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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
SAN FRANCISCO MEDICAL CENTER
LIBRARY
^ALBRECHT VON GRiEFE'8
ARCHIV
FÜR
OPHTHALMOLOGIE,
HERAUSGEGEBEN
VON
PROF. TH. LEBER Prof. H. SATTLER
IN HEIDELBERG IN LEIPZIG
UND
PROF. H. SNELLEN
IN UTRECHT.
SIEBENUNDDREISSIGSTER BAND
ABTHEILUNG III.
MIT 5 FIGUREN IM TEXT UND 9 TAFELN.
LEIPZIG
VERLAG VON WILHELM ENGELMANN
18^1
lahaltfi-Verzeicliiiiss
zu
Band XXXVII, 3. Abtheiiung.
Ausgegebeu am 2S. October 1891.
Seite
I. lieber Ermüdung und Erholung des Sehorgans. Von
Ewald Heringr, Professor der Physiologie an der
deutschen Universität Prag 1 — 36
II. £hrlich*s Methylenblaumethode und ihre Anwendung
auf das Auge. Von' Dr. Friedr. Hoseh in Basel.
(Mittheilung aus dem normal-anatomischen Institut
in Basel.) Mit Taf. I— II, Fig. 1-^8 37-54
III. Weitere Grössensch&tzungen im Gesichtsfeld. Von
*t>r. R. Fischer, Augenarzt in Leipzig. Mit 1 Text-
figur 55—85
IV. Ueber die Abflusswege des Humor aqueus. Experi-
mentelle und anatomische Untersuchungen von Dr.
Carlo Staderini, Privatdocenten an der Königl.
üniversit&t Siena. (Aus dem Laboratorium des Prof.
H. Sattler in Prag.) Mit Taf. III, Fig, 1 — 3 . . 86—124
V. Ueber das Vorkommen von Riesenzellen und eitriger
Exsudation in der Umgebung des intraocularen Cysti-
cercus. Von Dr. Aagust Wagenmann, Privat-
docenten und erstem Assistenten der Universit&ts-
Augenklinik zu Heidelberg 125—142
VI. Zur Anatomie der Pinguecula. Von Prof. E, Fachs
in Wien. Mit Taf. IV und V, Fig. 1 — 16 . . . 143-191
VII. Beitrftge zur Entstehungsgeschichte der angeborenen
Missbildungen des Auges. Von Dr. G. BlndfleiBeb,
Assistenzarzt an der Universit&ts- Augenklinik zu
Heidelberg. Mit Taf. VI— VIII und 4 Figuren im
Text 192-252
1231
IV Inhalt.
Seite
yill. Eine eigenthümliche oberflächliche Neubildung der
Cornea. Von Dr. Eduard Zirm, I. Assistenten an
der I. Augenklinik in Wien. Mit Taf. IX, Fig. 1—3 253—260
IX. Eine Bemerkung über den Helligkeitssinn, veran-
lasst durch die Abhandlung TreiteKs in den letzten
Heften dieses Archivs. Von J. BJerrum in Kopen-
hagen 261—262
X. Anmerkung zu meiner in der II. Abtheilung dieses
Bandes veröffentlichten Mittheilung „lieber Sehner-
ven Veränderung bei hochgradiger Sclerose der Ge-
hirn arterien^S Von Dr. St. Bernheimer, Privat-
docenten in Heidelberg 263 — 264
Ueber Ermttdimg und Erholung des Sehorgans.
Von
Ewald Hering,
Professor der Physiologie
an der deutschen Universit&t Prag.
Nach einer noch hente von Helmholtz, A. Fick u. A.
vertretenen Ansicht über Ermüdung des Sehorganes müsste
dasselbe, da es bei offenem Auge fortwährend und zwar
aach von den schwarz erscheinenden Theilen des Gesichts-
feldes mehr oder weniger Licht empfängt, in seiner ganzen
Ausbreitung ununterbrochen ermüdet werden, so lange es
nicht gänzlich verfinstert ist Denn dass auch die schwarz
erscheinenden Dinge noch hinreichendes Licht aussenden,
um zu „ermüden^, soll daraus hervorgehen, dass wenn man
ein schwarzes Object (Papier, Tuch, Sammet) auf einen
fast vollkommen licbtfreien Grund legt, z.B. einen schwar-
zen Streifen über ein grösseres Loch im Deckel eines tiefen
mit schwarzem Sammet ausgekleideten Kastens brückt und
den Streifen einige Zeit fixirt, nachher beim Blicken auf
eine graue oder weisse Fläche ein deutliches negatives Nach-
bild des Streifens sichtbar wird. Ein solches Nachbild aber
soll stets die Folge der Ermüdung sein. Hiernach könnte
das Auge aus der fortwährenden Ermüdung gar nicht her-
auskommen; denn wo wir auch hinblicken, immer müsste
es ermüdet werden, und die einzige Abwechslung bestände
darin, dass die Ermüdung bald langsamer bald schneller
▼. Graefe's ArcUr fflr Ophthalmologie. XXXVII. 3. 1
2 E. Hering.
fortschritte. Anderseits ist es eine bekannte Tfaatsache,
dass wir des Abends nicht merklich schlechter sehen als
des Morgens, und dass dies auch dann noch der Fall ist^
wenn dem Tage eine in hellen Räumen durchwachte Nacht
und ein neuer schlafloser Morgen folgt Also einerseits
fortwährende Ermüdung und zwar eine so schnell vor sich
gehende, dass schon nach einer wenige Secunden währen-
den Fixirung eines weissen Objects auf dunklem Grunde
sich die Folgen der „Ermüdung*' durch ein deutliches nega-
tives Nachbild yerrathen, und anderseits trotz solcher fort-
währenden raschen Ermüdung keine merkliche Beeinträch-
tigung des Sehens selbst bei tagelanger Belichtung der
Netzhaut.
Dieser Widerspruch fiel Eugen Fick und A. Gür-
ber^) auf und sie suchten nach einer Lösung desselben.
Negatiye Nachbilder entstehen im Allgemeinen nur dann,
wenn das Auge ruhig gehalten wird; beim gewöhnlichen
Sehen aber ist das Auge fast fortwährend in Bewegung.
Hiermit schien ihnen die Lösung des Räthsels gegeben:
nur die Netzhaut des sozusagen künstlich festgehaltenen
Auges ermüdet, die Netzhaut des in natürlicher Weise be-
wegten Auges aber ermüdet nicht. Ganz in üebereinstim-
mung hiermit fanden sie die von Helmholtz u, A. aufge-
stellte Ansicht, dass Augonbewegungen die Nachbilder d. h.
die Folgen der Ermüdung wieder zum Verschwinden brin-
gen sollen. In den Bewegungen schien also der Grund der
Unermüdlichkeit des in gewöhnlicher Weise benutzten, näm-
lich mehr oder minder bewegten Auges zu liegen. Diese
Bewegungen sollen in irgend einer noch näher zu unter-
suchenden Weise den Blut- oder Lymphstrom befördern
und ihm dasjenige Ausmaass geben, welches nöthig ist, die
Ermüdungstoffe der Netzhaut immer in zureichender Weise
fortzuschaffen und neue Nährstoffe zuzuführen. Halten wir
^) Ueber Erholung der Netzhaut: Dies. Arch. XXXVI, 2, S. 246.
üeber Ermüdang and Erholung des Sehorgans. 3
das Auge ruhig, so yerlangsamt sich sogleich die Strömung»
und infolge dessen ent^ckebi sich Ermüdung und negative
Nachbilder.
So ungefähr folgerten Fick und Gürber, und schon
der erste Versuch, den sie zur Prüfung ihrer Hypothese
anstellten, schien ihnen dieselbe durchaus zu bestätigen.
Sie fixirten einen Buchstaben einer Druckseite so lange,
bis sich das Blatt mit einem „NebeP^ überzog, blickten
dann rasch nach einem daneben liegenden, sogar noch hel-
ler beleuchteten weissen Blatte und kehrten sofort mit dem
Blicke wieder zu dem zuvor fixirten Buchstaben zurück:
„der Nebel :war verschwunden^', obwohl, wie sie hervorheben,
die Netzhautstellen, welche das Bild der Druckseite em-
pfangen hatten, während der Abschweifung des Blickes so-
gar von hellerem Weiss getroffen worden waren imd also
nadi der Rückkehr des Blickes zum früheren Orte noch
stärker „ermüdet^ sein mussten, ak wenn die Fixirung des
Buchstabens ununterbrochen fortgedauert hätte. Durch die
Augenbewegung und die dadurch gesteigerte Saftbewegung
war, so schien es, der Nebel gleichsam „weggewischt'' worden.
In ganz anderer Weise habe ich seinerzeit^) die That-
sache zu erklären versucht, dass das Sehorgan trotz lange
anhaltendem Gebrauche functionsfähig bleibt, und noch vor
Kurzem') habe ich auseinandergesetzt, dass die Augenbe-
wegungen als solche keinen nachweisbaren Einfluss auf den
Verlauf der Nachbilder haben und dieselben nicht zum Ver-
schwinden zu bringen vermögen, wie dies auch Plateau
und Aubert angegeben haben. Somit erwächst mir die
Aufgabe, für meine ältere Auffassung gegenüber der neuen
einzutreten, was ich thun will, indem ich zuerst die Haupt-
versuche von Fiok und Gürber erörtere und zweckent-
^) Zur Lehre vom Lichtsinn. Sitzungsberichte der Wiener Aca-
demie 1872—1874.
*) Zeitschrift fflr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane.
L Bd. S. 20—23.
4 £. Hering.
entsprechende Abänderungen derselben beschreibe, weiterhin
aus älteren hierher gehörigen Erfahrungen Einiges mit-
theile und endlich jene Erklärung der ünermüdlichkeit des
Sehorgans kurz entwickle, welche sich aus der von mir
vertretenen Theorie des Lichtsinns ergiebt.
Fiok und Gürber's Hauptversuche.
Wenn man auf einem bedruckten Blatte einen bestimm-
ten Punkt eines Buchstabens unter Vermeidung des Lid-
schlages fest fixirt, so bemerkt man bald, dass die Buch-
staben an Schwärze verlieren. Der minder Geübte verdecke
mit einem unbedruckten Blatte von gleicher Weisse die
eine Hälfte des bedruckten und fixire einen bestimmten
Punkt eines Buchstabens in der Nähe der Grenzlinie des
unbedruckten. Zieht er nach 10—20 Secunden das weisse
Blatt weg, ohne die Augen irgend zu verschieben, so wer-
den ihm die zuvor verdeckt gewesenen Buchstaben merk-
lich schwärzer und, besonders bei sehr kleiner Schrift, auch
deutlicher erscheinen, als die übrigen, schon länger sicht-
bar gewesenen, lieber der unbedeckt gewesenen Hälfte
des Blattes scheint ein leichter Nebel zu liegen, weil Grund
und Buchstaben nicht mehr so auffallend in ihrer Hellig-
keit verschieden sind und sich minder scharf von einander
abheben.
Bei längerer Dauer des Fixirens zeigt sich dann in
mehr oder minder schneller Wiederholung ein Aufleuchten
heller Ränder an einer Seite der Buchstaben, bald nach
rechts, bald nach links, nach oben oder unten von den
Buchstaben. Dies ist die bekannte Folge jener unwillkür-
lichen kleinen Augenbewegungen, welche auch beim soge-
nannten festen Fixiren stets mehr oder weniger vorhanden
sind, aber anfangs nicht merklich werden, theils weil sie
Ueber ErmaduDg und Erholung des Sehorgan .
noch kleiner und seltener siDd, theils weil sie sich eben
erst durch das Aufleuchten der Ränder verrathen, welches
eine längere Fixation zur Voraussetzung hat Letzteres er-
kennt num wieder am besten, wenn man z. B. die rechte
Hälfte der Seite mit dem weissen Blatte yerdeckt, dann so
lange fixirt« bis das Aufleuchten sich zeigt, und nun das
Blatt wegzieht, ohne die Fixirung zu unterbrechen: die nun
sichtbar gewordenen Buchstaben zeigen zunächst keine Spur
von Aufleuchten, während dasselbe an den schon vorher
sichtbar gewesenen immer deutlicher wird.
Dieses sich gleichsam ruckweise wiederholende Auf-
leuchten heller Säume bringt nun eine immer mehr wach-
sende Unruhe in das Gesichtsfeld, die Buchstaben und die
hellen Säume scheinen wohl auch kleine Bewegungen zu
machen, als ob sie schwankten. In dem Maasse als das
Aufleuchten deutlicher wird, verliert auch das zwischen den
Buchstaben liegende Weiss des Grundes merklich an Hellig-
keit und erscheint neben den hellweissen Säumen mehr
grauweiss. Man hat bei alledem das Gefühl einer Art
Blendung, wozu sich ein lästiges Gefühl von Druck, Span-
nung xmd Wärme in den Augen gesellt. Es hängt von der
Stimmung des Sehorgans und von der Beleuchtung ab, ob
die beschriebenen Erscheinungen sich mehr oder minder
rasch entwickeln. Auch ist man zum festen Fixiren bald
mehr bald weniger befähigt.
Ich sagte oben, dass man einen bestimmten Punkt eines
Buchstabens fixiren, nicht bloss einen Buchstaben überhaupt
ins Auge fassen solle. Denn wenn man den Blickpunkt
innerhalb desselben Buchstabens immer wieder wechselt, so
ist es nicht möglich, das ganze beschriebene Phänomen so
schnell und deutlich sich entwickeln zu sehen.
Hat man einen Punkt so lange fixirt, bis die Buch-
staben deutlich an Schwärze verloren haben und verlegt
sodann den Blickpunkt durch eine entsprechend kleine Au-
genbewegung zwischen zwei Zeilen, so erscheinen die Buch-
6 E. Hering.
Stäben plötzlich wieder schwarz, weil ihre Bilder auf Netz-
hautstellen rücken, auf denen sich zuvor der weisse Grund
abbildete; auch kann man dabei mehr oder minder deut-
lich die helleren Nachbilder der zuvor fixirten Buchstaben
sehen. Jedenfalls verschwindet sofort der scheinbare Nebel,
der sich über den Buchstaben auszubreiten begonnen hatte.
. Verlegt man nach entsprechend langer Fizirung eines Punk-
tes der einen Zeile den Blickpunkt auf die nächst untere
oder obere Zeile, so sieht man deutlich, dass schwärzere
und mehr graue Buchstaben bezw. Buchstabentheile in re-
gelloser Folge nebeneinander liegen, weil die Nachbilder
der Buchstaben der erst fixirten Zeile sich nur mit einzel-
nen Theilen der Bachstaben der neu fixirten Zeile decken.
Man hat jetzt nicht mehr den Eindruck eines über der
Schrift liegenden Nebels, sondern den eines schlechten
Druckes mit ungleichmässig geschwärzten Buchstaben.
Hat man einen Punkt eines bedruckten Blattes so lange
fixirt, bis sich der „Nebel" zeigt, und nähert dann, unter
Vermeidung jeder anderweiten Verschiebung des Blattes,
dasselbe dem Auge, während man denselben Punkt unverän-
dert weiter fixirt, so werden die Buchstaben wieder schwär-
zer; ihre Netzhautbilder vergrössem sich und rücken theil-
weise oder ganz auf andere Theile der Netzhaut. Analoges
findet statt, wenn man das Blatt vom Auge entfernt.
Alle bis hierher beschriebenen Thatsachen sind nur
weitere Belege für die alte Erfahrung, dass beim anhalten-
den Fixiren einer Fläche, welche kleine dunkle Felder auf
hellerem Grunde zeigt, die dunklen Felder sich allmählich
aufhellen, während der Grund zugleich an Helligkeit ver-
liert, und dass nachher jede Verschiebung, Vergrösserung
oder Verkleinerung des Netzhautbildcs der dunklen Felder
dieselben theilweise oder gänzlich wieder dunkler, den
Grund theilweise wieder heller erscheinen lässt Wer diese
Erscheinungen noch nicht genauer aus eigner Erfahrung
kennt, wird übrigens gut thun, dieselben zunächst unter
lieber Ermüdang und Erholung des Sehorgans. 7
einfacheren Bedingungen zu beobachten, wofür im IL Ab-
schnitte einige Beispiele angeführt sind. —
Wenn E. Fick bei Lampenlicht einen Buchstaben nur
10 — 20 Secunden fixirte, sah er bereits die ganze Blatt-
seite sich mit einem Nebel überziehen. Warf er dann den
Blick plötzlich auf ein neben der Druckseite liegendes weis-
ses Blatt und kehrte sofort wieder zu dem ,,fixirten Buch-
staben" zurück, so war der Nebel verschwunden. Nach mei-
nen eigenen Beobachtungen ist hier streng zu unterschei-
den der Eindruck, den man erhält, sobald der Blick in die
Nähe des wieder zu fixirenden Punktes gelangt ist, ohne
denselben doch bereits wieder erfasst zu haben, und der
Eindruck, welchen man hat, sobald der Blick wieder genau
die alte Lage eingenommen hat. Auch wenn man die Au-
genbewegung möglichst rasch ausführt, erfolgt doch der
letzte Theil derselben relativ langsam. Sobald nämlich bei
der raschen Rückkehr des Blickes der Buchstabe oder viel-
mehr Punkt, den man wieder zu fixiren hat, in Sicht kommt,
bremst man gleichsam die Bewegung, um mit dem Blicke
nicht daneben zu treffen, und erst in diesem Momente kann
man sich von dem Aussehen der Schrift wieder eine ge-
wisse Rechenschaft geben. Die Schrift bildet sich jetzt noch
nicht wieder genau auf denselben NetzhautsteUen ab und
kann schon deshalb nicht so matt erscheinen, wie unmittel-
bar vor der Bew^ung; erst wenn der Blick wirklich den
anfänglichen Fixationspunkt wieder erfasst hat, ist das Aus-
sehen der Schrift maassgebend. Nun ist richtig, dass jetzt
die Buchstaben wieder schwärzer, minder nebelig erschei-
nen als vor Beginn der Bewegung; fixirt man aber jetzt
weiter, so verlieren sie viel schneller, als bei der ersten
Fixation, wieder an Schwärze und der „Nebel** stellt sich
viel eher ein, als damals. Das ist um so mehr der Fall,
je weniger Zeit die Bewegung in Anspruch genommen hat.
Es ist also offenbar von der ersten Fixirung her noch eine
Aenderung zurückgeblieben, d.h. die Nachbilder der Buch-
8 £. Hering.
Stäben sind während der Bewegung nicht ganz verschwun-
den. War die erste Fixirung eine längere gewesen, so be-
merkt man auch nach Ablauf der Bewegung sofort, dass
die Schrift keineswegs so schwarz und scharf erscheint, wie
beim Beginne des ganzes Versuches. Aber auch wenn die
Fixirung nur 10 bis 20 Secunden dauerte, kann man den
nach der Bewegung zurückbleibenden Rest von „Ermüdung^
leicht nachweisen, wenn man zuvor wieder die eine Hälfte
der Druckseite mit einem Blatt von gleicher Weisse be-
deckt und einen Punkt in unmittelbarer Nähe seiner Grenz-
linie fixirt hat. Zieht man das Blatt weg, sobald der Blick
nach Ablauf der Bewegung wieder zum anfänglichen Fixa-
tionspunkte zurückgekehrt ist, so sieht man deutlich, dass
die Buchstaben der bedeckt gewesenen Seite schwärzer er-
scheinen, als die wie mit einem leichten Nebel bedeckten
der anderen Seite. Fehlt die Möglichkeit dieser Yerglei-
chung, so kann man allerdings unter Umständen zu der
irrthümlichen Meinung kommen, die Buchstaben sähen nach
Ablauf wieder genau ebenso aus, wie beim Beginne des
Versuches. Die Augenbewegung ist also unter den ange-
gebenen Bedingungen zwar im Stande, den „Nebel" zu ver-
mindern, nicht aber ihn ganz zu beseitigen. Es ist selbst-
verständlich, dass die Verminderung des Nebels um so merk-
licher sein muss, je länger die Abschweifung des Blickes
gedauert hat; ich bedurfte zur Ausfuhrung der Bewegung
höchstens eine Secunde.
Es ist nun zu untersuchen, ob eine solche vorüber-
gehende Abschweifung des Blickes vielleicht nur dann ge-
nügt, die Nachwirkung der Fixirung gänzlich zu beseitigen,
wenn man der letzteren eine kürzere Dauer, z.B. von nur
5 Secunden giebt. Stellte ich den Versuch unter solchen
Umständen an, so sah ich gleichwohl nach der Rückkehr
des Blickes zum Fixationspunkte und nach Entfernung des
erwähnten weissen Blattes immer noch einen ganz deut-
lichen Unterschied beider Hälften der Druckseite in dem-
lieber Ermadung and Erholung des Sehorgans. 9
selben Sinne wie nach längerer Fixirung. Ja ich konnte
die Dauer der Fixirung noch weiter abkürzen, ohne dass
die Augenbewegung im Stande gewesen wäre, die Nachwir-
kung einer solchen Fixirung gänzlich aufzuheben. Da je-
doch schon bei einer Dauer der letzteren von 5 Secunden
möglicherweise dem Einen oder Anderen der Unterschied
beider Hälften der Druckseite nicht so merklich ist, wie
mir, so empfehle ich folgenden Versuch.
Nach einer Fixirung von fünf Secimden führe man
eine Augenbewegung aus, fixire dann wieder fünf Secunden,
mache wieder eine Augenbewegung, fixire nochmals fünf
Secunden u. s, f. Wenn jetzt jede einzelne Augenbewegung
die Nachwirkung der vorhergegangenen Fixirung vollstän-
dig wieder beseitigt, so können keine Reste der einzelnen
Nadhwirkungen zurückbleiben und sich also auch nicht so-
zusagen summiren. Ist aber das Gegentheil der Fall, so
wird sich trotz der eingeschalteten Augenbewegungen doch
das eingangs beschriebene Ermüdungsphänomen entwickelu,
wenn auch langsamer, als wenn die Fixirung nicht durch
Augenbewegungen unterbrochen worden wäre. Letzteres
ist nun in der That der Fall und zwar in ganz deutlicher
Weise.
Man fixire also einen bestimmten Punkt der Druck-
seite, indem man nach dem Tacte eines Secundenpendels
von 0 bis 5 zählt, blicke dann auf ein daneben liegendes
weisses Blatt und kehre sofort zum anfänglich fixirten
Punkte zurück, was im Laufe einer Secunde möglich ist,
so dass der Blick mit dem Pendelschlag 6 wieder auf dem
bezüglichen Punkte liegt. Nun fixire man weiter bis zum
Pendelschlag 11, führe wieder die Bewegung aus, fixire
nochmak bis zum Pendelschlage 17 u.8. f. Bald entwickelt
sich dann das beschriebene Phänomen, es zeigt sich allmä-
lig der „Nebel'' und selbst bis zum beschriebenen Auf-
leuchten der Bandscheine kann es kommen. Bis zu dem-
selben Grade, wie bei ununterbrochener Fixirung lässt sich
10 K Hering.
das ErmüduDgspbänomen nicht entwickeln, weil es mit der
Zeit immer langsamer zunimmt und schliesslich jene Grenze
erreicht, wo der kleine Zuwachs an „Ermüdung^* während
der Fixation durch die nachfolgende Verschiebung der
Netzhautbilder bei der Augenbewegung wieder aufgehoben
wird.
Selbst wenn ich bei solchen Versuchen die Augenbe-
wegung jede zweite Secunde wiederhole, so dass das Auge
abwechselnd eine Secunde fixirt und eine Secunde bewegt
ist, bin ich nicht im Stande, ein deutliches Mattwerden,
also das Auftreten eines leichten „Nebels** zu yerhüten, was
sich besonders dann ganz deutlich zeigt, wenn ich wieder
die halbe Blattseite mit einem gleichweissen Blatte verdecke
und z.B. nach einer 20 Secunden dauernden Versuchsreihe,
also nach Einschaltung yon 10 Augenbewegungen das weisse
Blatt unmittelbar nach Ablauf der zehnten Bewegung weg-
ziehe. Bei so häufig unterbrochener Fixirung kommt es
freilich nicht zu den höheren Graden des Phänomens, d.b.
zum Aufleuchten Ton Randscheinen.
Nachdem wir so den Einfluss der Augenbewegungen
auf das beschriebene Phänomen genauer kennen gelernt
haben, kommen wir zu der Frage, ob es die Augenbewe-
gung an sich ist, welche die Folgen der Fixirung zu einem
Theile wieder ruckgängig macht, oder ob es lediglich die
Unterbrechung der Fixirung und die während der Unter*
brechung yeränderte Belichtung der Netzhaut ist, oder ob
vielleicht beide Umstände in demselben Sinne wirken. Wäh-
rend der Blick vom fixirten Punkte weg nach dem neben-
liegenden weissen Blatte abschweift, treten an die Netzhaut-
stellen, auf welchen zuvor die Buchstaben dauernd abge-
bildet waren, in rascher Folge die Bilder anderer Buch-
staben, hierauf kurze Zeit hindurch die gleichmässige Be-
lichtung seitens des weissen Blattes, endlich bei der Rück-
kehr des Blickes abermals die rasch abwechselnden Bilder
von Buchstaben. Diese ganze Folge von Eindrücken lässt
Ueber £rmadang und Erholung des Sehorgans. 11
sich auch herstellen , wenn wir das Auge ganz unyerrüekt
festhalten, dagegen das bedruckte Blatt unter dem fest-
stehenden Blicke rasch zur Seite schieben, das weisse Blatt
an seine Stelle treten lassen und sofort das bedruckte Blatt
wieder in die alte Lage zurückschieben. Diese Bewegung
der Blätter haben wir beiläufig mit derselben Geschwindig*
keit auszufuhren, mit welcher zuvor die Blickbewegung voll-
zogen wurde. Ich erreichte dies Alles in folgender ein-
facher Weise.
Auf eine kleine ebene Papptafel wurde ein bedrucktes
und ein weisses Blatt aufgeklebt, so dass ersteres die rechte,
letzteres die linke Hälfte der Pappe bedeckte. An der
Schmalseite eines dicht neben einem Fenster stehenden
hohen Schrankes war eine lange, sehr dünne Latte aus
hartem Holze so aufgehängt, dass sie um einen durch ihr
oberes Endstück gehenden Drahtstift als Axe hin und her-
pendeln konnte. Am unteren Endstück der Latte wurde
die Papptafel befestigt Dieselbe trug nach rechts hin einen
Fortsatz, an welchem man sie fassen und auf der Wand
des Schrankes als Unterlage nach rechts und wieder in die
Mittellage zurückschieben konnte. Eine Verschiebung nach
links war durch eine Hemmung unmöglich gemacht Dicht
über der Pappe war eine grosse Glasscheibe so an der
Schrankwand befestigt, dass die Papptafel bei ihren Bewe-
gungen dicht unter dem Glase hinglitt Die Hinterfläche
der Glastafel trug einen kleinen schwarzen Punkt, welcher
der Mitte des bedruckten Blattes entsprach, wenn die Papp-
tafel sich in der Mittellage befand und also die Latte senk-
recht herabhing. Fizirte ich diesen Punkt und verschob
sodann die Pappe unter der Glastafel soweit nach rechts,
bis die Mitte des unbedruckten Blattes unter den fixirten
Punkt zu liegen kam, so verschoben sich die Bilder auf
der Netzhaut in ganz analoger Weise, wie wenn ich die
Papptafel unbewegt liess und den Blick von der Mitte des
bedruckten zur Mitte des unbedruckten Blattes bewegte.
12 E. Hering.
Ich stellte nun zunächst fest, wieviel Zeit eine rasche
Bewegung meines Blickes von der Mitte des einen Blattes
zur Mitte des anderen und wieder zurück in Anspruch nahm.
Es stellte sich heraus, dass ich zu zwanzig solchen Hin*
und Herbewegungen b.eiläufig zwanzig Secunden brauchte
so dass auf jede einzelne etwa eine Secunde entfiel. So*
dann wiederholte ich zuerst mit Benützung des Secunden-
pendels die oben beschriebenen Versuche, indem ich wie
dort die Papptafel unbewegt liess, z. B. 20 Secunden fixirte
und dann die Augenbewegung ausführte, oder indem ich
eine längere Fixation während jeder sechsten Secunde durch
eine Augenbewegung unterbrach u. s. f. Sodaim wiederholte
ich genau die analogen Versuche mit völlig unbewegten
Augen, indem ich nach einer Fixirung von 20 Secunden
die Papptafel während der nächsten Secunde nach rechts
und wieder zurückschob, oder bei ununterbrochener Fixi«
rung in jeder sechsten Secunde eine Bewegung der Papp-
tafel ausführte.
Wenn man bei diesen Versuchen während der Bewe-
gung der Papptafel seine Aufmerksamkeit nicht vorwiegend
auf den schwarzen Punkt der Glastafel richtet, sondern zu
viel auf die Buchstaben achtet, so erfolgt leicht eine unge-
wollte Augenbewegung, indem die bewegten Buchstaben den
Blick gleichsam nachziehen; man lernt aber sehr bald die
Augen trotz der Bewegung der Tafel festzuhalten. Nach
jeder Hin- und Herbewegung der Tafel kommt dieselbe
wieder ganz genau in die anfängliche Lage und die Buch-
staben bilden sich wieder genau auf denselben Netzhaut-
stelleu ab, wie vor der Bewegung.
Bei diesen Versuchen zeigte sich, dass es für die
Entwickelung und den Verlauf der sogenannten Er-
müdungserscheinungen ganz gleichgültig ist, ob
man die Tafel unbewegt lässt und die Augen be-
wegt oder umgekehrt: dass also nicht die Augen-
bewegung als solche, sondern lediglich die durch
üeber Ermüdung und Erbolang des Sehorgans. 13
diese Bewegung veränderte Belichtung der Netz*
haut die Nachwirkungen der Fixirung zum Theil
wieder beseitigt.
Hat man den Punkt auf der Glastafel so lange fixirt, bis
sich der „NeheP entwickelt hat, und verschiebt dann die Papp-
tafel ein wenig, während die Augen jenen Punkt weiter fixiren,
80 sieht man die Buchstaben theilweise wieder schwärzer wer-
den, wie dies oben als Folge einer entsprechend kleinen Yer-
Bchiebung des Blickpunktes beschrieben wurde. Hemmt man
bei der beschriebenen Hin- und Herbewegung der Tafel ihre
Bewegung beim Rückgange ein wenig, sobald sie der Anfangs-
lage bereits nahe ist, so erscheinen ebenfalls die Buchstaben
theilweise schwärzer als unmittelbar nachher, wenn die Papp-
tafel wieder genau in die alte Lage gekommen ist und die
Ketzhautbilder der Buchstaben wieder genau auf dieselben
Stellen fallen. Auch hier verhält sich Alles ebenso, wie wenn
man nach einer der beschriebenen Blickbewegungen die Bewe-
gung zu hemmen beginnt, noch ehe der Blick den anfänglichen
Fixationspunkt wieder erfasst hat.
Die Yermuthung Fick's und Gürber's, dass die Au-
genbewegungen als solche eine »JErmüdung^^ des Auges wie-
der zu beseitigen vermögen, hat sich also bei genauerer
Untersuchung des von ihnen beschriebenen Phänomens als
nicht begründet erwiesen. Ganz ebenso verhält es sich mit
dem Lidschlage, welchem die Genannten eine ähnliche Rolle
zuschreiben, wie den Bewegungen des Augapfels. Auch hier
lässt sich leicht zeigen, dass der Lidschlag, weil er dem
Auge eine kurz vorübergehende Erholung gewährt, die
„Ermüdung** zwar ein wenig zu verzögern, aber durchaus
nicht zu beseitigen vermag.
„Man fixire, sagt E. Fick, einen Buchstaben, bis die
ganze Blattseite trübe erscheint; nun blinzle man; der Nebel
ist verschwunden! Freilich kehrt er bei fortgesetztem Fixiren
bald wieder, weit schneller als wenn man ihn durch eine Au-
genbewegung ausgelöscht hätte. Immerhin ist der Yersuch voll-
kommen überzeugend, da kurzes Yerschieben eines schwarzen
Schirmes vor die fixirte Blattseite den Nebel nicht auslöscht.
Von einem Homhautnebel kann hierbei gar nicht die Rede
14 £. Hering.
sein, da man den fraglichen Nebel durch Angenbewegong noch
gründlicher wegwischen kann als durch Lidschlag. Es ist also
klar, dass der Lidschlag, ähnlich wie die Augenbewegnngen, im
Stande ist, die ermüdende Netzhaut zu erholen/^
Wenn ich einen bestimmten Punkt eines Buchstabens
fixire und nach dem Schlage eines Secundenpendels jede
fünfte Secunde einen Lidschlag ausführe, so entwickelt sich
mir nicht nur der beschriebene Nebel , sondern ich sehe
nach etwa 60 Secunden auch das Aufleuchten der hellen
Säume ganz deutlich. Blicke ich dann nach einer ganz
homogenen weissen Fläche, so sehe ich deutlich die hellen
negativen Nachbilder der Buchstaben, wenn sie auch nicht
so scharf sind, dass ich die Schrift im Nachbilde lesen kaim.
Bei grösserer Schrift gelingt mir übrigens auch letzteres
sehr leicht. Die Entwickelung des „Nebels", des Aufleuch-
tens und der Nachbilder erfolgt freilich merklich langsamer,
als beim Fixiren ohne Lidschlag.
Bedecke ich die Hälfte des bedruckten Blattes wieder
mit einem gleichweissen Blatte und fixire einen Punkt eines
am Rande dieses Blattes gelegenen Buchstabens, mache
dann jede Secunde einen Lidschlag und ziehe nach zehn
Secunden das weisse Blatt weg, so sehe ich ganz unver-
kennbar, dass auf der unbedeckt gewesenen Blatthälfte die
Schrift trüber erscheint, als auf der anderen. Setze ich
einen solchen Versuch 20 — 30 Secunden fort, so ist der
„Nebel" auf der imbedeckt gewesenen Seite natürlich ent-
sprechend deutlicher.
Dies Alles beweist zur Genüge, dass sich die Folgen
der „Ermüdung", wenn sie nicht sehr geringfügige sind,
durch Lidschlag nicht beseitigen lassen. Lisbesondere ist
dies nach einer Fixirungsdauer von 20 Secunden auch nicht
entfernt möglicL Nur wenn man nach Entstehung eines
deutlichen „Nebels" den Lidschlag so vollzieht, dass der
Blick nach Ablauf desselben nicht wieder genau auf den-
selben Punkt des fixirt gewesenen Buchstabens fallt oder
Ueber Ermüdung und Erholung des Sehorgans. 15
gar neben den letzteren oder auf einen anderen Buchstaben
zu liegen kommt, verschwindet der „Nebel^S weil sich jetzt
die Buchstaben nicht wieder genau auf denselben Netzhaut-
steilen abbilden, wie dies oben bereits erörtert wurde. Jeder
Lidschlag verschiebt auch den Augapfel ein wenig, wie man
sich leicht mit Hülfe der negativen Nachbilder überzeugen
kann (s. u.).
Dass auch die Accommodationsbewegungen nidit, wie
Fick und Gürber meinen, die Folgen der „Ermüdung** zu
beseitigen vormögen, wird weiter unten ausführlich gezeigt
werden.
IL
Bm&chere Versuche zum Beweise der Unabhängigkeit
der Nachbilder von Augenbewegungen.
Schon bei meinen ersten Untersuchungen über den
Raumsinn und die Bewegungen des Auges habe ich mich
vielfach der Nachbilder als eines methodischen Hülfsmittels
bedient und mich davon überzeugen können, dass weder
Augenbewegungen noch Accommodation, insoweit sie nicht
von Veränderungen der Netzhautbelichtung begleitet sind,
auf die Nachbilder einen merklichen Einfluss haben. Später
habe ich die Entstehung und den Verlauf der negativen
Nachbilder eingehend untersucht und dabei wieder zahl-
reiche hierhergehörige Erfahrungen gemacht. Mir schien
daher die vorliegende Frage längst entschieden. Gleichwohl
fiihlte ich mich verpflichtet, auch an den von Fick und
Gürber gewählten Beispielen zu zeigen, dass der Verlauf
der sogenannten Ermüdungserscheinungen von den Bewe-
gungen des Auges unabhängig ist.
Ich wiU noch einige Versuche auswählen, welche dies
in einfadherer Weise und noch eindringlicher darthun, als
die oben erörterten.
16 K Hering.
Bringt man auf einer ganz ebenen und mögliehst ho-
mogenen weissen Fläche einen dunklen Fleck an, z. B. eine
kleine Scheibe dünnen mattschwarzen Papiers, und fixirt
einen Punkt derselben, so übernimmt die schwarze Scheibe
dieselbe Rolle wie bei den Versuchen von Fick und Gar-
be r die schwarzen Buchstaben, nur lassen sich die Folgen
der Fixirung jetzt viel leichter beobachten; auch bleibt das
Netzhautbild der Scheibe beim Fixiren trotz kleinen unwill-
kürlichen Augenbewegungen nahezu auf derselben Netz-
hautstelle, während die schmalen Striche der kleinen Buch-
staben leicht auf vorher weissbeleuchtete Netzhautstellen
verschoben werden.
Fixire ich 10 bis 20 Secunden lang einen Punkt der
Scheibe, wie dies Fick mit den Buchstaben that, richte
dann schnell den Blick auf eine erheblich abseits liegende
Stelle, führe ihn aber sofort wieder in die Nähe der Scheibe
zurück und fixire einen in der Nähe derselben schon vor-
her markirten Punkt des weissen Grundes, so sehe ich jetzt
im Umkreise des Punktes das deutliche helle Nachbild der
Scheibe. Die Augenbewegung hat also dasselbe nicht zum
Verschwinden gebracht, auch wenn sie ebenso gross oder
noch grösser war, als bei den eingangs beschriebenen Ver-
suchen. Das Nachbild hat seine bestimmte Dauer; inner-
halb derselben kann ich die beschriebene Augenbewegung
beliebig oft, z. B. zehnmal wiederholen und doch sehe ich
nach der letzten Rückkehr des Blickes und sobald derselbe
wieder den erwähnten Punkt fixirt, immer noch das Nach-
bild, wenn auch schwach und minder deutlich. Zehn Au-
genbewegungen konnten also das Nachbild ebenfalls nicht
auslöschen. Fixire ich die Scheibe nur fünf Secunden und
führe dann eine Augenbewegung aus, so sehe ich doch wie-
der das Nachbild. Ganz analoge Versuche lassen sich mit
einer weissen Scheibe auf schwarzem Grunde und mit einer
grauen auf weissem oder schwarzen Grunde ausfuhren. Je
grösser der Helligkeitsunterschied zwischen der Scheibe und
Ueber Ermüdung und Erholung des Sehorgans. 17
dem Grande ist und je länger die Fixirung dauert, desto
dauerhafter ist nachher das Nachbild, möge man nun Au-
genbewegungen ausführen oder nicht.
Auch die Entstehung eines deutlichen Nachbildes
lässt sich durch Augenbewegungen nicht hindern. Fixire
ich einen bestimmten Punkt der schwarzen Scheibe auf
weissem Grunde nach dem Tacte eines Secundenpendels
eine Secunde lang, mache nach dem zweiten Pendelschlage
rasch eine Augenbewegung in dem von Fick gewählten
Ausmaasse, fixire wieder während der dritten Secunde, mache
nach dem vierten Pendelschlage abermals eine Bewegung
u. s. f. bis etwa zum zwanzigsten Pendelschlage, so sehe ich,
wenn ich nunmehr einen Punkt der weissen Fläche fixire,
ein deutliches helles Nachbild, dessen allmälige Entwicke-
lung ich übrigens noch während des Versuchs sehr gut be-
merke, weil es sich schon nach wenigen Pendelschlägen
immer in dem Momente zeigt, wo der rasch seitwärts ab-
gelenkte Blick anhält, um zur Scheibe zurückzukehren.
In den ersten Paragraphen meiner Mittheilungen „zur
Lehre vom Lichtsinn'' habe ich eine Reihe yon Erscheinuii-
gen besprochen, welche man an Nachbildern im geschlosse-
nen und verdunkelten Auge beobachtet. Ich hatte bei sol-
chen Versuchen reiche Gelegenheit festzustellen, dass Au-
genbewegungen den gesetzmässigen Verlauf dieser Nach-
bilder gar nicht merklich beeinflussen. Auch habe ich zahl-
reiche Versuche in einem Zimmer angestellt, welches voll-
ständig verdunkelt werden konnte, nachdem ich mir das
Nachbild erzeugt hatte. Hier hatte ich den Vortheil, die
Augenbewegungen bei ebenfalls offenen Augen ausführen
zu können. Nie war es mir möglich, ein irgend deutliches
Nachbild durch Augenbewegungen, auch wenn sie ungewöhn-
lich gross und lebhaft waren, zum Verschwinden zu brin-
gen. Wenn man freilich eine Bewegung gerade dann aus-
führt, wenn das Nachbild ganz von selbst im Verschwinden
begriffen ist, so kann es zufällig während der Bewegung
T. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. XXXVII. 3. 2
18 K Hering.
YoUeuds verschwindon. Doch kehrt es wieder, wenn dieses
Verschwinden nach dem Gesetze des Nachbildverlaufs nicht
sein letztes Verschwinden war ^). Möglich, dass für Manche
ein äusserst schwaches Nachbild unbemerklich wird, wenn
ihre Aufmerksamkeit wegen der auszuführenden Bewegung
getheilt ist, aber dies hätte mit der hier vorliegenden Frage
nichts zu thun.
E. Fick sagt, „dass es sich bei geschlossenem Auge
in der Regel um positive Nachbilder handle^S und dass er
das Erlöschen durch Augenbewegungen nur von negativea
Nachbildern behaupte. Aber es steht doch ganz im Be-
lieben des Experimentirenden, sich entweder positive oder
negative Nachbilder zu erzeugen. Gesunde Augen erhalten
von jedem hellen Objecto auf dunklem Grunde (oder um-
gekehrt), wenn sie es 10, 20 oder 30 Secunden fixiren, in
dem verdunkelten Auge ein negatives Nachbild, vorausge-
setzt, dass die Helligkeit des Objectes oder Grundes keine
leuchtende war, wie z.B. die einer Flamme oder Lampen-
glocke, in welchem Falle auch deutliche positive Phasen des
Nachbildes auftreten. An den ersterwähnten Nachbildern
aber erfordert es sogar besondere Aufmerksamkeit wahrzu-
nehmen, dass das negative Nachbild nach längerem Beste-
hen nicht bloss vorübergehend verschwindet, sondern dass
sich zwischen sein Verschwinden und eventuelles Wieder-
erscheinen eine schwache positive Phase einschiebt, die frei-
lich oft genug überhaupt nicht merklich wird. Im Obigen
habe ich immer nur von negativen Nachbildern gesprochen,
weil Fick und Gürber nur solche im Sinne hatten.
') Interessant ist bei solchen Versuchen die geringe scheinbare
Ortsver&nderung, welche das Nachbild erfährt, selbst wenn man sehr
ausgiebige Augenbewegungen macht; man erh< bei starken Blick-
wendungen den Eindruck, als läge der vermeintlich fizirte Punkt des
dunklen Gesichtsfeldes viel weiter seitwärts als das der Netzhaut-
mitte entsprechende Nachbild.
Ueber ErmQdang und Erholung des Sehorgans. IQ
Schon Aubert^) hat bemerkt, dass wenn er sich das
Nachbild mehrerer Quadrate auf andersfarbigem Grunde
erzeugt hatte, die Nachbilder der einzelnen Quadrate nicht
gleichzeitig verschwanden bezw. wieder auftauchten, was eben-
falls zeigt, dass das Verschwinden nicht auf Augenbewegungen
zurückzuführen ist, weil ja sonst diese Bewegung alle Nachbil-
der, die nicht allzu energisch sind, zugleich „wegwischen^* würde.
Ein nur theilweises Verschwinden und Wiederauftauchen eines
Nachbildes oder Nachbildercomplexes ist überhaupt etwas
sehr Gewöhnliches. Ich habe dasselbe auch willkürlich in
folgender Weise herbeigeführt: Neben einen schwarzen Punkt
auf einer weissen Fläche legte ich z. B. in 5 mm Abstand
vom Punkte einen centimeterbreiten kurzen Streifen von
schwarzem Papier und fixirte den schwarzen Punkt zehn
Secunden. Mit Beginn der elften Secunde brachte ich schnell
einen ganz gleichen Streifen auf die andere Seite des immer-
fort fixirten Punktes, so dass der Streifen von letzterem
ebenfalls um 5 mm abseits und dem ersten parallel lag.
Nach weiteren 10 Secunden entfernte ich rasch den ersten
Streifen und fixirte dann den Punkt noch 10 Secunden
weiter. So kamen also auf jeden Streifen 20 Secunden Ex-
positionszeit, aber beide Expositionszeiten waren um 10 Se-
cunden gegeneinander verschoben. Infolgedessen liefen nun
auch die verschiedenen Phasen beider Nachbilder nicht
gleichzeitig ab, gleichviel ob ich nachher die Augen ge-
schlossen oder auf eine homogene Fläche gerichtet hatte.
Solche Versuche lehren nun aufs Eindringlichste die Un-
richtigkeit der Ansicht von Helmholtz, dass das vorüber-
gehende Verschwinden der Nachbilder auf Augenbewegun-
gen oder anderen Zufälligkeiten beruhe und also keine ge-
setzmässige, im Wesen der Nachbilder selbst begründete
Erscheinung sei, weil jedes der beiden Nachbilder für sich
und ganz unabhängig von den Augenbewegungen seine ver-
>) Physiologie der Netzhaut S. 375.
2*
20 £• Hering.
schiedenen Phasen durchläuft. Mit Hülfe kleiner mechani-
scher Kunstgriffe lassen sich solche Versuche, die auch in
anderen Beziehungen sehr belehrend sind, auf ganz exacte
Weise ausfuhren.
Die Ansicht, dass Nachbilder durch Augenbewegungen
zum Verschwinden gebracht werden können, ist offenbar
dadurch entstanden, dass bei Blickbewegungen mit offenen
Augen und in einem mit allerlei Unterscheidbaren erfüllten
Gesichtsfelde ein zuvor erzeugtes Nachbild immer nur dann
gesehen wird, wenn der Blick eben still hält, und dass es
dabei jedesmal von neuem zu entstehen scheint. Dies würde
freilich nicht für, sondern nur gegen £. F ick 's Hypothese
angeführt werden können. Denn dass das Nachbild nach
einer Augenbewegung wieder gesehen w^ird, beweist, dass
die sogen. Ermüdungserscheinungen durch die Bewegmig
nicht beseitigt w^erden können.
Der Vorgang bei einer Bewegung der offenen Augen
ist gewöhnlich folgender: Ein mehr oder minder indirect
gesehenes Object zieht unwillkürlich imsere Aufmerksam-
keit auf sich oder wird von vorn herein willkürlich zum
Gegenstande derselben gemacht. Hierdurch wird dieses zu-
nächst indirect gesehene Object zum Zielpunkte einer Be-
wegung der Augen, welche sozusagen ganz von selbst der
Ortsveränderung der Aufmerksamkeit folgen. Die Bewegung
selbst erfolgt sehr rasch und sozusagen in einem Sprunge.
Entsprechend rasch gleiten die Netzhautbilder über die
Netzhaut, viel zu rasch, um eine Unterscheidung der be-
züglichen Objecte zu gestatten. Thatsächlich unterscheidet
man dieselben nur vor Beginn und gegen Ende oder nach
Ende der Bewegung, im indirecten oder directen Sehen.
Giebt man sich Mühe, die zwischen dem Ausgangs- und
Endpunkt einer Blickbahn gelegenen Dinge zu unterschei-
den, so hat das lediglich zur Folge, dass man statt eines
grossen Blicksprungs eine Reihe kleinerer ausführt. Hier-
von überzeugt mau sich sehr leicht, wenn man sich ein
üeber Ermüdung and Erholang des Sehorgans. 21
kleines sehr deutliches Nachbild auf der Stelle des directen
Sehens erzeugt. Ich bin nicht im Stande, den Blick mit
einer beliebigen, ganz gleichmässigen Langsamkeit über
eine bedruckte oder auch unbedruckte Seite hin wegzuführen;
immer geht der Blick sprungweise vorwärts^).
Eine langsamere und doch stetige Bewegung der Augen
lässt sich nur dadurch erzielen, dass man den eben fixirten
Punkt langsam und stetig verschiebt, wobei die Augen getreu
der Ortsänderung des fixirten Objectes folgen, oder dadurch,
dass man während man einen Punkt fixirt, den Kopf langsam
wendet oder im Räume verschiebt. In beiden Fällen darfen
die Bewegungen nicht zu rasch sein, weil sonst wieder ruck-
weise erfolgende Augenbewegungen eintreten. Ein dauerhaftes
Nachbild gestattet auch hier, das Verhalten der Augen fort-
während zu controliren.
Da wie gesagt beim gewöhnlichen Gebrauche der Au-
gen jeder Blickbewegung eine Ortsveränderung der Auf-
merksamkeit vorangeht, indem dieselbe von der Stelle des
directen Sehens abgewendet und einer excentrischen Stelle
zugewendet wird, so befindet sich auch ein auf der
Stelle des directen Sehens liegendes Netzhautbild
unmittelbar vor und während der schnellen Blick-
bewegung gar nicht da, wo eben die Aufmerksam-
keit ist, und erst mit Schluss der Bewegung fällt
der Ort des Nachbildes wieder mit dem Orte der
Aufmerksamkeit zusammen.
*) Wenn ich meine Gesichtslinien symmetrisch oder nach links
convergiren lasse und dann die Augen sich selbst überlasse, so glei-
ten sie langsam bis zu einem gewissen Grade nach rechts, wie ich
an der ganz gleichmässigen Bewegung des erwähnten Nachbildes
erkenne. Sobald ich aber willkürlich in diese Spontanbewegung
eingreife, sie z. B. zu beschleunigen oder zu verlangsamen suche,
wird sie wieder eine sprunghafte. Uebrigens tritt jene Spontanbewe-
guDg ausschliesslich in der genannten Richtung auf und ist wahr-
scheinlich in meiner Kopfhaltung beim Lesen und Schreiben und
dem dadurch bedingten unsymmetrischen Gebrauche des motorischen
Apparates begründet.
22 E. Hering.
Dazu kommt nun, dass wenn die Blickbahn keine ab-
solut gleichartige ist, sondern allerlei ünterscheidbares ent-
hält, die Belichtung der dem Nachbilde entsprechenden
Netzhautstelle rasche Aenderungen erleidet, welche noth-
wendig das Nachbild alteriren müssen, und nach Ablauf
der Blickbewegung eine wenn auch noch so kurze Zeit nach-
wirken. Dass besonders ein schwaches Nachbild leiden muss,
wenn sich über seine Netzhautstelle eine ganze Reihe an-
derer Netzhautbilder hinwegschiebt und wären es auch nur
die Bilder der Ungleichartigkeiten (des Kornes oder der
Faseruug) oder der Knickungen eines weissen oder schwar-
zen Papiers, ist eigentlich selbstyerständlich.
Es lässt sich leicht durch den Versuch zeigen, wie die
Wahrnehmimg von Nachbildern durch darüber hinwegglei-
tende andere Netzhautbilder gestört wird. Ich lege z. B.
eine kleine schwarze Scheibe auf eine horizontale Glasplatte,
welche im Abstände von ^2 — ^ ^^ ^^^^ einer Tischplatte
befestigt ist. In einiger Entfernung von der schwarzen
Scheibe befindet sich auf dem Glase ein schwarzer Punkt.
Nachdem ich die Mitte der kleinen Scheibe einige Zeit
fixirt habe, während unter der Glasplatte ein weisses Blatt
liegt, fixire ich den schwarzen Punkt und sehe jetzt das
negative Nachbild der Scheibe als helleren Kreisfleck. Dann
schiebe ich ein bedrucktes Blatt unter die Glasplatte und
bewege es hin und her, während ich den Punkt unverän-
dert fortfixire. Hierbei kann man nun oft genug sehen,
wie das Nachbild, besonders wenn es schon verblasst ist,
während der Bewegung des bedruckten Blattes verschwin-
det und erst wieder auftaucht, sobald man das Blatt ruhig
hält. Da bei alledem eine Augenbewegung nicht stattfindet,
so kann hier das zeitweilige Verschwinden des Nachbildes
nur durch die wechselnde Belichtung der Netzhaut veran-
lasst worden sein. Ein schwaches Nachbild wird, wie sich
leicht zeigen lässt, schon merklich alterirt, wenn seine Um-
gebung und zwar sogar in ziemlicher Entfernung vom Nach-
lieber firmadong und Erholung des Sehorgans. 23
bilde eine yeräuderte Belichtung erfährt. Dies hat seinen
Grund in der Wechselwirkung der Sehfeldstellen und zum
Theile auch darin, dass die AugeDmedien nicht ganz homo-
gen sind und daher immer mehr oder weniger Licht von
der Bahn abirrt^ die wir ihm theoretisch zuschreiben. Die-
ses abirrende Licht trifft eine Netzhautstelle um so reich«
licher, je näher sie einem hellen Netzhautbilde liegt
Alle hier aufgezählten Fehlerquellen lassen sich nur
dann ToUständig ausschliessen, wenn man nach Erzeugung
des Nachbildes die Augen Tollständig verdunkelt und dann
die Augenbewegungen ausführt.
Hat man ein kleines Feld auf hellerem oder dunklerem
Grande anhaltend fixirt und wendet dann den Blick auf einen
Punkt des Grundes, so vergeht eine gewisse wenn auch kurze
Zeit, ehe das negative Nachbild seine grösste Deutlichkeit er-
langt hat. Dies ist jedoch keineswegs die Folge der inzwischen
erfolgten Augenbewegnng. Jedes negative Nachbild bedarf nach
dem Verschwinden des Vorbildes eine gewisse Zeit zu seiner
vollen Entwickelang. Man überzeugt sich hiervon, wenn man
nach der Fixirung des kleinen Feldes dasselbe von der Fläche
des Grandes verschwinden lässt, ohne die Augen irgend zu be-
wegen, was sich mit Hülfe besonderer Vorrichtungen in der
exactesten Weise erreichen lässt.
Ich komme zur Besprechung des Einflusses, welchen
der Lidschlag auf die Entwickelung eines Nachbildes oder
auf den weiteren Verlauf eines bereits entwickelten hat.
Man fixire den weiss markirten Mittelpunkt einer kleinen
schwarzen Scheibe von etwa 2 cm Durchmesser auf weissem
Grunde 20 Secunden, entferne dann die schwarze Scheibe
mit einer Pincette und merke sich die Beschaffenheit des
jetzt auf dem weissen Grunde erscheinenden negativen Nach-
bildes. Hierauf beschäftige man die Augen einige Zeit an-
derweit in gewöhnlicher Weise und wiederhole denselben
Versuch, mache aber bei jedem Schlage eines Secunden-
pendels einen Lidschlag, im Ganzen also zwanzig, und be-
obachte wieder das Nachbild. Man wird es gleichwohl ganz
24 £. Hering.
gut entwickelt finden. Hierauf wiederhole man nach ent-
sprechender Pause den Versuch nochmals, mache aber jede
Secunde zwei Lidschläge, also zusammen 40; abermals wird
man ein deutliches Nachbild sehen. Ich kann sogar bei
solchen Versuchen drei Lidschläge in jeder Secunde machen,
ohne dadurch die Entwickelung eines Nachbildes verhindern
zu können. Natürlich ist das Nachbild um so weniger ener-
gisch, je häufiger die Lidschläge waren, aber ich sehe es,
wenn ich z. B. zwanzig Lidschläge während einer zehn Se-
cunden dauernden Fixirung gemacht habe, nachher länger
als zehn Secunden ganz deutlich.
Man kann auch vergleichende Versuche mit beiden
Augen zugleich machen, indem man die Lider des einen
Auges mit zwei gespreizten Fingern festhält, so dass der
Wille und die Innervation zu beiderseitigem Lidschlage
nur am einen Auge Lidschluss bewirkt, während das an-
dere dauernd oflfen bleibt Man legt einen etwa centimeter-
breiten schwarzen Streifen in der Medianebene des Kopfes
auf ein weisses Blatt und zeichnet rechts und links davon
ein kleines schwarzes Kreuz auf das weisse Papier in je
einem Abstände von 5 mm vom Streifen und so, dass beide
Kreuze einander ganz gleich und ihre Schenkel parallel
sind. Hierauf stellt man die linke Gesichtslinie auf die
Mitte des linken, die rechte auf die des rechten Kreuzes
ein, so dass beide binocular verschmelzen. Man sieht jetzt
ein einfaches Kreuz und rechts und links davon einen
schwarzen Streifen^). Die Mitte des Kreuzes fixirt man
nun z.B. zwanzig Secunden und macht jede Secunde einen
Lidschlag, der aber wie gesagt nur am einen Auge zum
Lidschluss führt. Nachher fixirt man einen markirten Punkt
der weissen Fläche und beobachtet das Nachbild. Jeder
^) Wenn ich den Versuch mit gekreuzten Gesichtslinien an-
stellte, so verschob sich das Auge, dessen Lider ich festhielt, bei
jedem Lidschlage viel stärker, als bei der oben beschriebenen Ver-
suchsweise.
üeber £rmüdaiig und Erholaog des Sehorgans. 25
Streifen hat ein deutliches Nachbild erzeugt, doch ist das
des periodisch verdeckt gewesenen Auges Ton geringerer
Eindringlichkeit bezw. Dauer. Der Versuch eignet sich nur
für Geübtere.
Es ist also unter irgend günstigen Umständen, wie sie
z. B. das Fixiren kleiner schwarzer Felder auf weissem
Grunde bietet, nicht möglich, das Entstehen des Nachbildes
durch periodisch wiederkehrenden Lidschlag zu verhindern.
Ebensowenig ist es möglich, ein bereits deutUch entwickel-
tes Nachbild durch Lidschläge wieder zu beseitigen. Man
fixire einen schwarzen Streifen auf weissem Grunde 10 bis
20 Secunden, fixire dann einen Punkt des. weissen Grundes
und versuche, das Nachbild durch Lidschläge zu vernichten:
man wird zwar bei jedem Lidschlage eine momentane Aen-
derung des Nachbildes sehen, aber das Nachbild bleibt.
Dasselbe ist der Fall bei dem Nachbilde eines kleinen weis-
sen Feldes auf schwarzem Grunde. Nach einer Fixirungs-
dauer von nur fünf Secunden konnte ich ein Nachbild noch
nach 15 Secunden sehen, obwohl ich inzwischen 30 Lid-
schläge ausgeführt hatte.
Einen gewissen Einfiuss muss freilich der Lidschlag
auf das Nachbild haben, nämlich denselben, den eine perio-
disch wiederkehrende Verdunkelung des Auges von gleicher
Dauer wie beim Lidschlage auch haben würde. Deshalb
ist es auch hier am besten, die Versuche in einem Zimmer
anzustellen, welches sich unmittelbar nach Erzeugung des
Nachbildes vollständig verdunkeln lässt. Hier kann man
blinzeln, so viel man will, ohne dass das Nachbild
irgendwie anders verläuft als ohne jeden Lidschlag.
Auch den Einäuss der Accommodation, welche nach
Fick und Gürber ebenfalls die negativen Nachbilder be-
seitigen soll, untersucht man am besten in einem solchen
Zimmer oder bei geschlossenen und überdies verdeckten
Augen. Freilich ist dazu nöthig, dass man auch bei ver-
dunkelten Augen im Stande ist, abwechselnd für seinen
26 £• Hering.
Nahepunkt und seinen Fempunkt einzustellen. In der That
hat eine schnelle maximale Accommodation für die Nähe
bei mir einen , allerdings äusserst schwachen aber doch
eben noch bemerklichen Einfluss auf das Aussehen des
deutlich entwickelten Nachbildes; aber die spur weise Hel-
ligkoitsänderung, welche ich am Nachbilde beobachten kann,
verschwindet sofort wieder und beeinfiusst nicht irgend
merklich die Dauer des Nachbildes. Auch im übrigen Seh-
felde, besonders nach seiner Peripherie hin, beobachte ich
dabei äusserst schwache Helligkeitsänderungen ^). Da sich
unter den angegebenen Umständen mit der Accommodation
für die Nähe stets eine Einwärtsdrehung der Augen ver-
bindet, so ist der Versuch zwiefach beweisend. Habe ich
mir in einem Auge das Nachbild eines kleinen schwarzen
Feldes auf weissem Grunde erzeugt, fixire dann einen Punkt
der weissen Fläche und accommodire unter dauernder Be-
obachtung des Nachbildes maximal für die Nähe, wobei
das andere Auge immer geschlossen bleibt, so bemerke ich,
abgesehen von den kleinen, dabei unvermeidlichen Ortsän-
derungen des Nachbildes nur eine schwache vorübergehende
Helligkeitsabnahme des ganzen Gesichtsfeldes, welche natür-
lich auch Einfluss auf das Nachbild nimmt, ohne dasselbe
jedoch wesentlich zu ändern. Sobald ich dann wieder für
die Entfernung des Papieres accommodire, erscheint mir
das Nachbild nach wie vor in derselben Deutlichkeit. Die
schwache Helligkeitsänderung des ganzen Gesichtsfeldes ist
die Folge der raschen und starken Verengerung meiner Pu-
pille bei der starken Accommodationsanstrengung für die
Nähe. Auch bei geschlossenen, aber gegen die Fenster ge-
richteten Augen sehe ich bei jeder starken Accommodation
für die Nähe eine deutliche Helligkeitsminderung des Seh-
^) Dabei setze ich ein nicht längere Zeit für Dunkel adaptirtes
Auge voraus; denn in einen solchen können starke Accommodations-
Änderungen oder Augenhewegangen sehr deutliche Erscheinungen
herbeifahren.
Ueber Ermadong und Erholung des Sehorgans. 27
feldes infolge der Pupillen Verengerung, umgekehrt wieder
Aufhellung beim Nachlassen der Accommodationsanstrengung.
Das Nachbild kann dabei schwache Helligkeits- und Far-
beuänderungen, unter Umständen auch Veränderungen der
Schärfe seines Umrisses zeigen. Diese Aenderungen hier
näher zu beschreiben, erscheint überflüssig, weil der Ge-
sammtverlauf des Nachbildes durch diese Accommodations-
änderungen nicht irgend merklich geändert wird und ein
Torher deutliches Nachbild auch nachher deutlich bleibt.
Eine merkliche Abschwächung oder gar Verschwinden des
Nachbildes ist nachher nie zu beobachten, falls nicht das
Nachbild ohnedies schon äusserst schwach bezw. im Ver-
schwinden begriffen war. Massige Accommodationsänderun-
gen haben auf die Nachbilder wie auf das ganze Sehfeld
überhaupt keinen Einfluss, weil sie nicht, wie die maximale
Accommodation die Netzhaut mechauisch reizen.
Fixirt man, nachdem man sich ein deutliches negatives
Nachbild erzeugt hat, einen markirten Punkt auf einer mög-
lichst homogenen und ganz ebenen Fläche und nähert die-
selbe dem Gesichte, so wird das Nachbild scheinbar kleiner,
entfernt man die Fläche, so wird es grösser. Obgleich man
dabei abwechselnd für die Nähe und Feme accommodirt,
ändert sich doch dabei nichts Wesentliches an der Deut-
lichkeit des Nachbildes, wenn man nur dafür sorgt, dass
die Beleuchtung der Fläche eine ganz gleichmässige bleibt.
Noch bequemer ist es, das Gesicht der Fläche näher und
wieder femer zu bringen. Jedenfalls ist es nicht möglich,
ein gut entwickeltes Nachbild auf diese Weise dauernd ver-
schwinden zu machen oder auch nur seine Dauer irgend
wesentlich abzukürzen, auch wenn man die Versuche ohne
besondere Vorsorge für eine möglichst gleichbleibende Be-
lichtung der Netzhaut anstellt.
Da meine Accommodationsbreite bereits sehr abgenom-
men hat und man hierin, wenngleich kaum mit Recht, den ^
Grand für das negative Ergebniss obiger Versuche suchen
28 E. Hering.
könnte, so bat ich Herrn Dr. Sachs dieselben zu wieder-
holen. Auch er fand keinen Einfluss der Accommodation
auf den Verlauf der negativen Nachbilder.
III.
Erklärung der Unermüdlichkeit des Sehorgans.
Wir können das psychische und das somatische Seh-
feld unterscheiden. Das erstere besteht in jedem Augen-
blick aus der Gesammtheit der räumlich ausgedehnten Ge-
sichtsempfindungen; das letztere wird von den Netzhäuten,
den Sehnerven und den zugehörigen Himtheilen gebildet
Wer sich dasselbe derart aus Einzeltheilen zusammengesetzt
denken will, dass jeder derselben von der Netzhaut bis ins
Gehirn reicht, darf nie vergessen, dass das somatische Seh-
feld ein in sich zusammenhängendes organisches Ganzes ist
und dass funktionelle Aenderung eines Theiles zugleich
Aenderungen in allen übrigen und besonders den nächsfc-
benachbarten Theilen hervorruft, und jeder Reiz nicht nur
direct auf den betroflfenen Theil, sondern indirect auch
auf alle übrigen wirken kann. Die jeweiligen Zustände die-
ses somatischen Sehfeldes bestimmen den jeweiligen Inhalt
des psychischen Sehfeldes.
Insoweit nur die farblosen Gesichtsempfindungen in
Betracht kommen, lassen sich die wechselnden Zustände
des somatischen Sehfeldes in folgende drei Gruppen bringen:
1. Der Zustand des Gleichgewichtes zwischen Verbrauch
und Ersatz, zwischen Dissimilirung und Assimilirung
der lebendigen Substanz: D = A. Hierbei ändert sich
trotz fortwährendem Stoffwechsel die Beschaffenheit
der lebendigen Substanz nicht.
2. Die Zustände, bei welchen der Verbrauch den gleich-
zeitigen Ersatz mehr oder weniger überwiegt: D > A.
Diese Zustände habe ich als die der absteigenden
Aenderung bezeichnet.
Ueber Ermüdung and Erholong des Sehorgans. 29
3. Die Zustände» bei welchen der Ersatz den gleichzei-
tigen Verbrauch überwiegt: A>>D. Dies sind die Zu-
stände der aufsteigenden Aenderung.
Wie man sieht, könnte man die absteigende Aenderung
auch als ermüdende, die aufsteigende als erholende
Aenderung bezeichnen.
Dem durch die Formel D = A bezeichneten Zustande
im somatischen Sehfelde entspricht im psychischen eine
Empfindung, welche ich als neutrales Grau bezeichnet habe,
d. i. eine Empfindung Ton bestimmter massiger Helligkeit
oder, wenn man so will, Dunkelheit. Den Zuständen der
absteigenden Aenderung (D >> A) entsprechen alle (farb-
losen) Empfindungen, welche heller, den Zuständen aufstei-
gender Aenderung (A >> D) alle, welche dunkler sind als
jenes neutrale Grau. Je grösser die Geschwindigkeit der ab-
steigenden Aenderung, desto heller ist die Empfindung, desto
mehr nähert sie sich dem hellsten Weiss; je geschwinder
die aufsteigende Aenderung, desto dunkler ist die Empfin-
dung, desto näher dem* tiefsten Schwarz.
Hiernach ist also jedes hellere Grau oder Weiss (als
Empfindung genommen) das psychische Symptom einer ab-
steigenden Aenderung im entsprechenden Theile des soma-
tischen Sehfeldes, ein Zeichen dafür, dass der Verbrauch
den Ersatz überwiegt imd dass der betroffene Theil ermü-
det Umgekehrt ist jedes dunklere Grau ein Zeichen da-
für, dass der Wiederersatz den gleichzeitigen Verbrauch
überwiegt, dass der betroffene Theil iü aufsteigender Aen-
derung begriffen ist und sich also erholt. Beides gilt um
so mehr, je heller ersteren Falls die graue oder weisse, je
dunkler letzteren FaUs die graue oder schwarze Empfin-
dung ist.
Nach dieser Auffassung kann eine Ermüdung und
entsprechende Abnahme der Erregbarkeit für Licht
an denjenigen Stellen des somatischen Sehfeldes,
30 £• Hering.
welche uns eben ein dunkleres Grau, ein Grau-
schwarz oder Schwarz empfinden lassen, gar nicht
in Frage kommen; vielmehr sind eben diese Em-
pfindungen ein Zeichen dafür, dass die bezüglichen
Theile in der Erholung begriffen sind und dass
ihre Erregbarkeit für Licht im Wachsen ist.
Fixirt man also, wie dies E. Fick^) that, ein kleines,
schwarzes Feld auf noch schwärzerem Grunde, so wird das
nachher bemerkliche Nachbild nicht dadurch verursacht,
dass das schwache Licht des kleinen schwarzen Feldes auf
den betroflfenen Theil ermüdend gewirkt, sondern dadurch,
dass dieser Theil sich minder geschwind und deshalb we-
niger erholt hat, als die dem umgebenden, noch lichtschwär
cheren Grunde entsprechenden Theile, daher schliesslich
die Erregbarkeit der letzteren grösser ist, als die des erste-
ren. In diesem Falle wäre also das Nachbild viel-
mehr als eine Erholungserscheinung aufzufassen,
nicht aber, wie Helmholtz*), E. Fick und Gürber
dies thun, als eine Ermüdungserscheinung.
Die absteigende oder ermüdende Aenderung macht den
betroffenen Theil mehr und mehr unterwerthig, wie ich
es genannt habe; durch aufsteigende Aenderung wird er
wieder mehr und mehr auf jenes Maass der Werthigkeit
zurückgeführt, welches ihm nach langdauemdem Schutze
des Auges vor jedem Lichte eigen ist. Jede absteigende
Aenderung mindert die Disposition des unterwerthig gewor-
denen Theiles zur Dissimilirung und steigert seine Dispo-
sition zur Assimilirung, setzt demgemäss die Erregbarkeit
durch Licht herab und erzeugt ein Streben nach aufstei-
gender Aenderung. Mit wachsender Dauer eines gleich-
massig fortwirkenden Lichtreizes, welcher zunächst eine
heller graue oder weisse Empfindung hervorruft, nimmt des-
halb die Geschwindigkeit der absteigenden Aenderung ab
*) 1. c. S. 245. «) Physiolog. Optik S. 365.
Ueber Ermüdnog and Erholung des Sehorgans. 31
und sinkt schliesslich auf Null, sobald der durch das Licht
bedingte Anreiz zur absteigenden Aenderung soweit abge-
nommen und das Streben nach aufsteigender Aenderung
soweit zugenommen hat, dass beide sich das Gleichgewicht
halten und A wieder gleich D geworden ist. Nunmehr ver-
harrt der betroffene Theil auf der bis dahin erreichten
Stufe der Unterwerthigkeit und ändert sich nicht weiter
trotz Fortdauer des Lichtreizes. So schützt sich das
Organ selbst vor Erschöpfung. Die anfänglich hell-
graue oder weisse Empfindung ist dabei ganz allmälig in
die des neutralen Grau übergegangen und der betroffene
Theil ist jetzt vollständig für den noch stetig fortwirken-
den Lichtreiz adaptirt. Tritt jetzt an die Stelle dieses
Lichtreizes ein schwächerer, so ist der durch ihn gegebene
Anreiz zu absteigender Aenderung zu schwach, um dem
Streben des unterwerthig gewordenen Theiles nach aufstei-
gender Aenderung das Gleichgewicht zu halten und es er-
folgt somit eine aufsteigende Aenderung und entsprechend
eine Empfindung, welche dunkler ist, als das zuletzt em-
pfundene neutrale Grau. Wirkt sodann der genannte schwä-
chere Lichtreiz andauernd fort, so mindert sich infolge der
aufsteigenden Aenderung die Unterwerthigkeit des betrof-
fenen Theiles, die Erregbarkeit für Licht nimmt wieder zu
und das Streben nach aufsteigender Aenderung ab, bis
abermals D gleich A und die Empfindung wieder neutral
grau geworden ist. Der betroffene Theil ist wieder voll-
ständig, aber jetzt für einen schwächeren Lichtreiz adaptirt.
Fixirt man ununterbrochen einen Punkt eines mit hel-
len und dunklen Dingen erfüllten Gesichtsfeldes, so sieht
man deutlich, wie die hellen immer mehr an Helligkeit
verlieren, die dunklen aber sich aufhellen, obwohl auch sie
fortwährend Licht ins Auge senden.
Jeder Adaptationstufe entspricht ein bestimmter Grad
von Unterwerthigkeit; unterwerthig sein und adaptirt sein
ist dasselbe. Für jeden bestimmten Grad der Unterwerthig-
32 £. Hering.
keit oder Adaptation giebt es eine bestimmte objective
Helligkeit, welche eben stark genug ist, die Dissimilirung
mit der Assimilirung im Gleichgewicht zu erhalten. Es ist
dies also diejenige objective Helligkeit, welche an der be-
züglichen Stelle des somatischen Sehfeldes jetzt als neutra-
les Grau empfunden wird, und welche um so grösser ist,
je unterwerthiger und deshalb weniger erregbar der bezüg-
liche Theil ist. Jede grössere objective Helligkeit giebt
hier eine hellere, jede kleinere eine dunklere Empfindung,
als die neutral graue Empfindung.
Nach dieser Auffassung giebt es eigentlich nur eine
Adaptation für verschiedene Grade objectiver Helligkeit;
was wir Adaptation für Dunkel nennen, ist nur ein Herab-
gehen von einer höheren auf immer niedrigere Stufen der
Adaptation, und das lange Zeit vor jedem Lichtreize ge-
schützt gewesene Sehorgan, welches man jetzt vollkommen
adaptirt nennt, ist nach obiger Auffassung gar nicht adap-
tirt, denn es ist gar nicht mehr unterwerthig, sondern voll-
ständig erholt
Nach einer solchen vollkommenen Erholung des soma-
tischen Sehfeldes ist das psychische keineswegs schwarz,
zeigt aber allerdings auch nicht ein gleichmässig ausgebrei-
tetes Grau, vielmehr ist es stellenweise heller, stellenweise
dunkler als dieses, und auch an derselben Stelle wechselt
hellere und dunklere Empfindung. Durch innere Ursachen
wird das auf dem Maximum seiner Erregbarkeit (für dissi-
milirend wirkende Beize) befindliche somatische Sehfeld
bald hier bald dort aus dem Gleichgewichtszustand zwischen
D und A herausgebracht, um bald nachher durch eigene
Kraft in denselben zurückzukehren^). Auch beim Sehen
während des Tages wechselt der Adaptationszustand der
^) In anschaulicher Weise hat A über t die „Lichtempfindungen*'
beschrieben, welche er nach l&ngerem Aufenthalte in einem absolut
finsteren Zimmer hatte. Physiologie der Netzhaut S. 333.
Ueber Ermüdung und Erholung des Sehorgans. 33
einzelnen Theile des Sehfeldes fortwährend und ist an ver-
schiedenen Stellen desselben gleichzeitig ein verschiedener;
aber durchschnittlich sind alle Theile unterwerthig und
also mehr oder weniger adaptirt. Fixiren wir einige Zeit
ein kleines Feld auf einem Grunde von anderer Helligkeit
oder Dunkelheit, so befindet sich nachher der dem kleinen
Felde entsprechende Theil des somatischen Sehfeldes auf
einer anderen Adaptationsstufe, als der dem Grunde ent-
sprechende Theil, demgemäss ist auch die Erregbarkeit bei-
der Theile eine verschiedene, und wir sehen deshalb ein
negatives Nachbild, sobald wir auf eine Fläche von gleich-
massiger Helligkeit blicken. Insofern beruhen alle solche
negative Nachbilder auf Verschiedenheiten der localen Adap-
tation.
Eine eingehende Erklärung der negativen Nachbilder
lässt sich ohne Erörterung der Wechselwirkung der Einzel-
theile des somatischen Sehfeldes nicht geben ^). Hier galt
es nur zu zeigen, wie die negativen Nachbilder nicht
einseitiger Weise nur als Ermüdungserscheinungen,
sondern zu einem grossen Theile als Erholungs-
erscheinungen aufzufassen sind, wie der Verlauf die-
ser Erscheinungen von Augenbewegungen, Lidschlag und
Accommodation im Wesentlichen ganz unabhängig ist, und
wie die innerhalb weiter Grenzen bestehende „Unermüd-
lichheit" des Sehorganes im Wesentlichen auf einer Art
Selbststeuerung des Stoffwechsels in der lebendigen Sub-
stanz des somatischen Sehfeldes beruht. Eine eigentliche
Ermüdung oder vielmehr Uebermüdung kann hiernach nur
eintreten, wenn der Lichtreiz ein übermässiger und die Be-
dingungen der Assimilirung, z.B. durch vorübergehende Er-
schöpfung des Materials zur Assimilirung, gestört sind.
^) So bleibt die obige Auseinandersetzung z. B. die Erklärung
der Thatsache schuldig, dass negative Nachbilder des verdunkelten
Auges heller sein können, als die neutralgraue Empfindung, was
sich aus der erwähnten Wechselwirkung leicht erklären lässt.
T, Graefe'8 Archiv für Ophthalmologie. XXXVII. 3. 3
34 £• Hering.
Man hat der im Obigen vertretenen Theorie des Licht-
sinns den Vorwurf gemacht, dass sie nichts darüber aassage,
inwieweit die besprochenen Erscheinungen auf Zuständen und
Vorgängen der Netzhaut oder der cerebralen Theile des Seh-
organes beruhen. Man kann sich freilich die durch das Licht
im Sehorgane ausgelösten Ereignisse in eine ganze Kette von
Vorgängen zerlegt denken, deren Anfangsglied die Umsetzung
der Aetherbewegung in sogenannte Nervenerregung, deren End-
glied irgend welcher Vorgang in der Hirnrinde ist. Da wir
aber über jedes einzelne Glied dieser Kette so viel wie nichts
wissen, so ist es erspriesslicher, von der Gliederung der Kette
zunächst abzusehen und dieselbe als ein Ganzes zu nehmen,
von dessen Zuständen die Gesichtsempfindungen bedingt sind.
Verbrauch und Ersatz, Dissimilirung und Assimilirung können
wir nach dem jetzigen Stande unseres biologischen Wissens
jeder lebendigen Substanz zuschreiben, folglich auch jedem
Gliede der Kette von lebendigen Substanzen, welche das mor-
phologische Substrat der erwähnten Kette von Ereignissen im
Sehorgane bilden. Denken wir uns die ins Bewusstsein tre-
tende Empfindung nur geknüpft an das, was im centralen End-
gliede jener Kette geschieht, welches wir dann ausschliesslich
als psychophysische Substanz des Sehorgans auffassen, so müsste
doch das Geschehen in dieser Substanz in gesetzmässiger Ab-
hängigkeit von dem gedacht werden, was in den andern Glie-
dern der Kette geschieht, und die Empfindung stände zu den
Ereignissen jedes einzelnen Gliedes in gesetzmässiger Beziehung.
Wollen wir aber die Empfindung auffassen als den summari-
schen psychischen Ausdruck aller gleichzeitig in der ganzen
Kette stattfindenden Vorgänge, so wäre doch wieder eine ge-
setzmässige Beziehung zwischen der Empfindung und dieser
Summe physischer Ereignisse anzunehmen. Die oben entwickelte
Hypothese verträgt sich mit beiden Auffassungen. Was von
einer Theorie des Lichtsinns zunächst gefordert werden muss,
ist, dass sie uns eine Mannigfaltigkeit von Vorgängen oder Zu-
ständen im somatischen Sehfelde aufzeigt, welche sich mit der
Mannigfaltigkeit der Empfindungen im psychischen Sehfelde
deckt, und dass sie uns die Möglichkeit bietet, aus dem cau-
salen und gesetzmässigen Zusammenhange der physischen Vor-
gänge oder Zustände den Verlauf der Empfindungen theore-
tisch zu entwickeln oder, wie man sagt, zu erklären. Diese
Forderung sucht obige Hypothese zu erfüllen und hat sie be-
reits in weitem Umfange erfüllt. Aber jeden einzelnen der
Ueber Ermadung and Erholung des Sehorgana. 35
angenommenen Vorgänge im somatischen Sehfelde noch genauer
in Hinsicht auf die oben erwähnte Gliederung des nervösen
Sehorganes zu analysiren, dies mass sie vorerst der Zukunft
ftberlassen. —
Wenn ich mich nach allem Gesagten der Hypothese
von Fick und Gürber nicht anschliessen kann, so halte
ich es doch für dankenswerth, dass sie die Frage nach der
Bedeutung der Augenbewegungen für den Säftestrom des
Auges aufgeworfen haben. Dafür, dass Muskelbewegungen
den Strom des Blutes und der Lymphe in den bezüglichen
Organen fördernd beeinflussen, lassen sich bekanntlich viele
Beispiele anführen, und sehr verschiedenartig sind die zum
Theil näher bekannten Einrichtungen, welche diese Förde-
rung vermitteln. Dass also auch die Bewegungen des Aug-
apfels bezw. der Lider für den Säftestrom im Auge irgend-
wie förderlich sind, Hesse sich nach Analogie wahrschein-
lich finden. Wenn mit der Thätigkeit des Sehorganes ein
erhöhter Stoffwechsel in der Netzhaut verbunden ist, so
wird wohl auch hier wie anderwärts dafür gesorgt sein,
dass dem gesteigerten Chemismus auch ein gesteigerter me-
chanischer Stoffwechsel entspricht, und es ist gewiss dan-
kenswerth den hierzu dienenden Einrichtungen nachzufor-
schen. Die experimentelle Physiologie bietet ausser den
von Fick und Gürber angeführten Wegen noch andere,
welche vielleicht director zum Ziele führen könnten.
Die Hypothese der Genannten aber schiesst über das
Ziel hinaus. Denn weitab von der eben erörterten, an un-
sere physiologischen Erfahrungen anschliessendßn Auffassung
liegt die Annahme, dass „Augenbewegungeu und Accommo-
dation die Netzhaut gleichsam ausquetschen", dass hier-
durch ein die Netzhautermüdung bedingendes Stoffwechsel-
erzeugniss ausgepresst und so die Funktionstüchtigkeit so-
fort wieder hergestellt wird. Schon der Gedanke, dass ein
von Wasser durchträuktes Gebilde, welches zwischen anderen
3*
36 £• Heriog, lieber Ermadong und Erfaolang des Sehorgans.
obenfaUs wasserdurcbtränkten Geweben eingeschlossen ist,
dnrch eine Augenbewegung ausgepresst werden soll, ist be-
fremdend, mag man sich die Auspressung auch noch so
zart vorstellen. Denn es wäre wohl physikalisch verständ-
lich, dass ein gesteigerter Druck im Glaskörper, welchen
Fick und Gürber zur Erklärung herbeiziehen, irgendwie
den Säftestrom in der Netzhaut ändert, aber nicht wohl
denkbar ist unter den gegebenen Verhältnissen ein Aus-
quetschen der Netzhaut. Man kann z. B. einen mit Wasser
getränkten Schwamm nicht auspressen, wenn man ihn zu-
vor in eine mit Flüssigkeit gefüllte Blase eingeschlossen
hat Vielleicht aber haben Fick und Gürber im Grunde
mehr die Vorstellung einer Art Auswaschung oder Durch-
spülung der Netzhaut gehabt. Günstigstenfalls könnte es
sich, soviel ich sehe, doch nur um eine durch die Augen-
bewegung bewirkte höchst massige Beschleunigung eines
stetig fliessenden Saftstromes, nicht aber um eine gleichsam
stossweise erfolgende Auspressung oder Durchspülung han-
deln. Durch das Verhalten der negativen Nachbilder und
der sogen. Ermüdungserscheinungen überhaupt liesse sich
aber eine solche Annahme am allerwenigsten begründen,
weil, wie die angeführten Thatsachen lehren, dieser Verlauf
durch die Augenbewegungen als solche nicht merklich be-
einilusst wird.
Ehrlich's Methylenblaumethode und ihre
Anwendung auf das Auge.
Von
Dr. Friedr. Hosch in Basel.
(Mittheiluiig aus dem normal-anatomischen Institut in Basel.)
Hierzu Tafel I— II, Fig. 1-8.
Zur Darstellung der peripheren Nervenenden stand uns
bis Yor Kurzem eigentlich nur die im Jahre 1866 von
Cohnheim eingeführte Vergoldungsmethode zu Gebote.
Wenn dieselbe seither auch wesentlich verbessert und ver-
vollkonmmet worden ist — ich erwähne nur die Namen
Ranvier und Löwitt — , so wird doch Jeder, der sich
etwas eingehender damit beschäftigt hat, zugeben müssen,
dass trotzdem diese Methode von capriciösester Natur ist,
recht oft fehlschlägt und noch häufiger unerklärliche Arte-
fakte liefert.
Wir haben daher allen Grund, Professor Ehrlich in
Berlin dankbar zu sein, dass er uns im Jahre 1886 in der
Deutschen medic. Wochenschrift ein neues Verfahren die
Nervenendigungen zu färben, gelehrt hat, das bei einiger
Technik stets gelingt und das namentlich nicht, wie die
Goldmethode, nebenbei noch alle möglichen Dinge mit tin-
girt Auf gewisse Uebelstände, die leider auch diesem Ver-
fahren anhaften, an deren Vermeidung aber, wie ich gleich
bemerken will, schon mit grossem Erfolg gearbeitet worden,
38 Fr. Hosch.
werde ich später zu reden kommen. Da die Methode in
unserer Fachliteratur meines Wissens noch gar nicht Er-
wähnung gefunden hat, so will ich erst die Technik, wie
sie ursprünglich von Ehrlich empfohlen und seither recht
glücklich ausgebildet worden ist, etwas eingehender schildern.
Wenn man einem lebenden Frosch oder einem frisch
getödteten Säugethier oder Vogel (bei letzteren, überhaupt
Warmblütern, wirkt Methylenblau als heftiges, rasch töd-
tendes Gift) eine gesättigte Lösung von Methylenblau (in
physiologischer Kochsalzlösung) in das Gefässsystem injicirt,
so färben sich zunächst sämmtliche Organe, deren Gefässe
vom Farbstoff erreicht werden, intensiv blau. Bald aber
beginnen die gefärbten Theile blässer zu werden und haben
nach kurzer Zeit, oft schon nach wenigen Minuten, jede
Spur einer Blaufärbung wieder verloren.
Bringt man nun ein Stückchen eines Organs, das vor-
her gefärbt war, unter das Mikroskop, so beobachtet man,
wie unter dem Einflüsse der Luft (es darf also kein Deck-
glas aufgelegt werden) die letzten Spuren von Farbstoff die
Gefässe verlassen, und mit ganz allmäliger Steigerung eine
blaue Tinction der umgebenden Nervenelemente eintritt,
„zuerst der Nervenfibrillen, der Nervenendapparate, der
Nervenzellenfortsätze und der Zellen selbst, darauf der nack-
ten Achsencylinder und marklosen Nervenfasern, der Ran-
vier'sehen Kreuze und der Theilungsstellen der markhal-
tigen Fasern. Am schwierigsten färben sich die markhal-
tigen Nervenfasern, wahrscheinlich weil die Markscheide
dem Methylenblau den Zutritt zu den Achsencylindern er-
schwert" (Dogiel).
Der Anblick ist für den, dem er zum ersten Male zu
Theil wird, im höchsten Grade überraschend, und man be-
greift wohl, dass ein Mann wie G. Retzius, die Ehrlich-
sche Erfindung für „eine der bedeutungsvollsten Errungen-
schaften der neuesten histologischen Technik, wenn nicht
geradezu für die vornehmste derselben" erklärt.
£hrlich*s Methylenblaamethode und ihre Anwendung a. d. Auge. 39
Es mag hier am Platze sein, einige Worte über den
Chemismus, der bei dem beschriebenen Vorgang in Action
tritt, oder wenigstens wie derselbe von dem Erfinder auf-
gefasst wird, zu sagen.
Zunächst konnte Ehrlich durch mühsame Gontroll-
versuche sich davon überzeugen, dass das salzsaure Methy-
lenblau, als dessen Formel
C6 H3 — NCCHs),
/ \
N S
\ /
C6H3 — N(CH3),C1
anzusehen ist, seine nervenfärbende Eigenschaft dem Ein-
tritt des Schwefels in dieselbe verdankt und dass sie mit
Elimination des letzteren dahinfällt.
Von Seite der Gewebe müssen nach der Ansicht von
Ehrlich zum Gelingen der Nervenfärbung drei Bedingun-
gen erfüllt sein:
1) müssen dieselben gefässhaltig sein;
2) müssen die betreffenden Nervenfasern mit Sauer-
stoff gesättigt sein;
3) müssen sie alkalisch reagiren.
Sein Schüler Aronsohn führt dies in seiner Disserta-
tion weiter aus: „Das Methylenblau ist ein sogen, küpen-
bildender Farbstoff. Durch reducirende (resp. Sauerstoff
entziehende) Agentien wird er verhältnissmässig leicht, in-
dem zwei H-Atome aufgenommen werden, zu Leukomethy-
lenblau reducirt, welcher Körper sich bei Luftzutritt wie-
der von selbst in sein blaues Oxydationsproduct verwandelt.
Während des Lebens sind die Nerven so gut mit 0 ver-
sorgt, dass sie das von ihnen aufgenommene Methylenblau
nicht zu reduciren vermögen. Nach dem Tode des Thieres
werden dieselben wie fast alle übrigen blau gefärbten Ele-
40 Fr. Bosch.
mente farblos, d. h. nachdem die Zufuhr der natürlichen
Sauerstoffspender aufgehört hat, wachsen die Sauerstoff an-
ziehenden Affinitäten des Protoplasma derart, dass sie den
0 jetzt dem Methylenblau zu entziehen im Stande sind.
Jedoch nehmen die farblosen Gewebe, in specie die Nerven,
wenn sie — zumal in dünnen Schichten — der Luft aus-
gesetzt werden, ihre ursprüngliche blaue Farbe wieder an.**
Dieser Process der secundären Oxydation, wie Aron-
söhn den beschriebenen Vorgang nennt, wird nun von an-
deren Beobachtern (Schwalbe, Feist) in Abrede gestellt
Sie wollen nichts davon wissen, dass die betreffenden Ner-
ven schon einmal gefärbt gewesen seien und durch Mangel
an 0 schon intra vitam oder erst beim Tode ihre Farbe
wieder verloren hätten, sondern nehmen einfach an, dass
die Blautinction unter dem Einflüsse des atmosphärischen
Sauerstoffs, zusammen mit gewissen chemischen oder physi-
kalischen Veränderungen, welche die Gewebe beim Abster-
ben erleiden, eintritt.
Ich will mich bei diesem noch streitigen Punkte nicht
länger aufhalten. Da ich nur am todten Thier experimen-
lirt habe, kann ich mir ein bestimmtes Urtheil in dieser
Hinsicht nicht erlauben.
Wie Dogiel gezeigt hat, kann man ein ähnliches Re-
sultat, wie durch Infusion des blauen Farbstoffes in das
Blutgefässsystem, auch erreichen, wenn man die zu färben-
den Gewebe auf dem Objectträger mit verdünnter Methy-
lenblaulösung behandelt, bei freiem Zutritt der Luft. Unter
seinen Augen sieht man bald, schon nach 5 — 10 Minuten,
die vorhandenen Nerven sich färben, anfangs sehr schwach,
allmälig aber wird die Färbung eine stärkere, bis nach
Verlauf einer gewissen Zeit, alle eingelagerten Nervenele-
mente in der gleichen Reihenfolge wie bei der Injection
tingirt sind. Allerdings färben sich hierbei, im Gegensatz
zu letzterer, noch allerlei Zellen und bilden sich etwas stö-
rende Niederschläge, so dass sich das Resultat doch nicht
EhrlicVs Methylenblaamethode und ihre Anwendung a. d. Auge. 41
ganz dem bei der Injection erhaltenen an die Seite stellen
lasst.
Wie bereits angedeutet, hat auch diese Methode, so
trefflich sie sonst ist, gewisse Uebelstände und Mängel an
sich. Einer der unangenehmsten ist, dass die Färbung sehr
vergänglich ist Nach kurzer Zeit, oft schon nach 10 Mi-
nuten, beginnen die tingirten Theile abzublassen, und sehr
bald ist von dem so schönen Bilde nichts mehr übrig ge-
blieben; ein hellblauer Saum umrandet noch das Präparat,
und auch dieser ist binnen Kurzem verschwunden.
Es ist sehr begreiflich, dass man alle Anstrengungen
gemacht hat, die mit solcher Mühe erhaltenen Präparate
zu retten oder die Färbung derselben wenigstens so lange
zu fixiren, dass sie gezeichnet und genügend durchstudirt
werden können. In diesem Bestreben haben sich nament-
lich Prof. Arnstein in Kasan und seine Schüler Smirnow
und Dogiel, grosse Verdienste erworben. Zunächst wurde
hierzu eine einprocentwässerige Lösung von Jodkalium ver-
wendet, in welcher metallisches Jod bis zur Sättigung ge-
löst ist. Mit dieser Lösung wird am besten das Blutgefass-
system durchspült Dann werden die Gewebsstücke aus-
geschnitten, 6 — 12 Stunden in die Jodlösung gelegt und
ausgewässert Jetzt heben sich die früher blassen Nerven
in schwarzbrauner oder grauer Farbe auf dem fast farb-
losen Grunde ab. Noch bessere Resultate erhielt dann
Smirnow mit einer Lösung von Hoyer'schem Pikrokar-
min, als dessen fixirendes Agens von Dogiel das pikrin-
saure Ammoniak erkannt wurde. Seither wird wohl nur
noch das letztere in concentrirter wässeriger Lösung ^r
Fixirung benützt und giebt recht schöne Resultate. Das
Methylenblau wird in Form eines feinkörnigen, violetten
Niederschlags gefallt, zugleich aber das Grundgewebe durch-
sichtig gemacht und somit ermöglicht, auch relativ dicke
Häutchen und Gewebsstücke noch in toto zu untersuchen.
Zudem wird durch das pikrinsaure Ammoniak das Gewebe
42 Fr. Hosch.
gelockert und zum Zerzupfen sehr geeignet. Ich habe alle
mir bekannt gewordenen Fixirmittel durchprobirt, bin aber
stets gerne wieder zum pikrinsauren Ammoniak zurückge-
kehrt.
Weniger glücklich ist man bis jetzt gewesen mit den
Versuchen, die Methylenblaupräparate zu härten oder sonst
wie zum Schneiden geeignet zu machen. Nach meinen
schmerzlichen Erfahrungen zieht schon die geringste Spur
von Alkohol, Aether oder ätherischen Oelen den Farbstoff
in rapidester Weise aus. Auch Versuche, die Präparate in
Kl ebs' sehen Glycerinleim einzuschliessen, sind mir bis da-
hin total missglückt, da dieselben die zum Flüssigmachen
des Leims nöthige Temperatur absolut nicht ertrugen. Eben-
sowenig führte mich der von Feist empfohlene Einschluss
in Gummiglycerin (nach Joliet) zu einem nennenswerthen
Resultate. Entweder war die Einschlussmasse zu weich
und erlaubte dann nur sehr dicke Schnitte, oder sie wurde
rasch so hart, dass sie gar nicht mehr geschnitten werden
konnte. Ein grosser Uebelstand ist dabei auch, dass man
das Messer stark mit Glycerin befeuchten muss. Dass auch
Andere beim Schneiden auf ganz besondere Schwierigkeiten
gestossen sind, beweist mir die Thatsache, dass alle Em-
pfehlungen in dieser Hinsicht durchweg höchst ungenau
redigirt sind. Meiner Ansicht nach verdient einstweilen nur
das Schneiden der frisch gefärbten Präparate mit dem Ge-
friermikrotom und nachheriges Fixiren mit pikrinsaurem
Ammoniak wirkliches Vertrauen. Leider bekommt man da-
bei aber wohl nur ziemlich dicke Schnitte, die das Erken-
nen feinerer Einzelnheiten und die Anwendung stärkerer
Vergrösserungen nicht zulassen.
Ich habe nun, auf Anregung von Herrn Prof. Koll-
man, welchem ich für seine Unterstützung hiermit bestens
danke, es unternommen zu untersuchen, welche Resultate
die so viel versprechende neue Methode am Auge zu Tage
zu fördern im Stande sei. Die Versuche wurden ausschliess-
Ehrliches Methylenblaumethode und ihre Anwendung a. d. Auge. 43
lieh am albinotisclien Kaninchen vorgenommen und bezogen
sich in erster Linie auf die Cornea und Iris. Die Retina,
welche schon von Dogiel selbst eine eingehende Bearbei-
tung erfahren hat, wurde nur nebenbei berücksichtigt.
Bei der Injection des Farbstoffes in das Blutgefäss-
system verfuhr ich folgendermaassen: Zunächst wird das
Thier zu Tode chloroformirt, dann rasch die Bauchhöhle
eröffiiet und eines der grossen Gefässe in derselben — zur
möglichsten Entleerung des Circulationsapparates — durch-
schnitten. Nun werden Aorta ascendens und Art. pulmo-
nalis zusammen unmittelbar über dem Herzen umschnürt
und die Canüle mit der — kopfwärts gerichteten — Spitze
in einen Schlitz der Aorta thoracica eingebunden.
Anfangs machte ich die Injectionen mit einer gewöhn-
lichen Injectionsspritze und kalter gesättigter Methylenblau-
lösung, kam aber nur ausnahmsweise und nur zum Theil
zum gewünschten Ziele. Gewöhnlich stiess der Kolben der
Spritze schon auf starken Widerstand, noch ehe die Blau-
färbung der Ohren und des übrigen Kopfes genügend ein-
getreten war. Wurde dann die Injection forcirt, so zeigte
bald die da und dort austretende Farblösung an, dass un-
liebsame Rupturen eingetreten seien und damit das Experi-
ment fehlgeschlagen habe.
Da Herr Prof. Kollmann der Ansicht war, dass an
diesem Missgeschick nur ein hochgradiger Gefässkrampf
Schuld sein könne, so habe ich mir mittelst Trichter und
Gummischlauch einen gdnz einfachen Injectionsapparat für
Constanten Druck zusammengestellt und die Injectionsflüs-
sigkeit jeweilen im Wasserbade auf Bluttemperatur erwärmt.
Damit waren jene Uebelstände sofort beseitigt, und die In-
jectionen geschehen jetzt mit einer Sicherheit und Schnel-
ligkeit, wie man sie nicht besser wünschen kann. Schon
nach Abflnss von wenigen Cubikcentimetem der Farblösung
färben sich die Ohren intensiv blau, bald auch die Schnauze
und der übrige Kopf. Nach wenigen Minuten ist die Con-
44 Fr. HoBch.
juDctiva und bald auch die Iris dunkelblau gefärbt. In
letzterer treten zuerst vier Gefasse in Form von dicken
blauen Strängen auf, die aber unter der allgemeinen Bläu-
ung in kurzer Zeit wieder verschwinden.
Nach meiner Erfahrung ist es am Platze, damit auch
die feinen Gefasse sich füllen und die Färbung der Nerven
bis in die Peripherie genügend sei, mit der Infusion noch
etwas fortzufahren. Allerdings werden auf diese Weise die
an Gefässen besonders reichen Theile, wie Cborioidea und
Ciliarkörper, wegen der reichlichen Farbstoffextravasate,
für die spätere Untersuchung nahezu unbrauchbar. Dafür
hat man aber, wie erwähnt, den Vortheil, dass die Fär-
bung der für den gewünschten Zweck wichtigen Parthieen
eine um so intensivere ist und bleibt.
Die Dauer der Injectionen überschreitet selten fünf
Minuten, seit ich dieselben in der beschriebenen Weise vor-
zunehmen pflege.
Nach kurzer Zeit blassen die blau gefärbten Theile
wieder ab. Nur an den der Luft ausgesetzten Stellen, wie
im Bereich der Lidspalte, bleibt die Färbung länger be-
stehen.
Alle Beobachter geben den Bath, das injicirte Thier
eine Zeit lang liegen zu lassen und erst dann die zu unter-
suchenden Gewebsstücke auszuschneiden und — unter freiem
Zutritt der Luft, also ohne Deckglas — auf den Object-
träger zu bringen. Wie lange man warten soll, darüber
finden sich aber fast überall andere Angaben, welche zwi-
schen Vi und drei, sogar noch mehr Stunden schwanken.
Ich habe nun aus meinen Versuchen den Eindruck ge-
wonnen, als könne, vorausgesetzt, dass die Färbung eine
genügende war, die Untersuchung vorgenommen werden,
sobald die Abblassung eingetreten ist und damit der Farb-
stoff die Blutgefässe verlassen hat. Aehnlich wie bei den
Objectträgerfärbungen sehen wir jetzt, unter dem Einflüsse
des atmosphärischen Sauerstoffis, vor unseren Augen die
Ehrliches Methylenblaamethode und ihre Anwendung a. d. Auge. 45
feinsten Ausbreitungen des Achsencylinders ganz allmälig
sich blau färben und können ganz sicher den Zeitpunkt
bestimmen, von welchem an die Färbung nicht mehr weiter
schreiten, sondern zurückgehen wird. Dies ist der Moment,
wo es sich darum handelt, dem so vergänglichen Bilde
Dauer zu geben, resp. dasselbe zu fixiren.
Es ist dies ohne Zweifel der heikelste Theil des gan-
zen Versuchs, was schon aus den zum Theil sehr unbe-
stimmten, zum Theil sehr differenten Angaben der Autoren
hierüber zu ersehen ist. Ich habe oben erwähnt, dass ich
nach mehrfachen Proben mit anderen Fixirmitteln stets
wieder zur gesättigten Lösung des pikrinsauren Ammoniaks
zurückgekehrt bin. Ueber die Dauer seiner Einwirkung be-
stimmte Regeln aufstellen zu wollen, scheint mir ganz un-
statthaft; sie ist eben für jeden einzelnen Fall wieder eine
andere, ohne dass sich eine bestimmte Erklärung dafür auf-
finden liesse. Nach einiger Uebung, aber auch nach man-
cher Enttäuschung bringt man es jedoch dahin, mit ziem-
licher Sicherheit den Moment zu bestimmen, in welchem
die Fixation eine genügende ist und unterbrochen werden
darf. Durch das pikrinsaure Ammoniak wird das Methylen-
blau in Form eines feinkörnigen violetten Niederschlags ge-
fällt; doch bedarf dies an verschiedenen Stellen des glei-
chen Präparates einer verschieden langen Einwirkung des-
selben. Man hat also einfach abzuwarten, bis alles, was
vorher blau war, entschieden violett geworden ist. Auf
diese Weise habe ich Präparate bekommen, die nun schon
5—6 Monate alt sind und alle Details noch so vollkommen
zeigen'), wie unmittelbar nach der Fixirung, während an-
dere, bei denen ich die Fixirung zu früh unterbrochen,
allmälig vollständig abgeblasst sind.
^) Leider bin ich gezwungen, die obige Angabe, aus der man
schliessen könnte, die Präparate hätten nunmehr eine unbegrenzte
Haltbarkeit gewonnen, etwas zu modificiren. Die ältesten derselben,
welche aus der ersten Hälfte des November 1890 stammen, und noch
46 Fr. Hosch.
Die fixirten Präparate werden am besten in Glycerin
aufbewahrt. Einige Autoren empfehlen diesem etwas pikrin-
saures Ammoniak zuzusetzen. Mir scheinen die — gut
fixirten — Präparate ohne solches hübscher und ebenso
haltbar zu sein. Um diejenigen Präparate, welche aufbe-
wahrt werden sollen, pflege ich einen Rand von Klebs'schen
Glycerinleim zu ziehen.
Was zunächst die Cornea anbelangt, so sieht man
durch das Methylenblau sofort viele Zellen deutlich gefärbt.
Ich hebe diesen Umstand besonders hervor, weil er zeigt,
dass nicht bloss Nervenfasern und Nervenzellen gefärbt
werden. Es ist wahrscheinlich das specifische Protoplasma
dieser Zellen, das ähnlich wie die Achsencylinder reagirt.
Nach der Fixirung mit pikrinsaurem Ammoniak werden
noch mehr Homhautzellen, vielleicht alle, deutlich. Hier-
nach wäre also eine Angabo Arnstein's zu modificireu,
der an den Zellen vor der Fixirung keine Färbung wahr-
nahm.
Die Grundsubstanz der Cornea bleibt nach- wie vor-
her ungefärbt, wodurch das Präparat äusserst durchsichtig
wird und sämmtliche Nervenverzweigungen sich deutlichst
verfolgen lassen, zum Unterschiede von der Goldbehand-
lung, bei der auch das Grundgewebe stark sich färbt, wes-
halb sie für Flächenpräparate nur bei dünnen Hornhäuten
oder bei Zerzupfung in Lamellen sich eignet
Die mit Methylenblau erhaltenen Flächenpräparate stim-
men ziemlich genau mit der Beschreibung, welche Ran vier
und Schwalbe geben. Die am Rande eintretenden, sofort
marklos werdenden, aus dicht gedrängten feinen und mit
zarten Varicositäten versehenen Fibrillen bestehenden Ner-
ven verlaufen, nach Art der Aeste eines Baumes wiederholt
am 30. Mai d. J. der schweizerischen Aerzte-Yersammlung in ihrer
ganzen Schönheit gezeigt werden konnten, beginnen nun auch in
ihren zartesten Parthieen abzublassen und werden wohl bald ganz
unbrauchbar geworden sein.
Ehrlich's Methylenblaumethode und ihre Anwendung a. d. Auge. 47
dichotomisch sich theilend und reichlich unter einander
anastomosirend, gegen die Hornhautmitte hin, um dort den
Basalplexus zu bilden. An den Theiluugsstellen kommt je-
weilen eine Verbreiterung zu Stande; die bisher dicht an-
einander liegenden Axencylinderfibrillen weichen auseinan-
der und durchkreuzen sich auf das Mannigfachste nach
allen Richtungen hin. In diese Knotenpunkte sind fast
regelmässig längliche Kerne eingelagert, welchen His die
Bedeutung von Ganglienzellen beilegte, während Hoyer u.
A. m. sie — wohl mit Recht — nur als Bestandtheile der
die Fibrillen vereinigenden Neuroglia betrachten (Figur 1).
Nach dem Durchtritt durch den Knoten sammeln sich
die Fibrillen zu entsprechend verjüngten Stämmchen, indem
sie sich innigst aneinander lagern, um beim nächsten Kno-
tenpunkte wieder in gleicher Weise auseinander zu gehen
und sich von Neuem zu durchflechten. Dieser Vorgang
wiederholt sich mehrmals, während das Nervenästchen in
radiärer Richtung der Homhautmitte zustrebt und auf die-
sem Wege sowohl mit den benachbarten Zweigen als auch
mit den zwischen den vorderen Schichten der Hornhaut
eintretenden Aestchen Verbindungen eingeht.
Die Anastomosen, welche die einzelnen Nervenstämm-
chen unter sich bilden, sind sehr verschieden, bald etwas
steif, ähnlich den Zweigen eines Baumes, bald feine, leicht
gebogene Bälkchen bildend. Ein sehr zierliches Bild er-
giebt sich, wenn ein solches Bälkchen spiralig um ein dicke-
res Aestchen sich herumwindet. Nicht selten wird die Ver-
bindung auch durch eine einzige Fibrille besorgt, und zwar
meist nicht auf dem kürzesten Wege, sondern die Faser
strebt erst in einem Bogen gegen die Hornhautmitte, um
dann ganz plötzlich unter einem fast rechten Winkel gegen
die Anastomose sich zu wenden. So entstehen die zierlich-
sten und mannigfaltigsten Bilder, die um so mehr frap-
piren, weil sie sich so deutlich von dem farblosen Grunde
abheben. Fig. 2 mag einen ungefähren Begriff geben von
48 Fr. Hosch.
der Mannigfkltigkeit und dem Reichthum der in einem ein-
zigen Gesichtsfelde enthaltenen Nervenverzweigungen.
In einem Präparate fand sich eine besonders auffal-
lende Anastomosenbildung vor; unmittelbar aus einem Kno-
ten tritt ein stark gekörnter Strang hervor, der nach kur-
zem Verlauf ganz plötzlich in eine olivenförmige, ebenfalls
gekörnte und sehr dunkel gefärbte Anschwellung ausläuft.
Aus dieser Anschwellung geht nun ein feiner Faden hervor,
welcher in bogenförmigem Verlaufe mit einer ähnlichen
olivenförmigen Anschwellung sich verbindet, die aus einem
anderen Knoten des Grundplexus sich entwickelt (Fig. 3).
Ob wir es hier mit einer normalen oder pathologischen
Bildung — vielleicht den Resten einer früheren Verletzung
— zu thun haben, konnte ich bis jetzt nicht eruiren. Auf
letzteres scheint mir einigermaassen der Umstand zu deu-
ten, dass diese Bildung sich eben nur in einer einzigen
Cornea, wenn auch mehrfach, vorfand.
Einen Uebergang der Stromanerven in das Protoplasma
der Hornhautzellen und Endigung in den Nerven derselben,
wie es namentlich von Lavdowski behauptet und auf das
Deutlichste gezeichnet wird, vermochte ich ebenso wenig
nachzuweisen als die meisten anderen Beobachter. Da, wo
eine solche innigere Beziehung zu den Hornhautzellen vor-
handen schien, konnte bei genauerer Untersuchung oder
Anwendung stärkerer Vergrösserung jeweilen constatirt wer-
den, dass die betreffenden Nervenfasern sich bloss den Rän-
dern der Zellen oder ihrer Oberfläche anlegten oder über
sie hinwegliefen.
Für diese Beobachtung eignen sich die so durchsich-
tigen Methylenblaupräparate ganz ausgezeichnet, während
dagegen die Frage, ob die Nervenfasern zu ihrer Ausbrei-
tung vorzugsweise die Saftkanälchen benutzen, wie behaup-
tet wird, mittelst derselben sich kaum entscheiden lässt.
Immerhin wird wohl Hoyer Recht haben, wenn er annimmt,
dass sie mit Vorliebe diese vorgebildeten Wege wählen,
£]urlich*B Methyl^oblaamethode und ihre Anwendung a. d. Ange. 49
weil ihnen eben dort am wenigsten Hindernisse entgegen«'
treten, gleichwie anch die Wanderzellen bei entzündlichen
Zustanden yorzugsweise nach dem vom Protoplasma erfüll-
ten Lückensystem sich zu drängen pflegen.
Vom Hauptgeflecht trennen sich mehr weniger lange
Fäden, welche senkrecht oder schräg nach vom verlaufen,
als rami perforantes die Basalmembran durchbohren und
unter dem vorderen Epithel den subepithelialen Plexus
bilden. Von diesem sieht man wiederum nach allen Rich-
tungen eine Unmasse von feinsten, mit Varicositäten ver-
sehenen Fibrillen abgehen, welche meist auf lange Strecken
ganz geradlinig, zuweilen auch in verschiedenen Richtungen
sich schlängelnd verlaufen, sich auch verzweigen und mit
anderen Fibrillen kreuzen und verbinden. Geht man die-
sen feinen Fädchen bis ans Ende nach, wozu man nicht
selten einen grossen Theil des Präparates durchsuchen muss,
so findet man, dass sie mit kleinen Knöpfchen, ähnlich den
im Verlaufe des Fadens vorhandenen varicösen Anschwel-
lungen, zuweilen auch mit einer schaufelformigen Verbrei-
terung — scheinbar frei — enden (Fig. 4).
Um hierüber ins Klare zu kommen, sind feine senk-
rechte Durchschnitte unerlässlich. Da nun aber die Methy-
lenblaupräparate, wie mitgetheilt, hierfür nicht zu verwen-
den sind, habe ich Kaninchenhomhäute nach der Vorschrift
Ranvier's mit Gold behandelt, in Alkohol gehärtet und
in Paraffin eingebettet. Es ergab sich nun des Unzweifel-
haftesten, dass die Fäden bis zu den oberflächlichen Pflaster-
zellen des Epithels hinaufsteigen und dort mit einer knopf-
förmigen Anschwellung enden (Fig. 5). Hoyer erklärt zwar
sowohl diese knopfartigen Verdickungen an den Enden, als
auch die Varicositäten im Verlaufe der Fibrillen sämmtlich
für Knnstprodukte, welche theils durch unvollkommene und
ungleichmässige, theils durch zu intensive Goldwirkung er-
zeugt sein sollen. An besonders gelungenen Präparaten,
wie Fig. 5, sind die „Endknöpfchen", obschon sie keinerlei
T. GrMfe'a Arcblv fQr Ophthalmologie. XXXVII. 8. 4
50 Fr. Bosch.
weitete Structur erkennen lassen, jedoch Ton so diarakte-
ristischem Aussehen und bilden so sehr das natürliche Ende
der Nervenfaser, dass man sie nur mit Zwang für Arte«
üakte halten würde. Ich meines Theils stehe nicht an, in
ihnen die Endorgane der sensiblen Hornhautnerven zu er-
kennen. Damit ist wohl die jüngst von Brand (Arch. für
Augenheilk. XIX) aufgestellte Behauptung, dass die Rami
perforantes die letzten Endigungen der Hornhautnerven
seien, und dass bei keiner Thierspecies das Nervenendorgan
„über das Hornhautstroma hinaus^' rage, widerlegt
Der Nervenreichthum ist an den Methylenblaupräparar
ten ohne Zweifel noch grösser als an den Goldpräparaten,
so gross, dass, wenn man nicht so leicht die directe Be-
ziehung der feinsten Fibrillen zu sicher als solche erkenn-
baren Nervenfasern nachzuweisen vermöchte, man an der
nervösen Natur derselben oft zweifeln könnte. Wir müssen
uns eben angewöhnen mit Hilfe der Ehrlich'schen farfin«-
dung in den Geweben viel mehr Nervenfasern aufzufinden,
als wir nach den bisher gebräuchlichen Methoden darin zu
vermuthen gewohnt waren. Bei der Cornea kann uns übri-
gens die beschriebene reiche Vertheilung der Nervenverzwei-
gungen nicht so sehr wundem, wenn wir an die physiolo-
gische Aufgabe dieser Membran denken, welche bei voll-
ständiger Durchsichtigkeit eine möglichst ausgebildete Sen-
sibilität, vielleicht sogar eine directe Reizbarkeit den Licht-
strahlen gegenüber verlangt
Auch bei der Iris zeigt sich die Methode von grossem
Vortheil gegenüber anderen. Da die Regenbogenhaut des
albinotischen Kaninchens viel zu dick ist, um in toto aus-
gebreitet gute üebersichtsbilder über den ganzen Verlauf
der Nerven bis zu ihren Endigungen zu geben, so muss
man gewöhnlich durch feine Flächeuschnitte oder Abreissen
von einzelnen Fetzen sich Auskunft über deren Verbreitung
zu verschaffen suchen. Bei der Methylenblaumethode, wo
durch die Procedur der Fizirung das Grundgewebe, wie
ElirlicVB Methylenblaomethode und ihre Anwendung a. d. Auge. 51
wir schon bei der Cornea gesehen haben, ganz durchsichtig
wird, sehen wir sämmtliche Nerven Verzweigungen in über-
sichtlichster Weise auf farblosem Grunde. Es fallt auch hier
zunächst der ungeheure Nervenreichthum auf, wie er durch
keine andere Methode auch nur annähernd dargestellt wird.
Zweifellos die beste Beschreibung der Nervenverthei«
lung in der Iris der Säugethiere, speciell des Kaninchens,
verdanken wir AI. Meyer (Archiv für mikr. Anat 1879,
S. 324). Er unterscheidet motorische Nerven, die in der
Gegend des Sphincter meist aus nackten Fibrillenbündeln
bestehen; sensible Nerven, deren Endapparate an der vor-
deren Oberfläche der Iris ein engmaschiges Netz bilden;
und endlich vasomotorische Nerven, welche in sämmtlichen
Schichten der Iris verbreitet sind.
Unsere Methyleublaupräparate ergeben nun zunächst,
dass die markhaltigen Nerven in der Ciliargegend zwei
durch reichliche Anastomosen verbundene circuläre Plexus
bilden, von denen der eine etwas tiefer liegt, als der andere.
Von diesen aus streben korkzieherartig gewundene mark-
haltige Nervenfasern in radiärer Richtung — eine innigere
Beziehung zum Verlauf der Gefässe ist mir nicht aufge-
üedlen — nach dem äusseren Sphincterrande zu, wo sie
sich wiederum zu einem, aus arkadenformigen Windungen
bestehenden Ringgeflecht gruppiren. Erst von da gehen
vorwiegend marklose Fasern in das Gewebe des Sphincter
ab, um hier ein überaus reiches Netz von feinen, pnnktir-
ten Fäden zu bilden. Ob dieses das eigentliche Terminal-
organ bildet, demnach als Endnetz aufzufassen ist, oder ob
die feinen Fasern noch in einer intimeren Beziehung zu
den glatten Muskelfasern und deren Kernen stehen, konnte
ich an den hierfür nur allzudurchsichtigen Präparaten bis
jetzt nicht herausfinden (Fig. 6).
Selbstverständlich habe ich mein Augenmerk ganz be-
sonders auf das Vorhandensein von Nervenzellen gerichtet.
Verschiedene Beobachtungen deuten unzweideutig darauf
52 Fr. Hosch.
hin, dass solche secundäre nervöse Centren als Vermittler
zwischen Muskeln und Nerven in der Iris enthalten sein
müssen. So namentlich die von Brown-Sequard gefun-
dene Thatsache, dass die Pupille der ausgeschnittenen Iris
noch durch Lichteinwirkung sich verengert; femer der Um-
stand, dass sowohl Mydriatica als Myotica, local applicirt,
auch nach Durchschneidung des Ganglionciliare (Hensen
und Völckers) und sogar am enucleirten Auge (de Ruyter)
ihre Wirkung nicht versagen.
Und doch ist heute die Frage, ob in der Regenbogen-
haut des Säugethieres Ganglienzellen sich vorfinden oder
nicht, noch eine vollständig offene. Während ältere Beob-
achter (Arnold, Faber) solche in der Iris gesehen zu ha-
ben meinen, stellen die meisten neueren Autoren (Pause,
Iwanoff, Fürst, Meyer, Schwalbe) deren Vorkommen
in Abrede. Nur in der Regenbogenhaut des Menschen be-
obachtete AI. Meyer an Zupfpräparaten Zellen, die in Be-
zug auf Grösse, Zahl der Fortsätze, kömiges Protoplasma
und bläschenförmigen Kern den Ganglienzellen sehr ähn-
lich sahen, jedoch keinen Zusammenhang mit Nervenfasern
erkennen liessen. Das Fehlen von Ganglienzellen in der
Iris aller anderen Thiere glaubt er aus der Thatsache er-
klären zu müssen, dass solche in die Stämme der Ciliar-
nerven vor ihrem Eintritt in die Iris eingeschaltet sind.
Ich finde nun in dem beschriebenen nervösen Netz der
Sphincterzone und an der äusseren Grenze derselben da
und dort spindelförmige oder dreieckige. Kern und Kern-
körperchen enthaltende Zellen eingeschaltet, die zwar etwas
klein sind (12— löju), aber meist ganz den Ganglienzellen
entsprechen und lange, aus punktirten Linien zusammen-
gesetzte Fortsätze aussenden. In einzelnen Fällen (Fig. 7)
konnte ich auch ganz sicher einen Zusammenhang des einen
oder andem Ausläufers mit markhaltigen Nervenfasem nach-
weisen. Ich stehe daher nicht an, diese Gebilde als die
postulirten Nervenzellen aufzufassen.
£hrlich*8 Methylenblaamethode und ihre Anwendong a. d. Auge. 53
Sehr schön ist an einzelnen stärker gefärbten Präpa-
raten das über die ganze Vorderfläche der Iris ausgebrei-
tete, aus feinsten, kernlosen, punktirten Fädchen bestehende
Maschen werk dargestellt, welches nach Alex. Meyer dem
Endapparat der sensibeln Nerven entsprechen soll.
An den Arterien sieht man nicht selten die Muskel-
kerne der Media violett gefärbt und das Gefäss in Form
einer unterbrochenen Spirale umgeben. Sehr zierlich ist
das Bild namentlich an den Stelleu, wo das Gefäss blut-
leer ist Dort treten dann auch die feinen Fäden des um-
spinnenden Nervenplexus deutlicher hervor, in welchem das
Gefäss wie in einem grobmaschigen Garne aufgehängt er-
scheint.
Ueber meine bisherigen Beobachtungen an der Retina
kann ich sehr rasch hinweggehen. Es macht sich hier eben
namentlich der Mangel an genügend feinen Durchschnitten
im höchsten Grade fühlbar. An Flächenpräparaten findet
man vor Allem sehr schön gefärbt die multipolaren Gang-
lienzellen mit ihren Ausläufern (Figur 8), welche sich zu
einem sehr eleganten, flächenförmig ausgebreiteten Netz-
werk feiner varicöser Fibrillen gruppiren. Auch die Ele-
mente der Kömerschichten nehmen die Färbung an, wäh-
rend die eigentlichen Sehzellen, die Stäbchen und Zapfen,
durch das Methylenblau nie tingirt zu werden scheinen.
Das ist in groben Zügen, was mir die Ehrlich 'sehe
Methode bis jetzt am Kaninchenauge ergeben hat. Dieselbe
ist — bei weiterer Vervollkommnung in der angedeuteten
Richtung — ohne Zweifel dazu berufen, noch manches Räth-
sel auf dem Gebiete der Anatomie des Nervensystems zu
lösen. Jedenfalls aber dürfen wir sie heute schon als eine
höchst willkommene Ergänzung zu den bisher gebräuch-
lichen, in mancher Hinsicht so unzuverlässigen Metallim-
prägnationen betrachten.
54 Fr. HoBch, Ehrlich's MethjlenblAiimethode etc.
Figurenerklärung.
Tafel I— n.
Fig. 1. Knotenpunkt aas dem Basalplezns mit dichotomiBcher Thei-
luDg, mit zwei Kernen (Leitz Obj. 7. Gam. Inc. Vergr.
ca. 600. Daneben dieselbe Stelle in 40facher Vergröss.).
Wegen der grösseren Deutlichkeit sind viele Fibrillen weg-
gelassen. Man sieht eine grosse Anzahl derselben sich thei-
len und nach beiden Seiten hin einen Faden abgeben.
Fig. 2. Uebersicht der in einem einzigen Gesichtsfelde sichtbaren
NervenTerzweigangen. Leitz Oc. 3. Obj. 3. Tubus einge-
schoben.
Fig. 3. Spindelförmige Verdickung an einer Anastomose zwischen
zwei Nervenstftmmchen der Cornea, a] Leitz Obj. 3. Garn,
lue. b) Leitz Obj. 7. Garn. lue.
Fig. 4. Knotenpunkt aus dem subepithelialen Plexus, von welchem
zahlreiche Fibrillen ausgehen, die sich zum Theil dicho-
tomisch theilen, zum Theil aber weite Strecken hinweg-
laufen und mit kleinen Knöpfchen enden. Leitz Obj. 3.
Gam. lue.
Fig. ö. Knopfförmige Nerrenendigung im vorderen Homhautepithel
(Endknöpfchen). Goldpräparat nach Ran vi er. Leitz Obj. 7.
Gam. lue.
Fig. 6. Uebersichtsbild über die Verbreitungs weise der motorischen
Nerven in der Iris. Leitz Oc. 3. Obj. 3. Ans technischen
GrOnden musste eine grosse Anzahl der in Wirklichkeit
vorhandenen Verzweigungen, namentlich im Sphinctertheil,
weggelassen werden.
Fig. 7. Nervenzelle aus der Sphincterzone der Iris, mit dem einen
ihrer Fortsfttze in eine markhaltige Nervenfaser übergehend.
Fig. 8. Multipolare Ganglienzellen aus der Retina. Leitz Obj. 7.
Gam. lue.
Sftmmtliche Pr¶te sind, wo nichts Anderes angegeben, gewonnen
durch Ii\jection der ges&ttigten Methylenblaulösung in das Blutgef&ss-
system und nachherige Fiximng mit pikrinsaurem Ammoniak.
Weitere Grössenschätzimgen im Gesichtsfeld.
Von
Dr. R. Fischer,
Augenarzt in Leipzig.
In meinem ersten Aufsatz über die Grössenschätzungen
Im ebenen Gesichtsfeld war ich zu der Vermuthung gelangt,
dass man die Fehler der Längenmessungen vielleicht auf
die scheinbare Sehfeldzusammenziehung und so das Augen-
maass selbst auf die Eenntniss des Abstandes aller Sehfeld-
punkte vom Fixirpunkt zurückführen darf^). Ob ein sol-
cher Zusammenhang thatsächlich besteht, können naturge-
mäss meine eigenen Untersuchungen allein nicht entscheiden.
Die Versuchsergebnisse, über die ich jetzt berichten werde,
sollen daher auch nicht als weitere Beweismittel dienen.
Sie scheinen mir aber die Schlussfolgerung zu gestatten,
dass jene „einheitliche" Art zu messen, falls sie wirklich
existirt, nicht nur bei den bereits besprochenen Längen-
Schätzungen, sondern wohl auch bei der Beurtheilung an-
derer Grössenyerhältnisse im ebenen Gesichtsfeld Verwen-
dung findet
«) T. Graefe'8 Archiv für Ophthalm. XXXVII, 1, S. 97. Nicht
SU yergessen ist die YoraoBsetzung, die ich dort gemacht habe: die
Entfemongen zweier Punkte Yom Fixirpunkt können vielleicht nur
dann unmittelbar mit einander verglichen werden, wenn die beiden
Punkte ein und demselben Sehfeldradius angehören. Demnach ist
es eigentlich die Eenntniss von der relativen Lage der Punkte eines
• Sehfeldiadius, auf der das Augenmaass beruhen würde.
56 R. Fischer.
Veigleiohiing von Winkeln.
Zu den Winkelmessungen, die ich vor einigen Jahren
unmittelbar nach den a. a. 0. beschriebenen Versuchen vor-
genommen habe, bediente ich mich wie dort der senkrech-
ten, schwarzen Tafel. Ich zeichnete auf ihr einen Kreis
von 36 cm Durchmesser auf und gab der Kreislinie eine
möglichst genaue Gradeintheilung; das obere Ende des senk-
rechten Durchmessers wurde mit 0^ bezeichnet und dann
rechts herum in der Richtung der Uhrzeigerbewegung fort-
gezählt. Die Winkel stellte ich anfangs durch Fädchen
dar, die im Mittelpunkt des Kreises aus einer feinen Oeff-
nung hervortraten und deren freie Enden ausserhalb des
Kreisbogens leicht auf der Tafel befestigt werden konnten.
Meist verwendete ich aber längere Fädchen in der Weise,
dass sie sich im Kreismittelpunkt einfach kreuzten und mit
beiden Enden ausserhalb des Kreises auf der Vorderfläche
der Tafel angeheftet wurden. So hatte ich allerdings ausser
den zu beurtheilenden Winkeln stets noch ihre Scheitel-
winkel im Gesichtsfeld. Diese beeinträchtigten aber die
Untersuchung in keiner Weise, jedenfalls nicht nach einiger
Einübung, und sie ermöglichten zugleich eine grössere Ab-
wechselung, da ich jetzt im Stande war, auf einen Versuch
mit den einen Winkeln immer sofort einen Versuch mit
den anderen folgen zu lassen.
Wenn ich nun mit beiden Augen untersuchen wollte,
so brachte ich den Mittelpunkt des Kreises auf 18 cm Ab-
stand in die Höhe der Augen, gegenüber der Mittellinie.
In den Versuchen mit einem Auge dagegen wurde die Lage
des Auges — in gleicher Entfernung — durch ein vor der
Tafel befestigtes Zahnbrett, Visirzeichen u. s. w, genauer be-
stimmt, in der Weise, dass die Tafel von der Hauptblick-
linie stets im Kreismittelpunkt, im Scheitel der zu verglei-
Weitere Grössenschätzungen im Gesichtsfeld. 57
chenden Winkel senkrecht getroffen werden konnte. Das
Visirzeichen war leicht beweglich; wenn es den Winkeln
zu nahe kam oder sonst störte, wurde es allemal nach An-
nahme der richtigen Augenstellung augenblicklich entfernt.
Mit diesen Vorkehrungen habe ich eine grosse Zahl
von Winkelmessungen ausgeführt und zwar bestand die
Aufgabe hauptsächlich darin, einen Winkel nach dem Au-
genmaass zu halbiren. Dem Winkel wurden dabei die yer-
schiedensten Lagen um den Ereismittelpunkt herum und
die yerschiedensten Grössen gegeben. In den folgenden
Tabellen bezeichnet die erste wagrechte Zahlenreihe die
Grösse der geforderten Winkelhälften und die erste senk-
rechte Reihe die geforderte Lage des halbirenden Halb-
messers. Die übrigen Zahlen geben den beobachteten con-
stanten Fehler (= CF) an, d. h. die Mittelwerthe der Ab-
weichungen der eingestellten Halbirungslinie von der rich-
tigen Lage, jedoch die Mittelwerthe nicht in absoluten Zah-
len, sondern in Procenten der wirklichen Hälften, jedesmal
mit einem Vorzeichen, dessen Bedeutung keiner Erklärung
bedarf. Nach jeder Einstellung des scheinbar halbirenden
Sdienkels wurde dessen Abweichung von der geforderten
Lage an der Gradeiotheilung abgelesen, ausserdem aber,
soweit sie nicht ganze Grade betrug, an dem Bareisbogen
noch linear gemessen; erst die Mittelwerthe rechnete ich
ToHständig in Grade um. Der hierdurch eingeführte Fehler
ist jedoch verschwindend klein, namentlich auch gegenüber
etwaigen Ungenauigkeiten der Gradeintheilung und des Ab-
messens, die in CF mit enthalten sein mögen.
1) CF der Winkelhalbirungen im Sehfeld des rechten
Auges. Gesichtslinie im Scheitel der Winkel senkrecht zur
Sehfeldebene; Primärlage des Auges. Je 40 Versuche, für
10 <^ und 15 <> nur je 20.
58
B. Flacher.
6»
10»
15»
20«
30»
45»
60«
76«
0«
-4,17
-2,96
— 2,15
+ 1,79
+ 1,78
+ 2,80
+ 2,92
+ 2,69
10«
— 4,83
— 5,19
— 4,62
— 2,31
-1,58
— 1,18
+ 1.92
+ 8,56
20«
— 3,98
— 2,61
— 2,15
— 2,05
— 0,82
— 0,99
+ 1,33
+ 8.64
30»
— 1,16
— 0,97
+ 1,64
+ 8,44
+ 4,79
+ 1,78
+ 2,63
+ 4,06
40«
50«
+ 0,97
+ 0,99
+ 2,40
+ 2,78
+ 1,10
+ 5.03
+ 9,17
+ 6,17
+ 6,68
.+ 6,89
+ 8,66
+ 3,80
60«
+ 1,83
+ 3,14
—
+ 5,96
+ 8,81
—
+ 4,18
+ 4,11
70*
+ 3,83
+ 2,72
—
+ 6,85
+ 9,47
+ 8,42
+ 6,00
+ 4,60
80«
+ 5,44
+ 1,67
—
+ 6,93
+ 6,98
—
90»
+ 4,25
+ 3,64
+ 3,01
+ 7,50
+ 7,28 +5,64
+ 5,76
+ 5,84
100 •
+ 5,66
+ 6,74
+ 6,86
+ 6,93
—
+ 4,74
[+6,02
110«
+ 4,98
+ 6,19
+ 6,86
+ 6,93
+ 4,41
120«
+ 4,82
+ 4,22
"""
+ 6,25
+ 8,27
—
+ 6,19
+ 6,62
130«
140«
+ 7,05
+ 4,44
+ 4,09
+ 2,66
+ 3,58
+ 7,52
+ 7,08
+ 8.50
+ 5,62J
►+ 6,46
+ 4,62
+ 3.53
150«
+ 6,06
+ 4,46
—
+ 3,41
+ 6,02
—
+ 8,59
+ 2.65
160«
+ 4,90
+ 6,85
—
+ 5,60
+ 6,46
+ 8,08
+ 3,24
+ 1.52
170«
+ 8,81
+ 5,61
—
+ 7,59
+ 6.68
+ 6,90
+ 2,56
+ 1,89
180«
+ 4,63
+ 7,61
+ 5,17
+ 5,83
+ 5.38
+ 4.70
+ 2,69
+ 2.20
190«
+ 4,64
+ 2,07
—
+ 3,31
+ 1,10
+ 0,84
+ 0,59
+ 0,78
200«
+ 3,93
+ 3.16
—
+ 1,29
— 0,83
— 1,01
— 2,61
— 0.48
210«
+ 1,32
+ 2,56
—
-2,65
— 3,27
— 3.91
-3,90
-2,69
220«
230«
+ 0,69
— 1,54
+ 0,43
-0,96J
— 0,16
— 8,64
— 3,29
— 3,99
-4,73
— 6.72
— 4,16
— 3,76
240«
— 0,57
-1,61
—
— 3,52
— 4,98
—
-5,13
-4.86
250«
260«
— 3,85
— 2,63
— 1,36
— 2,76
—
-6,05
-7,57
— 6,73
— 6,90
— 5,68
— 6,76
— 8,18
270«
-3,41
— 3,14
— 3,28
— 9,95
— 7,69
-6,60
— 6,22
— 4,72
280«
290«
-4,67
— 7,03
— 2.06
— 2,04
—
— 9,18
— 7,99
— 7,42
— 9,91
-8,59
f-6,65j
[—3,94
300«
-6,09
— 2,12
—
-8,78
— 9,33
—
— 4,80|— 2,16
310«
320«
— 5,87
— 6,52
— 1,64
-2,66
— 3,50
— 5,76
— 8,10
— 7,80
-4,42
— 3,54
— 1,76
-3,14
+ 0,12
330«
-4,90
— 3,02
—
-1,68
— 1,88
+ 2,32
+ 1,13
+ 1,30
340«
-3,83
-4,49
—
+ 2,70
+ 2,63
+ 5,42
+ 1,79
+ 1,43
350«
-4,42
— 4,06
-4,12
+ 6,85
+ 6.12
+ 6,25
+ 2,33
+ 2,19
Weitere GrösseoBch&tzaiigeii im Gesichtsfeld.
59
2) CF der Winkelhalbirungen im Sehfeld des linken
Auges. Versachsanordnung wie in 1). Je 40 Einstellungen,
für 10* nur je 20.
5«
10»
20» 30»
45«
60»
75«
0*
+ 5,01
+ 3,91
+ 2,54
+ 3,72
+ 2,10
+ 3,66
+ 4,85
10«
+ 4,88
+ 2,77
+ 3,51
+ 4,28
+ 0,92
+ 4,13
—
20»
—
—
+ 2,20
—
+ 3,16
—
—
30«
—
—
+ 1,74
+ 4,16
—
40«
50«
+ 4,04
+ 4,68
+ 4,62
"~"
+ 5,70
—
■~~
+ 2,34
90*
+ 435
+ 3,77
+ 7,66
+ 8,21
+ 6,64
+ 5,01
+ 3,41
135»
—
+ 4,07
+ 5,34
—
..
—
150*
+ 1,87
+ 1,86
+ 3,10
—
—
—
—
leo«
— 2,17
— 1,53
-0.41
+ 2,81
+ 2,66
+ 1,81
+ 1,24
170«
-4,26
— 3,29
-2,05
— 0,44
— 0,62
+ 0,80
— 0,73
180»
— 8,60
— 2,10
— 5,00
— 2,66
-1,94
-1,26
-0,79
igo«»
— 4,66
-4,06
—
—
—
—
—
220»
230»
— 3,66
— 4,58
-4,87
—
— 6,58
—
—
— 3,64
270*
— 5,09
— 4,28
- 8,31
-9,03
-6.37
-5,55
-4,12
315«
—
— 3,57
—
-4,91
—
-0,47
330*
-3,12
— 2,20
— 2,86
-1,23
+ 0,81
— 0,95
+ 0,66
340*
+ 1,21
+ 1.42
+ 1,89
+ 1,03
+ 0,90
+ 0,90
+ 1,94
^50»
+ M1
+ 439
+ 3,21
+ 3,19
+ 2,90
+ 2,23
+ 3,45
Was lehrt nun die Zahlenmenge der beiden Tabellen?
— Wiewohl GF eigentlich so wenig constant ist, dass ich
mich über die Regelmässigkeit der Ergebnisse fast wun-
dern möchte» so scheint mir doch eins sicher zu sein:' Wenn
der halbirende Halbmesser wagrecht oder auch nur annä-
hernd wagrecht lag, so hatte die Einstellung stets den Er-
folg, dass die obere Winkelhälfte grösser wurde als die
untere. Das gilt für das rechte wie für das linke Auge
und jedesmal für beide Sehfeldhälften. Es gilt femer ebenso
Tollkommen für das Blickfeld, gleichviel ob ich mit einem
Auge Ton der Primärlage aus oder mit beiden Augen unter-
GO R- Fischer.
suchte. Diese Art der Winkelmessung erinnert aber deut-
lich genug an die Halbiruug senkrechter Längen: auch da
habe ich immer die untere Hälfte überschätzt, die obere
zu gross gemacht Sollte eine solche Aehnlichkeit nur Zu-
fall sein? Es sieht doch ganz so aus^ als ob ich die Winkel
mit Hülfe desselben Maassstabes» nach gewissen linearen
Abständen ihrer Schenkel (Sehnen? ^) beurtheilt hätte. Ge-
nau senkrechte Lage der Abstände wäre hierzu keineswegs
erforderlich; nach mehreren Versuchsreihen aus der Zeit,
wo ich Strecken zu halbiren begann, lege ich selbst an
Linien von 45^ Neigung noch ungefähr den senkrechten
Maassstab an.
Auf Grund der Längenschätzungen müssten dann bei
0^- und 180^-Lage des halbirenden Schenkels die äusseren
Winkelhälften kleiner ausfallen als die inneren. So geschah
es aber lediglich im Sehfeld des rechten Auges in der 0^-
Lage und selbst da nur bei den grösseren Winkeln. In-
dessen lässt ja die Anwendung des ursprünglichen Maas-
ses (der scheinbaren Sehfeldzusammenziehung) verschiedene
Möglichkeiten zu und gerade für wagrechte Strecken um
so eher, als hier, sobald mit beiden Augen gemessen wird,
die Maassstäbe der beiden Sehfelder in Widerspruch mit
einander gerathen*). Habe ich mich doch selbst einmal in
') An die Tangenten ist kaum zu denken. Der Unterschied der
scheinbar richtigen Winkelh&lften w&chst annfthemd proportional
der Winkelgrösse ; ebenso verh< sich allenfalls der Unterschied der
Sehnen, aber ganz und gar nicht der der Tangenten.
') Nach dieser Ausdrucksweise könnte es scheinen, als ob ich
den Maassstab der ein&ugigen Sehfelder als ursprünglich gegeben
betrachten und daraus erst die Messungen mit beiden Augen ab*
leiten wollte. Der Unterschied in der Beständigkeit des senkrech-
.ten und des wagrechten Maassstabes l&sst sich aber wohl verstehen,
wenn man davon ausgeht, dass wir die Entfernung der Sehfeldpunkte
vom Fixirpunkt kennen lernen, während wir mit beiden Augen die
Gegenstände unserer Umgebung sehen. Der senkrechte Abstand
eines Punktes von der Yisirebene hat hierbei für beide Augen den-
Weitere Qrössensch&tzungen im Gesichtsfeld. 61
einer Anzahl von Streckenhalbirungen nicht wie gewöhn-
lich nach dem Maassstab der inneren Sehfeldhälfte allein
gerichtet, sondern anscheinend nach dem der inneren und
äusseren zusammen. Dass ich bei den (meisten) Winkel-
messungen in derselben Weise verfahre, erscheint mir so-
nach nicht als eine rein willkürliche Annahme. Zudem ist
die Annahme nur für den Fall nöthig, dass die zu verglei-
chenden Abstände nicht meridional verlaufen, nicht im
Fixirpunkt zusammenstossen, also nur für die Versuche mit
Fixation des Scheitels der Winkelhälften. Liess ich nach
einer Einstellung den Blick nicht mehr auf dem Scheitel-
punkt, sondern auf einer anderen Stelle der Halbirungs-
linie ruhen oder über den Winkel hin wandern, so bemerkte
ich, gewisse Winkel des rechten Sehfeldes ausgenommen,
sofort die Unrichtigkeit der Halbirung und war nun viel-
mehr geneigt, unter Benutzung des gewöhnlichen Maass-
stabes, den entgegengesetzten Fehler zu begehen. Natür-
lich erschien mir diese neue Halbirung wieder durchaus
fehlerhaft, sowie ich mit dem Blick in die Nähe des Schei-
telpunktes kam. So war im Blickfeld die Beurtheilung nie-
mals eindeutig. Und ich hatte es fast in der Gewalt, einen
positiven oder negativen oder gar keinen CF hervorzubrin-
gen. Nur wurden bei einem Wechsel der Versuchsbedin-
gungen die ersten Einstellungen der neuen Reihe durch
die vorherigen Versuche deutlich beeinflusst, insofern als
ihre Fehler Zwischenstufen zwischen denen der beiden Rei-
hen hildeten. Am wenigsten zeigte sich eine derartige Ein-
wirkung an den kleinen nach oben sich öffnenden Winkeln
des rechten Gesichtsfeldes. Hier war auch dementsprechend,
wenn der Fixirpunkt seinen Ort änderte, der Fehler der
selben Gesichtswinkel. Dagegen wird die wagrechte Entfernung von
den zur Yisirebene senkrechten Meridianen oft von dem einen Auge
unter ganz anderem Winkel als von dem zweiten gesehen. Fttr
senkrechte Strecken wird sich deshalb ein festeres Maass ausbilden
können als für wagrechte.
62
R. Fischer.
Halbirung am auffälligsten. Die grossen Winkel gleicher
Lage dagegen wurden im Blickfeld des rechten Auges ge-
nau so wie bei Fixirung des Scheitels, d. h. beidemal an-
scheinend nach dem gewöhnlichen Maassstab für wagrechte
Strecken beurtheilt. Sie zeichnen sich also vor allen an-
deren durch die Uebereinstimmung des Sehfeldes mit dem
Blickfeld aus, eine Thatsache, die, wie mir scheint, nicht
unwichtig ist für die Halbirungen von 180^
Diese richtete ich nach dem schon yon den kleineren
Winkeln her geläufigen Verfahren ein. Es war ein Winkel
yon 180^, ein Durchmesser des Kreises auf der Tafel ge«
geben und ein Halbmesser wurde nach dem Augenmaass
so gedreht, dass er den Winkel in scheinbar gleiche Ab-
schnitte, rechte Winkel theilte. Den Halbmesser ersetzte
ich jedoch meist, ebenso wie bei den übrigen Winkeln,
durch einen Durchmesser. Natürlich beachtete ich trotzdem
immer nur den einen Winkel yon 180^, d. h. ich suchte
nicht etwa ein rechtwinkliges Kreuz herzustellen, sondern
eben nur zwei Nebenwinkel einander gleich zu machen.
Tabelle 3) enthält die Abweichungen des halbirenden Halb-
messers yon der richtigen Lage wie sonst in Procenten der
wirklichen Hälften. Ich habe aber eine etwas ungewöhn-
liche Anordnung der Zahlen gewählt; es kam mir darauf
an, die Fehlerreihen der yier Quadranten unmittelbar neben
einander zu stellen und so ihre Vergleichung zu erleichtern.
3) CF der Halbirungen eines Winkels yon 180® im
Sehfeld des rechten Auges. Versuchsanordnung wie in 1).
Je 80 Einstellungen.
Lage des halbirenden
Halbmessers
Zugehöriger constanter Fehler
I
II
III
IV
I
II
III
IV
0»
90»
860»
270»
+ 1.30
— 1,32
+ 1.30
-1,23
10»
100»
350»
260»
+ 1,51
-l,5ö
+ 1,51
-1,56
20»
110»
340»
250»
+ 2,16
— 2,01
+ 1,99
— 2,72
30*
120»
330»
240»
+ 2,12
— 1,99
+ 2,25
— 2,73
40»
130»
320»
230»
+ 2,22
-1,98
+ 2,26
— 2.13
Weitere GrGssensch&tzungen im Gesichtsfeld.
63
Fortsetzung yon 3).
La«
e des halbirenden
Halbmessers
Zugehöriger constanter Fehler
I
II
III
IV
I
II
III
IV
50»
140«
310«
220»
+ 1,74
-1,34
+ 2,05
-1,29
60«
150»
300»
210»
+ 0,96
-0,66
+ 1,34
— 0,58
70*
160*
290*
200«
-0,63
+ 0,59
-0,26
+ 0,28
80*
170»
280*
190*
— 1,35
+ 1,15
-0,58
+ 0,89
90*
180«
270«
180 •
-1,32
+ 1,27
-1,23
+ 1,27
Wären dies meine einzigen Winkelmessungen, so würde
es schwer halten, in ihnen das ursprüngliche Maass aller
Grössenschätzungen wiederzuerkennen. Anders liegen aber
die Verhältnisse, nachdem die Versuche mit den kleineren
Winkeln vorausgegangen sind. Wenn dort die Annahme
zulässig war, dass CF durch die scheinbare Sehfeldzusam-
menziehung bedingt wurde, so ist sie es wahrscheinlich
auch hier. Denn die Versuchsergebnisse hier schliessen
sich, soweit es möglich ist, eng an jene an.
Fassen wir zunächst die vier Hauptrichtungen des hal-
birenden Schenkels, d.h. seine Lage bei 0®, 90 ^ 180^ und
270® näher ins Auge. In diesen Fällen ist CF für die
Halbirung von 180^ von derselben Art wie für die von
150® (im Sehfeld des rechten Auges) — mit Ausnahme der
90® -Lage: für letztere lautet er in 3) gerade entgegenge-
setzt dem in 1). Der Unterschied erklärt sich jedoch dar-
aus, dass es sich ja nunmehr um Winkel von 90®, um
Nebenwinkel handelt. Die Halbirungen von 150® in der
einen Hauptrichtung der Halbirungslinie können kaum auf
die Halbirungen in einer anderen Hauptrichtung einwirken.
Anders hier. Wenn der senkrechte Durchmesser gegeben
und der Halbmesser 270® einzustellen ist, so wird CF =
— 1,3 ®/o, der innere obere Quadrant fallt grösser, der in-
nere untere kleiner aus als ein Rechter. Die gleiche Grösse
behalten die beiden Winkel, falls der gegebene Durchmes-
ser wagrecht liegt und nun die oberen oder unteren 180®
halbirt werden« Dabei ist natürlich der äussere obere Qua-
64
R. Fischer.
drant kleiner als ein Rechter, der äussere untere grösser.
Dass dann die unmittelbare Vergleichung der beiden äus-
seren Quadranten genau denselben Erfolg hat, dass sonach
bei 90^-Lage CF = — l>3®/o wird, erscheint mir fast noth-
wendig.
Mit dem CF der vier Hauptrichtungen ist weiterhin
schon ungefähr der Fehler der Zwischenstellungen gegeben,
da man wohl jedesmal auf einen allmählichen Uebergang
♦ua,
iUO
,+ui
+0Ä +127 +IJS
rechnen darf. Demgemäss beschränkt sich die Aehnlich-
keit mit den früheren Messungen auf die linke Hälfte des
(rechten) Sehfeldes. Die Uebergänge sind aber noch von
ganz besonderer Art. Der leichteren Uebersicht wegen
wiederhole ich hier Tabelle 3) in Form einer Stemfigur:
jeder halbirende Halbmesser trägt seinen CF.
Zuerst stimmen nun die oberen Quadranten insofern
mit den unteren überein, als der CF jedes halbirenden
Halbmessers des unteren Quadranten in annähernd gleicher
Grösse, nur mit anderem Vorzeichen im oberen Quadranten
Weitere Grössensch&tzangen im Gesichtsfeld. 65
bei demjenigen Halbmesser wiederkehrt, der um 90^ Ton
dem ersteren entfernt ist Daraus folgt, dass ein scheinbar
rechter Winkel der rechten und ebenso der linken Hälfte
des Sehfeldes eine unabänderliche Grösse besitzt und immer
mit demselben Fehler eingestellt wird, gleichviel mit wel-
chem seiner beiden Nebenwinkel er zu yergleichcn ist. Z. B.
erhalte ich einen richtigen rechten Winkel 205^-295^ so-
wohl wenn ich L 115^-205^-295® halbire, als auch durch
Halbimng des L 205 « - 295 « - 25 ^ Oder nehmen wir
L 230^-320®: dieser lässt sich einmal mit L140®-230^
einmal mit 320*^-50® vergleichen; in beiden Fällen wird
er grösser als ein Rechter, nach 3) um — — ^— — %•
Diese Uebereinstimmung zweier Quadranten erstreckt
^ich jedoch nur auf die rechte oder linke Hälfte des Seh-
feldes, sie reicht nicht über den senkrechten Durchmesser
liinaus. Ein scheinbar rechter Winkel, der den beiden Seh-
ieldhälften zugleich angehört, z. B. L320®-50^ hat des-
halb nicht mehr einen ein für alle Mal feststehenden Werth,
sondern er nimmt zwei verschiedene Grössen an, je nach-
dem ich ihn gegen den einen oder den anderen seiner bei-
den Nebenwinkel abschätze. Gleichwohl bestehen nahe Be-
ziehungen zwischen den beiden Sehfeldhälften. Beim ersten
Blick auf die Tabelle oder Figur erscheinen sie symmetrisch
zu einander, da in gleichen Abständen von einem senk-
rechten Halbmesser ungefähr gleiche Fehler mit gleichen
Vorzeichen verzeichnet sind. Die Symmetrie ist aber nur
eine scheinbare. Denn das gleiche Vorzeichen bedeutet ja
auf der einen Seite Annäherung an den senkrechten Halb-
messer, auf der anderen Entfernung von ihm. Deutlicher
tritt ein Zusammenhang hervor, wenn ich die rechte (oder
linke) Hälfte so um den wagrechten Halbmesser als Achse
drehe, dass der Halbmesser 10® mit dem Halbmesser 170^
20® mit 160* U.S. f. den Platz vertauscht. Dann würde die
Uebereinstimmung, die wir zwischen Unten und Oben fan-
T. Gnofe'fl Archir für Ophthalmologie. XXXVII. 3. 5
66 K. Fischer.
den, auch für Rechts und Links und somit rings im Kreise
hemm gelten; thatsächlich ist dies nur fiir die vier Haupt-
richtungen der FalL Klar wird die gegenseitige Beziehung
aber erst durch folgendes.
Die wirkliche Grösse eines scheinbar rechten Winkels,
d^ einen senkrechten Halbmesser einschliesst, ist, wie ge-
sagt, eine doppelte und richtet sich danach, welcher seiner
beiden Nebenwinkel zur Vergleichung herangezogen wird.
Diese beiden Nebenwinkel nun, die natürlich Scheitelwinkel
mit einander bilden, unterli^en nicht etwa ähnlichen Schwan-
kungen, sie besitzen vielmehr als scheinbar rechte Winkel
fest bestimmte Werthe, da allemal der eine von ihnen ganz
in der linken, der andere ganz in der rechten Sehfeldhälfte
liegt Der Wechsel in der Beurtheilung des zuerst genann-
ten Winkels erfordert deshalb die Annahme, dass die bei-
den Scheitelwinkel, obwohl beide scheinbar =s 90 ^ ungleich
gross sind — und so ist es in der That. Sie wechseln je-
doch nicht beliebig, sondern der Winkel der linken, inne-
ren Sehfeldhälfte ist stets grösser als sein in der rechten,
äusseren Hälfte liegender Scheitelwinkel. Der Unterschied
hat den höchsten Grad bei den Winkeln, die sich gerade
nach rechts und nach links öfifnen, [__ 45®-135ö und L 225«-
315^, und er nimmt allmählich ab, je mehr sich die Win-
kel von dieser Lage entfernen, bis er schliesslich verschwin-
det, wenn sie von senkrechten und wagrechten Halbmessern
gebildet werden. Tabelle 3 a enthält in I neben der Lage
eines scheinbar rechten Winkels in der linken Sehfeldhälfte
dessen wirkliche Grösse, wie sie sich nach den beiden in
3) mitgetheilten Vergleichungeu berechnet (der Einfachheit
wegen % beibehalten), und in H die entsprechenden Zah-
len für die Scheitelwinkel. Wie viel die Winkel unter I
grösser sind als die unter II, besagt die letzte Reihe.
3 a) Scheinbar rechte Winkel im Sehfeld des rechten
Auges.
Weitere GrössenBch&tzangen im Gesichtsfeld. 67
I um
Winkellage, Wirkliche WinkeUage, Wirkliche I > II
ann&henid Grösse ann&hemd Grösse
180»— 270* 90« — l,25Vo 0»— 90« 90« — l,81Vo —
190«— 280« 90« — 0,73,, lO«— 100« 90« — 1,53 „ 0,80
200«- 290« 90« — 0,27,, 20«- 110« 90« — 2,08,, 1,81
210«— 300« 90« + 0,96,, 30«— 120« 90« — 2,06,, 3,02
220*— 310« 90« + 1,67 „ 40« — 130« 90« — 2,10 „ 3,77
230«- 320« 90« + 2,19,, 50«— 140« 90« — 1,54,, 3,73
240«— 330« 90« + 2,49 „ 60«— löO« 90« — 0,81 „ 3,30
250« — 340« 90« + 2.36 „ 70« — 160« 90« + 0,61 „ 1,75
260«— 350« 90« + 1,53,, 80«— 170« 90« + 1,25 „ 0,28
270«— 360« 90« + 1,26,; 90«— 180« 90« + 1,29 „ —
Die scheinbar Fechten Winkel der inneren Sehfeid-
hälfte sind also — am meisten, wenn sie gerade nach in*
nen zu liegen, — grösser als ihre Scheitelwinkel, gleich-
falls scheinbar rechte Winkel, in der äusseren Hälfte. Sollte
sich hierin nicht wiederum die Einwirkung meines Maasses
Terrathen? Durch letzteres wäre dann doch das eigenthüm-
hohe Verhalten des GF in den Uebergängen von der einen
Hauptrichtung zur anderen des Näheren bedingt. Dem Zu-
fall verdanken jedenfalls die Zahlenreihen in 3) ihre Regel-
mässigkeit nicht. Dafür scheinen mir auch die Erfahrun-
gen zu sprechen, die ich mit den Versuchen, ein recht-
winkliges Kreuz herzustellen, gemacht habe. Ich konnte die
Aufgabe mit dem rechten Auge nur dann lösen, wenn die
beiden sich kreuzenden Durchmesser senkrecht und wag-
recht verliefen oder höchstens bis 10® davon abwichen.
Und der Fehler war in diesem Falle gerade so*) wie bei
Halbimng von ISO®, z. B. einmal im Mittel aus 80 Ver-
suchen CF = -}- 1,20® oder =-|- l,33®/o für den senkrech-
ten Durchmesser. In allen übrigen Lagen war das Kreuz
nicht eindeutig. Es erschien entweder nur das eine oder
nur das andere Winkelpaar richtig, niemals alle vier. Diese
*) Dies Yerhftltniss blieb aach in sp&teren Tersuchen bestehen,
in denen CF andere Werthe annahm.
5*
68
R. Fischer.
Mehrdeutigkeit eines rechtwinkligen Kreuzes habe ich frei-
lich erst erkannt, nachdem ich die Halbirungen von 180®
beendet hatte. In früheren Versuchen, die noch den aller-
ersten Winkelmessungen voraufgingen, stand ich den Befun-
den rathlos gegenüber, da sie bald sehr schön zusammen-
passten, bald einander widersprachen und da es doch nicht
den Eindruck machte, als ob nur die Unbestimmtheit den
Wechsel verschuldete. — Die genannten Schwierigkeiten
wären wohl weggeblieben, wenn die Form der Uebergänge
des CF, wie ich sie für die Halbirungen von 180® im Seh-
feld des rechten Auges beschrieben habe, nur durch zufäl-
lige Schwankungen entstanden und nicht vielmehr eine
streng gesetzmässige wäre. Dieselbe Form treffen wir aus-
serdem im Sehfeld des linken Auges wieder an.
4) CF der Halbirungen eines Winkels von 180® im
Sehfeld des linken Auges. Je 40 Versuche.
Lag
e des halbirenden
Halbmessers
Zugehöriger constanter Fehler
I
II
III
IV
I
II
III
IV
0«
90«
360«
270«
+ 1,44
-M2
+ 1,44
-1,42
10«
100«
350«
260«
+ 1.71
-1,74
+ 1,76
— 1,86
20»
110«
340«
250«
+ 2,22
— 2,16
+ 2,48
— 2,52
30«
120«
330«
240«
+ 2,40
-1,90
+ 2,79
— 2,77
40«
130«
320«
230«
+ 2,50
-1,53
+ 2,20
-2,28
50«
140«
310«
220«
+ 1,28
— 0,21
+ 1.10
-0,46
60«
150«
300«
210«
-0,40
+ 0,25
— 0,25
+ 0,29
70«
160«
290«
200«
— 1,23
+ 1,17
— 0,76
+ 0,90
80«
170«
280«
190«
i -1,26
+ 1,24
-1,17
+ 1,16
90«
180«
270«
180«
I -1,42
+ 1,44
-1,42
+ 1,44
Tabelle 4) deckt sich fast vollständig mit 3). Nur ist
der Ort der richtigen Halbirung durchweg der Quadranten-
mitte etwas näher gerückt. Die Bedeutung dieses Befun-
des erhellt aus Tabelle 4a, die ich aus 4) in gleicher Weise
abgeleitet habe wie 3 a aus 3).
Weitere Grössensch&tzangen im Gesichtsfeld. 69
4 a) Scheinbar rechte Winkel im Sehfeld des linken
Auges.
