenthflmliche  oberflächliche  Nenbildnng 
der  Cornea. 

Von 

Dr.  Eduard  Zirm, 
I.  Assistenten  an  der  I.  Augenklinik  in  Wien. 

ffierza  Taf.  IX,  Fig.  1—3. 


Der  folgende  Fall  scheint  mir  sowohl  in  Bezug  auf  den 
Krankheitsrerlauf,  als  auch  die  Eigenartigkeit  des  Erank- 
heitsbildes  und  des  histologischen  BeAindes  genügend  inter- 
essante Details  zu  enthalten,  welche  seine  Mittheilung  recht- 
fertigen. 

Die  15jährige  Marie  B.  stellte  sich  am  8.  April  d.  J.  im 
klinischen  Ambulatorium  vor,  von  Herrn  Regierungsrath  Dr. 
Illing  in  Troppau  gesendet. 

Sie  ist  ein  fttr  ihr  Alter  ziemlich  gut  entwickeltes,  etwas 
blasses  Mädchen.  Es  bestehen  keine  geschwollenen  Lymphdrü- 
sen, die  Zähne  sind  gut  gebildet;  es  sind  überhaupt  keinerlei 
Merkmale  irgend  welcher  Erkrankung  vorhanden,  bis  auf  den 
Befund  auf  dem  linken  Auge. 

Dasselbe  ist  ohne  Ii^ection;  nach  abwärts  vom  Centrum 
der  Hornhaut  besteht  eine  im  Umkreise  runde,  etwa  Unsen- 
grosse  Trübung,  welche  das  Hornhautniveau  um  etwa  einen 
Millimeter  überragt  und  eine  exquisit  sulzig  durchschei- 
nende graue  Farbe  darbietet.  Ihr  entsprechend  ist  die  Ober- 
fläche sehr  uneben.  Innerhalb  dieser  trüben  Auflagerung  treten 
etwa  zwanzig  stecknadelstichgrosse  etwas  hellere  und  saturirtere 
Punkte  hervor,  die  sich  weder  mit  der  Hartnack'schen  Eugel- 
lupe,   noch  mit  der  Zehender'schen  binoculären  Lupe  weiter 


254  £•  Zirm. 

zerlegen  lassen.  Sie  besitzen  keine  ganz  scharfen  Orenzen.  Es 
hat  nicht  den  Anschein,  als  ob  diese  trabe  Schicht  sich  tiefer 
in  das  Gomealgefüge  hinein  erstreckte.  Ihr  oberer  steiler  and 
etwas  gewnlsteter  Rand  ist  scharf  gegen  das  umgebende  un- 
veränderte Comealgewebe  abgegrenzt.  Gegen  den  unteren  Lim- 
bus  ist  die  Orenze  weniger  markirt  Die  Begrenzungslinie 
zeigt  mehrfache  Ein-  und  Ausbiegungen.  Gefösse  lassen  sich 
auch  mit  der  Lupe  nicht  wahrnehmen.  Die  untere  Homhaut- 
hälfte  ist  ein  wenig  vorgewölbt  Der  untere  Limbus  ist  etwas 
aufgeworfen  und  von  kleinen  hellgrauen  nicht  scharf  umgrenz- 
ten Knötchen  durchsetzt.  Sowohl  durch  ihre  Erhebung  über 
das  Hornhautniveau,  als  auch  durch  ihren  steilen  scharfionarkir- 
ten  Rand  macht  die  Wucherung  auf  den  ersten  Anblick  einen 
neoplasmaartigen  Eindruck. 

Die  vordere  Kammer  ist  deutlich  vertieft,  die  Regenbogen- 
haut verfärbt  und  aufgelockert,  insbesondere  im  äusseren  un- 
teren Quadranten.  Die  Pupille  ist  etwas  weiter,  reagirt  träge. 
Die  Tension  etwas  vermehrt,  die  Sclera  ftihlt  sich  rigider  an 
und  ist  im  vordersten  Abschnitt  etwas  bläulich  durchscheinend. 
Der  Augenhintergrund  ist  normal,  es  besteht  keine  Excavation 
der  Papille. 

Das  rechte  Auge  ist  normal. 

Interessant  ist  die  Vorgeschichte  dieses  Falles,  welche  ich 
den  sehr  genauen  Mittheilungen  des  Herrn  Regiernngsrathes 
Dr.  lUing  verdanke,  welcher  die  Kranke  seit  October  1889 
beobachtet  hat  Ich  will  jene  mit  Illing's  eigenen  Worten  hier 
wiedergeben. 

„Die  Erkrankung  des  Auges  soll  am  27.  September  1889 
plötzlich  unter  Thränenfluss  und  heftigen  Schmerzen  begonnen 
haben.  Als  ich  am  20.  October  die  Kranke  sah,  machte  es 
den  Eindruck  eines  entzündeten  herpetischen  Knotens.  Am 
12.  Januar  1890,  als  sie  wieder  zur  Untersuchung  kam,  zeigte 
sich  an  der  Stelle  der  jetzigen  Wucherung  eine  Trübung  der 
Cornea  und  ein  auf  dieselbe  hinziehendes  Oefässbündel.  Man 
sagte  mir  damals,  es  dürfte  das  Ganze  eine  Anätzung  durch 
Calomel  sein  (?),  das  von  einem  Gollegen  in  den- unteren  Binde- 
hautsack inspergirt  worden  war.  Die  gleich  anfangs  wahr- 
nehmbare leichte  Elevation  der  trüben  Stelle  über  dem  be- 
nachbarten Comealgewebe  wurde  immer  deutlicher,  so  dass  das 
Ganze  eine  opake  Auflagerung  mit  ungleichmässig  zackigen 
Rändern  bei  scharfer  Abgrenzung  gegen  die  Umgebung  dai^ 


Eine  eigenthümliche  oberflächliche  Neabildang  der  Cornea.   255 

stellte.  Sehr  häufig  schössen  am  Bande  oder  aach  auf  der 
Fläche  der  trüben  Partie  wasserhelle  vom  abgehobenen 
Epithel  gebildete  Blasen  auf,  die  ich  theils  zerstörte,  theils 
Ton  selbst  bersten  liess.  Die  dadorch  entstandenen  Exfolia- 
tionen Hessen  immer  durchsichtiges  Comealgewebe  durch- 
schimmern. Die  Trübung  bot  nie  das  Aussehen  einer  Narbe, 
sondern  immer  das  einer  rauhen  opaken  Wucherung,  die  ich 
zweimal  mit  der  glühenden  Platinnadel  zerstörte,  worauf  durch 
einige  Zeit  eine  Beduction  der  Trübung  auftrat,  um  immer 
wieder  sich  anzubilden.  Langsam,  sehr  langsam  kroch 
dieselbe  gegen  die  Pupille  zu.  Erst  seit  Januar  bemerkte 
ich,  dass  sich  die  untere  Hälfte  der  Cornea  mehr  vorwölbte, 
die  Kammer  tiefer,  die  Iris  gelockerter  wurde "• 

Am  8.  April  1891  wurde  auf  der  Klinik  die  hervorra* 
gende  Partie  in  mehreren  Stückchen  mit  dem  Oraefe'schen 
Staarmesser  abgetragen,  hierauf  die  ganze  Stelle  mit  einem 
scharfen  Löffel  abgeschabt    Verband. 

Am  darauffolgenden  Tage  war  der  Augapfel  kaum  injicirt; 
an  der  Stelle  der  Auflagerung  bestand  eine  geglättete,  leicht 
graue  Trübung,  welche  nicht  mehr  prominirte.  Der  gegen  die 
Pupille  gelegene  Band  war  wie  zuvor  scharf  abgegrenzt  und 
ein  wenig  vorragend.  Den  unteren  Homhautrand  überschritt 
ein  zartes  oberflächliches  Gefäss. 

Nach  der  Bückkehr  der  Patientin  in  ihre  Heimath  hatte 
sich  nach  der  brieflichen  Mittheilung  des  Herrn  Dr.  Illing 
am  inneren  Bande  der  abgeschabten  Stelle  neuerdings  eine 
grosse  Blase  gebildet,  die  bald  wieder  verschwand. 

Während  der  ganzen  über  1^,  jährigen  Krankheitsdauer 
hatte  die  Kranke  innerlich  reichlich  Leberthran  und  Eisen  ge- 
nommen; am  kranken  Auge  waren  Atropin,  Calomel,  Präcipi- 
tatssalbe,  Opiumtinctur,  Ferrum  candens,  Eserin  jeweilig  in 
Anwendung  gezogen  worden  —  Alles  ohne  ersichtlichen  Erfolg. 

Die  excidirten  Gewebsstückchen  wurden  der  mikrosko- 
pischen Untersuchung  unterzogen. 

Aus  dem  einen  Stückchen  wurde  sofort  ein  Präparat  auf 
Tuberkelbacillen  angefertigt,  mit  negativem  Besultat;  ein 
anderes  zu  einem  frischen  Zupfpräparat  verwendet,  die  übrigen 
sogleich  in  Müller'scher  Flüssigkeit  durch  vier  Tage  erhärtet, 
nach  sorgfältiger  Ausspülung  in  destillirtem  Wasser  in  Alkohol 
nachgehärtet  Die  gehärteten  Stückchen  wurden  theils  in 
Grenacher's  Hämatoxylin,  theils  in  Cochenillealaun  in  toto  ge- 
erbt und  in  Celloidin,  andere  in  Paraffin  eingebettet  zu  Serien- 


256  E.  Zirm. 

scbnitten  yerarbeitet.  Das  Zupfpräparat  ergab  eine  grosse 
Menge  meist  junger  Epithelzellen. 

Die  Schnitte  zeigen  eine  nngleichmässig  dicke  Lage  der 
Epithelzellen.  Fast  überall  ist  die  Mächtigkeit  des  Epithel- 
zellenlagers grösser  als  bei  der  normalen  Cornea.  Es  schwankt 
dieselbe  zwischen  83 /ei  (6  —  8  fache  Zellenlage)  und  250  fi 
(18 — 20 fache  Zellenschicht).  Das  Epithel  senkt  sich  mit  bald 
breiteren,  bald  schmäleren  Zapfen  in  das  darunter  be- 
findliche Gewebe  hinein  (Figur  1,3).  Diese  Epithelzapfen  sind 
immer  von  rundlicher  und  vollkommen  scharfer  Umgrenzung. 
In  Bezug  auf  ihre  Form  gleichen  die  einzelnen  Epithelien  toII- 
kommen  denen  der  normalen  Hornhaut  In  den  tieferen  Schich- 
ten finden  sich  cylindrische  bis  cubische  Zellen,  die  oberfläch- 
lichen sind  platt  und  stärker  verhornt  An  jenen  Schnitten, 
wo  das  Epithel  in  sehr  zahlreichen  Lagen  aufgeschichtet  ist, 
hat  die  Mehrzahl  der  Zellen  eine  runde  bis  ovale  Form.  Aber 
nicht  allein  in  der  Form  von  Zapfen  senkt  sich  das  Epithel 
in  seine  Unterlage  ein,  sondern  wo  ^iele  Zellschichten  über- 
einander liegen,  entstehen  auch  Höcker,  welche  den  Contour 
der  Oberfläche  überragen.  Nirgends  sieht  man  deutliche 
Stachelzellen. 

Während  eine  grosse  Zahl  der  Epithelzellen  von  dem  Aus- 
sehen normaler  Homhautepithelien  nicht  abweicht,  zeigen  an- 
dere eine  trübe  Beschaffenheit  ihres  Protoplamas  und  oft 
unmittelbar  am  Kern  kleine  rundliche  Hohlräume,  welche 
dem  einen  Pol  des  letzteren  kappenförmig  aufsitzen  (Figur  2, 
bei  b).  Ja  sogar  innerhalb  der  grossen  Zellkerne  sind  mitunter 
helle  rundliche  Fleckchen  bemerkbar,  die  den  Eindruck  kleiner 
Bläschen  machen. 

Noch  aufüBÜlender  ist  eine  sehr  erhebliche  Erweiterung 
der  Intercellularräume  auf  sämmtlichen  Schnitten.  Die- 
selben treten  als  ziemlich  breite  helle,  farblos  gebliebene  Linien 
zwischen  den  Zellen  aller  Schichten  hervor.  Dadurch  entsteht 
ein  sehr  in  die  Augen  fallendes,  die  einzelnen  Zellen  einschlies- 
sendes,  zusammenhängendes  Netzwerk;  an  vielen  Stellen 
sind  die  Maschen  desselben  zu  grösseren  rundlichen  oder 
elliptischen  Lücken  erweitert  (Figur  1).  Schräge  Schnitte 
zeigen  an  der  basalen  Seite  der  untersten  Zellen  eine  honig- 
wabenartige Anhäufung  dieser  Substanz,  indem  diese  die  Basen 
der  Zellen  hier  eierbecherartig  nmgiebt  (Fig.  2,  bei  c). 

Unter  der  obersten  Zellschicht  erweitem  sich  auf  fast 
allen  Schnitten  die  zwischen  den  Zellen  gelegenen  Spalten  zu 


Eine  eigenthümlicbe  oberflächliche  Neubildang  der  Cornea.    257 

cystoiden  Räamen.  Die  über  denselben  gelegenen  Zellen 
sind  ganz  besonders  stark  abgeplattet  und  in  die  Länge  aas- 
gezogen. Die  grösseren  dieser  Hohlräume  sind  offenbar  durch 
das  Zusammenfliessen  mehrerer  kleinerer  zu  einem  Bläschen 
entstanden.  Zuweilen  ist  auch  durch  eine  in  die  Länge  gezo- 
gene platte  Zelle  ein  solcher  Hohlraum  noch  in  zwei  Kam- 
mern getheilt  (Figur  1).  Auch  zwischen  tieferen  Zellschichten 
finden  sich  derartige  Hohlräume.  Auf  den  Schnitten  sind  die- 
selben eingesunken,  leer,  indem  sie  als  Ueberrest  der  hier  im 
Leben  angesammelten  Flüssigkeit  eine  aus  derselben  bei  der 
Härtung  ausgefällte  feingranulirte  Masse  enthalten,  welche  der 
Innenwand  des  Bläschens  anhaftet.  Dieselbe  feine  Körnung 
zeigt  auch  stellenweise  die  Intercellularsubstanz  der  tieferen 
Zellschichten. 

Die  so  beschaffenen  Zellschichten  sitzen  unmittelbar  auf 
einem  feinfaserigen  Gewebe  auf,  das  eine  sehr  unregel- 
mässige Oberfläche  gegen  das  Epithel  zu  besitzt.  Die  in  das- 
selbe eindringenden  Epithelzapfen  werdeü  von  concentrischen 
Faserbflndeln  umgeben.  An  den  übrigen  Stellen  ist  der  Ver- 
lauf der  Fasern  viel  unregelmässiger;  in  vielfach  wellenförmi- 
gen Zü^en  laufen  sie  durcheinander.  Die  Grenzen  gegenüber 
den  untersten  Epithelien  sind  überall  vollkommen  scharf. 
Ziemlich  spärliche  spindelförmige  und  ovale  Zellen  mit  gros- 
sen Kernen  durchsetzen  dieses  Gewebe;  die  längeren  Axen  der 
Zellen  sind  im  Sinne  der  Faserung  gerichtet. 

Nirgends  sind  Gefässe  sichtbar. 

Mehrfach  bestehen  Nester  von  dicht  aneinander  grup- 
pirten  runden  Zellen  dicht  unter  der  Epithelschicht  (Fig.  3, 
bei  a). 

Nirgends  ist  auch  nur  eine  Spur  der  Bowman' sehen 
Haut  zu  entdecken,  indem  überall  das  Epithel  unmittelbar  an 
die  Bindegewebsschicht  grenzt  Während  die  letztere  an  man- 
chen Stellen  eine  ziemlich  feste  Structur  zeigt,  erscheint  sie 
an  anderen  als  ein  lockeres  Gefüge.  Das  Gewebe  erscheint 
hier  wie  canalisirt,  indem  es  von  feinen  hellen  Spalten  durch- 
zogen wird,  die  im  Sinne  der  Faserung  verlaufen  und  als  ein 
netzartiges  System  von  hellen  zusammenhängenden 
Linien  zwischen  den  Faserzügen  deutlich  hervortreten.  Die- 
selben anastomosiren  mit  den  Intercellularspalten  der 
tiefen  Epithelienschichten. 

Leider  enthält  keiner  der  Schnitte  den  Uebergang  ins 
normale  Cornealgewebe. 

T.  Graefe'8  Archly  fDr  Ophthalmologie.  XXXVII.  3.  17 


258  £•  Zinn. 

Es  besteht  demnach  die  neagebfldete  Schicht  ans  zweier- 
lei Elementen,  hypertrophirtem  kernarmem  Bindege- 
webe nnd  über  dessen  höckeriger  Oberfläche  in  mehr  oder 
weniger  zahlreichen  Schichten  hinüberziehendem,  mannig- 
fache Veränderungen  aufweisendem  Epithel  Auffallend 
ist  in  beiden  Antheilea  das  zwischen  den  Faserzfigen  einer- 
seits, den  Zellen  anderseits  sich  erstreckende  System  yon 
feinem  Spalten,  die  an  den  Präparaten  zum  Theil  leer, 
zum  Theil  yon  den  coagulirten  Besten  der  hier  im  Leben 
Angesammelten  Flüssigkeit  erfüllt  eu  sein  scheinen.  Dies 
giebt  dem  Ga&zoi  den  Charakter  eines  ödematösen  Ge- 
füge s.  Diese  Vermehrung  der  Zwischensubstanz  zwischen 
den  Epithelzellen  führte  in  den  obersten  Schichten  häufig 
zur  Blasenbildung,  weil  eben  hier  die  Gewebsspannung 
die  geringste  ist.  Vielleicht  darf  auch  die  VacuolenlMldiiag 
in  einzelnen  trüberen  Zellen  als  eine  Theilerscheinnng  des 
Oedems  der  ganzen  Epitheldedce  gedeutet  werden. 

Durch  diese  anatomischen  Verhältnisse  ist  die  Erklä- 
rung gegeben  für  die  Entstehung  der  während  des  Krank- 
heitsverlaufes so  häufig  zur  Beobachtung  gekomm^ien  epi- 
thelialen, oft  sehr  umfangreichen  Blasen,  sowie  für  das  sul- 
zig durchscheinende  Aussehen  der  ganzen  Neubildung. 

Die  Veränderungen  des  Epithels  stehen  hierbei  offen- 
bar im  Vordergrund. 

Die  innerhalb  der  Trübung  bemerkbar  gewesenen  hel- 
len Punkte  sind  wohl  durch  die  Rundzellenhaufen  unter- 
halb des  Epithels  veranlasst  worden,  vielleicht  auch  durch 
die  stellenweise  höckerartige  Verdickung  der  Epithelschicht. 

Ob  es  sich  bei  dem  ganzen  Prooesse  um  ein  reines 
Oedem  handelt  oder  um  eine  Verflüssigung  der  Interoellu- 
larsubstanz  lässt  sich  wohl  nicht  entscheiden. 

Ebenso  stosst  die  Beantwortung  der  Frage,  was  von 
der  Entstehungsart  der  ganzen  Bildung  zu  halten  sei, 
auf  Schwierigkeiten. 

Der  über  mehr  als  l^s  Jahre  sich  erstreckende  Ver- 


Eine  eigentkümliche  oberfläckliche  Neabüdung  der  Ck)rnea.   259 

lauf,  das  gaaae  Erankheitsbild,  insbesondere  die  Prominenz 
der  Wucherung  üb^  die  Homhautfläche  und  Aer  steil  ab- 
fallende scharf  umsdmebene  Band  sprediBi  für  den  Cha- 
rakter der  Auflagerung  im  Sinne  einer  unter  d^oa  Epithel 
durch  allmäliges  Wachsthum  entstandenen  Neubil- 
dung, etwa  als  das  Product  einer  chronischen  Ent- 
zündung. 

Eine  wesentliche  Rolle  spielt  hierbei  jedenfalls  das 
Epithel 

Um  dies  unzweifelhaft  zu  erweisen,  müssten  die  Schnitte 
den  Uebergaaig  in  das  normale  Gornealgewebe  erkennen 
lassen.  Die  tiefsten  Partien  desselben  schliessen  aber  überall 
mit  dem  laserigen  Oewebe  ab,  weil  nur  dünne  Plättchen 
für  die  histologische  Untersuchung  vorhanden  waren. 

Dennoch  muss  auch  noch  eine  zweite  Möglichkeit  der 
Entstehung  in  Erwägung  gezogen  werden,  dass  die  bespro- 
chene Wucherung  nämlich  nach  vorausgegangener  geschwü- 
riger Zerstörung  von  Gornealgewebe  einschliesslich  der  Mem- 
brana Bowmani  aus  jenes  ^bstituirendem  Narbengewebe 
hervorgegangen  sei 

Indess  berichtet  Herr  Dr.  Illing  ausdrücklich,  dass 
niemals  ein  Homhautgeschwür  bestanden  hat. 

Nebst  diesem  und  den  oben  angegebenen  Momenten 
spricht  auch  der  histologische  Befund  mehr  gegen  letztere 
Annahme. 

Das  Bindegewebe  in  dem  in  Rede  stehenden  Processe 
ist  feinfaseriger,  lockerer,  der  Verlauf  der  Faserzüge  um 
die  Epithelgrenzen  ist  ein  anderer,  als  man  dies  bei  Hom- 
hautnarben  gewöhnlich  sieht. 

Auch  die  geschilderten  Veränderungen  im  Epithel  sind, 
die  Beobachtungen  Gzermak's  ausgenommen,  in  Homhaut- 
narben  nicht  beobachtet  worden.  Die  Veränderungen,  die 
Gzermak  in  den  vor  Hornhautfisteln  gelegenen  Partieen 
des  Epithels  beschrieben  hat^),  haben  zwar  mit  dem  obigen 

*)  Siehe  dieses  Archiv  XXXVI,  2,  S.  163  u.  f. 

17* 


260    £•  Zinn,  Eine  eigenthümllche  oberflächliche  Neabildung  etc. 

Zustande  der  Epithelieu  eiue  gewisse  Aehnlichkeit,  sind  je- 
doch zweifellos  Ton  ganz  anderer  Bedeutung,  indem  sie 
dort  durch  eine  Art  von  Filtration  von  Kammerwasser  aus 
dem  beschriebenen,  hinter  dem  Epithel  gelegenen  cystoiden 
Hohlräume  des  Fistelganges  entstanden  sein  dürften. 

Der  Mangel  von  Gefassen  scheint  mir  mit  dem  über- 
aus langsamen  Wachsthum  der  Neubildung  im  Einklänge 
zu  stehen.  Es  ist  ja  ganz  gut  denkbar,  dass  ein  so  lang- 
sam fortschreitender  Process  im  Gegensatze  zu  mehr  acu- 
ten, in  kürzerer  Frist  verlaufenden  ebenso  wie  die  physio- 
logischen Vorgänge  der  normalen  Cornea  nicht  der  directen 
Vermittlung  von  Blutgefässen  bedarf. 

Zum  Schlüsse  will  ich  noch  anführen,  dass  ich  einen 
ähnlichen  Befund  in  der  Literatur  nicht  habe  auffinden 
können. 


Erklärung  der  Figuren  auf  Tafel  IX. 

Fig.  1. 
Ocular  4,  Objectiv  8,  Hartnack,  senkrechter  Schnitt. 

Fig.  2. 

Ocular  4,  Objectiv  7,  Hartnack, 

schiefer  Schnitt  darch  das  eingerollte  Epithel. 

•    Fig.  3. 
Ocular  4,  Objectiv  7,  Hartnack, 
flacher  Schnitt,  zur  Homhautfläche  parallel. 


Eine  Bemerkung  über  den  Helligkeitssinn, 

veranlasst  durch  die 
Abhandlung  Treitel's  in  den  letzten  Heften  dieses  Archivs. 

Von 
J.  Bjerrum  in  Kopenhagen. 


In  einer  interessanten  Abhandlung  in  den  letzten  Ab- 
theilungen dieses  Archivs  hat  Herr  Dr.  Treitel  ein  Paar 
frühere  Arbeiten  von  mir,  namentlich  eine  im  XXX.  Bande 
(1884)  dieses  Archivs  aufgenommene,  besprochen. 

Es  wäre  für  mich  Veranlassung,  einige  Bemerkungen 
zu  machen  mit  Bücksicht  auf  Treitel's  Auffassung  und 
Besprechung  mehrerer  meiner  Aeusserungen,  aber  nur  einen 
einzelnen,  bedeutenderen  Punkt  werde  ich  hier  berühren. 

Herr  Treitel  prädsirt.  mehrmals,  u.  a.  am  Schlüsse 
seiner  Abhandlung,  dass  „die  Unterschiedsempfindlichkeit 
bei  jeder  Art  der  Amblyopie  herabgesetzt  wird" 

Dies  ist  sowohl  richtig  als  nicht  richtig.  Es  kommt 
darauf  an,  wie  man  die  Unterschiedsempfindlichkeit  unter- 
sucht Benutzt  man  Objecte  mit  verhältnissmässig  grossem 
Gesichtswinkel,  wie  bei  meinen,  von  Treitel  besprochenen 
Untersuchungen,  dann  ist  der  citirte'  Satz  nicht  richtig; 
dann  kann  die  Unterschiedsempfindlichkeit  trotz  nicht  un- 
bedeutender Amblyopie  sich  normal  zeigen,  und  kann  ande- 
rerseits in  anderen  Fällen  trotz  normaler  Sehschärfe  herab- 
gesetzt sein.  Wird  die  Untersuchung  dagegen  bei  hinläng- 
lich kleinem  Gesichtswinkel  unternommen,  dann  zeigt  sich 
die  Unterschiedsempfindlichkeit,  wenn  die  Sehschärfe  herab- 
gesetzt ist,  immer  kleiner  als  normal.  Diese  Verhältnisse 
habe  ich  näher  discutirt  und  durch  Krankengeschichten  er- 
läutert in  einer  Abhandlung,  die  im  Anfange  1888  erschie- 
nen ist   (Bemerkungen  über  Herabsetzung  der  Sehschärfe 


262    J-  Bjerram,  Eine  Bemerkung  über  den  Helligkeitssinn. 

nebst  klinischen  Beobachtungen  über  das  Verhältniss  zwi* 
sehen  Sehschärfe,  Helligkeitssinn  und  Farbensinn,  Nord, 
ophthalm.  tidsakrift»  L  Bd.),  die  aber  Herrn  Treitel  offen- 
bar nur  in  —  vielleicht  weniger  guten  —  Referaten  zu- 
gänglich gewesen  ist.  Ich  spreche  da  aus:  „Die  Bestim- 
mung der  Sehschärfe  bei  erworbenen  Sehleiden  ist  an  und 
für  sich  zugleich  eine  Bestimmung  davon,  ob  der  Hellig- 
keitssinn bei  minimalem  Gesichtswinkel  normal  sei 
oder  nicht" 

Büdcsichtlich  des  VerhältnisseB  zwisohen  der  Reiz- 
schwelle und  der  UnterschiedBschweUe  ist  der  Unterschied 
zwischen  Treitel  und  mir,  so  viel  ich  sdien  kann,  im 
Wesentlichen  rein  formeller  Natur  (von  dem  Einflüsse  der 
Anwendung  von  Objecten  mit  verschiedenem  Gesichtswinkel 
auf  unsere  Resultate  abgesehen).  Eben  ich  habe  immer 
die  Definition  des  Lichtsinnes  als  die  Fähigkeit  HelU^criten 
zu  unterscheiden  scharf  festgehalten  (habe  darmn  auch 
das  Wort  Helligkeitssinn  dem  Worte  Lichtsinn  vorgezogen)» 
und  ich  halte  es  freilich  für  berechtigt,  von  einem  Indivi- 
duum, dessen  Reizschwelle  vergrössert  ist,  zu  sagen,  dass 
seine  Fähigkeit  schwache  Helligkeiten  zu  unterscheiden 
herabgesetzt  ist;  um  so  mehr  als  gewiss  nicht  allein  seine 
Reizschwelle,  sondern  immer  auch  sdne  Untersdiiedsschwelle 
bei  gewissen,  fiber  der  R^schwelle  liegenden,  kleinen  Hel- 
ligkeiten vergrössert  ist  Ich  name  die  Reizschwelle  ver^ 
grössert,  falls  sie  sich  nach  viertel-  bis  einstündiger  Adap- 
tation wesentlidi  grösser  zeigt  als  die  eines  Normalen  nach 
derselben  Adaptationszeit.  Ob  diese  Vergrösserung  der 
Reizschwelle  allein  auf  einer  Störung  des  Adaptationspro- 
cesses  oder  (zugleich)  auf  etwas  Anderem  beruhe,  ist  eine 
Frage  für  sich,  deren  Beantwortung  die  Richtigkeit  meiner» 
von  Treitel  angegriffenen  Aeusserungeii  über  Reizschwelle 
und  Unterschiedsschwelle  nicht  verändern  kann;  zwischen 
Störung  des  Helligkeitssinnes  und  Störung  der  Adaptation 
giebt  es  keinen  l(^schen  Gegensatz. 


Anmerkung 

zn  meiner  in  der  IL  Abtheilung  dieses  Bandes 

TeröffentUchten  Mittheilung 

„Ueber  SehnerTenveränderung  bei  hochgradiger 

Sclerose  der  Gehirnarterien". 

Von 

Dr.  St.  Bernheimer, 
Privatdocenten  in  Heidelberg. 


Nachträglich  erfahre  ich,  dass  ich  bei  Durchsicht  der 
Literatur,  in  J.  Michel's  Arbeit  „Das  Verhalten  des  Auges 
bei  Störungen  im  Girculationsgebiet  der  Carotis^'  (Beiträge 
zur  Ophth.,  als  Festgabe  für  Fr.  Horner,  1881)  auf  Seite  50 
die  kurze  Erwähnung  zweier  Fälle  leider  übersehen  habe, 
wovon  besonders  einer  in  gewissem  Sinne  mit  meiner  Beob- 
achtung Aehnlichkeit  hat.  Freilich  handelt  es  sich  dabei 
um  keine  Formveränderung  (Zweitheilung)  des  Sehnerven, 
ohne  eigentliche  Beeinträchtigung  seiner  histologischen  Be- 
schaffenheit, sondern  in  dem  einen  Falle  um  eine  „ca.  ein 
Drittel  der  Breite  des  Querschnittes''  einnehmende,  binde- 
gewebige Atrophie  des  Sehnerven,  bedingt  durch  ein  klei- 
nes sacciformes  Aneurysma  der  linken  Carotis  interna.  Trotz- 
dem soll  während  des  Lebens  keine  Sehstörung  bekannt 
geworden  sein. 

Bei  dem  anderen  an  dieser  Stelle  erwähnten  und  in 
diesem  Archiv  XXIII,  2,  S.  220  veröffentlichten  Falle  hatte 


264  St.  Bernheimer,  Anmerkung. 

das  doppelseitige  Aneurysma  der  Car.  int.  eine  gleichfalls 
doppelseitige  Stauungspapille  hervorgerufen. 

Ich  wollte  nicht  versäumen,  diese  beiden  Beobachtun- 
gen Michel's,  welche  mit  den  meinigen  gewiss  nicht  iden- 
tisch sind,  aber  wegen  des  ähnlichen  ätiologischen  Momen- 
tes doch,  hierher  gehören,  nachträglich  zu  erwähnen. 


Druck  Ton  POschel  &  Trepte  In  Leipdg. 


V.  Gr-aefes  Archiv  Bd.IXXllf.  3. 


r«jF  « 


%J. 


t*^'  '  '^ 


ViJlLRnii..l 


raflL 


%  :^. 


v 


y 


r 


V.  Gmgfe^AnhtuBiLXXXnLr 


I 


fig-7. 


i. 


-^■^-v^^r^^^-" 


'->^  £^;>r^ 


-->£---- — "-*'^^~'  *^;tf^%^  '^*;^'.--  "^-^ 


\ 


^.w -^ — 


lar.ii. 


FU^S 


X 


^.^ 


%*• 


% 


f^\ 


ß 


p.  GraeTe'sÄrchiD  lid.  XYXW/..3. 


Ta/:m. 


Fij 


r.l. 


^r  .- 


'ö*^^*«4j^i'ifeTi'/ 


r 


^-.^       n  '>, 


^      -^     ^> 


^V 


o 


?:;-/r 


^    ,       s_      --'- 


/^y.j. 


I 


>%. 


N    • 


Gnuefe'H  Archw  Bd.  11X111.3. 

FUf.l 


oben 


aussen 


unten 

Fig.2. 

3 

1 

i 

a            fig3. 

1^  &^ 

m?^ 

\ 

p 

c 


m^ 


FiffA 


C 


^     £<VW 


ruf: 


Fiffl 


..«Mt^ 


y 


b 


,#»-'         c 

d 


^"-  ~  ?^: 


^^Q 


Fiß.6. 


^r^j^ 


%.Z 


Iniamt  Tii  i.en):;i'T 


^rmft's .  inha '  BcL  XXXVK 


,1 


i    r , 


■^ 


.  1 


•^\ 


FUj.9. 


V 


/•'^./ß 


/tV/i/. 


i-ig.lt. 


-:.  -'^-  :-_-^--^^l-5^-;.i^>^^-  i 


A/. 


.  WiUiJ 


Fig.13. 


r.,, 


--  '~-^;^- 


C^jiÜR.rr 


FigJ2. 


-^>" 


A    ^'>' 
*. 


(^ 


-ft.Ä;i«»^-*il 


1 


Fi(f.m. 


«fe- 


mann  ;  i.  .:c:  rf 


■acß-s Anhir  Bd.  XXXVIE 


\. '  ■■ 


\    ^  . 


.•"-■■  ""^X 


Fuj.9. 


r^ 


'^  '--^^^P 
-/^-    ^ 


Fig.lO. 


Figlh 


Fig.lt. 


•«$ 


'^J-^i^M^^^:'^^ 


!■:/, 


-,-^ivv.'  y^ 


\vi:.fvWil 


Fjg.13. 


Ta, 


^-^   .- 


.0^  -^^ 


\£iC(J'?.!^^-^-^^ 


-  -ssd: 


»g-jj^^-^ 


^^^^^^^iJl^G^i^^  -^.. 


FißJZ 


Vfr, 


/^/i 


^'■^■' 


fe 


7 


560 
'7 


Fi ^.16. 


'^'-42^g 


r.r/raere'sAnhivBd.XXXMLs. 


Taf.W. 


Fuji. 


FCff.O. 


Dr. 


y^X,**  "^ 


P. 


FCg.2. 


v.r^mr^esArchwBd.XXXMU. 


Taf.W. 


Füf.i. 


FCo.3. 


Dr. 


'X-^  -^-^  - 


P. 


Fig.2, 


Ä'.     ,;. 


-•  "  ^ 


Fs  ATehivBdJOOCVILl 


Tafym. 


fi9^ 


1 


^$ 


I 


>€-^' 


'  4  ..v''#'  iM 


-i<m 


Ct* 


06 


rv-  't:-^*lA.A«K    Af4    >>i  ^^ 


ir 1  _  .^^YAifiiv  i:*..^^i_ 


n  (irar/^l*>\ 


•  ••  •  ,•  « 


ALBRECHT  VON  GRiEFE'8 
ARCHIV 

FÜR 

OPHTHALMOLOGIE 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

PROF.  TH.  LEBER  Prof.  H.  SATTLER 

IN   HEIDELBERG  IN   LEIPZIG 

UND 

PROF.  H.  SNELLEN 

IN  UTRECHT. 


SIEBENUNDDREISSIGSTER  BAND 

ABTHBILUNG   IV. 
MIT  0  FIGUREN  IM  TEXT  UND  6  TAFELN. 


LEIPZIG 

VERLAG   VON  WILHELM  ENGELMANN 
1891. 


Inhalts-Verzeichniss 

zu 
Band  XXXVII,  4.  Abtheilung. 

Ausgegeben  am  31.  December  1891. 


Seite 
I.  Zur  pathologischen  Anatomie  und  Pathogenese  des 

Gentralstaars.     Von  Dr.   Otto   Sehinner,   Privat- 

docent  und  poliklin.  Assistent  an  der  Universit&ts- 

Augenklinik  zu  Königsberg.  (Aus  dem  Laboratorium 

der  Universitäts- Augenklinik  zu  Königsberg  i.  Pr.) 

Mit  Taf.  I  und  II,  Fig.  1—6 1—25 

II.  Beitr&ge  zur  Kenntniss  der  Cataracta  zonularis.  Von 

Dr.  Bernhard  Bah,    k.  und  k.  Regimentsarzt  in 

Wien.     (Aus  der  II.  Universit&ts- Augenklinik  des 

Prof.  Fuchs  in  Wien) 26—38 

III.  Ueber  die  Pseudocolobome  der  Iris.  Von  Dr.  Konrad 
Rumschewitseh  in  Kiew 39—70 

IV.  Ein  Fall  von  doppelseitiger  Trochlearisparese,  com- 
plicirt  mit  partieller  doppelseitiger  Oculomotorius- 
lähmung.  Von  Professor  Dr.  Pflttger  in  Bern.   Mit 

6  Textfiguren 71—101 

V.  Zur  Lymphombildung  in  der  Orbita.  Von  Dr.  Th. 
Axenfeld,  I.  Assistent  an  der  Universitäts -Augen- 
klinik in  Marburg.  Mit  Taf.  III,  Fig.  I— IV  .  .  102—124 
VI.  Beitrag  zur  Differentiadiagnose  der  tuberculösen  und 
gliomatösen  Erkrankungen  des  Auges.  Von  Dr.  J. 
Jung  in  Heidelberg.    Mit  Taf.  IV,  Fig.  1—8    .    .  125—158 


IV  Inhalt. 

Seite 
VII.  Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Entstehung 

der  in  letzter  Zeit  bekannt  gewordenen  Trübungen 
der  Hornhaut  nach  Staareztraction.  Von  Dr.  Carl 
Mellinger,  Privatdocent  an  der  Universität  Basel. 
(Mittheilung  aus  dem  Laboratorium  der  ophthalmol. 
Klinik  des  Herrn  Prof.  Schiess-Gemuseus)  .  .  159 — 188 
VIII.  Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  über  die 
Zündhütchenverletzungen  des  menschlichen  Auges. 
Von  Dr.  Kostenitsch  aus  St.  Petersburg.  Aus  dem 
Laboratorium  der  Universitäts-Augenklinik  zu  Hei- 
delberg.   Mit  Taf.  V,  Fig.  1  —  12 189—278 


Scbluss  des  XXXYII.  Bandes. 


Zur  pathologischen  Anatomie  nnd  Pathogenese 
des  Ceiitralstaars. 

Von 

Dr.  Otto  Schirmer, 

Privatdocent  und  poliklinischer  Assistent  an  der 

Universitäts- Augenklinik  zu  Königsberg. 

(Aus  dem  Laboratorium  der  Univers. -Augenklinik  zu  Königsberg  i.  Pr.) 

Hierzu  Taf.  I  und  II,  Fig.  1—6. 


Seit  meinen  Untersuchungen  über  den  histologischen 
Bau  der  Zonularcataract  ^)  hatte  ich  gesucht,  auch  vom 
congenitalen  Centralstaar  Präparate  zu  erhalten.  Denn  zur 
Entscheidung  der  Frage,  ob  er  meiner  damaligen  Vermu- 
thung  gemäss,  seiner  Entstehung  nach  ein  vollständiges  Anar 
logon  des  Schichtstaars  darstelle,  ist  vor  Allem  eine  Kennt- 
niss  seiner  Structur  erforderlich;  aber  der  von  Becker*) 
1883  aufgestellte  Satz:  „Eine  mit  den  vervollkommneten 
Behelfen  der  neuesten  Zeit  angestellte  (mikroskopische)  Un- 
tersuchung eines  Centrallinsenstaares  existirt  nicht",  hat 
meines  Wissens  auch  heute  noch  Gültigkeit.  —  Ein  glück- 
licher Zufall  fügte  es,  dass  in  der  hiesigen  Universitäts- 
Augenklinik  kurz  nach  einander  fünf  Centralstaare  zur  Ex- 
traction  kamen,  welche  mir  durch  die  Güte  meines  verehr- 


^)  Zur  patholog.  Anatomie  und  Pathogenese  des  Schichtstaars. 
Archiv  für  Opbthalm.  XXXV,  3,  S.  147  und  Nachtrag  zur  patholog. 
Anatomie.    Dass.  XXXVI,  1,  S.  185. 

')  Zur  Anatomie  der  kranken  und  gesunden  Linse.  Wiesbaden 
1883.   S.  120. 

T.  Oraefe'8  Archiv  fOr  Ophthalmologie.  XXXVII.  4.  1 


2  0.  Schirmer. 

ten  Lehrers,  des  Herrn  Professor  v.  Hippel  zur  Unter- 
suchung überlassen  wurden. 

Ehe  ich  aber  auf  die  einzelnen  Fälle  näher  eingehe, 
muss  ich  den  Begriff  „congenitaler  Centralstaar'S  den  ich 
der  Arbeit  vorangestellt  habe,  etwas  näher  definiren.  Die 
Abgrenzung  desselben  gegen  den  Schichtstaar  stösst  auf 
grössere  Schwierigkeiten,  die  mir  in  den  Lehrbüchern  der 
Augenheilkunde  nicht  einheitlich  gelöst  erscheinen.  Ich 
sehe  dabei  vollständig  ab  vom  Graefe'schen  „congenitalen 
harten  Kemstaar'' ^) ,  über  den  mir  jede  eigene  Erfahrung 
fehlt. 

Die  meisten  »Autoren  (Tetzer,  Schmidt-Rimpler, 
Knies,  Michel,  Vossius,  Fuchs)  geben  als  Charakteristi- 
cum  für  den  Schichtstaar  an,  dass  er  in  der  Mitte  durch- 
scheinender sei,  als  in  den  peripheren  Theilen  —  auch  A. 
v.  Graefe')  führt  dies  an,  —  die  getrübte  Schicht  habe 
Linsenform  und  sei  von  massiger  Grösse,  während  der  con- 
genitale Kemstaar  oder  Centrallinsenstaar  (stationärer  Kern- 
staar)  als  kleine,  kuglige,  intensiv  weisse  Trübung  be- 
schrieben wird,  die  im  durchfallenden  Licht  gleichmässig 
undurchsichtig  erscheint.  Nur  Becker^)  macht  darauf  auf- 
merksam, dass  es  auch  Zonularcataracte  geben  könne,  bei 
welchen  die  getrübte  Schicht  so  dick  ist,  dass  sie  kein 
rothes  Licht  durchlässt,  die  also  als  undurchsichtige  Scheibe 
erscheinen,  und  dass  es  deshalb  klinisch  unmöglich  sein 
könne,  einen  Centralstaar  von  einem  sehr  dichten  Schicht- 
staar zu  unterscheiden.  Da  anatomische  Untersuchungen 
völlig  fehlen,  hält  er  „den  Nachweis  für  das  Bestehen  eines 
stationären  Kernstaars  zwar  nicht  für  geliefert,  aber  auch 
nicht  die  Unmöglichkeit  des  Gegentheils  für  erwiesen.^^ 
Und  Knies^)  ist  der  Ansicht,  dass  die  gleiche  Emährungs- 

1)  Bericht  der  Heidelberger  Ophthalmol.  Gesellsch.  1879.   S.  25. 
«)  V.  Graefe's  Archiv  für  Ophthalm.  I,  2,  S.  237. 
')  Handb.  v.  Graefe-Saemisch,  Bd.  Va,  Cap.  VII,  S.  240, 1877. 
*)  Gmndriss  der  Augenheilkunde  1888.   S.  282. 


Zur  patholog.  Anatomie  und  Pathogenese  des  Centralstaars.     3 

störang  nach  der  Zeit  ihrer  Einwirkung  Kernstaar  oder 
Schichtstaar  erzeuge,  woraus  folgt,  dass  beide  ohne  scharfe 
Grenze  in  einander  übergehen.  Dies  ist  gerade  die  Ansicht, 
die  auch  mir  schon  längst  vorschwebt  und  die  ich  vor  drei 
Jahren  zuerst  ausgesprochen  habe.  Man  sieht  gar  nicht 
80  selten  Staare,  die  durchaus  die  Grösse  und  das  Aus- 
sehen eines  Schichtstaars  haben,  auch  unter  denselben  ätio- 
logischen Bedingungen  vorkommen,  dabei  aber  absolut  un- 
durchsichtig sind  und  auch  bei  focaler  Beleuchtung  eine 
ganz  gleichmässige  Trübung  zeigen.  Berechtigt  uns  das 
letzte  Merkmal  allein,  sie  den  Schichtstaaren  gegenüber 
und  auf  eine  Stufe  mit  den  kleinen,  kugligen  Centralstaaren 
zu  stellen?  Ich  glaube  es  nicht.  Dagegen  sprechen  beson- 
ders die  doppelten  Schichtstaare,  bei  welchen  sehr  häufig 
die.  innere  Staarzone  absolut  undurchsichtig,  die  äussere 
völlig  durchsichtig  ist,  und  die  beiden  Zonen  können  doch 
nur  als  analoge  Bildungen  aufgefasst  werden.  Noch  mehr 
spricht  dagegen,  dass  man  zuweilen  in  der  Lage  ist,  einen 
anfangs  durchscheinenden  Schichtstaar  sich  allmälig  mehr 
und  mehr  trüben  zu  sehen,  bis  er  völlig  undurchsichtig  ge- 
worden ist  Die  folgenden  Untersuchungen  werden  von 
anatomischer  Seite  her  den  gleichen  Nachweis  liefern. 

Fall  I  und  II. 

Das  Dienstmädchen  Emma  Porassini,  41  Jahre  alt,  sieht 
seit  frühester  Jagend  so  schlecht,  dass  sie  nicht  hat  lesen  ler- 
nen können;  Abends  sah  sie  stets  besser,  als  am  Tage.  Seit 
zwei  bis  drei  Jahren  soll  das  Sehvermögen,  das  bis  dahin  noch 
zo  ganz  groben  Arbeiten  hinreichte,  sich  allmälig  noch  weiter 
verschlechtert  haben. 

Im  Uebrigen  ist  Patientin  stets  gesund  gewesen;  nur  in 
ihren  zwanziger  Jahren,  nach  einem  Sturz  ins  Wasser,  litt  sie 
längere  Zeit  an  epileptischen  Krämpfen.  Ob  sie  auch  in  der 
Jagend  an  Krämpfen  gelitten  hat,  weiss  sie  nicht  sicher  anzu- 
geben.    Die  Zähne  sind  normal  gebaut 

Die  am  7.  Febr.  1891  hier  vorgenommene  Untersachong 
ergiebt  beiderseits  folgenden  Befund:  Aeusseres  Auge  noimal; 


tei 

8U 


X  :••  i-' 


-^         =:  X 


ni 

d 
A 

A 


_       IZ     cS. 


n's^ 


u.    ^1    ."z-^- 


—  sl- 


Zur  patholog.  Anatomie  and  Pathogenese  des  Centralstaars.     5 

in  Glycerin.  —  Zupfpräparate  herzustellen  ist  bei  der  Klebrig- 
keit der  Linse  unmöglich.  Die  Anfertigung  bestand  wie  auch 
in  den  folgenden  Fällen  darin,  mit  einer  Nadel  kleine  Parti- 
kelchen aus  dem  Linsenquerschnitt  herauszunehmen,  auf  einen 
Objectträger  zu  streichen  und  eventuell  noch  mit  dem  Deck- 
glas etwas  platt  zu  drücken;  doch  sieht  man  an  dicken  Prä- 
paraten mehr,  als  an  dünnen. 

Aus  den  verschiedensten  Stellen  des  Kerns  entnommene 
Bröckelchen  zeigen  als  gemeinsamen  Befund  Linsenfasern  mit 
gezähnelten  Contonren,  zwischen  welchen  kleinste  Tröpfchen 
liegen,  die  vielfach  zu  grösseren  Yacuolen  sich  vereinigen;  doch 
so,  dass  man  in  dem  grobkörnigen  Inhalt  derselben  jene  Tröpf- 
chen^) wiedererkennt.  Im  Innern  des  Kerns  sind  dieselben 
spärlicher,  in  der  peripheren  Trübungszone  so  massenhaft,  dass 
vielfach  die  Fasercontouren  durch  sie  verdeckt  sind.  Auch  an 
dieser  Linse  glaube  ich  mich  wieder  überzeugt  zu  haben,  dass 
der  grösste  Theil  der  Tröpfchen  zwischen  'den  Fasern  liegt, 
doch  kann  ich  auch  jetzt  nicht  eine  solche  Lagerung  mit  Sicher- 
heit für  alle  behaupten. 

Der  Best  dieser  Linsenhälfte  wird  in  Alkohol  von  stei- 
gender Goncentration,  bei  60  ^/q  angefangen,  gehärtet,  ebenso 
wie  die  andere  Hälfte  in  Celloidin  eingebettet  und  mit  dem 
Mikrotom  in  Schnitte  zerlegt;  die  gleiche  Methode  habe  ich 
auch  bei  den  übrigen  Linsen  angewandt  und  werde  sie  deshalb 
nicht  bei  jedem  Fall  von  neuem  schildern.  Das  makroskopische 
Bild  recht  dicker  in  Glycerin  eingelegter  Schnitte  ist  dasselbe 
wie  an  dem  frisch  halbirten  Präparat.  Unter  dem  Mikroskop 
findet  man,  abgesehen  von  den  zerquetschten  und  lange  arte- 
ficielle  Spalten  aufweisenden  periphersten  Schichten  den  gan- 
zen Schnitt  von  rundlichen  und  ovalen  Tröpfchen  durchsetzt. 
Genau  wie  ich  es  beim  Schichtstaar  beschrieben  hatte^  sind  sie 
•am  zahlreichsten  und  kleinsten  —  0,002 — 0,005  mm  —  in  der 
getrübten  Schicht  und  nehmen  gegen  das  Gentrum  des  Kerns 
an  Grösse  zu  —  0,025 — 0,035  mm,  —  an  Zahl  ab.  Doch  sind 
es  sowohl  hier,  wie  in  der  äussersten  Zone  noch  erheblich 
mehr,  als  in  den  von  mir  untersachten  Schichtstaaren,  und  es 


^)  Ich  werde  in  dieser  Abhandlung  für  die  fraglichen  Gebilde 
auBSchliesslich  den  Namen  „Tröpfchen"  gebrauchen,  nicht  mehr  Ya- 
cuolen, da  ich  mich  überzeugt  zu  haben  glaube,  dass  sie  einen 
höheren  Brecfaungsindex  besitzen,  als  ihre  Umgebung.  Yergl.  auch 
Becker:  Zur  Anatomie  der  gesunden  und  kranken  Linse.   S.  48. 


6  0.  Schirmer. 

erklärt  sich  jedenfalls  hierdurch  das  leichte  trübe  Aassehen 
des  Kerns.  Ueberhaupt  gleichen  sie  in  jeder  Beziehung  — 
Aussehen,  Lagerung  und  Farbenreactionen  —  der  früher  von 
mir  gegebenen  Beschreibung  so  genau,  dass  ich  einfach  auf 
jene  Stelle^)  verweisen  kann.  —  Femer  bot  die  Linse  eine 
Eigenthflmlichkeit,  die  ich  schon  bei  dem  im  „Nachtrag  zur 
pathologischen  Anatomie  des  Schichtstaars'^  beschriebenen  Fall 
gefunden  hatte  (siehe  dort  die  Abbildung),  nämlich  stellenweise 
recht  erhebliche  Verstärkung  der  Staartrübung  im  Aequator. 
Hier  wie  dort  fand  ich  als  anatomisches  Substrat  dafür  eine 
beträchtliche  Verstärkung  der  Staarschicht  durch  massenhafte 
kleinste  Tröpfchen,  welche^  die  Fasercontouren  völlig  verdecken. 

—  Faserkeme  konnte  ich  in  dieser  Linse  nicht  nachweisen. 

Die  Linse  des  linken  Auges  hat  einen  Durchmesser  von 
8  Vi  mm,  eine  Dicke  von  3  mm.  An  dicken,  ungeförbten  Schnit- 
ten (Fig.  1)  sieht  man  makroskopisch  ohne  weiteres  die  deutr 
liehe  und  völlig  scharfe  Grenze  der  durchsichtigen  Gorticalis 
gegen  den  getrübten  Kern,  dessen  Längsdurchmesser  5^/4,  die 
Dicke  2^/4  mm  beträgt.  Auch  hier  hebt  sich  die  peripherste 
Zone  als  intensiv  trüber,  0,6  mm  breiter  King  gegen  das  klarere 
Centrum  ab.  Sie  ist  also  scharf  nach  beiden  Seiten  hin  be- 
grenzt, wie  man  es  beim  Schieb tstaar  zu  sehen  gewohnt  ist 

—  Interessant  war  die  Keaction  der  Schnitte  gegen  Häma- 
toxylin  (nach  Delafield)  und  Garmin.  Mit  ersterem  tingirte 
sich,  während  die  Gorticalis  fast  ungefärbt  blieb,  der  Kern  und 
der  Trübungsring  gleichmässig  blau,  nur  die  oben  erwähnte 
Verstärkung  der  Staarschicht  nahm  einen  intensiv  blaurothen 
Ton  an.  Auf  Garmin  reagirt  der  Schnitt  gerade  umgekehrt; 
nur  die  Kandschicht  wird  geförbt.  Die  getrübte  Gorticalis  — 
es  hatte  intra  vitam  nach  unten  eine  Gorticaltrübung  bestanden 

—  verhielt  sich  genau  wie  die  durchsichtige.  Es  bestand  also 
ein  einschneidender  Unterschied  zwischen  den  Linsenschichten, 
welche  zur  Zeit  der  Entstehung  des  Schichtstaars  schon  gebil- 
det waren  und  den  nachträglich  entstandenen,  mochten  sie  ge- 
trübt sein  oder  nicht. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  ergiebt  ein  völlig  glei- 
ches Aussehen  des  getrübten  Kerns  (Fig.  3),  wie  am  rechten 
Auge,  gleiche  Grösse,  Zahl  und  Lagerung  der  Tröpfchen.  — 
Die  Wirkung  der  Maturation  am  rechten  Auge  hatte  sich  also 
auf  die  Corticalschichten  beschränkt.  —  Auch  die  Verstärkung 


')  v.  Graefe's  Archiv  für  Ophthalm.  XXXV,  3,  S.  151—153. 


Zur  patholog.  Anatomie  und  Pathogenese  des  Centralstaars.     7 

der  änssersten  Schicht  hier  und  da  durch  massenhaft  eingela* 
gerte  Tröpfchen  findet  sich.  Gegen  die  Corticalis  ist  die  Tröpf- 
chenzone (Fig.  5)  auch  mikroskopisch  völlig  scharf  abgesetzt 
und  es  entspricht  der  Grenze  zwischen  beiden  genau  die  Grenze 
der  Uämatoxylintinction.  Die  Corticalschichten  selbst  zeigen, 
abgesehen  von  den  änssersten  bei  der  Extraction  gequetschten 
Parthieen  durchaus  normale  Fasern  mit  glatten  Oontouren,  wie 
an  Zupfpräparaten  leicht  zu  sehen.  Ihre  Kerne  sind  normal, 
näher  der  Staarschicht  zeigen  sie  die  bekannten  Degenerations- 
formen; in  dieser  selbst  konnte  ich  sie  nicht  mehr  mit  Sicher- 
heit auffinden.  —  In  der  hinteren  Corticalis  findet  sich  ein 
der  Hinterkapsel  paralleler  Zug  länglicher  schmaler  LtLcken 
(Fig.  3d),  der  beiderseits  gegen  den  Aequator  hin  verschwindet. 
Er  macht  durchaus  nicht  den  Eindruck  eines  Kunstproductes 
und  ich  halte  ihn  deshalb  für  einen  unvollständigen  Schicht- 
staar,  der  wegen  des  Kemstaars  in  vivo  nicht  diagnosticirbar 
gewesen  war. 

Die  im  unteren  Quadranten  der  Linse  gesehene  Cortical- 
trübung  besteht,  soweit  an  Schnitten  zu  entscheiden,  aus  einem 
Zerfall  der  Fasern.  Zwischen  und  in  denselben  sind  dichte 
Mengen  von  Detritus  abgelagert,  der  die  Fasercontouren  beson- 
ders näher  dem  Rande  nur  mit  Mohe  erkennen  lässt.  Vielfach 
ist  er  in  längKchen  Spalten  befindlich,  nirgend  finden  sich  die 
rundlichen,  scharf  begrenzten  Tröpfchen  der  Staarzone.  Zupf- 
präparate bestätigen  im  Ganzen  diese  Auffassung  und  zeigen 
ausserdem,  dass  die  Fasern  gewellte  Contouren  haben,  durch- 
aus verschieden  von  den  gezähnelten  des  Kerns;  sie  sehen  fer- 
ner längsgerunzelt  aus  und  sind  viel  bröcklicher,  als  die  an- 
deren Corticalpartieen. 

Fall  III. 

Ernst  Schwarz,  sechs  Jahre  alt,  hat  gesunde  Eltern  und 
Geschwister.  Er  selbst  ist  ausgesprochen  idiotisch.  Körperlich 
ist  er  stets  gesund  gewesen  und  auch  jetzt  ergiebt  die  objec- 
tive  Untersuchung  ausser  exquisit  rhachitischen  Zähnen  keine 
Abnormitäten.  Die  graue  Färbung  der  Pupillen  wurde  gleich 
bei  der  Geburt  bemerkt. 

Am  20.  Mai  1891  wird  folgender  Befund  erhoben: 
Beiderseits  lebhafter  Nystagmus,  rechts  Colobom  nach  in- 
nen unten,  zarter  Nachstaar  nach  Discision  mit  folgender  Ex- 
traction.   Y  mit  -|-12D,  Fingerzählen  in  3  m,  soweit  bei  der 


8  0.  Schirmer. 

Beschränktheit  des  Knaben  zu  constatiren.  —  Links  altes,  arte- 
ficielles  Colobom  nach  innen  unten;  Linse  so  stark  geschrumpft, 
dass  ihr  Rand  mitten  im  Colobom  sichtbar  ist.  Völlig  durch- 
sichtige Corticalis,  im  Centrum  eine  zarte,  3  mm  grosse,  grau- 
weisse  Trübung,  aus  deren  Mitte  eine  kleinere  intensiv  gelb- 
lich weisse  durchschimmert.  Der  Rand  des  Centralstaars  ist 
nicht  ganz  kreisförmig.   V  mit  +  4  D  =  Fingerzählen  in  2  m. 

21.  Mai  1891.  Links  Extraction  durch  das  alte  Colobom. 
Nacb  dem  Schnitt  wird  mit  dem  Löffel  eingegangen  und  die 
Entbindung  in  der  Kapsel  versucht.  Letztere  platzt  jedoch 
und  es  wird  der  Staar,  umgeben  von  einer  Schicht  durchsich- 
tiger Corticalis  entbunden.  Der  nicht  sehr  grosse  Rest  der- 
selben muss  der  Resorption  überlassen  werden,  da  zugleich 
corpus  vitreum  vorftUt  —  Normale  Heilung. 

Am  12.  Juni  1891  ist  links  ein  klares,  centrales  Pupil- 
largebiet  vorhanden,  durch  welches  der  normale  Fundus  sicht- 
bar ist    V  mit  +  10  D  =  Fingerzählen  in  5  m. 

Die  frisch  untersuchten  Corticalschichten  zeigen  normale 
Fasern  mit  glatten  Contouren  und  durchsichtigem  Inhalt  An 
Präparaten  aus  der  Kernregion  finden  sich  dieselben  Tröpfchen, 
wie  in  der  Linse  Porassini,  aber  in  solchen  Massen,  dass  die 
Fasercontouren  an  den  meisten  Stellen  völlig  verdeckt  werden; 
doch  lässt  sich  mit  einiger  Mühe  sicher  constatiren,  dass  es 
sich  um  einen  Faserzerfall  nicht  handelt  Wo  ihre  Contouren 
deutlicher  hervortreten,  sieht  man,  dass  sie  unregelmässig  aus- 
gebuchtet und  gewellt  sind,  nicht  so  fein  gezähnelt,  wie  im 
Fall  Porassini. 

Der  Rest  des  Linsenrudiments,  der  5^/2  mm  lang  und 
3^/2  mm  dick  ist,  wird  eingebettet  und  zerschnitten. 

Auf  dicken,  ungefärbt  in  Glycerin  eingelegten  Schnitten 
sieht  man  ohne  weiteres  im  Centrum,  umgeben  von  der  durch- 
sichtigen Corticalis  eine  intensive  Trübung  von  Linsenform. 
Bei  genauerer  Betrachtung  findet  man  sie  umgeben  von  einem 
zarten,  schmalen  Schleier  und  erst  auf  diesen  folgen  die  Cor- 
ticalschichten. Die  Hämatoxylinförbung  trennt  auch  hier  wie- 
der scharf  die  getrübten  Schichten  von  den  ungetrübten.  Erstere 
haben  die  Färbung  angenommen  und  zwar  der  Kern  nur  wenig 
mehr,  als  der  umgebende  Schleier;  die  Corticalschichten  sind 
völlig  ungefärbt  geblieben. 

Unter  dem  Mikroskop  erkennt  man  als  Grundlage  der 
intensiveren,  centralen  Trübung,  was  schon  die  frischen  Präpa- 
rate ergeben  hatten,  massenhafte,  kleinste  Tröpfchen  —  0,002 


Zur  patholog.  Anatomie  und  Pathogenese  des  Centralstaars.     9 

bis  0,005  mm  — ,  welche  die  Faseranordnung  fast  völlig  ver- 
decken. In  der  ganzen  Ausdehnung  der  Trübung  finde  ich  sie 
gleichmässig  vertheilt,  eine  Abnahme  ihrer  Zahl  dem  Centrum 
zu  ist  nicht  zu  constatiren.  Die  Längsausdehnung  dieser  Par- 
thie  beträgt  2^/^  mm,  Dicke  l^g  mm.  Sie  ist  umgeben  und 
ischarf  abgesetzt  gegen  eine  Zone,  welche  die  normale  Faser- 
anordnung deutlich  erkennen  lässt,  die  aber  zahlreiche,  ziem- 
lich grosse  —  0,015 — 0,025  mm  —  rundliche,  mit  grobkörni- 
ger Masse  gefüllte  Lücken  zwischen  den  Fasern  enthält.  An 
dieser  Parthie  ist  deutlich  ein  dem  Schichtstaar  analoges  Ver- 
halten zu  beobachten,  das  auch  im  Fall  lY  wiederkehrt:  die 
Zahl  der  Lücken  nimmt  nach  der  Peripherie  hin  merklich  zu, 
obwohl  nicht  so  stark,  dass  man  von  einem  trüben  Ring  sprechen 
•  könnte.  Wieder  mit  scharfer  Grenze  folgen  jetzt  die  normalen 
€orticalschichten,  deren  Fasern  theils  normale,  theils  degene- 
rirende  Kerne  enthalten. 

Die  Vereinigung  des  anatomischen  Befundes  mit  dem  kli- 
nischen ist  nicht  schwer.  Der  aus  der  Tiefe  vorleuchtende, 
intensiv  gelblich  weisse  Schein  wurde  durch  das  centrale  Ge- 
biet stärkster  Tröpfchenanhäufung  bedingt,  während  diezarte^ 
umgebende  Trübung,  wie  auch  die  Grössen  Verhältnisse  bewei- 
sen, der  ringförmigen  Region  normaler  Fasern  mit  grossen 
detritusgefüUten  Lücken  entspricht.  —  Es  handelt  sich  also 
um  einen  durch  und  durch  gleichmässigen  Centralstaar,  der  in 
geringer  Entfernung  von  einem  Schichtstaar  umgeben  wird. 

Fall  IV. 

Georg  Naujoks,  fünfzig  Jahre  alt,  stammt  von  gesunden 
Eltern;  seine  rechten  Geschwister  sind  in  früher  Jugend  an 
einer  ihm  unbekannten  Krankheit  gestorben,  seine  einzige  Stief- 
schwester sieht  seit  frühester  Jugend  nur  in  nächster  Nähe 
einigermaassen  gut  Ob  dies  auf  Myopie  oder  auf  eine  Affec- 
tion  der  brechenden  Medien  zu  beziehen  ist,  war  nicht  zu 
eruiren. 

Patient  selbst  will  nie  an  Krämpfen  gelitten  haben.  Er 
sieht  seit  frühester  Jugend  nur  so  viel,  dass  er  sich  zur  Noth 
allein  führen  konnte,  Abends  nicht  besser,  als  am  Tage  und 
auf  beiden  Augen  gleich  schlecht.  Im  zwanzigsten  Lebensjahr 
wurde  er  auf  beiden  Augen  iridectomirt  und  er  sah  nach  der 
Operation  beiderseits  etwas  besser.  In  diesem  Zustande  hat 
sich  das  linke  Auge  lange  Jahre  erhalten,  nur  in  allerletzter 


10  0.  Schirmer. 

Zeit  soll  sich  der  Yisas  etwas  verschlechtert  haben;  das  rechte 
Auge  ist  einige  Jahre  später  vollständig  erblindet. 

Am  10.  Mai  1891  wird  folgender  Befand  notirt: 

Beiderseits  lebhafter  Nystagmus  horizontalis,  beiderseits 
ausgesprochener  Microphthalmns,  beiderseits  arteficielles  Colo- 
bom  nach  innen  nnten,  in  dessen  Mitte  man  den  Rand  der 
stark  geschrumpften  Linse  sieht.  Am  linken  Ange  ist  die  Cor- 
ticalis  derselben  völlig  durchsichtig  mit  Ausnahme  einer  unten 
innen  gelegenen,  zarten  Trübung.  Man  kann  durch  dieselbe 
leicht  eine  centrale  Linsentrübung  erkennen,  die  auffeilend 
weit  hinter  der  Irisebene  zu  liegen  scheint.  Dieselbe  sondert 
sich  in  eine  intensiv  gelblichweisse,  kleinere,  centrale  Parthie 
und  eine  etwas  vor  derselben  gelegene  3  mm  grosse,  durch- 
scheinende, weissliche  Scheibe,  welche  den  Rand  der  ersten 
Trabung  überall  überragt.  Beide  waren  ringsum  völlig  scharf 
begrenzt,  ihr  Contour  nicht  genau  kreisförmig,  sondern  an  ver- 
schiedenen Stellen  etwas  ausgebuchtet.  Vom  Augenbintergrund 
ist  kein  deutliches  Bild  zu  erhalten,  obwohl  man  durch  den 
Randtheil  der  Linse  und  neben  demselben  rothes  Licht  be- 
kommt. Es  besteht  eine  ausgedehnte  zarte  Hornhauttrübung. 
Visus  =  Fingerzählen  in  2  ^/g  m. 

Rechts  ist  der  Befund  ein  ganz  ähnlicher;  es  besteht  aber 
absolute  Amaurose  in  Folge  hochgradiger  Chorioretinitis. 

Am  22.  Mai  1891  wird  am  linken  Auge  eine  Discision 
gemacht  Sehr  geringe  Quellung  und  langsame  Trübung  der 
benachbarten  Corticalschichten.  Da  dieselbe  nach  einigen  Wochen 
nicht  nur  nicht  weitergeht,  sondern  sich  wieder  aufzuhellen  be- 
ginnt, wird  am 

10.  Juni  1891  die  Linsenextraction  durch  das  alte  Colo- 
bom  gemacht.  Nach  Extraction  eines  grossen  Kapselstückes 
wird  der  Löffel  eingeführt  und  mit  ihm  der  getrübte  Kern 
sammt  einer  Schicht  Corticalis  geholt;  der  Rest  wird  grössten- 
theils  durch  Streichen  entfernt. 

Am  8.  Juli  haben  sich  die  Corticalreste  völlig  resorbirt, 
so  dass  das  Pupillargebiet  bis  auf  die  Hinterkapsel  klar  ge- 
worden ist.  Auf  derselben  befindet  sich  central  ein  intensiv 
weisser,  kleiner  Hinterkapselstaar,  der  schon  kurz  nach  der 
Extraction  bemerkt  worden  war;  ebenso  erscheinen  heller  grau- 
lich zwei  längs  der  Colobomschenkel  von  ihm  ausgehende  Flü- 
gel. Visus  mit  -f-  12  D  =  Fingerzählen  in  3  m.  Es  wird  die 
Kapselverdickung   unter  geringem  Glaskörperverlust   extrahirt 


Zar  patholog.  Anatomie  und  Pathogenese  des  Centralstaara.   H 

15.  Juli.  Normale  Heilung.  Grosse  klare  Stellen  im  Pu- 
pillargebiet.  Die  frisch  unter  dem  Mikroskop  ausgebreitete 
Kapsel  lässt  erkennen,  dass  es  sich  um  einen  ausgedehnten 
Eapselstaar  handelt,  in  welchen  zahlreiche  Pigmentkörnchen 
eingelagert  sind.  An  einer  circumscripten,  rundlichen  Stelle 
findet  sich,  ihm  aufgelagert  eine  Gruppe  höchst  eigenthümlicher, 
kurzer,  cylindrischer  Gebilde,  die  ganz  unregelmässig  kreuz  und 
quer  liegen.  Sie  erinnern  an  stark  verdickte  Linsenfasern, 
welche  in  ihrem  Innern  grosse  Mengen  kleiner  und  grösserer 
Eiweisströpfchen  bergen  und  dadurch  einen  ganz  unregelmässir 
gen  Contour  bekommen  haben.  Diese  circumscripte  Stelle  ent- 
spricht ihrer  Lage  und  ihrem  makroskopischen  Aussehen  nach 
der  in  vivo  gesehenen,  weissen,  centralen  Trübung.  Ich  glaube 
deshalb,  jene  eigenthtlmlichen  Gebilde  sind  Reste  des  Linsen- 
centrums,  welches,  wie  die  Untersuchung  der  Cataract  zeigen 
wird,  der  Hinterkapsel  adhärirte,  sind  bei  der  Extraction  an 
ihr  haften  geblieben  und  jetzt  durch  das  Kammerwasser  so 
eigenthümlich  verändert.  Die  Kapsel  wurde  jetzt  gefärbt,  ein- 
gebettet und  geschnitten.  Die  Untersuchung  von  Sagittalschnit- 
ten  ergiebt,  dass  zwischen  den  eben  erwähnten  Resten  und  der 
Hinterkapsel  echtes,  unpigmentirtes  Kapselstaargewebe  liegt 
Die  beiden  Flügel  waren  ebenfalls  echter  Kapselstaar,  der  stark 
pigmentirt  war,  jedenfalls  von  der  Iris  aus^).  Hieraus  folgt,  dass 
sie  erst  nach  der  Extraction  entstanden  sind,  da  in  den  ge- 
schlossenen Kapselsack  unmöglich  Pigmentkörnchen  eindringen 
können.  Es  war  also  nur  die  centrale,  unpigmentirte  Parthie 
des  Kapselstaars  schon  vor  der  Extraction  gebildet 

Die  extrahirte  Linse  wird  frisch  halbirt;  sie  zeigt  auf  dem 
Durchschnitt  eine  fast  kugliche,  intensive  Trübung  —  1  ^j^  mm 
breit  und  1  mm  dick  — ,  welche  unmittelbar  an  den  hinteren 
Pol  des  extrahirten  Stückes  grenzt  (Fig.  2);  es  macht  den  Ein- 
druck, als  ob  der  cataractöse  Kern  gerade  nach  hinten  ver- 
schoben wäre.  Diese  Trübung  ist  umgeben  von  einer  zweiten 
Staarschicht,  welche  in  der  vorderen  Parthie  ein  durchsichtiger 
Zwischenraum  von  der  ersterwähnten  Trübung  trennt,  während 
sie  sich  an  der  Seite  unmittelbar  an  sie  anlegt  und  nach  hin- 
ten ganz  verschwindet  Abbildung  2  giebt  von  diesen  Yerhältr 
nissen  ein  besseres  Bild,  als  es  eine  genauere  Beschreibung 
könnte. 


')  Vgl.  meine  Untersuchungen  über  die  Betheiligung  der  Iris 
bei  Bildung  von  Kapselnarben:  Arch.  für  Ophth.  XXXY,  1.  S.  237. 


12  0.  Schirmer. 

Aus  der  eiuen  Hälfte  werden  frische  Präparate  gefertigt 
nnd  i9  Glycerin  oder  ohne  Znsatzflüssigkeit  untersucht.  Der 
Kern  zeigt  dieselben  Bilder,  wie  ich  sie  bei  Fall  Schwarz  von 
der  centralen  Trübung  erhalten  hatte.  Auch  hier  haben  trotz 
des  Alters  des  Patienten  die  Fasern  einen  uuregelmässig  aus- 
gebnchteten  Contour,  keine  so  feine  Zähnelung,  wie  im  Fall 
Porassini.  Die  Corticalschichten  enthalten  zum  Theil  normale 
Fasern,  zum  Theil  sind  sie  mit  massenhaftem  Detritus  durchsetzt 
und  scheinen  in  Zerfall  begriffen.  Letztere  Veränderung  ist 
jedenfalls  auf  Rechnung  der  vorausgegangenen  Discision  zu 
setzen. 

Die  andere  Hälfte  wird  eingebettet  und  geschnitten.  Die 
mikroskopische  Untersuchung  derselben  giebt  die  Erklärung 
für  die  auffallende  Lage  des  Centralstaars.  Es  ist  in  der  That 
der  ganze  Kern  nach  hinten  dislocirt.  Die  vorderen  Cortical- 
schichten sind  besonders  dick,  die  hinteren  sehr  dünn  und 
enden  schon  eine  Strecke  xor  dem  hinteren  Pol,  so  dass  hier 
der  Kern  ganz  frei  liegt.  Besonders  lehrreich  und  besonders 
beweisend  für  dies  Verhalten  ist  die  Beobachtung  der  äqua- 
torialen Umbiegungsstellen  der  Fasern.  Dieselben  liegen  nicht, 
wie  in  der  normalen  Linse  in  einer  wenig  nach  hinten  ausge- 
bogenen, durch  den  Wirbel  gehenden  Ebene,  sondern  die  letz- 
tere hat  nur  peripher  ihre  normale  Lage;  je  älter  die  Fasern 
sind,  je  centraler  sie  liegen,  um  so  weiter  nach  hinten  rückt 
die  Umbiegungsstelle  und  grenzt  schliesslich  unmittelbar  an  den 
Kernäquator.  Eine  durch  sämmtliche  Umbiegungsstellen  gelegte 
Ebene  würde  hier  also  sehr  stark  trichterförmig  nach  hinten 
ausgebuchtet  sein,  als  ob  der  in  ihrem  Centrum  gelegene  Kern 
einen  Zug  nach  hinten  an  ihr  ausgeübt  hätte.  —  Die  hintere 
Oberfläche  des  Kerns  liegt,  wie  schon  gesagt,  central  völlig  frei, 
nur  von  einem  Eiweissgerinnsel  bedeckt  und  hier  haben  die 
Fasern  keine  zur  Linsenoberfläche  concentrische  Lage,  sondern 
sie  stehen  senkrecht  oder  fast  senkrecht  auf  dieser  und  sind 
hier  in  einer  gezackten  Linie  durchrissen,  aus  welcher  zahl- 
reiche Spitzen  vorstehen  (Figur  6).  Dies  in  Verbindung  mit 
dem  Befund  der  hinteren  Polarcataract  giebt  die  Erklärung 
für  die  Lage  des  Kerns.  Es  bestand  eine  Adhäsion  der  älte- 
sten Fasern  an  den  Hinterkapselstaar,  welche  den  Kern  hier 
fest  hielt  und  den  neu  sich  bildenden  Schichten  ein  unüber- 
windliches Hinderniss  entgegenstellte,  so  dass  nur  ihre  vordere 
Hälfte  sich  normal  ausbilden  konnte. 


Zur  patholog.  Anatomie  und  Patbogenese  des  Centralstaan.   13 

Im  Uebrigen  ergiebt  die  Untersuchung  der  Schnitte  (Fig.  4) 
nichts,  was  man  nicht  schon  aus  den  Znpfpräparaten  in  Ver- 
bindung mit  der  Betrachtung  des  Linsenquerschnitts  hätte  er- 
schliessen  können.  Die  centrale  Trübung  ist,  wie  im  Fall 
Schwarz,  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  gleichmässig,  auch  die 
Grösse  der  sie  bedingenden  Tröpfchen  —  0,002 — 0,007  mm  — 
bleibt  annähernd  die  gleiche;  nur  nach  vorn  finden  sich  einige 
grössere  Lücken  mit  grobkörniger  Masse  gefüllt.  Der  sie  um- 
gebende Schichtstaar  weist  in  der  makroskopisch  sichtbaren, 
trüben  Schicht  die  gleichen  kleinen  Tröpfchen,  zum  Thcil  in 
grösseren  Hohlräumen  yereinigt,  in  grosser  Menge  auf.  Die 
anscheinend  klare  Zone  zwischen  ihm  und  der  centralen  Trü- 
bung ist  mit  ähnlichen,  aber  spärlicher  gesäeten  Gebilden  be- 
setzt. —  Die  Corticalfasern  haben  in  der  einen  Hälfte  norma- 
les Aussehen,  die  äusseren  Schichten  glatte  Contouren,  die  in- 
neren Lagen  leichte  Zacken  und  Zähnchen,  welche  als  Alters- 
erscheinnng,  nicht  als  Folge  der  Discision  aufzufassen  sind. 
Auf  der  anderen  Seite,  jedenfalls  der  Seite  der  Discisionswnnde 
sind  die  Fasern  in  vollem  Zerfall  begriffen;  ihre  Contouren 
sind  grob  gewellt,  es  liegt  viel  Detritus  zwischen  ihnen  und 
sie  sind,  wie  man  beim  Zerzupfen  sieht,  ausserordentlich  bröck- 
lige —  Mit  Hämatozylin  hat  sich  die  ganze  Linse  gleichmässig 
blau  tingirt,  vielleicht  die  zerfallenden  Corticalschichten  etwas 
blasser;  der  Inhalt  der  grösseren  Lücken  um  die  centrale  Trü- 
bung dagegen  hat  einen  intensiv  blaurothen  Ton  angenommen. 

Fall  V. 

Ernst  Heinrich,  14  Jahre  alt,  hat  sich  zuerst  als  sieben- 
jähriger Knabe  am  14.  October  1884  in  hiesiger  Klinik  vor- 
gestellt. Damals  wurde  am  rechten  Auge  ein  Schichtstaar  con- 
statirt;  derselbe  war  massig  gross,  scharf  begrenzt  und  in  der 
Mitte  durchleuchtbar.  Y  =  Fingerzählen  in  1  m.  Das  linke 
Auge  war  nicht  cataractös.  Der  Patient  hatte  als  Kind  an 
Rhachitis  gelitten  und  es  fanden  sich  auch  damals  noch  Ver- 
änderungen an  den  Rippenknorpeln  und  die  charakteristische 
Zahnanomalie. 

Es  wird  rechts  nach  aussen  unten  iridectomirt.  Keine 
Besserung  des  Sehvermögens. 

Am  7.  Juli  1891  stellt  sich  der  Knabe  wieder  hier  vor. 
Es  besteht  jetzt,  noch  inlmer  einseitig,  ein  doppelter  Schicht- 
staar, dessen  innere  Zone,  völlig  undurchsichtig  ist,  also  nach 


14  0.  Schirmer. 

gewöhnlicher  Nomenclatar  ein  Kemstaar  genannt  zn  werden 
verdient.  Die  Linse  ist  massig  geschrumpft;  die  durchsichtigen 
Corticales  sind  kaum  1  mm  dick;  die  äussere,  nicht  sehr  opake 
Staarzone  hat  einen  Durchmesser  von  7^/,  mm,  die  innere  von 
4^/2  mm.  Beide  sind  scharf  nach  aussen  begrenzt,  ihr  Contour 
aber  nicht  kreisförmig,  sondern  mehrfach  gewellt  und  ausge- 
buchtet.     Es  werden  nur  Handbewegungen  erkannt. 

Am  8.  Juli  1891  wird  durch  das  alte  Colobom  die  Linse 
extrahirt,  nachdem  ein  Kapselstück  herausgerissen  ist.  Die  Ent- 
bindung so  ziemlich  der  ganzen  Linse  erfolgt  ohne  Glaskörper- 
verlust auf  sanften  Druck. 

Die  Gataract,  die  ganz  ausserordentlich  weich  ist,  wird 
vorsichtig  frisch  halbirt  und  die  eine  Hälfte  sofort  in  60  ^/o 
Alkohol  gelegt,  die  andere  frisch  zur  Untersuchung  benutzt. 
Auf  dem  Querschnitt  erkennt  man  ohne  Weiteres  die  Trflbnngs- 
ringe  und,  was  von  Wichtigkeit  ist,  man  sieht  sofort,  dass  das 
Centrum  völlig  klar  und  durchsichtig  ist.  Es  hat  sich  also 
nicht  um  einen  Kemstaar  gehandelt  trotz  der  Undurchsichtig- 
keit  der  inneren  Zone. 

An  frisch  gefertigten  Präparaten  sieht  man  die  schon 
mehrfach  beschriebenen  Veränderungen,  Tröpfchen  zwischen  den 
Fasern,  deren  Zahl  und  Grösse  verschieden  ist  nach  der  Stelle, 
von  welcher  das  Präparat  genommen  wurde.  Sie  sind  sehr 
zahlreich  in  Partikelchen,  die  den  Trübungsschichten  entstam- 
men, spärlicher  in  der  durchsichtigen  Zone  zwischen  diesen 
und  noch  mehr  im  Kerne.  Die  Fasern  sind  flberall  glatt  oder, 
wo  viele  Tröpfchen  liegen,  gewellt  und  mit  kleinen  Buckeln 
versehen,  nirgends  gezähnelt. 

Die  zur  Härtung  bestimmte  Hälfte  ist  in  60  ^/q  Alkohol 
noch  weicher  und  bröckliger  geworden,  so  dass  beim  Heraus- 
nehmen ein  grosses  Stück  abbricht.  Es  scheint  deshalb  besser, 
bei  sehr  weichen  Staaren  gleich  mit  einer  stärkeren  Goncen- 
tration,  etwa  7b ^Iq  Alkohol  zu  beginnen;  Müller'sche  Flüssig- 
keit bringt  so  weiche  Gataracte  oft  noch  mehr  zum  Zerfall. 
Der  übrig  gebliebene  Rest  wird  eingebettet  und  geschnitten; 
er  enthält  an  einer  Stelle  noch  beide  Staarschichten  und  den 
grössten  Theil  des  Kerns.  Dicke,  ungefärbt  in  Glycerin  ein- 
gelegte Schnitte  lassen  die  beiden  Trübungszonen  durch  einen 
klaren  Zwischenraum  getrennt  und  den  klaren  Kern  erkennen. 
Unter  dem  Mikroskop  findet  man  beide  aus  zahlreichen,  zwi- 
schen den  Fasern  gelegenen  Tröpfchen  gebildet,  welche  in  der 
inneren  Staarzone  erheblich  zahlreicher  und  kleiner  —  0,0015 


Zur  patholog.  Anatomie  und  Pathogeuese  des  Centralstaars.   15 

bis  0,003  mm  —  sind,  als  in  der  äusseren  —  0,006 — 0,015. 
—  Nach  aussen  haben  die  Ringe  eine  scharfe  Grenze,  wäh- 
rend nach  innen  die  Zahl  der  Tröpfchen  mehr  allmälig  ab- 
nimmt Der  Kern  weist  die  für  Schichtstaar  charakteristischen 
Yeränderungen  in  geringer  Anzahl  auf;  in  ^er  Zone  zwischen 
beiden  Staarschichten  sind  sie  etwas  zahlreicher.  Ein  bemer- 
kenswerthes  Verhalten  gegen  Hämatozylin  trat  bei  dieser  Linse 
nicht  hervor. 

Dieser  Fall  ist  bemerkenswerth,  einmal  durch  seine 
Einseitigkeit  und  dadurch,  dass  die  Trübung  der  inneren 
Staarschicht  im  Laufe  der  Beobachtung,  erheblich  intensi- 
ver geworden  ist,  der  ursprünglich  durchleuchtbare  „Schicbt- 
fitaar*'  zu  einem  undurchsichtigen  „Kemstaar^S  dann  aber 
auch,  weil  die  Entstehung  der  äusseren  Staarzone  in  relativ 
später  Zeit  ausser  Frage  steht.  Sie  hat  sich  erst  nach 
dem  siebenten  Lebensjahr  des  Patienten  gebildet  und  zwar 
wiederum  einseitig;  das  ursprünglich  gesunde  Auge  blieb 
auch  jetzt  verschont. 

Wegen  der  Seltenheit  solcher  Beobachtungen  möchte 
ich  hier  noch  eine  völlig  analoge  anführen,  die  ebenfalls 
dieser  Tage  hier  zur  Beobachtung  kam. 

Fall  VL 

Anna 'Drusch,  17  Jahre  alt,  stellt  sich  mit  doppeltem 
Schichtstaar  des  rechten  Auges  vor.  Die  äussere  Zone,  ausser- 
ordentlich zart  und  durchscheinend,  aber  an  keiner  Stelle  de- 
fect,  umgiebt  in  geringer  Distanz  eine  6  mm  grosse  Scheibe, 
die  völlig  undurchsichtig  ist  Die  Patientin  hat  in  der  Jugend 
an  Krämpfen  gelitten,  ihre  Zähne  zeigen  die  von  Horner  be- 
schriebene, bekannte  Anomalie.  Vor  zwölf  Jahren  war  am 
gleichen  Auge  in  hiesiger  Klinik  ein  besonders  grosser,  ein- 
facher Schichtstaar  constatirt  worden,  wie  die  noch  vorhandene 
Krankengeschichte  beweist.  Hier  hatte  sich  also  nicht  nur  die 
äussere  Zone  seitdem  gebildet,  auch  die  innere  war,  während 
sie  sich  verkleinerte,  opaker,  undurchsichtig  geworden.  Damals 
wurde  das  linke  Auge  discidirt  —  es  zeigt  jetzt  noch  einen 
zarten  Nachstaar  mit  S=^/|o,  das  rechte  iridectomirt. 


16  0.  Schirmer. 

Ea  könnte  nahe  liegen,  die  Bildung  der  äasseren  Zone 
mit  der  Iridectomie  in  beiden  Fällen  in  Zusammenhang  zu 
bringen  und  dadurch  diese  Operation  bei  Schichtstaar  zu 
discreditiren  —  die  Entstehung  schichtstaarähnlicher  Trü* 
bungen  durch  äi/ssere  Einflüsse  ist  ja  durch  Beobachtungen 
von  V.  Graefe^),  Becker*)  und  mir')  ausser  Frage  ge- 
stellt —  und  diese  Erklärung  liegt  um  so  näher,  als  bei 
Ernst  Heinrich  am  iridectomirten  Auge  allein  die  neue 
Trübungsschicht  sich  bildete.  Man  darf  aber  nicht  ver- 
gessen, dass  der  Schichtstaar  hier  von  vornherein  einseitig 
gewesen  war;  die  besonderen  Verhältnisse,  welche  die  Bil- 
dung der  inneren  Staarzone  am  linken  Auge  verhindert 
hatten,  mögen  wohl  auch  das  zweite  Mal  noch  in  Kraft  ge- 
wesen sein.  —  Direct  ausgeschlossen  werden  kann  diese 
Aetiologie  im  dritten  Fall,  wo  ich  eine  solche  späte  Ent- 
stehung der  äusseren  Staarzone  beobachtete,  bei  Fall  2 
meiner  ersten  Arbeit  über  Schichtstaar').  Die  Patientin 
war  rechts  im  Juni  1882,  links  im  Mai  1883  wegen  ein- 
fachen Schichtstaars  iridectomirt.  Die  äussere  Zone  fand 
sich  erst,  als  sie  sich  im  Mai  1891,  vierzehn  Jahre  alt| 
wieder  vorstellte.  Soll  die  Operation  schuld  sein,  so  muss 
sich  die  Trübung  doch  im  Anschluss  an  sie  bilden.  Hier 
aber  wurde  sie  zehn  Monate  nach  der  ersten  Iridectomie 
noch  nicht  gefunden,  und  nach  der  zweiten  bildete  sie  sich 
doppelseitig.  Ich  muss  deshalb  bei  meiner  damals  ausge- 
sprochenen Anschauung  bleiben,  dass  es  sich  in  solchen  Fäl- 
len um  eine  Wiederholung  des  für  die  innere  Staarschicht 
ursächlichen  Moments  handelt,  dass  dasselbe  noch  lange 
Jahre  nach  der  Geburt  in  Action  treten  könne. 


>)  Notiz  über  Schichtstaar:  Archiv  für  Ophthalm.  II,  1,  S.  273. 
1856. 

')  "Cataracta  capsularis  centralis  anterior  mit  Gatar.  nuclearis. 
Bericht  über  die  Augenklinik  der  Wiener  Universität  1863 --1865. 
S.  96.   Wien  1867. 

•)  Archiv  für  Ophthalm.  XXXV,  3,  S.  171. 


Zur  patholog.  Anatomie  und  Pathogenese  des  Centralstaars.  17 

Ueberblicken  wir  noch  einmal  die  Resultate  der  mikros- 
kopischen Untersuchung,  so  haben  wir  in  Fall  I  und  II 
Staare  vor  uns,  welche  man  klinisch  am  richtigsten  als 
undurchsichtigen  Schichtstaar  bezeichnen  würde.  Sie  ge- 
hören zu  jenen  Formen,  welche  Becker  im  Auge  hatte, 
als  er  schrieb,  die  Untersuchung  in  vivo  könne  keine  Ent- 
scheidung geben,  ob  es  sich  um  besonders  dichte  Schicht- 
staare oder  um  Kornstaare  handle.  Die  anatomische  Unter- 
suchung hat  hier  einen  anfangs  vielleicht  etwas  überraschen- 
den Aufschluss  gegeben;  es  handelt  sich  um  beides  zugleich, 
um  eine  zweifellose  Zonularcataract  mit  zarter  Kerntrübung. 
An  durchsichtige  Corticalschichten  schliesst  sich  in  schrof- 
fem Uebergang  ein  ovaläres  Band  kleinster  Tröpfchen,  wel- 
che beträchtlich  kleiner  sind,  als  ich  es  bisher  bei  Schicht- 
staar gesehen  habe^),  aber  bei  gleicher  Breite  des  Staar- 
bandes  ausserordentlich  zahlreich  und  bedingen  eben  hier- 
durch die  Undurchsichtigkeit  der  Cataractzone.  Gegen  die- 
selbe ist  makroskopisch  scharf  abgesetzt  der  Kern;  er  ent- 
hält grössere,  aber  spärlichere  Lücken  mit  grobkörniger 
Masse  gefüllt,  welche  vom  Centrum  nach  der  Peripherie  an 
Zahl  zu-,  an  Grösse  abnehmen,  so  dass  mikroskopisch  ein 
Uebergang  in  die  Staarschicht  statt  hat.  Seine  Fasern  sind 
noch  hinreichend  normal,  um  die  physiologische  Altersver- 
änderung —  die  Patientin  war  41  Jahre  alt  —  die  Aus- 
bildung von  Zähncheu  und  Zacken  zu  erleiden.  Es  sind 
diese  Kern  Veränderungen,  welche  den  bei  Schichtstaar  ge- 
fundenen völlig  analog  sind,  so  zahlreich,  dass  sie  in  der 
halbirten  Linse  den  Kern  zart  getrübt  erscheinen  lassen 
konnten.  Ob  aber  sie  es  sind,  die  intra  vitam  die  Cataract 
undurchsichtig  machten,  ist  mir  zum  mindesten  sehr  zwei- 
felhaft. Ich  glaube  eher  die  besonders  stark  getrübte  Staar- 
schicht Hess  uns  den  Kern  überhaupt  nicht  durchscheinen. 


')  Vergl.  Abbildung  3  dieser  Arbeit  mit  Abbildung  6  und  7  in 
„Zur  patholog.  Anatomie**  etc.:   dieses  Archiv  XXXV,  3,  Tafel  X. 

T.  Gnefe's  Archiv  für  OphÜialmologie.  XXXVII.  4.  2 


18  0.  Schirmer. 

—  Nach  der  mikroskopischen  Untersuchung  würde  man 
diesen  Kerustaar  zu  bezeichnen  haben,  als  einen  Schicht- 
staar,  bei  dem  die  ursächliche  Schädlichkeit  besonders  in- 
tensiv gewirkt  hat,  so  dass  nicht  nur  die  Staarschicht,  son- 
dern auch  die  Kernveränderungen  ungewöhnlich  stark  aus- 
gesprochen sind. 

Im  Fall  V  haben  wir  anatomisch  das  typische  Bild 
eines  doppelton  Schichtstaars,  zwei  concentrische,  nach  aus- 
sen scharf  abgesetzte  Trübungsringe  mit  makroskopisch  kla- 
rem Zwischenraum  und  klarem  Kern.  Was  hier  in  vivo 
die  innere  Staarzone  undurchsichtig  erscheinen  liess,  kann 
neben  der  durch  die  zarte  äussere  Staarschicht  bedingten 
Trübung  nur  ihre  eigene  Intensität  gewesen  sein.  Von 
einem  Kernstaar,  an  den  man  wegen  der  ündurchsichtig- 
keit  der  inneren  Zone  hätte  denken  sollen,  ist  also  auch 
hier  nichts  vorhanden. 

Im  Fall  III  und  IV  haben  wir  Formen,  welche  kli- 
nisch das  typische  Bild  eines  Centrallinsenstaars  aufweisen: 
kleine  sehr  intensive,  centrale  Trübungen,  hier  beidemale 
von  einer  zweiten,  weniger  stark  getrübten  Schicht  um- 
geben. Letztere  hatte  eine  mehr  scheibenförmige  Gestalt, 
aber  an  der  centralen  Parthie,  besonders  im  Falle  Naujoks, 
war  die  von  den  Autoren  postulirte,  kugelförmige  Gestalt 
in  die  Augen  springend.  Interessant  ist,  dass  sich  beide 
Staare  trotz  der  Gleichheit  der  anatomischen  Veränderun- 
gen auf  ganz  verschiedener  ätiologischer  Basis  gebildet  hat- 
ten, in  Fall  III  bei  einem  rhachi tischen  Individuum,  in 
Fall  IV  unter  Bedingungen,  welche  Arlt*)  und  Tetzer*) 
als  die  gewöhnlichen  für  den  Centrallinsenstaar  hinstellen, 
nämlich  verbunden  mit  congenitalen  Anomalieen,  hier  in 
einem  mikrophthalmischen  Auge. 

Das  anatomische  Substrat  der  Eerntrübung  bestand  in 
kleinsten  Tröpfchen,  welche  die  ganze  centrale  Linsenpar- 

')  Krankheiten  des  Auges.   Bd.  II,  S.  250.   Prag  1854, 

*)  Compendiam  der  Angenheilk.   4.  Aufl.   S.  282.   Wien  1887. 


Zur  patholog.  Anatomie  und  Pathogenese  des  Centralstaars.  19 

thie  in  solcher  Menge  durchsetzen,  dass  die  Fasercontouren 
nur  schwierig  zu  erkennen  sind.  Sie  sind  in  der  ganzen 
getrübten  Parthie  gleichmässig  vertheilt,  nach  aussen  hören 
sie  in  einer  scharfen  Grenze  auf.  Die  Fasern  sind  stark 
alterirt,  in  der  mannigfachsten  Weise  vorgebuckelt  und  aus- 
gebuchtet; die  physiologischen  Altersveränderuugen  waren 
im  Falle  Naujoks  trotz  der  öl  Jahre  des  Patienten  nicht 
zur  Entwicklung  gekommen.  In  beiden  Fällen  ist  die  cen- 
trale Trübung  von  einem  typischen  Schichtstaar  umgeben. 
Aehnliche  Tröpfchen,  wie  im  Centinim,  finden  sich  zahlreich 
in  einer  Faserschicht,  die  im  Fall  Schwarz  concentrisch  zur 
Linsenoberfläche  liegt,  im  Fall  IV  durch  die  Verschiebung 
der  einzelnen  Schichten  eine  etwas  unregelmässige  Anord- 
nung zeigt.  Der. Zwischenraum  zwischen  dieser  Zone  und 
der  centralen  Trübung  enthält  spärliche  Veränderungen, 
wie  ich  sie  auch  in  den  Fällen  von  doppelter  Zonularcata- 
ract  zwischen  beiden  Staarschichten  gefunden  hatte.  Wir 
haben  also  in  beiden  Fällen,  eingefasst  von  einem  Schicht- 
staar, einen  Centrallinsenstaar,  eine  gleichmässige,  intensive 
Trübung  des  Linsencentrums,  deren  anatomischer  Bau  durch- 
aus den  Veränderungen  der  Staarzone  bei  Zonularcataract 
analog  ist. 

Auch  im  Falle  Naujoks  ist  es  ein  Centralstaar  trotz 
der  auffallenden  Lage  der  Trübung.  Die  anatomische  Un- 
tersuchung hat  ergeben,  dass  auch  hier  die  ältesten  Lin- 
senschichten von  dem  cataractösen  Processe  betrofifen  sind 
und  dass  ihre  Dislocation  nach  hinten  durch  Verwachsung 
mit  einem  Hinterkapselstaar  zu  erklären  ist.  Es  ist  dies 
ein  Vorgang,  analog  dem  beim  Spindelstaar  supponirten; 
auch  letzterer  findet  sich  ja  gerade  in  Verbindung  mit 
Schichtstaaren.  Zur  Ausziehung  der  abnormen  Adhäsion 
zu  einem  Faden  ist  es  nicht  gekommen,  da  dieselbe  nur 
einseitig,  nur  an  der  Hinterkapsel  bestand;  es  wurde  also 
kein  genügender  Zug  an  ihr  durch  das  Auseinanderweichen 
der  Kapselblätter  ausgeübt;  und  die  hinteren  Faserenden» 

2* 


20  0.  Schirmer. 

welche  sich  zwischen  Centralstaar  und  Hinterkapsel  dräng- 
ten, waren  augenscheinlich  nicht  im  Stande,  die  breite  Ad- 
häsion zu  dehnen,  was  bei  schmäleren  Verbindungen  mög- 
lich zu  sein  scheint,  wie  der  Fall  der  Margarethe  E.  zeigt, 
den  Knies  ^)  anführt. 

Die  anatomische  Ursache  der  centralen  Staartrübung 
ist  so  völlig  identisch  der  Trübung  in  der  Schichtstaarzone, 
dass  man  unwillkürlich  eine  Ursache  für  die  beiden  For- 
men, eine  Entstehungsweise  annehmen  möchte.  Aber  nicht 
nur  die  anatomische  Aehnlichkeit  weist  darauf  hin,  es  ist 
bekannt,  dass  beide  auf  gleicher  ätiologischer  Basis  vorkom- 
men können  —  auf  die  gegentheilige  Ansicht  Schnabers 
komme  ich  später  zurück  — ,  sich  häufig  bei  mehreren 
Gliedern  derselben  Familie  finden  und  schliesslich,  wie  auch 
diese  Fälle  beweisen,  in  einer  Linse  neben  einander  vor- 
,kommen  können.  Es  fragt  sich  jetzt,  ist  es  möglich,  bei 
gleicher  Entstehungsweise  die  vorhandenen  Differenzen  un- 
gezwungen zu  erklären,  die  kleinere,  kuglige  Form  und 
die  intensivere,  totale  Trübung  der  Centralstaare  gegenüber 
der  ovalären  Trübungszone  und  den  geringen  Kernverän- 
derungen des  Schichtstaars,  und  die  stets  fötale  Entstehung 
des  einen  gegenüber  der  theils  intra-,  theils  extrauterinen 
Bildung  des  anderen  I  Das  ist  nun  in  der  That  sehr  wohl 
möglich. 

Die  Entstehung  des  Schichtstaars  hatte  ich  im  An- 
schluss  an  die  Horner'sche  Theorie  so  dargestellt,  dass 
eine  vorübergehend  einwirkende  Schädlichkeit  in  der  gan- 
zen, zur  Zeit  vorhandenen  Linse  Tröpfchen  erzeugt,  die  in 
den  jüngsten,  lebensfrischen  Schichten  so  massenhaft  auf- 
treten, dass  eine  klinisch  nachweisbare  Trübung  entsteht, 
in  den  älteren,  weniger  am  Stoffwechsel  betheiligten  Fasern 
nur  minimale,  makroskopisch  nicht  wahrnehmbare  Verän- 
derungen  erzeugt.     Die   später   gebildeten   Fasern   sollten 

')  Ueber  den  Spindelstaar  und  die  Accommodation  bei  dem- 
selben: Archiv  für  Ophthalm.  XXIII,  1,  S.  217, 


Zur  patholog.  Anatomie  und  Pathogenese  des  Centralstaars.  21 

sich  in  normaler  Transparenz  anfügen.  So  erklärt  sich 
zwanglos  die  linsenförmige  Gestalt  des  Schichtstaars,  die 
intensive  Trübung  nur  einer  Schicht  und  die  geringen  Kern- 
Veränderungen.  Nun  ist  aber  in  sehr  früher  fötaler  Periode 
die  Linse  nicht  nur  kleiner,  sondern  auch  sehr  viel  kug- 
liger  gestaltet,  als  um  die  Zeit  der  Geburt.  Ein  sehr  früh 
gebildeter  Schichtstaar  wird  deshalb  nicht  nur  kleiner,  son- 
dern auch  kugliger  sein  müssen,  als  ein  im  extrauterinen 
Leben  entstandener.  In  so  früher  Periode  sind  die  Fasern 
noch  durch  die  ganze  Linse  gleichmässig  lebend,  noch 
gleichmässig  der  Ernährung  bedürftig,  es  giebt  noch  keine 
gealterten,  geschrumpften,  vom  Stofifwechsel  ganz  oder  doch 
fast  ganz  ausgeschlossenen  Fasern.  Die  gleiche  Schädlich- 
keit, welche  in  späterer  Zeit  nur  die  jüngsten  Schichten 
intensiv  trübt,  in  den  centraler  gelegenen,  vom  Stoffwechsel 
schon  mehr  ausgeschlossenen  nur  geringe  Veränderungen 
hervorruft,  wird  hier  die  ganze  Linse  gleichmässig  trüben 
müssen;  sie  ruft  eine  fötale  Totalcataract  hervor,  aus  wel- 
cher allmälig  durch  Anlagerung  neuer,  durchsichtiger  Schich- 
ten ein  Centrallinsenstaar  wird. 

Die  Theorie  der  Pathogenese  der  Zonularcataract  kann 
also  ohne  Weiteres  auf  den  Gentralstaar  ausgedehnt  wer- 
den. Ich  kann  mich  für  beide  derselben  Worte  bedienen: 
Irgend  eine  Schädlichkeit,  deren  Wesen  uns  noch  unbe- 
kannt ist,  wahrscheinlich  eine  Störung  in  der  Ernährung 
der  Linse,  ruft  sowohl  in  den  zur  Zeit  ihrer  Einwirkung 
schon  gebildeten,  wie  in  den  während  dieser  Zeit  entste- 
henden Linsenschichten  Veränderungen  hervor:  sie  erzeugt 
Tröpfchen,  die  anfangs  vielleicht  in  den  Fasern  liegen  und 
erst  später,  wenn  die  Faser  schrumpft,  herausgepresst  wer- 
den, vielleicht  aber  auch  von  Anfang  an  zwischen  densel- 
ben liegen.  Nur  die  zur  Zeit  der  Schädigung  noch  völlig 
lebenskräftigen,  noch  mitten  im  Stoffwechsel  stehenden  Fa- 
sern enthalten  solche  Mengen  Tröpfchen,  dass  eine  klinisch 
wahrnehmbare  Trübung  entsteht;  die  älteren  Fasern  wer- 


22  '  0.  Schirmer. 

den  nach  Maassgabe  ihrer  geringeren  Betheiligung  am  Stoff- 
wechsel weniger  alterirt.  Die  Ursache  der  Staarbildung 
pflegt  ziemlich  plötzlich  aufzuhören,  wie  die  scharfe  Grenze 
der  Trübung  nach  aussen  beweist.  Die  später  gebildeten 
Fasern  sind  völlig  normal  und  durchsichtig. 

Je  nach  der  Zeit,  in  welcher  die  Schädlichkeit  ein- 
wirkte und  nach  ihrer  Intensität  wird  sie  eine  ganze  Reihe 
verschiedener  Staarformen  erzeugen  können,  an  deren  bei- 
den £nden  einerseits  die  kleinen,  kugligen,  weissen  Central- 
staare,  andrerseits  die  auf  wenige  benachbarte  Faserschich- 
ten beschränkten,  zarten,  grossen,  fast  ganz  durchsichtigen ' 
Zonularcataracte  stehen.  Erstere  sind  durch  eine  erheb- 
lichere und  vor  Allem  durch  eine  sehr  frühe  Ernährungs- 
störung bedingt  —  Ceutralstaare  sind  nach  allgemeiner  An- 
sicht stets  angeboren  — ,  letztere  durch  eine  geringgradige 
und  relativ  späte  Störung  —  Schichtstaare  pflegen  um  die 
Zeit  der  Geburt,  ab6t  wahrscheinlich  häufiger  extrauterin, 
zu  entstehen;  in  wie  spätem  Alter  sie  sich  noch  bilden 
können,  zeigen  die  oben  angeführten  Fälle  von  doppeltem 
Schichtstaar.  —  Zwischen  diesen  beiden  Staarformen  stehen 
jene  grösseren  Cataracte,  welche  die  Configuration  eines 
Schichtstaars  zeigen,  dabei  aber  völlig  undurchsichtig  sind. 
Sie  zählt  man,  wie  Fall  I,  II  und  V  beweisen,  richtiger  zu 
den  Schichtstaaren,  da  die  Undurchsichtigkeit  durch  eine 
besonders  starke  Ausbildung  der  Staarschicht  bedingt  ist. 

Eine  gleiche  Pathogenese  der  beiden  Staarformen  be- 
weist zwar  nichts  dafür,  dass  sie  auch  eine  gleiche  Ursache 
haben,  aber  soweit  von  einander  verschieden,  wie  Schnabel 
behauptet,  scheinen  sie  mir  doch  nicht  zu  sein.  Schna- 
bel^) hält  dafür,  dass  Kemstaare  sowohl,  wie  Punktstaare 
und  congenitale  Totalstaare  durch  abnorme  Eeimesbeschaf- 
fenheit,  Schichtstaar  durch  Störungen  im  intra-  und  extrau- 

*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Sitzung  des  Vereins  der  Aerzte 
Steiermarks  am  24.  Novbr.  1890  (Referat  im  Centralbl.  ftlr  Augen- 
heilkunde.  April  1891). 


Zur  patholog.  Anatomie  und  Pathogenese  dea  Centralstaars.  23 

terinen  Leben  zu  Stande  kommen.  Als  Beweis  führt  er  an, 
dass  Kemstaar  häufig  bei  Geschwistern  oder  in  verschiede- 
den  Generationen  derselben  Familie  gesehen  wird,  Schicht- 
staar  niemals!  Dagegen  bemerkt  Hirschberg  in  einer 
Note  zum  Referat,  dass  er  Grossmutter,  Mutter  und  Kind 
am  Schieb tstaar  operirt  habe;  auch  ich  sah  die  gleiche 
Form  bei  Mutter  und  Sohn  und  ähnliches  haben  gewiss 
viele  Ophthalmologen  gesehen.  Dagegen  ist  femer  die  von 
Knies*)  beschriebene  Spindelstaarfamilie  anzuführen,  drei 
Brüder  mit  Centralstaar  und  einfachem  oder  doppeltem 
Schichtstaar.  Da  auch  bei  den  drei  Schwestern  dieser  Brü- 
der, bei  ihrer  Mutter  und  mütterlichem  Grossvater  Linsen- 
anomalieen  vorhanden  waren,  spricht  dieser  Fall  durchaus 
für  eine  Entstehung  durch  abnorme  Keimesbeschaffenheit. 
Es  scheint  mir  allerdings,  dass  durch  ein  solches  Vorkom- 
men bei  einer  Anzahl  von  Gliedern  derselben  Familie  eine 
abnorme  Beschaffenheit  des  Linsenkeims  noch  nicht  erwie- 
sen ist,  sondern  die  Annahme  hat,  meine  ich,  gleiche  Be- 
rechtigung, dass  nur  eine  AUgemeindyskrasie  (rhachitische 
Disposition?)  im  Keim  vererbt  wird,  und  die  Linsenanomalic 
secundär  durch  diese  herbeigeführt.  Es  ist  zweifellos,  dass 
sich  der  Centralstaar  besonders  häufig  mit  anderen  conge- 
nitalen Anomalieen  des  Auges  verbindet,  ebenso  zweifellos 
aber  kommt  er  mitunter  auf  derselben  Basis,  wie  der  Schicht- 
staar vor,  wie  der  oben  angeführte  Fall  Schwarz  beweist. 
Ich  glaube  deshalb,  der  Schnabel 'sehe  Satz  kann  in  der 
Allgemeinheit,  wie  ihn  der  Autor  ausspricht,  nicht  aufrecht 
erhalten  werden,  sondern  Schichtstaar  wie  Centralstaar 
können  verschiedene  Ursachen  haben,  beide  sowohl  ab- 
norme Keimesbeschaffenheit,  wie  auch  nicht  ererbte  intra- 
oder  extrauterine  Störungen. 

Zum  Schluss  möchte  ich  noch  darauf  hinweisen,  dass 
die  hier  abgehandelte  Staarform  den  Namen  „Kernstaar", 

*)  loc.  cit. 


