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Full text of "Alemannia: Zeitschrift für Sprache, Litteratur und Volkskunde des Elsasses und Oberrheins"

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üolkskiiiidc. Kimsl inid Sprache 

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zu 5reibiira i- B. 

Reraiisgegebcii von TridriCh PTaTT 

neue Tolge 

t. Band 

(Der ganze» Reihe 35. Band) 

mil 28 Abbildungen 




Trtiburs im Brcis^jni 

Üerlag von Sr. Ernsi Jehsenfeld 
M07 



14,*UH<^) 



Für den Inhalt ihrtM- Aufsätze sind die Verfasser verantwortlicli. 

Abdruck aus dieser Zeitschrift ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung der 

SchriftleitunK und der Verfasser gestattet. 



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C. A. Wagners Ifof- und Univorsltalsbm'Jidru<kerei, Freiburg i. Br. 



Inlialt. 

Soite 

Professor Dr. Eugen Fischer, Freiburg i. B. : Die LöhbUcke bei 
Ihringen am Kaiserstuhl. Grabhügel aus der Hallstatt- 
zeit. Fundbericht (I). (Mit 20 Abbildungen und 1 Tafel) 1— 42 

Archivrat Professor Dr. Peter P. Albert, Freiburg i. B.: Die 
älteste deutsche Urkunde der Stadt Freiburg im Breis- 
gau. (Mit einer Nachbildung der Urschrift) .... 43 — 56 

Professor Dr. Fridrich Pfaff, Freiburg i. B.: Der Wissmeister 

Brugger. (Mit einem Bild) 57— 87 

Dr. phil. Oskar HafTner, Freiburg i. B.: Alemannische Orts- 
neckereien aus Baden 88—104 

Professor Dr. Fridrich PfafT, Freiburg i. B.: Volkslieder und 

Schwanke aus Lobenfeld 105—125 

Pfarrer a. D. H. F. Feilberg, Askov in Dänemark: Katzen- 
Striegel. Mit Nachtrag von Prof. Fridrich Pfaff. 
(Mit Abbildung) 126—128 

Professor Dr. Julius Miedel, Memmingen: Die Neuauflage von 

Kriegers Topogr. Wörterbuch des Grossh. Baden. 11 . 120—152 

Professor Dr. Fridrich PfafT, Freiburg i. B.: Der Name Sneweli 153—155 

Professor Dr. Fridrich Pfaff, Freiburg i. B.: Die Dreisam . 161—185 

Lehramtapraktikant Dr. Johannes Beinert, Karlsruhe: Johann 

Michael Moscherosch und sein Geburtsort Willstätt . . 186—200 

Professor Dr. Bernhard Kahle, Heidelberg: Zu Otto Böckeis 

„Psychologie der Volksdichtung'' 201—212 

Oberlehrer K. Wehrhan, Frankfurt a. M. : Noch einmal: „Lippe- 
Detmold, du wunderschöne Stadt'' 213—215 

Kustos und Privatdozent Dr. Alfred Götze, Freiburg i. B.: 

Lücken Im niederaiemannischen Wortschatz .... 216—235 

Oberschulrat Professor Dr. Albert Waag, Karlsruhe: Einiges 

über die Karlsruher Mundart 236—244 

Professor Dr. Fridrich Pfaff, Freiburg i. B.: Zum ländlichen 
Hausbau. Mit 2 Bildern. 

1. Scheffel über Hotzentracht und Hotzenhaus . . . 245 — 251 

2. Das feuerfeste Strohdach 251—254 

Pfarrvikar Wilhelm Schuster, Säckingen: Zur kirchlichen Ge- 
schichte im Quellgebiet der Donau. (Mit 2 Abbildungen) 257- 268 

Pfarrer Julius Schmidt, Kirchen: Das Kirchen der Karolinger 260 2^6 



IV Inhalt 

S.'ite 

rrofedsor Dr. Hermann Mayer, Freibiirg i. H.: Erasmus in 

seinen Beziehungen zur Universität Freiburg .... 2>^7- 802 

Oberlehrer Theobald Walter, Riifach: Hausinschriften im oberen 

Sundgau ;5ö8— 310 

Anzeigen und Nachrichten. 

Professor Dr. K. KOnstle: Die Kunst des Klosters Reichenau 
im IX. und X. Jahrhundert. Besprochen von Archivrat 
Prof. Dr. l\ P. Albert, Freiburg i. B l.V')— 1.-.8 

Denkwürdigkeiten des Markgrafen Wilhelm von Baden, bearbeitet 
von Geh. Archivrat Dr. K. Obser. 1. Besprochen von 
Professor Dr. A. Wahl, Freiburg i. B 158-159 

Professor Dr. J. Miedel: Führer durch Memmingen. Bebprocheu 

von t Dr. K. Uibeleisen, 8t. Gallen 160 

Professor Dr. B. Kahle, Heidelberg: Bitte (betr. Ortsneckereien) 160 

M. Förderreuther. Die Allgäuer Alpen, Land und Leute. Be- 
sprochen von Professor Dr. Julius Miedel, Memmingen 254 — 255 

Professor Dr. Fridrich PfafT, Freiburg i. B.: Nachtrag zur 

Erklärung VII, 310 256 

Dr. E. Baumgartner: Geschichte und Recht des Archidiakonates 

der oberrheinischen BistUmer : . 811—812 

Archivar Dr. E. Waldner: VeröfTentlichungen aus dem Stadtarchiv 
zu Kolmar. I. Besprochen von Professor Dr. P. Albert, 
Archivrat, Freiburg i. B. 313—814 

Dr. 0. K. Roller: Die Einwohnerschaft der Stadt Durlach im 18. 

Jahrhundert. Besprochen von Dr. H. Flamm, Freiburg i.B. 814—820 

Druckfehlerberichtigung 320 



IDie Löhbücke bei Ihringen am Eaiserstubl, 

Grabhügel aus der Hallstattzeit. 

Fiuidbericht (I) von Dr. Eagen Fischen 
(Mit 20 Abbildungen und 1 Tafel.) 

Unter dem Namen „Löhblicke" kennt das Volk am Süd- 
ende des Kaiserstuhls bei Ihringen eine Anzahl in der Ebene 
einzeln zerstreut liegende kleine Hügel. Schon H. Schreiber 
hat (1839) einige davon eröffnet, zum Teil völlig, zum Teil 
nur durchstochen und ihnen Waffen, Bronzeschmuck und Kera- 
mik entnommen, die der Hallstattkultur angehören (Stadt. Samm- 
lung Freiburg). Dann ha£ in den achtziger Jahren der GrolUi. 
Landeskonservator, Herr Geheimrat Wagner, einige Hügel weiter 
südlich, bei Gündlingen und dann einen von jenen eröffnet und 
schöne Hallstattkeramik und -bronze der Karlsruher Altertums- 
satomlung einverleiben können; sie sind in Wagners Werk 
„Hügelgröber und ürnenfriedhöfe*' ^ abgebildet und beschrieben. 
Dadurch angeregt, fiisste ich den Plan, auch für Freiburg eine 
Anzahl solcher Hügel auszubeuten. Da habe ich denn vor allem 
Herrn Geheimrat Wagner in Karlsruhe aufs herzlichste zu 

* Aus der Literatur sollen nur unmittelbar benachbarte Funde heran- 
gezogen werden, als Fundbericht beschränken sich folgende Zeilen auf 
eine kurze Wiedergabe des Tatsächlichen. Von andern Arbeiten sind 
insbesondere benutzt: Forrer R. und Müller (j. A., Die Hügelgräber 
von Oberrinisingen, Forrers „Beiträge zur prähistorischen Archäologie', 
Straliburg lHy3: Heierli J.. Urgeschichte der Schweiz, Zürich llM)!; 
Hoernes M.. Die Hallstsittperiode, Arch. f. Anthropol. N. F. Bd. III, 1904; 
Nauo A. W., Die Denkmäler der vorrömischen Metallzeit im Klsass, 
Straßburg 1905; Schreiber H.» Taschenbuch für (leschichte und Alter- 
tümer in .Süddeutscbland I 1839; Schumacher K., Vorgeschichtliches 
vom Tuniberg und von dessen Umgebung, „Schauinsland" Jhrg. XXVI l, 
190ü; Wagner K, Hügelgräber und Urnenfriedhöfe in Baden mit beson- 
derer Berücksichtigung ihrer Tongefäße, Karlsruhe l^b"); Wagner E., 
Die Grabhügelgruppe bei Salem (A. Überlingen), Veröffentlichungen der 
Großh. Bad. Sammlung f. Altertum und Völkerkunde in Karlsruhe und des 
Karlsruher Altertunisvereins, Heft II (lt>99) S. 55—74. 

AlemaimiÄ N. F. », 1,2. \ 



2 Fischer 

danken — und möchte das auch bei dieser Gelegenheit hier 
wiederholt tun — für das große Entgegenkommen, das er mir 
hierbei erwies; er hat mir in liebenswürdigster Weise seinen 
Lageplan zur Verfügung gestellt, aus dem ich die schon als 
ausgebeutet bezeichneten Hügel ersehen konnte, hat mir eine 
Reihe von Ratschlägen und Winken gegeben, dann aber vor 
allem seinen langjährigen Aufseher und Präparator Herrn 
Eckert auf Staatskosten zur Verfügung gestellt, der mir bei 
allen Grabungen half und dessen außergewöhnlich geschickte 
Hand die zerbrochenen Gefäße meisterhaft zusammensetzte und 
ergänzte; auch ihm bin ich aufrichtig dankbar. 

Im Laufe des Winters 1905/6 und Sommer 1906 habe ich 
fünf Hügel, darunter sehr große, planmäßig und vollständig 
ausgegraben. Für die finanzielle Ermoglichung dieses Unter- 
nehmens habe ich zunächst der „Gesellschaft für Beförderung 
der Geschichts-, Altertums- und Volkskunde von Freiburg usw.** 
zu danken, die mir in freigebigem Entgegenkommen die Mittel 
für die ersten Grabungen gewährte; es ist mir Bedürfnis, auch 
hier ihrem verehrten Vorstande meinen verbindlichsten Dank 
auszusprechen. 

Dann hat für die weiteren Grabungen der verehrliche Stadt- 
rat zu Freiburg reichliche Geldmittel bewilligt, so dass die Ar- 
beit auch weiterhin fortgesetzt werden kann; auch hierfür sei 
dem verehrten Herrn Oberbürgermeister und Stadtrat ergebenster 
Dank gesagt. — Die Funde kommen insgesamt in die städtische 
Altertümersammlung (die dürftigen Skelettreste in die anthropo- 
logische Sammlung [Anatom. Institut]). 

Die Ergebnisse der Untersuchung der fünf Hügel sollen 
nun in folgenden Zeilen kurz berichtet werden, sie mögen 
lediglich als einfacher Fundbericht genommen werden, eine zu- 
sammenfassende Veröffentlichung behalte ich mir vor, dann auch 
erst auf die Literatur näher eingehend. 

1. 

Hügel K flacher, grasbewachsener Hügel, etwa 1 m hoch, 
rund 19 m breit (Basisdurchmesser) — ursprünglich viel kleiner 
und höher, jetzt stark abgepflügt*. Der Hügel wird in einem 

' Ein Lagoplan der Hügel wird einem der folgenden Berichte bei- 
gegeben werden, die Fundnaiumern aller Gegenstände füge ich je in 
Klammem bei. 



Bio Lohbücke bei Ihringen am Kaiserstnhl 3 

Kreise, 4 m (Halbmesser) um den Mittelpunkt abgetragen. Bei 
1,60 m Tiefe (von der höchsten Erhebung aus) kommt der ge- 
wachsene Boden, nasser Lehm in dünner (rund 15 cm) Schicht, 
darunter Rheinkies. 




Abbild iiDg 1 



Leider ergibt die Ausgrabung, dass die Mitte, oder besser 
die Gegend südlich und östlich der Mitte, schon einmal auf- 
gegraben und die Bestattungen zerstört und ausgenommen 
sind. So fanden sich (s. Grundriss Abbildung 1) 2,2 m süd- 
östlich vom Mittelpunkt C bei 85 cm Tiefe zwei Schädel ((j), da- 
neben zwei Oberarme, Stücke von andern Röhrenknochen und 
ein Halswirbel, aber alle Knochen durcheinander geworfen. Von 

1* 



den Schädeln gehörte einer einem Kinde, der andere einem zart- 
gebauten, jugendlichen Individuum an (Frau?) — die ursprüng- 
liche Lage ist sicher gestört. Etwa 1 m sudlich von diesen 
Skelettresten lag ein TongefBIl (b), das dem ersten Entdecker 
entgangen war und wol zu dieser Bestattung gehörte. Es ist 
ein 18 cm hohes, 23,5 cm weites bauchig-birnförmigea Gefäh 
(Kh) aus rotem Ton mit niederem, nicht scharf abgesetztem 
Rande. (Form uhnlicli 29 auf der Tafel I.) Unter dem Rand- 
ansatz ziehen rings herum drei in den Ton eingeritzte Doppel- 
linien, die Paare je VI — 13 mm auseinander, die beiden je eines 
Paars mit 3 mm Ab- 
stand. Sie sind nicht 
sehr rege Im üb ig gezo- 
gen — anderer Schmuck 
fehlt. Dabei (darin?) 
hg eiu rundes, kleines 
Seh Jüchen aus schwar- 
zem Ton, es ist nur 
in Stücken vorhanden. 
(Form gleich M'ie das 
kleine SchSlcben in Ab- 
bildung 3, S. 36.) — In 
gleicher Tiefe lagen 
weiter westlich ebenfalls 
wieder durcheinander 
geworfene Rest« von 
einem menschlichen 
Schädel und Röhrenknochen (d) und nordlich davon zwei große 
Steine (im nahen Kaiserstuhl gebrochen) und verbrannte', kal- 
zinierte kno r he n Stückchen (Tierknochen'') dabei (c f). — Im 
Gegensatze /ii dieser 7ei Störung in der südUchen Hälfte des 
HUgels erwies sich die nirdliche als unberührt, allerdings auch 
als sehr ärmlich an Funden 

Etwa 10 cm nördlich \om Mittelpunkt stieli man bei einer 
Tiefe von 1 lü cm aut ein Skelett (h) \on dem der linke Ober- 
arm beide Obei und Unterschenkel in richtiger gegenseitiger 
Lage sich fanden Die andern Knochen fehlten, d. h. waren 
zu gelblichem Moder zergangen die Lage war aber die ur- 
sprüngliebe der Kopl wai nach Südwest gerichtet! Zu Füßen 
des Skeletts und 20 cm tieter im Boden stand eine rund^, 




Vbl lllllc 



/ ml ' 




kleines Tier {kleine Rasse?) gewesen sein, die Knochen sind 
sehr dünn. In der Erde, die die Schüssel ausfllllte, lieü sich 
nichts Besonderes nachweisen. 

Etwa 5Ü CID nördlich daneben stand (in genau gleicher 
Höhe) ein reich verziertes Prachtgefäll (K i Abbildung 3), ein- 
farbig aus graphitschwarzem Ton. Das GefUß ist 27,5 cm hoch 
und 39 i.-m weit, stark ausgebaucht, mit schmalem Boden und 
scharfer Kandeinziehung, wie die Abbildung deutlich zeigt. 



6 Fischer 

Die Form ist genau die gleiche, wie sie aus derselben und 
andern südwestdeutschen Gegenden schon mehrfach gefunden 
wurde; so weise ich vor allem auf Wagners (a. a. 0.) ver- 
schiedene- Abbildungen hin^ Auch die auf der obern Hälfte 
des Bauchs angebrachte Verzierung entspricht den bekannten 
Mustern. Oberhalb der stärksten Wölbung des Bauchs, mit ihr 
beginnend, zieht ein 12 cm breites Ornamentband um die Urne 
herum. Es ist in acht Felder geteilt. Vier davon, über Kreuz 
gestellt, aber sehr unsymmetrisch, sind nur je 4 — 5 cm breite 
glatte (wie alles, schwarze) von oben nach abwärts ziehende 
Streifen, die die andern vier Felder voneinander abgrenzen. 
Diese Felder tragen als Schmuck eingepresste Ornamentfiguren. 
Durch tiefe Rinnen ist jedes solche Feld in zwölf Vierecke ein- 
geteilt, während ein eingedrücktes grobes Schnurmuster die 
äußere Umgrenzung darstellt. Drei von den vier gro(ien Feldern 
sind etwa gleichgroß, das vierte ist größer, wodurch eben die 
Asymmetrie der oben genannten übers Kreuz gestellten glatten 
Streifen bedingt ist. 

Die Einteilung der Felder in je zwölf Vierecke ist nun so, 
dass auf den drei kleinern Feldern je vier Vierecke neben- 
einander in drei Reihen übereinander angeordnet sind, wie es 
die Abbildung zeigt, im großen Feld dagegen sind je sechs 
Vierecke in nur zwei Reihen übereinander gesetzt. Die Vier- 
ecke sind nun abwechselnd glatt und mit einer Anzahl von 
Kreisrosetten oder Zickzackbändern ausgeschmückt ; stets grenzt 
ein glattes Feld an ornamentierte, nie zwei gleiche aneinander. 
Die eingeritzten Grenzen sind nicht sehr regelmäßig, offenbar 
von freier Hand gezogen, ebenso wol auch die Zackenlinien; die 
Rosetten dagegen sind eiugepresst, und zwar einzeln, man er- 
kennt Unregelmäßigkeiten an den einzelnen Formen wieder. 
Meist sind vier Rosetten in einem Viereck, einmal sind es 
sieben. — Der Rand des Gefäßes ist schön und regelmäßig, 
leicht nach außen gebogen. In diesem Gefäß lag eine kleine 
Schale, aus demselben schwarzen Ton (Abbildung 3 daneben 
gestellt), halbrund, glatt, vom äußern Boden her findet sich eine 
Delle in den Boden eingedrückt, um bei der Rundung der 

' Es liegt, wie gesagt, nicht in meinem Plane, hier eine Vergleichung 
mit allen andern bekannten HalKstattfunden zu geben, su beschränke ich 
mich auch bezüglich der Zitatu auf da« Allernotig.ste — es soll nur ein 
kurzer Fundbericht sein. 



Die Löhbücke bei Ihringen am Kaiserstuhl 




3. "Tn 



Abbildung 4 



Unterseite noch bessern Stand zu verleihen. Diese Schale ist 
oben 17 mm weit, ihre Höhe ist 41 mm*. 

Die übrigen Teile 
dieses Hügels waren 
leer. 

2. 

Der kleine Hügel L 
enthielt zwei Bestat- 
tungen, die offenbar zu- 
sammengehörten. Der 
Hügel war sehr niedrig, 
rund 60 bis 70 cm hoch, 
jetzt infolge der Zerpflü- 
gung etwa 20 m breit. 

In einer Tiefe von 
50 cm lag eine Stein- 
setzung oder besser • — . — u 
Doppelsetzung (Abbil- ^ 

düng 4). Es sind zwei 
genau von Ost nach 

West gerichtete Gräber, durch vier flache, auf die Kante ge- 
stellte Steine voneinander getrennt; drei oder vier ebensolche 

* Eine gewisse Schwierigkeit macht die Benennung solcher großer 
Prachtgefäße ; Wagner a. a. 0. empfindet es als leicht irreführend, von 
«Urnen'' zu sprechen, weil wir dabei zuerst an Cüefäße zur Aschenbeisetzung 
denken — er bat ganz recht. „Gefäß** ist zu allgemein, nichtssagend, 
ein »Topf* ist nach der gewöhnlichen Vorstellung weder so groß, noch so 
geformt, noch so reich ornamentiert, auch alle unsere andern Namen für 
die verschiedenen Formen von Gefälkn passen nicht recht. Naue 
(a. a. 0.) nennt diese Form .Lekane**, eine andere „Chytren", ich kann 
die Notwendigkeit oder gar einen Nutzen der Einführung von Bezeich- 
nungen, deren Bedeutung jeder einzelne Leser erst lernen nuiss, nicht 
einsehen. — Da diese GefäiW mit größter Wahrscheinlichkeit zur Aufnahme 
von Getränken beim Festschmaus, Leichenschmaus oder für den Toten 
dienten, stets ganz besonders reich verziert sind, also prächtige Ge- 
fäße für den Festtrank darstellten, möchte ich als beste Bezeichnung 
für sie , Bowle* vorschlagen — unsere Bowlen für den Maitrank oder 
dergl., meist geschmückt, verziert, aus kostbarem Material usw., dabei 
geräumig und für festliche Gelegenheit oder den Gästen vorgesetzt, ent- 
sprechen doch sicher diesen prächtigen Gefäßen am besten. Leider ist das 
entsprechende mittelhochdeutsche Wort „bolle** nicht in imser Deutsch 
übergegangen und leider verdeutschen wir Bowle nicht zu etwa „Bole*. 
So sei im Folgenden das Wort .Bowle* gestattet. 



Fiaeher 



begrenzen je nördlich und südlich die beiden Gräber und im 
südlichen liegen auch noch fünf große Steine oben auf dem 
Skelert. Im nördlichen Grab lag die Leiche mit dem Haupt 
nach Westen, im südlichen umgekehrt! Jene hatte eine Lanze 
bei sich, diese nur Keramik. Sollte es Mann und Frau ge- 
wesen sein und wie erklärt sich die verschiedene LBgeriinp? 
Vom Skelett des nördlichen Grabs konnte man nur Schädel- 
trümmer und ein Stück Oberschenkel (b) ütiden, das andere 
war bis auf gelbe Spuren zergangen. Die Lanzenspitze (a) lag 
neben dem rechten Fuli mit der Spitze abwärts. 
Es ist eine typisch geformte Eisenlanze (Ab- 
bildung 5). Die Klinge ist h,'d cm breit, mit der 
TuUe ao,5 cm lang, die Tülle ä,-2 cm dick, noch 
Holzreste bergend. Vom andern Skelett war der 
Sihadel zwar zertrümmert, aber die Knochen 
noch in situ, Arm- und Beinknochen erhalten 
(das Hecken nicht) ^ Die Leiche wird etwa 
1,75 m lang gewesen sein. Hart unterhalb der 
Fiibe standen nebeneinander zwei Gefiiße. Das 
eine fj^ f) ist ein dunkelgraubniiines, riindlicli- 
hfluchiges Gtfiill ohne jedes Ornament, 2;*, 5 cm 
weit und 18'.'., hoch; der Hals, ohne scharfen 
\nsatz allmählich abgehend, steht fast senkrecht. 
Das andere (X y) ist ein kleines, schwarzrotes 
Schusselchen, von dem aber nur Scherbenstiicke 
\orhanden sind (das übrige ist in der Feuchtigkeit 
zergangen). Es war ein glattes, rundes Schlilcben 
mit leichter Delle im Boden, mag S — 10 cm weit 
gewesen sein. 




AbhiUIiint; ■'i 



Der Hügel (' erwies sich als bedeutend grülJer denn die 
vorigen und lieferte eine ganz außergewöhnlich reiche Ausbeute 
an Keramik. Der ,Buck' maß über 40 m im Durchmesser und 
2 m in der Höhe. Er wurde auf einen Umkreis von 7 m 
rings um die 3Iitte abgetragen. Auch hier stammt der ganze 

" I.cidcr wurden mir diu Knocht-u, die itli nhenil« fnnd und auf 
siiilcrn Tnga liuncn lii'H. geMtohlpii. su (InNn ich nicht don Versuch machen 
konute, «UM den Ku(n-h«n da» «.lesclileeht der Lcli-he 7.\\ Iicgtimnicii. 
(Wiihracheinlieh wiire w Übrigens nicht roHglich gewesen.) 



Die LohbUcke bei IhringeD am EaiserHtuhl 9 

periphere Teil herabgepflUgter Slasae von der Kuppe des Hügels. 
Durch diese ZerpflUgung fehlt die ehemalige Spitze des Hügels, 
dort befindliche Bestattungen sind zerstört. Dass solche da 
waren, lehrt ein Fund, der beim Pflügen gemacht wurde, ein 
kleiner Bronzering, jetzt in der Karlsruher Sammlung (No.C'5205), 
laut liebenswürdiger Mitteilung des Herrn Oeheimrats Wagner. 




Zu solchen zerstörten Nachbestattungen mag eine Eisen- 
spange, bzw. ein gebogenes Eisenstübchen gebijrt haben, das 
schon 40 cm unter der Oberfläche gefunden wurde. Es ist 
9 cm lang, drehnind, 3 — t mm stark, man kann es natürlich 
nicht deuten. Schon nach einigen Spatenstichen stieß man 
nördlich vom Mittelpunkte C überall auf große Steine und die 
weitere Grabung brachte eine mächtige Steinsetzung zu Tage. 
Als sie völlig freigelegt war, zeigte sie sich als längliches Vier- 
eck von 6 auf 4 m und etwa 1 in hoch; die grUßere Achse 
ging genau von Nordwest nach Südost. Der Grundriss (Ab- 



10 Fisiher 

bildung 6) zeigte, dass mächtige Wälle aus Stein einen Raum 
einschlössen, auf einer Längsseite war eine Art Eingang, von 
dem aus eine Reihe kleinerer Steine den Innen räum teilte. 
Dieser Bau war aus groben, unbehauenen Steinen roh auf- 
einand ergeschichtet, die Steine, bis ^u 40 cm im Durchmesser 
messend, sind vom nahen Kaiserstulil beigeliolt, wie sie dort 
vorkommen. Der ganze Innenraum war mit Krde ausgefüllt, 
nach deren Entfernung das Ganze erst den Eindruck eines rohen 
Qeb&udes machte (ohne Dach). (Abbildung 7.) 




Abbildung T. Steiiisi^tzun^ von N. aus f;esi>hi'ti 

Beim Ausräumen der Erde stieli man bei 90 cm Tiefe aut 
ein Skelett (V 1); es lag hart an der Siidmauer, mit dem Haupt 
nach Sudost, nicht auf dem Grund der Steinsetzung, sogar höher 
als die kleinen Steine im Innern. Das linke Bein und der 
linke Arm (hart am grolien Stein) und ein Teil der Rippen 
lagen in ungestörter Lage, das andere Obei'sclienk elbein war in 
Stücke, das eine Ende war etwa 1 m weit nach Westen ver- 
schleppt — eine Fuchsröhre ging hart au diesem Skelett vor- 
bei (weiter abwärts und seitlich wurde sie noch mehrmals ge- 
trofTen und ihr eine Menge kleiner Tierkuochen entnommen, 
Mfiuse-, Vögel-, Hasen-, Fuchskuochen usw., alle an Farbe und 
Festigkeit leicht als jungen Datums erkennbar). Irgend welche 



Die Löhbücke bei Iliringen am Kaiserstuhl H 

Beigaben hatte dieses Skelett nicht, das der Stärke und Länge 
des Oberschenkels und anderer Knochen nach einem sehr groß 
gewachsenen Manne angehört haben muss. Dagegen fand sich 
oberhalb der Beckengegend eine ganz weiche, vom übrigen Erd- 
reich kaum unterscheidbare braunschwarze Masse den Knochen 
aufgelagert — sie ließ sich nur in Spuren sammeln, ihre Unter- 
suchung ergab nichts; ob es etwa Reste eines Ledergürtels 
waren oder von Holz? — Ich glaube, dass dieses Skelett nicht 
zu der Steinsetzung gehört, sondern erst später beigesetzt ist; 
der Fund des erwähnten Bronzerings über ihm und der Umstand, 
den ich noch erwähnen muss, dass rings um das Skelett hie und 
da kleine Tonscherben, zum Teil mit Ornament gefunden wurden, 
die sicher von Hallstattgefaßen stammen, beweisen aber, dass 
auch diese Bestattung oder Nachbestattung mit den andern in 
diesem und andern Hügeln zusammengehört. Die eben er- 
wähnten Scherben können größtenteils von einem einzigen, 
großen, dickwandigen, dunkelroten schlechtgebrannten Gefäße 
stammen, die Zerstreuung über eine ganze Strecke könnte durch 
den Fuchsbau verursacht sein. (Es lagen auch Scherben in 
der Fuchshöhle selbst.) 

Nun wurde die ganze Steinsetzung entfernt, unter ihr kam 
zunächst wieder steinfreie Erde, nur die nördliche Ecke setzte 
sich als kleiner Steinhaufen in die Tiefe fort. Nahe daneben, 
und zwar nach außen, außerhalb der Setzung, kamen nun Ge- 
fäße zum Vorschein, ziemlich genau in der Höhe der Basis der 
Steinsetzung (Grundriss, Abbildung 10, S. 47). Da stand zunächst 
eine große Prachtbowle (C 5) von seltener Schönheit, in ihr darin 
lag eine kleine Schale, 40 cm neben ihr stand eine schwarze 
Schüssel (C 6), um welche herum und in welcher zahlreiche 
Schweineknochen sich fanden. 

Die große Bowle (Abbildung 8) ist der von Wagner 
(Hügelgräber usw.) farbig abgebildeten in der Form sehr ähn- 
lich und ebenso reich, schwarz und rot verziert. Sie ist BO cm 
hoch und 35 cm weit, mit breit ausladendem Bauche, eng ein- 
gezogenem Hals und schmaler Bodenfläche. Von Verzierungen 
ist zunächst ein Band in den weichen Ton eingedrückter kleiner 
Vierecke zu erwähnen, das um den Hals herumzieht, unmittel- 
bar unter seiner stärksten Einziehung. Es ist oben von einer 
eingedrückten Schnurlinie und einem schwarzen Farbstreifen 
begrenzt, 16 mm breit; den Wagnerschen Bowlen fehlt solche 



13 rischpt 

lUäTerzieratig. Am Buncbe, von der Mitte od nach < 
zieht eüi.OnumeDtband rin^ hemm, das bis zom Hslnassti 
reicht. Eä besteht aas acht Feldern, je vier etwa gleichen, die 
niieinander abwechseln. Ütch oben sind diese Felder von 
fäat schmalen, ornamentierten Streifen bc^rrenxt. Vier von den 
Feldern — einander ganz gleich — xeigen ein Muster, wie «s 
mit leichten Abweichangen sehr häufig Tonnkommeo scheint 




Mthüdunic 4 (faiil 



L ür> 



iVagner, Ijndenscbmidt usw.), man könnte es mit der eng' 
Uscben Flagge Ter^Ieichen. Es ist ein liorizontal gestelltes 
Rechteck, das von zwei 14 mm breiten, roten Diagonalen durch- 
kreuzt ist. Die kleine, durch die Kreuzung der Streifen be- 
dingte Mittelrante, nicht rot geHirbt. sondern im gelbbraunen 
Ton des ganzen GefiüSes, ist durch vertiefte Rinnen in 30 kl«ne, 
in Reihen stehende Raulen zerföllt, so dass sich dieses kleine 
Uittelfeld sehr hnbsrh mm ganzen Muster abhebt. Die drei- 
eckigen Zirickel zniscfaen den Diagonalstreifen sind alle vier 



«^^^\ 




Die Löhbücke bei Ihriiigen am Kaiserstiibl 13 

gleichmäßig ausgefüllt. Zunächst ziehen neben den Rändern der 
Diagonalstreifen je zwei tiefe Rinnen, die gelbe Tonfarbe be- 
wahrend. Dann kommt ein 7 mm breiter schwarzer glatter 
Streifen, der als Winkel in den Zwickel hineinragt; auch er ist 
dann wieder von zwei tiefen gelben Rinnen begrenzt und das 
letzte kleine dreieckige Feld, das am Rande bleibt, ist durch 
eng aneinandergestellte, unregelmäßige, tupfenartige Eindrücke 
belebt, es ist gelb gelassen. Die andern vier Felder zwischen 
diesen englischen Flaggenmustern zeigen folgende Ausfüllung: 
Jedes ist in neun Felder eingeteilt, also je drei kleine Recht- 
ecke über- und nebeneinander, je drei vertiefte Rinnen grenzen 
sie voneinander ab. Diese kleinen Rechtecke sind nun so ver- 
ziert, dass sich das mittlere und die vier an den Ecken des 
ganzen Felds besonders herausheben; sie sind auch stets gelb 
geblieben. Dadurch kommt eine Art rechtwinkliges, kurzarmiges 
Kreuz zu stände. Das Mittel viereck ist überall durch ein- 
geprägte Rosetten verziert; es sind die bekannten, aus je drei 
konzentrisch ineinander liegenden, vertieften Kreisen bestehen- 
den kokardenartigen Verzierungen. Einzelne der Eckvierecke 
zeigen dasselbe Muster, die andern haben eingedrückte, in Zick- 
zack gestellte Strich- oder Tupfenreihen. Die vier Vierecke 
dazwischen — die Arme also des Kreuzes — sind glatt und nur 
durch Farbe geschmückt, sie sind schön rot gefärbt und auf dem 
roten Grunde liegt ein übereck gestelltes Gitterwerk schwarzer 
Linien oder eine schwarze Umrandung. — Die erwähnten Streifen 
endlich, die dieses ganze Ornamentband nach oben gegen den 
Hals abgrenzen, stellen drei gelbbraun gebliebene Streifen von 
vertieften, schräg hin und her gerichteten kurzen Strichen dar, 
die durch ein glattes rotes und ein ebensolches schwarzes Band 
voneinander getrennt sind. 

Das Ganze wirkt außerordentlich gefällig und prächtig, die 
Verteilung von Farbe und Basrelief ist mit viel Geschmack und 
Geschicklichkeit vorgenommen. 

Die zugehörige kleine Schale ist halbrund, die Wand oben 
aber etwas nach außen gebogen, schwarz, ohne Henkel. (Ab- 
bildung 8 neben die große gesetzt".) 

^ Beim Zusainmensetzen der Scherben fand sich hier dabei noch ein 
Scherbenstück, das von einem ganz ähnlichen (JcfUii stammen muss, wie 
die große Prachtbowle; es ist leider nur dies eine kleine Stück: es be- 
sitzt schwarze und rote Streifen und eingeritzte Linien : zum vorhin be- 



u 






Die, wie erwähnt, nahe dabei stehende schivarze SchUasel 
lieli sich leiilev nicht wieder völlig zusammensetzen, es muss 
ein rundliches, bauchiges Geffili gewesen sein mit niederem, 
stark nach aulien umgebogenen Rand. Sehr merkwürdig war 
die Anordnung der Schweineknochen (Abbildung 9). Der Topf 
stand in der Mitle, auf ihm lagen vier Rippen und das Schulterblatt 
eines Schweins, um ihn herum die andern Knochen des Tiers, 




AWiLUiiiig 



und Kwiir iiuf ciniT S.'itf elf Rippen in richtiger Reihenfolge 
und lien urs|>riin>tlii'li''n Abstünden — also das ganie eine 
„Itipiii'ustiii'k"; jr''Kenilber die vordere Hälfte des andern 
„Itiplinnstliiks". Nueh unten ?.a kamen die Becken- und Ober- 
NelitMiKrllunH-hen - alsn die Si-hJuken — entgegengesetzt die 
Si-liiiltiTliliiiterund Anuknoehen ■ also .Schaufele" und ,Vorder- 



i.-lit . 



hl iliin Hbor sehr Shnlirh; es Est 

■li.Tlii' vorhanden ist — znrflckgelftssen 
iüi'r Sii'herheit nichts! 



Die Löhbücke bei 1 bringen am Kaiserstubl 15 

schinkle", wie man hier zu Lande sagt — auch ein Kinnbacken 
lag dabei — die Teilung des Tiers in „Stücke" ganz ähnlich, 
wie sie heute noch geübt wird. Das Schwein war noch jung 
(Epiphysengrenzen der Knochen offen) und wieder von schAvachem, 
kleinen Bau. Die deutlich braun gefärbte Erde im Topfe drin 
ergab keine nachweisbaren Reste irgendwelcher Art. 

Ob diese ganze Gefäßgruppe nun zu einer Bestattung ge- 
hörte, deren übrige Reste um eine Spatentiefe abwärts unmittel- 
bar südlich von ihr zum Vorschein kamen — ist zweifelhaft, aber 
Beziehungen zu irgend einer andern oder sonstige Reste (Brand- 
hestattung) fehlten trotz peinlichst genauer Untersuchung. Diese 
benachbarte Bestattung bestand in einem Skelett, auf der Seite 
liegend. Und dieses Skelett war in genau gleicher Höhe (1,40 m) 
wie ein zweites, ihm genau parallel liegendes, das etw^a 4 m 
weiter östlich gefunden wurde. 

Der Raum zwischen beiden Skeletten zeigte zunächst lose 
schwarze Erde und in ihr eine ganze Ausstellung von Gefäßen, 
gegen 40 Stück. Man darf annehmen, dass all das eine einzige 
Doppelbestattung war. 

Im einzelnen ist noch folgendes zu erwähnen: Beide Ske- 
lette (s. Abbildung 10) lagen mit dem Kopf nach Südwest, jedes 
hatte unmittelbar abwärts von den Füßen Gefäße stehen. Ver- 
gleicht man den Grundriss der Steinsetzung mit dieser Höhen- 
schicht, so ergibt sich, dass die Skelette gerade unter den Quer- 
mauern der Setzung lagen (vgl. Abbildung 6 mit 10). 

Von den Skeletten selbst ist wenig zu sagen, weitere Bei- 
gaben hatten sie beide nicht. Das westliche (C 7) lag auf der 
rechten Seite, die Beine leicht gekrümmt. Dem Knochenbau 
nach war es ein Mann. Das östliche {C 9) lag auf dem 
Rücken, ganz gestreckt; die Arme waren im Ellbogen spitz- 
winklig gebeugt und beide Hände vor der linken Schulter in- 
einandergefaltet, die Fingerknochen Stacken fest ineinander. Dieses 
Skelett war beiderseits eingegrenzt von einem 15 cm breiten, 
etwa daumendicken Bande schwarzer, kohliger Masse, es sind die 
Reste von Balken oder Bohlen; leider konnte auch der Bo- 
taniker nicht melir die Art des Holzes bestimmen. Auch unter 
der Leiche waren spärliche, aber nur dünne Reste kohliger 
Massen, doch nicht in zusammenhängender Schicht. Auch 
dieses Skelett zeigt eher männliche Formen, beides alte, doch 
nicht senile Individuen langen Wuchses. 



16 



Fischer 



Da5 Geföfi (C S i. das das westliche Skelett bei sich hatte, war 
ein iin verzierter, immschwarzer, kurz-bimförmiger Topf mit ge- 
radem, scharf abgesetztem Rand, etwa 20 cm hoch und IS cm weit. 

Wie das östliche Skelett seine höhere Bedeutung durch die 
Balken- (Sargjreste zeigte, so hatte es auch reichere Keramik: 
es standen drei Gefäße beieinander. Das eine (C 13 1 ist eine 



jT 




Abbild iiiif^ 10. (inin(]riH8 dcssclbeu Hügids wie A1)bi)diing 6. 

aber oO cm tiefer. 

niedere Sdiüssel (Abbildung 11), deren gewölbter Bauch ober 
der Mitte eine scharfe Kante trägt, von der aus nach oben die 
Wand gerade, nicht mehr gewölbt verläuft. Ein niederer, nach 
aufien gebogener Kand schlielH oben an. Die Schüssel is>-t 
außen und innen schwarz, ohne Schmuck, 29 cm weit, 12,5 c n 
hoch. Daneben (C IH) stand eine flache, runde Schüssel, die 
nur in Stücken erhalten ist, schmucklos schwarz, ca. 19 cm 
weit. Die kleine Bodenfiäche trügt drei eng beieinander stehende 
roh eingeritzte Striche, man fühlt sich geneigt, an eine Besitzer- 
Marke zu denken oder dergleichen Zeichen. Das dritte GefSß 



Die Lnhbücke bei lliringün am Kaiseistulil 



17 



endlich ist fast gaoz zerstijrt, aus den Scherben, darunter einem 
Rand- und dem Bodeustück, lasst sich nur erkennen, dass es 
ein dickwandiges, kleines Gefäfi aus braunem Ton war, rund 
gewölbt, mit niederem Rand. 

Zwischen diesen beiden Skeletten mit je ihren GefKßen 
am Fußende war nun die erwähnte Aufstellung der zahlreichen 
Gefaüe, Die Anordnung war so: Auf dem Baum zwischen den 
Skeletten war eme iiereckige Stelle von 2'/, auf 3Vj m Größe 
festgestampft der Lehmboden bildete nun eine feste, glatte 
Unterlage \ut dieser lag eine halbfingerdicke, kohlige Masse, 
in der sich leider keinerlei Struktur mehr erkennen ließ — 




^bbildiiij; II C, 



m(. Gr.) 



Feuer hatte «Ups i-erstdrt das beweisen die zahlreichen Reste 
geschmolzener Bionzestückchen, Allenthalben auf der Masse 
lagen kleine pfefferkorn bis erbsengroße Brouzekügelchen, 
deutlich die Schmelz bzw Erhitzungsspuren an sich tragend — 
oft waren sie enge beieinander bald lose aasgestreut, ursprüng- 
lich etwa auf^^enkhte Perlen oder Nagelköpfe. Auch größere 
Brocken geschmolzener Bronze , zusammen gesinterte Hassen, 
lagen dazwischen es sind fa t 400 gr Bronze; dabei konnten 
die ganz kleinen Kt rnchen \ lelfach nicht gesammelt werden. 
Aus den Bronzeresten ließen sich einige Stückchen von dünnen 
Bronzestabchen herauslesen und kleinste Bruchstücke einer ge- 
rippten Fläche (Gefäßwand [" Beschlag?). Sonst ergab sich 
keinerlei Anhalt für die ursprüngliche Bedeutung der Bronze- 

Alcmniinia N. F. 8, !,'£. o 



18 Fischer 

massen. Dazwischen lagen nun Stücke Kohle, angebrannte 
Stücke Tierknochen, zerbtannte Scherben (ganz wenige). Endlich 
lag in der ganzen Masse ein Stückchen Knochen mit Verzie- 
rung, ein 3 cm langes, glattgeschliffenes Stück aus einem ur- 
sprünglich 18 mm dicken, runden Knochenstäbchen; es trägt im 
Abstand von 2 cm je ein Paar sehr sauber eingeritzte Ring-^ 
linien ; ein 1 cm großes zweites Stückchen zeigt Teile desselben 
Ornaments — irgend welche Deutung ist unmöglich. 

Die, sozusagen, Grundmasse der ganzen Kohlenschicht, die 
dem gestampften Lehmboden auflag, halte ich für die Reste 
eines dünnen Holzbelags ^ den die Menschen auf den Lehm- 
boden gelegt hatten und der dann verbrannte oder verbrannt 
wurde. Und darauf hatten sie nun in hübscher Anordnung 
41 Gefäße niedergestellt, die also jetzt alle unversehrt von 
Feuer (!) auf der Aschenschicht standen , Schüsseln und Teller, 
Krüge und große Bowlen, Becher und Tassen — alles aus 
Ton, bald schmucklos, bald reich verziert, bald leer, bald mit 
Speise gefüllt. Die Anordnung war folgende: (Vgl. die Tafel, 
welche einen Wiederherstellungs versuch darstellt, 10 Stück 
von den 41 ließen sich nicht mehr zusammensetzen, ihre 
Form ist also aus Scherbenresten erschlossen, sie sind in 
der Zeichnung nicht völlig ausgeführt und dadurch kennt- 
lich. — Von einzelnen wenigen ließ sich die Lage nicht 
mehr ganz sicher feststellen, es ist dann im Text angegeben; 
von allen andern aber ergibt die Fundliste, die Skizzen, die 
an Ort und Stelle gefertigt wurden und die genaue Nume- 
rierung der Scherben genau den Grundplan, die Anordnung und 
Verteilung der Gefäße — sie wurden wieder so aufgestellt und 
dann vom Zeichner wiedergegeben. Die Ornamente sind jeweils 
möglichst genau abgebildet, so dass die Tafel neben der gegen- 
seitigen Lage das Aussehen der Gefäße getreu wiedergibt. Die 
Nummern der Fundliste sind auf der Tafel und im Text je 
beigefügt.) 

In der Südostecke standen drei Teller (C 12, 12, 12) in- 
einander (rechte untere Ecke der Abbildung) je etwa gleicher 
Form und steigender Größe. Die Bodenfläche ist bei allen nur 
schmal, die Wände von da steil aufsteigend. Der unterste ist 
braun, hatte innen schwarze konzentrische 1^^.^ ^^ breite Ringe 
(wieviele?), er ist 31 cm weit (oben), 10 cm hoch, Boden 7 cm 
breit. Der zweite ist grauschwarz, ohne Schmuck, 24 cm weit, 



Die L5hbUckc bei ILringen am Kaiserstuhl 19 

5,7 cm hoch, der Boden 4,7 cm breit. Der dritte endlich ist 
schwarz, hat innen zwölf konzentrische, rund */^ cm voneinander 
abstehende, leicht riefenartig erhobene Ringe — er ist aus dem 
feinsten Ton gebrannt (Höhe 4,8 cm, Weite 22 cm, Boden 
4,7 cm). — Ob ursprünglich Inhalt darin war, ließ sich nicht 
bestimmen. Etwas einwärts stand ein hübsches kleines Teller- 
chen (C 18) von eigentümlicher Form: An eine 2,5 cm tiefe 
Höhlung mit steiler Wand, oben 6 cm weit, fügt sich ein 4 cm 
breiter, fast wagrecht gestellter Rand an, das Ganze hat die 
Form — man verzeihe den Vergleich — wie eine Hohlform 
fdr ein Spiegelei, für Dotter und Eiweiß. Die Höhlung ist 
rot, der Rand hat abwechselnd je vier, etwa gleichgroße rote 
und schwarze Felder, während die ganze Unterseite rot ist und 
nur einen schwarzen Randstreifen trägt. Nördlich davon standen 
zwei schwarze, flache Schüsseln (C 10, 10), die eine völlig rund- 
bauchig, an der andern biegt sich der Bauch oben etwas nach 
außen (Weite 19 cm, Höhe 7\l^ cm und Weite 22 »^ cm, Höhe 
ZVj cm). Daneben oder darin stand ein kleines rotes Schälchen 
(C 10), völlig rund, mit kleinem Henkel, rund 9 cm weit und 
4 cm hoch. (Die rund bauchige ist auf der Abbildung nach 
innen und hinten gerückt, damit sie sichtbar wird — links von 
der hohen Urne.) Noch weiter nördlich, damit die Nordost- 
ecke der Anordnung bildend, standen ein runder tiefer Teller 
und ein kleiner Topf mit kleinem runden Henkel; ob in oder 
nebeneinander, ist unbestimmt. Der Teller (C 11) ist grau- 
schwarz, mit geraden, von einer 6 cm breiten Bodenfläche zu 
12 cm Weite aufsteigenden Rändern (Höhe 7^^ cm). Das Töpf- 
chen ist aus rotem Ton, nur der Hals mit Henkel ist erhalten 
(in der Abbildung ergänzt). Diese acht Geföße standen also am 
Südostrand entlang; sehen wir den Süd Westrand an: Da kommt 
von der ersten Ecke an zunächst wieder ein rundes Schälchen 
(C 14), diesmal schwarz, mit kleinem runden Henkel (Weite 
11,5 cm, Höhe 5 cm), und darunter (oder daneben?), also etwa 
wie ein Unterplättchen zur Kaffeeschale, ein etwas gewölbtes 
Tellerchen (C 14) aus ziegelrotem Ton, 16,4 cm groß (Abbildung 
vom, rechts). Daneben ein offenbar ebenso geformtes, von 
dem nur Trümmer erhalten sind, außen rot, innen schwarz ge- 
färbt (C 15) und neben diesem stand wieder eine der schwarzen, 
rundbauchigen Schüsseln (C 15), wie oben beschrieben (9 auf 
21 cm). An der Südwestecke endlich stand ein sehr 

2* 



20 Fischer 

hübsches kleines Töpfchen {C 21) mit rundem Bauch und 
abgeknicktem Rand^ das außen ein eigenartiges Muster bot. 
Der Rand und der untere Teil des Gefäßes zeigen die ziegel- 
rote Farbe des Tons, unter dem Hals zieht ein fingerbreites 
schwarzes Band herum, darunter ein ebensobreites dunkelrotes. 
In dieses ist ein eigentümliches Muster eingeritzt, eine Art 
Mäander, in dessen offene (nicht rückwärts geschlagene) Krüm- 
mungen sich je winklig geknickte Doppellinien einfügen (vgl. 
die Abbildung linke untere Ecke). Das ganze Töpfchen ist 
nur 9 cm hoch und 11 cm weit. Daneben, nun umbiegend 
zum Nordwestrand, treffen wir einen sehr flachen graubraunen 
Teller {C 23), von dem nur ein kleines Stück erhalten ist, das 
eine Form wie die unserer Speiseteller erkennen lässt (in der 
Abbildung ergänzt). Auf der Außenseite laufen am Randansatz 
zwei sehr sauber gezogene feine Rinnen. Auf diesem Teller lag 
eine bräunliche Erde, die nach dem Trocknen wie etwa mit Kaffee- 
satz untermischt aussah. Mikroskopisch ließen sich darin nur 
eine Anzahl sogenannter „Steinzellen" nachweisen, also solche 
pflanzliche Zellen, wie sie am längsten widerstandsfähig und erhalt- 
bar, in allen Teilen von Pflanzen vorkommen, am häufigsten in den 
Hartgebilden, harten Stengeln und Blattstielen, Schalen, Kernen, 
aber auch in Wurzeln, Blättern usw. ^. Man darf es als nicht für 
unwahrscheinlich halten, dass wir es mit Resten einer pflanz- 
lichen Speise zu tun haben — Früchte — Wurzeln — Blätter — 
doch ist nicht ganz ausgeschlossen, dass die Zellen auch von 
später hineingewucherten Wurzeln herstammen. 

Dieser Teller Avar wol nun ursprünglich zugedeckt, wenig- 
stens fand sich über ihm eine dünne kohlige Masse mit einigen 
Bronzekügelchen, vielleicht die Reste eines Holzdeckels mit 
Bronzeschmuck, oder eines Tuchs oder dergleichen. Neben 
diesem Teller stand ein roter rundlicher Topf (C 26) mit 
kleinem Henkel und etwas umgebogenem Rand ; als Verzierung 
geht um den Halsansatz eine Reihe schräg eingedrückter, komma- 
artiger Striche; er ist 10 '/g cm hoch, oben 14,2 cm weit. Um 
dieses Töpfchen herum lagen zahlreiche (6 — 8) verbrannte 
kleine Knöchelchen (Schwein?). Daneben kamen nun drei 



^ Ich möchte auch hier Herrn Dr. Claußen, Privatdozenteii für 
Botanik hier, für die Untersuchung dieser und der andern verdächtigen 
Erdproben verbindlichsten Dank aussprechen. 



Die Löhbücke bei Ihringen am Kaiserstuhl 21 

Schüsseln (C 25 und 26), die sicher ineinander standen! Zu 
oberst eine kleine rundbauchige, schwarze, die leider nur 
schlecht erhalten ist, an einer Scherbe ist ein Henkelansatz. 
In dieser Schüssel lag eine braune Erde und auf dem Grund 
der Schüssel eine Masse weißer Eierschalen, welche Beobach- 
tung nachher durch mikroskopische Prüfung von Dünnschliffen 
derselben über jeden Zweifel erhoben wurde; hier war also 
sicher eine Speise beigesetzt worden, Eier mit der Schale! 
Diese Schüssel stand nun in einer ihr sehr ähnlichen, braunen, 
runden henkellosen, die ebenfalls mit brauner Erde gefüllt war 

— es war eine dicke solche Lage zwischen beiden — folglich 
war seinerzeit die eine auf den Inhalt der andern gestellt 
worden, so eigentümlich das klingt! — Und unter dieser zweiten 
Schüssel kam eine dritte, abermals von gleicher Form, nur 
größer, aus grauschwarzem Ton; diese scheint leer gewesen zu 
sein, denn die zweite stand ganz dicht in der ersten. — (Der 
Druck des Erdreichs hatte alle drei zerdrückt, aber man konnte 
die einzelnen Scherbenlagen deutlich scheiden, deutlich je den 
Inhalt herausnehmen, das Ganze wurde an Ort und Stelle genau 
notiert und skizziert.) — Man sieht also, dass man aus der 
Tatsache, dass zwei Schüsseln aufeinander stehen, nicht mit 
Sicherheit darauf schließen kann, dass die untere leer war. 
Ein flacher, nur in wenigen Scherben erhaltener schwarzer 
Teller (C 19) schließt sich an. (In der Abbildung ergänzt.) 

An der Nordwestecke, an die wir nun gelangt sind, stan- 
den wieder zwei Gefäße (C 24) ineinander (oder hart neben- 
einander? — oder die flache Schale als Deckel auf dem andern? 

— sie waren zu einer einzigen Masse zerdrückt) — sie sind 
schlecht erhalten. Das eine, wieder zusammensetzbar, ist ein 
I8Y2 cm großer, tiefer Teller oder eine flache Schüssel mit 
auswärts gebogenem schmalen Rand, der sich durch schwarze 
Färbung vom Rotbraun des übrigen Gefäßes gut abhebt. Das 
andere ist ein dunkelrotes, offenbar rundbauchiges gehenkeltes 
Töpfchen mit einer eingedrückten Tupfenreihe um den Hals; 
es ist nur noch in Scherben vorhanden. Noch geringer sind 
die Reste eines, wie aus der flachen Scherbenform zu schließen 
ist, recht großen dunkelroten Gefäßes {C 19), das daneben stand 

— Nordostrand — , es hat als Schmuck wenigstens zwei aus jeweils 
drei oder vier leicht vertieften Rinnen bestehende Ringbänder; 
der Rand war scharf nach außen gebogen, über die Größe und 



22 Fischer 

sonstige Form ist Sicheres nicht zu sagen, es war wahrscheinlich 
eine bauchige Bowle (als solche ist es in der Zeichnung ergänzt — 
die unsicherste aller Ergänzungen!). Weiter, dem Rande fol- 
gend, kommt ein großer, schwarzbrauner Topf (6^ 20) von ge- 
fälliger Form, schlank, bimförmig mit gut abgesetztem Rand 
(17,5 cm hoch, 21,5 cm weit). Da wo der Bauch sich auf- 
wärts verjüngt, ziehen drei fingerbreite, leicht vertiefte, aus- 
gerundete Furchen herum, von der untersten gehen an acht 
Stellen je drei nahe zusammengerückte schmale solche Furchen 
ein Stück weit abwärts. Zwischen den Scherben, zu denen 
dieser Topf beim Auffinden zerdrückt war, lagen solche 
einer runden niederen, schmucklosen schwarzen Schüssel, so 
dass nicht entschieden werden kann, ob sie daneben oder 
darunter stand, oder etwa als Deckel darauf gestülpt war — 
sie würde gut passen. (In der Abbildung daneben gesetzt.) Als 
letztes Geföß jener Reihe kommt endlich ein 27 cm großer 
Teller {C 16) mit sehr kleiner Bodenfläche (5 cm) und steil 
aufsteigenden Wänden, deren oberster Rand flach umgebogen 
ist. Er ist außen gelbbraun, innen hebt sich von diesem Grunde 
der schwarze Rand und ein Avenig über dem schmalen Boden 
ringsumlaufendes schwarzes Farbband ab, welche beiden durch 
acht radiär ziehende schwarze Streifen verbunden sind. Auf 
diesem Teller stand eine niedere schwarze Schüssel (C 16), 
unten rund, mit steilen Seitenwänden und schräg auswärts 
gebogenem Rand (18,5 cm weit, 9 cm hoch). Sie ist innen 
und außen tiefschwarz und hat außen unterhalb des Randes 
vier je durch eingeritzte Linien getrennte Ornamentbänd^r von 
genau Y2 ^™ Breite. Jedes Band besteht aus abwechselnd 
glatten und schräg schraffierten Stücken, wobei die Richtung 
der Schraifur in je zwei aufeinander folgenden Bändern wechselt, 
ebenso wie glatte und schraffierte Stücke je zweier Bänder ab- 
wechseln. Nach unten schließt eine Linie eingedrückter kleiner 
Schrägstriche das Ganze ab. 

Diese Schüssel war ebenfalls nachweisbar mit Speise ge- 
füllt. Die dem Boden der Schüssel direkt aufliegende Erae 
hat eine wei(ie Kruste, in der sich mikroskopisch Stärkekörnei 
nachweisen ließen. (Sie zeigen einfache, konzentrische Schich- 
tung, sind 0,006 — 0,01 mm groß, an Zahl nicht eben bedeutend.) 
Aus der Form erhellt, dass es sicher nicht Weizen, Roggen, 
Gerste, Hafer ist; dagegen könnten es etwa Stärkekörner von 



Die Lölibücke liei Iliriiigeii s 



23 



Leguminosen sein — wir hätten also etwa Reste eines Bohnen-, 
Erbsen- oder Linsengerichts vor uns ! 

AU diese GeßilJe standen also rings herum am Rande des 
gestampften „Tisches", «ie er einmal genannt sein möge. In der 
Mitt«, aber hart an diese anschließend, standen dann noch fol- 
gende (vgl. stets die Abbildung). 

Da waren einmal hart einwärts nnd links von den eben 
beschriebenen Schliaseln die Reste eines GefflUes (C 17), das 
nach Dicke und Form der Scherben rund- bim förmig ge- 
wesen sein dürfte, grauschwarz ^ nur Scherben vom Hals nnd 
Boden sind noch erhalten (in der Abbildung ergänzt!) Daneben 
stand ein steilrandiger schwarzer hoher Teller (f 17), ebenfalls 
nur aus dürftigen Scherben zu erschlielien. Weiter eine ganz 
große bauchig- birn förmige Prachtbowle (C 18), reich mit schwarz 
und rotem Bandmuster bemalt — soweit die Scherben von Hals 
und Bauch erkennen lassen, nach Form und Farbe der unten 
beschriebenen Bowle (C 22) ähnlich oder gleich. Und weiter 
ein nach Standfläche und Krümmung der Scherben des Bauchs 
zu schließen noch runderes, bauchiges, glänzend tiefschwarzes Ge- 
ßß(C'28); es war mit vertieften, je zu dreien angeordneten Ring- 
linien und (am Halsansatz) mit flachen breiten Ringfurehen verziert. 
Ebenso ist das nächste eine grobe henkellose Kanne" (C 31), ihr 
mi^ die vorige geähnelt haben; ■ — sie ist wol erhalten, ja war 
au Ort und Stelle so wenig zerdrückt, dass fast keine Erde ins 
Innere gedrungen war, sie war leer und in ihr stand (es wurde 
völlig unversehrt herausgezogen) ein kleines Becherchen {C 30). 
(In der Abbildung neben das große Gefölt gestellt, um es sicht- 
bar zu machen.) Diese Kanne ist braunschwarz, gedrungen birn- 
fbrmig, mit hohem, scharf abgesetztem triebt er lormigen Band, 
unter dessen Ansatz vier flachen Furche das Gefäß umziehen; die 
Höhe beträgt 23,5 cm, die Weite 24 cm. 

Fast gleich in der Form, nur verkleinert, nämlich nur 
6,5 cm hoch und weit, ist das Becherchen ((.' 30). Es ist 
ebenfalls schwarz, aus dünnem, gut gebranntem Ton und trägt 
als Schmuck auf der grötUen Ausladung des Bauchs an vier 
je gegenüberliegenden Seilen allemal 3 era weit voneinander ent- 
fernte, senkrecht herabziehende, sehr leicht eingedrückte Striche. 

* Am passendateo wfire ftlr diese Form das hierzulande gebräuch- 
liche Wort ,Gutter' (Ist. guttarium, gruUes, henkelloses, weithalsig- 
fi*schenftrtii{eB Uefiä tat äüasigeii Inhalt). 



24 Fischer 

An einer Stelle der Halsabkuickung ist die Gefaßwand von einem 
runden, 2 mm weiten Loche durchbohrt. Wir dürfen wol an- 
nehmen , daas hier eine Schnur statt eines Henkels befestigt war. 
Um die große Kanne herum und unter ihr lagen zahlreiche mehr 
oder weniger angebrannte Tierknochen. Daneben kam wieder 
eine ganz große, schwarz und rot bemalte {C 22) von der statt- 
lichen Höhe vom 31,5 cm und 29 cm i^eit. Auf einer schlanken 
Birnform (die durch den Druck des nassen Bodens etwas un- 
symmetrisch geworden) sitzt ein sich erweiternder hoher Hals. 
Das Geföß ist schön dunkelrot und trägt reichen Schmuck 
schwarzer 1 — 2 cm breiter Farbstreifen. So zieht um den Hals 
hart am obem Rand und nahe über dem Ansatz je ein solches 
Band, dann läuft um den obem, sich verjüngenden Teil des Bauchs 
ein Zickzackband, in dessen Zacken wieder schwarze, dreieckige 
Zwickel hineinragen, und abwärts davon laufen sechs Gruppen 
von Parallelstreifen senkrecht nach abwärts, und zwar abwech- 
selnd je eine Vierer- und eine Sechsergruppe. Die Kanne macht 
wirklich einen geföUigen schönen Eindruck. Zu ihr gehört wol 
das daneben befindliche runde rote Schälchen {C 21), (oben 
10,5 cm weit und 4,5 cm hoch), das sich von den sonstigen 
ähnlichen Schälchen dadurch auszeichnet, dass die Rundung 
sich gegen den Boden zu stark einzieht, so dass der nur 2 cm 
große Boden abwärts stark vorspringt. Neben den Gefäßen 
lagen zwei kleine Bronzeringe von 22 und 24 mm Durch- 
messer, 3 und 2,2 mm dick, drehrund, vielleicht zu Henkel oder 
dergleichen eines Bronzeeimers oder -löffeis gehörig. Von einem 
weiteren schwarzen Gefäß (ü 22) sind nur zwei große Stücke 
des Halses erhalten, der weit und trichterförmig ganz dem der 
beschriebenen großen schwarzen Kannen gleicht. Die nächste 
Kanne {C 29), gedrungen birnförmiger Gestalt und ebenfalls 
schwarz, ist wieder gut erhalten. Höhe und Weite 24 cm. 
Unter dem Ansatz des etwas niedereren Halses umziehen sie 
fünf einander sehr nahe eingeritzte Linien. Hart daneben (oder 
darin? — die Scherben ließen die Lagerung nicht erkennen — 
sie ließen sich auch von den benachbarten der Schüssel C 26, 
8. oben, an Ort und Stelle nicht absondern) stand wieder ein 
kleines Becherchen {C 26), fast kugelförmig, ohne Hals, 5 cm 
hoch, 7,5 cm weit, schmucklos rot. 

Bei der Gelegenheit sei auf diese halbrunden Schälchen 
— Becherchen, wenn oben mehr geschlossen — hingewiesen 



Die LöhbUcke liel Ihringen am Kaiserstulil 



25 



und die Frage aufgeworfen, wozu sie sich so oft bei oder in 
den großen Bowlen oder Kannen linden. Als Schöpfgeftilie sind 
sie zu klein und, weil ohne richtigen Griff, unpraktisch. Sind 
es kleine Maßgefillie, verwandt bei Mischungen verschiedener 
QetrHnke oder zum Abmessen oder Beibringen von zur Flüssig- 
keit zu setzenden GewUrzen? 

Schlieülich kommen — ganz in der Mitte — noch drei 
Ge/tlße. Kinmal ein Krug von seltenerer Form {C'321, der Bauch 
fast kugelig, darauf sitzt ein hoher sich oben erweiternder Hals. 
Seitlich erhebt sich ein starker runder Henkel, einem Finger 
bequem Durchlass gewährend. Auf der schwarzen Oberfläche 
sind zwei aus je drei flach eingeritzten Parallellinien bestehende 
Ringbänder angebracht, das obere biegt am Henkel nach abwärts 
aus, um den Henkel unten zu umziehen, das untere hört jeder- 
seits vom untern Henkelansatz auf, so den Henkel also über- 
springend. 

Weiter kommt noch ein sehr hübsches birnförraiges Gefäß 
(C 27), nicht so groß wie die geschilderten schwarzen (nur 
18,5 cm hoch und 18 cm weit) — in der Form aber ihnen 
gleich. Es ist dunkelrot und trägt als Schmuck unter dem Hals- 
ansatz ein etwa 1,B cm breites, schwarzes Ringband, darunter in 
seiner Breite gleichem Abstand ein zweites ebensolches, und noch- 
mals darunter ein Band, das sich aus gleichgroßen schwarzen 
Dreiecken zusammensetzt, die, hart aneinanderstoßend, alle mit 
der Grundlinie nach oben, mit der Spitze abwärts sehen, so dass 
der untere Rand eine regelmäßige Zickzacklinie darstellt. Auch 
um dieses Geföß herum lag eine Anzahl so gut wie gar nicht 
angebrannter Schweineknoclien. 

Als letztes endlich ist ein henkelloser unverzierter roter 
Topf (C 27) zu nennen, er ist wenig ausgebaucht, nach unten 
sich verjüngend, nach oben nur ganz wenig eingezogen zum 
Ansatz eines nicht scharf abgegrenzten Halses. 

So standen also hier, wie gesagt, 4 1 große und kleine Qe- 
f&ße beisammen, hingesetzt auf die verbrannte Holz(?)masse. 
Bezüglich dieser Verbrennung ist der Gegensatz aufffiUig, den 
der Erhaltungszustand der verschiedenen Dinge zeigt : Die Bronze 
ist geschmolzen, zu Klumpen und unregelmäßigen Stückchen zu- 
sammengesintert und zusammengebacken, die Holz- (oder was es 
war) Unterlage ist völlig verkohlt — die Gefiiße sind wol erhalten, 
auch die Farben verhältnismäßig unversehrt und einzelne Sehweine- 




26 

kBoehen shid fast gar tdtht angebnoBt igesckötzt to« Fleisch) 
— die Annahme, dass die Gefäße erst nachcngtich hingcstelli 
winden^ widerkg;t der Fand einer gleichen reiiLohlten Schichte 
mit gesehuK^zener Bronze aof einem Gefäße und darüber hin* 
wegiaoiead (s. oben». Da bleibt also ein Racsel. — 

Endlich moss erwähnt werden — und damit gdangen wir 
znm Aoagangspnnkt des Feuers — dass nahe der Xordwestecke 
der eigentliche Feaemn^platz sich fand iC 36. Ablnldnng 10 
S. lf>)r im Schutz Ton Steinen, die sich Ton der oben Setzung 
her bis hier hemnter verfolgen ließen und die Ton der Hitze 
des Feuers stark gelitten hatten. Es war ein rundliches Loch, 
ganz ausgefällt mit Asche und Holzkohlen. 

Damit erwies sich die Ausgrabung dieser reichen Bestattung 
als erschöpft. — 

Weiter in die Tiefe dringend, fand ich nun genau in der 
3fitte des Hügels falso bedeutend südlich von der eben geschil- 
derten, keramikreichen Bestattung) eine offenbar älteste Stein- 
S€;tzung; die Bestattung war auf dem gewachsenen Boden vor- 
genommen worden (heute 2,10 m unter der Hügeloberfläche). 
Da lagen (vgl. Abbildung 12) vier grobe Blöcke, darunter, ganz 
genau von Ost nach West (Haupt östlich) ein Skelett in Rücken- 
lage; es ruhte auf einer verkohlten blasse, den Überresten eines 
Bretts, die gewaltigen Steine (wir brauchten drei Mann, den 
schwersten zur Seite zu wälzen) lagen unmittelbar auf ihm! 
Leider war hier die Bodenfeuchtigkeit sehr stark, so dass alles 
schlecht erhalten war. In der Hüftgegend des Skeletts lagen 
dicke Scherben — vermutlich schon als Scherben mitgegeben {?), 
auch einzelne rings beim Skelett zerstreut, z. B. neben dem 
groik;n Stein über dem Kopfe mehrere, begleitet von Resten von 
Tierknochen. Unterhalb der Füße stand ein großes bauchiges 
Gefäß (C 41) — die Reste ließen sich nicht mehr zu einem 
Ganzen vereinigen; es war von ziegelroter Farbe, vermutlich 
bimfr)rmig, hatte einen scharf abgesetzten 3^^ ^^ hohen Rand, 
war wol ähnlich geformt wie die beschriebenen schwarzen. Da- 
neben stand ein rundes schwarzes Schälchen (C 47), ebenfalls 
schlecht erhalten. Zwischen beiden lag ein 4,9 cm großer 
Bronzering (C 45) von vierkantigem Querschnitt (je eine Kante 
nach außen und innen), 4 mm dick, dabei kleine Stückchen völlig 
rostzerfressenen Eisens, kleine Stängelchen, 1 — 3 cm lang, rund, 
3 — 4 mm dick, leicht gebogen, ein Stückchen durch Rost und 



Die Löhbücke bei Ibringen am Kaiserstuhl 



27 



Grünspan fest auf den Ring gelötet — leider lässt sich nicht 
vermuten, was das Ganze war. — Weiter lagen etwas seitlich 
Yon der linken Hand des Skeletts einige Scherben {C 43), die 
wol als Randstücke eines flachen Tellers gedeutet werden dürfen; 
die NSsse hat fast alles zerstört, das eine Stück zeigt, dass der 
rote Teller einen schwarzen Rand hatte, von dem radiär schwarze 
Streifen nach innen gingen, weiter innen wieder von einem 




JLJ 
1 



7t^ 



Abbildung 12 

Ringband durchkreuzt, ein Muster, das fast genau ebenso an 
einem Exemplar aus den zahlreichen vorhin beschriebenen Ge- 
fäßen der obem Bestattung sich zeigte. — 

So ist also diese unterste Bestattung nach den Beigaben 
gleichzusetzen der obem — nur die verschiedene Lage der 
Leichen nach der Himmelsrichtung ist auffällig! — 

4. 

Ein weiterer Hügel (0) mit einem Durchmesser von etwa 
16 m und rund 80 cm Höhe wurde in einer Ausdehnung von 



28 



Fischer 



10 m Kreisdurchmesser bis auf den gewachsenen Boden ab- 
getragen (Abbildung 13). Leider hatten offenbar früher schon 
andere Hände in der Mitte den Boden durchwühlt, hier zeigte 
sich die Erde mit dem gelben Lössuntergrund durchmischt, 
kleine Stücke Scherben fanden sich allenthalben dazwischen. 
Auch ein Stückchen Kisen (e) wurde hier gefunden, ein zu 
einer Art Schlinge gedrehter, 3 — 4 mm starker Eisendraht, über 




Abbildung 13 



dessen Verwendung und Alter sich nichts aussagen lässt. Weiter 
lag südwestlich der Mitte und nur 20 cm unter der Oberfläche 
eine kleine bronzene Armbrustfibel (0 b), nicht allzu gut er- 
halten. — In der östlichen Hälfte des Hügels kamen bei 50 cm 
Tiefe im südlichen Teile Ober- und Unterschenkel (0 g) in 
gegenseitig richtiger Lagerung zum Vorschein , vom übrigen 
Skelett fehlte jede Spur, ebenso von Beigaben. Nahe der 
Mitte des Hügels fand sich ein Scherbennest, das mein Vor- 
gänger übersehen oder verschmäht hatte — die Scherben ließen 



Die Lölibücke bei lliringen um Kaiaerstuhl 



29 



ncfa sehr leiHit zu zwei Gefällen ztisammen setzen (0 f). Das 
eine ist ein sehr scliöner Topf von ungewöhnlicher Form (Ab- 
bildung 14). Der Bauch lädt nicht gleichmäßig rund, sondern 
fast in einer Kante aus. von der aus sich das Oefäß nach oben 
stark verjüngt und ganz allmählich in den selir langen Hals 
Übergeht. Auf der Oberhälfte des Bauchs sind in den ge- 
schwärzten Ton als Verzierung vier Hache Ringfurchen angebracht, 




Äbbilduns U ('/, Bat. Gr.) 



darunter zieht ringsum ein aus drei parallelen eingeritzten 
Strichen bestehendes Zickzackband und auf der stärksten Wöl- 
bung des Bauchs sind endlich an vier übers Kreuz gestellten 
Seiten nach abwtirts offene Halbkreise angebracht, je aus drei 
konsentrischen eingedrückten Halbkreisfurchen bestehend. Am 
Halsansatz endlich ist eine Beihe kleinster Tupfen eingedrückt. 
Die Urne ist 18,5 cm hoch und 19 cm weit. Neben ihr (oder 
in ihr?) war ein kleines Nspfchen, halbrund mit ganz kleiner 
Standfläche, henkellos, rot, oben 8 cm weit und 4 cm hoch. 



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^ojizvdJi ab- 




Die Löhbücke bei Ihringen am Kaiserstuhl 31 

fällt und dann mit einem Knick in die kugelige Wölbung des 
Bodens übergeht; es ist 6 cm hoch und oben 11 cm weit. 

5. 

Als unversehrt und sehr ergebnisreich erwies sich der 
letzte bis jetzt eröffnete „Bück", ein sehr großer Hügel (C/), 
nämlich rund 25 m Durchmesser und rund 2 m an Höhe 
messend; er wurde kreisförmig abgetragen (Kreisdurch- 
messer 16 m, stellenweise 18 m), und zwar in zwei 
Hälften getrennt wegen der Größe. Ich stieß in 
diesem Hügel auf 21 Bestattungen (vgl. Abbildung 15), 
stets Skelette (bzw. Reste); nirgends Feuerbestattung. 
Nahe der Mitte war eine Haupt- (erste?) Bestattung, 
die andern waren regellos verteilt und die Lage nach 
den Himmelsrichtungen ganz verschieden. Ich mache 
folgende Einzelangaben nach der Reihe, wie sie beim 
Graben sich fanden. Schon •in 40 cm Tiefe stieß man 
in der Nordwesthälfte auf einen Oberschenkelknochen 
(a) und ein Stück Oberarm — der Pflug hatte hier 
alles andere zerstört. Darauf kam, weiter gegen die 
Mitte, das obere, noch 7 cm lange £nde einer Bronze- 
nadel zum Vorschein (6). Sie ist 3 mm stark (Ab- 
bildung 16), trägt am Schaft ein Muster von ein- 
gekratzten Zickzacklinien und hat oben einen ab- 
geplattet runden Knopf von 7 mm Durchmesser mit 
drei konzentrischen eingeritzten Ringlinien versehen. 

Etwa 90 cm daneben lag (40 cm tief) das Skelett i^^^ ^6 
(d) eines erwachsenen Menschen mit zierlichem Knochen- (nat. Gr.) 
bau (Weib?). Die Leiche lag auf dem Rücken, das 
Haupt genau nach Norden, den rechten Arm gestreckt an der 
Seite, den linken gebeugt, so dass der Vorderarm quer über 
dem Leib lag. Der Schädel und die kleinen Knochen waren 
völlig zergangen. Beigaben waren nicht dabei. 

In der gleichen Höhenschicht kam im Nordostteil des 
Hügels ein Skelett zum Vorschein (f). Nahe daneben, aber 
20 cm tiefer, ein zweites (j), beide mit dem Kopf nach Nord- 
west, und abermals daneben, wieder 10 cm höher (also in 
der Höhe zwischen jenen beiden), ein drittes ((/) mit dem Kopf 
gerade entgegengesetzt, nach Südosten. Das erste dieser 
Skelette (f) ist sehr schlecht erhalten, es gehörte einem sehr 



32 



Fischer 



jugendlichen Wesen an, wie die spärlichen Schädelreste er- 
kennen lassen. Am rechten Vorderarm trug die Leiche einen 
H mm starken Bronzering, das drehrunde Metall trägt auf der 
Außenseite (Querstriche eingeritzt, je vier oder fünf beieinander, 
dann wieder eine gleichgroße Strecke glatt. Die £nden des 
offenen Rings federn etwas übereinander. Weiter fand sich 
ein ilhnlirher Ring, etwas dünner, glatt, ebenfalls offen, aber 
das eine Ende passt, verjüngt, in das hohle andere hinein. Die 
Lii^ii dieses Rings ließ sich nicht ermitteln, da die Knochen 
zu sehr zergangen waren. In der Nfihe der rechten Schulter 
musste endlich noch eine 5,5 cm lange Fibel gelegen haben 
(IJ 1), drr P'orm nach recht wichtig, sie ähnelt den von 
Wagner (Hügelgräber usw.) Tafel V, Abbildungen 7 und 10 





Altltiliiiini; 17 \\va\, {.\r.^ 



Abbildung 18 (nat. Gr.) 



al)g(>l)iId(>t(Mi, ist also als ganz spat hallstattisch anzusprecheo 
(Al)bil(iung 17): die Scheibe auf dem zurückgebogenen Fuß ist 
glatt mit zentralem CTrübchen. es scheint, als ob sie früher 
keinen Sclnnuck getragen hat (Koralle oder dergleichen). Das 
zwfih» Skolett (/) gehörte, wie Knochen und Ztthne erweisen, 
einem Jugendlichen Mensehen au (auch hier lag der linke Unter- 
arm über den Leib herüber) — nach den Beigaben war es ein 
Weil». Solrher Heigaben sind es: zwei Spinnwirtel, ein roter 
und ein s(*lnvar/er aus Ton, neben der rechten Scheitelgegend 
gelegen, ein Stüekchen einer dünnen bronzenen Nadel (2,5 cm 
hing), iu>1hmi dem linken Soheitelbein gelegen (wahrscheinlich 
ist es ein Siürk einer Nähnadel, wie sie Wagner im Gemein- 
miirker ni>t' t'aml). Auf jeder Schulter <vor dem Schlüsselbein) 
lag je eine t^leirlie Fibel «Abbildung IS). Es sind Doppel- 
pauktMitibt'bi mit Annbrusf tonn der Drahtspiralen (2,7 cm lang)- 
Pie Soiten\v;inde der Pauken tragen eing^ravierte Ringlinien. — 



- alle Knochen sehr 



Die Löhbllcke bei Ihringcii am Kaiserstulil 33 

Endlich war noch ein kleines Stück rankenartig enggewundenen 
Dralits da, das sich nicht deuten ließ. Das dritte endlich (y) 
gehörte einer älteren Person an (Rückenlage, Gesicht gerade 
nach oben). — Beigaben hatte es nicht. 

Beim weiteren Graben kam gelegentlich ein Hufeisen zum 
Vorschein — moflerner Form (30 cm unter der OberflRche). — 
In gleicher Tiefe zeigte sich, einzeln in der Erde, ein goldener 
I Bing aus ISkarStigeni Golde, ein drehrunder glatter Reif. Wie 
die fast vrillige Gleichheit mit andern Ringen zeigt, die unten 
beBchrieben werden, muas auch er einer Bestattung angehört 
haben, vielleicht einem Skelett (A), das 50 cm tief nordwestlich 
von der Mitte gefunden wurde ohne Beigaben und vielleicht 
in gestörter Lagerung. Der Schädel wurde vermisst (zer- 
gangen? oder entfernt?), die Beine lagen nicht gestreckt. Ober- 
flchenkel neben Armknochen, Knie hoch ■ 
lerfallen, so dass man nicht entscheiden 
konnte, ob etwa die Leiche in ganz 
abnonner (etwa hockender) Stellung 
beigesetzt oder ihre Lage gelegentlich 
zerstört wurde (RUbenloch oder der- 
gleichen). 

Weiter westlich lag, wieder un- 
berührt, ein Skelett (i), 50 cm tief, mit 
dem Kopf ziemlich genau nach Süden 

(etwa Südsüdwest) ohne Beigaben, dieKnochen waren sehr schlecht 
erhalten. 3 m nofdüstlich davon abermals ein Skelett (/), genau 
nach Nordost gelagert mit dem Haupte, genau Rückenlage, das 
Gesicht sieht nach oben. Die schwachen (erwachsenen) Knochen 
und kleinen Zähne lassen auf ein Weib schlielien. Am rechten 
Handgelenk sasa ein etwa 2 mm dicker Bronzering, das Metall 
etwas flachgedrückt (also nicht ganz drehrund) und wie der 
oben beschriebene mit eingravierten Strichen verziert. In der 
Gegend der linken Hüfte lag ein kleines Stückchen Eisen, so 
Yerrostet, dass es nicht deutbar. Auf dem Scheitel — in sicher 
nngestörter Lage auf der hintern Ecke des Stirnbeins — lag 
eine hübsche Fibel, daneben schwärzliciie Spuren, also wol 
Reste einer Kopfbedeckung mit ihrer Befestigung! — Die 
Fibel hat eine sehr hübsche und nicht gewöhnliche Form (.Ab- 
bildung 19): Die Spirale ist die der Armbrustflbeln, die Spange 
hat ein senkrecht aufgebogenes Ende, das einen Knopf aufsitzen 




.\]ibililDU6 19 (nat. Ür.) 