I II III
Winkellage, Wirkliche Winkellage, Wirkliche
ann&hernd Grösse annähernd Grösse I > II
180«— 270« 90» — M3Vo O«— 90« 90« — l,437o —
190»— 280« 90« — 1,16,, 10«— 100« 90« — 1,72,, 0,56
200«— 290« 90« — 0,82 „ 20«— 110« 90« — 2,19 „ 1,37
210«- 300« 90« — 0,27,, 30« — 120« 90« — 2,15,, 1,88
220«— 310« 90« + 0,78,, 40«— 130« 90« — 2,01,, 2,79
230«— 320« 90« + 2,24,, 50«— 140« 90« — 0,74,, 2,98
240«— 330« 90« + 2,78,, 60«— 150« 90« + 0,32,, 2,46
250«— 340« 90« + 2,50,, 70« — 160« 90« + 1,20,, 1,30
260«— 350« 90« + 1,81,, 80«— 170« 90« + 1,25 „ 0,56
270«— 360« 90« + 1,43 „ 90«— 180« 90« + 1,43 „ —
Es sind sonach die scheinbar rechten Winkel der lin-
ken Hälfte des Sehfeldes hier ebenfalls grösser als ihre
Scheitelwinkel in der rechten, jedoch nicht so viel wie im
Sehfeld des rechten Auges — und damit hängt eben die
Verschiebung des Punktes, wo CF = 0, zusammen. Im
Uebrigen stimmen die beiden Sehfelder vollkommen über-
ein. — Hierdurch schliessen sich, so scheint es, die Hal-
birungen von 180® wiederum möglichst eng an die der
kleineren Winkel, insbesondere an die von 150^ an. Denn
bei letzteren weichen die Sehfelder nur wenig von einander
ab, nämlich nur insofern, als der Halbmesser 180® rechts
einen positiven, links einen negativen *CB' aufweist; in den
drei anderen Hauptrichtungen besteht kein Unterschied
zwischen rechts und links. Ist aber ebenso bei Verglei-
chung rechter Winkel in der 0®-, 90®- und 270®-Lage
CF rechts und links der gleiche, so muss er es auch für
die 180® -Lage sein, weil ja nunmehr der CF der einen
Hauptrichtung von dem der anderen abhängt.
Allein eigentlich wäre man wohl berechtigt, zwischen
den beiden Sehfeldern Symmetrie zu erwarten. Die sym-
metrische Vertheilung der Fehler (Vorzeichen) würde sich
70 R- Fischer.
übrigens genau so gut wie die nicht symmetrische aus den
bei den kleineren Winkeln gewonnenen Ergebnissen her-
leiten lassen: Tabelle 4) hat nur in zwei Hauptrichtungen
denselben CF wie 2); natürlich bleibt es so, wenn in 4)
die Vorzeichen durchweg abgeändert werden und nun 4)
und 3) symmetrisch erscheinen. Eine solche Aenderung
Imtte zudem den Vortheil, dass dann im linken Sehfeld
ebenso wie im rechten das Grössenverhältniss zwischen den
scheinbar rechten Winkeln der inneren Hälfte und ihren
Scheitelwinkeln in der äusseren dem gewöhnlichen Maass-
stab für Innen und Aussen entsprechen würde. Das linke
Auge verräth denn auch hier und da Neigung zu „symme-
trischen" Einstellungen; namentlich kommt der unterdrückte
negative Fehler des linksseitigen Halbmessers 180^, und
schliesslich des senkrechten Durchmessers überhaupt, öfters
wieder zum Vorschein — ein Verhalten, das offenbar schon
bei den kleineren Winkeln dadurch angebahnt ist, dass der
CF der senkrechten Halbirungslinien dort, besonders im
linken Gesichtsfeld, eine doppelte Form annehmen kann.
Spätere Halbirungen von 180^ in den vier Hauptrich-
tungen ergaben zuweilen einen grösseren CF als die oben
mitgetheilten, häufiger noch einen kleineren; z. B. betrug
er nach je 80 Einstellungen der beiden senkrechten Halb-
messer im rechten Sehfeld 0,91 ®/o, im linken 0,90 ^/q. Ebenso
wurde in der Regel im Blickfeld jedes Auges CF etwas
niedriger, so einmal für die senkrechten Halbmesser zusam-
men = + 0,76®/o und +0,78<>/o. Das Gleiche gilt für die
Halbirungen und die Einstellungen eines rechtwinkligen
Kreuzes mit beiden Augen; bei ersteren war z. B. CF =
-|-0,6ö®/o, bei letzteren die Abweichung des senkrechten
Durchmessers = + 0,59« oder in »/o von 90® = 0,66 %
ein zweites Mal == + 0,83« = 0,92%. — Solche Schwan-
kungen des CF haben nichts überraschendes; in den an-
deren Versuchen war es ja ähnlich. Bedeutungsvoll erscheint
mir dagegen die Beobachtung, dass CF des Halbmessers
Weitere GröaseDsch&tEODgen im Gesichtsfeld. 71
180^ bei den Halbirnngen von 180^ im Blickfeld des lin-
ken Auges an manchen Tagen nicht mehr das positive Vor-
zeichen hatte, wie zu derselben Zeit im Sehfeld ') und wie
sonst gewöhnlich, sondern das entgegengesetzte» ohne seine
Grösse wesentlich zu ändern. Ebenso fand ich dann den
negativen Fehler bei den Einstellungen eines senkrecht
stehenden rechtwinkligen Kreuzes mit dem linken Auge,
freilich nur selten. Häufiger schien aber die Symmetrie
wieder in den Versuchen mit beiden Augen hervorzutreten;
denn hier wurde wiederholt für den Halbmesser 180^ CF
= 0, ebenso für das rechtwinklige Kreuz.
Aehnlich verhielt sich GF, wenn ich nicht mehr rechte
Winkel beurtheilte, sondern den Durchmesser 0^-180^ nach
dem Augenmaass in senkrechte Lage zu bringen suchte.
Der scheinbar senkrechte Meridian zeigte, ebenso wie die
senkrechten Halbmesser in den Halbirungen von 180® und
offenbar aus demselben Grunde (also mittelbar wegen der
scheinbaren Sehfeldzusammenziehung), eine Drehung nach
redits und es war z. B. nach 200 Versuchen im rechten
Sehfeld CF = +l,17^ im linken = + 0,970; im Blickfeld
wurde er wohl immer etwas kleiner, aber links manchmal,
bei gleicher Grösse, sogar negativ, bei den Messungen mit
beiden Augen endlich stets klein, mit positivem Vorzeichen,
a. B. = + 0,34^ zuweilen auch = 0.
In einem Falle kehrte aber jener negative Fehler des
linken Gesichtsfeldes und so die Symmetrie zwischen links
und rechts regelmässig wieder, nämlich da, wo zu dem
*) Dann richteten sich die Versuche im Sehfeld stets eine Zeit
lang nach den unmittelbar Torausgehenden Einstellungen im Blick-
feld, und umgekehrt. Auch die Messungen mit beiden Augen hatten
zum Theil verschiedene Ergebnisse, je nachdem Yorher im linken
oder rechten Blickfeld untersucht worden war. Aehnliches sahen
wir bei den kleineren Winkeln, als festgestellt wurde, dass GF der
senkrechten Halbirungslinien dort ebenfalls bald positiv, bald nega-
tiv sein kann.
72 R. Fischer.
scheinbar senkrechten Meridian des rechten Sehfeldes die
Decklinie im linken gesucht wurde. Letztere war um eben-
soviel nach links gedreht als ersterer nach rechts und bil-
dete mit ihm einen nach oben offenen Winkel, der nach
zahlreichen Versuchen im Durchschnitt — 2,31 ^ also noch
einmal so gross war als nach 3) CF des Halbmessers 0^
bei den Halbirungen von 180®; nach unten verlängert wür-
den sich übrigens die Decklinien, wenn ich aufrecht stehe,
gerade auf dem Fussboden schneiden.
Diese Lage der Decklinien führte freilich zu Wider-
sprüchen. Die scheinbar wagrechten Meridiane beider Seh-
felder verliefen, wenigstens allemal nach längerer Dauer
der Untersuchung, auch wirklich wagrecht. Zu ihnen stand
nun zwar der scheinbar senkrechte Meridian des rechten
Sehfeldes rechtwinklig, aber nicht auch dessen Decklinie.
Drehte ich diese, bis die Winkel = 90® erschienen, so war
sie zu jenem absolut parallel, aber natürlich nicht mehr
Decklinie. Ueberhaupt gelang es zur Zeit jener Versuche
nicht, auf diese Weise ein rechtwinkliges Kreuz herzustellen,
solange das ebene Gesichtsfeld streng festgehalten wurde.
So suchte sich die Symmetrie der beiden Gesichtsfel-
der immer wieder geltend zu machen. Gleichwohl blieb
sie nach allem eine sehr unvollkommene. In den meisten
Fällen richteten sich anscheinend die Messungen im linken
Gesichtsfeld und die mit beiden Augen zeitweise oder regel-
mässig nach denen des rechten Auges. Hiermit hängt ver-
muthlich eine Erscheinung zusammen, die ich bei den Ein-
stellungen der scheinbar senkrechten Decklinien (beide Au-
gen in der Primärlage), aber auch sonst noch in stereo-
skopischen Versuchen bemerkt habe: das binoculare Sam-
melbild befand sich häufig nicht gegenüber der Mittellinie,
sondern gerade vor dem rechten Auge. Diese Bevorzugung
des rechten Auges ist vielleicht aus einem einseitigen Ge-
brauch desselben hervorgegangen. Obwohl meine Augen
bei gleicher Kurzsichtigkeit gleich leistungsfähig sind, so
Weitere Grössen sch&tzungen im Gesichtsfeld. 78
benutze ich doch seit langem das rechte weit mehr als das
linke, zum Mikroskopiren, beim Gebrauch eines Vergrösse-
mngsglases, oft auch zur Augenspiegeluntersuchung, wenig-
stens im umgekehrten Bilde, femer z. B. selbst in den Ver-
suchen über die Grössenschätzungen, die mich geraume Zeit
beschäftigt haben u. s. w. Dann wäre die beschriebene Asym-
metrie der Gesichtsfelder eine erworbene; von den beiden
Messungsarten des linken Auges wäre die eine, die „sym-
metrische'S durch die andere, nicht symmetrische, eben we-
gen deren Uebereinstimmung mit der Messungsart des rech-
ten Auges, in vielen Beziehungen (vielleicht nicht für immer?)
verdrängt Dass bei den kleineren Winkeln (TabeUe 1 und 2)
die Symmetrie der beiden Sehfelder zum Theil gestört er-
schien, war übrigens ebenfalls, wenn auch in anderer Weise,
die Folge einer Bevorzugung des rechten Auges.
Ob bei Anderen eine ähnliche Asymmetrie vorkommt,
ist mir nicht bekannt. Mehrere Untersucher berichten, dass
bei ihnen die symmetrisch liegenden scheinbar senkrechten
Decklinien mit den scheinbar senkrechten Meridianen oder
doch mit den auf einer Wagrechten scheinbar senkrecht
stehenden Meridianen zusammenfallen. Und der Winkel,
imter dem sich erstere schneiden, beträgt etwa so viel wie
bei mir oder noch mehr, öfters auch weniger, ja er kann
= 0 werden. Der zuletzt genannte Befund wie überhaupt
der Wechsel der Winkelgrösse würde an sich noch keines-
w^s gegen die aus meinen Darlegungen zu ziehende Schluss-
folgerung sprechen, dass die fehlerhafte Lage der schein-
bar senkrechten Meridiane u.s.w., wo sie vorhanden, (sym-
metrisch oder nicht) eben doch durch die Art der Ausmes-
sung des einäugigen Gesichtsfeldes und somit schliesslich
durch die scheinbare Sehfeldzusammenziehung bedingt sein
könnte. Ist der Fehler =0, so wäre z.B. daran zu den-
ken, ob nicht in diesem Falle die Sehfeldzusammenziehung
in allen Richtungen gleich stark nach der Peripherie hin
zunimmt u.s.f.
74 R- Fischer.
Weitere einschlägige Versuche sind meines Wissens
nur noch in geringer Zahl veröffentlicht worden. Helm-
holtz^) stellte mit dem rechten Auge ein rechtwinkliges
Kreuz, das — nach meinen Bezeichnungen — von den
Durchmessern 342«- 162« und 720-252» gebildet wurde,
vollkommen richtig ein, mit dem linken Auge dagegen ein
symmetrisch zu jenem liegendes Kreuz, d. h. die Durchmes-
ser 18<^-198» und 108<>-288^ am fehlerhaftesten erschien
das Kreuz, nachdem er es um 45« weiter gedreht hatte.
Wie ein Blick auf meine Halbirungen von 180 « lehrt,
könnte sich bei mir das Kreuz unter Umständen in fast
gleichen Lagen ebenso verhalten. Die Möglichkeit ist ge-
geben; der Fehler hängt nur davon ab, welches Winkel-
l)aar ich berücksichtigen will.
Femer spricht Helmholtz auch von der Vergleichung
kleinerer Winkel. Wenn er durch den Scheitel eines Win-
kels von 30« bis 45«, dessen einer Schenkel wagrecht lag,
eine dritte, der Senkrechten nähere Linie so zog, dass der
zweite Winkel dem ersten gleich zu sein schien, so fiel der
zweite zu gross aus und betrug z. B. statt 30« über 34«
(d. h. CF > 13 «/oO; ob er mit dem rechten oder mit dem
linken Auge untersuchte imd ob sich der Winkel nach
rechts oder nach links öffnete, war gleichgültig. Diesen
Versuchen entsprechen wahrscheinlich meine eigenen Hal-
birungen eines Winkels von 60« bei 60«- und 300 «-Lage
des halbirenden Schenkels (wohl nicht die bei 120«- und
240«-Lage?) sowie die Halbirungen von 90« bei 45«- und
315 «-Lage — und sie waren auch mit einem ähnlichen
Fehler verbunden. Dass mein GF niemals die beträcht-
liche Höhe erreichte wie der von Helmholtz, kann Zufall
sein, rührt aber vielleicht von der Verschiedenheit der Auf-
gaben her. Ich habe wiederholt die Winkelvergleichungen
so wie Helmholtz vorgenonunen, indem ich nicht den
>) Helmholtz, Handbach der physiol. Optik. 1. Aufl. i 28.
Weitere GröBsenschiltzangen im Gesichtsfeld. 75
mittelsten der drei gewöhnlich vorhandenen Halbmesser,
sondern einen der beiden anderen nach dem Augenmaass
einstellte, indem ich also nicht halbirte, sondern einem
Winkel von 10, 20 oder 30® einen zweiten, anliegenden
gleich zu machen suchte. Der CF, der hierbei nachgewie-
sen werden konnte, wich nun, allerdings nur für die nach
redits oder links offenen Winkel, in regelmässiger Form
von dem der Halbirungen ab. Wenn z. B. L.90<^-110®
gegeben und der Schenkel 70® in die geforderte Lage zu
bringen war oder wenn umgekehrt 70® und 90® von An-
fang an vorhanden waren und der Schenkel 110® gesucht
vmrde, so bestätigte sich zwar allemal die Erfahrung, dass
der untere Winkel kleiner blieb als der obere, aber im
ersten Fall war der Unterschied der Winkel bedeutender
als nach Halbirung eines [__ 70®- 110®, im zweiten Fall da-
gegen geringer. Der gesuchte Winkel nahm immer einen
grösseren Werth an, als der Einfluss der Ueberschätzung
des unteren Winkels verlangte. — Schon wogen dieser Be-
einträchtigung des CF wird man sich besser der Halbirun-
gen als der blossen Vergleichungen bedienen, wenn es gilt,
die Art der Winkelmessung zu erforschen. Was mich aber
von vornherein veranlasste, von letzteren abzusehen und
mich in allen meinen Versuchen auf jene zu beschränken,
war die Rücksicht auf die weit grössere Bestimmtheit
der Halbirungen. Der niedrigere Grad ihres mittleren
variablen Fehlers (=YF) ermöglichte es, so liess sich
voraussehen, mit einer geringeren Zahl von Versuchen zu
einem Urtheil über CF zu gelangen. Freilich war VF der
Halbirungen immer noch ziemlich stark; er hatte, wenn
wir ihn wie bei den Längenmessungen in Procenten der
wirklichen Hälften ausdrücken, folgende Werthe:
Ib) VF der Winkelhalbirungen im Sehfeld des rech-
ten Auges. Je 40 Versuche, für 10® und 15® nur je 20.
76
R. Fischer.
5».
10»
15»
20»
30»
45»
60»
75»
0»
2,76
2,22
2,29
1,90
1,24
0,94
1,19
1,17
10«
2,63
2,77
2,86
2,59
1,77
2,05
1,26
1,55
20»
3,27
2,42
2,22
2.37
2,77
2,74
1,81
1,46
30»
4,20
2,37
2,44
2,38
2,72
2,09
2,06
1,33
40»
50»
4,24
3,80
2,96
3,01
2,92
2,64
2,40
1,95
2,47
[ ^'^ J
1,98
1,48
60»
3,98
3,84
—
2,35
1,95
—
2,06
1,50
70»
4,34
2,55
—
2,69
2,79
2,35
1,70
1,44
80»
4,38
2,51
—
2,77
3,15
—
90»
2,86
3,69
2,36
2,14
2,30
1,69
1,38
1,51
100»
3,86
2,99
—
1,99
1,66
—
1,81
1,37
110»
3,70
2,27
___
2,34
2,07
1,87
120»
3,57
2,21
—
3,32
2,16
—
1,24
1,58
130»
140»
3,32
5,29
2,06
2,34
2,41
3,02
2,56
1,78
2,03
[2,12
1,21
1,62
150»
4,62
1,97
—
2,74
1,62
2,06
2,00
160»
3,14
2,85
—
2,42
2,55
1,75
1,48
1,96
170»
3,26
2,82
—
2,12
1,68
1,56
1,38
1,73
180»!
2,92
2,88
1,90
1,79
IM
1,25
0,94
1,09
190»
2,81
2,24
—
2,73
1,49
1,54
1,50
1,49
200»
3,59
2,70
—
2,73
3,23
1,84
1,11
1,55
210»
3,52
2,12
—
2,47
2,13
2,60
2,44
1,85
220»
230»
4,71
4,22
3,25
2,64
^2,62
2,83
2,52
2,49
2,44
2,74
1,80
1,40
240»
3,78
3,07
—
2,03
1,98
— .
1,87
1,57
250»
3,51
2,04
—
2,11
2,16
•2,17
1,71
1,27
260»
3,38
2,68
—
2,31
1,83
—
270»
2,91
2,48
2,41
2,24
1,54
2,31
1,36
1,29
280»,
3,39
2,87
—
2,96
1,65
—
1,48
1,86
290»
4,90
2,50
—
2,40
2,44
2,43
300»
4,46
3,10
—
2,51
1,53
—
1,76
1,84
310»
320»
3,07
4.11
2,32
2,61
2,24
2,59
1,93
2,38
1,96
3,05
3,04
► 1,93
^ 1,67
330»
5,37
2,88
—
1,86
2,10
1,36
2,52
1,59
340»
4,77
2,46
—
2,57
1,87
1,64
1,78
1,73
350»
3,49
2,90
2,69
2,51
1,40
2,05
1,88
1,61
Mitte
1 3,78
2,66
2,45
2,44
2,07
2,11
1,67
1,55
Weitere GröBBenschfttzungen im Gesichtsfeld.
77
2b) VF der Winkelhalbirungen im Sehfeld des linken
Auges. Je 40 Versuche, für 10® nur je 20.
5«
10«
20«
30«
45«
60«
75«
0«
2,37
1,53
1,58
1,52
1,43
1,32
1,14
10»
2,89
1,63
1,78
2,50
2,05
1,29
—
20»
—
—
2,31
—
2,85
—
—
30«
—
—
2,45
—
2,47
—
—
40«
50«
4,67
2,19
3,20
•""
2,18
z
^_
1,72
90«
3,44
2,65
2,99
1,38
1,12
1,27
1,07
135«
—
3,28
—
2,38
—
—
—
150«
4,19
2,00
1,31
—
—
—
—
160«
3,47
1,93
1,76
2,08
1,62
1,68
1,01
170«
4,13
2,47
2,40
1,89
1,45
1,29 1,10
180«
2,62
1,71
1,64
1,24
1,35
1,19 0,88
190«
2,86
2,79
—
—
—
_ , _
220«
230«
4,34
2,61
2,41
__
1,91
"~
~~
[l,35
270«
3,24
3,06
2,50
1,42
1,73
1,33
1,38
315«
—
3,61
—
2,77
—
—
1,70
330«
4,69
2,42
3,63
2,17
2,33
2,04
1,33
340«
2,72
1,77
2,40
1,95
1,36
1,79
1,12
350«
4,27
2,07
1,75
1,84
2,03
1,13
1,03
Mittel
3,56
2,41
2,19
1,94
1,82
1,43
1,24
Wir finden hier die verschiedensten Grössen des VF
vertreten. So weit die Versuche ein und denselben Winkel
betreffen, sind die Schwankungen regellos, unabhängig von
<ler Lage des Winkels und wahrscheinlich nur zufällige.
Berechnet man aber aus ihnen für jeden Winkel das Mittel,
wie ich es am Schluss der Tabellen gethan habe, so wer-
den, anscheinend gesetzmässige Unterschiede dieser Durch-
schnittswerthe sichtbar: erstens ist jede Zahl aus dem lin-
ken Sehfeld etwas niedriger als die entsprechende Zahl aus
dem rechten und zweitens nimmt in beiden Sehfeldern VF
(in %) ab, wenn die Winkelgrösse wächst. Weder das eine,
noch das andere lässt sich etwa auf den Einfluss der Uebung
78 R- Fischer.
zurückführen. Zwar habe ich mit dem linken Auge einen
Winkel immer erst halbirt, wenn ich die Versuche betreffs
desselben Winkels im rechten Sehfeld beendet hatte, und
ich habe auch die Untersuchungen der Winkelgrösse nach
auf einander folgen lassen. -Indessen geschah letzteres nicht
ausnahmslos: im linken Sehfeld bestimmte ich die schein-
baren Hälfben = 30® erst am Schluss der sämmtlichen Yer-
gleicbuDgen, d. h. nach lö^j und doch passt VF vollkom-
men in die Reihe zwischen 20® und 45® und nicht hinter
75®; femer waren die Messungen des kleinsten Winkels, die
weitaus den grössten VF aufweisen, in beiden Sehfeldern
die allerletzten, sie folgten erst auf 30® im linken Sehfeld.
Eine Mitwirkung der Uebung will ich freilich nicht ganz
ausschliessen. Denn diese machte sich sonst öfters auffäl-
lig bemerkbar. Aber in der Hauptsache muss es einen an-
deren Grund haben, dass das linke Auge etwas bestimmter
zu urtheilen scheint als das rechte und dass meine Winkel-
halbirungen im Sehfeld nicht dem psychophysischen Gesetz
gehorchen.
Was den letzteren, wichtigeren Punkt anlangt, so könnte
man noch versuchen, den absoluten variablen Fehler v in
zwei Theile zu zerlegen, von denen der eine, a, für alle
Winkel Wj, w, u. s. f. dieselbe absolute Grösse, der andere»
r, dieselbe relative Grösse besitzt, so dass
l)v = a + r und 2)^ = -^ = ^
' Wj W, W3
Diese Bedingungen wären noch am ersten erfüllt, wenn
a = 0,l® gewählt wird. Denn dann würde r in ^j^ der ge-
forderten Winkelhälften betragen
für Vi L=- 5* 10« 15» 20« 30« 45« 60« 75«
rechts 1,78 1,66 1,78 1,94 1,74 1,89 1,50 1,42 ®/<,
links 1,56 1,41 — 1,69 1,61 1,60 1,26 1,11®/^
Allein gegen das Ende der beiden Reihen hin tritt doch
wieder eine unzweifelhafte Abnahme zu Tage. Und noch
Weitere Grössensch&tzungen im Gesichtsfeld.
79
weiter würde die relative Zahl für r sinken, wo es sich
tun Halbirangen von 180^ handelt. Dies geht aus den
Tabellen 3b und 4b hervor.
3b) VF der Halbirungen von 180« im Sehfeld des
rechten Auges. Je 80 Versuche. VF (nicht etwa r) in %
von 90«. HH = Lage des halbirenden Halbmessers.
HH
1
VF
HH
VF
HH
VF
HH
VF
0«
0,29
90«
0,36
180«
0,25
270«
0,21
10»
0,37
100«
0,44
190«
0,36
280«
0,43
20»
0,53
110«
0,61
200«
0,72
290«
0,58
30«
0,60
120«
0,56
210«
0,73
300«
0,63
40«
0,69
130«
0,66
220«
0,53
310«
0,60
50«
0,72
140«
0,73
230«
0,57
320«
0,64
60«
0,67
150«
0,74
240«
0,58
330«
0,63
70»
0,71
160«
0,56
250«
0,53
340«
0,67
80*
0,53
170«
0,36
260«
0,33
350«
0,36
Mittel aus allen 2880 Versuchen: VF« 0,53 «/o.
4b) VF der Halbirungen von 180« im Sehfeld des
linken Auges. Je 40 Versuche. VF in «/^ von 90«. HH =
Lage des halbirenden Halbmessers.
HH
VF
HH
VF
HH
1 r
VF
HH
VF
0«
0,22
90«
0,23
180«
0,23 1
270«
0,19
10«
0,37
100«
0,31
190«
0,31
280«
0,34
20«
0,54
110«
0,45
200«
0,39
290«
0,56
30«
0,62
120«
0,52
210«
0,64
300«
0,64
40«
0,55
130«
0,49
220«
0,57
310«
0,58
50«
0,62
140«
0,59
230«
0,47
320«
0,73
60«
0,69
160«
0,92
240«
0,70
330«
0,67
70«
0,63
160«
0,62
250«
0,61
340«
0,59
80«
0,48
170«
0,35
260«
0,41
350«
039
Mittel aas allen 1440 Versachen: VF — 0,60 «/o.
Die Tabellen lassen ausserdem erkennen, was sonst höch-
stens angedeutet war, dass sich die vier Hauptrichtungen
durch grosse Bestimmtheit der Einstellungen auszeichnen»
80
R. Fischer.
dass VF dort nur etwa halb so viel beträgt als im Mittel
aus allen Versuchen zusammen. Auch noch in den benach-
barten Lagen bleibt er weit unter dem Durchschnitt Der
Grund hierfür kann nicht zweifelhaft sein. Nur dann, wenn
die Schenkel der scheinbar rechten Winkel genau oder an-
nähernd in den vier Hauptrichtungen verlaufen, herrscht
ja scheinbare Uebereinstimmung zwischen sämmtlichen vier
Quadranten.
Zum Schlüsse einige Bemerkungen über den VF der
Messungen, die ich sonst noch erwähnt habe. Im Blickfeld
stellt sich VF gewöhnlich viel niedriger als im Sehfeld.
Als Beispiel führe ich die beiden folgenden Tabellen an.
Sie beziehen sich allerdings nur auf den Fall, dass der hal-
birende Halbmesser einer der vier Hauptrichtungen ange-
hört; die Zwischenstellungen liefern aber nur wenig höhere
Werthe.
VF der Winkelhalbirungen im Blickfeld des rechten
Auges, in ^Jq der Winkelhälften. Je 40 Versuche.
10«
15«
20«
30«
45«
60«
75«
0«
90«
180«
270«
0,80
0,73
0,94
0,60
0,67
0,75
0,66
0,65
0,84
1,37
0,92
0,98
0,63
0,79
0,62
0,75
0,58
0,93
0,61
1.01
0,65
0,77
0,70
0,73
0,50
0,70
0,56
0,59
Mittel
0,77
0,68
1,03
0,70
0,78
0,71
0,59
Mittel aas allen 1120 Versuchen: VF=»0,75«/o.
VF der Winkelhalbirungen im Blickfeld des linken
Auges, in ^o der Winkelhälften. Je 40 Versuche.
10«
20«
30«
45«
60«
"75«
0«
90«
180«
270«
0,80
1,25
0,73
0,83
0,88
0,79
1,00
0,94
0,76
0,61
0,62
0,69
0,75
0,72
0,69
0,85
0,62
0,48
0,59
0,62
0,72
0,38
0,52
0,41
Mittel
0,90
0,90
0,67
0,75
0,58
0,51
Mittel aas allen 960 Versachen: VF=«0,72«/o.
Weitere Grössenschfttzoiigeii im Gesichtsfeld.
81
Im Sehfeld war VF zwei- bis dreimal so gross, ein Unter-
schied, wie wir ihn bei den Längenmessungen auch nicht
annähernd angetroffen haben. Wie aus den beiden Ta-
bellen weiterhin zu entnehmen ist, darf das psychophysische
Gesetz auf die Versuche im Blickfeld allenfalls angewendet
werden. Allein für die Winkelhälften = 75 ^ sinkt VF doch
jedesmal am tiefsten und eine yollkommene Ausnahme bil-
den — gleichfalls nur senkrechte und wagrechte Lage des
halbirenden Schenkels vorausgesetzt — die Halbirungen
▼on 180^ mit VF = 0,17 «/o und die von W mit VF =
1,27 ^Iq. Genau so verhält sich VF bei den Winkelmessun-
gen mit beiden Augen:
VF der Winkelhalbirungen mit beiden Augen im Blick-
feld, in ®/o der Winkelhälften. Je 40 Versuche.
||ioo
150
20«
30«
45«
60«
75«
90«
0*
90«
180*
270«
' 0.87
0,77
0,64
0,53
0,84
0,91
0,78
0,91
0,79
1,14
0,47
0,95
0,73
1,09
0,56
0,98
0,86
1,32
0,82
0,93
0,66
0,97
0,69
1,04
0,51
0,69
0,67
0,74
0,14
0,17
0,12
0.14
Mittel
0,70
0,86
0,84
0,84
0.98
0,84
0,65
0,14
Mittel aus aUen 1120 Versuchen für 10«— 75«: VF=-0,81«/o.
Die Einstellungen eines rechtwinkligen, senkrecht stehenden
Kreuzes ferner haben ungefähr denselben VF wie die ent-
entsprechenden Halbirungen von 180*^. Bei anderer Lage
des Kreuzes kann aber VF mehr oder weniger wachsen,
und etwa doppelt so gross wird er in den Versuchen über
den scheinbar senkrechten Meridian: ich fand im Mittel
aus je 200 Einzelwerthen :
1) im Sehfeld
rechts links
2) im Blickfeld 3) mit beiden
rechts links Augen
VF = 0,4680 0,4360 0,319^ 0,336« 0,206« oder
in % von 90«
= 0,52«/o 0,48 «/o 0,35 «/o 0,37 «/o 0,23 «/o
▼. Qnefe's AtcUt fOr Ophthalmologie. XXXYII. 3. 6
82 R. Fischer.
Die Fehler der drei Äbtheilungen stehen zu einander in
dem Yerhältniss von 4:3:2. Links ist VF nicht kleiner
als rechts; der geringe, aber regelmässige Unterschied, der
in Tabelle Ib und 2b nachgewiesen wurde, tritt sonst nir-
gends wieder deutlich zu Tage.
Nach 100 Einstellungen der scheinbar senkrechten Deck-
linien endlich war im Durchschnitt VF = 0,22^.
IL
Scheinbar gerade Linien des Sehfeldes.
Wenn wir grösste Kreise des kuglig gedachten Seh-
feldes mit Hülfe der Richtungslinien auf eine Ebene pro-
jiciren, auf der die Gesichtslinie senkrecht steht, so bilden
die Projectionen gerade Linien. Diese erscheinen uns je-
doch nicht in allen Fällen geradlinig. So bleiben, Primär-
lage des Auges vorausgesetzt, zwar diejenigen Projectionen
grösster Kreise auch für das Äugenmaass unverändert ge-
radlinig, die durch den Fixirpunkt gehen, d. h. die Meri-
diane. Alle übrigen aber erleiden scheinbar eine Krüm-
mung und werden concav gegen den Fixirpunkt. Für diese
Scheinkrümmung liesse sich wohl eine befriedigende Er-
klärung finden. Legt man durch den Fixirpunkt eine Pa-
rallele zu der Projection eines beliebigen grössten Kreises,
so wird die gegenseitige Entfernung der beiden Linien, die
überall gleiche Grösse hat, doch nicht überall unter dem-
selben Gesichtswinkel gesehen; der Winkel ist am Fixir-
punkt am grössten und nimmt von da nach beiden Seiten
hin mehr und mehr ab. In Folge dessen müsste eben die
nicht meridionale Gerade concav erscheinen, und dieselbe
Vorstellung könnte für den Fall, dass der parallele Meri-
dian fehlt, beibehalten werden. Als feststehend ist dabei
freilich angenommen, dass die Meridiane, die ja durch ihre
Lage bevorzugt sind und die der Wirklichkeit entsprechend
Weitere Grössensch&tzangen im Gesichtsfeld. 83
als geradlinig angesehen werden, den Ausgangspunkt für
das UrÜieil über die Richtung anderer Linien abgeben.
Umgekehrt liegt hiemach die Frage nahe, ob nicht
die Parallelkreise zu einem Meridian oder besser ihre Pro-
jectionen scheinbar ungekrümmte Linien des ebenen Seh-
feldes bei Priroärstellung des Auges sind. Denn da der Ab-
stand zwischen Meridian und Parallelkreis natürlich durch-
weg denselben Gesichtswinkel hat, so würden die beiden
Projectionen einander parallel und somit die des Parallel-
kreises ebenfalls geradlinig erscheinen, wiewohl sie im Bo-
gen, convex gegen den Fixirpunkt, verläuft. Hierüber habe
ich in letzter Zeit, wo ich bereits an einen Zusammenhang
zwischen der scheinbaren Sehfeldzusammenziehung und den
Fehlern des Augenmaasses dachte, einige Versuche ange-
steUt
An einer senkrechten, schwarzen Tafel war in geringer
Entfernung (6® bis 8^) von einem weissen Punkt, den ich
mit dem rechten Auge, bei Primärlage desselben und mit
rechtwinklig zur Tafel gerichteter Gesichtslinie, auf 18 cm
Abstand fixirte, eine gerade Linie ac oder vielmehr nur
ihre Endpunkte a und c angebracht und in der Mitte zwi-
schen a und c wurde dann ein dritter Punkt b so lange
hin und her geschoben, bis er mit jenen in einer Geraden
zu liegen schien. Die Einstellungen erfolgten sehr unsicher,
doch stimmten die Mittel werthe darin überein, dass b zu
nahe an den Fixirpunkt herangerückt wurde, dass sich also
die scheinbar gerade Linie abc in Wirklichkeit convex ge-
-gen den Fixirpunkt krümmte. Und nach der Berechnung
war die Krümmung etwas stärker als die der Projection
eines „Parallelkreises'% nicht nur oben und aussen, wo sie
den höchsten Grad zu erreichen schien, sondern auch unten
und innen. Denkt man sich einen Meridian parallel zu
der scheinbaren Geraden abc, so wäre demnach der Ge-
sichtswinkel des Zwischenraumes zwischen den beiden Linien
nicht überall gleich gross, sondern am Fixirpunkt am klein-
84 R- Fischer.
sten und peripheriewärts wachsend. Ganz so würde sich
aber (nach Archiv für Ophthabnol. XXXVU, 1, S. 135 ft)
der Einfluss der scheinbaren Sehfeldzusammenziehung äus-
sern, von der ja auch die Gradunterschiede in den einzeln
nen Sehfeldgegenden, wiewohl nur andeutungsweise, hervor-
treten.
Es ist jedoch hervorzuheben, dass während dieser Un-
tersuchungen im Sehfeld, von den Bandbezirken abgesehen»
neben dem Fizirpunkt nur noch die drei Punkte a, b und
c vorhanden waren. Eine ausgezogene Linie hätte wahr-
scheinlich, nach einigen Versuchen zu schliessen, eine we-
niger fehlerhafte Beurtheilung erfahren als die durch drei
Punkte markirte Linie abc. Noch weniger wird sich das
eigentliche Maass der Grössenschätzungen geltend machen
können, wenn die Linien zusammengesetzten Formen ange-
hören. Endlich trägt vielleicht eine beträchtliche Länge
der Linien ebenfalls dazu bei, die ursprüngliche, falsche
Auffassung mehr und mehr richtig zu stellen; bei mir hatte
ac nur eine Ausdehnung von 18® bis 25®. Deshalb wun-
dert es mich nicht, dass ich z. B. die Projectionen von
Richtkreisen des Blickfeldes, aus denen die Helmholtz-
sche Schachbrettfigur ^) besteht, doch als gerade Linien
(nebenbei körperlich) zu sehen vermag. Ferner dürfen die
Versuche, in denen die Richtkreise u. s. w. selbst, z. B. am
Gycloskop von Donders, zur Verwendung kamen, kaum
ohne weiteres mit denen, die sich auf die Projectionen im
ebenen Sehfeld beziehen, verglichen werden, da sich die
Auslegung ein und desselben Netzhautbildes hier wohl ver-
schieden gestalten kann. —
Alles dies reicht freilich meiner Meinung nach noch
nicht hin, um die Ansicht, nach der die Richtlinien die
scheinbar geraden Linien des Sehfeldes sein sollen, zu wi-
derlegen. Namentlich haben meine eigenen Versuche be-
>) HelmholtE, Handbuch der physiol. Optik. 1. Aufl. § 28.
Weitere Grössensch&tzaogen im Gesichtsfeld. 85
schränkten Wertb, da sie gering an Zahl sind und da ich
mich nur wenig eingeübt hatte. Gleichwohl scheint es mir
nicht mehr allzugewagt, wenn ich die Täuschungen über
die kürzesten Abstände zwischen je zwei Sehfeldpunkten
ebenso mit der scheinbaren Sehfeldzusammenziehung in Zu-
sammenhang bringe wie die Fehler der Längenschätzungen
und die der Vergleichung von Winkeln (darunter die Ab-
weichung der scheinbar senkrechten Meridiane). Dann wären
wenigstens alle Fehler des Augenmaasses, so verschieden-
artig sie aussehen, auf einen einzigen zurückgeführt. —
TJeber die Abflnsswege des Humor aqnens.
ExperimenteUe und anatomische Untersachungen
von
Dr. Carlo Staderini,
Privatdocenten an der Königl. Universität Siena.
(Aas dem Laboratorium des Professor H. Sattler in Prag.)
Hierzu Tafel III, Fig. 1-3.
In früherer Zeit herrschte bekanntlich über den Ab-
fluss des Humor aqueus fast allgemein die Anschauung»
dass derselbe aus der vorderen Kammer in die Hornhaut
eindringe und, nachdem er diese in ihrer ganzen Dicke
durchsetzt, an ihrer vorderen Fläche aus zahlreichen klein-
sten Poren zum Vorschein komme.
Im Jahre 1870 hat Schwalbe^), ohne die Frage nach
der Durchlässigkeit der Cornea zu berühren, in einer aus-
führlichen, höchst bemerkenswerthen Arbeit die anatomi-
schen Verhältnisse des Kammerwinkels beim Menschen und
bei verschiedenen Säugethieren einer eingehenden Unter-
suchung unterzogen und auf Grund von Injectionen von
Berliner Blau in die vordere Kammer die höchst auffallige
Thatsache angegeben, dass auf diesem Wege sich nicht nur
das Lückensystem des Fontana'schen Raumes, sondern auch
') Untersuchungen aber die Lymphbahnen des Auges und ihre
Begrenzungen: Archiv fQr mikrosk. Anat VI, S. 261. 1870.
Ueber die AbfluBswege des Homor aqueus. 87
der Schlemm'sche Canal und von diesem aus die den Horn-
hautrand umgebenden sderalen Yenennetze füllen lassen,
und die Masse endlich durch die vorderen Ciliarvenen ab-
fliesse, dass also die vordere Kammer in offener Communica-
tion mit den Blutgefässen stehe. Ferner gelangte Schwalbe
auch zu der Anschauung, dass der Schlemm'sche Canal beim
Menschen kein Blutsinus sei, sondern, ebenso wie das Lücken-
system am Iriswinkel, zum lymphatischen Apparate gerech-
net werden müsse.
Schwalbe's Auffassung schloss sich Waldeyer*) rück-
haltslos an und erwähnt, dass es auch ihm regelmässig ge-
lungen sei, durch Injection von der vorderen Kammer aus
den Schlemm'schen Canal, selbst bei geringem Drucke, zu
füllen. Ebenso stimmt er auch darin Schwalbe bei, dass
bei gut gelungenen Injectionen von den Arterien aus eine
Füllung des Schlemm'schen Canals nicht eintrete, sowie
dass er Blutkörperchen in diesem Canale niemals habe
nachweisen können. Die nahe liegende Frage nach dem
Vorhandensein von Klappenvorrichtungen wurde von beiden
Forschem übereinstimmend dahin beantwortet, dass solche
wohl existiren dürften, dass es aber nicht gelungen sei,
Klappen nachzuweisen.
Dieser Annahme einer offenen Verbindung der vor-
deren Augenkammer mit dem Venensysteme trat Leber
in seiner berühmt gewordenen Arbeit im XIX. Bande die-
ses Archivs entschieden entgegen auf Grund ausschlagge-
bender Versuche, welche zum Theile schon aus dem Jahre
1863 stammten, dann 1870, gemeinsam mit Riesenfeld,
wiederholt aufgenommen^) und seitdem mit constantem Er-
folge wiederholt und beträchtlich erweitert wurden. Durch
diese Versuche wurde einerseits die wichtige Thatsache end-
') Handbuch der ges. Augenheilkunde yon A. Graefe und Th.
Saemisch, S. 230. 1874.
*) Zar Frage über die TransfaBionsf&higkeit der Cornea und die
Regorption aus der vorderen Angenkammer. Inaug.-Diss. Berlin 1871.
88 C. Staderini.
gültig festgestellt, dass die Hornhaut im normalen Zustande
selbst bei bedeutend gesteigertem Druck keine Flüssigkeit
hindurchtreten lässt, und andererseits die Frage der Com-
munication der vorderen Augenkammer mit dem Blutge-
fasssysteme dahin entschieden, dass zwar wässerige Flüssig-
keiten, welche gelöste Stoffe enthalten, vermöge des Druck-
unterschieds zwischen der vorderen Kammer und den 6e-
fässen des Plexus venosus ciliaris durch Filtration in die
letzteren übertreten und durch dieselben abfliessen können,
eine Substanz hingegen, welche, wie das Berliner Blau, durch
den Salzgehalt des Kammerwassers geföUt wird, nicht hin-
durchzudringen vermag, dass also eine offene Verbindung
der vorderen Augenkammer mit den Blutgefässen nicht
existirt. Durdi geeignete Versuche hat es Leber in hohem
Grade wahrscheinlich gemacht, dass auch während des Le-
bens der Humor aqueus vorzugsweise auf dem Wege der
Filtration in die Venen des Plexus venosus ciliaris die vor-
dere Kammer verlasse.
Diese Ergebnisse sind, soweit sie die Kammerinjectio-
nen an ausgeschnittenen Augen betreffen, einige Jahre spä-
ter von Königstein*) bestätigt worden. Auch hat dieser
Forscher die von Schwalbe und Waldeyer gegen die
Blutgefassnatur des Schlemm'schen Canals vorgebrachten
Einwürfe zurückgewiesen, indem er zeigte, dass sich der-
selbe sehr sicher von den Blutgefässen aus ohne Anwen-
dung von starkem Druck injiciren lasse, wenn der intra-
oculäre Druck stärker herabgesetzt war oder die vordere
Kammer vorher eröffiiet wurde, dass dabei aber niemals
Injectionsmasse in die vordere Kammer austrat, wie dies
Schwalbe unter den erwähnten Voraussetzungen beobach-
tet zu haben angiebt^). Auch brachte er die Thatsache
wieder in Erinnerung, dass wiederholt Blut in diesem Ca-
») Dieses Archiv XXVI, 2, S. 139. 1880.
«) 1. c. S. 313.
lieber die Abflusswege des Humor aqueus. 89
nale angetroffen wurde. Dass die Rouget-Leber'sche Auf-
Cassong des Schlemm'sdien Canals als venösen Gefässplexus
zu Recht besteht, wurde von Königstein ebenfalls bestä-
tigt und ist übrigens schon von Leber selbst im Jahre
1876 eingehend begründet worden. Auch Angelucci giebt
an, dass er durch Injectionen von der Arteria sowohl, als
von der Vena ophthalmica aus vollständige Füllung des
Schlemm'schen Canals erhielt, ohne dass eine Spur des inji-
drten Materials in das Maschenwerk des Fontana'schen
Raumes eindrang. Dagegen sieht er die Füllung des Schlemm*
sehen Canals bei Injectionen in die Yorderkammer als ein
Kunstprodukt an *). Eine offene Communication der vor-
deren Kammer mit den vorderen Ciliarvenen sei als aus-
geschlossen zu betrachten. Uebrigens gehe schon aus der
Entvnckelung und Structur dieser Theile hervor, dass eine
solche Communication a priori undenkbar sei.
Inzwischen hat auch Heisrath*), der bekanntlich in
Bezug auf das Ergebniss der Vorderkammerinjectionen zu
einer entgegengesetzten Anschauung gekommen ist, den
Schlemm'schen Canal als einen Anhang des Yenensystems,
als venösen Gefässplexus anerkannt^). Selbst Schwalbe
giebt in seiner letzten Mittheilung über den in Frage ste-
henden Gegenstand^) zu, dass der Schlemm'sche Canal ein
den perforirenden Aesten der vorderen Ciliarvenen seitlich
angesetzter Recessus des Yenensystems sei, glaubt aber,
dass derselbe bei normaler Circulation vollständig blutleer
sei und bleibt in allem Uebrigen bei seiner früheren An-
schauung bestehen, dass die vordere Kammer in offener
Communication mit dem Yenensystem stehe. Theils auf
eigene, neuere Yersuche mit Berliner Blau, Alkannin-Ter-
*) lieber Entwicklung und Bau des vorderen XJvealtractus der
Vertebraten: Archiv far mikrosk. Anat. XIX. 1881.
*) Dieses Archiv XXVI, 1, S. 202. 1880.
*) 1. c. S. 235; InaQg.-Diss. S. 34.
*) Lehrb. der Anatomie der Sinnesorgane. Erlangen 1887. S. 176.
90 C. Staderini.
pentin und Asphalt -Chloroform sich stützend , theils auf
Heisrath sich berufend, sagt er: JLeber's, Eönigstein'a
und Anderer negative Angaben können also meinen und
Heisrath's positiven Erfolgen gegenüber nichts beweisen.
Ich wüsste sonst nicht» wie man dann überhaupt noch auf
die Resultate von Injectionen, die mit aller Vorsicht ange-
stellt sind, Werth legen könnte^ ^). Heisrath hat sogar,
was besonders merkwürdig ist, behauptet, dass selbst Sus-
pensionsflüssigkeiten, in Wasser aufgeschwemmter Zinnober
und Blut verschiedener Thiere „ohne erhebliche Schwierig-
keiten von der vorderen Augenkammer in die Scleralvenen
übertreten, ebenso an todten, wie an lebendigen Augen***).
Auch Calori*) ist durch Injectionen von körnigen Farb-
stoffen, Zinnober oder basisch essigsaurem Blei, in Fisch-
leim vertheilt, welche er theils von den Blutgefässen (Caro-
tis, Jugularis), theils von der vorderen Kammer aus an Au-
gen von todten Thieren (kleinen Schafen, Pferden u, s. w.)
und von menschlichen Leichen vornahm, zu Resultaten ge-
langt, aus welchen er eine offene Communication zwischen
der vorderen Kammer und den vorderen Ciliarvenen ver-
mittelst des Fontana'schen und Schlemm'schen Canals be-
weisen zu können glaubte. Er fügt übrigens bei, dass hierzu
ein verhältnissmässig starker Druck erforderlich sei; denn
ohne einen solchen würde durch die Injection in die vor-
dere Kammer zwar der Fontana'sche Canal erfüllt, aber die
Masse dringe nicht in die Venen selbst vor. Während des
Lebens werde dieser Druck durch Muskelcontraction ge-
leistet. Calberla^), welcher zum Studium der Resorp-
*) 1. c. S. 178.
«) 1. c. S. 217; Inaug.-Difls. S. 16.
') De* resaltamenti ottenuti iniettando i canali di Fontana e di
Petit e la camera anteriore dell* occhio umano e dei mammiferi
domestici. Memoria dell* istituto delle scienze mediche di Bologna.
Serie 3 a, T. V, pag. 34. 1874.
^) Ein Beitrag zur Kenntniss der Resorptionswege des Humor
aqueos. Pflüger^a Arch. IX, S. 468. 1874.
Heber die Abflosswege des Humor aqueus. 91
tdoDSwege des Humor aqueus frisches Blut eines gleichen
Thieres» das durch Zinnoberinjection in die Jugularvene ge-
tödtet worden war, in die vordere Kammer injicirte» fand
die Zinnoberkörnchen in den Gefassen und im Stroma der
Iris und des Ciliarkörpers bis zur Ora serrata, in den 6e-
websliicken des Fontana'schen Raumes und im Circulus
venosus. Andere Forscher, welche körnige Farbstoffe in
Wasser oder ^/^procentiger Kochsalzlösung suspendirt in die
vordere Kammer injidrten, Brugsch^) und Morf*) konn-
ten sich dagegen mit Bestimmtheit überzeugen, dass Färb-
stoffkömchen in das Lumen der Blutgefässe nicht eindrin-
gen. Während die beiden genannten Forscher nach dieser
Richtung übereinstimmten, gehen ihre Ansichten auseinan-
der in Bezug auf eine andere Frage, welche auf dem Wege
der Kammerinjection mit nicht diffusiblen Substanzen, oder
besser noch mit feinst vertheilten körnigen Farbstoffen einer
Lösung zugeführt werden könnte, nämlich die Frage nach
dem Zusammenhang der vorderen Kammer mit abführenden
Lymphwegen. Dass ein solcher Zusammenhang mit eigent-
hchen Lymphgefässen nicht existiren könne, geht wohl schon
aus den bis jetzt vorliegenden Resultaten der Yorderkam-
merinjection mit Bestimmtheit hervor und ist derselbe bei
Berücksichtigung der Natur und Bestimmung der vorderen
Augenkammer als ein sehr wesentlicher Factor für die
Strahlenbrechung im Auge, von vorn herein höchst wahr-
scheinlich, wie dies bereits Leber*) in klarer Weise zum
Ausdruck gebracht hat. Es könnte sich also nur darum
handeln, nachzuweisen, ob nicht feine Lymphspalten exis-
tirten, welche, mit der vorderen Kammer in offener Ver-
^) üeber die Resorption körniger Farbstoffe aus der vorderen
Aagenkammer. Dieses Archiv XXIII, 3, S. 255—287. 1877.
') Experimentelle Beitrage zur Lehre von den Abflusswegen der
vorderen Augenkammer. Inaug. - Dissert der Züricher Universit&t
Winterthur 1888.
») 1. c. S. 110.
92 C. SUderini.
bindung stehend, dem Hamor aqueus neben dem Hanpt-
abfloss durch Filtration in die Venen des Circulus yenosus
ciliaris als Abzagsbahnen dienen könnten.
Brugsch, welcher auf Leber's Anregung zum Zweck
der Erforschung abführender Lymphwege Tusche und Zinn-
oberaufschwemmungen in die vordere Kammer von Kanin-
chen injicirte, fand zahlreiche, pigmenthaltige Wanderzellen
regellos im Stroma der Iris und der Ciliarfortsätze zer-
streut und in den Maschen des Ligamentum pectinatum,
sowie auch mit Farbstoffkömehen gefüllte lymphoide Zellen
Gefässen entlang, welche in der Gegend des Fontana'schen
Raumes beginnend, in der Sclera eine Strecke weit zu ver-
folgen waren, spricht sich aber in seinen Schlussfolgerungen
ungemein vorsichtig aus und Mit sich nach seinen Ergeb-
nissen noch nicht für berechtigt, „perivasculäre Lücken*^ an
den Scleralgefässen in der Nachbarschaft des Ligamentum
pectinatum als directe Abflusswege des Kammerwassers an-
zusprechen. Morf dagegen, ein Schüler Haab's, welcher
sich zu seinen unter stricter Antisepsis vorgenonmienen Li-
jectionen einer Emulsion feinst geriebenen Zinnobers be-
diente, glaubte beim Kaninchen einen Lymphcanal gefunden
zu haben, welcher, aus dem Fontana'schen Räume entsprin-
gend, bis etwa zur Grenze zwischen innerem und mittlerem
Drittel der Sclera etwas nach hinten verlaufe und hier in
zwei Arme sich theilend, einerseits mit dem Perichorioideal-
raum, andererseits mit den subconjunctivalen Venen in
Verbindung trete.
Es treten also, wie wir sehen, in den Resultaten, welche
die Kammerinjectionen mit nicht diffusiblen und kömigen
Farbstoffen in der Hand verschiedener Forscher ergeben,
beziehungsweise in der Deutung, welche dieselben von die-
sen letzteren erfahren haben, noch immer so einschneidende
Widersprüche zu Tage, dass es nicht überflüssig erscheint,
die Injectionsversuche von der vorderen Augenkammer aus
einer neuerlichen Bearbeitung zu unterziehen, einerseits um
lieber die Abflusswege des Humor aqueus. 93
den Ursachen auf die Spur zu kommen, welche den in so
auffalliger Weise hervortretenden Widersprüchen in den Er-
gebnissen zu Grunde liegen möchten, und andererseits, um
wo möglich die Frage nach der Existenz etwaiger gebahn-
ter, spaltförmiger, abführender Lymphwege einer Lösung
zuzuführen.
Von Versuchen mit diffusionsfähigen Stoffen, wie sie seit
Knies (1875) und Ehrlich (1882) mit Vorliebe zum Studium
der FlOssigkeitsströmung im Auge von verschiedenen Forschern
in Verwendung gezogen worden sind, musste zur Entscheidung
der vorgelegten Frage aus nahe liegenden Gründen principiell
Abstand genommen werden. So interessant auch diese Ver-
suche an und fttr sich sind und so branchbar ihre Ergebnisse
— namentlich jene mit Fluorescin — bei vorsichtigster Ver-
werthung und Deutung sich erweisen mögen, so haben sie doch
vielfach unter sich Widersprechendes zu Tage gefördert und
dazu beigetragen, die Anschauungen eher zu verwirren, als zu
klären, indem die Forscher nicht immer zwischen Diffusion
und Filtration streng unterschieden und ans den Wegen, welche
der Diffusionsstrom nahm, wenn lebhaft diffundirende Substan-
zen den flüssigen Augenmedien oder dem Blut einverleibt wur-
den, auf die normale Flüssig|j;eitsströmung im Auge schlössen.
Ist ja doch gerade, um nur Eines hervorzuheben, selbst diejenige
Thatsache, welche man nach Leber 's Arbeiten als unanfecht-
bar sicher gestellt annehmen zu dürfen glaubte, die Thatsache
der Undurchlässigkeit der lebenden Cornea für das Kammer-
wasser auf Grund der Ferrocyankalium- Versuche von Knies*)
in Abrede gestellt worden*).
') Virchow*8 Archiv LXV, 8. 409, sub 6.
') Durch die Güte meines verehrten Gollegen, Herrn Geheim-
rath Prof. His ist mir eine von der Baseler medicinischen Fakult&t
im Jahre 1871 gekrönte Preisschrift des Stud. med. Karl Merian
in die H&nde gekommen» welche sich mit „Untersuchungen der
Lymphwege des Auges*^ beschäftigt Die Drucklegung der Arbeit,
welche eine Anzahl beachtenswerther Versuchsergebnisse enth<,
ist durch den vorzeitigen Tod des Verfassers nicht zu Stande ge-
kommen; sie wurde aber jetzt, so weit sie noch ein allgemeineres
Interesse in Anspruch nehmen kann, von Herrn Geheimrath His im
Arch. fOr Anatomie und Physiologie — Anatomische Abtheilung —
zur Veröffentlichung gebracht.
94 C. Staderini.
Die folgenden Untersuchungen wurden auf Anregung
und unter Leitung des Herrn Professor Sattler in dessen
Laboratorium an der Prager Augenklinik begonnen, zum
grössten Theile durchgeführt und abgeschlossen. Ich be-
nütze die Gelegenheit, um ihm für seine Anleitung und
Unterstützung, für die vielen Rathschläge und das Wohl-
wollen, welches er stets meiner Arbeit entgegenbrachte, den
innigsten Dank auszusprechen. Einen Theil der Unter-
suchungen nahm ich in Turin vor im Laboratorium des
Herrn Professor Reymond, dem ich ebenfalls zu Dank
verpflichtet bin dafür, dass er in liberalster Weise die
Mittel seines Instituts mir zur Verfugung stellte.
Ich bediente mich zu meinen Versuchen einer gewöhn-
lichen, gut gearbeiteten Pravaz'schen Spritze mit scharfer,
feiner Canüle und benützte als Injectionsmaterial vorwie-
Da Karl Merlan auch eine grössere Zahl von Yorderkammer-
injectionen vorgenommen hat, so glaahe ich, im Interesse der YoU-
st&adigkeit des historischen Ueberblicks, welcher den eigenen Yer-
suchen Dr. Staderini's vorausgeschickt ist, die betreffenden Stel-
len hier anführen zu sollen.
„Die Nachprüfung der Yersuche Schwalbe*s hat ein grössten-
theils negatives Resultat ergeben. Ich stellte lojectionen an an Au-
gen von Menschen, Schweinen, Ochsen, K&lbem, Ziegen und Kanin-
chen. Etwa nur in einem Zehntel der Fälle und zwar nur an
Schweinsauge», trat Füllung der Yenen ein und nur, wenn unter
starkem Druck mit der Hand injicirt wurde. Yerfuhr ich bei den
Ii^jectionen mit constantem Druck nach Schwalbe's Yorschrift, so
erreichte ich nie das gewünschte Resultat; ebenso wenig in vielen
Fallen bei Injectionen aus freier Hand"
„W&re die Operation in technischer Hinsicht nicht gar so ein-
fach, so würde ich geneigt sein, das Misslingen meiner Ungeschick-
lichkeit zuzuschreiben. Auch den angewendeten Injectionsmassen
kann wohl keine Schuld beigemessen werden. Yorzugsweise kam
das sogen. Richardsons Blau in Anwendung, eine F&Uung von
rothem Blutlaugensalz durch Eisensulfat, verdünnt mit Weingeist
und Glycerin.**
„In den wenigen F&llen, in denen ich 8chwalbe*8 Resultat
erzielte, entsprach der anatomische Befund auf Meridionalschnitten
lieber die Abflusswege des Humor aqueus. 95
gend feinkörnige Substanzen (Tusche, Zinnober), zum Theil
aber auch nicht difiusible Flüssigkeiten (Berliner Blau, As-
phaltchloroform). Die ersteren schienen sich mir zur Lö-
sung der vorgelegten Aufgaben besser zu empfehlen, weil
man die Injection am lebenden Thiere yornehmen, die all-
mähliche Elimination der Eömchenmassen während des Le-
bens beobachten, und deren Verbreitung in den die vor-
dere Kammer umschliessenden Geweben nach dem Tode
des Versuchsthieres mit Hilfe des Mikroskops feststellen
kann.
Um gut brauchbare Resultate zu erlangen, musste vor
Allem darauf Rücksicht genommen werden, Substanzen von
feinstem Korn und möglichst geringem specifischem Ge-
wichte zu benützen, damit die Körnchen von den schwäch-
sten Strömungen leicht mitgeführt werden und in den fein-
sten Spalten fortbewegt werden konnten. Ich wählte Tusche
völlig der Beschreibung und der leider sehr schematisch gehaltenen
Abbildung, welche dieser Forscher giebt. Nicht nur der ganze Fon-
tana'sche Raum, sondern auch ein schmaler Gewebsstreifen , innen
vom Ciliarmuskel ) der sich weit nach hinten in den Giliarkörper
erstreckte, zeigte sich so dicht mit Masse erfdllt, dass das eigent-
liche Gewebe yöllig davon verdeckt war. Ebenso folgten die vom
Schlemm*8chen Canal nach aussen verlaufenden Gef&sse der Be-
schreibung Schwalbe*s/'
„Dagegen war an den Augen, welche keine Yenenbildung dar-
boten, die Masse nur in das grobmaschige Gewebe des Fontana'schen
Raumes gedrungen; das kleinmaschige Gewebe und der Schlemm-
sche Canal waren bei allen untersuchten Augen unerreicht geblieben.*'
Verfasser discutirt nun die Möglichkeit von Zerreissungen und
sagt schliesslich : „Immerhin mag so viel sicher sein, dass die Sache
trotz der Arbeit Schwalbe*s noch keineswegs zu beweiskräftiger
Klarheit gediehen ist. Ich für meinen Theil w&re bis auf Weiteres
eher geneigt, die vordere Kammer nach der alten Auffassung zu be-
trachten als einen Raum ohne directen Abfluss in Gef&sse,
dessen Inhalt sich durch Filtration theils in die Blutge-
fässe, theils auf die vordere Homhautfl&che ergiesse" (die letz-
tere Anschauung bekanntlich durch Leber endgültig widerlegt).
Leipzig. H. Sattler.
96 C. Suderini.
und Zinnober Ton der besten Qualität» welche käuflich zu
bekommen war.
Für die Tuscheinjectionen wurden albinotische, für
Zinnober andere Kaninchen verwendet
Um zu vermeiden, dass die operativen Eingriffe von
Entzündung oder Eiterung gefolgt würden » liess ich mir
angelegen sein, bei allen Versuchen die Regehi der streng-
sten Antisepsis zu befolgen. Sowohl Tusche wie Zinnober,
in physiologischer Kochsalzlösung suspendirt, wurden durch
viertelstündiges Kochen sterilisirt. Einigemale benützte ich
zum Verreiben eine ganz schwache Sublimatlösung (1 zu
10,000). Die Desinfection der Hände, der Instrumente und
des Operationsfeldes wurde auf das sorgfältigste nach den
Normen der modernen Chirurgie durchgeführt.
Die Tuscheaufschwemmung musste immer ziemlich dick
genommen werden, weil es sonst vorkam, dass sie unmittel-
bar nach der Injection wieder aus der vorderen Kammer
durch die kleine Hornhautstichwunde abfloss. Bei den Zinn-
oberinjectionen liess sich dieser letztere Uebelstand dadurch
leicht vermeiden, dass ich die Zinnoberkörnchen in der mit
der wässerigen Aufschwemmung gefüllten Spritze sich ab-
setzen liess, dann das Wasser, das über dem Sediment
stand,' herausspritzte und nun den Rest, d. i. den Bodensatz
des Zinnobers in die vordere Kammer injicirte. Wenn der
Zinnober genügend fein ist, gelingt es leicht, die Canüle
durchgängig zu erhalten.
Stets wurde in Aethemarcose operirt. Die Canüle
wurde immer von der temporalen Seite, ca. 2 mm vom Horn-
hautrande entfernt, in die Cornea eingestochen und parallel
mit der Irisfläche bis zur Gegend der Pupillenmitte in die
Kammer vorgeschoben. Manchmal floss Kammerwasser so-
fort zwischen Nadel und Hornhautsubstanz ab. Einigemale
wurde es mit der Spritze, welche zu diesem Zwecke nur
zum Theile mit der Injectionsmasse gefüllt worden war,
langsam aspirirt. Im ersteren Falle konnte ich dann so-
Ueber die Abflusswege des Humor aqueus. 97
fort in den frei werdenden Kammerraum den Inhalt der
Spritze injiciren, wobei ich immer darauf Acht hatte, den
Raum nicht ganz auszufüllen, um eine* künstliche Druck-
erhöhung im Auge möglichst zu vermeiden. Zuletzt wurde
die Canüle ganz langsam zurückgezogen.
Die Tusche blieb in der Regel in jenem Theile der
vorderen Kammer liegen, in welchen sie bei der Injectiou
gelangt war und zwar auch dann, wenn das Kammerwasser
wieder die ganze Kammer füllte. Dom Eingriffe folgte nie-
mals ein irgend bemerkenswerther Reizzustand, Syueichieeu
kamen nicht zur Beobachtung, das Auge zeigte keinerlei
gesteigerte Empfindlichkeit, und behielt in der ganzen Zeit
nach der Injection seine normale Spannung. Auf der Ober-
fläche der Iris beobachtete man, soweit dieselbe von Tusche-
masse bedeckt blieb, sehr bald ein äusserst feines fibrinö-
ses Exsudathäutchen, welches die Tusche umschloss, so dass
letztere wie von einem zartesten Schleier eingehüllt erschien.
Von dem der Injection folgenden Tage an zeigte das Ex-
sudat eine allmähliche Yolumabnahme, welche in gleichem
Maa^se an der ganzen Oberfläche der angesammelten Tusche
sich vollzog.
Am schönsten konnte man die Yolumabnahme der in-
jicirten Tuschemasse an einem grossen albinotischen Ka-
ninchen beobachten, welchem in die vordere Kammer des
linken Auges soviel Tusche injicirt worden war, dass die
zwei oberen Dritttheile derselben davon eingenommen waren,
so zwar, dass nach oben hin der Winkel zwischen Iris und
Hornhaut ausgefüllt und die Pupille bis nahe zu ihrem
unteren Rande davon bedeckt erschien. Am folgenden Tage
schon war ein kleiner Theil des Pupillargebietes frei; die-
ses freie Gebiet vergrösserte sich noch in den nächsten
Tagen, während die Tuschemasse auch an ihrer übrigen
Peripherie, insbesondere entsprechend dem Kammerwinkel,
immer mehr abnahm. Am fünften Tage war der Winkel
vollständig frei und nur in der Mitte des oberen Segmentes
T. Onefe'8 ArchiT für Ophthalmologie. XXXYII. S. 7
98 C. Staderini.
der vorderen Kammer war ein kleiner Tuscherest von etwa
Linsengrösse übrig. In den folgenden Tagen schwand auch
dieser Rest, indem- er ooncentrisch kleiner und kleiner wurde,
während an der Peripherie der vorderen Kammer, entspre*
chend dem Ligamentum »pectinatum, ein feiner, schwarzer
Streifen sich bemerkbar machte, welcher offenbar aus Tusche-
kömchen bestand, die von dieser Masse losgelöst und in
den Maschen des Ligamentum pectinatum abgelagert wor-
den waren. Nachdem sich inzwischen das zarte fibrinöse
Exsudat vollständig resorbirt hatte, gewann die Lris allmäh-
lich wieder ihr normales Aussehen mit Ausnahme derjeni-
gen Stellen ihrer Oberfläche, welche in directer Berührung
mit der Tusche gestanden hatten. Dort hatte dieselbe eine
grauliche Farbe angenommen und erschien da und dort,
insbesondere am Pupillarrande, von dunkleren oder geradezu
schwarzen Flecken wie gesprenkelt.
Wie wir also gesehen haben, nimmt die Volumvermin-
derung der injicirten Masse in demjenigen Theile der vor-
deren Kammer ihren Anfang, welcher der Pupillaröffnung
entspricht und schreitet von hier allmählich nach den Sei-
ten bis zum Kammerwinkel hin fort. Dieser letztere wird
dann frei, noch bevor der letzte Rest der Tuschemasse die
vordere Kammer verlassen hat. In jenen Fällen, in wel-
chen die Tusche den grössten Theil der vorderen Kammer
einnahm und das ganze Pupillargebiet bedeckte, konnte
man beobachten, dass entsprechend der Pupille eine cen-
trale, rundliche Lücke in der Masse auftrat, so dass bald
das ganze Pupillargebiet frei und offen dalag. Eine der-
artige Fortbewegung der in die vordere Kammer injicirten
kömigen Masse aus dem Pupillargebiete heraus hat auch
Brugsch*) beobachtet. Er schildert den Eindmck, indem
er sagt: die Lücke im Pupillargebiete sehe aus „wie mit
dem Locheisen ausgehauen, so dass es den Anschein habe,
») 1. c. S. 260.
Ueber die Abflusswege des Hamor aqueus. 99
als ob das aas der hinteren Kammer in die vordere ein-
fliessende Kammerwasser den Verschluss gewaltsam zur
Seite gedrängt hättet In der That weist die eben mitge-
theilte Beobachtung wohl in unzweideutiger Weise darauf
hin, dass eine Strömung aus der- hinteren Kammer in die
vordere durch die capiiläre Spalte am Pupillarrande wirk-
lich stattfindet, wie sie auf Grund klinischer Thatsachen
laoge schon angenommen^), in neuerer Zeit aber mit Be-
rufung auf die Resultate der Ferrocyankalium- und Fluores-
cemversuche von einigen Forschern in Abrede gestellt wor-
den ist.
In demselben Grade als die in die Kammer injicirte
Tuschemasse im Centrum und in der Peripherie sich ver-
kleinerte, nahm auch ihre Dicke ab. Hatte sie ursprüng-
lich mit der Descemet'schen Membran in Berührung ge-
standen, so konnte man bei focaler Beleuchtung sehr gut
beobachten, wie sie sich von dieser allmählich loslöste,
immer dünner wurde und endlich auf der Iris wie ein über
dieselbe gebreiteter, ungleichmässig dichter Schleier haften
blieb.
So weist also schon die makroskopische Beobachtung
darauf hin, dass eine Aufnahme corpusculärer Inhaltsmas-
sen aus der vorderen Kammer zum Theile wenigstens durch
die vordere Irisfläche erfolgt. Bei Gelegenheit der Schil-
derung des mikroskopischen Befundes werden wir auf die-
sen Punkt noch einmal zurückkommen.
Die Injectionen mit Zinnober gaben viel weniger
brauchbare Resultate. Unmittelbar nach der Injection senk-
ten sich die rothen Kömchen nach dem Gesetze der Schwere
gegen die tiefste Stelle des Iriswinkels hin. Ein reidi-
hcheres fibrinöses Exsudat umhüllte sie und überzog auch
die Irisoberfläche. Ihre Aufsaugung erfolgte äusserst lang-
sam. Bei der mikroskopischen Untersuchung erhielt ich
^) Yergl. auch Leber 1. c. S. 88 und 89.
7*
100 C. Staderini.
Ergebnisse, welche denen bei der Tuscheinjection im All-
gemeinen conform waren. Die Tusche ist aber wegen der
ausserordentlichen Feinheit ihres Korns und ihres geringen
specifischen Gewichtes, vermöge welcher Eigenschaften sich
ihre Körnchen nicht, wie die des Zinnobers oder anderer
Niederschläge in der Flüssigkeit zu Boden senken, sondern
in derselben suspendirt bleiben, weit mehr geeignet, selbst
von schwachen Strömungen fortgeführt zu werden und überall
dahin zu gelangen, wo die Flüssigkeit selbst auf gebahnten
^ Wegen eindringt. Um unnöthige Wiederholung zu vermei-
den, wollen wir daher bloss die Beobachtungen, welche
durch Tuscheinjection am albinotischen Kaninchen gemacht
worden sind, ausfuhrlicher mittheilen.
Die frisch enucleirten Augen wurden in Müller'scher
Lösung oder in Picrinsalpetersäure gehärtet, in bekannter
Weise in toto mit Cochenille -Alaun gefärbt, in Celloidin
eingebettet und in möglichst feine Schnitte zerlegt. Dieses
Verfahren gab die besten Resultate, da die schwarzen Körn-
chen sich sehr deutlich vom Grunde abheben und anderer-
seits, indem für eine möglichst vollständige Durchtränkung
der Präparate mit der Einbettungsmasse Sorge getragen
wurde, eine Verschleppung der Körnchen durch die Messer-
fuhrung ziemlich sicher ausgeschlossen war.
Bei der mikroskopischen Untersuchung fällt zunächst
auf, dass die injicirte Tuschemasse in ein zartes netzförmi-
ges Fibringerinnsel eingeschlossen erscheint, welches die-
selbe an der vorderen Irisfläche und manchmal auch im
Pupillargebiete an der vorderen Linsenkapsel fixirt hält
In den Maschen dieses feinfadigen fibrinösen Exsudates
finden sich im Ganzen nur spärliche Leukocyten, meist
ziemlich weit von einander entfernt. Etwas zahlreicher sind
sie an der Oberfläche des Goagulums. Zum Theile enthal-
ten sie schwarze Körnchen in ihrem Zellleibe, zum Theile
sind sie ganz frei davon und es treten die Kerne scharf
und deutlich hervor.
lieber die Abfiosswege des Humor aqueus. 101
So waren die Verhältnisse am Tage der Injection und
am folgenden Tage. Uebrigens blieb das eben erwähnte
Verhältniss der Leukocyten zur Tuschemasse, sowie zum
Fibringerinnsel auch in der nächsten Zeit ziemlich constant.
Wenn einmal zwei oder drei Tage nach der Injection
verstrichen sind, so überzeugt man sich, dass die peripheren
Theile der Masse schon nicht mehr bis zum Kammerwinkel
reichen. Jedoch findet man dann, namentlich an denjeni-
,gen Stellen, welche dem Reste der injicirten Masse noch
am nächsten liegen, viele schwarze Kömchen in den Maschen
des Ligamentum pectinatum eingelagert und den Fontana-
schen Raum einnehmend. Einige von ihnen sind in Lymph-
Zellen eingelagert, viele liegen frei; am zahlreichsten sind
sie da, wo die Maschen am dichtesten sind; in der Regel
erstrecken sie sich nicht über die Grenzen des Fontana-
schen Raumes hinaus; nur bei solchen Kaninchen, bei denen
eine reichliche Injection gemacht worden war, enthalten die
benachbarten Endothelzellen der Descemet'schen Membran
einige schwarze Kömchen.
Bevor wir in der Beschreibung der Befunde weiter
gehen, möchte ich nochmals besonders hervorheben, dass
in der vorderen Kammer ebensowie im Fontana-
schen Räume und in den anderen, im Folgenden
besonders zu bezeichnenden Theilen nur ein klei-
ner Bruchtheil der Körnchen in weissen Blutkör-
perchen eingeschlossen war, und bei weitem die
Mehrzahl derselben frei lag. Es stimmt dies nicht
mit der Beschreibung von Brugsch; dieser fand, dass die
Kömchen in der vorderen Kammer alle in Leukocyten ein-
geschlossen waren, welch' letztere jene auf den von ihnen
beschrittenen Bahnen fortführten, und dass wenigstens spä-
terhin, freier Farbstoff überhaupt nicht mehr vorkomme.
Die Ursache dieser Verschiedenheit zwischen unseren
Ergebnissen und denen von Brugsch wird uns klar, wenn
wir uns die Versuchsanordnung dieses Forschers verge-
102 C. Staderini.
genwärtigen. Dieselbe dürfte von Torne herein yiel mehr
geeignet sein, die anatomisch- physiologischen Verhältnisse
des operirten Auges zu stören, als der Ton uns befolgte
Vorgang. Brugsch luxirte nämlich zunächst den Bulbus
und injicirte dann, nach Abfluss des Kamnierwassers soyiel
Zinnober oder Tusche, ,,bis das Auge gut oder prall gefüllt
schien^'. Von besonderen antiseptischen Gautelen wird nichts
erwähnt Auf einen solchen Eingriff trat immer eine ge-
wisse Reaction ein, Hyperämie der Iris und des episcleralen
Gewebes, manchmal auch Chemosis. Zuweilen wurde die
Iris verletzt und es kam zu heftigerer Entzündung. Das
fibrinöse Exsudat, das sich in der vorderen Kammer bil-
dete, war reichlich und compact, so dass es Brugsch als
„Schwarte*' bezeichnete. Diese Schwarte schwand im spä-
teren Verlaufe nicht, sondern erschien im Gegentheil nach
zwei bis vier Wochen in ein faseriges Gewebe umgewan-
delt, welches vollkommen den Charakter von Bindegewebe
hatte, mit nicht gerade zahlreichen, endothelartigen Zellen
und mehr oder weniger reichlichem Pigment. Die Schwarte
haftete der Iris so innig an, dass eine scharfe Grenze zwi-
schen beiden nicht mehr zu erkennen war*).
Bei den von mir in der oben erwähnten Weise operir-
ten Augen war eine derartige Reaction niemals zu beob-
achten. Das fibrinöse Exsudat war in der Regel so dünn,
dass man es oft nur bei seitlicher Beleuchtung wahrnehmen
konnte und schwand im weiteren Verlaufe ganz. Bei dem
Fehlen der entzündlichen Reaction versteht es sich leicht,
dass es in unseren Fällen nur zu einer geringen Auswan-
derung von Leukocyten in die vordere Kammer kam. So
ist auch in der That in meinen zahlreichen Schnitten die
Menge der fortgeiiihrten, freien Körnchen sehr wesentlich
grösser, als jene der in Leukocyten eingeschlossenen. Bei
der Feinheit der Schnitte und der Anwendung guter Apo-
') 1. c. S. 269 unten.
Ueber die Abflusswege des Humor aqueus. 103
chromat-Objective (Zeiss) war es in der Regel nicht schwer,
hierüber ein sicheres Urtheil zu gewinnen. Wenn irgend
ein Zweifel bestand, so wurde homogene Immersion Ap. 1,40,
Brw. 2,0 mm zu Hilfe genommen.
Ausser im Fontana'schen Räume ist eine Anzahl Körn-
chen, zum grossen Theile frei, zum Theil auch in Leuko-
cyten eingeschlossen, in dem angrenzenden Gewebe zu fin-
den, in der Sclera nächst der Comeosceralgrenze, im Cor-
pus ciliare und in der Iris. Die Anordnung, in welcher
sich die Körnchen in diesen verschiedenen Theilen finden,
erfordert eine genauere Beschreibung, welche gesondert er-
folgen soll.
Vom Fontana'schen Räume aus gelangt die Tusche zum
Theil in das Gewebe der Lederhaut, und scheint hier
längs der Wand einiger Gefässe des Leber'schen Plexus
fortgeführt zu werden, welche zumeist in unmittelbarer
Nachbarschaft des Fontana'schen Raumes, dicht an der
Innenseite der Sclerotica verlaufen, dann in das Gewebe,
der letzteren weiter eindringen und sie schräg von vorn
und innen nach rückwärts und aussen durchsetzen, während
sie gleichzeitig unter einander und mit anderen Zweigen
in Verbindung treten (siehe Fig. 1). So kommt es, dass
die schwarzen Körnchen, welche jene Gefässe begleiten, an
einzelnen Schnitten in continuirlichem Zusammenhange mit
jenen angetroffen werden, welche im Fontana'schen Räume
selbst angehäuft sind. Sie erscheinen zumeist frei, zum
Theil in Lymphzellen eingeschlossen um die Wand der Blut-
gefässe gelegen, so zwar, dass sie sich auf Querschnitten
zuweilen als ein vollständiger Kranz um das Lumen herum
darstellen. Eigentliche perivasculäre Scheiden lassen sich
zwar hier allerdings nicht nachweisen; aber offenbar be-
finden sich um die Gefässe herum Spalträume, welche mit
dem Kammerwinkel in offener Communication stehen. An
einzelnen Stellen, wo die Blutgefässe in Capillaren über-
gehen, scheint es, dass eine kleine Zahl von Körnchen in
104 C. Staderini.
das Protoplasma der Endothelzellen, welche das Lumen
dieser kleinen Gefässe auskleiden, eingedrungen und sich
hauptsächlich um den Kern derselben gelagert hat. Inner-
halb des Gefässlumens selbst habe ich niemals eine Spur
von Tusche nachweisen können, wohl schon deshalb nicht,
weil Kömchen, die etwa hierher gelangt waren, sofort durch
den Blutstrom hätten weiter gefuhrt werden müssen.
Einige spärliche Kömchen finden sich da und dort
längs einer feinen, fadenförmigen Bahn, welche von der
Scheide eines der obengenannten Gefässe schräg sich ab-
zweigend in der Sclerotica sich verliert, ohne weiter dem
Verlaufe eines Blutgefässes zu folgen. Andere, ähnlich an-
geordnete Körnchen findet man auf mikroskopischen Schnit-
ten auch völlig unabhängig von den Verzweigungen des
Venenplexus. Ich glaube die Thatsache am richtigsten durch
die Annahme zu deuten, dass die Tuschekörnchen, nachdem
sie in die Spalträume um die erwähnten Blutgefässe ge-
,langt sind, von hier aus in die Saftbahnen der Sclera über-
gehen, die mit jenen in Verbindung stehen.
In manchen Schnitten waren innerhalb dieser scleralen
Bahnen überhaupt keine Wanderzellen zu finden. Bei der
Feinheit der Schnitte und der Güte der optischen Hilfs-
mittel, welche mir im Labbratorium des Herrn Professor
Sattler zur Verfügung standen, konnte ich mich sehr be-
stimmt überzeugen, dass die Körnchen meist isolirt, jedes
für sich erkennbar, der zarten Contour der Gefässwand
folgend, der letzteren äusserlich anlagen. Die Kerne der
Adventitiazellen traten deutlich hervor und bisweilen waren
Kömchen um dieselben etwas dichter angehäuft.
Niemals konnte ich die Tusche im Scleralgewebe weiter
als 5 — 6 mm vom Hornhautrande entfernt nachweisen. Aus
der Anordnung der Tuschekörnchen im Scleralgewebe dürfte
zu entnehmen sein, dass der Strom, durch welchen sie da-
hin gelangt waren, schräg nach aussen gegen das episcle-
rale Gewebe zu gerichtet ist.
Ueber die Abflusswege des Hamor aqueus. 105
In der Zarückweisung der Annahme eines Eindringens
von Taschekömehen in das Lumen von Blutgefässen stehen
wir in voller Uebereinstimmung mit Brugsch und glauben
wohl mit Bestimmtheit die auf Grund ungenügender Prä-
parate oder Anwendung zu starken Druckes oder nicht ge-
nügend frischer Augen aufgestellte Behauptung zurückwei-
sen zu können, dass Körnchenmassen in die Blutgefässe
eindringen (Calberla, Heisrath, Calori).
Aber auch bezüglich des von Morf beschriebenen
Lymphcanales gelang es mir nicht, irgend etwas zu finden,
was auf die Existenz eines solchen hindeuten würde. Der-
selbe hat nach Morf 's Zeichnung ganz den Verlauf, wel-
cher den Blutgefässen in dieser Gegend zukommt, wie wir
uns selbst überzeugen konnten durch Injectionen mit neu-
traler Karmin-Gelatine in eine der tiefen Jugularvenen des
Kaninchens. Es gelang dann stets, die Füllung von Ge-
fässverzweigungen zu constatiren, deren Verlauf genau über-
einstimmte mit jenem, den Morf 's Lymphcanal nehmen .
sollte. Ein gleiches Ergebniss erhielt ich, wenn das Thier
unmittelbar nach dem Tode einige Zeit lang an den Hin-
terbeinen aufgehängt wurde. Es fanden sich dann immer
die obengenannten Gefasszweige, welche dem Leb er 'sehen
Plexus und dessen Ausläufern entsprechen, mit Blut gefüllt,
und ich konnte feststellen, dass keines derselben in directer
Verbindung mit dem Fontana'schen Räume steht, in wel-
chen niemals eine Spur von Blut eingedrungen war. Auf
die Un Wahrscheinlichkeit, dass die vordere Kammer mit
einem so weiten Lymphcanale in offener Verbindung stände,
haben wir schon oben mit Berufung auf Leber's Aus-
einandersetzung hingewiesen.
Auch Brugsch^) hat in der unmittelbaren Umgebung
von Scleralgefassen, welche den in Rede stehenden Gefäss-
zweigen entsprechen, mit Farbstoff gefüllte Lymphzellen an-
») 1. c. S. 278.
106 C. Staderini.
getroffen und auch eiüzelne Adventitiazellen pigmentirt ge-
funden. Er hat sich aber mit Recht enthalten, aus diesem
Befunde auf eine Verbindung spaltformiger Bahnen in der
Comeoscleralgrenze mit dem Kammerraum zu schliessen,
weil er bei den oben besprocheneu Umständen, unter denen
er seine Versuche angestellt hat, nidht ausschliessen konnte,
dass die pigmenthaltigen Wanderzellen nicht aus der Kam-
mer, sondern von der Iris oder dem Ciliarkörper aus in
die Spalträume der Sclera eingewandert seien.
Mehr oder weniger zahlreiche schwarze Kömchen findet
man auch im Corpus ciliare, wohin sie vom Fontana-
schen Räume aus gelangt sind. Im Allgemeinen erscheinen
sie regellos da und dort zerstreut und lassen keine be-
stinmite Anordnung, keinerlei Beziehung zum anatomischen
Bau der Gewebe erkennen, in welche sie "eingelagert sind.
Nur in einzehicn, wenigen Präparaten fiel es auf, dass an
manchen Stellen die Tuschekörnchen deutlich in zwei paral-
lelen Fäden angeordnet sind, welche einem Blutgefässe ent-
lang verlaufen. Beachtenswerth ist der Umstand, dass die
grössere Menge der Tusche im Ciliarkörper sich an der
Basis der Ciliarfortsätze findet und zwar im Allgemeinen
in einer Linie, welche die directe Verlängerung des hin-
teren Endes des Fontana'schen Raumes darstellt. Gegen die
Spitze der Processus ciliares nimmt die Zahl der Körnchen
allmählich ab, so dass in den letzteren nur mehr ganz we-
nige nachzuweisen sind.
Die Tusche erscheint im Ciliarkörper, wie gewöhnlich
theils frei, theils in Leukocytcn eingeschlossen, im Binde-
gewebe zwischen den Muskelbündeln und Blutgefässen. Die
spärlichen Körnchen in den Ciliarfortsätzen liegen zum
grössten Theile frei, ohne Beziehung zu irgend einem Zell-
kern, in Reihen hintereinander, oder aber an Kerne' von
endothelialem Charakter angeschmiegt oder endlich in ver-
einzelte Wanderzellen eingeschlossen. Niemals fand sich
eine 'Spur von Tusche im Lumen von Blutgefässen, noch
üeber die Abflasswege des Humor aqueos. 107
auch in den die Ciliarfortsätze überkleidenden Epithel-
zellen.
Weiter nach rückwärts lassen sich Tuschekörnchen ver-
folgen bis zürn Uebergange des Ciliarkörpers in die Cho-
rioidea; in deren vorderstem Abschnitte, nächst der Ora
serrata sind sie jedoch nur mehr ganz vereinzelt anzutreffen.
Das eine oder andere Körnchen ist zuweilen auch noch im
vordersten Theile des Perichorioidealraumes nachzuweisen.
Wenn wir nun zur genaueren Untersuchung der Iris
übergehen, so fällt vor allem auf, dass die vordere Zell-
schicht derselben (das Irisendothel) in ihrem Protoplasma
sehr reich ist an schwarzen Körnchen, und zwar finden sich
dieselben mit einer gewissen Regelmässigkeit um den Kern
einer jeden Zelle herum angeordnet. In manchen ist der-
selbe vollständig von Tuschekömehen umschlossen, in an-
deren nur zum Theile. Dieses Verhalten ist besonders deut-
lich zu erkennen an Schnitten, welche die Iris in etwas
schräger Richtung von vorn nach hinten getroffen haben.
In grösster Klarheit tritt das Bild an Flächenpräparaten
der Iris hervor (siehe Fig. 2). In einzelnen Zellen ist das
Protoplasma so vollständig von Tuschekörnchen erfüllt, dass
die ganze Zelle wie eine einzige schwarze polygonale Masse
aussieht, in deren Mitte sich -der scharf begrenzte Kern
abhebt. In anderen Zellen findet man nur wenige Köm-
chen um den Kern herum gelagert, während die Zellen-
peripherie nahezu vollständig frei bleibt. Auch die Inter-
cellttlarsubstanz des Irisendothels zeigte sich reichlich von
Kömchen durchsetzt in Präparaten, welche von demjenigen
Theile der Iris stammten, der zur Zeit der Tödtung des
Thieres noch in Berühmng mit dem Reste der in die vor-
dere Kammer injicirten Masse stand; da wo die letztere
zum Theile schon verschwunden war, fanden sich die Köm-
chen nur spärlich in der Intercellularsubstanz. Hier sowohl
wie in den Endothelzellen selbst fehlte die Tusche vollstän-
dig an den Strecken, wo die Irisoberfläche nicht in unmii-
108 G- Staderini.
telbarem Contact mit der injicirten Masse gestanden hatte.
Diese Yorscbiedenheit widerlegt zur Genüge den etwaigen
Einwand, dass es sich um natürliches Pigment der Iris ge-
handelt haben könnte. Uebrigens haben wir uns stets durch
die mikroskopische Untersuchung des ganzen Auges ver-
sichert, dass wir es in der That mit vollständig albinoti-
schen Kaninchen zu thun hatten.
Bisweilen hat man Gelegenheit, eine ähnliche Anord-
nung der Körnchen auch im Endothel der Descemet-
schen Membran zu beobachten, wenn nämlich die inji-
cirte Masse einen grösseren Theil der Kammer ausfüllte.
Jedoch war dies bei weitem nicht immer der Fall; in der
Regel schien das Descemet'sche Endothel an der Aufnahme
von Tuschekömehen sich nicht zu betheiligen.
Die Ursache des verschiedenen Grades der Pigmen-
tirung des Endothels der Iris und des Zellbelages der Des-
cemet'schen Membran kann sicherlich nicht in einer ver-
schiedenen Fähigkeit dieser Zellen, Farbstoffkömehen auf-
zunehmen, gesucht werden. Wenn wir uns aber erinnern an
das, was schon bei Beschreibung unserer Beobachtungen am
lebenden Thiere gesagt worden ist, dass die Tuschemasse
sich bald* von der hinteren Hornhaut wand ablöste und ge-
gen die Irisoberfläche hin sich zurückzog, indem der Strom
des Humor aqueus augenscheinlich die Tendenz hat, die in
die Kammer injicirte Tuschemasse gegen die Oberfläche der
Ins hinzudrängen, so werden wir verstehen, dass die Endo-
thelzellen der Iris ungleich leichter in die Lage konmien
müssen, die Körnchen in sich aufzunehmen, als die Zellen
des Homhautendothels, welche schon bald den Contact mit
der Farbstoffmasse verlieren. Ueber die Art und Weise,
wie man sich den Vorgang der Pigmentimng an Endothel-
zellen vorzustellen habe, hat Brugsch durchaus zutreffende
Bemerkungen gemacht*).
*) 1. c. S. 267 unten.
Ueber die Abflasswege des Humor aqaeus. 109
Iq die Substanz der Hornhaut selbst drang niemals
ein schwarzes Körnchen ein, so weit die Descemet'sche
Membran nidit verletzt worden war. An der Eintrittsstelle
der Canüle konnte man, wie wohl zu erwarten stand, häufig
ein Eindringen von Tusche in die Homhautsubstanz beob-
achten.
Auch Morf *) giebt an, dass der in die vordere Kam-
mer injicirte kömige Farbstoff durch die unversehrte Des-
cemet'sche Membran niemals in die Hornhaut eindringt.
Dagegen fand er, dass die Zinnoberkörnchen in den Kitt-
leisten zwischen den Endothelzellen zusammenhängende, zier-
liche Bändchen bildeten, die ein feines Netzwerk um die
Zellen herum darstellten, während die letzteren selbst keine
Kömchen enthielten. Von dem Verhalten des Iris -Endo-
thels spricht er nicht.
Auffallend ist, dass Brugsch im directen Gegensatze
zu Morf ausdrücklich angiebt, dass die Farbstoffkörnchen
stets im Inneren der Endothelzellen und niemals in den
Interstitien gelegen waren *). Der Grund für diese Ver-
schiedenheit der Befunde dürfte wohl darin zu suchen sein,
dass Morf mit in Wasser angeriebenem Zinnober arbeitete,
während Brugsch die Pigmentirung von Endothelien nur
bei Tuscheinjectionen beobachtete^).
Im Stroma der Iris, welches beim Kaninchen aus
einem weitmaschigen Netze sich durchkreuzender Bindege-
websfibriUenbündel besteht*), finden sich Tuschekörnchen,
mehr oder weniger reichlich, theils regellos in den Lücken
vertheilt, meist aber in Reihen eines hinter dem anderen
mid zwar vorwiegend in einer Anordnung, welche von vom
nach hinten und gleichzeitig, in verschiedenem Grade ge-
neigt, nach der Irisperipherie zu gerichtet erscheint (siehe
Figg. 1 und 3).
In völlig gelungenen, reactionslos verlaufenden Fällen
') 1. c. S. 28. *) 1. c. S. 281. •) 1. c. S. 266.
*) Michel, Ueber Iris und Iritis. Dieses Arch. XXVII, 2, S. 195.
110 C. SUderinL
findet man in diesem Stratum der Iris nur selten eine
Wanderzelle mit Tnschekömchen beladen. Die genaue Un-
tersuchung unserer Präparate mit guten apochromatischen
Systemen und homogener Immersion liess mit Sicherheit
constatiren, dass in der That fast alle Kömchen frei sind.
Der Widerspruch mit den Befunden von Brugsch erklärt
sich leicht, wenn wir uns erinnern, dass seine Injectionen
von nicht unbeträchtlicher Reaction mit starker Leukocy-
tenauswanderung gefolgt war. Von den fixen Zellen, welche
den Bindegewebsfibrillenbündeln dieser Schicht anliegen oder
in den Lücken ausgespannt erscheinen, zeigen einige wenige
eine Anzahl Tuschekömehen und zwar in yerschiedenem
Abstände vom Zellkerne in sich aufgespeichert.
In ganz analoger Weise findet man den Farbstoff in
der Mittelschicht des Irisstromas (der eigentlichen Gefass-
schicht) vertheilt. Die Körnchen liegen in dem lockeren
Bindegewebe zwischen den Gefässen und Nerven in Lücken,
welche mit denen der vorderen Schicht ein zusammenhän-
gendes Lacunensystem darstelleil : zum Theile folgen sie dem
Verlaufe von Blutgefässen, arteriellen sowohl als venösen,
indem sie in die Interfibrillärräume der Adventitia gelangt
sind. Sie sind zum grössten Theil frei, vorwiegend in Reihen
geordnet. Von den spärlich vorhandenen Lymphzellen sind
einige tuschebeladen. Auch die fixen Zellen des bindege-
webigen Stromas und der Gefässadventitia findet man stel-
lenweise pigmenthaltig.
Je mehr man bei der Durchmustemng der Schnitte
nach den hinteren Schichten der Iris fortschreitet, um so
spärlicher trifft man Tuschekömehen. Ganz vereinzelte sind
noch bis zur hinteren Begrenzungsschicht gelangt; einge-
drungen in dieselbe ist keines.
Am Pupillartheil der Iris ist Tusche in grösster Menge
angesammelt und sieht man namentlich in den Zwischen-
räumen zwischen den Faserbündeln des Sphincter pupillae
Tuschekörachen reichlich abgelagert.
üeber die Abflusswege des Humor aqueus. Hl
Wir haben schon bei der Beobachtung am lebenden
Thiere gesehen, dass die Iris nur an den Stellen , wo sie
mit der injicirten Masse länger in Berührung geblieben
ist« eine grauliche oder schwärzliche Färbung angenommen
hat, die am Pupillarrande am intensivsten war, während
die übrigen Partieen der Iris allmählich wieder ihr normales
Aussehen erlangten. Dem entsprechend fanden wir auch die
Pigmentirung der Endothelschicht der Iris nur an jenen
Stellen mehr oder weniger stark ausgeprägt, wo zur Zeit
der TÖdtung des Thieres die Tuschemasse mit derselben
noch in directem Gontact stand. Einen ganz analogen Be-
fund erweist nun auch das Stroma der Iris. Die Tusche-
körnchen finden sich nämlich in grösster Zahl nur in den-
jenigen Theilen desselben, welche der Anhäufung von In-
jectionsmasse in der vorderen Augenkammer entsprechen und
am reichlichsten, wie erwähnt, im Bereiche des Sphincters.
Air diese Thatsachen deuten entschieden darauf hin,
dass der Iris die Fähigkeit zukommt, corpusculäre
Massen von ihrer vorderen Oberfläche aus sich
einzuverleiben. Im Stroma der Iris selbst scheint der
Lymphstrom eine schräge Richtung von vorn nach hinten
und aussen (peripherwärts) zu nehmen. Bezüglich der Art
und Weise, wie die Tuschekörnchen in die Endothelzellen
der Iris gelangen, wurde schon oben angedeutet, dass
Brugsch's Annahme die meiste Wahrscheinlichkeit für sich
hat, däss nämlich dieselben durch den in der vorderen
Kammer herrschenden Druck in die zarten Zellleiber des
Endothels hineingepresst werden.
Ueber den Vorgang des Eintretens der Körnchen in
das Stroma der Iris selbst, lässt sich nach unseren Präpa-
raten eine bestimmte Angabe nicht machen. Dass die von
Fuchs an der vorderen Irisfläche eingehend beschriebenen
Krypten ^) hieran sehr wesentlich betheiligt sind, lässt sich
>) DieBBB Archiv XXXI, 3, S. 39.
112 C. SUderini.
wohl kaum bezweifeln. Dieselben sind bekanntlich vorwie-
gend im Pupillartheil der Iris gelegen. Bei der Aufnahme
sowohl, als namentlich beim weiteren Transport spielen die
Bewegungen der Iris, wobei ihre Laeunen abwechselnd er-
weitert und verengert werden, unfraglich eine wichtige
Rolle. Dass bei reizlosem Verlaufe nicht die Wanderzellen
das wesentliche Transportmittel körniger Farbsto£fe dar-
stellen, ist durch unsere Versuche wohl sicher gestellt. Es
wäre auch nicht wohl einzusehen, wie die nicht selten an-
zutreffende, regelmässige Anordnung in fadenförmigen Rei-
hen durch nachträgliche Ablagerung aus Leukocyten sollte
zu Stande kommen können.
Wichtig in Bezug auf die Frage des Resorptionsmodus
corpusculärer Substanzen aus der vorderen Augenkammer
und insbesondei^ der Fähigkeit der Iris, solche Substanzen
in sich aufzunehmen, sind Versuche mit Atropin und
Physostigmin, wodurch es gelingt, diese Aufnahmsfähig-
keit künstlich zu steigern oder herabzusetzen.
Ich träufelte einem grossen albinotischen Kaninchen
einige Tropfen einer halbprocentigen Lösung von Atropin
ins rechte und eine ebensolche von Eserin ins linke Auge.
Darauf machte ich, wie oben genauer beschrieben, unter
strengster Antisepsis und in schonendster Weise eine Tusche-
injection in die vordere Kammer eines jeden Auges unter
möglichst gleichen Verhältnissen, noch besonders darauf
achtend, dass die Kammer nur zu zwei Dritttheilen mit
Tusche gefüllt wurde.
Nach sieben Stunden bemerkte ich an dem mit Atro-
pin behandelten Auge, dass die injicirte Masse, wie gewöhn-
lich, in einen Fibrinschleier eingehüllt war, aber sonst kei-
nerlei bemerkenswerthe Veränderung aufwies. Im Eserin-
auge hingegen hatte die ebenfalls in ein zartes, fibrinöses
Exsudat eingeschlossene Injectionsmasse an Volum abge-
nommen und erschien im tiefsten Theile der Kammer eine
mit freiem Auge eben wahrnehmbare, kleine Menge Tusche
üeber die Abflusswege des Hamor aqaeaa. 113
im Iriswinkel angesammelt, welche ca. 2 mm von der vor
der Pupille und dem Pupillartheile der Iris liegenden Haupt-
masse getrennt war.
Neunzehn Stunden nach der Injection erschien die in-
jicirte Masse bereits auf die Hälfte ihres ursprünglichen
Volums vermindert und in ihrer Mitte hatte sich entspre-
chend der PupillaröfiEhung die schon früher beschriebene,
scharf begrenzte Lücke gebildet Die Tuscheansammlung
am tiefsten Theile des Kammerwinkels hatte etwas zuge-
nommen, erreichte aber kaum eine Höhe von 2 mm.
In dem mit Atropin behandelten Auge war das Vo-
lumen der injidrten Masse auch nach neunzehn Stunden
nur wenig vermindert. Eine centrale Lücke hatte sich noch
nicht zu bilden angefangen.
Jetzt wurden beide Bulbi enucleirt und zur Vorberei-
tung für die mikroskopische Untersuchung in ganz gleicher
Weise behandelt.
An dem atropinisirten Auge sah man nun die Tusche-
masse in einem netzförmigen, fibrinösen Exsudat eingeschlos-
sen, den grössten Theil der vorderen Kammer füllend. In
dem Maschenwerk des Fibrinnetzes lagen nur einige wenige
Leukocyten; ihre Zahl war eine so geringe, dass man in
einem feinen Meridionalschnitte nicht mehr als 8 bis 10
zahlte. Von diesen enthielten nur wenige schwarze Körn-
chen in ihrem Zellleib, grösstentheils waren sie von Körn-
chen völlig frei. In den Endothelzellen und der vorderen
Begrenzungsschicht der Iris, sowie im Stroma zwischen den
grösseren Gefassen waren Tuschekömehen reichlich vorhan-
den und zeigten die oben näher beschriebene Anordnung.
Reichlicher als sonst wo traf man dieselben am Pupillar-
rande. Die Trabekel des Irisstromas erschienen etwas dich-
ter und dem entsprechend die Lacunen etwas kleiner als
gewöhnlich. Besonders war dies gegen die hinteren Partieen
der Iris der Fall; hier fanden sich auch nur mehr wenige
Kömchen. Die letzteren waren wieder reichlicher anzu-
▼. Gnefe'B Archiv für Ophthalmologie. XXXVII. 3. 8
114 C. StaderinL
treffen im Fontana'schen Räume, im Corpus ciliare imd aQ
der Comeosderalgrenze.
Etwas abweichend von dem geschilderten Befände im
Atropinange war der Befand in dem Auge, in welches man
Eserin getränfeit hatte. Innerhalb der kleinen Tnsdie-
menge, die sich noch im Fibrinnetzwerk eingeschlossen fand,
waren nnr wenige Lenkocyten enthalten; dagegen hatte sich
an der hinteren, der Iris zugekehrten Seite der Masse eine
kleine Lenkoc^tenanhäufang gebildet, welche schon mit
freiem Auge an mit Cochenille- Alaun gefärbten Schnitten
zu bemerken war, indem sie einen rundlichen Herd Yon
nicht ganz einem halben Millimeter Durchmesser darstellte.
Durch das Mikroskop konnte man sich überzeugen, dass
all' diese Lenkocyten yon Tuschekömehen frei waren. In
der Iris selbst waren die Kömchen ausser im Endothel, in
bekannter Anordnung in alle Theile des Stromas einge-
drungen bis an die hintere Begrenzungsmembran, wo sie
noch in ziemlich grosser Anzahl anzutreffen waren. Die
Kömchen lagen fast alle frei in den Gewebslücken, häufig
in fadenförmigen Reihen geordnet. Wanderzellen fanden
sich nur in ganz spärlicher Zahl in der Iris und nur we-
nige Yon ihnen hatten Kömchen in ihrem Protoplasma.
Der Fontana'sche Raum, der Ciliarkörper und die Comeo-
sderalgrenze enthielten zahlreiche Tuschekömehen, in der
weitaus überwiegenden Mehrzahl frei. Die communiciren-
den Gewebslücken des, Irisstromas erschienen weiter, als im
Atropinange. Dasselbe gilt Yom Balkenwerk des Fontana-
schen Raumes. AU' diese Umstände weisen auf eine er-
leichterte Wegsamkeit der der Resorption dienenden Bah-
nen und lassen es verstehen, wie die Abführung der inji-
cirten Masse in dem mit Eserin behandelten Auge so yiel
rascher zu Stande kam, als in dem anderen. Zu gleicher
Zeit liefern diese Versuche aber auch einen weiteren Be-
weis dafür, dass den Lenkocyten keine wesentliche Rolle
an der Abfuhr kömiger Substanzen aus der vorderen Kam-
üeber die Abfltuswege des Humor aqueus. 115
mer zukommt — grösste Feinheit des Korns und yöUig
reidosen Verlauf selbstverständlich vorausgesetzt — ; denn
abgesehen davon, dass auch bei diesen Versuchen der di-
recte Augenschein von einer nennenswerthen Betheiligung
von Wanderzellen nichts erkennen liess, wäre nicht einzu-
sehen, wie das Atropin und Eserin einen so verschiedenen
Einfluss auf die Emigration, Beweglichkeit und Wander-
fähigkeit der Leukocyten ausüben sollten, wie er bei der
Verschiedenheit der geschilderten Resultate angenommen
werden müsste.
Andere Versuche mit Atropin und Eserin an kleineren
albinqtischen Kaninchen ergaben im Grossen und Ganzen
dieselben Resultate.
Die Versuche, die Deutschmann vor einer Reihe von
Jahren mit defibrinirtem Blute angestellt hatte, welches er
in die vordere Augenkammer von Kaninchen injicirte, führ-
ten zu ähnlichen Ergebnissen in Bezug auf den wichtigen
Antheil, welcher der Iris zukommt an der Resorption der
corpusculären Elemente desselben^). Auch überzeugte er
sich, dass durch Einträufeln von Eserin die Resorption
ganz beträchtlich beschleunigt wurde.
Andere Forscher haben angegeben, dass die in die vor-
dere Kammer ii^icirten Massen mehr oder weniger weit über
die von uns angegebenen Grenzen hinaus vordringen können.
So hat Ulrich^) bei seinen letzten Versuchen gefanden, dass
die unter dem Druck einer Wassersäule von 60 cm in die vor-
dere Kammer injicirte Tuscheaufschwenmiung, als nach etwa
einer Stande der Versuch unterbrochen wurde, nicht bloss in
den Fontana'schen Raum und das nach hinten anschliessende
Gewebe gedrungen war, sondern auch zwischen die Fasern des
vorderen Zonulablattes, so dass eine partielle, circuläre Tusche-
färbung noch am Linsenäquator sich vorfand. Bei diesen Ver-
sachen ist jedoch die Injection in die vordere Kammer unter
einem Drucke ausgeführt worden, welcher den normalen Kam-
») Dieses Archiv XXIV, 2, S. 223. 1878.
*) Archiv für Aagenheilk. XX, S. 280. 1889.
116 C. Staderini.
merdrnck mehr oder weniger beträchtlich überstieg (in Ulrich' s
Yersuch nahezu um das Doppelte) and somit wohl im Stande
war, die Masse auch auf Wegen fortzutreiben, welche unter
gewöhnlichen Umständen der Resorption und dem Abflüsse nicht
dienen. Bei meinen Versuchen Hess ich zuerst das Eammer-
wasser langsam abfliessen und füllte dann die Kammer nur zu
etwa zwei Drittel mit der ziemlich consistenten Tuscheauf-
schwemmung. Beim langsamen Zurückziehen der feinen Ca-
nüle wurde darauf geachtet, dass die Kammer sich nicht wie-
der entleerte. Dadurch wurden Druckschwankungen bei un-
seren Versuchen auf ein möglichst geringes Maass reducirt.
Die Richtigkeit des Gesagten ergab sich aus solchen Ver-
suchen, wo sich entgegen der sonstigen Gepflogenheit die vor-
dere Kammer vollständig mit Tusche füllte, indem ich etwas
kräftiger als gewöhnlich auf den Stempel der Spritze drückte.
Dann fand ich Tuschekömehen auch hinter der Iris, wo sie
für gewöhnlich nie angetroffen wurden.
Wir haben auch eine Anzahl von Yersnchen vorge-
nommen mit Injectionen von löslichem Berliner Blau
und zehnprocentigem Asphalt-Chloroform in die vor-
dere Kanmier, welche geeignet sind, einerseits die im Voran-
gehenden dargelegten Thatsachen zu bestätigen und ande-
rerseits uns ein ürtheil zu verschaffen über den Wider-
spruch, der in den Resultaten der verschiedenen Forscher,
welche nicht diffusible Flüssigkeiten in die vordere Kam-
mer injicirten, zu Tage tritt
Bei einer durch Aether narkotisirten Katze wurde
durch die Hornhaut eines jeden Auges je eine Ganüle einer
Pravaz'sche Spritze in die vordere Kammer eingestochen.
Nachdem das Kanmierwasser langsam abgeflossen war, inji-
cirte ich in die eine und andere Kammer gerade so viel
einer zehnprocentigen Auflösung von Asphalt in Chloroform,
dass die vordere Kammer eben damit angefüllt wurde. Ich
unterbrach die Injection, sobald der Asphalt den Kammer-
winkel erreicht hatte und am Spritzenstempel eine leichte
Drucksteigerung wahrnehmbar wurde. Ich liess die Canüle
in der Hornhaut etwa 20 Minuten lang und tödtete das
üeber die Abflusswege des Humor aqueus. 117
Thier nach einer halben Stunde. Die Bulbi kamen zur
Härtung in Alkohol und wurden bei der mikroskopischen
Untersuchung mit denjenigen Vorsichtsmaassregeln behan-
delt, welche nothwendig waren, um eine Lösung des As-
phalts zu vermeiden. Ich fand nun, dass die Injections-
masse überall in die Mäschenräume des Fontana'schen Ga-
nais eingedrungen war; aber die Blutgefässe, welche in der
Comeoscleralgrenze unmittelbar am Fontana'schen Räume
gelegen sind, enthielten ebensowenig, als die anderen 6e-
fasse in dessen Umgebung die geringste Spur von Asphalt
in ihrem Lumen. Nur rings um die Wandung von einigen
jener venösen Gefasse, welche dicht am Rande des Fontana-
schen Raumes in der Comeoscleralgrenze verlaufen, zeigten
sich Andeutungen von Asphalt.
Bei einer zweiten Katze injicirte ich unmittelbar nach
der Tödtung durch Aetherinhalation in oben beschriebener
Weise Asphalt in die vordere Kammer des einen in situ
gelassenen Auges. Das andere wurde zuerst enudeirt und
dann erst injicirt. Sobald bei diesem letzteren die Span-
nung eine der normalen ungefähr entsprechende Höhe er-
reicht hatte, wurde die Injection unterbrochen, die Caniile
aber stecken gelassen. Als die Spannung nach Ablauf we-
niger Minuten wieder gesunken war, spritzte ich noch ein-
mal so viel Asphalt ein, bis der Druck die frühere Höhe
wieder erreicht hatte. Und dies wiederholte ich noch ein
drittes Mal.
Bei der mikroskopischen Untersuchung des ersten, in
situ injicirten Auges zeigte sich, dass der Asphalt den Fon-
tana'schen Raum erfüllte und dass ausserdem feinste, mehr-
fach unterbrochene schwarze Streifen entlang von venösen
Blutgefässen zu verfolgen waren, welche unmittelbar an der
Aussenwand des Fontana'schen Raumes in der Comeoscleral-
grenze gelegen sind. Im Inneren der Gefässe war nichts,
was auf ein Eindringen von Asphalt in das Lumen der-
selben hindeuten könnte, wahrzunehmen.
118 C. StaderinL
Am anderen nach der Enucleation injidrten Auge hin-
gegen £euid idi, dass Asphalt in die Blutgefässe am Comeo-
sderaliande eingedrungen war und das Lumen derselben
mehr oder weniger ToUständig erfüllte. Die suboonjuncti-
▼alen Gefasse enthielten bloss Blutkörperchen und keine
Spuren Ton Asphalt mehr. Andere in derselben Weise aus-
geführte Versuche, sowie auch die Injection von löslichem
Berliner Blau in die vordere Kammer eines in der Orbita
belassenen Katzenauges unmittelbar nach dem Tode des
Thieres ergaben völlig übereinstimmende Resultate.
So lange also die Blutcirculation in den Gefassen der
Ciomeoscleralgrenze im Gange war, drang die Injections-
masse unter dem in Anwendung gebrachten Drucke nur
spurenweise in die daselbst befindlichen, mit dem Fontana-
schen Baume in Verbindung stehenden und dann den Blut-
gefässen dieser Gegend folgenden Spalträume ein. In viel
ausgedehnterem Maasse war dies der Fall, wenn diese Blut-
gefässe nach dem Tode leer oder nur unvollständig gefüllt
waren. Bestände irgend eine offene Gommunication mit
dem Lumen der letzteren, so würde ohne jeden Zweifel die
leicht bewegliche Flüssigkeit in dasselbe eingedrungen sein
und die Gefasse gefüllt haben, statt in den viel grösseren
Widerstand darbietenden, engen Spalträumen nach aussen
von der Gefässwand sich fortzubewegen. Bei der letzten
Kategorie von Versuchen endlich, wo erst nach der Enu-
cleation die Kammereinspritzung in der angegebenen Weise
ausgeführt wurde, genügte schon der bei der Injection an-
gewendete Druck, um an einer Stelle eine Zerreissung der
dünnen Gefässwand herbeizuführen, worauf die Masse das
Lumen erfüllte, ohne mehr in den circumvasalen Spalträu-
men sich zu verbreiten.
Fassen wir nun die Thatsachen zusammen, welche wir
in Bezug auf die Herkunft und den Abfluss des Kammer-
wassers und die Resorption corpusculärer Elemente aus
dem Kammerraume nach dem gegenwärtigen Stande unserer
Ueber die AbfluBswege des Humor aqaeus. 119
KenntDisse auszosprechen uns für berechtigt halten» so
wären diese ungefähr in folgenden Sätzen zu formuliren.
1) Das Kammerwasser stammt aus der hinteren
Kammer und tritt am Pupillarrande in* die vordere
Kammer ein.
Die mitgetheilten Ergebnisse unserer Versuche gestatten
uns allerdings nur den Schluss, dass eine Secretion von
Kammerwasser von der vorderen Irisfläche aus (Schick)
oder eine Durchquerung der Iris durch einen Flüssigkeits*
Strom (Ulrich) nicht statt hat, ja dass die Vorderfläche
der Iris an der Secretion des Kammerwassers überhaupt
nicht betheiligt ist und ferner, dass der Weg, den der Hu-
mor aqueus einschlägt, um in die vordere Kammer zu ge-
langen, in der capillären Spalte zwischen dem Pupillarrand
der Iris und der vorderen Linsenkapsel zu suchen ist. Aber
es genügen diese Thatsachen, um, zusammengehalten mit
den schon von Leber angeführten, bekannten klinischen
Erfahrungen aus der Pathologie des Auges ^), den obigen
Satz auszusprechen').
1) Dieses Archi? XIX.
*) Auf einen Umstand, der mir bezfiglich der Frage nach dem
Orte der Secretion des Kammerwassers noch nicht genügende Be-
rQcksichtigimg gefanden zu haben scheint, möchte ich hier noch die
Aofinerksamkeit der Leser hinlenken, aof den Umstand n&mlich,
dass das Kammerwasser nicht als ein einfaches Transsudat aus dem
Blntplasma, als eine Art Lymphe anfgefasst werden kann, sondern
dass es sich am ein wirkliches Secretionsprodukt handelt. Man
vergleiche nur die chemische Zusammensetzung des Blutserums, der
Geweblymphe und des Kammerwassers, um sofort einzusehen, dass
wir in dem letzteren nur FlOssigkeit Tor uns haben, in welcher die
Eiweisskörper und sonstige organische feste Substanzen nahezu voll-
•t&ndig fehlen. Deutschmann, der das Kammerwasser aus dem
Auge eines noch lebenden Rindes untersucht hat, fand nicht wäg-
bare Mengen Ton Ei weiss (dieses Archiv XXVII, 2, S. 297). Da
die Eiweissmenge des Kammerwassers nach dem Tode zunimmt, so
sind die Angaben anderer Autoren, welche dasselbe den Augen ge-
tödteter Thiere entnahmen (so auch Michel und Wagner, dieses
120 C. SUderinL
^ 2) Langsam und gleiclimässig erfolgt die Strö-
mung des Kammerwassers Ton der Papille in ra-
diärer Richtung nach dem Kammerwinkel zu. Ströme,
^eren Theilchen sich diyergirend überkreuzen", oder „Wir-
belphanomene^ kommen hierbei niemals zu Stande.
3) Im Fontana'schen Canale finden sich die-
jenigen anatomischen Einrichtungen und physika-
lischen Bedingungen, welche den Abfluss Ton Hu-
mor aqueus durch Filtration in venöse Blutgefässe
an der Corneoscleralgrenze ermöglichen und unter
normalen Verhältnissen in ausreichendem Maasse sicher-
stellen. Eine offene Verbindung zwischen Kammerraum und
Blutgefasssystem existirt ganz bestimmt nicht
Archiv XXXII, 2, S. 173), bezflglich des Eiweissgehaltes zu hoch
aoBgefallen. Ein solches, in qualitativer und quantitativer Bezie-
hung von der Zosammensetzong der Lymphe abweichendes Trans-
Budat ist aber ein wahres Secret und wird nur durch Vermittlung
besonderer Zellen, Zellen epithelialer Natur geliefert, welchen die
Fähigkeit zukommt, ganz bestimmte Stoffe ans dem Transsudate
zurQckzuhalten, bezw. eigenartige, specifische Stoffe zu bilden. Für
eine derartige elective Wirkung, welche die fOr die dioptrischen
Zwecke unerl&ssliche Constanz der Zusammensetzung der flQssigen
Augenmedien garantirt, können wir nur den doppelten epithelialen
Ueberzug der hinteren Irisfl&che und des Ciliarkörpers in Anspruch
nehmen. An albinotischen Thieren hat man Gelegenheit, diesen
Zellbelag auf das Schönste wahrzunehmen (vergl. Figg. 1 und 2 der
der vorliegenden Abhandlung beigegebenen Tafel) und die interes-
santen Veränderungen eben dieser Zellen in Augen von diabetischen
Individuen mit Cataracta, welche wir durch die Beschreibungen von
Becker, Kamocki und Deutschmann kennen gelernt haben und
die ich selbst in zwei Fällen in verschiedenen Graden der Ausbil-
dung in exquisiter Weise zu constatiren Gelegenheit hatte, liefern
uns ein Beispiel für auffälligere, pathologische Störungen eben die-
ses secemirenden Epithels.
Es würde somit den beiden Blättern der Netzhaut nach vom
von der Ora serrata, welche schon in anatomischer Beziehung einen
eigenartigen Bau aufweisen, indem ihre Elemente den epithelialen
Character der ursprünglichen Anlage dauernd erhalten haben, —
lieber die Abflusswege des Humor aqueus. 121
Es ist schon in den einleitenden Bemerkungen daran
erinnert worden, dass der Schlemm'sche Canal beim Men-
schen einen Anhang zam Yenensystem der Gomeoscleral-
grenze darstellt, innerhalb dessen in Folge der ziemlich
beträchtlichen Erweiterung des Gesammtquerschnittes der
venösen Blutbahn der Druck ein verhältnissmässig niedriger
sein muss. Dazu kommt noch, dass, wie Straub sehr rich-
tig hervorgehoben hat^), die hintere (innere) Wand des
Schlemm'schen Canals, welche zugleich den äussersten An-
theil jenes Platten- und Balkensystems darstellt, an das der
w&hrend dieselben, abgesehen von einer Absorption des durch die
Sclera einfallenden Lichtes, der Funktion des Sehens nicht mehr zu
dienen haben, — eine andere, fttr die Oeconomie des Auges höchst
wichtige Funktion zukommen, n&mlich die, der Secreüon der flüs-
sigen Augenmedien vorzustehen. Dass die Thätigkeit dieser Zellen
auch vom Nervensystem beeinflusst werde, ist in hohem Grade wahr-
scheinlich, jedoch erst experimentell zu erweisen.
Beim Nachsuchen in der Literatur fand ich, dass Boucheron
schon im Jahre 1883 in der Soci^t^ fran^aise d'ophtalmologie einen
ähnlichen Gedanken ausgesprochen hat; er ist zur Bezeichnung sei-
ner Anschauung um einen Namen nicht verlegen und spricht von
einem Epith^lium aquipare et vitr^ipare des proc6s ciliaires. In
einer der Acad^mie des sciences am 7. März 1889 vorgelegten Mit-
theilung verallgemeinert Boucheron seine Anschauung, indem er
darznthun versucht, dass das terminale Neuroepithelium der Sinnes-
organe überall von einem secretorischen Epithel begleitet sei, wel-
ches mit dem ersteren histogenetisch denselben Ursprung habe. In
demselben Jahre machte auch Nicati eine vorläufige Mittheilung
ftber denselben Gegenstand (Hecueil d*ophtalmol. Nr. 7. S. 385) und
spricht geradezu von einem appareil glandulaire dans l'oeil des
mammif^res. Die ausführliche Bearbeitung, deren letzter Abschnitt
(Archives d*Ophtalmologie, T. XI, S. 24 und 152, 1891) mir unmit-
telbar vor Absendnng dieser Arbeit in die Hand gekommen ist, ent-
hält viele schätzenswerthe Beobachtungen und Gedanken, bedarf
aber, namentiich in ihrem physiologischen Theile gar sehr einer
gründlichen Nachprüfung und es werden manche Schlussfolgerungen
eine Einschränkung und Correction erfahren müssen.
H. Sattler.
*) Dieses Archiv XXXV, 2, S. 67.
122 C. Staderini
Cilianniiskel sich ansetzt, durch den letzteren gespannt er-
halten, dadnrdi die Yenenwand dem im Augeninneren herr-
schenden Drucke entzogen und so es möglich gemacht wird,
dass der Blutdruck in der Vene stets unter dem intra-
oculären Drucke bleibt
4) Während ein o£fener Lymphcanal, welcher vom Fon-
tana'schen Räume seinen Ursprung nähme (Morf), ganz
bestimmt nicht existirt, können wir nach unseren Befun-
den nicht mehr bezweifeln, dass vom Fontana'schen
Räume ausgehend feine Spalten in das Gewebe der
Sclera hineinführen, welche zum Theile dem Verlaufe
der tieferen Venen an der Gomeosderalgrenze folgen (ohne
dass man von perivasculären Lymphscheiden zu sprechen
Berechtigung hätte), zum Theile von hier aus im Gewebs-
spaltensystem der Sclera sich verlieren. Aehnliche Spalten
fuhren vom Fontana'schen Räume aus in das bindegewe»
bige Stroma des Giliarkörpers und der Iriswurzel, folgen
aber hier keinen Gefässbahnen.
Dass diesen spaltformigen Bahnen unter normalen Ver-
hältnissen eine wesentliche Bedeutung für den Abfluss des
Kammerwassers zukomme, wird man wohl sicher nicht be-
haupten können. Sie mögen jedoch immerhin bei manchen
pathologischen Zuständen, so z. B. bei der Resorption pa-
thologischer Inhaltsmassen aus der vorderen Kammer eine
gewisse Rolle zu spielen berufen sein.
5) Dass eine Betheiligung der Iris an der Re-
sorption corpusculärer Elemente aus der vorderen
Kammer stattfindet, ist nach den Resultaten der Injec-
tion von kömigen Farbstoffen und von Blut (Deutsch-
mann) in die vordere Augenkammer lebender Thiere ganz
und gar nicht zu bezweifeln.
Eine andere Frage ist, wie weit die Iris auch unter
gewöhnlichen Verhältnissen, beim Fehlen fremder Inhalts-
raassen in der vorderen Kammer an der Resorption von
üeber die Abflosswege des Humor aqaeus. 123
Humor aqaeus sich betheiligt Leber spricht der Iris aller-
dings einen gewissen Antheil an der Resorption Yon Kam-
merwasser zu ^). Doch möchte ich auf den zu Gunsten die-
ser Ansicht von Leber angeführten Versuch, dass bei Gar-
mininjectionen in die vordere Kammer nicht nur die Yor-
keren Ciliarvenen gefüllt erschienen, sondern auch rothe
Flüssigkeit aus den Venae yorticosae auslief, kein sehr
grosses Gewicht legen, da der Versuch nur am exstiipirten
Auge vorgenommen werden konnte.
Der anatomische Bau der vorderen Schicht des Lris-
gewebes ist einer resorbirenden Thätigkeit zweifellos günstig
und es ist nicht unwahrscheinlich, dass, wie schon oben
bemerkt, durch die Bewegungen der Iris auch die die Re-
sorption fordernden physikalischen Bedingungen hergestellt
werden.
6) Physostigmin befördert, Atropin verzögert
die Resorption aus der vorderen Augenkammer in
ganz erheblichem Grade.
Prag, Anfang März 1891.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel m.
Fig. 1. Kammerwinkel eincB albinotischen Kaninchenaages nach
Tnscheiigection in die vordere Kammer.
Die Oefitesverzweigong an der Comeoscleralgrenze ist aas
mehreren Schnitten combinirt und die Taschekörnchen in den
Lücken des Fontana*8chen Raumes sind der Klarheit der
Zeichnung halber weggelassen. Im Uebrigen ist die Figur
wie die beiden folgenden genau nach der Natur gezeichnet.
*) 1. c. B. 106 u. 124 und Handb. der gesammten Augenheilk.
von A. Graefe und Saemisch, Bd. n, 2. Th., S. 383.
124 G. Staderini, üeber die AbfloBSwege des Humor aqaeos.
Fig. 2. Ein Theil des Endothelh&atchens der Iris Yon einer Stelle
nahe dem Pupillarrande, wo die Iris schwarz gesprenkelt er-
schien. Homog. Immers. -y^*
Fig. 3. Ein kleines Stflck der Iris anweit des Sphinctertheiles der-
selben, aus einem Aage, in welches yor der Taschei^jection
Eserin eingeträufelt worden war. Apochrom. Obj. q'ss'ap *
Gompensat. Ocul. 8.
Ueber das Vorkommeu von Eiesenzellen
und eitriger Exsudation in der Umgebung des
intraocnlaren Cysticercus.
Von
Dr. August Wagenmann,
Privatdocenten und entern ABsistenten der üniyersit&ts- Augenklinik
zu Heidelberg.
Im XXXV. Bande dieses Archivs hat yon Schröder^)
einen merkwürdigen Fall eines zum Theil resorbirten und
in eine anscheinend tuberculöse Neubildung eingeschlosse-
nen Cysticercus subretinaUs mitgetheilt. Bei einem 23jähri-
gen Mann war spontan Abnahme des Sehvermögens aufge-
treten. Wegen Zunahme der Augenerkrankung begab sich
der Patient ca. ein halbes Jahr nach Beginn der Sehstö-
rung in die St Petersburger Augenheilanstalt, wo bei der
Aufnahme das Bild einer Iridochorioiditis mit intraocularer
Tumorbildung constatirt wurde, die nach erfolglos versuch-
ter Inunctionscur für tuberculös gehalten wurde. Das Auge
wurde deshalb enucleirt. Bei der von Dr. Westphalen in
Dorpat vorgenommenen anatomischen Untersuchung des enu-
deirten Auges fand sich im hinteren Bulbusabschnitt unter
der abgelösten Netzhaut eine aus Bindegewebe und Granu-
lationsgewebe bestehende Geschwulst, in der zahlreiche Rie-
senzellen und epitheloide Zellen vorkamen. Ausserdem wur-
») T. Graefe'fl Archiv für Ophthalm. XXXV, 3, S. 97.
126 A. Wafemuuin.
den in dem einem sditaren Toberkel ähnlichen Tomor Reste
einer Chitinmembran, Haken nnd Sangnäpfe angetroffen»
Gebilde, die ohne Zweifel einem abgestorbenen nnd in einer
Art Resorption befindlichen Cystioercas angehörten.
Die Untersnchnng anf Tnberkelbacillen war Yollkommen
n^atiy, ein Umstand, der anf die Härtung des Auges in
MüUer'scher Flässigkeit bezogen wurde. Auch der Aus-
gangspunkt des yenneintlichen Tuberkels liess sich anato-
misch nicht sicher bestimmen.
Hinterher wurde noch das Resultat einer einige Mo-
nate Yorher stattgehabten Untersuchung des Patienten durch
einen Rigaer Augenarzt bekannt, bei der mit grosser Wahr-
scheinlichkeit die Diagnose auf Cysticercus gestellt wor-
den war.
Ein Jahr nach der Enudeation erkrankte der bis da-
hin Yollkommen gesunde Mann, der inzwischen eine Anstel-
lung ak Diener in einem Hospital gefunden hatte, an einer
acuten Phthisis pulmonum, die bald darauf seinen Tod im
Gefolge hatte.
Bei der Epikrise des Falles neigt y. Schröder mit
ziemlicher Gewissheit der Ansicht zu, dass eine Coincidenz
von Tuberculose und Entozoon vorliege und zwar in der
Weise, dass das von dem Cysticercus hervorgerufene Granu-
lationsgewebe in Folge des bereits bestandenen Allgemein-
loidens einen tuberculösen Charakter angenommen habe.
Und weiter stellt v. Schröder zwischen der tuberculösen
Neubildung und der Resorption des Cysticercus den Causal-
nexus auf, dass den in Folge der Tuberculose massenhaft
aufgetretenen Riesenzellen, denen eine resorbirende Thätig-
keit zukomme, die Chitinmembran des Blasenwurms nicht
habe widerstehen können, und dass deshalb der Cysticercus
abgestorben sei. v. Schröder stützt sich bei seiner Schluss-
folgerung darauf, dass noch niemals Riesenzellen in der
Umgebung eines Cysticercus gefunden, und dass noch nie-
mals ein ähnliches Gewebe als Bett des Entozoons beob-
üeber das Vorkommen von RieBenzellen etc. 127
achtet sei Zur Annahme einer latenten Toberculose hält
er sich durch die ein Jahr später angetretene Phthisis pul-
monum berechtigt
Ich wnrde durch die v. Schröder'sche Mittheilung
damals daran erinnert, dass ich im Jahre 1887 ein Auge
mit einem intraocularen Cysticercus zu untersuchen Gelegen-
heit gehabt hatte, in dem in der Umgebung des Entozoons
Riesenzellen neben eitriger Ezsudation und Bildung Yon
Grannlationsgewebe sich hatten nachweisen lassen. Ich halte
die kurze Mittheilung des genannten Befundes als Beitrag
zur Beantwortung der auch für die Erklärung des v. Schrö-
der'sehen Falles wichtigen Frage, ob man die entzündlichen
Veränderungen, besonders das Auftreten yon Riesenzellen,
Granulationsgewebe und vor aUem von Eiterbildung ohne
weiteres auf das Entozoon zurückführen kann, oder ob man
eine Complication mit mikrobischer Infection annehmen
muss, für nicht uninteressant
Zudem hat sich das Vorkommen von Riesenzellen bei
der in Rede stehenden Erkrankung, auf das schon vor län-
geren Jahren von Weiss, Fuchs und de Vincentiis hin-
gewiesen ist, offenbar der allgemeinen Eenntniss entzogen.
Auch von anderer Seite ist inzwischen die v. Schrö-
der'sche Angabe, dass bisher niemals Riesenzellen in der
Umgebung des intraocularen Cysticercus beobachtet worden
seien, beanstandet.
Hirschberg ^) hat im Centralblatt für Augenheilkunde
beim Referiren des v. Schröder'schen Falles in einer Note
angegeben, dass Riesenzellen auch bei sonst völlig gesunden
Menschen an der Innenfläche des Cysticercusnestes ange-
troffen würden, und an einer anderen Stelle*) fügte der-
selbe Autor in einer Note hinzu, dass sich Riesenzellen
regelmässig in der Organkapsel um den Cysticercus fänden.
Ob dieses letztere sich wirklich bestätigt, können erst wei-
») Centralbl. für Augenbellk. 1889, 8. 319. «) Ibid. 8. 382.
128 A. Wagenmann.
tere Untersuchungen feststellen. Hirschberg selbst wird
erst in späterer Zeit auf den Befund aufioaerksam geworden
sein, da in den mehrÜGichen anatomischen Publicationen ^)
über intraoculare Gysticerken, die wir ihm yerdanken, der-
selbe nicht erwähnt ist. Die ersten Mittheilungen über das
Vorkommen von Riesenzellen in der Umgebung von Cysti-
cerken stammen aus dem Jahre 1877 und beziehen sich
auf einen intraocularen und zwei subconjunctivale Gysti-
cerken. Weiss ^) fand dieselben in dem Bett des Blasen-
wurms in einem von Hirscherg enucleirten Auge; Fuchs*)
und de Vincentiis ^) sahen sie bei subconjunctiyal sitzen-
den Entozoen. Was die letzteren betrifft, so fand der Be-
fund Bestätigung durch Manfredi^), während die Zellen
in anderen Fällen trotz genauen Suchens nicht nachgewie-
sen werden konnten, wie Makoki^) imd de Vincentiis^)
mittheilten.
Für die intraocularen Cysticerken ist eine weitere,
neuerdings erfolgte Bestätigung, die aus der Eönigsberger
Klinik stammt und in einer Dissertation von Dolina^) nie-
dergelegt ist, anzuführen. Dolina hat zwei Fälle yon intra-
ocularem Blasenwurm anatomisch untersucht und in dem
ersten der beiden Fälle Riesenzellen gefunden. Im Uebri-
gen stimmen die pathologisch-anatomischen Veränderungen
der beiden Bulbi in der Hauptsache mit den früher be-
>) Virchow'B Arch. XLIV, S. 276. — Arch. f. AugenheUk. I, 2.
— Ibid. II, 2. — Archiv für Ophthalm. XXII, 4, S. 126. — Archiv
für Augenheilk. IX, 1879. — Yergl. Hirschberg: Cysticercas im
Auge, Artikel in Eulenbarg*8 Encyclopädie der gesammten Heil-
kunde. 2. Aufl.
») V. Oraefe's Archiv fOr Ophthalm. XXHI, 4, S. 16.
>) Elin. MonaUbl. für Augenheilk. XY, S. 396.
*) Movimento Med. Chir. Napoli 1877.
^) Un caso di cisticerco sotto coigunctivale etc. Torino 1884.
<) Klin. Monatsbl. für AngenheUk. XXI, S. 829.
') Annali di ottalm. XVH. Fase. 5-6, S. 61.
'') Inaug.-Dissert. Königsberg 1889.
Ueber das Vorkommen von Biesenzellen etc. 129
kannten überein, denen sich auch das von mir untersuchte
Auge im Wesentlichen anschliesst. Auf einige seltenere Ein-
zelheiten, die auch Doli na zum Theil fand, werde ich bei
der Beschreibung zurückkommen. *
Das von mir untersuchte Auge ist von Dr. Hessberg
in Essen im Jahre 1885 enudeirt und von seinem dama-
ligen Assistenten, Herrn Dr. Bansohoff, mit nach Göttingen
gebracht worden. Herr Dr. Ransohoff hatte während sei-
ner Assistentenzeit in Göttingen das Auge zu untersuchen
angefangen und bei seinem Fortgehen mir übergeben. Bei-
den Herren bin ich durch die Ueberlassung des Präparates
und die Mittheilung der klinischen Notizen zu grossem
Dank verpflichtet.
Krankengesohichte.
Die Patientin, von der das Auge stammt, kam zuerst am
21. December 1884 in Behandlang des Herrn Dr. Hessberg.
Nach einem drei Jahre zuvor erfolgten Schlaganfall, der zu
einer L&hmung der linken Körperseite geführt hatte, war am
rechten Auge eine Abnahme der Sehschärfe aufgetreten. Ein
Augenarzt hatte damals eine Netzhauterkrankung, wahrschein-
lich eine Ablösung — die Patientin nannte es eine Lähmung
der Netzhaut — diagnosticirt. Die Frau stellte sich jetzt vor,
weil das Auge seit acht Tagen schmerzhaft geworden war. Es
fand sich eine starke Giliarinjection, bedeutende Irisverfärbnng
mit Yascularisation der Iris und eine totale Verwachsung der
Papille; aus der Tiefe bekam man einen gelben Reflex. —
Absolute Amaurose.
Die Patientin stellte sich erst am 16. Jan. 1885 wieder
vor, da sie wegen eines fieberhaften Gastricismus bettlägerig
gewesen war. Auge tief iiyicirt, Iris stark verfärbt, an einer
Stelle des Oiliarkörpers auf Druck so heftige Schmerzen, dass
ein Ohnmachtsanfall erfolgt. Das linke Auge war bis auf mark-
haltige Nervenfasern in der Retina stets normal. Wegen fort-
dauernder Iridocyclitis dolorosa wurde das Auge im April 1885
enucleirt, worauf sich die Patientin überaus schnell erholte.
Anhaltspunkte für Tuberculose lagen nicht vor.
Die anatomische Untersuchung bestätigt die vorher aufge-
stellte Yermathung, dass ein intraocalarer Cysticercus vorliege.
T. Graefe's Arcbir für Ophthalmoloide. XXXVII. 3. 9
130 A. Wagenmann.
Es findet sich in dem Ange ein fast den ganzen hinteren Bnl-
bnsranm einnehmendes Entozoon, das zn einer hochgradigen,
darch entzündliche Processe veranlassten Destmction der in-
neren Angenhänte geführt hat Der Durchmesser der Blase
beträgt in der horizontalen Achse ca. 13 mm, in der sagittalen
11 mm, der in der Blase steckende Halstheil hat eine Länge
Von 4 mm und eine Breite von 2 — 3 mm. Der Bulbus ist iu
toto ein wenig verkleinert und misst im sagittalen und fron-
talen Durchmesser 24 mm. Das Grössenverhältniss des Blasen-
wurms ist ein ansehnliches, wird aber von einigen bisher mit^
getheilten Befunden übertroffen. So hat. Hirschberg ^) zwei
Fälle von Cysticercus untersucht, von denen der eine 15 mm
und der andere 14 mm Länge besass. Die Blase ist in meinem
Fall nicht ganz kugelförmig, sondern zeigt mehrfache Einsen-
kungen und Abschnärungen, die jedenfalls dadurch entstanden
sind, dass die Umhällungsschicht, die im Laufe der Zeit eine
gewisse Festigkeit erlangt hat, einer gleichmässigen Ausdehnung
des Entozoons Widerstand entgegengesetzt hat. Der Innen-
fläche der Chitinmembran liegt eine ziemlich dicke Schicht von
detritusartiger Beschaffenheit auf, in der man vielfach ver-^
zweigte stark lichtbrechende Fasern und Bänder, sowie zahl-
reiche stark lichtbrechehde Kügekhen, kleine, Farbstoff lebhaft
aufnehmende, rundliche, kernähnliche Gebilde und schliesslich
* auch geschichtete Ealkconcremente erkennen kann. Daneben
kommen auch opake, gelblich gefärbte Detritusmassen vor, in
denen ich vereinzelte Haken nachweisen konnte.
Die Cysticercusblase ist eingebettet in eine dicke Schicht
neugebildeten Bindegewebes, das zum Theil feinfaserig, sclero-
sirt und arm an Gewebskemen, zum Theil noch jüngeren Da-
tums ist und den Charakter von kern- und gefössreichem Gra-
nulationsgewebe besitzt. Die Veränderung des hinteren Bulbus-
abschnittes und besonders der Retina ist so hochgradig, dass
man nur mit Mühe bestimmen kann, ob der Blasenwnrm vor
oder hinter der Netzhaut liegt Nach den Schnitten, in denen
die Papille vorhanden ist, zu urtheilen, scheint das Entozoon
vor der Retina zu liegen, da man von der Papille aus Gewebs-
züge, die der bindegewebig destruirten Netzhaut zu entsprechen
scheinen, sich hinter die BlasdB erstrecken sieht Auch in der
Aequatorialgegend des Bulbus erkennt man noch -hinter der
') Virchow's Archiv XLIV.
Archiv für Augenheilkunde I, 2.
Ueber das Yorkommen von Riesenzellen etc. 131
Blase Andentungen von necrotischer und bindegewebig degene-
rirter Netzhaut, an anderen Stellen freilich fehlt die Membran
vollständig. Wo der Blasenwurm die Retina perforirt hat, l&sst
sich natürlich nicht mehr entscheiden, doch wird er, wie aus
dem klinischen Verlauf erhellt, anfangs jedenfalls subretinal
gesessen haben.
Der Opticus ist vollkommen atrophisch und stark mit
Bindegewebe und Eiterkörperchen durchsetzt. Weit besser als
die Netzhaut ist die Aderhaut im hinteren Bulbusabschnitt noch
zu erkennen. Dieselbe ist überall hochgradig verändert, viel-
fach atrophisch, vielfach bedeutend gewuchert und verdickt mit
reichlicher Neubildung von Gefässen, deren Wände mehrfach
stark sclerosirt sind. An anderen Stellen freilich ist die Cho-
rioidea nicht mehr als solche abzugrenzen, sondern vollständig
in dem neugebildeten Gewebe untergegangen. An einer circum-
scripten Stelle findet sich in ihr ein kleines Knochenstückchen,
ein Befund, der aus solchen Augen längst^) bekannt ist.
Im vorderen Bulbustheil sind Retina und Aderhaut etwas
besser erhalten, wenn auch besonders die erstere stark binde-
gewebig verändert und in Granulationsgewebe eingeschlossen
von der Aderhaut abgelöst ist. Es findet sich nach vom von
der Kapsel des Blasenwurms noch ein schmaler, dem Glaskör-
per entsprechender Raum, der von der Linse begrenzt wird
und von bindegewebigem, gefässhaltigem Granulationsgewebe
vollkommen ausgefüllt ist. Das Gewebe ist in starker Schrum-
pfung begriffen, deren Folgen sich an den angrenzenden Thei-
len erkennen lassen. Ich komme darauf noch zurück.
Das die Blase einhüllende und umgebende Gewebe ist
überall von Eiterkörperchen durchsetzt. Am dichtesten ist die
eitrige Infiltration in der nächsten Umgebung des Entozoons
und streckenweise so dicht, dass die Ghitinmembran unmittel-
bar an eine ziemlich dicke Eiterschicht grenzt, in der man
kein Zwischengewebe zwischen den Eiterkörperchen erkennt.
Weiter ab von der Blase ist die Ansammlung von Eiterkörper-
chen nur fleckweise dichter, im Uebrigen massig stark, diffus
vertheilt und nach der Peripherie zu abnehmend. Bemorkens-
werth ist, dass an einer Stelle des hinteren Augenpols die
Entzündung auf die Sclera übergegriffen hat Durch Schwund
') 0. Becker, Atlas der patholog. Topographie des Auges.
S&misch, Klin. Monatsbl. für Augenheilk. VIIl, S. 170,
Dolina, Inaug.-Dlssert. Königsberg 1889.
9*
132 A. Wagenmann.
der Netzhaut und Aderhaut liegt daselbst die neugebildete,
eitrig durchsetzte Kapsel der Innenfläche der Sclera unmittel-
bar auf. Das Scleralgewebe ist aufgelockert, eitrig infiltrirt
und macht mehr&ch einen necrotischen Eindruck. Dolina
beobachtete in seinem zweiten Fall ein ähnliches Uebergreifen
der Entzündung auf die Sclera.
In der an die Chitinmembran stossenden Zone findet sich
nun ferner meist in Eiter eingeschlossen eine beträchtliche
Anzahl zum Theil auffallend grosser Riesenzellen mit körni-
gem Protoplasma und zahlreichen Kernen, die nur in verein-
zelten Zellen mehr randständig, im übrigen regellos orientirt
sind. Mit einer Stelle der Oberfläche berühren die Zellen ge-
wöhnlich die Glashaut
Der Ton dem Cysticercus nach Torn liegende Abschnitt
des Auges bietet die Zeichen einer plastischen, zur Schwarten-
bildung führenden, nicht eitrigen Iridocyclitis. Die Iris ist
verdickt, sehr zellenreich, mit der vorderen Linsenkapsel ver-
wachsen; der Kammerwinkel vertieft, die Pupille durch ein
plastisches Exsudat verlegt. Der Ciliarkörper ist infiltrirt, auf
seiner Innenseite mit schwartigen Massen bedeckt. Er ist bis
auf seinen vorderen Ansatzpunkt an der Comeoscleralgrenze
von der Sclera weit abgelöst und nach innen gezogen; das
subciliare und subchorioideale Gewebe ist dadurch stark aufge-
lockert, mit weiten Hohlräumen, die geronnene Eiweisssubstanz,
Lymphzellen, rothe Blutkörperchen und neugebildetes gefilss-
haltiges Bindegewebe enthalten, durchsetzt. Die die Innenfläche
des Corpus ciliare überziehenden schwartigen Neubildungen ge-
hen nach innen und vorn in das den Glaskörperraum ausfül-
lende, ähnlieh beschaffene Granulationsgewebe über und ver-
schmelzen nach hinten zu mit dem Cysticercusbett. Auch dei*
vordere Theil der Aderhaut ist durch Zug von innen her ab-
gelöst.
Beachtenswerth ist, dass dicht hinter der Pars ciliaris
retinae die schwartigen Auflagerungen von dem Pigmentepithel
abgezogen sind und zu der Bildung eines ringförmigen, ziem-
lich grossen, stellenweise 1 — 2 mm breiten Hohlraums Veran-
lassung gegeben haben, der mit geronnener Eiweisssubstanz aus-
gefüllt ist. Die Wand der Cyste wird mehrfach vollständig
von Pigmentepithel ausgekleidet. Die Retina, die hier als ein
bindegewebiger Strang zu erkennen ist, hat dem Zug auch fol-
gen müssen und ist nach innen gezogen.
Ohne Zweifel ist die Entstehung dieses ringförmigen Hohl-
Ueber das Yorkommen Ton Riesenzellen etc. 133
ranmes durch den von innen her wirkenden Zag des schmni-
pfenden Orannlationsgewebes zn erklären. Einen analogen Be-
fand hat Dolina in seinem zweiten Fall beschrieben.
An der Linse findet sich ein grosser Yorderkapselstaar
von gewöhnlichem Aassehen and ausserdem eine Reihe von
Yer&nderangen, die mit Sicherheit eine intra vitam bestandene
Cataract annehmen lassen. Das Linsenepithel reicht fast bis
zum hinteren Pol and ist auf der Hinterkapsel vielfach ge-
wuchert Der Kembogen ist anregelmässig und zeigt eine un-
vollkommene Faserbildung. Bläschenzellen und Eiweisskugeln
liegen in der Corticalis za Gruppen beisammen, und daneben
kommen zahlreiche kleine Spalten und Lücken, die mit Detri-
tns angefüllt sind, vor.
Mehrfache nach verschiedenen Methoden vorgenommene
Schnittförbangen auf Tuberkelbadllen blieben resultatlos, ebenso
die wiederholt ausgeführten Schnittförbungen auf Kokken. Die
Untersuchung auf Kokken war durch das Yorkommen von Zer-
fallsproducten der Zellkerne erschwert, die sich ebenfalls als
kleinste Etlgelchen darstellten, aber durch ihr ungleiches Ka-
liber nnd ihre meist unregelmässige, eckige Form von Mikro-
organismen unterschieden. Unzweifelhafte Kokken habe ich
nirgends au£zufinden vermocht
Die Producte der entzündlichen Processe des beschrie-
benen Auges sind mannigfacher Natur und bestehen im
Wesentlichsten in einer ausgedehnten Neubildung eines zum
Theil in Bindegewebe umgewandelten Granulationsgewebes,
femer in Eiterbildung, die in der nächsten Umgebung des
Entozoons am hochgradigsten ist und nach der Peripherie
zu abnimmt, und schliesslich in der Bildung von Riesen-
zellen, die der Ghitinmembran anliegen.
Meines Erachtens kann kein Zweifel bestehen, dass
das Entozoon als solches im Stande ist, eine Entzündung
im Auge hervorzurufen, die die genannten pathologisch-
anatomischen Veränderungen im Gefolge hat Der Cysti-
cercus und seine Stoffwechselproducte müssen fiir die mensch-
lichen Gewebe entzündungserregende Eigenschaften besitzen.
Was nun das Vorkommen von Riesenzellen in der Um-
gebung der Blase anlangt, so kann schon durch den wieder-
134 A. Wagenmann.
holten, übereinstimmenden Nachweis derselben als gesichert
gelten, dass sie dorch den Cysticercus hervorgerufen wer-
den. Es scheint übrigens für ihr Auftreten Bedingung zu
sein, dass schon eine Abkapselung der Blase eingetreten
ist Der Befund hat jetzt nichts befremdendes mehr, da es
als feststehende Thatsache gelten kann, dass die mannig-
fachsten Fremdkörper, ohne dass Mikroorganismen mit im
Spiele sind, zum Entstehen von Riesenzellen die Veranlas-
sung geben können. Ich selbst habe zu den bekannten
Erfahrungen einen neuen Fall von pseudotuberkulöser Ent-
zündung durch Raupenhaare hervorgerufen hinzugefügt und
habe femer Gelegenheit gehabt, die Bedeutung der Riesen-
zellen zur Resorption necrotischer Massen am Kaninchen-
augc nach Cauterisation der Papille experimentell zu ver-
folgen.
Da also jetzt als gesichert angesehen werden kann,
dass der Cysticercus zur Bildung von Riesenzellen Anlass
giebt, so wird man der Annahme einer Complication mit
bacillärer Tuberkulose, wie es der v. Schröder'sche Fall
zu fordern schien, skeptischer gegenüber stehen. Die Mög-
lichkeit, dass in einem Auge, in dem durch den Cysticercus
ein entzündlicher Zustand — ein Locus ininoris resistentiae
— geschaffen und unterhalten wird, sich zufallig im Blut
circulirende Tuberkelbacillen niederlassen und durch ihr
Wachsthum das Krankheitsbild compliciren, ist a priori ja
zuzugeben und steht in vollem Einklang mit den patholo-
gischen Erfahrungen z.B. der Chirurgie. Zumal wenn der
Patient an anderweitiger Tuberkulose litte, hätte die An-
nahme dieser Complication durchaus nichts unzulässiges.
Man muss aber, um diese Complication beweisen zu können,
noch andere Kriterien als das Vorkommen von Riesenzellen
und Granulationsgewebe, die beide durch den Cysticercus
allein ebenfalls hervorgerufen werden können, postuliren,
sei es den Nachweis von Tuberkelbacillen, sei es die mit
positivem Erfolg angestellte Ueberimpfung.
Ueber das Vorkommen von Kiesenzellen etc. I35
In dem v. Schröder'schen Fall schien die Annahme,
dass eine tuberkulöse Entzündung hinzugetreten sei, durch
manche Umstände begründet. Mir ist es höchst zweifel-
haft, ob wirklich eine derartige Goincidenz der Processe
Torlag. Der Nachweis von Tuberkelbadllen fiel negati? aus,
was freilich auf die Härtung in MüUer'scher Flüssigkeit
bezogen wurde. Ich möchte aber glauben, dass, wenn in
dem betre£fenden Auge eine bacilläre Tuberkulose hinzu-
getreten wäre, man sicher auch Bacillen gefunden haben
würde, da der Process erst kurze Zeit bestanden haben
konnte, und da der Gehalt an Bacillen, wie man aus dem
zahlreichen Vorkommen der Riesenzellen schliessen kann,
ein reichlicher hätte sein müssen. Wenn auch die Mül-
ler'sche Flüssigkeit die Färbbarkeit der Bacillen herab-
setzt, so haben mich doch wiederholte, eigene Untersuchun-
gen von tuberkulösen Augen, die Jahre lang in Müller-
scher Flüssigkeit gelegen haben, gelehrt, dass man trotz-
dem Bacillen nachweisen kann, so lange man nur ein Auge
vor sidi hat, in dem der tuberkulöse Process noch im flori-
den Stadium sich befand, was hier jedenfalls der Fall war.
Der Umstand ferner, dass in dem y. Schröder'schen
Fall der Patient ein Jahr später an acuter Phthisis pul-
moniuu zu Grunde ging, scheint in der That die Annahme
einer Complication mit Tuberkulöse nahezulegen. Aber man
darf vielleicht auch darauf kein allzugrosses Gewicht legen,
da hervorgehoben wird, dass der Mann bis zu seiner acuten
Erkrankung vollkommen gesund war, und da ^dererseits
ang^eben wird, dass er nach der Operation Diener in
einem Hospital geworden ist. Es wäre ja denkbar, dass
der bis dahin völlig gesunde Mann sich dort erst eine In-
fection zugezogen hätte. Ungewöhnlich bleibt, dass der
Cysticercus in dem Auge abgestorben und zum Theil resor-
birt war. Dieses Verhalten führt v. Schröder auf die An-
nahme des Causalnezus, dass den in Folge der Tuberkulose
massenhaft aufgetretenen Riesenzellen, denen eine resor-
136 A. Wagenmann.
birende Eigenschaft zukomme, die Blase nicht habe wider-
stehen können. Ich glaube, dass das Zusammentreffen von
dem Auftreten massenhafter Riesenzellen und dem Abge-
storbensein des Entozoons in anderer Weise erklärt wer-
den könnte, wenn man das post hoc und das propter hoc
vertauschte, und wenn man annähme, dass der Cysticercus,
wie es auch sonst im Körper vorkonmit, und wie es auch
im Auge schon beobachtet wurde, spontan abgestorben wäre.
Der Cysticercus ist nicht abgestorben, weil durch den tuber-
kulösen Process viele Riesenzellen aufgetreten sind, sondern
die Riesenzellen sind besonders massenhaft vorhanden, weil
der abgestorbene Cysticercus zu resorbiren war.
Ich möchte aus den genannten Gründen Bedenken trar
gen, in dem v. Sehr öd er 'sehen Fall eine Complication mit
bacillärer Tuberkulose ohne weiteres anzunehmen, möchte
vielmehr glauben, dass der Cysticercus spontan abgestorben
ist und dadurch eine reichliche Wucherung von Riesen-
zellen und Granulationsgewebe veranlasst hat, die zu einer
Art Resorption desselben führten. Immerhin bleibt der Fall
höchst merkwürdig und interessant und ist bisher in seiner
Art ein Unicum.
Aehnlich wie mit der Annahme einer Complication des
Erankheitsprocesses mit Tuberkelbacillen steht es auch mit
der Annahme der Niederlassung von Kokken in solchen
Augen. Ich glaube, dass der Cysticercus allein im Stande
ist, verschieden intensive Entzündung hervorzurufen und
auch die Bildung von Eiter zu veranlassen. Dass der Cysti-
cercus überhaupt entzündungserregend wirke, ist stets all-
gemein angenommen; fraglich war nur geworden, ob man
nicht für die selteneren Fälle, in denen später ein entschie-
den eitriger Charakter zu bemerken war, eine Complication
mit Mikroorganismen postuliren und nach ihr suchen sollte,
zumal ja lange Zeit die Ansicht herrschte, dass es keine
Eiterung ohne Kokken gäbe. Es handelt sich aber meines
Erachtens bei den eitrigen Fällen nur um einen höheren
Ueber das Vorkommen Ton Riesenzellen etc. 137
Grad der Entzündung, die jedes Entozoon hervorzurafen
im Stande ist. Anatomisch kann man schwerlich die Grenze
ziehen, wo man eine eitrige Entzündnng annehmen soll, da
eine Auswanderung von Eiterkörperchen auch bei weniger
hochgradiger Entzündung nie fehlt, und da andererseits in
den Fällen, in denen man mehr eitriges Exsudat findet,
auch daneben Veränderungen geringgradiger Entzündung
vorhanden sind. Sowie der Cysticercus im Auge auftritt,
macht sich seine entzündungserregende Eigenschaft geltend,
als deren erstes Zeichen anfanglich nur die Glaskörpertrü-
bungen zu erkennen sind. Bekanntlich kann das Entozoon
längere Zeit relativ gut vertragen werden, aber schliesslich
fuhrt es stets zu einer Destruction des Auges durch schlei-
chende Iridochorioiditis. Die Acuität des entzündlichen Pro-
cesses nimmt mit der Dauer seines Verweilens entschieden
stetig zu und ist von einer geringen Ezsudation in den
Glaskörper bis zu einer plastischen Iridochorioiditis mit
Bildung von Granulationsgewebe dauernd progressiv. In
allen Stadien kann man gewisse Grade von eitriger Infil-
tration nachweisen, und es ist bisher noch kein Fall anar
tomisch untersucht, in dem die Infiltration der Membranen
ganz gefehlt hätte. Es ist nun kein allzugrosser Schritt
weiter, dass eine Schicht reinen Eiters auftritt, oder dass
mehr Eiterkörperchen in die vordere Kammer gelangen und
sich als Hypopyon absetzen. Zudem möchte ich hervor-
heben, dass in den Fällen, die einen mehr eitrigen Cha-
rakter zur Schau trugen, die Eiterbildung stets eine im ge-
wissen Sinne beschränkte zu nennen war. Eine progressive
Eiterung etwa mit Ausgang in Panophthalmitis purulenta
ist dabei nie beobachtet Und femer kommt es, was Le-
ber^) ausdrücklich hervorhob, nur dann zu eitriger Exsu-
dation, wenn der Cysticercus schon einige Zeit im Auge
verweilt hat.
') v. Graefe's Archiv für Ophthalm. XXXII, 2, 8. 281.
138 A. Wagenmann.
Man wird also, wie ich glaube, dem Cysticercus die
Eigenschaft zusprechen müssen, bei längerem Verbleiben
im Auge die Entzündung so zu steigern, dass die eitrige
Infiltration in seiner Umgebung eine überaus dichte wird.
Ich stehe mit meiner Erklärung auf dem Standpunkt, den
Leber schon im Jahre 1881 auf dem internationalen medi-
cinischen Congress in London^) vertreten hat, indem er
darauf hinwies, dass man in Anbetracht der unter den ob*
waltenden Verhältnissen wenig wahrscheinlichen Microbien-
betheiligung zu der Annahme kommen müsse, dass die
Entozoen selbst eine entzündungserregende Substanz abson-
dern.
Der Erklärung des constant progressiven Charakters
der Entzündung kann man nur vermuthungsweise näher
treten. Als Ursache dafür würde man vor allem zwei Punkte
anführen können, erstens, dass die schädlichen Substanzen
mit dem Wachsthum des Entozoons in grösserer Masse pro-
ducirt werden, und zweitens, dass dieselben bei längerem
Verweilen des Wurms im Auge in höherer Concentration
einwirken werden, da die Diffundirbarkeit der Gewebe durch
die entzündlichen Processe wohl abnimmt. Wenn das Ento-
zoon z.B. in den Glaskörper eines intacten Auges gelangt,
80 werden bei gleichbleibender Production der schädlichen
Stoffe anfangs dieselben viel weniger intensiv auf die Ge-
webe einwirken können, da sie sich in den normalen Ge-
weben gleichmässig nach allen Seiten verbreiten und fort-
geführt werden. Es wird daher anfangs das entzündung&-
erregende Agens nur eine geringe Concentration besitzen,
was in der anfänglich nur geringfügigen exsudativen Ent-
zündung zum Ausdruck kommt. Sowie aber die Entzün-
dung einsetzt, wird auch die Vertheilung und Abfuhr des
Agens erschwert, und je mehr sie zunimmt, desto conoen-
trirter wird die schädliche Substanz im Auge festgehalten.
^) Transact. of the intern, med. Congr. YII. Ses. London 1881.