24  0.  Schirmer. 

mit  dem  sie  vielfach  belegt  wird,  mit  Unrecht  führt.  Es 
handelt  sich  nicht  um  eine  Trübung  des  Kerns;  ein  Kern 
ist  zur  Zeit  ihrer  Entstehung  überhaupt  noch  nicht  gebil- 
det, sondern  entsteht  erst  später,  und  einer  vorzeitigen 
Kembildung  ist  die  centrale  Trübung  gewiss  nicht  gleich- 
zusetzen. Ich  möchte  für  diese  Form  den  Namen  vorschla- 
gen, welchen  Becker  sowohl  in  seiner  Monographie  im 
Sammelwerk  von  Graefe-Saemisch,  wie  in  dem  Werke: 
„Zur  Anatomie  der  gesunden  und  kranken  Linse^'  gebraucht^ 
nämlich  Centrallinsenstaar  oder  kürzer  Centralstaar.  Wenn 
man  sich  gewöhnt,  wie  es  ja  jetzt  schon  meistens  geschieht, 
den  Namen  Gentralkapselstaar  ganz  aufzugeben  und  dafür 
vorderer,  resp.  hinterer  Polarstaar  zu  sagen,  würde  jede  Ver- 
wechslung ausgeschlossen  sein  und  der  Name  „Centralstaar" 
bliebe  reservirt  für  Trübungen  des  Centrums  der  Linse,  für 
kleine,  kuglige,  intensiv  weisse  oder  gelbliche,  undurchsich- 
tige, central  gelegene,  angeborene  Trübungen.  Als  Schicht- 
staar  sollte  man  meiner  Ansicht  nach  alle  grösseren,  schei- 
benförmigen, mehr  opak  gi*aulichen  Staare  bezeichnen,  gleich- 
gültig ob  sie  durchsichtig  sind  oder  nicht.  Denn  auch  im 
letzteren  Fall  haben  wir  es  mit  einem  Schichtstaar  zu  thun, 
dessen  Staarschicht  so  dick  oder  so  getrübt  ist,  dass  sie 
kein  Licht  durchlässt.  Eine  scharfe  Grenze  zwischen  bei- 
den Formen  zu  ziehen,  ist  natürlich  unmöglich,  weil  sie 
allmälig  in  einander  übergehen.  Ob  der  congenitale,  harte 
Kernstaar  A.  Graefe's*)  seinen  Namen  mit  Recht  trägt, 
kann  hier  unerörtert  bleiben,  da  derselbe  überhaupt  nicht 
in  die  hier  geschilderte  Gruppe  zu  gehören  scheint. 


*)  Bericht  der  Heidelberger  Ophthalm.  Qesellsch.  1879.    S.  25. 


Zar  patholog.  Anatomie  und  Pathogenese  des  Centralstaars.  25 


Figuren-Erklärung  auf  Tafel  I  und  n. 


Fig.  1  und  2. 

Die  Linsen  von  Fall  II  und  lY  in  sechsfacher  Vergrösserung 
nach  ungefärbten  Glycerinpräparaten  gezeichnet. 

In  beiden  Figuren  bedeutet  a  die  centrale  Parthie,  h  die  Schicht- 
staarzone,  c  die  Corticalis. 

Fig.  3  und  4. 

Dieselben  Linsen  in  20  f acher  Vergrösserung  gezeichnet  unter 
Benutzung  verschiedener  Objective.  Die  Buchstabenbezeichnung  ist 
dieselbe,  wie  in  den  Figuren  1  und  2.  d  in  Fig.  3  ist  die  nur  in 
der  hinteren  H&lfte  vorhandene  Zone  eines  zweiten  Schichtstaars. 
In  Figur  4  bedeutet  c^  die  normalen  Corticalschichten,  c,  die  in 
Folge  der  Discision  zerfallenen. 

In  beiden  Zeichnungen  sind  sämmtliche  Lücken  im  Yerh&ltniss 
zur  ganzen  Linse  viel  zu  gross  gezeichnet.  Es  geschah  dies,  um 
auch  die  kleineren  derselben  als  Kreise  wiedergeben  zu  können. 

Fig.  6. 
Aus  der  Staarschicht  von  Fall  II.    Yergr.  505. 

Fig.  6. 
a  die  hintere  Parthie  des  Centralstaars  von  Fall  IV,  b  das  an- 
grenzende Eiweissgerinnsel.    Yergr.  505. 


Beiträge  znr  Kenntniss  der  Cataracta  zonidaris. 

Von 

Dr.  Bernhard  Dub, 
k.  und  k.  Regimentsarzt  in  Wien. 

(Aus  der  II.  üniversit&ts- Augenklinik  des  Prof.  Fuchs  in  Wien.) 


Durch  Becker,  Wecker,  Critchett,  Leber  u.  A.  ist 
es  nachgewiesen,  dass  die  Cataracta  perinuclearis  sowohl 
angeboren,  als  auch  post  partum  entstanden  vorkommt. 
Die  meisten  Autoren  neigen  der  Ansicht  zu,  dass  die  Zahl 
der  angeborenen  Schichtiataare  eine  ziemlich  beschränkte 
ist  gegenüber  den  später  auftretenden  Formen  und  identi- 
fiziren  die  Entstehungszeit  derselben  mit  der  des  Auftre- 
tens von  Krämpfen.  Um  diesen  Fragen  näherzutreten,  ins- 
besondere zu  dem  Zwecke,  um  womöglich  aus  der  Grösse 
der  Cataracta  perinuclearis  auf  die  Zeit  ihres  Entstehens 
rückzuschliessen,  unternahm  ich  es  auf  Anregung  meines 
hochverehrten  Lehrers,  Herrn  Professor  Fuchs,  die  wäh- 
rend meiner  —  allerdings  kurzen  —  Thätigkeit  auf  dessen 
Klinik  vorkommenden  Fälle  dieser  Staarform,  „des  Kinder- 
staars" zu  beobachten. 

Die  Untersuchungen,  welche  ich  anstellte,  waren  von 
zweierlei  Art.  Erstens  maass  ich  so  sorgfältig,  als  es  mir 
möglich  war,  die  äquatorialen  Durchmesser  jener  Fälle  von 
Schichtstaar,  welche  während  meines  Aufenthaltes  an  der 
Klinik   zur   Beobachtung   gelangten.     Zweitens   unternahm 


.  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Cataracta  zonularis.  27 

ich  es,  die  Dimensionen  der  Krystalllinse  im  Kindesalter  zu 
bestimmen.  Ich  beabsichtigte,  durch  Vergleichung  dieser 
mit  den  Dimensionen  der  Schichtstaare  Anhaltspunkte  zu 
gewinnen  über  die  Zeit,  zu  welcher  die  Linsentrübung  ent- 
standen sein  mochte.  Wenn  es  nun  auch,  wie  später  ge- 
zeigt werden  wird,  nicht  möglich  war,  zu  einer  ganz  prä- 
cisen  Beantwortung  dieser  Frage  zu  gelangen,  so  glaube 
ich  doch,  dass  schon  die  Messungen  an  sich  nicht  ohne 
Werth  sind,  da  bis  jetzt  nur  ganz  vereinzelte  Angaben 
hierüber  vorliegen. 

I. 
Messungen  an  Schichtstaaren. 

Soweit  mir  die  Literatur  zugänglich  war,  habe  ich 
daselbst  nur  vereinzelte,  gelegentliche  Angaben  über  die 
Grössenverhältnisse  der  Cataracta  zonularis  gefunden.  So 
ei'wähnt  Schirmer  (Archiv  für  Ophthalm.  1889,  3),  dass 
der  Durchmesser  eines  Schichtstaars  bei  einem  33jährigen 
Manne  6  mm  betrug,  ferner  erwähnt  er  einen  solchen  von 
5 — b^l^mm  bei  einem  funQährigen  Knaben;  Beselin  fand 
eine  5  mm  grosse  Zonulartrübung,  Michel  giebt  in  seinem 
Lehrbuch  an,  dass  die  Grösse  zwischen  4  und  8  mm  schwanke, 
Wecker  constatirte  in  dem  bekannten  Falle  seines  neun- 
jährigen Mädchens  4,5  —  5  mm.  Nirgends  aber  ist  eine 
Methode  angegeben,  wie  die  Trübungen  gemessen  wurden 
oder  zu  messen  wären. 

Nach  mannigfachen  Versuchen,  insbesondere  mit  dem 
von  Weiss  angegebenen  Apparat  zur  Messung  der  Objecte 
des  Augenhintergrundes,  dessen  vorwiegendste  Bestandtheile 
ein  Prisma  und  ein  Maasstäfelchen  sind,  gelangte  ich  zu 
einer  Methode,  die  mir  wegen  ihrer  Raschheit,  Einfachheit 
und  Zuverlässigkeit  als  die  beste  erschien.  Sie  fusst  eigent- 
lich darauf,  dass  ich  das  Prisma  jenes  Apparates  durch 
mein  freiwilliges  Schielen  ersetzte. 


28  B.  Dub. 

Nach  Homatropinisirung  des  zu  untersuchenden,  bei- 
spielsweise des  linken  Auges,  beleuchte  ich  dasselbe  mit 
dem  vor  mein  rechtes  Auge  gesetzten  Spiegel  und  halte 
mein  linkes  Auge  vorerst  geschlossen.  An  der  linken  Schlä- 
fenseite des  Patienten,  etwas  hinter  dem  äusseren  Augen- 
winkel desselben,  also  so  viel  als  möglich  in  derselben 
Ebene  mit  der  getrübten  Linse,  brachte  ich  ein  nach  gan- 
zen und  halben  Millimetern  eingetheiltes  Täfelchen  an.  Nun 
öffne  ich  mein  linkes  Auge,  schiele  nach  innen  und  schaffe 
mir  dadurch  ein  gleichnamiges,  beleuchtetes  Doppelbild  des 
untersuchten  linken  Auges,  welches  ich  nach  dem  Grade 
des  Schielens  bis  zu  einer  gewissen  Entfernung  auf  das 
Maasstäfelchen  projiziren  kann.  Nun  habe  ich  die  beleuch- 
tete Trübung  auf  dem  Täfelchen,  umgeben  von  hellem  Roth 
und  bin  im  Stande,  da  ja  dieses  und  die  Linse  so  ziem- 
lich in  derselben  Ebene  liegen,  mit  Hülfe  der  Millimeter- 
eintheilung  die  Trübung  direct  zu  messen.  Natürlich  ge- 
lang mir  dies  nicht  am  ersten  Tage,  es  dauerte  ziemlich 
lange,  bevor  ich  im  Stande  war,  gleichzeitig  die  Trübungs- 
grenzen und  die  Theilstriche  der  Eintheilung  zu  fixiren. 
Anfangs  half  ich  mir  damit,  die  einzelnen  Theilstriche  des 
Täfelchens  in  verschiedenen  Farben  anzubringen,  lun  ge- 
wissermassen  Ruhepunkte  für  das  Auge  zu  haben;  später 
war  das  nicht  mehr  nothwendig.  Ln  Schielen  erlangte  ich 
schliesslich  eine  solche  Fertigkeit,  dass  ich  in  dem  Mo- 
mente, wo  ich  das  linke  Auge  öffnete,  sofort,  ohne  dass  es 
der  geringsten,  mir  zum  Bewusstsein  kommenden  Anstren- 
gung bedurfte,  das  beleuchtete  Doppelbild  auf  dem  Täfel- 
chen saL  Ohne  besondere  Anstrengung  konnte  ich  dann 
für  mehrere  Minuten  in  dieser  Stellung  verharren  und  wenn 
ich  schliesslich  ermüdete,  so  genügte  es,  das  linke  Auge 
einige  Secunden  zu  schliessen,  um  von  Netfem  fortfahren 
zu  können.  Es  braucht  nicht  besonders  erwähnt  zu  wer- 
den, dass  ich  in  analoger  Weise  bei  der  Untersuchung  des 
rechten  Auges  des  Patienten  vorging,  indem  ich  den  Spiegel 


Beiträge  zur  Eenntniss  der  Cataracta  zonularis. 


29 


Yor  mein  linkes  Auge  setzte.  Das  Maasstäfelchen  fixirte 
ich  in  der  gewünschten  Stellung  durch  einen  um  den  Kopf 
des  Patienten  gelegten  Draht. 

Um  so  genau  als  möglich  vorzugehen,  maass  ich  auf 
diese  Weise  jede  Trübung  wohl  zehnmal.  Die  grösste  Dif- 
ferenz bei  solchen  Messungen  betrug  einmal  nicht  ganz 
*/j  mm,  sonst  war  die  Fehlergrenze  immer  geringer.  Durch 
Addirung  der  jedesmal  gefundenen  Grössen  und  Entnahme 
des  arithmetischen  Mittels  glaube  ich  zu  verlässlichen  Re- 
sultaten gekommen  zu  sein. 

Nun  blieb  noch  die  Vergrösserung  der  hinter  der  Cor- 
nea liegenden  Objecto  durch  diese  zu  berücksichtigen.  Nach 
Helmholtz  beträgt  die  Vergrösserung  durch  die  Cornea 
*/7  *);  die  um  ^/^  reduzirten  Grössen  der  trüben  Schichte, 
also  die  wahren  Grössen  der  Cataracta  perinuclearis  waren: 


Nr. 

Alter 

:Trr-= 

Aequatorialdurch- 

in  Jahren 

messer  in  mm 

1 

11 

4,4 

2 

16 

4,6 

3 

8 

4,7 

4 

13 

4,8 

5 

11 

4,8 

6 

10 

5,0 

7 

10 

5.2 

8 

24 

5.2 

9 

18 

5,5 

10 

9 

5,6 

Wir  werden  später  die  gefundenen  Grössen  zu  verwerthen 
haben.  In  diesen  zehn  Fällen  waren  die  Verhältnisse  in 
beiden  Augen  vollkommen  gleich;  auch  nicht  die  kleinste 
Differenz  der  Zonularcataract  an  beiden  Augen  war  zu  con- 
statiren.  In  fünfen  unserer  Fälle  wurde  bestimmt  das  Vor- 
kommen von  Krämpfen  im  jugendlichen  Lebensalter  ange- 
geben;  der   präzise   Zeitpunkt   des   Eintretens   derselben 

^)  Physiologische  Optik,  2.  Aufl.,  S.  126. 


30  B.  Dub 

wurde  in  zwei  Fällen  mit  Ablauf  des  ersten  Lebensjahres 
constatirt;  in  den  anderen  drei  Fällen,  bei  denen  Krämpfe 
ebenfalls  angegeben  wurden,  wurde  das  Alter  mit  '/4  bis 
3  Jahren  angegeben.  Ausgesprochene  Zeichen  von  Rhachitis 
fanden  sich  bei  dreien  unserer  Fälle  und  zwar  betrafen  sie 
lediglich  die  Zähne;  die  oberen  Schneide-  und  Eckzähne 
zeigten  die  bekannten,  horizontalen  Schmelzwülste  und  die 
Plumpheit  der  Zahnform. 

In  keinem  unserer  Fälle  war  in  der  Familie  des  Be- 
treffenden das  Vorkommen  von  Cataracta  zonularis  oder 
auch  nur  einer  ähnlichen  pathologischen  Form  zu  consta- 
tiren.  Schädelanomalieen  bot  keiner  unserer  Fälle.  Unge- 
nügende geistige  Entwicklung  war  in  einem  Falle  zu  con- 
statiren,  in  dessen  Familie  noch  drei,  ärztlicherseits  als 
Idioten  bezeichnete  Angehörige  leben.  Sämmtliche  Fälle 
bis  auf  einen,  unten  näher  zu  beschreibenden,  boten  das 
charakteristische  Bild  der  Cataracta  perinuclearis.  Es  zeigte 
sich,  dass  die  diffuse  Trübung,  die,  in  der  Mitte  am  wenig- 
sten saturirt,  bei  normaler  Pupille  das  ganze  Pupillargebiet 
einnahm,  nach  Anwendung  von  Atropin  nicht  bis  zum  Ae- 
quator  der  Linse  reichte,  sondern  dass  sie  von  einer  voll- 
kommen klaren  Corticalzone  umgeben  war.  Reiterchen  fan- 
den sich  in  7  von  unseren  10  Fällen  vor.  In  dem  einen 
oben  angedeuteten  Falle  war  nebst  der  Perinuclearis  eine 
deutliche  Nuclearis  zu  constatiren.  In  der  Mitte  der  Linse, 
dem  Kern  entsprechend,  befand  sich  eine  intensiv  weisse, 
knopfförmige  Trübung;  von  derselben  gingen,  entsprechend 
der  Sternfigur  der  Linse,  drei  lineare  Trübungen  ab  nach 
aussen  oben,  innen  oben,  und  unten,  welche  an  ihrem  Ende 
eine  stccknadelkopfgrossc,  knoi)fförmige  Verdickung  zeigten. 
Der  Refractionszustand  bei  vieren  unserer  Fälle  war  der 
normale,  fünf  zeigten  myopische,  einer  hypermetropische 
Refraction. 


Beiträge  znr  Eenntniss  der  Cataracta  zonularis.  31 

n. 

Messungen  von  kindlichen  Linsen. 

Was  die  Messungen  von  Linsen  betrifft,  so  konnte  ich 
in  der  Literatur,  abgesehen  von  gelegentlichen  und  durch- 
schnittlichen Zahlenangaben  nur  eine  grössere  Zusammen- 
stellung von  Priestley  Smith:  „On  the  growth  of  the 
crystalline  lens"  in  den  Opthalmologikal  Transact.  Vol.  III, 
Sess.  82 — 83,  finden.  Smith  misst  aber  nur  Linsen  von 
Zwanzigjährigen  aufwärts,  womit  mir  also  nicht  gedient 
sein  konnte.  Ferner  fand  ich  in  einem  Artikel:  „Abuor- 
malities  of  the  zonule  of  Zinn"  in  „The  Royal  London  op- 
thalmic  Hospital  Reports*'  Vol.  XIII,  Part  I,  Decbr.  1890, 
einige  Angaben  über  Linsengrössen  im  fötalen  Leben  von 
Treacher  Collins.  Wir  kommen  unten  bei  der  Verglei- 
chung  der  gefundenen  Grössen  auf  beide  Autoren  zu  sprechen. 

Durch  die  freundliche  Zuvorkommenheit  des  Hrn.  Pro-  ^ 
sectors  am  St.  Annakinderhospitale  Dr.  Kolisko,  dem  ich 
an  dieser  Stelle  meinen  besten  Dank  sage,  war  es  mir  mög- 
lich, an  33  Kinderleichen  die  Linsen  messen  zu  können. 
Da  es  nicht  anging,  die  Leichen  zu  entstellen,  war  ich  ge- 
nöthigt,  den  Bulbus  nach  Herausnahme  des  Gehirns  und 
Wegnahme  des  Orbitaldaches  von  hinten  zu  eröffnen  und 
so  die  Linse  herauszubefördern.  Es  wurden  nur  vollkom- 
men intacte  Linsen  gemessen.  Dieselben  wurden  unmittel- 
bar nach  der  Herausnahme  in  ein  Gefäss  mit  reinem  Ter- 
pentinöl gegeben  und  die  Messung  längstens  eine  Stunde 
nachher,  meist  unmittelbar  darauf,  vorgenommen.  Die  Her- 
ausnahme der  Linsen  geschah  längstens  20  Stunden  nach 
dem  Tode. 

Priestley  Smith  maass  die  Linsen  mit  dem  Zirkel 
so  genau,  dass  er  sie  bis  auf  Hundertstel  von  Millimetern 
bestimmte.  Mir  gelang  es  nicht,  auf  diesem  Wege  zu  be- 
friedigenden Resultaten  zu  kommen.  Die  Fehlergrenze  war 
bei  dieser  Methode  wegen  der  Nachgiebigkeit  der  Linsen 


32  B.  Dub. 

eine  zu  grosse.  Treacher  Collins  maass  an  den  in  Mül- 
ler'scher  Flüssigkeit  gehärteten  und  durchschnittenen  Bulbi 
die  Linse  in  situ.  Ich  ging  auf  folgende  Art  vor.  Ich  be- 
nutzte ein  einfaches  Präparirmikroskop  mit  dem  Ocular  10 
und  eine  Mikrometereintheilung  aus  dem  Ocular  eines  Zeiss- 
schen  Mikroskops.  Eine  Gittereintheilung  stand*  mir  leider 
nicht  zu  Gebote.  Die  Linse  wurde  aus  dem  Terpentinöl 
vorsichtig  herausgenommen,  mit  Fliesspapier  vom  Oele  be- 
freit und  nun  auf  diese  Millimetereintheilung  gelegt  Diese 
kam  nun  auf  die  Glasplatte  des  Mikroskops.  Ferner  be- 
nutzte ich  dazu  ein  Fadenkreuz  aus  Menschenhaaren.  So 
konnte  ich  den  Aequatorialdurchmesser  auf  Zehntel  von 
Millimetern  ablesen.  Ich  maass  nun  jede  Linse  in  ver- 
schiedenen Richtungen  und  zu  wiederholten  Malen  imd  nahm 
dann  —  die  Differenzen  zwischen  den  einzelnen  Messungen 
betrugen  nie  mehr  als  ^/^^mm  — ,  von  sämmtlichen  gefun- 
denen Zahlen  das  arithmetische  Mittel.  Behufs  Messung 
des  Sagittaldurchmessers  der  Linsen  legte  ich  dieselben  auf 
eine  Glasplatte  von  bekannter  Dicke,  maass  mit  dem  Zirkel 
die  Dicke  der  Linse  sammt  der  Glasplatte  so  genau  als 
möglich  und  zog  von  der  gefundenen  Zahl  die  Dicke  der 
Platte  ab.    Die  Fehlergrenze  betrug  bis  */io  mm. 

Ich  verhehle  mir  nicht,  dass  die  so  gefundenen  Durch- 
messer nicht  Anspruch  auf  vollständige  Genauigkeit  der 
Wiedergabe  der  Linsengrössen  beim  Lebenden  machen  kön- 
nen. Denn  abgesehen  von  der  wohl  nicht  in  Betracht  kom- 
menden Grössenveränderung  der  Linse  in  den  ersten  zwan- 
zig Stunden  nach  dem  Tode  ist  nicht  zu  vergessen,  dass 
ja  die  Linse  in  vivo  durch  die  Zonula  eine  Abflachung  er- 
leidet, die  bei  der  Messung  nicht  berücksichtigt  werden 
kann.  Andrerseits  erleidet  die  herausgenommene  Linse  durch 
das  Auflegen  auf  die  Glasplatte  ebenfalls  eine  nicht  unbe- 
trächtliche Zunahme  des  Aequatorial-  auf  Kosten  des  Sagit- 
taldurchmessers, so  dass  sich  diese  beiden  Fehlerquellen 
zum  Theile  compensiren  dürften. 


Beiträge  zur  Eenntniss  der  Cataracta  zonularls. 


33 


Mein  Material  war  in  Bezug  auf  das  Alter  der  Kinder 
leider  einseitig.  Nur  drei  Kinder  standen  in  einem  Alter 
von  unter  einem  Jahre,  19  in  einem  Alter  von  ein  bis  zwei 
Jahren,  vier  waren  zwei  bis  drei  Jahre  alt,  vier  standen 
zwischen  dem  dritten  und  vierton  Jahre,  je  eins  war  5^/jj, 
7  und  12  Jahre  alt.  Immerhin  ist  es  insofern  günstig,  als 
die  meisten  Fälle  das  Alter  von  ein  bis  zwei  Jahren  hatten, 
jenes  Alter,  das  der  landläufigen  Ansicht  nach  die  meiste 
Vorliebe  für  das  Auftreten  der  Krämpfe,  also  auch  der 
Cataracta  perinuclearis,  haben  soll. 

Die  Resultate  dieser  Messungen  lege  ich  in  Folgendem 
dar;  ich  notirte  aus  naheliegenden  Gründen  auch  die  Kör- 
pergrösse  der  Kinder. 


Nr. 

Alter 

Körper- 
llnge 

Aequatorial  -  Durchmesser 

Saglttal  -  Durchmesser 

Grösse    Max.     Min.    Mittel 

Grösse 

Max. 

Min.    Mittel 

1 

10  Mon. 

52 

6,8    j 

2,2 

2 

11  » 

50 

8,0 

•8,0 

6,8 

7,46 

2,4 

2,8 

2,2 

2,46 

3 

11  „ 

60 

7,6 

2,8 

1 

4 

12    „ 

62 

7,8 

2,6 

5 

12    „ 

66 

6,9 

2.5 

6 

13    „ 

62 

7,6 

2.5 

7 

13    „ 

74 

8,0 

2,6  j 

8 

IV4  Jahr 

84 

8,0 

2.9 

9 

IV4    ,, 

64 

8,1 

2,6  ' 

10 

IV4    „ 

62. 

8,0  1 

2,8   ! 

11 

IV,    „ 

82 

8,0  1 

2,6   1 

12 

IV,    „ 

70 

8,1 

2,5 

13 

iVi    „ 

65 

8,3 

8,3 

6,9 

7,87 

2,6 

2,9 

2,2 

2,57 

14 

IV,    » 

64 

7,5 

2,2 

15 

IV.    „ 

68 

8,0 

2.4 

16 

IV,    n 

74 

8,2 

2,6 

17 

IV,    „ 

76 

7,4 

2.6 

18 

IV,    ,. 

74 

7,8 

2,5 

19 

1V4  „ 

62 

7,8 

2,8 

20 

1V4  M 

72 

8,1 

2,6 

21 

174  „ 

71 

8,1 

2,6 

22  !l-/4    „ 

66 

7,9 

2,4 

T.  Graefe's  Archiv  fttr  Ophthalmologie.  XXXVII.  4. 


34 


B.  Dnb. 


Nr. 

Alter 

Körper- 
Ubige 

Grösse 

Max. 

Min. 

Mittel 

Grösse 

Hu. 

Min." 

Mittel 

23 

2    Jahr 

76 

8,2 

2,6 

24 

2      „ 

82 

8,4 

>8,4 

7,9 

8,2 

2,5 

[3,0 

2,5 

2,72 

2b 

2      „ 

78 

7,9 

2,8 

26 

2V.  S 

68 

8.3 

3,0 

27 

3      „ 

70 

8,6 

1 

2,8 

1 

28 

3Vi  n 

86 

8,6 

}8,6 

8,2 

8,46 

2,9 

[2,9 

2,8 

2,83 

29 

3V,  „ 

80 

8,2 

) 

2.8 

) 

30 

4      „ 

84 

7,8 

3,1 

31 

5V.  „ 

100 

8,4 

8,2 

32 

7      „ 

85 

8,2 

2,9 

33 

12      „ 

129 

8,8 

8,4 

Aus  diesen  Messungen  geht  hervor,  dass  der  Aequa- 
torial- Durchmesser  *der  Linse  nicht  ganz  genau  proportional 
dem  Alter  ist.  Wir  sehen  z.  B.  im  Falle  2  einen  Aequa- 
torial- Durchmesser  von  8  mm  bei  einem  11  Monate  alten 
Kinde  und  im  Falle  30  einen  Durchmesser  von  7,8  mm  bei 
einem  vierjährigen  Kinde.  Immerhin  ergeben  die  Durch- 
schnittswerthe  naturgemäss,  dass  die  Linsengrösse  mit  dem 
Alter  wächst.  So  zeigt  es  sich,  dass  der  durchschnittliche 
Aequatorial- Durchmesser  bei  den  3  Kindern  unter  einem 
Jahre  7,46,  bei  19  Kindern  von  1  —  2  Jahren  7,87,  bei 
4  Kindern  von  2 — 3  Jahren  8,20,  bei  3  Kindern  von  3  bis 
4  Jahren  8,46  mm  gross  ist.  Aber  auch  die  sagittalen 
Durchmesser  steigen  in  denselben  Fpochen:  2,46  .  .  .  2,57 
.  .  2,72  .  .  .  2,83  mm. 

Was  die  Beziehung  der  Körperlänge  zur  Linsengrösse 
anlangt,  so  finden  wir,  dass  ihr  Yerhältniss  zu  letzterer  ein 
viel  innigeres  ist,  als  zwischen  Alter  und  Linsengrösse.  Der 
Körpergrösse 

von  50 —  60  cm  entspricht  ein  Aequator.-Durchm.  von  7,4 
„    60 —  70  „  „  „  „  „  „     7,82 

»    70 —  80  „  „  „  „.  „  „     8,04 

„    80 —  90  „  9»  99  »  9»  99     8,17 


90-100 


8,40 


Beiträge  zur  Kenntniss  der  Cataracta  zonularis. 


35 


Man  wird  aho  mit  viel  mehr  Berechtigung  aus  der  Körper- 
lange,  als  aus  dem  Alter  einen  Schluss  auf  die  Linsengrösse 
machen  dürfen.  Dies  gilt  natürlich  nur  für  die  Linsen 
jenes  Lebensalters,  mit  dem  wir  es  hier  zu  thun  haben; 
im  späteren  Alter,  gegen  das  Ende  des  Wachsthums  und 
darüber  hinaus  dürfte  wohl  die  Körperlänge  zu  Gunsten 
des  Alters  wenig  mehr  in  Betracht  kommen,  wie  ja  auch 
Priestley  Smith  in  seinen  Messungen  nur  das  Alter  und 
nidit  die  Körperlänge  berücksichtigt. 

Der  Uebersicht  halber  wollen  wir  noch  die  Messungs- 
resultate von  Priestley  Smith,  Treacher  CoUins  und 
die  meinigen  nebeneinanderstellen. 


j 

Alter           1 

Aequatorial- 

SagitUl- 

1 

Durchmesser 

a)  Collins. 

1 

4  Monate 

3,3 

2,8 

5 

>» 

4,0 

3,5 

6 

» 

4,6 

3,8 

1 

7 

» 

5,0 

4 

^ 

9 

»> 

5,75 

4>2 

b)  M< 

nne  Messan 

gen. 

9—12  Monate 

7,46 

2,46 

1—  2  Jahre 

7,87 

2,67 

2—  3 

»> 

8,2 

2,72 

3-4 

w 

8,46 

2,83 

4-  5 

» 

7,8 

3,1 

5-  6 

»» 

8,4 

3,2 

7 

>» 

8,2 

2,9 

12 

1» 

8,8 

3,6 

c)  P 

rießtley  Sm 

ith. 

20—29  Jahre 

8,67 

30—39 

»» 

8,90 

40-49 

9,09 

. 

50-59 

9,44 

60—69 

9,49 

70-79 

9,64 

80 

-89 

9,62 

36  B.  ^ttb. 

Aus  dieser  Zusammenstellung  ist  zu  ersehen,  wie  auf- 
fallend rasch  im  Yerhältuiss  zum  extrauterinen  Leben  die 
Linse  im  fötalen  Zustande  wächst.  Aus  den  gefundenen 
Grössen  der  sagittalen  Durchmesser  geht  hervor,  dass  die 
Form  der  Linse  im  frühesten  Alter  einer  Kugel  ziemlich 
ähnlich  ist  und  dass  im  späteren  Alter  eine  Abflachung 
derselben  eintritt.  Die  äquatorialen  Durchmesser  der  föta- 
len Linsen  stehen,  wie  sich  aus  den  Durchschnitts werthen 
ergiebt,  zu  den  sagittalen  in  einem  Verhältniss  von  1,22:1, 
während  das  Verhältniss  zwischen  beiden  Durchmessern  bei 
den  Linsen  meiner  Messungen  2,8 : 1  beträgt. 

Wir  kommen  zum  Schlüsse.  Nach  der  Ansicht  der 
meisten  Autoren  entsteht  die  Cataracta  perinuclearis  post 
partum  und  zwar  meist  zwischen  erstem  bis  zweitem  Le- 
bensjahre, (worauf  auch  die  klinischen  Erscheinungen,  Rha- 
chitis,  Krämpfe,  hinzudeuten  scheinen)  und  betreflfen  die 
periphersten  Schichten  der  Linse.  Nach  meinen  Untersu- 
chungen möchte  man  glauben,  dass  eins  von  beiden  nicht 
möglich  sei.  Entweder  wird  angenommen,  dass  die  Trü- 
bung post  partum,  etwa  im  ersten  bis  zweiten  Lebensjahre 
entstanden  ist  —  dann  könnte  es  nicht  richtig  sein,  dass 
es  die  periphersten  Schichten  sind,  die  betroffen  werden. 
Denn  im  ersten  bis  zweiten  Lebensjahre  beträgt  der  Aequa- 
torial-Durchmesser  Minimum  6,8  mm.  Es  müsste  also  auch 
die  Trübung,  falls  sie  wirklich  die  periphersten  Schichten 
beträfe,  diesen  Durchmesser  haben,  während  die  grösste 
Cataracta  perinuclearis  unserer  Serie  nur  einen  Durchmes- 
ser von  5,6  mm  besitzt.  Oder  zweitens,  es  werden  die  peri- 
pheren Schichten  betroffen,  wobei  es  dann  nicht  möglich 
scheint,  dass  die  Cataract  erst  im  ersten  bis  zweiten  Le- 
bensjahr entsteht.  Denn  aus  den  Messungen  geht  hervor, 
dass  unsere  grösste  Cataract  einen  Durchmesser  von  5,6  mm 
hat,  während  der  kleinste  Linsendurchmesser  im  ersten  Le- 
bensjahr  schon  6,8  mm  beträgt.     Darnach  würde  es  also 


Beiträge  zur  Kenntniss  der  Cataracta  zonularis.  37 

scheinen,  dass  die  Cataiuct  in  einer  Epoche  ihren  Ursprung 
habe,  wo  die  Linse  nicht  mehr  als  5,6  mm  Durchmesser  hat. 
Da  wir  als  Durchschnittswerth  für  die  letzten  drei  Monate 
des  ersten  Lebensjahres  einen  Aequatorial-Durchmesser  von 
7,46  gefunden  haben,  so  müssten  unsere  Cat.  perin.  in  einer 
relativ  früheren  Zeit,  also  im  fötalen  Leben  entstanden  sein. 
Die  hier  ausgeführte  Schlussfolgerung  ist  aber  nicht 
ohne  Weiteres  richtig,  denn  sie  lässt  einen  Umstand  ausser 
Acht,  dass  nämlich  beim  Wachsthum  der  Linse  die  älteren, 
centralen  Theile  mit  ihrer  Verdichtung  auch  eine  Volums- 
abnahme erfahren.  Wie  gross  ist  dieselbe?  Die  Durchmes- 
ser der  von  mir  gemessenen  Schichtstaare  schwanken  zwi- 
schen 4,4  mm  und  5,6  mm;  der  äquatoriale  Durchmesser 
der  ganzen  Linse  beträgt  im  ersten  und  zweiten  Lebens- 
jahre durchschnittlich  8  mm.  Angenommen,  dass  die  Schicht- 
staare in  diesem  Lebensalter  entstehen  und  zwar  in  den 
periphersten  Schichten  der  Linse,  so  müssten  diese  eine 
Abnahme  ihres  äquatorialen  Durchmessers  erfahren,  welche 
zwischen  2V2  und  3^2  nim  schwankt,  also  eine  Verkleine- 
rung um  ein  Drittel  und  mehr.  Wir  besitzen  leider  bis 
heute  noch  nicht  einmal  eine  annähernde  Schätzung  der 
mit  dem  Wachsthum  der  Linsen  einhergehenden  Schrumpfung 
ihrer  centralen  Theile.  Die  Ermittelung  dieser  Schrumpf- 
ung wäre  eine  dankbare  Aufgabe  und  gerade  die  Cataracta 
perinuclearis  könnte  die  Hand  zur  Lösung  derselben  bieten. 
Wenn  man  einen  Fall  von  Schichtstaar  in  recht  frühem 
Lebensalter  zur  Beobachtung  bekäme,  könnte  man  in  grös- 
seren Pausen  sorgfältige  Messungen  von  dessen  Durchmes- 
ser ausfuhren  und  so  die  allmälige  Verkleinerung  desselben 
nachweisen.  Obwohl  wir  aber  bis  jetzt  derartige  Anhalts- 
punkte über  die  Schrumpfung  der  centralen  Linsentheile 
nicht  besitzen,  scheint  es  mir  doch,  als  ob  die  oben  postu- 
lirte  Verkleinerung  um  ein  Drittel  und  mehr  (bis  fast  um 
die  Hälfte)  zu  bedeutend  wäre,  um  der  Wirklichkeit  zu 
entsprechen.    Ist  dies  so,  dann  müssen  wenigstens  die  klei- 


38     B.  Dub,  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Cataracta  zonularis. 

neren  Schichtstaare  in  Bezug  auf  ihre  Entstehung  in  ein 
früheres  Lebensalter,  als  man  gewöhnlich  annimmt,  verlegt 
werden,  sei  es  in  die  ersten  Lebensmonate,  sei  es  selbst  in 
die  letzte  Zeit  des  Fötallebens. 

Die  andere  mögliche  Supposition,  es  trete  die  Trübung 
im  ersten  bis  zweiteu  Lebensjahre  auf,  betreffe  aber  nicht 
die  periphersten  Schichteu,  ist  wohl  abzuweisen.  Alle  Au- 
toren stimmen  darin  überein,  dass  es  die  periphersten  Schich- 
ten sind,  die  allein  oder  vorwiegend  von  der  Ernährungs- 
störung betroffen  werden.  Es  wäre  ja  auch  den  natürlichen 
Verhältnissen  vollkommen  widersprechend,  dass  die  älteren 
Linsenschichten,  also  die  compacteren,  widerstandsfähigeren, 
auf  den  Lisult,  den  die  Linse  durch  die  Ernährungsstörung 
leidet,  reagiren,  die  jüngeren  Schichten  dagegen  widerstands- 
fähiger sein  und  integer  bleiben  sollten.  Es  ist  übrigens 
von  Schirmer  direct  nachgewiesen,  dass  es  nur  vorzugs- 
weise die  peripheren  Schichten  sind,  die  unter  den  Er- 
nährungsstörungen leiden,  dass  diese  Störungen  aber  auch 
auf  die  inneren  Schichten  einen  merklichen  Einfluss  aus- 
üben, nur  dass  eben  wegen  der  geringeren  Widerstands- 
fähigkeit der  jüngsten,  periphersten  Schichten  die  Trübung 
daselbst  als  Autwort  auf  die  Insulte  mehr  ins  Auge  fällt. 

Schirmer  spricht  übrigens  auch  die  Ansicht  aus,  dass 
die  Perinuclearcataracte  weitaus  häufiger,  als  man  bisher 
annimmt,  intrauterin  entstehen  und  wenn  nach  der  Geburt 
regelmässig  eine  ophthalmologische  Untersuchung  vorgenom- 
men würde,  würden  viele  Cataracta  perinuclearis,  die  man 
nachher  als  später  entstanden  anspricht,  als  angeboren  er- 
kannt werden.  Seit  den  Ausführungen  von  Kassowitz  ist 
es  ja  auch  unzweifelhaft,  dass  die  Rbachitis  ungemein  häufig 
in  den  letzten  Monaten  der  fötalen  Entwickelung  beginnt. 

Es  erübrigt  mir  nun  noch,  meinem  hochverehrten  Lehrer, 
Herrn  Prof.  Fuchs,  für  die  Zuweisung  dieser  Arbeit  und 
für  seine  Unterstützung  meinen  tiefgefühlten  Dank  auszu- 
sprechen. 


Ueber  die  Pseudocolobome  der  Iris. 

Von 

Dr.  Konrad  Rumschewitsch 
in  Kiew. 


Wie  bekannt,  hat  v.  Ammon  zuerst  die  Entstehung 
der  Aderhaut-  und  Iris-Colobome  durch  eine  unregelmässige 
Verwachsung  der  fötalen  Augenspalte  erklärt.  Späterhin 
veränderten  sich  die  Anschauungen  über  die  fötale  Augen- 
spalte bedeutend  und  jetzt  kann  ausschliesslich  von  einer 
Augenspalte  im  Bereiche  der  secundären  Augenblase,  d.  h. 
der  Netzhaut  und  der  mit  der  letzteren  in  genetischer  Ver- 
bindung stehenden  Schicht  des  Pigmentepithels  die  Rede 
sein.  Nichts  destoweniger  ist  die  Anschauung  im  Wesent- 
lichen dieselbe  geblieben  und  die  Theorie  v.  Ammon 's 
wird  gegenwärtig  fast  von  Allen  angenommen,  am  genaue- 
sten ist  sie  von  Prof.  Manz  in  seiner  Arbeit  über  die  Miss- 
bildungen des  menschlichen  Auges  entwickelt  worden.  Im 
Handbuche  von  Graefe  und  Saemisch  auf  S.  65  sagt  er, 
dass  zwar  in  der  früheren  Literatur  Colobome,  die  sich 
ausser  dem  Bereiche  des  unteren  Segmentes  befanden,  er- 
wähnt werden,  dass  aber  diese  Fälle  nicht  genau  genug 
untersucht  sind.  In  der  That  sind  die  Colobome,  welche 
sich  ausser  dem  Bereiche  des  unteren  Segmentes  befinden, 
so  selten,  dass  Schlüter  (Beitrag  z.  Iris-  und  Chor.-Colo- 
bom,  Rostock  1874)  in  den  104  von  ihm  gesammelten  Fäl- 
len das  Colobom  ausschliesslich   immer   im   unteren  Seg- 


40  K.  Ramschewitsch. 

mente  vorfand.  P lange  hat  in  der  von  ihm  unlängst  publi- 
cirten  Arbeit  (Beitrag  zur  Genese  des  congenitalen  seit- 
lichen Iriscoloboms,  Archiv  für  Augenheilk.  XXI,  2,  1890) 
mit  seinem  Falle  zugleich  acht  Fälle  von  Pseudocolobomen 
gesammelt.  In  der  That  sind  sie  aber  viel  zahlreicher, 
wenn  man  diejenigen  Fälle  in  Betracht  zieht,  welche  unter 
der  Benennung  Diplo-  und  Polycorip  beschrieben  worden 
sind  und  von  denen  viele  ganz  identisch  mit  den  von  Plange 
gesammelten  Fällen  sind  und  zugleich  nichts  Pathologisches 
darstellen.  Zur  Vollkommenheit  des  Bildes  will  ich  hier  alle 
in  der  Literatur  bekannten  Fälle,  einschliesslich  der  von 
Plange  beschriebenen  acht  Fälle,  anfuhren. 

Erster  Fall. 
Eine  genaue  Beschreibung  des  ersten  hierher  gehörigen 
Falles  gehört  Dubois  (Ann.  d'oculistique  T.  XLI,  18ö9).  Bei 
einem  20  Jahre  alten  Bauer  waren  im ,  linken  Auge  um  eine 
überaus  kleine,  aber  ganz  regelmässige  Pupille  herum  sechzehn 
accessorische  Pupillen  in  Form  von  radialgerichteten  Spalten 
gelagert.  Ueber  den  Zustand  der  Chorioidea  wird  nichts  er- 
wähnt. 

Zweiter  Fall. 
Quaglino  (Ann.  dl  Ottalmologia  II,  S.  209,  nach  Na- 
ge Ts  Jahresber.).  Nach  oben  und  aussen  gelegenes  Iriscolobom, 
dessen  Grösse  fast  einem  Drittel  der  oberen  Hälfte  der  Iris 
gleich  kam,  und  das  von  der  Pupille  durch  einen  dünnen  Ge- 
websstreifen  getrennt  war. 

Dritter  Fall. 
Bayer  (Acrztlicher  Bericht  des  Krankenhauses  in  Prag, 
S.  50,  1879.  Nach  NageTs  Jahresbericht)  beobachtete  einen 
grossen  angeborenen,  nach  aussen  gelegenen  Defect  in  der  Iris 
bei  einem  38jährigen  Manne.  Auch  war  die  übrige  Iris  un- 
regelmässig entwickelt,  ihr  innerer  Ring  fehlte  gänzlich. 

Vierter  und  fünfter  Fall, 
v.  Mittelstadt  (Arch.  f.  Augenheilk.  XI,  S.  423,  1880) 
hat  zwei  Fälle  unter  dem  Namen  Pseudocolobom  der  Iris  be- 


Ueber  die  Pseudocolobome  der  Iris.  41 

schrieben.  Im  ersten  fand  er  bei  einer  44  Jahre  alten  Frau 
an  der  linken  Iris  einen  Streifen,  welcher  sich  nach  innen  von 
einer  unbedeutenden  Ausbuchtung  der  Iris  hinzog  und  neben 
dem  Giliarrande  mit  einer  dreieckigen  Erweiterung  endigte. 
Zu  diesem  Streifen  conüuirten  radiale  Streifen  der  vorderen 
Irisfläche.  Im  zweiten  Falle  war  im  linken  Auge  ein  volles 
Iriscolobom  gerade  nach  innen  vorhanden.  Die  ganze  nasale 
Hälfte  der  Iris  war  sehr  dann  und  schien  unregelmässig.  In 
der  Chorioidea  wurde  ein  Defect  vorgefunden  in  Form  eines 
nach  innen  und  unten  gerichteteten  Ovals,  von  der  Grösse  von 
zwei  und  der  Breite  von  einem  halben  Papillendurchmesser. 
Die  rechte  Iris  hatte  eine  etwas  andere  Farbe-,  gerade  nach 
innen  in  der  Richtung  des  horizontalen  Durchmessers  war  in 
der  Iris  eine  unvollkommene  Spalte  zu  sehen,  in  deren  Grunde 
graues  Gewebe  vorhanden  war. 

Sechster  Fall. 

Im  Jahre  1881  habe  ich  unter  der  Benennung  doppelter 
Pupille  (Medycyna  und  Revue  g^n^rale  d'ophtalmologie  p.  253, 
1882)  folgenden  Fall  beschrieben.  62  Jahre  alter  Mann.  Im 
linken  Auge  war  die  fast  ganz  runde  Pupille  stark  nach  unten 
verschoben.  Im  äusseren  oberen  Segmente  war .  eine  zweite 
Pupille  zu,  bemerken  (eine  vollkommene  Oeffnung),  von  läng- 
licher Form,  welche  von  der  gewöhnlichen  Pupille  durch  einen 
dünnen  Gewebsstreifen  getrennt  war.  Eine  klar  ausgeprägte 
Zickzacklinie  zog  nach  innen,  parallel  dem  Pupillarrande;  in 
der  temporalen  Hälfte  hingegen  entfernte  sie  sich  von  dem 
letzteren  und  ging  nachher  in  einen  dünnen  Streifen  über, 
welcher  die  accessorische  Pupille  kreuzte.  Weder  in  der  Cho- 
rioidea noch  im  Nervus  opticus  war  eine  Spalte  vorhanden. 

Siebenter  und  achter  Fall. 

Makrocki  (Archiv  für  Augenheilk.  XIV,  1,  1882)  hat 
folgende  zwei  Fälle  beschrieben.  Bei  einem  16  Jahre  alten 
Mädchen  war  ein  Colobom  der  rechten  Iris  nach  aussen  vor- 
handen, welches  nicht  bis  zum  Giliarrande  reichte;  in  der  na- 
salen Hälfte  der  Iris  waren  regelmässige  radiale  Falten  vor- 
handen, welche  in  der  temporalen  Hälfte  ganz  fehlten.  Bei 
focaler  Beleuchtung  konnte  man  mehrere  radialziehende  schwarze 
Streifen  bemerken.  Im  zweiten  Falle  war  bei  einem  77  Jahre 
alten  Manne  das  Colobom  der  linken  Iris  gerade  nach  innen 


42  K.  Ramschewitsch. 

gerichtet.  Seine  Ränder  und  sein  Verhältniss  zur  vorderen 
Irisfläche  waren  dieselben  wie  bei  einem  gewöhnlichen  Colo- 
bom  *). 

Neunter  Fall. 

Magnus  beobachtete  an  einem  linken  Auge  zwei  Ins- 
colobome,  das  eine  nach  innen,  das  andere  nach  unten.  In 
der  Chorioidea  war  wahrscheinlich  keine  Spalte  vorhanden. 

Zehnter  Fall. 

Im  Jahre  1884  habe  ich  einen  Fall  von  Polycorie  bei 
einem  21  Jahre  alten  Mann  beschrieben  (Revue  g^n6rale  d'oph- 
talm.  Mai).  An  der  rechten  Iris  ist  in  einer  Entfernung  von 
1  mm  vom  Pupillarrande  eine  Zickzacklinie  zu  bemerken,  welche 
sich  nach  oben  und  unten  hinzieht  und  die  Pupillarzone  der 
Iris  von  der  ciliaren  trennt.  Nach  aussen  hin  nimmt  sie  eine 
gerade  Richtung  an  und  vereinigt  sich  später  mit  dem  Pupil- 
larrande, entfernt  sich  aber  gleich  wieder  von  dem  letzteren 
und  vereinigt  sich  nachher  mit  der  Zickzacklinie  der  unteren 
Hälfte  der  Iris.  Nach  innen  und  oben  vereinigt  sich  die  ge* 
rade  Linie,  welche  eine  Fortsetzung  der  Zickzacklinie  bildet, 
mit  dem  Pupillarrande  in  einer  Gegend  welche  unweit  vom 
horizontalen  ^Durchmesser  gelegen  ist.  Vom  Pupillarrande  ge- 
hen strahlenartig  zur  Zickzacklinie  nach  oben  fünf  und  nach 
unten  sechs  Ausläufer,  zwischen  denen,  der  Zickzacklinie  und 
dem  den  Pupillarrand  begrenzenden  Streifen,  vollkommene  De- 
fecte  des  Irisgewebes  zu  bemerken  sind,  welche  um  die  gewöhn- 
liche Pupille  herum  noch  neun  accessorische  Pupillen  bilden. 
In  der  Chorioidea  ist  keine  Spalte  vorhanden;  neben  der  Pa- 
pille des  Nervus  opticus  ündet  sich  ein  Bündel  markhaltiger 
Nervenfasern. 


^)  Hierher  gehören  auch  zwei  Fälle  von  Mooren,  die  aber  zu 
kurz  beschrieben  sind  (Fünf  Lustren  ophtbalm.  Thätlgkeit.  Wies- 
baden 1882.  S.  290).  Derselbe  fand  einmal  zwei  Spalten  im  oberen 
Irissegmente,  die  so  breit  waren,  dass  man  den  rotben  Augengrund 
durch  alle  drei  Pupillen  gleichzeitig  bemerken  konnte.  In  einem 
anderen  Falle  fand  sich,  bei  einem  kleinen  Kinde,  im  oberen  äus- 
seren Irisabschnitt  eine  accessorische  ovale  Pupille,  von  der  norma- 
len durch  dicke  Gewebsstreifen  abgegrenzt,  die  nach  Mooren  Ueber- 
reste  der  Pupillarmembran  waren. 


lieber  die  Pseudocolobome  der  Iris.  43 

Elfter  Fall. 
Simi  (BoU.  d'ocul.  VI.  1884,  citirt  nach  einem  kurzen 
Referate  im  Recueil  d'ophtalm.).  Bei  einem  11jährigen  Kran- 
ken war  im  unteren  äusseren  Augensegment  eine  accessorische 
Pupille  vorhanden,  die  eine  Halbmondform  besass;  in  radialer 
Richtung  kreuzten  dieselbe  zwei  feine  Fäserchon. 

Zwölfter  Fall. 
Unter  der  Benennung  doppelte  Pupille  habe  ich  (Medy- 
cyna  1885;  Recueil  d'ophtalm.  1887,  S.  319)  folgenden  Fall 
beschrieben.  Bei  einer  20  Jahre  alten  Frau  war  im  linken 
Auge,  in  einer  Entfernung  von  1  —  2  mm  vom  Pupillarrande, 
eine  dunkelbraune  Zickzacklinie  zu  bemerken.  Die  hellbraune 
Pupillarzone  der  Iris  bestand  aus  sehr  feinen  radialen  Falten. 
In  der  äusseren  Ciliarzone  hatten  die  Falten  auch  eine  radiale 
Richtung,  waren  aber  viel  dicker.  Die  accessorische  Pupille 
heuernd  sich  im  Bereiche  des  unteren  äusseren  Segmentes,  hatte 
eine  Eiform  und  war  von  der  wirklichen  Pupille  durch  einen 
Gewebsstreifen  von  der  Breite  von  1  mm  getrennt.  Ein  feiner 
Streifen  kreuzte  die  accessorische  Pupille  in  der  Richtung  ihres 
Längsdurchmessers. 

Dreizehnter  Fall. 
Franke  (Centralbl.  für  prakt.  Augenheilk.  1885,  S.  101) 
hat  bei  einer  60  Jahre  alten  Frau  im  linken  Auge  ein  Iris- 
colobom  nach  aussen  von  unregelmässiger  Form  beobachtet;  es 
fehlte  das  hintere  Pigmentblatt  der  Iris.  In  der  Gegend  des 
Defectes  wai:  die  Iris  wie  atrophirt;  radiale  Furchen  fehlten 
in  der  ganzen  äusseren  Irishälfte.  Die  Grösse  des  Defectes 
betrug  fast  die  der  halben  Pupille. 

Vierzehnter  Fall. 
V.  Reuss  (Ophthalm.  Mittheilungen,  II.  Abth.,  Wien  1886). 
Bei  einer  alten  Frau  fand  sich  in  der  Iris  des  linken  Auges 
ein  Defect  nach  inn^n  und  oben  und  zu  gleicher  Zeit  im  Au- 
gengrunde ein  nach  innen  und  unten  gerichteter  Conus.  Das 
Auge  war  astigmatisch  und  der  Radius  der  schwächsten  Brech- 
ung entsprach  der  Axe  des  Defectes. 

.  Fünfzehnter  Fall. 
Schiess-Gemuseus  (Klin.  Monatsblätter  1887,  Januar). 
Bei  einem  sieben  Jahre  alten  Kinde  fanden  sich   zugleich  mit 


44  K.  Bamschewitsch. 

Defecten  des  Rachens,  der  Lippen,  der  Nase  nnd  der  beiden 
Augenlider  (mit  Dermoiden  der  Hornhantränder)  anch  Golobome 
der  beiden  Indes  nach  oben  und  innen.  Im  linken  Auge  war 
das  Golobom  kleiner,  im  rechten  reichte  es  fast  bis  zum  Hom- 
hautrande.  Ausserdem  zogen  im  rechten  Auge  vom  Pupillar- 
rande  ins  Gebiet  der  Pupille  Fäserchen  (Ueberbleibsel  der  Pu- 
pillarmembran) hinein. 

Sechzehnter  Fall 
£.  Bock  (AUgem.  Wiener  media  Zeitung,  1888).  Die 
Cornea  von  grossem  Umfange.  Angeborene  Spalte  beider  Re- 
genbogenhäute nach  oben  und  aussen,  im  rechten  Auge  grösser 
als  im  linken.  Ausserdem  war  im  unteren  Theile,  neben  dem 
Pupillarrande,  eine  Art  von  Ausbuchtung  zu  bemerken,  von  der 
rechten  Seite  ging  die  Ausbuchtung  in  einen  dunklen  Streifen 
über.  Die  Linien  auf  der  vorderen  Irisflächo  vereinigten  sich, 
statt  in  radialer  Richtung  zu  ziehen,  nach  unten  hin.  Eine 
Spalte  in  der  Chorioidea  war  nicht  vorhanden,  dagegen  Coni 
nach  unten,  eine  Chorioditis  centralis,  Glaskörpertrübungen  und 
PigmentablageruDgen  auf  der  vorderen  Kapsel. 

Siebzehnter  Fall. 
Nuel  (Ann.  d'oculistique  1888,  D6cbr.)     Eine  einseitige 
Spalte  im  linken  Auge,  die   sich  auf  die  Iris,  die  Chorioidea 
und  den  Nerv,  optic.  verbreitete  und  nach  aussen  gelegen  war. 

Achtzehnter  Fall. 
De  Lapersonne  (Arch.  d'ophtalm.  Bd.  YIII,  2).  Eine 
doppelseitige  Spalte  in  der  Iris,  welche  nach  oben  gerichtet 
war.  Im  entsprechenden  Gebiete  waren  auch  Reste  einer  Rand- 
keratitis  zugegen.  Ausserdem  war  ein  entzündlicher  Process 
um  den  N.  opticus  und  neben  dem  gelben  Fleck  vorhanden. 

Neunzehnter  Fall. 
Manz  (VII.  Penod.  iuternat  Ophthalm.-Congress.  Bericht 
v.  Otto  Becker  und  Hess.  Wiesbaden  1888.  S.  460.)  Bei 
einem  40  Jahre  alten  Manne  war  im  linken  Auge  eine  Iris- 
spalte vorhanden,  die  nach  aussen  gerichtet  war  und  fast  bis 
zum  Ciliarrande  reichte,  ausserdem  war  noch  eine  kleinere  zu- 
gegen, die  nach  unten  gerichtet  war.  Beide  Spalten  wurden 
vom  Ciliarrande  durch  eine  Brücke  getrennt;  die  untere  war 
nach  hinten  von  einer  dünnen  Schicht,  vermuthlich  der  Membr. 


Ueber  die  Psoudocolobome  der  Iris.  45 

Bnicfaü,  bedeckt.  Die  Zeichnung  der  vorderen  Irisfläche  neben 
dem  Colobom  erschien  verändert.  Bei  Untersuchung  der  Iris 
mittelst  der  Lupe  fand  Manz  an  vielen  Stellen  der  Vorder- 
fläche  ein  Auseinandergehen  der  radialen  Fasern.  Weder  in 
der  Chorioidea  noch  im  Ciliarkörper  war  eine  Spalte  vorhanden. 
Die  ersten  Nachrichten  über  diesen  Fall  waren  von  dem  Autor 
schon  auf  der  Naturforscher- Versammlung  in  Strassburg  im 
Jahre  1884  mitgetheilt  worden,  auf  dem  VII.  Congress  hat 
er  auch  über  die  Resultate  der  anatomischen  Untersuchung 
dieses  Falles  berichtet.  Am  wichtigsten  ist  der  Umstand,  dass 
die  ganze  Chorioidea  sehr  dünn  erschien,  besonders  in  ihren 
tiefen  Schichten;  dieser  Umstand  erklärt,  nach  der  Meinung 
des  Autors,  die  schwache  Entwickelung  des  Irisstromas.  Ge- 
wöhnliche Entzündungserscheinungen  waren  gar  nicht  vorhanden. 

Zwanzigster  Fall. 
Im  Jahre  1889  habe  ich  an  Baudry  folgende  Beobach- 
tung mitgetheilt  (Baudry,  Essai  sur  la  polycorie.  Paris  1889). 
24  Jahre  alter  Mann..  Im  rechten  Auge  gehen  von  einer 
schwarzen  Linie,  welche  auf  dem  braunen  Grund  der  Iris  ge- 
legen und  fast  1mm  vom  Pupillarrande  entfernt .  ist^  Strahlen 
zur  Peripherie  der  Iris.  Die  Pupillarzone  enthält  radiale  Li- 
nien, die  Ciliarzone  sieht  glatt  aus.  In  der  oberen  Irishälfte, 
in  einer  Entfernung  von  0,5  mm  vom  Pupillarrande,  sind  vier 
kleine  Oeffnungen,  accessorische  Pupillen,  zu  bemerken. 

Einundzwanzigster  und  zweiundzwanzigster  Fall. 
Baudry  (1.  c.)  hat  unter  der  Benennung  Triplo-  und 
Diplocorie  zwei  eigene  Fälle  beschrieben.  Im  ersten  Falle 
waren  bei  einem  achtjährigen  Knaben  im  rechten  Auge,  ausser 
einer  normalen  Pupille  im  oberen  äusseren  Irissegmente,  hinter 
der  Zickzacklinie  zwei  Oeffnungen  zugegen,  von  denen  die  nn- 
terc  eine  längliche  Form  besass,  mit  einem  Längsdurchmesser 
von  1  mm,  und  dem  Ciliarrande  näher  gerückt  war.  Der  Au- 
gengrund war  ganz  normal.  Im  zweiten  Falle  war  im  oberen 
Irissegmente  des  linken  Auges,  bei  einem  35  Jahr  alten  Manne, 
eine  accessorische  Oeffnung  (1  mm  gross)  zu  bemerken.  Sie 
war  nach  oben  auf  1,5  mm  von  der  Zickzacklinie  entfernt.  Der 
Augengrund  war  ganz  normal. 

Dreiundzwanzigster  Fall. 
P lange  (Archiv  für  Augenheilkunde  XXI,  2).    44  Jahre 
alter  Mann.    Im  rechten  Auge  ist  die  Pupille  in  der  Richtung 


46  K.  Biunschewitech. 

nach  anssen  ausgezogen,  wodurch  sie  birnförmig  erscheint  An 
ihrem  spitzen  Ende  geht  der  Pigmentsaum  in  einen  radiär  ge- 
richteten Streifen  Ober,  welcher  in  einer  Entfernung  yon  1  mm 
in  einen  wirklichen  Defect,  von  spindelförmigem  Aussehen,  ttber- 
geht.  Die  Länge  des  Defectes  ist  2  mm,  er  reicht  fast  bis 
zum  Homhautrande.  Auf  der  vorderen  Irisfläche  sind  in  ihrer 
äusseren  Hälfte  anstatt  radialer,  unregelmässige  hellere  Linien 
zu  bemerken,  die  Zickzacklinie  ist  an  der  dem  Streifen  ent- 
sprechenden Stelle  unterbrochen.  Auf  der  yorderen  Linsen- 
kapsel sind  Ablagerungen  zugegen.  Im  linken  Auge  zieht  yoü 
der  nach  innen  ausgezogenen  Pupille  ebenfEills  nach  innen  ein 
pigmentirter  Streifen,  ein  Defect  in  der  Iris  ist  aber  nicht  isth 
gegen.  Auf  der  vorderen  Linsenkapsel  sind  ebenfalls  Ablage- 
rungen zu  bemerken,  ausserdem  findet  sich  am  zugespitzten 
Ende  der  Pupille  ein  weissliches  Knötchen,  welches  vom  hin- 
teren Irisblatte  ausgehend,  in  das  Pupillargebiet  vorspringt 
Kach  der  Mitte  der  Pupille  zu  trägt  dasselbe  eine  feine  Schlinge, 
die  bei  den  Augenbewegungen  flottirt  Nach  der  Meinung  des 
Autors  war  in  beiden  Augen  eine  und  dieselbe  Anomalie  vor- 
handen, nämlich  ein  Brückencolobom,  nur  mit  dem  Unterschiede, 
dass  die  Colobomschenkel  im  linken  Auge  späterhin  völlig  ver- 
wachsen waren,  während  es  am  rechten  nur  zur  Entstehung 
einer  breiten  Brücke  zwischen  ihnen  kam.  Die  Ablagerungen 
auf  der  Kapsel  und  die  Bildungen  am  Pupillarrande  zählt  er 
zu  Resten  der  Pupillarmembran. 

Vierundzwanzigster,  fünfundzwanzigster  und 
secbsundzwanzigster  Fall. 

Pollak  (Archiv  für  AugenheUk.  XXII,  S.  286)  hat  drei 
Fälle  von  Pseudocolobomen  beschrieben,  von  welchen  die  zwei 
ersten  von  Fuchs  beobachtet  worden  sind. 

50  Jahre  alte  Frau.  Vollkommenes  Colobom  der  linken 
Iris,  nach  innen  und  oben  gerichtet,  die  Pupille  selbst  ist  in 
derselben  Richtung  verschoben.  Das  Colobom  reicht  bis  zum 
Ciliarrande.  Die  Zickzacklinie  nähert  sich  allmälig  dem  Rande 
des  Coloboms  und  verschwindet  alsdann  in  einer  Entfernung 
vom  Ciliarrande. 

Bei  einer  76  Jahre  alten  Frau  erschien  die  Pupille  in 
der  Form  eines  verticalen  Ovals  (seine  Ränder  waren  mit  Aus- 
nalune  einer  Stelle  mit  der  Kapsel  verwachsen),  dessen  oberer 
Rand  einen  nach  unten  gerichteten  Vorsprung  bildete.    Im  Be- 


lieber  die  Pseudocolobome  der  Iris.  47 

reiche  des  oberen  Segmenibs  waren  die  vorderen  Irisschichten 
wie  atrophirt  In  beiden  Fällen  konnte  man  den  Zustand  des 
Angengrnndes  wegen  zu  gleicher  Zeit  vorhandener  Linsentrü- 
bungen nicht  bestimmen. 

32  Jahre  alte  Frau.  Das  linke  Ange  war  ein  wenig  klei- 
ner als  das  rechte.  Das  untere  äussere  Drittel  dieses  Auges 
war  von  einem  Dermoid  eingenommen.  Demselben  entsprechend 
war  im  oberen  Lide  ein  unbedeutendes  Colobom  vorhanden. 
Nur  die  temporale  Hälfte  der  Pupille  erschien  schwarz,  die 
nasale  Hälfte  war  von  einer  weissen  Membran  Oberzogen  oder 
richtiger  snbstitnirt,  die  ihren  Anfang  hinter  der  Pupille  nahm 
und,  nach  Erreichung  des  Niveaus  der  letzteren  und  des  nasa- 
len Pupillarrandes,  sich  in  einen  weissen  Streifen  verwandelte, 
welcher  längs  der  Irisoberfläche  bis  zum  Giliarrande  reichte 
und  noch  einen  Ausläufer  abgab,  der  nach  oben  und  innen 
gerichtet  war.  Die  Zickzacklinie  war  nur  in  der  temporalen 
Hälfte  der  Iris  zu  bemerken,  welche  dunkelbraun  gefärbt  war. 
In  der  nasalen  Hälfte  war  diese  Linie  nicht  vorhanden,  die 
Iris  hatte  eine  gleichförmige  Oberfläche  und  war  ockergelb  ver- 
färbt Der  Augengrund  normal.  An  der  Stirn  war  in  der  Rich- 
tung zur  Fissura  supraorbitalis  ein  mit  Haaren  bewachsener 
Streifen  zu  bemerken,  der  2  cm  lang  und  0,5  cm  breit  war. 

Den  vorhergehenden  Fällen  kann  ich  noch  zwei  eigene 
Beobachtungen  anreihen. 

Siebenundzwanzigster  Fall 

St.  P.,  34  Jahre  alter  Mann,  von  starkem,  ganz  regelmäs- 
sigem Körperbau.  Das  rechte  Auge  zeigt  durchaus  keine  Ver- 
änderungen. Am  linken  Auge  ist  die  Lidspalte  etwas  schmäler 
al»  am  rechten.  Die  Cornea  bat  die  Form  eines  Ovals,  dessen 
horizontale  Axe  14  mm  beträgt,  die  verticale  11mm.  Bei  seit- 
licher Beleuchtung  kann  man  sich  leicht  davon  überzeugen, 
dass  die  Cornea  eine  durchaus  nicht  kugelige,  sondern  unregel- 
mässige Form  besitzt.  Bei  der  Untersuchung  mittelst  eines  Kera- 
toseops  erhalten  wir  eine  Abbildung  in  der  Form  eines  starke 
gezogenen  Ovals.  S=  *%oo-  Ein  Cylinderglas  +  */i4  mit  ver- 
ticaler  Axe  steigert  die  Sehschärfe  auf  ^^I^q.  Die  Iris  ist  von 
hellblauer  Farbe,  die  in  der  temporalen  Hälfte  in  eine  grün- 
liche fibergeht.  Auf  der  vorderen  Irisfläche  ist  eine  gut  aus- 
geprägte Zickzacklinie  zu  meiken,  welche  1  mm  vom  Pupillar- 
rande  entfernt  ist     In  der  nasalen  Hälfte  der  Iris  bildet  sie 


48  K.  Rumschewitsch. 

einen  halben  Stern  mit  fünf  Strahlen,  welche  fast  bis  zam  Ciliar- 
rande  reichen.  Die  .Pupille  befindet  sich  eigentlich  in  der  na- 
salen Irishälfte,  hat  eine  rande  Form,  ihr  Durchmesser  ist  bei 
gewöhnlicher  Beleuchtung  4  mm  gross;  die  Reaction  auf  Licht 
ist  normal.  In  der  Richtung  des  horizontalen  Durchmessers 
ist  in  der  Iris  eine  Spalte  zu  sehen,  die  nach  aussen  gerichtet 
ist  und  fast  bis  zum  Ciliarrande  reicht.  Die  Spalte  ist  eiför- 
mig, ihre  Länge  beträgt  6  mm,  die  grösste  Breite  in  der  Mitte 
2  mm.  Diese  Spalte  ist  vollkommen,  nur  unweit  vom  Ciliar- 
rande wird  sie  in  schräger  Richtung  von  einem  dünnen  6e- 
websstreifen  gekreuzt.  Der  Ciliarrand  und  die  Ränder  des 
Coloboms  sind  von  einem  schwarzen  Streifen  umgeben,  der 
durch  eine  Einbiegung  des  Pigmentepithels  nach  vom  gebildet 
wird.  Ich  habe  schon  erwähnt,  dass  die  Zickzacklinie  nur  in 
der  nasalen  Hälfte  der  Iris  zu  bemerken  ist;  in  der  temporalen 
Hälfte  ist  diese  Linie  unterbrochen,  nach  oben  hin  endet  sie 
in  der  Spitze  des  durch  den  oberen  Colobomrand  gebildeten 
Winkels,  nach  unten  hin  reicht  sie  gerade  bis  zum  Colobomrand, 
in  einer  Entfernung  von  1  mm  vom  Ciliarrande.  In  der  tem- 
poralen Irishälfte  sind  die  radialen  Linien  schwächer  entwickele 
In  der  Linse,  dem  Glaskörper,  der  Retina  und  der  Chorioidea 
sind  keine  Veränderungen  zugegen  und  die  Spalte  ist  anbe- 
dingt vom  Ciliarrande  der  Iris  begrenzt 

Achtundzwanzigster  Fall. 
50  Jahre  alter  Bauer  von  ganz  regelmässigem  Körperbau. 
Im  rechten  Aage  ist  ein  reifer  Staar  vorhanden,  die  Lichtem- 
pfindung ist  ganz  regelmässig,  anfangs  war  das  Sehvermögen 
dieses  Auges  ganz  genügend,  anderweitige  Veränderungen  könnt« 
ich  in  diesem  Auge  durchaus  nicht  vorfinden.  Das  linke  Auge 
gleicht  dem  erstem  Anscheine  nach  ganz  einem  nach  der  Me- 
thode von  Graefe  operirten  Auge.  Die  Augenlider  und  die 
Bindehaut  sind  normal,  die  Form  der  Hornhaut  regelmässig, 
ihr  Durchmesser  13,5  mm.  Die  Iris  ist  von  brauner  Farbe;  in 
einer  Entfernung  von  1  mm  vom  Ciliarrande  ist  an  ihr  eine 
fast  regelmässig  bogenartige  Linie  zu  bemerken,  welche  den 
pupillaren  Theil  vom  ciliaren  trennt.  Im  ciliaren  Theile  gehen 
die  nicht  besonders  scharf  ausgeprägten  verticalen  Linien  in 
radialer  Richtung  auseinander.  Die  Pupille  bat  bei  gewöhn- 
licher Beleuehtung  einen  Durchmesser  von  3  mm.  Die  in  der 
Iris  befindliehe  Spalte  ist  gerade  nach  oben  gerichtet;  sie  ver- 
breitert sich  allmälig  nach  oben  und  erreicht  unmittelbar  am 


lieber  die  Pseudocolobome  der  Iris.  49 

Giliarrande  eine  Breite  von  5  mm.  Diese  Spalte  |st  eine  voll- 
kommene, reicht  aber  nur  bis  zum  Giliarrande,  da  sie  weder 
im  Bereiche  des  Giliarkörpers,  noch  der  Ghorioidea  nachzuwei- 
sen ist  Dagegen  ist  die  obere  Hälfte  der  Sehnervenpapille 
von  einer  Sichel  umgeben,  an  die  sich  ein  Pigmentring  an- 
schliesst  Auf  der  glänzendweissen  Sichel  sind  einige  Pigment- 
flecke vorhanden.  Nach  der  Richtung  der  Gefässe  zu  urtheilen, 
ist  im  •  Bereiche  der  Sichel  eine  starke  Vertiefung  zugegen, 
ausserdem  entspringt  die  Art  nasalis  superior  nicht  vom  Gen- 
trum, sondern  von  dem  oberen  Bande  der  Papille.  Im  Ucbrigen 
sind  weder  am  Augengrund,  noch  in  den  brechenden  Medien 
irgendwelche  Veränderungen  zugegen.  Nach  der  Aussage  des 
Kranken  war  das  Sehvermögen  dieses  Auges  immer  sehr  un- 
genügend. Strabismus  divergens,  S  =  ^/jq^,  Gesichtsfeld  nor- 
mal. Ein  Glas  sphär.  +  ^/^j  und  cyl.  -f-  ^j^^  mit  verticaler 
Axe  steigert  die  Sehschärfe  auf  *°/ioo- 

Bei  der  Beschreibung  der  Fälle  von  Diplo-  und  Poly- 
corie  in  meinen  obenerwähnten  Aufsätzen  hatte  ich  eine 
ganz  eigenartige  Entwickelungsanomalie  im  Auge.  Es  ist 
hervorzuheben,  was  ich  früher  nicht  erwähnt  habe,  dass  so- 
wohl in  meinen,  als  in  den  von  Anderen  beschriebenen  und 
oben  angeführten  Fällen  die  accessorischen  Pupillen  gänzlich 
der  Muskelfasern  entbehrten.  Sie  hatten  aus  diesem  Grunde 
um  so  weniger  etwas  gemein,  weder  mit  den  Brücken- 
colobomen  des  unteren  Segmentes,  noch  mit  Resten  der 
Pupillarmembran.  Ganz  anders  ist  Baudry  in  der  oben 
citirten  Arbeit  verfahren.  Er  hat  nicht  nur  den  Begriff 
der  Polycorie  verallgemeinert,  indem  er  auch  die  erworbene 
Polycorie  dazu  rechnete,  sondern  er  hat  auch  die  sogen, 
persistirende  Pupillarmembran  (so  z.  B.  den  classischen  Fall, 
der  von  Alfred  Graefe  beschrieben  worden  ist)  und  die 
Brückencolobome  der  Iris  herbeigezogen;  so  ist  z.  B.  die 
von  ihm  angeführte  XL  Beobachtung  (Fano's  Fall)  eine 
Anomalie,  die  man  ohne  Zweifel  zu  den  einfachen  fadenför- 
migen Resten  der  Pupillarmembran  zählen  mus&  Franke 
hingegen  betrachtet  in  seinem  Artikel  nur  die  angeborene 
Form  als  eine  wahre  Polycorie  und  unterscheidet  sie  streng 

T.  Gniefe'8  AtcUt  tVa  Ophthalmologie.  XXXVII.  1.  4 


50  K.  Rumschewitsch. 

von  der  Mehrzahl  der  Pupille,  die  durch  andere  Ursachen 
bedingt  ist.  Er  hat  neunzehn  Fälle  von  Polycorie  gesam- 
melt, die  er  in  zwei  Kategorien  theilt.  Zur  ersten  Kate- 
gorie rechnet  er  (11  Fälle)  die  einfachen  Defecte  im  Iris- 
gewebe  und  erklärt  sie  durch  die  von  Manz  gefundene  un- 
vollkommene Entwickelung  der  Chorioidea,  unter  Betheili- 
gung einer  unregelmässigen  Entwickelung  oder  eines  unre- 
gelmässigen Verschwindens  der  Pupillarmembran.  Zur  zwei- 
ten Kategorie  rechnet  er  die  Fälle  von  Iridodialysis  —  hier- 
her gehört  auch  seine  eigene  Beobachtung.  Jeder  Fall  ist 
von  dem  Autor  einer  strengen  Kritik  unterworfen  worden. 
Die  Genese  der  zu  den  beiden  Kategorien  gerechneten  Er- 
scheinungen ist  natürlich  ganz  verschieden  und  meiner  An- 
sicht nach  ist  es  am  besten,  um  allen  Missverständnissen 
vorzubeugen,  sich  ganz  von  der  empirischen  Benennung  der 
Diplo-  und  Polycorie  loszusagen.  Alsdann  bleiben  ausser 
den  Brückencolobomen  und  der  Persistenz  der  Pupillarmem* 
bran  noch  zwei  grosse  Kategorien  von  accessorischen  Oefif- 
nungen  in  der  Iris,  nämlich  die  Pseudocolobome  und  die 
congenitalen  Iridodialysen,  die  ich  selbst  mehrere  Male  an- 
nähernd in  der  von  Franke  beschriebenen  Form  beobachtet 
habe.  Die  multiplen  angeborenen  Iridodialysen,  z.  B.  in 
der  Art  des  von  Mittendorf  (Trans,  americ  ophthalm. 
Soa  1884)  beschriebenen  Falles  —  gehören  zu  den  selten- 
sten Anomalien. 

Weiter  bleiben  noch  diejenigen  Fälle  übrig,  in  welchen 
keine  accessorische  Pupillen,  sondern  mehrere  Qeffnungeu 
in  der  Iris  bei  vollkommener  Abwesenheit  der  gewöhn- 
lichen Pupille  bemerkt  werden.  Ich  bin  vollkommen  mit 
der  Meinung  von  Franke  einverstanden,  dass  wir  bis  jetzt 
nur  einen  genau  beschriebenen  Fall  dieser  Art  haben, 
nämlich  den  Fall  von  Higgens  (The  Lancet  1885,  S.  524). 

Weiter  haben  wir  noch  zwei  ganz  eigenartige  Beob- 
achtungen. Tourtual  (citirt  von  Desmarres,  Traite  d. 
mal.  d.  yeux  1885,  T.  II,  S.  460)  hat  eine  Pupille  in  der 


-?!•?-   u»    ■  iiMi«  Lü-^ina^   Mir  rnx  ;  1 

Ifk  LsBStnüIum^  n  ij-is.  IrSrisr  s"  «tiir  nnr-Taa  im£ 
CLVüuncii'i  -rtVTK-^ir  ^n.  LT^-iit:.    j\   -wt  *sr  i^-  lt.  hi^  jir 

IB  «EJ*siL  Jüli*    Ir-r-'-u.    Lr>,.:r.t j^    !*•.;     i   11-^  rß?ssvü 

psiiiaei  ^tc.  Iil  iiiit*n.  Aur*  tüc;^  £**  IiniHj^  i^ei.iLij^ 
die  FcEiL  enis  bjjim*:  vei'jiif  i^riHniniüLiLr  scr  *rs:  -t.  xre^ 

mdeL  l»j»r  5»jiiicit  VMJ  JL  iirrer  Itmt  :rfi^-c.  i^nsKCväest 
irar  IL  OfauKtTueL  I-bb»:  *inHr  u^^!»:!räii*  Irji-  d'iihraas  vcc^ 
harrtifii  I»^  Apgfffjgrmii  ^.^  za:z  i> mal  Cl:  iix.  £.\>.^t 
asdi  sezDex  Fial-  inieiL  ä  Sr  r»ij5*-  j£-^3:::reuLr-T.u-«:  F^Viv** 
die  BeDaiLuii?  I»;h,Tfi*sr:fcä5:il itbigng:  vkcrr  si^fLisisLl.  n  <ä^Ä 

der  HwTiiitut  r»td  aa.  £Lbz«5^  reir^tsie  Trsr^ir:^«!  Kr.\oTlU 
die  ganz  in  der  R.d.tii^  dtt^jes^gea  ilrrldu^iis  $t\r^:tMÄ 
waren,  in  ir*rl'.iesn  Eci  aiaÄ  die  Spdklte  befAnJ,  Im  txsh- 
ten  Auge  fand  er  lot  ^i-e  Trübung  viiaoh  iir.ten^»  äIv»^ 
aiic^  in  der  BicLtimg  des  Sp^tendoicbmess^rs.  In  dic^vM) 
beiden  Fallen  können  wir  eine  angebon^ce  Anon»lii\  äWv 
keine  Büdnngsanomalie  anerkennen. 

Ich  gehe  jetzt  dazn  über,  einige  allgemeine  Fol^oruu- 
gen  ans  dem  Vorhergebenden  zu  ziehen.    Die  Anoinj^lio  >ä?u' 
in  beiden  Augen  zugleich  vorhanden  in    4  Fällen, 
im  rechten  Auge  allein  in     ü       „ 
im  linken  Auge  allein     in  IG       „ 

*)  Die  Beobachtung  ist  mitgetheilt  von  Tourtual  in  MttUor*» 
Arch.  1846,  T.  IV  und  reproducirt  von  Corna«,  I>oa  abuormhOh 
cong^niales  des  yeux  et  de  leurs  annexes.   Lausanne  1H48,  S.  Htf 

4* 


52  K.  Rumschewitsch. 

In  welchem  Auge  in  den  Fällen  von  Quagliuo  und  Bayer 
die  Anomalie  zugegen  war,  ist  mir  unbekannt  JedenMls 
wiederholt  sich  auch  für  die  atypischen  Colobome  der  Iris 
die  für  die  Teratologie  des  Auges  allbekannte  Thatsache, 
dass  das  linke  Auge  den  Anomalien  viel  öfter  unterworfen 
ist.  Ausserdem  hatten  wir  in  sechs  Fällen  mehr  sds  eine 
Spalte  im  Auge;  im  Falle  von  Dubois  waren  ihrer  sedi* 
zehn  vorhanden.  Eine  analoge  Erscheinung  ist  von  mir 
schon  früher  (Przeglad  lek.  1886)  für  das  centrale  Colobom 
beschrieben,  es  waren  nämlich  in  einem  Falle  in  der  Cho- 
rioidea  zwei  Colobome  vorhanden,  von  denen  das  eine  cen- 
tral gelegen,  das  andere  nach  oben  gerichtet  war.  Am  hau* 
figsten  waren  die  Spalten  vom  Pupillarrande  durch  Brücken 
getrennt. 

Die  atypischen  Colobome  hatten  eine  Richtung: 

nach  oben  und  unten in  1  Falle, 

zugleich  nach  allen  Richtungen  „  1      „ 

nach  innen „6  Fällen, 

nach  oben  und  innen „3     „ 

nach  aussen „2     „ 

nach  aussen  und  unten  .  .  .  .  „  6  „ 

nach  oben „6   „ 

nach  oben  und  aussen „3     „ 

Fast  in  allen  Fällen  wurden  vollständige  Colobome  bemerkt, 
d.h.  vollkommene  Spalten.  Wenn  übrigens  in  dieser  Hin* 
sieht  Verschiedenheiten  vorkommen,  so  sind  sie  jedenfalls 
nicht  von  grosser  Bedeutung.  In  dieser  Hinsicht  finden 
wir  ebenfalls  eine  grosse  Verschiedenheit  bei  den  Colobo- 
men  des  unteren  Segmentes  vor,  als  Beispiel  will  ich  einen 
Fall  von  Chorioidealcolobom,  der  von  Pause  (Archiv  für 
Ophthalm.  XXIV,  2)  anatomisch  untersucht  worden  ist,  an- 
führen, in  welchem  das  klinische  Bild  eines  Coloboms  nur 
durch  eine  locale  Leuoosis  der  Pigmentschicht  bedingt  war. 
Was  die  anderen  zu  gleicher  Zeit  an  den  Augen  gefunde- 
nen Veränderungen  anbetrifft,  so  hatten  wir  in  einem  Falle 


Ueber  die  Fseadocolobome  der  Iris.  53 

nach  derselben  Seite  gerichtete  Golobome  der  Chorioidea  und 
des  Nervus  opticus,  in  drei  Fällen  angeborene  Coni  neben 
der  Papille  (v.  Reuss,  Bock  und  mein  zweiter  Fall),  in 
einem  Falle  ein  Chorioidealcolobom  (der  zweite  Fall  von 
Mittelstadt),  in  zwei  Fällen  entzündliche  Veränderungen 
in  der  Chorioidea  (De  Lapersonne  und  Bock).  Ausser- 
dem waren  im  Falle  von  Bock  auf  der  Linsenkapsel  bei- 
der Augen  kleine  Ablagerungen  von  brauner  Farbe  vj^rhan- 
den,  im  Falle  von  Schiess-Gemuseus  Fasern,  die  ins  Be- 
reich der  Pupille  vom  Pupillarrande  derselben  hinzogen;  im 
Falle  von  P lange  Ablagerungen  auf  der  vorderen  Linsen- 
kapsel beider  Augen,  in  Gestalt  von  grauweissen  Punkten 
und  im  linken  Auge  ausserdem  noch  ein  Knopf,  der  von 
der  hinteren  Irisoberfläche  stammte  und  in  eine  bewegliche 
Masche,  die  im  Bereiche  der  Pupille  gelagert  war,  überging. 
Wie  im  ersten  so  auch  im  letzten  Falle  nehmen  die  Auto- 
ren ohne  alle  Bedenken  Reste  einer  Pupillarmembran  an. 
Mooren  nimmt  in  seinem  zweiten  Falle  ebenfalls  Reste 
der  Pupillarmembran  an,  seine  Beschreibung  ist  aber  zu 
kurz,  um  so  mehr,  als  die  anzunehmenden  Reste  sich  in 
der  mittleren  Zone  der  Iris  befinden  müssten.  Endlich 
waren  unbedingt  in  allen  Fällen,  wo  nur  die  Aufmerksam- 
keit darauf  gerichtet  war,  nicht  nur  in  den  unmittelbar  an 
das  Colobom  grenzenden  Iristheilen,  sondern  auch  in  den 
entfernteren  Gegenden,  sogar  in  der  ganzen  entsprechenden 
Irishälfte,  starke  Veränderungen  vorhanden,  die  Zeichnung 
der  vorderen  Irishälfte  war  nämlich  stark  von  der  norma- 
len verschieden,  man  kann  sogar  behaupten,  dass  die  ent- 
sprechende Irishälfte  immer  wie  atrophirt  erschien,  und  in 
meinem  ersten  Falle  konnte  man  sogar  eine  stark  ausge- 
sprochene Farbenveränderung  bemerken. 

Jetzt  wollen  wir  zur  Erklärung  der  Entstehung  der 
betreffenden  Anomalie  übergehen.  Der  Theorie  v.  Am- 
mon's  über  die  Entstehung  des  Coloboms  des  unteren  Seg- 


54  K.  Rumschewitsch. 

mentes  widersprach  lange  Zeit  Niemand;  im  Gegentheil  be- 
stätigten alle  späteren  Untersuchungen  und  klinischen  Be- 
obachtungen diese  Theorie  und  constatirten  eine  vollkom- 
mene Abwesenheit  der  Elemente  der  Wandungen  der  secun- 
dären  Augenblase  im  Bereiche  dos  Coloboms.  Ausserdem 
wurden  Colobome  ausserhalb  des  unteren  Segmentes  wäh- 
rend sehr  langer  Zeit  auch  von  Niemandem  genauer  be- 
schrieben, deshalb  sprach  sich  Manz  in  seiner  Arbeit  über 
die  Missbildungen  des  Auges  unbedingt  für  die  Theorie 
y.  Ammon's  aus.  Uebrigens  fand  er  bald  selbst  (Elin. 
Monatsblätter  1876)  im  Bereiche  eines  Chorioidealcoloboms 
Elemente  der  Retina  vor,  erklärte  aber  ihre  Anwesenheit 
dadurch,  dass  sie  aus  den  benachbarten  Theilen  hineinge- 
zogen worden  seien.  Ausserdem  zeigten  die  Beobachtungen 
von  Haab  (Archiv  für  Ophthalm.  XXIV,  1),  dass  im  Be- 
reiche des  Coloboms  nur  die  Chorioidea  allein  fehlte,  dass 
die  Retina  unmittelbar  an  der  Sclera  anlag  und  dass,  ob- 
gleich die  Schichten  der  erstcreu  sehr  unregelmässig  ange- 
ordnet waren,  von  den  Elementen,  die  sich  aus  der  secun- 
dären  Augenblase  entwickeln,  nur  das  Pigmentepithel  fehlte. 
Haab  behauptet  schliesslich,  dass  „die  Theorie  vom  Offen- 
bleiben, verspäteten  oder  bloss  partiellen  Schluss  der  Fötal- 
spalte für  die  Genese  des  Coloboms  nicht  festgehalten  wer- 
den könne,  sondern  dass  andere  Ursachen  aufgesucht  wer- 
den müssen,  die  vermuthlich  in  der  Gefassentwickelung 
innerhalb  der  werdenden  Chorioidea  liegen  (S.  271)." 

Dies  war  der  erste  Angriff  gegen  die  allgemein  ange- 
nommene Theorie.  Entschiedener  trat  ihr  im  Jahre  1881 
Deutschmann  entgegen  (Klin.  Monatsbl.  für  Augenheilk.). 
Seiner  Meinung  nach  stellen  im  Allgemeinen  alle  sogenann- 
ten Hemmungsbildungen  nur  Folgen  von  entzündlichen  Pro- 
cessen vor,  welche  im  Fötalleben  verlaufen;  insbesondere 
soll  das  Chorioidealcolobom  als  Ausgang  einer  Sclerochorio- 
retinitis  intrauterina  anzusehen  sein.  Höltzke  (Arch.  für 
Augenheilkunde  XII,  2),  Thalberg  (ebend.  XIII,  1)  und 


Ueber  die  Pseudocolobome  der  Iris.  55 

Da  Gama  Pinto  (ebend.  XIII,  1)  wollten  durch  anato- 
mische Untersuchungen  mit  Colobomen  behaftete  Augen  die 
Richtigkeit  der  Anschauungen  von  Deutschmann  bestäti- 
gen. Im  Anschlüsse  an  die  Beschreibung  einiger  Fälle  von 
Entwickelungsanomalien  des  Auges  (Centralblatt  für  prakt. 
Augenheilk.  1882,  Mai  und  Revue  generale  d'ophtalm.  1884, 
Nr.  5)  habe  ich  schon  meine  Meinung  über  die  Theorie  von 
Deutschmann  ausgesprochen.  Die  ganze  Theorie  ist  a^^f 
Untersuchungen  der  Augen  von  Kaninchen  gegründet,  die 
von  Eltern  mit  künstlich  erzeugten  Störungen  der  Augen 
abstammten;  im  Falle  von  Höltzke  hatten  wir  es  gleich- 
zeitig mit  einem  Mikrophthalmus  zu  thun;  im  Falle  von 
Da  Gama  Pinto  war  ein  entzündlicher  Process  des  Ciliar- 
körpers  vorhanden.  Ich  halte  es  für  gewagt  auf  Grund 
solcher  und  ähnlicher  Fälle  eine  Theorie  aufzustellen.  In 
der  That  ist  auch  die  Theorie  von  Deutschmann  in  jetzi- 
ger Zeit  von  allen  Entwickelungsanomalien  nur  zur  Erklä- 
rung der  Entstehung  des  centralen  Coloboms  anwendbar. 
Die  Erklärung  der  Entstehungsweise  dieser  Anomalie  durch 
unvollkommene  Schliessung  der  Augenspalte  ist  schon  immer 
grossen  Schwierigkeiten  begegnet  So  hat  Schmidt-Rimp- 
1er  schon  im  Jahre  1880  (Archiv  f.  Ophthalm.  XXVI,  2, 
S.  234)  die  Meinung  ausgesprochen,  dass  die  centralen  Colo- 
bome  nichts  mit  der  Augenspalte  zu  thun  haben;  dieselbe 
Meinung  habe  ich  auch  in  meiner  Monographie  über  das 
centrale  Colobom  ausgesprochen  (Przeglyd  lek.  1886).  Die 
späteren  Beobachter,  van  Duyse  (Ann.  d'ocul.  1886,  Sept., 
Oct.  und  1887  Aoüt)  und  Silex  (Archiv  für  Augenheilk. 
XVIII,  3)  leiten  das  centrale  Colobom  auch  nicht  von  der 
Augenspalte  ab  und  sprechen  sich  eher  für  die  Theorie  von 
Deutschmann  aus.  Ich  kann  aber  einen  Fall  von  Dor 
nicht  verschweigen  (Revue  generale  d'ophtalm.  1888),  in 
welchem  in  beiden  Augen  ganz  symmetrisch  gelegene  ma- 
culare  Colobome  vorhanden  waren  und  noch  dazu  bei  einem 
Mikrocephalus,  ein  klarer  Beweis  für  die  Hemmungsbildung! 


56  K.  Rumschewitscb. 

Nicht  für  die  Theorie  y.  Ammon's  sprechen  ebenfalls 
die  Untersuchungen  von  Vossius  (Archiv  für  Ophthalm. 
XXIX,  4),  nach  welchen  beim  Fötus  der  Augapfel  sich  um 
90®  um  die  Axe  dreht.  Wenn  eine  solche  Drehung  wirk- 
lich stattfindet  und  ausserdem  das  Colobom  des  unteren 
Segmentes  wirklich  durch  eine  imvoUkommene  Schliessung 
der  Augenspalte  entsteht,  so  müssten  die  Colobome  am  häu- 
figsten nach  aussen  und  unten  gerichtet  sein,  oder  man 
müsste  zulassen,  dass  in  diesen  Fällen  die  normale  Drehung 
um  die  Axe  nicht  stattgefunden  hätte,  dabei  hätten  wir 
aber  eine  anomale  Richtung  der  Retinalgefässe,  auf  diesen 
Umstand  hat  aber  bis  jetzt  noch  Niemand  aufmerksam,  ge- 
macht. 

Uebrigens  könnte  die  Theorie  v.  Ammon's  noch  mehr 
durch  die  Fälle  der  sogenannten  seitlichen  Colobome  be- 
stritten werden.  Diese  Fälle  waren  schon  v.  Ammon  be- 
kannt, er  erklärte  sie  aber  dadurch,  dass  im  Auge  zwei 
Spalten  sein  könnten,  von  denen  die  eine  normal,  die  an- 
dere pathologisch  sei.  Die  eine  von  ihnen  könne  später 
verwachsen,  die  andere  offen  bleiben  und  die  Entstehung 
einer  Spalte  in  einer  atypischen  Richtung  veranlassen.  Zu 
dieser  Erklärung  verführte  ihn  der  Umstand,  dass  es  ihm 
einmal  gelang  (wenn  auch  beim  Hühnchen)  zwei  Spalten 
zu  sehen,  von  denen  die  zweite  nach  oben  gerichtet  war. 
Dank  den  neuen,  durch  die  Entwickelungsgeschichte  gewon- 
nenen Thatsachen,  erwies  sich  diese  Erklärung  als  ganz 
ungenügend;  die  Theorie  v.  Ammon's  wurde  aber  von 
Manz  gerettet,  indem  er  einen  fundamentalen  Unterschied 
annahm  zwischen  den  normalen  Colobomen,  denen  des  un- 
teren Segmentes,  welche  ungeachtet  der  von  Manchen  er- 
hobenen Einwände  eine  völlig  genügende  Erklärung  in  der 
Theorie  v.  Ammon's  finden  und  den  anomalen  (seitlichen) 
Colobomen.  Was  die  Fälle  von  Mittelstadt  anbetrifft,  so 
sagt  er  (Jahresbericht  für  1880,  S.  205),  dass  die  unregel- 
mässigen Iriscolobome  durch  eine  unregelmässige  Entwicke- 


Ueber  die  Pseudocolobome  der  Iris.  57 

lung  der  Iris  bedingt  sein  können  während  der  Entwicke- 
lungsperiode,  wenn  die  Augenspalte  schon  längst  geschlos- 
sen ist.  Dabei  können,  seiner  Meinung  nach,  die  unregel- 
mässige Entwickelung  oder  das  unregelmässige  Verschwin- 
den der  Pupillarmembran  eine*  wichtige  Rolle  spielen. 

Makrocki  bestreitet  die  von  y.  Ammon  vorgeschlagene 
Erklärung  der  seitlichen  Colobome  durch  abnorme  Richtung 
der  Fötalspalte  und  bemerkt  mit  Recht,  dass  es  unmöglich 
ist,  beim  Fötus  eine  unregelmässige  Lage  der  Augenspalte 
zu  beweisen.  Was  die  Fälle  von  Makrocki  und  Magnus 
anbetrifft,  so  macht  Manz  wieder  darauf  aufmerksam,  dass 
durchaus  nicht  alle  Fälle  von  Colobomen  des  Auges  und 
selbst  von  Iriscolobomen  in  Abhängigkeit  von  der  fötalen 
Augenspalte  gebracht  werden  müssen.  Auf  der  Versamm- 
lung zu  Strassburg  im  Jahre  1884  hat  Manz  noch  stren- 
ger die  Idee  durchgeführt,  dass  es  nothwendig  sei,  die  ty- 
pischen Iriscolobome  (im  Bereiche  des  unteren  Segmentes) 
von  den  atypischen  (im  Bereiche  der  anderen  Segmente 
gelegenen)  zu  unterscheiden  und  hat  diese  Idee  in  einer 
ganz  bestimmten  Form  auf  dem  VII.  Internat.  Ophthalm. 
Congress  im  Jahre  1888  (Bericht  von  0.  Becker  und  W. 
Hess)  ausgesprochen.  Anfangs  bemühte  er  sich,  wie  er 
selbst  sagt,  die  Theorie  der  Hemmungsbildung  zu  verthei- 
digen;  er  behauptete  nämlich,  dass  die  unregelmässige  Ent- 
Wickelung oder  die  Persistenz  des  Stieles  des  Glaskörpers, 
wenn  man  sich  so  ausdrücken  kann,  den  Verschluss  der 
Spalte  verhindert  oder  bis  zu  einer  späteren  Periode  zurück- 
hält, wodurch  ja  das  typische  Colobom  entsteht.  Er  warnt 
vor  der  Verführung  durch  die  Entzündungstheorie  und  ver- 
wirft sie  ohne  Weiteres  für  die  Colobome  der  Linse  und 
des  Lides.  In  seinem  Falle  von  atypischem  Colobom  konnte 
er  durchaus  keine  gewöhnlichen  Entzündungserscheinungen 
vorfinden.  Wenn  wir,  bemerkt  er  (S.  466),  die  doppelte 
Anlage  d^  Iris,  deren  retinale  und  chorioideale  Platte  in 
Betracht  ziehen,  so  ist  eben  doch  letztere  als  der  Boden 


58  K.  Rumschewitsch. 

anzusehen,  aus  dem  die  vordere  Paiiie  der  Iris  hervor- 
wächst, wobei  allerdings  auch  die  Pupillarmembran  mit  in 
Frage  kommt.  Immerhin  ist  leicht  verständlich,  dass  aus 
einer  atrophischen  Chorioidea  nur  eine  kümmerliche  durch- 
löcherte Iris  hervorgeht.  Solche  Irisdefecte  haben  also  mit 
der  Fötalspalte  nichts  zu  schaffen,  sie  mögen  deshalb  Pseudo- 
colobome  heissen. 

Bock  verwirft  für  seinen  Fall  die  Annahme  einer 
Hemmungsbildung  im  Gebiete  der  Augenspalte;  er  nimmt 
an,  dass  bei  gewissen  Umständen  die  Entwickelung  eines 
ganzen  Irisgewebes  nicht  zu  Stande  kommen  könne  und 
dass  in  seinem  Falle  als  Ursache  ein  unregelmässiges  Ver- 
halten der  Pupillarmembran  annehmbar  erscheine,  das  man 
nicht  genauer  bestimmen  könne,  obgleich  eine  veränderte 
Ernährung  im  Bereiche  gewisser  Gofassbezirke  vorauszu- 
setzen sei.  De  Lapersoune  macht  darauf  aufmerksam, 
dass  die  Iris  sich  erst  zu  der  Zeit  entwickelt,  wo  die  Fö- 
talspalte schon  geschlossen  ist,  so  dass  man  deshalb  das 
Iriscolobom  nicht  in  Verbindung  mit  der  Spalte  bringen 
könne.  Seiner  Meinung  nach  entwickelt  sich  das  Colobom 
an  der  Stelle,  wo  in  Folge  eines  entzündlichen  Zustandes 
der  Chorioidea  eine  Ernährungsstörung  stattfindet.  Als  Aus- 
druck einer  ungenügenden  Ernährung  erscheinen  seiner  Mei- 
nung nach  die  Flecke  auf  der  Cornea,  die  in  seinem  Falle 
bemerkt  wurden,  wie  auch  bei  den  Colobomen  im  Bereiche 
des  unteren  Segmentes.  Ich  erlaube  mir  hier  zu  bemerken, 
dass  sie  im  letzteren  Falle  zu  den  grössten  Seltenheiten 
gehören. 

Plange  bemerkt  ganz  richtig,  dass  die  Drehung  des 
Fötalauges  um  die  Axe  nur  die  nach  aussen  gelegenen  Co- 
lobome  erklären  kann.  Er  ist  auch  nicht  mit  der  Theorie  von 
Deutschmann  einverstanden,  da  unter  den  ihm  bekann- 
ten Fällen  entzündliche  Veränderungen  des  Auges  nur  in 
einem  Falle  vorhanden  waren  (Bock).  Weiter  müsste,  sei- 
ner Meinung  nach,  ein  entzündlicher  Process  mehr  tiefere 


Ueber  die  Fseudocolobome  der  Iris.  59 

Veränderungen  hinterlassen.  Wie  Manz,  unterscheidet  auch 
Plange  die  typischen,  wirklichen  Colobome  (des  unteren 
Segmentes)  von  den  atypischen,  seitlichen,  und  wie  Bock, 
so  schreibt  auch  er  der  Pupillarmembran  die  ansehnlichste 
Rolle  bei  der  Entstehung  der  Anomalie  zu.  Er  behauptet, 
dass  in  50  ®/o  der  ihm  bekannten  Fseudocolobome  Reste 
der  Membran  zugegen  waren,  während  sie  beim  normalen 
Colobom  sehr  selten  vorkommen.  Die  Richtigkeit  seiner 
Meinung  bestätigt  er  durch  folgende  Topographie  des  vor- 
deren Abschnittes  des  fötalen  Auges  zur  Zeit  des  ersten 
Entstehens  der  Iris.  ,3ekanntlich  steht  der  vordere  freie 
Rand  der  secundären  Augenblase  zur  Zeit,  wo  die  Iris 
aus  demselben  hervorzuwachsen  beginnt,  ungefähr  auf  der 
Höhe  des  Linsenäquators.  Die  Linse  ist  in  einen  Gefäss- 
sack  eingeschlossen,  dessen  hintere  Hälfte  aus  der  Veräste- 
lung der  Art  hyaloidea  entstanden,  dessen  vorderer  Theil 
aus  dem  vordersten  Abschnitte  des  Gefässlagers  der  Kopf- 
platten hervorgegangen  ist.  Nun  beginnt  die  Iris  in  ihrer 
doppelten  Anlage  aus  dem  vorderen  Umschlagstheil  der 
secundären  Augenblase  und  aus  dem  vor  diesem  gelegenen 
Abschnitt  der  Kopfplatten  mit  Betheiligung  der  peripheren 
Theile  der  vorderen  Hälfte  des  Linsengefässsackes  sich  zu 
entwickeln.  Beim  normalen  Wachsthum  schiebt  nun  die 
Iris,  sich  zwischen  Hornhaut  und  Linse  hineindrängend, 
die  vordere  Seite  des  Linsensackos  vor  sich  her  und  schnürt 
sie  ringförmig  ein.  Auf  diese  Weise  wird  sie  dann  in  einen 
vor  der  Iris  gelegenen  Abschnitt,  die  sogen,  eigentliche 
Pupillarmembran  und  in  einen  hinter  derselben  befindlichen, 
die  Membrana  capsulo-pupillaris,  abgetheilt.  Wenn  man 
nun  annimmt,  dass  in  dieser  vorderen  Hälfte  des  Linsen- 
sackes die  Iris  auf  besondere  Widerstände  stösst,  die  ihr 
normales  Wachsthum  hindern,  so  hat  der  Zusammenhang 
zwischen  der  Anomalie  der  Pupillarmembran  und  der  Iris- 
missbildung in  ätiologischer  Hinsicht  eine  Erklärung  gefun- 
den.  Derartige  Hemmnisse  können  nun  sowohl  abnorm  ent- 


60  K.  Kumschewitsch. 

wickelte  Gefasse  sein,  als  in  Verwachsungen  des  Gefass- 
sackes  mit  der  Linsenkapsel  bestehen.  Auf  ersteres  lassen 
die  fadenförmigen  Reste,  auf  letzteres  die  Auflagerungen 
auf  der  vorderen  Kapsel  schliessen/'  Der  von  Manz  be- 
schriebenen Dünnheit  der  Gefösshaut  schreibt  Plange  nur 
eine  unwesentliche  Bedeutung  zu.  Gegen  die  Thatsacho, 
dass  bei  Anwesenheit  von  Resten  der  Pupillarmembran  seit- 
liche Colobome  sehr  selten  vorkommen,  bemerkt  Plange, 
dass  erstens  die  Veränderungen  in  der  Pupillarmembran  so 
unbedeutend  sein  können,  dass  sie  noch  nicht  den  regel- 
mässigen Wuchs  der  Iris  beeinflussen;  weiter,  dass  die  Per- 
sistenz der  Membran  ebenfalls  durch  eine  unvollkommene 
Resorption  derselben  beeinflusst  sein  könne,  welche  seiner 
Meinung  nach  zu  der  Zeit  beginnt,  wenn  die  Iris  schon 
längst  gebildet  ist.  Diese  Theorie,  wenn  sie  nur  auf  That- 
sachen  gegründet  wäre,  würde  in  der  That  sehr  leicht  die 
Entstehung  der  seitlichen  Colobome  erklären,  unabhängig 
von  dem  Gebiete  ihres  Vorkommens.  Plange  meint,  dass, 
wenn  man  nur,  abgesehen  von  den  Colobomen  des  imteren 
Segmentes,  fiir  die  übrigen  Missbildungen  der  Iris  ein  ähn- 
liches Verhältniss  zur  Pupillarmembran  finden  könnte,  für 
die  Erklärung  dieser  es  möglich  wäre,  sich  mit  einer  Theo- 
rie zu  begnügen,  welche,  ohne  die  Verhältnisse  im  Gebiete 
der  Augenspalte  zu  berühren,  nur  mit  den  Verhältnissen 
im  Bereiche  der  Pupillarmembran  zu  thun  hätte. 

Im  vorliegenden  Artikel  habe  ich  eine  viel  grössere 
Zahl  hierhergehöriger  Beobachtungen  angeführt,  als. in  den 
früheren  Arbeiten,  somit  erhalten  auch  die  daraus  gezoge- 
nen Schlüsse  eine  grössere  Sicherheit.  Jedenfalls  muss  man 
bei  der  Erklärung  der  Entstehung  der  in  Rede  stehenden 
Anomalie:  1)  die  Entzündungstheorie,  2)  die  Theorie  der 
Di*ehung  des  fötalen  Auges  um  seine  Axe  und  3)  die  Theorie 
einer  getrennten,  oder  unregelmässigen  Entwickelung  des 
fötalen  Auges  berücksichtigen. 


Ueber  die  Fseudocolobome  der  Iris.  61 

1)  Bei  der  Sntzündungstheorie  brauchen  wir  uns  nicht 
lange  aufzuhalten.  Die  Sache  ist  die,  dass  von  den  acht- 
undzwanzig Fällen  nur  in  zweien  mehr  oder  weniger  aus- 
gesprochene entzündliche  Processe  im  Auge  erwähnt  wer- 
den; im  Falle  von  Bock  wurden  entzündliche  Erscheinun- 
gen in  der  Gefasshaut  (und  in  dem  Glaskörper)  und  Pig- 
mentablagerungen auf  der  Linsenkapsel  gefunden;  im  Falle 
von  de  Lapersonne  in  der  Gefasshaut,  und  in  dem  dem 
Colobom  entsprochenden  Abschnitt  der  Hornhaut.  Aber 
auch  in  diesen  Fällen  fanden  die  entzündlichen  Processe 
in  so  entfernten  Theileu  statt,  dass  sie  in  der  Iris  durch- 
aus keine  so  starken  Veränderungen  hervorrufen  konnten, 
um  einen  so  ansehnlichen  Defect  ihrer  Substanz  zu  veruiv 
Sachen. 

2)  Auf  Grund  der  Untersuchungen  von  Voss  ins  könn- 
ten wir  annehmen,  dass  die  Spalte  anfangs  an  der  normalen 
Stelle  gebildet  war  und  erst  späterhin,  bei  der  Drehung 
des  Augapfels  nach  aussen,  im  Bereiche  des  unteren  äus- 
seren Segmentes  auftrat  In  diesem  letzteren  Falle  könnten 
wir  aber  die  Entstehung  der  Anomalie  höchstens  in  sieben 
Fällen  erklären,  in  einem  mit  der  Richtung  nach  aussen 
und  unten  und  in  sechs  gerade  nach  aussen;  die  übrigen 
einundzwanzig  Beobachtungen  würden  unerklärt  bleiben. 

3)  Es  bleibt  also  nur  übrig,  die  Erklärung  der  Ent- 
stehung der  Anomalie  in  einer  unregelmässigen  Entwicke- 
lung  des  Auges  beim  Fötus  zu  suchen.  Plange  schreibt 
eine  entscheidende  Bedeutung  der  Pupillarmembran  zu,  ich 
möchte  aber  zuerst  die  Frage  stellen,  was  es  denn  für 
Beste  der  Membran  waren,  .die  zu  gleicher  Zeit  mit  der 
in  Rede  stehenden  Anomalie  beobachtet  wurden.  Im  Falle 
von  Bock  waren  nur  Ablagerungen  auf  der  Kapsel  zugegen, 
welche  man,  bei  der  Abwesenheit  von  Fasern,  schwerlich 
für  Reste  der  Pupillarmembran  annehmen  kann.  In  den 
Fällen  von  Schiess-Gemuseus  und  Plange  waren  diese 
Reste  zu  wenig  ausgesprochen.   Weiter  wurden  in  den  mei- 


62.  K.  Rumschewitech. 

sten  der  in  diesem  Artikel  beschriebenen  Fälle  durchaus 
keine  Reste  der  Membran  beobachtet,  also  waren  streng 
gesagt  nur  in  zweien  von  den  achtundzwanzig  Fällen  Reste 
der  Membran  vorhanden  und  dieser  Umstand  lässt  es  schon 
an  und  für  sich  nicht  zu,  in  diesem  Falle  der  Pupillarmem- 
bran irgend  welchen  Einfluss  zuzuschreiben. 

Bei  der  Beschreibung  mehrerer  Fälle  von  Entwicke- 
lungsanomalien  des  Auges,  bemühte  ich  mich  schon  mehr- 
mals, sie  auf  Grund  meiner  eigenen  Untersuchungen  über 
die  Entwickelung  des  Auges  zu  erklären.  Ich  erlaube  mir 
daher  hier  etwas  ausführlicher  die  Resultate  meiner  Unter- 
suchungen über  die  Entwickelung  der  Pupillarmembran  und 
Iris  anzuführen,  die  in  meiner  1878  in  Kiew  in  russischer 
Sprache  unter  dem  Titel  „Zur  Entwickelungsgeschichte  des 
Auges"  erschienenen  Arbeit  mitgetheilt  worden  ist  Die- 
selben stehen  mit  den  von  Lieberkühn,  Hans  Virchow, 
Königstein  u.  A.  erhaltenen  Ergebnissen  in  Einklang. 