34 Fischer 

hat in Form eines Schwerthandgriffs mit Petschaftende. Mitten 
auf dem Bogen sitzt dann noch ein rundes Knöpfchen. (Ähn- 
liche Formen aus dieser Oegend bei Forrer [a. a. 0.], aus der 
Schweiz bei Heierli [a. a. 0.].) In der Nähe lag noch ein Bronze- 
stückchen, ähnlich einem niederen kleinen Flaschenkork geformt. 

Y2 T^ südlich von den Füßen lagen schwarzbraune Scherben, 
durch die Nässe fast ganz zerstört, so dass sich davon fast 
nichts erhalten ließ; ja es ist nicht zu entscheiden, ob es ein 
Geföß oder Einzelscherben waren. 

Nördlich, nahe dem Rand, lag ein Skelett (m) ganz ohne 
Beigaben in Rückenlage fast westwärts mit dem Haupte, derbe 
Knochen eines Erwachsenen (Mann?). 

Südwestlich der Mitte stießen w^ir wieder auf eine Kinder- 
bestattung; die Knochen waren so zerfallen, dass man über die 
Lage der Leiche und deren Beigaben nichts sagen kann; von 
solchen w^aren vorhanden zwei Fibeln — sie sind ganz zer- 
fallen — sie hatten zusammen vier solcher Petschaftenden, wie 
die vorhin beschriebene, dann ein ganz dünner Bronzering, der 
wol um den Hals getragen wurde (seine Trümmer lagen bei 
drei Milchzähnen). 

Eine sehr schöne Bestattung war folgende (0), 4,5 m nörd- 
lich von der Mitte und 1 m tief liegende: Das Skelett lag in 
Rückenlage mit gestreckten Gliedern, das Gesicht nach links 
gedreht, genau Ostwest, Kopf westlich. Das Skelett ruhte auf 
einer Holzlage, die jetzt allerdings nur eine verkohlte, halbfinger- 
dicke schwarze Masse darstellte; rechts und lifiks zog sich diese 
Lage, stumpfwinklig abgeknickt, handbreit in die Höhe (also 

Querschnitt: \ ^ ). Eine zweite solche schwarze Schicht lag 

über der Leiche, so dass wir also eine Art von Sarg mit 
Deckel annehmen dürfen. (Besonders auf dem gleich zu be- 
schreibenden grünen Gürtelblech hob sich diese schwarze Schicht 
gut ab, deutlich auch im gelben Lössboden unterscheidbar.) Ab- 
wärts reichte das Holz 30 — 40 cm weiter als die Füße, oben 
hörte es knapp über dem Kopf auf, beiderseits kam die Seiten- 
wand nahe den Armen. 

An Beigaben war die Leiche recht reich: Da waren erst 
ein Paar Ohrringe, 4 cm große Reifen, hohl, aus dünner Bronze ; 
der Ring ist auf einer Seite nur 2 mm stark, hier befand sich 
die Schließe und Aufhängstelle, die leider nicht erhalten; von 
hier an verstärkt sich das Kaliber der Hohlspange, um gerade 



Die l,rilib(li-ki' liei Ihvill^c 



35 



gegenüber 6 mm zu betragen. An jedem Vorderarm sass nahe 
unter dem Ellbogeu je ein glatter 62 mm weiter massiver 
Bronzerini^ von 3 mm Stärke. Quer über den Leib, ziemlich 
tief, ging ein sogenanntes GUrtelblech, 10 am breit und 38 cm 
lang, aus glatter, nnverzierter Jironze. An einem Ende ist in 
der Mitte durch zwei Nietnägel ein Haken befestigt, am andern 
sind in zwei Reihen sechs Nägel mit Küpfchen vorhanden, mit 
denen wol das die Bückenhttifte des GUrtels bildende Leder oder 
dergleichen befestigt war. Oberhalb des Ciiirtßls, auf der Üriist, 
lüg eine grobe schwarze Masse, zum Teil etwas faserig und be- 
setzt mit vielen kleinen Bronzesch<i;ipchen, die etwa aussahen 
wie halbierte Pfefferkörner — ein mit Bronze besetztes Ge- 
webe, Leder oder dergleichen — das Ding reichte bis unter 
deu Gürtel. Heierli (a. a. Ü. S. 363) erwilhnl ebensolche Ge- 
webe als nicht selten in Hallstattgrabhügeln der Schweiz. Am 
Obern Rande des tiUrtels rechts von der Mittellinie lag ein 
mnder, halbkugeliger, hohler, eiserner Knopf. Und endlich fanden 
sich stark zerfressene Eisenstücke rechts und links der Unter- 
schenkel, je kleine Stückchen; vs sind Stücke eines (oder 
Kweier ?) rund 5 nim stiirken Reifens von mindestens 14 cm 
Durchmesser — mehr HUst sich darüber nicht sagen. Abwärt« 
vom Sarg, unterhalb des Fulleuds, lagen einzelne dicke Scherben. 
Ganz westlich kamen nun nebeneinander (nur eines etwa 
'4 m nördlicher) zwei Kinderskelette zum Vorschein, beide in 
Rückenlage mit dem Kopf nach Süden, 1,2b m tief. Das 
erste (p) iiatte Ohrringe, die sich aber nicht erhalten lietien, 
man sah nur Bronzestückchen, die beim Herausnehmen zerfielen. 
Vor der Brust war ebenfalls wieder ein Stück bronzebesetztes 
.Gewebe", wie oben beschrieben, aber nur ein kleines StUck. 
In der Hüftgegend lag (nahe der Mitte) ein Armring (beide 
Vorderarmskelette waren spurlos verschwunden) aus Bronze von 
3 mm Stärke und 6 cm weit; seine Aullenseite ist quer gerieft, 
die Enden greifen etwa 2 cm weit aneinander vorbei, einander 
enge anliegend. Das andere Individuum (q) war wol noch jünger, 
nur zerfallende Knochenspuren ließen die Lage deutlich erkennen, 
es trug als einzige Beigabe vor dem obern Ende des Brust- 
beins ein S mm großes, 1 mm starkes Golddraht ringchen, rnnd 
und geschlossen alsRing, es ist Itt-karatiges hellgelbes Gold. Etwa 
'/, m nördlich davon ruhte in gleicher Lage ein Skelett (r) 
eines erwachsenen Menschen zarten Baus (Weib oder Jugend- 




36 Fischer 

lieber Mann) ohne jede Beigabe und ebenso ohne Gaben nord- 
östlich ein Skelett (Im tief), mit dem Kopfe nach Nordwest, 
in Rückenlage, eine erwachsene Person, vielleicht (nach Größe 
der Zähne) ein Mann. 

Damit war die Nordwesthälfte des Hügels erschöpft — ^ die 
andere Hälfte (s. Plan, Abbildung 1 5, S . 30) hatte folgende Ausbeute : 

Gleich das erste Skelett (1), auf das wir stießen, war reich" 
mit Gaben versehen. Es hatte (in 55 cm Tiefe) Rückenlage, 
das Gesicht nach links gewandt, die Arme gestreckt; das Haupt 
lag genau gen West. Zu seiner rechten Seite lag ein eisernes 
Schwert in eiserner Scheide, sein oberstes Ende (der Griff- 
zunge) erreichte die Mitte des Oberarms, einwärts (brustwärts) 
von ihm liegend, das untere ging bis ans Knie, außen neben 
ihm abwärts ziehend. Das Schwert misst 75 cm, davon kommen 
auf die Griffzunge 10,5 cm, vom Griff ist nichts erhalten. Die 
Scheide ist oben 6 cm breit, verjüngt sich ganz gleichmäßig 
und allmählich, der Schwertform folgend; eine leicht bogen- 
förmige Linie setzt sie nach oben ab. — Vom Schwertgehänge 
ist ein größerer und ein kleinerer Haken erhalten, die innen vom 
Griff lagen, dann vier runde (halbkugelige) Knöpfe von wachsen- 
der Größe (1,8 — 1,6 — 1,3 — 1,1 cm), die auf der rechten Brust- 
gegend waren, alles von Eisen ; von der linken Schulter zur rechten 
Taillengegend (höher als Hüfte) zog ein fingerbreiter schwarzer 
Streifen einer krümeligen zerfallenden Masse (Lederriemen?); 
auf dieser saßen die Knöpfe. Am linken Arm sass am Ellbogen 
ein 9,5 cm weiter uud Yg ^^ dicker Bronzering, glatt, ge- 
schlossen, massiv. In ihm lag ein kleines, 2 cm großes und 
Y2 cm dickes Bronzeringehen, unter und neben ihm wieder einige 
unkenntliche schwarze Reste (Leder?). An der rechten Hand 
sass (wahrscheinlich am Mittelfinger) ein Ring, ein glatter runder 
Goldreif, 2,4 cm groß, etwa 2 mm stark, aus hellgelbem 23- bis 
24-karätigem Golde. (Die Hand hatte auf dem rechten Schenkel 
geruht und der Ring war durch den Druck der Erde nach Schwund 
des Fingerknochens auf den Oberschenkelknochen gepresst und 
dessen Krümmung nach gebogen worden.) 

Etwa 1 m nordöstlich davon kam ein Skelett (2) in 75 cm 
Tiefe zum Vorschein, ebenfalls Rückenlage, das Gesicht diesmal 
nach rechts gedreht, mit dem Kopf nordwestlich. Die Knochen 
sind derb, dagegen die Zähne klein, so dass es doch wol eher 
als weibliches Skelett anzusprechen ist. Die rechte Schulter zierte 



Die Ldhbdike liei Ilinngcii a 



37 



eine aelir schöne bronzene Schlangenfibel (Abbildung 20), 7,6 cm 
lang (ähnlich der von Wngner in Hligelsheim gefundenen [Hügel- 
gräber Tafel 4, Abbildung 27j und andern süd westdeutschen). 
Am Bügel ist vor der Doppelschleife, die er bildet, ein rundes 
Scheibchen angebracht, und das andere Ende läuft in einen 
e ich eiförmigen Knopf aus oder besser einen aus einer großen 
gerieften und darauf sitzenden kleinen glatten Kugel bestehenden 
Doppelknopf. Einwärts vom linken Oberarm waren Spuren von 
Eisenrost, etwa Reste eines Knopfs oder dergleichen. 

Ganz im Südosten des Hügels kamen zwei Bestattungen 
(Tiefe 75 cm) zum Vorschein, die durch die Feuchtigkeit sehr 
gelitten hatten. Von einer (3) waren nur noch die beiden Ober- 
schenkel festzustellen, die Leiche lag ostwestwSrts, von der 
andern (4) waren Reste der untern Extremitäten vorhanden, die 




AbtiiliJung 20 



Leiche lag mit dem Kopf nach Norden. Unter der Leiche waren 
wieder Spuren eines Holzbretts, ob auch über ihr ein solches 
war, muss unentschieden bleiben. Quer über die Hüftgegend 
lag ein Giirtelblech aus Bronze, etwa 13 cm breit und 39 cm 
lang. Längs der beiden Enden zieht eine Reihe kleiner, von 
unten eingedrückter halbkugeliger Buckel, fast halberbsengroß. 
An einem Ende sind ein paar Nietnägel vorhanden, ein Haken 
fehlt. 

Nun wieder in den Nordostteil des Hügels: Da wurde 
wieder die Bestattung eines Kriegers freigelegt. Das Skelett (5), 
in Rückenlage, hatte den Kopf nach Nordwest. An die rechte 
Seite, von der Hüfte an abwSrts, fügte sich ein eisernes Schwert 
in Eisenscheide, vom Griff ist nichts erhalten außer spärlichsten 
Uotzspuren. Es ist etwa 76 cm lang (wobei die Spitze zn er- 
gänzen war), davon kommen auf die Griffzunge etwa lü cm. 
Die Breite ist etwa 5,5 cm, die Schneide gerade, abwärts sich 
ganz allmäblicb verjüngend. Ein kleiner eiserner Bing, an 




38 Fischer 

dem ein Bronzehäkchen angenietet, und ein eisernes BügelstUck 
einer Schnalle sind die letzten Reste des Gehängs. In der 
Nähe des Beckens (oder der Hände) lag der Schneidezahn eines 
Pferds. Unterhalb des rechten Ohrs (Hals?) lagen Trümmer 
eines Bronzerings, hohl, etwa 3 mm stark. An der linken Hals- 
seite (Ohr?) lag ein 12 mm weites Ringchen aus 23 — 24-karä- 
tigem Gold, der Ring, 1 mm stark, in Form eines Springrings, 
d. h. zwei spitz zulaufende Enden aneinander vorbeilaufend, 
einander eng anliegend. Am rechten Ellbogen endlich sass ein 
6 mm starker Bronzering, 9 cm weit, glatt, massiv, die Stelle 
der Verschmelzung der Enden etwas verdickt. 

Auch noch in dieser Höhenlage lag ganz am Rande der Gra- 
bung, 1 m tief, 9 m von der Mitte, ein Skelett (10) mit dem 
Kopf nach Südosten, ganz ohne Beigaben. 

Erheblich tiefer wie alle beschriebenen Bestattungen trafen 
wir nun hart östlich vom Mittelpunkt auf eine älteste (oder 
erste, vornehmste?) Bestattung mit Steinsetzung. Schon bei 
1 m Tiefe kamen die Steine zum Vorschein, deren Freilegung 
folgendes Bild bot (vgl. oben Grundriss, Abbildung 15, S. 30). 
Die ganze Steinsetzung war länglich rechteckig, 1,8 auf 4 m 
groß, die Längsachse genau Nordwest — Südost; die Höhe war 
90 cm bis 1 m. Die Steine waren kunstlos aufeinander ge- 
schichtet, größere und kleinere Blöcke, meist vom nahen Kaiser- 
stuhl, zum Teil auch vom etwas entfernteren Tuniberg (bei Mer- 
dingen), die schwersten mögen 1 Zentner gewogen haben. Der 
Rand der ganzen Setzung war überall gleich hoch, wie gesagt 
rund 1 m, die Mitte war viel niedriger, nur etwa 50 cm hoch (das 
andere dann natürlich mit Erde ausgefüllt), so dass eine Art von 
Wall gebildet wurde. — Dass die Steine auf der Südwestseite 
viel besser erhalten waren als die der Verwitterung stärker aus- 
gesetzten auf der Nordseite, darf man wol kaum so deuten, dass 
die Setzung seinerzeit zuerst eine Zeitlang frei, ohne Erdbedeckung 
stand. 

Neben dem Fuß der Steinsetzung fanden wir eine Schicht, 
wie man sie bei Höhlenausgrabungen etwa als „ Kulturschicht ** 
bezeichnen würde, d. h. eine 20 — 25 cm dicke Schicht, deren 
Erde dunkel war und ganz dicht durchsetzt mit Asche, Holz- 
kohlenresten, gebrannten und nicht gebrannten Tierknochen, zahl- 
reichen Scherben, großen und kleinen und kleinsten Stücken, 
sicher nicht zergangene Gefäße, sondern als Scherben schon da- 



Die LöhbUcke bei Ihringen am Kaiserstuhl 39 

mals eingebracht, wie die gegenseitige Lagerung und Erhal- 
tung usw. einwandfrei dartun. Auch Schneckenschalen (Helix) 
sind dazwischen. Unter dieser Schichte (bei 2,05 m Tiefe) kommt 
der gewachsene Boden, äußerst zähe gelbe, nasse Lette. Diese 
Brandschicht geht unter der Steinsetzung und damit auch unter 
dem Skelett durch, sie ist etwa 9 m lang und 4 m breit, sich 
ringsum allmählich verlierend, die Längsausdehnung der Schicht 
geht senkrecht zur Längsausdehnung der Steinsetzung. Die 
Leiche war also ursprünglich auf die Brandschicht gelegt worden, 
in Rückenlage, das Haupt nach Südost, und auf die Leiche war 
dann die Steinsetzung gekommen. 

Über die Scherben {U II) in der Aschenschicht noch einige 
Worte : Diese Scherben sind alle ohne Ausnahme aus ganz grobem 
Ton, so dickwandig und grob wie diese Gefäße sind die als 
Grabbeigabe hingestellten Gefäße nie. Hier haben wir, im Gegen- 
satz zu jenen Prunkgefäßen, die ganz gewöhnlichen Gebrauchs- 
tppfe und Näpfe und Schüsseln. Sie sind aus braunschwarzem 
Ton, Verzierung von eingeritzten Mustern und Farbe ist an 
keinem einzigen Stück, dagegen haben eine Anzahl Scherben als 
Verzierung eine leicht erhabene Kante oder Leiste unterhalb 
des Rands, diesem parallel den Topf umziehend. Zahlreich sind 
Stücke von Henkeln oder Scherben mit den Ansatzstellen des 
Henkels. Sehr gut sieht man an einem ganzen Henkel, wie er 
befestigt war: der Henkel war für sich geformt worden und 
verjüngte sich an seinen Endflächen zu je einem Zapfen; 
dieser war in ein entsprechendes Loch am Gefäß eingesteckt 
und festgedrückt worden, natürlich vor dem Brennen — beim 
Zerbrechen sprang nun der Topf so, dass der Henkel mit dem 
Zapfen herausfiel, unversehrt, ein Stück der Wand mit dem zu- 
gehörigen Zapfenloch daran passend, ist mit erhalten. — 

Dass es sich nicht um zufällige Anwesenheit der Scherben 
handelt, bedarf keiner Erwähnung, ihre Zahl und Anordnung 
beweisen das. Es liegt wol in dieser Beigabe ein ritueller 
Brauch vor. 

Die Tierknochen und Zähne stammen vom Schwein und 
vom Rind. 

Wie gesagt lag auf dieser Schicht (Tiefe 1 ,90 m) die Leiche, 
und zwar ohne Beigaben von Schmuck und Waffen. Nur unter- 
halb der Füße lag umgestülpt, mit dem Boden nach oben, ein 
großes Prachtgefäß (8) und dabei eine kleine Schale. Das große 



i 



40 

€reJ^ hmt die gleiche Form wie die schönen Pnchtbowlen in den 
mndem Högeln (genaa wie Abbildung 3, S. 5), auch die Reichen 
Formen des Schmucks. £s is^ also eine bimförmige, baachige 
Bowle ans rotem Ton, 34 cm hoch and 37 cm weit, mit niederem, 
scharf abgesetztem, auswärts gebogenem Band. Der Erhaltungs- 
zustand ist leider ein recht schlechter, so dass man vom Ornament 
nur folgendes sagen kann: ron der größten Wölbung des Bauchs 
an nach oben bis zu einem Knick, der die Grenze einer stlrkerem 
Verjüngung gegen den Hals hin markiert, ist das GeUß nü 
einem rund 13 cm breiten Omamentband umz<^en. FarfasdnraA i 
ist nicht verwendet, sondern nur eingeritzte und eingedzfickto 
Muster. Das Band war durch 2 cm breite, ron je djni tiefim 
Rinnen begrenzte, senkrechte glatte Flachen oder Streifen iii 
einzelne Felder eingeteilt i wahrscheinlich sechs). Ton den 
erhaltenen Feldern ist eines ganz ausgeföUt von den mndeiiy i 
aus drei konzentrischen Ringen bestehenden Rosetten, wie sie ^ 
oben von andern Geiaßen beschrieben sind. Sie stellen in Reihen, 
acht Reihen übereinander. Je sechs bis acht — oben nor sechs, 
unten acht — in einer Querreihe. Ein zweites Feld zdgt wieder 
das Master der englischen Flagge, wie ich es oben nannte, d. h. 
die beiden Diagonalen im rierecki^ren Felde, in den Tier Zwickdn 
je begleitet von tiefen Dv^ppelrinnen : kleine spitze Zacken aas ] 
ebensolchen Rinnen füllen dann die Seitenraume ans. Ein drittes 
Feld zeigt kIeinen^ Vierecke, teils ertullt mit den Rosetten, teils 
mit schr^i^r Schrai&emng aus eingeritzten Linien — alles andere | 
ist zerstört. 

Und das Schälchea endlich, das dabei «oder darin) lag, ist 
schwarz, halbnuuL henkellos, 4 cm hoch und 9.5 cm weit, in 
den gewLnbten Boden isr von unten eine kleine Delle eingedruckt 
als Stacddiche« 

Dftmit war der Hügel erjch^ptt. — 



rber?ehea wir uiisere i:eSAu::erL Funde uni vergleichen wir 
Sie mi: ander-. w;e sie Wiener. SchuniJkc ^er. F. rrer-Müller 
u- ;L. verJ^fen:I:oht h^zvn. s<.^ bleiben un> lebendere Schwierig- 
keiten n:ch: äu ub^r>Mr:ifn. 

Dv.e Funde vas5?en A::<v.Ahn.>\.s m t;::-n cin^i^n Rahmen, 
Grahinlxi^n. Bes:A::uni^n. Ar: nr.i r\'rui d-r iWi^^ben sind 



5SI 




Die Liihbfli'kc liei Iliringeii 



1 Kaiseratiilil 



41 



völlig einheitlich spüt ballstiittisch — alles gehört der , west- 
lichen Gruppe- lies Halls tattkreises an, wie sie zuletzt Hoernes 
(a. a. O.) skizzierte, innerhalb derselben der letzten Stufe (Schu- 
laacher-Hoernes) dem Übergang zur La Tene-Zeit, etwa dem 
5. oder 4, Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. 

Die Übergangsformen der Fibeln gegen die La Tene-Form 
hin, die reiche Ornamentierung der Gerade und deren zum Teil 
elegante Formen sprechen alle in diesem Sinne. Bestätigt wird 
Schumacher u. a-, dass gegen Ende der Hallstattzeit nur Leichen- 
beststtung (kein Leichenbrandl geübt wurde. Die menschlichen 
Gebeine zeigen uns einen schlank gewachsenen Menschenschlag 
mit langem Kopf; genaue anthropologische Beschreibung soll an 
anderer Stelle folgen. Kulturgeschichtlich interessiert vielleicht, 
dasg eine ältere Person (Mann?) ein lange bestehendes Unter- 
schenkel geschwür besass, wie die Rauhigkeiten, Knochenauf- 
lagerungen usw. am Schienbein dartun. — Die Knochen zeigen 
eine auffallend große Übereinstimmung aller einzelnen Merkmale, 
so dass sich mir für die einzelnen Hügel (besonders C) auch aus 
anatomischen Gründen lebhaft der Gedanke aufdrängte, es mischten 
jeweils Familiengrabstätten sein. 

Der Bestattungsfeierbrauch erwies sich einerseits reich 
— vgl. die Gefälian Ordnung, Steinaetzung in Bück C, Scherben- 
Bchicht, Steinsetzung in Bück U — anderseits ßillt auf, wie 
■nßerordenttich wenig RUcksicbt auf die Orientierung der Leiche 
genommen ist, oder besser, wie stark diese wechselt; denn es ist 
nicht zu verkennen, dass gerade bei den sorgfältigsten Bestat- 
tungen eine genaue Lagerung nach Himmelsrichtungen vorge- 
nommen ist, aber wechselnd Ost— West und Südwest— Nordost 
oder dergleichen — bei den zahlreichen Bestattungen in Hügel U 
dagegen kommen alle Z wischen rieh tu ngen vor. Als zum Be- 
stattungsbrauch gehörig glaube ich ganz besonders klar erwiesen 
XU haben die Beigabe von einzelnen QefiLllscherben als solche, 
die Beigabe aufgestellter schöner Schüsseln mit Speise, wobei 
Eierspeise, vegetabilische Speise und Schweinefleisch verwandt 
wurde, letzteres in Form ganzer Rippenstucke und Vorder- und 
Hinterkeulen. Andere Tierknochen fehlten bei den Schüsseln. (Nur 
in der Aschenschichte in U waren auch Rinderknochen.) Eine 
Schüssel (oder mehrere) wurde fast regelmäßig abwärts vor den 
FUßen aufgestellt. Einzelne (vornehme?) hatten Steinsetzung in 
"Wallform, einzelne (die gleichen)eine Art Sarg aus hölzernen Bohlen. 




42 Fischer — Die Löhbttcke bei Ihringen am Kaiserstuhl 

Von sonst Bemerkenswertem verdient vielleicht hier noch 
folgendes hervorgehoben zu werden: 

Auffällig ist die große Seltenheit von Bronzeschmuck in den 
Hügeln L und C bei relativem Reichtum an Keramik und um- 
gekehrt die Armut an Tonwaren und der Reichtum an Bronze 
im Hügel U — die Gefliße erweisen sich aber durch ihr Orna- 
ment als gleich alt. Das Vorkommen von Gold ist zwar in 
Hallstattgräbern selten, hier aber passt es zu fihnlichen Vor- 
kommnissen in der Nachbarschaft (Mittelbaden, Württemberg, 
Elsass). 

Die Gürtelbleche, Schlangenfibeln, Paukenfibeln passen gut 
in die angegebene Zeit, Hufeisen- und andere Dolche fehlen 
aber. Die Früh-La Tene-Fibel (Abbildung 17) dürfte, wie aus 
dem Fundbericht deutlich hervorgeht, keine Nachbestattung an- 
zeigen, sondern eine Einfuhrware darstellen; gerade solche sind 
auf badischem Boden mehrfach in Hallstatthügeln gefunden 
worden, wie bei Schumacher (1900) und Wagner nachzu- 
sehen, sie deutet eben die jüngste Hallstattperiode an. 

Sehr bemerkenswert sind die Scherben in der Aschenschicht 
des Hügels C, die mit ihrer primitiven Verzierung das Fort- 
dauern alter Formen im Hausgebrauch beweisen dürften; Wagner 
{a) fand einen ebensolchen Scherben bei Salem in einem Hall- 
stattgtab, hebt auch dort das Fortdauern solcher Formen be- 
sonders hervor. — Nachdem man das nun einmal w^eiß, hat es 
nichts Verwunderliches, dass die alten einfacheren Formen noch 
weiter benützt wurden. Aber es mahnt, dass man in Schlüssen 
von Grabgefäßen auf die Gesamtkeramik der Zeit doch recht 
vorsichtig sein muss, und wirft vielleicht auch Licht auf ein- 
schlägige neolithische Streitfragen! 



Änm, zur Tafel. Möglichst genaue Wiedergabe der Gefäße aus 
dem Hügel C in der gegenseitigen Stellung, in der sie im Grabe 
standen, im ganzen der Zeichnung wegen etwas auseinandergerückt. 
Rechts und links davon lag je eine Leiche. — (Die Ziffern geben die 
Nummern [Fundliste] der einzelnen Gefäße an, sie finden sich auch oben 
im Texte.') 



älteste deutsche Urkunde der Stadt 
Freiburg im Breisgau. 

Von Peter V. Albert. 

Mit einer Nachbildung der Urschrift. 

In der Geschichte der deutschen Sprache bildet der Zeit- 
punkt ihres Auftretens im amtlichen Schriftsatz des öffent- 
lichen und außeröffentlichen Verkehrs, besonders rechtsgeschäft- 
licher Art, einen Hauptmarkstein ihrer Entwicklung. Wenn es 
sich auch anfänglich mehr um die Befriedigung praktischer 
Bedürfnisse handelte, so trat doch bald, nachdem schon im 
Laufe des 12. Jahrhunderts eine hohe und reiche Blüte der 
deutschen Dichtung vorausgegangen und im Anschluss daran 
zunächst die deutsche Predigt gleichzeitig in Aufnahme ge- 
kommen war und seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts 
durch den Mund der Mystiker mächtigen Aufschwung genom- 
men, dann aber auch die Geschichtschreibung der Mutter- 
sprache in gebundener und ungebundener Rede sich zu be- 
dienen begonnen hatte, der wissenschaftliche Karakter mehr 
und mehr in den Vordergrund. Mit einem Male gewann die 
deutsche Sprache nicht nur äußerlich, indem sie im eigenen, 
bisher fast ausschließlich vom Lateinischen beherrschten 
Hause den Kampf um die Vorherrschaft mit Erfolg aufnahm, 
sondern auch innerlich, indem sie durch den erweiterten Ge- 
brauch rasch erstarkte und an Geist und Formgewandtheit 
Fortschritte machte, die für ihre Weiterentwicklung von größter 
Bedeutung waren. Auf dreifachem Weg erhob sich die heimi- 
sche Sprache nach ihrer Wandlung zum Mittelhochdeutschen 
von der des gewöhnlichen mündlichen Verkehrs zum Mittel 
des schriftlichen Ausdrucks in allen Lagen des geistigen 
Lebens. Neben der Poesie bildete sich bald auch eine 
deutsche Prosa aus, die insbesondere im Rechtsleben, so- 



44 Albert 

wol auf dem Gebiete der Gesetzgebung als auch auf dem des 
Gerichts und der von ihnen beeinflussten Bereiche alsbald 
praktische Verwendung fand, und zwar in den weitaus meisten 
Fällen in Form der Urkunde. Ihre Anfertigung, einerseits 
als wichtiger schriftlichen Aufzeichnung, andererseits ak 
rechtskräftigen Zeugnisses, lag während der kirchlich-kaiser- 
lichen Zeit des Mittelalters, wie Schrifttum und Kunst über- 
haupt, in den Händen der Geistlichkeit. Ein Wandel hierin 
erfolgte, als sich gegen das Ende der Stauferzeit in dem auf- 
blühenden niedem Adel und Bürgertum neue staatliche Kräfte 
geltend machten, die ausschließlich aus heimatlichem Boden 
emporgewachsen waren und nun die Träger wie des natio- 
nalen Gedankens, so der nationalen Kunst und Kultur wurden. 
Sie führten die Entstehung neuer Rechtszustande herbei, und 
da sie ein Interesse daran hatten, dass dieselbai schriftlich 
festgelegt wurden, beeinflussten sie unmittelbar damit die 
Rechtssprache *. 

Dieser Einwirkung verdankt das erste deutsche Rechts- 
buch, der Sachsenspiegel, seinen Ursprung in der ersten Hälfte 
des dreizehnten Jahrhunderts (um 1230)*, wie nicht minder das 
aus derselben Zeit und von demselben Verfasser, Eike von Rep- 
kow^ stammende erste Geschichtswerk (Weltchronik) in 
deutscher, und zwar in niederdeutsche Mundart. Ihnen fol- 
gen in kurzem Zwischenräume der Mainzer Landfriede Kaiser 
Friedrichs II. 12äo und das älteste österreichische Landrecht 
1287, in weiterem Abstand, um 126i\ der SdiwabensfAegel. 
IVm Vorgang der Reichs- und Lande^^^esetzgebong in der An- 
WH^mtung der deut^^hen Sprache sehloss^i sich die StSdte für 
ihre Recht<saufzeichnungen unmittelbar an, ond hier stdit 
Freiburg im Breisgau mit dem ältesten deutschen 
Entwurf seiner Stadtreohte vom Juli 1275* mit an 

^ VisK M. Vjinc^«. ]>«$ erste Auftreten d^^ deatscken ^imche in 
ilf^n Vrkumlen. l.ei)\x. l>>r\ 

^ .1. V ick er« TWr die Entsteliuncueit 4es Sacksenspicgek. 
Innshr. IS.M». 

* W, Schreiber, rrkr.ihäenViacij ott M*ät Freil»«T^ L Br. 1, Bd. 
Fmh. I>es S. 74-- ST, Nr. iM, 



Die Älteste deutsche Uckmidf der Stadt Frt-iburg im Üreisgau 45 

erster Stelle, wie denn überhaupt der Westen und Süden 
des Reichs, mit der Kulttirentwicklung von jeher im Vor- 
sprung, dem Eingang des Deutschen in die Schriftsprache am 
frühesten sich zugänglich zeigt. So stammt das Basler Bischofs- 
und Dienst mannen recht aus der Zeit von 1260 bis 1262, das 
Straßburger Stadtrecht von 1270. dasUhner von 1276. dasKol- 
' marer von 1278. das Aarauer von 1284, der Basier Stadtfriede 
von 1287, das Mülhausener Stadtrecht von 1293 und so fort. 
Gleichen Schritt mit der Neuerung der Rechtsaufzeich- 
nungen hielt die Privaturknnde, wenn man darunter im 
weitesten Sinn alle nicht königliche und nicht päpstliche 
Dokumente versteht, in deren Ausfertigung sich schon seit 
der Mitte des 12. Jahrhunderts ein wichtiger Fortschritt, 
der Übergang von der bloüen Aktaufzeichnung, der Notitia, 
zur modernen Rechtsurkunde, vollzogen hatte. Nun kam da- 
zu die Einführung des Deutschen als Urkundensprache, haupt- 
sächlich, wie bemerkt, veranlasst durch das Emporwachsen 
und Erstarken des niederen Adels und Bürgertums. „Sowohl 
als Rechts- und Gerichtsspiache als auch als Cieschäftssprache 
war das Deutsche in Übung geblieben. Eine je gröllere Rolle 
nun auf allen Gebieten des öffentlichen Lehens die Rechts- 
iind Geschäftslirkunde zu spielen begann, desto näher lag es, 
die Geschäfts- und Umgangssprache auch bei der schriftlichen 
Aufzeichnung anzuwenden, teils um dem Inhalt möglichst all- 
gemeine Verbreitung zu sichern, teils der Verständlichkeit für 
die Parteien selbst wegen, teils weil wol mancher ürkunden- 
schreiber auch nicht mehr ganz des Lateinischen mächtig war, 
seitdem die Klöster und die Geistlichkeit fUi- das Schreib- 
geachäft und das Urkunden wcsen nicht mehr von so aus- 
ßchlielllicher Bedeutung waren wie früher. " * Rascher, als 
mau gewöhnlich annimmt, war der nationale Zug aus den 
Bürgerhäusern der Städte auch in die Klöster eingedrungen, 
deren Beziehungen zueinander ja schon durch die Herkunft 
ihrer Insassen sehr innig zu sein pßegten. Zumal hier in 
Freiburg zeigten sich die Folgen dieser Wechselbeziehungen 




46 Albtrt 

wie in vielen andern Dingen so auch im Gebrauch der VolSl 
spi-ache im amtlichen Verkehr seitens einzelner dem Bürger- 
stand besonders nahe 8 tobender klösterlicher Anstalten. 

Die älteste der in deutscher Sprache abgefassten 
Privaturkunden ist ein Kaufvertrag zwischen Ludwig und 
Johann von Mülinen einerseits und ihrem Bruder Kornea d 
andererseits vom 12. November 1221 ^ ein früher, aber ver- 
einzelter Fall, dem ein zweiter erat nach 17 Jahren in dem 
oftgenanntea Teilungsvertrag der Grafen Albrecht und Rudolf 
von Uabsburg von 1238° zur Seite steht. Dann aber bricht 
die Reihe der deutschen Urkunden nicht mehr ab: die nächste, 
vom 2h. Juli 1240, ist sogar bereits eine deutsche Königs- 
urkunde, aus der Kanzlei Konrads IV.' Während nun aber die 
Reichskanzlei in der Anwendung des Deutsehen als Amts- 
sprache vorerst noch zurUckblleb, — die nächstfolgende Kaiser- 
urkunde in deutscher Sprache ist vom 1. Februar 1275 und nach 
Schrift, Ausstattung und Ausdruck aullerlialb der königlichen 
Kanzlei gefertigt' ^, und noch zu Anfang der Regierung 
Rudolfs von Habsburg auf bestimmte Urkundengattungen sich 
beschränkte, gingen Städte und kleinere Landesflh'sten ziel- 
bewusster vor und schufen für die sprachliche Bewegung auf 
dem urkundlichen Gebiet eine vorbildliche Grundlage. 

Von ganz hei-vorragender Bedeutung ist hier, woran die 
Forschung bisher fast achtlos vorübergegangen, das Beispiel 
der Grafen von Freiburg und der in ihrem Macht- 
bereich stehenden Stadt Freiburg und Landschaft des 
Breisgaus. Im weiten Umkreis der oberrheimschen Lande 
sind sie, von einigen wenigen Fällen in der benachbarten 
Schweiz abgesehen, die ersten, welche mit Beharrlichkeit und 

' Äbgedr. im Anieiger f. Schweizer Gesch. 19. Jalirg. N. F. 
5. Bd. Bern 1888, S. ÜSO f. 

' Foutes rerum Berneosiiim. Berna Ueschichtsqutllen 2 (Bern 
1877), S. 181— «-3, 

' J. Fr. Böhmers Regesta imperü V. Xeii hrsg. von J. Fickor. 
1. Bd. Kaiser und Könige. Innabr. 1881— 8ä. S. 805. Nr. 4427. 

' Ders., Reg. imp. VI. Neu hrsg. von Oaw. Redlich. I. .Abt. Innsbr. 
1898, S. 92 f.. jNr. 326. 




Dil; älteste deutsche Urkunde der Stndt FreiliLirg iin BreiägBu 47 

Verständnis der Muttersprache nicht bloli im eigenen Geschäfts- 
verkehi' sich bedienten, sondern auch, soweit ilir Einfluss reichte, 
in diesem Sinne für ihre Verbreitung wirkten, Ihr erster Schritt 
in dieser Richtung geschah am 11. Januar 125t) mit einem 
Kaufbrief zwischen dem Grafen Konrad einer- und dem 
Bitter Rudolf von Katsamhausen und dessen Hausfrau Anna 
geb. von Tunsei andererseits über die Burg und Herrschaft 
Tunael bei Staufen". „Die hescltach ze Vribur>j des iares do 
von gottes g^m'iie waren zweff Itunthrt iar, seitsiu vml fiimfxio 
iar, an deine ersUm sistoge mich deine eicelften tuge." Die Ur- 
kunde trägt ganz das Gepräge des von der gräflichen Kauzlei 
zu Fi-eiburg in der Folge andauernd eingeschlagenen Ver- 
fahrens und bildet das erste Glied einer von nun an fast 
lückenlos fortlaufenden Kette deutschurkundlicher Sprach- 
prcben, an denen die Stadt Freiburg ihrerseits in lobens- 
wertem Eifer den regsten Anteil nahm. Dessen zum Zeugnis 
dient die Zweitälteste deutsche Urkunde Freiburger Herkunft, 
das älteste deutsche Sprachdenkmal in städtischem Besitz: 
ein MUnzvertrag des Grafen Eonrad und der Stadt mit ihrem 
Nachbar, Gottfried Marschall von Staufen, als Henn der Berg- 
werksstadt Münster bei St. Trudbert. Sie ist ausgestellt am 
Samstag den 19. Januar 125S und lautet; 

AUeti deit, die disen briff sekenl cha'nden tcir graue Cifn- 
rat von vriburg vnde der schuUlieue von vriburg vndc alle die j 
^er ende zwemk, das wir des vberein sin chotne» mit geinei- 
rate, daz vieinan von vriburg in decliein ander nmrize / 

in siöier sol f'u'ren noch senden mit decJieiner geuerde, 
int ers darubere, so sol in der schulthfiixe vnde der munee- 
meister phen- / den alse dicke so ers luH vn^te üko march, 
mde git iejiian chein silber vmbe basefer hie alder se mu'nster, 
tääer stca ers tu"t, den sol der schuUbeue ende der mtt'tisemeister 
phenden alse dicke so ers twl vmbe xwo march. Hilfet ee vri- 
hiary ieman decheinie gaste dechein silber eho'fen mit decheiiier 

" Ann dem ArcUiv des KlusUra St. Trudb«rt. jetzt im GroÜh. 
General-Landettarchiv zu Karlsruhe. Gedr. in der ZeitBchr. f. d. Gesch. 
i. Oberrheins. 9. Bd. Karlsr. ISh^. S. 388f. 




48 Albert 

ffnwnlej den sol man phenden i^nbe ein march, fufrei es aber 
der (jast hhinan, so sd er selizic Schillinge gen vfide den dege 
schaz. vndc siver hie dechein haseler l<fst mit decheime duff- 
srhaz::e fiVr zehen Schillinge^ den phendet man vmhe ein mareh. 
iSivas er rndfr zehen Schillinge l<fst^ dartunbe plusndet man in 
rmht* drie Schillinge , diz ist vmhe ba seier vnd vfnbe äBe ander 
phenninge, ane brisker eine. Alle dise einufige suUen stete Uiben 
hie vpide ze muhistere von rnser vp'O^irn mes der lieldmes so nu 
chiifnd uIht zwei iar. Ich Cnftfrid marschalc von stopfen ckufnde 
allen den die disen brief sehent^ das ich alles das daß an disme 
briene stat, alse ez ze friburg bestetet ist unde uf gdeit stete 
han vftde stde sol blil>en ze miVnstre alse ze friburg in deme 
stilk^n rvhte, ron de dirre brief besigelt i^t mit Grauen Ctfn- 
rates insigle ron rribnrg rnde tnit der stette insigle van fri- 
hnnh so han ich in mit niinie insigle besigelt vnde beuesient, 
Jhz licschach des iatrs do uon goftes gebwrte icaren zwdfhundert 
iar ehteiri rnde fiunfzic iar rierzehept naht vor der liMmes. 

l>io rrkundo ist (ohne den Bug^ 18 X 24 cm groß und, 
wie die hier beigegebene Abbildung zeigt, mit Ausnahme der 
etwas lu'sohädigten Siegel der drei Aussteller sehr gat er- 
halten **. Sie zeigt in der Spraeh- und Schreibweise alle Vor- 
züge und Fehler der altertni deut^^hen Privaturknnde: neben 
einer gewissen l'nbeholfenheit und kleinen Unregelmäßig- 
keiten eine gi^Ulene Kürze und Klarheit des Ausdrucks, neben 
dem alten WortU'stand einzelne Neubildungen und Ansätze za 
solehen. Si> erseheint vhein neben dechein. wer neben swer 
(und «<»r(is\ in der Si'hreibung Vrihnrg neben Fribnrgj deeheins 
nelvn sehz-ig* /iVA/w<>\ »>'A/<\ rlkrtin neben über fiu, rnde neben 
HHde und ufiHint. neK^n chn^nden. Mn'tkster usw. aneh gebn'rlef 
nelvn mH*r,:emnsif'r auch mtinzemeisitvr und dergleichen mehr, 
wie es die bildliche Wie^lenrabe getreu veranschaulicht. Die 

■' M:t «'.KtT S,hnf:i*r\^Ko. *Kr kt^iiwi^wt^c? fehlerfrei und den heu- 
t ; *; v.^ V r. (o : \u' : ;: f. i s v. »■ :*. ; > v :>v h «^ t^ li j:xv. t . v ^»r. S o h r e i K e r a. a. O. L o? f- 

S^^v,-**-!»«* i« r*;i'.> ii:*i:»»!T;>s .: iorr.:Ar.:s,r:?r. rhiU*:i>«ie. Ü Aufl. Stnißb. 
«:V:\ S ^"*<r ^,;r. V:v ;-.::i . l^ K^-.v.v.: d:e Keibe der dentacben Ur- 







4 



i 



Die Kltnte dputsche Urkunde der Stadt Freiburg im Breiegan 49 

Eigennamen sind bald groß, baid klein geschrieben, ebenso 
graue bald mit großem, bald mit kleinem g, die Satzanfänge 
abei' fast durchgängig mit grollen Anfangsbuchstaben. Indes 
tnuss ich die nähere Würdigung des Dokuments nach der 
sprachlichen Seite den Fachgelehrten tiberlassen und mich auf 
die Erläuterung des Inhalts in historischer Hinsicht be- 
schränken. In diplomatischer Beziehung weist es die all- 
gemein gebräuchliche und bekannte Fassung und formelhaften 
Wendungen auf, wie solche sowol fUr die Königs- als auch 
für die Privaturkunde im Änschluss an die bis dahin übliche 
lateinische entstanden und für Schriftstücke von einfacherer 
Form eingebürgert waren. Es gibt deshalb bei ihr keine Invo- 
kation, Titulatur und Gruß, keine Arenga und Pönformel; sie 
beginnt unmittelbar mit der Adresse und Publikation, geht 
sofort zu dem eigentlichen Text über und schlielit, ohne 
Zeugenformel, mit der Korroboration und dem Datum, mit 
letzterem folgerichtig nach dem deutschen Kalender. 

Inhaltlich stellt unsere Urkunde den Abschluss eines 
HünzbÜndnisses zwischen den drei Vertragschließenden dar. 
Dies sind Graf Konrad I. von Freiburg, ein Großneffe des 
letzten Herzogs von Zähringen, geh. 122ß, seit 1236 regieren- 
der Graf von Freiburg an Stelle seines in diesem Jahr ver- 
storbenen Vaters Egon I., seit 1248 mit der Gräfin Sophie 
von ZoUern vermählt, gefallen in der Schlacht bei Wiesel- 
burg im Kriege zwisclien den Königen von Bfihmen und Un- 
garn an der Seite seines Schwagers, des Grafen Gottfried von 
Habsburg-Laufenburg am 21. Mai 1271, ein friedfertiger, aber 
nichtsdestoweniger kraftvoller Herrscher und Begründer des 
gotischen Münsters zu Freiburg. Er besass, offenbai- als Pfand 
von den Markgrafen von Baden und Hachberg, das Münzrecht" 

" Die Mftnse zu Freibut^ bildete mit piu^n GegcnsUnd des Streits 
zwischen den Morkgrafen von Hacbherg uud den ürnfen von Freiburg um 
die Zabringer Erbschaft, der sum Teil uatcrra K. Oktober 1S6& tu Freiburg 
Ter(|;leichsweise beigelegt wurde. Die Urkunde darüber (s, Schreiber 
], eOff., Nr. 16) ist dentach auagefertigt and besagt bezQglich der Münse: 
„Stpntne aber der maregraae dU lawnze le. Driburg lo'sen «lil, »o aol « 
ime graut Co>nrat gen ze to'senne, alder er toi sin mit rehte ubenaerden, 
Alemannia N. F. s, iji. a 




I 



50 Aller« 

und ala Leliun vom Bischof von Basel lite zur Münze un» 
behrliclien Silberbergwerke im Breisgaii, hatte sonach den 
Münzmeiater zu setzen und die volle Verfügung über diese 
Staategerecht sanie. In Ausübung derselben verordnete er 
kraft unserer Urkunde in Übereinstimmung mit seiner Stadt 
Freiburg, als deren Vertreter auf Grund der Verfassungs- 
änderung des Jahrs 1248 hier der SchultheiU und die alten 
und neuen („vnde alle die") Vieruii dz wanzig erscheinen, dass 
unter scliwerer Strafe niemand von Freiburg Silber in eine 
fremde Münze führen oder dessen Ankauf durch einen Aus- 
mann befördern oder fremdes, namentlich Basler Geld ein- 
wechseln dürfe, — ein Verbot, dem der Marsehall von 
Staufen für seine dm'ch den Bergbau damals blühende, jetzt 
eingegangene Stadt Münster sich anschloss. Die Maüregel, 
für die beiden folgenden Jahre 1258 und 1259 getroffen, war 
also gegen die damals im Verfall begriffene Basler Münze ge- 
richtet, gegen welche die Vertragschließenden ihre eigene 
Münze, den Breisgauer Landmünz-Pfennig oder Brisger, zu 
schützen suchten, indem sie jener die Silberzufuhr abschnitten. 
Die Annahme von Basler Pfenningen an und für sieh würden 
sie nicht veiboten haben, wenn dieselben noch ala gutes Geld 
gegolten hätten; man wollte nur das Einströmen minder- 
wertiger Münze verhindern. Die Basler Münze war seit 
ihrem Wiederanfall ans Reich im Jahre 1025 im Besitze des 
Bischofs, der durch König Konrad II. 1028 auch die Ausbeute 
aus den Bergwerken des Breisgaus und anderer Orte verliehen 
und diese Vorrechte durch Konrad LU. 1149 und Friedrich I. 
1154 vor jeder Nachahmung innerhalb der Grenzen seines 
Bistums geschützt erhalten hatte, unter der gleichzeitigen 
Verpflichtung der Rückkehr zum guten alten Gewicht. Dieses 
war Abu dem heutigen englischen genau gleiche des Pfund- 
Schilling- Pfenning- Systems, doch sind uraprünglich nur Pfen- 

Sirenne och der mnrcgraue den grauen Ce-nnilen einbe die silberberge an 
Kpriehet, liaruinhe mit er ime antwrteii, da er le rehte roI.'' Und ferner 
kni StliluBa; „Ane die mtihtie te friburg ende die ailberberye ende das gt- 
Itite jme land, da» aol er [der Markgraf] «ordron, ob er kH, alte da 
obenan gaeribtn ü." 



J 



Die ältea 



- rrkiiiiilp der Stwlt Froibiii 



i Bieisgau Öl 



ninge geprägt worden, deren jeder etwa 1 firamm Silber ent- 
hielt oder enthalten sollte und etwa 8,2 Centimes des heutigen 
Gelds gleichkam; in der Folge wurden auch halbe Pfenninge 
(Hälbling) geschlagen- Der Baaler Silberpfenninge (Denarhis) 
machten 1:^ einen Schilling (Solidun, eine Ueclinnngsniilnze, 
die seit dem Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts als Plap- 
part auch wirklich geprägt wurde), 240 oder 20 Schillinge 
ein Pfund (Lihra) oder eine Mark = 234,4: Gramm Silbers 
= etwa 20 Franken. Dem Milnzpfund entsprachen aber die 
Münzpfemiinge nur dem Kamen nach; während jenes stets 
240 Pfenninge behielt, stieg die Mark durch die Mtinzverschlech- 
terimgen, des vierzehnten wnA fünfzehnten Jahrhunderts z. B, 
rasch auf das Dreifache'''. Seit der Verleihung Kaiser Fried- 
livhs I. von 1154 war die Basier Münze ganze hundert Jahre 
lang ohne wesentliche Verandeningen geblieben, von der Mitte 
des di-eizelinten Jahrhunderts an abei-, einerseits infolge der 
politischen Zerrüttung Deutschlands durch das Interregnum, 
andererseits infolge des in dem vollständigen Sieg der Geld- 
wirtschaft über den Tausch verkehr begründeten grollen Um- 
schwungs aller Verhältnisse, zugleich mit allen andern rheini- 
schen l^enningen rasch und unaufhaltsam gesunken ". In 
dieser schweren Zeit vermochten sich nur diejeuigen wenigen 
Münzstatten zu halten, die wie die Freiburger der vennelirten 
Nachfrage nach unvermünztem Metall gerecht zu werden im- 
stande waren. So war der Schutz der .Brisger" dui-ch den 
HUuzvertrag von 125S von selbst gegeben, ein Gebot der 

' Selbsterhaltnng, denn an Wert und Gewicht sollten der Brisger 
und der Basler von Haus ans einander vollständig gleich sein. 
Bei dem damaligen Heichtuni der Silbergruben in der ganzen 

I Umgebung von Freiburg, wie namentlich des MUnstertals, konnte 
nun gerade der Brisgauer Pfenning so vollwertig sein, dasa 
das Untergewicht der Basler doppelt auffiel und auch auf den 
Berm von Münster, der keine eigene Münze besass, zu dem 
gemeinsamen Vorgehen mit Freiburg zwingend wirkte. 

■■ Vgl. Tr. GeeriDg;, Handel und Industrie der Stadt Baael. Basel 
1886, 8. xxm u. 0. 

" Vgl. Jul. Cahii, Der Rappenmünibond. Heidelb. 1«01. S. 16ff. 




Gottfried von Staufeii, aus dem alten Zäliringer, naclinials 
gräflich Freiburger Dienstniannengeschleuht, bekleidete überdies 
das in seinem Haus erbliehe Marschallanit der Herzoge von 
Zätirlngen imd behielt auch nach dereu Aussterben (1218) den 
Titel noch längere Zeit bei. Er hatte die Kaatvogtei über 
die Imlraburgisclie Benediktinerabtei St. Trudbert im Münster- 
tal und ausgedehnte Rechte und Einkünfte auch über das süd- 
lich um das Kloster gelegene Dorf Münster, das seit der Mitte 
des dreizehnten Jahrhunderts mit Stadtherrlichkeit begabt er- 
scheint infolge des Aufschwungs, den es durch den ergiebigen 
Bergbau in dem an Erzen, zumal an Silber reichen Münster- 
tal genommen hatte. Über „die siat re Münster''' o.der ,die 
Stadt Münster im Breisgau" — zum Unterschied von Münster 
im Gregorieiital westwärts von Kolmar — gebot der Abt von 
St. Trudbert als Grundherr, die von Staufen namens des 
Hauses Habsburg als Schirm- und Gerichtsherren; ihre Ge- 
walt ging Über den ganzen Talgang „iwh der obren brugg ob 
der stal ze Münster um nidenus se dem rriise ze ydtceder siten, 
als die. wasacr smgi hi". Später der Stadt Freiburg ver- 
pfändet und trotzdem von einem Herrn von Staufen wider- 
rechtlich verkauft, wurde das Städtlein und die dabei gelegene 
Burg Scharfenstein von der Freiburger Bürgerschaft 1346 teil- 
weise zerstört und gewaltsam in Besitz behalten, bis es Her- 
zog Älbrecht von Osterreich 1350 an sich löste. Mit Abgang 
des Bergbaus verlor es den Karakter einer Stadt; als solche 
urkundet sie mit Vogt, Rat und Gemeinde zum letztenmal im 
Jahre 1539. Dann sinkt sie wieder zum Dorf herab und heute 
ist es nur noch eine sogenannte Rotte zwischen St. Trudbert 
und Waseii'*; von der Herrlichkeit der ehemaligen Bergwerk- 
stadt ist keine Spur mehr vorhandec. 

Über den Erfolg der Einung von 1258 ist weiter nichta 
Überliefert, auch nichts darüber, ob sie nach Ablauf der zwei 
Jahre etwa erneuert oder aber durch Besserungsmaßnahmen 
der Basler Münze aufgehoben worden ist. Hier kommt auch 
nur die sprachgeschichtliche Bedeutung und Wirkung des 

» V(e1. Zeitaclir. f. d. Gesch. d. Oberrheins. N. F. 11 (Freib. 
1887J. S. 450. 




Die lÜU'Bte deutBche Üikutiiie der SUrlt Freiburg im Breisgau 



53 



Bündnisse 3 in Betracht, das einen n» überaus erfreulichen 
Um8c)iwung in der Kanzleisprache der deutschen Företenhöfe 
und Städte rait einleitet, Dass bei dieaeni Bruch mit einem 
vielluindertj ährigen Herkommen zugunsten unseres lieiügsten 
Nattonalguts die Grafschaft und Stadt Freiburg mit an erster 
Stelle steht, ist wo! weniger das Verdienst einzelner, nicht 
mehr zu ermittelnder Persönlichkeiten, als vielmehr die Frucht 
einer in Zeit und Umständen des sogenannten Interregnums be- 
gründeten allgemeinen Bewegung. Oder ist es nicht eine 
auffallende, wenn auch bis jetzt noch von niemanden be- 
achtete und gewürdigte Erscheinung in der Geschichte des 
deutschen Urkundenwesens, dass seine Ausbildung mit jenem 
Zeitraum politischen Niedergangs, mit den Jahren 1256 bis 
1273 80 eng zueammenfallt? Nicht zuletzt mag auch das 
Ausland dabei beeinflussend mitgewirkt haben, wo das Ein- 
dringen der Nationalsprache in die Urkunden schon geraume 
Zeit friiher erfolgt war, wie in Spanien und Südfranki'eich 
bereits um die Mitte, in Nnrdfrankreich mit dem Ende des 
zwölften, in Italien in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahr- 
hunderts. Zur Reife kam es dann mit dem Sieg der durch 
den aufblühenden Kleinadel und das Bürgertum seit dem 
Ende der Stauferzeit vorbereiteten großen Wandlungen auf 
den Gebieten der Politik, Kunst und Kultur, wovon ja z. B, 
daa Aufkommen des gotischen Stils der beste Beweis ist. Es 
' wäre eine verlockende Aufgabe, auf die aber hier nicht weiter 
eingegangen werden kann, den verschiedenen Ursachen, Strö- 
mungen und Kräften näher nachzuspüren, die in der engeren 
Heimat am Öbeirliein diese Umgestaltung mit dem stark 
nationalen und volkstümlichen Gepräge im einzelnen herbei- 
geführt haben und insonders hier in Freiburg und im Breisgau 
so früh und nachhaltig in die Erscheinung getreten sind. Es 
ist diirchau.s nicht gesagt, dass die Volkssprache dort am 
leichtesten in die Privaturkunde eingedrungen ist, wo keine 
festgefügten Kanzleien bestanden, oder in solche Urkunden, 
für welche es zwar allgemeine Grundsätze, aber keine kanzlei- 
niäliig ausgebildeten Vormuster gab, also einerseits in die 
Urkunden des kleinen Adels, amlerereeits in die politischen 



54 Albert 

Dokumente'^. Hier im Breisgau sind derlei Ursachen in keiner 
Weise wahrnehmbar, noch weniger richtig, dass die städtischen 
Geschäftsurkunden ein paar Jahrzehnte länger als die Xach- 
bargebiete am Lateinischen festhielten. Die Stadt Freiburg 
zumal ist hierin geradezu bahnbrechend vorgegangen, zu einer 
Zeit, wo andere, größere Gemeinwesen noch kaum den ersten 
Schritt gewagt haben. 

Seit der Münzeinung vom 19. Januar 1258 beginnen die 
in der Grafen- und Katskanzlei in deutscher Sprache aus- 
gefertigten Urkunden die lateinischen so schnell und durch- 
greifend zu verdrängen, dass von 1275 an, dem Jahr der 
deutschen Fassung des Stadtrechts, der die gleichzeitige An- 
legung einer Handschrift des Schwabenspiegels gewichtig und 
vielversprechend zur Seite geht, lateinisch abgefasste Schrift- 
stücke mehr als in den Städten der Nachbai-schaft wie Straß- 
burg, Kolmar, Basel zur Seltenheit werden. Von 60 Frei- 
burger Urkunden des Zeitraums*®, in welchem hierzulande die 
deutsche Urkunde ül)er die lateinische völlig die Oberhand 
gewinnt, entfallen insgesamt r>4 auf die deutsche und nur 6, 
hauptsächlich geistliche Sachen betreffende oder unter geist- 
lichem Eintluss entstandene Stücke auf die lateinische Sprache; 
sämtliche seit 12(>0 aus der Stadtkanzlei hervorgegangenen 
Urkunden sind deutsch abgetasst: — ein Vorbild, das wenige 
seinesgleichen haWn dürfte. Graf und Stadt sorgten aber 
nicht bloß dafür, dass ihre eigenen Beurkundungen, wo es 
nur immer anging, in der Muttei^prache ausgefertigt wurden, 
sondern liehen auch mit ausgesprochener Vorliebe überall da 
in Freundes- und Bekanntenkreisen ihre Mitwirkung, wo in 
deutscher Sprache anitiert und verhandelt wurde. In zahl- 
ivichen Urkunden ist dessen am ScOiluss erwähnt mit der Wen- 
dung: ^Ihnrh (/(i>\ tias c/i> sUff UHh, so ist dirre brief ze eime 
iurhfhnir inif mis hn^iTH f/nifYw (\rnrafcs roii Vriburg inslgde 
tnuit' mit titr sfrttr inshnif' n>ii Vrihiini ItstQiit luide bevestetit,*^ ^^ 

" NVio \a!H>a a. a. O. S. h»:> f. Wort haWu möchte. 
"• /oilNoln. r. a i;osoh. k\ OluMrhoinslX.Karlsr.1858), S.333ff., 
•UiMl. \ i!S.V.»\ s \u\\\\ i^^MY. um! :U»>ff.: Schreiber a. a. O. 1. 58ff. 
" /oilNohr. f.a.iJosoh. a. Oberrheins iX, 446^,2». Aog. 1267) U.Ö. 



Die aU-esle dpulsrhe L'ikiiU'lc licr Sladt Frtiljiirg im Brfifgiiu 55 

Weniger günstig für die Annahme des Deutschen als 
amtliche Schriftsprache waren die Bedingungen in geistlichen 
Kreisen, wiewol auch diese innerhalb der Grenzen der Stadt 
Freiburg nicht so lange als in andern Gegenden des Reichs 
zui'ückgeblieben sind. Im allgemeinen konnte in Klöstern und 
l»ei kirchlichen Körperschaften mit den für ihr Urkunden- 
wesen bestehenden festen alten Überlieferungen naturgemäli 
nicht so rasch und gründlich gebrochen werden wie in 
dem viel mehr an praktische Bedürfiiisse gebundenen und 
gröl lerer Beweglichkeit unterworfenen Kanzleigebrauch des 
Adels und der Städte. Trotzdem ist auch auf diesem Gebiet 
hier in Freiburg frühzeitig das Streben nach Bevorzugung der 
Muttersprache bemerkbar, zumal in den weniger mit gelehrten 
Elementen bevölkerten Klöstern und klösterlichen Anstalten. 
So findet sich, soweit sich das Material bis jetzt übersehen 
lässt. in dem um 1234 gestifteten Predigernonnenkloster Adel- 
hausen die erste deutsche l'rkunde zum Jahre 1272, ebenso 
bei den Siechen anf dem Felde", hei den Johannitern 1273", 
ini Heiliggeistspital 1277*", im Predigermannskloster zum 
'SO. September 1288'*. Eine deutsche Grafenurkunde im Archiv 
des Klosters Adelhaiiseu aus demselben Jahi'e 1272 ist in 
jeder Hinsicht so karokteristisch , dass ihr hier eine Stelle 
gegönnt sein möge. 

Alte, die dtsen brirf geschent, gni'sit graue Egene von tri- 
burcli t-nde kv'ndet in die warheit, diu a» j disetn brieve stal. 
Wir hr'tiden duz rwrfe vergehen des, daz wir dae vertxmien 
Jiaben ttidr des vnderwiset sin, j dax drr bach der Treisenie 
rnde von andern brunnen vnde wazsern gdeiiii ist vf der swesttrn 
matten von j Adelnkusen vnde vf ander ir gut, dax der siv 
braht ist von den bargern, die in du» gu"t gaben tmde von ge- 
meiner gewoniieii der stat ee vriburch vnde in mieifit ist an dem 
perihte se vriburch, diu den unser vafer grarr Cirnrnl, der hirre 

■• Sehreiber «. b. 0, 1, Caf. Kr. 20. 
» D«s. I. 72f. Kr. 22. 

" A. l'oinsignon, Die Urkunden des Hlgelatapitnls lu Fn-ibiirg 
i. Br. I. Bd. Freib. i. Br. l'^'M iS. 2 Nr. i, 

"Zeitschr. l. d. Ueacli. d. Oberrheins X, lUÖf. 




56 Albert — Die älteste deutsche Urkunde der Stadt Freiburg i. Br. 

ze vriburch waz^ dein sähen claster genotnen hutte dur etielich 
saclie, die er gegen dem seihen closter hatte, vnde wan u>ir dcus 
erkennen vtide des vnderiviset sin^ daz in dar an vnrefUe he- 
schachf da von so luin wir dvr vnsers vater sei. vnde dur svnder- 
UcJie vrivntschaft^ die wir ze dem seihen closter liahen, dem selben 
closter den hack tvider gelazen lideclicJie vnde vrüiclie^ also daz 
wir noch vnsers luHes nieman noch enheiner vnser erben s^iv dar 
an vu*rbae me beswa^ren vnde geirren soln, vnde dise gnade han 
wir in getan dvr vnsers vater sei, vnde dvr vnser heil, daz si 
deste getrv'welicJier vu'r mis bittefij tmde dur vnser niphtelen, die 
da inne sint, vnde dur vnser liehen biirger, die vns dar vfnbe 
hant gebetten. vnde dar vmbe daz disiv gnade deste bezzer vnde 
crephtiger si, so Jian wir disen hrkf in gegeben, besigeU mit 
vnsenn insigel v)ide der stat von vriburch. Diz bescliach in der 
cU do von cristes gebührte ivaz zwelf hvudert iar vnde zwei vnde 
sibenclg iar. 

Sprachlich bedeutet diese Urkunde unserem ältesten Stück 
von 1258 gegenüber wenig oder gar keinen Fortschritt. Sie 
bestätigt die allenthalben auch sonst im Reich gemachte Be- 
obachtung, dass sich die deutsche Urkunde zu Beginn der 
volkstümlichen Bewegung noch ziemlich sklavisch an die 
lateinische angeschlossen hält imd nur allmählich freier ent- 
wickelt, um erst gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts 
in einzelnen größeren landesfürstlichen, seit Ludwig dem Bayern 
auch in der königlichen Kanzlei eine eigene deutsche Kanzlei- 
sprache und bestimmten Kanzleistil auszubilden, welche dann 
zur Schöpfung unserer neuhochdeutschen Schriftsprache her- 
überleiten**. Aber auch so bleibt der Stadt Freiburg un- 
geschmälert das Verdienst, in verständnisvollem Zusammen- 
wirken mit seinem gräflichen Herrn auf dem Schloss zu seinen 
Raupten in entscheidender Zeit die Ausbreitung der deutschen 
Sprache in hervorragendem Maße gefördert und damit deut- 
schem Fühlen, Denken und Tun die Wege geebnet, mit unter 
den ersten die Bahn zu voller Entfaltung helfen freigemacht 
zu haben. 



33 



Vgl. Vanosa a. a. 0. S. 105. 



Der Wissmeister Brugger. 

Von Fridrich Pfaff. 

Mit einem Bild. 

Der Mann, mit dem ich mich auf den folgenden Blättern 
beschäftigen will, gehört zu der Schar der „sonderbaren Hei- 
ligen', die man mit geringschätzigem Lächeln abzutun pflegt. 
Er gehört zu den Leuten ohne Erfolg, denjenigen, die ihr 
Leben einer Sache geweiht haben, die man heute als eine 
verlorne ansieht und deshalb auch als eine schlechte oder 
doch unwerte beurteilen zu müssen glaubt. Allezeit hat der 
Erfolg die Meinungen beherrscht. Unter diesem bedauerlichen 
aber unvermeidlichen Tiefstand der Urteilskraft hat denn auch 
das Andenken Josef Bruggers zu leiden gehabt, der einesteils 
Johannes Ronges Deutschkatholizismus sich mit ganzer Seele 
zuwandte, andernteils einen Sprachreinigungsverein gründete 
— zwei Unternehmungen, beide mit größtem Eifer und hellster 
Begeisterung unternommen, beide jämmerlich zugrund ge- 
gangen und vergessen, abgelöst durch neuere, mehr oder 
weniger geschickter begonnene Bestrebungen, denen der Er- 
folg holder war. 

Ich will keine „Rettung** Bruggers versuchen, ich bin 
fem davon, all seine Meinungen und Taten zu verteidigen; 
doch aber möchte ich zu gerechterer Beurteilung dieses Manns 
beitragen, denn ich bin überzeugt, dass er diese völlig ver- 
dient. Mindestens muss er anders beurteilt werden, nicht ge- 
ringschätzig. War Brugger auch kein großer Mann, so war 
er immerhin ein ganzer Mann von achtenswertester Eigenart. 
Gerade wir, einer Zeit angehörend, die sich der Erfolge von 
politischen Bestrebungen im Sinne eines Brugger erfreut und 
ihre Vorteile genießt, dürfen diesen wackern deutschen Mann 



58 l'faff 

nicht unterschätzen, trotz seiner Irrtümer: wir müssen sein 
Andenken achten und ehren. 

Über Bruggers Leben unterrichtet uns eine von ihm selbst 
verfasste gedruckte „Lebensbeschreibung", die bis zum 9. JuH 
1846 reicht. Weitere Quellen sind: 

1. Die Bruggersche Handschriftensammlung der Universi- 
tätsbibliothek zu Heidelberg, umfassend den zweiten Teil von 
Bruggers Stanmibuch aus den Jahren 1821 — 1839; eine Hand- 
schrift „Des Verhängnisses Macht oder Geheimnisse und Leidens- 
monate aus dem Leben eines weiland römisch-katholischen 
Geistlichen aus dem höheren Klerus des 19. Jahrhunderts, 
herausgegeben von seinen Freunden**, Gedichte — ofifenbar 
eigne Werke und Erlebnisse Bruggers; 3 Hefte Vorträge, 
gehalten 1847—1856; 3 Hefte Briefe 1824—1857. 

2. Bruggers Vermächtnis auf der Universitätsbibliothek 
zu Freiburg i. B., bestehend aus: dem ersten Bande des Stamm- 
buchs 1808 — 1820; einer umfangreichen Handschrift „Meine 
Weltanschauung oder mein Doppelleben in Phantasien über 
menschliches Wissen, Glauben und Leben"; 2 Heften Vorträge 
1848 und 1849 „ohne Fremdwörter"; einigen Briefen; einem 
auf Elfenbein gemalten Brustbild, dessen Nachbildung diesen 
Blättern beigegeben ist, und einer kleinen Alabasterbüste 
Bruggers. 

Beide Sammlungen sind Vermächtnisse Bruggers an die 
beiden Badischen Universitäten. 

Alle diese Quellen enthalten eine Fülle des bemerkens- 
wertesten Stoffs zur Zeitgeschichte. Sie sind hier nur flüch- 
tig benutzt. Ich behalte mir gründlichere Ausschöpfung vor. — 

Brugger ist geboren zu Freiburg im Breisgau am 23. Ok- 
tober 1796 als Sohn des Bürgers und Subkustos am Münster 
Dominikus Brucker^ und der Franziska, gebomen Straubin. 
Nach seinem Vater und dem Paten und Oheim Heinrich 
Josef Brucker, Kanonikus am Stift Waldkirch im Breisgau, 
erhielt er die Namen Josef Dominikus. Er selbst nennt sich 



^ Die Schreibung mit gg, die Brugger selbst durchgeführt hat, ist 
alemannisch. 



noch Karl*. Patin 



■ Barliara Langiii. Wirtin ; 



kleinen Kanieeltier (SalzstraOe 34) in Freiburg. Sein A'ater- 
liaiia war das Haus ,zur groLten Meise' ^ später Nr. 274. 
dann Xr. 849 in der Wamniersgasse , der ehemaligen (jasse 
der Wamsniacher, dem östlichen Teil der Schusteratraße vom 
Kaufhaus (Beurbarung) bis ünr Hen-enstraÜe (alt Pfaffengasse), 
jetzt Schusterstraße 35. 1775 ist iinsres Wissmeisters Groß- 
vater Josef Brucker, von 1789 — 1836 sein Vater Dominikus 
als Eigentümer eingeschrieben. 18.S8 erscheint als solcher 
der Zuckerbäcker Josef Keller; es war also in andre Hände 
Qbergegangen. Es ist ein schmales, nur zweifenstriges, 
düsteres Haus an der Nordseite der engen Gasse, aber aus- 
gezeichnet durch eine feinjH-ofilierte Haustür, Über dei' ein 
bürgerliches Wappen mit zweigbelegtem Schrägbalken, be- 
gleitet von zwei sechsstrahligen Sternen, gehalten von einem 
Si'liildhalter. prangt — ein echtes altes Bürgerhaus. 

Der Name Brugger, der als , Einnehmer des Brütken- 
gelds", als .Bi-Ückenmacher", aber wol am besten als „aus 
Brugg stammend" gedeutet werden kann, ist im Breisgau 
häufig. Schon 1^43 erscheint er zu Endingen am nahen 
Kaiserstuhl*, auch zu Freiburg ist er um die Mitte des 
15. Jahrhunderts bereits zu finden. 

Unares Bruggei-s Eltern waren wolliabend. Er selbst hat 
schwerlich etwas hinzuerworben, sondern eher das meiste ge- 
opfert: doch konnte er Stiftungen machen, die noch bestehen. 

Der junge Josef erhielt seine erste Bildung in der 
vorderösterreichischen NormalschuJe zu Freiburg, in den 
Jahren 1810 — 1814 besuchte er das Gymnasium der 1806 
badisch gewordenen Stadt. In dieser Zeit beginnt sein Stamm- 
buch. Im 60. Lehensjahr hat Brugger noch in den ersten 
Band hineingcschrioben: .Für mich ist dies Buch eine Ge- 
schichte meiner schönsten Lebenstage, ein Saal voll lebendiger 

' Dns Taufbuch, in welches mir Herr Dcnnprnrrer Brettle gütigst 
Einsictit v^rachHlfCe. gibt durQber keiiiüti AufHchlusa, 

* lti61 zur kleinen Maisen. lOflO zur blauen Muison. 1TT.'< zur gmlien 
Mejaon. 

' Urk. lies Heiliggoistapitala I. Nr. 293. 



60 Pfaff 

Gestalten und Bilder, die einst mein Herz mit hoher Wonne 
erfüllten. Für den Fremdling ist es nur eine tote Bilder- 
schrift, voll Rätsel, ein Leichenacker mit Totenkreuzen und 
Inschriften, wenn auch manche Namen noch länger bei der 
Nachwelt genannt werden sollten." Und in den zweiten Band: 

Blüten und Tränen .*. 
zu meinem sechzigsten Lebensfrübling .*. 

Was quillst aus dem Auge so leise hervor, 

Du heilige, du süße Träne? 

Wo sich alles erfreut in der Schöpfung, was willst du? 

Herz, kannst du dich denn nimmer erfreuen? — 

Beim Anblick der Blüten so rein und so schön 

Entperlt im Frühling dem Aug eine Träne? ! 

Auch Tränen schmücken die Blüten mit Perlen, 

Vom himmlischen Taue erglänzen sie heller. 

Siehst nicht, wie sich brechen in vielfachem Glänze 

Der Sonne Strahlen in glühendem Tau? 

So bricht sich der Strahl der Freude in Tränen; 

Blüten, Tränen, — wie selig macht ihr! 

Heidelberg, 20. Ostermonat 1856. Dr. Brugger .*. 

Sorglich hat er die Schicksale der Eingeschriebenen verfolgt, 
ihre spätere Lebensstellung und oft mit einem Kreuz und Trauer- 
sprueh ihren Todestag angemerkt, sogar dem tugend- und freund- 
schaftsvollen Spruch eines Mitschülers aus dem Jahre 1814 
hat er nicht verfehlt zuzusetzen „starb am Galgen", und bei 
einem andern Eintrag aus dem Jahr 1819 „Schnitt sich den 
Hals ab". Von einer Fußreise, die der junge Brugger im 
Jahre 1814 nach Schaflfhausen und an den Bodensee unter- 
nahm, zeugt ein Bildchen des Rheinfalls mit dem Datum des 
21. Septembers. Aus demselben Jahr ist der Eintrag des 
spätem Professors am Rastatter Gymnasium, Karl Grieß- 
haber, der sich als deutscher Altertumsforscher bekannt ge- 
macht liat. Auch Bniggers zwei Jahre jüngerer Landsmann 
Josef Freiherr von Auffenberg, der später berühmte 
Sciianspieldichter, liat sich am 30. November 1814 hier ver- 
<'vvi;4;t . HheiiHo viele Mäiuier. die später in Baden hervorragende 
JfoUen Hpielten, wie die Freiherren Heinrich und Friedrich 



Der Wissineister Brugper 



61 



von Ändlaw-Biraeck, Ernst August Mitncli, Friedrich 
Walchner, C- Frommherz finden sich, 

\aiö ging Brugger zum Studium an der Freiburger Hoch- 
schule über. Er widmete aich, wie er selbst schreibt, zwei 
Jahre ^der Forschnis der Weltweisheit", dann wieder zwei 
Jahre der Natm-wissenachaft und Aizneikunde. 1819 aber 
„begann er die Gottgelehrtheit ebendaselbst". Waren die 
Stammbucheinträge von Freunden imd Freundinnen aus der 
Schillerzeit wie üblicli sanft und süß wie Rosen und Vergiss- 
meinnicht, so zeigt sich mit der Studienzeit ein andrer Geist. 
Der .teutsche Jüngling" wird gefeiert, von der Freiheit ist 
die Rede und die Heiterkeit wird derber. Ea war ja die Zeit, 
da die Freiburger Burschenschaft entstand. Im Jahre 1816 
schon war Brugger Mitglied „einer großen Hochschulgesell- 
schaft von 80 Wissenschaftern* namens , Eintracht". Zur Feier 
der Völkerschlacht bei Leipzig zogen die Burschen vom Breia- 
gau und Bodenaee am 18. Oktober 1818° auf den Wartenberg 
bei Donaueschi ngen. Brugger war als Sprecher der Freiburger 
Burschenschaft dabei. Ein rasch aufgetüimter Holzstoß ward 
von allen zugleich mit Fackeln entzündet. Im Kreise rundum 
sangen die Burschen das „Feuerlied" ihres Genossen Kaiaer, der 
dann, in die Mitte tretend, eine packende Rede hielt. Körners 
Gebet sangen sie auf den Knien und entblößten Haupts. Ein Blatt 
in Bruggei-s Stammbuch verewigt die Szene im Bilde. Wir sehen 
da die Burschen im altdeutschen Rock und Barett, das Kanzel auf 
dem Rücken und den Säbel an der Seite, die Hand zum Schwur 
erhebend um das Feuer geschart. Aber auf die andre Seite hat 
der Zeichner, C. Waldmann, cand. jurispr., die Verse geschrieben: 

Alag dacht' ea der Mensch, doch die Gutter lenkten es Ruders 
Und zerstörten grausam die fru cht versprechen de BIfIt«. 
Siebe! — in eitelen Dunst sich löste mein jugendlich Hoffen 
Mir bewährend den Satzr »daes Mensrhiiehea nifUHchlicb nur redel" — 
Du veralehst mich. Alhertiiia S, XI. 1819. 

Von seinem Freund und teutschen Bruder. 

Brugger }iat ein Kreuz zu dem Namen gemalt. 

* Unigger selbst schreibt irrig 1S19. 




62 Pfaff 

Das Wartenbergfest hatte für die Teilnehmer üble Folgen. 
Auch die badische Regierung witterte staatsgefahrliche Dinge 
und ging gegen die Burschen vor. Der beauftragte Stadt- 
direktor Pfister von Heidelberg verhaftete die Führer der 
Burschen. Auch Brugger wurden seine Papiere weggenommen. 
Zwar verlief die Untersuchung im Sand; aber die Burschen- 
schaft war zunächst gestört*. Brugger, damals schon Theo- 
loge, scheint nicht weiter Gefallen daran gefunden zu haben. 
Es hatte offenbar keine Wirkung auf seine Entschlüsse, wenn 
eine Freundin, Antonia Wieland aus Freiburg, ihm mit dem 
Wahlspruch: Es leben die teutschen Purschenl Pereant die 
Theologen! ins Stammbuch schrieb: Ein Heros der Kristus- 
Kirche willst du werden!? Freund bedenke doch: du ziehest 
Romas schwere Fesseln an und wirst sein Eigener . . . . o ver- 
lasse dieses falsche Spiel im teutschen Vaterland, wenn es 
dich femer erkennen soll: der Stand des freien Bürgers-Mann 
stund wahrlich dir viel besser an! 

Willst eines Mädchens freundlich Wort 

Und deiner Freundin Rat nicht fassen 

Und ungeliebt als Theolog 

Dies freie Leben hassen: 

So sei bedauert für uud für. 

Und Herzens Trost — nie fehl er dir! 

Weit kräftiger noch war die Lehre in einer Karikatur 
seiner Universitätslehrer und Studiengenossen, die ihm sein 
Freund Wilhelm Graf von Waldburg-Zeil am 6. Oktober 1820 
ins Stammbuch zeichnete. Harmlos dagegen wieder der „Witz 
ex stapide", den ihm der Jurist Karl von Hirrlinger später 
einschrieb: 

Wenn Sie im Schwarzrock einst bei Tafel sizen 
Und Grillen fangen, ob der Predigt schwizen, 
Wenn Sie der Unmut plagt und Bauren Wiz, 
Der Vogt Sie neckt mit Stimm und Siz, 
Wenn Ihre Köchin oft zu wenig koclit, 
Der Herr Vicarius im Hause pocht, 



ö Vgl. Burschenschaftliche Blätter S.-S. 1895, Nr.4 „Die alte Burschen- 
scbaft in Freiburg- und Dr. Hopf ebd. S.-S. 1905, Nr. 12. 