Ueber das Vorkommen von Biesenzellen etc. 139
Es mus8 also, wie ioh yermüthe, Hand in Hand mit der
Zunahme der Entzündung eine Abnahme des Diffusions-
coef&cienten der Gewebe und damit eine Zunahme der Gon-
Centration der schädlichen Stoffe stattfinden, als deren Folge
wieder eine Steigerung der Entzündung eintritt, die in der
nächsten Umgebung des Entozoons am stärksten sein wird
und nach der Peripherie abnimmt. Dass der Cysticercus
durch Diffusion gewisser Stoffe reizend wirkt, beweisen die
frühzeitig auftretenden Glaskörpertrübungen und Glaskör^
perverdichtungen, sowie die zuweilen zu beobachtende früh-
zeitige Reizung der Iris bei weit entferntem Sitz. Die bei
Cysticercus typische membranöse und coulissenartige, oft
deutlich geschichtete Form der Glaskörpertrübungen scheint
mir dafür zu sprechen, dass ein nach allen Seiten gleich-
massig wirkender Beiz von der Blase ausgeht
Vorwiegend wohl aus den beiden genannten Gründen
liessen sich die Zunahme der Entzündung mit der Dauer
des Verbleibens im Auge erklären. Als drittes wäre noch
möglich, dass die Stoffe zu verschiedener Zeit eine yerschie-
dene chemische Zusammensetzung besässen, was auch leicht
yerständlich wäre schon aus dem Grund, weil die Emäh-
rungsbedingungen des Entozoons, sowie die Entzündung ein-
getreten ist, sich ja auch ändern.
Dass die Entzündung übrigens nicht immer einen eitri-
gen Charakter annimmt, kann unter anderem daran liegen,
dass die Augen, bevor das Stadium erreicht ist, entfernt
werden, sowie daran, dass die irritative Beschaffenheit des
Entozoons später wieder abnimmt, da es bekanntlich viel-
fach in einen Zustand von Inactivität verfällt, in dem es
nur eine vita minima führt, auf deren Erklärung ich mich
hier nicht weiter einlassen will.
Für die Annahme, dass der Cysticercus als solcher die
Entzündungen im Auge, deren Grad wechseln kann, hervor-
ruft, spricht, wie mehrfach, besonders von Leber, hervor-
gehoben wurde, der Umstand, dass die Entzündung nach
140 A. Wagenmann.
aseptisch gelungener Extraction des Entozoons spontan zu-
rückgeht, und femer der Umstand, dass bisher noch nie-
mals eine sympathische Entzündung am anderen Auge be-
obachtet worden ist Wenn Dolina^) als einzige Beobach-
tung einer sympathischen Ophthalmie den Jacobson'schen
Fall*) anfuhrt, so ist dem entgegen zu halten, dass es sich
dabei kaum um eine solche gehandelt haben -wird, da Ja-
cobson nur von einer cfympathischen Amblyopie spricht^
woraus auf eine sympathische Reizung und nicht auf eine
sympathische Entzündung zu schliessen ist
Der von mir mitgetheilte Fall, bei dem der Cysticercus
über drei Jahre in dem Auge verweilt hatte, gehört klinisch
wie anatomisch entschieden zu den Fällen, in denen eine
eitrige Entzündung hinzutritt, da anatomisch neben Pro-
ducten einer mehr plastischen, granulirenden Entzündung
auch rein eitrige Exsudatschichten in der nächsten Umge-
bung der Blase vorhanden sind. Schon die anatomische Lage
der Entzündungsproducte spricht für die angegebene Auf-
fassung des Processes. Von dem klinischen Erankheitsbild
sind die äusserst lebhaften entzündlichen Symptome, die
starke Druckempfindlichkeit der Ciliargegend und der gelbe
Reflex aus der Tiefe beachtenswert.
Mikroorganismen in dem Auge nachzuweisen, gelang
mir nicht Dieses negative Resultat, sowie das Vorkommen
der Riesenzellen in dem Eiter bestärken mich in der An-
nahme, dass in dem von mir untersuchten Auge die allei-
nige, unmittelbare Wirkung des Entozoons sich geltend ge-
macht hat, und dass sämmtliche entzündlichen Processe
und Producte allein auf die entzündungserregende Eigen-
schaft desselben zurückzuführen sind. Auf der andere^
Seite ist die Möglichkeit nicht abzustreiten, dass in einem
") 1. c.
«) V. Graefe's Archiv fOr Opbtbalm. XI, 2, S. 162.
Ueber das Vorkommen von Riesenzellen etc. 141
derartig erkrankten Auge eine eitrige Entzündung, die durch
später eingewanderte Mikrobien veranlasst wird, das Krank-
heitsbild complicirt. Und zwar müsste man sich, wie Le-
ber ausführte, vorstellen, dass zufällig im Blut circulirende
Kokken sich in dem geschädigten Gewebe niederliessen.
Soll man eine solche Complication annehmen, so müssen
die Kokken unzweifelhaft nachgewiesen werden. Das blosse
Vorhandensein von Eiter genügt keineswegs, auf eine mi-
krobische Natur der Entzündung zurückzugreifen.
Anders läge allerdings die Frage, wenn in einem Fall
von intraocularem Cysticercus keine im gewissen Sinn be-
schränkte, sondern eine progressive Eiterung aufträte, oder
wenn eine Eiterung sofort nach dem Eindringen des Ento-
zoons ins Auge einsetzte, oder wenn beides der Fall wäre.
Dann würde man mit vollem Recht an eine mikrobische
Pathogenese denken müssen. Ein derartiger Fall ist aber
bisher noch nicht beobachtet worden.
Von den bisherigen Untersuchungen auf Mikroorganis-
men in dem Exsudat um den Cysticercus liegen zwei posi-
tive Befunde vor. Baumgarten ^) konnte in einem nach
vergeblich versuchter Eztraction enucleirten Auge in dem
die Cyste umgebenden Granulationsgewebe Mikroorganismen
in geringer Zahl nachweisen, während sie in der Narbe
nicht zu finden waren. Doch ist dieser Befund für die An-
nahme einer endogenen Infection nicht beweiskräftig, da
der Bulbus erö£Enet war, und dabei Kokken in die Tiefe
gekommen sein konnten. Die andere Beobachtung rührt
von Deutschmann*) her, der weissen und gelben Staphy-
lococcus pyogenes aus dem einen intraocularen Cysticercus
umgebenden, gelblich infiltrirten Gewebe züchtete. Leber*)
spricht sich in seiner Arbeit über „Cysticercusextraction und
Cysticercusentzündung^ über diese vereinzelte Beobachtung
») Archiv für Augenheilk. XV, 3.
'} Neuritis optica. Jena 1887. Ophthalm. suigrator 1889. S. 93.
■) V. Graefe's Arch. für Ophthalm. XXXII, 2, S. 281.
142 A. Wagenmann, Ueber das Vorkommen von Riesenzellen etc.
dahin aus, dass er sie, bis weitere Erfahrungen vorliegen,
mit Reserve aufnehmen möchte, weil die anatomische Un-
tersuchung des den Cysticercus einhüjlenden Gewebes in
diesem Fall nur Bindegewebsproliferation und nichts von
Eiter nachweissen liess. Gesetzt auch, die Deutschmann-
sehe Beobachtung wäre unanfechtbar und richtig, so ist
mir doch sehr fraglich, ob dieses Zusammentreffen von
Cysticercus und Kokkeninfection häufiger vorkommt und so-
gar durchaus unwahrscheinlich im Hinblick darauf, dass
auch sonst solche endogene Eiterungen, soweit es sich nicht
um offenkundige Metastasen bei infectiösen Processen im
Körper handelt, trotz der mannigfachen chronischen Pro-
cesse, die sich im Auge abspielen, so gut wie nie beobach-
tet sind. Weshalb sollte der intraoculare Cysticercus eine
Ausnahme machen?
Zur Anatomie der Pinguecula.
Ton
Professor E. Fuchs
in Wien.
Hierzu Taf. IV und V, Fig. 1-16.
Durch eifriges Sammeln im Secirsaale war ich alhnälig
zu einer Anzahl von Augäpfeln gelangt, welche mit typi-
schen Fliigelfellen in verschiedenen Stadien der Entwicke-
lang behaftet waren. Dieses werthvolle Material veranlasste
mich zur genaueren anatomischen Untersuchung des Flügel-
fells, mit welcher eine eingehende klinische Beobachtung
der vorkommenden Fälle Hand in Hand ging. Aus beiden
Arten der Untersuchung gewann ich bald die Ueberzeugung,
dass das Flügelfell aus der Pinguecula sich entwickle und
dass eine genaue Kenntniss dieser die unerlässliche Grund-
lage für das Yerständniss des Flügelfelles bilde. Ich schicke
deshalb den später zu veröffentlichen Studien über das
Flügelfell die vorliegenden Untersuchungen über die Pin-
guecula voraus.
Die Pinguecula oder der Lidspaltenfleck hat bis in die
jüngste Zeit keine eingehende Bearbeitung erfahren. Die
meisten Autoren äussern sich daher nur ganz kurz über
dessen histologische Beschaffenheit. Weller*) war nach
Saemisch der erste, welcher nachwies, dass dem Lidspal-
^) Die Krankheiten des menschlichen Auges. Berlin 1822. S. 132.
144 £. Fuchs.
tenflecke nicht die EntwickeluDg von Fettgewebe zu Grunde
liege, wie man dies bis dahin geglaubt hatte. Saemisch^)
fügt hinzu, dass man bei der Pinguecula eine Verdickung
des Epithels, eine Bindegewebsentwickelung in der submu-
cösen Schichte und endlich Obliteration eines Theiles der
Blutgefässe beobachte. Die nachfolgenden Autoren, welche
sich über die histologische Beschaffenheit der Pinguecula
äussern, betonen bald mehr die Verdickung des Epithels
(Robin, Alt), bald mehr die Vermehrung und Verdichtung
des unterliegenden Bindegewebes (Seitz, Wedl und Bock).
Von anderweitigen Veränderungen erwähnen die beiden zu-
letzt genannten Autoren*) auch die Bildung Ton Körnchen
gelben Pigments. Michel') sagt, dass „auch eine Zunahme
der elastischen Fasern vorhanden sein und di^ Tunica pro-
pria mit einer coUoiden Substanz infiltrirt sein soll".
Ausführliche Befunde liegen aus der jüngsten Zeit von
Vassaux und von Gallenga vor. Vassaux^) fand, wie
auch schon vor ihm Wedl und Bock angegeben hatten,
nicht eine Verdickung, sondern eine Verdünnung der Epi-
thelschichtc, welche theilweise verhornt war. Die Schleim-
haut selbst war in ihren mittleren und tiefen Schichten
von einer hell durchscheinenden, feinkörnigen Substanz in-
filtrirt, welche von colloider Beschaffenheit war, ohne die
chemischen Eigenschaften der amyloiden Substanz zu zeigen.
Gallenga'^) giebt zunächst, im Gegensatze zu Sae-
misch, aber entsprechend den thatsächlichen Verhältnissen,
an, dass die Pinguecula auf der nasalen Seite häufiger und
besser entwickelt sei als 'auf der temporalen. Zur histolo-
^) Handbach der Augenheilkande , herausgeg. yon Graefe und
Saemisch. IV. Band. S. 145.
*) Wedl und Bock, pathologische Anatomie des Auges. S. 59.
') Lehrbuch der Augenheilkunde. 1890. S. 196.
«) Comptes rendus de la Soci^t^ de Biologie 1886. S. 432.
^) Giomale della R. Accademia di Medicina. Torino 1888, Nr. 4
und 5.
Zar Anatomie der Pingaecola. 145
gischen Untersachung dienten Stückchen von Bindehaut mit
Pinguecula, welche aus dem Bindehautsacke lebender Pa-
tienten excidirt worden waren. Nach diesen Untersuchun-
gen findet Gallenga das Epithel über der Pinguecula ver-
dickt» oft aufs drei- bis yierfache seiner normalen Dicke,
und in den oberflächlichen Schichten verhornt Die tieferen
Zellenlagen des Epithels enthalten regelmässig gelbliches
Pigment» welchem hauptsächlich die Farbe der Pinguecula
zuzuschreiben ist Allerdings kommt auch im darunterlie-
genden Bindegewebe zuweilen etwas gelbes Pigment vor,
doch im Verhältnisse zum epithelialen Pigment stets in
untergeordneter Menge. — Unter dem Epithel folgen feine
Bindegewebsfasern, welche sich mit einer stark welligen,
manchmal geradezu papillären Oberfläche gegen das Epithel
abgrenzen. Die Blutgefässe und Kerne sind in diesem Ge-
webe spärlich, elastische Fasern dagegen reichlich vorhan-
den; desgleichen finden sich auch locale Anhäufungen von
Rundzellen. Etwa in der Mitte der Oberfläche der Pingue-
cula befindet sich eine Oeffnung, welche in einen Ganal
führt. Derselbe verläuft ungefähr parallel der Oberfläche
der Bindehaut und ist von Pflasterepithel ausgekleidet. Er
wird nach der Tiefe hin weiter und hatte in einem Falle
die Lfänge von 6 — 7 mm.
Meine eigenen Untersuchungen über die Pinguecula
haben mich zu Ergebnissen gefährt, welche zum guten Theile
von den soeben mitgetheilten Angaben abweichen. Der Lid-
spaltenfleck gehört zu den senilen Veränderungen des Au-
ges, ist aber in Bezug auf sein Vorkommen noch grösseren
Schwankungen unterworfen als die meisten anderen senilen
Veränderungen des Augapfels. Man vermisst ihn oft bei
sehr bejahrten Individuen oder findet ihn bei verhältniss-
mässig jungen. Der ausgebildeten gelben Pinguecula geht
eine Verdickung der Bindehaut an derselben Stelle voraus,
welche schon jaJirelang vorhanden ist, ohne bemerkt zu
werden, weil sie ungefärbt und daher nicht sichtbar ist
T. Gnefe's Axchir fOr Ophthalmologie. XXXVII. 3. 10
146 E. Fachs.
Das jüngste Individuum, bei welchem ich diese Verdickung
feststellen konnte, war ein fünfzehnjähriger Junge. Derselbe
hatte am linken Auge durch eine kleine Verletzung eine
ausgedehnte blutige Suffusion der Conjunctiva bulbi be-
kommen. Auf dem dunklen Roth der subconjunctivalen
Ecchymose hob sich nun eine dreieckige weissliche Ver-
dickung der Bindehaut nächst dem inneren Hornhaut*
rande aufs deutlichste ab, wie man dies ja bei der fertigen
Pinguecula unter ähnlichen Verhältnissen so oft sieht. Am
anderen Auge, wo ohne Zweifel dieselbe Verdickung der
Bindehaut bereits vorhanden war, aber der rothe Grund
fehlte, war dieselbe weder mit freiem Auge, noch mit der
Lupe aufzufinden. — Es scheint also, dass die Veränderun-
gen der Bindehaut im Bezirke der Lidspalte, welche mit
der Bildung der Pinguecula endigen, in manchen Fällen
schon sehr frühzeitig beginnen.
Die Pinguecula ist fast immer am inneren Homhaut-
rande grösser und deutlicher als am äusseren. Nicht selten
trifft man Fälle, wo überhaupt nur am inneren Hornhaut-
rande der Lidspaltenfleck nachzuweisen ist, indem er sich
am äusseren Hornhautrande noch nicht hinreichend ent-
wickelt hat, um makroskopisch erkennbar zu sein. Ich hebe
diesen Umstand hervor mit Rücksicht auf das Flügelfell,
von welchem wir wissen, dass es sich stets zuerst am inne-
ren Homhautrande entwickelt, und erst später, wenn über-
haupt, ein solches auch an der äusseren Seite der Horn-
haut sich bildet Fälle, wo der Lidspaltenfleck an der
äusseren Seite der Hornhaut stärker entwickelt ist als an
der inneren, kommen zwar vor, sind aber selten.
Die Pinguecula bildet ein Dreieck, dessen Basis sich
dem Homhautrande anschmiegt Die Lage des Dreieckes
entspricht mehr der unteren als der oberen Hälfte der
Hornhaut; es wird durch den horizontalen Meridian der
Hornhaut nicht halbirt, sondern liegt zum grössten Theile
unterhalb dieses Meridians, nur zum kleineren Theile ober-
Zur Anatomie der Pinguecnla. 147
halb desselben (Tafel IV, Fig. 1). Es giebt Fälle, wo eine
Pinguecula so weit nach abwärts gerückt ist, dass sie
den unteren Homhautrand zu beiden Seiten flankirt. Auch
bei höherer Lage der Pinguecula verlängert sich die Basis
derselben sehr häufig noch beträchtlich entlang dem un-
teren Hornhautrande, ja es kann sich längs dieses Randes
eine gelbliche Verdickung der Bindehaut von der Pingue-
cula der inneren bis zur Pinguecula der äusseren Seite
hinüberziehen und diese beiden in Verbindung setzen (Fig.l).
Man findet dann die ganze untere Hälfte der Hornhaut
von entarteter, d. h. gelblicher und verdickter Bindehaut
begrenzt. — Längs des oberen Hornhautrandes habe ich
eine ähnliche Veränderung der Bindehaut niemals gesehen.
Dieselbe Lagerung zur Hornhaut und zu deren horizon-
talem Meridian, wie sie der Pinguecula zukommt, findet sich
auch beim Flügelfell, und bei der gürtelförmigen (bandför-
migen) Hornhauttrübung. In allen drei Fällen hat sie die-
selbe Ursache, indem sie nämlich dem Lidspaltenbezirke
des Bulbus entspricht. Die Weite der Lidspalte und deren
Lage zum Bulbus bleiben nicht immer gleich. Sie sind an-
ders bei ruhig geöffnetem Auge und wieder anders, wenn
wir z. B. gegen Sturm und Regen gehen. Im letzteren Falle
kneifen wir die Lider, um den Bulbus zu schützen, so weit
zusammen, als es angeht, ohne das Sehen zu hindern. Wir
ziehen das obere Lid so weit herab, dass sein freier Rand
ungefähr dem oberen Rande der Pupille entspricht, und wir
heben das untere Lid, so dass es den unteren Rand der
Hornhaut bedeckt. Bei dieser Gestaltung der Lidspalte
bleibt zu beiden Seiten der Hornhaut nur ein kleiner drei-
eckiger Bezirk der Bulbusbindehaut von den Lidern unbe-
deckt, welcher mehr der unteren Hälfte der Hornhaut ent-
spricht und in welchem sich eben der Lidspaltenfleck ent-
wickelt Dieser wird ja ohne Zweifel durch Unbilden der
Witterung, durch Rauch, Staub u. s. w. verursacht, welche
die Bindehaut des Augapfels treffen, und er bildet sich da-
10*
148 E. Fachs.
her nur in jenem Bezirke der Bindehaut, welcher diesen
Schädlichkeiten unter allen Umständen ausgesetzt bleibt
Der Lidspaltenfleck überschreitet seinen gewöhnlichen
Standort nicht selten dadurch, dass er sich weiter in den
Limbus erstreckt und denselben gleichsam ein wenig in die
durchsichtige Hornhaut hinein vordrängt Der Limbus ist
an dieser Stelle verdickt gewulstet, von gallertartig durch-
scheinendem Aussehen oder von denselben gelben Fleckchen
eingenommen, welche die Pinguecula selbst zusammensetzen.
Solche Fälle bilden den Uebergang zum Flügelfell und wer-
den deshalb gleichzeitig mit diesem genauer erörtert werden.
Betrachten wir nun die Pinguecula im Ganzen genauer,
entweder am Lebenden mit einer starken Lupe, oder am
Präparate bei schwacher Yergrösserung, z. B. unter einem
Präparir-Mikroskope. Die Fig. 1 zeigt ein solches Präparat,
welches man herstellt, indem man die Bindehaut des Bul-
bus abpräparirt und in Gljcerin auf einem grossen Object-
träger ausbreitet Man bemerkt dass die Pinguecula nicht
gleichmässig gelb ist sondern aus einer grösseren Zahl gel-
ber Fleckchen sich zusstfnmensetzt. Dieselben sind von un-
regelmässiger Form, nicht scharf abgegrenzt und hängen
vielfach untereinander zusammen, während sie andererseits
wieder durch helle Zwischenräume von einander getrennt
sind. Nur ausnahmsweise sieht man auch einzelne isolirte,
scharf begrenzte runde Fleckchen (Fig. 1 bei a). Sehr häufig
sind die grössten und dunkelsten Flecken an den beiden
langen Seiten des Dreiecks, welches die Pinguecula bildet
gelegen, so dass die mittleren Theile der Pinguecula dün-
ner und heller erschemen. Die gelbgraue Verdickung, welche
sich zuweilen als Fortsetzung der Pinguecula am unteren
Homhautrande findet, lässt gewöhnlich eine deutliche rar
diäre Streifung erkennen, indem sich die Verdickung der
Bindehaut vorzüglich an die grösseren Blutgefässe hält
welche in radiärer Richtung dem Limbus zustreben. —
Beim Abpräpariren der Bindehaut von der Sdera behufs
Zar Anatomie der Pingaecula. 149
Herstellung eines solchto Präparates überzeugt man sich,
dass die gelben Flecken der Pinguecula kleinen Läppchen
von abgeplatteter Form entsprechen. Dieselben liegen unter
der Bindehaut, haften aber deren unterer Fläche innig au,
so dass der grösste Theil derselben beim Abpräpariren
der Bindehaut dieser folgt, während einige wenige, tiefer
gelegene Läppchen auf der Sdera zurückbleiben.
Zum genaueren Studium der Pinguecula wurden so-
wohl Flächenpräparate als Schnitte benützt. Die erstereu
stellte ich her, indem ich die Bindehaut eines Bulbus, wel-
cher eine deutliche Pinguecula besass, im Ganzen abpräpa-
rirte. Dieselbe wurde dann in toto mit Hämatoxylin stark
gefärbt und dann in salzsäurehaltigem Alkohol so weit wie-
der entfärbt, dass eine im Ganzen schwache Färbung bei
guter Differenzirung zurückblieb. Dies gestattete zunächst,
an der ausgebreiteten Bindehaut die Pinguecula im Ganzen
zu studiren^). Wenn dies geschehen war, wurden die ein-
zelnen Schichten der Bindehaut, die Läppchen der Pingue-
cula u. s. w. durch Präparation isolirt, weiter zerzupft und
mit yerschiedenen Reagentien und Tinctionsmitteln behan-
delt, um ihre feinere Structur zu erkennen. Diese Art der
Untersuchung wurde dann durch das Studium von Schnit-
ten ergänzt, welche in meridionaler Richtung durch die
Pinguecula gefuhrt wurden. Ich benützte hierzu nicht ab-
getragene Stücke der Bindehaut (excidirte Lidspaltenflecke),
sondern die Bindehaut im Zusammenhang mit der unter-
liegenden Sclera, so dass die natürliche Lagerung der Tbeile
*) Zu diesem Zwecke moss vorher das Bindebaatepithel abge-
schabt werden, weil dasselbe sich sehr stark tingirt und daher die
tieferen Schichten yerballt. Die etwas umständliche und mQbsame
Entfernong des Epithels kann man sich sehr erleichtern, wenn man
das frische Auge Yorher fttr mehrere Tage in verdOnntem Alkohol
(1 Theil Alkohol auf 2 TheUe Wasser) legt, wodurch eine Macera-
tion des Epithels eintritt, ohne dass das übrige Gewebe zerfallen
wttrde.
150 E- Fuchs.
erhalten blieb. Es wurde der die Pinguecula tragende Tbeil
des vorderen Bulbusabschnittes in Celloidin eingebettet und
in Serienscbnitte zerlegt, welche nach verschiedenen Metho-
den gefärbt wurden. Für die Anfertigung der Schnittprä-
parate bin ich den Herren Dr. Müller und Dr. Berard zu
Danke verpflichtet, für die Abbildungen zu dieser Arbeit
dem Assistenten meiner Klinik, Herrn Dr. Salzmann. Die
Zahl der genau durchgearbeiteten Lidspaltenflecke beträgt
über zwanzig.
Betrachten wir zuerst die Ergebnisse, welche die Iso-
lirung der einzelnen Theile der Pinguecula durch Zerzupfen
lieferte. Dieselbe liess als die wichtigsten Veränderungen
der Bindehaut erkennen: die Ablagerung einer amorphen
hyalinen Substanz, die hyaline Degeneration der Bindege-
websfasern in der Bindehaut und in der Sclera, die Ent-
Wickelung und Yergrösserung elastischer Fasern und end-
lich die Bildung von Concrementen.
1. Ablagerung einer amorphen hyalinen Sub-
stanz. Dieselbe scheidet sich hauptsächlich in den ober-
flächlichen Schichten der Bindehaut aus, und zwar zuerst
in Form feinster Körnchen (Fig. 2 a). Dieselben liegen nicht
innerhalb der Gewebszellen, sondern frei auf den Binde-
gewebsfasern (Fig. 2d), so dass diese wie von einer Schichte
feinen Staubes bedeckt aussehen. Später werden die Köm-
chen grösser, so dass man ihre Form besser zu erkennen
vermag; dieselbe ist unregelmässig eckig (Fig. 2b, Fig. 3a).
Die grösseren Kömchen backen dann untereinander zusam-
men, so dass Schollen entstehen, welche aber noch deut-
lich ihren Zusammenhang aus einzelnen kleinen Kömchen
erkennen lassen (Fig. 2 c). Diese Schollen hegen in einer
Schichte nebeneinander und bilden so an vielen Stellen
eine grössere zusammenhängende Lage. Dieselbe erscheint,
von der Fläche betrachtet, von hellen Linien durchzogen,
welche nichts anderes sind als schmale Zwischenräume,
welche die einzelnen Schollen trennen und sich wie Sprünge
Zar Anatomie der Pinguecula. 151
ausnehmen. Es ist auch ganz wohl möglich, dass es sich
hier wirklich um Sprünge handelt, welche durch die Präpara-*
tion in der wahrscheinlich ziemlich starren Masse hervor-
gebracht worden sind. — Solche Conglomerate amorpher Sub-
stanz, welche übrigens in keiner Weise scharf begrenzt sind,
entsprechen zum Theile jenen unregelmässigen, untereinan-
der zusammenhängenden, gelben oder gelbgrauen Fleckchen,
welche man schon am lebenden Auge in der Pinguecula
bemerkt. — Auch die gelbliche Infiltration, welche sich in
manchen Greisenaugen von der Pinguecula längs des un-
teren Homhautrandes hinzieht, beruht auf der Gegenwart
einer Schichte, welche aus solchen feinen amorphen Schol-
len besteht. Ueber den grösseren, zum Limbus ziehenden
Gelassen, ist diese Schichte unterbrochen oder wenigstens
dünner, zu den Seiten der Gefässe aber desto mächtiger,
woraus sich das radiär gestreifte Aussehen jener gelblichen
Infiltration erklärt^ wie es in Fig. 1 bemerkbar ist.
Die eben besprochene amorphe Substanz ist weniger
durchscheinend, als das Gewebe der Bindehaut, in welchem
sie liegt. Die yon ihr gebildeten Läppchen heben sich da-
her durch ihre dunklere Farbe in den Präparaten hervor
und zwar sowohl in den frischen, als auch in den durch
Gljcerin oder Balsam aufgehellten. Die amorphe Substanz
zeigt im ungefärbten Zustande einen matten Glanz; sie ist
sehr resistent gegen chemische Beagentien, so dass weder
Säuren (selbst starke Mineralsäuren) noch Alkalien (Kali-
lauge, Ammoniak) sie verändern; auch löst sie sich weder
in Aether noch in Chloroform. Sie besitzt ein ziemlich
grosses Tinctionsvermögen, besonders für manche Farbstoffe.
Alauncarmin färbt sie stärker als das übrige Gewebe, die
Kerne ausgenommen. Durch Eosin und durch Weigert-
sches Säurefuchsin wird sie stark roth tingirt. Hämatoxylin
allein mit nachheriger Differenzirung durch salzsäurehalti-
gen Alkohol färbt die feinsten staubartigen Körnchen nur
wenig, die grösseren dagegen viel stärker und die grössten
152 E. Fachs.
Schollen, welche schon im Begriffe sind, sich in Concre-
mente umzuwandeln (wovon später), werden intensiv blau.
Bei combinirterEosin-Hämatoxylinfarbung werden die amor-
phen Massen schön roth oder rothbraun gefärbt, während
die Kerne blau sind. Die Weigert'sche Hämatozylinfär-
bung verleiht den Schollen je nach ihrer Mächtigkeit einen
graubraunen bis rothbraunen, ziemlich hellen Ton. Bei der
von Weigert angegebenen Färbung mit Gentianaviolett ^)
bleibt diese Substanz bald ungefärbt, bald wird sie schwach-
blau. Mit Jodjodkali nimmt sie einen gelblichen Ton an
wie das übrige Gewebe und auch mit Methylviolett erhält
man nicht die für Amjloidsubstanzen charakteristische rothe
Farbe.
Ich habe das Verhalten der amorphen Substanz gegen
Reagentien und Färbemittel so eingehend beschrieben, um
darzuthun, dass dieselbe ziemlich vollständig dem von
V. Recklinghausen ^) beschriebenen Hyalin entspricht.
Ich werde zu Ende dieser Arbeit nochmals darauf zurück-
kommen, um es besser zu begründen, will aber schon jetzt
diese Substanz kurzweg als hyaline bezeichnen. Desgleichen
werde ich unter dem Namen der hyalinen Degeneration
einige andere Veränderungen in der Pinguecula beschrei-
ben, welche zur Bildung ähnlicher Substanzen fuhren.
In der hyalinen, zwischen den Bindegewebsfasern der
Mucosa abgelagerten Substanz bilden sich nun Concre-
mente festerer Art Dieselben entstehen durch Zusammen-
backen der einzelnen Krümel und zeigen daher, so lange
sie noch jung sind, deutlich ihre Zusammensetzung aus ein-
zelnen unregelmässigen Stückchen; auch haben sie dem ent-
sprechend unregelmässige, eckige Gontouren (Fig. 3, b und c).
Später wird die Vereinigung der einzelnen Krümel eine
so innige, dass die Concremente ein homogenes, durchschei-
nendes Aussehen gewinnen; ihre Gontouren runden sich ab
') Fortschritte der Medicin. 1887. S. 228.
*) Handbach der allgeiAeinen Pathologie. 1883. S. 408.
Zur Anatomie der Pinguecula. 153
und ihre Oberfläche ist nun nicht mehr kantig und eckig,
sondern maolbeerartig oder zuletzt selbst ziemlich glatt
(Fig. 3d). An Schnitten durch die Pinguecula habe ich
zuweilen Goncremente angetroffen, welche eine halbmond-
förmige Gestalt besassen (Fig. 14 bei d). Dieselben schmieg-
ten sich Lücken im Gewebe an, welche manchmal von einer
kernhaltigen Membran ausgekleidet waren und demnach
Gefasslumina zu sein schienen. — Die Goncremente finden
sich in allen Grössen vor. Manche derselben erreichen
solche Dimensionen (über 0,1 mm), dass sie in den Präpa-
raten bereits mit freiem Auge erkennbar sind. Derartig
grosse Goncremente können, wenn sie sehr oberflächlich
liegen, gegen das Epithel der Bindehaut andringen und
dasselbe stellenweise zum Schwinden bringen.
Die Goncremente haben an imgefärbten Präparaten ein
grünliches, matt schimmerndes Aussehen. Ihr Verhalten
gegen Reagentien und Farbstoffe gleicht dem Verhalten der
hyalinen Substanz, aus der sie hervorgegangen sind, nur
dass sie sich im Ganzen noch intensiver färben. So wer-
den sie durch einfaches Hämatozylin dunkelblau statt hell-
blau, durch Weigert'sches Hämatoxylin schwarz statt braun
wie die hyaline Substanz. Nur die kleinen Goncremente
färben sich durch und durch. Bei den grösseren sind nur
die Bandtheile tingirt, die centralen Theile dagegen meist
ungefärbt Man könnte denken, dass die inneren Schichten
der grossen Goncremente deshalb ungefärbt bleiben, weil
die Farbstofflösung ins Innere der Goncremente nicht ge-
hörig einzudringen vermag. Diese Erklärung ist jedoch
nicht stichhaltig, denn man beobachtet dasselbe Verhalten
der Goncremente auch an feinen Schnitten, in welchen auch
die Goncremente entzwei geschnitten und daher auch ihre
centralen Theile der Farbstofflösung zugänglich gemacht
sind. Man muss also wohl annehmen, dass die innersten,
ältesten Theile der Goncremente eine weitere Umwandlung
erfahren haben, welche sie so schwer färbbar macht.
154 E. Fuchs.
Die grossen Goncremente unterscheiden sich noch in
einem Punkte vom tinctoriellen Verhalten der hyalinen Sub-
stanz. Sie werden nämlich durch Jodjodkalilösung zuweilen
dunkelbraunrothy mahagonyfarben und diese Färbung wird
nach Zusatz von Schwefelsäure noch intensiver. Dieses Ver-
halten konmit jedoch nur den grössten und ältesten unter
den Concrementen zu, welche demnach den Amjloidsubstan-
zen sich nähern; die kleineren Goncremente färben sich mit
der Jodjodkalilösung nicht anders als das übrige Gewebe.
Methylviolett lässt alle Goncremente, grosse wie kleine, un-
gefärbt ^).
^) Goncremente gleicher Art wie die in der Pinguecula vorkom-
menden, bedingen jene Trübung der Hornhaut, welche Arcus senilia
heisst. Es führt also in der Hornhaut die Senescenz des Gewebes
zu denselben Bildungen, wie in der Bindehaut Deshalb sei es ge-
stattet, aber den Arcus senilis, welcher nicht in den Rahmen dieser
Arbeit gehört, hier einige Worte zu verlieren. Die grOnlich schil-
lernden, rundlichen Goncremente, welche denselben bilden, liegen
zum grössten Theile unmittelbar unter der Bowman*schen Membran
(Fig. 4, bbi). Man findet deren von den kleinsten, eben sichtbaren
bis zur Grösse von 0,03 mm, zumeist in einfacher Lage unter der
Bowmann'schen Membran aneinander gereiht. Die grösseren Gon-
cremente haben sich durch Andrängen an die hintere Fl&che der
Bowman*schen Membran eine Art Nische in dieselbe gegraben, die
grössten unter ihnen verdünnen die Membran sehr erheblich und
drängen sie etwas empor. Nicht aber bloss unmittelbar unterhalb
der Bowman'schen Membran finden sich die Goncremente: es giebt
auch solche, welche beträchtlich tiefer, mitten zwischen den La-
mellen der Hornhaut liegen (Fig. 4d). In einigen Fällen habe ich
sogar nur hier grössere Gruppen von Goncrementen gefunden, wäh-
rend unmittelbar unter der Bowman'schen Membram keine vorhan-
den waren. Andererseits giebt es Goncremente, welche innerhalb der
Bowman'schen Membran selbst oder sogar über ihr sich befinden.
Im ersteren Falle sieht die Membran, wenn die Goncremente sehr
fein sind, wie bestäubt aus (Figur 4 bei b^), doch kann sie auch
grössere Goncremente einschliessen. Im zweiten Falle sind die Gon-
cremente zwischen den untersten Zellen des Homhantepithels ein-
gebettet. Nirgends ist eine Beziehung der Goncremente zu den Zel-
len des Homhautgewebes wahrzunehmen ; die hyaline Substanz wird
Zur Anatomie der Pinguecula. 155
2. Die hyaline Degeneration der Bindegewebs-
fasern betrifft vor allem das lockere subconjunctivale Binde-
gewebe. Die Fasern desselben zeigen als erste Veränderung
eine Verdickung und ein mehr homogenes » durchscheinen-
des Aussehen, während der der Faser anliegende Kern un-
verändert bleibt (Fig. 5 a). Die so degenerirten Fasern fär-
ben sich viel stärker mit den verschiedenen Tinctionsmit-
teln. Die Fasern wachsen indessen nicht bloss in die Dicke,
sondern auch in die Länge, und da ihre Endpunkte dabei
nicht weiter auseinander rücken, so folgt daraus, dass die
Fasern aus ihrem gestreckten Verlaufe inuner mehr in einen
welligen und endlich in einen vielfach gewundenen über-
gehen, Man sieht dieselbe Faser in mehreren Windungen
übereinandergelogt (Fig. 5 b und c). Eine Gruppe derarti-
ger Fasern sieht wie ein Gonvolut von Darmschlingen aus
(Fig. 6a). Dort, wo die Veränderungen so weit gediehen
sind, scheinen die Kerne des Bindegewebes an Zahl bedeu-
tend abgenonunen zu haben (Fig. 5b), doch ist dies nur
scheinbar, indem durch Verdickung der Fasern ihre Kerne
weiter auseinander gerückt sind; Zeichen von Absterben
der Kerne sind nirgends zu sehen.
Die hyaline Degeneration der subconjunctivalen Binde-
gewebsfasern ist meist nicht sehr weit oder gleichmässig über
grosse Strecken verbreitet, sondern tritt in der Regel nur an
umschriebenen Stellen auf. Es kann daselbst zur Bildung
kleiner, umschriebener Läppchen kommen. Indem nämlich
eine Anzahl neben einander liegender Fasern degenerirt,
bildet sich aus denselben ein grösseres Klümpchen von
hier, geradeso wie die gelben Schollen der Pinguecula, frei auf die
Oberfläche der Bindegewebsfasern (hier Homhautlamellen) ausge-
schieden. Die Concremente in der Hornhaut geben dieselben Reac-
tionen wie die Concremente in der Pinguecula. Ich möchte nur
noch hervorheben, dass dieselben weder durch Aether noch durch
Chloroform irgend eine Veränderung erfahren, dass sie also sicher
nicht Fett sind, wie allgemein angenommen wird.
156 E. Fuchs.
durchscheinendem Aussehen. Gewöhnlich findet man meh-
rere dieser Elümpchen von verschiedener Grösse an einem
gemeinschaftlichen Stiele hängend (Fig. 6). Die grössten
Elümpchen erreichen einen Durchmesser von mehr als 0,5 mm
und sind demnach schon mit freiem Auge sichtbar. Einige
der Läppchen, aus welchen sich die Pinguecula zusammen-
setzt, entsprechen solchen Convoluten degenerirter Binde-
gewebsfasern; dieselben sind schon bei Lupeübetrachtung
daran zu erkennen, dass sie von runder Form und scharf
begrenzt sind (Fig. la).
Wenn man die Bindehaut von der Sclera abzieht und
dann von der unteren Fläche der Bindehaut eines dieser
Läppchen isolirt, so zeigt dasselbe, bei stärkerer Yergrösse-
rung betrachtet, folgende Einzelheiten: Das Läppchen liegt
Yollkommen scharf abgegrenzt in dem umgebenden Gewebe,
welches aus lockeren Bindegewebsfasern und reichlichen
elastischen Fasern besteht (Fig. 6). Die scharfe Begren-
zung geschieht durch ein zartes, mit Kernen besetztes Häut-
chen, welches die Läppchen allseitig überzieht und auf den
Stiel des Läppchens übergeht (Fig. 6 bei c). Dasselbe ist
ein Endothelhäutchen, welches man an solchen Stellen, wo
die Oberfläche des Läppchens Einbuchtungen zeigt, sehr
schön isolirt sehen ksinn (Figur 6 b). Es geht aus jenen
Endothelhäutchen hervor, welche im normalen Bindege-
webe die einzelnen Bündel von Fasern bald in mehr,
bald in weniger vollständiger Weise einzuscheiden pflegen
(Fig. 5d).
Der Inhalt der Läppchen besteht aus den verdickten
und vielfach gewundenen Bindegewebsfasern, welche der
Oberfläche des Läppchens ein Aussehen verleihen wie die
Oberfläche des Gehirns oder wie ein Convolut von Darm-
schlingen. Ausserdem erkennt man mit voller Deutlichkeit
die normal aussehenden Kerne der Bindegewebsfasern. Die
grösseren Läppchen setzen sich zumeist aus mehreren klei-
nen, innig aneinander geschmiegten Läppchen zusammen
Zur Anatomie der Pinguecala. 157
(z. B. in Fig. 6 das Läppchen bei b aus zwei, das Läppchen
bei d aus drei kleineren Läppchen). Die grösseren Läpp-
chen zeigen oft statt der anregelmässig durcheinander ge-
wundenen Fasern eine mehr regelmässige ooncentrische An-
ordnung derselben. Dies ist namentlich an der Oberfläche
der Läppchen, unmittelbar unter der Kapsel der Fall (Fig. 6d)
und ist wahrscheinlish dadurch herbeigeführt, dass hier
durch den Druck, der innerhalb der Kapsel besteht, die
dicken Fasern kugelschalenartig abgeplattet worden sind.
Sehr oft sitzen die Läppchen auf einem Stiele (Fig. 6e).
Derselbe zeigt in der Regel deutliche Längsstreifung mit
spärlichen Kernen, als ob er aus Bindegewebsfasern be-
stände, welche auch in geringem Maasse hyalin entartet
sind. Nicht selten ist der Stiel durch elastische Fasern,
welche ihn spiralig umwinden, stellenweise eingeschnürt,
oder er ist im Ganzen spiralig gedreht. Einem solchen
Stiele sitzen gewöhnlich mehrere Läppchen auf, grössere
und kleinere, zuweilen in regelmässiger Anordnung, wie die
Beeren an den Zweigen oder wie die Glomeruli an den
Nierengefässen. Ich möchte deshalb auch diese Stiele für
hyalin degenerirte Gefässe (kleine Arterien) halten, obwohl
ich in keinem Falle im Stande war, ganz unzweifelhaft den
Zusammenhang derselben mit noch deutlich erkennbaren
Blutgefässen darzuthun.
In den hyalin degenerirten Bindegewebsfasern geht
noch eine weitere Veränderung vor sich, welche auch zur
Bildung von Concrementen führen kann. Es entstehen
nämlich in der gleichmässig hyalinen Substanz der gequol-
lenen Fasern feine, das Licht stark brechende Körnchen
oder Krümel, welche sich stärker als die hyaline Substanz
selbst tingiren. Diese Körnung tritt in der Regel erst auf,
wenn die entarteten Bindegewebsfasern einen beträchtlichen
Umfang erreicht haben und sie ist auch dann keine gleich-
massige, sondern zeigt sich an einigen Stellen in stärkerem
Maasse, während sie an anderen wieder ganz fehlt (Fig. 5b).
158 E. Fuchs.
Durch Zusammenbacken der Krümel zu grösseren Schollen
entstehen dann gelbgrün schillernde Concremente. Dieselben
erreichen jedoch, so viel ich gesehen habe, niemals die
Grösse und Festigkeit derjenigen, welche sich aus den amor-
phen gelben Massen entwickeln.
Die chemischen Eigenschaften des hyalin degenerirten
Bindegewebes und der daraus hervorgegangen Concremente
stimmen mit jenen überein, welche die amorphe gelbe Sub-
stanz zeigte, nämlich starke Tinctionsfahigkeit und grosse
Resistenz gegen Säuren und Alkalien.
In der Nähe jener Stellen, wo die hyaline Degenera-
tion des Bindegewebes Platz gegriffen hat, bemerkt man
auch hie und da hyaline Entartung an den kleineren Ge-
fässen der Bindehaut. Die Wandung derselben ist dicker,
homogen, von glasigem Aussehen und bei einigen ganz klei-
nen Gefässchen bietet der ganze Querschnitt dieses Aus-
sehen dar, ohne dass ein Lumen zu sehen wäre, so dass
sie also als obliterirt anzusehen sind.
3. Die hyaline Degeneration der Scleralfasern.
Diese scheint verhältnissmässig selten vorzukommen, da ich
sie nur in einem von den untersuchten Fällen angetroffen
habe. Die Entartung betraf einzelne Fasern in den ober-
flächlichen Lagen der Sclera und zwar hauptsächlich solche
Fasern, welche in den meridional geführten Schnitten senk-
recht getroffen waren, also circulär (concentrisch mit der
Hornhaut) verlaufen (Figur 7 b), Diese Faserbündel zei-
gen, zuerst nur an umschriebenen Stellen ihres Quer-
schnittes, vermehrten Glanz und erhöhte Durchsichtigkeit
und treten namentlich an den gefärbten Präparaten durch
ihre stärkere Tinction hervor (Fig. 7 c). Diese Veränderung
breitet sich allmälig aus, so dass endlich ein grösseres Bün-
del quer getroffener Fasern zu einer homogenen, durch-
scheinenden Masse zusammengebacken ist, welche wachs-
artig glänzt und einen gelbgrünen Schimmer hat. Man
sieht dann zwischen den längsverlaufenden Scleralfasern
Zur Anatomie der Pingaecola. 159
solche gelbgrtin glänzende, wohl abgegrenzte Schollen liegen,
welche die Längsfasem auseinanderdrängen (Fig. 7d).
Diese Art der Degeneration unterscheidet sich einiger-
maassen von derjenigen, welche ich an den conjunctivalen
Bindegewebsfasern beobachtet habe. Letztere quellen nur
auf, ohne ihre Selbstständigkeit, ihre scharfe Begrenzung,
ihre Kerne zu verlieren. Die Scleralfasem gehen dagegen,
wie dies bei der hyalinen Degeneration sonst die Regel ist,
vollständig zu Grunde, indem sie ihre Kerne verlieren und
mit den benachbarten Fasern zu einer homogenen, hyalinen
Masse zusammenbacken. — Die Rolle, welche die Degenera-
tion der Scleralfasem bei der Pinguecula spielt, ist jeden-
falls eine sehr untergeordnete, denn erstens fehlt sie in den
meisten Fällen und zweitens scheint sie keine grösseren
Dimensionen anzunehmen. Sie stellt meiner Ansicht nach
eine Art seniler Degeneration der Sclera dar, welche des-
halb gleichzeitig mit der Pinguecula, als einer senilen Ver-
änderung der Bindehaut, sich finden kann, ohne mit dieser
in unmittelbarem Zusammenhange zu stehen.
4. Entwickelung und Hypertrophie von elasti-
schen Fasern. Im normalen Zustande enthält die eigent-
liche Mucosa der Bindehaut nur wenige elastische Fasern,
während das subconjunctivale Gewebe sehr reichlich damit
versehen ist. Dieselben sind äusserst zarte Fäden, welche
in ziemlich gestrecktem Verlaufe nach allen Richtungen
hin ziehen und sich unter den verschiedensten Winkeln
überkreuzen. — In jenem Theile der Bindehaut nun, wo
sich der Lidspaltenfleck entwickelt, nimmt sowohl die Zahl
als das Galiber der elastischen Fasern zu. Auch findet man
statt des regellosen Verlaufes derselben oft eine gewisse
Regehnässigkeit der Anordnung, so dass z. B. eine Anzahl
elastischer Fasern auf grössere Strecken hin parallel ver-
laufen (Fig. 8 bei a), ja es kann sich eine grosse Zahl von
Fasern zu einem dicken Strange vereinigen. Die überwie-
gende Zahl von Fasern hat eine zum Homhautraude radiäre
160 E- Fuchs.
Richtung angenommen. Man findet zuweilen Stellen, wo
eine ganze Schichte der Bindehaut durch dichtgedrängte,
vom Homhautrande nadi der Peripherie verlaufende ela-
stische Fasern gebildet wird.
Ausser der Vermehrung der Zahl und des Volumens
geht noch eine andere Veränderung in den elastischen Fa-
sern vor sich. Dieselben sind jetzt nicht mehr gestreckt,
sondern gewellt oder lockig und zwar desto mehr, je dicker
sie sind. Diese oft enorme Schlängelung dürfte wohl zum
grössten Theile dadurch bedingt sein, dass das Wachsthum
der elastischen Fasern nicht bloss nach der Dicke, sondern
auch nach der Länge erfolgt. Da nun die Fasern zu lang
geworden sind, müssen sie sich spiralig drehen. Es könnte
aber auch sein, dass der wellige oder spiralige Verlauf der
stärkeren Fasern durch besondere Ungleichmässigkeiten im
Wachsthume derselben verursacht wäre. In diesem Falle
würden die Faserenden sich geradezu nähern müssen, wenn
die Faser aus dem gestreckten Verlaufe in den spiraligen
übergeht und es könnte dadurch eine Verkürzung der gan-
zen Bindehaut hervorgebracht werden. In der That weisen
einige Umstände, auf welche ich noch später zurückkommen
werde, darauf hin, dass thatsächlich mit der Pinguecula
auch eine Schrumpfung der Bindehaut im Siime einer Ver-
minderung ihrer Oberfläche verbunden ist
An einzelnen Stellen, wo die elastischen Fasern beson-
ders dicht liegen, kommt es zur Bildung ganzer Knäuel
dicht verworrener Fasern (Fig. 9 und 10). Dieselben lösen
sich an ihren Rändern in die einzelnen Fasern auf, welche
nach allen Richtungen hin auseinander laufen. Wenn
aber die Durchflechtung besonders innig und dicht ist, so
entstehen wohl abgegrenzte und abgerundete Läppchen,
welche aus einem dichten Faserfilze bestehen. Fig. 9 zeigt
ein Bruchstück eines solchen Läppchens, das an der einen
Seite noch die scharfe Begrenzung zeigt, welche dadurch
entsteht, dass hier die Fasern nicht frei auslaufen, sondern
Zar Anatomie der Pinguecula. 161
umbiegen und in den Knäuel zurückkehren. Die andere
Hälfte des Knäuels ist durch Zerzupfen in das Gewirre elasti-
scher Fasern aufgelöst, welche es zusammensetzen. Man sieht,
dass Fasern von allen Durchmessern an der Bildung dieses
üjiäuels Antheil genommen haben. — Andere Läppchen da-
gegen bestehen aus mehr gleichartigen Fasern, aus lauter
dicken (Fig. 10) oder lauter dünnen. Letzteres ist das häu-
figere; namentlich findet man oft Läppchen, welche aus
einem Gewirre so feiner Fasern bestehen, dass man zunächst
glaubt, eine amorphe kömige Masse vor sich zu sehen, bis
man durch Zerzupfen die Fäserchen an einzelnen Stellen
isolirt und dadurch zur Anschauung bringt.
Die grösseren Knäuel elastischer Fasern sind schon
mit freiem Auge und noch besser bei Lupenbetrachtung
als dunklere Fleckchen in der Bindehaut zu erkennen. Ein
Theil der Läppchen, aus welchen sich die Pinguecula zu-
sammensetzt, entspricht solchen Faserknäueln.
Nebst den mehr gleichmässig über die Bindehaut ver-
theilten elastischen Fasern und nebst den aus Fasern ge- '
bildeten Läppchen lässt sich noch eine dritte Art des Vor-
kommens elastischer Fasern constatiren. Dieselbe besteht
darin, dass zerstreut im subconjunctivalen Gewebe kleine
Gruppen von lose durcheinander geschlungenen, stark ver-
grösserten elastischen Fasern liegen (Fig. 14 f). In diesen
Gruppen finden sich die dicksten elastischen Fasern, welche
überhaupt in der Pinguecula vorkommen, nämlich solche
von einem Durchmesser über 0,03 mm. So dicke Fasern
liegen allerdings niemals in grösserer Menge beisammen,
sondern man findet gewöhnlich nur eine oder zwei colossal
dicke Fasern inmitten einer Gruppe von dünneren liegen.
— Die elastischen Fasern zeigen, sobald sie einmal sehr
gross geworden sind, nicht mehr die glatte, scharfe Begren-
zung und das homogene Aussehen der dünnen Fasern. Sie
werden vielmehr an den Rändern unregelmässig, wie schar-
tig oder angenagt, indem sich kleine Bruchstücke von ihnen
▼. Oniefe*8 Archlr mr Ophthalinologie. XXXVII. 3. 11
162 E. Fuchs.
abgebröckelt haben (Fig. lla,a). Viele von den dickeren
Fasern lassen, namentlich bei Hämatoxylinfarbung, einen
mächtigen, dunklen, centralen Strang erkennen, welcher von
einer weniger gefärbten, sich abbröckelnden Hülle einge-
scheidet ist (Fig. 11, b, b). Andere Fasern wieder besitzen
eine deutliche Längsstreif ung, welche besonders nach Be-
handlung mit Essigsäure scharf hervortritt, doch auch ohne
diese oft zu sehen ist (Fig. 12).
Hypertrophische elastische Fasern finden sich aber nicht
bloss in der Bindehaut, sondern auch im episcleralen Ge-
webe, sowie in der Sclera selbst (Fig. 14 zeigt bei 6 ela-
stische Fasern im episcleralen Gewebe und bei 7 elastische
Fasern in der Sclera selbst). In der Sclera setzt das feste
Gewebe der Bildung von grösseren Knäueln ein unüber-
steigbares Hindemiss entgegen. Die elastischen Fasern lie-
gen daher entweder einzeln oder nur zu zweien oder dreien
beisammen zwischen den Scleralfasern und sind gleich die-
sen radiär zum Hornhautrande gerichtet. Sie heben sich
Yon den Scleralfasern sofort durch ihre starke Schlängelung
hervor, welche sie einer zierlichen Haarlocke vergleichbar
macht (Fig. 13a). — Die hypertrophischen elastischen Fa-
sern finden sich immer nur in den äusseren Lagen der
Sclera und zwar hauptsächlich etwas weiter vom Rande der
Hornhaut entfernt; zuweilen kann man sie bis in die Seh-
nen des äusseren oder inneren geraden Augenmuskels ver-
folgen. Nur ausnahmsweise habe ich derartige Fasern nahe
dem Rande der Hornhaut, ja fast schon in dieser selbst ge-
sehen.
Die elastischen Fasern verfallen später einer hyalinen
Degeneration, wodurch es zum Zerfalle der Fasern und zur
Bildung von Concrementen kommt. Diese Entartung
lässt sich am besten bei den elastischen Fasern in der Sclera
verfolgen. Dieselben schwellen immer mehr an, und zwar
nicht die ganze Faser gleichmassig, sondern die mittleren
Theile mehr als die Enden (Fig. 13 b). Gleichzeitig werden
Zar Anatomie der Pinguecula. 163
die Fasern infolge ihres langen Wacbsthums immer mehr
spiralig gewunden und die einzelnen Windungen legen sich
als dicke Wülste aneinander. Dabei nimmt die Faser mehr
und mehr ein gleichmässig durchscheinendes, matt glänzen-
des Aussehen und eine gelbgrüne Farbe an, wie sie der
hyalinen Degeneration zukommt. Endlich zerfällt die Faser
in eine Anzahl von unregelmässigen Bruchstücken von gleich
wachsartiger, gelbgrüner Beschaffenheit (Fig. 13c). — An
den hypertrophischen elastischen Fasern der Bindehaut be-
reitet sich der Zerfall, wie schon oben beschrieben, so vor,
dass die Fasern wie angenagt aussehen; dann zerbröckeln
sie immer mehr und verwandeln sich schliesslich in ein
Häufchen unregelmässiger Bruchstücke (Fig. 11c, Fig. 14 f).*
In der Regel zerfallen die elastischen Fasern der Binde-
haut und der Sclera erst, nachdem sie eine bedeutende
Grösse erreicht haben, doch sieht man ausnahmsweise auch
wohl inmitten einer Gruppe ziemlich feiner Fasern schon
Concremente, welche aus dem Zerfalle solcher Fasern her-
vorgegangen sind. In einem Falle fand ich die oberfläch-
liche Schichte der Sclera und selbst die angrenzenden Rand-
theile der Hornhaut dicht durchsetzt von kleinen, rund-
lichen, matt glänzenden Bröckeln, welche sich durch ihre
Reactionen als die Abkömmlinge zerfallener elastischer Fa-
sern kundgaben, während doch diese selbst kaum mehr
vorhanden waren. Nur mit Mühe gelang es an einzelnen
Stellen, solche eben noch im Zerfalle begriffenen Fasern
nachzuweisen. In solchen Fällen also, wo die Fasern, kaum
gebildet, auch schon in kleine, runde Bröckel zerfallen,
könnte man leicht zur irrigen Annahme einer Fettinfiltra-
tion der Sclera verleitet werden, wie z.B. Coccius sie be-
schrieben hat. Die gehörige Anwendung von Reagentien
und Färbemitteln wird einen solchen Irrthum vermeiden
lassen.
Die Concremente, welche aus den elastischen Fasern
der Bindehaut und der Sclera entstehen, erreichen in der
11*
164 E. Fuchs.
Regel weder die Zahl noch die Grösse jener Concremente,
welche sich in der amorphen hyalinen Substanz bilden.
Auch werden sie nicht so abgerundet und.ktigelformig, son-
dern verrathen sich in der Regel noch lange durch ihre
Form als Bruchstücke grösserer Fasern.
Die elastischen Fasern und die aus ihnen hervorgehen-
den Concremente verhalten sich gegen Reagentien und Färbe-
mittel im Allgemeinen so, wie die bisher beschriebenen
hyalin degenerirten Gewebe. Die Fasern färben sich um
so intensiver, je grösser sie sind, ohne Zweifel deshalb, weil
dann die hyaline Entartung in ihnen weiter vorgeschritten
ist. Es ist daher sehr leicht, die elastischen Fasern durch
• Tinction im Gewebe deutlich hervortreten zu lassen. Am
besten eignet sich hierzu die Weigert' sehe Hämatozylin-
färbung, durch welche die grösseren Fasern schwarz werden.
Eine sehr schöne Differenzirung giebt %uch Picrocarmin
sowie Fuchsin. Ersteres färbt die Fasern gelb im Gegen-
satze zur rothen Färbung des übrigen Gewebes. Säure-
fuchsin mit nachheriger Entfärbung durch schwefelsäure-
haltigen Alkohol lässt die elastischen Fasern schön dunkel-
roth in dem sonst entfärbten, gelblichen Gewebe hervor-
treten. Die besonders grossen, bereits der Degeneration
anheimfallenden elastischen Fasern sowie die Concremente,
welche aus deren Zerfall hervorgehen, geben dagegen in der
Säure ihre rothe Farbe wieder ab*).
^) An den hypertrophischen Fasern der Sclera habe ich aus-
nahmsweise folgende zwei Färbungen beobachtet: Jo4Jodkali, wel-
ches die meisten dieser Fasern nicht anders als das übrige Gewebe
f&rbte, liess einige sehr dicke altere Fasern dunkelbrannroth wer-
den und dieselbe Farbe hatten auch die ans solchen Fasern hervor-
gegangenen Schollen. Dies würde also einen üebergang der hyalin
degenerirten Fasern in Amyloid anzeigen und dem entsprechen, was
wir einigemale an den grösseren Concrementen gesehen haben, welche
aus der amorphen hyalinen Substanz her?orgegangen sind. Die Wei-
gert*8che F&rbung mit Gentianaviolett liess einmal die Fasern —
dicke sowie feine — schön blau gefärbt in der vollständig farblosen
Zar Anatomie der Pingaecala. 165
Wir finden also bei der Pinguecula Veränderungen so-
wohl an den Bindegewebsfasern, als auch an den elastischen
Fasern, welche alle in letzter Linie zur Bildung von amor-
phen Schollen, von Goncrementen fuhren können. Diese Ver-
änderungen sind theils AiSua über die ganze Gegend ver-
breitet, welche die Pinguecula einnimmt, theils umschrie-
bener Art Zu den ersteren gehört z. B. die Vermehrung
und Hypertrophie der elastischen Fasern in der Bindehaut
und in der Sdera, vielleicht auch die hyaline Degeneration
der Scleralfasem. Es ist wohl möglich, ja wahrscheinlich,
dass sich diese Processe nicht ausschliesslich auf jene Stel-
len beschränken, wo makroskopisch die Pinguecula zu sehen
ist, sondern dass es sich hier um senile Veränderungen han-
delt» welche in geringerem Grade auch an anderen Stellen
des vorderen Augapfelabschnittes vorkommen können.
Zu den umschriebenen Veränderungen gehört die Bildung
von Läppchen, welche unter der Bindehaut sich befinden;
diese sind es, welche der makroskopisch sichtbaren Pingue-
cula vor Allem zu Grunde liegen.. Diese Läppchen, welche
schon mit der Lupe gut erkennbar sind, können von dreierlei
histologischer Beschafifenheit sein: Sie bestdien entweder
aus Schollen amorpher hyaliner Substanz, oder es sind Con-
Umgebung hervortreten. Diese Färbung nach Weigert würde an-
zeigen, dass die fOr elastische Fasern angesehenen Gebilde nicht
solche, sondern eigenthamlich geformtes Fibrin sind. Dagegen muss
ich vor allem bemerken, dass ich nnz&hlige Male die Entstehung
der dicken elastischen Fasern aus den dOnnen, noch normal aus-
sehenden durch alle üebergangsstadien verfolgen konnte, so dass
ich unmöglich daran glauben kann, dass es nur Fibringerinnungen
seien. Zweitens muss ich hervorheben, dass ich unter vielen Prä-
paraten diese Färbung nur ein einzigesmal erhielt. Endlich ist die
Weigert*8che Färbung, obwohl ein sehr werthvolles Verfahren, doch
noch nicht so genau gekannt, dass man völlig sicher sein könnte,
dass nur Fibrin und Mikroorganismen sich dabei färben, wie Wei-
gert angiebt, und nicht unter besonderen Umständen vielleicht noch
andere Substanzen.
166 E. Fuchs.
Volute hyalin degenerirter Bindegewebsfasern oder endlich
es sind Knäuel elastischer Fasern. Welches ist nun das Ver-
hältnis und die gegenseitige Lagerung dieser drei Arten
von Läppchen? Die meisten Läppchen sind solche, welche
entweder aus amorpher hyaliner Substanz oder aus elasti-
schen Fasern bestehen; in dem einen Falle von Pinguecula
überwiegt die eine, in einem anderen Falle die andere Art.
Diese Läppchen sind von unregelmässiger Form, nicht scharf
begrenzt und mit den benachbarten Läppchen zusammen-
hängend. Sie sind, wie schon eingangs erwähnt wurde,
sehr häufig am grössten und am dichtesten gelagert längs
des oberen und unteren Randes der Pinguecula, während
in dem dazwischen eingeschlossenen Areale die Läppchen
kleiner sind. Diejenigen Läppchen, welche aus hyalinen
Bindegewebsfasern bestehen, sind im Vergleiche zu den
beiden anderen Arten in viel geringerer Zahl .vorhanden
ja sie fehlen oft ganz. Man erkennt sie schon bei Betrach-
tung mit der Lupe an ihrer regelmässigen rundlichen Form
und scharfen Abgrenzung. (Fig. la), welche bei den anderen
Läppchen niemals so ausgeprägt vorkommt.
Die Gruppen sehr grosser elastischer Fasern, welche
auf S. 161 erwähnt wurden, sind makroskopisch nicht als
deutliche Läppchen zu erkennen. Man findet sie nicht in
jeder Pinguecula; wenn sie vorhanden sind, liegen sie vor-
zugsweise entlang dem oberen oder unteren Rande der
Pinguecula.
Die bis jetzt gemachten Angaben über die histologische
Beschaffenheit des Lidspaltenfleckes ergaben sich aus der
Untersuchung der abpräparirten Pinguecula und aus der
Isolirung und Färbung ihrer einzelnen Theile. Das so ge-
wonnene Bild wird durch die Untersuchung von Schnitten
vervollständigt, welche in meridionaler Richtung durch die
Pinguecula gelegt sind. Man sieht an denselben, dass an
der Stelle der Pinguecula die Oberfläche der Bindehaut
Zur Anatomie der Pingaecula. 167
uneben, hügelig oder wellig ist (Fig. 14). In derselben Aus-
dehnung besteht nicht selten eine ganz seichte Delle in der
Oberfläche der Sclera zur Aufnahme der Pinguecula. An
den Schnitten kann man folgende Schichten unterscheiden:
1) Das Epithel Dasselbe überzieht überall die Ober-
fläche der Pinguecula, jedoch in ungleichmässiger Weise.
Es ist auf der Höhe der welligen Erhebungen viel dünner
als in den dazwischen gelegenen Thälern, so dass es die
oberflächlichen Unebenheiten der Pinguecula einigermaassen
ausgleicht (Fig. 14). Ohne Zweifel ist das Epithel auf der
Kuppe der Erhöhungen — zwischen diesen und den Lidern
— einem stärkeren Drucke ausgesetzt als in den Vertie-
fungen, und ist deshalb* an den ersteren Stellen auf eine
dünne Lage reducirt An den vertieften Stellen besteht das
Epithel zunächst aus einer untersten einfachen Lage von
Basalzellen (Fig. 15 a). Dieselben haben einen kleinen, aber
sehr stark färbbaren Kern und so wenig Protoplasma, dass
es manchmal aussieht, als ob man bloss eine Reihe von
Kernen vor sich hätte. Auf die Basalzellen folgen mehrere
Lagen polygonaler oder unregelmässig runder Zellen, welche
sich durch einen grösseren, aber blasseren Kern und nament-
lich durch einen grösseren Protoplasmaleib vor den Basal-
zellen auszeichnen (Fig. 15 b). In der obersten Lage (c)
sind diese Zellen zuweilen ganz schöne grosse Cylinderzellen.
— Wenn man von den Vertiefungen auf die Erhöhungen
übergeht, so verändert sich nicht bloss die Zahl der Zellen,
sondern auch deren Form; die Zellen platten sich immer
mehr ab. Die Abflachung betrifft zuerst nur die oberfläch-
lichsten Zellen, später aber auch die Basalzellen. Man
findet daher die Kuppe der Erhöhungen nur von einer ganz
dünnen Epithelschichte überzogen, ja zuweilen ist hier das
Epithel auf eine zweifache Lage abgeplatteter Zellen redu-
cirt (welche auf dem Querschnitte spindelförmig aussehen,
wie in Fig. 16). — Das Epithel der Bindehaut ist also —
entgegen den Behauptungen der Autoren — über der Pin-
168 E. Fache.
guecula weder im Ganzen verdickt noch verdünnt Es hat
viehnehr in den Einsenkungen ungefähr seine normale Dicke,
während es auf der Höhe der Hügel bedeutend verdünnt
ist. Nur wo die Pinguecula eine ganz gleichmässige Er->
hebung bildet» was zuweilen vorkommt, ist auch das Epi-
thel in grösserer Ausdehnung gleichmässig verdünnt.
^ Das Epithel über der Pinguecula soll nach Gallenga
Pigment enthalten, welches in den tieferen Lagen des Epi-
thels sitzt und die gelbe Farbe der Pinguecula bedingt.
Wedl und Bock haben auch in der Pinguecula selbst
(welche sie aus derbem Bindegewebe bestehen lassen)«
schmutzig«gelbe Pigmentkörnchen gesehen. Dem gegenüber
muss ich sagen, dass das Pigment in der Pinguecula eine
sehr untergeordnete Rolle spielt. Von allen Fällen von
Pinguecula, welche ich in Serienschnitte zerlegte, habe ich
nur bei zweien Pigment im Epithel nachweisen können.
Dasselbe lag in Form feiner gelber oder brauner Körnchen
in den Basalzellen des Epithels. Es fand sich nur an ein--
zelnen Stellen und in so geringer Menge, dass es nur durch
eine genaue Durchmusterung aller Schnitte mit stärkerer
Yergrösserung entdeckt werden konnte. Unterhalb des Epi-
thels, in der Bindehaut oder in dem Gewebe der Pingue-
cula selbst habe ich dagegen in keinem einzigen dieser
Fälle Pigment gefunden. Damit will ich durchaus nicht in
Abrede stellen, dass ausnahmsweise in der Pinguecula reich-
liches Pigment vorkommen kann. Das Epithel der Binde-
haut enthält am Limbus und in dessen Nachbarschaft häufig
Pigment, namentlich bei brünetten Personen. Man erkennt
bei diesen nicht selten schon mit freiem Auge kleine braune
Flecken am Limbus, durch Pigmentanhäufung bedingt. Bei
einem solchen Lidividuum habe ich auch einmal die Binde-
haut über der Pinguecula braun gefleckt gesehen, so dass
diese besonders dunkel aussah. Ich habe diese Pinguecula
excidirt und geschnitten. Dieselbe zeigte in der That eine
reichliche Pigmentirung des Epithels, dessen Basalzellen
Zur Anatomie der Pinguecula. 169
überall zahlreiche Pigmentkömchen in ihrem Protoplasma
enthielten« An einzelnen Stellen, welche den makroskopisch
sichtbaren bratmen Flecken entsprachen , reichte die Pig-
mentimng bis in die obersten Zellenlagen. Auch das Stroma
der Bindehaut enthielt Pigment^ jedoch nur in Form ganz
vereinzelter kleiner Häufchen von Pigmentkörnchen, welche
keinen Einfluss auf die Farbe der Pinguecula im Ganzen
haben konnten. Eine so starke Pigmentirung der Pingue-
cula mag in den südlichen Ländern, wo die Menschen im
Allgemeinen stärker pigmentirt sind, häufiger vorkommen,
woraus sich Gallenga's Angaben erklären; bei uns aber
muss dies als Ausnahmsfall angesehen werden. Wir können
somit als Regel aufstellen, dass die gelbe Färbung der Pin-
guecula nicht durch Pigment bedingt ist, sondern durch
die gelbliche Farbe der abgelagerten hyalinen Massen ver^-
schiedener Art, sowie die Concremente.
Yassaux und Gallenga geben an, dass das Epithel
über der Pinguecula oberflächliche Yerhomung zeige. Ich
habe nur in zwei Fällen gesehen, dass über einem Theile
der Pinguecula die oberflächlichsten Epithelzellen besonders
stark a'bgeplattet waren, während die Zellengrenzen sowie
die Kerne theils weniger deutlich, theils'ganz verschwun-
den waren und die . Zellen im Ganzen mit Carmin oder
Hämatoxylin sich weniger färbten. Es machte mir den
Eindruck, als ob diese Stellen vielleicht einem jener trocken
aussehenden Flecken entsprächen, welche man nicht selten
im Bereiche der Pinguecula 'sieht
In zwei Fällen habe ich stellenweise an den Epithel-
zellen jene Veränderung gefunden, welche zuerst von de
Vincentius als coUoide Degeneration an den Zellen des
Hornhautepithels beschrieben wurde ^). Die Epithelzellen
sind vergrössert, rund, von mehr homogener Beschaffenheit,
und sehen gleichsam wie blasig aufgetrieben aus. Der Kern
0 Contribuzione all* anatomia patologica dell* occhio. Napoli
1873. S. 18 (Estratto del Movimento Medico-chirurgico).
170 E. Fuchs.
liegt in Form eines schmalen Halbmondes ganz an der
Peripherie der Zelle und zwar stets an jener Seite, welche
der Tiefe zugewendet ist Diese Veränderung betrifft alle
Zellen gleichmässig, mit Ausnahme der Basalzellen und etwa
noch der unmittelbar darauffolgenden Zellenreihe.
• Gleichfalls als ausnahmsweisen Befund erwähne ich das
Vorkommen von Concrementen, wie sie der Pinguecula eigen-
thümlich sind, im Epithel. Dieselben sind nicht im Epithel
selbst entstanden, sondern in den oberflächlichsten Schichten
der Bindehaut. Durch Usur der unmittelbar unter dem Epi-
thel liegenden Bindegewebslage gelangten sie in das Epithel.
Einmal sah ich sogar das Epithel über einem grossen Goncre-
mente fehlen: es wäre daher wohl denkbar, dass auf solche
Weise manchmal Goncremente ganz ausgestossen würden.
Gallenga beschreibt in der Pinguecula einen von der
Oberfläche in die Tiefe gehenden Ganal, welcher als Blind-
sack endigt (siehe Seite 145). Ich habe hauptsächlich zu
dem Zwecke, diesen Canal zu finden, die Methode der Se-
rienschnitte beim Schneiden der Pinguecula angewendet, so
dass er mir in den Fällen, welche ich untersuchte, sicher
nicht entgangen wäre, wenn er vorhanden gewesen wäre.
Trotzdem habe ich niemals auch nur eine Andeutung die-
ses Ganales finden können. Derselbe ist also entweder ein
seltenes Vorkommniss, so dass er in den von mir unter-
suchten Fällen zufalliger Weise nicht existirte, oder er ist
ein Artefact. Gallenga hat nur abgetragene Bindehaut-
stückchen mit Pinguecula histologisch untersucht. Da ist
es wohl möglich, dass durch Schrumpfung dieser Stückchen
in den Erhärtungsflüssigkeiten Unebenheiten der Oberfläche
entstehen, welche an Querschnitten selbst als grössere Ein-
stülpungen imponiren können, die aber am lebenden Auge
nicht vorhanden waren. Auf ähnliche Weise erklärt sich
vielleicht auch die von Gallenga beschriebene papilläre
Beschaffenheit der Bindehautoberfläche über der Pingue-
cula, welche ich gleichfalls niemals habe sehen können.
Zur Anatomie der Pinguecula. 171
In zwei Fällen von Pingnecala wurden im Epithel der
Bindehaut Körper gefunden, welche für Psorospermien an-
gesehen werden müssen. Die kleinsten derselben maassen kaum
0,006mm im Durchmesser, während die grössten bis zu 0,025mm
heranwuchsen. Sie waren hell, stark lichtbrechend, rund, scharf
begrenzt und zwar von einem doppelten Contour. Einige ent^
hielten eine grosse Zahl kleiner Krümel, oder einige wenige
unregelmässig geformte grössere Bröckel, andere dagegen ein
bis drei kornartige Körper, welche zuweilen noch einen Nu-
cleolus hatten. Die Psorospermien und ihr Inhalt hatten im
ungefärbten Zustande einen grünlichen Schimmer und färbten
sich mit den verschiedenen Tinctionsmitteln gar nicht oder nur
sehr schwach. Bei den kleinsten von ihnen war es leicht fest-
zustellen, dass sie sich im Protoplasma einer Epithelzelle ent-
wickelten, deren Kern dadurch immer mehr zur Seite gedrängt
wurde. Bei den grösseren Psorospermien, welche die Zelle
vollständig erfüllten, war deren Lage innerhalb der Zelle nicht
mehr deutlich zu erkennen, wenn auch der plattgedrückte und
der Peripherie des Körperchens anliegende Zellkern noch dar-
auf hinwies. — In weit grösserer Menge fand ich diese Kör-
per in einem Falle von Pterygiunl und zwar im Epithel jener
Einstülpungen, welche sich oft ziemlich weit unter das Ptery-
gium erstrecken. Hier mögen im Ganzen mehrere Hundert
solcher Körper vorhanden gewesen sein. Dieselben Körper hat
kürzlich einer meiner Schüler, Herr Dr. Wintersteiner, bei
der Untersuchung eines Stückchens Bindehaut gefunden, wel-
ches ich einmal excidirt hatte, weil sich ein schwarzer Pig-
mentfleck in demselben entwickelte. Auch in diesem Falle la-
gen die Körperchen in den Epithelzellen, welche Einstülpungen
auskleideten, die von der Oberfläche in die Tiefe sich erstreck-
ten. Ich halte die Psorospermien in diesen Fällen für zubil-
lige Befunde, welche mit der Pinguecula oder dem Pterygium
weiter nichts zu thun haben und führe sie nur deshalb an,
weil meines Wissens in der menschlichen Bindehaut bisher
keine Psorospermien gesehen worden sind. In anderen Theilen
des menschlichen Körpers hat man sie dagegen öfter nachge-
wiesen, so namentlich im Molluscum contagiosum cBollinger
u. A.) und anderen kleinen Geschwülsten der Haut (Darier),
bei der Paget'schen Krankheit der Brustwarze (Darier), in
der Leber (G übler und Leuckart), in pleuritischen Exsudaten
(Künstler und Pitres) u.s. w.
172 E. Fuchs.
2) Als zweite Schichte folgt eine Bindegewebslage.
Dieselbe liegt unmittelbar unter dem Epithel und ist nichts
anderes als das Bindegewebe der Bindehaut selbst, die
eigentliche Mucosa. Dieselbe zeigt etwas weiter vom Hom-
hautrande entfernt noch ihre normale Beschaffenheit» näm-
lich die Zusammensetzung aus welligem Bindegewebe mit
ziemlich reichlichen Kernen und Gefassen. Nahe dem Hom-
hautrande dagegen, auf der Höhe der Pinguecula, ist diese
Schichte durch den Druck, welchen die unterliegende Pin-
guecula ausübt, verändert Die Bindegewebsfasern sind innig
aneinander gepresst, so dass ein sehr dichtes Gewebe ent-
steht, welches nur mehr eine ganz zarte Streifung zeigt; die
Blutgefässe sind gänzlich, die Kerne bis auf einige wenige
daraus verschwunden. Die Dicke dieser Schichte ist ver-
schieden, da sie oft auf der Kuppe der Hügel dünner ist
als in den Vertiefungen. Sie kann so dünn und so homo-
gen werden, dass man eine structurlose Basalmembran des
Epithels vor sich zu haben glaubt (Fig. 14, 2); stollenweise
kann sie sogar ganz fehlen.
Am Homhautrande setzt sich die zweite Schichte in
die oberflächL'chsten Lamellen der Hornhaut fort. Bald sind
es mehr, bald weniger von diesen Lamellen, welche so in
die Bindehaut übergehen, aber immer lässt sich ein solcher
Uebergang unzweifelhaft feststellen (Fig. 14 bei e). Der-
selbe springt sogar an den Präparaten mit Pinguecula be-
sonders deutlich in die Augen, weil sich diese zwischen
Bindehaut und Sclera einlagert und bei ihrem Vordringen
gegen die Hornhaut die Bindehaut mehr und mehr Von der
Unterlage abhebt, gleichsam in natürlicher Weise abprä-
parirt Die oberflächlichsten Homhautlamellen gehören da-
her anatomisch nicht zur Sclera, sondern zur Conjunctiva,
wenigstens was die Randtheile der Hornhaut anlangt^).
*) Nach Schwalbe (Lehrbuch der Anatomie der SinneBorgane,
S. 149), existirt diese Pars conjuncüvalis corneae nur am Rande der
Hornhaut, bis zum Beginne der Bowman*8chen Membran, welche
Zur Anatomie der Pingaecala. 173
Bemerkenswerth ist die Beschaffenheit der Oberfläche
der zweiten Schichte. Dieselbe zeigt zunächst flache, hügel-
förmige Erhebungen, indem sie durch die darunter liegen-
den Läppchen der Pinguecula in unregelmässiger Weise
empoi^ehoben wird (z. B. in Fig. 14 bei 2). Ausserdem be-
stehen aber nicht selten Unebenheiten, welche wie Fal-
tungen der Oberfläche aussehen (Fig. 14, bei a). Es scheint
als ob die Bindehaut durch einen unter ihr wirkenden Zug
nach dem Homhautrande hin zusammengeschoben würde,
80 dass sich ihre Oberfläche in Fallen legt. Auf einen glei-
chen Zug gegen den Hornhautrand hin deutet der Um-
stand, dass der Rand der Pinguecula öfter gegen den Hom-
hautrand gleichsam andringt und denselben überlagert. Da-
bei werden die obersten Lamellen der Hornhaut, welche
die Fortsetzung der zweiten Schichte bilden, von der Un-
terlage, abgedrängt und mit in die Bedeckung der Pingue-
cula einbezogen (Fig. 14 bei e). Ich hebe diesen Umstand
hauptsächlich deshalb hervor, weil das Hinüberwachsen der
Pinguecula auf die Hornhaut mit der Bildung des Flügel-
felles zusammenhängt.
3) Die nun folgende Schichte besteht aus länglichen
Lappen (Fig. 14, 3), welche theils gegen das Nachbarge-
webe gut abgegrenzt sind — am besten* gegen die zweite
Schichte hin — an anderen Stellen dagegen in die folgen-
den Schichten allmälig übergeheiL Es sind die Läppchen,
welche die Pinguecula selbst bilden, im Querschnitte ge-
sehen. Die ganze Schichte hat bei schwacher Vergrösse-
rung ein dichtes und ziemlich homogenes Aussehen. Blut-
gefässe finden sich fast gar nicht in ihr und auch die Kerne
Schwalbe zum seienden TheUe der Hornhaut rech^et. Waldeyer
dagegen sieht das vordere Homhantepithel, die Bowman'sche Mem-
bran und die oberflächlichsten Lamellen der Hornhaut in der gan-
zen Ausdehnung der letzteren als den conjunctivalen TheU der Horn-
haut an (Handbuch der Augenheilkunde von Graefe-Saemisch,
I. Band, S. 170).
174 E. Fuchs.
sind sehr spärlich und fast nur an den Rändern der
Läppchen vorhanden. Diese letzteren zeigen sich auf den
Querschnitten aus zwei Bestandtheilen zusammengesetzt.
Der erste sind Fasern, welche in verschiedenen Richtungen
sich durchkreuzen, hauptsächlich aber der Oberfläche der
Bindehaut ungefähr parallel verlaufen; der zweite sind sehr
kleine Felder, theils rundlich, theils unregelmässig polygo-
nal, welche zwischen den Fasern eingeschlosseii sind. Die
Fasern entsprechen den meridional verlaufenden Fasern der
Bindehaut. Die Bedeutung der kleinen Felder wird klar,
wenn man dieselben an sehr feinen Schnitten durch Zer-
zupfen isolirt Die kleinsten rundlichen Felder sind Quer-
schnitte von Bindegewebsfasern, welche in circulärer Rich-
tung ziehen und daher an den meridional geführten Schnit-
ten quer getroffen sind. Die meisten Felder aber, welche
etwas grösser und polygonal sind, entsprechen Schollen der
amorphen hyalinen Substanz, welche frei zwischen den Binde-
gewebsfasern lagert (siehe S. 150). — An anderen Präpa-
raten ist die feinere Structur dieser Lappen, welche die
dritte Schichte zusammensetzen, etwas anders; man erkennt
schon an den Schnitten, dass es sich um Querschnitte von
stark gewundenen, elastischen Fasern verschiedener Grösse
handelt. Dies ist dann der Fall, wenn der Schnitt eines
jener Läppchen getroffen hat, welche aus elastischen Fa-
sern bestehen.
Die dritte Schichte ist es also, welche der Pinguecula
selbst entspricht Sie bedingt die eigentliche Verdickung
der Bindehaut an dieser Stelle; die ungleichmässigen Dimen-
sionen der Läppchen, aus welchen diese Schichte besteht,
verursachen die Unebenheit der Oberfläche, welche die bei-
den vorderen Schichten zeigen.
Die dritte Schichte ist der Hauptsitz der Concremente.
Je nach dem Falle, den man vor sich hat, findet man darin
bald nur wenige, bald viele und von bedeutender Grösse.
Die kleinsten Concremente erscheinen in den ungefärbten
Zar Anatomie der Pinguecula. 175
Schnitten als stark lichtbrechende, grünlich schillernde Krü-
mel Dieselben liegen gewöhnlich gruppenweise beisammen
(Fig. 14 unter b) und bilden oft eine der Bindehautober-
fläche ungefähr parallele Lage. Die grösseren Cohcremente
fallen sofort in die Augen und können oft schon mit freiem
Auge in den Schnitten wahrgenommen werden (Figur 14
unter c und d). Die Concremente entwickeln sich in jenen
Theilen der Läppchen, welche der Oberfläche der Binde-
haut zugewendet sind, in grösserer Anzahl als in den tiefen.
Ausserdem scheinen sie aber auch die Neigung zu besitzen,
nach der Oberfläche zu wandern, denn man sieht sie nicht
selten die Grenzen der dritten Schichte durchbrechen und
in die zweite Schichte, ja selbst in das Epithel gelangen.
4) Unter der eben beschriebenen Schichte folgen die
hyalinen Bindegewebsfasern (Fig. 14,4). Die Art ihrer
Anordnung ist zweifach. Dieselben liegen entweder als eine
nicht scharf abgegrenzte Schichte auf grössere Strecken hin
ausgebreitet. Sie haben einen ziemlich geradlinigen Ver-
lauf, fallen aber durch ihre bedeutende Dicke, ihr homo-
genes Aussehen und ihre verschiedene Tinction sofort zwi-
schen den normalen Bindegewebsfasern auf. Die zweite Art
der Anordnung besteht darin, dass man Querschnitte von
Läppchen sieht, welche aus gewundenen und mehrfach zu-
sammengelegten hyalinen Fasern bestehen (Fig. 14,4, Fig. 5)
und von Endothelhäutchen eingeschlossen werden. Es sind
die auf S. 156 beschriebenen rundlichen und wohl abge-
grenzten Läppchen (Figur 6). In den hyalin degenerirten
Bindegewebsfasern kann man sehr häufig das Auftreten von
kleinen krümeligen Goncrementen constatiren.
Die Läppchen der Pinguecula entwickeln sich vorzugs-
weise unterhalb der eigentlichen Mucosa im subconjuncti-
valen Bindegewebe, welches sie verdrängen, so dass von
demselben nur eine dünne Lage übrig bleibt (Fig. 14, 5).
Die auf die Läppchen folgende
5) Schichte wird daher von diesem lockeren sub-
176 E. Fuchs.
conjunctivalen Zellgewebe gebildet. Dasselbe lässt hie
und da bereits den Beginn jener Veränderungen erkennen,
aus welchen sich später die Läppchen entwickeln. So sieht
man an einzelnen Stellen zwischen den Bindegewebsfasern
sehr feine Krümel, welche einer beginnenden Ausscheidung
amorpher hyaliner Substanz entsprechen. Viel mehr als diese
springen jedoch die zahlreichen vergrösserten elastischen
Fasern in die Augen. Dieselben bilden hier noch nicht
grosse Läppchen, sondern liegen zumeist in kleineren Grup-
pen lose beisammen. Es giebt solche Gruppen, deren Fa-
sern alle ziemlich das gleiche Caliber haben; dann könnte
man Teranlasst sein, diese für Pilzrasen anzusehen, wozu
auch das glänzende, grünlich schillernde Aussehen dieser
Fasern im ungefärbten Zustande, ihre Resistenz gegen Rea-
gentien u. s. w. verleiten könnte. Zumeist jedoch sind die
Gruppen aus Fasern von ungleicher, oft sehr bedeutender
Stärke gebildet; die auf S. 161 erwähnten Gruppen beson-
ders didcer Fasern haben hier im subconjunctivalen Binde-
gewebe ihren Sitz (Fig. 14 f). Die grössten Fasern findet
man in mehrere Bruchstücke zerfallen. Die Verbreitung
dieser elastischen Fasern im subconjunctivalen Bindegewebe
erstreckt sich ziemlich weit über die Grenzen der eigent-
lichen Pinguecula hinaus. Das Gleiche gilt für das nun
folgende
6) episclerale Bindegewebe (Fig. 14 £p). Auch die-
ses enthält sehr oft vergrösserte elastische Fasern (Fig. 14,6),
welche man selbst noch weit entfernt vom Homhautrande
antri£Pt. Zur Bildung grosser Gruppen von elastischen Fa-
sern kommt es jedoch hier nicht und ebenso wenig errei-
chen sie hier jene bedeutende Grösse, wie im subconjunc-
tivalen Bindegewebe. — Das lockere episclerale Bindegewebe
geht ohne scharfe Grenze in die
7) Sclera über (Fig. 14S). Diese ist in ihren ober-
flächlichen Lagen gleichfalls oft der Sitz von vergrösserten
elastischen Fasern, welche man zuweilen bis in die ober-
Zur Anatomie der Pinguecula. 177
flächlichen Schichten der Sehne des Rectus internus oder
extemos verfolgen kann (Fig. 14, 7). Auch die auf S. 158
beschriebene hyaline Degeneration der Scleralfasern selbst
muss hier erwähnt werden.
Das hier entworfene histologische Bild der Pinguecula
ist das Ergebniss einer grossen Anzahl von mikroskopischen
Befunden. Es ist aus denselben zusammengefasst und da-
her nothwendig etwas schematisirt. Man darf deshalb nicht
erwarten, in jedem Schnitte, den man durch eine beliebige
Pinguecula fuhrt, alle beschriebenen Veränderungen wohl
ausgeprägt anzutreffen und ebensowenig sind die hier an-
geführten Schichten alle vorhanden oder scharf von einan-
der abgegrenzt
Es bandelt sich also bei der Pinguecula um eine histo-
logische Veränderung der Bindehaut, welche man als De-
generation bezeichnen muss. Dieselbe äussert sich als Ab-
lagerung freien Hyalins und als hyaline Entartung der phy-
siologischen Gewebselemente (Bindegewebs- und elastische
Fasern). Die Ursache dieser Veränderung ist zweifach, näm-
lich die Senescenz des Gewebes verbunden mit der dauern-
den Einwirkung äusserer Schädlichkeiten. Wir wollen uns
zuerst mit der Bildung des Hyalins und mit dessen Eigen-
schaften im Allgemeinen beschäftigen und dann sehen, ob
dasselbe auch an anderen Orten des Körpers unter ähnlichen
Bedingungen entsteht, wie sie bei der Pinguecula gege-
ben sind.
Das Hyalin wurde zuerst von Recklinghausen ^) aus
der grossen Gruppe der coUoiden Substanzen ausgeschieden.
Es hat Aehnlichkeit mit dem Amyloid, indem es gleich die-
sem ein unlöslicher Eiweisskörper ist, welcher bei Ernäh-
rungsstörungen im Gewebe abgeschieden wird. Die charak-
teristischen Eigenschaften des Hyalins sind nach Reckling-
') Handbuch der allgem. Pathologie 1883, S. 405.
T. Oraefe'B Archiv fOr Ophthidinologie. XXXVII. 3. 12
178 £• FacbB.
hausen: 1) eine homogene Beschaffenheit und grosses Licht-
brechungSYormögen; 2) grosse Widerstandsfähigkeit gegen
Reagentien, wie starke Säuren und Alkalien und endlich
3) starke Tinctionsfähigkeit. »^Karmin, Pikrokarmin, weni-
ger das Hämatoxylin, namentlich Eosin und das säurebe-
ständige Fuchsin tingiren das Hyalin in auffällig starkem
Grade/' — Das Hyalin findet sich in den verschiedensten
Organen und als Folge der Terschiedensten Processe, so
dass man wohl zweifeln möchte, ob es sich hier wirklich
immer um dieselbe Substanz handelt „Es ist vielmehr noch
Ungewisses sagt Recklinghausen, „ob nicht Zusammen-
setzungen, Mischungen verschiedener Körper vorliegen und
ob die geschilderte Substanz in allen Fällen identisch ist/^
Das Hyalin ist mit dem Fibrin verwandt und Fibrin kann
höchstwahrscheinlich in Hyalin übergehen. Weigert^) geht
noch weiter und meint, dass das meiste von dem, was
Recklinghausen als Hyalin beschrieben hatte,' nichts an-
deres sei als geronnenes Fibrin. Zum Nachweise des Fi-
brins hat Weigert eine Färbungsmethode mit Gentianavio-
lett angegeben, welche charakteristisch für Fibrin sein soll.
Die von Recklinghausen für das Hyalin geforderten
Eigenschaften treffen zum grÖssten Theile für die patholo-
gisch veränderten Gewebsbestandtheile der Pinguecula zu*
Die amorphen Schollen, die degenerirten Bindegewebsfasern
und die vergrösserten elastischen Fasern, endlich die Con-
cremente verschiedenen Ursprunges zeichnen sich durch
homogene Beschaffenheit, starken Glanz und grosse Wider-
standsfähigkeit gegen Säuren und Alkalien aus, welche die-
selben nicht zu verändern vermögen. Was das Verhalten
gegen Tinctionsmittel anlangt, so sagt Recklinghausen
vom Pikrokarmin nicht, ob das Hyalin dadurch roth oder
gelb gefärbt wird. Ich kann dies dahin ergänzen, dass die
^) Kritische und ergänzende Bemerkungen zur Coagalations-
necrose mit Berficksichügnng der Hyalinbildung. Deutsche medic
Wochenschrift 1885, Nr. 44, S. 747.
Zur Anatomie der Pinguecula. 179
hyalin degenerirten Theile damit schön gelb werden im
Gegensatze zu dem umgebenden roth gefärbten Oewebe.
Vom Hämatoxylin meint Recklinghausen, dass es das
Hyalin nicht stark färbe; dem gegenüber haben wir gese-
hen, dass in der Pinguecula die hyalin degenerirten Theile
zum Theil sehr intensiv gefärbt werden, wie z.B. vergrös-
serte elastische Fasern und Goncremente verschiedener Art.
Am intensivsten ist jedoch die Färbung mittelst der Wei-
gert'schen Hämatoxylinmethode, welche Recklinghausen
noch nicht erwähnt Was endlich das von Recklinghau-
sen besonders hervorgehobene Säurefuchsin betrifft, so habe
ich dasselbe so angewendet, dass ich die in wässeriger
Säurefuchsinlösung gefärbten Schnitte in schwefelsäurehal-
tigem Alkohol wieder entfärbte. Dabei bleiben die Kerne
roth, während alles übrige Gewebe einen blassgelben oder
bräunlichen Ton annimmt Gleich den Kernen, treten in
solchen Präparaten die feinen elastischen Fasern in der
Bindehaut und Sclera, sowie die kleineren Goncremente
durch ihre dunkelrothe Farbe sofort hervor; dasselbe gilt
für die degenerirenden Bindegewebsfasern der Sclera. Die
ganz dicken, schon zerfallenden elastischen Fasern haben
dagegen ihre rothe Farbe abgegeben und erscheinen leicht
bräunlich. Dieselbe lichte Farbe konunt den völlig dege-
nerirten und in amorphe Schollen verwandelten Bindege-
websfasern der Sclera zu und auch die ganz grossen Gon-
cremente in der Pinguecula (sowie auch im Arcus senilis)
sind nur mehr an ihren Rändern roth gefärbt Es scheint
also, dass die hyalinen Produkte, wenn sie älter werden,
nun weiteren Veränderungen unterliegen, wodurch ihre Färb-
barkeit wieder abnimmt. Die hyalin degenerirten Binde-
gewebsfasern der Bindehaut zeigen jedoch schon vom An-
fange an dieses Verhalten gegen Säurefuchsin, welches sie
bei Zusatz einer Säure wieder fahren lassen und stimmen
somit in dieser Beziehung mit den Zerfallsprodukten der
anderen hyalin degenerirten Elemente überein. Analoge
12*
180 E. Fuchs.
Tinctionseffecte erhält man, wenn man mit einem Gemenge
von gewöhnlicher alkoholischer Fnchsinlösung und von Me-
ihylgrün färbt und die Schnitte dann in Alkohol entfärbt.
Die tinctoriellen Eigenschaften der degenerirten Ele-
mente der Pinguecula stimmen also, wenn auch nicht in
jedem einzelnen Punkte, so doch im Allgemeinen mit den
von Recklinghausen aufgestellten Sätzen überein. Dass
die Uebereinstimmung keine vollkommene ist, darf uns nicht
Wunder nehmen, da ja nach Recklinghausen selbst die
Reactionen des Hyalins in gewissem Grade variabel sind.
Was die Weigert'sche Behauptung anlangt, dass das Hya-
lin zumeist nichts anderes als geronnenes Fibrin sei, so
kann ich dieselbe für die Pinguecula nicht bestätigen. Ge-
rade die von Weigert selbst angegebene Methode der Fi-
brinfarbung liess die degenerirten Gewebselemente der Pin-
guecula stets ungefärbt, wenn ich einen einzigen, auf S. 164
angeführten Fall ausnehme.
Das Hyalin steht dem Amyloid nahe und kann eigent-
lich nur dadurch mit Sicherheit von demselben unterschie-
den werden, dass es dessen charakteristische Reactionen
mit Jod und Methylviolett nicht giebt Wenn man aber
zuweilen hyaline Substanzen findet, welche diese Reactionen
zum Theil und gleichsam angedeutet zeigen, so muss man
annehmen, dass man es mit Substanzen zu thun habe, welche
auf dem Wege der Umwandlung des Hyalins in Amyloid
sich befinden. Recklinghausen hat zuerst die Behaup-
tung autgestellt, dass das Hyalin wahrscheinlich eine Vor-
stufe des Amyloids sei. Diese Ansicht wurde durch die Be*
obachtungen anderer Forscher bestätigt, welche die directe
Umwandlung des Hyalins in Amyloid nachwiesen^). Für die
Bindehaut selbst wurde der Uebergang hyalin entarteten
Gewebes in Amyloidmassen durch Rählmann in einem
') Die einschl&gige Literatur findet sich angegeben bei Yos-
siuB: Ueber Amyloiddegeneration der Conjunctira. Ziegler*8 Bei-
tr&ge zur pathologischen Anatomie, IT. Band, 1889, S. 340.
Zur Anatomie der Pinguecala. 181
Falle von Amyloiddegeneratioa der Bindehaut dargethan^).
Ich habe in der Pinguecula in keinem einzigen Falle wirk-
liches Amyloid finden können, welches sich mit Jodlösung
braunroth und dann mit Schwefelsäure feuerroth, violett
oder blau gefärbt hätte, oder welches durch Methylviolett
roth geworden wäre. Dagegen zeigten die ganz grossen
Concremente auf die Behandlung mit Jodlösung allerdings
zuweilen eine dunkel-braunrothe Farbe (Mahagonyfarbe) im
Gegensatze zu dem hellgelb gefärbten umgebenden Gewebe,
und diese Färbung wurde auf Zusatz von Schwefelsäure
noch intensiver. Die gleiche Farbenreaction wurde einige-
mal bei sehr grossen elastischen Fasern und den aus ihnen
hervorgegangenen Concrementen beobachtet. Diese Reactiou
kommt nun dem reinen Hyalin nicht zu, welches sich durch
Jodlösung nicht anders sds das übrige Gewebe färbt Es
ist also wohl berechtigt, in diesen letzten Produkten der
hyalinen Degeneration bereits den Uebergang in echtes
Amyloid zu sehen.
In Bezug auf die Art der Bildung des Hyalins sagt
Recklinghausen, dass dasselbe der Hauptsache nach in
dem Protoplasma der Zellen sich bilde, möglicherweise erst
unter Aufnahme von Eiweisskörpern, welche die Zellen aus
dem Blute entnehmen. Bei diesem Processe gehen aber
die Zellen selbst zu Grunde; sie verlieren ihre Abgrenzung,
schweissen mit benachbarten Zellen zusammen und die Zell-
kerne verchwinden. Derselben Ansicht ist Weigert. Er
sieht das Hyalin als geronnenes Fibrin an', welches das
Zellprotoplasma aus dem Blute aufgenommen hat und wel-
ches dann innerhalb der Zellen geradeso gerinnt wie bei
der Blutgerinnung; die Zelle selbst stirbt dabei ab (Coagu-
lationsnecrose). Es ist also auch nach Weigert mit der
hyalinen Degeneration nothwendig ein Untergang der Zellen
^) Zar Lehre der Amyloiddegeneration der Bindehaat. Archiv
für Aagenheilkaode, X. Band, S. 129.
182 £• Fachs.
Terbanden, welcher sich durch das Verschwinden der Zell-
keme und durch das Zusammenbacken benachbarter Zellen
zu amorphen Massen kundgiebt
Beide Autoren sind somit darin einig, dass das Hyalin
im Zellprotoplasma selbst entstehe und dass die Zelle da-
bei als solche zu Grunde gehe. Wie verhalt sich dies bei
der Pinguecula? Was zunächst die Entstehung des Hyalins
anbelangt, so sind es allerdingB, in Uebereinstimmung mit
Recklinghausen und Weigert, die zelligen Elemente
selbst, welche degeneriren. Die Bindegewebsfasern der Binde-
haut und der Sdera, sowie die elastischen Fasern ver-
grössem sich und nehmen hyaline Beschaffenheit an. Da-
neben kommt aber auch eine Ausscheidung freien Hyalins
zwischen die zelligen Elemente vor, welche letztere dabei
unverändert bleiben. Dies ist der Fall bezüglich der amor-
phen hyalinen Schollen, welche zwischen den Bindegewebs-
fasern der Bindehaut abgelagert werden und bezüglich der
Concremente, welche den Arcus senilis bilden. Letzterer
gehört zwar nicht zur Pinguecula, stimmt jedoch in gene-
tischer und histologischer Beziehung so sehr mit gewissen
Bildungen in letzterer überein, dass er hier auch mit an-
geführt werden muss. Weder die amorphen Massen in der
Bindehaut, noch die Concremente des Arcus senilis sind
etwa aus hyalin zerfallenen zelligen Elementen hervorge-
gangen, sondern liegen frei zwischen den unversehrten Fä-
ssern der Bindehaut und der Hornhaut.
In Bezug auf den zweiten Punkt, den Untergang der
hyalin entarteten Zellen, sehen wir das gleiche in der
Pinguecula. Die vergrösserten elastischen Fasern zerfallen,
sobald sie ein gewisses Volumen erreicht haben, in form-
lose Bruchstücke; noch schneller tritt der Zerfall in ein-
zelne Schollen bei den entarteten Bindegewebsfasern der
Sclera ein. Was aber die hyalin degenerirteh Bindegewebs-
fasern der Bindehaut anlangt, so habe ich einen wirklichen
Zerfall derselben auch bei weit gediehener Degeneration
Zur Anatomie der Pinguecula. 183
nicht sehen können. In den Läppchen, welche aus derarti-
gen Zusammengelegten Fasern gebildet sind (Fig. 6), haben
sich die Fasern wohl auf das Vielfache ihres Volumens ver-
dickt, aber dennoch sind die Contouren jeder einzelnen Fa-
ser scharf und ihre Kerne wohl erhalten.
Es verhalten sich also sowohl in Bezug auf den Ent-
stehungsort des Hyalins als in Bezug auf die Folgen der
Entartung nicht alle Qewebselemente der Pinguecula gleich;
wir sehen Hyalin innerhalb und ausserhalb der Zellen ent-
stehen; wir sehen diese dabei zu Grunde gehen oder be-
stehen bleiben. Ich möchte darum nicht glauben, dass sich
in der Pinguecula mehrere völlig von einander verschiedene
Processe absi)ielen. Dagegen spricht die Gleichartigkeit der
Aotiologie, sowie der Endprodukte der Entartung. Ich
meine vielmehr, dass der Process der Hyalinbildung nicht
immer genau derselbe ist, sowie auch die dadurch gebildete
Substanz, das Hyalin, nicht immer genau dieselben Reao*
tionen zeigt. Man beobachtet ja Aehnliches auch in Bezug
auf die Bildung des Amyloids. Eine Reihe von Beobach-
tern behauptet die Entstehung desselben im Zellprotoplasma,
während andere, nicht weniger geübte Untersucher behaup-
ten, dass der amyloide Process nie von den Gewebszellen
ausgehe, sondern sich stets auf die Zwischensubstanz be-
schränke. Es ist daher wohl sehr wahrscheinlich, dass so-
wohl das Eine wie das Andere stattfinde, eine Ansicht, wel-
cher auch Recklinghausen beipflichtet^). Wenn dies nun
für das Amyloid richtig ist, warum soll dies nicht auch für
das Hyalin möglich sein, welches doch dem Amyloid so
nahe steht. Ich halte also an dem fest, was aus den Prä-
paraten der Pinguecula hervorgeht, dass nämlich hier das
Hyalin sowohl innerhalb der Zellen ab auch ausserhalb
derselben gebildet wird.
Die Bildung des Hyalins in der Pinguecula ist die
Folge der combinirten Wirkung der Senescenz des Gewe-
>) 1. c. S. 401.
184 E. Fuchs.
bes und der äusseren Schädlichkeiten. Ich werde mich be-
mühen, zu zeigen, dass dieselben Factoren sowohl im Augo
als auch in anderen Körpertheilen zu gleichen Bildungen
führen können.
Was zunächst dieSenescenz anlangt, so bietet gerade
das Auge zahlreiche Beispiele, dass infolge derselben Hya-
linbildung auftritt. Ich erinnere zunächst an den oben er-
wähnten Arcus senilis. Ausserdem betrifft die Hyalinbil-
düng Tor allem die Glashäute: Descemet'sche Membran,
Glashaut der Aderhaut und des Giliarkörpers, Linsenkapsel.
Diese Membranen zeigen sowohl eine diffuse Verdickung,
als auch umschriebene Auflagerungen, wie z. B. die drusigen
Auswüchse der Descemet'schen Membran und der Glashaut
der Chorioidea, welche von Recklinghausen geradezu als
Paradigmata der hyalinen Degeneration angeführt wer-
den. Zu den senilen Veränderungien gehört femer die Ver-
dickung der Stützfasern der Netzhaut (Kuhns) und die
hyaline Entartung des Bindegewebes der Ciliarfortsätze ^),
>) Frau Dr. Kerschbaumer sagt (Arch. für Ophth. XXXIV, 3,
S. 24) : ,,In manchen Fällen nimmt das Bindegewebe der Ciliarfort*
Sätze einen homogenen Charakter an und man findet dann, dass die
Ciliarfortsätze sowie der Bindegewebssaum zwischen diesen und dem
Musculus ciliaris zum Theil — seltener ganz — aus einem homo-
genen hyalinartigen Bindegewebe besteht." Ich kann diese Angabe
dahin ergänzen, dass man eine hyaUne Entartung des Bindegewebes
der Ciliarfortsätze stets an bestimmten Stellen besonders ausgeprägt
findet. Die äussersten Spitzen der Ciliarfortsätze werden nämlich
durch secundäre Erhebungen gebildet, welche durch einen schmä-
leren Isthmus mit der Hauptmasse des Ciliarfortsatzes zusammen-
hängen. Das Bindegewebe dieses Isthmus ist es nun, welches vor
Allem die hyaline Degeneration zeigt und zwar sind es wieder haupt-
sächlich die in demselben central verlaufenden Bindegewebsbfindel,
während die peripheren, unmittelbar unter der Glasmembran liegen-
den davon verschont bleiben. Ferner sieht man die hyaline Ent-
artung auch in den weiter rückwärts sich anschUessenden, kleineren
secundären Erhebungen, welche den Firsten der Ciliarfortsätze auf-
sitzen.
Zur Anatomie der Pinguecula. 185
sowie der Gefasswandungen in denselben (Kerschbaumer);
endlich auch, bei seniler Cataract, die Abscheidung hyaliner
Kugeln (der Morgagni'schen Kugeln) aus den Linsenfasem.
Auch im Sehnerrenkopfe kommen zuweilen hyaline Massen
vor. — Von hyaliner Degeneration in anderen Körpertheilen
als Folge einfacher Senesoenz führe ich hier nur die. Beob-
achtung von J. Neumann über die senilen Veränderungen
der Haut an^). Derselbe fand, dass in der Haut von Grei-;
sen die Faserbündel der Cutis durch glasartige Verquellung
ganz homogen geworden sind.
Wenn nun auch die Senescenz des Bindehautgewebes
eine der Ursachen der Pinguecula ist, so ist sie doch nicht
die einzige. Es müsste sich dann diese Degeneration in
gleichmässiger Weise rings um die Hornhaut erstrecken.
Beim Arcus senilis ist dies thatsächlich der Fall Da die
Pinguecula' sich aber nur im Lidspaltenbezirke entwickelt,
so muss den äusseren Schädlichkeiten, welchen dieser
Bezirk ausgesetzt ist, eine Rolle hierbei zugeschrieben wer-
den. Ich sehe dieselben als die veranlassende Ursache an,
während die senile Beschaffenheit des Gewebes die prädis-
ponirende Ursache darstellt, welche für die Einwirkung der
äusseren Schädlichkeiten den Boden vorbereitet. Dieses be-
steht vielleicht in der Verlangsamung des Stoffwechsels in
den alternden Geweben, wodurch die Abscheidung eines un-
löslichen Ei Weisskörpers, wie das Hyalin es ist, begünstigt
werden muss. Das Auge selbst bietet noch andere Bei-
spiele, welche zeigen, dass in Geweben mit herabgesetzter
Ernährung durch äussere Schädlichkeiten hyaline Ablage-
rungen entstehen. Das auffälligste Beispiel dieser Art ist
die bandförmige oder gürtelförmige Hornhauttrübung.
Dieselbe befällt in der Begel solche Augen, welche durch
Glaucom oder Iridocyclitis erblindet sind, welche also eine
^) Ueber die senilen Yerftnderangen der Haut des Menschen:
Bericht der Wiener Academie der Wissensch., 59. Band, 1. Abth.,
1869, S. 47.
180 £• FochB.
schwere Schädigang ihrer Emähmng erfahren haben. Dass
diese auch die Hornhaut betrifft, wird bewiesen durch die
Trübung und Unempfindlichkeit derselben, durch die gele»
gentlidie bläschenförmige Abhebung des Epithels u. s. w.
Wenn die gürtelförmige Hornhauttrübung ausnahmsweise
sonst gesunde Augen befallt, so handelt es sich stets um
Personen im oder nahe dem Oreisenalter. In diesen Augen
$klso, welche entweder durch Krankheit oder Senesoenz we-
niger widerstandsfähig geworden sind, entwickelt sich die
gürtelförmige Hornhauttrübung, und zwar in einem Bezirke
der Hornhaut, welcher seiner Lage nach der Pinguecula
entspricht Sowie diese nicht im horizontalen Meridian des
Auges, sondern etwas tiefer liegt, so zieht auch die gürtel-
förmige Hornhauttrübung stets unter der Mitte der Pupille
vorbei und entspricht genau der Lage der Lidspalte bei
zugekniffenen Augen. Es ist daher kein Zweifel, dass sie
in jenem Theile der Hornhaut sich entwickelt, welcher am
andauerndsten der Einwirkung der Kälte, des Windes, Stau-
bes u. s. w. ausgesetzt ist. In der gürtelförmigen Hornhaut-
trübung findet man nebst Verkalkungen auch hyaline Gon-
cremente. Ooldzieher^) hat dieselben zuerst als CoUoid-
häufen beschrieben, ohne deren chemische Reactionen näher
anzuführen. Ausführlicher besdiäftigt sich Bock') mit der
gürtelförmigen Hornhauttrübung und erwähnt neben Ver-
kalkungen auch Concremente colloider Beschaffenheit. Er
nennt nämlich jene Concremente so, welche sich zum Un-
terschiede von den Verkalkungen unter der Einwirkung von
starken Säuren nicht verändern. Manche der von Bock
beschriebenen Concremente erinnern nach seiner Beschrei-
bung ganz an die grösseren Concremente der Pinguecula.
Sie haben einen hellen Schimmer, der bisweilen ins Grün-
liche oder Bläuliche übergeht Meist haben sich ihre Rän-
*) Centralbl. far Augenheilkonde heraosgeg. von Hirschberg.
1879. S. 2.
*) Zar Kenntniss der bandförmigen Homhanttrabung. Wien 1887.
Zur Anatomie der Pinguecula. 187
der mit den Anilinfarben stark inhibirt, während die eigent-
liche Substanz ungefärbt bleibt (vergl. S. 153 dieser Ar-
beit). Ich selbst besitze ältere Präparate von einem Auge
mit gürtelförmiger Hornhauttrübung, welches die gleichen
hyalinen Concremente zeigt
Länger bekannt als bei der gürtelförmigen Hornhaut-
trübung sind die hyalinen Concremente in alten Homhaut-
narben. Wir wissen, dass diese mit der Zeit oft eine gelb-
liche Farbe annehmen, namentlich an solchen Stellen, welche
besonders der Luft ausgesetzt sind, wie z. B. die hervor-
ragendsten Theile eines Hornhautstaphyloms. Wir haben
also auch hier die beiden Bedingungen, herabgesetzten Sto£F-
wechsel und äussere Schädlichkeiten, vereinigt. Diese gel-
ben Flecken wurden früher in der Regel als Fettbildung
angesehen. Saemisch^) giebt aber schon eine Abbildung,
welche zeigt, dass an solchen Stellen sowohl im Epithel
als im Stroma der Hornhaut stark lichtbrechende Massen
liegen, welche nicht Fett, sondern „wohl coUoider Natur"
sind. Genauer werden solche Cgncremente in alten Hom-
hautnarben von Wedl und Bock^) beschrieben. „Sie sind
glatt, von homogener Beschaffenheit, starker Reflexion, oval,
ellipsoidisch, nierenformig, höckerig, von verschiedener Grösse,
farblos oder bei Aufnahme von Farbstoffen gelblich, gelb-
röthlich oder bräunlich, resistent gegen das schneidende
Messer, zeigen keine amyloide Reaction, widerstehen kalten
Säuren und Alkalien, wenigstens bis auf eine gewisse Zeit."
Aehnliche Concremente fand Beselin') in einem Hornhaut-
^) Handbuch der Augenheilkunde, herausgeg. von Graefe und
Baemisch, lY. Band, S. 206.
>) Pathologische Anatomie des Auges. Wien 1886. S. 43.
*) Amyloid in der Cornea eines staphylomatösen Auges. Archiv
für Augenheilkunde, XVI. Band, 1886, S. 130. Die von Beselin
beschriebenen Concremente worden durch Jod mahagonybraun ge-
i&rbt. Beselin h< sich auf Orund dieser einzigen Reaction fOr
berechtigt, dieselben für Amyloid zu erklären. Ich möchte nicht so
weit gehen, sondern glauben, dass es sich um Hyalin handelte, wel-
188 E. Fuchs.
fitaphylom« Ich selbst besitze Präparate von Hornhautnar*
ben, welche makroskopisch jene gelbe Färbung zeigten und
unter dem Mikroskope die hyalinen Concremente in den
oberflächlichen Lagen der Hornhaut erkennen liessen. Das
Gleiche gilt von einem Falle, von welchem Herr Dr. Czer-
mak, Assistent au meiner Klinik, Präparate anfertigte^).
Hyaline Ablagerungen sind auch noch bei anderen
pathologischen Processen in der Hornhaut beobachtet wor-
den, namentlich nach Verletzungen. Diese Fälle sind jedoch
sowohl ätiologisch als in Bezug auf den mikroskopischen
Befund so sehr von den bis jetzt betrachteten verschieden,
dass ich mich nicht näher darauf einlasse. Ich verweise
auf Yossius^), welcher das bis jetzt darüber Bekannte
anführt.
Die Pinguecula besteht also in einer Verdick-
ung der Bindehaut, an welcher eine hyaline Ent-
ches im Begriff stand, sich in Amyloid umzuwandeln, welcher Pro«-
cess wahrscheinlich sehr langsam vor sich geht. Dass ähnliche
Massen auch in der Pinguecula vorkommen , wurde auf S. 154 be-
sprochen. Schiele (Archiv für Augenheilkunde, XIX. Bd., S. 277),
sieht alle Massen, welche sich mit Jodlösung mahagonybraun färben,
ohne die weiteren Amyloidreactionen zu geben, fttr Olycogen an.
Er h< daher auch die von Beselin beschriebenen Concremente
für Glycogen. Beselin verwahrt sich gegen diese Auffassung (Arch.
für Augenheilk., XX. Band, S. 90) und ich möchte dasselbe thun
bezaglich jener Concremente in der Pinguecula, welche durch Jod
mahagonybraun werden. Es geht nicht an, dieselben als Glycogen
anzusehen, denn erstens sind dieselben nicht wie Glycogen zähflüs-
sig, sondern starr und brüchig und zweitens lösen sie sich nicht
wie Glycogen in Glycerin oder Wasser auf. Ich habe manche Binde-
häute mit Pinguecula viele Monate lang in grösseren Mengen von
Glycerin aufbewahrt, ohne dass die Concremente in demselben die
geringste Veränderung erfahren hätten.
^) Die Concremente gaben in diesem FaUe einerseits die Reac-
tion des Hyalins, andererseits aber auch die Blaufärbung mit Gen-
tianaviolett nach der von Weigert für das Fibrin angegebenen
Methode.
») Archiv für Ophthalm. XXXV, 2, 8. 207.
Zur Anatomie der Pinguecula. 189
artung der Gewebselemente, sowie die Ablagerung
freien Hyalins wesentlichen Antheil hat. Die Ur-
sachen dieser Entartung sind die senilen Verän-
derungen des Gewebes zusammen mit dem Einflüsse
äusserer Schädlichkeiten. Dieselben Bedingungen
führen auch in der Hornhaut zu ähnlicher hyaliner
Entartung (Arcus senilis, gürtelförmige Hornhaut-
trübung, gelbe Flecken in Hornhautnarben). Eine
andere wichtige Veränderung der Bindehaut an der
Stelle der Pinguecula besteht in der ausserordent-
lichen Vermehrung und Vergrösserung der elasti-
schen Fasern, für welche ich aber keine Analogie,
sei es im Auge, sei es an anderen Organen anzu-
bringen vermag.
Erklärung der Zeichnungen.
Tafel rv und V.
Fig. 1. Yergr. 1:3. Scieralbindehaut mit Pinguecula, ab-
pr&parirt und ausgebreitet. Es befindet sich eine grössere
Pinguecula an der inneren, eine kleinere an der äusseren Seite
der Hornhaut, welche am unteren Homhautrande zusammen-
hängen. Bei a einige isolirte, scharf begrenzte L&ppchen, aus
hyalinem Bindegewebe bestehend.
Fig. 2. Yergr. 1:280. Amorphe hyaline Substanz, a in feinen,
staubartigen Partikelchen, h in etwas grösseren Körnchen, e
zu Schollen zusammengebacken auf den Bindegewebsfasern
d liegend.
Fig. 3. Vergr. 1 :2ö0. a kleine Schollen hyaliner Substanz, h und
c junge Concremente, welche noch deutlich die Zusammen-
setzung ans einzelnen Schollen erkennen lassen, d ein grösse-
res und älteres Goncrement.
Fig. 4. Yergr. 1 : 500. Arcus senilis, a Homhautepithel, an einer
Stelle zwischen den untersten Zellen ein Goncrement ein-
schliessend, h h^ Bowman'sche Membran, welche bei h von
grösseren Concrementen an ihrer hinteren Fläche usurirt ist,
190 £. Fuchs.
bei bj in Folge der Gegenwart feiner Ck>ncremente wie be*
staubt aussieht, cc Stroma der Hornhaut, d ein awischen den
Homhautlamellen liegendes Goncrement
Fig. 5. Yergr. 1:350. Hyalin degenerirte Bindegewebsfasern
aus dem subconjunctivalen Bindegewebe.- a Bindegewebsfasern
im Beginne der Verdickung &, c stark verdickte, hyaline Fa-
sern, S förmig zusammengelegt; bei b körnige Trübung der
hyalinen Substanz, d Endothelh&utchen mit Kernen.
Fig. 6. Yergr. 1:42. Läppchen» hyalinen Bindegewebes, im
lockeren subcoigunctivalen Bindegewebe gelegen. Die grösse-
ren L&ppchen sind aus mehreren kleinen zusammengesetzt,
z. Bl das L&ppchen a aus zwei kleineren. Bei b sieht man
das die L&ppchen umhüllende Endothelh&utchen, welches bei
c auf den Stiel des L&ppchens übergeht. Bei d zeig^ die
an der Peripherie des L&ppchens gelegenen Bindegewebs-
fasern concentrische Lagerung, e gemeinschaftlicher Stil der
L&ppchen.
Fig. 7. Yergr. 1:450. Hyalin, entarte te Scleralfasern.
a Meridionale Scleralfasern, b quer geschnittene, circul&re Scle-
ralfasern, c beginnende hyaline Degeneration derselben, d grös-
sere hyaline Scholle.
Fig. 8. Yergr. 1:300. Elastische Fasern in der Bindehaut; a
mehrere bereits etwas verdickte Fasern parallel verlaufend.
Fig. 9. Yergr. 1:300. L&ppchen, aus elastischen Fasern
bestehend. Auf der einen Seite hat das L&ppchen seine
natürliche scharfe Begrenzung, auf der anderen ist das Faser-
gewirre durch Zerzupfen aufgelöst
Fig. 10. Yergr. 1:300. L&ppchen, aus dickeren elastischen
Fasern von ziemlich gleichem Galiber bestehend.
Fig. 11. 1:300. Yerdickte elastische Fasern, in ZerÜEill be-
griffen, a a Fasern, welche wie angenagt aussehen, b b Fa-
sern, welche aus einem, stark tingirten, centralen Strange und
aus einer schw&cher gefärbten mantelartigen Hülle bestehen,
€ g&nzlich zerfallene Fasern.
Fig. 12. Yergr. 1:560. Grosse elastische Faser mit L&ngs-
streifung.
Fig. 13. Yergr. 1 : 500. Elastische Fasern in der Sclera.
aaa spiralig gewundene Fasern, b sehr verdickte und hyalin
entartete Faser, welche an dem einen Ende in einzelne Bruch-
stücke e zerfällt.
Zar Anatomie der Plnguecala. igi
Fig. 14. Yergr. 1:120. Meridionaler Schnitt darch eine Pin-
guecula. JE Epithel der Bindehaut, B Bindehaut, Ep Epi-
sclerales Bindegewehe, S Sclera, E^ Epithel der Cornea,
C Cornea. 1 Epithel, 2 verdichtete Bindehaut, 3 L&ppchen
der Pinguecula, 4 hyaline Bindegewehsfasem, 5 lockeres sub-
conjunctivales Gewebe, 6 episclerales Gewebe mit elastischen
Fasern, 7 elastische Fasern in der Sclera. — Bei a Faltung
der Bindehautoberfl&che, durch das Epithel ausgeglichen,
unter b kleine Concremente, unter c ein grösseres, unter d
ein halbmondförmiges Concrement, welches neben sich ein
offenes Lumen hat, e Uebergang der Bindehaut in die obersten
Lagen der Hornhaut, f grosse elastische Fasern,. theil weise
zerfallen.
Fig« 15. Yergr. 1:300. Epithel in den Einsenkungen der Ober-
fläche der Pinguecula, a niedrige Basalzellen, h mittlere poly-
gonale Zellen, c oberste cubische Zellen.
Fig. 16. Yergr. 1:300. Epithel auf den Erhebungen der Ober-
fläche der Pinguecula.
Beiträge zur Entstehnngsgescliichte
der angeborenen Missbildongen des Anges.
Von
Dr. 6. Rindfleisch,
Assistenzarzt an der Unlversit&ts-Augenklinik zu Heidelberg.
Hierzu Tafel VI— VUI und 4 Figuren im Text,
I.
Ein Fall von beiderseitigem Idkrophthalmos mit
oystisoher Eotasia posterior«
Die Frage nach der Entstehung des Mikrophthalmus
hat durch eine Reihe hervorragender Arbeiten besonders
in der neuesten Zeit eine wesentliche Förderung erfahren,
jedoch geht aus der noch immer herrschenden Verschieden-
heit ihrer Beantwortung immittelbar hervor, dass sie noch
keineswegs als endgültig gelöst zu betrachten ist. Auch
wenn wir darauf verzichten, für den uncomplicirten Mi-
krophthalmus, der ja in mehreren Fällen sicher beob-
achtet, aber von den Autoren selbst gar nicht oder doch
nur unbefriedigend gedeutet worden ist (Anm. ^ — *) eine
{}) Falchi (Mikroft. congenito: Annali di OtUlmoL XIII. S. 213),
beschreibt einen Mikrophthalmus ohne Colobom und knüpft daran
die auffallende Behauptung: „Che il maggior numero di mikrof-
talmo congenito fu osservato senza presentare coloboma della coroi-
dea e dell* iride, della retina e del nervo ottico." — Eine befrie-
digende Erklärung für das Zustandekommen solcher Fälle giebt er
nicht.
Beitr. z. EnUtehongsgesch. der angeb. MUsbildungen des Auges. 193
Erklärung zu suchen, so stösst die Erforschung der ge-
wöhnlichen Formen von Zwergbildung des Auges, d. h.
derjenigen, welche mit Colobom bezw. hinterer Ectasie ge-
ringeren oder höheren Grades verbunden sind, noch immer
auf manches Räthselhafte. Es dürfte daher ein neuer Fall
von beiderseitigem Mikrophthalmus um so mehr das Inter-
esse der Fachgenossen verdienen, als derselbe nicht nur
einem verhältnissmässig jungen menschlichen Fötus ent-
stammt, und mit einem ungewöhnlich hohen Grade und
einer seltenen Form von Ectasia posterior complicirt ist,
sondern auch bezüglich seiner Entstehungsweise auf ein bis
jetzt noch wenig berücksichtigtes Moment zurückge-
führt werden muss.
Ich verdanke das vorliegende Object der Güte meines
Onkels, des Professors E. Bindfleisch za Würzbarg, welcher
zufällig Gelegenheit hatte, einen in vielfacher Hinsicht höchst
eigentbümlichen Foetns zu erlangen, dessen übrige ausführliche
Beschreibung er sich vorbehalten hat, während er mir die Un-
tersuchung der Augen überliess. Soweit das Sectionsprotocoll
für den Oculisten von speciellem Interesse ist, soweit es also
den Kopf betrifft^ sei es hier in Kürze vorausgeschickt:
„Der Umfang des fast kugligen Kopfes betrug 41 cm.
doch fand sich ein Erguss von Blut zwischen Haut und Galea,
Der Umfang des Schädels betrug nur 32 cm. Die Entwicke-
(*) C. Hess (Zur Pathogenese des Mikrophthalmus: dieses Arch.
XXXIV, 3, S. 147), welcher die erste genauere histologische Be-
schreibung eines reinen Falles von Mikrophthalmus giebt, sagt be-
züglich der Genese desselben: „Für eine Erklärung fehlt uns vor
der Hand jeder Anhaltspunkt.'*
(') Fr. Martin (Ueber Mikrophthalmus: Inaug.-Diss. Erlangen
1888), meint im Anschluss an die Beschreibung zweier wohlgebildeter
Augen, welche nur durch ihre Kleinheit abnorm waren, man müsse
für solche Fälle eine „verminderte Bildungsenergie'* annehmen, und
(^) W. V. Grolman (Ueb. Mikrophthahnus und Cataracta conge-
nita vasculosa: dieses Archiv XXXY, 3, S. 187) gesteht zu, dass für
seinen Bulbus, welcher gleichfalls einen Mikrophthalmus ohne Colo-
bom repr&sentirt, „die Frage, ob ein Entzündungsproduct oder eine
Hemmung$bildung vorliegt, nicht mit Sicherheit zu entscheiden ist."
T. Onefe's Archiv Ar Ophthalmologie. XXXVII. 3. 13
194 G. Rindfleisch.
lang des Gehirns erwies sich in allen Theilen durch eine hy-
drocephalische Flüssigkeitsansammlang gestört, welche sich am
Yentrikelsjstem und durch den grossen Hirnspalt einen Weg
an die äussere Oberfläche der Hemisphären gebahnt und das
Kleinhirn in eine hühnereigrosse Blase verwandelt hat. Wäh-
rend nun die letztere sich mit ihrer Oberfläche innig an die
Schädelkapsel anlegte, erschienen die Hemisphären des Gehirns
durch einen subarachnoidalen Flüssigkeitserguss von der Schä-
delfläche abgedrängt. Zu dem Hydrocephalus internus hatte
sich also ein Hydrocephalus externus gesellt. Durch diese Cu-
mulation centrifrugaler Druckkräfte ist der Schädel aufs stärkste
ausgedehnt. Die Ossification hat zwar an den normalen Ossi-
flcationspunkten begonnen, ist aber überall weit im Rückstande
geblieben.
Alle Unebenheiten der Schädelbasis: Sattellehne, Kanten
der Keilbeinflügel sind durch den abnormen Druck des Schä-
delinneren fast nivellirt. Die Orbitaldecken sind nicht
convex nach oben, sondern leicht concav nach unten
gebogen; kurz, der ganze Schädelraum strebt der Form einer
inwendig glatten Kugel zu, so dass über den Bestand eines
mächtigen Binnendruckes als einzige Ursache der ganzen Yei^
änderung kein Zweifel bestehen kann/^
Da der 6 — 7 Monate alte Foetus vor der künstlich
eingeleiteten Geburt nach Angabe der Mutter bereits drei
Wochen keine Lebenszeichen von sich gegeben hatte und
sein Aussehen nach der Entbindung ein längeres Verweilen
in Utero in leblosem Zustande bestätigte, liessen die fei-
neren histologischen Details der mikroskopischen Präparate
des Auges naturgemäss manches zu wünschen übrig. Immer-
hin konnte alles Wesentliche der merkwürdigen keratolo-
gischen Bildung genügend klar zur Anschauung gebracht
werden.
In situ fiel am Foetus, der vom Scheitel bis zum Steiss-
bein 35 cm maass, zunächst die Enge der Lidspalten auf.
Die Länge derselben betrug 9 mm, nach beiden temporalen
Seiten hin setzten sie sich in eine Hautfalte fort, welche,
genau horizontal ziehend, das Gebiet des ausgedehnten Hirn-
schädels von dem des Gesichtsschädels trennte. Die Lider,
fieitr. z. Entstehangsgesch. der angeb. Missbildangen des Auges. 195
welche, von aussen gesehen, tief eingezogen waren, kenn-
zeichneten sich, von der Innenseite betrachtet, als zwei
schmale, quere Leisten. Die vorderen Lidränder, sowohl
die oberen, als die unteren trugen je eine Reihe feiner Ci-
Uen; auch waren die Augenbrauen bereits angedeutet. Durch
ausgiebiges Auseinanderziehen der nur leicht verklebten
Lidränder konnte man links den weit in der Orbita zurück-
gelegenen sehr kleinen Augapfel gewahren; der Inhalt der
rechten Orbita war, als ich den Foetus zu Gesicht bekam,
bereits in toto herausgenommen und zur Herstellung eini-
ger wohlgelungener Horizontalschnitte verwendet worden.
Das linke Orbitaldach, welches, wie schon oben erwähnt,
leicht convex in die Augenhöhle hineinragte, trug ich ab:
Eis maass vom Foramen opticum bis zur vorderen Kante
ca. 20 mm, die Orbita war hier 12 mm breit und 9,5 mm
hoch.
Die rechte Augenhöhle bot dieselben Form- und Grös-
senverhältnisse dar.
Nach Herausnahme des ganzen Orbitalinhaltes, liess
sich eine gute Ausbildung der gesammten Augenmuskulatur
nachweisen. Zur genaueren Betrachtung der Form des Bul-
bus befreite ich ihn von sämmtlichen Adnexis und härtete
ihn so in allmälig verstärktem Alkohol, zumal mir über
die histologische Structur der Muskeln und des peribulbäreu
Gewebes die vom anderen Auge vorliegenden Schnitte ge-
nügenden Aufschluss zu geben geeignet waren.
Das so frei präparirte Gebilde — abgesehen von einem
längeren Stück des Sehnerven ^ misst in der längsten
sagittalen Axe 14 mm, in seiner grössten queren Axe 11mm,
der grösste verticale Durchmesser beträgt 8 mm. — Es
lassen sich an ihm zwei Anschwellungen unterscheiden, deren
vordere als der eigentliche Augapfel, deren hintere als ein
Anhängsel dieses imponirt (vergl. Fig. la).
Von der nasalen Seite aus betrachtet, kann man deut-
lich die Grenzen des Anhangsgebildes nach oben hin ver-
13*
196 G. Rindfleisch.
folgen, indem von ihm hier die Fortsetzung des Sehnerven
nach dem Bulbus zu durch eine seichte Furche getrennt
ist (vergl. Fig. 1 a bei f). An der gegenüberli^enden, also
temporalen Seite ist diese Furche kaum angedeutet Die
obere Seite des Bulbus ist vom Sehnerven bis zum Forniz
conjunctivae hin abgeflacht bezw. leicht concav; auch die
untere Fläche ist nur ganz flach gewölbt, während die bei-
den Seitentheile sehr stark convex herausgekrümmt sind,
so dass das ganze Gebilde etwa die Form einer in der
Richtung von oben nach unten zusammengedrückten Birne
wiedergiebt *).
Ueber die gröbere Zusammensetzung des Augeninneren
giebt ein durch den grössten verticalen Meridian gelegter
Halbirungsschnitt, welcher den Sehnerven — da dieser etwas
nach innen von der grössten sagittalen Längsaxe abweicht
— nur am Rande gestreift hat (vergl. Fig. 2, Vergr. 4:1)
Aufschluss. Die oben leicht concav begrenzte Sclera ist
vom (bei a) staphylomähnlich hervorgebuchtet und fällt auf
der Vorderseite des Bulbus steil und etwas nach hinten
geneigt gegen die Cornea ab. Die Dicke der Sclera be-
trägt auf ihrer horizontalen Strecke 0,7 mm, im Bereiche
der Ectasie hingegen nur 0,4 — 0,6 mm. Auf der Unterfläche
des Bulbus ist die Lederhaut mehr bestrebt, diesem eine
kugelige Gestalt zu verleihen, doch schliesst sie ihn nicht
vollständig ab, sondern lässt in seiner Hinterwand eine
weite Lücke frei, durch welche eine offene Communication
des Augapfels mit einem hinter ihm liegenden Räume her-
gestellt wird. Die äusseret Schichten des unteren Sderal-
theils weichen (bei b) von dem aufsteigenden Scleralbogen
^) Es scheint mir nicht überflüssig zu bemerken, dass die be-
schriebene Einziehung nach der Form, in welcher sie beim Pr&pa-
riren des Bulbus hervortrat, nicht das Product einer nachtr&glichen
Schrumpfung durch Alkohol vorstellen kann, wie überhaupt eine
erhebliche alkoholische Schrumpfung am Bulbus mit Sicherheit aus-
zuschliessen war.
Beitr. z. EntstehmigsgeBch. der angeb. Missbilduogen des Auges. 197
ab, um sackartig jenen retrobulbären Raum zu umschlies«
sen, welcher auf der Schnittfläche eine si^ittale Ausdeh-
nung von ca. 6 mm, vorn eine Höhe von 3 mm aufweist, wäh-
rend er sich nach hinten zu verjüngt, bis er blasenartig
unter dem Sehnerven (bei c) endet Nach vom zu bildet
er unten noch einen niedrigen Nebenraum, mit mehreren
Ausbuchtungen, welcher von dem aufsteigenden Scleralbogen
und den sich abzweigenden äusseren Schichten der Leder-
haut begrenzt wird. Sowohl der eigentliche Bulbus, als
auch die Cyste sind mit Netzhaut erfüllt« Die von der
Gystenwand umschlossene Netzhaut stellt eine Aussackung
der secundären Augenblase nach hinten und unten dar.
Die hier vorliegenden Cystenbildungeu bei Mikrophthalmie,
welche von van Dayse(^) mit dem Namen „Colobome enkyst^"
und „Kyste colobomatenx^' belegt wurden, sind nicht all zu
selten zur Beobachtung gekommen, wenn auch nur spärliches
histologisches Material darüber vorliegt. £wetzky(^) hat allein
21 FäUe von „Colobomcysten^^ zusammengestellt und bringt
ebenso, wie nach ihm H. Virchow(^), Lang(®), Rubinski(^)
und C. HessC*^), weitere Mittheilungen hierüber. Besonders
möchte ich an dieser Stelle den von C. Hess neuerdings bei
einem mit Mikrophthalmus behafteten Kaninchen beobachteten
Fall hervorheben, weil er — abgesehen von einer etwas aus-
gedehnteren ColobombilduDg im vorderen Bulbusabschnitte —
in mancher Beziehung eine auffallende Uebereinstimmung mit
(*) Van Duyse, Cryptophthalmos 1889.
{^) Ewetzky, Beitrag zur Kenntniss der Colobomcysten. Inaug.«
Dlssert. Dorpat 1886.
C) H. Yircbow, Ein Fall von angeborenem Hydrocephalus in-
ternus zugleich ein Beitrag zur Mikrocephalenfrage : Aus der Fest*
Schrift für A. v. Kölliker. Leipzig 1887.
(") W. Lang, The Royal London Ophthalmie Hospital Reports.
Vol. XII. Part IV. 1889.
\^^ Rubinski, Beitrag zur Lehre von den aDgeborenen Cysten
des unteren Augenlides mit Mikrophthalmus (Colobomcysten). Inang.-
Dissert. Königsberg 1890.
<'®) C. Hess, Weitere Untersuchungen über angeborene Missbil-
dungen des Auges: dieses Archiv XXXII, 1, S. 135.
198 G. Rindfleisch.
den meinigen bietet. Auch hier befindet sich am hinteren, un-
teren Bulbusabschnitte eine ausgedehnte Ectasie. „Die Grenze
zwischen der ectatischen hinteren und der vorderen Bulbus-
partie wird durch eine seichte etwas hinter dem Aequator
rings um das Auge zu verfolgende Furche angedeutet Der
grösste Theil der Ectasie liegt direct nach unten vom Sehner-
ven. Die Länge des Auges von der Cornea bis zum Scheitel
der Ausbuchtung gemessen, beträgt 19 mm, davon entfallen 9
auf die ectatische Partie. Auch hier zeigt sich nach Eröff*
nung des Auges im horizontalen Meridian, dass die Ausdeh-
nung am hinteren Pole im Wesentlichen gebildet ist durch
eine cjstenartige Höhle, welche in der Sclera gele-
gen ist und nur durch eine kleine kreisrunde Oeff-
nung mit dem Bulbusinneren in Verbindung steht
Einen so ausgesprochenen Fall von blasenartiger Hervor-
treibung der Netzhaut in der ganzen Ausdehnung der Scleral-
ectasie wie den meinigen, vermag ich hingegen in der oculisti-
schen Literatur bis jetzt nicht zu finden. Ob die von Arlt(^^)
und Wal Im an nC^*) beobachteten Divertikelbildungen der Netz-
^haut hierhergehörig sind, möchte ich unentschieden lassen. Man
kann jedoch den von Kundrat(^^) im Jahre 1855 in der K.
K. Gesellschaft der Wiener Aerzte demonstrirten Fall von bei-
derseitigem Mikrophthalmus mit einer grossen und mehreren
kleinen Cysten als geringeren Grad des von mir beobach-
teten Falles auffassen, denn am linken Auge ragte auch hier
in eine kleine Cyste unterhalb des Sehnerveneintrittes gefal-
tete Retina hinein. — Auch bietet eine gewisse Aehnlichkeit
mit meinem Falle der von G. Hess (') beschriebene Mikroph-
thalmus mit Einwucherung der Netzhaut in eine zwischen der
Gegend des Opticus und der nach hinten dislocirten Linse be-
findliche „ampuUenförmige Yorbuchtung der Sclera'*.
Anlangend die übrigen Theile des Bulbus lässt sich
schon makroskopisch die Cornea durch ihre blaugraue Farbe
von der Sclera diflferenziren. Die Linse weist eine beträcht-
liche relative Grösse auf. Ihre Breite beträgt 4,75 mm, ihre
(") V. Arlt, Die Krankheiten des Auges. Bd. II. S. 219.
(<*) Wallmann, Zeitschr. der Gesellschaft der Wiener Aerzte.
1858. S. 445.
(>*) Kundrat, Wiener medlc. Presse, Nr. 6, Nr. 51 n. 52 citirt
nach dem Jahresbericht aber die Leistungen etc. Jahrg. 1885.
Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. Missbildungen des Auges. 199
Dicke 4 mm; man kann an ihr einen dunkelbraunen Kern
und eine graue Binde — letztere etwa 0,4 mm dick» —
unterscheiden (vergl. Fig. 2). Die vordere Kammer ist aus-
gebildet, aber seicht. Vorn über der Linse hat sich durch
die erwähnte Vorwölbung der Sclera ein Hohlraum gebil-
det, dessen Wandung Yon Aderhaut ausgekleidet ist; letz-
tere hat sich aber an der Stelle der stärksten Krümmung
etwas abgehoben, lieber den Verlauf des Sehnervenstran-
ges giebt der betreffende Durchschnitt noch keinen genü-
genden Aufschluss, dodi lässt das continuirliche Uebergehen
der Cyste in die äussere Umhüllung des Opticus vermuthen,
dass dieselbe an der Bildung ihrer Wand nicht unbethei-
ligt ist
Von beiden Bulbushälften wurden nach weiterer Här-
tung in absolutem Alkohol und Einbettung in Celloidin yer-
ticale Meridionalschnitte paraUel der beschriebenen Schnitt-
fläche angelegt und eine fortlaufende Serie nach Färbung
Yomehmlich mit Eosin -Hämotoxylin der mikroskopischen
Betrachtung unterworfen.
Die histologische Structur der Bindehaut bietet nichts
Bemerkenswerthes. Die etwas stark gewölbte Hornhaut
zeigt im Centrum einen Dickendurchmesser von genau 1 mm,
um nach der Peripherie hin dünner zu werden; ihre Höhe
beträgt etwa 3,5 mm, ihre Breite 4 mm. Das Epithel be-
steht nirgends aus mehr als drei übereinander liegenden
Zellschichten; an den meisten Stellen findet sich sogar nur
eine einzige Lage cubischer Zellen, welche von einem nie-
drigen Pflasterepithel überzogen ist. Die Schichten der
Grundsubstanz zeigen in der oberen Hornhauthälfte auf
dem Durchschnitt einen mehr welligen, in der unteren einen
gestreckteren Verlauf. Die Dicke der bereits hervortreten-
den Descemet'schen Haut mit ihrem Epithelbelage schätze
ich auf 2 — Sfi, Die Lfederhaut ist in der oberen Bulbus-
wand stärker entwickelt, als in der unteren. Ihr Bau ist
im Allgemeinen, abgesehen von starkem Kernreichthum, ein
200 0. Rindfleisch.
normaler zu nennen. In dem ectatischen Gebiete sind ihre
inneren Lamellen gelockert und gefältelt (vgl. Fig. 3 bei 1),
während sie auf der Höhe der Convexität straff gespannt
erscheinen. An dieser Stelle ist die Aderhaut, welche im
Uebrigen der inneren Scleralwand dicht anliegt, derselben
nicht gefolgt, sondern hat sich von ihr abgehoben. Das
die Lücke zwischen beiden Häuten ausfüllende Gewebe
setzt sich aus netzartig verzweigten Fasern mit zahlreichen
Kernen zusammen und repräsentirt die auseinander gezo-
gene Suprachorioidea (vergl. Fig. 3 bei m).
Nach hinten setzt sich das seiende Bulbusdach, ohne
seine Structur auffallend zu ändern, in. die Duralscheide
des Opticus fort. Bis zur Mitte ihrer sagittalen Ausdeh-
nung verlaufen die Sderallamellen in stark welliger Rich-
tung, während sie weiter nach hinten zu mehr gerade ge-
richtet sind. Die den Boden des Bulbus bildende Sclera
zeigt einen gleichniässigeren lamellären Bau. Der Kem-
reichthum der Sclera ist allenthalben gleich stark ausge-
sprochen. Durch Vergleichung der Serienschnitte ergiebt
sich, dass die Oeffnung in der Hinterwand des Bulbus um
weniges nach innen von seiner sagittalen Mittelaxe begin-
nend, hauptsächlich in der temporalen Hälfte liegt und
nach dieser Seite hin von 2 bis zu 4 mm an Höhe zunimmt^
indem der aufsteigende Scleralbogen an der nasalen Seite
ein viel höherer ist als an der temporalen (vgl. Fig. 3 bei e
und 4 bei c). Die quere Weite der ganzen Oeffnung beträgt
ca. 3 mm. Die oberflächlichsten Lamellen des Scleralbo-
dens, welche von dem aufsteigenden Scleralbogen abzwei-
gend in sagittaler Richtung weiter ziehen, um zur Bildung
der Wand des retrobulbären Raumes beizutragen, sollen
weiter unten Erwähnung finden. Die vordere Kammer ist
flach, aber vollkommen ausgebildet^).
^) In Figur 3 erscheint sie durch leichtes Yerschobensein der
Linse nach hinten etwas tiefer, als sie vermuthlich vor der Pr&pa-
ration war.
Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. Missbildungen des Auges. 201
Die Iris stellt einen allseitig geschlossenen Ringwulst
von OTalem Querschnitt dar. Eine Golobombildung ist dem-
nach mit Sicherheit auszuschliessen. Die Breite des Ringes,
welcher nach unten und aussen etwas geringere Entwicke-
lung erüediren hat> als an den anderen Seiten, schwankt
zwischen 0,3 und 0,4 mm. Die Iris dürfte also als in ihrer
Ausbildung zurückgeblieben zu bezeichnen sein; die pigmen*
tirte und unpigmentirte Schichte ist etwa von gleicher Stärke.
Ein Sphincter ist noch nicht nachweisbar. Die Pupillar-
membran ist auf einzelnen Schnitten angedeutet, doch scheint
sie vom nicht geschlossen zu sein. Das Corpus ciliare bie-
tet eine kräftige Muskulatur und auffallenden Kernreich-
thum. Die Cüiarfortsätze sind stark ausgebildet, sehr lang
und blutreich. Sie zeigen eine ausgeprägte Verlaufsrich-
tung nach dem Innern des Bulbus zu. Die ziemlich gefäss-
reiche Aderhaut reicht oben und seitlich bis zur Gegend
der hinteren Oeffnung in normaler Ausbildung; weiter nach
hinten zu, also iin Gebiete des retrobulbären Raumes, geht
sie ganz allmälig in eine gefässhaltige innere Schicht der
Sdera über (vergl. Fig. 3 bei n). Am Boden des Bulbus
findet sich lateral von der Mitte ein deutlich hervortreten-
des Golobom dieser Membran (vergl. Fig. 4 bei b, schema-
tisch), welches von emporsteigenden Gefässchen und locke-
rem Mesodermgewebe ausgefüllt ist. Dieses Golobom er-
streckt sich nach vom bis gegen den Giliarkörper, ohne
dass dieser sich an der Spaltbildung betheiligt. Uebrigens
enthält die Aderhaut schon einige leicht pigmentirte Stern-
zellen. Eine Suprachorioidea (vgl. Fig. 3 bei p) tritt au der
unteren Bulbushälfte mehr als an der oberen hervor. Eine
Glaslamelle ist überall nachweisbar, wenn auch strecken-
weise nur schwach angedeutet.
Die vollkommen normal entwickelte Linse zeigt in der
Gegend des hinteren Pols eine Schicht ovoider, heller bläs-
chenförmiger Gebilde, welche ich um so mehr auf catarac-
töse bezw. cadaveröse Ursachen zurückführen möchte, als
202 Gt. Kindfleisch.
sich hier und da am hinteren Pole Continuitätstrennnngen
der Linsenoberfläche Yorfindcn. Die Linse ist bis auf ihre
Vorderfläche von der gefässhaltigen Kapsel umschlossen.
Das äussere Blatt der secundären Augenblase erstreckt sich,
abgesehen vom Colobomgebiete, wo es ToUkommen fehlt,
unten bis an die Baibusöffnung heran als wohlausgebildetes
Pigmentepithel. Oben lässt sich dasselbe, wenn auch nicht
mehr in der gleichen Ausbildung wie innerhalb des eigent-
lichen Bulbus, noch bis zum Eintritt des Sehnerven hin
(vergl. Fig. 3 bei b) yerfolgen. Es ist hier in der Gegend
der stärksten Einsenkung des Scleraldaches streckenweise
durch ein seröses Exsudat abgehoben (vergL Fig. 3 bei a).
— Unten verliert es von der Kante des aufsteigenden Scle-
ralbogens ab (vergl. Fig. 3 bei e) sein Pigment, doch sind
die constituirenden Elemente des äusseren Augenblasenblat-
tes auch hier noch bis zum Sehnerven verfolgbar, wenn si»
auch auf diesem Wege erhebliche Veränderungen erfahren
haben. Das innere Blatt der secundären Augenblase —
also die Netzhaut im engeren Sinne — hat sich fast voll*
kommen vom Pigmcntblatte abgehoben und gefaltet. Sie
steht mit diesem nur am Sehnerveneintritt (vergl. Fig. 3
bei b und b*) und am Ciliarkörper ^) in Verbindung. Oben
ist die vorderste Strecke der Netzhaut mit der gefässhalti-
gen Linsenkapsel verklebt und zieht auf dieser entlang bis
in die Gegend des hinteren Linsenpols, wo sie am Ansätze
der Centralarterienverzweigung (vgl. Fig. 3 bei d) umbiegt,
um von da zum Sehnerven hinzuziehen. Der untere Theil
der Retina liegt der Linsenkapsel weniger dicht an, dage-
gen werden von ihm vorwiegend die zahlreichen Falten und
Fältchen geliefeit, welche das Bulbusinnere fast vollkommen
^) Am Pr¶t war durch die erw&hnte YerschiebuDg der Linse
Dach hinten der Ansatz der Retina am Cillarkörper abgerissen, doch
konnte die Ansatzstelle (vergL Fig. 3 bei c und c') mikroskopisch
sicher nachgewiesen werden; deshalb wurde in Figur 3 diese Ter-
bindang durch Punktlinien angedeutet.
Beitr. z. Entstehangsgesch. der angeb. Mifisbildangen des Auges. 203
ausfüllen (yergl. auch Fig. 2). Dächte man sich diese Fal-
tungen ausgeglichen, so vrürde die Netzhaut eines weit
grösseren Bulbus bedürfen, um in ihm eine normale Lage
annehmen zu können. Gentralwärts zieht die Netzhaut über
den Rand des aufsteigenden Scleralbogens hinweg, um in
der nasalen Hälfte des Bulbus sich direct dem Sehnerven-
eintritt zuzuwenden, während sie sich in der temporalen
Hälfte in ihrer hintersten Strecke gegen den Boden des
retrobulbären Raumes hinabsenkt.
Histologisch hat die intrabulbäre Netzhaut, welche
durchschnittlich eine Dicke von 0,2 mm besitzt, bereits einen
hohen Grad der Ausbildung erlangt. Man erkennt an ihr
Ton innen nach aussen betrachtet:
1) Eine Membrana limitans interna, oder vielmehr eine
scharfe lineare Abgrenzung;
2) eine helle Schicht, welche die kegelförmigen Enden
der Stützfasem mit einzelnen dazwischen gelagerten Ker-
nen und darüber in einem reticulären Fasergewebe eine
einfache Reihe grösserer Kerne enthält;
3) zwei deutliche Kömerschichten, durch eine helle
Zwischenkömerschicht getrennt;
4) eine Membrana limitans externa und
5) jenseit derselben in Zerfall begriffene Stäbchen und
Zapfen, ein Zustand, der jedenfalls als cadaveröser aufzu-
fassen ist, da der Fötus längere Zeit vor der Geburt abge-
storben war.
Der von der abgelösten Netzhaut umschlossene Binnen-
raum enthält wenig Glaskörpersubstanz. Vom hinteren
Linsenpole zieht centralwärts ein strangartiges aus äusserst
feinen Fibrillen bestehendes Gebilde, mit zahlreichen Zell-
kernen, welches in seiner Axe die Arteria centralis retinae
(vergL Fig. 3 bei d) birgt, die sich hier verzweigt.
Eine höchst eigenthümliche Zusammensetzung bietet
der retrobulbäre Raum, welcher seinem Aussehen nach eine
gewisse Aehnlichkeit mit der in der Pathologie als „Hernie"
204 6. BindfleiBclL
bezeichneten Erscheinung bietet, wenn sich auch bei Be-
rücksichtigang des Umstandes» dass sich im Torliegenden
Falle streng genommen keine präformirte oder neugeschaf«
fene Lücke in der Bolboswand (welche den Inhalt heraustre-
ten liess) TorfSEUidy dieser Vergleich nicht nach allen Rieh«
tungen hin durchfuhren lässt Die „Bruchpforte'' wird
Tom vom unteren Rand der Gommunicationsöffiiung zwi-
schen Bulbus und retrobulbären Raum (vgl. Fig. 3 bei e) seit-
lich Ton einer ins Innere des Raumes vorspringenden hori-
zontalen Falte der Sdera (yergl. Fig. la), hinten von einer
ähnlichen Einziehung des Sderalgewebes unter dem Seh-
nerveneintritt (vergL Fig. 3 bei b^) b^renzt. Der ^»Bruch-
sack" wird theils Ton einem nach innen zu straff gespann-
ten, aussen mehr oder weniger lockeren mesodermalen Ge-
webe gebildet (vgL Fig. von 3f bis f ^), theils von dem mehr-
fach erwähnten aufsteigenden hinteren Sderalbogen. Den
„Bruchiuhalf' repräsentirt eine blasenartige Ausstülpung
der secundären Augenblase dicht an der Eintrittsstelle des
Sehnerven. Diese Ausstülpung ist vorwiegend in temporal-
und abwärtsfuhrender Richtung erfolgt, so dass ein an ihrem
Beginne vertical angelegter Sagittalschnitt noch ein gutes
Stück ihrer medialen Wand von der Fläche trifft (vgl. Fig. 3
bei g). Nach vom zu bildet diese Netzhautblase mehrere
weit vorspringende Aussackungen bis gegen den Aequator
des eigentlichen Bulbus hin, welche von einander durch
einspringende bindegewebige Zapfen (vgl. Fig. 3 bei o^ o'o^)
getrennt werden; doch communiciren sie, wie eine Reihe
von Schnitten beweist (vergl. Fig. 4 bei a), nicht nur unter
sich, sondern auch mit dem Hauptraume des Bruchsackes.
Schon bei schwacher Vergrösserung lässt sich mit Leichtig-
keit constatiren, dass sich innerhalb des Bruchsackes das
innere Blatt der secundären Augenblase — die Netzhaut
(Figur 3 bei i) — vom äusseren Blatte, — dem Pigment-
epithelblatte (vergl. Figur 3 bei h) — , welch letzteres dem
Bruchsacke anliegt, auf eine weite Strecke abgehoben hat»
Beitr. z. Entstehongsgesch. der angeb. MissbildoDgen des Aages. 205
während beide Blätter sich vom am Beginn der kleineren
Ausstülpungen (vgl. Fig. 3 bei k) wiederum vereinigen, um
weiterhin ungetrennt in diese einzutreten.
Was nun die feineren histologischen Details dieses gan-
zen Gebietes anbetrifiFt, so sind diese in dem Theile, wel-
cher rückwärts von der vorderen Vereinigung beider Netz-
hautlamellen liegt, ziemlich einfacher Natur, während sie
nach vorn von dieser Stelle als äusserst vervnckelt bezeich-
net werden müssen. Der Opticus, welcher zuerst den binde-
gewebigen Augenstiel durchlaufen hatte und von diesem —
seiner Duralscheide — fest umschlossen wird, der aber nun
wegen der Ausstülpung der Augenblase dicht am proximalen
Ende scheibenförmig von oben in den retrobulbären Baum
eintritt (vgl. Fig. 3 bei g), besteht aus vielfach sich durch-
flechtenden Fasern mit ovalen meist quergestellten Kernen.
Deutliche Markscheiden Hessen sich mit Hilfe der Weigert-
scheu Methode nicht darin nachweisen. Ganz allmälig geht
das Sehnervengewebe auf die Netzhaut über, auch das Pig-
mentblatt zeigt da, wo es noch dem inneren Blatt anliegt
(vgl. Fig. 3 bei b^) keine scharfe Grenze gegen den Opticus
hin. Oben (vgl. Fig. 3 bei b) ist sein Anfang schärfer aus-
geprägt Dort wo die beiden Blätter von einander getrennt
liegen (Fig. 3 bei k bis b^), ist die Netzhaut nur 0,1 mm
dick, also etwa halb so dick, als die im Bulbus befindliche
und zeigt auch eine geringere Differenzirung als diese.
Immerhin lässt sich an ihrer Innenseite (vergL Fig. 5 mi)
eine Art Membrana limitans interna erkennen, auf welche
nach aussen hin zunächst eine hauptsächlich aus Stützfasem
und einzelnen Kernen bestehende Schicht (vergl. Fig. 5e)
folgt, weiterhin aber längliche Kemmassen (vgl. Fig. 5d)
hierauf solche von mehr rundlicher Gestalt (vgl. Fig. 5 c)
sich anschliessen; auch ist eine deutliche Membrana limi-
tans externa (vgl. Fig. 5me) mit aufgelag^ten körneligen
Massen — wohl Rudimente von Stäbchen und Zapfen —
nachweisbar. Das Pigmentepithelblatt bildet eine gleich-
206 O. Rindfleisch.
massige innere Auskleidung der aus lockerem kemreicben
Bindegewebe bestehenden Wand des Bruchsackes (Fig. 5f).
Es setzt sich aus mehreren Lagen grosser Epithelzellen zu-
8ammen> welche nach der Wandung zu länglich oval bis
spindelig gespaltet sind (vergl. Fig. 5 a), während sie nach
innen mehr cubisch und rundlich erscheinen (vgl. Fig. 5 b).
Stellenweise sind die Zellen stark pigmentirt oder es liegt
freies Pigment zwischen ihnen und zwar entsprechen solche
Stellen genau dem Verlaufe kleiner Gefasschen, welche im
Allgemeinen spärlich vorhanden, hier die Gystenwandung
durchziehen (vergl. Fig. 5 bei g).
Es ist eine solche Membran von der Mehrzahl der
Autoren in übereinstimmender Weise als innerer Ueberzug
von Golobomen, Colobomcysten u. s. w. geschildert, wenn
auch gewöhnlich anders gedeutet worden (siehe Anmerkgn.).
Eine Eigenthümlichkeit bietet jedoch das vorliegende Prä-
parat insofern, als hier die Zellenschicht nach aussen hin
in ihrer ganzen Ausdehnung durch eine deutliche homogene
Membran (vergl. Fig. 5 bei m) begrenzt wird. Wir haben
hier demnach eine „Glasmembram der Chorioidea'' vor uns,
ohne dass letztere auch nur im geringsten angedeutet wäre;
ein Umstand, welcher die Entstehung der Glasmembran aus
dem Pigmentepithel der Netzhaut wenigstens für unseren
Fall ausser Zweifel setzt.
Anm. So fand Stellwag v. Carion(^*) die innere Wand
der Scleralectasie bei Mikrophthalmus „von einem mehr weniger
aagenfölligen Ueberzug eines flockigen von sparsamem Pigment-
gehalt bald lichter bald dankeler braun gefärbten Gewebes^^ aus-
gekleidet
Nach HaaseC^^) bestand die Struetur der Membran, welche
die Innenseite eines Coloboms überzog, „ans Bindegewebsbttn-
deln, in denen einzelne lange spindelförmige Zellen, sowie Kerne
('*) Stellwag V. Gar ion, Die Ophthalmologie Yom naturwissen-
schaftlichen Standpunkte aus betrachtet. Bd. II, 1, S. 35. 1855.
('^) Haase, Zur patholog. Anatomie des Goloboma iridis etc.
Dieses Archiv XVI, S. 118. 1870.
Beitr. z. Entstehaogsgesch. der angeb. MisBbildangen des Aages. 207
und lymphkörperartige Zellen in grosser Anzahl vorhanden
sind. — Anch fand er „hier und da amorphe Pigmentmoleküle
in dem Gewebe eingebettet*\
Nach Manz(^^) zeigte das Häutchen, welches die Verbin-
dung zwischen den Colobomrändern übernimmt, aussen zunächst
eine dünne Schicht von fibrillärem Bindegewebe, dann folgte
Plattenepithel, theils mit Pigment, dann Blutgefilsse und end-
lich Netzhautfiragmente.