Nach  Abschnürung  der  Linse,  zu  der  Zeit,  wenn  zwi- 
schen den  Wandungen  derselben  noch  ein  ziemlich  grosser 
Hohlraum  bleibt,  ist  sie  schon  von  allen  Seiten  von  einem 
vollkommen  entwickelten  Gefassnetz  umgeben.  Es  ist  nicht 
schwer,  sich  davon  zu  überzeugen,  dass  von  seinem  hin- 
teren Abschnitt  nach  vorn  hin  Aeste  ziehen,  die  über  den 
vorderen  Rand  der  Blase  umbiegen  und  sich  mit  dem 
Blutgefasssystem  verbinden,  welches  nach  aussen  die  secun- 
däre  Augenblase  umgiebt  Die  vor  der  Linse  gelegenen 
Stämmchen  hingegen  stehen  hauptsächlich  mit  dem  circu- 
lären  Gefäss  in  Verbindung,  welches  neben  dem  Rande  der 
secundären  Augenblase  gelegen  ist  In  dieser  Periode  iGndet 
auch  der  Anfang  der  Differenzirung  der  Linsenkapsel  des 
vom  Glaskörper  und  der  Iris  statt  Während  der  Entwicke- 
lung der  Iris  verlängert  sich  allmälig  der  vordere  Theil  des 
hinteren  Abschnittes  des  Netzes  und  in  dieser  Periode  ist 
dasselbe  zuerst  von  J.  Müller  unter  der  Benennung  Membr. 
Capsula  pupillaris  beschrieben  worden.     Ein  wenig  später 


lieber  die  Pseudocolobome  der  Iris.  63 

wird  es  schon  leichter,  sich  davon  zu  überzeugen,  dass  die 
stärkeren  Aeste  des  vorderen  Abschnittes  der  gefasshaltigen 
Kapsel  von  dem  Gefässkranz  abstammen,  welcher  schon  zur 
Zeit  der  Einstülpung  der  Linse  bemerkt  wird.  Während 
der  Entwickelungsperiode,  wenn  die  Spitze  der  dreieckigen 
Anlage  der  Iris  nach  innen  und  vorn  gedrungen  ist,  kann 
man  sich  leicht  davon  überzeugen,  dass  sie  eine  unmittel- 
bare Fortsetzung  der  Anlage  der  letzteren  bildet.  Indem 
die  gröberen  Gefasse  vom  circulären  Stamm  zum  Centrum 
der  Membran  ziehen,  verlaufen  die  anderen,  zahlreicheren 
und  feineren,  längs  der  hinteren  Oberfläche  der  Anlage  und 
bilden  den  venösen  Antheil.  Bestimmtere  Bilder  erhalten 
wir  bei  Untersuchung  der  Iris  in  situ.  Zu  Ende  der  ersten 
Hälfte  der  Entwickelungsperiode  konnte  ich  dreizehn  ziem« 
lieh  grobe  Stämmchen  zählen,  die  zum  Centrum  der  Mem- 
bran hinzogen;  sie  stammten  vom  circulären  Gefass  und 
erwiesen  sich  als  arterielle  Gefässe.  Die  Lage  der  Gefasse 
in  der  Membran  und  ihre  Verästelung  ist  viel  leichter  bei 
mehr  erwachsenen  Embryonen  zu  untersuchen.  Vom  circu- 
lären Gefäss  —  dem  Circulus  iridis  arteriosus  major  — 
entspringen  gewöhnlich  13 — 15,  auch  mehr,  ziemlich  grobe 
Gefasse.  Der  Dicke  nach  zeichnen  sich  besonders  vier  von 
ihnen  aus;  sie  entstehen  gewöhnlich  unweit  der  Theilungs- 
stelle  der  beiden  langen  hinteren  Ciliararterien  oder  sogar 
noch  im  Bereiche  der  Theilungsstelle  selbst.  Die  Stämm- 
chen ziehen  gewöhnlich  eine  grosse  Strecke  weit  hin,  ohne 
sich  zu  theilen  und  geben  erst  näher  dem  Centrum  A  est- 
chen ab,  welche  nach  beiden  Seiten  umbiegen;  neben  dem 
inneren  Ende  bilden  die  Verästelungen  einen  ganzen  Ge- 
fässfächer.  In  einer  Entfernung  von  fast  1  mm  vom  äus- 
seren Rande  der  Membran  treten  zu  der  letzteren  Stämm- 
chen der  sogenannten  Capsulo-Pupillarmembran,  die  sich  mit 
den  feinen  Gefässen  der  Pupillarmembran  verbinden  und 
mit  ihnen  zusammen  eine  grosse  Anzahl  (mehr  als  76)  von 
radial   ziehenden    feinen   Stämmchen   bilden;    sie   dringen 


64  K.  Rumschewitsch. 

weiter,  indem  sie  ihre  Richtung  bewahren,  in  die  Iris  und 
den  Ciliarkörper  und  bleiben  in  ihnen  auf  immer.  Ako  ist 
die  arterielle  Blutcirculation  der  Pupillarmembran  ganz  un- 
abhängig von  der  Art.  centralis.  Beide  Systeme  haben  nur 
gemeinschaftliche  venöse  Wege  und  da  mit  der  Pupillar- 
membran sich  zugleich  auch  die  Iris  entwickelt,  so  ist  es 
klar,  dass  diese  Wege  gleich  von  Anfang  an  eine  den  künf- 
tigen Venen  entsprechende  Anordnung  annehmen. 

Schon  seit  J.  Müller  ist  es  bekannt,  dass  das  Ver- 
schwinden der  Pupillarmembran  mit  der  Periode  der  Oeff- 
nung  der  Lider  zusammenfallt  Bei  Hunden  und  Katzen 
kann  man  sie  noch  am  9. — 10.  Tage  nach  der  Geburt  vor- 
finden, obgleich  ihre  Gefässe  schon  längst  obliterirt  sind. 
Zugleich  mit  der  Pupillarmembran  verschwindet  auch  das 
Gefasssystem  des  Glaskörpers,  obgleich  der  Hauptstamm 
bei  den  Wiederkäuern  noch  lange  Zeit  nach  der  Geburt 
verbleibt.  In  beiden  Fällen  liegt  der  Grund  des  Verschwin- 
dens  in  der  Entstehung  neuer  Gefässverbindungen.  Es  ist 
schon  längst  bekannt,  dass  die  Gefässe  der  Netzhaut  sich 
verhältnissmässig  spät  entwickeln.  Zu  derselben  Zeit,  wenn 
sie  schon  vollkommen  entwickelt  sind,  vorschwindet  das 
Netz,  welches  die  Linse  umgiebt  Etwas  ganz  Analoges 
beobachten  wir  auch  bei  der  Pupillarmembran.  In  der  frü- 
hesten Eutwickelungsperiode  sieht  man  ihre  Gefässe  die 
Irisanlage  nur  durchziehen,  ohne  Verästelungen  abzugeben. 
Das  Gapillametz  der  Iris  entwickelt  sich  bei  den  Säuge- 
thieren,  die  mit  geöffneten  Lidern  zur  Welt  kommen,  erst 
zu  Ende  des  Fötallebens,  bei  denen  hingegen,  die  blind 
geboren  werden,  erst  nach  der  Geburt.  Das  Capillarnetz 
verbindet  unter  einander  die  Stämmchen  selbst,  mittelst 
deren  die  Blutcirculation  in  der  Pupillarmembran  stattfand. 
Also  wird  in  beiden  Fällen  das  Verschwinden  des  fötalen 
vorderen  und  hinteren  intraocularen  Gefasssystems  durch 
die  Entwickelung  neuer  Wege  für  das  Blut  erklärt 

Das  schon  oben  erwähnte  Blutgefäss,  welches  neben 


lieber  die  Pseudocolobome  der  Iris.  65 

dem  Rande  der  secundären  Augenblase,  nicht  nur  gleich 
nach  deren  Entstehung,  sondern  auch  während  der  Ein- 
stülpung der  Linse  bemerkt  wird,  ist  nichts  anderes  als  der 
Girculas  iridis  arteriosus  major.  Je  nachdem  sich  der  Äu- 
genblasenrand  mehr  nach  Yom  hinüberbiegt,  rückt  der  Cir- 
culus  arteriosus  in  ebenderselben  Richtung  und  ein  wenig 
nach  innen.  Wegen  zu  geringen  Materials  an  Menschen- 
embryonen, besonders  der  frühesten  Entwickelungsperioden, 
benutzte  ich  auch  die  Embryonen  der  Säugethiere.  Bei 
einem  Schafembryo  yon  2,3  cm  kann  man  sehen,  dass  zwi- 
schen dem  vorderen  Augenblasenrande  imd  dem  Hornblatte 
das  Gewebe  der  Kopfplatten  sich  y erschmälert,  zwischen 
dem  Hornblatte  und  der  Linse  ein  Dreieck  bildet,  das  mit 
der  Spitze  nach  hinten  gerichtet  ist;  diese  Spitze  geht  in 
den  Glaskörper,  der  vordere  innere  Winkel  in  die  Anlage 
der  Hornhaut  selbst  und  der  Pupillarmembran  über.  Im 
Gentrum  des  Dreiecks  liegt  der  querdurchschnittene  Circu- 
lus  iridis  major,  von  einem  Haufen  kleiner  Zellen  umringt; 
während  die  in  der  Peripherie  gelegenen  Zellen  grösser 
sind  und  stem-  oder  spindelförmig  erscheinen,  gehen  die 
central  gelegenen  kleinen  runden  Zellen  in  die  runden 
Zellen  des  vorderen  Theils  des  die  Augenblase  umge- 
benden Kopfplattengewebes  über.  Später  hebt  der  vor- 
dere Theil  der  Augenblase,  indem  er  dünner  wird  und 
zugleich  nach  innen  und  vorn  rückt,  den  hinteren  Win- 
kel des  Dreieckes  und  dreht  ihn  nach  innen.  Zugleich 
dringen  in  die  anfangs  structurlose  Hornhaut  zahlreiche 
Elemente,  welche  fixe  Zellen  derselben  bilden  und  zu  der- 
selben Zeit,  sogar  noch  früher,  wird  sie  ganz  von  der  Pu- 
pillarmembran getrennt.  Bei  einem  Fötus  von  der  Länge 
von  4,5  cm  ist  die  Iris  schon  stark  an  den  vorderen  Pol 
gerückt  Der  Epithelrand  der  Descemet'schen  Membran 
reicht  fast  bis  zum  Blasenrande,  späterhin  gehen  seine  Zel- 
len auf  die  vordere  Oberfläche  der  Irisanlage  über,  so  dass 
die  letztere  gleich  von  Anfang  an  von  der  Hornhaut  durch 

▼.  Graefe'i  ArchiT  Ar  Ophthalmologie.  XXXVII.  4.  5 


66  K.  Ramschewitsch. 

einen  schmalen,  spaltenartigen  Raum  getrennt  ist.  In  denl 
Theile  des  Kopfplattengewebes,  welcher  den  vorderen  Theil 
der  Augenblase  umringt,  kann  man  deutlich  zwei  Schichten 
unterscheiden:  die  äussere  macht  die  Fortsetzung  der  Horn- 
haut aus,  ihre  Elemente  erscheinen  auf  Schnitten  spindel- 
förmig; das  ist  die  Anlage  der  Sclera  und  der  Conjunctiva 
bulbi.  Die  innere  Schicht  ist  eine  unmittelbare  Fortsetzung 
der  Irisanlage  und  besteht  aus  kleineren  und  runden  Zellen; 
nach  hinten  hin  wird  sie  feiner  und  geht  unbemerkt  in 
dem  Gewebstheile  der  Eopfplatten  verloren,  aus  dem  sich 
die  Gefässhaut  entwickelt.  Das  äussere  Blatt  der  Augen- 
blase wird  nach  vorn  hin  viel  flacher  und  besteht  aus  meh- 
reren Schichten  von  Zellen,  welche  alle  schon  pigmentirt 
sind;  das  innere  Blatt  wird  hingegen  nach  dem  Rande  hin 
immer  dünner.  Die  Grenzmembran  des  Glaskörpers  biegt 
über  den  Rand  der  Blase  und  geht  in  die  Anlage  der  spä- 
teren Lamiua  elastica  chorioideae  über.  Der  vordere,  feiner 
gewordene  Thoil  der  Augenblase  ist  von  dem  hinteren  durch 
eine  kleine  Einbiegung  getrennt,  von  diesem  nach  vorn  hin 
wird  die  Netzhaut  nicht  dififerenzirt.  Bald  wird  in  der  An- 
lage des  Ciliarkörpers,  die  aus  dem  mittleren  Blatt  entstan- 
den ist,  in  deren  Mitte  ein  heller  Streifen  sichtbar  —  die 
Anlage  des  Fontana'schen  Raumes.  Während  der  späteren 
Entwickeluugsperiode  rückt  der  vordere  Augenblasenrand 
weiter  nach  vorn,  obgleich  er  noch  immer  sehr  weit  vom 
Rande  der  Pupillarmembran  entfernt  ist;  der  äussere  Rand 
des  Endothels  der  Descemet'schen  Haut  befindet  sich  noch 
immer  hinter  dem  Augenblasenrande. 

Späterhin  rückt  der  vordere  Augenblasenrand  viel  schnel- 
ler nach  innen,  so  dass  er  bei  Schafsembryonen  von  9  cm 
sich  schon  in  der  Gegend  der  Spitze  der  Irisanlage  befindet, 
welche  aus  dem  mittleren  Blatt  entstanden  ist.  Dieser  Rand 
erscheint  auf  Schnitten  in  der  Form  eines  Knopfes  oder 
Hakens.  Bald  verwächst  er  mit  dem  benachbarten  Gewebe 
der  Kopfplatten,  trennt  sich  später  beim  weiteren  Wachs- 


Ueber  die  Pseadocolobome  der  Iris.  67 

tfaum  von  der  für  die  Iris  und  die  Pupillannembran  gemein* 
samen  Anlage  und  wächst  mit  dem  letzteren  zusammen  in 
der  Richtung  nach  Torn  gegen  die  hintere  gefasslose  Schicht 
Der  verdickte  Augenblasenrand  bildet,  indem  er  die  abge- 
trabte hintere  Schicht  umringt,  zusammen  mit  der  letz- 
teren den  Pupillarrand.  Die  übrig  gebliebene  vordere  Schicht 
der  früheren  gemeinsamen  Anlage  ist  nur  der  allerperiphe- 
rischste  Theil  der  Pupillarmembran.  Uebrigens  geht  diese 
Zertheilung  der  Schichten  gewöhnlich  nur  bis  zu  jener 
Stelle,  wo  sich  später  der  Circulus  arteriosus  minor  ent- 
wickelt. 

Was  nun  weiter  die  Frage  anbetrifft,  von  wo  der  erste 
Anstoss  zur  Entwickelung  der  Iris  und  des  Ciliarkörpers 
kommt,  so  ist  es  augenscheinlich,  dass  anfangs  die  Haupt- 
rolle dem  mittleren  Keimblatte  zufällt.  Nicht  nur  bei  Säuge- 
thieren,  sondern  auch  bei  Vögeln  bildet  die  erste  Anlage 
der  Iris,  der  Circulus  iridis  major  und  der  ihn  umringende 
Zellenhaufen,  und  das  Wachsthum  dieser  Anlage  eilt  dem 
Vorrücken  *  des  Augenblasenrandes  voraus.  Zu  derselben 
Zeit  wird  das  Gewebe  der  Kopfplatten  im  Bereiche  der 
künftigen  Ciliarfortsätze  zum  Centrum  des  Auges  hin  dicker. 
Beide  Blasenwandungen  rücken  anfangs  auf  der  entsprechen- 
den Stelle  nur  ein  wenig  nach  innen  und  bilden  später 
eine  circuläre  quere  Falte;  es  ist  klar,  dass  ihre  Rolle  da- 
bei eine  gänzlich  passive  bleibt  Späterhin  verwächst  der 
Augenblasenrand  mit  dem  Rande  der  Irisanlage,  die  aus 
dem  mittleren  Keimblatte  stammt,  seine  Falte  aber  mit 
dem  Glaskörper.  Nur  von  dieser  Zeit  an  wachsen  die  bei- 
den Bestandtheile  der  Iris,  die  Platte  des  mittleren  Keim- 
blattes und  die  hintere  Pigmentschicht,  zusammen  und  zu- 
gleich wird  die  Faltenbildung  eine  stärkere.  Diese  letztere 
wird  am  einfachsten  durch  eine  Fixirung  des  vorderen  Au- 
genblasentheils  an  beiden  erwähnten  Verwachsungsstellen 
erklärt  Weiter  ist  es  augenscheinlich,  dass  der  ganze  £nt- 
wickelungsprocess  der  Iris   unabhängig  vom  Processe  der 

6» 


68  K-  Rumsche witsch. 

Differenzirung  der  eigentlicheu  Gefässhaut  zu  Stande  kommt 
Die  Hauptrolle  gehört  im  Anfange  dem  Giro,  iridis  arterio- 
8U8,  der  Yon  den  hinteren  langen  Ciliararterien  gebildet 
wird,  der  Girculus  iridis  minor  nimmt  hingegen  gar  keinen 
Antheil  an  der  Entwickelung  der  Iris  und  entwickelt  sich 
viel  später.  Gemeinschaftlich  sind  für  die  Regenbogenhaut 
und  die  eigentliche  Gefässhaut  im  Anfange  nur  die  venösen 
Blutbahnen. 

Ich  erlaube  mir  daran  zu  erinnern,  dass  selbst  bei  Per- 
sistenz grösserer  Reste  der  Pupillarmembran  (und  solcher 
Fälle  sind  während  der  letzten  15  —  20  Jahre  und  dazu 
sehr  genau  beschriebener  an  150  gesammelt)  in  keinem  das 
gleichzeitige  Vorhandensein  eines  seitlichen  Iriscoloboms 
erwähnt  wird.  Wenn  wir  nun  die  oben  angeführten  That- 
sachen  hinsichtlich  der  Entwickelung  der  Pupillarmembran 
und  der  Iris  ins  Augenmerk  nehmen,  so  können  wir  uns 
nicht  wohl  vorstellen,  auf  welche  Weise  der  Verbleib  von 
Resten  dieser  Membran  oder  eine  unregelmässige  Entwicke- 
lung derselben  während  einer  gewissen  Periode,  die  Ent- 
stehung einer  atypischen  Spalte  in  der  Iris  beeinflussen 
könne.  Wir  haben  doch  gesehen,  dass  bei  der  Bildung  des 
Pupillarrandes  und  der  inneren  (pupillaren)  Zone  der  Iris, 
die  Pupillarmembran  durchaus  keinen  Antheil  nimmt,  dass 
der  Pupillarrand  nur  als  Resultat  der  Verwachsung  beider 
ursprünglichen  Anlagen  der  Iris  erscheint  Plange  spricht 
die  Meinung  auä,  dass  die  sogenannte  Persistenz  von  Resten 
der  Pupillarmembran  durch  eine  ungenügende  Resorption 
der  letzteren  bedingt  werde,  welche  erst  dann  stattfinde, 
wenn  die  Iris  schon  längst  entwickelt  ist  und  dass  also  bei 
Abwesenheit  solcher  Reste  bei  Erwachsenen  man  noch  nicht 
behaupten  könne,  dass  ihre  Entwickelung  beim  Fötus  zu 
einer  gewissen  Zeit  nicht  unregelmässig  geschehen  sei. 
Jedenfalls  ist  diese  Meinung  nicht  auf  Thatsachen  gegründet. 
Schon  früher  habe  ich  auf  Grund  dreier  Fälle  von  Per- 


Ueber  die  Pseudocolobome  der  Iris.  69 

sistenz  der  Pupillarmembran  (Denkschrift  der  Warschauer 
medic  Gesellschaft  1882)  die  Meinung  ausgesprochen,  dass 
die  sogenannte  Persistenz  der  letzteren  bei  Erwachsenen 
durch  eine  atypische  Entwickelung  der  Membran  selbst 
beim  Foetus  bedingt  werde.  Die  anatomische  Untersuchung 
zweier  Fälle,  die  von  van  Duyse  (Ann.  d'ocuL  1886,  Janv.- 
Fevr.)  und  von  mir  (Archiv  für  Augenheilk.  XX,  S.  314) 
herrührt,  haben  die  Richtigkeit  meiner  Meinung  bewiesen 
und  zu  jetziger  Zeit  haben  wir  das  volle  Recht  zu  sagen, 
dass  in  Fällen  von  sogenannter  Persistenz  der  Pupillar- 
membran die  Diflferenzirung  der  für  die  letztere  bestimm- 
ten Elemente  des  mittleren  Keimblattes  nach  dem  der  Iris 
eigenen  Typus  geschieht.  Was  nun  die  rückgängige  Ent- 
wickelung der  Membran  anbetrifft,  so  ist,  meiner  Meinung 
nach,  gar  keine  Nothwendigkeit  vorhanden,  zur  mechani- 
schen Theorie  zu  greifen,  zu  der  Theorie  der  Gontractionen 
der  Irismuskeln,  da  wir  dieselben  weder  unmittelbar  beob- 
achten, noch  die  sie  bedingenden  Ursachen  angeben  können. 
Es  ist  viel  leichter,  das  Verschwinden  der  Membran  durch 
die  Entwickelung  eines  der  Iris  selbst  eigenen  Blutgefass- 
systems  zu  erklären,  welches  für  das  Blut  nähere  Wege 
schafft  Die  Entstehung  dieses  Systems  findet  in  allen  Fäl- 
len statt,  die  normal  entwickelte  Membran  kann  also  in 
allen  Fällen  der  Rückbildung  unterliegen. 

Also  geben  weder  die  Casuistik  der  unregelmässigen 
Iriscolobome,  noch  die  Bedingungen  der  Entwickelung  und 
des  Verschwindens  der  Pupillarmembran  irgend  einen  Grund 
ab,  ihr  eine  ansehnliche  Rolle  bei  der  Entstehung  der  in 
Rede  stehenden  Anomalie  zuzuschreiben.  Manz  hat  in  sei- 
nem Falle  eine  ungewöhnliche  Dünnheit  der  Gefässhaut  be- 
wiesen und  die  Meinung  ausgesprochen,  „dass  aus  einer 
atrophischen  Chorioidea  nur  eine  kümmerliche  Iris  hervor- 
gehe^. Es  ist  aber,  wie  aus  dem  Obenerwähnten  über  die 
Entwickelung  der  Iris  hervorgeht,  ganz  augenscheinlich, 
dass  die  letztere  durchaus  nicht  aus  der  Chorioidea  hervor- 


70      K.  Rumschewitsch,  Ueber  die  Psendocolobome  der  Iris. 

wächst,  sondern  sich  ganz  unabhängig  von  derselben  ent- 
wickelt. Wir  können  allenfalls  eine  sehr  schwache  Ent- 
wickelung  eines  Theiles  der  ganzen  Masse  der  Kopfplatten 
zulassen;  so  oft  wir  ferner  bei  der  anatomischen  Untersu- 
chung pathologischer  Regenbogenhäute  eine  überaus  ausge- 
sprochene Atrophie  des  Stroma  vorfinden,  so  kommen  doch 
Gewebsverluste,  die  auch  nur  eine  Schicht  des  Gewebes 
einnehmen,  sehr  selten  vor.  Jedenfalls  kann  aber  eine  un- 
genügende Anzahl  von  Elementen  der  Kopfplatten  in  der 
Irisanlage  eine  wichtige  Rolle  bei  der  Entstehung  der  Ano- 
malie spielen. 

Den  wichtigsten  Grund  aber  bei  ihrer  Entwickelung 
müssen  wir,  meiner  Meinung  nach,  in  den  Bedingungen  des 
obenerwähnten  Yerwachsens  beider  Irisplatten,  nämlich  der 
Wandung  der  Augenblase  und  des  Kopfplattengewebes  suchen. 
Diese  Verwachsung  geschieht  nicht  nur  bei  Säugethieren, 
sondern  auch  bei  Vögeln  auf  eine  ganz  gleiche  Art.  Im 
Anfange  verwachsen  beide  Platten  neben  dem  Pupillarrande, 
und  dann  schreitet  der  Process  weiter  zur  Peripherie  hin 
fort.  Wenn  aber  an  einer  gewissen  Stelle  die  Verwachsung 
nicht  zu  Stande  kommt,  so  kann  leicht  eine  Rarefaction 
des  Gewebes  stattfinden,  wobei  wir  als  Endresultat  entweder 
ein  Fehlen  der  Bindegewebsschicht  an  einer  gewissen  Stelle, 
oder  eine  Bildung  einer  oder  mehrerer  vollständiger  Oeff- 
nungen  in  der  Iris  erhalten.  In  beiden  Fällen  kann  eine 
ungenügende  Anzahl  von  Elementen  des  Kopfplattengewebes 
dazu  wesentlich  beitragen.  Auf  diese  Art  kann  sich  die 
Anomalie  an  jeder  beliebigen  Stelle  der  Iris  entwickeln, 
ohne  jeglichen  Antheil  von  Seiten  der  Fötalaugenspalte. 


Ein  Fall  von  doppelseitiger  Trochlearisparese, 

complicirt  mit 

partieller  doppelseitiger  Ocnlomotorinslähmnng. 

Von 

Prof.  Dr.  Pflüger  in  Bern. 

Mit  6  Textfiguren. 


Der  Fall,  welcher  den  Gegenstand  dieser  Mittheilung 
bildet,  fand  bereits  kurze  Erwähnung  in  meiner  Arbeit 
über  die  Erkrankungen  des  Sehorgans  im  Gefolge  der  In- 
fluenza in  No.  27  der  Berliner  klinischen  Wochenschrift  vom 
vorigen  Jahre. 

Die  grosse  Seltenheit  des  Falles,  sowie  das  nicht  un- 
erhebliche diagnostische  Interesse,  welches  sich  an  denselben 
knüpft,  mag  ein  genaueres  Eingehen  auf  denselben  recht- 
fertigen. 

Ferdinand  Arn  in  Dotzigen,  30  Jahre  alt,  erkrankte  am 
3.  Jan.  1890  an  Influenza  unter  Frost,  Fieber,  heftigen  Kopf- 
und  Gliederschmerzen.  Nach  dreitägigem  Krankenlager  nahm 
A.,  so  gut  es  ging,  seine  Arbeit  wieder  auf;  am  17.  Januar 
wurde  er  ohne  auffällige  Nebenerscheinungen,  während  er  beim 
Dreschen  beschäftigt  war,  plötzlich  von  Doppelsehen  befallen. 
Patient,  ein  kräftig  gebauter,  abgesehen  von  den  Nachwehcu 
der  Influenza  sonst  ganz  gesunder  Mensch,  stellte  sich  am 
20.  März  zum  ersten  Male  in  der  Poliklinik  vor. 

Patient  fällt  bei  der  ersten  Erscheinung  durch  seine  eigen- 
thümliche  Kopfhaltung  auf;  er  trägt  das  Gesicht  nach  vorn 
gesenkt  und  um  die  sagittale  Axe  etwas  nach  rechts  geneigt. 


72  Pflüger. 

Bei  aufgerichtetem  Kopfe  wird  das  unsichere  Benehmen 
des  Patienten  noch  unsicherer. 

Bei  der  binoculären  Sehprüfung  in  der  Nähe  machte  Pa- 
tient gleich  aufmerksam,  dass  er  nur  lesen  könne,  wenn  er  das 
Buch  hochhalte,  dass  beim  Senken  des  Buches  in  die  gewöhn- 
liche Lesehaltnng  die  Buchstaben  durcheinandergehen. 

Wird  das  Buch  über  die  Horizontale  erhoben  und  die  oben 
angegebene  Prädilectiönsstellung  des  Kopfes  nicht  beeinträch- 
tigt, so  wird  die  feinste  Schrift  etwas  langsam  suchend  gelesen. 

Monoculär  liest  das  rechte  Auge  S  =  0,3  in  35 — 22  cm^ 
näher  aber  nicht;  das  linke  Auge  bedarf  aber  -|-  2  sph.,  um 
denselben  Druck  noch  in  22  cm  deutlich  sehen  zu  können. 
Mikropsie  auf  dem  linken  Auge.  Der  Homhautastigmatismua 
betrug  rechts  0,75  D  Axe  | ,  links  0,5  D  Axe  | .  Beide  Augen 
sind  emmetrop  und  haben  eine  Sehschärfe  von  1,35 — 1,5. 

Das  linke  Auge  steht  in  quantitativ  wechselnder  Conver- 
genz.  Bei  der  Prüfung  der  Aussenbewegung  blieb  es  an&ng- 
lieh  in  der  Mitte  oder  nicht  weit  davon  nach  aussen  stehen 
und  machte  nystagmusartige  Zuckungen. 

Ebenfalls  sind  die  Aussenbewegungen  des  rechten  Auges 
mangelhaft  und  führen  bei  starken  Willensimpulsen  zu  nystag- 
musartigen  Bewegungen.  Zuerst  dachte  ich  an  eine  doppel- 
seitige Abducensparese,  links  stärker  als  rechts,  bis  ein  ge- 
naueres Aufinerken  mich  lehrte,  dass  der  Grad  der  Convergenz 
mit  der  Verschiebung  der  Blickrichtung  in  der  Yerticalen  sich 
gewaltig  änderte. 

Wird  das  Fixationsobject  median  von  unten  nach  oben 
über  die  Horizontale  geführt,  so  vermindert  sich  die  Conver- 
genz, um  zuletzt  zu  verschwinden.  In  dieser  Höhenlage  wir- 
ken die  beiden  Abducentes  normal  und  waren  in  den  Grenz- 
stellungen die  nystagmusartigen  Bewegungen  verschwunden. 
Beim  Senken  der  Blickebene  stellte  sich  die  Convergenz  wieder 
ein,  anfangs  langsam  und  in  schwankendem  Grade,  zuletzt  aber 
mit  einem  Ruck  in  prägnanter  Weise.  Das  Phänomen  war 
mit  mathematischer  Sicherheit  immer  wieder  hervorzurufen. 

Die  Diagnose  schien  anfangs  nicht  schwierig.  £s  mnsste 
sich  augenscheinlich  um  das  Nachlassen  einer  abducirenden 
Kraft  handeln,  die  namentlich  bei  gesenkter  Blickebene  ihre 
Wirkung  entfaltet,  um  die  Parese  des  linken  Trochlearis;  we- 
nigstens Hessen  sich  die  oben  angeführten  Erscheinungen  am 
besten  durch  diese  Annahme  erklären. 


Ein  Fall  von  doppelseitiger  Trochlearisparese. 


73 


Zu  dieser  Diagnose  stimmten  aber  nicht  eine  Reihe  an- 
derer Symptome,  vor  allem  der  Umstand,  dass  bei  gerader 
Kopfhaltung  nicht  nar  in  der  Wirkungssphäre  des  linken  Troch- 
learis,  sondern  im  ganzen  Blickfelde  Doppelbilder  vorhanden 
waren,  die  Schwindel  auslösten.  Es  drängte  zum  Schlüsse,  dass 
neben  eventuellen  Gontracturen  der  Antagonisten  des  linken 
Trochlearia  noch  weitere  Störungen  in  der  Muskelthätigkeit 
vorliegen  mussten. 


30 

a? 

fS 

to 
o 

5 

to 
jy 
a? 
ts 

30 
33 


^WS33Otff0t^Uf    5     O     5     tOX32OtJ3033*O*6 

T \ : » 1 1 J 1 1 : ! 1 i ! : '■ ! r- 


•         ♦ 


o   .. 


-30 

ts 
-ts 

fO 
3 
O 
S 

to 
s^ 

Z3 
30 
33 


¥3W3330t3WfJW3     O     3     1Ot39OZ330S3W^ 
LFLxaJtionspunkt.       o  linkts  Auge. 
\  raiiies  A  uge .  Doppelbüd  des  Unketv Auges . 

Fig.  1. 

Die  Beobachtung  der  directen  Beweglichkeitsbeschränkung 
war  nicht  angethan,  den  verworrenen  Fall  klar  zu  legen. 

Das  genaue  Studium  der  Doppelbilder  versprach  einzig 
sichere  Wegleitung  zur  Diagnose.  Zu  diesem  Behufe  wurde 
Patient  einige  Tage  in  die  Klinik  aufgenommen. 

Fig.  1  giebt  den  Befund  der  Doppelbilder  vom  10.  April, 
aufgenommen  mit  dem  Hirschberg'schen  Blickfeldmesser  in  1  m 
Entfernung. 


74  Pflüger. 

In  der  Medianebene  folgendes  Verhalten  der  Doppelbilder: 
Beim  Blick 

20^  nach  oben  homonym,  gleich  hoch,  5^  abstehend, 

gerade  nach  vorn        „       l^vertical,  lO^seitHch,  „ 

20°  nach  unten  „       2«       „        18°     „  „ 

Die  Gleichnamigkeit  der  Doppelbilder  mit  zunehmender  Seiten- 
distanz von  oben  nach  unten  konnten  im  Sinne  einer  linkssei- 
tigen Trochlearisparese  gedeutet  werden,  nicht  aber  der  leichte 
Hochstand  des  linken  Bildes,  welch  letzterer  eher  fUr  Affection 
des  rechten  Trochlearis  gesprochen  hätte.  Mit  letzterer  An- 
nahme hinwieder  schien  sich  nicht  zu  vereinigen  das  Verhalten 
der  Convergenzstellung,  die  bei  der  Blicksenkung  auf  dem  lin- 
ken Auge  auftrat. 

Die  Doppelbilder  bei  Seitenwendung  der  Blickebene  schie- 
nen anfänglich  die  Situation  eher  zu  verhüllen  als  zu  lichten. 

Bei  der  Seitenwendung  um  30°  nach  links  waren  die  Er- 
gebnisse ähnliche  wie  in  der  Medianebene.     Beim  Blick 
20  °  n.  oben  Doppelbilder  homonym,  7  °  Seitendist.,  1  °  Höhendist., 
horizontal  „  „         13°         „  9°         „ 

20°  n.  unten       „  „         18°         „  10°         „ 

Der  Seitenabstand  hatte  also  oben  und  in  der  Horizontalen, 
der  Höhenabstand  in  der  ganzen  seitlichen  Blickebene  und  zwar 
erheblich  zugenommen;  also  auch  beim  Blicke  nach  oben  links. 
Der  Höhenabstand  bedeutete  auch  hier  Hochstand  des  linken 
homonymen  Doppelbildes,  resp.  Tiefstand  des  rechten,  war  da- 
h^r  wieder  nicht  mit  einer  linkseitigen,  wohl  aber  mit  einer 
rechtseitigen  Trochlearisparese  in  Einklang  zu  bringen. 

Die  Seitenwendung  der  Blickebene  um  30°  nach  rechts 
führte  zu  überraschenden  Resultaten,  die  in  richtiger  Würdi- 
gung die  Diagnose  mit  ergeben  mussten.     Beim  Blick 
20°  n.  oben  Doppelbilder  homonym,  3°  Seitendist.,  3°  Höhendist., 
horizontal  „  „  7°         „  3°         „ 

20°  n.  unten       „  „         15°         „  4°         „ 

Die  Analogie  mit  dem  Verhalten  des  Doppelbildes  bei  Seiten- 
wendung nach  links  ist  eine  grosse;  dieselben  sind  gleichnamig, 
zeigen  von  oben  nach  unten  zunehmende  Seitendistanz  und 
ebenso  wachsenden  Höhenabstand.  Der  Seitenabstand  ist  durch- 
wegs etwas  geringer,  der  Höhenabstand  in  den  zwei  unteren 
Blicklagen  erheblich  kleiner,  in  der  obersten  etwas  grösser  als 
bei  Seitenwendung  nach  links.  Der  Seitenabstand  ist  auch  ge- 
ringer als  in  der  Medianebene,  der  Höhenabstand  dagegen  grösser. 


Ein  Fall  von  doppelseitiger  Trochlearisparese  etc.  75 

Der  Höhenabstand  aber  —  und  dies  ist  im  vorliegenden 
Falle  das  Wichtige,  das  Ausschlaggebende  —  bedeutet  hier 
einen  Hochstand  des  rechten  Bildes  resp.  einen  Tie&tand  des 
linken  Bildes. 

Dieser  Tieüstand  des  linken  Bildes  rettete  sicher  die  Diag« 
nose  der  linksseitigen  Trochlearisparese,  welche  von 
Anfang  an  das  ganze  Symptomenbild  zu  beherrschen  schien. 

Der  Tiefstand  des  rechten  Bildes  in  der  Medianebene  und 
bei  der  Seitenwendung  der  Blickebene  nach  links  forderte  aber 
ebenso  unerbittlich  die  Annahme  einer  rechtseitigen  Troch- 
learisparese. Mit  logischer  Nothwendigkeit  wurde  ich  ge- 
zwungen, eine  doppelseitige  Trochlearisparese  zu  diag- 
nosticiren,  eine  Affection,  von  der  mir  nicht  bekannt  war,  dass 
sie  bisher  mit  Sicherheit  diagnosticirt  worden  sei. 

Die  linksseitige  Abducensparese,  an  die  ich  anfänglich  ge- 
dacht, hätte  höchstens  die  Zunahme  des  Seitenabstandes  von 
rechts  nach  links  erklärt,  die  Veränderungen  des  Höhenabstan- 
des aber  unverstanden  gelassen.  An  der  Mitbetheiligung  des 
rechten  Abducens,  welche  durch  die  nystagmusartigen  Zuckun- 
gen bei  Seitenwendung  nach  rechts  nahegelegt  worden  war, 
konnte  noch  weniger  festgehalten  werden. 

Die  Diagnose  „doppelseitige  Trochlearisparese"  einmal  ge- 
sichert, galt  es  noch,  die  genauere  Probe  an  die  einzelnen 
Doppelbilderstellung  anzulegen.  Diese  Probe  bot  wenig  Schwie- 
rigkeiten mehr,  besonders  nachdem  nachträglich  meiner  Diag- 
nose die  meisterhaften  Auseinandersetzungen  L.  Mauthner's 
über  alle  möglichen  beobachte^n  und  nicht  beobachteten  son- 
dern nur  theoretisch  construirten  Combinationcn  von  Augen- 
muskellähmungen in  seiner  bekannten  „Diagnostik  und  Therapie 
der  Augenmuskellähmungen^^  zu  Hülfe  gekommen  waren. 

Die  Doppelbilder  im  ganzen  Blickfelde,  also  auch  in  der 
ganzen  oberen  Hälfte  desselben,  erklärten  sich  allerdings  nicht 
einfach  aus  der  Lähmung  der  beiden  Obliqui  superiores;  hier- 
für musste  zum  mindesten  noch  die  Annahme  der  Contractu r 
der  Antagonisten  herangezogen  werden. 

Das  Verhalten  der  Doppelbilder  in  der  Medianebene  setzt 
ferner  voraus,  dass  eine  ungleich  starke  Lähmung  der 
homokleten  Muskeln  vorlag. 

Welcher  der  beiden  Trochleares  war  nun  der  stärker  affi- 
cirte? 

Mauthner  sagt  treffend  (S.  619):  „An  jenem  Auge,  des- 
sen Bild  bei  Lähmung  eines  Hebers  —  d.  h.  eines  homokleten 


76  Pfloger. 

Heberpaares  —  höher,  bei  Lähmung  eines  Senkers  —  resp. 
eines  homokleten  Senkerpaares  —  tiefer  steht,  ist  die  Läh- 
mung mehr  entwickelt;  die  Diagnose  der  doppelseitigen  Läh- 
mung, sowie  die  Dififerentialdiagnose  des  gelähmten  Paares  ruht 
aber  auch  in  diesem  Falle  auf  dem  Verhalten  der  Doppelbilder 
in  den  Diagonalstellungen/^ 

Im  vorliegenden  Falle  war  der  rechte  Trochlearis  der 
stärker  erkrankte,  denn 

1)  steht  das  Bild  des  rechten  Auges  median  nach  vom 
und  nach  unten  tiefer  als  das  des  Partners,  allerdings  bloss 
um  1^  resp.  2^;  nach  oben  stehen  sie  horizontal  nebeneinander. 

2)  ist  in  derjenigen  Diagonalstellung,  welche  der  maxima- 
len Senkerwirkung  des  rechten  Trochlearis  entspricht,  also  bei 
der  Seitenwendung  nach  links,  in  der  mittleren  und  unteren 
Blickrichtung  der  Höhenabstand,  resp.  der  Tiefstand  des  rech- 
ten Bildes  grösser  als  der  entsprechende  Tiefstand  des  linken 
Bildes  in  der  rechten  Diagonalstellung,  welche  mit  der  maxi- 
malen Senkerwirkung  des  linken  Trochlearis  coincidirt,  d.  h. 
wieder  nur  in  der  zweiten  und  dritten  Höhenlage  des  Blicks. 
Der  Unterschied  in  den  resp..  Tiefständen  der  Doppelbilder  zu 
Gunsten  des  rechten  Trochlearis  beträgt  in  den  beiden  erwähn- 
ten Höhenlagen  je  6^. 

Eine  Ausnahme  macht  sich  geltend  für  die  beiden  oberen 
Diagonalstellungen,  indem  beim  Blick  nach  links  oben  das 
rechte  Bild  einen  Tiefstand  von  1^,  beim  Blick  nach  rechts 
oben  das  linke  Bild  einen  Tiefstand  von  3^  aufweist.  Diese 
scheinbar  gegen  das  Gesetz  verstossende  Ausnahmsstellung  des 
Doppelbildes  bietet  vorläufige  Schwierigkeiten  dem  Erklä- 
rungsversuch. 

Der  Seitenabstand  der  Doppelbilder  überwiegt  bei  Seiten- 
wendung der  Blickebene  nach  links  in  allen  drei  Höhenlagen 
denjenigen  bei  der  Seitenwendung  nach  rechts  und  zwar  um 
4^  6«  und  3«  (2<>). 

Bei  der  Schwierigkeit,  welche  mir  die  Diagnose  anfäng- 
lich bereitet  hatte  und  bei  der  absoluten  Seltenheit  des  FaUes 
kam  ich  der  Aufforderung  Mauthner*s  (l.  c.  S.  622)  gerne 
nach,  die  von  Nagel  (Archiv  für  Ophthalm.  XXVH,  1,  S.  243) 
zur  feineren  Diagnostik  complicirter  Lähmungen  der  Heber 
und  Senker,  namentlich  homokleter  Muskelpaare,  empfohlene 
Methode  zu  benutzen  und  die  bei  den  Seitenneigungen  des 
Kopfes  auftretenden  Raddrehungen  zu  studiren.  In  der  Disser- 
tation  von   Dr.   Halm:    „Beiträge   zur   Symptomatologie   der 


Ein  Fall  von  doppelseitiger  Trochlearisparese  etc.  77 

Trochlearisl&hmung,  Tübingen  1888^^  hat  Nagel  weitere  Bei- 
träge zur  Aüsbildang  dieser  Methode  liefern  lassen. 

Mit  dem  Rectas  superior  bewirkt  der  Obliquus  superior 
die  Raddrehung  des  Auges  in  medialer,  der  Rectns  inferior 
mit  dem  Obliquus  inferior  die  Raddrehung  in  temporaler  Rich- 
tung bei  stillestehender  Blicklinie,  vorausgesetzt,  dass  die  nach 
der  Richtung  entgegengesetzte  Wirkung  jedes  Muskelpaares  auf 
Höhen-  und  Seitenstellung  quantitativ  gleich  gross  ist 

Dass  die  von  Hunter  1786  zuerst  behauptete  und  dann 
von  Huck  (1838)  vertheidigte,  von  Donders  bestrittene  Rol- 
lung der  Augen  um  die  Blicklinie  bei  der  Neigung  des  Kopfes 
znr  Schulter  in  gewissem  Maasse  doch  existirt,  hat  1869  Ja- 
val  an  seinem  eigenen  astigmatischen  Auge  nachgewiesen  da- 
durch, dass  bei  Senkung  des  Kopfes  der  corrigirende  Cylinder 
gedreht  werden  musste. 

Nagel  zeigte  1871,  dass  die  der  richtigen  Localisirnng 
der  Sehobjecte  dienenden  äquilibrirenden  Rollbewegungen  der 
Augen  bei  bewusster  seitlicher  Abweichung  des  Kopfes  aus  der 
Normalstellung  durch  Drehung  in  der  Hals-  und  Lendenwirbel- 
säule ca.  ^j^  der  Kopfneigung  betrage.  Andere  schätzten  die- 
sen Werth  auf  ^/g  bis  '/iq. 

Wird  der  Kopf  z.  B.  um  30  —  36®  zur  linken  Schulter 
geneigt,  so  wird  unter  normalen  Verhältnissen  durch  das  Zu- 
sammenwirken des  Rectus  superior  und  Obliquus  superior  der 
verticale  Meridian  des  linken  Auges  um  5  —  6®  medianwärts 
zurückgedreht,  während  auf  dem  rechten  Auge  des  Rectus  in- 
ferior mit  dem  Obliquns  inferior  den  verticalen  Meridian  um 
denselben  Winkel  temporalwärts  rollt,  wodurch  der  Parallismus 
der  Meridiane  aufrecht  erhalten  wird. 

Bei  Parese  des  linken  Obliquus  superior  fällt  zunächst  die 
Rückwärtsdrehung  des  verticalen  Meridianes  zu  gering  aus.  Die 
Folge  davon  muss  sein  eine  stärkere  Divergenz  der  Meridiane 
und  eine  stärkere  Gonvergenz  der  Doppelbilder. 

Ferner  wird  dem  Rectus  superior  in  seiner  Höhen-  und* 
Innenwirkung  das  Gleichgewicht  nicht  gehalten.  Das  Auge 
weicht  nach  innen  oben,  das  Bild  nach  unten  aussen  ab.  Bei 
Neigung  des  Kopfes  nach  der  Schulter  werden  im  Interesse 
der  physiologischen  Raddrehungen  grössere  Anforderungen  an 
die  Leistungen  des  Trochlearis  der  nämlichen  Seite  gestellt 
nnd  müssen  daher  bei  Parese  dieses  Muskels  die  Symptome 
derselben,  wesentlich  der  Tiefstand  der  homonymen  Doppel  - 
bilder  auffälliger  werden. 


78  Pflüger. 

Diese  physiologischen  Raddrehangen  und  die  sie  auslösen- 
den Kräfte  beanspruchen  möglicherweise  eine  grössere  prak- 
tische Bedeutung,  als  wir  bisher  anzunehmen  gewohnt  sind,  in- 
dem sie  sich  unter  die  von  Stilling  über  die  Entwickeluag 
der  Myopie  aufgestellten  Gesichtspunkte  reihen. 

Um  die  Einwirkung  der  Eopfneigung  und  der  durch  sie 
ausgelösten  Raddrehung  auf  unseren  complicirten  Fall  doppel- 
seitiger Trochlearisparese  analysiren  zu  können,  wird  es  zweck- 
mässig sein,  zuvor  uns  die  von  Halm  in  seiner  Dissertation 
studirteu  und  zusammengestellten  Resultate  ttber  den  Einfluss 
dieses  experimentellen  Factors  auf  die  einfacher  gestalteten 
Verhältnisse  der  einseitigen  Trochlearislähmung  zu  vergegen- 
wärtigen. 

Halm  sagt^): 

„Bei  Herabneigung  des  Kopfes  nach  Seite  des  kranken 
Auges  erfolgt  Ablenkung  des  kranken  Auges  nach  oben  und 
etwas  nach  innen,  und  Abweichung  des  verticalen  Meridians 
nach  aussen. 

Alle  diese  Ablenkungen  nehmen  zu  mit  der  Stärke  der 
Herabneigung  des  Kopfes  zur  Schulter. 

Das  Doppelbild  des  kranken  Auges  steht  tiefer,  bei  ganz 
leichter  Neigung  gleichnamig,  bei  stärkerer  gekreuzt  und  nach 
innen  geneigt. 

Der  Höhenabstand  der  Doppelbilder  nimmt  mit  der  Kopf- 
neigung erst  zu,  jenseits  45^  ab  bis  zu  Null. 

Der  Seitenabstand  der  gekreuzten  Doppelbilder  nimmt  mit 
der  Kopfneigung  zu. 

Die  Schiefheit  wechselt  nicht  bedeutend. 

Das  Hinzutreten  secundärer  Contractur  des  Obliquus  in- 
ferior zur  Trochlearislähmung  bedingt: 

bei  Kopfneigung  nach  Seite  des  kranken  Auges  vermehr- 
ten Höhenabstand,  Schiefheit  und  gekreuzten  Stand  der  Dop- 
pelbilder, • 

auch  bei  Kopfneigung  nach  der  gesunden  Seite,  falls  die 
Secundärcontractur  des  Obliquus  inferior  stark  ist,  Auftreten 
von  Doppelbildern." 

Halm  erinnert  (S.  281  und  282)  an  den  Versuch,  durch 
Vorsetzen  eines  Prismas  mit  der  Kante  nach  unten  aussen  sich 


*)  Mittheilungen  aus  der  ophthalmiatrischen  Klinik  in  Tabingen 
II,  S.  293  und  294. 


£iii  Fall  Yon  doppelseitiger  TrochleariBparese  etc.  79 

Doppelbilder  hervorzurufen,  wie  sie  für  Trochlearisparese  cha- 
rakteristisch sind  und  damit  bewaffnet  die  Stellungsverändernng 
derselben  bei  Eopfneignng  zu  verfolgen. 

Diesen  Versuch  möchte  ich  hier  etwas  vollstftndiger  be- 
handeln. Setze  ich  mir  ein  Prisma  mit  der  Basis  nach  oben 
und  20^  nach  innen  vor  das  rechte  Auge  und  neige  den  Kopf 
nach  rechts,  so  wird  die  Seitendistanz  der  Doppelbilder  abneh- 
men, bis  sie  ungefähr  bei  Seitenwendung  20^  NuU  geworden 
ist,  d.h.  die  Bilder  vertical  übereinander  stehen;  in  dieser  Stel- 
lung wirkt  eben  das  Prisma  mit  der  Basis  gerade  nach  oben, 
bis  dahin  nimmt  nothwendig  der  Höhenabstand  zu. 

Wird  der  Kopf  weiter  nach  rechts  geneigt,  so  wird  die 
Stellung  der  Doppelbilder  eine  gekreuzte  und  ihr  Seitenahstand 
wächst  bis  zur  Kopfheigung  von  110®;  hier  stehen  die  Bilder 
horizontal  nebeneinander.  In  diesem  Quadranten  von  20®  bis 
110®  geht  der  Höhenabstand  vom  Maximum  auf  Null  zurück. 
In  dieser  letzten  Stellung  wirkt  eben  das  Prisma  mit  der  Basis 
vertical  nach  aussen. 

Wird  der  Kopf  aber  nach  links  geneigt,  so  nimmt  die 
Höhendistanz  continuirlich  ab,  die  Seitendistanz  ebenso  zu,  bis 
beim  Neigungswinkel  von  70®  jene  Null,  diese  maximal  gewor- 
den ist.  Hier  wirkt  eben  das  Prisma  mit  der  Basis  vertical 
nach  innen. 

Analog  ist  zu  erwarten,  dass  bei  Trochlearisparese,  auch 
ohne  ausserordentliche  Gontractur  der  Antagonisten,  bei  Kopf- 
neigung nach  der  gesunden  Seite  eine  Veränderung  der  Bilder- 
stellung, wenigstens  beim  Blick  in  der  vorzüglichsten  Wirkungs- 
richtung des  betroffenen  Trochlearis  zu  Stande  kommen  sollte. 

Ist  dies  der  Fall,  so  leuchtet  ein,  dass  bei  doppelseitiger 
Trochlearisparese  die  Verhältnisse  eine  derart  complicirte  Ge- 
stalt gewinnen,  dass  ein  genaues  quantitatives  Abwägen  der 
einzelnen  mitwirkenden  Potenzen  stellenweise  recht  schwierig 
bis  unmöglich  werden  kann. 

Dazu  kommt  in  unserem  Falle  allerdings  die  von  Halm 
für  das  Auftreten  von  Doppelbildern  auch  bei  Kopfneigung 
nach  der  gesunden  Seite  geforderte  starke  Secundär-Gontractur 
der  Antagonisten,  die  so  stark  ist,  dass  kein  Punkt  im  ganzen 
Blickfeld  bei  verticaler  Kopfhaitang  frei  von  Doppelbildern  ist 

Aber  noch  eine  ganze  Reihe  anderer  Factoren  geseUeü 
sich  hinzu,  um  die  Bilderstellung  zu  compliciren  und  ihre  Er- 
klärung zu  erschweren.     Dieselben  sind: 


80 


Pfiager. 


1)  Der  Obliquus  inferior  kann  nicht  als  einziger  und  aas- 
schliesslicher  Antagonist  des  Obliqans  superior  betrachtet  werden. 

2)  Der  angleiche  Grad  der  Affection  auf  beiden  Seiten. 

3)  Die  Secandär-Contractor  auf  dem  linken  Auge,  auf  dem 
weniger  kranken  oder  relativ  gesnnden  Auge,  wenn  mit  dem 
rechten  Auge  das  Untersuchnngsobject  fixirt  wird. 

4)  Die  Einwirkung  der  physiologischen  Meridianstellong 
bei  den  diagonalen  Blickrichtungen. 


k6 

¥0  Si    30  t5    iO    fS    fO    5     0 

3     tO    fS    tO   ti   30  3i 

W  ¥A 

• 

1         ?        :        :        • 

«^ 

- 

^ 

J5 

- 

- 

rs 

30 

- 

so 

tJ 

- 

ts 

fO 

■*■  \ 

■ 

4' 

£0 

ts 

- 

/J 

W 

•    ^ 

/ 

< 

•• 

fO 

s 

3 

0 
6 

j»                           -Ä-        , 

0 

J 

X 

■ 

"V 

t0 

•- 

90 

f5 

- 

y 

13 

ti 

- 

♦       "^ 

• 

^   y   ♦ 

SO 
Z3 

30 

- 

y 

- 

30 

S5 

,    1 

y 

•       •        !       {       • 

, 

!                  Cf-             :            ,            . 

V 

^    W  35  30   Z5    tO   f3 


ö     O     3     /OAf20233033*OM 


fi  y  DoppeibUdy  des  linktn  Au^es  bei  ncuh  Unks geneigtem  Kopf. 
.♦--•-  n  ■        •  "        -   horizontal  gehaltenem  Kopf. 

Fig.  2. 

5)  Kleine  Fehler  in  der  Kopfhaltung,  wie  sie  bei  klinischen 
Untersuchungen  mit  dem  besten  Willen  nicht  zu  vermeiden  sind. 

6)  Kleine  Beobachtungsfehler  von  Seite  des  Patienten. 
Figur  2  demonstrirt  das  Verhalten  der  Doppelbilder  bei  Nei- 
gung des  Kopfes  nach  der  linken  Schulter  am  10.  April,  Fig.  3 
dasjenige  bei  Neigung  des  Kopfes  nach  der  rechten  Schulter 
am  gleichen  Tage.  Figg.  4  und  5  veranschaulichen  die  ent- 
sprechenden Verhältnisse  vom  3.  Mai. 


Ein  Fall  Ton  doppelseitiger  Trochlearisparese  etc. 


81 


Um  die  zusammengehörigen  Bilder  von  den  übrigen  aus« 
scheiden  zu  können,  sind  die  Bilder  fQr  die  Blickrichtung  in 
der  Horizontalebene  in  Ermangelung  von  Farbendruck  etwas 
anders  in  der  Ausftthrung  gehalten  als  diejenigen  für  die  ge- 
hobenen und  gesenkten  Blickrichtungen.  Das  Kreuz  ist  heU, 
der  gestrichene  Kreis  doppelt  contourirt. 

Die  horizontal  gestrichenen  Kreise  bezeichnen  die  Bilder 
des  linken  Auges  bei  normaler  Kopfhaltung,  die  schief  gestriche- 


t6Wf35   3OtSfOt5t0     5 


s    fo  /s   fo  ti  .yf  3,'»   uo  ^ 


30 

iO 
6 


1     !    r 


T 


-^o 


T" 


^ 


30 

iO 
fj 

6 


¥6    kO  33  30   Z5    t0   fö    fO     3     O     5     tO    fd    W   t5  30  33'  M  ^ 
/  ßi  DoppMüdL  des  linken  Äuge^  hei  nach  rechts  geneig  lern  Kopf. 
-•--♦-  -  -       •  •      •   horizontal  gehaltenem  Xopf, 

Flg.  3. 

nen  Kreise  die  Bilder  des  linken  Auges  bei  Seitenwendung  des 
Kopfes  um  ca.  35^  sowohl  nach  der  linken  als  nach  der  rech- 
ten Schulter. 

Die  Bilder  des  rechten  Auges  sind  als  fix  zu  betrachten, 
indem  der  Patient  angehalten  worden  ist,  das  Centrum  des 
Hirschberg'schen  Blickfeldmessers  bei  jeder  Untersuchung  mit 
dem  rechten  Auge  zu  fixiren. 

T.  Onefe*s  Arcbir  ftr  OphÜuümologic.  XXXVII.  4.  6 


82  Pflüger. 

Die  Kreuze  bedeuten  die  Bilder  des  quasi  als  fix  zu  den- 
kenden rechten  Auges  bei  normaler  Kopfhaltung  soi^ohl,  als 
bei  Kopfneigung  nach  links  und  nach  rechts. 

Ausdrücklich  hervorzuheben  ist,  dass  bei  den  complicirten 
Erscheinungen  auf  die  quantitativen  Veränderungen  in  der  Gon- 
vergenz  der  Doppelbilder  nicht  messend  Achtung  gegeben  wurde, 
weil  schon  zur  präciscn  Gonstatirung  der  übrigen  Verhältnisse 
der  vollständige  Intellect  des  Patienten  nöthig  war  und  weil, 
wie  Halm  bestätigt,  die  Schiefheit  der  Doppelbilder  bei  seit- 
licher Kopfneigung  wenig  wechselt. 

Die  Untersuchung  des  Einflusses  seitlicher  Kopfneigung 
auf  die  Stellung  der  Doppelbilder  im  vorliegenden  Falle  von 
doppelseitiger  Trochlearisparese  hofft  ein  gewisses  Interesse  zu 
finden,  weil  dieser  Fall  der  erste  genaue  studirte  Fall  dieser 
Art  ist  und  weil  der  Einfluss  der  seitlichen  Kopfneigung  auf 
Augenmuskellähmungen  überhaupt  noch  wenig  geprüft  ist 

Um  in  die  Darstellung  mehr  Uebersicht  zu  bringen,  lasse 
ich  die  in  den  Figuren  niedergelegten  Resultate,  in  Tabellen 
umgeschrieben,  hier  folgen. 

Die  als  unbeweglich  gedachte  Stellung  des  dem  rechten 
Auge  angehörenden  Doppelbildes  wird  als  Nullpunkt  ange- 
nommen. 

Die  Erhebung  des  beweglichen  dem  linken  Auge  zugehöri- 
gen Bildes  über  dem  Nullpunkt  wird  mit  4~9  ^^^  Tiefstand 
desselben  unter  diesem  Punkt  mit  —  bezeichnet. 

Der  seitliche  Abstand  des  beweglichen  Bildes  erhält  das 
Vorzeichen  -j-?  so  lange  dasselbe  gleichnamig  ist,  nach  links 
liegt,  das  Vorzeichen  — ,  wenn  es  über  den  Nullpunkt  nach 
rechts  gerückt  ist,  sich  gekreuzt  hat. 

Die  drei  Höhenrichtungen  des  Blickes  werden  durch  ara- 
bische Ziffern  bestimmt  und  zwar  die  Richtung  nach  oben  durch 
1,  die  in  der  Horizontalen  durch  2  und  die  nach  unten  durch 
3  und  zwar  sowohl  in  der  Medianebene  als  in  den  beiden 
Seitenstellungen. 

Wie  aus  den  beiden  Tabellen  1  und  2  (S.  83)  hervor- 
geht, geben  die  drei  ersten  verticalen  Zahlenreihen  die  Werthe 
für  die  Scitenabständo  der  Doppelbilder  bei  verticaler  und  seit- 
lich geneigter  Kopfhaltung  sowie  ihre  Differenzen,  die  drei 
letzten  Golonnen  die  Werthe  für  die  Höhenabstände  der  Dop- 
pelbilder bei  verticaler  und  seitlich  geneigter  Kopfhaltung  nebst 
ihren  Differenzen. 


Ein  Fall  Ton  doppelseitiger  Trochlearisparese  etc. 


83 


Tabelle  1. 
StelloDg  der  Doppelbilder  bei  Kopfneigang  nach  links  um  ca.  35  ^ 

10.  April. 

Seitenabstand  Höhenabstand 

Kopf  Kopf 


BUek- 
iMitmic 

▼ertieml        35P  n.  1. 

DIff.   I.T..») 

yertioa 

35Pn.  l. 

Diff.  1.    T 

nach  (1. 

+    7           -    1 

—   8 

+    1 

-    1 

—   2 

links  h. 

+  13(14)  +   2 

—  11 

+  9 

—   7 

—  16 

L.      3. 

+  18(16)  +    6 

-12 

+  10 

—   9 

—  19 

3(1 

+   4(5)          0 

—   4 

0 

—  11 

-11 

a  ■•§  {2. 

+   9         +4 

—   5 

+    1 

-14 

—  15 

Sja. 

+  18         +13 

-   6 

+    2 

-14 

—  16 

nach  |1. 

+    3         +6 

+   3 

—   3 

—  23 

-20 

rechts  h. 

+    7         +7 

0 

—   3 

-22 

—  19 

R.    te. 

+  15(16)  +12 

-    3 

-   4(3) 

—  19 

—  15 

Tabelle  2. 

Stellung  der  Doppelbilder  bei  Kopfneigung  nach  rechts. 

10.  April. 

Seitenabstand  Höhenabstand 

Kopf  Kopf 


Bllfik- 

rlchtung 

nMh  (1. 

links  h. 

L.      3. 

Ttrticd       38»n.r. 

+   V         +2 

+  13(14)  +    3 

+  18(16)+  3 

Differenx 

—  5 

—  10 

—  13 

vertical 

+    1 
+    9 
+  9(10) 

350  n.T. 

+  14 
+  23 

+  27 

Difbrens 

+  13 
+  14 
+  18 

a]3. 

+    4(5) 
+    9 
+  18 

+    3 
+   4 
+    7 

—  1 

-  5 
-11 

ü 

+    1 

+    2 

+  11 
+  12 

+  14 

+  11 
+  12 

nach  (l. 

rechte  |2. 

R.      3. 

+    3               0 
+    7         +2 
+  16(15)  +   3 

-  3 

-  5 
-13 

—  2 

—  3 

—  3(4) 

0 
+    1 

+    7 

+  2 
+   4 
+  10(11) 

»)  Diff.  1.  V.  —  Differenz  der  Abstände  bei  links  geneigtem  vnd 

bei  yerticalem  Kopf. 

6* 


84  Pflüger. 

Was  lehren  uns  Tabelle  1  und  2? 

Die  Reihen  1  und  4  geben  in  Zahlen  Ausdruck  fttr 
die  Diagnose  der  doppelseitigen  Trochlearisparese  mit  stär- 
kerer Erkrankung  der  rechten  Seite  —  Inhalt  der  Taf.  1 — 7. 
Einzig  räthselhaft  an  dieser  Diagnose  bleibt  die  Thatsache,  dass 
beim  Blick  nach  rechts  oben  der  Höhenabstand  grösser  ist  als 
beim  Blick  nach  links  oben. 

Die  kleinen  Schwankungen  in  diesen  beiden  Reihen,  welche 
durch  die  eingeklammerten  Zahlen  ihren  Ausdruck  finden,  be- 
weisen nur,  dass  bei  den  verschiedenen  Beobachtungen  es  nicht 
immer  gelungen  ist,  den  Kopf  gleich  einzustellen,  was  bei  einer 
klinischen  Beobachtung  ganz  natQrlich  ist. 

Die  übrigen  Colonnen  erfordern  für  jede  Tabelle  eine  ge- 
sonderte Analyse. 

Die  Verschiebung  der  Doppelbilder  in  Folge  Kopf- 
neigung nach  links,  am  10.  April  beobachtet,  giebt  Tab.  1. 

Die  Eopfneigung  nach  links  bedingt,  wie  oben  auseinan- 
dergesetzt, eine  physiologische  controlirende  Raddrehung  nach 
rechts.  Diese  vollzieht  sich  auf  dem  linken  Auge  mit  Hülfe 
des  Rectus  superior  und  der  Trochlearis,  auf  dem  rechten  mit 
Hülfe  des  Rectus  inferior  und  des  Obliquus  inferior.  An  diese 
vier  Muskeln  werden  durch  die  Eopfneigung  nach  links  grös- 
sere Anforderungen  gestellt  als  bei  verticaler  Kopfhaltung. 

Ist  nun  der  linke  Trochlearis  paretisch,  so  müssen  noth- 
wendig  die  durch  ihn  hervorgerufenen  Ausfallserscheinungen 
grösser  werden  beim  Uebergang  von  der  verticalen  in  die  links- 
geneigte Kopfstellung. 

Die  2.  und  5.  Colonne  müssen  also  zeigen,  in  wie  weit  die 
Symptome  der  linksseitigen  Trochlearisparese  bei  Kopfiieigung 
nach  links  mehr  hervortreten  und  dadurch  diejenigen  der  rechts- 
seitigen zu  compensiren  oder  gar  zu  übercompensiren  vermögen. 

Die  2.  Reihe  weist  nach,  dass  der  Seitenabstand  posi- 
tiv geblieben  ist  mit  Ausnahme  der  Blickrichtung  gerade  nach 
oben  (M.  1),  wo  sie  0  geworden  und  beim  Blick  nach  oben 
links  (L.  1),  wo  sie  —  1  beträgt.  Diese  Stellung  ist  aber  unter 
allen  die  einzige,  wo  Kreuzung  der  Doppelbilder  zu  Stande  ge- 
kommen ist,  während  die  Kreuzung,  wie  sie  sonst  bei  einseitiger 
Trochlearisparese  auftritt,  nicht  zur  Geltung  kommen  konnte, 
sondern  aufgewogen  wurde  durch  die  der  rechtsseitigen  Troch- 
learisparese zugehörigen  Gleichnamigkeit  der  Doppelbilder. 

Deutlicher  als  die  2.  lässt  die  3.  Zahlenreihe  den  Effect 
der  Linksneigung  auf  den  Seitenabstand  der  Doppelbilder  her- 


Ein  Fall  von  doppelseitiger  Trochlearisparese  etc.  85 

Tortreten,  sie  giebt  die  Differenzen  der  Seitenabstände  bei  auf- 
recbtem  und  linksgeneigtem  Kopfe. 

Diese  Differenzen  sind  am  grössten  bei  der  Blickriebtang 
nach  links  und  zwar  links  oben  (L.  1)  gleich  einsetzend  mit 
—  8®,  bis  zur  Horizontalen  auf  — 11^  steigend,  um  nach  unten 
nur  noch  um  —  1^  zuzunehmen. 

In  der  Medianebene  sind  die  Differenzen  ähnlich  nur  klei- 
ner, oben  mit  — 4®  beginnend,  bis  zur  Horizontalen  auf  —  5® 
anwachsend,  um  weiter  unten  gleich  zu  bleiben. 

Bei  Blickwendung  nach  rechts  hingegen  tritt  uns  die  ab- 
norme Erscheinung  entgegen,  dass  nach  unten  allein  der  Sei- 
tenabstand kleiner  geworden  ist,  in  der  Horizontalen  gleich  ge- 
blieben ist,  nach  oben  dagegen  in  positivem  Sinne  sich  geän- 
dert hat,  eine  Erscheinung,  die  vor  der  Hand  räthselhaft  bleibt, 
weil  sie  in  beiden  Tabellen  sonst  keine  Analogie  findet  und 
weil  gerade  beim  Blick  nach  rechts  oben  die  physiologische 
Stellung  der  Meridiane  eine  rechtsgeneigte  ist. 

Der  Einfluss  der  Kopfneigung  nach  links  und  der  durch 
sie  ausgelösten  Raddrehung  nach  rechts  auf  die  Seitenabstände 
der  Doppelbilder  ist  in  der  Adductionsstellung  des  linken  Au- 
ges am  geringsten,  in  der  Abductionsstellung  am  grössten.  Die 
Seitenabstände  nehmen  von  oben  nach  unten  zu  und  zwar  we- 
sentlich in  der  oberen  Blickfeldhälfte. 

Während  die  Veränderung  des  Höhenabstandes  der  Dop- 
pelbilder in  Folge  von  einseitiger  Trochlearisparese  bei  Verän- 
derung der  Blickrichtung  aber  unveränderter  Kopfhaltung  seit 
A.  v.  Graefes  Arbeiten  eine  abgeklärte  war,  ist  eis  mit  der- 
jenigen des  Seitenabstandes  weniger  der  Fall  gewesen. 

Halm  hat  nachgewiesen,  dass  entgegen  den  bisherigen 
Anschauungen,  der  Seitenabstand  bei  der  Adduction  ein  wenig 
zunimmt  Es  ist  zu  erwarten,  dass  die  Analyse  der  Höhen- 
libstände  eine  durchsichtigere  werden  sollte. 

In  der  Primärstellung  der  Augen  bildet  die  Muskelebene 
der  Obliqni  mit  der  Augenaxe  einen  Winkel  von  36  —  40^; 
hier  wird  die  Senkwirkung  eine  mittlere  sein,  um  bei  Abduc- 
tion  bis  50  und  55^  bis  zum  Minimum  abzunehmen  und  bei  der 
Adduction  um  35  —  40^  bis  zu  ihrem  Maximum  anzuwachsen. 

Bei  doppelseitiger  Trochlearisparese  kann  die  Symmetrie  nur 
gestört  werden  durch  ungleich  starkes  Erkranken  beider  Seiten. 

Die  Diplopie  greift  auch  ohne  Contractur  des  Antagonisten 
links  und  rechts  über  die  Horizontale  hinüber;  aber  nur  Con- 
tractur der  Antagonisten  oder  Combination  mit  anderen  Läh- 


86  Pflager. 

mungen,  eventuell  beide  Momente  zusammen  können  das  Auf- 
treten derselben  im  ganzen  Blickfeld  erklftren. 

Bei  diesen  Complicationen  und  unter  Beröcksichtigung  der 
oben  angefahrten  aggravirenden  Momente  darf  es  nicht  wun- 
dem, wenn  gleichwohl  die  Veränderung  der  Höhendistanz  unter 
dem  Einfluss  der  Eopfneigung  da  und  dort  der  Erklärung 
Schwierigkeiten  bieten  wird. 

Während  die  4.  Colonne  für  die  aufrechte  Kopfhaltung 
einen  Hochstand  des  linken  Bildes  für  L.  und  M.  als  untrOg- 
liches  Zeichen  der  rechtsseitigen  Trochlearisparese  ergeben 
hatte  und  nur  für  B.  einen  Tiefstand  desselben  als  ebenso 
sicheres  Zeichen  der  linksseitigen  schwächeren  analogen  Affec- 
tion,  so  zeigt  bei  Eopfneigung  nach  links  die  5.  Reihe  durch- 
wegs einen  Tiefstand  des  linken  Bildes. 

Der  durch  die  physiologische  Raddrehung  stärker  in  An- 
spruch genommene  linke  Trochlearis  tritt  in  seiner  Wirkung  auf 
den  Höhenabstand  so  mächtig  hervor,  dass  er  den  entgegengesetz- 
ten Einfluss  seines  Partners  auf  der  ganzen  Linie  flbercompensirt 

Eine  noch  deutlichere  Anschauung  dieser  vollen  Wirkung 
als  die  5.  Colonne  giebt  die  Differenzreihe  6: 

Jede  der  drei  Seitenwendungen  des  Blickes  bietet  aber 
noch  ihre  bemerkenswerthen  Besonderheiten.  Während  beim 
Blick  nach  links  oben  die  Differenz  nur  2^  beträgt,  steigt  sie 
beim  Durchgang  durch  die  obere  Blickfeldhälfte  zur  Horizon- 
talen auf  16^,  und  nimmt  von  da  an  nach  links  unten  nur 
noch  um  3°  zu. 

Bei  Blickrichtung  M.  1  senkt  sich  das  linke  Bild  schon 
um  11<>,  bei  M.  2  um  15®,  bei  M.  3  um  16?.  Hier  also  be- 
deutende Anfangsdifferenz  und  geringe  Zunahme  nach  unten 
besonders  in  der  unteren  Blickfeldhälfte. 

Bei  Seitenwendung  nach  rechts,  wo  die  Adductionsstellung 
des  linken  Auges  die  grösste  Höhendifferenz  auslöst,  nimmt  im 
Gegensatz  zu  L,  und  M.  diese  Differenz  von  oben  nach  unten  ab. 

Den  reinsten  Typus  stellen  die  Abstände  in  der  Median- 
ebene dar,  wo  das  geringe  Anwachsen  derselben  nach  unten, 
besonders  in  der  unteren  Blickfeldhälfte  auffällig  erscheint. 

Der  geringe  Höhenabstand  nach  links  oben  lässt  sich,  zum 
Theil  wenigstens,  auf  die  physiologische  Stellung  der  verticalen 
Meridiane  in  den  Diagonalstellungen  zurückfahren. 

Beim  Blick  nach  links  oben  stehen  die  verticalen  Meri- 
diane parallel  nach  oben  links  geneigt.  Die  Kopfneigung  nach 
links   verlangt   daher   eine   geringere   rückläufige  Raddrebong 


£in  Fall  von  doppelseitiger  Trochlearisparese  etc.  87 

beim  Blick  nach  links  oben  als  gerade  nach  oben.  Die  phy- 
siologische Meridianstelluug  kommt  daher  der  Wirkung  des 
linken  Trochlearis  entgegen,  entlastet  denselben  partiell,  wäh- 
rend beim  Blick  nach  links  unten  die  physiologische  Meridian- 
stellung nach  rechts  oben  eine  erhöhte  Action  des  linken  Troch- 
learis erfordert. 

Das  Gesetz  der  physiologischen  Meridianstellung  muss  seine 
Wirkung  auch  bei  den  diametralen  Blickrichtungen  nach  rechts 
geltend  machen.  Beim  Blick  nach  rechts  oben  stehen  die  senk- 
rechten Meridiane  parallel  nach  rechts  oben,  beim  Blick  nach 
rechts  unten  dagegen  parallel  nach  links  oben.  Daher  werden 
im  ersten  Falle  grössere  Anforderungen  an  den  linken  Troch- 
learis gestellt  als  beim  Blick  gerade  nach  oben,  im  zweiten 
Falle  entsprechend  geringere.  Dieses  Moment  dürfte  zum  TLeil 
die  seltsame  Beobachtung  erklären,  dass  in  der  Blickrichtung 
nach  rechts  die  Höhendistanz  von  oben  nach  unten  abnimmt; 
es  erweist  sich  hier  wirksamer  als  der  Effect  der  Blicksenkung. 

Die  Yergleichung  der  Höhenabstände  bei  den  drei  Blick- 
richtungen nach  unten  (L.  3  —  19,  M.  3  —  16,  R.  3  —  15) 
scheint  ebenfalls  den  Einfluss  der  physiologischen  Meridianstel- 
lung  auf  die  Action  des  Trochlearis  zu  bestätigen. 

Die  Verschiebung  der  Doppelbilder  in  Folge  Kopf- 
neigung nach  rechts,  am  10.  April  beobachtet,  giebt  Tab.  2. 

Bei  Kopfneigung  nach  rechts  sollte  man  gegcnQber  der 
Kopfheigung  nach  links  symmetrisches  Verhalten  erwarten,  aller- 
dings mit  dem  Unterschiede,  dass  der  stärker  afficirten  rech- 
ten Seite  hochgradigere  Verschiebungen  entsprächen. 

Es  ist  vorauszusehen,  dass  die  oben  angeführten  Compli- 
cationen  auch  hier  die  typischen  Erscheinungen  beeinträchtigen 
und  zum  Theil  verschleiern  werden.  Die  Beobachtung  bestätigt 
diese  Annahme  vollauf  und  zwar  in  dem  Grade,  dass  für  alle  Vor- 
kommnisse eine  genügende  Erklärung  nicht  gegeben  werden  kann. 

Die  Seitenabstände  zeigen  bei  Kopfneigung  nach  rechts 
vielfach  ein  entgegengesetztes  Verhalten  zu  dem  bei  Kopfnei- 
gung nach  links.  Sie  sind  in  der  Adductionsstellung  grösser, 
in  der  Abductionsstellung  kleiner  als  in  der  Medianebene;  sie 
nehmen  ausnahmslos  von  oben  nach  unten  zu  und  zwar  für  M. 
und  R.  mehr  in  der  unteren  als  in  der  oberen  Blickfeldhälfte. 
Der  Grund  für  diese  Asymmetrie  ist  nicht  ersichtlich. 

Ein  Einfluss  der  physiologischen  Meridianstellung  ist  hier 
so  wenig  wie  in  den  Seitenverschiebongen  bei  Kopfneigung  nach 
links  zu  erkennen. 


88  Pßttger. 

Die  Analyse  der  Höhenabstäude  wird  voraussichtlich 
anch  hier  die  fruchtbarere  sein. 

Während  bei  der  Kopfneigang  nach  links  das  linke  homo- 
nyme Doppelbild  nach  unten  sich  verschob,  muss  bei  Eopfnei- 
gung  nach  rechts  das  rechte  Bild  nach  unten  ausweichen,  resp. 
das  linke  Bild  nach  oben,  wenn  das  rechte  Auge  stets  den 
Fixirpunkt  festgehalten  hat. 

Sicher  zu  erwarten  steht  a  priori  jedenfalls  soviel,  dass 
trotz  aller  Complicationen  die  für  die  Bildverschiebung  mäch- 
tigsten Factoren  sich  geltend  machen  werden,  dass  z.  B.  in  den- 
jenigen Momenten,  in  welchen  der  rechte  Trochlearis  nicht  nur 
wegen  der  Eopfneigung  nach  rechts,  sondern  auch  wegen 
der  Blickrichtung  nach  links  für  die  Höhendistanz  am 
meisten  in  Anspruch  genommen  wird,  sein  Leistungsdefect  am 
deutlichsten  zu  Tage  treten  muss. 

Diese  Erwartung  wird  nicht  Lttgen  gestraft.  Beim  Blick 
nach  links,  in  der  Addnctionsstellung  des  rechten  Auges  finden 
sich  die  grössten  Verschiebungen:  +^3®  +1^^  +18 ^  ^*^- 
rend  beim  Blick  nach  rechts  die  Verschiebungen  bloss  -f-  2®, 
-f-  4^  -f~  10^  betragen  und  in  der  Medianebene  mittlere  Werthe 
aufweisen. 

Die  grosse  Verschiebung  -f- 13^  in  L.  1  und  die  geringe 
Zunahme  derselben  bis  -f-  18^  in  L.  3  geben  der  Deutung 
Raum,  dass  auch  hier  die  physiologische  Meridianstellung  in 
den  diagonalen  Blickrichtungen  ihren  Einflnss  übt,  allerdings 
lange  nicht  in  dem  Maasse,  wie  in  der  correspondirenden  Blick- 
richtung rechts  und  Kopfneigung  links,  wo  sie  sogar  den  Effect 
der  Senkwirkung  überstieg. 

Die  Werthe  für  M.  2  und  M.  3  sind  kleiner  als  die  corre- 
spondirenden bei  Eopfneigung  nach  links,  während  M.  1  für 
beide  Kopfneigungen  11^  beträgt 

Am  allerauffölligsten  (und  nicht  leicht  verständlich)  ver- 
halten sich  die  Werthe  für  R.  bei  Kopfneigung  rechts  zu  den 
correspondirenden  Werthen  von  L.  bei  Kopfheigung  links.  Wäh- 
rend R.  1  und  L.  1  mit  2^  einander  das  Gleichgewicht  halten, 
so  bleibt  R.  2  um  12<>  hinter  L.  2  und  R.  3  um  9^  hinter  L.  3 
zurück.  Es  hängt  dieser  scheinbar  viel  zu  geringe  Functiona- 
defect  des  rechten  Trochlearis,  für  welchen  die  Untersuchung 
bei  verticalem  Kopf  eine  stärkere  Lähmung  diagnosticiren  Hess, 
vielleicht  von  dem  Umstände  ab,  dass  aus  irgend  einem  Grunde 
die  Antagonisten  des  Trochlearis  weniger  contrahirt  gewesen 
seien. 


Ein  Fall  Yon  doppelseitiger  Trochlearisparese  etc.  89 

Die  Tabellen  1  und  2  ergeben  also  das  unerwartete  Re- 
sultat, dass,  während  die  Relationen  in  jeder  einzelnen  meist 
correspondiren,  die  absoluten  Werthe  in  Tab.  2  fast  durcb- 
gehends  geringere,  dass  bei  Eopfheigung  nach  Seite  des  stärker 
afficirten  Trochlearis  die  Verschiebungen  geringere  werden. 

Das  scheinbar  paradoxe  Verhalten  der  Doppelbilder  bei 
Eopfheigung  rechts  und  links  besonders  mit  Bezug  auf  ihre 
Höhendistanz  tritt  sehr  prägnant  hervor,  wenn  ich  aus  Tab.  1 
und  2  die  mittleren  Werthe  f&r  die  Seiten-  und  Höhenabstände 
der  Doppelbilder  berechne  und  zwar  a)  für  die  drei  Blick- 
höhenlagen, b)  für  die  drei  Blickseitenrichtungen. 

Tabelle  3. 

Mittlere  Werthe  der  Seiten-  und  Höhenabstände  der 

Doppelbilder  für  die  drei  verschiedenen  Kopfhaltungen 

nebst  ihren  Differenzen  in  Graden. 

a)  in  den  drei  Blickhöhenlagen. 

Seitenabstände 
Kopfhaltung 


TBlt. 

36«  1. 

38»  r. 

D.  T.  1. 

D.  T.  r. 

1. 

+   4,7(5) 

+    1.7 

+  1,7 

—  3 

—  3 

2. 

+   9,7(10) 

+   4^ 

+  3 

-5,4 

-   6,7 

3. 

+  17  (16,3) 

+  10,3 

+  4,3 

-6,7 

—  12,7 

|(1±|±-«)    10,4 

+   5,4 

+  3 

—  5 

-   7,5 

1-2. 

+    5 

+    2,6 

+  1,3 

-2,4 

-   3,7 

2—3. 

+    7,3 

+    6 

+  1,3 

-1,4 

-   6 

1-3. 

+  12,3 

+    8,6 
Höhenal 

+  2,6 
bst&nde 

-3,8 

-  9,7 

Kopfhaltung 

T«rt. 

3S*1. 

36»  r. 

D.  T.  1. 

D.  T.  r. 

1. 

-0,7 

-11,7 

+    8,8 

—11 

+    8,7 

2. 

+  2,3 

—  14,3 

+  12 

—  16,6 

+   9,3 

3. 

+  2,7 

-14 

+  16 

—  16,7 

+  13.8 

«-f-^l^-^+1.4 

— 13,3 

+  12,8 

-14,5 

+  10,4 

1—2. 

+  3 

-   2,6 

+  3,7 

-  5,6 

+  0,6 

2-3. 

+  0,4 

+  0,3 

+   4 

0,1 

+    4 

1-3. 

+  3,4 

-   2,3 

+   7,7 

-   5,7 

+   4,6 

90  Pfloger. 

Zu  dieser  auf  den  ersten  Blick  etwas  eigenthOmlichen 
Zahlenzusammenstellung  bin  ich  gekommen  in  der  Hoffnung, 
-die  beobachteten  Asymmetrien  verstehen  zu  lernen,  nachdem 
ich  mich  mit  Hypothesen  verschiedener  Art  abgemttht  hatte. 

Die  Seite  nabstände  nehmen  für  alle  Kopfhaltungen  von 
oben  nach  unten  im  positiven  Sinne  zu,  daher  die  YerUndung 
der  dem  linken  Auge  entsprechenden  Bildpunkte  eine  Linie 
bildet,  von  oben  rechts  nach  unten  links  verlaufend  und  ^ner 
Geraden  nahe  kommend,  während  die  Bilder  des  rechten  Au- 
ges naturgemäss  in  der  Yerticalen  liegen. 

Die  Zunahme  des  Seitenabstandes  von  oben  nach  unten 
ist  am  grössten  far  die  verticale  Kopfhaltung,  wo  dieselbe 
(1  —  3)  4-  12,3^  beträgt,  am  kleinsten  bei  Kopfneigung  nach 
rechts  (mit)  2,6^;  der  Kopfneigung  links  entspricht  der  mitt- 
lere Werth  8,60. 

Die  Kopfneigung  wirkt  also  dem  homonymen  Auseinander- 
weichen der  Doppelbilder  entgegen  und  zwar  in  der  ersten 
Blickhöhenlage  beiderseits  gleich  viel  —  3  o,  während  dieser 
hemmende  Einfluss  in  der  dritten  Lage  für  Kopfneigung  nach 
rechts  fast  doppelt  so  gross  ist  als  für  Kopfneigung  nach  links, 
—  12,70  gegen  —6,7«. 

.  Der  Einfluss  der  Senkung  der  Blickebene  ist  für  die  ver- 
ticale Kopfhaltung,  wie  zu  erwarten  war,  in  der  oberen  Blick- 
feldhälfte (50)  kleiner  als  derjenige  in  der  unteren  (7,3 O).  Bei 
Kopfneigung  links  zeigt  sich  ein  analoges  Verhalten,  2,6^  in 
der  oberen  gegen  6^  in  der  unteren  Blickfeldhälfte,  während 
jener  Einfluss  bei  Kopfneigung  rechts  oben  und  unten  gleich 
viel,  1,30  ausmacht. 

Die  Höhenabstände  nehmen  von  oben  nach  unten  zu, 
bei  Kopfhaltung  vertical  und  rechts  in  positivem,  bei  Kopfhal- 
tung links  in  negativem  Sinne.  Bei  der  letzteren  kommt  eine 
kleine  Ausnahme  vor*  in  Lage  2  findet  sich  ein  Durchschnitts- 
tiefstand des  linken  Bildes  von  14,3^  in  Lage  3,  eine  solche 
von  140  —  in  Folge  der  oben  besprochenen  abnormen  Er- 
scheinung, dass  bei  Blickrichtung  rechts  die  Höhendifferenzen 
von  oben  nach  unten  abnehmen. 

Bei  verticaler  Kopfhaltung  spricht  der  Tiefstand  des  lin- 
ken Bildes  in  Lage  1  (0,7  O)  nicht  für  stärkere  Affection  des 
rechten  Trochlearis,  um  so  mehr  aber  der  Hochstand  derselben 
in  Lage  2  und  3,  sowie  der  durchschnittliche  Hochstand  sämmt- 
licher  drei  Lagen  von  1,40*  Der  Tie&tand  in  Lage  1  muss 
nothwendig  durch  einen  anderen  Factor  bedingt  sein. 


Ein  Fall  von  doppelseitiger  Trochlearisparese  etc.  91 

Die  Ycränderang  des  Höhenabstaudes  unter  dem  Einfluss 
der  Kopüneigang  ist  eine  sehr  erhebliche  und  ans  oben  ange- 
führten Grftnden  durchsichtigere  und  massgebendere  als  die 
des  ßeitenabstandes. 

Die  Kopfheigung  links  übt,  wie  die  Difforenzreihen  be- 
weisen, einen  grösseren  Einfluss  aus  als  die  Kopftaeigung  rechts 
und  zwar  in  allen  Lagen;  die  durchschnittliche  Höhenverschie- 
bnng  aller  3  Lagen  beträgt  für  jene  —  14,5^,  für  diese  10,4^. 

Die  Blicksenkung  verändert  den  Höhenabstand  bei  verti- 
caler  Kopfhaltung  im  Ganzen  um  +  3,4®  —  stärkere  Wirkung 
des  rechten  Trochlearis,  bei  Kopfneigung  links  um  2,3®,  rechts 
um  7,7®,  und  zwar  übt  sie  den  Haupteinfluss  bei  der  ersten 
Kopfhaltung  wesentlich,  in  der  zweiten  ausschliesslich  in  der 
oberen,  bei  der  dritten  etwas  mehr  in  der  unteren  Blickfeld- 
häiae. 

Die  Differenzreihen  ergeben  bei  Kopfneigung  links  für 
4en  Durchgang  durch  die  obere  Blickfeldhälfte  (1  —  2)  eine 
negative  Verschiebung  von  5,6®,  für  den  Durchgang  durch  die 
untere  Blickfeldhälfte  (2 — 3)  keine  (nennenswerthe)  Höhenver- 
änderung. Umgekehrt  zeigen  sie  bei  Kopfneigung  rechts 
in  der  oberen  Blickfeldhälfte  (1 — 2)  eine  positive  Verschiebung 
von  bloss  0,6®,  in  der  unteren  Blickfeldhälfte  (2 — 3)  dagegen 
eine  solche  von  4®. 

Hier  kommt  offenbar  der  bisherige  Factor  x  in  Rechnung, 
dessen  Wirkung  sich  in  der  oberen  Blickfoldhälfte  mit  derjeni- 
gen des  linken  Trochlearis  zu  addiren,  von  der  des  rechten 
Trochlearis  zu  subtrahiron  scheint  und  in  der  unteren  Blick- 
feldhälfte eher  ein  umgekehrtes  Verhalten  documentirt.  Es 
dürfte  sich  um  Mitaffection  eines  Hebers  des  rechten  Auges 
handeln,  eine  Annahme,  welche  auch  das  Verhalten  des  Höhen- 
abstandes für  den  Blick  gerade  nach  oben  und  nach  rechts 
oben  bei  verticalem  Kopf  erklären  würde.  Da  das  abnorme 
Verhalten  beim  Blick  nach  rechts  oben,  in  der  Richtung  der 
grössten  Heberwirkung  dos  rechten  Obliquus  inferior  vorzüglich 
in  Erscheinung  tritt,  so  ist  es  ferner  wahrscheinlich,  dass  die 
Mitaffection  gerade  diesen  der  beiden  Heber  betrifft. 

Die  Parese  des  Obliquus  inferior  dezter  ist  im  Stande, 
auch  die  übrigen,  scheinbar  unregehnässigen  den  Typus  der 
doppelseitigen  Trochlearislähmung  mit  stärkerer  Affection  der 
rechten  Seite  etwas  verschleiernden  und  störenden  Doppelbilder 
theilweise  wenigstens  zu  erklären. 


92  Pflüger. 

So  erscheint  jetzt  die  Abnahme  der  Höhendistanz  von 
oben  nach  unten  beim  Blick  nach  rechts  nnd  Kopfhaltung  links 
in  einem  anderen  Licht  und  mnss  die  Wirkung  der  physiolo- 
gischen Mcridianstellung  hierfür  nicht  mehr  über  Gebühr  in 
Anspruch  genommen  werden. 

Femer  finden  die  geringen  Höhendistanzen  bei  Eopfhei- 
gung  nach  rechts  gegenüber  denjenigen  bei  Kopfneigung  nach 
links  ihre  befriedigende  Motivirung. 

Das  antagonistische  Verhalten  beider  Augen  bezüglich  der 
Seitenabstände  in  Adduction  und  Abduction  bei  den  verschie- 
denen Kopfneigungen  ist  wahrscheinlich  ebenfalls  auf  diese  selt- 
same Complication  zurückzuführen. 

Die  nachträgliche  Diagnose  der  Parese  des  Obliquus  in- 
ferior dexter  war  das  praktische  Resultat  der  Zahlencombina- 
tion  (in  Tab.  3),  die  genaue  Betrachtung  der  Tab.  1  und  2 
hätte  zwar  zu  demselben  Schlüsse  führen  dürfen. 

Die  mittleren  Werthe  der  Seiten-  und  Höhenab- 
stände in  den  drei  Blickrichtungen  sind  geeignet,  diese 
Diagnose  zu  unterstützen,  führen  aber  weniger  direct  zu  der- 
selben. 

Tabelle  4. 

Mittlere  Werthe  der  Seiten-  und  Höhenabstände 

der  Doppelbilder  für  die  drei  verschiedenen  Kopfhaltungen 

nebst  ihren  Differenzen  in  Graden. 

b)  in  den  drei  Blickrichtungen. 

Seitenabstände 
Kopfhaltung 


Tert. 

35«  1. 

35»  r. 

D.  T.  I. 

D.  T.  r. 

L. 

+  12,7 

+  2,3 

+  2,7 

—  10,4 

—  10,0 

M. 

+  10,3 

+  6,7 

+  4.7 

-  4,6 

-  5,6 

R. 

+   8,7 

+  8,3 

+  1,7 

-  0,4 

—   7 

S 
3 

+  10,6 

+  M 

+  3,1 

-   5,2 

-   7,5 

L.-M. 

-   2,4 

+  3,4 

+  2 

+   5,8 

+  M 

R.-M. 

—   1,6 

+  2,6 

-3 

+   4.2 

-   1,4 

L.-R.     —   4  +6  +1        -flO  4-3 


Ein  Fall  yoii  doppelseitiger  Troclilearisparese  etc.  93 


Höhen 

itbst&nde 

Kopfhaltang 

Tert. 

518»  I. 

36»  r. 

V.  1.  T. 

D.  r.  T. 

L. 

+    6,7 

-   5,7 

+  21,3 

- 12,3 

+  16 

M. 

+    1 

—  13 

+  12 

—  14 

+  11.3 

R. 

-  3,3 

-21,8 

+   2,7 

-18 

+   5,7 

S 
3 

+   1,5 

—  13,3 

+  12 

—  15 

+  10,7 

L-M. 

-  5,7 

-  7.8 

-   9,3 

+    1,7 

-  3,7 

R.-M. 

-  4,3 

-  8,8 

-   9,3 

+   4 

—  5,6 

L.-R. 

—  10 

-15,6 

—  18,6 

+   5,7 

-  9,3 

Die  Tabelle  4  ergiebt  keine  ganz  neuen  Gesicbtspankte ; 
solche  sind  auch  nicht  zu  erwarten,  falls  die  ans  Tabelle  3 
gefolgerten  Schlüsse  richtig  sind. 

Die  Seitenabstände  nehmen  bei  verticaler  Kopfstel- 
lang  Yon  L.  nach  R.  ohne  grosse  Sprünge  ab,  etwas  mehr  von 
L.  bis  M.  als  von  M.  bis  B.,  was  für  stärkere  Affection  des 
rechten  Auges  spricht,  wenn  dem  Trochlearis  eine  grössere 
Seitenwirkung  in  der  Adductionsstellung  zugesprochen  wird. 

Die  Kopfneigung  links  Torbindet  sich  mit  grösserem 
Seitenabstand  als  die  rechts;  ihre  Wirkung  nimmt,  wie  voraus- 
zusehen, von  L  .nach  R.,  von  der  Abduction  zur  Adduction  des 
linken  Auges  zu  und  zwar  mehr  von  L.  bis  M.  als  von  M.  bis  R. 

Die  Eopfneigung  rechts  hat  den  geringsten  Seiten- 
abstand; derselbe  ist  in  der  Mitte  am  grössten,  hinter  dem 
entsprechenden  Werth  für  Linksneigung  um  1^  zurückstehend. 
In  der  Adduction  des  rechten  Auges  beträgt  er  bloss  2,7^ 
gegenüber  dem  correspondirenden  Abstand  von  8,3^  bei  Links- 
neigung.  In  der  Abduction  ist  die  Seitenverschiebung  wieder 
geringer  als  in  der  Adduction.  Während  für  L  die  Differenz 
links  vertical  fast  gleich  derjenigen  rechts  verticaj  ist,  so  be- 
trägt für  R.  in  der  Abductionsstellung  des  rechten  Auges  die 
erstere  bloss  0,4  ^  die  letztere  7®. 

Die  Höhenabstände  sind  bei  verticalem  Kopf  positiv 
für  L.  und  M.,  negativ  für  R.,  im  Mittel  -f  ^9^^;  <^er  Hoch- 
stand des  linken  Bildes  für  L.  überwiegt  den  Tiefstand  des- 
selben für  M.,  daher  übertrifft  auch  der  Grad  der  Affection 
des  rechten  Trochlearis  den  des  linken. 

Die  Kopfneigung  links  ist  durchwegs  mit  Tiefistand  des 
linken  Bildes,  die  Kopfneigung  rechts  mit  Hochstand  desselben 


94 


Pflfiger. 


verknüpft  und  zwar  hat  die  KopfaeigiiDg  links  eine  wesentlich 
grössere  Einwirkung  anf  die  Höhenverschiebung,  eine  mittlere 
von  15^  gegenüber  derjenigen  nach  rechts,  die  auf  10,7®  sich 
beziffert,  was  seinen  ausreichenden  Grund  in  der  Lähmung  des 
rechten  unteren  Obliquus  findet 

Die  geringeren  Seiten-  und  Höhenabstände  in  den  drei 
Blickseitenstellungen  in  Folge  Kopfheigung  rechts  gegenüber 
deijenigen  nach  links  namentlich  bei  Blickstellung  rechts  (R.) 


¥6    W  35  30   tS    tO    tS     Mf    ö     O    3     10   iS    tO  95    30  33    M  ^ 


*0 

\ — \ — i — r—T"! 

!    ■  :   ■  !     T   -r— ^ — X — r— 

Hf 

35 

3^ 

30 

- 

JO 

ts 

- 

t5 

to 

15 

... 

> 

h 

♦ 

to 

IS 

0 
3 

•• 

-^ 

y 

10 
5 

0 
5 

-^, 

;_ 

0 

J 

- 

y 

X 

10 
13 

:; 

- 

ff 

to 

15 

ftO 

•' 

+       ■*- 

• 

^         * 

90 

30 

- 

- 

30 

35 

- 

-„.,i  _i j i \ — 

■.■.:■...:         s' 

35 

^   W  35  30   23  to   15    fO    S    O     5    ^1l5tOZ330S5^^^3 

•«*  -^  DoppMild  des  Unkerv  Auges ,-  bei  h^rbumtalgehoJiervenvKbpf, 
p  ßt  •  •        •  •     ;  •  links  gendglenvKopf. 

Fig.  4. 

beweisen  wiederum,  dass  die  Ausfallswirkung  des  rechten  Troch- 
learis,  welche  bei  verticalem  Kopfe  prävalirt,  bei  Kopfheigung 
rechts  durch  die  Ausfallswirkung  einer  seiner  Antagonisten 
theilweise  compensirt  wird. 

Die  geringen  Seiten-  und  Höhenabstände  in  der  Blicksei* 
tenstellung  rechts  bei  rechtsgeneigtem  Kopf  erklären  auch  die 
spontane  Kopfhaltung  des  Patienten  nach  rechts;  durch  dieselbe 
war  es  ihm  möglich,  nach  rechts  oben  einfieich  zu  sehen  und 


£in  Fall  von  doppelseitiger  Trochlearisparese  etc. 


95 


zu  lesen.  Dass  aber  das  Lesen  nur  durch  Erhebung  des  Buches 
über  die  Horizontale  ermöglicht  wurde,  macht  wahrscheinlich, 
dass  die  Parese  des  Obliquus  inferior  dexter  geringgradiger  war 
als  die  des  Obliquus  superior  dexter.  Die  stärkere  Wirkung 
des  in  Adduction  befindlichen  Trochlearis  sinister,  unterstützt 
durch  die  hier  in  Anspruch  genommene  Hebewirkung  d6s  pare- 
tischen  Obliq.  infer.  dexter,  ist  aequilibrirt  durch  die  verstärkte 
Wirkung  des  Trochlearis  dexter  in  Folge  der  Rechtsneigung. 


*j*ffssjffzse^xff^j   0  5 


30 

V, 

/5 
W 
ö 
O 

10 
tS 
20 

30 


1 — I — ! — ! — r 


Kf    90  9»   30  3S   ¥0   ^ 


T 


-^ 


«*- 


S5 
30 
ZS 

t6 

f0 

S 

0 

6 

f0 

fS 

90 

35 


M    ^  3J   30    e3   20   Aß     /0     5     0    3     r0   /S    20   2J  30  33    ^  UJ 
/  fi  Doppelbüd  des  linkcnAugcs  hcL  redUs  gendgUm  Kopf, 
•••-•■         -  •       •  .        -  horizontal  gehallenem  Kopf. 

Fig.  6. 

Am  3.  Mai  stellt  sich  Patient  wieder  vor  mit  der  Angabe, 
dass  sein  Leiden  noch  nicht  gehoben,  aber  wesentlich  gebessert 
sei,  dass  er  viel  weniger  doppelt  sehe.  Die  Kopfhaltung  war 
eine  sichtlich  normalere. 

Eine  Controluntersuchung  der  Doppelbilder  war  angesichts 
der  eigenthümlichen  Complication  der  doppelseitigen  Troch- 
learislähmung  recht  erwünscht;  ihre  Resultate  sind  in  Fig.  4 
^nd  5,  sowie  in  Tabelle  5  (S.  96)  niedergelegt 


96 


Pflager. 


Tabelle  5. 
Stellang  der  Doppelbilder  am  3.  Mai. 


Blickrichtung 

Links    k. 
3. 


Median 


Hechts   i2. 


Median 


Rechts 


a)  bei  Eopfheigang  nach  links. 


Seitenabst&nde 
Kopf 


rert. 

+   4 
+   7(6) 
+  12 


350  i.  D.  1.  T. 
+  2  —  2 
+   3      -   4 

+    7-5 


Höhenabst&nde 
Kopf 

▼eit.        38»  1.        D.  1.  ▼. 
+  1—3        —    4 

+  6      —  4      —10 
+  8      —   4      —12 


0  +4+4 

+    4(2)        +3-1 
+  16(15).    +11      —   5 


0 

+   7(6) 
+  14(12) 


+  4+4 
+  12  +5 
+  19      +5 


0 

+  1 

+  1 

0 
—  3 


b)  bei  Kopfneigang  nach  rechts. 

Tert.  86»  r.       D.  r.  v.  Tert. 

+   3  +6+3  +1 

+   6(7)  +8+2  +6 

+  12(14)  +8-4  +8 


0 

+   2(4) 
+  15(16) 

|1.  0 

{2.     +6(7) 
3.     +12(14) 


+  2+2 
+  12      +10 

+    7+2 


+ 
+ 


0  0 

2—4 
9—3 


0 

+  1 
+  1 

0 

—  3 

—  2 


—  4 

—  4 

—  7 

-11 

—  12 

—  4 


0 

+    1 
+    2 


—  4 

—  5 

—  8 

—  11 

—  9 


36»  r.  D.r.T. 

+  12  +11 

+  19  +13 

+  21  +13 

+   8+8 

+  14  +-18 

+  17  +16 


0 

+    4 
+    4 


Entsprechend  der  Angabe  des  Patienten  Ober  subjective 
Besserung  sind  die  Entfernungen  der  Doppelbilder  in  den  meisten 
F&llen  kleiner  geworden.  Sowohl  die  Abstände  nach  der  Seite 
als  in  der  Höhe  bilden  eine  hflbsche  Parallele  zu  denen  vom 
10.  April;  flberall  dieselben  Vorzeichen  und  ähnliche  Relationen 
in  den  Werthen;  nur  die  absoluten  Werthe  sind  kleiner  ge- 
worden. 

Hier  kann  ich  mich  begnügen,  auf  die  Yergleichung  der 
correspondirenden  Tafeln  und  Tabellen  hinzuweisen.     Hervor- 


Ein  Fall  von  doppelseitiger  Trochlearisparose  etc.  97 

beben  will  icb  nur,  dass  die  Doppelbilder  bei  verticalem  Kopf 
auch  jetzt  noch  für  stärkere  Affection  des  rechten  Trochlearis 
sprechen,  dass  ferner  der  eigenthttmliche  Höhenabstand  beim 
Blick  nach  rechts  oben,  welche  zur  Annahme  einer  Mitbethei- 
lignng  der  Obliquus  inferior  geführt  hat,  weggefallen  ist,  dass 
also  diese  Complication  von  ihrem  Einflnss  eingebüsst,  sich  eben- 
falls zum  Theii  znrackgebildet  hat.  Hingegen  persistirt  bei 
Eopfneignng  links  nnd  Blickrichtung  rechts  die  Abnahme  der 
Höhenabweichung  der  Doppelbilder  von  oben  nach  unten;  die 
Zahlen  sind  durchwegs  kleinere  geworden. 

Die  Diagnose  „doppelseitige  Trochlearislähmung'^  ist  nach 
dem  Bisherigen  im  vorliegenden  Falle  als  eine  gesicherte  zu 
betrachten,  die  Complication  mit  Parese  des  Obliquus  inferior 
dexter  als  eine  sehr  wahrscheinliche. 

Auf  meinen  Appel  stellte  sich  Arn  am  13.  Januar  1891, 
also  ein  gutes  Jahr  nach  der  Erkrankung,  wieder  zur  Controle 
mit  der  Angabe  gesund  zu  sein. 

Die  genauere  Untersuchung  ergab  aber,  dass  im  ganzen 
Blickfeld  Einfachsehen  existirte  mit  einziger  Aasnahme  der 
Richtung  links  oben;  hier  erscheinen  homonyme  Doppelbilder 
mit  Hochstand  des  rechten  Bildes.  Bei  Erhebung  des  Blickes 
um  30^  und  Seitenwendnng  um  30^  betrug  der  Seiten-  und 
der  Höhenabstand  der  Doppelbilder  je  5^  (siehe  Taf.  YI).  Wird 
das  Fixationsobject  in  gleicher  Höhe  von  links  nach  rechts  ge- 
führt, nehmen  beide  Abstände  successive  ab,  um  bei  14^  ganz 
zu  verschwinden  und  dem  Einfachsehen  Platz  zu  machen. 

Es  musste  sich  um  Parese  eines  Hebers  des  rechten  Auges 
handeln,  um  die  Residuen  der  Parese  seines  Obliquus  inferior. 

Das  klinische  Bild  bestätigte  als  einfacher  gewordenes  Ex- 
periment in  unerwartet  befriedigender  Weise  die  oben  aus  den 
Tabellen  gefolgerte  Wahrscheiulichkeitsdiagnose. 

Wenn  man  das  Object  von  oben  links,  wo  gewöhnlich  ein- 
zig doppelt  gesehen  wurde,  rasch  nach  rechts  und  rechts  unten 
führte,  so  konnte  man  für  einen  Augenblick  die  Doppelbilder 
über  einen  grösseren  Theil  des  Blickfeldes  quasi  herüberziehen, 
aber  nur  für  einen  Augenblick. 

Bei  Eopfneigung  links  erscheinen  Doppelbilder  in  einem 
grösseren  Theil  des  Blickfeldes,  im  oberen  linken  Quadranten 
bis  zum  Centrum  und  über  dasselbe  hinunter. 

Mit  dem  Grad  der  Linksneignng  nehmen  die  Höhendistan- 
zen zu,  die  Seitendistanzen  ab  bis  zur  Kreuzung. 

▼.  Graefe's  Archiv  fQr  Ophthalmologie.  XXXVII.  4.  7 


98 


PflQger. 


In  Figar  6  sind  die  Doppelbilder  dargestellt  für  den  ge- 
wöhnlichen Grad  der  Linksneigung  und  für  eine  Fizirlinie  you 
oben  links  nach  dem  Centrum.  Die  in  der  Tafel  ausgezogenen 
Höhen-  und  Seitendistanzen  zeigen  von  links  oben  nach  dem 
Centrum  zu  eine  consequente  Abnahme  der  ersteren  und  eine 
ebenso  consequente  Zunahme  der  letzteren. 

Es  kann  dieses  Verhalten  kaum  anders  als  für  die  resti- 
rende  Parese  des  Obliquus  inferior  dexter   gedeutet   werden. 


30 


90       fS 


6^       H> 


W      ts 


J3 

70 





«7^ 

:w 

,j 

•"'" 

^ 

[  i: 

r         \-  ... 

A 

♦ri.-- 

— 



#««t: 

t^ 

> 

V 

—           1 

, 

»r-- 

9/i 

tu 

— 

.    i 

L 

^_     _         1 

1 

s 

N 

— 

i 

0 

>»-.J 

1 

V 

5 
0 
6 

>( 

K...- 

30       Z5        9jO       f3        fO         A         O         5         tO       f5        W       ^ 

bei  aufrccJUem  Kopf*. 

_   -.  .    bei. rechts gefuigUjii Kopf. 
bei  links  gaicigterfi  Kopf. 

Fig.  6. 

Durch  die  Linksneigung  des  Kopfes  müssen  die  Meridiane  eine 
controlirende  Rückwärtsbeweguug  von  links  nach  rechts  aus- 
führen, eine  Leistung,  welche  auf  dem  rechten  Auge  dem  Obli- 
quus inferior  zukommt,  auf  dem  linken  Auge  dem  Trochlearis, 
welcher  hier  aber  ausser  Rechnung  fällt. 

In  Folge  Rechtsneigung  des  Kopfes  entstehen  Dop- 
pelbilder beim  Blick  nach  oben  in  der  Art,  dass  links  oben 
erst  einfach  gesehen  wird  und  beim  Verschieben  des  Objectes 
von  oben  links  nach  rechts  die  Doppelbilder  erst  seitlich  aus- 


Ein  Fall  Yon  doppelseitiger  Trocblearisparese  etc.  99 

einanderweichen  mit  anfangs  unmerklichem  Hochstand  des  rech- 
ten Bildes;  weiter  nach  rechts  nimmt  die  Höhenabweichung  all- 
mälig  zu,  während  die  Seitenabweichung  sich  nicht  deutlich 
verändert. 

Da  bei  der  Rechtsneigung  der  rechte  Obliquus  inferior 
zur  physiologischen  Raddrehung  nicht  nöthig  ist*,  wohl  aber  der 
rechte  Obliquus  superior,  so  liegt  die  Annahme  nahe,  dass  die- 
ser letztere  hier  zu  stark  wirkt,  weil  ihm  der  Obliquus  inferior 
zu  wenig  Widerstand  leistet. 

Trotzdem  die  Doppelbilder  schon  am  3.  Mai  1890  ein 
partielles  Zurückgehen  der  Parese  des  Obliquus  inferior  sup- 
poniren  liessen,  so  ist  ein  Ueberrest  derselben  als  einziges 
Merkmal  der  bisher  noch  nicht  beobachteten  Lähmungsform 
am  13.  Januar  1891  zu  beobachten  gewesen. 

Die  Frage  nach  der  Localisation  dieser  seltenen  Läh- 
mungsform verlangt  noch  eine  Ergänzung  der  Krankengeschichte, 
einen  Nachtrag  über  weitere  Störungen  in  der  Innervation  von 
Augenmuskeln  bei  unserem  Patienten. 

Eingangs  ist  mitgetheilt  worden,  dass  Arn  bei  der  ersten 
Vorstellung  noch  Anomalien  der  Accommodation  darbot  und 
zwar:  Einschränkung  der  Accommodation  um  ca.  2,5  D. 
auf  dem  rechten  Auge,  um  4,5  D.  auf  dem  linken  Auge  mit 
Mikropsie  auf  diesem  letzteren. 