Der WiBSiiiKister Bruggtr 

Dvr Lehrer obendrein liucb lieiiietu Kopfe ))iuaelt, 

Jn jenem Kk die Ksz, und durt der ScIiuoUhuml winsitit. 

So hulen Sie die Blattaben in dem Schranken, 

Die bringen Sie auf andere Gedanken : 

Sie teseu, lächeln, lachen, schrein, 

Ergreifen schnell das Glas voll Wein 

Cnd trinken Vivat! der vergangnen Zeit, 

Wo Ihnen Freundschaft, Lust und Seligkeit 

Die Tage krönten, spret-hen dsnn 

Ueniadezu Aa» Liimpenpak in Bann, 

Es werde, sagen Sie, capores, 

O tempiira, u nicirus! 

Ähnlich hat es der alternde Brugger später gehalten, 
wenn auch die äuliern Lebenwiimstände so ganz anders wer- 
den sollten, a!» sie hier geschildert sind. 

Brugger machte neben seinen beliebten Fuliwaudcrun- 
gen auch früh weite Reisen, besuchte die gi-öIJern Städte 
Mitteldeutschlands, die Schweiz, das Elsass und Frankreich. 
Davon erzählt das StammbuchMatt seines Freunds Franz 
Meyer von Itästatt aus Paris, den 1. April 1821: Wenn Sie 
einst nach langer Zeit in dem Kreise aller Ihrer Lieben sieh 
von Paris unterhalten, dann denken Sie zuweilen an Ihren 
Führer auf der Tuilerien-Brücke , als er Sie bat nicht um- 
zusehen, und nun auf einmal mitten auf derselben ausrief: 
,Nun schaut um Euch'. Welch ein Anblick! rechts die In- 
validen, das Institut und in grauer Ferne das Observatorium, 
vomen das Pont neuf, das Pont des Arts, die Statue Hein- 
richs des (luten und die ehrwürdigen Türme von Notre Dame 
nebst dem Pantheon, links das Louvre, die Tuilerien und 
Tausende von Häuseni, im Ri3cken endlich im hintersten Hori- 
zont die Butachberge von Beaujon. Freund! und zu all 
dieser Heirlichkeit ein fühlbares Herz, um sie so ganz fassen 
zu können, was braucht es mehr, um einen festen Bund zu 
knüpfen? Nichts — — seien Sie meiner Freundschaft, meiner 
Achtung gewiss. 

So sehen wir den wackern, empfindsamen deutschen Jüng- 
ling auf Reisen. Wir glauben es ihm, wenn uns Brugger ver- 
sichert, dass er einen reichen Schatz von Natur- und Men- 



64 Pfaff 

schenkenntnis gesammelt, seine Lebensanschauungen erweitert 
und berichtigt habe. Er besass große gesellige Begabung, 
sang schön und gern, spielte Laute und Geige und war über- 
haupt ein leidenschaftlicher Freund der Tonkunst. Auch eigne 
Kompositionen sind ihm gelungen. Brugger war gern mit den 
Fröhlichen fröhlich. Und so erzählen denn seine Stammbuch- 
blätter von Koraitaten und Kommersen, von heitern Ausflügen 
in Freiburgs herrliche Umgebung, von Lautenklang und 
Liedersang. 

Ln Herbst des Jahrs 1821^ trat Brugger in das Priester- 
seminar zu Meersburg ein, das der berühmte Bistumsverweser 
von Konstanz, Ignaz Heinrich Freiherr von Wessenberg, zu 
einer Musteranstalt gemacht hatte. Bei aller Strenge, die 
dort herrschte, die z. B. im Stammbuch die Reise dahin als 
eine Fahrt ins Elend darstellen lässt, vorm Beten und Fasten 
dort Furcht einflößt, dem Mitalumnus Karl Wieland „am 
zweiten Tag vor der Erlösung" den Sinnspruch auspresst: 
„Durchs Feuer wird das Gold geläutert, der Clericus im Se- 
minar" und einen andern von den dicken Mehlsuppen zum 
Frühstück erzählen macht — ging es doch unter den jungen 
Leuten wie überall auch im Priesterseminar lustig zu. Davon 
weiß ja schon Heinrich Schreiber, der spätere Freiburger Pro- 
fessor, zu erzählen®, wie der Schuster in den Stiefeln, der 
Schneider in den Kleidern das heißersehnte Bier zutrug. So- 
gar ein Fastnachtspiel ward aufgeführt, das Anton Kraft im 
Stammbuch bildlich festgehalten hat. Viele hübsche Bilder 
von Meersburg selbst, dem wundervoll mit seinem Schloss auf 
dem Hochufer des Bodensees gelegenen, von der Mainau und 
andern Orten der Umgebung zeugen von dem großen Eindruck, 
den die schöne Landschaft auf die jungen Leute gemacht hat. 
Brugger errang zu Meersburg die Würde eines Präfekten. 
Wie sehr er sich seine Genossen zu Freunden gemacht, davon 
zeugt das Stammbuchblatt vom 1. September 1824: 



^ Er selbst nennt in seiner Lebensbeschreibung irrtümlich (wie die 
vielen Stammbucheinträge beweisen) das Jahr 1823. • 

« Vgl. F. Pfaff, Schauinsland XIX, 1893, S. 4. 



Der Wissmeister Brugger 65 

Verdienst, Schuld und Strafe. 

,\Ver ist Prifekt?' — Brugger. 

Wer hat mich Spfttkommenden gemeldet? — Brugger. 

Wer kam bei v. Wessenberg am 30. Jenner zuerst ans Brett? — Brugger. 

Wer bekam ein pretium von ihm? — Brugger. 

Wer hat mit größtem ica^o; homiliert? — Brugger. 

Wer leitete den Chorgesang bei Peters Promotion? — Brugger. 

Wer machte den Dorfbarbier?* — Brugger. 

Wen zog unter anderm der Sak in die Stadt? — Brugger. 

Wer hat sichs gemacht, wie der Vogel im Hanfsamen? — Brugger. 

Wer lebte im Seminar, wie der Fink im Hanfsamen? — Brugger. 

Als ich frisch vom Leder zog, wer hat gelacht? — Brugger. 

Wegen des Tischweins Sauerstoff, wer hat randaliert? — Brugger. 

Wer schuf bessern her? — Brugger. 

Wer ließ uns in Braitenbach seine Stimme erklingen? — Brugger. 

Wer ließ auf Mainau troken ohne Guitarre sitzen? — Brugger. 

Wer hat in Salem keinen Brand gehabt? — Brugger. 

Wer stimmte .Miserere* cum invocarem im 3 mal gestrichenen a an? — 

Brugger. 
Wer hat andre drum lachen gemacht? — Brugger. 
Wer nahm in der Exerzitien-Predigt herb Abschied? — Brugger. 
Wer hat seine Untertanen lieb gehabt? — Brugger. 
Wer hat seinem Volk oft? Vespert runk verschafft? — Brugger. 
Wer liebte mich? — Brugger. 
Wer liebt mich? — Brugger. 
Wer wird mich lieben? — Brugger. 
Wer liebt ihn? — Sein Freund V. Gass v. Rastatt. 

Ich habe das Ganze hier mitgeteilt, weil es einen Blick 
in das Leben und die Skimmungen in dieser Priesterschule 
tun und das Ansehen und die Liebe, die Brugger bei seinen 
Freunden genoss, erkennen lässt. 

In Meersburg hatte wol Brugger auch den mit 1822 dort 
als Anwalt tätigen Johann Baptist Bekk kennen gelernt, 
der, zu Triberg im Schwarzwald 1797 geboren, nachmals 
Badischer Minister des Innern ward — ein hervorragend 
karaktervoller, geistig und sittlich gleich hochstehender Mann. 
Er verewigte sich in Bruggers Stammbuch mit allerhand 
Kraftsprüchen wie: „Sei wie du willst, namenloses Jenseits — I 
Bleibt mir nur dies mein Selbst getreu — ", malt einen Galgen 

* In besagtem Fastnachtspiel. 
Alemumia N. F. 8, 1/2. 5 



66 Pfaff 

mit dem armen Sünder daran imd schreibt daininter: »Ich 
oder ihr — ! wies fallt I** Daneben Schillers Worte: Der 
Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und wurd er in Ketten 
geboren** usw. Und auch seine Gattin Pepi geb. Walter, die 
sieh für die vergnügten Stunden bedankt, die ihr Bruggers 
schöner Gesang verschaflFt, kündet mit Schiller: ,Es ist kein 
leerer, schmeichelnder Wahn — Erzeugt im Gehirne des Toren 
— Im Herzen kündet es laut sich an: — Zu was Bessenn 
sind wir geboren** usw. Überhaupt enthält das Stammbuch 
viel Schiller, daneben auch Jean Paul, ganz im Stil seiner Zeit. 
Im Jahre 1824 erhielt Brugger die Priesterweihe durch 
den Bischof Johann Baptist von Keller von Rottenburg. Der 
damalige Freiburger Münsterpfarrer und nachmalige Erzbischof 
Dr. Bernhard BoU hatte ihm kurz vorher brieflich seine Freude 
darüber ausgesprochen, dass Brugger ,mit einem echt evan- 
gelischen Geiste und mit heißer Begierde in diesem Stande 
zum Segen der Menschheit mitzuwirken"* diesem Ziele ent- 
gegengehe, und ihm gestattet, am 26. September im Münster 
daii erste Messopfer darzubringen, das Bruggers Oheim durch 
eine Heile verherrlichen wolle. Noch im selben Jahr ward 
Brugger Vikar zu Menlingen am Tuniberg. wenige Stunden 
westlich von Fiviburg. Aber bald eröflfnete sich ihm eine 
andiv Lauflvahn. Seit 1822 war Dr. Heinrich Schreiber Prä- 
fekt dos Gynmasiums zu Freiburg. Er zog Brugger ins Lehr- 
amt, nachdem dieser die Staatsprüfung «mit vorzüglichem 
Erfolge* Wstanden hatte. Zunächst als Supplent. dann als 
rr\>fessi>r blieb Brugger Gymnasiallehrer bis zum Jahre 1836. 
Auch an der Tuivei^ität s*>llte er Unterricht in der christ- 
lichen Sittenlehiv erteilen: jtnlooh hielt ihn, wie er selbst er- 
zählt, seine schwächliche Gesundheit davon ab. 1828 erwai'b 
er die \\ üixle eines IVktors der Theologie. In den Jahren 
lS2l> l>:v"> machte l^nis:;rer viele ::n>l>e Reisen, nach München, 
Wien. Innsbnuk, nach Italien bis Konu in die Schweiz bis 
iMiit und in^ iMt;uuonixtal. auch dt-n Khein bereiste er bis 
Ki»h\» t\riur Ivrlin, nroxlon und Leij^ig. Femer bereiste er 
KncliUhl u!ul luvhn^ais Fninkivivh und die Schweiz. 1836 
vcrlioi> er wogen Urustloidons üas Lehrfach, am 17. Mai konnte 



Der Wi 



Blujiser 



67 



ihm sein Freund Bekk, damals Rat im Ministerium des Innern 
zu Karlsruhe, mitteilen, dass ihm die Pfarrei Kadelburg am 
Rhein bei Waldsliut verliehen sei. Uer Ort, hälftig katholisch 
und hälftig evangelisch, ist reizend an sanftaufsteigenden 
Matten unter Reben und Wald gelegen. Nah ragt auf steiler 
Höhe die aussichtsreiche Kilssaburg. nah sind die schönen 
Täler der Wutach, der Steina, Schlucht, Mettma und Schwarza, 
Es war ein Plätzchen nach dem Sinne unsres sinnigen, heitern 
Brugger, Die wenig über 300 Seelen starke Pfarrei machte 
ihm wenig zu schaffen. Er konnte im behaglichen Stitlleben 
seine Gesundheit kräftigen, seine in dci' weiten Welt gesam- 
melten Erinneiungen pflegen und die neuen Pläne entwerfen, 
die in dieser Zeit vur ihm aufstiegen. 

Schon war seine schriftstellerische Tätigkeit nicht mehr 
unbedeutend. Neben kleinern Aufsätzen in verschiedenen Zeit- 
schriften mögen wol musikalische Kompositionen die ersten 
Werke gewesen sein, mit denen er vor die Öffentlichkeit trat 
— wahrscheinlich die „Blüten ans J. IL Frhrn. v, Wessenbergs 
Dichtungen mit Klavier- und Guitarrebegleitung", Schon ein 
Brief Wessenbergs vom 2^. September 1824 dankt für diese, 
die einem woltätigen Zweck gewidmet waien. Ferner sind 
zu nennen; .Abendklänge" in üesängen, auch in 2. Auflage 
erschienen; , Muntere Laune" in 6 Gesängen; .Praktische Ge- 
eangschule"; , Deutschlands Sänger". 1829 folgte Bruggers 
„Anleitung zur Selbstbildung", 2 Auflagen, 1831 .Erinnerangen 
aus Italien", Geschichte der alten Weisen Griechenlands und 
Roms", 1832 .Die wichtigsten Erfindungen und Entdeckungen", 
1884 .Erzählungen und Charaktergemälde", 1835 .Badens 
Stiftertempel" und 183ti eine „Anleitung zum Gesangsunterricht 
in Volksschulen". Ganz der Religion gewidmet sind: ein Ge- 
betbuch .Christus unser Heil" 1883 und eine Volksbibel für 
katholische Christen" 1835. 

Josef Bnigger war ein Dichter, wie die Töne hat er 
auch die Woite bclierrseht. Im Jahre 1840 erschien seine 
erste Gedichtsammlung .Harfentöne aus der Hütte eines Ein- 
samen am Rhein", bei der er seinen Namen in den Sinn- 
spruch „Bahne Rastlos Und Gewinne Glücklich Einen Ruhe- 




68 Pfaff 

punkt** verbarg. Sowol durch kräftig persönliche Färbung 
als auch durch die Form — reimlose Verse — unterscheiden 
sich diese Gedichte sehr von den der spätem Sammlung 
^Aus dem Frühling meines Lebens** (Heidelberg 1854). Da 
sehen wir den Naturfreund am Rhein bei Kadelburg wandern, 
wo die Weiden am Ufer ragen, das Schilfrohr sich unterm 
Windhauch beugt und Obstbäume ihre beladenen Aste bis auf 
die Flut herabneigen; wo die Knaben am Raine jauchzen und 
das Mühlrad braust. Auf dem grünen Hügel oben steht die 
Kapelle, die in seine Klause hereinschaut und von ihrem alten 
Turm schallt das Olöcklein ins Abendrot hinein. Zum Feld- 
brunnen bei Kadelburg im Schatten der alten Nussbänme 
wandelt er, zum Bannschachen , zur Laufenmühle an der 
Wutach, nach Homburg und zum Freunde nach Rheinheim. 
„Auch du sollst nicht vergessen werden, mein lieber grüner 
Apfelbaum** und die Meise, die er im Herbste mit Nüssen 
füttert. Die Hirten sieht er ihre Grundbirnen in der Asche 
braten, das Posthorn hört er schallen und den Büchsenknall von 
jenseits des Rheins: „das sind die freien Schweizerschützen, 
die üben sich mit freier Hand.** Hier hat Brugger sich wol- 
gefühlt, wenn auch zu Anfang wol die Sehnsucht nach den 
fernen Freunden ihn bedrückte. Er schildert froh die Zufrieden- 
heit seines Häuschens. Nur ernste Wehmut beschleicht ihn, 
wenn er der verstorbenen Mutter, des dahingegangenen Oheims 
und des alten 82jährigen Vaters gedenkt. Aber für was sein 
Herz am höchsten schlug, das war das Vaterland und die 
Freiheit, die er schon als Bursch so hochgeschätzt. 
So singt er denn als 

Der freie Mann: 

Freiheit ist mein höchstes irdisch Gut. ^ 

Frei lun ich gehören, frei will ich auch leben. 

Oonkon will ich frei und handeln frei. 

Sprechen will ich frei, so lang ich leb und atme . . . 

liut und Hlut und Lehen setz ich dran, 

t berall das Reich der Freiheit zu verbreiten. 

Ihr erhabnes IVanner tlattre hoch 

Vor Kuropas Nationen aller Zungen . . , 



Der Wissmeister Brugger 



69 



Sterben will ich als ein freier Mann, 

Wie ich als ein freier stets auf Erden lebte; 

Nur als Freier will ich wandeln einst 

In das Land der ewgen Freiheit dort hinüber^**. 



An mein Vaterland. 



Du herrlich schönes Deutschland! 
Mein Vaterland nenn ich 
Dich mit gerechtem Stolze 
Und wahrer Seelenfreud. 
Mit reicher Gaben-Fülle 
Hat dich beschenkt Natur. 
Wie milde ist dein Himmel, 
Wie rein der Lüfte Wehn! 



Drum stärket euch, ihr Söhne 
Des deutschen Vaterlands 
An eurer Väter Größe 
Und ahmt den Tapfem nach. 
Ringt feurig stets nach Freiheit, 
Des Lebens höchstem Ziel, 
Nach Einheit und Gemeinsinn 
Im großen Brüderbund. 



Mit schönen Berg und Tälern 
Prangst du mein Vaterland. 
Dich schmücken Eichenhaine, 
Von klarem Bach durchströmt. 
Auf deinen Hügeln reifet 
Der Traube Purpursaft, 
Und deine Felder zieret 
Der Früchte goldne Saat. 



Das Vaterland zu retten 
Aus schnödem Sklavenjoch, 
Zu brechen seine Ketten 
Sei euer Trachten nur. 
Wo Vaterland und Freiheit 
Die Losungsworte sind, 
Da kann nur Gutes reifen 
Aus gutem Samenkorn. 



In deinen Gauen blühen 
Jetzt Kunst und Wissenschaft, 
Und Freiheit der Gedanken 
Weckt segenvoll den Geist. 
Ein Kraftstamm sind die Söhne 
Entsprossen deinem Schooß! 
Mit Biedersinn und Treue 
Vereinen Stärke sie. 



Drum preis ich dich, o Deutschland, 
Mein Vaterland, so hoch, 
Weil du von jeher wahrtest 
Der Menschheit heiiges Recht; 
Weil du die Unterdrückten 
Geschützt mit starker Hand, 
Weil d« den Sieg errungen 
Auch über Geisteszwang. 



Ihr Mut und Seelenadel 
Ward in der Vorzeit längst 
Im Buche der Geschichte 
Verewiget mit Ruhm. 
Viel Edeltaten strahlen 
Mit heller Flammenschrift, 
Den Enkeln noch ein Vorbild, 
Aus deinen Wäldern her. 



Du brachst des Aberglaubens 
Und Wahnes Fesseln stark 
Und pflanztest hoch die Fackel 
Der Geistesfreiheit auf. 
Durch dich erhielt Europa 
Aus Finsternis das Licht, 
Das lodert für Jahrhundert 
In freier Menschen Brust^'. 



'<> Harfen töne 31. 



^' Harfentöne 40. 



70 Pfaff 

So ertönen hier neben milden und sanften Scliwiagungen 
auch die kräftigsten Weisen, die uns im voraus den Kampf 
ahnen lassen, den Brugger einst zu kämpfen hatte. Nocli 
war er sich selbst nicht klar ühev das was werden sollte. 
,Ich — mir ein Kätael", dichtete er, , nichts fehlt mir vni 
doch bin ich zufrieden nicht: Glücklich und gepeinigt doch 
von Sehnsiichtsqnall* Das Schicksalsbuch zeigte seinem brei! 
Blicke zunächst nur Hieroglyphen'*. 



In dieser Zeit können wir uns Bnigger äußerlich so vor- 
stellen, wie ihn unser Bild zeigt. Er selbst hat auf die Rückseite 
dieser hübschen Elfenbeinminiatur von Holder jun. '* geschrie- 

'» HarfentCiie 12, 

" Der Muler ist wol der JQnsere Bruder de» bekannteren Miniatui- 
nalers J. M. Holder aus HildrJzhausen in WOrttembcrg. Tgl. Naglers 
Neues nlig, KUostlerlex, VI,2riö, und Mflller und Singer, Allg. KünaÜerlex. 
S. Aufl. H, lÜO. Die dem Oltern Holder DachgerUlimte ungemeine Zart 
beit der Auaruhruiig zeicbnet niit^li unser Bild ans, das ebenfalls wol als 
.sprechend ahnlirh* augeselien werden kann. 




Der Wiasmeister Brugger 7 1. 

ben, sie sei 1833 gemalt; das Bild selbst aber trägt die Jahr- 
zahl 1831. Was uns die Qedichte erzählen, das sagt auch 
das Bild: eine weiche, schwärmeriache Seele, gleichmäßig zu 
Heiterkeit wie zu Schwermut geneigt. Auch eine Brugger 
als alte» Mann darstellende Photographie aus dem Jahre I8fi4, 
die den Heidelberger Briefen beigeheftet ist, zeigt uns die- 
selben Züge. 

Im Jahre 1837 starb Bruggers Vater. Rührend erzählt 
Ludwig Buchegger, später DomhoiT und Generalvikar zu 
Freiburg, am 30. März, er habe dem Alten einen Brief des 
Sohns vorgelesen, ,er war bis zu Tränen gei-ührt, kUsste den 
Brief und rief aus: o wenn nur mein lieber Sohn wieder hier 
angestellt wäre. Ei- bat mich, dir besonders für die Freude 
zu danken, welche du ihm durch diesen Brief gemacht". Der 
Vater habe mit dem neuen Jahre sehr abgenommen, liege 
meist zu Bett, habe aber keine Schmerzen. Es sei eben nur 
Altersschwäche. Als der Vater auch seiner Gattin und dem 
Bruder gefolgt war und Brugger nun ganz allein stand, mögen 
die schwermütigen Stimmungen, die Weltverachtung und 
Todessehnsucht ihn Überkommen haben, von denen seine Lieder 
reden, und ihn zu den ernsten, auf das Höchste gerichteten 
Gedanken vorbereitet haben, die wir bald bei ihm erkennen. 
Ob in dieser Zeit, oder fiilher oder später die Liebe Um be- 
rührt hat, die aus einigen seiner Gedichte spricht '^ bleibt 
dahingestellt. Vielleicht hatte aber auch diese Regung An- 
teil an der Entfi-emdung mit seinem geistlichen Berufe, die 
zu Ende seines Kadelburger Aufenthalts eintrat. 1845 ver- 
ließ er das liebliche Dörfchen am Oberrhein und ward 
Pfarrer zu Rolirbach am Gießhübel bei Eppingen'^ 

Schon in den letzten Jahren der Kadelburger Muße war 
eine neue große Aufgabe an Brugger herangetreten: der 
Kampf um die Reinigung der deutschen Sprache. Bevor ich 
jedoch hierzu übergehe, will ich kui-z den andern härteren 



" Aus dem FHlliling meines Lebens. Heidelberg ISM, 31 .Ihr 
Blick*. 42 .Ihr Auge*. 43 .Heilung*. 49 .Lielx:- uew. 

" Nicht „bei Heidelberg*, wie in den Bodischen Biographien I, IS.*) 





Kampf schildcni, in den Brugger jetzt trat, iiiri nie mehr 
seiner ledig zu werden. 1844 hatte der von seinem Amt 
entfernt« katholisclie Priester Johannes Ronge, erregt diu-crh 
die Ausstelhing des heiligen Rocks, einen offenen Brief an 
den Bischof Arnoldi von Trier hinaiisgeschickt, war exkommuni- 
ziert worden nnd hatte nun offen zum Kampfe gegen Rom, 
zur Beseitigung des Zölibats, der Ohrenbeicht, der lateinischen 
Kirchensprache und zur Begründung einer Deutschen katholi- 
schen Kirche aufgerufen. Johann Czerski war ihm schon 
vorausgegangen und war mit der Gemeinde Schneidemühl aus 
der katholischen Kirche ausgetreten. In Breslau entstand 1845 
unter Ronges Einäuss die erste , deutschkatholische " Gemeinde. 
Auf einem „Konzil" zu Leipzig im März 1845 bildete sich 
die ,Deuts(;hkatholiBche Kirche", in der der imgläubigo Ronge 
die Oberhand behielt, so dass sie mehr und mehr links rückt« 
und schließlich i-eligiös und politisch zum Tummelplatz der 
unruhigen, verneinenden Geister ward. In Preiburg hatte 
Dr. Heinrich Schreiber, ehemals am Gymnasium Bruggers 
Voi^esetzter, damals Professor an der Universität, am Oster- 
tag 1845 dem Erzbischof seinen Anschluss an die Deutsch- 
katholische Kirche angezeigt". Am 19. April 1840 folgt« 
ihm Brugger und verzichtete auf seine Rohrbacher Pfiünde 
von 1200 Gulden. Er war schon im Februar mit der deutsch- 
katholischen Gemeinde Heidelberg in Unterhandlung wegen 
seiner Anstellung als deren Prediger". Dorthin zog er nun, 
ward am 21. Mai angestellt und am 23. Mai vom Ministerium 
des Innern bestätigt. Dort erreichte ihn ein Brief des evan- 
gelischeu Pfarrers L. Breitenstein aus Kadelburg: „Ungern 
sah ich Sie von hier scheiden; ungern sah ich durch Ihren 
Weggang von hier das amtsbrüderliche Verhältnis sich lösen, 
in welchem ich mit Ihnen stand und welches mir manchen 
innem Genuss verschaffte . . . Ihr Übertritt zur deutsch- 
katholischen Kirche hat hier grolies Aufsehen gemacht . . . 
Mancher aus der hiesigen katholischen Gemeinde, der Sie 



" H. Seh 
Jena 1M45. 

" Bi'kf des RecblBun-KsiU Ettchler 




Das Prinsip der deutsch -kathoÜBchen Kircbe. 
17. Februar lf4ti. 




Der Wiagineister Bmgger 



73 



hochschätzte, iichätzt Sie jetzt weniger und betraclitet Sie 
auch als einen im Irrtum Wandehiden. ' Aber „nicht bloß in 
Ihrer, sondern auch in hiesiger Gegend haben Sie viele Freuade, 
welche Sie hochachten und schätzen und jetzt noch mehr 
achten, als es selbst früher geschehen ist". 

Wir wollen Brugger auf diesem Gebiete nicht verfolgen, 
so grob die Versuchung auch ist angesichts des anziehenden 
Stoffs, den die Heidelberger Briefsammlung unifasst. Wir 
sehen da Brugger im Verkehr mit den Führern der Be- 
wegung Hieronymi in Dannstadt, Ronge, Scholl in Munn- 
heim, Fickler in Konstanz, Heribert Rau, Pirazzi in Offen- 
hach, Czerski usw. Auch in Freiburg hatte Brugger ver- 
sucht anzuknüpfen; aber Carl Mez, .der Vater der Arbeiter", 
meinte, die Gegenpartei sei dort noch zu mächtig. „Was 
mich betrifft", fährt er fort, ,so habe ich im Anfange der 
deutschkatholischen Bewegung ernstlich mich gefragt, ob 
ich nicht vom Protestantismus zum D. K. übergehen solle? 
Damals war ich stark schwankend, jetzt aber bin ich gewiss, 
dass ich es nicht tue. Das Leipziger Glaubensbekenntnis 
geht mir zu weit in seiner Negation; ich gehöre zu den 
Positiven." Sogar ein Jude, S. Greif, fragte an, ob Brugger 
ihn nicht .dem neuen Bunde einverleiben wolle". Da aber 
Entzweiung mit seiner Familie und Entziehung der „pekuniären 
Unterstützung" folgen werde, erbittet er geneigte Protektion, 
um eine Stellung zu erlangen, oder Mittel, um eine solche in 
Österreich zu suchen. Später sind bekanntlich auch Reform- 
juden in die deutschkatholische Gemeinschaft aufgenommen 
worden. Mehr und mehr verfiel sie der politischen Demokratie 
lind ging auf in der freireligiösen Richtung. 

Die allgemeine Gährung der vierziger Jahre hat auch 
diese vergängliche Blase aufgeworfen. Aber anerkannt muss 
werden, dass die Bewegung aus zwei großen und achtens- 
werten Gedanken hervorgegangen ist: dem allgemeinen Frei- 
heitsdrange und dem Streben nach Deutschtum und Deutscher 
Euiigung, die seit den Freiheitskriegen nimmer geschlafen, 
sondern auch in jämmerliclier, kleiner Zeit immer wieder die 
Begeisteningsfahigen entflammt haben. 




74 ^faff 

Gewiss war unser Brugger ein überzeugter Katholik ge- 
wesen. Nicht umsonst stammte er aus ganz christlicher 
Familie. Seine Gebetbücher und kirchlichen Schriften be- 
weisen das klar und deutlich, ebenso die an ihn gerichteten 
Briefe verschiedener Bischöfe, Geistlichen und Klosterfrauen. 
Ohne Zweifel haben aber Wessenbergs Geist, Schreibers Bei- 
spiel, sowie die eigene Neigung zu heiterer Lebensauffassung, 
sein burschenschaftliches Freiheitsideal und seine Deutsche 
Gesinnung ihn in die freiere Bahn gelenkt, auf der er weiter 
und weiter schritt, bis er schließlich zu einer Art von Pan- 
theismus gelangte. 

In einem Vortrage'®, nennt er, hoffnungsvoll an das 
Gleichnis vom Senfkorn anknüpfend, als Wesen und Zweck 
des Deutschkatholizismus: Herstellung des Urchristentums, 
d. h. Verwirklichung der erhabenen Urgedanken unsres Herrn 
und Glaubensschöpfers, Inslebenführung und Errichtung des 
großen allgemeinen Menschen- und Bruderbunds. Nicht einige 
Glaubenssätze, noch weniger Glaubensstreitigkeiten sollen 
herrschen. Grundsätze seien: „Gott unser Vater, die Welt 
seine ewige Offenbarung, der Mensch sein Kind." 

Man wird aus allem nicht verkennen und auch gewisse 
Spuren zeigen es deutlich an, dass Brugger Freimaurer war. 

Eine eigentlich politische Tätigkeit hat Brugger, wie es 
scheint, nicht geübt. Auch die Stürme der Jahre 1848 und 1849 
haben ihn nicht in ihren Strudel gezogen. Dem widerspricht 
nicht, dass er auf Einladung des Freiburger Hofgerichtsrats 
Alexander Buisson am 10. Dezember 1848 in seiner Vater- 
stadt eine öffentliche Gedächtnisrede für Robert Blum hielt. 
War doch die Feier keine politische Kundgebung, sondern 
eine ernste religiöse Weihehandlung ^*. Die Feier bestand aus 



*" In der Heidelberger Sammlung. 

*• Heidelberger Sanunlung Brugger. Brief Nr. 43 vom 29. Nov. 1H4j^: 
,Auch hier in der Barrikadenstadt beabsichtigt eine Schaar der freien 
liftnner und Frauen eine würdige Gedächtnissfeier zu veranstalten für 
den hingerichteten Robert Blum . . . Wir wollen der gröseren Teilnahme 

Q imd in Betracht der ernsten Handlung ihr weniger den Karakter 
^^'nnonstration als einer religiösen Weihe geben.' 



Der Wiaaiiicister Bmgger "5 

einem würdigen Trauerzuge von 600 — 650 Personen durch die 
UauptstralJen Freiburgs zum Kaufhaus, wo der Verein Lieder- 
tafel Trauerlieder sang und dann Brugger sprach". Auch in 
Heidelberg. Mannlieim, Uhein-Dürkheim, Frankental, Bühl, 
Lahr. Baden hielt er solche Gedächtnisreden, iibörall mit 
groÜem Erfolg. 

In Heidelberg hat Brugger bis an sein Ende gelebt. Auch 
dem Deutschkatholizismus ist er treu geblieben. Obwol ihm 
die Kurie die beste Pfarrei verspracli, wenn er zurückkehre, 
blieb er doch fest. Auch einen Kuf als Prediger nach Frank- 
furt am Main schlug er aus. In Heidelberg whkte er als 
gerngehörter Prediger und Redner und noch ei-zählt man von 
dem nur inittelgroUen, untersetzten Mann mit dem runden, 
bartlosen, frischen Gesicht, der immer im hohen Seidenhut 
■ ging, der gegen jedermann freundlich und wolwoUend war 
und den jedermann schätzte und achtete. Er wohnte in der 
Karlstralie 153 unterhalb des Schlosabergs. Eine schwere 
Krankheit ertrug ei- mannhaft. Er starb am II. Mai 1865, 
69 Jahre alt, iu voller Geisteski-aft. Sein hinterlassenea Ver- 
mögen diente gemeinnützigen Stiftungen. Noch zeugen von 
seinem milden Sinn in seiner Vaterstadt Freibui'g die Brugger- 
sche Gewerbe- und die Prämienstiftung. 

Den Hauptinhalt von Josef Bi-ugger.i späteren Lebens- 
tagen bildete, wie schon angeileutet, sein Kampf für die Rein- 
heit der deutschen Sprache. In der MuBe seiner ruhigen 
Pfarrei Kadelburg vollendete er im Jahre 1S43 sein 1844 
im Druck erschienenes Buch ,Das Fremdwörterwesen mid 
seine Nachteile für deutsche Sprache, Gesinnung und deutsches 
Leben, Ein Gedetikbuch für vaterlandsliebende Deutsche von 
Dr. J. D. C. B."" 

Nicht das Feld, sagt er in der Einleitung, das er zu 
bearbeiten versuche, bedürfe der Entschuldigung, sondern 

" Neue Freihurger Zeitung vom 12. Dezember !*!■'*. 

" Das Buch zeichnet sich »iurc:h viele Druckfebter aus. Eine hand- 
schriftliche Bemerkung BriiK;ger8 am Schtusae iles Exemplars der Freihuni:er 
Universitltsbibliothek nennt daa .ein wahres Muster deutscher Tttlgorei 
mä Glelchgtütigkeit'. 



I mä Glelchgtütigh 




Keine eigene schwache Eraft unil mangelhaften Hilfsmittel; 
doch Lust und Liebe zum Gegenstaml und Liebe zum deut- 
schen Vatei'land und seinen teuren Mitbrüdern aller deutschen 
Stämme haben ihn bewogen liervorzutreteu. Nicht filr Ge- 
lehrte will er schreiben, sondern für die Gebildeten aller 
Stände, Sie sollen helfen der schädlichen und schmach- 
vollen Sprach mengerei ein Ende zu machen. Namoutlicli 
sollten das die Regierungen tun. Wenn er hier imd da 
eine kleine Stand- und Strafrede halte, möge man das mit 
seiner warmen uiid echt«n Liebe zum Vaterland verzeihen, 
ebenso dass er sich oft wiederhole und immer wieder 
wie Kato spreche: .Ich aber bin der Ansieht, dass man die 
Fremdwörter vertilgen müsse." Er schließt: „Gott erhalte 
und segne Deutschland, lasse es grolS und stark werden durch 
Eintracht und Bruderliebe und lasse es bleiben und fort- 
dauern noch Jahrtausende!' 

Brugger untersucht hier die Fremdwörter in den Wissen- 
schaften und Volksschriften, den KUusten und Lebenszweigen. 
und bei verschiedenen Völkern. Er fragt: wer brachte die 
Fremdwörter in unsre SpracheV Warum haben die Deutschen 
so viele und melir Fremdwörter als andre Völker? Er be- 
leuchtet die Nachteile der Fremdwörter und nennt die Mittel 
zu ihrer Verdrängung. 

Er sagt (S. 14): Man merkt es den Deutschen an, dass 
sie immer zu sehr der Macht der Gewohnheit unterliegen und 
nie zu echter Selbständigkeit, zum wahren deutschen Spracli- 
und Volksbewusstsein kommen können. Sie hängen initteh^t 
so vieler Fäden mit dem fremden heidnischen Altertum, mit 
den Körnern und Griecheu, und mit den Xaclibarvölkom der 
neueren Zeit zusammen, dass sie nicht imstande sind, diese 
Fäden, wir wollen nicht sagen, zu zerreißen, nicht einmal 
zu lüften und lockerer zu machen; das lassen ihnen ihre Be- 
quemlichkeitsliebe und ihre deutsche Behaglichkeit nicht zu. 
Freilich trägt hier nicht das Volk, als der geleitete und ver- 
leitete Teil, sondern mehr die liöhern Stände, die Gelehrten 
und Gebildeten als Führer und Tonangeber die Schuld. (S. 17): 
Did deutschen .Wissenschafter" waren mehr für fremde 





Der WiBsineiatiT Brugger 77 

Sprachen als für ihre eigne eingenommen und widmeten jenen 
bei weitem mein- Sorgfalt, Fleiti und Forschungseifer aU ihrer 
verachteten und mtsskannten vaterländischen Sprache. Das war 
freilich eine echt stock- und zopfgelehrte Ansicht, welche die 
Stuben- und Lehrstuhlgelehrten hegen mussten, sonst wären sie 
keine rechten Gelehrten gewesen, denn Deutsch versteht jeder 
Landniann und Bürger, aber Griechisch und Lateinisch ver- 
stehen nur die großen Geister, die Lichter der Welt. Man 
kann, darf und soll nun aber auch griechisch und lateinisch 
lesen und schreiben; aber man soll vor allem rein deutsch 
sprechen und schreiben, und nicht ein Viertel griechisch, ein 
"Viertel römisch, ein Viertel französisch und endlich auch zur 
Gnade noch ein Viertel deutsch. Das heißt unsre schOne 
Muttersprache ans Kreuz schlagen. (S. 22): Die Deutschen 
gleichen immer noch Kindern, die wähnen, bei andern Völkern 
in die Schule gehen zu müssen. Doch die Zeit wird kommen, 
wo sie es gewiss lernen werden, für sich selbst etwas Rechtes 
zu lernen und zu schaffen, wenn sie einmal fester auf 
eignen Füßen stehen. (8. 25): Des deutschen Volks an- 
geborner Grundfehler ist, zuviel Güte , Nachgibigkeit und 
Fremdenliebe und zu wenig Stolz, Anmaßung, Härte und 
Selbstsucht. Im Großverkehr und im Weltgewühle gilt aber 
das Recht des Starkem, des Trotzigen, Anmaüenden, Zugi-eifen- 
den, und der Gutmütige, Schüchterne, Blöde und Bedenkliche 
zieht den kurzem. (8. 66): Es scheint, als müssen die Deut- 
schen zu sehr vielem genötigt, getrieben und gezwungen 
werden, sonst rühren sie sich nicht. Bei ihnen heiüt es: 
Not macht groß. (S. 69): Jeder echte Deutsche wird dem 
großen Baiernkönig Ludwig Dank wissen, der mit hohem 
Kunstsinn und mit inniger Liebe Künstler und Kunst unter- 
stützt, hegt und pflegt. Wenn sich deutsche Könige und 
Fürsten nur halb so um die deutsche Sprache annähmen als 
imi die Künste, so würde sie schon längst in anderer Schön- 
heit und Reinheit prangen. Welcher Fürst Deutschlands wird 
darin zuerst dem großen Karl nachfolgen und sich wieder mit 
Huld der verlassenen und entstellten Sprache annehmen? 
(S. 130) : Der Gehorsam und die UntertJlnigkeit ist dem Deut- 




78 Pfaff 

sehen so zur zweiten Wesenheit geworden, dass, wenn die 
Regierungen nicht selbst Anstalten treffen, nach Verlauf eines 
Jahrhunderts wenig mehr von der rein deutschen Sprache 
übrig sein wird. Daher tut es not, von Zeit zu Zeit wenigstens 
einen Ruf und ein ernstes Wort an die deutschen Männer er- 
tönen zu lassen, damit sie sich wieder erinnern, was sie sich 
und ihrer Sprache schuldig sind, um sich durch deren Bund 
enger aneinander zu schließen. Denn es wird die Zeit ganz 
sicher einstens kommen, wo sie alle wie Ein Mann auf- 
stehen und feststehen müssen, sei es gegen den Osten 
oder gegen den Westen. — 

Neben diesen kräftigen, mannhaften und vaterländischen 
Worten führt Brugger die Fülle der in allen Wissenschaften, 
Künsten, Handels- und Gewerbebetrieben wuchernden Fremd- 
wörter auf und übersetzt sie mehr oder weniger gut und 
treffend, doch immer mit dem bescheidenen Vorbehalt, damit 
kein Muster aufzustellen, sondern nur als Vorschlag und An- 
regung. 

Als Mittel, die Fremdwörter zu verdrängen, schlägt er 
vor (S. 215): Bei der Jugend ist anzufangen; also die Lehrer 
müssen es sich zum unabänderlichen Grundsatze machen, keine 
Fremdwörter, sondern immer echt deutsche Wörter anzu- 
wenden. So auf Volks-, Mittel- und Hochschulen. Besonders 
auf den letztern ist das Fremdwörterwesen zu Hause, hier 
reden die Lehrer wie die Gnadenboten (Apostel) in allen 
Zungen, als wenn sie allerlei Fremdvölker vor sich hätten, da 
es doch im ganzen nur deutsche Jünglinge sind. Hand in 
Hand nmss mit der Schule die häusliche Erziehung gehen. 
Die Eltern müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Das 
Hauptmittel ist die Einpflanzung Deutschen Sinns. Nur 
durch Begeisterung kann sich der Deutsche von dem noch 
immer über ihm schwebenden Joche der geistigen Fremdherr- 
schaft befreien. Die Fremdwörter sind nur Zeichen von dem 
Vaterlande entfremdeter Gesinnung. Hätten die Deutschen 
ihr Vaterland, ihre Sprache, ihre Sitten, Einrichtungen und 
Anstalten mehr gelieht als das Fremde, so hätten sie ihm 
Selbständigkeit, Freiheit und Eigentümlichkeit gerettet. 



Der Wissmeister Brugger 



79 



Guten Dienst leistet auch das Naclisclilagen guter Fremd- 
wörterböcher. Findet man in Büchern und Zeitschriften 
Fremdwörter, bo übertrage man sie sogleich in die Mutter- 
sprache. Man getraue sich aber auch vor Deutschen Deutsch 
zu sprechen. Die Verpflichtung zur Verdrängung der Fremd- 
wörter haben vor allem die „Öchriftner' (Schriftsteller) aller 
Wissenschaften und Arten, denn sie tragen auch die giößte 
Schuld der Fremdwörtereinschwärzung, 

Da man jetzt bei so vielen tiegenständeu das Heil in 
Vereinen sucht, so möchten auch Sprachreinigungs- 
V ereine zeitgemäü sein, welche die vaterländische 
Reinsprache und die Deutschgesinnung pflegen. 

Von der Menge liielt Brugger nicht viel, denn als das 
wirksamste Mittel zur Tilgmig der Fremdwörter nennt er: die 
Anregung durch die deutschen Fürsten und Regierungen; die 
Deutschen erwarten eben doch von oben Heil und Hilfe. Die 
erste deutsche Regierung, die an die untergebenen Stellen den 
Wunsch oder Befehl ergehen ließe, statt der Fremdwörter 
deutsche Wörter anzuwenden, ei-würbe sich ewigen Dank und 
Kuhni heim ganzen Deutschvolke. Brugger erinnert an Maxi- 
milian I. und fragt: Sollte sich unter den deutschen Fürsten 
nicht Einer finden, der so viel Liebe zu seiner Sprache und 
XU seüiem Vaterlande besäße, endlich einmal den Anfang mit 
pineni Werke zu machen, das so notwendig, so wultätig, so 
ruhmvoll ist? Wer wii-d der Gesalbte und der Erretter ans 
den Fremdbanden sein? 

Qinge nur die Hälfte von diesen Vorschlägen, so schließt 
Brugger, in Erfüllung, so würde unserm Vaterlande eine 
neue, weit schönre Zeit erblühen, als die Gegenwart uns 
beut; es würden sich die deutschen Brüderstämme inniger, 
unzertrennlicher die Hand reichen, und es würde das Ge- 
samtband der reinen deutschen Sprache alle fester zu Einem 
Brndervolke aneinander ketten; es würde sich Deutsehe 
Wissenschaft, Deutsche Kunst und Deutsches Leben auf 
die kräftigste ^^^eise ausspreclien und in echt deutschem 
Geiste, mit vaterländischer Eigentümlichkeit, mit dem 
vollkommensten Gepräge reiner Deutschheit entfalten, — 



MO i'fuff 

Niff'h IHM <'rli<*(( Mni^^er in vielen öffentlichen Blättern 
KiiiHii Aiilriir, iU'V (Inni (liMitHdHm Volke all dies recht warm 
iinn Ili*i7. li*K*'n wollh*. |Kt7 erHdiien dann sein «Urbild der 
ili>iile«i<lM«ii ItpiiiMiinirlin**. liier führt Brugger nun geschicht- 
Jlrli iinil im Miiii/.nn ftilKoriditig all das aus, was das erste 
lliirli nur aiiiliMitoto. Kr xoi^t in der Geschichte der deutschen 
h|it'iii*lin iliri* /,nn«'hMi«Mido Vonlorhnis und gibt die Mittel an 
t\\ llirnr KiMnigiinK. Irli ^vv\(o nur wenige Punkte heraus, 
dio niirji liiMilo von Itodoutung sind. 

\S, U\)\ \\o\ dor Uildung von Nouwörtern empfiehlt er 
«nlWftlo VorNirhI. 

iS. \\{\)\ Kino Spraohhoohanstalt oder ein Sprach- 
Hoiii'ht iAkiidomio^. xusammongosotzt aus lauter Meistern 
doi W i^HouM hafi , hat IlUttVi und Schlimmes. Wir sind in 
liiU'k'^u'hl dor S)^raohaushildung noch freier, wie 2. B. die 
KuiuooHoii. und unsiv Spraoho entbehrt gern der Fesseln« in 
d^o omo vxU'ho Anstellt unvonnoi^üioh schmiedet. Wer weiß, 
oh «ux ^ouo ^Jelohrto« auf don Sprachni4iterstühlai von dem 
Kivmd\y\M1mMvl Wfnu^n, ob 3^50 t>$ nidit iKvh unTertügharer 
uvAnhou xxo.iMt'^i IV >>>vb«:: i>5 h^ier ra aditen als alle 

\X*,v KiS»>« >s*>>^v* jÄ^-i)«:. o&jk^ K7iu^!«r kriftwe Worte 
aN l ^^ix-^-vii^i VÄ?^ ?»»<r^'r Sä.-W x.x-ii ><*««<•: «^«isip f«t«;iiidite 

y»\*Vv« '^inv »^ M ! >^ ^'.v ir «v"** ^Ul. A& Oft?- iitTi»*a T*- 

vix vx\\m ■• \ V. .-. X • v><--'v'**v U1U vor xwr : .oa&r *?- 

*■ '■ ■^- ^ ' : r v:v^ "»liUTi* >*M;it '5^^L•- 



Der Wiasme ister Brugger 



81 



wahrer Olockenklang und ihrem Herzen eine süße, unnenn- 
bare Wollust ! ! Welche Verrücktheit !' Er bringt auch 
(S, 210) ein Spottgedicht auf die Fremd wörterei. — 

Im Sommer 1847 hielt Brugger in der Harmonie zu 
Heidelberg allwöchentlich einen freien Vortrag vor einer ge- 
bildeten, zahlreichen Zuhörerschaft über die Geschichte, das 
Wesen und die Fortbildung unsrer Muttersprache, Nachdem 
so das Feld wol vorbereitet war, erlieli er einen Aufruf zur 
Gründung eines Vereins zur Beförderung der deutschen 
Reinsprache. Er forderte keinen Geldbeitrag, nahm aber 
freiwillige Gaben an. Hauptaitz des Vereins war Heidel- 
berg. Sofort sehloss sich ihm eine Reibe hervorragender 
Männer an, besonders Heidelberger Hochschullehrer, darunter 
Eduard Paulus. Noch im Jahre 1848 stieg die Mitglieder- 
zahl auf 477 Angehörige aller Stände, zunächst meist aus 
Baden, Hessen und der Pfalz, in 72 Ortschaften. Brugger hat 
selbst geschrieben die „Geschichte der Gründung und 
Entwicklung des Vereins der deutschen Reinsprache* 
(Heidelberg 1862), aus welcher der ganze Verlauf ersehen 
■werden mag. Hier nur einige weniger bekannte Einzelheiten. 

Bei der Totenfeier Robert Blums zu Freiburg im Jahre 
1848 waren gegen lOOMitglieder eines Männergesangvereins 
beigetreten, ähnlich in Baden ein großer Teil des Turnvereins, 
der den Redner durch Überreichung eines prachtvollen silbeiiien 
Kelchs ehrte. Bei der ersten Hauptversammlung zu Heidel- 
berg im gleichen Jahre hielt Bnigger eine Rede, welche unter 
allgemeinem Beifall schloss: Lassen Sie uns nun eifrig, mit 
wahrer Begeisterung an dem Werke der Sprachreinigung ar- 
beiten und jede Gelegenheit benutzen, durch Wort und 
Schrift uns als echte, vaterlandsliebende Deutsche 
zu bewähren, die den hohen Wert der Muttersprache und ihren 
mächtigen Einäuss auf die Bildung des Volks, auf die 
Eintracht der Stämme und auf die Herstellung der 
Einheit DeutschlandB erkannt haben". 

An die 6o0 Abgeordneten der Heichsversamnihtng 



82 Pfaff 

in Frankfurt a. M. sandte er eine Eingabe, worin er bat, sich 
bei allen Reden der deutsehen Reinsprache zu befleißen. 
Einige Abgeordnete nahmen sich der Sache an, andere rümpften 
die Nase oder lächelten über das Unterfangen. 

Trotz der politischen Stürme, zum Teil auch ihretwegen, 
gewann der Verein bis zum Schlüsse des Jahrs 1849 773 Mit- 
glieder in 137 Orten. Das meiste hat Brugger selbst dazu 
getan, hielt er doch in 22 Jahren mehr als 2000 Vorträge 
in deutscher Reinsprache. Auch eine Zeitschrift »Die deutsche 
Eiche** gründete Brugger zur Förderung deutsches Sinns, 
deutscher Gesittung und deutscher Reinsprache durch Beleh- 
rung und Unterhaltung. Wol regte sich von mancher Seite 
lebhafter Beifall, und eine Anzahl fleißiger Mitarbeiter wie 
Gervinus, Hammer-Purgstall, Franz Mittermaier fand sich ein 
und Brugger selbst war für die Verbreitung eifrig besorgt. 
So zeigt das Sekretariat des Reichsverwesers am 15. Dezember 
1849 den Empfang an und versprach den Bezug der Zeit- 
schrift*'. Auch war die Zeitschrift durch ihren reichen In- 
halt an volkstümlicher Unterhaltung in Deutschem Sinne an 
sich eine erfreuliche Erscheinung. Allein sie brachte es doch 
nur auf zwei Jahrgänge. Der Anfang der fünfziger Jahre 
war für freiheitliche und deutschtümliche Bestrebungen eine 
ungünstige Zeit. Selbst die Poßzei mischte sich einmal ein 
und verhörte Brugger, als er eine harmlose Klage der Vögel 
aus dem Schlosswald um das Ausbleiben ihres Ernährers, des in 
Untersuchungshaft befindlichen, später freigesprochenen Bürger- 
meisters Winter veröffentlichte. Bruggers freisinnige Richtung 
in Politik und Religion mochte wol, wie er selbst sagt, Schuld 
am Rückgang der Deutschen Eiche tragen. Auch seine Sprach- 
reinigung war nicht nach jedermanns Sinn, namentlich wollte 
man seine Verdeutschung von Doktor und Professor als »Wiss- 
meister** und , Wisslehrer** nicht gelten lassen. Er selbst ver- 
teidigte sich schlecht, wenn er aus einer alten Schrift das 
Wort ,Wyßmaister** = Weiser Meister als altes Vorkonmien 
seiner Verdeutschung vorbrachte^*. 

" Briefe Nr. 52. «* Geschichte S. lOL 



Der VVisaiiieister Bru^ger 



83 



l)er Vorein aber blllhte weiter und hatte im Jahre 1862 
2400 Mitglieder in 4ö3 (.)rten und acht Zweigvereinen. Am 
23. Dezember IS&2 spricht sein allem Deutschen holder Landes- 
först, unaer ehrwürdiger Großherzog Friedrich von Baden, in 
einem gnädigen Handschreiben Brugger die Anerkennung seiner 
vaterländischen Bestrebungen aus und vei-sichert ihn seiner 
besondem Wertschätzung, 

Als aber Bnigger drei Jahre darauf gestorben war, war 
auch der Verein der Keinspi-ache dahin. Nur Bruggers durch- 
aus eigenaitige und gewinnende Persönlichkeit hat ilm er- 
halten, wie sie ihn auch erweckt hatte. Ihm als dem Gründer, 
der immer seine eigne Person einsetzte, vergab man wo! auch 
manche Schrulle, manche VeriiTung. Als er aber geschieden 
war, empfand man so manches Schiefe und Unhaltbare stärker, 
lind so fand ein sich immer mehrender Abfall statt. 

Die Mängel von Bruggers Bestrebung treten am stärk- 
sten hervor in seinem „Fremdwörterbuch für das deutsche 
Volk" (Heidelberg 1855). (thne Zweifel hat es Brugger an 
umfassendem Wissen und daher auch an völliger Durahdringung 
lind richtiger Beurteilung des Stoffs gefehlt. Darin liegt die 
Ursache seiner Verirrung und seines endlichen Misserfolgs, 
Wenn wir aber so manche Sondeibarkeit ünden, so müssen 
wir freilich bedenken, dass Brugger seine Verdeutschungen 
immer nur als Vorschläge betrachtet sehen wollte, nicht 
als Vorschriften. Und ferner, dass Brugger ein Schalk war, 
der gern setner heitern, auch wol einer etwas boshaften und 
spöttischen, weltverachtenden Laune die Zügel schießen ließ, 
namentlich wo er kleine Hiebe gegen Strenggtäubigkeit, Ge- 
t ehrten dunkel, Fürftenstolz und Untertänigkeit führen konnte. 
Wenn Brugger die Handschriften seiner Vorträge . seiner 
Selbstbekenntnisse, seine Stammbücher und seine Briefe bei 
festlichen Gelegenheiten den beiden badischen Universitäten 
stiftete und vermachte, und sogar den Wunsch äußerte, seine 
hinterlaaseneu Werke möchten gedruckt werden, so mag ja 
wol eine große eigene Wertschätzung darin sich ausdrücken; 
aber doch halte ich sein Vennächtnis an die Freiburger Hoch- 
schule auch für einen Ausfluss seiner Schalkhaftigkeit. Auf 



I 



84 Pfaff 

der Universitätsbibliothek war seit dem Jubelfeste der Uni- 
versität ein schöner messingbeschlagener Kasten aus Maser- 
holz als Bruggers Geschenk niedergelegt mit dem Beding, 
dass er erst drei Tage nach des Schenkers Tode geöffnet und 
ein darin befindliches Manuskript immer im Hauptsaal der 
Bibliothek aufbewahrt werden solle. Noch ist das vom Pro- 
rektor Hug unterzeichnete Schreiben vorhanden, in dem der 
Senat am 21. März 1836 den Empfang der Schenkung dankend 
anzeigt. Im Jahre 1864 schrieb Brugger an den Prorektor von 
Woringen, nun, nachdem ,,die Zustände und Verhältnisse ge- 
ändert*, möge das Kästchen geöffnet und vom Inhalt ihm 
Nachricht gegeben, in öffentlichen Blättern aber nichts dar- 
über gemeldet werden. Als sich alles unversehrt vorfand, 
bestimmte Brugger, nach seinem Tode solle die Handschrift 
ganz oder teilweise durch einen weltlichen, freisinnigen und 
vorurteilslosen Hochschullehrer veröffentlicht werden. Der 
schöne Behälter, der nach viel Geld aussah, und die ganze 
Feierlichkeit machten wol später in Freiburg den Eindruck, 
dass der Kasten neben der Handschrift auch Wertgegen- 
stände enthalte. Als nun Brugger gestorben war, schlug der 
Oberbibliothekar in der Sitzung der Bibliothekskommission 
vom 3. Juli 1865 vor, die seinerzeit überreichte Ghatouille, 
welche seither im Hauptsaale der Bibliothek deponiert war, 
zu eröffiien. Dies geschah, aber man fand nur ein Bild — 
das diesen Zeilen beigegebene — , eine kleine Alabasterbüste 
Bruggers und verschiedene Bündel Handschriften — eben jene 
Selbstbekenntnisse — darin. Auf weiteren Bericht überließ 
es der Senat der Kommission, den Kasten samt Inhalt an- 
gemessen aufzubewahren, und so ward er denn an seinen 
frühern Aufenthaltsort zurückgebracht. Er dient jetzt wieder 
dazu, die von mir wieder vereinigten Freiburger Bnigger- 
andenken im Handschriftem*aum der neuen Bibliothek zu ver- 
wahren. Niemand hat daran gedacht, Bruggers in dem umfang- 
reichen Handschrift enstoß in alphabetischer Folge nieder- 
gelegte Gedanken und Bekenntnisse zu veröffentlichen. Das 
Rongetum stand längst nicht mehr im Mittelpunkt der Auf- 
merksamkeit. Die Brugger-Handschriften fand ich vergessen 



Der Wissmeister Brugger 85 

lind verstaubt unter andern Papieren. Hatte der schalkhafte 
Wissmeist^r auch den Freiburger Herren einen kleinen Possen 
damit gespielt, so verdienen sie doch solches Schicksal nicht. 

Bruggers Fremdwörterbuch zeigt uns an vielen Stellen, 
wie wirs nicht machen sollen, erheitert aber auch vielfach 
durch seinen Humor. 

Beim Wort Abbe sagt er: „übersetzte Campe *^ mitPfaflfen- 
bendling, weil es eine Afterart von Geistlichen, ein Misch- 
ling von Geistlichen und Weltlichen ist. Andere gaben es 
mit: Weltgeistlicher, Zwittergeistlicher. Sonst heißt es auch 
Abt. In Deutschland gibt es keine solche Art Leute.** 

^Ablativ, 1., kommt täglich in den Mittelschulen vor. Da 
ist es die sechste Endung, der Sechstfall.** 

Bei Adjtdant erklärt er sich für „Beimann, Hilfold, Be- 
fehlwart, Wemold**. 

Akademie : „ Hoch wissanstalt ** . 

Atnen: „Das Wort wollen die Gottgelehrten um keinen 
Preis fahren lassen, und das Volk auch nicht, denn sonst 
wösste man nicht, wann die Rede aus ist.** 

Anarchist: „Ohnherrschafter**. 

Atheismus: „Gottläugnung, Ohngotttum**. 

Baccalaiireiis: „Belorbeerter, Erstwürdner**. 

Ballade: „Sanggedicht, Märchen**. 

Barbier: „Entbarter, Bartscherer, Bartputzer, Bart- 
abnehmer**. 

Batterie: „Geschützstuckbett, Blitzstoffflaschen**. 

Blondine: „Hellhärchen**. 

Boudoir : „ SchmoUkämmerchen , Alleinstübchen , Putz- 
zimmer, Frauengemach**. 

Fakultät: „Fähigkeit, Hochschulinnung". 

Justizminister : „ Rech tslandwart ** . 

Literat: „Tagschriftner, Schriftsteller, Federheld, Frei- 
schriftner, Zeitschriftarbeiter". 

" Joachim Heinrich Campe, Wörterbuch zur Erklärung und 
Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. 
Neue Ausgabe. Braunschweig 1813. — Brugger schließt sich vielfach an 
Campe an. 



86 Pfaff 

Operation : ^ Schneidung , Wund vornähme , Handheihing, 
Wundverrichtung, Vornahme " . 

Optimismus : „ Bestweltlehre ** . 

Papier: „Schreibwad**. 

Pedant: „ Steif ling, Schulfuchser, Gewohnheitsmensch, 
Zopfling, Dümmling**. 

Perruque : „ Haarkappe , Haarhaube , Kunsthaar, falsch e 
Haare, Hazel, Glatzberge, Fremdhaar**. 

Protestant : „ Verwahrgläubiger** . 

S})eku1ation: „Forschdenknis, Gedankenspinnerei, Schaff- 
denkkraft, Denkgewebe, Gelderwerb, Denkspähung** . — 

Mag nun auch manches in Bruggers Fremdwörterbuch 
nicht immer völlig ernst gemeint sein, so spielt doch oft 
auch eine nicht geringe Geschmacklosigkeit mit. Diese macht 
die ganze Bestrebung lächerlich und stellt Brugger nui* zu 
leicht auf eine Stufe mit den alten Sprachgesellschaften, deren 
Schaffen wir wol geschichtlich verstehen und achten, aber 
nimmer nachahmen wollen und können. Schon oft sind solche 
Übertreibungen zurückgewiesen worden, so auch gerade in 
Bezug auf Brugger von Hermann Dunger im ersten Auf- 
satz des ersten Jahrgangs 1886 der Zeitschrift des Sprach- 
vereins. 

Bruggers Verein der deutschen Keinsprache verging wie 
Butter an der Sonne. Schade, dass so viel guter Wille fiir die 
deutsche Sprache an der Maßlosigkeit zu Grunde ging. Aber 
auch die Zeit war ungünstig. Neue Wetter waren am politi- 
schen Himmel aufgezogen. Die neuen Einigungsbestrebungen 
unter Preußens Führung bewegten unser Vaterland. Erst 
mussten die Domier des Jahrs 1866 verhallen, erst musste 
wenige Jahre darauf die gemeinsame Abwehr des Erbfeinds 
die deutschen Stämme siegend einen und nun die von Brugger 
und seinen Vaterlandsfreunden so heiß ei-sehnte Einigung ge- 
winnen. Noch im Jahre 1862 hatte Brugger in seiner Ge- 
schichte des Vereins (S. 111) gesagt: , Wieviel Jahre müssen 
und werden noch vorübergehen, bis man in Deutschland Ein 
echt deutsches Heer, unter Einem ausgezeichneten Hel- 

' »Ken wird, dem es gelingt, die Krieger 



Der Wissmeister Brugger 87 

aller Stämme zu Einer Oesamtheit zu vereinigen, und Deutseh- 
land wieder zur Hauptmacht Europas zu erheben?" Ver- 
gessen wir das doch nicht dem wackeren Brugger, was er 
gekämpft und gerungen für unsre Muttersprache und für 
unsres Vaterlands Einheit! Vergessen wir nicht, dass die 
Samenkörner, die er ausgestreut, heute in unserm Garten 
treiben und sprießen und uns Blüten und Früchte und labenden 
Schatten gewähren. Hat er geirrt — nun wol, wer ist frei 
von Irrtümern! Er war doch ein ganzer Mann und in seinem 
Deutschen Sinn und Streben uns allen ein leuchtendes Vor- 
bild, dieser von kleinen Geistern verlachte Wissmeister 
Brugger. 



Alemannisclie Ortsneckereien aus Baden. 

Von Oskar Haifiier. 

Eines der Gebiete, auf denen sich der Volkshumor in der 
urwüchsigsten Weise breit macht, sind die Ortsneckereien. 
Aber sonderbar, gerade dieser Zweig der Volkskunde scheint bis 
jetzt so gut wie gar nicht bearbeitet worden zu sein. So ist 
z. B. in den Werken von Andree über Braunschweiger Volks- 
kunde und dem von Wuttke über sächsische Volkskunde sehr 
wenig zu linden ^ Auch der in Zeitschriften zerstreute Stoff ist 
sehr dünn gesät. Am meisten ist noch in den altem Jahrgängen 
der „Alemannia" vorhanden, wo über schwäbische Ortsneckereien 
manches zusammen getragen ist, das für eine Zusammenfassung 
der Ortsneckereien aus ganz Deutschland von hohem Werte sein 
wird. Aber so weit sind wir noch lange nicht. Denn erst muss 
einmal der Versuch in einem kleinen Teile unseres Vaterlands 
gemacht werden, die Ortsneckereien nach bestimmten Gesichts- 
punkten zu ordnen. 

In dieser Richtung will der Verfasser im folgenden einen 
Versuch wagen, mehr soll es nicht sein. Den Grundstock des 
Stoffs bilden die Beantwortungen der Fragebogen, die im Jahre 
1893 an alle Volksschullehrer Badens versandt wurden. Dazu 
kommen noch Beiträge, die dem Verfasser von Freunden der 
Volkskunde in freundlicher Weise zur Verfügung gestellt wurden. 
Bemerkt möge noch sein, dass diese Arbeit schon zum größten 
Teile fertig stand, als das Buch von Otto Heilig, Die Orts- 
namen des Großherzogtums Baden, erschien, das am 
Schlüsse auch badische Ortsneckereien aufführt. Hat der Ver- 



^ Ein erfreulicher Umschwung scheint in neuester Zeit eingetreten 
zu sein. Das zeigt das schätzenswerte Werk meines Freundes Dr. Al- 
brecht Keller, „Die Schwaben in der Geschichte des Volkshumors*, 
das mir leider erst während der Drucklegung meiner Arbeit zu Gesichte 
kam. Dort sind viele schwäbische Ortsneckereien mitgeteilt, die auch 
Orten des badischen Oberlandes nachgesagt werden. 



Alemannistlie Ortfinectert'ie 



fasser vorliegender Arbeit daraus auch manches Neue erfahren, 
so wird doch der Vergleich beider Arbeiten zeigen, dass hier 
viel noch nicht veröffentlichter Stoff geboten werden konnte, 
wie auch in Einteilung und Erklärung selbständig vorgegangen 
wurde, 

Das Bestreben muss darauf gerichtet sein, die Namen nach 
bestimmten Gesichtspunkten zu ordnen. Aber bei vielen Wör- 
tern liegt die Erklärung nicht deutlich zu Tage. Wol dann, wenn 
die Deutung überliefert ist, oder ein mit dem Leben und der 
Mundart seines Orts vertrauter Mann sie geben kann. Ist dies 
nicht der Fall, so muss man sich auf Vermutungen verlassen. 
Dabei ist aber mit aller Vorsicht zuwege zu gehen, denn wie 
leicht kann ein einfaches geschichtliches Vorkommnis in einem 
Dorfe, das man nicht kennt, eine mit allen philologischen Spitz- 
Pndigkeiieu aufgebaute Vermutung über den Haufen werfen. 
Bei solchen zweifelhaften Fällen ist es besser, seine Unkenntnis 
offen zu erklären. 

Neckereien der Menschen untereinander sind wol so alt als 
der Mensch selbst. Körperliche und geistige Eigenschaften, be- 
sonders Fehler, geben genügenden Anlass dazu, den lieben Nach- 
bar zu hlinseln. Dazu kommen einmalige Vorkommnisse, die 
oft nicht einmal komischer Art zu sein brauchen. Dass die 
richtigen Schildbürgerstreiche dazu besonders geeignet sind, 
braucht wol nicht näher erwähnt zu werden. Man darf nur an 
die Spitznamen, die die Schüler sich untereinander oder ihren 
Lehrern geben, oder an die Kneipnamen der Studenten erinnern, 
um zu sehen, wie weit sich dieser Brauch erstreckt. Auch an 
den dritten Namen bei den alten Römern ist wol hier zu denken 
und viele unserer alten deutschen Namen können wol nur da- 
durch ihre Erklärung tinden. Aber die Kreise werden größer. 
Einzelne Teile eines Orts werden unter einem Spitznamen zu- 
sammengefasst, die Stände, Berufsarten, Geschlechter und Alters- 
klassen. Dann aber auch einzelne örtliche Teile des Dorfs. 
Noch einen Schritt weiter und ein Dorf gibt dem andern seinen 
Unnamen. Wir sind jetzt bei den Ortsneckereien, die wir im 
Folgenden näher betrachten wollen. Doch wollen wir bemerken, 
dass damit die Reihe noch lange nicht abgeschlossen ist. Die 
einzelneu Teile eines Gaus necken sich gegenseitig durch Spitz- 
namen, dann die Landesteile untereinander u. s. f., bis mit den 
Spottnamen der grolien Nationen die Kette ihr Ende erreicht hat. 




90 



Haffiiei 



Was bei einem Orte auerst in die Augen spHngt, ist seine 
Lage. Liegt das Dorf nun im Tal, so heilleii die Bewohner 
Talknitlse oder TtdmvtschUr, wie die von Ottenhöfen (Achern), 
auch Talaffen, wie die von Aselfingen und Achdorf (Bonn- 
dorf I. In Ehrenstet ten (Staiifen) sind die Wähiirr. In Steinen- 
stadt (Müllheiiu), das in der Nähe des Rheins liegt, sind die 
Seeräuber, und aus gleichem Grunde in Niederbuhl (Rastatt) 
die Fisc/iscfiwäm. Mooskrtdten heißen die Bewohner von Hoch- 
dorf (Freiburg), da ihr Ort in sumpfiger Gegend, im Mooswald 
liegt. ÄulJerdem bat das Dorf auch eine Kröte im Ortswappen. 
Auch Gebüsch, das sich im Dorf oder tun es herum findet, muss 
zur Neckerei dienen. So werden die Bewohner von Neusatz- 
ecU (Bühl) Hcekenhuclcer oder Hecfcenvieh genannt. Ein Weiler 
Ton Randegg (Konstanz) wird liinsmbösch geuzt, weil dort 
Binsengesträuch in Menge vorkommt. Ebenso beiUt Hettingen 
(Lörrach) verSchtlich LinzenhOsck. Noch andere Eigenschaften, 
die sich auf das Aussehen des Dorfs beziehen, tragen zur Neckerei 
bei. Dass die Bewohner von Frickingen (Überlingen) Dräi/ff- 
schpringer und die von Rickenbach (Überlingen) Drüiigltachiv 
heillen, kommt wol auch nicht von der Reinlichkeit des Orts, 
Hiiye/hiipfcr nennt man die Einwohner von Unzhurst (Bühl), 
weil sie den Bach auf aus dem Wassei* heraus ragenden St«ineD 
zu überschreiten pflegen. Ottersweier hat wahrscheinlich viel 
Leimenboden, weil es sich den Namen Leimenschetihd gefallen 
lassen muss. Ähnlich heilten Katzennioos (Waldkirch) Lrimedfi, 
obwol kein Leimenboden da sein soll, Gutach (Waldkirrhi 
Letmendf'itscher, ebenso Spitzenbach fWaldkirch). Das Schloss 
Rohrburg in der Nähe des Dorfs WUriuersheim (Rastatt) (fib( 
den Bewohnern dieses Dorfs den Namen Bolirlittrt/er. Die Be- 
wohner von ünteribental (Freiburg) sollen aus dem häü%ea 
Vorkommen der l-riisclw den Namen dieses Tiers tragen. Wegen 
seiner Lage auf der Nordseite werden die Bewohner von Litten- 
Weiler (Freiburg) Üief geneckt, da es viele Reifen gibt und die 
Bestellung der Felder wegen der Winterlage etwas später als 
in den umliegenden Dörfern ist. Zu diesem Teil ist noch 
scidielilich zu erwähnen, dass Hatzenweier und Oberweie' 
(Bühl) Landschlangen heißen und dass die Bewoliner von Rohr- 
bach (Triberg) Krtbstaler genannt werden. In Oberbruob 
(Bühl) backen sie die Eier nur auf einer Seile, da mir aufdK 
einen Seite der Stralle HKuser stehen. 



Aleninnniäclie Ortanecker 



* Baden 



91 



,[ Slit der Lage des Orts steht di« Feldbestellung in Zu- 

l| aammenhang und aucii dies wird zu Ortsneckereien benützt. 
[ Zuerst, was die Art der Feldbestellung angeht, so heiUen die 
'if Ehrensteiter (Staufen) Mtsthütth, weü sie den Mist in Butten 
1 suf das Feld tragen. Aus demselben Grunde werden die Peteirs- 
täler (Oberkirch) JiUcklorlihaueni geuzt, wie auch die Ihringer 
(Breisacti) Esi-t, da sie den Dung in die Reben tragen. Fürsteti- 
berger Esd heilien die Bewohner des auf einem Berge gelegenen 
Orts FUrstenberg (Donaueschingen), da sie früher das Wasser 
mit Eseln hinaufsc halfen mussten. In Oberliergen (Breisach) 
bolt man Moos aus dem Wald für den Stall, also sind hier die 
Miesriippeti. Weil man in Hartheira (Staufen) und in Rot- 
weil (Breisach) Schilf zum Streuen im Stall verwendet, sind 
dort die LieseUbündd und hier die Lieschteufcl. Dahin geliört 
■vielleicht noch die Ortsneckerei ftir Leustetten (Überlingen) 
HeiscMefffl., fllr Bötzingen (Emmendingen) Pflui/kari-enrüdhr 
und für Bugglngen (Mlilllietm) Hdmerimse, da sie das Vieh 
mit Spreu fütterten. 

Aber die meisten Neckereien in dieser Beziehung haben 
ihren ßrund darin, was die Bewohner am meisten bauen und 
oft auch am meisten essen, weshalb öfters nicht zu unterscheiden 
ist, wovon der Name genommen wurde. Daher behandeln wir 
im Anschluss an die Neckereien, die von der Feldbestellung her- 
stammen, diejenigen, welche ihren Grund in der hauptsächlichen 
Nahrung haben. Besonders zahlreich sind die Ausdrücke, die 
Ton der Bebauung der Felder mit Kraut genommen sind. So 
finden wir ftir Opfingen (Preiburg) Kmtdnrsclie, für RUßwihl 
(Waldshut) Chntlsc/ilämpe, ebenso üflingen (Säckingen) und 
Hauingen (Lörrach). Für Gottenheim (Freiburg) und Wies 
(Schopfheim) Kriästerse. Wegen des Baus von Rüben heißt 
Thiengen (Freiburg) Ituhwedel, Oberlauchringen (Walds- 
hut) Bäbsäcke und Obersäckingen Hühschwnme. In Wall- 
bach (Säckingen) die Itäbinonchi, sie sollen getrocknete Rüben 
essen. DickrübiMi werden auch die Bohlinger (Konstanz) und 
die Bötzinger (Emmendingen) geneckt. In Riedlingen (Lör- 
rach) wachsen kleine saure Äpfel, daher der Name ChriisUnger 
und in Bahlingen (Emmendingen) die Schofnase» (eine Sorte 
ipfel). Mühlenbach (Bühl) ist die Zto/mrasind/, die Reichen - 
ir (Konstanz) die IMnieiifrrsser, in Waldulm (Achem) die 
ler, in öttlingen (Lörrach) die Bohnerüme und in Sand 



92 Haifner 

(Kehl) die Hägclshohne. In Reuthe (Freiburg) werden viel 
Kartoffeln gepflanzt, also sind sie die Erdäpfelsäck. Im Tal, in 
dem Pfaffen weil er liegt, gibt es viel Schnecken, daher heißt 
auch das Tal SchnecketUal und die Bewohner des Orts Schnecken. 
Ferner gehören daher Ballrechten (Staufen) Pfrümler, Moos 
(Bühl) imier (Zwiebeln), Breisach HerdäpfUe, Stollhofen 
(Rastatt) WelschkornsäckvL Auch Schutterwald (Offenburg) 
soll wegen des vielen Vorkommens von Pflaumen den Umnamen 
lyinniedrucker haben, »doch spielt hier auch noch ein Schild- 
bürgerstreich mit. 

Mit der Feldbestellung steht auch in naher Beziehung die 
Nahrun gs weise; denn was man auf dem Felde viel baut, das 
wird auch im Dorfe gegessen und oft wird es schwer auszu- 
machen sein, ob ein Neckname daher kommt, dass man eine 
Pflanze oft baut oder daher, dass sie eine Hauptnahrung des 
Dorfs ist. Zur letzten Gattung gehören wol: Strittberg 
(St. Blasien) Xadle, Birkendorf (Bonndorf) KutÜefre^ser^ 
Tegernau (Schopfheim) Kaffvchuhe^ Hohenegg Specker^ Jech- 
tingen (Breisach) Pflude^ Bischweier (Rastatt) MoUcensuppeTf 
und Dundenheim (Lahr) SurmilchJulfe. Auch von dem gedörr- 
ten Obst haben einige Dörfer ihre Unnamen, so besonders in 
der Zusammensetzung mit Sehn Uz = gedörrtes Kernobst. In 
Rauh (Schopf heim) sind die Schnitjsbube^ in Oberwolfach 
(Wolfach) die SchniU, Die Glotter- und Elztäler heißen die 
Schnftzfäler, In Ried (Schopf heim) sind die Schniijärög und 
in Neusatz (Bühl) die Huiiten 

Ot> werden Dörfer mit Namen von Speisen belegt, um da- 
durch die Armut und Hungrigkeit des Orts zu bezeichnen. Mag 
dies schon in einigen oben angeführten Neckereien der Fall seiß^ 
so kommt dies deutlich Ivei folgenden Ortsneckereien zum A^^' 
druck: die Biethinger (Messkirch) heißen Staibeißerj man i^^ 
dort .^/>rri* nnd lialit (wol Mehlbrei). In Mappach (Lörra**^) 
sind die Papf^scMtrhr. in Bahlingen (Emmendingen) »^^^ 
Schutterzell ^I^hn die KäsHapf und KasbüdiSeH. Dahin ^^ 
hört vielleicht auch der Neckname für Lembacb (Bonndo^'v 

Die kleinen Städtohen stehen bei den umliegenden Dörf«?^'^ 
Wsondors im Rufe der Hun^rriArkeit, Hffnonoe SiiiUinger (Bo»^" 
dv^rf» heiht es d^ oKr.so wie Hunori^ WaMkircher. Die Stü^" 
l5«a:er stehen Sonntag vv>r dem Honor und storren an ihren 



e Ortanetkeroicn n 






93 



Zähnen herum, nis fiatten sie Fleisch gegessen. Sfiihliiigcr 
jUffarren werden dort ku Lande die sogenannten Gipfe! (Hörn- 
chen) genannt, weil der StUhlinger immer eher nach dieser Back- 
ware als nach einer Zigarre greift. Wenn man nach Säckingen 
kommt, friert man oder man hat Hunger. Die Rastatter sind 
die Teller schlerker; den gleichen Namen erhalten auch die Be- 
wohner von Lörrach und Badenweiler (MUllheim). Auch in 
Balzhofen (Bühl) sind die Phltenschkcker. 

Auch das Getränk hat Anlass zur Neckerei gegeben. Die 
Merdinger (Breisach) heißen Schoppenkiinelte. Man geht nach 
Ihringen (Breisach), um Esdstmlch eu trinken. In Sandweier 
(Baden) sind die Erdäpfelschnapstrinker und der Dnrst der 
Etsentüler (BUhl) ist bekannt, man sagt ihnen zum Spott nach, 
sie äUen zwei Portionen Käse oder zwei Würste zn '/^ I Bier. 
Die Bewohner von Ichenheim (Lahr) heißen die Zipfdivecke, 
weil dort die Wecke in einer besondern Form gebacken werden. 
In Überlingen a. H. (Konstanz) sind die (r;-Üjer(Kreuzer)fo-örffc. 
In Dundenheim (Lahr) wird viel Sauermilch gegessen, wes- 
halb die Bewohner Sunnilchhäfe oder StirmUrhplumper heißen, 
Elienso sagt man in Mengen (Freiburg), wenn es um 5 Uhr 
abends \&ü.%ei, es läute sar Suprmilch. Die Ortenberger (OfFen- 
burg) werden Tünkele genannt, weil sie die Gewohnheit haben, 
die Tunke mit Brot auszutunken. Warum in WoUbach (Lör- 
rach) die Kochltiff'd sind, ist uns nicht bekannt. 