TalkoC^"^) fand in einer bei Mikrophthalmus bestehenden
— doch nach dem Verfasser mit diesem nicht zusammenhän-
genden — serösen Cyste unter dem unteren Augenlid die in-
nere Fläche mit gespitztem cylindrischem £pithelium
ausgekleidet, die Substanz der Wand bestand aus netzartigem
Bindegewebe.
Dor(^*) thut eines von Chandeloux untersuchten Falles
von Colobomcyste Erwähnung, welcher „a demontrö la pr^sence
d*un sarcome fasciculaire k cellules füsiformes d^velopp^ au
milieu du tissu cellulaire^
In dem von Kundrat(*^) in der Gesellschaft der Wiener
Aerzte demonstrirten Falle von beiderseitigem Mikrophthalmus
zeigte die Cyste aussen faseriges Gewebe, innen gliomatöse Aus-
kleidung.
Ausführliche histologische Untersuchungen der die Cysten-
wandungen zusammensetzenden Elemente liegen endlich von
Ewetzky(«), Lang(«), Rubinski (^) und C. He8s(^^) vor.
Nach Ewetzky besteht die Wand der Colobomcyste aus
einem scieralen und einem retinalen Theile. Nicht allein
ergiebt die Beschreibung und Zeichnung derselben vollkommen
analoge Verhältnisse, wie die von mir geschilderten, sondern
es geht auch aus den beigefügten Zeichnungen unzweideutig
hervor, dass eine ähnliche homogene Schicht zwischen beiden
vorhanden war, wie ich sie oben hervorhob und als Glasmem-
bran bezeichnete.
Lang fand die innere Wand einer ähnlichen Cyste mit
{}*) Manz, Anatomische Untersuchungen eines Coloboma iridis
et chonoideae: Zehenders klin. Monatsbl. f. A. XIV, S. 1. 1876.
(") Talko, Ein Fall von Mikrophthalmus mit angeborenen se-
rösen Cysten unter den Unteren Augenlidern: Zehender's klinische
MonatsbL f. A. 1877, S. 137.
(<") Dor, Revue gönärale d'Ophtalmologie 1882, S. 82.
208 0, Bindfleisch.
feinen sich verzweigenden Zellen mit zarten Fortsätzen ausge-
kleidet.
Rubinski unterscheidet auch an der Cystenwand eine
innere aus kemreichem Fasergewebe mit spindeligen langfase-
rige Ausläufer tragenden Zellen bestehende Schicht und eine
äussere faserige. Mehr als seine Beschreibungen haben seine
Abbildungen mit den meinigen Aehnlichkeit.
Schliesslich sei hier noch die kürzlich yon C. Hess (^^)
veröffentlichte Arbeit hervorgehoben. £r stellt darin vier Fälle
mit angeborener hinterer Ectasie verschiedenen Grades zusam-
men, die sich sämmtlich durch vollkommenes Fehlen der Cho-
rioidea im ectatischen Gebiete, durch allmäliges Aufhören des
äusseren Blattes der secundären Augenblase mit plötzlichem
Verlust des Pigmentes (wo solches vorhanden war) am Rande
des Goloboms und durch Ausgekleidetsein der £ctasie selbst
mit einer Membran charakterisiren, welche nach der Beschrei-
bung der meinigen ähnlich ist, doch wird sie vom Verfasser
als modificirte Netzhaut aufgefasst. Dagegen betrachtet H a a b ( ^ ^),
der ein Colobom von zwei retinalen Lamellen ausgekleidet fand,
die äussere, welche eine ähnliche Structur, wie die oben be-
schriebenen aufwies, als äusseres Blatt der secundären Augen-
blase, welches an den Bändern in das innere übergeht
Thalberg(*®), welcher ein Colobom von einem Kinde mit
Mikrophthalmus beschreibt, sagt bezüglich des Pigmentepithels:
„Es lässt sich im Colobom noch eine kleine Strecke weit als
einfache Lage pigmentirter Zellen verfolgen, geht dann durch
Theilung in eine mehrfache Schicht nicht pigmentirter etwas
kleinerer Zellen mit überwiegend ovalen Kernen über.^^ Auch
fand er am Colobomrande stellenweise „zwischen Pigmentepithel
und Sclera^' eine „der Bowman'schen gleiche Membran^^
Ich halte bei meinen Befanden einen Zweifel über die
Deutung der Auskleidungsmembran als äusseres Blatt der
secundären Augenblase für absolut ausgeschlossen.
Das Beschränktsein der Pigmentirung auf nur wenige
Stellen führe ich, wie gesagt, auf die geringe Zahl der Ge-
fässe in der Wand des Bruchsackes zurück.
('^ Ha ab, Beiträge zu den angeborenen Fehlem des Auges:
Dieses Archiv XXIV, 2, S. 257.
(■^ Thalberg, Zar pathol. Anatomie des Coloboma chorioideae
et iridis congenitum: Aixh. f Augenheük. XIII, 1, S. 81.
Eeitr. z. Entstehuagsgesch. der angeb. MissbildaDgen des Auges. 209
lu der vorderen Hälfte der Cyste — dem Gebiete
des mehrfach getheüten Rocessus — , sind die Verhältnisse
äusserst verwickelte. Mit Bestimmtheit lässt sich nur Fol-
gendes darüber sagen: Es finden sich hier 3 — 4 kleine
langgestreckte Hohlräume, welche nach hinten zu in einen
etwas grösseren (vergl. Fig. 4 bei a) und durch diesen in
den Hohlraum des Bruchsackes münden. Sämmtliche Hohl*
räume sind nach aussen von mesodermalem kemreichem Ge-
webe umschlossen, welches an einzelnen Stellen, besonders
an der Aussenseite des Bulbus, den Charakter des Scleral-
gewebes trägt, an anderen vielfach von Kömermassen durch-
setzt ist, welche offenbar der Netzhaut entstammen, an noch
anderen zahlreiche elastische Fasern aufweist, — vorwiegend
jedoch findet sich ein charakteristisches Narbengewebe
von langen aus Spindelzellen bestehenden Strängen und
kurzen Bindegewebsfasern mit langen grossen Kernen. Ge-
fasse sind in sehr verschiedener Menge vorhanden; hier
und da sind sie prall mit Blut gefüllt. Die Innenwandung
jedes einzelnen Recessus ist mit Netzhautgewebe ausgeklei-
det, welches hier mehr den Charakter des Pigmentepithels,
dort mehr den einer differenzirten oder modifizirten Retina
trägt, im Allgemeinen aber sich durch eine ganz enorme
Faltung auszeichnet. Die Fältchen, welche bisweilen auf
dem Durchschnitt als eine Kette von grossen und kleinen
Ringen erscheinen und bald die äussere bald die innere
Retinalschicht nach innen kehren, sind vielfach miteinander
verklebt und zusammengewachsen; mitunter enthalten sie
freie Blutkörperchen und an zwei Stellen (vgl. Fig. 3 bei q)
Haufen von eigenthümlichen scholligen Gebilden, welche
bei Zusatz von Schwefelsäure zu schönen Drusen von fei-
nen Spiessen auskrystallisiren, ohne Gas zu entwickeln, also
jedenfalls als Concremente von phosphorsaurem Kalk auf-
zufassen sind. Der Glaskörper, welcher sehr stark ge-
schrumpft die Mitte des Bruchsackes durchzieht, sendet
Ausläufer in jeden einzelnen Recessus, die aus feinsten
T. Gnef6*8 ArchiT fOr Ophthalmologie. XXXVII. 8. 14
210 0. Rindfleiseb.
mit Rundzellen durchsetzten Fibrillen bestehend, auch nur
genau die Mittelaxe der Hohlräume einnehmen, also offen-
bar in sich selbst zusammengezogen und geschrumpft sind.
Im Allgemeinen erinnert der obige Befand an den frflber
citirten Arlt'schen Fall, bei welchem sich in ein Divertikel
der Netzhaut am Boden des Bulbus eine Ausstülpung des Glas-
körpers erstreckte, und bei welchem Verfasser erwähnt, dass
sich im Grunde des Recessus alle Formbestandtheile der Netz-
haut mikroskopisch nachweisen Hessen, aber „wie auseinander-
gezogen und schütter''.
Aus den mir zu Gebote stehenden Horizontalschnitten
des rechten Bulbus konnte ich mit Sicherheit entnehmen»
dass im Wesentlichen dieselben Verhältnisse vorlagen, wie
ich sie am linken geschildert habe. Auch dort liegt hinter
dem Bulbus, welcher das Bild des Mikrophthalmus bietet»
ein weites blasenartiges Gebilde, dessen Wandung eine Fort-
setzung der äusseren Scleralschichten darstellt und welches
nach vorne zu mit dem Bulbus durch eine in dessen Hin-
terwand befindliche Lücke in offener Communication steht
Auch dort ist die Netzhaut abgehoben, stark gefaltet und
lässt ein ausgedehntes Divertikel gleichsam in den cysti-
schen Raum hineinquellen. Derselbe ist innen von der glei-
chen Epithelmembran, wie am anderen Auge überzogen.
Um Wiederholungen zu vermeiden, sei nur kurz zur Er-
gänzung aus dem vorliegenden Befunde erwähnt, dass die
Betrachtung der histologischen Verhältnisse der Augenmus-
keln eine sehr gute Entwickolung ihrer Elemente ergaK
Die kräftigen Muskelbäuche setzen sich mit starken Sehnen
an die Sclera an; nach hinten zu wird die Wand des Bruch-
sackes streckenweise nur von Muskelfasern gebildet, indem
die scleralen Schichten auf ein Minimum reducirt sind. Ein
Hauptunterschied zwischen dem vorher beschriebenen und
diesem Auge besteht jedoch darin, dass hier das Colobom
sich viel weiter nach vom erstreckt und den ganzen Ciliar-
körper mit einbegreifk. Ein Horizontalschnitt, welcher vom
den untersten Theil der Linse (vergl, Fig. 6L), hinten den
Beitr. z. Entstehongsgesch. der angeb. Missbildongen des Aages. 211
Uebergang des äusseren Blattes der Augenblase in das in-
nere Blatt (vergl. Fig. 6 bei a und a') getroffen hat, zeigt
diese Verhältnisse aufs klarste, weshalb ich ihn in zehn-
facher Vergrösserung beifüge.
An solchen Horizontalschnitten, welche die Liinse in
etwas weiterer Entfernung vom Centrum getroffen haben,
fiel mir das Bild eines zweiten, hinteren Kernbogens
auf (vergl. Fig. 7 a — a'). Derselbe liegt genau im hinteren
Linsenpol in einer Ausdehnung von 2 mm. Seine Enden
sind an beiden Seiten vom vorderen Kernbogen etwa 1,5 mm
entfernt. Letzterer ist gleichfalls auf demselben Schnitte
deutlich zu sehen. Ich möchte diesen zweiten Kembogen
als dem Randtheile der proximalen nach vorn pilzförmig
vorwachsenden Fasermassen zugehörig auffassen, doch ist
es immerhin auffällig, dass diese Kerne bei der weit ent-
wickelten Linse noch so proximal gelegen sind.
Da ich eine ähnliche Zeichnung in der Literatur nicht
finde, habe ich einen der beschriebenen Schnitte in 15facher
Yergrösserang halbschematisch an meine Zeichnungen angereiht.
Kurz gefasst würde also die Untersuchung der beiden
Augen des hydrocephalischen ca. sieben Monate alten Foe-
tus Folgendes ergeben haben:
Durch Hydrocephalus platt gedrückte Augenhöhlen.
Dieselben enthalten Gebilde von entsprechender Gesanunt-
form, bestehend aus je einem platt gedrückten mikroph-
thalmischen Bulbus mit cystischem Anhangsgebilde, welches
mit jenem durch eine weite Oeffnung communizirt. Der
Bulbus enthält eine rudimentäre Iris, ein Aderhaut -Colo-
bom, totale Netzhautablösung und starke Faltung dieser
Membran. Das Anhangsgebilde besteht aus einem cysti-
schen Raum, welcher eine bruchähnliche Ausstülpung der
Netzhaut umschliesst. Dieselbe erstreckt sich nach vorn in
mehrere diverticalartige Räume, deren Wandungen aus Nar-
bengewebe bestehen, welches auch NetzhautelementQ ent-
hält. An dem einen Auge findet sich auch ein Golobom
14*
212 O. RiiidfleiBch.
des Corpus ciliare und ein eigenthümlicher zweiter Kern-
bogen der Linse.
Die Frage> wie im vorliegenden Falle das Zustande-
kommen der Cyste und das damit offenbar im Zusammen-
bang stehende Zurückbleiben der Bulbi in ihrer Entwicke-
lung zu erklären sei, dürfte sich kaum mit voller Bestimmt-
heit beantworten lassen, immerhin scheint mir der vorste-
hende Befund folgende Erklärung ziemlich nahe zu legen:
Der hydrocephalische Process hatte nicht nur die Basis des
Schädels nahezu nivellirt, sondern hatte auch auf die Orbi-
taldächer einen so starken Druck ausgeübt, dass diese sich
convex in die Augenhöhle hineinwölbten. Dass die hier-
durch hervorgerufene Gestaltveränderung der Orbita nicht
ohne wesentlichen Einfluss auf die Form des Bulbus und
sein weiteres Wachsthum bleiben konnte, liegt auf der Hand.
Die gute Ausbildung fast aller Theile des vorderen Augen-
abschnittes rechtfertigt die Annahme, dass der Bulbus bis
zum Eintritt des schädigenden Momentes eine ganz normale
Entwickelung durchgemacht hatte. Die secundäre Augen-
blase hatte sich vollkommen oder doch bis auf eine sehr
kleine der Linse zunächst gelegene Strecke geschlossen. Das
Mesoderm hatte sie continuirlich umhüllt und so dem Aug-
apfel einen vollkommenen äusseren Abschluss verliehen.
Die Linse war dem Alter entsprechend ausgebildet; Iris
und Corpus ciliare waren normal angelegt. Der Binnenraum
der Augenblase war vermuthlich ganz mit jungem Glaskör-
per erfüllt (vergl. Schema I, S. 213). Als nun der gewal-
tige Druck des Schädelinhaltes auf das Orbitaldach erfolgte
und vermittelst desselben den Bulbus von oben her com-
primirte, mussten sich dessen Wände bei Einengung des
Raumes in verticaler Richtung, in horizontaler Richtung
ausweiten. Die Folge davon war eine Dehnung des Scleral-
bodens und vermuthlich auch eine Erweiterung bezw. eine
Wiedereröffnung des frisch geschlossenen Augenblasenspal-
tes an dieser Stelle. In diesen Spalt konnten Gefassver-
Beitr. zur Entstehongsgesch. etc.
zweigungen von den inneren
Schichten der Sclera unbehin-
dert einwachsen, ohne hier
eine eigentliche Aderhaut zu
bilden. Wir finden also am
Boden des Bulbus ein kleines
aus Scleralgewebe bestehen-
des Gebiet, welches nach in-
nen zu einige zarte Gefäss-
sprossen trägt und welches
von den Rändern der secun-
dären Augenblasenspalte be-
grenzt ist — also eine Art
Retinal- bez w. Pigmentepithel-
Colobom. — Doch noch an-
dere Folgen hatte die erhöhte
Spannung, unter welche der
Glaskörper gesetzt war. Es
wurden diejenigen Gebiete der
Sclera, welche noch bis kurz
vor der Geburt am dünnsten
zu sein pflegen^), ausgebuchtet.
Auf diese Weise entstand eine
Art Scleralstaphylom vorn
über dem Hornhautrande (vgl.
Schema II, III, IV). Hinten
— unterhalb der Eintritts-
stelle des Sehnerven — kam
als begünstigender Factor für
eine Ectasirung zu der gerin-
geren Wandstärke der Sclera
noch der Umstand hinzu, dass
das Gewebe hier einer aus-
213
») Vgl. Kölliker'8 Entwicke-
langsgeschichte. 2. Aufl. S. 476.
^ Sclera.
•- Chorioidea^
— Tigmentepühel.
Reitneu.
Corpusviircnm .
214 G. RindfleiBch.
gesprochenen Entzündung anheimgefaUen war. Es bleibt
dahin gestellt, ob dieser Entzündongsprocess bereits Torber
bestanden hatte, oder ob — wie es mir wahrscheinlicher
ist — bei der diesem Fotos Termnthlich innewohnenden
Disposition znr Entzündung seiner Gewebe, es nur eines
geringen Anstosses (wie in diesem Falle der besonders star-
ken Spannung) zum Ausbruch einer entzündlichen Local-
erkrankung bedurfte. War so das fehlerhafte Wachsthum
der Augenanlage einmal eingeleitet, so konnte bei weiterer
Einwirkung der schädigenden Kräfte die Ausbildung der
eigenthümUchen Verhältnisse, wie wir sie jetzt vor uns ha-
ben, nicht ausbleiben: die Fortdauer des Druckes tou oben
bei reichlicher Absonderung der Glaskörperflüssigkeit (dank
der guten Entwickelung der Ciliarfortsätze und des Haupt-
gebietes der Aderhaut), der kräftige Wachsthumstrieb der
Netzhaut, die Wucherung des Mesoderms, welches alle Lücken
auszufüllen und aussen auf das Gebiet immer neue Gewebs-
lamellen abzulagern bemüht war, yomehmlich aber die Ten-
denz zeigte, den eigentlichen Bulbus hinten abzuschliessen,
wirkten hierbei als bestimmende Momente. Im Bulbusraum
wuchs die Netzhaut unbekümmert um die Engigkeit des ihr
zu Gebote stehenden Raumes stetig weiter. Sie musste sich
daher in Falten legen, welche sich stellenweise weit von
der Sclera abhoben, stellenweise gegen sie andrängten und
sich selbst ineinander zwängten (vergl. Schema IV). Was
noch an flüssigem Glaskörper im Bulbusraume vorhanden
war, oder neu abgesondert wurde, musste nach hinten aus-
weichen. Die Gewebsbestandtheile wurden in Form eines
Stranges aus feinsten Fibrillen um die Arteria centralis zu-
sammengepresst. Während die hemienartige Ausweitung im
retrobulbären Räume immer grössere Ausdehnung annahm,
blieb naturgemäss der Augapfel im Wachsthum zurück.
Der ciliare Theil der Uvea gelangte unten zu geringerer
Entwickelung als oben, was wohl auf das Colobom der Ader-
haut in dieser Gegend zurückzuführen ist. Die Netzhaut-
Beitar. z. Entstehungsgescli. der angeb. Missbildungen des Auges. 215
ectasie fand jedoch endlich auch eine Grenze ihrer Aus-
dehnungy nachdem sie den ganzen dreieckigen retrobulbären
Raum ausgefüllt und eine Ausstülpung bis gegen den Aequa-
tor des Bulbusbodens getrieben hatte (vergl. Schema lY).
Aussen wurde sie von einer dünnen Scleralschicht umgeben^
die stellenweise fast Yollkommen geschwunden sein mochte,
aber wohl durch neue Mesodermauflagorungen verstärkt
wurde. Am rechten Auge wurde die Augenblasen-Ausstül-
pung hier und da nur Yon den Augenmuskeln überdeckt.
— Dadurch, dass der Druck des Orbitaldaches noch immer
zu wirken fortfuhr, wurde späterhin die vordere Ausstül-
pung des Bruchsackes zwischen Scleral- und Orbitalboden
zusammengedrückt, doch gab sie ebensowenig wie das ihr
entgegenwachsende Mesodermgewebe ihr Wachsthum auf.
So legte sie sich in Faltungen, zwischen welche das Meso-
derm lange Zapfen bildete. Mitunter durchbrach wohl auch
Mesodermgewebe das Gefuge der Netzhaut, wodurch ein
buntes Durcheinander von retinalen und bindegewebigen
Elementen entstand. Hochgradige Circulationsstörungen
konnten natürlich bei der Compression dieses ganzen Ge-
bietes nicht ausbleiben. So fanden wir einige Gefasse prall
gefüllt, und konnten freie Blutkörperchen in den Netzhaut-
falten nachweisen. Andere Stellen waren ganz ausser Er-
nährung gesetzt, daher lagerten sich Kalkmassen daselbst
ab (vergl. Fig. 3 bei q). An noch anderen Stellen fanden
entzündliche Yerklebungen zwischen den Netzhautfalten statt.
Das endliche Resultat der ganzen Vorgänge war eine aus-
gedehnte Narbenbildung im Umkreis der vorderen Ausstül-
pung, wie sich bei der mikroskopischen Untersuchung un-
zweideutig ergiebt.
Manz (^^) giebt eine eingehende histologische Schilderung
eines Gewebes, welches ein Colobom ausfüllt Er bezeichnet
dieses selbst als „Narbengewebe^S Dasselbe enthielt „ein bun-
tes Gemisch von Gewebselementen und -fragmenten, Blutgefässe,
fibrilläres Bindegewebe, Pigmentepithelien, sowie Netzhautfrag-
mente, welche letztere oft sehr gut differenzirt waren." Auch
216 G. Rindfleisch.
eine structurlose Membran, „die wohl als Fortsetzung der Limi-
tans gedeutet werden kann^% fand sich als oberer Abschluss
der Narbe ähnlich, wie auch ich sie im Gebiete der Ausbuch-
tungen an Stellen, wo das Pigmentepithel frei auf die Sclera
zu liegen kommt, nachweisen kann.
Wenn ich hinsichtlich der Recessusbildung im vorde-
ren Theile der Cyste im Gegensatz zu Manz (^*, '*) von
einer Hineinziehung der Netzhaut in das Narbengewebe ab-
sehe und dafür im Anschluss an v. Hof fmann(*'), Hahn('*X
Van Duyse (") und Arlt(**^) in erster Linie lediglich
eine vis a tergo — den intraocularen Druck, — in zwei-
ter Linie aber, ähnlich wie Kundrat ("*) einen Ausstül-
pungsprocess des Netzhautgewebes in das Mesoderm und
eine Einwucherung des letzteren in die Netzhautfalten ver-
antwortlich mache, so muss ich doch Manz vollkommen
beistimmen, wenn er (*^) betont, „dass ein solcher Druck
eine gewisse Entwickelung des Glaskörpers voraussetzt«.
Zugegeben auch, dass sich in den Präparaten eine nur ge-
ringe Menge Glaskörpergewebe nachweisen lässt, so scheint
mir doch die gute Entwickelung der Uvea dafiir zu spre-
chen, dass dasselbe intra vitam ausreichend vorhanden»
wenn auch sehr wasserreich war, späterbin aber eine be-
deutende zum Theil präparatorische Schrumpfung erfuhr.
Schon die bauchige Form der Cyste, wie ihrer Ausbuch-
tungen lässt kaum eine andere Deutung zu und widerspricht
('<) Manz, Jahresber. über die Leistongen und Fortschritte etc.
1878. S. 202.
('*) V. Hoffmann, lieber ein Colobom der Innern Augenhfiate.
Inaug.-Dlss. Bonn 1871.
(*') Hahn, lieber das Colobom der innem Augenh&ute. Inaug.-
Dlss. Bonn 1876.
{**) Van Duyse, Le Colobome de FOeul etc. Annales d*Ocu«
listiques T. 86. S. 144.
{^'^) Arlt, Anzeiger der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien»
Nr. 17 (citirt nach den Jahresberichten).
(") Kundrat, Wiener medic. Presse Nr. 17 und Nr. 6 (citirt
nach den Jahresberichten).
Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. Missbildungen des Auges. 217
der Annahme einer Zerrung der Retina nach der Narbe
hin anfs entschiedenste.
Wenn ich oben hervorhob, dass mehrere Autoren, wie
besonders Talko(^'), Dor("), Kundrat(^ö), Ewetzky(«),
Lang(®), Rubinski (®) und Hess (^®) als inneren Ueber-
zug ectatischer Bulbusgebiete eine der yon mir beschriebe-
nen sehr ähnliche Membran vorfanden, aber sie nicht als
Pigmentblatt der secundären Augenblase deuteten, so will
ich damit keineswegs die Richtigkeit ihrer Befunde in Frage
ziehen. Wäre in meinen Fällen der hintere Theil der se-
cundären Augenblase nach dem Schlüsse weniger ausgebildet
gewesen, als ich es annehmen musste, so hätte sich recht
wohl die Vcrschlussstelle selbst derartig dehnen können,
dass wir nur eine einzige Membran in der Ectasie vorge-
funden hätten, welche seitlich in die beiden Lamellen über-
gegangen wäre.
Das Vorhandensein eines Hydrocephalus bei Mikrophthal-
mus mit Cyste ist bereits beobachtet worden: Wenn auch die-
ser von Hans YirchowC^) veröfifentlichte Fall noch nicht histo-
logisch näher beschrieben worden ist, so haben doch die von
Bernheimer vorgenommenen Untersuchungen zur Genüge er-
geben, dass dieser Fall als ein Parallelfall zu dem meinigen
aufgefasst werden kann, abgesehen davon, dass hier eine Netz-
hautausbnchtung ausznschliessen war und der Gausalznsammen-
hang von Virchow anders erklärt wird. Es sei mir daher ge-
stattet, ihn kurz zu recapituliren: „Es handelt sich hier um
ein sechs Wochen altes Kind, welches mit Hydrocephalus inter-
nus zur Obdnction gekommen war und an welchem doppelsei-
tiger Mikrophthalmus vorlag. Die Lidspalte mass rechts 12,
links 13 mm, der Eingang in die rechte Orbita war 14 mm
hoch und 20,5 mm breit, der in die linke 13 mm hoch und
20 mm breit. Die Axe des linken Auges betrag 12 mm, der
Pupillardarchmesser 4 mm. An der lateralen Seite des lin-
ken Sehnerven befand sich ein 6 mm langer rundlicher Kör-
per „scheinbar eine mit klarer Flüssigkeit gefüllte Blase^S
Am rechten Auge lässt sich von einer Augenaxe nicht reden,
da sich das Auge am hinteren Pol in einen dicken Stiel fort-
setzt. Der Opticus besteht nur aus Scheide mit einem Geföss.
218 0. RindfleisclL
„Für den von mir beschriebenen Fall", sagt Yirchow wörtlich,
„ist es Yon der grössten Wichtigkeit, dass eine Parallelstömng
am Auge vorhanden war. Mass man daraus schliessen, dass
die Hirnstörung schon im Gange war, als die Augenblase noch
mit der Hirnblase in Verbindung stand, also im Stadium der
primären Augenblase? Die Bejahung dieser Frage folgt noch
nicht aus der Thatsache, dass Hirn und Auge von parallellen
Störungen betroffen sind, denn warum sollte nicht der Kampf
zwischen Ectoderm und Mesoderm an beiden Stellen entbren-
nen? Aber die erwähnten Cysten fallen hier sehr ins Gewicht,
die Grösse derselben ist oben geschildert. Da die Wand dieser
Cyste, in der sich FaserzQge des Nervus opticus durch Meso-
dermgewebe zersprengt, in der sich pigmentirtes epithelartiges
Gewebe findet, vom Charakter des Pigmentepithels der Netz-
haut, Bestandtheile enthält, die denen der Augenblase ähnlich
sehen, so ist daraus eine Stütze für die Anschauung gegeben,
dass die Augenblase, schon während sie noch in offe-
ner Verbindung mit der Hirnblase war, unter einem
Processe zu leiden hatte, der zu einer Abspaltung ihrer Be-
standtheile führte. Indessen man wird gewiss eine Betrachtung
sehr vorsichtig aufnehmen, welche die Störung in eine so frühe
Zeit zurückverlegt. Würde man jedoch sichere Beweise dafür
haben, dass sie so Mhe beginnt, dann würde man bekannt ge-
worden sein mit einem das Mesoderm treffenden krankhaften
Processe der seltsamsten Art, denn dieser Process lässt dem
Gehirn, welches er in so frühem Stadium angreift, doch die
Möglichkeit, sich zu einem hohen Grade von Vollkommenheit
heranzuentwickeln."
Für meinen Fall kann ich mich der Annahme Vir-
chow's, wie sie früher auch Kundrat (^•) vertrat, dass
die Missbilduug der Augen zu einer Zeit, zu welcher die
Augenblase noch in oflfener Communication mit dem Gehirn
stand, eingeleitet wurde, nicht gänzlich verschliessen, da
auch hier die sowohl im Gehirn wie im Auge vorhandene
Entzündung für eine Fortleitung des Processes vom Gehirn
aufs Auge zu sprechen scheint. Immerhin geht wohl aus
meinen Befunden mit Bestimmtheit hervor, dass der Hydro-
cephalus durch Druck auf die Orbita an sich mechanisch
oinen Mikrophthalmus mit cystischer Ectasia posterior zu
Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. l^sbildangen des Auges. 219
erzeugen im Stande ist. Der intrabolbäre Entzündungsvor-
gang fördert zwar das Zustandekommen der Missbildung
nicht unbeträchtlich 9 doch ist er wahrscheinlich erst als
secundärer durch den Druck zum Ausbruch gekommener
aufzufassen.
Ob solche mechanische Ursachen häufiger zur Mikroph-
thalmie führen I als zur Zeit noch angenommen wird, ob
vielleicht die Mehrzahl aller intrauterin entstandener Ecta-
sien ähnlich zu erklären ist, kann sich erst dann zeigen,
wenn ein grösseres Obductionsmaterial Yon mikrophthalmi-
schen Föten, als bis jetzt noch Yorliegen, zur Untersuchung
gekommen ist.
Zum Schluss sei es mir gestattet, Herrn Prof. Leber
für die Unterstützung, welche er mir bei Abfassung dieser
Arbeit zu Theil werden Hess, meinen aufrichtigsten Dank
auszusprechen.
Erklärung der Figuren auf Tafel VI.
Fig. la. Linker Mikrophthalmus in natürlicher Grösse von der
nasalen Seite gesehen (h Bulbus, c Cyste » „Bruchsack**, f
Einziehung der Wandung).
Fig. Ib. Derselbe Yon unten gesehen.
Fig. 2. Derselbe in Tiennaliger Vergrösserung ungeÄhr in der
sagittalen Mittelaxe yertical durchschnitten (a Scleralectasie,
b Recessus, darüber der aufsteigende hintere Scleralbogen,
d bindegewebiger Stiel, den Opticus enthaltend).
Fig. 3. Aehnlicher Verticalschnitt wie der vorige, etwas weiter
nasal durchgelegt, so dass er die Innenwand der blasenartigen
Netzhautectasie noch bei g von der Fl&che triflft. — Ver-
grösserung 12 : 1. — Der hintere Theil des Scleraldaches so-
wie die Linse sind zum Theil schematisch gehalten — desglei-
chen sind Gontinult&tstrennungen innerhalb der Netzhaut durch
punktirte Linien verbunden worden. — Die Linse ist etwas
nach hinten dislociert.
a durch seröses Exsudat streckenweise abgehobenes Pig-
mentepithel.
220 6. Kindfleisch!
6 oberer Anfang des Pigmentepithels scharf begrenzt.
h^ onterer Anfang etwas schrftg getroffen, hier allm&lig io
das innere Blatt der secand&ren Augenblase übergehend.
c oberer Giliaransatz der Netzhaut.
c^ unterer Giliaransatz derselben.
d Verzweigung der Centralarterie am hinteren Linsenpol,,
umgeben yon 61askö.rpergewebe.
e obere Kante des aufsteigenden hinteren Scleralbogens =»
Eingangsstelle in den retrobulbären Raum.
f Stelle der weitesten Ausbuchtung der Ectasie nach vom.
P Stelle der weitesten Ausbuchtung derselben nach hinten»
g scheibenartig verbreiterte Eintrittstelle des Sehnerven.
h mesodermale Wand der Cyste, nach innen zu vom Pig-
mentepithelblatt ausgekleidet.
% inneres Blatt der ausgestülpten Augenblase.
k Uebergangsstelle beider Blätter und Beginn des Recessus.
l Gelockerte innere Lamellen der Scleralectasie.
m Suprachorioidealer Raum zwischen der Ectasie und der
abgehobenen Chorioidea.
n allmäliger Uebergang der Aderhaut in die gefässreiche
innere Schicht der Sclera.
o' 0* 0* vorspringende vorwiegend aus Narbengewebe be-
stehende Leisten des Mesoderms, welche die Ausstül-
pungen der Retina gegeneinander abgrenzen.
p untere Suprachorioidea.
q Kalkablagerungen innerhalb der Netzhautfalten.
Fig. 4. Schematischer Durchschnitt, etwas temporal von dem vorigen
gelegt. Vergr. 5:1, um die Communication sämmtlicher Aus-
stülpungen der Cyste zu demonstriren.
a Vorraum zu den kleineren Ausstülpungen.
€ Höhe des aufsteigenden Scleralbogens.
h Colobomgebiet.
Fig. 5. Stück aus der Cyste etwa in der Gegend von t auf Fig. 3.
Vergrösserung 200 : 1.
a äussere, h innere Zelllage des Pigmentblattes,
c die Netzhaut.
me Membrana limitans externa, mi Membr. limit. interna,
m Glaslamelle der Chorioidea.
g Gefäss, welches zum pigmentirten Gebiete des Pigment-
epithels hinzieht.
h Eiweissgerinnsel, t Glaskörper.
Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. MiBabildungen des Auges. 221
Fig. 6. Horizontalschnitt vom rechten Bulbus, welcher die Linse
L unten noch getroffen hat — zur Demonstration des Cillar-
körper-Coloboms.
% inneres Blatt, e äusseres Blatt der secund&ren Augenblase.
a und a Uebergang beider.
Fig. 7. Etwas schematischer Horizontalschnitt durch die Linse des
rechten Auges zur Demonstration des hinteren Kembogens
a^-a {b und b' Torderer Kembogen). Yergrösserung 15 : 1.
IL
Zur pathologisohen Anatomie und Genese des
angeborenen Irismangels.
Wenn es noch im zweiten Decennium unseres Jahr-
hunderts geschehen konnte, dass eine Commissioa der Societe
du Cercle Medical zu Paris ihr Urtheil über einen der
ersten sicher beobachteten Fälle von Irideremie (yon Alex-
ander Morison (4) zu London) dahin abgab, es sei nur
eine »^angeborene Mydriasis^^ für Irismangel gehalten wor-
den, und wenn auch im Laufe der nächsten Jahre die von
KHnko8ch(l), Baratta (2), D8ondi(3) und Poenitz(5)
publizirten Fälle erst ganz allmälig allgemeine Anerkennung
fanden, so darf uns das um so weniger Wunder nehmen,
als wir noch heute, nachdem die Veröffentlichungen über
diese eigenthümliche Missbildung bereits eine stattliche Zahl
erreicht haben, über das Wesen des angeborenen Irisman-
gels keineswegs yöUig im Klaren sind und eine in jeder
Hinsicht befriedigende Erklärung für ihre Entstehungs-
weise zur 2ieit noch nicht gegeben ist.
An Versuchen dazu fehlt es freilich keineswegs und
so rathlos, wie Klinkosch (1), der im Jahre 1766 als
höchst wunderbare Thatsache von der Mutter einer mit
Irideremie behafteten Missgeburt berichtet: „durante gravi-
ditate nullis affecta injuriis nullaque perversa imaginationis
vi correpta fuit", stehen wir jetzt der Frage nach der Ge-
222 (i- Budfleiach.
nese der Irideremie nicht mehr gegenüber. Schon im Jahre
1829 tritt ▼. Ammon (9) — der bis dahin heirschendeD
Meckel-Behr'schen Anschanong entgegen» welche an-
nimmt, dass beim Zerstreonngsprocess der Pupillarmembran
die Iris zugleich mit zerstört werde, y. Ammon betont»
dass man, falls obige Ansicht richtig sei, wahrscheinlich
öfters weniger yollständige Zerstörungen der Iris finden
und den Process selbst noch nach der Geburt beobachten
müsse — man habe ab Ursache vielmehr eine ^ildungs-
hemmung^' anzunehmen. Während v. Ammon an dieser
Stelle durchblicken lässt, dass solche Bildungshemmung mit
der Colobombildung in der Aderhaut zusammenzubringen
sei, glaubt F. Arnold (11) die Bildungsfehler an der Iris
überhaupt nicht in so enge Beziehung zur Aderhaut setzen
zu dürfen. „Fehlen^, so sagt er, „die vorderen und langen
Ciliargefässe alle, oder einzelne, so wird dadurch gänzlicher
oder theilweiser Mangel der Blendung erzeugt''; eine An-
schauung, welcher sich später auch Seiler und Jäger (16)
anschlössen.
Andere Erklärungen, wie die von Prael (14), welcher
meint, dass die Iris bei ihrer Entwickelung mit derjenigen
des übrigen Auges und der hierbei ausgesprochenen Präva-
lenz der Linse nicht Schritt halten konnte, die von Himly
(17) stammende, dass ein zu geringer Bildungstrieb in der
frühesten Periode der Augenentwickelung vorgelegen habe
und die Sichel' sehe (24), welche eine „MydriasiB conjenial'',
eine „dilatation conjeniale extreme de la pupille'' annimmt,
seien hier nur beiläufig erwähnt, da sie sich nicht auf ana-
tomische Thatsachen stützen.
v; Ammon (25) geht bei der Erklärung von seinen
eigenen Erfahrungen über die Entwickelungsgeschichte des
menschlichen Auges aus: Nach ihm nimmt die Natur bei
der Bildung der Iris gleichsam „einen neuen Anlauf". —
Wird dieses verhindert, so bleibt das Auge ohne Iris, und
es entsteht der totale Irismangel (Irideremia totalis); be-
Beitr. z. Entstehond^gesch. der angeb, Missbildungen des Aages. 223
ginnt dagegen die Irisbildung ungestört und circulär und
steht das Wachsthum dann still, so sehen wir den partiel-
len Irismangel. Dasselbe wird dann stattfinden, wenn die
Iris nicht circulär beginnt, sondern wenn nur an einzelnen
Stellen des Chorioidealrandes dieselbe in Form einzelner
Lappen hervorwächst Jene ersten beiden Fälle werden
den Bildungshemmungen beizuzählen sein, der letztere ge-
hört in das Qebiet der ursprünglich pathologischen Bil-
dungsrichtung.
Die verschiedenen Erklärungsweisen der späteren Au-
toren lassen sich kurz in zwei Gruppen zusammenfassen:
Entweder wird angenommen, dass die von der Natur
angelegte Iris in ihrer weiteren Entwickelung aufgehalten,
oder, dass die in der Entwickelung bereits weiter fortge-
schrittene durch einen krankhaften Process nachträglich
wieder zerstört wurde.
Die Anhänger der ,3ildung8hemmung^' sind bei wettern
die zahlreicheren, wenn auch nur ausnahmsweise bestimm-
tere Vermuthungen über die Art und Weise, wie eine solche
zu Stande kommen soll, laut geworden sind. Die einzige
wirklich ansprechende Erklärung giebt Manz (37), indem
er sagt: „Nehmen wir an, es bestände länger als gewöhn-
lich ein besonders fester Zusammenhang zwischen Linse
und vorderer Wand der Bulbuskapsel, wie es für einzelne
angeborene Staarformen als wahrscheinlichste Ursache an-
genommen werden muss, so wird ein Verwachsen der Iris
nicht möglich sein, oder, wenn jene Verbindung an einzel-
nen Stellen weniger fest ist, eben auch nur an diesen er-
folgen können." .,Wir können also die Irideremie immer-
hin für eine Hemmungsbildung nehmen, indem wir die Ur-
sache für diese Hemmung in die Linse verlegen."
Für ein Zustandekommen der Irideremie dui-ch Zer-
störung des bereits weiter ausgebildeten Organes tritt Brun-
huber (39) ein. Er macht als Ursache des Schwundes
einen gesteigerten intraocularen Druck verantwortlich.
224 O. RindfleiBch.
Vossius (49) nimmt in emem Falle von partieller
Irideremie Hemmungsbildung und fötale Erkrankung zu-
gleich an, doch lässt er sich auf die Frage, inwiefern hier-
durch die Missbildung hervorgerufen sei, nicht näher ein.
Eine eigenartige Erklärung giebt endlich de Bene-
detti (55). Er glaubt in einem Fehler der Entwickelung
der Retina die Ursache der Irideremie suchen zu müssen.
Es wäre dadurch der Rand der Augenblase zu langsam
vorgewachsen und infolge dessen das die Iris bildende Ge-
webe noch nicht in genügender Stärke vorhanden gewesen,
als der Aufsaugungsprocess vorn schon begonnen hätte.
Um ein bestimmtes Urtheil über die Genese des Iris-
maugels zu gewinnen, wäre selbstverständlich in erster Linie
eine Berücksichtigung der anatomischen Erfahrungen be-
züglich dieser Missbildung erforderlich. Leider aber sind
wir zur Zeit an solchen noch auffallend arm.
Abgesehen von einer höchst unvollkommenen Unter-
suchung des bereits oben erwähnten irislosen Fötus, bei
welchem von Klinkosch ein „oculus speciem hydatidis
praegrandis praeferens'' ohne Ghorioidea, ohne Retina, ohne
Muskeln etc. gefunden wurde, welcher also als ganz ab-
normes Monstrum betrachtet werden muss, liegen — soviel
ich aus der mir zugänglichen in- und ausländischen Lite-
ratur zu ersehen vermochte — , bis jetzt acht anatomische
Beobachtungen vor und von diesen können nach unseren
heutigen Anschauungen über mikroskopische Technik eigent-
lich nur drei als histologische bezeichnet werden. Bevor
ich auf meine eigenen Untersuchungen eingehe, sei es mir
gestattet, dieses bis zur Zeit vorhandenen anatomischen
Materiales kurz zu gedenken.
Der erste anatomi/ach untersuchte Fall von Irideremie
wird von v. Ammon (9) im Jahre 1829 erwähnt. Er sagt
daselbst: „Ich bin der Meinung, dass sich der vollständige Man-
gel der Iris ohne Zergliederung der Augen nicht erweisen
lässt, vielmehr wurde wenigstens in einem Falle, wo
Beitr. z. Entstehund^gesch. der angeb. Missbildungen des Auges. 225
die äussere Betrachtung Mangel vermuthen Hess, ein
kleiner die Iris vorstellender Rand gefunden [von Ra-
dius].
Im Jahre 1858 werden diesem bis dahin einzigen Falle
von F. A. V. Ammon (25) vier weitere angereiht.
2. Sein erster betraf einen etwa siebenmonatlichen, todtge-
borenen menschlichen Fötus, welcher halb in Fäulniss überge-
gangen war und wohl mehrere Wochen lang abgestorben im
Uterus gelegen hatte. Das rechte Auge war so matsch und
zusammengefallen, dass sich keine Membran mehr genau er-
kennen Hess. Das linke Auge war dagegen besser erhalten,
normal geformt und normal gross. Der Glaskörper war theil-
weise verflüssigt, von seinem Gewebe war nur ein compacter
häutiger Klumpen zwischen Linse und Netzhaut zu sehen.
Zwischen Glaskörper und Netzhaut war ein Zusammenhang
nicht mehr sichtbar. Von der Netzhaut wird eine intensiv
gelbe Färbung der ganzen hinteren Ausbreitung ähnlich der
Farbe der Macula lutea erwähnt. Nach oben war ein Theil
des Fötalspaltes der Netzhaut vorhanden. Er war schmal und
kurz. Ausserdem fanden sich sehr viele fötale Retinalfalten
vor, die alle von der blinden Stelle aus gegen den Ciliartheil
hin gelagert waren. An den faltenfreien Stellen erschien die
Retina heller; sie war ausserdem undurchsichtig. Der Ciliar-
theil der Retina war sehr dünn, frei fluctuirend. Die Chorioi-
dea lag der Sclera fest an; letztere war hier und dort eckig.
Die innere Fläche der Chorioidea Hess ein braunrothes zimmet-
farbiges Pigment sehen. Dasselbe war nach dem Ciliartheil
zu sehr sparsam, lag aber nach dem Augengrund hin in grös-
serer Menge. Hier und dort war es gelöst und bildete an
einzelnen Stellen grössere Haufen. Die Ciliarfortsätze waren
dürftig; sie lagen in einem nicht ganz regelmässigen Kreise.
Dieser war hier und dort ausgezackt, mehr eckig als rund,
aber ganz geschlossen. Die Ciliarfortsätze waren kurz, dünn
aber schwärzlich pigmentirt, es lag ein First glatt neben dem
anderen. Ausdehnungen derselben fehlten. Der ganze Ciliar-
körper war niedrig, dürftig, schmal. In dem eben beschriebe-
nen, geschlossenen Ciliarkörper der Chorioidea lag die Linse
sammt Kapsel, auf deren hinterer Wand hier und dort einzelne
Stücke des Glaskörperstromas fluctuirten. Sie war sammt der
Kapsel etwas getrübt; sie war in ihrer Peripherie nicht ganz
rund, hatte hier und dort an ihrem Rande kleine Einkerbun-
▼. Graefe'8 Archiy fUr Ophthalmologie. XXXVII. 3. 15
226 O. Rindfleisch.
gen, mit ihrer vorderen Fläche lag sie dicht an der hinte-
ren Wand der etwas trüben Cornea. Es fand sich, nachdem
die Linse ans ihrer Lage innerhalb des Ciliarkörpers hervor-
gehoben war, keine Iris vor. Es war weder auf der vorderen
noch hinteren Seite des Ciliarkörpers noch innerhalb dessen
geschlossenen Ringes irgend eine Spur oder ein Saum von Iris-
gewebe wahrzunehmen. Ebensowenig konnte man etwas von
einer Pupillarmembran gewahren. Es hatte sich auch kein
Tensor chorioideae gebildet Die äussere Fläche des geschlos-
senen Chorioidealringes also der Ciliarrand der Chorioidea, lag
unmittelbar an der Sclera da an, wo diese in die Cornea flber-
ging. Die getrQbte etwas röthliche Cornea erschien mehr oblong
als rund und war sehr flach; die Descemet'sche Membran war
etwas gefaltet und endigte vor dem Cornealrande in einer sanft
verschwimmenden Linie.
3. Bei dem zweiten von v. Ammon anatomisch untersuch-
ten Fall handelte es sich um das linke Auge eines fast aus-
getragenen Kalbes. Bei diesem wurden Sclera und Glaskörper
als normal bezeichnet. Die Netzhaut war am Ciliartheil plump
und an der Uebergangsstelle in die Corona ciliaris namentlich
nach unten aufgelockert. Die Chorioidea war im vorderen Seg-
mente schwach pigmentirt. Das Corpus ciliare endigte sich
nach unten in eine starke spitze Ausbiegung und verlor sich
dort in eine Ausbuchtung der Chorioidea- und Sclera -Ueber-
bleibsel des fötalen Scieral- und Chorioidealspaltes. Die Falten
der Ciliarfortsätze waren nach unten dicht gedrängt und alle
stark pigmentirt. Von einer Iris fehlte jede Spur. Das Cor-
pus ciliare lag vom auf der Sclerocornealverelnigung. Die
hintere Fläche der sehr flachen Cornea war normal etwas läng-
lich. Ein ausgebildeter Tensor chorioideae war am Ciliartheil
der Chorioidea nicht vorhanden, sondern nur ein weisser schma^
1er ringförmiger Streif, der am äusseren Ciliartheil der Cho-
rioidea liegend diesen mit der Sclera verband. Der in dem
hinteren Segment des zerschnittenen Bulbus liegen gebliebene
Proportionen grosse, hellweisse Glaskörper sammt Linse zeigte
eine vollkommene Ausbildung, nur dass die Corona ciliaris in
der Richtung des Coloboma corporis ciliaris etwas klaffte, nicht
am Linsenkapselrand geschlossen war, dadurch nach unten hin
eine pyramidale Gestalt hatte und dann in eine Rapbe des
Glaskörpers überging, die nicht tief war und sich am Rande
des Glaskörpers verlor. Die Linse sammt Kapsel hatten eine
runde Gestalt
Beitr. z. Entstehuogsgesch. der aogeb. Missbildungen des Auges. 227
Während bei diesen beiden Fällen von completer Iri-
deremie das Linsensystem frei von jedem Bildangsfehler war,
verhielt sich dies anders nach v. Ammon's Untersnchnngen
an solchen Kalbsaugen, an denen eine angeborene Yerkttm-
mernng der Iris vorgefunden wurde.
4. Bei einem fast ausgetragenen Kalbe, dessen rechtes Auge
normal war, lag das linke tiefer in der Orbita als gewöhnlich.
Es war kleiner als das rechte und seine Form globoser. Die
Cornea erschien flach, die Iris war sehr schmal, aber in ihrem
ganzen Zirkel gleichmässig breit, bläulich gefärbt, die Pupille
gross. Tiefer als gewöhnlich lag hinter der Iris eine trttbe
Linse, die bei der Lupenuntersuchung sehr deutlich, weniger
deutlich bei der Untersuchung mit blossem Auge auf der vor-
deren Fläche eine Dreitheilung zeigte.
Bei der anatomischen Untersuchung des vorderen Segmen-
tes des Bulbus constatirte v. Ammon eine schmale dunkel pig-
mentirte Uvea — kurze Giliarfortsätze. Die Iris und der vor-
dere Theil der durchschnittenen Chorioidea lagen der Cornea
nahe. Die Sclera war dünn, die Chorioidea, an welcher ein
Chorioidealtensor zu sehen war, lag ihr sehr dicht an. Das
hintere Segment des Bulbus enthielt den Glaskörper sammt der
Linse, die fest in demselben gelegen war. Die Corona ciliaris
erschien in ihren einzelnen Theilen verwirrt und bildete hier
und dort Falten. Unmittelbar von der Corona ciliaris aus
senkte sich die vordere Kapselwand einwärts und bildete die-
selbe mehr eine Concavität, als eine Convexität. Sie war da-
bei wie der ganze Linsenkörper getrübt und hing mit der vor-
deren Fläche des Linsenkörpers zusammen. Man sah auf die-
sem eine dreieckige Figur, nach hinten zu war derselbe beu-
telförmig ausgedehnt und rund auslaufend. Der Glaskörper
war trübe, flach; er hatte im Wasser liegend keine Wölbung,
nach hinten war er mehr schalenförmig gestaltet als kugelför-
mig und hing mit der Netzhaut durch viele Falten innig zusam-
men. Die vordere und hintere Kapselwand hafteten der Linse
fest an.
5. Endlich fand v. Ammon an einem linken sehr flachen
ausgetragenen fötalen Schöpsauge eine unten sehr schmale, oben
breite Iris mit einer ins Pupillargebiet vorspringenden Zunge.
Hinter der Iris ziemlich tief lag ein weisser runder Körper,
der auf der vorderen Fläche eine trianguläre Zeichnung hatte.
Die vordere Fläche selbst hatte eine concave Gestalt. Der
15*
228 6. Rihdfleiscli.
Linsenkörper selbst war länglich und undurchsichtig. Er sass
im Glaskörper durch eine regelmässige Corona ciliaris festge-
halten. Dieser war sehr flach, entbehrte jedes Turgors und
war mit der Netzhaut zusammenhängend. Eine nähere Struc-
turuntersuchung wurde weder an dieser noch an der anderen
Linse vorgenommen.
6. Die erste mikroskopische Untersuchung eines angebore-
nen Irismangels verdanken wir H. Pagenstecher (29), wel-
cher darüber in der zweiten Sitzung der Ophthalmologischen
Gesellschaft zu Heidelberg am 5. September 1871 Folgendes
berichtete: „Vom Corpus ciliare an Stelle des Ligamentum pec-
tinatum zieht sich nach vorn ein kleiner, sich etwas zuspitzen-
der pigment- und gefässhaltiger Fortsatz. Er erstreckt sich
in eine gabelige Theilung der Descemet'schen Membran und
ist auf diese Weise fest mit der Cornea verwachsen. Der die
innere Fläche dieses Fortsatzes begrenzende Theil der Desce-
met'schen Membran trägt das Homhautepithel und setzt sich
auf das Corpus ciliare fort Der übrige Theil der Descemet-
schen Membran verliert sich in dem Gewebe an Stelle des
Ligamentum pectinatum.'^
Erst das letzte Decennium hat zwei genaue makro-
und mikroskopische Untersuchungen aufzuweisen. Die erstere
von beiden wurde von de Benedetti (55) in den Annali
d'Ottalmologia im Jahre 1886, die zweite und letzte von
Lembeck (64) zu Halle im Jahre 1890 veröflfentlicht. Wir
werden auf die wesentlichsten Punkte dieser beiden inter-
essanten Abhandlungen weiter unten wiederholt hinweisen
müssen, weshalb ich es unterlasse, dieselben einer genaue-
ren vorherigen Besprechung zu unterziehen.
Eigene Untersuchung.
Das mir vorliegende Präparat wurde mir von Herrn
Dr. Eichhorn, Augenarzt in Dessau, freundlichst überlas-
sen. Da die Patientin, welcher das Auge entstammt, erst
kurz vor ihrem Tode und in einem geistig wie körperlich
stark reducirten Zustande dem genannten Specialisten zum
ersten Male zu Gesicht kam, wurden sowohl die anamnesti-
Beitr. z. Entstehongsgesch. der angeb. Missbilduogen des Auges. 229
sehen Erhebungen, wie die Aufnahme des Status über ihr
Augenleiden wesentlich erschwert, doch gelang es noch Fol-
gendes festzustellen:
„Frau Schwertfeger, 51 Jahre alt, befindet sich seit Ende
November 1890 wegen eines schweren Magen -Carcinoms im
Kreiskrankenhaase zu Dessau. — Anamnese mangelhaft, da
die geistigen Functionen der Patientin gelitten zu haben schei-
nen, und Angehörige nicht vorhanden sind. Doch behauptet
sie wiederholt, schon in frühester Kindheit so schlecht gesehen
zu haben, wie jetzt; nur in ihr vollständig bekannten Räamen
habe sie sich ohne Führung bewegen können.
Eine genaue Sehprüfung ist wegen mangelnder Aufmerk-
samkeit unmöglich: Links werden Finger etwa in Im Entfer-
nung, rechts nur dicht vor dem Auge gezählt. Die Prüfung
des Gesichtsfeldes gelingt nicht.
Es besteht beiderseits Nystagmus horizontalis.
Die Grösse der Bulbi scheint normal zu sein.
Die Spannung ist beiderseits gleich.
Die Hornhaut zeigt beiderseits einen breiten Arcus se-
nilis, 80 dasB ihr Areal verkleinert erscheint
Auch der centrale Theil der Cornea ist durch verwaschene,
grauweiss durchscheinende Flecke ziemlich stark getrübt. Am
linken Auge, woselbst die Hornhauttrübung nicht ganz so dicht,
wie am rechten Auge ist, lässt sich von einer Iris nichts nach-
weisen. Am rechten Auge schien es bei focaler Beleuchtung
bisweilen so, als ob ein ganz schmaler Saum vorhanden sei.
Die Linse ist am linken Auge total getrübt, anscheinend
geschrumpft und verkalkt und nach oben innen dislocirt; rechts
besteht nur Cataracta corticalis posterior sowie polaris anterior.
Ihre Lage lässt sich nicht genau bestimmen. Sie scheint jedoch
auch nach oben dislocirt zu sein.
Die ophthalmoskopische Untersuchung war durch
den Nystagmus und die Trübungen sehr erschwert, jedoch war
sicher beiderseits ausgedehnte Chorioiditis (grössere helle
Flecke mit Pigmentschollen) zu erkennen.
Die Papille liess sich rechts nicht erkennen, links er-
schien sie blass.
Leider wurde nach dem Tode der Patientin im Januar
1891 nur das rechte Auge, in Abwesenheit des Herrn Dr.
Eichhorn enucleirt und diesem in Müller'scher Flüssigkeit
230 ^' Rindfleisch.
übergeben, das linke war wegen inzwischen erfolgter Beerdi-
gung der Patientin nicht mehr zu erlangen gewesen.
Trotz der Kürze des obigen klinischen Befundes dürfte
derselbe doch fast alles Wissenswerthe enthalten.
Die meisten der oben erwähnten Symptome sind bei
fast sämmtlicheu klinischen Untersuchungen über Irideremie
80 häufig zur Beobachtung gekommen, dass sie als typische
Begleiterscheinungen dieser Missbildung hier nicht ausführ-
licher erörtert werden sollen. So hat man die Beidersei-
tigkeit des Auftretens, den Nystagmus, die Amblyopie, die
Hornhauttrübungen hauptsächlich in der Peripherie, die vor-
wiegend an beiden Polen auftretenden Linsentrübungen iu
der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von angeborenem
Irismangel gefunden und beschrieben. Auch die Dislocatiou
der cataractösen Linse scheint als typisch aufgefasst wer*
den zu müssen. Denn wir finden dieselbe von einer grossen
Zahl der Autoren erwähnt, so von Baratta (2), Ruete(20),
Gutbier (13), Jäger (16), Prael (14), Müller (21),
Hjort (31), Jany (32), Klein (38), Samelsohn (40),
V. Becker (47), Vossius (49), Ottava (52), Van Duyse
(50), Eales (53), Schröter (28), Herbet-Page (36),
tawrentjeff (54), De Benedetti (55), Harlan (48),
Hirschberg (59), Lembeck (64) u. A. und zwar hatte
diese Verschiebung in der Regel nach oben stattgefunden,
bezw. war die Linse nur oben fixirt. Von Ruete, Gut-
bier, Rau, Jäger, Schröter und Lawrentjeff wird zu-
gleich erwähnt, dass die Linse mehr oder weniger dicht
an die Hinterfläche der Hornhaut herangerückt war.
Ein viel zu geringes Gewicht scheint mir jedoch bis-
her auf die bei Irideremie sich abspielenden oder über*'
standenen entzündlichen Vorgänge gelegt worden zu sein.
Eine grössere Anzahl von Autoren nimmt auf dieselbe über-
haupt keine Rücksicht, andere erwähnen solche nur ganz
beiläufig, nur wenige heben besonders hervor, dass sie die-
selben vermisst oder vorgefunden haben.
Beitr. z. Entstehungsgesclu der angeb. Missbildongen des Auges. 231
In Anbetracht der grossen Bedeutung der Entzündun-
gen für die Genese des angeborenen Irismangels glaube
ich kurz auf eine Beihe einschlägiger klinischer Beobach*
tungen, welche in der Literatur der Irideremie niedergelegt
worden sind, eingehen zu müssen.
Von den bereits erwähnten Trübungen der Hornhaut
und Linse, deren entzündlicher Ursprung noch nicht allge-
mein anerkannt wird, will ich hierbei Yorläufig absehen.
An der Sclera finden sich Erscheinungen, welche auf
eine Entzündung dieser Haut hindeuten, mehrfach erwähnt.
So von Behr (7), welcher sie bei einem irislosen Kinde
bläulich fand; dasselbe berichtet Gutbier (13) von einem
achtzehnjährigen Mädchen. Bei einem 21jährigen Mädchen,
welche „an häufig wiederkehrenden Ophthalmieen^^ litt,
„deren eine das linke Auge zerstört und Totalstaphylom
zur Folge gehabt hatte'S fand Henzschel (8) „die Sdero-
tica sehr dünn, so dass die Ghorioidea an mehreren Stellen
durchschimmerte'S was auch Brunhuber (39) bei einem
irislosen Knaben beobachten konnte. Und Lembeck (64)
beschreibt eine hydrophthalmische Entartung des Bulbus.
Den Glaskörper fand Baratta (2) in dem erwähnten
Falle, desgleichen E. Müller (21) und Eales (53) ver-
flüssigt. Auch Manz (37) erwähnt, dass er gelegentlich
der Extraction einer Katarakt bei einem irislosen Manne
Glaskörpenrerflüssigungen vorgefunden habe. Trübungen
des Glaskörpers hatte vielleicht Henzschel (8) bei einem
13jährigen Mädchen vor sich gehabt, bei welchem im lin-
ken Auge „eine dreieckige weissblaue Trübung" sichtbar
war, „die ihren Sitz in der Linse haben durfte, obgleich
sie tiefer zu liegen schien" und Harlan (48) konnte
flottirende Glaskörpertrübungen in einem irislosen Auge be-
stimmt nachweisen. Ein Gleiches berichtet Lembeck (64)
und De Benedetti (55).
Man wird wohl annehmen dürfen, dass Glaskörperver-
änderungen viel häufiger vorhanden gewesen sind, dass je-
232 G. Rindfleisch.
doch ihr Nachweis w^en der r^elmässig bestehenden Tni-
bangen der brechenden Medien äusserst schwierig oder ganz
unmöglich war. Einen Beweis dafür bietet der eben er-
wähnte Fall Yon Manzy bei welchem sich vor der Extrac-
tion ausser einer leichten Beweglichkeit des unteren Lin-
senrandes keine Anzeichen einer Verflüssigung des Glaskör-
pers Yorfanden.
Veränderungen im Fundus Oculi finden wir aus
naheliegenden Gründen erst nach Ruete's Zeit, dann aber
auch wiederholt herrorgehoben. So berichten K Müller
(21), Brunhuber (39) und v. Becker (47) von Netz-
hautablösungen. Pathologische SehneryenezcaTatio-
nen erwähnen Klein (38), Brunhuber (39), Samelsohn
(40), Hirschberg (59) und Lembeck (64). Was endlich
die Aderhautveränderungen anbetrifft, so scheinen diese
ziemlich häufig zu sein.
So fand E. Müller (21) nur noch „in geringem Ab-
stände Yon der Comealgrenze einige hellgraue Flecke als
letzte Andeutung der Chorioidea". Rudel (26) wies in
einem Falle Pigmentarmuth derselben nach, in einem ande-
ren Falle giebt er den Augenhintergrund als „YÖllig degene-
rirt'' au. De Montmeja (30) constatirte ein kleines „Golo-
bome de la choroide'S welches keilförmig mit der Spitze
nach der Macula gerichtet war, Adler (34) Rarification des
Chorioidealpigmentes, Brunhuber (39) „Yereinzelte grössere
und kleinere Flecke zum Theil schwarz mit scharf umschrie-
benen, atrophischen Rändern, zum Theil gelblich weiss und
weniger deutlich begrenzt, im Ganzen ziemlich pigmentarm'^
Samelsohn (40) und Wurst (42) machten die letztere Be-
merkung gleichfalls. Auch Herbet-Page (36) und Har-
lan (48) sahen „atrophische Flecke '^ in dieser Membran,
Felser (57) fand eine „schwache Entwickelung der Gefäss-
haut" und Grünsberg (63) vergleicht sie bei einer par-
tiellen Irideremie einer „albinotischen'S
Es bietet also die in meinem Falle klinisch nachge-
Beitr. z. Entstehongsgesch. der angeb. Missbildangen des Auges. 233
wi^ene Chorioiditis disseminata nur einen weiteren Beleg
für das häufige Vorkommen einer Entzündung der Uvea.
Makroskopischer Befund des rechten Bulbus.
Bereits während der Härtung in Moller'scher Flüssigkeit
trat im Aeqnator des Bulbus eine leichte Einziehung auf^ welche
sich während der weiteren Behandlung mit (allmälig verstärk-
tem) Alkohol zu einer tiefen Ringfurche ausprägte. Uebrigens
boten die Form- und Grössenverhältnisse des Augapfels nichts
Auffallendes dar, ausser im Bereiche der Hornhaut (Fig. 1).
Dieselbe zeigt von aussen betrachtet ein quer-elliptisches
Areal (Diameter verticalis: ca. 10 mm, Diameter horizontalis:
ca. 11,5 mm). Die getrübte Randzone geht unmerklich in die
Sclera über, weshalb die Hornhautgrenze auch nicht so genau
zu bestimmen ist. Die Wölbung der Hornhaut ist im Cen-
trum leicht abgeplattet; hierselbst erscheint auch das Gewebe
diffus getrübt. Ausserdem fällt eine höchst eigenthümliche
Zeichnung, die vermuthlich auf die Hinterfläche der Descemeti
zu localisiren ist, auf. Dieselbe stellt einen nach aussen sich
gabelnden dunkeln Strich dar, bezw. zwei kleinere und eine
grössere nahe am Centrum der Hornhaut radiär zusanmienlau-
fende etwas unregelmässig zackige Linien (Tafel Yil, Fig. 1).
Die Halbirung des gehärteten Auges erfolgte im grössten
verticalen Meridian, wobei besondere Sorgfalt auf die Erhal-
tung der Linse in ihrer Lage verwendet wurde. Es ergab sich
jedoch, dass dies nicht ganz zu ermöglichen war, weil eine
festere Anheftung der Linse nur oben und etwas nach innen
vorhanden war, so dass sie im Uebrigen frei in der vorderen
Kammer schlotterte.
Die Hornhaut erscheint auf dem Durchschnitt nahe am
Centrum dünner als in der Peripherie. Die Entfernung der
beiden Hornhautränder von einander beträgt 10,5 mm, die Höhe
des von der Cornea gebildeten Bogens 2,75 mm Am Rande
greift der weissliche Scleralbord ziemlich weit nach vorn über.
Die Innenseite der Hornhaut zeigt zahlreiche radiär nach dem
Centrum zusammenlaufende Falten. Man bemerkt jetzt die von
aussen sichtbar gewesene schwarze Strichzeichnung deutlicher.
Sie liegt thatsächlich auf der Descendeti, der Yereinigungspunkt
der drei Striche dürfte vom Mittelpunkte der Hornhaut etwas
nach oben und innen abweichen.
Die Sclera ist in der vorderen Bulbushälfte auffallend
234 0. Rindfleisch.
dünn. Sie setzt sich scharf gegen die Cornea ab (ausser an
der Aossenseite), so dass zwischen beiden Membranen eine Ring-
farche entsteht, welche von einem kleinen Irismdimente theil-
weise überbrückt wird (Taf. VII, Fig. 2 R u. R^).
Am Aequator zeigt die Lederhant eine ringförmige £in-
Senkung, welche oben tiefer als unten erscheint. Im hinteren
Bnlbusabschnitte ist die Sclera von nahezu normaler Dicke.
Von der Iris ist ein ganz schmaler Saum vorhanden; oben
ist derselbe vielleicht etwas breiter als unten. Hier liegt er
der erwähnten Sclerocomealfürche dichter an.
Der Ciliarmuskel bietet eine platte Gestalt und scheint
unten breiter aber niedriger zu sein als oben. Die Ciliarfort-
Sätze sind ziemlich normal entwickelt.
Die Aderhaut ist nur unten vom Giliarkörper bis zum
Aequator leicht abgehoben.
Die Netzhaut hat sich ausserdem oben vom Opticus bis
zum Aequator von der hier dicht der Sclera aufliegenden Ader-
haut entfernt. Man kann die Retinalgef&sse deutlich verfolgen.
Die Maculagegend kennzeichnet sich als heller, querovaler Wall.
Der Sehnerv hat eine centrale physiologische Excavation.
Die Linse, welche, wie* erwähnt, nur oben und etwas
nach innen fixirt ist und übrigens frei im vorderen Bulbusab-
schnitt liegt, giebt jetzt über die Stellung, welche sie vor der
Enucleation eingenommen hatte, keine ganz sichere Auskunft
mehr. Nur bei genauester Lupenbetrachtung wird uns hier-
über ein gewisser Aufschluss gegeben. An der nasalen Hälfte
des Bulbus bemerkt man nämlich, wie feine, schleierartige Fa-
sermassen vom unteren Giliarkörper her, theils nach vom gegen
das Homhautcentrum, theils nach hinten in den Glaskörper
ziehen. Zwischen beiden so gebildeten Schenkeln liegt eine
Excavation, welche genau der Form des Linsenäquators ent-
spricht (Fig. 2 bei k). Doch noch eine andere Eigenthümlich-
keit weist darauf hin, dass die Linse vor der Enucleation zu
irgend einer Zeit der Hinterfläche der Hornhaut angelegen hat.
Sie zeigt auf ihrer Yorderfläche genau dieselben radiären Fal-
tungen, welche in grosser Zahl nach dem Gentrum hin zusam-
menlaufen, wie wir sie an der Descemet'schen Membran vor-
fanden, von denen es sich recht gut denken lässt, dass jedes-
mal eine Einsenkung auf der Descemeti einer Erhöhung auf
der Linse entsprochen hat und umgekehrt, so dass sie dicht
aufeinander gepasst hatten. Die Linse zeigt eine abgeplattete
Form. Sie ist auf dem Durchmesser 11 mm breit bei einer
Beitr. z. Entatehongsgesch. der angeb. Missbildangen des Auges. 235
Dicke von 3,25 mm. Die Rinde ist grauweiss, am hinteren
Pole weist sie eine kleine nabeiförmige Verdickung auf, wäh-
rend sie anf ihrer Yorderfläche, besonders in der Gegend des
vorderen Pols aufgeblättert und zerfallen ist. In der Gorticalis
liegen nahe am Aequator mehrere feine weisse „Reiterchen^\
Der Glaskörper hat sich in toto abgelöst und im vorderen
Bnlbusabschnitte hinter der Linse dicht zusammengeballt, mit
welcher er fest verklebt erscheint. —
Nach Einbettung beider Bulbnshälften in Celloidin wür-
den mit dem Becker 'sehen Mikrotom von der äusseren Hälfte
Serienschnitte (von zumeist 20^ Dicke) in verticaler Richtung,
von der nasalen Hälfte theils solche in gleicher, theils — an
der Stelle, wo die Linse fixirt war — in schräg- meridionaler
nach dem Gentram der Linse hinzielender Richtung angefertigt
Die Färbung fand vorwiegend mit Eosin-Hämatoxylin statt.
Mikroskopischer Befund.
Die Hornhaut, welche, wie bereits oben erwähnt, auf dem
Durchschnitt einen in der Gegend des Scheitels etwas abge-
flachten Bogen beschreibt, weist in dieser Gegend nur einen
Dickendurchmesser von 0,4 mm (Fig. 2 s) au^ während derselbe
nach der Peripherie zn bis gegen 0,9 mm anwächst, um im
Gebiete der Ringfurche, welches histologisch eine der Sclera
ähnliche Beschaffenheit bietet, plötzlich wieder auf 0,5 mm
herabzusinken. Mehrere leichte Einziehungen an der Innen-
fläche der Cornea entsprechen den makroskopisch beobachteten
radiären Faltungen, eine bezw. zwei tiefere mit Pigment ge-
füllte (Fig. 2F) der änsserlich sichtbaren dreistrahligen Figur.
Das Epithel ist nirgends von ganz normalem Aussehen. Nur
an wenigen Stellen wird es von drei Obereinanderliegenden
Zellschichten gebildet und nur an solchen wird eine Art Basal-
zeUenschicht, deren Elemente höchstens eine cubische Gestalt
zeigen, angedeutet; die überwiegende Mehrzahl der Epithel-
zellen ist auffallend abgeflacht, so dass ihre Gestalt etwa der-
jenigen der oberflächlichsten Schichten einer normalen Horn-
haut entsprechen würde. Dieselben ziehen zumeist nur als eine
dünne Lage über die Oberfläche der Hornhaut hin; ja im mit^
leren Drittel derselben hören sie unter Homogenisirung ihres
Protoplasmas und Schwinden ihres Kernes allmälig überhaupt
auf, so dass ein weites Gebiet der Hornhautoberfläche epithel-
frei wird. Die Bowman'sche Membran zeigt sich gerade in
236 0. Rindfleisch.
dieser Gegend auffallend verändert Sie hebt sich hier von
den zonächst anter ihr liegenden Parenchymschichten, welche
wie hyalin gequollen und fast zellenfrei erscheinen, kaum merk*
lieh ab und trägt an ihrer Oberfläche mehrere kleine halb-
kugelförmige Verdickungen, welche sich von den an anderen
Glashäuten beobachteten Drusen in keiner Weise unterscheiden.
Diese Drusen der Bowman'schen Membran sind nicht sehr
zahlreich, treten aber stellenweise recht scharf hervor (Fig. 3Dr).
Nach dem Hornhautrande zu lässt sich besagte Membran noch
streckenweise als sehr schmales helles Band unter dem Epithel
nachweisen; dann aber setzt sie sich in immer feiner werden-
den mehrfach übereinander liegenden Lamellen fort, welche von
langen Beihen platter, spindeliger und runder Zellen durchwach-
sen sind (Taf. VIII, Fig. 4 Bm) und geht so in die nächsten Paren-
chymschichten allmälig über. Vom Parenchyme selbst war der
eigenthümlichen Quellung der obersten Schichten im mittleren
Drittel der Hornhaut bereits Erwähnung gethan. Sie hat offen-
bar intra vitam die leichte diffuse Trübung des Hornhautcen-
trums hervorgerufen. Die ausgedehnte periphere Trübungszone,
welche oben mit dem vielleicht nicht recht zutreffenden Namen
des „Arcus senilis^^ bezeichnet wurde, verdankt ihre Beschaffen-
heit in erster Linie einer auffallend weit nach der Homhaut-
mitte vorgeschobenen Grenze zwischen Gonjunctiva bulbi und
Epithel der Hornhaut. Das lockere kernreiche Episcleralgewebe
greift in der oberen Bulbushälfte 2 mm, in der unteren 1,6 mm
weit vom Iriswinkel an gerechnet auf die Hornhaut über, in-
dem es sich central wärts allmälig verjüngt (Fig. 4 Es), doch
schieben sich in seiner Fortsetzung noch eine weite Strecke
zahlreiche Rund- und Spindelzellen zwischen die oberen Paren-
chymschichten, sowie zwischen diese und das Epithel. In der
unteren Bulbushälfte ist dieses zellig infiltrirte Gebiet auch
stark vascularisirt, so dass hier ein dem Pannus gleichendes
Bild entsteht. Eine Verfettung der Hornhautzellen konnte we-
gen der Aether-Alkohol-Behandlung mit Osmiumsäure nicht mehr
festgestellt werden. Die Descemet'sche Membran ist gut ent-
wickelt und vollkommen iutact, desgleichen ihr Endothel. Letz-
teres ist allenthalben mit Pigmentkörnchen versetzt An einer
tieferen Einsenkung der hinteren Hornhautwand (Fig. 2F) la-
gert, wie schon der makroskopische Befund zeigte, ein gewal-
tiger Haufen freier Pigmentkörner. Nach dem Rande zu wird
der Endothel-Ueberzug allmälig sehr flach und kemarm. Die
Sclera ist nur in der Nähe des Sehnerven -Eintrittes von
Beitr. z. Entetehongsgesch. der angeb. Missbildungen des Auges. 237
normaler Dicke. Am Aeqaator ist sie auf 0,3 mm, gegen den
Homhantrand hin auf 0,4 mm verdünnt. Die erwähnte Ein-
ziehung am Aequator ist an der Stelle der stärksten Ver-
dünnung (Fig. 2E) an der oberen Bulbuswand am meisten aus-
gesprochen. In histologischer Beziehung bietet die Lederhaut
nichts Bemerkenswerthes, ausser in der Gegend des unteren
Giliarkörperansatzes. Hier ist sie durch eine etwa 1,5 mm
breite dem Homhautrande concentrisch gerichtete Perforation
in ihrem Verlaufe unterbrochen (Fig; 4P). Dieselbe durch-
dringt, wie eine grössere Reihe von Schnitten ergiebt, sämmt-
liche meridionalen Lamellen der Sclera und macht erst an den
circulären Faserbflndeln des Scleralwulstes Halt. Auf ihrem
Verlaufe kreuzt sie eine spaltförmige Fortsetzung des Circulus
venosus ciliaris (Fig. 4 Cv), dessen Lumen dadurch in offener
Communication mit der Oberfläche dos Bulbus stehen würde,
wenn nicht die Rupturstelle selbst von einer dicht gedrängten
Masse spindeliger mit ihren Kernen senkrecht zum Verlaufe
der Sclerallamellen gestellter Zellen erfüllt wäre. Der sehr
langgestreckte spaltförmige Raum des Schlemm'schen Canals
selbst enthält viele freie Pigmentkömer. Auch sind einzelne
Pigmentkörnchen an verschiedenen Stellen der Perforations-
öfPnung nachzuweisen. Ebenso ist das kemreiche Plattenwerk
der inneren Wand des Schlemm'schen Canals mit solchen durch-
setzt.
Ein Eammerwinkel hat sich nur in der oberen Bulbus-
hälfte ausgebildet Jedoch liegt die Iris der Hornhaut hier so
nahe, dass derselbe sehr spitz erscheint und ein eigentliches
Ligamentum pectinatum nicht hervortritt, wenigstens sind die
Zwischenräume zwischen den Lamellen der Descemet'schen Mem-
bran so dicht zusammengedrängt, dass sie nur ganz schmale
Spaltlücken darstellen. Dieselben sind bis zum Beginn der
Descemeti hin von Pigment massen durchzogen, die sich nur
durch ihre parallele Anordnung vom Pigmentnetze des Iris-
stromas unterscheiden. Ein fortlaufender Endothelbelag von
der Descemeti auf die Vorderfläche der Iris lässt sich nicht
nachweisen. In der unteren Hälfte des Bulbus ezistirt nur ein
scheinbarer Eammerwinkel, thatsächlich liegt die Iris in ihrem
ciliaren Theile der Hornhaut so dicht an, daas nur noch ein
enger spaltförmiger Raum die Lage desselben andeutet (Fig. 4
Kw). Eine scharfe Begrenzung nach innen in Gestalt eines
Endothelflberzuges fehlt auch hier, und an der Stelle, wo die
Iris sich von der Hornhaut abwendet und nach dem Innern
238 G. Rindfleisch.
des Bulbus gerichtet ist, ragen Ausläufer sternförmig verzweig-
ter Pigmentzellen zum TheU frei in das Lumen der Yorderen
Kammer hinein. Der Baum zwischen Iris und Hornhaut ist
ausser mit freien Pigmentkömehen mit einem Gerinnsel erfüllt,
welches zu einem breiten Strang zusammengeballt schräg nach
vom gegen die Hornhaut zieht Es enthält einzelne Rund-
zellen (Fig. 4Z).
Der Giliarkörper ist schwach entwickelt und niedrig,
so dass sein grösster Dickendurchmesser in der oberen Hälfte
des Bulbus 0,8, in der unteren nur 0,6 mm beträgt Die
schmächtigen Muskelbündel sind stark aufgelockert, die circu-
lären und meridionalen in normaler Weise yertheilt Auch hier
ist der Pigmentgehalt ein auffallend grosser; am stärksten prägt
er sich in der inneren bindegewebigen Grenzschicht aus, doch
ziehen von hier zahlreiche Pigmentzüge nach vom zwischen die
Muskelbündel, die sie förmlich umspinnen. Die Giliarfortsätze
zeigen im Vergleich zum Güiarkörper eine sehr gute Entwicke-
lung; die grössten steigen bis zu einer Höhe von 0,6 mm an.
Sie bieten eine Gesammtoberfläche dar, welche an Ausdehnung
kaum hinter der eines normalen Auges zurückbleiben dürfte.
Ihrer histologischen Stmctur nach zeigen sie keine bemerkens-
werthen Eigenthümlichkeiten. Auffallend ist jedoch der Um-
stand, dass sämmtliche Giliarfortsätze deutlich nach hinten
gerichtet sind.
Von der Iris ist ein Rudiment in Gestalt eines schmalen
Ringes vorhanden. Auf dem Durchschnitt ragt dieser Ring
oben als 0,9, unten als 0,5 mm langer Zapfen in den zwischen
Gomea und Linse beflndlichen Raum hervor. Jedoch ergiebt
sich bei genauerer Besichtigung, dass dieser Zapfen noch nicht
die ganze Iris darstellt Der ciliare Theil derselben liegt viel-
mehr — wie bereits oben erwähnt war — der Hornhaut so
dicht an, dass hier der Eammerwinkel nahezu oder vollkommen
aufgehoben, das Ligamentum pectinatum platt gedrückt erscheint
Rechnet man das nicht mit zur Bildung einer vorderen Kam-
mer beitragende Stück zur Iris hinzu, so würde dieselbe oben
noch fast einen Saum von 1 mm, unten einen solchen von
0,7 mm repräsentiren. An den breiteren Theilen ist die Iris
am Giliaransatze 0,4 mm, an den schmäleren 0,5 mm dick.
Ueberhaupt ist der Irisdurchschnitt oben mehr schlank und mehr
einem normalen, wenn auch embryonalen, gleichend (Fig. 2 J),
während er unten nur einen kurzen unförmigen Stumpf dar-
stellt (Fig. 2J^). Der letztere zeigt nahe am Giliaransatze an
Beitr. z. EntstehongsgeBch. der angeb. Missbildongen des Aages. 239
der Innenseite eine tiefe, nach der Perforationsstelle der Sciera
hin gerichtete Einziehung (Fig. 4E), während eine solche oben
an der entsprechenden Stelle nnr schwach angedeutet ist. Das
Gewebe der Iris zeichnet sich durch einen grossen Pigment-
reichthum aus, welcher gegen die Yorderfläche dermaassen aus-
gesprochen ist, dass dieselbe von einem gleichmässig braunen
Saum begrenzt wird. Ausserdem ist der uveale Theil der Iris
reich an Kernen und dickwandigen Gefässen, doch ausserordent-
lich arm an Muskelfasern. Ein Sphincter pupillae fehlt
vollkommen. Der retinale Theil der Iris ist gut entwickelt
Sein Dickendurchmesser beträgt durchschnittlich 0,05 mm. Er
reicht bis gegen den vorderen Saum des Pupillarrandes, doch
hebt sich auch hier das schwarze Pigment von dem angren-
zenden bräunlichen Pigment auf der Vorderseite der Regen-
bogenhaut scharf ab.
Die Zonula Zinnii hat, wie die mikroskopische Unter-
suchung mit Bestimmtheit ergiebt, intra vitam der Linse aller-
seits angehaftet, doch scheinen ihre Fasern eine zu grosse
Länge und Nachgiebigkeit besessen zu haben, um die Linse
fest in ihrer normalen Lage zu erhalten. Oben war die Be-
festigung offenbar eine bessere, als unten. Die Zonulafasern
sind hier auch zahlreicher und kräftiger. Wir sehen bei
schwacher Yergrösserung, wie dieselben oben in gewöhnlicher
Weise als Fortsetzung der Membrana hyaloidea über die hin-
teren Ciliarfortsätze nach vom ziehen und sich an der Kapsel
inseriren. Dabei nehmen sie einen welligen Verlauf, weil die
Linse bei der Halbirung sich leicht nach oben verschoben hat,
also die Entfernung ihres Aequators von der Ora serrata ver-
ringert worden ist (Fig. 2Z). Diese leichte Verschiebung der
Linse hat aber an der unteren Hälfte zur Sprengung der Kap-
sel geführt. Während diese an der Zonula haften geblieben ist,
hat sich der Aequator der Linse ein Stück von ihr entfernt.
Der Durchschnitt zeigt uns also hier einen genau die Form
des Linsenäquators wiedergebenden Kapselbogen, welcher mit-
telst der gespannten Zonula an der Ora serrata bezw. Mem-
brana hyaloidea fixirt ist (vergl. Fig. 2K und Fig. 4K). Aus
dem Vorstehenden bestätigt sich, wenn man zugleich die Länge
der Zonula berücksichtigt, die Annahme, dass die Linse wahr-
scheinlich gelockert der Hornhaut nahe gelegen hat. Ein Be-
weis für diese Annahme wird auch durch das Verhalten der
hinteren Linsenkapsel erbracht, worauf wir sogleich eingehen
werden.
240 ^' Rindfleisch.
Die Linse, deren leichte (artificielle) Verschiebung nach
hinten oben bereits hervorgehoben war, entspricht in ihren Di-
mensionen genau den makroskopisch gefundenen Maassen. Die
Kapsel nmschliesst sie — abgesehen von der artificiellen Zer-
reissung vom am Pol und hinten etwa in der Mitte zwischen
Pol und Aequator — continuirlich. Hinten ist sie auf&Ilend
stark gefaltet und hebt sich genau am hinteren Pole halbkugel-
förmig empor (Fig. 2 Cp), nach dem Aequator zu und auf der
Yorderfläche der Linse ist die Faltung geringer; zugleich er-
reicht die Kapsel hier zwischen Aequator und Pol ihre grösste
Dicke, um noch weiter centralwärts zuerst zwei Lamellen er-
kennen zu lassen und sich genau am vorderen Pole derartig
zu verändern, dass hier mehrere feine Lamellen durch lange
Züge von Zellen getrennt die Stelle der Kapsel vertreten. Eine
continuirliche Lage von Kapselepithel als innere Begrenzung
dieses Gebietes konnte ich nicht mit Sicherheit nachweisen,
während der Epithelbelag an der ganzen übrigen Yorderfläche
und am Aequator der Linse bis zum Kembogen hin ununter-
brochen vorhanden ist
Eine Umwandlung von Epithelzellen in Bläschenzellen war
nicht zu sehen, wohl aber lagen mehrfach bläschenförmige
Bäume hinter den langgestreckten Epithelzellen, die sich scharf
von ihnen abgrenzten. Im ganzen Yerlauf der vorderen Lin-
senfläche finden sich zerstreute Häufchen von Pigmentkömem
abgelagert
Die Corticalis ist am vorderen Linsenpol in einem Ge-
biete, welches breitkegelförmig der Kapsel anliegt, einem Zer-
störungsprocess anheimgefallen. Die Basis dieses kegelförmigen
Herdes beträgt etwa 0,5 mm im Durchmesser. Die Spitze ist
gegen das Centrum der Linse gerichtet (Fig. 2 Ca). Am Rande
erscheinen die Linsenfasem der Rinde in weiter Ausdehnung
zerklüftet, während im Innern sich auch bei stärkerer Yer-
grösserung nur Massen von grösseren und kleineren schlecht
gefärbten Schollen nachweisen lassen. Yon anderen morpho-
logischen Bestandtheilen finden sich nur gegen die Kapsel zu
einzelne in Zerfall begriffene Epithelzellen. Yom Kembogen
nach hinten treten unter allmäligem Zerfall der LinsenfisMem
zahlreiche Morgagni*sche Kugeln auf, welche näher dem hin-
teren Pole einer homogenen durchschnittlich 0,1 mm dicken
Schiebt Platz machen. Dort, wo sich am hinteren Pole selbst
die Kapsel halbkugelförmig emporgewölbt hatte, ist sie beson-
Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. Missbildangen des Auges. 241
ders dick, mit der Kapsel eng verschmolzen, nach innen zu
aber zerfidlen, in Schollen und in einzelne Kugeln aufgelöst
Die makroskopisch beobachteten feinen weissen „Reiter-
chen^^ documentiren sich mikroskopisch als Spaltlücken zwischen
den Linsenfasern nahe am Kern, welche mit äusserst feinkör-
nigen durch das Hftmatoxylin dunkelblau gefärbten Massen er-
füllt sind.
Der Kern selbst bietet histologisch nichts Bemerkenswerthes.
Der Grlaskörper mit seiner Hyaloidea ist nach vorn hin
bis über den Aequator hinaus vollkommen von der Retina ab-
gelöst, von hier ab aber mit dieser Membran fest verwachsen.
Seinen zusammengeballten Massen sind hinten geringe Mengen
geronnenen serösen Exudates aufgelagert. Die Glaskörper-
fibrillen sind von sehr welligem Verlaufe. Zellige Bestandtheile
sind nur spärlich dazwischen vertreten.
Die Aderhaut ist von der Stelle der ringförmigen Ein-
senkung der Bulbuswand bis zur Ora serrata hin leicht von
der Sclera abgehoben (Fig. 2£, E^). Diese Abhebung ist je-
doch offenbar nur mechaniBch durch den Druck eben jener
Scleralfalte hervorgerufen. Histologisch betrachtet bietet diese
Membran in der Mehrzahl der Schnitte von der Eintrittsstelle
des Sehnerven bis zum Aequator ziemlich normales Verhalten.
Nur erscheinen die Wände einzelner kleinerer Arterien bis-
weilen auffallend verdickt und wie hyalin gequollen. Auch ist
die Vertheilung des Pigmentes im Stroma eine sehr unregel-
mässige. Die Suprachorioidea hat sich entsprechend der Ab-
hebung der Aderhaut gelockert und fällt gleichfalls durch ihren
Pigmentreichthum auf. Nahe an der Ora serrata treten aus-
gedehnte Veränderungen des ganzen inneren Ueberzuges der
Sclera hervor. Die Geflisse der Chorioidea sind hier nur in
äusserst geringer Zahl, meist jedoch überhaupt nicht mehr nach-
weisbar. An ihrer Stelle durchziehen nur einige homogene
Stränge das pigmentarme hier und da von Gonglomeraten von
Rundzellen durchsetzte Aderhautgewebe, welches letztere in der
Mitte des Herdes nur noch schwach angedeutet und von der
Suprachorioidea kaum zu unterscheiden ist.
Die Glasmembran erscheint hier unterbrochen, so dass die
Elemente der Retina unmittelbar in die Aderhaut übergehen.
Die hochgradigsten Voränderungen hat jedoch das Pigment-
epithel erfahren. Dasselbe haftet im übrigen Bulbus, an den
Stellen, wo sich die Netzhaut abgehoben hat, der Basalmem-
bran der Chorioidea an. Seine Armuth an Pigmentkörnem
T. Graefc*8 Archir für Ophthalmologie. XXXVII. 3. 16
242 6. Rindfleisch.
steht im auf&Uenden Gegensatze zu der starken Pigmentirung
im Uvealtractns. Stellenweise liegen auch nahe am Opticus
Herdchen, in denen die Pigmentschicht nur aas einer Reihe
von blan gefärbten Epithelzellen besteht, die der Pigmentköm-
chen fast ganz entbehren. Innerhalb des oben erwähnten Er-
kranknngsherdes ist die Pigmentepithelschicht gänzlich ge-
schwanden, während ihre Zellen sich am Rande desselben zu
dicken, braunschwarzen Klumpen zusammengeballt haben.
Die Netzhaut ist in diesem Gebiete verdünnt und ist mit
der atrophischen Aderhaut eine innige Verbindung eingegangen.
Sie setzt sich aus langen sich vielfach kreuzenden Fasern zu-
sammen und enthält zahlreiche Kerne. Von einer typischen
Schichtung ist nicht mehr die Rede. Erst in weiterer Ent-
fernung vom Erkrankungsherde treten wieder zwei Kömer-
schichten der Netzhaut hervor, jedoch sind die bindegewebigen
Elemente noch bei weitem vorwiegend. Zugleich lagern nahe
am Herde zahlreiche freie Pigmentkörnchen im Gewebe der-
selben, während solche im Innern des erkrankten Gebietes nur
äusserst spärlich nachzuweisen sind. Der Glaskörper haftet
hier der Netzhaut fest an. Wo die Netzhaut nicht mit der
Aderhaut verklebt ist, liegt zwischen dem der Aderhaut anlie-
genden Pigmentepithel und der Retina überall eine dichte Masse
feinkörniger Substanz, welche die theUs abgelösten, theils —
cadaverös — zerfallenen Stäbchen und Zapfen, sowie freies
Pigment enthält Der Cylinderepithel-Ueberzug der Ora ser-
rata zeigt in der Nähe der atrophischen Retinapartie cystische
Degeneration seiner Zellen. Dieselben stellen zumeist grosse
ovoide Blasen dar, welche an ihrem dem Glaskörper zugewen-
deten Ende wenig färbbares Protoplasma mit einem Kern führen.
— Zwischen den Zellcontouren lagern gleichfalls Reihen feiner
Pigmentkörner.
Der Sehnerv bietet abgesehen von der tiefen centralen
physiologischen Excavation nichts Bemerkenswerthes.
Epikrise.
Kurz zusammongefasst würde die vorstehende anato-
mische Untersuchung Folgendes ergeben haben:
Geringe Verdünnung der Sclera im vorderen Bulbus-
abschnitte. — Perforationsnarbe derselben nahe am unte-
ren Sclerocomeal-Rande. — Faltung und stellenweise Ver-
Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. Missbildungen des Aages. 243
dünnung der Hornhaut mit theilweisem Epithelverlust und
weitem Uebergreifen der Episclera nach dem Centrum hin.
— Drusen der Bowman'schen Membran. — Dreistrahlige
Pigmentzeichnung auf der Descemet'schen Membran. —
Rudimentäre Entwickelung der Iris. — Fehlen des Sphinc-
ter pupillae. — Geringe Ausbildung des Ciliarmuskels. —
Richtung der Ciliarfortsätze nach hinten. — Cystische De-
generation des Cylinderepithels der Ora serrata. — Chorioi-
ditis. — Glaskörper- Abhebung und Verflüssigung. — An-
deutung einer früher stattgehabten Dislocation nach vorn.
— Ectopie nach oben und innen. — Cataracta polaris
anterior und posterior.
Es stimmen mit diesem Befunde die Ergebnisse der
von De Benedetti (55) und Lembeck (64) angestellten
histologischen Untersuchungen im Wesentlichen überein. So
hebt De Benedetti die verschiedene Dicke der Cornea an
verschiedenen Stellen, sowie ihre geringe Differencirung von
der Sclera hervor. Auch beschreibt er eine spornartige
Hervorragung an der Innenseite der Hornhaut von der Höhe
eines Comealdurchmessers. Die auffallende Aehnlichkeit
seiner Zeichnung mit einer im Atlas von Wedl und Bock
(Tafel III, Figur 15) abgebildeten perforirenden Homhaut-
narbe, welche einen langen in die vordere Kammer ragen-
den Gewebszapfen darstellt, legt die Vermuthung nahe, dass
es sich in De Benedetti's Fall auch um eine Hornhaut-
perforation gehandelt hat. Lembeck erwähnt an der Cor-
nea eine circumscripte centrale Trübung und berichtet, dass
in der ganzen Ausdehnung unter der Bowman'schen Mem-
bran zarte Gefässchen verliefen; femer war die Hornhaut
konisch vorgewölbt An der Sclera werden Erscheinungen
erwähnt, welche auf Verfettung des Gewebes hindeuten.
Einen vollkommenen Mangel der Iris konnten auch
diese beiden Autoren nicht nachweisen, obschon ihre Be-
funde klinisch imzweifelhaft als totale Irideremie aufgefasst
werden mussten. Ein sicherer Fall von vollkommenem Man-
ie*
244 0. Rindfleisch.
gel der Regenbogenhaut ist also auch durch die neuesten
Untersuchungen nicht erbracht worden.
De Benedetti's sowohl, wie Lembeck's Untersu-
chungen haben in Uebereinstimmung mit Pagenstecher's
(29) früheren Veröffentlichungen ein Hineinwachsen der
Iris oder eines Theiles derselben zwischen die Lamellen der
Descemetischen Membran ergeben. Wenn sich auch meine
Befunde kaum erheblich von den ihrigen unterscheiden
dürften, so schien es mir doch zu viel gesagt, wenn ich die
wenigen Pigmentzüge, die sich in meinen Präparaten zwi-
schen das Ligamentum pectinatum nach vorn erstrecken
(Figur 4 bei Kw — z), als Fortsetzung der Iris ansprechen
wollte. Der gänzliche Mangel von Muskelfasern in der ru-
dimentären Iris wird Ton DeBenedetti gleichfalls betont,
während Lembeck hierauf nicht eingeht. Wenn ich nach
meinen Befunden als höchst wahrscheinlich annehmen musste,
dass die vordere Kammer wenigstens zeitweilig aufgehoben
war, so liefert De Benedetti den Beweis hierfür, indem
er Stücke der Linsenkapsel mit der Hinterfläche der Horn-
haut fest verwachsen fand. Das Corpus ciliare sahen beide
Autoren gleich mir schwach entwickelt; und De Benedetti
hat ausserdem gleich mir die Ciliarfortsätze nach hinten
gerichtet gefunden. Die Zonula Zinnii wird übereinstim-
mend als ziemlich normal erkannt, nur beschreibt De Be-
nedetti eine geringe Stärke ihrer Fasern im unteren Au-
genabschnitt, wie auch ich constatirt habe und hebt gleich
Lembeck und mir eine Loslösung derselben von der Lin-
senkapsel hervor, die aber wohl überall als artificiell auf-
zufassen ist. Die Linsenkapsel selbst war in allen Fällen
verdünnt, gefaltet und zum Theil wohl auch zerrissen. Be-
züglich der cataractösen Veränderungen in der Linse treten
nur geringe Abweichungen an den Befunden auf. Der Glas-
körper war bei allen theilweise verflüssigt und abgehoben.
Die Aderhaut und das Pigmentepithel fand auch De Bene-
detti verändert und atrophisch, während Lembeck diese
Beitr. z. Entstehangsgesch. der angeb. Missbildongen des Auges. 245
Membranen als normal bezeichnet; doch beschreibt er einen
zwischen Ora serrata nnd Ciliarkörper befindlichen Herd
atrophischer Netzhaut mit Anhäufung und Wucherung des
Pigmentepithels am Bande desselben. Der Sehnervenein-
tritt war in Lembeck's Fall und in dem einen Falle von
DeBenedetti glaucomatös, im anderen Falle des letzteren,
wie in dem meinigen, nur tief physiologisch excavirt
Als besondere Eigenthümlichkeiten wies der von mir
untersuchte Bulbus Drusen an der Bowman'schen Membran,
sowie eine eigenthümliche Zeichnung der Descemeti auf.
Die ersteren sind meines Wissens noch nicht beobachtet
worden, während der merkwürdige, von aussen sichtbare
Dreistrahl Ton v. Ammon (25) wiederholt an Patienten ge-
sehen und beschrieben wurde, sowie auch hierhergehörige
anatomische Untersuchungen des gleichen Autors an Thieren
vorliegen. Wie bereits oben berichtet wurde, ergab sich
nun, dass die Zeichnung durch eine eigenthümliche Ver-
änderung an der vorderen Linsenfläche (Hemiphakie v. Am-
mon's) bedingt war, während ich bei den hochgradigen
secundären Veränderungen an der vorderen Linsenfläche
einen gleichen Nachweis zu liefern ausser Stande war; doch
drängt die eigenthümliche Configuration der Pigmentabla-
gerung auf der Hornhaut, welche eine auffallende Ueberein -
Stimmung mit der Form des Linsenstems aufweist, zu der
Annahme, dass die Linsenbildung irgend welchen Einfluss
auf die Entstehung jener ausgeübt haben muss.
Mögen sich auch im Einzelnen mancherlei Verschieden-
heiten hinsichtlich der histologischen Beobachtungen über
Irideremie finden, so lässt sich doch im Allgemeinen sagen,
dass überall deutliche Folgeerscheinungen von hochgradigen
Entzündungsvorgängen des Augapfels vorlagen, eine That-
sache, welche wohl geeignet sein dürfte, uns einer Deutung
des Zustandekommens dieser Missbildung näher zu bringen:
Bis zu einem gewissen Zeitpunkt hatte sich die Iris
offenbar normal entwickelt. Dann trat irgend ein hemmen-
246 G. Rindfleisch.
des Moment ein, welches man mit De Benedetti auf eine
mangelnde vis a tergo — die zu geringe Entwickelung der
secundären Augenblase — oder mit Manz in dem Wider-
stand der vorliegenden Linse suchen könnte. Gegen die
erstere Möglichkeit spricht die normale Entwickelung der
übrigen Augenblase speciell der Retina; auf die zweite Mög-
lichkeit scheint der vorliegende Befund hingegen ganz ent-
schieden hinzuweisen. Schon bei oberflächlicher Betrach-
tung des Bulbusdurchschnittes muss es uns auffallen, dass
der Sclerooomealrand an seiner Hinterseite eine Ringfurche
zeigt (Fig. 2R und R^), die ihrer Grösse nach genau der
dahinter liegenden Iris entspricht, so dass es den Eindruck
macht, als habe diese in der Furche gelegen und habe sich
erst später daraus nach hinten emporgehoben. Zudem giebt
die Vorderfläche der Linse, soweit sich dies nach dem ca-
taractösen Zerfall noch nachweisen lässt, ziemlich genau die
Form der Homhauthinterfläche wieder, und die langen ge-
lockerten Fasern der Zonula lassen recht gut die Möglich-
keit einer Dislocation der Linse zu. Wir werden also nach
unserem Befunde dazu gedrängt, ein Anliegen der Linse an
der Hornhaut während der Ausbildung der Iris als sehr
wahrscheinlich anzunehmen. Während aber Manz bei sei-
ner Erklärung für die Genese der Irideremie die Frage
unbeantwortet lässt» weshalb sich die Iris nicht rechtzeitig
abgeschnürt haben soll, sind wir nach unseren Präparaten
in der Lage, den zeitweiligen Zusammenhang zwischen Linse
und Hornhaut zu erklären. Eine intrauterine Entzündung
hatte höchstwahrscheinlich nicht nur zur Erkrankung des
Glaskörpers und der Aderhaut geführt, sondern hatte sich
auch auf den vorderen Bulbusabschnitt erstreckt und hier
die beschriebene Perforation an der Sclerocornealgrenze her-
beigeführt. Diese hatte die vordere Kammer in offene Ver-
bindung mit der Oberfläche des Auges gesetzt. Das Kam-
merwasser musste also abfliessen und die Linse gegen die
Hornhaut angedrängt werden. Dass sich durch entzünd-
Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. Missbildungen des Auges. 247
liehe Exsudate auch eine Yerklebung ausbildete, ist kaum
zu bezweifeln. Die eben angelegte Iris drängte sich nun
wahrscheinlich zwischen Linse und Hornhaut vor, doch
reichte ihre Kraft nur dazu aus, einen Eindruck auf der
weichen fötalen Hornhaut zu hinterlassen und einzelne Fa-
sern ihres Gewebes in das Ligamentum pectinatum hinein-
zuschieben, nicht aber dazu die Verbindung der Linse zu
lösen. Erst ganz allmälig wird sich dann vermuthlich die
Perforation durch Narbengowebe geschlossen haben und
durch zunehmende Absonderung des Kammerwassers die
Kammer wieder hergestellt worden sein, worauf sich die
im Wachsthum nicht weiter fortgeschrittene Iris mit abhob;
doch war das Auge jetzt schon fast völlig ausgebildet, so
dass auch die Regenbogenhaut keinen Wachsthumstrieb mehr
zeigte. Für die Entstehung der Cataract lassen sich ent-
zündliche und Ernährungsstörungen im Allgemeinen, die
Berührung mit der Hornhaut und die Lockerung der Zo-
nula im Besonderen verantwortlich machen; die letztere
mag auch wohl die Veranlassung dazu gewesen sein, dass
die Ciliarfortsätze nicht durch die Fasern der Zonula in
einer nach vorn gestreckten Richtung gehalten wurden, son-
dern nach hinten und senkrecht emporwachsen konnten.
Schwer zu erklären dürfte jedoch die eigenthümliche Zeich-
nung auf der Hinterfläche der Hornhaut sein. Denkbar
wäre allenfalls, dass die Linse, wähend sie der Hornhaut
anlag, entsprechend dem in Ausbildung begriffenen „Sterne*^
eine leichte dreistrahlige Einkerbung ihrer Vorderfläche be-
sessen hatte, wie dies v. Ammon in den oben erwähnten
Fällen bei Thieren beobachtet hat. — Hierdurch würde
dann wohl zwischen ihr und der Hornhaut ein schmaler
dreistrahliger Spaltraum gebildet, in welchem sich das durch
die Entzündung der Gefässhaut frei gewordene und im
Kammerwasser suspendirte Pigment ablagern konnte.
248 6- Rindfleisch.
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fieitr. z. Eatstehungsgesch. der angeb. Missbildongen des Auges. 251
52. Ottava (1885), Irideremia c. ectopia lentis. Szem^szet
y, S. 12 (citirt nach den Jahresberichten).
53. Eales (1885), Brit medic. Joarn. 14. März (citirt nach
dem Centralbl. f. p. A.).
54. Lawrentjeff (1886), Zur Frage der congenitalen Ano-
malien der Iris. Centralbl. für prakt Augenheilkunde von
Hirschberg.
55. De Benedetti (1886), Irideremia totale congenita etc.
Annali di Ottalmologia S. 184 und 399.
56. Nicolini (1887), Irideremia congenita totale bilaterale etc.
BuilL d'OcuL Bd. IX, 10—11, S. 73 (cit n. d. Jahresber.).
57. Felser (1888), Aniridia utriusque oculi completa conge-
nita. Klin. Monatsbl. für A. S. 296.
58. Theobald (1888), A case of double congenital Irideremia
etc. Transactions of the American Ophth. Soc. v. 19. Juli.
59. Hirschberg (1888), Angeborener Irismangel mit späterer
Linsenverschiebung wie Trübung und Drucksteigerung. Gen-
tralbL für prakt A. S. 13.
60. Tokkus (1888), Ueber Irideremia totalis congenita. Inaug.-
Diss. Strassburg (citirt nach den Jahresberichten).
61. Herrenheiser (1889), Zwei Fälle von Aniridia congenita.
Wien. klin. Wochenschrift Nr. 6, S. 118 (citirt nach den
Jahresberichten).
62. Franke (1889), Fall ton partieller Irideremie. Klinische
MonatsU. f. A. S. 13.
63. Grünsberg (1890), Zur Casuistik der angeborenen Iris-
anomalien« Elin. Monatsbl. f. A. S. 181.
64. Lembeck (1890), Ueber die pathologische Anatomie der
Irideremia totalis congenita. Inaug.-Diss. Halle.
252 O. BindflelBcb, Beiträge nr Entstehmigageschichte etc.
Erklärung der Figuren auf Tafel vn und vm,
zu dem Falle Ton angeborenem Irismangel gehörig.
Fig. 1. Bulbiu Ton vorn gesehen in natürlicher Grösse (halbsche-
matisch).
Fig. 2. Sagittalschnitt dnrch denselben Bulbus in filnfifacher Ter-
grOsserong.
S Leicht abgeplattetes Gebiet der Homhantoberfl&che.
F £inziehangen an der Hinterflache.
R und B^ Ringforche der Homhant
J und J^ Iris-Radiment
K Abgelöstes Stack der Linsenkapsel.
Ca Cataracta polaris anterior.
Cp Cataracta polaris posterior.
E nnd E^ Einriehongen des Bulbus.
Fig. 3. Gegend der Drasen der Descemetischen Membran in sechs-
hundertfacher Yergrösserang.
Dr Drasen.
E Epithel.
BM Bowman*8chen Membran.
P Parenchym der Homhaat
Fig. 4. Schnitt ans dem Perforationsgebiet der Hornhaut in rierzig-
facher Yergrösserang.
Es Epithelschicht der Hornhaut.
O Gefikss.
Oü Mit dem Circ. venosus in Yerbindung stehende vordere
Cillanrene.
P Perforationsstelle der Sclera,
Kio Kammerwinkel.
Z Gerinnsel zwischen Iris und Homhaat
E Eiiudehung der Iris.
K Abgelöste Linsenkapsel.
Eine eigenthflmliche oberflächliche Nenbildnng
der Cornea.
Von
Dr. Eduard Zirm,
I. Assistenten an der I. Augenklinik in Wien.
ffierza Taf. IX, Fig. 1—3.
Der folgende Fall scheint mir sowohl in Bezug auf den
Krankheitsrerlauf, als auch die Eigenartigkeit des Erank-
heitsbildes und des histologischen BeAindes genügend inter-
essante Details zu enthalten, welche seine Mittheilung recht-
fertigen.
Die 15jährige Marie B. stellte sich am 8. April d. J. im
klinischen Ambulatorium vor, von Herrn Regierungsrath Dr.
Illing in Troppau gesendet.
Sie ist ein fttr ihr Alter ziemlich gut entwickeltes, etwas
blasses Mädchen. Es bestehen keine geschwollenen Lymphdrü-
sen, die Zähne sind gut gebildet; es sind überhaupt keinerlei
Merkmale irgend welcher Erkrankung vorhanden, bis auf den
Befund auf dem linken Auge.
Dasselbe ist ohne Ii^ection; nach abwärts vom Centrum
der Hornhaut besteht eine im Umkreise runde, etwa Unsen-
grosse Trübung, welche das Hornhautniveau um etwa einen
Millimeter überragt und eine exquisit sulzig durchschei-
nende graue Farbe darbietet. Ihr entsprechend ist die Ober-
fläche sehr uneben. Innerhalb dieser trüben Auflagerung treten
etwa zwanzig stecknadelstichgrosse etwas hellere und saturirtere
Punkte hervor, die sich weder mit der Hartnack'schen Eugel-
lupe, noch mit der Zehender'schen binoculären Lupe weiter
254 £• Zirm.
zerlegen lassen. Sie besitzen keine ganz scharfen Orenzen. Es
hat nicht den Anschein, als ob diese trabe Schicht sich tiefer
in das Gomealgefüge hinein erstreckte. Ihr oberer steiler and
etwas gewnlsteter Rand ist scharf gegen das umgebende un-
veränderte Comealgewebe abgegrenzt. Gegen den unteren Lim-
bus ist die Orenze weniger markirt Die Begrenzungslinie
zeigt mehrfache Ein- und Ausbiegungen. Gefösse lassen sich
auch mit der Lupe nicht wahrnehmen. Die untere Homhaut-
hälfte ist ein wenig vorgewölbt Der untere Limbus ist etwas
aufgeworfen und von kleinen hellgrauen nicht scharf umgrenz-
ten Knötchen durchsetzt. Sowohl durch ihre Erhebung über
das Hornhautniveau, als auch durch ihren steilen scharfionarkir-
ten Rand macht die Wucherung auf den ersten Anblick einen
neoplasmaartigen Eindruck.
Die vordere Kammer ist deutlich vertieft, die Regenbogen-
haut verfärbt und aufgelockert, insbesondere im äusseren un-
teren Quadranten. Die Pupille ist etwas weiter, reagirt träge.
Die Tension etwas vermehrt, die Sclera ftihlt sich rigider an
und ist im vordersten Abschnitt etwas bläulich durchscheinend.
Der Augenhintergrund ist normal, es besteht keine Excavation
der Papille.
Das rechte Auge ist normal.
Interessant ist die Vorgeschichte dieses Falles, welche ich
den sehr genauen Mittheilungen des Herrn Regiernngsrathes
Dr. lUing verdanke, welcher die Kranke seit October 1889
beobachtet hat Ich will jene mit Illing's eigenen Worten hier
wiedergeben.
„Die Erkrankung des Auges soll am 27. September 1889
plötzlich unter Thränenfluss und heftigen Schmerzen begonnen
haben. Als ich am 20. October die Kranke sah, machte es
den Eindruck eines entzündeten herpetischen Knotens. Am
12. Januar 1890, als sie wieder zur Untersuchung kam, zeigte
sich an der Stelle der jetzigen Wucherung eine Trübung der
Cornea und ein auf dieselbe hinziehendes Oefässbündel. Man
sagte mir damals, es dürfte das Ganze eine Anätzung durch
Calomel sein (?), das von einem Gollegen in den- unteren Binde-
hautsack inspergirt worden war. Die gleich anfangs wahr-
nehmbare leichte Elevation der trüben Stelle über dem be-
nachbarten Comealgewebe wurde immer deutlicher, so dass das
Ganze eine opake Auflagerung mit ungleichmässig zackigen
Rändern bei scharfer Abgrenzung gegen die Umgebung dai^
Eine eigenthümliche oberflächliche Neabildang der Cornea. 255
stellte. Sehr häufig schössen am Bande oder aach auf der
Fläche der trüben Partie wasserhelle vom abgehobenen
Epithel gebildete Blasen auf, die ich theils zerstörte, theils
Ton selbst bersten liess. Die dadorch entstandenen Exfolia-
tionen Hessen immer durchsichtiges Comealgewebe durch-
schimmern. Die Trübung bot nie das Aussehen einer Narbe,
sondern immer das einer rauhen opaken Wucherung, die ich
zweimal mit der glühenden Platinnadel zerstörte, worauf durch
einige Zeit eine Beduction der Trübung auftrat, um immer
wieder sich anzubilden. Langsam, sehr langsam kroch
dieselbe gegen die Pupille zu. Erst seit Januar bemerkte
ich, dass sich die untere Hälfte der Cornea mehr vorwölbte,
die Kammer tiefer, die Iris gelockerter wurde "•
Am 8. April 1891 wurde auf der Klinik die hervorra*
gende Partie in mehreren Stückchen mit dem Oraefe'schen
Staarmesser abgetragen, hierauf die ganze Stelle mit einem
scharfen Löffel abgeschabt Verband.
Am darauffolgenden Tage war der Augapfel kaum injicirt;
an der Stelle der Auflagerung bestand eine geglättete, leicht
graue Trübung, welche nicht mehr prominirte. Der gegen die
Pupille gelegene Band war wie zuvor scharf abgegrenzt und
ein wenig vorragend. Den unteren Homhautrand überschritt
ein zartes oberflächliches Gefäss.
Nach der Bückkehr der Patientin in ihre Heimath hatte
sich nach der brieflichen Mittheilung des Herrn Dr. Illing
am inneren Bande der abgeschabten Stelle neuerdings eine
grosse Blase gebildet, die bald wieder verschwand.
Während der ganzen über 1^, jährigen Krankheitsdauer
hatte die Kranke innerlich reichlich Leberthran und Eisen ge-
nommen; am kranken Auge waren Atropin, Calomel, Präcipi-
tatssalbe, Opiumtinctur, Ferrum candens, Eserin jeweilig in
Anwendung gezogen worden — Alles ohne ersichtlichen Erfolg.
Die excidirten Gewebsstückchen wurden der mikrosko-
pischen Untersuchung unterzogen.
Aus dem einen Stückchen wurde sofort ein Präparat auf
Tuberkelbacillen angefertigt, mit negativem Besultat; ein
anderes zu einem frischen Zupfpräparat verwendet, die übrigen
sogleich in Müller'scher Flüssigkeit durch vier Tage erhärtet,
nach sorgfältiger Ausspülung in destillirtem Wasser in Alkohol
nachgehärtet Die gehärteten Stückchen wurden theils in
Grenacher's Hämatoxylin, theils in Cochenillealaun in toto ge-
erbt und in Celloidin, andere in Paraffin eingebettet zu Serien-
256 E. Zirm.
scbnitten yerarbeitet. Das Zupfpräparat ergab eine grosse
Menge meist junger Epithelzellen.
Die Schnitte zeigen eine nngleichmässig dicke Lage der
Epithelzellen. Fast überall ist die Mächtigkeit des Epithel-
zellenlagers grösser als bei der normalen Cornea. Es schwankt
dieselbe zwischen 83 /ei (6 — 8 fache Zellenlage) und 250 fi
(18 — 20 fache Zellenschicht). Das Epithel senkt sich mit bald
breiteren, bald schmäleren Zapfen in das darunter be-
findliche Gewebe hinein (Figur 1,3). Diese Epithelzapfen sind
immer von rundlicher und vollkommen scharfer Umgrenzung.
In Bezug auf ihre Form gleichen die einzelnen Epithelien toII-
kommen denen der normalen Hornhaut In den tieferen Schich-
ten finden sich cylindrische bis cubische Zellen, die oberfläch-
lichen sind platt und stärker verhornt An jenen Schnitten,
wo das Epithel in sehr zahlreichen Lagen aufgeschichtet ist,
hat die Mehrzahl der Zellen eine runde bis ovale Form. Aber
nicht allein in der Form von Zapfen senkt sich das Epithel
in seine Unterlage ein, sondern wo ^iele Zellschichten über-
einander liegen, entstehen auch Höcker, welche den Contour
der Oberfläche überragen. Nirgends sieht man deutliche
Stachelzellen.
Während eine grosse Zahl der Epithelzellen von dem Aus-
sehen normaler Homhautepithelien nicht abweicht, zeigen an-
dere eine trübe Beschaffenheit ihres Protoplamas und oft
unmittelbar am Kern kleine rundliche Hohlräume, welche
dem einen Pol des letzteren kappenförmig aufsitzen (Figur 2,
bei b). Ja sogar innerhalb der grossen Zellkerne sind mitunter
helle rundliche Fleckchen bemerkbar, die den Eindruck kleiner
Bläschen machen.
Noch aufüBÜlender ist eine sehr erhebliche Erweiterung
der Intercellularräume auf sämmtlichen Schnitten. Die-
selben treten als ziemlich breite helle, farblos gebliebene Linien
zwischen den Zellen aller Schichten hervor. Dadurch entsteht
ein sehr in die Augen fallendes, die einzelnen Zellen einschlies-
sendes, zusammenhängendes Netzwerk; an vielen Stellen
sind die Maschen desselben zu grösseren rundlichen oder
elliptischen Lücken erweitert (Figur 1). Schräge Schnitte
zeigen an der basalen Seite der untersten Zellen eine honig-
wabenartige Anhäufung dieser Substanz, indem diese die Basen
der Zellen hier eierbecherartig nmgiebt (Fig. 2, bei c).
Unter der obersten Zellschicht erweitem sich auf fast
allen Schnitten die zwischen den Zellen gelegenen Spalten zu
Eine eigenthümlicbe oberflächliche Neubildang der Cornea. 257
cystoiden Räamen. Die über denselben gelegenen Zellen
sind ganz besonders stark abgeplattet und in die Länge aas-
gezogen. Die grösseren dieser Hohlräume sind offenbar durch
das Zusammenfliessen mehrerer kleinerer zu einem Bläschen
entstanden. Zuweilen ist auch durch eine in die Länge gezo-
gene platte Zelle ein solcher Hohlraum noch in zwei Kam-
mern getheilt (Figur 1). Auch zwischen tieferen Zellschichten
finden sich derartige Hohlräume. Auf den Schnitten sind die-
selben eingesunken, leer, indem sie als Ueberrest der hier im
Leben angesammelten Flüssigkeit eine aus derselben bei der
Härtung ausgefällte feingranulirte Masse enthalten, welche der
Innenwand des Bläschens anhaftet. Dieselbe feine Körnung
zeigt auch stellenweise die Intercellularsubstanz der tieferen
Zellschichten.
Die so beschaffenen Zellschichten sitzen unmittelbar auf
einem feinfaserigen Gewebe auf, das eine sehr unregel-
mässige Oberfläche gegen das Epithel zu besitzt. Die in das-
selbe eindringenden Epithelzapfen werdeü von concentrischen
Faserbflndeln umgeben. An den übrigen Stellen ist der Ver-
lauf der Fasern viel unregelmässiger; in vielfach wellenförmi-
gen Zü^en laufen sie durcheinander. Die Grenzen gegenüber
den untersten Epithelien sind überall vollkommen scharf.
Ziemlich spärliche spindelförmige und ovale Zellen mit gros-
sen Kernen durchsetzen dieses Gewebe; die längeren Axen der
Zellen sind im Sinne der Faserung gerichtet.
Nirgends sind Gefässe sichtbar.
Mehrfach bestehen Nester von dicht aneinander grup-
pirten runden Zellen dicht unter der Epithelschicht (Fig. 3,
bei a).
Nirgends ist auch nur eine Spur der Bowman' sehen
Haut zu entdecken, indem überall das Epithel unmittelbar an
die Bindegewebsschicht grenzt Während die letztere an man-
chen Stellen eine ziemlich feste Structur zeigt, erscheint sie
an anderen als ein lockeres Gefüge. Das Gewebe erscheint
hier wie canalisirt, indem es von feinen hellen Spalten durch-
zogen wird, die im Sinne der Faserung verlaufen und als ein
netzartiges System von hellen zusammenhängenden
Linien zwischen den Faserzügen deutlich hervortreten. Die-
selben anastomosiren mit den Intercellularspalten der
tiefen Epithelienschichten.
Leider enthält keiner der Schnitte den Uebergang ins
normale Cornealgewebe.
T. Graefe'8 Archly fDr Ophthalmologie. XXXVII. 3. 17
258 £• Zinn.
Es besteht demnach die neagebfldete Schicht ans zweier-
lei Elementen, hypertrophirtem kernarmem Bindege-
webe nnd über dessen höckeriger Oberfläche in mehr oder
weniger zahlreichen Schichten hinüberziehendem, mannig-
fache Veränderungen aufweisendem Epithel Auffallend
ist in beiden Antheilea das zwischen den Faserzfigen einer-
seits, den Zellen anderseits sich erstreckende System yon
feinem Spalten, die an den Präparaten zum Theil leer,
zum Theil yon den coagulirten Besten der hier im Leben
Angesammelten Flüssigkeit erfüllt eu sein scheinen. Dies
giebt dem Ga&zoi den Charakter eines ödematösen Ge-
füge s. Diese Vermehrung der Zwischensubstanz zwischen
den Epithelzellen führte in den obersten Schichten häufig
zur Blasenbildung, weil eben hier die Gewebsspannung
die geringste ist. Vielleicht darf auch die VacuolenlMldiiag
in einzelnen trüberen Zellen als eine Theilerscheinnng des
Oedems der ganzen Epitheldedce gedeutet werden.
Durch diese anatomischen Verhältnisse ist die Erklä-
rung gegeben für die Entstehung der während des Krank-
heitsverlaufes so häufig zur Beobachtung gekomm^ien epi-
thelialen, oft sehr umfangreichen Blasen, sowie für das sul-
zig durchscheinende Aussehen der ganzen Neubildung.
Die Veränderungen des Epithels stehen hierbei offen-
bar im Vordergrund.
Die innerhalb der Trübung bemerkbar gewesenen hel-
len Punkte sind wohl durch die Rundzellenhaufen unter-
halb des Epithels veranlasst worden, vielleicht auch durch
die stellenweise höckerartige Verdickung der Epithelschicht.
Ob es sich bei dem ganzen Prooesse um ein reines
Oedem handelt oder um eine Verflüssigung der Interoellu-
larsubstanz lässt sich wohl nicht entscheiden.
Ebenso stosst die Beantwortung der Frage, was von
der Entstehungsart der ganzen Bildung zu halten sei,
auf Schwierigkeiten.
Der über mehr als l^s Jahre sich erstreckende Ver-
Eine eigentkümliche oberfläckliche Neabüdung der Ck)rnea. 259
lauf, das gaaae Erankheitsbild, insbesondere die Prominenz
der Wucherung üb^ die Homhautfläche und Aer steil ab-
fallende scharf umsdmebene Band sprediBi für den Cha-
rakter der Auflagerung im Sinne einer unter d^oa Epithel
durch allmäliges Wachsthum entstandenen Neubil-
dung, etwa als das Product einer chronischen Ent-
zündung.
Eine wesentliche Rolle spielt hierbei jedenfalls das
Epithel
Um dies unzweifelhaft zu erweisen, müssten die Schnitte
den Uebergaaig in das normale Gornealgewebe erkennen
lassen. Die tiefsten Partien desselben schliessen aber überall
mit dem laserigen Oewebe ab, weil nur dünne Plättchen
für die histologische Untersuchung vorhanden waren.
Dennoch muss auch noch eine zweite Möglichkeit der
Entstehung in Erwägung gezogen werden, dass die bespro-
chene Wucherung nämlich nach vorausgegangener geschwü-
riger Zerstörung von Gornealgewebe einschliesslich der Mem-
brana Bowmani aus jenes ^bstituirendem Narbengewebe
hervorgegangen sei
Indess berichtet Herr Dr. Illing ausdrücklich, dass
niemals ein Homhautgeschwür bestanden hat.
Nebst diesem und den oben angegebenen Momenten
spricht auch der histologische Befund mehr gegen letztere
Annahme.
Das Bindegewebe in dem in Rede stehenden Processe
ist feinfaseriger, lockerer, der Verlauf der Faserzüge um
die Epithelgrenzen ist ein anderer, als man dies bei Hom-
hautnarben gewöhnlich sieht.
Auch die geschilderten Veränderungen im Epithel sind,
die Beobachtungen Gzermak's ausgenommen, in Homhaut-
narben nicht beobachtet worden. Die Veränderungen, die
Gzermak in den vor Hornhautfisteln gelegenen Partieen
des Epithels beschrieben hat^), haben zwar mit dem obigen
*) Siehe dieses Archiv XXXVI, 2, S. 163 u. f.
17*
260 £• Zinn, Eine eigenthümllche oberflächliche Neabildung etc.
Zustande der Epithelieu eiue gewisse Aehnlichkeit, sind je-
doch zweifellos Ton ganz anderer Bedeutung, indem sie
dort durch eine Art von Filtration von Kammerwasser aus
dem beschriebenen, hinter dem Epithel gelegenen cystoiden
Hohlräume des Fistelganges entstanden sein dürften.
Der Mangel von Gefassen scheint mir mit dem über-
aus langsamen Wachsthum der Neubildung im Einklänge
zu stehen. Es ist ja ganz gut denkbar, dass ein so lang-
sam fortschreitender Process im Gegensatze zu mehr acu-
ten, in kürzerer Frist verlaufenden ebenso wie die physio-
logischen Vorgänge der normalen Cornea nicht der directen
Vermittlung von Blutgefässen bedarf.
Zum Schlüsse will ich noch anführen, dass ich einen
ähnlichen Befund in der Literatur nicht habe auffinden
können.
Erklärung der Figuren auf Tafel IX.
Fig. 1.
Ocular 4, Objectiv 8, Hartnack, senkrechter Schnitt.
Fig. 2.
Ocular 4, Objectiv 7, Hartnack,
schiefer Schnitt darch das eingerollte Epithel.
• Fig. 3.
Ocular 4, Objectiv 7, Hartnack,
flacher Schnitt, zur Homhautfläche parallel.
Eine Bemerkung über den Helligkeitssinn,
veranlasst durch die
Abhandlung Treitel's in den letzten Heften dieses Archivs.
Von
J. Bjerrum in Kopenhagen.
In einer interessanten Abhandlung in den letzten Ab-
theilungen dieses Archivs hat Herr Dr. Treitel ein Paar
frühere Arbeiten von mir, namentlich eine im XXX. Bande
(1884) dieses Archivs aufgenommene, besprochen.
Es wäre für mich Veranlassung, einige Bemerkungen
zu machen mit Bücksicht auf Treitel's Auffassung und
Besprechung mehrerer meiner Aeusserungen, aber nur einen
einzelnen, bedeutenderen Punkt werde ich hier berühren.
Herr Treitel prädsirt. mehrmals, u. a. am Schlüsse
seiner Abhandlung, dass „die Unterschiedsempfindlichkeit
bei jeder Art der Amblyopie herabgesetzt wird"
Dies ist sowohl richtig als nicht richtig. Es kommt
darauf an, wie man die Unterschiedsempfindlichkeit unter-
sucht Benutzt man Objecte mit verhältnissmässig grossem
Gesichtswinkel, wie bei meinen, von Treitel besprochenen
Untersuchungen, dann ist der citirte' Satz nicht richtig;
dann kann die Unterschiedsempfindlichkeit trotz nicht un-
bedeutender Amblyopie sich normal zeigen, und kann ande-
rerseits in anderen Fällen trotz normaler Sehschärfe herab-
gesetzt sein. Wird die Untersuchung dagegen bei hinläng-
lich kleinem Gesichtswinkel unternommen, dann zeigt sich
die Unterschiedsempfindlichkeit, wenn die Sehschärfe herab-
gesetzt ist, immer kleiner als normal. Diese Verhältnisse
habe ich näher discutirt und durch Krankengeschichten er-
läutert in einer Abhandlung, die im Anfange 1888 erschie-
nen ist (Bemerkungen über Herabsetzung der Sehschärfe
262 J- Bjerram, Eine Bemerkung über den Helligkeitssinn.
nebst klinischen Beobachtungen über das Verhältniss zwi*
sehen Sehschärfe, Helligkeitssinn und Farbensinn, Nord,
ophthalm. tidsakrift» L Bd.), die aber Herrn Treitel offen-
bar nur in — vielleicht weniger guten — Referaten zu-
gänglich gewesen ist. Ich spreche da aus: „Die Bestim-
mung der Sehschärfe bei erworbenen Sehleiden ist an und
für sich zugleich eine Bestimmung davon, ob der Hellig-
keitssinn bei minimalem Gesichtswinkel normal sei
oder nicht"
Büdcsichtlich des VerhältnisseB zwisohen der Reiz-
schwelle und der UnterschiedBschweUe ist der Unterschied
zwischen Treitel und mir, so viel ich sdien kann, im
Wesentlichen rein formeller Natur (von dem Einflüsse der
Anwendung von Objecten mit verschiedenem Gesichtswinkel
auf unsere Resultate abgesehen). Eben ich habe immer
die Definition des Lichtsinnes als die Fähigkeit HelU^criten
zu unterscheiden scharf festgehalten (habe darmn auch
das Wort Helligkeitssinn dem Worte Lichtsinn vorgezogen)»
und ich halte es freilich für berechtigt, von einem Indivi-
duum, dessen Reizschwelle vergrössert ist, zu sagen, dass
seine Fähigkeit schwache Helligkeiten zu unterscheiden
herabgesetzt ist; um so mehr als gewiss nicht allein seine
Reizschwelle, sondern immer auch sdne Untersdiiedsschwelle
bei gewissen, fiber der R^schwelle liegenden, kleinen Hel-
ligkeiten vergrössert ist Ich name die Reizschwelle ver^
grössert, falls sie sich nach viertel- bis einstündiger Adap-
tation wesentlidi grösser zeigt als die eines Normalen nach
derselben Adaptationszeit. Ob diese Vergrösserung der
Reizschwelle allein auf einer Störung des Adaptationspro-
cesses oder (zugleich) auf etwas Anderem beruhe, ist eine
Frage für sich, deren Beantwortung die Richtigkeit meiner»
von Treitel angegriffenen Aeusserungeii über Reizschwelle
und Unterschiedsschwelle nicht verändern kann; zwischen
Störung des Helligkeitssinnes und Störung der Adaptation
giebt es keinen l(^schen Gegensatz.
Anmerkung
zn meiner in der IL Abtheilung dieses Bandes
TeröffentUchten Mittheilung
„Ueber SehnerTenveränderung bei hochgradiger
Sclerose der Gehirnarterien".
Von
Dr. St. Bernheimer,
Privatdocenten in Heidelberg.
Nachträglich erfahre ich, dass ich bei Durchsicht der
Literatur, in J. Michel's Arbeit „Das Verhalten des Auges
bei Störungen im Girculationsgebiet der Carotis^' (Beiträge
zur Ophth., als Festgabe für Fr. Horner, 1881) auf Seite 50
die kurze Erwähnung zweier Fälle leider übersehen habe,
wovon besonders einer in gewissem Sinne mit meiner Beob-
achtung Aehnlichkeit hat. Freilich handelt es sich dabei
um keine Formveränderung (Zweitheilung) des Sehnerven,
ohne eigentliche Beeinträchtigung seiner histologischen Be-
schaffenheit, sondern in dem einen Falle um eine „ca. ein
Drittel der Breite des Querschnittes'' einnehmende, binde-
gewebige Atrophie des Sehnerven, bedingt durch ein klei-
nes sacciformes Aneurysma der linken Carotis interna. Trotz-
dem soll während des Lebens keine Sehstörung bekannt
geworden sein.
Bei dem anderen an dieser Stelle erwähnten und in
diesem Archiv XXIII, 2, S. 220 veröffentlichten Falle hatte
264 St. Bernheimer, Anmerkung.
das doppelseitige Aneurysma der Car. int. eine gleichfalls
doppelseitige Stauungspapille hervorgerufen.
Ich wollte nicht versäumen, diese beiden Beobachtun-
gen Michel's, welche mit den meinigen gewiss nicht iden-
tisch sind, aber wegen des ähnlichen ätiologischen Momen-
tes doch, hierher gehören, nachträglich zu erwähnen.
Druck Ton POschel & Trepte In Leipdg.
V. Gr-aefes Archiv Bd.IXXllf. 3.
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ALBRECHT VON GRiEFE'8
ARCHIV
FÜR
OPHTHALMOLOGIE
HERAUSGEGEBEN
VON
PROF. TH. LEBER Prof. H. SATTLER
IN HEIDELBERG IN LEIPZIG
UND
PROF. H. SNELLEN
IN UTRECHT.
SIEBENUNDDREISSIGSTER BAND
ABTHBILUNG IV.
MIT 0 FIGUREN IM TEXT UND 6 TAFELN.
LEIPZIG
VERLAG VON WILHELM ENGELMANN
1891.
Inhalts-Verzeichniss
zu
Band XXXVII, 4. Abtheilung.
Ausgegeben am 31. December 1891.
Seite
I. Zur pathologischen Anatomie und Pathogenese des
Gentralstaars. Von Dr. Otto Sehinner, Privat-
docent und poliklin. Assistent an der Universit&ts-
Augenklinik zu Königsberg. (Aus dem Laboratorium
der Universitäts- Augenklinik zu Königsberg i. Pr.)
Mit Taf. I und II, Fig. 1—6 1—25
II. Beitr&ge zur Kenntniss der Cataracta zonularis. Von
Dr. Bernhard Bah, k. und k. Regimentsarzt in
Wien. (Aus der II. Universit&ts- Augenklinik des
Prof. Fuchs in Wien) 26—38
III. Ueber die Pseudocolobome der Iris. Von Dr. Konrad
Rumschewitseh in Kiew 39—70
IV. Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese, com-
plicirt mit partieller doppelseitiger Oculomotorius-
lähmung. Von Professor Dr. Pflttger in Bern. Mit
6 Textfiguren 71—101
V. Zur Lymphombildung in der Orbita. Von Dr. Th.
Axenfeld, I. Assistent an der Universitäts -Augen-
klinik in Marburg. Mit Taf. III, Fig. I— IV . . 102—124
VI. Beitrag zur Differentiadiagnose der tuberculösen und
gliomatösen Erkrankungen des Auges. Von Dr. J.
Jung in Heidelberg. Mit Taf. IV, Fig. 1—8 . . 125—158
IV Inhalt.
Seite
VII. Experimentelle Untersuchungen über die Entstehung
der in letzter Zeit bekannt gewordenen Trübungen
der Hornhaut nach Staareztraction. Von Dr. Carl
Mellinger, Privatdocent an der Universität Basel.
(Mittheilung aus dem Laboratorium der ophthalmol.
Klinik des Herrn Prof. Schiess-Gemuseus) . . 159 — 188
VIII. Pathologisch-anatomische Untersuchungen über die
Zündhütchenverletzungen des menschlichen Auges.
Von Dr. Kostenitsch aus St. Petersburg. Aus dem
Laboratorium der Universitäts-Augenklinik zu Hei-
delberg. Mit Taf. V, Fig. 1 — 12 189—278
Scbluss des XXXYII. Bandes.
Zur pathologischen Anatomie nnd Pathogenese
des Ceiitralstaars.
Von
Dr. Otto Schirmer,
Privatdocent und poliklinischer Assistent an der
Universitäts- Augenklinik zu Königsberg.
(Aus dem Laboratorium der Univers. -Augenklinik zu Königsberg i. Pr.)
Hierzu Taf. I und II, Fig. 1—6.
Seit meinen Untersuchungen über den histologischen
Bau der Zonularcataract ^) hatte ich gesucht, auch vom
congenitalen Centralstaar Präparate zu erhalten. Denn zur
Entscheidung der Frage, ob er meiner damaligen Vermu-
thung gemäss, seiner Entstehung nach ein vollständiges Anar
logon des Schichtstaars darstelle, ist vor Allem eine Kennt-
niss seiner Structur erforderlich; aber der von Becker*)
1883 aufgestellte Satz: „Eine mit den vervollkommneten
Behelfen der neuesten Zeit angestellte (mikroskopische) Un-
tersuchung eines Centrallinsenstaares existirt nicht", hat
meines Wissens auch heute noch Gültigkeit. — Ein glück-
licher Zufall fügte es, dass in der hiesigen Universitäts-
Augenklinik kurz nach einander fünf Centralstaare zur Ex-
traction kamen, welche mir durch die Güte meines verehr-
^) Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars.
Archiv für Opbthalm. XXXV, 3, S. 147 und Nachtrag zur patholog.
Anatomie. Dass. XXXVI, 1, S. 185.
') Zur Anatomie der kranken und gesunden Linse. Wiesbaden
1883. S. 120.
T. Oraefe'8 Archiv fOr Ophthalmologie. XXXVII. 4. 1
2 0. Schirmer.
ten Lehrers, des Herrn Professor v. Hippel zur Unter-
suchung überlassen wurden.
Ehe ich aber auf die einzelnen Fälle näher eingehe,
muss ich den Begriff „congenitaler Centralstaar'S den ich
der Arbeit vorangestellt habe, etwas näher definiren. Die
Abgrenzung desselben gegen den Schichtstaar stösst auf
grössere Schwierigkeiten, die mir in den Lehrbüchern der
Augenheilkunde nicht einheitlich gelöst erscheinen. Ich
sehe dabei vollständig ab vom Graefe'schen „congenitalen
harten Kemstaar'' ^) , über den mir jede eigene Erfahrung
fehlt.
Die meisten »Autoren (Tetzer, Schmidt-Rimpler,
Knies, Michel, Vossius, Fuchs) geben als Charakteristi-
cum für den Schichtstaar an, dass er in der Mitte durch-
scheinender sei, als in den peripheren Theilen — auch A.
v. Graefe') führt dies an, — die getrübte Schicht habe
Linsenform und sei von massiger Grösse, während der con-
genitale Kemstaar oder Centrallinsenstaar (stationärer Kern-
staar) als kleine, kuglige, intensiv weisse Trübung be-
schrieben wird, die im durchfallenden Licht gleichmässig
undurchsichtig erscheint. Nur Becker^) macht darauf auf-
merksam, dass es auch Zonularcataracte geben könne, bei
welchen die getrübte Schicht so dick ist, dass sie kein
rothes Licht durchlässt, die also als undurchsichtige Scheibe
erscheinen, und dass es deshalb klinisch unmöglich sein
könne, einen Centralstaar von einem sehr dichten Schicht-
staar zu unterscheiden. Da anatomische Untersuchungen
völlig fehlen, hält er „den Nachweis für das Bestehen eines
stationären Kernstaars zwar nicht für geliefert, aber auch
nicht die Unmöglichkeit des Gegentheils für erwiesen.^^
Und Knies^) ist der Ansicht, dass die gleiche Emährungs-
1) Bericht der Heidelberger Ophthalmol. Gesellsch. 1879. S. 25.
«) V. Graefe's Archiv für Ophthalm. I, 2, S. 237.
') Handb. v. Graefe-Saemisch, Bd. Va, Cap. VII, S. 240, 1877.
*) Gmndriss der Augenheilkunde 1888. S. 282.
Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 3
störang nach der Zeit ihrer Einwirkung Kernstaar oder
Schichtstaar erzeuge, woraus folgt, dass beide ohne scharfe
Grenze in einander übergehen. Dies ist gerade die Ansicht,
die auch mir schon längst vorschwebt und die ich vor drei
Jahren zuerst ausgesprochen habe. Man sieht gar nicht
80 selten Staare, die durchaus die Grösse und das Aus-
sehen eines Schichtstaars haben, auch unter denselben ätio-
logischen Bedingungen vorkommen, dabei aber absolut un-
durchsichtig sind und auch bei focaler Beleuchtung eine
ganz gleichmässige Trübung zeigen. Berechtigt uns das
letzte Merkmal allein, sie den Schichtstaaren gegenüber
und auf eine Stufe mit den kleinen, kugligen Centralstaaren
zu stellen? Ich glaube es nicht. Dagegen sprechen beson-
ders die doppelten Schichtstaare, bei welchen sehr häufig
die. innere Staarzone absolut undurchsichtig, die äussere
völlig durchsichtig ist, und die beiden Zonen können doch
nur als analoge Bildungen aufgefasst werden. Noch mehr
spricht dagegen, dass man zuweilen in der Lage ist, einen
anfangs durchscheinenden Schichtstaar sich allmälig mehr
und mehr trüben zu sehen, bis er völlig undurchsichtig ge-
worden ist Die folgenden Untersuchungen werden von
anatomischer Seite her den gleichen Nachweis liefern.
Fall I und II.
Das Dienstmädchen Emma Porassini, 41 Jahre alt, sieht
seit frühester Jagend so schlecht, dass sie nicht hat lesen ler-
nen können; Abends sah sie stets besser, als am Tage. Seit
zwei bis drei Jahren soll das Sehvermögen, das bis dahin noch
zo ganz groben Arbeiten hinreichte, sich allmälig noch weiter
verschlechtert haben.
Im Uebrigen ist Patientin stets gesund gewesen; nur in
ihren zwanziger Jahren, nach einem Sturz ins Wasser, litt sie
längere Zeit an epileptischen Krämpfen. Ob sie auch in der
Jagend an Krämpfen gelitten hat, weiss sie nicht sicher anzu-
geben. Die Zähne sind normal gebaut
Die am 7. Febr. 1891 hier vorgenommene Untersachong
ergiebt beiderseits folgenden Befund: Aeusseres Auge noimal;
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Zur patholog. Anatomie and Pathogenese des Centralstaars. 5
in Glycerin. — Zupfpräparate herzustellen ist bei der Klebrig-
keit der Linse unmöglich. Die Anfertigung bestand wie auch
in den folgenden Fällen darin, mit einer Nadel kleine Parti-
kelchen aus dem Linsenquerschnitt herauszunehmen, auf einen
Objectträger zu streichen und eventuell noch mit dem Deck-
glas etwas platt zu drücken; doch sieht man an dicken Prä-
paraten mehr, als an dünnen.
Aus den verschiedensten Stellen des Kerns entnommene
Bröckelchen zeigen als gemeinsamen Befund Linsenfasern mit
gezähnelten Contonren, zwischen welchen kleinste Tröpfchen
liegen, die vielfach zu grösseren Yacuolen sich vereinigen; doch
so, dass man in dem grobkörnigen Inhalt derselben jene Tröpf-
chen^) wiedererkennt. Im Innern des Kerns sind dieselben
spärlicher, in der peripheren Trübungszone so massenhaft, dass
vielfach die Fasercontouren durch sie verdeckt sind. Auch an
dieser Linse glaube ich mich wieder überzeugt zu haben, dass
der grösste Theil der Tröpfchen zwischen 'den Fasern liegt,
doch kann ich auch jetzt nicht eine solche Lagerung mit Sicher-
heit für alle behaupten.
Der Best dieser Linsenhälfte wird in Alkohol von stei-
gender Goncentration, bei 60 ^/q angefangen, gehärtet, ebenso
wie die andere Hälfte in Celloidin eingebettet und mit dem
Mikrotom in Schnitte zerlegt; die gleiche Methode habe ich
auch bei den übrigen Linsen angewandt und werde sie deshalb
nicht bei jedem Fall von neuem schildern. Das makroskopische
Bild recht dicker in Glycerin eingelegter Schnitte ist dasselbe
wie an dem frisch halbirten Präparat. Unter dem Mikroskop
findet man, abgesehen von den zerquetschten und lange arte-
ficielle Spalten aufweisenden periphersten Schichten den gan-
zen Schnitt von rundlichen und ovalen Tröpfchen durchsetzt.
Genau wie ich es beim Schichtstaar beschrieben hatte^ sind sie
•am zahlreichsten und kleinsten — 0,002 — 0,005 mm — in der
getrübten Schicht und nehmen gegen das Gentrum des Kerns
an Grösse zu — 0,025 — 0,035 mm, — an Zahl ab. Doch sind
es sowohl hier, wie in der äussersten Zone noch erheblich
mehr, als in den von mir untersachten Schichtstaaren, und es
^) Ich werde in dieser Abhandlung für die fraglichen Gebilde
auBSchliesslich den Namen „Tröpfchen" gebrauchen, nicht mehr Ya-
cuolen, da ich mich überzeugt zu haben glaube, dass sie einen
höheren Brecfaungsindex besitzen, als ihre Umgebung. Yergl. auch
Becker: Zur Anatomie der gesunden und kranken Linse. S. 48.
6 0. Schirmer.
erklärt sich jedenfalls hierdurch das leichte trübe Aassehen
des Kerns. Ueberhaupt gleichen sie in jeder Beziehung —
Aussehen, Lagerung und Farbenreactionen — der früher von
mir gegebenen Beschreibung so genau, dass ich einfach auf
jene Stelle^) verweisen kann. — Femer bot die Linse eine
Eigenthflmlichkeit, die ich schon bei dem im „Nachtrag zur
pathologischen Anatomie des Schichtstaars'^ beschriebenen Fall
gefunden hatte (siehe dort die Abbildung), nämlich stellenweise
recht erhebliche Verstärkung der Staartrübung im Aequator.
Hier wie dort fand ich als anatomisches Substrat dafür eine
beträchtliche Verstärkung der Staarschicht durch massenhafte
kleinste Tröpfchen, welche^ die Fasercontouren völlig verdecken.
— Faserkeme konnte ich in dieser Linse nicht nachweisen.
Die Linse des linken Auges hat einen Durchmesser von
8 Vi mm, eine Dicke von 3 mm. An dicken, ungeförbten Schnit-
ten (Fig. 1) sieht man makroskopisch ohne weiteres die deutr
liehe und völlig scharfe Grenze der durchsichtigen Gorticalis
gegen den getrübten Kern, dessen Längsdurchmesser 5^/4, die
Dicke 2^/4 mm beträgt. Auch hier hebt sich die peripherste
Zone als intensiv trüber, 0,6 mm breiter King gegen das klarere
Centrum ab. Sie ist also scharf nach beiden Seiten hin be-
grenzt, wie man es beim Schieb tstaar zu sehen gewohnt ist
— Interessant war die Keaction der Schnitte gegen Häma-
toxylin (nach Delafield) und Garmin. Mit ersterem tingirte
sich, während die Gorticalis fast ungefärbt blieb, der Kern und
der Trübungsring gleichmässig blau, nur die oben erwähnte
Verstärkung der Staarschicht nahm einen intensiv blaurothen
Ton an. Auf Garmin reagirt der Schnitt gerade umgekehrt;
nur die Kandschicht wird geförbt. Die getrübte Gorticalis —
es hatte intra vitam nach unten eine Gorticaltrübung bestanden
— verhielt sich genau wie die durchsichtige. Es bestand also
ein einschneidender Unterschied zwischen den Linsenschichten,
welche zur Zeit der Entstehung des Schichtstaars schon gebil-
det waren und den nachträglich entstandenen, mochten sie ge-
trübt sein oder nicht.
Die mikroskopische Untersuchung ergiebt ein völlig glei-
ches Aussehen des getrübten Kerns (Fig. 3), wie am rechten
Auge, gleiche Grösse, Zahl und Lagerung der Tröpfchen. —
Die Wirkung der Maturation am rechten Auge hatte sich also
auf die Corticalschichten beschränkt. — Auch die Verstärkung
') v. Graefe's Archiv für Ophthalm. XXXV, 3, S. 151—153.
Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 7
der änssersten Schicht hier und da durch massenhaft eingela*
gerte Tröpfchen findet sich. Gegen die Corticalis ist die Tröpf-
chenzone (Fig. 5) auch mikroskopisch völlig scharf abgesetzt
und es entspricht der Grenze zwischen beiden genau die Grenze
der Uämatoxylintinction. Die Corticalschichten selbst zeigen,
abgesehen von den änssersten bei der Extraction gequetschten
Parthieen durchaus normale Fasern mit glatten Oontouren, wie
an Zupfpräparaten leicht zu sehen. Ihre Kerne sind normal,
näher der Staarschicht zeigen sie die bekannten Degenerations-
formen; in dieser selbst konnte ich sie nicht mehr mit Sicher-
heit auffinden. — In der hinteren Corticalis findet sich ein
der Hinterkapsel paralleler Zug länglicher schmaler LtLcken
(Fig. 3d), der beiderseits gegen den Aequator hin verschwindet.
Er macht durchaus nicht den Eindruck eines Kunstproductes
und ich halte ihn deshalb für einen unvollständigen Schicht-
staar, der wegen des Kemstaars in vivo nicht diagnosticirbar
gewesen war.
Die im unteren Quadranten der Linse gesehene Cortical-
trübung besteht, soweit an Schnitten zu entscheiden, aus einem
Zerfall der Fasern. Zwischen und in denselben sind dichte
Mengen von Detritus abgelagert, der die Fasercontouren beson-
ders näher dem Rande nur mit Mohe erkennen lässt. Vielfach
ist er in längKchen Spalten befindlich, nirgend finden sich die
rundlichen, scharf begrenzten Tröpfchen der Staarzone. Zupf-
präparate bestätigen im Ganzen diese Auffassung und zeigen
ausserdem, dass die Fasern gewellte Contouren haben, durch-
aus verschieden von den gezähnelten des Kerns; sie sehen fer-
ner längsgerunzelt aus und sind viel bröcklicher, als die an-
deren Corticalpartieen.
Fall III.
Ernst Schwarz, sechs Jahre alt, hat gesunde Eltern und
Geschwister. Er selbst ist ausgesprochen idiotisch. Körperlich
ist er stets gesund gewesen und auch jetzt ergiebt die objec-
tive Untersuchung ausser exquisit rhachitischen Zähnen keine
Abnormitäten. Die graue Färbung der Pupillen wurde gleich
bei der Geburt bemerkt.
Am 20. Mai 1891 wird folgender Befund erhoben:
Beiderseits lebhafter Nystagmus, rechts Colobom nach in-
nen unten, zarter Nachstaar nach Discision mit folgender Ex-
traction. Y mit -|-12D, Fingerzählen in 3 m, soweit bei der
8 0. Schirmer.
Beschränktheit des Knaben zu constatiren. — Links altes, arte-
ficielles Colobom nach innen unten; Linse so stark geschrumpft,
dass ihr Rand mitten im Colobom sichtbar ist. Völlig durch-
sichtige Corticalis, im Centrum eine zarte, 3 mm grosse, grau-
weisse Trübung, aus deren Mitte eine kleinere intensiv gelb-
lich weisse durchschimmert. Der Rand des Centralstaars ist
nicht ganz kreisförmig. V mit + 4 D = Fingerzählen in 2 m.
21. Mai 1891. Links Extraction durch das alte Colobom.
Nacb dem Schnitt wird mit dem Löffel eingegangen und die
Entbindung in der Kapsel versucht. Letztere platzt jedoch
und es wird der Staar, umgeben von einer Schicht durchsich-
tiger Corticalis entbunden. Der nicht sehr grosse Rest der-
selben muss der Resorption überlassen werden, da zugleich
corpus vitreum vorftUt — Normale Heilung.
Am 12. Juni 1891 ist links ein klares, centrales Pupil-
largebiet vorhanden, durch welches der normale Fundus sicht-
bar ist V mit + 10 D = Fingerzählen in 5 m.
Die frisch untersuchten Corticalschichten zeigen normale
Fasern mit glatten Contouren und durchsichtigem Inhalt An
Präparaten aus der Kernregion finden sich dieselben Tröpfchen,
wie in der Linse Porassini, aber in solchen Massen, dass die
Fasercontouren an den meisten Stellen völlig verdeckt werden;
doch lässt sich mit einiger Mühe sicher constatiren, dass es
sich um einen Faserzerfall nicht handelt Wo ihre Contouren
deutlicher hervortreten, sieht man, dass sie unregelmässig aus-
gebuchtet und gewellt sind, nicht so fein gezähnelt, wie im
Fall Porassini.
Der Rest des Linsenrudiments, der 5^/2 mm lang und
3^/2 mm dick ist, wird eingebettet und zerschnitten.
Auf dicken, ungefärbt in Glycerin eingelegten Schnitten
sieht man ohne weiteres im Centrum, umgeben von der durch-
sichtigen Corticalis eine intensive Trübung von Linsenform.
Bei genauerer Betrachtung findet man sie umgeben von einem
zarten, schmalen Schleier und erst auf diesen folgen die Cor-
ticalschichten. Die Hämatoxylinförbung trennt auch hier wie-
der scharf die getrübten Schichten von den ungetrübten. Erstere
haben die Färbung angenommen und zwar der Kern nur wenig
mehr, als der umgebende Schleier; die Corticalschichten sind
völlig ungefärbt geblieben.
Unter dem Mikroskop erkennt man als Grundlage der
intensiveren, centralen Trübung, was schon die frischen Präpa-
rate ergeben hatten, massenhafte, kleinste Tröpfchen — 0,002
Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 9
bis 0,005 mm — , welche die Faseranordnung fast völlig ver-
decken. In der ganzen Ausdehnung der Trübung finde ich sie
gleichmässig vertheilt, eine Abnahme ihrer Zahl dem Centrum
zu ist nicht zu constatiren. Die Längsausdehnung dieser Par-
thie beträgt 2^/^ mm, Dicke l^g mm. Sie ist umgeben und
ischarf abgesetzt gegen eine Zone, welche die normale Faser-
anordnung deutlich erkennen lässt, die aber zahlreiche, ziem-
lich grosse — 0,015 — 0,025 mm — rundliche, mit grobkörni-
ger Masse gefüllte Lücken zwischen den Fasern enthält. An
dieser Parthie ist deutlich ein dem Schichtstaar analoges Ver-
halten zu beobachten, das auch im Fall lY wiederkehrt: die
Zahl der Lücken nimmt nach der Peripherie hin merklich zu,
obwohl nicht so stark, dass man von einem trüben Ring sprechen
• könnte. Wieder mit scharfer Grenze folgen jetzt die normalen
€orticalschichten, deren Fasern theils normale, theils degene-
rirende Kerne enthalten.
Die Vereinigung des anatomischen Befundes mit dem kli-
nischen ist nicht schwer. Der aus der Tiefe vorleuchtende,
intensiv gelblich weisse Schein wurde durch das centrale Ge-
biet stärkster Tröpfchenanhäufung bedingt, während diezarte^
umgebende Trübung, wie auch die Grössen Verhältnisse bewei-
sen, der ringförmigen Region normaler Fasern mit grossen
detritusgefüUten Lücken entspricht. — Es handelt sich also
um einen durch und durch gleichmässigen Centralstaar, der in
geringer Entfernung von einem Schichtstaar umgeben wird.
Fall IV.
Georg Naujoks, fünfzig Jahre alt, stammt von gesunden
Eltern; seine rechten Geschwister sind in früher Jugend an
einer ihm unbekannten Krankheit gestorben, seine einzige Stief-
schwester sieht seit frühester Jugend nur in nächster Nähe
einigermaassen gut Ob dies auf Myopie oder auf eine Affec-
tion der brechenden Medien zu beziehen ist, war nicht zu
eruiren.
Patient selbst will nie an Krämpfen gelitten haben. Er
sieht seit frühester Jugend nur so viel, dass er sich zur Noth
allein führen konnte, Abends nicht besser, als am Tage und
auf beiden Augen gleich schlecht. Im zwanzigsten Lebensjahr
wurde er auf beiden Augen iridectomirt und er sah nach der
Operation beiderseits etwas besser. In diesem Zustande hat
sich das linke Auge lange Jahre erhalten, nur in allerletzter
10 0. Schirmer.
Zeit soll sich der Yisas etwas verschlechtert haben; das rechte
Auge ist einige Jahre später vollständig erblindet.
Am 10. Mai 1891 wird folgender Befand notirt:
Beiderseits lebhafter Nystagmus horizontalis, beiderseits
ausgesprochener Microphthalmns, beiderseits arteficielles Colo-
bom nach innen nnten, in dessen Mitte man den Rand der
stark geschrumpften Linse sieht. Am linken Ange ist die Cor-
ticalis derselben völlig durchsichtig mit Ausnahme einer unten
innen gelegenen, zarten Trübung. Man kann durch dieselbe
leicht eine centrale Linsentrübung erkennen, die auffeilend
weit hinter der Irisebene zu liegen scheint. Dieselbe sondert
sich in eine intensiv gelblichweisse, kleinere, centrale Parthie
und eine etwas vor derselben gelegene 3 mm grosse, durch-
scheinende, weissliche Scheibe, welche den Rand der ersten
Trabung überall überragt. Beide waren ringsum völlig scharf
begrenzt, ihr Contour nicht genau kreisförmig, sondern an ver-
schiedenen Stellen etwas ausgebuchtet. Vom Augenbintergrund
ist kein deutliches Bild zu erhalten, obwohl man durch den
Randtheil der Linse und neben demselben rothes Licht be-
kommt. Es besteht eine ausgedehnte zarte Hornhauttrübung.
Visus = Fingerzählen in 2 ^/g m.
Rechts ist der Befund ein ganz ähnlicher; es besteht aber
absolute Amaurose in Folge hochgradiger Chorioretinitis.
Am 22. Mai 1891 wird am linken Auge eine Discision
gemacht Sehr geringe Quellung und langsame Trübung der
benachbarten Corticalschichten. Da dieselbe nach einigen Wochen
nicht nur nicht weitergeht, sondern sich wieder aufzuhellen be-
ginnt, wird am
10. Juni 1891 die Linsenextraction durch das alte Colo-
bom gemacht. Nach Extraction eines grossen Kapselstückes
wird der Löffel eingeführt und mit ihm der getrübte Kern
sammt einer Schicht Corticalis geholt; der Rest wird grössten-
theils durch Streichen entfernt.
Am 8. Juli haben sich die Corticalreste völlig resorbirt,
so dass das Pupillargebiet bis auf die Hinterkapsel klar ge-
worden ist. Auf derselben befindet sich central ein intensiv
weisser, kleiner Hinterkapselstaar, der schon kurz nach der
Extraction bemerkt worden war; ebenso erscheinen heller grau-
lich zwei längs der Colobomschenkel von ihm ausgehende Flü-
gel. Visus mit -f- 12 D = Fingerzählen in 3 m. Es wird die
Kapselverdickung unter geringem Glaskörperverlust extrahirt
Zar patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaara. H
15. Juli. Normale Heilung. Grosse klare Stellen im Pu-
pillargebiet. Die frisch unter dem Mikroskop ausgebreitete
Kapsel lässt erkennen, dass es sich um einen ausgedehnten
Eapselstaar handelt, in welchen zahlreiche Pigmentkörnchen
eingelagert sind. An einer circumscripten, rundlichen Stelle
findet sich, ihm aufgelagert eine Gruppe höchst eigenthümlicher,
kurzer, cylindrischer Gebilde, die ganz unregelmässig kreuz und
quer liegen. Sie erinnern an stark verdickte Linsenfasern,
welche in ihrem Innern grosse Mengen kleiner und grösserer
Eiweisströpfchen bergen und dadurch einen ganz unregelmässir
gen Contour bekommen haben. Diese circumscripte Stelle ent-
spricht ihrer Lage und ihrem makroskopischen Aussehen nach
der in vivo gesehenen, weissen, centralen Trübung. Ich glaube
deshalb, jene eigenthtlmlichen Gebilde sind Reste des Linsen-
centrums, welches, wie die Untersuchung der Cataract zeigen
wird, der Hinterkapsel adhärirte, sind bei der Extraction an
ihr haften geblieben und jetzt durch das Kammerwasser so
eigenthümlich verändert. Die Kapsel wurde jetzt gefärbt, ein-
gebettet und geschnitten. Die Untersuchung von Sagittalschnit-
ten ergiebt, dass zwischen den eben erwähnten Resten und der
Hinterkapsel echtes, unpigmentirtes Kapselstaargewebe liegt
Die beiden Flügel waren ebenfalls echter Kapselstaar, der stark
pigmentirt war, jedenfalls von der Iris aus^). Hieraus folgt, dass
sie erst nach der Extraction entstanden sind, da in den ge-
schlossenen Kapselsack unmöglich Pigmentkörnchen eindringen
können. Es war also nur die centrale, unpigmentirte Parthie
des Kapselstaars schon vor der Extraction gebildet
Die extrahirte Linse wird frisch halbirt; sie zeigt auf dem
Durchschnitt eine fast kugliche, intensive Trübung — 1 ^j^ mm
breit und 1 mm dick — , welche unmittelbar an den hinteren
Pol des extrahirten Stückes grenzt (Fig. 2); es macht den Ein-
druck, als ob der cataractöse Kern gerade nach hinten ver-
schoben wäre. Diese Trübung ist umgeben von einer zweiten
Staarschicht, welche in der vorderen Parthie ein durchsichtiger
Zwischenraum von der ersterwähnten Trübung trennt, während
sie sich an der Seite unmittelbar an sie anlegt und nach hin-
ten ganz verschwindet Abbildung 2 giebt von diesen Yerhältr
nissen ein besseres Bild, als es eine genauere Beschreibung
könnte.