Keine  Erwähnung  fand  bisher  das  Verhalten  der  Pu- 
pillen. Beide  Pupillen  sind  myo tisch;  die  rechte  misst  bei 
mittlerer  Tagesbeleuchtung  2  mm,  die  linke  3  mm. 

Die  Lichtreaction  ist  auf  beiden  Augen  erhalten,  so- 
wohl die  directe  als  die  consensuelle,  aber  auf  ein  Minimum 
reducirt,  so  dass  es  längere  genaue  Beobachtung  erforderte, 
um  dieselbe  sicher  zu  constatiren. 

Die  Reaction  auf  Convergenz  ist  auf  beiden  Pupillen  deut- 
licher als  die  Lichtreaction,  aber  doch  ausserordentlich  subnormal. 

Am  3.  Mai  zeigten  die  Pupillen  ein  analoges  Verhalten 
bezüglich  ihrer  Reactionsfähigkeit  und  ihrer  gegenseitigen  rela- 
tiven Grösse;  sie  schienen  beide  etwas  weiter  geworden  zu 
sein.  Die  Accommodation  hatte  beiderseits  um  etwa  0,5  D. 
zugenommen. 

Am  12.  Januar  1891  hatte  die  rechte  Pupille  eine  Weite 
von  2,75  mm,  die  linke  eine  solche  von  4  mm;  Accommodation 
rechts  um  1  D  links  um  2  D  grösser  als  bei  der  ersten  Unter- 
suchung, Lichtreaction  direct  und  consensnell  noch  immer  sehr 

7* 


100  Pflüger. 

schwach.  Aaf  eine  minimale  Contraction  bei  Lichteinfall  folgt 
prompt  eine  dentlichere  Erweiterung,  so  dass  bei  unscharfer 
Beobachtung  nur  letztere  in  die  Augen  fällt. 

Im  klinischen  Bilde  unseres  Falles  reihen  sich  also  an 
die  Parese  der  beiden  Trochlearis  und  des  Obliquus  inferior 
dexter: 

1)  Myosis  beiderseits,  rechts  stärker  als  links. 

2)  Herabgesetzte  Pupillarreaction  auf  Licht  beiderseits,  direct 
sowohl  als  consensuel. 

3)  Herabgesetzte  Pupillarreaction  auf  Convergenz. 

4)  Accommodationsparese,  links  stärker  als  rechts. 

Die  grössere  Parese  der  Accommodation  verbindet  sich 
also  auf  demselben  Auge  mit  der  geringeren  Myosis,  mit  der 
geringeren  Reizung  des  Sphincter  iridis. 

Diese  vier  Gomplicationen  machen  die  Localisation  in  der 
Kemregion,  im  vordersten  Abschnitt  des  Oculomotoriuskem 
wahrscheinlich.  Da  nach  dem  Schema  von  Kahler  und  Pick 
der  Kern  des  Obliquus  inferior  in  dem  hintersten  Abschnitt 
der  lateralen  Kerngruppen  im  Oculomotoriuskem  gelegen  ist, 
so  verlangt  unser  Fall  allerdings  die  Annahme,  dass  die  zwi- 
schen diesem  und  den  vordersten  Kernen  der  interioren  Augen- 
muskeln gelegenen  Kerne  von  der  Affection  übersprungen  wor- 
den seien. 

Die  Erkrankung  der  beiden  Trochleares  in  der  Region 
ihrer  Kerne,  die  sich  unmittelbar  an  die  Oculomotorinskeme 
nach  hinten  anschliessen,  liegt  nun  näher  als  diejenige  an  ihrer 
Verflechtungsstelle  im  Velum  medulläre  anticum.  Ich  lasse  da- 
mit die  Localisation  im  Yelum  medulläre  anticum,  welche  ich 
in  meiner  ersten  Mittheilung  über  diesen  Fall  supponirt  hatte, 
fallen,  weil  dieselbe  eine  Erkrankung  zweier  gesonderter  Herde 
voraussetzt,  die  weiter  auseinanderliegen  als  der  vorderste  und 
hinterste  Abschnitt  des  Oculomotorius-Trochleariskernes. 

Die  Deutung,  welche  das  Schema  des  Oculomotoriuskemes 
nach  Per  Ha  (Archiv  für  Ophthalm.  XXXV,  4,  S.  297)  durch 
Knies  —  Centrale  Störungen  der  willkürlichen  Augenmuskeln 
(Archiv  für  Augenheilk.  XXIII,  1,  19  u.  f.)  —  erfahren  hat, 
erleichtert  die  Localisation  des  in  Frage  stehenden  Processes 
in  die  Kernregion  wesentlich. 

Die  Erkrankung  hatte  den  vorderen  seitlichen  Kern  (1) 
von  Darkewitsch  und  den  Edinger-Westphal'schen  Kern 
(3)  auf  beiden  Seiten  ergriffen;  während  sie  rechts  hier  stehen 


Ein  Fall  von  doppelseitiger  Trochlearisparese  etc.        101 

geblieben,  hatte  sie  sich  links,  über  die  tiefen  ventralen  Kerne 
6  und  7  für  den  Rectas  internus  und  den  Rectus  inferior  weg- 
setzend, in  den  dorsalen  Kern  (5)  für  den  Obliquus  inferior 
und  von  da  in  der  Continuität  zum  Trochleariskern  (9)  fort- 
gesetzt. 

Die  Aneinanderrückung  der  functionell  zusammengehören- 
den Obliqui  durch  Knies  scheint  eine  glückliche,  durch  diesen 
Fall  wahrscheinlich  gemachte  Aenderung  in  der  Anordnung  der 
Oculomotoriuskeme  zu  sein. 

Der  Umstand,  dass  Perlia  nur  von  Kern  5  des  Oculo- 
motoriuskemes  gekreuzten  Ursprung  der  Wurzelfasem  nach- 
weisen konnte,  hat  Knies  in  der  Meinung  bestärkt,  dass  dies 
der  Kern  des  Obliquus  inferior  sei,  der,  wie  der  Trochlearis, 
bei  der  Auswärtswendung  des  gegenüberliegenden  Auges  bethei- 
ligt ist 

In  der  Literatur  findet  sich  eine  einzige  aphoristisch  ge- 
haltene und  mit  aller  Reserve  hingestellte  Notiz  über  doppel- 
seitige Trochlearisparese,  mitgQtheilt  von  Dr.  Ernst  Remak 
(Neurolog.  Centralbl.  1888,  S.  5). 


Znr  Lymphombildung  in  der  Orbita. 

Von 

Dr.  TL  Axenfeld, 
I.  Assistent  an  der  ÜDiversit&tB-Angenklinlk  in  Marburg. 

Hierzu  Taf.  III,  Fig.  I— IV. 


Ausser  einem  von  ihm  selbst  beschriebenen  „Lympho- 
sarcom^^)  fuhrt  Berlin  im  Handbuch  von  Graefe-Sae- 
misch  (1880,  Abtheilung  ,,Orbita'*)  aus  dei*  grossen  Litera- 
ratur  der  Tumoren  nur  zwei  von  Lawson  veröffentlichte 
primäre  Orbitallymphome  an,  ausserdem  ein  von  Förster 
beschriebenes  Lymphangiom.  Ein  ebensolches  hat  später 
Wiessner*)  mitgetheilt  Vielleicht  ist  auch,  wie  unten 
noch  besprochen  werden  soll,  der  Becker-Arnold'sche 
und  der  Bern  heimer 'sehe  Fall  zu  den  primären  Orbital- 
lymphomen zu  rechnen;  dagegen  dürfte  der  lymphoide  Ur- 
sprung von  Tumoren,  wie  sie  SchoebeF)  beschreibt»  zweifel- 
haft sein.  Auch  auf  der  Grundlage  von  Allgemeinerkran- 
kungen, die  an  sich  zur  Bildung  derartiger  Neoplasmen  nei- 
gen, sind  Orbitallymphome  bekanntlich  ein  seltenes  Vor- 
kommniss. 

Obwohl  nun,  abgesehen  von  der  in  ophthalmologischen 
Kreisen  wenig  beachteten  Mittheilung  von  Gallasch,  Le- 
ber und  nach  ihm  Osterwald  das  Vorkommen  doppelsei- 


>)  Zehender*B  Monatsblatt  XVI. 

*)  V.  Graefe*8  Archiv  für  Ophthalm.  XXII,  2.    1886. 

*)  Centralbl.  fflr  Augenheilk.  1886,  Sept.-Oct. 


Zar  Lymphombildung  in  der  Orbita.  103 

tiger  orbitaler  Lymphome  auf  leukaemischer  Basis  unzwei- 
felhaft nachgewiesen  haben,  so  vermisst  man  doch  in  den 
sonst  publicirten  ähnlichen  Fällen  vielfach  genauere  An- 
gaben über  das  Verhalten  der  übrigen  Organe ,  zumal  des 
Blutes.  Ich  lasse  deshalb  eine  kurze  Zusammenstellung  der 
sämmtlichen  hierhergehörigen  Mittheilungen,  die  ich  finden 
tonnte,  folgen,  da  eine  Uebersicht  sonst  schwer  möglich 
ist  Ich  schicke  voraus,  dass  der  an  erster  Stelle  citirte 
Förster'sche  Fall,  den  Becker  und  Arnold  als  dem  ihren, 
vermuthlich  auf  constitutioneller  Anomalie  beruhenden,  gleich- 
artig anfuhren,  nicht  pathologisch-anatomisch  untersucht, 
und  seine  Natur  als  Lymphom  um  so  unsicherer  ist,  als 
möglicherweise  Lues  vorlag. 

[1)  Förster,  1866,  Zehenders  Monatshefte:  Symmetri- 
scher Tumor  an  der  Thränendrüse.  Exophthalmus. 
Durch  Jodkaliumsalbe  gebeilt.  Keine  Eörperuntersuchung.  (Sy- 
philis?)) 

2)  Becker  und  Arnold,  Heidelberg  1872:  v.  Graefe's 
Arch.  f.  Ophth.:  Doppelseitiges  symmetrisches  Lymph- 
adenom  in  der  Gegend  der  Thränendrüse.  Exophthalmus. 
Sonst  keinerlei  Symptome.  Durch  Exstirpation  dauernde  Hei- 
lung (10  Jahre  lang  beobachtet). 

3)  F.  Gallasch:  Ein  seltener  Befund  bei  Leukämie 
im  Eindesalter.  Jahrb.  für  Einderheilk.  1875.  4VtJäbriger 
Knabe.  Lymphome  am  Hals,  Leber-  und  Milzschwellung.  Con- 
juDCtival-  und  Retinalhaemorrhagien,  Petechien,  bds.  grosse 
Thränendrttsentumoren,  Exophthalmus.  Autopsie:  mas- 
senhafte lymphoide  Infiltration,   Drfisengewebe  nicht  betheiligt. 

4)  Th.  Leber,  1878:  v.  Graefe's  Archiv  für  Ophthalm. 
XXIY,  S.  295,  Leukaemie.  bds.  Retinitis  haemorrhagica, 
Albuminurie.  Zunehmende  Hyperopie  bei  doppelseitigem  Exoph- 
thalmus infolge  zahlreicher  Orbitaltumoren.  Exitus  letalis, 
keine  allgemeine  Autopsie.  Mikroskopischer  Befand  in  den 
Orbitaitumoren:  massenhafte  Lymphzellen. 

5)  Chauvel,  1877,  Gazette  hebdomadaire  Nr.  23:  links- 
seitige sehr  grosse  Geschwulst  an  der  Thränendrüse. 
Lymi^ome  am  Hals.  Eeine  Blutantersochung.  Autopsie:  Leber- 
and Milztnmor.  Lidtumor  aus  Lymphkömem  bestehend.  Enochen- 
mark  nicht  nntersucht 


104  Th.  Axenfeld. 

6)  Osterwald,  1881,  v.  Graefe's  Archiv  für  Ophthalm. 
XXYII,  3,  S.  203:  Beobachtung  ans  der  Leber'schen  Klinik 
in  Rötungen:  Vieijähriger  Knabe.  Lenkaemie.  Doppelsei- 
tige Orbitaltumoren,  flache  Auftreibung  der  Schläfengegend. 
Exophthalmus.  Mund,  Nase,  Speicheldrflsen  frei.  „Mikrokokken 
in  der  Milz  und  im  Blut.^'  Tumoren  aus  kleinen  Rundzellen 
bestehend.  „Leukaemische  Tumoren  entstehen  vermuthlich  aus 
ausgewanderten  weissen  Blutkörperchen.^^  Durch  Confluiren 
mehrerer  Tumoren  hier  und  da  lymphadenoider  Bau.  „An  der 
infectiösen  Natur  der  Leukämie  ist  nicht  mehr  zu  zweifeln.*^ 

7)  Reymond  (Annali  di  Ottahnologia  1883,  S.  337): 
Linfomi  voluminosi  delle  due  orbite  ed  al  davanti  delle  due 
orecchie,  con  degenerazione  amiloidea  dei  soll  elementi  linfoidi. 

Milzvergrösserung,  Schwellung  der  Parotiden,  Hals-  und 
Axilardrüsen,  doppelseitiger  Tumor  an  der  Thränen- 
drüse.  Blut  nicht  untersucht  Exstirpation  der  Orbitaltumoren, 
die  mikroskopisch  aus  Lymphzellen  mit  reticulärem  Stroma 
bestehen  und  central  amyloide  Entartung  zeigen.  Uebrige  Drü- 
sengeschwülste auf  Jodkalium  kleiner.  Angeblich  dauernde 
Heilung  (?). 

8)  Gayet,  Die  symmetrischen  Orbitaltumoren  und  ihre 
charakteristischen  Symptome:  Archives  d'Ophtalmologie  1886, 
Janvier-F6vrier. 

70jähriger  Mann;  bds.  Exophthalmus,  zuerst  rechts, 
nach  zwei  Jahren  links.  Keine  Körpemntersuchung!  Exitus 
letalis  infolge  von  Pleuritis.  Bei  der  Autopsie  Milz,  Leber  etc. 
nicht  untersucht!  Mikroskopisch:  Orbitaltumoren  =  Lymph- 
adenome;  Rundzelleninfiltration  von  Fettgewebe,  Opticus,  Mus- 
keln, Gefässwandungen  (bei  letzteren  mit  Verengerung  des 
Lumens  und  nur  im  Innern  der  Geschwülste). 

9)  E.  Delens,  ObserTation  de  tumeurs  lymphad^niques 
des  deux  orbites:  Archives  d'Ophtalmologie  1886,  Mars-Avril. 

5öjähriger  Mann,  bisher  gesund.  Multiple  Geschwülste 
in  Lidern  und  Orbita,  Exophthalmus.  Die  grössten  Ge- 
schwülste sitzen  an  der  Thränendrüse.  Lymphome  am  Hals, 
Ellenbogen,  Tonsillen,  Pharynx.  Ueber  dem  knöchernen  Gau- 
men durch  eine  tiefe  Rinne  getrennt  beiderseits  eine  höckrige, 
wulstige  Geschwulst  Lenkaemie.  Unter  einem  starken  Cho- 
leraanfall völliger  Schwund  der  Orbital-  und  Gaumentumoren, 
erhebliche  Reduction  der  übrigen  Lymphome.  Patient  entzieht 
sich  weiterer  Beobachtung. 


Zur  Lymphombilduüg  in  der  Orbita.  105 

10)  Bernheimer,  Ueber  Lymphadenome  der  Orbita: 
20.  ophthalmologische  Yersammlung  in  Heidelberg. 

40 jähriger  Mann,  völlig  gesund.  Seit  zwei  Jahren  sym- 
metrischer Exophthalmus.  Multiple  haselnuss-  bis  wallnuss- 
grosse  Geschwülste,  die  durch  Stränge  mit  dem  tieferliegenden 
Gewebe  der  Orbita  zusammenzuhängeit  scheinen.  Exstirpation. 
Mikroskopischer  Befund:  Lymphadenom.  „Einziger  analoger 
Fall  der  Becker-Arnold'sche." 

11)  Guaita,  Bericht  über  den  zwölften  italienischen  Oph- 
thalmologen-Congress  in  Pisa  1890  (Centralblatt  für  praktische 
Augenheilkunde  XIV,  S.  557):  Zwei  Fälle  von  diffusem 
Lymphom  der  Conjunctiva. 

Ein  Bauer  von  52  Jahren  zeigte  diese  neue  Form  der 
Conjunctivitis.  Derselbe  ist  frei  von  Syphilis  und  jeder  an- 
deren constitutionellen  Erkrankung  (!?),  seit  zehn  Jahren  hat 
er  Lymphdrttsenschwellungen,  seit  zwei  Jahren  Schwellung  der 
Lider  des  rechten,  seit  zehn  Monaten  des  linken  Auges.  Gegen- 
wärtig sind  die  Lymphdrüsen  am  Hals,  Kopf,  Achseln,  Leisten 
vergrössert,  es  besteht  Milztumor.  Das  Blut  enthält  weni- 
ger rothe  und  mehr  weisse  Blutkörperchen  als  normal. 
Die  Augen  können  kaum  etwas  geöffnet  werden,  beim  Umstül- 
pen der  Lider  blutete  die  Conjunctiva  leicht,  die  übrigens  glatt 
und  blass  und  hauptsächlich  in  den  Uebergangsfalten  stark  ver- 
dickt ist.  Kleine  exstirpirte  Stückchen  zeigen  reichliche  Lymph- 
zelleninfiltration,  keine  Spur  von  Amyloid.  Unter  Gebrauch 
von  Jodkalium  bis  6,0  g  täglich  und  starker  Massage  der  Lider 
auf  untergelegtem  Spatel  trat  Besserung  ein. 

Ein  zweiter  ähnlicher  Fall  bei  einem  marantischen  alten 
Manne. 

Der  Fall  Chauvel  erscheint  bezüglich  seiner  Aetio- 
logie  am  zweifelhaftesten.  Die  einseitige  Ausbildung  einer 
colossalen  Orbitalgeschwulst,  längst  bevor  irgend  welche 
Veränderungen  am  Lymphapparat  nachgewiesen  wurden, 
legt  den  Verdacht  nahe,  dass  doch  vielleicht  eine  primäre 
bösartige  Neubildung  mit  Metastasenbildung,  und  nicht  eine 
constitutionelle  Anomalie  vorlag,  zumal  alle  Anzeichen  für 
eine  solche  fehlen.  Der  mikroskopische  Befund  von  „Lymph- 
kömern"  in  dem  Orbitaltumor  ist  nicht  beweisend,  da 
kleinzellige  Sarkome  von  Lymphomen  an  der  Art  der  Zellen 


106  Th.  Axenfeld. 

allein  oft  nicht  unterschieden  werden  können.  Wenigstens 
wage  ich  diesen  Fall  nicht  in  bestimmtem  Sinne  zu  ver- 
werthen.  Bei  dem  Gay  et' sehen  bleibt  es  zweifelhaft,  ob 
es  sich  um  eine  ähnliche  Affection  wie  bei  Leber  etc.  oder 
um  primäre  orbitale  Lymphome  handelt. 

Sehen  wir  von  den  Mittheilungen  von  Becker- Arnold, 
Reymond  und  Bernheimer  zunächst  ab,  so  bleiben  ihrer 
Aetiologie  nach  völlig  klargestellt  die  Fälle  von  Gallasch, 
Leber,  Leber- Osterwald,  Dolens  und  Guaita.  In 
ihnen  wurde  zweifellos  Leukaemie  festgestellt.  Ich  bin  nun, 
Dank  der  Freundlichkeit  meines  hochverehrten  Chefs,  Herrn 
Professor  Dr.  Uhthoff,  in  der  Lage,  eine  Beobachtung  an- 
zureihen, die  vielerlei  Aehnliches  bietet,  aber  doch  wohl  in 
mancher  Hinsicht  besonderes  Interesse  verdient. 

KrankengeBOhiohte. 

Ein  Bruder  des  62  Jabre  alten,  aas  sonst  gesunder  Fa- 
milie stammehden  Oekonomen  P.  ist  vor  28  Jahren  an  einer 
Blutung  gestorben,  die  im  Verlauf  einer  lienalen  Leukämie 
sich  einstellte  (nach  der  Aussage  des  behandelnden  Arztes, 
Herrn  Professors  von  Heusinger).  Patient  selbst  ist  wegen 
„kleiner  scrophulöser  Lymphdrüsen  am  Halse^  militärfrei  ge- 
worden. Er  erklärt  mit  Bestimmtheit,  dass  im  Februar  1890, 
wo  er  sich  wegen  beginnender  Augenbeschwerden  zum  ersten 
Male  vorstellte,  die  Drflsen,  Ober  deren  Grösse  er  sich  zu  orien- 
tiren  pflegte,  gegen  damals  nicht  vergrössert  gewesen  seien. 
Bezüglich  der  Augensymptome  berichtet  er,  dass  vor  1  Monat 
nach  einem  InfluenzaanfaJl,  in  den  schon  längere  Zeit  geschwol- 
lenen Lidern  sich  kleine  Knötchen  gebildet  hätten.  Bei  der  ersten 
Untersuchung  fand  Herr  Geheimrath  Schmidt-Rimpler,  mein 
früherer  hochverehrter  Chef,  der  mir  die  Benutzung  seiner  da- 
mals gemachten  Notizen  freundlichst  gestattet  hat,  in  allen  vier, 
etwas  verdickten  Lidern  kleine  prominente  subconjnnctivale 
Knötchen,  die  alten  Chalazien  glichen.  Eins  derselben  sass  in 
der  Gegend  der  linken  Thränendrüse.  Exstirpation  auf  Wonsch 
des  ängstlichen  Patienten,  von  der  Coi^unctiva  aus.  Die  Knöt- 
chen liessen  sich  leicht  ausschälen,  ihre  mikroskopische  Unter- 
suchung ergab  Anhäufung  kleiner  Rundzellen  in  der  Submu- 


Zur  Lymphombildang  in  der  Orbita.  107 

Gosa,  in  ihrer  Umgebang  kapselartig  angeordnetes  Bindegewebe. 
Diagnose:  Lymphom.  Bereits  bei  der  Entlassung,  d.  h.  nach 
drei  Wochen  fanden  sich  wieder  neae  kleine  Tamoren  an  an- 
deren Stellen.  Nach  zwei  Monaten  neue  heftige  Aagenbeschwer- 
den,  Beginn  des  Exophthalmus.  Gleichzeitig  Verstopfung  der 
Nase,  Schlingbeschwerden,  Trockenheit  im  Munde,  starke  Schwel- 
lung der  bis  dahin  erbsengrossen  Halslymphome,  Abnahme  des 
Allgemeinbefindens.  Anamnestisch  verdient  noch  Erwähnung, 
dass  im  August  1890  Patient  mit  einer  Wagendeichsel  einen 
heftigen  Schlag  in  die  linke  Leistenbeuge  bekam;  in  zwei  Ta- 
gen habe  sich  darauf  ein  grosser,  anfangs  schmerzhafter  Kno- 
ten gebildet,  der  nach  Aufhören  der  entzündlichen  Erschei- 
nungen sich  nicht  wieder  verkleinert  habe.  Wiederaufnahme 
in  die  Klinik  September  1890. 

Stat  praes. 

Kleiner,  kräftig  gebauter  Mann,  nur  massig  gut  genährt; 
Hautfarbe  mit  Ausnahme  des  Gesichts  gelblich  blass.  Knochen 
normal  geformt,  nicht  aufgetrieben  oder  schmerzhaft.  Nerven- 
system intakt,  desgl.  Gor  und  Tract  respir.  Arterienrohr 
etwas  starr  und  geschlängelt  Blut  normal  nach  Menge  und 
Form  seiner  Bestandtheile.  Urogenitalapparat  normal,  im 
TJrin  nichts  Pathologisches. 

Die  oberen  seitlichen  Halstheile  sind  stark  rundlich  ver- 
dickt, während  die  Partieen  oberhalb  der  Clavicula  nicht  ge- 
schwollen sind.  In  der  Submaxillargegend  bis  zum  Ohre  hinauf 
und  nach  unten  bis  ca.  zum  unteren  Rande  des  Larynx  rei- 
chend, die  Mitte  freilassend,  beiderseits  ein  Packet  dicker,  sehr 
harter,  glatter  Tumoren  von  rundlicher  Form,  verschieblich. 
Praeauriculardrttse  und  Parotis  ebenfalls  hart  verdickt,  Schlä- 
fengegend bds.  flach  buckeiförmig  aufgetrieben.  Die  Geschwulst 
scheint  hier  unter  der  Fascia  temporalis  zu  liegen,  ist  nicht 
deutlich  auf  Consistenz  und  Grenze  palpabel,  nicht  deutlich 
verschieblich.  Occipitaldrfise  und  mehrei^e  Drüsen  in  der  Nacken- 
haut ebenfalls  derb  verdickt.  In  der  Wangenhaut  oberhalb 
der  Mundwinkel  zwei  vertikal  gerichtete  bohnenförmige  harte, 
verschiebliche  Tumoren  fühlbar,  aber  nicht  sichtbar. 

Nasenrücken  etwas  eingesunken.  Schleimhaut  der  Nase 
von  dem  vorderen  Ende  der  Conchien  bis  in  den  Nasenrachen- 
raum hinein  stark  verdickt,  roth,  von  harter  Consistenz.  Es 
gelingt  nichts  durch  die  Nase  zu  athmen.  Boden  der  Mund- 
höhle, auch  die  Glandula  subungualis  verdickt,  derb.   Schleim- 


108  Th.  Axenfeld. 

haut  des  harten  and  weichen  Gaumens  polsterartig,  Tonsillen 
geschwollen,  hyperämisch,  Pharynx  ohne  erhebliche  Veränderung. 
Die  ganze  Schleimhaut  der  Mund- Rachenhöhle  ist  auch  an 
Stellen,  die  nicht  der  Athmungslnft  ausgesetzt  sind,  auffallend 
trocken;  die  Zunge  mit  zahlreichen  Schüppchen  belegt.  Dicht 
unter  der  Wangenschleimhaut,  doch  nicht  mit  ihr  verwachsen^ 
fühlt  man  bds.  etwa  in  der  Gegend  des  ersten  Praemolarzahnes 
ziemlich  dünne,  strangartig  nach  oben  gehende  harte  Tumoren. 
In  der  rechten  Leistenbeuge  sind  mehrere  massig  grosse 
Lymphome  fühlbar.  Links  beginnt  ca.  4  cm  nach  aussen  vom 
Gimbernat'schen  Band  eine  vom  Lig.  Poupartii  über  15  cm 
nach  unten  reichende,  fast  kindskopf grosse,  derbe,  glatte  an- 
nähernd cylindrische  Geschwulst  von  über  6  cm  Durchmesser, 
glatter  Oberfläche,  nur  wenig  verschieblich,  theilweise  wohl 
wegen  Adhäsionen  am  Lig.  Poup.,  zum  Theil  auch,  weil  sie 
mit  tiefgelegenen,  unter  das  Ligament  reichenden  Lymphtumo- 
ren in  ziemlich  fester  Verbindung  steht,  welch  letztere  in  das 
kleine  Becken  sich  fortzusetzen  scheinen. 

Augen:  Bds.  geradeausgerichteter  Exophthalmus  mit  all- 
seitiger Einschränkung  der  activen  und  passiven  Beweglichkeit, 
paukenförmige  Vortreibung  der  Lider,  die  nicht,  wie  sonst  bei 
Protrusion,  weit  geöffnet,  sondern  fast  geschlossen  und  auffal- 
lend unbeweglich  sind.  Dadurch  erhält  das  Aussehen  des  Pa- 
tienten etwas  ganz  Eigenartiges.  In  der  cyanotischen  Lidhaut 
mehrere  deutlich  erweiterte  Venen.  Lider  im  ganzen  geschwol- 
len, von  praller,  aber  elastischer  Consistenz,  nicht  ödematös. 
Vielmehr  scheint  die  Verdickung,  abgesehen  von  der  durch  den 
Exophthalmus  veranlassten  Ausdehnung  auf  einer  ziemlich  dif- 
fusen Infiltration  zu  beruhen,  innerhalb  deren  sich  mehrfache 
circumscripte,  harte,  etwas  verschiebliche  Tumoren  in  wechselnder 
Tiefe  palpieren  lassen.  An  einzelnen  Stellen  sind  leichte  Vor- 
treibungen der  Lidhaut  auch  sicBtbar.  Die  Schwellung  ist  am 
stärksten  am  rechten  Unterlid.  Hier  haben  die  Tumoren  einen 
eigenthümlich  strangartigen  Charakter,  hängen  zum  Theil  mit- 
einander zusammen.  Sie  liegen  meist  nahe  dem  knöchernen 
Orbitalrand  und  laufen  diesem  theils  parallel,  theils  reichen  sie 
nach  hinten  über  denselben  hinaus.  Bei  tiefem  Eindrücken, 
das  dem  Patienten  Schmerzen  macht,  hat  man  das  Gefühl,  als 
ob  weit  hinten  in  der  Orbita  ebensolche  Geschwülste  lägen. 

Ectropionirt  man,  so  zeigt  sich  die  Gonjunctiva  im  Allge- 
meinen massig  injicirt,  etwas  geschwollen.  An  sämmtlichen  Li- 


Zur  Lymphombildiing  in  der  Orbita.  109 

dem  sieht  man  die  Narben  früherer  Operationen.  Ausserdem 
zeigt  die  Schleimhaut  mehrere  theils  rundliche,  theils  unregel- 
mässige Yortreibungen,  die  durch  Knoten  von  wechselnder  Con- 
sistenz  bedingt  sind,  welche  oberflächlich  liegen  oder  mehr  iu 
die  Tiefe  gehen. 

Einige  der  Geschwülste  sind  unter  der  intakten  Schleim- 
haut verschieblich,  bei  der  Bildung  anderer  dagegen  scheint 
sich  die  letztere  selbst  zu  betheiligen.  Wenigstens  ist  sie  mit 
ihnen  verwachsen  und  zeigt  ein  durchscheinend  grangelbliches, 
glasiges,  sehr  eigenthümlich  speckiges  Aussehen,  ist  verdickt, 
etwas  höckrig,  und  hebt  sich  durch  die  Prominenz  und  helle 
Färbung  von  der  umgebenden  hyperämischen  Conjunctiva  scharf 
ab.  Die  ganze  linke  obere  Uebergangsfalte  ist  in  dieser  Weise 
verändert,  ähnlich  einem  colossalen  sulzigen  Trachomwulst, 
ebenso  ein  Theil  der  analogen  Stelle  rechts,  sowie  kleinere 
inselartigo  Parthieen  der  Tarsalschleimhaut  der  Unterlider. 
Nirgends  jedoch  ist  das  Epithel  ulcerirt.  Die  Grösse  der  von 
der  Schleimhaut  aus  bemerkbaren  Geschwülste  schwankt  zwi- 
schen Linsen-  und  Haselnussgrösse;  in  der  Gegend  des  inneren 
Lidwinkels  ragen  sie  zwischen  die  Lidspalte  vor,  die  zwar  ganz 
geschlossen,  aber  nur  mühsam  und  unvollkommen  geöffnet  wer- 
den kann. 

Die  grösste  Geschwulst  sitzt  links  unter  der  äusseren 
Hälfte  des  Orbitaldaches  in  der  Gegend  der  Thränendrüse,  am 
besten  von  der  Lidhaut  aus  palpabel,  anscheinend  weit  in  die 
Orbita  hineinreichend,  etwas  verschieblich. 

Bulbi  normal.     Bds.  H  in  1,0,  r.  S  =  */i„  1.  S  =  «/jg. 

Diagnose:  Pseudoleukämie  (Malignes  Lymphom, 
Hodgkin'sche  Krankheit,  Ad^nie.) 

Da  bei  dieser  die  Operation  nicht  wie  bei  Leukämie  con- 
traindicirt  war,  wurde  ex  indicatione  symptomatica  die  Exstir- 
pation  der  grössten  Geschwülste  mit  Schonung  der  Bulbi  vor- 
genommen. Auch  von  der  linken  Thränendrüse  brauchte  nur 
ein  kleines  Stück  entfernt  zu  werden.  Die  Tumoren  Hessen 
sich  leicht  ausschälen,  zeigten  ziemlich  derb  elastische  Consis- 
tenz;  frisch  durchschnitten  erschien  einer  von  ihnen  graugelb- 
lich, etwas  durchscheinend,  an  einigen  Stellen  mehr  gallertig. 
Kein  Gewebssaft. 

Zupfpräparat:  Massenhafte  einkernige  kleine  Rundzellen, 
eingelagert  in  ein  grossalveoläres,  ziemlich  stark  fasriges  Binde- 
gewebe.   Kein  deutlich  reticnläres  Stroma.    Umgebendes  Binde- 


110  Th.  Axenfeld. 

gewebe  kapselartig  angeordnet,  von  Randzellen  durchsetzt,  zum 
Theil  hämorrhagisch. 

Die  Mehrzahl  der  Tumoren  wurden  in  Mttller'sche  Fltts- 
sigkeit,  die  speckige  Uebergangsfalte  in  Flemming'sche  Lösung 
gelegt 

Glatte  Heilung  mit  symptomatisch  gutem  Erfolg.  Nach  acht 
Tagen  wurde  mit  Darreichung  von  Sol.  Fowl.  begonnen,  drei- 
mal tägl.  zwei  Tropfen  bis  dreimal  tägl.  zehn  Tropfen  ansteigend. 

Eine  controllirende  Untersuchung  der  Nasen-Mund-Rachen- 
höhle, die  Herr  Prof.  Barth  vorzunehmen  die  Freundlichkeit 
hatte,  ergab: 

„In  beiden  Nasengängen  starke  sehr  derbe  Schwellung  der 
gesammten  Schleimhaut  und  Hyperämie.  Die  Schleimhaut  des 
harten  Gaumens  ist  zu  beiden  Seiten  wie  ein  Kissen  gewulstet, 
so  dass  die  Mittellinie  eine  Rinne  bildet.  Die  gleiche  Ver- 
dickung und  massige  Hyperämie  findet  sich  am  weichen  Gau- 
men (auch  hier  die  Mittellinie  weniger  betheiligt).  Geringe 
Schwellung  der  Uvula.  Stimmbänder  auch  geröthet  und  ver- 
dickt, machen  aber  die  respiratorischen  und  phonatorischon 
Bewegungen  ziemlich  gut  mit. 

Wahrscheinlichkeitsdiagnose  (bei  alleiniger  Berücksichti- 
gung dieser  Symptome):  Rhinosclerom. 

20.  Octbr.  Neben  der  Excisionsnarbe  beginnt  sich  an  der 
linken  oberen  Uebergangsfalte  die  Schleimhaut  in  der  beschrie- 
benen speckigen  Weise  zu  verändern. 

(Aus  dieser  Zeit  stammen  die  beiden,  übrigens  nicht  re- 
touchirten  Photographieen  Figg.  I  und  II,  die  trotz  Entfernung 
der  grössten  Geschwülste  auch  an  den  Augen  die  Verhältnisse 
noch  gut  erkennen  lassen.) 

23.  Octbr.*  Entlassen.  Patient  soll  täglich  dreimal  acht 
Tropfen  nehmen  von  Sol.  Fowl.,  Aq.  amygd.  aa. 

10.  Novbr.  Ueberall  auffallende  BesseruDg,  Rückgang  der 
Tumoren,  die  kleiner,  aber  nicht  wesentlich  weicher  sind.  Lider 
weniger  gespannt,  Beweglichkeit  der  Bulbi  ausgiebiger.  Patient 
vermag  durch  die  Nase  etwas  Luft  einzuziehen,  Allgemein- 
befinden besser. 

17.  December.  Erhebliche  Rückbildung  der  Tumoren  und 
diffusen  Schwellung  allerwärts,  so  dass  wieder  annähernd  nor- 
male Configuration  besteht.  Kein  Exophthalmus  mehr.  In  den 
Lidern  Reste  der  Tumoren,  am  rechten  Unterlid  noch  jetzt 
eigenthümlich  strangartig.  Bds.  E,  S=%.  Milz  und  Leber 
nicht  vergrössert. 


Zur  Lymphombüdang  in  der  Orbita.  111 

Blntantersuchung:  Weisse  Blutkörperchen  gegen  das 
letzte  Mal  ein  wenig,  aber  nicht  entfernt  lenkämisch  vermehrt. 
Sie  zeigen  im  Allgemeinen  mittlere  Grösse,  mehrfachen  Kern, 
sind  zam  Theil  in  Zerfall  begriffen,  defect.  Das  Trockenprä- 
parat (Eosin-Hämatoxylin)  zeigt,  dass  es  sich  am  geringe  Yer- 
mehrnng  hauptsächlich  der  mittelgrossen  polynnclearen  Zellen 
handelt;  anter  ihnen  vereinzelte  eosinophile,  Lymphocyten  und 
andere  einkernige  weisse  Blutkörperchen  sind  sehr  spärlich. 
Von  einer  Degeneration  ist  hier  nichts  deutliches  zu  erkennen. 

29.  Jan.  1891.  Patient  hat  in  den  letzten  drei  Wochen 
eigenmächtig  das  Arsen  ausgesetzt,  nur  ab  und  zu  ein  paar 
Tropfen  genommen. 

Objectiv:  Deutliche  Zunahme  der  Tumoren,  fast  überall, 
besonders  am  rechten  Unterlid  und  am  Halse. 

Bds.  8  =  ^/9  Mayerhausensche  Zahlen.  Ophthalmoskop, 
nihil,  Beweglichkeit  der  Bulbi  wieder  etwas  mehr  behindert. 
An  den  übrigen  Organen  keine  Veränderung.    Urin  normal. 

Blut:  Trockenpräparat  (Eosin  Hämatoxylin):  Ausser 
geringen  Grössendifferenzen  der  r.  Bl.  nichts  Abnormes.  W.  BL 
nicht  vermehrt,  weniger  zahlreich  als  am  17.  Dezember. 

Frisches  Präparat: 

Weisse  Blutkörperchen  nicht  vermehrt,  normal;  rothe  Bl. 
im  Allgemeinen  normal,  doch  nicht  selten  kleinere,  Vi — Va  ^^ 
gross  wie  die  übrigen,  von  meist  runden  Contouren,  einige  un- 
regelmässig, ganz  selten  kappenförmig.  Ausserdem  zahlreiche 
Blutplättchen.  Zwischen  diesen  normalen  Blutelementen  zeigen 
sich,  allerdings  nur  mühsam  bei  starker  Yergrösserung  sichtbar 
und  deshalb  vielleicht  bei  den  früheren  Blutuntersuchungen  nicht 
bemerkt,  einzelne  kleinste,  intensiv  glänzende  Partikel  von  leb- 
hafter Bewegung.  Die  Bewegung  ist  eigenthümlich  zitternd,  oscil- 
lirend,  ihre  Geschwindigkeit  ungefähr  so,  dass  sie  bei  Ocular  I 
und  Objectiv  VlI  in  fünf  Minuten  das  halbe  Gesichtsfeld  durch- 
eilen. £ine  stärkere  Strömung  ist  im  Präparat  nicht  vorhan- 
den, alle  übrigen  Gebilde  liegen  völlig  ruhig.  (Auch  bei  Unter- 
suchung im  hängenden  Tropfen  blieb  die  Bewegung  unverändert.) 
Die  Bewegung  ist  in  der  Kichtung  ganz  wechselnd.  Bald  um- 
kreisen sie  langsam  ein  rothes  Blutkörperchen,  sich  von  ihm 
ab  und  zu  entfernend,  dann  wieder  so  dicht  herantretend,  dass 
das  Blutkörperchen  selbst  in  Bewegung  geräth;  bald  gehen  sie 
geradlinig,  ohne  sich  an  die  festen  Elemente  zu  kehren,  bald 
gehen  sie  in  Zickzacklinie  zwischen  ihnen  her,  stets  aber  be- 


112  Th.  Axenfeld. 

hält  die  Bewegung  den  eigenthümlich  seitlich  vibrirenden  Cha- 
rakter. An  einer  anderen  Stelle  erscheint  ein  biscuitartiges 
Gebilde,  etwa  wie  zwei  Hefepilze  oder  ein  grosser  Diplokokkus 
aussehend;  dasselbe  scheint  aus  zwei  aneinanderliegenden  Klümp- 
chen  zu  bestehen,  seine  Bewegung  erfolgt  in  der  Richtung  der 
Längsaxe,  nur  ab  und  zu  etwas  schräg,  mitunter  rückwärts. 
^/4  Stunde  nach  der  Entnahme  des  Bluttropfens  werden  seine 
Bewegungen  lebhafter,  die  Contouren  erscheinen  nicht  mehr  so 
glatt,  die  Anordnung  der  beiden  Theile  nicht  mehr  ganz  gerad- 
linig, sondern  kommaartig.  Plötzlich,  ziemlich  weit  entfernt 
von  einem  rothen  Blutkörperchen,  sistirt  seine  scheinbar  actiye 
Bewegung,  dann  fährt  es,  wie  passiv  angezogen,  schnell  und 
auf  dem  kürzesten  Wege  mit  der  breiten  Seite  auf  das  rothe 
Blutkörperchen  zu,  bleibt  ca.  10  Secunden  ruhig  dicht  an  dem- 
selben liegen,  dann  beginnen,  aber  erheblich  heftiger,  lebhafter 
die  Eigenbewegungen  von  neuem,  während  die  rothen  Blutkör- 
perchen bereits  beginnenden  Zerfall  zeigen.  Leider  wurde  das 
Gebilde  aus  dem  Gesichtsfeld  verloren. 

An  einer  anderen  Stelle  findet  sich  ein  ebensolches;  die 
beiden  Theile  bilden  zusammen  eine  leicht  gebogene  Linie; 
die  Biegung  wechselt  oft  dem  Grade  nach,  bei  Vorwärtsbewe- 
gungen, die  schneller  aber  sonst  ebenso  wie  die  oben  beschrie- 
benen erfolgen,  tritt  häufig  eine  stark  winklige  Knickung  an 
der  Verbindungsstelle  ein,  die  Bewegung  erhält  dadurch  etwas 
schlangenartiges.  Noch  mehrere  ähnliche  Gebilde,  theils  ein- 
fach, theils  doppelt,  in  der  Grösse  ein  wenig  verschieden,  fan- 
den sich,  unter  ihnen  ein  grösseres  und  ein  kleineres,  anschei- 
nend ganz  getrennt  und  um  den  Durchmesser  eines  rothen 
Blutkörperchens  von  einander  entfernt,  die  trotz  deutlicher 
oscillirender  Eigenbewegungen  stets  dieselbe  Richtung  und  un- 
gefähr auch  die  Entfernung  beibehielten;  sie  schienen  offenbar 
wie  durch  ein  Gummiband  verbunden,  doch  gelang  es  nicht, 
von  dem  vermutheten  Bindeglied  etwas  Deutliches  zu  sehen. 

Die  noch  eine  halbe  Stunde  lang  fortgesetzte  Beobachtung 
Hess  noch  mehrere  gleichartige  Gebilde  entdecken,  unter  ihnen 
vier  ypsilonförmig  aneinander  liegende;  feinere  Details  waren 
auch  bei  der  stärksten  Vergrösserung  an  den  winzigen  Theil- 
chen  nicht  zu  erkennen.  Mit  dem  völligen  Zerfall  der  rothen 
Blutkörperchen  wurden  sie  ganz  undeutlich.  Im  Ganzen  habe 
ich  damals  ihrer  13  gesehen.  Bei  einer  am  4.  Februar  1891 
in  Gegenwart  von  Herrn  Professor  Marchand  angestellten 
nochmaligen  Untersuchung  fanden  sich  die  beschriebenen  Par- 


Zar  Lymphombildang  in  der  Orbita.  113 

tikelchen  ansserordentlich  massenhaft;  am  Abend  desselben  Tar 
ges,  als  Patient  im  hiesigen  ärztlichen  Verein  vorgestellt  wurde, 
konnte  nach  langem  Snchen  nur  ein  einziges  aufgefunden  und 
demonstrirt  werden.  Im  Trockenpräparat  haben  die  Gebilde 
sich  nicht  deutlich  darstellen  lassen.  Bei  Erwärmung  auf  50^ 
stellen  sie  ihre  Bewegung  nicht  ein,  werden  im  Gegentheil 
lebhafter.  Treibt  man  die  Erwärmung  noch  höher,  so  sind 
sie  von  den  Zeffallsprodukten  der  rothen  Blutkörper- 
chen nicht  zu  unterscheiden. 

Auf  der  Kückreise  nach  Hause  bekam  Fat.  eine  „acute 
Nierenentzündung^^  die  ihn  längere  Zeit  ans  Bett  fesselte  und 
mit  dem  Arsen  nicht  zusammenhängen  kann,  da  er  seit  drei 
Wochen  keines  mehr  genommen  hatte.  Er  stellte  sich  erst  am 
8.  Juni  wieder  vor  wegen  colossaler  Vergrösserung  aller  Ge- 
schwülste. 

Neue  waren  nicht  hinzugetreten,  speciell  die  Milz  unver- 
ändert." Die  rechte  Augenspalte  ist  ganz,  die  linke  beinahe 
geschlossen.  Mächtige  Verdickung  der  Lider.  In  der  beson- 
ders über  dem  harten  Gaumen  enorm  verdickten,  ganz  trocke- 
nen Mundschleimhaut  einige  eingetrocknete  Ulcerationen.  Blut: 
unverändert,  enthält  in  massiger  Menge  die  oben  beschriebenen 
Gebilde.  Urin:  hochgestellt  etwas  trübe,  sauer,  spec.  Gewicht 
1018;  massige  Mengen  Albumen;  mit  Tromm  er 'scher  Probe 
Andeutung  einer  Keduction,  kein  Aceton.  Sediment:  Einzelne 
kurze  hyaline,  zum  Theil  mit  Fetttröpfchen  besetzte  Cylinder; 
beträchtliche  Zahl  von  einkernigen  kleinen  Kundzellen  (wohl 
diffuses  Lymphom  der  Niere).  Patient  nahm  jetzt  die  Arsen- 
medication'  wieder  auf. 

10.  Aug.  Deutlicher,  wenngleich  nicht  sehr  bedeutender 
Rückgang  der  Tumoren. 

Seitdem  ist  der  Zustand  mit  geringen  Aenderungen  un- 
verändert geblieben;  ein  wesentlicher  Fortschritt  der  Krankheit 
ist  noch  nicht  eingetreten.  Am  5.  Septbr.  Herpes  zoster  im 
vierten  linken  Intercostalraum  ohne  nachweisbare  Ursache.  Das 
Blut  zeigt  nach  wie  vor  keine  Leukocytose,  dagegen  in  wech- 
selnder Menge  die  kleinen  Gebilde. 

Histologische  Untersuchung. 

Die  in  Müller'scher  Flüssigkeit  eingelegten  Tumoren  wur- 
den nach  Härtung  mit  Alkohol  in  Celloidin  eingebettet. 

Die   nach   Ziehl-Nelsen   angestellte    Untersuchung   auf 

T.  Qnefe'8  Archiv  fDr  Ophthalmologie.  XXXVn.  4.  8 


114  Th.  Axenfeld. 

Tuberkelbacillen,  wie  solche  Waetzold^)  gefunden  hat,  ebenso 
die  auf  andere  Mikroorganismen  vermittelst  der  Gramm'schen 
und  der  Lö ff  1er 'sehen  Methode,  welche  an  zahlreichen  Schnit- 
ten aus  verschiedenen  Theilen  der  Tumoren  vorgenommen 
wurde,  fiel  negativ  aus. 

Die  in  ungefärbtem  und  gefärbtem  Zustande  untersuchten 
Schnitte  ergaben  allenthalben  kleine,  dichtgedrängte  Rundzellen 
mit  grossem,  intensiv  sich  färbenden  Kern  und  deutlichen  Eem- 
körperchen.  Grössere  mehrkemige  und  Riesenzellen  (Lang- 
hans'), Ribbert^)  fanden  sich  gar  nicht,  ebensowenig  die  oft 
beim  malignen  Lymphom  im  Gegensatz  zur  Leukämie  beschrie- 
benen spindelförmigen  Zellen.  Nirgends  Verfettung,  Yerkäsung 
oder  amyloide  Degeneration,  dagegen  in  und  neben  den  Tu- 
moren zahlreiche  frische  und  alte  Hämorrhagien,  kömiges  Blut- 
pigment, auch  einzelne  Hämatoidinkrystalle.  Das  Pigment  liegt 
zum  Theil  in  den  Zellen,  besonders  den  im  Bereich  der  Neu- 
bildung gelegenen  Drüsenzellen. 

Das  Stroma  der  Tumoren  ist  sehr  wechselnd  an  Mächtig- 
keit und  Form.  Ein  Theil  von  ihnen  besteht  eigentlich  nur 
aus  Zellen,  ist  sehr  gefilssarm,  die  Gefässe  sehr  dünnwandig. 
In  anderen  Tumoren  und  auch  an  verschiedenen  Stellen  ein 
und  derselben  Geschwulst  sind  wieder  stärkere  Faserzüge,  meist 
strangartig  mit  normalwandigen  Geissen,  an  anderen  Stellen 
besteht  ein  fast  alveoläres  Stroma,  wieder  an  anderen  ist  die 
Zeichnung  des  Fettgewebes  noch  deutlich^).  Eigentlich  reticu- 
läres  Bindegewebe  ist  nur  äusserst  spärlich  vorhanden,  es 
scheint  sich  vielmehr  um  eine  atypische  Zelleninfiltration  der 
verschiedenen  Gewebe  zu  handeln.  Es  sind  daher  auch  alle 
Schichten  der  Conjunctiva  und  des  Orbitalgewebes  Sitz  der 
Neubildungen,  nur  das  eigentliche  Epithel  zeigt  abgesehen  von 
der  excidirten  Uebergangsfalte  ganz  normales  Verhalten.  Die 
Mehrzahl  der  excidirten  Stücke  liegen  in  der  Submucosa,  zwei 
kleinere  Geschwülste  und  die  grösste  dicht  an  der  Thränen- 
drüse.  Das  Gewebe  der  letzteren  zeigt  sich  bei  den  beiden 
kleineren  Tumoren  in  der  Weise  afficirt,  dass  in  dem  einen 
Fall  ein  ganzes  Läppchen,  sonst  normal,  von  allen  Seiten  durch 
dichtgedrängte  Zellen  eingeschlossen  ist,  in  dem  anderen  da- 


')  Novemberheft  des  Gentralblattes  für  klinische  Medicin  1890. 
«)  Virchow's  Archiv  54,  S.  509.    1872. 
•)  Virchow's  Archiv  102,  S.  452.    1885. 
*)  8.  u.  den  Fall  von  0x1  ey. 


Zur  Lymphombildang  in  der  Orbita.  115 

gegen  das  interacinöse  Gewebe  selbst  dicht  infiltrirt  erscheint^;. 
Die  Acini  sind  hier  theils  zusammengedrückt,  erscheinen  klei- 
ner, theils  auseinander  gezogen,  schlanchförmig,  die  Drüsen- 
zellen abgeflacht.  Auch  hier  sind  die  letzteren  vielfach  mit 
kömigem  Pigment  dicht  besetzt,  zeigen  aber  sonst  keine  we- 
sentliche Veränderung,  wenn  man  nicht  in  dem  geschilderten 
Verhalten  den  Beginn  einer  Compressionsatrophie  sehen  will. 
Der  grosse  Tumor  zeigt  sich  nirgends  mit  der  Thränendrüse 
verbunden;  er  unterscheidet  sich  von  den  übrigen  Neubildungen 
dadurch,  dass  er  eine  Anzahl  rundlicher,  sehr  dichter,  ziem- 
lich concentrischer  Zellanhäufungen  erkennen  lässt,  die  durch 
ihre  Aehnlichkeit  mit  Follikeln  dem  Ganzen  mehr  das  Aus- 
sehen eines  Lymphadenoms  verleihen. 

Die  Begrenzung  der  Tumoren  ist  durch  kapselartige  An- 
ordnung des  umgebenden  Gewebes  meist  glatt,  rundlich,  an 
einigen  Stellen  dagegen  nicht  scharf. 

Die  excidirte  Uebergangsfalte  (vgl.  Fig.  III,  mit  Abb^- 
schem  Zeichenapparat  angefertigt)  zeigt  bezüglich  der  eigent- 
lichen Geschwulstmasse  nichts  Besonderes.  Doch  geht  letztere 
ohne  scharfe  Grenze  und  nur  durch  die  Zellart  differenzirbar  in 
das  Epithel  über.  Dasselbe  zeigt  keine  wesentliche  Vermehrung 
seiner  Schichten  und  nur  wenige  Eerntheilungsfiguren,  ist  aber, 
wie  dasjenige  einer  katarrhalischen  Schleimhaut  reichlich  mit 
Wanderzellen  durchsetzt,  die  den  Geschwulstzellen  gleichen, 
aber  nach  der  Oberfläche  hin  meist  mehrkemig  werden.  Ausser- 
dem erscheinen  die  Epithelzellen,  abgesehen  von  etwas  unregel- 
mässiger Form  wohl  infolge  von  Compression  durch  die  Ge- 
schwulst, in  grösserer  Zahl  eigenthümlich  gequollen,  um  das 
zwei-  bis  dreifache  vergrös'sert,  rundlich  oder  oval,  in  unge- 
färbtem Zustand  stark  lichtbrechend.  In  einem  Theil  dieser 
kugligen  Gebilde  erscheint  der  Kern,  noch  deutlich  tingirbar, 
zu  einem  schmalen  Saum  an  die  Wand  gedrängt,  andere  zeigen 
keinen  Kern  mehr,  in  wieder  anderen  liegen  ein  oder  auch 
mehrere  Rundzellen.  Die  beschriebenen  Zellen  liegen  nicht 
nur,  wie  gewöhnliche  Becherzelleu  an  der  Oberfläche,  sondern 
sogar  am  zahlreichsten  in  der  Basalschicht,  ihr  Inhalt  färbt 
sich  intensiv,  besonders  mit  Hämatoxylin  und  Methylenblau. 
Es  handelt  sich  demnach  um  ein  diffuses  Lymphom   des 


')  Vergl.  Berlin,  Lymphosarcom :  Zchender*8  Monatsbl.  XVI, 
Gallasch  (s.  o.) 

s* 


116  Th.  Axenfeld. 

adenoiden  Gewebes  der  Mucosa  mit  colloider  oder 
hyaliner  Degeneration  des  Epithels  (Recklinghausen, 
Deutsche  Chir.  2.  u.  3.  Lief.).  Letztere  erklärt  auch  das  eigen- 
artig glasige  Aussehen. 

Es  sei  noch  erwähnt,  dass  in  dem  die  eigentlichen  Ge- 
schwülste umgebenden  freien  Gewebe,  besonders  der  Submucosa, 
sich  neben  ganz  unregelmässigen  Zellanhäufungen  vielfach  be- 
ginnende strangartige,  reihenweise  Ansammlung  von  Lymph- 
zellen fanden,  wohl  entlang  den  Lymphspalten  ziehend.  Sie 
stellen  vermnthlich  den  Beginn  der  eigenthümlichen  strangarti- 
gen Verdickungen  (vergl.  Krankengeschichte)  dar.  Ausserdem 
aber  fanden  sich  in  verschiedenster  Abstufung  beginnende  Zellan- 
häufungen auch  im  Anschluss  an  Blutgefässe.  Letztere  zeigten 
an  solchen  Stellen  ein  normal  weites  bluthaltiges  Lumen,  in 
dessem  Innern  die  weissen  kernhaltigen  Elemente  vermehrt 
waren  und  dessen  Wandung  und  nächste  Umgebung  mit  sol- 
chen, und  zwar  überall  einkernigen  Zellen  dicht  besetzt  war 
(vergl.  Figur  III).  Eine  Verbreitung  etwa  entlang  den  Ge- 
lassen, lymphscheidenartig  (wie  sie  z.B.  Birch-Hirschfeld^) 
in  Milz  und  Leber  beschreibt,  so  dass  eigenthfimlich  verzweigte 
Figuren  entstehen)  ist  nicht  nachzuweisen.  Die  Zellen  sitzen 
vielmehr  ganz  circumscript  an  verschiedenen  Stellen. 

Der  beschriebene  Fall  reiht  sich  anatomisch  den  oben 
referirten  Beobachtungen  an,  er  ist  nur,  wie  es  scheint,  der 
erste  publicirte  Beweis  dafür,  dass  auch  die  Pseudoleukä- 
mie  zu  derartigen  Augenveränderungen  führen  kann.  Wenig- 
stens ist  es  mir  nicht  gelungen,  unter  den  bereits  nach 
vielen  Hunderten  zählenden  Verö£fentlichungen  über  das  ma- 
ligne Lymphom  eine  analoge  Mittheilung  zu  finden.  Auch  in 
den  darüber  handelnden  Monographieen  geschieht  einer  Be- 
theiligung des  Orbitalinhaltes  nirgends  Erwähnung.  Doch 
findet  sich  bei  Knies')  die  Angabe,  dass  die  Retina  in 
einigen  Fällen  ähnliche  Veränderungen  wie  bei  Leukämie 
geboten.  Ich  habe  nichts  Näheres  darüber  ermittebi  kön- 
nen;  Apoplexien  und  Retinitis  würden    übrigens   bei   der 


')  Eulenburg*8  Encyclopädie  1876,  Abtheilong  „Lymphom*'. 
')  Eulenburg *8  Encyclopädie  1886,  Abth.  „Pseudoleukämie*'. 


Zur  Lymphombildung  Iq  der  Orbita.  117 

schliesslich  eintretenden  Anämie  und  der  häufigen  Bethei- 
ligung der  Nieren  nichts  Ungewöhnliches  sein. 

Dem  Herrn  Collegen  von  Büngener,  Privatdocenten 
der  Chirurgie  in  Marburg,  verdanke  ich  die  Kenntniss  dreier 
Fälle,  bei  deren  zwei  es  sich  zweifellos  um  Pseudoleukämie 
handelte,  und  die,  allerdings  in  anderer  Weise,  die  Orbita 
betheiligten.     Ich  lasse  ein  kurzes  Referat  folgen. 

Oxley,  M.  G.  B.  „Gase  of  lymphadenoma  in  a  boy  aged 
six  years,  affecting  the  kidneys,  liver,  längs  and  brain."  Brit. 
med.  Joum.  March  4.  187. 

Sechsjäbriger  Knabe.  Ausser  den  Allgemeinsymptomen 
rechtsseitiger  Exophthalmus,  welcher  1^/,  Jahr  nach  Be- 
ginn der  Krankheit  entstand,  nachdem  schon  vorher  Abnahme  des 
Visus  und  Mydriasis  beobachtet  war.  Nach  vorübergehender 
Besserung  trat  bald  Amaurose  und  Chemosis  der  Conjunctiva 
bulbi  ein,  so  dass  letztere  zwischen  den  Lidern  hervorragte. 
Sechs  Tage  nach  Eintritt  der  Amaurose  exitus  letalis.  Die 
Augenerscheinungen  verliefen  sehr  rapide.  Die  Autopsie  ergab 
ausser  einer  ausgedehnten  subperiostalen  Blutung  über  dem 
rechten  Frontalbein  am  ganzen  Gehirn  und  der  Basis  cere- 
bri  in  der  Arachnoidea  miliare  und  grössere  Lymph- 
tnmoren.  Vom  am  rechten  Felsenbein  und  der  Orbita  war 
der  Knochen  erweicht,  Hess  sich  mit  dem  Messer  schneiden. 
Unter  dem  so  perforirten  Dach  fand  sich  itn  der  Au- 
genhöhle eine  weiche  weisse  Masse,  die  das  Auge 
vorwärts  drückte  und  mit  den  intracraniellen  Ge- 
schwülsten in  Verbindung  stand.  Der  Nervus  opticus  ging 
mitten  durch  die  Geschwulst.  Mikroskopischer  Befund:  „runde 
Zellen,  grosse  runde  sich  stark  färbende  Kerne,  die  ganze  Zelle 
füllend.''  (Eine  beigegebene  Abbildung  von  einem  Schnitt  durch 
den  retrobulbären  Tumor  lässt  deutlich  die  Zeichnung  des  orbi- 
talen Fettgewebes  erkennen.) 

Powell,  K.  D.  „Lymphosarcoma  or  lymphadenoma  of  the 
anterior  mediastinum.''     Transact  of  the  pathol.  Soc.  XXI. 

20  Jahre  alter  Graveur.  Ausgedehnte  lymphatische  Neu- 
bildung im  vorderen  Mediastinum  mit  Betheiligung  der  Hals- 
drüsen, der  Lunge  und  Pleura.  In  der  letzten  Zeit  ante  exi- 
tum  ausser  den  übrigen  Erscheinungen  Hervortreten  beider 
Augäpfel  bei  weitgeöffneten  Lidern.  Autopsie:  Grosser  fast 
das  ganze  vordere  Mittelfell  einnehmender  Tumor  von  derber, 


118  Th.  Axenfeld. 

granweiBser  Beschaffenheit.  Halsdrfisen  heiderseits  vergrössert 
und  in  der  linken  Lunge  and  Pleura  secundäre  Knötchen. 
(Die  Section  des  Cranium  und  der  Orbitae  wurde  nicht  gemacht) 
Mikroskopischer  Befund:  zahlreiche  lymphatische  Elemente  in 
deutlich  reticulärem  Stroma  mit  1  oder  2  Kernen.  (Die  Natur 
dieses  Falles  ist  nicht  ganz  sicher;  es  kann  sich  auch  um  einen 
malignen  Mediastinaltumor  gehandelt  haben.) 

Tomasi-Crudeli,  Corrado.  Sopra  un  caso  di  linfoma 
periostale  diffuse,  senza  leucaemia.  Mit  zwei  Tafeln.  Estratto 
del  Giornale  la  Kivista  clinica,  aprile. 

(Jahresbücher  von  Virchow-Hirsch  1871,  I,  S.  178.) 

„Ein  19jähriger  durch  Onanie  heruntergekommener  Bursche 
bot  die  Erscheinungen  von  Hydro -Olligaemie  mit  intra-  und 
pericraniellem  Oedem  ohne  Vermehrung  der  weissen  Blutkör- 
perchen. Eine  leichte  Yergrösserung  der  Milz  Hess  sich  auf 
eine  vor  einigen  Monaten  durchgemachte  Intermittens  zurück- 
führen. 

Die  Obduction  ergab  Abmagerung,  sehr  blasse  Haut,  Oedem 
der  Gesichts-  und  Kopfhaut,  Penis  klein,  Praeputium  verlän- 
gert. Die  ganze  Oberfläche  des  Craniums  ist  in  ein  gleich- 
massig  grauweisses,  weiches  Gewebe  verwandelt,  welches  alle 
Schichten  unter  dem  Panniculus  adiposus,  also  auch  die  Mus- 
keln bis  auf  die  Knochen  einnimmt.  Die  Dicke  dieser  Schicht 
ist  verschieden.  Die  äussere  compacte  Schicht  der  Schädel- 
knochen fehlt,  die  Markräume  der  DipIo6  sind  erweitert  und 
von  röthlichen  Fortsätzen  der  periostalen  Wucherung  ausge- 
füllt. Aehnlich  verhält  sich  die  Innenfläche  des  Schädels,  in- 
dem von  der  Dura  mater  flache,  grauröthliche  Vegetationen 
in  die  Diploe  eindringen.  Der  Schwund  des  Knochens  ist  am 
schönsten  am  unteren  Theil  der  Frontoparietalnaht,  wo  die 
Vegetationen  der  Dura  mater  und  des  Pericraniums  ein  Con- 
tinuum  bilden.  Ebensolche  Vegetationen  finden  sich  auf  der 
äusseren  Seite  der  Dura  mater  der  Basis  cranii,  setzen  sich 
durch  die  Fissura  orbitalis  superior  in  die  Augen- 
höhlen fort,  welche  dadurch  erheblich  verengert  sind.'' 

Aehnliche  Veränderungen  fanden  sich  an  fast  sämmüichen 
anderen  Knochen  und  Gelenken  neben  ausgedehnter  Lymph- 
drüsenhyperplasie.  Die  mikroskopische  Untersuchung  bestätigte 
die  Diagnose  des  malignen  Lymphoms. 

In  allen  drei  Fällen  handelt  es  sich  um  ein  Hinein- 
wuchern  von  Geschwulstmassen  in  die  Augenhöhle  aus  dem 


Zur  Lymphombildang  in  der  Orbita.  119 

Cavurn  cranii;  es  bleibt  demnach»  soweit  mir  bekannt,  unser 
Fall,  bei  dem  in  allen  Theilen  der  Orbita  selbst  und  in 
den  Lidern,  wie  es  scheint,  im  Beginn  der  Krankheit  sich 
massenhafte  Tumoren  pseudoleukämischer  Art  bildeten,  bis 
jetzt  einzigartig,  wenn  man  wenigstens  die  Auffassung  theilt, 
dass  die  Leukämie  und  das  maligne  Lymphom  scharf  zu 
unterscheidende  Krankheiten  sind,  was  bekanntlich  vielfach 
bestritten  wird  ^).  Vielleicht  ist  es  angebracht,  darauf  hin- 
zuweisen, dass  abgesehen  von  den  sonst  angegebenen  klini- 
schen und  anatomischen  Differenzen  auch  therapeutisch  sich 
beide  Affectionen  unterscheiden.  Ich  habe  in  der  einschlä- 
gigen Literatur,  soweit  sie  mir  zur  Verfügung  stand,  nir- 
gends eine  Angabe  gefunden,  dass  Arsenik  auf  Leukämie 
einen  wesentlichen  Einfluss  ausgeübt  hätte,  obwohl  seine 
Anwendung  in  den  Lehrbüchern  wenigstens  versuchsweise 
empfohlen  wird.  Freilich  ist  das  Ausbleiben  einer  deut- 
lichen Arsenikwirkung,  wie  dies  ja  auch  bei  Pseudoleukä- 
mie  oft  geschieht,  nicht  di£ferentiell  diagnostisch  zu  ver- 
werthen. 

Es  ist  allerdings  sehr  auffallend,  dass  der  Bruder  un- 
seres Patienten  seiner  Zeit  an  wirklicher  Leukämie  zu 
Grunde  ging.  Doch  wage  ich  weder  hieraus,  noch,  wie  dies 
sonst  geschehen,  aus  der  scrophulösen  Anlage  des  Patienten 
einen  Schluss  zu  ziehen.  Die  Ansichten  über  die  Ursache 
der  Pseudoleukämie  sind  ja  noch  sehr  getheilt,  und  es 
scheint  bei  Durchmusterung  der  Literatur,  spec.  grösserer 
statistischer  Tabellen*)  allerdings,  als  ob  sie  noch  völlig 
dunkel  sei.   Dies  wird  auch  von  zahlreichen  Autoren  direct 


^)  Vgl.  Knies  und  Birch-Hirschfeld  in  Eulenburg,  letzterer 
auch  in  Gerhardts  Kinderkrankheiten,  Art.  Pseudoleuk&mie  1883, 
Mosler  im  Ziemssen'schen  Handbuch  1883,  Virchow,  GeschwOlBte 
II,  S.  508,  StrQmpell,  Lehrbuch  1887,  Billroth,  Allg.  Chirurgie 
1887  u.  a. 

*)  z.B.  Gowers,  Artikel  „Hodgkin*8 Disease  in  Reynold*8  Syst. 
of  Med.  y,  S.  306. 


120  Th.  Axenfeld. 

behauptet.  Speciell  von  der  Scrophulose  sagt  Billroth  ^) 
mit  seiner  grossen  Erfahrung,  dass  sie  nicht  disponire. 
Bemerkenswerth  scheint  dagegen  die  bestimmte  Angabe  des 
Patienten,  dass  der  grosse  Tumor  in  der  linken  Leisten- 
beuge sich  an  ein  Trauma  angeschlossen  hat.  Es  ist  eine 
solche  Entwickelung  nicht  ganz  ohne  Analogen.  Von  Wilks, 
Morax,  Mosler,  Ponfick*)  sind  Fälle  beschrieben,  in 
denen  nach  einer  sehr  heftigen  Contusion  der  Milzgegend 
sich  in  kürzester  Zeit  grosse  Milzkuchen  bildeten,  zu  denen 
sich  bald  die  übrigen  Symptome  lienaler  Leukämie  gesell- 
ten, Mursick^)  giebt  sogar  an,  dass  nach  Läsion  grosser 
Knochen,  z.  B.  einer  Amputation  medulläre  Leukämie  auf- 
trat. Analog  könnte  ja  auch  Contusion  einer  Lymphdrüse 
wirken,  insbesondere  wenn,  wie  viele  anzunehmen  geneigt 
sind,  es  sich  bei  der  Pseudoleukämie  und  Leukämie  um 
Infectionskrankheiten  handelt.  Ist  es  doch  allbekannt,  dass 
durch  ein  Trauma  eines  Gelenkes  ein  Locus  minoris  resis- 
tentiae  für  Tuberkulose  gesetzt  wird. 

Gewiss  kommen  dem  malignen  Lymphom  mehr  oder 
weniger  alle  Eigenschaften  bösartiger  Geschwülste  zu.  Und 
doch  passt  vieles  nicht  zu  einer  Geschwulst  im  gewöhn- 
lichen Sinne  des  Wortes.  Ohne  die  für  die  Infectiosität 
der  Ps.  angeführten  Ansichten  zu  referiren,  möchte  ich  nur 
darauf  hinweisen,  dass  auch  Bilder,  wie  die  im  subconjunc- 
tivalen  Gewebe  gesehenen  in  derselben  eine  geeignete  Er- 
klärung fänden.  Es  unterscheidet  sich  der  Vorgang  (vgl. 
Figur  III)  histologisch  durch  nichts  von  einer  chronischen, 
nicht  zur  Eiterung  führenden  Entzündung.  Im  Innern,  der 
Wandung  und  nächsten  Umgebung  eines  Gefässes  Anhäu- 
fung einkerniger  Rundzellen,  ohne  dass  sonst  eine  Vermeh- 
rung derselben  im  Blute  nachweisbar  ist,  das  imponirt  nicht 
als  Geschwulstmetastase,  sondern  eher  als  die  Folge  einer 

')  Lehrbach  1886. 

')  nach  Knies,  Pseadoleukämie  im  Eolenburg. 

*)  New- York  Med.  Rec.  2,  1868,  March. 


Zur  Lymphombildttog  in  der  Orbita.  121 

^Gefassalteration'^  Dass  es  sich  nicht  etwa  um  eine  reac- 
üve  Entzündong  in  der  Umgebung  des  Tumors,  durch  des- 
sen Wachsthum  hervorgerufen,  handelt,  geht  aus  dem  regel- 
losen Sitz  der  beschriebenen  Stellen  und  dem  ganz  norma- 
len Verhalten  des  sonstigen  benachbarten  Gewebes  hervor. 
Vielmehr  dürften  sie  als  Anfangsstadium  neuer  Tumoren 
erscheinen  und  sind  geeignet,  die  vielfach  behauptete  Aus- 
wanderung pseudoleukämischer  Geschwulstzellen  zu  illus- 
triren,  wie  sie  z.  B.  auch  von  Birch-Hirschfeld^)  für 
sogen.  Lymphommetastasen  beschrieben  wird.  Ein  zwin- 
gender Beweis  für  die  schon  oft  vermuthete  Infectiosität 
der  Ps.  ist  bisher  allerdings  nicht  erbracht. 

Auch  in  unserm  Fall  haben  sich  Mikroorganismen  we- 
der durch  die  Färbemethoden  noch  durch  den  Agar-Cultur- 
versuch  nachweisen  lassen,  welch  letzterer  mit  einem  steril 
entnommenen  Geschwulsttheil  vorgenommen  wurde  und 
aerob  wie  anaerob  völlig  negativ  ausfiel  Es  liegt  auch 
keine  Berechtigung  vor,  den  Befund  im  frischen  Blut  so 
2u  deuten.  Freilich  erinnern  die  Partikelchen  sehr  an  die 
von  Klebs')  bei  Scorbut  und  fieberhaften  Anaemien  be- 
schriebenen Flagellaten,  auf  welche  auch  Osterwald^) 
bereits  verweist.  Aehnliches  ist  von  Frankenhäuser^) 
bei  essentieller  Anaemie,  von  Marchand ^)  während  eines 
Intermittensanfalles  beobachtet.  Doch  macht  letzterer  Au- 
tor bereits  auf  die  Aehnlichkeit  mit  Zerfallsprodukten  auf- 
merksam. Obwohl  die  von  uns  gesehenen  Gebilde  nicht, 
wie  die  Klebs' sehen,  bei  45^  ihre  Bewegung  einstellten, 
stimmen  sie  dem  Ausseben,  der  Art  und  der  Schnelligkeit 
ihrer  Bewegung  mit  jenen  genau  überein  und  der  Umstand, 
dass   mit   Hülfe   unserer  jetzigen    Untersuchungsmethoden 


')  Artikel  Lymphom  Im  Eulenburg. 

*)  Artikel  ,,Flagellaten''  im  Eulenburg. 

•)  1.  c. 

^)  Centralblatt  der  medic.  Wissensch.    Wien  1884. 

*)  Virchow's  Archiv  Bd.  88,  S.  104. 


122  Th.  Axenfeld. 

sich  nichts  von  ihnen  nachweisen  liess,  könnte  nicht  yöllig. 
beweisen,  da  die  biologischen  Bedingungen  der  Flagellaten 
auch  dem  Botaniker  und  Zoologen  noch  vielfach  unbekannt 
sind;  selbst  ihre  systematische  Stellung  ist  noch  nicht  sicher 
bestimmt.  Trotzdem  ist  die  Auffassung  der  fraglichen  Ge- 
bilde als  Infectionserreger  unstatthaft.  Es  gelingt,  in  je- 
dem normalen  frischen  Blutpräparat  durch  Erhitzen  auf 
circa  60^  Zerfallsprodukte  zu  scha£fen,  die  sich  von  den 
beschriebenen  durch  nichts  dem  Ansehen  nach  unter- 
scheiden, und  deren  lebhafte  Bewegung  man  ohne  Wei- 
teres nie  für  rein  passiv,  durch  Molekularströmung,  Wärme 
u.  s.  w.  bedingt  halten  würde.  Bedenkt  man  femer,  dass 
bei  ganz  verschiedenen  Krankheiten  diese  Gebilde  beobach- 
tet wurden  (ich  selbst  habe  sie  bald  darauf  bei  einer 
lienalen  Leukämie  gesehen),  ohne  dass  wir  bis  jetzt  Unter- 
schiede bestimmter  Art  feststellen  können,  so  erscheint  ihre 
specifische  Natur  vorläufig  unerwiesen.  Aber  auch  ange- 
nommen, es  handle  sich  um  Zerfallsprodukte,  so  würde  ihr 
Nachweis  intra  vitam  und  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
immerhin  von  Interesse  sein.  Es  sei  noch  erwähnt,  dass 
die  beobachteten  Gebilde  mit  den  eigentlichen  Plasmodien, 
der  Malaria  keine  Aehnlichkeit  haben. 

Die  eigenartige  sclerotische  Veränderung  der  Mund-, 
Rachen-,  Nasenhöhlenschleimhaut  ist  wohl  auch  als  eine 
difiuse  Lymphombildung,  freilich  submucoeser  Art  aufzu- 
fassen. Diese  diffuse  Lymphombildung  wird  von  Olli  vier 
und  Ran  vier  ^)  für  Niere  und  Leber  genauer  beschrieben, 
von  Guaita')  für  die  Mucosa  de»  Conjunctiva.  Hier  hat 
sie  mit  einer  flächenhaft  sulzigen  Trachomeinlagerung  ent- 
schiedene Aehnlichkeit.  Immerhin  bleibt  das  difiFuse  Lym- 
phom der  Schleimhäute  sehr  selten,  und  ist  nicht  zu  ver- 
wechseln mit  der  Beobachtung,  dass  in  solchen,  z.  B.  den 

>)  Observations  poor  servir  ä  rhistoire  de  la  leucocythaemie. 
Soc.  de  biol.  1886. 
«)  1.  c. 


Zur  Lymphombildnog  in  der  Orbita.  123 

Hamwegen^)  der  Magenschleimhaut  etc.  zahlreiche  miliare 
Knötchen  sich  bilden,  die  confioiren  können. 

Die  von  Mosler')  als  Pharyngitis  leucaemica  beschrie- 
bene Mundafifection  hat  mit  dem  diffusen  Lymphom  gar 
keine  Aehnlichkeit,  sondern  gleicht  mehr  dem  Scorbut 

Von  Frankreich  aus  sollen,  wie  Knies  mittheilt,  einige 
Fälle  You  Ps.  mitgetheilt  sein,  in  denen  die  Exstirpation 
der  zuerst  erkrankten  Drüsen  dauernde  Heilung  brachte. 
Etwas  Näheres  habe  ich  über  diese  Fälle  nicht  erfahren 
können,  und  ich  weiss  daher  nicht,  ob  sie  etwas  Anderes 
darstellen,  als  die  schon  öfters  gemachte  Beobachtung,  dass 
nach  Exstirpation  sogen,  solitärer  maligner  Lymphome  kein 
Recidiv  eintrat.  Es  handelte  sich  hier  wahrscheinlich  um 
wirkliches  Sarcom  der  Lymphdrüse.  Darüber  aber  schei- 
nen die  meisten  Autoren  einig  zu  sein,  dass  bei  ausgespro- 
chener constitutioneller  Anomalie,  d.  h.  multiplem  Auftreten 
der  Tumoren  speciell  an  ganz  verschiedenen  Stellen  eine 
Operation  nur  symptomatischen  Nutzen  schaffen  kann.  So 
war  es  auch  in  unserem  Falle,  wenn  wir  die  orbitalen  Ge- 
schwülste als  die  ersten  ansehen.  Jedenfalls  wird  der  Au- 
genarzt nur  ganz  selten  in  diese  Lage  kommen,  da  im  All- 
gemeinen Orbitallymphome  sich  erst  bilden  werden,  nach* 
dem  die  weit  mehr  disponirten  anderen  Körpertheile  er- 
griffen sind,  wie  dies  auch  mit  Ausnahme  des  Becker- 
Arnold' sehen  Falles  von  doppelseitigem  Lymphadenom  in 
allen  anderen  einschlägigen  Beobachtungen  geschehen  ist 
Das  ist  vielleicht  auch  ein  Grund,  den  letzteren,  bei  dem 
nach  der  Exstirpation  dauernde  Heilung  blieb  (zehn  Jahre 
lang  beobachtet),  trotz  des  symmetrischen  Auftretens  für 
einen  allerdings  sehr  ungewöhnlichen  Fall  von  primärer 
symmetrischer  Geschwulstbildung^  ohne  Allgemeinerkran- 
kung zu  halten,  nicht,  wie  die  Autoren  es  thun,  fUr  eine 
constitutionelle  Anomalie.     Ist  doch  das  doppelseitige  und 

')  Roth,  yirchow*8  Archiv  54,  Heft  1  und  2. 
•;  1.  c. 


124       Th.  Axenfeld,  Zur  Lymphombiidiing  in  der  Orbita. 

multiple  Auftreten  von  Orbitalgeschwülsten  anderer  Art 
sicher  nachgewiesen,  die  nicht  auf  Allgemeinerkrankung  be- 
ruhen^), obwohl  Gay  et  derartige  Fälle  nicht  hat  finden 
können.  Ist  demnach  bei  alleinigem  Sitz  multipler  Tumo- 
ren in  der  Orbita  die  Operation  noch  gerechtfertigt»  so  ist 
sie  abgesehen  von  symptomatischer  Indication  bei  einer  Be- 
theiligimg  anderer  Körperregionen  contraindicirty  zumal  bei 
Leukämie,  wo  bekanntlich  gefahrliche  Blutungen  erfolgen 
können.  Jedenfalls  wird  ein  symmetrischer  Orbitaltumor, 
wie  schon  öfters  hervorgehoben  worden  ist,  die  Untersu- 
chung des  übrigen  Körpers  und  besonders  des  Blutes  drin- 
gend indiciren,  damit  der  Patient  nicht  nutzlosen  opera- 
tiven Eingri£fen  ausgesetzt  wird,  sondern  möglichst  bald 
in  den  geeigneten  Fällen  Arsen  erhält,  wiewohl  auch  von 
diesem  eine  dauernde  Heilung  nicht  zu  erwarten  ist. 


*)  Alexander,  Doppelseitiges  plexiformes  Sarcom  der  Thr&nen- 
drQse.   Elin.  Monatsbl.  für  Augenheilk.  1874,  S.  164. 

Schmidt-Rimpler,  Lehrbach  1890.  Doppelseitiges  Sarcom. 

Maklakoff,  Doppelseitiges  Aneurysma.  Annalen  der  chirorg. 
Gesellsch.  in  Moskau  1875. 


Beitrag  zur  Differentialdiagnose  der  tnbercnlösen 
nnd  gliomatösen  Erkrankungen  des  Anges. 

Von 

Dr.  J.  Jung  in  Heidelberg. 

Hierzu  Taf.  IV,  Fig.  1—8. 


Mit  dem  klinischen  Verlaufe  und  der  Diagnose  des 
Gliomes  der  Retina  hat  sich  die  Ophthahnologie  schon  seit 
langer  Zeit  in  eingehendster  Weise  beschäftigt.  Trotzdem 
giebt  es  auch  heute  noch  Fälle,  welche  wegen  der  Vieldeu- 
tigkeit ihrer  Symptome  der  Diagnose  die  grössten  Schwierig- 
keiten entgegensetzen  oder  dieselbe  sogar  bis  zur  anatomischen 
Untersuchung  unmöglich  machen.  Zu  den  Erkrankungen, 
welche  wie  das  Gliom  das  Bild  des  amaurotischen  Katzen- 
auges machen  und  mit  ihm  verwechselt  werden  können, 
gehören  die  eitrige  Glaskörperinfiltration  und  die  eitrige 
Iridochorioiditis,  sei  sie  metastatischen  Ursprunges  oder  die 
Folge  einer  Cerebrospinalmeningitis  oder  eines  übersehenen 
Traumas,  und  die  einfache  Cyclitis  mit  nachfolgender  Schrum- 
pfung des  Glaskörpers  und  fibröser  Entartung  der  abge- 
lösten Netzhaut.  Besonders  erwähnenswerth  ist  aber  wegen 
der  Yerhältnissmässigen  Häufigkeit  ihres  Vorkommens  die 
chronische  Tuberculose  der  Ghorioidea.  Ich  möchte  mir 
nun  erlauben,  im  Folgenden  je  einen  hierher  gehörigen 
Fall  Yon  chronischer  Tuberculose  der  Ghorioidea  und  von 
Gliom  der  Retina  näher  mitzutheilen.     Beide  Fälle  sind 


126  J.  Jung. 

Beispiele  dafür,  wie  durch  gewisse  CompUcationen  die  kli- 
nische Diagnose  geradezu  unmöglich  gemacht  werden  kann, 
und  bilden  gleichsam  ein  Gegenstück  zu  einander.  Bei  dem 
Falle  von  Tuberculose  veranlasste  eine  bei  der  Enucleation 
gefundene  Verdickung  des  Opticus,  im  Gegensatz  zu  der 
ursprünglichen,  richtigen  Auffassung,  ein  Gliom  zu  vermu- 
then;  in  dem  Falle  von  Gliom  wurde  dagegen  wegen  eines 
hypopjonähnlichen  Absatzes  in  der  vorderen  Kammer  eher 
an  eine  tuberculose  Affection  gedacht. 

Diese  Fälle  sind  früher  in  Göttingen  von  Herrn  Prof. 
Leber  beobachtet  und  kürzlich  von  mir  anatomisch  unter- 
sucht worden.  Meinem  hochverehrten  Lehrer  erlaube  ich 
mir  an  dieser  Stelle  für  die  Ueberweisung  derselben  zur 
Bearbeitung  und  für  die  reiche  Unterstützung,  welche  er 
mir  dabei  zu  Theil  werden  liess,  ebenso  auch  Herrn  Privat- 
docenten  Dr.  Wagenmann,  welcher  mir  mit  seiner  Hülfe 
öfters  zur  Seite  stand,  meinen  besten  Dank  auszusprechen. 

L  Fall. 

ChromBohe  Taberoulose  der  Aderhant  mit  Uebergang 
auf  den  Sehnerven. 

Emma  Schulze,  3  Jahre  alt,  aas  Heckenbeck  bei  Ganders- 
heim. 

Status  praesens:  2.  Decbr.  1885.  Vor  drei  Monaten 
rechts  Augenentzündung  mit  starker  Injection,  mehrere  Wochen 
lang.  Auge  etwas  weich,  starke  Ausdehnung  der  vorderen  Ci- 
liarvenen,  Pupille  anregelmässig  durch  hintere  Synechien,  zarte 
partielle  Papillarmembran,  gelblicher  Reflex  aas  dem  Glaskör- 
perraam,  ziemlich  nahe  hinter  der  Linse  gelegen,  flach,  ohne 
Buckel  und  ohne  sichtbare  Netzhautgefässe.  Iris  atrophisch, 
von  hinten  her  an  verschiedenen  Stellen  zu  durchleuchten. 

16.  Dec.  1885.  Rechts  trotz  Atropin  Papille  enger;  von 
dem  Reflex  aus  der  Tiefe  wenig  za  sehen.  Injection  besteht 
fort    Keine  besondere  Druckempfindlichkeit  Auge  etwas  weich. 

Diagnose:  Ausgänge  von  Iridochorioiditis,  vermuthlich 
tubercalöser  Natar,  vielleicht  aach  intraocalarer  Tumor. 


Beitrag  zur  Differentialdiagnose  etc.  127 

18.  December  1885.  Enucleatio  balbi.  Beim  Darch- 
flchneiden  des  Sehnerven  stösst  man  auf  einen  Widerstand,  der 
von  einer  Verdickung  desselben  herrtthrt.  Nach  Herausnahme 
des  Auges  zeigt  sich  der  Querschnitt  des  Sehnerven  stark  ver- 
dickt und  grau,  so  dass  sich  der  Verdacht  auf  intraocularen 
Tumor  zu  bestätigen  scheint.  Deshalb  wird  vom  Opticus  noch 
ein  möglichst  grosses  Stttck  resecirt,  dessen  centrales  Ende  aber 
noch  immer  verändert  erscheint.  Die  Orbita  wird  jetzt  zum 
grössten  Theile  ausgeräumt,  ohne  darin  sonst  etwas  Krank- 
haftes zu  finden.  Zuletzt  wird  noch  ein  kleines  Stückchen  Op* 
ticns  nahe  dem  Foramen  opticum  herausgeholt,  das  zwar  nicht 
verdickt  ist,  aber  auch  keine  normale  Färbung  zu  besitzen 
scheint. 

Irrigation  mit  Sublimat  1 :  5000  und  Drainage,  Conjuncti- 
valnaht. 

5.  Mai  1886.  Die  Wundheilung  zieht  sich  ziemlich  lange 
hin  bei  im  Ganzen  nur  massiger  Schwellung  des  Orbital- 
gewebes und  bald  ziemlich  geringer  Absonderung.  Sie  ist 
nach  etwa  5  bis  6  Wochen  beendet,  ohne  dass  das  gefOrch- 
tete  Localrecidiv  eingetreten  ist  Während  des  ganzen  Ver- 
laufes der  Wundheilung  und  auch  nach  Abschluss  desselben 
besteht  Fieber  ohne  alle  sonstigen  Erscheinungen,  insbesondere 
auch  ohne  cerebrale  Symptome.  Auch  sonst  sind  lange  Zeit 
keine  objectiven  Veränderungen  nachzuweisen,  auch  kein  Husten. 
Das  Fieber  hat  stark  remittirenden  Typus;  während  des  gross« 
ten  Theiles  des  Tages  befindet  sich  das  Kind  wohl,  spielt  und 
nimmt  gentigend  Nahrung  zu  sich.  Vorübergehend  tritt  für 
kurze  Zeit  vollständiger  Nachlass,  auch  einige  Male  ein  bedeu- 
tendes Absinken  des  Fiebers  ein,  was  aber  immer  wiederkehrt, 
in  der  letzten  Zeit  mit  sehr  hohen  Abendtemperaturen.  Erst 
vor  Kurzem  ergab  die  physikalischo  Untersuchung  vorbreiteten 
Katarrh  über  beiden  Lungen,  vom  rechts  oben  höheren  und 
etwas  tympanitischen  Schall,  vermuthlich  Caverne.  Auch  jetzt 
nicht  mehr  als  ab  und  zu  ein  leichtes  Hüsteln.  Orbitalwunde 
längst  geheilt,  Lider  tief  eingesunken,  auch  jetzt  noch,  über 
4Vs  Monate  nach  der  Operation,  keine  Spur  von  Recidiv. 

Die  Beobachtung  konnte  jetzt  leider  nicht  weiter  fortge- 
setzt werden,  da  das  Kind  auf  Wunsch  der  Eltern  nach  Hause 
entlassen  werden  musste.  Eine  spätere  Erkundigung  wegen  des 
weiteren  Geschickes  der  kleinen  Patientin  ergab,  dass  dieselbe 
am  4.  Juli  1886  gestorben  ist;  sie  habe  „auch  die  letzten  Tage 
sehr  starke,  an  vier  Stunden  anhaltende  Fieberanfälle  gehabtes 


128  J.  Jung- 

Makroskopischer  Böfund  (Fig.  1).  Nach  der  Härtung 
wird  der  Balbus  durch  einen  Horizontalschnitt  in  eine  grössere 
untere  und  kleinere  obere  Hälfte  so  getheilt,  dass  der  Schnitt 
noch  den  Nervus  opticus  trifft. 

Die  Grössenverhältnisse  des  kindlichen  Bulbus  sind  nor- 
mal: sagittaler  Durchschnitt  19  mm,  transversaler  20  mm. 

Makroskopisch  lassen  sich  an  der  Cornea,  der  Linse  und 
dem  temporalen  Theil  der  Sclera  keine  Veränderungen  erken- 
nen.  Nasal  ist  die  Sclera  verdickt. 

Die  Iris,  auf  deren  Yorderfläche  eine  dünne  Exsudatschicht 
liegt,  und  das  Corpus  ciliare  am  Uebergang  zur  Chorioidea 
sind  verdickt.  Die  vordere  Kammer  ist  von  normaler  Tiefe 
und  exsudatfrei,  dagegJBn  füllt  die  hintere  Kammer  ein  grau- 
liches Exsudat  aus. 

Die  Chorioidea  der  nasalen  Seite  ist  überall  stark,  zum 
Theil  geschwulstartig,  verdickt.  Ihre  vordere  Hälfte  besitzt 
eine  Dicke  von  ca.  1  mm,  hat  eine  graue  Farbe,  in  welche 
einzelne  kleine,  weisse  Knötchen  eingelagert  sind,  und  ist  von 
der  Sclera  leicht  abgehoben.  Der  so  entstandene  Zwischen- 
raum wird  von  der  aufgelockerten  Suprachorioidea  eingenom- 
men. An  der  Aussenfläche  ist  dieser  mehr  gleichmässig  ver- 
dickte Abschnitt  durch  die  eingelagerten  Knötchen  wellig.  Die 
hintere  Hälfte  der  Chorioidea  ist  ganz  in  einen  der  Sclera 
flach  aufisitzenden,  rundlichen  Geschwulstknoten  aufgegangen, 
welcher  sich  bis  über  die  Axe  des  Bulbus  hinüber  nach  dem 
Glaskörperraum  zu  entwickelt  hat  In  Folge  dessen  ist  es  zu 
einer  totalen  Netzhautablösung  gekommen;  die  Netzhaut  liegt, 
in  zahlreiche  Windungen  gefaltet  und  stark  verdickt  (0,5  mm) 
in  dem  vorderen  Abschnitt  des  Glaskörperraumes  und  ist  mit 
dem  Tumor,  soweit  sie  ihm  aufliegt,  verwachsen.  Der  Tumor 
ist  ganz  über  den  Sehnerveneintritt  hinübergewachsen,  nimmt 
die  Papille  ein  und  ist  gegen  den  die  Sclera  durchsetzenden 
Theil  des  Opticus  nicht  deutlich  abgegrenzt.  Hierdurch  ist 
auch  die  Abgangsstelle  der  Retina  ganz  in  die  Geschwulstmasse 
aufgegangen  und  der  hintere  Abschnitt  dieser  Membran  an  der 
Oberfläche  des  Tumors  überhaupt  nicht  sicher  zu  erkennen. 
Erst  in  der  Gegend  des  Aequators  des  Auges  kommen  am  vor- 
deren Theil  des  Tumors  die  beiden  Blätter  der  abgelösten  Re- 
tina zum  Vorschein.  Sie  verlaufen  zunächst  mehrfach  gefaltet, 
dicht  an  einander  liegend,  nach  vorn  gegen  die  Hinterfläche 
der  Linse,  worauf  das  eine  Blatt,  wie  erwähnt,  die  vordere 
Fläche  des  Geschwulstknotens  überzieht  und  sich  zur  Ora  ser- 


Beitrag  zur  Bifferentialdiagnose  etc.  129 

rata  hinbegiebt.  Das  Verhalten  des  von  der  temporalen  Seite 
abgelösten  Blattes  ist  nicht  ganz  sicher  zu  beurtheileu,  doch 
macht  es  den  Eindruck,  als  ob  es  nach  einer  Reihe  von  Win- 
dungen sich  verlöre  und  nicht  zu  seinem  richtigen  Ansatz  an 
der  Ora  serrata  hingelangte.  Der  nach  der  Axe  des  Bulbns 
gerichtete,  hintere  Theil  'des  Geschwulstknotens  ist  von  einer 
ganz  dünnen  gelblichen  Schicht  bedeckt,  die  vom  in  eine  käsig 
aussehende  Partie  des  Tumors  tibergeht  und  nicht  aus  der 
l^etzhaut  hervorgegangen  zu  sein  scheint. 

Der  Tumor  hat  einen  sagittalen  Durchmesser  von  8  mm, 
einen  grössten  transversalen  von  10  mm.  Seine  Schnittfläche 
ist  völlig  glatt  und  zeigt  im  gehärteten  Zustand  eine  grünliche 
Farbe,  in  welche  sich  grössere  und  kleinere  gelblich  gefärbte 
Partieen  eingesetzt  finden. 

An  der  temporalen  Seite  ist  die  Chorioidea  ebenfalls  stark, 
aber  gleichmässig  verdickt  und  in  ihrer  ganzen  Circnmferenz 
von  der  Sclera  abgehoben.  Wie  auf  der  anderen  Seite,  sieht 
man  in  dem  so  entstandenen  Zwischenraum  die  Fasern  der 
aufgelockerten  Membrana  suprachorioidea.  In  die  grau  gefärbte 
Chorioidea  sind  einzelne  weisse  Knötchen  und  hellere  Partieen 
eingesetzt. 

Der  Pigmentsaum  der  Chorioidea  ist  an  der  nasalen  Seite 
nur  im  Bereich. der  vorderen  Hälfte,  an  der  temporalen  Seite 
überall  vorhanden.  Jedoch  ist  er  beiderseits  verbreitert  und 
aufgelockert  und  in  der  Gegend  der  Ora  serrata  unterbrochen. 
An  der  Stelle  der  Unterbrechung  hängt  die  verdickte  Chorioidea 
mit  einer  zwischen  der  Linse  und  der  abgelösten  Retina  be- 
findlichen Masse  zusammen,  welche  dasselbe  Aussehen  wie  der 
Tumor  hat. 

Im  subretinalen  Räume  liegt  eine  grauweisse  Exsudatmasse, 
welche  durch  die  Härtung  geronnen  ist  und  von  einzelnen  hel- 
leren Membranen  durchzogen  wird. 

Der  die  Sclera  durchsetzende  Theil  des  Opticus  ist  ver- 
dickt und,  wie  erwähnt,  nicht  von  dem  Tumor  abzugrenzen. 

Mikroskopischer  Befund  des  Bulbus. 

Einbettung  in  Celloidin,  Färbung  der  mit  dem  Mikrotom 
hergestellten  Schnitte  in  Hämatoxylin-Eosin. 

Die  Cornea,  deren  Structur  sonst  normal  ist,  zeigt  stellen- 
weise einen  grösseren  Eemreichthum.  An  einer  Stelle  findet 
sich  eine  umschriebene  zellige  Infiltration  in  den  tiefsten  Hom- 
hautschichten.    Die  Kerne  sind  theils  länglich  oder  bisquitför- 

T.  Gnefe's  AitMr  für  Ophthalmologie.  XXXYII.  4.  9 


130  J-  Jnng. 

mig,  theiis  rundlich;  die  letzteren  sind  zugleich  dunkler  gefärbt 
als  die  ersteren;  die  Form  der  Zellen  ist  nicht  deutlich  er- 
kennbar. An  dieser  Stelle  ist  die  Zahl  der  Kerne  des  Endo- 
thels der  Descemetischen  Membran  etwas  grösser  als  normal. 

An  der  Corneoscleralgrenze  der  nasalen  Seite  des  Bul- 
bus, also  der  dem  Tumor  entsprechenden  Seite,  fand  sich  in 
verschiedenen  Präparaten  dicht  unter  dem  Comealepithel  ein 
kleines  circumscriptes  Knötchen  (Figg.  2  und  3),  welches  die 
untersten  Epithellagen  zum  Schwund  gebracht  hat  Dasselbe 
besteht  hauptsächlich  aus  kleinen  Zellen  mit  rundlichen  Kernen, 
welche  anscheinend  Leukocyten  angehören,  und  enthält  im  Cen- 
trum eine  Riesenzelle,  um  welche  sich  epithelioide  Zellen  grup- 
piren.  Also  ist  dieses  Knötchen  als  ein  kleiner  miliarer  Tu- 
berkel anzusehen. 

Die  ziemlich  stark  zellig  infiltrirte  Iris  ist  durch  eine 
Schicht  von  zellenreichem,  Gefässe  uiid  Pigment  führendem 
Bindegewebe,  das  die  ganze  hintere  Kammer  einnimmt,  mit  der 
vorderen  Linsenkapsel  verklebt;  dasselbe  Gewebe  bedeckt  auch 
in  dtlnner  Schicht  die  ganze  vordere  Linsenkapsel  im  Bereich 
der  Pupille.  An  der  Pars  ciliaris  der  Iris  auf  der  tem- 
poralen Bulbusseite  findet  sich  ein  kleines,  nach  der  vor- 
deren Kammer  vorspringendes,  circumscriptes  Knötchen.  Wäh- 
rend sich  dasselbe  an  der  Peripherie  aus  Rundzellen  zusam- 
mensetzt, besteht  es  im  Gentrum  aus  epithelioiden  Zellen  und 
ist  offenbar  ein  in  der  Entwickelung  begriffener,  miliarer  Tu- 
berkel. Ein  zweites,  gleichartiges  Knötchen  findet  sich  mehr 
nach  der  Mitte  und  nach  der  hinteren  Fläche  der  Iris  zu  ge- 
lagert. Dasselbe  ist  zum  Theil  schon  in  käsiger  Degeneration 
begriffen,  denn  stellenweise  ist  die  Kemfärbung  mangelhaft 

Der  Pigmentbelag  der  Iris  ist  stark  gewuchert  und  auf- 
gelockert. Die  Pigmentzellen  durchsetzen  in  reichlicher  Menge 
und  in  unregelmässigen  Formen  das  die  Hinterfläche  der  Iris 
deckende  Bindegewebe,  zum  Theil  auch  das  angrenzende  Ge- 
webe der  Iris  selbst.  Von  einem  Theil  des  Pigmentes  lässt 
sich  nicht  nachweisen,  ob  es  an  Zellen  gebunden  ist.  Auf  der 
Yorderfläche  der  Iris  und  der  Pupillarmembran  liegt  ein  aus 
feinen  Fibrinfäden  gebildetes  Exsudat,  in  dessen  Maschenwerk 
vereinzelte  Leukocyten,  daneben  Endothelien  und  rothe  Blut- 
körperchen liegen. 

Die  Peripherie  der  Iris  ist  auf  der  temporalen  Seite  des 
Bulbus  retrahirt,  die  vordere  Kammer  übrigens  von  normaler 
Tiefe;  die  hintere  Kammer  ist  von  einem  sehr  zellenreichen, 


Beitrag  zur  Bifferentialdiagnos'e  etc.  131 

schwartigen,  pigmenthaltigen  Gewehe,  das  schon  ohen  erwähnt 
ist,  ausgefüllt.  Um  den  Linsenäquator  und  zwischen  einzelnen 
Ciliarfortsätzen  findet  sich  ein  weniger  zellenreiches,  aus  Fi- 
hrinl&den  gebildetes  Exsudat. 

Die  Linse  ist  an  ihrem  vorderen  Pol  unverändert.  Am 
hinteren  Pol  ist  die  Linsenkapsel  stark  gefaltet  und  sind  die 
Linsenfasern  auseinandergezerrt.  Die  entstandenen  Zwischen- 
räume sind  von  £i weiss  und  Myelinkugeln  erfüllt,  daneben 
finden  sich  zahlreiche  Kerne  gewucherter  Linsenfasern,  das 
Linsenepithel  setzt  sich  in  unregelmässiger  Weise  weit  auf  die 
Hinterfläche  der  Linse  fort. 

Das  Corpus  ciliare,  dessen  intermuskuläre  Bindegewebs- 
Züge  verbreitert  sind,  ist  stark  zellig  infiltrirt  und  am  Ueber- 
gang  zur  Chorioidea  verdickt,  besonders  auf  der  Seite  des  Tu- 
mors. Auch  die  Processus  ciliares  zeigen  eine  reiche  Durch- 
setzung mit  Rundzellen.  Das  Gylinderepithel  der  Pars  ciliaris 
retinae  ist  zum  Theil  in  seiner  einschichtigen  Lage  erhalten, 
zum  Theil  unregelmässig  gewuchert,  so  dass  man  von  einer 
Lage  nicht  mehr  reden  kann. 

Im  Corpus  ciliare  der  temporalen  Seite  findet  sich  dicht 
hinter  dem  Ursprung  der  Processus  ciliares  und  unter  dem 
Pigmentbelag  ein  circumscriptes,  stark  nach  dem  Glaskörper- 
raum prominirendes  Knötchen.  Dasselbe  setzt  sich  aus  Kund- 
zellen und  epithelioiden  Elementen  zusammen  und  führt  in 
seinem  Centrum  einige  Riesenzellen.  Der  Pigmentbelag  ist  an 
dieser  Stelle  stark  aufgelockert,  hier  und  da  unterbrochen, 
auch  ist  hier  das  einschichtige  Gylinderepithel  bis  zum  voll« 
ständigen  Verschwinden  seiner  Structur  in  unregelmässiger 
Weise  gewuchert.  Ein  zweites,  zwei  Riesenzellen  enthaltendes 
Knötchen  findet  sich  etwas  weiter  nach  hinten.  Dasselbe  hat 
den  Pigmentbelag  und  das  einschichtige  Gylinderepithel  völlig 
durchbrochen  und  zerstört  Zu  diesem  Knötchen  lässt  sich  ein 
von  der  Chorioidea  herkommendes  Geföss  verfolgen. 

Auf  derselben  Seite  ist  ein  Theil  des  Processus  ciliaris 
ganz  in  der*  tuberkulösen  Wucherung  aufgegangen.  Stellen- 
weise ist  er  verkäst  und  führt  Riesenzellen.  Das  einschichtige 
Gylinderepithel  und  der  Pigmentbelag  sind  hier  zum  Theil  er- 
halten, zum  Theil  geschwunden.  An  solchen  Stellen  ist  der 
Pigmentbelag  noch  durch  eine  stärkere  Pigmentanhäufnng  an- 
gedeutet. 

Am  Corpus  ciliare  der  temporalen  Seite,  an  der  Stelle, 
wo  die  tuberkulöse  Wucherung  den  Pigmentbelag  durchbrochen 

9* 


132  .  J.  Jung. 

hat  und  in  den  Glaskörperraom  hineinreicht,  findet  sich  ein 
langgestrecktes,  kenlenförmiges,  concentrisch  geschichtetes  Ge- 
bilde in  das  Granulationsgewebe  eingeschlossen.  Dasselbe  hat 
sich  mit  Eosin  ziemlich  intensiv  geförbt  und  ist  an  der  einen 
Seite  eine  kurze  Strecke  mit  Pigment  bekleidet  Da  dasselbe 
sich  nur  in  einem  Präparat  fand,  war  seine  Bedeutung  und 
Genese  nicht  näher  zu  ermitteln. 

Die  Chorioidea  der  temporalen  Seite  ist  stark  und  ziem- 
lich gleichmässig  verdickt  und  von  dicht  gedrängten,  confluiren- 
den  Tuberkelknötchen  durchsetzt.  Nur  in  den  äusseren  Schich- 
ten finden  sich  noch  grössere  Gefässe,  in  den  inneren  Schich- 
ten ist  nichts  von  Gelassen  zu  sehen.  Die  Glasmembran  ist 
fast  vollständig  erhalten,  und  nur  in  der  Gegend  der  Ora  ser- 
rata  unterbrochen.  Hier  hängt  die  tuberkulöse  Wucherung  der 
Chorioidea  mit  einer  im  Glaskörperraum  befindlichen  tuberku- 
lösen Masse  zusammen,  und  sind  hier  die  Enden  der  durch- 
brochenen Glasmembran  nach  dem  Glaskörperraum  zu  leicht 
umgeschlagen.  In  den  äusseren  Schichten  ist  die  veränderte 
Chorioidea  sehr  zellenreich,  in  den  inneren  sehr  zellenann. 
Wo  die  Zellen  am  dichtesten  liegen,  sind  es  durchgehends 
Bundzellen,  wo  die  Zellenanhäufung  etwas  weniger  dicht  ist, 
finden  sich  neben  den  Rundzellen  auch  mehr  spindelförmige 
und  epithelioide  Zellen.  Die  innerste,  an  die  Glaslamelle  gren- 
zende Schicht  der  Chorioidea  zeigt  eine  eigenthOmliche,  gegen 
die  Oberfläche  der  Membran  senkrecht  gerichtete  Streifung; 
ihre  Dicke  ist  etwas  ungleich,  indem  sie  in  die  Zwischenräume 
der  sonst  dicht  aneinander  liegenden  Tuberkelknötchen  von 
innen  her  etwas  eindringt.  Auch  die  spärlichen,  in  dieser 
Schicht  eingelagerten  Zellen  zeigen  eine  entsprechende  Verlän- 
gerung in  radiärer  Richtung.  Die  Tuberkelknötchen  enthalten 
in  der  ganzen  Chorioidea  vielfach  verkäste  Stellen  und  zahl- 
reiche Riesenzellen.  Die  Riesenzellen,  welche  stets  sehr  viele, 
meist  wandständige  Kerne  enthalten,  fuhren  öfters  Pigment, 
offenbar  Stromapigment  Die  Zusammensetzung  des  verdickten 
Gewebes  der  Chorioidea  aus  aneinander  gereihten,  von  ange- 
häuften Rnndzellen  umgebenen  Knötchen,  tritt  besonders  bei 
schwacher  YergröBserung  deutlich  hervor. 

Die  Chorioidea  der  nasalen  Seite  bietet  dieselben  Ver- 
hältnisse, wie  die  der  temporalen,  nur  finden  sich  in  den  äus- 
seren Schichten  viel  weniger  Gefässe  und  scheinen  die  ver- 
kästen Stellen  etwas  zahlreicher  zu  sein.  Die  Glaslamelle  ist 
ebenso,  wie  auf  der  anderen  Seite,  an  der  Ora  serrata  unter- 


Beitrag  zur  Differentialdiagnose  etc.  133 

brechen  und  es  gebt  hier  die  tuberkulös  yerftnderte  Chorioidea 
in  die  Wachemng  im  Glaskörperranm  über.  Dann  ist  die  Glas- 
membran  nur  eine  Strecke  weit  nach  hinten  vorhanden  and 
leicht  gefältelt.  In  den  hintersten  Abschnitten  fehlt  sie  voll- 
ständig.  Hier  geht  die  Chorioidea  in  dem  schon  oben  beschrie- 
benen, nach  dem  Glaskörperraum  sich  vorwölbenden,  grossen 
Tuberkelknoten  auf.  Derselbe  besteht  aus  einem  sehr  zellen- 
reichen Gewebe  mit  vielen  verkästen  Stellen.  Die  verkästen 
Stellen  enthalten  meistens  Riesenzellen,  welche  überhaupt  sehr 
zahlreich  sind,  und  befinden  sich  in  verschiedenen  Stadien  der 
Yerkäsnng;  bald  findet  man  noch  Reste  degenerirter  Kerne  als 
kleine  blaue  Körnchen,  bald  fehlen  dieselben,  öfters  liegen  viele 
Zellen,  welche  sich  nur  schlecht  gefärbt  haben  und  offenbar 
im  Zustand  beginnender  Nekrose  sind,  in  einer  grösseren  Gruppe 
zusammen.  Die  Zellen  des  grossen  Tuberkelknotens  sind  Rund- 
zellen, epithelioide  und  spindelförmige  Zellen  und  Riesenzellen. 
Wo  die  Zellenanhäufang  sehr  dicht  ist,  finden  sich  fast  nur 
Rundzellen,  wo  sie  lockerer  ist,  fast  nur  spindelförmige  Zellen. 
Letztere  lassen  öfters  eine  Anordnung  in  Zügen  erkennen. 

Wie  oben  bemerkt,  hat  sich  der  Tumor  auf  den  Nervus 
opticus  fortgesetzt  und  hat  auch  den  Subvaginalraum  mit  tuber- 
kulösem Gewebe  ausgefüllt;  denn  auch  hier  findet  man  Riesen- 
zellen und  verkäste  Stellen.  Die  Bindegewebszüge  der  Lamina 
•cribrosa  sind  verdickt  und  die  Nervenfasern  völlig  zu  Grunde 
gegangen. 

Die  Züge  der  Membrana  suprachorioidea  sind  beiderseits 
stark  aufgelockert,  temporal  mehr  als  nasal. 

Die  im  vorderen  Glaskörperraum  liegende  Masse,  welche 
schon  makroskopisch  dem  Tumor  ähnlich  erschien  und  an  der 
Ora  serrata  beiderseits  mit  der  veränderten  Chorioidea  zusam- 
menhängt, erweist  sich  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung 
auch  als  tuberkulös;  denn  es  finden  sich  Riesenzellen,  aber 
fast  nirgends  Yerkäsung.  Um  die  Linse  herum  ist  diese  Masse 
zellenärmer,  ist  fibrillär  und  enthält  einzelne  Rund-  und  epi- 
thelioide Zellen. 