„Kleider machen Leute"", heißt es im Votksmund und so 
muss auch eine Eigenart in der Kleidung zu Neckereien Anlass 
geben. Da sind es einmal die leinenen und zwilchenen Kleider, 
die in manchen Orten mehr getragen werden und wol als Zeichen 
der Armut gelten. So Buchheim (Freiburg) Zwilcher, Zarten 
<Freiburg) Ziiilcltenie, Neusatz und Ottersweier Leinenivanst. 
"Warum die Bewohner von Waltersweiler (Offenburg) und 
Otter8weier(Bühl) Rotmüniei heißen, ist nicht berichtet. Eben- 
•taWa nicht, warum die von Zell i. W. (Schönau) Alte Hüte. 
'Hbenfalls wegen ihrer Kleidung werden die Bauera von Kirch- 
arten (Freiburg) als Halbiierren von den umliegenden Ort- 
'«cbaften bezeichnet, da sie eine Imlbstädtische Kleidung tragen. 
Je nach der Lage des Orts wird neben der Landwirtschaft 
noch etwas Gewerbe getrieben und diese Beschäftigung gab 
auch Anlass zu Ortsneckereien. Die Dörfer, die in waldiger 
Gegend liegen, handeln mit Kienholz, Harz oder Besen. So sind 



94 Haffner 

die Bewohner von Friedlingen (Konstanz) die Kienspühnef 
die von Ehrenstetten (S taufen) die Beseriäler, die in Rip- 
poldsau (Wolfach) Harzkclppler und B oll seh weil (Freiburg), 
das Holz in Wellen zusammenbindet, Wellenstühel. In Ken- 
zingen sind die Wellenbengel oder Fohrebuppele. Auch was die 
Ortschaften am meisten ausführen oder mit was sie handeln, 
gibt ihnen den Namen. So heißen die Bewohner von Förch 
(Rastatt) Eierkörb und die von Spitzenbach (Waldkirch) Besen- 
pfriemer. Die Bewohner von Siegelau (Waldkirch) haben wegen 
ihrer großen Schweinezucht den schönen Namen Saukerle, wäh- 
rend die von Haueneberstein (Baden) aus demselben Grunde 
Schinken genannt werden. Wegen ihrer Beschäftigung heißen 
etwas verächtlich die E biger (Schopf heim) Heftlimadier (machen 
Haften) und Sal lecker Löchlimacher. In Ried (Schopf heim) 
führen die Bauern Schottersteine, gleich sind sie die Grün- 
Föhrer. Hafefranz und Schellehom z' Reiie (Reut he, Stockach) 
sind sie heed dahöm. In Todtmoos (St. Blasien) sind die Leb- 
küeclder, in Hogschür (Säckingen) die Beckholderbttbe (wol 
Handel mit Wacholder, dort Reckholder genannt). In Kirch- 
hausen (Schopf heim) sind die 3Iusner (Maulwurfsfänger), dazu 
gehört vielleicht auch, dass in Engel seh wand (Waldshut) die 
Gräzebuf)e (Grätze = Rückkorb) sind. 

Auch geschichtliche Erinnerungen sind es, die bei 
Ortsneckereien eine Rolle spielen. Es ist bekannt, dass das 
badische Land erst vor hundert Jahren seine jetzige Gestalt 
erhielt und bis dahin in viele kleine Temtorien zerfiel, an 
welche jetzt noch die Ortsneckereien erinnern. Die Bewohner 
von Schwan dorf (Stockach) heißen die Ostreicher, ebenso die 
von Holzhausen (Emmendingen), Grünem (Staufen). Die 
Wolf ach er sind die Fürstejiberger. So schimpfen auch die 
Einwohner von Aha (St. Blasien) die Altglashütter Fürste- 
berger, während diese ihren Nachbarort als Vogteier bezeichnen, 
da dieser Ort ehemals zur Vogtei Schluchsee gehörte. An die 
Zeit der französischen Einwanderung vom 17. Jahrhundert bis 
Anfang des 19. Jahrhunderts erinnern die Namen WdscJie und 
Franzosen. Ersteren führen die Bewohner von Nieder- 
rimsingen (Breisach), Grünem (Staufen) und Hügels- 
heim (Staufen). In Heitersheim (Staufen) war früher der 
Sitz einer Johanniterkomtur , daher sind jetzt noch dort die 
Maltheser Herren oder MaWieser Charakter, Von fremden 



Alemannische Orlsnccker 



Völkernamen kommen folgende vor: Russen heilien die Be- 
wohner von Seefelden (Miillheim), die SchallstSdter (Frei- 
buFR) sind die 'i'irokr, die im benachbarten Wolfenweiler 
Al^ii-m: Diesen Unnftmen führen auch die von Bischof- 
fingen (Breisat'h). 

Dass die Namen von Städten genommen werden, fand sich 
zweimal, so fiir Eschbach (Staiifen) Ulmer und für Zienkea 
(Mullheim) Lübecker. Einmal hatte ein Dorf als Unnamen den 
Kamen eines andern badischen Dorfs, nämlich die Heuweiler 
(Waldkirch) werden Todtnauer genannt. Eine etwas eigen- 
artiße Bezeichnung ist die für Raithenbach (Neustadt) Re- 
puhl'il: 

Neben der Lage und der früheren politischen Zugehörigkeit 
spielen auch bei den Ortsneckereien die wirtschaftlichen 
Verhältnisse eine Rolle. Da ist es die Armut, die manchem 
Ort den Namen Bft(l /lehnn einträgt, so Danningen (Meas- 
kirch) und Leiselheini (Breiaach). Dazu gehört auch in 
Weiogegenden der Name Elbnie, das ist eine Rebenart, *e nur 
geringeren Wein gibt, aber eine größere Menge. So heißt 
Feldberg (MUllheini)- Ebenso führt dieser Ort den Namen 
Miltsche, das eine geringere Art Brot bedeutet. Die Balz- 
hofer (Bühl) heißen wol wegen ihrer Armut Flatlensc/ilecker 
und in Niederweiler (Müllheim) sind die KüinUi'spnUer, 
Förch (Rastatt) liegt mitten in der Welt, denn ihr Kirchturm 
wirft keinen Schatten, da sie nJiiulich keinen haben. Auch 
läutet man hier, wie in Neukirch (Triberg), immer mit allen 
Glocken, denn beide Orte haben nur eine, und Bahlingen 
(Emmendingen) wird wegen seiner Armut Mitrelclwel genannt. 
Die Bewohner von Wintersweier heißen LierelcUbcl (Butt«r- 
fass), eine Bezeichnung, die bei den vierzeiUgen gereimten 
Ortsneckereien häufig zu ünden ist und den Reichtum des Orts 
bezeichnen soll. 

In Mühlenbach (Wolfach) sind die Spähiibrenner. In 
Gutach (Waldkirch) verrecken die Spatzen während der Ernte 
und in Zell u. H. (Offenburg) darf keine besondere Kirchweih 
mehr gehalten werden, weil dort ein Bettler während derselben 
verhungert ist. 

Ein wichtiger Abschnitt im bäuerlichen Leben sind die 
Feete und hier besonders das Patrimoniumsfest oder die Kirch- 
weih. Und so ist es nicht zu verwundern, wenn in einer Gegend 



I 




96 



Hatfuer 



diese Feste die Unterlage zu Ortsneckereien bilden. Es ist fl 
in einigen Orten des unteren MarkgrSflerlands der Fall, wo 
nach der Zeit, in die die Kirchweih fällt, der Ort seinen Ne-ck- 
nanien trügt. So halten die Hartheinier (Stanfen) ihr Fest 
im Mai, also sind sie die Maikäfer. Aus demselljen Grund liat 
wol das benachbarte Sulzburg den gleichen Namen. Brem- 
garteu (Staufen) hält sein Fest um die Zeit der Mohnernte, also 
sind sie die Maxfftiijerd- (Mohn), und in Peldkirch (Staufen) die 
Gänsachleffel , du, sie um Martini feiern. Bei dieser Gelegenheit 
ist zu erwähnen, dass die Umgebung von Etzenroth (Rastatt) 
den Namen Etcrr (Eber) führt, da auf ihrer Prozessionsfahne 
dieses Tier abgebildet ist. "Weil der Ort Boll (Meßkirch) den 
Sylvester zu seinem Ortsheiligen hat, werden seine Bewohner 
damit geneckt, sie hätten gerade noch den letzten Heiligen im 
Jahr an den RockflUgeln erwischt. Hügelsheim (Rastatt) wird 
Maria Hcigelsr genannt. 

Wie oft Kleinigkeiten Anlass zu Ortsneckereien geben, ist 
bei einigen Orten westlich von Freiburg zu ersehen. Hier isi 
es das Wappen im Ortssiegej, wonach die Kecknamen ge- 
nommen sind. So sind die Bewohner von Neuershausen (Frei- 
burg) die Gaisbäck, die von Buchheim die Eimersch , die 

von Waltershofen (Freiburg) die Gufimknöpf, da sie eine 
Stecknadel im Ortssiegel haben. Hochdorf (Freiburg) hat eine 
Kröte im Wappen, daher die Mooskrotlcn. Doch hat hier wol 
auch noch die Lage des Orts dazu beigetragen, da derselbe in 
Buropfiger Gegend, im Mooswald, liegt. EtäUcelpfel heißen die 
Holzhauser (FreJburg), da ihr Siegel dem Zipfel einer Blut- 
wurst, die dort Kuttle genannt wird, gleicht. Auch Betzen- 
bausen wird Kultle geuzt. Auch zwei Ortschaften in der 
Baar hat ihr Ortssiegel Necknamen beigebracht. So spricht 
man von dem Pf'oremer Slicr (Donaueschingeu), während in 
Neidingen (Donaueschingen) die Schtiefß'^srr zu Hause sinii. 

Gebräuche, die in einem Orte häufig vorkommen, wenlen 
von den umliegenden Dörfei-n rasch bemerkt und zum Gegen- 
stand des Spotts gemacht. Die Schwaninger (Bonndorf) sielien 
gern vor dem Haus und lehnen sich an die Pfosten. Also sind 
sie die Loaner. Den Kandererp (Lörrach) sagt man oach, 
dass sie gern abends vor dem £ iisb ftuf der Bank sitzen unil 
die Vorilb ergeh eu den durchhec i die B'iiikUiiitsihrr. 

Nach anderer Ansicht soll r kommen, dass dw 



All 



iache Ortanecker 



) Baden 



»7 



Landleute der Umgebung behaupten, die Handwerker oft im 
Wirtshaus suchen zu müssen. In Staufen wird Mittwochs 
Markt gehalten, also die Mithcurhcr Markt. In Zell (Biihl) 
gehen die Leute früh zu Bett, daher wolinen hier die HähnPT. 
Auch sollen sie ein lebhaftes Wesen zur Schau tragen. In Hü- 
gels berg (Lörrach) sind die JJücitdstmnpe (diichel = hölzernes 
Bninnenrohr) nnd die Hartheimer (Messkirch) sind die IlÜpe- 
srhltipper, da sie das Wasser aus einem Weiher (hilpe) schöpfen. 
Wie alles, was den Nachbarorten fremd oder eigenartig vor- 
kommt, gleich Stoff zu Neckereien abgeben muss, so ist es auch 
mit der Sprache. In manchem Ort sind Eigenheiten, sei es 
im ganzen Tonfall, sei es in einzelnen Wörtern oder Lauten zu 
finden, gleich wird es benutzt. So heiUen die Maisacher (Ober- 
kirch) Vfuiiggugak, da ihre Stimme der einer Kohlmeise gleichen 
soll. In Oberbaldingen (Donaueschingen) sind die Scliütgi. 
da sie die Zwischenbemerkung , schätz i(ch)' geni gebrauchen. Blue 
Mühlinger (Stockach) sagt man, da dort zu Land blo anstatt 
blau gesprochen wird. Zuletzt sind noch einige rein lautliche 
Umformungen der Ortsnamen in Necknamen zu verzeichnen. 

Toscrsiiorfer (Taisersdorf, Üi)erlingen), Blogesdorfer, 
Amoltern (Breisach) i HamMterer, Peterszell (Villingen): 
}'eterl^zet\ Rast, Sauldorf und Sentenhart (Messkirch): Mo- 
rast, Stiudorf und Sünkenfiart. 

Dahin gehört wol auch, dass Neuenburg (Müllheim) von 
den umliegenden evangelischen Orten Nasi beißen, weil es dort 
viele Einwohner mit dem Vornamen Ignaz gibt und die Ein- 
wohner von Wyhl (Emmendingen) von der protestantischen Um- 
gebung Blusi genannt, da es dort viele mit dem Namen Blasius hat! 
Haben wir bisher Fälle aufgezählt, die das Dorf in seiner 
Gesamtheit betrafen, so wenden wir uns jetzt zu den Orts- 
neckereien, deren Ursache die einzelnen Menschen selbst sind. 
, Hier sind es zunächst körperliche Fehler oder Missbil- 
I düngen, die dazu Anlass geben. In erster Linie scheinen hier 
I die Kröpfe eine Rolle zu spielen. Krüpf heilien die Bewohner 
I Ton Lehen (Freiburg), Ob e rachern (Achern), Maulburg 
I (Schopf heim). Die Sipplinger (Überlingen), die auch wegen . 
lüttes sauren Weines bekannt sind, sind die Säcklemanne mit 
miKrOpf, in Staufen die Kropfjockd und die Oppenauer (Ober- 
> die Kropfetmter. Die Siegelauer (Waldkirch) sollen 
K&pfe haben und die Biederbacher hat Oott aus einer 



98 Haffiier 

Beinbuche geschnitzeU. Sind in Bohlingen (KoniS 

leicht die Stümper wegen der kleinen Gestalt der Bewohner? 

Von diesen doch immer mehr oder weniger äußerlichen 
Merkmalen kommen wir zu den inneren, wo die am meistes 
hervortretende Karaktereigenschaft, die bei den Bewohnern 
des Orts zu linden ist, Anlass zu Orlsneckereien geben. In der 
Hauptsache Bind es sittliche Mängel, die den Bewohnern an- 
haften oder itnen auch oft nur nachgesagt werden. Auch wird 
es hier oft der Pftll sein, dass ein ganzes Dorf für das Vergehen 
weniger Einzelner auf immer seinen Spottnamen hat. 

Hier ist es in erster Reihe der Hochmut und die Groll- 
tuerei, die manchen Orten nachgesagt wird. Wir haben schon 
oben gefunden, wie dies in Verbindung mit dem Vorwurf von 
Hungrigkeit, besonders den kleinem Städtchen, nachgesagt 'wird. 
Aber auch Dörfer und hier besonders die großem erhalten wegen 
ihres Ortsstolzes Necknamen. Die Bewohner von Höcben- 
schwand fSt. Blasien) sind die Stätüer, Eigeltingen (Stockach) 
und Gallenweiler (Staufen) nennt man Klfin-Paris. In 
Schwarzach fBUlil) sind die Hulbherren, in Rotweil (Brei- 
aach) die Großartigen oder Grtiäm<icher, Die Ühlinger (Bonn- 
dorf) werden mit dem Namen SprüchlitiKiiher geuzt und in 
Achern sind die Pflastertreter. Einigen Orten sagen böse Leute 
nach, vor der Ernte seien sie ganz bescheiden, nach der Ernte 
aber stolz. So seien die Bewohner von Schwarzach (Bühl) 
vor der Ernte von Schirar^ti, danach aber bei vollen Scheunen 
von Schtcareach. Ebenso wenn in Heiligenberg (Pfullendorf) 
„Saison" ist, d. h. wenn man dort Kurgäste hat, sind sie von 
Neilii/mberg. wahrend sie im andern Teil des Jahrs nur von 
Hulgähärg sind. Ist es Stolz oder Gewinnsucht, dnss den 
Obertarotern (Rastatt) nachgesagt wird, ihre Eier hStten s«n 
Dottfr!" Warum wol die Bernauer (St. Blasien) die M'tmder- 
fiteigcti heißen, wird nicht schwer zu erraten sein. 

Neben Hochmut und GrolJtuerei werden auch manchen Orttn 
Streitsucht und Grobheit nachgesagt. In Efringen (Lörrach) 
sind die Stichlitiff (eigentlich ein kleiner Fisch) xu Hause. Der 
Name Pflumedritcker für die Scbutterwälder (Oflfenburg) wird 
auch so erklärt, dass es dort bei Streitigkeiten oft blaue Augen 
gibt. Eine dritte Erklärung fiir diesen Necknamen werden wir 
bei den SchildbUrgereien behandeln. Dungenur Stritfer ruft 
man den Bewohnern von Dundenheim (Lahr) nach. Hierher 



Alemannische Ortsnetki-rtitii aus Baden 99 

gehört auch der Ausdruck licbwcsserflet für einige Orte wie 
Weil, Haltingen (Löirach) und Sasbach (Breisach); er soll 
daher kommen, dass die Bauern dieser in Weingegenden gelegenen 
Orte immer ihre gebogenen Rebniesser, eine gefürchtete Waffe 
beim Streit, im Sack nachtragen, «m eie bei Ausbruch von 
Streitigkeiten sofort bereit zu haben. In lehenheim (Lahr) 
soll man den Bewohnern des Nachbarorts Meisenheira folgen- 
des nachrufen: Misi'iner Rrbiiiesser im Sac/t, liüwple abliauen. 
Der letzte Ausdruck ,Räniple abhaue' soll daher kommen, dass 
die Meisenheimer im Walde gerne aus reinem Vergnügen mit 
ihren Rebmessern junge Schösse abliauen. Wegen ihrer Streit- 
sucht und Grobheit soll ein Pfarrer den Bewohnern von Gall- 
mannsweil (Stockach) den Namen Tierrjiiiilfr gegeben haben 
und dieser Name hat sich als Ortsneckerei erhalten. Ebenso 
heißen andere Orte in der Seegegend, wie Uutersipplingen 
mit Umgebung und Urnau, das Tierreich. In Oberachern 
sind die GrobsecJcd, in Unterwasser (Bülil) die MuhrlcoSien 
(Flegel). Balger Tralli sagt man zu den Einwohnern von Balg 
(Baden) und in Müllheini sind die grofte Hure zu Hause, in 
Mambach (Schönau) die Fhyd und wol ironisch die Lümiiile 
in Ggringen (Lörrach). Ihre Grobheit werfen sich die Be- 
wohner von Altglashiitte und Aha (St. Blasien) gegenseitig 
vor. 'sisfA halt e Fürstdierger sagen sie in Altglashütte, worauf 
in Aha mit Du bist en grober Vogteirr geantwortet wird. 

Auch die Dummheit hat wol dem Ort seinen Neck- 
namen gegeben. In Rotweil (Breisach), Acliern, Wangen 
(Bonndorf) sind die Narren, ebenso in Muggensturm (Rastatt), 
die Mucken im Kopfe haben. In Billerfingen (Überlingen) soll 
früher ein dummer Graf gewesen sein, daher ist der Ort als dumm 
verschrieen. Die Oberwihler (Sfickingen) heillen Schruhehopf 
oAer Hititprfüri. In Herdwaugen (Pfullendorf) und ebenso in 
einigen Orten darf man nur das Taschentuch zum Sack heraus- 
hängen lassen, und man ist gewärtig, Prügel zu erhalten, weil 
tuan damit die Einwohner wegen ihrer Dummheit verspotten soll. 

Wegen ihres Fleilles und Sparsamkeit heißen die 
Stahringer (Überlingen) S'wderUni/e; drei Jude» gehen auf 
ForrUieitner (Emmendingen), und in Kappel windeck 
(Buhl) sind sie wegen ihres Handelsgeiats die i'irhteiifel. 

In einigen Orten scheinen Selbstmorde öfters vorge- 
kommen zu sein und auch diesen Umstand hat man benutzt, 




100 Hiiffnci- 

um XU iieekeii. So sind in Donaueschingen die Giinilie. 
Im nahen Httfingen soll sich ein Mann im Kamin erhängi 
haben, daher die Grnwlite (Geräucherten). 

Einigen Ortschaften wird Hang zum Stehlen nacligesagt. 
So sollen die Engelwieser (Messkirch) gern Holz, Stroh und 
Moos aus der Umgebung mitgehen heißen, sie sind daher die 
Steklkackeii- In Fauthenbach (Achern) haben sie Zwiebeln 
gestriezt. Daher sind sie die Zwlihelbäuch. Önsbach hat dies 
gesehen, also heilien sie die Hellaui/en. In Fußbach (OfTen- 
burg) stiehlt alles aulJer zwei: ^der eine hat kei ScliuJt, der andeiv 
ist zu dumm ditutt'. 

Ortsneckereien im eigentlichsten Sinne stammen von den 
sogenannten Schildbürgerstreichen, die von den OrUchaftnn 
verübt worden sind oder wenigstens sein sollen. Auch Baden steht 
in dieser Beziehung hinter den andern Gebieten nicht zurück und 
hat dazu seinen reichen Beitrag gelielert. Man denke nur an das 
weltbekannte Hortihergpr Srhießeu, wo das Pulver fehlte. 

So soUeh die Bewohner von Nusplingen und Sauldorf 
(Hesskirch) einem Esel die Haut mit einem Stemmeisen habea 
abziehen wollen und heilten daher die Esdschinder. Aus dem- 
selben Grunde sollen die von Herdwangen (PfnUendorf) fJsvVs- 
ohren heißen. In Espasingen (Pfullendorf) sind die Rössk- 
Schinder. Von den Buchheimern (Meßkirch) wird erzählt, sie 
hätten einem Farren ein Seil um den Hals geworfen und ihn 
auf den Kirchturm gezogen, damit er dort oben das Gras ab- 
fräße. In Pelerstal (Oberkirch) sind wol auch eines Schild- 
bürgerstreiches wegen die Geiähetilcer und die ReJchenauer 
(Konstanz) sollen eine Ente zuerst gedroschen haben, um si« 
besser rupfen zu künnen. Die Miihlhfiußer (Konstanz) woll- 
ten die Käfer sieden und die Dettinger gleichen Amts suchten 
die Sonne, die bei üinen spät sichtbar wird, in einem Deiche! 
BU fangen, daher die Smmediechler. Htegstrecker heilien die 
Pfullendorfer. Sie bauten einst einen Steg über einen Bach 
zu kurz und meinten nachher, man müsse ihn „halt streckeB'. 
In Gutach (Waldkirch) sind die Iflume. denn die Bewohner 
haben einst bei einem Hochwasser Pflaumen aus der £li m 
fischen gesucht. In Großweier (Bühl) zogen die Männer mit 
Stangen aus, um die Frösche, die im Weiher neben der Kirche 
den Pfarrer störten, ku fangen, daher sind sie die Frosch. Be- 
( " "bteti ea die Uberlinger anzustellen, indem 



Alemannische Ortsneckereien aus Baden 101 

sie die kleinen Fische des Bodensees (Laugele genannt) mit 
Pumpen herausschöpfen wollten; Laugelegumper heißen sie da- 
her. Die Soapfesieder sind in Markel fingen (Konstanz) zu 
Hause, da sie aus dem Schaume am Seeufer Seife machen woll- 
ten. Waienplätz nennt man die von Fischenberg (Schopf- 
heim). Einer Frau, die dünnen Kuchen (waie) ausmengte, pas- 
sierte es dabei, dass der Kuchen ein Loch bekam. Da nahm sie 
einen Fleck (platz) aus Teig und wollte ihn mit Nadel und Faden 
darauf nähen. In Biengen (Staufen) haben sie die Hefe vom 
Wein aufs Brot gestrichen, also heißen sie die Hefenstreicher. 

Auch von schönen Verwechslungen weiß man zu erzählen. 
So soll in Singen (Konstanz) und Linx (Pfullendorf) ein 
Misthaufen für eine Prozession gehalten worden sein. Man 
hätte daher angefangen zu läuten und so sind hier die Mist- 
haufeneinlätder. In Schutterwald (Offenbürg) soll ein Bauer 
einen Sack Pflaumen nach Offenburg auf den Markt geführt 
haben. Da die Pflaumen noch hart waren, soll er sich auf den 
Sack gesetzt haben, um sie weich zu machen. Daher spricht 
man von den Schutterwälder Pflumendruckern, oft mit Hinzu- 
fügung des in diesem Ort üblichen Fluches Sternsdkranient, 
Kanotie^itäler werden die Einwohner von Ober- und Nieder- 
egg enen (Müllheim) genannt. 1848 sollen sie einen hohlen 
Baumstamm als Kanone benützt haben, um den anrückenden 
Feind abzuwehren. In Bellingen (Müllheim) sind die Linge- 
batimer; sie sollen zur Siegesfeier eine Linde gepflanzt haben, 
aber es sei eine Eiche daraus geworden. Außerdem spielt bei 
diesem Namen die Sprache noch eine Rolle, da die Bellinger 
statt Linde linge sagen. 

Auch andere geschichtliche Ereignisse, die oft an sich 
harmlos sind, haben Ursache zu Neckereien gegeben. In Hug- 
stetten (Freiburg) verehrte der Gemeinderat einem Gemeinde- 
beamten aus der Ortskasse eine Kuckucksuhr. Die Sache kam 
an die Öffentlichkeit und die Gemeinderäte hatten die Uhr aus 
eigener Tasche zu zahlen. Daher sind sie die Guchauche, Die 
Schelinger (Breisach) nennt man die Löffel seht i ff'er ; es soll 
dort ein Teich sein mit Quadersteinen umgeben und daran 
hätten die Kinder ihre Löffel geschliffen. Denselben Namen 
trägt Feuerbach (Müllheini). In Gailingen (Konstanz) woll- 
ten sie Markt halten, aber es kam niemand. Daher spricht 
man jetzt noch vom Gailinger Markt, Bei einer Einquartierung 



102 



bettelten die Bewohner von Leiberatung (Blilil) in der 
gebung Sauerkraut, daher die Sur/iTiitbcttkr. AU Kuppen- 
heim (Rastatt) 1849 voh den Preußen belagert wurde, sollen 
die Betagerten, um zu zeigen, dass sie noch Proviant in Hülle 
und Fülle hätten, Knödel aus ihren Kanonen geschossen haben. 
Daher ist Kujipenheim die Knöpf hstndt. 

Einen breiten Raum unter den Ortsneckereien nehmen die 
Namen ein, die von Tieren herrühren. Die Vergleichung des 
Menschen mit dem Tier, das ihm von allen Wesen am nUchsten 
steht, ist ja so naheliegend , doss man sich wundern müsste, 
wenn Tiernamen bei Ortaneckereien nicht in großer Anzahl 
vorhanden wären. Man darf Ja nur daraufliin unsere Schimpf- 
wörter ansehen. In erster Reihe sind es bestimmte schlecliie 
Eigenschaften, deren Sinnbild ein Tier ist, und xwar gewöhn- 
lich ein Haustier oder doch ein Tier, mit dein der Mensch in 
näherer Berührung steht. So wird die Dummheit durch den 
Esel, die Gans, die Unsauberkeit durch das Schwein (Sau, 
Mohr), die Langsamkeit durch die Sehnecken, die Wildheit 
durch den Wolf, Eber oder Hengst, die Schlauheit durch den 
Fuchs, die Zaghaftigkeit durch den Hasen ausgedrückt. Manch- 
mal genügen dazu auch Teile eines Tieres. 

Aber man muss sich wol davor hüten, dies bei Orts- 
neckereien immer anzunehmen. Es können oft örtliche oder 
wirtschaftliche VerhältnisBe oder Scliildbürgereien und ähnliches 
im Spiele sein, wie wir schon oben gesehen haben. Da hei 
den Beantwortungen gi-öDten teils nichts als die Namen an- 
gegeben sind, so ist man oft nur auf Vermutungen angewiesen, 
ja nocii öfters wird man sich nur mit dem bloDen Namen iw- 
gnUgen müssen und warten, bis ein mit dem Leben im Ort« 
näher Vertrauter uns darüber aufklärt. Und das ist sehr nötig, 
und nur so können wir auf diesem Gebiet der Volkskundei 
was aber auch in gleichem Malle für die andern Zweige gilt, 
zu einem erfreulichen Ergebnis kommen, wenn jeder Freund 
der Volkskunde sein Scherflein, sei es auch noch so klein, bei- 
trägt. Es seien also hier nur die einzelnen Necknamen auf- 

I gezAhlt: 

[ Ssd: Grießen (Waldshut), Umkirch {Freiburg). 

I Gniufti: Endingen (Emmendingen). 

i^Mü/iren: Binzen (Müüheim), Auggen (Müllheim), Kiechlins- 
berges (Breisacb), Kappelrodeck (BLihl). 



Alemannische Ortsneckereien aus Baden 103 

Sam: Ewattingen (BQnndorf), Lauf (Bühl). 

hutz, hiUz: Allensbach (Konstanz). 

Frösche: Well endin gen (Bonndorf), Degernau (Waldshut), 
Eimeldingen (Lörrach), Zunzingen (Müllheim). 

Schnecken: Gottmadingep (Konstanz), Epfenhofen (Bonn- 
dorf), Dillendorf (Boniidorf), Ofteringen (Waldshut), 
Schwörstadt (Säckingen), Tüllingen (Löirach), Holzen 
(Lörrach), Wasenweiler (Breisach), Herdern (Freiburg), 
Buchheim (Freiburg), Sasbach (Breisacb). 

Schnoke: Blanzingen (Lörrach), Müllheim, Grießheim 
(Staufen), Gündlingen (Breisach). 

Hhischnoke: Jechtingen (Breisach), Greffern (Bühl). 

JRebschnoke: Kappelwindeck (Achern). 

Vieh: Wahlwies (Stockach). 

Geiße: Münchingen (Bonndorf). 

Hirze (Hirsch): Britzingen (Müllheim). 

Wölfe: Gersbach (Schopfheim), Sasbach (Breisach), Eckarts- 
weier (Kehl). 

Fuchs: Obereggingen (Waldshut), Bürchau (Schopfheim). 

Reh: Schwand (Lörrach). 

Rehböck: Forch (Rastatt). 

Hasen: Ebenschwand (Schopfheim). 

Gänse: Auenheim (Kehl). 

Auerwuäle (Gänse): Reichenau (Konstanz). 

Gügd (Hahn): Thum ringen (Lörrach). 

Storchen: Maisch (Rastatt). 

Murente: Leiberstung (Bühl). 

Qwige (Raben): Seh w erzen (Waldshut). 

Ihie (Eule): Eschbach (Freiburg). 

Bebhühner: Waldulm (Achem). 

Zaisen: Glashütten. 

Sehäg (Herrenvogel): Willstädt (Kehl). 

Buherse (Widerhopf): Hesselhurst (Kehl). 

JEtidbiefe.'.Bickensohl (Breisach). 

Guchauehe (Kuckuck): Neuenweg (Schönau). 

Kröte: Wutöschingen (Waldshut), Leiberstung (Bühl). 

Edsgede (Eidechse): Fützen (Bonndorf). 

MSMle, Gdbüchle: Steinenstadt (Lörrach). 
^ 'qgenmchnk: Helmlingen (Kehl). 

U$Mcher (Blindschleiche): Untereggingen (Waldshut). 



104 HaiFner — Alemannische Ortsneckereien aus Baden 

Murgiizen (Fisch): Hohnhurst (Kehl). 

Hamnokeii: Wags hurst (Achern). 

Hornissen: Urloffen (Oflfenburg). 

Horni: Walters hofen (Freiburg). 

Hornschröder: Thunseln (Staufen). 

Maienkäfer: Steinen (Lörrach). 

Kohlweger (Kohlweißling?): Buch heim (Waldshut). 

liattenbäuche : Rielasingen (Konstanz). 

KroppenJcöpfe: Singen (Konstanz). 

Säufüß: Lauf (Bühl). 

Saiikegel: Bühlertal (Bühl). 

Katzenköpfe: Arien (Konstanz), Hagen (Lörrach), Tannen 

kirch (Lörrach). 
Hirzeköpfe: Brorabach (Lörrach). 
Eselsohren: Haltingen (Lörrach). 

Zum Schlüsse mögen noch die Namen folgen, deren Er- 
klärung unbekannt ist: 

Lause Mdker: Engelwies (Konstanz). 
Aseniernase: Aasen (Donaueschingen). 
Hüerlimacher : Li mach (Villingen). 
Nchdiieimer: Fischingen (Lörrach). 
Zelten (Geizige?) Schallbach (Lörrach). 
Kravatten: Randen (Bonndorf). 
Herrischwmizle: Herrischried (Säckingen). 
Klapperte: Burgheim (Breisach). 
Loiwi: Kiechlinsbergen (Breisach). 
Schitesterbiibe : Oberbergen (Breisach). 
Nagel: Eichstetten (Emmendingen). 
Heidenkopf: Riegel (Emmendingen). 
WeMagige, Weedl: Endingen (Emmendingen). 
Deckel: Mengen (Freiburg). 
Kalmis: Elgersweier (Offenburg). 
Pfriemerdle : Seebach (Achem). 
Buntägel: Ebersteinburg (Baden). 
Kegelstadt: Gernsbach (Rastatt). 
Riftderpuphalin: Wintersdorf (Rastatt). 
Baudamdau: Bermersbach (Rastatt). 
mehMümi^ ' '*^aatatt). 



Volkslieder und SchV^äiike aus Lobenfeld. 

Von Fridrich Pfaff. 

Als ich im Jahre 1896 in der Straßburger Festschrift 
für Karl Weinhold anfing „Märchen aus Lobenfeld** zu ver- 
öffentlichen \ hob ich in der Einleitung hervor, dass besonders 
Sagen, Sitten und Bräuche und abergläubische Vorstellungen 
in diesen Neckargegenden noch stark in Schwang seien, 
deutete auch den Grund dieser Erscheinung an, bedauerte da- 
gegen, dass Märchen und Volkslieder im Absterben, die volks- 
tümliche Bauweise aber ganz tot sei. Vom Hausbau des Bau- 
lands habe ich eine Probe auf den Umschlägen der Blätter 
des Badischen Vereins für Volkskunde, Heft 3 und 4, ge- 
geben. Ich hoffe deren noch weitere folgen lassen zu können. 
Den Hauptgegenstand meiner Sammlungen bilden die Sagen. 
Wenn ich auch eingestehen muss, dass mich geschichtliche 
Stoffe zumeist anzogen und dass darum das Volkslied etwas 
zu kui*z gekommen sein mag, so ist doch das Volkslied über- 
all sehr im Rückgang begriffen und es hält an manchen Orten 
schwer, echte Volkslieder aufzuzeichnen oder noch zu hören. 
Die Überlieferungen gehen überall denselben Gang. Sie sind 
zum Teil bodenständig, Erzeugnisse des Bodens, auf dem 
sie leben, oder aber uralte Überkommnisse, deren Weg man 
nur vermuten kann; zum Teil aber entstammen sie der 
städtischen Kultur. Zeuge dessen ist der ländliche Haus- 
bau. Wo! ist das Stadthaus ursprünglich nichts als eine 
Allpassungsform des Bauernhauses; aber das Bauernhaus hat 



* Fmrtsetsimg Alemannia XIV, 179-183, XVI, 79—95. 



106 Pfaff 

wieder sich nach und nach niit Erzeugnissen der in Schlössern 
und Städten blühenden Kunst geschmückt, daher denn die 
romanischen und gotischen, Itenaissance- und Barock-Änklängo 
im ländlichen Hausbau der verschiedenen Landschaften Deutsch- 
lands. Und die Tracht. So sicher das Fürtuch des Hauoii- 
steiners ein Rest alter Volkstracht ist, so gewiss hat er wie 
das Weib des obern Elztals den Zylinderhut mit der unge- 
heuerlichen Hinausstülpung des Hutkopfs aus der Stadt bezogen. 
Sonst hat der Oberländer im allgemeinen den runden, breit- 
randigen, niedern Hut beibehalten. Der Odenwälder und Bau- 
länder hörte aber aus den lustigen Pfalzerstädten gar zu 
lockend das Lied „Mein Hut, der hat drei Ecken" herüber- 
schallen, schlug die Krempen auf und trug stolz den „Seeweck* 
oder „Dreispitz". „Er starb und ließ bei seinem Sterben den 
dreifach spitzen Hut dem Erben**, wie Geliert, selbst noch 
ein Dreispitzträger, so erbaulich sang. Der Erbe aber ver- 
achtete den großen unbequemen Hut und griff leider zur 
elenden Kappe, die vom „Kopfschuster** aus der nahen Stadt 
herüberkam. So bietet auch die Sage uralte heimische Über- 
lieferungen; daneben aber hat sie nicht wenige durch die 
in den Städten entstandenen Volksbücher verbreitete Stoffe 
aufgenommen und als eigene verarbeitet. 

So umfasst der Volksgesang auch uralte Balladen. 
Lieder und spruchartige Liedchen; aber daneben hat er Ge 
sänge aller Art von städtischem Ursprung aufgenommen und 
verwertet. „ Kunstgedichte * waren ursprünglich jene wie 
diese, ob sie nun einen einzelnen Dichter oder mehrere Ver- 
fasser haben. Erst durch das Singen sind sie Volkslieder 
geworden. Durch das Sangbarmachen sind erzählende Weit- 
schweifigkeiten weggefallen. Das Gedächtnis hat sich mittelst 
Durchführung stehender Wendungen geholfen; es hat aber 
auch oft versagt, Notwendiges weggelassen, Vei*schiedenarti- 
ges dnrcheinandergewin-t, und so ist barer Unsinn zustand 
gekominen: doch die sangbare Weise hat auch hierüber hin- 
weggetmgeiL StSdtischea Ursprungs sind die humorlosen. 
hl 'T'^^dsamen* Lieder. Was aber das Land 

>»ii, tiefsinnigen Liederdichtung den 



städtiBchen RDmantikern gab, das hat es dann in deren volks- 
tümliciier Lyrik reichlich zurückerhalten. Die stÄdtischen 
GasBenhauer dringen wo! auch ins Volk und werden eine 
Zeitlang mitgeschleppt. So habe ich vor einem einsamen 
Schwarzwaldhof ein Kindchen den feinen Sang von der ,Holz- 
aktion" im Oiunewald anstimmen hören. Aber dergleichen 
lat gottlob keinen Bestand. Wenn jedoch nichts Eigene» 
auf dem Lande mehr zustand kommt, so müssen wir von 
Herzen froh sein um dio Lieder der Eichendorf, HofFmann 
von Fallersleben, Maler Müller und ilirer Genossen, die heute 
Volkslieder geworden sind. 

Eigenartig und bodenständig — allerdings in weiterem 
Sinn — sind die Tanzliedchen, die man in der Neckar- 
gegend vielfach „(isetzl" nennt, meist Vierzeiler, die durch 
Weise und Takt den Tanz erleichterten. Sie sind seit ältester 
Zeit in Übung und entstehen gelegentlich heute noch, aller- 
dings dann nur als Nachdichtung zu einer schon bekannten 
Weise. Auch sie stammen zum Teil aus der Stadt, sind 
wenigstens zum Teil dort seit altera bekamit. So kenne ich 
aus meiner Heimatstadt Darmstadt eine ganze Anzahl der 
Tanzliedchen, die Augiista Bender in ihren überschefFlenzer 
Volksliedern aufzeichnet. So z, B. Jetzt f'aHt nwr halt wievkr 
mein Hamscltlmsri c*"'; Hast de dann drin Uitzvbloe Frnch 
net n"'; Friederike, Friederike* ; Polka Polka tum ich gem^; 
StiwtcH muss stcnce* usw. Auch Fi iro bleibt niei" Josepclie aus 
den Volksliedern aus der badischen Pfalz von M, E. Marriage'. 



• Bender "ilG. Murriage SSil. 

' Abweichend Bender 21«. Naeli der Arim. 307 suns 

* Bender 230. 

' Bender 221, Marria6>^ 342. 

° Bender 244. 

' MuTinge 301. In Darmstadt uliweichcnd: 

Ki irv hUilit mei' Josepclie, Josepche. Jonfpclie': 

A't vo hiribt mW" JuMprhe, Jonepche no latii/'r' 

Amp filzt im Wirlghaun, 

trwkl t Scheppche TTei» aus. 

J^ tPO Ueibt mfi" Jo^fpchr, Jonepche so lang.' 





108 Pfaff 

und fast alle in Krapps Odenwälder Spinnstube • . Die große 
Menge dieser Tanzliedchen ist aber nur auf dem Land be- 
kannt und offenbar rein ländliches Erzeugnis. Gemäß ihrer 
Entstehungsweise beim Tanz sind sie großenteils Trutzlieder. 
Sie enthalten viel Witz und Humor, beziehn sich natürlich 
auf die Liebe und schlagen gelegentlich auch ernstere Töne 
an. Auch das alte schöne Motiv vom Herzensschlüssel fehlt 
nicht (Nr. 2). Bei Tanzliedern ist auch das Entstehen mehr- 
strophiger Gedichte durch das ZuvSammenwirken mehrerer Ver- 
fasser zu beobachten, wozu besonders die Trutzlieder Gelegen- 
heit gaben. 

Haupttanzgelegenheit bietet die Kerwe (Kirchweih). Sie 
ist überhaupt das einzige wirkliche Fest, das sich der Unter- 
länder Bauer im Jahr leistet. Da werden unzählige Kuchen 
gebacken, um die Gäste und die terminierenden armen Leute 
aus Neckarsteinach und Hirschhorn bewirten zu können. In 
verschiedenen Orten des Baulands hausen Musikantenfaniilien, 
in denen sich das „Mediee** fortpflanzt. So kannte ich die 
Herzen aus Neidenstein. Solange die Musikanten noch nüchtern 
sind, geht die Tanzmusik an. Ich habe allerdings gesehen, 
dass bei zu schwacher Besetzung der Instrumente ein Musikanten- 
vater, der selbst die Trompete handhabte, auch die Klarinette 
„iingerte", in die sein noch unkundiger Junge nur hinein- 
blies. Nach und nach kommt auch Unordnung in die Musik. 
Es kommt wol vor, dass der angefeuchtete Musikantenvater 
auf die Frage an seinen mitwirkenden Sohn: „Ei Hannes^ 
was Uäst de dann Y^ die Antwort erhält: „.4 dorch/^nanner, Vaffvr, 
wie dir^ aa." In diesen alten Musikantensippen sind auch 
noch die alten Tänze bekannt. Wenn die bejahrteren Kei-^'e- 
besucher mehr zu ihrem Recht kommen, am Kerwemontag, 
und sich ihre „Leibsticklin" spielen lassen, kann man manch 
wunderlich verschlungene, barocke Tanzweise hören. Als a\te 
Tänze wurden mir bezeichnet der ^Siwwesuflf*, von dem \^ 
jedoch nichts Näheres erfahren konnte, und der ,Kisselest<\v.^<i ^ 

•201 " 



Volkslieder und Sth wanke aus Liibenteld 



luy 



bei dem der Tänzer ein Kisslein ui den Händen trägt, auf das 
er schließlich vor seiner Tänzerin niederkniet. Auch „Unser 
Ältmotter" (unten Nr. 42) soll ein alter Tanz sein'". 

Auch Hochzeiten und „Vorsetzen" geben vielfacli Ge- 
legenheit zu Tanz und Sang. Anfang der vierziger Jahre zog 
der alte „Bienenjakob" aus Heichartshausen viel auf Hochzeiten 
und andern Festlichkeiten herum und sang zur Harfe. Jetzt 
ucheinen solche Berufssänger ausgestorben zu sein. 

Auch sonst ist früher viel in den Ortschaften gesungen 
worden. An Sonntagabenden gingen Mädchen und BTirschen 
getrennt vorm Ort spazieren und sangen dazu. Beim Begegnen 
wechselten sie Scherzworte. Auch Männer und Frauen gabs 
genug, die zu Hause und bei der Arbeit gern sangen. Auf 
eine gute Stimme ward viel Gewicht gelegt. Jetzt ist wenig 
mehr davon zu spüren. Auch die Lieder sind stark in Ver- 
gessenheit geraten. Ein tilück ists, wenn man auf alte Lieder- 
hefte stößt, wie sie sich die jungen Leute früher gern an- 
gelegt haben. Ich habe den Liedern nicht mit besonderem 
Üifer nacligespürt, besonders da ich nicht in der Lage bin, 
die Musik nachzuschreiben. Auch scheint es mir nicht so 
«ehr wichtig alle und jede Abweichung der bekannten Lieder 
aufzuzeichnen. So gebe ich unten die „Nonne" (Nr. 47) nur 
als Probe der ernsteren Gattung. Doch habe ich mich immer 
bemüht die Volksliedforechung zu fördern. So sind denn 
in der Alemannia nach und nach verschiedene Liedersamm- 
lungen veröffentlicht worden, und wir sind jetzt gerade für 
Bauland und Odenwald ganz gut versehen. 1898 erschienen 
in der Alemannia (XXV, 193 — 255) „Lieder und Sprüche 
BUS dom Elsenztal" von J. Th. Glock; 1900 ebenda 
(XXVU, 113-196) die „Volkskunde von Mückenloch" 
von K. Arnold, mit vielen Liedern; das Jalir 1902 brachte 
'^aOB dann die reichen selbständigen Sammlungen von Augusta 
JSeader: „Oberschef f lenzer Volkslieder" (Karlsruhe, 



'• Vgl. den .Schwiegermattertanz" im SuhOnhengster Üan io .Deut- 
Votkakunde aus dem Ootl. DeutechböhmeD* von Edunrd Langer IV 
Vgl. Aaiii. 43. 



^fO^), 



110 PM 

G. Pillmeyer) und von M. Elizabeth Marriage: »Volks- 
lieder aos der Badischen Pfalz*^ (Halle, Xiemeyer), die 
erste onterstOtzt von Sr. KgL Hoheit GroUherzog Friedrich von 
Baden, die letzte vom Badischen Ministerium der Justiz, des 
Koitus und Unterrichts — erfineoliche Erscheinungen. Nicht 
minder erfreulich — als für einen Turistenverein hergestellt, 
da diese sich doch meist wissenschaftlich unfruchtbar er- 
weisen — ist die ^Odenwälder Spinnstube'' von H. Krapp, 
gesanmielt im Auftrage des Odenwaldklubs 1904 (Darmstadt, 
Wittich). Diese drei Sammlungen legen besondem Wert auf 
die Musik und mögen neben meinen Texten verglichen werden ^^ 
Leider fehlts im Oberland noch sehr. Einiges bietet J. Hoff- 
mann, Schapbach und seine Bewohner, Alemannia XXHI^ 
1 — 50; A. Goetz, Volkskunde von Siegelau. Alemannia XXV, 
1 — 62; A. Haas 8, Volkstümliches aus Vögisheim, ebenda 
97 — 114, und O. Meisinger, Volkslieder aus dem Wiesen- 
tale, Volkskunde im Breisgau, 135 — 148. Und doch ist hier 
noch ebensoviel vorhanden wie im Unterland , wenn es vielleicht 
auch weniger offen an den Tag tritt. Und es wäre an der 
Zeit. Auch unser mit Hilfe des Fragebogens gesanmielter 
Stoflf enthält viele Volkslieder. Ein eigener Fragebogen für 
Volkslieder ist in Arbeit. So dürfen wir auf die Zukunft 
hoffen. 

Den Tanzliedchen und mehrstrophigen Liedern habe ich 
einige Kinder- und Xeckreime, auch ein paar Schnurren in 
Mundart zur Ergänzung beigegeben. Sie stammen aus Loben- 
feld, Waldwimraersbach , Spechbach und Epfenbach. Die 
Sagen, Sitten und Bräuche und Beiträge zum W^örterbuch 
sollen später kommen, wenn ich Gelegenheit habe, tiefer in 
meiner Sammelmappe zu wühlen. Schon seit den achtziger 
Jahren des vergangnen Jahrhunderts schlummern sie darin. 
Schon oft haben die Feurigen Männer, Weißen Frauen, Wilden 
Jäger und Schatzhunde sich geregt und ans Licht verlangt. 
Für jetzt mögen erst einmal diese Mücken den Lobenfelder 
Märchen nachfliegen. 



^^ Ich führe jeweils die Seiten an. 



Volkslieder und Schwanke aus Lobenfeld 111 

Tanzliedchen. 

1. 3. 
Wann i nur die Rout" häät, Mei"* Schatzl isch grouß 
wann se a ka° Brout häät, un bliht wie e Rous 

i woot** se schun ernähre un hot e Schildkäppi uf 

mit lauter Voglbeere **. un e Streißl druf. 

2. 4. 
Mei'» Herzl isch zu, Mei" Schatzl isch kla°, 
kanns kaner uftu, so hart wie en Sta", 
en anziger Bu so zäh wie e Wied*^ 
hot de Schlüssel dezu. von ihm loss i nit. 

O. 

Der mit em runde Hut*^, 
der gfallt mer gar zu gut *^, 
der mit dr Zottelkapp, 
der isch mei" Schatz. 

6. 

Die Kersche sin süß, Die Kersche sin süß 

sin Stiehlin dra°; un seierlich; 

mei" Schatz isch bees, mein Schatz isch falsch: 

was ligt mer dra"! jetz heier*® ich. 

7. 
Juhe, der Wald isch grü***®, Juhe, der Wald isch schwazz^^j 
mei"* Schatz isch net vun hie, i haww en falsche Schatz; 
er isch vun drauße rei", des haww i aa net gwisst, 

drum gheert er mei". dass er falsch isch. 



" Bout = Bote, Rothaarige. Langes ö erscheint hier als o/t, i und 
d sind gleichwertig tonlose Lenis. 
'' woot = wollte. 
** Im Schwarzwald (Lenzkirch) lautet der Spruch so: 

Wenn i nu di Rot hett, 

wenn i au kei Brot hett; 

i wett die Rot scho umme jage, 

dass's mer Brot tet zerametrage- 
'* Wied = Weide, Weidenband. 

*• Vgl. Marriage 358. ^^ oder; der isch mer gar net gut. 

*• heier = heirate. ^^ Vgl. Marriage 312. 

^ Vgl. Man-iage 311. 



112 



Pfaff 



8. 
Weit ewegg liew i gern, 
das isch mei" Freid, 
weils in der Nochberschaft 
falsche Leit geit*^ 

Haww en Schatz ghatt^*, 
haww en gern ghatt, 
kann en net vergesse; 
mein Nochber hot e Katz ghatt, 
die hot mern gfresse. 

Drei schneeweiße Tauwe*^ 
die flije so houch; 
jetz l^ft mer mein alter Schatz 
a Widder nouch. 

Mit zwe" Fuchse bin i gfahre, 
un jeder hot en Bless; 
eme annere sei" Schatzl 
isch a schun mei° gwest. 

13. 
Mein Schatz isch weit ewegg *^, 
das isch dene Leite recht, 
mir awwer nit, juchee, 
mir awwer nit. 

15. 
Weit eweg lieb i net'^, 
als in der Näh, 
wann mei" Schatz Wasser holt'®, 
dass i n a seh. 



9. 
Falsche Leit hewwes gsaat. 
dass i bei dir veracht, 
dass i bei dir in dem 
schwazze Buch steh. 



10. 



Ei du verfluchti Katz, 

was frischt du mir mein Schatz. 

ei du verfluchtes Tier, 

was tuscht du mir! 



11. 



Zwei schneeweiße Tauwe 
un e konisch wazzer Krapp**: 
jetz hot mer des Luder 
mein Schatz weggeschnappt. 



12. 



Mit zwe® Fuchse bin i gfahre 
un jeder hot en Stern; 
eme annere sei<^ Maadl 
kann a emol mei*^ wern. 

14. 
Den wo i gar net mag'*, 
den seh i alle Tag; 
der mir mei** Herz erfreit, 
der isch so weit. 

16. 
Mei" Schatzl isch bees 
un tut nimme lache, 
un die Lieb isch verbroche, .^' 
kann se nimmi mache. 



** geit = gibt. 

" Vgl. Bender 224, 240, MaiTiage 326—328. 
** Vgl. Bender 232, Marriage 328. 
^ Krapp =: Rabe. 
" ' MATria^ 811. 

1 Marriage 311. 
riage 312. 



" hglt = holt. 



Volkslieder und Schwanke aus Lobenfeld 



113 



17. 
Wanns Madl sauwer isch 
un isch no jung, 
miiss der Bu lustig sei", 
sunst kummt er drum. 



18. 
Wer en Apfel schält**, 
un er isst en net; 
wer e Madl liebt, 
un er kisst se net; 
wann er drauße steht, 
un er geht net rei", 
des muss e rechter Trollpatsch 



sei". 



19. 
Sisch emol aner gwest, 
hots Madl net gliebt, 
uns Rindvieh isch gstorwe, 
hot de Himmel net krigt. 



20. 



Holzäpfel haww i graschplt^" 
am Weilermer Ra"^^ 
habb gar e schee" Schatzl, 
awwer die Krott isch ze kla". 

21. 
Jetz gehn i zum Saler^* 
un holl mer en Strick, 
hängs Mensch uf de Buckel, 
nemms iweraal na"^^ mit. 



Holzäpfel haww i graschplt 
am Weilermer Eck, 
habb gar e sehe" Schatzl, 
awwer die Krott isch mer vreckt. 



99 



Schatzl, i habb di gar zu gern, 
ei Schatzl, du net a? 
Wann i di seh, so lächerts mi, 
ei Schatzl, di net a? 



23. 
Schwazzbraun bin ich 
drum taug i, drum taug i 
net für dich; 

wann ich e bissl weißer war 
un tausend Taler reicher war, 
dann war i, dann war i 
recht für dich. 



" Vgl Marriage 333. 
^ Vgl. unten Nr. 28. 
'* D. h. bei Weiler am Steinsbert;. 
" Saler = SeUer. 

^ nd.^ = hin, zusammengesetzt aus in an oder hin an. 
Alemannia K. F. 8, 1,2. ^ 



114 



Pfaff 



24. 

So schee** wie du bisch 
un so schee" bin 1 net, 
wann i a so schee" war, 
so mecht i di net. 



25. 

I habb gar e schee" Schatzl, 
awwer liewe tuts falsch, 
i woot es tat stolpre 
un breche de Hals. 



26. 



I habb gar e schee*» Schatzl, 
awwer reich isch es net, 
was batt mich der Reichtum: 
beim Geld schlof i net. 



Schlof a net beim Geld, 
schlof a net beim Gut, 
schlof nur bei meim Schatzl, 
des mei** gheere tut. 



27. 



Gell, dei" Leit leides net^*, 
dass du mei" Schatzl bisch? 
gell dei Leit leides net, 
dass du mei" bisch? 



Leide sies awwer net, 
Schatz, vun dir loss i net, 
bis mir der bittre Tod 
sHerzl abstoßt. 



28. 
Auf der Heh»"^ 
wachst der Klee, 
trau nur kam Schatzl me: 
i habb meim Schatz gtraut, 
miich hots graut. 



29. 



Stei s Laterle nauf^*, 
lauf obedrauf her; 
du bisch mei" Schatz gwest, 
jetz aber nit mehr. 



I habs verredt, verredt, 
heirote tun i net: 
i brauch des Kinnergschrei 
net vor meim Bett. 



Du bisch mei° Schatz gwest, 
därfschs noch emol sei", 
setz sHütl auf dSeite 
un kehr bei mir ei". 



30. 



Wann awwer en Reiche kummt, 
hei rot i alle Stunn: 
des bissl Kinnergschrei 
bringt mi net um. 



3* Krapp 205. 

'* Dies ist der Text zum alten Holzapfeltanz. 
320. Vgl. oben Nr. 20. 
«» Vgl. Bender 229. 



Vgl. Marriage 



Volkslieder und Schwanke aus Lobenfeld 115 

31. 
Wann mein Schatz en Feigebaam wär^^, 
tat i nufsteige, wann er noch so houch war. 

32. 
Wärsch net nufgstiege, 
wärsch net runnergfalle, 
hasch mei** Schwester gheiert, 
wärsch mei" Schwoger worre, 
hasch e Heisl ghatt, 
hasch e Weiwl ghatt, 
hasch se kisse kenne 
bei der Nacht. 

33. 
Sou e Berschtl ^® wie du bischt Soa e Berschtl wie du bischt 
kratzt der Gickler^® aus em kumme viel in mei** Haus, 

Mischt, so schwenk i viel tausend 

do brauch i no net weit ze geh, zum Wassersta" naus. 
kann i hewwe in der Näh. 

34. 35. 

Aus isch un gar isch, E rouseroutes Bändele, 

schee'* Schatzl, wanns Tag isch, e rouseroutes Band ; 

schee*» Schatzl, geh her, wi dauert mi mei" Schätzele 

i lieb di no mehr. mit seiner beese Hand! 

36. 
Schucks riiwer, Schucks niiwer^^i 
Schucks net denewe, 
des isch jo dene Wewer 
ihr tausend Lewe. 

37. 
Frisch riiwer, frisch niiwer, Als Geld uf em Tisch, 

was kaiserlich isch; als Geld uf der Bank: 

mein Schatz isch nier liewer mein Schatz isch mer liewer, 
als Geld uf em Tisch, als sganz badisch Land. 

3' Krapp 207, Str. 9. 3« Berschtl = Bürschlein. 

»* Gickler = Hahn. 

*^ Die folgenden drei Strophen sind Leinwebergesetzel, in deren Ein- 
gang das Herflber- und Hinüberwerfen (Schucken) des Weberschiffchens 
nachgeahmt wird. 

s* 



116 



Pfaff 



38. 

Kann net iwwers Gräwele, 

kann net niiwer steije; 

wann mei° Vatter en Spielmann 

war, 
mießt er mi niiwer geije. 



39. 

Kann nimmi singe ^*: 
mein Hals tut mer weh, 
muss emol trinke, 
swerd glei besser geh. 



40. 

Un i wetz un i wetz un i schneid mi net** 
un i haww en Schatz, der mag mi net. 

41. 

Un i wett un i wett un i wett mit dir: 

es isch ka" reini Jungfer hier, 

un sollt ani doch hier sei", 

so geht si noch in dSchul enei". 

42. 

Unser Altmotter werd a nimnie lang lewe*^: 

i haww er en Fitzer mit der Rotthage** gegewe. 



4B. 



Aus ischs mit mir*^ 
mei" Haus hot ka" Tür, 
mei" Tür hot ka° Schloss 
un vum Schatzl bin i lous. 

Un weil i lous bin, 
so freit mi des Ding: 
e annere ze liewe, 
des haww i im Sinn. 



Des haww i im Sinn, 
des haww i im Kopf: 
i habb schun bei re annere 
am Lädl geklopft. 

Des haww i im Sinn 
un des kummt mer net naus 
un die Hochzeit werd ghalte 
im Schatzl seim Haus. 



** Vgl. Marriage 363. 
*> Vgl. Marriage 325. 

** Über die Altmutter, d. h. Großmutter, hier besonders im Sinne 
Yon a Schwiegermutter', ygl. Bender 241 und oben Anm. 10. 

^ Bottlitaet besonders schwere Hacke zum Ausroden von Baum- 



'Tarriage 819, Krapp 202. 



Volkslieder und Schwanke aus Lobenfeld 



117 



44. 



Iwwer Hecke, iwwer Staude 
un iwwer Voglwicke, 
iwwers Feld naus karessiere, 
hast Hunger gelitte. 



Iwwer Hecke, iwwer Staude,, 
iwwer Distl un Dern; 
mei'* vorjährig Schatzl 
seh i des Johr no gem. 



Iwwer Hecke, iwwer Staude, 
iwwer aichene Busch, 
un i sehs vor Auge, 
dass i wegbleiwe muss. 



Lieder. 

45. 

Steig sLaterle rauf! 



Jetz hot mer mei" Schatzl 
e Briefl gschriwwe: 
warum i dann bei der Nacht 
gar nimme kumm und^® 
warum i dann bei der Nacht 
gar nimme kumm. 

Als is Briefl aufmacht und, 
das Herz in mir lacht und, 
do bin i glei gsprunge 
bei stockfinstrer Nacht und 
do bin i glei gsprunge 
bei stockfinstrer Nacht. 

Als ich hin kum zu ihr und, 
klopft ich an an der Tür und: 
was soll i dann mache, 
dass i nei'* kumm zu dir und, 
was soll i dann mache, 
dass i nei" kumm zu dir? 



Zieh aus deine Stiffl, 
strumpfsocket herauf und, 
Steigs Laterle rauf und 
erei" in mei** Bett und 
Steigs Laterle rauf und 
erei" in mei" Bett! 

Da habens die Buwe 
meine Stiffl versteckt und, 
sie habens den Bauer 
vom Schlaf auferweckt und usw. 



Der Bauer stand auf und 
klopft an an der Tür und: 
was tust du, was machst du, 
du Lump? hot er glei gsaat*^ 

und usw. 



*^ Das auslautende 'd von und wird in diesem Lied besonders stark 
ausgesprochen, während es sonst in und ganz abfällt, überhaupt ist 
die Mundart hier nicht durchgeführt. Vgl. Marriage 290, Krapp 35. 
Unsere Fassung ist offenbar vollständiger und altertümlicher. 

*' gsaat = gesagt. 



118 Pfaff 

Schlof a gern beim Scliatzl, Da rief mir mein Scliatzl: 

wie du bei deim Weibl Hahi und Haho! und 



— — — Muscht net eso jucke, 

— — — — — loss sKreizstöckl numme do 

und usw. 

Der Bauer net faul und Wanns einem so geht und, 

schlug mir auf mein Maul und wie mirs isch schun gange, 
i sprangs Fensterle naus und der werd jo seiner Lebtag 
nahms Kreizstöckl mit naus kan Schatz mehr verlange, 

und usw. der werd jo seiner Lebtag 

kan Schatz mehr verlange. 

46. 

Das Kflbelein. 

Wir trieben das Kübelein über das Meer*^ 
das Kübelein hatte kein Reifl mehr. 
Trau nimmer so sehr! Trau nimmer so sehr! 
Dein Herz in großer Freud wird stehn. 

Hätten wir das Kübelein weiter getrieben, 
so w:äre die Braut eine Jungfer geblieben. 
Trau usw. 

Wir setzen die Braut wol auf den Stuhl 
und ziehen ihr aus die Hochzeitsschuh. 
Trau usw. 

Wir setzen die Braut wol auf den Stock 
und ziehen ihr aus den Hochzeitsrock. 
Trau usw. 

Die Braut die hat ein langes Paar Zopf, 

das ander Jahr gibts ein Paar Wiegenknöpf**. 

Trau usw. 



veigleichen ist der Tanzreim bei Bender 254: s' Kü1>fi^ 
'^^odesee, s* Kübele hat kau Bode meh. 

Zubinden der Wiege, damit das Kind nicht herans* 



Volkslieder und Schwanke aus Lobenfeld 



119 



Der Bräutigam hat ein neues Paar Schuh, 
das ander Jahr bindt ers mit Wieden zu. 
Trau usw. 

Wenn alle Buben spazieren gehn, 

so muss der Hochzeiter vors Wiegenbett stehn. 

Trau usw. 

Wenn alle Buben singen, tanzen und springen, 
so muss der Hochzeiter dem Kindelein singen. 
Trau usw. 



47. 

Die Nonne ^^ 



Stand ich auf hohem Felsen, 
schau hinunter ins tiefe Tal, 
sah ich ein Schifflein schwim- 
men, 
darin drei Grafen warn. 



Als sie vors Kloster kamen, 
vor das schöne Gotteshaus: 
Gebt heraus die jüngste Nonne, 
die zuletzt ist kommen an! 



Der erste von den Grafen, 
der in dem Schifflein war, 
gab mir es gleich zu trinken 
kühler Wein aus seinem Glas. 



Sist keine angekommen, 
es kommt auch keine heraus; 
wollt ihr das Schloss zerstören, 
das schöne Gotteshaus? 



Was gab er mir zu trinken? 
Kühler Wein aus seinem Glas. 
Seit vierundzwanzig Stunden 
lag er im grünen Gras. 



Als sie herausgekommen, 
schneeweiß war sie gekleidt, 
ihr Haar war abgeschnitten, 
zur Nonn war sie bereit. 



Er sprach zu seinem Knechte: 
Sattel mir und dir ein Pferd! 
Wir wollen die Welt durch- 
reisen, 
die Welt ist reisenswert. 



Was trug sie in ihren Händen? 
Ein goldnes Becherlein; 
draus gab sies ihm zu trinken 
von ihrem venedischen Wein. 



*• Vgl. Alte hoch- und niederd. Volkslieder hg. v. Uhland I, 210, 
Nr. 96. Die Abweichungen stimmen zu den Lesarten bei Bender 8 und 
Marriage 7, dagegen nicht zu Krapp 112. 



120 Pfaff 

Kinderreime. 

48. 

Etz waaß i was i waaß: 
sHinkl isch der Has, 
die Motter färbt die Aajer 
un legt se in des Oras. 

49. 

Wie bamblt mer mei" Reckele^*, 
wie bamblt mer mei" Rock; 
i habb no gar ka^ Reckele ghatt, 
des sou gebambelt bot. 

50. 

Ene dene sii saa 
käleritr sii saa 
US petekte käleritr 
US bus drus^*. 

51. 

Am So mm er tag (Sonntag Laetare) gehen wie in Heidel- 
berg und an der Bergstraße die kleinen Kinder mit Stecken 
herum, an die Bretzeln und Bänderschlüpfe gebunden sind. In 
Lobenfeld zogen früher „Häufel" Kinder mit verzierten Christ- 
bäumchen im Dorf herum und sangen vor den Stubentüren: 

Ri ra ro 

der Summertag isch do. 

Die Feigl un die Blumme, 

die bringen uns de Summer. 

Aajer raus, Schmalz eraus! 

Der Fuchs springt ins Hinkelhaus. 

Heit iiwers Jahr 

simmer widder da. 

Dann gab man den Kindern Eier und Schmalz zu einem 
Pfannkuchen '^^. 



•'* Vgl. Bender 252. 

^' Dieser Abzählvers beruht fast vollständig auf den französischen 
Zahlen. 

-^ 867 ff. Die das. S. 369 mitgeteilte Ansicht von 



Volkslieder und »Schwanke aus Lobenfeld 121 

52. 

Aus einer Rätselfrage ist es erwachsen, wenn die Kinder 
einander auffordern zu sagen: 

Kugl^ Kttgl, umie offe, 

worauf die Gegenrede erfolgt: 

Du hascht deiner Motter ihr TUtl ausgsoff'e. 

Meckreime und Schwanke ^\ 

53. 

Zur Verspottung der ostfränkischen Mundart, der „Oden- 
wälder" östlich des Neckars, der „Gänschmauser", die auch 
gu'te für givest sagen, braucht man den Spruch: 

Diwwe, dünne, dowwe, daus^^ 
mache d'Leit GetofFeP* aus. 

Beim Tanzen sagt man zu den Odenwäldern: Hanschadel, 
(Hans Adam) doo tantsch her, do hollertsch räächt! 

54. 

In Spechbach, einem größeren Pfarrort, sang man zur Ver- 
spottung Lobenfelds, das bis vor wenig Jahren keine eigene 
Pfarrei hatte: 

Die Löfelder Narre 

die hewwe kan Parre, 

die hewwe kan Mann, 

der pri^dije kann. 

Aber in Lobenfeld griff man den Reim auf und sang ihn 
nach, um damit das Zungen-r der Spechbacher zu verspotten. 

K. Christ, dass das Soinmertagslied nicht an der Bergstraße und im Oden- 
wald verbreitet sei, ist irrig. 

^* Vgl. K. Arnold, Volkskunde von Mttckenloch, Alemannia XXVII 
(1900j, S. 219. 

*^ Drüben, drunten, droben, draus. 

^ GetofFel = Kartoffel, mit Anlehnung an mit der Vorsilbe (je gebil- 
dete Worte. 



122 P^aff 

55. 
In Waldwimmersbach sang man: 

Die Löfelder Ratze ^^, 

die sitze uf de Katze, 

die sitze uf de Distelfink, 

die hewwe all die siedig Krenk^®. 

Die Gegend um Waldwimmersbach, Spechbach und Loben- 
feld wird scherzhaft das „Land der Buchfinken" genannt, da- 
von trug auch der katholische Pfarrer in Spechbach den Namen 
„ Buchfinkendekan " . 

56. 

Ein Jude aus Neckarbischofsheim, der als großer Freund 
von Musik und Tanz gern die Kerwe (Kirchweih) besucht, 
wird von den Kindern mit dem Reime begrüßt: 

Der Leser aus Bischese, 
der macht sou grouße Schritt, 
er left in d'Leit ihr Heiser nei" 
un schreit: Profit, Profit! 

57. 

Der Bürgermeister sagt zum Pfarrer: In der ganze Üm- 
gejend kann nimand Kerwe halte, wie die Micklecher (Mücken- 
locher), weil sie all im Frijohr nix hewwe. Pfarrer: Was backen 
aber die Mückenlocher für Kuchen zur Kirch weih, da es doch 
kein Obst gibt und auch der Käs rar ist? Bürgermeister: 
„Wilde Käskuuche" backe se: sie tun statt Käs geriwwene 
Getoffel druff und statt Roseine Micke. 

Wenn im Ort ausgeschellt wird und jemand fragt, was los 
sei, wird gern geantwortet: SMicklecher Getoffelreiwe werd 
verstejert. 

Die Mückenlocher werden „Kühschwanzhechler*" genannt, 
weil in M. kein Hanf wächst, aber auch „Buschlböck**, weil 
sie viel ins Buschelmachen, d. h. Anfertigen von Reisigwellen 



" Vgl. J. Ph. Glock, Alem. XXV, 246, wo der Sprach auf Eschel- 
bronn angewandt ist. 

<» Siedig = siedend, heiß. Krenk = Kränke, Krankheit. Siedig 
Krenk ist offmlmr das Fieber, ähnlich wflnschte man ja im Mittelalter 



Volkslieder und Schwanke aus Lobenfeld 123 

gingen, wodurch sie guten Verdienst hatten. Daher werden 
sie mit dem Reim gehänselt: 

DMicklecher Leit 
die sen so gscheit, 
die halte ihr Kerwe, 
wanns Buschigeid geit^*. 

58. 

Will oder kann man jemand, nach dem man gefragt wird, 
nicht genau bezeichnen, so sagt man: „dei* Parre vun Haag^ 
oder ^der Ferschter vun Klousvhter*^ (vgl. 63). 

59. 

Die Leute von Reichartshausen heißen die „Routmend- 
lin", d. h. Routmännlein, von dem roten Sand, der dort zu Tag 
tritt. Von ihnen wird die Schildbürgergeschichte erzählt, dass 
sie, als ein Storch in die Gemeindewiese kam, im Gemeinderat 
beraten haben, in die Wiese ein Scheuertor zu tragen, um dar- 
auf den Storch hinauszuschaffen. 

60. 

Die Epfenbacher gelten als langsam, darum geht von 
ihnen der Spruch: 

Ich bin vun Epfebach, 

drum geht mei" Sach so gmach. 

61. 

Die meisten Schildbürgergeschichten erzählt man sonst von 
den Eberbachern. So weiß schon Bernhard Baader *^ dass 
sie den Namen ,, Sackbrenner ** tragen, weil sie, um das Zeichnen 
der Fruchtsäcke zu beschleunigen, diese aufeinanderlegen und 
mit dem Stadteisen durchbrennen ließen. Sonst heißen sie ge- 
^wohnlich „Kukuksfresser"®^ oder „Kukuke". Es wird erzählt, 



*• geit = gibt. Vgl. Arnold, Alem. XXVII, 206, 219 und Bender 
252, wo an Stelle der Mückenlöcher: Heidelbeerleut, und an Stelle des 
Buscbelgelds: Heidelbeer eingesetzt sind. 

^ Volkssagen aus dem Lande Buden, 1851, Nr. 362. 

•* Vgl. auch O. H e i 1 i g , Die Ortsnamen des Großherzogtums Baden 
ja 10Q 



124 l'faff 

dass sie ihr Rathaus haben verschieben wollen. Als einst einige 
Eberbacher mit einem holzbeladenen Schiff auf dem Neckar 
fuhren und der Schiffmann sagte : das Schiff gehe unter, sollen 
die Eberbacher jeder ein paar Scheiter Holz auf die Schultetn 
genommen haben, „damit das Schiff leichter werde". Auch 
heißen sie die „Säustecher", und zwar deshalb: Ein Mann von 
Eberbach hatte auswärts gute Wurst gegessen und rühmte das 
zu Haus. Da sandten die Eberbacher den Metzger aus, das 
Wurst machen an jenem Ort zu lernen. Der Metzger blieb dort 
im Wirtshaus über Nacht. Früh morgens hört er im Hof ein 
Geschrei und sieht, wie gerade ein Eber verschnitten wird. 
Jetzt wusste ers: dort unten werden die Säue hinten gestochen, 
deshalb ist die Wurst so gut. 

Die Eberbacher mögen sich mit vielen andern trösten: der 
Gerechte muss viel leiden. 

62. 

In Lobenfeld lebte in den vierziger Jahren der „knitz 
Martin"^*. Der pflegte zu sagen: Vor drei Dingen soll mich 
Gott behüten: 1. vor einem großen Glück, 2. vor den guten 
Suppen, 3. vor einer großen Leiche (Leichenbegängnis). Und 
zwar: 1. Wenn eins das Bein gebrochen hat, sagt man: es ist 
ein großes Glück, dass es nicht den Hals gebrochen hat. Da 
sieht man also, was ein großes Glück ist. 2. Gute Suppen 
bekommt man, wenn man krank ist. 3. Eine große Leiche hat 
man, wenn man hingerichtet wird. 

Der knitz Martin war ein Philosoph und achtete die Ehre 
der Welt wenig. Als einst ein großer Herr oben auf der Land- 
straße, die Lobenfeld und Kloster nicht berührt, vorbeifuhr und 
die Leute zum Vivathochrufen aufgeboten waren, rief er: „Kieh- 
flaasch hoch!** 

63. 

Manche Leute bedienen sich in der Umgangssprache be- 
sonderer Lieblingsredewendungen, die jedermann im Dorfe 

kennt. So pflegt der W s-Baschtl zu sagen: Hot tr 

f/saat, sach'i, der K -Dick: Hoi er gsaat, secht-er, 

des alten Wilhelms Kraftwort ist: VordersamscM. Der alte Polizei- 
diener sagte immery wo es passte und wo es nicht passte: Wenn 



«> kM 



Volkslieder und Schwanke aus Lobenfeld 125 

auch^ so dass er dies Wort als Übernamen davontrug. Sisch 
a soH recht, sechi der Ferschter vun KhtiscJder. Vgl. 58. 

Sisch emol aner vorgelade gwest wege Beleidigungen der hat 
immer des Wwi „Wies aach isch" im Maul gßehrt, Do hot 
er zum Amtsrichter gsaat: Wann ich jetz zu ihne ilirer Frau 
sage teet, sisch e Mensch — wies aach isch! 

64. 
Der Pfarrer lernt Latein. 

Der Parre®^ hot net gnunk Lateinisch gkennt, do isch er 
fort, dass ers lernt. Do isch er na" kurame an en grouße dirre 
Baam, der en gi-iine Ast ghatt hot. Nocht isch er weiter fort, 
do isch er na** kumme an en grouße See, der isch voll Ente 
gschwumme. Nocht wie er widder e Stick weiter gwest isch, 
hot er dorch Hecke schlupfe messe un do hot en en Dorn 
gkratzt. Nocht hot er gdenkt: etz kann i Lateinisch un isch 
Widder haamgraast. Un wie er dann in der Preddig gsaat hot: 

„Houchbaames, 
Griinaschtes, 
Sevelendus, 
Dornkratzius", 

do hewwe die Leit gsaat: unser Parre hot awwer glei Latei- 
nisch gkennt. 

»s Parre und Paff sind meines Wissens die einzigen Worte, bei 
denen die hochdeutsche Lautverschiebung im Gebirgsland südlich des 
Keckars nicht durchgeführt ist. Die Worte stammen augenscheinlich aus 
der Pfalz, aus Haddlbeerg. 



Katzenstriegel. 



1 H. F. Feiihcir. 



VoTkafcnnd^ 



Fridrich Pfaif besinicht iu der Festschrift Volkafcnnde 
im Breisgau , Katzenstnegel " als ein altes Volksspiel und 
führt aus dem 14. Jalidiundert das älteste ihm bekannte 
Zeugnis von dieser Belustigung au. Für das Alter dit^ses 
Spiels zeugt auch seine Verbi-eitung nach Norden. Doch scheint 
es, soweit ich liier in Däncniai'k hübe erfragen können, nicht 
nach Island gedrungen zu sein: die hiesigen Isländer meine», 
dass ihr Volk dies Spiel gar nicht kenne, ich habe auch ver- 
geblich danach in 0. Davidssons Skemtanir gesucht. In Däiie- 
mark und Noi'wegen, wahrscheinlich auch in Schweden, ist 
es aber unter verschiedenen Benennungen wol bekannt. 

Unter den nicht ganz wenigen Ijewandtheits- und Kiaft- 
proben, die in Dänemark, wo eine Anzahl von jungen Bui-schen 
sich veraannneln, beispielsweise unter Hirten oder bei der 
Heuernte, geübt werden, ist der Katzenstriegel wolbekannt. 
In meiner früheren Heimat, Westjütland, sagten wir Katlcslnid 
oder Kaitestrwldi. Der letzte Teil der Zusammensetzung ent- 
spricht dem lioehdeutsclien Straiiss, Streit, Kampf. Auch kann 
man hören: at rykkes kattestrmg, Icaiteströg, kastntf, l-astrwj, 
ka^trurr = Katzenstriegel ziehen; -siruf, -stntg dürfte sich 
vielleicht an ndtsch. sich slniven, hdtsch. sträuben anlehnen. 
Andere Namen aus verschiedenen Gegenden sind: at tämm 
stude = Ochsen zähmen; at iräli-es kat = Katzenziehen: at 
Iräkke »mdammens hat til rands = die Katze der Hausfrau 
zur Tränke führen; yloes htt, Katzenglotzen (?): hestc hunde, 
Huude hetzen (?|. 

Für die Kraftprobe wählt man gewöhnlich den Plali ad 
' 'einen Bachs oder auf den Rändern ( 



KHtzensti'Jegpl 



127 



breiten Orabens, wo Jie Kämpfenden entweder stebend oder 
auf den Knien liegend, den HUeken gegeneinandei' kehrend, 
ein zusammengeknüpftes Sei! um den Nacken unter die Arme 
führen. Dann geht es los, beide ziehen, wie sie nur ver- 
mögen; der Schwächste muss ja zum großen Vergnügen der 
Zuschauer ins Wasser. Von besonderem Interesse sind die 
beiden Spiele: at ijJ-oes hut und <it heste hunde. Das erste 
seheint genau dem Bilde in Volksk, i, Br. S, M (hier 104) zu ent- 
sprechen. Die Beschreibung, E. T. Kristensen, Danske Bör- 
nerim. Remser og Lege (1896), S. 625 lautet: Zwei Burechen, 
jeder mit einem kleinen Stock im Munde, legen sich, die Köpfe 
gegeneinander, auf den Bauch. Ein Kiemen wird um die 
beiden Nacken unter die Stöcke geführt und zusammengespannt, 
und mm gilt es, ob einer den andern mittelst des Riemens, 
indem er sich rücklings schiebt, an sich ziehen kann. Am 
Grase lialten sie sich fest und jeder leistet den Widerstand, 
den er nur vermag. At hoste hunde geschielit auf dieselbe 
Weise, nur mit dem Unterschiede, dass die Ziehenden sich 
den Rücken kehren. 

Noch nenne ich ai strittes Icloic (vielleicht: mit gespreizt«« 
Beinen zu streiten), das entweder wieoben bei „Katzenstriegel' 
erklärt, ausgeführt wird, oder auch anders, indem sich zwei 
Burschen, Gesicht gegen Gesicht, gegenübei-stellen. Ein Seil 
wird um den linken Knöchel von A und den rechten von B 
gebunden, ebenso ein Seil um As rechten und Bs linken 
Knöchel und nun versucht einer den andern durch FuÜstöße 
zu werfen. Aus Norwegen findet sich bei StBylen, Noreke 
Bamerim og Leikar (1899), S. 105, Nr. i:J2 ein entsprechendes 
Spiel: dru laitestrapa : Zwei Burschen legen sich, die Köpfe 
gegeneinander gekehrt, mit Händen und Knieen auf den Boden. 
Ein Gürtel wird um den Hals beider gespannt und es gilt, den 
Gegner fortzuziehen. Kattrstrupa = Katzengurgel, ist wol eine 
volksetymologische Bildung aus dem nicht mehr verstandenen 
Kiifteslriuh Ich vermute, dass die schwedischen Ringkämpfe: 
tämja staiar und taga tiacl-aspävn zu diesem Spiele gehören, 
kann es jedoch im Augenblicke bestimmt nicht behaupten. 