') Vgl. meine Untersuchungen über die Betheiligung der Iris
bei Bildung von Kapselnarben: Arch. für Ophth. XXXY, 1. S. 237.
12 0. Schirmer.
Aus der eiuen Hälfte werden frische Präparate gefertigt
nnd i9 Glycerin oder ohne Znsatzflüssigkeit untersucht. Der
Kern zeigt dieselben Bilder, wie ich sie bei Fall Schwarz von
der centralen Trübung erhalten hatte. Auch hier haben trotz
des Alters des Patienten die Fasern einen uuregelmässig aus-
gebnchteten Contour, keine so feine Zähnelung, wie im Fall
Porassini. Die Corticalschichten enthalten zum Theil normale
Fasern, zum Theil sind sie mit massenhaftem Detritus durchsetzt
und scheinen in Zerfall begriffen. Letztere Veränderung ist
jedenfalls auf Rechnung der vorausgegangenen Discision zu
setzen.
Die andere Hälfte wird eingebettet und geschnitten. Die
mikroskopische Untersuchung derselben giebt die Erklärung
für die auffallende Lage des Centralstaars. Es ist in der That
der ganze Kern nach hinten dislocirt. Die vorderen Cortical-
schichten sind besonders dick, die hinteren sehr dünn und
enden schon eine Strecke xor dem hinteren Pol, so dass hier
der Kern ganz frei liegt. Besonders lehrreich und besonders
beweisend für dies Verhalten ist die Beobachtung der äqua-
torialen Umbiegungsstellen der Fasern. Dieselben liegen nicht,
wie in der normalen Linse in einer wenig nach hinten ausge-
bogenen, durch den Wirbel gehenden Ebene, sondern die letz-
tere hat nur peripher ihre normale Lage; je älter die Fasern
sind, je centraler sie liegen, um so weiter nach hinten rückt
die Umbiegungsstelle und grenzt schliesslich unmittelbar an den
Kernäquator. Eine durch sämmtliche Umbiegungsstellen gelegte
Ebene würde hier also sehr stark trichterförmig nach hinten
ausgebuchtet sein, als ob der in ihrem Centrum gelegene Kern
einen Zug nach hinten an ihr ausgeübt hätte. — Die hintere
Oberfläche des Kerns liegt, wie schon gesagt, central völlig frei,
nur von einem Eiweissgerinnsel bedeckt und hier haben die
Fasern keine zur Linsenoberfläche concentrische Lage, sondern
sie stehen senkrecht oder fast senkrecht auf dieser und sind
hier in einer gezackten Linie durchrissen, aus welcher zahl-
reiche Spitzen vorstehen (Figur 6). Dies in Verbindung mit
dem Befund der hinteren Polarcataract giebt die Erklärung
für die Lage des Kerns. Es bestand eine Adhäsion der älte-
sten Fasern an den Hinterkapselstaar, welche den Kern hier
fest hielt und den neu sich bildenden Schichten ein unüber-
windliches Hinderniss entgegenstellte, so dass nur ihre vordere
Hälfte sich normal ausbilden konnte.
Zur patholog. Anatomie und Patbogenese des Centralstaan. 13
Im Uebrigen ergiebt die Untersuchung der Schnitte (Fig. 4)
nichts, was man nicht schon aus den Znpfpräparaten in Ver-
bindung mit der Betrachtung des Linsenquerschnitts hätte er-
schliessen können. Die centrale Trübung ist, wie im Fall
Schwarz, in ihrer ganzen Ausdehnung gleichmässig, auch die
Grösse der sie bedingenden Tröpfchen — 0,002 — 0,007 mm —
bleibt annähernd die gleiche; nur nach vorn finden sich einige
grössere Lücken mit grobkörniger Masse gefüllt. Der sie um-
gebende Schichtstaar weist in der makroskopisch sichtbaren,
trüben Schicht die gleichen kleinen Tröpfchen, zum Thcil in
grösseren Hohlräumen yereinigt, in grosser Menge auf. Die
anscheinend klare Zone zwischen ihm und der centralen Trü-
bung ist mit ähnlichen, aber spärlicher gesäeten Gebilden be-
setzt. — Die Corticalfasern haben in der einen Hälfte norma-
les Aussehen, die äusseren Schichten glatte Contouren, die in-
neren Lagen leichte Zacken und Zähnchen, welche als Alters-
erscheinnng, nicht als Folge der Discision aufzufassen sind.
Auf der anderen Seite, jedenfalls der Seite der Discisionswnnde
sind die Fasern in vollem Zerfall begriffen; ihre Contouren
sind grob gewellt, es liegt viel Detritus zwischen ihnen und
sie sind, wie man beim Zerzupfen sieht, ausserordentlich bröck-
lige — Mit Hämatozylin hat sich die ganze Linse gleichmässig
blau tingirt, vielleicht die zerfallenden Corticalschichten etwas
blasser; der Inhalt der grösseren Lücken um die centrale Trü-
bung dagegen hat einen intensiv blaurothen Ton angenommen.
Fall V.
Ernst Heinrich, 14 Jahre alt, hat sich zuerst als sieben-
jähriger Knabe am 14. October 1884 in hiesiger Klinik vor-
gestellt. Damals wurde am rechten Auge ein Schichtstaar con-
statirt; derselbe war massig gross, scharf begrenzt und in der
Mitte durchleuchtbar. Y = Fingerzählen in 1 m. Das linke
Auge war nicht cataractös. Der Patient hatte als Kind an
Rhachitis gelitten und es fanden sich auch damals noch Ver-
änderungen an den Rippenknorpeln und die charakteristische
Zahnanomalie.
Es wird rechts nach aussen unten iridectomirt. Keine
Besserung des Sehvermögens.
Am 7. Juli 1891 stellt sich der Knabe wieder hier vor.
Es besteht jetzt, noch inlmer einseitig, ein doppelter Schicht-
staar, dessen innere Zone, völlig undurchsichtig ist, also nach
14 0. Schirmer.
gewöhnlicher Nomenclatar ein Kemstaar genannt zn werden
verdient. Die Linse ist massig geschrumpft; die durchsichtigen
Corticales sind kaum 1 mm dick; die äussere, nicht sehr opake
Staarzone hat einen Durchmesser von 7^/, mm, die innere von
4^/2 mm. Beide sind scharf nach aussen begrenzt, ihr Contour
aber nicht kreisförmig, sondern mehrfach gewellt und ausge-
buchtet. Es werden nur Handbewegungen erkannt.
Am 8. Juli 1891 wird durch das alte Colobom die Linse
extrahirt, nachdem ein Kapselstück herausgerissen ist. Die Ent-
bindung so ziemlich der ganzen Linse erfolgt ohne Glaskörper-
verlust auf sanften Druck.
Die Gataract, die ganz ausserordentlich weich ist, wird
vorsichtig frisch halbirt und die eine Hälfte sofort in 60 ^/o
Alkohol gelegt, die andere frisch zur Untersuchung benutzt.
Auf dem Querschnitt erkennt man ohne Weiteres die Trflbnngs-
ringe und, was von Wichtigkeit ist, man sieht sofort, dass das
Centrum völlig klar und durchsichtig ist. Es hat sich also
nicht um einen Kemstaar gehandelt trotz der Undurchsichtig-
keit der inneren Zone.
An frisch gefertigten Präparaten sieht man die schon
mehrfach beschriebenen Veränderungen, Tröpfchen zwischen den
Fasern, deren Zahl und Grösse verschieden ist nach der Stelle,
von welcher das Präparat genommen wurde. Sie sind sehr
zahlreich in Partikelchen, die den Trübungsschichten entstam-
men, spärlicher in der durchsichtigen Zone zwischen diesen
und noch mehr im Kerne. Die Fasern sind flberall glatt oder,
wo viele Tröpfchen liegen, gewellt und mit kleinen Buckeln
versehen, nirgends gezähnelt.
Die zur Härtung bestimmte Hälfte ist in 60 ^/q Alkohol
noch weicher und bröckliger geworden, so dass beim Heraus-
nehmen ein grosses Stück abbricht. Es scheint deshalb besser,
bei sehr weichen Staaren gleich mit einer stärkeren Goncen-
tration, etwa 7b ^Iq Alkohol zu beginnen; Müller'sche Flüssig-
keit bringt so weiche Gataracte oft noch mehr zum Zerfall.
Der übrig gebliebene Rest wird eingebettet und geschnitten;
er enthält an einer Stelle noch beide Staarschichten und den
grössten Theil des Kerns. Dicke, ungefärbt in Glycerin ein-
gelegte Schnitte lassen die beiden Trübungszonen durch einen
klaren Zwischenraum getrennt und den klaren Kern erkennen.
Unter dem Mikroskop findet man beide aus zahlreichen, zwi-
schen den Fasern gelegenen Tröpfchen gebildet, welche in der
inneren Staarzone erheblich zahlreicher und kleiner — 0,0015
Zur patholog. Anatomie und Pathogeuese des Centralstaars. 15
bis 0,003 mm — sind, als in der äusseren — 0,006 — 0,015.
— Nach aussen haben die Ringe eine scharfe Grenze, wäh-
rend nach innen die Zahl der Tröpfchen mehr allmälig ab-
nimmt Der Kern weist die für Schichtstaar charakteristischen
Yeränderungen in geringer Anzahl auf; in ^er Zone zwischen
beiden Staarschichten sind sie etwas zahlreicher. Ein bemer-
kenswerthes Verhalten gegen Hämatozylin trat bei dieser Linse
nicht hervor.
Dieser Fall ist bemerkenswerth, einmal durch seine
Einseitigkeit und dadurch, dass die Trübung der inneren
Staarschicht im Laufe der Beobachtung, erheblich intensi-
ver geworden ist, der ursprünglich durchleuchtbare „Schicbt-
fitaar*' zu einem undurchsichtigen „Kemstaar^S dann aber
auch, weil die Entstehung der äusseren Staarzone in relativ
später Zeit ausser Frage steht. Sie hat sich erst nach
dem siebenten Lebensjahr des Patienten gebildet und zwar
wiederum einseitig; das ursprünglich gesunde Auge blieb
auch jetzt verschont.
Wegen der Seltenheit solcher Beobachtungen möchte
ich hier noch eine völlig analoge anführen, die ebenfalls
dieser Tage hier zur Beobachtung kam.
Fall VL
Anna 'Drusch, 17 Jahre alt, stellt sich mit doppeltem
Schichtstaar des rechten Auges vor. Die äussere Zone, ausser-
ordentlich zart und durchscheinend, aber an keiner Stelle de-
fect, umgiebt in geringer Distanz eine 6 mm grosse Scheibe,
die völlig undurchsichtig ist Die Patientin hat in der Jugend
an Krämpfen gelitten, ihre Zähne zeigen die von Horner be-
schriebene, bekannte Anomalie. Vor zwölf Jahren war am
gleichen Auge in hiesiger Klinik ein besonders grosser, ein-
facher Schichtstaar constatirt worden, wie die noch vorhandene
Krankengeschichte beweist. Hier hatte sich also nicht nur die
äussere Zone seitdem gebildet, auch die innere war, während
sie sich verkleinerte, opaker, undurchsichtig geworden. Damals
wurde das linke Auge discidirt — es zeigt jetzt noch einen
zarten Nachstaar mit S=^/|o, das rechte iridectomirt.
16 0. Schirmer.
Ea könnte nahe liegen, die Bildung der äasseren Zone
mit der Iridectomie in beiden Fällen in Zusammenhang zu
bringen und dadurch diese Operation bei Schichtstaar zu
discreditiren — die Entstehung schichtstaarähnlicher Trü*
bungen durch äi/ssere Einflüsse ist ja durch Beobachtungen
von V. Graefe^), Becker*) und mir') ausser Frage ge-
stellt — und diese Erklärung liegt um so näher, als bei
Ernst Heinrich am iridectomirten Auge allein die neue
Trübungsschicht sich bildete. Man darf aber nicht ver-
gessen, dass der Schichtstaar hier von vornherein einseitig
gewesen war; die besonderen Verhältnisse, welche die Bil-
dung der inneren Staarzone am linken Auge verhindert
hatten, mögen wohl auch das zweite Mal noch in Kraft ge-
wesen sein. — Direct ausgeschlossen werden kann diese
Aetiologie im dritten Fall, wo ich eine solche späte Ent-
stehung der äusseren Staarzone beobachtete, bei Fall 2
meiner ersten Arbeit über Schichtstaar'). Die Patientin
war rechts im Juni 1882, links im Mai 1883 wegen ein-
fachen Schichtstaars iridectomirt. Die äussere Zone fand
sich erst, als sie sich im Mai 1891, vierzehn Jahre alt|
wieder vorstellte. Soll die Operation schuld sein, so muss
sich die Trübung doch im Anschluss an sie bilden. Hier
aber wurde sie zehn Monate nach der ersten Iridectomie
noch nicht gefunden, und nach der zweiten bildete sie sich
doppelseitig. Ich muss deshalb bei meiner damals ausge-
sprochenen Anschauung bleiben, dass es sich in solchen Fäl-
len um eine Wiederholung des für die innere Staarschicht
ursächlichen Moments handelt, dass dasselbe noch lange
Jahre nach der Geburt in Action treten könne.
>) Notiz über Schichtstaar: Archiv für Ophthalm. II, 1, S. 273.
1856.
') "Cataracta capsularis centralis anterior mit Gatar. nuclearis.
Bericht über die Augenklinik der Wiener Universität 1863 --1865.
S. 96. Wien 1867.
•) Archiv für Ophthalm. XXXV, 3, S. 171.
Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 17
Ueberblicken wir noch einmal die Resultate der mikros-
kopischen Untersuchung, so haben wir in Fall I und II
Staare vor uns, welche man klinisch am richtigsten als
undurchsichtigen Schichtstaar bezeichnen würde. Sie ge-
hören zu jenen Formen, welche Becker im Auge hatte,
als er schrieb, die Untersuchung in vivo könne keine Ent-
scheidung geben, ob es sich um besonders dichte Schicht-
staare oder um Kornstaare handle. Die anatomische Unter-
suchung hat hier einen anfangs vielleicht etwas überraschen-
den Aufschluss gegeben; es handelt sich um beides zugleich,
um eine zweifellose Zonularcataract mit zarter Kerntrübung.
An durchsichtige Corticalschichten schliesst sich in schrof-
fem Uebergang ein ovaläres Band kleinster Tröpfchen, wel-
che beträchtlich kleiner sind, als ich es bisher bei Schicht-
staar gesehen habe^), aber bei gleicher Breite des Staar-
bandes ausserordentlich zahlreich und bedingen eben hier-
durch die Undurchsichtigkeit der Cataractzone. Gegen die-
selbe ist makroskopisch scharf abgesetzt der Kern; er ent-
hält grössere, aber spärlichere Lücken mit grobkörniger
Masse gefüllt, welche vom Centrum nach der Peripherie an
Zahl zu-, an Grösse abnehmen, so dass mikroskopisch ein
Uebergang in die Staarschicht statt hat. Seine Fasern sind
noch hinreichend normal, um die physiologische Altersver-
änderung — die Patientin war 41 Jahre alt — die Aus-
bildung von Zähncheu und Zacken zu erleiden. Es sind
diese Kern Veränderungen, welche den bei Schichtstaar ge-
fundenen völlig analog sind, so zahlreich, dass sie in der
halbirten Linse den Kern zart getrübt erscheinen lassen
konnten. Ob aber sie es sind, die intra vitam die Cataract
undurchsichtig machten, ist mir zum mindesten sehr zwei-
felhaft. Ich glaube eher die besonders stark getrübte Staar-
schicht Hess uns den Kern überhaupt nicht durchscheinen.
') Vergl. Abbildung 3 dieser Arbeit mit Abbildung 6 und 7 in
„Zur patholog. Anatomie** etc.: dieses Archiv XXXV, 3, Tafel X.
T. Gnefe's Archiv für OphÜialmologie. XXXVII. 4. 2
18 0. Schirmer.
— Nach der mikroskopischen Untersuchung würde man
diesen Kerustaar zu bezeichnen haben, als einen Schicht-
staar, bei dem die ursächliche Schädlichkeit besonders in-
tensiv gewirkt hat, so dass nicht nur die Staarschicht, son-
dern auch die Kernveränderungen ungewöhnlich stark aus-
gesprochen sind.
Im Fall V haben wir anatomisch das typische Bild
eines doppelton Schichtstaars, zwei concentrische, nach aus-
sen scharf abgesetzte Trübungsringe mit makroskopisch kla-
rem Zwischenraum und klarem Kern. Was hier in vivo
die innere Staarzone undurchsichtig erscheinen liess, kann
neben der durch die zarte äussere Staarschicht bedingten
Trübung nur ihre eigene Intensität gewesen sein. Von
einem Kernstaar, an den man wegen der ündurchsichtig-
keit der inneren Zone hätte denken sollen, ist also auch
hier nichts vorhanden.
Im Fall III und IV haben wir Formen, welche kli-
nisch das typische Bild eines Centrallinsenstaars aufweisen:
kleine sehr intensive, centrale Trübungen, hier beidemale
von einer zweiten, weniger stark getrübten Schicht um-
geben. Letztere hatte eine mehr scheibenförmige Gestalt,
aber an der centralen Parthie, besonders im Falle Naujoks,
war die von den Autoren postulirte, kugelförmige Gestalt
in die Augen springend. Interessant ist, dass sich beide
Staare trotz der Gleichheit der anatomischen Veränderun-
gen auf ganz verschiedener ätiologischer Basis gebildet hat-
ten, in Fall III bei einem rhachi tischen Individuum, in
Fall IV unter Bedingungen, welche Arlt*) und Tetzer*)
als die gewöhnlichen für den Centrallinsenstaar hinstellen,
nämlich verbunden mit congenitalen Anomalieen, hier in
einem mikrophthalmischen Auge.
Das anatomische Substrat der Eerntrübung bestand in
kleinsten Tröpfchen, welche die ganze centrale Linsenpar-
') Krankheiten des Auges. Bd. II, S. 250. Prag 1854,
*) Compendiam der Angenheilk. 4. Aufl. S. 282. Wien 1887.
Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 19
thie in solcher Menge durchsetzen, dass die Fasercontouren
nur schwierig zu erkennen sind. Sie sind in der ganzen
getrübten Parthie gleichmässig vertheilt, nach aussen hören
sie in einer scharfen Grenze auf. Die Fasern sind stark
alterirt, in der mannigfachsten Weise vorgebuckelt und aus-
gebuchtet; die physiologischen Altersveränderuugen waren
im Falle Naujoks trotz der öl Jahre des Patienten nicht
zur Entwicklung gekommen. In beiden Fällen ist die cen-
trale Trübung von einem typischen Schichtstaar umgeben.
Aehnliche Tröpfchen, wie im Centinim, finden sich zahlreich
in einer Faserschicht, die im Fall Schwarz concentrisch zur
Linsenoberfläche liegt, im Fall IV durch die Verschiebung
der einzelnen Schichten eine etwas unregelmässige Anord-
nung zeigt. Der. Zwischenraum zwischen dieser Zone und
der centralen Trübung enthält spärliche Veränderungen,
wie ich sie auch in den Fällen von doppelter Zonularcata-
ract zwischen beiden Staarschichten gefunden hatte. Wir
haben also in beiden Fällen, eingefasst von einem Schicht-
staar, einen Centrallinsenstaar, eine gleichmässige, intensive
Trübung des Linsencentrums, deren anatomischer Bau durch-
aus den Veränderungen der Staarzone bei Zonularcataract
analog ist.
Auch im Falle Naujoks ist es ein Centralstaar trotz
der auffallenden Lage der Trübung. Die anatomische Un-
tersuchung hat ergeben, dass auch hier die ältesten Lin-
senschichten von dem cataractösen Processe betrofifen sind
und dass ihre Dislocation nach hinten durch Verwachsung
mit einem Hinterkapselstaar zu erklären ist. Es ist dies
ein Vorgang, analog dem beim Spindelstaar supponirten;
auch letzterer findet sich ja gerade in Verbindung mit
Schichtstaaren. Zur Ausziehung der abnormen Adhäsion
zu einem Faden ist es nicht gekommen, da dieselbe nur
einseitig, nur an der Hinterkapsel bestand; es wurde also
kein genügender Zug an ihr durch das Auseinanderweichen
der Kapselblätter ausgeübt; und die hinteren Faserenden»
2*
20 0. Schirmer.
welche sich zwischen Centralstaar und Hinterkapsel dräng-
ten, waren augenscheinlich nicht im Stande, die breite Ad-
häsion zu dehnen, was bei schmäleren Verbindungen mög-
lich zu sein scheint, wie der Fall der Margarethe E. zeigt,
den Knies ^) anführt.
Die anatomische Ursache der centralen Staartrübung
ist so völlig identisch der Trübung in der Schichtstaarzone,
dass man unwillkürlich eine Ursache für die beiden For-
men, eine Entstehungsweise annehmen möchte. Aber nicht
nur die anatomische Aehnlichkeit weist darauf hin, es ist
bekannt, dass beide auf gleicher ätiologischer Basis vorkom-
men können — auf die gegentheilige Ansicht Schnabers
komme ich später zurück — , sich häufig bei mehreren
Gliedern derselben Familie finden und schliesslich, wie auch
diese Fälle beweisen, in einer Linse neben einander vor-
,kommen können. Es fragt sich jetzt, ist es möglich, bei
gleicher Entstehungsweise die vorhandenen Differenzen un-
gezwungen zu erklären, die kleinere, kuglige Form und
die intensivere, totale Trübung der Centralstaare gegenüber
der ovalären Trübungszone und den geringen Kernverän-
derungen des Schichtstaars, und die stets fötale Entstehung
des einen gegenüber der theils intra-, theils extrauterinen
Bildung des anderen I Das ist nun in der That sehr wohl
möglich.
Die Entstehung des Schichtstaars hatte ich im An-
schluss an die Horner'sche Theorie so dargestellt, dass
eine vorübergehend einwirkende Schädlichkeit in der gan-
zen, zur Zeit vorhandenen Linse Tröpfchen erzeugt, die in
den jüngsten, lebensfrischen Schichten so massenhaft auf-
treten, dass eine klinisch nachweisbare Trübung entsteht,
in den älteren, weniger am Stoffwechsel betheiligten Fasern
nur minimale, makroskopisch nicht wahrnehmbare Verän-
derungen erzeugt. Die später gebildeten Fasern sollten
') Ueber den Spindelstaar und die Accommodation bei dem-
selben: Archiv für Ophthalm. XXIII, 1, S. 217,
Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 21
sich in normaler Transparenz anfügen. So erklärt sich
zwanglos die linsenförmige Gestalt des Schichtstaars, die
intensive Trübung nur einer Schicht und die geringen Kern-
Veränderungen. Nun ist aber in sehr früher fötaler Periode
die Linse nicht nur kleiner, sondern auch sehr viel kug-
liger gestaltet, als um die Zeit der Geburt. Ein sehr früh
gebildeter Schichtstaar wird deshalb nicht nur kleiner, son-
dern auch kugliger sein müssen, als ein im extrauterinen
Leben entstandener. In so früher Periode sind die Fasern
noch durch die ganze Linse gleichmässig lebend, noch
gleichmässig der Ernährung bedürftig, es giebt noch keine
gealterten, geschrumpften, vom Stofifwechsel ganz oder doch
fast ganz ausgeschlossenen Fasern. Die gleiche Schädlich-
keit, welche in späterer Zeit nur die jüngsten Schichten
intensiv trübt, in den centraler gelegenen, vom Stoffwechsel
schon mehr ausgeschlossenen nur geringe Veränderungen
hervorruft, wird hier die ganze Linse gleichmässig trüben
müssen; sie ruft eine fötale Totalcataract hervor, aus wel-
cher allmälig durch Anlagerung neuer, durchsichtiger Schich-
ten ein Centrallinsenstaar wird.
Die Theorie der Pathogenese der Zonularcataract kann
also ohne Weiteres auf den Gentralstaar ausgedehnt wer-
den. Ich kann mich für beide derselben Worte bedienen:
Irgend eine Schädlichkeit, deren Wesen uns noch unbe-
kannt ist, wahrscheinlich eine Störung in der Ernährung
der Linse, ruft sowohl in den zur Zeit ihrer Einwirkung
schon gebildeten, wie in den während dieser Zeit entste-
henden Linsenschichten Veränderungen hervor: sie erzeugt
Tröpfchen, die anfangs vielleicht in den Fasern liegen und
erst später, wenn die Faser schrumpft, herausgepresst wer-
den, vielleicht aber auch von Anfang an zwischen densel-
ben liegen. Nur die zur Zeit der Schädigung noch völlig
lebenskräftigen, noch mitten im Stoffwechsel stehenden Fa-
sern enthalten solche Mengen Tröpfchen, dass eine klinisch
wahrnehmbare Trübung entsteht; die älteren Fasern wer-
22 ' 0. Schirmer.
den nach Maassgabe ihrer geringeren Betheiligung am Stoff-
wechsel weniger alterirt. Die Ursache der Staarbildung
pflegt ziemlich plötzlich aufzuhören, wie die scharfe Grenze
der Trübung nach aussen beweist. Die später gebildeten
Fasern sind völlig normal und durchsichtig.
Je nach der Zeit, in welcher die Schädlichkeit ein-
wirkte und nach ihrer Intensität wird sie eine ganze Reihe
verschiedener Staarformen erzeugen können, an deren bei-
den £nden einerseits die kleinen, kugligen, weissen Central-
staare, andrerseits die auf wenige benachbarte Faserschich-
ten beschränkten, zarten, grossen, fast ganz durchsichtigen '
Zonularcataracte stehen. Erstere sind durch eine erheb-
lichere und vor Allem durch eine sehr frühe Ernährungs-
störung bedingt — Ceutralstaare sind nach allgemeiner An-
sicht stets angeboren — , letztere durch eine geringgradige
und relativ späte Störung — Schichtstaare pflegen um die
Zeit der Geburt, ab6t wahrscheinlich häufiger extrauterin,
zu entstehen; in wie spätem Alter sie sich noch bilden
können, zeigen die oben angeführten Fälle von doppeltem
Schichtstaar. — Zwischen diesen beiden Staarformen stehen
jene grösseren Cataracte, welche die Configuration eines
Schichtstaars zeigen, dabei aber völlig undurchsichtig sind.
Sie zählt man, wie Fall I, II und V beweisen, richtiger zu
den Schichtstaaren, da die Undurchsichtigkeit durch eine
besonders starke Ausbildung der Staarschicht bedingt ist.
Eine gleiche Pathogenese der beiden Staarformen be-
weist zwar nichts dafür, dass sie auch eine gleiche Ursache
haben, aber soweit von einander verschieden, wie Schnabel
behauptet, scheinen sie mir doch nicht zu sein. Schna-
bel^) hält dafür, dass Kemstaare sowohl, wie Punktstaare
und congenitale Totalstaare durch abnorme Eeimesbeschaf-
fenheit, Schichtstaar durch Störungen im intra- und extrau-
*) Vortrag, gehalten in der Sitzung des Vereins der Aerzte
Steiermarks am 24. Novbr. 1890 (Referat im Centralbl. ftlr Augen-
heilkunde. April 1891).
Zur patholog. Anatomie und Pathogenese dea Centralstaars. 23
terinen Leben zu Stande kommen. Als Beweis führt er an,
dass Kemstaar häufig bei Geschwistern oder in verschiede-
den Generationen derselben Familie gesehen wird, Schicht-
staar niemals! Dagegen bemerkt Hirschberg in einer
Note zum Referat, dass er Grossmutter, Mutter und Kind
am Schieb tstaar operirt habe; auch ich sah die gleiche
Form bei Mutter und Sohn und ähnliches haben gewiss
viele Ophthalmologen gesehen. Dagegen ist femer die von
Knies*) beschriebene Spindelstaarfamilie anzuführen, drei
Brüder mit Centralstaar und einfachem oder doppeltem
Schichtstaar. Da auch bei den drei Schwestern dieser Brü-
der, bei ihrer Mutter und mütterlichem Grossvater Linsen-
anomalieen vorhanden waren, spricht dieser Fall durchaus
für eine Entstehung durch abnorme Keimesbeschaffenheit.
Es scheint mir allerdings, dass durch ein solches Vorkom-
men bei einer Anzahl von Gliedern derselben Familie eine
abnorme Beschaffenheit des Linsenkeims noch nicht erwie-
sen ist, sondern die Annahme hat, meine ich, gleiche Be-
rechtigung, dass nur eine AUgemeindyskrasie (rhachitische
Disposition?) im Keim vererbt wird, und die Linsenanomalic
secundär durch diese herbeigeführt. Es ist zweifellos, dass
sich der Centralstaar besonders häufig mit anderen conge-
nitalen Anomalieen des Auges verbindet, ebenso zweifellos
aber kommt er mitunter auf derselben Basis, wie der Schicht-
staar vor, wie der oben angeführte Fall Schwarz beweist.
Ich glaube deshalb, der Schnabel 'sehe Satz kann in der
Allgemeinheit, wie ihn der Autor ausspricht, nicht aufrecht
erhalten werden, sondern Schichtstaar wie Centralstaar
können verschiedene Ursachen haben, beide sowohl ab-
norme Keimesbeschaffenheit, wie auch nicht ererbte intra-
oder extrauterine Störungen.
Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass
die hier abgehandelte Staarform den Namen „Kernstaar",
*) loc. cit.
24 0. Schirmer.
mit dem sie vielfach belegt wird, mit Unrecht führt. Es
handelt sich nicht um eine Trübung des Kerns; ein Kern
ist zur Zeit ihrer Entstehung überhaupt noch nicht gebil-
det, sondern entsteht erst später, und einer vorzeitigen
Kembildung ist die centrale Trübung gewiss nicht gleich-
zusetzen. Ich möchte für diese Form den Namen vorschla-
gen, welchen Becker sowohl in seiner Monographie im
Sammelwerk von Graefe-Saemisch, wie in dem Werke:
„Zur Anatomie der gesunden und kranken Linse^' gebraucht^
nämlich Centrallinsenstaar oder kürzer Centralstaar. Wenn
man sich gewöhnt, wie es ja jetzt schon meistens geschieht,
den Namen Gentralkapselstaar ganz aufzugeben und dafür
vorderer, resp. hinterer Polarstaar zu sagen, würde jede Ver-
wechslung ausgeschlossen sein und der Name „Centralstaar"
bliebe reservirt für Trübungen des Centrums der Linse, für
kleine, kuglige, intensiv weisse oder gelbliche, undurchsich-
tige, central gelegene, angeborene Trübungen. Als Schicht-
staar sollte man meiner Ansicht nach alle grösseren, schei-
benförmigen, mehr opak gi*aulichen Staare bezeichnen, gleich-
gültig ob sie durchsichtig sind oder nicht. Denn auch im
letzteren Fall haben wir es mit einem Schichtstaar zu thun,
dessen Staarschicht so dick oder so getrübt ist, dass sie
kein Licht durchlässt. Eine scharfe Grenze zwischen bei-
den Formen zu ziehen, ist natürlich unmöglich, weil sie
allmälig in einander übergehen. Ob der congenitale, harte
Kernstaar A. Graefe's*) seinen Namen mit Recht trägt,
kann hier unerörtert bleiben, da derselbe überhaupt nicht
in die hier geschilderte Gruppe zu gehören scheint.
*) Bericht der Heidelberger Ophthalm. Qesellsch. 1879. S. 25.
Zar patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 25
Figuren-Erklärung auf Tafel I und n.
Fig. 1 und 2.
Die Linsen von Fall II und lY in sechsfacher Vergrösserung
nach ungefärbten Glycerinpräparaten gezeichnet.
In beiden Figuren bedeutet a die centrale Parthie, h die Schicht-
staarzone, c die Corticalis.
Fig. 3 und 4.
Dieselben Linsen in 20 f acher Vergrösserung gezeichnet unter
Benutzung verschiedener Objective. Die Buchstabenbezeichnung ist
dieselbe, wie in den Figuren 1 und 2. d in Fig. 3 ist die nur in
der hinteren H&lfte vorhandene Zone eines zweiten Schichtstaars.
In Figur 4 bedeutet c^ die normalen Corticalschichten, c, die in
Folge der Discision zerfallenen.
In beiden Zeichnungen sind sämmtliche Lücken im Yerh<niss
zur ganzen Linse viel zu gross gezeichnet. Es geschah dies, um
auch die kleineren derselben als Kreise wiedergeben zu können.
Fig. 6.
Aus der Staarschicht von Fall II. Yergr. 505.
Fig. 6.
a die hintere Parthie des Centralstaars von Fall IV, b das an-
grenzende Eiweissgerinnsel. Yergr. 505.
Beiträge znr Kenntniss der Cataracta zonidaris.
Von
Dr. Bernhard Dub,
k. und k. Regimentsarzt in Wien.
(Aus der II. üniversit&ts- Augenklinik des Prof. Fuchs in Wien.)
Durch Becker, Wecker, Critchett, Leber u. A. ist
es nachgewiesen, dass die Cataracta perinuclearis sowohl
angeboren, als auch post partum entstanden vorkommt.
Die meisten Autoren neigen der Ansicht zu, dass die Zahl
der angeborenen Schichtiataare eine ziemlich beschränkte
ist gegenüber den später auftretenden Formen und identi-
fiziren die Entstehungszeit derselben mit der des Auftre-
tens von Krämpfen. Um diesen Fragen näherzutreten, ins-
besondere zu dem Zwecke, um womöglich aus der Grösse
der Cataracta perinuclearis auf die Zeit ihres Entstehens
rückzuschliessen, unternahm ich es auf Anregung meines
hochverehrten Lehrers, Herrn Professor Fuchs, die wäh-
rend meiner — allerdings kurzen — Thätigkeit auf dessen
Klinik vorkommenden Fälle dieser Staarform, „des Kinder-
staars" zu beobachten.
Die Untersuchungen, welche ich anstellte, waren von
zweierlei Art. Erstens maass ich so sorgfältig, als es mir
möglich war, die äquatorialen Durchmesser jener Fälle von
Schichtstaar, welche während meines Aufenthaltes an der
Klinik zur Beobachtung gelangten. Zweitens unternahm
. Beiträge zur Kenntniss der Cataracta zonularis. 27
ich es, die Dimensionen der Krystalllinse im Kindesalter zu
bestimmen. Ich beabsichtigte, durch Vergleichung dieser
mit den Dimensionen der Schichtstaare Anhaltspunkte zu
gewinnen über die Zeit, zu welcher die Linsentrübung ent-
standen sein mochte. Wenn es nun auch, wie später ge-
zeigt werden wird, nicht möglich war, zu einer ganz prä-
cisen Beantwortung dieser Frage zu gelangen, so glaube
ich doch, dass schon die Messungen an sich nicht ohne
Werth sind, da bis jetzt nur ganz vereinzelte Angaben
hierüber vorliegen.
I.
Messungen an Schichtstaaren.
Soweit mir die Literatur zugänglich war, habe ich
daselbst nur vereinzelte, gelegentliche Angaben über die
Grössenverhältnisse der Cataracta zonularis gefunden. So
ei'wähnt Schirmer (Archiv für Ophthalm. 1889, 3), dass
der Durchmesser eines Schichtstaars bei einem 33jährigen
Manne 6 mm betrug, ferner erwähnt er einen solchen von
5 — b^l^mm bei einem funQährigen Knaben; Beselin fand
eine 5 mm grosse Zonulartrübung, Michel giebt in seinem
Lehrbuch an, dass die Grösse zwischen 4 und 8 mm schwanke,
Wecker constatirte in dem bekannten Falle seines neun-
jährigen Mädchens 4,5 — 5 mm. Nirgends aber ist eine
Methode angegeben, wie die Trübungen gemessen wurden
oder zu messen wären.
Nach mannigfachen Versuchen, insbesondere mit dem
von Weiss angegebenen Apparat zur Messung der Objecte
des Augenhintergrundes, dessen vorwiegendste Bestandtheile
ein Prisma und ein Maasstäfelchen sind, gelangte ich zu
einer Methode, die mir wegen ihrer Raschheit, Einfachheit
und Zuverlässigkeit als die beste erschien. Sie fusst eigent-
lich darauf, dass ich das Prisma jenes Apparates durch
mein freiwilliges Schielen ersetzte.
28 B. Dub.
Nach Homatropinisirung des zu untersuchenden, bei-
spielsweise des linken Auges, beleuchte ich dasselbe mit
dem vor mein rechtes Auge gesetzten Spiegel und halte
mein linkes Auge vorerst geschlossen. An der linken Schlä-
fenseite des Patienten, etwas hinter dem äusseren Augen-
winkel desselben, also so viel als möglich in derselben
Ebene mit der getrübten Linse, brachte ich ein nach gan-
zen und halben Millimetern eingetheiltes Täfelchen an. Nun
öffne ich mein linkes Auge, schiele nach innen und schaffe
mir dadurch ein gleichnamiges, beleuchtetes Doppelbild des
untersuchten linken Auges, welches ich nach dem Grade
des Schielens bis zu einer gewissen Entfernung auf das
Maasstäfelchen projiziren kann. Nun habe ich die beleuch-
tete Trübung auf dem Täfelchen, umgeben von hellem Roth
und bin im Stande, da ja dieses und die Linse so ziem-
lich in derselben Ebene liegen, mit Hülfe der Millimeter-
eintheilung die Trübung direct zu messen. Natürlich ge-
lang mir dies nicht am ersten Tage, es dauerte ziemlich
lange, bevor ich im Stande war, gleichzeitig die Trübungs-
grenzen und die Theilstriche der Eintheilung zu fixiren.
Anfangs half ich mir damit, die einzelnen Theilstriche des
Täfelchens in verschiedenen Farben anzubringen, lun ge-
wissermassen Ruhepunkte für das Auge zu haben; später
war das nicht mehr nothwendig. Ln Schielen erlangte ich
schliesslich eine solche Fertigkeit, dass ich in dem Mo-
mente, wo ich das linke Auge öffnete, sofort, ohne dass es
der geringsten, mir zum Bewusstsein kommenden Anstren-
gung bedurfte, das beleuchtete Doppelbild auf dem Täfel-
chen saL Ohne besondere Anstrengung konnte ich dann
für mehrere Minuten in dieser Stellung verharren und wenn
ich schliesslich ermüdete, so genügte es, das linke Auge
einige Secunden zu schliessen, um von Netfem fortfahren
zu können. Es braucht nicht besonders erwähnt zu wer-
den, dass ich in analoger Weise bei der Untersuchung des
rechten Auges des Patienten vorging, indem ich den Spiegel
Beiträge zur Eenntniss der Cataracta zonularis.
29
Yor mein linkes Auge setzte. Das Maasstäfelchen fixirte
ich in der gewünschten Stellung durch einen um den Kopf
des Patienten gelegten Draht.
Um so genau als möglich vorzugehen, maass ich auf
diese Weise jede Trübung wohl zehnmal. Die grösste Dif-
ferenz bei solchen Messungen betrug einmal nicht ganz
*/j mm, sonst war die Fehlergrenze immer geringer. Durch
Addirung der jedesmal gefundenen Grössen und Entnahme
des arithmetischen Mittels glaube ich zu verlässlichen Re-
sultaten gekommen zu sein.
Nun blieb noch die Vergrösserung der hinter der Cor-
nea liegenden Objecto durch diese zu berücksichtigen. Nach
Helmholtz beträgt die Vergrösserung durch die Cornea
*/7 *); die um ^/^ reduzirten Grössen der trüben Schichte,
also die wahren Grössen der Cataracta perinuclearis waren:
Nr.
Alter
:Trr-=
Aequatorialdurch-
in Jahren
messer in mm
1
11
4,4
2
16
4,6
3
8
4,7
4
13
4,8
5
11
4,8
6
10
5,0
7
10
5.2
8
24
5.2
9
18
5,5
10
9
5,6
Wir werden später die gefundenen Grössen zu verwerthen
haben. In diesen zehn Fällen waren die Verhältnisse in
beiden Augen vollkommen gleich; auch nicht die kleinste
Differenz der Zonularcataract an beiden Augen war zu con-
statiren. In fünfen unserer Fälle wurde bestimmt das Vor-
kommen von Krämpfen im jugendlichen Lebensalter ange-
geben; der präzise Zeitpunkt des Eintretens derselben
^) Physiologische Optik, 2. Aufl., S. 126.
30 B. Dub
wurde in zwei Fällen mit Ablauf des ersten Lebensjahres
constatirt; in den anderen drei Fällen, bei denen Krämpfe
ebenfalls angegeben wurden, wurde das Alter mit '/4 bis
3 Jahren angegeben. Ausgesprochene Zeichen von Rhachitis
fanden sich bei dreien unserer Fälle und zwar betrafen sie
lediglich die Zähne; die oberen Schneide- und Eckzähne
zeigten die bekannten, horizontalen Schmelzwülste und die
Plumpheit der Zahnform.
In keinem unserer Fälle war in der Familie des Be-
treffenden das Vorkommen von Cataracta zonularis oder
auch nur einer ähnlichen pathologischen Form zu consta-
tiren. Schädelanomalieen bot keiner unserer Fälle. Unge-
nügende geistige Entwicklung war in einem Falle zu con-
statiren, in dessen Familie noch drei, ärztlicherseits als
Idioten bezeichnete Angehörige leben. Sämmtliche Fälle
bis auf einen, unten näher zu beschreibenden, boten das
charakteristische Bild der Cataracta perinuclearis. Es zeigte
sich, dass die diffuse Trübung, die, in der Mitte am wenig-
sten saturirt, bei normaler Pupille das ganze Pupillargebiet
einnahm, nach Anwendung von Atropin nicht bis zum Ae-
quator der Linse reichte, sondern dass sie von einer voll-
kommen klaren Corticalzone umgeben war. Reiterchen fan-
den sich in 7 von unseren 10 Fällen vor. In dem einen
oben angedeuteten Falle war nebst der Perinuclearis eine
deutliche Nuclearis zu constatiren. In der Mitte der Linse,
dem Kern entsprechend, befand sich eine intensiv weisse,
knopfförmige Trübung; von derselben gingen, entsprechend
der Sternfigur der Linse, drei lineare Trübungen ab nach
aussen oben, innen oben, und unten, welche an ihrem Ende
eine stccknadelkopfgrossc, knoi)fförmige Verdickung zeigten.
Der Refractionszustand bei vieren unserer Fälle war der
normale, fünf zeigten myopische, einer hypermetropische
Refraction.
Beiträge znr Eenntniss der Cataracta zonularis. 31
n.
Messungen von kindlichen Linsen.
Was die Messungen von Linsen betrifft, so konnte ich
in der Literatur, abgesehen von gelegentlichen und durch-
schnittlichen Zahlenangaben nur eine grössere Zusammen-
stellung von Priestley Smith: „On the growth of the
crystalline lens" in den Opthalmologikal Transact. Vol. III,
Sess. 82 — 83, finden. Smith misst aber nur Linsen von
Zwanzigjährigen aufwärts, womit mir also nicht gedient
sein konnte. Ferner fand ich in einem Artikel: „Abuor-
malities of the zonule of Zinn" in „The Royal London op-
thalmic Hospital Reports*' Vol. XIII, Part I, Decbr. 1890,
einige Angaben über Linsengrössen im fötalen Leben von
Treacher Collins. Wir kommen unten bei der Verglei-
chung der gefundenen Grössen auf beide Autoren zu sprechen.
Durch die freundliche Zuvorkommenheit des Hrn. Pro- ^
sectors am St. Annakinderhospitale Dr. Kolisko, dem ich
an dieser Stelle meinen besten Dank sage, war es mir mög-
lich, an 33 Kinderleichen die Linsen messen zu können.
Da es nicht anging, die Leichen zu entstellen, war ich ge-
nöthigt, den Bulbus nach Herausnahme des Gehirns und
Wegnahme des Orbitaldaches von hinten zu eröffnen und
so die Linse herauszubefördern. Es wurden nur vollkom-
men intacte Linsen gemessen. Dieselben wurden unmittel-
bar nach der Herausnahme in ein Gefäss mit reinem Ter-
pentinöl gegeben und die Messung längstens eine Stunde
nachher, meist unmittelbar darauf, vorgenommen. Die Her-
ausnahme der Linsen geschah längstens 20 Stunden nach
dem Tode.
Priestley Smith maass die Linsen mit dem Zirkel
so genau, dass er sie bis auf Hundertstel von Millimetern
bestimmte. Mir gelang es nicht, auf diesem Wege zu be-
friedigenden Resultaten zu kommen. Die Fehlergrenze war
bei dieser Methode wegen der Nachgiebigkeit der Linsen
32 B. Dub.
eine zu grosse. Treacher Collins maass an den in Mül-
ler'scher Flüssigkeit gehärteten und durchschnittenen Bulbi
die Linse in situ. Ich ging auf folgende Art vor. Ich be-
nutzte ein einfaches Präparirmikroskop mit dem Ocular 10
und eine Mikrometereintheilung aus dem Ocular eines Zeiss-
schen Mikroskops. Eine Gittereintheilung stand* mir leider
nicht zu Gebote. Die Linse wurde aus dem Terpentinöl
vorsichtig herausgenommen, mit Fliesspapier vom Oele be-
freit und nun auf diese Millimetereintheilung gelegt Diese
kam nun auf die Glasplatte des Mikroskops. Ferner be-
nutzte ich dazu ein Fadenkreuz aus Menschenhaaren. So
konnte ich den Aequatorialdurchmesser auf Zehntel von
Millimetern ablesen. Ich maass nun jede Linse in ver-
schiedenen Richtungen und zu wiederholten Malen imd nahm
dann — die Differenzen zwischen den einzelnen Messungen
betrugen nie mehr als ^/^^mm — , von sämmtlichen gefun-
denen Zahlen das arithmetische Mittel. Behufs Messung
des Sagittaldurchmessers der Linsen legte ich dieselben auf
eine Glasplatte von bekannter Dicke, maass mit dem Zirkel
die Dicke der Linse sammt der Glasplatte so genau als
möglich und zog von der gefundenen Zahl die Dicke der
Platte ab. Die Fehlergrenze betrug bis */io mm.
Ich verhehle mir nicht, dass die so gefundenen Durch-
messer nicht Anspruch auf vollständige Genauigkeit der
Wiedergabe der Linsengrössen beim Lebenden machen kön-
nen. Denn abgesehen von der wohl nicht in Betracht kom-
menden Grössenveränderung der Linse in den ersten zwan-
zig Stunden nach dem Tode ist nicht zu vergessen, dass
ja die Linse in vivo durch die Zonula eine Abflachung er-
leidet, die bei der Messung nicht berücksichtigt werden
kann. Andrerseits erleidet die herausgenommene Linse durch
das Auflegen auf die Glasplatte ebenfalls eine nicht unbe-
trächtliche Zunahme des Aequatorial- auf Kosten des Sagit-
taldurchmessers, so dass sich diese beiden Fehlerquellen
zum Theile compensiren dürften.
Beiträge zur Eenntniss der Cataracta zonularls.
33
Mein Material war in Bezug auf das Alter der Kinder
leider einseitig. Nur drei Kinder standen in einem Alter
von unter einem Jahre, 19 in einem Alter von ein bis zwei
Jahren, vier waren zwei bis drei Jahre alt, vier standen
zwischen dem dritten und vierton Jahre, je eins war 5^/jj,
7 und 12 Jahre alt. Immerhin ist es insofern günstig, als
die meisten Fälle das Alter von ein bis zwei Jahren hatten,
jenes Alter, das der landläufigen Ansicht nach die meiste
Vorliebe für das Auftreten der Krämpfe, also auch der
Cataracta perinuclearis, haben soll.
Die Resultate dieser Messungen lege ich in Folgendem
dar; ich notirte aus naheliegenden Gründen auch die Kör-
pergrösse der Kinder.
Nr.
Alter
Körper-
llnge
Aequatorial - Durchmesser
Saglttal - Durchmesser
Grösse Max. Min. Mittel
Grösse
Max.
Min. Mittel
1
10 Mon.
52
6,8 j
2,2
2
11 »
50
8,0
•8,0
6,8
7,46
2,4
2,8
2,2
2,46
3
11 „
60
7,6
2,8
1
4
12 „
62
7,8
2,6
5
12 „
66
6,9
2.5
6
13 „
62
7,6
2.5
7
13 „
74
8,0
2,6 j
8
IV4 Jahr
84
8,0
2.9
9
IV4 ,,
64
8,1
2,6 '
10
IV4 „
62.
8,0 1
2,8 !
11
IV, „
82
8,0 1
2,6 1
12
IV, „
70
8,1
2,5
13
iVi „
65
8,3
8,3
6,9
7,87
2,6
2,9
2,2
2,57
14
IV, »
64
7,5
2,2
15
IV. „
68
8,0
2.4
16
IV, n
74
8,2
2,6
17
IV, „
76
7,4
2.6
18
IV, ,.
74
7,8
2,5
19
1V4 „
62
7,8
2,8
20
1V4 M
72
8,1
2,6
21
174 „
71
8,1
2,6
22 !l-/4 „
66
7,9
2,4
T. Graefe's Archiv fttr Ophthalmologie. XXXVII. 4.
34
B. Dnb.
Nr.
Alter
Körper-
Ubige
Grösse
Max.
Min.
Mittel
Grösse
Hu.
Min."
Mittel
23
2 Jahr
76
8,2
2,6
24
2 „
82
8,4
>8,4
7,9
8,2
2,5
[3,0
2,5
2,72
2b
2 „
78
7,9
2,8
26
2V. S
68
8.3
3,0
27
3 „
70
8,6
1
2,8
1
28
3Vi n
86
8,6
}8,6
8,2
8,46
2,9
[2,9
2,8
2,83
29
3V, „
80
8,2
)
2.8
)
30
4 „
84
7,8
3,1
31
5V. „
100
8,4
8,2
32
7 „
85
8,2
2,9
33
12 „
129
8,8
8,4
Aus diesen Messungen geht hervor, dass der Aequa-
torial- Durchmesser *der Linse nicht ganz genau proportional
dem Alter ist. Wir sehen z. B. im Falle 2 einen Aequa-
torial- Durchmesser von 8 mm bei einem 11 Monate alten
Kinde und im Falle 30 einen Durchmesser von 7,8 mm bei
einem vierjährigen Kinde. Immerhin ergeben die Durch-
schnittswerthe naturgemäss, dass die Linsengrösse mit dem
Alter wächst. So zeigt es sich, dass der durchschnittliche
Aequatorial- Durchmesser bei den 3 Kindern unter einem
Jahre 7,46, bei 19 Kindern von 1 — 2 Jahren 7,87, bei
4 Kindern von 2 — 3 Jahren 8,20, bei 3 Kindern von 3 bis
4 Jahren 8,46 mm gross ist. Aber auch die sagittalen
Durchmesser steigen in denselben Fpochen: 2,46 . . . 2,57
. . 2,72 . . . 2,83 mm.
Was die Beziehung der Körperlänge zur Linsengrösse
anlangt, so finden wir, dass ihr Yerhältniss zu letzterer ein
viel innigeres ist, als zwischen Alter und Linsengrösse. Der
Körpergrösse
von 50 — 60 cm entspricht ein Aequator.-Durchm. von 7,4
„ 60 — 70 „ „ „ „ „ „ 7,82
» 70 — 80 „ „ „ „. „ „ 8,04
„ 80 — 90 „ 9» 99 » 9» 99 8,17
90-100
8,40
Beiträge zur Kenntniss der Cataracta zonularis.
35
Man wird aho mit viel mehr Berechtigung aus der Körper-
lange, als aus dem Alter einen Schluss auf die Linsengrösse
machen dürfen. Dies gilt natürlich nur für die Linsen
jenes Lebensalters, mit dem wir es hier zu thun haben;
im späteren Alter, gegen das Ende des Wachsthums und
darüber hinaus dürfte wohl die Körperlänge zu Gunsten
des Alters wenig mehr in Betracht kommen, wie ja auch
Priestley Smith in seinen Messungen nur das Alter und
nidit die Körperlänge berücksichtigt.
Der Uebersicht halber wollen wir noch die Messungs-
resultate von Priestley Smith, Treacher CoUins und
die meinigen nebeneinanderstellen.
j
Alter 1
Aequatorial-
SagitUl-
1
Durchmesser
a) Collins.
1
4 Monate
3,3
2,8
5
>»
4,0
3,5
6
»
4,6
3,8
1
7
»
5,0
4
^
9
»>
5,75
4>2
b) M<
nne Messan
gen.
9—12 Monate
7,46
2,46
1— 2 Jahre
7,87
2,67
2— 3
»>
8,2
2,72
3-4
w
8,46
2,83
4- 5
»
7,8
3,1
5- 6
»»
8,4
3,2
7
>»
8,2
2,9
12
1»
8,8
3,6
c) P
rießtley Sm
ith.
20—29 Jahre
8,67
30—39
»»
8,90
40-49
9,09
.
50-59
9,44
60—69
9,49
70-79
9,64
80
-89
9,62
36 B. ^ttb.
Aus dieser Zusammenstellung ist zu ersehen, wie auf-
fallend rasch im Yerhältuiss zum extrauterinen Leben die
Linse im fötalen Zustande wächst. Aus den gefundenen
Grössen der sagittalen Durchmesser geht hervor, dass die
Form der Linse im frühesten Alter einer Kugel ziemlich
ähnlich ist und dass im späteren Alter eine Abflachung
derselben eintritt. Die äquatorialen Durchmesser der föta-
len Linsen stehen, wie sich aus den Durchschnitts werthen
ergiebt, zu den sagittalen in einem Verhältniss von 1,22:1,
während das Verhältniss zwischen beiden Durchmessern bei
den Linsen meiner Messungen 2,8 : 1 beträgt.
Wir kommen zum Schlüsse. Nach der Ansicht der
meisten Autoren entsteht die Cataracta perinuclearis post
partum und zwar meist zwischen erstem bis zweitem Le-
bensjahre, (worauf auch die klinischen Erscheinungen, Rha-
chitis, Krämpfe, hinzudeuten scheinen) und betreflfen die
periphersten Schichten der Linse. Nach meinen Untersu-
chungen möchte man glauben, dass eins von beiden nicht
möglich sei. Entweder wird angenommen, dass die Trü-
bung post partum, etwa im ersten bis zweiten Lebensjahre
entstanden ist — dann könnte es nicht richtig sein, dass
es die periphersten Schichten sind, die betroffen werden.
Denn im ersten bis zweiten Lebensjahre beträgt der Aequa-
torial-Durchmesser Minimum 6,8 mm. Es müsste also auch
die Trübung, falls sie wirklich die periphersten Schichten
beträfe, diesen Durchmesser haben, während die grösste
Cataracta perinuclearis unserer Serie nur einen Durchmes-
ser von 5,6 mm besitzt. Oder zweitens, es werden die peri-
pheren Schichten betroffen, wobei es dann nicht möglich
scheint, dass die Cataract erst im ersten bis zweiten Le-
bensjahr entsteht. Denn aus den Messungen geht hervor,
dass unsere grösste Cataract einen Durchmesser von 5,6 mm
hat, während der kleinste Linsendurchmesser im ersten Le-
bensjahr schon 6,8 mm beträgt. Darnach würde es also
Beiträge zur Kenntniss der Cataracta zonularis. 37
scheinen, dass die Cataiuct in einer Epoche ihren Ursprung
habe, wo die Linse nicht mehr als 5,6 mm Durchmesser hat.
Da wir als Durchschnittswerth für die letzten drei Monate
des ersten Lebensjahres einen Aequatorial-Durchmesser von
7,46 gefunden haben, so müssten unsere Cat. perin. in einer
relativ früheren Zeit, also im fötalen Leben entstanden sein.
Die hier ausgeführte Schlussfolgerung ist aber nicht
ohne Weiteres richtig, denn sie lässt einen Umstand ausser
Acht, dass nämlich beim Wachsthum der Linse die älteren,
centralen Theile mit ihrer Verdichtung auch eine Volums-
abnahme erfahren. Wie gross ist dieselbe? Die Durchmes-
ser der von mir gemessenen Schichtstaare schwanken zwi-
schen 4,4 mm und 5,6 mm; der äquatoriale Durchmesser
der ganzen Linse beträgt im ersten und zweiten Lebens-
jahre durchschnittlich 8 mm. Angenommen, dass die Schicht-
staare in diesem Lebensalter entstehen und zwar in den
periphersten Schichten der Linse, so müssten diese eine
Abnahme ihres äquatorialen Durchmessers erfahren, welche
zwischen 2V2 und 3^2 nim schwankt, also eine Verkleine-
rung um ein Drittel und mehr. Wir besitzen leider bis
heute noch nicht einmal eine annähernde Schätzung der
mit dem Wachsthum der Linsen einhergehenden Schrumpfung
ihrer centralen Theile. Die Ermittelung dieser Schrumpf-
ung wäre eine dankbare Aufgabe und gerade die Cataracta
perinuclearis könnte die Hand zur Lösung derselben bieten.
Wenn man einen Fall von Schichtstaar in recht frühem
Lebensalter zur Beobachtung bekäme, könnte man in grös-
seren Pausen sorgfältige Messungen von dessen Durchmes-
ser ausfuhren und so die allmälige Verkleinerung desselben
nachweisen. Obwohl wir aber bis jetzt derartige Anhalts-
punkte über die Schrumpfung der centralen Linsentheile
nicht besitzen, scheint es mir doch, als ob die oben postu-
lirte Verkleinerung um ein Drittel und mehr (bis fast um
die Hälfte) zu bedeutend wäre, um der Wirklichkeit zu
entsprechen. Ist dies so, dann müssen wenigstens die klei-
38 B. Dub, Beiträge zur Kenntniss der Cataracta zonularis.
neren Schichtstaare in Bezug auf ihre Entstehung in ein
früheres Lebensalter, als man gewöhnlich annimmt, verlegt
werden, sei es in die ersten Lebensmonate, sei es selbst in
die letzte Zeit des Fötallebens.
Die andere mögliche Supposition, es trete die Trübung
im ersten bis zweiteu Lebensjahre auf, betreffe aber nicht
die periphersten Schichteu, ist wohl abzuweisen. Alle Au-
toren stimmen darin überein, dass es die periphersten Schich-
ten sind, die allein oder vorwiegend von der Ernährungs-
störung betroffen werden. Es wäre ja auch den natürlichen
Verhältnissen vollkommen widersprechend, dass die älteren
Linsenschichten, also die compacteren, widerstandsfähigeren,
auf den Lisult, den die Linse durch die Ernährungsstörung
leidet, reagiren, die jüngeren Schichten dagegen widerstands-
fähiger sein und integer bleiben sollten. Es ist übrigens
von Schirmer direct nachgewiesen, dass es nur vorzugs-
weise die peripheren Schichten sind, die unter den Er-
nährungsstörungen leiden, dass diese Störungen aber auch
auf die inneren Schichten einen merklichen Einfluss aus-
üben, nur dass eben wegen der geringeren Widerstands-
fähigkeit der jüngsten, periphersten Schichten die Trübung
daselbst als Autwort auf die Insulte mehr ins Auge fällt.
Schirmer spricht übrigens auch die Ansicht aus, dass
die Perinuclearcataracte weitaus häufiger, als man bisher
annimmt, intrauterin entstehen und wenn nach der Geburt
regelmässig eine ophthalmologische Untersuchung vorgenom-
men würde, würden viele Cataracta perinuclearis, die man
nachher als später entstanden anspricht, als angeboren er-
kannt werden. Seit den Ausführungen von Kassowitz ist
es ja auch unzweifelhaft, dass die Rbachitis ungemein häufig
in den letzten Monaten der fötalen Entwickelung beginnt.
Es erübrigt mir nun noch, meinem hochverehrten Lehrer,
Herrn Prof. Fuchs, für die Zuweisung dieser Arbeit und
für seine Unterstützung meinen tiefgefühlten Dank auszu-
sprechen.
Ueber die Pseudocolobome der Iris.
Von
Dr. Konrad Rumschewitsch
in Kiew.
Wie bekannt, hat v. Ammon zuerst die Entstehung
der Aderhaut- und Iris-Colobome durch eine unregelmässige
Verwachsung der fötalen Augenspalte erklärt. Späterhin
veränderten sich die Anschauungen über die fötale Augen-
spalte bedeutend und jetzt kann ausschliesslich von einer
Augenspalte im Bereiche der secundären Augenblase, d. h.
der Netzhaut und der mit der letzteren in genetischer Ver-
bindung stehenden Schicht des Pigmentepithels die Rede
sein. Nichts destoweniger ist die Anschauung im Wesent-
lichen dieselbe geblieben und die Theorie v. Ammon 's
wird gegenwärtig fast von Allen angenommen, am genaue-
sten ist sie von Prof. Manz in seiner Arbeit über die Miss-
bildungen des menschlichen Auges entwickelt worden. Im
Handbuche von Graefe und Saemisch auf S. 65 sagt er,
dass zwar in der früheren Literatur Colobome, die sich
ausser dem Bereiche des unteren Segmentes befanden, er-
wähnt werden, dass aber diese Fälle nicht genau genug
untersucht sind. In der That sind die Colobome, welche
sich ausser dem Bereiche des unteren Segmentes befinden,
so selten, dass Schlüter (Beitrag z. Iris- und Chor.-Colo-
bom, Rostock 1874) in den 104 von ihm gesammelten Fäl-
len das Colobom ausschliesslich immer im unteren Seg-
40 K. Ramschewitsch.
mente vorfand. P lange hat in der von ihm unlängst publi-
cirten Arbeit (Beitrag zur Genese des congenitalen seit-
lichen Iriscoloboms, Archiv für Augenheilk. XXI, 2, 1890)
mit seinem Falle zugleich acht Fälle von Pseudocolobomen
gesammelt. In der That sind sie aber viel zahlreicher,
wenn man diejenigen Fälle in Betracht zieht, welche unter
der Benennung Diplo- und Polycorip beschrieben worden
sind und von denen viele ganz identisch mit den von Plange
gesammelten Fällen sind und zugleich nichts Pathologisches
darstellen. Zur Vollkommenheit des Bildes will ich hier alle
in der Literatur bekannten Fälle, einschliesslich der von
Plange beschriebenen acht Fälle, anfuhren.
Erster Fall.
Eine genaue Beschreibung des ersten hierher gehörigen
Falles gehört Dubois (Ann. d'oculistique T. XLI, 18ö9). Bei
einem 20 Jahre alten Bauer waren im , linken Auge um eine
überaus kleine, aber ganz regelmässige Pupille herum sechzehn
accessorische Pupillen in Form von radialgerichteten Spalten
gelagert. Ueber den Zustand der Chorioidea wird nichts er-
wähnt.
Zweiter Fall.
Quaglino (Ann. dl Ottalmologia II, S. 209, nach Na-
ge Ts Jahresber.). Nach oben und aussen gelegenes Iriscolobom,
dessen Grösse fast einem Drittel der oberen Hälfte der Iris
gleich kam, und das von der Pupille durch einen dünnen Ge-
websstreifen getrennt war.
Dritter Fall.
Bayer (Acrztlicher Bericht des Krankenhauses in Prag,
S. 50, 1879. Nach NageTs Jahresbericht) beobachtete einen
grossen angeborenen, nach aussen gelegenen Defect in der Iris
bei einem 38jährigen Manne. Auch war die übrige Iris un-
regelmässig entwickelt, ihr innerer Ring fehlte gänzlich.
Vierter und fünfter Fall,
v. Mittelstadt (Arch. f. Augenheilk. XI, S. 423, 1880)
hat zwei Fälle unter dem Namen Pseudocolobom der Iris be-
Ueber die Pseudocolobome der Iris. 41
schrieben. Im ersten fand er bei einer 44 Jahre alten Frau
an der linken Iris einen Streifen, welcher sich nach innen von
einer unbedeutenden Ausbuchtung der Iris hinzog und neben
dem Giliarrande mit einer dreieckigen Erweiterung endigte.
Zu diesem Streifen conüuirten radiale Streifen der vorderen
Irisfläche. Im zweiten Falle war im linken Auge ein volles
Iriscolobom gerade nach innen vorhanden. Die ganze nasale
Hälfte der Iris war sehr dann und schien unregelmässig. In
der Chorioidea wurde ein Defect vorgefunden in Form eines
nach innen und unten gerichteteten Ovals, von der Grösse von
zwei und der Breite von einem halben Papillendurchmesser.
Die rechte Iris hatte eine etwas andere Farbe-, gerade nach
innen in der Richtung des horizontalen Durchmessers war in
der Iris eine unvollkommene Spalte zu sehen, in deren Grunde
graues Gewebe vorhanden war.
Sechster Fall.
Im Jahre 1881 habe ich unter der Benennung doppelter
Pupille (Medycyna und Revue g^n^rale d'ophtalmologie p. 253,
1882) folgenden Fall beschrieben. 62 Jahre alter Mann. Im
linken Auge war die fast ganz runde Pupille stark nach unten
verschoben. Im äusseren oberen Segmente war . eine zweite
Pupille zu, bemerken (eine vollkommene Oeffnung), von läng-
licher Form, welche von der gewöhnlichen Pupille durch einen
dünnen Gewebsstreifen getrennt war. Eine klar ausgeprägte
Zickzacklinie zog nach innen, parallel dem Pupillarrande; in
der temporalen Hälfte hingegen entfernte sie sich von dem
letzteren und ging nachher in einen dünnen Streifen über,
welcher die accessorische Pupille kreuzte. Weder in der Cho-
rioidea noch im Nervus opticus war eine Spalte vorhanden.
Siebenter und achter Fall.
Makrocki (Archiv für Augenheilk. XIV, 1, 1882) hat
folgende zwei Fälle beschrieben. Bei einem 16 Jahre alten
Mädchen war ein Colobom der rechten Iris nach aussen vor-
handen, welches nicht bis zum Giliarrande reichte; in der na-
salen Hälfte der Iris waren regelmässige radiale Falten vor-
handen, welche in der temporalen Hälfte ganz fehlten. Bei
focaler Beleuchtung konnte man mehrere radialziehende schwarze
Streifen bemerken. Im zweiten Falle war bei einem 77 Jahre
alten Manne das Colobom der linken Iris gerade nach innen
42 K. Ramschewitsch.
gerichtet. Seine Ränder und sein Verhältniss zur vorderen
Irisfläche waren dieselben wie bei einem gewöhnlichen Colo-
bom *).
Neunter Fall.
Magnus beobachtete an einem linken Auge zwei Ins-
colobome, das eine nach innen, das andere nach unten. In
der Chorioidea war wahrscheinlich keine Spalte vorhanden.
Zehnter Fall.
Im Jahre 1884 habe ich einen Fall von Polycorie bei
einem 21 Jahre alten Mann beschrieben (Revue g^n6rale d'oph-
talm. Mai). An der rechten Iris ist in einer Entfernung von
1 mm vom Pupillarrande eine Zickzacklinie zu bemerken, welche
sich nach oben und unten hinzieht und die Pupillarzone der
Iris von der ciliaren trennt. Nach aussen hin nimmt sie eine
gerade Richtung an und vereinigt sich später mit dem Pupil-
larrande, entfernt sich aber gleich wieder von dem letzteren
und vereinigt sich nachher mit der Zickzacklinie der unteren
Hälfte der Iris. Nach innen und oben vereinigt sich die ge*
rade Linie, welche eine Fortsetzung der Zickzacklinie bildet,
mit dem Pupillarrande in einer Gegend welche unweit vom
horizontalen ^Durchmesser gelegen ist. Vom Pupillarrande ge-
hen strahlenartig zur Zickzacklinie nach oben fünf und nach
unten sechs Ausläufer, zwischen denen, der Zickzacklinie und
dem den Pupillarrand begrenzenden Streifen, vollkommene De-
fecte des Irisgewebes zu bemerken sind, welche um die gewöhn-
liche Pupille herum noch neun accessorische Pupillen bilden.
In der Chorioidea ist keine Spalte vorhanden; neben der Pa-
pille des Nervus opticus ündet sich ein Bündel markhaltiger
Nervenfasern.
^) Hierher gehören auch zwei Fälle von Mooren, die aber zu
kurz beschrieben sind (Fünf Lustren ophtbalm. Thätlgkeit. Wies-
baden 1882. S. 290). Derselbe fand einmal zwei Spalten im oberen
Irissegmente, die so breit waren, dass man den rotben Augengrund
durch alle drei Pupillen gleichzeitig bemerken konnte. In einem
anderen Falle fand sich, bei einem kleinen Kinde, im oberen äus-
seren Irisabschnitt eine accessorische ovale Pupille, von der norma-
len durch dicke Gewebsstreifen abgegrenzt, die nach Mooren Ueber-
reste der Pupillarmembran waren.
lieber die Pseudocolobome der Iris. 43
Elfter Fall.
Simi (BoU. d'ocul. VI. 1884, citirt nach einem kurzen
Referate im Recueil d'ophtalm.). Bei einem 11jährigen Kran-
ken war im unteren äusseren Augensegment eine accessorische
Pupille vorhanden, die eine Halbmondform besass; in radialer
Richtung kreuzten dieselbe zwei feine Fäserchon.
Zwölfter Fall.
Unter der Benennung doppelte Pupille habe ich (Medy-
cyna 1885; Recueil d'ophtalm. 1887, S. 319) folgenden Fall
beschrieben. Bei einer 20 Jahre alten Frau war im linken
Auge, in einer Entfernung von 1 — 2 mm vom Pupillarrande,
eine dunkelbraune Zickzacklinie zu bemerken. Die hellbraune
Pupillarzone der Iris bestand aus sehr feinen radialen Falten.
In der äusseren Ciliarzone hatten die Falten auch eine radiale
Richtung, waren aber viel dicker. Die accessorische Pupille
heuernd sich im Bereiche des unteren äusseren Segmentes, hatte
eine Eiform und war von der wirklichen Pupille durch einen
Gewebsstreifen von der Breite von 1 mm getrennt. Ein feiner
Streifen kreuzte die accessorische Pupille in der Richtung ihres
Längsdurchmessers.
Dreizehnter Fall.
Franke (Centralbl. für prakt. Augenheilk. 1885, S. 101)
hat bei einer 60 Jahre alten Frau im linken Auge ein Iris-
colobom nach aussen von unregelmässiger Form beobachtet; es
fehlte das hintere Pigmentblatt der Iris. In der Gegend des
Defectes wai: die Iris wie atrophirt; radiale Furchen fehlten
in der ganzen äusseren Irishälfte. Die Grösse des Defectes
betrug fast die der halben Pupille.
Vierzehnter Fall.
V. Reuss (Ophthalm. Mittheilungen, II. Abth., Wien 1886).
Bei einer alten Frau fand sich in der Iris des linken Auges
ein Defect nach inn^n und oben und zu gleicher Zeit im Au-
gengrunde ein nach innen und unten gerichteter Conus. Das
Auge war astigmatisch und der Radius der schwächsten Brech-
ung entsprach der Axe des Defectes.
. Fünfzehnter Fall.
Schiess-Gemuseus (Klin. Monatsblätter 1887, Januar).
Bei einem sieben Jahre alten Kinde fanden sich zugleich mit
44 K. Bamschewitsch.
Defecten des Rachens, der Lippen, der Nase nnd der beiden
Augenlider (mit Dermoiden der Hornhantränder) anch Golobome
der beiden Indes nach oben und innen. Im linken Auge war
das Golobom kleiner, im rechten reichte es fast bis zum Hom-
hautrande. Ausserdem zogen im rechten Auge vom Pupillar-
rande ins Gebiet der Pupille Fäserchen (Ueberbleibsel der Pu-
pillarmembran) hinein.
Sechzehnter Fall
£. Bock (AUgem. Wiener media Zeitung, 1888). Die
Cornea von grossem Umfange. Angeborene Spalte beider Re-
genbogenhäute nach oben und aussen, im rechten Auge grösser
als im linken. Ausserdem war im unteren Theile, neben dem
Pupillarrande, eine Art von Ausbuchtung zu bemerken, von der
rechten Seite ging die Ausbuchtung in einen dunklen Streifen
über. Die Linien auf der vorderen Irisflächo vereinigten sich,
statt in radialer Richtung zu ziehen, nach unten hin. Eine
Spalte in der Chorioidea war nicht vorhanden, dagegen Coni
nach unten, eine Chorioditis centralis, Glaskörpertrübungen und
PigmentablageruDgen auf der vorderen Kapsel.
Siebzehnter Fall.
Nuel (Ann. d'oculistique 1888, D6cbr.) Eine einseitige
Spalte im linken Auge, die sich auf die Iris, die Chorioidea
und den Nerv, optic. verbreitete und nach aussen gelegen war.
Achtzehnter Fall.
De Lapersonne (Arch. d'ophtalm. Bd. YIII, 2). Eine
doppelseitige Spalte in der Iris, welche nach oben gerichtet
war. Im entsprechenden Gebiete waren auch Reste einer Rand-
keratitis zugegen. Ausserdem war ein entzündlicher Process
um den N. opticus und neben dem gelben Fleck vorhanden.
Neunzehnter Fall.
Manz (VII. Penod. iuternat Ophthalm.-Congress. Bericht
v. Otto Becker und Hess. Wiesbaden 1888. S. 460.) Bei
einem 40 Jahre alten Manne war im linken Auge eine Iris-
spalte vorhanden, die nach aussen gerichtet war und fast bis
zum Ciliarrande reichte, ausserdem war noch eine kleinere zu-
gegen, die nach unten gerichtet war. Beide Spalten wurden
vom Ciliarrande durch eine Brücke getrennt; die untere war
nach hinten von einer dünnen Schicht, vermuthlich der Membr.
Ueber die Psoudocolobome der Iris. 45
Bnicfaü, bedeckt. Die Zeichnung der vorderen Irisfläche neben
dem Colobom erschien verändert. Bei Untersuchung der Iris
mittelst der Lupe fand Manz an vielen Stellen der Vorder-
fläche ein Auseinandergehen der radialen Fasern. Weder in
der Chorioidea noch im Ciliarkörper war eine Spalte vorhanden.
Die ersten Nachrichten über diesen Fall waren von dem Autor
schon auf der Naturforscher- Versammlung in Strassburg im
Jahre 1884 mitgetheilt worden, auf dem VII. Congress hat
er auch über die Resultate der anatomischen Untersuchung
dieses Falles berichtet. Am wichtigsten ist der Umstand, dass
die ganze Chorioidea sehr dünn erschien, besonders in ihren
tiefen Schichten; dieser Umstand erklärt, nach der Meinung
des Autors, die schwache Entwickelung des Irisstromas. Ge-
wöhnliche Entzündungserscheinungen waren gar nicht vorhanden.
Zwanzigster Fall.
Im Jahre 1889 habe ich an Baudry folgende Beobach-
tung mitgetheilt (Baudry, Essai sur la polycorie. Paris 1889).
24 Jahre alter Mann.. Im rechten Auge gehen von einer
schwarzen Linie, welche auf dem braunen Grund der Iris ge-
legen und fast 1mm vom Pupillarrande entfernt . ist^ Strahlen
zur Peripherie der Iris. Die Pupillarzone enthält radiale Li-
nien, die Ciliarzone sieht glatt aus. In der oberen Irishälfte,
in einer Entfernung von 0,5 mm vom Pupillarrande, sind vier
kleine Oeffnungen, accessorische Pupillen, zu bemerken.
Einundzwanzigster und zweiundzwanzigster Fall.
Baudry (1. c.) hat unter der Benennung Triplo- und
Diplocorie zwei eigene Fälle beschrieben. Im ersten Falle
waren bei einem achtjährigen Knaben im rechten Auge, ausser
einer normalen Pupille im oberen äusseren Irissegmente, hinter
der Zickzacklinie zwei Oeffnungen zugegen, von denen die nn-
terc eine längliche Form besass, mit einem Längsdurchmesser
von 1 mm, und dem Ciliarrande näher gerückt war. Der Au-
gengrund war ganz normal. Im zweiten Falle war im oberen
Irissegmente des linken Auges, bei einem 35 Jahr alten Manne,
eine accessorische Oeffnung (1 mm gross) zu bemerken. Sie
war nach oben auf 1,5 mm von der Zickzacklinie entfernt. Der
Augengrund war ganz normal.
Dreiundzwanzigster Fall.
P lange (Archiv für Augenheilkunde XXI, 2). 44 Jahre
alter Mann. Im rechten Auge ist die Pupille in der Richtung
46 K. Biunschewitech.
nach anssen ausgezogen, wodurch sie birnförmig erscheint An
ihrem spitzen Ende geht der Pigmentsaum in einen radiär ge-
richteten Streifen Ober, welcher in einer Entfernung yon 1 mm
in einen wirklichen Defect, von spindelförmigem Aussehen, ttber-
geht. Die Länge des Defectes ist 2 mm, er reicht fast bis
zum Homhautrande. Auf der vorderen Irisfläche sind in ihrer
äusseren Hälfte anstatt radialer, unregelmässige hellere Linien
zu bemerken, die Zickzacklinie ist an der dem Streifen ent-
sprechenden Stelle unterbrochen. Auf der yorderen Linsen-
kapsel sind Ablagerungen zugegen. Im linken Auge zieht yoü
der nach innen ausgezogenen Pupille ebenfEills nach innen ein
pigmentirter Streifen, ein Defect in der Iris ist aber nicht isth
gegen. Auf der vorderen Linsenkapsel sind ebenfalls Ablage-
rungen zu bemerken, ausserdem findet sich am zugespitzten
Ende der Pupille ein weissliches Knötchen, welches vom hin-
teren Irisblatte ausgehend, in das Pupillargebiet vorspringt
Kach der Mitte der Pupille zu trägt dasselbe eine feine Schlinge,
die bei den Augenbewegungen flottirt Nach der Meinung des
Autors war in beiden Augen eine und dieselbe Anomalie vor-
handen, nämlich ein Brückencolobom, nur mit dem Unterschiede,
dass die Colobomschenkel im linken Auge späterhin völlig ver-
wachsen waren, während es am rechten nur zur Entstehung
einer breiten Brücke zwischen ihnen kam. Die Ablagerungen
auf der Kapsel und die Bildungen am Pupillarrande zählt er
zu Resten der Pupillarmembran.
Vierundzwanzigster, fünfundzwanzigster und
secbsundzwanzigster Fall.
Pollak (Archiv für AugenheUk. XXII, S. 286) hat drei
Fälle von Pseudocolobomen beschrieben, von welchen die zwei
ersten von Fuchs beobachtet worden sind.
50 Jahre alte Frau. Vollkommenes Colobom der linken
Iris, nach innen und oben gerichtet, die Pupille selbst ist in
derselben Richtung verschoben. Das Colobom reicht bis zum
Ciliarrande. Die Zickzacklinie nähert sich allmälig dem Rande
des Coloboms und verschwindet alsdann in einer Entfernung
vom Ciliarrande.
Bei einer 76 Jahre alten Frau erschien die Pupille in
der Form eines verticalen Ovals (seine Ränder waren mit Aus-
nalune einer Stelle mit der Kapsel verwachsen), dessen oberer
Rand einen nach unten gerichteten Vorsprung bildete. Im Be-
lieber die Pseudocolobome der Iris. 47
reiche des oberen Segmenibs waren die vorderen Irisschichten
wie atrophirt In beiden Fällen konnte man den Zustand des
Angengrnndes wegen zu gleicher Zeit vorhandener Linsentrü-
bungen nicht bestimmen.
32 Jahre alte Frau. Das linke Ange war ein wenig klei-
ner als das rechte. Das untere äussere Drittel dieses Auges
war von einem Dermoid eingenommen. Demselben entsprechend
war im oberen Lide ein unbedeutendes Colobom vorhanden.
Nur die temporale Hälfte der Pupille erschien schwarz, die
nasale Hälfte war von einer weissen Membran Oberzogen oder
richtiger snbstitnirt, die ihren Anfang hinter der Pupille nahm
und, nach Erreichung des Niveaus der letzteren und des nasa-
len Pupillarrandes, sich in einen weissen Streifen verwandelte,
welcher längs der Irisoberfläche bis zum Giliarrande reichte
und noch einen Ausläufer abgab, der nach oben und innen
gerichtet war. Die Zickzacklinie war nur in der temporalen
Hälfte der Iris zu bemerken, welche dunkelbraun gefärbt war.
In der nasalen Hälfte war diese Linie nicht vorhanden, die
Iris hatte eine gleichförmige Oberfläche und war ockergelb ver-
färbt Der Augengrund normal. An der Stirn war in der Rich-
tung zur Fissura supraorbitalis ein mit Haaren bewachsener
Streifen zu bemerken, der 2 cm lang und 0,5 cm breit war.
Den vorhergehenden Fällen kann ich noch zwei eigene
Beobachtungen anreihen.
Siebenundzwanzigster Fall
St. P., 34 Jahre alter Mann, von starkem, ganz regelmäs-
sigem Körperbau. Das rechte Auge zeigt durchaus keine Ver-
änderungen. Am linken Auge ist die Lidspalte etwas schmäler
al» am rechten. Die Cornea bat die Form eines Ovals, dessen
horizontale Axe 14 mm beträgt, die verticale 11mm. Bei seit-
licher Beleuchtung kann man sich leicht davon überzeugen,
dass die Cornea eine durchaus nicht kugelige, sondern unregel-
mässige Form besitzt. Bei der Untersuchung mittelst eines Kera-
toseops erhalten wir eine Abbildung in der Form eines starke
gezogenen Ovals. S= *%oo- Ein Cylinderglas + */i4 mit ver-
ticaler Axe steigert die Sehschärfe auf ^^I^q. Die Iris ist von
hellblauer Farbe, die in der temporalen Hälfte in eine grün-
liche fibergeht. Auf der vorderen Irisfläche ist eine gut aus-
geprägte Zickzacklinie zu meiken, welche 1 mm vom Pupillar-
rande entfernt ist In der nasalen Hälfte der Iris bildet sie
48 K. Rumschewitsch.
einen halben Stern mit fünf Strahlen, welche fast bis zam Ciliar-
rande reichen. Die .Pupille befindet sich eigentlich in der na-
salen Irishälfte, hat eine rande Form, ihr Durchmesser ist bei
gewöhnlicher Beleuchtung 4 mm gross; die Reaction auf Licht
ist normal. In der Richtung des horizontalen Durchmessers
ist in der Iris eine Spalte zu sehen, die nach aussen gerichtet
ist und fast bis zum Ciliarrande reicht. Die Spalte ist eiför-
mig, ihre Länge beträgt 6 mm, die grösste Breite in der Mitte
2 mm. Diese Spalte ist vollkommen, nur unweit vom Ciliar-
rande wird sie in schräger Richtung von einem dünnen 6e-
websstreifen gekreuzt. Der Ciliarrand und die Ränder des
Coloboms sind von einem schwarzen Streifen umgeben, der
durch eine Einbiegung des Pigmentepithels nach vom gebildet
wird. Ich habe schon erwähnt, dass die Zickzacklinie nur in
der nasalen Hälfte der Iris zu bemerken ist; in der temporalen
Hälfte ist diese Linie unterbrochen, nach oben hin endet sie
in der Spitze des durch den oberen Colobomrand gebildeten
Winkels, nach unten hin reicht sie gerade bis zum Colobomrand,
in einer Entfernung von 1 mm vom Ciliarrande. In der tem-
poralen Irishälfte sind die radialen Linien schwächer entwickele
In der Linse, dem Glaskörper, der Retina und der Chorioidea
sind keine Veränderungen zugegen und die Spalte ist anbe-
dingt vom Ciliarrande der Iris begrenzt
Achtundzwanzigster Fall.
50 Jahre alter Bauer von ganz regelmässigem Körperbau.
Im rechten Aage ist ein reifer Staar vorhanden, die Lichtem-
pfindung ist ganz regelmässig, anfangs war das Sehvermögen
dieses Auges ganz genügend, anderweitige Veränderungen könnt«
ich in diesem Auge durchaus nicht vorfinden. Das linke Auge
gleicht dem erstem Anscheine nach ganz einem nach der Me-
thode von Graefe operirten Auge. Die Augenlider und die
Bindehaut sind normal, die Form der Hornhaut regelmässig,
ihr Durchmesser 13,5 mm. Die Iris ist von brauner Farbe; in
einer Entfernung von 1 mm vom Ciliarrande ist an ihr eine
fast regelmässig bogenartige Linie zu bemerken, welche den
pupillaren Theil vom ciliaren trennt. Im ciliaren Theile gehen
die nicht besonders scharf ausgeprägten verticalen Linien in
radialer Richtung auseinander. Die Pupille bat bei gewöhn-
licher Beleuehtung einen Durchmesser von 3 mm. Die in der
Iris befindliehe Spalte ist gerade nach oben gerichtet; sie ver-
breitert sich allmälig nach oben und erreicht unmittelbar am
lieber die Pseudocolobome der Iris. 49
Giliarrande eine Breite von 5 mm. Diese Spalte |st eine voll-
kommene, reicht aber nur bis zum Giliarrande, da sie weder
im Bereiche des Giliarkörpers, noch der Ghorioidea nachzuwei-
sen ist Dagegen ist die obere Hälfte der Sehnervenpapille
von einer Sichel umgeben, an die sich ein Pigmentring an-
schliesst Auf der glänzendweissen Sichel sind einige Pigment-
flecke vorhanden. Nach der Richtung der Gefässe zu urtheilen,
ist im • Bereiche der Sichel eine starke Vertiefung zugegen,
ausserdem entspringt die Art nasalis superior nicht vom Gen-
trum, sondern von dem oberen Bande der Papille. Im Ucbrigen
sind weder am Augengrund, noch in den brechenden Medien
irgendwelche Veränderungen zugegen. Nach der Aussage des
Kranken war das Sehvermögen dieses Auges immer sehr un-
genügend. Strabismus divergens, S = ^/jq^, Gesichtsfeld nor-
mal. Ein Glas sphär. + ^/^j und cyl. -f- ^j^^ mit verticaler
Axe steigert die Sehschärfe auf *°/ioo-
Bei der Beschreibung der Fälle von Diplo- und Poly-
corie in meinen obenerwähnten Aufsätzen hatte ich eine
ganz eigenartige Entwickelungsanomalie im Auge. Es ist
hervorzuheben, was ich früher nicht erwähnt habe, dass so-
wohl in meinen, als in den von Anderen beschriebenen und
oben angeführten Fällen die accessorischen Pupillen gänzlich
der Muskelfasern entbehrten. Sie hatten aus diesem Grunde
um so weniger etwas gemein, weder mit den Brücken-
colobomen des unteren Segmentes, noch mit Resten der
Pupillarmembran. Ganz anders ist Baudry in der oben
citirten Arbeit verfahren. Er hat nicht nur den Begriff
der Polycorie verallgemeinert, indem er auch die erworbene
Polycorie dazu rechnete, sondern er hat auch die sogen,
persistirende Pupillarmembran (so z. B. den classischen Fall,
der von Alfred Graefe beschrieben worden ist) und die
Brückencolobome der Iris herbeigezogen; so ist z. B. die
von ihm angeführte XL Beobachtung (Fano's Fall) eine
Anomalie, die man ohne Zweifel zu den einfachen fadenför-
migen Resten der Pupillarmembran zählen mus& Franke
hingegen betrachtet in seinem Artikel nur die angeborene
Form als eine wahre Polycorie und unterscheidet sie streng
T. Gniefe'8 AtcUt tVa Ophthalmologie. XXXVII. 1. 4
50 K. Rumschewitsch.
von der Mehrzahl der Pupille, die durch andere Ursachen
bedingt ist. Er hat neunzehn Fälle von Polycorie gesam-
melt, die er in zwei Kategorien theilt. Zur ersten Kate-
gorie rechnet er (11 Fälle) die einfachen Defecte im Iris-
gewebe und erklärt sie durch die von Manz gefundene un-
vollkommene Entwickelung der Chorioidea, unter Betheili-
gung einer unregelmässigen Entwickelung oder eines unre-
gelmässigen Verschwindens der Pupillarmembran. Zur zwei-
ten Kategorie rechnet er die Fälle von Iridodialysis — hier-
her gehört auch seine eigene Beobachtung. Jeder Fall ist
von dem Autor einer strengen Kritik unterworfen worden.
Die Genese der zu den beiden Kategorien gerechneten Er-
scheinungen ist natürlich ganz verschieden und meiner An-
sicht nach ist es am besten, um allen Missverständnissen
vorzubeugen, sich ganz von der empirischen Benennung der
Diplo- und Polycorie loszusagen. Alsdann bleiben ausser
den Brückencolobomen und der Persistenz der Pupillarmem*
bran noch zwei grosse Kategorien von accessorischen Oefif-
nungen in der Iris, nämlich die Pseudocolobome und die
congenitalen Iridodialysen, die ich selbst mehrere Male an-
nähernd in der von Franke beschriebenen Form beobachtet
habe. Die multiplen angeborenen Iridodialysen, z. B. in
der Art des von Mittendorf (Trans, americ ophthalm.
Soa 1884) beschriebenen Falles — gehören zu den selten-
sten Anomalien.
Weiter bleiben noch diejenigen Fälle übrig, in welchen
keine accessorische Pupillen, sondern mehrere Qeffnungeu
in der Iris bei vollkommener Abwesenheit der gewöhn-
lichen Pupille bemerkt werden. Ich bin vollkommen mit
der Meinung von Franke einverstanden, dass wir bis jetzt
nur einen genau beschriebenen Fall dieser Art haben,
nämlich den Fall von Higgens (The Lancet 1885, S. 524).
Weiter haben wir noch zwei ganz eigenartige Beob-
achtungen. Tourtual (citirt von Desmarres, Traite d.
mal. d. yeux 1885, T. II, S. 460) hat eine Pupille in der
-?!•?- u» ■ iiMi« Lü-^ina^ Mir rnx ; 1
Ifk LsBStnüIum^ n ij-is. IrSrisr s" «tiir nnr-Taa im£
CLVüuncii'i -rtVTK-^ir ^n. LT^-iit:. j\ -wt *sr i^- lt. hi^ jir
IB «EJ*siL Jüli* Ir-r-'-u. Lr>,.:r.t j^ !*•.; i 11-^ rß?ssvü
psiiiaei ^tc. Iil iiiit*n. Aur* tüc;^ £** IiniHj^ i^ei.iLij^
die FcEiL enis bjjim*: vei'jiif i^riHniniüLiLr scr *rs: -t. xre^
mdeL l»j»r 5»jiiicit VMJ JL iirrer Itmt :rfi^-c. i^nsKCväest
irar IL OfauKtTueL I-bb»: *inHr u^^!»:!räii* Irji- d'iihraas vcc^
harrtifii I»^ Apgfffjgrmii ^.^ za:z i> mal Cl: iix. £.\>.^t
asdi sezDex Fial- inieiL ä Sr r»ij5*- j£-^3:::reuLr-T.u-«: F^Viv**
die BeDaiLuii? I»;h,Tfi*sr:fcä5:il itbigng: vkcrr si^fLisisLl. n <ä^Ä
der HwTiiitut r»td aa. £Lbz«5^ reir^tsie Trsr^ir:^«! Kr.\oTlU
die ganz in der R.d.tii^ dtt^jes^gea ilrrldu^iis $t\r^:tMÄ
waren, in ir*rl'.iesn Eci aiaÄ die Spdklte befAnJ, Im txsh-
ten Auge fand er lot ^i-e Trübung viiaoh iir.ten^» äIv»^
aiic^ in der BicLtimg des Sp^tendoicbmess^rs. In dic^vM)
beiden Fallen können wir eine angebon^ce Anon»lii\ äWv
keine Büdnngsanomalie anerkennen.
Ich gehe jetzt dazn über, einige allgemeine Fol^oruu-
gen ans dem Vorhergebenden zu ziehen. Die Anoinj^lio >ä?u'
in beiden Augen zugleich vorhanden in 4 Fällen,
im rechten Auge allein in ü „
im linken Auge allein in IG „
*) Die Beobachtung ist mitgetheilt von Tourtual in MttUor*»
Arch. 1846, T. IV und reproducirt von Corna«, I>oa abuormhOh
cong^niales des yeux et de leurs annexes. Lausanne 1H48, S. Htf
4*
52 K. Rumschewitsch.
In welchem Auge in den Fällen von Quagliuo und Bayer
die Anomalie zugegen war, ist mir unbekannt JedenMls
wiederholt sich auch für die atypischen Colobome der Iris
die für die Teratologie des Auges allbekannte Thatsache,
dass das linke Auge den Anomalien viel öfter unterworfen
ist. Ausserdem hatten wir in sechs Fällen mehr sds eine
Spalte im Auge; im Falle von Dubois waren ihrer sedi*
zehn vorhanden. Eine analoge Erscheinung ist von mir
schon früher (Przeglad lek. 1886) für das centrale Colobom
beschrieben, es waren nämlich in einem Falle in der Cho-
rioidea zwei Colobome vorhanden, von denen das eine cen-
tral gelegen, das andere nach oben gerichtet war. Am hau*
figsten waren die Spalten vom Pupillarrande durch Brücken
getrennt.
Die atypischen Colobome hatten eine Richtung:
nach oben und unten in 1 Falle,
zugleich nach allen Richtungen „ 1 „
nach innen „6 Fällen,
nach oben und innen „3 „
nach aussen „2 „
nach aussen und unten . . . . „ 6 „
nach oben „6 „
nach oben und aussen „3 „
Fast in allen Fällen wurden vollständige Colobome bemerkt,
d.h. vollkommene Spalten. Wenn übrigens in dieser Hin*
sieht Verschiedenheiten vorkommen, so sind sie jedenfalls
nicht von grosser Bedeutung. In dieser Hinsicht finden
wir ebenfalls eine grosse Verschiedenheit bei den Colobo-
men des unteren Segmentes vor, als Beispiel will ich einen
Fall von Chorioidealcolobom, der von Pause (Archiv für
Ophthalm. XXIV, 2) anatomisch untersucht worden ist, an-
führen, in welchem das klinische Bild eines Coloboms nur
durch eine locale Leuoosis der Pigmentschicht bedingt war.
Was die anderen zu gleicher Zeit an den Augen gefunde-
nen Veränderungen anbetrifft, so hatten wir in einem Falle
Ueber die Fseadocolobome der Iris. 53
nach derselben Seite gerichtete Golobome der Chorioidea und
des Nervus opticus, in drei Fällen angeborene Coni neben
der Papille (v. Reuss, Bock und mein zweiter Fall), in
einem Falle ein Chorioidealcolobom (der zweite Fall von
Mittelstadt), in zwei Fällen entzündliche Veränderungen
in der Chorioidea (De Lapersonne und Bock). Ausser-
dem waren im Falle von Bock auf der Linsenkapsel bei-
der Augen kleine Ablagerungen von brauner Farbe vj^rhan-
den, im Falle von Schiess-Gemuseus Fasern, die ins Be-
reich der Pupille vom Pupillarrande derselben hinzogen; im
Falle von P lange Ablagerungen auf der vorderen Linsen-
kapsel beider Augen, in Gestalt von grauweissen Punkten
und im linken Auge ausserdem noch ein Knopf, der von
der hinteren Irisoberfläche stammte und in eine bewegliche
Masche, die im Bereiche der Pupille gelagert war, überging.
Wie im ersten so auch im letzten Falle nehmen die Auto-
ren ohne alle Bedenken Reste einer Pupillarmembran an.
Mooren nimmt in seinem zweiten Falle ebenfalls Reste
der Pupillarmembran an, seine Beschreibung ist aber zu
kurz, um so mehr, als die anzunehmenden Reste sich in
der mittleren Zone der Iris befinden müssten. Endlich
waren unbedingt in allen Fällen, wo nur die Aufmerksam-
keit darauf gerichtet war, nicht nur in den unmittelbar an
das Colobom grenzenden Iristheilen, sondern auch in den
entfernteren Gegenden, sogar in der ganzen entsprechenden
Irishälfte, starke Veränderungen vorhanden, die Zeichnung
der vorderen Irishälfte war nämlich stark von der norma-
len verschieden, man kann sogar behaupten, dass die ent-
sprechende Irishälfte immer wie atrophirt erschien, und in
meinem ersten Falle konnte man sogar eine stark ausge-
sprochene Farbenveränderung bemerken.
Jetzt wollen wir zur Erklärung der Entstehung der
betreffenden Anomalie übergehen. Der Theorie v. Am-
mon's über die Entstehung des Coloboms des unteren Seg-
54 K. Rumschewitsch.
mentes widersprach lange Zeit Niemand; im Gegentheil be-
stätigten alle späteren Untersuchungen und klinischen Be-
obachtungen diese Theorie und constatirten eine vollkom-
mene Abwesenheit der Elemente der Wandungen der secun-
dären Augenblase im Bereiche dos Coloboms. Ausserdem
wurden Colobome ausserhalb des unteren Segmentes wäh-
rend sehr langer Zeit auch von Niemandem genauer be-
schrieben, deshalb sprach sich Manz in seiner Arbeit über
die Missbildungen des Auges unbedingt für die Theorie
y. Ammon's aus. Uebrigens fand er bald selbst (Elin.
Monatsblätter 1876) im Bereiche eines Chorioidealcoloboms
Elemente der Retina vor, erklärte aber ihre Anwesenheit
dadurch, dass sie aus den benachbarten Theilen hineinge-
zogen worden seien. Ausserdem zeigten die Beobachtungen
von Haab (Archiv für Ophthalm. XXIV, 1), dass im Be-
reiche des Coloboms nur die Chorioidea allein fehlte, dass
die Retina unmittelbar an der Sclera anlag und dass, ob-
gleich die Schichten der erstcreu sehr unregelmässig ange-
ordnet waren, von den Elementen, die sich aus der secun-
dären Augenblase entwickeln, nur das Pigmentepithel fehlte.
Haab behauptet schliesslich, dass „die Theorie vom Offen-
bleiben, verspäteten oder bloss partiellen Schluss der Fötal-
spalte für die Genese des Coloboms nicht festgehalten wer-
den könne, sondern dass andere Ursachen aufgesucht wer-
den müssen, die vermuthlich in der Gefassentwickelung
innerhalb der werdenden Chorioidea liegen (S. 271)."
Dies war der erste Angriff gegen die allgemein ange-
nommene Theorie. Entschiedener trat ihr im Jahre 1881
Deutschmann entgegen (Klin. Monatsbl. für Augenheilk.).
Seiner Meinung nach stellen im Allgemeinen alle sogenann-
ten Hemmungsbildungen nur Folgen von entzündlichen Pro-
cessen vor, welche im Fötalleben verlaufen; insbesondere
soll das Chorioidealcolobom als Ausgang einer Sclerochorio-
retinitis intrauterina anzusehen sein. Höltzke (Arch. für
Augenheilkunde XII, 2), Thalberg (ebend. XIII, 1) und
Ueber die Pseudocolobome der Iris. 55
Da Gama Pinto (ebend. XIII, 1) wollten durch anato-
mische Untersuchungen mit Colobomen behaftete Augen die
Richtigkeit der Anschauungen von Deutschmann bestäti-
gen. Im Anschlüsse an die Beschreibung einiger Fälle von
Entwickelungsanomalien des Auges (Centralblatt für prakt.
Augenheilk. 1882, Mai und Revue generale d'ophtalm. 1884,
Nr. 5) habe ich schon meine Meinung über die Theorie von
Deutschmann ausgesprochen. Die ganze Theorie ist a^^f
Untersuchungen der Augen von Kaninchen gegründet, die
von Eltern mit künstlich erzeugten Störungen der Augen
abstammten; im Falle von Höltzke hatten wir es gleich-
zeitig mit einem Mikrophthalmus zu thun; im Falle von
Da Gama Pinto war ein entzündlicher Process des Ciliar-
körpers vorhanden. Ich halte es für gewagt auf Grund
solcher und ähnlicher Fälle eine Theorie aufzustellen. In
der That ist auch die Theorie von Deutschmann in jetzi-
ger Zeit von allen Entwickelungsanomalien nur zur Erklä-
rung der Entstehung des centralen Coloboms anwendbar.
Die Erklärung der Entstehungsweise dieser Anomalie durch
unvollkommene Schliessung der Augenspalte ist schon immer
grossen Schwierigkeiten begegnet So hat Schmidt-Rimp-
1er schon im Jahre 1880 (Archiv f. Ophthalm. XXVI, 2,
S. 234) die Meinung ausgesprochen, dass die centralen Colo-
bome nichts mit der Augenspalte zu thun haben; dieselbe
Meinung habe ich auch in meiner Monographie über das
centrale Colobom ausgesprochen (Przeglyd lek. 1886). Die
späteren Beobachter, van Duyse (Ann. d'ocul. 1886, Sept.,
Oct. und 1887 Aoüt) und Silex (Archiv für Augenheilk.
XVIII, 3) leiten das centrale Colobom auch nicht von der
Augenspalte ab und sprechen sich eher für die Theorie von
Deutschmann aus. Ich kann aber einen Fall von Dor
nicht verschweigen (Revue generale d'ophtalm. 1888), in
welchem in beiden Augen ganz symmetrisch gelegene ma-
culare Colobome vorhanden waren und noch dazu bei einem
Mikrocephalus, ein klarer Beweis für die Hemmungsbildung!
56 K. Rumschewitscb.
Nicht für die Theorie y. Ammon's sprechen ebenfalls
die Untersuchungen von Vossius (Archiv für Ophthalm.
XXIX, 4), nach welchen beim Fötus der Augapfel sich um
90® um die Axe dreht. Wenn eine solche Drehung wirk-
lich stattfindet und ausserdem das Colobom des unteren
Segmentes wirklich durch eine imvoUkommene Schliessung
der Augenspalte entsteht, so müssten die Colobome am häu-
figsten nach aussen und unten gerichtet sein, oder man
müsste zulassen, dass in diesen Fällen die normale Drehung
um die Axe nicht stattgefunden hätte, dabei hätten wir
aber eine anomale Richtung der Retinalgefässe, auf diesen
Umstand hat aber bis jetzt noch Niemand aufmerksam, ge-
macht.
Uebrigens könnte die Theorie v. Ammon's noch mehr
durch die Fälle der sogenannten seitlichen Colobome be-
stritten werden. Diese Fälle waren schon v. Ammon be-
kannt, er erklärte sie aber dadurch, dass im Auge zwei
Spalten sein könnten, von denen die eine normal, die an-
dere pathologisch sei. Die eine von ihnen könne später
verwachsen, die andere offen bleiben und die Entstehung
einer Spalte in einer atypischen Richtung veranlassen. Zu
dieser Erklärung verführte ihn der Umstand, dass es ihm
einmal gelang (wenn auch beim Hühnchen) zwei Spalten
zu sehen, von denen die zweite nach oben gerichtet war.
Dank den neuen, durch die Entwickelungsgeschichte gewon-
nenen Thatsachen, erwies sich diese Erklärung als ganz
ungenügend; die Theorie v. Ammon's wurde aber von
Manz gerettet, indem er einen fundamentalen Unterschied
annahm zwischen den normalen Colobomen, denen des un-
teren Segmentes, welche ungeachtet der von Manchen er-
hobenen Einwände eine völlig genügende Erklärung in der
Theorie v. Ammon's finden und den anomalen (seitlichen)
Colobomen. Was die Fälle von Mittelstadt anbetrifft, so
sagt er (Jahresbericht für 1880, S. 205), dass die unregel-
mässigen Iriscolobome durch eine unregelmässige Entwicke-
Ueber die Pseudocolobome der Iris. 57
lung der Iris bedingt sein können während der Entwicke-
lungsperiode, wenn die Augenspalte schon längst geschlos-
sen ist. Dabei können, seiner Meinung nach, die unregel-
mässige Entwickelung oder das unregelmässige Verschwin-
den der Pupillarmembran eine* wichtige Rolle spielen.
Makrocki bestreitet die von y. Ammon vorgeschlagene
Erklärung der seitlichen Colobome durch abnorme Richtung
der Fötalspalte und bemerkt mit Recht, dass es unmöglich
ist, beim Fötus eine unregelmässige Lage der Augenspalte
zu beweisen. Was die Fälle von Makrocki und Magnus
anbetrifft, so macht Manz wieder darauf aufmerksam, dass
durchaus nicht alle Fälle von Colobomen des Auges und
selbst von Iriscolobomen in Abhängigkeit von der fötalen
Augenspalte gebracht werden müssen. Auf der Versamm-
lung zu Strassburg im Jahre 1884 hat Manz noch stren-
ger die Idee durchgeführt, dass es nothwendig sei, die ty-
pischen Iriscolobome (im Bereiche des unteren Segmentes)
von den atypischen (im Bereiche der anderen Segmente
gelegenen) zu unterscheiden und hat diese Idee in einer
ganz bestimmten Form auf dem VII. Internat. Ophthalm.
Congress im Jahre 1888 (Bericht von 0. Becker und W.
Hess) ausgesprochen. Anfangs bemühte er sich, wie er
selbst sagt, die Theorie der Hemmungsbildung zu verthei-
digen; er behauptete nämlich, dass die unregelmässige Ent-
Wickelung oder die Persistenz des Stieles des Glaskörpers,
wenn man sich so ausdrücken kann, den Verschluss der
Spalte verhindert oder bis zu einer späteren Periode zurück-
hält, wodurch ja das typische Colobom entsteht. Er warnt
vor der Verführung durch die Entzündungstheorie und ver-
wirft sie ohne Weiteres für die Colobome der Linse und
des Lides. In seinem Falle von atypischem Colobom konnte
er durchaus keine gewöhnlichen Entzündungserscheinungen
vorfinden. Wenn wir, bemerkt er (S. 466), die doppelte
Anlage d^ Iris, deren retinale und chorioideale Platte in
Betracht ziehen, so ist eben doch letztere als der Boden
58 K. Rumschewitsch.
anzusehen, aus dem die vordere Paiiie der Iris hervor-
wächst, wobei allerdings auch die Pupillarmembran mit in
Frage kommt. Immerhin ist leicht verständlich, dass aus
einer atrophischen Chorioidea nur eine kümmerliche durch-
löcherte Iris hervorgeht. Solche Irisdefecte haben also mit
der Fötalspalte nichts zu schaffen, sie mögen deshalb Pseudo-
colobome heissen.
Bock verwirft für seinen Fall die Annahme einer
Hemmungsbildung im Gebiete der Augenspalte; er nimmt
an, dass bei gewissen Umständen die Entwickelung eines
ganzen Irisgewebes nicht zu Stande kommen könne und
dass in seinem Falle als Ursache ein unregelmässiges Ver-
halten der Pupillarmembran annehmbar erscheine, das man
nicht genauer bestimmen könne, obgleich eine veränderte
Ernährung im Bereiche gewisser Gofassbezirke vorauszu-
setzen sei. De Lapersoune macht darauf aufmerksam,
dass die Iris sich erst zu der Zeit entwickelt, wo die Fö-
talspalte schon geschlossen ist, so dass man deshalb das
Iriscolobom nicht in Verbindung mit der Spalte bringen
könne. Seiner Meinung nach entwickelt sich das Colobom
an der Stelle, wo in Folge eines entzündlichen Zustandes
der Chorioidea eine Ernährungsstörung stattfindet. Als Aus-
druck einer ungenügenden Ernährung erscheinen seiner Mei-
nung nach die Flecke auf der Cornea, die in seinem Falle
bemerkt wurden, wie auch bei den Colobomen im Bereiche
des unteren Segmentes. Ich erlaube mir hier zu bemerken,
dass sie im letzteren Falle zu den grössten Seltenheiten
gehören.
Plange bemerkt ganz richtig, dass die Drehung des
Fötalauges um die Axe nur die nach aussen gelegenen Co-
lobome erklären kann. Er ist auch nicht mit der Theorie von
Deutschmann einverstanden, da unter den ihm bekann-
ten Fällen entzündliche Veränderungen des Auges nur in
einem Falle vorhanden waren (Bock). Weiter müsste, sei-
ner Meinung nach, ein entzündlicher Process mehr tiefere
Ueber die Fseudocolobome der Iris. 59
Veränderungen hinterlassen. Wie Manz, unterscheidet auch
Plange die typischen, wirklichen Colobome (des unteren
Segmentes) von den atypischen, seitlichen, und wie Bock,
so schreibt auch er der Pupillarmembran die ansehnlichste
Rolle bei der Entstehung der Anomalie zu. Er behauptet,
dass in 50 ®/o der ihm bekannten Fseudocolobome Reste
der Membran zugegen waren, während sie beim normalen
Colobom sehr selten vorkommen. Die Richtigkeit seiner
Meinung bestätigt er durch folgende Topographie des vor-
deren Abschnittes des fötalen Auges zur Zeit des ersten
Entstehens der Iris. ,3ekanntlich steht der vordere freie
Rand der secundären Augenblase zur Zeit, wo die Iris
aus demselben hervorzuwachsen beginnt, ungefähr auf der
Höhe des Linsenäquators. Die Linse ist in einen Gefäss-
sack eingeschlossen, dessen hintere Hälfte aus der Veräste-
lung der Art hyaloidea entstanden, dessen vorderer Theil
aus dem vordersten Abschnitte des Gefässlagers der Kopf-
platten hervorgegangen ist. Nun beginnt die Iris in ihrer
doppelten Anlage aus dem vorderen Umschlagstheil der
secundären Augenblase und aus dem vor diesem gelegenen
Abschnitt der Kopfplatten mit Betheiligung der peripheren
Theile der vorderen Hälfte des Linsengefässsackes sich zu
entwickeln. Beim normalen Wachsthum schiebt nun die
Iris, sich zwischen Hornhaut und Linse hineindrängend,
die vordere Seite des Linsensackos vor sich her und schnürt
sie ringförmig ein. Auf diese Weise wird sie dann in einen
vor der Iris gelegenen Abschnitt, die sogen, eigentliche
Pupillarmembran und in einen hinter derselben befindlichen,
die Membrana capsulo-pupillaris, abgetheilt. Wenn man
nun annimmt, dass in dieser vorderen Hälfte des Linsen-
sackes die Iris auf besondere Widerstände stösst, die ihr
normales Wachsthum hindern, so hat der Zusammenhang
zwischen der Anomalie der Pupillarmembran und der Iris-
missbildung in ätiologischer Hinsicht eine Erklärung gefun-
den. Derartige Hemmnisse können nun sowohl abnorm ent-
60 K. Kumschewitsch.
wickelte Gefasse sein, als in Verwachsungen des Gefass-
sackes mit der Linsenkapsel bestehen. Auf ersteres lassen
die fadenförmigen Reste, auf letzteres die Auflagerungen
auf der vorderen Kapsel schliessen/' Der von Manz be-
schriebenen Dünnheit der Gefösshaut schreibt Plange nur
eine unwesentliche Bedeutung zu. Gegen die Thatsacho,
dass bei Anwesenheit von Resten der Pupillarmembran seit-
liche Colobome sehr selten vorkommen, bemerkt Plange,
dass erstens die Veränderungen in der Pupillarmembran so
unbedeutend sein können, dass sie noch nicht den regel-
mässigen Wuchs der Iris beeinflussen; weiter, dass die Per-
sistenz der Membran ebenfalls durch eine unvollkommene
Resorption derselben beeinflusst sein könne, welche seiner
Meinung nach zu der Zeit beginnt, wenn die Iris schon
längst gebildet ist. Diese Theorie, wenn sie nur auf That-
sachen gegründet wäre, würde in der That sehr leicht die
Entstehung der seitlichen Colobome erklären, unabhängig
von dem Gebiete ihres Vorkommens. Plange meint, dass,
wenn man nur, abgesehen von den Colobomen des imteren
Segmentes, fiir die übrigen Missbildungen der Iris ein ähn-
liches Verhältniss zur Pupillarmembran finden könnte, für
die Erklärung dieser es möglich wäre, sich mit einer Theo-
rie zu begnügen, welche, ohne die Verhältnisse im Gebiete
der Augenspalte zu berühren, nur mit den Verhältnissen
im Bereiche der Pupillarmembran zu thun hätte.
Im vorliegenden Artikel habe ich eine viel grössere
Zahl hierhergehöriger Beobachtungen angeführt, als. in den
früheren Arbeiten, somit erhalten auch die daraus gezoge-
nen Schlüsse eine grössere Sicherheit. Jedenfalls muss man
bei der Erklärung der Entstehung der in Rede stehenden
Anomalie: 1) die Entzündungstheorie, 2) die Theorie der
Di*ehung des fötalen Auges um seine Axe und 3) die Theorie
einer getrennten, oder unregelmässigen Entwickelung des
fötalen Auges berücksichtigen.
Ueber die Fseudocolobome der Iris. 61
1) Bei der Sntzündungstheorie brauchen wir uns nicht
lange aufzuhalten. Die Sache ist die, dass von den acht-
undzwanzig Fällen nur in zweien mehr oder weniger aus-
gesprochene entzündliche Processe im Auge erwähnt wer-
den; im Falle von Bock wurden entzündliche Erscheinun-
gen in der Gefasshaut (und in dem Glaskörper) und Pig-
mentablagerungen auf der Linsenkapsel gefunden; im Falle
von de Lapersonne in der Gefasshaut, und in dem dem
Colobom entsprochenden Abschnitt der Hornhaut. Aber
auch in diesen Fällen fanden die entzündlichen Processe
in so entfernten Theileu statt, dass sie in der Iris durch-
aus keine so starken Veränderungen hervorrufen konnten,
um einen so ansehnlichen Defect ihrer Substanz zu veruiv
Sachen.
2) Auf Grund der Untersuchungen von Voss ins könn-
ten wir annehmen, dass die Spalte anfangs an der normalen
Stelle gebildet war und erst späterhin, bei der Drehung
des Augapfels nach aussen, im Bereiche des unteren äus-
seren Segmentes auftrat In diesem letzteren Falle könnten
wir aber die Entstehung der Anomalie höchstens in sieben
Fällen erklären, in einem mit der Richtung nach aussen
und unten und in sechs gerade nach aussen; die übrigen
einundzwanzig Beobachtungen würden unerklärt bleiben.
3) Es bleibt also nur übrig, die Erklärung der Ent-
stehung der Anomalie in einer unregelmässigen Entwicke-
lung des Auges beim Fötus zu suchen. Plange schreibt
eine entscheidende Bedeutung der Pupillarmembran zu, ich
möchte aber zuerst die Frage stellen, was es denn für
Beste der Membran waren, .die zu gleicher Zeit mit der
in Rede stehenden Anomalie beobachtet wurden. Im Falle
von Bock waren nur Ablagerungen auf der Kapsel zugegen,
welche man, bei der Abwesenheit von Fasern, schwerlich
für Reste der Pupillarmembran annehmen kann. In den
Fällen von Schiess-Gemuseus und Plange waren diese
Reste zu wenig ausgesprochen. Weiter wurden in den mei-
62. K. Rumschewitech.
sten der in diesem Artikel beschriebenen Fälle durchaus
keine Reste der Membran beobachtet, also waren streng
gesagt nur in zweien von den achtundzwanzig Fällen Reste
der Membran vorhanden und dieser Umstand lässt es schon
an und für sich nicht zu, in diesem Falle der Pupillarmem-
bran irgend welchen Einfluss zuzuschreiben.
Bei der Beschreibung mehrerer Fälle von Entwicke-
lungsanomalien des Auges, bemühte ich mich schon mehr-
mals, sie auf Grund meiner eigenen Untersuchungen über
die Entwickelung des Auges zu erklären. Ich erlaube mir
daher hier etwas ausführlicher die Resultate meiner Unter-
suchungen über die Entwickelung der Pupillarmembran und
Iris anzuführen, die in meiner 1878 in Kiew in russischer
Sprache unter dem Titel „Zur Entwickelungsgeschichte des
Auges" erschienenen Arbeit mitgetheilt worden ist Die-
selben stehen mit den von Lieberkühn, Hans Virchow,
Königstein u. A. erhaltenen Ergebnissen in Einklang.
Nach Abschnürung der Linse, zu der Zeit, wenn zwi-
schen den Wandungen derselben noch ein ziemlich grosser
Hohlraum bleibt, ist sie schon von allen Seiten von einem
vollkommen entwickelten Gefassnetz umgeben. Es ist nicht
schwer, sich davon zu überzeugen, dass von seinem hin-
teren Abschnitt nach vorn hin Aeste ziehen, die über den
vorderen Rand der Blase umbiegen und sich mit dem
Blutgefasssystem verbinden, welches nach aussen die secun-
däre Augenblase umgiebt Die vor der Linse gelegenen
Stämmchen hingegen stehen hauptsächlich mit dem circu-
lären Gefäss in Verbindung, welches neben dem Rande der
secundären Augenblase gelegen ist In dieser Periode iGndet
auch der Anfang der Differenzirung der Linsenkapsel des
vom Glaskörper und der Iris statt Während der Entwicke-
lung der Iris verlängert sich allmälig der vordere Theil des
hinteren Abschnittes des Netzes und in dieser Periode ist
dasselbe zuerst von J. Müller unter der Benennung Membr.
Capsula pupillaris beschrieben worden. Ein wenig später
lieber die Pseudocolobome der Iris. 63
wird es schon leichter, sich davon zu überzeugen, dass die
stärkeren Aeste des vorderen Abschnittes der gefasshaltigen
Kapsel von dem Gefässkranz abstammen, welcher schon zur
Zeit der Einstülpung der Linse bemerkt wird. Während
der Entwickelungsperiode, wenn die Spitze der dreieckigen
Anlage der Iris nach innen und vorn gedrungen ist, kann
man sich leicht davon überzeugen, dass sie eine unmittel-
bare Fortsetzung der Anlage der letzteren bildet. Indem
die gröberen Gefasse vom circulären Stamm zum Centrum
der Membran ziehen, verlaufen die anderen, zahlreicheren
und feineren, längs der hinteren Oberfläche der Anlage und
bilden den venösen Antheil. Bestimmtere Bilder erhalten
wir bei Untersuchung der Iris in situ. Zu Ende der ersten
Hälfte der Entwickelungsperiode konnte ich dreizehn ziem«
lieh grobe Stämmchen zählen, die zum Centrum der Mem-
bran hinzogen; sie stammten vom circulären Gefass und
erwiesen sich als arterielle Gefässe. Die Lage der Gefasse
in der Membran und ihre Verästelung ist viel leichter bei
mehr erwachsenen Embryonen zu untersuchen. Vom circu-
lären Gefäss — dem Circulus iridis arteriosus major —
entspringen gewöhnlich 13 — 15, auch mehr, ziemlich grobe
Gefasse. Der Dicke nach zeichnen sich besonders vier von
ihnen aus; sie entstehen gewöhnlich unweit der Theilungs-
stelle der beiden langen hinteren Ciliararterien oder sogar
noch im Bereiche der Theilungsstelle selbst. Die Stämm-
chen ziehen gewöhnlich eine grosse Strecke weit hin, ohne
sich zu theilen und geben erst näher dem Centrum A est-
chen ab, welche nach beiden Seiten umbiegen; neben dem
inneren Ende bilden die Verästelungen einen ganzen Ge-
fässfächer. In einer Entfernung von fast 1 mm vom äus-
seren Rande der Membran treten zu der letzteren Stämm-
chen der sogenannten Capsulo-Pupillarmembran, die sich mit
den feinen Gefässen der Pupillarmembran verbinden und
mit ihnen zusammen eine grosse Anzahl (mehr als 76) von
radial ziehenden feinen Stämmchen bilden; sie dringen
64 K. Rumschewitsch.
weiter, indem sie ihre Richtung bewahren, in die Iris und
den Ciliarkörper und bleiben in ihnen auf immer. Ako ist
die arterielle Blutcirculation der Pupillarmembran ganz un-
abhängig von der Art. centralis. Beide Systeme haben nur
gemeinschaftliche venöse Wege und da mit der Pupillar-
membran sich zugleich auch die Iris entwickelt, so ist es
klar, dass diese Wege gleich von Anfang an eine den künf-
tigen Venen entsprechende Anordnung annehmen.
Schon seit J. Müller ist es bekannt, dass das Ver-
schwinden der Pupillarmembran mit der Periode der Oeff-
nung der Lider zusammenfallt Bei Hunden und Katzen
kann man sie noch am 9. — 10. Tage nach der Geburt vor-
finden, obgleich ihre Gefässe schon längst obliterirt sind.
Zugleich mit der Pupillarmembran verschwindet auch das
Gefasssystem des Glaskörpers, obgleich der Hauptstamm
bei den Wiederkäuern noch lange Zeit nach der Geburt
verbleibt. In beiden Fällen liegt der Grund des Verschwin-
dens in der Entstehung neuer Gefässverbindungen. Es ist
schon längst bekannt, dass die Gefässe der Netzhaut sich
verhältnissmässig spät entwickeln. Zu derselben Zeit, wenn
sie schon vollkommen entwickelt sind, vorschwindet das
Netz, welches die Linse umgiebt Etwas ganz Analoges
beobachten wir auch bei der Pupillarmembran. In der frü-
hesten Eutwickelungsperiode sieht man ihre Gefässe die
Irisanlage nur durchziehen, ohne Verästelungen abzugeben.
Das Gapillametz der Iris entwickelt sich bei den Säuge-
thieren, die mit geöffneten Lidern zur Welt kommen, erst
zu Ende des Fötallebens, bei denen hingegen, die blind
geboren werden, erst nach der Geburt. Das Capillarnetz
verbindet unter einander die Stämmchen selbst, mittelst
deren die Blutcirculation in der Pupillarmembran stattfand.
Also wird in beiden Fällen das Verschwinden des fötalen
vorderen und hinteren intraocularen Gefasssystems durch
die Entwickelung neuer Wege für das Blut erklärt
Das schon oben erwähnte Blutgefäss, welches neben
lieber die Pseudocolobome der Iris. 65
dem Rande der secundären Augenblase, nicht nur gleich
nach deren Entstehung, sondern auch während der Ein-
stülpung der Linse bemerkt wird, ist nichts anderes als der
Girculas iridis arteriosus major. Je nachdem sich der Äu-
genblasenrand mehr nach Yom hinüberbiegt, rückt der Cir-
culus arteriosus in ebenderselben Richtung und ein wenig
nach innen. Wegen zu geringen Materials an Menschen-
embryonen, besonders der frühesten Entwickelungsperioden,
benutzte ich auch die Embryonen der Säugethiere. Bei
einem Schafembryo yon 2,3 cm kann man sehen, dass zwi-
schen dem vorderen Augenblasenrande imd dem Hornblatte
das Gewebe der Kopfplatten sich y erschmälert, zwischen
dem Hornblatte und der Linse ein Dreieck bildet, das mit
der Spitze nach hinten gerichtet ist; diese Spitze geht in
den Glaskörper, der vordere innere Winkel in die Anlage
der Hornhaut selbst und der Pupillarmembran über. Im
Gentrum des Dreiecks liegt der querdurchschnittene Circu-
lus iridis major, von einem Haufen kleiner Zellen umringt;
während die in der Peripherie gelegenen Zellen grösser
sind und stem- oder spindelförmig erscheinen, gehen die
central gelegenen kleinen runden Zellen in die runden
Zellen des vorderen Theils des die Augenblase umge-
benden Kopfplattengewebes über. Später hebt der vor-
dere Theil der Augenblase, indem er dünner wird und
zugleich nach innen und vorn rückt, den hinteren Win-
kel des Dreieckes und dreht ihn nach innen. Zugleich
dringen in die anfangs structurlose Hornhaut zahlreiche
Elemente, welche fixe Zellen derselben bilden und zu der-
selben Zeit, sogar noch früher, wird sie ganz von der Pu-
pillarmembran getrennt. Bei einem Fötus von der Länge
von 4,5 cm ist die Iris schon stark an den vorderen Pol
gerückt Der Epithelrand der Descemet'schen Membran
reicht fast bis zum Blasenrande, späterhin gehen seine Zel-
len auf die vordere Oberfläche der Irisanlage über, so dass
die letztere gleich von Anfang an von der Hornhaut durch
▼. Graefe'i ArchiT Ar Ophthalmologie. XXXVII. 4. 5
66 K. Ramschewitsch.
einen schmalen, spaltenartigen Raum getrennt ist. In denl
Theile des Kopfplattengewebes, welcher den vorderen Theil
der Augenblase umringt, kann man deutlich zwei Schichten
unterscheiden: die äussere macht die Fortsetzung der Horn-
haut aus, ihre Elemente erscheinen auf Schnitten spindel-
förmig; das ist die Anlage der Sclera und der Conjunctiva
bulbi. Die innere Schicht ist eine unmittelbare Fortsetzung
der Irisanlage und besteht aus kleineren und runden Zellen;
nach hinten hin wird sie feiner und geht unbemerkt in
dem Gewebstheile der Eopfplatten verloren, aus dem sich
die Gefässhaut entwickelt. Das äussere Blatt der Augen-
blase wird nach vorn hin viel flacher und besteht aus meh-
reren Schichten von Zellen, welche alle schon pigmentirt
sind; das innere Blatt wird hingegen nach dem Rande hin
immer dünner. Die Grenzmembran des Glaskörpers biegt
über den Rand der Blase und geht in die Anlage der spä-
teren Lamiua elastica chorioideae über. Der vordere, feiner
gewordene Thoil der Augenblase ist von dem hinteren durch
eine kleine Einbiegung getrennt, von diesem nach vorn hin
wird die Netzhaut nicht dififerenzirt. Bald wird in der An-
lage des Ciliarkörpers, die aus dem mittleren Blatt entstan-
den ist, in deren Mitte ein heller Streifen sichtbar — die
Anlage des Fontana'schen Raumes. Während der späteren
Entwickeluugsperiode rückt der vordere Augenblasenrand
weiter nach vorn, obgleich er noch immer sehr weit vom
Rande der Pupillarmembran entfernt ist; der äussere Rand
des Endothels der Descemet'schen Haut befindet sich noch
immer hinter dem Augenblasenrande.
Späterhin rückt der vordere Augenblasenrand viel schnel-
ler nach innen, so dass er bei Schafsembryonen von 9 cm
sich schon in der Gegend der Spitze der Irisanlage befindet,
welche aus dem mittleren Blatt entstanden ist. Dieser Rand
erscheint auf Schnitten in der Form eines Knopfes oder
Hakens. Bald verwächst er mit dem benachbarten Gewebe
der Kopfplatten, trennt sich später beim weiteren Wachs-
Ueber die Pseadocolobome der Iris. 67
tfaum von der für die Iris und die Pupillannembran gemein*
samen Anlage und wächst mit dem letzteren zusammen in
der Richtung nach Torn gegen die hintere gefasslose Schicht
Der verdickte Augenblasenrand bildet, indem er die abge-
trabte hintere Schicht umringt, zusammen mit der letz-
teren den Pupillarrand. Die übrig gebliebene vordere Schicht
der früheren gemeinsamen Anlage ist nur der allerperiphe-
rischste Theil der Pupillarmembran. Uebrigens geht diese
Zertheilung der Schichten gewöhnlich nur bis zu jener
Stelle, wo sich später der Circulus arteriosus minor ent-
wickelt.
Was nun weiter die Frage anbetrifft, von wo der erste
Anstoss zur Entwickelung der Iris und des Ciliarkörpers
kommt, so ist es augenscheinlich, dass anfangs die Haupt-
rolle dem mittleren Keimblatte zufällt. Nicht nur bei Säuge-
thieren, sondern auch bei Vögeln bildet die erste Anlage
der Iris, der Circulus iridis major und der ihn umringende
Zellenhaufen, und das Wachsthum dieser Anlage eilt dem
Vorrücken * des Augenblasenrandes voraus. Zu derselben
Zeit wird das Gewebe der Kopfplatten im Bereiche der
künftigen Ciliarfortsätze zum Centrum des Auges hin dicker.
Beide Blasenwandungen rücken anfangs auf der entsprechen-
den Stelle nur ein wenig nach innen und bilden später
eine circuläre quere Falte; es ist klar, dass ihre Rolle da-
bei eine gänzlich passive bleibt Späterhin verwächst der
Augenblasenrand mit dem Rande der Irisanlage, die aus
dem mittleren Keimblatte stammt, seine Falte aber mit
dem Glaskörper. Nur von dieser Zeit an wachsen die bei-
den Bestandtheile der Iris, die Platte des mittleren Keim-
blattes und die hintere Pigmentschicht, zusammen und zu-
gleich wird die Faltenbildung eine stärkere. Diese letztere
wird am einfachsten durch eine Fixirung des vorderen Au-
genblasentheils an beiden erwähnten Verwachsungsstellen
erklärt Weiter ist es augenscheinlich, dass der ganze £nt-
wickelungsprocess der Iris unabhängig vom Processe der
6»
68 K- Rumsche witsch.
Differenzirung der eigentlicheu Gefässhaut zu Stande kommt
Die Hauptrolle gehört im Anfange dem Giro, iridis arterio-
8U8, der Yon den hinteren langen Ciliararterien gebildet
wird, der Girculus iridis minor nimmt hingegen gar keinen
Antheil an der Entwickelung der Iris und entwickelt sich
viel später. Gemeinschaftlich sind für die Regenbogenhaut
und die eigentliche Gefässhaut im Anfange nur die venösen
Blutbahnen.
Ich erlaube mir daran zu erinnern, dass selbst bei Per-
sistenz grösserer Reste der Pupillarmembran (und solcher
Fälle sind während der letzten 15 — 20 Jahre und dazu
sehr genau beschriebener an 150 gesammelt) in keinem das
gleichzeitige Vorhandensein eines seitlichen Iriscoloboms
erwähnt wird. Wenn wir nun die oben angeführten That-
sachen hinsichtlich der Entwickelung der Pupillarmembran
und der Iris ins Augenmerk nehmen, so können wir uns
nicht wohl vorstellen, auf welche Weise der Verbleib von
Resten dieser Membran oder eine unregelmässige Entwicke-
lung derselben während einer gewissen Periode, die Ent-
stehung einer atypischen Spalte in der Iris beeinflussen
könne. Wir haben doch gesehen, dass bei der Bildung des
Pupillarrandes und der inneren (pupillaren) Zone der Iris,
die Pupillarmembran durchaus keinen Antheil nimmt, dass
der Pupillarrand nur als Resultat der Verwachsung beider
ursprünglichen Anlagen der Iris erscheint Plange spricht
die Meinung auä, dass die sogenannte Persistenz von Resten
der Pupillarmembran durch eine ungenügende Resorption
der letzteren bedingt werde, welche erst dann stattfinde,
wenn die Iris schon längst entwickelt ist und dass also bei
Abwesenheit solcher Reste bei Erwachsenen man noch nicht
behaupten könne, dass ihre Entwickelung beim Fötus zu
einer gewissen Zeit nicht unregelmässig geschehen sei.
Jedenfalls ist diese Meinung nicht auf Thatsachen gegründet.
Schon früher habe ich auf Grund dreier Fälle von Per-
Ueber die Pseudocolobome der Iris. 69
sistenz der Pupillarmembran (Denkschrift der Warschauer
medic Gesellschaft 1882) die Meinung ausgesprochen, dass
die sogenannte Persistenz der letzteren bei Erwachsenen
durch eine atypische Entwickelung der Membran selbst
beim Foetus bedingt werde. Die anatomische Untersuchung
zweier Fälle, die von van Duyse (Ann. d'ocuL 1886, Janv.-
Fevr.) und von mir (Archiv für Augenheilk. XX, S. 314)
herrührt, haben die Richtigkeit meiner Meinung bewiesen
und zu jetziger Zeit haben wir das volle Recht zu sagen,
dass in Fällen von sogenannter Persistenz der Pupillar-
membran die Diflferenzirung der für die letztere bestimm-
ten Elemente des mittleren Keimblattes nach dem der Iris
eigenen Typus geschieht. Was nun die rückgängige Ent-
wickelung der Membran anbetrifft, so ist, meiner Meinung
nach, gar keine Nothwendigkeit vorhanden, zur mechani-
schen Theorie zu greifen, zu der Theorie der Gontractionen
der Irismuskeln, da wir dieselben weder unmittelbar beob-
achten, noch die sie bedingenden Ursachen angeben können.
Es ist viel leichter, das Verschwinden der Membran durch
die Entwickelung eines der Iris selbst eigenen Blutgefass-
systems zu erklären, welches für das Blut nähere Wege
schafft Die Entstehung dieses Systems findet in allen Fäl-
len statt, die normal entwickelte Membran kann also in
allen Fällen der Rückbildung unterliegen.
Also geben weder die Casuistik der unregelmässigen
Iriscolobome, noch die Bedingungen der Entwickelung und
des Verschwindens der Pupillarmembran irgend einen Grund
ab, ihr eine ansehnliche Rolle bei der Entstehung der in
Rede stehenden Anomalie zuzuschreiben. Manz hat in sei-
nem Falle eine ungewöhnliche Dünnheit der Gefässhaut be-
wiesen und die Meinung ausgesprochen, „dass aus einer
atrophischen Chorioidea nur eine kümmerliche Iris hervor-
gehe^. Es ist aber, wie aus dem Obenerwähnten über die
Entwickelung der Iris hervorgeht, ganz augenscheinlich,
dass die letztere durchaus nicht aus der Chorioidea hervor-
70 K. Rumschewitsch, Ueber die Psendocolobome der Iris.
wächst, sondern sich ganz unabhängig von derselben ent-
wickelt. Wir können allenfalls eine sehr schwache Ent-
wickelung eines Theiles der ganzen Masse der Kopfplatten
zulassen; so oft wir ferner bei der anatomischen Untersu-
chung pathologischer Regenbogenhäute eine überaus ausge-
sprochene Atrophie des Stroma vorfinden, so kommen doch
Gewebsverluste, die auch nur eine Schicht des Gewebes
einnehmen, sehr selten vor. Jedenfalls kann aber eine un-
genügende Anzahl von Elementen der Kopfplatten in der
Irisanlage eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Ano-
malie spielen.
Den wichtigsten Grund aber bei ihrer Entwickelung
müssen wir, meiner Meinung nach, in den Bedingungen des
obenerwähnten Yerwachsens beider Irisplatten, nämlich der
Wandung der Augenblase und des Kopfplattengewebes suchen.
Diese Verwachsung geschieht nicht nur bei Säugethieren,
sondern auch bei Vögeln auf eine ganz gleiche Art. Im
Anfange verwachsen beide Platten neben dem Pupillarrande,
und dann schreitet der Process weiter zur Peripherie hin
fort. Wenn aber an einer gewissen Stelle die Verwachsung
nicht zu Stande kommt, so kann leicht eine Rarefaction
des Gewebes stattfinden, wobei wir als Endresultat entweder
ein Fehlen der Bindegewebsschicht an einer gewissen Stelle,
oder eine Bildung einer oder mehrerer vollständiger Oeff-
nungen in der Iris erhalten. In beiden Fällen kann eine
ungenügende Anzahl von Elementen des Kopfplattengewebes
dazu wesentlich beitragen. Auf diese Art kann sich die
Anomalie an jeder beliebigen Stelle der Iris entwickeln,
ohne jeglichen Antheil von Seiten der Fötalaugenspalte.
Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese,
complicirt mit
partieller doppelseitiger Ocnlomotorinslähmnng.
Von
Prof. Dr. Pflüger in Bern.
Mit 6 Textfiguren.
Der Fall, welcher den Gegenstand dieser Mittheilung
bildet, fand bereits kurze Erwähnung in meiner Arbeit
über die Erkrankungen des Sehorgans im Gefolge der In-
fluenza in No. 27 der Berliner klinischen Wochenschrift vom
vorigen Jahre.
Die grosse Seltenheit des Falles, sowie das nicht un-
erhebliche diagnostische Interesse, welches sich an denselben
knüpft, mag ein genaueres Eingehen auf denselben recht-
fertigen.
Ferdinand Arn in Dotzigen, 30 Jahre alt, erkrankte am
3. Jan. 1890 an Influenza unter Frost, Fieber, heftigen Kopf-
und Gliederschmerzen. Nach dreitägigem Krankenlager nahm
A., so gut es ging, seine Arbeit wieder auf; am 17. Januar
wurde er ohne auffällige Nebenerscheinungen, während er beim
Dreschen beschäftigt war, plötzlich von Doppelsehen befallen.
Patient, ein kräftig gebauter, abgesehen von den Nachwehcu
der Influenza sonst ganz gesunder Mensch, stellte sich am
20. März zum ersten Male in der Poliklinik vor.
Patient fällt bei der ersten Erscheinung durch seine eigen-
thümliche Kopfhaltung auf; er trägt das Gesicht nach vorn
gesenkt und um die sagittale Axe etwas nach rechts geneigt.
72 Pflüger.
Bei aufgerichtetem Kopfe wird das unsichere Benehmen
des Patienten noch unsicherer.
Bei der binoculären Sehprüfung in der Nähe machte Pa-
tient gleich aufmerksam, dass er nur lesen könne, wenn er das
Buch hochhalte, dass beim Senken des Buches in die gewöhn-
liche Lesehaltnng die Buchstaben durcheinandergehen.
Wird das Buch über die Horizontale erhoben und die oben
angegebene Prädilectiönsstellung des Kopfes nicht beeinträch-
tigt, so wird die feinste Schrift etwas langsam suchend gelesen.
Monoculär liest das rechte Auge S = 0,3 in 35 — 22 cm^
näher aber nicht; das linke Auge bedarf aber -|- 2 sph., um
denselben Druck noch in 22 cm deutlich sehen zu können.
Mikropsie auf dem linken Auge. Der Homhautastigmatismua
betrug rechts 0,75 D Axe | , links 0,5 D Axe | . Beide Augen
sind emmetrop und haben eine Sehschärfe von 1,35 — 1,5.
Das linke Auge steht in quantitativ wechselnder Conver-
genz. Bei der Prüfung der Aussenbewegung blieb es an&ng-
lieh in der Mitte oder nicht weit davon nach aussen stehen
und machte nystagmusartige Zuckungen.
Ebenfalls sind die Aussenbewegungen des rechten Auges
mangelhaft und führen bei starken Willensimpulsen zu nystag-
musartigen Bewegungen. Zuerst dachte ich an eine doppel-
seitige Abducensparese, links stärker als rechts, bis ein ge-
naueres Aufinerken mich lehrte, dass der Grad der Convergenz
mit der Verschiebung der Blickrichtung in der Yerticalen sich
gewaltig änderte.
Wird das Fixationsobject median von unten nach oben
über die Horizontale geführt, so vermindert sich die Conver-
genz, um zuletzt zu verschwinden. In dieser Höhenlage wir-
ken die beiden Abducentes normal und waren in den Grenz-
stellungen die nystagmusartigen Bewegungen verschwunden.
Beim Senken der Blickebene stellte sich die Convergenz wieder
ein, anfangs langsam und in schwankendem Grade, zuletzt aber
mit einem Ruck in prägnanter Weise. Das Phänomen war
mit mathematischer Sicherheit immer wieder hervorzurufen.
Die Diagnose schien anfangs nicht schwierig. £s mnsste
sich augenscheinlich um das Nachlassen einer abducirenden
Kraft handeln, die namentlich bei gesenkter Blickebene ihre
Wirkung entfaltet, um die Parese des linken Trochlearis; we-
nigstens Hessen sich die oben angeführten Erscheinungen am
besten durch diese Annahme erklären.
Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese.
73
Zu dieser Diagnose stimmten aber nicht eine Reihe an-
derer Symptome, vor allem der Umstand, dass bei gerader
Kopfhaltung nicht nar in der Wirkungssphäre des linken Troch-
learis, sondern im ganzen Blickfelde Doppelbilder vorhanden
waren, die Schwindel auslösten. Es drängte zum Schlüsse, dass
neben eventuellen Gontracturen der Antagonisten des linken
Trochlearia noch weitere Störungen in der Muskelthätigkeit
vorliegen mussten.
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LFLxaJtionspunkt. o linkts Auge.
\ raiiies A uge . Doppelbüd des Unketv Auges .
Fig. 1.
Die Beobachtung der directen Beweglichkeitsbeschränkung
war nicht angethan, den verworrenen Fall klar zu legen.
Das genaue Studium der Doppelbilder versprach einzig
sichere Wegleitung zur Diagnose. Zu diesem Behufe wurde
Patient einige Tage in die Klinik aufgenommen.
Fig. 1 giebt den Befund der Doppelbilder vom 10. April,
aufgenommen mit dem Hirschberg'schen Blickfeldmesser in 1 m
Entfernung.
74 Pflüger.
In der Medianebene folgendes Verhalten der Doppelbilder:
Beim Blick
20^ nach oben homonym, gleich hoch, 5^ abstehend,
gerade nach vorn „ l^vertical, lO^seitHch, „
20° nach unten „ 2« „ 18° „ „
Die Gleichnamigkeit der Doppelbilder mit zunehmender Seiten-
distanz von oben nach unten konnten im Sinne einer linkssei-
tigen Trochlearisparese gedeutet werden, nicht aber der leichte
Hochstand des linken Bildes, welch letzterer eher fUr Affection
des rechten Trochlearis gesprochen hätte. Mit letzterer An-
nahme hinwieder schien sich nicht zu vereinigen das Verhalten
der Convergenzstellung, die bei der Blicksenkung auf dem lin-
ken Auge auftrat.
Die Doppelbilder bei Seitenwendung der Blickebene schie-
nen anfänglich die Situation eher zu verhüllen als zu lichten.
Bei der Seitenwendung um 30° nach links waren die Er-
gebnisse ähnliche wie in der Medianebene. Beim Blick
20 ° n. oben Doppelbilder homonym, 7 ° Seitendist., 1 ° Höhendist.,
horizontal „ „ 13° „ 9° „
20° n. unten „ „ 18° „ 10° „
Der Seitenabstand hatte also oben und in der Horizontalen,
der Höhenabstand in der ganzen seitlichen Blickebene und zwar
erheblich zugenommen; also auch beim Blicke nach oben links.
Der Höhenabstand bedeutete auch hier Hochstand des linken
homonymen Doppelbildes, resp. Tiefstand des rechten, war da-
h^r wieder nicht mit einer linkseitigen, wohl aber mit einer
rechtseitigen Trochlearisparese in Einklang zu bringen.
Die Seitenwendung der Blickebene um 30° nach rechts
führte zu überraschenden Resultaten, die in richtiger Würdi-
gung die Diagnose mit ergeben mussten. Beim Blick
20° n. oben Doppelbilder homonym, 3° Seitendist., 3° Höhendist.,
horizontal „ „ 7° „ 3° „
20° n. unten „ „ 15° „ 4° „
Die Analogie mit dem Verhalten des Doppelbildes bei Seiten-
wendung nach links ist eine grosse; dieselben sind gleichnamig,
zeigen von oben nach unten zunehmende Seitendistanz und
ebenso wachsenden Höhenabstand. Der Seitenabstand ist durch-
wegs etwas geringer, der Höhenabstand in den zwei unteren
Blicklagen erheblich kleiner, in der obersten etwas grösser als
bei Seitenwendung nach links. Der Seitenabstand ist auch ge-
ringer als in der Medianebene, der Höhenabstand dagegen grösser.
Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc. 75
Der Höhenabstand aber — und dies ist im vorliegenden
Falle das Wichtige, das Ausschlaggebende — bedeutet hier
einen Hochstand des rechten Bildes resp. einen Tie&tand des
linken Bildes.
Dieser Tieüstand des linken Bildes rettete sicher die Diag«
nose der linksseitigen Trochlearisparese, welche von
Anfang an das ganze Symptomenbild zu beherrschen schien.
Der Tiefstand des rechten Bildes in der Medianebene und
bei der Seitenwendung der Blickebene nach links forderte aber
ebenso unerbittlich die Annahme einer rechtseitigen Troch-
learisparese. Mit logischer Nothwendigkeit wurde ich ge-
zwungen, eine doppelseitige Trochlearisparese zu diag-
nosticiren, eine Affection, von der mir nicht bekannt war, dass
sie bisher mit Sicherheit diagnosticirt worden sei.
Die linksseitige Abducensparese, an die ich anfänglich ge-
dacht, hätte höchstens die Zunahme des Seitenabstandes von
rechts nach links erklärt, die Veränderungen des Höhenabstan-
des aber unverstanden gelassen. An der Mitbetheiligung des
rechten Abducens, welche durch die nystagmusartigen Zuckun-
gen bei Seitenwendung nach rechts nahegelegt worden war,
konnte noch weniger festgehalten werden.
Die Diagnose „doppelseitige Trochlearisparese" einmal ge-
sichert, galt es noch, die genauere Probe an die einzelnen
Doppelbilderstellung anzulegen. Diese Probe bot wenig Schwie-
rigkeiten mehr, besonders nachdem nachträglich meiner Diag-
nose die meisterhaften Auseinandersetzungen L. Mauthner's
über alle möglichen beobachte^n und nicht beobachteten son-
dern nur theoretisch construirten Combinationcn von Augen-
muskellähmungen in seiner bekannten „Diagnostik und Therapie
der Augenmuskellähmungen^^ zu Hülfe gekommen waren.
Die Doppelbilder im ganzen Blickfelde, also auch in der
ganzen oberen Hälfte desselben, erklärten sich allerdings nicht
einfach aus der Lähmung der beiden Obliqui superiores; hier-
für musste zum mindesten noch die Annahme der Contractu r
der Antagonisten herangezogen werden.
Das Verhalten der Doppelbilder in der Medianebene setzt
ferner voraus, dass eine ungleich starke Lähmung der
homokleten Muskeln vorlag.
Welcher der beiden Trochleares war nun der stärker affi-
cirte?
Mauthner sagt treffend (S. 619): „An jenem Auge, des-
sen Bild bei Lähmung eines Hebers — d. h. eines homokleten
76 Pfloger.
Heberpaares — höher, bei Lähmung eines Senkers — resp.
eines homokleten Senkerpaares — tiefer steht, ist die Läh-
mung mehr entwickelt; die Diagnose der doppelseitigen Läh-
mung, sowie die Dififerentialdiagnose des gelähmten Paares ruht
aber auch in diesem Falle auf dem Verhalten der Doppelbilder
in den Diagonalstellungen/^
Im vorliegenden Falle war der rechte Trochlearis der
stärker erkrankte, denn
1) steht das Bild des rechten Auges median nach vom
und nach unten tiefer als das des Partners, allerdings bloss
um 1^ resp. 2^; nach oben stehen sie horizontal nebeneinander.
2) ist in derjenigen Diagonalstellung, welche der maxima-
len Senkerwirkung des rechten Trochlearis entspricht, also bei
der Seitenwendung nach links, in der mittleren und unteren
Blickrichtung der Höhenabstand, resp. der Tiefstand des rech-
ten Bildes grösser als der entsprechende Tiefstand des linken
Bildes in der rechten Diagonalstellung, welche mit der maxi-
malen Senkerwirkung des linken Trochlearis coincidirt, d. h.
wieder nur in der zweiten und dritten Höhenlage des Blicks.
Der Unterschied in den resp.. Tiefständen der Doppelbilder zu
Gunsten des rechten Trochlearis beträgt in den beiden erwähn-
ten Höhenlagen je 6^.
Eine Ausnahme macht sich geltend für die beiden oberen
Diagonalstellungen, indem beim Blick nach links oben das
rechte Bild einen Tiefstand von 1^, beim Blick nach rechts
oben das linke Bild einen Tiefstand von 3^ aufweist. Diese
scheinbar gegen das Gesetz verstossende Ausnahmsstellung des
Doppelbildes bietet vorläufige Schwierigkeiten dem Erklä-
rungsversuch.
Der Seitenabstand der Doppelbilder überwiegt bei Seiten-
wendung der Blickebene nach links in allen drei Höhenlagen
denjenigen bei der Seitenwendung nach rechts und zwar um
4^ 6« und 3« (2<>).
Bei der Schwierigkeit, welche mir die Diagnose anfäng-
lich bereitet hatte und bei der absoluten Seltenheit des FaUes
kam ich der Aufforderung Mauthner*s (l. c. S. 622) gerne
nach, die von Nagel (Archiv für Ophthalm. XXVH, 1, S. 243)
zur feineren Diagnostik complicirter Lähmungen der Heber
und Senker, namentlich homokleter Muskelpaare, empfohlene
Methode zu benutzen und die bei den Seitenneigungen des
Kopfes auftretenden Raddrehungen zu studiren. In der Disser-
tation von Dr. Halm: „Beiträge zur Symptomatologie der
Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc. 77
Trochlearisl&hmung, Tübingen 1888^^ hat Nagel weitere Bei-
träge zur Aüsbildang dieser Methode liefern lassen.
Mit dem Rectas superior bewirkt der Obliquus superior
die Raddrehung des Auges in medialer, der Rectns inferior
mit dem Obliquus inferior die Raddrehung in temporaler Rich-
tung bei stillestehender Blicklinie, vorausgesetzt, dass die nach
der Richtung entgegengesetzte Wirkung jedes Muskelpaares auf
Höhen- und Seitenstellung quantitativ gleich gross ist
Dass die von Hunter 1786 zuerst behauptete und dann
von Huck (1838) vertheidigte, von Donders bestrittene Rol-
lung der Augen um die Blicklinie bei der Neigung des Kopfes
znr Schulter in gewissem Maasse doch existirt, hat 1869 Ja-
val an seinem eigenen astigmatischen Auge nachgewiesen da-
durch, dass bei Senkung des Kopfes der corrigirende Cylinder
gedreht werden musste.
Nagel zeigte 1871, dass die der richtigen Localisirnng
der Sehobjecte dienenden äquilibrirenden Rollbewegungen der
Augen bei bewusster seitlicher Abweichung des Kopfes aus der
Normalstellung durch Drehung in der Hals- und Lendenwirbel-
säule ca. ^j^ der Kopfneigung betrage. Andere schätzten die-
sen Werth auf ^/g bis '/iq.
Wird der Kopf z. B. um 30 — 36® zur linken Schulter
geneigt, so wird unter normalen Verhältnissen durch das Zu-
sammenwirken des Rectus superior und Obliquus superior der
verticale Meridian des linken Auges um 5 — 6® medianwärts
zurückgedreht, während auf dem rechten Auge des Rectus in-
ferior mit dem Obliquns inferior den verticalen Meridian um
denselben Winkel temporalwärts rollt, wodurch der Parallismus
der Meridiane aufrecht erhalten wird.
Bei Parese des linken Obliquus superior fällt zunächst die
Rückwärtsdrehung des verticalen Meridianes zu gering aus. Die
Folge davon muss sein eine stärkere Divergenz der Meridiane
und eine stärkere Gonvergenz der Doppelbilder.
Ferner wird dem Rectus superior in seiner Höhen- und*
Innenwirkung das Gleichgewicht nicht gehalten. Das Auge
weicht nach innen oben, das Bild nach unten aussen ab. Bei
Neigung des Kopfes nach der Schulter werden im Interesse
der physiologischen Raddrehungen grössere Anforderungen an
die Leistungen des Trochlearis der nämlichen Seite gestellt
nnd müssen daher bei Parese dieses Muskels die Symptome
derselben, wesentlich der Tiefstand der homonymen Doppel -
bilder auffälliger werden.
78 Pflüger.
Diese physiologischen Raddrehangen und die sie auslösen-
den Kräfte beanspruchen möglicherweise eine grössere prak-
tische Bedeutung, als wir bisher anzunehmen gewohnt sind, in-
dem sie sich unter die von Stilling über die Entwickeluag
der Myopie aufgestellten Gesichtspunkte reihen.
Um die Einwirkung der Eopfneigung und der durch sie
ausgelösten Raddrehung auf unseren complicirten Fall doppel-
seitiger Trochlearisparese analysiren zu können, wird es zweck-
mässig sein, zuvor uns die von Halm in seiner Dissertation
studirteu und zusammengestellten Resultate ttber den Einfluss
dieses experimentellen Factors auf die einfacher gestalteten
Verhältnisse der einseitigen Trochlearislähmung zu vergegen-
wärtigen.
Halm sagt^):
„Bei Herabneigung des Kopfes nach Seite des kranken
Auges erfolgt Ablenkung des kranken Auges nach oben und
etwas nach innen, und Abweichung des verticalen Meridians
nach aussen.
Alle diese Ablenkungen nehmen zu mit der Stärke der
Herabneigung des Kopfes zur Schulter.
Das Doppelbild des kranken Auges steht tiefer, bei ganz
leichter Neigung gleichnamig, bei stärkerer gekreuzt und nach
innen geneigt.
Der Höhenabstand der Doppelbilder nimmt mit der Kopf-
neigung erst zu, jenseits 45^ ab bis zu Null.
Der Seitenabstand der gekreuzten Doppelbilder nimmt mit
der Kopfneigung zu.
Die Schiefheit wechselt nicht bedeutend.
Das Hinzutreten secundärer Contractur des Obliquus in-
ferior zur Trochlearislähmung bedingt:
bei Kopfneigung nach Seite des kranken Auges vermehr-
ten Höhenabstand, Schiefheit und gekreuzten Stand der Dop-
pelbilder, •
auch bei Kopfneigung nach der gesunden Seite, falls die
Secundärcontractur des Obliquus inferior stark ist, Auftreten
von Doppelbildern."
Halm erinnert (S. 281 und 282) an den Versuch, durch
Vorsetzen eines Prismas mit der Kante nach unten aussen sich
*) Mittheilungen aus der ophthalmiatrischen Klinik in Tabingen
II, S. 293 und 294.
£iii Fall Yon doppelseitiger TrochleariBparese etc. 79
Doppelbilder hervorzurufen, wie sie für Trochlearisparese cha-
rakteristisch sind und damit bewaffnet die Stellungsverändernng
derselben bei Eopfneignng zu verfolgen.
Diesen Versuch möchte ich hier etwas vollstftndiger be-
handeln. Setze ich mir ein Prisma mit der Basis nach oben
und 20^ nach innen vor das rechte Auge und neige den Kopf
nach rechts, so wird die Seitendistanz der Doppelbilder abneh-
men, bis sie ungefähr bei Seitenwendung 20^ NuU geworden
ist, d.h. die Bilder vertical übereinander stehen; in dieser Stel-
lung wirkt eben das Prisma mit der Basis gerade nach oben,
bis dahin nimmt nothwendig der Höhenabstand zu.
Wird der Kopf weiter nach rechts geneigt, so wird die
Stellung der Doppelbilder eine gekreuzte und ihr Seitenahstand
wächst bis zur Kopfheigung von 110®; hier stehen die Bilder
horizontal nebeneinander. In diesem Quadranten von 20® bis
110® geht der Höhenabstand vom Maximum auf Null zurück.
In dieser letzten Stellung wirkt eben das Prisma mit der Basis
vertical nach aussen.
Wird der Kopf aber nach links geneigt, so nimmt die
Höhendistanz continuirlich ab, die Seitendistanz ebenso zu, bis
beim Neigungswinkel von 70® jene Null, diese maximal gewor-
den ist. Hier wirkt eben das Prisma mit der Basis vertical
nach innen.
Analog ist zu erwarten, dass bei Trochlearisparese, auch
ohne ausserordentliche Gontractur der Antagonisten, bei Kopf-
neigung nach der gesunden Seite eine Veränderung der Bilder-
stellung, wenigstens beim Blick in der vorzüglichsten Wirkungs-
richtung des betroffenen Trochlearis zu Stande kommen sollte.
Ist dies der Fall, so leuchtet ein, dass bei doppelseitiger
Trochlearisparese die Verhältnisse eine derart complicirte Ge-
stalt gewinnen, dass ein genaues quantitatives Abwägen der
einzelnen mitwirkenden Potenzen stellenweise recht schwierig
bis unmöglich werden kann.
Dazu kommt in unserem Falle allerdings die von Halm
für das Auftreten von Doppelbildern auch bei Kopfneigung
nach der gesunden Seite geforderte starke Secundär-Gontractur
der Antagonisten, die so stark ist, dass kein Punkt im ganzen
Blickfeld bei verticaler Kopfhaitang frei von Doppelbildern ist
Aber noch eine ganze Reihe anderer Factoren geseUeü
sich hinzu, um die Bilderstellung zu compliciren und ihre Er-
klärung zu erschweren. Dieselben sind:
80
Pfiager.
1) Der Obliquus inferior kann nicht als einziger und aas-
schliesslicher Antagonist des Obliqans superior betrachtet werden.
2) Der angleiche Grad der Affection auf beiden Seiten.
3) Die Secandär-Contractor auf dem linken Auge, auf dem
weniger kranken oder relativ gesnnden Auge, wenn mit dem
rechten Auge das Untersuchnngsobject fixirt wird.
4) Die Einwirkung der physiologischen Meridianstellong
bei den diagonalen Blickrichtungen.
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fi y DoppeibUdy des linktn Au^es bei ncuh Unks geneigtem Kopf.
.♦--•- n ■ • " - horizontal gehaltenem Kopf.
Fig. 2.
5) Kleine Fehler in der Kopfhaltung, wie sie bei klinischen
Untersuchungen mit dem besten Willen nicht zu vermeiden sind.
6) Kleine Beobachtungsfehler von Seite des Patienten.
Figur 2 demonstrirt das Verhalten der Doppelbilder bei Nei-
gung des Kopfes nach der linken Schulter am 10. April, Fig. 3
dasjenige bei Neigung des Kopfes nach der rechten Schulter
am gleichen Tage. Figg. 4 und 5 veranschaulichen die ent-
sprechenden Verhältnisse vom 3. Mai.