Die  abgelöste  Retina,  welche  nicht  mehr  mit  der  Papille  zu- 
sammenhängt, zeigt  ein  höchst  eigenthflmliches  und  ungewöhn- 
liches Verhalten.  Sie  ist  völlig  nekrotisch,  lässt  von  ihrer 
Struktur  fast  nichts  mehr  erkennen  und  ist  in  eine  mit  Eosin 
röthlich  gefiLrbte,  blass  feinkörnige  Masse  verwandelt  Dass  es 
wirklich  die  veränderte  Retina  ist,  ergiebt  sich  jedoch  schon 
aus  dem  makroskopischen  Befunde,  dem  Auftreten  einer  viel- 


134  J.  Jnng. 

fach  gefalteten  Membran  von  entsprechender  Dicke  and  den 
topographischen  Verhältnissen  einer  abgelösten  Netzhaut;  auch 
erkennt  man  bei  genauerem  Zusehen  an  manchen  Stellen  noch 
Andeutung  der  histologischen  Elemente  und  der  Schichtung  der 
Retina,  aber  ohne  Hämatoxylinförbung.  Hier  und  da  finden 
sich  zwar  Stellen  der  Betina  von  zerstreut  liegenden,  mit  Hä- 
matoxylin  gefärbten  Kernen  durchsetzt,  diese  sind  aber  ganz 
deutlich  als  von  aussen  her  eingedrungenen  zelligen  Elementen 
angehörig  zu  erkennen.  An  verschiedenen  Stellen  finden  sich 
eigenthOmliche,  rundliche  Gebilde  mit  dunklerem  Centrum  und 
hellerer  Peripherie  von  concentrischer  Schichtung.  Diese  Ge- 
bilde sind  degenerirte  Gefässe.  Das  dunklere  Centrum  ist  ver- 
änderter Gefässinhalt  und  das  hellere  die  Gefässwandung;  denn 
bei  weniger  weit  fortgeschrittener  Degeneration  konnte  man 
im  Centrum  noch  Blutkörperchen  erkennen. 

Das  Pigmentopithel  ist  allenthalben  als  solches  zu  Grunde 
gegangen.  An  seiner  Stelle  findet  sich  eine  Schicht  feiner, 
anscheinend  bindegewebiger  Fibrillen  von  vorwiegend  der  Ober- 
fläche der  Chorioidea  parallelem  Verlauf  die  weiter  nach  dem 
subretinalen  Baume  in  ein  lockeres  Netzwerk  gleicher  Fasern 
übergeht.  In  diese  Schicht  sind  feine  Pigmentmolekttle  und 
rundliche  oder  unregelmässig  gestaltete  pigmenthaltige  Zellen 
eingelagert  Gleiche  Pigmentzellen  oder  Klümpchen  erstrecken 
sich  auch  in  die  angrenzende  verdickte  Chorioidea  mehr  oder 
minder  weit  hinein. 

Der  subretinale  Raum  ist  theilweise  von  dem  schon  er- 
wähnten Netz  feiner  Fibrillen  eingenommen,  welche  stellen- 
weise nach  Art  der  Bindegewebsfibrillen  zu  Zügen  oder  Bün- 
deln parallel  verlaufender  Fasern  angeordnet  sind.  In  den 
Maschen  sind  Leukocyten  in  massiger  Anzahl  eingelagert,  be- 
sonders an  der  inneren  Grenze  des  Netzwerkes. 

Die  Sclera  ist  zellenreicher  als  normal,  aber  noch  an  kei» 
ner  Stelle  ist  die  tuberkulöse  Wucherung  in  ihr  Gewebe  ein- 
gedrungen. 

Tuberkelbacillen  wurden,  zwar  nur  vereinzelt,  in  der  Cho- 
rioidea der  temporalen  Seite,  der  nasalen  Seite  und  im  Tumor 
nachgewiesen;  sie  lagen  in  Biesen-  und  in  Bundzellen.  Bemer- 
kenswerth  ist,  dass  an  einer  Stelle  der  nekrotischen  Betina 
sehr  viele  Bacillen  gefunden  wurden  und  dass  man  darin  unter 
anderem  eine  Gruppe  von  nicht  weniger  als  zehn  Bacillen 
antraf. 


Beitrag  zur  Differentialdiagnose  etc.  135 

Makroskopischer  Befund  dos  Opticus.  Das  unmit- 
telbar vom  Bulbus  stammende,  3  mm  lange  Stttck  des  Opticus 
hat  sammt  Scheide  einen  Querdurchmesser  von  5  mm;  davon 
entfallen  auf  den  eigentlichen  Opticusquerschnitt,  dessen  Dicke 
ziemlich  normal  ist,  SVs  mm,  so  dass  die  bei  der  Enuclea- 
tion  bemerkte  Verdickung  des  Opticus  hauptsächlich  auf  Rech- 
nung der  Scheide  zu  setzen  ist.  Diese  hat  an  einer  Seite 
^/g  mm,  an  der  entgegengesetzten  1  mm  Dicke.  Entsprechend 
dieser  Seite  findet  man  an  der  Peripherie  des  festgefügten  und 
grauen  Opticusquerschnittes  ein  kleines,  mehr  gelbliches  Knöt- 
chen, welches  sich  in  die  Scheide  vorbuchtet  An  Querschnit- 
ten, welche  etwas  centraler  gelegen  sind,  zeigen  sich  mehjere 
solcher,  wenn  auch  weniger  hervortretender  Knötchen  mitten 
in  der  Opticussubstanz.  Das  nachträglich  resecirte  Stück  des 
Opticus  bietet,  abgesehen  von  Knötchen  gleicher  Art,  dieselben 
makroskopischen  Verhältnisse. 

Mikroskopischer  Befund.  An  den  mit  Hämatoxylin- 
Eosin  gefärbten  Schnitten  des  dem  Bulbus  benachbarten  Stückes 
fällt  auf  den  ersten  Blick  der  bedeutende  Reichthum  an  Ker- 
nen, welche  bei  schwacher  Vergrösserung  in  eine  mit  Eosin 
gefärbte,  homogene  Grundsubstanz  eingesetzt  scheinen,  in  die 
Augen.  Die  Zahl  der  Kerne  nimmt  an  mehr  centralwärts  ge- 
legenen Schnitten  etwas,  ab.  Bei  stärkerer  Vergrösserung  wird 
zwischen  den  Bindegewebszügen,  in  den  Feldern,  welche  den 
Querschnitten  der  Nervenbündel  entsprechen,  ein  feines,  meist 
sehr  dichtes  Netzwerk  sichtbar;  nur  um  die  Centralgefässe  und 
die  unten  näher  zu  beschreibenden  Knötchen  ist  dasselbe  lockerer 
und  in  seiner  Structur  deutlicher  zu  erkennen.  Das  Netzwerk 
wird  durch  die  Protoplasmafortsätze  von  Zellen  gebildet,  wel- 
chen die  oben  erwähnten  Kerne  angehören;  doch  lässt  sich 
nicht  entscheiden,  ob  die  Fortsätze  direct  unter  einander  zu- 
sammenhängen oder  sich  nur  aneinander  legen.  In  den  Maschen 
dieses  Netzwerkes  liegen  öfters  feine  Kömchen,  welche  nach 
dem  Gehirn  zu  an  Zahl  zunehmen.  An  Präparaten,  die  nach 
Weigert's  Methode  gefärbt  sind,  erscheinen  sie  farblos  und 
sind  als  die  letzten  Reste  der  degenerirten  Nervenfasern  anzu- 
sehen. 

Die  bindegewebigen  Balken  des  Opticus  sind  an  Stellen, 
die  ans  grösserer  Nähe  vom  Bulbus  herrühren,  nur  schwer  zu 
erkennen,  dagegen  treten  sie  an  mehr  centralwärts  gelegenen 
Schnitten  deutlich  hervor.  Dies  ist  dadurch  bedingt,  dass  an 
den  peripheren  Schnitten  die  Balken  viel  weniger   und  sehr 


136  J.  Jung. 

enge  Gefässe  führen  und  daher  dichter  erscheinen,  nnd  dass 
das  Gefttge  des  Netzwerks  ein  sehr  inniges  ist  In  Folge  dessen 
ist  die  Differenz  in  der  Stmctur  und  Färbung  zwischen  Binde- 
gewebsbalken  und  degenerirter  Nervensnbstanz  nur  gering. 

In  das  Gewebe  des  atrophischen  Opticus  sind  an  verschie- 
denen Stellen  kleine  Knötchen  eingesetzt  Von  diesen  treten 
an  mehr  peripheren  Schnitten  besonders  drei  Knötchen  hervor 
(Fig.  4to),  welche  dicht  unter  der  Piaischeide  liegen  und  zu- 
gleich mit  einem  in  dieser  Scheide  selbst  sitzenden  Knötchen 
(Figur  4  t  p)  die  makroskopisch  sichtbare  Tuberkeleinlagerung 
darstellen.  Zwei  von  den  Knötchen  führen  Riesenzellen,  eines 
ist  durch  seinen  grossen  Zellenreichthum  ausgezeichnet.  Auch 
an  mehr  centralen  Schnitten  sind  solche  Knötchen,  öfters  fünf 
auf  einem  Querschnitt,  theils  mit,  theils  ohne  Riesenzellen,  zu 
sehen;  einige  liegen  unter  der  Scheide,  andere  mitten  in  der 
Substanz  des  Opticus.  Ausgesprochene  Yerkäsung  zeigte  keines 
dieser  Knötchen. 

In  allen  drei  Scheiden  des  Opticus,  welche  sich  durch 
einen  grossen  Kemreichthum  auszeichnen,  und  zwar  besonders 
der  Arachnoidealscheide,  findet  man  dieselben  Knötchen  (Fig.  4 
ts).  So  hat  sich  ein  grösseres,  schon  oben  erwähntes  Knötchen 
in  der  Piaischeide  localisirt  und  deren  Bindegewebszüge  aus- 
einander gedrängt  In  seinem  Gentnyn  zeigt  dieses  Knötchen 
beginnende  Yerkäsung;  dann  folgt  nach  aussen  eine  Zone  von 
grossen  Zellen  mit  langen,  spindelförmigen  Kernen,  welche  sich 
mit  Hämatoxylin  schwach  gefärbt  haben  und  radiär  aufgestellt 
sind.  Zwischen  diesen  Kernen  liegen  auch  solche  von  mehr 
runder  Form,  auch  findet  sich  hier  eine  Riesenzelle  mit  vielen 
Kernen.  Weiter  nach  aussen  liegen  Zellen  mit  mehr  runden 
und  spindelförmigen  Kernen  durcheinander.  An  einer  Seite 
der  Peripherie  herrschen  Zellen  vor,  welche  nach  dem  Aus- 
sehen und  der  Form  ihrer  Kerne  Rundzellen  gleichen. 

Die  Duralscheide  lässt  in  diesem  Bereich  auch  einige  Knöt- 
chen mit  Riesenzellen  erkennen  (Fig.  4  ts). 

In  die  Arachnoidealscheide  sind  ebenfalls  an  verschiede- 
nen Stellen  Knötchen  eingesetzt  und  haben  die  Fasern  dieser 
Scheide  auseinander  gedrängt  Zum  Theil  enthalten  diese  Knöt- 
chen Riesenzellcn. 

Die  einzelnen  Knötchen,  sowohl  diejenigen  im  Opticus, 
als  auch  die  in  den  Scheiden,  muss  man  für  in  verschiedenen 
Stadien  der  Entwickelung  begriffene  miliare  Tuberkel  halten. 
Dieses  geht  daraus  hervor,  dass  sich  in  zahlreichen  Knötchen 


Beitrag  zur  Differentialdiagnose  etc.  ^  137 

lüesenzellen,  in  einem  Yerkäsang  findet  and  dass  sich  die 
Knötchen  in  einem  Opticus  entwickelt  haben,  wo  die  Tuber- 
kulose der  Chorioidea  den  die  Sclera  durchsetzenden  Theil  des 
Opticus  vollständig  ergriffen  hat  In  den  frühesten  Stadien 
setzen  sich  die  Knötchen  aus  Zellen  zusammen,  welche  der 
Form  ihrer  Kerne  nach  am  meisten  Rundzellen  gleichen.  Da-, 
zwischen  finden  sich  einzelne  Zellen  mit  mehr  ovalen  oder 
spindelförmigen  Kernen.  In  den  älteren  Knötchen  haben  die 
Zellen  meist  einen  grossen  ovalen  oder  runden  Kern,  welcher 
sich  mit  Hämatoxylin  nicht  so  intensiv  geförbt  hat,  wie  in  jün- 
geren Knötchen;  öfters  finden  sich  auch  Riesenzellen  mit  zahl- 
reichen, theils  wandständigen,  theils  die  ganze  Zelle  ausfüllen- 
den Kernen  und  feinen  Protoplasmafortsätzen,  welche  sich  oft 
weit  in  das  umgebende  Gewebe  verfolgen  lassen.  Die  übrigen 
Zellen  der  Tuberkelknötchen  haben  auch  feine  Fortsätze,  welche 
ein  Netzwerk  bilden.  In  den  Maschen  desselben  liegen  zuweilen 
Zellen  mit  grossem  Kern  und  spärlichem  Protoplasma;  diese 
Kerne  gleichen  vollkommen  denjenigen  der  Zellen  mit  Fort- 
sätzen. Von  den  Fortsätzen  selbst  Hess  sich  nicht  sagen,  ob 
sie  direct  zusammenhängen  oder  sich  einfach  aneinander  legen. 
Dort,  wo  Yerkäsung  eingetreten  ist,  kann  man  noch  die  Zell- 
contouren  erkennen,  aber  nichts  von  Fortsätzen  und  einem 
Netzwerk.  An  der  Peripherie  der  verkästen  Zone  haben  sich 
manche  Kerne  mit  Hämatoxylin  entweder  nur  ganz  schwach 
oder  in  ihren  einzelnen  Theilen  verschieden  stark  gefärbt. 

In  dem  nachträglich  resecirten  Stück  des  Opticus  findet 
sich  auch  eine  weit  fortgeschrittene  Atrophie,  doch  lassen  sich 
an  nach  Weigert's  Methode  gefärbten  Schnitten  noch  einzelne 
erhaltene  Nervenfasern  nachweisen.  In  der  atrophischen  Ner- 
vensubstanz  ist  auch  das  feine  Netzwerk  mit  Kernen,  wie  oben 
beschrieben,  sichtbar,  aber  nichts  von  Tuberkelknötchen  nach- 
zuweisen. 

Nach  dem  vorliegenden  anatomischen  Befunde  kann 
es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  wir  es  mit  einer  chro- 
nischen Tuberkulose  der  Chorioidea  zu  thun  haben,  welche 
sich  nach  vom  auf  (Corpus  ciliare  und  Iris,  nach  hinten 
auf  den  Sehnerv  fortgesetzt  hat.  Bekanntlich  tritt  diese 
Erkrankung  der  Chorioidea  unter  zwei  Formen  auf:  ent- 
weder ist  die  Chorioidea  in  eine  circumscripte  Tumorbil- 
dung aufgegangen  oder  sie  ist  in  mehr  oder  minder  grosser 


138  J.  Jung. 

Ausdehnimg  gleichmässig  verdickt.  Der  vorliegende  Fall 
ist  eine  Gombination  dieser  beiden  Formen;  denn  im  hin- 
teren  nasalen  Abschnitt  des  Bulbus  findet  sich  an  Stelle 
der  Chorioidea  ein  grosser  Geschwulstknoten,  welcher  einen 
Bau  zeigt,  wie  er  schon  öfters  für  den  conglobirten  Tuber- 
kel der  Chorioidea  beschrieben  worden  ist.  Im  Uebrigen 
ist  die  Chorioidea  gleichmässig  verdickt.  Hier  stimmt  der 
mikroskopische  Befund  in  auffälliger  Weise  mit  einem  frü- 
her von  Wagenmann  beschriebenen  Fall  überein,  wo  sich 
nur  eine  gleichmässige  Verdickung  der  Aderhaut  fand^). 

Bemerkenswerth  ist  in  unserem  Falle  das  Vorkommen  von 
pigmenthaltigen  Riesenzellen.  Bei  chronischer  Tuberkulose 
der  Aderhaut  sind  dieselben  anscheinend  noch  nicht  beobach- 
tet, dagegen  fand  sie  D  in  kl  er  in  einem  Falle  von  acuter  Mi- 
liartuberkulose der  Chorioidea*)  und  thut  derselben  folgen- 
dermaassen  Erwähnung:  „In  ihrer  Form  und  Grösse,  in  der 
Anordnung  ihrer  Kerne,  der  meist  central  beginnenden  Zell- 
nekrose  unterscheiden  sie  sich  zwar  in  nichts  von  Riesen- 
zellen in  Tuberkeln  anderer  Organe;  eines  aber  besitzen 
sie,  was  nach  der  mir  zugänglichen  Literatur  zu  urtheilen, 
nur  in  der  Lunge  bis  jetzt  nachgewiesen  worden  ist:  näm- 
lich Pigmenf  Eine  ähnliche  Beobachtung  hat  jedoch  schon 
früher  Weiss^)  bei  Iristuberkulose  gemacht.  Weiss  schreibt: 
„In  der  Mitte  mancher  dieser  Riesenzellen  sieht  man  in 
auffallender  Weise  einen  dunkelen  Ring,  resp.  eine  dunkele 
Scheibe,  die  aus  zahlreichen,  feinen,  braunrothen  Pigment- 
kömchen  gebildet  wird." 

Das  Verhalten  der  Glasmembran  und  der  Sclera  zu 
der  Tumorbildung  weicht  in  unserem  Falle  von  den  frühe- 
ren  Beobachtungen  ab.  In  der  Regel  erweist  sich  die  Glas- 
membran gegen  die  tuberkulöse  Wucherung  viel  widerstands- 
fähiger als  die  Sclera;  letztere  wird  bisweilen  schon  voa 

>)  V.  6raefe*8  Archiv  für  Ophthalm.  XXXIV,  4,  S.  172  ff. 

•)  Ebenda  XXXV,  4,  S.  323. 

*)  Ebenda  XXIII,  4,  S.  149  Anmerk. 


Beitrag  znr  Differentialdiagnose  etc.  139 

der  Neubildung  zu  einer  Zeit  durchbrochen,  wo  diese  noch 
keine  bedeutende  Grösse  erreicht  hat  Diesen  Umstand  be- 
tonte zuerst  Haab^):  „Sie  (die  Glasmembran)  besitzt  offen- 
bar trotz  ihrer  Dünnheit  eine  bedeutende  Widerstandskraft» 
grösser  als  die  Sclera»  eine  bekannte  Eigenschaft  dieser 
sogen,  elastischen  Membranen/^  Ebenso  hebt  Manz')'die 
„grosse  Widerstandskraft^^  der  Glaslamelle  hervor:  dieselbe 
durchzog  als  „ein  schmaler  scharfgezeichneter  Streifen  den 
Tumor'S  sie  besass  nur  verschiedene  kleine  Lücken.  Aehn« 
lieh  spricht  sich  Schäfer^)  aus.  In  unserem  Falle  besteht 
gerade  das  umgekehrte  Verhalten.  Die  Glasmembran  ist 
im  Bereich  des  Tumors  völlig  zu  Grunde  gegangen  und 
zeigt  in  der  Gegend  der  Ora  serrata  beiderseits  eine  aus- 
gedehnte Perforationsöffnung,  durch  welche  die  tuberkulöse 
Wucherung  in  den  Glaskörperraum  eingedrungen  ist,  die 
Sclera  hingegen  ist  ganz  intakt. 

Die  Nekrose  der  Retina  ist  wohl  durch  eine  specifische 
Einwirkung  der  Tuberkelbacillen,  welche  sich  an  einzelnen 
Stellen  viel  zahlreicher  als  in  der  Chorioidea  fanden,  zu 
Stande  gekommen;  denn  das  Bild,  wie  es  hier  die  Retina 
gewährt,  stimmt  nicht  mit  dem  Befund  nach  Durchschnei- 
dung der  Gentralgefässe  oder  Embolie  der  Centralarterie 
überein,  und  so  ist  ausgeschlossen,  dass  die  Lostrennung 
der  Retina  von  der  Papille  die  Ursache  der  Nekrose  sei. 
Die  Verdickung  ist  ohne  Zweifel  durch  nachträgliche  Im- 
bibition mit  Flüssigkeit  zu  Stande  gekommen. 

Die  vorliegende  Chorioidealtuberkulose  hat  sich,  wie 
schon  erwähnt,  nach  zwei^Richtungen  fortgepflanzt  Dass 
sie  sich  nach  vom  auf  Ciliarkörper  und  Iris  fortgesetzt,  ist 
schon  häufiger  beobachtet  worden,  und  etwas  ganz  Natür- 
liches; denn  die  Tuberkulose  des  Auges  hat,  wie  Wagen- 


')  V.  Graefe*8  Archiv  fQr  Ophthalm.  XXV,  4,  S.  231. 

*)  Zehender,  klin.  MonatsbUtter  für  Aagenheilk.  XIX,  8.  26. 

')  Ebenda  XXII,  S.  830. 


140  J.  Jung. 

mann^)  betont,  das  Bestreben  sich  in  der  Richtung  des 
Saftstromes  des  Auges  d.  i.  nach  vorn  fortzusetzen.  Ein 
Uebergreifen  einer  Chorioidealtuberkulose  auf  den  Opticus 
und  ein  Fortschreiten  auf  den  extraoculären  Theil  desselben 
ist  ungewöhnlich  und,  wie  es  scheint,  bis  jetzt  noch  nicht 
beobachtet.  Zwar  wird  im  Centralbl.  für  Augenheilkunde 
1888,  S.  346  ein  von  Seccati  beobachteter  „Fall  von  aus- 
gebreiteter Tuberkulose  des  hinteren  Auges,  speciell  in  Cho- 
rioidea  und  Nervus  opticus"  kurz  referirt,  aber  da  mir  lei- 
der das  Original  (Giomale  della.  B.  Accademia  di  Med.  To- 
rino  1888,  Yol.  L)  nicht  zugänglich  war,  so  liess  sich  nicht 
entscheiden,  wie  weit  der  Nervus  opticus  ergriffen  war. 
Sonst  hat  man  nur  beobachtet,  dass  die  Tuberkulose  auf 
das  intraoculare  Ende  des  Opticus  übergriff  und  nicht  die 
Lamina  cribrosa  überschritt.  In  dem  ersten  Falle  von  chroni- 
scher Chorioidealtuberkulose  beim  Menschen,  welchen  Man- 
fred i')  veröffentlichte,  fand  sieh  eine  stielartige  Verlänge- 
rung des  intrabulbären  Endes  des  Sehnerven,  in  welcher 
sich  eine  reiche  Infiltration  von  Rundzellen  und  miliare 
Knötchen  mit  Riesenzellen  fanden.  Ausdrücklich  wird  aber 
angegeben,  dass  der  Nerv  jenseits  der  Lamina  cribrosa  ge- 
sund gewesen  sei.  Brailey^)  beschreibt  einen  Befund  vom 
Auge  eines  Kindes,  der  wohl  tuberkulöser  Natur  ist,  wenn 
auch  die  mikroskopische  Beschreibung  zu  wünschen  übrig 
lässt  und  der  Nachweis  der  Bacillen  vermisst  wird;  für 
Tuberkulose  spricht  auch,  dass  die  Mutter  des  Kindes  an 
Lungenphthise  gestorben  war.  Der  erbsengrosse  Tumor  sitzt 
im  Bereiche  der  Papille  und  angrenzenden  Chorioidea,  ent- 
hält Riesenzellen  und  Yerkäsung,  dabei  buchtet  er  die  La- 
mina cribrosa  nach  rückwärts,  aber  „in  den  Nerv  jenseits 


>)  V.  Graefe's  Archiv  fQr  Ophthalm.  XXXII,  4,  S.  229. 
*)  Annali  di  Ottalmologia  ano.  lY,  S.  291. 
*)  TransactioDS  of  the  Ophthalm.  Societ.  of  the  United  Kingdom, 
Vol.  in,  S.  130. 


Beitrag  zur  Differential diagnose  etc.  141 

dieser  erstreckt  er  sich  nicht  hinein'^  Ferner  fand  Wa- 
genmann^)  „einen  grossen  Tuberkel,  der  in  der  Chorioidea 
dicht  neben  dem  Opticuseintritt,  nach  innen  davon,  seine 
Lage  hatte  und  sich  nach  der  Mittellinie  zu  in  den  Opti- 
cus hineinerstreckte;  er  grenzte  dicht  an  die  Centralgefässe 
des  Opticus,  die  Fasern  auseinander  drängend."  Kurz  er- 
wähnen will  ich,  dass  Weiss  in  dem  oben  citirten  Fall 
von  Iristuberkulose  kleine  Knötchen  mit  Riesenzellen  und 
Verkäsung  sowohl  im  Sehnervenkopf,  wie  auch  in  dem 
Sehnerven  während  seines  Verlaufes  durch  den  Sclerotical- 
kanal  gesehen  hat').  Ueberhaupt  hat  man  eine  tuberku- 
löse Erkrankung  des  extraocularen  Abschnittes  des  Sehner- 
ven bis  jetzt  nur  bei  Tuberkulose  in  der  Schädelhöhle  ge- 
funden. Eingehend  theilt  Sattler^),  welcher  die  bis  da- 
hin gemachten  Beobachtungen  anfuhrt,  einen  Fall  mit,  wo 
sich  nach  Tuberkulose  des  Chiasma  eine  ausgedehnte,  bis 
zur  Papille  reichende,  tumorartige  Verdickung  des  Sehner- 
ven tuberkulöser  Natur  entwickelt  hatte.  Michel*)  war 
der  erste,  welcher  bei  Meningitis  tuberculosa  miliare  Tu- 
berkeln in  den  Opticusscheiden  fand.  Deutschmann  ^)  er- 
zeugte bei  Kaninchen  experimentell  tuberkulöse  Meningitis; 
dabei  kam  es  auch  zu  Tuberkulose  der  Opticusscheiden, 
welche  am  Foramen  sclerae  begann  und  „centrifugal  und 
centripetal"  weiterschritt  In  einem  Falle  erreichte  im  Ver- 
lauf von  fünf  Monaten  die  Tuberkulose  das  Foramen  opti- 
cum.  Hierdurch  ist  in  Verbindung  mit  unserer  Beobach- 
timg die,  wenn  auch  sehr  entfernte  Möglichkeit  näher  ge- 
rückt, dass  beim  Menschen  eine  Tuberkulose  vom  Auge  aus 
einmal  bis  in  die  Schädelhöhle  gelangt;  es  ist  aber  dabei 


»)  V-.  Graefe'8  Archiv  für  Ophthalm.  XXXIV,  4,  S.  178. 
■)  1.  c.  S.  151. 

•)  V.  Graefe'8  Archiv  XXIV,  3,  S.  127  ff. 
*)  Archiv  für  klin.  Medicin  XXII,  S.  448,  citirt  nach  Ziegler, 
Lehrb.  der  patholog.  Anatomie. 

''}  V.  Graefe's  Archiv  für  Ophthalm.  XXVII,  1,  S.  233  ff. 


142  J-  J'mg. 

zu  bedenken,  dass  beim  Kaninchen  viel  kleinere  Entfernun- 
gen zurückzulegen  sind. 

Was  die  Entwickelung  der  Chorioidealtuberkulose  in 
unserem  Falle  angeht,  so  spricht  yieles  dafür,  dass  wir  es 
mit  einer  secundäxen  Erkrankung  zu  thun  haben.  Von  einem 
bis  zur  Enudeation  versteckt  gebliebenen  Herd  ist  vermuth- 
lich  die  ganze  Chorioidea  ziemlich  gleichzeitig  mit  Tuber- 
kelbadllen  überschwemmt  worden;  denn  bald  nachher  mach- 
ten  sich  die  ersten  objectiven  Symptome  einer  Lungen- 
phthise  bemerkbar.  Der  miliare  Tuberkel  an  der  Comeo- 
sderalgrenze  verdankt  wohl  auch  seine  Entstehung  einer 
Infection  von  Seiten  der  Blutbahn.  Dass  die  Bacillen  von 
der  erkrankten  Chorioidea  stammten,  ist  nicht  wahrschein- 
lich; der  Tuberkel  hat  sich  nämlich  nicht  dort  localisirt, 
wo  die  vorderen  Ciliarvenen  durch  die  Sclera  treten,  son- 
dern in  der  Gegend  des  Bandschlingennetzes.  Zu  Gunsten 
der  endogenen  Infection  spricht  ausser  der  Localisation  der 
Umstand,  dass  ein  Kind  von  dem  Alter  der  Patientin  nicht 
zu  expectoriren  pflegt  und  dass  ausdrücklich  in  der  Kran- 
kengeschichte angegeben  wird,  es  sei  kein  Husten  vorhan- 
den gewesen. 

n.  Fall. 

Olioma  retinae  mit  hypopyonShnlicher  gliomatöBer 
Wucherung  in  der  vorderen  Augenkammer, 

Emma  Mähler,  4  Jahre  alt,  aus  Oberscheden. 

17.  Mai  1885.  Die  Ej'ankengeschichte  fehlt  leider;  in 
den  klinischen  Bttchem  ist  nar  vermerkt:  Rechts  eitrige  Iritis 
vermuthlich  tuberkulöser  Natur  mit  kleinen  gelblichen  Knöt- 
chen und  mit  ein  Drittel  der  vorderen  Kammer  einnehmendem 
Hypopyon. 

'3.  Juni  1885.  Rechts  Jridectomie  nach  oben,  mit  Linear- 
messer, in  Chloroformnarcose.  Nach  Anlegung  des  Schnittes 
entleert  sich  das  Hypopyon  sowie  die  gelblichen  Knötchen  mit 
dem  Kammerwasser.    Breites  Colobom. 


Beitrag  zur  Differentialdiagnose  etc.  I43 

12.  Jani  1885.  Iridectomie  geheilt  Grüngelber  Schein 
«ns  der  Tiefe.  Verdacht  auf  Glaskörperinfiltration.  Iridectomie- 
narbe  cystoid  aufgetrieben,  daher  heute  Enucleatio  bulbi. 

Beim  Versuch  den  Bulbus  hervorzuziehen  platzt  derselbe 
an  der  Iridectomienarbe  und  es  entleert  sich  grünlich -gelbe 
Flüssigkeit.  Der  Opticus  lässt  sich  schwer  durchschneiden  und 
erweist  sich  nach  der  Herausnahme  des  Bulbus  stark  verdickt, 
offenbar  gliomatös  entartet.  Nachträglich  wird  mit  Mühe  noch 
ein  grosses  Stück  Opticus  bis  zum  Foramen  opticum  hin  exci- 
dirt,  das  ebenfalls  gliomatös  entartet  ist. 

Die  sofort  vorgenommene  Section  des  Bulbus  ergiebt  in  der 
That  eine  von  der  völlig  abgelösten  Eetina  ausgegangene  Ge- 
«chwulstbildung,  die  auf  den  Opticus  übergegriffen  hatte. 

23.  Juni  1885.  Heilung  durch  abendliche  Temperaturstei- 
gerung in  der  ersten  Zeit  etwas  gestört,  zugleich  Lidschwel- 
lung und  Secretion;  Entfernung  der  Nähte  und  Anlegung  eines 
Drainrohres  in  die  Orbita,  worauf  bald  Nachlass  der  Erschei- 
nungen. Wunde  ist  geheilt,  keine  cerebralen  Symptome.  Kind 
entlassen,  soll  alle  acht  Tage  vorgestellt  werden. 

7.  August  1885.  Kommt  erst  heute  mit  grossem  Orbital- 
recidiv.    Eine  nochmalige  Operation  wurde  nicht  vorgenommen. 

Herr  Dr.  Schulte  in  Hannov.  Münden  hatte  die  Freund- 
lichkeit, sich  nach  dem  weiteren  Schicksal  des  Kindes  zu  er- 
kundigen und  theilte  mit,  dass  dasselbe  am  27.  Novbr.  1885 
gestorben  sei.  Näheres  über  den  Tod  des  Kindes,  ob  es  ärzt- 
lich in  der  letzten  Zeit  behandelt  worden  war  etc.,  konnte  er 
nicht  in  Erfahrung  bringen.  Bis  Mutter  des  Kindes  sei  im 
Sommer  1885  an  Schwindsucht  gestorben;  ebenso  eine  Schwester 
der  Mutter;  der  Vater  sei  Potator,  gegenwärtig  geisteskrank. 

Makroskopischer  Befund  des  vorher  frisch  im  hori- 
zontalen Meridian  eröffneten,  nachher  in  MüUer'scher  Flüssig- 
keit gehärteten  Bulbus. 

An  dem  Durchschnitt  des  Bulbus,  welcher  durch  die  Här- 
tung leicht  deformirt  ist  und  im  sagittalen  Durchmesser  22^/2mm, 
im  transversalen  19  mm  misst,  fäUt  zunächst  auf^  dass  die  Netz- 
haut von  der  Aderhaut  abgelöst  und  in  eine  Tumormasse  über- 
gegangen ist,  welche  den  grössten  Theil  des  von  ihr  einge- 
schlossenen Glaskörperraums  ausfüllt.  Nach  hinten  hängt  die 
Tumormasse  mit  dem  Opticus  zusammen,  von  dessen  intraocu- 
larem  Ende  sie  sich  nicht  abgrenzen  lässt.  Man  erkennt  noch 
eben,  dass  der  hintere  Theil  der  Tumormasse  aus  den  beiden 


144  J-  Jung. 

Blättern  der  abgelösten  Retina  hervorgegangen  ist,  welche  enorm 
verdickt  nnd  gewuchert  bis  zum  völligen  Verschwinden  dea 
Glaskörperranms  aneinander  gelegt  sind.  Weiter  nach  vom 
nimmt  die  Dicke  der  Retina  allmälig  wieder  ab;  man  sieht 
beide  Blätter  anseinanderweichen  nnd  in  der  Dicke  von  2  bia 

3  mm  nach  ihrem  Ansatz  an  der  Ora  serrata  hinziehen.  Eine 
Fortsetzung  der  Tumormasse  überzieht  in  dOnner  Schicht  noch 
die  Innenfljlche  des  Ciliarkörpers  nnd  der  Ciliarfortsätze  und 
setzt  sich  auf  der  nasalen  Seite  auch  noch  auf  die  hintere  Iris- 
flache  fort.  Die  Oberfläche  des  Tumors  ist  leicht  höckerig  und 
brüchig,  und  nur  in  den  vorderen,  weniger  verdickten  Theilen 
der  Retina  in  der  oberen  Bulbushälfte  mehr  glatt.  Auf  dem 
Durchschnitt  ist  die  Wucherung  in  den  vordersten  Partieen 
gelblich,  in  den  hintersten  grau  geförbt  Ausserdem  tritt  in 
der  Mitte  des  Durchschnittes  eine  bräunliche  Fleckung  hervor^ 
welche,  wie  die  mikroskopische  Untersuchung  ergiebt,  theib 
durch  hämorrhagische  Infiltration,  theils  durch  starke  Ausdeh- 
nung der  Gefässe  bedingt  ist;  einzelne  pigmentirte  Stellen 
finden  sich  weiter  hinten  an  der  Aussenfläche  der  Wucherung, 
offenbar  von  anhängendem  Pigmentepithel  herrührend. 

Der  subretinale  Raum  ist  leer  und  durchschnittlich  2  bis 

4  mm  breit. 

Die  Chorioidea  lässt  keine  Veränderungen  erkennen.  Zwar 
ist  sie  an  der  eingebetteten  Bulbushälfte  etwas  von  der  Sclera 
abgelöst,  dies  ist  aber  offenbar  als  Eunstprodukt  zu  betrachten. 
Ebenso  ist  das  Corpus  ciliare  mit  Ausnahme  der  temporalen 
Ciliarfortsätze,  welche  etwas  schwächer  entwickelt  sind,  intact 
Nasal  liegt  zwischen.  Corpus  ciliare  und  Sclera  eine  geringe 
Menge  geronnenen  eiweisshaltigen  Exsudates. 

Der  pupillare  Theil  der  Iris,  welche  sich  in  toto  nach 
der  vorderen  Kammer  vorbuchtet,  ist  nach  hinten  gezogen,  ihr 
ciliarer  Rand  zeigt  auf  der  nasalen  Seite  eine  kleine  knotige 
Verdickung,  durch  welche  der  Kammerwinkel  verengt  wird. 
Ausserdem  ist  in  den  letzteren,  besonders  auf  der  temporalen 
Seite,  gelblich  weiss  gefärbtes  Exsudat  eingelagert,  welches  sich 
eine  Strecke  weit  auf  die  hintere  Homhautfläche  fortsetzt 

Die  Linse  ist  beim  Anfischneiden  aus  ihrer  Kapsel  heraus- 
gefallen  und  nur  zur  Hälfte  erhalten.  Ueber  ihr  Verhalten 
im  frischen  Zustand  ist  leider  nichts  notirt. 

Die  Cornea  ist  an  der  Stelle  der  Iridectomienarbe  von 
einem  kleinen  Knoten,  anscheinend  nach  aussen  gewucherter 


Beitrag  zur  Differentialdiagnose  etc.  145 

Tamormasse  durchsetzt.     Sonst  ist  sie  ebenso  wie  die  Sclera 
normal. 

Der  in  der  Nähe  des  Bulbus  stark  verdickte  Opticus  misst 
hier  auf  dem  Querschnitt  5^«  mm,  woTon  4^/,  mm  auf  die  Op- 
ticussubstanz  nebst  innerer  Scheide  entfallen.  Man  unterschei- 
det hier  auf  dem  Querschnitt  eine  grau  geförbte  und  eine  gelb 
gefilrbte  Hälfte,  woYon  die  letztere  bei  Lupenvergrösserung 
tioch  die  Eintheilung  in  kleine  Felder  erkennen  lässt,  welche 
den  Querschnitten  der  Nervenbündel  entsprechen,  während  die 
andere  Hälfte  eine  gleichmässige  graue  Farbe  darbietet.  Der 
weiter  central  gelegene  Theil  des  Nerven  ist  nur  wenig  ver- 
dickt und  zeigt  auf  dem  Durchschnitt  eine  mehr  gleichmässige 
gelbliche  Färbung. 

Mikroskopischer  Befund. 

Einbettung  der  unteren  Bulbushälfte;  Färbung  der  Schnitte 
mit  Hämatoxylin- Eosin. 

Der  Tumor  ist  eine  äusserst  zellenreiche  Geschwulst, 
welche  nirgends  etwas  von  Intercellularsubstanz  erkennen  lässt, 
und  sich  theils  mit  Hämatoxylin,  theils  nur  mit  Eosin  geförbt 
hat.  Die  mit  Hämatoxylin  gefärbten  Geschwulstelemente  sind, 
wie  man  an  nicht  zu  dicht  gefügten  Partieen  erkennen  kann, 
Zellen  mit  einem  runden  Kern  und  einem  schmalen  Proto- 
plasmasaum. Die  Zellkerne  sind  von  sehr  variabler  Grösse, 
meistens  übertreffen  sie  an  Volumen  die  Körner  der  Kömer- 
schiebt  An  Zupfpräparaten  zeigt  das  Protoplasma  eine  geringe 
Menge  kurzer  Fortsätze.  Was  die  Hämatoxylinfärbung  angeht, 
so  ist  die  Intensität  derselben  sehr  verschieden.  Noch  unver- 
änderte Zellen  förben  sich  nebst  ihren  Kernen  stark  mit  Hä- 
matoxylin; bei  anderen  nimmt  die  Färbbarkeit  in  Folge  mehr 
oder  minder  weitgediehener  nekrotischer  Degeneration  in  ent- 
sprechendem Grade  an  Intensität  ab,  und  schliesslich  ist  die 
Zelle  in  ein  blasses  Gebilde  verwandelt,  welches  eine  krüme^ 
lige  Masse  und  den  nicht  mehr  deutlich  hervortretenden  Kern 
einschliesst.  Manche  Zellen  färben  sich  mit  Eosin,  enthalten 
aber  noch  eine  Menge  von  blauen  Körnchen,  als  Rest  der 
Chromatinsubstanz  des  Kernes.  Schliesslich  färbt  sich  die  ganze 
Zelle  nur  mit  Eosin. 

Charakteristisch  ist  für  das  mikroskopische  Aussehen  der 
Geschwulst  neben  dem  Reichthum  an  Gelassen  und  Hämorrha- 
gien  die  Beziehung  der  Zellen  zu  den  Gefässen.  Viel- 
fach wird  ein  Gefäss  mit  stark  verdickter  Wandung  von  einem 

▼.  Gnefe's  AxchiT  Ar  Ophthalmologie.  XXXVII.  4.  10 


140  J.  Jung. 

Mantel  von  blau  gefärbten  Zellen  nmschlossen;  dann  folgt  eine 
Zone,  wo  blau  gefärbte  und  roth  ge&rbte  Zellen  zwischen 
einander  liegen  nnd  weiter  nach  aaasen  liegen  fast  nur  bloss  mit 
Eosin  gefärbte  Zellen.  So  kommt  der  lappige  Ban  zn  Stande, 
welcher  eine  charakteristische  Eigenthttmlichkeit  des  Netzhaat- 
glioms  in  nicht  zn  weit  vorgeschrittenen  Fällen  darstellt 

Bemerkenswertbe  Veränderungen  bieten  die  Oefässe 
im  Bereiche  der  mit  Hämatoxylin  gefärbten  Partieen.  Hier 
besteht  ein  Missverh&ltniss  zwischen  Wandung  und  Lumen.  Die 
Wand  zeigt  eine  enorme  Yerdickung,  an  deren  Znstande- 
kommen alle  drei  GefiLsshäute,  besonders  die  Intima,  betheiligt 
sind,  und  es  finden  sich  alle  Uebergänge  von  dem  stets  sehr 
engen  Lumen  bis  zur  völligen  Obliteration.  Besitzt  das  Geftss 
noch  ein  Lumen,  so  sieht  man  auf  dem  Querschnitt  eine  äus- 
sere, concentrische  Schicht,  dann  kommt  eine  Zone  mit  zahl- 
reichen, theils  runden,  theils  länglichen  Kernen.  Sie  wird  durch 
das  Endothel,  bei  welchen  Kern  an  Kern  liegt,  von  dem  meist 
Blut,  bisweilen  Fibrin  enthaltenden  Lumen  abgegrenzt.  Wenn 
das  vorliegende  Gefäss  eine  Arterie  ist,  so  werden  diese  bei- 
den Schichten  der  Gefässwand  durch  die  Tunica  elastica  ge- 
trennt. Bei  vollständiger  Obliteration  findet  man  ein  rundes 
Gebilde,  welches  in  seinem  Centrum  eine  mehr  oder  weniger 
grosse  Zahl  von  Kernen  enthält;  diese  werden  von  der  oben 
beschriebenen  concentrischen  Zellenschicht  umschlossen.  Gerade 
an  vielen  kleinen  Gefässen  hat  sich  der  Process  der  Oblitera- 
tion vollzogen.  Die  stark  verdickte  Wand  und  das  enge  Lu- 
men sieht  man  auch  an  den  Centralgefössen  im  intraocularen 
Ende  des  Opticus. 

Bei  anderen  Gefässen  ist  die  Wandung  nicht  verdickt,  das 
Lumen  vorhanden,  aber  nicht  mehr  scharf  begrenzt.  Die  Ge- 
fösswand  hat  sich  intensiv  mit  Eosin  geförbt  und  erscheint 
nekrotisch.  Oft  führt  sie  zwischen  ihren  Lamellen  Blutkörper- 
chen, oft  ist  sie  völlig  durchbrochen  und  das  Blut  ergiesst  sich 
in  das  umliegende  Gewebe. 

An  denjenigen  Partieen  der  Geschwulst,  wo  nur  mit  Eosin 
gefärbte  Zellen  liegen,  findet  man  strotzend  gefüllte  Gefllsse 
mit  weitem  Lumen  und  dünner  Wand.  Diese  erscheint  als 
schmaler,  homogener  Saum,  welcher  oft  keine  Kerne  und  kei- 
nen Endothelbelag  mehr  erkennen  lässt.  Bisweilen  ist  die 
Wand  auf  eine  schmale  helle  Linie  reducirt  oder  an  einer 
Stelle  ganz  unterbrochen,  so  dass  Blutkörperchen  und  Ge- 
schwulstzellen unmittelbar  aneinander  grenzen. 


Beitrag  zur  Differentialdiagnose  etc.  147 

Mitten  im  Tamor  sind  Reste  der  degenerirten  Retina  ein* 
geschlossen,  die  an  ihrer  Schicht ang  zu  erkennen  sind.  Von 
nervösen  Elementen  ist  nichts  darin  erhalten;  man  bemerkt 
hauptsächlich  Partieen,  die  der  Faserschicht  anzugehören  schei- 
nen; stellenweise  ist  auch  noch  die  unversehrte  Limitans  in- 
terna zu  erkennen,  auch  finden  sich  Zellen  mit  dunkelbraunem 
Pigment,  als  Reste  des  Pigmentepithels.  Der  Ausgangspunkt 
der  Geschwulst  in  der  Retina  ist  nirgends  -mehr  zu  erkennen; 
auch  der  nur  wenig  verdickte  Theil  derselben  ist  vollständig 
degenerirt  und  zum  grössten  Theil  nekrotisch. 

Die  Ghorioidea  ist  in  ihrer  Struktur  noch  wohl  erhalten. 
An  keiner  Stelle  hat  sich  noch  Geschwulstmasse  in  ihr  ent- 
wickelt, sie  ist  leicht  zellig  infiltrirt  und  stellenweise  sind  die 
Gefilsse  etwas  erweitert  Das  Pigmentepithel  sitzt  grössten- 
theils  der  Glasmembran  der  Aderhaut  auf,  zum  Theil  ist  es 
v(m  ihr  abgelöst  und  an  einer  Stelle  mit  dem  Tumor  ver- 
wachsen. Dort  wo  die  Glasmembran  vom  Pigmentepithel  ent- 
blösst  ist,  sind  der  Innenfläche  einzelne  Geschwulstzellen  und 
eine  feinkörnige  Masse  aufgelagert  Dem  Pigmentepithel  der 
nasalen  Seite,  welches  seinen  Zusammenhang  mit  der  Glasmem- 
bran bewahrt  hat,  sitzen  eigenthümliche,  kolbige  oder  halbkuge- 
lige Gebilde  auf,  welche  meistens  nur  eine,  bisweilen  zwei 
oder  drei  Zellen  überdecken.  Sie  haben  sich  mit  Eosin  ge- 
förbt  und  sind  fein  gekörnelt,  stimmen  aber  nicht  in  ihrem 
Aussehen  mit  nekrotischen  Gliomzellen  überein.  Nur  ganz  ver- 
einzelt sind  dem  Pigmentepithel  auch  einkernige,  pigmentlose 
Rundzellen  aufgelagert  Ueber  die  Genese  und  Bedeutung  der 
kolbigen  Gebilde,  ob  sie  vielleicht  vom  Pigmentepithel  oder 
sonst  woher  stammten,  war  nichts  Bestimmtes  zu  eruiren. 

Die  Membrana  suprachorioidea  ist  aufgelockert  In  ihren 
Maschen  finden  sich  einzelne  isolirte  Gliomzellen  und  feinkör- 
nige Masse. 

An  dem  Corpus  ciliare  ist  nur  eine  geringe  zellige  Infil- 
tration zu  bemerken.  Die  Pars  ciliaris  retinae  ist  theils  er- 
halten, theils  eammt  Pigmentbelag  abgehoben,  theils  ihre  Ele- 
mente in  die  Länge  gewuchert. 

Die  Iris  ist  von  Rundzellen  stark  durchsetzt.  Ihr  ciliarer 
Theil  ist  auf  der  nasalen  Seite  von  einem  kleinen  Geschwulst- 
knoten eingenommen,  welcher  bis  an  die  hintere  Irisfläche 
reicht  Zwischen  den  Zellen  desselben  liegen  Pigmentzellen 
des  Irisstroma  zerstreut  Einzelne  Gliomzellen  sind  schon  in 
das  Ligamentum  pectinatum  eingedrungen  und  haben  sich  um 

10* 


148  J-  Jung- 

den  Girculas  venosas  aDgesammelt  Der  Pigmentbelag  der  Iris 
ist  auf  der  temporalen  Seite  stark  atrophirt,  die  Zellen  gross- 
tentheils  in  Auflösung  begriffen  und  die  Pigmentkörnchen  in 
der  Umgebung  zerstreut;  nasal  ist  er  erhalten  und  nur  an  einer 
Stelle  nach  Art  einer  Cyste,  in  welcher  ein  feines  Fibrinnetz 
und  einige  Pigmentzellen  liegen,  abgehoben. 

Die  Innenfläche  das  Ciliarkörpers  und  die  Ciliarfortsätze 
sind  Yon  einer  dicken  Schicht  von  jungen  Gliomzellen  über- 
zogen, die  in  geringer  Menge  sich  auch  auf  die  Hinterfl&che 
der  Iris  fortsetzen. 

Im  Eammerwinkel  haben  sich  beiderseits  Zellen  angesam- 
melt, welche  vollkommen  mit  den  Zellen  des  Tumors  überein- 
stimmen und  auf  der  temporalen  Seite  schon  im  Begriffe  sind, 
in  Form  eines  Zapfens  in  das  Gewebe  der  Iriswurzel  einzu- 
dringen. Vereinzelt  liegen  auch  Gliomherde  der  Descemeti- 
schen Membran  auf,  deren  Endothel  an  einer  solchen  Stelle 
fehlt  und  in  der  Umgebung  des  Herdes  abgehoben  ist 

Die  Linse  war,  wie  oben  angegeben  wurde,  beim  Auf- 
schneiden herausgefallen.  Beste  der  Linsenkapsel,  welche  theil- 
weise  yon  Epithel  bekleidet  sind,  liegen  in  Windungen  gefaltet 
hinter  der  Pupille  und  siud  von  einer  feinkörnigen  Masse  und 
Gliomzellen  umgeben.  An  der  Linse,  welche  besonders  einge- 
bettet und  geschnitten  wurde,  sind  die  Fasern  an  der  hinteren 
Fläche  auseinander  gezerrt  In  den  Spalten  liegen  Eiweisa- 
kugeln,  an  anderen  Stellen  ausserdem  noch  zertrümmerte  Lin- 
senfasern, Gliomzellen  und  eine  feinkörnige  Masse.  Einzelne 
Spalten  finden  sich  nahe  dem  Aequator  an  der  vorderen  Fläche. 

Die  Cornea  ist  in  den  oberen  Schichten  kernreicher  als 
normal  und  vascularisirt.  Das  Epithel  ist  in  der  Randzone 
verdickt  und  besonders  die  cylindrischen  Zellen  sind  zahlrei- 
cher und  stärker  entwickelt  Der  Zusammenhang  der  Zellen 
ist  gelockert  und  im  mittleren  Bezirk  theils  nur  die  oberen 
Schichten,  an  anderen  Stellen  das  ganze  Epithel  abgestossen, 
was  aber  vielleicht  nur  Folge  der  Präparation  ist. 

Die  Sclera  ist  normal. 

Mit  Rücksicht  auf  die  intra  vitam  beobachteten  entzünd- 
lichen Erscheinungen  wurde  im  Exsudat  der  vorderen  Kammer 
und  im  Tumor  mit  den  üblichen  Färbungsmethoden  nach  Tu- 
berkelbacillen  und  Kokken,  aber  erfolglos,  gesucht 

Die  Bindegewebsbalken  der  Lamina  cribrosa  sind  stark 
verdickt.  In  den  durch  sie  gebildeten  Maschen  liegen  in  Fomf 
von  verästelten  Figuren  Gruppen  von  intensiv  blau  gefärbten 


Beitrag  zur  Differentialdiagnose  etc.  149 

Gliomzellen.  Die  Wand  der  Centralgefässe  ist  wie  schon  oben 
erwähnt,  stark  yerdickt 

An  dem  stark  verdickten  peripherischen  Theil  des  Opti- 
cnsstammes  (vergL  Fig.  5)  erweist  sich  die  eine  Hälfte,  welche 
für  das  blosse  Ange  eine  gleichmässig  graae  Farbe  dargeboten 
hatte,  zum  grössten  Theil  atrophisch  und  durch  einen  ausser- 
ordentlichen Kemreichthnm  ausgezeichnet.  Die  Kerne  liegen 
besonders  in  den  Maschen  der  verdickten  und  dicht  zusammen- 
gedrängten Bindegewebsbalken.  Nur  an  der  Peripherie  dieser 
Hälfte  und  um  die  Centralgefässe  herum  liegen  innerhalb  der 
Maschen,  also  den  atrophischen  Nervenbündeln  entsprechend, 
Gruppen  von  intensiv  blau  gefärbten  Gliomzellen. 

Die  andere  Hälfte  des  Opticusquerschnittes,  die  für  das 
blosse  Auge  gelblich  gefärbt  war  und  die  Abtheilung  in  ge- 
trennte Bündel  hatte  erkennen  lassen,  ist  hochgradig  gliomatös 
degenerirt.  Die  Zellen  sind  hier  nur  mit  Eosin  färbbar,  also 
nekrotisch  und  nehmen  dicht  aneinander  gedrängt  die  Stelle 
der  früheren  Nervenbündel  ein;  die  von  ihnen  gebildeten  Fel- 
der werden  dahec  von  den  dazwischen  noch  wohl  erhaltenen 
Bindegewebsbalken  getrennt,  wodurch  das  erwähnte  Aussehen 
für  das  blosse  Auge  bedingt  ist;  nur  einzelnie  Gliomzellen  sind 
in  die  Bindegewebsbalken  eingebettet.  Auffallend  ist  der  Ge- 
gensatz zwischen  den  Bindegewebsbalken  und  den  Gefässen 
dieser  beiden  Theile  des  Opticus.  Auf  der  Seite,  wo  der  Nerv 
gliomatös  entartet  ist,  sind  die  Balken  nicht  verdickt  und  die 
Gefässe,  im  Gegensatz  zur  anderen  Seite,  wo  fast  nichts  von 
Gefässen  zu  sehen  ist,  stark  erweitert.  Die  Scheiden  sind  von 
Geschwulstwucherung  frei. 

An  Schnitten,  welche  etwas  entfernter  vom  Bulbus  genom- 
men sind  (Fig.  6  und  7),  hat  sich  die  Gliomwucherung  mehr 
um  die  Centralgefässe  gruppirt  und  wird  von  einer  Randzone 
atrophischer  Sehnervensubstanz  eingeschlossen.  Die  Gliomzellen 
nehmen  auch  hier  zum  grössten  Theil  die  Stelle  der  Nerven- 
bündel ein;  sie  haben  sich  hier  mit  Hämatoxylin  gefärbt  und 
liegen  dicht  gedrängt  in  rundlich  gestalteten  oder  mehr  in  die 
Länge  gestreckten  Feldern,  welche  durch  die  Bindegewebsbal- 
ken getrennt  werden.  Ein  Theil  der  Bindegewebsbalken  ist 
zu  Grunde  gegangen,  so  dass  die  Gruppen  conflniren.  Nur 
stellenweise,  besonders  in  der  Umgebung  der  Centralgefässe,  hat 
die  Gliomwucherung  auch  die  Bindegewebsbalken  ergriffen.  Die 
Anordnung  der  Zellen  ist  hier  insofern  eigenthümlich,  als  die 
Zellen  kettenförmig,  Zelle  an  Zelle  aneinander  gereiht,  liegen. 


150  J.  Jung. 

Die  atrophische  Randzone  ist  sehr  kernreich,  aher  ohne  Ver- 
dickung der  Bindegewebshalken.  Hier  and  da  findet  man  anch 
in  ihr  an  Stelle  der  Nervenfasern  beginnende  Gliomwndienmg, 
aber  die  Gliomzellen  liegen  noch  nicht  so  dicht  gedrängt,  wie 
es  in  der  Mitte  des  Querschnittes  der  Fall  ist.  Der  centrale 
Theil  des  Opticnsstttckes  (Fig.  8)  ist  vollständig  gliomatös  ver* 
ändert.  Von  den  Bindegewebshalken  finden  sich  nur  noch  Reste, 
doch  -  ist  noch  eine  Andeutung  der  früheren  Eintheilnng  des 
Opticusquerschnittes  in  getrennte  Felder  vorhanden,  indem  die 
Gliomzellen  sich  vielfach  in  runden  oder  länglichen  Figuren 
dicht  gruppirt  haben. 

Wenn  auch  der  vorstehende  Fall  von  Netzhautgliom 
vielfach  mit  den  früher  gemachten  Beobachtungen  überein- 
stimmt, verdient  er  doch,  besonders  wegen  des  Verhaltens 
der  Gefässe,  noch  eine  nähere  Besprechung.  Veränderungen 
der  Gefässwand  bei  Gliom  erwähnt  zuerst  Baumgarten^}; 
er  spricht  von  „Gefässen,  die  von  einer  deutlich  verdickten, 
glasig  durchscheinenden  Scheide  umgeben 'waren,  und  von 
hyalin  entarteten  Gefässen^';  da  er  sehr  ähnliche  Beobach- 
tungen bei  anderweitigen  Erkrankungen  der  Retina  (Reti- 
nitis pigmentosa,  Retinitis  albuminurica)  machen  konnte,  so 
liess  er  dahingestellt,  ob  dieselben  in  genetischem  Zusam- 
menhang mit  der  Gliombildung  standen  oder  einen  mehr 
zufälligen  Befund  darstellten.  Eingehend  beschäftigt  sidi 
Da  Gama  Pinto')  mit  den  Gefässveränderungen  bei  dem 
Netzhautgliom;  er  beobachtete  namentlich  an  Arterien  eine 
so  starke  Verdickung  der  Gefässwand,  dass  sie  das  Dop- 
pelte des  Gefässlumens  betrug.  Später  wandelte  sich  das 
Gefäss  in  Folge  der  Degeneration  in  „ein  sehr  breites,  ring- 
förmiges, ziemlich  glänzendes  Band  um,  mit  einem  leicht 
faserigen,  welligen  oder  homogenen  Bau  und  Resten  von  in 
Zerfall  begriffenen  Kernen.  Garmin  und  Eosin  färbten  das 
Gefäss  noch  ziemlich  lebhaft'^     War  aber  der  zugehörige 


')  V.  6raefe*s  Archiv  fQr  Ophtbalm.  XXII,  8,  S.  211  u.  214. 
')  Da  Gama  Pinto,  Untarsach.   Ober  intraocalare  Tumoren. 
S.  63  ff. 


Beitrag  zur  Differentialdiagnose  etc.  151 

GUomlappen  TÖllig  degenerirt,  so  Hess  sich  die  Stelle  des 
früheren  Gefässes  als  ein  heller  Fleck  erkennen,  umgeben 
von  einer  etwas  stärker  gefärbten,  feinkörnigen  Masse.  Grol- 
man^)  hat  ebenfalls  eine  starke  Verdickung  der  Gefäss- 
Wandung  nicht  selten  wahrgenommen,  eine  Umwandlung  in 
ein  vollständig  homogenes  Band  konnte  er  jedoch  nirgends 
finden.  Aehnliche  Beobachtungen  wie  Pinto  machte  Be- 
chert*): „Die  Gefässwand  war  sehr  erheblich  verdickt.  Au 
einigen  Gefässen  sah  man  noch  eine  lamelläre  Struktur  der 
Wand,  dabei  waren  die  Kerne  ganz  abgeblasst,  an  anderen 
war  hingegen  die  ganze  äussere  Wand  homogen,  an  einigen 
nur  eine  partielle  Streifung  zu  erkennen/*  Das  Lumen  des 
•  Gefässes  war  entweder  leer  oder  enthielt  Endothelreste  und 
verblasste  Blutkörperchen.  Diese  Gefässwandverdickungen 
hat  auch  Eisenlohr^)  in  seinen  beiden  Fällen  sehr  häufig 
beobachtet.  Recapituliren  wir  kurz  unseren  Befund,  so  fin- 
den wir  eine  starke  Verdickung  der  Gefässwand,  welche 
durch  eine  Betheiligung  aller  drei  Gefässhäute,  besonders 
aber  der  Intima,  zu  Stande  kommt  und  welche  zu  einer 
hochgradigen  Verengerung  des  Lumens  und  schliesslich  zur 
Obliteration  desselben  fuhrt.  Im  Centrum  des  obliterirten 
Gefässes  finden  sich  zahlreiche  tinctionsfähige  Kerne  der 
gewucherten  Intima,  welche  von  einer  concentrischen  Zel- 
lenschicht, wie  oben  beschrieben,  umschlossen  werden.  Es 
ist  also  hier  das  Bild,  wie  wir  es  bei  einer  hyperplastischen 
Vasculitis  bezieh,  bei  einer  Endarteriitis  und  Endophlebitis 
obliterans  haben.  Querschnittsbilder,  wie  sie  Pinto  und 
Bochert  beschreiben,  nämlich  ringförmige,  ziemlich  glän- 
zende Bänder  von  homogenem  oder  welligem  Bau,  konnten 
wir  nicht  beobachten,  und  gerade  an  den  vollständig  nekro- 
tischen Stellen  fanden  sich  weite  Gefässe  mit  dfinner  Wandung. 

>)  V.  6raefe*8  Archiv  fttr  Ophthalm.  XXXIII,  2,  S.  65. 
')  Bochert,  Untersuchungen  über  das  Netzhaatgliom.    Inaug.- 
Dissert.  Königsberg  1888. 

■)  yirchow*8  Archiv  für  pathol.  Anatomie,  123.  Bd.,  S.  448. 


152  J.  Jung. 

Bezüglich  des  Fortscbreitens  des  Glioms  im  Sehnerven 
hatte  y.  Graefe^)  als  Unterschied  gegenüber  dem  Ader- 
hautsarcom  hervorgehoben,  dass  die  Wucherung  von  Anfang 
an  die  Substanz  des  Nerven  einnimmt,  während  die  Scheide 
sich  anfanglich  nur  in  einer  indifferenteren  Weise  verdickt, 
dass  dagegen  bei  Aderhautsarcomen  die  Degeneration  zu- 
nächst der  Scheide  folgt  Die  starke  Verdickung,  welche 
der  Sehnervenstamm  dabei  erfahren  kann,  war  schon  den 
älteren  Autoren  bekannt  und  ist  auch  von  Hirschberg*) 
und  von  Knappt)  beschrieben  und  abgebildet.  Th.  Le- 
ber^) giebt  an,  dass  die  Wucherung  dabei  vorzugsweise 
dem  Mark  des  Nerven  folge,  während  die  Scheiden  und 
das  bindegewebige  Balkenwerk  anfangs  unbetheiligt  bleiben 
und  nur  eine  entsprechende  Dehnung  und  Atrophie  er- 
fahren; die  Nervenfasern  gehen  dabei  in  der  gliomatösen 
Wucherung  rasch  zu  Grunde;  erst  später  treten  auch  Se- 
cundärgeschwülste  der  Sehnervenscheide  auf.  Dieselbe  Art 
der  Verbreitung  hatte  schon  vorher  Delafield^)  in  einem 
Falle  beobachtet,  während  Rindfleisch*)  und  Knappt) 
die  erste  Wucherung  von  Gliomzellen  in  den  Bindegewebs- 
balken  des  Sehnervenstammes  angetroffen  haben.  Da  Gama 
Pinto  ®),  welcher  bei  Untersuchung  eines  grösseren  Ma- 
terials diese  Verhältnisse  zu  prüfen  bemüht  war,  berichtet, 
dass  die  erste  Gliomwucherung  des  Sehnerven  stets  im 
interstitiellen  Gewebe  beginne;  „in  fünf  Fällen  war  zu  glei- 
cher Zeit  der  Zwischenscheidenraum  und  die  arachnoidale 
Scheide   reichlich  infiltrirt  und  von  Gliomnestem  besetzt; 


>)  V.  Graefe'8  Archiv  für  Ophthalm.  XIV,  2,  S.  132  (1868). 

*)  Der  Markschwamm  der  Netzhaut.    Berlin  1869. 

')  Die  intraocularen  Geschwalste.   Karlsruhe  1868. 

«)  Graefe-Saemisch's  Handbuch,  Bd.  Y,  S.  724. 

'^)  Archiv  fOr  Augen-  und  Ohrenheilk.,  Bd.  ü,  1,  S.  176  (1871). 

•)  Zehender's  Monatsbl.  1863,  S.  346. 

»)  Loc.  cit.  S.  66—67. 

•)  Loc.  cit.  S.  82—83. 


Beitrag  zur  Differentialdiagnose  etc.  153 

zwei  davon  zeigten  eine  enorme  Erweiterung  und  Invasion 
des  Scheidenraumes  mit  verbältnissmässig  geringer  Infiltra- 
tion des  Nervenstammes/'  Die  Durchsicht  der  speciellen 
Befunde  scheint  aber  einen  so  allgemeinen  Ausspruch  nicht 
ganz  zu  rechtfertigen.  Von  fünf  Fällen,  die  hier  allein  in 
Betracht  kommen,  fällt  einer  (Fall  11)  weg,  weil  es  sich 
dabei  offenbar  um  Tuberkulose  und  nicht  um  Gliom  han- 
delt. Ferner  heisst  es  im  Fall  4:  „Der  Sehnervenkopf  ist 
vollständig  in  Geschwulstoiasse  verwandelt  .  .  .  Nach  rück- 
wärts  von  der  Lamina  cribrosa  wird  das  Gewebe  stroma- 
reicher,  was  zweifelsohne  den  noch  nicht  degenerirten  Bin- 
degewebsbalken  zuzuschreiben  ist  .  .  .  Es  liess  sich  .  .  . 
feststellen,  dass  der  Sehnerv  seiner  sämmtlichen  nervösen 
Elemente  beraubt  ist/'  Es  bleiben  also  nur  drei  Fälle,  bei 
denen  aber  der  Beschreibung  nach  gleichzeitig  auch  eine 
Gliominfiltration  der  Nervenbündel  stattgefunden  zu  haben 
scheint  In  unserem  Falle  begann  die  Wucherung  an  der 
Stelle  der  Nervenbündel,  und  nahm  hauptsächlich  in  ihnen 
ihren  Fortgang,  doch  waren  auch  die  Bindegewebsbalken 
stellenweise  davon  ergriffen.  In  der  atrophischen  Hälfte 
des  Opticus  lagen  Nester  intensiv  blau  gefärbter  Gliom- 
zellen  nicht  an  Stelle  der  Bindegewebsbalken,  sondern  der 
Nervensubstanz  und  die  Scheiden  waren  intact,  in  der  glio- 
matösen  Hälfte  waren  die  Bindegewebsbalken  wohl  erhalten, 
wenn  auch  verschmälert  An  den  mehr  centralwärts  gele- 
genen Schnitten  konnte  man  deutlich  erkennen,  dass  an 
der  Grenze  zwischen  Gliomwucherung  und  atrophischer 
Randzone  die  Gliomzellen  sich  zuerst  an  Stelle  der  Nerven- 
fasern entwickelten.  Auch  die  Eintheilung  der  gliomatös 
degenerirten  Partie  in  'rundliche  und  polygonale  Felder, 
welche  durch  Bindegewebsbalken  getrennt  werden,  zeigt, 
dass  sich  in  unserem  Fall  das  Gliom  zuerst  an  der  Stelle 
der  Nervenfaserbündel  entwickelt  hat 

Nach  den  mitgetheilten  Beobachtungen  muss  man  also 
annehmen,  dass  beide  Fortpflanzungsarten  des  Glioms  im 


154  J-  Jon«- 

Sehnerven  vorkommen;  welche  die  häufigere  ist,  wird  erst 
durch  weitere  Untersuchungen  festzustellen  sein. 

Durch  die  mikroskopische  Untersuchung  wurde  auch 
das  intra  vitam  beobachtete  scheinbare  Hypopyon  aufge- 
klärt; die  Annahme  desselben  erwies  sich  als  Täuschung; 
wir  haben  es  nicht  mit  Eiterzellen  zu  thun,  sondern  mit 
freien  Gliomzellen,  welche  sich  in  der  vorderen  Kammer 
angesammelt  haben.  Da  die  Ghorioidea  und  das  Corpus 
ciliare  noch  intact  sind,  während  an  der  Innenfläche  des 
letzteren  eine  schon  für  das  blosse  Auge  erkennbare  Gliom- 
Wucherung  aufgetreten  ist,  darf  wohl  angenommen  werden, 
dass  ein  Transport  von  Elementen  der  Wucherung  den  Weg 
durch  die  Pupille  genommen  hat  und  dass  auf  die  gleiche 
Art  auch  die  gliomatöse  Affection  der  Iriswurzel  entstan- 
den ist. 

Wegen  der  Schwierigkeiten,  welche  die  beiden  mitge- 
theilten  Fälle  der  Diagnose  bereiteten,  haben  sie  auch  ein 
nicht  geringes  klinisches  Interesse.  Im  ersten  Falle  lagen 
keine  sicheren  Anhaltspunkte  für  die  Diagnose  einer  Tu- 
berkulose der  Ghorioidea  vor.  Nach  dem  objectiven  Be- 
funde schien  die  Annahme  einer  schleichenden  Iridochorioi- 
ditis  gerechtfertigt,  die  möglicherweise  tuberkulösen  Ur- 
sprungs sein  konnte,  obwohl  sich  keine  Zeichen  dav<m  &n- 
den.  An  ein  Gliom  der  Netzhaut  wurde  deshalb  zunädist 
nicht  gedacht^  weil  der  Process  mit  entzündlichen  Erschei- 
nungen begonnen  haben  sollte.  Erst  bei  der  Enucleation 
entstand  durch  die  Verdickung  des  Opticus  der  Verdacht^ 
dass  es  sich  trotzdem  um  ein  Gliom  handeln  möchta  Die 
anatomische  Untersuchung  hat  aber  gezeigt,  dass  dies  ein 
Irrthum  war  und  dass  selbst  eine  so  starke  Verdickung  des 
Sehnerven,  wie  sie  hier  vorkam,  durch  Tuberkulose  bedingt 
sein  kann,  also  nicht  unbedingt  für  die  Annahme  eines 
Glioms  spricht.  Bei  dem  zweiten  Falle  wurden  das  schein- 
bare Hjpopyon  und  der  gelbe  Reflex,  welcher  nach  der 
Iridectomie  im  Glaskörper  sichtbar  wurde  und  von  Gliom 


Beitrag  zur  DifferentUIdiagnose  etc.  155 

herrührte,  für  Produkte  einer  eitrigen  Entzündnng  gehalten. 
Die  Knötchen  auf  der  Iria  und  die  Thatsache,  dass  die 
Mutter  des  Kindes  an  „Schwindsucht''  litt,  was  bei  der 
klinischen  Untersuchung  bekannt  war,  Hessen  an  einen  tu- 
berkulösen Ursprung  des  Processes  denken.  Dass  die  freien 
Gliomzellen  für  Hypopyon  gehalten  wurden,  ist  ein  verzeih- 
licher Irrthum.  Diese  Beobachtung  lässt  daran  denken, 
dass  auch  sonst  vielleicht  das  Auftreten  von  Hypopyon  bei 
Gliom  eine  ähnliche  Bedeutung  hatte,  wie  in  dem  interes- 
santen Falle,  den  v.  Grolman  aus  der  v.  HippeTschen 
Klinik  in  Giessen  mitgetheilt  hat^). 

Handelt  es  sich  um  die  Differentialdiagnose  zwischen 
GUom  und  Tuberkulose,  so  ist  natürlich  grosses  Grewicht 
auf  eine  möglichst  genaue  Untersuchung  des  übrigen  Kör- 
pers zu  legen.  Lässt  dieselbe  nicht,  wie  in  unserem  ersten 
Falle  im  Stich  und  finden  sich  sonstige  Zeichen  von  Tuber- 
kulose, so  spricht  dieses  sehr  zu  Gunsten  einer  tuberkulö- 
sen Erkrankung  des  Auges.  Auch  die  Anamnese  und  Fa- 
miliengeschichte kann  ^lan,  wenn  auch  nur  mit  Vorsicht» 
wie  unser  zweiter  Fall  zeigt,  verwerthen.  In  weit  vorge- 
schrittenen Fällen  dürften  Gehimsymptome  nur  wenig  Be- 
deutung haben,  da  dieselben  sowohl  von  einer  Gliommeta- 
stase  im  Gehirn,  als  auch  von  tuberkulösen  Affectionen  in 
der  Schädelhöhle  herrühren  könnten. 

Unter  den  Symptomen,  welche  für  Gliom  sprechen, 
führt  Vetsch')  Ectasie  der  Cornea  an.  Da  diese  aber  ein 
Ausdruck  des  erhöhten  Druckes  und  der  Ectasie  des  Bul- 
bus überhaupt  ist  und  sich  Drucksteigerung  zuweilen  aadi 
bei  tuberkulöser  Chorioiditis  findet,  so  ist  nicht  ausgeschlos- 
sen, dass  sich  diese  Veränderung  auch  im  letzteren  Falle 
entwickelt;  sie  kann  daher  nicht  für  Gliom  beweisend  sein. 


*)  V.  Grolman,    Beitrag  zur  Kenntniss  der  Netzhautgliome. 
V.  Graefe's  Archiv  für  Ophthalm.  XXXIII,  2,  S.  47-72  (1887). 
*)  Archiv  fttr  Aogenheilkande  XI,  S.  419. 


156  J.  Jung. 

So  schreibt  Brailey^)  von  dem  oben  citirten  Fall  von  Tu- 
berkulose: ^Bei  der  Geburt  glaubten  die  Eltern,  dass  das 
rechte  Auge  etwas  kleiner  sei,  jedoch  ist  es  während  der 
letzten  drei  Monate  schnell  grösser  geworden.  Jetzt  ist  im 
Vergleich  mit  dem  allgemeinen  Wachsthum  des  Bulbus  eine 
unverhältnissmässige  Vergrösserung  der  Cornea  vorhanden.^ 
Unter  diesen  Umständen  wird  es  auch  heute  noch 
Fälle  geben,  wo  uns  die  klinische  Diagnose  im  Stiche  lässt 
und  wo  erst  die  anatomische  Untersuchung,  entscheiden 
wird,  ob  ein  Gliom  der  Retina  oder  eine  Tuberkulose  der 
Chorioidea  vorliegt  Die  Annahme  einer  Combination  von 
Gliom  und  Tuberkulose  hat  sehr  wenig  Wahrscheinlichkeit 
für  sich  und  ist  nur  in  einem  Falle  von  Pinto')  ange- 
nommen worden.  Da  aber  die  Richtigkeit  dieser  Annahme 
bald  bezweifelt  wurde  ^),  haben  wir  die  in  der  hiesigen 
Augenklinik  vorhandenen  Präparate  einer  näheren  Durch- 
sicht unterzogen.  Der  Befund  stinmite  an  der  Chorioidea, 
welche  diffus  verdickt  war,  mit  dem  gewöhnlichen  Bilde 
der  Tuberkulose  überein.  Es  fanden  sich  epithelioide  Zel- 
len und  sehr  zahlreiche  Riesenzellen;  das  Vorkommen  von 
Tuberkelbacillen  war  schon  von  Pinto  constatirt  worden. 
Die  Wucherung  im  Glaskörperraum  hat  nichts  Charakteri- 
stisches für  den  Bau  eines  Glioms  und  ist  sehr  gefassarm. 
Auch  liess  sich  weder  makroskopisch  noch  mikroskopisch 
constatiren,  dass  die  Geschwulstbildung  ihren  Ursprung  aus 
der  Retina  genommen  hätte,  und  es  ist  dies  um  so  imwahr- 
scheinlicher,  weil  angegeben  wird,  die  Retina  sei  atrophisch 
gewesen.  Der  nach  der  Operation  beobachtete  klinische 
Verlauf  spricht  ebensowenig  für  ein  Gliom.  Der  Sehnerv 
war,  besonders  im  Subvaginalraum,  dicht  mit  Rundzellen 


»)  1.  c.  S.  129. 

*)  daGamaPinto,  Untersuchungen  über  intraoculare  Tumoren, 
Fall  11,  S.  40  und  S.  70. 

')  Michel  im  Jahresb.  über  Leistungen  und  Fortschr.  im  Ge- 
biete der  Ophthalm.   1886.   S.  119. 


Beitrag  zur  Differentialdiagnose  etc.  157 

infiltrirt,  welche  für  Gliomzellen  gehalten  wurden.  Wenn 
es  sich  aber  um  Gliomwucherung  gehandelt  hätte,  so  würde 
gewiss  sehr  bald  ein  Recidi?  eingetreten  sein  und  das  Kind 
wäre  nicht  erst  nach  beinahe  zwei  Jahren  an  cerebralen 
Erscheinungen  gestorben,  die  in  der  Annahme  einer  intra- 
craniellen  Tuberkulose  sehr  wohl  ihre  Erklärung  finden. 


158  J-  JuBff»  BeilrAg  Kur  DiffureatUldiagnoae  etc. 


Erklärung  der  Figuren  auf  TafU  IV. 


Fig.  1.  untere  BalbashUfte  von  Fall  1:  <^  Chorloidea,  p  Perfora- 
tioasOffaong  der  Gladamelle  Hnd  des  Pigmentepitheb;  t 
Tumor  der  Chorioidea;  r  abgelöste  und  gefaltete  Retina; 
8  subretinaler  Raum;  o  Optlcuseintritt. 

Fig.  2.  Uebersicbtsbild^on  dem  miliaren  TuberkeH  an  der  Corneo- 
Bcleralgrenze. 

Fig.  3.  Dieser  Tuberkel  bei  starker  Yergrösserung ;  r  Riesenzelle, 
e  Gornealepitliel. 

Fig.  4.  üebersichtsbild  von  dem  tuberkulös  ver&nderten  Opticus 
von  Fall  1:  to  Tuberkel  in  der  Opticussubstanz,  ts  Tuber- 
kel der  Duralscbeide;  tp  Tuberkel  der  Piaischeide;  r  Rie- 
senzellen. 

Fig.  5.  Dicht  vom  Bulbus  stammender  Schnitt  des  gllomatös  er- 
krankten Opticus  von  Fall  2:  8  Scheide,  a  atrophischer 
Theil  des  Opticus,  f  Nester  frischer,  mit  H&matoxylin  ge- 
färbter Gliomzellen  an  Stelle  der  Nervenfasern;  g  gllomatös 
entarteter  Theil,  mit  nekrotischen,  nicht  mehr  mit  Hftma- 
toxylin  gef&rbten  Zellen. 

Fig.  6.  Etwas  entfernter  vom  Bulbus  gelegener  Schnitt  des  glloma- 
tös erkrankten  Opticus  von  Fall  2:  8  Scheide,  a  atrophi- 
scher, g  gllomatös  entarteter  Theil  des  Sehnerven.  Die 
übrigen  Verhältnisse  ergeben  sich  aus  dem  Vergleich  mit 
Fig.  7. 

Fig.  7.  Der  mittlere  Theil  desselben  Schnittes  bei  st&rkerer  Ver- 
grösserung:  ar  Querschnitt  der  Art.  centr.  retin.  v  Vena 
centr.  retin.  schräg  durchschnitten,  b  Bindegewebsbalken. 
n  gliomatös  infiltrirte  Nervenfaserbflndel. 

Fig.  8.  Querschnitt  durch  eine  mehr  central  gelegene  Stelle  des 
Opticus,  aus  der  Gegend,  wo  die  Centralarterie  in  densel- 
ben eintritt 


Experimentelle  Untersaehnngen 

tl)er  die  Entstehimg  der  in  letzter  Zeit  bekannt 

gewordenen  Trübungen  der  Homhant  nach 

Staarextraction. 

Von 

Dr.  Carl  Mellinger, 
PriTatdocent  an  der  Universität  Basel. 

(Mittheilong  aus  dem  Laboratorium  der  ophthalmologischen  Klinik 
des  Herrn  Professor  Schiess-Gemusens.) 


Seit  Ausführung  der  Staarextraction  sind  hie  und  da 
bleibende  Hornhauttrübungen  nach  dieser  Operation  zur 
Beobachtung  gekommen.  Dieselben  fanden  meist  ihre  Er- 
klärung in  einer  vorausgegangenen  eitrigen  Infection  der 
Hornhaut  oder  langem  Aufgehobensein  der  Kammer  und 
der  Entstehung  vorderer  Synechien.  Nicht  lange  nach  der 
Einführung  des  Cocains  in  die  operative  Augenheilkunde 
wurde  von  verschiedenen  Kliniken  über  eine  neue,  bisher 
unbekannte,  bleibende  Hornhauttrübung  nach  Extraction 
berichtet.  Dieselbe  entstand  an  einem  reizlosen  Auge  und 
ist  ihre  Ursache  bis  zum  heutigen  Tage  ein  streitiger  Punkt 
geblieben. 

Die  nachfolgende  Abhandlung  versucht  die  Entstehung 
dieser  neuen  Hornhauttrübung  zu  erklären  und  damit  ihre 
Vermeidung  möglich  zu  machen. 

Aus  der  Graefe 'sehen  Klinik  in  Halle  kamen  durch 
die   Mittheilungen    von    Dr.   Bunge    die    ersten    Berichte 


160  C.  Mellinger. 

über  schädliche  Wirkung  des  Cocains  auf  die  Hornhaut^). 
Es  wurden  während  des  Cocainisirens  entstehende  kreisrunde 
Epitheldefecte  beobachtet.  Zweimal  machte  diese  Compli- 
cation  das  Hinausschieben  einer  Operation  (Extraction)  noth- 
wendig.  Doch  heilten  diese  Epitheldefecte  ohne  jeden  Nach- 
theil für  die  Transparenz  der  Hornhaut  wieder  aus. 

Von  weit  grösserer  Bedeutung  war  die  Mittheilung 
von  sechs  Fällen  von  parenchymatöser  Trübung  der  Hörn* 
haut  nach  Staarextraction.  Bunge  beschreibt  diese  Trü- 
bung als  am  achten  Tage  nach  der  Operation  nur  schwach 
sichtbar,  dann  aber  an  Intensität  von  Woche  zu  Woche 
zunehmend,  so  dass  schliesslich  der  Patient  nicht  besser 
sah  als  vor  der  Operation.  Die  Trübung  hatte  den  Cha- 
rakter einer  bleibenden.  Bei  einer  Frau,  welche  im  Februar 
operirt  worden  war,  sah  Bunge  im  Juni  die  Hornhaut 
über  dem  Colobom  noch  gleich  einem  Milchglas  getrübt 
Bunge  beschreibt  diese  Trübung  als  aus  verticalen  grauen 
Streifen  bestehend.  Er  vergleicht  sie  mit  der  nach  Extrac* 
tion  häufig  zur  Beobachtung  kommenden  sogen,  „streifigen 
Keratitis''  mit  dem  Unterschied,  dass  mehr  und  breitere 
Streifen  auftreten.  Die  Hornhautoberfläche  über  der  Trü- 
bung war  uneben.  Bunge  schrieb  diese  Veränderung  der 
Anwendung  von  Cocain  zu. 

Diese  Mittheilung  aus  der  Graefe'schen  Klinik  veran- 
lasste zahlreiche  Veröffentlichungen  über  die  Erfahrungen 
anderer  Kliniker.  Die  Ansicht  über  die  Ursache  der  Ent- 
stehung wurde  eine  getheilte  und  die  Trübung  selbst  auch 
in  einer  etwas  anderen  Form  beobachtet.  Hirschberg*) 
und  Wicherkiewicz^)   hatten   bei  einer  grossen  Anzahl 


')  Dr.  Bange,  Ueber  schädliche  Wirkungen  des  Cocains  auf 
die  Hornhaut.   Klin.  Monatsbl.  für  Augenheilk.  1885,  S.  402. 

>)  Hirschherg,  Centralbl.  f.  prakt  Augenheilk.  1885,  S.  316. 

•)  Wicherkiewicz,  Ueber  schädliche  Wirkungen  des  Cocains. 
Centralbl.  für  prakt.  Augenheilk.  1885,  S.  368. 


Experimentelle  üntersachungen  etc.  161 

von   Operirten    trotz   ausgiebiger   Anwendung   von   Cocain 
nichts  Aehnliches  beobachtet 

Wicherkiewicz  führt  einen  Fall  von  Extraction  an, 
bei  welchem  aus  Irrthum  mit  einer  Sublimatlösung  von 
1 :  1000  irrigirt  wurde,  nach  Cocainisirung  mit  8  ®/o  Lösung. 
Nach  einigen  Tagen  sah  die  ganze  Vorderfläche  der  Horn- 
haut gleichmässig  opak  aus.  Nach  sechs  Wochen  war  die 
Hornhauttrübung  noch  nicht  ganz  verschwunden.  Da  sich 
diese  Operation  einzig  durch  Anwendung  einer  starken  Su- 
blimatlösung von  den  anderen  gut  verlaufenen  unterschied, 
glaubte  Wicherkiewicz  das  Sublimat  als  Ursache  der  Horn- 
hauttrübung annehmen  zu  müssen. 

Pflüger^)  beschreibt  bei  einem  68jährigen  decrepiden 
Manne,  eine  nach  Extraction  unter  Cocain  auftretende  strei- 
fige, parenchymatöse  Hornhauttrübung,  die  identisch  scheint 
mit  den  von  Bunge  beobachteten  Fällen.  Die  Trübung 
hellte  sich  nur  sehr  langsam  auf.  Leichtere  Fälle  von  so- 
genannten Cocaintrübungen  der  Hornhaut  sah  Pflüger  in 
2 — 3  Wochen  sich  zurückbilden.  Bei  einem  weiteren  Fall 
trat  die  Trübung  vom  Schnittrand  aus  in  die  Hornhaut  ein, 
hierbei  handelte  es  sich  mehr  um  eine  wolkige  die  ganze 
Hornhaut  einnehmende  Trübung.  Pflüger  betont,  dass  er 
diese  Cocaintrübungen  nur  nach  Cataractextractionen  und 
die  schweren  Fälle  nur  bei  schlecht  genährten,  früh  ge- 
alterten Patienten  gesehen  habe.  Nur  einmal  konnte  er 
bei  einer  breiten  antiphlogistischen  Iridectomie  die  gleiche 
Trübung  beobachten.  Er  schliesst  daraus,  dass  grosso  Horn- 
hautwunde und  schlechte  Ernährung  die  Entstehung  der 
Cocaintrübung  begünstigen. 

Gelegentlich  einer  Discussion  über  streifige  Keratitis 
auf  der  Versammlung   der  Ophthalmologen  in  Heidelberg 


^)  Pflüger,  Pathologische  und  physiologische  Wirkungen  des 
Cocain.  Klin.  Monatsbl.  f.  Augenheilk.  1886,  S.  169. 

T.  Qnefe'8  Archiv  fQr  Ophthalmologie.  XXXVn.  4.  H 


162  G.  Mellinger. 

1887  *)  brachte  Wicherkiewicz  auch  die  sogen.  Gocain- 
keratitis  zur  Sprache.  Er  hatte  in  den  letzten  Jahren  drei- 
mal stationäre  Trübungen  der  Hornhaut  nach  Eztraction 
beobachtet,  welche  er  unmittelbar  der  Cocainwirkung  zu- 
schreibt. Den  schädlichen  Einfluss  dieses  Mittels  sucht  er 
darin,  dass  es  den  intraocularen  Druck  zu  stark  und  für 
längere  Zeit  herabsetze,  wodurch  eine  genaue  Adaptation 
der  Wundränder  verhindert  wurde. 

Ed.  Meyer  fügt  hier  die  interessante  Beobachtung 
bei,  dass  er  mehrmals  nach  Injection  von  Eserin  und  Pilo- 
carpin mit  schwacher  Sublimatlösung  in  die  vordere  Kam- 
mer, eine  sehr  gesättigte  Trübung  der  ganzen  Hornhaut 
gesehen  habe.  Diese  Trübung  war  so  dicht,  dass  Iris  und 
Pupille  während  mehrerer  Tage  unsichtbar  waren.  Sie  ver- 
schwand dann  im  Laufe  einer  Woche,  ohne  eine  Spur  zu 
hinterlassen. 

Ob  wir  dem  Cocain  oder  dem  Sublimat  diese  Horn- 
hauttrübung zuzuschreiben  haben,  darüber  gingen  noch  die 
Ansichten  am  internationalen  Ophthalmologen- Congress  in 
Heidelberg  1888*)  auseinander.  Bei  der  Discussion  über 
Staarextraction  kamen  auch  die  Störungen  im  Verlauf  der 
Heilung  zur  Sprache,  Laqueur  sprach  von  durch  das  Co- 
cain hervorgerufenen  Trübungen  der  Hornhaut,  die  in  der 
Regel  vorübergehen,  aber  auch  zu  bleibenden  werden  kön- 
nen. Knapp  hingegen  erwähnte  eigen thümUche  Symptome 
der  Sublimatreaction  beim  Ausspülen  der  vorderen  Kammer 
sogar  mit  Lösungen  von  1  :  10,000.  Er  fand,  dass  Ein- 
spritzungen von  geringen  Mengen  einer  schwachen  Subli- 
matlösung in  die  vordere  Kammer  des  menschlichen  Auges 
vorübergehende  Schmerzen,  grössere  Mengen  hingegen  lang 
anhaltende,  heftige  Schmerzen  machen  und  zu  einer  dich- 

']  Bericht  über  die  XIX.  Versammliing  der  Opbthalmolog.  Ge- 
sellschaft.   Heidelberg  1887. 

*)  Siebenter  periodischer  intemation.  Ophthalmologen-Congress. 
Von  Otto  Becker  nnd  Wilhelm  Hess.   Heidelberg  1888. 


Experimentelle  Untersuchangen  etc.  163 

ten  aus  polygonalen  Feldern  bestehenden  Hornhauttrübung 
führen,  die  so  intensiv  sein  kann,  dass  man  bei  schiefer 
Beleuchtung  kaum  die  Pupille  hindurchsieht  In  einzelnen 
Fällen  ging  diese  Trübung  gänzlich  zurück,  in  anderen  blie- 
ben mehr  oder  weniger  getrübte  Stellen  bestehen.  Bei  einem 
alten  Manne,  bei  welchem  nach  der  Extraction  die  Horn- 
haut stark  trichterförmig  einsank,  spritzte  Knapp  soviel 
einer  Sublimatlösung  von  1  :  10,000  in  die  vordere  Kam- 
mer, dass  die  Hornhaut  sich  hob  und  das  Auge  gefüllt  wie 
gewöhnlich  aussah.  Patient  hatte  die  ersten  sieben  Stun- 
den nach  der  Operation  lebhafte  Schmerzen.  24  Stunden 
nachher  war  die  ganze  Hornhaut  streifig,  diffus  und  poly- 
gonal fleckig  getrübt.  Diese  Hornhaut  hellte  sich  später 
nur  wenig  auf.  Auch  bei  zu  reichlicher  Berieselung  des 
Auges  während  der  Extraction  mit  Sublimat  1 :  5000  sah 
Knapp  zuweilen  milchige  Hornhauttrübung,  die  sich  nicht 
in  allen  Fällen  zurückbildete.  Diese  Mittheilungen  von 
Knapp  sprechen  wieder  mehr  für  die  Schuld  des  Sublimat. 
Würdinger*)  suchte  durch  Thierversuche  die  durch 
Cocain  eintretenden  Hornhautveränderungen  zu  erklären. 
Er  fand,  dass  fortgesetzte  Cocainisirung  eines  Kaninchen- 
auges beim  Offenstehen  der  Lidspalte  zu  Unebenheiten  im 
Epithelüberzug  der  Hornhaut  führe  und  zur  Verdünnung 
des  Homhautparenchyms.  Bei  geschlossenem  Auge  sah  er 
weniger  Unebenheiten  und  dieselben  auf  die  Lidspaltenzone 
beschränkt.  Er  hält  diese  Veränderungen  durch  die  Ab- 
dunstung  an  der  Hornhautoberfläche  dos  offenstehenden 
Auges  und  durch  lymphatische  Anämie  bedingt.  Sowohl 
durch  Einbringung  von  Fluorescin  als  auch  Methylenblau 
in  den  Conjunctivalsack  cocainisirter  Augen,  zeigte  sich, 
dass  das  Cocain  die  Epithelzellen  durchlässig  macht  und 
Färbung  fast  des  ganzen  Parenchyms  eintritt,  was  Wür- 

^)  Würdinger,  Experimentelle  nnd  aDatomische  Untersuchun- 
gen über  die  Wirkungen  des  Cocains  auf  die  Hornhaut  Münchner 
medic.  Wochenschrift  1886. 


164  C.  Mellinger. 

dinger  daraus  erklärt,  dass  das  Cocain  sowohl  Epithel- 
schicht als  auch  Parenchym  saftarm  mache. 

Ferner  sucht  er  experimentell  die  Frage  zu  beantwor- 
ten, ob  Cocain  allein  oder  in  Verbindung  mit  Sublimat  an 
der  Hornhautveränderung  Schuld  sei.  Nur  beim  Offenhal- 
ten der  Lidspalte  während  des  Cocainisirens,  sieht  er  nach 
Ausspülung  mit  antiseptischen  Lösungen  vorübergehende 
Trübungen  der  Hornhaut,  die,  wie  es  scheint,  sich  haupt- 
sächlich auf  das  Epithel  beschränken. 

Würdinger  glaubt  nach  diesen  Versuchen,  dass  weder 
Cocain  noch  Sublimat,  Salicylsäure,  Borsäure  etc.  in  der 
gebräuchlichen  Concentration  schädlich  auf  die  Hornhaut 
wirken.  Andererseits  sagt  er,  dass  diese  Antiseptica  so  gut 
wie  andere  Flüssigkeiten  in  das  Homhautgewebe  eindrin- 
gen können  nach  ausgiebiger  Cocainisirung.  Bei  geschlos- 
sener Lidspalte  oder  Schutz  des  Auges  vor  Vertrocknung 
durch  Ueberschwemmung  mit  destillirtem  Wasser  und  un- 
gehindertem Lidschlag  treten  die  Veränderungen  in  viel 
geringerer  Weise  oder  gar  nicht  auf. 

Zur  experimentellen  Untersuchung  der  von  Bunge  be- 
schriebenen parenchymatösen  Hornhauttrübung  wird  von 
Würdinger  das  eine  Auge  eines  Kaninchens  mit  ö^/^  Co- 
cainlösung  anästhesirt;  hierauf  an  beiden  Augen  mit  dem 
Schmalmesser  in  die  Hornhaut  eine  etwas  ausgedehntere 
Function  und  Contrapunction  wie  beim  Beginn  des  Lap- 
penschnittes angelegt,  der  Lappen  jedoch  nicht  ausgeschnit- 
ten, der  Conjunctivalsack  mit  Sublimatlösung  1 :  5000  aus- 
gespült und  die  Lidspalte  durch  Naht  geschlossen.  Zwei 
Tage  nachher  wird  das  Thier  getödtet  und  die  Bulbi  enu- 
cleirt. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigte  auf  beiden 
Augen  die  streifige  Keratitis  in  der  Umgebung  des  Schnit- 
tes. Bei  dem  cocainisirten  Auge  war  die  Quellung  der  Cor- 
nealgrundsubstanz  und  die  Auseinanderdrängung  der  Horn- 
hautlamellen viel  bedeutender.    Würdinger  fasst  die  Hörn- 


Experimentelle  Untersuchungen  etc.  165 

hauttrübung  am  cocainisirten  operirten  Äuge  nur  als  einen 
höheren  Grad  desselben  Processes  am  nicht  cocainisirten 
Auge  auf  und  glaubt,  dass  Sublimat  bei  der  parenchyma- 
tösen Hornhauttrübung  nur  bedingt  in  Betracht  komme. 
Als  Ursache  des  Entstehens  beschuldigt  er  die  durch  das 
Cocain  hervorgerufene  Durchlässigkeit  des  Cornealepithels 
und  eine  Lympharmuth  des  Parenchyms.  Die  von  ihm  be- 
obachteten Fälle  von  derartiger  streifiger  Keratitis  bei  Ca- 
taractoperirten  konnten  durch  Guttaperchasublimatverbände 
vollkommen  geheilt  werden. 

Eversbusch*)  unterstützt  die  Ansicht  von  Würdin- 
ge r.  Er  schreibt  die  Trübung  einem  Contact  des  Sublimats 
mit  dem  Lymphspaltensystem  der  Hornhaut  zu,  und  hält 
den  rein  comealen  Schnitt  für  von  Bedeutung  beim  Zu- 
standekommen der  Trübung.  Trotz  der  prophylactischen 
Maassregeln  von  Würdinger  beobachtete  Eversbusch 
einmal,  nach  Ausspülung  der  vorderen  Kammer  mit  Subli- 
mat 1:10,000  eine  bleibende  Hornhauttrübung. 

Wicherkiewicz*)  neigt  sich  in  seinem  neuesten  Jah- 
resbericht wieder  mehr  der  Ansicht  zu,  dass  das  Cocain 
die  Ursache  der  Trübung  sei.  Er  sagt,  seit  er  nur  zwei- 
mal eine  ö^/^ige  Cocainlösung  in  Pausen  von  fünf  Minuten 
vor  der  Extraction  einträufele,  habe  er  niemals  mehr  eine 
stationäre  Trübung  zu  beklagen  gehabt. 

Auch  an  der  Baseler  ophthalmologischen  Klinik  wur- 
den diese  parenchymatösen  Hornhauttrübungen  nach  Extrac- 
tion beobachtet.  Einige  hellten  sich  nach  einiger  Zeit  wie- 
der auf,  andere  hingegen  beeinträchtigten  durch  bleibende 
Hornhauttrübungen  das  Sehvermögen  bedeutend.  Ebenso- 
wenig wie  Pflüger  und  Knapp  sahen  wir  regelmässig  die 
von  Bunge  beschriebene  streifige  Form.     Die  Trübungen 

^)  Eversbusch,  üeber  die  Anwendung  der  Antimycotica  in  der 
Augenheilkunde.    Centralbl.  f.  prakt.  Augenheilk.,  XIV.  Jahrg.,  S.  65. 

*)  XII.  Jahresbericht  der  Augenheilanstalt  für  Arme  in  Posen 
für  das  Jahr  1889  von  Dr.  B.  Wicherkiewicz,  S.  37. 


166  C.  Mellinger. 

waren  häufig  mehr  diffus  grau,  bis  milchig  weiss.  Bei  con- 
stanter  Irrigation  des  Wundgebietes  mit  Sublimat  1 :  5000 
und  massiger  Cocainisirung  mit  2  %  Lösung  kamen  doch 
diese  schweren  Veränderungen  der  Hornhaut  vor.  Von  einer 
Eintrocknung  konnte  hier  keine  Rede  sein.  Die  Ausspü- 
lungen der  vorderen  Kammer  mittelst  der  Undine  wurden 
mit  Borsäurelösung  vorgenommen.  Der  Verband  nach  der 
Operation  ist  hier  schon  lange  ein  Guttapercha- Sublimat- 
Verband,  wie  ihn  Würdinger  als  therapeutisches  Mittel 
gegen  diese  Hornhauttrübungen  empfiehlt,  doch  konnte  er 
bei  unseren  Fällen  die  Entstehung  der  Trübung  nicht  ver- 
hindern. Selbst  wochenlanges  Eataplasmiren  bei  vorhan- 
dener, frischer  Trübung  war  von  kaum  bemerkenswerthem 
Erfolg  begleitet  Es  geht  schon  daraus  hervor,  dass  die 
hier  beobachteten  Hornhauttrübungen  mit  der  von  Wür- 
dinger mit  Erfolg  behandelten  Keratitis  nicht  überein- 
stimmen. Sie  erinnern  ihrer  Hartnäckigkeit  nach  mehr  an 
die  von  Bunge,  Pflüger  und  Knapp  beschriebenen  Fälle. 
Die  Hauptpunkte  aus  den  Krankengeschichten  der  hier 
zur  Beobachtung  gekommenen  Fälle  von  dieser  neuen  blei- 
benden Hornhauttrübung  sind  folgende: 

I.  Fall. 

G.  Jean,  75  Jahre. 

Eintritt:  8.  Octbr.,  Austritt:  6.  Novbr.  1885. 

Anamnestisch  ausser  den  gewöhnlichen  Angaben  Aber  Ab- 
nahme des  Sehvermögens  nichts  von  Bedeutung. 

Status  praes.  Kräftiger  Mann.  Beiderseits  leichter  Con- 
junctivalcatarrh.  R.  Corticalcataract.  S  =  *~^/iooo-  Proj.  gut 
L.  Cataract  incip.    S=**/goQ. 

Die  Urinuntersuchung,  welche  an  der  hiesigen  Klinik  regel- 
mässig bei  allen  Staarkranken  vorgenommen  wird,  ergiebt  kein 
Eiweiss,  dagegen  bei  der  Trommer 'sehen  Probe  viel  Zucker. 
Spec.  Gewicht  1042.  Patient  war  sich  seiner  Zuckerkrankheit 
nicht  bewusst. 

9.  Octbr.  R.  Extraction.  Cocainanästhesie  mit  2%  Lö- 
sung.   Schnitt  in  der  Corneoscleralgrenze.    Z&he  Kapsel.     Bei 


Experimentelle  ünterBuchungen  etc.  167 

der  Entbindung  der  Linse  bleibt  ziemlich  viel  Corticalis  zurück. 
Hochgradiger  HornhautcoUaps,  wesshalb  die  Entfernung  der 
Corticalreste  ziemlich  schwierig  und  der  DayieTsche  Löffel 
mehrfach  eingeführt  werden  muss.  Einzelne  feine  Corticalreste 
bleiben  zurück,  sonst  Pupille  schwarz.    Verband. 

11.  Octbr.  Verbandwechsel.  Ausser  leichtem  Oedem  der 
Coiü*  bulbi  und  streifiger  Trübung  der  Hornhaut  nichts  Ab- 
normes. 13.  Oct  Hornhaut  mehr  diffus  getrübt.  16.  Oct.  Horn- 
haut wolkig  parenchymatös  getrübt  17.  Oct.  Tag  über  kein 
Verband,  Kataplasmen  und  Atropin.  Diese  Therapie  wird 
fortgesetzt  bis  zum  Austritt  am  6.  Nov.  Das  Auge  wird 
nun  gut  geöffnet.  Bulbus  leicht  oberflächlich  injicirt.  Cornea 
stark  streifig  und  wolkig  parenchymatös  getrübt.  Kam- 
mer gut.  Pupille  ziemlich  weit.  Nur  wenig  Licht  vom  Augen- 
hintergrund dxingt  durch  die  Hornhauttrübung,  keine  Details 
sichtbar.  8=^^200  ^  ^^fi'  Zuckergehalt  des  Urins  etwaa 
geringer.  Spec.  Gewicht  1035.  Die  Trübung  besteht  trotz  ver- 
schiedener therapeutischer  Versuche  bis  zum  heutigen  Tage 
unverändert  fort. 

IL  Fall. 

K.  Serafine,  65  Jahre. 

Eintritt  13.  März,  Austritt  3.  Mai  1885. 

Anamnestisch  seit  einigen  Jahren  hie  und  da  Thränen 
der  Augen,  sonst  nichts  von  Bedeutung. 

Status  praes.  Etwas  blasse  aber  kräftige  Frau. 
L.  Cataracta  lenticularis.  S=*/iooo-  Pr^J-  i^^- 
R.  Cataracta  incip.    S=*®/2oo-    Urin  normal. 

19.  März.  L.  Extraction  unter  2^/^  Cocainanästhesie. 
Grosser  ganz  in  die  Hornhaut  fallender  Schnitt.  Ziemliche 
Lappenhöhe.  Leichte  Entbindung  des  grossen  Kerns.  Ziemlich 
viel  Corticalis  bleibt  zurück,  die  nur  theilweise  durch  Streichen 
entfernt  werden  kann.    Verband. 

21.  März.  Verbandwechsel:  Cornea  diffus  trüb,  mas- 
sige bulbäre  Ii^ection.  26.  März  Trübung  hat  eher  zugenom- 
men.  Tagverband  wird  weggelassen.  Kataplasmen,  Atropin.  Diese 
Therapie  wird  fortgesetzt  bis  zum  3.  Mai  ohne  eine  wesent- 
liche Besserung  zu  erzielen.  Fat.  wird  entlassen  mit  paren- 
chymatös' grau  weiss  getrübter  Hornhaut  und  einem  S.  von 
^^^  V>oo  H  ^^fi'  ^^^^  spätere  Anwendung  von  aufhellenden 
Mitteln  vorzugsweise  ungt.  flav.  blieb  erfolglos.    Poliklinisch 


168  C.  Mellinger. 

wird  am  14.  Juni  der  gleiche  Zustand  wie  beim  Anstritt  ge- 
funden S  =  */joo  H14,0. 

III.  Fail. 
S.  Regina,  72  Jahre. 

Eintritt  23.  April,  Austritt  2.  Juni  1888. 

Anamnestisch  nichts  besonderes. 

Status  praes.  Kräftige  Frau.  Beiderseits  leichter  Ca- 
tarrh.  L.  bei  flacher  Kammer.  Cataracta  lenticularis  S=  */iooo» 
Proj.  gut.    R.  nichts  Abnormes.    S=l.    Urin  normal. 

24.  April.  L.  Extraction.  2^/^  Cocainanästhesie.  Mittel- 
grosser  Schnitt  in  der  Hornhaut,  nach  innen  die  Scleralgrenze 
erreichend,  starke  störende  Blutung.  Leichte  Entbindung  der 
Linse.    Corticalis  mit  der  Undine  entfernt.    Verband. 

30.  April.  Verbandwechsel:  Kammer  flach.  Etwas  Con- 
junctivalödem.  Pupille  eng.  Leicht  diffus  getrübte  Hornhaut. 
Atropin.  1.  Mai  ziemlich  starke  diffuse  Hornhauttrübung,  die 
bis  zum  6.  Mai  immer  mehr  zunimmt.  Auf  Chamillen  und 
später  Kataplasmen  tritt  eine  leichte  Besserung  ein,  doch  be- 
steht beim  Austritt  am  2.  Juni  noch  eine  diffuse  parenchy- 
matöse blaue  Cornealtr Übung  und  in  Folge  davon  ein  Visus 
von  ^-^1^00  H11,0. 

Poliklinisch:  11.  Juni.  S  =  ^^j^q^  H  11,0.  Hornhaut 
etwas  heller. 

IV.  Fall. 
R.  Theobald,  67  Jahre. 

Eintritt  23.  Mai,  Austritt  21.  Juni  1888. 

Die  Anamnese  ergiebt  nichts  besonderes. 

Status  praes.  Massig  kräftiges  Individuum.  Beiderseits 
etwas  Catarrh  und  Cataracta  lenticularis,  sonst  nichts  Abnormes. 

R.  S  =  */2ooi  L-  S=®/iooo-    Beiderseits  Proj.  gut. 

29.  Mai.  L.  Extraction  ohne  Iridectomie.  Ziemlich 
grosser  Schnitt  im  Comeoscleralrand.  Starker  CoUaps  der  Horn- 
haut. Mühevolle  Entbindung  des  grossen  Kerns.  Zurückblei- 
bende Corticalis  wird  mit  dem  Löffel  herausgestrichen.  Pupille 
ganz  schwarz.    Verband. 

1.  Juni.  Verbandwechsel:  Starke  mehr  diffuse  paren- 
chymatöse Hornhauttrübung.  Sonst  gut.  Behandlung  mit  Cha- 
millen  und  Atropin. 

Am  21.  Juni  ist  bei  der  Entlassung  in  Folge  der  nur 
unbedeutend  gebesserten  Hornhauttrübung  S  =  ^^/soo  ^  ^^fi- 


Experimentelle  üntersuchangen  etc.  169 

V.  Fall. 

R.  Jean,  18  Jahre. 

Eintritt  2.  Juni,  Austritt  23.  Juni  1888. 

Anamnestisch  wird  nichts  von  Bedeutung  angegeben. 

Stat.  praes.  Decrepider  Mann.  Beiderseits  leichter  Ca- 
tarrh.  R  Cataracta  lenticularis  S='~*/ioooi  ^«  Cataracta 
nuclearis  S=^~^/,ooo-   Beiderseits  Proj.  gut 

5.  Juni.  R.  Extraction.  Ziemlich  grossen  Schnitt  im 
Comeoscleralrand,  mittelbreite  Iridectomie.  Wegen  plötzlichem 
Aufwärtssehen  schwierige  Entbindung  des  Linsenkerns.  Es 
bleibt  Corticalis  zurück,  die  durch  Streichen  entfernt  wird. 
Verband. 

L.  Extraction  ohne  Iridectomie.  Grosser  Schnitt  in 
der  Hornhaut  nach  unten.  Nach .  Eröffnung  der  Kapsel  tritt 
eine  Luftblase  in  die  vordere  Kammer.  Glatte  Entbindung  des 
flachen  Kerns.  Die  Kammer  wird  reichlich  mit  der  Undine  aus- 
gespritzt. 

R.  Auge:  Verlauf  normal.  Hornhaut  bleibt  klar.  Beim 
Austritt  noch  Reste  von  Corticalis.    S=  Vio  H  11,0. 

L.  Auge:  Beim  ersten  Verbandwechsel  am  8.  Juni  dif- 
fuse parenchymatöse  Hornhauttrübung.  Behandlung  wie 
bei  den  früheren  Fällen  mit  feuchter  Wärme  und  Atropin.  Am 
22.  Juni  bei  der  Entlassung  diffuse  parenchymatöse  Hornhaut- 
trübung etwas  geringer.    S=^®/goo  H  10,0. 

Poliklinisch:  30.  Juli.  Oberer  Theil  der  Hornhaut  auf- 
gehellt, unterer  noch  stark  getrübt    S  =  ^^I^qq  H11,0. 

VL  Fall. 

St.  Francisca,  74  Jahre. 

Eintritt  21.  Sept.,  Austritt  21.  Decbr.  1888. 

Wurde  links  vor  drei  Jahren  extrahirt  und  mit  S=^/io 
H  12,0  entlassen.     Anamnestisch  sonst  nichts  von  Bedeutung. 

Status  praes.  Ziemlich  rüstige  Pat.  Beiderseits  leichter 
chronischer  Conjunctivalcatarrh. 