Nachträglieh füge ich hinzu, dass man in älteren dänischen 




128 Feilberg — Katzenstriegel 

Büchern aus dem 17. Jahrhundert KcUtestrud und Sträbeht 
als „Kraftproben durch Ziehen" genannt findet. 

Nachtrag von Fridrich Pfaff. 

Die obenstehende Randleiste aus der Theologia Deutsch, 
Straßburg 1519, die wir mit Erlaubnis der Verlagsbuchhandlung 
J. Bielefeld, Freiburg i. B., unserer Festschrift „Volkskunde im 
Breisgau" entnehmen, zeigt die Art des Spiels. Die sehr dankens- 
werten Ausführungen unseres verdienstvollen ersten dänischen 
Mitglieds bestätigen meine Auffassung des von den Kämpfern im 
Munde gehaltenen Gegenstands gegenüber ßallerstedt (V.i.B.41). 
J^fachträglich bemerke ich: wenn in meinem Aufsatze in der 
Festschrift von „St. Georgen" die Rede ist, so wii'd damit die 
politische Gemeinde St. Georgen bei Freiburg gemeint, die 
außer dem engeren Ortsteile dieses Namens noch Wendlingen 
und UflFliausen umfasst. Von diesen ist aber nur Uff hausen 
noch heute die Heimat des Katzenstriegelspiels. Unterdessen 
ist mir mitgeteilt worden, dass das „Katzenstriegelziehen* 
auch älteren Leuten im oberen Wiesental erinnerlich ist. 
Dazu stimmt die freundliche Nachricht unseres Mitglieds Rat- 
schreiber J. Ruf in Oppenau, dass er selbst in seiner Heimat 
Todtmoos, die wie das Wiesental zum südwestlichen Feld- 
berggebiet gehört, in der Jugend noch den Katzenstriegel 
gezogen und habe ziehen sehen, allerdings nur vereinzelt. 

Am Hauenstein bei Ölten in der Schweiz heißt die 
Stelle eines 126 m tiefen Luftschachts zum bekannten Hauen- 
stein tunnel „Katzenstriegel", vielleicht weil dort ehedem das 
Katzenstriegelspiel geübt worden ist. 

In der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde in Berlin 
1907, Heft 2, S. 244 bespricht J. Bolte unsere Festschrift und 
trägt einige Belege nach: Bolte u. Seemann, Niederdeutsche 
Schauspiele (Drucke des Vereins f. niederd. Sprachforschung 4), 
V *31 — *34: Philo vom Walde, Schlesien in Sage und Brauch 
S.141 ; Voges, Sagen aus Braunschweig, Nr. 170. — Bolte will 
den Namen des Spiels aus einem Scherz, zwei wirkliche Katzen 
zusammenzukoppeln und gegeneinander zu hetzen, erklären, 
^dliegt, aber doch schwerlich richtig ist. 



Die Neuauflage 

von Kriegers Topographiscliein Wörterbuch. 

des Q-rossherzogtums Baden. 

Von Julius Miedel. 

II. 

Badische Flnrnamen. 

(Fortsetzung.) 

Kammern bei Bruchsal. 

Kapelle: Kreuz-, Schwaben-, Wilhelmskapelle. 

Kastei bei Willstet t. 

Keller: Heidenkeller und -kerr, Weinkeller und -kelre. 

Kinzge in Schelmenkinzge ? 

Kirche: Waldkirchen, Peterskirchle. 

Klamme: Häuselsklamme (2 mal). 

Klinge: die hohe, Ludebach-, Ludolfs-, Schelmen- (R), Zellen- 
klinge (aus Seiden-). 

K losen zu mhd. Mifse Klause und Felsenge. 

Kloster heißt eine Erdschanze bei Gerichstetten (in den 
Klosteräckern bei Gochsheim [R]). 

Kopf: Heiden-, Schlosskopf und -köpfte. 

Krähe zu mhd. Ttrai Geschrei: auf der Henenkrähe; im Sinne 
von Signalpunkt, Warte in Hohenkrähen. 

Lache: Hart-, Hert-, Schelmenlache, Schwaben-, Steinlach. 

Läger bei Elgersweier mit römischem Mauerwerk. 

Land im Alsheimer Land. 

Lecke: in der Salzlecke, untere Salzlecke. 

Loch (Höhle): Gais-, Gold-, Ruhen- (ruch), Münz-, Tschamber- 
loch; Heiden-, Kaibenlöcher. 

Loh: Henne-, Hühner- und Hunnenloh (alle zu hiune)y Schatz-, 
Weidenloh; Her-, Schatz-, Steinloch; Herlauge? 

Alemannia K. F. 8, 1/2. 9 



130 Miede! 

Löffel in KohllÖfFel aus Kuch- (von der Form). 

Marke: Schrie 13 heimer Marcke. 

Matte: bi der Hert-, Kastei-, Schelmenmatte ; Burg-, Ohet- 
wei(I)er-, Scbloss-, Schlössle-, auf der, in den Steinmatten. 

Mauer: in der, auf der M. (R), große, Ringmauer, Heiden- 
mauern, bi der langen Muren, Steinmnr und -mäuerie (R), 
Stein mäuerlesäcker (R), Steinmürlin; bei dem Heydiscfaen 
Gemäuer. 

lloos in Blankenmoos. 

Morgen (Feldmaß): Schelmen-, Zehnmorgen. 

Mühle: verbrannte M., WalkmUhle. 

Nussbaum in Schelmen nusböro. 

Ofen im Kalkofen. 

Ort als Ortschaft: im alten Ort; als Landspitze: im hohen Ort. 

Ost: im Osteie = Ostheim -j". 

Pfad: Häuser-, Schelmenpfad; an dem Her-, Swabenphat. 

Phossat (im Jahre 1337) = fossata, dabei die alta strata (Zeils- 
heim). 

Platz: Burg-, Hexenplatz, Schelm enbletzlin. 

Rain: Balk'^n-, Burg-, Götzen-, Heiligen-, Schloss-, StettenraiD- 

Rebe: Hof unter den Reben, Schlossreben. 

Reis: im Frankenreis, in tanrisen. 

Reut: Bach-, Neureut; Baiten- (= Beunden?), Simonsreutei 
Schalmenriet; im Rode, im Röder, SchwabenrStel ? 

Römern bei Herten (R). 

Rücken: Hunds-, uff dem Hundes rAcken. 

Runz wol = Runse in Renkenrutiz (nach dem -|- Rinken). 

Säule: Römersäule (bei Schi-iesheim). 

Schanze: an der Schanz, Hub-, Ringle-, Waldschanze, Sch%*'^ 
denschanzen; Schänzle, Schänzel. 

Scharte: in, uf der Scharten, uffen der Schartun, am Schsi^^* 

Schelm: am Schelmen und Schalmen, Schelmetiag. 

Schere im Sinne von Felszacken: dazu als S.-N. vielleicht *- 
dem Scherrich. 

Schlacht im Mannenschlacht ^ Schlag? 

Schlag: Haciiuier-, Häusl(?in-, Schenzelschlag, ' 

Schloss: Altes Seh., Heiden-, Knunpenschloss ; im Schlössef - 

Schlotterin S.-N. zu Schlotte = Sumpf, Rohr. 

Schluch = Sclilucht in Woftsarscbluch. 

Schmiede:. Heidenschi 




Neuauflage von Kriegers Topogr. Wörterbuch des Oroßh. Baden 131 

SchopoIJ: bona dicta Sant Blesien schopoz = Teil einer Hufe. 

Schüssel in Sauschüssel auf dem Schartenberg, natürliche 
Vertiefung im Granit, früher als Opferstein betrachtet (vgl. 
die „Schüssel'' auf dem Waldstein im Fichtelgebirge). 

See: im S., Türhemer See. 

Spitz: Türkenspitz bei Madachhof (woher benannt?). 

Stad = Gestade, Ufer: uff den hohen staden bei Friesenheim. 

Stadel im Sinne von Scheune vielleicht in einigen Burgstadel, 
aber sicher auch = Burgstall, z. B. das burgstadel zue 
Burckhenberg. 

Stall = Stelle: Burgstall, auch Burstel(l), Burschtel, Heiden- 
stall, J?'inkenstal ? Wiudstelle (Hügel mit vorgeschichtlichen 
Grabhügeln). 

Statt: Feuer-, Hoch-, Höh-, Hofstatt ; Heristat, Hochstätt, Bur- 
stet, Altstadt (R) (Wald); Burgstaten, Stetten, Hoch-, Hof-, 
Pfarren ,Zaunstetten; Burg-, Halden-, Hofstättle. Richtstättel. 

Staude: Schelmenstude (o = ach). 

Steg in Steegen. 

Steig: Neilinger St., Burgstig, der Herstig. 

Stein: auf den Steinen, Heiligen-, Lehnen- und Lennenstein 
(Lehne = Abhang). 

Straße: alte, Her-, Hern-, Hör-, Höh-, hohe, Römer-, Stein-, an 
der Weinstraße; die höh Strasse, de hohstrase, uiF der 
Hörstraßen; Hier-, Hoch-, Schalmestraß, Hostras, Hoch- 
stras, zer hohun straz, Hochstraze, die alt Stroß, uf der 
Hohenstroße, Hochstros, an der hohen Stroßen, hohe strocz. 
Her-, Hoch-, Horstrauß, Herr-, Hochstra^ß; Sträßle (auch 
Römerallee), Sträßel, das hoche Sträßlin; Hochgesträß, am 
hohen gestreß, an dem hoch stresse, meist R. 

Stube: Heidenstube, Götzenstüblein (R). 

Stück (Feldstück): Hausstucker (Ackername?). 

Stutz = Abhang: Schwabenstutz (Grenzhöhe des Breisgaus 
gegen Schwabenland, dabei der Schwabhof). 

Tal: Alten-, Bogen-, Bur-, Burg- und Bürg-, Ehren-, Hirs-, 
Kilch-, Kirchen-, Krieger-, Schelmen-, Schwaben-, im 
Sprengen- (zu spring Quelle), Weilertal. 

Teich: Hartheimer, Schwabenteich. 

Teil: Hauserteil. 

Tor: Burg-, Heiden-, Schelme-, Valletor, Veitern. 

Turm bei Neidingen. 



<»• 



132 Miedel 

Wald: Bann-, Boden-, Burg-, Blirken- (= Birken-), Haintal«^ 
Hasel-, Lehr- (zu Uiver Hügel, dort Grabhügel), im Mi- 
chelen (= groß) W., Platten-, Schlosswald; BurgwSldchen, 
Schatz wäldle (mit Münzfunden). 

Wang in Herlange aus Herin wangen? 

Wann in Gewann: Burg-, Heu-, Hochgewann. 

Wat = seichte Stelle, Furt: Seewadel; auch Hartwette und 
vielleicht Quettich aus Ge-wettich. 

Weg: der alte, an dem alten, Burg-, Diet-, Pranken-, Hart-, 
Hart, Her-, Heer-, Herd-, Heren-, Herr-, Herren-, Heart-, 
Hert-, Hertt-, (uf dem) Ho-, Hö-, Hör-, Hör-, hohe, 
Höllen-, Höu(vven)-, Kirch-, Mauren-, der Pfaffen-, Renn-, 
Rieht-, Schwaben-, Stein-, Steine-, zu dem steinin^ der 
steinechte, an dem gesteinotten, Strfißle-, Swobe-, Wagen-, 
Weiher-, Weiler-, Zieglerweg; Hünerwegle; Herweck, Alt- 
wig = Herdweg. Vielfach R. 

Weiher: Schlössle-, Spitalweiher, nebent dem haidischen weyer; 
wierle. 

Weil: Toubenwil, Oberwihl, Hochwyhl. 

Weiler (R): Breiten-, Frau-, Fron-, Oberer, Öden- und Etten-, 
Sternweiler; Oberer Wyhler, das wyler daz man heißet 
Zelle. 

Werd: Bannwörd, Welschwört. 

Wiese: Badstuben-, Burg-, Heiden-, Hoch-, Hof-, Hühner-, 
Kappel-, Kreuz- (R), Mauer- (R), Scharten-, Schelmyn-, 
Schloss-, Schwaben-, Stein-, Ziegelwiese; Hertwyse. 

Winkel: Issinger, Seh ebnen winkel. 

Wüst: im Wüst (bei Lohrbach); Wüstung. 

Zeige: Zeig zum Bild, Zeig Husental, Schanzzeige. 

Zelle: Mönchzellen. 

Ziel (= Grenze oder Busch) im Römerziel bei Friedingen. 

Nach dem Voi-wort ist die Aufnahme von Worterklä- 
rungen auf das allernötigste beschränkt worden. Es ist sogar 
in Erwägung gezogen worden, ob sie nicht ganz zu beseitigen 
seien; nur mit Rücksicht auf die erste Auflage wurden die, 
„welche Anspruch auf einige Zuverlässigkeit machen konnten*, 
beibehalten. Die Vorschläge freilich, die seinerzeit von Wolf- 
ram-Reimer für die Herstellung historischer Ortsverzeichnisse 
gemacht wurden (s. Korr.-Bl. d. Ges.-Ver. d. deutsch. Gesch.- 



Neuauflage von Kriegers Topogr. Wörterbuch des Großh. Baden 133 

« 

Ver. 1900 S. 179) verlangen ausdrücklich: Ein Erklänings- 
versuch des Namens soll nicht gegeben werden. Und doch 
begrüßen wir es, dass der Verfasser hieran sich nicht ge- 
halten hat. Der Namenkenner wie der Unkundige werden 
dafür dankbar sein dürfen: erfahren sie doch dadurch soviel 
wenigstens, wie bisher von verschiedenen Forschern die 
Namen gedeutet wurden und das ist für jetzt und später gleich 
wertvoll. Eine brauchbare Zusammenstellung der wichtigeren 
Namenerklärungen hat Otto Heilig in seinen ^Ortsnamen des- 
Grossherzogtums Baden" (Karlsmhe 1906) geliefert, die aber 
leider nur eine Auswahl trifft. Es liegt daher die Versuchung 
nahe, auf Grund von Kriegers Angaben 

Badische Ortsnamen 

in größerem Umfang noch hier zu behandeln. Und zwar 
sollen es in der Hauptsache solche sein, über die ein Deutungs- 
versuch mir bisher noch nicht bekannt geworden, zum geringen 
Teil mögen abweichende Ansichten über bereits behandelte 
begründet werden. Der bequemeren Übersichtlichkeit halber 
sei die Abc-Folge beibehalten. Von urkundlichen Formen ist 
jeweils die angeführt, welche neben möglichst hohem Alter 
auch auf Verlässigkeit Anspruch machen darf. Die Zahl be- 
deutet das Jahrhundert. 

Absetze ist Bezeichnung für eine Haltestelle an einer Berg- 
straße (im AUgSu z. B. noch lebendig). 

Altern: Eitra, wie Aitembach und Aitrach, Eitaraha zu fnter 
die Brennessel; vgl. Eitrawang^ Aitrang = Nessel wang. 

Alle(n) winden ist eine öfter vorkommende Bezeichnung für 
Plätze, die den Winden stark ausgesetzt sind. 

Alschweier: Algeswilre 13. und zweimal Aires wilere 14., also 
wol Algeres- ^Adalgereswilai*e. 

Ansätze, auf der — , zu ansetzen = vorspannen, also Vor- 
spannstelle. 

Arien: Arola 11. ist sicher nur Mönchslatein für die volks- 
übliche Form Arla, das ebensogut auf Arlon (D. pl.j wie 
auf Arlach zurückgehen kann. 

Atdorf: Abedorf 14. aus Abindorf zum PN. Abo. 



134 Miedel 

Bären w eiler: sicher zu PN. Bero, während bei den andern 

ähnlichen eher der Bär in Betracht kommt. 
Bayen: Payen 16. = Baia ^ Baiach SN. zu Bai = Riedgras. 
Bab statt: Babestat schon 10., zu Babo, aber nur über Babis- 

stat. 
Beigern: so schon alt, Volksname = bei den Bayern. 
Bergeschingen: Dasingen erscheint freilich erst im Jahre 149 S, 

wenn Eskingen 1150 bei Neugart zweifelhaft ist. Wie ab ^r 

den Formen Eschinun das Adj. eschin = eschenhölzem asu 

Grunde liegen soll, was aus Alem. 22, 188 herübergenomm^n 

ist, das ist schwer zu verstehen. Was soll: ^bei den Esch^ 

hölzernen** heißen? 
Bickenreute hat nach den ältesten Beurkundungen des 13. «T 

einen Buggo zum Namengeber. 
Biderich = 14. zu ahd. hutlrih der Schlauch, also etwa En^ 

Schlucht; dahin wol auch der Biederbach = Biderichba(^ ' 

was besonders für den oberen Teil des Tals sehr gut pas^ 
Bierhelderhof ze Berhelden 15. = an der Beerenhalde. 
Bisten: vielleicht zu Biste = die Klette. 
Bollen: Belna 14. also aus Bellenach zu bcüe die Pappel. 
Börskritt: Beringers gerüte 14. = Beringers Gereut. 
Branfeld: Branfelde 8. zu hrand oder Ißi^anw Brombeere. 
Branßbach = 14. zu PN. Brando. 
Brünnensbach: Brünispach 14. zu PN. Bruno wie 
Brunnhausen: Bruneshuse 13. 
Bruderbach: Brügelbach 15. zu ahd. hrugil der Brühl. W 

soll der Prügel-Bach? 
Büchenau: seit 13. bis 16. stets Büchelnawe, also unmögli 

zu bühel, sondern zum PN. Buchilo. 
Buggensegel s. Ullisegel. 
Butschbach: Buspach 14. und 1476 Büstbach, also am wah 

scheinlichsten zu huost der Bast. 
Darsbach: Dagrisbach 11. zum PN. Dagheri. 
Degelbach: Tegelbach 15. also von tegd Lehm. 
Dippach: Dyp-, Dietbach 14. Da diet keinen guten Smn gil 

bei einem Bach, eher aus Dietin- entstanden. 
Disselmut: die ehemalige Erzgrube legt den . QfjjjmlriiaP . 

Zusammenhang mit dem Bergmannsai 

der 1. Teil wäre dann PN. 
Dornenmühle: zu Dorna 16., also 



1 



M 



Neuauflage von Kriegers Topogr. Wörterbuch des Großli. Baden 135 

Durlach: Durlah(e) 13. Ältere Formen fehlen leider, Durlaich 
stammt aus einer späteren Chronik. Sicher aus Durnach 
dissimiliert, das entweder Auf dumin (zu Dorn) oder durr(m) 
wasserarm zurückgeht. Keltisch durum halte ich für aus- 
geschlossen. Mischbildungen mit dem als Grundwort er- 
scheinenden durum sind kaum nachzuweisen. Bei Durlach 
überdies noch ein Dürrbach. 

DUrrenhof wie Dürrheim sind meines Erachtens = Hof, Heim 
an der Dürre, da man ein Wohnheim nicht wol als dürr 
bezeichnen kann. 

Egelbach und Egelsee gibt es allenthalben so viele, dass nur 
der Blutegel und kein Eicolt als namengebend in Betracht 
kommen kann. 

Ei nach zu Ago wie der Einbach (Wolfach); dagegen das Dorf 

Einbach (Buchen): Yenbach 14. zu jenen jenseits. 

Eisen Sprung am Yssensprung 16. < Isnesprung = Ursprung 
der Isina, Eisenach. 

Elchesheim: Elchisheim 12., jedenfalls zum PN. Elacho 
(Fm* II, 74); was soll denn auch ein Heim eines Elen- 
tiers für einen Sinn haben? 

Ellen fürst = Elendfirst d. i. Kamm im Elend = Grenzgebiet, 
daher auch am „ Scheidgraben *" gelegen. 

E seh ach (Bonndorf) ist nach den ältesten Formen ein Heimort, 
dessen Aussprache Eschd erst später durch a, en und ach 
wiedergegeben wurde, also ach keineswegs = Wasser. 

Eschelbronn: Aschinbrunen (zu 8.) wie Eschenbünd und -first 
zum Eschenbaum. 

Eselmühle von der Lage an der Eselsteige, wo die Esel das 
Getreide zur Mühle bringen. 

Espan (ohne Beleg) ist Weideland für Sonderberechtigte. 

Federbach: benannt nach der Pfetermuln 1313 zu pheter die 
Steinschleudermaschine, also wol eine ähnlich gebaute 
Steinmühle. 

Flaunser (Bergname), dazu entweder Berg zu ergänzen oder 
< Flau°sa (zu 12. Flansen) < zen phlanzen = bei den Setz- 
' lingen, Pflanzungen. 

Flehingen vor 10. stets Flanicheim u. ä., als ingen-Ort erst 
von 991 ab; also aus Flaninc-heim zu PN. Flan(bert) 
Fm» II, 610. 

Gerlisberg: Gerolsberg 14. zu Gerolt oder Gerolf. 



1 3f) Miedel 

(ienchUchtri^ SN. zu mhd. schacM = schaclte einzelnes Wald- 

MtUck, also Ort, wo mehrere solche sind. 
(4(4HeU zu (fisazi^ vgl. Bd. II, 259 : ein wylerle, hat 4 hußgeseß; 

wie ödengesäß. 
(}(>ld scheuer: erster Teil mhd. gaU, wie in der Galtalpe: für 

Oaltvieh bestimmt. 
(Jrasingisgeruti zum PN. Hrasing. 
Oroü rinderfei d hat stets Formen mit Rinder; wie soll also ein 

PN. Uindo darin stecken können? Warum nicht zu Rind? 
(h'umpen und Grumpenbfichle zu krunib, ersteres < Grumba 

«=• Kruinhach. 
(hMinern seit 12. Gruonre, Gruoner, Gruonren; in allen Formen 

uo, also ein PN. wie Griuli ausgeschlossen; mit htiiore ist 

das n vor dem r nicht erklärt. Der erste Teil sicher (fnm 
• grlln, der 2. wol mhd. em der Boden, also = am grünen 

liodtMi, vgl. Hännern < Heuere. 
Ilaborg: Hagenberg 16. also zu hagen, 
Hainsbaoh: Heiminisbach 11. zu PN. Heimln. 
Hausen (Kugen) Atrahusen, Husen an der Aytra 14., an einer 

Aitraoh (s. o.) gelegen. 
Heoholn: Hachleu 15. = bei den Flachshecheln. 
Ht'ilsborg: Hailsperg 14. zu Heilo, was ja freilich Kürzung 

«u Heihvig u. ä. sein kann. 
H^'i^oiubach 1125 aus Heiwskinbach zu ahd. Aiiri^j* die Haus- 

gt^uivst^euschaft und das einer solchen zugehörige Land, also 

dt'r liach danm. 
H«^M^oheuberg: HentsohenWrg 14. aus Hanzin- sa PN. Haginzo. 
Heudort \^2h w^!gt»n der Gleichheit der alten Formen für Heu 

und Hau kann die l«autlehre nicht sieber entscheiden, doch 

\^t\Ueiit lV*rf im Hau -- SchU^ den Vorxng. 
HiUbach \bei l^^nlnir^r und VilUng^nl Uülspacb, meist mit n, 

al$\^ wie 
HiUetbetg: HUli$[^^r>2: tu iWic: Steclip*lwe: Badi mit Stachel- 

dhrkicbtx im Ge^nts^s tu der gleichniMigea Stadt, die auf 

rin^TÄ TN. 5ur.u'k^h:. 
^•, 'xuv,xr',Tcu'h li^: Y;t^rr.iAl \>mr>^:«^c. E> is« soBSt Bezeichnung 
:t\;- ;;r..: >,xv>^vl«f^rie i>r^e* Ob cU$ wol hier auch 



^ ^^ . * -k «^ 4 

l.^tivv ^?r;xt >:<::> :1,*\a- ur..^ H.fit.'j::. kjAK also nicht von 






TNs :*x'.,* k.^ÄLÄ^r.^ <s,^aisrrr i<iv« ra ko£. 



Seunnfla^e vnn Kripgpis Topogr. AVBrterbiicli des Limllh. Buden ] 37 

Höllstein: Holin- oder Hi'ilinstein, stets mit o-Laut, darum zu 

hol Oller hüle (vgl. den Hühlenstein bei HUfin/^li) und nicht 

zu lii'ili (glatt). Dazu 
Höllwangen: Helvanc i:-iül = an der glatten, scbllipfrigen 

Wang. 
Hugstetten nur mit u beurkundet, nie mit ou. also nicht zu 

hon, sondern = HugJB- stat (PN). 
Humpeisberg: Hupoltsperch 14; die jetzige Form mit der 

alten zusammen weist auf Humbold, wKlirend sonst Hug- 

bold näher lä^e. 



wie infolge eines 
srmutlich aus fim) 



nicht Huiigo, 

einmal 16., v. 

iba, iin Gegensatz zum Bnch 
I < (iibichheim< Gibichen- 



Hundweiler zu PN. Hunto, 

Druckfehlers zn lesen. 
Hunsel urkundlich leider nur einm 

hohun sal. 
Ibach (2 Orte) wie Ibidi S.-N. zu 

Ib-ach. 
Ippichen: Gipecben u. ii. 13.. alsc 

heim (P.-N.). 
Kaltenherberg (2), Wirtahauäer, in denen 

Speisen verabreicht werden'!* Auch anderwärts. 
KftRieren: ze den K. (Zimmern), vgl. Kemenaten. 
Ketsch: Kez 12., Eeczsche 13. zu kv^ii Kessel, kann darum 

erst recht mit bayerischem Kötz gleich sein, ist aber deutsch. 

Vgl, Kess-ach und Kesselbach. 
Kibbad hat seinen Namen vom Kib- oder Küpfelsen und dieser 

von mhd. hlppe Sichel, also gebogen. 
Kiesenbacb: Riesenbacb 13., elier als zu Cuzo zu ahd, kiiaai 

das Austreten Über das Ufer, Überschwemmung. 
Kinzhursi aus Kienets- oder Kienetenhurst, von kiemi S.-N. 

zu kien Fichte. 
Kirnburg mag an einer Kirna&h liegen, doch steht das nicht 

im Namen, der nur Berg an der Mühle bedeutet. 
Kolbnau: Kolbenouwe 14. ist eher eine Au, an der Rohrkolben 

wachsen. 
Königheim: Keunincbeim seit 1-2. zu PN. Kanto Fm *. II 594. 
Kraienstein: zu kr/iie Auslug, Signal s. ob. Kriihe, 
Kreizenau: Krezenouwe 14. zur Kresse, die auch im Kressen- 
berg und Kressenbrunnen enthalten ist. 
Krensheim ist kein echter heini-Ort; heim erscheint erst im 

16. und soll das a in den seit 12. begegnenden Formen 



138 



Miedel 



Crantse, Crense; wiedergeben. Es ist also nichts anderes 
als Grenze: dieses slavische Wort begegnet freilich nach 
Kluge erst seit 13., aber warum soll es nicht in den 
zahlreichen, gerade in jener Gegend schon um 1000 ent- 
standenen wendischen Siedelungen gebraucht und in die 
deutsche Bevölkerung gedrungen sein? 

Kriesloch: Griesloch 16. Wald im Gries, Sand. 

Kutzmühle: vielleicht zu (Schweiz.) chuz = Hoch warte. 

Laberhof: Labirn 12. kann nicht zu hUo gehören, sondern ^ 
dem damit Stammes- und bedeutungsgleichen letcir, 

Landsehr: Lantserre 14. zu mhd. s«*re die Sperre, weist a 
eine alte sogenannte Landhege, die als Grenzbefestigu 
diente. 

Langert: Langenger 14. Wäre ffer das Grundwort, so müss 
es gern lauten; die alte Form im Zusammenhalt mit d 
jetzigen Iftsst auf Lang(en) -egert schließen. 

Lauben, im Schwäbischen öfters (Loubun) zu huba Hiltt 
Speicher (Dat. Mehrz.). 

Lauda: Ludin 12. Dass ein elliptischer Rodename ausgeschlossen 
ist, weil er im weiten Umkreis vereinsamt wäre, habe ic^' 
schon Aleni. 26, 287 nachgewiesen, wo auch bemerkt is 
dass eine ZurückfUhrung auf zxi deii litäen lautlich nie 
befriedigt; überdies wäre das gar zu nichtssagend. Nac 
den urkundlichen Belegen muss ein ü oder uo zu Grund 
liegen. Und somit kann nur mhd. hiot, md. lui die Scha: 
Volksmenge in Betracht kommen, falls nicht das mir son 
unbekannte Lude = tiefe Wasserstelle bei Back 167 
bezeichnender vorgezogen werden will. Dazu würde auc 
der Laudenberg zu stellen sein. 

Leidenharterhof: Lideu- und Leydenhart. 15. und 16. zu Vi 
Abhang, also Wald an der Leite. 

Leinegg: die Formen weisen auf Le wonegge. Man vg 
Leonegg und den bekannten Familiennamen Löweneck 
also zum PN. Leonhard. ähnlich gebildet wie Liebenec 
Doch gibt es auch Löwen- und Falkenstein und -eck, di^ 
nach dem Wappentier des Schlossherm so benannt sim 

Lei wiesen: Lobis 15. == Wiese am Loh: augenscheinlich schoi 
frühe nicht n^ehr verstanden und darum einigemal starl 
verstümmelt, besonders durch Nasaliemng des i. 

Lerchen berg, -köpf und loch zum Lärchenbaum. 



T - Li 



\1 




^ 







Nentiaflage voh Eriegt-ra '['ri]mgr. Wörteihiich den (.iriillli. Biuitii 1 39 

Letze ist ein Verhau an einer Landwehre. 

Leiitschenbach: dazu stimmt lautlicli am besten schweizerisch 
Lötschi, Liitschi =^ Schlamm; doth könnte noch an Lotsche 
— Vertiefung im Boden, Giimpen (s. Scliweii;. Idiot.) ge- 
dacht werden. 

Liehenbacli wie Liember;; |Liennberg 16.) zu lihc das Wild- 
schwein; dagegen passt bei 

Lienheim dieses Bestimmungswort niclil wo!, besser der PN. 
Lio, dessen fem. Lia bei Fni.' I 1054 steht, oder mhd. 
lUiivel die Hütte. Laube. 

Lierbftch; das darin steckende Her mit Bück = sUer anzusetzen 
möchte ich sehr Bedenken tragen ; ein Wort Jiet' = Schmutz, 
Sumpf bietet Arnold, Ans. u. W. 126. 

Lilach: dabeiwäre auf Liel ^ Lieiahe zu verweisen; hier haben 
wir aber einen SN., während bei Liel offenbar eine Ache 
gemeint ist. 

Linz, das im 13. immer noch Linzen und Linze heisst, möchte 
ich als aus Linzheim entstanden erklären, also Heim an der 

Litzelstalerhof: Luzinstal und Lützelstal kann nicht zu Uäzel 
klein geliüren, es mUsste denn ein stal und kein tal sein, 
sondern zum PN. Luzin oder Luzilo. 

Litzlung (an und uf der Liltzelnng 16.). Seine Lage wie ein 
Vergleich mit den Formen Langenung und Widenung 
machen es unzweifelhaft, dass es — LUtzel-lung ist. Die 
PN. auf tung (ich zShIe deren 14: Buch-, Blir-, Dage- 
mars-. Halbers-, Har-, Kar-, Kiimers-, Langen-, Leibers-, 
Litzel-, Rua-, Schif-, Weiten- und Wistung) liegen bis 
aut das dritte alle so auffallend um Sinzheini zu einem 
Haufen gruppiert, dass es mit ihnen eine besondere Be- 
wandtnis haben muss. Da das Wort tiinc (tloiicf in dem 
Sinne von Hügel doch wahrscheinlich in Niederdeutschland 
beheimatet ist und dei älteste der tiniff-Orte schon im 
9. erscheint, liegt die Vermutung nahe, sie seien nieder- 
deutschen Ursprungs, etwa Sachsenkolonien aus Karls des 
Grollen Zeit. 

Lürrach, mit und ohne Umlaut beurkundet, ist SN. zu lor 
oder liiifn, das steinigen Boden, Geschiebe bezeichnet 
(b. Schweiz. Idiot.). 

Löwen: zu den Löwen 15. < l^i» = beiden Hügeln. 




140 Miedel 

Luchle: Lüchlin 17. = Löhlin, kleines Loh. 

Lttdiwanke = wanc des Ludo. 

Maisbach: Musebach 13., stets mit u, also zu müs = Mäuse- 
bach, worunter natürlich die Scher- oder Wassermaus zu 
verstehen, während 

Mais enbach^Maisabach^ Meisachbach = Bach am Holzsclilag ist. 

Malaien: Malaigen 13. aus malial'aügjun „bei den Mal-Auen". 

Malezreute: Malatzreütti 16. ^ Ma(da)lhartsreutin. 

Maisch (bei Ettlingen) im 11. Malska (latinis.) und Maische 
mit stark abgeschliffenem Grundwort aus mahal und mhd. 
scMe, also Umzäunung, Grenze der Gerichtsstätte. 

Maisch (bei Wiesloch), ähnlich dem vorigen verkürzt, doch 
falls die Form des cod. Laur. zu 783 Malscure verlässig 
ist, mit smira — Scheuer als Grundwort. 

Mappach: Madebach 9. ist ohne Beugungsendung im ersten 
Teil, also nicht zum PN. Mado, sondern zu mäd die Mahd, 
das Heu. 

Markholben, so schon 15. aus Mark und htilwe = wässerige 
Mulde. 

Markt hat offensichtlich eine doppelte Benennung: eine alte 
(nach einem Bach?) Matra 12., die vordeutsch sein mag, 
und eine, die erst im 13. erscheint: Merget, als der Ort 
vermutlich Marktrecht bekam. Bis ins 1 5. sind beide Namen 
noch nebeneinander üblich. 

Mar statt: Morstat 11. Ein PN. steckt darinnen; ob aber ^laro 
oder Moro ist zweifelhaft, eher der letztere. 

Mauchen. Die drei Orte dieses Namens sind seit dem 12. in 
lautlich so ähnlichen Formen überliefert (meist Muchein 
u. ä.), dass sie auf gleichen Ursprung schließen lassen. Die 
angeführten Erklärungen befriedigen wenig: ein Heim an 
einem zu diesem Zweck erfundenen Fluss Muche noch 
weniger als ein Heim von Räubern (niüKheo); denn solche 
sucht man viel mehr abseits der Heerstraße. Drei Muchen- 
bäche sind auch höchst unwahrscheinlich, drei Räuberorte 
noch eher denkbar. Aber solche nannte man nie heim. 
Wären es heim-Orte, so steckte wol im ersten Teil ein 
PN. Allein es gibt keinen, der sich fügt; überdies sehen 
die Formen allesamt aus, als ob heim dabei eine Rolle 
spielte, ohne dass es in gewöhnlicher Art das Grundwort 
wäre; ich vermute daher einen Flurnamen, bei dem 



Neuftuflage v 



I Kriegers Topogr. Wflrtci'bucli dea Grolili. Bnileli 141 



häufigeres Vorkommen nntUrlicb ist: Die Urform mag (ae 
den) inüchlieimin — „bei den (lauernden. Stamm wie müh- 
heo) Heimchen" gelautet hoben, bezeichnet also einen Ort, 
da es viele Grillen gibt. 

Maiilburg. Die erste Beurkundung als Murperch (8.j, die der 
nächsten um fast ein halbes Jahrtausend voraus ist, das 
Fehlen jeglicher Spur von Umlaut in den vielen Beurkun- 
dungen bis ins 16., der heulige Diphthong au und die 
.Mauerhalde als Flurname dort, schlielSen Muhlberg aus und 
gestatten nur die Erklärung Mauerberg. 

Meillenheira: Missenheim 13. muss nach den alten und der 
jetzigen Form zu schließen auf einen PN. Miso zurück- 
geben, der vielleicht zu m'ulftu meiden, schonen zu stellen 
ist (MUa bei Fm» I 1126). 

Messkirch. Diese Bezeichnung kenne ich als Gegensatz zur 
Predigtkirche. Ob sie freilich vor allem im Volk weiter 
verbreitet ist und ob sie schon im 1^. üblich gewesen, 
kann ich nicht entscheiden. Ein PN. Messo ist nicht wahr- 
scheinlich, um so weniger, als auch die von Bück angegebenen 
alten Formen unrichtig sind. 

Mettenberg: Mettinberg VA. ist einer, auf dem eine mettine. 
eine Frühmesse abgebalten wird. Dagegen 

Mettenzarten ist das mittlere Zarten, zwischen dem einfachen 
und Kirchzarten gelegen. So ist sicher auch 

Mettraa (Mettema 12.) als aus zer meitfmen aha „am mittleren 
Bach" entstanden im erklären, wenn auch vielleicht hier 
die Beziehung nicht mehr sn ohne weiteres festzustellen 
ist. Wie sollte auch das kleine NebenbSchlein einen vor- 
deutschen Namen haben, wenn der Hauptbach, die Schlucht, 
einen deutschen hat? Vgl. übrigens Mettnau, Mettenbuch 
und Mittelbach. 

Michelbach ist richtig zu michel groß zu stellen samt seinen 
fünf Namensvettern. Aber auch die andern mit Michel 
gebildeten Namen gehören nach Ausweis ihrer Formen dazu 
ausser dem ßlichelebauern, dem Michelshaus und -hof. 

Mindelsee. Der Bodensee deutsch, der Mindelsee vordeutsch! 
Wie kann man denn ein zwischen den zwei Armen des 
grollen Sees gelegenes Seelein besser und deutlicher be- 
zeichnen als mit Minder-see = der kleinere See. Die Dissi* 
milation r>l s. bei Maulbiirg. 



142 Miedel 

Minsein: Minsilido 8., später Minseiden = bei der Solde, Bauern- 
hütte des Mino (Fra* I 1125). 

Moggerenmühle: ze Mogern 15. ^ mor-geren, d. i. an dem 
Gehren, auf welchem Möhren wachsen. 

Mollen köpf: zu mhd. möUe Molch, Eidechse, also Berg mit 
Mollen. 

Molzau: Mols- und Molleso w 14. und 15. zu PN. Mollo. 

Morsch: Meriske 10., später Mersche, vielleicht aus maerih- 
skie zu ahd. niarah, marih Pferd und sMc Zaun, also Ein- 
zäunung, Hegeplatz für Pferde; vgl. Stuttgart und oben 
Maisch. 

Mosbach. Die älteste Form Mestbach 14. weist den Weg zu 
mist Schmutz, Unrat. 

Mucken Sturm halte auch ich im Hinblick auf die übrigen 
Orts- und Flurnamen mit Mucken- für einen Mückenflugort. 
Wäre wirklich turn das Grundwort, so könnte der bestim- 
mende PN. nur Muchini, nicht Mucco sein. Ein kelti- 
sches durum eines deutschen Mucco ist natürlich völlig 
abzulehnen. 

Mudau, 13. und 14. stets als Bachname Müdaha und ähnlich 
überliefert, gehört zu miiode matt, träge. Dissimilation 
von Wüdach ist kaum anzunehmen. 

Mulpenbühl: ohne alte F., ist vielleicht aus moltwerf-bühl 
(Maulwurfhügel) entstanden. 

Mutterslehen: des Muters len 14. zu PN. Muother. 

Mutzen brunn: Moczinbronne 14., also PN. Mozo. 

Nächstenbach (in der) Nestenbach 14., Nensten- (fürNehsten-?) 
ist zu verstehen wie heute: am nächstliegenden Bach; mhd. 
Superl. nf'St. 

Neckargerach, ursprünglich nur Geraha, ein kleines Bächlein, 
das also sehr wol die Ach am Gehr(n), am Zwickel (etwa 
da, wo sie in den Neckar mündet) genannt werden konnte. 

Nesselloch: Nessenloch 16. = am nassen Loh. 

Neumagen: Bach, ist erst seit 13. glaubhaft beurkundet, und 
zwar als fons Nümage; trotz seiner keltischen Schein- 
verwandten dünkt mir deutsche Ableitung natürlicher; aus 
(am) niuwe}i wage (= am frischen, ständig fließenden 
Wasser) musste obige Form werden. 

Nüstenbach: Nusten- und Nünstenbach 15. aus niuwen Stein- 
bach ? 



Neuauflage von Kriegers Topogr. Wörterbuch des Großh. Baden I43 

Obertsrot ist seit 15. eigentümlicherweise zu Obern zu Kode, 
Oberzenrode u. ä. geschrieben, so dass man sieht, die 
Schreiber wussten mit dem gehörten Wort nichts Rechtes 
anzufangen. Oberen zu Rod als = bei der obern Rodung 
zu erklären ist m. E. unzulässig, da eine solche Stellung 
des Adjektivattributs nicht üblich und die vorne stehende 
erste Präposition dann keinen Sinn hat. Wie in den 
meisten Rodenamen steckt auch hierin ein PN., und zwar 
Otbert y Obert; Obertsrode sprach man mit Svarabhakti vor 
rode (vgl. berief < Brief) Obertsarode und diesen Laut ver- 
suchten die Schreiber jeder auf andere Art wiederzugeben. 

Ödenbach: ötenbach 15. zu Otto. 

Offenbach im Woffenbach 16. zu WofFo = Wolfo. Der An- 
laut wurde wie Öfters zu m (wir y mir) und dieses als zur 
Präposition gehörig aufgefasst. 

Pfeffnang, schon 15. so, aus Pfaffin wang. 

Pfingstberg: an dem Flinßberg 15., also Berg am oder aus 
Flins(stein). 

Pfränglemühle und Pfrengleshof zu mhd. pitrenge die Ein- 
engung, also wol an einer Einschnürung eines Wasser- 
laufs gelegen. 

Plättig: das Bletych 16., ist SN. zu Platte, sei es im Sinne 
einer abgeholzten Stelle oder einer flachen Anhöhe; dazu 
auch die Plattenhöfe uf der (den) Blatten 15. 

Prechtal: Gebreche, Gebraech(t) 14. und 15. Besser als an 
einen gebrochenen Wald schiene mir an einen SN. zu brache 
(auch braclU) das Brachland zu denken. 

Prinschbach (Brünsbach 14.) und die zwei Prinzbäche gehen 
auf Bruno zurück und der bei Lahr (Brunsebach 13.) ge- 
nauer auf die nach Steub angeblich „wegen Kakophonie** 
gemiedene Verkleinerung Brunzo. 

Querbach: Querchbach 15. kann nicht wol das Adj. querch 
enthalten — was soll ein quer laufender Bach sein? — 
sondern zu querca Gurkel, Winkel, also Bach an oder mit 
winkelartiger Biegung. 

Raitbach und Raitenbuch, die beide auf Reitinbfich zurück- 
gehen, können, da sie auch sonst gar oft begegnen, un- 
möglich einen PN. zum Bestimmwort haben, sondern sind 
„Buchwald an der Reite*", d. h. an einem abgeschlossenen 
Gebiet (vgl. Hofreite). 



144 Miedel 

Kappeneck, -grund, -haus, -hof, -loch, -stein gehören am 
wahrscheinlichsten zum Vogel Rabe (ma. Rapp). 

Raumünzach. Dafür will mir romanische Ableitung nicht 
gefallen, weil ein SN. von Minze = Ort, wo viele M. wächst, 
näher liegt. 

Raußmühle: Rußmülen 15. zu ruzen rauschen. 

Reckenberg: 1514 Rökenberg aus Rokin-, Berg, wo Roggen 
gedeiht oder des Roko? 

Reinhardsachsen. Von einem „Gesäß des Reinhard^ kann 
nicht gut die Rede sein; die Mehrzahlform sassen wiese 
eher auf sazo der Siedler. Allein die Beurkundungen 
lauten bestimmt auf Sachsen, worauf auch noch der Sachsen- 
buckel dort zeigt. Wie z. B. Meinhardswinden die unter 
einem (Franken) Meinhard angesiedelten Wenden bedeutet, 
so R. die unter dem Reinhard stehenden Sachsen. 

Reinstetten: Rinstetten 14. Dazu stimmt lautlich weder Rain 
noch Regino, sondern nur Rihen- aus rtlte die Rinne. 

Reuental: Rüwendal 14. Die Reue, riutL'e, der Schmerz, passt 
lautlich zw^ar völlig, aber was soll ein solch sentimentaler 
Name zu so früher Zeit? Oder ist er klösterlichen Ursprungs? 
Ein im Allgau häufiges Räue, im 17. rewe geschrieben, das 
sumpfiges Ödland bezeichnet, scheint mir besser. 

Rheintal, stets mit i und doch weder am Rhein noch in einem 
dorthin sich öffnenden Tal. Ein Bach Rhein ist unwahr- 
scheinlich. Sollten die Nonnen, weil sie etwa vom Rhein 
kamen, das kleine Tal danach benannt haben? Oder gab 
es dort rin-anken = Renken? Oder wie Reinstetten? 

Rhena heißt vom 12. ab mit unwesentlichen Abweichungen 
stets Rehinouwe; eine Au mit Rehen müsste, da reh säch- 
lich ist, Rehouwe heißen. Ich kenne ein mundartliches 
Adj. reh, rech, das ausgedörrt, trocken bedeutet (besonders 
auf angeschnittenes, der Luft ausgesetztes Brot angewendet) 
und das hier guten Sinn gibt: an der trockenen Au. 

Riegel bei Bühl ist sicher und das bei Emmendingen wahr- 
scheinlich nichts anderes als ahd. rigü im Sinn von Sperre 
(an einer Grenze) wie (jrlndel in Gründelbuch. 

Rießhof vom Rise 15. Ohne Kenntnis der jetzigen Aussprache 
ist schwier zu entscheiden, ob rls das Reis oder riss der 
frisch aufgerissene Boden gemeint ist. Den verschiedenen 
y und dem heutigen ie nach zu schließen wol das erstere. 



?f«i»ufl»|[e von Eriefcera Topogr, Wnrtcrbuch des Großh. Baden 14B 

Hinken; die Fomieu Riucun u. ä. fiir den Hof bei Oberkirch 
stimmen zu rinc abgegrenzter Bezirk, Platz. 

Rittenweier: Rudwiler 15. < Rudinwiler zu Rudo. 

Rittnert: Rutenhart 14ti4 betrachte ich lieber als einen Wald, 
in dem man Ruten oder Riiten scbneidet. 

Rockenau: Raggen- und Rockenowe 14. zu Raggo. 

Rodeck = Eck am Rod, an der Rodung. 

Rahmbach: Ulvina in loco qui dicitur Ulvanowa zu 8: uive 
die Alge, also Ulvinafha) der Bach mit Algen und ebenso 
die dort liegende Au. 

Rombach: Ronubacli 15. zu run(ach) gefallene Baumstämme, 
Windwurf. 

Rot (bei Sauldorfj; Rode hat keinen Bach, von dem es benannt 
sein könnte, sondern liegt auf einsamer Höhe, wo nur von 
Rodung die Rede sein kann; so auch sieber bei den Rot 
im Offenburger, Wieslocher und Pforzheimer Bezirk. 

Rotsel; die urkundlichen Formen gewähren nicht genügend 
Aufschluss, ob aal oder W Grundwort ist, wahrscheinlich 
letzteres, so dass es = Rotzel ist. 

RUhrberg: Rftrberg 15. zu riwre die Wildspur. 

Rümpfen: Rumphenheira 13. von Rumpho ^ Rumfried. 

RäßwihI: Rüsn'il 13. aus Ruozinwil zu Ruozo, 

Saig ^ Seegge, Seige nicht zu segge Riedgras, das im Schwäbi- 
schen unbekannt ist, sondern zu seiiff Vertiefung mit 
Wasser. 

Salmensbach schon 15. bo, von Salman. 

Sarach: Sare; 14., ey = au, das oft mit ach wechselt; der 
1. Teil zu dem in der Schweiz häufigen sar Qeschiebe, 
also Au beim (aus) Steingeschiebe, 

Sasbnchried und -walden heiUt nicht „Sasbach im Ried" 
und .Sasbach der Walchen'', sondern das .Ried am Sas- 
bach" und „bei den Walchen am Sasbach" (vgl. Traun- 
walchen = die Walchen an der Traun). 

Sattelbach, -bogen, -grund, -hof sind mit satel im figürlichen 
Sinn („Einsattelung") zusammengesetzt, und zwar ist 
-bach- bftch (Buchwald), -bogen die Vertiefung selbst wie 
•grund und der Hof heibt Satellegi von lege = Lagerplatz. 

Säuhof auff der Seyen zu sihe WaesertUmpel. 
Saumerhof: Somershof zu rahd, xonmaere der Führer von 
Saumtieren. 
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146 



Miedet 



Schabenhauaen: Hieflir miichte ich die Baumannsche T^' 
kläruDg siehern, die im 1. Teil einen PN. Scarbo vermutet. 
Dessen Rest Bteckt in der mit sie! bezeichneten zweit- 
Klteaten seltsamen Form Zarbenhusen, die die Aussprache 
z' Schar benbusen wiedergeben soll. Ein gering gerolltes 
oder Züpfchen-r bewirkte die Schreibung Schaiben- uml 
endlich Sc haben hausen. 

Schadebirndorf und Schadenlandeck. Unter Vorbehalt 
einer Richtigstellung durch eine augenblicklich nickt mög- 
liche Aufklärung über die genaue Lage der Orte, möchte 
ich den ersten Teil trotz des alten d alB zu Schatten ge- 
hörig bezeichnen (vgl. Scbapbuch <^ Schatb&ch, wo auch 
öfters d), Schatten gibt die Nordlage im Gegensatz zu 
dem einfachen Birndorf und Landeck an. 

Schaffhauseu: Hier ist auf Königsschaff hausen verwiesen, wo 
J. Meyers Abhandlung angeführt wird, in der der Name 
mit Recht als Schafhäuser erklärt ist (b. hier insbesondere 
die Formen mit Schauf-!), Daneben ist aber irrtümlicher- 
weise die alte Deutung („am Röhricht") stehen geblieben. 

Schallberg: Nach den Formen Shalkeberg und Schalgisperc Uegl 
ein bald schwach bald stark gebeugter PN. Scaico zu Grund«. 

Schambach, schon 13., ku scam kurz, klein (vgl. Schmalbaclj]. 
Hierher wahrscheinlich auch 

Schembach ^ Scaminbach, dagegen 

Schempbnch nach der Form Schirm- eher = Schönenbach = 

Schobbach < Schonbach bei Freiburg. 

Schielberg: Scuhelberc 13, zu scuMn, .•^i-luifu-ii die Scheune 
(1 < n). 

Schienen: Scina 9., dann meist Schinun, vielleicht zu srhhif 
Schein im Sinuc von Ausblick. Der Scbiener Berg liegt 
meines Wissens nördlich von Schienen. 

Scbiftung: aller Wahrscheinlichkeit nach von schiff, aber Tiinp 
für oder wie ein Schilf? Oder an einer Überfahrt? 

Schildwende: Könnte wmdf = Umkehr nicht die umgekehrte 
Seite bedeuten? Dann wäre das Tal mit der Vertiefung 
* Schilds verglichen. 

Schindel: Schental 16. = im schönen Tal; vielleicht auch nocl) 
im Schindel bach und -bronn. 

Schlatten in dem Slatten 14., sonach en — a = ach; Scblattach 
ÜC äN. zu Schtatt. 





Neuanflaite von KrieRcrB Topo^rr. Wörterbuch ilea fJroßh. Buden 147 

i'hlechtbach, Schlenmülile und Schlehwald werden mit Recht 
zum Schlehdorn gestellt; aber Schlechtnau (Slechtloub 14.} 
will sich darein nicht fügen. Ea gehört zu sieht im ur- 
sprünglichen Sinn von „eben" : an der schlechten Au. Die 
Formen mit loub sind Dissimilationen: Schlechtnouw 
> Schlecbtloub. 

Schliefebühl enthält im 1. Teü schliefig = lehmig, rutschig, 
imiebbach und Schraiech (Schmiehen < Smiehah) gehört 
trotz Bück zu der Wasserente imiefie; der Name kommt 
ijfter vor, weil eben auch der Vogel häufig ist. Wenn 
Bück sagt, die so genannten Bliche seien ulle klein, Ja 
warum sollen wieder gerade kleine Boche vordeutsche 
Namen bekommen und behatten haben? 

Schmiehetm liegt am Schnitehbadi und hat ganz nutui'licli 
davon seinen Namen, • 

Schollbrunn: Schalbrunnen 14. zu scfKii trübe, ebenso 

ßchöUenbach: Schelenbach 14. 

Schrahöfe: Scliragenhof 15. wie ein Schrägen mit schrägen 
Hölzern gebaut? 

Scbrayen zu der Schreien ^ schrer/e Äbschrügung, Schräghang 
oder Einzäunung mit schräg befestigten Pföhlen. 
hriesheim: Scrizzesheiin 8. „zu einem PN." Sollte der 
Scrizzo nicht ein umgestellter Scirzo sein zum Stamm sklr 
bei Pm* I, 1308 (vgl. Kirse und Kriese)? 

Schromühle < Schrotmtile, wo Getreide geschrotet wird. 

Schupf: Sciffa 807, zu schiffen übersetzen, also Ache mit der 
Überfahrt. Warum soll ein solches BSchlein gerade wieder 
vordeutsch sein? Ihr Zwilling Umpfen — sollte der nicht 
schon vor dem 16. sich beurkundet finden? 

Schutter; Schuttera II. zu Schotter = Steingeröll von SchutI 
und schütten. Davon alle mit Schutter zusammengesetzten 
ON. 

Schwaben (Halbinsel am Rhein): Swabouva 11. Wegen des 
ständigen grundlosen Fehlens einer Beugungsendung wäre 
man versucht an den swrji, „Schweb" zu denken, wie man 
heute noch das Mittelwasser in See und Flnss am Boden- 
see nennt; also Au, die bis an den Schweb reicht. Frei- 
lich fehlt auch bei andern offenbar mit Schwabe gebildeten 
(IN. die Endung häufig. 

Schwackenreute: Schwaigkrftli 15. = Gereute au dir Schweige. 




1 48 Miedel 

Schweigbrunnen: Sweinebrune 14. zu mhd. swein der Hirte. 

Schweinenbach dagegen, Swinenbach 1 1 . zu ^f(;iiu>n schwinden 
(kaum zu swin Schwein). 

S ebenhausen schon 15. = Häuser ze den sewun (an den Seen). 
Dort verschiedene Sumpfmoore. 

Seckach: Seggalia 9. zu srge Wasserbett, Einsenkung. Dazu 
auch Segenba eh. 

Seelgut: Selgfit 15. ist = freies Herrengut. 

Seligental erscheint bald nach seiner Gründung 1236 teils als 
Seiden- teils als Seligental und ist eine künstliche Schöp- 
fung von Mönchen zu saelde und siUig. 

Sellhofen: Seihoffen 14. < Seid- zu Seide = Bauerngut. 

Sennberg: Sengteberc 13. ist Berg am Senget = Gesenge, wo 
Wald gesengt wurde. 

Sickenwald zum PN. Sicco. • 

Siebach: Sybach 16. von stge wässerige Mulde. 

Siedelbach: Sidellenbach 14.; eine Erklärung „zu sitM Sitz" 
sagt zu wenig; es ist der Bach, der von den Siedeln he^ 
kommt, wo also zuerst nur diese einzigen Wohnsitze waren. 

Sieferspring: Syf erspring 15. < Sife- d. i. Ursprung des sife, 
des Sumpfbachs. 

Sierenmoos: Sürimos 14. aus sürin mos „am sauern Moos% 
wo Sauergras wächst. 

Simelse: Similesaha 10., Bach des Similo (Simo von Sigmar). 

Simmelebühl ^ sinwellenbühl (= rund). 

Sinsenbach: Sintzenbach 15. zu Sinzo wie Sinzenhofen. 

Sippenesch: Syppenesch(ach) 15.; ob zu Sippo oder Sippe(?) 
ist nicht sicher zu entscheiden. 

Stegenbruck: in den Stöcken 16., ist nach der alten Form 
ohne weiteres klar. 

Steinenstatt: Stemaconstat 8., zweifellos verlesen oder ver- 
schrieben für steinacon-stat zum Adj. steinac „steinige 
StKtte^ 

Steinklingen erklärt sich von selbst bei Hinweis auf Klinge. 

Sternen barg ei^t seit 17., und zwar ebenso; wahrscheinlich 
aus Steren- von tier Widder oder Ebei*. 

Stettfeld: Stete(ii)yelt 14. könnte wie Steppach zu sUid Damm- 
hUffp, doch iat vielleicht stade im Sinn von gleicli- 
■u • 

sa ahd. stiuri groß (oder schön, 



Nenaoflage von Kriegers Topogr. Wörterbuch des Großh. Baden 149 

prächtig?) im Gegensatz zu einigen ganz kleinen Seiten- 
tälern des Eschbachs. 

Streichenberg: Strichen- 14.. Ob strich im Sinn von Holz- 
schlag gefasst werden kann, erscheint zweifelhaft; darum 
ist vielleicht eher an einen PN. Stiicho zu denken. 

Strubenaich 14. von struh struppig: Eichengestrüpp. 

Strumpf elbrunn: Strumpilbron 14.; strvmp(f) ist der Baum- 
strunk, strumpü (wie stu/rz-H) SN. dazu = Stockach. 

Suggental: Suckental 13. zu schwäb. sukke die Schweinsmutter, 
also Tal, in dem solche gehütet werden. 

Su sehet: Suszscheide 14.; der 2. Teil ist scheide = das, was 
scheidet; der 1. zweifelhaft, vielleicht von mhd. $M^e Jagd- 
hund? 

Tairnbach: Deymbach 15. < Tegirnbach (vgl. Tegirnowe). Ein 
anderer ehemaliger Tegembach (13.) heißt jetzt Dörnbach. 

Taubach (Tau**?): Tonnbach 15. Daran die Tombrücke, aus 
Ton(bach)brücke. Gehört zu ebenen tönen (am Mühl- 
wehr ?). 

Tiefenhäusern: Tiufherreshusun 9. PN. 

Tim OS in Timoswald und -wiesen ist Dinmfis 14. aus digen 
trocken und mtMS Moos. 

Tunau: Tünowe 14. wie Tunsei: Tounsul enthalten augenschein- 
lich den gleichen Stamm als Bestimmungswort; wahrschein- 
Uch ahd. duna Hügel, „Düne". Vgl. Pfaff, Deutsche ON. 
S. 10. 

Türrainhof im Tierrain 14. zu tier das Wild und Rain. 

Übental: Ülendal 14. zu PN. Ulo < Udalo. 

Überlingen — zu 613 Iburninga, 770 Iburinga, wovon die 
erstere Form nach der Entwicklung des Namens die rich- 
tige sein muss — ist nach Bück, Sehr. Bodensee XI, 111 
zu Ibur gestellt. Bück übersieht dabei das n , dessen 
regelrechten Übergang in 1 er doch eigens bespricht. Ibur- 
ninga kann nur auf Iburini zurückgehen, der bei Fm^ 1,439 
öfter nachgewiesen erscheint und = Eberwin ist. 

Überschlag als Name zweier Mühlen (Überslage) weist auf 
eine Einrichtung zum oberschlächtigen Betrieb des Mühl- 
rads. 

ühlbach: Wulpach 14. zu wu6l(-lache) = Bach, in dem Tiere 
sich wühlen. Wegen des Anlauts vgl. Woultingen == Uol- 
dingen. 



160 



Miedel 



Ullerst ze MUUers 14. Die Rrkllirang ßaumanns, dFa ein 

Wort niouliere, das Sumpfwiese bedeuten soll, zu Hilfe 
nimmt, kann nicht stimmen. Woher käme z. B. das s? 
Der Abfall des stets beurkundeten Anlauts m lässt auf 
regelmäLlig vorangehenden Artikel scIiIieLten, wie dies luicIi 
die Form von 1424 zum (ubern) M. zeigt. Somit läge eis 
ellipt. Rodename am nSchsten. Allein ein solcher atünde 
wieder so vereinzelt, dass man kaum daran denken darf. 
Der Ort liegt an einem Bach; dies und die Formen weiaeo 
auf eine Miible; mir gefiele am besten zem muliarzet —beim 
Mühlarzt. So wSre auch das t der heutigen Form erklärt. 
Der „MUhlarzt" ist freilich erst im Simplicissimus nach- 
gewiesen, mag aber wol um ein gut Stück älter sein. 

Ullisegel: Ullinsegil 13. zu scdiil = Sitz des Ullo, wie Buggen- 
segel. Letzteres möchte Pfaff, Alem. 22, 189 lieber m 
seige stellen; allein abgesehen davon, dass seufd dort eine 
ganz ungewöhnliche Verkleinerungsform wJire, wechselt in 
dem Namen schon anfangs VA. g und d, wie weithin (z,K> 
sogar für Wunsledel, Einsiedet) auch heute noch sigl ge- 
sprochen wird. 

Unterkessach: Chessaha 10. (1"2.) zu hsse = Kessel: dieini 
kesselTormigeu Tal fliellende Ach. 

Unterkrummen in dem (undern) Krumben 14. zu mbd. (der) 
krutnbe die Krümmung, 

Urlüffen: Urluflieim 12. aus Uro Ifs heim, wobei die Beugung«- 
endung der Häufung der Konsonanten weichen musst«. 

Ursenbach schon 15., zu PN. Urzo, 

Velltürün: Vellitürlin 13. ist ein PalltUrlein an einer Land- 
hege {hier Grafs chaftsgrenze). S. die Abbildung ein« 
solchen in den Deutschen Gauen VII, 190. Vgl. oben 
bei den Flurnamen unter Tor. 

Vimbuch; Vintbouhc 12, Ein W als Anlaut findet sich nicht; 
nur die Windecke dort lässt die Möglichkeit zu, ein solche» 
als ehedem vorhanden anzunehmen; dann wäre es vielUicIit 
ein Ort, wo es stark „windet" (etwa vom Bühler Tal herausi'). 

Vohenloh 16, zu mhd. oohe der Fuchs. 

Wagenschwand: Wachenswende 15, ist Schwende des Wacliu 
und nicht eines Waohinc, eine Meinung, die offenbar durch 
die Formen Wacht de veranlasst ist. 

Walde: Wäldin 13., im Bil- 



Neunufla«* ™n Krießere Tiipiiijr. Wnrterbuch cifB {lioHli. Bnilen Ifjl 

düngen auf iu, u sind Reste des Instrumentals, d«r auch 
als Dativ verwendet wurde. Ebenso WSlden, dagegen 
Waldenfeis und -hausen zum PN. Walto. 
Wehra: Werra(h) II. enthält keine keltischen Laute: uerrctt 
= zerstören, schaden, also ein „Bach, der viel schadet" 
(er ist auch grüU geni^ und wird es wol selbst jetzt noch 
tun). So vielleicht auch die Werren mit Werremnlthle 
und -häusle bei Weingarten. 
Weihbronn: Wihenbronneu 15. zu wih heilig; vgl. Schüll- 

bronn. 
Weißenburg bei Weisweil gewiss zu ui'us und nicht zu wiejso, 

von der Farbe des Steins, wie Weiläenstein. 
Welt, Neue, ist nicht seltene, im Schwäbischen und Altbayeri- 
Bchen vorkommende Benennung einer spKt kultivierten 
Gegend. 
Wespach: Weschbach 15., also in erster Linie zu wvschen 

waschen. 
Wiese; Wisa und Wise(n) 13. = Wis9 ist eine einfache 

Wisach, wie der Wiesenbach eben auch. 

Wieslet: Wiselat 12., vielleicht Sammelform zu Wiese, wie 

Birklet, Winklet, Nasset u.a., also Gegend mit zahlreichen 

Wiesen. 

Wiidtal: Wulp- und Wülptal 13. von mhd. iüh/;«» die Wöltin. 

Willenzheim: Wilatahaim 16. vom PN. Wiland. 

Windschläg: Windisleh 12. Die Erklärung ,le (Grabhügel) 

des Windo" ist an sich schon ziemlich unwahrscheinlich; 

außerdem macht es aber sowol die heutige Form wie die 

Beurkundungen vom 12. an, die meist auf h und ch endigen, 

I soviel wie sicher, dass ein gutturaler Auslaut vorhanden 

I var, was bei le nicht der Fall sein könnte. Was aber 

dies leh (oder sieh?) bedeutet, muas einstweilen offen bleiben. 

Wingerbach, so seit 17., im 14. Windacli-. Dies ein SN. 

zu Winde (die Ackerwinde): Winda > Wings > Winger; 

nd und ng wechseln öfter: Randen — Rangen, Swenden — 

Schwangen, Schiltwendi — Schiltwengy, Wendungen — 

Wenglingen, Widiwand — Widiwank; ferner s. oben 

Gr&ffingen. 

Winierhalden: Gegensatz zur Sommerhalde = Sonnenseite, 

vgl. die 
Winterseite bei 8t. BlaBien. 



/ 



1 52 Miedel— Neuauflage ▼. Kriegers Topogr.Worierbnch d. Großh. Baden 

Wirbstein 15. zu mhd. wirbe der Wirbel, Strudel. 

Wirrensegel: Wnrisegel 13., seinen alten Formen nach eher zu 
iouari = Wasserdamm als zu PN. Wirro. Sonst ygl. die 
ebendort befindlichen Buggen- und Ullisegel. 

Wislangen 14. aus Wisinwangen über Wisinangen; ob zu wise 
oder Wiso kann ich aber nicht entscheiden. 

Witholz: Witteholz 13. zu ahd. wüu Wald. 

Wittental: Witental 14. zu wU: im weiten Tal. 

Wolfhühl, alle drei zu hiilwe, hüd: Sumpfmulde, in der sich 
Wölfe aufhalten. 

Wolfristkopf: BoUevirst 13. zu bei Hügel und first Höhe- 
punkt. 

Wöllingen kann nach den echten alten Formen nur auf Wenilo 
und nicht auf Wello zurückgehen. 

Wurm am gleichnamigen Bach (sollte angegeben sein) ist kaum 
vordeutsch; leider aber erst seit 13. beurkundet (Wirme), 
darum nicht sicher zu erklären, vielleicht aus Wirbenach 
= die Wirbel-ach. 

Zäh ringen, seit 1100 Zaringen. Warum hierin ein keltisch- 
romanischer Tarus oder ein unverschobener germanischer 
Name Taro angenommen wird, ist deswegen nicht recht 
einzusehen, weil ja die PN. Zaro und Zarald auch sonst 
nachgewiesen sind, wenn auch deren Erklärung Schwierig- 
keiten verursacht. Saro wäre dann möglich, wenn man 
sich den ON. aus z'Saringen entstanden denken will^ 

Zeilen, bis 1500 herein als Zila erscheinend, weist auf SN. 
Zilach (Buschwerk) zu /sU (also aus Zila). 

Zienken: Züinkon, Zünchoven 13. und 14. muss auf dem Weg 
Züjinc- ^ Zuginchoven geworden sein, gehött also zu Zuge 
(Fm* I, 1675). Es heißt: „bei den Höfen der Zuginge", 
der Sippe des Zugo; denn so sind die ON. auf inghoven 
und ingheim zweifellos aufzufassen. Ist eine Einzelperson 
mit einem patronymisch gebildeten Namen namengebend, 
so erscheint die Oenitivendung wie in Hirczslingishoven, 
Hemmingisbach u. a. 

Zwerisberg: der hof ze Weri(n)sperc 14. also zu Werino 
(s. bei Fm2 I, 1540). 



* Vgl. F. Pfaff, Volkskunde im Breisgau S. 18. 



Der Name Sneweli. 

Von Fridrich Pfaff. 

Alemannia N. F. 5. (1904), 299—316 habeich den Namen 
des an Ausbreitung und Besitz hervorragendsten Geschlechts 
des Freiburger Stadtadels erklärt als Übername, ähnlich wie 
Frost, Hagelstein, Kiesling, Nordwind, Regen, Schauer, Tagtau 
usw., gebildet als Verkleinerung des ahd. sneo, snewes. Da 
diese Übernamen ihren Ursprung in persönlichen Eigenschaften, 
Erlebnissen und Erzählungen, Witzworten und Schwänken zu 
haben pflegen, konnte ich methodischerweise an die alte 
zuerst aus Konstanz belegte Schwabengeschichte vom Schnee- 
kind anknüpfen. Lautliche Verbindung mit dem gleichfalls 
als Namenwort erscheinenden mhd. snaM musste ich durch- 
aus ablehnen. Wie aus meinen Anmerkungen hervorgeht, 
hat sich der verdienstvolle oberländische Geschichtschreiber 
Joseph Bader mehrfach mit den Snewelin beschäftigt. 
Es sei hier nachgetragen, dass auch Bader gerade den 
Namen der Snewelin behandelt hat, und zwar (einesteils in 
aus lautlichen Gründen unbedingt abzulehnendem, andem- 
teils in ähnlichem Sinne wie ich. Die geschichtlichen und 
sprachlichen Bemerkungen Josef Baders müssen wol mit Vor- 
sicht aufgenommen werden, da sie so manches Mal weder 
genügend begründet noch allseitig überlegt und ausgereift 
erscheinen; jedoch wird man Baders Scharfsinn und seinem 
auf große Belesenheit gestützten Urteil doch gebührende 
Achtung nicht versagen dürfen. So mögen auch seine zu 
der 1858 unternommenen und 1862 in seiner Badenia ab- 
gedruckten lesenswerten und anregenden «Schwarzwald- 



164 ffflff 

Wanderung" vorgetragenen Ansichten hier noch einmal mit- 
geteilt werden. 

Bader stellt (Badenia H, 1862, S. 246) den alten Frei- 
herren und Rittern die städtischen ,Dien8tniänner", die Patri- 
zier gogenüber, welche ,sie durch sparsame Wirtechtftlichkeit 
überflügelten und ihre wachsenden Geldverlegenheiten, ihre 
steigenden MisageBchicke erfolgreich zum eigenen Vorteil 
benützten" — Zwitternaturen, die mit dem Soldaten den 
Geschäfts- und Geldmann verbanden — Emporkömmlinge. 
.Ein solches Geschlecht nun waren die freiburgischen Ritt«r 
Schnewelin . . . Diese Schnewelin sind eine merkwQrdige 
Erscheinung. Sie vermehrten sich wie der Sand am Meere' 
und wuchsen so schnell zu den Rothschilds des Breisgaus 
heran, dass man versucht wird, hinter ihnen eine gemeio- 
schaftliche Abstammung mit den Geldfürsten unserer Zeit zu 
vermuten. Ihr Familien - Namen wenigstens würde einer 
solchen Herkunft nicht widersprechen." Hierzu macht Bader 
die Anmerkung(S. 247, 13): „Schnewelin ist ein Übernamen, 
der entweder vom altd. snahd, snavel (rustrum) herkommt und 
Schnabdem bedeutet, wie nach einer ürkmide von 1418 der 
Schnabelin dkhts de Ichenheim; Dller von sneo, snew (nix), k 
welchem Falle derselbe mit Schneemännlein zu geben wän. 
Übrigens kommt er schon früh in verschiedenen Gegenden 
vor, so 1323 (cod. Salem. IV, 141) ein fraier C. didas Snaedi, 
magister in Buchiiouplen, und 1350 ein Claus SnewfU» « 
Dankstetten im Elettgau (Archiv S. Blasien).* 

Baders Mangel an sprachgeschichtUcher Schulung ließ 
ihn hier den Namen Siwwdi in die unmögliche Verbindung 
zu mhd. snabel bringen , seine behende Einbildungski-aft lieÜ 
ihn gar gemeinschaftliche alttestamentliclie Abstammung der 
Snewelin mit den Rothschilds vermuten , die , wenn auch 
nicht ganz unmöglich, — denn wie die neuere Geschichts- 
forschung im Gegensatz zu der aufklärerisch gefärbten älteren 
zeigt, waren die Juden auch im späteren Mittelalter nicht 
recht- und machtlos — doch keineswegs wahrscheiidich ist 
Was ihm wie mir aufüel, war das plötzliche öffentliche Auf- 
SoewBlin in hohen Ehieustellen und als 



Der Name iSDeweli 155 

Kapitalisten und ihr auf niedere Abstammung deutender Name, 
der doch ohne Zweifel als spöttisch gemeinter Übername an- 
zusehen ist. Kommt dazu noch die im Modus Liebinc usw. 
erzählte weitbekannte Schwabengeschichte vom Schneekind, 
deren Zusammenhang mit dem Namen der Snewelin wahr- 
scheinlich ist, so liegt der von mir bereits an jener Stelle 
gezogene Schluss auf die Abstanunung dieses reichverzweigten 
imd reichbegüterten Freiburger Stadtjunkergeschlechts nah. 



Anzeigen und Nachrichten. 

Karl Künstle» Die Kunst des Klosters Reichenau im IX. und 
X. Jahrhundert und der neuentdeckte karolingische Ge- 
mäldezyklus zu Goldbach bei Überlingen. Festschrift zum 
HO. Geburtstage Sr. Königl. Hoheit des Großherzogs Friedrich von 
Baden. Mit Unterstützung des Großh. Ministeriums der Justiz, 
des Kultus und Unterrichts. Freiburg i. Br., Herder, 1906. VI u. 
62 S. 4^ Mit 4 färb. Tafeln. M. 20.—. 

Diese, nach Inhalt und Ausstattung gleich gediegene Fest- 
schrift zum 80. Geburtstag des Großherzogs von Baden be- 
deutet einen namhaften Portschritt in der Erforschung der Ge- 
schichte der Malerei auf deutschem Boden in karolingischer and 
nachkarolingischer Zeit. Der um die Aufdeckung alter Wand- 
gemälde auf und um Reichenau, dieser ersten und hervor- 
ragendsten Kunst- und Kulturstätte Badens im frühen Mittel- 
alter, vielfach verdiente Verfasser knüpft hier an die von seinem 
Lehrer Kraus im Jahre 1902 veröffentlichten Gemäldefunde im 
Chor der uralten Silvesterkapelle zu Goldbach am Überlingersee 
an, behandelt eingehend die weiterhin im Sommer 1904 im 
Langhaus der Kapelle zum Vorschein gekommenen bildlichen 
Darstellungen aus dem Neuen Testament mit Mäanderfriesen, 
Heiligen- und Donatorenfiguren im Zusammenhang mit der 
übrigen Kunstübung der Reichenauer Malerschule jener Zeit 
und gelangt dabei zu hochwichtigen, von Kraus wesentlich ab- 
weichenden Ergebnissen. 

Nach einem einleitenden Überblick über die Anfönge der 
Reichenau am Ausgang des ersten Viertels des 8. Jahrhunderts 
geht der VerÜEtsser näher ayif die Kunstgeschichte des Klosters 
im 9. und 10. Jahrhundert ein, wie sie sich in den Kirchen- 
banten anf der InBel, in deren Wandgemälden und der Miniatur- 
nudcni dar Beielianaiier Mönche darstellen, und kommt schon 

1, die .bisherige Forschung bedeutsam 



Aüieigen and Nachrichten 



157 



überholenden Zeit- und Wertbestinimungen. Mit Sorgfalt und 
feinem Verständnis untersucht er dann das Kirchlein zu Gold- 
bach, den alten und den neuen Bilderfund in demselben und 
kommt nach allseitiger Betrachtung der OemSlde zu dem ge- 
sicherten Schlüsse, dass dieselben nicht mit Kraus erst dem 
ID., sondern ebenso wie der Oberzelier Zyklus schon dem Ende 
des 9. Jahrhunderts, genauer der Zeit des Abts Hatto II. 
888 — 913 zuzuweisen sind. Beide Zyklen gehören also nicht 
der ottouiscji^en Renaissance, sondern noch der karolingischen 
Epoche an und „sind die ältesten Erzeugnisse monumentaler 
Wandmalerei, die uns diesseits der Alpen erhalten sind". Mit- 
ausschlaggebend für diese Altersbestimmung sind neben dem 
Karakter der Bilder selbst die auf ihnen dargestellten Gründer 
des Goldbacher Eigenkirchleins, ein näher nicht bekannter 
Winidhere und seine Gemahlin Hiltepurg, die bald nach 874 
die kleine Martinskirche am Ufer des Üb erlin gersees erbaut 
bzw. zu Ehren des heiligen Priscianus erweitert und mit Ge- 
mälden reich geschmückt haben. Leider geben die Quellen über 
die Psrson des edlen Winidhere und seine Beziehungen zu 
Reichenau, der berühmtesten Schule christlicher Kunst und 
Wissenschaft im 9. und 10. Jahrhundert auf deutschem Boden, 
keine weitere Auskunft, doch glaube ich mit einiger Wahr- 
scheinlichkeit behaupten zu können, dass er jener EdelfamiHe 
der von Goldbach angehört hat, die der Geschichte zufolge um 
die Wende des 11. Jahrhunderts die einflusareiche Vogtei über 
das Kloster Reichenau innehatte. Arnulf (von Goldbach) hieU 
dieser Sprosse des Geschlechts, der nach dem hinderlosen Tode 
des jungen Vogts Hermann (von Königseck-Degernau) am 
26, September 1094 in den Besitz der sonst nur vom hohen 
Adel bekleideten Reichenauer Vogtwürde gelangte und sie noch 
1110 ausübte; er war vielleicht ein direkter Nachkomme unseres 
frommen Winidhere und dieser somit durch Arnulfs Amtsvor- 
gSnger ein Angehöriger der Königseck -Degernauschen Seitenlinie 
des groUen habsburg-zähringischen Stamms, was auf unsern 
ganzen Gegenstand eine neue Perspektive eröffnen würde. 

Zum Schlüsse würdigt Künstle die Bedeutung der Gold- 
bacher und Oberzelier Gemädezyklen für die Reichenauer 
Miniaturmalerei und macht sehr wahrscheinlich, dass diese 
letzten Ausläufer der monumentalen Wandmalerei der karolingi- 

I Zeit den geschickten Miniatoren des lU, Jahrhunderts, 




A 



168 



Aii£ei|[eii nnH Nacbricht«ii 



die, alle der Reichenauer Malerschule angehörig, jeneo reicn 
entwickelten neutestamentlichen Bilderkreia in den HandEchriften 
der oftonischen Renaissance geschaffen, zur Anregung gedient 
haben. Auch damit eilt der Verfasser der bisherigen Forschung 
voraus und rückt die Beurteilung der Kunstgeschichte jener 
Zeit in neue Beleuchtung. Und so ist seine Festgabe zum dies- 
jährigen GrolJherzogsjubiläum nicht bloli für die lokale und 
territoriale, sondern auch für die allgemeine deutsche Geschichte 
und Kunstgeschichte von größter Verdienstlichlteit , die er 
hoffentlich bald durch weitere Erfolge seines Eindringens in 
die früheste Vergangenheit der Reichenau, seine spezielle Do- 
mfine, vermehren wird. 



Freiburg i. Br. 