Ein Fall Ton doppelseitiger Trochlearisparese etc.
81
Um die zusammengehörigen Bilder von den übrigen aus«
scheiden zu können, sind die Bilder fQr die Blickrichtung in
der Horizontalebene in Ermangelung von Farbendruck etwas
anders in der Ausftthrung gehalten als diejenigen für die ge-
hobenen und gesenkten Blickrichtungen. Das Kreuz ist heU,
der gestrichene Kreis doppelt contourirt.
Die horizontal gestrichenen Kreise bezeichnen die Bilder
des linken Auges bei normaler Kopfhaltung, die schief gestriche-
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/ ßi DoppMüdL des linken Äuge^ hei nach rechts geneig lern Kopf.
-•--♦- - - • • • horizontal gehaltenem Xopf,
Flg. 3.
nen Kreise die Bilder des linken Auges bei Seitenwendung des
Kopfes um ca. 35^ sowohl nach der linken als nach der rech-
ten Schulter.
Die Bilder des rechten Auges sind als fix zu betrachten,
indem der Patient angehalten worden ist, das Centrum des
Hirschberg'schen Blickfeldmessers bei jeder Untersuchung mit
dem rechten Auge zu fixiren.
T. Onefe*s Arcbir ftr OphÜuümologic. XXXVII. 4. 6
82 Pflüger.
Die Kreuze bedeuten die Bilder des quasi als fix zu den-
kenden rechten Auges bei normaler Kopfhaltung soi^ohl, als
bei Kopfneigung nach links und nach rechts.
Ausdrücklich hervorzuheben ist, dass bei den complicirten
Erscheinungen auf die quantitativen Veränderungen in der Gon-
vergenz der Doppelbilder nicht messend Achtung gegeben wurde,
weil schon zur präciscn Gonstatirung der übrigen Verhältnisse
der vollständige Intellect des Patienten nöthig war und weil,
wie Halm bestätigt, die Schiefheit der Doppelbilder bei seit-
licher Kopfneigung wenig wechselt.
Die Untersuchung des Einflusses seitlicher Kopfneigung
auf die Stellung der Doppelbilder im vorliegenden Falle von
doppelseitiger Trochlearisparese hofft ein gewisses Interesse zu
finden, weil dieser Fall der erste genaue studirte Fall dieser
Art ist und weil der Einfluss der seitlichen Kopfneigung auf
Augenmuskellähmungen überhaupt noch wenig geprüft ist
Um in die Darstellung mehr Uebersicht zu bringen, lasse
ich die in den Figuren niedergelegten Resultate, in Tabellen
umgeschrieben, hier folgen.
Die als unbeweglich gedachte Stellung des dem rechten
Auge angehörenden Doppelbildes wird als Nullpunkt ange-
nommen.
Die Erhebung des beweglichen dem linken Auge zugehöri-
gen Bildes über dem Nullpunkt wird mit 4~9 ^^^ Tiefstand
desselben unter diesem Punkt mit — bezeichnet.
Der seitliche Abstand des beweglichen Bildes erhält das
Vorzeichen -j-? so lange dasselbe gleichnamig ist, nach links
liegt, das Vorzeichen — , wenn es über den Nullpunkt nach
rechts gerückt ist, sich gekreuzt hat.
Die drei Höhenrichtungen des Blickes werden durch ara-
bische Ziffern bestimmt und zwar die Richtung nach oben durch
1, die in der Horizontalen durch 2 und die nach unten durch
3 und zwar sowohl in der Medianebene als in den beiden
Seitenstellungen.
Wie aus den beiden Tabellen 1 und 2 (S. 83) hervor-
geht, geben die drei ersten verticalen Zahlenreihen die Werthe
für die Scitenabständo der Doppelbilder bei verticaler und seit-
lich geneigter Kopfhaltung sowie ihre Differenzen, die drei
letzten Golonnen die Werthe für die Höhenabstände der Dop-
pelbilder bei verticaler und seitlich geneigter Kopfhaltung nebst
ihren Differenzen.
Ein Fall Ton doppelseitiger Trochlearisparese etc.
83
Tabelle 1.
StelloDg der Doppelbilder bei Kopfneigang nach links um ca. 35 ^
10. April.
Seitenabstand Höhenabstand
Kopf Kopf
BUek-
iMitmic
▼ertieml 35P n. 1.
DIff. I.T..»)
yertioa
35Pn. l.
Diff. 1. T
nach (1.
+ 7 - 1
— 8
+ 1
- 1
— 2
links h.
+ 13(14) + 2
— 11
+ 9
— 7
— 16
L. 3.
+ 18(16) + 6
-12
+ 10
— 9
— 19
3(1
+ 4(5) 0
— 4
0
— 11
-11
a ■•§ {2.
+ 9 +4
— 5
+ 1
-14
— 15
Sja.
+ 18 +13
- 6
+ 2
-14
— 16
nach |1.
+ 3 +6
+ 3
— 3
— 23
-20
rechts h.
+ 7 +7
0
— 3
-22
— 19
R. te.
+ 15(16) +12
- 3
- 4(3)
— 19
— 15
Tabelle 2.
Stellung der Doppelbilder bei Kopfneigung nach rechts.
10. April.
Seitenabstand Höhenabstand
Kopf Kopf
Bllfik-
rlchtung
nMh (1.
links h.
L. 3.
Ttrticd 38»n.r.
+ V +2
+ 13(14) + 3
+ 18(16)+ 3
Differenx
— 5
— 10
— 13
vertical
+ 1
+ 9
+ 9(10)
350 n.T.
+ 14
+ 23
+ 27
Difbrens
+ 13
+ 14
+ 18
a]3.
+ 4(5)
+ 9
+ 18
+ 3
+ 4
+ 7
— 1
- 5
-11
ü
+ 1
+ 2
+ 11
+ 12
+ 14
+ 11
+ 12
nach (l.
rechte |2.
R. 3.
+ 3 0
+ 7 +2
+ 16(15) + 3
- 3
- 5
-13
— 2
— 3
— 3(4)
0
+ 1
+ 7
+ 2
+ 4
+ 10(11)
») Diff. 1. V. — Differenz der Abstände bei links geneigtem vnd
bei yerticalem Kopf.
6*
84 Pflüger.
Was lehren uns Tabelle 1 und 2?
Die Reihen 1 und 4 geben in Zahlen Ausdruck fttr
die Diagnose der doppelseitigen Trochlearisparese mit stär-
kerer Erkrankung der rechten Seite — Inhalt der Taf. 1 — 7.
Einzig räthselhaft an dieser Diagnose bleibt die Thatsache, dass
beim Blick nach rechts oben der Höhenabstand grösser ist als
beim Blick nach links oben.
Die kleinen Schwankungen in diesen beiden Reihen, welche
durch die eingeklammerten Zahlen ihren Ausdruck finden, be-
weisen nur, dass bei den verschiedenen Beobachtungen es nicht
immer gelungen ist, den Kopf gleich einzustellen, was bei einer
klinischen Beobachtung ganz natQrlich ist.
Die übrigen Colonnen erfordern für jede Tabelle eine ge-
sonderte Analyse.
Die Verschiebung der Doppelbilder in Folge Kopf-
neigung nach links, am 10. April beobachtet, giebt Tab. 1.
Die Eopfneigung nach links bedingt, wie oben auseinan-
dergesetzt, eine physiologische controlirende Raddrehung nach
rechts. Diese vollzieht sich auf dem linken Auge mit Hülfe
des Rectus superior und der Trochlearis, auf dem rechten mit
Hülfe des Rectus inferior und des Obliquus inferior. An diese
vier Muskeln werden durch die Eopfneigung nach links grös-
sere Anforderungen gestellt als bei verticaler Kopfhaltung.
Ist nun der linke Trochlearis paretisch, so müssen noth-
wendig die durch ihn hervorgerufenen Ausfallserscheinungen
grösser werden beim Uebergang von der verticalen in die links-
geneigte Kopfstellung.
Die 2. und 5. Colonne müssen also zeigen, in wie weit die
Symptome der linksseitigen Trochlearisparese bei Kopfiieigung
nach links mehr hervortreten und dadurch diejenigen der rechts-
seitigen zu compensiren oder gar zu übercompensiren vermögen.
Die 2. Reihe weist nach, dass der Seitenabstand posi-
tiv geblieben ist mit Ausnahme der Blickrichtung gerade nach
oben (M. 1), wo sie 0 geworden und beim Blick nach oben
links (L. 1), wo sie — 1 beträgt. Diese Stellung ist aber unter
allen die einzige, wo Kreuzung der Doppelbilder zu Stande ge-
kommen ist, während die Kreuzung, wie sie sonst bei einseitiger
Trochlearisparese auftritt, nicht zur Geltung kommen konnte,
sondern aufgewogen wurde durch die der rechtsseitigen Troch-
learisparese zugehörigen Gleichnamigkeit der Doppelbilder.
Deutlicher als die 2. lässt die 3. Zahlenreihe den Effect
der Linksneigung auf den Seitenabstand der Doppelbilder her-
Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc. 85
Tortreten, sie giebt die Differenzen der Seitenabstände bei auf-
recbtem und linksgeneigtem Kopfe.
Diese Differenzen sind am grössten bei der Blickriebtang
nach links und zwar links oben (L. 1) gleich einsetzend mit
— 8®, bis zur Horizontalen auf — 11^ steigend, um nach unten
nur noch um — 1^ zuzunehmen.
In der Medianebene sind die Differenzen ähnlich nur klei-
ner, oben mit — 4® beginnend, bis zur Horizontalen auf — 5®
anwachsend, um weiter unten gleich zu bleiben.
Bei Blickwendung nach rechts hingegen tritt uns die ab-
norme Erscheinung entgegen, dass nach unten allein der Sei-
tenabstand kleiner geworden ist, in der Horizontalen gleich ge-
blieben ist, nach oben dagegen in positivem Sinne sich geän-
dert hat, eine Erscheinung, die vor der Hand räthselhaft bleibt,
weil sie in beiden Tabellen sonst keine Analogie findet und
weil gerade beim Blick nach rechts oben die physiologische
Stellung der Meridiane eine rechtsgeneigte ist.
Der Einfluss der Kopfneigung nach links und der durch
sie ausgelösten Raddrehung nach rechts auf die Seitenabstände
der Doppelbilder ist in der Adductionsstellung des linken Au-
ges am geringsten, in der Abductionsstellung am grössten. Die
Seitenabstände nehmen von oben nach unten zu und zwar we-
sentlich in der oberen Blickfeldhälfte.
Während die Veränderung des Höhenabstandes der Dop-
pelbilder in Folge von einseitiger Trochlearisparese bei Verän-
derung der Blickrichtung aber unveränderter Kopfhaltung seit
A. v. Graefes Arbeiten eine abgeklärte war, ist eis mit der-
jenigen des Seitenabstandes weniger der Fall gewesen.
Halm hat nachgewiesen, dass entgegen den bisherigen
Anschauungen, der Seitenabstand bei der Adduction ein wenig
zunimmt Es ist zu erwarten, dass die Analyse der Höhen-
libstände eine durchsichtigere werden sollte.
In der Primärstellung der Augen bildet die Muskelebene
der Obliqni mit der Augenaxe einen Winkel von 36 — 40^;
hier wird die Senkwirkung eine mittlere sein, um bei Abduc-
tion bis 50 und 55^ bis zum Minimum abzunehmen und bei der
Adduction um 35 — 40^ bis zu ihrem Maximum anzuwachsen.
Bei doppelseitiger Trochlearisparese kann die Symmetrie nur
gestört werden durch ungleich starkes Erkranken beider Seiten.
Die Diplopie greift auch ohne Contractur des Antagonisten
links und rechts über die Horizontale hinüber; aber nur Con-
tractur der Antagonisten oder Combination mit anderen Läh-
86 Pflager.
mungen, eventuell beide Momente zusammen können das Auf-
treten derselben im ganzen Blickfeld erklftren.
Bei diesen Complicationen und unter Beröcksichtigung der
oben angefahrten aggravirenden Momente darf es nicht wun-
dem, wenn gleichwohl die Veränderung der Höhendistanz unter
dem Einfluss der Eopfneigung da und dort der Erklärung
Schwierigkeiten bieten wird.
Während die 4. Colonne für die aufrechte Kopfhaltung
einen Hochstand des linken Bildes für L. und M. als untrOg-
liches Zeichen der rechtsseitigen Trochlearisparese ergeben
hatte und nur für B. einen Tiefstand desselben als ebenso
sicheres Zeichen der linksseitigen schwächeren analogen Affec-
tion, so zeigt bei Eopfneigung nach links die 5. Reihe durch-
wegs einen Tiefstand des linken Bildes.
Der durch die physiologische Raddrehung stärker in An-
spruch genommene linke Trochlearis tritt in seiner Wirkung auf
den Höhenabstand so mächtig hervor, dass er den entgegengesetz-
ten Einfluss seines Partners auf der ganzen Linie flbercompensirt
Eine noch deutlichere Anschauung dieser vollen Wirkung
als die 5. Colonne giebt die Differenzreihe 6:
Jede der drei Seitenwendungen des Blickes bietet aber
noch ihre bemerkenswerthen Besonderheiten. Während beim
Blick nach links oben die Differenz nur 2^ beträgt, steigt sie
beim Durchgang durch die obere Blickfeldhälfte zur Horizon-
talen auf 16^, und nimmt von da an nach links unten nur
noch um 3° zu.
Bei Blickrichtung M. 1 senkt sich das linke Bild schon
um 11<>, bei M. 2 um 15®, bei M. 3 um 16?. Hier also be-
deutende Anfangsdifferenz und geringe Zunahme nach unten
besonders in der unteren Blickfeldhälfte.
Bei Seitenwendung nach rechts, wo die Adductionsstellung
des linken Auges die grösste Höhendifferenz auslöst, nimmt im
Gegensatz zu L, und M. diese Differenz von oben nach unten ab.
Den reinsten Typus stellen die Abstände in der Median-
ebene dar, wo das geringe Anwachsen derselben nach unten,
besonders in der unteren Blickfeldhälfte auffällig erscheint.
Der geringe Höhenabstand nach links oben lässt sich, zum
Theil wenigstens, auf die physiologische Stellung der verticalen
Meridiane in den Diagonalstellungen zurückfahren.
Beim Blick nach links oben stehen die verticalen Meri-
diane parallel nach oben links geneigt. Die Kopfneigung nach
links verlangt daher eine geringere rückläufige Raddrebong
£in Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc. 87
beim Blick nach links oben als gerade nach oben. Die phy-
siologische Meridianstelluug kommt daher der Wirkung des
linken Trochlearis entgegen, entlastet denselben partiell, wäh-
rend beim Blick nach links unten die physiologische Meridian-
stellung nach rechts oben eine erhöhte Action des linken Troch-
learis erfordert.
Das Gesetz der physiologischen Meridianstellung muss seine
Wirkung auch bei den diametralen Blickrichtungen nach rechts
geltend machen. Beim Blick nach rechts oben stehen die senk-
rechten Meridiane parallel nach rechts oben, beim Blick nach
rechts unten dagegen parallel nach links oben. Daher werden
im ersten Falle grössere Anforderungen an den linken Troch-
learis gestellt als beim Blick gerade nach oben, im zweiten
Falle entsprechend geringere. Dieses Moment dürfte zum TLeil
die seltsame Beobachtung erklären, dass in der Blickrichtung
nach rechts die Höhendistanz von oben nach unten abnimmt;
es erweist sich hier wirksamer als der Effect der Blicksenkung.
Die Yergleichung der Höhenabstände bei den drei Blick-
richtungen nach unten (L. 3 — 19, M. 3 — 16, R. 3 — 15)
scheint ebenfalls den Einfluss der physiologischen Meridianstel-
lung auf die Action des Trochlearis zu bestätigen.
Die Verschiebung der Doppelbilder in Folge Kopf-
neigung nach rechts, am 10. April beobachtet, giebt Tab. 2.
Bei Kopfneigung nach rechts sollte man gegcnQber der
Kopfheigung nach links symmetrisches Verhalten erwarten, aller-
dings mit dem Unterschiede, dass der stärker afficirten rech-
ten Seite hochgradigere Verschiebungen entsprächen.
Es ist vorauszusehen, dass die oben angeführten Compli-
cationen auch hier die typischen Erscheinungen beeinträchtigen
und zum Theil verschleiern werden. Die Beobachtung bestätigt
diese Annahme vollauf und zwar in dem Grade, dass für alle Vor-
kommnisse eine genügende Erklärung nicht gegeben werden kann.
Die Seitenabstände zeigen bei Kopfneigung nach rechts
vielfach ein entgegengesetztes Verhalten zu dem bei Kopfnei-
gung nach links. Sie sind in der Adductionsstellung grösser,
in der Abductionsstellung kleiner als in der Medianebene; sie
nehmen ausnahmslos von oben nach unten zu und zwar für M.
und R. mehr in der unteren als in der oberen Blickfeldhälfte.
Der Grund für diese Asymmetrie ist nicht ersichtlich.
Ein Einfluss der physiologischen Meridianstellung ist hier
so wenig wie in den Seitenverschiebongen bei Kopfneigung nach
links zu erkennen.
88 Pßttger.
Die Analyse der Höhenabstäude wird voraussichtlich
anch hier die fruchtbarere sein.
Während bei der Kopfneigang nach links das linke homo-
nyme Doppelbild nach unten sich verschob, muss bei Eopfnei-
gung nach rechts das rechte Bild nach unten ausweichen, resp.
das linke Bild nach oben, wenn das rechte Auge stets den
Fixirpunkt festgehalten hat.
Sicher zu erwarten steht a priori jedenfalls soviel, dass
trotz aller Complicationen die für die Bildverschiebung mäch-
tigsten Factoren sich geltend machen werden, dass z. B. in den-
jenigen Momenten, in welchen der rechte Trochlearis nicht nur
wegen der Eopfneigung nach rechts, sondern auch wegen
der Blickrichtung nach links für die Höhendistanz am
meisten in Anspruch genommen wird, sein Leistungsdefect am
deutlichsten zu Tage treten muss.
Diese Erwartung wird nicht Lttgen gestraft. Beim Blick
nach links, in der Addnctionsstellung des rechten Auges finden
sich die grössten Verschiebungen: +^3® +1^^ +18 ^ ^*^-
rend beim Blick nach rechts die Verschiebungen bloss -f- 2®,
-f- 4^ -f~ 10^ betragen und in der Medianebene mittlere Werthe
aufweisen.
Die grosse Verschiebung -f- 13^ in L. 1 und die geringe
Zunahme derselben bis -f- 18^ in L. 3 geben der Deutung
Raum, dass auch hier die physiologische Meridianstellung in
den diagonalen Blickrichtungen ihren Einflnss übt, allerdings
lange nicht in dem Maasse, wie in der correspondirenden Blick-
richtung rechts und Kopfneigung links, wo sie sogar den Effect
der Senkwirkung überstieg.
Die Werthe für M. 2 und M. 3 sind kleiner als die corre-
spondirenden bei Eopfneigung nach links, während M. 1 für
beide Kopfneigungen 11^ beträgt
Am allerauffölligsten (und nicht leicht verständlich) ver-
halten sich die Werthe für R. bei Kopfneigung rechts zu den
correspondirenden Werthen von L. bei Kopfheigung links. Wäh-
rend R. 1 und L. 1 mit 2^ einander das Gleichgewicht halten,
so bleibt R. 2 um 12<> hinter L. 2 und R. 3 um 9^ hinter L. 3
zurück. Es hängt dieser scheinbar viel zu geringe Functiona-
defect des rechten Trochlearis, für welchen die Untersuchung
bei verticalem Kopf eine stärkere Lähmung diagnosticiren Hess,
vielleicht von dem Umstände ab, dass aus irgend einem Grunde
die Antagonisten des Trochlearis weniger contrahirt gewesen
seien.
Ein Fall Yon doppelseitiger Trochlearisparese etc. 89
Die Tabellen 1 und 2 ergeben also das unerwartete Re-
sultat, dass, während die Relationen in jeder einzelnen meist
correspondiren, die absoluten Werthe in Tab. 2 fast durcb-
gehends geringere, dass bei Eopfheigung nach Seite des stärker
afficirten Trochlearis die Verschiebungen geringere werden.
Das scheinbar paradoxe Verhalten der Doppelbilder bei
Eopfheigung rechts und links besonders mit Bezug auf ihre
Höhendistanz tritt sehr prägnant hervor, wenn ich aus Tab. 1
und 2 die mittleren Werthe f&r die Seiten- und Höhenabstände
der Doppelbilder berechne und zwar a) für die drei Blick-
höhenlagen, b) für die drei Blickseitenrichtungen.
Tabelle 3.
Mittlere Werthe der Seiten- und Höhenabstände der
Doppelbilder für die drei verschiedenen Kopfhaltungen
nebst ihren Differenzen in Graden.
a) in den drei Blickhöhenlagen.
Seitenabstände
Kopfhaltung
TBlt.
36« 1.
38» r.
D. T. 1.
D. T. r.
1.
+ 4,7(5)
+ 1.7
+ 1,7
— 3
— 3
2.
+ 9,7(10)
+ 4^
+ 3
-5,4
- 6,7
3.
+ 17 (16,3)
+ 10,3
+ 4,3
-6,7
— 12,7
|(1±|±-«) 10,4
+ 5,4
+ 3
— 5
- 7,5
1-2.
+ 5
+ 2,6
+ 1,3
-2,4
- 3,7
2—3.
+ 7,3
+ 6
+ 1,3
-1,4
- 6
1-3.
+ 12,3
+ 8,6
Höhenal
+ 2,6
bst&nde
-3,8
- 9,7
Kopfhaltung
T«rt.
3S*1.
36» r.
D. T. 1.
D. T. r.
1.
-0,7
-11,7
+ 8,8
—11
+ 8,7
2.
+ 2,3
— 14,3
+ 12
— 16,6
+ 9,3
3.
+ 2,7
-14
+ 16
— 16,7
+ 13.8
«-f-^l^-^+1.4
— 13,3
+ 12,8
-14,5
+ 10,4
1—2.
+ 3
- 2,6
+ 3,7
- 5,6
+ 0,6
2-3.
+ 0,4
+ 0,3
+ 4
0,1
+ 4
1-3.
+ 3,4
- 2,3
+ 7,7
- 5,7
+ 4,6
90 Pfloger.
Zu dieser auf den ersten Blick etwas eigenthOmlichen
Zahlenzusammenstellung bin ich gekommen in der Hoffnung,
-die beobachteten Asymmetrien verstehen zu lernen, nachdem
ich mich mit Hypothesen verschiedener Art abgemttht hatte.
Die Seite nabstände nehmen für alle Kopfhaltungen von
oben nach unten im positiven Sinne zu, daher die YerUndung
der dem linken Auge entsprechenden Bildpunkte eine Linie
bildet, von oben rechts nach unten links verlaufend und ^ner
Geraden nahe kommend, während die Bilder des rechten Au-
ges naturgemäss in der Yerticalen liegen.
Die Zunahme des Seitenabstandes von oben nach unten
ist am grössten far die verticale Kopfhaltung, wo dieselbe
(1 — 3) 4- 12,3^ beträgt, am kleinsten bei Kopfneigung nach
rechts (mit) 2,6^; der Kopfneigung links entspricht der mitt-
lere Werth 8,60.
Die Kopfneigung wirkt also dem homonymen Auseinander-
weichen der Doppelbilder entgegen und zwar in der ersten
Blickhöhenlage beiderseits gleich viel — 3 o, während dieser
hemmende Einfluss in der dritten Lage für Kopfneigung nach
rechts fast doppelt so gross ist als für Kopfneigung nach links,
— 12,70 gegen —6,7«.
. Der Einfluss der Senkung der Blickebene ist für die ver-
ticale Kopfhaltung, wie zu erwarten war, in der oberen Blick-
feldhälfte (50) kleiner als derjenige in der unteren (7,3 O). Bei
Kopfneigung links zeigt sich ein analoges Verhalten, 2,6^ in
der oberen gegen 6^ in der unteren Blickfeldhälfte, während
jener Einfluss bei Kopfneigung rechts oben und unten gleich
viel, 1,30 ausmacht.
Die Höhenabstände nehmen von oben nach unten zu,
bei Kopfhaltung vertical und rechts in positivem, bei Kopfhal-
tung links in negativem Sinne. Bei der letzteren kommt eine
kleine Ausnahme vor* in Lage 2 findet sich ein Durchschnitts-
tiefstand des linken Bildes von 14,3^ in Lage 3, eine solche
von 140 — in Folge der oben besprochenen abnormen Er-
scheinung, dass bei Blickrichtung rechts die Höhendifferenzen
von oben nach unten abnehmen.
Bei verticaler Kopfhaltung spricht der Tiefstand des lin-
ken Bildes in Lage 1 (0,7 O) nicht für stärkere Affection des
rechten Trochlearis, um so mehr aber der Hochstand derselben
in Lage 2 und 3, sowie der durchschnittliche Hochstand sämmt-
licher drei Lagen von 1,40* Der Tie&tand in Lage 1 muss
nothwendig durch einen anderen Factor bedingt sein.
Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc. 91
Die Ycränderang des Höhenabstaudes unter dem Einfluss
der Kopüneigang ist eine sehr erhebliche und ans oben ange-
führten Grftnden durchsichtigere und massgebendere als die
des ßeitenabstandes.
Die Kopfheigung links übt, wie die Difforenzreihen be-
weisen, einen grösseren Einfluss aus als die Kopftaeigung rechts
und zwar in allen Lagen; die durchschnittliche Höhenverschie-
bnng aller 3 Lagen beträgt für jene — 14,5^, für diese 10,4^.
Die Blicksenkung verändert den Höhenabstand bei verti-
caler Kopfhaltung im Ganzen um + 3,4® — stärkere Wirkung
des rechten Trochlearis, bei Kopfneigung links um 2,3®, rechts
um 7,7®, und zwar übt sie den Haupteinfluss bei der ersten
Kopfhaltung wesentlich, in der zweiten ausschliesslich in der
oberen, bei der dritten etwas mehr in der unteren Blickfeld-
häiae.
Die Differenzreihen ergeben bei Kopfneigung links für
4en Durchgang durch die obere Blickfeldhälfte (1 — 2) eine
negative Verschiebung von 5,6®, für den Durchgang durch die
untere Blickfeldhälfte (2 — 3) keine (nennenswerthe) Höhenver-
änderung. Umgekehrt zeigen sie bei Kopfneigung rechts
in der oberen Blickfeldhälfte (1 — 2) eine positive Verschiebung
von bloss 0,6®, in der unteren Blickfeldhälfte (2 — 3) dagegen
eine solche von 4®.
Hier kommt offenbar der bisherige Factor x in Rechnung,
dessen Wirkung sich in der oberen Blickfoldhälfte mit derjeni-
gen des linken Trochlearis zu addiren, von der des rechten
Trochlearis zu subtrahiron scheint und in der unteren Blick-
feldhälfte eher ein umgekehrtes Verhalten documentirt. Es
dürfte sich um Mitaffection eines Hebers des rechten Auges
handeln, eine Annahme, welche auch das Verhalten des Höhen-
abstandes für den Blick gerade nach oben und nach rechts
oben bei verticalem Kopf erklären würde. Da das abnorme
Verhalten beim Blick nach rechts oben, in der Richtung der
grössten Heberwirkung dos rechten Obliquus inferior vorzüglich
in Erscheinung tritt, so ist es ferner wahrscheinlich, dass die
Mitaffection gerade diesen der beiden Heber betrifft.
Die Parese des Obliquus inferior dezter ist im Stande,
auch die übrigen, scheinbar unregehnässigen den Typus der
doppelseitigen Trochlearislähmung mit stärkerer Affection der
rechten Seite etwas verschleiernden und störenden Doppelbilder
theilweise wenigstens zu erklären.
92 Pflüger.
So erscheint jetzt die Abnahme der Höhendistanz von
oben nach unten beim Blick nach rechts nnd Kopfhaltung links
in einem anderen Licht und mnss die Wirkung der physiolo-
gischen Mcridianstellung hierfür nicht mehr über Gebühr in
Anspruch genommen werden.
Femer finden die geringen Höhendistanzen bei Eopfhei-
gung nach rechts gegenüber denjenigen bei Kopfneigung nach
links ihre befriedigende Motivirung.
Das antagonistische Verhalten beider Augen bezüglich der
Seitenabstände in Adduction und Abduction bei den verschie-
denen Kopfneigungen ist wahrscheinlich ebenfalls auf diese selt-
same Complication zurückzuführen.
Die nachträgliche Diagnose der Parese des Obliquus in-
ferior dexter war das praktische Resultat der Zahlencombina-
tion (in Tab. 3), die genaue Betrachtung der Tab. 1 und 2
hätte zwar zu demselben Schlüsse führen dürfen.
Die mittleren Werthe der Seiten- und Höhenab-
stände in den drei Blickrichtungen sind geeignet, diese
Diagnose zu unterstützen, führen aber weniger direct zu der-
selben.
Tabelle 4.
Mittlere Werthe der Seiten- und Höhenabstände
der Doppelbilder für die drei verschiedenen Kopfhaltungen
nebst ihren Differenzen in Graden.
b) in den drei Blickrichtungen.
Seitenabstände
Kopfhaltung
Tert.
35« 1.
35» r.
D. T. I.
D. T. r.
L.
+ 12,7
+ 2,3
+ 2,7
— 10,4
— 10,0
M.
+ 10,3
+ 6,7
+ 4.7
- 4,6
- 5,6
R.
+ 8,7
+ 8,3
+ 1,7
- 0,4
— 7
S
3
+ 10,6
+ M
+ 3,1
- 5,2
- 7,5
L.-M.
- 2,4
+ 3,4
+ 2
+ 5,8
+ M
R.-M.
— 1,6
+ 2,6
-3
+ 4.2
- 1,4
L.-R. — 4 +6 +1 -flO 4-3
Ein Fall yoii doppelseitiger Troclilearisparese etc. 93
Höhen
itbst&nde
Kopfhaltang
Tert.
518» I.
36» r.
V. 1. T.
D. r. T.
L.
+ 6,7
- 5,7
+ 21,3
- 12,3
+ 16
M.
+ 1
— 13
+ 12
— 14
+ 11.3
R.
- 3,3
-21,8
+ 2,7
-18
+ 5,7
S
3
+ 1,5
— 13,3
+ 12
— 15
+ 10,7
L-M.
- 5,7
- 7.8
- 9,3
+ 1,7
- 3,7
R.-M.
- 4,3
- 8,8
- 9,3
+ 4
— 5,6
L.-R.
— 10
-15,6
— 18,6
+ 5,7
- 9,3
Die Tabelle 4 ergiebt keine ganz neuen Gesicbtspankte ;
solche sind auch nicht zu erwarten, falls die ans Tabelle 3
gefolgerten Schlüsse richtig sind.
Die Seitenabstände nehmen bei verticaler Kopfstel-
lang Yon L. nach R. ohne grosse Sprünge ab, etwas mehr von
L. bis M. als von M. bis B., was für stärkere Affection des
rechten Auges spricht, wenn dem Trochlearis eine grössere
Seitenwirkung in der Adductionsstellung zugesprochen wird.
Die Kopfneigung links Torbindet sich mit grösserem
Seitenabstand als die rechts; ihre Wirkung nimmt, wie voraus-
zusehen, von L .nach R., von der Abduction zur Adduction des
linken Auges zu und zwar mehr von L. bis M. als von M. bis R.
Die Eopfneigung rechts hat den geringsten Seiten-
abstand; derselbe ist in der Mitte am grössten, hinter dem
entsprechenden Werth für Linksneigung um 1^ zurückstehend.
In der Adduction des rechten Auges beträgt er bloss 2,7^
gegenüber dem correspondirenden Abstand von 8,3^ bei Links-
neigung. In der Abduction ist die Seitenverschiebung wieder
geringer als in der Adduction. Während für L die Differenz
links vertical fast gleich derjenigen rechts verticaj ist, so be-
trägt für R. in der Abductionsstellung des rechten Auges die
erstere bloss 0,4 ^ die letztere 7®.
Die Höhenabstände sind bei verticalem Kopf positiv
für L. und M., negativ für R., im Mittel -f ^9^^; <^er Hoch-
stand des linken Bildes für L. überwiegt den Tiefstand des-
selben für M., daher übertrifft auch der Grad der Affection
des rechten Trochlearis den des linken.
Die Kopfneigung links ist durchwegs mit Tiefistand des
linken Bildes, die Kopfneigung rechts mit Hochstand desselben
94
Pflfiger.
verknüpft und zwar hat die KopfaeigiiDg links eine wesentlich
grössere Einwirkung anf die Höhenverschiebung, eine mittlere
von 15^ gegenüber derjenigen nach rechts, die auf 10,7® sich
beziffert, was seinen ausreichenden Grund in der Lähmung des
rechten unteren Obliquus findet
Die geringeren Seiten- und Höhenabstände in den drei
Blickseitenstellungen in Folge Kopfheigung rechts gegenüber
deijenigen nach links namentlich bei Blickstellung rechts (R.)
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^ W 35 30 23 to 15 fO S O 5 ^1l5tOZ330S5^^^3
•«* -^ DoppMild des Unkerv Auges ,- bei h^rbumtalgehoJiervenvKbpf,
p ßt • • • • ; • links gendglenvKopf.
Fig. 4.
beweisen wiederum, dass die Ausfallswirkung des rechten Troch-
learis, welche bei verticalem Kopfe prävalirt, bei Kopfheigung
rechts durch die Ausfallswirkung einer seiner Antagonisten
theilweise compensirt wird.
Die geringen Seiten- und Höhenabstände in der Blicksei*
tenstellung rechts bei rechtsgeneigtem Kopf erklären auch die
spontane Kopfhaltung des Patienten nach rechts; durch dieselbe
war es ihm möglich, nach rechts oben einfieich zu sehen und
£in Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc.
95
zu lesen. Dass aber das Lesen nur durch Erhebung des Buches
über die Horizontale ermöglicht wurde, macht wahrscheinlich,
dass die Parese des Obliquus inferior dexter geringgradiger war
als die des Obliquus superior dexter. Die stärkere Wirkung
des in Adduction befindlichen Trochlearis sinister, unterstützt
durch die hier in Anspruch genommene Hebewirkung d6s pare-
tischen Obliq. infer. dexter, ist aequilibrirt durch die verstärkte
Wirkung des Trochlearis dexter in Folge der Rechtsneigung.
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/ fi Doppelbüd des linkcnAugcs hcL redUs gendgUm Kopf,
•••-•■ - • • . - horizontal gehallenem Kopf.
Fig. 6.
Am 3. Mai stellt sich Patient wieder vor mit der Angabe,
dass sein Leiden noch nicht gehoben, aber wesentlich gebessert
sei, dass er viel weniger doppelt sehe. Die Kopfhaltung war
eine sichtlich normalere.
Eine Controluntersuchung der Doppelbilder war angesichts
der eigenthümlichen Complication der doppelseitigen Troch-
learislähmung recht erwünscht; ihre Resultate sind in Fig. 4
^nd 5, sowie in Tabelle 5 (S. 96) niedergelegt
96
Pflager.
Tabelle 5.
Stellang der Doppelbilder am 3. Mai.
Blickrichtung
Links k.
3.
Median
Hechts i2.
Median
Rechts
a) bei Eopfheigang nach links.
Seitenabst&nde
Kopf
rert.
+ 4
+ 7(6)
+ 12
350 i. D. 1. T.
+ 2 — 2
+ 3 - 4
+ 7-5
Höhenabst&nde
Kopf
▼eit. 38» 1. D. 1. ▼.
+ 1—3 — 4
+ 6 — 4 —10
+ 8 — 4 —12
0 +4+4
+ 4(2) +3-1
+ 16(15). +11 — 5
0
+ 7(6)
+ 14(12)
+ 4+4
+ 12 +5
+ 19 +5
0
+ 1
+ 1
0
— 3
b) bei Kopfneigang nach rechts.
Tert. 86» r. D. r. v. Tert.
+ 3 +6+3 +1
+ 6(7) +8+2 +6
+ 12(14) +8-4 +8
0
+ 2(4)
+ 15(16)
|1. 0
{2. +6(7)
3. +12(14)
+ 2+2
+ 12 +10
+ 7+2
+
+
0 0
2—4
9—3
0
+ 1
+ 1
0
— 3
— 2
— 4
— 4
— 7
-11
— 12
— 4
0
+ 1
+ 2
— 4
— 5
— 8
— 11
— 9
36» r. D.r.T.
+ 12 +11
+ 19 +13
+ 21 +13
+ 8+8
+ 14 +-18
+ 17 +16
0
+ 4
+ 4
Entsprechend der Angabe des Patienten Ober subjective
Besserung sind die Entfernungen der Doppelbilder in den meisten
F&llen kleiner geworden. Sowohl die Abstände nach der Seite
als in der Höhe bilden eine hflbsche Parallele zu denen vom
10. April; flberall dieselben Vorzeichen und ähnliche Relationen
in den Werthen; nur die absoluten Werthe sind kleiner ge-
worden.
Hier kann ich mich begnügen, auf die Yergleichung der
correspondirenden Tafeln und Tabellen hinzuweisen. Hervor-
Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparose etc. 97
beben will icb nur, dass die Doppelbilder bei verticalem Kopf
auch jetzt noch für stärkere Affection des rechten Trochlearis
sprechen, dass ferner der eigenthttmliche Höhenabstand beim
Blick nach rechts oben, welche zur Annahme einer Mitbethei-
lignng der Obliquus inferior geführt hat, weggefallen ist, dass
also diese Complication von ihrem Einflnss eingebüsst, sich eben-
falls zum Theii znrackgebildet hat. Hingegen persistirt bei
Eopfneignng links nnd Blickrichtung rechts die Abnahme der
Höhenabweichung der Doppelbilder von oben nach unten; die
Zahlen sind durchwegs kleinere geworden.
Die Diagnose „doppelseitige Trochlearislähmung'^ ist nach
dem Bisherigen im vorliegenden Falle als eine gesicherte zu
betrachten, die Complication mit Parese des Obliquus inferior
dexter als eine sehr wahrscheinliche.
Auf meinen Appel stellte sich Arn am 13. Januar 1891,
also ein gutes Jahr nach der Erkrankung, wieder zur Controle
mit der Angabe gesund zu sein.
Die genauere Untersuchung ergab aber, dass im ganzen
Blickfeld Einfachsehen existirte mit einziger Aasnahme der
Richtung links oben; hier erscheinen homonyme Doppelbilder
mit Hochstand des rechten Bildes. Bei Erhebung des Blickes
um 30^ und Seitenwendnng um 30^ betrug der Seiten- und
der Höhenabstand der Doppelbilder je 5^ (siehe Taf. YI). Wird
das Fixationsobject in gleicher Höhe von links nach rechts ge-
führt, nehmen beide Abstände successive ab, um bei 14^ ganz
zu verschwinden und dem Einfachsehen Platz zu machen.
Es musste sich um Parese eines Hebers des rechten Auges
handeln, um die Residuen der Parese seines Obliquus inferior.
Das klinische Bild bestätigte als einfacher gewordenes Ex-
periment in unerwartet befriedigender Weise die oben aus den
Tabellen gefolgerte Wahrscheiulichkeitsdiagnose.
Wenn man das Object von oben links, wo gewöhnlich ein-
zig doppelt gesehen wurde, rasch nach rechts und rechts unten
führte, so konnte man für einen Augenblick die Doppelbilder
über einen grösseren Theil des Blickfeldes quasi herüberziehen,
aber nur für einen Augenblick.
Bei Eopfneigung links erscheinen Doppelbilder in einem
grösseren Theil des Blickfeldes, im oberen linken Quadranten
bis zum Centrum und über dasselbe hinunter.
Mit dem Grad der Linksneignng nehmen die Höhendistan-
zen zu, die Seitendistanzen ab bis zur Kreuzung.
▼. Graefe's Archiv fQr Ophthalmologie. XXXVII. 4. 7
98
PflQger.
In Figar 6 sind die Doppelbilder dargestellt für den ge-
wöhnlichen Grad der Linksneigung und für eine Fizirlinie you
oben links nach dem Centrum. Die in der Tafel ausgezogenen
Höhen- und Seitendistanzen zeigen von links oben nach dem
Centrum zu eine consequente Abnahme der ersteren und eine
ebenso consequente Zunahme der letzteren.
Es kann dieses Verhalten kaum anders als für die resti-
rende Parese des Obliquus inferior dexter gedeutet werden.
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bei aufrccJUem Kopf*.
_ -. . bei. rechts gefuigUjii Kopf.
bei links gaicigterfi Kopf.
Fig. 6.
Durch die Linksneigung des Kopfes müssen die Meridiane eine
controlirende Rückwärtsbeweguug von links nach rechts aus-
führen, eine Leistung, welche auf dem rechten Auge dem Obli-
quus inferior zukommt, auf dem linken Auge dem Trochlearis,
welcher hier aber ausser Rechnung fällt.
In Folge Rechtsneigung des Kopfes entstehen Dop-
pelbilder beim Blick nach oben in der Art, dass links oben
erst einfach gesehen wird und beim Verschieben des Objectes
von oben links nach rechts die Doppelbilder erst seitlich aus-
Ein Fall Yon doppelseitiger Trocblearisparese etc. 99
einanderweichen mit anfangs unmerklichem Hochstand des rech-
ten Bildes; weiter nach rechts nimmt die Höhenabweichung all-
mälig zu, während die Seitenabweichung sich nicht deutlich
verändert.
Da bei der Rechtsneigung der rechte Obliquus inferior
zur physiologischen Raddrehung nicht nöthig ist*, wohl aber der
rechte Obliquus superior, so liegt die Annahme nahe, dass die-
ser letztere hier zu stark wirkt, weil ihm der Obliquus inferior
zu wenig Widerstand leistet.
Trotzdem die Doppelbilder schon am 3. Mai 1890 ein
partielles Zurückgehen der Parese des Obliquus inferior sup-
poniren liessen, so ist ein Ueberrest derselben als einziges
Merkmal der bisher noch nicht beobachteten Lähmungsform
am 13. Januar 1891 zu beobachten gewesen.
Die Frage nach der Localisation dieser seltenen Läh-
mungsform verlangt noch eine Ergänzung der Krankengeschichte,
einen Nachtrag über weitere Störungen in der Innervation von
Augenmuskeln bei unserem Patienten.
Eingangs ist mitgetheilt worden, dass Arn bei der ersten
Vorstellung noch Anomalien der Accommodation darbot und
zwar: Einschränkung der Accommodation um ca. 2,5 D.
auf dem rechten Auge, um 4,5 D. auf dem linken Auge mit
Mikropsie auf diesem letzteren.
Keine Erwähnung fand bisher das Verhalten der Pu-
pillen. Beide Pupillen sind myo tisch; die rechte misst bei
mittlerer Tagesbeleuchtung 2 mm, die linke 3 mm.
Die Lichtreaction ist auf beiden Augen erhalten, so-
wohl die directe als die consensuelle, aber auf ein Minimum
reducirt, so dass es längere genaue Beobachtung erforderte,
um dieselbe sicher zu constatiren.
Die Reaction auf Convergenz ist auf beiden Pupillen deut-
licher als die Lichtreaction, aber doch ausserordentlich subnormal.
Am 3. Mai zeigten die Pupillen ein analoges Verhalten
bezüglich ihrer Reactionsfähigkeit und ihrer gegenseitigen rela-
tiven Grösse; sie schienen beide etwas weiter geworden zu
sein. Die Accommodation hatte beiderseits um etwa 0,5 D.
zugenommen.
Am 12. Januar 1891 hatte die rechte Pupille eine Weite
von 2,75 mm, die linke eine solche von 4 mm; Accommodation
rechts um 1 D links um 2 D grösser als bei der ersten Unter-
suchung, Lichtreaction direct und consensnell noch immer sehr
7*
100 Pflüger.
schwach. Aaf eine minimale Contraction bei Lichteinfall folgt
prompt eine dentlichere Erweiterung, so dass bei unscharfer
Beobachtung nur letztere in die Augen fällt.
Im klinischen Bilde unseres Falles reihen sich also an
die Parese der beiden Trochlearis und des Obliquus inferior
dexter:
1) Myosis beiderseits, rechts stärker als links.
2) Herabgesetzte Pupillarreaction auf Licht beiderseits, direct
sowohl als consensuel.
3) Herabgesetzte Pupillarreaction auf Convergenz.
4) Accommodationsparese, links stärker als rechts.
Die grössere Parese der Accommodation verbindet sich
also auf demselben Auge mit der geringeren Myosis, mit der
geringeren Reizung des Sphincter iridis.
Diese vier Gomplicationen machen die Localisation in der
Kemregion, im vordersten Abschnitt des Oculomotoriuskem
wahrscheinlich. Da nach dem Schema von Kahler und Pick
der Kern des Obliquus inferior in dem hintersten Abschnitt
der lateralen Kerngruppen im Oculomotoriuskem gelegen ist,
so verlangt unser Fall allerdings die Annahme, dass die zwi-
schen diesem und den vordersten Kernen der interioren Augen-
muskeln gelegenen Kerne von der Affection übersprungen wor-
den seien.
Die Erkrankung der beiden Trochleares in der Region
ihrer Kerne, die sich unmittelbar an die Oculomotorinskeme
nach hinten anschliessen, liegt nun näher als diejenige an ihrer
Verflechtungsstelle im Velum medulläre anticum. Ich lasse da-
mit die Localisation im Yelum medulläre anticum, welche ich
in meiner ersten Mittheilung über diesen Fall supponirt hatte,
fallen, weil dieselbe eine Erkrankung zweier gesonderter Herde
voraussetzt, die weiter auseinanderliegen als der vorderste und
hinterste Abschnitt des Oculomotorius-Trochleariskernes.
Die Deutung, welche das Schema des Oculomotoriuskemes
nach Per Ha (Archiv für Ophthalm. XXXV, 4, S. 297) durch
Knies — Centrale Störungen der willkürlichen Augenmuskeln
(Archiv für Augenheilk. XXIII, 1, 19 u. f.) — erfahren hat,
erleichtert die Localisation des in Frage stehenden Processes
in die Kernregion wesentlich.
Die Erkrankung hatte den vorderen seitlichen Kern (1)
von Darkewitsch und den Edinger-Westphal'schen Kern
(3) auf beiden Seiten ergriffen; während sie rechts hier stehen
Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc. 101
geblieben, hatte sie sich links, über die tiefen ventralen Kerne
6 und 7 für den Rectas internus und den Rectus inferior weg-
setzend, in den dorsalen Kern (5) für den Obliquus inferior
und von da in der Continuität zum Trochleariskern (9) fort-
gesetzt.
Die Aneinanderrückung der functionell zusammengehören-
den Obliqui durch Knies scheint eine glückliche, durch diesen
Fall wahrscheinlich gemachte Aenderung in der Anordnung der
Oculomotoriuskeme zu sein.
Der Umstand, dass Perlia nur von Kern 5 des Oculo-
motoriuskemes gekreuzten Ursprung der Wurzelfasem nach-
weisen konnte, hat Knies in der Meinung bestärkt, dass dies
der Kern des Obliquus inferior sei, der, wie der Trochlearis,
bei der Auswärtswendung des gegenüberliegenden Auges bethei-
ligt ist
In der Literatur findet sich eine einzige aphoristisch ge-
haltene und mit aller Reserve hingestellte Notiz über doppel-
seitige Trochlearisparese, mitgQtheilt von Dr. Ernst Remak
(Neurolog. Centralbl. 1888, S. 5).
Znr Lymphombildung in der Orbita.
Von
Dr. TL Axenfeld,
I. Assistent an der ÜDiversit&tB-Angenklinlk in Marburg.
Hierzu Taf. III, Fig. I— IV.
Ausser einem von ihm selbst beschriebenen „Lympho-
sarcom^^) fuhrt Berlin im Handbuch von Graefe-Sae-
misch (1880, Abtheilung ,,Orbita'*) aus dei* grossen Litera-
ratur der Tumoren nur zwei von Lawson veröffentlichte
primäre Orbitallymphome an, ausserdem ein von Förster
beschriebenes Lymphangiom. Ein ebensolches hat später
Wiessner*) mitgetheilt Vielleicht ist auch, wie unten
noch besprochen werden soll, der Becker-Arnold'sche
und der Bern heimer 'sehe Fall zu den primären Orbital-
lymphomen zu rechnen; dagegen dürfte der lymphoide Ur-
sprung von Tumoren, wie sie SchoebeF) beschreibt» zweifel-
haft sein. Auch auf der Grundlage von Allgemeinerkran-
kungen, die an sich zur Bildung derartiger Neoplasmen nei-
gen, sind Orbitallymphome bekanntlich ein seltenes Vor-
kommniss.
Obwohl nun, abgesehen von der in ophthalmologischen
Kreisen wenig beachteten Mittheilung von Gallasch, Le-
ber und nach ihm Osterwald das Vorkommen doppelsei-
>) Zehender*B Monatsblatt XVI.
*) V. Graefe*8 Archiv für Ophthalm. XXII, 2. 1886.
*) Centralbl. fflr Augenheilk. 1886, Sept.-Oct.
Zar Lymphombildung in der Orbita. 103
tiger orbitaler Lymphome auf leukaemischer Basis unzwei-
felhaft nachgewiesen haben, so vermisst man doch in den
sonst publicirten ähnlichen Fällen vielfach genauere An-
gaben über das Verhalten der übrigen Organe , zumal des
Blutes. Ich lasse deshalb eine kurze Zusammenstellung der
sämmtlichen hierhergehörigen Mittheilungen, die ich finden
tonnte, folgen, da eine Uebersicht sonst schwer möglich
ist Ich schicke voraus, dass der an erster Stelle citirte
Förster'sche Fall, den Becker und Arnold als dem ihren,
vermuthlich auf constitutioneller Anomalie beruhenden, gleich-
artig anfuhren, nicht pathologisch-anatomisch untersucht,
und seine Natur als Lymphom um so unsicherer ist, als
möglicherweise Lues vorlag.
[1) Förster, 1866, Zehenders Monatshefte: Symmetri-
scher Tumor an der Thränendrüse. Exophthalmus.
Durch Jodkaliumsalbe gebeilt. Keine Eörperuntersuchung. (Sy-
philis?))
2) Becker und Arnold, Heidelberg 1872: v. Graefe's
Arch. f. Ophth.: Doppelseitiges symmetrisches Lymph-
adenom in der Gegend der Thränendrüse. Exophthalmus.
Sonst keinerlei Symptome. Durch Exstirpation dauernde Hei-
lung (10 Jahre lang beobachtet).
3) F. Gallasch: Ein seltener Befund bei Leukämie
im Eindesalter. Jahrb. für Einderheilk. 1875. 4VtJäbriger
Knabe. Lymphome am Hals, Leber- und Milzschwellung. Con-
juDCtival- und Retinalhaemorrhagien, Petechien, bds. grosse
Thränendrttsentumoren, Exophthalmus. Autopsie: mas-
senhafte lymphoide Infiltration, Drfisengewebe nicht betheiligt.
4) Th. Leber, 1878: v. Graefe's Archiv für Ophthalm.
XXIY, S. 295, Leukaemie. bds. Retinitis haemorrhagica,
Albuminurie. Zunehmende Hyperopie bei doppelseitigem Exoph-
thalmus infolge zahlreicher Orbitaltumoren. Exitus letalis,
keine allgemeine Autopsie. Mikroskopischer Befand in den
Orbitaitumoren: massenhafte Lymphzellen.
5) Chauvel, 1877, Gazette hebdomadaire Nr. 23: links-
seitige sehr grosse Geschwulst an der Thränendrüse.
Lymi^ome am Hals. Eeine Blutantersochung. Autopsie: Leber-
and Milztnmor. Lidtumor aus Lymphkömem bestehend. Enochen-
mark nicht nntersucht
104 Th. Axenfeld.
6) Osterwald, 1881, v. Graefe's Archiv für Ophthalm.
XXYII, 3, S. 203: Beobachtung ans der Leber'schen Klinik
in Rötungen: Vieijähriger Knabe. Lenkaemie. Doppelsei-
tige Orbitaltumoren, flache Auftreibung der Schläfengegend.
Exophthalmus. Mund, Nase, Speicheldrflsen frei. „Mikrokokken
in der Milz und im Blut.^' Tumoren aus kleinen Rundzellen
bestehend. „Leukaemische Tumoren entstehen vermuthlich aus
ausgewanderten weissen Blutkörperchen.^^ Durch Confluiren
mehrerer Tumoren hier und da lymphadenoider Bau. „An der
infectiösen Natur der Leukämie ist nicht mehr zu zweifeln.*^
7) Reymond (Annali di Ottahnologia 1883, S. 337):
Linfomi voluminosi delle due orbite ed al davanti delle due
orecchie, con degenerazione amiloidea dei soll elementi linfoidi.
Milzvergrösserung, Schwellung der Parotiden, Hals- und
Axilardrüsen, doppelseitiger Tumor an der Thränen-
drüse. Blut nicht untersucht Exstirpation der Orbitaltumoren,
die mikroskopisch aus Lymphzellen mit reticulärem Stroma
bestehen und central amyloide Entartung zeigen. Uebrige Drü-
sengeschwülste auf Jodkalium kleiner. Angeblich dauernde
Heilung (?).
8) Gayet, Die symmetrischen Orbitaltumoren und ihre
charakteristischen Symptome: Archives d'Ophtalmologie 1886,
Janvier-F6vrier.
70jähriger Mann; bds. Exophthalmus, zuerst rechts,
nach zwei Jahren links. Keine Körpemntersuchung! Exitus
letalis infolge von Pleuritis. Bei der Autopsie Milz, Leber etc.
nicht untersucht! Mikroskopisch: Orbitaltumoren = Lymph-
adenome; Rundzelleninfiltration von Fettgewebe, Opticus, Mus-
keln, Gefässwandungen (bei letzteren mit Verengerung des
Lumens und nur im Innern der Geschwülste).
9) E. Delens, ObserTation de tumeurs lymphad^niques
des deux orbites: Archives d'Ophtalmologie 1886, Mars-Avril.
5öjähriger Mann, bisher gesund. Multiple Geschwülste
in Lidern und Orbita, Exophthalmus. Die grössten Ge-
schwülste sitzen an der Thränendrüse. Lymphome am Hals,
Ellenbogen, Tonsillen, Pharynx. Ueber dem knöchernen Gau-
men durch eine tiefe Rinne getrennt beiderseits eine höckrige,
wulstige Geschwulst Lenkaemie. Unter einem starken Cho-
leraanfall völliger Schwund der Orbital- und Gaumentumoren,
erhebliche Reduction der übrigen Lymphome. Patient entzieht
sich weiterer Beobachtung.
Zur Lymphombilduüg in der Orbita. 105
10) Bernheimer, Ueber Lymphadenome der Orbita:
20. ophthalmologische Yersammlung in Heidelberg.
40 jähriger Mann, völlig gesund. Seit zwei Jahren sym-
metrischer Exophthalmus. Multiple haselnuss- bis wallnuss-
grosse Geschwülste, die durch Stränge mit dem tieferliegenden
Gewebe der Orbita zusammenzuhängeit scheinen. Exstirpation.
Mikroskopischer Befund: Lymphadenom. „Einziger analoger
Fall der Becker-Arnold'sche."
11) Guaita, Bericht über den zwölften italienischen Oph-
thalmologen-Congress in Pisa 1890 (Centralblatt für praktische
Augenheilkunde XIV, S. 557): Zwei Fälle von diffusem
Lymphom der Conjunctiva.
Ein Bauer von 52 Jahren zeigte diese neue Form der
Conjunctivitis. Derselbe ist frei von Syphilis und jeder an-
deren constitutionellen Erkrankung (!?), seit zehn Jahren hat
er Lymphdrttsenschwellungen, seit zwei Jahren Schwellung der
Lider des rechten, seit zehn Monaten des linken Auges. Gegen-
wärtig sind die Lymphdrüsen am Hals, Kopf, Achseln, Leisten
vergrössert, es besteht Milztumor. Das Blut enthält weni-
ger rothe und mehr weisse Blutkörperchen als normal.
Die Augen können kaum etwas geöffnet werden, beim Umstül-
pen der Lider blutete die Conjunctiva leicht, die übrigens glatt
und blass und hauptsächlich in den Uebergangsfalten stark ver-
dickt ist. Kleine exstirpirte Stückchen zeigen reichliche Lymph-
zelleninfiltration, keine Spur von Amyloid. Unter Gebrauch
von Jodkalium bis 6,0 g täglich und starker Massage der Lider
auf untergelegtem Spatel trat Besserung ein.
Ein zweiter ähnlicher Fall bei einem marantischen alten
Manne.
Der Fall Chauvel erscheint bezüglich seiner Aetio-
logie am zweifelhaftesten. Die einseitige Ausbildung einer
colossalen Orbitalgeschwulst, längst bevor irgend welche
Veränderungen am Lymphapparat nachgewiesen wurden,
legt den Verdacht nahe, dass doch vielleicht eine primäre
bösartige Neubildung mit Metastasenbildung, und nicht eine
constitutionelle Anomalie vorlag, zumal alle Anzeichen für
eine solche fehlen. Der mikroskopische Befund von „Lymph-
kömern" in dem Orbitaltumor ist nicht beweisend, da
kleinzellige Sarkome von Lymphomen an der Art der Zellen
106 Th. Axenfeld.
allein oft nicht unterschieden werden können. Wenigstens
wage ich diesen Fall nicht in bestimmtem Sinne zu ver-
werthen. Bei dem Gay et' sehen bleibt es zweifelhaft, ob
es sich um eine ähnliche Affection wie bei Leber etc. oder
um primäre orbitale Lymphome handelt.
Sehen wir von den Mittheilungen von Becker- Arnold,
Reymond und Bernheimer zunächst ab, so bleiben ihrer
Aetiologie nach völlig klargestellt die Fälle von Gallasch,
Leber, Leber- Osterwald, Dolens und Guaita. In
ihnen wurde zweifellos Leukaemie festgestellt. Ich bin nun,
Dank der Freundlichkeit meines hochverehrten Chefs, Herrn
Professor Dr. Uhthoff, in der Lage, eine Beobachtung an-
zureihen, die vielerlei Aehnliches bietet, aber doch wohl in
mancher Hinsicht besonderes Interesse verdient.
KrankengeBOhiohte.
Ein Bruder des 62 Jabre alten, aas sonst gesunder Fa-
milie stammehden Oekonomen P. ist vor 28 Jahren an einer
Blutung gestorben, die im Verlauf einer lienalen Leukämie
sich einstellte (nach der Aussage des behandelnden Arztes,
Herrn Professors von Heusinger). Patient selbst ist wegen
„kleiner scrophulöser Lymphdrüsen am Halse^ militärfrei ge-
worden. Er erklärt mit Bestimmtheit, dass im Februar 1890,
wo er sich wegen beginnender Augenbeschwerden zum ersten
Male vorstellte, die Drflsen, Ober deren Grösse er sich zu orien-
tiren pflegte, gegen damals nicht vergrössert gewesen seien.
Bezüglich der Augensymptome berichtet er, dass vor 1 Monat
nach einem InfluenzaanfaJl, in den schon längere Zeit geschwol-
lenen Lidern sich kleine Knötchen gebildet hätten. Bei der ersten
Untersuchung fand Herr Geheimrath Schmidt-Rimpler, mein
früherer hochverehrter Chef, der mir die Benutzung seiner da-
mals gemachten Notizen freundlichst gestattet hat, in allen vier,
etwas verdickten Lidern kleine prominente subconjnnctivale
Knötchen, die alten Chalazien glichen. Eins derselben sass in
der Gegend der linken Thränendrüse. Exstirpation auf Wonsch
des ängstlichen Patienten, von der Coi^unctiva aus. Die Knöt-
chen liessen sich leicht ausschälen, ihre mikroskopische Unter-
suchung ergab Anhäufung kleiner Rundzellen in der Submu-
Zur Lymphombildang in der Orbita. 107
Gosa, in ihrer Umgebang kapselartig angeordnetes Bindegewebe.
Diagnose: Lymphom. Bereits bei der Entlassung, d. h. nach
drei Wochen fanden sich wieder neae kleine Tamoren an an-
deren Stellen. Nach zwei Monaten neue heftige Aagenbeschwer-
den, Beginn des Exophthalmus. Gleichzeitig Verstopfung der
Nase, Schlingbeschwerden, Trockenheit im Munde, starke Schwel-
lung der bis dahin erbsengrossen Halslymphome, Abnahme des
Allgemeinbefindens. Anamnestisch verdient noch Erwähnung,
dass im August 1890 Patient mit einer Wagendeichsel einen
heftigen Schlag in die linke Leistenbeuge bekam; in zwei Ta-
gen habe sich darauf ein grosser, anfangs schmerzhafter Kno-
ten gebildet, der nach Aufhören der entzündlichen Erschei-
nungen sich nicht wieder verkleinert habe. Wiederaufnahme
in die Klinik September 1890.
Stat praes.
Kleiner, kräftig gebauter Mann, nur massig gut genährt;
Hautfarbe mit Ausnahme des Gesichts gelblich blass. Knochen
normal geformt, nicht aufgetrieben oder schmerzhaft. Nerven-
system intakt, desgl. Gor und Tract respir. Arterienrohr
etwas starr und geschlängelt Blut normal nach Menge und
Form seiner Bestandtheile. Urogenitalapparat normal, im
TJrin nichts Pathologisches.
Die oberen seitlichen Halstheile sind stark rundlich ver-
dickt, während die Partieen oberhalb der Clavicula nicht ge-
schwollen sind. In der Submaxillargegend bis zum Ohre hinauf
und nach unten bis ca. zum unteren Rande des Larynx rei-
chend, die Mitte freilassend, beiderseits ein Packet dicker, sehr
harter, glatter Tumoren von rundlicher Form, verschieblich.
Praeauriculardrttse und Parotis ebenfalls hart verdickt, Schlä-
fengegend bds. flach buckeiförmig aufgetrieben. Die Geschwulst
scheint hier unter der Fascia temporalis zu liegen, ist nicht
deutlich auf Consistenz und Grenze palpabel, nicht deutlich
verschieblich. Occipitaldrfise und mehrei^e Drüsen in der Nacken-
haut ebenfalls derb verdickt. In der Wangenhaut oberhalb
der Mundwinkel zwei vertikal gerichtete bohnenförmige harte,
verschiebliche Tumoren fühlbar, aber nicht sichtbar.
Nasenrücken etwas eingesunken. Schleimhaut der Nase
von dem vorderen Ende der Conchien bis in den Nasenrachen-
raum hinein stark verdickt, roth, von harter Consistenz. Es
gelingt nichts durch die Nase zu athmen. Boden der Mund-
höhle, auch die Glandula subungualis verdickt, derb. Schleim-
108 Th. Axenfeld.
haut des harten and weichen Gaumens polsterartig, Tonsillen
geschwollen, hyperämisch, Pharynx ohne erhebliche Veränderung.
Die ganze Schleimhaut der Mund- Rachenhöhle ist auch an
Stellen, die nicht der Athmungslnft ausgesetzt sind, auffallend
trocken; die Zunge mit zahlreichen Schüppchen belegt. Dicht
unter der Wangenschleimhaut, doch nicht mit ihr verwachsen^
fühlt man bds. etwa in der Gegend des ersten Praemolarzahnes
ziemlich dünne, strangartig nach oben gehende harte Tumoren.
In der rechten Leistenbeuge sind mehrere massig grosse
Lymphome fühlbar. Links beginnt ca. 4 cm nach aussen vom
Gimbernat'schen Band eine vom Lig. Poupartii über 15 cm
nach unten reichende, fast kindskopf grosse, derbe, glatte an-
nähernd cylindrische Geschwulst von über 6 cm Durchmesser,
glatter Oberfläche, nur wenig verschieblich, theilweise wohl
wegen Adhäsionen am Lig. Poup., zum Theil auch, weil sie
mit tiefgelegenen, unter das Ligament reichenden Lymphtumo-
ren in ziemlich fester Verbindung steht, welch letztere in das
kleine Becken sich fortzusetzen scheinen.
Augen: Bds. geradeausgerichteter Exophthalmus mit all-
seitiger Einschränkung der activen und passiven Beweglichkeit,
paukenförmige Vortreibung der Lider, die nicht, wie sonst bei
Protrusion, weit geöffnet, sondern fast geschlossen und auffal-
lend unbeweglich sind. Dadurch erhält das Aussehen des Pa-
tienten etwas ganz Eigenartiges. In der cyanotischen Lidhaut
mehrere deutlich erweiterte Venen. Lider im ganzen geschwol-
len, von praller, aber elastischer Consistenz, nicht ödematös.
Vielmehr scheint die Verdickung, abgesehen von der durch den
Exophthalmus veranlassten Ausdehnung auf einer ziemlich dif-
fusen Infiltration zu beruhen, innerhalb deren sich mehrfache
circumscripte, harte, etwas verschiebliche Tumoren in wechselnder
Tiefe palpieren lassen. An einzelnen Stellen sind leichte Vor-
treibungen der Lidhaut auch sicBtbar. Die Schwellung ist am
stärksten am rechten Unterlid. Hier haben die Tumoren einen
eigenthümlich strangartigen Charakter, hängen zum Theil mit-
einander zusammen. Sie liegen meist nahe dem knöchernen
Orbitalrand und laufen diesem theils parallel, theils reichen sie
nach hinten über denselben hinaus. Bei tiefem Eindrücken,
das dem Patienten Schmerzen macht, hat man das Gefühl, als
ob weit hinten in der Orbita ebensolche Geschwülste lägen.
Ectropionirt man, so zeigt sich die Gonjunctiva im Allge-
meinen massig injicirt, etwas geschwollen. An sämmtlichen Li-
Zur Lymphombildiing in der Orbita. 109
dem sieht man die Narben früherer Operationen. Ausserdem
zeigt die Schleimhaut mehrere theils rundliche, theils unregel-
mässige Yortreibungen, die durch Knoten von wechselnder Con-
sistenz bedingt sind, welche oberflächlich liegen oder mehr iu
die Tiefe gehen.
Einige der Geschwülste sind unter der intakten Schleim-
haut verschieblich, bei der Bildung anderer dagegen scheint
sich die letztere selbst zu betheiligen. Wenigstens ist sie mit
ihnen verwachsen und zeigt ein durchscheinend grangelbliches,
glasiges, sehr eigenthümlich speckiges Aussehen, ist verdickt,
etwas höckrig, und hebt sich durch die Prominenz und helle
Färbung von der umgebenden hyperämischen Conjunctiva scharf
ab. Die ganze linke obere Uebergangsfalte ist in dieser Weise
verändert, ähnlich einem colossalen sulzigen Trachomwulst,
ebenso ein Theil der analogen Stelle rechts, sowie kleinere
inselartigo Parthieen der Tarsalschleimhaut der Unterlider.
Nirgends jedoch ist das Epithel ulcerirt. Die Grösse der von
der Schleimhaut aus bemerkbaren Geschwülste schwankt zwi-
schen Linsen- und Haselnussgrösse; in der Gegend des inneren
Lidwinkels ragen sie zwischen die Lidspalte vor, die zwar ganz
geschlossen, aber nur mühsam und unvollkommen geöffnet wer-
den kann.
Die grösste Geschwulst sitzt links unter der äusseren
Hälfte des Orbitaldaches in der Gegend der Thränendrüse, am
besten von der Lidhaut aus palpabel, anscheinend weit in die
Orbita hineinreichend, etwas verschieblich.
Bulbi normal. Bds. H in 1,0, r. S = */i„ 1. S = «/jg.
Diagnose: Pseudoleukämie (Malignes Lymphom,
Hodgkin'sche Krankheit, Ad^nie.)
Da bei dieser die Operation nicht wie bei Leukämie con-
traindicirt war, wurde ex indicatione symptomatica die Exstir-
pation der grössten Geschwülste mit Schonung der Bulbi vor-
genommen. Auch von der linken Thränendrüse brauchte nur
ein kleines Stück entfernt zu werden. Die Tumoren Hessen
sich leicht ausschälen, zeigten ziemlich derb elastische Consis-
tenz; frisch durchschnitten erschien einer von ihnen graugelb-
lich, etwas durchscheinend, an einigen Stellen mehr gallertig.
Kein Gewebssaft.
Zupfpräparat: Massenhafte einkernige kleine Rundzellen,
eingelagert in ein grossalveoläres, ziemlich stark fasriges Binde-
gewebe. Kein deutlich reticnläres Stroma. Umgebendes Binde-
110 Th. Axenfeld.
gewebe kapselartig angeordnet, von Randzellen durchsetzt, zum
Theil hämorrhagisch.
Die Mehrzahl der Tumoren wurden in Mttller'sche Fltts-
sigkeit, die speckige Uebergangsfalte in Flemming'sche Lösung
gelegt
Glatte Heilung mit symptomatisch gutem Erfolg. Nach acht
Tagen wurde mit Darreichung von Sol. Fowl. begonnen, drei-
mal tägl. zwei Tropfen bis dreimal tägl. zehn Tropfen ansteigend.
Eine controllirende Untersuchung der Nasen-Mund-Rachen-
höhle, die Herr Prof. Barth vorzunehmen die Freundlichkeit
hatte, ergab:
„In beiden Nasengängen starke sehr derbe Schwellung der
gesammten Schleimhaut und Hyperämie. Die Schleimhaut des
harten Gaumens ist zu beiden Seiten wie ein Kissen gewulstet,
so dass die Mittellinie eine Rinne bildet. Die gleiche Ver-
dickung und massige Hyperämie findet sich am weichen Gau-
men (auch hier die Mittellinie weniger betheiligt). Geringe
Schwellung der Uvula. Stimmbänder auch geröthet und ver-
dickt, machen aber die respiratorischen und phonatorischon
Bewegungen ziemlich gut mit.
Wahrscheinlichkeitsdiagnose (bei alleiniger Berücksichti-
gung dieser Symptome): Rhinosclerom.
20. Octbr. Neben der Excisionsnarbe beginnt sich an der
linken oberen Uebergangsfalte die Schleimhaut in der beschrie-
benen speckigen Weise zu verändern.
(Aus dieser Zeit stammen die beiden, übrigens nicht re-
touchirten Photographieen Figg. I und II, die trotz Entfernung
der grössten Geschwülste auch an den Augen die Verhältnisse
noch gut erkennen lassen.)
23. Octbr.* Entlassen. Patient soll täglich dreimal acht
Tropfen nehmen von Sol. Fowl., Aq. amygd. aa.
10. Novbr. Ueberall auffallende BesseruDg, Rückgang der
Tumoren, die kleiner, aber nicht wesentlich weicher sind. Lider
weniger gespannt, Beweglichkeit der Bulbi ausgiebiger. Patient
vermag durch die Nase etwas Luft einzuziehen, Allgemein-
befinden besser.
17. December. Erhebliche Rückbildung der Tumoren und
diffusen Schwellung allerwärts, so dass wieder annähernd nor-
male Configuration besteht. Kein Exophthalmus mehr. In den
Lidern Reste der Tumoren, am rechten Unterlid noch jetzt
eigenthümlich strangartig. Bds. E, S=%. Milz und Leber
nicht vergrössert.
Zur Lymphombüdang in der Orbita. 111
Blntantersuchung: Weisse Blutkörperchen gegen das
letzte Mal ein wenig, aber nicht entfernt lenkämisch vermehrt.
Sie zeigen im Allgemeinen mittlere Grösse, mehrfachen Kern,
sind zam Theil in Zerfall begriffen, defect. Das Trockenprä-
parat (Eosin-Hämatoxylin) zeigt, dass es sich am geringe Yer-
mehrnng hauptsächlich der mittelgrossen polynnclearen Zellen
handelt; anter ihnen vereinzelte eosinophile, Lymphocyten und
andere einkernige weisse Blutkörperchen sind sehr spärlich.
Von einer Degeneration ist hier nichts deutliches zu erkennen.
29. Jan. 1891. Patient hat in den letzten drei Wochen
eigenmächtig das Arsen ausgesetzt, nur ab und zu ein paar
Tropfen genommen.
Objectiv: Deutliche Zunahme der Tumoren, fast überall,
besonders am rechten Unterlid und am Halse.
Bds. 8 = ^/9 Mayerhausensche Zahlen. Ophthalmoskop,
nihil, Beweglichkeit der Bulbi wieder etwas mehr behindert.
An den übrigen Organen keine Veränderung. Urin normal.
Blut: Trockenpräparat (Eosin Hämatoxylin): Ausser
geringen Grössendifferenzen der r. Bl. nichts Abnormes. W. BL
nicht vermehrt, weniger zahlreich als am 17. Dezember.
Frisches Präparat:
Weisse Blutkörperchen nicht vermehrt, normal; rothe Bl.
im Allgemeinen normal, doch nicht selten kleinere, Vi — Va ^^
gross wie die übrigen, von meist runden Contouren, einige un-
regelmässig, ganz selten kappenförmig. Ausserdem zahlreiche
Blutplättchen. Zwischen diesen normalen Blutelementen zeigen
sich, allerdings nur mühsam bei starker Yergrösserung sichtbar
und deshalb vielleicht bei den früheren Blutuntersuchungen nicht
bemerkt, einzelne kleinste, intensiv glänzende Partikel von leb-
hafter Bewegung. Die Bewegung ist eigenthümlich zitternd, oscil-
lirend, ihre Geschwindigkeit ungefähr so, dass sie bei Ocular I
und Objectiv VlI in fünf Minuten das halbe Gesichtsfeld durch-
eilen. £ine stärkere Strömung ist im Präparat nicht vorhan-
den, alle übrigen Gebilde liegen völlig ruhig. (Auch bei Unter-
suchung im hängenden Tropfen blieb die Bewegung unverändert.)
Die Bewegung ist in der Kichtung ganz wechselnd. Bald um-
kreisen sie langsam ein rothes Blutkörperchen, sich von ihm
ab und zu entfernend, dann wieder so dicht herantretend, dass
das Blutkörperchen selbst in Bewegung geräth; bald gehen sie
geradlinig, ohne sich an die festen Elemente zu kehren, bald
gehen sie in Zickzacklinie zwischen ihnen her, stets aber be-
112 Th. Axenfeld.
hält die Bewegung den eigenthümlich seitlich vibrirenden Cha-
rakter. An einer anderen Stelle erscheint ein biscuitartiges
Gebilde, etwa wie zwei Hefepilze oder ein grosser Diplokokkus
aussehend; dasselbe scheint aus zwei aneinanderliegenden Klümp-
chen zu bestehen, seine Bewegung erfolgt in der Richtung der
Längsaxe, nur ab und zu etwas schräg, mitunter rückwärts.
^/4 Stunde nach der Entnahme des Bluttropfens werden seine
Bewegungen lebhafter, die Contouren erscheinen nicht mehr so
glatt, die Anordnung der beiden Theile nicht mehr ganz gerad-
linig, sondern kommaartig. Plötzlich, ziemlich weit entfernt
von einem rothen Blutkörperchen, sistirt seine scheinbar actiye
Bewegung, dann fährt es, wie passiv angezogen, schnell und
auf dem kürzesten Wege mit der breiten Seite auf das rothe
Blutkörperchen zu, bleibt ca. 10 Secunden ruhig dicht an dem-
selben liegen, dann beginnen, aber erheblich heftiger, lebhafter
die Eigenbewegungen von neuem, während die rothen Blutkör-
perchen bereits beginnenden Zerfall zeigen. Leider wurde das
Gebilde aus dem Gesichtsfeld verloren.
An einer anderen Stelle findet sich ein ebensolches; die
beiden Theile bilden zusammen eine leicht gebogene Linie;
die Biegung wechselt oft dem Grade nach, bei Vorwärtsbewe-
gungen, die schneller aber sonst ebenso wie die oben beschrie-
benen erfolgen, tritt häufig eine stark winklige Knickung an
der Verbindungsstelle ein, die Bewegung erhält dadurch etwas
schlangenartiges. Noch mehrere ähnliche Gebilde, theils ein-
fach, theils doppelt, in der Grösse ein wenig verschieden, fan-
den sich, unter ihnen ein grösseres und ein kleineres, anschei-
nend ganz getrennt und um den Durchmesser eines rothen
Blutkörperchens von einander entfernt, die trotz deutlicher
oscillirender Eigenbewegungen stets dieselbe Richtung und un-
gefähr auch die Entfernung beibehielten; sie schienen offenbar
wie durch ein Gummiband verbunden, doch gelang es nicht,
von dem vermutheten Bindeglied etwas Deutliches zu sehen.
Die noch eine halbe Stunde lang fortgesetzte Beobachtung
Hess noch mehrere gleichartige Gebilde entdecken, unter ihnen
vier ypsilonförmig aneinander liegende; feinere Details waren
auch bei der stärksten Vergrösserung an den winzigen Theil-
chen nicht zu erkennen. Mit dem völligen Zerfall der rothen
Blutkörperchen wurden sie ganz undeutlich. Im Ganzen habe
ich damals ihrer 13 gesehen. Bei einer am 4. Februar 1891
in Gegenwart von Herrn Professor Marchand angestellten
nochmaligen Untersuchung fanden sich die beschriebenen Par-
Zar Lymphombildang in der Orbita. 113
tikelchen ansserordentlich massenhaft; am Abend desselben Tar
ges, als Patient im hiesigen ärztlichen Verein vorgestellt wurde,
konnte nach langem Snchen nur ein einziges aufgefunden und
demonstrirt werden. Im Trockenpräparat haben die Gebilde
sich nicht deutlich darstellen lassen. Bei Erwärmung auf 50^
stellen sie ihre Bewegung nicht ein, werden im Gegentheil
lebhafter. Treibt man die Erwärmung noch höher, so sind
sie von den Zeffallsprodukten der rothen Blutkörper-
chen nicht zu unterscheiden.
Auf der Kückreise nach Hause bekam Fat. eine „acute
Nierenentzündung^^ die ihn längere Zeit ans Bett fesselte und
mit dem Arsen nicht zusammenhängen kann, da er seit drei
Wochen keines mehr genommen hatte. Er stellte sich erst am
8. Juni wieder vor wegen colossaler Vergrösserung aller Ge-
schwülste.
Neue waren nicht hinzugetreten, speciell die Milz unver-
ändert." Die rechte Augenspalte ist ganz, die linke beinahe
geschlossen. Mächtige Verdickung der Lider. In der beson-
ders über dem harten Gaumen enorm verdickten, ganz trocke-
nen Mundschleimhaut einige eingetrocknete Ulcerationen. Blut:
unverändert, enthält in massiger Menge die oben beschriebenen
Gebilde. Urin: hochgestellt etwas trübe, sauer, spec. Gewicht
1018; massige Mengen Albumen; mit Tromm er 'scher Probe
Andeutung einer Keduction, kein Aceton. Sediment: Einzelne
kurze hyaline, zum Theil mit Fetttröpfchen besetzte Cylinder;
beträchtliche Zahl von einkernigen kleinen Kundzellen (wohl
diffuses Lymphom der Niere). Patient nahm jetzt die Arsen-
medication' wieder auf.
10. Aug. Deutlicher, wenngleich nicht sehr bedeutender
Rückgang der Tumoren.
Seitdem ist der Zustand mit geringen Aenderungen un-
verändert geblieben; ein wesentlicher Fortschritt der Krankheit
ist noch nicht eingetreten. Am 5. Septbr. Herpes zoster im
vierten linken Intercostalraum ohne nachweisbare Ursache. Das
Blut zeigt nach wie vor keine Leukocytose, dagegen in wech-
selnder Menge die kleinen Gebilde.
Histologische Untersuchung.
Die in Müller'scher Flüssigkeit eingelegten Tumoren wur-
den nach Härtung mit Alkohol in Celloidin eingebettet.
Die nach Ziehl-Nelsen angestellte Untersuchung auf
T. Qnefe'8 Archiv fDr Ophthalmologie. XXXVn. 4. 8
114 Th. Axenfeld.
Tuberkelbacillen, wie solche Waetzold^) gefunden hat, ebenso
die auf andere Mikroorganismen vermittelst der Gramm'schen
und der Lö ff 1er 'sehen Methode, welche an zahlreichen Schnit-
ten aus verschiedenen Theilen der Tumoren vorgenommen
wurde, fiel negativ aus.
Die in ungefärbtem und gefärbtem Zustande untersuchten
Schnitte ergaben allenthalben kleine, dichtgedrängte Rundzellen
mit grossem, intensiv sich färbenden Kern und deutlichen Eem-
körperchen. Grössere mehrkemige und Riesenzellen (Lang-
hans'), Ribbert^) fanden sich gar nicht, ebensowenig die oft
beim malignen Lymphom im Gegensatz zur Leukämie beschrie-
benen spindelförmigen Zellen. Nirgends Verfettung, Yerkäsung
oder amyloide Degeneration, dagegen in und neben den Tu-
moren zahlreiche frische und alte Hämorrhagien, kömiges Blut-
pigment, auch einzelne Hämatoidinkrystalle. Das Pigment liegt
zum Theil in den Zellen, besonders den im Bereich der Neu-
bildung gelegenen Drüsenzellen.
Das Stroma der Tumoren ist sehr wechselnd an Mächtig-
keit und Form. Ein Theil von ihnen besteht eigentlich nur
aus Zellen, ist sehr gefilssarm, die Gefässe sehr dünnwandig.
In anderen Tumoren und auch an verschiedenen Stellen ein
und derselben Geschwulst sind wieder stärkere Faserzüge, meist
strangartig mit normalwandigen Geissen, an anderen Stellen
besteht ein fast alveoläres Stroma, wieder an anderen ist die
Zeichnung des Fettgewebes noch deutlich^). Eigentlich reticu-
läres Bindegewebe ist nur äusserst spärlich vorhanden, es
scheint sich vielmehr um eine atypische Zelleninfiltration der
verschiedenen Gewebe zu handeln. Es sind daher auch alle
Schichten der Conjunctiva und des Orbitalgewebes Sitz der
Neubildungen, nur das eigentliche Epithel zeigt abgesehen von
der excidirten Uebergangsfalte ganz normales Verhalten. Die
Mehrzahl der excidirten Stücke liegen in der Submucosa, zwei
kleinere Geschwülste und die grösste dicht an der Thränen-
drüse. Das Gewebe der letzteren zeigt sich bei den beiden
kleineren Tumoren in der Weise afficirt, dass in dem einen
Fall ein ganzes Läppchen, sonst normal, von allen Seiten durch
dichtgedrängte Zellen eingeschlossen ist, in dem anderen da-
') Novemberheft des Gentralblattes für klinische Medicin 1890.
«) Virchow's Archiv 54, S. 509. 1872.
•) Virchow's Archiv 102, S. 452. 1885.
*) 8. u. den Fall von 0x1 ey.
Zur Lymphombildang in der Orbita. 115
gegen das interacinöse Gewebe selbst dicht infiltrirt erscheint^;.
Die Acini sind hier theils zusammengedrückt, erscheinen klei-
ner, theils auseinander gezogen, schlanchförmig, die Drüsen-
zellen abgeflacht. Auch hier sind die letzteren vielfach mit
kömigem Pigment dicht besetzt, zeigen aber sonst keine we-
sentliche Veränderung, wenn man nicht in dem geschilderten
Verhalten den Beginn einer Compressionsatrophie sehen will.
Der grosse Tumor zeigt sich nirgends mit der Thränendrüse
verbunden; er unterscheidet sich von den übrigen Neubildungen
dadurch, dass er eine Anzahl rundlicher, sehr dichter, ziem-
lich concentrischer Zellanhäufungen erkennen lässt, die durch
ihre Aehnlichkeit mit Follikeln dem Ganzen mehr das Aus-
sehen eines Lymphadenoms verleihen.
Die Begrenzung der Tumoren ist durch kapselartige An-
ordnung des umgebenden Gewebes meist glatt, rundlich, an
einigen Stellen dagegen nicht scharf.
Die excidirte Uebergangsfalte (vgl. Fig. III, mit Abb^-
schem Zeichenapparat angefertigt) zeigt bezüglich der eigent-
lichen Geschwulstmasse nichts Besonderes. Doch geht letztere
ohne scharfe Grenze und nur durch die Zellart differenzirbar in
das Epithel über. Dasselbe zeigt keine wesentliche Vermehrung
seiner Schichten und nur wenige Eerntheilungsfiguren, ist aber,
wie dasjenige einer katarrhalischen Schleimhaut reichlich mit
Wanderzellen durchsetzt, die den Geschwulstzellen gleichen,
aber nach der Oberfläche hin meist mehrkemig werden. Ausser-
dem erscheinen die Epithelzellen, abgesehen von etwas unregel-
mässiger Form wohl infolge von Compression durch die Ge-
schwulst, in grösserer Zahl eigenthümlich gequollen, um das
zwei- bis dreifache vergrös'sert, rundlich oder oval, in unge-
färbtem Zustand stark lichtbrechend. In einem Theil dieser
kugligen Gebilde erscheint der Kern, noch deutlich tingirbar,
zu einem schmalen Saum an die Wand gedrängt, andere zeigen
keinen Kern mehr, in wieder anderen liegen ein oder auch
mehrere Rundzellen. Die beschriebenen Zellen liegen nicht
nur, wie gewöhnliche Becherzelleu an der Oberfläche, sondern
sogar am zahlreichsten in der Basalschicht, ihr Inhalt färbt
sich intensiv, besonders mit Hämatoxylin und Methylenblau.
Es handelt sich demnach um ein diffuses Lymphom des
') Vergl. Berlin, Lymphosarcom : Zchender*8 Monatsbl. XVI,
Gallasch (s. o.)
s*
116 Th. Axenfeld.
adenoiden Gewebes der Mucosa mit colloider oder
hyaliner Degeneration des Epithels (Recklinghausen,
Deutsche Chir. 2. u. 3. Lief.). Letztere erklärt auch das eigen-
artig glasige Aussehen.
Es sei noch erwähnt, dass in dem die eigentlichen Ge-
schwülste umgebenden freien Gewebe, besonders der Submucosa,
sich neben ganz unregelmässigen Zellanhäufungen vielfach be-
ginnende strangartige, reihenweise Ansammlung von Lymph-
zellen fanden, wohl entlang den Lymphspalten ziehend. Sie
stellen vermnthlich den Beginn der eigenthümlichen strangarti-
gen Verdickungen (vergl. Krankengeschichte) dar. Ausserdem
aber fanden sich in verschiedenster Abstufung beginnende Zellan-
häufungen auch im Anschluss an Blutgefässe. Letztere zeigten
an solchen Stellen ein normal weites bluthaltiges Lumen, in
dessem Innern die weissen kernhaltigen Elemente vermehrt
waren und dessen Wandung und nächste Umgebung mit sol-
chen, und zwar überall einkernigen Zellen dicht besetzt war
(vergl. Figur III). Eine Verbreitung etwa entlang den Ge-
lassen, lymphscheidenartig (wie sie z.B. Birch-Hirschfeld^)
in Milz und Leber beschreibt, so dass eigenthfimlich verzweigte
Figuren entstehen) ist nicht nachzuweisen. Die Zellen sitzen
vielmehr ganz circumscript an verschiedenen Stellen.
Der beschriebene Fall reiht sich anatomisch den oben
referirten Beobachtungen an, er ist nur, wie es scheint, der
erste publicirte Beweis dafür, dass auch die Pseudoleukä-
mie zu derartigen Augenveränderungen führen kann. Wenig-
stens ist es mir nicht gelungen, unter den bereits nach
vielen Hunderten zählenden Verö£fentlichungen über das ma-
ligne Lymphom eine analoge Mittheilung zu finden. Auch in
den darüber handelnden Monographieen geschieht einer Be-
theiligung des Orbitalinhaltes nirgends Erwähnung. Doch
findet sich bei Knies') die Angabe, dass die Retina in
einigen Fällen ähnliche Veränderungen wie bei Leukämie
geboten. Ich habe nichts Näheres darüber ermittebi kön-
nen; Apoplexien und Retinitis würden übrigens bei der
') Eulenburg*8 Encyclopädie 1876, Abtheilong „Lymphom*'.
') Eulenburg *8 Encyclopädie 1886, Abth. „Pseudoleukämie*'.
Zur Lymphombildung Iq der Orbita. 117
schliesslich eintretenden Anämie und der häufigen Bethei-
ligung der Nieren nichts Ungewöhnliches sein.
Dem Herrn Collegen von Büngener, Privatdocenten
der Chirurgie in Marburg, verdanke ich die Kenntniss dreier
Fälle, bei deren zwei es sich zweifellos um Pseudoleukämie
handelte, und die, allerdings in anderer Weise, die Orbita
betheiligten. Ich lasse ein kurzes Referat folgen.
Oxley, M. G. B. „Gase of lymphadenoma in a boy aged
six years, affecting the kidneys, liver, längs and brain." Brit.
med. Joum. March 4. 187.
Sechsjäbriger Knabe. Ausser den Allgemeinsymptomen
rechtsseitiger Exophthalmus, welcher 1^/, Jahr nach Be-
ginn der Krankheit entstand, nachdem schon vorher Abnahme des
Visus und Mydriasis beobachtet war. Nach vorübergehender
Besserung trat bald Amaurose und Chemosis der Conjunctiva
bulbi ein, so dass letztere zwischen den Lidern hervorragte.
Sechs Tage nach Eintritt der Amaurose exitus letalis. Die
Augenerscheinungen verliefen sehr rapide. Die Autopsie ergab
ausser einer ausgedehnten subperiostalen Blutung über dem
rechten Frontalbein am ganzen Gehirn und der Basis cere-
bri in der Arachnoidea miliare und grössere Lymph-
tnmoren. Vom am rechten Felsenbein und der Orbita war
der Knochen erweicht, Hess sich mit dem Messer schneiden.
Unter dem so perforirten Dach fand sich itn der Au-
genhöhle eine weiche weisse Masse, die das Auge
vorwärts drückte und mit den intracraniellen Ge-
schwülsten in Verbindung stand. Der Nervus opticus ging
mitten durch die Geschwulst. Mikroskopischer Befund: „runde
Zellen, grosse runde sich stark färbende Kerne, die ganze Zelle
füllend.'' (Eine beigegebene Abbildung von einem Schnitt durch
den retrobulbären Tumor lässt deutlich die Zeichnung des orbi-
talen Fettgewebes erkennen.)
Powell, K. D. „Lymphosarcoma or lymphadenoma of the
anterior mediastinum.'' Transact of the pathol. Soc. XXI.
20 Jahre alter Graveur. Ausgedehnte lymphatische Neu-
bildung im vorderen Mediastinum mit Betheiligung der Hals-
drüsen, der Lunge und Pleura. In der letzten Zeit ante exi-
tum ausser den übrigen Erscheinungen Hervortreten beider
Augäpfel bei weitgeöffneten Lidern. Autopsie: Grosser fast
das ganze vordere Mittelfell einnehmender Tumor von derber,
118 Th. Axenfeld.
granweiBser Beschaffenheit. Halsdrfisen heiderseits vergrössert
und in der linken Lunge and Pleura secundäre Knötchen.
(Die Section des Cranium und der Orbitae wurde nicht gemacht)
Mikroskopischer Befund: zahlreiche lymphatische Elemente in
deutlich reticulärem Stroma mit 1 oder 2 Kernen. (Die Natur
dieses Falles ist nicht ganz sicher; es kann sich auch um einen
malignen Mediastinaltumor gehandelt haben.)
Tomasi-Crudeli, Corrado. Sopra un caso di linfoma
periostale diffuse, senza leucaemia. Mit zwei Tafeln. Estratto
del Giornale la Kivista clinica, aprile.
(Jahresbücher von Virchow-Hirsch 1871, I, S. 178.)
„Ein 19jähriger durch Onanie heruntergekommener Bursche
bot die Erscheinungen von Hydro -Olligaemie mit intra- und
pericraniellem Oedem ohne Vermehrung der weissen Blutkör-
perchen. Eine leichte Yergrösserung der Milz Hess sich auf
eine vor einigen Monaten durchgemachte Intermittens zurück-
führen.
Die Obduction ergab Abmagerung, sehr blasse Haut, Oedem
der Gesichts- und Kopfhaut, Penis klein, Praeputium verlän-
gert. Die ganze Oberfläche des Craniums ist in ein gleich-
massig grauweisses, weiches Gewebe verwandelt, welches alle
Schichten unter dem Panniculus adiposus, also auch die Mus-
keln bis auf die Knochen einnimmt. Die Dicke dieser Schicht
ist verschieden. Die äussere compacte Schicht der Schädel-
knochen fehlt, die Markräume der DipIo6 sind erweitert und
von röthlichen Fortsätzen der periostalen Wucherung ausge-
füllt. Aehnlich verhält sich die Innenfläche des Schädels, in-
dem von der Dura mater flache, grauröthliche Vegetationen
in die Diploe eindringen. Der Schwund des Knochens ist am
schönsten am unteren Theil der Frontoparietalnaht, wo die
Vegetationen der Dura mater und des Pericraniums ein Con-
tinuum bilden. Ebensolche Vegetationen finden sich auf der
äusseren Seite der Dura mater der Basis cranii, setzen sich
durch die Fissura orbitalis superior in die Augen-
höhlen fort, welche dadurch erheblich verengert sind.''
Aehnliche Veränderungen fanden sich an fast sämmüichen
anderen Knochen und Gelenken neben ausgedehnter Lymph-
drüsenhyperplasie. Die mikroskopische Untersuchung bestätigte
die Diagnose des malignen Lymphoms.
In allen drei Fällen handelt es sich um ein Hinein-
wuchern von Geschwulstmassen in die Augenhöhle aus dem
Zur Lymphombildang in der Orbita. 119
Cavurn cranii; es bleibt demnach» soweit mir bekannt, unser
Fall, bei dem in allen Theilen der Orbita selbst und in
den Lidern, wie es scheint, im Beginn der Krankheit sich
massenhafte Tumoren pseudoleukämischer Art bildeten, bis
jetzt einzigartig, wenn man wenigstens die Auffassung theilt,
dass die Leukämie und das maligne Lymphom scharf zu
unterscheidende Krankheiten sind, was bekanntlich vielfach
bestritten wird ^). Vielleicht ist es angebracht, darauf hin-
zuweisen, dass abgesehen von den sonst angegebenen klini-
schen und anatomischen Differenzen auch therapeutisch sich
beide Affectionen unterscheiden. Ich habe in der einschlä-
gigen Literatur, soweit sie mir zur Verfügung stand, nir-
gends eine Angabe gefunden, dass Arsenik auf Leukämie
einen wesentlichen Einfluss ausgeübt hätte, obwohl seine
Anwendung in den Lehrbüchern wenigstens versuchsweise
empfohlen wird. Freilich ist das Ausbleiben einer deut-
lichen Arsenikwirkung, wie dies ja auch bei Pseudoleukä-
mie oft geschieht, nicht di£ferentiell diagnostisch zu ver-
werthen.
Es ist allerdings sehr auffallend, dass der Bruder un-
seres Patienten seiner Zeit an wirklicher Leukämie zu
Grunde ging. Doch wage ich weder hieraus, noch, wie dies
sonst geschehen, aus der scrophulösen Anlage des Patienten
einen Schluss zu ziehen. Die Ansichten über die Ursache
der Pseudoleukämie sind ja noch sehr getheilt, und es
scheint bei Durchmusterung der Literatur, spec. grösserer
statistischer Tabellen*) allerdings, als ob sie noch völlig
dunkel sei. Dies wird auch von zahlreichen Autoren direct
^) Vgl. Knies und Birch-Hirschfeld in Eulenburg, letzterer
auch in Gerhardts Kinderkrankheiten, Art. Pseudoleuk&mie 1883,
Mosler im Ziemssen'schen Handbuch 1883, Virchow, GeschwOlBte
II, S. 508, StrQmpell, Lehrbuch 1887, Billroth, Allg. Chirurgie
1887 u. a.
*) z.B. Gowers, Artikel „Hodgkin*8 Disease in Reynold*8 Syst.
of Med. y, S. 306.
120 Th. Axenfeld.
behauptet. Speciell von der Scrophulose sagt Billroth ^)
mit seiner grossen Erfahrung, dass sie nicht disponire.
Bemerkenswerth scheint dagegen die bestimmte Angabe des
Patienten, dass der grosse Tumor in der linken Leisten-
beuge sich an ein Trauma angeschlossen hat. Es ist eine
solche Entwickelung nicht ganz ohne Analogen. Von Wilks,
Morax, Mosler, Ponfick*) sind Fälle beschrieben, in
denen nach einer sehr heftigen Contusion der Milzgegend
sich in kürzester Zeit grosse Milzkuchen bildeten, zu denen
sich bald die übrigen Symptome lienaler Leukämie gesell-
ten, Mursick^) giebt sogar an, dass nach Läsion grosser
Knochen, z. B. einer Amputation medulläre Leukämie auf-
trat. Analog könnte ja auch Contusion einer Lymphdrüse
wirken, insbesondere wenn, wie viele anzunehmen geneigt
sind, es sich bei der Pseudoleukämie und Leukämie um
Infectionskrankheiten handelt. Ist es doch allbekannt, dass
durch ein Trauma eines Gelenkes ein Locus minoris resis-
tentiae für Tuberkulose gesetzt wird.
Gewiss kommen dem malignen Lymphom mehr oder
weniger alle Eigenschaften bösartiger Geschwülste zu. Und
doch passt vieles nicht zu einer Geschwulst im gewöhn-
lichen Sinne des Wortes. Ohne die für die Infectiosität
der Ps. angeführten Ansichten zu referiren, möchte ich nur
darauf hinweisen, dass auch Bilder, wie die im subconjunc-
tivalen Gewebe gesehenen in derselben eine geeignete Er-
klärung fänden. Es unterscheidet sich der Vorgang (vgl.
Figur III) histologisch durch nichts von einer chronischen,
nicht zur Eiterung führenden Entzündung. Im Innern, der
Wandung und nächsten Umgebung eines Gefässes Anhäu-
fung einkerniger Rundzellen, ohne dass sonst eine Vermeh-
rung derselben im Blute nachweisbar ist, das imponirt nicht
als Geschwulstmetastase, sondern eher als die Folge einer
') Lehrbach 1886.
') nach Knies, Pseadoleukämie im Eolenburg.
*) New- York Med. Rec. 2, 1868, March.
Zur Lymphombildttog in der Orbita. 121
^Gefassalteration'^ Dass es sich nicht etwa um eine reac-
üve Entzündong in der Umgebung des Tumors, durch des-
sen Wachsthum hervorgerufen, handelt, geht aus dem regel-
losen Sitz der beschriebenen Stellen und dem ganz norma-
len Verhalten des sonstigen benachbarten Gewebes hervor.
Vielmehr dürften sie als Anfangsstadium neuer Tumoren
erscheinen und sind geeignet, die vielfach behauptete Aus-
wanderung pseudoleukämischer Geschwulstzellen zu illus-
triren, wie sie z. B. auch von Birch-Hirschfeld^) für
sogen. Lymphommetastasen beschrieben wird. Ein zwin-
gender Beweis für die schon oft vermuthete Infectiosität
der Ps. ist bisher allerdings nicht erbracht.
Auch in unserm Fall haben sich Mikroorganismen we-
der durch die Färbemethoden noch durch den Agar-Cultur-
versuch nachweisen lassen, welch letzterer mit einem steril
entnommenen Geschwulsttheil vorgenommen wurde und
aerob wie anaerob völlig negativ ausfiel Es liegt auch
keine Berechtigung vor, den Befund im frischen Blut so
2u deuten. Freilich erinnern die Partikelchen sehr an die
von Klebs') bei Scorbut und fieberhaften Anaemien be-
schriebenen Flagellaten, auf welche auch Osterwald^)
bereits verweist. Aehnliches ist von Frankenhäuser^)
bei essentieller Anaemie, von Marchand ^) während eines
Intermittensanfalles beobachtet. Doch macht letzterer Au-
tor bereits auf die Aehnlichkeit mit Zerfallsprodukten auf-
merksam. Obwohl die von uns gesehenen Gebilde nicht,
wie die Klebs' sehen, bei 45^ ihre Bewegung einstellten,
stimmen sie dem Ausseben, der Art und der Schnelligkeit
ihrer Bewegung mit jenen genau überein und der Umstand,
dass mit Hülfe unserer jetzigen Untersuchungsmethoden
') Artikel Lymphom Im Eulenburg.
*) Artikel ,,Flagellaten'' im Eulenburg.
•) 1. c.
^) Centralblatt der medic. Wissensch. Wien 1884.
*) Virchow's Archiv Bd. 88, S. 104.
122 Th. Axenfeld.
sich nichts von ihnen nachweisen liess, könnte nicht yöllig.
beweisen, da die biologischen Bedingungen der Flagellaten
auch dem Botaniker und Zoologen noch vielfach unbekannt
sind; selbst ihre systematische Stellung ist noch nicht sicher
bestimmt. Trotzdem ist die Auffassung der fraglichen Ge-
bilde als Infectionserreger unstatthaft. Es gelingt, in je-
dem normalen frischen Blutpräparat durch Erhitzen auf
circa 60^ Zerfallsprodukte zu scha£fen, die sich von den
beschriebenen durch nichts dem Ansehen nach unter-
scheiden, und deren lebhafte Bewegung man ohne Wei-
teres nie für rein passiv, durch Molekularströmung, Wärme
u. s. w. bedingt halten würde. Bedenkt man femer, dass
bei ganz verschiedenen Krankheiten diese Gebilde beobach-
tet wurden (ich selbst habe sie bald darauf bei einer
lienalen Leukämie gesehen), ohne dass wir bis jetzt Unter-
schiede bestimmter Art feststellen können, so erscheint ihre
specifische Natur vorläufig unerwiesen. Aber auch ange-
nommen, es handle sich um Zerfallsprodukte, so würde ihr
Nachweis intra vitam und bei gewöhnlicher Temperatur
immerhin von Interesse sein. Es sei noch erwähnt, dass
die beobachteten Gebilde mit den eigentlichen Plasmodien,
der Malaria keine Aehnlichkeit haben.
Die eigenartige sclerotische Veränderung der Mund-,
Rachen-, Nasenhöhlenschleimhaut ist wohl auch als eine
difiuse Lymphombildung, freilich submucoeser Art aufzu-
fassen. Diese diffuse Lymphombildung wird von Olli vier
und Ran vier ^) für Niere und Leber genauer beschrieben,
von Guaita') für die Mucosa de» Conjunctiva. Hier hat
sie mit einer flächenhaft sulzigen Trachomeinlagerung ent-
schiedene Aehnlichkeit. Immerhin bleibt das difiFuse Lym-
phom der Schleimhäute sehr selten, und ist nicht zu ver-
wechseln mit der Beobachtung, dass in solchen, z. B. den
>) Observations poor servir ä rhistoire de la leucocythaemie.
Soc. de biol. 1886.
«) 1. c.
Zur Lymphombildnog in der Orbita. 123
Hamwegen^) der Magenschleimhaut etc. zahlreiche miliare
Knötchen sich bilden, die confioiren können.
Die von Mosler') als Pharyngitis leucaemica beschrie-
bene Mundafifection hat mit dem diffusen Lymphom gar
keine Aehnlichkeit, sondern gleicht mehr dem Scorbut
Von Frankreich aus sollen, wie Knies mittheilt, einige
Fälle You Ps. mitgetheilt sein, in denen die Exstirpation
der zuerst erkrankten Drüsen dauernde Heilung brachte.
Etwas Näheres habe ich über diese Fälle nicht erfahren
können, und ich weiss daher nicht, ob sie etwas Anderes
darstellen, als die schon öfters gemachte Beobachtung, dass
nach Exstirpation sogen, solitärer maligner Lymphome kein
Recidiv eintrat. Es handelte sich hier wahrscheinlich um
wirkliches Sarcom der Lymphdrüse. Darüber aber schei-
nen die meisten Autoren einig zu sein, dass bei ausgespro-
chener constitutioneller Anomalie, d. h. multiplem Auftreten
der Tumoren speciell an ganz verschiedenen Stellen eine
Operation nur symptomatischen Nutzen schaffen kann. So
war es auch in unserem Falle, wenn wir die orbitalen Ge-
schwülste als die ersten ansehen. Jedenfalls wird der Au-
genarzt nur ganz selten in diese Lage kommen, da im All-
gemeinen Orbitallymphome sich erst bilden werden, nach*
dem die weit mehr disponirten anderen Körpertheile er-
griffen sind, wie dies auch mit Ausnahme des Becker-
Arnold' sehen Falles von doppelseitigem Lymphadenom in
allen anderen einschlägigen Beobachtungen geschehen ist
Das ist vielleicht auch ein Grund, den letzteren, bei dem
nach der Exstirpation dauernde Heilung blieb (zehn Jahre
lang beobachtet), trotz des symmetrischen Auftretens für
einen allerdings sehr ungewöhnlichen Fall von primärer
symmetrischer Geschwulstbildung^ ohne Allgemeinerkran-
kung zu halten, nicht, wie die Autoren es thun, fUr eine
constitutionelle Anomalie. Ist doch das doppelseitige und
') Roth, yirchow*8 Archiv 54, Heft 1 und 2.
•; 1. c.
124 Th. Axenfeld, Zur Lymphombiidiing in der Orbita.
multiple Auftreten von Orbitalgeschwülsten anderer Art
sicher nachgewiesen, die nicht auf Allgemeinerkrankung be-
ruhen^), obwohl Gay et derartige Fälle nicht hat finden
können. Ist demnach bei alleinigem Sitz multipler Tumo-
ren in der Orbita die Operation noch gerechtfertigt» so ist
sie abgesehen von symptomatischer Indication bei einer Be-
theiligimg anderer Körperregionen contraindicirty zumal bei
Leukämie, wo bekanntlich gefahrliche Blutungen erfolgen
können. Jedenfalls wird ein symmetrischer Orbitaltumor,
wie schon öfters hervorgehoben worden ist, die Untersu-
chung des übrigen Körpers und besonders des Blutes drin-
gend indiciren, damit der Patient nicht nutzlosen opera-
tiven Eingri£fen ausgesetzt wird, sondern möglichst bald
in den geeigneten Fällen Arsen erhält, wiewohl auch von
diesem eine dauernde Heilung nicht zu erwarten ist.
*) Alexander, Doppelseitiges plexiformes Sarcom der Thr&nen-
drQse. Elin. Monatsbl. für Augenheilk. 1874, S. 164.
Schmidt-Rimpler, Lehrbach 1890. Doppelseitiges Sarcom.
Maklakoff, Doppelseitiges Aneurysma. Annalen der chirorg.
Gesellsch. in Moskau 1875.
Beitrag zur Differentialdiagnose der tnbercnlösen
nnd gliomatösen Erkrankungen des Anges.
Von
Dr. J. Jung in Heidelberg.
Hierzu Taf. IV, Fig. 1—8.
Mit dem klinischen Verlaufe und der Diagnose des
Gliomes der Retina hat sich die Ophthahnologie schon seit
langer Zeit in eingehendster Weise beschäftigt. Trotzdem
giebt es auch heute noch Fälle, welche wegen der Vieldeu-
tigkeit ihrer Symptome der Diagnose die grössten Schwierig-
keiten entgegensetzen oder dieselbe sogar bis zur anatomischen
Untersuchung unmöglich machen. Zu den Erkrankungen,
welche wie das Gliom das Bild des amaurotischen Katzen-
auges machen und mit ihm verwechselt werden können,
gehören die eitrige Glaskörperinfiltration und die eitrige
Iridochorioiditis, sei sie metastatischen Ursprunges oder die
Folge einer Cerebrospinalmeningitis oder eines übersehenen
Traumas, und die einfache Cyclitis mit nachfolgender Schrum-
pfung des Glaskörpers und fibröser Entartung der abge-
lösten Netzhaut. Besonders erwähnenswerth ist aber wegen
der Yerhältnissmässigen Häufigkeit ihres Vorkommens die
chronische Tuberculose der Ghorioidea. Ich möchte mir
nun erlauben, im Folgenden je einen hierher gehörigen
Fall Yon chronischer Tuberculose der Ghorioidea und von
Gliom der Retina näher mitzutheilen. Beide Fälle sind
126 J. Jung.
Beispiele dafür, wie durch gewisse CompUcationen die kli-
nische Diagnose geradezu unmöglich gemacht werden kann,
und bilden gleichsam ein Gegenstück zu einander. Bei dem
Falle von Tuberculose veranlasste eine bei der Enucleation
gefundene Verdickung des Opticus, im Gegensatz zu der
ursprünglichen, richtigen Auffassung, ein Gliom zu vermu-
then; in dem Falle von Gliom wurde dagegen wegen eines
hypopjonähnlichen Absatzes in der vorderen Kammer eher
an eine tuberculose Affection gedacht.
Diese Fälle sind früher in Göttingen von Herrn Prof.
Leber beobachtet und kürzlich von mir anatomisch unter-
sucht worden. Meinem hochverehrten Lehrer erlaube ich
mir an dieser Stelle für die Ueberweisung derselben zur
Bearbeitung und für die reiche Unterstützung, welche er
mir dabei zu Theil werden liess, ebenso auch Herrn Privat-
docenten Dr. Wagenmann, welcher mir mit seiner Hülfe
öfters zur Seite stand, meinen besten Dank auszusprechen.
L Fall.
ChromBohe Taberoulose der Aderhant mit Uebergang
auf den Sehnerven.
Emma Schulze, 3 Jahre alt, aas Heckenbeck bei Ganders-
heim.
Status praesens: 2. Decbr. 1885. Vor drei Monaten
rechts Augenentzündung mit starker Injection, mehrere Wochen
lang. Auge etwas weich, starke Ausdehnung der vorderen Ci-
liarvenen, Pupille anregelmässig durch hintere Synechien, zarte
partielle Papillarmembran, gelblicher Reflex aas dem Glaskör-
perraam, ziemlich nahe hinter der Linse gelegen, flach, ohne
Buckel und ohne sichtbare Netzhautgefässe. Iris atrophisch,
von hinten her an verschiedenen Stellen zu durchleuchten.
16. Dec. 1885. Rechts trotz Atropin Papille enger; von
dem Reflex aus der Tiefe wenig za sehen. Injection besteht
fort Keine besondere Druckempfindlichkeit Auge etwas weich.
Diagnose: Ausgänge von Iridochorioiditis, vermuthlich
tubercalöser Natar, vielleicht aach intraocalarer Tumor.
Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 127
18. December 1885. Enucleatio balbi. Beim Darch-
flchneiden des Sehnerven stösst man auf einen Widerstand, der
von einer Verdickung desselben herrtthrt. Nach Herausnahme
des Auges zeigt sich der Querschnitt des Sehnerven stark ver-
dickt und grau, so dass sich der Verdacht auf intraocularen
Tumor zu bestätigen scheint. Deshalb wird vom Opticus noch
ein möglichst grosses Stttck resecirt, dessen centrales Ende aber
noch immer verändert erscheint. Die Orbita wird jetzt zum
grössten Theile ausgeräumt, ohne darin sonst etwas Krank-
haftes zu finden. Zuletzt wird noch ein kleines Stückchen Op*
ticns nahe dem Foramen opticum herausgeholt, das zwar nicht
verdickt ist, aber auch keine normale Färbung zu besitzen
scheint.
Irrigation mit Sublimat 1 : 5000 und Drainage, Conjuncti-
valnaht.
5. Mai 1886. Die Wundheilung zieht sich ziemlich lange
hin bei im Ganzen nur massiger Schwellung des Orbital-
gewebes und bald ziemlich geringer Absonderung. Sie ist
nach etwa 5 bis 6 Wochen beendet, ohne dass das gefOrch-
tete Localrecidiv eingetreten ist Während des ganzen Ver-
laufes der Wundheilung und auch nach Abschluss desselben
besteht Fieber ohne alle sonstigen Erscheinungen, insbesondere
auch ohne cerebrale Symptome. Auch sonst sind lange Zeit
keine objectiven Veränderungen nachzuweisen, auch kein Husten.
Das Fieber hat stark remittirenden Typus; während des gross«
ten Theiles des Tages befindet sich das Kind wohl, spielt und
nimmt gentigend Nahrung zu sich. Vorübergehend tritt für
kurze Zeit vollständiger Nachlass, auch einige Male ein bedeu-
tendes Absinken des Fiebers ein, was aber immer wiederkehrt,
in der letzten Zeit mit sehr hohen Abendtemperaturen. Erst
vor Kurzem ergab die physikalischo Untersuchung vorbreiteten
Katarrh über beiden Lungen, vom rechts oben höheren und
etwas tympanitischen Schall, vermuthlich Caverne. Auch jetzt
nicht mehr als ab und zu ein leichtes Hüsteln. Orbitalwunde
längst geheilt, Lider tief eingesunken, auch jetzt noch, über
4Vs Monate nach der Operation, keine Spur von Recidiv.
Die Beobachtung konnte jetzt leider nicht weiter fortge-
setzt werden, da das Kind auf Wunsch der Eltern nach Hause
entlassen werden musste. Eine spätere Erkundigung wegen des
weiteren Geschickes der kleinen Patientin ergab, dass dieselbe
am 4. Juli 1886 gestorben ist; sie habe „auch die letzten Tage
sehr starke, an vier Stunden anhaltende Fieberanfälle gehabtes
128 J. Jung-
Makroskopischer Böfund (Fig. 1). Nach der Härtung
wird der Balbus durch einen Horizontalschnitt in eine grössere
untere und kleinere obere Hälfte so getheilt, dass der Schnitt
noch den Nervus opticus trifft.
Die Grössenverhältnisse des kindlichen Bulbus sind nor-
mal: sagittaler Durchschnitt 19 mm, transversaler 20 mm.
Makroskopisch lassen sich an der Cornea, der Linse und
dem temporalen Theil der Sclera keine Veränderungen erken-
nen. Nasal ist die Sclera verdickt.
Die Iris, auf deren Yorderfläche eine dünne Exsudatschicht
liegt, und das Corpus ciliare am Uebergang zur Chorioidea
sind verdickt. Die vordere Kammer ist von normaler Tiefe
und exsudatfrei, dagegJBn füllt die hintere Kammer ein grau-
liches Exsudat aus.
Die Chorioidea der nasalen Seite ist überall stark, zum
Theil geschwulstartig, verdickt. Ihre vordere Hälfte besitzt
eine Dicke von ca. 1 mm, hat eine graue Farbe, in welche
einzelne kleine, weisse Knötchen eingelagert sind, und ist von
der Sclera leicht abgehoben. Der so entstandene Zwischen-
raum wird von der aufgelockerten Suprachorioidea eingenom-
men. An der Aussenfläche ist dieser mehr gleichmässig ver-
dickte Abschnitt durch die eingelagerten Knötchen wellig. Die
hintere Hälfte der Chorioidea ist ganz in einen der Sclera
flach aufisitzenden, rundlichen Geschwulstknoten aufgegangen,
welcher sich bis über die Axe des Bulbus hinüber nach dem
Glaskörperraum zu entwickelt hat In Folge dessen ist es zu
einer totalen Netzhautablösung gekommen; die Netzhaut liegt,
in zahlreiche Windungen gefaltet und stark verdickt (0,5 mm)
in dem vorderen Abschnitt des Glaskörperraumes und ist mit
dem Tumor, soweit sie ihm aufliegt, verwachsen. Der Tumor
ist ganz über den Sehnerveneintritt hinübergewachsen, nimmt
die Papille ein und ist gegen den die Sclera durchsetzenden
Theil des Opticus nicht deutlich abgegrenzt. Hierdurch ist
auch die Abgangsstelle der Retina ganz in die Geschwulstmasse
aufgegangen und der hintere Abschnitt dieser Membran an der
Oberfläche des Tumors überhaupt nicht sicher zu erkennen.
Erst in der Gegend des Aequators des Auges kommen am vor-
deren Theil des Tumors die beiden Blätter der abgelösten Re-
tina zum Vorschein. Sie verlaufen zunächst mehrfach gefaltet,
dicht an einander liegend, nach vorn gegen die Hinterfläche
der Linse, worauf das eine Blatt, wie erwähnt, die vordere
Fläche des Geschwulstknotens überzieht und sich zur Ora ser-
Beitrag zur Bifferentialdiagnose etc. 129
rata hinbegiebt. Das Verhalten des von der temporalen Seite
abgelösten Blattes ist nicht ganz sicher zu beurtheileu, doch
macht es den Eindruck, als ob es nach einer Reihe von Win-
dungen sich verlöre und nicht zu seinem richtigen Ansatz an
der Ora serrata hingelangte. Der nach der Axe des Bulbns
gerichtete, hintere Theil 'des Geschwulstknotens ist von einer
ganz dünnen gelblichen Schicht bedeckt, die vom in eine käsig
aussehende Partie des Tumors tibergeht und nicht aus der
l^etzhaut hervorgegangen zu sein scheint.
Der Tumor hat einen sagittalen Durchmesser von 8 mm,
einen grössten transversalen von 10 mm. Seine Schnittfläche
ist völlig glatt und zeigt im gehärteten Zustand eine grünliche
Farbe, in welche sich grössere und kleinere gelblich gefärbte
Partieen eingesetzt finden.
An der temporalen Seite ist die Chorioidea ebenfalls stark,
aber gleichmässig verdickt und in ihrer ganzen Circnmferenz
von der Sclera abgehoben. Wie auf der anderen Seite, sieht
man in dem so entstandenen Zwischenraum die Fasern der
aufgelockerten Membrana suprachorioidea. In die grau gefärbte
Chorioidea sind einzelne weisse Knötchen und hellere Partieen
eingesetzt.
Der Pigmentsaum der Chorioidea ist an der nasalen Seite
nur im Bereich. der vorderen Hälfte, an der temporalen Seite
überall vorhanden. Jedoch ist er beiderseits verbreitert und
aufgelockert und in der Gegend der Ora serrata unterbrochen.
An der Stelle der Unterbrechung hängt die verdickte Chorioidea
mit einer zwischen der Linse und der abgelösten Retina be-
findlichen Masse zusammen, welche dasselbe Aussehen wie der
Tumor hat.
Im subretinalen Räume liegt eine grauweisse Exsudatmasse,
welche durch die Härtung geronnen ist und von einzelnen hel-
leren Membranen durchzogen wird.
Der die Sclera durchsetzende Theil des Opticus ist ver-
dickt und, wie erwähnt, nicht von dem Tumor abzugrenzen.
Mikroskopischer Befund des Bulbus.
Einbettung in Celloidin, Färbung der mit dem Mikrotom
hergestellten Schnitte in Hämatoxylin-Eosin.
Die Cornea, deren Structur sonst normal ist, zeigt stellen-
weise einen grösseren Eemreichthum. An einer Stelle findet
sich eine umschriebene zellige Infiltration in den tiefsten Hom-
hautschichten. Die Kerne sind theils länglich oder bisquitför-
T. Gnefe's AitMr für Ophthalmologie. XXXYII. 4. 9
130 J- Jnng.
mig, theiis rundlich; die letzteren sind zugleich dunkler gefärbt
als die ersteren; die Form der Zellen ist nicht deutlich er-
kennbar. An dieser Stelle ist die Zahl der Kerne des Endo-
thels der Descemetischen Membran etwas grösser als normal.
An der Corneoscleralgrenze der nasalen Seite des Bul-
bus, also der dem Tumor entsprechenden Seite, fand sich in
verschiedenen Präparaten dicht unter dem Comealepithel ein
kleines circumscriptes Knötchen (Figg. 2 und 3), welches die
untersten Epithellagen zum Schwund gebracht hat Dasselbe
besteht hauptsächlich aus kleinen Zellen mit rundlichen Kernen,
welche anscheinend Leukocyten angehören, und enthält im Cen-
trum eine Riesenzelle, um welche sich epithelioide Zellen grup-
piren. Also ist dieses Knötchen als ein kleiner miliarer Tu-
berkel anzusehen.
Die ziemlich stark zellig infiltrirte Iris ist durch eine
Schicht von zellenreichem, Gefässe uiid Pigment führendem
Bindegewebe, das die ganze hintere Kammer einnimmt, mit der
vorderen Linsenkapsel verklebt; dasselbe Gewebe bedeckt auch
in dtlnner Schicht die ganze vordere Linsenkapsel im Bereich
der Pupille. An der Pars ciliaris der Iris auf der tem-
poralen Bulbusseite findet sich ein kleines, nach der vor-
deren Kammer vorspringendes, circumscriptes Knötchen. Wäh-
rend sich dasselbe an der Peripherie aus Rundzellen zusam-
mensetzt, besteht es im Gentrum aus epithelioiden Zellen und
ist offenbar ein in der Entwickelung begriffener, miliarer Tu-
berkel. Ein zweites, gleichartiges Knötchen findet sich mehr
nach der Mitte und nach der hinteren Fläche der Iris zu ge-
lagert. Dasselbe ist zum Theil schon in käsiger Degeneration
begriffen, denn stellenweise ist die Kemfärbung mangelhaft
Der Pigmentbelag der Iris ist stark gewuchert und auf-
gelockert. Die Pigmentzellen durchsetzen in reichlicher Menge
und in unregelmässigen Formen das die Hinterfläche der Iris
deckende Bindegewebe, zum Theil auch das angrenzende Ge-
webe der Iris selbst. Von einem Theil des Pigmentes lässt
sich nicht nachweisen, ob es an Zellen gebunden ist. Auf der
Yorderfläche der Iris und der Pupillarmembran liegt ein aus
feinen Fibrinfäden gebildetes Exsudat, in dessen Maschenwerk
vereinzelte Leukocyten, daneben Endothelien und rothe Blut-
körperchen liegen.
Die Peripherie der Iris ist auf der temporalen Seite des
Bulbus retrahirt, die vordere Kammer übrigens von normaler
Tiefe; die hintere Kammer ist von einem sehr zellenreichen,
Beitrag zur Bifferentialdiagnos'e etc. 131
schwartigen, pigmenthaltigen Gewehe, das schon ohen erwähnt
ist, ausgefüllt. Um den Linsenäquator und zwischen einzelnen
Ciliarfortsätzen findet sich ein weniger zellenreiches, aus Fi-
hrinl&den gebildetes Exsudat.
Die Linse ist an ihrem vorderen Pol unverändert. Am
hinteren Pol ist die Linsenkapsel stark gefaltet und sind die
Linsenfasern auseinandergezerrt. Die entstandenen Zwischen-
räume sind von £i weiss und Myelinkugeln erfüllt, daneben
finden sich zahlreiche Kerne gewucherter Linsenfasern, das
Linsenepithel setzt sich in unregelmässiger Weise weit auf die
Hinterfläche der Linse fort.
Das Corpus ciliare, dessen intermuskuläre Bindegewebs-
Züge verbreitert sind, ist stark zellig infiltrirt und am Ueber-
gang zur Chorioidea verdickt, besonders auf der Seite des Tu-
mors. Auch die Processus ciliares zeigen eine reiche Durch-
setzung mit Rundzellen. Das Gylinderepithel der Pars ciliaris
retinae ist zum Theil in seiner einschichtigen Lage erhalten,
zum Theil unregelmässig gewuchert, so dass man von einer
Lage nicht mehr reden kann.
Im Corpus ciliare der temporalen Seite findet sich dicht
hinter dem Ursprung der Processus ciliares und unter dem
Pigmentbelag ein circumscriptes, stark nach dem Glaskörper-
raum prominirendes Knötchen. Dasselbe setzt sich aus Kund-
zellen und epithelioiden Elementen zusammen und führt in
seinem Centrum einige Riesenzellen. Der Pigmentbelag ist an
dieser Stelle stark aufgelockert, hier und da unterbrochen,
auch ist hier das einschichtige Gylinderepithel bis zum voll«
ständigen Verschwinden seiner Structur in unregelmässiger
Weise gewuchert. Ein zweites, zwei Riesenzellen enthaltendes
Knötchen findet sich etwas weiter nach hinten. Dasselbe hat
den Pigmentbelag und das einschichtige Gylinderepithel völlig
durchbrochen und zerstört Zu diesem Knötchen lässt sich ein
von der Chorioidea herkommendes Geföss verfolgen.
Auf derselben Seite ist ein Theil des Processus ciliaris
ganz in der* tuberkulösen Wucherung aufgegangen. Stellen-
weise ist er verkäst und führt Riesenzellen. Das einschichtige
Gylinderepithel und der Pigmentbelag sind hier zum Theil er-
halten, zum Theil geschwunden. An solchen Stellen ist der
Pigmentbelag noch durch eine stärkere Pigmentanhäufnng an-
gedeutet.
Am Corpus ciliare der temporalen Seite, an der Stelle,
wo die tuberkulöse Wucherung den Pigmentbelag durchbrochen
9*
132 . J. Jung.
hat und in den Glaskörperraom hineinreicht, findet sich ein
langgestrecktes, kenlenförmiges, concentrisch geschichtetes Ge-
bilde in das Granulationsgewebe eingeschlossen. Dasselbe hat
sich mit Eosin ziemlich intensiv geförbt und ist an der einen
Seite eine kurze Strecke mit Pigment bekleidet Da dasselbe
sich nur in einem Präparat fand, war seine Bedeutung und
Genese nicht näher zu ermitteln.
Die Chorioidea der temporalen Seite ist stark und ziem-
lich gleichmässig verdickt und von dicht gedrängten, confluiren-
den Tuberkelknötchen durchsetzt. Nur in den äusseren Schich-
ten finden sich noch grössere Gefässe, in den inneren Schich-
ten ist nichts von Gelassen zu sehen. Die Glasmembran ist
fast vollständig erhalten, und nur in der Gegend der Ora ser-
rata unterbrochen. Hier hängt die tuberkulöse Wucherung der
Chorioidea mit einer im Glaskörperraum befindlichen tuberku-
lösen Masse zusammen, und sind hier die Enden der durch-
brochenen Glasmembran nach dem Glaskörperraum zu leicht
umgeschlagen. In den äusseren Schichten ist die veränderte
Chorioidea sehr zellenreich, in den inneren sehr zellenann.
Wo die Zellen am dichtesten liegen, sind es durchgehends
Bundzellen, wo die Zellenanhäufung etwas weniger dicht ist,
finden sich neben den Rundzellen auch mehr spindelförmige
und epithelioide Zellen. Die innerste, an die Glaslamelle gren-
zende Schicht der Chorioidea zeigt eine eigenthOmliche, gegen
die Oberfläche der Membran senkrecht gerichtete Streifung;
ihre Dicke ist etwas ungleich, indem sie in die Zwischenräume
der sonst dicht aneinander liegenden Tuberkelknötchen von
innen her etwas eindringt. Auch die spärlichen, in dieser
Schicht eingelagerten Zellen zeigen eine entsprechende Verlän-
gerung in radiärer Richtung. Die Tuberkelknötchen enthalten
in der ganzen Chorioidea vielfach verkäste Stellen und zahl-
reiche Riesenzellen. Die Riesenzellen, welche stets sehr viele,
meist wandständige Kerne enthalten, fuhren öfters Pigment,
offenbar Stromapigment Die Zusammensetzung des verdickten
Gewebes der Chorioidea aus aneinander gereihten, von ange-
häuften Rnndzellen umgebenen Knötchen, tritt besonders bei
schwacher YergröBserung deutlich hervor.
Die Chorioidea der nasalen Seite bietet dieselben Ver-
hältnisse, wie die der temporalen, nur finden sich in den äus-
seren Schichten viel weniger Gefässe und scheinen die ver-
kästen Stellen etwas zahlreicher zu sein. Die Glaslamelle ist
ebenso, wie auf der anderen Seite, an der Ora serrata unter-
Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 133
brechen und es gebt hier die tuberkulös yerftnderte Chorioidea
in die Wachemng im Glaskörperranm über. Dann ist die Glas-
membran nur eine Strecke weit nach hinten vorhanden and
leicht gefältelt. In den hintersten Abschnitten fehlt sie voll-
ständig. Hier geht die Chorioidea in dem schon oben beschrie-
benen, nach dem Glaskörperraum sich vorwölbenden, grossen
Tuberkelknoten auf. Derselbe besteht aus einem sehr zellen-
reichen Gewebe mit vielen verkästen Stellen. Die verkästen
Stellen enthalten meistens Riesenzellen, welche überhaupt sehr
zahlreich sind, und befinden sich in verschiedenen Stadien der
Yerkäsnng; bald findet man noch Reste degenerirter Kerne als
kleine blaue Körnchen, bald fehlen dieselben, öfters liegen viele
Zellen, welche sich nur schlecht gefärbt haben und offenbar
im Zustand beginnender Nekrose sind, in einer grösseren Gruppe
zusammen. Die Zellen des grossen Tuberkelknotens sind Rund-
zellen, epithelioide und spindelförmige Zellen und Riesenzellen.
Wo die Zellenanhäufang sehr dicht ist, finden sich fast nur
Rundzellen, wo sie lockerer ist, fast nur spindelförmige Zellen.
Letztere lassen öfters eine Anordnung in Zügen erkennen.
Wie oben bemerkt, hat sich der Tumor auf den Nervus
opticus fortgesetzt und hat auch den Subvaginalraum mit tuber-
kulösem Gewebe ausgefüllt; denn auch hier findet man Riesen-
zellen und verkäste Stellen. Die Bindegewebszüge der Lamina
•cribrosa sind verdickt und die Nervenfasern völlig zu Grunde
gegangen.
Die Züge der Membrana suprachorioidea sind beiderseits
stark aufgelockert, temporal mehr als nasal.
Die im vorderen Glaskörperraum liegende Masse, welche
schon makroskopisch dem Tumor ähnlich erschien und an der
Ora serrata beiderseits mit der veränderten Chorioidea zusam-
menhängt, erweist sich bei der mikroskopischen Untersuchung
auch als tuberkulös; denn es finden sich Riesenzellen, aber
fast nirgends Yerkäsung. Um die Linse herum ist diese Masse
zellenärmer, ist fibrillär und enthält einzelne Rund- und epi-
thelioide Zellen.
Die abgelöste Retina, welche nicht mehr mit der Papille zu-
sammenhängt, zeigt ein höchst eigenthflmliches und ungewöhn-
liches Verhalten. Sie ist völlig nekrotisch, lässt von ihrer
Struktur fast nichts mehr erkennen und ist in eine mit Eosin
röthlich gefiLrbte, blass feinkörnige Masse verwandelt Dass es
wirklich die veränderte Retina ist, ergiebt sich jedoch schon
aus dem makroskopischen Befunde, dem Auftreten einer viel-
134 J. Jnng.
fach gefalteten Membran von entsprechender Dicke and den
topographischen Verhältnissen einer abgelösten Netzhaut; auch
erkennt man bei genauerem Zusehen an manchen Stellen noch
Andeutung der histologischen Elemente und der Schichtung der
Retina, aber ohne Hämatoxylinförbung. Hier und da finden
sich zwar Stellen der Betina von zerstreut liegenden, mit Hä-
matoxylin gefärbten Kernen durchsetzt, diese sind aber ganz
deutlich als von aussen her eingedrungenen zelligen Elementen
angehörig zu erkennen. An verschiedenen Stellen finden sich
eigenthOmliche, rundliche Gebilde mit dunklerem Centrum und
hellerer Peripherie von concentrischer Schichtung. Diese Ge-
bilde sind degenerirte Gefässe. Das dunklere Centrum ist ver-
änderter Gefässinhalt und das hellere die Gefässwandung; denn
bei weniger weit fortgeschrittener Degeneration konnte man
im Centrum noch Blutkörperchen erkennen.
Das Pigmentopithel ist allenthalben als solches zu Grunde
gegangen. An seiner Stelle findet sich eine Schicht feiner,
anscheinend bindegewebiger Fibrillen von vorwiegend der Ober-
fläche der Chorioidea parallelem Verlauf die weiter nach dem
subretinalen Baume in ein lockeres Netzwerk gleicher Fasern
übergeht. In diese Schicht sind feine Pigmentmolekttle und
rundliche oder unregelmässig gestaltete pigmenthaltige Zellen
eingelagert Gleiche Pigmentzellen oder Klümpchen erstrecken
sich auch in die angrenzende verdickte Chorioidea mehr oder
minder weit hinein.
Der subretinale Raum ist theilweise von dem schon er-
wähnten Netz feiner Fibrillen eingenommen, welche stellen-
weise nach Art der Bindegewebsfibrillen zu Zügen oder Bün-
deln parallel verlaufender Fasern angeordnet sind. In den
Maschen sind Leukocyten in massiger Anzahl eingelagert, be-
sonders an der inneren Grenze des Netzwerkes.
Die Sclera ist zellenreicher als normal, aber noch an kei»
ner Stelle ist die tuberkulöse Wucherung in ihr Gewebe ein-
gedrungen.
Tuberkelbacillen wurden, zwar nur vereinzelt, in der Cho-
rioidea der temporalen Seite, der nasalen Seite und im Tumor
nachgewiesen; sie lagen in Biesen- und in Bundzellen. Bemer-
kenswerth ist, dass an einer Stelle der nekrotischen Betina
sehr viele Bacillen gefunden wurden und dass man darin unter
anderem eine Gruppe von nicht weniger als zehn Bacillen
antraf.
Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 135
Makroskopischer Befund dos Opticus. Das unmit-
telbar vom Bulbus stammende, 3 mm lange Stttck des Opticus
hat sammt Scheide einen Querdurchmesser von 5 mm; davon
entfallen auf den eigentlichen Opticusquerschnitt, dessen Dicke
ziemlich normal ist, SVs mm, so dass die bei der Enuclea-
tion bemerkte Verdickung des Opticus hauptsächlich auf Rech-
nung der Scheide zu setzen ist. Diese hat an einer Seite
^/g mm, an der entgegengesetzten 1 mm Dicke. Entsprechend
dieser Seite findet man an der Peripherie des festgefügten und
grauen Opticusquerschnittes ein kleines, mehr gelbliches Knöt-
chen, welches sich in die Scheide vorbuchtet An Querschnit-
ten, welche etwas centraler gelegen sind, zeigen sich mehjere
solcher, wenn auch weniger hervortretender Knötchen mitten
in der Opticussubstanz. Das nachträglich resecirte Stück des
Opticus bietet, abgesehen von Knötchen gleicher Art, dieselben
makroskopischen Verhältnisse.
Mikroskopischer Befund. An den mit Hämatoxylin-
Eosin gefärbten Schnitten des dem Bulbus benachbarten Stückes
fällt auf den ersten Blick der bedeutende Reichthum an Ker-
nen, welche bei schwacher Vergrösserung in eine mit Eosin
gefärbte, homogene Grundsubstanz eingesetzt scheinen, in die
Augen. Die Zahl der Kerne nimmt an mehr centralwärts ge-
legenen Schnitten etwas, ab. Bei stärkerer Vergrösserung wird
zwischen den Bindegewebszügen, in den Feldern, welche den
Querschnitten der Nervenbündel entsprechen, ein feines, meist
sehr dichtes Netzwerk sichtbar; nur um die Centralgefässe und
die unten näher zu beschreibenden Knötchen ist dasselbe lockerer
und in seiner Structur deutlicher zu erkennen. Das Netzwerk
wird durch die Protoplasmafortsätze von Zellen gebildet, wel-
chen die oben erwähnten Kerne angehören; doch lässt sich
nicht entscheiden, ob die Fortsätze direct unter einander zu-
sammenhängen oder sich nur aneinander legen. In den Maschen
dieses Netzwerkes liegen öfters feine Kömchen, welche nach
dem Gehirn zu an Zahl zunehmen. An Präparaten, die nach
Weigert's Methode gefärbt sind, erscheinen sie farblos und
sind als die letzten Reste der degenerirten Nervenfasern anzu-
sehen.
Die bindegewebigen Balken des Opticus sind an Stellen,
die ans grösserer Nähe vom Bulbus herrühren, nur schwer zu
erkennen, dagegen treten sie an mehr centralwärts gelegenen
Schnitten deutlich hervor. Dies ist dadurch bedingt, dass an
den peripheren Schnitten die Balken viel weniger und sehr
136 J. Jung.
enge Gefässe führen und daher dichter erscheinen, nnd dass
das Gefttge des Netzwerks ein sehr inniges ist In Folge dessen
ist die Differenz in der Stmctur und Färbung zwischen Binde-
gewebsbalken und degenerirter Nervensnbstanz nur gering.
In das Gewebe des atrophischen Opticus sind an verschie-
denen Stellen kleine Knötchen eingesetzt Von diesen treten
an mehr peripheren Schnitten besonders drei Knötchen hervor
(Fig. 4to), welche dicht unter der Piaischeide liegen und zu-
gleich mit einem in dieser Scheide selbst sitzenden Knötchen
(Figur 4 t p) die makroskopisch sichtbare Tuberkeleinlagerung
darstellen. Zwei von den Knötchen führen Riesenzellen, eines
ist durch seinen grossen Zellenreichthum ausgezeichnet. Auch
an mehr centralen Schnitten sind solche Knötchen, öfters fünf
auf einem Querschnitt, theils mit, theils ohne Riesenzellen, zu
sehen; einige liegen unter der Scheide, andere mitten in der
Substanz des Opticus. Ausgesprochene Yerkäsung zeigte keines
dieser Knötchen.
In allen drei Scheiden des Opticus, welche sich durch
einen grossen Kemreichthum auszeichnen, und zwar besonders
der Arachnoidealscheide, findet man dieselben Knötchen (Fig. 4
ts). So hat sich ein grösseres, schon oben erwähntes Knötchen
in der Piaischeide localisirt und deren Bindegewebszüge aus-
einander gedrängt In seinem Gentnyn zeigt dieses Knötchen
beginnende Yerkäsung; dann folgt nach aussen eine Zone von
grossen Zellen mit langen, spindelförmigen Kernen, welche sich
mit Hämatoxylin schwach gefärbt haben und radiär aufgestellt
sind. Zwischen diesen Kernen liegen auch solche von mehr
runder Form, auch findet sich hier eine Riesenzelle mit vielen
Kernen. Weiter nach aussen liegen Zellen mit mehr runden
und spindelförmigen Kernen durcheinander. An einer Seite
der Peripherie herrschen Zellen vor, welche nach dem Aus-
sehen und der Form ihrer Kerne Rundzellen gleichen.
Die Duralscheide lässt in diesem Bereich auch einige Knöt-
chen mit Riesenzellen erkennen (Fig. 4 ts).
In die Arachnoidealscheide sind ebenfalls an verschiede-
nen Stellen Knötchen eingesetzt und haben die Fasern dieser
Scheide auseinander gedrängt Zum Theil enthalten diese Knöt-
chen Riesenzellcn.
Die einzelnen Knötchen, sowohl diejenigen im Opticus,
als auch die in den Scheiden, muss man für in verschiedenen
Stadien der Entwickelung begriffene miliare Tuberkel halten.
Dieses geht daraus hervor, dass sich in zahlreichen Knötchen
Beitrag zur Differentialdiagnose etc. ^ 137
lüesenzellen, in einem Yerkäsang findet and dass sich die
Knötchen in einem Opticus entwickelt haben, wo die Tuber-
kulose der Chorioidea den die Sclera durchsetzenden Theil des
Opticus vollständig ergriffen hat In den frühesten Stadien
setzen sich die Knötchen aus Zellen zusammen, welche der
Form ihrer Kerne nach am meisten Rundzellen gleichen. Da-,
zwischen finden sich einzelne Zellen mit mehr ovalen oder
spindelförmigen Kernen. In den älteren Knötchen haben die
Zellen meist einen grossen ovalen oder runden Kern, welcher
sich mit Hämatoxylin nicht so intensiv geförbt hat, wie in jün-
geren Knötchen; öfters finden sich auch Riesenzellen mit zahl-
reichen, theils wandständigen, theils die ganze Zelle ausfüllen-
den Kernen und feinen Protoplasmafortsätzen, welche sich oft
weit in das umgebende Gewebe verfolgen lassen. Die übrigen
Zellen der Tuberkelknötchen haben auch feine Fortsätze, welche
ein Netzwerk bilden. In den Maschen desselben liegen zuweilen
Zellen mit grossem Kern und spärlichem Protoplasma; diese
Kerne gleichen vollkommen denjenigen der Zellen mit Fort-
sätzen. Von den Fortsätzen selbst Hess sich nicht sagen, ob
sie direct zusammenhängen oder sich einfach aneinander legen.
Dort, wo Yerkäsung eingetreten ist, kann man noch die Zell-
contouren erkennen, aber nichts von Fortsätzen und einem
Netzwerk. An der Peripherie der verkästen Zone haben sich
manche Kerne mit Hämatoxylin entweder nur ganz schwach
oder in ihren einzelnen Theilen verschieden stark gefärbt.
In dem nachträglich resecirten Stück des Opticus findet
sich auch eine weit fortgeschrittene Atrophie, doch lassen sich
an nach Weigert's Methode gefärbten Schnitten noch einzelne
erhaltene Nervenfasern nachweisen. In der atrophischen Ner-
vensubstanz ist auch das feine Netzwerk mit Kernen, wie oben
beschrieben, sichtbar, aber nichts von Tuberkelknötchen nach-
zuweisen.
Nach dem vorliegenden anatomischen Befunde kann
es keinem Zweifel unterliegen, dass wir es mit einer chro-
nischen Tuberkulose der Chorioidea zu thun haben, welche
sich nach vom auf (Corpus ciliare und Iris, nach hinten
auf den Sehnerv fortgesetzt hat. Bekanntlich tritt diese
Erkrankung der Chorioidea unter zwei Formen auf: ent-
weder ist die Chorioidea in eine circumscripte Tumorbil-
dung aufgegangen oder sie ist in mehr oder minder grosser
138 J. Jung.
Ausdehnimg gleichmässig verdickt. Der vorliegende Fall
ist eine Gombination dieser beiden Formen; denn im hin-
teren nasalen Abschnitt des Bulbus findet sich an Stelle
der Chorioidea ein grosser Geschwulstknoten, welcher einen
Bau zeigt, wie er schon öfters für den conglobirten Tuber-
kel der Chorioidea beschrieben worden ist. Im Uebrigen
ist die Chorioidea gleichmässig verdickt. Hier stimmt der
mikroskopische Befund in auffälliger Weise mit einem frü-
her von Wagenmann beschriebenen Fall überein, wo sich
nur eine gleichmässige Verdickung der Aderhaut fand^).
Bemerkenswerth ist in unserem Falle das Vorkommen von
pigmenthaltigen Riesenzellen. Bei chronischer Tuberkulose
der Aderhaut sind dieselben anscheinend noch nicht beobach-
tet, dagegen fand sie D in kl er in einem Falle von acuter Mi-
liartuberkulose der Chorioidea*) und thut derselben folgen-
dermaassen Erwähnung: „In ihrer Form und Grösse, in der
Anordnung ihrer Kerne, der meist central beginnenden Zell-
nekrose unterscheiden sie sich zwar in nichts von Riesen-
zellen in Tuberkeln anderer Organe; eines aber besitzen
sie, was nach der mir zugänglichen Literatur zu urtheilen,
nur in der Lunge bis jetzt nachgewiesen worden ist: näm-
lich Pigmenf Eine ähnliche Beobachtung hat jedoch schon
früher Weiss^) bei Iristuberkulose gemacht. Weiss schreibt:
„In der Mitte mancher dieser Riesenzellen sieht man in
auffallender Weise einen dunkelen Ring, resp. eine dunkele
Scheibe, die aus zahlreichen, feinen, braunrothen Pigment-
kömchen gebildet wird."
Das Verhalten der Glasmembran und der Sclera zu
der Tumorbildung weicht in unserem Falle von den frühe-
ren Beobachtungen ab. In der Regel erweist sich die Glas-
membran gegen die tuberkulöse Wucherung viel widerstands-
fähiger als die Sclera; letztere wird bisweilen schon voa
>) V. 6raefe*8 Archiv für Ophthalm. XXXIV, 4, S. 172 ff.
•) Ebenda XXXV, 4, S. 323.
*) Ebenda XXIII, 4, S. 149 Anmerk.
Beitrag znr Differentialdiagnose etc. 139
der Neubildung zu einer Zeit durchbrochen, wo diese noch
keine bedeutende Grösse erreicht hat Diesen Umstand be-
tonte zuerst Haab^): „Sie (die Glasmembran) besitzt offen-
bar trotz ihrer Dünnheit eine bedeutende Widerstandskraft»
grösser als die Sclera» eine bekannte Eigenschaft dieser
sogen, elastischen Membranen/^ Ebenso hebt Manz')'die
„grosse Widerstandskraft^^ der Glaslamelle hervor: dieselbe
durchzog als „ein schmaler scharfgezeichneter Streifen den
Tumor'S sie besass nur verschiedene kleine Lücken. Aehn«
lieh spricht sich Schäfer^) aus. In unserem Falle besteht
gerade das umgekehrte Verhalten. Die Glasmembran ist
im Bereich des Tumors völlig zu Grunde gegangen und
zeigt in der Gegend der Ora serrata beiderseits eine aus-
gedehnte Perforationsöffnung, durch welche die tuberkulöse
Wucherung in den Glaskörperraum eingedrungen ist, die
Sclera hingegen ist ganz intakt.
Die Nekrose der Retina ist wohl durch eine specifische
Einwirkung der Tuberkelbacillen, welche sich an einzelnen
Stellen viel zahlreicher als in der Chorioidea fanden, zu
Stande gekommen; denn das Bild, wie es hier die Retina
gewährt, stimmt nicht mit dem Befund nach Durchschnei-
dung der Gentralgefässe oder Embolie der Centralarterie
überein, und so ist ausgeschlossen, dass die Lostrennung
der Retina von der Papille die Ursache der Nekrose sei.
Die Verdickung ist ohne Zweifel durch nachträgliche Im-
bibition mit Flüssigkeit zu Stande gekommen.
Die vorliegende Chorioidealtuberkulose hat sich, wie
schon erwähnt, nach zwei^Richtungen fortgepflanzt Dass
sie sich nach vom auf Ciliarkörper und Iris fortgesetzt, ist
schon häufiger beobachtet worden, und etwas ganz Natür-
liches; denn die Tuberkulose des Auges hat, wie Wagen-
') V. Graefe*8 Archiv fQr Ophthalm. XXV, 4, S. 231.
*) Zehender, klin. MonatsbUtter für Aagenheilk. XIX, 8. 26.
') Ebenda XXII, S. 830.
140 J. Jung.
mann^) betont, das Bestreben sich in der Richtung des
Saftstromes des Auges d. i. nach vorn fortzusetzen. Ein
Uebergreifen einer Chorioidealtuberkulose auf den Opticus
und ein Fortschreiten auf den extraoculären Theil desselben
ist ungewöhnlich und, wie es scheint, bis jetzt noch nicht
beobachtet. Zwar wird im Centralbl. für Augenheilkunde
1888, S. 346 ein von Seccati beobachteter „Fall von aus-
gebreiteter Tuberkulose des hinteren Auges, speciell in Cho-
rioidea und Nervus opticus" kurz referirt, aber da mir lei-
der das Original (Giomale della. B. Accademia di Med. To-
rino 1888, Yol. L) nicht zugänglich war, so liess sich nicht
entscheiden, wie weit der Nervus opticus ergriffen war.
Sonst hat man nur beobachtet, dass die Tuberkulose auf
das intraoculare Ende des Opticus übergriff und nicht die
Lamina cribrosa überschritt. In dem ersten Falle von chroni-
scher Chorioidealtuberkulose beim Menschen, welchen Man-
fred i') veröffentlichte, fand sieh eine stielartige Verlänge-
rung des intrabulbären Endes des Sehnerven, in welcher
sich eine reiche Infiltration von Rundzellen und miliare
Knötchen mit Riesenzellen fanden. Ausdrücklich wird aber
angegeben, dass der Nerv jenseits der Lamina cribrosa ge-
sund gewesen sei. Brailey^) beschreibt einen Befund vom
Auge eines Kindes, der wohl tuberkulöser Natur ist, wenn
auch die mikroskopische Beschreibung zu wünschen übrig
lässt und der Nachweis der Bacillen vermisst wird; für
Tuberkulose spricht auch, dass die Mutter des Kindes an
Lungenphthise gestorben war. Der erbsengrosse Tumor sitzt
im Bereiche der Papille und angrenzenden Chorioidea, ent-
hält Riesenzellen und Yerkäsung, dabei buchtet er die La-
mina cribrosa nach rückwärts, aber „in den Nerv jenseits
>) V. Graefe's Archiv fQr Ophthalm. XXXII, 4, S. 229.
*) Annali di Ottalmologia ano. lY, S. 291.
*) TransactioDS of the Ophthalm. Societ. of the United Kingdom,
Vol. in, S. 130.
Beitrag zur Differential diagnose etc. 141
dieser erstreckt er sich nicht hinein'^ Ferner fand Wa-
genmann^) „einen grossen Tuberkel, der in der Chorioidea
dicht neben dem Opticuseintritt, nach innen davon, seine
Lage hatte und sich nach der Mittellinie zu in den Opti-
cus hineinerstreckte; er grenzte dicht an die Centralgefässe
des Opticus, die Fasern auseinander drängend." Kurz er-
wähnen will ich, dass Weiss in dem oben citirten Fall
von Iristuberkulose kleine Knötchen mit Riesenzellen und
Verkäsung sowohl im Sehnervenkopf, wie auch in dem
Sehnerven während seines Verlaufes durch den Sclerotical-
kanal gesehen hat'). Ueberhaupt hat man eine tuberku-
löse Erkrankung des extraocularen Abschnittes des Sehner-
ven bis jetzt nur bei Tuberkulose in der Schädelhöhle ge-
funden. Eingehend theilt Sattler^), welcher die bis da-
hin gemachten Beobachtungen anfuhrt, einen Fall mit, wo
sich nach Tuberkulose des Chiasma eine ausgedehnte, bis
zur Papille reichende, tumorartige Verdickung des Sehner-
ven tuberkulöser Natur entwickelt hatte. Michel*) war
der erste, welcher bei Meningitis tuberculosa miliare Tu-
berkeln in den Opticusscheiden fand. Deutschmann ^) er-
zeugte bei Kaninchen experimentell tuberkulöse Meningitis;
dabei kam es auch zu Tuberkulose der Opticusscheiden,
welche am Foramen sclerae begann und „centrifugal und
centripetal" weiterschritt In einem Falle erreichte im Ver-
lauf von fünf Monaten die Tuberkulose das Foramen opti-
cum. Hierdurch ist in Verbindung mit unserer Beobach-
timg die, wenn auch sehr entfernte Möglichkeit näher ge-
rückt, dass beim Menschen eine Tuberkulose vom Auge aus
einmal bis in die Schädelhöhle gelangt; es ist aber dabei
») V-. Graefe'8 Archiv für Ophthalm. XXXIV, 4, S. 178.
■) 1. c. S. 151.
•) V. Graefe'8 Archiv XXIV, 3, S. 127 ff.
*) Archiv für klin. Medicin XXII, S. 448, citirt nach Ziegler,
Lehrb. der patholog. Anatomie.
''} V. Graefe's Archiv für Ophthalm. XXVII, 1, S. 233 ff.
142 J- J'mg.
zu bedenken, dass beim Kaninchen viel kleinere Entfernun-
gen zurückzulegen sind.
Was die Entwickelung der Chorioidealtuberkulose in
unserem Falle angeht, so spricht yieles dafür, dass wir es
mit einer secundäxen Erkrankung zu thun haben. Von einem
bis zur Enudeation versteckt gebliebenen Herd ist vermuth-
lich die ganze Chorioidea ziemlich gleichzeitig mit Tuber-
kelbadllen überschwemmt worden; denn bald nachher mach-
ten sich die ersten objectiven Symptome einer Lungen-
phthise bemerkbar. Der miliare Tuberkel an der Comeo-
sderalgrenze verdankt wohl auch seine Entstehung einer
Infection von Seiten der Blutbahn. Dass die Bacillen von
der erkrankten Chorioidea stammten, ist nicht wahrschein-
lich; der Tuberkel hat sich nämlich nicht dort localisirt,
wo die vorderen Ciliarvenen durch die Sclera treten, son-
dern in der Gegend des Bandschlingennetzes. Zu Gunsten
der endogenen Infection spricht ausser der Localisation der
Umstand, dass ein Kind von dem Alter der Patientin nicht
zu expectoriren pflegt und dass ausdrücklich in der Kran-
kengeschichte angegeben wird, es sei kein Husten vorhan-
den gewesen.
n. Fall.
Olioma retinae mit hypopyonShnlicher gliomatöBer
Wucherung in der vorderen Augenkammer,
Emma Mähler, 4 Jahre alt, aus Oberscheden.
17. Mai 1885. Die Ej'ankengeschichte fehlt leider; in
den klinischen Bttchem ist nar vermerkt: Rechts eitrige Iritis
vermuthlich tuberkulöser Natur mit kleinen gelblichen Knöt-
chen und mit ein Drittel der vorderen Kammer einnehmendem
Hypopyon.
'3. Juni 1885. Rechts Jridectomie nach oben, mit Linear-
messer, in Chloroformnarcose. Nach Anlegung des Schnittes
entleert sich das Hypopyon sowie die gelblichen Knötchen mit
dem Kammerwasser. Breites Colobom.
Beitrag zur Differentialdiagnose etc. I43
12. Jani 1885. Iridectomie geheilt Grüngelber Schein
«ns der Tiefe. Verdacht auf Glaskörperinfiltration. Iridectomie-
narbe cystoid aufgetrieben, daher heute Enucleatio bulbi.
Beim Versuch den Bulbus hervorzuziehen platzt derselbe
an der Iridectomienarbe und es entleert sich grünlich -gelbe
Flüssigkeit. Der Opticus lässt sich schwer durchschneiden und
erweist sich nach der Herausnahme des Bulbus stark verdickt,
offenbar gliomatös entartet. Nachträglich wird mit Mühe noch
ein grosses Stück Opticus bis zum Foramen opticum hin exci-
dirt, das ebenfalls gliomatös entartet ist.
Die sofort vorgenommene Section des Bulbus ergiebt in der
That eine von der völlig abgelösten Eetina ausgegangene Ge-
«chwulstbildung, die auf den Opticus übergegriffen hatte.
23. Juni 1885. Heilung durch abendliche Temperaturstei-
gerung in der ersten Zeit etwas gestört, zugleich Lidschwel-
lung und Secretion; Entfernung der Nähte und Anlegung eines
Drainrohres in die Orbita, worauf bald Nachlass der Erschei-
nungen. Wunde ist geheilt, keine cerebralen Symptome. Kind
entlassen, soll alle acht Tage vorgestellt werden.
7. August 1885. Kommt erst heute mit grossem Orbital-
recidiv. Eine nochmalige Operation wurde nicht vorgenommen.
Herr Dr. Schulte in Hannov. Münden hatte die Freund-
lichkeit, sich nach dem weiteren Schicksal des Kindes zu er-
kundigen und theilte mit, dass dasselbe am 27. Novbr. 1885
gestorben sei. Näheres über den Tod des Kindes, ob es ärzt-
lich in der letzten Zeit behandelt worden war etc., konnte er
nicht in Erfahrung bringen. Bis Mutter des Kindes sei im
Sommer 1885 an Schwindsucht gestorben; ebenso eine Schwester
der Mutter; der Vater sei Potator, gegenwärtig geisteskrank.
Makroskopischer Befund des vorher frisch im hori-
zontalen Meridian eröffneten, nachher in MüUer'scher Flüssig-
keit gehärteten Bulbus.
An dem Durchschnitt des Bulbus, welcher durch die Här-
tung leicht deformirt ist und im sagittalen Durchmesser 22^/2mm,
im transversalen 19 mm misst, fäUt zunächst auf^ dass die Netz-
haut von der Aderhaut abgelöst und in eine Tumormasse über-
gegangen ist, welche den grössten Theil des von ihr einge-
schlossenen Glaskörperraums ausfüllt. Nach hinten hängt die
Tumormasse mit dem Opticus zusammen, von dessen intraocu-
larem Ende sie sich nicht abgrenzen lässt. Man erkennt noch
eben, dass der hintere Theil der Tumormasse aus den beiden
144 J- Jung.
Blättern der abgelösten Retina hervorgegangen ist, welche enorm
verdickt nnd gewuchert bis zum völligen Verschwinden dea
Glaskörperranms aneinander gelegt sind. Weiter nach vom
nimmt die Dicke der Retina allmälig wieder ab; man sieht
beide Blätter anseinanderweichen nnd in der Dicke von 2 bia
3 mm nach ihrem Ansatz an der Ora serrata hinziehen. Eine
Fortsetzung der Tumormasse überzieht in dOnner Schicht noch
die Innenfljlche des Ciliarkörpers nnd der Ciliarfortsätze und
setzt sich auf der nasalen Seite auch noch auf die hintere Iris-
flache fort. Die Oberfläche des Tumors ist leicht höckerig und
brüchig, und nur in den vorderen, weniger verdickten Theilen
der Retina in der oberen Bulbushälfte mehr glatt. Auf dem
Durchschnitt ist die Wucherung in den vordersten Partieen
gelblich, in den hintersten grau geförbt Ausserdem tritt in
der Mitte des Durchschnittes eine bräunliche Fleckung hervor^
welche, wie die mikroskopische Untersuchung ergiebt, theib
durch hämorrhagische Infiltration, theils durch starke Ausdeh-
nung der Gefässe bedingt ist; einzelne pigmentirte Stellen
finden sich weiter hinten an der Aussenfläche der Wucherung,
offenbar von anhängendem Pigmentepithel herrührend.
Der subretinale Raum ist leer und durchschnittlich 2 bis
4 mm breit.
Die Chorioidea lässt keine Veränderungen erkennen. Zwar
ist sie an der eingebetteten Bulbushälfte etwas von der Sclera
abgelöst, dies ist aber offenbar als Eunstprodukt zu betrachten.
Ebenso ist das Corpus ciliare mit Ausnahme der temporalen
Ciliarfortsätze, welche etwas schwächer entwickelt sind, intact
Nasal liegt zwischen. Corpus ciliare und Sclera eine geringe
Menge geronnenen eiweisshaltigen Exsudates.
Der pupillare Theil der Iris, welche sich in toto nach
der vorderen Kammer vorbuchtet, ist nach hinten gezogen, ihr
ciliarer Rand zeigt auf der nasalen Seite eine kleine knotige
Verdickung, durch welche der Kammerwinkel verengt wird.