R.  Cataracta  lenticularis.    S  =  ^Ij^qqq.   Proj.  gut 

L.  Hornhaut  klar.  Kammer  tief.  Breites  Colobom  nach 
oben.   Nachstaar.    S==Vio  H  12,0. 

25.  Sept  R.  Extraction  ohne  Iridectomie.  Anaesthesie 
mit  2  ^Iq  Cocain,  wie  bei  allen  anderen  Fällen.  Schnitt  im  Cor- 
neoscleralrand.   Hochgradiger  CoUaps,  trotzdem  leichte  Entbin- 


170  C.  Mellinger. 

dang  des  Linsensystems.  Corticalmassen  werden  theils  mit  dem 
DavieTBchen  Löffel,  theils  mit  der  Undine  herausbefbrdert 
Keine  Tendenz  zum  Irisvorfall.    Verband. 

26.  Sept.  Patientin  war  Nachts  sehr  unmhig.  Klagt  Aber 
Schmerzen.  Verbandwechsel:  Kammer  noch  ganz  aufge- 
hoben.   Hornhaut  getrübt    Wenig  Reizung.    Verband. 

27.  Sept  Streifige  parenchymatöse  Hornhauttrfl- 
bung.    Behandlung  mit  Chamillen  und  Atropin. 

16.  Novbr.    S=**/2oo  H  12,0. 

•24.  Nov.  Trübung  bisher  ziemlich  gleich  stark  geblieben. 
Von  jetzt  an  täglich  drei  Minuten  Massage  der  Hornhaut 

1.  Decbr.    S  =  ^^/goo  H  12,0. 

21.  Dec.  Die  streifige  und  wolkige  parenchymatöse  Horn- 
hauttrübung ist  eher  noch  etwas  stärker  geworden.  S=**/2oo 
H  12,0.    Fat.  wird  mit  Jodjodkaliumtropfen  entlassen 

Poliklinisch:  26.  Septbr.  1889.  Trübung  besteht  fort 
S  =  8/200  H  12,0. 

18.  Dec.  Trübung  hat  eher  noch  zugenommen.  S=  %oo9 
H  12,0. 

26.  März  1890.  Hornhaut  noch  durchweg  parenchymatös 
getrübt.  Oberer  Theil  mehr  streifig,  unterer  mehr  wolkig.  Von 
unten  her  an  zwei  Stellen  tiefe  Vascularisation.  S  =  ^/soo> 
H  12,0. 

Diese  sechs  Fälle  zeigen  mit  Ausnahme  der  Hornhaut- 
trübung so  wenig  übereinstimmendes,  dass  sich  aus  ihnen 
auf  die  Ursache  der  Trübung  nicht  schliessen  lässt.  Eben- 
sowenig spricht  irgend  etwas  für  eine  besondere  Disposition 
der  Patienten  zu  dieser  Trübung.  Am  meisten  finden  wir 
noch  das  Auftreten  von  HornhautcoUaps  und  schwierige 
Entbindung  der  Linse  erwähnt  Gerade  dieses  letztere  und 
das  häufige  Eingehen  mit  Instrumenten  in  die  vordere  Kam- 
mer könnte  als  Ursache  der  Trübung  in  unseren  Fällen  an- 
gesehen werden.  Bei  der  bereits  oben  erwähnten  Discus- 
sion  über  die  Streifenkeratitis  ^)  nach  Operationen,  die  der 
vor  der  ophthalmologischen  Gesellschaft  1887  in  Heidelberg 
gehaltene  Vortrag  von  Laqueur  hervorrief,  wurde  für  die 
Entstehung  dieser  Hornhauttrübung  speciell  das  mechanische 

»)  1.  c.  S.  162,  Note  1. 


Experimentelle  üntersucliungeii  etc.  171 

Moment  der  Gontusion  betont  Sattler,  Leber  und  Becker 
haben  ausser  der  streifigen  auch  eine  circumscripte  diffuse 
Trübung  gesehen,  sie  verschwindet  entweder  mehr  oder  we- 
niger rasch  oder  hinterlässt  eine  bleibend  getrübte  Stelle. 
Als  Ursache  dieser  circumscripten,  diffusen  Hornhauttrübung 
wird  nach  den  Versuchen  von  Leber  und  Wagenmann 
eine  mechanische  Verletzung  des  Endothels   angenommen. 

Unsere  Hornhauttrübungen  in  den  sechs  angeführten 
Fällen  müssen  jedoch  eine  andere  Ursache  haben.  Dafür 
spricht  erstens  ihre  gleichmässige  Ausdehnung  über  einen 
grösseren  Theil  der  Hornhaut,  zweitens  der  Umstand,  dass 
wir  solche  Hornhauttrübungen  in  früheren  Serien  von  Ca- 
taractoperationen  nicht  gekannt;  obwohl  in  denselben  bei 
den  gleichen  Manipulationen  die  gleichen  mechanischen 
Schädlichkeiten  eingewirkt  hatten.  Ganz  besonders  spricht 
drittens  gegen  die  mechanische  Ursache  unserer  Trübung, 
dass  in  den  folgenden  Operationsserien  nach  Weglassung 
der  Sublimatlösung  als  Irrigationsflüssigkeit  nie  mehr  etwas 
Aehnliches  beobachtet  worden  ist. 

Der  Diabetes  des  ersten  Falles  mag  denselben  als  nicht 
ganz  rein  erscheinen  lassen.  An  eine  Vertrocknung  der 
Homhautoberfläche  während  der  Operation,  wie  sie  Wür- 
dinger  gesehen,  konnte  bei  der  constanten  Irrigation  nicht 
gedacht  werden. 

Das  Cocain  allein  schien  uns  auch  nicht  der  wahr- 
scheinliche Urheber  der  Trübung  zu  sein.  Besonders  wenn 
wir  an  die  unvergleichlich  reichlicheren  Cocaineinträufelun- 
gen  bei  Pterygiumoperationen,  Iridectomieen  und  besonders 
bei  Herausnahme  von  Fremdkörpern  aus  der  Hornhaut 
dachten,  die  ohne  schädlichen  Einfiuss  auf  die  Cornea  ge- 
schehen können. 

Der  Sublimat,  der  hier  schon  längere  Zeit  vor  Anwen- 
dung des  Cocains,  wenn  auch  nicht  zur  constanten  Irriga- 
tion, so  doch  zur  häufigen  Ueberspülung  des  Operations- 
gebietes in  Lösung   von  1  :  5000  verwendet  wurde,   ohne 


172  C.  Mellinger. 

dass  vorher  ähnliche  Trübungen  auftraten,  schien  uns  auch 
nicht  schuldig. 

Auffallend  erschien  auch  uns,  dass  wir  die  Trübungen 
nur  bei  Cataractextractionen  sahen,  während  bei  anderen 
Operationen  nie  etwas  Aehnliches  beobachtet  wurde.  Es 
musste  also  der  Zustand,  in  welchem  das  Auge  sich  befand, 
zur  Zeit  wenn  es  in  Berührung  kam  mit  Sublimat  oder  Co- 
cain oder  mit  beiden  zusammen  für  die  Entstehung  der 
Trübung  von  Bedeutung  sein. 

Die  Eröffnung  der  vorderen  Kammer  allein  konnte  es 
nicht  sein,  sonst  hätten  wir  bei  Iridectomieen  Aehnliches 
sehen  müssen.  Die  weitere  Eröffnung  der  vorderen  Kam- 
mer bei  Extraction,  die  grössere  Möglichkeit  des  Eintretens 
von  Flüssigkeit  in  dieselbe  nach  der  Linsenentbindung,  hat- 
ten hier  noch  in  Betracht  zu  kommen.  Die  Wahrschein- 
lichkeit, diese  Fragen  auf  klinischem  Wege  zu  lösen,  war 
eine  sehr  geringe.  Ich  folgte  daher  gerne  der  Aufforderung 
meines  verehrten  Lehrers,  Herrn  Prof.  Schiess-Gemuseus, 
den  Gegenstand  einer  experimentellen  Untersuchung  zu 
unterziehen. 

Die  Fragen,  welche  wir  uns  zu  stellen  hatten,  waren 
folgende: 

1)  Welchen  Einfluss  hat  das  Cocain  allein  oder 
in  Verbindung  mit  Sublimat  auf  die  unverletzte 
Hornhaut? 

2)  Wie  ist  der  Einfluss  bei  eröffneter  vorderer 
Kammer? 

3)  Wie  verhält  sich  die  Hornhaut  bei  kürzerem 
Aufenthalt  und  beim  Zurückbleiben  dieser  Flüssig- 
keiten in  der  vorderen  Kammer? 

Experimenteller  Theil. 

1)  Welchen  Einfluss  hat  das  Cocain  allein  oder 
in  Verbindung  mit  Sublimat  auf  die  unverletzte 
Hornhaut. 


Experimentelle  Üntersuchangen  etc.  173 

Durch  zahlreiche  Versuche  am  Kaninchen  wurde  das 
TOD  Würdinger  angegebene  Verhalten  des  Hornhautepi- 
thels beim  Cocainisiren^  bei  offener  und  geschlossener  Lid- 
sgalte  bestätigt  gefunden.  Wir  sahen  besonders  schön  mit 
der  Westien'schen  Lupe  die  bei  offengehaltenem  Auge 
auftretenden  Unebenheiten  des  Hornhautepithels.  Bei  der 
Prüfung  der  Sensibilität  fiel  uns  bei  den  meisten  Fällen 
auf,  dass  die  leichte  Berührung  mit  der  Sonde  einen  oft 
mehrere  Minuten  lang  bestehenbleibenden  Eindruck  im  Epi- 
thel der  Hornhaut  zurückliess. 

Auch  die  Durchlässigkeit  des  Epithels  der  cocainisir- 
ten  Hornhaut  für  leicht  diffundirende  Farbstoffe  konnte  mit 
Uranin  constatirt  werden. 

Cocainisirt  man  bei  einem  Kaninchen  das  eine  Auge 
und  bringt  dann  in  den  Gonjunctivalsack  beider  einen  Trop- 
fen einer  207oig6i^  Uraninlösung,  so  sieht  man  schon  nach 
wenigen  Secunden  die  Hornhaut  des  cocainisirten  Auges 
sich  grün  färben  und  nach  einer  Minute  hat  sich  die  Farbe 
dem  grössten  Theil  des  Parenchyms  mitgetheilt;  während 
die  Hornhaut  des  anderen  Auges  unverändert  bleibt. 

Ausgiebige  Sublimatirrigation  (1  :  5000)  nach  reich- 
licher Cocainisirung  konnte  nur  vorübergehende,  hauchige 
Trübung  der  obersten  Epithelschicht  hervorrufen. 

Es  wurde  hierbei  beobachtet,  dass  langanhaltende  Su- 
blimatirrigation eine  ziemlich  starke  mehrere  Tage  anhaltende 
catarrhalische  Reaction  der  Kaninchenconjunctiva  hervorruft. 

Alle  in  dieser  Hinsicht^  angestellte  Versuche  ergaben 
in  Bezug  auf  die  nach  Extraction  auftretende  parenchyma- 
töse Hornhauttrübung  das  zu  erwartende  negative  Resultat. 
Wir  können  hier  nur  die  von  Würdinger  angeführten  Co- 
cainveränderungen  des  Epithels  der  Hornhaut  bestätigen. 

Es  scheint  uns  noch  von  Literesse  hier  zu  erwähnen, 
dass  die  Veränderungen,  welche  das  Cocain  an  den  Epi- 
thelzellen der  Hornhaut  hervorruft,  sich  sehr  leicht  an  der 
Froschhornhaut  unter  dem  Mikroskop  beobachten  lassen. 


174  C.  Melllnger. 

2)  Wie  ist  der  Einfluss  des  Cocains  allein  oder 
in  Verbindung  mit  Sublimat  auf  die  Hornhaut  bei 
eröffneter  vorderer  Kammer. 

Nach  dem  zu  erwartenden  negativen  Resultat  der  ersten 
Versuchsreihe,  hatten  wir  zu  unserer  zweiten  Frage  über- 
zugehen und  die  Versuche  bei  eröffneter  vorderer  Kammer, 
die  Würdinger  bereits  vorgenommen,  zu  wiederholen.  Bei 
diesen  Versuchen  wurde  in  der  cocainisirten  Hornhaut  dem 
oberen  Pupillarrand  gegenüber  ein  etwas  über  1  mm  langer 
Schnitt  angelegt  und  nach  Abfluss  des  Kammerwassers  so** 
wohl  bei  offengehaltener  als  auch  sich  selbst  überlassener 
Lidspalte  während  einer  Stunde  alle  5  Minuten  ein  Tropfen 
einer  2  ^/oigen  Cocainlösung  auf  die  Hornhaut  und  die 
Schnittstelle  gebracht 

Ausser  den  bekannten  von  Würdinger  nachgewiese- 
nen Epithelveränderungen  und  hie  und  da  einer  leichten 
bläulichen  Färbung  und  Quellung  der  Wundlippen  konnte 
keine  weitere  Veränderung  der  Hornhaut  beobachtet  wer- 
den. Die  Hornhäute  waren  des  anderen  Tages  wieder  voll- 
kommen glatt  und  unverändert  in  ihrer  Transparenz,  die 
Schnittränder  zeigten  manchmal  eine  schmale  vorüber- 
gehende Trübung. 

Die  Versuche  wurden  sodann  combinirt  mit  Sublimat- 
irrigation. Nach  ausgiebiger  Cocainisirung  und  Anlegung 
des  Schnittes  wurde,  ähnlich  wie  bei  der  Staaroperation, 
eine  Irrigation  des  Auges  mit  einer  Sublimatlösung  von 
1 :  5000  während  zehn  Minuten  vorgenommen.  Bei  einzel- 
nen Versuchen  geschah  von  Zeit  zu  Zeit  während  der  Irri- 
gation ein  Lüften  des  Wundrandes  und  das  etwa  wieder 
angesammelte  Kammerwasser  floss  ab. 

Ausser  dem  bereits  oben  beschriebenen  und  für  die 
Kaninchenconjunctiva»  wie  es  scheint,  charakteristischen  Reiz- 
zustand nach  längerem  Contact  mit  Sublimatlösung,  wurde  die 
Hornhaut  fast  regelmässig  oberflächlich  hauchig  getrübt 
gefunden.  Die  oberflächliche  Trübung  war  nach  ein  bis  zwei 


Experimentelle  üotenachungen  etc.  175 

Tagen  wieder  YoUständig  verschwunden.  Eine  der  gesuch- 
ten Trübung  gleichende  Veränderung  konnte  nicht  erzeugt 
werden. 

3)  Wie  verhält  sich  die  Hornhaut  bei  kürzerem 
Aufenthalt  und  beim  Zurückbleiben  dieser  Flüssig- 
keiten in  der  vorderen  Kammer. 

Zur  Beantwortung  dieser  Frage  wurde  eine  grosse 
Reihe  von  Versuchen  am  Kaninchen  gemacht.  Da  ein  be- 
stimmter Theil  dieser  Versuche  ein  positives  Resultat  brachte, 
halte  ich  es  für  angezeigt,  die  für  die  Beantwortung  un- 
serer Frage  wichtigen  Versuche  aus  dem  ProtocoU  mitzu- 
theilen.     Die  Versuche  tragen  die  Protocollnummer. 

Die  erste  Versuchsreihe  handelt  über  das  Ver- 
halten der  Hornhaut  bei  kürzerem  Aufenthalt  von 
Cocain  in  der  vorderen  Kammer. 

Versuch  HI. 

Weisses  Kaninchen.  Linkes  Auge.  Hornhaut  intact.  10  Uhr 
30  Min.  1  gtt.  2  %  Cocain,  10  Uhr  35  und  10  Uhr  39  Min. 
dasselbe.  Nun  wird  ein  1  ^/^  mm  langer  Lappenschnitt  in  der 
Hornhaut  dem  oberen  Pupillarrand  gegenüber  angelegt.  10  Uhr 
40  Min.  wird  die  abgeschliffene,  stumpfe  Canüle  einer  Pravatz- 
spritze  durch  die  Wunde  bis  über  den  oberen  Pupillarrand 
hinaus  in  die  vordere  Kammer  eingeführt.  Durch  langsames 
Vorschieben  des  Stempels  der  Spritze  werden  mehrere  Theil- 
striche  einer  2®/Qigen  Cocainlösung  in  die  vordere  Kammer 
gebracht.  Das  Cocain  fliesst  durch  die  klaffende  Wunde  wie- 
der ab.  10  Uhr  50  Min.  Hornhantepithel  zeigt  die  durch  das 
Cocain  hervorgerufenen  Unebenheiten;  Pupille  wird  bei  der 
wieder  etwas  vorhandenen  flachen  Kammer  weit.  11  Uhr  5  Min. 
Bei  schiefer  Beleuchtung  deutliche  Auflockerung  und  Uneben- 
heit des  Hornhautepithels  besonders  in  der  Lidspaltenzone. 
Pupille  weit.  11  Uhr  30  Min.  Epithelveränderungen  nehmen 
ab.  Papille  bleibt  weit.  Am  folgenden  Tag:  Auge  reizlos,  Horn- 
haut klar. 

Alle  in  der  gleichen  Weise  angestellten  Versuche  gaben 
das  gleiche  Resultat. 


176  0.  Mellinger. 

Zweite  Versuchsreihe  über  das  Verhalten  der 
Hornhaut  bei  kürzerem  Aufenthalt  einer  Sublimat- 
lösung 1:5000  in -der  vorderen  Kammer. 

Diese  Versuche  wurden  mit  und  ohne  Gocainanästhesie 
vorgenommen,  stets  mit  dem  gleichen  Resultat 

Als  Beispiel  gelte: 

Versuch  XV. 

Weisses  Kaninchen.    Linkes  Aag&     Intacte  Hornhaut 

21.  März.  11  Uhr  25  Min.  In  der  Hornhaut  wird  dem 
oberen  PapiUarrand  gegenüber  ein  kleiner  Lappenschnitt  ge- 
macht Kammerwasser  läuft  ab.  Hierauf  wird  die  Pravatz'sche 
Spritze  mit  stumpfer  Ganüle  bis  zum  unteren  Pupillarrand  ein- 
geführt und  langsam  eine  halbe  Spritze  Sublimatlösung  (1  zu 
5000)  eingespritzt.  Die  eingespritzte  Flüssigkeit  läuft  neben 
der  Ganüle  durch  den  Schnitt  wieder  ab,  die  Kammer  füllt 
sich  nicht.     Die  Pupille  wird  eng. 

22.  März.  Auge  reizlos.  Homhautoberfläche  sieht  leicht 
kömig  aus.  Obere  und  mittlere  Partie  der  Hornhaut  bis  zum 
unteren  Pupillarrand  sind  bläulich,  parenchymatös  getrübt 
Pupille  frei,  reagirt  auf  Licht  Sensibilität  ist  in  der  ge- 
trübten Hornhautpartie  herabgesetzt. 

23.  März.  Parenchymatöse  Trübung  noch  intensiver.  Iris 
durch  dieselbe  nur  sehr  undeutlich  sichtbar.  Sensibilität  in  der 
Trübung  herabgesetzt.  Berührung  der  getrübten  Stelle  mit  einer 
stumpfen  Sonde  erzengt  einige  Zeit  bestehenbleibende  Eindrücke. 

24.  März.    Trübung  etwas  weniger  intensiv.  Sonst  stat  id. 

26.  März.  Nor  noch  ganz  leichte,  hauchige,  parenchymatöse 
Trübung  der  Hornhaut  Sensibilität  noch  deutlich  herabgesetzt 
in  der  getrübten  Partie.  Epitheleindrücke  lassen  sich  noch  mit 
der  Sonde  wie  am  23.  März  hervorrufen. 

27.  März.  Nur  in  der  Nähe  der  geschlossenen  Wunde 
noch  etwas  parenchymatöse  Trübung.  Sensibilität  gut.  In  der 
früher  getrübten  Stelle  lassen  sich  noch  mit  dem  Sondenkopf 
Epitheleindrücke  hervorrufen,  doch  verschwinden  dieselben  viel 
rascher  als  zwei  Tage  vorher. 

28.  März.  Hornhaut  bis  auf  die  Schnittnarbe  klar.  Sen- 
sibilität gut.  Es  lassen  sich  keine  Epitheleindrücke  mehr  her- 
vorrufen.   Pupille  reagirt  auf  Licht.    Auge  reizlos.  — 


Experimentelle  Untersnchungeo  etc.  177 

Eine  grosse  Anzahl  solcher  Versuche  brachte  uns  stets 
das  gleiche  Resultat.  Die  Dauer  der  parenchymatösen  Trü- 
bung schwankte  zwischen  drei  bis  sechs  Tagen.  Stets  hellte 
sich  die  Hornhaut  wieder  vollkommen  bis  auf  die  kleine 
Schnittnarbe  auf.  Vorhergehende  Gocainanästhesie  blieb 
ohne  nachweisbaren  Einfluss  auf  die  Entstehung  und  die 
Dauer  der  Trübung.  Wurde  vorher  die  vordere  Kammer 
mit  Cocain  ausgespült  und  dann  eine  Sublimatausspülung 
folgen  gelassen  oder  zum  Ausspülen  ein  Gemisch  von  glei- 
chen Theilen  der  gewöhnlichen  Cocain-  lud  Sublimatlösun- 
gen benutzt,  so  trat  das  gleiche  Resultat  auf.  Es  entstand 
die  oben  beschriebene,  durch  Sublimat  allein  schon  hervor- 
gerufene parenchymatöse  Trübung  der  Hornhaut;  aber  mit 
dem  bemerkenswerthen  Unterschied,  dass  sie  einige  Tage 
länger  (bis  zehn  Tage)  bestehen  blieb,  als  wenn  Sublimat 
allein  durch  die  vordere  Kammer  geflossen  war. 

Durch  diese  Versuche  war  bewiesen,  dass  der  Subli- 
mat allein,  wenn  er  sich  auch  nur  vorübergehend  in  der 
vorderen  Kammer  in  der  Verdünnung  von  1 :  5000  befindet, 
eine  vorübergehende,  parenchymatöse  Trübung  der  Kanin- 
chenhornhaut hervorruft,  ähnlich  der  in  letzter  Zeit  beim 
Menschen  nach  Staaroperationen  beobachteten  Corneatrübung. 

Wir  hatten  die  Ausspülung  der  vorderen  Kammer  in 
diesen  Versuchen  vorgenommen,  um  den  Verhältnissen,  unter 
denen  sich  ein  Auge  während  der  Staaroperation  verbun- 
den mit  Irrigation  befindet,  möglichst  nahe  zu  kommen. 
Der  niedere  Druck,  unter  dem  das  Auge  nach  der  weiten 
Eröffnung* der  vorderen  Kammer  und  besonders  nach  der 
Entbindung  der  Linse  sich  befindet,  lässt  die  Irrigations- 
flüssigkeit in  die  vordere  Kammer  leicht  eintreten.  Es  kann 
sogar  vorkommen  bei  stark  herabgesetztem  Druck,  der  nicht 
so  selten  mit  Anwendung  des  Cocains  beobachtet  wird,  dass 
Irrigationsflüssigkeit  nach  vollendeter  Operation  in  der  vor- 
deren Kammer  zurückbleibt.  Unsere  oben  angeführten  Ver- 
suche entsprechen  dieser  letzteren  Möglichkeit  nicht.     Die 

▼.  Gnefe'B  AtcUt  mr  Ophthalmologie.  XXXVII.  4.  12 


178  C.  Mellinger. 

vordere  Kammer  entleerte  sich  nach  Einbringung  der  Su- 
blimatlösung  stets  wieder  ganz  und  konnte  desshalb  auch 
nur  die  Wirkung  von  vorübergehend  in  der  vorderen  Kam- 
mer anwesender  Sublimatlösung  zur  Beobachtung  kommen. 
Es  blieb  daher  noch  zu  untersuchen,  welchen  Einfluss  kleine, 
in  der  vorderen  Kammer  zurückbleibende  Mengen  von  Su- 
blimatlösung auf  die  Hornhaut  ausüben. 

Von  dem  zunächst  liegenden  Versuch  zur  Beantwor- 
tung dieser  Frage,  der  Staarextraction  am  Thier,  wurde 
aus  naheliegenden  Gründen  abgesehen.  Die  Infectionsge- 
fahr  ist  hierbei  eine  zu  grosse  und  reine  Versuchsresultate 
mehr  vom  Zufall  abhängig. 

Es  wurde  desshalb  mit  der  Discissionsnadel  eine  feine 
Oeffnung  in  der  Hornhaut  gemacht,  durch  die  sich  nur 
beim  Lüften  der  Wunde  die  vordere  Kammer  vollständig 
entleerte.  Durch  eine  solche  Oefihung  eingespritzte  kleine 
Mengen  der  Sublimatlösung  bleiben  in  der  vorderen  Kam- 
mer zurück,  wovon  man  sich  durch  eine  gefärbte  Lösung 
überzeugen  kann.  In  dieser  Weise  ausgeführte  Versuche 
gaben  das  gesuchte  Resultat:  die  weisslich- graue,  pa- 
renchymatöse bleibende  Hornhauttrübung. 

Der  folgende  aus  der  HL  Versuchsreihe  herausgegrif- 
fene Versuch  mag  als  Muster  gelten. 

Versuch  XL 

Gelbbraunes  Kaninchen.  Becbtes  Auge.  Intacte  Hornhaut. 
Dunkelpigmentirte  Iris. 

13  Febr.  1890.  Cocainanästhesie.  Perforation  der  Horn- 
haut dem  oberen  inneren  Papillarrand  gegenüber.  Nach  Abfloss 
des  Kammerwassers  Einspritzung  eines  Theilstriches  der  Subli- 
raatlösung  1:5000  mittelst  der  Pravatz'schen  Spritze;  die  Lö- 
sung bleibt  nach  Entfernung  der  Spritze  in  der  vorderen  Kam- 
mer zurttck.  Die  Papille  wird  eng.  Das  Thier  scbliesst  das 
Aage. 

14.  Febr.  Auge  reizlos  wird  gut  geöffnet.  Obere  Horn- 
hauthälfte blau  parenchymatös  getrübt.  Die  Trübung 
besteht  aus  feinen  Streifen  und  polygonalen  Flecken.    Pupille 


ExperimenteUe  Untersachungen  etc.  179 

eng,  reagirt  anf  Licht  Sensibilität  in  der  getrübten  Partie 
herabgesetzt.  Der  Sondenknopf  erzeugt*  kurze  Zeit  besteheli- 
bleibende  EindrQcke  in  dem  Hornhautepithel  der  getrübten  Stelle. 

Bis  zum  17.  Febr.  hat  die  Trübung  derart  an  Intensität 
zugenommen,  dass  die  Pupille  nur  noch  schwach  sichtbar  ist. 
Die  Trübung  nimmt  nun  fast  die  ganze  Hornhaut  ein.  Das 
Auge  bleibt  reizlos  und  wird  gut  geöffnet 

Bis  26.  Febr.  bleibt  der  Zustand  der  gleiche;  von  da  an 
hellt  sich  die  Trübung  in  den  peripheren  Theilen  der  Horn- 
haut auf,  während  die  mehr  central  und  nach  oben  gelegene, 
zuerst  getrübte  Partie  sich  noch  intensiver  trübt. 

12.  März.  Oberer  Theil  der  Hornhaut  bleibt  intensiv  grau- 
blau getrübt,  untere  und  zeitliche  Theile  haben  sich  aufgehellt. 
Sensibilität  nur  noch  wenig  herabgesetzt  Epitheleindrücke  las- 
sen sich  in  der  getrübten  Partie  mit  der  Sonde  noch  hervor- 
rufen, doch  verschwinden  sie  sehr  rasch. 

25.  April.  Bei  reizlosem  Auge  besteht  die  Trübung  in 
dem  oberen  Theil  der  Hornhaut  fort  Sie  geht  vom  oberen 
Hornhautrand  zungenförmig  bis  über  die  Pupille  und  nimmt 
fast  ein  Dritttheil  der  Hornhaut  ein.  Ihre  Farbe  wird  mehr 
milchig  weiss  und  ihre  Durchsichtigkeit  dadurch  noch  geringer. 
Die  Sensibilität  ist  in  der  getrübten  Stelle  nicht  mehr  herab- 
gesetzt Epitheleindrücke  lassen  sich  keine  mehr  hervorrufen. 
Die  Oberfläche  über  der  parenchymatösen  Trübung  ist  glänzend 
wie  die  übrige  Hornhaut 

Als  der  Bulbus  nach  sechzehn  Monaten  zum  Zwecke 
der  mikroskopischen  Untersuchung  nach  Tödtung  des  Thieres 
herausgenommen  wurde,  war  diese  zungenförmige  parenchymatöse 
Hornhauttrübung  noch  in  gleicher  Stärke  vorhanden. 

Aus  diesen  Versuchen  geht  hervor,  dass  Sublimat  in 
die  vordere  Kammer  des  Kaninchenauges  gebracht,  eine 
parenchymatöse  Hornhauttrübung  erzeugt,  die  der  beim  Men- 
schen beobachteten  ähnlich  ist 

Das  Bestehenbleiben  dieser  Trübung  hängt  davon  ab, 
•  wie  lange  Sublimat  von  der  bei  Augenoperationen  üblichen 
Concentration  in  der  vorderen  Kammer  anwesend  war. 
Bleibt  eine  kleine  Menge  in  der  Kammer  zurück,  so  ent- 
steht eine  viel  intensivere  und  ausgedehntere  Hornhaut- 
trübung, die  zu  einer  bleibenden  werden  kann. 

12» 


180  C.  Mellinger. 

Das  Entstehen  dieser  parenchymatösen  Hornhauttrü- 
bung ist  vollkommen  unabhängig  Yon  der  Grösse  der  Per- 
forationswunde der  Cornea.  Dass  die  Wunde  überhaupt 
mit  der  Entstehung  dieser  Hornhauttrübung  nichts  zu  thun 
hat,  dafür  spricht  vor  Allem,  dass  die  Trübung  ganz  gleich 
entsteht,  wenn  man  die  Perforationsöffnung  in  den  Scleral- 
falz  verlegt  und  durch  eine  sclerale  Oeffimng  Sublimat- 
lösung in  die  vordere  Kammer  bringt,  — 

Nach  den  klinischen  Erfahrungen  war  es  noch  von 
Interesse  zu  wissen,  welche  Rolle  das  Cocain  bei  der  Ent- 
stehung dieser  Trübung  spielt.  .Wie  wir  oben  gesehen  ha- 
ben, ist  es  im  Stande,  eine  schwache  Sublimattrübung,  wenn 
es  gleichzeitig  mit  dem  Sublimat  eingewirkt  hat,  in  ihrem 
Bestehen  zu  verlängern. 

Versuche  mit  Einbringung  von  Cocainlösung  in  die 
vordere  Kammer  fielen  in  so  weit  negativ  aus,  als  keine 
Hornhauttrübung  entstand. 

Aus  Versuchen  von  Würdinger  ist  uns  bekannt,  dass 
das  Epithel  der  cocainisirten  Hornhaut  für  im  Con- 
junctivalsack  befindliche  Flüssigkeiten  leichter  durchgängig 
wird  (siehe  Seite  163). 

Bei  Staaroperationen,  besonders  bei  solchen  mit  Iri- 
dectomie,  kommt  häufig  noch  nach  vollendetem  Lappen- 
schnitt, zum  Zweck  der  schmerzlosen  Irisausschneidung  Co- 
cain zur  Anwendung.  Dasselbe  muss  dann  in  die  vordere 
Kammer  eindringen  wenn  es  wirken  soll. 

Es  war  daher  die  Frage  naheliegend:  Wie  wirkt  das 
Cocain  auf  das  Endothef  der  Hornhaut? 

Zur  Beantwortung  derselben  wurde  folgender  Versuch 
gemacht: 

Bei  einem  Kaninchen  wird  beiderseits  mit  einer  breiten 
Discissionsnadel  die  Hornbant  perforirt.  Hierauf  in. das  eine 
Auge  mit  der  Pravatz'schen  Spritze  ein  bis  zwei  Tropfen  einer 
2^/oigen  Cocainlösung  eingebracht.  Das  Kaninchen  erhält  so- 
dann eine  Injection  von  Fluorescinlösung  unter  die  Rückenhaut. 


Experimentelle  üntersachungen  etc.  181 

Nach  20 — 25  Minuten  zeigt  sich  das  Fluorescin  beiderseits  in 
der  vorderen  Kammer  und  färbt  den  Humor  aqueus  grttn.  Auf 
der  cocainisirten  Seite  wird  aber  nicht  nur  das  Kammerwasser, 
sondern  auch  der  grösste  Theil  der  Hornhaut  parenchymatös, 
diffus  grün  geförbt. 

Die  Grünfärbung  des  Parenchyms  ist  bei  diesem  Ver- 
such viel  intensiver,  als  beim  Eindringen  des  Fluorescins 
vom  Epithel  aus.  —  Das  andere  nicht  cocainisirte  Auge 
zeigt  nur  in  der  nächsten  Umgebung  der  Perforations- 
öfifnung  einen  schmalen  grün  gefärbten  Hof,  während  die 
übrige  Hornhaut  vollkommen  klar  bleibt. 

Dass  es  hier  wirklich  das  Cocainum  muriaticum  in 
der  Lösung  ist,  welches  das  Epithel  oder  Endothel  durch- 
gängig macht  und  nicht  das  Aqua  destillata  beweisen  ent- 
sprechende ControUversuche,  die  von  uns  mehrfach  ausg^ 
führt  wurden.  Sie  zeigten  erstens,  dass  Aqua  dost,  allein 
nicht  im  Stande  ist,  eine  solche  Durchlässigkeit  des  Epi- 
thels zu  erzeugen,  wie  die  Cocainlösung;  zweitens,  dass 
Cocain  in  einhalbprocentiger  Kochsalzlösung  ganz  gleich  auf 
Epithel  und  Endothel  einwirkt,  wie  in  der  gewöhnlichen 
wässerigen.  Es  muss  also  das  Cocainum  muriaticum 
die  Eigenschaft  besitzen,  sowohl  Epithel  als  auch  Endothel 
der  Hornhaut  für  Flüssigkeiten  durchgängig  zu  machen. 

Aus  unseren  Versuchen  geht  demnach  hervor,  dass  so- 
wohl das  Cocain  als  auch  der  Sublimat  in  der  gebräuch- 
lichen Lösung  das  Endothel  der  Hornhaut  verändern  müs- 
sen. Die  Sublimattrübung  tritt  auf,  wenn  wir  die  Cornea 
gar  nicht  verletzt  haben,  sondern  scleral  die  Lösung  in  die 
vordere  Kammer  bringen.  Die  Sublimatlösung  kann  dem- 
nach auf  keinem  anderen  Weg  von  der  vorderen  Kammer 
aus  in  die  Hornhaut  eindringen  als  durch  das  Endothel. 
Um  dieses  zu  können,  muss  sie  aber  eine  Veränderung  im 
Endothel  hervorrufen.    Denn   wie   Leber  ^)   nachgewiesen 


*)  Th.  Leber,  Stadien  über  den  FlasBigkeitswechsel  im  Auge. 
Oraefe*8  Archiv  XIX,  S.  162. 


182  C.  Mellinger. 

hat»  schützt  das  intacte  Endothel  am  lebenden  Auge  das 
Parenchym  der  Hornhaut  vor  dem  Eindringen  des  Kammer- 
wassers. Nuel  und  CorniP)  zeigen  in  ihrer  anatomischen 
Arbeit  über  das  Endothel  der  vorderen  Kammer,  dass  vom 
Kammerwasser  diflferente  Flüssigkeiten  (destillirtes  Wasser 
und  Sublimatlösungen)  das  Endothel  abtödten  und  zur  Ab- 
stossung  bringen,  wodurch  das  Parenchym  in  directe  Com- 
munication  mit  dem  Inhalt  der  vorderen  Kammer  tritt. 
Nach  unserem  Fluorescinversuch  hat  auch  das  Cocain  eine 
das  Endothel  durchlässig  machende  Wirkung. 

Durch  das  Gelingen  dieser  Versuche  sind  die  Fragen, 
die  wir  uns  gestellt,  beantwortet  und  können  wir  für  die 
Kaninchenhornhaut  und  ihr  Verhalten  zu  Sublimat  und  Co- 
cain folgende  Sätze  aufstellen: 

1)  Sublimatlösung  in  der  Concentration  von 
1:5000  erzeugt  bei  vorübergehender  Anwesenheit 
in  der  vorderen  Kammer  eine  kürzere  Zeit  anhal- 
tende, parenchymatöse  Hornhauttrübung.  Bleibt 
jedoch  etwas  Sublimatflüssigkeit  in  der  vorderen 
Kammer  zurück,  so  entsteht  eine  intensive  lang  an- 
dauernde oder  bleibende  parenchymatöse  Trübung. 

2)  Das  Cocain  allein  macht  keine  Hornhauttrü- 
bung. Dagegen  unterstützt  seine  Anwesenheit  in 
der  vorderen  Kammer  die  Entstehung  der  Subli- 
mattrübung. Und  zwar  einmal  dadurch,  dass  es 
das  Endothel  für  Flüssigkeit,  die  sich  in  der  vor- 
deren Kammer  befindet,  durchgängig  macht  und 
so  das  Parenchym  der  Einwirkung  dieser  Flüssig- 
keit aussetzt;  ferner  dadurch,  dass  es  den  intra- 
ocularen  Druck  herabsetzt,  das  Auftreten  von  Horn- 
hautcollaps  befördert  und  so  das  Eindringen  und 


')  De  rendoth^lium  de  la  chambre  ent^rieure  de  Toeil,  parti- 
culiärement  de  celui  de  la  com^e,  par  les  D»*  J.  F.  Nuel,  profesaeor 
et  Fem.  Cornil,  assistent.    Archives  d*ophtalmologie.   T.  X.  309. 


Experimentelle  Untersuchungen  etc.  183 

Zurückbleiben  von  Sublimatlösung  in  der  vorderen 
Kammer  erleichtert. 

Für  die  Identität  dieser  beim  Kaninchen  erzeugten 
parenchymatösen  Sublimattrübung  der  Hornhaut,  mit  der 
beim  Menschen  nach  Staarextraction  beobachteten,  spricht 
vor  Allem  die  Art,  wie  sie  experimentell  hervorgerufen 
wurde  und  ihr  Aussehen.  Vergleichen  wir  die  genaue  Be- 
schreibung der  parenchymatösen  Hornhauttrübung  nach 
Staarextraction,  wie  sie  die  ausfuhrliche  Krankengeschichte 
der  hier  beobachteten  Fälle  enthält,  mit  einer  durch  Su- 
blimat experimentell  erzeugten  parenchymatösen  Keratitis 
beim  Kaninchen,  so  finden  wir  die  gleichen  Symptome. 

Das  Auge  ist  reizlos.  Die  Perforationswunde  ist  am 
zweiten,  dritten  Tag  in  der  gewöhnlichen  Art  vascularisirt. 
Es  besteht  keine  Lichtscheu.  Die  Hornhaut  ist  blau-grau, 
parenchymatös  getrübt.  Das  Epithel  uneben.  Die  Trübung 
besteht  aus  Wolken,  polygonalen  Feldern  und  Streifen.  Ist 
die  Trübung  nicht  zu  intensiv,  so  sieht  man  ausser  einer 
normalen  vorderen  Kammer,  die  Iris  und  eine  auf  Licht 
gut  reagirende  Pupille.  Die  Sensibilität  in  der  getrübten 
Stelle  ist  stark  herabgesetzt  bis  aufgehoben.  Das  zur  Prü- 
fung benutzte  Sondenende  hinterlässt  in  der  Hornhautober- 
fiäche  einen  Eindruck,  der  langsam  wieder  verschwindet, 
wie  bei  Hautödem.  Die  Möglichkeit,  solche  Eindrücke  her- 
vorzurufen, schwindet  mit  dem  Alter  der  Trübung  und  es 
kehrt  dementsprechend  die  Sensibilität  zurück.  Alle  unver- 
ändert bestehenbleibende  Hornhauttrübungen  derart  zeigen 
glänzendes  Epithel,  in  dem  sich  keine  Eindrücke  hervor- 
rufen lassen  und  wieder  hergestellte  Sensibilität. 

Dass  es  sich  bei  der  Sublimatkeratitis  anfangs  um 
eine  Quellungstrübung  handelt,  wie  sie  Leber ^)  nach 
Abkratzung  des  Endothels  erhalten,  dafür  spricht  die  ge- 
nauere   Untersuchung    so    getrübter    Kaninchenhornhäute. 

*)  1.  c.  S.  181. 


184  G.  Mellinger. 

Schneiden  wir  eine  Hornhaut  mit  theilweiser  frischer  Su- 
blimatkeratitis  aus,  so  finden  wir  dieselbe  in  der  getrübten 
Partie  zwei-  bis  dreimal  so  dick  als  in  der  transparenten. 
Auch  der  Querschnitt  zeigt  uns  das  gleiche  Verhältniss. 
Dieses  Homhautödem  beruht  auf  einer  Ausdehnung  des 
Saftkanalsystems,  was  sich  besonders  gut  durch  die  Leb  er- 
sehe Blaufärbung  ^)  an  frisch  ausgeschnittenen  ganzen 
Hornhäuten  nachweisen  lässt  Während  bei'  einer  so  behan- 
delten normalen  Hornhaut  das  Saftkanalsystem  in  den 
bekannten  Knochenkörperchen  ähnlichen,  schlanken  Figuren 
sich  präseutirt,  die  durch  haarfeine  Ausläufer  untereinander 
in  Verbindung  stehen,  erscheinen  bei  der  Sublim^tkeratitis 
diese  Figuren  bedeutend  vergrössert,  auf  Kosten  ihrer  ecki- 
gen Form,  sie  liegen  näher  aneinander,  verdrängen  die 
Zwischensubstanz,  die  haarfeinen  Anasthomosen  sind  plumpe 
breite  Verbindungen  geworden. 

Auch  an  Querschnitten  so  getrübter  und  in  Müller- 
scher FJüssigkeit  gehärteter  Hornhäute  sehen  wir  eine  sehr 
auffallende,  wahrscheinlich  nur  scheinbare  Proliferation  der 
Homhautkörperchen.  Die  mit  kemfärbendem  Hämatoxylin- 
Alaun  behandelten  Schnitte  zeigten  unveränderte  Trans- 
parenz der  Homhautgrundsubstanz,  dagegen  massenhaft 
sichtbare  in  jeder  Dimension  vergrösserte  Homhautkörper- 
chen. Einwanderung  von  Zellen  aus  der  Nachbarschaft,  wie 
wir  sie  sonst  massenhaft  bei  joder  eigentlichen  Entzündung 
der  Hornhaut  sehen,  war  nie  in  bemerkenswerther  Weise 
nachzuweisen.  Die  Erscheinung  der  Proliferation  der  Hom- 
hautkörperchen war  um  so  auffallender,  je  jünger  die  Trü- 
bung war  und  besonders  deutlich  an  Hornhäuten,  die  am 
dritten  oder  vierten  Tag  nach  Erzeugung  der  Trübung  in 
die  Härtungsflüssigkeit  gekommen  waren.  Wir  glauben 
nicht,  dass  es  sich  hier  um  eine  wahre  Vermehrung  der 
Homhautkörperchen  handelt,  sondem  dass  das  eingetretene 


*)  mit  Ferrum  Bulf.  Ferridcyankaliam. 


Experimentelle  Untersuchungen  etc.  185 

Oedem,  das  die  einzelnen  Hornhautkörperchen  vergrössert, 
sie  auch  in  mehr  Schichten  gleichzeitig  sichtbar  macht  So 
dass  dnrch  einen  Schnitt  nicht  nur  mehr  dieser  Gebilde 
getro£fen  werden,  sondern  auch  im  Schnitt  selbst  tieferlie- 
gende deutlicher  siditbar  werden.  Es  mag  auch  manche 
im  Querschnitt  getroffene,  ausgedehnte  Anastomose  das  Bild 
der  Vermehrung  der  Hornhautkörperchen  noch  vervollstän- 
digen. 

Das  Endothel  fehlt  bei  der  frischen  Trübung.  Es  er- 
setzt sich  in  den  ersten  acht  Tagen  und  gleichzeitig  damit 
tritt  bei  der  vorübergehenden  Form  der  Sublimattrübung 
die  Aufhellung  der  Hornhaut  ein.  Bei  der  bleibenden  Form 
der  parenchymatösen  Sublimatkeratitis  stellte  sich  das  En- 
dothel ebenfalls  her,  jedoch  ohne  eine  Besserung  der  Trans- 
parenz an  der  getrübten  Stelle  zur  Folge  zu  haben. 

Das  mikroskopische  Bild  einer  bleibenden  Sublimat- 
trübung der  Hornhaut  ist  ein  ganz  anderes  als  das  eiber 
frischen.  Zwischen  einer  acht  und  sechzehn  Monate  alten 
Trübung  derart  besteht  keine  nennenswerthe  Differenz.  Die 
Veränderung  ist  nach  dieser  Zeit  eine  stationäre  geworden. 
An  Querschnitten  in  Müller'scher  Flüssigkeit  gehärteter 
Präparate  zeigt  die  Hornhaut  an  der  getrübten  Stelle 
keine  Verdickung  mehr.  Das  Epithel  über  der  Trübung 
ist  von  normalem  Aussehen.  Die  Hornhautkörperchen  sind 
zahlreicher  sichtbar  als  in  dem  transparenten  Theil  einer 
solchen  Cornea.  Dagegen  zeigen  sie  nicht  mehr  die  gleich- 
massige  Aufblähung  wie  bei  den  feinsten  Sublimattrübun- 
gen. Sie  sind  schlank,  aber  nicht  gestreckt  wie  in  der  nor- 
malen Hornhaut,  sondern  leicht  geschlängelt.  Diese  Schlän- 
gelung der  Hornhautkörperchen  bringt  eine  wellenförmige 
Vorlagerung  der  Homhautfibrillen  mit  sich,  ähnlich  dem 
Befund,  den  Gallenga^)  bei  der  angeborenen  Hornhaut- 
trübung beschrieben  hat    Die  Structur  der  Homhautgrund- 

*)  C.  Gallen ga,  Salla  Struttura  dello  scleroftalmo  congenito. 
Borna  1890. 


186  C.  MelUnger. 

Substanz  erinnert  mehr  an  das  scerale  Gewebe.  Die  Mem- 
brana Descemeti  und  das  Endothel  zeigen  keine  Verände- 
rung. Es  ist  offenbar  die  Verlagerung  der  Hornhautfibril- 
len,  welche  die  Trübung  verursacht. 

Pathologisch-anatomisch  können  wir  uns  die  Yorüber- 
gehende  und  bleibende  Trübung  der  Hornhaut  nach  Subli- 
matinjection  in  die  vordere  Kammer  in  folgender  Weise 
erklären: 

Die  vorübergehende  Sublimatkeratitis  beruht  auf 
einer  Quellung  der  Lymphspaltensysteme  der  Hornhaut. 
Durch  Verlust  des  Endothels  hat  sich  die  Hornhaut  mit 
Kanmierwasser  und  etwas  Sublimat  imbibirt.  Die  Aufhel- 
lung geschieht  durch  Neubildung  des  Endothels  und  da- 
durch entstehenden  natürlichen  Schutz  des  Parenchyms  ge- 
gen das  Eindringen  der  Kammerflüssigkeit. 

Die  bleibende  Trübung  nach  Sublimatkeratitis  ent- 
steht dann,  wenn  Sublimatlösung  nach  Zerstörung  des  En- 
dothels direct  in  Berührung  kommt  mit  dem  Parenchym. 
Das  erste  Stadium  ist  dann  wieder  die  einfache  Quellungs- 
trübung der  Hornhaut.  Dieselbe  hellt  sich  jedoch  nach 
Wiederherstellung  des  Endothels  nicht  mehr  auf,  weil  das 
direct  und  längere  Zeit  mit  Sublimatlösung  in  Gontact  gewe- 
sene Lymphspaltensystem  des  Homhautparenchyms  schrumpft 
und  so  zu  einer  bleibenden  Verlagerung  der  Homhaut- 
fibrilleu  fuhrt.  — 

Es  ist  auch  für  uns  von  praktischem  Interesse  zu  wis- 
sen, durch  welche  Flüssigkeit  wir  die  Sublimatlösung  1  zu 
5000  ersetzen  können. 

Versuche  nach  dieser  Richtung  hin  zeigten,  dass  auch 
schwache  Sublimatlösungen  1 :  10,000  und  1 :  15,000  in  die 
vordere  Kammer  des  Kaninchenauges  gebracht,  die  vorüber- 
gehende Form  der  parenchymatösen  Hornhauttrübung  er- 
zeugen. 

3  ^/o  Borsäurelösung  und  Va  ^/o  Kochsalzlösung  konnten 
dagegen  ohne  jeden  Nachtheil  für  die  Hornhaut  in  beliebi- 


Experimentelle  Untersachangen  etc.  187 

gen  Quantitäten  in  die  vordere  Kammer  injicirt  werden. 
Die  Borsäurelösung  wurde,  weil  sie  das  Endothel  nicht  an- 
greift, Ton  Nuel  und  CorniP)  zur  Ausspülung  der  vor- 
deren Kammer  neben  der  physiologischen  Kochsalzlösung 
allenfalls  noch  für  zulässig  erklärt. 

Auch  gleichzeitige  Anwendung  von  Cocain  mit  Bor- 
säure- oder  Kochsalzlösung  in  der  vorderen  Kammer,  konnte 
keine  nachtheilige  Wii'kung  dieser  Mittel  hervorrufen.' 

Für  die  Unschädlichkeit  der  Borsäurelösung,  auch  in 
Verbindung  mit  Cocain  sprechen  die  letzten  100  Staarope- 
rationen  an  der  hiesigen  ophthalmologischen  Klinik.  Die- 
selben wurden  ausschliesslich  unter  Borsäureirrigation  aus- 
geführt und  alle  Ausspülungen  der  vorderen  Kammer  mit 
Borsäurelösung  vorgenommen;  seither  ist  diese  parenchy- 
matöse Hornhauttrübung  nicht  mehr  aufgetreten. 

Es  ist  nicht  nur  die  Sublimatlösung,  sondern  es  sind 
auch,  wie  uns  Versuche  gezeigt  haben,  eine  Reihe  anderer 
Flüssigkeiten,  z.B.  Aqua  destillata,  schwache  Säuren,  Alko- 
hol, die  in  die  vordere  Kammer  des  Kaninchens  injicirt 
parenchymatöse  Trübung  der  Hornhaut  von  verschiede- 
ner Dauer  hervorrufen.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  wie 
destillirtes  Wasser  auch  Lösungen  medicamontöser  Stoffe 
wirken  werden,  die  statt  mit  physiologischer  Chlomatrium- 
lösung  nur  mit  destillirtem  Wasser  bereitet  sind. 

Die  erst  kürzlich  von  Schmidt-Rimpler*)  zur  Des- 
infection  bei  Augenoperationen  und  Augenverletzungen  em- 
pfohlene Aqua  chlorata,  erzeugt  in  die  vordere  Kammer  des 
Kaninchens  gebracht,  ebenfalls  eine  bleibende  parenchy- 
matöse Hornhauttrübung  und  zwar  von  noch  grösserer  In- 
tensität als  die  Sublimattrübung.  Bei  längerer  Einwirkung  in 
der  vorderen  Kammer  hat  die  Aqua  chlor,  ausser  der  Hom- 

»)  1.  c.  S.  182. 

*)  Aqua  chlorata,  zur  Desinfection  bei  Aagenoperationen  und 
Augenverletzungen  von  H.  Schmidt-Rimpler.  Deutsche  medic. 
Wochenschrift  1891,  Nr.  3. 


188        C.  Mellinger,  ExperimenteUe  Untersachongen  etc. 

bauttrübung  noch  partielle  Atrophie  der  Iris  und  Linsen- 
kapseltrübongen  zur  Folge.  Wir  können  nach  diesen  Yer- 
sucbsresultaten  von  der  Anwendung  der  Aqua  chlorata  bei 
erö&eter  yorderer  Kammer  nur  warnen. 

Diese  Versuche  zeigen,  dass  wir  bei  Eröffnung  der 
vorderen  Kammer  mit  besonderer  Vorsicht  Yorzugehen  ha- 
ben, um  das  Endothel  nicht  zu  verletzen,  auf  dessen  Wich- 
tigkeit für  die  Transparenz  der  Hornhaut  Leber ^)  zuerst 
aufmerksam  gemacht  hat  In  unserer  antiseptischen  .Zeit 
kommt  ausser  dem  früher  schon  vorhandenen  mechanischen 
Moment  noch  das  weit  schlimmere  chemische  hinzu.  Wäh- 
rend ein  eingeführtes  trockenes  Instrument  nur  eine  circnm- 
scripte  Verletzung  des  Endothels  machen  kann,  kann  ein 
Tropfen  einer  antiseptischen  Lösung  eine  ausgedehnte  Zer- 
störung dieser  Schutzmembran  der  Hornhaut  hervorrufen. 
Wie  leicht  kann  schon  durch  ein,  aus  einer  antiseptischen 
Lösung  genommenes  nass  eingeführtes  Instrument,  eine  ge- 
nügende Menge  einer  das  Endothel  zerstörenden  Flüssigkeit 
in  die  vordere  Kanmier  kommen. 

Es  ist  von  Wichtigkeit,  in  einer  Zeit,  in  der  manche 
Ophthalmologen  sich  nicht  mehr  scheuen,  beliebig  oft  mit 
Instrumenten  in  die  vordere  Kammer  einzugehen,  antisep- 
tische Ausspülungen  dieses  Hohlraums  vorzunehmen  und 
Medicamente  in  denselben  zu  injiciren,  darauf  aufmerksam 
zu  machen,  dass  schon  mechanische  Verletzungen  des  Endo- 
thels für  die  Transparenz  der  Hornhaut  nicht  gleichgültig 
sind  und  dass  es  von  der  grössten  Wichtigkeit  ist,  was  für 
eine  Flüssigkeit  wir  in  die  vordere  Kammer  bringen. 

»)  1.  c.  S.  181. 


Pathologisch-anatomische  Untersnchimgeii 
flber  die  Zftndhfttchenverletzimgeii  des  mensch- 
lichen Anges. 

Von 

Dr.  Kostenitsch  aus  St.  Petersburg. 

Aus  dem  Laboratorium  der  Uniyersit&ts-Aagenklinik  zu  Heidelberg. 

Hierzu  Taf.  V,  Fig.  1  —  12. 


In  seiner  umfangreichen  Schrift  ^Die  Entstehung  der 
Entzündung  und  die  Wirkung  der  entziindungerregenden 
Schädlichkeiten^  hat  Prof.  Th.  Leber  ^)  eine  Reihe  von 
Versuchen  und  Beobachtungen  über  die  Wirkung  yon  me- 
tallischen Fremdkörpern  auf  das  Auge  des  Kaninchens  mit- 
getheilt,  bei  welchen  durch  Erhitzen  sterilisirte  Drähte  oder 
sonstige  Stücke  verschiedener  Metalle,  unter  anderen  von 
Eisen,  Blei  und  Kupfer,  in  die  vordere  Kammer  und  in  den 
Glaskörper  des  Auges  eingeführt  wurden. 

Die  Folgen,  welche  das  Verweilen  dieser  Fremdkörper 
im  Auge  nach  sich  zieht,  wurden  von  ihm  ophthalmosko- 
pisch und  pathologisch -anatomisch,  sowie  auch  auf  chemi- 
schem Wege  verfolgt.  Es  ergab  sich  dabei,  dass  die  ge- 
nannten Metalle  nach  ihrer  Einführung  in  das  Auge  sich 


>)  Tb.  Leber,  Die  Entstebang  der  EntzQndong  und  die  Wir- 
kung der  entzündungerregenden  Scbädllcbkeiten  nacb  vorzugsweise 
am  Auge  angestellten  Untersuchungen.  Leipzig  1891.  AbBcbnittXYII, 
XVIII  und  XIX. 


190  Eostenitech. 

in  geringer  Menge  in  den  Augenflüssigkeiten  lösen  und  dass 
das  Gewebe  des  Glaskörpers  durch  den  Einfluss  dieser  Liö- 
sungen  eine  Schrumpfung  erleidet,  welche  eine  Zugwirkung 
auf  di6  mit  dem  Glaskörper  in  Verbindung  stehende  Netz- 
haut ausübt  und  eine  acute  Ablösung  und  Zerreissung  die- 
ser Membran  hervorruft,  die  zugleich  mit  einer  eigenthüm- 
lichen  Form  von  Atrophie  derselben  verbunden  ist. 

Von  den  genannten  Metallen  zeichnet  sich  das  Kupfer 
noch  dadurch  aus,  dass  es  im  Auge  des  Kaninchens  in  der 
Regel  eine  sehr  ausgesprochene,  aber  locale  eitrige  Entzün- 
dung in  seiner  Umgebung  hervorruft,  wobei,  in  Abhängigkeit 
von  dem  Sitze  des  Fremdkörpers,  sehr  merkwürdige  Ver- 
schiedenheiten des  Grades  der  Wirkung  vorkommen.  Diese 
Beobachtungen  fuhren  zu  der  Annahme,  dass  eine  ausge- 
sprochene eitrige  Entzündung  nur  dann  zu  Stande  kommt, 
wenn  der  Fremdkörper  direct  mit  gefasshaltigen  Theilen  in 
Berührung  ist  und  wenn  seine  chemische  Wirkung  auf  die 
Gewebe  nicht  durch  stärkeren  Eiweissgehalt  des  umgeben- 
den Mediums  abgeschwächt  wird  (vergl.  S.  245). 

Bei  Einführung  eines  Kupferdrahtes  in  den  Glaskörper 
kommt  es  überdies  zur  Entstehung  von  atrophischer  De- 
generation, ausgedehnter  Necrose  und  oft  von  Ablösung  der 
Netzhaut  (vergl.  S.  259). 

Auch  beim  menschlichen  Auge  hat  Prof.  Leber  das 
Vorkommen  aseptischer  Eiterung  nach  Eindringen  von  Kup- 
ferstückchen nachgewiesen,  ohne  jedoch  über  die  dabei  vor- 
kommenden Veränderungen  eingehende  Mittheilungen  zu 
machen  (vergl.  S.  271). 

Auf  seinen  Vorschlag  habe  ich  mich  daher  im  Labora- 
torium der  Heidelberger  Universitäts-Augenklinik  mit  den 
Folgen  der  Zündhütchenverletzung  menschlicher  Augen  be- 
schäftigt, um  zu  erforschen,  ob  auch  hier  ähnliche  Vor- 
gänge wie  bei  den  erwähnten  Thierversuchen  auftreten.  Es 
stand  mir  zu  diesen  Untersuchungen  ein  bedeutendes  Ma- 
terial zur  Verfügung  und  ich  kann  als  Ergebniss  derselben 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  191 

Yorausschicken,  dass  die  beim  menschlichen  Auge  gefunde- 
nen Veränderungen  in  allen  wesentlichen  Punkten  mit  den 
beim  Thierversuch  beobachteten  übereinstimmen.  Ich  gehe 
jetzt  zur  Mittheilung  meiner  Beobachtungen  über. 

I.  Fall. 

Heinrich  Wacker. 

R.  A.  Verletzung  durch  ein  Zündhütchen  am  15.  Decbr. 
1876.  Enucleatio  bnlbi  am  18.  December  1876  von  Dr.  Just 
in  Zittau. 

Anatomische  Untersuchung.   Makroskopischer  Befund. 

Das  Auge  war  in  Mtüler'scher  Flüssigkeit  geh&rtet  und 
in  horizontaler  Richtung  oberhalb  der  Comealwunde  durch- 
schnitten. Die  untere  grössere  Hälfte  wurde  in  Celloidin  ein- 
gebettet und  in  Horizontalschnitte  zerlegt. 

Im  nasalen  Theil  der  Cornea  befindet  sich  neben  dem 
Limbus  eine  2  mm  grosse  Wunde.  Die  weitere  Untersuchung 
ergiebt  Folgendes. 

Der  Fremdkörper  hat  die  Sclerocomealgrenze  in  senk- 
rechter Richtung  durchschlagen  und  den  Ansatz  der  Iris  von 
den  Ciliarfortsätzen  abgetrennt.  Der  peripherische  Rand  der 
Iris  ist  in  die  Wunde  hineingezogen  und  ragt  noch  ein  Wenig 
'  über  die  Oberfläche  hervor.  Die  vorgefallene  Iris  füllt  den 
Wundkanal  gerade  aus,  ist  an  der  Oberfläche  etwas  aufgelockert 
und  ihr  Pigmentbelag  theilweise  atrophisch.  Die  Linse  ist 
vollständig  von  der  Zonula  gelöst  und  luxirt,  indem  ihr  late- 
raler Rand  nach  hinten  und  aussen,  ihr  nasaler  nach  vorn 
und  innen  gerichtet  ist 

Der  Weg,  den  der  Fremdkörper  weiterhin  genommen  hat, 
wird  bezeichnet  durch  einen  den  Glaskörper  schräg  durch- 
setzenden Hohlraum,  der  grossentheils  mit  Blatextravasat  er- 
füllt und  von  verdichtetem  Glaskörpergewebe  begrenzt  ist. 
Derselbe  beginnt  vorn  auf  der  medialen  Seite  in  der  Nähe 
der  äusseren  Wunde  als  ein  schmaler  Kanal,  zieht  schräg  an 
der  zur  Seite  geschobenen  Linse  vorbei  und  erweitert  sich 
nach  hinten  zu  einem  grossen  Raum,  der  sich  bis  zur  Papille 
und  dem  temporalen  Theil  der  Netzhaut  erstreckt.  Der  Fremd- 
körper hat  die  an  die  Papille  angrenzende  Netzhaut  direct 
verletzt.     An  Schnitten,    die  von   nahe   oberhalb  der  Papille 


192  KoBtenitsch. 

genommen  sind,  zeigt  die  Netzhaat  einen  weit  klaffenden  Riss, 
in  dessen  Umgebung  sie  dnrch  eine  Fortsetzung  des  ihre  Innen- 
fläche deckenden  Extravasates  eine  Strecke  weit  von  der  Ader- 
haut abgehoben  und  leicht  gefaltet  ist  An  Schnitten,  welche 
durch  den  Sehnerveneintritt  gehen,  erscheint  die  Substanz  der 
Papille  von  Blutextravasat  durchsetzt  und  zerstört,  der  Ansatz 
der  Retina  abgetrennt  und  gleichfalls  eine  Strecke  weit  durch 
Bluterguss  abgehoben.  Der  Fremdkörper  findet  sich  aber  an 
dieser  Stelle  nicht,  sondern  im  unteren  Theil  des  Auges,  auf 
der  temporalen  Seite,  weiter  nach  vorn.  Es  liegt  hier  ein 
röhrenförmig  zusammengebogener,  3  mm  langer  und  1  ^2  nun 
breiter  Zündhütchensplitter  auf  der  Innenfläche  des  Corpus 
ciliare  und  vorderen  Theils  der  Netzhaut,  von  einer  gelblich- 
grauen Exsudatschicht  eingehüllt  und  von  einer  kleinen  Blutung 
umgeben.  Die  Netzhaut  zeigt  an  dieser  Stelle  gleichfalls  eine, 
von  Exsudat  ausgefüllte  Perforation.  Es  ist  wohl  anzunehmen, 
dass  der  Fremdkörper  zunächst  den  Glaskörperraum  schräg 
durchflogen  und  nach  Verletzung  der  Gegend  der  Papille  sich 
mehr  nach  unten  gesenkt  hat 

Abgesehen  von  der  Stelle  der  directen  Verletzung,  wo  die 
Netzhaut  durch  Bluterguss  abgehoben  ist,  zeigt  sich  die  letztere 
in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  durch  eiweisshaltiges  Exsudat  von 
der  Aderhaut  abgelöst,  und  zwar  auf  der  nasalen  Seite  stärker, 
mit  einer  ziemlich  weit  nach  innen  vorspringenden  Falte,  auf 
der  temporalen  Seite  ziemlich  seicht  und  nur  mit  einigen  ganz 
leichten  Fältchen. 

Die  Chorioidea  ist  im  vordersten  Abschnitt  leicht  von 
der  Sclera  abgehoben  und  das  suprachorioidale  Gewebe  auf- 
gelockert; ihr  hinterer,  der  Sclera  anliegender  Theil  ist  etwas 
verdickt 

Mikroskopische  Untersuchung. 

Der  Glaskörper  erscheint,  soweit  er  nicht  durch  die 
Blutung  verdrängt  ist,  stärker  fibrillär  und  ist  von  einem  Fibrin- 
netz, mehr  oder  weniger  veränderten  rothen  Blutkörperchen 
und  zahlreichen  Eiterkörperchen  durchsetzt  Letztere  liegen 
in  dem  kleinen  Zwischenraum  zwischen  dem  vorderen  Theil 
der  Netzhaut  und  der  Pars  eil.  einerseits  und  dem  Fremd- 
körper andrerseits  dicht  an  einander  und  bilden  namentlich 
unterhalb  des  letzteren  einen  dichten,  opaken  Heerd.  Im  Be- 
reich dieser  Stelle  bemerkt  man  eine  Strecke  weit  eine  dünne, 
stark  gefaltete  Membran,  welche  wohl  für  die  Membr.  hyaloidea 


Pathologisch-anatomische  üntersnchungen  etc.  193 

zn  halten  ist.  In  dem  hinteren  Abschnitt  des  Anges  ist  anf 
der  Seite  der  Blutung  der  Glaskörper  von  der  Netzhaut  be- 
deutend abgehoben  und  hat  zum  Theil  die  Membr.  hvaloidea 
mit  sich  gezogen.  In  dem  zwischen  den  beiden  Membranen 
entstandenen  Raum  befindet  sich  eine  feinkörnige  Eiweissmasse 
mit  Fibrinfasern,  vereinzelten  rothen  Blutkörperchen  und  zahl- 
reichen Eiterzellen. 

Die  Papille  ist  stark  mit  Eiterkörperchen  infiltrirt,  ihr 
innerer  Theil,  wie  schon  bemerkt,  von  einer  Blutung  durch- 
setzt und  theilweise  zerstört.  Auch  der  markhaltige  Theil  des 
Sehnerven  ist  reich  an  Kernen,  von  denen  aber  nur  ein  Theil 
Leukocyten  anzugehören  scheint. 

Die  bald  mehr,  bald  minder  abgelöste  Netzhaut  ist  in 
ihrer  ganzen  Ausdehnung  stark  mit  Eiterzellen  infiltrirt.  Die 
Uebergangsstelle  der  Papille  in  die  Netzhaut  ist  dicht  von 
rothen  Blutkörperchen  durchsetzt  und  ihr  Gewebe  dadurch  bis 
auf  einzelne  Capillaren  und  Reste  der  Nervenfaserschicht  voll- 
ständig verdrängt-,  die  Retina  ist  erst  in  einigem  Abstand  vom 
Sehnervenrande  aJs  solche  zu  erkennen;  dazwischen  sieht  man 
nur  die  Stäbchenschicht  als  ein  mehrfach  gefaltetes,  von  zahl- 
reichen Kernen  durchsetztes  Band  das  haemorrhagisch  infiltrirte 
Gewebe  durchziehen.  An  den  abrigen  Stellen  der  Retina  sind 
ihre  Schichten  zu  unterscheiden,  aber  die  Nervenfaserschicht 
tritt  undeutlich  und  körnig  hervor;  die  Kerne  der  Nerven- 
zellen sind  stellenweise  schwach  mit  Haematoxylin  gefärbt  und 
die  Körnerschichten  etwas  aufgelockert  Die  Elemente  der 
Stäbchenschicht  sind  in  dem  hinteren  Abschnitte  der  Netzhaut 
etwas  gequollen,  aber  doch  gut  erhalten;  in  ihrem  übrigen 
Theil  ist  die  Stäbchenschicht  theils  durch  kleine  bläschenförmige 
Räume,  theils  in  fortlaufenden  steilen  Falten  von  der  äusseren 
Körnerschicht  getrennt  Zwischen  beiden  Schichten  befinden 
sich  Eiweisströpfchen,  Detritus  des  inneren  Theils  der  Zapfen, 
welche,  wie  auch  die  Stäbchen,  durch  Quellung  verändert  sind. 
Im  äusseren  Theil  der  Stäbchenschicht  sieht  man  hie  und  da 
Eiterkörperchen. 

In  der  Mac.  lutea,  an  manchen  Stellen  des  hinteren  Theils 
der  Netzhaut  und  in  ihrem  vorderen  Theile,  an  der  Stelle, 
welche  der  Lage  des  Fremdkörpers  entspricht,  bemerkt  man 
einige  Blutaustritte. 

Das  Cylinderepithel  der  Pars  eil.  ret  ist  in  der  Gegend 
des  Fremdkörpers,  abgesehen  von  der  schon  erwähnten  eitrigen 

T.  Qraefe'0  Archiv  itkr  Ophthalmologie.  XXXVU.  4.  13 


194  Kostenitsch. 

Infiltration,  local  stark  gewnchert.  Dasselbe  ist  hier  zugleich 
vom  Orbicnlus  ciliaris  abgehoben  und  der  dadurch  gebildete 
Baum  von  einem  dichten  Fibrinnetz,  zahlreichen  Eiterkörperchen, 
rothen  Blutkörperchen,  Pigmentkörnem  und  isolirten  Zellen 
des  gelockerten  Pigmentepithels  eingenommen.  An  den  ttbrigen 
Stellen  des  Auges  zeigt  das  Epithel  der  Pars  ciL  ret  eine 
sehr  unbedeutende  Wucherung  und  ist  ziemlich  stark  mit  Eiter- 
zeUen  infiltnrt 

Das  Pigmentepithel  der  Retina  ist  neben  der  Papille 
in  geringer  Ausdehnung  geschwunden,  weiterhin  auf  der  Seite 
der  Verletzung  eine  Strecke  weit  die  Zellen  flacher,  verbreitert, 
zum  Theil  auch  mehrfach  tlbereinander  liegend.  Auch  ist  das 
Epithel  hier  stellenweise  durch  etwas  Blut  mit  einzelnen  Eiter- 
zellen von  der  Chorioidea  abgehoben,  weiterhin  aber  wenig 
verändert  Dagegen  findet  sich  fast  durchweg  zwischen  ihm 
und  der  Stäbchenschicht  eine  dickere  Schicht  veränderten  Blutes 
mit  Eiterzellen.  Noch  mehr  nach  vom  finden  sich  Zeichen 
von  Wucherung,  die  Zellen  sind  unregelmässiger  gestaltet^  kolbig 
und  mit  grösseren  Fortsätzen  versehen,  besonders  im  Bereich 
der  Pars  eil.  retinae.  An  jenem  Theile  des  Auges,  welcher 
der  Lage  des  Fremdkörpers  entspricht,  sind  die  Zellen  des 
Pigmentepithels  stärker  gelockert,  von  mehr  rundlicher  Gestalt 
und  in  zwei  und  mehreren  Reihen  über  einander  gelagert  und 
in  das  benachbarte  Gewebe  infiltrirt 

Im  Subretinalraume  ist  eine  geronnene,  feinkörnige 
Eiweissmasse  vorhanden,  deren  hinterer  Theil  ein  Blutextra- 
vasat,  eine  geringe  Menge  von  Eiterkörperchen  und  Fibrin- 
fasem  einschliesst. 

Die  Gefässe  der  Chorioidea  sind  erweitert;  die  Venen 
sind  theilweise  mit  Blut,  theilweise  mit  geronnener  Eiweisa- 
masse  gefüllt,  zeigen  auch  zahlreiche  Leukocyten. 

Die  Aderhaut  und  das  Corpus  ciliare  sind,  theils  mehr, 
theils  weniger  stark,  mit  Eiterzellen  infiltrirt.  Eine  kleine 
Menge  der  letzteren  ist  auch  in  dem  fibrinösen  Exsudat, 
welches  sich  zwischen  den  Blättern  der  Suprachorioidea  in  der 
vorderen  Augenhälfte  befindet,  eingeschlossen. 

Die  Linsenkapsel  ist  unverletzt,  zwischen  ihr  und  der 
Linsensubstanz  finden  sich  hie  und  da  Eiweisstropfen.  An  der 
Aussenfläche  der  Hinterkapsel  liegt  eine  fast  continuirliche 
dünne  Schicht  von  Eiterzellen. 

Die  Iris  ist  unbedeutend  mit  Eiterzellen  infiltrirt;  ihre 
Gef&sse  sind  etwas  erweitert.    An  ihrer  vorderen  Fläche  liegen 


Pathologisch-anatomisclie  Untenachaogen  etc.  195 

EiterzeUen  vereinzelt  oder  in  Gruppen.  Das  Stratum  pig. 
iridis  ist  verdickt.  Der  durch  den  Fremdkörper  verletzte  peri- 
phere Theil  der  Iris  ist,  wie  schon  angegeben,  in  die  Cornea!^ 
wunde  eingeklenmit  nüd  stark  von  Zellen  durchsetzt  An  der 
Hornhantwunde  adhaerirt  mit  von  Fibrin  und  Blutkörperchen 
infiltrirte  Glaskörpersubstanz. 

In  der  vorderen  Augenkammer  ist  eine  geronnene, 
feinkörnige  Eiweissmasse  mit  einer  geringen  Menge  Fibrin 
enthalten. 

Die  Ränder  der  Hornhantwunde  sind  erheblich  verdickt, 
in  den  erweiterten  Saftkanälchen  der  angrenzenden  Hornhaut- 
aubstanz  sind  Eiterkörperchen  enthalten. 

Neben  dem  Schlemm'schen  Kanal  finden  sich  ziemlich  viel 
Eiterkörperchen;  gleiche  Zellen  sind  auch  in  grosser  Zahl  in 
der  Adventitia  der  erweiterten  GefUsse  der  Conj.  bulbi  an- 
gehäuft, nur  in  geringer  Menge  dagegen  in  der  Adventitia  der 
Sderalgeftsse. 

IL  Fall. 
Andreas  Schumacher,  11  Jahre  alt,  ans  Neunkirchen. 
St  B.  d.  Heid.  Augenkl.  1885,  Nr.  251. 
Am  26.  Juni  1885  Verletzung  des  R.  Auges  durch   ein 
Zflndhatchenstück. 

Status  praes.  am  29.  Juni  1885.  Auge  sehrroth,  druck- 
empfindlich. An  der  Cornea,  etwas  nach  aussen  von  der  Mitte, 
eine  horizontale,  2  mm  grosse  lineare  Wunde  mit  weisslichen, 
etwas  aufgeworfenen  Rändern.  Fast  die  ganze  Cornea  leicht 
getrabt  und  gestichelt  Kammerwasser  trübe.  Iris  grOnlich 
verfärbt,  glanzlos,  aufgelockert.  Am  Pupillenrande,  der  Comeal- 
wunde  gegentlber,  ein  etwa  2Vs  ^^  grosser  Defect  Kapsel 
verletzt.  Linsenmasse  getrübt,  gequollen.  Kein  rothes  Licht 
zu  sehen.     T.  nicht  wesentlich  verändert. 

0.  d.  S  =  l.  Projection  falsch.     0.  s.  Sss% 

30.  Juni  1885.     Enucleatio  bulbi  dextri  in  Narcose. 

8.  Juli  1885.     Stumpf  gut  verheilt 

Anatomische  Untersuchung.  Das  Auge,  nach  Härtung 
in  MüUer'scher  Flüssigkeit,  in  horizontaler  Richtung,  etwas 
oberhalb  des  Sehnerveneintritts  und  der  Comeal?runde,  halbirt; 
beide  Hälften  in  Celloidin  eingebettet  und  geschnitten. 

13» 


196  Kostenitsch. 

Makroskopischer  .Befund.  Die  Wunde  durchsetzt  die 
Hornhaut  an  einer  lateral  von  ihrer  Mitte  gelegenen  Stelle 
nahezu  senkrecht,  nur  wenig  schräg  nach  aussen  gerichtet;  die 
Wundränder  sind  durch  Quellung  fast  um  das  Doppelte  verdickt. 

Der  Fremdkörper  hat  den  lateralen  Theil  der  Iris  ab- 
gerissen, so  dass  nur  ein  kleiner  Rest  davon  übrig  ist  und  den 
entsprechenden  Randtheil  der  Linse  durchsetzt  Quellende 
Linsensubstanz  ist  hier  aus  der  weit  klaffenden  Kapsel  bis  zur 
Hornhautwunde  vorgedrungen  und  füllt  den  lateralen  Theil  der 
vorderen  Kammer  aus.  Der  Durchschnitt  der  Linse  ist  nn- 
regelmässig  gestaltet,  da  ein  grosser  Theil  ihrer  Substanz  schon 
verloren  gegangen  ist.  Der  Fremdkörper  sitzt  hinter  dem 
Aequator  des  Auges  auf  der  lateralen  Seite  des  Augengrundes, 
in  eitriges  Exsudat  gehüllt  und  von  Blutextravasat  und  Falten 
abgelöster  Netzhaut  umgeben.  Derselbe  erweist  sich  als  ein 
eckiges  Zündhtttchenstück  von  2^/,  mm  Länge  und  2  mm  Breite. 
Er  hat  also  das  Auge  ziemlich  gerade  von  vom  nach  hinten 
durchflogen  und  ist  an  der  hinteren  Bulbuswand  stecken  ge- 
blieben. 

Wo  der  Fremdkörper  liegt,  ist  die  Retina  durchrissen 
und  die  Ränder  etwa  3  mm  aus  einander  gewichen.  Die  Lücke 
ist  theils  von  Exsudat,  theils  von  Blut  eingenommen  und  die 
umgebenden  Theile  der  Retina  durch  eine  Fortsetzung  des 
Extravasates  eine  Strecke  weit  von  der  Aderhaut  abgelöst 
Gleich  nach  einwärts  davon  findet  sich  der  den  Fremdkörper 
bergende  Abscess,  der  nicht  mehr  als  circa  3  mm  grössten 
Durchmessers  besitzt  Nach  dem  hinteren  Pol  des  Auges  zu 
folgen  noch  einige,  massig  weit  nach  innen  vorspringende 
Falten,  hinter  denen  sich  theils  Blut,  theils  klares  Exsudat 
befindet  Der  grösste  Theil  der  Netzhaut,  insbesondere  die 
nasale  Hälfte  und  der  vordere  Theil  der  temporalen,  liegt  der 
Chorioidea  an.  An  Schnitten,  welche  durch  den  Sehnerven- 
eintritt gelegt  sind,  ist  die  Stelle  des  Fremdkörpers  noch  mit- 
getroffen. Die  Netzhautfalten  sind  hier  viel  geringer  als 
weiter  oben  und  bleiben  ca.  6  mm  vom  Sehnervenrande  ent- 
fernt Die  Retina,  wie  auch  der  Aderhauttractus,  erscheint 
für  das  blosse  Auge  nicht  merklich  verdickt,  nur  an  der  Stelle 
des  Fremdkörpers  zeigt  der  letztere  eine  beträchtliche  Ver- 
dickung. 

Der  Glaskörper  ist  in  der  Umgebung  des  Abscesses 
in  geringer  Ausdehnung  stärker  verdichtet  An  dem  Durch- 
schnitt des  gehärteten  Auges  erschien  er  nicht  geschrumpft,  von 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  197 

gelblich  graner  Farbe  und  von  membranartigen  Streifen  durch- 
setzt, welche  beiderseits  von  der  Pars  ciliaris  retinae  nach 
hinten  zogen  und  auf  der  nasalen  Seite  weisslich,  auf  der 
temporalen  bräunlich  gefärbt  waren.  An  den  Celloidinschnitten 
ist  der  Glaskörper  vom  hinteren  Theil  des  Augengrundes,  be- 
sonders auf  der  nasalen  Seite,  abgehoben  und  nimmt  vorzugs- 
weise den  temporalen  Theil  des  Raumes  ein.  Etwas  nach 
einwärts  und  vorn  von  dem  Fremdkörper  findet  sich  in  der 
Olaskörpersubstanz  ein  kleines  Blutextravasat 

Mikroskopische  Untersuchung.  An  der  Stelle,  wo 
der  Fremdkörper  stecken  geblieben  ist,  sieht  man  die  beiden 
Enden  der  durchrissenen  Netzhaut  weit  aus  einander  gerückt 
and  den  einen  Rand  leicht  nach  aussen  umgeklappt.  Die 
Chorioidea  zeigt  hier  gleichfalls  einen,  jedoch  viel  weniger 
klaffenden  Riss.  Ihre  Glaslamelle  ist  durchrissen  und  in  der 
inneren  Schicht  ihres  Stromas  ein  mit  Blut  gefüllter  kleiner 
Defect  vorhanden,  auch  scheinen  die  Wände  einer  grossen 
Yene  durch  den  Fremdkörper  verletzt  zu  sein.  Die  Ränder 
der  Lacke  sind  durch  haemorrhagische  Infiltration  um  das 
vielfache  verdickt  und  das  suprachorioideale  Gewebe  noch  eine 
ziemliche  Strecke  weit  von  Blut  durchsetzt.  Die  Lücke  zwischen 
den  Membranen  ist  hauptsächlich  von  Blut  ausgefüllt;  nach 
einwärts,  gegen  das  Innere  des  Auges,  kommen  aber  dazwischen 
immer  zahlreichere  Eiterkörperchen,  bis  zu  der  den  Fremd- 
körper einschliessenden,  dichten  Eiterinfiltration  hin.  Des- 
gleichen treten  in  der  verdickten  Chorioidea,  zunächst  in  deren 
innerster  Schicht,  weiterhin  auch  im  übrigen  Theil  ihrer  Dicke, 
mit  der  Entfernung  vom  Wundrande  immer  zahlreichere,  dicht 
gedrängte  Eiterzellen  auf,  die  erst  in  grösserem  Abstand  von 
der  Wunde  sich  allmählich  wieder  verlieren.  Die  Chorio- 
capillaris  tritt  in  dem  infiltrirten  Gewebe  der  Wundränder 
auffallend  stark  entwickelt  hervor.  Auch  die  übrigen  Gefässe 
der  Chorioidea  sind  erweitert,  ihre  Wände,  namentlich  das 
Endothel^  verdickt.  An  den  Kernen  der  kleinen  Venen  und 
Capillaren  findet  man  oft  alle  Stadien  der  Karyokinese.  In 
den  Lumina  der  Venen  bemerkt  man  ihren  Wänden  anliegende 
Leukocyten  und  veränderte  rothe  Blutkörperchen,  die  an  gut 
mit  Eosin  gefärbten  Schnitten  gelb  aussehen,  wie  wenn  sie  mit 
Pikrinsäure  gefärbt  wären. 

Die  neben  den  Arterien  befindlichen  Ganglienzellen  zeigen 
mangelhafte  Kemfärbung. 


198  Kosteoitsch. 

Abgesehen  von  Leakocyten  trifft  man  im  Gewebe  der 
Aderhaat  einzelne  grössere  ZeUen  mit  einem  mnden  Kern  und 
mit  groben,  durch  Haematoxylin  deatlich  geftrbten  Kömdien^ 
die  keine  Mikroorganismen  zu  sein  scheinen,  anch  an  mit 
Anilinflarben  tingirten  Praeparaten  vermisst  worden.  Eine 
dichte  Ansammlang  von  Eiterzellen  schiebt  sich  von  d^r  Riss- 
stelle  ans  zwischen  Betina  nnd  Chorioidea  vor  und  deckt  den 
Blntergnss  von  innen  her. 

Die  Retina  zeigt  neben  der  Bissstelle  besonders  die 
Stäbchenschicht  hochgradig  degenorirt;  die  übrigen  Schichten, 
namentlich  die  Faserschicht,  sind  von  vereinzelten  Eiterkörper^ 
chen  durchsetzt,  deren  Menge  eine  Strecke  weit  mit  der  Ent- 
fernung von  der  Wunde  zunimmt  Diese  Schichten  zeigen  hier 
auch  eine  ausgesprochene  Atrophie  der  nervösen  Elemente. 
Die  Körner  der  Körnerschichten  sind  gelockert  und  vermindert, 
besonders  die  der  äusseren  Kömerschicht;  ihre  Chromatin- 
substanz  ist  theilweise  verloren,  die  Kerne  der  Ganglienzellen 
schwach  gefärbt.  Die  Gefässe  sind  erweitert,  das  Endothel 
verdickt  und  zeigt,  wie  das  der  Aderhautgefässe,  Theilungs- 
figuren.  Die  in  den  Venen  enthaltenen  rothen  Blutkörperchen 
haben  die  gleiche  gelbe  Färbung  wie  in  der  Chorioidea. 

Der  Fremdkörper  ist,  wie  schon  erwähnt,  von  einer 
massig  grossen  Blutung  umhollt,  welche  bis  in  die  Rissstelle 
der  Augenhäute  hineinreicht.  Er  ist  fast  auf  allen  Seiten 
unmittelbar  von  dicht  gedrängten  Eiterkörperchen  umgeben^ 
nur  auf  seiner  Innern  Seite  liegen  rothe  Blutkörperchen  mit 
einer  kleinen  Zahl  von  Eiterzellen  vermischt  Die  Kerne  der 
Eiterkörperchen  zeigen  oft  Vakuolen,  zum  Theil  auch  deutlich 
ausgesprochene  Nekrose.  In  der  Blutung,  welche  sich  zwischen 
dem  Fremdkörper  und  den  Rändern  der  zerrissenen  Augenhäute 
befindet ,  sind  auch  Eiterkörperchen ,  blutkörperchenhaltige 
Zellen,  Fettkömchenzellen,  ein  dichtes  Fibrinnetz  und  abge- 
fallene Pigmentepithelzellen  eingeschlossen.  In  der  Lflcke,  in 
welcher  der  Fremdkörper  lag,  finden  sich  geschrumpfte  rothe 
Blutkörperchen  von  gelblich-brauner  oder  ganz  gelber  Farbe. 
Letztere  Färbung  wird  auch  in  dem,  den  Fremdkörper  um- 
gebenden Eisudat  beobachtet. 

Die  abrige  Chorioidea,  entfernt  von  der  Rissstelle,  ist, 
abgesehen  von  Ausdehnung  ihrer  Gefässe,  ziemlich  normal. 
Die  rothen  Blutkörperchen  zeigen  hier,  wie  auch  im  Ciliar- 
körper,  trotz  Eosinfärbung,  die  gleiche  gelbe  Farbe  wie  in 
der  Retina. 


Patholoc^sch-anatomische  üntersachongen  etc.  199 

Die  Sehnervenpapille  ist  etwas  ödematös  nnd  ihre 
Nervenbündel  sehen  trüb  und  schwachkömig  ans.  Die  Geiässe 
des  Nervns  opticas  sind  erweitert  nnd  ihr  Endothel  verdickt, 
in  den  Lnmina  der  Arterie  nnd  Vene  sind  Blutkörperchen  von 
gelblicher  Farbe  zn  sehen.  Im  markhaltigen  Theile  des  Nervus 
opticas  ist  das  Lumen  der  Vena  oentr.  retinae  mit  geronnener 
Eiweissmasse  ausgefüllt,  in  welcher  stark  veränderte  Blut^ 
körperchen  und  einige  Leukocyten  eingeschlossen  sind-,  letztere 
sind  auch  neben  den  Gewissen  nnd  um  eine  kleine  Vertiefung 
der  Papille  in  grosser  Zahl  angehäuft,  besonders  zahlreich  in 
ihrer  nasalen  Hftlfte. 

Die  Netzhaut,  welche  in  der  Gegend  des  Fremdkörpers 
und  nach  vom  von  ihm  fast  in  der  ganzen  temporalen  Hälfte 
des  Auges  bedeutend  mit  Eiter  infiltrirt  ist,  lässt  in  der 
Umgebung  der  Papille  und  in  der  nasalen  Hälfte  fast 
keine  Eiterkörperchen  erkennen.  Ihre  Stützfasem  sind  etwas 
verlängert  und  getrübt,  besonders  die  neben  der  Papille,  wo 
die  Molecular-  und  Zwischenkömerschicht  dicker  als  normal 
sind;  um  die  Papille  und  nach  aussen  von  ihr  fast  bis  zum 
Risse  der  Netzhaut,  einschliesslich  der  Gegend  der  Macula 
lutea,  ist  die  Zwischenkörnerschicht  besonders  dick.  Die  Fovea 
centralis  war  wegen  der  Faltung  der  Netzhaut  nicht  auf  den 
Schnitten  zu  erhalten  gewesen.  In  den  Lücken  zwischen  den 
Fasern  dieser  Schicht  sind  isolirte  Leukocyten,  mit  Detritus  von 
rothen  Blutkörperchen  gefüllte  Zellen,  Fettkörner,  und  etwas 
näher  dem  Bisse  der  Netzhaut,  noch  kleine  Gruppen  von 
Blutkörperchen  zu  sehen.  Die  Stäbchenschicht  sieht  in  der 
Gegend  des  Fremdkörpers  kömig  aus;  die  Zapfen  sind  ge- 
quollen; der  äussere  Theil  des  Innengliedes  ist  körnig;  das 
Aussenglied  nicht  zu  sehen.  Die  Zapfenfasern  sind  in  der 
Zwischenkömerschicht  zwischen  der  Papille  und  dem  Kiss  der 
Retina  varikös  verdickt  In  der  übrigen  Ausdehnung  der 
temporalen  Hälfte  der  Netzhaut  ist  die  Stäbchenscbicht  gut 
erhalten;  die  Köraerschichten  sind  besonders  in  der  Gegend 
des  Fremdkörpers  aufgelockert;  ein  bedeutender  Theil  der 
Chromatinsubstanz  ihrer  Körner  ist  verschwunden,  nur  in  dem 
vordersten  Theile  der  Netzhaut  hat  sich  die  äussere  Römer- 
Schicht  verhältnissmässig  gut  erhalten.  Die  Nervenzellen  der 
gangliösen  Schicht  haben  sich  in  der  Macula  lutea  ziemlich 
gut  conservirt;  in  der  übrigen  Ausdehnung  der  beschriebenen 
Hälfte  sind  sie  stellenweise  verdickt,  ihr  Protoplasma  bald  kömig, 
bald  trüb  und  homogen,  ihre  Eeme  schwach  mit  Haematoxylin 


200  Kostenitsch. 

gefärbt;  letzteres  ist  auch  an  den  Nervenzellen  der  inneren 
Eömerschicht  za  beobachten*  Die  Schicht  der  Nervenfasern 
sieht  schwachkömig  aus. 

Id  der  nasalen  Hälfte  der  Netzhaut  ist  die  Stäbchen- 
nnd  die  äussere  Kömerschicht  ziemlich  gut  erhalten,  letztere 
ist  nur  in  geringer  Ausdehnung  neben  der  Papille  aufgelockert 
und  ihre  Körner  mit  wenig  Chromatinsubstanz  versehen,  die 
übrigen  Schichten  zeigen  dieselben  Veränderungen  wie  auf 
der  temporalen  Seite,  nur  weniger  ausgesprochen. 

Die  Gefässe  der  Netzhaut  sind  erweitert,  ihr  Endothel 
gequollen,  in  der  Adventitia  der  Venen  ist  eine  kleine  Menge 
von  Eiterkörperchen  zu  sehen. 

Die  Pars  ciliaris  retinae  ist  bis  zu  den  Ciliarfort- 
sätzen  fast  normal,  nur  mit  Ausnahme  einer  kleinen  Infiltration 
mit  Eiterzellen,  die  hauptsächlich  die  temporale  Hälfte  der 
Netzhaut  betrifft.  Die  Cylinderzelleu  der  Pars  ciliaris  retinae, 
welche  die  Ciliarfortsätze  bedecken,  sind  stellenweise  gequollen 
und  enthalten  Pigmentkörner.  Das  Stratum  pigmenti  der  Pars 
eil.  retinae  ist  verdickt,  besonders  an  den  Ciliarfortsätzen. 

Auch  das  Pigmentepithel  der  Netzhaut  ist  in  der 
temporalen  Hälfte  des  Auges  verdickt  und  besonders  stark  in 
der  Gegend  des  Fremdkörpers,  seine  Kerne  von  wenig  Pigment 
umgeben. 

Der  Glaskörper  war,  wie  schon  oben  erwähnt,  anfangs 
nicht  geschrumpft,  wohl  aber  nach  eintägigem  Liegen  der 
beiden  Hälften  des  Auges  in  Celloidin,  und  ist  jetzt  in  der 
unteren  Hälfte  des  Auges  bedeutend  nach  vorn  zusammen- 
gezogen; auf  der  temporalen  Seite  liegt  er  noch  dem  Fremd- 
körper an;  in  der  oberen,  viel  kleineren  Hälfte  des  Auges  ist 
er  nur  wenig  von  der  Netzhaut  getrennt 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  erscheint  der  Glas- 
körper fibrillär  verändert,  von  einem  Fibrinnetz  durchsetzt, 
unbedeutend  mit  Eiterkörperchen  infiltrirt  und  das  hauptsächlich 
nur  auf  der  temporalen  Hälfte,  in  der  Gegend  zwischen  dem 
Fremdkörper  und  den  Ciliarfortsätzen,  so  wie  auch  in  dem 
hintern  Theile,  welcher  eine  Strecke  weit  von  der  Membrana 
hyaloidea  tlberzogen  ist.  Auf  der  hinteren  Fläche  dieser 
Membran,  welche  stellenweise  von  der  Netzhaut  abgehoben  ist, 
liegt  geronnene  Eiweissmasse  mit  kleinen  Gruppen  von  Eiter- 
körperchen und  Fibrinfasern;  an  einer  Stelle  ist  sie  zerrissen 
und  in  die  Lücke  ragt  etwas  von  der  geronnenen  Eiweissmasse 


Pathologisch-anatomische  Untersachongen  etc.  201 

hinein,  die  sich  im  hinteren  Theile  des  Olaskörperraumes  be- 
findet. In  dieser  Masse  sind  ausser  Fibrinfiuem  und  Gruppen 
von  Eiterkörperchen  in  der  Vertiefung  der  Papille  und  in 
einiger  Entfernung  nach  innen  zu  auch  Fibrillenbttndel  des 
Glaskörpers  zu  sehen.  Die  innere  Fläche  bildet  neben  der  Ora 
serrata  auf  beiden  Seiten  eine  kleine  Einbiegung  nach  innen; 
die  Fibrillenbündel  des  Glaskörpers  liegen  mit  den  verdickten 
Fasern  der  Zonula  Zinnii  der  Ora  serrata  an  und  machen  den 
Eindruck,  als  ob  sie  den  vordem  Theil  der  Netzhaut  nach 
innen  ins  Auge  ziehen,  wesshalb  sie  im  Begriffe  steht,  in  einer 
Falte  abgehoben  zn  werden. 

Etwas  nach  vorn  von  dem  Fremdkörper  ist  im  Corpus 
vitreum  eine  kleine  Blutung  zu  sehen,  während  im  Zwischen- 
raum zwischen  dem  verletzten  lateralen  Rand  der  Linse  und 
der  Pars  eil  retinae  sich  ein  Netz  von  geldrollenartig  ange- 
ordneten rothen  Blutkörperchen  befindet  Neben  den  Ciliar- 
fortsätzen  sind  die  rothen  Blutkörperchen  in  Gruppen  geordnet 
und  gelb  gefärbt 

Der  Subretinalraum  ist  in  der  Gegend  des  Fremd- 
körpers ziemlich  breit,  nach  vom  von  letzterem  eng  und  enthält 
Blut,  ein  dichtes  Fibrinnetz,  Eiterkörperchen,  Phagocyten  und 
isolirte  Zellen  des  RetinaepiÜiels,  sowie  auch  geronnene  Eiweiss- 
masse,  die  in  dem  hinteren  Theile  dieses  Baumes  homogen,  im 
vorderen  feinkörnig  ist.  In  der  übrigen  Ausdehnung  liegt  die 
Netzhaut  der  Chorioidea  an  und  nur  in  der  nasalen  Hälfte 
befindet  sich  auf  einer  beschränkten  Stelle  zwischen  diesen 
beiden  Häuten  ein  sehr  enger,  wahrscheinlich  künstlich  hervor- 
gebrachter Subretinalraum. 

Die  Enden  der  etwas  verdickten  und  am  temporalen 
Rande  zerrissenen  Linsenkapsel  sind  umgeklappt,  (manchmal 
spiralförmig),  und  fast  bis  zur  Mitte  der  Linse  zurückgezogen, 
wodurch  deren  temporale,  stark  gequollene  Hälfte  frei  liegt; 
in  ihrer  Peripherie  ist  letztere  schwach  mit  Leukocyten  infil- 
trirt.  Die  Fasern  der  Linse  sind  kömig  und  gequollen;  ein 
Theil  derselben  ist  in  die  vordere  Kammer  hineingelangt  und 
reicht,  von  Fibrinnetzen  umgeben,  bis  zur  Comealwunde  hin. 
Der  übrige  Theil  der  Linse  enthält  zwischen  den  Fasern 
ausser  einzelnen  Eiterkörperchen  grosse  Eiweisstropfen,  viel 
fettartige  Tröpfchen  und  auch  Fettkörachenzellen. 

Die  Iris  zeigt,  wie  schon  angegeben,  an  der  der  Comeal- 
wunde entsprechenden  Stelle  einen  Defect.  Ihr  übrig  geblie- 
bener peripherer  Theil  ist  etwas  nach  hinten  umgebogen  und 


202  KostenitBch. 

mit  dem  Randtheil  der  Iris  und  den  Giliarfortaäizen  verwachseiL 
Auf  einigen  Schnitten  war  ein  Stflckchen  der  Iris  im  Glas- 
körper zn  treffen.  Die  Crefltese  der  Iris  sind  erweitert,  die 
Wände  der  Arterien  etwas  verdickt  and  deren  Endothel  ge- 
quollen. In  den  Kernen  des  letzteren,  sowie  der  der  Yenen 
und  der  Gapillaren  sind  oft  Bilder  von  Karyokinese  zn  treffen, 
in  den  Lumina  der  Geftsse  rothe  Blutkörperchen  von  gelber 
Farbe.  Das  Stratum  pigmenti  iridis  ist  verdickt,  seine  hintere 
Fläche  auf  dem  Querschnitt  wellenförmig,  besonders  in  dem 
peripheren  Theile  der  Iris.  Die  Zellen  des  Endothels  sind 
vesiculär  verändert.  In  der  vorderen  Kammer  sieht  man 
kömigen  Detritus,  Fibrinfasern  und  isolirte  Leukocyten, 
welche  am  Boden  der  vordem  Kammer  in  grosser  Menge  an- 
gehäuft sind. 

Die  äusseren  Schichten  des  Plattenepithels  der  Horn- 
haut sind  stark  verdickt,  ihre  Kerne  mangelhaft  mit  Haemat- 
oxylin  gefärbt  und  die  Zellen  vacuolär  degenerirt  Die  Wund- 
ränder der  Hornhaut  sind  durch  Quellung  etwa  bis  zum  Doppelten 
verdickt.  Die  Ränder  der  Bowman'schen  und  Descemet'schen 
Membran  stehen  ziemlich  weit  aus  einander,  dazwischen  ist  die 
fibrilläre  Grundsubstanz  bis  zur  gegenseitigen  Berührung  der 
Bänder  vorgequollen  und  ihr  Gewebe  gelockert  Das  Epithel 
hat  sich  in  dünner  Schicht  über  die  Stelle  hin  fortgesetzt  und 
zieht  sich  auch  eine  Strecke  weit  in  den  Wundkanal  hineiiL 
Nur  an  der  Innenfläche  klaffen  die  Wundränder  noch  etwas 
und  es  ist  ein  Fibringerinnsel  mit  zahlreichen  Leukocyten  in 
die  Lücke  eingelagert.  Das  Gewebe  der  Wundränder  ist  nicht 
eitrig  infiltrirt  und  enthält  nur  ganz  vereinzelte  Leukocyten. 
Das  Endothel  zeigt  an  vielen  Zellen  stark  über  die  Oberfläche 
hervorragende  Bläschen.  Die  Gefässe  des  Homhautrandes  sind 
erweitert  und  klaffen;  sie  enthalten  zum  Theil  rothe  Blut- 
körperchen, zum  Theil  grosse  Eiweisstropfen. 


IIL  Fall. 

Althaus,  Mann. 

R.  A.  Zündhütchenverletzung  am  24.  December  1875. 
Enucleatio  bulbi  am  28.  December  1875  von  Dr.  Just  in 
Zittau. 

Anatomische  Untersuchung.  Makroskopischer 
Befund.     Beide  Hälften  des  durch  den  Sehnerven  halbirten 


Pathologisch-anatomiBche  Untersaclmngen  etc.  203 

Aoges  wnrden  in  Müller'Bcber  Flüssigkeit  gebftrtet  nnd  nach 
Einbettang  in  Celloidin  geschnitten. 

Die  Homhant  zeigt  aof  dem  Durchschnitt  eine  etwas 
lateralwärts  Ton  der  Mitte  gelegene  Wunde.  Die  Iris  ist  nach 
der  Wunde  hingezogen  und  durch  Exsudat  damit  verklebt  An 
einigen  Schnitten  findet  sich  nahe  dem  Pupillenrande  eine 
Lücke,  durch  welche  ein  Stückchen  der  Iris  vom  übrigen  Theil 
abgetrennt  ist;  an  anderen  Schnitten  fehlt  dieses  Stück  völlig. 

Die  vordere  Linsenkapsel  zeigt  eine  klaffende  Lücke, 
welche  das  ganze  Pupillargebiet  einnimmt  Die  Pupille  ist 
weit  und  sammt  der  Yorderfläche  der  Iris  von  einer  Schicht 
locker  geronnenen,  granlichen  Exsudates  bedeckt,  das  an  anderen 
Schnitten  die  vordere  Kammer  nahezu  ganz  ausfüllt  Der  an 
die  Pupille  grenzende  Theil  der  Linse  ist  zerklüftet;  ihre 
hintere  Fläche  zeigt  einen  Substanzverlust  und  die  hintere 
Kapsel  fehlt  zum  grössten  TheiL 

Die  Netzhaut  ist  in  dem  vorderen  Abschnitte  des  Auges 
von  der  Chorioidea  etwas  abgelöst  und  bildet  am  Aequator 
bulbi  kleine  Falten,  während  sie  im  hinteren  Abschnitt  der 
Aderhaut  anliegt.  Nach  unten,  besonders  auf  der  temporalen 
Seite,  ist  die  Faltung  stärker  nnd  wohl  für  praeexistirend  zu 
halten,  während  sonst  die  Abhebung  grossentheils  für  Wirkung 
der  Praeparation  zu  halten  ist  Die  Retina  ist  zugleich  im 
hinteren  Abschnitt,  besonders  auf  der  temporalen  Seite,  durch 
eine  Auflagerungsschicht  stark  verdickt. 

Die  gleichfiills  verdickte  Aderhaut  ist,  besonders  vorn, 
einschliesslich  des  Ciliarkörpers,  von  der  Sclera  abgehoben  und 
die  Suprachorioidea  aufgelockert,  was  nach  unten  hin  zunimmt 

In  der  Höhe  des  Sehnerven  ist  der  Glaskörperranm 
grösstentheils  leer  und  die  Retina  und  Linse  nur  von  einer 
dünnen  Schicht  von  Glaskörpersubstanz  überzogen,  während  der 
Glaskörper  weiter  nach  oben  nicht  geschrumpft  ist;  in  der 
nntem  Hälfte  nimmt  er  dagegen  den  vorderen  Theil  seines 
Raumes  ein. 

Anf  den  dicht  unter  der  Linse  geführten  Schnitten  der 
unteren  Augenhälfte  befindet  sich  im  vordersten  Theüe  des 
Glaskörpers  eine  geringe  Menge  einer  bräunlich-gelben  Maroe, 
welche  von  vom  den  Cüiarfortsätzen,  von  den  Seiten  aber  der 
Pars  cU.  ret  anliegt  Diese  Masse  zeigt  in  ihrer  Mitte  eme 
paraUel  zum  Aequator  gerichtete  Lücke  von  4  mm  Länge;  aut 
anderen  Schnitten,  welche  noch  niedriger  geführt  ^!|f*®\J*^" 
schwindet  diese  Lücke  wieder,  nnd  es   treten  an  ihrer  Stelle 


204  Kostenitsch. 

zwei  andere  Lücken  auf,  eine  grössere,  neben  der  inneren 
Fläche  der  Pars  eil.  retinae  der  nasalen  Seite,  and  eine 
kleinere,  l^j^mm  nach  innen  von  der  Pars  eil.  retinae  der 
temporalen  Seite;  die  Entfemnng  dieser  Locken  von  einander 
betiilgt  etwas  mehr  als  4  mm.  Der  Fremdkörper  wnrde  nicht 
gefunden;  aber  die  Anwesenheit  der  erwähnten  Lücken,  sowie 
ein  leicht  bräunlicher  Ton  der  Eitermasse  berechtigen  mit 
Sicherheit  zu  der  Annahme,  dass  der  Fremdkörper  ein  bogen- 
förmig gekrümmtes  Eupferstück  von  ca.  4  mm  Länge  darstellte, 
dessen  Enden  in  den  kleinen,  in  der  Masse  befindlichen  Lücken 
eingelagert  waren,  während  seine  Mitte  die  grosse  Lücke 
einnahm;  er  war  vermuthlich  aus  dem  frisch  halbirten  Auge 
herausgenommen  worden,  wobei  die  Linse  und  der  Glaskörper 
der  unteren  Augenhälfte  verletzt  wurden. 

Mikroskopische  Untersuchung.  Der  nach  vom  zu- 
sammengezogene Glaskörper  der  unteren  Augenhälfte  ist  stärker 
fibrillär,  von  einem  Fibrinnetz  durchsetzt  und  ziemlich  stark 
mit  Eiterkörperchen  infiltrirt,  ausserdem  findet  man  darin  rothe 
Blutkörperchen  und  körnigen  Detritus.  Die  Kerne  der  Glas- 
körperzellen sind  schwach  mit  Haematoxylin  gefärbt.  Die  oben 
beschriebene  bräunlich-gelbe  Masse,  in  welcher  der  Fremdkörper 
eingebettet  war,  besteht  aus  dicht  an  einander  liegenden  Eiter- 
körperchen.  Auf  der  Netzhaut  finden  sich  in  der  Gegend  der 
Papille  Reste  des  fibrillär  veränderten  Glaskörpers  und  der 
Membrana  hyaloidea. 

In  der  oberen  Augenhälfte  ist  der  Glaskörper  gleichfalls 
fibrillär  verändert  und  von  einem  Fibrinnetz  durchsetzt;  sein 
hinterer,  schwach  mit  Eiterzellen  infiltrirter  Theil  ist  von  der 
Betina  etwas  abgehoben  und  hat  die  Memb.  hyaloidea  mit 
sich  gezogen,  in  welcher  nur  stellenweise  kleine  Defekte  vor- 
handen sind;  der  vordere  Theil  ist  dagegen  ziemlich  stark 
mit  Eiter  infiltrirt  In  dem  Baume  zwischen  dem  abgehobenen 
Glaskörper  und  der  Retina,  wie  auch  auf  der  innem  Fläche 
der  letzteren  findet  sich  in  der  unteren  Augenhälfte  eine  ge- 
ronnene, feinkörnige,  stellenweise  mit  Fibrinfasern  durchsetzte 
Eiweissmasse,  in  welcher  bald  isolirte,  bald  dicht  neben  einander 
liegende,  bald  in  Beihen  oder  Gruppen  geordnete  Eiter- 
körperchen  eingelagert  sind.  Die  letzteren  bilden  zwischen  dem 
äusseren  Papillenrand  und  dem  Aequator  bulbi  einen  Streifen 
von  fast  1  mm  Dicke,  welcher  makroskopisch  den  Eindruck 
macht,  als  wäre  die  Netzhaut  verdickt,  was  schon  oben  erwähnt 
wurde. 


PatholQgisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  205 

Die  obere  Hälfte  der  Netzhaut  ist  nur  wenig  mit  Eiter- 
zellen infiltrirt;  ausgesprochener  ist  die  eitrige  Infiltration  in 
der  unteren  Hälfte  und  besonders  stark  in  dem  Theil  des 
Auges,  welcher  der  Lage  des  Fremdkörpers  entspricht. 

Das  Gewebe  der  Papille  ist  schwach  mit  Eiterkörperchen 
infiltrirt;  eine  beträchtliche  Anhäufung  derselben  findet  sich 
dagegen  in  der  Adventitia  der  stark  mit  Blut  gefüllten  Gefässe. 
Auch  ist  die  Papille,  sowie  die  Innenfläche  der  Netzhaut,  von 
einem  dicken,  reichlich  mit  Eiterzellen  infiltrirten  Fibrinnetz 
tiberzogen.  Die  Nervenfasern  der  Papille,  wie  auch  die  Faser- 
schicht der  Retina,  treten  nicht  deutlich  hervor,  während  das 
retikuläre  Stfltzgewebe  stärker  als  normal  entwickelt  ist. 

Die  Kerne  sänmitlicher  Schichten  der  Netzhaut  sind 
schwach  gefärbt.  Ganz  ungefärbt  geblieben,  offenbar  nekrotisch, 
sind  die  Körner  der  äusseren  Körnerschicht,  zwischen  denen 
vereinzelte  Eiterzellen  mit  gut  gefärbten  Kernen  sich  um  so 
mehr  hervorheben;  etwas  besser,  wenn  auch  ebenfalls  schwach 
gefärbt  sind  die  inneren  Körner,  von  denen  nur  manche,  zumal 
an  der  inneren  Grenze,  eine  normale  Färbung  behalten  haben. 
Auch  die  Kerne  der  Nervenzellen  sind  schwach  gefärbt.  Die 
Körner  beider  Körnerschichten  liegen  dicht  an  einander  und 
neben  der  Ora  serrata  fliessen  sie  zu  einer  Schicht  zusammen. 

Die  Stäbchenschicht  ist  körnig,  aber  doch  gut  erhalten; 
ihre  Elemente  liegen  dicht  an  einander.  Neben  dem  temporalen 
Papillenrande,  die  Gegend  der  Mac.  lut.  einschliessend,  bildet 
diese  und  die  äussere  Kömerschicht  auf  dem  Querschnitt 
papillenartige  J^hebungen.  An  derselben  Stelle  befinden  sich 
in  der  Zwischenkömerschicht  ziemlich  grosse  Lücken,  welche 
von  einander  durch  die  verdickten  und  mit  rothen  Blut- 
körperchen durchsetzten  Stützfasem  getrennt  sind.  In  diesen 
Lücken  findet  sich  eine  feinkörnige  Masse,  Fibrinfasem,  einzelne 
Eiterkörperchen,  wie  auch  isolirte  Körner  der  äusseren  Körner- 
schicht und  sehr  schwer  unterscheidbare  rothe  Blutkörperchen. 