F. Albert. 



IlRnknOrdigkeiteu des Mark^afi-n WUhi-Ini tum Itadcri, hernuBgcgeb«» 
von der Badischea Histuriachen Kommiasioti. bearbeitet vüd Karl 
Obser. Erster Band. 1792-1810. Heidelberg, Karl Win t«r. IflOfi. 
XXIII u. 560 S. 8". 
Markgraf Wilhelm von Baden (I79'2— 1859) hat sehr um- 
fangreiche Denkwürdigkeiten hinterlassen, welche auf Grund 
von Tagebüchern, Erinnerungen, aber auch von Akten gearbeitet 
sind und die Zeit von 1792 — 1847 behandeln. Die badische 
historische Kommission hat im Jahre 1903 die Herausgabe dieser 
Denkwürdigkeiten beschlossen, von denen nun der erste Band 
(17öe— 1818) vorliegt. Er bietet von Anfang bis zu Ende eine 
höchst fesselnde Lektüre, sei es dass der Verfasser von seinem 
eigenen Handwerk, dem des Kriegs erzählt, in dem er sich 
zuerst auf Seiten Napoleons (1709^1813), dann auf der der 
Verbündeten so glänzend bewährt hat, sei es dass er uns an 
die Höfe der Fürsten, in Verhandlungen und Festlichkeiten, 
führt oder die überaus einfachen und doch so anziehenden 
heimischen Karlsruher Verhältnisse schildert. Ist so, wie gesagt. 
alles in dem Bande interessant, so gilt das doch von einzelnen 
Alischnitten in erhöhtem MaLie. Besonders ist hervorzuheben 
die in ihrer Einfachheit wahrhaft erschütternde Schilderung des 
Rückzugs der grollen Armee aus Riissland. Es ist im übrigen 
unmüglich im Rahmen dieser kurzen Anzeige einen Begriff von 
^der Reichhaltigkeit des Inhalts dieser Fublikation, die gelesen 
n V ^ und e« mag nur noch auf folgende Einzel- 

{ den. Die Rücksichtslosigkeit der neor 



Anzeigen nnd Nachriehter 



159 



französischen Kriepfulirungf zeigt eine Nnchricht des Verfassers, 
damals Adjutanten Massenaa (S. 79), wonach, uro eine Brücke frei 
zu machen, die darauf liegenden Toten und Verwundeten, 
auch Leichtverwundete, darunter franKüsische Stabsoffiziere, 
in die reißenden Fluten der Traun geworfen wurden, wo sie 
rettungslos ertranken. Zur Charakteristik Jerömes, dessen — 
gelinde gesagt — Absonderlichkeiten heutzutage in der Ge- 
schichtschreibung häufig zu sehr zurücktreten, liefert folgender 
Satz einen Beitrag (S. 130): „Im Rückweg schoss der König 
mit der Pistole nach zahmen Schweinen" — „was mir sehr 
auffiel", wie der Markgraf trocken hinzufügt. — Der nationale 
Hass zwischen Deutschen und Franzosen innerhalb der großen 
Armee wird gut illustriert durch die Mitteilungen auf S. 208 : 
„Kein Deutscher durfte an einem -von Franzosen angemachten 
Feuer stehen, um sich zu wärmen" usf. -- Von Groliherzog 
Karl werden manche Züge überliefert, die festgehalten zu werden 
verdienen. — Die Seh lachten Schilderungen von Aspern und 
Wagram, von dem wechselnden Standpunkt eines vielbeschäf- 
tigten Adjutanten aus aufgenommen, sind sehr beachtenswert. ^ 
Es sei ferner auf die Darstellung der Bemühungen des jungen 
Grafen Hochberg um die Durchsetzung der Sukzessionsf^higkeit 
seiner Linie verwiesen. — Jeder deutsche Leser wird sich 
über die Tatsache freuen, dass die badiachen Truppen, auch in 
den Zeiten, in denen eine beklagenswerte Notlage des Staats 
sie unter französischer Führung kämpfen Hell, sich gut, ja 
häufig höchst glorreich geschlagen haben. 

Die badiscbe historische Kommission hat durch diese 
Publikation ihren zahlreichen Verdiensten ein neues hinzugefügt. 
Die Herausgabe des Bands wurde den bewährten Händen 
von <.)bser anvertraut, der sich seiner Aufgabe mit üblicher 
Umsicht und dem schönsten Erfolge entledigt hat. Sein Vor- 
wort orientiert vortrefflich über die Entstehung der Denk- 
würdigkeiten. In den reichhaltigen, nie versagenden An- 
merkungen steckt sehr viel mühsamer und nützlichster Arbeit. 
Im Anhang werden 47 Aktenstücke mitgeteilt. Das Werk ist 
geschmückt durch die Wiedergabe eines Schröderschen Porträts 
vom Jahre 1809 aus dem Besitz des Fürsten Hohen lohe- Lange n- 
barg, das Uen damaligen Grafen ilocliberg in blendender Jugend- 
wbanheit zeigt. 

i'ceiburg i. br. Adalbert Wahl. 



160 Anzeigen und Nachricliten 

Dr* J. Miedely Führer d. Memmingen u. Umgebung. Memmingen, Otto, 19O0. 

Dem „Führer durch Kempten und Umgebung** von Max 
Förderreuther reiht sich dieser Memminger Führer würdig an. 
Ganz vortrefflich ausgestattet mit Illustrationen, Stadtplan und 
geologischer Skizze befriedigt er alle Ansprüche, welche man 
heutzutage an einen solchen „Führer** stellen kann. Schon 
der treffliche Abriss der Stadtgeschichte lohnt die Anschaf- 
fung des hübschen Büchleins, welches zugleich von kunst- 
geschichtlichem und kulturhistorischem Standpunkte aus reiche 
Aufschlüsse über die Entwicklung dieser interessanten schwä- 
bischen ehemaligen Reichsstadt gewährt und daher mehr als 
nur lokales Interesse bietet. Der Verfasser, seit längerer Zeit 
als Gymnasiallehrer, Vorstand des Altertumsvereins und seiner 
reichhaltigen Sammlung in Memmingen lebend, war zur Ab- 
fassung eines derartigen Werkchens berufen wie wenige , und 
hat daher ein Werk von allgemeinem und bleibendem Wert ge- 
liefert, welchem wir recht allgemeine Verbreitung wünschen. Der 
Naturwissenschaftler, wie der Historiker und Kunsthistoriker 
werden aus demselben reiche Belehrung schöpfen. Von den 
Abbildungen erscheint uns als besonders gut gelungen der 
hl. Andreas aus der Frauenkirche (Vierfarbendruck, die Ab- 
bildungen aus Ottobeuren, das Obergestühl der St. Martinskirche 
u. a.). Dass auch die Ortsnamen entsprechende, sachverständige 
Erklärung gefunden haben (Verfasser ist auf diesem Gebiete als 
tüchtiger Forscher durch mehrere Arbeiten bekannt), vermehrt 
noch den Wert des sehr empfehlenswerten Büchleins. 

St. Gallen. Karl Uibeleisen. 

Bitte. 

Bezugnehmend auf die von Professor F. Pf äff Alemannia N. F. VI, 78 
und im ersten Heft dor , Blätter des Badischen Vereins für Volkskunde* 
erlassene Umfrage über Ortsneckereien und Ortslitaneien, sowie auf 
seinen Alemannia ebenda 8. 153 und im zweiten Heft der ^Blätter des 
Badischen Vereins für Volkskunde* erschienenen Aufsatz , Dorfsprüche 
oder Ortslitaneien aus dem badischen Oberland* bitte ich, ähnlichen Stoff 
aus dem badischen Unterland, südlich einschließlich der Ämter Karls- 
ruhe und Pforzheim, an mich einsenden zu wollen. Wünschenswert ist 
es, dass Spottnamen und Spottverse möglichst so aufgezeichnet werden, 
wie sie im Umlauf sind, also mit mundartlichen Formen. 

Heidelberg, Hrückenstr. 16. Professor Dr. B. Kahle. 



Die Dreisam. 

Von Fridrich Pfaff. 

An der Landstraß, die dur des Tal und witer durs felsig 
Hölletal nuf un ins Schwobeland nus zieht, lit Zarte — me 

siehts wol. 
In ere gringen Entfernung vu dem chunnt* Burg; ober dem 

fließt 
Us der Wagesteig her en Bach, i cha* sin Name nit nenne, 
Herwärts vun Buechebach mit dem Ibach zsemme^ der sei* isch 
Usem Ibetal hercho^ Tummlet® hen^ si si beede^ 
Hen ufern Weg enander dßLS un deis* jez zverzehle, 
Abers vermehrt si Gesellschaft e chlei Viertelstündli vor Burg 

drus 
Mit eme Brüederle, das usem Hölletal vu de Felse 
Un vum Hirzsprung*^ hinte vor über Felsen und Stei stürzt. 
Großi Freud hen die drü^^, sie fallen enander um dHäls un 
Wechsle höflige Rede; keis^* will vorm andre sErst si. 
Un der Höllebach seit^^: „Min Name chan i nit bhalte; 
Bini nit im Himmelreich gsi un wandle mer jez nit 
In dem schöne Tal? So loset ^* denn, w^as i will vorschla^^: 
Sin mer zsemme nit drü? so w^emmer^® denn Drüzsemme 

heiße**. 
„Seigs^^ so", hen die andere gseit un dusse^® vor Zarte 
Het" me si tauft ^®, jez heiße si Drüzsem, un D reis am uf 

hochdütsch. — 

' chunnt, kommt. • cha, kann. ' zsemme, zusammen. * der sei, 
derselbe. * hercho, hergekommen. ® tummlet, geeilt. ' hen, haben. ® heede, 
beide, männliche Form. • das un deis, dies und das. *° Hirzsprung, 
Hirschsprung; Hirz alemannische Form. ^' (/rü, drei. ^^ keis, Vem^. ^^ seit, 
sagt. " loset, höret. ** varschla, vorschlagen. ** wemmer, wollen wir. 
" seigs, sei es. '^ dusse, draußen, alemannisch aus da uzen, ^* het me, hat 
man. *^ tauft, getauft, zu got. daupjan, also mit gesetzmäßigem Umlaut. 
Alemannia N. F. 8, 8. n 



162 Pfaff 

Des henner ^* guet gmacht, ihr Flüssli, z Friburg wird men 

i" lobe, 
Eu*^ wird dStadt ufstoh**, me*^ wird ichs^® Burgerrecht 

schenke, 
Un in alle Gasse wereter*^ därfe hantiere! 

Diese hübschen Verse von Dr. Ferdinand Bieclieler^* 
suchen den fremdartigen Namen des Bergflüsschens, au dem 
Freiburg liegt, auf ansprechende Weise, wenn auch nicht sprach- 
wissenschaftlich, so doch dichterisch zu erklären. Die Mundart, 
in der sie reden, ist nioht eigentlich die von Freiburg, denn das 
Dreisamtal gehört zuia niederalemannischen Gebiet, das sich 
vom hochalemannischen im wesentlichen durch die nicht durch- 
geführte Verschiebung des h zu ch unterscheidet. Hebels 
Einfluss zeigt sich nicht nur darin, dass der holperige, un- 
geeignete Hexameter als Versform gewählt ist, sondern auch 
in dem wiesentälerischen ch für das schriftdeutsche i, das auch 
in Freiburg herrscht. So chtintit für kommt, clia für kann, 
liercho für hergekommen usw. ^^. Im übrigen ist die Mundart, 
namentlich was die Satzformen, d. h. die verschiedene Be- 
handlung der im An- oder Inlaut des Satzes, unter Hocli- 
oder Tiefton stehenden Formen angeht, gut beobachtet. Ich 
versage mir es, Lautschrift anzuwenden oder auch nur Länge 
und Kürze richtig zu bezeichnen, um unser an das Satzbild 
der Schriftsprache gewöhntes Auge nicht zu stören. 

Mancher fremde Besucher Freiburgs wird im Sommer und 
Winter vielleicht vergeblich nach dem Wasser Dreisam aus- 
schauen. Wol sieht er das sorglich eingedämmte, von mehreren 
neuen Brücken und Stegen überspannte Flussbett, welches die 
alte Stadt von der südlichen Vorstadt Wiehre^® trennt, und er- 
fährt wol, dass dies die Dreisam vorstellt; aber Wasser sieht er 



•* henner, habt ihr. *' f, euch, Akk., tieftonige Form. *' eii, euch. 
Dat. '* ufstoh, offenstehen. •* we, man. '• ichs, euch das. *' weretery 
werdet ihr. 

** Aus »Freiburgs Genius", Freiburg 1838. Sonst auch im Badischen 
•Wneli Yon Waibel und Flamm, Bd. Freiburg und Breisgau, 1899, 8. 83. 
^ Bohnenberger, Alemannia N. F. I, 1900, S. 124 ff. 
*mtor, wüer, teuere, Damm, Wehr. 



Die DreisHin 



163 



nicht darin, nur Steingeröll, das trockneü Fußes überaeluntten 
werden kann. Wenn er dann weiterfi-agt, erfährt er noch, 
dasa das in wasserarmen Zeiten unzureichende Wasser der 
Dreisani oberhalb Freiburge abgefangen und, in Gewerbekanäle 
und Straßenbächloin abgeleitet, der Stadt Frondienste leisten 
muss. Er verachtet vielleicht das schwache Flüselein. Aber 
achten, ja fürchten würde er es, wenn er es sähe wie im 
Winter 1896, da es oben im Tal Häuser zerstörte, hier in 
Frei bürg die Seh wabentorbr (icke wegriss und mit ihr das 
Lehen der beiden obersten staatlichen Verwaltungsbeamten 
raubte, das des Oberbürgermeisters bedrohte, die Dreisara- 
BtraUe zernagte, so dfiss auch hier die stolzen Stadthäuser 
gefährdet waren, dasa alle Brücken unsicher wurden und 
schlieÜlich aller Verkehr mit dem Stadtteil Wiehre unter- 
brochen ward. In mannshohen braunen Wogen schoss das 
Flilsslein dahin, unzählige Felsblfleke donnenid und polternd 
dahinwälzend. So zeigte es seine Natur als boshafter Berg- 
kobold, dem mau Fesseln und Bande anlegen muss, damit er 
sich gesittet beträgt, wie unter Kulturwesen geziemt. 

Also kein Luftgebilde dichterisches Gedankentlugs ist 
unsre Dreisam. Und trotz ihrer Tücke und ihrer häufigen 
Abwesenheit lieben wir Freiburger sie, ja wir haben Ursache, 
ihren Namen mit der Ehrfurcht zu nennen, die das Alter ein- 
flößt, denn älter als die Stadt Freiburg ist die Dreisam. Als 
Naturgebilde hat sie selbstverständlich den Vortritt vor einem 
Menscheuwerk wie unsre erst 1120 von Konrad von Zähringen, 
dem Sohne Herzog Bertolds IL und Nachfolger seines 
altem Bruders Bertolds Hl., gegründete „freie Burg". Und 
wenn auch die Dreisam völlig versickerte, so würden doch 
die das ganze bei Freiburg von Osten her mündende Ge- 
birgstal und die vorliegende Ebne füllenden, nur spärlich 
durch die Ackerkrume verhüllten Geröll- und Geschiebemassen 
deutlich von ihrem ehemaligen Dasein reden. Ich meine viel- 
mehr die urkundlichen Erwähnungen ihr^ Namens, Schon 
864 wird das fluvium Dreishna, 1008 ßumen Treisanm, 1094 
, fiaeium Treisma genannt; später erscheint sie verlateint als 
K Treyaenia 1234 und deutsch Treiseme, Treissme, Trcsrme im 




Ifi4 



Pfaff 



13., 14. und 15. Jalirhundei-t '"'. Der lieutige Freiburger äSöfft 
sie Dreisfftne (Traishnä). 

Auf den Flussnamen werde ich weiter unten genauer ein- 
gehen: zunächst will ich feststellen, wöb ehedem Dreisam lüell 
und heute Dreisam heiüt, denn merkwürdigerweise ist das Ge- 
biet des letztere« weit kleiner als das des ersteren. -Dreisani 
heißt heute der Flusslauf vom Zusammentritt des durchs Höllen- 
tal herabkomm enden Rotbachs und des Wagensteigbachs 
zwischen Burg und Zarten, 8 km oberhalb Freiburg, an, dann 
bis Freiburg und von da nordweathch durch den die Kbne be- 
deckenden Mooswald in die Maich und zwischen deren niederen 
Lösshügehi und dem vereinzelt aus der Rlieinebene aufragenden 
Kaiserstuhl bei Nimburg und Eichstetteu liindurch zum alten 
Riegel, wo Dreisam, Glotter und Elz zusammen in den Leopolds- 
kanal sich ergielien. Er mündet dann bei Ober- und Nieder- 
hausen in den Rhein. Von Neuersliausen in der March an zieht 
sieh zum Kaiserstuhlgebirge hin und viclgewunden an diesem 
entlang auch bis zum Leopoldskanal die „alte Dreisam', dif 
das alte Bett vor der Geradelegung und Eindämmung des 
eigensinnigen und gewalttätigen Flilssleins darstellt. 

So ungefilhr liat Dr. Biecheler in seinem Gedichte die 
Sache bereits dargestellt; wo Ibenbach, HUllenbach und der 
Bach aus der Wagensteige, ,ich kann seinen Namen nieiit 
nennen", zusammenkommen, da beginnt die Dreisam. Frei- 
lich hätten andre Bäche auch Erwähnung veidieut, zumal 
sie zum Teil stark genug sind, um sich mit den andern 
Wassern, die die heutige Dreisam bilden, um die Ehre streiten 
zu kOnnen, auch ihren wesentlichen Anteil am Zustandekommen 
des Fhisses zu haben und darum schon genannt zu werden. 
Auch geogi-apliisch sind sie beachtenswert, und wol am meisten 
um der alten Kulturstätten willen, die sie berühren. Wenn 
wir die Quellbäche der heutigen Dreisam durchmustern, wer- 
den wir auch auf denjenigen stoben, der die Ehre hat, ilir 
eigentlicher Oberlauf zu sein und der wirklieh auch in alter 
t ihren Namen trug. 

" A Krieger, Topogr. WörterbiicU 'les l;rn(llioriugtuiiis Hadfii. 



Die Drcisiim 165 

Die kleineren unteren Seitenbfiche der Dreisani will ich 
nur kurz nennen. Der HölderJebach kommt aus dem 
Borertal vom Schauinsland herunter, bespült die Mauern 
des 1221 gegründeten Zisterzieoser-Frauenklostei-s Günters- 
tal, Er hieß ursprünglich im Oberlauf Borerbach, im Unter- 
lauf wahrscheinlich Haslaeh*'. Seinen jetzigen Namen er- 
hielt er von der nassen Talbreite „Hölderle", die er zwischen 
Schlierbcrg (Lorettoberg) und Bromberg durchlaufen muss, 
ehe er sich westwärts und der Dreisam zuwendet. Auch 
ein Höidei'lebrunnen befand sich dort. Auf der rechten Tal- 
seite kommt der Silberbach herab, der nach dem ,Silber- 
tobel", einem wesüicben Seitentälchen des Brombergs, genannt 
ist. Der alte Silberbach war nur ein Zulauf des alten Maien- 
bachs, der aber zugunsten des ersteren seinen Namen ablegen 
mnsste". Ana dem Hexental, südlich von Freiburg, das den 
wundervoll geformten und herrliche Aussicht bietenden Schön- 
berg — einen Juraberg, den ein Kingwall krönt und der 
uralte Stätten des Rebbaus bietet — vom Hauptgebirge 
trennt, kommt der Reichenbach hervor. Seinen Ursprung 
hat er nahe beim Klostor Sölden, einer ehedem zum mäch- 
tigen St. Peter gehörenden Piopstei. Er zieht vorbei an der 
Burg Au, die vielleicht Hartmanns von Aue Heimat war"'; 
beim Austritt aus dem Gebirg heißt er Holzgraben und 
MUhlbach, schlängelt sich durch Mooswald und Talmatten am 
Tuniberg entlang bis zum Kaisei'stuhl imd zur Dreisam. 

Das Dreisamtal von Freiburg aufwäi-ts. unmittelbar ober- 
halb nur etwa 1 km, bei Kirchzarten aber r. 3 km breit, 
und von Freiburg bis Himmelreich r. 10 km lang, ist völlig 
ansgefilllt mit dem Gerolle, das die Dreisam mit ihren ver- 
schiedenen Quellbächen von den steilen Uferhöhen der Mulde 
und aus ihren eignen Laufgebieten heruntergespiUt hat. Es 
ziehen sich mehrere Stromwälle durch das Tal, die als Hoch- 

" J. Bader. Freiburgcr DiözeaaDarcbiv V. 1870, 124. 

" In den Namen dieser kleineu Bäche herraclit Verwirniug. wie wir 
bei FoineigDon, (kschichtl. Ortsbeaclir. der St. Freibuig 3^, 114 und 
Snder a. a. 0. 124 seLn. 

*■ E. Msrtin, Aleniunnia N. F. IIT, 1903, 35—43. 




166 



Praff 



ufer die Bäche eindämmen und deren höchster, durch künst- 
liche Aufschüttungen verstärkt, zugleich den Wall der alten 
grollen, mitten im obern Tal vor den Ausmilndungeu des 
Ibentals, der Wagenateige und des Hüllentals eiust gelegenen 
festen Ansiedelung Tarodunon bildet*". 

Bis Ebnet"*, 3 km vor Freiburg, hält die Dreisam etwa 
die Mitte des Tals ein, hier aber unter dem , Scheibenberg", 
von dem herab ehedem am Sonntag Invokavit, an der .alten 
Fastnacht", die glülienden Scheiben geschlagen wurden, wie 
es an andern Orten des Breisgaus heute noch geschieht, wen- 
det sie sich nacli Norden und zieht am Nordrande des Tals 
dahin, einen Gewerbebach noch weiter nördlich abgebend und 
einen kleinen Wasseriauf aus dem St. OttiUentobel aufnehmend, 
in dessen reizvollem Waldwinkel die alte Wallfahrtskapelle 
mit ihrer au geuheil enden Quelle geborgen ist. Sie flutet vor- 
bei an der Kartause, dem 1346 gestifteten Kloster der einsam 
lebenden Brüder des hl. Bruno auf dem Johannisberg , und 
an den Befestigungen des Schlossbergs bis zur Stadt. In altei' 
Zeit niusste sie auf diesem Wege eine Reihe von Granaten- 
sclileifmühlen treiben. Noch hält das Granatgässle bei der 
Schwabentorbrücke die Erinnerung daran wach. 

Bei Ebnet nimmt die Dreisam den am Xordraud des Tab 
dmch die Matten daherkommenden Eschbach auf, der seinen 
Ursprung am nördlichen Pfeiler der in einer durchschnittlichen 
Höhe von etwa 1000 m den mächtigen Kandel mit dem mäch- 
tigeren Feldberg verbindenden Bergbrücke t>ei der alten 
Zähringischen Kloatergründung (1093), der Benediktinerabtei 
St. Peter auf dem Schwarzwald, hat. Durch kleine Wasser- 
läufe aus den Seitentälern, die den langen steilen, von St. Peter 
bis Zinn Schlossberg bei Freiburg ziehenden Höhenrücken mit 
den Gipfeln Flauneer (867,7), Hornbühl, Ko^opf gliedern, 
aus dem Wittental, dessen Eingang die alte kleine Fe§le 
Falkenbühl einst speirte, dem Atten- und Welchent-al, hat 

" lliptt t4v ^nwi'^'.iv !tM9n4« nöJ.t; Tapüa'ivm. Cl. Ptolemsei Geo- 
graphia. Be,-. MOlkr I, 1. P»ris 18R3, r,ib. M, Cap. 11. 15, S. ST4, ^ 
'" Dor Ortsn&nie ist hätlSg, fcoiuml ab Eliaat, Ebnlt und verUll^— 
hhorut als Kbenlieit l ^ P*»» 



fr sich gestärkt und eilt rauschend und munter der Drti 



Ebnet gegenüber, am Südrand des Tals, zu Füßen dem 
steilen Kibfelsen (838,6 m) mit seinen rätselhaften spärlichen 
Burgtrümmeni, liegt das Mineralbad Littenweiler, dann 
weiterhin bei der Häusergruppe Neuhäusel und Falkhof öffnet 
sich das Kappeier Tal, das sich oben gabelt, in seinem 
längern Aste bis zum Erzkasten, dem Gipfel des Scliaitins- 
lands (1286,3 m), des Stolzes uud der Freude der Freiburger, 
hinanreicht, und vom Iteichenbach und Intenbäche durch- 
flössen wird, die sich gleichfalls in die Dreisam ergiellen. 
Dort lieim Falkhof nahen sieh von Süden der Dicisam zwei feind- 
liche Geschwister, zuerst die kräftige, wasserreiche Brugga, 
dann der schwächere Kruinmbach, der oberhalb des grolien 
Dorfs Kirchzarten den hübscheren Namen Osterbach führt. 
Kirchzarten uud das wenig davon entfernte, von der Dreisam 
durchflossene Zarten haben ihren Namen von der schon ge- 
nannten alten Feste Tarodunon. Schon 765 wird die villa, 
V'l'J 'f"^''«'' Zardima genannt. In Kirchzai'ten ragt über die 
alten Holzhäuser der romanische Kirchturm mit seiner spät- 
gotischen Kirche, die den schönen Grabstein des sagenberühmten 
Kuno von Falkenstein (I3i3) bii'gt, und noch steht auch das feste 
Haus, eine Tiefburg, in dem der Freiburger Talvogt sass. Die 
beiden Bäche, die ich feindliche Geschwister nannte, weil sie 
vom Ursprung bis zur Mündung sich voneinander fernhalten, ob- 
wol sie eine lange Strecke ein Tal durchfließen, kommen aus 
dem bei Kirehzai'ten aus Süden mündenden Oberrieder Tal. 
Der Osterbach hält sich sorglich am Ostrand des Tals bei 
dem alten festen Hause JiicJcenrüte und der Wallfahi-tskapelle 
auf dem Girsberg und hat davon auch seinen Namen emp- 
I fangen. Er stammt aus dem eigensten Gebiete des Feldbergs 
I und hat sich das tiefeinschneidende, felsige Zastlertal zur 
i gewählt, vielleicht auch gewühlt. Ahnlich die stattliche, 
I Brugga. Auch sie konmit vom Feldborg her. Sie 
Mitspringt ihm zu Fülkn im Napf, dem obersten napfartig 
Winkel des Tnis St. Wilhelm, durchrauscht das lange 
lt. Wilhelmer Talbach mal nimmt erst bei der .hohen 



Ißrt 



rfdff 



Brücke", die eledem auch ,ilie üble" hiel), wo das Huselbäch- 
lein von Hofsgi'uiid am Scliauiii^land her zu ihr stöl^t. wahr- 
scheinlich von dieser Brücke den Namen Bnigga, Brückbach an. 

Dort hinten in der Bergwildnis von St. Wilhelm^-, wo 
noch heute die Kohlenmeiler rauchen und wenige Höfe zer- 
streut an die steilen , felsigen Berghalden sich schmiegen, 
haben ums Jahr 12;^6 Nönnlein aus Günterstal gewagt ein 
Frauenklösterlein zu gründen. Aber sie hieltens nicht lange 
aus, ebenso die ihnen folgenden Wilhelmitenbrüder. die sich 
größtenteils nach Freiburg zogen, um dort bequemer zu ein- 
siedeln, zum andern Teil aber im heutigen Oherried sich 
anbauten, wo das Kloster als Kirche und Pfarrhaus licutts 
noch steht und in der Kirche der merkwürdige naturbärtige 
Kruzifixus zu sehen ist. 

Zastler- und St. Wilhelmstal sind getrennt durch einen 
mächtigen Gebirgsstock. den Hochfahrn (^1261 ra), der durch 
einen weitem Bergrücken, den Toten Mann (1298 m), mit 
dem Feldberg zusammenhängt. An seinem Westabhang ist 
die Rodung der Gefällmatte, von deren steiler Höhe Jjerab 
ins Bruggatal mächtige Felswände sich erstrecken. Auf einer 
kleinen felsigen Vorliölie unterhalb dieser Wände stand ehe- 
dem eine kleine Burg, die Wilde Schneeburg, wahrschein- 
lich durch jenes vom Anfang des 18, bis in die dreiUiger Jahre 
des 19. Jahrhunderts in Freiburg au ßei'or deutlich zahlreich 
blühende ritterliche Geschlecht der Snewelin zum Schutz 
der Silberbergwerke erbaut, dann aber zum Raubnest ge- 
worden - — eines jener wenigen wirklich geschichtlich be- 
zeugten — und schon i;:tl4 von den Freiburgem zerstört, 
ähnlich wie danach der Falkenstein im Hßltental. Nur noch 
geringe Reste zeugen jetzt von dem kühnen Burgbau *^ 

Schon sind wir dem Ursprung der heutigen Dreisam nahe, 
denn oberhalb Zarten treffen vereint Wagensteig- und Iben- 
bach und der Rotbach zusammen. 



' Vgl, F. Pfaff. DftB Schwori-walJUl Öl, Wilhelm 



I l'V-ldberft 



Tourist ia07, Nr. 11 u 



(lie Snewelitifl 



1 N. F. V, am-aio. 



l>ip DrpisBiii 1 [>!( 

Auch der Ibeiibach |alt Jim) ktmimt von St. Peter her- 
unter. Seinen Namen hat er von der nun fast ausgestorbenen 
Eibe (tasiiB baccata), ahd. ttca, die vor alters bei uns "Wälder 
bildete. Schon im 12. Jahrhundert ist die Villa Iwa urkund- 
lich. Auf der Hühe zwischen Eschbacher- und Ibentai, dem 
Lindenberg, hebt sich eüie aussichtsreiche, vielbesuchte 
Wallfahrtskapelle; auf der andern Talseite, einen steilen Hügel 
krönend, halten die Trümmer der uralten, schon 1079 von 
Bertold U. von Zähringen bei seinem Zug ins Breisgau ge- 
brochenen Burg Wiesneck Wacht. 

Viel wäre zu sagen vom Lauf des Kotbachs, der aus 

dem steilwandigen, engen Hßllental sich rauschend ergießt. 

Fem am Feldberg im unfreundlichen dunkeln Mathislesweiher 

ist sein Ursprung. Moorig ist das Gelände bis nach Hinter- 

zarten und Steig hinab, das der kleine Bach zu durchllieüen 

liat: daher ist sein Wasser rotbraun wie das des Titisees und 

die ihm entspringende Gutach und deshalb nennt man ihn 

Hotbach, alt Motn. Durch das maleiische LöfToltal mit seinen 

Mulilen und Sägen springt er über die Felsen hinunter nach 

Bfillsteig zum „Steinen', wo aus der Kavonnaschlucht von 

4er Räwene, d. h. der Ansiedelung des liäbano, her aus 

,ieiner auf turmhohen Pfeilern von der Eisenbahn überbrückten 

Felsenschlucht der Kavennabach ihm zustürzt. An der male- 

jJBchen alten St. Oswaldskapelle, an der Post vorlwi eilt 

'der Rotbach zum Hirschaprung. wo die hohen Felsen- 

it&nne sich zu berühren scheinen. Düstor ragen die Trümmer 

iler Feste Falkensteiu nahe ihrem Vorwerk, dem Turme 

Bubenstein, von dem schwer zugänglichen Felsgipfel. Doch 

it ums .Tahr 1388 die Hache Freiburgs die ti-otzigo Burg 

ibrochen. Vorbei an der Klausenkapelle, an alten inale- 

ischen Holzhäusern mit wunderlichen Kruzifixen eilt der 

ie Rauchtopas dunkle und doch klare Bach zum mächtigen 

cbwarz waldhaus ,zum Himmeli-eich' und betritt nun wie auf- 

bnend von seinem rastlos eilenden Lauf das weite, freund- 

■he Dreisamtal. 

Es bleibt noch übrig, den stärksten Zutiuss der heutigen 
,m zu beliandeln, eben jenen Bach, von dem Dr. Biecheler 



170 Pfaff 

sagt „i cha sin Name nit nenne**, der aus dem Gebiet der 
alten Klöster St. Peter und St. Märgen von Osten durch 
die Wagensteige herunterkommt und nahe der Wiesneck 
den Ibenbach aufninunt. Heute heißt er farblos „Wagen- 
steigbach**. Diese undiehterisehe Bezeichnung wollte nicht 
in jene alemannischen Hexameter passen. Dieser Wagensteig- 
baoh aber ist der alte Oberlauf der Dreisam. Er hieß auch 
ehedem Dreisam, so gerade an der kritischen Stelle, wo er 
die Iwa aufnimmt, denn 1318 beurkundet Klara von Elzach, 
Priorin zu Adelhausen bei Freiburg, einen Mühlenverkauf Jn 
Iwa tale nidomn ohr dem siege an der Treiseniun"^^. Und an 
den urkundlich bezeugten Ursprung der Dreisam werden wir 
alsbald auch gelangen. Zunächst muss beachtet werden, dass 
das Wagensteigtal im ganzen, das ursprünglich wahrschein- 
lich kurzweg „die Steige^ hieß*°, auch eiimial den Namen 
Frotdenhach (1293), oder später Froedenhach, Froeudenbach, 
Froeidenhach (1350flf.), ganz oder zum Teil trug. Nach dem 
Dingrodel von Zarten (1397) reichte der Name einmal vom 
Schweigbrunnen, einem aus Osten vom Turner herabziehenden 
Seitental, bis weit hinab über den Kern der heutigen Gemeinde 
Wagensteig mit Kirche, Schul- und Wirtshaus hinaus zum 
Diezentobel bei Buchenbach *^ Ziehen wir in Beti-acht, dass 
das bei der Kirche Wagensteig von Osten mündende untere 
Seitental Herrenl)ach heißt, und dass das beim obem Ende 
der Wagensteige gelegene Kloster CeUa S. Mariae, Santmärien- 
zell, unserer lieben Frau geweiht war, die man im Mittelalter 
gern vertraulich vrowelm = „traute HeiTin" nannte, so ist die 
Deutung der ältesten Namensform nicht zweifelhaft: es ist der 
„Fräuleinbach" im Gegensatz zum Herrenbach. Später nicht 
mehr richtig verstanden, ist der Name volksetymologisch in 



'* Die Urk. des Heiliggeistspitals zu Freiburg i. B. I, 135. 

*•* Steige in volle qiie dicitur FroeiKienbach 1350, Steige vallis que 
dicitur Froeidehach 1352. A. Krieger, Topogr. Wörterbuch* I, 647. 
Hier wird der Name gedeutet als ,.Bach des Froulo (Frowilo) oder des 
Fröudo". Vgl. auch A. Poinsignon, Ödungen u. Wüstungen im Breis- 
wm. Ztechr. f. d. Gesch. d. Oberrheins N. F. II 349. 
" THngrodel v. Zarten, hg. v. Leichtlen 1826. 




ie Drei«am 1,71 

„Freudenbach" umgedeutet worden. Ursprünglich mag der 
Name blotl fiii' den oberii Talast vom Herrenbach all ge- 
golten haben, dann ist er wol auch weiter hinunter auf das 
Hiiiipttal ausgedehnt worden. 

Die Wagensteige trägt ihren Namen auch schon seit 
alter Zeit. Es wird nicht zu bezweifeln sein, dass sie als 
Steige, d. h, steile Straüe. welche das Befahren mit Wagen 
erlaubt, benannt ist, im Gegensatz zu einer Steige, die vor- 
zugsweise nur von Fußgängern und Saumtieren begangen 
ward. Als letztere darf wol die nächste Nachbarin der Wagen- 
steige, die Höllsteige — ebenfalls, und zwar heute vielfach 
kurzweg „Steig" genannt — angesehen werden. Durch die 
Wagensteige führte ja die alte Straße über den Hohlen 
Graben auf die Baar und ins Schwabenland. Oben am 
Hohlen Graben führt sie auch nocli den alten Namen „Hoch- 
straße", Das war die alte Verbindung Freiburgs nach Osten, 
und sie sollte es als Bahnstrecke noch heute sein, wälirend 
leider die Höllentalbahn, die ihrer starken Steigung und kur- 
zen Biegungen halber niemals sich zu einer wirklich leistungs- 
fähigen Durchgangsbahn entwickeln kann, ihr den Haupte 
verkehr abgenommen hat. Das herrliche Hellental hätte nicht 
durch den Einbau der Eisenbahn entstellt und seiner wahren 
Romantik entkleidet zu werden brauchen. 

Ich habe oben den Namen Wagensteige den Umständen 
gemäß erklärt und mich dabei nicht den Forschern an- 
geschlossen, die darin die „Steige eines Wago" sehn wollen*^ 
Mit Wagensteig zusammen gewöhnlich genannt und als das- 



" So wol auch A. Kriegtr. Topogr. Wörterbuch v. Baden. 2. Aufl. 
iJ, WO, a, unter Wagenbach und Waffciislailt. 0. Heilig, Die Ortsnamt^n 
T. Baden (Kartarnlie 1906), ist leider iinTallatäadig und ISsst hier wi« 
RO »rt im Stich. Übrigens gebt er meist auf Krieger znrDck. Vgl. 21 
Wagenbücher Hof und Wageneehwend. M. R. Bück, Oberdeutachea Flur- 
auneubncb, Stultgart 1880, 291 stellt die Ortenamen Wiigenbreube, Wagen- 
Jucke zu unsenn .Wagen*, ober Wagenliard zu dein Fersonenuamen Wago. 
Anch Forstemtinn, auf dessen Altd. Nameobuch die Deutung zurflck- 
gebt, weiß nitr von dem allen Wago. Es wird aher oJTeiiliar eine Zvrei- 
heit dea ürsprungB für alle mit Wagen- suaammengeaetKten Ortsnamen 



173 



Pfaff 



selbe angesehen wird der Locus, qui Waf/insfat t 
Urkunde vom Jahr 1125, durcli welche Bischof Uli-ich von 
Konstanz einen Zehntstreit zwischen Kloster St. Mäi-geu und 
der St. Gallischen Kirche Zarten schlichtet*'. Die Kloater- 
herren beanspruchten danach den Zehnten bis zu dem (trt 
Waginstat. Wäre darunter Wagensteig im engern Sin», 
d. h. der Standort der Kapelle, zu verstehen, so wäi-en die 
Mönche sehr bescheiden gewesen, denn ihnen gehörte ja Aas 
Tal bis zur damals Hohenbergisehen Gemarkung BuehenhafJi, 
also bis zum Diezentobel. Vielmehr ist gerade dort beim 
jetzigen Albrechten- und Brissenhof am Diezentobel der Ort 
„Wagenstatf zu suchen, nachdem wahrscheinlich — urkund- 
lich seit 1379 — das Tal , Wagensteige " genannt ward. Die 
alte Sprache hat fUr unsern Begriff „Fahrstralie" gewöhnlich 
die Worte wagm-sträsp und tcagen-tcei; daneben ersclieint 
wagen-vart und -mirt für „mit Wagen durchfahrbare Furt*. 
Mhd. sfci,9e bedeutet „steiler Weg", sial: „Stätte. Stelle, Ort, 
Raum"; schließlich auch „Stadt, Ortschaft". Bedeutet Wagen- 
steige danach „befahrbarer Steilweg*, so ist Wagenstatt: -IM, 
Stätte zur Aufbewahrung oder Unterbringung von Wage».* 
Ähnlich ist Wagenschopf, Wagenschuppen, Wagenstelle, Wagen- 
stall, Wagenhaua*'. Wie unser Waginslat bei Bucheiil)acb 
im Anfang des Wagensteigtala liegt, da wo es ins Gebirg 
hineingeht, so etwas mehr nördlich das Dorf Wageustatt l)oi 
Kenzingen im Eingang des Bleichtals an der alten StmUc. 
die über den Streitberg und die Steig nach Schweighaus«ii 
und über Welsclienateinach hinüber ins Kiuzigtal führt. Auch 
hier spukt jener Ursiedler „Wago", Allein ich halte es filr 
näherliegend, beide Wagenstätten als Ausspatmorte vomi Beginn 
der eigentlichen Steigung für die ins Gebirg gehenden Last- 
wagen anzusehen. 

Wenn auch das Volk noch das ganze Tal Wagensteige 
nennt, obwol in seinem Eingang ein selbständiges Dörflein 
Buchenbach mit seinen zei-strcuten Höfen liegt, das seinea 



* Urkundenbuch v 
' Grimma Wtb. X 



St. linItcD, ll^-. 



I 111. 693. 



Die Dreismn 173 

iamen von dem aus dem Pfaffentobcl von Süden her in de« 
Talifflch mündenden Bäclilein hat, so ist docli amtlicli unter 
diesem Namen imi- die Gemeinde Wagensteig mit ihrer die 
westlichen Höhen bia zum Kamm des Kappenecks, Sommer- 
bergs, Winterkapfs und der Wolfsteige bis auf den Zweris- 
berg, die östlichen mit einem Teil des Schweigbrunnentals 
imd der Spirze bis zum Freiel und zum 1122 m hohen Hoh- 
wait und mit dem Otten umfassenden Gemarkung zu ver- 
stehen. Aus dem Schweigbninnen, Herrenbach, Spirzeu-, Gries- 
und und Die^entobel erhält hier der Talbach starke Zufulir. 
Oberhalb des Schweigbnmnentals beginnt das Gebiet des 
1118 von dem Straüburger Dompropst Bruno von Uohenberg 
gegi'ündeten Augustinerkorhomistifts St. Marienzell, jetzt 
St. Märgen, das heute nur noch beliebte Sommerfrische ist, 
während die nachbarliche stolze Benediktinerabtei St. Peter 
noch als geistliche Bildungsanstalt dient. 

Mehrere Wässerlein vereinen sich bei St. Märgen unter 
der auf vorgeschobner Höhe liegenden Ohmenkirche. Deren 
stärkstes kommt von Osten aus dem Holzschlag, einer engen 
Schlucht, in der einzelne Höfe und viele kleine Mühlen ein- 
gebettet sind. Auch dieses muntere Bächloin wird von zwei 
Hauptarmen gebildet. Deren nördlicher kommt über die 
Schweighöfe vom Turner herab. Der sonderbare Name 
dieser von einer Kapelle überragten Häusergruppe, die auch 
ein weitbekanntes Gasthaus enthält, hat nichts mit der edlen 
Tiimerei zu tun, sondern stammt von dem nach seinem festen 
.Tum* beim Wiehrebahnhof der Höllentalbahn zu Freiburg ehe- 
dem genannten ritterlichen Geschlecht der Turner, die 1293 
mit der Burg und Herrschaft Wiesneck die Vogtei über das 
Kloster St, Märgen erwarben. Der andere Arm des Bächleins 
greift in das tiefeingescbnittene Erlenbachtälchen hinein und 
kommt herab aus einem kleinen Mühlweier beim Wilmenhof 
-unter dem Hohlen Graben. Die Straße von Hinterzarten 
liier zieht über das mit seinen zerstreuten Höfen und der hoch- 
ragenden, alten Kirche und Doiflinde über 1000 m hoch. 
Jiin sichtbare und weithin blickende Dorf Breitnau beim 
zwischen zwei Höhen hindurch, dem Hohlen Graben 



174 Pfaff 

im Norden (1047 m) und dem Doldenbühl im Süden 
(1099 m). Der Doldenbühl, der, wie überhaupt die ganze 
Gegend am Turner, eine reizende Aussicht, besonders nach 
Neustadt, der Hauptstadt des hohen Schwarzwalds, zu bietet, 
hat seinen Namen von dem unter ihm gelegenen Doldenhof, 
der wieder nach einem der weitverbreiteten Wälderfamilie 
Dold angehörigen Besitzer benannt ist. Merkwürdiger ist der 
Name des Hohlen Grabens. Er ist nicht alt überliefert. Selu* 
wahrscheinlich stammt er erst aus dem 17. Jahrhundert, aus 
der für Freiburg, das Breisgau und den Schwarzwald so 
schrecklichen Zeit des Dreißigjährigen Kriegs, denn die noch 
heute gut erkennbaren, gegen Westen gerichteten Befestigungen 
am Hohlen Graben und Doldenbühl, aus starken vieleckigen 
Schanzen und verbindenden Gräben und Brustwehren bestehend, 
sind wol während dieser verhängnisvollen Kriegswirren an- 
gelegt worden. Sie haben auch bei des Baiemführers Mercy 
schweren Rückzugsgefechten im Jahre 1644 Dienste getan, 
sind aber nicht etwa damals erst erbaut worden. Die starken 
Gräben müssen den Umwohnern aufgefallen sein und mögen 
so die Namengebung veranlasst haben. 

Für Geschichte und Ortsbeschreibung der Gegend ist 
von höchster Bedeutung eine alte Urkundensammlung des 
Klosters St. Peter, die nach ihrer altertümlichen Fonn 
Rotulus Sanpetrinus genannt wird. Während man später 
die Buchform für solche Sammlungen von Abschriften aller 
für den betreflfenden Besitz wichtigen Urkunden vorzog, ist 
für dieses alte Schriftwerk die uralte Form der Bücherrolle 
gewählt. Der Rotulus besteht aus 16 zusanmiengenähten 
Pergamentstücken, die zusammen 630 cm lang und 21 cm 
breit sind. Es ist zu Beginn des 13. Jahrhunderts von meh- 
reren Händen beschrieben und umfasst die Zeit von 1095 bis 
1203 *^ Für uns besonders wichtig darin sind zwei, natürUch 
lateinisch abgefasste Beschreibungen der Grenzen des klöster- 
lichen Grundbesitzes aus dem Jahre 1112. Die alten Grenzen 
lassen sich fast in allen Punkten noch feststellen und fallen 



** Q«» T. Weeeh im Freiburger Diözesanarchiv XY. 



Die Drei asm 



175 



noch heute fast ganz genau mit den Getnarkungsgrenzen der 
Gemeinden znsamnien, die sich in den Grundbesitz des Klosters 
geteilt haben**. In der ersten kurzen Grenzbeschreibung wird 
die Quelle der bei Riegel mit Dreisam und Eiz zusammen in 
den Leopoldskanal sich ergießenden, das herrliche, wein- 
berühmte Glottertal bildenden Glotter als Glüttt-otisprinc. dann 
als Grenzpunkt zwischen Steinifmch .... Hirzhere — beide nahe 
beisammen heute als Steinbftch beim Gasthaus zum Hirschen 
«wischen Turner und St. Märgen, am St. MärgenerPfisterwald, 
und als Hirzbühl und Hirschwinkelbühl an der Wüdgutach — 
luid Wisinegga — als die Öfter genannte alte Burg Wiesneek 
am Eingang von Iben- und Wagensteigtal erkennbar — der 
Ursprung der Dreisam als Treislmcsprinc genannt. Mlid. .ipn'tic 
l>edeutet Quelle, wir haben statt des einfachen, schönen Worts 
^as scIiM'erialligere „Ursprung". 

Koch genauer lässt sich der Ort der Dreisamquelle durch 

l-^ie ausführlichere Grenzbeschreibung bestimmen. Sie geht aus 

'■^ron einem Ahorn auf dem Kandel — mit 1243 m einer der 

Ifecliwarzwaldrieaen — , nennt den Ursprung des durch einen 

^uUerordeutlich malerischen und romantischen, in wilder Ein- 

keit versteckton Wasserfall berühmten Zweribachs: Tweren- 

ic)tgesprenge und die heutige Wildgutaeh: Wuta. Im weitem 

erlauf ist genannt Wclsclumordeia , heute das vom Uohlen 

raben nach Neustadt ziehende Jostal, dann der Grenzpunkt 

lern Ch&ngevelJe — also eine geveüe, d. h. eine Schlucht, die 

eiche Beziehungen zu irgend einem Herrn (Ritter) 

iino hatte, von welchem Namen wol noch heute der Knhnen- 

'bach im obem Jostal zeugt — , fenier der Grenzpunkt Bcrn- 

Jtoupten und endlich der Wt^ispach, d. h. das beim heutigen 

Zwerisberg (= zu, ze Werisberg) in den Wagensteigbach 

fallende Wässerlein, und von da gehts über den Bergkarora 

(Wolfsteige, Winterkapf, Sommerberg, Kappeneck, wie oben 

schon festgestellt — eine herrliche Wanderung) bis zur Burg 

Wisenetfge. 

Senihotiplen ist Dativ der Mehrzahl zu mhd. Bircnhonhet 



* Ich denke dies an nndrer Stelle näher eu begründen. 



176 Pfaff 

Houbet bedeutet „Spitze, Anfang*", in Ortsnamen meist ^Quelle". 
Der erste Teil des Worts ist als Genitiv des Namens Ba-o 
oder des mhd. her = Bär zu deuten*^. Also befinden wir uns 
hier an den Quellen, die nach einem Manne namens Bero oder 
nach einem Abenteuer mit Bären genannt sind. Der Ort, der 
vielleicht sogar bewohnt war, wird noch öfter in Urkunden 
erwähnt und gilt ebenso als Grenzpunkt des Klosterguts- von 
St. Märgen***. In einer deutsch abgefassten Erklärung der 
lateinischen Grenzbeschreibung sagt Abt Placidus ums Jahr 
1662: „Bemlmupten. Haist noch also, vor dem Hok-n Graben 
ausser auf der hohe bei dem Ursprung der Treisamen, da 4 
Jierrschaften, als Fürstenberg , Sf. Peter, Freyburg und SicJcingen 
aneinander stossen." Eine spätere, noch nicht veröffentlichte 
Grenzbeschreibung von 1718** sagt: „In montanis Holengraben 
locus principalior est Bcrnhaubten, jugum olim locandis muni- 
mentis artissimum . . . nota tarnen et caesareo et gaUico militiJ^ 
Der fleißige Forscher Pater Gregorius Baumeister^® von 
St. Peter bemerkt zum alten lateinischen Text: „Origo fluvii 
Treisamaey quam ipseniet vidi, Ist ein Ideine Laclien unter der 
Hohlengraben-Schanz , ad jugum montis Hirzberg, qui hodie 
Bernhaupten vocatur. At4S dieser Laclien kommt das Wasser 
schier ohnvermerkt, ivorzu aher weiter unten hin und wieder ein 
Bächlein fließet,^ ^^ Baumeisters Angaben sind nicht ganz klar, 
denn Hirschberg und Bernhaupten müssen, wie wir schon 
sahen, unterschieden werden. Es könnte allenfalls der Name 

*^ Zu mhd. her = Eber wie A. Krieger, Topogr. Wörterbuch* II 
161 will, kann es nicht gehören, da dies ein starkes Maskulinum ist. 
Haupt könnte auch Berghaupt, Bergspitze bedeuten, über den Ort vgl. 
auch Poinsignon, Ödungen u. Wüstungen im Breisgau ZGO N. F. 
II, 333. 

*" Urk. des Heiliggeistspitals zu Freiburg I, 414: 1357. 

*^ Ich gedenke sie im Zusammenhang mit einer Erklärung der 
altem Beschreibung im Kotulus Sanpetrinus herauszugeben. Sie ist erhalten 
in Ulrich BUrgis Rete documentorura, Hs. 452 der Universitätsbibliothek 
zu Freiburg i. B. 

*° J. Mayer, Geschichte der Benediktinerabtei St. Peter, Frei- 
burg i. B. 1893, 172 ff. 

*» J. Bader, Badenia II, 1862, 236. 



Die Dreisam 177 

Bemhaupten sich verschoben haben. Endlich spricht sich der 
Dingrodel von Zarten schon 1397 so aus: Vnd das tvasser ist 
mch nU vogtber, das da entspringet 2e BernJwupten , daz da 
hisset Treisetn, 

Noch steht beim Hohlen Graben, gegenüber dem kleinen 

Wirtshaus „zum schwarzen Kreuz **, ein alter Grenzstein jener 

vier Gebiete mit dem Adler von Fürstenberg, den Schlüsseln 

von St. Peter, dem Kreuz von Freiburg und den fünf Ballen 

von Sickingen und auf der Höhe des Hohlen Grabens ein 

Z^veimärker mit den Zeichen von Freiburg und St. Peter. 

Bemhaupten lag jedenfalls auf der Westseite des Hohlen 

G-x-Äbens, an der Straße vom Turner nach St. Märgen, beim 

Christenmartis- oder Wilmenhof. Mit größter Wahr- 

solxeinlichkeit ist der kleine Mühlweiher beim Wilmenhof, 

dossen Abfluss den Erlenbach bildet, als Ursprung der Drei- 

sa.ni anzusehen und soweit mögen Erlenbach und Wagen- 

steigbach sich mit dem alten, fremdartigen Namen 

Dreisam schmücken. 

Der Name der Dreisam hat schon oft — allzuoft möchte 
man seufzen — die Forscher beschäftigt, ohne dass bisher der 
^amg der Untersuchungen völlig befriedigt hätte. Es lohnt 
sioh nicht, all diesen Versuchen ins einzelne nachzugehen : nur 
das* Wesentliche und ernsthaft zu Nehmende sei mitgeteilt. Hier 
gebührt Heinrich Schreiber, dem hochverdienten Geschicht- 
«^h reiber der Stadt Freiburg, der Vortritt. Er hat das große 
^ <?rdienst, die Geschichte seiner Vaterstadt von allen Seiten, 

• 

^^ allen Beleuchtungen in zahllosen größeren und kleineren 
^hriften und Aufsätzen in volkstümlicher Fassung behandelt 
^<1 dadurch dem Freiburger Bürgersmann geschichtliche 
*^^nntni8se und eine allgemeine Wertschätzung der Geschichte 
^^ngeprägt zu haben, die nicht allenthalben zu finden sind. 
-^^oht in hocbgelehrtes Gewand hat er seine Forschungen 
^^kleidet, sondern iü richtiger Erkenntnis von der Bedeutung 
*®^<5hichtlicher Anschauungsweise hat er jede Gelegenheit 
^^^tzt, gesdüchtliche Mitteilungen an Stellen, die jc'«Jermann 
Wtoglidi waren, unter die Leute zu bringen. Andc-re haben 

■~d 80 ist z. B. in den Freiburger Adress- 

12 



178 Pf äff 

kalendern eine Reihe von Abhandlungen aus der Vergangen- 
heit Freiburgs und des Badischen Oberlands erschienen, deren 
Wert noch heute gilt. Im Adresskalender von 1844 behandelt 
so Schreiber den Schlossberg bei Freiburg und bei Gelegen- 
heit der keltischen Vergangenheit auch den Namen unsrer 
Dreisam'**'. Er lehnt es ab, dass der Name vom Zusammen- 
fließen dreier Bäche stamme, denn die Dreisam führe den 
Namen schon von ihrem Ursprünge an, den er nach dem 
Dingrodel von Zarten bei Bernhoupten fand. Er wendet den 
Blick auf eine andre Dreisam im altkeltischen Norikura, 
die bei Traismauer in die Donau fließt und durch eine 
römische Inschrift als Tragisa bestimmt sei wie Traismauer 
durch die Peutingerische Tafel als Trigisama, welche beide 
später als Treisima erscheinen. Aus „den heutigen Überresten 
des Altkeltischen** weist er ein Wort Tralz und Treiz = Sand 
und traesa = versanden nach und deutet danach Dreisam als 
Sandbach. 

F. J. Mono, ein gleichfalls um die Badische Geschichte 
hochverdienter Forscher, aber weit mehr als Schreiber ein Ver- 
treter des „Keltismus", ist andrer Meinung^*. Er denkt an 
ein keltisches träigh, das ein durch Rücktritt des Wassers- 
bloßgelegtes Ufer bedeute, womit traijs = Meerenge, enge^ 
Rinnsal, zusammenhänge. Demnach würde die Dreisam deutsch- 
„Dürrenbach" heißen. Schreiber habe aber mit Recht di^ 
breisgauische Dreisam der österreichischen Treysen gleich- — 
gestellt. Dagegen erfordern die Formen IVagisa und Trigi — 
Santo eine keltische Wurzel trag, woraus tragsa oder tragisch- 
und traisa werden konnte. Traisa-m sei eine deutsche Bildung^ 
doch sei auch das alte Trigisamo zu beachten, nur wisse er 
nicht, was sam heißen solle. Keltisch tragisa bedeute lat. 
torrens. 

Auch Adolf Bacmeister, der bekannte Namenforschery 
hat sich mit unsrer Dreisam abgegeben, ohne jedoch ai 
einem endgültigen Urteil zu kommen. Einesteils denkt €r iMi 
der Dreisam und dem österreichischen Traisen dodi 



52 



- Ebenso in seiner Gesch. der Stddt Freiburg I, 
^3 Urgeschichte des bad. Landes I (1845), 127 



Die Dreisam 179 

Zusammenhang mit dem Zahlwort trl^^, andernteils stellt er 
den Namen mit dem Nebenfluss der Donau Zusam zusammen, 
den er auf vordeutsches Tusama = Togisonus zurückführt. Auch 
ein italischer Fluss Togna hieß keltisch Togisonus = der lieb- 
lich tönende '^*^. 

Mit Michel Richard Bück, dem Namenkundigen, ist 
dann die Forschung bisher zum Abschluss gekommen^®. Er 
findet eine üben-aschende Übereinstimmung unserer alten Fluss- 
namen mit denen Galliens, Britanniens, Spaniens und Italiens 
in Gefüge und Wortlaut. Meist bestehen sie aus einem ein- 
fachen Verbalstamm mit ein- oder mehrsilbiger Ableitungs- 
endung. Unter ^Derevation mit m** führt er auf als deutsche 
Beispiele: Met-am-a (Metmen), Ziis-em-a (Zusam), Dreis-im-a 
(Dreisam), als welsche: Trig-is-am-um (Traisen), Än-eni-o (Ita- 
lien) usw. Der Bedeutung nach findet er in Übereinstimmung 
mit Th. Lohmeyer" neben einfachem „Wasser, Fluss** die 
Begriffe „Der Gehende, Laufende, Fließende, Eilende, Lang- 
samgehende, Stagnierende, Sumpfige" oder „Der Murmelnde, 
Rauschende, Tosende, Brüllende**, oder „Der Helle, Glänzende, 
Wüste, Braune, Dunkle, Schwarze** in den Flussnamen ver- 
treten. Dreisam und Traisen stellt er zu einem Stamme 
trag-j gr. tp^cö, got. thragjan = laufen, ir. traig = Fuß, 
altgall. vertragos = Windhund, d. h. valde velox. „ Tragisamum 
klingt wie ein gall. Superlativ, wie ein solcher vielleicht auch 
in den gall. Ortsnamen Segesama, Belisama, Venaxamodurum 
u. dgl. vorliegt. Dann wäre Tragisama = velocissima, was 
freilich nur von einem der Quellbäche der Dreisam ausgesagt 
werden könnte.** Er hält Dreisam also irrtümlich nur für 
den Namen des Unterlaufs eines aus mehreren Quellbächen 
entstandenen Flusses ^^. 



»♦ Alem. Wanderungen I (1867), 73, Anrn. 2. " EM. 125, Anin. 3. 

•• Unsere Flussnamen, Alemannia VIII TlShO), 145 ff. — Gallische 
Flosa- und Ortsnamen in Baden, Ztschr. f. GeHch. d. Oberrheins XXXXII, 
N. F. III (1888). 328 ff. 

*' Beitrftge zur Etymologie Deutscher Flussnamen. Gott. 1>*81. 

*• Worin ihm Alfred Holder, Altcelt. Sprachschatz II, llKJl/2, 
nachfolgt. 

12* 



Die neueren Kehisten Alfred Holder — in meinem 
.Altceltischen Sprachschatz" — und Rudolf TInirneysen 

— nach persönlicher Mitteilung — schlieUen sich dieser Auf- 
fassung an; doch scheint Holder noch zu zweifeln, da er unter 
*sanio-, ir. säm, sdme = Ruhe, zu hämtt = gleich, noch mit 
Fragezeichen aufführt iSVjji-santKS, Trigisamum,''Tragisamus:A.\i. 
also, er ist nicht vüllig davon überzeugt, dass eine Superlativ- 
bildung vorliegt, sondern hält Zusammensetzung für möglich. 

Nehmen wir zunächst an — wovon noch zu reden sein 
wird — dass der Name Dreisam deutsch nicht zu erklären 
sei, so müssen wir zunächst der keltischen Deutung einige 
Wahrscheinlichkeit zugestehen. Nicht nur dass eine Reihe 
von benaclibarten Flussnamen wie Brigach und Breg, Kander. 
Neuinageu, Oos, Murg und auch Ortsnamen wie BieL^ach und 
Zarten keltisch sind, die Dreisara bespült ja die Wälle der 

— nach den Ausgrabungen zu urteilen — keltischen Flieh- 
burg Zarten — Tarodunon. Aber die Namensfonn könnte 
Bedenken erregen, denn sie muss als Superlativ angesehen 
werden, und Ortsnamen dergleichen sind immerhin selt«ii. 
Es kann auf das Höchst bei Neustadt im Schwarzwald und 
die verschiednen andern Höchst verwiesen werden. Audi 
haben wir die alte Superlativbildung im Personennamen Hm- 
jltsC", vielleicht auch im Namen Ei-nst. Im Namen Dreisam 
muss jedoch das alte SuperlativsuMx stecken, das im gr. 
hebdotno-, lat. inßmo-, minimo-, optima-, primo-, deäHio-, plurimo- 
und auch in summo- aus *sup-mo- sich findet, ebenso wie im 
got, hkiduma, aftuma, ißuma, hinduma, fruma und in dem 
Hauptwort miduma = Mitte zu midjis = mitten. Audi der 
oberste der Naraenforscher, Ernst Förstomann, hat kein 
Bedenken gegen die Superlativform und erinnert an den Orts- 
namen MHama (Metten zwischen Straubing und Passau) und 
den Flussnamen Jfe(at«a^°. Gerade dieses Flüsschen Mettma 
geht uns näher an, denn es durchfließt das Gebiet zwischen 
der Schlucht und Schwarza bei Rothaus im südöstliche . 

^^^^^^ " Worauf mich F. Kluge aufmerksam mncht. ^^^^H 

^^^^^K °° Die dentschen Ortsnamen. Nurdhausen ti^tiä. S. i'A\. ^^^^H 



Die DrL-isar 



181 



Scliwarzwald*'. Schon im 12, Jahrhundert ereeheint es als 
fiut'ius Mcfimu, nqua Meltema, später als Metma. Auch nach 
ihrem Lauf mitteuiano zwischen den stärkeren Flilsschen 
Schlucht und Schwarza ist ihr Name unzweifelhaft als mciama 
ä = mittleres Gewässer, zu ahd. nietamo, zu erklären. Wir 
Ilaben also hier eine dem keltischen Superlativ DreiKam ent- 
sprechende deutsche Bildung. Vielleicht kann auch die hairische 
Zusara (alt Zuaeina), die bei Üonauwört vom Süden her in die 
Donau mUndet, hierzu gestellt werden, wenn auch der Name 
der zu ihrem Gebiet gehörigen Stadt Ztismarshausen (Sus- 
morahusen 889) Bedenken erregt. 

Der Traisen in Niedei-österreich, ein südlicher Xeben- 
fluss der Donau, kommt herab vom Traissengebirge, flielit 
vorüber an dem Orte Traisen und an St, Polten (ad sanctum 
Hippolytiun) und mündet bei Traismauer in die Donau. Eine 
lateinische Inschnft stellt den alten Namen des Flusses als 
Tragisa fest und die Peutingerischo Tafel den von Traismauer 
oder Traisen als Trigisamo, das ohne Zweifel in Trag'mamo zu 
'bessern ist*'. Schon in einer Urkunde Ottos II, für das Bis- 
tum Passau vom Jahre 97ö werden die Klöster ceUa sandi 
Ftoriani tnariiris atquc Trdsma dem monasterium suncli YpoliH 
übergeben. Hier ist zwar der Ort und nicht der Fluss ge- 
meint, aber beider Namen sind gleich. Im 13. Jahrhundert 
erscheint der Fluss als Trdsma, Traisma o<ler Treisem. Die 
Urkunden formen sind also völlig gleich denen unserer Drei- 
|aam". Aber schon hundert Jahre früher, zum Jahre 864, 



I "Krieger, Topogi. Wörterbuch', 186begnagtsich damit, den Ntimen 

[b«c)i Blick, .Alem. VIII, U7 fOr .Tordeutaeh" lu prklBreii. Auch JtWfen- 
[tacA, Mettenbei-g, Mettrnbuch, Metltnznrten luid Mettnnu gehören hierher 
{ lud nicht XU einem PerBanenaamen Metlo. Ebenso hol Zürich Metlmert' 
liagli Ewischen Ober- und Niederhasli. Vgl. Huch Burk, Oberd. Ftur- 

iiuunenbuch, ITT; Heilig. Ortunameii. 21. Ferner Studer. Schweiz. 
Ortenamea, 169: Mettenbenj und ileifmensicttcn. 
" Orelü 1331 und Weltkarte de» Castoriue, hg. v. Kunrad Miller, 
ffieg. V, 1. an der Donau oberhalb Vindobona. 

" Vgl. üben S. I'i3. — Nicht hierher gehört nach freundlichen Mit- 
iteilunfen von Prof, Dr. A. Walde in Innabmck die tirolische Trimnna, 
>tUe mit der Knannna vereint als ünnna bei Landeck in den Inn mündet. 






1 82 Pfaff 

ist die Form Dreistnia belegt in der Urkunde, durch 
die der Priester Rumolt seine erworbene Besitzung in 
Muntlnchova marca circa fluuium Dreisima sita dem Stift 
St. Gallen überträgt^*. Das alte Mundenhofen, der ehemals 
der Universität gehörige Mundenhof, jetzt städtisches Riesel- 
feldgut, liegt nahe der Dreisam zwischen Lehen und Umkirch 
westlich von Freiburg im Mooswald. 

Gegen eine Gleichstellung der Namen Dreisam und 
Traisen wäre nichts einzuwenden, wenn nicht die Annahme 
des Übergangs der Lautgruppe -agi- über -q/r- in -ai- in so 
früher Zeit Bedenken erregte. Das Althochdeutsche hat be- 
kanntlich agüy agi, egi, igt erhalten ^'^, also durchweg Formen 
wie magad, tagading, egidehsa, gitregidi, ligit, gegenüber mhd. 
meit, teidinc, eidehse, getreide, IH. Die größte und frühste Aus- 
dehnung hat diese Verschleifung des g im Mittel- und Nieder- 
deutschen erfahren, während sie im Oberdeutschen später 
eintrat. Dies gilt für die freie Sprache, deren verschliflfene 
Formen stets durch die Analogie der Formen mit erhaltenem g 
beeinflusst wurden. Neben der lautgesetzlichen Form teidinc 
stand tue, neben getreide: tragen, neben lU: ligen usw.: da 
konnte sich leicht das alte g halten oder neu eindringen. 

Anders wars in den Namen, und zwar sowol der Orte 
als der Menschen. Schon dadurch, dass sie meist Zusammen- 
setzungen sind und aus mehreren ursprünglich volltonigen 
Silben bestehen, neigen sie zu starker lautlicher Verschleifung 
ihrer Bestandteile. Dazu noch wurden ihre Zusammensetzungs- 
glieder offenbar schon früh nicht mehr als Sinnworte ver- 
standen, sondern galten einfach als namenbildende Worte. 
Auch der sicher belegte Brauch, dass Vater und Mutter dem 
Kinde je einen Teil ihres Namens abgaben, hätte wol allein 
kaum genügt Namen wie Hilt-gunt, Haduwic usw., also mit 
gleichbedeutenden Gliedeni, zustande zu bringen, wenn bei der 

*'* Neugajt, Cod. dipl. Alem. 1, 345 uod St. Gall. U. B. II, 118, 
No. .'>U4. wo allerdings Muntinchova irrig als Mundingen im B.-A. Emmen- 
dingen erklärt ist. 

'•' Die HeLandlung des Fremdworts magister = weist ar ist kein 
iieirenbeweis. 



Die Dreisani 



183 



Namejibildung beide Glieder ihrem Sinne iiacb klar empfunden 
worden wären. So sind denn die Namen früh dem Einfluss 
der freien Sprache entzogen worden und gehen in mancher 
Beziehung eigne Wege, zeigen teils den frühem, teils den 
spätem Lautatand gegenüber der Sprache ihrer Zeit. Wenn 
wir also schon früh, in noch althochdeutscher Zeit, in den 
Zeugenreihen der Urkunden Namen wie Meinar, Meinho, Mein- 
hilf, IlfinoU, Einhari usw. finden*', so ist durch diese Formen 
festgestellt, dass die Verschleifung des ;/ damals wirklich 
eclion stattfand, wenn auch gleichzeitige Texte sie in ihren 
Siimworten noch nicht aufweisen. 

Zwar ist bei unsrer Dreisam eine Form mit -agi- oder 
-i'/i- nicht Oberliefert wie beim Traisen in Niederösteneich, 
«nd zwar ist die Form mit -ai- beim Traisen ganze hundert 
Jahre später bezeugt als bei der Dreisam; doch ist die Mög- 
lichkeit der Verschleifung von -agi- in ai schon im 9. Jahi- 
liundert vorhanden''^ 
f Das einzige deutsche Wort, das zur Erklänmg des Namens 

I «nsrer Dreisani in Betracht kommen würde, ist das, wie es 
|i sclieint, oberdeutsch nur in Ortsnamen belegte (reis, frais = un- 
liebautes Land, das in Mitteldeutschland sich häufig findet, 
und das H. Schreiber für keltisch ansah. Aber schon E. Förste- 
-mann hat .auf die Verbindung verzichtet, und zwar aus Grün- 
de«, die auch für uns zwingend sind, nämlich die Unmöglich- 
keit, dies ims auf altes *lrngis zurückzuführen, wie doch durch 
die Namenüberliefei'ung des niederösterreichischen Traisen ge- 
fordert wird". 

"• Neugart. Cod. <ii|)l. Alem. 1, S. 235 Ücw/mre Liiffingen 888; I. 2r.7 
Eiiihart Deiikingen in der Bertoldsbaar 84(1; 1, ä7 Ilningeriia Seitingen b. 
Speichingen 786, I, 584 Meinger Hftnnedorf am Zflrichaee. I. 421 Kenger 
Beldachweil im Tiu-gau 87t(, iEigpert I, 44C, Turgau 884 stellt offenbar 
eine ÜbergangBstufe dar. Auuh Eitihnräun ep. Spirensia I, 565 StraQburg 
91S kann erwßhnt und auf Kinbaii, Karls Minister, verwiesen werden. 
Oh Hninol, 31 75» und Taifo I. 48 769 hierher gehören, ist zweifelhaft. 

" Zar Frage können verglichen Würden: K. Weinhöld, Alem. Gram, 
i 56. S. 54; Mhd. (Iran., g 89. B. 79; W. Wilmsnns. Deutsche Gram. 
-I. f 81. S. «6. H. Fischer. Zur Gestb. d. Mhd. Tob. 1889. 

" Altd, Namenbuch' II 479, vgl. Orimm, Wtb. II. 1408. 




184 



Pfaff 



Somit ist'der Flussnaine Dreisam koltisc 
zwar eine Superlativform zum Staniiiiü lr<ig. litr 
„laufen" bedeutet. 

Die Nanienunteraucliung hat also nichts wesentlich Neues 
über das hinaus ergeben, das schon Mone vermutete. Trotz- 
dem war sie wol am Platz, da bisher die Deutsche Gram- 
matik zu kurz gekommen ist. Wir hatten, indem wir dem 
Laufe der Dreisam folgten, Gelegenheit, eines der schönsten 
und erinnerungsreichsteii Gebiete zu durchstreifen , konnten 
uralte Stätten keltischer und germanisch-christlicher Kultur 
schauen und im Lichte geschichtlicher, dV'ts- und spracli- 
kundlicher Forschung betrachten. Der würzige Tannennadel- 
duft und die frische Bergluft des Scliwarzwalds und das i-eiiie 
klare Wasser seiner Brunnen hat uns gelabt, die alte Ge- 
schichte seiner Herrengeschlechter, Burgen, Städte und Klöster 
uns begierig gemacht, noch melir zu erfahren. Ja, wenn wir 
noch weiter wandern dürften an die Stätten, wo die christlichen 
Bekenner St. Trudbert, St. Ulrich, St. Fridohn gelebt und 
wo mitten aus heimlich-grünem Schwai'zwaldtal der wunder- 
liche, ungeheure, verödete Kuppelbau des fürstlichen Klostei-s 
St. Blasien aufsteigt. Oder zu den Uhrmachern, Holzschneflern, 
Bürstenbindern, Harzern und Köhlern in den Städtchen und 
einsamen Höfen des Gebirgs. Oder könnten wir in die fluss- 
durchrauschten Schluchten des Alb-, Schwarza-, Schlucht-, 
Wehra-, Wutach- und Gaucliaehtals eindringen, mit der obeni 
Elz oder der Wildgutach uns dm-cli die Berge drängen und am 
wundervoll wilden Zw er i bachfall rasten. Und wie herrlich 
wäre es, von der Tülhnger Höhe hinabzuschauen auf die große, 
schöne, deutsche Stadt Basel, die leider schon 400 Jahi-e nicht 
mehr dem Deutschen Reich angehört, oder vom Isteiner Klotz, 
wo jetzt die schweren Geschütze der deutschen Feste hinüber- 
dräuen zu dem unruhigen, gefährlichen Volk westlich über 
dem Rhein, die Blicke schweifen zu lassen in die breite, grüne, 
kirchtunnbesäte Stromebene. Und wie freut sich des Jägers 
Herz, wenn er den Bah^gesang des Auerhahns und Birkhahns 
in den Waldungen und Weidfeldern des Scltwarzwalda be- 
lauschen kann! Und auch der Kaiserstuhl kann uns locken 




Die Dreisam 185 

mit seiner uralten verödeten Feste auf dem Mens Brisiacus, 
wo einst der mächtige romanische Burgturm der Zähringer 
ragte und lieute noch das schöne Stefansmünster seine Türme 
hebt. Wie wonnevoll ist es, im Frühling dort zu wandern, 
wenn der Seidelbast seine frühen rötlichen Blüten treibt und 
unzählige Maiblumen und die großen weißen und violetten 
Anemonen erblühen und die Nachtigallen im Rheinwald locken. 
So reich ist das Gebirge, an dessen Rand wir wohnen. 
Auch der Blick in das kleine Gebiet der Dreisam hat es ge- 
zeigt. Darum lieben wir Freiburger unsre Stadt, unsre Drei- 
sam, unser Breisgau und unsern Schwarzwald. 



Johann Michael Moscherosch nnd sein 

Geburtsort WiUstätt. 

Festgabe zur Denkmalsenthüllung 
von Johannes Beinert« 

Ein Kreis von Moscheroschverehreni aus Willstätt, 
Straßburg und ebenso auch aus den verschiedensten Gauen 
Deutschlands hat es unternommen, dem verdienten Satiriker 
Moscherosch einen Gedenkstein an seinem Geburtsorte zu er- 
richten. Indem sie sich eins fühlen mit seinem Streben und 
dem Grundgedanken seiner satirischen Schriften, sind sie 
sich der bei ihm bemängelten Formvollendung literarischen 
Könnens durchaus bewusst. Aber Moscherosch ist vor allem 
eine Persönlichkeit, die uns wie ein getreuer Eckart aus dem 
Zusammenbruch des deutschen Volkstums während des Dreißig- 
jährigen Kriegs entgegentritt. Diese Persönlichkeit mit seinen 
Werken der Nachwelt erinnernd vor Augen zu führen, ist 
der Zweck der Denkmalsstiftung. Moscherosch schaut mit 
seinem biedern Sinn in unsere Zeit herüber, wo der deutsche 
Volksgedanke zur Wirklichkeit geworden ist. Er hat seiner- 
zeit den Untergang deutschen Wesens als die notwendige 
Folge der Ausländerei und der Sittenverderbnis träumend 
vorgestellt. Seine Satire ist daher bitterer Ernst. Keine 
zweite ist so aus der Geschichte unseres Volks heraus- 
gewachsen wie diese. Daher hat Moscherosch auch ein wol- 
zubeachtendes nationales Verdienst. Seine Werke sind kultur- 
geschichtliche Denkmäler. Er war die letzte Blüte des Straß- 
burger Literatenkreises aus dem 16. und 17. Jahrhundert. 
Ja, er ist geistig ihr Kind, ein Schüler und Nachfolger von 
Brant, Geiler, Murner und Fischart. Philander ist auch der 



Johann Michael Moscherosch und sein Geburtsort Willstätt 187 

Vorläufer einer ganzen Romangattung im 17. Jahrhundert. 
Grimmeishausen und Christian Weise haben Moscherosehs 
Satire zu wertvollen Zeitromanen ausgebildet. Daher kann 
Moscherosehs Bedeutung wol einer solchen Ehrung, wie sie 
die Denkmalsstiftung in Willstätt sein will, wert erachtet 
werden. 

Bekanntlich ist Moscherosehs Pseudonym bei seinen 
ersten Ausgaben der Gesichte „Philander von Sittewald". 
Das letzte Wort ist eine Umstellung der Buchstaben seines 
Heimatorts „Wilstaedt**. Nun will Sittewald seinem Philander 
die ihm schuldige Ehre erweisen. 

Anlässlich der Denkmalsenthüllung sei es vergönnt, die 
Beziehungen Moscherosehs zu Willstätt hier zu behandeln. 

Am 7. März 1601 erblickte unser Satiriker in dem Amts- 
flecken Willstätt das Licht der Welt^ Sein Vater, Michael 
Moscherosch, war seit 1599 Kirchenschaffner daselbst und 
hatte als solcher die Verwaltung des Kirchenvermögens im 
oberen Bezirk des rechtsrheinischen Teils der Grafschaft 
Hanau-Lichtenberg unter sich. Diese Kirchschaffnei wurde 
in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts bei der Ein- 
führung der Reformation an die Willstätter Amtsschaffnei 
angegliedert. Noch der Schwiegervater Michael Moscherosehs, 
Quirinus Beck, versah bis 1599 das Amt eines Kirchen- 
schaflfhers und Amtsschaffners zugleich*. Wie Moscherosch 
nach Willstätt gekommen ist, ob durch Vermittlung seines 
Schwiegervaters oder zunächst nur seines Amts wegen, ist 
nicht festzustellen; doch Tatsache ist, dass der junge Straß- 
burger alsbald die Tochter seines Amtsvorgängers als seine 
Braut auserkor und sie im Jahre 1600 heimführte. Ihr Name 
war Veronika. Das Jahr darauf schenkte sie Hans Michael 
als Erstgeborenem das Leben. Pate war der damalige Amt- 

' Nach alten Angaben finden wir als (Tcburtatag den 5. Mäi-z an- 
gegeben. Moscherosch nennt aber selbst in einem Brief an seinen Freund 
Machner in Breslau den 7. März 1601. 

- Der mit Michael Moscherosch gleichzeitige AmtsschaflFner war 
Adam AVürtz, der am 11. Febr. 1613 dem Töcht^rchen Amalia Michael 
Moscherosehs Taufpate stand (Willstätter Kirchenbuch). 



ISft 



Beineit 



mann Ludwig von Böcklinsau, der Vater Philipp Ulmannä, 
des Freunds des jungen Moacherosch , der im Dreiliig- 
jährigen Krieg Amtmann in Willstätt war. In der Zeit von 
1601 bis 1623 wurde die Ehe des Kirclienechaffners Moschi'- 
rasch mit mich 1 1 Kindern gesegnet, von denen Eiipheniia, 
Maria Salome, Haus Ulrich, Maria Magdalena, Amalia, Haus 
Christoph. Matei-nus, Maria Jakoba und Quii'inus ein er- 
waehaenee Alter erreichten'. Die elterliche Erziehung stand 
auf echt christlichem Boden, die das Einfache und Gute liebte. 
allen Tand und alle Heuchelei von Grund aus hasste. Der 
Satiriker sagt selbst, dass er ,mit höchstem Fleiß auferzogen 
und zu Kirchen und Schulen evangelisch augsburgischer Wahr- 
Jieit angehalten* wurde. 

Da er aber ein „herrliches Ingenium" merken ließ, wie 
er später sagt, so wurde er 1612 als elfjähiiger Knabe nach 
Straßburg in die Lateinschule geschickt, um „Kunst und 
Tugend allda zu erlernen"*. So erwuchs dem Kirchonschaffiier 
Moscheroach keine geringe Aufgabe. Von den andern Söhnen 
scheint er gleichzeitig keinen in die Straßburger Schule ge- 
schickt zu haben. Um das Einkommen der Familie zu er- 
höhen, trieb er nebenbei auch Landwirtschaft. Da ihm 
aber der Grund und Boden, der ihm von Amts wegen übei-- 
lassen wurde, liierzu nicht genügte, so nahm er in den Än- 
fangsjahren Güter von der Willstätter Gemeinde in Pacht. 
So zahlte er noch 1617 einen Mattenzins im Betrage von 
50 H. Bei seinen Mitbürgern stand der Vater Moschernschs 
iiald in achtbarem Ansehen. 1612 wurde er unter die Heim- 
burger gewählt, die drei Waldmeister, wie sie auch genaimt 
wurden. Jährlich wechselte dieses Ehrenamt. Das Kesnitat 
beim Rechnungsabschluas war jedoch, dass die drei Wald- 
meister den Fehlbetrag von :i5 S i;j ß 10 -J selbst erlegen 
mussten. 1618 versah Michael Moscherosch auch das Ajut 
eines Gerichtsschöffen, wie aus einer Kaufnrkunde hervorgeht 
über drei Viertel Matten, die er für 70 fl. zu Eigentum cr- 

* Vgl. Obser. Eupliurion V. 471-47Ö, Zur T,.-I.,!.isgeacliichl 
srheraschs. uud das Willstätter Kirclienlmili. 
' liesichte Philandcrs von Sittewolil ] /i. 