Ausserdem ist in den letzteren, besonders auf der temporalen
Seite, gelblich weiss gefärbtes Exsudat eingelagert, welches sich
eine Strecke weit auf die hintere Homhautfläche fortsetzt
Die Linse ist beim Anfischneiden aus ihrer Kapsel heraus-
gefallen und nur zur Hälfte erhalten. Ueber ihr Verhalten
im frischen Zustand ist leider nichts notirt.
Die Cornea ist an der Stelle der Iridectomienarbe von
einem kleinen Knoten, anscheinend nach aussen gewucherter
Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 145
Tamormasse durchsetzt. Sonst ist sie ebenso wie die Sclera
normal.
Der in der Nähe des Bulbus stark verdickte Opticus misst
hier auf dem Querschnitt 5^« mm, woTon 4^/, mm auf die Op-
ticussubstanz nebst innerer Scheide entfallen. Man unterschei-
det hier auf dem Querschnitt eine grau geförbte und eine gelb
gefilrbte Hälfte, woYon die letztere bei Lupenvergrösserung
tioch die Eintheilung in kleine Felder erkennen lässt, welche
den Querschnitten der Nervenbündel entsprechen, während die
andere Hälfte eine gleichmässige graue Farbe darbietet. Der
weiter central gelegene Theil des Nerven ist nur wenig ver-
dickt und zeigt auf dem Durchschnitt eine mehr gleichmässige
gelbliche Färbung.
Mikroskopischer Befund.
Einbettung der unteren Bulbushälfte; Färbung der Schnitte
mit Hämatoxylin- Eosin.
Der Tumor ist eine äusserst zellenreiche Geschwulst,
welche nirgends etwas von Intercellularsubstanz erkennen lässt,
und sich theils mit Hämatoxylin, theils nur mit Eosin geförbt
hat. Die mit Hämatoxylin gefärbten Geschwulstelemente sind,
wie man an nicht zu dicht gefügten Partieen erkennen kann,
Zellen mit einem runden Kern und einem schmalen Proto-
plasmasaum. Die Zellkerne sind von sehr variabler Grösse,
meistens übertreffen sie an Volumen die Körner der Kömer-
schiebt An Zupfpräparaten zeigt das Protoplasma eine geringe
Menge kurzer Fortsätze. Was die Hämatoxylinfärbung angeht,
so ist die Intensität derselben sehr verschieden. Noch unver-
änderte Zellen förben sich nebst ihren Kernen stark mit Hä-
matoxylin; bei anderen nimmt die Färbbarkeit in Folge mehr
oder minder weitgediehener nekrotischer Degeneration in ent-
sprechendem Grade an Intensität ab, und schliesslich ist die
Zelle in ein blasses Gebilde verwandelt, welches eine krüme^
lige Masse und den nicht mehr deutlich hervortretenden Kern
einschliesst. Manche Zellen färben sich mit Eosin, enthalten
aber noch eine Menge von blauen Körnchen, als Rest der
Chromatinsubstanz des Kernes. Schliesslich färbt sich die ganze
Zelle nur mit Eosin.
Charakteristisch ist für das mikroskopische Aussehen der
Geschwulst neben dem Reichthum an Gelassen und Hämorrha-
gien die Beziehung der Zellen zu den Gefässen. Viel-
fach wird ein Gefäss mit stark verdickter Wandung von einem
▼. Gnefe's AxchiT Ar Ophthalmologie. XXXVII. 4. 10
140 J. Jung.
Mantel von blau gefärbten Zellen nmschlossen; dann folgt eine
Zone, wo blau gefärbte und roth ge&rbte Zellen zwischen
einander liegen nnd weiter nach aaasen liegen fast nur bloss mit
Eosin gefärbte Zellen. So kommt der lappige Ban zn Stande,
welcher eine charakteristische Eigenthttmlichkeit des Netzhaat-
glioms in nicht zn weit vorgeschrittenen Fällen darstellt
Bemerkenswertbe Veränderungen bieten die Oefässe
im Bereiche der mit Hämatoxylin gefärbten Partieen. Hier
besteht ein Missverh<niss zwischen Wandung und Lumen. Die
Wand zeigt eine enorme Yerdickung, an deren Znstande-
kommen alle drei GefiLsshäute, besonders die Intima, betheiligt
sind, und es finden sich alle Uebergänge von dem stets sehr
engen Lumen bis zur völligen Obliteration. Besitzt das Geftss
noch ein Lumen, so sieht man auf dem Querschnitt eine äus-
sere, concentrische Schicht, dann kommt eine Zone mit zahl-
reichen, theils runden, theils länglichen Kernen. Sie wird durch
das Endothel, bei welchen Kern an Kern liegt, von dem meist
Blut, bisweilen Fibrin enthaltenden Lumen abgegrenzt. Wenn
das vorliegende Gefäss eine Arterie ist, so werden diese bei-
den Schichten der Gefässwand durch die Tunica elastica ge-
trennt. Bei vollständiger Obliteration findet man ein rundes
Gebilde, welches in seinem Centrum eine mehr oder weniger
grosse Zahl von Kernen enthält; diese werden von der oben
beschriebenen concentrischen Zellenschicht umschlossen. Gerade
an vielen kleinen Gefässen hat sich der Process der Oblitera-
tion vollzogen. Die stark verdickte Wand und das enge Lu-
men sieht man auch an den Centralgefössen im intraocularen
Ende des Opticus.
Bei anderen Gefässen ist die Wandung nicht verdickt, das
Lumen vorhanden, aber nicht mehr scharf begrenzt. Die Ge-
fösswand hat sich intensiv mit Eosin geförbt und erscheint
nekrotisch. Oft führt sie zwischen ihren Lamellen Blutkörper-
chen, oft ist sie völlig durchbrochen und das Blut ergiesst sich
in das umliegende Gewebe.
An denjenigen Partieen der Geschwulst, wo nur mit Eosin
gefärbte Zellen liegen, findet man strotzend gefüllte Gefllsse
mit weitem Lumen und dünner Wand. Diese erscheint als
schmaler, homogener Saum, welcher oft keine Kerne und kei-
nen Endothelbelag mehr erkennen lässt. Bisweilen ist die
Wand auf eine schmale helle Linie reducirt oder an einer
Stelle ganz unterbrochen, so dass Blutkörperchen und Ge-
schwulstzellen unmittelbar aneinander grenzen.
Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 147
Mitten im Tamor sind Reste der degenerirten Retina ein*
geschlossen, die an ihrer Schicht ang zu erkennen sind. Von
nervösen Elementen ist nichts darin erhalten; man bemerkt
hauptsächlich Partieen, die der Faserschicht anzugehören schei-
nen; stellenweise ist auch noch die unversehrte Limitans in-
terna zu erkennen, auch finden sich Zellen mit dunkelbraunem
Pigment, als Reste des Pigmentepithels. Der Ausgangspunkt
der Geschwulst in der Retina ist nirgends -mehr zu erkennen;
auch der nur wenig verdickte Theil derselben ist vollständig
degenerirt und zum grössten Theil nekrotisch.
Die Ghorioidea ist in ihrer Struktur noch wohl erhalten.
An keiner Stelle hat sich noch Geschwulstmasse in ihr ent-
wickelt, sie ist leicht zellig infiltrirt und stellenweise sind die
Gefilsse etwas erweitert Das Pigmentepithel sitzt grössten-
theils der Glasmembran der Aderhaut auf, zum Theil ist es
v(m ihr abgelöst und an einer Stelle mit dem Tumor ver-
wachsen. Dort wo die Glasmembran vom Pigmentepithel ent-
blösst ist, sind der Innenfläche einzelne Geschwulstzellen und
eine feinkörnige Masse aufgelagert Dem Pigmentepithel der
nasalen Seite, welches seinen Zusammenhang mit der Glasmem-
bran bewahrt hat, sitzen eigenthümliche, kolbige oder halbkuge-
lige Gebilde auf, welche meistens nur eine, bisweilen zwei
oder drei Zellen überdecken. Sie haben sich mit Eosin ge-
förbt und sind fein gekörnelt, stimmen aber nicht in ihrem
Aussehen mit nekrotischen Gliomzellen überein. Nur ganz ver-
einzelt sind dem Pigmentepithel auch einkernige, pigmentlose
Rundzellen aufgelagert Ueber die Genese und Bedeutung der
kolbigen Gebilde, ob sie vielleicht vom Pigmentepithel oder
sonst woher stammten, war nichts Bestimmtes zu eruiren.
Die Membrana suprachorioidea ist aufgelockert In ihren
Maschen finden sich einzelne isolirte Gliomzellen und feinkör-
nige Masse.
An dem Corpus ciliare ist nur eine geringe zellige Infil-
tration zu bemerken. Die Pars ciliaris retinae ist theils er-
halten, theils eammt Pigmentbelag abgehoben, theils ihre Ele-
mente in die Länge gewuchert.
Die Iris ist von Rundzellen stark durchsetzt. Ihr ciliarer
Theil ist auf der nasalen Seite von einem kleinen Geschwulst-
knoten eingenommen, welcher bis an die hintere Irisfläche
reicht Zwischen den Zellen desselben liegen Pigmentzellen
des Irisstroma zerstreut Einzelne Gliomzellen sind schon in
das Ligamentum pectinatum eingedrungen und haben sich um
10*
148 J- Jung-
den Girculas venosas aDgesammelt Der Pigmentbelag der Iris
ist auf der temporalen Seite stark atrophirt, die Zellen gross-
tentheils in Auflösung begriffen und die Pigmentkörnchen in
der Umgebung zerstreut; nasal ist er erhalten und nur an einer
Stelle nach Art einer Cyste, in welcher ein feines Fibrinnetz
und einige Pigmentzellen liegen, abgehoben.
Die Innenfläche das Ciliarkörpers und die Ciliarfortsätze
sind Yon einer dicken Schicht von jungen Gliomzellen über-
zogen, die in geringer Menge sich auch auf die Hinterfl&che
der Iris fortsetzen.
Im Eammerwinkel haben sich beiderseits Zellen angesam-
melt, welche vollkommen mit den Zellen des Tumors überein-
stimmen und auf der temporalen Seite schon im Begriffe sind,
in Form eines Zapfens in das Gewebe der Iriswurzel einzu-
dringen. Vereinzelt liegen auch Gliomherde der Descemeti-
schen Membran auf, deren Endothel an einer solchen Stelle
fehlt und in der Umgebung des Herdes abgehoben ist
Die Linse war, wie oben angegeben wurde, beim Auf-
schneiden herausgefallen. Beste der Linsenkapsel, welche theil-
weise yon Epithel bekleidet sind, liegen in Windungen gefaltet
hinter der Pupille und siud von einer feinkörnigen Masse und
Gliomzellen umgeben. An der Linse, welche besonders einge-
bettet und geschnitten wurde, sind die Fasern an der hinteren
Fläche auseinander gezerrt In den Spalten liegen Eiweisa-
kugeln, an anderen Stellen ausserdem noch zertrümmerte Lin-
senfasern, Gliomzellen und eine feinkörnige Masse. Einzelne
Spalten finden sich nahe dem Aequator an der vorderen Fläche.
Die Cornea ist in den oberen Schichten kernreicher als
normal und vascularisirt. Das Epithel ist in der Randzone
verdickt und besonders die cylindrischen Zellen sind zahlrei-
cher und stärker entwickelt Der Zusammenhang der Zellen
ist gelockert und im mittleren Bezirk theils nur die oberen
Schichten, an anderen Stellen das ganze Epithel abgestossen,
was aber vielleicht nur Folge der Präparation ist.
Die Sclera ist normal.
Mit Rücksicht auf die intra vitam beobachteten entzünd-
lichen Erscheinungen wurde im Exsudat der vorderen Kammer
und im Tumor mit den üblichen Färbungsmethoden nach Tu-
berkelbacillen und Kokken, aber erfolglos, gesucht
Die Bindegewebsbalken der Lamina cribrosa sind stark
verdickt. In den durch sie gebildeten Maschen liegen in Fomf
von verästelten Figuren Gruppen von intensiv blau gefärbten
Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 149
Gliomzellen. Die Wand der Centralgefässe ist wie schon oben
erwähnt, stark yerdickt
An dem stark verdickten peripherischen Theil des Opti-
cnsstammes (vergL Fig. 5) erweist sich die eine Hälfte, welche
für das blosse Ange eine gleichmässig graae Farbe dargeboten
hatte, zum grössten Theil atrophisch und durch einen ausser-
ordentlichen Kemreichthnm ausgezeichnet. Die Kerne liegen
besonders in den Maschen der verdickten und dicht zusammen-
gedrängten Bindegewebsbalken. Nur an der Peripherie dieser
Hälfte und um die Centralgefässe herum liegen innerhalb der
Maschen, also den atrophischen Nervenbündeln entsprechend,
Gruppen von intensiv blau gefärbten Gliomzellen.
Die andere Hälfte des Opticusquerschnittes, die für das
blosse Auge gelblich gefärbt war und die Abtheilung in ge-
trennte Bündel hatte erkennen lassen, ist hochgradig gliomatös
degenerirt. Die Zellen sind hier nur mit Eosin färbbar, also
nekrotisch und nehmen dicht aneinander gedrängt die Stelle
der früheren Nervenbündel ein; die von ihnen gebildeten Fel-
der werden dahec von den dazwischen noch wohl erhaltenen
Bindegewebsbalken getrennt, wodurch das erwähnte Aussehen
für das blosse Auge bedingt ist; nur einzelnie Gliomzellen sind
in die Bindegewebsbalken eingebettet. Auffallend ist der Ge-
gensatz zwischen den Bindegewebsbalken und den Gefässen
dieser beiden Theile des Opticus. Auf der Seite, wo der Nerv
gliomatös entartet ist, sind die Balken nicht verdickt und die
Gefässe, im Gegensatz zur anderen Seite, wo fast nichts von
Gefässen zu sehen ist, stark erweitert. Die Scheiden sind von
Geschwulstwucherung frei.
An Schnitten, welche etwas entfernter vom Bulbus genom-
men sind (Fig. 6 und 7), hat sich die Gliomwucherung mehr
um die Centralgefässe gruppirt und wird von einer Randzone
atrophischer Sehnervensubstanz eingeschlossen. Die Gliomzellen
nehmen auch hier zum grössten Theil die Stelle der Nerven-
bündel ein; sie haben sich hier mit Hämatoxylin gefärbt und
liegen dicht gedrängt in rundlich gestalteten oder mehr in die
Länge gestreckten Feldern, welche durch die Bindegewebsbal-
ken getrennt werden. Ein Theil der Bindegewebsbalken ist
zu Grunde gegangen, so dass die Gruppen conflniren. Nur
stellenweise, besonders in der Umgebung der Centralgefässe, hat
die Gliomwucherung auch die Bindegewebsbalken ergriffen. Die
Anordnung der Zellen ist hier insofern eigenthümlich, als die
Zellen kettenförmig, Zelle an Zelle aneinander gereiht, liegen.
150 J. Jung.
Die atrophische Randzone ist sehr kernreich, aher ohne Ver-
dickung der Bindegewebshalken. Hier and da findet man anch
in ihr an Stelle der Nervenfasern beginnende Gliomwndienmg,
aber die Gliomzellen liegen noch nicht so dicht gedrängt, wie
es in der Mitte des Querschnittes der Fall ist. Der centrale
Theil des Opticnsstttckes (Fig. 8) ist vollständig gliomatös ver*
ändert. Von den Bindegewebshalken finden sich nur noch Reste,
doch - ist noch eine Andeutung der früheren Eintheilnng des
Opticusquerschnittes in getrennte Felder vorhanden, indem die
Gliomzellen sich vielfach in runden oder länglichen Figuren
dicht gruppirt haben.
Wenn auch der vorstehende Fall von Netzhautgliom
vielfach mit den früher gemachten Beobachtungen überein-
stimmt, verdient er doch, besonders wegen des Verhaltens
der Gefässe, noch eine nähere Besprechung. Veränderungen
der Gefässwand bei Gliom erwähnt zuerst Baumgarten^};
er spricht von „Gefässen, die von einer deutlich verdickten,
glasig durchscheinenden Scheide umgeben 'waren, und von
hyalin entarteten Gefässen^'; da er sehr ähnliche Beobach-
tungen bei anderweitigen Erkrankungen der Retina (Reti-
nitis pigmentosa, Retinitis albuminurica) machen konnte, so
liess er dahingestellt, ob dieselben in genetischem Zusam-
menhang mit der Gliombildung standen oder einen mehr
zufälligen Befund darstellten. Eingehend beschäftigt sidi
Da Gama Pinto') mit den Gefässveränderungen bei dem
Netzhautgliom; er beobachtete namentlich an Arterien eine
so starke Verdickung der Gefässwand, dass sie das Dop-
pelte des Gefässlumens betrug. Später wandelte sich das
Gefäss in Folge der Degeneration in „ein sehr breites, ring-
förmiges, ziemlich glänzendes Band um, mit einem leicht
faserigen, welligen oder homogenen Bau und Resten von in
Zerfall begriffenen Kernen. Garmin und Eosin färbten das
Gefäss noch ziemlich lebhaft'^ War aber der zugehörige
') V. 6raefe*s Archiv fQr Ophtbalm. XXII, 8, S. 211 u. 214.
') Da Gama Pinto, Untarsach. Ober intraocalare Tumoren.
S. 63 ff.
Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 151
GUomlappen TÖllig degenerirt, so Hess sich die Stelle des
früheren Gefässes als ein heller Fleck erkennen, umgeben
von einer etwas stärker gefärbten, feinkörnigen Masse. Grol-
man^) hat ebenfalls eine starke Verdickung der Gefäss-
Wandung nicht selten wahrgenommen, eine Umwandlung in
ein vollständig homogenes Band konnte er jedoch nirgends
finden. Aehnliche Beobachtungen wie Pinto machte Be-
chert*): „Die Gefässwand war sehr erheblich verdickt. Au
einigen Gefässen sah man noch eine lamelläre Struktur der
Wand, dabei waren die Kerne ganz abgeblasst, an anderen
war hingegen die ganze äussere Wand homogen, an einigen
nur eine partielle Streifung zu erkennen/* Das Lumen des
• Gefässes war entweder leer oder enthielt Endothelreste und
verblasste Blutkörperchen. Diese Gefässwandverdickungen
hat auch Eisenlohr^) in seinen beiden Fällen sehr häufig
beobachtet. Recapituliren wir kurz unseren Befund, so fin-
den wir eine starke Verdickung der Gefässwand, welche
durch eine Betheiligung aller drei Gefässhäute, besonders
aber der Intima, zu Stande kommt und welche zu einer
hochgradigen Verengerung des Lumens und schliesslich zur
Obliteration desselben fuhrt. Im Centrum des obliterirten
Gefässes finden sich zahlreiche tinctionsfähige Kerne der
gewucherten Intima, welche von einer concentrischen Zel-
lenschicht, wie oben beschrieben, umschlossen werden. Es
ist also hier das Bild, wie wir es bei einer hyperplastischen
Vasculitis bezieh, bei einer Endarteriitis und Endophlebitis
obliterans haben. Querschnittsbilder, wie sie Pinto und
Bochert beschreiben, nämlich ringförmige, ziemlich glän-
zende Bänder von homogenem oder welligem Bau, konnten
wir nicht beobachten, und gerade an den vollständig nekro-
tischen Stellen fanden sich weite Gefässe mit dfinner Wandung.
>) V. 6raefe*8 Archiv fttr Ophthalm. XXXIII, 2, S. 65.
') Bochert, Untersuchungen über das Netzhaatgliom. Inaug.-
Dissert. Königsberg 1888.
■) yirchow*8 Archiv für pathol. Anatomie, 123. Bd., S. 448.
152 J. Jung.
Bezüglich des Fortscbreitens des Glioms im Sehnerven
hatte y. Graefe^) als Unterschied gegenüber dem Ader-
hautsarcom hervorgehoben, dass die Wucherung von Anfang
an die Substanz des Nerven einnimmt, während die Scheide
sich anfanglich nur in einer indifferenteren Weise verdickt,
dass dagegen bei Aderhautsarcomen die Degeneration zu-
nächst der Scheide folgt Die starke Verdickung, welche
der Sehnervenstamm dabei erfahren kann, war schon den
älteren Autoren bekannt und ist auch von Hirschberg*)
und von Knappt) beschrieben und abgebildet. Th. Le-
ber^) giebt an, dass die Wucherung dabei vorzugsweise
dem Mark des Nerven folge, während die Scheiden und
das bindegewebige Balkenwerk anfangs unbetheiligt bleiben
und nur eine entsprechende Dehnung und Atrophie er-
fahren; die Nervenfasern gehen dabei in der gliomatösen
Wucherung rasch zu Grunde; erst später treten auch Se-
cundärgeschwülste der Sehnervenscheide auf. Dieselbe Art
der Verbreitung hatte schon vorher Delafield^) in einem
Falle beobachtet, während Rindfleisch*) und Knappt)
die erste Wucherung von Gliomzellen in den Bindegewebs-
balken des Sehnervenstammes angetroffen haben. Da Gama
Pinto ®), welcher bei Untersuchung eines grösseren Ma-
terials diese Verhältnisse zu prüfen bemüht war, berichtet,
dass die erste Gliomwucherung des Sehnerven stets im
interstitiellen Gewebe beginne; „in fünf Fällen war zu glei-
cher Zeit der Zwischenscheidenraum und die arachnoidale
Scheide reichlich infiltrirt und von Gliomnestem besetzt;
>) V. Graefe'8 Archiv für Ophthalm. XIV, 2, S. 132 (1868).
*) Der Markschwamm der Netzhaut. Berlin 1869.
') Die intraocularen Geschwalste. Karlsruhe 1868.
«) Graefe-Saemisch's Handbuch, Bd. Y, S. 724.
'^) Archiv fOr Augen- und Ohrenheilk., Bd. ü, 1, S. 176 (1871).
•) Zehender's Monatsbl. 1863, S. 346.
») Loc. cit. S. 66—67.
•) Loc. cit. S. 82—83.
Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 153
zwei davon zeigten eine enorme Erweiterung und Invasion
des Scheidenraumes mit verbältnissmässig geringer Infiltra-
tion des Nervenstammes/' Die Durchsicht der speciellen
Befunde scheint aber einen so allgemeinen Ausspruch nicht
ganz zu rechtfertigen. Von fünf Fällen, die hier allein in
Betracht kommen, fällt einer (Fall 11) weg, weil es sich
dabei offenbar um Tuberkulose und nicht um Gliom han-
delt. Ferner heisst es im Fall 4: „Der Sehnervenkopf ist
vollständig in Geschwulstoiasse verwandelt . . . Nach rück-
wärts von der Lamina cribrosa wird das Gewebe stroma-
reicher, was zweifelsohne den noch nicht degenerirten Bin-
degewebsbalken zuzuschreiben ist . . . Es liess sich . . .
feststellen, dass der Sehnerv seiner sämmtlichen nervösen
Elemente beraubt ist/' Es bleiben also nur drei Fälle, bei
denen aber der Beschreibung nach gleichzeitig auch eine
Gliominfiltration der Nervenbündel stattgefunden zu haben
scheint In unserem Falle begann die Wucherung an der
Stelle der Nervenbündel, und nahm hauptsächlich in ihnen
ihren Fortgang, doch waren auch die Bindegewebsbalken
stellenweise davon ergriffen. In der atrophischen Hälfte
des Opticus lagen Nester intensiv blau gefärbter Gliom-
zellen nicht an Stelle der Bindegewebsbalken, sondern der
Nervensubstanz und die Scheiden waren intact, in der glio-
matösen Hälfte waren die Bindegewebsbalken wohl erhalten,
wenn auch verschmälert An den mehr centralwärts gele-
genen Schnitten konnte man deutlich erkennen, dass an
der Grenze zwischen Gliomwucherung und atrophischer
Randzone die Gliomzellen sich zuerst an Stelle der Nerven-
fasern entwickelten. Auch die Eintheilung der gliomatös
degenerirten Partie in 'rundliche und polygonale Felder,
welche durch Bindegewebsbalken getrennt werden, zeigt,
dass sich in unserem Fall das Gliom zuerst an der Stelle
der Nervenfaserbündel entwickelt hat
Nach den mitgetheilten Beobachtungen muss man also
annehmen, dass beide Fortpflanzungsarten des Glioms im
154 J- Jon«-
Sehnerven vorkommen; welche die häufigere ist, wird erst
durch weitere Untersuchungen festzustellen sein.
Durch die mikroskopische Untersuchung wurde auch
das intra vitam beobachtete scheinbare Hypopyon aufge-
klärt; die Annahme desselben erwies sich als Täuschung;
wir haben es nicht mit Eiterzellen zu thun, sondern mit
freien Gliomzellen, welche sich in der vorderen Kammer
angesammelt haben. Da die Ghorioidea und das Corpus
ciliare noch intact sind, während an der Innenfläche des
letzteren eine schon für das blosse Auge erkennbare Gliom-
Wucherung aufgetreten ist, darf wohl angenommen werden,
dass ein Transport von Elementen der Wucherung den Weg
durch die Pupille genommen hat und dass auf die gleiche
Art auch die gliomatöse Affection der Iriswurzel entstan-
den ist.
Wegen der Schwierigkeiten, welche die beiden mitge-
theilten Fälle der Diagnose bereiteten, haben sie auch ein
nicht geringes klinisches Interesse. Im ersten Falle lagen
keine sicheren Anhaltspunkte für die Diagnose einer Tu-
berkulose der Ghorioidea vor. Nach dem objectiven Be-
funde schien die Annahme einer schleichenden Iridochorioi-
ditis gerechtfertigt, die möglicherweise tuberkulösen Ur-
sprungs sein konnte, obwohl sich keine Zeichen dav<m &n-
den. An ein Gliom der Netzhaut wurde deshalb zunädist
nicht gedacht^ weil der Process mit entzündlichen Erschei-
nungen begonnen haben sollte. Erst bei der Enucleation
entstand durch die Verdickung des Opticus der Verdacht^
dass es sich trotzdem um ein Gliom handeln möchta Die
anatomische Untersuchung hat aber gezeigt, dass dies ein
Irrthum war und dass selbst eine so starke Verdickung des
Sehnerven, wie sie hier vorkam, durch Tuberkulose bedingt
sein kann, also nicht unbedingt für die Annahme eines
Glioms spricht. Bei dem zweiten Falle wurden das schein-
bare Hjpopyon und der gelbe Reflex, welcher nach der
Iridectomie im Glaskörper sichtbar wurde und von Gliom
Beitrag zur DifferentUIdiagnose etc. 155
herrührte, für Produkte einer eitrigen Entzündnng gehalten.
Die Knötchen auf der Iria und die Thatsache, dass die
Mutter des Kindes an „Schwindsucht'' litt, was bei der
klinischen Untersuchung bekannt war, Hessen an einen tu-
berkulösen Ursprung des Processes denken. Dass die freien
Gliomzellen für Hypopyon gehalten wurden, ist ein verzeih-
licher Irrthum. Diese Beobachtung lässt daran denken,
dass auch sonst vielleicht das Auftreten von Hypopyon bei
Gliom eine ähnliche Bedeutung hatte, wie in dem interes-
santen Falle, den v. Grolman aus der v. HippeTschen
Klinik in Giessen mitgetheilt hat^).
Handelt es sich um die Differentialdiagnose zwischen
GUom und Tuberkulose, so ist natürlich grosses Grewicht
auf eine möglichst genaue Untersuchung des übrigen Kör-
pers zu legen. Lässt dieselbe nicht, wie in unserem ersten
Falle im Stich und finden sich sonstige Zeichen von Tuber-
kulose, so spricht dieses sehr zu Gunsten einer tuberkulö-
sen Erkrankung des Auges. Auch die Anamnese und Fa-
miliengeschichte kann ^lan, wenn auch nur mit Vorsicht»
wie unser zweiter Fall zeigt, verwerthen. In weit vorge-
schrittenen Fällen dürften Gehimsymptome nur wenig Be-
deutung haben, da dieselben sowohl von einer Gliommeta-
stase im Gehirn, als auch von tuberkulösen Affectionen in
der Schädelhöhle herrühren könnten.
Unter den Symptomen, welche für Gliom sprechen,
führt Vetsch') Ectasie der Cornea an. Da diese aber ein
Ausdruck des erhöhten Druckes und der Ectasie des Bul-
bus überhaupt ist und sich Drucksteigerung zuweilen aadi
bei tuberkulöser Chorioiditis findet, so ist nicht ausgeschlos-
sen, dass sich diese Veränderung auch im letzteren Falle
entwickelt; sie kann daher nicht für Gliom beweisend sein.
*) V. Grolman, Beitrag zur Kenntniss der Netzhautgliome.
V. Graefe's Archiv für Ophthalm. XXXIII, 2, S. 47-72 (1887).
*) Archiv fttr Aogenheilkande XI, S. 419.
156 J. Jung.
So schreibt Brailey^) von dem oben citirten Fall von Tu-
berkulose: ^Bei der Geburt glaubten die Eltern, dass das
rechte Auge etwas kleiner sei, jedoch ist es während der
letzten drei Monate schnell grösser geworden. Jetzt ist im
Vergleich mit dem allgemeinen Wachsthum des Bulbus eine
unverhältnissmässige Vergrösserung der Cornea vorhanden.^
Unter diesen Umständen wird es auch heute noch
Fälle geben, wo uns die klinische Diagnose im Stiche lässt
und wo erst die anatomische Untersuchung, entscheiden
wird, ob ein Gliom der Retina oder eine Tuberkulose der
Chorioidea vorliegt Die Annahme einer Combination von
Gliom und Tuberkulose hat sehr wenig Wahrscheinlichkeit
für sich und ist nur in einem Falle von Pinto') ange-
nommen worden. Da aber die Richtigkeit dieser Annahme
bald bezweifelt wurde ^), haben wir die in der hiesigen
Augenklinik vorhandenen Präparate einer näheren Durch-
sicht unterzogen. Der Befund stinmite an der Chorioidea,
welche diffus verdickt war, mit dem gewöhnlichen Bilde
der Tuberkulose überein. Es fanden sich epithelioide Zel-
len und sehr zahlreiche Riesenzellen; das Vorkommen von
Tuberkelbacillen war schon von Pinto constatirt worden.
Die Wucherung im Glaskörperraum hat nichts Charakteri-
stisches für den Bau eines Glioms und ist sehr gefassarm.
Auch liess sich weder makroskopisch noch mikroskopisch
constatiren, dass die Geschwulstbildung ihren Ursprung aus
der Retina genommen hätte, und es ist dies um so imwahr-
scheinlicher, weil angegeben wird, die Retina sei atrophisch
gewesen. Der nach der Operation beobachtete klinische
Verlauf spricht ebensowenig für ein Gliom. Der Sehnerv
war, besonders im Subvaginalraum, dicht mit Rundzellen
») 1. c. S. 129.
*) daGamaPinto, Untersuchungen über intraoculare Tumoren,
Fall 11, S. 40 und S. 70.
') Michel im Jahresb. über Leistungen und Fortschr. im Ge-
biete der Ophthalm. 1886. S. 119.
Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 157
infiltrirt, welche für Gliomzellen gehalten wurden. Wenn
es sich aber um Gliomwucherung gehandelt hätte, so würde
gewiss sehr bald ein Recidi? eingetreten sein und das Kind
wäre nicht erst nach beinahe zwei Jahren an cerebralen
Erscheinungen gestorben, die in der Annahme einer intra-
craniellen Tuberkulose sehr wohl ihre Erklärung finden.
158 J- JuBff» BeilrAg Kur DiffureatUldiagnoae etc.
Erklärung der Figuren auf TafU IV.
Fig. 1. untere BalbashUfte von Fall 1: <^ Chorloidea, p Perfora-
tioasOffaong der Gladamelle Hnd des Pigmentepitheb; t
Tumor der Chorioidea; r abgelöste und gefaltete Retina;
8 subretinaler Raum; o Optlcuseintritt.
Fig. 2. Uebersicbtsbild^on dem miliaren TuberkeH an der Corneo-
Bcleralgrenze.
Fig. 3. Dieser Tuberkel bei starker Yergrösserung ; r Riesenzelle,
e Gornealepitliel.
Fig. 4. üebersichtsbild von dem tuberkulös ver&nderten Opticus
von Fall 1: to Tuberkel in der Opticussubstanz, ts Tuber-
kel der Duralscbeide; tp Tuberkel der Piaischeide; r Rie-
senzellen.
Fig. 5. Dicht vom Bulbus stammender Schnitt des gllomatös er-
krankten Opticus von Fall 2: 8 Scheide, a atrophischer
Theil des Opticus, f Nester frischer, mit H&matoxylin ge-
färbter Gliomzellen an Stelle der Nervenfasern; g gllomatös
entarteter Theil, mit nekrotischen, nicht mehr mit Hftma-
toxylin gef&rbten Zellen.
Fig. 6. Etwas entfernter vom Bulbus gelegener Schnitt des glloma-
tös erkrankten Opticus von Fall 2: 8 Scheide, a atrophi-
scher, g gllomatös entarteter Theil des Sehnerven. Die
übrigen Verhältnisse ergeben sich aus dem Vergleich mit
Fig. 7.
Fig. 7. Der mittlere Theil desselben Schnittes bei st&rkerer Ver-
grösserung: ar Querschnitt der Art. centr. retin. v Vena
centr. retin. schräg durchschnitten, b Bindegewebsbalken.
n gliomatös infiltrirte Nervenfaserbflndel.
Fig. 8. Querschnitt durch eine mehr central gelegene Stelle des
Opticus, aus der Gegend, wo die Centralarterie in densel-
ben eintritt
Experimentelle Untersaehnngen
tl)er die Entstehimg der in letzter Zeit bekannt
gewordenen Trübungen der Homhant nach
Staarextraction.
Von
Dr. Carl Mellinger,
PriTatdocent an der Universität Basel.
(Mittheilong aus dem Laboratorium der ophthalmologischen Klinik
des Herrn Professor Schiess-Gemusens.)
Seit Ausführung der Staarextraction sind hie und da
bleibende Hornhauttrübungen nach dieser Operation zur
Beobachtung gekommen. Dieselben fanden meist ihre Er-
klärung in einer vorausgegangenen eitrigen Infection der
Hornhaut oder langem Aufgehobensein der Kammer und
der Entstehung vorderer Synechien. Nicht lange nach der
Einführung des Cocains in die operative Augenheilkunde
wurde von verschiedenen Kliniken über eine neue, bisher
unbekannte, bleibende Hornhauttrübung nach Extraction
berichtet. Dieselbe entstand an einem reizlosen Auge und
ist ihre Ursache bis zum heutigen Tage ein streitiger Punkt
geblieben.
Die nachfolgende Abhandlung versucht die Entstehung
dieser neuen Hornhauttrübung zu erklären und damit ihre
Vermeidung möglich zu machen.
Aus der Graefe 'sehen Klinik in Halle kamen durch
die Mittheilungen von Dr. Bunge die ersten Berichte
160 C. Mellinger.
über schädliche Wirkung des Cocains auf die Hornhaut^).
Es wurden während des Cocainisirens entstehende kreisrunde
Epitheldefecte beobachtet. Zweimal machte diese Compli-
cation das Hinausschieben einer Operation (Extraction) noth-
wendig. Doch heilten diese Epitheldefecte ohne jeden Nach-
theil für die Transparenz der Hornhaut wieder aus.
Von weit grösserer Bedeutung war die Mittheilung
von sechs Fällen von parenchymatöser Trübung der Hörn*
haut nach Staarextraction. Bunge beschreibt diese Trü-
bung als am achten Tage nach der Operation nur schwach
sichtbar, dann aber an Intensität von Woche zu Woche
zunehmend, so dass schliesslich der Patient nicht besser
sah als vor der Operation. Die Trübung hatte den Cha-
rakter einer bleibenden. Bei einer Frau, welche im Februar
operirt worden war, sah Bunge im Juni die Hornhaut
über dem Colobom noch gleich einem Milchglas getrübt
Bunge beschreibt diese Trübung als aus verticalen grauen
Streifen bestehend. Er vergleicht sie mit der nach Extrac*
tion häufig zur Beobachtung kommenden sogen, „streifigen
Keratitis'' mit dem Unterschied, dass mehr und breitere
Streifen auftreten. Die Hornhautoberfläche über der Trü-
bung war uneben. Bunge schrieb diese Veränderung der
Anwendung von Cocain zu.
Diese Mittheilung aus der Graefe'schen Klinik veran-
lasste zahlreiche Veröffentlichungen über die Erfahrungen
anderer Kliniker. Die Ansicht über die Ursache der Ent-
stehung wurde eine getheilte und die Trübung selbst auch
in einer etwas anderen Form beobachtet. Hirschberg*)
und Wicherkiewicz^) hatten bei einer grossen Anzahl
') Dr. Bange, Ueber schädliche Wirkungen des Cocains auf
die Hornhaut. Klin. Monatsbl. für Augenheilk. 1885, S. 402.
>) Hirschherg, Centralbl. f. prakt Augenheilk. 1885, S. 316.
•) Wicherkiewicz, Ueber schädliche Wirkungen des Cocains.
Centralbl. für prakt. Augenheilk. 1885, S. 368.
Experimentelle üntersachungen etc. 161
von Operirten trotz ausgiebiger Anwendung von Cocain
nichts Aehnliches beobachtet
Wicherkiewicz führt einen Fall von Extraction an,
bei welchem aus Irrthum mit einer Sublimatlösung von
1 : 1000 irrigirt wurde, nach Cocainisirung mit 8 ®/o Lösung.
Nach einigen Tagen sah die ganze Vorderfläche der Horn-
haut gleichmässig opak aus. Nach sechs Wochen war die
Hornhauttrübung noch nicht ganz verschwunden. Da sich
diese Operation einzig durch Anwendung einer starken Su-
blimatlösung von den anderen gut verlaufenen unterschied,
glaubte Wicherkiewicz das Sublimat als Ursache der Horn-
hauttrübung annehmen zu müssen.
Pflüger^) beschreibt bei einem 68jährigen decrepiden
Manne, eine nach Extraction unter Cocain auftretende strei-
fige, parenchymatöse Hornhauttrübung, die identisch scheint
mit den von Bunge beobachteten Fällen. Die Trübung
hellte sich nur sehr langsam auf. Leichtere Fälle von so-
genannten Cocaintrübungen der Hornhaut sah Pflüger in
2 — 3 Wochen sich zurückbilden. Bei einem weiteren Fall
trat die Trübung vom Schnittrand aus in die Hornhaut ein,
hierbei handelte es sich mehr um eine wolkige die ganze
Hornhaut einnehmende Trübung. Pflüger betont, dass er
diese Cocaintrübungen nur nach Cataractextractionen und
die schweren Fälle nur bei schlecht genährten, früh ge-
alterten Patienten gesehen habe. Nur einmal konnte er
bei einer breiten antiphlogistischen Iridectomie die gleiche
Trübung beobachten. Er schliesst daraus, dass grosso Horn-
hautwunde und schlechte Ernährung die Entstehung der
Cocaintrübung begünstigen.
Gelegentlich einer Discussion über streifige Keratitis
auf der Versammlung der Ophthalmologen in Heidelberg
^) Pflüger, Pathologische und physiologische Wirkungen des
Cocain. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1886, S. 169.
T. Qnefe'8 Archiv fQr Ophthalmologie. XXXVn. 4. H
162 G. Mellinger.
1887 *) brachte Wicherkiewicz auch die sogen. Gocain-
keratitis zur Sprache. Er hatte in den letzten Jahren drei-
mal stationäre Trübungen der Hornhaut nach Eztraction
beobachtet, welche er unmittelbar der Cocainwirkung zu-
schreibt. Den schädlichen Einfluss dieses Mittels sucht er
darin, dass es den intraocularen Druck zu stark und für
längere Zeit herabsetze, wodurch eine genaue Adaptation
der Wundränder verhindert wurde.
Ed. Meyer fügt hier die interessante Beobachtung
bei, dass er mehrmals nach Injection von Eserin und Pilo-
carpin mit schwacher Sublimatlösung in die vordere Kam-
mer, eine sehr gesättigte Trübung der ganzen Hornhaut
gesehen habe. Diese Trübung war so dicht, dass Iris und
Pupille während mehrerer Tage unsichtbar waren. Sie ver-
schwand dann im Laufe einer Woche, ohne eine Spur zu
hinterlassen.
Ob wir dem Cocain oder dem Sublimat diese Horn-
hauttrübung zuzuschreiben haben, darüber gingen noch die
Ansichten am internationalen Ophthalmologen- Congress in
Heidelberg 1888*) auseinander. Bei der Discussion über
Staarextraction kamen auch die Störungen im Verlauf der
Heilung zur Sprache, Laqueur sprach von durch das Co-
cain hervorgerufenen Trübungen der Hornhaut, die in der
Regel vorübergehen, aber auch zu bleibenden werden kön-
nen. Knapp hingegen erwähnte eigen thümUche Symptome
der Sublimatreaction beim Ausspülen der vorderen Kammer
sogar mit Lösungen von 1 : 10,000. Er fand, dass Ein-
spritzungen von geringen Mengen einer schwachen Subli-
matlösung in die vordere Kammer des menschlichen Auges
vorübergehende Schmerzen, grössere Mengen hingegen lang
anhaltende, heftige Schmerzen machen und zu einer dich-
'] Bericht über die XIX. Versammliing der Opbthalmolog. Ge-
sellschaft. Heidelberg 1887.
*) Siebenter periodischer intemation. Ophthalmologen-Congress.
Von Otto Becker nnd Wilhelm Hess. Heidelberg 1888.
Experimentelle Untersuchangen etc. 163
ten aus polygonalen Feldern bestehenden Hornhauttrübung
führen, die so intensiv sein kann, dass man bei schiefer
Beleuchtung kaum die Pupille hindurchsieht In einzelnen
Fällen ging diese Trübung gänzlich zurück, in anderen blie-
ben mehr oder weniger getrübte Stellen bestehen. Bei einem
alten Manne, bei welchem nach der Extraction die Horn-
haut stark trichterförmig einsank, spritzte Knapp soviel
einer Sublimatlösung von 1 : 10,000 in die vordere Kam-
mer, dass die Hornhaut sich hob und das Auge gefüllt wie
gewöhnlich aussah. Patient hatte die ersten sieben Stun-
den nach der Operation lebhafte Schmerzen. 24 Stunden
nachher war die ganze Hornhaut streifig, diffus und poly-
gonal fleckig getrübt. Diese Hornhaut hellte sich später
nur wenig auf. Auch bei zu reichlicher Berieselung des
Auges während der Extraction mit Sublimat 1 : 5000 sah
Knapp zuweilen milchige Hornhauttrübung, die sich nicht
in allen Fällen zurückbildete. Diese Mittheilungen von
Knapp sprechen wieder mehr für die Schuld des Sublimat.
Würdinger*) suchte durch Thierversuche die durch
Cocain eintretenden Hornhautveränderungen zu erklären.
Er fand, dass fortgesetzte Cocainisirung eines Kaninchen-
auges beim Offenstehen der Lidspalte zu Unebenheiten im
Epithelüberzug der Hornhaut führe und zur Verdünnung
des Homhautparenchyms. Bei geschlossenem Auge sah er
weniger Unebenheiten und dieselben auf die Lidspaltenzone
beschränkt. Er hält diese Veränderungen durch die Ab-
dunstung an der Hornhautoberfläche dos offenstehenden
Auges und durch lymphatische Anämie bedingt. Sowohl
durch Einbringung von Fluorescin als auch Methylenblau
in den Conjunctivalsack cocainisirter Augen, zeigte sich,
dass das Cocain die Epithelzellen durchlässig macht und
Färbung fast des ganzen Parenchyms eintritt, was Wür-
^) Würdinger, Experimentelle nnd aDatomische Untersuchun-
gen über die Wirkungen des Cocains auf die Hornhaut Münchner
medic. Wochenschrift 1886.
164 C. Mellinger.
dinger daraus erklärt, dass das Cocain sowohl Epithel-
schicht als auch Parenchym saftarm mache.
Ferner sucht er experimentell die Frage zu beantwor-
ten, ob Cocain allein oder in Verbindung mit Sublimat an
der Hornhautveränderung Schuld sei. Nur beim Offenhal-
ten der Lidspalte während des Cocainisirens, sieht er nach
Ausspülung mit antiseptischen Lösungen vorübergehende
Trübungen der Hornhaut, die, wie es scheint, sich haupt-
sächlich auf das Epithel beschränken.
Würdinger glaubt nach diesen Versuchen, dass weder
Cocain noch Sublimat, Salicylsäure, Borsäure etc. in der
gebräuchlichen Concentration schädlich auf die Hornhaut
wirken. Andererseits sagt er, dass diese Antiseptica so gut
wie andere Flüssigkeiten in das Homhautgewebe eindrin-
gen können nach ausgiebiger Cocainisirung. Bei geschlos-
sener Lidspalte oder Schutz des Auges vor Vertrocknung
durch Ueberschwemmung mit destillirtem Wasser und un-
gehindertem Lidschlag treten die Veränderungen in viel
geringerer Weise oder gar nicht auf.
Zur experimentellen Untersuchung der von Bunge be-
schriebenen parenchymatösen Hornhauttrübung wird von
Würdinger das eine Auge eines Kaninchens mit ö^/^ Co-
cainlösung anästhesirt; hierauf an beiden Augen mit dem
Schmalmesser in die Hornhaut eine etwas ausgedehntere
Function und Contrapunction wie beim Beginn des Lap-
penschnittes angelegt, der Lappen jedoch nicht ausgeschnit-
ten, der Conjunctivalsack mit Sublimatlösung 1 : 5000 aus-
gespült und die Lidspalte durch Naht geschlossen. Zwei
Tage nachher wird das Thier getödtet und die Bulbi enu-
cleirt.
Die mikroskopische Untersuchung zeigte auf beiden
Augen die streifige Keratitis in der Umgebung des Schnit-
tes. Bei dem cocainisirten Auge war die Quellung der Cor-
nealgrundsubstanz und die Auseinanderdrängung der Horn-
hautlamellen viel bedeutender. Würdinger fasst die Hörn-
Experimentelle Untersuchungen etc. 165
hauttrübung am cocainisirten operirten Äuge nur als einen
höheren Grad desselben Processes am nicht cocainisirten
Auge auf und glaubt, dass Sublimat bei der parenchyma-
tösen Hornhauttrübung nur bedingt in Betracht komme.
Als Ursache des Entstehens beschuldigt er die durch das
Cocain hervorgerufene Durchlässigkeit des Cornealepithels
und eine Lympharmuth des Parenchyms. Die von ihm be-
obachteten Fälle von derartiger streifiger Keratitis bei Ca-
taractoperirten konnten durch Guttaperchasublimatverbände
vollkommen geheilt werden.
Eversbusch*) unterstützt die Ansicht von Würdin-
ge r. Er schreibt die Trübung einem Contact des Sublimats
mit dem Lymphspaltensystem der Hornhaut zu, und hält
den rein comealen Schnitt für von Bedeutung beim Zu-
standekommen der Trübung. Trotz der prophylactischen
Maassregeln von Würdinger beobachtete Eversbusch
einmal, nach Ausspülung der vorderen Kammer mit Subli-
mat 1:10,000 eine bleibende Hornhauttrübung.
Wicherkiewicz*) neigt sich in seinem neuesten Jah-
resbericht wieder mehr der Ansicht zu, dass das Cocain
die Ursache der Trübung sei. Er sagt, seit er nur zwei-
mal eine ö^/^ige Cocainlösung in Pausen von fünf Minuten
vor der Extraction einträufele, habe er niemals mehr eine
stationäre Trübung zu beklagen gehabt.
Auch an der Baseler ophthalmologischen Klinik wur-
den diese parenchymatösen Hornhauttrübungen nach Extrac-
tion beobachtet. Einige hellten sich nach einiger Zeit wie-
der auf, andere hingegen beeinträchtigten durch bleibende
Hornhauttrübungen das Sehvermögen bedeutend. Ebenso-
wenig wie Pflüger und Knapp sahen wir regelmässig die
von Bunge beschriebene streifige Form. Die Trübungen
^) Eversbusch, üeber die Anwendung der Antimycotica in der
Augenheilkunde. Centralbl. f. prakt. Augenheilk., XIV. Jahrg., S. 65.
*) XII. Jahresbericht der Augenheilanstalt für Arme in Posen
für das Jahr 1889 von Dr. B. Wicherkiewicz, S. 37.
166 C. Mellinger.
waren häufig mehr diffus grau, bis milchig weiss. Bei con-
stanter Irrigation des Wundgebietes mit Sublimat 1 : 5000
und massiger Cocainisirung mit 2 % Lösung kamen doch
diese schweren Veränderungen der Hornhaut vor. Von einer
Eintrocknung konnte hier keine Rede sein. Die Ausspü-
lungen der vorderen Kammer mittelst der Undine wurden
mit Borsäurelösung vorgenommen. Der Verband nach der
Operation ist hier schon lange ein Guttapercha- Sublimat-
Verband, wie ihn Würdinger als therapeutisches Mittel
gegen diese Hornhauttrübungen empfiehlt, doch konnte er
bei unseren Fällen die Entstehung der Trübung nicht ver-
hindern. Selbst wochenlanges Eataplasmiren bei vorhan-
dener, frischer Trübung war von kaum bemerkenswerthem
Erfolg begleitet Es geht schon daraus hervor, dass die
hier beobachteten Hornhauttrübungen mit der von Wür-
dinger mit Erfolg behandelten Keratitis nicht überein-
stimmen. Sie erinnern ihrer Hartnäckigkeit nach mehr an
die von Bunge, Pflüger und Knapp beschriebenen Fälle.
Die Hauptpunkte aus den Krankengeschichten der hier
zur Beobachtung gekommenen Fälle von dieser neuen blei-
benden Hornhauttrübung sind folgende:
I. Fall.
G. Jean, 75 Jahre.
Eintritt: 8. Octbr., Austritt: 6. Novbr. 1885.
Anamnestisch ausser den gewöhnlichen Angaben Aber Ab-
nahme des Sehvermögens nichts von Bedeutung.
Status praes. Kräftiger Mann. Beiderseits leichter Con-
junctivalcatarrh. R. Corticalcataract. S = *~^/iooo- Proj. gut
L. Cataract incip. S=**/goQ.
Die Urinuntersuchung, welche an der hiesigen Klinik regel-
mässig bei allen Staarkranken vorgenommen wird, ergiebt kein
Eiweiss, dagegen bei der Trommer 'sehen Probe viel Zucker.
Spec. Gewicht 1042. Patient war sich seiner Zuckerkrankheit
nicht bewusst.
9. Octbr. R. Extraction. Cocainanästhesie mit 2% Lö-
sung. Schnitt in der Corneoscleralgrenze. Z&he Kapsel. Bei
Experimentelle ünterBuchungen etc. 167
der Entbindung der Linse bleibt ziemlich viel Corticalis zurück.
Hochgradiger HornhautcoUaps, wesshalb die Entfernung der
Corticalreste ziemlich schwierig und der DayieTsche Löffel
mehrfach eingeführt werden muss. Einzelne feine Corticalreste
bleiben zurück, sonst Pupille schwarz. Verband.
11. Octbr. Verbandwechsel. Ausser leichtem Oedem der
Coiü* bulbi und streifiger Trübung der Hornhaut nichts Ab-
normes. 13. Oct Hornhaut mehr diffus getrübt. 16. Oct. Horn-
haut wolkig parenchymatös getrübt 17. Oct. Tag über kein
Verband, Kataplasmen und Atropin. Diese Therapie wird
fortgesetzt bis zum Austritt am 6. Nov. Das Auge wird
nun gut geöffnet. Bulbus leicht oberflächlich injicirt. Cornea
stark streifig und wolkig parenchymatös getrübt. Kam-
mer gut. Pupille ziemlich weit. Nur wenig Licht vom Augen-
hintergrund dxingt durch die Hornhauttrübung, keine Details
sichtbar. 8=^^200 ^ ^^fi' Zuckergehalt des Urins etwaa
geringer. Spec. Gewicht 1035. Die Trübung besteht trotz ver-
schiedener therapeutischer Versuche bis zum heutigen Tage
unverändert fort.
IL Fall.
K. Serafine, 65 Jahre.
Eintritt 13. März, Austritt 3. Mai 1885.
Anamnestisch seit einigen Jahren hie und da Thränen
der Augen, sonst nichts von Bedeutung.
Status praes. Etwas blasse aber kräftige Frau.
L. Cataracta lenticularis. S=*/iooo- Pr^J- i^^-
R. Cataracta incip. S=*®/2oo- Urin normal.
19. März. L. Extraction unter 2^/^ Cocainanästhesie.
Grosser ganz in die Hornhaut fallender Schnitt. Ziemliche
Lappenhöhe. Leichte Entbindung des grossen Kerns. Ziemlich
viel Corticalis bleibt zurück, die nur theilweise durch Streichen
entfernt werden kann. Verband.
21. März. Verbandwechsel: Cornea diffus trüb, mas-
sige bulbäre Ii^ection. 26. März Trübung hat eher zugenom-
men. Tagverband wird weggelassen. Kataplasmen, Atropin. Diese
Therapie wird fortgesetzt bis zum 3. Mai ohne eine wesent-
liche Besserung zu erzielen. Fat. wird entlassen mit paren-
chymatös' grau weiss getrübter Hornhaut und einem S. von
^^^ V>oo H ^^fi' ^^^^ spätere Anwendung von aufhellenden
Mitteln vorzugsweise ungt. flav. blieb erfolglos. Poliklinisch
168 C. Mellinger.
wird am 14. Juni der gleiche Zustand wie beim Anstritt ge-
funden S = */joo H14,0.
III. Fail.
S. Regina, 72 Jahre.
Eintritt 23. April, Austritt 2. Juni 1888.
Anamnestisch nichts besonderes.
Status praes. Kräftige Frau. Beiderseits leichter Ca-
tarrh. L. bei flacher Kammer. Cataracta lenticularis S= */iooo»
Proj. gut. R. nichts Abnormes. S=l. Urin normal.
24. April. L. Extraction. 2^/^ Cocainanästhesie. Mittel-
grosser Schnitt in der Hornhaut, nach innen die Scleralgrenze
erreichend, starke störende Blutung. Leichte Entbindung der
Linse. Corticalis mit der Undine entfernt. Verband.
30. April. Verbandwechsel: Kammer flach. Etwas Con-
junctivalödem. Pupille eng. Leicht diffus getrübte Hornhaut.
Atropin. 1. Mai ziemlich starke diffuse Hornhauttrübung, die
bis zum 6. Mai immer mehr zunimmt. Auf Chamillen und
später Kataplasmen tritt eine leichte Besserung ein, doch be-
steht beim Austritt am 2. Juni noch eine diffuse parenchy-
matöse blaue Cornealtr Übung und in Folge davon ein Visus
von ^-^1^00 H11,0.
Poliklinisch: 11. Juni. S = ^^j^q^ H 11,0. Hornhaut
etwas heller.
IV. Fall.
R. Theobald, 67 Jahre.
Eintritt 23. Mai, Austritt 21. Juni 1888.
Die Anamnese ergiebt nichts besonderes.
Status praes. Massig kräftiges Individuum. Beiderseits
etwas Catarrh und Cataracta lenticularis, sonst nichts Abnormes.
R. S = */2ooi L- S=®/iooo- Beiderseits Proj. gut.
29. Mai. L. Extraction ohne Iridectomie. Ziemlich
grosser Schnitt im Comeoscleralrand. Starker CoUaps der Horn-
haut. Mühevolle Entbindung des grossen Kerns. Zurückblei-
bende Corticalis wird mit dem Löffel herausgestrichen. Pupille
ganz schwarz. Verband.
1. Juni. Verbandwechsel: Starke mehr diffuse paren-
chymatöse Hornhauttrübung. Sonst gut. Behandlung mit Cha-
millen und Atropin.
Am 21. Juni ist bei der Entlassung in Folge der nur
unbedeutend gebesserten Hornhauttrübung S = ^^/soo ^ ^^fi-
Experimentelle üntersuchangen etc. 169
V. Fall.
R. Jean, 18 Jahre.
Eintritt 2. Juni, Austritt 23. Juni 1888.
Anamnestisch wird nichts von Bedeutung angegeben.
Stat. praes. Decrepider Mann. Beiderseits leichter Ca-
tarrh. R Cataracta lenticularis S='~*/ioooi ^« Cataracta
nuclearis S=^~^/,ooo- Beiderseits Proj. gut
5. Juni. R. Extraction. Ziemlich grossen Schnitt im
Comeoscleralrand, mittelbreite Iridectomie. Wegen plötzlichem
Aufwärtssehen schwierige Entbindung des Linsenkerns. Es
bleibt Corticalis zurück, die durch Streichen entfernt wird.
Verband.
L. Extraction ohne Iridectomie. Grosser Schnitt in
der Hornhaut nach unten. Nach . Eröffnung der Kapsel tritt
eine Luftblase in die vordere Kammer. Glatte Entbindung des
flachen Kerns. Die Kammer wird reichlich mit der Undine aus-
gespritzt.
R. Auge: Verlauf normal. Hornhaut bleibt klar. Beim
Austritt noch Reste von Corticalis. S= Vio H 11,0.
L. Auge: Beim ersten Verbandwechsel am 8. Juni dif-
fuse parenchymatöse Hornhauttrübung. Behandlung wie
bei den früheren Fällen mit feuchter Wärme und Atropin. Am
22. Juni bei der Entlassung diffuse parenchymatöse Hornhaut-
trübung etwas geringer. S=^®/goo H 10,0.
Poliklinisch: 30. Juli. Oberer Theil der Hornhaut auf-
gehellt, unterer noch stark getrübt S = ^^I^qq H11,0.
VL Fall.
St. Francisca, 74 Jahre.
Eintritt 21. Sept., Austritt 21. Decbr. 1888.
Wurde links vor drei Jahren extrahirt und mit S=^/io
H 12,0 entlassen. Anamnestisch sonst nichts von Bedeutung.
Status praes. Ziemlich rüstige Pat. Beiderseits leichter
chronischer Conjunctivalcatarrh.
R. Cataracta lenticularis. S = ^Ij^qqq. Proj. gut
L. Hornhaut klar. Kammer tief. Breites Colobom nach
oben. Nachstaar. S==Vio H 12,0.
25. Sept R. Extraction ohne Iridectomie. Anaesthesie
mit 2 ^Iq Cocain, wie bei allen anderen Fällen. Schnitt im Cor-
neoscleralrand. Hochgradiger CoUaps, trotzdem leichte Entbin-
170 C. Mellinger.
dang des Linsensystems. Corticalmassen werden theils mit dem
DavieTBchen Löffel, theils mit der Undine herausbefbrdert
Keine Tendenz zum Irisvorfall. Verband.
26. Sept. Patientin war Nachts sehr unmhig. Klagt Aber
Schmerzen. Verbandwechsel: Kammer noch ganz aufge-
hoben. Hornhaut getrübt Wenig Reizung. Verband.
27. Sept Streifige parenchymatöse Hornhauttrfl-
bung. Behandlung mit Chamillen und Atropin.
16. Novbr. S=**/2oo H 12,0.
•24. Nov. Trübung bisher ziemlich gleich stark geblieben.
Von jetzt an täglich drei Minuten Massage der Hornhaut
1. Decbr. S = ^^/goo H 12,0.
21. Dec. Die streifige und wolkige parenchymatöse Horn-
hauttrübung ist eher noch etwas stärker geworden. S=**/2oo
H 12,0. Fat. wird mit Jodjodkaliumtropfen entlassen
Poliklinisch: 26. Septbr. 1889. Trübung besteht fort
S = 8/200 H 12,0.
18. Dec. Trübung hat eher noch zugenommen. S= %oo9
H 12,0.
26. März 1890. Hornhaut noch durchweg parenchymatös
getrübt. Oberer Theil mehr streifig, unterer mehr wolkig. Von
unten her an zwei Stellen tiefe Vascularisation. S = ^/soo>
H 12,0.
Diese sechs Fälle zeigen mit Ausnahme der Hornhaut-
trübung so wenig übereinstimmendes, dass sich aus ihnen
auf die Ursache der Trübung nicht schliessen lässt. Eben-
sowenig spricht irgend etwas für eine besondere Disposition
der Patienten zu dieser Trübung. Am meisten finden wir
noch das Auftreten von HornhautcoUaps und schwierige
Entbindung der Linse erwähnt Gerade dieses letztere und
das häufige Eingehen mit Instrumenten in die vordere Kam-
mer könnte als Ursache der Trübung in unseren Fällen an-
gesehen werden. Bei der bereits oben erwähnten Discus-
sion über die Streifenkeratitis ^) nach Operationen, die der
vor der ophthalmologischen Gesellschaft 1887 in Heidelberg
gehaltene Vortrag von Laqueur hervorrief, wurde für die
Entstehung dieser Hornhauttrübung speciell das mechanische
») 1. c. S. 162, Note 1.
Experimentelle üntersucliungeii etc. 171
Moment der Gontusion betont Sattler, Leber und Becker
haben ausser der streifigen auch eine circumscripte diffuse
Trübung gesehen, sie verschwindet entweder mehr oder we-
niger rasch oder hinterlässt eine bleibend getrübte Stelle.
Als Ursache dieser circumscripten, diffusen Hornhauttrübung
wird nach den Versuchen von Leber und Wagenmann
eine mechanische Verletzung des Endothels angenommen.
Unsere Hornhauttrübungen in den sechs angeführten
Fällen müssen jedoch eine andere Ursache haben. Dafür
spricht erstens ihre gleichmässige Ausdehnung über einen
grösseren Theil der Hornhaut, zweitens der Umstand, dass
wir solche Hornhauttrübungen in früheren Serien von Ca-
taractoperationen nicht gekannt; obwohl in denselben bei
den gleichen Manipulationen die gleichen mechanischen
Schädlichkeiten eingewirkt hatten. Ganz besonders spricht
drittens gegen die mechanische Ursache unserer Trübung,
dass in den folgenden Operationsserien nach Weglassung
der Sublimatlösung als Irrigationsflüssigkeit nie mehr etwas
Aehnliches beobachtet worden ist.
Der Diabetes des ersten Falles mag denselben als nicht
ganz rein erscheinen lassen. An eine Vertrocknung der
Homhautoberfläche während der Operation, wie sie Wür-
dinger gesehen, konnte bei der constanten Irrigation nicht
gedacht werden.
Das Cocain allein schien uns auch nicht der wahr-
scheinliche Urheber der Trübung zu sein. Besonders wenn
wir an die unvergleichlich reichlicheren Cocaineinträufelun-
gen bei Pterygiumoperationen, Iridectomieen und besonders
bei Herausnahme von Fremdkörpern aus der Hornhaut
dachten, die ohne schädlichen Einfiuss auf die Cornea ge-
schehen können.
Der Sublimat, der hier schon längere Zeit vor Anwen-
dung des Cocains, wenn auch nicht zur constanten Irriga-
tion, so doch zur häufigen Ueberspülung des Operations-
gebietes in Lösung von 1 : 5000 verwendet wurde, ohne
172 C. Mellinger.
dass vorher ähnliche Trübungen auftraten, schien uns auch
nicht schuldig.
Auffallend erschien auch uns, dass wir die Trübungen
nur bei Cataractextractionen sahen, während bei anderen
Operationen nie etwas Aehnliches beobachtet wurde. Es
musste also der Zustand, in welchem das Auge sich befand,
zur Zeit wenn es in Berührung kam mit Sublimat oder Co-
cain oder mit beiden zusammen für die Entstehung der
Trübung von Bedeutung sein.
Die Eröffnung der vorderen Kammer allein konnte es
nicht sein, sonst hätten wir bei Iridectomieen Aehnliches
sehen müssen. Die weitere Eröffnung der vorderen Kam-
mer bei Extraction, die grössere Möglichkeit des Eintretens
von Flüssigkeit in dieselbe nach der Linsenentbindung, hat-
ten hier noch in Betracht zu kommen. Die Wahrschein-
lichkeit, diese Fragen auf klinischem Wege zu lösen, war
eine sehr geringe. Ich folgte daher gerne der Aufforderung
meines verehrten Lehrers, Herrn Prof. Schiess-Gemuseus,
den Gegenstand einer experimentellen Untersuchung zu
unterziehen.
Die Fragen, welche wir uns zu stellen hatten, waren
folgende:
1) Welchen Einfluss hat das Cocain allein oder
in Verbindung mit Sublimat auf die unverletzte
Hornhaut?
2) Wie ist der Einfluss bei eröffneter vorderer
Kammer?
3) Wie verhält sich die Hornhaut bei kürzerem
Aufenthalt und beim Zurückbleiben dieser Flüssig-
keiten in der vorderen Kammer?
Experimenteller Theil.
1) Welchen Einfluss hat das Cocain allein oder
in Verbindung mit Sublimat auf die unverletzte
Hornhaut.
Experimentelle Üntersuchangen etc. 173
Durch zahlreiche Versuche am Kaninchen wurde das
TOD Würdinger angegebene Verhalten des Hornhautepi-
thels beim Cocainisiren^ bei offener und geschlossener Lid-
sgalte bestätigt gefunden. Wir sahen besonders schön mit
der Westien'schen Lupe die bei offengehaltenem Auge
auftretenden Unebenheiten des Hornhautepithels. Bei der
Prüfung der Sensibilität fiel uns bei den meisten Fällen
auf, dass die leichte Berührung mit der Sonde einen oft
mehrere Minuten lang bestehenbleibenden Eindruck im Epi-
thel der Hornhaut zurückliess.
Auch die Durchlässigkeit des Epithels der cocainisir-
ten Hornhaut für leicht diffundirende Farbstoffe konnte mit
Uranin constatirt werden.
Cocainisirt man bei einem Kaninchen das eine Auge
und bringt dann in den Gonjunctivalsack beider einen Trop-
fen einer 207oig6i^ Uraninlösung, so sieht man schon nach
wenigen Secunden die Hornhaut des cocainisirten Auges
sich grün färben und nach einer Minute hat sich die Farbe
dem grössten Theil des Parenchyms mitgetheilt; während
die Hornhaut des anderen Auges unverändert bleibt.
Ausgiebige Sublimatirrigation (1 : 5000) nach reich-
licher Cocainisirung konnte nur vorübergehende, hauchige
Trübung der obersten Epithelschicht hervorrufen.
Es wurde hierbei beobachtet, dass langanhaltende Su-
blimatirrigation eine ziemlich starke mehrere Tage anhaltende
catarrhalische Reaction der Kaninchenconjunctiva hervorruft.
Alle in dieser Hinsicht^ angestellte Versuche ergaben
in Bezug auf die nach Extraction auftretende parenchyma-
töse Hornhauttrübung das zu erwartende negative Resultat.
Wir können hier nur die von Würdinger angeführten Co-
cainveränderungen des Epithels der Hornhaut bestätigen.
Es scheint uns noch von Literesse hier zu erwähnen,
dass die Veränderungen, welche das Cocain an den Epi-
thelzellen der Hornhaut hervorruft, sich sehr leicht an der
Froschhornhaut unter dem Mikroskop beobachten lassen.
174 C. Melllnger.
2) Wie ist der Einfluss des Cocains allein oder
in Verbindung mit Sublimat auf die Hornhaut bei
eröffneter vorderer Kammer.
Nach dem zu erwartenden negativen Resultat der ersten
Versuchsreihe, hatten wir zu unserer zweiten Frage über-
zugehen und die Versuche bei eröffneter vorderer Kammer,
die Würdinger bereits vorgenommen, zu wiederholen. Bei
diesen Versuchen wurde in der cocainisirten Hornhaut dem
oberen Pupillarrand gegenüber ein etwas über 1 mm langer
Schnitt angelegt und nach Abfluss des Kammerwassers so**
wohl bei offengehaltener als auch sich selbst überlassener
Lidspalte während einer Stunde alle 5 Minuten ein Tropfen
einer 2 ^/oigen Cocainlösung auf die Hornhaut und die
Schnittstelle gebracht
Ausser den bekannten von Würdinger nachgewiese-
nen Epithelveränderungen und hie und da einer leichten
bläulichen Färbung und Quellung der Wundlippen konnte
keine weitere Veränderung der Hornhaut beobachtet wer-
den. Die Hornhäute waren des anderen Tages wieder voll-
kommen glatt und unverändert in ihrer Transparenz, die
Schnittränder zeigten manchmal eine schmale vorüber-
gehende Trübung.
Die Versuche wurden sodann combinirt mit Sublimat-
irrigation. Nach ausgiebiger Cocainisirung und Anlegung
des Schnittes wurde, ähnlich wie bei der Staaroperation,
eine Irrigation des Auges mit einer Sublimatlösung von
1 : 5000 während zehn Minuten vorgenommen. Bei einzel-
nen Versuchen geschah von Zeit zu Zeit während der Irri-
gation ein Lüften des Wundrandes und das etwa wieder
angesammelte Kammerwasser floss ab.
Ausser dem bereits oben beschriebenen und für die
Kaninchenconjunctiva» wie es scheint, charakteristischen Reiz-
zustand nach längerem Contact mit Sublimatlösung, wurde die
Hornhaut fast regelmässig oberflächlich hauchig getrübt
gefunden. Die oberflächliche Trübung war nach ein bis zwei
Experimentelle üotenachungen etc. 175
Tagen wieder YoUständig verschwunden. Eine der gesuch-
ten Trübung gleichende Veränderung konnte nicht erzeugt
werden.
3) Wie verhält sich die Hornhaut bei kürzerem
Aufenthalt und beim Zurückbleiben dieser Flüssig-
keiten in der vorderen Kammer.
Zur Beantwortung dieser Frage wurde eine grosse
Reihe von Versuchen am Kaninchen gemacht. Da ein be-
stimmter Theil dieser Versuche ein positives Resultat brachte,
halte ich es für angezeigt, die für die Beantwortung un-
serer Frage wichtigen Versuche aus dem ProtocoU mitzu-
theilen. Die Versuche tragen die Protocollnummer.
Die erste Versuchsreihe handelt über das Ver-
halten der Hornhaut bei kürzerem Aufenthalt von
Cocain in der vorderen Kammer.
Versuch HI.
Weisses Kaninchen. Linkes Auge. Hornhaut intact. 10 Uhr
30 Min. 1 gtt. 2 % Cocain, 10 Uhr 35 und 10 Uhr 39 Min.
dasselbe. Nun wird ein 1 ^/^ mm langer Lappenschnitt in der
Hornhaut dem oberen Pupillarrand gegenüber angelegt. 10 Uhr
40 Min. wird die abgeschliffene, stumpfe Canüle einer Pravatz-
spritze durch die Wunde bis über den oberen Pupillarrand
hinaus in die vordere Kammer eingeführt. Durch langsames
Vorschieben des Stempels der Spritze werden mehrere Theil-
striche einer 2®/Qigen Cocainlösung in die vordere Kammer
gebracht. Das Cocain fliesst durch die klaffende Wunde wie-
der ab. 10 Uhr 50 Min. Hornhantepithel zeigt die durch das
Cocain hervorgerufenen Unebenheiten; Pupille wird bei der
wieder etwas vorhandenen flachen Kammer weit. 11 Uhr 5 Min.
Bei schiefer Beleuchtung deutliche Auflockerung und Uneben-
heit des Hornhautepithels besonders in der Lidspaltenzone.
Pupille weit. 11 Uhr 30 Min. Epithelveränderungen nehmen
ab. Papille bleibt weit. Am folgenden Tag: Auge reizlos, Horn-
haut klar.
Alle in der gleichen Weise angestellten Versuche gaben
das gleiche Resultat.
176 0. Mellinger.
Zweite Versuchsreihe über das Verhalten der
Hornhaut bei kürzerem Aufenthalt einer Sublimat-
lösung 1:5000 in -der vorderen Kammer.
Diese Versuche wurden mit und ohne Gocainanästhesie
vorgenommen, stets mit dem gleichen Resultat
Als Beispiel gelte:
Versuch XV.
Weisses Kaninchen. Linkes Aag& Intacte Hornhaut
21. März. 11 Uhr 25 Min. In der Hornhaut wird dem
oberen PapiUarrand gegenüber ein kleiner Lappenschnitt ge-
macht Kammerwasser läuft ab. Hierauf wird die Pravatz'sche
Spritze mit stumpfer Ganüle bis zum unteren Pupillarrand ein-
geführt und langsam eine halbe Spritze Sublimatlösung (1 zu
5000) eingespritzt. Die eingespritzte Flüssigkeit läuft neben
der Ganüle durch den Schnitt wieder ab, die Kammer füllt
sich nicht. Die Pupille wird eng.
22. März. Auge reizlos. Homhautoberfläche sieht leicht
kömig aus. Obere und mittlere Partie der Hornhaut bis zum
unteren Pupillarrand sind bläulich, parenchymatös getrübt
Pupille frei, reagirt auf Licht Sensibilität ist in der ge-
trübten Hornhautpartie herabgesetzt.
23. März. Parenchymatöse Trübung noch intensiver. Iris
durch dieselbe nur sehr undeutlich sichtbar. Sensibilität in der
Trübung herabgesetzt. Berührung der getrübten Stelle mit einer
stumpfen Sonde erzengt einige Zeit bestehenbleibende Eindrücke.
24. März. Trübung etwas weniger intensiv. Sonst stat id.
26. März. Nor noch ganz leichte, hauchige, parenchymatöse
Trübung der Hornhaut Sensibilität noch deutlich herabgesetzt
in der getrübten Partie. Epitheleindrücke lassen sich noch mit
der Sonde wie am 23. März hervorrufen.
27. März. Nur in der Nähe der geschlossenen Wunde
noch etwas parenchymatöse Trübung. Sensibilität gut. In der
früher getrübten Stelle lassen sich noch mit dem Sondenkopf
Epitheleindrücke hervorrufen, doch verschwinden dieselben viel
rascher als zwei Tage vorher.
28. März. Hornhaut bis auf die Schnittnarbe klar. Sen-
sibilität gut. Es lassen sich keine Epitheleindrücke mehr her-
vorrufen. Pupille reagirt auf Licht. Auge reizlos. —
Experimentelle Untersnchungeo etc. 177
Eine grosse Anzahl solcher Versuche brachte uns stets
das gleiche Resultat. Die Dauer der parenchymatösen Trü-
bung schwankte zwischen drei bis sechs Tagen. Stets hellte
sich die Hornhaut wieder vollkommen bis auf die kleine
Schnittnarbe auf. Vorhergehende Gocainanästhesie blieb
ohne nachweisbaren Einfluss auf die Entstehung und die
Dauer der Trübung. Wurde vorher die vordere Kammer
mit Cocain ausgespült und dann eine Sublimatausspülung
folgen gelassen oder zum Ausspülen ein Gemisch von glei-
chen Theilen der gewöhnlichen Cocain- lud Sublimatlösun-
gen benutzt, so trat das gleiche Resultat auf. Es entstand
die oben beschriebene, durch Sublimat allein schon hervor-
gerufene parenchymatöse Trübung der Hornhaut; aber mit
dem bemerkenswerthen Unterschied, dass sie einige Tage
länger (bis zehn Tage) bestehen blieb, als wenn Sublimat
allein durch die vordere Kammer geflossen war.
Durch diese Versuche war bewiesen, dass der Subli-
mat allein, wenn er sich auch nur vorübergehend in der
vorderen Kammer in der Verdünnung von 1 : 5000 befindet,
eine vorübergehende, parenchymatöse Trübung der Kanin-
chenhornhaut hervorruft, ähnlich der in letzter Zeit beim
Menschen nach Staaroperationen beobachteten Corneatrübung.
Wir hatten die Ausspülung der vorderen Kammer in
diesen Versuchen vorgenommen, um den Verhältnissen, unter
denen sich ein Auge während der Staaroperation verbun-
den mit Irrigation befindet, möglichst nahe zu kommen.
Der niedere Druck, unter dem das Auge nach der weiten
Eröffnung* der vorderen Kammer und besonders nach der
Entbindung der Linse sich befindet, lässt die Irrigations-
flüssigkeit in die vordere Kammer leicht eintreten. Es kann
sogar vorkommen bei stark herabgesetztem Druck, der nicht
so selten mit Anwendung des Cocains beobachtet wird, dass
Irrigationsflüssigkeit nach vollendeter Operation in der vor-
deren Kammer zurückbleibt. Unsere oben angeführten Ver-
suche entsprechen dieser letzteren Möglichkeit nicht. Die
▼. Gnefe'B AtcUt mr Ophthalmologie. XXXVII. 4. 12
178 C. Mellinger.
vordere Kammer entleerte sich nach Einbringung der Su-
blimatlösung stets wieder ganz und konnte desshalb auch
nur die Wirkung von vorübergehend in der vorderen Kam-
mer anwesender Sublimatlösung zur Beobachtung kommen.
Es blieb daher noch zu untersuchen, welchen Einfluss kleine,
in der vorderen Kammer zurückbleibende Mengen von Su-
blimatlösung auf die Hornhaut ausüben.
Von dem zunächst liegenden Versuch zur Beantwor-
tung dieser Frage, der Staarextraction am Thier, wurde
aus naheliegenden Gründen abgesehen. Die Infectionsge-
fahr ist hierbei eine zu grosse und reine Versuchsresultate
mehr vom Zufall abhängig.
Es wurde desshalb mit der Discissionsnadel eine feine
Oeffnung in der Hornhaut gemacht, durch die sich nur
beim Lüften der Wunde die vordere Kammer vollständig
entleerte. Durch eine solche Oefihung eingespritzte kleine
Mengen der Sublimatlösung bleiben in der vorderen Kam-
mer zurück, wovon man sich durch eine gefärbte Lösung
überzeugen kann. In dieser Weise ausgeführte Versuche
gaben das gesuchte Resultat: die weisslich- graue, pa-
renchymatöse bleibende Hornhauttrübung.
Der folgende aus der HL Versuchsreihe herausgegrif-
fene Versuch mag als Muster gelten.
Versuch XL
Gelbbraunes Kaninchen. Becbtes Auge. Intacte Hornhaut.
Dunkelpigmentirte Iris.
13 Febr. 1890. Cocainanästhesie. Perforation der Horn-
haut dem oberen inneren Papillarrand gegenüber. Nach Abfloss
des Kammerwassers Einspritzung eines Theilstriches der Subli-
raatlösung 1:5000 mittelst der Pravatz'schen Spritze; die Lö-
sung bleibt nach Entfernung der Spritze in der vorderen Kam-
mer zurttck. Die Papille wird eng. Das Thier scbliesst das
Aage.
14. Febr. Auge reizlos wird gut geöffnet. Obere Horn-
hauthälfte blau parenchymatös getrübt. Die Trübung
besteht aus feinen Streifen und polygonalen Flecken. Pupille
ExperimenteUe Untersachungen etc. 179
eng, reagirt anf Licht Sensibilität in der getrübten Partie
herabgesetzt. Der Sondenknopf erzeugt* kurze Zeit besteheli-
bleibende EindrQcke in dem Hornhautepithel der getrübten Stelle.
Bis zum 17. Febr. hat die Trübung derart an Intensität
zugenommen, dass die Pupille nur noch schwach sichtbar ist.
Die Trübung nimmt nun fast die ganze Hornhaut ein. Das
Auge bleibt reizlos und wird gut geöffnet
Bis 26. Febr. bleibt der Zustand der gleiche; von da an
hellt sich die Trübung in den peripheren Theilen der Horn-
haut auf, während die mehr central und nach oben gelegene,
zuerst getrübte Partie sich noch intensiver trübt.
12. März. Oberer Theil der Hornhaut bleibt intensiv grau-
blau getrübt, untere und zeitliche Theile haben sich aufgehellt.
Sensibilität nur noch wenig herabgesetzt Epitheleindrücke las-
sen sich in der getrübten Partie mit der Sonde noch hervor-
rufen, doch verschwinden sie sehr rasch.
25. April. Bei reizlosem Auge besteht die Trübung in
dem oberen Theil der Hornhaut fort Sie geht vom oberen
Hornhautrand zungenförmig bis über die Pupille und nimmt
fast ein Dritttheil der Hornhaut ein. Ihre Farbe wird mehr
milchig weiss und ihre Durchsichtigkeit dadurch noch geringer.
Die Sensibilität ist in der getrübten Stelle nicht mehr herab-
gesetzt Epitheleindrücke lassen sich keine mehr hervorrufen.
Die Oberfläche über der parenchymatösen Trübung ist glänzend
wie die übrige Hornhaut
Als der Bulbus nach sechzehn Monaten zum Zwecke
der mikroskopischen Untersuchung nach Tödtung des Thieres
herausgenommen wurde, war diese zungenförmige parenchymatöse
Hornhauttrübung noch in gleicher Stärke vorhanden.
Aus diesen Versuchen geht hervor, dass Sublimat in
die vordere Kammer des Kaninchenauges gebracht, eine
parenchymatöse Hornhauttrübung erzeugt, die der beim Men-
schen beobachteten ähnlich ist
Das Bestehenbleiben dieser Trübung hängt davon ab,
• wie lange Sublimat von der bei Augenoperationen üblichen
Concentration in der vorderen Kammer anwesend war.
Bleibt eine kleine Menge in der Kammer zurück, so ent-
steht eine viel intensivere und ausgedehntere Hornhaut-
trübung, die zu einer bleibenden werden kann.
12»
180 C. Mellinger.
Das Entstehen dieser parenchymatösen Hornhauttrü-
bung ist vollkommen unabhängig Yon der Grösse der Per-
forationswunde der Cornea. Dass die Wunde überhaupt
mit der Entstehung dieser Hornhauttrübung nichts zu thun
hat, dafür spricht vor Allem, dass die Trübung ganz gleich
entsteht, wenn man die Perforationsöffnung in den Scleral-
falz verlegt und durch eine sclerale Oeffimng Sublimat-
lösung in die vordere Kammer bringt, —
Nach den klinischen Erfahrungen war es noch von
Interesse zu wissen, welche Rolle das Cocain bei der Ent-
stehung dieser Trübung spielt. .Wie wir oben gesehen ha-
ben, ist es im Stande, eine schwache Sublimattrübung, wenn
es gleichzeitig mit dem Sublimat eingewirkt hat, in ihrem
Bestehen zu verlängern.
Versuche mit Einbringung von Cocainlösung in die
vordere Kammer fielen in so weit negativ aus, als keine
Hornhauttrübung entstand.
Aus Versuchen von Würdinger ist uns bekannt, dass
das Epithel der cocainisirten Hornhaut für im Con-
junctivalsack befindliche Flüssigkeiten leichter durchgängig
wird (siehe Seite 163).
Bei Staaroperationen, besonders bei solchen mit Iri-
dectomie, kommt häufig noch nach vollendetem Lappen-
schnitt, zum Zweck der schmerzlosen Irisausschneidung Co-
cain zur Anwendung. Dasselbe muss dann in die vordere
Kammer eindringen wenn es wirken soll.
Es war daher die Frage naheliegend: Wie wirkt das
Cocain auf das Endothef der Hornhaut?
Zur Beantwortung derselben wurde folgender Versuch
gemacht:
Bei einem Kaninchen wird beiderseits mit einer breiten
Discissionsnadel die Hornbant perforirt. Hierauf in. das eine
Auge mit der Pravatz'schen Spritze ein bis zwei Tropfen einer
2^/oigen Cocainlösung eingebracht. Das Kaninchen erhält so-
dann eine Injection von Fluorescinlösung unter die Rückenhaut.
Experimentelle üntersachungen etc. 181
Nach 20 — 25 Minuten zeigt sich das Fluorescin beiderseits in
der vorderen Kammer und färbt den Humor aqueus grttn. Auf
der cocainisirten Seite wird aber nicht nur das Kammerwasser,
sondern auch der grösste Theil der Hornhaut parenchymatös,
diffus grün geförbt.
Die Grünfärbung des Parenchyms ist bei diesem Ver-
such viel intensiver, als beim Eindringen des Fluorescins
vom Epithel aus. — Das andere nicht cocainisirte Auge
zeigt nur in der nächsten Umgebung der Perforations-
öfifnung einen schmalen grün gefärbten Hof, während die
übrige Hornhaut vollkommen klar bleibt.
Dass es hier wirklich das Cocainum muriaticum in
der Lösung ist, welches das Epithel oder Endothel durch-
gängig macht und nicht das Aqua destillata beweisen ent-
sprechende ControUversuche, die von uns mehrfach ausg^
führt wurden. Sie zeigten erstens, dass Aqua dost, allein
nicht im Stande ist, eine solche Durchlässigkeit des Epi-
thels zu erzeugen, wie die Cocainlösung; zweitens, dass
Cocain in einhalbprocentiger Kochsalzlösung ganz gleich auf
Epithel und Endothel einwirkt, wie in der gewöhnlichen
wässerigen. Es muss also das Cocainum muriaticum
die Eigenschaft besitzen, sowohl Epithel als auch Endothel
der Hornhaut für Flüssigkeiten durchgängig zu machen.
Aus unseren Versuchen geht demnach hervor, dass so-
wohl das Cocain als auch der Sublimat in der gebräuch-
lichen Lösung das Endothel der Hornhaut verändern müs-
sen. Die Sublimattrübung tritt auf, wenn wir die Cornea
gar nicht verletzt haben, sondern scleral die Lösung in die
vordere Kammer bringen. Die Sublimatlösung kann dem-
nach auf keinem anderen Weg von der vorderen Kammer
aus in die Hornhaut eindringen als durch das Endothel.
Um dieses zu können, muss sie aber eine Veränderung im
Endothel hervorrufen. Denn wie Leber ^) nachgewiesen
*) Th. Leber, Stadien über den FlasBigkeitswechsel im Auge.
Oraefe*8 Archiv XIX, S. 162.
182 C. Mellinger.
hat» schützt das intacte Endothel am lebenden Auge das
Parenchym der Hornhaut vor dem Eindringen des Kammer-
wassers. Nuel und CorniP) zeigen in ihrer anatomischen
Arbeit über das Endothel der vorderen Kammer, dass vom
Kammerwasser diflferente Flüssigkeiten (destillirtes Wasser
und Sublimatlösungen) das Endothel abtödten und zur Ab-
stossung bringen, wodurch das Parenchym in directe Com-
munication mit dem Inhalt der vorderen Kammer tritt.
Nach unserem Fluorescinversuch hat auch das Cocain eine
das Endothel durchlässig machende Wirkung.
Durch das Gelingen dieser Versuche sind die Fragen,
die wir uns gestellt, beantwortet und können wir für die
Kaninchenhornhaut und ihr Verhalten zu Sublimat und Co-
cain folgende Sätze aufstellen:
1) Sublimatlösung in der Concentration von
1:5000 erzeugt bei vorübergehender Anwesenheit
in der vorderen Kammer eine kürzere Zeit anhal-
tende, parenchymatöse Hornhauttrübung. Bleibt
jedoch etwas Sublimatflüssigkeit in der vorderen
Kammer zurück, so entsteht eine intensive lang an-
dauernde oder bleibende parenchymatöse Trübung.
2) Das Cocain allein macht keine Hornhauttrü-
bung. Dagegen unterstützt seine Anwesenheit in
der vorderen Kammer die Entstehung der Subli-
mattrübung. Und zwar einmal dadurch, dass es
das Endothel für Flüssigkeit, die sich in der vor-
deren Kammer befindet, durchgängig macht und
so das Parenchym der Einwirkung dieser Flüssig-
keit aussetzt; ferner dadurch, dass es den intra-
ocularen Druck herabsetzt, das Auftreten von Horn-
hautcollaps befördert und so das Eindringen und
') De rendoth^lium de la chambre ent^rieure de Toeil, parti-
culiärement de celui de la com^e, par les D»* J. F. Nuel, profesaeor
et Fem. Cornil, assistent. Archives d*ophtalmologie. T. X. 309.
Experimentelle Untersuchungen etc. 183
Zurückbleiben von Sublimatlösung in der vorderen
Kammer erleichtert.
Für die Identität dieser beim Kaninchen erzeugten
parenchymatösen Sublimattrübung der Hornhaut, mit der
beim Menschen nach Staarextraction beobachteten, spricht
vor Allem die Art, wie sie experimentell hervorgerufen
wurde und ihr Aussehen. Vergleichen wir die genaue Be-
schreibung der parenchymatösen Hornhauttrübung nach
Staarextraction, wie sie die ausfuhrliche Krankengeschichte
der hier beobachteten Fälle enthält, mit einer durch Su-
blimat experimentell erzeugten parenchymatösen Keratitis
beim Kaninchen, so finden wir die gleichen Symptome.
Das Auge ist reizlos. Die Perforationswunde ist am
zweiten, dritten Tag in der gewöhnlichen Art vascularisirt.
Es besteht keine Lichtscheu. Die Hornhaut ist blau-grau,
parenchymatös getrübt. Das Epithel uneben. Die Trübung
besteht aus Wolken, polygonalen Feldern und Streifen. Ist
die Trübung nicht zu intensiv, so sieht man ausser einer
normalen vorderen Kammer, die Iris und eine auf Licht
gut reagirende Pupille. Die Sensibilität in der getrübten
Stelle ist stark herabgesetzt bis aufgehoben. Das zur Prü-
fung benutzte Sondenende hinterlässt in der Hornhautober-
fiäche einen Eindruck, der langsam wieder verschwindet,
wie bei Hautödem. Die Möglichkeit, solche Eindrücke her-
vorzurufen, schwindet mit dem Alter der Trübung und es
kehrt dementsprechend die Sensibilität zurück. Alle unver-
ändert bestehenbleibende Hornhauttrübungen derart zeigen
glänzendes Epithel, in dem sich keine Eindrücke hervor-
rufen lassen und wieder hergestellte Sensibilität.
Dass es sich bei der Sublimatkeratitis anfangs um
eine Quellungstrübung handelt, wie sie Leber ^) nach
Abkratzung des Endothels erhalten, dafür spricht die ge-
nauere Untersuchung so getrübter Kaninchenhornhäute.
*) 1. c. S. 181.
184 G. Mellinger.
Schneiden wir eine Hornhaut mit theilweiser frischer Su-
blimatkeratitis aus, so finden wir dieselbe in der getrübten
Partie zwei- bis dreimal so dick als in der transparenten.
Auch der Querschnitt zeigt uns das gleiche Verhältniss.
Dieses Homhautödem beruht auf einer Ausdehnung des
Saftkanalsystems, was sich besonders gut durch die Leb er-
sehe Blaufärbung ^) an frisch ausgeschnittenen ganzen
Hornhäuten nachweisen lässt Während bei' einer so behan-
delten normalen Hornhaut das Saftkanalsystem in den
bekannten Knochenkörperchen ähnlichen, schlanken Figuren
sich präseutirt, die durch haarfeine Ausläufer untereinander
in Verbindung stehen, erscheinen bei der Sublim^tkeratitis
diese Figuren bedeutend vergrössert, auf Kosten ihrer ecki-
gen Form, sie liegen näher aneinander, verdrängen die
Zwischensubstanz, die haarfeinen Anasthomosen sind plumpe
breite Verbindungen geworden.
Auch an Querschnitten so getrübter und in Müller-
scher FJüssigkeit gehärteter Hornhäute sehen wir eine sehr
auffallende, wahrscheinlich nur scheinbare Proliferation der
Homhautkörperchen. Die mit kemfärbendem Hämatoxylin-
Alaun behandelten Schnitte zeigten unveränderte Trans-
parenz der Homhautgrundsubstanz, dagegen massenhaft
sichtbare in jeder Dimension vergrösserte Homhautkörper-
chen. Einwanderung von Zellen aus der Nachbarschaft, wie
wir sie sonst massenhaft bei joder eigentlichen Entzündung
der Hornhaut sehen, war nie in bemerkenswerther Weise
nachzuweisen. Die Erscheinung der Proliferation der Hom-
hautkörperchen war um so auffallender, je jünger die Trü-
bung war und besonders deutlich an Hornhäuten, die am
dritten oder vierten Tag nach Erzeugung der Trübung in
die Härtungsflüssigkeit gekommen waren. Wir glauben
nicht, dass es sich hier um eine wahre Vermehrung der
Homhautkörperchen handelt, sondem dass das eingetretene
*) mit Ferrum Bulf. Ferridcyankaliam.
Experimentelle Untersuchungen etc. 185
Oedem, das die einzelnen Hornhautkörperchen vergrössert,
sie auch in mehr Schichten gleichzeitig sichtbar macht So
dass dnrch einen Schnitt nicht nur mehr dieser Gebilde
getro£fen werden, sondern auch im Schnitt selbst tieferlie-
gende deutlicher siditbar werden. Es mag auch manche
im Querschnitt getroffene, ausgedehnte Anastomose das Bild
der Vermehrung der Hornhautkörperchen noch vervollstän-
digen.
Das Endothel fehlt bei der frischen Trübung. Es er-
setzt sich in den ersten acht Tagen und gleichzeitig damit
tritt bei der vorübergehenden Form der Sublimattrübung
die Aufhellung der Hornhaut ein. Bei der bleibenden Form
der parenchymatösen Sublimatkeratitis stellte sich das En-
dothel ebenfalls her, jedoch ohne eine Besserung der Trans-
parenz an der getrübten Stelle zur Folge zu haben.
Das mikroskopische Bild einer bleibenden Sublimat-
trübung der Hornhaut ist ein ganz anderes als das eiber
frischen. Zwischen einer acht und sechzehn Monate alten
Trübung derart besteht keine nennenswerthe Differenz. Die
Veränderung ist nach dieser Zeit eine stationäre geworden.
An Querschnitten in Müller'scher Flüssigkeit gehärteter
Präparate zeigt die Hornhaut an der getrübten Stelle
keine Verdickung mehr. Das Epithel über der Trübung
ist von normalem Aussehen. Die Hornhautkörperchen sind
zahlreicher sichtbar als in dem transparenten Theil einer
solchen Cornea. Dagegen zeigen sie nicht mehr die gleich-
massige Aufblähung wie bei den feinsten Sublimattrübun-
gen. Sie sind schlank, aber nicht gestreckt wie in der nor-
malen Hornhaut, sondern leicht geschlängelt. Diese Schlän-
gelung der Hornhautkörperchen bringt eine wellenförmige
Vorlagerung der Homhautfibrillen mit sich, ähnlich dem
Befund, den Gallenga^) bei der angeborenen Hornhaut-
trübung beschrieben hat Die Structur der Homhautgrund-
*) C. Gallen ga, Salla Struttura dello scleroftalmo congenito.
Borna 1890.
186 C. MelUnger.
Substanz erinnert mehr an das scerale Gewebe. Die Mem-
brana Descemeti und das Endothel zeigen keine Verände-
rung. Es ist offenbar die Verlagerung der Hornhautfibril-
len, welche die Trübung verursacht.
Pathologisch-anatomisch können wir uns die Yorüber-
gehende und bleibende Trübung der Hornhaut nach Subli-
matinjection in die vordere Kammer in folgender Weise
erklären:
Die vorübergehende Sublimatkeratitis beruht auf
einer Quellung der Lymphspaltensysteme der Hornhaut.
Durch Verlust des Endothels hat sich die Hornhaut mit
Kanmierwasser und etwas Sublimat imbibirt. Die Aufhel-
lung geschieht durch Neubildung des Endothels und da-
durch entstehenden natürlichen Schutz des Parenchyms ge-
gen das Eindringen der Kammerflüssigkeit.
Die bleibende Trübung nach Sublimatkeratitis ent-
steht dann, wenn Sublimatlösung nach Zerstörung des En-
dothels direct in Berührung kommt mit dem Parenchym.
Das erste Stadium ist dann wieder die einfache Quellungs-
trübung der Hornhaut. Dieselbe hellt sich jedoch nach
Wiederherstellung des Endothels nicht mehr auf, weil das
direct und längere Zeit mit Sublimatlösung in Gontact gewe-
sene Lymphspaltensystem des Homhautparenchyms schrumpft
und so zu einer bleibenden Verlagerung der Homhaut-
fibrilleu fuhrt. —
Es ist auch für uns von praktischem Interesse zu wis-
sen, durch welche Flüssigkeit wir die Sublimatlösung 1 zu
5000 ersetzen können.
Versuche nach dieser Richtung hin zeigten, dass auch
schwache Sublimatlösungen 1 : 10,000 und 1 : 15,000 in die
vordere Kammer des Kaninchenauges gebracht, die vorüber-
gehende Form der parenchymatösen Hornhauttrübung er-
zeugen.
3 ^/o Borsäurelösung und Va ^/o Kochsalzlösung konnten
dagegen ohne jeden Nachtheil für die Hornhaut in beliebi-
Experimentelle Untersachangen etc. 187
gen Quantitäten in die vordere Kammer injicirt werden.
Die Borsäurelösung wurde, weil sie das Endothel nicht an-
greift, Ton Nuel und CorniP) zur Ausspülung der vor-
deren Kammer neben der physiologischen Kochsalzlösung
allenfalls noch für zulässig erklärt.
Auch gleichzeitige Anwendung von Cocain mit Bor-
säure- oder Kochsalzlösung in der vorderen Kammer, konnte
keine nachtheilige Wii'kung dieser Mittel hervorrufen.'
Für die Unschädlichkeit der Borsäurelösung, auch in
Verbindung mit Cocain sprechen die letzten 100 Staarope-
rationen an der hiesigen ophthalmologischen Klinik. Die-
selben wurden ausschliesslich unter Borsäureirrigation aus-
geführt und alle Ausspülungen der vorderen Kammer mit
Borsäurelösung vorgenommen; seither ist diese parenchy-
matöse Hornhauttrübung nicht mehr aufgetreten.
Es ist nicht nur die Sublimatlösung, sondern es sind
auch, wie uns Versuche gezeigt haben, eine Reihe anderer
Flüssigkeiten, z.B. Aqua destillata, schwache Säuren, Alko-
hol, die in die vordere Kammer des Kaninchens injicirt
parenchymatöse Trübung der Hornhaut von verschiede-
ner Dauer hervorrufen. Es liegt auf der Hand, dass wie
destillirtes Wasser auch Lösungen medicamontöser Stoffe
wirken werden, die statt mit physiologischer Chlomatrium-
lösung nur mit destillirtem Wasser bereitet sind.
Die erst kürzlich von Schmidt-Rimpler*) zur Des-
infection bei Augenoperationen und Augenverletzungen em-
pfohlene Aqua chlorata, erzeugt in die vordere Kammer des
Kaninchens gebracht, ebenfalls eine bleibende parenchy-
matöse Hornhauttrübung und zwar von noch grösserer In-
tensität als die Sublimattrübung. Bei längerer Einwirkung in
der vorderen Kammer hat die Aqua chlor, ausser der Hom-
») 1. c. S. 182.
*) Aqua chlorata, zur Desinfection bei Aagenoperationen und
Augenverletzungen von H. Schmidt-Rimpler. Deutsche medic.
Wochenschrift 1891, Nr. 3.
188 C. Mellinger, ExperimenteUe Untersachongen etc.
bauttrübung noch partielle Atrophie der Iris und Linsen-
kapseltrübongen zur Folge. Wir können nach diesen Yer-
sucbsresultaten von der Anwendung der Aqua chlorata bei
erö&eter yorderer Kammer nur warnen.
Diese Versuche zeigen, dass wir bei Eröffnung der
vorderen Kammer mit besonderer Vorsicht Yorzugehen ha-
ben, um das Endothel nicht zu verletzen, auf dessen Wich-
tigkeit für die Transparenz der Hornhaut Leber ^) zuerst
aufmerksam gemacht hat In unserer antiseptischen .Zeit
kommt ausser dem früher schon vorhandenen mechanischen
Moment noch das weit schlimmere chemische hinzu. Wäh-
rend ein eingeführtes trockenes Instrument nur eine circnm-
scripte Verletzung des Endothels machen kann, kann ein
Tropfen einer antiseptischen Lösung eine ausgedehnte Zer-
störung dieser Schutzmembran der Hornhaut hervorrufen.
Wie leicht kann schon durch ein, aus einer antiseptischen
Lösung genommenes nass eingeführtes Instrument, eine ge-
nügende Menge einer das Endothel zerstörenden Flüssigkeit
in die vordere Kanmier kommen.
Es ist von Wichtigkeit, in einer Zeit, in der manche
Ophthalmologen sich nicht mehr scheuen, beliebig oft mit
Instrumenten in die vordere Kammer einzugehen, antisep-
tische Ausspülungen dieses Hohlraums vorzunehmen und
Medicamente in denselben zu injiciren, darauf aufmerksam
zu machen, dass schon mechanische Verletzungen des Endo-
thels für die Transparenz der Hornhaut nicht gleichgültig
sind und dass es von der grössten Wichtigkeit ist, was für
eine Flüssigkeit wir in die vordere Kammer bringen.
») 1. c. S. 181.
Pathologisch-anatomische Untersnchimgeii
flber die Zftndhfttchenverletzimgeii des mensch-
lichen Anges.
Von
Dr. Kostenitsch aus St. Petersburg.
Aus dem Laboratorium der Uniyersit&ts-Aagenklinik zu Heidelberg.
Hierzu Taf. V, Fig. 1 — 12.
In seiner umfangreichen Schrift ^Die Entstehung der
Entzündung und die Wirkung der entziindungerregenden
Schädlichkeiten^ hat Prof. Th. Leber ^) eine Reihe von
Versuchen und Beobachtungen über die Wirkung yon me-
tallischen Fremdkörpern auf das Auge des Kaninchens mit-
getheilt, bei welchen durch Erhitzen sterilisirte Drähte oder
sonstige Stücke verschiedener Metalle, unter anderen von
Eisen, Blei und Kupfer, in die vordere Kammer und in den
Glaskörper des Auges eingeführt wurden.
Die Folgen, welche das Verweilen dieser Fremdkörper
im Auge nach sich zieht, wurden von ihm ophthalmosko-
pisch und pathologisch -anatomisch, sowie auch auf chemi-
schem Wege verfolgt. Es ergab sich dabei, dass die ge-
nannten Metalle nach ihrer Einführung in das Auge sich
>) Tb. Leber, Die Entstebang der EntzQndong und die Wir-
kung der entzündungerregenden Scbädllcbkeiten nacb vorzugsweise
am Auge angestellten Untersuchungen. Leipzig 1891. AbBcbnittXYII,
XVIII und XIX.
190 Eostenitech.
in geringer Menge in den Augenflüssigkeiten lösen und dass
das Gewebe des Glaskörpers durch den Einfluss dieser Liö-
sungen eine Schrumpfung erleidet, welche eine Zugwirkung
auf di6 mit dem Glaskörper in Verbindung stehende Netz-
haut ausübt und eine acute Ablösung und Zerreissung die-
ser Membran hervorruft, die zugleich mit einer eigenthüm-
lichen Form von Atrophie derselben verbunden ist.
Von den genannten Metallen zeichnet sich das Kupfer
noch dadurch aus, dass es im Auge des Kaninchens in der
Regel eine sehr ausgesprochene, aber locale eitrige Entzün-
dung in seiner Umgebung hervorruft, wobei, in Abhängigkeit
von dem Sitze des Fremdkörpers, sehr merkwürdige Ver-
schiedenheiten des Grades der Wirkung vorkommen. Diese
Beobachtungen fuhren zu der Annahme, dass eine ausge-
sprochene eitrige Entzündung nur dann zu Stande kommt,
wenn der Fremdkörper direct mit gefasshaltigen Theilen in
Berührung ist und wenn seine chemische Wirkung auf die
Gewebe nicht durch stärkeren Eiweissgehalt des umgeben-
den Mediums abgeschwächt wird (vergl. S. 245).
Bei Einführung eines Kupferdrahtes in den Glaskörper
kommt es überdies zur Entstehung von atrophischer De-
generation, ausgedehnter Necrose und oft von Ablösung der
Netzhaut (vergl. S. 259).
Auch beim menschlichen Auge hat Prof. Leber das
Vorkommen aseptischer Eiterung nach Eindringen von Kup-
ferstückchen nachgewiesen, ohne jedoch über die dabei vor-
kommenden Veränderungen eingehende Mittheilungen zu
machen (vergl. S. 271).
Auf seinen Vorschlag habe ich mich daher im Labora-
torium der Heidelberger Universitäts-Augenklinik mit den
Folgen der Zündhütchenverletzung menschlicher Augen be-
schäftigt, um zu erforschen, ob auch hier ähnliche Vor-
gänge wie bei den erwähnten Thierversuchen auftreten. Es
stand mir zu diesen Untersuchungen ein bedeutendes Ma-
terial zur Verfügung und ich kann als Ergebniss derselben
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 191
Yorausschicken, dass die beim menschlichen Auge gefunde-
nen Veränderungen in allen wesentlichen Punkten mit den
beim Thierversuch beobachteten übereinstimmen. Ich gehe
jetzt zur Mittheilung meiner Beobachtungen über.
I. Fall.
Heinrich Wacker.
R. A. Verletzung durch ein Zündhütchen am 15. Decbr.
1876. Enucleatio bnlbi am 18. December 1876 von Dr. Just
in Zittau.
Anatomische Untersuchung. Makroskopischer Befund.
Das Auge war in Mtüler'scher Flüssigkeit geh&rtet und
in horizontaler Richtung oberhalb der Comealwunde durch-
schnitten. Die untere grössere Hälfte wurde in Celloidin ein-
gebettet und in Horizontalschnitte zerlegt.
Im nasalen Theil der Cornea befindet sich neben dem
Limbus eine 2 mm grosse Wunde. Die weitere Untersuchung
ergiebt Folgendes.
Der Fremdkörper hat die Sclerocomealgrenze in senk-
rechter Richtung durchschlagen und den Ansatz der Iris von
den Ciliarfortsätzen abgetrennt. Der peripherische Rand der
Iris ist in die Wunde hineingezogen und ragt noch ein Wenig
' über die Oberfläche hervor. Die vorgefallene Iris füllt den
Wundkanal gerade aus, ist an der Oberfläche etwas aufgelockert
und ihr Pigmentbelag theilweise atrophisch. Die Linse ist
vollständig von der Zonula gelöst und luxirt, indem ihr late-
raler Rand nach hinten und aussen, ihr nasaler nach vorn
und innen gerichtet ist
Der Weg, den der Fremdkörper weiterhin genommen hat,
wird bezeichnet durch einen den Glaskörper schräg durch-
setzenden Hohlraum, der grossentheils mit Blatextravasat er-
füllt und von verdichtetem Glaskörpergewebe begrenzt ist.
Derselbe beginnt vorn auf der medialen Seite in der Nähe
der äusseren Wunde als ein schmaler Kanal, zieht schräg an
der zur Seite geschobenen Linse vorbei und erweitert sich
nach hinten zu einem grossen Raum, der sich bis zur Papille
und dem temporalen Theil der Netzhaut erstreckt. Der Fremd-
körper hat die an die Papille angrenzende Netzhaut direct
verletzt. An Schnitten, die von nahe oberhalb der Papille
192 KoBtenitsch.
genommen sind, zeigt die Netzhaat einen weit klaffenden Riss,
in dessen Umgebung sie dnrch eine Fortsetzung des ihre Innen-
fläche deckenden Extravasates eine Strecke weit von der Ader-
haut abgehoben und leicht gefaltet ist An Schnitten, welche
durch den Sehnerveneintritt gehen, erscheint die Substanz der
Papille von Blutextravasat durchsetzt und zerstört, der Ansatz
der Retina abgetrennt und gleichfalls eine Strecke weit durch
Bluterguss abgehoben. Der Fremdkörper findet sich aber an
dieser Stelle nicht, sondern im unteren Theil des Auges, auf
der temporalen Seite, weiter nach vorn. Es liegt hier ein
röhrenförmig zusammengebogener, 3 mm langer und 1 ^2 nun
breiter Zündhütchensplitter auf der Innenfläche des Corpus
ciliare und vorderen Theils der Netzhaut, von einer gelblich-
grauen Exsudatschicht eingehüllt und von einer kleinen Blutung
umgeben. Die Netzhaut zeigt an dieser Stelle gleichfalls eine,
von Exsudat ausgefüllte Perforation. Es ist wohl anzunehmen,
dass der Fremdkörper zunächst den Glaskörperraum schräg
durchflogen und nach Verletzung der Gegend der Papille sich
mehr nach unten gesenkt hat
Abgesehen von der Stelle der directen Verletzung, wo die
Netzhaut durch Bluterguss abgehoben ist, zeigt sich die letztere
in ihrer ganzen Ausdehnung durch eiweisshaltiges Exsudat von
der Aderhaut abgelöst, und zwar auf der nasalen Seite stärker,
mit einer ziemlich weit nach innen vorspringenden Falte, auf
der temporalen Seite ziemlich seicht und nur mit einigen ganz
leichten Fältchen.
Die Chorioidea ist im vordersten Abschnitt leicht von
der Sclera abgehoben und das suprachorioidale Gewebe auf-
gelockert; ihr hinterer, der Sclera anliegender Theil ist etwas
verdickt
Mikroskopische Untersuchung.
Der Glaskörper erscheint, soweit er nicht durch die
Blutung verdrängt ist, stärker fibrillär und ist von einem Fibrin-
netz, mehr oder weniger veränderten rothen Blutkörperchen
und zahlreichen Eiterkörperchen durchsetzt Letztere liegen
in dem kleinen Zwischenraum zwischen dem vorderen Theil
der Netzhaut und der Pars eil. einerseits und dem Fremd-
körper andrerseits dicht an einander und bilden namentlich
unterhalb des letzteren einen dichten, opaken Heerd. Im Be-
reich dieser Stelle bemerkt man eine Strecke weit eine dünne,
stark gefaltete Membran, welche wohl für die Membr. hyaloidea
Pathologisch-anatomische üntersnchungen etc. 193
zn halten ist. In dem hinteren Abschnitt des Anges ist anf
der Seite der Blutung der Glaskörper von der Netzhaut be-
deutend abgehoben und hat zum Theil die Membr. hvaloidea
mit sich gezogen. In dem zwischen den beiden Membranen
entstandenen Raum befindet sich eine feinkörnige Eiweissmasse
mit Fibrinfasern, vereinzelten rothen Blutkörperchen und zahl-
reichen Eiterzellen.
Die Papille ist stark mit Eiterkörperchen infiltrirt, ihr
innerer Theil, wie schon bemerkt, von einer Blutung durch-
setzt und theilweise zerstört. Auch der markhaltige Theil des
Sehnerven ist reich an Kernen, von denen aber nur ein Theil
Leukocyten anzugehören scheint.
Die bald mehr, bald minder abgelöste Netzhaut ist in
ihrer ganzen Ausdehnung stark mit Eiterzellen infiltrirt. Die
Uebergangsstelle der Papille in die Netzhaut ist dicht von
rothen Blutkörperchen durchsetzt und ihr Gewebe dadurch bis
auf einzelne Capillaren und Reste der Nervenfaserschicht voll-
ständig verdrängt-, die Retina ist erst in einigem Abstand vom
Sehnervenrande aJs solche zu erkennen; dazwischen sieht man
nur die Stäbchenschicht als ein mehrfach gefaltetes, von zahl-
reichen Kernen durchsetztes Band das haemorrhagisch infiltrirte
Gewebe durchziehen. An den abrigen Stellen der Retina sind
ihre Schichten zu unterscheiden, aber die Nervenfaserschicht
tritt undeutlich und körnig hervor; die Kerne der Nerven-
zellen sind stellenweise schwach mit Haematoxylin gefärbt und
die Körnerschichten etwas aufgelockert Die Elemente der
Stäbchenschicht sind in dem hinteren Abschnitte der Netzhaut
etwas gequollen, aber doch gut erhalten; in ihrem übrigen
Theil ist die Stäbchenschicht theils durch kleine bläschenförmige
Räume, theils in fortlaufenden steilen Falten von der äusseren
Körnerschicht getrennt Zwischen beiden Schichten befinden
sich Eiweisströpfchen, Detritus des inneren Theils der Zapfen,
welche, wie auch die Stäbchen, durch Quellung verändert sind.
Im äusseren Theil der Stäbchenschicht sieht man hie und da
Eiterkörperchen.
In der Mac. lutea, an manchen Stellen des hinteren Theils
der Netzhaut und in ihrem vorderen Theile, an der Stelle,
welche der Lage des Fremdkörpers entspricht, bemerkt man
einige Blutaustritte.
Das Cylinderepithel der Pars eil. ret ist in der Gegend
des Fremdkörpers, abgesehen von der schon erwähnten eitrigen
T. Qraefe'0 Archiv itkr Ophthalmologie. XXXVU. 4. 13
194 Kostenitsch.
Infiltration, local stark gewnchert. Dasselbe ist hier zugleich
vom Orbicnlus ciliaris abgehoben und der dadurch gebildete
Baum von einem dichten Fibrinnetz, zahlreichen Eiterkörperchen,
rothen Blutkörperchen, Pigmentkörnem und isolirten Zellen
des gelockerten Pigmentepithels eingenommen. An den ttbrigen
Stellen des Auges zeigt das Epithel der Pars ciL ret eine
sehr unbedeutende Wucherung und ist ziemlich stark mit Eiter-
zeUen infiltnrt
Das Pigmentepithel der Retina ist neben der Papille
in geringer Ausdehnung geschwunden, weiterhin auf der Seite
der Verletzung eine Strecke weit die Zellen flacher, verbreitert,
zum Theil auch mehrfach tlbereinander liegend. Auch ist das
Epithel hier stellenweise durch etwas Blut mit einzelnen Eiter-
zellen von der Chorioidea abgehoben, weiterhin aber wenig
verändert Dagegen findet sich fast durchweg zwischen ihm
und der Stäbchenschicht eine dickere Schicht veränderten Blutes
mit Eiterzellen. Noch mehr nach vom finden sich Zeichen
von Wucherung, die Zellen sind unregelmässiger gestaltet^ kolbig
und mit grösseren Fortsätzen versehen, besonders im Bereich
der Pars eil. retinae. An jenem Theile des Auges, welcher
der Lage des Fremdkörpers entspricht, sind die Zellen des
Pigmentepithels stärker gelockert, von mehr rundlicher Gestalt
und in zwei und mehreren Reihen über einander gelagert und
in das benachbarte Gewebe infiltrirt
Im Subretinalraume ist eine geronnene, feinkörnige
Eiweissmasse vorhanden, deren hinterer Theil ein Blutextra-
vasat, eine geringe Menge von Eiterkörperchen und Fibrin-
fasem einschliesst.
Die Gefässe der Chorioidea sind erweitert; die Venen
sind theilweise mit Blut, theilweise mit geronnener Eiweisa-
masse gefüllt, zeigen auch zahlreiche Leukocyten.
Die Aderhaut und das Corpus ciliare sind, theils mehr,
theils weniger stark, mit Eiterzellen infiltrirt. Eine kleine
Menge der letzteren ist auch in dem fibrinösen Exsudat,
welches sich zwischen den Blättern der Suprachorioidea in der
vorderen Augenhälfte befindet, eingeschlossen.
Die Linsenkapsel ist unverletzt, zwischen ihr und der
Linsensubstanz finden sich hie und da Eiweisstropfen. An der
Aussenfläche der Hinterkapsel liegt eine fast continuirliche
dünne Schicht von Eiterzellen.
Die Iris ist unbedeutend mit Eiterzellen infiltrirt; ihre
Gef&sse sind etwas erweitert. An ihrer vorderen Fläche liegen
Pathologisch-anatomisclie Untenachaogen etc. 195
EiterzeUen vereinzelt oder in Gruppen. Das Stratum pig.
iridis ist verdickt. Der durch den Fremdkörper verletzte peri-
phere Theil der Iris ist, wie schon angegeben, in die Cornea!^
wunde eingeklenmit nüd stark von Zellen durchsetzt An der
Hornhantwunde adhaerirt mit von Fibrin und Blutkörperchen
infiltrirte Glaskörpersubstanz.
In der vorderen Augenkammer ist eine geronnene,
feinkörnige Eiweissmasse mit einer geringen Menge Fibrin
enthalten.
Die Ränder der Hornhantwunde sind erheblich verdickt,
in den erweiterten Saftkanälchen der angrenzenden Hornhaut-
aubstanz sind Eiterkörperchen enthalten.
Neben dem Schlemm'schen Kanal finden sich ziemlich viel
Eiterkörperchen; gleiche Zellen sind auch in grosser Zahl in
der Adventitia der erweiterten GefUsse der Conj. bulbi an-
gehäuft, nur in geringer Menge dagegen in der Adventitia der
Sderalgeftsse.
IL Fall.
Andreas Schumacher, 11 Jahre alt, ans Neunkirchen.
St B. d. Heid. Augenkl. 1885, Nr. 251.
Am 26. Juni 1885 Verletzung des R. Auges durch ein
Zflndhatchenstück.
Status praes. am 29. Juni 1885. Auge sehrroth, druck-
empfindlich. An der Cornea, etwas nach aussen von der Mitte,
eine horizontale, 2 mm grosse lineare Wunde mit weisslichen,
etwas aufgeworfenen Rändern. Fast die ganze Cornea leicht
getrabt und gestichelt Kammerwasser trübe. Iris grOnlich
verfärbt, glanzlos, aufgelockert. Am Pupillenrande, der Comeal-
wunde gegentlber, ein etwa 2Vs ^^ grosser Defect Kapsel
verletzt. Linsenmasse getrübt, gequollen. Kein rothes Licht
zu sehen. T. nicht wesentlich verändert.
0. d. S = l. Projection falsch. 0. s. Sss%
30. Juni 1885. Enucleatio bulbi dextri in Narcose.
8. Juli 1885. Stumpf gut verheilt
Anatomische Untersuchung. Das Auge, nach Härtung
in MüUer'scher Flüssigkeit, in horizontaler Richtung, etwas
oberhalb des Sehnerveneintritts und der Comeal?runde, halbirt;
beide Hälften in Celloidin eingebettet und geschnitten.
13»
196 Kostenitsch.
Makroskopischer .Befund. Die Wunde durchsetzt die
Hornhaut an einer lateral von ihrer Mitte gelegenen Stelle
nahezu senkrecht, nur wenig schräg nach aussen gerichtet; die
Wundränder sind durch Quellung fast um das Doppelte verdickt.
Der Fremdkörper hat den lateralen Theil der Iris ab-
gerissen, so dass nur ein kleiner Rest davon übrig ist und den
entsprechenden Randtheil der Linse durchsetzt Quellende
Linsensubstanz ist hier aus der weit klaffenden Kapsel bis zur
Hornhautwunde vorgedrungen und füllt den lateralen Theil der
vorderen Kammer aus. Der Durchschnitt der Linse ist nn-
regelmässig gestaltet, da ein grosser Theil ihrer Substanz schon
verloren gegangen ist. Der Fremdkörper sitzt hinter dem
Aequator des Auges auf der lateralen Seite des Augengrundes,
in eitriges Exsudat gehüllt und von Blutextravasat und Falten
abgelöster Netzhaut umgeben. Derselbe erweist sich als ein
eckiges Zündhtttchenstück von 2^/, mm Länge und 2 mm Breite.
Er hat also das Auge ziemlich gerade von vom nach hinten
durchflogen und ist an der hinteren Bulbuswand stecken ge-
blieben.
Wo der Fremdkörper liegt, ist die Retina durchrissen
und die Ränder etwa 3 mm aus einander gewichen. Die Lücke
ist theils von Exsudat, theils von Blut eingenommen und die
umgebenden Theile der Retina durch eine Fortsetzung des
Extravasates eine Strecke weit von der Aderhaut abgelöst
Gleich nach einwärts davon findet sich der den Fremdkörper
bergende Abscess, der nicht mehr als circa 3 mm grössten
Durchmessers besitzt Nach dem hinteren Pol des Auges zu
folgen noch einige, massig weit nach innen vorspringende
Falten, hinter denen sich theils Blut, theils klares Exsudat
befindet Der grösste Theil der Netzhaut, insbesondere die
nasale Hälfte und der vordere Theil der temporalen, liegt der
Chorioidea an. An Schnitten, welche durch den Sehnerven-
eintritt gelegt sind, ist die Stelle des Fremdkörpers noch mit-
getroffen. Die Netzhautfalten sind hier viel geringer als
weiter oben und bleiben ca. 6 mm vom Sehnervenrande ent-
fernt Die Retina, wie auch der Aderhauttractus, erscheint
für das blosse Auge nicht merklich verdickt, nur an der Stelle
des Fremdkörpers zeigt der letztere eine beträchtliche Ver-
dickung.
Der Glaskörper ist in der Umgebung des Abscesses
in geringer Ausdehnung stärker verdichtet An dem Durch-
schnitt des gehärteten Auges erschien er nicht geschrumpft, von
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 197
gelblich graner Farbe und von membranartigen Streifen durch-
setzt, welche beiderseits von der Pars ciliaris retinae nach
hinten zogen und auf der nasalen Seite weisslich, auf der
temporalen bräunlich gefärbt waren. An den Celloidinschnitten
ist der Glaskörper vom hinteren Theil des Augengrundes, be-
sonders auf der nasalen Seite, abgehoben und nimmt vorzugs-
weise den temporalen Theil des Raumes ein. Etwas nach
einwärts und vorn von dem Fremdkörper findet sich in der
Olaskörpersubstanz ein kleines Blutextravasat
Mikroskopische Untersuchung. An der Stelle, wo
der Fremdkörper stecken geblieben ist, sieht man die beiden
Enden der durchrissenen Netzhaut weit aus einander gerückt
and den einen Rand leicht nach aussen umgeklappt. Die
Chorioidea zeigt hier gleichfalls einen, jedoch viel weniger
klaffenden Riss. Ihre Glaslamelle ist durchrissen und in der
inneren Schicht ihres Stromas ein mit Blut gefüllter kleiner
Defect vorhanden, auch scheinen die Wände einer grossen
Yene durch den Fremdkörper verletzt zu sein. Die Ränder
der Lacke sind durch haemorrhagische Infiltration um das
vielfache verdickt und das suprachorioideale Gewebe noch eine
ziemliche Strecke weit von Blut durchsetzt. Die Lücke zwischen
den Membranen ist hauptsächlich von Blut ausgefüllt; nach
einwärts, gegen das Innere des Auges, kommen aber dazwischen
immer zahlreichere Eiterkörperchen, bis zu der den Fremd-
körper einschliessenden, dichten Eiterinfiltration hin. Des-
gleichen treten in der verdickten Chorioidea, zunächst in deren
innerster Schicht, weiterhin auch im übrigen Theil ihrer Dicke,
mit der Entfernung vom Wundrande immer zahlreichere, dicht
gedrängte Eiterzellen auf, die erst in grösserem Abstand von
der Wunde sich allmählich wieder verlieren. Die Chorio-
capillaris tritt in dem infiltrirten Gewebe der Wundränder
auffallend stark entwickelt hervor. Auch die übrigen Gefässe
der Chorioidea sind erweitert, ihre Wände, namentlich das
Endothel^ verdickt. An den Kernen der kleinen Venen und
Capillaren findet man oft alle Stadien der Karyokinese. In
den Lumina der Venen bemerkt man ihren Wänden anliegende
Leukocyten und veränderte rothe Blutkörperchen, die an gut
mit Eosin gefärbten Schnitten gelb aussehen, wie wenn sie mit
Pikrinsäure gefärbt wären.
Die neben den Arterien befindlichen Ganglienzellen zeigen
mangelhafte Kemfärbung.
198 Kosteoitsch.
Abgesehen von Leakocyten trifft man im Gewebe der
Aderhaat einzelne grössere ZeUen mit einem mnden Kern und
mit groben, durch Haematoxylin deatlich geftrbten Kömdien^
die keine Mikroorganismen zu sein scheinen, anch an mit
Anilinflarben tingirten Praeparaten vermisst worden. Eine
dichte Ansammlang von Eiterzellen schiebt sich von d^r Riss-
stelle ans zwischen Betina nnd Chorioidea vor und deckt den
Blntergnss von innen her.
Die Retina zeigt neben der Bissstelle besonders die
Stäbchenschicht hochgradig degenorirt; die übrigen Schichten,
namentlich die Faserschicht, sind von vereinzelten Eiterkörper^
chen durchsetzt, deren Menge eine Strecke weit mit der Ent-
fernung von der Wunde zunimmt Diese Schichten zeigen hier
auch eine ausgesprochene Atrophie der nervösen Elemente.
Die Körner der Körnerschichten sind gelockert und vermindert,
besonders die der äusseren Kömerschicht; ihre Chromatin-
substanz ist theilweise verloren, die Kerne der Ganglienzellen
schwach gefärbt. Die Gefässe sind erweitert, das Endothel
verdickt und zeigt, wie das der Aderhautgefässe, Theilungs-
figuren. Die in den Venen enthaltenen rothen Blutkörperchen
haben die gleiche gelbe Färbung wie in der Chorioidea.
Der Fremdkörper ist, wie schon erwähnt, von einer
massig grossen Blutung umhollt, welche bis in die Rissstelle
der Augenhäute hineinreicht. Er ist fast auf allen Seiten
unmittelbar von dicht gedrängten Eiterkörperchen umgeben^
nur auf seiner Innern Seite liegen rothe Blutkörperchen mit
einer kleinen Zahl von Eiterzellen vermischt Die Kerne der
Eiterkörperchen zeigen oft Vakuolen, zum Theil auch deutlich
ausgesprochene Nekrose. In der Blutung, welche sich zwischen
dem Fremdkörper und den Rändern der zerrissenen Augenhäute
befindet , sind auch Eiterkörperchen , blutkörperchenhaltige
Zellen, Fettkömchenzellen, ein dichtes Fibrinnetz und abge-
fallene Pigmentepithelzellen eingeschlossen. In der Lflcke, in
welcher der Fremdkörper lag, finden sich geschrumpfte rothe
Blutkörperchen von gelblich-brauner oder ganz gelber Farbe.
Letztere Färbung wird auch in dem, den Fremdkörper um-
gebenden Eisudat beobachtet.
Die abrige Chorioidea, entfernt von der Rissstelle, ist,
abgesehen von Ausdehnung ihrer Gefässe, ziemlich normal.
Die rothen Blutkörperchen zeigen hier, wie auch im Ciliar-
körper, trotz Eosinfärbung, die gleiche gelbe Farbe wie in
der Retina.
Patholoc^sch-anatomische üntersachongen etc. 199
Die Sehnervenpapille ist etwas ödematös nnd ihre
Nervenbündel sehen trüb und schwachkömig ans. Die Geiässe
des Nervns opticas sind erweitert nnd ihr Endothel verdickt,
in den Lnmina der Arterie nnd Vene sind Blutkörperchen von
gelblicher Farbe zn sehen. Im markhaltigen Theile des Nervus
opticas ist das Lumen der Vena oentr. retinae mit geronnener
Eiweissmasse ausgefüllt, in welcher stark veränderte Blut^
körperchen und einige Leukocyten eingeschlossen sind-, letztere
sind auch neben den Gewissen nnd um eine kleine Vertiefung
der Papille in grosser Zahl angehäuft, besonders zahlreich in
ihrer nasalen Hftlfte.
Die Netzhaut, welche in der Gegend des Fremdkörpers
und nach vom von ihm fast in der ganzen temporalen Hälfte
des Auges bedeutend mit Eiter infiltrirt ist, lässt in der
Umgebung der Papille und in der nasalen Hälfte fast
keine Eiterkörperchen erkennen. Ihre Stützfasem sind etwas
verlängert und getrübt, besonders die neben der Papille, wo
die Molecular- und Zwischenkömerschicht dicker als normal
sind; um die Papille und nach aussen von ihr fast bis zum
Risse der Netzhaut, einschliesslich der Gegend der Macula
lutea, ist die Zwischenkörnerschicht besonders dick. Die Fovea
centralis war wegen der Faltung der Netzhaut nicht auf den
Schnitten zu erhalten gewesen. In den Lücken zwischen den
Fasern dieser Schicht sind isolirte Leukocyten, mit Detritus von
rothen Blutkörperchen gefüllte Zellen, Fettkörner, und etwas
näher dem Bisse der Netzhaut, noch kleine Gruppen von
Blutkörperchen zu sehen. Die Stäbchenschicht sieht in der
Gegend des Fremdkörpers kömig aus; die Zapfen sind ge-
quollen; der äussere Theil des Innengliedes ist körnig; das
Aussenglied nicht zu sehen. Die Zapfenfasern sind in der
Zwischenkömerschicht zwischen der Papille und dem Kiss der
Retina varikös verdickt In der übrigen Ausdehnung der
temporalen Hälfte der Netzhaut ist die Stäbchenscbicht gut
erhalten; die Köraerschichten sind besonders in der Gegend
des Fremdkörpers aufgelockert; ein bedeutender Theil der
Chromatinsubstanz ihrer Körner ist verschwunden, nur in dem
vordersten Theile der Netzhaut hat sich die äussere Römer-
Schicht verhältnissmässig gut erhalten. Die Nervenzellen der
gangliösen Schicht haben sich in der Macula lutea ziemlich
gut conservirt; in der übrigen Ausdehnung der beschriebenen
Hälfte sind sie stellenweise verdickt, ihr Protoplasma bald kömig,
bald trüb und homogen, ihre Eeme schwach mit Haematoxylin
200 Kostenitsch.
gefärbt; letzteres ist auch an den Nervenzellen der inneren
Eömerschicht za beobachten* Die Schicht der Nervenfasern
sieht schwachkömig aus.
Id der nasalen Hälfte der Netzhaut ist die Stäbchen-
nnd die äussere Kömerschicht ziemlich gut erhalten, letztere
ist nur in geringer Ausdehnung neben der Papille aufgelockert
und ihre Körner mit wenig Chromatinsubstanz versehen, die
übrigen Schichten zeigen dieselben Veränderungen wie auf
der temporalen Seite, nur weniger ausgesprochen.
Die Gefässe der Netzhaut sind erweitert, ihr Endothel
gequollen, in der Adventitia der Venen ist eine kleine Menge
von Eiterkörperchen zu sehen.
Die Pars ciliaris retinae ist bis zu den Ciliarfort-
sätzen fast normal, nur mit Ausnahme einer kleinen Infiltration
mit Eiterzellen, die hauptsächlich die temporale Hälfte der
Netzhaut betrifft. Die Cylinderzelleu der Pars ciliaris retinae,
welche die Ciliarfortsätze bedecken, sind stellenweise gequollen
und enthalten Pigmentkörner. Das Stratum pigmenti der Pars
eil. retinae ist verdickt, besonders an den Ciliarfortsätzen.
Auch das Pigmentepithel der Netzhaut ist in der
temporalen Hälfte des Auges verdickt und besonders stark in
der Gegend des Fremdkörpers, seine Kerne von wenig Pigment
umgeben.
Der Glaskörper war, wie schon oben erwähnt, anfangs
nicht geschrumpft, wohl aber nach eintägigem Liegen der
beiden Hälften des Auges in Celloidin, und ist jetzt in der
unteren Hälfte des Auges bedeutend nach vorn zusammen-
gezogen; auf der temporalen Seite liegt er noch dem Fremd-
körper an; in der oberen, viel kleineren Hälfte des Auges ist
er nur wenig von der Netzhaut getrennt
Bei der mikroskopischen Untersuchung erscheint der Glas-
körper fibrillär verändert, von einem Fibrinnetz durchsetzt,
unbedeutend mit Eiterkörperchen infiltrirt und das hauptsächlich
nur auf der temporalen Hälfte, in der Gegend zwischen dem
Fremdkörper und den Ciliarfortsätzen, so wie auch in dem
hintern Theile, welcher eine Strecke weit von der Membrana
hyaloidea tlberzogen ist. Auf der hinteren Fläche dieser
Membran, welche stellenweise von der Netzhaut abgehoben ist,
liegt geronnene Eiweissmasse mit kleinen Gruppen von Eiter-
körperchen und Fibrinfasern; an einer Stelle ist sie zerrissen
und in die Lücke ragt etwas von der geronnenen Eiweissmasse
Pathologisch-anatomische Untersachongen etc. 201
hinein, die sich im hinteren Theile des Olaskörperraumes be-
findet. In dieser Masse sind ausser Fibrinfiuem und Gruppen
von Eiterkörperchen in der Vertiefung der Papille und in
einiger Entfernung nach innen zu auch Fibrillenbttndel des
Glaskörpers zu sehen. Die innere Fläche bildet neben der Ora
serrata auf beiden Seiten eine kleine Einbiegung nach innen;
die Fibrillenbündel des Glaskörpers liegen mit den verdickten
Fasern der Zonula Zinnii der Ora serrata an und machen den
Eindruck, als ob sie den vordem Theil der Netzhaut nach
innen ins Auge ziehen, wesshalb sie im Begriffe steht, in einer
Falte abgehoben zn werden.
Etwas nach vorn von dem Fremdkörper ist im Corpus
vitreum eine kleine Blutung zu sehen, während im Zwischen-
raum zwischen dem verletzten lateralen Rand der Linse und
der Pars eil retinae sich ein Netz von geldrollenartig ange-
ordneten rothen Blutkörperchen befindet Neben den Ciliar-
fortsätzen sind die rothen Blutkörperchen in Gruppen geordnet
und gelb gefärbt
Der Subretinalraum ist in der Gegend des Fremd-
körpers ziemlich breit, nach vom von letzterem eng und enthält
Blut, ein dichtes Fibrinnetz, Eiterkörperchen, Phagocyten und
isolirte Zellen des RetinaepiÜiels, sowie auch geronnene Eiweiss-
masse, die in dem hinteren Theile dieses Baumes homogen, im
vorderen feinkörnig ist. In der übrigen Ausdehnung liegt die
Netzhaut der Chorioidea an und nur in der nasalen Hälfte
befindet sich auf einer beschränkten Stelle zwischen diesen
beiden Häuten ein sehr enger, wahrscheinlich künstlich hervor-
gebrachter Subretinalraum.
Die Enden der etwas verdickten und am temporalen
Rande zerrissenen Linsenkapsel sind umgeklappt, (manchmal
spiralförmig), und fast bis zur Mitte der Linse zurückgezogen,
wodurch deren temporale, stark gequollene Hälfte frei liegt;
in ihrer Peripherie ist letztere schwach mit Leukocyten infil-
trirt. Die Fasern der Linse sind kömig und gequollen; ein
Theil derselben ist in die vordere Kammer hineingelangt und
reicht, von Fibrinnetzen umgeben, bis zur Comealwunde hin.
Der übrige Theil der Linse enthält zwischen den Fasern
ausser einzelnen Eiterkörperchen grosse Eiweisstropfen, viel
fettartige Tröpfchen und auch Fettkörachenzellen.
Die Iris zeigt, wie schon angegeben, an der der Comeal-
wunde entsprechenden Stelle einen Defect. Ihr übrig geblie-
bener peripherer Theil ist etwas nach hinten umgebogen und
202 KostenitBch.
mit dem Randtheil der Iris und den Giliarfortaäizen verwachseiL
Auf einigen Schnitten war ein Stflckchen der Iris im Glas-
körper zn treffen. Die Crefltese der Iris sind erweitert, die
Wände der Arterien etwas verdickt and deren Endothel ge-
quollen. In den Kernen des letzteren, sowie der der Yenen
und der Gapillaren sind oft Bilder von Karyokinese zn treffen,
in den Lumina der Geftsse rothe Blutkörperchen von gelber
Farbe. Das Stratum pigmenti iridis ist verdickt, seine hintere
Fläche auf dem Querschnitt wellenförmig, besonders in dem
peripheren Theile der Iris. Die Zellen des Endothels sind
vesiculär verändert. In der vorderen Kammer sieht man
kömigen Detritus, Fibrinfasern und isolirte Leukocyten,
welche am Boden der vordem Kammer in grosser Menge an-
gehäuft sind.
Die äusseren Schichten des Plattenepithels der Horn-
haut sind stark verdickt, ihre Kerne mangelhaft mit Haemat-
oxylin gefärbt und die Zellen vacuolär degenerirt Die Wund-
ränder der Hornhaut sind durch Quellung etwa bis zum Doppelten
verdickt. Die Ränder der Bowman'schen und Descemet'schen
Membran stehen ziemlich weit aus einander, dazwischen ist die
fibrilläre Grundsubstanz bis zur gegenseitigen Berührung der
Bänder vorgequollen und ihr Gewebe gelockert Das Epithel
hat sich in dünner Schicht über die Stelle hin fortgesetzt und
zieht sich auch eine Strecke weit in den Wundkanal hineiiL
Nur an der Innenfläche klaffen die Wundränder noch etwas
und es ist ein Fibringerinnsel mit zahlreichen Leukocyten in
die Lücke eingelagert. Das Gewebe der Wundränder ist nicht
eitrig infiltrirt und enthält nur ganz vereinzelte Leukocyten.
Das Endothel zeigt an vielen Zellen stark über die Oberfläche
hervorragende Bläschen. Die Gefässe des Homhautrandes sind
erweitert und klaffen; sie enthalten zum Theil rothe Blut-
körperchen, zum Theil grosse Eiweisstropfen.
IIL Fall.
Althaus, Mann.
R. A. Zündhütchenverletzung am 24. December 1875.
Enucleatio bulbi am 28. December 1875 von Dr. Just in
Zittau.
Anatomische Untersuchung. Makroskopischer
Befund. Beide Hälften des durch den Sehnerven halbirten
Pathologisch-anatomiBche Untersaclmngen etc. 203
Aoges wnrden in Müller'Bcber Flüssigkeit gebftrtet nnd nach
Einbettang in Celloidin geschnitten.
Die Homhant zeigt aof dem Durchschnitt eine etwas
lateralwärts Ton der Mitte gelegene Wunde. Die Iris ist nach
der Wunde hingezogen und durch Exsudat damit verklebt An
einigen Schnitten findet sich nahe dem Pupillenrande eine
Lücke, durch welche ein Stückchen der Iris vom übrigen Theil
abgetrennt ist; an anderen Schnitten fehlt dieses Stück völlig.
Die vordere Linsenkapsel zeigt eine klaffende Lücke,
welche das ganze Pupillargebiet einnimmt Die Pupille ist
weit und sammt der Yorderfläche der Iris von einer Schicht
locker geronnenen, granlichen Exsudates bedeckt, das an anderen
Schnitten die vordere Kammer nahezu ganz ausfüllt Der an
die Pupille grenzende Theil der Linse ist zerklüftet; ihre
hintere Fläche zeigt einen Substanzverlust und die hintere
Kapsel fehlt zum grössten TheiL
Die Netzhaut ist in dem vorderen Abschnitte des Auges
von der Chorioidea etwas abgelöst und bildet am Aequator
bulbi kleine Falten, während sie im hinteren Abschnitt der
Aderhaut anliegt. Nach unten, besonders auf der temporalen
Seite, ist die Faltung stärker nnd wohl für praeexistirend zu
halten, während sonst die Abhebung grossentheils für Wirkung
der Praeparation zu halten ist Die Retina ist zugleich im
hinteren Abschnitt, besonders auf der temporalen Seite, durch
eine Auflagerungsschicht stark verdickt.
Die gleichfiills verdickte Aderhaut ist, besonders vorn,
einschliesslich des Ciliarkörpers, von der Sclera abgehoben und
die Suprachorioidea aufgelockert, was nach unten hin zunimmt
In der Höhe des Sehnerven ist der Glaskörperranm
grösstentheils leer und die Retina und Linse nur von einer
dünnen Schicht von Glaskörpersubstanz überzogen, während der
Glaskörper weiter nach oben nicht geschrumpft ist; in der
nntem Hälfte nimmt er dagegen den vorderen Theil seines
Raumes ein.
Anf den dicht unter der Linse geführten Schnitten der
unteren Augenhälfte befindet sich im vordersten Theüe des
Glaskörpers eine geringe Menge einer bräunlich-gelben Maroe,
welche von vom den Cüiarfortsätzen, von den Seiten aber der
Pars cU. ret anliegt Diese Masse zeigt in ihrer Mitte eme
paraUel zum Aequator gerichtete Lücke von 4 mm Länge; aut
anderen Schnitten, welche noch niedriger geführt ^!|f*®\J*^"
schwindet diese Lücke wieder, nnd es treten an ihrer Stelle
204 Kostenitsch.
zwei andere Lücken auf, eine grössere, neben der inneren
Fläche der Pars eil. retinae der nasalen Seite, and eine
kleinere, l^j^mm nach innen von der Pars eil. retinae der
temporalen Seite; die Entfemnng dieser Locken von einander
betiilgt etwas mehr als 4 mm. Der Fremdkörper wnrde nicht
gefunden; aber die Anwesenheit der erwähnten Lücken, sowie
ein leicht bräunlicher Ton der Eitermasse berechtigen mit
Sicherheit zu der Annahme, dass der Fremdkörper ein bogen-
förmig gekrümmtes Eupferstück von ca. 4 mm Länge darstellte,
dessen Enden in den kleinen, in der Masse befindlichen Lücken
eingelagert waren, während seine Mitte die grosse Lücke
einnahm; er war vermuthlich aus dem frisch halbirten Auge
herausgenommen worden, wobei die Linse und der Glaskörper
der unteren Augenhälfte verletzt wurden.
Mikroskopische Untersuchung. Der nach vom zu-
sammengezogene Glaskörper der unteren Augenhälfte ist stärker
fibrillär, von einem Fibrinnetz durchsetzt und ziemlich stark
mit Eiterkörperchen infiltrirt, ausserdem findet man darin rothe
Blutkörperchen und körnigen Detritus. Die Kerne der Glas-
körperzellen sind schwach mit Haematoxylin gefärbt. Die oben
beschriebene bräunlich-gelbe Masse, in welcher der Fremdkörper
eingebettet war, besteht aus dicht an einander liegenden Eiter-
körperchen. Auf der Netzhaut finden sich in der Gegend der
Papille Reste des fibrillär veränderten Glaskörpers und der
Membrana hyaloidea.
In der oberen Augenhälfte ist der Glaskörper gleichfalls
fibrillär verändert und von einem Fibrinnetz durchsetzt; sein
hinterer, schwach mit Eiterzellen infiltrirter Theil ist von der
Betina etwas abgehoben und hat die Memb. hyaloidea mit
sich gezogen, in welcher nur stellenweise kleine Defekte vor-
handen sind; der vordere Theil ist dagegen ziemlich stark
mit Eiter infiltrirt In dem Baume zwischen dem abgehobenen
Glaskörper und der Retina, wie auch auf der innem Fläche
der letzteren findet sich in der unteren Augenhälfte eine ge-
ronnene, feinkörnige, stellenweise mit Fibrinfasern durchsetzte
Eiweissmasse, in welcher bald isolirte, bald dicht neben einander
liegende, bald in Beihen oder Gruppen geordnete Eiter-
körperchen eingelagert sind. Die letzteren bilden zwischen dem
äusseren Papillenrand und dem Aequator bulbi einen Streifen
von fast 1 mm Dicke, welcher makroskopisch den Eindruck
macht, als wäre die Netzhaut verdickt, was schon oben erwähnt
wurde.
PatholQgisch-anatomische Untersuchungen etc. 205
Die obere Hälfte der Netzhaut ist nur wenig mit Eiter-
zellen infiltrirt; ausgesprochener ist die eitrige Infiltration in
der unteren Hälfte und besonders stark in dem Theil des
Auges, welcher der Lage des Fremdkörpers entspricht.
Das Gewebe der Papille ist schwach mit Eiterkörperchen
infiltrirt; eine beträchtliche Anhäufung derselben findet sich
dagegen in der Adventitia der stark mit Blut gefüllten Gefässe.
Auch ist die Papille, sowie die Innenfläche der Netzhaut, von
einem dicken, reichlich mit Eiterzellen infiltrirten Fibrinnetz
tiberzogen. Die Nervenfasern der Papille, wie auch die Faser-
schicht der Retina, treten nicht deutlich hervor, während das
retikuläre Stfltzgewebe stärker als normal entwickelt ist.
Die Kerne sänmitlicher Schichten der Netzhaut sind
schwach gefärbt. Ganz ungefärbt geblieben, offenbar nekrotisch,
sind die Körner der äusseren Körnerschicht, zwischen denen
vereinzelte Eiterzellen mit gut gefärbten Kernen sich um so
mehr hervorheben; etwas besser, wenn auch ebenfalls schwach
gefärbt sind die inneren Körner, von denen nur manche, zumal
an der inneren Grenze, eine normale Färbung behalten haben.
Auch die Kerne der Nervenzellen sind schwach gefärbt. Die
Körner beider Körnerschichten liegen dicht an einander und
neben der Ora serrata fliessen sie zu einer Schicht zusammen.
Die Stäbchenschicht ist körnig, aber doch gut erhalten;
ihre Elemente liegen dicht an einander. Neben dem temporalen
Papillenrande, die Gegend der Mac. lut. einschliessend, bildet
diese und die äussere Kömerschicht auf dem Querschnitt
papillenartige J^hebungen. An derselben Stelle befinden sich
in der Zwischenkömerschicht ziemlich grosse Lücken, welche
von einander durch die verdickten und mit rothen Blut-
körperchen durchsetzten Stützfasem getrennt sind. In diesen
Lücken findet sich eine feinkörnige Masse, Fibrinfasem, einzelne
Eiterkörperchen, wie auch isolirte Körner der äusseren Körner-
schicht und sehr schwer unterscheidbare rothe Blutkörperchen.
Auf Schnitten von der Mitte des Auges sind ähnliche
Lücken neben der Ora serrata zu beobachten, bald in der
äusseren, bald in der inneren Kömerschicht, oftmals auch in
der ganzen Dicke der Netzhaut In. diesen Lücken sieht man
eine feinkörnige Masse und Eiterkörperchen.
Die Lumina der Retinagefässe sind verengt; in der Ad-
ventitia der Venen sind Leukocyten und Eiterkörperchen,
manchmal in beträchtlicher Menge anzutreffen.
206 Kostenitsch.
Das Pigmentepiihel der Retina liegt im vorderen Theil
der Ghorioidea, im hinteren bald dieser, bald der Retina an
und ist von den Membranen oft durch eine dünne Eiweiss-
Schicht getrennt Die Kerne sind schwach gefärbt, Wnchemngs-
erscheinnngen nicht zu erkennen.
Die Pars dl. retinae ist ziemlich stark mit Eiter infiltrirt,
besonders im unteren Theil, in der Gegend des Fremdkörpers,
wo ihr Gewebe zwischen den Eiterzellen kaum mehr zu er-
kennen ist Das Pigmentepithel ist gelockert und die Zellen
in die umgebende Zellenmasse eingestreut
Auf der inneren Fläche des Corpus ciliare bildet das
Pigmentepithel papillenartige Erhebungen. Im Torderen Ab-
schnitt des Auges ist die Netzhaut leicht abgehoben durch
eine feinkörnige Eiweissmasse, in welcher stellenweise Gruppen
von Eiterkörperchen, Fibrinfasem und isolirte Zellen desißetina-
epithels, manchmal mit Eemtheilung, eingeschlossen sind. In
dem hinteren Abschnitt ist der Subretinalraum sehr eng.
Die Aderhaut ist, wie schon erwähnt wurde, verdickt und
aufgelockert, besonders in ihrem hinteren Theile. Dire Ge-
fasse sind stark erweitert, die Gapillaren und Venen stellen-
weise mit Blut gefüllt; in den Lumina der letzteren sieht man
Leukocjten, sehr selten auch Fibrinfasern. In der vorderen
Augenhälfte ist zwischen den Blättern der Suprachorioidea
fibrinöses Exsudat vorhanden. In dem Theil des Auges,
welcher der Lage des Fremdkörpers entspricht, ist die Chori-
oidea schwach, das Corpus eil. aber ziemlich stark mit Eiter-
körperchen infiltrirt; letztere sind sonst nur im Corpus eil.
zu sehen.
Die Fasern der Zonula Zinnii erscheinen verdickt und
von der Linsenkapsel abgerissen, die letztere ist, wie schon
bemerkt, vom und hinten durchrissen. Die dem Eapselriss
anliegenden Linsenfasem sind gequollen und zwischen ihnen
ist eine geringe Menge von Eiterkörperchen eingelagert.
Die Gefässe der Iris sind erweitert, ihr Gewebe ist massig
mit Eiterzellen infiltrirt; zahlreichere Eiterkörperchen liegen
auf der vorderen Fläche der Iris, im Eammerwinkel nnd in
ein diQ vordere Kammer einnehmendes Fibrinnetz eingebettet.
Auch an der Hinterfläche der Iris, der gegenüberliegenden
Linsenkapsel und zwischen den Ciliarfortsätzen sind Eiter«
körperchen abgelagert. Das Pigmentepithel der Iris ist ver-
dickt, seine hintere Fläche sieht auf dem Querschnitt zackig
ans, besonders im peripheren Theile der Iris. Ein Theil des
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 207
temporalen Pnpillenrandes ist durch den Fremdkörper ab*
gerissen.
Die Gefftsse der Goig. bolbi sind erweitert, die Venen
mit Blut gefüllt, in ihrer Adyentitia ist eine massige Menge
von Eiterkörperchen vorhanden, auch das Gewebe zum Theil
von Eiterzellen und FibrinfiUlen durchsetzt
IV. Fall.
Friedrich Volkmann, 8 Jahre alt, aus Hassloch (Pfalz).
St. B. d. Heidelb. Augenkl. 1889. Nr. 165.
Am 28. April 1889 Verletzung des linken Auges durch
einen Ztlndhütchensplitter.
L. A. Keine Lichtscheu, keine vermehrte Thränensecre-
tion. Gonj. bulbi et palp. massig injicirt Giliarinjection, Gomea
im Ganzen klar, nach oben aussen, am Limbus beginnend, eine
horizontal verlaufende, etwa 2 mm lange, sich in 2 Theile
spaltende, grauweisse Narbe. Kammer normal tief. Atropin-
mydriasis. Iris, im Ganzen von normaler Farbe, zeigt ent-
sprechend der Risswnnde der Gomea, aber etwas tiefer unten,
eine kleine Perforation an der Peripherie, die den Sphinkter
nicht erreicht. Das umgebende Gewebe ist graublau verfärbt;
die Iris selbst hier etwas breiter. Der im Uebrigen normale
Augenhintergrund geht nach unten innen mit scharfer Grenze
in eine blendendweisse Membran über, die nach aussen die
Mittellinie ein wenig überschreitet, auf derselben keine Geisse.
(Ablatio Retinae?) T. normal. Kein Schmerz. £.8=^/55.
Gesichtsfeld nicht merklich beschränkt.
R. Auge normal.
14. Mai. Enucleation des 1. Auges in Ghloroformnarkose.
Glatter Veriauf.
22. Mai 1889. Geheilt. Entlassen.
Anatomische Untersuchung. Makroskopischer Befund.
Nach H&rtung in MüUer'scher Flüssigkeit wurde das Unke
Auge in horizontaler Richtung etwas unterhalb des Sehnerven-
eintritts durchschnitten, die beiden Hälften in Celloidin ein-
gebettet und in Schnitte zerlegt.
Der vordere Theil des Auges zeigt für das blosse Auge
keine sehr auffallenden Veränderungen. An Schnitten, die
durch die Mitte der Linse hindurch gegangen sind, ist die
208 Kostenitsch.
Hornhantnarbe nicht zu sehen, wohl aber noch eine Verletzung
des lateralen Abschnittes der Iris, deren peripherer Randtheil
verdünnt und nach hinten gebogen ist nnd seinen Pigmentbelag
verloren hat. Die Linse hat hier normale Form und Grösse.
Der Qlaskörper, welcher seinen ganzen Raum einnimmt,
ist von hellgelber Farbe mit membranartigen Streifen, welche
besonders deutlich neben der Pars eil. ret. auf beiden Seiten
hervortreten.
Die Netzhaut liegt im Ganzen der Aderhaut an, nur in
der unteren Hälfte zeigt sich im hinteren Umfang eine massig
nach innen vorspringende Falte.
Die Aderhaut liegt überall der Sclera an.
Im untersten Theil des Glaskörpers findet sich ein 3 mm
langer, 1 '/, mm breiter Zündhütchensplitter, von einer geringen
Menge gelblich -brauner Masse umgeben. Mit seiner Längs-
richtung liegt er parallel zum Aequator bulbi, etwas nach,
innen vom verticalen Meridian des Auges. Das obere Ende
des Fremdkörpers ist auf Schnitten von dem hinteren Theil
d^r Retina etwa 4 mm, das untere Ende 1 '/g mm entfernt
Dasselbe berührte die Netzhaut nicht, was sich daraus ergiebt,
dass ein kleines Segment der unteren Augenhälfte abgeschnitten
worden war, ohne dass der Fremdkörper zu Tage trat.
Die gelblich-braune Masse, welche den Zündhütchensplitter
rings umgiebt, hebt sich ziemlich scharf vom Glaskörper ab
und liegt nur in der Höhe des unteren Fremdkörperendes
dem hinteren Theile der Netzhaut an. Vom mittleren Theile
des Fremdkörpers aus zieht sich von dieser Masse ein ziem-
lich breiter, nicht scharf abgegrenzter Fortsatz nach dem na-
salen Theil der Ora serrata hin.
Im Gelloidin ist der Glaskörper etwas geschrumpft und
liegt im oberen Theile der unteren Augenhälfte nur vorne der
Netzhaut an; an den übrigen Stellen ist er 2mm von ihr ent-
fernt. Ganz nach unten, der Lage des Splitters entsprechend,
ist der Glaskörper etwas mehr von der Netzhaut abgehoben;
die letztere ist hier im hintern Umfang etwas stärker gefaltet
als oben und nebst der Aderhaut nicht unerheblich verdickt.
In der oberen Augenhälfte ist der Glaskörper nur auf der
Höhe des N. opt, nach innen von ihm, in geringer Ausdehnung
ca. 1mm weit von der Netzhaut abgehoben.
Mikroskopische Untersuchung. Die den Fremd-
körper umschliessende gelbliche Masse und der oben erwähnte
Pathologisch-anatomiBche Untersachaogan etc. 209
streifenfönnige Fortsatz derselben stellen nichts anderes dar,
als einen nrnschriebenen Glaskörperabscess. Die peripherischen
Schichten desselben bestehen durchweg aas nekrotischen Rund-
zellen, deren Kerne nur durch Eosin gefärbt sind; je näher
dem Fremdkörper, um so grösser wird die Zahl der durch
ihre Haematoxylinf&rbung hervortretenden Kerne, die zuletzt
ziemlich dicht gedr&ngt liegen; man UDterscheidet dabei mul-
tiple, kleine, stärker gefärbte und grössere, einzelne, blasser
tingirte, die auch etwas grösseren Rundzollen angehören.
Zwischen diesen Zellen liegen zahlreiche rothe Blutkörperchen.
Der übrige Glaskörper ist fibrillär yerändert und von
einem Fibrinnetz durchsetzt, aber nur in der unteren Augen-
häfte schwach mit Eiterkörperchen infiltrirt, und dieses haupt-
sächlich neben der Pars eil. ret, wie auch in seinem hinteren
Theile, welcher von der Netzhaut abgehoben ist. In dem
Raum zwischen dem abgehobenen Glaskörper und der Netzhaut
befindet sich eine blass-körnige Eiweissmasse, welche bald auf
der hinteren Fläche des Glaskörpers, bald auf der Innern
Seite der Retina aufgelagert ist In dem, der Lage des
Fremdkörpers entsprechenden Abschnitte des Auges sind in
dieser Eiweissmasse noch Gruppen von Eiterkörperchen vor-
handen, welche öfters der Retina anliegen.
Die Fasern der Zonula Zinnii sind verdickt und leicht
bis zur Ora serrata zu verfolgen.
Die Sehnervenpapille ist beträchtlich geschwollen, ihr
Gewebe ödematös und gelockert, die Neuroglia etwas stärker
entwickelt An der Oberfläche zeigt sie eine umschriebene
Stelle stärkerer Proliferation des Stützgewebes. Die Gefässe
sind erweitert, ihre Adventitia reichlich mit Leukocyten in-
filtrirt, das übrige Gewebe nur wenig.
Auch die Netzhaut ist, namentlich in der Nähe der
Papille etwas verdickt und ihr Gewebe gelockert, welcher
Zustand in abnehmendem Grade sich bis nach vom verfolgen
lässt. Die Verdickung erstreckt sich auf alle Schichten, be-
sonders aber auf die Stäbchenschicht und Zwischenkörnerschicht.
Die Elemente der Stäbchenschicht sind mehr oder minder
stark verlängert und verdünnt, ihre Enden oft umgebogen und
schräg zur Oberfläche verlaufend; zwischen ihnen treten Lücken
auf, durch welche eine bündelweise Aneinanderlagerung be-
dingt wird. In der Umgebung der Papille ist die Structur der
Stäbchenschicht undeutlich, körnig und nach der Fovea centralis
T. GTnefe's Archlr «r Ophthalmologie. XXXVII. 4. 14
210 Kostenitsch.
hin nimmt ihre Dicke erheblich ab, an einer Stelle schwindet
sie sogar völlig. Die Zwischenkömerschicht ist besonders in
der Nähe der Papille stark ans einander gezogen nnd gelockert;
die äusseren Körner senkrecht oval, wie in die Läi^ge ge-
zogen; die Elemente beider Kömerschichten weniger dicht
beisammen liegend als in der Norm; alle zelligen Gebilde
haben sich schwach mit Hämatoxylin gefärbt, was aber vielleicht
der Erhärtungsflüssigkeit zuzuschreiben ist Die Venen der
Netzhaut sind erweitert, in ihrer Adventitia Lenkocyten ein-
gelagert. Letztere finden sich überall auch in geringer Menge
im Gewebe der Nervenfaserschicht. Die Hyaloidea ist in grosser
Ausdehnung durch feinkörnige Eiweissmasse von der Innenfläche
der Netzhaut etwas abgehoben, stellenweise finden sich in dem
Zwischenraum auch Leukocyten. Das Pigmentepithel ist wenig
verändert. Im unteren Theil des Auges ist dagegen die Netz-
haut, besonders die Faserschicht, reichlicher von Eiterkörperchen
infiltrirt und in der Gegend des den Fremdkörper umgebenden
Abscesses vollständig degenerirt und in ein dicht mit Eiter-
körperchen und Pigmentzellen durchsetztes Gewebe verwandelt,
das nichts von der normalen Structur mehr erkennen lässt.
Es ist möglich, dass hier der Fremdkörper einen Riss der
Netzhaut bewirkt hatte, doch kann auch die Structur durch
den Entzündungsprocess verloren gegangen selb, da der Ueber-
gang in den erhalten gebliebenen Theil der Netzhaut ganz
allmälig erfolgt. Man sieht hier stellenweise auch neugebildetes
Bindegewebe zu der stark mit Eiterzellen infiltrirten Chorioidea
hinüberziehen. Wo die Netzhaut abgehoben ist, ist der
Zwischenraum von körniger Eiweissmasse, eitrig-fibrinösem
Exsudat und abgelösten Zellen des Pigmentepithels ausgefüllt.