Auf  Schnitten  von  der  Mitte  des  Auges  sind  ähnliche 
Lücken  neben  der  Ora  serrata  zu  beobachten,  bald  in  der 
äusseren,  bald  in  der  inneren  Kömerschicht,  oftmals  auch  in 
der  ganzen  Dicke  der  Netzhaut  In.  diesen  Lücken  sieht  man 
eine  feinkörnige  Masse  und  Eiterkörperchen. 

Die  Lumina  der  Retinagefässe  sind  verengt;  in  der  Ad- 
ventitia der  Venen  sind  Leukocyten  und  Eiterkörperchen, 
manchmal  in  beträchtlicher  Menge  anzutreffen. 


206  Kostenitsch. 

Das  Pigmentepiihel  der  Retina  liegt  im  vorderen  Theil 
der  Ghorioidea,  im  hinteren  bald  dieser,  bald  der  Retina  an 
und  ist  von  den  Membranen  oft  durch  eine  dünne  Eiweiss- 
Schicht  getrennt  Die  Kerne  sind  schwach  gefärbt,  Wnchemngs- 
erscheinnngen  nicht  zu  erkennen. 

Die  Pars  dl.  retinae  ist  ziemlich  stark  mit  Eiter  infiltrirt, 
besonders  im  unteren  Theil,  in  der  Gegend  des  Fremdkörpers, 
wo  ihr  Gewebe  zwischen  den  Eiterzellen  kaum  mehr  zu  er- 
kennen ist  Das  Pigmentepithel  ist  gelockert  und  die  Zellen 
in  die  umgebende  Zellenmasse  eingestreut 

Auf  der  inneren  Fläche  des  Corpus  ciliare  bildet  das 
Pigmentepithel  papillenartige  Erhebungen.  Im  Torderen  Ab- 
schnitt des  Auges  ist  die  Netzhaut  leicht  abgehoben  durch 
eine  feinkörnige  Eiweissmasse,  in  welcher  stellenweise  Gruppen 
von  Eiterkörperchen,  Fibrinfasem  und  isolirte  Zellen  desißetina- 
epithels,  manchmal  mit  Eemtheilung,  eingeschlossen  sind.  In 
dem  hinteren  Abschnitt  ist  der  Subretinalraum  sehr  eng. 

Die  Aderhaut  ist,  wie  schon  erwähnt  wurde,  verdickt  und 
aufgelockert,  besonders  in  ihrem  hinteren  Theile.  Dire  Ge- 
fasse  sind  stark  erweitert,  die  Gapillaren  und  Venen  stellen- 
weise mit  Blut  gefüllt;  in  den  Lumina  der  letzteren  sieht  man 
Leukocjten,  sehr  selten  auch  Fibrinfasern.  In  der  vorderen 
Augenhälfte  ist  zwischen  den  Blättern  der  Suprachorioidea 
fibrinöses  Exsudat  vorhanden.  In  dem  Theil  des  Auges, 
welcher  der  Lage  des  Fremdkörpers  entspricht,  ist  die  Chori- 
oidea  schwach,  das  Corpus  eil.  aber  ziemlich  stark  mit  Eiter- 
körperchen  infiltrirt;  letztere  sind  sonst  nur  im  Corpus  eil. 
zu  sehen. 

Die  Fasern  der  Zonula  Zinnii  erscheinen  verdickt  und 
von  der  Linsenkapsel  abgerissen,  die  letztere  ist,  wie  schon 
bemerkt,  vom  und  hinten  durchrissen.  Die  dem  Eapselriss 
anliegenden  Linsenfasem  sind  gequollen  und  zwischen  ihnen 
ist  eine  geringe  Menge  von  Eiterkörperchen  eingelagert. 

Die  Gefässe  der  Iris  sind  erweitert,  ihr  Gewebe  ist  massig 
mit  Eiterzellen  infiltrirt;  zahlreichere  Eiterkörperchen  liegen 
auf  der  vorderen  Fläche  der  Iris,  im  Eammerwinkel  nnd  in 
ein  diQ  vordere  Kammer  einnehmendes  Fibrinnetz  eingebettet. 
Auch  an  der  Hinterfläche  der  Iris,  der  gegenüberliegenden 
Linsenkapsel  und  zwischen  den  Ciliarfortsätzen  sind  Eiter« 
körperchen  abgelagert.  Das  Pigmentepithel  der  Iris  ist  ver- 
dickt, seine  hintere  Fläche  sieht  auf  dem  Querschnitt  zackig 
ans,  besonders  im  peripheren  Theile  der  Iris.     Ein  Theil  des 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  207 

temporalen   Pnpillenrandes    ist   durch    den   Fremdkörper   ab* 
gerissen. 

Die  Gefftsse  der  Goig.  bolbi  sind  erweitert,  die  Venen 
mit  Blut  gefüllt,  in  ihrer  Adyentitia  ist  eine  massige  Menge 
von  Eiterkörperchen  vorhanden,  auch  das  Gewebe  zum  Theil 
von  Eiterzellen  und  FibrinfiUlen  durchsetzt 


IV.  Fall. 

Friedrich  Volkmann,  8  Jahre  alt,  aus  Hassloch  (Pfalz). 

St.  B.  d.  Heidelb.  Augenkl.  1889.     Nr.  165. 

Am  28.  April  1889  Verletzung  des  linken  Auges  durch 
einen  Ztlndhütchensplitter. 

L.  A.  Keine  Lichtscheu,  keine  vermehrte  Thränensecre- 
tion.  Gonj.  bulbi  et  palp.  massig  injicirt  Giliarinjection,  Gomea 
im  Ganzen  klar,  nach  oben  aussen,  am  Limbus  beginnend,  eine 
horizontal  verlaufende,  etwa  2  mm  lange,  sich  in  2  Theile 
spaltende,  grauweisse  Narbe.  Kammer  normal  tief.  Atropin- 
mydriasis.  Iris,  im  Ganzen  von  normaler  Farbe,  zeigt  ent- 
sprechend der  Risswnnde  der  Gomea,  aber  etwas  tiefer  unten, 
eine  kleine  Perforation  an  der  Peripherie,  die  den  Sphinkter 
nicht  erreicht.  Das  umgebende  Gewebe  ist  graublau  verfärbt; 
die  Iris  selbst  hier  etwas  breiter.  Der  im  Uebrigen  normale 
Augenhintergrund  geht  nach  unten  innen  mit  scharfer  Grenze 
in  eine  blendendweisse  Membran  über,  die  nach  aussen  die 
Mittellinie  ein  wenig  überschreitet,  auf  derselben  keine  Geisse. 

(Ablatio  Retinae?)  T.  normal.  Kein  Schmerz.  £.8=^/55. 
Gesichtsfeld  nicht  merklich  beschränkt. 

R.  Auge  normal. 

14.  Mai.  Enucleation  des  1.  Auges  in  Ghloroformnarkose. 
Glatter  Veriauf. 

22.  Mai  1889.     Geheilt.     Entlassen. 

Anatomische  Untersuchung.    Makroskopischer  Befund. 

Nach  H&rtung  in  MüUer'scher  Flüssigkeit  wurde  das  Unke 
Auge  in  horizontaler  Richtung  etwas  unterhalb  des  Sehnerven- 
eintritts durchschnitten,  die  beiden  Hälften  in  Celloidin  ein- 
gebettet und  in  Schnitte  zerlegt. 

Der  vordere  Theil  des  Auges  zeigt  für  das  blosse  Auge 
keine  sehr  auffallenden  Veränderungen.  An  Schnitten,  die 
durch   die  Mitte  der  Linse  hindurch  gegangen  sind,   ist  die 


208  Kostenitsch. 

Hornhantnarbe  nicht  zu  sehen,  wohl  aber  noch  eine  Verletzung 
des  lateralen  Abschnittes  der  Iris,  deren  peripherer  Randtheil 
verdünnt  und  nach  hinten  gebogen  ist  nnd  seinen  Pigmentbelag 
verloren  hat.     Die  Linse  hat  hier  normale  Form  und  Grösse. 

Der  Qlaskörper,  welcher  seinen  ganzen  Raum  einnimmt, 
ist  von  hellgelber  Farbe  mit  membranartigen  Streifen,  welche 
besonders  deutlich  neben  der  Pars  eil.  ret.  auf  beiden  Seiten 
hervortreten. 

Die  Netzhaut  liegt  im  Ganzen  der  Aderhaut  an,  nur  in 
der  unteren  Hälfte  zeigt  sich  im  hinteren  Umfang  eine  massig 
nach  innen  vorspringende  Falte. 

Die  Aderhaut  liegt  überall  der  Sclera  an. 

Im  untersten  Theil  des  Glaskörpers  findet  sich  ein  3  mm 
langer,  1 '/,  mm  breiter  Zündhütchensplitter,  von  einer  geringen 
Menge  gelblich -brauner  Masse  umgeben.  Mit  seiner  Längs- 
richtung liegt  er  parallel  zum  Aequator  bulbi,  etwas  nach, 
innen  vom  verticalen  Meridian  des  Auges.  Das  obere  Ende 
des  Fremdkörpers  ist  auf  Schnitten  von  dem  hinteren  Theil 
d^r  Retina  etwa  4  mm,  das  untere  Ende  1  '/g  mm  entfernt 
Dasselbe  berührte  die  Netzhaut  nicht,  was  sich  daraus  ergiebt, 
dass  ein  kleines  Segment  der  unteren  Augenhälfte  abgeschnitten 
worden  war,  ohne  dass  der  Fremdkörper  zu  Tage  trat. 

Die  gelblich-braune  Masse,  welche  den  Zündhütchensplitter 
rings  umgiebt,  hebt  sich  ziemlich  scharf  vom  Glaskörper  ab 
und  liegt  nur  in  der  Höhe  des  unteren  Fremdkörperendes 
dem  hinteren  Theile  der  Netzhaut  an.  Vom  mittleren  Theile 
des  Fremdkörpers  aus  zieht  sich  von  dieser  Masse  ein  ziem- 
lich breiter,  nicht  scharf  abgegrenzter  Fortsatz  nach  dem  na- 
salen Theil  der  Ora  serrata  hin. 

Im  Gelloidin  ist  der  Glaskörper  etwas  geschrumpft  und 
liegt  im  oberen  Theile  der  unteren  Augenhälfte  nur  vorne  der 
Netzhaut  an;  an  den  übrigen  Stellen  ist  er  2mm  von  ihr  ent- 
fernt. Ganz  nach  unten,  der  Lage  des  Splitters  entsprechend, 
ist  der  Glaskörper  etwas  mehr  von  der  Netzhaut  abgehoben; 
die  letztere  ist  hier  im  hintern  Umfang  etwas  stärker  gefaltet 
als  oben  und  nebst  der  Aderhaut  nicht  unerheblich  verdickt. 
In  der  oberen  Augenhälfte  ist  der  Glaskörper  nur  auf  der 
Höhe  des  N.  opt,  nach  innen  von  ihm,  in  geringer  Ausdehnung 
ca.  1mm  weit  von  der  Netzhaut  abgehoben. 

Mikroskopische  Untersuchung.  Die  den  Fremd- 
körper umschliessende  gelbliche  Masse  und  der  oben  erwähnte 


Pathologisch-anatomiBche  Untersachaogan  etc.  209 

streifenfönnige  Fortsatz  derselben  stellen  nichts  anderes  dar, 
als  einen  nrnschriebenen  Glaskörperabscess.  Die  peripherischen 
Schichten  desselben  bestehen  durchweg  aas  nekrotischen  Rund- 
zellen, deren  Kerne  nur  durch  Eosin  gefärbt  sind;  je  näher 
dem  Fremdkörper,  um  so  grösser  wird  die  Zahl  der  durch 
ihre  Haematoxylinf&rbung  hervortretenden  Kerne,  die  zuletzt 
ziemlich  dicht  gedr&ngt  liegen;  man  UDterscheidet  dabei  mul- 
tiple, kleine,  stärker  gefärbte  und  grössere,  einzelne,  blasser 
tingirte,  die  auch  etwas  grösseren  Rundzollen  angehören. 
Zwischen  diesen  Zellen  liegen  zahlreiche  rothe  Blutkörperchen. 

Der  übrige  Glaskörper  ist  fibrillär  yerändert  und  von 
einem  Fibrinnetz  durchsetzt,  aber  nur  in  der  unteren  Augen- 
häfte  schwach  mit  Eiterkörperchen  infiltrirt,  und  dieses  haupt- 
sächlich neben  der  Pars  eil.  ret,  wie  auch  in  seinem  hinteren 
Theile,  welcher  von  der  Netzhaut  abgehoben  ist.  In  dem 
Raum  zwischen  dem  abgehobenen  Glaskörper  und  der  Netzhaut 
befindet  sich  eine  blass-körnige  Eiweissmasse,  welche  bald  auf 
der  hinteren  Fläche  des  Glaskörpers,  bald  auf  der  Innern 
Seite  der  Retina  aufgelagert  ist  In  dem,  der  Lage  des 
Fremdkörpers  entsprechenden  Abschnitte  des  Auges  sind  in 
dieser  Eiweissmasse  noch  Gruppen  von  Eiterkörperchen  vor- 
handen, welche  öfters  der  Retina  anliegen. 

Die  Fasern  der  Zonula  Zinnii  sind  verdickt  und  leicht 
bis  zur  Ora  serrata  zu  verfolgen. 

Die  Sehnervenpapille  ist  beträchtlich  geschwollen,  ihr 
Gewebe  ödematös  und  gelockert,  die  Neuroglia  etwas  stärker 
entwickelt  An  der  Oberfläche  zeigt  sie  eine  umschriebene 
Stelle  stärkerer  Proliferation  des  Stützgewebes.  Die  Gefässe 
sind  erweitert,  ihre  Adventitia  reichlich  mit  Leukocyten  in- 
filtrirt, das  übrige  Gewebe  nur  wenig. 

Auch  die  Netzhaut  ist,  namentlich  in  der  Nähe  der 
Papille  etwas  verdickt  und  ihr  Gewebe  gelockert,  welcher 
Zustand  in  abnehmendem  Grade  sich  bis  nach  vom  verfolgen 
lässt.  Die  Verdickung  erstreckt  sich  auf  alle  Schichten,  be- 
sonders aber  auf  die  Stäbchenschicht  und  Zwischenkörnerschicht. 
Die  Elemente  der  Stäbchenschicht  sind  mehr  oder  minder 
stark  verlängert  und  verdünnt,  ihre  Enden  oft  umgebogen  und 
schräg  zur  Oberfläche  verlaufend;  zwischen  ihnen  treten  Lücken 
auf,  durch  welche  eine  bündelweise  Aneinanderlagerung  be- 
dingt wird.  In  der  Umgebung  der  Papille  ist  die  Structur  der 
Stäbchenschicht  undeutlich,  körnig  und  nach  der  Fovea  centralis 

T.  GTnefe's  Archlr  «r  Ophthalmologie.  XXXVII.  4.  14 


210  Kostenitsch. 

hin  nimmt  ihre  Dicke  erheblich  ab,  an  einer  Stelle  schwindet 
sie  sogar  völlig.  Die  Zwischenkömerschicht  ist  besonders  in 
der  Nähe  der  Papille  stark  ans  einander  gezogen  nnd  gelockert; 
die  äusseren  Körner  senkrecht  oval,  wie  in  die  Läi^ge  ge- 
zogen; die  Elemente  beider  Kömerschichten  weniger  dicht 
beisammen  liegend  als  in  der  Norm;  alle  zelligen  Gebilde 
haben  sich  schwach  mit  Hämatoxylin  gefärbt,  was  aber  vielleicht 
der  Erhärtungsflüssigkeit  zuzuschreiben  ist  Die  Venen  der 
Netzhaut  sind  erweitert,  in  ihrer  Adventitia  Lenkocyten  ein- 
gelagert. Letztere  finden  sich  überall  auch  in  geringer  Menge 
im  Gewebe  der  Nervenfaserschicht.  Die  Hyaloidea  ist  in  grosser 
Ausdehnung  durch  feinkörnige  Eiweissmasse  von  der  Innenfläche 
der  Netzhaut  etwas  abgehoben,  stellenweise  finden  sich  in  dem 
Zwischenraum  auch  Leukocyten.  Das  Pigmentepithel  ist  wenig 
verändert.  Im  unteren  Theil  des  Auges  ist  dagegen  die  Netz- 
haut, besonders  die  Faserschicht,  reichlicher  von  Eiterkörperchen 
infiltrirt  und  in  der  Gegend  des  den  Fremdkörper  umgebenden 
Abscesses  vollständig  degenerirt  und  in  ein  dicht  mit  Eiter- 
körperchen  und  Pigmentzellen  durchsetztes  Gewebe  verwandelt, 
das  nichts  von  der  normalen  Structur  mehr  erkennen  lässt. 
Es  ist  möglich,  dass  hier  der  Fremdkörper  einen  Riss  der 
Netzhaut  bewirkt  hatte,  doch  kann  auch  die  Structur  durch 
den  Entzündungsprocess  verloren  gegangen  selb,  da  der  Ueber- 
gang  in  den  erhalten  gebliebenen  Theil  der  Netzhaut  ganz 
allmälig  erfolgt.  Man  sieht  hier  stellenweise  auch  neugebildetes 
Bindegewebe  zu  der  stark  mit  Eiterzellen  infiltrirten  Chorioidea 
hinüberziehen.  Wo  die  Netzhaut  abgehoben  ist,  ist  der 
Zwischenraum  von  körniger  Eiweissmasse,  eitrig-fibrinösem 
Exsudat  und  abgelösten  Zellen  des  Pigmentepithels  ausgefüllt. 
Auch  sonst  ist  im  unteren  Abschnitt  des  Auges  das  Pigment- 
epithel stellenweise  unregelmässig,  einzelne  Zellen  durch  Exsudat 
abgehoben,  andere  scheinen  zerfallen  und  die  Pigmentkömehen 
in  der  Umgebung  zerstreut. 

Die  Gefässe  der  Iris  sind  erweitert,  das  Gewebe  auf  der 
Seite  der  Verletzung  von  zahlreichen  rundlichen  und  poly- 
morphen Pigmentzellen  durchsetzt.  In  dem  Defect  der  Iris 
sind  Fibrinfasern,  isolirte  Zellen  des  zerfallenen  Stratum  pigm. 
iridis  und  rayelinähnliche  Tropfen  von  verschiedener  Grösse  zu 
sehen;  letztere  werden  auch  in  dem  Winkel  zwischen  der 
Iris  und  den  Ciliarfortsätzen  angetrofifen.  An  den  übrigen 
Stellen  ist  das  Pigraentepithel  der  Iris  verdickt  und  die  Zellen 
bilden  auf  seiner  hinteren  Fläche  zackige  Vorsprünge. 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  211 

In  der  vorderen  Kammer  finden  sich  verschieden  ge- 
staltete Fibrinnetze  nnd  veränderte  rothe  Blutkörperchen.  Das 
Endothel  ist  vesiculär  verändert,  desgleichen  in  ausgesprochenem 
Grade  die  obere  Schicht  des  Epithels  der  Hornhaut. 

An  der  Linsenkapsel  wurde  keine  Verletzung  gefunden ; 
die  Linse  zeigt  Veränderungen  wie  bei  beginnender  Cataract. 


V.  Fall. 

Claudepierre  (Ohne  Krankengeschichte). 

Einähriger  Knabe.  Enucleation  wegen  Verletzung  durch 
einen  Zündhütchensplitter. 

R.  Auge  gut  in  MüUer'scher  Flüssigkeit  gehärtet,  im 
horizontalen  Meridian  durch  den  Sehnerveneintritt  halbirt,  beide 
Hälften  in  Celloidin  geschnitten. 

Makroskopischer  Befund.  Durchmesser  des  Auges  in 
sagittaler  und  aequatorialer  Richtung  23  mm.  In  der  Cornea, 
etwas  nach  innen  von  ihrer  Mitte,  eine  vertikale,  fast  1^/,  mm 
lange  Narbe.  Die  vordere  Kammer  ist  seicht;  der  Pupillarrand 
der  Iris  ist  mit  der  Narbe  verwachsen;  die  Linse  ist  stark 
verkleinert,  anregelmässig  gestaltet  und  theilweise  resorbirt. 
Die  Aderhaut  ist  verdickt,  besonders  im  äusseren  und  hinteren 
Theil  des  Auges;  in  dem  letzteren  liegt  sie  der  Sclera  an, 
während  sie  in  ihrer  übrigen  Ausdehnung  bis  auf  2  —  3  mm 
von  ihr  abgehoben  ist.  Die  Retina  liegt  im  äusseren  und 
inneren-hinteren  Theil  der  Aderhaut  an,  in  ihrer  übrigen 
Ausdehnung  ist  sie  von  ihr  etwas  über  1  mm  weit  abgelöst. 
Der  Nervus  opticus  zeigt  normale  Färbung,  ist  aber  etwas 
dünner,  als  normal  und  hat  an  der  Sclera  nur  2  mm  im 
Durchmesser  (ohne  äussere  Scheide). 

Eine  dunkelgraue  Masse  nimmt  den  ganzen  Glaskörperraum 
ein.  In  der  unteren  Hälfte  des  Auges,  unmittelbar  hinter  der 
Mitte  der  Linse  ist  in  dieser  Masse  ein  stecknadelkopfgrosser 
Fleck  von  dunkelbrauner  Farbe  zu  sehen,  welcher  nur  an 
10—12  Schnitten  zu  treffen  ist  (Figur  1,  d).  Ein  etwas 
grösserer  Fleck  von  ähnlicher  Farbe,  aber  nicht  so  deutlich 
hervortretend,  ist  im  äusseren  Theil  dieser  Masse  neben  dem 
Aequator  bulbi,    nicht   weit  von  der  Netzhaut   zu  beobachten. 

4  mm  nach  hinten  von  dem  letzterwähnten  Fleck  findet 
sich  auf  der  lateralen  Seite  der  Netzhaut  eine  Verdickung,  — 
wahrscheinlich  die  Folge  einer  Verletzung,  welche  in  der  Höhe 

14» 


212  Kostenitsch. 

des  Nervus  opt.  anfilngt,  parallel  mit  dem  Aequator  bulbi  nach 
unten  zieht  und  in  der  Gegend  des  unteren  Theils  des  Fremd- 
körpers verschwindet  (Fig.  1  r). 

Nach  unten  von  dem  mehr  erwähnten  Fleck,  1  mm  nach 
innen  von  der  Netzhaut  und  unmittelbar  nach  unten  von  dem 
Sehnerveneintritt,  lag  der  Fremdkörper^  ein  Ztlndhfltchenstflck 
von  3  mm  Länge  und  2  mm  Breite,  mit  seiner  Längsausdehnung 
und  seiner  Fläche  parallel  zum  Aequator  bulbi  gerichtet 
(Fig.  If). 

Ein  Theil  der  oben  beschriebenen  Masse,  welcher  dem 
Fremdkörper  anliegt,  zeigt  eine  gelblich-braune  Färbung,  die 
nach  unten,  unterhalb  des  Fremdkörpers,  bis  dicht  an  den 
Grund  des  Auges,  einen  fast  braunschwarzen  Ton  anninunt 

Etwas  nach  vorne  von  dem  Aequator  bulbi  sieht  man  auf 
der  ganzen  nasalen  Seite  eine  kleine  Falte  der  Retina;  auf 
der  temporalen  Seite  finden  sich  dagegen  keine  Falten,  mit 
Ausnahme  der  noch  zu  erwähnenden  Fältchen  nach  oben  und 
nach  unten  von  dem  Risse  der  Retina. 

Die  Schnitte  zeigen  bei  Behandlung  mit  gelbem  Blut- 
laugensalz und  Salpetersäure  in  der  dem  Fremdkörper  anliegen- 
den Masse,  sowie  in  dem,  hinter  der  Linse  befindlichen  Fleck, 
eine  deutliche  röthliche  Färbung. 

Mikroskopische  Untersuchung.  Der  vermuthete 
Riss  an  der  Stelle  der  Verdickung  in  dein  äusseren  hinteren 
Theil  der  Netzhaut  wurde  bei  der  mikroskopischen  Unter- 
suchung vollständig  bestätigt.  Der  Zwischenraum  zwischen  den 
Rändern  der  zerrissenen  Retina  ist  von  zellenreichem  Granu- 
lationsgewebe ausgefällt,  das  in  seinen  äusseren  Schichten  zahl- 
reiche Pigmentzellen  einschliesst;  in  den  mittleren  Schichten 
sind  rothe  Blutkörperchen  und  Detritus  derselben  eingelag^l 
und  die  inneren  Schichten  besonders  dicht  von  Leukocyten 
durchsetzt,  welche  auch  in  dichter  Menge  in  die  innere  Schicht 
der  Retina  an  den  Rissenden  tibergehen.  Dieses  Gewebe  er- 
streckt sich  auch  in  den  Subretinalraum  hinein,  wo  es  an  den 
Schnitten,  welche  oberhalb  des  Fremdkörpers  gefallen  sind,  als 
ein  schmaler  Streifen  nach  vorne  zieht  und  sich,  ohne  die 
Ora  serrata  zu  erreichen,  allmälig  verliert.  Das  Pigment- 
epithel  zeigt  hier  sehr  hochgradige  Veränderungen.  An  der 
äusseren  Fläche  der  Narbe  und  in  deren  Gewebe  eingebettet 
finden  sich  zwei  kleine,  ganz  isolirte  Trümmer  der  äusseren 
Körnerschicht. 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  213 

Auf  den  Schnitten,  welche  der  Lage  des  Fremdkörpers 
entsprechen,  ist  die  Narbe  breit,  das  neugebildete  Gewebe  im 
Subretinalranme  zieht  hier  zwischen  Retina  und  Chorioidea 
auch  eine  Strecke  weit  nach  hinten. 

Gleich  nach  hinten  von  der  Narbe  bildet  die  Retina 
kleine,  mikroskopische  Falten,  in  welchen  man  die  veränderte 
Stabchenschicht,  die  äussere  Eömerschicht  und  stellenweise 
auch  in  Gruppen  oder  in  eine  schmale  Reihe  geordnete  Körner 
der  inneren  Kömerschicht  unterscheidet  Die  äussere  Eömer- 
schicht bildet  in  den  Falten,  wie  auch  auf  eine  kleine  Ent- 
fernung nach  hinten  von  ihnen,  Htlgel,  deren  Spitzen  die 
Stäbchenschicht  auseinander  schieben  und  in  den  Subretinal- 
räum  hineinragen.  Zwischen  je  zwei  an  einander  liegenden 
Hügeln  findet  sich  eine  Einsenkung,  welche  mit  veränderten 
Stäbchen  und  Zapfen  gefallt  ist,  während  diese  an  den  Spitzen 
der  Hügel  nicht  vorhanden  sind. 

Das  vordere  Ende  der  zerrissenen  Retina,  welches  stellen- 
weise nur  aus  der  veränderten  Stäbchenschicht  und  einer 
schmalen  Reihe  von  Körnern  der  äusseren  Körnerschicht  be- 
steht, ist  nach  aussen  in  den  Subretinalraum  umgeklappt  und 
durch  Bindegewebe  fixirt;  manchmal  sind  in  diesem  Ende  feine 
Falten  zu  beobachten,  in  welchen  die  äussere  Körnerschicht 
sich  verschmälert,  oder  kleine  Hügel  bildet.  Die  innere 
Körnerschicht  ist  nur  als  schmaler  Streif  in  einiger  Entfernung 
von  den  Falten  zu  unterscheiden.  An  der  Stelle  der  übrigen 
Schichten  der  Retina  findet  sich  auf  beiden  Seiten  von  der 
Narbe  nur  ein  dicht  mit  Eiterkörperchen  und  Pigmentzellen 
durchsetztes  Gewebe,  das  kaum  etwas  von  der  normalen 
Structur  erkennen  lässt 

Die  beschriebenen  Veränderungen  der  Netzhaut  finden  sich 
nicht  nur  nach  vorne  und  hinten  von  der  Narbe,  sondern  auch 
nach  unten  und  nach  oben,  hier  aber  nur  in  geringer  Aus- 
dehnung; auf  Schnitten  von  der  oberen  Hälfte  des  Auges  ist 
unmittelbar  oberhalb  des  N.  opt  die  innere  Körnerschicht 
schon  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  zu  sehen  und  etwas  höher 
auch  schon  die  übrigen  Schichten  der  Retina  zu  unterscheiden. 
Nach  unten  von  der  Narbe  sieht  man  die  Stäbchenschicht  und 
die  äussere  Eömerschicht;  die  übrigen  Schichten  sind  aber 
fast  auf  der  ganzen  temporalen  Seite  der  Netzhaut  nicht  zu 
unterscheiden,  da  sie  hier  mit  einer  beträchtlichen  Menge  von 
Eiterkörperchen  durchsetzt  sind,  zwischen  welchen  hie  und  da 
Körner   der   inneren   Körnerschicht,    MüUer'sche   Fasern   und 


214  Kostenitsch. 

einzelne  Nervenzellen  hervortreten.  In  der  übrigen  Ausdehnung 
der  Retina  sind  ihre  Schichten,  von  der  Zwischenkörnerschicht 
anfangend,  mit  Eiterkörperchen  infiltrirt  und  sehen  etwas 
körnig  aus.  Die  Kerne  der  Nervenzellen  sind  mangelhaft  mit 
Haematozylin  gefärbt  Die  Infiltration  ist  auf  der  temporalen 
Seite  ausgesprochener  als  auf  der  nasalen. 

Auf  der  temporalen  Seite  der  Retina  und  neben  der 
Papille  sind  Yacuolen  in  den  Körnern  der  beiden  Kömer- 
schichten  zu  beobachten.  In  einer  gewissen  Ausdehnung  nach 
hinten  von  der  Ora  serrata  ist  die  Stäbchenschicht  in  beiden 
Hälften  des  Auges  in  Eiweisskügelchen  von  verschiedener 
Grösse  zerfallen.  Dieser  Zerfall  erstreckt  sich  auf  der  tempo- 
ralen Seite  mehr  nach  hinten  als  auf  der  nasalen.  An  allen 
übrigen  Stellen  ist  die  Stäbchenschicht  gequollen. 

Die  Gefässe  der  Retina  sind  erweitert  und  mit  Blut  ge- 
füllt, neben  ihnen  befinden  sich  viel  Eiterkörperchen. 

Die  Papille  des  Nerv.  opt.  ist  geschwollen  und  ihr  Ge- 
webe, besonders  neben  den  erweiterten  Gefässen,  mit  Eiter- 
körperchen infiltrirt.  Die  letzteren  sind  auch  in  ihrem  cen- 
tralen Grübchen  angehäuft,  zwischen  ihnen  befinden  sich 
Fibrinfasern.  Die  Nervenfaserbündel  sind  gut  erhalten,  aber 
etwas  kömig. 

Das  Epithel  der  Netzhaut  ist,  besonders  an  ihrem  vorderen 
Theil,  gewuchert;  es  gelang  mir  aber  nicht,  Kemtheilungen 
zu  finden. 

Die  Pars  eil.  ret.  zeigt  eine  geringe  Wucherung  und  ist 
mit  Eiterkörperchen  infiltrirt.  Die  Infiltration  ist  auf  der 
temporalen  Seite  und  in  der  unteren  Hälfte  des  Auges  aus- 
gesprochener als  in  der  oberen.  Nach  dem  Grunde  der  unteren 
Hälfte  des  Auges  hin  ninmit  die  Infiltration  so  stark  zu,  be- 
sonders auf  der  temporalen  Seite,  dass  man  mit  grosser  Mühe 
die  Zellen  dieser  Schicht  unterscheiden  kann. 

Das  Stratum  pigmenti  part.  eil.  ret.  ist  verdickt  und  an 
der  Ora  serrata  gewuchert,  wo  seine  Zellen  Kemtheilungen 
zeigen.  Stellenweise  bildet  es  keilförmige  Yorsprünge,  welche 
sich  in  die  Pars  eil.  ret  hinein  erstrecken.  Zwischen  den 
Zellen  des  gewucherten  Strat.  pigm.,  wie  auch  zwischen  ihm 
und  der  Pars  eil.  ret  selbst  sind  in  kleinen  Lücken  Eiter- 
körperchen enthalten. 

Der  Glaskörperraum  war  vor  dem  Einschliessen  des  Auges 
in  Celloidin,  wie  schon  oben  erwähnt,  vollständig  mit  einer 
dunkelgrauen  Masse  ausgefüllt     In  Celloidin  ist  sie  aber  ge- 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  215 

Bchrampft  und  in  zwei  ungleiche  Theile  getheilt,  einen  vorderen 
grösseren  und  einen  hinteren  kleineren,  zwischen  welchen  sieh 
eine  Lficke  findet  (Fig.  1). 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  zeigt  sich,  dass 
diese  Theile  sich  wesentlich  von  einander  unterscheiden.  Der 
vordere  Theil  ist  ziemlich  stark  mit  Eiterkörperchen  und  mit 
einem  Fibrinnetz  infiltrirt.  Die  Infiltration  ist  auf  der  tempo- 
ralen Seite,  neben  dem  Giiiarkörper  und  in  der  unteren  Hälfte 
des  Auges  ausgesprochener  als  in  der  oberen,  besonders  in 
der  Gegend  des  Fremdkörpers  und  hinter  der  Linse,  neben 
welchen  das  Fibrinnetz  sehr  dicht  ist.  Dem  vorderen  Theil 
hängt  die  Membrana  hjaloidea  an,  welche  viele  feine,  zackige 
Falten  bildet  und  nicht  weit  vom  temporalen  Ende  der  Retina 
an  nach  der  nasalen  Seite  hin  zieht,  um  in  einiger  Entfernung 
abgerissen  aufzuhören,  indem  der  übrige  Theil  an  der  Innen- 
fläche der  Retina  sitzen  geblieben  ist.  Vom  Ende  der  Membr. 
hyaloidea  bis  znr  Ora  serrata  befinden  sich  auf  der  nasalen 
Seite  in  Reiben  geordnete  oder  isolirte  Eiterkörperchen,  welche 
die  Grenze  des  vorderen  Theils  der  Masse  darstellen.  Nach 
hinten  liegen  der  Membr.  hyaloidea  Stückchen  der  Masse  an, 
in  welchen  keine  Eiterkörperchen  nnd  kein  Fibrinnetz  zu 
beobachten  sind.  In  der  ganzen  unteren  Hälfte  des  Anges,  in 
der  Gegend  des  Fremdkörpers,  nnd  an  der  Stelle,  welche  hinten 
von  dem  Fremdkörper,  aussen  von  der  Retina  nnd  vorne  von 
dem  temporalen  Theil  des  Corpus  ciliare  begrenzt  ist,  wie 
auch  neben  dem  nasalen  Theil  des  Corp.  eil.,  sind  deutlich 
Fibrillen  des  Glaskörpers  zu  sehen.  In  der  oberen  Hälfte  des 
Auges  sind  sie  dagegen  sehr  wenig  ausgesprochen  und  nur  an 
einer  kleinen  Zahl  nach  oben  von  dem  N.  opt.  geführter 
Schnitte  und  zwar  ausschliesslich  neben  dem  Corp.  eil,  auf 
beiden  Seiten  zu  beobachten. 

Der  hintere,  viel  kleinere  Theil  der  Masse  liegt  im 
hinteren  Augenabschnitt  unmittelbar  der  Narbe  und  der  Retina 
an.  Er  ist  amorph  und  enthält  nur  spärliche  Fibrinfasern, 
neben  der  Retina  auch  in  Gruppen  geordnete  Eiterkörperchen, 
manchmal  von  beträchtlicher  Grösse  und  zwischen  ihnen  mit 
Eosin  gefärbte  EiweisskOgelchen. 

Es  ist  klar,  dass  der  vordere  Theil  der  beschriebenen 
Masse  den  veränderten  und  in  Schrumpfung  begriffenen  Glas- 
körper, der  hintere  Theil  dagegen  eiweisshaltiges  Exsudat  dar- 
stellt (Fig.  1  g.  e). 


216  Kostenitoch. 

An  Schnitten,  welche  durch  die  Papille  gelegt  sind,  ist 
der  Glaskörper  mit  der  Membrana  hyaloidea  weniger  weit  von 
der  Netzhaut  abgehoben  und  man  sieht  noch  einen  schmalen 
Fortsatz  der  Glaskörpersubstanz,  mit  Eiterzellen  und  Fibrin- 
fäden infiltrirt,  nach  dem  Grunde  der  centralen  Grube  hin- 
ziehen. 

Die  Zonula  Zinnii  ist  verdickt;  ihre  Fasern  kann  man 
mit  schwacher  Yergrösserung  leicht  fast  bis  zu  der  Ora  serrata 
verfolgen. 

Dicht  am  hinteren  Pol  der  Linse  befindet  sich,  wie  schon 
oben  erwähnt,  ein  kleiner,  dunkelbrauner  Fleck.  Bei  der  mi- 
kroskopischen Untersuchung  zeigt  sich,  dass  er  aus  zwei  Heer- 
den  dichter  eitriger  Infiltration  besteht  Der  eine  ist  auf  dem 
Durchschnitt  mandelförmig  und  wird  vorn  von  der  hinteren 
Linsenkapsel  begrenzt,  welche  in  seiner  Mitte  zerrissen  ist; 
seine  hintere  Fläche  ist  gleichfalls  scharf  begrenzt,  wie  wenn 
die  Hyaloidea  durch  die  Eitereinlagerung  eine  Strecke  weit 
von  der  Linsenkapsel  abgehoben  wäre.  In  der  angrenzenden 
Schicht  des  Glaskörpers  liegen  die  Eiterzellen  mit  in  die 
Länge  gezogenen  Kernen  in  mehreren  Reihen  hinter  einander, 
offenbar  zwischen  die  Fibrillenzüge  des  Glaskörpergerüstes  ein- 
gebettet. Weiterhin  folgt  eine  mehr  gleichmässige  Anhäufung 
von  Eiterzellen,  die  sich  ohne  scharfe  Grenze  in  die  Umgebung 
verliert  und  dem  hinteren  der  beiden  dunklen  Flecke  entspricht. 

In  der  Masse,  welche  dem  Fremdkörper  anliegt,  wie  auch 
auf  der  entsprechenden  Stelle  in  der  oberen  Hälfte  des  Auges, 
findet  sich  eine  beträchtliche  Anhäufung  von  Eiterkörperchen 
und  zwischen  ihnen  sehr  viel  Detritus.  Auf  dem  Niveau  des 
unteren  Endes  des  Fremdkörpers  vermehrt  sich  die  Zahl  der 
Eiterkörperchen  und  unterhalb  desselben  bilden  sie  einen 
grossen,  in  der  Mitte  fast  undurchsichtigen  Fleck.  Ueberall 
zwischen  den  Eiterkörperchen,  wo  sie  nicht  dicht  an  einander 
anliegen,  sieht  man  Fettkörnchenzellen  und  Fibrinnetze. 

Die  Netzhaut  ist  überall  von  der  Aderhaut  etwas  abge- 
hoben, nur  auf  einer  kleinen  Stelle  in  dem  hinteren  inneren 
Theil  des  Auges  liegt  sie  ihr  an.  Der  schmale  Subretinal- 
raum  ist  mit  einer  geronnenen  Masse  angefüllt,  welche  nur  in 
der  Gegend  der  Narbe  homogen  ist  und  neben  den  Eiterkörperchen 
eine  unbedeutende  Menge  Fibrinfasem  enthält;  an  den  übrigen 
Stellen  sieht  sie  feinkörnig  aus.  Auf  der  temporalen  Seite 
enthält  sie  ausser  Eiterkörperchen  noch  rothe  Blutkörperchen, 
isolirte  Zellen  des  Retinaepithels,   Zellen  mit  Pigmentkömem 


Pathologisch-aoatomiBche  Untenuchnngen  etc.  217 

and  Blutkörperchen  oder  Zellen,  die  einen  grösseren  Fetttropfen 
enthalten;  auf  der  nasalen  Seite  sind  nur  Eiterkörperchen  in 
kleiner  Zahl  darin  zu  treffen.  In  der  ganzen  unteren  Hälfte 
des  Auges  ist  zwischen  der  Narhe  und  der  Ora  serrata  ein 
bedeutender  Bluterguss  Torhanden,  welcher  den  ganzen  schmalen 
Subretinalraum  einnimmt 

Die  etwas  verdickte  vordere  Linsenkapsel  ist  an  man- 
chen Schnitten  zweimal,  an  anderen  einmal  durchrissen,  mit 
klaffenden  Rändern,  auf  denen  Wucherungen  des  Kapselepithels 
aufliegen,  der  ttbrige  Theil  ist  gefaltet;  die  hintere  Kapsel 
fehlt  an  manchen  Schnitten  in  noch  grösserer  Ausdehnung. 

Die  Linse  ist  grossen theils  resorbirt;  zwischen  ihren  ge- 
quollenen Fasern  liegen  grössere  Eiweissmassen  und  kleine, 
deutlich  mit  Eosin  gefärbte  Tröpfchen.  Im  hinteren  Theil 
der  Linse  sind  ihre  Fasern  in  dtlnne,  mehr  oder  weniger  lange, 
in  dem  vorderen  in  kurze  Stückchen  zerfallen;  neben  letzteren 
befinden  sich  viele  ziemlich  grosse  Zellen  mit  körnigem  Inhalt, 
der  sich  eben  so  gut,  wie  die  Fasersttlckchen,  mit  Eosin  färbt; 
zwischen  den  zerfallenen  Fasern  sind  Eiterkörperchen  vor- 
handen. 

An  einer  Stelle  fand  ich  eine  Zelle  mit  excentrisch  ge- 
legenem Kerne,  welche  inmitten  von  Fettkörnchen  ein  mit 
Eosin  geförbtes  Eiweisskttgelchen  enthielt  (Fig.  2E). 

Die  Gefässe  der  Chorioidea  sind  erweitert  und  mit  Blut 
gefällt,  ihr  Gewebe  auf  der  ganzen  temporalen  Seite,  wie  auch 
das  des  Orbiculus  ciliaris  beider  Seiten,  ist  sehr  stark  mit 
Eiter  infiltrirt;  in  ihrer  fibrigen  Ausdehnung  ist  die  Infiltration 
wenig  ausgesprochen. 

Die  Gefässe  der  Iris  sind  etwas  erweitert;  ihr  Gewebe 
ist  unbedeutend  mit  Eiterkörperchen  infiltrirt;  die  Infiltration 
ist  ausgesprochener  neben  dem  ziemlich  stark  verdickten  Strsr 
tum  pigmenti,  dessen  Zellen  in  unregelroässiger  Weise  ge- 
wuchert sind  und  cylindrische  und  verkehrt  kegelförmige 
Gestalten  angenommen  haben,  wodurch  die  hintere  Fläche 
zackig  aussieht  Der  Pupillenrand  ist  entweder,  wie  schon 
bemerkt,  mit  dem  einen  Ende  der  Homhautnarbe  verwachsen, 
oder  glatt  durch  den  Fremdkörper  abgeschnitten. 

Die  vordere  Augenkammer  ist  mit  geronnener  Eiweiss- 
roasse  ausgefällt,  welche  Fibrinfasem  und  Eiterzellen  enthält, 
die  letzteren  befinden  sich  in  kleinen  Gruppen  auf  der  Membr. 
Descemeti  und  in  den  Winkeln  der  Kammer.  Gleich  nach 
aussen  von  der  grossen  Gomealnarbe   ist   noch   eine  zweite, 


218  Kostenitsch. 

feine,  perforirende  Narbe  vorhanden,  die  nur  an  wenigen 
Schnitten  zu  finden  ist,  daher  nur  eine  geringe  Ansdchnnng 
besitzen  kann. 

In  der  Sclera  finden  sich  neben  den  Gefössen,  besonders 
in  der  Gegend  des  Muse,  eil.,  wie  auch  zwischen  seinen  Fasern, 
Eiterkörperchen,  welche  sich  auch  um  den  Schlemm'schen 
Ganal  angehäuft  haben. 

In  der  Coi^.  bulbi  sind  zahlreiche  Leukocyten  vorhanden. 

Das  Vorhandensein  zweier  neben  einander  liegender  per- 
forirender  Narben  der  Cornea  muss  auf  .eine  doppelte  Ver- 
letzung bezogen  werden,  da  nach  der  gegenseitigen  Lage  der 
Narben  und  der  Richtung,  die  der  im  Auge  gefundene  Fremd- 
körper genommen  hatte,  nicht  daran  zu  denken  ist,  dass  der- 
selbe Fremdkörper  die  Hornhaut  zweimal  verletzt  habe.  Es 
bleibt  also  nur  die  Alternative,  dass  die  kleinere  Narbe  schon 
früher  bestanden  habe,  oder  dass  das  Auge  gleichzeitig  von 
zwei  Fremdkörpern  von  verschiedener  Grösse  verletzt  wurde. 
Letztere  Annahme  hat  die  grössere  Wahrscheinlichkeit  f&r  sich, 
weil  sie  zugleich  erlaubt,  die  Entstehung  der  Veränderungen 
am  hinteren  Linsenpol  zu  erklären,  wo  sich  neben  einem  klei- 
nen Eapselriss  ein  ganz  umschriebener  Fleck  von  eitriger 
Infiltration  fand,  der  bräunlich  gefärbt  jwar  und  in  welchem 
die  Anwesenheit  von  Kupfer  auf  chemischem  Wege  bewiesen 
wurde.  Die  Erwartung,  an  dieser  Stelle  einen  Zündhütchen- 
splitter  zu  finden,  erfüllte  sich  nicht,  da  die  ganze  Gegend  in 
Schnitte  zerlegt  wurde,  ohne  auf  einen  Fremdkörper  zu  stossen; 
es  ist  auch  nicht  möglich  anzunehmen,  dass  der  weiter  hinten 
gefundene  Fremdkörper  anfangs  an  dieser  Stelle  gelegen  habe, 
da  er  von  da  aus  durch  die  Schwere  nicht  an  seinen  jetzigen 
Sitz  gelangen  konnte.  Nimmt  man  hinzu,  dass  an  einigen 
Schnitten  deutlich  zwei  getrennte  Lücken  der  vorderen  Liusen- 
kapsel  gefunden  wurden,  und  dass  auch  die  kleine  Zerreissung 
der  hinteren  Kapsel  getrennt  war  von  der  viel  grösseren  Lücke, 
die  der  zweite  im  Auge  gefundene  Fremdkörper  in  der  hin- 
teren Kapsel  bewirkt  hatte,  so  muss  wohl  angenommen  werden, 
dass  neben  dem  letzteren  noch  ein  ganz  kleiner  Fremdkörper 
in  das  Auge  eindrang  und  bis  zum  hinteren  Pol  der  Linse 
gelangte,  entweder  nur  ein  Partikelchen  der  Zündmasse,  oder 
ein  feinstes  Kupferstückchen,  das  dem  anatomischen  Nachweis 
entging,  vermnthlich,  weil  es  schon  vorher  in  den  Augenflflssig- 
keiten  sich  gelöst  hatte.  Der  andere  Splitter  durchdrang  die 
Linse  und  den  Glaskörper    und   erzengte   vermuthlich  direct 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  219 

den  oben  beschriebenen  Riss  der  Retina.  Es  spricht  hierfür, 
dass  der  vordere  Rand  der  zerrissenen  Retina  nach  dem  Snb- 
retinalraum  hin  umgeklappt  ist  und  dass  auf  der  Seite  des 
letzteren  der  Narbe  eine  Gruppe  freiliegender  Edmer  der 
Aosseren  Eörnerschicht  anliegt;  femer  das  Vorhandensein  einer 
bedeutenden  Blutung  im  Subretinalraume  und  die  Abwesenheit 
Ton  Falten  im  vorderen  Theil  der  Retina,  ohne  welche  ein 
spontaner  Riss  von  solcher  Grdsse  unbegreiflich  ist 

Der  Fremdkörper  wird  einige  Zeit  lang  neben  dem  Risse 
gelegen  haben,  sp&ter  senkte  er  sich  etwas  nach  unten  und 
vom  und  wurde  vielleicht  auch  in  derselben  Richtung  durch 
die  Schrampfung  des  Glaskörpers  weiter  verschoben,  die  durch 
die  chemische  Wirkung  des  Kupfers  hervorgerufen  wurde. 
Später  wurde  dann  der  Riss  der  Retina  durch  Bindegewebe 
verschlossen. 

VI.  Fall. 

Joseph  Zeckert,  16  Jahre  alt,  aus  Mackersdorf  in  Pr. 

L.  Auge,  5  Wochen  nach  einer  Zttndhütchenverletzung 
von  Dr.  Just  in  Zittau  am  10.  October  1887  enucleirt. 

Der  Bulbus  war  nach  Härtung  in  Mttller'scher  Flüssigkeit 
etwas  oberhalb  des  Sehnerveneintrittes  in  horizontaler  Richtung 
durchschnitten,  der  Sehnerv  bei  der  Enucleation  knapp  am 
Auge  abgetrennt  An  der  unteren  Bulbushälfte  bemerkt  man 
auf  der  temporalen  Seite  im  Limbus  corneae  eine  kleine  ver- 
tiefte Narbe  (Fig.  3,  n).  Beide  Hälften  wurden  nach  Einbettung 
in  Celloidin  mit  dem  Mikrotom  geschnitten. 

Makroskopischer  Befund.  Trotz  sorgfältigem  Suchen 
wurde  an  den  Mikrotomschnitten  keine  deutliche  Perforations- 
stelle der  Augenwand  gefunden.  Es  fand  sich  nur  an  der 
soeben  bezeichneten  Stelle  der  Sclerocomealgrenze  auf  der 
lateralen  Seite  ein  oberflächlicher  Spalt,  durch  welchen  der 
Ansatz  der  Bindehaut  in  schräg  nach  der  Peripherie  gehender 
Richtung  vom  Scleralrande  abgetrennt  wurde;  an  einigen 
Schnitten  sah  man  auch  die  angrenzende  Schicht  der  Sdera 
von  etwas  ausgetretenem  Blut  durchsetzt;  nirgends  aber  konnte 
man  eine  Narbe  durch  die  Dicke  der  Sclera  und  die  Aderhaut 
hindurch  verfolgen.  Doch  muss  die  Perforation  an  dieser  Stelle 
erfolgt  sein,  weil  hier  eine  erhebliche  Verletzung  des  Linsen- 
randes vorliegt;   auch  ist  nirgends  anders  die  Spur  von  einer 


220  KoBtenitsch. 

Eingangsstelle  des  Fremdkörpers  zn  finden.  Der  laterale  Rand 
der  linse  erscheint  abgestumpft  und  der  angrenzende  Tbeil 
ihrer  hinteren  Fläche  eingekerbt;  die  Linsensnbstanz  ist  hier 
gelblich-weiss  getrttbt  and  an  der  hinteren  Fiftche  gegen  den 
Olaskörperranm  vorgequollen,  während  die  vordere  Fläche  und 
der  nasale  Rand  für  das  blosse  Auge  nicht  verändert  erscheinen. 
Die  Pupille  ist  weit  und  die  vordere  Linsenkapsel  in  ihrem 
Bereich  von  einer  zarten  Exsudatschicht  bedeckt 

Die  Netzhaut  ist  vollständig  trichterförmig  abgeUVst  und 
verdickt;  ihre  beiden  Blätter  verlaufen  ziemlich  gestreckt,  nur 
in  viele  feine  Fäitchen  gelegt  (Fig.  3,  4). 

Der  Glaskörperraum  ist,  besonders  im  vorderen  Ab- 
schnitt, von  eitriger  Infiltration  eingenommen;  in  ihrer  Mitte 
befindet  sich  eine  kleine  Blutung. 

Der  Subretinalraum  ist  mit  geronnener  Eiweissmasse 
erfüllt;  nur  hinten  neben  dem  Sehnerveneintritt  ist  der  von  der 
abgelösten  Netzhaut  gebildete  Winkel  auf  der  lateralen  Seite 
von  eitrigem  Exsudat  ausgefüllt.  In  der  Aequatorialgegend 
sitzt  auf  der  temporalen  Seite  an  der  Aussenfläche  der  Retina 
ein  hanfkomgrosses,  scharf  begrenztes  Eiterknötchen. 

Die  Chorioidea  ist  im  Allgemeinen  zart  und,  mit  Aus- 
nahme des  hintersten  Abschnittes,  überall  von  der  Sclera  ab- 
gehoben, auf  der  nasalen  Seite  ziemlich  weit,  auf  der  tempo- 
ralen nur  wenig;  die  Suprachorioidea  aufgelockert.  Die  Ab- 
hebung erstreckt  sich  bis  auf  den  leicht  verdickten  Ciliarkörper. 
Nur  hinten,  lateral  vom  Sehnerveneintritt,  wo  das  soeben  er- 
wähnte eitrige  Exsudat  sich  befindet,  liegt  die  Chorioidea  der 
Sclera  an  und  ist  ziemlich  stark  verdickt 

Als  sich  die  Schnitte  von  der  unteren  Hälfte  des  Auges 
dem  N.  opt  näherten,  fand  sich  in  dem  mehr  erwähnten 
eitrigen  Exsudat  neben  dem  Sehnerveneintritt  im  subretina- 
len Raum  der  Fremdkörper  eingebettet  und  das  Exsudat 
in  seiner  Umgebung  gelblich-braun  verfärbt.  Sein  hinteres 
Ende  lag  zwischen  den  Rändern  der  hier  zerrissenen  Retina, 
2  mm  nach  vorn  vom  temporalen  Rande  der  Papille;  sein 
vorderes,  etwas  nach  unten  gebogenes  Ende  war  in  den  Glas- 
körperraum eingelagert  Der  vorsichtig  extrahirte  Fremdkörper 
stellt  ein  rinnenförmig  gekrümmtes  Zündhütchenstück  dar  von 
4  mm  Länge  und  2  mm  Breite. 

Mikroskopische  Untersuchung.  Die  mikroskopische 
Untersuchung  bestätigte,  dass  die  beiden  Blätter  der  abgelösten 


Pathologisch-anatomische  Untersachoiigen  etc.  221 

Retina  am  Sehner?eiieintritt  zum  Theil  durchrissen  waren; 
zwischen  ihnen  und  der  Papille  findet  sich  nur  eitrig  infiltrirtes 
Bindegewebe,  das  sich  noch  eine  kleine  Strecke  weit  auf  der 
Chorioidea  hinzieht  und  die  Eitermasse  von  hinten  her  umgibt 
An  einer  Stelle  geht  dieses  Gewebe  ohne  scharfe  Grenze  in 
das  der  hier  eitrig  infiltrirten  Chorioidea  über,  so  dass  wohl 
auch  eine  kleine  Verletzung  dieser  Membran  stattgefunden 
hat.  In  der  Umgebung  dieser  Stelle  haben  die  Arterien  der 
Chorioidea  stark  verdickte  Wandungen  und  ihr  Lumen  ist 
theilweise  verengt.  In  ihrer  übrigen  Ausdehnung  ist  die 
Chorioidea  nur  wenig  verdickt,  ihre  Gestose  sind  erweitert;  die 
Yenen  theilweise  mit  Blut  gefüllt,  in  den  Lumina  und  in  der 
Adventitia  der  Venen  ist  nur  in  der  temporalen  Hälfte  eine 
unbedeutende  Menge  Leukocyten  zu  sehen.  Erst  in  der  Nähe 
dee  Ciliarkörpers  tritt  eine  ausgesprochenere  eitrige  Infiltration 
der  Chorioidea  auf. 

Der  markhaltige  Theil  des  Sehnerven  ist  dünn,  die  Mark- 
substanz kömig,  im  Zerfall  begriffen,  zugleich  kernreicher  als 
normal  und  mit  deutlicher  hervortretendem  Reticnlum.  Die 
Papillensubstanz  ist  kemreich  und  von  zahlreichen  Leukocyten 
durchsetzt  Die  Wände  der  Arterien  sind  verdickt,  die  Venen 
mit  Blut  gefallt,  in  ihre  Adventitia  sind  manchmal  Gruppen 
von  Eiter^ellen  eingelagert 

Die  abgelöste  Netzhaut  ist  in  viele,  bald  feine,  bald 
gröbere  Falten  gelegt,  ziemlich  stark  mit  Eiterkörperchen 
infiltrirt,  besonders  in  ihrer  temporalen  Hälfte  ihr  Stützgewebe 
hypertrophirt,  die  nervösen  Elemente  zum  Theil  in  Atrophie 
begriffen;  an  beiden  Flächen  ist  eitriges  Exsudat  aufgelagert. 
Besonders  stark  und  unregelmässig  gewuchert  ist  die  Nerven- 
faserschicht, in  der  auch  die  eitrige  Infiltration  am  meisten 
ausgesprochen  ist  Von  der  Stäbchenschicht  sind  in  der  Gegend 
des  Fremdkörpers  nur  noch  Beste  vorhanden,  weiterhin  sind 
ihre  Elemente  gequollen,  zum  Theil  im  Zerfall  begriffen  und 
die  Aussenglieder  streckenweise  verlorengegangen.  Die  Körner^ 
schichten  sind  sehr  unregelmässig  gefaltet,  die  Elemente  zum 
Theil  gelockert,  in  den  Körnern  zuweilen  Vacuolen  zu  be- 
obachten. 

Die  Venen  der  Netzhaut  sind  erweitert  und  mit  Blut 
gefüllt;  die  Wände  der  Arterien  verdickt  und  im  hinteren 
Abschnitt  der  Netzhaut  ist  eine  ausgesprochene  Endoarteriitis 
zu  sehen. 


222  Kostenitscb. 

Das  Pigmentepithel  liegt  der  Chorioidea  an,  ist  etwas 
verdickt  and  fehlt,  wie  schon  angedeutet,  an  der  verdickten 
Stelle  der  Chorioidea  neben  dem  Sebnerveneintritt. 

Die  Pars  ciliaris  retinae  ist  stark  gewuchert,  mit 
Eiterkörperchen  infiltrirt  und  grösstentheils  in  der  sie  deckenden 
Bindegewebsproliferation  untergegangen.  Das  Pigmentepithel 
der  Pars  ciliaris  ist  sehr  stark  verändert,  die  Zellen  gewuchert, 
gelockert  und  deformirt,  stellenweise  auch  in  das  angrenzende 
Bindegewebe  bis  zu  bedeutender  Tiefe  infiltrirt. 

Das  oben  erwähnte  Eiterknötchen  an  der  Aussenfläche 
der  Netzhaut  besteht  aus  dicht  mit  Eiterzellen  infiltrirtem  Ge- 
webe, dessen  Gefttge  in  der  Mitte  etwas  lockerer  ist,  und  geht 
nach  den  Seiten  hin  ohne  scharfe  Grenze  in  das  eitrig  infil- 
trirte  Gewebe  der  Netzhaut  Ober,  muss  also  wohl  durch  lokale 
Vereiterung  der  Netzhaut  entstanden  sein  (Fig.  3,  4  d').  Auch 
an  einer  anderen  Stelle  ist  die  Retina  so  dicht  von  Eiter- 
zellen infiltrirt,  dass  ihre  Schichtung  ganz  verloren  gegangen 
ist,  jedoch  hier  ohne  erhebliche  Dickenzunahme. 

Die  eitrige  Infiltration  des  Glaskörpers  nimmt  ziemlich 
den  ganzen  Raum  desselben  ein  und  erstreckt  sich  nach  vom 
bis  an  die  hintere  Linsenkapsel  und  an  die  auf  der  temporalen 
Seite  aus  deren  Riss  hervorquellende  Linsensubstanz  heran. 
Nasalwärts  ist  sie  durch  eine  der  Hinterkapsel  aufliegende 
dünne  Bindegewebschicht  von  dieser  getrennt  Dieselbe  hängt 
mit  dem  neugebildeten  gefässhaltigen  Bindegewebe  zusammen, 
welches  auf  beiden  Seiten  den  zwischen  Giliarfortsätzen  und 
Ora  serrata  gelegenen  Theil  des  Glaskörperraumes  einnimmt 
und  sich  noch  eine  Strecke  weit  auf  die  Innenfläche  der  ab- 
gelösten Netzhaut  als  schmaler  Streifen  fortsetzt. 

Weiter  nach  hinten  ist  die  Hyaloidea  durch  zellenarmes 
Exsudat  von  der  Innenfläche  der  Netzhaut  abgehoben,  und  auf 
der  Glaskörperseite  von  einer  dünnen  Schicht  eitrigen  Exsudates 
bedeckt,  während  der  Aussenseite  Fettkörnchenzellen  aufgelagert 
sind.  Auch  nach  innen  von  der  abgelösten  Hyaloidea  folgt  zu- 
nächst geronnene  Eiweissmasse,  in  welcher  Fettkörnchenzellen 
neben  zerstreuten  Eiterkörperchen  und  Fibriunetzcn  einge- 
schlossen sind.  Der  übrige  auf  der  Zeichnung  (Fig.  3,  4  g) 
schwarz  gefärbte  Theil  des  Glaskörpers  ist  mit  sehr  dicht  an- 
einander liegenden  Eiterkörperchen  infiltrirt,  deren  Kerne  bald 
gut,  bald  schwach  mit  Haematoxylin  gefärbt  sind,  im  letzteren 
Falle  treten  ihre  Konturen  nicht  deutlich  hervor.  Ausserdem 
werden   noch    in    kleine    Gruppen    geordnete    Eiterkörperchen 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  223 

mit  stark  gefärbten  Kernen,  in  denen  oft  Yacnolen  za  sehen 
sind,  beobachtet.  In  dem  beschriebenen  Theile  des  Glaskörpers 
trifft  man  noch  kömigen  Detritus,  zerfallene  rothe  Blut- 
körperchen und  nach  hinten  von  dem  Linsenrand  eine  be- 
deutende Anhäufung  von  Zellen,  die  Fettkörner  enthalten. 

Der  Subretinalraum  ist  mit  geronnener  Eiweissmasse 
ausgefüllt,  in  welcher  zahlreiche  isolirte  Eiterkörperchen,  wie 
auch  stellenweise  Fibrinfasern  und  Fettkömchenzellen  gefunden 
werden.  Der  hintere  Theil  des  Subretinalraumes  enthält  auf 
der  temporalen  Seite,  wie  schon  angeführt  wurde,  den  in 
eitriges  Exsudat  eingebetteten  Fremdkörper  und  zwischen  dem- 
selben und  der  verdickten  Stelle  der  Ghorioidea,  so  wie  auch 
nach  aussen  von  der  Papille,  eine  bedeutende  Anhäufung  von 
neugebildetem  Bindegewebe,  in  welcher  isolirte  Zellen  des 
Retinaepithels,  Pigmentkörner  und  Pigment  enthaltende  Zellen 
sich  befinden. 

Die  Linsenkapsel  zeigt  am  temporalen  Rande  eine 
grosse  Lücke,  die  bis  auf  die  hintere  Fläche  hinüberreicht. 
Die  Hinterkapsel  ist  gefaltet,  in  der  Nähe  des  Risses  erheblich 
verdickt  und  der  Rand  nach  aussen  aufgerollt;  aus  der  Riss- 
stelle drängt  sich  quellende  und  aufgefaserte  Linsenmasse  hervor. 

Zwischen  die  Linsentrümmer  ist  eitriges  Exsudat  einge- 
lagert, auch  sind  Eiterzellen  noch  breiter  in  die  Linse  hinein 
zwischen  die  Fasern  in  reichlicher  Menge  infiltrirt;  ausser 
mehrkernigen  Eiterkörperchen  mit  stark  gefärbten  Kernen 
finden  sich  zwischen  den  Linsenfasern  auch  zahlreiche  Zellen 
mit  einem  einzigen  grösseren,  schwach  gefärbten  Kern. 

Das  Gewebe  des  Giliarkörpers  ist  gelockert,  stärker 
fibrillär  und  im  hinteren  Theil  ziemlich  dicht  mit  Eiterzellen 
infiltrirt. 

Auf  der  vorderen  Iris  fläche  und  im  Kammerwinkcl  sind 
zahlreiche  Eiterzellen  abgelagert,  auch  das  Gewebe  der  Iris 
ist  stellenweise  davon  durchsetzt.  Auf  der  vorderen  Linsen- 
kapsel liegt  eine  Schicht  faserigen  Bindegewebes  mit  zahlreichen, 
ein-  und  aufgelagerten  Leukocjten,  die  zum  Theil  Pigment- 
körnchen enthalten.  Dies  Gewebe  setzt  sich  in  grösserer  Dicke 
auf  die  Hinterfläche  der  Iris  fort  und  nimmt  auf  der  ver- 
letzten, lateralen  Seite  die  ganze  hintere  Kammer  bis  zu  den 
Ciliarfortsätzen  ein;  auf  der  nasalen  Seite  findet  sich  ein 
gleiches  Gewebe  nur  zwischen  Linsenrand  und  Ciliarfortsätzen, 
von  wo  es  sich  noch  eine  Strecke  weit  auf  die  hintere  Linsen- 
fiäche  fortsetzt. 


224  Kostenitsch. 

Die  Gefässe  der  Conjanctiva  bulbi  sind  erweitert  und 
ihr  Gewebe  mehr  oder  minder  reichlich  mit  Lenkocyten 
infiltrirt. 

VII.  Fall. 

Wolf  (Soldat). 

11.  Novbr.  1867.  Vor  fünf  Wochen  Verletzung  des  rech- 
ten Auges  durch  ein  Zündhütchenstflck.  Aus  der  Tiefe  des 
Auges  gelber  Reflex  bei  durchsichtiger  Linse. 

Klinische  Diagnose  (Prof.  A.  v.  Graefe).  Eitrige 
Glaskörperinfiltration,  wahrscheinlich  totale  Netzhautablösung, 
eitrige  Netzhautinfiltration;  wahrscheinlich  partielle  eitrige  Cho- 
rioiditis.    Enucleatio  bulbi. 

Anatomischer  Befund  (Prof.  Th.  Leber).  Durch- 
messer des  frischen  Auges  von  vorn  nach  hinten  21  mm, 
horiz.  Durchmesser  21  mm.  Auge  weich,  phthisisch.  Horn- 
haut durchsichtig.  Pupille  nach  einer  am  inneren  unteren 
Homhautrande  befindlichen  Narbe  verzogen.  Auge  frisch  er- 
öffnet Die  Retina  scheint  anliegend  und,  soweit  sich  bei  der 
Besichtigung  erkennen  lässt,  zart  und  durchsichtig.  Linse 
klar.  Unmittelbar  hinter  der  Linse,  nach  innen  zu,  eine  dichte 
gelblich-weisse  Masse,  von  welcher  sich  bis  zu  der  gegenflber- 
liegonden  Stelle  am  Sehnerveneintritt  ähnliche  Massen  hinziehen. 

Ein  ZOndhfitchenstück  ist  in  der  Masse  eingebettet,  dicht 
hinter  der  Linse;  die  nächste  Umgebung  der  Masse  zeigt  eine 
bräunliche  Färbung.  Sehnervenquerschnitt  von  normaler,  weisser 
Färbung,  aber  dünner  als  normal,  etwas  unregelmässig  dreieckig, 
dicht  an  der  Sclera  nur  2^/^  —  2^/^  mm  im  Durchmesser  be- 
tragend (ohne  äussere  Scheide). 

Nach  Härtung  in  Mttller'scher  Flüssigkeit  fand  sich,  dass 
die  Retina  trichterförmig  abgelöst  war;  der  Hals  des  Trichters 
entspricht  dem  Eintritt  des  N.  opt.  und  der  breite  Theil  dem 
Corpus  ciliare. 

Leider  stand  mir  nur  die  mangelhaft  erhaltene  untere 
Hälfte  dieses  Auges  zur  Verfügung,  welche  in  Celloidin  ein- 
geschlossen und  in  horizontaler  Richtung  durch  den  Sehnerven- 
eintritt in  Schnitte  zerlegt  wurde. 

Gleich  nach  unten  von  dem  Eintritt  des  N.  opticus  er- 
reichen die  Schnitte  die  Stelle,  wo  das  obere  Ende  des  Zünd- 
hütchenstückes  gelegen   hatte;   dieses   selbst  war  vorher  vor- 


Pathologisch-anatomische  Untersachangen  etc.  225 

sichtig  heraasgezogen  und  der  Raum,  in  welchem  es  lag,  mit 
Gelloidin  ausgefallt  worden. 

Der  Zündhütchensplitter,  von  6  mm  im  Durchmesser,  stellt 
den  Boden  eines  der  früher  beim  Militär  gebrauchten  Zünd- 
hütchen dar.  Derselbe  lag  gleich  hinter  der  Linse,  mit  seiner 
Fläche  parallel  zum  Aequator  des  Auges  gerichtet.  Der  late- 
rale Rand  des  Splitters  entsprach  der  Mitte  des  hinteren 
Theils  der  Linse,  der  mediale  lag  etwas  nach  hinten  von  der 
Ora  serrata  des  nasalen  Theils  der  Retina,  von  letzterer  aber 
immerhin  noch  entfernt. 

Eine  weisslich-graue  Masse  nimm(  den  ganzen  vorderen 
Glaskörperraum  ein  und  umgiebt  das  Zündhütchenstück.  Nur 
in  der  unmittelbaren  Umgebung  des  letzteren  ist  diese  Masse 
fast  undurchsichtig  und  stellt  einen  ziemlich  breiten  Streifen 
von  schwarzbrauner  Farbe  dar.  Weiter  nach  hinten  giebt  sie 
auf  beiden  Seiten  zwei  in  convergirender  Richtung  verlaufende 
Fortsätze  ab;  ein  breiterer  verläuft  auf  der  inneren  Fläche 
der  nasalen  Hälfte  der  Retina  und  verliert  sich  weiter  hinten 
an  einer  ihrer  Falten;  der  andere,  schmälere,  geht  in  einigem 
Abstand  von  der  Retina  von  vorn-aussen  nach  hinten-innen 
und  verliert  sich,  alhnälig  dünner  werdend,  an  der  Retina 
etwas  nach  innen  von  der  Axe  des  Auges.  Die  soeben  be- 
schriebenen Streifen  sind  Durchschnitte  von  flächenartigen 
Zügen  verdichteten  Glaskdrpergewebes.  Ihre  hinteren  Enden 
erreichen  einander  nicht,  sondern  bleiben  1  mm  weit  von  ein- 
ander entfernt  (Fig.  5). 

In  dem  hinteren  Theile  des  Auges,  fast  auf  seiner  sagit- 
talen  Axe,  in  gleichem  Niveau  mit  dem  N.  opticus,  fängt  ein 
Riss  der  Retina  an,  welcher  nach  unten  zieht.  Die  Ränder 
der  Rissstelle  sind  nach  innen  umgeschlagen  (Fig.  5  r).  Die  so 
entstandene  Lücke,  die  oben  2  —  2^/2mm  weit  ist,  verkleinert 
sich  allmälig  nach  unten,  bis  die  Ränder  der  zerrissenen  Retina 
sich  wieder  berühren.  An  den  Schnitten,  welche  dem  unteren 
Theil  des  Fremdkörpers  entsprechen,  ist  keine  Spur  eines 
Risses  zu  bemerken.  Auf  denselben  Schnitten  nimmt  die  oben 
beschriebene  Masse  den  vorderen  Theil  des  Glaskörperraums 
ein;  auf  der  nasalen  Seite  erstreckt  sie  sich  an  der  inneren 
Fläche  der  Retina  weiter  nach  hinten,  als  auf  der  tempo- 
ralen Seite. 

Die  Ader  haut  ist  verdickt;  im  hinteren  Theile  des  Auges 
liegt  sie  der  Sclera,  im  vorderen  der  Retina  an;  in  der  ganzen 
übrigen  Ausdehnung  ist  sie  von  beiden  getrennt 

▼.  Oraefe'8  Arcbiv  fOr  Ophtlialmologie.  XXXVII.  4.  15 


226  KoBtenitsch. 

Auf  den  Schnitten  entstand  in  der  Masse,  welche  un- 
mittelbar den  Fremdkörper  nmgiebt,  durch  gelbes  Blntlangen- 
salz  und  Salpetersäure  eine  ganz  schwache  röthliche  Färbung. 

Mikroskopische  Untersuchung.  In  Folge  der  mangel- 
haften Conservirung  des  Auges  haben  leider  die  Schnitte, 
welche  durch  den  N.  opt.  geführt  sind,  die  Netzhaut  nur  in 
geringer  Ausdehnung  in  der  Umgebung  der  Papille  getroffen, 
an  welcher  Stelle  die  Retina  kleine  Falten  bildete,  weiterhin 
fehlt  die  Retina  an  diesen  Schnitten  zum  grössten  TheiL 

Die  Veränderungen  der  Retina  neben  der  Papille  unter- 
scheiden sich  kaum  von  denen,  welche  man  an  ihrem  hinteren 
Theil  nach  unten  vom  Eintritt  des  N.  opt.  zwischen  den  Rissen 
findet,  und  welche  ich  weiter  unten  beschreiben  werde,  so  dass 
ich,  um  Wiederholungen  zu  yermeiden,  hier  nicht  weiter  darauf 
eingehen  will. 

Das  Stützgewebe  der  Papille  ist  hypertrophirt,  die 
Nervenfasern  sind  etwas  kömig,  aber  noch  deutlich  zu  sehen; 
die  Wandungen  der  Oefässe  etwas  verdickt,  im  Lumen  der 
Venen  ziemlich  zahlreiche  Leukocyten  der  Wand  anliegend, 
an  einigen  Venen  in  der  Adventitia  eine  dichte  Anhäufung 
von  Leukocyten;  an  der  Uebergangsstelle  in  die  Retina  er- 
scheinen die  Ge&sse  erweitert.  In  der  Papille  und  umgeben- 
den Retina  zahlreiche  mit  Haematoidinkörnchen  gefüllte  Zellen 
eingelagert. 

Da  die  Netzhaut  nach  unten  vom  Sehnerveneintritt  in 
der  nasalen  und  temporalen  Seite  des  Auges,  von  dem  Riss 
gerechnet,  nicht  gleiche  Veränderungen  zeigt,  so  werde  ich 
zunächst  ihre  nasale  Seite  beschreiben. 

An  der  Stelle,  wo  die  oben  beschriebenen  Züge  verdich- 
teten Glaskörpers  im  Augengrunde  sich  einander  bis  auf  einen 
kleinen  Abstand  genähert  haben,  ist  die  mit  deren  beiden 
Enden  zusammenhängende  Netzhaut  stärker  nach  einwärts  ge- 
zogen und  in  eine  grosse  Zahl  von  kleinen  Fältchen  gelegt. 
An  der  am  weitesten  nach  innen  vorspringenden  Stelle  dieser 
Gegend  zeigt  die  Netzhaut  eine  zweite,  fast  nur  mikroskopisch 
erkennbare  Lücke. 

Die  zerrissenen,  etwas  nach  innen  umgeklappten  Ränder 
sind  nur  wenig  aus  einander  gezogen  und  durch  neugebildetes 
Bindegewebe  vereinigt.  Nach  unten  ist  dieser  Riss  fast  auf 
allen  Schnitten  zu  sehen,  auf  welchen  auch  der  erstere  zu 
sehen  ist.     (Fig.  5r'.) 


Pathologisch-aDatomische  Untersuchungen  etc.  227 

Der  im  hinteren  Abschnitt  des  Auges,  zwischen  den  beiden 
Rissen  gelegene  Theil  der  Netzhaut  zeigt  folgende  Ver- 
änderungen : 

Die  äussere  Körnerschicht  ist  verdünnt  und  von  et- 
was ungleicher  Dicke;  ihr  Durchschnitt  erscheint  meistentheils 
stark  wellig,  indem  sie  in  zahlreiche,  mehr  oder  minder  tiefe 
Fältchen  gelegt  ist,  in  welche  sich  schmale  Einsenkungen  der 
Aussenfläche  def  Retina  hineinziehen;  ihr  Durchschnitt  erhält 
hierdurch  ein  festonartiges  Aussehen;  an  einigen  Stellen  ver- 
schmälert sich  die  Schicht  so  stark,  dass  sie  nur  1 — 2  Reihen 
von  Körnern  zeigt,  auch  erscheint  ihr  Gewebe  gelockert  Die 
innere  Körnerschicht  ist  in  diesem  Theil,  wie  auch  nach 
vorne  von  dem  zweiten  Riss  in  der  Gegend  der  Falten,  welche 
ihm  anliegen,  beträchtlich  dicker  als  die  äussere  und  als 
normal.  Sie  ist  gleichfalls  aufgelockert  und  ihre  Elemente 
aus  einander  gewichen.  Ihre  äussere  Fläche  zeigt  papillenähn- 
liche  Vorsprflnge,  welche  in  die  Falten  der  äusseren  Körner- 
schicht hineinragen,  aber  etwas  breiter  und  abgerundeter  sind, 
als  die  letzteren  (Fig.  6.)  Von  ihren  Enden  aus  ziehen  in 
der  Zwischenkörnerschicht  Büschel  verlängerter  Sttttzfasern  in 
die  Tiefe  der  Falten  der  äusseren  Körnerschicht  hinein.  Ihre 
innere  Fläche  verläuft  im  Ganzen  ziemlich  eben  und  bietet 
gegen  die  Molecularschicht  hin  nur  einige  leichte  Biegungen 
dar.  Wo  die  äussere  Körnerschicht  keine  Falten  zeigt,  ver- 
läuft auch  ihre  äussere  Fläche  gerade.  In  der  Tiefe  der 
Falten,  besonders  neben  dem  zweiten  Riss,  verschmälert  sie 
sich  stellenweise  stark.  Weiter  nach  vorn,  zwischen  den 
Falten  in  der  Gegend  des  zweiten  Risses  und  dem  vorderen 
Ende  der  Netzhaut,  verläuft  die  Membran  glatt;  die  beiden 
Kömerschichten  sind  annähernd  eben,  aber  ebenfalls  aufgelockert 
und  von  etwas  ungleicher  Dicke,  wobei  bald  die  innere,  bald 
die  äussere  Körnerschicht  etwas  mehr  verdünnt  erscheint. 
Im  vordersten  Theil  der  Retina  treten  wieder  Falten  auf; 
dieselben  sind  fein  und  liegen  dicht  an  einander;  ihre  Zwischen- 
räume sind  schmal  und  tief.  Die  innere  Körnerschicht  er- 
scheint in  diesem  Theil  stellenweise  verdickt,  besonders  wo 
sie  sich  in  die  Falten  einsenkt. 

Die  Fasern  des  Stützgewebes  der  beiden  Körnerschichten, 
sowie  der  Zwischenkörnerschicht,  sind  im  hinteren  Theil 
der  Retina  zwischen  den  beiden  Rissen  und  im  vorderen,  be- 
sonders  neben  der  Ora   serrata,   beträchtlich   verlängert   und 

15* 


228  Kostenitoch. 

hypertrophisch;  desgleichen  in  noch  höherem  Grade  die  der 
Faserschicht,  weniger  der  Ganglienzellenschicht. 

Das  Gewehe  dieser  Schichten  ist  von  zahlreichen  ovalen 
Kernen  durchsetzt,  welche  der  Neuroglia  anzugehören  scheinen. 
Die  Ganglienzellen  sind  zum  Theil  noch  gut  erhalten,  aher 
ihre  Kerne  mitunter  mangelhaft  gefärbt.  Die  übrigen 
Schichten  der  beschriebenen  Seite  der  Retina  sind  etwas 
aufgelockert  und  kömig;  in  der  Faserschicht  und  Ganglien- 
zellenschicht finden  sich,  wie  schon  von  der  Papille  angegeben 
wurde,  um  die  erweiterten  Venen  reichliche  Anhäufungen  von 
mehrkernigen  Leukocyten,  die  auch  in  grosser  Menge  in  deren 
Lumen  zu  bemerken  sind.  Da  und  dort  trifft  man  auch  Hae- 
matoidinkörnchen  enthaltende  Zellen,  desgleichen  auch  an  der 
Innenfläche  der  Retina.  Die  Membrana  limitans  interna  ver- 
läuft leicht  wellig  und  ist  stellenweise  etwas  von  der  Faser- 
schicht abgehoben. 

Die  Stäbchenschicht  ist  in  der  ganzen  Ausdehnung 
der  Retina  hochgradig  verändert,  nirgends  sind  ihre  Elemente 
mehr  unversehrt  erhalten;  an  ihrer  Stelle  finden  sich  meist 
nur  Eiweisskugeln  verschiedener  Grösse,  hie  und  da  noch  ge- 
quollene und  in  die  Länge  gezogene  Reste  der  Zapfen,  auch 
einzelne  Kerne  dazwischen;  im  vorderen  nasalen  Theil,  in  den 
Einsenkungen  und  Vorspcüngen  der  Falten,  findet  sich  an 
ihrer  Stelle  ein  Fasernetz  vor,  welches  sich  deutlich  mit  Eosin 
färbt  und  vielleicht  aus  einer  Wucherung  der  Enden  der  Neu- 
roglia hervorgegangen  ist. 

In  der  temporalen  Hälfte  der  Retina,  aber  nur  in 
ihrem  vorderen  Theil,  sind  einige  nicht  besonders  tiefe  wellen- 
förmige Falten  zu  sehen.  Die  beiden  Körnerschichten  dieser 
Hälfte  sind  von  fast  normaler  Dicke.  Die  äussere  Körner- 
schicht zeigt  in  einer  gewissen  Ausdehnung  in  der  Umgebung 
des  Risses  feine  faltenartige  Einsenkungen,  in  deren  Vor- 
sprüngen die  Stützfasern  stellenweise  verlängert  sind.  Die 
übrigen  Schichten  bieten  auf  dieser  Seite  dieselben  Ver- 
änderungen wie  auf  der  nasalen  Seite  der  Retina. 

Die  beiden  nach  innen  umgeklappten  Ränder  des  grossen 
Risses  der  Retina  sind  durch  eine  zarte  Schicht  neugebildeten 
Gewebes  in  ihrer  Lage  fixirt. 

Auf  den  Schnitten,  welche  dem  unteren  Theil  des  Fremd- 
körpers entsprechen,  wo  keine  Risse  vorhanden  sind,  zeigt  die 
Retina  in  ihrem  hinteren  temporalen  Theil  keine  Falteti, 
während  auf  der  nasalen  Seite  viele   ziemlich   grosse   zacken- 


PathologiBch-anatomische  Untennchangen  etc^  229 

artige  Falten  auftreten.  Neben  der  Ora  serrata  dieser  Seite 
sind  die  StQtzfasem  stark  verlängert  und  an  einzelnen 
Stellen  zu  Bündeln  gruppirt.  Diese  Bflndel  sind  mit  Körnern 
der  inneren  Kömerschicht  durchsetzt  und  schieben  sich  in 
die  Spitzen  der  Falten  hinein;  ganz  in  der  Nähe  der  Ora 
serrata  bilden  die  Fasern  und  die  Faserbündel  in  den 
äusseren  Schichten  der  Retina  ein  Netz,  in  dessen  Maschen^ 
wie  auch  zwischen  den  Fasern  der  übrigen  Schichten  der 
Retina,  welche  hier  sehr  stark  verdickt  ist.  Kömer  zerstreut 
liegen;  die  Schichten  der  Netzhaut  sind  als  solche  hier  fast 
nicht  zu  erkennen. 

Nach  hinten  von  der  eben  beschriebenen  Stelle,  stellt  sich 
die  Retina  in  einer  gewissen  Ausdehnung  als  ein  schmaler 
Streif  dar,  in  welchem  die  äussere  Kömerschicht  und  Reste 
der  Stäbchenschicht  noch  zu  unterscheiden  sind;  an  der  Stelle 
der  übrigen  Schichten  finden  sich  isolirte  Gruppen  von  Körnern 
der  inneren  Kömerschicht,  Nervenfasern  und  Keme  der 
Nervenzellen,  femer  hie  und  da  Eiterkörperchen,  pigment- 
haltige Zellen  und  Pigmentklümpchen. 

Die  Pars  ciliaris  retinae  ist  auf  der  nasalen  Seite, 
entsprechend  der  Nähe  des  Fremdkörpers,  bis  zu  den  Ciliar- 
fortsätzen  stark  gewuchert,  desgleichen  auf  der  temporalen 
Seite;  das  Maximum  der  Wuchemng  erreicht  sie  an  der  Ora 
serrata.  Die  ovalen  Kerne  der  vergrösserten  cylindrischen 
Zellen  zeigen  sich  oft  getheilt,  zwischen  denselben  sind  Eiter- 
körperchen  zu  sehen;  auf  den  Ciliarfortsätzen  ist  das  Epithel 
unbedeutend  verdickt.  Auch  das  Stratum  pigmenti  der  Pars 
eil.  ret.  ist  verdickt,  und  stellenweise  stark  gewuchert;  in 
seinen  Zellen  ist  Kemtheilung  zu  sehen.  Die  pigmentirten 
Zellen  entsenden  lange  Fortsätze  zwischen  die  Elemente  der 
gewucherten  Pars  ciliaris  hinein,  andere  sind  schon  weiter 
nach  innen  vorgedrungen,  so  dass  die  ganze  Dicke  der  Pars 
ciliaris  in  von  aussen  nach  innen  abnehmender  Menge  von 
Pigmentzellen  durchsetzt  ist  Selbst  der  angrenzende,  binde- 
gewebig umgewandelte  Theil  des  Glaskörpers  enthält  zahlreiche 
mit  gleich  gefärbtem  Pigment  erfüllte  Zellen,  theils  von  rund- 
licher, theils  spindelförmiger  Gestalt 

Das  Retinaepithel  ist  aufgequollen;  an  verschiedenen 
Stellen,  besonders  in  dem  hinteren  Theil  neben  dem  N.  opt. 
und  im  vorderen  Theil  der  nasalen  Seite,  ist  eine  deutliche 
Wucherung  und  Kemtheilung  daran  zu  sehen  (Fig.  7).  Die 
Zellen   liegen   stellenweise   in   zwei   oder   selbst   drei  Reihen 


230  KoBtenitscb. 

über  einander,  haben  anregelmässige,  kolbige  Formen  und  sind 
mitunter  pigmentlos.  An  Präparaten,  die  mit  Fuchsin  und  sogar 
an  solchen,  die  mit  Haematoxylin  geförbt  sind,  sind  oft  an 
Earyokinesis  erinnernde  Bilder  zu  beobachten. 

Im  Subretinalraum,  welcher  durch  die  Einwirkung  der 
härtenden  Reagentien  vergrössert  ist,  befindet  «ich  eine  körnige 
Masse,  in  welcher  hie  und  da  isolirte  Zellen  des  Retina- 
epithels liegen.  Neben  der  veränderten  Stäbchenschicht  findet 
sich  noch  eine  beträchtliche  Menge  homogener  EiweisskOgelchen 
von  verschiedener  Grösse  (Zerfall  der  Stäbchenschicht),  isolirte 
Eiterkörperchen,  stellenweise  auch  viele  veränderte  rothe 
Blutkörperchen.  Im  vorderen  Theil  des  Subretinalraumes,  d.  h. 
neben  der  Ora  serrata  der  beiden  Seiten  finden  sich  viele 
Pigmentzellen  gewöhnlicher  Grösse,  dann  etwas  grössere  Zellen 
mit  2  —  4  Kernen;  im  nasalen  Theile  sind,  aber  selten,  sehr 
grosse  Zellen  zu  beobachten,  in  welchen  sich  bis  12  gut  mit 
Haematoxylin  förbbare  Kerne  finden  (Fig.  8).  Ausser  den  be- 
schriebenen Zellen  findet  sich  noch  hier  ein  Fibrinnetz  und 
junge  Bindegewebszellen« 

Die  oben  beschriebene  gelblich-weisse  Masse,  welche  sich 
in  dem  Glaskörperraum  befindet  und  den  Fremdkörper  umgiebt, 
ist  nichts  anderes  als  geschrumpfter  und  mit  eitrigem  Exsudat 
durchsetzter  Glaskörper. 

In  den  von  dem  Fremdkörper  entfernteren  Theilen  be- 
steht das  Exsudat  aus  dicht  gedrängten  Eiterkörperchen  mit 
gut  gefärbten  Kernen;  näher  dem  Fremdkörper  bemerkt  man 
aber  zunächst  nur  eine  kömige  Masse,  in  welche  mehr  zer- 
streute Eiterzellen  mit  gut  gefärbten  Kernen  eingelagert  sind; 
bei  genauerer  Einstellung  erkennt  man  aber,  dass  die  ganze 
Masse  aus  dicht  an  einander  liegenden  Rundzellen  besteht, 
deren  Kerne  keine  Färbung  mehr  angenommen  haben  und 
offenbar  als  nekrotische  Leukocyten  zu  betrachten  sind.  In 
noch  grösserer  Entfernung  von  dem  Fremdkörper  nimmt  die 
Menge  der  Eiterzcllon  wieder  ab  und  es  tritt  an  ihrer  Stelle 
körnig  krümelige,  amorphe  Substanz  auf.  Nur  dicht  an  der 
Hinterfläche  der  Linse  ist  wieder  eine  Schicht  von  dichter 
gedrängten  Eiterzellen  angelagert.  In  den  übrigen  Theilen  des 
Glaskörpers  finden  sich  ausser  dem  körnigen  Detritus  auch 
rothe  Blutkörperchen,  die  bald  gut  erhalten,  bald  in  Klümp- 
chen  zusammengehäuft  sind,  bald  grobe  Körner  darstellen; 
ferner  feine  Fibrinnetze,  glänzende  Kömchen,  Pigmentzellen  mit 
Kcrntheilungen  und  Zellen,   etwas  grösser  als  Eiterkörperchen, 


Pathologisch-anatomische  üntersachungen  etc.  231 

die  mit  haematogenem  Pigment  oder  mit  Fettkörnern  erfüllt 
Bind;  in  letzterem  Falle  ist  der  Kern  znr  Peripherie  ge- 
schoben. 

An  einigen  Stellen  im  vorderen  Theil  des  Glaskörpers 
dieht  man  grosse  Zellen,  welche  haematogenes  Pigment  und 
viele  Kerne  enthalten  (Fig.  9). 

Im  hintersten  TheU  des  Exsudates  finden  sich  junge  Binde- 
gewebsfasern, Capillaren  und  viele  ziemlich  grosse  Zellen  mit 
eosingefärbten  groben  Kömern,  welche  weder  nach  ihrem  Aus- 
sehen, noch  nach  ihrer  Färbung  von  Detritus  der  rothen  Blut- 
körperchen zu  unterscheiden  sind  (Fig.  10). 

In  der  Nähe  der  gewucherten  Pars  eil.  ret.  sind  auf 
beiden  Seiten  neugebildete  Bindegewebsfasern  und  Capillaren 
vorhanden.  Die  letzteren  sind  auf  der  nasalen  Seite  mit 
Leukocjten  angefüllt,  zwischen  diesen  sieht  man  nur  selten 
einzelne  mit  eosinophilem  Inhalt  gefüllte  Zellen  gleicher  Grösse. 
Einige  von  diesen  Capillaren  sind  nach  der  den  Fremdkörper 
umgebenden  Gewebsschicht  hingerichtet. 

Der  in  der  zuletzt  beschriebenen  Weise  veränderte,  hintere 
Theil  des  Glaskörpers  stellt  auf  dem  Durchschnitt,  wie  oben 
beschrieben  wurde,  nach  hinten  convergirende  Züge  dar,  von 
denen  der  auf  der  nasalen  Seite  der  Retina  anliegt,  während 
der  auf  der  temporalen  Seite  sich  von  derselben  auf  ziemlich 
weiten  Abstand  zurückgezogen  hat  Die  Aussenfläche  erscheint 
mikroskopisch  sehr  scharf  begrenzt,  obwohl  die  Limitans 
grösstentheils  auf  der  Retina  sitzen  geblieben  ist;  in  die 
Grenzschicht  sind  in  fortlaufender  Reihe  grössere  Rundzellen 
eingelagert,  die  rothe  Blutkörper  oder  Zerfallsproducte  der- 
selben einschliessen,  und  die  in  der  Nähe  der  Netzhautperfo- 
ration besonders  reichlich  vorhanden  sind.  Auf  der  inneren 
Fläche  der  nasalen  Hälfte  der  Retina  zwischen  ihr  und  dem 
Exsudat  und  ihre  Falten  überziehend  findet  sich  in  der  Um- 
gebung der  grossen  Perforation  eine  Schicht  von  neugebildetem 
Bindegewebe.  Auf  dem  gegenüber  liegenden  Theil  der  Aussen- 
fläche des  Glaskörpers  haftet  ein  ähnlicher  Bindegewebsstreifen 
von  geringer  Ausdehnung,  der  offenbar  früher  auf  der  Retina 
festsass  und  bei  der  Zurückziehung  des  Glaskörpers  an  diesem 
sitzen  blieb;  auch  neben  der  Papille  finden  sich  Bindegewebs- 
fasern im  Glaskörper,  welche  mit  denen  der  Papille  zusammen- 
hängen. 

Die  oben  beschriebene  dunkelbraune  Substanz,  welche  in 
continuirlicher  Schicht  den  Fremdkörper  umgiebt,  besteht  aus 


232  KoBteniteoh. 

einer  Menge  von  sehr  dicht  neben  einander  liegenden  Eiter- 
körperchen  nnd  körnigem  Detritus.  Der  letztere  bildet  in 
dem  hinteren  Theil  dieser  Schicht  eine  zusammenhängende 
Kruste,  in  der  man  mit  grosser  Mühe  die  Gonturen  der  Form- 
elemente unterscheiden  kann,  aus  welcher  aber  zahlreiche  mit 
Haematozylin  gefärbte  grobe  Körner  hervorragen.  Diese  Kömer 
sind  wahrscheinlich  die  Kerne  von  zerfallenen  Eiterkörperchen. 
In  der  Peripherie  ist  diese  Schicht  etwas  heller  und  lässt  in 
ihrer  Masse  Zellen,  die  grobe  Fettkörner  enthalten,  unter- 
scheiden. Ausserdem  sind  manchmal  kleine  Zellen  mit  eosin- 
ophilem Inhalt  zu  sehen.  Noch  weiter  nach  der  Peripherie, 
in  der  Richtung  zur  Linse,  findet  sich,  zwischen  dieser  Schicht 
und  der  Linsenkapsel,  ein  Bündel  neugebildeten  Bindegewebes, 
welches  in  der  Gestalt  von  isolirten  Fasern  am  äusseren  Theile 
der  Schicht  anfängt,  nach  vorne  zieht  und  auf  der  hinteren 
Seite  der  Linse  sich  nach  der  Narbe  hinbegiebt.  Das  eben 
beschriebene  Bündel  ist  an  den  Schnitten,  welche  dem  unteren 
Theil  des  Fremdkörpers  entsprechen,  stärker  entwickelt  Auf 
der  Seite  der  Verletzung  ist  die  ganze  Gegend  stark  zellig  in- 
filtrirt  und  von  der  Zonula  Zinni  nur  an  einigen  Schnitten 
etwas  zu  erkennen;  auf  der  anderen  Seite  ist  die  Zonula 
deutlich  sichtbar  und  ihr  Ansatz  an  die  Kapsel  abgerissen,  ob 
vielleicht  erst  beim  Aufschneiden  des  Auges,  ist  nicht  sicher 
zu  entscheiden.  Ihre  Fasern  sind  verdickt  und  sind  nur  in 
dem  oberen  Theil  der  temporalen  Hälfte  leicht  bis  zur  Ora 
serrata  zu  verfolgen;  an  den  übrigen  Stellen  sind  sie  durch 
Bindegewebsfasern  maskirt. 

In  dem  Exsudat  aus  der  Umgebung  des  Fremdkörpers 
habe  ich  an  einem  Praeparat  eine  Gruppe  von  Zellen  mit 
eigenartigem  Inhalt  beobachtet.  Dieselben  waren  rund  oder 
oval,  eine  derselben  auch  mit  einem  Fortsatz  versehen  (Fig.  11). 
Ihre  Kerne  lagen  an  der  Peripherie  und  waren  von  einer  ge- 
ringen Menge  feinkörnigen  Protoplasmas  umgeben;  der  übrige 
Theil  der  Zelle  war  mit  dicht  gewirrten  feinen  Fasern  oder 
mit  Faserstückchen  verschiedener  Grösse  und  Dicke  durchsetzt. 
Nach  dem  Aussehen  und  der  Färbung  mit  Eosin  waren  diese 
Fasern  identisch  mit  den  zerfallenen  Linsenfasern,  welche  sich 
in  dem  Exsudat  hinter  der  Linse  befanden. 

Die  Linsenkapsel  ist  fast  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
verdickt;  an  den  Rändern  der  Linse,  besonders  auf  der  nasalen 
Seite,  sind  ihre  Zellen  vermehrt,  obgleich  keine  Kemtheilung 
zu  sehen  ist.     An  einer  kleinen  Zahl  von  über  dem  Fremd- 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  233 

körper  geführten  Schnitten  ist  die  Linsenkapsel  an  ihrer  hinteren 
Fläche  verletzt. 

Die  nach  hinten  in  das  Exsudat  hineinragende  Gorticalis 
ist  in  Stocke  und  dfinne  Fasern  zerfallen,  zwischen  welchen 
sich  viel  kömiger  Detritus,  rothe  Blutkörperchen,  wenige  Eiter- 
körperchen  und  amorphe  Eiweissmasse  befinden.  Dieselbe 
Masse  liegt  in  den  Lücken  zwischen  den  Linsenfasern  im 
hinteren  ThiBile  der  Linse,  wo  die  Kapsel  unverletzt  ist  und 
in  ihrem  vorderen  Theile  nahe  der  Peripherie. 

Die  Gefässe  der  Chorioidea  sind  stark  erweitert  und  zum 
Theil  mit  Blut  gefüllt.  Das  Gewebe  ist  nicht  mit  Eiterkörper- 
chen  infiltrirt,  nur  im  Lumen  der  kleinen  Venen  treten  auf- 
ÜEÜlend  zahlreiche  Leukocyten  hervor.  Im  Ciliarkörper  sind 
Eiterkörperchen  vorhanden. 

Die  Lamina  elastica  ist  verdickt.  Hie  und  da  bemerkt 
man  eine  flache,  hügelige  Excrescenz  an  der  Innenfläche  der 
Aderhaut,  die  aus  gefässhaltigem  Gewebe  besteht,  welches  die 
Glashaut  durchwuchert  hat. 

An  der  Innenfläche  der  Ghoriocapillaris  sieht  man  stellen- 
weise die  Zellen  des  Retinaepithels  nach  innen  emporgehoben 
durch  kleine  Gebilde  aus  concentrisch  geschichteter,  homogener 
Substanz,  welche  sich  deutlich  mit  Eosin  färbt.  Solche  Gebilde 
sind  auch  in  dem  N.  opt.  und  in  dem  Stratum  pigmenti  der 
Pars  eil.  ret.  auf  der  nasalen  Seite  zu  treffen.  Zwischen  die- 
sem Stratum  und  dem  Epithel  der  Pars  eil.  ret  befindet  sich 
an  einem  Präparat  ein  ziemlich  grosses,  einem  gequollenen 
Stärkekom  ähnliches  Gebilde  mit  anliegenden  Pigmentzellen, 
welches  offenbar  aus  dem  Stratum  pigmenti  hierher  gelangt  ist. 
Diese  Gebilde  sind  wohl  nichts  anderes,  als  die  bekannten 
Drusen  der  Glaslamelle. 

Die  Gefässe  der  Iris  sind  etwas  erweitert;  ihr  Gewebe 
ist  mit  isolirten  Eiterkörperchen  infiltrirt,  aber  neben  dem 
verdickten  und  gewucherten  Stratum  pigmenti  iridis  sind 
stellenweise  Gruppen  von  Eiterkörperchen  zu  beobachten;  ihr 
hinterer  Theil,  durch  den  Fremdkörper  von  den  Ciliarfortsätzen 
abgetrennt,  ist  in  die  Narbe  eingezogen;  an  einer  kleinen 
Zahl  dieser  Stelle  entsprechender  Schnitte  findet  sich  in  der 
hinteren  Kammer  ein  Bündel  neugebildeten  Bindegewebes,  wel- 
ches der  Linsenkapsel  anliegt. 

Die  vordere  Augenkammer  enthält  eine  geringe  Menge 
feinkörnig  geronnenen  eiweisshaltigen  Exsudates,  isolirte  Eiter- 
zellen, pigmenthaltige  Zellen  und  veränderte  rothe  Blutkörperchen. 


236  Kostenitsch. 

Die  Linsenkapsel  ist  verdickt,  ihre  Kerne  vermehrt, 
ihr  vorderer  and  hinterer  Theil  zerrissen. 

Die  Linse  wnrde  bei  dem  Durchdringen  des  Fremd« 
körpers  in  zwei  Theile  zertheilt,  zwischen  welchen  viele  Gortioal- 
trttmmer  und  einzelne  Eiterkörperchen  lagern.  Die  Lage  der 
Fremdkörperspitze  ist  iu  der  Linse  durch  die  zerrissene  Kapsel 
und  das  Vorhandensein  einer  geringen  Zahl  von  Eiterkörperchen 
zu  erkennen.  Gequollene  Linsenfasern  sind  nur  an  den 
Rändern  wahrzunehmen,  an  den  übrigen  Stellen  befindet  sich 
Eiweissmasse  mit  Eiweisskügelchen  und  Vakuolen  mit  fettr 
körnigem  Inhalt  In  der  vorderen  Kammer  finden  sich  spftriiche 
rothe  Blutkörperchen  und  viele  Eiterzellen,  letztere  sind  be- 
sonders zahlreich  neben  der  verdickten  Memb.  Descemeti  und 
an  der  vorderen  Fläche  der  Iris  und  fallen  die  ganze  PupiUe 
aus;  zwischen  den  Eiterkörperchen  ist  ein  zartes  Fibrinnets 
und  Fettkömer  wahrzunehmen;  sehr  häufig  kommen  grosse 
Zellen  mit  vielen  Kernen  vor.  Diese  Zellen  sind  mit  Fett- 
körnem  oder  mit  haematogenem  Pigment,  manchmal  mit  rothen 
Blutkörperchen  gefallt 

IX.  Fall. 

Herr  Ferdinand  M.,  27  J.,  Direktor  einer  Schiessbaum- 
wollefabrik. 

28.  Juli  1882.  Vor  17  Tagen  L.  Verletzung  durch  die 
Explosion  einer  Ladung  von  Schiessbaumwolle  und  Pulver. 
Kleine  perforirende  Narbe  am  äusseren  Theil  des  oberen 
Lides,  gerade  gegenüber  kleine  Scleralnarbe.  Ausgedehnte 
Glaskörperblutung,  kleines  bewegliches  Körperchen  im  Glas- 
körper, das  sich  rasch  hin  und  her  bewegt.  Iris  grün,  keine 
Injection.  Bewegungen  der  Hand  wahrgenommen.  Lichtschein 
nicht  allemiederste  Lampe.  Projection  unsicher. 

Prognose  ungünstig  gestellt  Verband.  Soll  in  4 — 6  Wochen 
wiederkommen. 

9.  Sept  1882.  Leichte  Ciliariiyection,  Iris  grünlich.  Oph- 
thalmoskopisch der  ganze  Glaskörper  von  flockig-membranösen 
Trübungen  durchsetzt,  darauf  ein  kleines  helles  Körperchen. 
Ob  Netzhautablösung  fraglich.  Bei  focaler  Beleuchtung  nach 
unten  noch  Rest  von  rothgefärbtem  Extravasat  Bewegungen 
eines  hellen  Gegenstandes  wahrgenommen.  Lichtschein  fast 
niederste  Lampe.  Vor  einiger  Zeit  Schmerzen  im  Auge,  die 
nach  Atropin  nachliessen.     Enucleation  noch  verschoben. 


PatboIogisch-aDatomiscbe  Untersuchungen  etc.  237 

20.  September.  In  der  letzten  Zeit  wieder  lebhafte  £ntr 
sttndung  mit  Druckempfindlichkeit  in  der  Giliargegend.  Heute 
starke  Ciliarinjection,  Iris  grttn,  Glaskörper  von  eitrigen  Flocken 
durchsetzt,  die  hin  und  her  flottiren.  Rest  einer  Blutung  nach 
unten.  Ein  heller  gelber  Gegenstand  fliegt  besonders  au£- 
üallend  im  Glaskörper  hin  und  her.  Umschriebene  Druck- 
empfindlichkeit. Lichtschein  nicht  niedrigste  Lampe.  Pro^ 
jection  nur  nach  oben  und  aussen.     Aufgenommen. 

22.  September.  Nach  Breiumschlägen  und  Calomel  int. 
heute  Injection  entschieden  geringer.  Pupille  weit,  regelmässig 
rund,  obwohl  Pat  in  der  letzten  Zeit  kein  Atropin  bekommen 
hat.  Medien  unverändert,  keine  Druckempfindlichkeit.  Licht- 
schein niedrigste  Lampe.     Projection  nahezu  sicher. 

23.  September.  Heute  wieder  stärkere  Injection,  Pro- 
jection unsicher.     Enucleation. 

Das  durch  einen  Meridionalschnitt  eröffnete  Auge  zeigt 
im  Innern,  anhaftend  an  der  Chorioidea,  ca.  4  mm  hinter  dem 
Ansatz  des  M.  rect.  extemus,  einen  in  eitriges  Exsudat  ein- 
gebetteten harten  Körper,  der  sich,  herausgenommen,  als  ein 
zusammengebogenes  Stflckchen  Kupferblech  von  1  ^^  mm  Länge, 
%  mm  Breite  und  ^/g  mm  Dicke  erweist  Auge  in  Müller^sche 
Flüssigkeit  gelegt.     (Op.  v.  Dr.  Deutschmann.) 

29.  September  1882.     Heilung  normal. 

R.  M.  —  0,5D.     S  =  *«/2o.     0.  normal.     Entlassen. 

Sectionsbefund.  Der  Bulbus  war  frisch  im  horizon- 
talen Meridian  etwas  winklig  durchschnitten  und  ist  durch  die 
Härtung  leicht  verbogen.  Sehnerv  auf  dem  Durchschnitt  dttnn, 
aber  anscheinend  markhaltig,  misst  dicht  am  Auge  ohne  Scheide 
nur  ca.  3^4  mm,  die  äussere  Scheide  ist  schlaff,  das  inter- 
stitielle Gewebe  etwas  stärker  entwickelt 

An  der  Hornhaut  bemerkt  man  neben  dem  innem-obern 
Rande  einen  ca.  1  mm  langen  weisslichen  Strich,  leicht  ge- 
bogen, ca.  1  ^/s  mm  vom  Rande  entfernt,  vielleicht  eine  kleine 
Narbe.  Ausserdem  finden  sich  am  innern  obem  Rand  8  regel- 
mässig neben  einander  liegende,  radial  gerichtete,  weisslicbe 
Striche  von  ca.  1  mm  Länge ,  die  vom  Rande  aus  gleichmässig 
in  die  Hornhaut  hineinziehen  und  deutlich  über  die  Oberfläche 
hervorragen. 

Die  Linse  ist  nicht  regelmässig  durchschnitten.  Ihrgrösster 
Theil  befindet  sich  an  der  oberen  Hälfte  und  ragt  etwas  ttber 
die  Schnittfläche  vor.     Sie  hat  in  dieser  Hälfte   eine  regel- 


238  Kosteoitsch. 

massige  Form,  ihr  Kern  erscheint  mehr  gelblich,  heller;  an 
der  untern  Boibnshälfte  ist  ihr  medialer  Theil  aus  der  Kapsel 
herausgefallen,  doch  handelt  es  sich  hier  nur  um  Präparations- 
wirkungen, da  nach  dem  Ergebniss  der  Untersuchung  im  Leben 
die  Linse  ungetrübt  war. 

An  der  Iris  nichts  Abnormes  zu  bemerken,  vordere  Kam- 
mer leer. 

Ciliarfortsätze  scheinen  etwas  verdickt. 

Der  Glaskörper  ist  in  der  untern  Hälfte  zu  einer  ver- 
dichteten Masse  zusammengezogen,  welche  den  Raum  vor  der 
Härtung  wohl  noch  ziemlich  ausfüllte,  sich  aber  schon  etwas 
von  der  Retina  abgehoben  hat  und  hinten  mit  einer  feinen 
Spitze  endigt,  die  an  der  Papille  sich  ansetzt,  aber  bei  leichtem 
Zug  mit  der  Pincette  davon  abreisst. 

Jetzt  ist  der  Glaskörper  zusammengezogen  und  überzieht 
als  eine  weiche,  von  gelblichen  Streifen  durchsetzte  Masse  den 
unteren  Abschnitt  der  Retina,  während  der  grössere,  mittlere 
Theil  des  Raumes  von  dem  nach  unten  gesunkenen  Glaskörper 
frei  ist  In  der  oberen  Bulbushälfte  ist  die  Glaskörperablösung 
viel  weiter  gediehen;  die  Verbindung  mit  der  Papille  ist  hier 
durchschnitten,  der  grösste  Theil  des  Glaskörperraumes  leer 
und  der  Glaskörper  zu  einer  Schicht  von  etwa  Q  mm  Dicke 
zusammengezogen,  welche  den  Raum  hinter  den  Ciliarfortsätzen 
und  der  Linse  einnimmt. 

Der  Zündhütchensplitter  war,  wie  bemerkt,  schon  vorher 
aus  dem  Auge  herausgenommen  worden.  Die  Eingangsstelle 
war  für  das  blosse  Auge  nicht  zu  erkennen. 

Die  beiden  Hälften  des  Auges  wurden  bis  zum  3.  Mai 
1891  in  Müller'scher  Flüssigkeit  aufbewahrt  und  dann  in  Cel- 
loidin  eingebettet  und  geschnitten. 

Mikroskopische  Untersuchung.  Erst  an  den  Cel- 
loidinschnitten  lässt  sich  der  Gang  des  Fremdkörpers  im  Auge 
erkennen.  Derselbe  hatte,  wie  oben  bemerkt,  das  obere  Lid 
durchbohrt,  dann  die  Augenwand  auf  der  lateralen  Seite,  am 
hinteren  Ende  des  Ciliarkörpers,  ungefüiir  im  horizontalen 
Meridian  durchschlagen  und  den  seitlichen  Theil  des  Glas- 
körperraums durchflogen,  um  in  der  Aequatorialgegend  des 
Auges  etwas  weiter  nach  unten,  in  den  Augenhäuten,  stecken 
zu  bleiben. 