.lohan 



»iburtsort WillHtiÜt IS«) 



iWurb, Die Verhältnisse der Familie scheinen sich in den 
'zwanziger Jahren zusehends gebeissert zn haben, da man ihm 
auch im Jahr 1628 in der Willstwtter Gemeinderechnunfi 
liy ff 18 ß schuldig biieb^ Da Hans Michael in diesen 
|Jahren dem Studium oblag, sind die Anzeichen einer gliick- 
jüchen Vermögenslage der Eitern um so wichtiger. 

Während seiner Schulzeit besuchte der junge WUlstätter 
die Eitern selten, dagegen weilte er in den Ferien regelmälJig 
bei ihnen. Eltern und Geschwister kamen während der 
iWoclie oft nach Straliburg zu ihm, auch der Vater. Jedes- 
mal brachten sie ihm etwas mit. Das machte ihm solche 
iFreude, dass er es fast immer in seinem Schreibkalender ein- 
trug". Neugierig fragte er nach den Ereignissen zu Hause 
;iuid trug sie, wenn sie ihm wichtig schienen, gewissenhaft 
^in. Wir besitzen besonders interessante Einträge aus den 
Jahren 1619 — \622. An den Kamenstagen beschenkte er 
jedes seiner Angehörigen mit einer Kleinigkeit, z. B. mit 
iUarzipan, Nesteln oder einer Nählade. Besonders machte 
;es ihm Freude, wenn er so die Geschwister überraschen 
iounte. Bei seinem Lehrer Crusiua stand er in heeonderer 
jGunst. Einmal verehrte er ihm ein Gedicht nebst einem 
'Qoldgulden. In den Jahren lli20 und 1621 besuchten die 
iLelu-er (Jrusius uTid Bemegger ihn und seine Eltern in Will- 
»ttitt anlässlich der Messe am zweiten Dienstag im Oktober. 
uNacb einem Besuche im Jahre 1621 (fl. Juli) fuhr er auf 
feinem Floß in der Einzig nach Straliburg zurück. In diesen 
Jahren 1619 — 1621 hatte Moscherosch vidi mit einem Fufl- 
'leiden zu tun. Er war im Jahr 1619 (Januar) wahrschein- 
äich in Willstätt vom Pferd gefallen und hatte den Fuß ver- 
staucht. Erst nach drei Vierteljahren war der Fuß notdöi-ftig 
[geheilt, weshalb er bis daliin oft von der Schule fernbleiben 
und ärztliche Hilfe beanspruchen musste. Der Fuß brach 
aber in der nächsten Zeit wieder auf, so dass er noch 1621 

' Für die Waibabealitit der Familie Moacberosch in WilUtGtt 
q)recheD Tor all^ni die späteren zahlreicheJU LiegenscliBfUTerkftufe. 

* Hoschero9chs Schreibkalender irurde herauageg. v. A. Schmitt, 
Eeitsehrift tut Bacherfreunde lä»9. 




190 Boinert 

eine Heilung durch Äderlass vefsuchte, ein Heilverfalireu, das 
er später ini Podagramm als eine gauklerische Kunst lächet- 
lieh machte. Besonders atifzeichnungswUrdig erschienen ihm 
die Scliulereignisse und die Nachncht«n vom Kriege. Damals 
fiel ihm schon das Treiben der Soldaten und andei-er Leute, 
die auf Kosten des Kriegs lebten, auf. Die zunehmenden 
Verbrechen in Stiaßburg erfüllten ihn mit Entsetzen. 

Im Jahre 1 620 bezog Moscherosch die neuerricht«te 
Universität in Straßburg. Er widmete sich hauptsächlich dem 
juristischen Studium; daneben hörte er auch eifrig die Vor- 
träge über Literatui- und Sprachen. Das Studium der alteu 
Scliriftsteller und selbst des Hebräischen liat ihn ernstlich 
angezogen. Hier erwarb er sieh die Gnindlage seines geradezu 
polyhistorischen Wissens und besonders seiner weitgehenden 
Sprach kenntnisse '. 1622 beteiligte er sich unter der Leitung 
Berneggers mit 24 andern Studenten au einer Disputation 
über ein lateinisches Werk, Am 8. April 1624 wurde er 
unter dem Beifall der ganzen Akademie an erster Stelle zum 
Magister promoviert ^ 

Nach Vollendung seines Studiums erwachte in Moscherosch 
der Drang nach Weltkenntnis. Er verließ deshalb mit Ein- 
willigung seiner Eltern Straßburg und Willstätt und trat mit 
seinem Freund Machner die Reise nach Frankreich an. »Um 
den ganzen Welthandel kennen zu lernen", sagt er, ,nahm 

' Von seinen Lehrern, die ihm auch im spStercii Leben naliestandeD, 
sind Mathiaa Beruegger UTid I)r. Johannes Schmidt hervuranlifben. Einu 
Reibe weiterer Freunde waren too bcBtimniendem Einfluus auf Muacfafr; 
rusche Earakter: Zinkgref, Balthasar JSger und Lingelaheim. 
achwärinten fUr deutsehe Art und Sprache. Zinkgref gnh eine Sanunlnnf 
deutscher Aussprüche berühmter Mtüiner nud Helden heraus. 
ilaheit und Würde der deutsclion Sprache lu zeigen. Der junge 
Moscheroeuh half eifrig mit und vereuchLe sieh selbat in deutschen und 
lateinischen Gedichten. In demselben Kreise wurden Job. Wessel, Scultetni, 
Machner und Sebaatiaii Kflnig herangebildet, die alle nShere Freunde d< 
jungen SloBclieroseh blieben. 

* In die StraUburger Univeraitütsrnntrikel ist Moacheroach 
ohne nähere Zeit-angabe mit .candidatorum philoaopbiaa dectoratus' ein- 
b'ctrajii-n. Vgl. hierttber L. Pariser, Beitr. z. Biogr. Moscherosebs, 
JiiM., ItQiichfin 1801. 



I 



Einu ^^J 
die i 



Johiiiin MkliHC-l Müs.'heroacli unJ sdn (.icbiirtaurt Willgtfltt 191 

ich niii" vor iibei' den blauen Berg in ein ander Land nnd Reich 
zu ziehen, unib zu sehen, ob da Selbsten Treu und Religion, 
Glauben und Redlichkeit auch so vermummet, oder ob sie 
besser zu finden, Ehrlicher gehalten oder belohnt würden?" 
(Ges. I 8). Der Weg ging Über Nancy, wo er in der 
Herberge zu St. Nikolaus am 31. August ankam. Von liier 
ging es mit der „ordinär!" Kutsche nach Paris, von da nach 
Orleans und zu Wasser die Loire hinab, wo er die Städte 
Blois, Amboise, Tour und Anglers besuchte. Mittlerweile war 
es Winter und er blieb in Angiers bei Monsieur de la Mare, 
rue de St, Lo. Im Frühling wurde die Reise bei angenehmem 
Wetter über Bourges undMoulins fortgesetzt. Nach Htaglgem 
Aufenthalt daselbst ging es weiter nach Lyon, wo er im Lion 
d'or abstieg. Im April besuchte er das schtine Grenobie und 
die Grande Chartreuae. Das nächste Itfiiseziel war Genf, wo 
er sechs Wochen verweilte. Hier erreichten ihn die Nach- 
richten seiner Eltern und seiner Freunde. Auf ihren Wunsch 
und ,die Aufforderung" entschloss er sich, die Heimreise an- 
zutreten. Sie führte ihn über Lausanne, Bern, Solothurn, 
Basel, Freiburg, Breisach und „fürder über Land" bis in die 
„Haymat nach Sittewald' (Ges. I 278). Diese Reise dauerte 
fast ein Jahr (August 1624 bis Juni 1625) und war für die 
Eitern ein großes Opfer, für den Sohn aber eine treffliche Schule. 
Aber damit war die Schaulust Moscheroachs noch nicht 
befriedigt. Er verblieb nur kurze Zeit in Willstätt und nahm 
«ch alsbald vor, das „übrige Weltwesen" auf den Akademien 
tuid andern berühmten deutschen Städten kennen zu lernen. 
■Er begab sich einige Zeit „in den nechat gelegenen Saur- 
bromien", wahrscheinlich Peteratal. Alsdann besuchte er im 
Sommer und im Herbste 1625 die Akademie Tübingen, wo 
er den Gelehrten Lansius hören wollte. Nach der llUckkehr 
weilte Moacherosch bis zum August wieder in Willstätt, von 
I wo aus er seine Stelle als Hofmeister bei dem Grafen Johann 
; Philipp H. von Leiningen - Dagsburg antrat. Während des 
lAufenthalts als Hofmeister auf der Burg Hartenburg bei 
Dürklieim lernte er Esther Ackermann, die Tochter eines 
|.Franken taler Juweliers, kennen, die ihm nacli der Trauung 



I 





192 Beiiiert 

am 10. September lfi28 ais seine jun^o Gattin nach V 
folgte. Hier weilten sie längere Zeit. Mosclierosch war ge- 
rade stellenlos und befand aich nicbt immer in der besten 
Laune. Am 7. Juli 1629 wurde ihm ein Mädchen geboren, 
das nach der Großmutter Maria Veronika genannt wurde, 
aber schon am 24. Juli starb, Moscherosch besuchte viel 
seine Stralibiirger Freunde und vervollkommnete sich in den 
ßechtskenntnissen. Vorübergehend scheint er im Dienste des 
Grafen von Hanau-Lichtenberg gestanden zu haben. Er kehrte 
aber wieder nach Willstätt zurück. Damals versuchte er sich 
auch in der Dichtkunst und schrieb seine Epigrammensamm- 
lung ,Centuriae Epigrammatum 1630.° Seine Bemühungen. 
eine Professur der Poesie an der Universität zu Straßburg zu 
erlangen, schlugen fehl. Philipp Ulmann Böcklevon Böcklinsait, 
Amtmann von Willstätt, versuchte vergeblich, Moscheroscli 
eine Stellung in der Grafschaft Hanau-Lichtenberg zu ver- 
schaffen. Im Juli 163(1 erhielt er eine Stelle als Amtmann 
von Kriechingen, von wo ihn die Stürme des Dreißigjährigen 
Kriegs 1635 wieder nach Straßburg verschlugen. 

Ein herbes Geschick hatte inzwischen Ul>er Sitte Wald 
and den Angehörigen Moscheroschs gewaltet. Die Vermögejis- 
verhältnisse seines Vaters hatten sich bei den ersten An- 
zeichen des Kriegs verschlechtert. Schon 1630 ninsste er 
bei der Gemeinde Geld aufnehmen und zahlte einen Zins von 
.50 ß Uauptguts. Auch 16;i2 löste er 15 fif geliehenes Geld 
wieder ans, blieb aber noch 18 S schuldig. Die heranwachsen- 
den Söhne und Töchter beanspruchten immer mehr die elter- 
liche Füi'sorge. Drei Schwestern des Satirikers Moscherosch 
wui'den nach Willstfitt verheiratet. Am 21. April 1628 wui"de 
Euphemia mit dem Wagner Michael Back zu Willstätt ge- 
traut. Am 2. März 1629 heiratete Maria Salome den jungen 
Willstätter Schwanenwirt Bernhard Happ, gebürtig aus Scherz- 
heim. Am 14. Februar 1631 folgte Maria Magdalena, die 
sich ebenfalls nach Willstätt mit dem Hafner Hans Zieglev 
verehlichte. (Willstätter Kirchenbuch.) Aber die anf- 
lodeinde Kriegtifackel machte den Erfolg fleißiger Hände mi- 
mÖglich. Am 18. Februar 16il2 wurde Willstätt von den 



I MuM'lieiO^ril Ll[jd s 



t WilUtjl 



\'X) 



Kai serlich eil uiiigenonimen und gebrandschatzt. A'iele Eui- 
■wohnei- erlagen den Orauaamkeiteii der Soldaten. Die Mädchen 
■wurden den Eltern entrissen und weggefühi-t. Infolge der 
Ausplünderung war Michael Moscherosch unfähig, 1633 den 
vrm .370 ff Hauptguts falligen achten Teil für .Georg Tilgers 
hoben von Ulm' zu bezalilen. Die Genioindo erlegte ihm 
diese Siirame. Im Herbste des nächsten Jahrs (1634) näherte 
sich Johann von Werdt dem befestigten Willstätt. Am 
27. September, als eben noch alle Scheunen gefüllt waren, 
wurde das Städtchen eingenommen und niedergebrannt. Auch 
das Haue Moscheroschs ging in Flammen auf. Die Einwohner 
flßchteten sich nach Straliburg oder nach der Schweiz. Der 
Schaden war groli. Als am 4. März 1635 der Kriegsschaden 
zusammengestellt wurde, stand in dem Willstfitter Kriegs- 
sc h ad enver zeich n is : „Michael Mosohorosch hatt Brantschaden 
angeben an Hauil, sclieur, Stall, Hau, Stro, Haußrath, ge- 
sehätzt für 1800 fl." Die Familie Moscherosch flüchtete sieh 
nach Strallbnrg und kehrte nur zu den Feldbestellungsai-beiten 
■wieder zurück. Es brach eine schreckliche Hungersnot aus 
und dazu hauste die Ruhr. Hans Michael Moscherosch traf 
damals in StraÜburg mit seinen Kindern als Fltlchtling mit 
seinen verai'mten Willstätter Angehörigen zusammen. Er 
konnte all den Schmerz mit den Seinigen teilen. 1634 war 
ihm die erste (iemahlin und 1635 auch die zweite, Barbara 
Paiiiel, durch den Tod geraubt worden. Nun sass auch er im 
Elend als Witwer. Einer seiner BrUder, Hans Christoph, 
war Wundarzt und Barbier in Straliburg, ein anderer, Maternus. 
war Schuhmacher dortselbst. 1636 hatte eich die Familie 
Moscherosch wieder nach Willstätt gewagt. Hunger und 
Krankheit wüteten fiirchterlich. Unter den vielen, die jenen 
.Sommer dem Ansteckungstod erlagen, war auch Moscheroschs 
Vater. Die letzte Ehre wurde dem Strebsamen am 10. Juli 
lf>36 erwiesen. Nun war für die Familie Moscherosch weder 
Auskommen noch Sicherheit in Willstätt zu erhoffen, sie 
flüchtete wieder nach St^aÜbu^g^ Willstätt war ein verödeter 
* Hoetherosuhs Hjchwesler Maria Mti{;i)iilpniL starb am 4. t>i>ptember 
]n:iT Bis KIU.'htige iu SlraUburg. 



1 94 Beinert 

Ort. Das Schicksal seiner Angehörigen und seiner Vaterstadt 
berührte unsern Satiriker schmerzlich. Sittewald hat daher 
einen wesentlichen Anteil an den Strafschriften. Mit welcher 
Liebe er an seinem Geburtsorte hing und mit welchem 
Schmerz er dessen Untergang empfand, bezeugt er in den 
Gesichten, wo er sagt: „ Sitte wald, die vor Jahren schöneste 
Spatzier- und Lust- nunmehr aber in den Boden ausgebrandte,. 
geschleiffte und unkandbare Wilde statt* (Ges. I 338). An 
den schwedischen Kanzler Oxenstiern schreibt er gelegentlich 
seiner Verhandlungen von Benfeld aus: „Nachdem mein Vatter- 
land Wilstett, under dem Graven von Hanaw, eine Meile 
ienseits des Rheins gegen Straßburg über, ganz in grund ab- 
gebrannt, ich auch von meinen anererbten Gütern, under dem 
Herren Rheingrafen zu Finstingen gelegen — zum vierten 
mahl durch die Lothringische vertrieben — hab ich mich 
endlich nach Straßburg begeben** *® (1642). 

In poetischer Form beklagt Moscherosch die Verwüstung 
seines Geburtsstädtchens in einem Reisegedicht an seinen 
Freund Melander (Ettlinger, Ungedruckte Gedichte Mosche- 
roschs, Zeitschr. des Vogesenklubs, Straßburg Bd. 16). 

Aus Melanders Abschied: 

^So zieh nur immer hiu! Ihr aber Wiesen, Felder, 

Statt, Dörfer, Luffl und Land, Ihr Wasser, Wunne, Wälder 

Und du, du Edler Rhein, Ihr, Neckar, Donau, Lech, 

Du werthe Kintze du, die du mein Sittewaldt 

Wilstätt, befreyter lust vorhin ein auffenthalt, 

Jetzt, daß es Gott erbarm, ein eingeäschte Statt, 

Du werthe Kinze du, in deren ich geschwommen, 

Laßt es Melander nicht entgelten. — 

Nun 80 zieht Melander frey. 

Laßt, Ihr Wiesen, Wasser, Wälder, 

Laßt Ihn, Gärten, Berge, Felder, 

Eure Pässe gehn vorbei. — ** 

Wenn Melander auf der Heimreise an Sittewald vorbei- 
kommt, so soll er es beweinen. 



^'^ Briefe von Moscherosch, Zeitschr. f. deutsche Phil. 21, S. 183 ff., 
Witkowskv. 



.Iiiliann Micliacil MosvliKruscb und neia tiebiirlsurt WillaUtl. 1<)5 

.Doch, ach Melaniier. wan Du koiumBt nnuh SittewnJd 

Und die vor sohflim Statt ietzt Hieheet in gefilden, 

In Kirch. S.'hlnil, Garten. Wnlil imri Häusern au verwildern, 

Die durch UnmSniichen grimm verstelle tingestalt, 

Ach, SCI heseufize doi^h mein armes Vatterland! 

Das Haue, darina ich hin an diese Welt Kebohren. 

Das ist durcli Schnauberey im Feur und Rsuch veriohren. — 

Ü weh uns Teutsrhen. wehl Es ist nicht umb dio schand 

Noch umb den ejintt allein ; Es ist vielmehr des schad 

Des armen Teiitnchen lands. das lang genug gelitten, 

L'öd wider seinen Kuhm und Freyheit selbst gestritten." 

Seit dieser verhängnisvollen Katastrophe Sittewalds be- 

. gegnen wir keinem Einwohner des Namens Moscheroach" 

mehr. Die beiden in Willstätt verheirateten Schwestern 

haben jedoch Nachkommen im Dorfe zurückgelassen, so das» 

auch lieute noch Willstätter ihre Verwandtschaft auf den 

Kirchen Schaffner Michael Moscherosoh werden zurUckführen 

, können. Da die Moacheroschischen Erben ihre Güter alle in 

der Willstätter Gemarkung liegen hatten, so traten sie noch 

oft in Beziehung mit ihrer alten Heimat. Am 14. Juni 1(547 

! treffen wir Johann Christoph Moscherusch (geb. am 13. Juli 

; 1617), Barbier und Wundarzt in Straßburg, wo er sich das 

; Bürgerrecht erworben hatte, wieder in Willstätt, um sich an 

' diesem Tage eine Geburts- und Abschiedsurkunde ausstellen 

, zu lassen. Auch Matemus Moscherosch weilte in Straßburg 

i and war Schuhmachermeiater seines Berufs, Er war viel 

jfinger als Hans Michael, der in angesehener Stellung als 

' Straßburger Fiskal ganz andere Lebenslwdingungen hatte. 

I' Jedenfalls haben sich die Brüder nichtsdestoweniger nahe- 

1 gestanden. Auch Maria Salonie, die 1629 den Willstätter 
Schwanenwirt Kapp heiratete, weilt« in Straßburg, wiihrend 
eine andere Schwester AiiiaUa ihren Hausstand in Lichtenau 

" In Straßburg und im Elaaas kommt noch heute der Name .Moachen- 
vor. Dies ixt die älteste Namensfurm von dem spanischen „Masen- 
MoacheroBch fand icli nicht mehr im Elsasa als Familienname, wnl 
(in StraÜburg) .Mosebenrosth*, eine Form, die uns auch in frauzii- 
ler Schreibweise fdr den Satiriker begegnet. .Moscherosch' ist nur 
iWillstitter Form, die Kuerst „Mogchoroach* hieß. 

13* 



M 



19« llein-Tl 

litttte. Eine dritte Schwester des Satirikers. Maria Jakolm. 
wat' an Michael Reichert, einen gräflich hanaiiiBoheii Kapfl- 
laniis zu Hanau, verlieiratet. Ißfifi war sie schon Witwe. 
Aus zwei weiteren Faniilienpapier£<n. die aus dem Nachlasse 
des geistlichen Rats tirieshaber an die L'niversitätebibliothek 
Freibnrg gelangten, geht hervor, dass Hans Michel Moscherosoh 
seine Miitt«r im hohen Alter in Straßbnrg Ikü sich hatte. 
Er besorgte ihre Verniögensangelegenheiten inid quittierte in 
den vorliegenden Fällen in ihrem Namen und Auftrag. Seine 
hierauf bezügliche Formel lautet: .Darüber auch meine Mutter 
Ihm dise Quittung zu geben inii' befohlen . . . geben in 
Sti-aliburg . . . 165:i," Wir erinnern uns dabei an das Denk- 
mal der Liebe, daa er seiner Mutter in dem Bilcldein Insomnis 
cura parentum 1643 setzte, S. 19: , Drittens, damit ihr meiner 
Mutter, die ich euch vor Gott treulich empfehle, in ihrem 
Alter nacli nützlichkeit behülflflich und bedienet sein möget . . . 
Thut Ihr Liebs und guts: haltet sie in Ehren. . . . Darumb 
so jitieget ihrer wann ich nichts mehr thun kan," 

Wie Mosdierosch seine Mutter pflegte, so half er auch 
den in Not geratenen Geschwistern. Er konnte da-s um so 
eher, als er 1R42 selbst nach Htraßburg übersiedelte, aller- 
dings als ausgeplünderter und ausgeraubter Mann. Doch hier 
entfaltete er seine erfolgreiche Schrif'tstellertätigkeit und er- 
langte bald eine sichere ^Stellung als Fiskal der Stadt StraQ* . 
bürg (1G45), nachdem er bald als juristischer Beirat, bald al» j 
Gesandter der Stadt oder der verwitweten Herzogin 
Württemberg in Paris Dienste geleistet hatte. Ernsthaft be- | 
schäftigte ihn auch die Sorge um seinen jüngsten, äußert-^ 
ordentlich begabten Bruder Quirinus. der ebenfalls dichtetfl 
und in den Pegnitzer Blumenorden aufgenommen wmde. 
gab 1673 eine Gedichtsammlung , Das Blumenparadies" heraus** 
Auf Anleitung und wahrscheinlich auch mit Hilfe seines ' 
Bruders besuchte er die Lateinschule in Straßburg und stu- 
dierte um 1646 Theologie dortselbst. Mit welcher besonderen 



" !650 erschien * 
angestimmt durch Qniri 



1 iliin „Geiatjiclie Bnß- Freud- iiiid FriöleDslieder 
la Moach«ro8cli vou WilletSdt*. 



-liiT.rtriii in-lii 



t wiiisiHit ly; 



Liebe sich die beiik'ii Brüder begegneten, bezeugt eine merk- 
würdige Stelle in den Höllenkindem, wo , Reiner von Sitte- 
wald" — das ist das Pseudonym des jungen Quirinus Musehe- 
rtisch — in der Szene vom Studentenleben eingeführt wird 
IS. 426, 1650). Der Satiriker erblickt unter den unmäßig 
tobenden Studenten auch Heiner von Sittewaid. Er winkt 
ihm und heißt ihn folgen, damit nicht die Stricke Über ihn 
geworfen werden. Kaum hat Philander seinen Bruder ge- 
rettet, als das ganze Zimmer mit Donner und Krachen iu 
lichtei'loher Flamme steht mid die armen Seelen wie in einem 
GIftsofen schmelzen. Beide erseufzen und danken Gott für 
die Kettung. Den Dank spricht ein religiöses Gedicht Keiners 
aus. das Moscheroseli einführen wollte. Zu dem Bruder aber 
spricht er: ,TJnd du Reiner . , ., du siehe»t wie brüderlich 
ich dieii zurückgezogen, erkenne du, dise Genade, und gehe 
Gott danck und thue denen nach mir, wie ich jetzt an dir 
gethan habe.* Heiner sprach: S. 436; „Und nun erkenne 
ich auch, dass mich Gott aull sondern Gnaden für dem Under- 
gang erlialten Imt." Sicher hat diese Stelle symbolische Be- 
deutung, sie enthält eine Wendung in Keiners Leben, seinen 
Ruf zur Theologie. Und dazu hat ihn Hans Michael, sein 
miter dem Kreuzesjocb schwer gebeugter Bruder, bestimmt: 
auch hatt& der 1(>2+ geborene Quirinns" in AVillstätt liei 
seinen Eltern den Kelch des bittern Kriegaelends iTiilkosten 
müssen. 

Noch lange hat das harte Schicksal Sittcwalds in der 
Seele der Brüder nachgehalit. Von einer Durchreise nach 
Tübingen Ui4(i über VViilstätt wurde Quirinus so betrübt, 
dass er 1R57 jenen traurigen Anblick des Dorfs in den Ein- 
weihungsgedichten der Willstätter Kirche schilderte. Sie 
tragen den Titel „Kriegs-Sturm und Sieges-Thurm" '*, -Die 

" QuiriniiH gnb der UeBicIiteoausgubp üunn MiuhtielB von lli'it} aiicli 
eine Widmung bei: „So recht mein Bruder usw.*. das er mit .tientinn» 
KcTRunua R«iner von Sittowold' unteraei ebnet. Oittiriur und Erich 
Schmidt. Z. f. d. A. S. 23, 74, hatten andere Vermutungen. 

" Gearachl in der Zpitsühritt farGeacbichte des OherrheinaN. F. XX, 
liMK. 260-271 (FrankhBiiserj. 



J_J 



1 98 Beinert 

Liegenschaftsverkäufe führten noch oft die in Straßbur^ 
weilenden Glieder der Familie Moscherosch und sicherlich auch»— 
unsern Satiriker nach Willstätt. 

Das Bannbuch des Fleckens zählt 1659 noch fünf Jeucl 
Acker und vier Morgen Wiesen als Eigentum der Moscheroschi- 
sehen Erben auf. Aus dem Grundbuche für Ausmärker ent- 





nehmen wir noch 1664 vier Morgen Grundbesitz. Zieht maimr Ji 
in Betracht, dass im Dreißigjährigen Krieg wol schon manches 
Stück Feld in andere Hände gelangt war, so kann man du 
Landwirtschaft des Vaters Moscheroschs nicht gering schätzen _ 
In der Zeit von 1652 — 1687 wurden von den ÜberlebendeiÄT 
der Familie Moscherosch Liegenschaftsverkäufe über 6Va JeuclwÄT^ 
und fünf Stück Acker ohne Maßangabe, sechs Morgen Wieseimr ^n 
und einen Hausplatz im Dorfe Hesselhurst abgeschlossen '^ 

Von besonderer Wichtigkeit ist für uns der Verkauf deirmr-^^r 
Hofraite des väterlichen Wohnhauses Moscheroschs. Anm: m'm 
17. Oktober 1670 verkaufen Johann Christoph Moscheroschs: ÄTh 
und „Meister Matern** an die gräflich hanauische Herrschaft:^ -^• 
«Ein Hofifstatt oder Haußplatz gelegen in dem Flecken. 
Willstätt, einseit neben Hannß Adam Metzger, Bürgern und. 
Schumacher alhier, anderseit neben Besagter Hochgräffl. Herr- 
schafft als Käuffern mehrerw. guets, vomen auflf die Land- 
straß, und liinden aufif die Kintzig stoßendt . . . fUr 15 8^ 
Pfenning Straßburger Bahren gelts.** Die hier im Besitz der^"^*^'*^ 
Mosch eroschischen Familie sich befindende Hofstatt ist nichts ^^-^ 
anderes als die Stätte des 1634 im Kriegsgetümmel nieder- - — '" 
gebrannten Wohnhauses, dessen Schicksal auch Philander in 
dem Abschiedsgedicht an seinen Freund Melander beklagt. 
Seit jenen Schreckenstagen war es nicht wieder aufgebaut 
worden. Ob dieses Haus auch das Geburtshaus Hans Michaels 
gewesen ist, kann man nicht mit Sicherheit behaupten wollen, 
wennschon die Wahrscheinlichkeit dafür spricht. Jedenfalls 
al>er ist es seiner Eltern Heim und seine Erziehungsstätte ge- 

'* Am längsten besass der Pfarrer Quirinus Moscherosch (1656— 167r) 
Pfarrt^r in Hodersweier» (iüter in Willstätt. In dem letzten Kaufbrief 
von 1»>8T werden Sophia Von^nioa, Carl Gottwald. Susanna, Ester, Johanna 
und Christinna seine Kinder irenannt. 



Geburtsort Willstatt 19!) 



■wesen. Diese Gewisslieit kauii uns noch von gi-öUerem Werte 
sein. Dadurch, dass Wiilatätt nach der Zerstörung im Dreißig- 
jährigen Kriege wieder neu nnd anders aufgebaut wurde, ist 
es schwierig, den Standort des Moscheroscliischen Hauses 
genau zu bestimmen. Drei Punkte der Angaben im Kaufbrief 
geben einen Fingerzeig. Hinten floss die Kintzig vorbei, vorn 
schaute es auf die Landstralie und grenzte an das Grund- 
eigentum der Herrschaft, also an das Schlossgebiet. Wenn 
dieser letzte Punkt richtig vermutet ist, so müssen wir die 
Lage des Hauses etwa an der Wegbiegung bei der Willstätter 
Mühle suchen, die herrschaftlich war und wo die Hofraite 
angrenzte. 

Bisher liat sich Willstätt und das Hanauerland seines be- 
rühmten einheimischen Schriftstellers wenig erinnert. Doch 
lebte er von einem Meiischenalter zum andern foi-t: jeder 
WUIstStter Bürger weili von ihni, ja seine Werke werden 
noch gelesen. Seit den neunziger Jahren hat sich das Inter- 
esse für ihn durch zahlreiche Arbeiten und Aufsätze über 
seinen Lebenslauf und seine Bedeutung im engeren wie im 
weiteren Vaterlande gesteigert'". Er ist heute geachtet als 
Schilderer der Sitten und des Modewesens aus der kultur- 
gesebichtlich so bedeutenden Zeit des großen Kriegs, als deutsch 
denkender Verfechtei' unseres Volkstums und endlich als 
Sprachreiniger '^. Daher fand die Anregung zu einer Denk- 
^malsstiftung , die von Willstfitt ausging, gerne die unter- 
'Stützung vieler Verebter und vor allem des Allgemeinen 
(Deutschen Sprachvereins, der das Unternehmen durch einen 
I hohen Beitrag wolwollend förderte. Der Grundstock zur 
[Denkmalsgründung wurde durch die hochherzigen Stiftungen 



aie 



ErwAliot seien noch Heinrich Schlosser, J. M. Mosclieroscb iinJ 
i4ie Burg Gernldseck im Wasguu. Straßburg 1893, in den Berichten Ober 
;^haltung der gesch. Denkmäler in Elsass-Lotbr. : Ernst Martin, Vortrag 
'17. Juni ISn zu FinBtingen. Jahrb. f. Oeach. uew. Ton Elaa.'u-Lothr. ; 
l^einert, Deutsche Quellen und Vorbilder zu Moscheroachs Gesichten, 
(-JUemimii« N. F. V, ]!KI4, 161—222; Dr. I.asch. HoscberoHch, in EIsähs. 
l<I«beDibilder, Strasburg l'Mi. 

" Vgl. meinen Aufsatz i. d. Zeltachr. f. deutRche Wort forsch uni; 
IVJ, 1904, 76-89. 




200 Beinert — Johann Michael Moscherosch u. sein Geburtsort Willstätt 

der Familie König in Willstätt und des Willstätter Spar- 
vereins gelegt. Gerne ist Schreiber dieses dem Plane mi 
zwei Moscheroschvorträgen am 18. Dezember 1904 und ait 
8. Januar 1905 zu Gunsten des Denkmals zu Hilfe gekommen 
Mit Erlaubnis Großh. Oberkirehenrats ist auf dem Platz« 
neben der stolzen Willstätter Kirche das Denkmal errichte — t 
und am 9. Juni d. J. enthüllt worden. Möge nun das Bilci^d 
des Manns zu denjenigen reden, die ihn nicht kennen, mög^ -i^o 
es ein Stück deutscher Vergangenheit aus dem Dreißigjährige]«' -n 
Krieg und aus dem Leben und Streben des Gefeierten im Geist»- -::^e 
derjenigen wachrufen, die ihn zu verstehen wissen. Sittcwal^ M\i 
hat seinen Philander gebührend geehrt. 



Zu Otto Böckeis 
„Psychologie der Volksdichtung" \ 

Von Bernhard Kahle« 

Das Folgende will keine Kritik von Böckeis schönem Buche 
sein. Es sind einige Bemerkungen und Anmerkungen, die mir 
beim Lesen eingefallen sind, und sie sollen Zeugnis ablegen 
von dem Interesse, welches das Werk bei mir erweckt hat, 
von dem Genuss, den ich dabei gehabt habe. Gleichwol mögen 
einige allgemeine Betrachtungen voranstehen. Nachdem der 
Verfasser im Jahre 1885 sein Buch „Deutsche Volkslieder aus 
Oberhessen " veröffentlicht hatte, das besonders um seiner Ein- 
leitung willen von hohem Wert ist, war er verstummt. Aber 
dass er seiner alten Liebe zum deutschen Volkslied nicht untreu 
geworden ist, zeigt dieses Buch. Er bezeichnet es selbst als 
ein Lebenswerk, das Heimweh zum deutschen Volkslied hat 
ihn dazu getrieben, seine alten Studien wieder aufzunehmen. 
Jeder Freund deutscher Wissenschaft, deutschen Volkstums 
kann ihm nur aufrichtig dafür danken. Denn wenn er auch 
in bewundernswerter Weise in die Volksdichtung der europäi- 
.schen Völker eingedrungen ist, und darüber hinaus die Dich- 
tung anderer Völker zum Vergleich heranzieht, so hängt sein 
Herz doch am deutschen Volkslied, am deutschen Volkstum. 
Und 80 ist denn auch sein Buch durchdrungen von einem 
warmen Herzenston. Sein Herz fühlt mit dem, was das Volk 
in seinen Liedern singt. Feinsinnig spürt er den llegungen 
der Volksseele — wenn es noch erlaubt ist, diesen Ausdruck 
zu brauchen — nach. Er empfindet Leid und Freud des Volks 
mit, lebt mit in der Natur, wie sie das Volkslied schildert. 
Das alles macht sein Buch nicht nur dem Forscher zu einer 

' H. <;. Teubiier, Leipzig V.m. 



202 Kahle 

schier unerschöpflichen Quelle — der verarbeitete Stoff ist ein 
ungeheurer — sondern es bewirkt auch, dass jeder Gebildete, 
jeder Freund der Dichtung viel Anregung aus dem Werk 
schöpfen, dass er es mit Genuss lesen wird. So sei es denn 
weitesten Kreisen aufs angelegentlichste empfohlen. Um von 
seiner Reichhaltigkeit einen Begriflf zu geben, will ich wenig- 
stens die Titel der einzelnen Abschnitte anführen. 1. Der Ur- 
sprung des Volksgesanges. 2. Das Wesen der Volksdichtung. 
3. Das Entstehen des Volksliedes. 4. Volksart und Volksdich- 
tung. 5. Die Sprache der Volksdichtung. 6. Volkssänger. 
7. Die Frauen und ihr Anteil am Volksgesang. 8. Die Toten- 
klagen. ^ Stätten des Volksgesanges. 10. Lebensfähigkeit 
der Volksdichtung. 11. Wanderungen der Volkslieder. 12. Wett- 
gesänge. leS. Wirkung des Volksgesanges. 14. Der Optimismus 
der Volksdichtung. 15. Mensch und Natur. 16. Das Gefühls- 
leben im Volksliede. 17. Humor und Spott in der Volksdichtung. 
18. Geschichte und Volksdichtung. 19. Das Kriegslied. 20. Hoch- 
zeitslieder. 21. Das Verschwinden der Volkslieder. 22. Aus- 
klang. Register. 

Im 1. Abschnitt handelt Böckel von den Rufen, aus denen 
das Volkslied hervorgegangen sei, und spricht dabei auch von 
den Rufen der Straßenhändler. Sie seien heut im deutschen 
Straßenleben geschwunden (S. 4 Anm. 1). Dem ist doch nicht 
ganz so. So höre ich von Zeit zu Zeit einen Mann, der mit 
Holzsieben handelt, sein „si^bä, siebä" regelmäßig auf der 
Straße ausrufen, auch Kartoffeln und Besen werden hier (in 
Heidelberg) noch ausgerufen. In Darmstadt ertönt noch der 
Ruf „Dannebäl** (Tannäpfel). In meiner Jugend habe ich in 
Berlin noch allerlei ausrufen hören, zwar nicht so auf den 
Straßen, das verbot sich zum Teil wegen des Straßenlärms, aber 
in die Höfe der Häuser kamen die Händler und riefen ihre 
Waren aus, wie „Beren** (Birnen), „Bücklinge*, „jroße jrüne 
Häringe'', „Saand"*. Ob das ganz verschwunden ist, kann ich 
freilich nicht sagen. In Kopenhagen stand das Ausrufen auf den 
Straßen vor einem Jahrzehnt wenigstens noch in voller Blüte. 

Ein Karakteristikum des Volkslieds ist im allgemeinen 
seine Anonymität. Das Volk kennt die Verfasser nicht und 



Zu Üttu Buckels , Psj-rliologk der Vi.lkädiclitung' yO.^ 

fragt auch niclit nach ilinen. ,Die Dichter betrachteten sieh 
selbst nur als die ersten Sänger ihres Lieds' (S. 17). Wir 
haben hierzu eine seliöne Parallele bei den islandtBclien Faniilien- 
sagas, jenen klassischen Prosaerzähluiigen, die direkt aus den 
inilndliohen ÜberHeferungen herausgewachsen sind. Auch bei 
ihnen kennen wir keine Verfasser. Der Grund dafür ist zum 
Teil ähnlich wie beim Yolkshed. Das gleiche gilt für die so- 
genannten Eiidalieder. Die Isländer hätten aucli unter den 
Völkern angeführt werden können (S, 22 ff.), denen die Gabe 
des Stt^greifdiclitens in boheni Malie eigen ist, von der alten 
Zeit an bis jetzt. Die Sagas sind voll von improvisierten 
Versen, »nd diese Gabe ist bis heute noch nicht erloschen. 
Einige Proben führt Poestion. Isländische Dichter der Neuzeit. 
S. I4£F. davon an. Als ich einmal in Begleitung eines alten 
isländischen Bauern ritt und mein Pferd strauchelte, so dase 
ich fast zu Fall gekomnieit wäre, machte er Hugs ein paar 
Vei-se auf das Ereignis. Freilich handelt es sich auf Island 
um Verse zum Sprechen, nicht zum Singen. 

Im 2. Abschnitt handelt Böckel von den Totenklagen und 
schildert auf 8. 102ff. die Verbreitung, die Entwicklungsstufe 
und die Besonderheiten der Totenklage bei solchen Völkern, 
über deinen Klagesitten er Näheres zu. ermitteln vermochte. 
Hier werden merkwürdigerweise die Germanen mit der kurzen 
Bemerkung, unter Hinweis auf die zahlreichen altdeutschen 
Namen für Totenklage, ahgefeitigt, dass sie die Sitte des Be- 
klagen» der Toteil übten. Freilich trennt Böckel, S. IUI Änni. 1, 
von der volksmäUigen häuslichen Totenklage, von der er allein 
liandelt, eine feierliche, offizielle Tot^nklagc für Fürsten 
und verdiente Priester und Krieger, die es noch bei verschie- 
denen Völkern gab, von denen er als Beispiel nur die Griechen 
nennt. Hier hätte er die Goten anführen dürfen. AU in der 
Schlacht auf den katalaunischen Feldern (,451) der Gotenkönig 
Theoderich gefallen war, trugen die Goten seine Leiche unter 
■ jffwisenden Liedern zu Grabe, wie Jordanis K. 41 erzälilt". 
Daa dürften doch wol improvisierte Lieder gewesen sein. Und 



Vgl Kogei, Gesch. d, deuUch. LUteratui- 1, 47. 




204 Kahle 

noch ein zweites Beispiel geliört liierher, das zwei Jalire 
später erfolgte Leiclienbegäiignis Attilas, über das gleiclifalls 
Jordanis K. 49 bericlitet. Hier umreiten die Helden, und zwar 
aller Wahrscheinlichkeit nach auch Goten ^, den Grabhügel und 
preisen den Attila in einer Totenklage (cantu funereo). Audi 
den Inhalt des Lieds kennen wir: er wird als Alleinherrscher 
der skythischen und germanischen Lande gepriesen, vor dem 
beide römische Reiche zitterten und dem sie Tribut zahlten -^ 
nicht durch Wunde der Feinde, nicht durch. Verrat ist er ge- — 
sterben, inmitten der Seinen von Freude umrauscht froh un^^tV 
schmerzlos. Fnd wie noch heute bei der Heimkehr von so! 
datischem Leichenbegängnis frohe Marschlieder erschallen, od o — v 
wol noch nach studentischem das Gaudeamus igitur gesunge — ^-^ 



wird, oder wie in G. Kellers „grünem Heinrich" nach dei imrxn 
Leichenbegängnis der Bäuerin der Tanz der Jugend folgte, s^?= — ^o 
feierten auch die Helden auf dem Grabhügel „eine sogenannt ^rÄe 
Strava, d. h. ein gewaltiges Trinkgelage, und heßen die Totermr "H- 
klage. Gegensätzliches in eins verschlingend, in Außenmge — -?i^ 
der Freude übergehen". Auch das müssen improvisierte Liede-rE^:^^^ 
gewesen sein. In beiden Fällen sind es Männer, die sie singeic *^- 
Inhaltlich stellt sich die Klage an der Leiche Attilas zu de«: ^^" 
schottischen Totenklagen, in denen die Taten des Verblichene«: ""^^ 
(und seiner Vorfahren) aufgezählt wurden (S. 106). Wemi al)ei: -*^^ 
diese Totenklagen als feierliche aus der Volksdichtung aus- 
zuscheiden sind — obwol mir dies nicht recht einleuchtet 
so hätte vielleicht ein drittes von Kögel* angeführtes Zeugniss ^ *^ 
des Prokop, de hello Gothico H, 2, angeführt werden können.^ *^- 
Als die Goten TiS? vor Rom lagen, erschollen Klagelieder^*^ **• 
i>(ifj vot TToXXol %al xtox'jTol (JLSYdXot , aus dem gotischen in da» -^^ 
römische Lager herüber. Der Vorgang spielt sich nachts ab 
und so denkt Kögel daran, dass wir es hier eher mit ^dei 
lyrischen, mit Klagerufen untermischten Schmerzausbrüchei 
während der Leichenwache" zu tun haben. Hat Kögel recht 
dann liegt hier also eine Totenklage der Art vor, wie sie Böck( 



* K0gel a. a. 0. S. 47 f. 
« A. a. 0. 8. 40. 




Zu Otto Bfickc)» „Pj-jchulosie dei- Vnlksdiehtuiig 



l>ehaiidelt. Das letzte, von KOgel angefiüirte Beispiel aus alt- 
germanisclier Zeit, die Klage bei der Bestattung Beovulfs. 
scheint der Beklagung Ättilas ähnlich gewesen zu sein. 

Zu den europäischen Völkern, bei denen die Totenklagt- 
flblich war, gehören auch die Lappen. Ein Leichenbegängnis 
der nissischen Lappen beschreibt der Arzt Pierre Maitin de 
1b Martiniere, der im Jahre 1685 eine nordische Reise von 
Kopenhagen aus antrat. Ans seiner Reisebeschreibung habe 
MCh einen kurzen Auszug in der Zeitschi-, d. Vereins f. Volks- 
kunde II, 4:jlff. veröffentlicht. Das Klagelied, das die Lappen 
am Sarge des Verstorbenen sangen, hat sehr viel Ähnlichkeit 
mit dem von Böckel angeführten (S. llfi) der alten Preußen. 
Sie fragen ihn, warum er gestorben wäre, ob ihn seine Frau 
«rzürnet, ob man ihn an einer Sache habe notleiden lassen, 
«b er Hunger oder Durst ertragen, ob er Schaden an der .Jagd 
4|der an Fischen erlitten und nicht gute Kleidnng gehabt 
3iabe. 

Zuweilen sieht wol Böckel etwas zu pessimistisch, so wenn 
«r z. B, S. 146 sagt, „es ist still geworden auf dem Dorfe, 
^er Volksgesang ist verstummt". In dieser Abaolutbeit gilt 
ijer Satz glücklicherweise doch nicht. Wie wäre es sonst 
iteöglich gewesen, um von neuesten Sammlungen zu sprechen. 
Nlasfi Frl. Uarriage in Handschuhsheim, das jetzt mit Heidelberg 
JTVerwachsen ist, so viel Lieder zusammenbringen konnte, und 
fawar nicht von alten Leuten, die das Gut einer vergangenen 

iüleit bewaliren, sondern von jungen Mädclien, die in den Vor- 
«etzstuben, den Nachfolgerinnen der Spinnstuben, und am Sonn- 
4 nachmittags auf fröhlichem Wald.spaziergang sangen, oder 
ätte Ä. Bender in Oberschefflenz doch auch von der 
Generation eine ganz erkleckliche Anzahl Lieder an- 
i oder Kiapp 200 Stück aus dem Odenwald aufschreiben 
[Onnen? Und nut eigenen Ohren haben wir Heidelberger es 
pehört, welch Schatz von Liedein z. B. noch das kleine Dörf- 
^en Langental, ein Filialdorf Hirschhorns, im hessischen Oden- 
bewahrt. Sicherlich ist die unverständige Arfc, durch 
! alte Volksbräuche unterdrückt werden, ohne dass auch nur 
r Versuch gemacht wird, sie zu veredeln oder zu verbessern. 



206 Kahle 

sehr zu beklagen. Gelegentlich geschieht aber solches doch, 
wie z. B. Andree in seiner braunschweigischen Volkskunde 
aufführt. Im Söllinger Wald sind die Hausväter zusammen- 
getreten und dulden keine unbeaufsichtigten Spinnstuben. 
Wie durch Unverstand uralter Brauch leicht unterdrückt 
werden kann, habe ich gerade in dem erwähnten Langental 
gesehen. Dort findet an Fastnacht alljährlich das Wälzen 
eines Feuerrads statt. Dazu bedarf es vieler Bunde Stroh 
und diese heischt die Jugend vorher von den Bauern. Vor^ 
ein paar Jahren nun wollte der zuständige Gendarm da- 
gegen als gegen Bettelei einschreiten. Nur mit Mühe wurde 
es verhindert. Wäre das Verbot durchgeführt worden, wäre 
dem alten schönen Brauch natürlich der Todesstoß versetzt 
worden. Ins selbe Kapitel gehört es, wenn vor vielen Jahren 
ein Schullehrer desselben Orts das alte Lied, das man zum 
Wälzen sang, abschaffte — kein Mensch im Dorf mehr weiß, 
'wie es lautete — und durch das bei dieser Gelegenheit durch- 
aus unpassende „Goldene Abendsonne" ersetzte! Wie alte 
Bräuche sich wieder beleben lassen, zeigt der allmählich be- 
rühmt gewordene Heidelberger Sommertagszug, der jetzt so- 
gar in Mannheim, wo die Sitte ganz erloschen war, wieder 
aufgelebt ist. 

Zu den Beschäftigungen, bei denen noch der Volksgesang 
ertönt (S. 149f.), gehört für unsere Gegend z. B. noch das 
Hopfenzupfen („hoppezoppe"), so z. B. in Mückenloch, einem 
Dörfchen im Bauland. Das uralte geistliche Volkslied „Maria 
die wollt wandern gehn** (S. 164), führt Krapp (Odenwälder 
Spinnstube Nr. 185) mit dem Anfang „Maria ging ans Wallen** 
auch aus Schaafheim im Odenwald an. 

Dass man durch zauberischen Gesang den Bann des Grabs 
sprengen kann (S. 197), glaubten auch die alten Skandinavier. 
So erweckt Svipdag in dem eddischen Gedicht Grögaldr durch 
Gesang seine Mutter Gröa, um sich Rat und Hilfe von ihr zu 
holen, so die Hervor ihren Vater Angantyr, um den Tyrfing, 
das zauberische Schwert, zu erhalten. Dass der isländische 
Dichter des 17. Jahrhunderts, Hallgrimur Pjetursson, der auch 
noch nach dem Volksglauben die Macht besass, Tote aus dem 



Zu Otto Böi'kels „Psji-hologio dor VolkaJU-litung* 



ail7 



Grabe zu erwecken, ein Volksdichter gewesen sei, ist ein Irr- 
tum Böckeis, Er war Pfarrer und Verfasser kraftvoller geist- 
tieber Gesänge, die heut noch in Ansehen stehen. 

Ini 14, Abschnitt handelt Buckel von der optimistischen 
Auffassung der Volksdichtung. Ob es nun besonders glücklich 
ist, das Fortleben im Grabe hier einzureihen, stehe dahin. 
Zunächst bedeutet es ja nichts anderes als den Niederschlag 
eines allgemeinen Volksglaubens. Wenn (S. 211) der sterbende 
Seemann im neugriechischen Volksliede um ein ürab an des 
Ufers Rand bittet, damit er dort die Schiffer kommen sehe 
und den Ruf seiner Kameraden heim Lichten der Anker zu 
vernehmen vermöchte, so erinnert das an den Wunsch, den 
der sterbende Thorsteinn zu seinem Sohn Fridthjof ausspricht 
(Fridthjofssaga K. l), er möge ihn begraben im Hügel am Ufer 
des Fjords gegenüber dem Örabliligel seines kurz vorher ver- 
storbenen Freunds, des Königs Beli, damit sie beide noch nach 
ihrem Tode Zwiesprache über den Fjord hin halten könnten. 

In der Vorschrift, dass man nicht mutwillig oder unacht- 
sam auf die Ruhestätte Verstorbener treten soll, darf man 
kaum, wie Böckel (S. 211) tut, einen „edlen Zng der Natur- 
völker' sehen. Ea liegt hier nicht „feinfühlige Aufmerksam- 
keit* zu Gmnde, ist nicht , pietätvolle Behandlung der Gi-äber". 
Die Furcht vor der Hache der Toten, die nicht gestört sein 
' wollen, ist die ursprüngliche Veranlassung. 

Bei der auf S. 214 in den Anmerkungen angegebenen 
Literatur über Päanzen und Seele hätte wol auch die Heidel- 
berger Doktordissertation von M.Elizabeth Marriage , Poetische 
Beziehungen der Menschen zur Pflanzen- und Tierwelt im 
heutigen Volkslied auf hochdeutschem Boden", Bonn IS98 
(= Alemannia XXVI, 97 — 18'Si, genannt wenien können, wie 
vielleicht im 15. Abschnitt „Mensch und Natur" für den Teil, 
der das Verhältnis von Boss und Kelter bespricht, die jVrbeit 
von V. Negelein, Das Pferd im arischen Altertum (Teutonia 11). 
Zu den angeführten Beispielen von dem traulichen Verhältnis 
von Ross und Reiter würden sich noch gut die Worte stellen, 
die Skimir, der Fi-eiwerber des Gotts Freyr, auf dem ge- 
ßhrlichen Kitt ins Kiesenland an sein Koss richtet: 





i>()8 Kahle 

Dunkel ists draußen, mich dünkt, es sei Zeit 

Zu befahren das feuchte Gestein, 

Zu reiten ins Riesenland: 

Wir kehren beide zurück, oder uns beide wird fangen 

Der von Stärke strotzende Thurs. (Gering.) 

Schön spriclit sich hier aus, wie der Reiter sich eins mit den 
Ross fühlt, ein Schicksal erwartet sie beide. Und den Rossei 
als Todesboten (S. 251) reiht sich an Grani, das Ross de^^ 
Sigurd, das ohne Reiter vom Thing heimkehrt, auf dem dezr 
Held nach dieser Überlieferung erschlagen worden ist. Wi< 
Gudrun, die Gattin, zu ihm tritt, lässt er das Haupt hängei 
feucht ist sein Auge, er wusste, dass sein Herr gefallen (Gud- 
rünar kvida H), und wie das Ross des getöteten Kosacken wih 
umherläuft, mit den Hufen wühlt und schairt und klagen^^ d 
wiehert, so ist auch Grani mit Schweiß bedeckt und weithi^ir n 
erdröhnt das Getöse, das er macht. 

Auf S. 241 wird eine anmutige Strophe eines neugriechischeMr ^n 
Volkslieds erwähnt, die von einer allerliebsten jungen Wäscherin -iu 
handelt: 

Das Lüftchen hob ihr leicht 
Das runde Unterröckchen, 
Dass eben kam hervor 
Der Knöchel ihres Fußes; 
Da strahlte rings das Meer, 
Die ganze Welt erglänzte. 

Daran klingt in merkwürdiger Weise die Schilderung a«r ^^- 
die der Gott Freyr, im eddischen Lied Skimismäl, von de. -^^^^ 
schönen Riesentochter Gerdr* entwirft, die er vom Hochsitz ^^' 
Odins gesehen hat: 

In Gymirs (^ehöft gehen sah ich 

mir liebe Maid; 
Vom Glanz ihrer Arme erglühte der Himmel 

und all das ewige Meer. (Gering.) 

Das älteste — und zugleich eins der schönsten — Bei 
spiele vom heimkehrenden Toten und der Macht der Träne 
(S. 298 flf.) bietet uns das zweite eddische Lied von Helgi. Vo 
Walhall kehrt der Held noch einmal zum Grabhügel zuriiclc — 
' Tote ist also hier nicht, wie so oft sonst an die Be^ — - 




Zu Ottu Rüikels ,i\vrln.liigU' .kr Vclksdk'litiiiif!'' 



^09 



gräbnisstättä gebannt — , um nocli einmal der geliebten Sigriin 
im Anne zu scblafen. Mit Keif ist sein Haar bedeckt, sein 
J^eib trieft vom Leichentau, eiskalt sind seine Hände, seine 
Wunden bluten, und er bittet die Gattin, dass sie die strö- 
menden Bäche stillen möge. „Wie kann ich Hilfe, o Held, 
dir schatfen?" fragt diese ihn. Und die Antwort lautet: 

,Dn selber, Sigrnn von Sewafjoll, 

Du eläimende Sonne im goldnen Schmuck. 

Bist sfliiild. dass Helgi von Hui'mtHu trieft; 

Tüglich weinfit du, Tochter des Sudans. 

Ell ins Bett du gelist, bittre Trauen; 

Als Blut füllt jede auf des FQrateu Bruet, 

Kalt um) eisi^ unil kummerschwcr. (Gering.) 

Und das älteste, sicherlich auf volksmäßiger Grundlage 
beruhende deutsche Beispiel vom grimmen Humor der Helden 
(S. 307) haben wir wol in der Szene des Walthariliede, in der 
die Helden Günther, Walther und Hagen nach grausom Kampf, 
in dem der eine ein Bein, der andere eine Hand, der dritte 
ein Äuge verloren hat, versöhnt beim Gelage sitzen und sich 
gegenseitig in wilden Scherzreden schrauben. 

Die gegenseitigen Schraubereien der Helden vor Beginn des 
Kampfs (S. 328) kannten auch die Nordländer. Auch hier 
liefert uns die Liedeiedda wieder Beispiele. Im Lied von Helgi, 
dem Sohne des Hjörvard, wechseln Helgi und die Riesentochter 
ein Scheltgeapräch, allerdings handelt es eich hier nicht um 
einen Kampf, sondern darum, die Riesin so lange aufzuhalten, 
bis der Strahl der aufgehenden Sonne sie trifft und in Stein 
verwandelt. ScheJtgesprächc bieten auch die beiden Lieder 
von Helgi dem Hundingatöter dar, und weiteres Material findet 
man bei Heualer und Ranisch, Eddica minora, s. LXXI. 

Der Bauemburach, der ein stolzer Reiter werden will und 
von . seiner Mutter mit Ofengahel. Stubentür und Kührkiibel 
ausgestattet wird (S. 341), hat einen berühmten Vorgänger 
im jungen Parzival, den seine Mutter bei seinem Auszug in 
die Welt in Narrenkleider steckte. 

Dass das deutsche Volkslied — meist mit dem Kotzebue- 
acheii Anfang „es kann ja nicht immer so bleiben , . ," Na- 

■^lonnnuls N. F. S. S, ^^ 



210 Kahle 

poleon I. als Schustergesellen bezeichnet (S. 358), ist mir immer 
höchst merkwürdig vorgekommen und verrät allerdings, wie 
Böckel richtig bemerkt, wenig Verständnis für dessen geschicht- 
liche Bedeutung. Ich möchte hier eine Vermutung aufstellen: 
In der Odenwälder Fassung^ heißt es: ^Napoleon, du schlimmer 
Geselle ..." Sollte nicht vielleicht das Ursprüngliche sein: 
„du schlechter Geselle" ? Das konnte in norddeutschem Munde 
leicht zu „Schlächtergeselle" werden, wofür dann — solche 
Übertragungen von einem Handwerk auf das andere kommen 
ja öfter vor — „Schustergeselle" eintrat. Zu dieser Über- 
tragung hat vielleicht der Umstand beigetragen, dass der 
Schuster im Volkslied vielfach als heimtückisch gilt. 

Zu den Kriegsrufen (S. 360 flf.) können norwegische hin- 
zugefügt werden. Im Jahre 1030 zog der norwegische König 
Olaf der Heilige mit seinem Heer in seinen letzten Kampf 
unter dem Ruf: „Vorwärts, vorwärts Christimänner, Kreuzes- 
männer, Königsmänner I" Die feindlichen Bauern aber riefen 
dawider : „ Vorwärts , vorwärts Bauern I " ® Den Schlachtruf 
König Olafs nahm später König Suerre mit leichter Änderung 
wieder auf, indem er für Königsmänner einsetzte „des heiligen 
Olafs Männer" ^. Sie erhüben aber den Schlachtruf ganz in 
der Weise der alten Gennancn. Als König Olaf der Heilige 
aufrührerischen Bauern gegenüberstand, erhüben sie den 
Schlachtruf und schlugen an ihre Schilde®. 

An die Schlachtensänger, die vor der Schlacht die Kämpfer 
anfeuerten (S. 362), erinnert der isländische Skald Thormödr 
Kolbrunarskäld, der auf Geheiß König Olafs des Heiligen das 
schlafende Heer vor der Entscheidungsschlacht weckt, indem 
er mit lauter Stimme das alte Lied von Bjarki vorträgt*. 

Zu den Heiligen, die die Deutschen in der Schlacht in 
Liedern feierten (S. 365), scheint auch der heilige Michael ge- 
hört zu haben, als protector Germaniae, dessen Banner 

•'• Krapp, Odenwälder Spimistube Nr. 81, 3. 
** Heiinskringh'i, ed. Finnur Jönsson, 2, 4SG f. 
' Suerris saga c. 177 (Konunga «ögur. S. ISO). 
** Saga Olafs kon. ens helga (ed. 18o8) c. 1)9. 
'•' Heimskringla 2, 463. 



Zu Otto Böckeis , Psychologie der Volksdichtung* 211 

den Deutschen in ihren Schlachten gegen die Ungarn 933 und 
955 voranwehte ^^ 

Spottverse nach der Schlacht dichteten auch die Nor- 
weger. Als die Bagler, die dem König Suerre feindliche Partei, 
einen Kampf gegen dessen Anhänger, die Birkibeiner, aus- 
gefochten hatten, dichteten sie eine Strophe, in der sie 
ihre Tat und ihren König verherrlichten, aber flugs wendeten 
die Birkibeiner diese in eine Schmähstrophe um, in der sie 
den feindlichen König einen Niding schalten, und die Gegner 
als Gebannte verhöhnten. 

Das Brautkranzabtanzen und Abnahme des Brautkranzes 
und -Schleiers (S. 399 Anm. 5) habe ich wol vor etwa 25 
Jahren mehrfach in Berlin erlebt. Auch suchte man wol ein 
Stück vom Brautschleier zu erhaschen. 

In Anmerkung 7 auf S. 418 f. führt Böckel zum Beweise 
dafür, dass ursprünglich Gesang und Tanz untrennbar zu- 
sammengehörten, die Wörter einiger Sprachen an, die beide 
Begriffe, Tanz und Gesang, in sich vereinigen. Er hätte auch 
das aisl. dans nennen können, vgl. Fritzner, Ordbog over det 
gamle norske sprog P, 237 a. 

Im letzten Abschnitt spricht Böckel die Hoffnung aus, 
dass wieder eine Zeit kommen möge, in der das Volkslied 
wieder lebensfrisch erklinge. Er spricht auch von der prak- 
tischen Arbeit, die voraufgehen müsse, um das Verständnis 
für das Volkslied wieder zu wecken. Sehr beherzigenswert 
sind die Worte (S. 429): „Dazu gehört, dass unaufhörlich 
darauf gedrungen wird, dass die Volkslieder wieder gesungen 
werden. Vorlesungen, besser noch freie Vorträge, müssen das 
Volkslied erläuternd breiten Schichten näher bringen, wobei 
als Einlagen Volkslieder von geschulten Kräften ganz in der 
Art, wie sie das Volk einst sang, vorgetragen werden müssen. 
Theorie tut es nicht, der lebendige Gesang allein kann 
Wunder tun und das Volkslied erwecken.** 

Ich darf wol darauf hinweisen, dass der Heidelberger 
Zweigverein des badisehen Vereins für Volkskunde mehrfach, 

'" Vgl. Pfannenschinid, (kam. Erntefeste, 8. 4.V2 f.. K. H. Meyer 
<MTiii. Mvthol. S. 222. 



212 Kahle — Zu Otto Böckeis , Psychologie der VolksdichtiiDg" 

und wie icli glaube mit glücklichem Erfolg, in dieser Richtung 
tätig gewesen ist. Wir haben solche V^eranstaltungen , wie 
sie Böckel hier fordert, in Heidelberg (zusammen mit den 
hiesigen Zweigvereinen des Odenwaldklubs und des deutsehen 
Spraclivereins) und in Eberbach a. N. veranstaltet. Es wurden 
hier Lieder gesungen von Schulknaben unter Leitung ihres 
Lelirers, und zwar genau nach den Angaben der Sammlungen 
von Bender, Marriage und Krapp. Vorher ging ein erläutern- 
der Vortrag über das deutsche Volkslied und es wurden zu 
jedem einzelnen Lied Erklärungen gegeben. Auch in Neekar- 
gemünd wurden in diesem Winter in das Programm zw^eier 
Volksunterhaltungsabende, die in erster Linie heimischen 
Dichtem gewidmet waren, der Vortrag von Volksliedern auf- 
genommen, die Gesangvereine des Orts sangen. Auch hier 
ging ein erläuternder Vortrag voran. Die Veranstaltung 
solcher Abende kann nur empfohlen werden. Man muss die 
Freude sehen, die aus den Augen der Singenden wie der 
Hörer blitzt, w^enn so die Weise eines trauten, schönen Volks- 
lieds ertönt. Man muss die Verwunderung von Städtern sehen, 
w^ie ich solches beim Klange der Lieder in der Spinnstube zu 
Langental beobachten konnte, von Städtern, die dem Natur- 
leben entfremdet sind, wenn sie plötzlich erkennen, welcher 
Schatz tiefer Empfindung sich im Volkslied birgt, welch naive 
gesunde Sinnlichkeit da zum Ausdruck kommt. 

„Lasst uns**, so schließt Böckel sein schönes Buch, 
„wieder Volkslieder singen! Das heißt so viel als: Lasst 
uns wieder gesund werden an Körper und Seele!" 



Noch einmal: 
„Lippe-Detmold, o du wunderschöne Stadt". 

Von K. Wehrhan« 

Die Mitteilung des Volkslieds über Lippe-Detmold in der 
Alemannia N. F. VII 1906, Heft 1 S. 66 und die Ergänzung 
in Heft 2 S. 156 erregten schon deshalb mein Interesse, weil 
Lippe meine Heimat ist. Anfangs glaubte ich, das Lied nie ge- 
hört zu haben, doch schwebte mir bald die dunkle Eiyinerung 
vor, dass ich es von den Soldaten der Detmolder Garnison, 
die sehr sangesfroh ist, von ihren Märschen her kannte. Wahr- 
scheinlich singen es heute die Fünfundfünfziger noch und natür- 
lich, ohne zu wissen, dass es ein Spottlied auf ihre Heimat 
sein soll, was mir vorläufig auch noch etwas fraglich erscheint. 
Der waschechte Lipper spricht und singt selbstverständlich 
-ch für seh, das kann er gar nicht anders, wenn er seine 
Aussprache nicht sehr in Zucht genommen hat. Er bekommt 
das öfter zu hören von Fremden; warum nicht auch in diesem 
Liedchen ? 

In den Blättern für lippische Heimatkunde (Detmold 1906, 
No. 2), wo ich eine entsprechende Mitteilung gemacht hatte, 
teilt nun Herr Abels aus Paderborn mit (VII, 1906 No. 3 S. 22), 
dass das Volksliedchen dort im Frühjahr 1900 aufgetaucht sei, 
und zwar, soweit es sich noch ermitteln lässt, am Stammtische 
der Bierbrauerei Sander (jetzt Joosten) in Kreisen lustiget* Brüder, 
die damals den satzungslosen „Gesangverein Krähhahn"^ bildeten. 
Woher das Lied kam, wer es mitbrachte, ist von Herrn Abels 
nicht mehr zu ermitteln; ganz nach Art des richtigen Volks- 
lieds war es plötzlich da und Abend für Abend erscholl der 
muntere Sang im ganzen Lokal. Bald eroberte das Lied sich 
weitere Kreise, die Kinder auf den Straßen trällerten seine Me- 
lodie, und jetzt ist es dort längst Gemeingut der Bevölkerung 



214 Wehrhan 

geworden und besonders in vorgerückter Stunde beliebt. Da 
das Lied im nahen lippischen Lande verbreitet ist und auch 
nach den Mitteilungen des Herrn Röhrscheidt auf den Universi- 
täten gesungen wird, sich also einer weiteren Verbreitung er- 
freut, ist es weiter nicht verwunderlich, dass das Lied in Pader- 
born plötzlich auftauchte, oder vielleicht besser gesagt, von 
neuem bekannt wurde; denn jedenfalls ist es schon ein altes 
Lied, das wol allerorten fast gesungen worden ist. 

Mehrere Mitteilungen, die mir nachträglich von verschiedenen 
Seiten zugegangen sind, bestätigen meine Vermutung, dass das 
Liedchen in Lippe noch heute gekannt und gesungen wird, doch 
wol nicht häufig mehr. Herr Lehrer A. Lütgemeier in Heiden 
(in Lippe) und Herr Redeker in Lage (in Lippe) kennen eben- 
falls die in der Alemannia VII, S. 156 mitgeteilte Erweiterung, 
wenn auch in anderer Lesart. Ein aus Pommern stammender 
Hilfsprediger teilte Hen^n Lütgemeier im Sommer vergangenen 
Jahrs ^ch mit, dass das Lied vor wenigen Jahren in Halle 
von den Studenten fleißig gesungen sei. Da Herr Röhrscheidt 
ebenfalls die Mitteilung brachte, dass es auf Universitäten be- 
kannt ist, so scheint es vorwiegend in studentischen Kreisen 
beliebt und durch diese verbreitet worden zu sein. Der eben er- 
wähnte Hilfsprediger meinte, nach Halle sei es durch einen Det- 
molder Studenten gekommen, der es aus der Heimat mitgebracht 
habe. Ob es vielleicht vorher noch nicht in Halle bekannt war? 

Wie kommt das Lied nach Mudau im badischen Oden- 
wald, das doch keine Musenstadt ist und sonst kaum weiter- 
hin bekannt sein dürfte? Der fahrende Scholar könnte das 
Lied auch dorthin gebracht haben, vielleicht von Heidelberg 
aus. Möglicherweise gibt es aber dafür noch eine andere Er- 
klärung. Das lippische Bataillon hat in dem Kriegsjahre 1866 
sich längere Zeit in jener Gegend aufgehalten und ist während 
der Kriegsoperationen bald in diesem, bald in jenem Orte 
kürzere oder längere Zeit gewesen. Da die Lipper sehr sanges- 
lustig sind, besonders auf Märschen, so wäre es leicht erklär- 
lich, dass das Lied von ihnen dort gesungen und durch sie dort 
bekannt geworden ist. Womöglich lassen sich noch genauere 
Nachforschungen in dieser Beziehung an Ort und Stelle machen. 

Abweichungen vom Texte gibt es mehrere zu verzeichnen. 
Der Text, wie er in Paderborn 1900 hektographisch verviel- 
fältigt und verbreitet wurde und jetzt noch gesungen wird, 



Noch einmal: ^Lippe-Detmold, o du wimderschöne Stadt '^ 215 

weist folgende Abweichungen von dem S. 66 der Alemannia 
1906 gegebenen auf, die sich nur teilweise mit denen auf S. 156 
decken : 

Strophe 1: ... eine wunderschöne Stadt . . . 

und der muss marschieren in den Krieg 
wo die Kanonen stehn. 

Strophe 2: wohl Tor des Hauptmanns Haus, 

Da schaut der Herr Hauptmann zum Fenster hinaus: 
Mein Sohn, hist du schon da. 

Strophe 3: Geh du nur immer zu deinem Feldwebel hin . . . 
wo die Kanonen stehn. 

Strophe 4: Da liegt er nun und schreit so sehr 
nach seinem Kamerad. 

Strophe 5: Schreib du einen Brief an ihr 

schreib du einen Hrief an meiner Braut, 
dass ich gefallen bin. 

Strophe 6 [neu einzuschieben nach der Fassung auf S. 66]: 
,Ich hab' keine Tinte, keine Feder nicht. 
Womit ich schreiben kann.** 
„, Tauche du deine Feder in mein rot's Blut 
Und schreib auf weiß Papier.** 

Strophe 7 [statt 6]: Da liegt er nun und schaut nicht mehr 
Seine Seele stieg empor — 
Wo die Kanonen stehn. 

Die Weise, wie sie in Lippe und Paderborn bekannt ist, 
stimmt mit der S. 66 der Alemannia 1906 gegebenen genau 
überein, nur wird nach dem Worte „Schuss" beide Male noch 
hinzugefügt: „Bumm, bumm^ und dabei mit der Faust auf den 
Tisch geschlagen. 

Da die von Herrn Röhrscheidt gekannte Melodie abweichend 
ist, würden es ihm viele Freunde des Volkslieds gewiss Dank 
wissen, wenn er die Abweichungen mitteilte. 



Lticken im mederalemannisclieiiWortscliatz. 

Von Alfred Götze. 

'Das wirkliche und nationale Leben der Sprache pulsiert 
in ihren Mundarten' — Max Müllers berühmtes Wort darf nicht 
gepresst werden. In keiner deutschen Mundart pulst das volle 
Leben der deutschen Sprache, darin eben offenbart sich die Über- 
legenheit unserer Schriftsprache, dass sie sich die verschieden- 
sten Mundarten dienstbar machen, dass sie namentlich das 
Heer ihres Wortschatzes aus den verschiedensten deutschen 
Gauen unter ihre Fahnen rufen kann. Bunter gemengt als im 
deutschen Heere die Rekruten, stehen im deutschen Wortheer 
die Söhne der Schweizerberge, anheimeln, Heimweh, anstellig, 
neben Thüringer und sächsischen Landsleuten, albern, älinhch, 
bang, und neben Söhnen der Meeresküste, Boot, Pumpe, Topf. 
Unscheidbar nach ihrer Herkunft sind diese Wörter für das 
Sprachbewusstsein des schriftsprachlich gebildeten Deutschen 
von heute, der so jene Überlegenheit mit einer Unkenntnis 
bezahlen und sich beim Sprachforscher Belehrung suchen muss 
über Dinge, die seinem Vorfahren vor 400 Jahren und dem 
Bauern auf dem Lande, soweit sie ihn betreffen, geläufig sind 
oder waren. Damit sind auch schon die beiden Hauptquellen 
genannt, aus denen der Sprachforscher seine Kunde schöpfen 
kann: die Alten und die Bauern, die so oft Hand in Hand 
gehen. Als im September 1522 Luther sein Neues Testament 
in die deutschen Lande ausgehen ließ, da sahen seine ober- 
deutschen Xachdrucker bald, dass sie bei ihren Basler, Straß- 
burger, Augsburger Lesern nicht die volle Kenntnis des von 
Lutlier verwendeten, in seinem Grundstock mitteldeutschen 
Wortschatzes voraussetzen durften; als der erste gab im 
Januar 1523 Adam Petri seinem Nachdruck 'ein klein Be- 



l.üokon im u i ed (; riv I ei iiaiini seilt n WurUcbatz 217 

^■ister' bei, das die lioni Basler unverständlichen Lutherwnrte 
'auff unser lioclideutsch aulilegeii' eollU" \ für uns eine unschätz- 
bare Fündginbe wortgeschichtliclier Belehning. Der Versuch, 
die ^Vörter KUäatnmenzusteUeii, die einer bestimmten deutschen 
Mundart abgclien, denn allein so belrachtet hat Petiis Ver- 
zeichnis Wert für die heutige Wissenschaft, ist seit den Tagen 
Adam Potris und seiner Nachtreter nicht wiederholt worden, 
trotzdem die Bedeutung der Sache aus vielen Artikeln des 
Deutschen Wörterbuchs und namentlich von Kluges Etymolo- 
gischem Wörterbuch in die Augen springt. Zwar ist die For- 
derung anerkannt, dass ein Dialektwörterbuch den vollen 
Wortschatz seines Uebiots darstelle und auf Lücken darin 
au&nerksam mache, und sie wird auch l>efoigt, so um nur 
zwei der wichtigsten neueren Werke zu nennen, von Hermann 
Fischers .Schwäbischem Wöi'terbueh sowie von Martins und 
Lienharts Wörterbuch der elsässischen Mundarten, aber solche 
Mitteilungen sind weit verstreut und müssen es sein: dass Haas, 
feindlich, rein dem Schwäbischen fehlen, findet man bei Fischer 
unter Pfaffehass I, lÜOl, blond 1, 1214 und pui- 1,1532, dass die 
elsäsHischen Mundai"ton Aj"zt, Gerichtsvollzieher und Schwieger- 
sohn nicht kennen, ei-fahrt man bei Martin und Lienhart unter 
Arzt 1, 71 ", HüKsje 1, JJSö» und Tochtermami 1, ()H6*, also unter 
dem Ersatzwort oder ganz gelegentlich und nur selten unter 
dem fehlenden Worte selbst. Aber auch wenn es stets hier 
zu finden wäre, müsste ein großer Teil dieser Angaben für 
den, der nicht die umfangreichen Wörterbflcher von Anfang 
bis zu Ende durcharbeitet, verloren bleiben, denn wer kann 
fiberall die rechte Fragestellung kennen, wer bei Wörtern wie 
naschen, reichen, besuchen, daher, deshalb auf den Verdacht 
kommen, sie könnten in oberdeutschen Mundarten fehlen? Und 
doch ist dieKenntnis wichtig fiii' die Karaktcristik der .Schrift- 
sprache wie der Mundarten, namentlich für die Frage, auf 
■welcher mundartlichen Unterlage der Wortbestand der Hchrift- 
»fprache ruht (vgl. Hermann l'aul. Münchener Sitzungsberichte, 



* Neug«<li'ii('ki lii'i Krifclrith Kluge, V'iii Luther bis Leuaiüg, 
8. IM— 101). 




218 ^^ötze 

phil.-hist. Klasse 1894, 60), für die Deutung des Worts und die 
Feststellung seiner Schicksale, auch rein praktischen Zwecken 
kann sie dienen, so um nur eines zu nennen, der Heimat - 
bestimmung alter Schriftwerke : wenn sich ein Stück, etwa ein 
alter Druck, aller mundartlichen Ausdrücke enthält und jedes 
äußere Zeichen seiner Herkunft verbirgt, so kann doch das 
beharrliche Fehlen von Allerweltswörtchen wie daher und 
deshalb, um willen und herbei, bedeutend und trefflich zum 
Verräter oberdeutschen Ursprungs und zum Ausgangspunkt 
näherer Bestimmung werden. Als ein erster Versuch, solchen 
Forderungen gerecht zu werden, und eine Anregung, diesen 
Dingen weiter nachzuspüren, will die folgende Zusammen- 
stellung einiger Lücken im niederalemannischen Wortschatz be- 
trachtet sein, die, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, 
auf Martins und Lienharts Wörterbuch der elsässischen Mund- 
arten aufgebaut ist. Stets herangezogen sind dabei das Deutsche 
Wörterbuch der Brüder Grimm (DWb), Friedrich Kluges 
Etymologisches Wörterbuch in 6. Auflage, Hermann Pauls 
Deutsches Wörterbuch, Charles Schmidts Historisches 
Wörterbuch der elsässischen Mundart, dessen Angaben stets 
am DWb zu kontrollieren waren, und Adam Petris Glossar. 
Die benachbarte schwäbische und fränkische Mundart sind im 
allgemeinen nur dann herangezogen, wenn He rman n Fisch eis 
Schwäbisches Wörterbuch und Othmar Meisingers W^örter- 
buch der Rappenauer Mundart das Fehlen eines Worts in 
ihrem Gebiet ausdrücklich feststellen. Für das elsässische ist es 
nicht immer ohne Schlüsse ex sümtio abgegangen, doch sind diese 
stets auch als solche gekennzeichnet. Dazu hat sich mir Ge- 
legenheit geboten, sämtliche Angaben am Freiburger Stadt- 
dialekt sowie an dem Wortschatz des badischen Unterlands 
nachzuprüfen, indem ich alle Wörter einem der Mundart von 
Mahlberg bei Ettenhcim vollkommen kundigen jungen Mädchen, 
einen Teil auch einer Bewohnerin von Steinbach bei Bühl ab- 
fragte, und man wird diese Kontrolle an der nahe verwandten 
rechtsrheinischen Mundart immerhin als eine gewisse SichwoDS 
gelten lassen können. Der Kontrolle an Jos< 
Programm Die Flexionsverhältnisse der Mund« 



Lücken im niederalemanniscken Wortschatz 219 

bei Lahr, Karlsruhe 1903, haben meine Mahlberger Angaben 
sämtlicli stand gehalten. Dabei ist natürlich immer auf das 
Vorkommen in der echten Mundart gefahndet und Kenntnis aus 
der Schriftsprache, der Schule, Kirche, Presse ausgeschlossen 
oder als solche gekennzeichnet worden. 

ähnlich : weniger gebräuchlich als enander glich se Martin- 
Lienhart 1, 55*». Dieselbe Angabe aus Steinbach und Mahlberg. 
Ähnlich fehlt bei Schmidt, kommt aber doch bei Fischai-t 
vor. Petri legt Luthers anlich mit gleich aus. Vereinzeltes 
Vorkommen in obd. Quellen belegt v. Bahder, Zeitschrift für 
hochdeutsche Mundarten 1, 299 f. 

albern 1, 35* einzig aus einer jungen mundartlichen Dich- 
tung belegt. Nicht bei Schmidt. Fehlt in Steinbach und 
Mahlberg, dafür dumm, einfaltig. Petri legt Luthers alber 
mit nerrisch, fanteschtisch aus. 