Auch sonst ist im unteren Abschnitt des Auges das Pigment-
epithel stellenweise unregelmässig, einzelne Zellen durch Exsudat
abgehoben, andere scheinen zerfallen und die Pigmentkömehen
in der Umgebung zerstreut.
Die Gefässe der Iris sind erweitert, das Gewebe auf der
Seite der Verletzung von zahlreichen rundlichen und poly-
morphen Pigmentzellen durchsetzt. In dem Defect der Iris
sind Fibrinfasern, isolirte Zellen des zerfallenen Stratum pigm.
iridis und rayelinähnliche Tropfen von verschiedener Grösse zu
sehen; letztere werden auch in dem Winkel zwischen der
Iris und den Ciliarfortsätzen angetrofifen. An den übrigen
Stellen ist das Pigraentepithel der Iris verdickt und die Zellen
bilden auf seiner hinteren Fläche zackige Vorsprünge.
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 211
In der vorderen Kammer finden sich verschieden ge-
staltete Fibrinnetze nnd veränderte rothe Blutkörperchen. Das
Endothel ist vesiculär verändert, desgleichen in ausgesprochenem
Grade die obere Schicht des Epithels der Hornhaut.
An der Linsenkapsel wurde keine Verletzung gefunden ;
die Linse zeigt Veränderungen wie bei beginnender Cataract.
V. Fall.
Claudepierre (Ohne Krankengeschichte).
Einähriger Knabe. Enucleation wegen Verletzung durch
einen Zündhütchensplitter.
R. Auge gut in MüUer'scher Flüssigkeit gehärtet, im
horizontalen Meridian durch den Sehnerveneintritt halbirt, beide
Hälften in Celloidin geschnitten.
Makroskopischer Befund. Durchmesser des Auges in
sagittaler und aequatorialer Richtung 23 mm. In der Cornea,
etwas nach innen von ihrer Mitte, eine vertikale, fast 1^/, mm
lange Narbe. Die vordere Kammer ist seicht; der Pupillarrand
der Iris ist mit der Narbe verwachsen; die Linse ist stark
verkleinert, anregelmässig gestaltet und theilweise resorbirt.
Die Aderhaut ist verdickt, besonders im äusseren und hinteren
Theil des Auges; in dem letzteren liegt sie der Sclera an,
während sie in ihrer übrigen Ausdehnung bis auf 2 — 3 mm
von ihr abgehoben ist. Die Retina liegt im äusseren und
inneren-hinteren Theil der Aderhaut an, in ihrer übrigen
Ausdehnung ist sie von ihr etwas über 1 mm weit abgelöst.
Der Nervus opticus zeigt normale Färbung, ist aber etwas
dünner, als normal und hat an der Sclera nur 2 mm im
Durchmesser (ohne äussere Scheide).
Eine dunkelgraue Masse nimmt den ganzen Glaskörperraum
ein. In der unteren Hälfte des Auges, unmittelbar hinter der
Mitte der Linse ist in dieser Masse ein stecknadelkopfgrosser
Fleck von dunkelbrauner Farbe zu sehen, welcher nur an
10—12 Schnitten zu treffen ist (Figur 1, d). Ein etwas
grösserer Fleck von ähnlicher Farbe, aber nicht so deutlich
hervortretend, ist im äusseren Theil dieser Masse neben dem
Aequator bulbi, nicht weit von der Netzhaut zu beobachten.
4 mm nach hinten von dem letzterwähnten Fleck findet
sich auf der lateralen Seite der Netzhaut eine Verdickung, —
wahrscheinlich die Folge einer Verletzung, welche in der Höhe
14»
212 Kostenitsch.
des Nervus opt. anfilngt, parallel mit dem Aequator bulbi nach
unten zieht und in der Gegend des unteren Theils des Fremd-
körpers verschwindet (Fig. 1 r).
Nach unten von dem mehr erwähnten Fleck, 1 mm nach
innen von der Netzhaut und unmittelbar nach unten von dem
Sehnerveneintritt, lag der Fremdkörper^ ein Ztlndhfltchenstflck
von 3 mm Länge und 2 mm Breite, mit seiner Längsausdehnung
und seiner Fläche parallel zum Aequator bulbi gerichtet
(Fig. If).
Ein Theil der oben beschriebenen Masse, welcher dem
Fremdkörper anliegt, zeigt eine gelblich-braune Färbung, die
nach unten, unterhalb des Fremdkörpers, bis dicht an den
Grund des Auges, einen fast braunschwarzen Ton anninunt
Etwas nach vorne von dem Aequator bulbi sieht man auf
der ganzen nasalen Seite eine kleine Falte der Retina; auf
der temporalen Seite finden sich dagegen keine Falten, mit
Ausnahme der noch zu erwähnenden Fältchen nach oben und
nach unten von dem Risse der Retina.
Die Schnitte zeigen bei Behandlung mit gelbem Blut-
laugensalz und Salpetersäure in der dem Fremdkörper anliegen-
den Masse, sowie in dem, hinter der Linse befindlichen Fleck,
eine deutliche röthliche Färbung.
Mikroskopische Untersuchung. Der vermuthete
Riss an der Stelle der Verdickung in dein äusseren hinteren
Theil der Netzhaut wurde bei der mikroskopischen Unter-
suchung vollständig bestätigt. Der Zwischenraum zwischen den
Rändern der zerrissenen Retina ist von zellenreichem Granu-
lationsgewebe ausgefällt, das in seinen äusseren Schichten zahl-
reiche Pigmentzellen einschliesst; in den mittleren Schichten
sind rothe Blutkörperchen und Detritus derselben eingelag^l
und die inneren Schichten besonders dicht von Leukocyten
durchsetzt, welche auch in dichter Menge in die innere Schicht
der Retina an den Rissenden tibergehen. Dieses Gewebe er-
streckt sich auch in den Subretinalraum hinein, wo es an den
Schnitten, welche oberhalb des Fremdkörpers gefallen sind, als
ein schmaler Streifen nach vorne zieht und sich, ohne die
Ora serrata zu erreichen, allmälig verliert. Das Pigment-
epithel zeigt hier sehr hochgradige Veränderungen. An der
äusseren Fläche der Narbe und in deren Gewebe eingebettet
finden sich zwei kleine, ganz isolirte Trümmer der äusseren
Körnerschicht.
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 213
Auf den Schnitten, welche der Lage des Fremdkörpers
entsprechen, ist die Narbe breit, das neugebildete Gewebe im
Subretinalranme zieht hier zwischen Retina und Chorioidea
auch eine Strecke weit nach hinten.
Gleich nach hinten von der Narbe bildet die Retina
kleine, mikroskopische Falten, in welchen man die veränderte
Stabchenschicht, die äussere Eömerschicht und stellenweise
auch in Gruppen oder in eine schmale Reihe geordnete Körner
der inneren Kömerschicht unterscheidet Die äussere Eömer-
schicht bildet in den Falten, wie auch auf eine kleine Ent-
fernung nach hinten von ihnen, Htlgel, deren Spitzen die
Stäbchenschicht auseinander schieben und in den Subretinal-
räum hineinragen. Zwischen je zwei an einander liegenden
Hügeln findet sich eine Einsenkung, welche mit veränderten
Stäbchen und Zapfen gefallt ist, während diese an den Spitzen
der Hügel nicht vorhanden sind.
Das vordere Ende der zerrissenen Retina, welches stellen-
weise nur aus der veränderten Stäbchenschicht und einer
schmalen Reihe von Körnern der äusseren Körnerschicht be-
steht, ist nach aussen in den Subretinalraum umgeklappt und
durch Bindegewebe fixirt; manchmal sind in diesem Ende feine
Falten zu beobachten, in welchen die äussere Körnerschicht
sich verschmälert, oder kleine Hügel bildet. Die innere
Körnerschicht ist nur als schmaler Streif in einiger Entfernung
von den Falten zu unterscheiden. An der Stelle der übrigen
Schichten der Retina findet sich auf beiden Seiten von der
Narbe nur ein dicht mit Eiterkörperchen und Pigmentzellen
durchsetztes Gewebe, das kaum etwas von der normalen
Structur erkennen lässt
Die beschriebenen Veränderungen der Netzhaut finden sich
nicht nur nach vorne und hinten von der Narbe, sondern auch
nach unten und nach oben, hier aber nur in geringer Aus-
dehnung; auf Schnitten von der oberen Hälfte des Auges ist
unmittelbar oberhalb des N. opt die innere Körnerschicht
schon in ihrer ganzen Ausdehnung zu sehen und etwas höher
auch schon die übrigen Schichten der Retina zu unterscheiden.
Nach unten von der Narbe sieht man die Stäbchenschicht und
die äussere Eömerschicht; die übrigen Schichten sind aber
fast auf der ganzen temporalen Seite der Netzhaut nicht zu
unterscheiden, da sie hier mit einer beträchtlichen Menge von
Eiterkörperchen durchsetzt sind, zwischen welchen hie und da
Körner der inneren Körnerschicht, MüUer'sche Fasern und
214 Kostenitsch.
einzelne Nervenzellen hervortreten. In der übrigen Ausdehnung
der Retina sind ihre Schichten, von der Zwischenkörnerschicht
anfangend, mit Eiterkörperchen infiltrirt und sehen etwas
körnig aus. Die Kerne der Nervenzellen sind mangelhaft mit
Haematozylin gefärbt Die Infiltration ist auf der temporalen
Seite ausgesprochener als auf der nasalen.
Auf der temporalen Seite der Retina und neben der
Papille sind Yacuolen in den Körnern der beiden Kömer-
schichten zu beobachten. In einer gewissen Ausdehnung nach
hinten von der Ora serrata ist die Stäbchenschicht in beiden
Hälften des Auges in Eiweisskügelchen von verschiedener
Grösse zerfallen. Dieser Zerfall erstreckt sich auf der tempo-
ralen Seite mehr nach hinten als auf der nasalen. An allen
übrigen Stellen ist die Stäbchenschicht gequollen.
Die Gefässe der Retina sind erweitert und mit Blut ge-
füllt, neben ihnen befinden sich viel Eiterkörperchen.
Die Papille des Nerv. opt. ist geschwollen und ihr Ge-
webe, besonders neben den erweiterten Gefässen, mit Eiter-
körperchen infiltrirt. Die letzteren sind auch in ihrem cen-
tralen Grübchen angehäuft, zwischen ihnen befinden sich
Fibrinfasern. Die Nervenfaserbündel sind gut erhalten, aber
etwas kömig.
Das Epithel der Netzhaut ist, besonders an ihrem vorderen
Theil, gewuchert; es gelang mir aber nicht, Kemtheilungen
zu finden.
Die Pars eil. ret. zeigt eine geringe Wucherung und ist
mit Eiterkörperchen infiltrirt. Die Infiltration ist auf der
temporalen Seite und in der unteren Hälfte des Auges aus-
gesprochener als in der oberen. Nach dem Grunde der unteren
Hälfte des Auges hin ninmit die Infiltration so stark zu, be-
sonders auf der temporalen Seite, dass man mit grosser Mühe
die Zellen dieser Schicht unterscheiden kann.
Das Stratum pigmenti part. eil. ret. ist verdickt und an
der Ora serrata gewuchert, wo seine Zellen Kemtheilungen
zeigen. Stellenweise bildet es keilförmige Yorsprünge, welche
sich in die Pars eil. ret hinein erstrecken. Zwischen den
Zellen des gewucherten Strat. pigm., wie auch zwischen ihm
und der Pars eil. ret selbst sind in kleinen Lücken Eiter-
körperchen enthalten.
Der Glaskörperraum war vor dem Einschliessen des Auges
in Celloidin, wie schon oben erwähnt, vollständig mit einer
dunkelgrauen Masse ausgefüllt In Celloidin ist sie aber ge-
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 215
Bchrampft und in zwei ungleiche Theile getheilt, einen vorderen
grösseren und einen hinteren kleineren, zwischen welchen sieh
eine Lficke findet (Fig. 1).
Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigt sich, dass
diese Theile sich wesentlich von einander unterscheiden. Der
vordere Theil ist ziemlich stark mit Eiterkörperchen und mit
einem Fibrinnetz infiltrirt. Die Infiltration ist auf der tempo-
ralen Seite, neben dem Giiiarkörper und in der unteren Hälfte
des Auges ausgesprochener als in der oberen, besonders in
der Gegend des Fremdkörpers und hinter der Linse, neben
welchen das Fibrinnetz sehr dicht ist. Dem vorderen Theil
hängt die Membrana hjaloidea an, welche viele feine, zackige
Falten bildet und nicht weit vom temporalen Ende der Retina
an nach der nasalen Seite hin zieht, um in einiger Entfernung
abgerissen aufzuhören, indem der übrige Theil an der Innen-
fläche der Retina sitzen geblieben ist. Vom Ende der Membr.
hyaloidea bis znr Ora serrata befinden sich auf der nasalen
Seite in Reiben geordnete oder isolirte Eiterkörperchen, welche
die Grenze des vorderen Theils der Masse darstellen. Nach
hinten liegen der Membr. hyaloidea Stückchen der Masse an,
in welchen keine Eiterkörperchen nnd kein Fibrinnetz zu
beobachten sind. In der ganzen unteren Hälfte des Anges, in
der Gegend des Fremdkörpers, nnd an der Stelle, welche hinten
von dem Fremdkörper, aussen von der Retina nnd vorne von
dem temporalen Theil des Corpus ciliare begrenzt ist, wie
auch neben dem nasalen Theil des Corp. eil., sind deutlich
Fibrillen des Glaskörpers zu sehen. In der oberen Hälfte des
Auges sind sie dagegen sehr wenig ausgesprochen und nur an
einer kleinen Zahl nach oben von dem N. opt. geführter
Schnitte und zwar ausschliesslich neben dem Corp. eil, auf
beiden Seiten zu beobachten.
Der hintere, viel kleinere Theil der Masse liegt im
hinteren Augenabschnitt unmittelbar der Narbe und der Retina
an. Er ist amorph und enthält nur spärliche Fibrinfasern,
neben der Retina auch in Gruppen geordnete Eiterkörperchen,
manchmal von beträchtlicher Grösse und zwischen ihnen mit
Eosin gefärbte EiweisskOgelchen.
Es ist klar, dass der vordere Theil der beschriebenen
Masse den veränderten und in Schrumpfung begriffenen Glas-
körper, der hintere Theil dagegen eiweisshaltiges Exsudat dar-
stellt (Fig. 1 g. e).
216 Kostenitoch.
An Schnitten, welche durch die Papille gelegt sind, ist
der Glaskörper mit der Membrana hyaloidea weniger weit von
der Netzhaut abgehoben und man sieht noch einen schmalen
Fortsatz der Glaskörpersubstanz, mit Eiterzellen und Fibrin-
fäden infiltrirt, nach dem Grunde der centralen Grube hin-
ziehen.
Die Zonula Zinnii ist verdickt; ihre Fasern kann man
mit schwacher Yergrösserung leicht fast bis zu der Ora serrata
verfolgen.
Dicht am hinteren Pol der Linse befindet sich, wie schon
oben erwähnt, ein kleiner, dunkelbrauner Fleck. Bei der mi-
kroskopischen Untersuchung zeigt sich, dass er aus zwei Heer-
den dichter eitriger Infiltration besteht Der eine ist auf dem
Durchschnitt mandelförmig und wird vorn von der hinteren
Linsenkapsel begrenzt, welche in seiner Mitte zerrissen ist;
seine hintere Fläche ist gleichfalls scharf begrenzt, wie wenn
die Hyaloidea durch die Eitereinlagerung eine Strecke weit
von der Linsenkapsel abgehoben wäre. In der angrenzenden
Schicht des Glaskörpers liegen die Eiterzellen mit in die
Länge gezogenen Kernen in mehreren Reihen hinter einander,
offenbar zwischen die Fibrillenzüge des Glaskörpergerüstes ein-
gebettet. Weiterhin folgt eine mehr gleichmässige Anhäufung
von Eiterzellen, die sich ohne scharfe Grenze in die Umgebung
verliert und dem hinteren der beiden dunklen Flecke entspricht.
In der Masse, welche dem Fremdkörper anliegt, wie auch
auf der entsprechenden Stelle in der oberen Hälfte des Auges,
findet sich eine beträchtliche Anhäufung von Eiterkörperchen
und zwischen ihnen sehr viel Detritus. Auf dem Niveau des
unteren Endes des Fremdkörpers vermehrt sich die Zahl der
Eiterkörperchen und unterhalb desselben bilden sie einen
grossen, in der Mitte fast undurchsichtigen Fleck. Ueberall
zwischen den Eiterkörperchen, wo sie nicht dicht an einander
anliegen, sieht man Fettkörnchenzellen und Fibrinnetze.
Die Netzhaut ist überall von der Aderhaut etwas abge-
hoben, nur auf einer kleinen Stelle in dem hinteren inneren
Theil des Auges liegt sie ihr an. Der schmale Subretinal-
raum ist mit einer geronnenen Masse angefüllt, welche nur in
der Gegend der Narbe homogen ist und neben den Eiterkörperchen
eine unbedeutende Menge Fibrinfasem enthält; an den übrigen
Stellen sieht sie feinkörnig aus. Auf der temporalen Seite
enthält sie ausser Eiterkörperchen noch rothe Blutkörperchen,
isolirte Zellen des Retinaepithels, Zellen mit Pigmentkömem
Pathologisch-aoatomiBche Untenuchnngen etc. 217
and Blutkörperchen oder Zellen, die einen grösseren Fetttropfen
enthalten; auf der nasalen Seite sind nur Eiterkörperchen in
kleiner Zahl darin zu treffen. In der ganzen unteren Hälfte
des Auges ist zwischen der Narhe und der Ora serrata ein
bedeutender Bluterguss Torhanden, welcher den ganzen schmalen
Subretinalraum einnimmt
Die etwas verdickte vordere Linsenkapsel ist an man-
chen Schnitten zweimal, an anderen einmal durchrissen, mit
klaffenden Rändern, auf denen Wucherungen des Kapselepithels
aufliegen, der ttbrige Theil ist gefaltet; die hintere Kapsel
fehlt an manchen Schnitten in noch grösserer Ausdehnung.
Die Linse ist grossen theils resorbirt; zwischen ihren ge-
quollenen Fasern liegen grössere Eiweissmassen und kleine,
deutlich mit Eosin gefärbte Tröpfchen. Im hinteren Theil
der Linse sind ihre Fasern in dtlnne, mehr oder weniger lange,
in dem vorderen in kurze Stückchen zerfallen; neben letzteren
befinden sich viele ziemlich grosse Zellen mit körnigem Inhalt,
der sich eben so gut, wie die Fasersttlckchen, mit Eosin färbt;
zwischen den zerfallenen Fasern sind Eiterkörperchen vor-
handen.
An einer Stelle fand ich eine Zelle mit excentrisch ge-
legenem Kerne, welche inmitten von Fettkörnchen ein mit
Eosin geförbtes Eiweisskttgelchen enthielt (Fig. 2E).
Die Gefässe der Chorioidea sind erweitert und mit Blut
gefällt, ihr Gewebe auf der ganzen temporalen Seite, wie auch
das des Orbiculus ciliaris beider Seiten, ist sehr stark mit
Eiter infiltrirt; in ihrer fibrigen Ausdehnung ist die Infiltration
wenig ausgesprochen.
Die Gefässe der Iris sind etwas erweitert; ihr Gewebe
ist unbedeutend mit Eiterkörperchen infiltrirt; die Infiltration
ist ausgesprochener neben dem ziemlich stark verdickten Strsr
tum pigmenti, dessen Zellen in unregelroässiger Weise ge-
wuchert sind und cylindrische und verkehrt kegelförmige
Gestalten angenommen haben, wodurch die hintere Fläche
zackig aussieht Der Pupillenrand ist entweder, wie schon
bemerkt, mit dem einen Ende der Homhautnarbe verwachsen,
oder glatt durch den Fremdkörper abgeschnitten.
Die vordere Augenkammer ist mit geronnener Eiweiss-
roasse ausgefällt, welche Fibrinfasem und Eiterzellen enthält,
die letzteren befinden sich in kleinen Gruppen auf der Membr.
Descemeti und in den Winkeln der Kammer. Gleich nach
aussen von der grossen Gomealnarbe ist noch eine zweite,
218 Kostenitsch.
feine, perforirende Narbe vorhanden, die nur an wenigen
Schnitten zu finden ist, daher nur eine geringe Ansdchnnng
besitzen kann.
In der Sclera finden sich neben den Gefössen, besonders
in der Gegend des Muse, eil., wie auch zwischen seinen Fasern,
Eiterkörperchen, welche sich auch um den Schlemm'schen
Ganal angehäuft haben.
In der Coi^. bulbi sind zahlreiche Leukocyten vorhanden.
Das Vorhandensein zweier neben einander liegender per-
forirender Narben der Cornea muss auf .eine doppelte Ver-
letzung bezogen werden, da nach der gegenseitigen Lage der
Narben und der Richtung, die der im Auge gefundene Fremd-
körper genommen hatte, nicht daran zu denken ist, dass der-
selbe Fremdkörper die Hornhaut zweimal verletzt habe. Es
bleibt also nur die Alternative, dass die kleinere Narbe schon
früher bestanden habe, oder dass das Auge gleichzeitig von
zwei Fremdkörpern von verschiedener Grösse verletzt wurde.
Letztere Annahme hat die grössere Wahrscheinlichkeit f&r sich,
weil sie zugleich erlaubt, die Entstehung der Veränderungen
am hinteren Linsenpol zu erklären, wo sich neben einem klei-
nen Eapselriss ein ganz umschriebener Fleck von eitriger
Infiltration fand, der bräunlich gefärbt jwar und in welchem
die Anwesenheit von Kupfer auf chemischem Wege bewiesen
wurde. Die Erwartung, an dieser Stelle einen Zündhütchen-
splitter zu finden, erfüllte sich nicht, da die ganze Gegend in
Schnitte zerlegt wurde, ohne auf einen Fremdkörper zu stossen;
es ist auch nicht möglich anzunehmen, dass der weiter hinten
gefundene Fremdkörper anfangs an dieser Stelle gelegen habe,
da er von da aus durch die Schwere nicht an seinen jetzigen
Sitz gelangen konnte. Nimmt man hinzu, dass an einigen
Schnitten deutlich zwei getrennte Lücken der vorderen Liusen-
kapsel gefunden wurden, und dass auch die kleine Zerreissung
der hinteren Kapsel getrennt war von der viel grösseren Lücke,
die der zweite im Auge gefundene Fremdkörper in der hin-
teren Kapsel bewirkt hatte, so muss wohl angenommen werden,
dass neben dem letzteren noch ein ganz kleiner Fremdkörper
in das Auge eindrang und bis zum hinteren Pol der Linse
gelangte, entweder nur ein Partikelchen der Zündmasse, oder
ein feinstes Kupferstückchen, das dem anatomischen Nachweis
entging, vermnthlich, weil es schon vorher in den Augenflflssig-
keiten sich gelöst hatte. Der andere Splitter durchdrang die
Linse und den Glaskörper und erzengte vermuthlich direct
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 219
den oben beschriebenen Riss der Retina. Es spricht hierfür,
dass der vordere Rand der zerrissenen Retina nach dem Snb-
retinalraum hin umgeklappt ist und dass auf der Seite des
letzteren der Narbe eine Gruppe freiliegender Edmer der
Aosseren Eörnerschicht anliegt; femer das Vorhandensein einer
bedeutenden Blutung im Subretinalraume und die Abwesenheit
Ton Falten im vorderen Theil der Retina, ohne welche ein
spontaner Riss von solcher Grdsse unbegreiflich ist
Der Fremdkörper wird einige Zeit lang neben dem Risse
gelegen haben, sp&ter senkte er sich etwas nach unten und
vom und wurde vielleicht auch in derselben Richtung durch
die Schrampfung des Glaskörpers weiter verschoben, die durch
die chemische Wirkung des Kupfers hervorgerufen wurde.
Später wurde dann der Riss der Retina durch Bindegewebe
verschlossen.
VI. Fall.
Joseph Zeckert, 16 Jahre alt, aus Mackersdorf in Pr.
L. Auge, 5 Wochen nach einer Zttndhütchenverletzung
von Dr. Just in Zittau am 10. October 1887 enucleirt.
Der Bulbus war nach Härtung in Mttller'scher Flüssigkeit
etwas oberhalb des Sehnerveneintrittes in horizontaler Richtung
durchschnitten, der Sehnerv bei der Enucleation knapp am
Auge abgetrennt An der unteren Bulbushälfte bemerkt man
auf der temporalen Seite im Limbus corneae eine kleine ver-
tiefte Narbe (Fig. 3, n). Beide Hälften wurden nach Einbettung
in Celloidin mit dem Mikrotom geschnitten.
Makroskopischer Befund. Trotz sorgfältigem Suchen
wurde an den Mikrotomschnitten keine deutliche Perforations-
stelle der Augenwand gefunden. Es fand sich nur an der
soeben bezeichneten Stelle der Sclerocomealgrenze auf der
lateralen Seite ein oberflächlicher Spalt, durch welchen der
Ansatz der Bindehaut in schräg nach der Peripherie gehender
Richtung vom Scleralrande abgetrennt wurde; an einigen
Schnitten sah man auch die angrenzende Schicht der Sdera
von etwas ausgetretenem Blut durchsetzt; nirgends aber konnte
man eine Narbe durch die Dicke der Sclera und die Aderhaut
hindurch verfolgen. Doch muss die Perforation an dieser Stelle
erfolgt sein, weil hier eine erhebliche Verletzung des Linsen-
randes vorliegt; auch ist nirgends anders die Spur von einer
220 KoBtenitsch.
Eingangsstelle des Fremdkörpers zn finden. Der laterale Rand
der linse erscheint abgestumpft und der angrenzende Tbeil
ihrer hinteren Fläche eingekerbt; die Linsensnbstanz ist hier
gelblich-weiss getrttbt and an der hinteren Fiftche gegen den
Olaskörperranm vorgequollen, während die vordere Fläche und
der nasale Rand für das blosse Auge nicht verändert erscheinen.
Die Pupille ist weit und die vordere Linsenkapsel in ihrem
Bereich von einer zarten Exsudatschicht bedeckt
Die Netzhaut ist vollständig trichterförmig abgeUVst und
verdickt; ihre beiden Blätter verlaufen ziemlich gestreckt, nur
in viele feine Fäitchen gelegt (Fig. 3, 4).
Der Glaskörperraum ist, besonders im vorderen Ab-
schnitt, von eitriger Infiltration eingenommen; in ihrer Mitte
befindet sich eine kleine Blutung.
Der Subretinalraum ist mit geronnener Eiweissmasse
erfüllt; nur hinten neben dem Sehnerveneintritt ist der von der
abgelösten Netzhaut gebildete Winkel auf der lateralen Seite
von eitrigem Exsudat ausgefüllt. In der Aequatorialgegend
sitzt auf der temporalen Seite an der Aussenfläche der Retina
ein hanfkomgrosses, scharf begrenztes Eiterknötchen.
Die Chorioidea ist im Allgemeinen zart und, mit Aus-
nahme des hintersten Abschnittes, überall von der Sclera ab-
gehoben, auf der nasalen Seite ziemlich weit, auf der tempo-
ralen nur wenig; die Suprachorioidea aufgelockert. Die Ab-
hebung erstreckt sich bis auf den leicht verdickten Ciliarkörper.
Nur hinten, lateral vom Sehnerveneintritt, wo das soeben er-
wähnte eitrige Exsudat sich befindet, liegt die Chorioidea der
Sclera an und ist ziemlich stark verdickt
Als sich die Schnitte von der unteren Hälfte des Auges
dem N. opt näherten, fand sich in dem mehr erwähnten
eitrigen Exsudat neben dem Sehnerveneintritt im subretina-
len Raum der Fremdkörper eingebettet und das Exsudat
in seiner Umgebung gelblich-braun verfärbt. Sein hinteres
Ende lag zwischen den Rändern der hier zerrissenen Retina,
2 mm nach vorn vom temporalen Rande der Papille; sein
vorderes, etwas nach unten gebogenes Ende war in den Glas-
körperraum eingelagert Der vorsichtig extrahirte Fremdkörper
stellt ein rinnenförmig gekrümmtes Zündhütchenstück dar von
4 mm Länge und 2 mm Breite.
Mikroskopische Untersuchung. Die mikroskopische
Untersuchung bestätigte, dass die beiden Blätter der abgelösten
Pathologisch-anatomische Untersachoiigen etc. 221
Retina am Sehner?eiieintritt zum Theil durchrissen waren;
zwischen ihnen und der Papille findet sich nur eitrig infiltrirtes
Bindegewebe, das sich noch eine kleine Strecke weit auf der
Chorioidea hinzieht und die Eitermasse von hinten her umgibt
An einer Stelle geht dieses Gewebe ohne scharfe Grenze in
das der hier eitrig infiltrirten Chorioidea über, so dass wohl
auch eine kleine Verletzung dieser Membran stattgefunden
hat. In der Umgebung dieser Stelle haben die Arterien der
Chorioidea stark verdickte Wandungen und ihr Lumen ist
theilweise verengt. In ihrer übrigen Ausdehnung ist die
Chorioidea nur wenig verdickt, ihre Gestose sind erweitert; die
Yenen theilweise mit Blut gefüllt, in den Lumina und in der
Adventitia der Venen ist nur in der temporalen Hälfte eine
unbedeutende Menge Leukocyten zu sehen. Erst in der Nähe
dee Ciliarkörpers tritt eine ausgesprochenere eitrige Infiltration
der Chorioidea auf.
Der markhaltige Theil des Sehnerven ist dünn, die Mark-
substanz kömig, im Zerfall begriffen, zugleich kernreicher als
normal und mit deutlicher hervortretendem Reticnlum. Die
Papillensubstanz ist kemreich und von zahlreichen Leukocyten
durchsetzt Die Wände der Arterien sind verdickt, die Venen
mit Blut gefallt, in ihre Adventitia sind manchmal Gruppen
von Eiter^ellen eingelagert
Die abgelöste Netzhaut ist in viele, bald feine, bald
gröbere Falten gelegt, ziemlich stark mit Eiterkörperchen
infiltrirt, besonders in ihrer temporalen Hälfte ihr Stützgewebe
hypertrophirt, die nervösen Elemente zum Theil in Atrophie
begriffen; an beiden Flächen ist eitriges Exsudat aufgelagert.
Besonders stark und unregelmässig gewuchert ist die Nerven-
faserschicht, in der auch die eitrige Infiltration am meisten
ausgesprochen ist Von der Stäbchenschicht sind in der Gegend
des Fremdkörpers nur noch Beste vorhanden, weiterhin sind
ihre Elemente gequollen, zum Theil im Zerfall begriffen und
die Aussenglieder streckenweise verlorengegangen. Die Körner^
schichten sind sehr unregelmässig gefaltet, die Elemente zum
Theil gelockert, in den Körnern zuweilen Vacuolen zu be-
obachten.
Die Venen der Netzhaut sind erweitert und mit Blut
gefüllt; die Wände der Arterien verdickt und im hinteren
Abschnitt der Netzhaut ist eine ausgesprochene Endoarteriitis
zu sehen.
222 Kostenitscb.
Das Pigmentepithel liegt der Chorioidea an, ist etwas
verdickt and fehlt, wie schon angedeutet, an der verdickten
Stelle der Chorioidea neben dem Sebnerveneintritt.
Die Pars ciliaris retinae ist stark gewuchert, mit
Eiterkörperchen infiltrirt und grösstentheils in der sie deckenden
Bindegewebsproliferation untergegangen. Das Pigmentepithel
der Pars ciliaris ist sehr stark verändert, die Zellen gewuchert,
gelockert und deformirt, stellenweise auch in das angrenzende
Bindegewebe bis zu bedeutender Tiefe infiltrirt.
Das oben erwähnte Eiterknötchen an der Aussenfläche
der Netzhaut besteht aus dicht mit Eiterzellen infiltrirtem Ge-
webe, dessen Gefttge in der Mitte etwas lockerer ist, und geht
nach den Seiten hin ohne scharfe Grenze in das eitrig infil-
trirte Gewebe der Netzhaut Ober, muss also wohl durch lokale
Vereiterung der Netzhaut entstanden sein (Fig. 3, 4 d'). Auch
an einer anderen Stelle ist die Retina so dicht von Eiter-
zellen infiltrirt, dass ihre Schichtung ganz verloren gegangen
ist, jedoch hier ohne erhebliche Dickenzunahme.
Die eitrige Infiltration des Glaskörpers nimmt ziemlich
den ganzen Raum desselben ein und erstreckt sich nach vom
bis an die hintere Linsenkapsel und an die auf der temporalen
Seite aus deren Riss hervorquellende Linsensubstanz heran.
Nasalwärts ist sie durch eine der Hinterkapsel aufliegende
dünne Bindegewebschicht von dieser getrennt Dieselbe hängt
mit dem neugebildeten gefässhaltigen Bindegewebe zusammen,
welches auf beiden Seiten den zwischen Giliarfortsätzen und
Ora serrata gelegenen Theil des Glaskörperraumes einnimmt
und sich noch eine Strecke weit auf die Innenfläche der ab-
gelösten Netzhaut als schmaler Streifen fortsetzt.
Weiter nach hinten ist die Hyaloidea durch zellenarmes
Exsudat von der Innenfläche der Netzhaut abgehoben, und auf
der Glaskörperseite von einer dünnen Schicht eitrigen Exsudates
bedeckt, während der Aussenseite Fettkörnchenzellen aufgelagert
sind. Auch nach innen von der abgelösten Hyaloidea folgt zu-
nächst geronnene Eiweissmasse, in welcher Fettkörnchenzellen
neben zerstreuten Eiterkörperchen und Fibriunetzcn einge-
schlossen sind. Der übrige auf der Zeichnung (Fig. 3, 4 g)
schwarz gefärbte Theil des Glaskörpers ist mit sehr dicht an-
einander liegenden Eiterkörperchen infiltrirt, deren Kerne bald
gut, bald schwach mit Haematoxylin gefärbt sind, im letzteren
Falle treten ihre Konturen nicht deutlich hervor. Ausserdem
werden noch in kleine Gruppen geordnete Eiterkörperchen
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 223
mit stark gefärbten Kernen, in denen oft Yacnolen za sehen
sind, beobachtet. In dem beschriebenen Theile des Glaskörpers
trifft man noch kömigen Detritus, zerfallene rothe Blut-
körperchen und nach hinten von dem Linsenrand eine be-
deutende Anhäufung von Zellen, die Fettkörner enthalten.
Der Subretinalraum ist mit geronnener Eiweissmasse
ausgefüllt, in welcher zahlreiche isolirte Eiterkörperchen, wie
auch stellenweise Fibrinfasern und Fettkömchenzellen gefunden
werden. Der hintere Theil des Subretinalraumes enthält auf
der temporalen Seite, wie schon angeführt wurde, den in
eitriges Exsudat eingebetteten Fremdkörper und zwischen dem-
selben und der verdickten Stelle der Ghorioidea, so wie auch
nach aussen von der Papille, eine bedeutende Anhäufung von
neugebildetem Bindegewebe, in welcher isolirte Zellen des
Retinaepithels, Pigmentkörner und Pigment enthaltende Zellen
sich befinden.
Die Linsenkapsel zeigt am temporalen Rande eine
grosse Lücke, die bis auf die hintere Fläche hinüberreicht.
Die Hinterkapsel ist gefaltet, in der Nähe des Risses erheblich
verdickt und der Rand nach aussen aufgerollt; aus der Riss-
stelle drängt sich quellende und aufgefaserte Linsenmasse hervor.
Zwischen die Linsentrümmer ist eitriges Exsudat einge-
lagert, auch sind Eiterzellen noch breiter in die Linse hinein
zwischen die Fasern in reichlicher Menge infiltrirt; ausser
mehrkernigen Eiterkörperchen mit stark gefärbten Kernen
finden sich zwischen den Linsenfasern auch zahlreiche Zellen
mit einem einzigen grösseren, schwach gefärbten Kern.
Das Gewebe des Giliarkörpers ist gelockert, stärker
fibrillär und im hinteren Theil ziemlich dicht mit Eiterzellen
infiltrirt.
Auf der vorderen Iris fläche und im Kammerwinkcl sind
zahlreiche Eiterzellen abgelagert, auch das Gewebe der Iris
ist stellenweise davon durchsetzt. Auf der vorderen Linsen-
kapsel liegt eine Schicht faserigen Bindegewebes mit zahlreichen,
ein- und aufgelagerten Leukocjten, die zum Theil Pigment-
körnchen enthalten. Dies Gewebe setzt sich in grösserer Dicke
auf die Hinterfläche der Iris fort und nimmt auf der ver-
letzten, lateralen Seite die ganze hintere Kammer bis zu den
Ciliarfortsätzen ein; auf der nasalen Seite findet sich ein
gleiches Gewebe nur zwischen Linsenrand und Ciliarfortsätzen,
von wo es sich noch eine Strecke weit auf die hintere Linsen-
fiäche fortsetzt.
224 Kostenitsch.
Die Gefässe der Conjanctiva bulbi sind erweitert und
ihr Gewebe mehr oder minder reichlich mit Lenkocyten
infiltrirt.
VII. Fall.
Wolf (Soldat).
11. Novbr. 1867. Vor fünf Wochen Verletzung des rech-
ten Auges durch ein Zündhütchenstflck. Aus der Tiefe des
Auges gelber Reflex bei durchsichtiger Linse.
Klinische Diagnose (Prof. A. v. Graefe). Eitrige
Glaskörperinfiltration, wahrscheinlich totale Netzhautablösung,
eitrige Netzhautinfiltration; wahrscheinlich partielle eitrige Cho-
rioiditis. Enucleatio bulbi.
Anatomischer Befund (Prof. Th. Leber). Durch-
messer des frischen Auges von vorn nach hinten 21 mm,
horiz. Durchmesser 21 mm. Auge weich, phthisisch. Horn-
haut durchsichtig. Pupille nach einer am inneren unteren
Homhautrande befindlichen Narbe verzogen. Auge frisch er-
öffnet Die Retina scheint anliegend und, soweit sich bei der
Besichtigung erkennen lässt, zart und durchsichtig. Linse
klar. Unmittelbar hinter der Linse, nach innen zu, eine dichte
gelblich-weisse Masse, von welcher sich bis zu der gegenflber-
liegonden Stelle am Sehnerveneintritt ähnliche Massen hinziehen.
Ein ZOndhfitchenstück ist in der Masse eingebettet, dicht
hinter der Linse; die nächste Umgebung der Masse zeigt eine
bräunliche Färbung. Sehnervenquerschnitt von normaler, weisser
Färbung, aber dünner als normal, etwas unregelmässig dreieckig,
dicht an der Sclera nur 2^/^ — 2^/^ mm im Durchmesser be-
tragend (ohne äussere Scheide).
Nach Härtung in Mttller'scher Flüssigkeit fand sich, dass
die Retina trichterförmig abgelöst war; der Hals des Trichters
entspricht dem Eintritt des N. opt. und der breite Theil dem
Corpus ciliare.
Leider stand mir nur die mangelhaft erhaltene untere
Hälfte dieses Auges zur Verfügung, welche in Celloidin ein-
geschlossen und in horizontaler Richtung durch den Sehnerven-
eintritt in Schnitte zerlegt wurde.
Gleich nach unten von dem Eintritt des N. opticus er-
reichen die Schnitte die Stelle, wo das obere Ende des Zünd-
hütchenstückes gelegen hatte; dieses selbst war vorher vor-
Pathologisch-anatomische Untersachangen etc. 225
sichtig heraasgezogen und der Raum, in welchem es lag, mit
Gelloidin ausgefallt worden.
Der Zündhütchensplitter, von 6 mm im Durchmesser, stellt
den Boden eines der früher beim Militär gebrauchten Zünd-
hütchen dar. Derselbe lag gleich hinter der Linse, mit seiner
Fläche parallel zum Aequator des Auges gerichtet. Der late-
rale Rand des Splitters entsprach der Mitte des hinteren
Theils der Linse, der mediale lag etwas nach hinten von der
Ora serrata des nasalen Theils der Retina, von letzterer aber
immerhin noch entfernt.
Eine weisslich-graue Masse nimm( den ganzen vorderen
Glaskörperraum ein und umgiebt das Zündhütchenstück. Nur
in der unmittelbaren Umgebung des letzteren ist diese Masse
fast undurchsichtig und stellt einen ziemlich breiten Streifen
von schwarzbrauner Farbe dar. Weiter nach hinten giebt sie
auf beiden Seiten zwei in convergirender Richtung verlaufende
Fortsätze ab; ein breiterer verläuft auf der inneren Fläche
der nasalen Hälfte der Retina und verliert sich weiter hinten
an einer ihrer Falten; der andere, schmälere, geht in einigem
Abstand von der Retina von vorn-aussen nach hinten-innen
und verliert sich, alhnälig dünner werdend, an der Retina
etwas nach innen von der Axe des Auges. Die soeben be-
schriebenen Streifen sind Durchschnitte von flächenartigen
Zügen verdichteten Glaskdrpergewebes. Ihre hinteren Enden
erreichen einander nicht, sondern bleiben 1 mm weit von ein-
ander entfernt (Fig. 5).
In dem hinteren Theile des Auges, fast auf seiner sagit-
talen Axe, in gleichem Niveau mit dem N. opticus, fängt ein
Riss der Retina an, welcher nach unten zieht. Die Ränder
der Rissstelle sind nach innen umgeschlagen (Fig. 5 r). Die so
entstandene Lücke, die oben 2 — 2^/2mm weit ist, verkleinert
sich allmälig nach unten, bis die Ränder der zerrissenen Retina
sich wieder berühren. An den Schnitten, welche dem unteren
Theil des Fremdkörpers entsprechen, ist keine Spur eines
Risses zu bemerken. Auf denselben Schnitten nimmt die oben
beschriebene Masse den vorderen Theil des Glaskörperraums
ein; auf der nasalen Seite erstreckt sie sich an der inneren
Fläche der Retina weiter nach hinten, als auf der tempo-
ralen Seite.
Die Ader haut ist verdickt; im hinteren Theile des Auges
liegt sie der Sclera, im vorderen der Retina an; in der ganzen
übrigen Ausdehnung ist sie von beiden getrennt
▼. Oraefe'8 Arcbiv fOr Ophtlialmologie. XXXVII. 4. 15
226 KoBtenitsch.
Auf den Schnitten entstand in der Masse, welche un-
mittelbar den Fremdkörper nmgiebt, durch gelbes Blntlangen-
salz und Salpetersäure eine ganz schwache röthliche Färbung.
Mikroskopische Untersuchung. In Folge der mangel-
haften Conservirung des Auges haben leider die Schnitte,
welche durch den N. opt. geführt sind, die Netzhaut nur in
geringer Ausdehnung in der Umgebung der Papille getroffen,
an welcher Stelle die Retina kleine Falten bildete, weiterhin
fehlt die Retina an diesen Schnitten zum grössten TheiL
Die Veränderungen der Retina neben der Papille unter-
scheiden sich kaum von denen, welche man an ihrem hinteren
Theil nach unten vom Eintritt des N. opt. zwischen den Rissen
findet, und welche ich weiter unten beschreiben werde, so dass
ich, um Wiederholungen zu yermeiden, hier nicht weiter darauf
eingehen will.
Das Stützgewebe der Papille ist hypertrophirt, die
Nervenfasern sind etwas kömig, aber noch deutlich zu sehen;
die Wandungen der Oefässe etwas verdickt, im Lumen der
Venen ziemlich zahlreiche Leukocyten der Wand anliegend,
an einigen Venen in der Adventitia eine dichte Anhäufung
von Leukocyten; an der Uebergangsstelle in die Retina er-
scheinen die Ge&sse erweitert. In der Papille und umgeben-
den Retina zahlreiche mit Haematoidinkörnchen gefüllte Zellen
eingelagert.
Da die Netzhaut nach unten vom Sehnerveneintritt in
der nasalen und temporalen Seite des Auges, von dem Riss
gerechnet, nicht gleiche Veränderungen zeigt, so werde ich
zunächst ihre nasale Seite beschreiben.
An der Stelle, wo die oben beschriebenen Züge verdich-
teten Glaskörpers im Augengrunde sich einander bis auf einen
kleinen Abstand genähert haben, ist die mit deren beiden
Enden zusammenhängende Netzhaut stärker nach einwärts ge-
zogen und in eine grosse Zahl von kleinen Fältchen gelegt.
An der am weitesten nach innen vorspringenden Stelle dieser
Gegend zeigt die Netzhaut eine zweite, fast nur mikroskopisch
erkennbare Lücke.
Die zerrissenen, etwas nach innen umgeklappten Ränder
sind nur wenig aus einander gezogen und durch neugebildetes
Bindegewebe vereinigt. Nach unten ist dieser Riss fast auf
allen Schnitten zu sehen, auf welchen auch der erstere zu
sehen ist. (Fig. 5r'.)
Pathologisch-aDatomische Untersuchungen etc. 227
Der im hinteren Abschnitt des Auges, zwischen den beiden
Rissen gelegene Theil der Netzhaut zeigt folgende Ver-
änderungen :
Die äussere Körnerschicht ist verdünnt und von et-
was ungleicher Dicke; ihr Durchschnitt erscheint meistentheils
stark wellig, indem sie in zahlreiche, mehr oder minder tiefe
Fältchen gelegt ist, in welche sich schmale Einsenkungen der
Aussenfläche def Retina hineinziehen; ihr Durchschnitt erhält
hierdurch ein festonartiges Aussehen; an einigen Stellen ver-
schmälert sich die Schicht so stark, dass sie nur 1 — 2 Reihen
von Körnern zeigt, auch erscheint ihr Gewebe gelockert Die
innere Körnerschicht ist in diesem Theil, wie auch nach
vorne von dem zweiten Riss in der Gegend der Falten, welche
ihm anliegen, beträchtlich dicker als die äussere und als
normal. Sie ist gleichfalls aufgelockert und ihre Elemente
aus einander gewichen. Ihre äussere Fläche zeigt papillenähn-
liche Vorsprflnge, welche in die Falten der äusseren Körner-
schicht hineinragen, aber etwas breiter und abgerundeter sind,
als die letzteren (Fig. 6.) Von ihren Enden aus ziehen in
der Zwischenkörnerschicht Büschel verlängerter Sttttzfasern in
die Tiefe der Falten der äusseren Körnerschicht hinein. Ihre
innere Fläche verläuft im Ganzen ziemlich eben und bietet
gegen die Molecularschicht hin nur einige leichte Biegungen
dar. Wo die äussere Körnerschicht keine Falten zeigt, ver-
läuft auch ihre äussere Fläche gerade. In der Tiefe der
Falten, besonders neben dem zweiten Riss, verschmälert sie
sich stellenweise stark. Weiter nach vorn, zwischen den
Falten in der Gegend des zweiten Risses und dem vorderen
Ende der Netzhaut, verläuft die Membran glatt; die beiden
Kömerschichten sind annähernd eben, aber ebenfalls aufgelockert
und von etwas ungleicher Dicke, wobei bald die innere, bald
die äussere Körnerschicht etwas mehr verdünnt erscheint.
Im vordersten Theil der Retina treten wieder Falten auf;
dieselben sind fein und liegen dicht an einander; ihre Zwischen-
räume sind schmal und tief. Die innere Körnerschicht er-
scheint in diesem Theil stellenweise verdickt, besonders wo
sie sich in die Falten einsenkt.
Die Fasern des Stützgewebes der beiden Körnerschichten,
sowie der Zwischenkörnerschicht, sind im hinteren Theil
der Retina zwischen den beiden Rissen und im vorderen, be-
sonders neben der Ora serrata, beträchtlich verlängert und
15*
228 Kostenitoch.
hypertrophisch; desgleichen in noch höherem Grade die der
Faserschicht, weniger der Ganglienzellenschicht.
Das Gewehe dieser Schichten ist von zahlreichen ovalen
Kernen durchsetzt, welche der Neuroglia anzugehören scheinen.
Die Ganglienzellen sind zum Theil noch gut erhalten, aher
ihre Kerne mitunter mangelhaft gefärbt. Die übrigen
Schichten der beschriebenen Seite der Retina sind etwas
aufgelockert und kömig; in der Faserschicht und Ganglien-
zellenschicht finden sich, wie schon von der Papille angegeben
wurde, um die erweiterten Venen reichliche Anhäufungen von
mehrkernigen Leukocyten, die auch in grosser Menge in deren
Lumen zu bemerken sind. Da und dort trifft man auch Hae-
matoidinkörnchen enthaltende Zellen, desgleichen auch an der
Innenfläche der Retina. Die Membrana limitans interna ver-
läuft leicht wellig und ist stellenweise etwas von der Faser-
schicht abgehoben.
Die Stäbchenschicht ist in der ganzen Ausdehnung
der Retina hochgradig verändert, nirgends sind ihre Elemente
mehr unversehrt erhalten; an ihrer Stelle finden sich meist
nur Eiweisskugeln verschiedener Grösse, hie und da noch ge-
quollene und in die Länge gezogene Reste der Zapfen, auch
einzelne Kerne dazwischen; im vorderen nasalen Theil, in den
Einsenkungen und Vorspcüngen der Falten, findet sich an
ihrer Stelle ein Fasernetz vor, welches sich deutlich mit Eosin
färbt und vielleicht aus einer Wucherung der Enden der Neu-
roglia hervorgegangen ist.
In der temporalen Hälfte der Retina, aber nur in
ihrem vorderen Theil, sind einige nicht besonders tiefe wellen-
förmige Falten zu sehen. Die beiden Körnerschichten dieser
Hälfte sind von fast normaler Dicke. Die äussere Körner-
schicht zeigt in einer gewissen Ausdehnung in der Umgebung
des Risses feine faltenartige Einsenkungen, in deren Vor-
sprüngen die Stützfasern stellenweise verlängert sind. Die
übrigen Schichten bieten auf dieser Seite dieselben Ver-
änderungen wie auf der nasalen Seite der Retina.
Die beiden nach innen umgeklappten Ränder des grossen
Risses der Retina sind durch eine zarte Schicht neugebildeten
Gewebes in ihrer Lage fixirt.
Auf den Schnitten, welche dem unteren Theil des Fremd-
körpers entsprechen, wo keine Risse vorhanden sind, zeigt die
Retina in ihrem hinteren temporalen Theil keine Falteti,
während auf der nasalen Seite viele ziemlich grosse zacken-
PathologiBch-anatomische Untennchangen etc^ 229
artige Falten auftreten. Neben der Ora serrata dieser Seite
sind die StQtzfasem stark verlängert und an einzelnen
Stellen zu Bündeln gruppirt. Diese Bflndel sind mit Körnern
der inneren Kömerschicht durchsetzt und schieben sich in
die Spitzen der Falten hinein; ganz in der Nähe der Ora
serrata bilden die Fasern und die Faserbündel in den
äusseren Schichten der Retina ein Netz, in dessen Maschen^
wie auch zwischen den Fasern der übrigen Schichten der
Retina, welche hier sehr stark verdickt ist. Kömer zerstreut
liegen; die Schichten der Netzhaut sind als solche hier fast
nicht zu erkennen.
Nach hinten von der eben beschriebenen Stelle, stellt sich
die Retina in einer gewissen Ausdehnung als ein schmaler
Streif dar, in welchem die äussere Kömerschicht und Reste
der Stäbchenschicht noch zu unterscheiden sind; an der Stelle
der übrigen Schichten finden sich isolirte Gruppen von Körnern
der inneren Kömerschicht, Nervenfasern und Keme der
Nervenzellen, femer hie und da Eiterkörperchen, pigment-
haltige Zellen und Pigmentklümpchen.
Die Pars ciliaris retinae ist auf der nasalen Seite,
entsprechend der Nähe des Fremdkörpers, bis zu den Ciliar-
fortsätzen stark gewuchert, desgleichen auf der temporalen
Seite; das Maximum der Wuchemng erreicht sie an der Ora
serrata. Die ovalen Kerne der vergrösserten cylindrischen
Zellen zeigen sich oft getheilt, zwischen denselben sind Eiter-
körperchen zu sehen; auf den Ciliarfortsätzen ist das Epithel
unbedeutend verdickt. Auch das Stratum pigmenti der Pars
eil. ret. ist verdickt, und stellenweise stark gewuchert; in
seinen Zellen ist Kemtheilung zu sehen. Die pigmentirten
Zellen entsenden lange Fortsätze zwischen die Elemente der
gewucherten Pars ciliaris hinein, andere sind schon weiter
nach innen vorgedrungen, so dass die ganze Dicke der Pars
ciliaris in von aussen nach innen abnehmender Menge von
Pigmentzellen durchsetzt ist Selbst der angrenzende, binde-
gewebig umgewandelte Theil des Glaskörpers enthält zahlreiche
mit gleich gefärbtem Pigment erfüllte Zellen, theils von rund-
licher, theils spindelförmiger Gestalt
Das Retinaepithel ist aufgequollen; an verschiedenen
Stellen, besonders in dem hinteren Theil neben dem N. opt.
und im vorderen Theil der nasalen Seite, ist eine deutliche
Wucherung und Kemtheilung daran zu sehen (Fig. 7). Die
Zellen liegen stellenweise in zwei oder selbst drei Reihen
230 KoBtenitscb.
über einander, haben anregelmässige, kolbige Formen und sind
mitunter pigmentlos. An Präparaten, die mit Fuchsin und sogar
an solchen, die mit Haematoxylin geförbt sind, sind oft an
Earyokinesis erinnernde Bilder zu beobachten.
Im Subretinalraum, welcher durch die Einwirkung der
härtenden Reagentien vergrössert ist, befindet «ich eine körnige
Masse, in welcher hie und da isolirte Zellen des Retina-
epithels liegen. Neben der veränderten Stäbchenschicht findet
sich noch eine beträchtliche Menge homogener EiweisskOgelchen
von verschiedener Grösse (Zerfall der Stäbchenschicht), isolirte
Eiterkörperchen, stellenweise auch viele veränderte rothe
Blutkörperchen. Im vorderen Theil des Subretinalraumes, d. h.
neben der Ora serrata der beiden Seiten finden sich viele
Pigmentzellen gewöhnlicher Grösse, dann etwas grössere Zellen
mit 2 — 4 Kernen; im nasalen Theile sind, aber selten, sehr
grosse Zellen zu beobachten, in welchen sich bis 12 gut mit
Haematoxylin förbbare Kerne finden (Fig. 8). Ausser den be-
schriebenen Zellen findet sich noch hier ein Fibrinnetz und
junge Bindegewebszellen«
Die oben beschriebene gelblich-weisse Masse, welche sich
in dem Glaskörperraum befindet und den Fremdkörper umgiebt,
ist nichts anderes als geschrumpfter und mit eitrigem Exsudat
durchsetzter Glaskörper.
In den von dem Fremdkörper entfernteren Theilen be-
steht das Exsudat aus dicht gedrängten Eiterkörperchen mit
gut gefärbten Kernen; näher dem Fremdkörper bemerkt man
aber zunächst nur eine kömige Masse, in welche mehr zer-
streute Eiterzellen mit gut gefärbten Kernen eingelagert sind;
bei genauerer Einstellung erkennt man aber, dass die ganze
Masse aus dicht an einander liegenden Rundzellen besteht,
deren Kerne keine Färbung mehr angenommen haben und
offenbar als nekrotische Leukocyten zu betrachten sind. In
noch grösserer Entfernung von dem Fremdkörper nimmt die
Menge der Eiterzcllon wieder ab und es tritt an ihrer Stelle
körnig krümelige, amorphe Substanz auf. Nur dicht an der
Hinterfläche der Linse ist wieder eine Schicht von dichter
gedrängten Eiterzellen angelagert. In den übrigen Theilen des
Glaskörpers finden sich ausser dem körnigen Detritus auch
rothe Blutkörperchen, die bald gut erhalten, bald in Klümp-
chen zusammengehäuft sind, bald grobe Körner darstellen;
ferner feine Fibrinnetze, glänzende Kömchen, Pigmentzellen mit
Kcrntheilungen und Zellen, etwas grösser als Eiterkörperchen,
Pathologisch-anatomische üntersachungen etc. 231
die mit haematogenem Pigment oder mit Fettkörnern erfüllt
Bind; in letzterem Falle ist der Kern znr Peripherie ge-
schoben.
An einigen Stellen im vorderen Theil des Glaskörpers
dieht man grosse Zellen, welche haematogenes Pigment und
viele Kerne enthalten (Fig. 9).
Im hintersten TheU des Exsudates finden sich junge Binde-
gewebsfasern, Capillaren und viele ziemlich grosse Zellen mit
eosingefärbten groben Kömern, welche weder nach ihrem Aus-
sehen, noch nach ihrer Färbung von Detritus der rothen Blut-
körperchen zu unterscheiden sind (Fig. 10).
In der Nähe der gewucherten Pars eil. ret. sind auf
beiden Seiten neugebildete Bindegewebsfasern und Capillaren
vorhanden. Die letzteren sind auf der nasalen Seite mit
Leukocjten angefüllt, zwischen diesen sieht man nur selten
einzelne mit eosinophilem Inhalt gefüllte Zellen gleicher Grösse.
Einige von diesen Capillaren sind nach der den Fremdkörper
umgebenden Gewebsschicht hingerichtet.
Der in der zuletzt beschriebenen Weise veränderte, hintere
Theil des Glaskörpers stellt auf dem Durchschnitt, wie oben
beschrieben wurde, nach hinten convergirende Züge dar, von
denen der auf der nasalen Seite der Retina anliegt, während
der auf der temporalen Seite sich von derselben auf ziemlich
weiten Abstand zurückgezogen hat Die Aussenfläche erscheint
mikroskopisch sehr scharf begrenzt, obwohl die Limitans
grösstentheils auf der Retina sitzen geblieben ist; in die
Grenzschicht sind in fortlaufender Reihe grössere Rundzellen
eingelagert, die rothe Blutkörper oder Zerfallsproducte der-
selben einschliessen, und die in der Nähe der Netzhautperfo-
ration besonders reichlich vorhanden sind. Auf der inneren
Fläche der nasalen Hälfte der Retina zwischen ihr und dem
Exsudat und ihre Falten überziehend findet sich in der Um-
gebung der grossen Perforation eine Schicht von neugebildetem
Bindegewebe. Auf dem gegenüber liegenden Theil der Aussen-
fläche des Glaskörpers haftet ein ähnlicher Bindegewebsstreifen
von geringer Ausdehnung, der offenbar früher auf der Retina
festsass und bei der Zurückziehung des Glaskörpers an diesem
sitzen blieb; auch neben der Papille finden sich Bindegewebs-
fasern im Glaskörper, welche mit denen der Papille zusammen-
hängen.
Die oben beschriebene dunkelbraune Substanz, welche in
continuirlicher Schicht den Fremdkörper umgiebt, besteht aus
232 KoBteniteoh.
einer Menge von sehr dicht neben einander liegenden Eiter-
körperchen nnd körnigem Detritus. Der letztere bildet in
dem hinteren Theil dieser Schicht eine zusammenhängende
Kruste, in der man mit grosser Mühe die Gonturen der Form-
elemente unterscheiden kann, aus welcher aber zahlreiche mit
Haematozylin gefärbte grobe Körner hervorragen. Diese Kömer
sind wahrscheinlich die Kerne von zerfallenen Eiterkörperchen.
In der Peripherie ist diese Schicht etwas heller und lässt in
ihrer Masse Zellen, die grobe Fettkörner enthalten, unter-
scheiden. Ausserdem sind manchmal kleine Zellen mit eosin-
ophilem Inhalt zu sehen. Noch weiter nach der Peripherie,
in der Richtung zur Linse, findet sich, zwischen dieser Schicht
und der Linsenkapsel, ein Bündel neugebildeten Bindegewebes,
welches in der Gestalt von isolirten Fasern am äusseren Theile
der Schicht anfängt, nach vorne zieht und auf der hinteren
Seite der Linse sich nach der Narbe hinbegiebt. Das eben
beschriebene Bündel ist an den Schnitten, welche dem unteren
Theil des Fremdkörpers entsprechen, stärker entwickelt Auf
der Seite der Verletzung ist die ganze Gegend stark zellig in-
filtrirt und von der Zonula Zinni nur an einigen Schnitten
etwas zu erkennen; auf der anderen Seite ist die Zonula
deutlich sichtbar und ihr Ansatz an die Kapsel abgerissen, ob
vielleicht erst beim Aufschneiden des Auges, ist nicht sicher
zu entscheiden. Ihre Fasern sind verdickt und sind nur in
dem oberen Theil der temporalen Hälfte leicht bis zur Ora
serrata zu verfolgen; an den übrigen Stellen sind sie durch
Bindegewebsfasern maskirt.
In dem Exsudat aus der Umgebung des Fremdkörpers
habe ich an einem Praeparat eine Gruppe von Zellen mit
eigenartigem Inhalt beobachtet. Dieselben waren rund oder
oval, eine derselben auch mit einem Fortsatz versehen (Fig. 11).
Ihre Kerne lagen an der Peripherie und waren von einer ge-
ringen Menge feinkörnigen Protoplasmas umgeben; der übrige
Theil der Zelle war mit dicht gewirrten feinen Fasern oder
mit Faserstückchen verschiedener Grösse und Dicke durchsetzt.
Nach dem Aussehen und der Färbung mit Eosin waren diese
Fasern identisch mit den zerfallenen Linsenfasern, welche sich
in dem Exsudat hinter der Linse befanden.
Die Linsenkapsel ist fast in ihrer ganzen Ausdehnung
verdickt; an den Rändern der Linse, besonders auf der nasalen
Seite, sind ihre Zellen vermehrt, obgleich keine Kemtheilung
zu sehen ist. An einer kleinen Zahl von über dem Fremd-
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 233
körper geführten Schnitten ist die Linsenkapsel an ihrer hinteren
Fläche verletzt.
Die nach hinten in das Exsudat hineinragende Gorticalis
ist in Stocke und dfinne Fasern zerfallen, zwischen welchen
sich viel kömiger Detritus, rothe Blutkörperchen, wenige Eiter-
körperchen und amorphe Eiweissmasse befinden. Dieselbe
Masse liegt in den Lücken zwischen den Linsenfasern im
hinteren ThiBile der Linse, wo die Kapsel unverletzt ist und
in ihrem vorderen Theile nahe der Peripherie.
Die Gefässe der Chorioidea sind stark erweitert und zum
Theil mit Blut gefüllt. Das Gewebe ist nicht mit Eiterkörper-
chen infiltrirt, nur im Lumen der kleinen Venen treten auf-
ÜEÜlend zahlreiche Leukocyten hervor. Im Ciliarkörper sind
Eiterkörperchen vorhanden.
Die Lamina elastica ist verdickt. Hie und da bemerkt
man eine flache, hügelige Excrescenz an der Innenfläche der
Aderhaut, die aus gefässhaltigem Gewebe besteht, welches die
Glashaut durchwuchert hat.
An der Innenfläche der Ghoriocapillaris sieht man stellen-
weise die Zellen des Retinaepithels nach innen emporgehoben
durch kleine Gebilde aus concentrisch geschichteter, homogener
Substanz, welche sich deutlich mit Eosin färbt. Solche Gebilde
sind auch in dem N. opt. und in dem Stratum pigmenti der
Pars eil. ret. auf der nasalen Seite zu treffen. Zwischen die-
sem Stratum und dem Epithel der Pars eil. ret befindet sich
an einem Präparat ein ziemlich grosses, einem gequollenen
Stärkekom ähnliches Gebilde mit anliegenden Pigmentzellen,
welches offenbar aus dem Stratum pigmenti hierher gelangt ist.
Diese Gebilde sind wohl nichts anderes, als die bekannten
Drusen der Glaslamelle.
Die Gefässe der Iris sind etwas erweitert; ihr Gewebe
ist mit isolirten Eiterkörperchen infiltrirt, aber neben dem
verdickten und gewucherten Stratum pigmenti iridis sind
stellenweise Gruppen von Eiterkörperchen zu beobachten; ihr
hinterer Theil, durch den Fremdkörper von den Ciliarfortsätzen
abgetrennt, ist in die Narbe eingezogen; an einer kleinen
Zahl dieser Stelle entsprechender Schnitte findet sich in der
hinteren Kammer ein Bündel neugebildeten Bindegewebes, wel-
ches der Linsenkapsel anliegt.
Die vordere Augenkammer enthält eine geringe Menge
feinkörnig geronnenen eiweisshaltigen Exsudates, isolirte Eiter-
zellen, pigmenthaltige Zellen und veränderte rothe Blutkörperchen.
236 Kostenitsch.
Die Linsenkapsel ist verdickt, ihre Kerne vermehrt,
ihr vorderer and hinterer Theil zerrissen.
Die Linse wnrde bei dem Durchdringen des Fremd«
körpers in zwei Theile zertheilt, zwischen welchen viele Gortioal-
trttmmer und einzelne Eiterkörperchen lagern. Die Lage der
Fremdkörperspitze ist iu der Linse durch die zerrissene Kapsel
und das Vorhandensein einer geringen Zahl von Eiterkörperchen
zu erkennen. Gequollene Linsenfasern sind nur an den
Rändern wahrzunehmen, an den übrigen Stellen befindet sich
Eiweissmasse mit Eiweisskügelchen und Vakuolen mit fettr
körnigem Inhalt In der vorderen Kammer finden sich spftriiche
rothe Blutkörperchen und viele Eiterzellen, letztere sind be-
sonders zahlreich neben der verdickten Memb. Descemeti und
an der vorderen Fläche der Iris und fallen die ganze PupiUe
aus; zwischen den Eiterkörperchen ist ein zartes Fibrinnets
und Fettkömer wahrzunehmen; sehr häufig kommen grosse
Zellen mit vielen Kernen vor. Diese Zellen sind mit Fett-
körnem oder mit haematogenem Pigment, manchmal mit rothen
Blutkörperchen gefallt
IX. Fall.
Herr Ferdinand M., 27 J., Direktor einer Schiessbaum-
wollefabrik.
28. Juli 1882. Vor 17 Tagen L. Verletzung durch die
Explosion einer Ladung von Schiessbaumwolle und Pulver.
Kleine perforirende Narbe am äusseren Theil des oberen
Lides, gerade gegenüber kleine Scleralnarbe. Ausgedehnte
Glaskörperblutung, kleines bewegliches Körperchen im Glas-
körper, das sich rasch hin und her bewegt. Iris grün, keine
Injection. Bewegungen der Hand wahrgenommen. Lichtschein
nicht allemiederste Lampe. Projection unsicher.
Prognose ungünstig gestellt Verband. Soll in 4 — 6 Wochen
wiederkommen.
9. Sept 1882. Leichte Ciliariiyection, Iris grünlich. Oph-
thalmoskopisch der ganze Glaskörper von flockig-membranösen
Trübungen durchsetzt, darauf ein kleines helles Körperchen.
Ob Netzhautablösung fraglich. Bei focaler Beleuchtung nach
unten noch Rest von rothgefärbtem Extravasat Bewegungen
eines hellen Gegenstandes wahrgenommen. Lichtschein fast
niederste Lampe. Vor einiger Zeit Schmerzen im Auge, die
nach Atropin nachliessen. Enucleation noch verschoben.
PatboIogisch-aDatomiscbe Untersuchungen etc. 237
20. September. In der letzten Zeit wieder lebhafte £ntr
sttndung mit Druckempfindlichkeit in der Giliargegend. Heute
starke Ciliarinjection, Iris grttn, Glaskörper von eitrigen Flocken
durchsetzt, die hin und her flottiren. Rest einer Blutung nach
unten. Ein heller gelber Gegenstand fliegt besonders au£-
üallend im Glaskörper hin und her. Umschriebene Druck-
empfindlichkeit. Lichtschein nicht niedrigste Lampe. Pro^
jection nur nach oben und aussen. Aufgenommen.
22. September. Nach Breiumschlägen und Calomel int.
heute Injection entschieden geringer. Pupille weit, regelmässig
rund, obwohl Pat in der letzten Zeit kein Atropin bekommen
hat. Medien unverändert, keine Druckempfindlichkeit. Licht-
schein niedrigste Lampe. Projection nahezu sicher.
23. September. Heute wieder stärkere Injection, Pro-
jection unsicher. Enucleation.
Das durch einen Meridionalschnitt eröffnete Auge zeigt
im Innern, anhaftend an der Chorioidea, ca. 4 mm hinter dem
Ansatz des M. rect. extemus, einen in eitriges Exsudat ein-
gebetteten harten Körper, der sich, herausgenommen, als ein
zusammengebogenes Stflckchen Kupferblech von 1 ^^ mm Länge,
% mm Breite und ^/g mm Dicke erweist Auge in Müller^sche
Flüssigkeit gelegt. (Op. v. Dr. Deutschmann.)
29. September 1882. Heilung normal.
R. M. — 0,5D. S = *«/2o. 0. normal. Entlassen.
Sectionsbefund. Der Bulbus war frisch im horizon-
talen Meridian etwas winklig durchschnitten und ist durch die
Härtung leicht verbogen. Sehnerv auf dem Durchschnitt dttnn,
aber anscheinend markhaltig, misst dicht am Auge ohne Scheide
nur ca. 3^4 mm, die äussere Scheide ist schlaff, das inter-
stitielle Gewebe etwas stärker entwickelt
An der Hornhaut bemerkt man neben dem innem-obern
Rande einen ca. 1 mm langen weisslichen Strich, leicht ge-
bogen, ca. 1 ^/s mm vom Rande entfernt, vielleicht eine kleine
Narbe. Ausserdem finden sich am innern obem Rand 8 regel-
mässig neben einander liegende, radial gerichtete, weisslicbe
Striche von ca. 1 mm Länge , die vom Rande aus gleichmässig
in die Hornhaut hineinziehen und deutlich über die Oberfläche
hervorragen.
Die Linse ist nicht regelmässig durchschnitten. Ihrgrösster
Theil befindet sich an der oberen Hälfte und ragt etwas ttber
die Schnittfläche vor. Sie hat in dieser Hälfte eine regel-
238 Kosteoitsch.
massige Form, ihr Kern erscheint mehr gelblich, heller; an
der untern Boibnshälfte ist ihr medialer Theil aus der Kapsel
herausgefallen, doch handelt es sich hier nur um Präparations-
wirkungen, da nach dem Ergebniss der Untersuchung im Leben
die Linse ungetrübt war.
An der Iris nichts Abnormes zu bemerken, vordere Kam-
mer leer.
Ciliarfortsätze scheinen etwas verdickt.
Der Glaskörper ist in der untern Hälfte zu einer ver-
dichteten Masse zusammengezogen, welche den Raum vor der
Härtung wohl noch ziemlich ausfüllte, sich aber schon etwas
von der Retina abgehoben hat und hinten mit einer feinen
Spitze endigt, die an der Papille sich ansetzt, aber bei leichtem
Zug mit der Pincette davon abreisst.
Jetzt ist der Glaskörper zusammengezogen und überzieht
als eine weiche, von gelblichen Streifen durchsetzte Masse den
unteren Abschnitt der Retina, während der grössere, mittlere
Theil des Raumes von dem nach unten gesunkenen Glaskörper
frei ist In der oberen Bulbushälfte ist die Glaskörperablösung
viel weiter gediehen; die Verbindung mit der Papille ist hier
durchschnitten, der grösste Theil des Glaskörperraumes leer
und der Glaskörper zu einer Schicht von etwa Q mm Dicke
zusammengezogen, welche den Raum hinter den Ciliarfortsätzen
und der Linse einnimmt.
Der Zündhütchensplitter war, wie bemerkt, schon vorher
aus dem Auge herausgenommen worden. Die Eingangsstelle
war für das blosse Auge nicht zu erkennen.
Die beiden Hälften des Auges wurden bis zum 3. Mai
1891 in Müller'scher Flüssigkeit aufbewahrt und dann in Cel-
loidin eingebettet und geschnitten.
Mikroskopische Untersuchung. Erst an den Cel-
loidinschnitten lässt sich der Gang des Fremdkörpers im Auge
erkennen. Derselbe hatte, wie oben bemerkt, das obere Lid
durchbohrt, dann die Augenwand auf der lateralen Seite, am
hinteren Ende des Ciliarkörpers, ungefüiir im horizontalen
Meridian durchschlagen und den seitlichen Theil des Glas-
körperraums durchflogen, um in der Aequatorialgegend des
Auges etwas weiter nach unten, in den Augenhäuten, stecken
zu bleiben.
An der Eingangsstelle tritt die Narbe der Sclera wenig
hervor, ihr Gewebe ist von schrägen Bindegewebszttgen mit
Pathologiscli-anatomische Untersuchungen etc. 239
einzelnen Gef&ssen durchsetzt; dagegen ist der Ciliarkörper
nebst Pars ciliaris retinae weit vom vorderen Ende der Ghori-
oidea abgetrennt und die Lücke von einer dicken Schicht neu-
gebildeten Bindegewebes ausgefüllt, das mit der Chorioidea
und der hier ganz atrophirten Retina verwachsen ist.
An der Stelle des Fremdkörpers findet sich eine geheilte
Zerreissung der Chorioidea und Retina, offenbar durch directe
Verletzung von innen her entstanden; die Ränder beider Mem-
branen sind weit aus einander gewichen und durch eine dicke
Bindegewebeschicht wieder verwachsen, die auch innig mit der
Sclera zusammenhängt, so dass vielleicht auch diese Membran
4urch den Fremdkörper verletzt worden war.
Die Enden der zerrissenen Retina sind ein wenig nach aussen
umgeklappt. Von den Elementen der Netzhaut sind in ihnen
nur mangelhaft gefärbte Reste der Eömerschichten zu sehen.
Nach innen grenzt an das Narbengewebe die eitrig-
infiltrirte Partie des Glaskörpers an, in welche der Fremd-
körper eingeschlossen war.
Der N. opt. ist dünn, sein Sttttzgewebe etwas hyper-
trophirt. Die markhaltigen Fasern erscheinen körnig, zwischen
den Faserbündeln findet sich eine kleine Menge von Leuko-
cyten. Die marklosen Fasern der Papille zeigen beginnende
Atrophie. Die Wände der Gefässe sind verdickt, ihre Lumina
verengt und mit Blut gefallt.
Die Netzhaut ist in ihrer ganzen Ausdehnung etwas
dünner als normal, ihre Stützfasern sind nur in der Zwischen-
kömerschicht, nach aussen von der Papille und auf einer be-
schränkten Stelle nach hinten von dem Netzhautriss, verlängert
und hypertrophirt.
Im hinteren Abschnitt des Auges sind alle Schichten der
Retina sichtbar. Die Elemente der Nervenfaserschicht treten
aber, besonders in der Papille, weniger deutlich hervor als in
der Norm; die Nervenzellen sind stellenweise von Vacuolen
eingenommen und haben sich fast gar nicht durch Haematoxylin
gefärbt. Auch die beiden Kömerschichten haben grösstentheils
ihre Tinctionsfähigkeit eingebüsst. Nur einzelne Körner der
inneren Kömerschicht sind noch ziemlich gut, die übrigen aber
schwach und unregelmässig mit Haematoxylin gefärbt; die äussere
Körnerschicht ist in grosser Ausdehnung schwach, und nur
stellenweise gut tingirt; stärker gefärbte Abschnitte wechseln ab
mit schwach geerbten und manchmal ist im Querschnitt mitten
in einer gut mit Haematoxylin gefärbten Partie ein dünner
240 Eostenitsch.
Streifen ganz ungefärbter Körner za sehen. Dieser Streifen
durchsetzt bald beide Eömerschichten, bald bloss die innere
und den inneren Theil der äusseren Kömerschicht. Die
Stäbchenschicht ist in diesem Augenabschnitt durch ziemlich
grosse Lücken in Bündel zertheilt; ihre Elemente sind trübe,
kömig und stellenweise im Begriff, in Eiweisskttgelchen zu
zerfallen.
Die GefäSBWände der Retina sind verdickt, ihre Lumina
verengt; in den Yenenlumina finden sich zuweilen zahlreiche
Leukocyten.
Im vordem Abschnitt der Retina finden sich nur noch
Reste der Stäbchenschicht; die Körner beider Kömerschichten
sind gleichfalls mangelhaft gefärbt, besonders in der temporalen
Seite, wo nur einzelne Körner Färbung angenommen haben;
die inneren Schichten sind fieut nicht zu unterscheiden.
Die Pars ciL ret ist von fast normaler Dicke, die
Kerne ihres Cylinderepithels sind nur neben der Ora serrata
gut mit Haematoxylin gefärbt, an den übrigen Stellen sind
diese Keme zum Theil gut, zum Theil schwach gefilrbt; auf
der temporalen Seite der unteren Augenhälfte sind sie völlig
farblos, oder ganz verschwunden; die Cylinderzellen selbst sind
verlängert und etwas gelockert. Das Stratum pigmenti der
Pars eil. ret. ist auf der temporalen Augenhälfte unbedeutend
gewuchert
Das Retinaepithel zeigt im hinteren Abschnitt, ab-
gesehen von schwacher Färbung der Keme, keine auffallenden
Veränderungen. Weiter nach vorn zeigen die Zellen stellen-
weise stärker entwickelte Fortsätze, an andem Stellen sind sie
leicht von der Aderhaut abgehoben und theilweise atxophirt.
Der Glaskörper ist leicht verdichtet; er enthält reich-
lichen Detritus rother Blutkörperchen; letztere haben sich
stellenweise zu Klümpchen angehäuft; an andem Stellen sind
sie reihenweise in das Glaskörpergewebe eingelagert; ausserdem
finden sich noch kömiger Detritus, sehr wenig Fibrinfasern
und nur wenige Leukocyten, dafür aber oft Pigmentkörner
enthaltende spindelförmige Zellen und viele Phagocyten. Auf
der inneren Fläche der Retina befindet sich etwas feinkömige
Eiweissmasse.
Der Fremdkörper war mit dem ihn umgebenden
Exsudat aus dem Glaskörper entfernt, so dass an seiner Stelle
nur sehr wenig Eiter zurückblieb.
Pathologisch-aDatoinische Untersuchungen etc. 241
In dem seichten Subretinalraume der unteren Augen-
hälfto findet sich feinkörnige Eiweissmasse , grobkörniger
Detritus, isolirte Zellen des Retinaepithels und Phagocyten.
In der oberen Augenhälfte existirt ein Subretinalraum nur
auf der temporalen Seite in der Gegend des Retinarisses.
Die Aderhaut ist etwas verdickt; die Venen erweitert
und stellenweise mit Blut angefdUt, in ihren Lumina sind
manchmal Leukocyten anzutreffen. Die Wände der Arterien
sind verdickt^ neben ihnen ist oft im hinteren Theile der
Chorioidea eine Anhäufung von sternförmigen Pigmentzellen
zu beobachten.
In dem hinteren Theile der Iris und neben dem
Schlemm'schen Kanal findet sich eine unbedeutende Menge
von Eiterkörperchen.
Die Wände der Arterien sind verdickt Das Pigment-
epithel der Iris ist hypertrophirt, seine hintere Fläche stellen-
weise von zackigem Aussehen und die Zellen mehr oder minder
kolbig verlängert und gewuchert.
Die Epithelzellen der äussersten Schichten der Cornea
sind trüb und ihre Kerne haben sich gar nicht gefärbt Auch
die Kerne der tieferen Zellschichten haben zum Theil ihre
Tinctionsföhigkeit verloren; so sind an Schnitten aus der
Gegend des horizontalen Meridians in den Seitentheilen der
Cornea kleine Abschnitte des Epithels zu sehen, dessen Kerne
theils gar nicht, theils schwach mit Haematoxylin gefärbt sind.
In der Nähe des Randes sieht man auch kleine Defecte des
Epithels oder Stellen, wo nur die Schicht des Cylinderepithels
mit kaum sichtbaren Kernen erhalten ist In den tiefsten
Schichten der Homhautgrundsubstanz sind auch die Kerne
der Homhautkörperchen mangelhaft oder gar nicht geförbt und
dasselbe Verhalten tritt an dem Endothel der hinteren Horn-
hautfläche hervor. Dass die mangelnde Kernfärbung nicht der
Wirkung der ErhärtungsflUssigkeit zuzuschreiben ist, geht schon
aus dem Umstände hervor, dass diese Veränderung nicht gleich-
massig verbreitet ist, wird aber auch dadurch bewiesen, dass
die Kerne der neben dem Hornhautrande vorkommenden Binde-
hautgefässe ganz gut gefärbt sind.
Eine an den Schnitten gefundene Zerreissung der
Linsenkapsel ist wahrscheinlich erst beim Aufschneiden des
Auges entstanden. Sonst i^t noch zu bemerken, dass auch die
Kerne der Kapselzellen in der Gegend des Aequators auf der
T. Qra^fe'fl Archlr Itir Ophthalmologie XXXVII. 4. 16
242 Kostenitsch.
dem Sitz des Fremdkörpers entsprechenden Seite keine elective
Färbung durch Haematozylin angenommen haben.
In der Conjunctiva bulbi findet sich besonders in der
oberen Bulbushälfte eine bedeutende Anhäufung Ton Leukocyten
in der Umgebung der Gefässe.
X. Fall.
Wilhelm Sultan, 13 Jahre, aus Bebra.
19. Juni 1882. Vor 11 Monaten Zttndhütchenverletzung
des linken Auges mit darauffolgender schwerer Entzündung,
die ihren Ausgang in Phthisis bulbi nahm. Am r. Auge
leichte BAndkeratitis, ohne Spur von Iritis beiE und S= '^/jo*
(Die Entzündung wird nicht als sympathische angesehen.)
L. Enucleatio bulbi.
Section. Der enucleirte Bulbus ist sehr klein und ge-
schrumpft, kaum über haselnussgross. Auf dem meridionalen
Durchschnitt erscheint die Linse verloren; der Glaskörperraum
vollständig ausgefüllt von einer Masse, die vom weich und
graulich, hinten gegen den Sehnerveneintritt hin gelblich gefärbt
und von derber, fibröser Consistenz ist. In derselben ist nirgends
etwas von Fremdkörper zu finden. Dagegen bemerkt man neben
dem Sehnerveneintritt eine pfefferkomgrosse gelbe Verdickung
der Aderhaut, aus welcher sich beim Einschneiden ein kleines
Tröpfchen Eiter entleert, worauf sich ein unregelmässig gestal-
tetes, ca. 2 mm grosses, plattes Zündhütchenstück ausziehen lässt
Mikroskopischer Befund. Der Zündhütchensplitter
drang in das Auge durch die Cornea, ein wenig nach innen
von der Mitte, riss ein Stückchen des Pupillenrandes der Iris
ab, verursachte eine Zerreissung der Retina und Chorioidea
und blieb in der Sciera nach aussen und unten vom Sehnerven-
eintritt stecken.
Der kleine Raum, in welchem sich der Fremdkörper be-
fand, enthält eitriges Exsudat und neugebildetes Bindegewebe,
welches sich durch den Riss der Chorioidea in bedeutender
Menge in den Subretinalraum hineinzieht, wo in ihm ein kleines
Stückchen neugebildeter Enochensubstanz eingebettet ist; zwi-
schen dem Bindegewebe und dem Retinaepithel finden sich hie
und da grosse zellenähnliche Gebilde mit kleinen, schwach
mit Haematoxylin gefärbten Kernen.
Die Aderhaut ist mit Eiter infiltrirt, besonders reichlich
in der Gegend des Risses und neben der Ora serrata auf
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 243
beiden Seiten; ihre Gefässwände sind verdickt; die Lumina
sind noch ziemlich weit. Der Ciliarmuskel ist sichtlich hyper-
troph irt.
Der N. opt. ist dünn; die Wände seiner Gefässe sind
verdickt, die Lumina verengt. In der äusseren Hälfte desselben
ist Myelinsubstanz nicht sichtbar, in der inneren ist sie zer-
fallen; die Nervenfasern sind im markhaltigen, wie marklosen
Theile körnig und schwer zu unterscheiden. Die ganze Papille,
insbesondere die äussere Hälfte, enthält Pigmentkörner.
Die Retina ist in der bindegewebigen Wucherung, die
den Glaskörperraum einnimmt, grösstentheils untergegangen;
nur stellenweise erhält mau noch Theile von ihr zu Gesicht,
die eine hochgradige Verdickung durch Wucherung des Stütz-
gewebes sowie Atrophie der nervösen Elemente darbieten.
Man findet stark gelockerte Reste der Körnerschichten,
wie auch verlängerte und hypertrophirte Stützfasern, zwischen
ihnen aber ziemlich grosse Lücken.
Das Retinaepithel ist mehr oder minder verändert,
die Zellen zum Theil zerfallen, an anderen Stellen gewuchert.
In der Gegend der Aderhautnarbe ist das Pigment in reich-
licher Menge in das Gewebe infiltrirt. Nach dem Ciliarkörper
hin findet sich eine zunehmende Wucherung des Pigment-
epithels, welche im Bereich der Pars eil. ret. einen sehr hohen
Grad erreicht, so dass hier eine ziemlich dicke Schicht netz-
förmig verbundener Züge von Pigmentzellen die Innenfläche
des Ciliarkörpcrs überzieht. Es ist eine erhebliche Wucherung
des Epithels und des Strat pig. der Pars eil. ret wahrnehm-
bar. Der fibrillär veränderte Glaskörper nimmt den vor-
deren Theil des kleinen Augenraumes ein. Die Iris ist mit
Eiterzellen infiltrirt, * die Wände ihrer Gefässe sind verdickt,
die Geülsslumina vorengt. An der vorderen Fläche bildet die
Iris Falten. Das Stratum pig. iridis ist stark gewuchert. Die
vordere Kammer ist sehr eng und von einer dünnen Schicht
eines faserigen Gewebes ausgefüllt, welches sich von dem der
Cornea nicht unterscheidet; zwischen dieser Schicht und der
Hornhaut findet sich auf der einen Seite die in ungemein
zahlreiche Falten gelegte und in zwei Blättern über einander
liegende Membr. Descemeti, die von der Perforationsnarbe aus
auf der anderen Seite theils vollständig, theils nur eine
Strecke weit zu verfolgen ist Das neugebildcte Bindegewebe
hängt direct mit dem Gewebe der Perforationsnarbe zusammen
und setzt sich nach hinten in die dadurch völlig verschlossene
16*
244 Kostenitsch.
Pupillo fort In die Narbe ist ein abgetrenntes Stück der
Iris eingeschlossen.
Etwas nach hinten von der normalen Stelle der Linse
bemerkt man neugebildete Enochensubstanz, welche auf den
Schnitten das Bild eines dQnnen, abgeflachten Halbringes zeigte
dessen Inneres von neogebildetem Bindegowebe und Capillaren
eingenommen wird.
XL Fall
Robert Seh., ca. 24 J. alt.
Nach brieflichem Bericht von Prof. Alf. Graefe vom
19. Juni 1870 erlitt Patient Ende des Jahres 1868 eine
Verletzung des rechten Auges durch die Explosion eines
Zündhütchens. Er glaubte nicht wesentlich verletzt zu sein
und wurde darin durch die Untersuchung eines Augenarztes
noch weiter bestärkt. Indessen fand Prof. Graefe am 20. Jan.
1869, wo sich der Patient ihm zuerst vorstellte, folgenden
Zustand :
R. Im inneren oberen Quadranten der Iris eine kleine
Perforation, beim Ophthalmoskopiren leuchtend. Beim Blick
nach oben aussen eine leichte haemorragische Verfärbung des
AugengrundeS; wahrscheinlich in den äussersten Chorioidal-
schichten liegend. Linse und Glaskörper klar, an der Retina
nichts Abnormes. An der bezeichneten Stelle befindet sich
yielieicht das Fragment des Zündhütchens oder ein Krümelchen
des Residuums der explodirenden Materie.
Sehschärfe = 1, aber Flimmern, leichte Schmerzen, Un-
deutlichkeit des excentrischen Sehens nach unten innen. So
blieb der Zustand bis Februar 1870. Die Intensität des
Reizungszustandes wechselte, doch kam es nicht zu aus-
gesprochenen Entzündungszuständen, auch blieb das linke Augo
unbetheiligt Um diese Zeit (Febr. 1870) trat plötzlich die
heftigste Irritation auf, Lichterscheinungen vor beiden Augen,
doppelseitiger Blepharospasmus, Neigung zu Convulsionen.
Ende Februar Enucleatio bulbi dextri. Darauf Nachlass
der Sehmerzen, jedoch noch Zunahme der Lichterscheinungen
vor dem gesunden Auge. Funktionell und ophthalmoskopisch
ist das 1. Auge noch völlig normal, doch dauern die Licht-
erscheinungen noch immer in hohem Grade fort Schmerz-
haftigkeit auf der rechten Seite ist nicht vorhanden, auch am
linken Auge kein Schmerz bei Druck. Nach einem später er-
PathoIogisch-aDatomische Untersuchungen etc. 245
Laltenen ärztlichen Bericht dauerten die Lichterscheinungen
an dem fehlenden Auge noch wochenlang, an dem erhalteneu
dagegen über ein Jahr lang an, auch blieb das letztere zu
Conjunctivitis disponirt. Doch konnte der Patient nachher seine
Studien beendigen und ciue erfolgreiche Beamtenlaufbahn
machen, zu deren Aufgabe er später nur durch die Folge-
zustände eines schweren Ulcus ventriculi veranlasst wurde.
Das frisch in Müller'sche Flüssigkeit gelegte enucleirtc Auge
wurde Herrn Prof. Leber mit obigem Bericht am 19. Juni
1870 durch Herrn Prof. Alf. Graefe tibersandt, welcher
gütigst die Erlaubniss zur Veröffentlichung des Falles crtheilt
hat. Ueber das Ergebniss der damals von ihm vorgenommenen
Untersuchung wurde mir von Herrn Prof. Leber folgender
Bericht übergeben:
Anatomische Untersuchung. Bulbus leicht myopisch
gebaut Bei sorgfältiger Präparation der Sclera lässt sich im
hinteren Abschnitt nichts von einer perforirenden Verletzung
erkennen, dagegen sieht man deutlich eine kleine lineare Narbe
der Hornhaut nahe deren innerem oberen Rande. Sehnerv
auf dem Durchschnitt von normaler Dicke und Färbung.
Bulbus im horiz. Meridian durchschnitten. Glaskörper von
normaler Consistenz. An der unteren Hälfte des Auges be-
merkt man, ein wenig nach innen vom vertikalen Meridian,
in der Gegend der Ora serrata, eine gelblichweisse Glas-
körpertrübung, die fest an der Innenfläche der Augenhäute
aufsitzt und den Fremdkörper einzuschliessen scheint. Nach
aussen oben von der Papille ist vorläufig keine Anomalie der
Chorioidea zu bemerken; dagegen ist die Papille etwas
prominent und die angrenzende Partie der Netzhaut auf der
temporalen Seite bis zur Gegend der Macula lutea hin durch
Faltung ziemlich stark verdickt. Der Ciliarmuskel zeigt die
für myopischen Bau charakteristische Verlängerung in meri-
dionaler Richtung und Abstumpfung seines inneren Winkels,
welche auch durch die mikroskopische Untersuchung nachher
bestätigt wird.
Der vermuthlich den Fremdkörper bergende Theil der
Angenwand wurde herausgeschnitten und näher untersucht.
Die Glaskörperverdichtnng erweist sich als umschriebeue
eitrige Infiltration, welche dicht nach vorn von der Ora serrata
ein kleines Kupferstückchen einschliesst, und hinter der die Pars
ciliaris retinae eine sehr starke umschriebene Verdickung auf-
weist. Der Fremdkörper ist nur */4 mm lang und ^l^^mm
216 Ko8tenitoch.
breit, und sowohl durch die Farbe und den Metallglanz, als
durch chemische Reaction als Kupfer zu erweisen. Er sitzt
fest der Innenfläche der stark gewucherten Pars ciliaris retinae
auf und ist gegen den Glaskörper zn von einer kleinen Eiter-
ansammlung umgeben, die sich aber schon in geringer Ent-
fernung von ihm allmälig verliert und nur mit einzelnen Streifen
noch etwas weiter in den Glaskörper ausstrahlt
Dickendurchschnitte durch die Augenhäute von der be-
treffenden Stelle ergeben Folgendes. Die Pars ciliaria
retinae ist dicht nach vorn von der Ora serrata sehr stark
gewuchert, ihre Zellen enorm verlängert und hypertrophirt, die
Zwischenräume mit Eiterzelien infiltrirt. Der Fremdkörper
liegt in einer kleinen Höhlung auf der Höhe dieser Wucherung,,
rings umgeben von dichter eitriger Infiltration, die sich noch
eine Strecke weit in abnehmendem Grade auf den benachbarten
Glaskörper ausdehnt, welcher zugleich verdichtet und von
Fibrinnetzen durchzogen ist. Die Eiterzellen sind durchweg
gut gefärbt, nur die in der unmittelbaren Umgebung des
Fremdkörpers haben etwas schwächere Färbung angenommen.
Der grösste Theil des Glaskörpers ist normal. Das
Pigmentepithel ist an der Stelle des Fremdkörpers ge-
wuchert^ seine Zellen gelockert und in das Gewebe der Pars
ciliaris retinae infiltrirt. An der eitrigen Infiltration betheiligt
sich auch das Corpus ciliare bis in den vordersten Theil
der Chorioidea, doch nehmen alle Veränderungen schon in
geringer Entfernung von dem Fremdkörper rasch ab und ver-
lieren sich grossentheils vollständig. Die Verdickung der Pars
ciliaris hört schon hinter den Ciliarfortsätzen auf, auch ist
der Ciliarkörper und die Chorioidea, abgesehen von der näheren
Umgebung des Fremdkörpers, frei von entzündlichen Verände-
rungen. Nach vorn erstreckt sich die eitrige Infiltration, dem
Sitz des Fremdkörpers entsprechend, bis in das Gewebe der
Iris, auch sind besonders im Kammerwinkel zahlreiche
Leukocyten eingelagert Der an die beschriebene Stelle
grenzende vordere Theil der Netzhaut ist stark verändert;
das Stützgewebe der Faserschicht gewuchert, die Stäbchen-
schicht von den übrigen Schichten abgehoben und degenerirt,
die Lücke von einem Fibrinnetz eingenommen, auch der an-
grenzende Glaskörper noch stark infiltrirt Die übrige Netz-
haut ist dagegen ziemlich gut erhalten, die Stäbchenschicht
zeigt Vacuolen ihrer Elemente, die aber vielleicht nur auf
mangelhafter Erhärtung beruhen, desgleichen auch die Ganglien-
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 247
Zellen; etwas grössere Lücken finden sich zwischen den Ele-
menten der inneren Eörnerschicht An der Macula lutea findet
sich die Yermnthlich erst postmortal entstandene Faltenbildnng.
Dagegen zeigt die Sehneryenpapille, abgesehen von
der für Myopie charakteristischen Hinüberziehung des nasalen
Aderhautrandes und einer physiologischen Excavation, eine
Schwellung ihres Gewebes, welche nur eine massige Zunahme
der Prominenz, aber eine sehr ausgesprochene seitliche Ver-
drängung des Ansatzes der Retina zur Folge hat. Die Schwel-
lung ist durch seröse Durchtränkung und partielle Wucherung
des Stützgewebes, zum grössten Theil aber durch eine sehr
verbreitete spindelförmig- varicöse Verdickung der marklosen
Nervenfasern (wie bei Betinitis albuminurica) bedingt.
Die übrigen Netzhautschichten, welche erst in einiger
Entfernung von der Papille beginnen, lassen auch hier nicht
viel Abnormes erkennen, ausser dass die Stäbchenschicht stellen-
weise leicht gefaltet ist. Das Pigmentepithel reicht auf
beiden Seiten bis zum Papillenrande, die Zellen sind aber hier
dünn und pigmentarm. An der Iris ist eine ausgesprochene
Verdickung und Wucherung des Pigmentepithels zu bemerken.
Die Linse ist unverletzt.
XIL Fall.
Moritz Aisberg. R. A. Verletzung durch einen Zünd-
hütchensplitter. Enucleation am 21. Nov. 1870 (ohne Kranken-
geschichte).
Anatomische Untersuchung. Makroskopischer Befund.
Das Auge wurde in horizontaler Richtung, etwas über dem
Sehnerveneintritt durchschnitten und in Müller'scher Flüssigkeit
gehärtet Am inneren unteren Theil der Cornea bemerkt man
neben dem Limbus eine Narbe.
Die Retina ist in ihrer ganzen Ausdehnung von der
Chorioidea abgelöst und hinter der Linse in eine Menge feiner
Falten gelegt.
In dem Glaskörperraum befindet sich eine grauliche Ei-
weissmasse, welche in dünner Schicht die innere Fläche der
Retina auf beiden Seiten bedeckt. Ein gegen 2 mm langer und
1 mm breiter Zündhütchensplitter liegt in gleicher Höhe wie der
N. opt, 1 mm nach hinten von der Mitte der Linse. Beide Hälften
des Auges wurden in Celloidin eingebettet und geschnitten. Auf
248
Kostenitsch.
den Schnitten, welche durch den N. opt gelegt sind, befindet
sich in der temporalen Hälfte der Retina ein Biss (Fig. 12 r).
Die Enden der zerrissenen Retina ziehen sich als zwei parallele
Streifen nach vorne und verlieren sich in den Retinalfalten, welche
sich hinter der Linse befinden. Die Papille ist m das Innere des
Auges etwas eingezogen. Auf den Schnitten, welche unterhalb des
Fremdkörpers durchgelegt sind, wie auch auf denen vom oberen
Theil des Auges, ist die abgelöste Retina einer mit Luft ge-
füllten und hinter der Linse abgebundenen Blase ähnlich.
Mikroskopische Untersuchung. Die Linsenkapsel
ist verdickt und im hinteren Theil auf der der Lage des
Fremdkörpers entsprechenden Stelle zerrissen. Der Epithelbelag
hat sich auf die Hinterkapsel fortgesetzt und an der Stelle
des Risses findet sich eine umschriebene stärkere Wucherung
der Zellen. Die neben dem Kapselrisse liegenden Linsen-
parthien sind unbedeutend mit Eiterkörperchen infiltrirt Hinter
der Linse zieht sich zwischen den Ciliarfortsätzen und dem
Corpus ciliare auf beiden Seiten ein breiter Streif von neu-
gebildetem Bindegewebe herüber, durch welchen, wie schon ma-
kroskopisch bemerkbar ist, nicht nur die Ciliarfortsätze, sondern
auch der Ciliarmuskel nach einwärts gezogen werden. Vom
hinteren Theil dieses Streifens, mit welchem die Falten der
Tabelle
Tension in allen Fällen nicht erhöht. Der Glas-
Nr.
Name
Wacker
s e
im
e
s g.
^ :
R.
3 Tage
auf J3:lVa|Comea,
Innen-,
fl&che
des
Ciliar-
körp.
und des
vorder-
sten
Theils
der
Retina
Iris,
', Retina
i in der
I Gegend
der
Papille
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc.
249
Retina in Zusammenhang stehen, geht ein Faserbandel aus,
welches die Stelle, wo der Fremdkörper lag, einkapselt In
dieser Kapsel befinden sich feinkörniger Detritus, Pigment- und
Fettkömchen, rothe Blutkörperchen, ziemlich grosse Zellen,
die theils Fettkömer, theils hämatogenes Pigment enthalten
und viele Eiterkörperchen.
Die Retina in den Falten und auch in der ganzen
ttbrigen Ausdehnung ist sehr schmal und es lassen sich in ihr
schwach geftrbte und stark veränderte Kömerschichten, wie
auch an einigen Stellen Reste der Stftbchenschicht unter-
scheiden. Ihre innem Schichten sind kaum zu unterscheiden.
An der inneren Fläche der Netzhaut zieht sich ein dünnes
Bündel von Bindegewebsfasern hin.
Die Zellen des Retinaepithels zeigen oft Kemtheilungen.
In der oben beschriebenen graulichen Eiweissmasse sind
kömiger Detritus, rothe Blutkörperchen und eine grosse An-
zahl von postmortal gewachsenen Pilzen zu sehen, letztere
befinden sich auch in dem Subretinalraume. Aus diesem
Befunde, wie auch aus anderen Zeichen ergiebt sich, dass das
durchschnittene Auge eine Zeit lang ohne MflUer'sche Flüssig-
keit geblieben und eingetrocknet war, weshalb ich nicht weiter
anf die Beschreibung dieses Auges eingehen will.
Tabelle,
körper fibrillär verändert und mit Fibrin durchsetzt
AbUtaoDg
der
Reün*
Eitrige
Infiltration des
Glaskörpen und
der Angenh&ut«
Die hauptslchlichen pathologiichen Veittnderungen
im Aage
total,
nicht
tief
Im Glaskörp.,
in der Papille,
Retina, Pars
ciliar., im Gi'
liarkörper,
in der Ader-
haut und Gonj.
bulbi sUrk
oder ziem-
lich stark;
in der Iris
unbedeutend.
Die Uebergangsstelle der Papille in die Netz-
haut ist dicht von rothen Blutkörperchen durch-
setzt, ihr Gewebe dadurch bis anf einzelne
Gapillaren und Reste der Nervenfaserschicht
vollständig verdrängt; die Retina ist erst in
einigem Abstand vom Sehnervenrande als solche
zu erkennen, dazwischen sieht man nur die
veränderte Stäbchenschicht. Die Nervenfaser-
schicht ist kömig; die Nervenzellen stellen-
weise nekrotisch, die Kömerschichten etwas
auf|^elockert. Die Elemente der Stäbchen-
schicht sind durch Quellung verändert. Das
250
KosteniUcb.
Nr.
Name
11
1«««
IP
I
«f a
^3
I«
II.
Schumacher
R.
4 Tage
im
Glas-
körper
Deben
der
Retina
a ß
§11
2«/,: 2
I
00 s
Cornea,
Irifi,
Linse,
Retina,
Cho-
rioidea
be-
deatend
Fatbologisch-anatonüache Untersochangen etc.
251
AWOfung
dar
Betlna
Eitrige
Infiltxatton de«
Glukörpen and
der Augenh&ute
Die hauptsftchlichen pathologischen Verilnderangen
im Auge
Gylinderepithel der Pars eil. ret in der Ge-
gend des Fremdkörpers local stark gewuchert,
an den übrigen Stellen zeigt dieses Epithel
eine sehr unbedeutende Wucherung. Das Pig-
mentepithel der Retina zeigt im unteren, der
Lage des Fremdkörpers entsprechenden Theile
des Auges eine bedeutende Wucherung, an
anderen Stellen bemerkt man nur Spuren der-
selben.
partieU
Im Glaskör-
per, in der
Papille un-
bedeutend,
in der Retina
auf der tem-
por. H&lfte
und in der
Gegend des
Fremdkör-
pers bedeu-
tend, in der
Ghorioidea
in der Gegend
des Fremd-
körp. ziem-
Uch stark,
in der Pars
eil. schwach,
in der nasalen
H&lfte der
Retina fast
keine.
Die Wundr&nder der Hornhaut sind durch Quel-
lung fast um das Doppelte verdickt. Die Lin-
senmasse getrabt, gequollen. Die Retina ist
neben der Rissstelle, besonders die Stäbchen-
schicht hochgradig degenerirt; die übrigen
Schichten zeigen hier auch eine ausgesprochene
Atrophie der nervösen Elemente. Die Kömer-
schichten sind gelockert, ein bedeutender Theil
der Ghromatinsubstanz ihrer Körner ist ver-
schwunden; die Kerne der Ganglienzellen
schwach gefärbt. Die St&bchenschicht in der
Gegend des Fremdkörpers körnig; die Zapfen
gequollen. Im übrigen Theil der temporalen
Hälfte ist die Stabchenschicht gut erhalten,
die Körnwschichten aufgelockert, ein Theil
der Ghromatinsubstanz ihrer Körner ist ver-
loren, nur in dem vordersten Theile der Netz-
haut hat sich die äussere Kömerschicht ver-
hältnissmässig gut erhalten. Die Nervenzellen
sind in der Mac. lutea ziemlich gut erhalten,
an den übrigen Stellen sind diese Zellen ne-
krotisch ; die Nervenfaserschicht sieht schwach
körnig aus. In der nasalen Hälfte sind die
Stäbchen- und die äussere Kömerschicht bis
auf die nächste Umgebung der Papille gut
erhalten, die übrigen Schichten zeigen diesel-
ben Veränderungen wie in der temporalen
Hälfte, nur weniger ausgesprochen. Die Stütz-
fasern der Retina sind etwas verlängert und
getrübt, besonders neben der Papille, wo die
Molecular- und Zwischenkörnerschicht dicker
als normal sind. Die Sehnervenpapille ist
etwas ödematös und ihre Nervenbündel trüb
und schwach körnig. Das Pigmentepithel der
Retina, der Pars eil. und der Iris ist verdickt
252
KoBtenitsch.
Nr.
Name
ll
I s
6 "o
III.
Althaas,
Mann
R
4 Tage
Giliär-
körper
wahr
schein-
lich
4.
Cornea,
Iris,
Linse
nnbe
deutend
I
IV.
Yolkmann L.
16
Tage
imAb-
scesse
des
Olas-
körp.
im
unter-
sten
Theil
des
Auges
3:1V.
Cornea,
Iris
Nur in
der un-
teren
Augen-
hälfte
unbe-
deutend
PaihologiBch-anatomische Untenuchnngen etc.
253
Abltenng
der
Retina
Eitrige
InlUtratlon des
GUskftrpera und
der Aagenhftute
Die lurapteftchlicben pathologiacfaen Verfinderungen
im Ange
im vor-
dereD
Aagen-
abschn.
leicht
Im Glaskör-
per, BetiDa
und Ciliar-
körp. der un-
teren H&lfte
and in der
Pars eil. ziem-
lich stark;
in der Papille,
Ghorioidea
und anderen
Stellen der
übrigen
Augenh&ute
unbedeutend
oder schwach.
Die Nervenfasern der Papille und der Faser-
Bchicht der Retina treten nicht deutlich her-
vor; das reticul&re Statzgewebe ist st&rker als
normal entwickelt. Die Elemente der Netz-
haut sämmtlicber Schichten sind nekrotisch.
Die Körner beider Körnerschichten neben der
Ora serrata fliessen zu einer Schicht zusam-
men. Die St&bchenschicht ist kömig, aber
noch gut erhalten; neben dem temporalen Pa-
pillenrande einschliesslich der Gegend disrMac.
lutea bilden diese und die äussere Kömer-
schicht auf dem Querschnitt papillenartige Er-
hebungen. Das Pigmentepithel der Pars eil.
ret. ist gelockert und bildet auf der inneren
Fl&che des Giliarkörpers papillenartige Er-
hebungen. Das Pigmentepithel der Iris ist
verdickt. Die Suprachorioidea ist aufgelockert.
partiell
Im Glaskörp.
nur in der
unter. H&lfte
schwach, in
der Papille
und der Ner-
venfasersch.
Qberall wenig,
im unteren
Theile des
Auges dage-
gen in der
Retina, be-
sonders der
Faserschicht
reichlich.
Die Sehnervenpapille ist betr&chtlich geschwol-
len, ihr Gewebe ödematös und gelockert, die
Neuroglia etwas st&rker entwickelt; an der
Oberfl&che zeigt sie eine umschriebene Stelle
stärkerer Proliferation des StQtzgewebes. Die
Netzhaut ist, namentlich in der N&he der Pa-
pille etwas verdickt und ihr Gewebe gelockert,
welcher Zustand in abnehmendem Grade sich
bis nach vorn verfolgen l&sst. Die Verdickung
erstreckt sich auf alle Schichten, besonders
aber auf die St&bchen- und Zwischenkörner-
schicht Die Elemente der St&bchenschicht
sind verl&ngert und verdünnt, zwischen ihnen
treten Lücken auf. In der Umgebung der
Papille ist die Structur dieser Schicht undeut-
lich, kömig und nach der Fovea cent. hin.
nimmt ihre Dicke erheblich ab, an einer Stelle
schwindet sie sogar völlig. Die Zwischenkör-
nenichicht ist besonders in der N&he der Pa-
pille stark gelockert; die Äusseren Körner
senkrecht oval, wie in die L&nge gezogen ; die
Elemente beider Köraerschichten weniger dicht
beisammen liegend als in der Norm. In der
Gegend des den Fremdkörper umgebenden
Abscesses ist die Netzhaut vollständig dege-
nerirt und in ein dicht mit Eiter- und I^g-
mentzellen durchsetztes Gewebe verwandelt.
254
Kostenitsch.
Nr.
Name
"I
Claodepierre
im
Glas-
körper
neben
der
Retina
3:2
Cornea,
Iris,
Linse,
Retina
be-
deutend
aber
nicht
bis zu
dem
Aequat
bulbi
VI.
Zeckert
5
Woch.
in der
Retina
neben
der
Pa-
pille
4:2
Limbns,
Cornea,
Linse,
Retina,
Chorioi-
dea
stark
Pathologiscb-anatomische Untersuchangen etc.
255
Ablösung
der
Retioa
Eitrige
Infiltration des
der Augenblute
Die hauptsScfalichen patbologlacbeo Verftoderungen
im Auge
Das Pigmentepithel der Iris ist verdickt. Das
Endothel der vorderen Kammer vesiculftr ver-
ändert, desgleichen in ausgesprochenem Grade
die obere Schicht des Epithels der Hornhaut.
Die Linsenkapsel unverletzt, die Linse zeigt
Veränderungen wie bei beginnender Gataract.
partiell
Im Glaskör-
per ziemlich
stark; Inder
Ghorioidea,
Retina und
der Pars eil.
der tempor.
Hälfte und
imGiliarkör-
per stark; in
der Papille,
Iris, Gonj. b.,
Ghorioidea,
Retina, Pars
eil. der na-
salen H&lfte
bedeutend.
Die Retina neben der Rissstelle stark degene-
rirt, von ihren Schichten unterscheidet man
die veränderte Stäbchenschicht, die verdannte
und aufgelockerte äussere Kömerschicht und
stellenweise auch in Gruppen oder in eine
schmale Reihe geordnete Kömer der inneren
Körnersch., an der Stelle der übrigen Schich-
ten der Retina kann man kaum etwas von
der normalen Structur erkennen. Diese Ver-
änderungen finden sich auch in der Gegend
der Rissstelle und haben sich besonders nach
unten von der Narbe verbreitet. In der übri-
gen Ausdehnung der Retina sehen ihre Schich-
ten körnig aus, die Kerne der Nervenzellen
sind mangelhaft mit Haematoxylin gefärbt; auf
der temporalen Seite und neben der Papille
bemerkt man Vacuolen in den Körne'm der
beiden Kömerschichten ; die Stäbchenschicht
ist im vorderen Angenabschnitte zerfallen , im
hinteren gequollen. Die Papille ist geschwol-
len, ihre Nervenfaserbündel sind etwas kömig.
Das Retinaepithel ist besonders an ihrem vor-
deren Theil gewuchert. Die Pars eil. retinae
zeigt eine geringe Wucherung. Das Stratum
pig. der Pars eil. und der Iris ist verdickt
und gewuchert.
total
Im Glaskör-
per, in der
Retina und in
der Ghorioi-
dea in der
Gegend der
Verletzung
stark; Inder
Papille, im
Giliarkörper,
in der Pars
In der Gegend der Verletzung der Ghorioidea
haben ihre Arterien stark verdickte Wandun-
dungen, ihr Lumen ist theilweise verengt. Der
markhaltige Theil des Sehnerven ist dünn,
die Marksubstanz körnig, im Zerfall begriffen,
zugleich kernreicher als normal und mit
deutlicher hervortretendem Reticulum. Die
PapUlensubstanz ist kernreich; die Wände
der Arterien sind verdickt Das Stützge-
webe der Retina ist hypertrophirt, die ner-
vösen Elemente zum Theil in Atrophie be-
256
Kostenitach.
Nr.
Name
1
f|::
>U4
Grösse des
Fremdkörpers
in mm
h
5 <
>
Schrumpfung
des
Glaskörpers
1^
•
1
i
1
1
1
■
i
VII.
Wolf
R.
5
Woch.
Hinter
der
Linse
und
der
Ora
serrata
6
Limbus
corneae,
Iris.
Linsen-
kapsel
■
stark
zwei
spon-
tane
Risse
Pathologisch-anatomiache Uotenachungen etc.
257
Ablöeong
der
Retiiia
Eitrige
Infiltration des
Obwkörpers und
der Aogenhftate
eil., am &a8-
seren Rand
der Linse,
in der Cooj.
bulbi bedeu-
tend; in der
Iris unbe-
dentend.
Die haupteftcblicben patbologiachen Verfinderungen
im Auge
griffen. Besonders stark und unregelm&ssig
gewuchert, ist die Nervenfaserschicht. Von
der St&bchenschicht sind in der Gegend des
Fremdkörpers nur Reste vorhanden, weiterhin
sind ihre Elemente gequollen, zum Theil im
Zerfall begriffen. Die Elemente der Körner-
schichten sind theils gelockert, in den Kör-
nern zuweilen Yacuolen zu beobachten; die
W&nde der Arterien verdickt und im hinteren
Abschnitt der Netzhaut ausgesprochene Endo-
arteritis. Das Retinaepithel ist etwas verdickt.
Die Pars eil. ist stark gewuchert. Das Pig-
mentepithel der Pars eil. ret. ist sehr stark
verändert und gewuchert; an der Aussenfl&che
der Netzhaut ein durch locale Vereiterung
entstandenes Knötchen. Die Hinterkapsel ist
in der N&he des Risses erheblich verdickt.
Zwischen die Linsentrümmer ist eitriges Ex-
sudat eingelagert, auch sind Eiterzellen noch
weiter in die Linse hinein zwischen die Fa-
sern in reichlicher Menge infiltrirt. Das Ge-
webe des Ciliarkörpers ist gelockert und stär-
ker fibrill&r.
total
Im Glaskör-
per, in der
Gegend des
Fremdkörp.
stark, Reste
in der Retina,
Chorloidea,
im Ciliarkör-
per, in der
Iris.
Zwei spontane Risse im hinteren Theile der
Netzhaut mit nach innen umgeklappten Rän-
dern; zwischen beiden Rissen ist die äussere
Kömerschicht verdünnt und aufgelockert, ihr
Durchschnitt stark wellig, die innere Körner->
schiebt verdickt und aufgelockert. Das Stütz-
gewebe der Retina in diesem Theile und in
der Nähe des Fremdkörpers stark verlängert
und hypertrophirt, gleich nach hinten von
dieser letzteren gewucherten Stelle eine par-
tielle atrophische Degeneration der Retina.
Die beiden Kömerschichten überall aufge-
lockert, die inneren Schichten kömig, die
Kerne der Nervenzellen mangelhaft gefllrbt;
die Stäbchenschicht ist hochgradig verändert,
das Retinaepithel gewuchert. Das Stützgewebe
der Papille hypertrophirt, die Nervenfasern
etwas körnig. Die Pars eil. ret. stark ge-
wuchert. Die Linsenkapsel verdickt, an der
hinteren Fläche verletzt, ihre Zellen vermehrt.
Das Strat. pig. iridis verdickt und gewuchert.
T. Oraefe'B Archlr flkr Ophthalmologie. XXXVII. 4.
17
258
Eostenitsch.
Nr.
Name
Im
^1
^1
5 <
VIII;
Jahne
!L,
IX.
Director M.
L.
fast
Corpus
7
ciliare
Woch.
fast
im
lOVi
Glas-
Woch.
körper
neben
der
Retina
1
1
3:2
Cornea, | stark ;
Iris, I
Linse. .
1V,:V.
Vs mm
Dicke
Sclera,
Ciliar-
körper,
Retina,
Chorioi-
dea.
In der
unteren
Hälfte
etwas,
in der
oberen
bedeu-
tend
X.
Sultan
L.
11
Monat.
Sclera
nach
aussen
von der
Papille
2:2
Cornea,
Iris,
Linse?
stark
_ I
PathologiBch-anfttomische Untenucbnogen etc.
259
AbUtaang
der
Betina
Eitrige
Inflltration des
Qlask&jrpera und
der AugeDhftnte
total
Wie bei
Nr. VII.
Die hauptsächlichen pathologischen Verftnderungen
im Auge
Wie bei Nr. YII, ausserdem ist die Pars eil.
retinae sammt einem Theil des Stratum pig-
menti steUen weise von ihrer Unterlage abge-
hoben.
partiell
Im Glaskör-
per nur in
der Gegend
des Fremd-
körpers; in
der Iris,
neben dem
Scblemm*8ch.
Ganal unbe-
deutend; im
Nervus opt.
Leukocyten.
Die Enden der durch den Fremdkörper zerris-
senen Retina enthalten nur mangelhaft ge-
färbte Reste der Körnerschichten. Der Ner-
vus optic. ist dann, sein Stützgewebe etwas
hypertrophirt. Die markhaltigen Fasern kör-
nig, die marklosen der Papille zeigen begin-
nende Atrophie; die Wände der Gef&sse des
Nerv. opt. und der Retina sind verdickt, ihre
Lumina verengt. Die Netzhaut ist überall
etwas dünner als normal, ihre Stützfasern sind
nur in der Zwischenkörnerschicht nach aus-
sen von der Papille und auf einer beschränk-
ten Stelle neben dem Netzhautrisse verlän-
gert und hypertrophirt. Im hinteren Augen-
abschnitte treten die Elemente der Nerven-
faserschicht weniger deutlich hervor, als in
der Norm; die Nervenzellen sind stellenweise
von Yacuolen eingenommen und haben sich
fast gar nicht durch Haematoxylin gefärbt; auch
die beiden Kömerschichten haben grössten-
theils ihre Tinctionsfähigkeit eingebüsst; die
Elemente der Stäbchenschicht sind trübe, kör-
nig und stellenweise im Begriff, in Eiweiss-
kügelchen zu zerfallen. Im vorderen Augen-
abschnitt finden sich nur Reste der Stäbchen-
schicht; die Körner der beiden Körnerschich-
ten sind mangelhaft gefärbt, besonders in der
temporalen Seite, wo nur einzelne Körner Fär-
bung angenommen haben ; die inneren Schich-
ten sind fast nicht zu unterscheiden. Das Pig-
mentepithel der Retina, sowie die Pars eil.
ret. zum Theil atrophisch, zum Theil nekro-
tisch, die Cylinderzellen sind verlängert und
etwas gelockert. Das Pigmentepithel der Iris
ist hypertrophirt.
total
In der Ader
haut in der
Gegend der
Verletzung
I und neben
Die Retina ist in der bindegewebigen Wuche-
rung gross tentheils untergegangen, nur stel-
lenweise erhält man noch Theile von ihr zu
Gesicht, die eine hochgradige Verdickung
durch Wucherung des Stützgewebes und Atro-
17*
260
Kostenitsch.
Nr.
Name
iU
•"3 sS ^
I
8 _
n
|3
XI. Robert Seh.
R
XII.
1 Jahr
and
2 Mon.
Corpus
ciliare
'U'-y,
Cornea, keine
Iris.
Aisberg IR.
Hinter
der
Linse
Cornea,
Iris,
Linsen-
kapsel.
stark
Ein
spon-
taner
Riss
Patholo^Bch-anatomische Untennchnngen etc.
261
Ablteong
der
Betlna
Eitrige
Inflltration de«
OlaskOrpers und
der Angenhlute
Die hauptaichllchen pathologischeii Verftoderungen
Im Auge
der Ora ser-
rata reichlich
phie der nervösen Elemente darbieten, man
findet nur stark gelockerte Beste der Körner-
schichten. In der äusseren H&lfte des Nerv,
opt. atrophische Degeneration, in der inneren
beginnende Atrophie. Die Zellen des Retina-
epithels sind stellenweise zerfallen, stellen-
weise gewuchert, nach dem Giliarkörper hin
findet sich eine zunehmende Wucherung des
Pigmentepithels, welche im Bereich der Pars
eil. retinae einen sehr hohen Grad erreicht.
Etwas nach hinten von der normalen Stelle
der Linse findet sich nengebildete Knochen-
substanz. Das Stratum pigm. iridis ist stark
gewuchert.
keine
Im Glaskör-
per und im
Giliarkörper
in der näch-
sten Umge-
bung des
Fremdkörp.
Die der Lage des Fremdkörpers entsprechende
Pars eil. ret. ist sehr stark gewuchert und
eitrig infiltrirt, ihre Zellen enorm verlängert
und hypertrophirt; das Pigmentepithel ist an
der Stelle gewuchert, seine Zellen in das Ge-
webe der Pars eil infiltrirt. Der an die be-
schriebene Stelle grenzende vordere Theil der
Netzhaut ist stark verändert, das StQtzgewebe
der Faserscbicht gewuchert, die Stäbchen-
schicht von den Übrigen Schichten abgehoben
und degenerirt, die übrige Netzhaut ist dage-
gen ziemlich gut erhalten. Die Sehnerven-
papille zeigt eine Schwellung ihres Gewebes,
welche nur eine massige Zunahme der Pro-
minenz, aber eine sehr ausgesprochene seit-
liche Verdrängung des Ansatzes der Betina
zur Folge hat. Die Schwellung ist durch se-
röse Durchtränkung und partielle Wucherung
des Stützgewebes, zum grössten Theil aber
durch eine sehr verbreitete spindelförmig-
varicöse Verdickung der marklosen Nerven-
fasern (wie bei Retinitis albuminurica) bedingt.
Der dem Fremdkörper anliegende Theil des
Glaskörpers ist verdickt und von Fibrinnetzen
durchzogen, der übrige normal. An der Iris
ist eine ausgesprochene Verdickung und Wuche-
rung des Pigmentepithels zu bemerken.
Nur um den ■ Atrophische Degeneration der Retina. Die Lin-
Fremdkörper senkapsel verdickt, zeigt in ihrer ganzen Aus-
herum. dehnung einen Epithelbelag.
total
262 Kostenitsch.
Ehe ich zur Zusammenstellang der Ergebnisse der hier
mitgetheilten Untersuchungen über Zündhfitchenverletzungen
des menschlichen Auges übergehe, habe ich noch zu er-
wähnen, dass ich zwar bei Mittheilung der Befunde nur
in wenigen Fällen die Untersuchung auf Vorhandensein
von Mikroorganismen und die chemische Prüfung auf einen
Gehalt der Gewebe an Kupfer angeführt habe, dass aber
diese Untersuchungen auch in allen übrigen Fällen vorge-
nommen worden sind, wo ihrer nicht besonders Erwähnung
geschehen ist.
Jedes Auge wurde in bacteriologischer Hinsicht genau
untersucht und mit besonderer Sorgfalt diejenigen Augen,
in welchen die eitrige Entzündung sehr ausgesprochen war.
Die letzteren wurden wiederholt untersucht und dabei jedes
Mal von einem Auge 6 — 8 Schnitte, theils mit Fuchsin
oder mit Methyl violett, theils nach Löffler oder Gram
gefärbt.
Bei den 20 von mir untersuchten, durch Zündhütchen
verletzten Augen ist es mir nur an einem gelungen, Bac-
terien nachzuweisen; dieser Fall wurde aber von mir unter
obige Beschreibungen nicht aufgenommen. Ebenso wurde
jedes Auge mit gelbem Blutlaugensalz und Salpeter- oder
Salzsäure auf Kupfer untersucht. Zu diesem Zwecke wur-
den Schnitte durch das den Fremdkörper umgebende eitrige
Exsudat, so wie auch von dem Fremdkörper abgezogene
Stückchen desselben mit den erwähnten Reagentien be-
handelt, wobei diese Theile eine mehr oder weniger deut-
liche Reaction auf Kupfer darboten.
In zwei Fällen wurde gleich nach dem Eintritt der
Kupferreaction diese durch eine Blaufärbung maskirt,
woraus man auf die Gegenwart von Eisen schliessen muss.
Bei genauerer Untersuchung ergab sich, dass die Ent-
stehung von Berlinerblau bei Einwirkung dieser Reagentien
in haematogenes Pigment einschliessenden Zellen auftrat^
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 263
welche in beiden Fällen zahlreich vertreten waren. Unge*
achtet einer genauen Untersuchung der Zellen, die sich
in dem den Fremdkörper umgebenden Exsudat befanden,
gelang es mir nicht Schwefelkupfer darin nachzuweisen;
doch wurde in 2 Fällen (2, 4) eine geringe Menge davon
neben dem Exsudat beobachtet.
Bei Behandlung der in angesäuertem Wasser aufbe-
wahrten Schnitte mit Schwefelwasserstoff bildete sich ein
Niederschlag von Schwefelkupfer und zwar am häufigsten
(in den Fällen 1, 2, 3, 4, 8) im Glaskörper und in dem
Celloidin, welches die Lücken der Schnitte ausfüllte.
In 2 Fällen (2, 4) bot der schwach mit Eiterkörper-
chen infiltrirte Glaskörper, sowie auch die veränderten
rothen Blutkörperchen an einigen Stellen eine gelbe Fär-
bung dar. Diese Färbung rührt muthmasslich, entweder von
Kupferoxydulhydrat, oder von einer organischen Kupferver-
bindung her; da das Gebiet der organischen Kupferver-
bindung noch wenig durchforscht ist, so ist es nicht mög-
lich, zu entscheiden, mit welcher wir es in den vorliegen-^
den Fällen zu thun haben.
In einem Präparate, wo der Ganada-Balsam eingetrocknet
war, entstand neben der Scleralnarbe unter dem Einfluss
der Luft eine grüne Färbung, die von einer kohlensauren
Kupferverbindung herzurühren schien.
Fast in allen von mir untersuchten Fällen zeigte eben-
so, wie in den von Prof. Leber angestellten Experimental-
untersuchungen an Thieren das den Fremdkörper umgebende
eitrige Exsudat eine bräunliche Farbe. Diese Färbung des
Exsudates rührt nach der Ansicht Prof. Leber's von Schwefel-
kupfer her, dessen Bildung durch den Schwefelgehalt des
Eiweiss bedingt ist, und neben dem gleichzeitig etwas Kupfer-
oxydul vorhanden sein kann (Loc. cit S. 248).
In allen Fällen wurde eine mehr oder weniger ausge-
sprochene und verbreitete eitrige Entzündung beobachtet, die
stets in der Umgebung des Fremdkörpers ihre grösste In-
264 Kostenitsch.
tensität besass und an welcher sich ausser der Retina auch
die Chorioidea, der Giliarkörper und die Iris in mehr oder
minder ausgesprochener Weise betheiligten.
Meine Befände bestätigen also vollkommen, dass die
Gegenwart eines Fremdkörpers aus Kupfer auch am mensch-
lichen Auge ohne Vorhandensein von Mikroorganismen eitrige
Entzündung hervorruft, die auf die Entstehung löslicher
Eupferverbindungen zurückzuführen ist Sie zeigen zugleich,
dass diese aseptische Eiterung bei den Zündhütchenver-
letzungen des menschlichen Auges in der weitaus über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle vorkommt und dass eitrige
Entzündung durch gleichzeitiges Vorhandensein von Mikro-
organismen dabei weit seltener, mehr nur ausnahmsweise,
auftritt. Die durch Zündhütchenverletzungen im Auge her-
vorgerufenen Veränderungen hängen, soweit man sich davon
überzeugen kann, nicht nur von der Lage des Fremdkörpers,
sondern auch von der Dauer seines Aufenthalts im Auge
ab. Ich habe darum bei Beschreibung der Fälle mich in
deren Anordnung von letzterem Gesichtspunkt leiten lassen.
Der besseren Uebersicht wegen über die hauptsächlichsten
Veränderungen der von mir untersuchten Augen habe ich
eine Tabelle beigefügt.
Der Grad und die Ausdehnung der eitrigen Entzündung
zeigte sich abhängig von der Lage des Fremdkörpers und
von der Dauer seines Aufenthaltes im Auge; femer von
dem Umstände, ob es neben dem, den Fremdkörper um-
gebenden Exsudat noch zur Bildung von Bindegewebe kam,
durch welches das Exsudat kapselartig umschlossen wurde;
endlich auch von der Consistenz des dem Fremdkörper an-
liegenden eitrigen Exsudates, wie solches schon von Prof.
Leber bei seinen Versuchen mit Einführung von Eupfer-
draht in die vordere Augenkammer des Kaninchens bewiesen
wurde; er zeigte dabei, dass sich um den Fremdkörper aus
dem veränderten und mit Eupferverbindungen durchtränkten
Exsudat nach einiger Zeit eine Art Schale bilden kann.
Pathologiscli-anatomische üntenncliaiigen etc. 265
welche die weitere chemische Einwirkung des Fremdkörpers
auf die Augenhäute verhindert, worauf der Entzündungs-
process zur Rückbildung kommt (Loc. cit. S. 249).
Wenn der Fremdkörper neben dem Corpus ciliare sass,
80 war in den Fällen, wo der Process noch nicht lange
dauerte, eine ziemlich starke eitrige Infiltration des Glaskörpers
und der Netzhaut zu beobachten, während die anderen Augen-
häute theils bedeutenden Antheil an der eitrigen Entzündung
nahmen, theils nicht. In den Fällen, wo der Entzündungs-
process schon längere Zeit bestanden hatte, bot das den
Fremdkörper umgebende Exsudat das Aussehen einer dich-
ten, schalenartigen Masse dar. An den übrigen Stellen des
Glaskörpers und in den Augenhäuten waren nur hie und
da Reste eitriger Infiltration zu sehen, augenscheinlich
hatte sich der Process zurückgebildet. Aehnliches wurde
in jenen Fällen beobachtet, wo der Fremdkörper auf der
Innenfläche der Netzhaut oder in der Sclera sich befand.
Obgleich letztere verhältnissmässig gefässarm ist, kann nichts
destoweniger die eitrige Entzündung hier einen ziemlich
hohen Grad erreichen^ da sich auch die Ghorioidea und die
Retina, ehe es zur Ablösung dieser Membranen kommt,
stark an dem Process betheiligen. Leider gelangte kein
solcher Fall zur Untersuchung in einem Stadium, wo der
Fremdkörper erst kurze Zeit in der Sclera gelegen hatte.
Das Verderblichste für das Auge ist, wie es scheint,
die Lage des Fremdkörpers in der Netzhaut selbst, unweit
der Papille, wie aus dem Fall 6 ersichtlich ist, wo der
Entzündungsprocess fünf Wochen gedauert hatte und in dem
Glaskörper Gruppen von Eiterkörperchen sich fanden, deren
Kerne sehr gut die Haematoxylinfarbe angenommen hatten,
woraus man auf ihr noch nicht langes Bestehen schliessen
kann, und wo auch starke eitrige Infiltration und lokale
Vereiterung der Netzhaut aufgetreten waren.
Bei der Lage des Zündhütchensplitters im Glaskörper
hinter der Linse (12) befand sich das eitrige Exsudat nur
266 KoBtenitsch.
um den Fremdkörper herum und war mit einer Bindege*
webskapsel umgeben; an den übrigen Stellen war Toa
Exsudat nicht eine Spur zu finden.
Besonderes Interesse erregt der 4. Fall, in welchem
sich der Fremdkörper im Glaskörper eingelagert fand, wa
er 16 Tage lang yerblieben war. Ungeachtet eines so langea
Verbleibens des Kupfers im Auge beschränkte sich die stärker
ausgesprochene eitrige Infiltration des Glaskörpers, der Netz-
haut und der Chorioidea auf die nächste Umgebung des
Fremdkörpers und trotz der beginnenden Gataract, war die
Sehschärfe noch ^/^q. Die Linsenkapsel war unverletzt»
Dieser Fall ist mit einem von Prof. Leber beschriebenen
Versuch fast identisch (Beobachtung 4 auf S. 266).
Es bestätigt sich somit auch beim Menschen die von
Prof. Leber gemachte Erfahrung, dass die Intensität der
durch das Kupfer im Auge bewirkten aseptischen eitrigen
Entzündung von der Lage des Fremdkörpers abhängig ist
Ich gehe jetzt zur Beschreibung der übrigen durch
das Kupfer in den verschiedenen Theilen des menschlichen
Auges hervorgerufenen Veränderungen über.
Das Erste, worauf die Aufmerksamkeit gelenkt wird,
sind die Veränderungen des Glaskörpers und die Ablösung
der Netzhaut.
Unter der Einwirkung der chemischen Verbindungen
des Kupfers gehen augenscheinlich die Veränderungen des
Glaskörpers schnell vor sich. Der Glaskörper wird von ei-
weisshaltiger Flüssigkeit durchtränkt, von reichlichen Fibrin-
netzen durchsetzt und zeigt deutlichere Fibrillen. Letztere
treten zuerst neben der Pars eil. ret, so wie im hintern
Theile des Glaskörpers hervor. An diesen Stellen ist auch
die eitrige Infiltration stärker ausgesprochen. Zufolge der
Schrumpfung des fibrillär verdichteten Glaskörpers und seiner
Zusammenziehung nach vom wird eiweisshaltige Flüssigkeit
aus ihm ausgepresst, welche den hinteren Theil seines Räume»
einnimmt
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 267
In den Fällen 2, 3, 5, 9, schrampfte der Glaskörper
langsam und zog sieb in gleichem Masse nach vorn zu-
sammen, was theils von der Lage des Fremdkörpers, tbeils
vermuthlich auch davon herrührte, dass der Glaskörper in
diesen Fällen mit der Papille fester als normal zusammen-
hing, was daraus zu entnehmen ist, dass in der centralen
Grube und neben derselben der Membrana hyaloidea etwas
fibrilläres Glaskörpergewebe aufgelagert war.
Wie es scheint, befördert auch das Vorkommen grösserer
Blutergüsse im Glaskörper die Schrumpfung des letzteren,
wie in anderen Fällen klinisch von Prof. Leber und Dr.
Nordenson^) nachgewiesen wurde.
Wenn die Schrumpfung und Zusammenziehung des
Glaskörpers von vom noch nicht bis zum Aequator bulbi
gelangt ist, dann ist am vorderen Theile der Netzhaut ent-
weder keine oder nur Andeutung von Faltenbildung zu
bemerken, eben so wenig ein spontaner Riss, oder eine Ab-
lösung der Netzhaut. Dies hängt davon ab, dass der ge-
schrumpfte Glaskörper noch keine Einwirkung auf den
vorderen Theil der Netzhaut ausüben kann, worauf auch
schon Nordenson hingewiesen hat (Loc. cit. S. 239 u. f.).
Sobald aber der Process der Schrumpfung nach vorn
weiter geschritten ist, so wird in allen solchen Fällen eine
totale Ablösung der Netzhaut beobachtet, und der Subretinal-
raum ist stets von einer Eiweissmasse eingenommen, welche
mit der in dem Glaskörperraume befindlichen identisch ist.
Wenn die Retina durch den Fremdkörper eine Perforation
erlitten hat, so trägt diese natürlich dazu bei, die Ent-
stehung der Ablösung zu befördern, da sie ein freies Hinüber-
treten der im Glaskörperraum enthaltenen Flüssigkeit in
den Subretinalraum ermöglicht.
In zwei Fällen (7 u. 12) fanden sich Zerreissungen
der Retina, welche nicht durch die directe Wirkung des
*) Dr. Nordenson, Die Netzhautablösang. Untersuchungen
über deren patholog. Anat. u. Pathogenese. Wiesbaden 1887. S. 232.
268 Kostenitsch.
Fremdkörpers entstanden sein konnten, weil im ersten Falle
der Fremdkörper durch den Limbus corneae ins Auge ge-
drungen und hinter der Linse, gleich nach hinten von der
Ora serrata, in der nasalen Seite des Glaskörpers, in be-
trächtlicher Entfernung von der zerrissenen Partie der Re-
tina liegen geblieben war, während er im zweiten Falle
fast auf demselben Wege ins Auge drang und hinter der
Mitte der Linse im Glaskörper liegen blieb. Da zudem
die Richtung, in welcher der Fremdkörper in das Auge
eindrang, gar nicht nach der Zerreissungsstelle der Retina
hinzielte, so ist auch die Möglichkeit auszuschliessen , dass
derselbe Anfangs bis zur Retina gelangt sei und sich später
soweit nach vorn verschoben habe.
In beiden Fällen ist der Glaskörper stark geschrumpft
und nimmt den vordersten Theil seines Raumes ein; die
Retina ist in ihrer ganzen Ausdehnung von der Chorioidea
abgelöst und zeigt in ihrem vorderen Theil keinen Riss,
welcher durch den Fremdkörper hätte hervorgerufen sein
können. Im 7. Falle sieht man im hinteren Augenabschnitte
in der Retina zwei Risse, den einen nach aussen von der
Papille, fast durch die optische Achse des Auges gehend,
den andern nach innen und etwas nach unten, in einiger
Entfernung von der Papille; im 12. Falle findet sich nur
ein Riss, auf der lateralen Seite, in einiger Entfernung von
der Papille. Die Ränder der zerrissenen Retina sind in
beiden Fällen nach innen umgeklappt und durch neuge-
bildetes Gewebe fixirt, welches im 12. Falle, mit neuge-
bildetem, hinter der Linse eingelagertem Bindegewebe ver-
wachsen ist. Zufolge der Schrumpfung dieses Gewebes sind
die Rissränder stark nach vorn gezogen; unzweifelhaft hat
sich dabei die Ablösung der Retina vergrössert Im Subre-
tinal- und Glaskörperraum findet sich Eiweissmasse (Fig. 12).
Da nach dem Gesagten eine directe Verletzung der
Retina in diesen Fällen nicht annehmbar ist, so muss es
sich um spontane Netzhautrisse handeln, deren Entstehung
Pathologiscli-aiuitomiBche Untennchangen etc. 269
auf die Schrumpfung des Glaskörpersgewebes zurückzuführen
ist, wobei die durch den Riss aus dem Glaskörperraum
austretende eiweisshaltige Flüssigkeit die Ablösung der Netz-
haut verursacht.
Die spontanen Netzbautrisse spielen, wie Prof. Leber
gezeigt hat/ bei der Entstehung der Netzhautablösung des
Menschen eine wichtige Rolle und ihr Vorkommen ist von
ihm auch bei der experimentell erzeugten Netzhautablösung,
nach Einführung von Fremdkörpern in das Corpus yitreum
von Thieren, erwiesen worden (S. 229). Wie stark der
geschrumpfte und nach vorn zusammengezogene Glaskörper
auf den vorderen Theil der Netzhaut, die Pars eil. und
den Giliarkörper einwirkt, zeigt der Fall 12, so wie auch
die Fälle 6 und 8; bei letzterem ist die Pars eil. ret. sammt
einem Theil des Stratum pigmenti stellenweise von ihrer
Unterlage abgehoben und ins Innere des Auges hinein-
gezogen. Die Ablösung der Pars eil. ret. habe ich auch
noch in zwei weiteren Fällen von Zündhütchenverletzung
des Auges (Leopold und Kessler) beobachtet, bei welchen
die Extraction des Fremdkörpers versucht, aber misslungen
war und welche deshalb an anderer Stelle Verwerthung
finden sollen. Ich habe dieses Verhalten bei der Beschrei-
bung des Falles 8 nicht erwähnt, da ich anfangs glaubte,
dass die Loslösung der Pars eil. der Einwirkung der Rea-
gentien zuzuschreiben sei. Der gleiche Befund in anderen
Fällen und die ähnlichen Erfahrungen Nor denson's^) zeigen
aber, dass die Ablösung der Pars eil. ret. und ihre Hinein-
ziehung ins Innere des Auges nicht als Wirkung der Prae-
paration aufzufassen ist. Auch auf Bindegewebsschrumpfung
kann sie nicht allein bezogen werden, da Bindegewebsneu-
bildung im Glaskörper des Falles Leopold vollständig fehlte;
sie muss vielmehr hier von der Schrumpfung des mit der
Pars eil. ret. in Verbindung stehenden Glaskörpers herrühren.
1) Nordenson, S. 243.
270 Eostenitech.
Auch bei den von Prof. Leber mitgetheilten Versuchen an
Tbieren konnte die Zusammenziehung des Fibrins und des
neugebildeten Bindegewebes nicht als einzige Ursache für
die Schrumpfung des Glaskörpers gelten, vielmehr schien
dabei auch noch eine chemische Veränderung des Glaskörper-
gewebes mitzuwirken. Die Zusammenziehung des Fibrins und
des Bindegewebes kann aber die schon vorher vorhandene
Glaskörperschrumpfung unterstützen, und die Entstehung
der Netzhautablösung begünstigen^).
Nach den Versuchen Prof. Leber's an Thieren ist
auch ausgeschlossen, dass die Netzhautablösung nur von der
Zugwirkung des schweren Fremdkörpers auf die Netzhaut
herzuleiten ist^); die Untersuchungsergebnisse des 4. Falles
bestätigen dies für das menschliche Auge; in diesem Falle
lag der 3 mm lange, P/^ mm breite Zündhütchensplitter
16. Tage im Glaskörper in der unteren Hälfte des Auges,
ohne dass es in der oberen Augenhälfte zur Entstehung
von Schrumpfung des Glaskörpers und von Netzhautablösung
kam, während diese Veränderungen in der unteren Hälfte,
in der Umgebung des Fremdkörpers auftraten, wo von der
Wirkung der Schwere keine Rede sein kann.
Aus dem Bisherigen ist ersichtlich, dass in durch Zünd-
hütchen verletzten menschlichen Augen, sowie auch in den
von Prof. Leber angestellten Thierversuchen, die Ablatio
retinae durch die Veränderung des normalen Baues und
und durch starke Schrumpfung des Glaskörpers hervorge-
rufen ist.
Was die pathologischen Veränderungen der Netzhaut
in den von mir untersuchten menschlichen Augen anlangt,
so stimmen sie vollständig mit denen von Prof. Leber be-
schriebenen überein. Auch die Netzhaut des menschlichen
Auges ist unter der Einwirkung der chemischen Verbin-
^) Th. Leber, Die Entstehung der Entzündung etc. S. 235.
«) Loc. cit. S. 230.
Pathologisch -anatomische Untersuchuogen etc. 271
düngen des Kupfers, atrophischer Degeneration und ausge-
dehnter oder partieller Nekrose unterworfen.
In der unmittelbaren Umgebung eines auf oder in der
Nähe der Retina gelegenen Fremdkörpers zeigte die Netz-
haut mehr oder minder ausgesprochene atrophische Dege-
neration, die sich bald auf alle Schichten, bald nur auf den
inneren Theil derselben erstreckte. Dabei konnten die noch
erhaltenen Kömer der Körnerschichten theilweise ziemlich
gut, theilweise schwach gefärbt sein. In zwei Fällen (9
u. 12) hatte bei langer Dauer des Processes die atrophische
Degeneration sich über die ganze Retina erstreckt; dabei
wurde im letzteren dieser Fälle neben der Papille keine
Hypertrophie des Stützgewebes der Netzhaut bemerkt. In
diesem Stadium findet sich in der Nähe des Fremdkörpers,
im Bereich der erwähnten localen atrophischen Degeneration
der Netzhaut, ^ine ausgesprochene Wucherung des Stütz-
gewebes der Retina.
Mehr oder minder ausgedehnte Nekrose der Retinal-
elemente mit mangelnder Kernfärbung wurde schon in
früheren Stadien beobachtet; sie erstreckte sich über alle
Schichten der Netzhaut oder nur einen Theil derselben;
nur in einem der Fälle (3) hatte sie alle Elemente fast in
der gesammten Ausdehnung der Retina ergriffen. In späteren
Stadien breitete sich die erwähnte Nekrose über die ganze
Netzhaut aus und war in der Nervenzellenschicht stärker
ausgesprochen, aber zuweilen auch in allen Schichten vor-
handen. Eine Ausnahme von der Regel macht der von
Prof. Leber untersuchte Fall 11, in welchem die Degene-
ration der Retina bloss in der Nähe des Fremdkörpers
stattfand, während diese Membran im Uebrigen sich ziem-
lich gut erhalten hatte, was von den geringen Dimensionen
des Fremdkörpers abhängt, wie nachfolgend eingehender
besprochen werden soll.
Das Stützgewebe der Retina ist fast in allen Fällen
in der Umgebung der Papille mehr oder minder hypertro-
272 KoBtenitsch.
phirt; in den späteren Stadien ist es in der ganzen Aus-
dehnung der Netzbaut oder nur auf beschränkten Stellen
hypertrophirt. Manchmal ist das Stützgewebe der Netzhaut
im hinteren Augenabschnitte in der Zwischenkömerschicht
und der äusseren Körnerschicht unregelmässig gewuchert,
wodurch die äussere Fläche der letzteren und der Stäbchen-
schicht ein wellenförmiges Aussehen erhält.
Bei längerer Dauer des Processes sieht man eine mehr
oder weniger bedeutende Wucherung des Retinaepithels, der
Pars eil. und in einem Falle (7) an manchen Stellen eine
Wucherung der Radiärfasem der inneren Körnerschicht
und, wie es scheint, zugleich eine Vermehrung ihrer Kerne.
Das Stützgewebe des Nerv. opt. ist schon in früheren
Stadien stärker entwickelt als normal; in einigen Fällen
ist, sowohl bei kürzerer Dauer als auch bei längerem Be-
stehen des Entzündungsprocesses, die Papille geschwollen.
Fast in allen Fällen war im Sehnerven schwach oder stark
ausgesprochene Atrophie seiner Nervenfasern sichtbar; von
besonderem Interesse ist der Fall 10, wo die Atrophie des
Sehnerven in der der Lage des Fremdkörpers entsprechenden
Hälfte weit stärker ausgesprochen war als in der andern.
Bemerkenswerth ist noch die im 11. Falle nachgewiesene
roseukranzförmige Schwellung der Nervenfasern der Papille,
welche mit der von der Retinitis albuminurica bekannten
Veränderung übereinstimmt.
Das Epithel des Stratum pigmenti iridis zeigt in den
meisten Fällen eine Wucherung ähnlich der, welche von
Kamotzky*) und von Deutsch mann •) in den Augen diabe-
tischer Individuen beobachtet wurde.
Die Linse und ihre Kapsel erfahrt im menschlichen
Auge dieselben Veränderungen, wie die von Prof. Leber
^) Eamotzky, Patholog. - anat. Untersach. von Aagen diabe-
tischer Individuen. Arch. f. Augenheilk. 1887. S. 247.
') Deutschmann, Patholog. - anat. Untersuch, einiger Augen
Yon Diabetikern etc. v. Graefe*s Arch. XXXIII. 2. 1887.
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 273
bei den Thierversuchen beobachtet wurden. Die Linsen-
kapsol war in vielen Fällen durch den Fremdkörper ver-
letzt, in den späteren Stadien verdickt und ihre Zellen
vermehrt; in einem Falle fand sich sogar ein Epithelbelag
in ihrer ganzen Ausdehnung. Die eitrige Infiltration der
Linse beschränkte sich stets auf die Gegend der Kapsel-
verletzung und war in den meisten Fällen schwach aus-
gesprochen, nur in einem Falle war sie bedeutender, was
durch die Grösse der Kapsel Verletzung und durch eine
stark ausgesprochene eitrige Infiltration des Glaskörpers
bedingt war (5).. Die hier erwähnten Unterschiede
in der Intensität der pathologischen Veränderungen der
von mir untersuchten Augen hängen wahrscheinlich sowohl
von der Lage und der Grösse des Fremdkörpers, als auch
von der Bildung von mehr oder weniger löslichen Ver-
bindungen des Kupfers ab.
Durch eine kürzlich veröffentlichte Arbeit von Prof.
Adamük*) ist die Frage angeregt worden, ob eine Wieder-
anlegung der Netzhaut und Wiederherstellung ihrer Funk-
tionen bei Anwesenheit eines Zündhütchensplittors im Auge
möglich ist? Adamük behauptet, dass im Allgemeinen
die Ablösung der Netzhaut und insbesondere die trauma-
tische, gar nicht selten und sehr leicht wieder zurückgehe,
was z. B. nach Extraction der Cataract beobachtet werden
könne.
Unter den drei von dem Autor angefühlten Fällen,
in welchen die abgelöste Netzhaut wieder ihre normale
Lage erhielt, ist einer, in welchem die Ablösung durch
einen Zündhütchensplitter verursacht war. Es handelte sich
um den ungewöhnlichen Fall einer doppelseitigen Netzhaut-
ablösung, die an beiden Augen durch in sie eingedrungene
und dort liegen gebliebene Zündhütchensplitter entstanden
war. Am rechten Auge war die Ablösung partiell und
1) AdamQk, Zur Frage der NetzhautabMsnng. Ophth. Bote.
Juli-October 1890. Kiew.
T. Gnefe'a Arcblr für Ophthalmologie. XXX VII. 4. IH
274 EoBtenitsch.
ging bald wieder zurück, ungeachtet der Anwesenheit des
Splitters im Auge, wie sich aus mehrfachen im Laufe von
10 Jahren an dem Patienten angestellten Beobachtungen
ergab. Die Sehschärfe hatte sich an diesem Auge auf ^%q
erhalten. Am linken Auge blieb die Ablösung der Netz-
haut bestehen und es kam später zur Entstehung Ton
Cataracta).
In allen von mir selbst untersuchten Fällen beobachtete
ich eine partielle oder totale Ablösung der Netzhaut; letztere
fand sich, unabhängig von der Lage des Fremdkörpers, in
allen Fällen, in welchen der Splitter sich längere Zeit im
Auge befunden hatte; so lag z. B. im Falle 12 der Fremd-
körper hinter der Linse, während er in anderen FäUen
neben dem Giliarkörper, in der Sclera oder in der Retina
lag; in allen diesen Fällen fand sich eine totale Ablösung
der Netzhaut.
Wie aus der beigegebenen Tabelle ersichtlich, habe
ich es allerdings fast immer mit Zündhütchensplittern von
beträchtlicher Grösse zu thun gehabt. Bei geringer Grösse
des Fremdkörpers kann es sich anders verhalten. So lag
in einem von Prof. Leber untersuchten Falle (11) das
'/^ mm lange und Vs ^^ breite Zündhütchenstück über
ein Jahr lang im Giliarkörper und dennoch beschränkte
sich die eitrige Entzündung auf diese Gegend und es fand
sich keine Netzhautablösung; in einem andern von mir
untersuchten Falle (9) lag das P/s mm lange und '/, mm
breite Kupferstück 10 Wochen lang im Glaskörper neben
der Betina und trotzdem war die Ablösung der Netzhaut
nur eine partielle. Man kann daher voraussetzen, dass
in dem von Prof. Adamük beschriebenen Falle der ins
rechte Auge gedrungene Splitter sehr^klein war, und dass
beim Eindringen desselben ins Auge eine Verletzung der
*) Nach dem Referat von Logetschnikow. Medicin. Rund-
schau Ko. 12. 1891. Moskau.
Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 275
Netzhaut unter gleichzeitigem Auftreten eiuer Blutung
entstand (wie das öfters vorkommt), welche eine par-
tielle Ablösung der Netzhaut zur Folge hatte. Es ist
möglich, dass nach Resorption der Blutung, die Netzhaut-
ablösung verschwand, und der Fremdkörper bei seinen ge-
ringen Dimensionen nur eine locale eitrige Entzündung
bewirkte, welche aus den angegebenen Gründen später
zurückging; wenn aber Prof. Adamük den Fremdkörper im
Auge seines Patienten nicht gesehen hat, so ist es mir
wahrscheinlicher, dass in diesem Falle der Ziindhütcheu-
splitter die Augenwand nochmals durchbohrt und das
Auge wieder verlassen hatte. Ich habe Gelegenheit gehabt,
das Schwinden der unter solchen Verhältnissen entstan-
denen partiellen Ablösung der Netzhaut in einem Falle
mikroskopisch zu beobachten, wo der Zündhütchensplitter
durch die Cornea ins Auge gedrungen war und nach Ver-
letzung der Linse durch die Sclera im hinteren Augenab-
schnitt hindurchgegangen war. Dieser Fall ist in der vor-
liegenden Arbeit nicht zur Aufnahme gelaugt, da ich den-
selben wegen der Complication mit Secundärglaucom einer
besonderen Bearbeitung vorbehalten möchte.
Wenn aber ein Zündhütchensplitter von bedeutenderer
Grösse ins Auge gelangt und darin bleibt, so muss früher
oder später eine Schrumpfung des Glaskörpers und Zu-
sammenziehung desselben nach vorn erfolgen, welche eine
Ablösung der Netzhaut zur Folge haben wird; dass die
Netzhaut sich in solchen Fällen wieder anlegt, ist nicht
zu erwarten. Ebenso wenig lässt sich daran denken, dass
bei anhaltendem Liegen des Kupfersplitters im Auge die
Netzhautfunktionen wieder hergestellt werden können, denn
die unvermeidliche Folge dieses langen Verbleibens des
Splitters im Auge ist atrophische Degeneration und mehr
oder minder ausgedehnte Nekrose der Retina.
Die durch meine Untersuchungen gewonnene Erfah-
rung, dass in durch Zündhütchensplitter verletzten mensch-
18*
276 Kosteoitsch.
liehen Augen Mikroorganismen in der weit überwiegenden
Mehrzahl der Fälle fehlen, gibt das Recht, in solchen
Fällen die conservative Behandlung des Auges zu ver-
suchen, wie schon Prof. Leber mit Erfolg gethan hat. Die
schweren Veränderungen der Netzhaut welche ich als
Wirkung des Kupfers nachweisen konnte, deuten darauf
hin, dass die möglichst baldige Entfernung des Fremdkör-
pers geboten ist. Prof. Leb er ^), welcher schon lange die
conservative Methode in geeigneten Fällen zur Anwendung
bringt, hat in 5 Fällen durch Extraction des Fremdkörpers,
trotz Vorhandensein von localer eitriger Entzündung, das
Auge zu erhalten vermocht; in 2 Fällen ist es ihm sogar
gelungen, massige und in einem Falle sehr befriedigende
Sehschärfe zu erhalten. Er hat auch darauf hingewiesen,
dass das den Fremdkörper umgebende eitrige Exsudat an
der Innenfläche des Ciliarkörpers ohne Schaden zurückge-
lassen werden kann, indem es sich allmählig in über-
raschender Weise resorbirt.
Ich habe noch hinzuzufügen, dass die Leukocyten an
der Resorption der gebildeten Entzüudungsproducte einen
bedeutenden Antheil nehmen, indem sie alles mögliche
todte organische Material, sogar zerfallene Linsenfaseni
aufnehmen, worauf in den Fällen 5 und 7 (Fig. 10 und 11)
hingewiesen worden ist. In einigen Fällen wurde das Vor-
kommen sehr grosser Zellen mit vielen Kernen beobachtet
(Fig. 8 und 9). In allen von mir untersuchten Fällen wurden
in den Lumina der Venen der Chorioidea und zuweilen in
denen der Iris und der Netzhaut, nur selten in den Arte-
rien und Capillaren, zahlreiche mehrkernige Leukocyten be-
obachtet, offenbar in Folge der chemischen Einwirkung des
Kupfers auf die Blutgefässe und deren Inhalt, die eine
Randstellung der weissen Blutkörperchen hervorrief.
*) Th. Leber, Loc. cit. S. 271.
Patbologisch-anatomiBche Untersuchungen etc. 277
Scblicssend ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn
Prof. Th. Leber für das Material, die darauf bezüglichen
Notizen, und für die mir in Rath und That erwiesene Unter-
stützung bei diesen Untersuchungen meinen innigsten Dank
auszusprechen.
Tafelerklärung.
Tafel V.
Fig. 1. Querschnitt aus der unteren Äugcnhälfte des V. Falles.
R. A.
f Lage des Fremdkörpers,
r Riss der Retina.
g Glaskörper.
e £iweis8haltiges Exsudat.
d Fleck von Eiterzellen,
n Comealnarbe.
Fig. 2. Zelle aus der zerstörten Linse. Zeiss, F. IIL
E EiweisskQgelchen.
X; Fettkömchen.
Fig. 8. Querschnitt durch den Sehnerven des VI. Falles. L. A.
B Abgelöste Retina,
n Narbe.
d Eitriges Exsudat, in welchem der Fremdkörper lag.
ä! Eiterknötchen (oberer Theil).
r Riss der Retina und zugleich die Lage des Fremdkörp.
e Eiweissmasse.
ch Verdickte Stelle der Chorioidea.
Fig. 4. Querschnitt etwas nach nnten von dem Sehnerveneintritt
des VI. Falles.
g Stark eitrig infiltrirter Glaskörper (wie Flg. 3).
f Lage des vorderen Endes des Fremdkörpers,
d' Eiterknötchen (wie Fig. 3) mittlerer Theil in Verbin-
dung mit Retina.
l Verletzung der Linse.
(Fig. 3 und 4 mit Haematoxylin gefärbte Schnitte.)
278 EoBteniUch, Pathologisch-anatomisclie Untersuchungen etc.
Fig. 5. Querschnitt etwas nach unten von dem Sehnerveneintritt
des VII. Falles.
rr Zwei spontane Risse.
iV Narbe.
f Lage des Fremdkörpers.
Fig. G. £ine Partie der Retina zwischen den Rissen Fig. 5.
Zeiss, A A. III.
l Leukocyten.
k Kerne der Neuroglia.
m Membr. hyaloidea.
Fig. 7. Retinaepithel neben der Papille.
Fig. 8. Grosse Zelle aus dem vorderen Theile des Subretiualraumes.
Ic Kerne.
p Pigmeritkörner.
z Pigmententhaltende Zelle.
Fig. 9. Grosse Zelle aus dem vordersten Theil des Glaskörpers.
k Kerne.
p Haematogenes Pigment.
Fig. 10. Zelle mit Detritus der rothen Blutkörperchen aus dem
Glaskörper.
d Detritus.
Fig. 11. 3 Zellen aus dem den Fremdkörper umgebenden Exsudat.
a Fortsatz.
h Zerfallene Linsenfasern,
c Protoplasma.
(Fig. 7, 8, 9, 10, 11 vom VII. Falle. Zeiss, F. III.)
Fig. 12. Querschnitt des Auges vom XII. Falle,
r Spontaner Riss der Retina.
f Lage des Fremdkörpers.
cc Neugebildetes Bindegewebe.
Druck Ton Pöschel A Tropte in Ldpxlg.
/'. (rrm'/rsArr/iü' Bd.XLWTl 1.
Tiq.3.
\ '
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Fuf. 'r
vGnw/e 's Arvhäi Bd.XXXTllA.
Fiif. 1.
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Fig 2.
Fuf. 3.
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Fig 2.
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Taf: IV.
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