An  der  Eingangsstelle  tritt  die  Narbe  der  Sclera  wenig 
hervor,   ihr  Gewebe   ist  von   schrägen  Bindegewebszttgen  mit 


Pathologiscli-anatomische  Untersuchungen  etc.  239 

einzelnen  Gef&ssen  durchsetzt;  dagegen  ist  der  Ciliarkörper 
nebst  Pars  ciliaris  retinae  weit  vom  vorderen  Ende  der  Ghori- 
oidea  abgetrennt  und  die  Lücke  von  einer  dicken  Schicht  neu- 
gebildeten Bindegewebes  ausgefüllt,  das  mit  der  Chorioidea 
und  der  hier  ganz  atrophirten  Retina  verwachsen  ist. 

An  der  Stelle  des  Fremdkörpers  findet  sich  eine  geheilte 
Zerreissung  der  Chorioidea  und  Retina,  offenbar  durch  directe 
Verletzung  von  innen  her  entstanden;  die  Ränder  beider  Mem- 
branen sind  weit  aus  einander  gewichen  und  durch  eine  dicke 
Bindegewebeschicht  wieder  verwachsen,  die  auch  innig  mit  der 
Sclera  zusammenhängt,  so  dass  vielleicht  auch  diese  Membran 
4urch  den  Fremdkörper  verletzt  worden  war. 

Die  Enden  der  zerrissenen  Retina  sind  ein  wenig  nach  aussen 
umgeklappt.  Von  den  Elementen  der  Netzhaut  sind  in  ihnen 
nur  mangelhaft  gefärbte  Reste  der  Eömerschichten  zu  sehen. 

Nach  innen  grenzt  an  das  Narbengewebe  die  eitrig- 
infiltrirte  Partie  des  Glaskörpers  an,  in  welche  der  Fremd- 
körper eingeschlossen  war. 

Der  N.  opt.  ist  dünn,  sein  Sttttzgewebe  etwas  hyper- 
trophirt.  Die  markhaltigen  Fasern  erscheinen  körnig,  zwischen 
den  Faserbündeln  findet  sich  eine  kleine  Menge  von  Leuko- 
cyten.  Die  marklosen  Fasern  der  Papille  zeigen  beginnende 
Atrophie.  Die  Wände  der  Gefässe  sind  verdickt,  ihre  Lumina 
verengt  und  mit  Blut  gefallt. 

Die  Netzhaut  ist  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  etwas 
dünner  als  normal,  ihre  Stützfasern  sind  nur  in  der  Zwischen- 
kömerschicht,  nach  aussen  von  der  Papille  und  auf  einer  be- 
schränkten Stelle  nach  hinten  von  dem  Netzhautriss,  verlängert 
und  hypertrophirt. 

Im  hinteren  Abschnitt  des  Auges  sind  alle  Schichten  der 
Retina  sichtbar.  Die  Elemente  der  Nervenfaserschicht  treten 
aber,  besonders  in  der  Papille,  weniger  deutlich  hervor  als  in 
der  Norm;  die  Nervenzellen  sind  stellenweise  von  Vacuolen 
eingenommen  und  haben  sich  fast  gar  nicht  durch  Haematoxylin 
gefärbt.  Auch  die  beiden  Kömerschichten  haben  grösstentheils 
ihre  Tinctionsfähigkeit  eingebüsst.  Nur  einzelne  Körner  der 
inneren  Kömerschicht  sind  noch  ziemlich  gut,  die  übrigen  aber 
schwach  und  unregelmässig  mit  Haematoxylin  gefärbt;  die  äussere 
Körnerschicht  ist  in  grosser  Ausdehnung  schwach,  und  nur 
stellenweise  gut  tingirt;  stärker  gefärbte  Abschnitte  wechseln  ab 
mit  schwach  geerbten  und  manchmal  ist  im  Querschnitt  mitten 
in  einer  gut  mit  Haematoxylin  gefärbten  Partie  ein   dünner 


240  Eostenitsch. 

Streifen  ganz  ungefärbter  Körner  za  sehen.  Dieser  Streifen 
durchsetzt  bald  beide  Eömerschichten,  bald  bloss  die  innere 
und  den  inneren  Theil  der  äusseren  Kömerschicht.  Die 
Stäbchenschicht  ist  in  diesem  Augenabschnitt  durch  ziemlich 
grosse  Lücken  in  Bündel  zertheilt;  ihre  Elemente  sind  trübe, 
kömig  und  stellenweise  im  Begriff,  in  Eiweisskttgelchen  zu 
zerfallen. 

Die  GefäSBWände  der  Retina  sind  verdickt,  ihre  Lumina 
verengt;  in  den  Yenenlumina  finden  sich  zuweilen  zahlreiche 
Leukocyten. 

Im  vordem  Abschnitt  der  Retina  finden  sich  nur  noch 
Reste  der  Stäbchenschicht;  die  Körner  beider  Kömerschichten 
sind  gleichfalls  mangelhaft  gefärbt,  besonders  in  der  temporalen 
Seite,  wo  nur  einzelne  Körner  Färbung  angenommen  haben; 
die  inneren  Schichten  sind  fieut  nicht  zu  unterscheiden. 

Die  Pars  ciL  ret  ist  von  fast  normaler  Dicke,  die 
Kerne  ihres  Cylinderepithels  sind  nur  neben  der  Ora  serrata 
gut  mit  Haematoxylin  gefärbt,  an  den  übrigen  Stellen  sind 
diese  Keme  zum  Theil  gut,  zum  Theil  schwach  gefilrbt;  auf 
der  temporalen  Seite  der  unteren  Augenhälfte  sind  sie  völlig 
farblos,  oder  ganz  verschwunden;  die  Cylinderzellen  selbst  sind 
verlängert  und  etwas  gelockert.  Das  Stratum  pigmenti  der 
Pars  eil.  ret.  ist  auf  der  temporalen  Augenhälfte  unbedeutend 
gewuchert 

Das  Retinaepithel  zeigt  im  hinteren  Abschnitt,  ab- 
gesehen von  schwacher  Färbung  der  Keme,  keine  auffallenden 
Veränderungen.  Weiter  nach  vorn  zeigen  die  Zellen  stellen- 
weise stärker  entwickelte  Fortsätze,  an  andem  Stellen  sind  sie 
leicht  von  der  Aderhaut  abgehoben   und    theilweise   atxophirt. 

Der  Glaskörper  ist  leicht  verdichtet;  er  enthält  reich- 
lichen Detritus  rother  Blutkörperchen;  letztere  haben  sich 
stellenweise  zu  Klümpchen  angehäuft;  an  andem  Stellen  sind 
sie  reihenweise  in  das  Glaskörpergewebe  eingelagert;  ausserdem 
finden  sich  noch  kömiger  Detritus,  sehr  wenig  Fibrinfasern 
und  nur  wenige  Leukocyten,  dafür  aber  oft  Pigmentkörner 
enthaltende  spindelförmige  Zellen  und  viele  Phagocyten.  Auf 
der  inneren  Fläche  der  Retina  befindet  sich  etwas  feinkömige 
Eiweissmasse. 

Der  Fremdkörper  war  mit  dem  ihn  umgebenden 
Exsudat  aus  dem  Glaskörper  entfernt,  so  dass  an  seiner  Stelle 
nur  sehr  wenig  Eiter  zurückblieb. 


Pathologisch-aDatoinische  Untersuchungen  etc.  241 

In  dem  seichten  Subretinalraume  der  unteren  Augen- 
hälfto  findet  sich  feinkörnige  Eiweissmasse ,  grobkörniger 
Detritus,  isolirte  Zellen  des  Retinaepithels  und  Phagocyten. 
In  der  oberen  Augenhälfte  existirt  ein  Subretinalraum  nur 
auf  der  temporalen  Seite  in  der  Gegend  des  Retinarisses. 

Die  Aderhaut  ist  etwas  verdickt;  die  Venen  erweitert 
und  stellenweise  mit  Blut  angefdUt,  in  ihren  Lumina  sind 
manchmal  Leukocyten  anzutreffen.  Die  Wände  der  Arterien 
sind  verdickt^  neben  ihnen  ist  oft  im  hinteren  Theile  der 
Chorioidea  eine  Anhäufung  von  sternförmigen  Pigmentzellen 
zu  beobachten. 

In  dem  hinteren  Theile  der  Iris  und  neben  dem 
Schlemm'schen  Kanal  findet  sich  eine  unbedeutende  Menge 
von  Eiterkörperchen. 

Die  Wände  der  Arterien  sind  verdickt  Das  Pigment- 
epithel der  Iris  ist  hypertrophirt,  seine  hintere  Fläche  stellen- 
weise von  zackigem  Aussehen  und  die  Zellen  mehr  oder  minder 
kolbig  verlängert  und  gewuchert. 

Die  Epithelzellen  der  äussersten  Schichten  der  Cornea 
sind  trüb  und  ihre  Kerne  haben  sich  gar  nicht  gefärbt  Auch 
die  Kerne  der  tieferen  Zellschichten  haben  zum  Theil  ihre 
Tinctionsföhigkeit  verloren;  so  sind  an  Schnitten  aus  der 
Gegend  des  horizontalen  Meridians  in  den  Seitentheilen  der 
Cornea  kleine  Abschnitte  des  Epithels  zu  sehen,  dessen  Kerne 
theils  gar  nicht,  theils  schwach  mit  Haematoxylin  gefärbt  sind. 
In  der  Nähe  des  Randes  sieht  man  auch  kleine  Defecte  des 
Epithels  oder  Stellen,  wo  nur  die  Schicht  des  Cylinderepithels 
mit  kaum  sichtbaren  Kernen  erhalten  ist  In  den  tiefsten 
Schichten  der  Homhautgrundsubstanz  sind  auch  die  Kerne 
der  Homhautkörperchen  mangelhaft  oder  gar  nicht  geförbt  und 
dasselbe  Verhalten  tritt  an  dem  Endothel  der  hinteren  Horn- 
hautfläche hervor.  Dass  die  mangelnde  Kernfärbung  nicht  der 
Wirkung  der  ErhärtungsflUssigkeit  zuzuschreiben  ist,  geht  schon 
aus  dem  Umstände  hervor,  dass  diese  Veränderung  nicht  gleich- 
massig  verbreitet  ist,  wird  aber  auch  dadurch  bewiesen,  dass 
die  Kerne  der  neben  dem  Hornhautrande  vorkommenden  Binde- 
hautgefässe  ganz  gut  gefärbt  sind. 

Eine  an  den  Schnitten  gefundene  Zerreissung  der 
Linsenkapsel  ist  wahrscheinlich  erst  beim  Aufschneiden  des 
Auges  entstanden.  Sonst  i^t  noch  zu  bemerken,  dass  auch  die 
Kerne  der  Kapselzellen  in  der  Gegend  des  Aequators  auf  der 

T.  Qra^fe'fl  Archlr  Itir  Ophthalmologie   XXXVII.  4.  16 


242  Kostenitsch. 

dem  Sitz  des  Fremdkörpers  entsprechenden  Seite  keine  elective 
Färbung  durch  Haematozylin  angenommen  haben. 

In  der  Conjunctiva  bulbi  findet  sich  besonders  in  der 
oberen  Bulbushälfte  eine  bedeutende  Anhäufung  Ton  Leukocyten 
in  der  Umgebung  der  Gefässe. 

X.  Fall. 

Wilhelm  Sultan,  13  Jahre,  aus  Bebra. 

19.  Juni  1882.  Vor  11  Monaten  Zttndhütchenverletzung 
des  linken  Auges  mit  darauffolgender  schwerer  Entzündung, 
die  ihren  Ausgang  in  Phthisis  bulbi  nahm.  Am  r.  Auge 
leichte  BAndkeratitis,  ohne  Spur  von  Iritis  beiE  und  S=  '^/jo* 
(Die  Entzündung  wird  nicht  als  sympathische  angesehen.) 

L.  Enucleatio  bulbi. 

Section.  Der  enucleirte  Bulbus  ist  sehr  klein  und  ge- 
schrumpft, kaum  über  haselnussgross.  Auf  dem  meridionalen 
Durchschnitt  erscheint  die  Linse  verloren;  der  Glaskörperraum 
vollständig  ausgefüllt  von  einer  Masse,  die  vom  weich  und 
graulich,  hinten  gegen  den  Sehnerveneintritt  hin  gelblich  gefärbt 
und  von  derber,  fibröser  Consistenz  ist.  In  derselben  ist  nirgends 
etwas  von  Fremdkörper  zu  finden.  Dagegen  bemerkt  man  neben 
dem  Sehnerveneintritt  eine  pfefferkomgrosse  gelbe  Verdickung 
der  Aderhaut,  aus  welcher  sich  beim  Einschneiden  ein  kleines 
Tröpfchen  Eiter  entleert,  worauf  sich  ein  unregelmässig  gestal- 
tetes, ca.  2  mm  grosses,  plattes  Zündhütchenstück  ausziehen  lässt 

Mikroskopischer  Befund.  Der  Zündhütchensplitter 
drang  in  das  Auge  durch  die  Cornea,  ein  wenig  nach  innen 
von  der  Mitte,  riss  ein  Stückchen  des  Pupillenrandes  der  Iris 
ab,  verursachte  eine  Zerreissung  der  Retina  und  Chorioidea 
und  blieb  in  der  Sciera  nach  aussen  und  unten  vom  Sehnerven- 
eintritt stecken. 

Der  kleine  Raum,  in  welchem  sich  der  Fremdkörper  be- 
fand, enthält  eitriges  Exsudat  und  neugebildetes  Bindegewebe, 
welches  sich  durch  den  Riss  der  Chorioidea  in  bedeutender 
Menge  in  den  Subretinalraum  hineinzieht,  wo  in  ihm  ein  kleines 
Stückchen  neugebildeter  Enochensubstanz  eingebettet  ist;  zwi- 
schen dem  Bindegewebe  und  dem  Retinaepithel  finden  sich  hie 
und  da  grosse  zellenähnliche  Gebilde  mit  kleinen,  schwach 
mit  Haematoxylin  gefärbten  Kernen. 

Die  Aderhaut  ist  mit  Eiter  infiltrirt,  besonders  reichlich 
in   der   Gegend   des   Risses   und  neben   der  Ora  serrata   auf 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  243 

beiden  Seiten;  ihre  Gefässwände  sind  verdickt;  die  Lumina 
sind  noch  ziemlich  weit.  Der  Ciliarmuskel  ist  sichtlich  hyper- 
troph irt. 

Der  N.  opt.  ist  dünn;  die  Wände  seiner  Gefässe  sind 
verdickt,  die  Lumina  verengt.  In  der  äusseren  Hälfte  desselben 
ist  Myelinsubstanz  nicht  sichtbar,  in  der  inneren  ist  sie  zer- 
fallen; die  Nervenfasern  sind  im  markhaltigen,  wie  marklosen 
Theile  körnig  und  schwer  zu  unterscheiden.  Die  ganze  Papille, 
insbesondere  die  äussere  Hälfte,  enthält  Pigmentkörner. 

Die  Retina  ist  in  der  bindegewebigen  Wucherung,  die 
den  Glaskörperraum  einnimmt,  grösstentheils  untergegangen; 
nur  stellenweise  erhält  mau  noch  Theile  von  ihr  zu  Gesicht, 
die  eine  hochgradige  Verdickung  durch  Wucherung  des  Stütz- 
gewebes sowie  Atrophie  der  nervösen  Elemente  darbieten. 

Man  findet  stark  gelockerte  Reste  der  Körnerschichten, 
wie  auch  verlängerte  und  hypertrophirte  Stützfasern,  zwischen 
ihnen  aber  ziemlich  grosse  Lücken. 

Das  Retinaepithel  ist  mehr  oder  minder  verändert, 
die  Zellen  zum  Theil  zerfallen,  an  anderen  Stellen  gewuchert. 
In  der  Gegend  der  Aderhautnarbe  ist  das  Pigment  in  reich- 
licher Menge  in  das  Gewebe  infiltrirt.  Nach  dem  Ciliarkörper 
hin  findet  sich  eine  zunehmende  Wucherung  des  Pigment- 
epithels, welche  im  Bereich  der  Pars  eil.  ret.  einen  sehr  hohen 
Grad  erreicht,  so  dass  hier  eine  ziemlich  dicke  Schicht  netz- 
förmig verbundener  Züge  von  Pigmentzellen  die  Innenfläche 
des  Ciliarkörpcrs  überzieht.  Es  ist  eine  erhebliche  Wucherung 
des  Epithels  und  des  Strat  pig.  der  Pars  eil.  ret  wahrnehm- 
bar. Der  fibrillär  veränderte  Glaskörper  nimmt  den  vor- 
deren Theil  des  kleinen  Augenraumes  ein.  Die  Iris  ist  mit 
Eiterzellen  infiltrirt,  *  die  Wände  ihrer  Gefässe  sind  verdickt, 
die  Geülsslumina  vorengt.  An  der  vorderen  Fläche  bildet  die 
Iris  Falten.  Das  Stratum  pig.  iridis  ist  stark  gewuchert.  Die 
vordere  Kammer  ist  sehr  eng  und  von  einer  dünnen  Schicht 
eines  faserigen  Gewebes  ausgefüllt,  welches  sich  von  dem  der 
Cornea  nicht  unterscheidet;  zwischen  dieser  Schicht  und  der 
Hornhaut  findet  sich  auf  der  einen  Seite  die  in  ungemein 
zahlreiche  Falten  gelegte  und  in  zwei  Blättern  über  einander 
liegende  Membr.  Descemeti,  die  von  der  Perforationsnarbe  aus 
auf  der  anderen  Seite  theils  vollständig,  theils  nur  eine 
Strecke  weit  zu  verfolgen  ist  Das  neugebildcte  Bindegewebe 
hängt  direct  mit  dem  Gewebe  der  Perforationsnarbe  zusammen 
und  setzt  sich  nach  hinten  in  die  dadurch  völlig  verschlossene 

16* 


244  Kostenitsch. 

Pupillo  fort      In  die  Narbe  ist  ein  abgetrenntes  Stück  der 
Iris  eingeschlossen. 

Etwas  nach  hinten  von  der  normalen  Stelle  der  Linse 
bemerkt  man  neugebildete  Enochensubstanz,  welche  auf  den 
Schnitten  das  Bild  eines  dQnnen,  abgeflachten  Halbringes  zeigte 
dessen  Inneres  von  neogebildetem  Bindegowebe  und  Capillaren 
eingenommen  wird. 

XL  Fall 

Robert  Seh.,  ca.  24  J.  alt. 

Nach  brieflichem  Bericht  von  Prof.  Alf.  Graefe  vom 
19.  Juni  1870  erlitt  Patient  Ende  des  Jahres  1868  eine 
Verletzung  des  rechten  Auges  durch  die  Explosion  eines 
Zündhütchens.  Er  glaubte  nicht  wesentlich  verletzt  zu  sein 
und  wurde  darin  durch  die  Untersuchung  eines  Augenarztes 
noch  weiter  bestärkt.  Indessen  fand  Prof.  Graefe  am  20.  Jan. 
1869,  wo  sich  der  Patient  ihm  zuerst  vorstellte,  folgenden 
Zustand : 

R.  Im  inneren  oberen  Quadranten  der  Iris  eine  kleine 
Perforation,  beim  Ophthalmoskopiren  leuchtend.  Beim  Blick 
nach  oben  aussen  eine  leichte  haemorragische  Verfärbung  des 
AugengrundeS;  wahrscheinlich  in  den  äussersten  Chorioidal- 
schichten  liegend.  Linse  und  Glaskörper  klar,  an  der  Retina 
nichts  Abnormes.  An  der  bezeichneten  Stelle  befindet  sich 
yielieicht  das  Fragment  des  Zündhütchens  oder  ein  Krümelchen 
des  Residuums  der  explodirenden  Materie. 

Sehschärfe  =  1,  aber  Flimmern,  leichte  Schmerzen,  Un- 
deutlichkeit  des  excentrischen  Sehens  nach  unten  innen.  So 
blieb  der  Zustand  bis  Februar  1870.  Die  Intensität  des 
Reizungszustandes  wechselte,  doch  kam  es  nicht  zu  aus- 
gesprochenen Entzündungszuständen,  auch  blieb  das  linke  Augo 
unbetheiligt  Um  diese  Zeit  (Febr.  1870)  trat  plötzlich  die 
heftigste  Irritation  auf,  Lichterscheinungen  vor  beiden  Augen, 
doppelseitiger  Blepharospasmus,  Neigung  zu  Convulsionen. 

Ende  Februar  Enucleatio  bulbi  dextri.  Darauf  Nachlass 
der  Sehmerzen,  jedoch  noch  Zunahme  der  Lichterscheinungen 
vor  dem  gesunden  Auge.  Funktionell  und  ophthalmoskopisch 
ist  das  1.  Auge  noch  völlig  normal,  doch  dauern  die  Licht- 
erscheinungen noch  immer  in  hohem  Grade  fort  Schmerz- 
haftigkeit  auf  der  rechten  Seite  ist  nicht  vorhanden,  auch  am 
linken  Auge  kein  Schmerz  bei  Druck.    Nach  einem  später  er- 


PathoIogisch-aDatomische  Untersuchungen  etc.  245 

Laltenen  ärztlichen  Bericht  dauerten  die  Lichterscheinungen 
an  dem  fehlenden  Auge  noch  wochenlang,  an  dem  erhalteneu 
dagegen  über  ein  Jahr  lang  an,  auch  blieb  das  letztere  zu 
Conjunctivitis  disponirt.  Doch  konnte  der  Patient  nachher  seine 
Studien  beendigen  und  ciue  erfolgreiche  Beamtenlaufbahn 
machen,  zu  deren  Aufgabe  er  später  nur  durch  die  Folge- 
zustände eines  schweren  Ulcus  ventriculi  veranlasst  wurde. 
Das  frisch  in  Müller'sche  Flüssigkeit  gelegte  enucleirtc  Auge 
wurde  Herrn  Prof.  Leber  mit  obigem  Bericht  am  19.  Juni 
1870  durch  Herrn  Prof.  Alf.  Graefe  tibersandt,  welcher 
gütigst  die  Erlaubniss  zur  Veröffentlichung  des  Falles  crtheilt 
hat.  Ueber  das  Ergebniss  der  damals  von  ihm  vorgenommenen 
Untersuchung  wurde  mir  von  Herrn  Prof.  Leber  folgender 
Bericht  übergeben: 

Anatomische  Untersuchung.  Bulbus  leicht  myopisch 
gebaut  Bei  sorgfältiger  Präparation  der  Sclera  lässt  sich  im 
hinteren  Abschnitt  nichts  von  einer  perforirenden  Verletzung 
erkennen,  dagegen  sieht  man  deutlich  eine  kleine  lineare  Narbe 
der  Hornhaut  nahe  deren  innerem  oberen  Rande.  Sehnerv 
auf  dem  Durchschnitt  von  normaler  Dicke  und  Färbung. 

Bulbus  im  horiz.  Meridian  durchschnitten.  Glaskörper  von 
normaler  Consistenz.  An  der  unteren  Hälfte  des  Auges  be- 
merkt man,  ein  wenig  nach  innen  vom  vertikalen  Meridian, 
in  der  Gegend  der  Ora  serrata,  eine  gelblichweisse  Glas- 
körpertrübung, die  fest  an  der  Innenfläche  der  Augenhäute 
aufsitzt  und  den  Fremdkörper  einzuschliessen  scheint.  Nach 
aussen  oben  von  der  Papille  ist  vorläufig  keine  Anomalie  der 
Chorioidea  zu  bemerken;  dagegen  ist  die  Papille  etwas 
prominent  und  die  angrenzende  Partie  der  Netzhaut  auf  der 
temporalen  Seite  bis  zur  Gegend  der  Macula  lutea  hin  durch 
Faltung  ziemlich  stark  verdickt.  Der  Ciliarmuskel  zeigt  die 
für  myopischen  Bau  charakteristische  Verlängerung  in  meri- 
dionaler  Richtung  und  Abstumpfung  seines  inneren  Winkels, 
welche  auch  durch  die  mikroskopische  Untersuchung  nachher 
bestätigt  wird. 

Der  vermuthlich  den  Fremdkörper  bergende  Theil  der 
Angenwand  wurde  herausgeschnitten  und  näher  untersucht. 

Die  Glaskörperverdichtnng  erweist  sich  als  umschriebeue 
eitrige  Infiltration,  welche  dicht  nach  vorn  von  der  Ora  serrata 
ein  kleines  Kupferstückchen  einschliesst,  und  hinter  der  die  Pars 
ciliaris  retinae  eine  sehr  starke  umschriebene  Verdickung  auf- 
weist.     Der   Fremdkörper   ist   nur    */4  mm   lang   und    ^l^^mm 


216  Ko8tenitoch. 

breit,  und  sowohl  durch  die  Farbe  und  den  Metallglanz,  als 
durch  chemische  Reaction  als  Kupfer  zu  erweisen.  Er  sitzt 
fest  der  Innenfläche  der  stark  gewucherten  Pars  ciliaris  retinae 
auf  und  ist  gegen  den  Glaskörper  zn  von  einer  kleinen  Eiter- 
ansammlung umgeben,  die  sich  aber  schon  in  geringer  Ent- 
fernung von  ihm  allmälig  verliert  und  nur  mit  einzelnen  Streifen 
noch  etwas  weiter  in  den  Glaskörper  ausstrahlt 

Dickendurchschnitte  durch  die  Augenhäute  von  der  be- 
treffenden Stelle  ergeben  Folgendes.  Die  Pars  ciliaria 
retinae  ist  dicht  nach  vorn  von  der  Ora  serrata  sehr  stark 
gewuchert,  ihre  Zellen  enorm  verlängert  und  hypertrophirt,  die 
Zwischenräume  mit  Eiterzelien  infiltrirt.  Der  Fremdkörper 
liegt  in  einer  kleinen  Höhlung  auf  der  Höhe  dieser  Wucherung,, 
rings  umgeben  von  dichter  eitriger  Infiltration,  die  sich  noch 
eine  Strecke  weit  in  abnehmendem  Grade  auf  den  benachbarten 
Glaskörper  ausdehnt,  welcher  zugleich  verdichtet  und  von 
Fibrinnetzen  durchzogen  ist.  Die  Eiterzellen  sind  durchweg 
gut  gefärbt,  nur  die  in  der  unmittelbaren  Umgebung  des 
Fremdkörpers  haben  etwas  schwächere  Färbung  angenommen. 

Der  grösste  Theil  des  Glaskörpers  ist  normal.  Das 
Pigmentepithel  ist  an  der  Stelle  des  Fremdkörpers  ge- 
wuchert^ seine  Zellen  gelockert  und  in  das  Gewebe  der  Pars 
ciliaris  retinae  infiltrirt.  An  der  eitrigen  Infiltration  betheiligt 
sich  auch  das  Corpus  ciliare  bis  in  den  vordersten  Theil 
der  Chorioidea,  doch  nehmen  alle  Veränderungen  schon  in 
geringer  Entfernung  von  dem  Fremdkörper  rasch  ab  und  ver- 
lieren sich  grossentheils  vollständig.  Die  Verdickung  der  Pars 
ciliaris  hört  schon  hinter  den  Ciliarfortsätzen  auf,  auch  ist 
der  Ciliarkörper  und  die  Chorioidea,  abgesehen  von  der  näheren 
Umgebung  des  Fremdkörpers,  frei  von  entzündlichen  Verände- 
rungen. Nach  vorn  erstreckt  sich  die  eitrige  Infiltration,  dem 
Sitz  des  Fremdkörpers  entsprechend,  bis  in  das  Gewebe  der 
Iris,  auch  sind  besonders  im  Kammerwinkel  zahlreiche 
Leukocyten  eingelagert  Der  an  die  beschriebene  Stelle 
grenzende  vordere  Theil  der  Netzhaut  ist  stark  verändert; 
das  Stützgewebe  der  Faserschicht  gewuchert,  die  Stäbchen- 
schicht von  den  übrigen  Schichten  abgehoben  und  degenerirt, 
die  Lücke  von  einem  Fibrinnetz  eingenommen,  auch  der  an- 
grenzende Glaskörper  noch  stark  infiltrirt  Die  übrige  Netz- 
haut ist  dagegen  ziemlich  gut  erhalten,  die  Stäbchenschicht 
zeigt  Vacuolen  ihrer  Elemente,  die  aber  vielleicht  nur  auf 
mangelhafter  Erhärtung  beruhen,  desgleichen  auch  die  Ganglien- 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  247 

Zellen;  etwas  grössere  Lücken  finden  sich  zwischen  den  Ele- 
menten der  inneren  Eörnerschicht  An  der  Macula  lutea  findet 
sich  die  Yermnthlich  erst  postmortal  entstandene  Faltenbildnng. 

Dagegen  zeigt  die  Sehneryenpapille,  abgesehen  von 
der  für  Myopie  charakteristischen  Hinüberziehung  des  nasalen 
Aderhautrandes  und  einer  physiologischen  Excavation,  eine 
Schwellung  ihres  Gewebes,  welche  nur  eine  massige  Zunahme 
der  Prominenz,  aber  eine  sehr  ausgesprochene  seitliche  Ver- 
drängung des  Ansatzes  der  Retina  zur  Folge  hat.  Die  Schwel- 
lung ist  durch  seröse  Durchtränkung  und  partielle  Wucherung 
des  Stützgewebes,  zum  grössten  Theil  aber  durch  eine  sehr 
verbreitete  spindelförmig- varicöse  Verdickung  der  marklosen 
Nervenfasern  (wie  bei  Betinitis  albuminurica)  bedingt. 

Die  übrigen  Netzhautschichten,  welche  erst  in  einiger 
Entfernung  von  der  Papille  beginnen,  lassen  auch  hier  nicht 
viel  Abnormes  erkennen,  ausser  dass  die  Stäbchenschicht  stellen- 
weise leicht  gefaltet  ist.  Das  Pigmentepithel  reicht  auf 
beiden  Seiten  bis  zum  Papillenrande,  die  Zellen  sind  aber  hier 
dünn  und  pigmentarm.  An  der  Iris  ist  eine  ausgesprochene 
Verdickung  und  Wucherung  des  Pigmentepithels  zu  bemerken. 
Die  Linse  ist  unverletzt. 

XIL  Fall. 

Moritz  Aisberg.  R.  A.  Verletzung  durch  einen  Zünd- 
hütchensplitter. Enucleation  am  21.  Nov.  1870  (ohne  Kranken- 
geschichte). 

Anatomische  Untersuchung.  Makroskopischer  Befund. 
Das  Auge  wurde  in  horizontaler  Richtung,  etwas  über  dem 
Sehnerveneintritt  durchschnitten  und  in  Müller'scher  Flüssigkeit 
gehärtet  Am  inneren  unteren  Theil  der  Cornea  bemerkt  man 
neben  dem  Limbus  eine  Narbe. 

Die  Retina  ist  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  von  der 
Chorioidea  abgelöst  und  hinter  der  Linse  in  eine  Menge  feiner 
Falten  gelegt. 

In  dem  Glaskörperraum  befindet  sich  eine  grauliche  Ei- 
weissmasse,  welche  in  dünner  Schicht  die  innere  Fläche  der 
Retina  auf  beiden  Seiten  bedeckt.  Ein  gegen  2  mm  langer  und 
1  mm  breiter  Zündhütchensplitter  liegt  in  gleicher  Höhe  wie  der 
N.  opt,  1  mm  nach  hinten  von  der  Mitte  der  Linse.  Beide  Hälften 
des  Auges  wurden  in  Celloidin  eingebettet  und  geschnitten.  Auf 


248 


Kostenitsch. 


den  Schnitten,  welche  durch  den  N.  opt  gelegt  sind,  befindet 
sich  in  der  temporalen  Hälfte  der  Retina  ein  Biss  (Fig.  12  r). 
Die  Enden  der  zerrissenen  Retina  ziehen  sich  als  zwei  parallele 
Streifen  nach  vorne  und  verlieren  sich  in  den  Retinalfalten,  welche 
sich  hinter  der  Linse  befinden.  Die  Papille  ist  m  das  Innere  des 
Auges  etwas  eingezogen.  Auf  den  Schnitten,  welche  unterhalb  des 
Fremdkörpers  durchgelegt  sind,  wie  auch  auf  denen  vom  oberen 
Theil  des  Auges,  ist  die  abgelöste  Retina  einer  mit  Luft  ge- 
füllten und  hinter  der  Linse  abgebundenen  Blase  ähnlich. 

Mikroskopische  Untersuchung.  Die  Linsenkapsel 
ist  verdickt  und  im  hinteren  Theil  auf  der  der  Lage  des 
Fremdkörpers  entsprechenden  Stelle  zerrissen.  Der  Epithelbelag 
hat  sich  auf  die  Hinterkapsel  fortgesetzt  und  an  der  Stelle 
des  Risses  findet  sich  eine  umschriebene  stärkere  Wucherung 
der  Zellen.  Die  neben  dem  Kapselrisse  liegenden  Linsen- 
parthien  sind  unbedeutend  mit  Eiterkörperchen  infiltrirt  Hinter 
der  Linse  zieht  sich  zwischen  den  Ciliarfortsätzen  und  dem 
Corpus  ciliare  auf  beiden  Seiten  ein  breiter  Streif  von  neu- 
gebildetem Bindegewebe  herüber,  durch  welchen,  wie  schon  ma- 
kroskopisch bemerkbar  ist,  nicht  nur  die  Ciliarfortsätze,  sondern 
auch  der  Ciliarmuskel  nach  einwärts  gezogen  werden.  Vom 
hinteren  Theil  dieses    Streifens,    mit  welchem    die   Falten  der 

Tabelle 
Tension   in  allen  Fällen  nicht  erhöht.     Der  Glas- 


Nr. 


Name 


Wacker 


s  e 


im 


e 

s  g. 


^  : 


R. 


3  Tage 


auf   J3:lVa|Comea, 
Innen-, 
fl&che 


des 
Ciliar- 
körp. 
und des 
vorder- 
sten 
Theils 

der 
Retina 


Iris, 

',  Retina 

i  in  der 

I  Gegend 

der 
Papille 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc. 


249 


Retina  in  Zusammenhang  stehen,  geht  ein  Faserbandel  aus, 
welches  die  Stelle,  wo  der  Fremdkörper  lag,  einkapselt  In 
dieser  Kapsel  befinden  sich  feinkörniger  Detritus,  Pigment-  und 
Fettkömchen,  rothe  Blutkörperchen,  ziemlich  grosse  Zellen, 
die  theils  Fettkömer,  theils  hämatogenes  Pigment  enthalten 
und  viele  Eiterkörperchen. 

Die  Retina  in  den  Falten  und  auch  in  der  ganzen 
ttbrigen  Ausdehnung  ist  sehr  schmal  und  es  lassen  sich  in  ihr 
schwach  geftrbte  und  stark  veränderte  Kömerschichten,  wie 
auch  an  einigen  Stellen  Reste  der  Stftbchenschicht  unter- 
scheiden. Ihre  innem  Schichten  sind  kaum  zu  unterscheiden. 
An  der  inneren  Fläche  der  Netzhaut  zieht  sich  ein  dünnes 
Bündel  von  Bindegewebsfasern  hin. 

Die  Zellen  des  Retinaepithels  zeigen  oft  Kemtheilungen. 

In  der  oben  beschriebenen  graulichen  Eiweissmasse  sind 
kömiger  Detritus,  rothe  Blutkörperchen  und  eine  grosse  An- 
zahl von  postmortal  gewachsenen  Pilzen  zu  sehen,  letztere 
befinden  sich  auch  in  dem  Subretinalraume.  Aus  diesem 
Befunde,  wie  auch  aus  anderen  Zeichen  ergiebt  sich,  dass  das 
durchschnittene  Auge  eine  Zeit  lang  ohne  MflUer'sche  Flüssig- 
keit geblieben  und  eingetrocknet  war,  weshalb  ich  nicht  weiter 
anf  die  Beschreibung  dieses  Auges  eingehen  will. 


Tabelle, 
körper  fibrillär  verändert  und  mit  Fibrin  durchsetzt 


AbUtaoDg 

der 

Reün* 


Eitrige 
Infiltration  des 
Glaskörpen  und 
der  Angenh&ut« 


Die  hauptslchlichen  pathologiichen  Veittnderungen 
im  Aage 


total, 

nicht 

tief 


Im  Glaskörp., 
in  der  Papille, 
Retina,  Pars 
ciliar.,  im  Gi' 
liarkörper, 
in  der  Ader- 
haut und  Gonj. 
bulbi  sUrk 
oder  ziem- 
lich stark; 
in  der  Iris 
unbedeutend. 


Die  Uebergangsstelle  der  Papille  in  die  Netz- 
haut ist  dicht  von  rothen  Blutkörperchen  durch- 
setzt, ihr  Gewebe  dadurch  bis  anf  einzelne 
Gapillaren  und  Reste  der  Nervenfaserschicht 
vollständig  verdrängt;  die  Retina  ist  erst  in 
einigem  Abstand  vom  Sehnervenrande  als  solche 
zu  erkennen,  dazwischen  sieht  man  nur  die 
veränderte  Stäbchenschicht.  Die  Nervenfaser- 
schicht ist  kömig;  die  Nervenzellen  stellen- 
weise nekrotisch,  die  Kömerschichten  etwas 
auf|^elockert.  Die  Elemente  der  Stäbchen- 
schicht sind  durch  Quellung  verändert.    Das 


250 


KosteniUcb. 


Nr. 


Name 


11 


1««« 

IP 


I 


«f  a 


^3 
I« 


II. 


Schumacher 


R. 


4  Tage 


im 
Glas- 
körper 
Deben 
der 
Retina 


a       ß 

§11 


2«/,:  2 


I 

00    s 


Cornea, 
Irifi, 

Linse, 

Retina, 
Cho- 

rioidea 


be- 
deatend 


Fatbologisch-anatonüache  Untersochangen  etc. 


251 


AWOfung 

dar 

Betlna 

Eitrige 
Infiltxatton  de« 
Glukörpen  and 
der  Augenh&ute 

Die  hauptsftchlichen  pathologischen  Verilnderangen 
im  Auge 

Gylinderepithel  der  Pars  eil.  ret  in  der  Ge- 
gend des  Fremdkörpers  local  stark  gewuchert, 
an  den  übrigen  Stellen  zeigt  dieses  Epithel 
eine  sehr  unbedeutende  Wucherung.  Das  Pig- 
mentepithel der  Retina  zeigt  im  unteren,  der 
Lage  des  Fremdkörpers  entsprechenden  Theile 
des  Auges  eine  bedeutende  Wucherung,  an 
anderen  Stellen  bemerkt  man  nur  Spuren  der- 
selben. 

partieU 

Im  Glaskör- 
per, in  der 
Papille  un- 
bedeutend, 

in  der  Retina 
auf  der  tem- 
por.  H&lfte 
und  in  der 
Gegend  des 
Fremdkör- 
pers bedeu- 
tend, in  der 
Ghorioidea 

in  der  Gegend 
des  Fremd- 
körp.  ziem- 
Uch  stark, 
in  der  Pars 
eil.  schwach, 

in  der  nasalen 
H&lfte  der 
Retina  fast 
keine. 

Die  Wundr&nder  der  Hornhaut  sind  durch  Quel- 
lung fast  um  das  Doppelte  verdickt.  Die  Lin- 
senmasse getrabt,  gequollen.  Die  Retina  ist 
neben  der  Rissstelle,  besonders  die  Stäbchen- 
schicht hochgradig  degenerirt;  die  übrigen 
Schichten  zeigen  hier  auch  eine  ausgesprochene 
Atrophie  der  nervösen  Elemente.  Die  Kömer- 
schichten  sind  gelockert,  ein  bedeutender  Theil 
der  Ghromatinsubstanz  ihrer  Körner  ist  ver- 
schwunden; die  Kerne  der  Ganglienzellen 
schwach  gefärbt.  Die  St&bchenschicht  in  der 
Gegend  des  Fremdkörpers  körnig;  die  Zapfen 
gequollen.  Im  übrigen  Theil  der  temporalen 
Hälfte  ist  die  Stabchenschicht  gut  erhalten, 
die  Körnwschichten  aufgelockert,  ein  Theil 
der  Ghromatinsubstanz  ihrer  Körner  ist  ver- 
loren, nur  in  dem  vordersten  Theile  der  Netz- 
haut hat  sich  die  äussere  Kömerschicht  ver- 
hältnissmässig  gut  erhalten.  Die  Nervenzellen 
sind  in  der  Mac.  lutea  ziemlich  gut  erhalten, 
an  den  übrigen  Stellen  sind  diese  Zellen  ne- 
krotisch ;  die  Nervenfaserschicht  sieht  schwach 
körnig  aus.  In  der  nasalen  Hälfte  sind  die 
Stäbchen-  und  die  äussere  Kömerschicht  bis 
auf  die  nächste  Umgebung  der  Papille  gut 
erhalten,  die  übrigen  Schichten  zeigen  diesel- 
ben Veränderungen  wie  in  der  temporalen 
Hälfte,  nur  weniger  ausgesprochen.  Die  Stütz- 
fasern der  Retina  sind  etwas  verlängert  und 
getrübt,  besonders  neben  der  Papille,  wo  die 
Molecular-  und  Zwischenkörnerschicht  dicker 
als  normal  sind.  Die  Sehnervenpapille  ist 
etwas  ödematös  und  ihre  Nervenbündel  trüb 
und  schwach  körnig.  Das  Pigmentepithel  der 
Retina,  der  Pars  eil.  und  der  Iris  ist  verdickt 

252 


KoBtenitsch. 


Nr. 


Name 


ll 
I  s 

6  "o 


III. 


Althaas, 
Mann 


R 


4  Tage 


Giliär- 
körper 


wahr 
schein- 
lich 
4. 


Cornea, 

Iris, 

Linse 


nnbe 
deutend 


I 


IV. 


Yolkmann     L. 


16 
Tage 


imAb- 

scesse 
des 

Olas- 

körp. 
im 

unter- 
sten 

Theil 
des 

Auges 


3:1V. 


Cornea, 
Iris 


Nur  in 
der  un- 
teren 
Augen- 
hälfte 
unbe- 
deutend 


PaihologiBch-anatomische  Untenuchnngen  etc. 


253 


Abltenng 

der 

Retina 


Eitrige 
InlUtratlon  des 
GUskftrpera  und 
der  Aagenhftute 


Die  lurapteftchlicben  pathologiacfaen  Verfinderungen 
im  Ange 


im  vor- 

dereD 

Aagen- 

abschn. 

leicht 


Im  Glaskör- 
per, BetiDa 
und  Ciliar- 

körp.  der  un- 
teren H&lfte 
and  in  der 

Pars  eil.  ziem- 
lich stark; 

in  der  Papille, 
Ghorioidea 
und  anderen 
Stellen  der 

übrigen 
Augenh&ute 
unbedeutend 

oder  schwach. 


Die  Nervenfasern  der  Papille  und  der  Faser- 
Bchicht  der  Retina  treten  nicht  deutlich  her- 
vor; das  reticul&re  Statzgewebe  ist  st&rker  als 
normal  entwickelt.  Die  Elemente  der  Netz- 
haut sämmtlicber  Schichten  sind  nekrotisch. 
Die  Körner  beider  Körnerschichten  neben  der 
Ora  serrata  fliessen  zu  einer  Schicht  zusam- 
men. Die  St&bchenschicht  ist  kömig,  aber 
noch  gut  erhalten;  neben  dem  temporalen  Pa- 
pillenrande  einschliesslich  der  Gegend  disrMac. 
lutea  bilden  diese  und  die  äussere  Kömer- 
schicht  auf  dem  Querschnitt  papillenartige  Er- 
hebungen. Das  Pigmentepithel  der  Pars  eil. 
ret.  ist  gelockert  und  bildet  auf  der  inneren 
Fl&che  des  Giliarkörpers  papillenartige  Er- 
hebungen. Das  Pigmentepithel  der  Iris  ist 
verdickt.  Die  Suprachorioidea  ist  aufgelockert. 


partiell 


Im  Glaskörp. 
nur  in  der 

unter.  H&lfte 
schwach,  in 
der  Papille 
und  der  Ner- 
venfasersch. 

Qberall  wenig, 
im  unteren 
Theile  des 
Auges  dage- 
gen in  der 
Retina,  be- 
sonders der 
Faserschicht 
reichlich. 


Die  Sehnervenpapille  ist  betr&chtlich  geschwol- 
len, ihr  Gewebe  ödematös  und  gelockert,  die 
Neuroglia  etwas  st&rker  entwickelt;  an  der 
Oberfl&che  zeigt  sie  eine  umschriebene  Stelle 
stärkerer  Proliferation  des  StQtzgewebes.  Die 
Netzhaut  ist,  namentlich  in  der  N&he  der  Pa- 
pille etwas  verdickt  und  ihr  Gewebe  gelockert, 
welcher  Zustand  in  abnehmendem  Grade  sich 
bis  nach  vorn  verfolgen  l&sst.  Die  Verdickung 
erstreckt  sich  auf  alle  Schichten,  besonders 
aber  auf  die  St&bchen-  und  Zwischenkörner- 
schicht Die  Elemente  der  St&bchenschicht 
sind  verl&ngert  und  verdünnt,  zwischen  ihnen 
treten  Lücken  auf.  In  der  Umgebung  der 
Papille  ist  die  Structur  dieser  Schicht  undeut- 
lich, kömig  und  nach  der  Fovea  cent.  hin. 
nimmt  ihre  Dicke  erheblich  ab,  an  einer  Stelle 
schwindet  sie  sogar  völlig.  Die  Zwischenkör- 
nenichicht  ist  besonders  in  der  N&he  der  Pa- 
pille stark  gelockert;  die  Äusseren  Körner 
senkrecht  oval,  wie  in  die  L&nge  gezogen ;  die 
Elemente  beider  Köraerschichten  weniger  dicht 
beisammen  liegend  als  in  der  Norm.  In  der 
Gegend  des  den  Fremdkörper  umgebenden 
Abscesses  ist  die  Netzhaut  vollständig  dege- 
nerirt  und  in  ein  dicht  mit  Eiter-  und  I^g- 
mentzellen  durchsetztes  Gewebe  verwandelt. 


254 


Kostenitsch. 


Nr. 


Name 


"I 


Claodepierre 


im 
Glas- 
körper 
neben 

der 
Retina 


3:2 


Cornea, 

Iris, 
Linse, 
Retina 


be- 
deutend 

aber 

nicht 
bis  zu 

dem 
Aequat 

bulbi 


VI. 


Zeckert 


5 
Woch. 


in  der 
Retina 
neben 
der 
Pa- 
pille 


4:2 


Limbns, 
Cornea, 
Linse, 
Retina, 
Chorioi- 
dea 


stark 


Pathologiscb-anatomische  Untersuchangen  etc. 


255 


Ablösung 

der 

Retioa 

Eitrige 
Infiltration  des 

der  Augenblute 

Die  hauptsScfalichen  patbologlacbeo  Verftoderungen 
im  Auge 

Das  Pigmentepithel  der  Iris  ist  verdickt.  Das 
Endothel  der  vorderen  Kammer  vesiculftr  ver- 
ändert, desgleichen  in  ausgesprochenem  Grade 
die  obere  Schicht  des  Epithels  der  Hornhaut. 
Die  Linsenkapsel  unverletzt,  die  Linse  zeigt 
Veränderungen  wie  bei  beginnender  Gataract. 

partiell 

Im  Glaskör- 
per ziemlich 
stark;  Inder 
Ghorioidea, 
Retina  und 
der  Pars  eil. 
der  tempor. 
Hälfte  und 
imGiliarkör- 
per  stark;  in 
der  Papille, 

Iris,  Gonj.  b., 
Ghorioidea, 
Retina,  Pars 
eil.  der  na- 
salen H&lfte 
bedeutend. 

Die  Retina  neben  der  Rissstelle  stark  degene- 
rirt,  von  ihren  Schichten  unterscheidet  man 
die  veränderte  Stäbchenschicht,  die  verdannte 
und  aufgelockerte  äussere  Kömerschicht  und 
stellenweise  auch  in  Gruppen  oder  in  eine 
schmale  Reihe  geordnete  Kömer  der  inneren 
Körnersch.,  an  der  Stelle  der  übrigen  Schich- 
ten der  Retina  kann  man  kaum  etwas  von 
der  normalen  Structur  erkennen.  Diese  Ver- 
änderungen finden  sich  auch  in  der  Gegend 
der  Rissstelle  und  haben  sich  besonders  nach 
unten  von  der  Narbe  verbreitet.  In  der  übri- 
gen Ausdehnung  der  Retina  sehen  ihre  Schich- 
ten körnig  aus,  die  Kerne  der  Nervenzellen 
sind  mangelhaft  mit  Haematoxylin  gefärbt;  auf 
der  temporalen  Seite  und  neben  der  Papille 
bemerkt  man  Vacuolen  in  den  Körne'm  der 
beiden  Kömerschichten ;  die  Stäbchenschicht 
ist  im  vorderen  Angenabschnitte  zerfallen ,  im 
hinteren  gequollen.  Die  Papille  ist  geschwol- 
len, ihre  Nervenfaserbündel  sind  etwas  kömig. 
Das  Retinaepithel  ist  besonders  an  ihrem  vor- 
deren Theil  gewuchert.  Die  Pars  eil.  retinae 
zeigt  eine  geringe  Wucherung.  Das  Stratum 
pig.  der  Pars  eil.  und  der  Iris  ist  verdickt 
und  gewuchert. 

total 

Im  Glaskör- 
per, in  der 

Retina  und  in 
der  Ghorioi- 
dea in  der 
Gegend  der 
Verletzung 
stark;  Inder 
Papille,  im 
Giliarkörper, 
in  der  Pars 

In  der  Gegend  der  Verletzung  der  Ghorioidea 
haben  ihre  Arterien  stark  verdickte  Wandun- 
dungen,  ihr  Lumen  ist  theilweise  verengt.  Der 
markhaltige  Theil  des  Sehnerven  ist  dünn, 
die  Marksubstanz  körnig,  im  Zerfall  begriffen, 
zugleich  kernreicher  als  normal  und  mit 
deutlicher  hervortretendem  Reticulum.  Die 
PapUlensubstanz  ist  kernreich;  die  Wände 
der  Arterien  sind  verdickt  Das  Stützge- 
webe der  Retina  ist  hypertrophirt,  die  ner- 
vösen Elemente  zum  Theil  in  Atrophie  be- 

256 


Kostenitach. 


Nr. 

Name 

1 

f|:: 

>U4 

Grösse  des 

Fremdkörpers 

in  mm 

h 

5  < 

> 

Schrumpfung 

des 
Glaskörpers 

1^ 

• 

1 

i 
1 

1 

1 

■ 
i 

VII. 

Wolf 

R. 

5 

Woch. 

Hinter 

der 
Linse 

und 

der 

Ora 
serrata 

6 

Limbus 
corneae, 

Iris. 
Linsen- 
kapsel 

■ 

stark 

zwei 
spon- 
tane 
Risse 

Pathologisch-anatomiache  Uotenachungen  etc. 


257 


Ablöeong 

der 

Retiiia 


Eitrige 
Infiltration  des 
Obwkörpers  und 
der  Aogenhftate 


eil.,  am  &a8- 
seren  Rand 
der  Linse, 
in  der  Cooj. 
bulbi  bedeu- 
tend; in  der 
Iris  unbe- 
dentend. 


Die  haupteftcblicben  patbologiachen  Verfinderungen 
im  Auge 


griffen.  Besonders  stark  und  unregelm&ssig 
gewuchert,  ist  die  Nervenfaserschicht.  Von 
der  St&bchenschicht  sind  in  der  Gegend  des 
Fremdkörpers  nur  Reste  vorhanden,  weiterhin 
sind  ihre  Elemente  gequollen,  zum  Theil  im 
Zerfall  begriffen.  Die  Elemente  der  Körner- 
schichten  sind  theils  gelockert,  in  den  Kör- 
nern zuweilen  Yacuolen  zu  beobachten;  die 
W&nde  der  Arterien  verdickt  und  im  hinteren 
Abschnitt  der  Netzhaut  ausgesprochene  Endo- 
arteritis.  Das  Retinaepithel  ist  etwas  verdickt. 
Die  Pars  eil.  ist  stark  gewuchert.  Das  Pig- 
mentepithel der  Pars  eil.  ret.  ist  sehr  stark 
verändert  und  gewuchert;  an  der  Aussenfl&che 
der  Netzhaut  ein  durch  locale  Vereiterung 
entstandenes  Knötchen.  Die  Hinterkapsel  ist 
in  der  N&he  des  Risses  erheblich  verdickt. 
Zwischen  die  Linsentrümmer  ist  eitriges  Ex- 
sudat eingelagert,  auch  sind  Eiterzellen  noch 
weiter  in  die  Linse  hinein  zwischen  die  Fa- 
sern in  reichlicher  Menge  infiltrirt.  Das  Ge- 
webe des  Ciliarkörpers  ist  gelockert  und  stär- 
ker fibrill&r. 


total 


Im  Glaskör- 
per, in  der 
Gegend  des 
Fremdkörp. 
stark,  Reste 

in  der  Retina, 
Chorloidea, 

im  Ciliarkör- 
per,  in  der 
Iris. 


Zwei  spontane  Risse  im  hinteren  Theile  der 
Netzhaut  mit  nach  innen  umgeklappten  Rän- 
dern; zwischen  beiden  Rissen  ist  die  äussere 
Kömerschicht  verdünnt  und  aufgelockert,  ihr 
Durchschnitt  stark  wellig,  die  innere  Körner-> 
schiebt  verdickt  und  aufgelockert.  Das  Stütz- 
gewebe  der  Retina  in  diesem  Theile  und  in 
der  Nähe  des  Fremdkörpers  stark  verlängert 
und  hypertrophirt,  gleich  nach  hinten  von 
dieser  letzteren  gewucherten  Stelle  eine  par- 
tielle atrophische  Degeneration  der  Retina. 
Die  beiden  Kömerschichten  überall  aufge- 
lockert, die  inneren  Schichten  kömig,  die 
Kerne  der  Nervenzellen  mangelhaft  gefllrbt; 
die  Stäbchenschicht  ist  hochgradig  verändert, 
das  Retinaepithel  gewuchert.  Das  Stützgewebe 
der  Papille  hypertrophirt,  die  Nervenfasern 
etwas  körnig.  Die  Pars  eil.  ret.  stark  ge- 
wuchert. Die  Linsenkapsel  verdickt,  an  der 
hinteren  Fläche  verletzt,  ihre  Zellen  vermehrt. 
Das  Strat.  pig.  iridis  verdickt  und  gewuchert. 


T.  Oraefe'B  Archlr  flkr  Ophthalmologie.  XXXVII.  4. 


17 


258 


Eostenitsch. 


Nr. 


Name 


Im 
^1 


^1 


5  < 


VIII; 


Jahne 


!L, 


IX. 


Director  M. 


L. 


fast 

Corpus 

7 

ciliare 

Woch. 

fast 

im 

lOVi 

Glas- 

Woch. 

körper 

neben 

der 

Retina 

1 
1 

3:2 


Cornea,  |  stark   ; 
Iris,    I 
Linse.  . 


1V,:V. 
Vs  mm 
Dicke 


Sclera, 
Ciliar- 
körper, 
Retina, 
Chorioi- 
dea. 


In  der 
unteren 
Hälfte 
etwas, 
in  der 
oberen 
bedeu- 
tend 


X. 


Sultan 


L. 


11 
Monat. 


Sclera 
nach 
aussen 
von  der 
Papille 


2:2 


Cornea, 

Iris, 
Linse? 


stark 


_     I 


PathologiBch-anfttomische  Untenucbnogen  etc. 


259 


AbUtaang 
der 

Betina 


Eitrige 
Inflltration  des 
Qlask&jrpera  und 
der  AugeDhftnte 


total 


Wie  bei 
Nr.  VII. 


Die  hauptsächlichen  pathologischen  Verftnderungen 
im  Auge 


Wie  bei  Nr.  YII,  ausserdem  ist  die  Pars  eil. 
retinae  sammt  einem  Theil  des  Stratum  pig- 
menti steUen weise  von  ihrer  Unterlage  abge- 
hoben. 


partiell 


Im  Glaskör- 
per nur  in 
der  Gegend 
des  Fremd- 
körpers; in 

der  Iris, 
neben  dem 

Scblemm*8ch. 
Ganal  unbe- 
deutend; im 
Nervus  opt. 
Leukocyten. 


Die  Enden  der  durch  den  Fremdkörper  zerris- 
senen Retina  enthalten  nur  mangelhaft  ge- 
färbte Reste  der  Körnerschichten.  Der  Ner- 
vus optic.  ist  dann,  sein  Stützgewebe  etwas 
hypertrophirt.  Die  markhaltigen  Fasern  kör- 
nig, die  marklosen  der  Papille  zeigen  begin- 
nende Atrophie;  die  Wände  der  Gef&sse  des 
Nerv.  opt.  und  der  Retina  sind  verdickt,  ihre 
Lumina  verengt.  Die  Netzhaut  ist  überall 
etwas  dünner  als  normal,  ihre  Stützfasern  sind 
nur  in  der  Zwischenkörnerschicht  nach  aus- 
sen von  der  Papille  und  auf  einer  beschränk- 
ten Stelle  neben  dem  Netzhautrisse  verlän- 
gert und  hypertrophirt.  Im  hinteren  Augen- 
abschnitte treten  die  Elemente  der  Nerven- 
faserschicht weniger  deutlich  hervor,  als  in 
der  Norm;  die  Nervenzellen  sind  stellenweise 
von  Yacuolen  eingenommen  und  haben  sich 
fast  gar  nicht  durch  Haematoxylin  gefärbt;  auch 
die  beiden  Kömerschichten  haben  grössten- 
theils  ihre  Tinctionsfähigkeit  eingebüsst;  die 
Elemente  der  Stäbchenschicht  sind  trübe,  kör- 
nig und  stellenweise  im  Begriff,  in  Eiweiss- 
kügelchen  zu  zerfallen.  Im  vorderen  Augen- 
abschnitt finden  sich  nur  Reste  der  Stäbchen- 
schicht; die  Körner  der  beiden  Körnerschich- 
ten sind  mangelhaft  gefärbt,  besonders  in  der 
temporalen  Seite,  wo  nur  einzelne  Körner  Fär- 
bung angenommen  haben ;  die  inneren  Schich- 
ten sind  fast  nicht  zu  unterscheiden.  Das  Pig- 
mentepithel der  Retina,  sowie  die  Pars  eil. 
ret.  zum  Theil  atrophisch,  zum  Theil  nekro- 
tisch, die  Cylinderzellen  sind  verlängert  und 
etwas  gelockert.  Das  Pigmentepithel  der  Iris 
ist  hypertrophirt. 


total 


In  der  Ader 
haut  in  der 
Gegend  der 
Verletzung 

I  und  neben 


Die  Retina  ist  in  der  bindegewebigen  Wuche- 
rung gross tentheils  untergegangen,  nur  stel- 
lenweise erhält  man  noch  Theile  von  ihr  zu 
Gesicht,  die  eine  hochgradige  Verdickung 
durch  Wucherung  des  Stützgewebes  und  Atro- 

17* 


260 


Kostenitsch. 


Nr. 


Name 


iU 

•"3  sS  ^ 


I 


8  _ 


n 


|3 


XI.      Robert  Seh. 


R 


XII. 


1  Jahr 
and 

2  Mon. 


Corpus 
ciliare 


'U'-y, 


Cornea,    keine 
Iris. 


Aisberg        IR. 


Hinter 

der 
Linse 


Cornea, 

Iris, 
Linsen- 
kapsel. 


stark 


Ein 
spon- 
taner 
Riss 


Patholo^Bch-anatomische  Untennchnngen  etc. 


261 


Ablteong 

der 

Betlna 


Eitrige 
Inflltration  de« 
OlaskOrpers  und 
der  Angenhlute 


Die  hauptaichllchen  pathologischeii  Verftoderungen 
Im  Auge 


der  Ora  ser- 
rata  reichlich 


phie  der  nervösen  Elemente  darbieten,  man 
findet  nur  stark  gelockerte  Beste  der  Körner- 
schichten.  In  der  äusseren  H&lfte  des  Nerv, 
opt.  atrophische  Degeneration,  in  der  inneren 
beginnende  Atrophie.  Die  Zellen  des  Retina- 
epithels sind  stellenweise  zerfallen,  stellen- 
weise gewuchert,  nach  dem  Giliarkörper  hin 
findet  sich  eine  zunehmende  Wucherung  des 
Pigmentepithels,  welche  im  Bereich  der  Pars 
eil.  retinae  einen  sehr  hohen  Grad  erreicht. 
Etwas  nach  hinten  von  der  normalen  Stelle 
der  Linse  findet  sich  nengebildete  Knochen- 
substanz. Das  Stratum  pigm.  iridis  ist  stark 
gewuchert.  


keine 


Im  Glaskör- 
per und  im 
Giliarkörper 
in  der  näch- 
sten Umge- 
bung des 
Fremdkörp. 


Die  der  Lage  des  Fremdkörpers  entsprechende 
Pars  eil.  ret.  ist  sehr  stark  gewuchert  und 
eitrig  infiltrirt,  ihre  Zellen  enorm  verlängert 
und  hypertrophirt;  das  Pigmentepithel  ist  an 
der  Stelle  gewuchert,  seine  Zellen  in  das  Ge- 
webe der  Pars  eil  infiltrirt.  Der  an  die  be- 
schriebene Stelle  grenzende  vordere  Theil  der 
Netzhaut  ist  stark  verändert,  das  StQtzgewebe 
der  Faserscbicht  gewuchert,  die  Stäbchen- 
schicht von  den  Übrigen  Schichten  abgehoben 
und  degenerirt,  die  übrige  Netzhaut  ist  dage- 
gen ziemlich  gut  erhalten.  Die  Sehnerven- 
papille  zeigt  eine  Schwellung  ihres  Gewebes, 
welche  nur  eine  massige  Zunahme  der  Pro- 
minenz, aber  eine  sehr  ausgesprochene  seit- 
liche Verdrängung  des  Ansatzes  der  Betina 
zur  Folge  hat.  Die  Schwellung  ist  durch  se- 
röse Durchtränkung  und  partielle  Wucherung 
des  Stützgewebes,  zum  grössten  Theil  aber 
durch  eine  sehr  verbreitete  spindelförmig- 
varicöse  Verdickung  der  marklosen  Nerven- 
fasern (wie  bei  Retinitis  albuminurica)  bedingt. 
Der  dem  Fremdkörper  anliegende  Theil  des 
Glaskörpers  ist  verdickt  und  von  Fibrinnetzen 
durchzogen,  der  übrige  normal.  An  der  Iris 
ist  eine  ausgesprochene  Verdickung  und  Wuche- 
rung des  Pigmentepithels  zu  bemerken. 


Nur  um  den  ■  Atrophische  Degeneration  der  Retina.  Die  Lin- 
Fremdkörper  senkapsel  verdickt,  zeigt  in  ihrer  ganzen  Aus- 
herum.         dehnung  einen  Epithelbelag. 


total 


262  Kostenitsch. 

Ehe  ich  zur  Zusammenstellang  der  Ergebnisse  der  hier 
mitgetheilten  Untersuchungen  über  Zündhfitchenverletzungen 
des  menschlichen  Auges  übergehe,  habe  ich  noch  zu  er- 
wähnen, dass  ich  zwar  bei  Mittheilung  der  Befunde  nur 
in  wenigen  Fällen  die  Untersuchung  auf  Vorhandensein 
von  Mikroorganismen  und  die  chemische  Prüfung  auf  einen 
Gehalt  der  Gewebe  an  Kupfer  angeführt  habe,  dass  aber 
diese  Untersuchungen  auch  in  allen  übrigen  Fällen  vorge- 
nommen worden  sind,  wo  ihrer  nicht  besonders  Erwähnung 
geschehen  ist. 

Jedes  Auge  wurde  in  bacteriologischer  Hinsicht  genau 
untersucht  und  mit  besonderer  Sorgfalt  diejenigen  Augen, 
in  welchen  die  eitrige  Entzündung  sehr  ausgesprochen  war. 
Die  letzteren  wurden  wiederholt  untersucht  und  dabei  jedes 
Mal  von  einem  Auge  6 — 8  Schnitte,  theils  mit  Fuchsin 
oder  mit  Methyl  violett,  theils  nach  Löffler  oder  Gram 
gefärbt. 

Bei  den  20  von  mir  untersuchten,  durch  Zündhütchen 
verletzten  Augen  ist  es  mir  nur  an  einem  gelungen,  Bac- 
terien  nachzuweisen;  dieser  Fall  wurde  aber  von  mir  unter 
obige  Beschreibungen  nicht  aufgenommen.  Ebenso  wurde 
jedes  Auge  mit  gelbem  Blutlaugensalz  und  Salpeter-  oder 
Salzsäure  auf  Kupfer  untersucht.  Zu  diesem  Zwecke  wur- 
den Schnitte  durch  das  den  Fremdkörper  umgebende  eitrige 
Exsudat,  so  wie  auch  von  dem  Fremdkörper  abgezogene 
Stückchen  desselben  mit  den  erwähnten  Reagentien  be- 
handelt, wobei  diese  Theile  eine  mehr  oder  weniger  deut- 
liche Reaction  auf  Kupfer  darboten. 

In  zwei  Fällen  wurde  gleich  nach  dem  Eintritt  der 
Kupferreaction  diese  durch  eine  Blaufärbung  maskirt, 
woraus  man  auf  die  Gegenwart  von  Eisen  schliessen  muss. 
Bei  genauerer  Untersuchung  ergab  sich,  dass  die  Ent- 
stehung von  Berlinerblau  bei  Einwirkung  dieser  Reagentien 
in   haematogenes  Pigment   einschliessenden  Zellen  auftrat^ 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  263 

welche  in  beiden  Fällen  zahlreich  vertreten  waren.  Unge* 
achtet  einer  genauen  Untersuchung  der  Zellen,  die  sich 
in  dem  den  Fremdkörper  umgebenden  Exsudat  befanden, 
gelang  es  mir  nicht  Schwefelkupfer  darin  nachzuweisen; 
doch  wurde  in  2  Fällen  (2,  4)  eine  geringe  Menge  davon 
neben  dem  Exsudat  beobachtet. 

Bei  Behandlung  der  in  angesäuertem  Wasser  aufbe- 
wahrten Schnitte  mit  Schwefelwasserstoff  bildete  sich  ein 
Niederschlag  von  Schwefelkupfer  und  zwar  am  häufigsten 
(in  den  Fällen  1,  2,  3,  4,  8)  im  Glaskörper  und  in  dem 
Celloidin,  welches  die  Lücken  der  Schnitte  ausfüllte. 

In  2  Fällen  (2,  4)  bot  der  schwach  mit  Eiterkörper- 
chen  infiltrirte  Glaskörper,  sowie  auch  die  veränderten 
rothen  Blutkörperchen  an  einigen  Stellen  eine  gelbe  Fär- 
bung dar.  Diese  Färbung  rührt  muthmasslich,  entweder  von 
Kupferoxydulhydrat,  oder  von  einer  organischen  Kupferver- 
bindung her;  da  das  Gebiet  der  organischen  Kupferver- 
bindung noch  wenig  durchforscht  ist,  so  ist  es  nicht  mög- 
lich, zu  entscheiden,  mit  welcher  wir  es  in  den  vorliegen-^ 
den  Fällen  zu  thun  haben. 

In  einem  Präparate,  wo  der  Ganada-Balsam  eingetrocknet 
war,  entstand  neben  der  Scleralnarbe  unter  dem  Einfluss 
der  Luft  eine  grüne  Färbung,  die  von  einer  kohlensauren 
Kupferverbindung  herzurühren  schien. 

Fast  in  allen  von  mir  untersuchten  Fällen  zeigte  eben- 
so, wie  in  den  von  Prof.  Leber  angestellten  Experimental- 
untersuchungen  an  Thieren  das  den  Fremdkörper  umgebende 
eitrige  Exsudat  eine  bräunliche  Farbe.  Diese  Färbung  des 
Exsudates  rührt  nach  der  Ansicht  Prof.  Leber's  von  Schwefel- 
kupfer her,  dessen  Bildung  durch  den  Schwefelgehalt  des 
Eiweiss  bedingt  ist,  und  neben  dem  gleichzeitig  etwas  Kupfer- 
oxydul vorhanden  sein  kann  (Loc.  cit  S.  248). 

In  allen  Fällen  wurde  eine  mehr  oder  weniger  ausge- 
sprochene und  verbreitete  eitrige  Entzündung  beobachtet,  die 
stets  in  der  Umgebung  des  Fremdkörpers  ihre  grösste  In- 


264  Kostenitsch. 

tensität  besass  und  an  welcher  sich  ausser  der  Retina  auch 
die  Chorioidea,  der  Giliarkörper  und  die  Iris  in  mehr  oder 
minder  ausgesprochener  Weise  betheiligten. 

Meine  Befände  bestätigen  also  vollkommen,  dass  die 
Gegenwart  eines  Fremdkörpers  aus  Kupfer  auch  am  mensch- 
lichen Auge  ohne  Vorhandensein  von  Mikroorganismen  eitrige 
Entzündung  hervorruft,  die  auf  die  Entstehung  löslicher 
Eupferverbindungen  zurückzuführen  ist  Sie  zeigen  zugleich, 
dass  diese  aseptische  Eiterung  bei  den  Zündhütchenver- 
letzungen des  menschlichen  Auges  in  der  weitaus  über- 
wiegenden Mehrzahl  der  Fälle  vorkommt  und  dass  eitrige 
Entzündung  durch  gleichzeitiges  Vorhandensein  von  Mikro- 
organismen dabei  weit  seltener,  mehr  nur  ausnahmsweise, 
auftritt.  Die  durch  Zündhütchenverletzungen  im  Auge  her- 
vorgerufenen Veränderungen  hängen,  soweit  man  sich  davon 
überzeugen  kann,  nicht  nur  von  der  Lage  des  Fremdkörpers, 
sondern  auch  von  der  Dauer  seines  Aufenthalts  im  Auge 
ab.  Ich  habe  darum  bei  Beschreibung  der  Fälle  mich  in 
deren  Anordnung  von  letzterem  Gesichtspunkt  leiten  lassen. 
Der  besseren  Uebersicht  wegen  über  die  hauptsächlichsten 
Veränderungen  der  von  mir  untersuchten  Augen  habe  ich 
eine  Tabelle  beigefügt. 

Der  Grad  und  die  Ausdehnung  der  eitrigen  Entzündung 
zeigte  sich  abhängig  von  der  Lage  des  Fremdkörpers  und 
von  der  Dauer  seines  Aufenthaltes  im  Auge;  femer  von 
dem  Umstände,  ob  es  neben  dem,  den  Fremdkörper  um- 
gebenden Exsudat  noch  zur  Bildung  von  Bindegewebe  kam, 
durch  welches  das  Exsudat  kapselartig  umschlossen  wurde; 
endlich  auch  von  der  Consistenz  des  dem  Fremdkörper  an- 
liegenden eitrigen  Exsudates,  wie  solches  schon  von  Prof. 
Leber  bei  seinen  Versuchen  mit  Einführung  von  Eupfer- 
draht  in  die  vordere  Augenkammer  des  Kaninchens  bewiesen 
wurde;  er  zeigte  dabei,  dass  sich  um  den  Fremdkörper  aus 
dem  veränderten  und  mit  Eupferverbindungen  durchtränkten 
Exsudat   nach  einiger  Zeit  eine  Art  Schale   bilden   kann. 


Pathologiscli-anatomische  üntenncliaiigen  etc.  265 

welche  die  weitere  chemische  Einwirkung  des  Fremdkörpers 
auf  die  Augenhäute  verhindert,  worauf  der  Entzündungs- 
process  zur  Rückbildung  kommt  (Loc.  cit.  S.  249). 

Wenn  der  Fremdkörper  neben  dem  Corpus  ciliare  sass, 
80  war  in  den  Fällen,  wo  der  Process  noch  nicht  lange 
dauerte,  eine  ziemlich  starke  eitrige  Infiltration  des  Glaskörpers 
und  der  Netzhaut  zu  beobachten,  während  die  anderen  Augen- 
häute theils  bedeutenden  Antheil  an  der  eitrigen  Entzündung 
nahmen,  theils  nicht.  In  den  Fällen,  wo  der  Entzündungs- 
process  schon  längere  Zeit  bestanden  hatte,  bot  das  den 
Fremdkörper  umgebende  Exsudat  das  Aussehen  einer  dich- 
ten, schalenartigen  Masse  dar.  An  den  übrigen  Stellen  des 
Glaskörpers  und  in  den  Augenhäuten  waren  nur  hie  und 
da  Reste  eitriger  Infiltration  zu  sehen,  augenscheinlich 
hatte  sich  der  Process  zurückgebildet.  Aehnliches  wurde 
in  jenen  Fällen  beobachtet,  wo  der  Fremdkörper  auf  der 
Innenfläche  der  Netzhaut  oder  in  der  Sclera  sich  befand. 
Obgleich  letztere  verhältnissmässig  gefässarm  ist,  kann  nichts 
destoweniger  die  eitrige  Entzündung  hier  einen  ziemlich 
hohen  Grad  erreichen^  da  sich  auch  die  Ghorioidea  und  die 
Retina,  ehe  es  zur  Ablösung  dieser  Membranen  kommt, 
stark  an  dem  Process  betheiligen.  Leider  gelangte  kein 
solcher  Fall  zur  Untersuchung  in  einem  Stadium,  wo  der 
Fremdkörper  erst  kurze  Zeit  in  der  Sclera  gelegen  hatte. 

Das  Verderblichste  für  das  Auge  ist,  wie  es  scheint, 
die  Lage  des  Fremdkörpers  in  der  Netzhaut  selbst,  unweit 
der  Papille,  wie  aus  dem  Fall  6  ersichtlich  ist,  wo  der 
Entzündungsprocess  fünf  Wochen  gedauert  hatte  und  in  dem 
Glaskörper  Gruppen  von  Eiterkörperchen  sich  fanden,  deren 
Kerne  sehr  gut  die  Haematoxylinfarbe  angenommen  hatten, 
woraus  man  auf  ihr  noch  nicht  langes  Bestehen  schliessen 
kann,  und  wo  auch  starke  eitrige  Infiltration  und  lokale 
Vereiterung  der  Netzhaut  aufgetreten  waren. 

Bei  der  Lage  des  Zündhütchensplitters  im  Glaskörper 
hinter  der  Linse  (12)  befand  sich  das  eitrige  Exsudat  nur 


266  KoBtenitsch. 

um  den  Fremdkörper  herum  und  war  mit  einer  Bindege* 
webskapsel  umgeben;  an  den  übrigen  Stellen  war  Toa 
Exsudat  nicht  eine  Spur  zu  finden. 

Besonderes  Interesse  erregt  der  4.  Fall,  in  welchem 
sich  der  Fremdkörper  im  Glaskörper  eingelagert  fand,  wa 
er  16  Tage  lang  yerblieben  war.  Ungeachtet  eines  so  langea 
Verbleibens  des  Kupfers  im  Auge  beschränkte  sich  die  stärker 
ausgesprochene  eitrige  Infiltration  des  Glaskörpers,  der  Netz- 
haut und  der  Chorioidea  auf  die  nächste  Umgebung  des 
Fremdkörpers  und  trotz  der  beginnenden  Gataract,  war  die 
Sehschärfe  noch  ^/^q.  Die  Linsenkapsel  war  unverletzt» 
Dieser  Fall  ist  mit  einem  von  Prof.  Leber  beschriebenen 
Versuch  fast  identisch  (Beobachtung  4  auf  S.  266). 

Es  bestätigt  sich  somit  auch  beim  Menschen  die  von 
Prof.  Leber  gemachte  Erfahrung,  dass  die  Intensität  der 
durch  das  Kupfer  im  Auge  bewirkten  aseptischen  eitrigen 
Entzündung  von  der  Lage  des  Fremdkörpers  abhängig  ist 

Ich  gehe  jetzt  zur  Beschreibung  der  übrigen  durch 
das  Kupfer  in  den  verschiedenen  Theilen  des  menschlichen 
Auges  hervorgerufenen  Veränderungen  über. 

Das  Erste,  worauf  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  wird, 
sind  die  Veränderungen  des  Glaskörpers  und  die  Ablösung 
der  Netzhaut. 

Unter  der  Einwirkung  der  chemischen  Verbindungen 
des  Kupfers  gehen  augenscheinlich  die  Veränderungen  des 
Glaskörpers  schnell  vor  sich.  Der  Glaskörper  wird  von  ei- 
weisshaltiger  Flüssigkeit  durchtränkt,  von  reichlichen  Fibrin- 
netzen durchsetzt  und  zeigt  deutlichere  Fibrillen.  Letztere 
treten  zuerst  neben  der  Pars  eil.  ret,  so  wie  im  hintern 
Theile  des  Glaskörpers  hervor.  An  diesen  Stellen  ist  auch 
die  eitrige  Infiltration  stärker  ausgesprochen.  Zufolge  der 
Schrumpfung  des  fibrillär  verdichteten  Glaskörpers  und  seiner 
Zusammenziehung  nach  vom  wird  eiweisshaltige  Flüssigkeit 
aus  ihm  ausgepresst,  welche  den  hinteren  Theil  seines  Räume» 
einnimmt 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  267 

In  den  Fällen  2,  3,  5,  9,  schrampfte  der  Glaskörper 
langsam  und  zog  sieb  in  gleichem  Masse  nach  vorn  zu- 
sammen, was  theils  von  der  Lage  des  Fremdkörpers,  tbeils 
vermuthlich  auch  davon  herrührte,  dass  der  Glaskörper  in 
diesen  Fällen  mit  der  Papille  fester  als  normal  zusammen- 
hing, was  daraus  zu  entnehmen  ist,  dass  in  der  centralen 
Grube  und  neben  derselben  der  Membrana  hyaloidea  etwas 
fibrilläres  Glaskörpergewebe  aufgelagert  war. 

Wie  es  scheint,  befördert  auch  das  Vorkommen  grösserer 
Blutergüsse  im  Glaskörper  die  Schrumpfung  des  letzteren, 
wie  in  anderen  Fällen  klinisch  von  Prof.  Leber  und  Dr. 
Nordenson^)  nachgewiesen  wurde. 

Wenn  die  Schrumpfung  und  Zusammenziehung  des 
Glaskörpers  von  vom  noch  nicht  bis  zum  Aequator  bulbi 
gelangt  ist,  dann  ist  am  vorderen  Theile  der  Netzhaut  ent- 
weder keine  oder  nur  Andeutung  von  Faltenbildung  zu 
bemerken,  eben  so  wenig  ein  spontaner  Riss,  oder  eine  Ab- 
lösung der  Netzhaut.  Dies  hängt  davon  ab,  dass  der  ge- 
schrumpfte Glaskörper  noch  keine  Einwirkung  auf  den 
vorderen  Theil  der  Netzhaut  ausüben  kann,  worauf  auch 
schon  Nordenson  hingewiesen  hat  (Loc.  cit.  S.  239  u.  f.). 

Sobald  aber  der  Process  der  Schrumpfung  nach  vorn 
weiter  geschritten  ist,  so  wird  in  allen  solchen  Fällen  eine 
totale  Ablösung  der  Netzhaut  beobachtet,  und  der  Subretinal- 
raum  ist  stets  von  einer  Eiweissmasse  eingenommen,  welche 
mit  der  in  dem  Glaskörperraume  befindlichen  identisch  ist. 
Wenn  die  Retina  durch  den  Fremdkörper  eine  Perforation 
erlitten  hat,  so  trägt  diese  natürlich  dazu  bei,  die  Ent- 
stehung der  Ablösung  zu  befördern,  da  sie  ein  freies  Hinüber- 
treten der  im  Glaskörperraum  enthaltenen  Flüssigkeit  in 
den  Subretinalraum  ermöglicht. 

In  zwei  Fällen  (7  u.  12)  fanden  sich  Zerreissungen 
der  Retina,  welche   nicht   durch   die  directe  Wirkung   des 

*)  Dr.  Nordenson,  Die  Netzhautablösang.  Untersuchungen 
über  deren  patholog.  Anat.  u.  Pathogenese.  Wiesbaden  1887.  S.  232. 


268  Kostenitsch. 

Fremdkörpers  entstanden  sein  konnten,  weil  im  ersten  Falle 
der  Fremdkörper  durch  den  Limbus  corneae  ins  Auge  ge- 
drungen und  hinter  der  Linse,  gleich  nach  hinten  von  der 
Ora  serrata,  in  der  nasalen  Seite  des  Glaskörpers,  in  be- 
trächtlicher Entfernung  von  der  zerrissenen  Partie  der  Re- 
tina liegen  geblieben  war,  während  er  im  zweiten  Falle 
fast  auf  demselben  Wege  ins  Auge  drang  und  hinter  der 
Mitte  der  Linse  im  Glaskörper  liegen  blieb.  Da  zudem 
die  Richtung,  in  welcher  der  Fremdkörper  in  das  Auge 
eindrang,  gar  nicht  nach  der  Zerreissungsstelle  der  Retina 
hinzielte,  so  ist  auch  die  Möglichkeit  auszuschliessen ,  dass 
derselbe  Anfangs  bis  zur  Retina  gelangt  sei  und  sich  später 
soweit  nach  vorn  verschoben  habe. 

In  beiden  Fällen  ist  der  Glaskörper  stark  geschrumpft 
und  nimmt  den  vordersten  Theil  seines  Raumes  ein;  die 
Retina  ist  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  von  der  Chorioidea 
abgelöst  und  zeigt  in  ihrem  vorderen  Theil  keinen  Riss, 
welcher  durch  den  Fremdkörper  hätte  hervorgerufen  sein 
können.  Im  7.  Falle  sieht  man  im  hinteren  Augenabschnitte 
in  der  Retina  zwei  Risse,  den  einen  nach  aussen  von  der 
Papille,  fast  durch  die  optische  Achse  des  Auges  gehend, 
den  andern  nach  innen  und  etwas  nach  unten,  in  einiger 
Entfernung  von  der  Papille;  im  12.  Falle  findet  sich  nur 
ein  Riss,  auf  der  lateralen  Seite,  in  einiger  Entfernung  von 
der  Papille.  Die  Ränder  der  zerrissenen  Retina  sind  in 
beiden  Fällen  nach  innen  umgeklappt  und  durch  neuge- 
bildetes Gewebe  fixirt,  welches  im  12.  Falle,  mit  neuge- 
bildetem, hinter  der  Linse  eingelagertem  Bindegewebe  ver- 
wachsen ist.  Zufolge  der  Schrumpfung  dieses  Gewebes  sind 
die  Rissränder  stark  nach  vorn  gezogen;  unzweifelhaft  hat 
sich  dabei  die  Ablösung  der  Retina  vergrössert  Im  Subre- 
tinal- und  Glaskörperraum  findet  sich  Eiweissmasse  (Fig.  12). 

Da  nach  dem  Gesagten  eine  directe  Verletzung  der 
Retina  in  diesen  Fällen  nicht  annehmbar  ist,  so  muss  es 
sich  um  spontane  Netzhautrisse  handeln,  deren  Entstehung 


Pathologiscli-aiuitomiBche  Untennchangen  etc.  269 

auf  die  Schrumpfung  des  Glaskörpersgewebes  zurückzuführen 
ist,  wobei  die  durch  den  Riss  aus  dem  Glaskörperraum 
austretende  eiweisshaltige  Flüssigkeit  die  Ablösung  der  Netz- 
haut verursacht. 

Die  spontanen  Netzbautrisse  spielen,  wie  Prof.  Leber 
gezeigt  hat/  bei  der  Entstehung  der  Netzhautablösung  des 
Menschen  eine  wichtige  Rolle  und  ihr  Vorkommen  ist  von 
ihm  auch  bei  der  experimentell  erzeugten  Netzhautablösung, 
nach  Einführung  von  Fremdkörpern  in  das  Corpus  yitreum 
von  Thieren,  erwiesen  worden  (S.  229).  Wie  stark  der 
geschrumpfte  und  nach  vorn  zusammengezogene  Glaskörper 
auf  den  vorderen  Theil  der  Netzhaut,  die  Pars  eil.  und 
den  Giliarkörper  einwirkt,  zeigt  der  Fall  12,  so  wie  auch 
die  Fälle  6  und  8;  bei  letzterem  ist  die  Pars  eil.  ret.  sammt 
einem  Theil  des  Stratum  pigmenti  stellenweise  von  ihrer 
Unterlage  abgehoben  und  ins  Innere  des  Auges  hinein- 
gezogen. Die  Ablösung  der  Pars  eil.  ret.  habe  ich  auch 
noch  in  zwei  weiteren  Fällen  von  Zündhütchenverletzung 
des  Auges  (Leopold  und  Kessler)  beobachtet,  bei  welchen 
die  Extraction  des  Fremdkörpers  versucht,  aber  misslungen 
war  und  welche  deshalb  an  anderer  Stelle  Verwerthung 
finden  sollen.  Ich  habe  dieses  Verhalten  bei  der  Beschrei- 
bung des  Falles  8  nicht  erwähnt,  da  ich  anfangs  glaubte, 
dass  die  Loslösung  der  Pars  eil.  der  Einwirkung  der  Rea- 
gentien  zuzuschreiben  sei.  Der  gleiche  Befund  in  anderen 
Fällen  und  die  ähnlichen  Erfahrungen  Nor denson's^)  zeigen 
aber,  dass  die  Ablösung  der  Pars  eil.  ret.  und  ihre  Hinein- 
ziehung ins  Innere  des  Auges  nicht  als  Wirkung  der  Prae- 
paration  aufzufassen  ist.  Auch  auf  Bindegewebsschrumpfung 
kann  sie  nicht  allein  bezogen  werden,  da  Bindegewebsneu- 
bildung  im  Glaskörper  des  Falles  Leopold  vollständig  fehlte; 
sie  muss  vielmehr  hier  von  der  Schrumpfung  des  mit  der 
Pars  eil.  ret.  in  Verbindung  stehenden  Glaskörpers  herrühren. 


1)  Nordenson,  S.  243. 


270  Eostenitech. 

Auch  bei  den  von  Prof.  Leber  mitgetheilten  Versuchen  an 
Tbieren  konnte  die  Zusammenziehung  des  Fibrins  und  des 
neugebildeten  Bindegewebes  nicht  als  einzige  Ursache  für 
die  Schrumpfung  des  Glaskörpers  gelten,  vielmehr  schien 
dabei  auch  noch  eine  chemische  Veränderung  des  Glaskörper- 
gewebes mitzuwirken.  Die  Zusammenziehung  des  Fibrins  und 
des  Bindegewebes  kann  aber  die  schon  vorher  vorhandene 
Glaskörperschrumpfung  unterstützen,  und  die  Entstehung 
der  Netzhautablösung  begünstigen^). 

Nach  den  Versuchen  Prof.  Leber's  an  Thieren  ist 
auch  ausgeschlossen,  dass  die  Netzhautablösung  nur  von  der 
Zugwirkung  des  schweren  Fremdkörpers  auf  die  Netzhaut 
herzuleiten  ist^);  die  Untersuchungsergebnisse  des  4.  Falles 
bestätigen  dies  für  das  menschliche  Auge;  in  diesem  Falle 
lag  der  3  mm  lange,  P/^  mm  breite  Zündhütchensplitter 
16.  Tage  im  Glaskörper  in  der  unteren  Hälfte  des  Auges, 
ohne  dass  es  in  der  oberen  Augenhälfte  zur  Entstehung 
von  Schrumpfung  des  Glaskörpers  und  von  Netzhautablösung 
kam,  während  diese  Veränderungen  in  der  unteren  Hälfte, 
in  der  Umgebung  des  Fremdkörpers  auftraten,  wo  von  der 
Wirkung  der  Schwere  keine  Rede  sein  kann. 

Aus  dem  Bisherigen  ist  ersichtlich,  dass  in  durch  Zünd- 
hütchen verletzten  menschlichen  Augen,  sowie  auch  in  den 
von  Prof.  Leber  angestellten  Thierversuchen,  die  Ablatio 
retinae  durch  die  Veränderung  des  normalen  Baues  und 
und  durch  starke  Schrumpfung  des  Glaskörpers  hervorge- 
rufen ist. 

Was  die  pathologischen  Veränderungen  der  Netzhaut 
in  den  von  mir  untersuchten  menschlichen  Augen  anlangt, 
so  stimmen  sie  vollständig  mit  denen  von  Prof.  Leber  be- 
schriebenen überein.  Auch  die  Netzhaut  des  menschlichen 
Auges  ist  unter  der  Einwirkung   der   chemischen  Verbin- 


^)  Th.  Leber,  Die  Entstehung  der  Entzündung  etc.   S.  235. 
«)  Loc.  cit.  S.  230. 


Pathologisch -anatomische  Untersuchuogen  etc.  271 

düngen  des  Kupfers,  atrophischer  Degeneration  und  ausge- 
dehnter oder  partieller  Nekrose  unterworfen. 

In  der  unmittelbaren  Umgebung  eines  auf  oder  in  der 
Nähe  der  Retina  gelegenen  Fremdkörpers  zeigte  die  Netz- 
haut mehr  oder  minder  ausgesprochene  atrophische  Dege- 
neration, die  sich  bald  auf  alle  Schichten,  bald  nur  auf  den 
inneren  Theil  derselben  erstreckte.  Dabei  konnten  die  noch 
erhaltenen  Kömer  der  Körnerschichten  theilweise  ziemlich 
gut,  theilweise  schwach  gefärbt  sein.  In  zwei  Fällen  (9 
u.  12)  hatte  bei  langer  Dauer  des  Processes  die  atrophische 
Degeneration  sich  über  die  ganze  Retina  erstreckt;  dabei 
wurde  im  letzteren  dieser  Fälle  neben  der  Papille  keine 
Hypertrophie  des  Stützgewebes  der  Netzhaut  bemerkt.  In 
diesem  Stadium  findet  sich  in  der  Nähe  des  Fremdkörpers, 
im  Bereich  der  erwähnten  localen  atrophischen  Degeneration 
der  Netzhaut,  ^ine  ausgesprochene  Wucherung  des  Stütz- 
gewebes der  Retina. 

Mehr  oder  minder  ausgedehnte  Nekrose  der  Retinal- 
elemente  mit  mangelnder  Kernfärbung  wurde  schon  in 
früheren  Stadien  beobachtet;  sie  erstreckte  sich  über  alle 
Schichten  der  Netzhaut  oder  nur  einen  Theil  derselben; 
nur  in  einem  der  Fälle  (3)  hatte  sie  alle  Elemente  fast  in 
der  gesammten  Ausdehnung  der  Retina  ergriffen.  In  späteren 
Stadien  breitete  sich  die  erwähnte  Nekrose  über  die  ganze 
Netzhaut  aus  und  war  in  der  Nervenzellenschicht  stärker 
ausgesprochen,  aber  zuweilen  auch  in  allen  Schichten  vor- 
handen. Eine  Ausnahme  von  der  Regel  macht  der  von 
Prof.  Leber  untersuchte  Fall  11,  in  welchem  die  Degene- 
ration der  Retina  bloss  in  der  Nähe  des  Fremdkörpers 
stattfand,  während  diese  Membran  im  Uebrigen  sich  ziem- 
lich gut  erhalten  hatte,  was  von  den  geringen  Dimensionen 
des  Fremdkörpers  abhängt,  wie  nachfolgend  eingehender 
besprochen  werden  soll. 

Das  Stützgewebe  der  Retina  ist  fast  in  allen  Fällen 
in  der  Umgebung  der  Papille  mehr  oder  minder  hypertro- 


272  KoBtenitsch. 

phirt;  in  den  späteren  Stadien  ist  es  in  der  ganzen  Aus- 
dehnung der  Netzbaut  oder  nur  auf  beschränkten  Stellen 
hypertrophirt.  Manchmal  ist  das  Stützgewebe  der  Netzhaut 
im  hinteren  Augenabschnitte  in  der  Zwischenkömerschicht 
und  der  äusseren  Körnerschicht  unregelmässig  gewuchert, 
wodurch  die  äussere  Fläche  der  letzteren  und  der  Stäbchen- 
schicht ein  wellenförmiges  Aussehen  erhält. 

Bei  längerer  Dauer  des  Processes  sieht  man  eine  mehr 
oder  weniger  bedeutende  Wucherung  des  Retinaepithels,  der 
Pars  eil.  und  in  einem  Falle  (7)  an  manchen  Stellen  eine 
Wucherung  der  Radiärfasem  der  inneren  Körnerschicht 
und,  wie  es  scheint,  zugleich  eine  Vermehrung  ihrer  Kerne. 

Das  Stützgewebe  des  Nerv.  opt.  ist  schon  in  früheren 
Stadien  stärker  entwickelt  als  normal;  in  einigen  Fällen 
ist,  sowohl  bei  kürzerer  Dauer  als  auch  bei  längerem  Be- 
stehen des  Entzündungsprocesses,  die  Papille  geschwollen. 
Fast  in  allen  Fällen  war  im  Sehnerven  schwach  oder  stark 
ausgesprochene  Atrophie  seiner  Nervenfasern  sichtbar;  von 
besonderem  Interesse  ist  der  Fall  10,  wo  die  Atrophie  des 
Sehnerven  in  der  der  Lage  des  Fremdkörpers  entsprechenden 
Hälfte  weit  stärker  ausgesprochen  war  als  in  der  andern. 
Bemerkenswerth  ist  noch  die  im  11.  Falle  nachgewiesene 
roseukranzförmige  Schwellung  der  Nervenfasern  der  Papille, 
welche  mit  der  von  der  Retinitis  albuminurica  bekannten 
Veränderung  übereinstimmt. 

Das  Epithel  des  Stratum  pigmenti  iridis  zeigt  in  den 
meisten  Fällen  eine  Wucherung  ähnlich  der,  welche  von 
Kamotzky*)  und  von  Deutsch  mann  •)  in  den  Augen  diabe- 
tischer Individuen  beobachtet  wurde. 

Die  Linse  und  ihre  Kapsel  erfahrt  im  menschlichen 
Auge   dieselben  Veränderungen,   wie   die  von  Prof.  Leber 

^)  Eamotzky,  Patholog. - anat.  Untersach.  von  Aagen  diabe- 
tischer Individuen.    Arch.  f.  Augenheilk.  1887.  S.  247. 

')  Deutschmann,  Patholog.  -  anat.  Untersuch,  einiger  Augen 
Yon  Diabetikern  etc.    v.  Graefe*s  Arch.  XXXIII.  2.  1887. 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  273 

bei  den  Thierversuchen  beobachtet  wurden.  Die  Linsen- 
kapsol  war  in  vielen  Fällen  durch  den  Fremdkörper  ver- 
letzt, in  den  späteren  Stadien  verdickt  und  ihre  Zellen 
vermehrt;  in  einem  Falle  fand  sich  sogar  ein  Epithelbelag 
in  ihrer  ganzen  Ausdehnung.  Die  eitrige  Infiltration  der 
Linse  beschränkte  sich  stets  auf  die  Gegend  der  Kapsel- 
verletzung und  war  in  den  meisten  Fällen  schwach  aus- 
gesprochen, nur  in  einem  Falle  war  sie  bedeutender,  was 
durch  die  Grösse  der  Kapsel  Verletzung  und  durch  eine 
stark  ausgesprochene  eitrige  Infiltration  des  Glaskörpers 
bedingt  war  (5)..  Die  hier  erwähnten  Unterschiede 
in  der  Intensität  der  pathologischen  Veränderungen  der 
von  mir  untersuchten  Augen  hängen  wahrscheinlich  sowohl 
von  der  Lage  und  der  Grösse  des  Fremdkörpers,  als  auch 
von  der  Bildung  von  mehr  oder  weniger  löslichen  Ver- 
bindungen des  Kupfers  ab. 

Durch  eine  kürzlich  veröffentlichte  Arbeit  von  Prof. 
Adamük*)  ist  die  Frage  angeregt  worden,  ob  eine  Wieder- 
anlegung der  Netzhaut  und  Wiederherstellung  ihrer  Funk- 
tionen bei  Anwesenheit  eines  Zündhütchensplittors  im  Auge 
möglich  ist?  Adamük  behauptet,  dass  im  Allgemeinen 
die  Ablösung  der  Netzhaut  und  insbesondere  die  trauma- 
tische, gar  nicht  selten  und  sehr  leicht  wieder  zurückgehe, 
was  z.  B.  nach  Extraction  der  Cataract  beobachtet  werden 
könne. 

Unter  den  drei  von  dem  Autor  angefühlten  Fällen, 
in  welchen  die  abgelöste  Netzhaut  wieder  ihre  normale 
Lage  erhielt,  ist  einer,  in  welchem  die  Ablösung  durch 
einen  Zündhütchensplitter  verursacht  war.  Es  handelte  sich 
um  den  ungewöhnlichen  Fall  einer  doppelseitigen  Netzhaut- 
ablösung, die  an  beiden  Augen  durch  in  sie  eingedrungene 
und  dort  liegen  gebliebene  Zündhütchensplitter  entstanden 
war.     Am   rechten  Auge   war   die   Ablösung  partiell   und 

1)  AdamQk,  Zur  Frage  der  NetzhautabMsnng.  Ophth.  Bote. 
Juli-October  1890.   Kiew. 

T.  Gnefe'a  Arcblr  für  Ophthalmologie.  XXX VII.  4.  IH 


274  EoBtenitsch. 

ging  bald  wieder  zurück,  ungeachtet  der  Anwesenheit  des 
Splitters  im  Auge,  wie  sich  aus  mehrfachen  im  Laufe  von 
10  Jahren  an  dem  Patienten  angestellten  Beobachtungen 
ergab.  Die  Sehschärfe  hatte  sich  an  diesem  Auge  auf  ^%q 
erhalten.  Am  linken  Auge  blieb  die  Ablösung  der  Netz- 
haut bestehen  und  es  kam  später  zur  Entstehung  Ton 
Cataracta). 

In  allen  von  mir  selbst  untersuchten  Fällen  beobachtete 
ich  eine  partielle  oder  totale  Ablösung  der  Netzhaut;  letztere 
fand  sich,  unabhängig  von  der  Lage  des  Fremdkörpers,  in 
allen  Fällen,  in  welchen  der  Splitter  sich  längere  Zeit  im 
Auge  befunden  hatte;  so  lag  z.  B.  im  Falle  12  der  Fremd- 
körper hinter  der  Linse,  während  er  in  anderen  FäUen 
neben  dem  Giliarkörper,  in  der  Sclera  oder  in  der  Retina 
lag;  in  allen  diesen  Fällen  fand  sich  eine  totale  Ablösung 
der  Netzhaut. 

Wie  aus  der  beigegebenen  Tabelle  ersichtlich,  habe 
ich  es  allerdings  fast  immer  mit  Zündhütchensplittern  von 
beträchtlicher  Grösse  zu  thun  gehabt.  Bei  geringer  Grösse 
des  Fremdkörpers  kann  es  sich  anders  verhalten.  So  lag 
in  einem  von  Prof.  Leber  untersuchten  Falle  (11)  das 
'/^  mm  lange  und  Vs  ^^  breite  Zündhütchenstück  über 
ein  Jahr  lang  im  Giliarkörper  und  dennoch  beschränkte 
sich  die  eitrige  Entzündung  auf  diese  Gegend  und  es  fand 
sich  keine  Netzhautablösung;  in  einem  andern  von  mir 
untersuchten  Falle  (9)  lag  das  P/s  mm  lange  und  '/,  mm 
breite  Kupferstück  10  Wochen  lang  im  Glaskörper  neben 
der  Betina  und  trotzdem  war  die  Ablösung  der  Netzhaut 
nur  eine  partielle.  Man  kann  daher  voraussetzen,  dass 
in  dem  von  Prof.  Adamük  beschriebenen  Falle  der  ins 
rechte  Auge  gedrungene  Splitter  sehr^klein  war,  und  dass 
beim  Eindringen   desselben   ins  Auge   eine  Verletzung  der 


*)  Nach  dem  Referat  von  Logetschnikow.    Medicin.  Rund- 
schau Ko.  12.  1891.  Moskau. 


Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  etc.  275 

Netzhaut  unter  gleichzeitigem  Auftreten  eiuer  Blutung 
entstand  (wie  das  öfters  vorkommt),  welche  eine  par- 
tielle Ablösung  der  Netzhaut  zur  Folge  hatte.  Es  ist 
möglich,  dass  nach  Resorption  der  Blutung,  die  Netzhaut- 
ablösung verschwand,  und  der  Fremdkörper  bei  seinen  ge- 
ringen Dimensionen  nur  eine  locale  eitrige  Entzündung 
bewirkte,  welche  aus  den  angegebenen  Gründen  später 
zurückging;  wenn  aber  Prof.  Adamük  den  Fremdkörper  im 
Auge  seines  Patienten  nicht  gesehen  hat,  so  ist  es  mir 
wahrscheinlicher,  dass  in  diesem  Falle  der  Ziindhütcheu- 
splitter  die  Augenwand  nochmals  durchbohrt  und  das 
Auge  wieder  verlassen  hatte.  Ich  habe  Gelegenheit  gehabt, 
das  Schwinden  der  unter  solchen  Verhältnissen  entstan- 
denen partiellen  Ablösung  der  Netzhaut  in  einem  Falle 
mikroskopisch  zu  beobachten,  wo  der  Zündhütchensplitter 
durch  die  Cornea  ins  Auge  gedrungen  war  und  nach  Ver- 
letzung der  Linse  durch  die  Sclera  im  hinteren  Augenab- 
schnitt hindurchgegangen  war.  Dieser  Fall  ist  in  der  vor- 
liegenden Arbeit  nicht  zur  Aufnahme  gelaugt,  da  ich  den- 
selben wegen  der  Complication  mit  Secundärglaucom  einer 
besonderen  Bearbeitung  vorbehalten  möchte. 

Wenn  aber  ein  Zündhütchensplitter  von  bedeutenderer 
Grösse  ins  Auge  gelangt  und  darin  bleibt,  so  muss  früher 
oder  später  eine  Schrumpfung  des  Glaskörpers  und  Zu- 
sammenziehung desselben  nach  vorn  erfolgen,  welche  eine 
Ablösung  der  Netzhaut  zur  Folge  haben  wird;  dass  die 
Netzhaut  sich  in  solchen  Fällen  wieder  anlegt,  ist  nicht 
zu  erwarten.  Ebenso  wenig  lässt  sich  daran  denken,  dass 
bei  anhaltendem  Liegen  des  Kupfersplitters  im  Auge  die 
Netzhautfunktionen  wieder  hergestellt  werden  können,  denn 
die  unvermeidliche  Folge  dieses  langen  Verbleibens  des 
Splitters  im  Auge  ist  atrophische  Degeneration  und  mehr 
oder  minder  ausgedehnte  Nekrose  der  Retina. 

Die  durch  meine  Untersuchungen  gewonnene  Erfah- 
rung, dass  in  durch  Zündhütchensplitter  verletzten  mensch- 

18* 


276  Kosteoitsch. 

liehen  Augen  Mikroorganismen  in  der  weit  überwiegenden 
Mehrzahl  der  Fälle  fehlen,  gibt  das  Recht,  in  solchen 
Fällen  die  conservative  Behandlung  des  Auges  zu  ver- 
suchen, wie  schon  Prof.  Leber  mit  Erfolg  gethan  hat.  Die 
schweren  Veränderungen  der  Netzhaut  welche  ich  als 
Wirkung  des  Kupfers  nachweisen  konnte,  deuten  darauf 
hin,  dass  die  möglichst  baldige  Entfernung  des  Fremdkör- 
pers geboten  ist.  Prof.  Leb  er  ^),  welcher  schon  lange  die 
conservative  Methode  in  geeigneten  Fällen  zur  Anwendung 
bringt,  hat  in  5  Fällen  durch  Extraction  des  Fremdkörpers, 
trotz  Vorhandensein  von  localer  eitriger  Entzündung,  das 
Auge  zu  erhalten  vermocht;  in  2  Fällen  ist  es  ihm  sogar 
gelungen,  massige  und  in  einem  Falle  sehr  befriedigende 
Sehschärfe  zu  erhalten.  Er  hat  auch  darauf  hingewiesen, 
dass  das  den  Fremdkörper  umgebende  eitrige  Exsudat  an 
der  Innenfläche  des  Ciliarkörpers  ohne  Schaden  zurückge- 
lassen werden  kann,  indem  es  sich  allmählig  in  über- 
raschender Weise  resorbirt. 

Ich  habe  noch  hinzuzufügen,  dass  die  Leukocyten  an 
der  Resorption  der  gebildeten  Entzüudungsproducte  einen 
bedeutenden  Antheil  nehmen,  indem  sie  alles  mögliche 
todte  organische  Material,  sogar  zerfallene  Linsenfaseni 
aufnehmen,  worauf  in  den  Fällen  5  und  7  (Fig.  10  und  11) 
hingewiesen  worden  ist.  In  einigen  Fällen  wurde  das  Vor- 
kommen sehr  grosser  Zellen  mit  vielen  Kernen  beobachtet 
(Fig.  8  und  9).  In  allen  von  mir  untersuchten  Fällen  wurden 
in  den  Lumina  der  Venen  der  Chorioidea  und  zuweilen  in 
denen  der  Iris  und  der  Netzhaut,  nur  selten  in  den  Arte- 
rien und  Capillaren,  zahlreiche  mehrkernige  Leukocyten  be- 
obachtet, offenbar  in  Folge  der  chemischen  Einwirkung  des 
Kupfers  auf  die  Blutgefässe  und  deren  Inhalt,  die  eine 
Randstellung  der  weissen  Blutkörperchen  hervorrief. 

*)  Th.  Leber,  Loc.  cit.  S.  271. 


Patbologisch-anatomiBche  Untersuchungen  etc.  277 

Scblicssend  ist  es  mir  eine  angenehme  Pflicht,  Herrn 
Prof.  Th.  Leber  für  das  Material,  die  darauf  bezüglichen 
Notizen,  und  für  die  mir  in  Rath  und  That  erwiesene  Unter- 
stützung bei  diesen  Untersuchungen  meinen  innigsten  Dank 
auszusprechen. 


Tafelerklärung. 
Tafel  V. 

Fig.  1.    Querschnitt  aus  der  unteren  Äugcnhälfte  des  V.  Falles. 
R.  A. 
f  Lage  des  Fremdkörpers, 
r   Riss  der  Retina. 
g    Glaskörper. 
e    £iweis8haltiges  Exsudat. 
d  Fleck  von  Eiterzellen, 
n  Comealnarbe. 

Fig.  2.    Zelle  aus  der  zerstörten  Linse.    Zeiss,  F.  IIL 
E  EiweisskQgelchen. 
X;    Fettkömchen. 

Fig.  8.    Querschnitt  durch  den  Sehnerven  des  VI.  Falles.   L.  A. 
B  Abgelöste  Retina, 
n  Narbe. 

d  Eitriges  Exsudat,  in  welchem  der  Fremdkörper  lag. 
ä!  Eiterknötchen  (oberer  Theil). 

r   Riss  der  Retina  und  zugleich  die  Lage  des  Fremdkörp. 
e    Eiweissmasse. 
ch  Verdickte  Stelle  der  Chorioidea. 

Fig.  4.    Querschnitt  etwas  nach  nnten  von  dem  Sehnerveneintritt 
des  VI.  Falles. 
g  Stark  eitrig  infiltrirter  Glaskörper  (wie  Flg.  3). 
f   Lage  des  vorderen  Endes  des  Fremdkörpers, 
d'  Eiterknötchen  (wie  Fig.  3)  mittlerer  Theil  in  Verbin- 
dung mit  Retina. 
l    Verletzung  der  Linse. 
(Fig.  3  und  4  mit  Haematoxylin  gefärbte  Schnitte.) 


278    EoBteniUch,  Pathologisch-anatomisclie  Untersuchungen  etc. 

Fig.  5.    Querschnitt  etwas  nach  unten  von  dem  Sehnerveneintritt 
des  VII.  Falles. 
rr  Zwei  spontane  Risse. 
iV  Narbe. 
f  Lage  des  Fremdkörpers. 

Fig.  G.    £ine  Partie  der  Retina  zwischen  den  Rissen  Fig.  5. 
Zeiss,  A  A.  III. 
l    Leukocyten. 
k    Kerne  der  Neuroglia. 
m  Membr.  hyaloidea. 

Fig.  7.    Retinaepithel  neben  der  Papille. 

Fig.  8.    Grosse  Zelle  aus  dem  vorderen  Theile  des  Subretiualraumes. 
Ic  Kerne. 
p   Pigmeritkörner. 
z   Pigmententhaltende  Zelle. 

Fig.  9.    Grosse  Zelle  aus  dem  vordersten  Theil  des  Glaskörpers. 
k  Kerne. 
p  Haematogenes  Pigment. 

Fig.  10.    Zelle  mit  Detritus  der  rothen  Blutkörperchen  aus  dem 
Glaskörper. 
d  Detritus. 

Fig.  11.    3  Zellen  aus  dem  den  Fremdkörper  umgebenden  Exsudat. 
a   Fortsatz. 

h    Zerfallene  Linsenfasern, 
c    Protoplasma. 
(Fig.  7,  8,  9,  10,  11  vom  VII.  Falle.   Zeiss,  F.  III.) 

Fig.  12.    Querschnitt  des  Auges  vom  XII.  Falle, 
r   Spontaner  Riss  der  Retina. 
f  Lage  des  Fremdkörpers. 
cc  Neugebildetes  Bindegewebe. 


Druck  Ton  Pöschel  A  Tropte  in  Ldpxlg. 


/'.  (rrm'/rsArr/iü'  Bd.XLWTl  1. 


Tiq.3. 


\  ' 


\  \ 


.1       •' 


Fuf.  'r 


vGnw/e  's  Arvhäi  Bd.XXXTllA. 


Fiif.  1. 
%4 


Fig  2. 


Fuf.  3. 


/'\MIK.RnfTelniflTin 


r/. Gmere  \s  Arrhiv.  Rd. XXW'U.  4. 


Fi  ff.  L 
Fig.  //. 


Fig  2. 


%  J? 


"•*^^^^^-^<^     • 


l"^^^ 


1.  ANBLEncTelTnaTiii 


p  (traefe's  AjvK 


Taf:  IV. 


rn/.'i 


fp 


^..«V 


/■  v^  V 


7'/ 


/yy  rV. 


,// 


Fifj.1. 


.•••»••v'.y . 


/i 


^6478»- 


sr _ 

FOR   REFERENCE 


NOT  TO  BE  TAKEN  FROM  THE  ROOM 

JW  CAT.     NO.     13    Uli  'TiiV*