Ansioß im sittlichen Sinne fehlt offenbar, auch bei Schmidt 
nicht in diesem Sinne , wol aber aus Fischart zu belegen. 
Fehlt in Steinbach und Mahlberg. Petri deutet Luthers An- 
stoß mit ergernuß, strauchlung, doch auch diese fehlen in Stein- 
bach und Mahlberg, wo man etwa sagt: s ganz Ort haltet .sich 
drüber uf, wie der lebt. 

Arzt im Sinne des Nhd. ist ungebräuchlich, dafür Dokter 
1,71''. Bei Schmidt und im DWb reichlich Belege für Arzat. 
Arzatin, arzatlich, l)is ins IG. Jahrhundert, so dass wol mo- 
denie Entwicklung vorliegt. Auch in Steinbach und 3IahUier^' 
Dokter. doch Tierarzt, Zahnarzt neben Yiehdokter. Zahn- 
dokter. Wunderdokter. 

(Ulf regen scheint zu fehlen wie im Schwäbischen i Firfcher 
1. 407), auch nidit bei Schmidt, doch in MaUberg wol- 
bekannt. 

Aufschub ist J, :i89»» spärlich und kaum aus echter Mund- 
art l)ezeugt. nicht bei Schmidt. Fehlt in Stembach \iw\ Mähl- 
berg, wo man sich mit hinhalte, ufspare hilft, da auch \'-r- 
zug fehlt, mit dem Petri Luthers Aufischob deutet 

ausreichen fehlt offenbar, auch nicht bei ry-hrni.ir [ 
<mhach und Mahlberg: das langt, langt uae. isch -nu- 
U oder reicht zu. Im Oberland: ea \meh\^lr 



220 Götze 

im Schwäbischen fehlt ausreichen (Fischer 1, 497), in Rappenau 
hd. reichen überhaupt (Meisinger 87*), dafür lange. 

bang: nur das Substantiv ist 2, 61* bezeugt, das Adjektiv 
fehlt, auch nicht bei Schmidt. In Steinbach und Mahlberg 
statt dessen angscht. Meisinger 117^ bezeugt für Rappenau 
pang, für Mannheim angschtepang. Petri ersetzt Luthers 
bang durch engstich. Kluge: eigentlich nur Adverb, und zwar 
dem Ndd. Md. angehörig. DWb: Auch den heutigen obet- 
deutschen Volksmundarten mangelt bang oder tritt selten aui^^ 
Stalder, Schmid und Höfer. . . Dasypodius und Maaler wis^^i^ 
nichts von dem Wort. 

beben scheint zu fehlen. Schmidt bietet biben und <E3r- 
biben nur aus Gottfrid von Straßburg und Tauler, nie Emr^- 
beben neben häufigem Erdbideme. In Steinbach und Mahlb^?^ rg 
unbekannt, dafür zittere, dattere, doch Erdbebe ist bekan 'M.\i, 
wie Eis. 2,3*. Petri erklärt Luthers Beben und Erdbeb^<^n 
mit bidmen und Erdtbidem. 

bedeutend fehlt offenbar wie im Schwäbischen (Fiscl :»-er 
1, 749), für Bedeutung gilt Eis. 2,731* Bedüt und Bedütim is. 
Schmidt belegt allein Bedeutnuß aus Matthaeus Zell 1523. Jn 
Mahlberg fehlt bedeutend. 

beginnen fehlt wie im Schwäbischen (Fischer 1, 91 ^)« 
auch nicht bei Schmidt. In Steinbach und Mahlberg st^ts 
nur afange. Petri schweigt, da das Wort zufallig in Luth^i^ 
Neuem Testament nicht vorkommt (im Alten Testament da- 
gegen sechsmal). 

Besitz nur im Sinne von Nutznießung 2, 384*, bei Schmi<^t 
fehlt das Substantiv ganz, besitzen nur vom Gericht oder 
Amtssitz. In Mahlberg fehlt beides, man sagt statt des Verbs 
etwa: er hat epps, s sin rieh, statt des Substantivs: Eigetum. 
Paul: erst spät üblich geworden. DWb: bei Dasypodius, 
Maaler, Henisch, selbst bei Stieler ist noch kein Besitz. 

Besuch , besuchen scheinen zu fehlen, statt dessen Visit, 
heimsueehe. Sebastian Lotzer, Schriften hg. von Götze S. 16 
(Memmingen 1523), ersetzt Luthers besuchet durch gesucht. 
Schmidt bietet nur Besuch "feindlicher Anfall', das Verb fehlt 
bei ihm, doch kommt "^ liea' bei Fischart vor. 



I,lifk<-ll i 



221 



In Steinbach Besuch mache, doch erst modernerweise. Aus 
Kenzingen teilt Heilig, Zeitschrift für hochdeutsche Mundarten 
, 3. 92'', mit: ds liecht goo. In Mahlberg z Lieclit gehn, z Stubetc 
gehn. Beides auch Eis. 1, 555" und 2, 570''. Für Rappenan 
bezeugt Meisinger 120* psnuche. 

sich tietrhikeii. betrunken fehlen offenbar, statt dessen 
2,330 LsofFe, versöffe. Auch nicht bei Schmidt. Auch in 
I Steinbach und Mahlberg bevorzugt man andere Wendungen, 
am häufigsten: er het e Rusch, Schwäbisch fehlen sich be- 
trinken und betrunken (Fischer 1, 957). Nach den Belegen des 
DWb scheint das Zeitwort jungen Uraprungs zu sein. 

Bremse und HemmsrJmh fehlen offenbar, auch nicht hei 
Schmidt, Ersatz 1,566" Mekenik, 660'' Mick, 2,403'' Spann- 
Schue, Wageseime. Mick, micken, Spannschue auch in Mahl- 
Iterg (mygi Jäger 19), wo man Bremse nur bei Eisenbahn, 
Fahnad und Dreschmaschine kennt, Bremser bei der Eisen- 
Bahn. Dazu stimmt das Schwäbische (Fischer 1,1395). Für 
'Rappenau bezeugt Meisinger 44'' Iiemmselmu. Micke nicht 
nn DWb. 

tiafier in kausaler Bedeutung scheint zu fehlen, ebenso 
deshalb, eine große Rolle spielen darum, der(t)wege, desstwege. 
,A.uch Schmidt verzeichnet daher und deshalb nicht, doch 
latohen beide bei Oeiler. In Mahlberg bevorzugt man wego 
; 4em. wege sellm , in Schwaben deswegen, darum (Fischer 
2, 33). In Rappenan findet da keine kausale Verwendung, 
daher und deshalb führt Meisinger nicht auf, wol aber 199" 
iteschteweck. 

darben scheint zu fehlen, auch nicht bei Schmidt. In 
^hlbei^ Hunger lide. Petri deutet Luthers darben durch: 
;iiott, armftt leyden. 

Läerb scheint zu fehlen, auch nicht bei Schmidt. In Mahl- 
rg unbekannt, dafür etwa grob, rühhützig, schwäbisch nie in 
ler Bedeutung 'kräftig' (Fischer 2, 159). Kluge: Wahrschein- 
iich ist die übertragene Bedeutung von Norddeutschland auB- 
bgangen. 

äicht fehlt offenbar, auch nicht bei Schmidt. Nicht in 
•rg, statt dessen dick, stark, arg, fürchtig. Fehlt auch 



222 Götze 

Schwäbisch (Fischer 2,187), in Rappcnau 201» selten. Kluge; 
der Mangel der Diphtongierung ist wol ndd., wie denn das Wort 
im Oberd. (Schwab. Bayr.) fehlt. 

dichten nur in der Verbindung dichten und denken 2, (551*'. 
Auch Schwäbisch fehlt die Bedeutung 'Verse machen' Fischer 
2, 187. Elsässisch wie Schwäbisch fehlt Dichtung. Schmidt 
hat alte Belege für dihten, Dichter, Tihte, keinen füi* Dich- 
tung und Gedicht. In Mahlberg statt dichten: B/eime risse, 
entsprechend auch in Rappenau 201*, hier 62 «* keticht. 

Drohne (die Wortform ist ndd. Kluge) fehlt ^ie Schwäbisch 
(Fischer 2,401). Ersatz ist Eis. 1,37^» Bruetimm wie dort. 
Drohne in Mahlberg unbekannt. Nicht bei Schmidt, doch 
tren bei Dasypod, Maaler und Stalder. 

edel im moralischen Sinne scheint zu fehlen w^ie Schwä- 
bisch (Fischer 2,537). Auch nobel Eis. 1,751* mehr von 
Äußerlichem. Schmidt bietet allein Edeling 'Junker aus 
Murner. In Mahlberg werden edel, fein, redlich als fremd 
empfunden, nobel gilt nur von Äußerlichem, am ehesten scheint 
hoffärtig den Begriff zu decken, das, weit entfernt von dem 
gleichfalls vorhandenen hochmütig, jemanden bezeichnet, der 
auf sich hält (diese Bedeutung ist im DWb nicht erwähnt). Eetl 
in llappenau 18^ selten. 

Einfluss fehlt offenbar wie im Schwäbischen (Fischer 
2, 606). Auch nicht bei Schmidt. In Mahlberg hilft man sich 
mit dem beliebten Respekt. 

Eiler Eis. nur im Nordstreifen, daneben das sonst allein 
gebräuchliche Materi 1, 82». Nicht bei Schmidt (freilich fehlt 
ihm auch das aus Dasjrpod zu belegende eiterig), dagegen 
viel alte Belege für Eiss, Eissen. Eiter ist in Steinbach und 
Mahlberg geläufig, Materi sagen in Mahlberg alte Leute. 

entpor und empören scheinen zu fehlen. Schmidt bietet 
en(t)bor aus Geiler, Branti Murner, enborlingen 'kopfüber aus 
Geiler, Petri erid&rt Laihers empören mit erheben, strensen. 
Kluge: dv Luthers Bibelsprache allgemein 

gewon^ nur empören und Empörung 

aus deh empor 21 mal in seiner 

Bifc ipor und empören unbekannt, 



Lücken im uiederalemannischen Wortschatz 223 

Empore in der Kirche kennt man aus protestantischen Gegenden, 
sagt aber selbst d Orgel auch für die von der Orgel ent- 
fernten Teile, statt Empörung gilt Ufruhr. 

Erde unvolkstümlich und nur aus der hochdeutschen 
Kanzelsprache bekannt, dafür Grund, Boden 1,65*. Dagegen gibt 
es Erdäpfel, Herdäpfel 1,58^ (bei Arnold 1816 PlSngstmontag 
3Grumbeere), Erdholder 1,325^. Das Simplex Erde nicht bei 
Schmidt. In Mahlberg gilt Grund, doch Herdäpfel (haerdebfel 
Jäger 9), nicht Grumbire; Erdholder ist unbekannt. In Bap- 
penau 16* eapiire (wird neuerdings durch Khatofl verdrängt 
65*), eateel, eati, doch für den Erdboden poute. Herdäpfl 
bezeugt Heilig Zeitschrift für hochdeutsche Mundarten 3, 91* 
für Kenzingen und Basel. 

Februar fehlt, statt dessen Homung 1,375*. Februar 
fehlt bei Schmidt, Hornung freilich auch. In Steinbach und 
Mahlberg gilt Febriar, nur alte Leute sagen in Mahlberg noch 
Homung, in Rappenau 27* feprewaa. 

Fiasch: das Wort gewinnt erst in neuerer Zeit Boden, 
ausgehend besonders von der Wirtshaussprache. Dafür all- 
gemein gebräuchlich das Synonymon Budell, Angless 1, 172^. 
Bei Schmidt viel alte Belege für Flesche. In Mahlberg gilt 
durchaus Schlegel; Budell nur bei alten Leuten. Schlegel 
= Flasche spielt Eis. 2,459^ keine große Rolle, doch gehören 
hierher in der Bedeutung 'Hohlmaß' die Belege aus Fischart 
im DWb unter Schlägel 5a), vgl. auch den Nachtrag das. unter 
Schlegel. 

flehen scheint zu fehlen, auch nicht bei Schmidt. Petri 
deutet Luthers Flehen mit bitten, ernstlich begeren. Kluge: 
ein wenig volkstümliches Wort. In Mahlberg unbekannt. 

Fleiß nur in der Verbindung mit Fliss 'vorsätzlich, ab- 
sichtlich", dagegen ist das Adjektiv flissig nicht selten 1, 172*. 
Das Hauptwort fehlt auch bei Schmidt, ohne dass daraus 
Schlüsse zu ziehen wären. 

Flügel ist im Oberelsass selten, dafür Fettich 1,156^ 
Bei Schmidt nur Fettig, auch aus unterelsässischen Schrift- 
steilem, so dass Fittich offenbar an Gebiet verloren hat. 
In Steinbach und Mahlberg gilt allein Flügel. Fittich ist Woit 



224 <'ötze 

der Schule und Kirche. Das DWb bietet keinen elsässischen 
Beleg für Flügel. 

Flur 'Hausgang' fehlt, dafür Hüseren 1,61^ Flur auch 
nicht bei Schmidt, der Eren, Erren, Hüsere(n) bietet. In 
Steinbach und Malilberg gilt allein Hüsgang. Nach Kluge ist 
Flur in diesem Sinne md. und nd. 

Fluss bedeutet nur die Krankheit, Strom nur die Strö- 
mung 1,172^; 2, 632^ Beide fehlen bei Schmidt, doch be- 
gegnet Fluss = Strömung, strömendes Wässer bei Geiler und 
Fischart. In Mahlberg ist die Abstufung: Rinn, Gräbli, Grabe. 
Bach, Wasser, Khi. Fluss und Strom kennt man in Steinbach 
und Mahlberg erst aus der Schule. Paul: Bezeichnung für 
fließendes Gewässer ist Fluss erst nhd. geworden. 

fühlen wird 2,936*^ ein einziges Mal nachträglich beige- 
bracht, doch sogleich das Synonymon grife beigefügt. Gefühl 
Ehrgefühl, Menschegefühl 1,112» aus modemer Mundart. 
Schmidt bietet weder fühlen noch Gefühl. Petri erklärt Luthers 
Fülen mit empfinden. In Mahlberg gilt spüre, gspüre, aber 
Gfühl: der het au gar kei Gfül für die Tier. Rappenau 28* 
kennt füle, aber nicht Gefühl, 19 ^ empfintlic, aber nicht empfinden. 
Kluge: fühlen ein md. ndd. Wort, das seit Luther Schriftdeutsch 
geworden ist. Ausführlichere Angaben über die mundartliche 
Verbreitung der W^orte im DWb 4, 1,1, 406, 2, 2167. 

Gebühr, gebühren fehlen offenbar, auch nicht bei Schmidt, 
doch das Hauptwort bei Fischart, das Zeitwort bei Brant und in 
Straßburger Chroniken. Petri deutet Luthers Gebür mit billich, 
gemeeß. In Mahlberg unbekannt, dafür am liebsten: Was der 
Bruch isch, was sich ghert. In Kappenau 61^ nur die Mehrzahl 
kepiire. 

gedeihen, gediegen scheinen zu fehlen. Beide bei Fischart, 
bei Schmidt ein Beleg für gedihen Vorwärts kommen^ aus 
dem 14. Jahrhundert. Petri erklärt Luthers Gedeyhen mit 
wachßen, zunemen. In Mahlberg unbekannt, dafür: d Frucht 
steht guet, für das Partizip etwa recht, ornlich, während das 
Eis. 2, o52'* weithin geltende solid als fremd empfunden wird. 

Gefiif\ wird 1, 148^^ nur als 'Uhrkette' angegeben, wobei 
an mhd. der vezzel 'Tragband, Fessel' wol nur der Bedeu- 



I.llrk.'>l 



tUDg wegen erinnert wird, denn etjinologiscli ist Gefäß ge- 
wiss als 'Stelle wo man etwas fasat' zu deuten, wie das Ge- 
fiili dea Degens. Im nlid. Sinne wird Gschiir bevorzugt, 
wie auch Petri Luthers tiefeß mit geschir erläutert, Bett- 
gefölj, Blutgefäß, Staubgefäß fehlen Eis. auch. In Mahlberg 
ist tiefeß unbekannt, die Sonderbezeichnungen (Käs-) Napf. 
Kessel. KasserüU, Hato treten an die Stelle. Kluge: Die nhd. 
Bedeutung als 'Geschirr' gehört eigentlich dem Mitteldeutschen 
an. . ., wie das Oberdeutsche noch jetzt Geschirr bevorzugt, 
Gei% nicht aelir gebräuchlich, meist durch Hunger ersetzt 
J, 253 ^ Schmidt hat viel alte Belege für Geit, geitig, Oeitig- 
keit, Oit, gitig, Gitigkeit. In Mahlberg gilt Giz. gizig. Giz- 
Jtrage, in Käppenau 57'' kaits. Das Zeitwort hungern fehlt 
£ls. 1,354" wie Itappenau 51% dafili' Hunger haben, leiden; 
verhungern beiderseits bekannt. 

gemein als verwerflich im moralischen SinTie fehlt, das 
Wort ist ohne die geringste Spui' von schlechtem Nebensinu, 1, 
*8!5'', Xicht bei Schmidt, Sebastian Lotzer, Schriften S, Ifi 
ersetzt Luthere gemeyn durch vnrayn. In Mahlberg tmbe- 
kannt, dafür ordinär, wüescht, niederträchtig (nie ruppig). In 
Steinbach ist gemein bekannt, doch wohl nur modenierweise. 
Wie wichtig die Feststellung ist. zeigt Hildebrands Artikel 
gemein im DWb namentlii-b unter 8^) und 9). 

Geric/itgro/hif/ier fohlt, dafür Hüssje 1, Sgli". In Stein- 
bach und Mahlberg gilt Gerichtsvollzieher, 

Gerücht (mit nd. cht statt ft, KlugeJ scheint zu fehlen, 
Petri erläutert es mit geschrey, leümed, doch dieses fehlt samt 
verleumden im modernen Eis. offenbar auch, Schmidt hat alte 
Belege für Geruf, Gerufe, L>Tiifit, Luraent, In Mahlberg sagen 
' nur die alten Leute Leumund, sonst hilft man sich mit an- 
i gesehen, Ächtung, ins Gschwätz komme; so auch in Stein- 
ig Itach. 

Getreide fehlt offenbar, Petri deutet Luthers Getreyde 

l'jDitkom, fnicht, Schmidt hat Belege für getregede bis ins 

I. Jahrhundert, Kluge: Die nhd. Bedeutung tritt im 14, Jahr- 

; in Mitteldeutschland auf und ist bei Luther geläufig, 

Bichzeitig aber dem Oberdeutschen noch fremd. In Malilberg 

JU«iiutDni> K. K, *, a, 15 




226 Götze 

gilt Frucht und Korn. Vgl. Wunderlichs Artikel Getreide im 
DWb, namentlich II 1 d). 

gierig fehlt, dafür gritig 1, 286*, doch gibt es neugierig, 
Kachgier, rachgierig. Schmidt hat grit(ig), nicht gier(ig). In 
Stoinbach ist Gier bekannt, in Mahlberg geldgierig. Für neu- 
gierig gilt hier wunderfitzig, für rachgierig: rachsüchtig. Dies 
scheint eis. zu fehlen. 

Gießkanne nur im Unterelsass 1, 445*, in Straüburg 
Gießkante 1, 452*, im Oberelsass Sprenzkrueg 1, 515^. Alle 
drei fehlen bei Schmidt, doch bietet er sprentzen 'mit einer 
Gießkanne gießen' aus Straßburg. In Mahlberg Spretzkann, in 
Rappenau 71'^ kiiskhante. 

Gurke fehlt, dafür Gagummer, Gugummer 1, 201"''. 
Keines bei Schmidt. Gurke fehlt auch in Steinbach und Mahl- 
berg, dafür Gugummer, auch für Kenzingen gibt Heilig, Zeit- 
schrift für hochdeutsche Mundarten 3, 90^ gugumere an. 

Hälfte scheint zu fehlen, auch nicht bei Schmidt, dafür 
Halbscheid 2, 398 K Petri deutet Luthers Helfft mit halb. 
In Steinbach und Mahlberg ist Hälfte wolbekannt. Paul: 
Hälfte aus halb in nd. Form. Kluge : dem Ahd. Mhd. fremd, 
eigentlich unhochdeutsch. . . In Osterreich, Hessen und Nassau 
herrscht noch heute für Hälfte ausschließlich Halbscheid . . . 
Schweiz, halte! aus halpteil. 

Ilaile aus der Schriftsprache eingeführt 1, 319», ebenso 
in Steinbach und Mahlberg. Petri deutet Luthers Halle mit 
vorlaub, ingeng, fürschopff. Paul: nach Mitte des 18. Jahr- 
hunderts von den Dichtern neu belebt. Nicht bei Schmidt, doch 
im DVVb aus einer Straßburger Quelle des 16. Jahrhunderts be- 
zeugt. Für Rappenau bezeugt Meisinger 37* Haie und piirhale. 

dann, bannen scheinen zu fehlen, auch nicht bei Schmidt. 
Petri deutet Luthers Hermeten sich mit bekümmeren sieh, 
waren engstig. In Mahlberg statt dessen Gram, sich grämen, 
doch auch diese fehlen bei Schmidt und Eis. Kluge: Harm 
ein im Mhd. und älteren Nhd. fast ganz fehlendes, wol im 
vorigen Jahrhundert durch den englischen Literatureinfluss 
nach engl, hurm aufgofrisclites Wort. Das DWb bietet für 
Harm und härmen keinerlei numdartlichen Zeugnisse. 



Lücken im niederalemannischen Wortschatz 227 

harren scheint zu fehlen. Schmidt bietet die Harr(e) aus 
Brant, Murner und Zell, doch ist auch harren aus Fischart zu 
belegen. In Mahlberg unbekannt. Paul und Kluge: ursprüng- 
lich md., durch Luther üblich geworden. 

Hefl: dies Wort in llufach für den Begriff nicht vor- 
handen, statt dessen Gaje aus frz. cahier 1, 204 ^\ doch 1, 810*^ 
Heft = Schreibheft ohne Beleg. Schmidt bietet nur die Be- 
deutung Halfter. In Rappenau 48 bekannt. Paul: zusaniraen- 
geheftete Papierbogen, erst seit dem 18. Jahrhundert. 

herbei scheint zu fehlen, statt dessen herzu, das auch 
Sebastian Lotzer, Schriften S. 16 für Luthers herbei einsetzt. 
Nicht bei Schmidt. Auch in Freiburg und Mahlberg ist herbei 
nicht recht lebendig, lieber daher, drzu. Das DWb bietet keine 
elsässischen Belege für herbei und seine Zusammensetzungen. 

Himmelfahrt Christi wird durch Uffart, in älterer Sprache 
Nontag ersetzt 1. 144^, dagegen 2, 662* Himmelfahrtstag wie 
hochdeutsch aus Bühl und Betschdorf mitgeteilt. Bei Schmidt 
nur X(mtag, doch belegt DWb Christi Hinmielfahrt aus Fischart. 
In Freiburg ist Hinmielfahrt allgemein, in Mahlberg gilt Uffarts- 
tag, dagegen Maria Himmelfahrt für den 15. August, Hen*gotts- 
tag (fehlt DWb) für Fronleichnam. In Kappenau 47* himlfat. 

Hohn und höhnen, höhnisch und hohnecken scheinen zu 
fehlen. Schmidt bietet hön(e) 'übermütig, zornig' und Hone 
'Übermut' noch aus Brant, DWb Hohn aus Wicki'am, Fischart; 
Petri erläutert Luthers Honen mit spotten, sehenden, schmähen. 
In Mahlberg höchstens: der lacht so höhnisch, sonst lieber spotte, 
foppe, fopple, ütze. 

Hagel seheint zu fehlen, auch Schmidt bietet nur Hübel, 
doch das DWb Hügel einmal aus Geiler. Petri deutet Luthers 
Hügel mit gipffei, bühel. In Mahlberg allein Bergle, für Gipfel 
gilt Zipfel. In Rappenau 48-^ hiwl, 121^ perikle. Paul: 
Hügel ursprünglich md., durch Luther allgemein geworden. 
Kluge: erst nhd., durch Luther aus dem Md. in die Schrift- 
sprache eingeführt: im Mhd. (Oberd.) galt dafür bühel, hübel. 
DWb: ein ehemals nur landschaftliches, wie es scheint vor- 
zugsweise in Düringen und den östlich angrenzenden (legenden 
einheimisches Wort. 

15 ♦ 



228 Götze 

Januar, diese Form durchaus unvolkstümlich, dafür Jänner 
1, 407^. Beides fehlt bei Schmidt, doch findet sich Jenner bei 
Fischart. In Mahlberg ist Jänner (der mönet jaener Jäger 9) 
mehr die Fonn der alten Leute, Janiar wiegt vor, in Rap- 
penau 55^ janewaa. 

Jauche fehlt, dafür Gülle 1, 212 »>, Mistlach 1, 545^ Keines 
bei Schmidt. In Mahlberg ist 6ülle unbekannt, Jauche aus 
dem Hochdeutschen bekannt, Mistlach das heimische Wort. 
In Rappenau 103^ mischtsute. Kluge: Jauche erst frühnhd., 
aus einer md. nhd. Nebenform jüche ins Hd. übertragen. DWb: 
Die sächsischen Kolonisten haben jedenfalls das Woi*t aus dem 
Slavischen aufgenommen und verbreitet. 

Imbiss fehlt offenbar, auch nicht bei Schmidt, doch iin 
DWb aus Geiler, Wickram und Fischart, auch bei Arnold 
1816 Pfingstmontag 175 Immes. Petri erklärt Luthers Anbiß 
mit Morgenessen. In Mahlberg: z*nüni und z'Owe esse. In 
Rappenau 52^» ist iimes Fütterungszeit und Futterration der 
Zugtiere. 

irr im Sinne von veiTückt fehlt 1, 62^'. Nicht bei 
Schmidt. In Freiburg ist verruckt, verruckt im Hini der 
gangbare Ausdruck. DWb bietet für irr überhaupt keinen 
elsässischen Beleg außer Gottfrids Tristan V. 28. 

Jugend selten, meist: d junge Lüt 1, 404**. Nicht bei 
Schmidt. Auch in Mahlberg: d junge Lüt, doch Arnold 181(> 
Pfingstmontag 84 Dort lehrt merr d Juejed guet. 

Kahn fehlt offenbar, auch Nachen und Boot nicht ver- 
zeichnet. Bei Schmidt fehlen alle drei. Petri deutet Luthers 
Khan mit kleinschiff, nachen, weidling. In Mahlberg sind 
Nachen, Weidling, Kahn und Boot unbekannt, stets: Schiflfle 
fahre, so auch in Freiburg. In Rappenau 162^ schif, nache, 
neea. Kluge : Kahn seit und dmxli Luther in die Schriftsprache 
gedrungen. Den oberdeutschen Dialekten ist Boot noch heute 
fremd. DWb: am Rhein kennt man Kahn nicht im Volke, 
es sagt Achen, d. i. Nachen, wie Mune, Zeitsclir. 9, 388 an- 
führt . . ., in Bayern sind nach Sclimeller 2, 670 beide 
AV'örtor uiiüMicli. auch Toblor, Stalder, Schmid verzeichnen 
beide uiclit. 



229 



kehren 'fegen' wird 1, 4*53^ aiiBgekchrt gottlos' 1, 464" 
als aiiagestorbeii bezeichnet, Kehricht nicht angeführt, daffir 
Fegete 1, 118», Stanb 2, ^67'', doch: mit eini tiskere 'zanken' 
Zuem Uskere 'gegen Ende, zuletzt' 1,464*. Bei Schmidt fehlt 
beides, doch bietet Dasypnd kehi'en und die Außkereten, 
Fischart Kehi-aull, Murner das Kehret. Peti-i deutet Luthers 
Kerich als fAget, staub, kutter. In Mahlberg gilt nur fegen, 
Fegete. In Preiburg ist Fegete unbekannt, Kehricht wiid als 
fremd empfunden, man hilft sieh mit Dreck. In Rappenau 
26'' feege, 6tl'' kheere, beide ohne Substantiv. Kluge: fegen 
scheint mehr oherd. , kehren md,-ndd. zu sein. 

A'i>/V/' fehlt (Kluge: in Schlesien und Obersachsen höhnisch,) 
da^r Fore, Forle. Fiechte nicht im Sinne von Rottanne, 
^inus ab'ies, sondern von Föhre, Kiefer, pinus sÜvesfris 1, 93". 
Piechttann I) Fichte, 2) Föhre, Kiefer 2, 6H6". Bei Schmidt 
fehlt Kiefer. In Mahlberg und Rappenau gelten: Fiechte, 
Tanne. Lärtrhe, Forle, DWb: Das Wort scheint übrigens 
den sUdl, Mundarten fremd, von Österreich sagt dies Höfer 

1, 236 bestimmt. 

Kleister fehlt (»ffenhar wie im Schwäbischen, dafür Bapp 

2, 66»"', wie in Mahlherg, Freihurg und Rappenau. Keines bei 
Schmidt. D^T) : Seine Heimat ist aber nicht in Oberdeutsch- 
land, denn wie es mhd. fehlt und noch in den altem obei"d. 
VVörterbHchern fast durchaus, so ist es noch in den dortigen 
Mundarten nicht eigentlich heimisch. 

klimmen scheint zu fehlen, dafür klettere und grattle 
1, 498*. Schmidt hat nur gratlen aus Geiler, doch findet sich 
klimmen bei Fisebart. In Mahlberg, Freiburg und Buppenau 
sind klimmen und grattlen unbekannt. Für Kenzingen und 
Basel bezeugt Heilig, Zeitschrift für hochdeutsche Mundarten 

3, 89'' gäise. DWb: in nd. und oberdeutschen Mundarten 
findet sichs noch, doch auch Frisiiis, Maaler, Schmeller haben 
es nicht. 

I Kltift 1, 490'' nur in der Bedeutung Feuerzange wie in 

Kappenan, nicht als Schlucht. Schmidt hat Kluff 'Furche' 

.1 zweimal aus (jeiler, DWb bietet aus Bnint Wassersklüft 

\ 'Sindflüt'. Kluft Hölle', aus Dasypod Kluft 'Feuerzange'. Petri 



230 Oötze 

gibt für Luthers KlufFt kling, krufFt, hüle. In Mahlberg weder 
Kluft noch Schlucht, eher Loch, Hohlgass. 

klug fehlt offenbar, nur klugen 'nachdenken' 1, 491". 
Nicht bei Schmidt, doch im DWb aus Brant und Fischart 
belegt. Die oberdeutschen Bibelglossare erklären Luthers 
klug mit weise. In Freiburg und Mahlberg gscheit, ufgweckt, 
für Mahlberg bietet Jäger 9 auch bfilik, e üskuchemder maensch, 
zu hebr. chochom, in ßappenau kschait. 

Knöchel am Fuß scheint zu fehlen, dafür Knödel. Schmidt 
hat Knöchel, Knüchel 'Holzklotz' aus Zell 1523. Petri deutet 
Luthers Knöchel mit knod. gleich. In Mahlberg wird ge- 
schieden: d Gleiche am Handgelenk, Knoden am Fuß. DAVb: 
Knöchel muss von mitteld. Landen aus ins Hd. vorgedrungen 
sein , wie Knochen selbst dort seine Heimat hat. Es ist in 
den alem., bair. Mundarten noch heute zum Teil unbekannt 
(z. B. im Bregenzerwalde). 

Krälze fehlt, dafür Grind. Dies allein bei Schmidt und 
Meisinger. 

liehen nur von Speisen und Getränken, sonst kare han 

1. ^Ah'K In Freiburg und Mahlberg ebenfalls gern haben. 
Sebastian Lotzer, Schriften 16, ersetzt Luthers geliebet durch 
lieb gehabt. Meisinger führt für Rappenau lieben nicht an. 

Möhelwagen wird ersetzt durch Wandelwaje 1 , 103*', 

2, 798 '\ 

Mund kommt selbständig nicht vor, dafür allgemein Mul 
1. 092". Erhalten ist Mund in den Zusammensetzungen Mund- 
füle. Mundstück, Mumpfel: Mumfel auch bei Arnold 1816 
Pfingstmontag 118. In Mahlberg gilt statt Mund Myl, Gösch, 
(gosch und schnür Jäger 17), auch in mylfol, doch: e guet 
Mundstück. In Kappenau 106^ gilt Mund nur in muntschtik. 
muntharmonii. DWb unter Maul 1): nur Mundarten, die 
Mund nicht oder fast nicht brauchen, verwenden Maul auch 
für jenes edlere Wort (bayrisch Schmeller 1, 1585, fränkisch- 
lunneh(»rgisch Fronimann 2, 402, alem. Tobler 326'M. 

Mus und Bi'ei scheinen in der Mundart hinter Bapp zu- 
rückzustellen 2. 177'. während Schmidt viel alte Belege für 
Mus. wcnigri" für Hap[). keine für Urei bietet. In Mahlberg 



Lücken im niederalenianiiischen Wortschatz 231 

wiegt Bapp, Bäppli vor. doch Aepfelmues, Herdäpfelbrei. In 
Kappenau 107" muus von Obst, doch 131« meelprai, riwiles- 
prai, khatoflprai. 

Mut ist selten und nur in der Bedeutung Lust, Neigung 
festzustellen, sonst durch Gurasch vertreten 1, 230 *, 739*'. 
Auch Schmidt belegt nur die Bedeutungen Sinn, Lust und freier 
Mut = Wohlleben, In Mahlberg ist Mut nur Schuhvoii;, sonst 
Gurasch. guraschiert, Schneid, schneidig. In Kappenau 107* 
ist khuraaschi häufiger als muut. 

naschen fehlt offenbar wie im Schwäbischen, auch nicht 
bei Schmidt und Meisinger. In Freiburg und Mahlberg nur 
schlecke und schneike, die auch Eis. als Ersatz dienen. Für 
Kenzingen bietet Heilig, Zeitschrift für hochdeutsche Mund- 
arten 3. 94** schlage. DWb bietet keine elsässischen Belege 
für naschen. 

Meffe unbekannt, dafür Bruderskind 1,448 (Kluge: Neffe 
auch schwäbisch und bayrisch ausgestorben), auch Cousin und 
(\msine fehlen, dafür Gschwisterkind : Vetter bedeutet Oheim 
oder männlicher Verwandter überhaupt 1, 448**. Schmidt hat 
weder Neffe noch Vetter. In Mahlberg heil5t es Vetter und 
Bäsli. Gschwisterkind und dritte Kinder. Neffe und Nichte 
gelten, werden jedoch als hochdeutsch empfunden. DWb bietet 
für keines elsässische Belege. 

oß'nen fehlt offenbar wie im Schwäbischen, auch nicht 
bii Schmidt. In Freiburg und Mahlberg, desgleichen in 
Kappenau 113« dafür stets ufmache. DWb: doch ist das 
Wort den oberdeutschen Mundarten nicht geläufig, weil dafür 
auftun, aufmachen gesagt wird. 

Peilsche ist selten 1, 241*' (fehlt wol der echten Mund- 
art ganz), wenn auch bei Amold I81ü Pfingstmontag (>7 
Baitsch steht: dafür Geisel, Kieme, Dutler 1, 517 *\ 2, 730^. 
Bei Schmidt, in Freiburg. Mahlberg und Kappc*nau nur Geisel. 
DWb bietet Peitschenjunker aus Fischart. 

Statt Pferd sind Gaul und Koss die eigentlichen alemanni- 
schen Wörter 2. 1311«. Pferit ist l>ei Schmidt vielfach, doch nicht 
über 1429 herab belegt, doch bietet DWb Pferd aus Pauli, 
Murner, Geiler und Fischart. In Freiburg und Mahlberg 



232 Oötze 

Ross, Gaul, Klepper, Schindmähr. Für Kenzingen bietet 
Heilig, Zeitschrift für hochdeutsche Mundaiten 3, 90'» auch 
gruge f. 'schlechtes Pferd'. In Rappenau kaul, mere, schint- 
mere, Pferd nur in Pfeatstsaa 'Mais'. Kluge: Pferd seheint 
fränkisch-sächsisch zu sein, in den oberdeutschen Mundarten 
herrscht dafür noch heute das alte Ross. 

plftlzUch nur in der Bedeutung sogleich, sofort 2, 176'v 
das hochdeutsche plötzlich heißt ewer aeisli Myol. Nicht bei 
Schmidt, doch im DVVb aus Fischart belegt. In Freiburg. 
Mahlberg und Rappenau unbekannt, statt dessen in Mahlberg: 
über ei Mol (uf seismols Jäger 9). Petri: gehling, schnellig- 
lich. Kluge: im Oberdeutschen fehlt das Adverb ganz. 

prüfen fehlt offenbar, auch nicht bei Schmidt, bei Arnold 
1816 Pfingstmontag 53 browwiere. Petri erläutert Luthers 
brftfen mit mercken, erkennen, Lotzer 67,5 mit probyereii. 
In Freiburg und Mahlberg nur Schulwort, statt dessen z. ß. 
dr Wi versueche. In Rappenau 132 ^ priifing. DWb : prüfen 
mundartlich nur im nord- und mitteldeutschen Gebiete, während 
den oberdeutschen Mundai'ten wol probieren und (teilweise) 
proben geläufig, das Wort prüfen (examinare) aber nur aus der 
Schulsprache bekannt ist. 

PuTiipe 'Schöpfbrunnen' fehlt 1, 219 b, dafür Gump, doch 
gibt es 2, 49» Pumpe 'Feuerspritze', dieses fehlt wieder. 
Nicht bei Schmidt. In Mahlberg gumpt man am Brunne, der 
Stockbrunne läuft dauernd von selbst, Gump (gumbi 'Pump- 
maschine' Jäger 19) nur an der Mistlach. Die einzelnen 
Brunnen haben ihre mit — brunne zusammengesetzten Namen. 
In Rappenau 81* kumpe, ohne Hauptwort. 

Schuller selten, dafür Achsel 1, 12»/^, 2, 413«. Bei 
Schmidt nur Achsel (doch steht Schulter bei Dasypod 
und Fischart). Ebenso in Freiburg, Mahlberg und im 
Schwäbischen (Fischer 1, 90). Kluge: in nhd. Zeit ist Schulter 
vielfach hinter Achsel zurückgetreten, so im Schwab., Rheinfränk. 
Thomas Wolfs Basler Bibelglossar übersetzt Luthers Schulter 
mit Achsel. In Rappenau Aksl, aber schultaplat. 

Schwiegersohn, Schwiegerlochler fehlen, dafür Tochter- 
inann und Sohnsfrau, Sohnsweiber, Gschwei, 1, 176 ^ 686^» 



Lücken im niederalemannischen Wortschatz 233 

2, 562^ Sohnfrau bei Arnold 1816 Pfingstmontag 3. 153, 
Dochtermann das. 92. Eidam und Schnur fehlen. Schmidt 
bietet Schnur aus Murner, nicht bei ihm Eidam, Schwieger- 
sohn, Tochtermann, Schwiegertochter und Sohnsfrau. In Mahl- 
berg Tochtermann und Sohnsfrau (d sünsfrai Jäger 8). Weib 
kommt allein nicht vor, wol aber in Wibsbild, Wibslüt, Wiber- 
völker. 

SpoHrogel scheint zu fehlen, auch nicht bei Schmidt, doch 
im DWb aus Geiler, Dasypod und Fischart belegt. In Mahl- 
berg wird Spottvogel als hochdeutsch empfunden, dafür Föppl er, 
Üzer. Speivogel unbekannt, auch nicht bei Schmidt. 

Stecknadel fehlt, dafür Gufe, so auch bei Arnold 1816 
Pfingstmontag 162 Guff. Nadel schlechtweg ist stets die Näh- 
nadel 1, 199**. Schmidt bietet nur Guffe; auch in Mahlberg 
GuflF (güf Jäger 17), Güffli; Nadel meint stets die Nähnadel. 

Talg fehlt, dafür Unschlitt 1, 56«. Bei Schmidt fehlt 
beidos, in Schwaben nur Unschlitt (Fischer 2, 40). In Frei- 
burg heißt das Talglicht Unschlittkerze, in Mahlberg gilt 
Unschlick und Unschlickliecht , Kerze (kerds Jäger 18) hat 
hier hochdeutschen Klang. In Rappenau 53^ inschtlich und 
inschlichlicht. Kluge: Talg ist aus dem nd. aufgenommen, 
daher dem Schwab. Bayr. fremd. DWb: ein nd., in die oberd. 
Mundarten nicht vorgedrungenes Wort. 

Tasch(e) für Tasche im Kleid nur aus Geiler, Braut und 
Dasypod beigebracht, sonst nur ein einziges modernes Zeugnis 
aus dem Münstertal 2, 722*. Das Dialektwort ist Sack 2, 341 ^, 
wie im Schwäbischen (Fischer 2, 89). Auch Schmidt hat 
viele geschichtliche Belege für Tesche, doch auch schon Sack. 
In Freiburg und Mahlberg gilt allein Tasch. Tasche als Um- 
hängetasche belegt Eis. wieder nur aus dem Münstertal in 
Melkertäsch, Salztäsch. In Mahlberg ist Reisdasch nicht un- 
bekannt, doch wird KöfFerli vorgezogen, der große Koffer 
heißt Trog, Truhe ist der Mundart fremd. 

Uitig fehlt offenbar, auch nicht bei Schmidt. Im Schwä- 
bischen ist das Adjektiv nicht eigentlich volkstümlich, wird 
aber doch verstanden (Fischer 2. 94). Auch in Mahlberg und 
PVeiburg nicht gangbar, dafür schaffig, brav. 



234 Götze 

Taugenichts scheint zu fehlen, wie auch im Schwäbischen 
(Fischer, 2, 112). Dort dafür Tunichtgut, auch dies scheint 
Eis. zu fehlen, keines bei Schmidt, keines in Mahlberg, dafür 
Lump, Lumpazi, Nixnutz, Strolch, Tagdieb. In Rappenau 
tuunekuut, Lump, Niksnuts. Schtrolich. DWb bietet keinen 
elsässischen Beleg für Taugenichts. 

Teich fehlt offenbar, dafür See 2, 316% Weiher 2, 777^ Die- 
selben Wörter ersetzen im Schwäbischen das in dieser Bedeu- 
tung fehlende Teich (Fischer 2, 180). Schmidt belegt Tich ^Teiclr 
bis ins 15. Jahrhundert, das DWb bietet keinen elsässischen 
Beleg für Teich. In Freiburg und Mahlberg gelten Lach, Weiher, 
See, in Rappenau ist taich 'Flursenkung', waia hier selten. 

tever in der Bedeutung lieb fehlt, wie im Schwäbischen 
(Fischer 2, 107), auch nicht bei Schmidt, doch im DWb aus 
Geiler belegt. In Freiburg und Mahlberg gleichfalls nur vom 
Gelde. In Rappenau 193'^ ist die Grundbedeutung allein er- 
halten in der Wendung: foa mai taias kelt. 

Topf fehlt, dafür Hafe, in Ilarskirchen (Kreis Zabem) 
Tippe 1, 305". Topf in den Bedeutungen Kreisel und Brat- 
pfanne 2, 703 '^ Nicht bei Schmidt. Petri deutet Luthers 
Toptferen mit 'erden geschirrt In Mahlberg nur Wort der 
Schule, der Kreisel heißt Tanzknopf (dansgnepferlis schbyle 
Jäger 9). Paul: ursprünglich nordd. Wort, wofür südd.' Hafen. 
Kluge: das im mhd. noch seltene Wort fehlt (Jem ahd. ganz. 
Das einfache AVort ist dem Obfl. fremd, dafür Hafen, so gibt 
Wolf in Basel 1523 Luthers Töpfen. 

Tramnig fehlt offenbar, wie im Schwäbischen (Fischer 
2, 331). Das im Schwäbischen gleichfalls fehlende trauen 
'ehelich verbinden' ist Eis. 2, 736" vorhanden. Beides nicht 
bei Schmidt. In Mahlberg Hochzit und kupliere, in Rappenau 
hochtsich und khupliire. 

trefflich fehlt offenbar wie Schwäbisch (Fischer 2, 351). 
Nicht bei Stlimidt. nicht in Freiburg und Mahlberg, in Rap- 
penau 205^» fohlen treffend und trefflich. 

Tri eh Instinkt' nicht verzoiclinet. dem Schwäbischen 
unbekannt (Fisclior 2. :i7()). Schmidt kennt nur Trib 'Treiben". 
Paul: iTst nlid. lischt üblich uewonien. 



Lücken im niederalemannischen Wortschatz 235 

Trunkenbold scheint zu fehlen. Schmidt bietet Trunkener 
Boltz aus fieiler. Sebastian Lotzer 1523 Schriften 17, ersetzt 
Luthers trunckenbold durch trunckner. Nicht in Freiburg, dafür 
Saufaus (auch Eis. 2. 330 *\), dies nie in Mahlberg, dort Lump, 
Schnapslump. Lunipazi. versoffner Kerli, in Kappenau lump, 
schnapshmip. 

Tünche fehlt offenbai-, dafür Jips 1, 409^ und AVissel 
2. ^<)9«. Auch nicht bei Schmidt. Petri erklärt Luthers 
rxetünckte wand mit geweißt, bekleibte. Tünche fehlt auch 
Schwäbisch (Fischer 2, 464). In Mahlberg d AVissle, wissele, 
Wissler (auch als Eigenname bis in die Schweiz hinein ver- 
breitet), in llappenau kips, ips, ipse, waisle, w^aisputse. Kluge: 
für tünchen oberd. weililen, auch gipsen. 

///// trUlen scheint zu fehlen. Sebastian Lotzer 1523, 
Schriften 17, ersetzt Luthers um willen durch von wegen. Beide 
nicht bei Schmidt. In Mahlberg nie um deinet w^illen, statt 
dessen: dir z lieb, wege dir, wege sellem. In Rappenau 227'* 
Aveeger eni, maitweege, teste weege. 

Vormund fehlt vollständig 1, 101 ^*, statt dessen \'ogt, 
aus Kosteig (Kreis Zabern) wird 1, fiSl" Mumber beigebracht, 
für Mündel Vogtskind 1, 441)^*, so auch bei Amold 1816 
Ptingstmontag 118 u. ö.. Vogtskind das. VIII. Schmidt bietet 
Yoget, Vogtman, dagegen nicht : Vormund, Gerhab , Pfleger. 
In Freiburg liieli es früher, in Mahlberg noch jetzt Pfleger, 
in liappenau fooamunt und pfleega. Kluge: elsäss. vogt, 
Schwab, pfleger. Ostreich, gerhab, mittelrhein. momper, hess. 
trauhalder. 

weglassen fehlt off'enbar, wie im Schwäbischen (Fischer 
1. 484), dafür underwege, los lassen 1, 61 1^ Nicht bei 
Schmidt. In Freiburg nie auslassen, eher weglassen, am 
liebsten draus lassen, in Mahlberg: des län mer hus. 

^er- fehlt, dafür ver- 1. 128«*', die zer-Zusammen- 
.set Zungen aus (leiler, Dasypod. Scherz usw., <lie auch bei 
Schmidt reichlich beigebracht werden, sind alle ausgestorben. 
In Freiburg und Mahlberg leint das Kind die Vorsilbe zer- 
und ihre Anwendunir erst nn'ihsam in der Schule kennen. 



Einiges über die Karlsruher Mundart. 

Von Albert Waag. 

Sehr schön und "fein klingt sie gerade nicht, die Karlsruher 
Mundart, das gibt auch ein mancher zu, dem sie von früh auf 
lieb und wert ist; denn sie hat des Breiten und Schlaffen 
zu viel und ermangelt so des Zierlichen und Schwunghaften. 
Dafür hat sie etwas Behagliches und Gemütliches, dem sich 
der Eingeborene bis in die höchsten Schichten hinein gerne hin- 
gibt, und nicht anders ist das Gepräge der heimischen Dichtung, 
die sich mit Vorliebe im Alltäglichen bewegt und in glücklicher 
Komik das Derbe nicht scheut — in der Mitte stehend zwischen 
der gemütvollen, sinnenden Dichtung eines Alemannen wie Job. 
Peter Hebel und den allzeit lustigen Versen eines Pfälzers wie 
Karl Gottfried N ad 1er. 

Und wenn nun in diesem Jahre der Allgemeine Deut- 
sche Sprachverein im badischen Lande, im Herzen des 
alemannischen Sprachgebiets sich zusammenfindet, wenn die ale- 
mannischen Mundarten sich in dichterischem Gewände der Fest- 
versammlung vorstellen, so ist es vielleicht auch gestattet, dass 
die Hauptstadt des Lands ihren Gruß entbietet, indem sie 
sich in ihrer sprachlichen Eigenart vorführt. Zwar ist jede Stadt- 
mundart bei der gemischten und wechselnden Bevölkerung nicht 
leicht zu fassen, und so zeigt es sich auch in Karlsruhe, dass in 
das Südfränkische, auf dessen Gebiet die Stadt sich befindet, in 
manchem das Alemannische des badischen Oberlands, in anderem 
das Alemannisch-Schwäbische Württembergs hereinspielt; aber 
eine gewisse Einheitlichkeit ist doch vorhanden, und wenn ich 
mich unterfange, sie in wenigen Strichen zu zeichnen, so bin 
ich vielleicht nicht ganz unberufen, da ich nach vorherigem je 
dreijährigen Aufenthalt in Mannheim und Freiburg alsdann im 
Alter von sechs Jahren nach Karlsruhe gekommen bin und dort 
die ^anzc Schulzeit verbracht habe. Da war die Alltagssprache 



Einiges Üher die Kai'lsrubcr Muudarl 



237 



L Üna Schülern gar kräftig von den KlKngen durchsetzt, die 
ihren Nührboden in der Altstadt liaben, in dem sogenannten 
,Derfle' = „Dörflein", ivo die , Karlsruher Briganten' hatisen — 
„Du Derfles-Brigant~ war einer der stärksten Schimpfnamen 
unter den Schülern. Als Führer aber durch den Karlsruher 
Wortschatz ivfiiile icU den Ortsdichter, der einst vor Jahren mein 
Nachbar war, den erfolgreichen Humoristen Fritz Riimhildt, 
genannt Romeo, der vier Bändchen Gedichte in Karlsruher 
Mundart veriilFent licht hat: „Hypo chondergift", schon in 
»weiter Autlage vorliegend; , Pfefferkörner"; „S'Schpani- 
sche Böhrle"", zurzeit vergriffen, und ^Senfpflaschter*". 
Keineswegs jedoch strebe ich dabei nach Vollständigkeit, son- 
dern will nur einige Züge hervorheben, worin sich zeigt, dass 
in der Karlsruher Mundart, wie in jedem andern Sprachgebiet, 
die beiden gleichen Grundkräfte des Sprachlebens tätig sind: 
einerseits die gleichmälUge Bntwicklung der Laute nach be- 
stimmten Richtungen, anderseits Neubildung der Formen nach 
ähnlichen Verhältnissen — Lautgesetz und Analogie, wie die 
Sprachwissenschaft sagt. Auch die Karlsruher Mundart ist abo 
nicht etwa eine Verstümmlung der Schriftsprache, sondern be- 
wahrt manche Laute und Formen, die uns einen altem Zustand 
aufweisen, als er in der Schriftsprache vorliegt; und so kann 
auch die Karlsruher Mundart eine Fundgrube sein für das ge- 
schichtliche Verständnis unserer Muttersprache. Da für diesen 
Zweck eine bis ins einzelne genaue Darstellung der Lautgebung 
nicht unbedingt nötig erscheint, verzichte ich dabei auf Ver- 
wendung der künstlichen Lautschrift und suche mit den ge- 
wöhnlichen Schriftxeiclien möglichst auszukommen. 

Wenn wir nun gesagt haben, die Karlsruher Mundart sei 
breit, aus welchen Eigentümlichkeiten erklärt sich dieser Ein- 
druck? Da ist zunüclist darauf hinzuweisen, dass die Umlaute 
Ü und li ohne Lippeni'undung, also mit breiter Lippenstellung 
gesprochen werden, so dass ö als e und u als t erscheint: JfUrr 
= Tür, Zieff — Züge, iwtcer = iiier; Uctdick = }J6tzlich, Kerwh 
- Körliein, (/ivfürr = größer. Sodann werden die zusammen- 
gesetzten Vokale ai, ei und an in einem Teil der Fälle mit 
breitem, langem aa als aai und tiait gesprochen, wofür als 
klassisches Beispiel Öfters angeführt wird: ewaai iraaiclie Aam' 
= xtcei weiche Eier. Aber in dem andern Teil der Fälle er- 
scheint kurzes ai und av, wie in wait = weit, Aifer = Eifer, 



U 



238 Waag 

saufe -- saufhi, Dramve = Tranhen. Und das ist kein Zufall, 
sondern weist au den früheren doppelten Ursprung hin; denn 
kurzes ai und au entspricht früherem / und tiy langes aai und 
aau dagegen früherem ei und ou, wie hervorgeht aus dem Neben- 
einander von der Laib = Leib = mhd. Up, der Laaib = Laib 
(Brot) = mhd. leip; e Daiib = Taid)e = mhd. tube, daatd> = taub 
= mhd. toup. Die gleiche Spaltung in der Aussprache besteht 
übrigens auch bei den zusammengesetzten Vokalen ä>/, eu^ die 
in der Mustersprache alle als kurzes oi gesprochen, im mittleren 
Baden aber auch in der Sprache der Gebildeten als kurzes oi 
und langes ooi, in der Karlsruher Mundart als kurzes ai und 
langes aai geschieden werden, wieder in Übereinstimmung mit 
dem verschiedenen Ursprung: Haiser = Häuser = mhd. hiuser, 
hait = heute = mhd. hiiUe; Baaim = Bäume = mhd. Iföume, 
draaime = träunien = mhd. tröumen. Bemerkt sei noch, dass 
bei dem langen aau das lange aa so sehr überwiegt, dass nach 
pfalzischem Vorbild bei Romeo Formen erscheinen wie (fln^tive 
neben glauuive = glaidmi oder Fraa neben Fraau = Frau: 
niemals aber gibt es solche Formen, wo kurzes au = mhd. n 
zu Grunde liegt, also etwa bei saufe = saufen = mhd. 
sufe}i. 

Für den Vokalismus der Karlsruher Mundart ist weiterhin 
bezeichnend, dass langes aa der Schriftsprache als langes oo er- 
scheint wie übereinstimmend im Alemannischen und Pfälzischen 
in den Fällen, wo schon im Mittelhochdeutschen langes d vor- 
handen war, wie in Oowetul = Abend = mhd. dbentj schloofe 
— schlafen = sldfai, bloose = blasen = blasen, nicht aber 
etwa in sttage = sagen = mhd. sägen. Bisweilen kommen aber 
bei Romeo in Anlehnung an die Schriftsprache Formen vor wie 
Saaifebluas = Seifenblase, raate — raten = mhd. raten. Ferner 
geht die Lautgruppe -ir- vor folgendem Konsonant in -e»*- über: 
Hein = Hirn, erdesch = irdisch, erre = irren, und ent- 
sprechend auch die Lautgruppe -ür- vor Konsonant, nachdem 
sie zunächst die Lippenrundung aufgegeben hatte und zu -ir- 
geworden war: Ferscht = Fürst, TJerger = Bürger, schterse 
= stürzen. Und während schwachbetonte Vokale gar häutig 
schwinden wie in g'lrcsc = gelesen, hab = habe, drum = darum, 
so entstehen zwischen l oder r und folgendem Konsonant bis- 
weilen Zwischenvokale, wie in Millich = Milch, Schtrol/ieh 
= Strolch, VoUih = Volle, nrrig = arg. 



Einiges über die Karlsruher Mundart 239 

Wir gehen zu der Betrachtung der Konsonanten über 
und stellen uns, wie vorhin bei den Vokalen, zunächst die 
Frage, wodurch die Karlsruher Mundart den Eindruck des Brei- 
ten hervorbringt. Da können wir darauf hinweisen, dass die 
Lautgruppen st und sp nicht, wie in der Schriftsprache, nur am 
Anfang starkbetonter Silben, sondern in jeder beliebigen Stel- 
lung stets als seht und schp erscheinen, wobei eben anstatt des 
spitzen s das breite seh erscheint, bei dem die Zunge eine breite 
Rinne bildet und die Lippen überdies auffallend weit vorgestülpt 
werden, also fascht = fast, erseht = erst^ Pflaschder = Pflaster; 
HaseJifjel = Haspel, Kaseliher = Kaspar; auch das einfache seh 
wie in Sehaehtel oder in Sehmd = Schule wird in gleich breiter 
Weise hervorgebracht und in einer Verbindung mit dem breiten 
oai (vgl. S. 161) klingt es mir oft in den Ohren, w-ie ein alter 
Schulfreund zu mir sagt voll behaglicher Breite: j^Waaiseh, 
Waag"" = „Weißt du, Waagr 

Wir haben aber der Karlsruher Mundart auch das Gepräge 
des Schlaffen zugeschrieben, und dieser Eindruck wird vor 
allem dadurch hervorgerufen, dass, wie in ganz Süddeutschland 
seit langer Zeit, die harten (stimmlosen) Verschlusslaute ]c, t, p 
so schwach hervorgebracht werden, dass sie sich von g, d, b 
gar nicht oder nur durch nachfolgende Behauchung (Aspiration) 
abheben, indem bei diesen schwachen Verschlusslauten, und zw^ar 
wiederum seit langen Zeiten, kein Stimmton vorhanden ist, so 
dass z. B. Diseh = Tisch, Dande = Tante, duhn^ = tun im 
Anlaut völlig übereinstimmen mit derr = dürr, danl'e = danken. 

Eine weitere Eigentümlichkeit ist, dass -h- im Inlaut als 
-/r- erscheint, wie: ewe = eben, alter = al)er, gewwe = geben, 
halwer = halber, und das wird vom Standpunkt der Schrift- 
sprache als eine jüngere Entwicklung aufgefasst, stellt aber tat- 
sächlich eine ältere Stufe der Aussprache dar, aus der erst später 
der Verschlusslaut b hervorgegangen ist. 

Mannigfaltig sind auch Vorgänge der Angleich ung von 
Konsonanten untereinander (Assimilation), die in der Ent- 
stehung der schriftsprachlichen Formen wie Hoffart aus Hoch- 
fart, Grummet aus (irüumahd entsprechen: so urller = welcher, 
seller = selber .Jener", ebU's — etwas, werre = werden, nimme 



* /7 hodeutct Auflösung dos Nasonliuits jt mit Nasalieruiii^ des vor 
hergehenden Vokals. 



■— - * 



240 Waag 

= nicht mehr. Als Angleichung an folgende Wörter im Satz- 
zusammenhang ist es wol auch ursprünglich zu erklären, wenn 
auslautende Konsonanten abfallen wie -ch in glei = gleich, ine 
= mich, de = dich, aa = auch oder -w in gewwe = geben, 
saage = sagen, wobei jedoch -n im Auslaut betonter Silben 
dem vorherigen Vokal vielfach Nasalierung hinterlässt: hin, zehn, 
an, Lohn, dun = tun. 

Dem Wegfall von Konsonanten steht die Neubildung von 
Übergangslauten entgegen, wie in den Steigerungsformen 
ehnder und mehnder zu beobachten ist; allerdings ist die Ent- 
wicklung sehr umständlich vor sich gegangen, da zunächst zu 
den alten, neben er und mer stehenden kürzeren Formen e und 
me etwa nach dem Muster von schee(n): scheener = schön: 
schi/nei' mit abermaligem Ausdruck der Komparation durch die 
übliche Endung mundartliche Formen entstanden wie ehner, 
mehner, worauf dann erst zwischen n und r der Übergangslaut 
d eingetreten ist, wie in schriftsprachlichem minder = mhd. 
minner, Fändrich = mhd. fener. Ebenfalls als Übergangslaut, 
allerdings aus dem Satzzusammenhang heraus, ist die Hinzu- 
fügung eines Konsonanten am Wortende zu erklären, wie 
bei anderscht = anders, voUscJd = vollends mit Angliederung 
eines -t nach -s, wo wir die gleiche Entwicklung beobachten 
wie bei schriftsprachlichem selbst, einst, nebst = älterem sdbeSy 
eines, neben s. 

Betrachten wir nunmehr die Formenbildung der Karlsruher 
Mundart in Deklination und Konjugation, so finden wir 
zunächst im Plural der Substantive sowol den Umlaut als auch 
die deutlich ausgeprägte Endung -er noch viel häufiger als in 
der Schriftsprache, in der ja ebenfalls diese beiden ßildungs- 
mittel im Lauf der Zeit kräftig um sich gegriffen haben; da 
heißt es: die Däg = Tage, Arm = Arme, Fahne = Fahnen, 
Keffer = Koffer, Keschde = Kosten, und anderseits die Heiner^ 
Steinei'j Better , Hemder, häufig auch in Fremdwörtern die Bai- 
heener, Dueller, Argumenter, Klosetter, Bemerkenswert ist auch 
die Pluralforni d'Dandene = die Tanten, die wol nach dem 
Muster von Abwandlungen wie Keche, Kechene = Köchin^ 
Köchinnen entstanden ist. Für die Abwandlung im Mas- 
kulinum ist es ferner sehr bezeichnend, dass die Endung 
-er des Nominativs in den Akkusativ übertragen wird, 
sowol im bestimmten Artikel als auch im attributiven Ad- 



jektiv, 



Einiijea Ober Aie Karbniher Mundnrt 



241 



jeStiv, in dem es heißt: er lial d^r Fisch grsse, er hat en 
heil»- Kopf, er tjeM an der Rlietn, nicht zu vergessen die klassi- 
sche Redensart: en rechter scheener Gruä an Ihnen Ihr Mann: 
mit diesem sogenannten „rheinischen Akkusativ" ist folge- 
richtig der letzte Unterschied zwischen Nominativ und Ak- 
kusativ verwischt, indem diese beiden Fälle ja auch in der 
Schriftsprache im Plural immer und im Singular mit geringen 
Ausnahmen (dfr oder ein ijuter Knabe, ilen oder einen guten 
Knaben) miteinander übereinstimmen: Wortstellung und Zu- 
sammenhang machen eine Unterscheidung in der Form über- 
flüssig, wie das Französische und Engtische zur Genüge be- 
weisen. Wie in allen deutschen Mundarten, so wird auch in der 
Karlsruher der Genetiv ersetzt durch Umschreibungen mit rim 
wie z. B. : das Dach vim dem Haus dort oder — bei lebenden 
Wesen — mit dem besitzanzeigenden Fürwort; meim Viidder 
sein Hui, dem Hund sein Maid; und nur in versteckten Resten 
erhalten sich alte Genetive in Formen von Eigennamen oder 
Titeln wie 's Herordts, bei 's Wernieins, 's Archidekls, 's IMrek- 
ders, wodurch die Angehörigen einer Familie bezeichnet werden: 
es liegt hier der Genetiv Singular vor, bei dem ein Substantiv 
wie Familie, Haus zu ergänzen ist. 

In der Abwandlung der persönlichen Für'^örter ist zu 
bemerken, dass mir, mer, für wir und anderseits dir, der für 
Ihr erscheint, wobei wol Angleichung des Plurals an den An- 
laut des Singulars mitgewirkt hat; ausgegangen aber sind diese 
Gebilde von der Wortfolge geben wir, das sich zu ffewwemir 
angleicht, und geiiel Ihr, nachlässig ausgesprochen getCKedir, 
worauf dann mit falscher Wortabtrennung ein mtr und dir er- 
schlossen wurde, mit Anklang eben an meiner, mir, mich und 
dnncr, dir, dich des entsprechenden Singulars. Wenn das so- 
genannte unbestimmte Fürwort man abgeschwächt als me, dann 
aber auch als mer erscheint, so ist diese Form wol gebildet 
nach alten Doppelformen wie me: mer, e: er (vgl. 8. 163), ferner 
nach da, dabei: dar, darin: wo, teomit: uoran; hie, htcmtt: hier, 
hierauf; vielleicht hat auch das Muster des Pronomens er ein- 
gewirkt. Bei der Komparation sind beachtenswert die For- 
men heecher und näächer statt höher und näher in Angleichung 
an die Grundformen hoch und nach =^ naiie. 

Ebenso sind bei der Abwandlung der ZeitwSrter manche 
Ausgleichungen zu finden. So heißt es er ^reU, lest, helft, trefft. 



242 Waag 

brecht, du gebsch usw. und in der Befehlsform eß, les, nemm^ 
wo also der Vokalwechsel von e mit i ausgeglichen ist, und 
ähnlich heißt es er tragt, er fahrt mit Beseitigung des Um- 
lauts ä. In der 2. Person Plural des Präsens erscheint wie 
im Schwäbischen Ihr gehnt, wennt = wollet, hennt = hcAet und 
ebenso in dem Plural der Befehlsform gehnt und duhnt mit An- 
gleichung an die 1. und 3. Person. In der Abwandlung von zieheHy 
zog, gezogen ist der Wechsel zwischen h und g aufgehoben, in- 
dem es im Präsens heißt ich zwg, er ziegt, ziege(n). Bei dürfen 
erscheint ich derf du derfsch, er derf nach dem Muster des 
Plurals wir derfen, der seinerseits nach dem besprochenen Laut- 
übergang von ür, ir zu er aus dürfen entstanden ist (vgl. S. 161). 
An Stelle von er weiß, er mtiss tritt er weißt, er musst nach 
dem Vorbild der allermeisten Zeitwörter, die in der dritten Per- 
son Singular Präsens Indikativ stets ein -t haben. Sehr beliebt 
sind Umschreibungen mit tun, wie z. B. es duht net schtimnie 
= es stimmt nicht, nter duht bringe = man bringt, wie se sehe 
däht (wie sie sehen täte) = wie sie sehen würde; abei* im gleichen 
konditionalen Sinne erscheinen die bemerkenswerten Neubildungen 
er kähmt, bliebt, sie ließt, sie giengde, wo also der Konjunktiv 
des starken Präteritums nach dem Muster des schwachen Prä- 
teritums die Endung •'t(e) angenommen hat; da jedoch diese 
Form auch als allgemeiner, zeitloser Konjunktiv, und zwar be- 
sonders in der dritten Person Singular gebraucht wird, ist nicht 
ausgeschlossen, dass nach dem Verhältnis von ich komm: ich 
kam zunächst zu er kommt die neue Form er kämt entstanden 
ist. Diese Konjunktive sind übrigens in der Karlsruher Mund- 
art die einzigen Reste des Präteritums, das ja im allgemeinen, 
wie sonst im übrigen Süddeutschland, durch das Perfekt ersetzt 
worden ist, wie umgekehrt im Niederdeutschen das Perfekt dem 
Präteritum weichen musste. 

Im Partizip des Perfekts findet sich gloffe von laaufe 
nach dem Vorbild g^ softe zu saufe, ferner gUvest (neben g^weese) 
und glasst (neben glasse) mit Übertragung des -t aus der 
schwachen Konjugation; geduhn statt getan mit Übernahme des 
u aus dem Präsens; beditte zu bedeide = bedeuten nach dem 
Verhältnis von gditte(ti): kid('(n); ich hol) gedenkt, kennt, t'S 
hat brennt mit Beseitigung des Vokalwechsels in brennen, brannte, 
gehrannt usw. Umgekehrt zeigt das Partizip g'wisst eine ältere 
Lautform als (jeivusst. indem es ursprünglich gewest oder grtcist 



Einiges über die Karlsruher Mundart 243 

gelautet hat. Auch die Formen welle, g^wdU sind älterer Her- 
kunft als ivoüen, gewollt der Schriftsprache; und wenn es heißt 
mir lenn, Ihr lennt, sie lenn und entsprechend mir kenn usw., 
80 ist zu bedenken, dass bis in die älteste Zeit hinein bei lassen 
und haben neben den längeren Formen kürzere gestanden haben 
wie län und hän, deren ä in unbetonter Stellung zu e werden 
konnte. 

Nach dieser kurzen Betrachtung der Formenbildung in 
Deklination und Konjugation sehen wir uns noch im sonstigen 
Wortschatz nach bemerkenswerten Erscheinungen um! Da 
haben wir unter den Adverbien auch in der Karlsruher Mund- 
art das trauliche süddeutsche als im Sinne von „gewöhnlich**, 
„öfters": mir gehn als am Sonndag schpajsiere, er duM uns als 
abhole; dies Wörtchen, vollständig zu trennen von dem als der 
Schriftsprache, ist entstanden aus mhd. aUez (Akkusativ Singular 
Neutrum von all) und hat sich aus der früheren Bedeutung 
„immerfort" zu der heutigen abgeschwächt. Auf der andern 
Seite setzt sich das als der Schriftsprache in der Karlsruher 
Mundart außer in dieser Form, z. B. „Als Jäger dulU er lüge^, 
auch noch in zwei andern Formen fort, die auf die alte Ur- 
form also zurückweisen; einmal in der Form asse: „Drumm 
soUt mer d' Kinder asse jung vom Schiele heile lasse^ („solange 
als sie jung sind"), zum andern in der Form e so, die auf die 
früher übliche Nebenform mit der Betonung also zurückgeht: 
e so e Glück, e so e Roll schpiele und mit irrtümlicher Um- 
deutung des e als unbestimmter Artikel: en so en gesunder Reege. 
Lehrreichen Ursprungs ist sodann notnme oder numnie „nur" 
aus früherem ni wan „nicht(s) außer"; ferner das häufige nord, 
hernord „hernach", das eine Weiterbildung von nooch, hernooch 
= nach, lu'rnach ist, wie aus dem alemannischen liernoochert 
hervorgeht. Eigentümliche Endungsvertauschung zeigen die 
Präpositionen geger, newer, weger anstatt gf'gen, neben, wegen, 
wobei einmal Anlehnung an tuiter, über, hinter, anderseits aber 
auch das Vorbild der bei mer = man besprochenen Formen 
(vgl. S. 164) mitgewirkt haben kann. Die Konjunktion eJii, 
z. B. in ehb se hmn „ehe sie haben" ist eine Abschwächung 
aus eh bevor, Dass auch die Karlsruher Mundart verhüllende 
fluchartige oder beteuernde Ausrufe hat, bedarf kaum der Er- 
wähnung; so hört man: Pfui Dvixd = Pfui Teufel, Herrgott- 
sass — Herrgottsahament, mcinersex — meinersecL 

16* 



244 Waag — Einiges über die Karlsruher Mundart 

Endlich sei nur noch erwähnt, dass wie in allen Volks- 
mundarten so auch hier mehrfache Verneinung sich nicht 
aufhebt, sondern nur verstärkend wirkt, wenn es z. B. heißt: 
in nix net schpaare, do kriegt jo keine nie en Mann, des gibt 
nie kein Engd net! — 

Damit schließe ich diese kurze Betrachtung, die von der 
Karlsruher Mundart vielleicht ein flüchtiges Bild geben kann, als von 
einer Sprache, die zwar, wie gesagt, etwas breit und schlaff, aber 
auch recht behaglich und gemütlich klingt. 



l 



Zum ländliclieii Hausbau. 

Von Fridrich Pfaff. 

Mit 2 Büdern. 

1. 
Scheffel über Hotzentracht und Hotzenhaus. 

In seinem höchst lesenswerten, 1853 zuerst herausgegebenen 
Aufsatz „Aus dem Hauensteiner Schwarzwald '^ führt uns Josef 
Viktor Scheffel in die alte Stadt des hl. Pridolin, die „ Wald- 
stadt *" Säckingen, die er ja immer vor allen geliebt und in seinem 
„Trompeter" hoch geehrt und die wiederum ihm und seinem 
Trompeter ein ehernes Denkmal gesetzt hat K Wenn er uns da 
auf dem Platz vor der -Stiftskirche am Fest des hl. Fridolinus 
Umschau halten lässt, meint er, so werden uns allerlei Leute zu 
Gesicht kommen, in deren Tracht und Gebaren nicht ganz die 
Art und das Gepräge des modernen Kulturmenschen zu er- 
schauen ist. 

Neben dem Bürgersmann in halbstfidtischer Tracht bewegen 
sich da langsam und gemessen die Insassen des Rheintals und 
aus dem benachbarten aargauischen Fricktal die Männer in 
langem, bis fast an die Knöchel reichendem fiock, Strümpfen und 
Schnallenschuhen und einem in altem Stil aufgebauten Filzhut, 
die Frauen in dunklem Gewand, zum Teil mit weißer, eng 
anschließender Halskrause und einer großen doppelten, flügel- 
artig sich ausbreitenden Bandschleife an der Haube, und sind 
meistens ruhige, etwas lederne Leute, mit Anlage zu stiller 
Gemütlichkeit und zu einem Kropf, und haben auch noch viel 
keltisches [!] Blut in ihren Adern, und so man fragt, wo sie 
her sind, heißts: aus Mumpf oder Buus oder aus Wehr oder 

* Neu abgedruckt in Scheffels Reisebildem. Mit einem Vorwort 
von J. Proeiß. 2. Aufl. Stuttgart, Bonz, 1895, S. 63—142. Man ver- 
gleiche damit die Aufätze „Das Hotzenland" und „Noch ein Tag im Hotzen- 
land* in Ludwig Steubs kl. Schriften I, 1873, S. 199—224. 



246 Pfaff 

NoUingen, und wenn man sie nach ihrem Namen fragt, so klingt 
es meist wesentlich keltisch [!], z. B. Denz, Motsch, Dede usw. 
und nur selten findet sich ein Sprosse der germanischen Ur- 
familie Maier oder sonst ein bekannterer unter ihnen. 

Aber aus der Menge ragen noch andere Gestalten spezifisch 
hervor: Da steht so eine Gruppe ^Mannsbilder' beisammen: 
große, gedrungene Leute; ein kurzer, bis an die Knie gehender 
Sammetschoben ohne Kragen und Knöpfe, vorn über der Brust 
durch ein genesteltes Band zusammengehalten, ist ihre ^Montur', 
anstatt der Weste tragen sie ein rotes, beinahe ebensolanges 
'Fürtuch' oder 'Brustlatz', so mit Sammetstreifen verbrämt ist 
und wie ein Panzerhemd beim Anziehen über den Kopf ge- 
worfen werden muss. Den Hals umschließt ein gefälteltes Hemd, 
oft mit großem, in künstlich verschnörkeltem Faltenwurf sich 
auslegendem Kragen versehen; eine Pluderhose, Falte an Falte 
übet-einander gelegt, reicht bis ans Knie, weiße Strümpfe mit 
Lappenschuhen oder große Stiefeln mit hellen Lederkappen 
schließen den Mann nach seinen unteren Beziehungen ab. Auf 
dem Haupt trägt er entweder die sommers und winters gleich 
obligate Pelzkappe oder einen für alle Jahreszeiten gleich üb- 
lichen spitzen, aufgekrempten schwarzgefarbten Strohhut mit 
breitem Samtband. Auch das kurze 'Tubakpfifli' im Mund darf 
nicht vergessen werden. 

Und neben dem Alten mit eisgrauem Haar, der wie träumend 
dem Menschengewimmel zusieht, steht manch schmucker junger 
Bursch, oft ein wahres Prachtexemplar von Mensch. 

Chrusi Löckli het er gha und Auge wie Chole, 

Backe wie Milch und Bluet und rundi chräftigi Glieder', 

und aus seinem Dreinschauen und Auftreten kann einer ohne Mühe 
herauslesen, dass er des Bauernspruchs: Selbst ist der Mann, 
wol bewusst ist, auch wol eine solide Rauferei wie ein Dessert 
zur ordinären Mahlzeit aufzufassen pfiegt . . . 

So wir aber, ohne weiteren Reflexionen über die Philosophie 
des altertümlichen Kostüms nachzuhängen, uns nach Herkommen 
und Stamm dieser wolkonservierten Bauersmänner erkundigen, 
erhalten wir die Auskunft: das sind ^Hotzen', und erfahrens . . . 
dass die künstlich gefältelte Pluderhose dieser Bergbewohner, 

- Aus Hebels Statthalter von Schopfheim. 



Zum Unülichcn Hai 



247 



die oft zehn bis zwölf Ellen Tuch absorbiert und mehr kostet 
als eine aus Humanus Atelier zu Paris, dem Flachland so im- 
poniert hat,, dass ihre Träger hiervon nach dem Grundsatz pars 
pro toto benamst wurden'. 

Bei näherer Erkundigung erfahren wir sodann, dass die 
Hotzen auch 'Wötder' genannt werden, und dass sie von den Höhen 
des Eggbergs, der über Laukingen [?] seinen finstern Rücken 
erhebt, bis hinter Waldshut an die Grenzen des Kleltgaus hin, 
die Marken der alten Grafschaft Hauenstein bewohnen, ihrer 
Abstammung nach reine Alemannen, wie denn auch ihre Familien- 
namen keine Spur von rheintnlisdiem Keltinismus [!j an sich 
tragen, z. B. Hofmann, Baumgartner, Huber, Albiez, Strittmatter, 
Gottstein, Frommherz usw. 

Diesen Hauensteinern geht nun Scheffel näher nach. Die 
Grenzen ihres Gebiets sind westlich die Wehra, östlich die 
Schwarza und Schlucht. Alb und Murg durchströmen es — wie 
jene beiden FUisschen Kinder des Feldbergs. Es umfasst etwa 
8 Geviertmeilen und 150 DorfBchafteu mit rund 3U0OO Men- 
schen. Außer dem kleinen Stailtlein Hauenstein, dem alten 
Grafensitz, und dem Dorfe Dogern, dem Sitz der alten Hotzen- 
einung, liegen all diese Dörfer auf dem ein gewelltes Hochland 
bildenden Gebirge, das gegen den Feldberg zu ansteigt, immer 
rauher und öder wird und den Stürmen freie Bahn bietet. Vom 
Verkehr war diese Bauernlandschaft niemals berUiirt: auf solche 
Weise konnten sich dort in Volkstracht und Hausbau sonderliche 
Altertümer erhalten und knorrige Karaktere ausbilden, wie sie 
die höchst merkwürdigen Rümpfe der , Salpeterer" im 18. Jahr- 
hundert zeigen. Es lohnt sich wol die bei Kienitz und Wagner, 
Literatur der Landes- und Volkskunde des Öroßh. Baden 
(Karlsruhe 1901), S. 200 verzeichneten Schriften zu durch- 
stöbern oder wenigstens Schetiels Aufsatz ganz zu lesen, wobei 
der Überfluss an „keltischen" Wortdenlungen nicht stören darf. 

Weiteriün wendet sich Scheftel dem Hausbau zu: Auf der 
Hochebene aber schauen vergnüglich zwischen den Tannen die 
Strohdächer der Wälderhäuser hervor; hier wohnen unsre 
Freunde — discreti ac diversi, ut fons, ut campus, ut nenius 
, placuit — (Tac, Germ. c. XVI.); fast bis auf den Boden herunter 
reicht das große historische Strohdach, das trotz aller Feuerschau- 



' Diese Ableitung Jat selbstveraUtnillivh niuht eroBt zu nehineo, 



248 



Pfaff 



Verordnungen noch immer nicht dem unbequemeren Ziegeldach 
gewichen ist; und unter demselben Dachfirst befinden sich die 
Wohnungen der Menschen, der Stitll und die Scheuer, hier zu 
Land der 'Teuu'' geheißen, zu welchem auf der Rückseite des 
Hauses auf untermauertem breiten Fahrweg, dem sogenannten 
'Einfahr', die Frucht- und Heuwftgen unmittelbar hineingeführt 
werden können. Vor der Wohnstube ist ein freier Raum, über 
den sich das Dach noch herüber wölbt, zur Aufbewahrung von 




. Ü4idi'.n 



allerhand HausgerSt — der Wälder heißt ihn den Schild" — 
und neben diesem, vor den Stallungen, wo der Brunnen sorgsam 
im Schutz von Dach und Wand angebracht ist, damit er im 
Winter nicht zusammen friere, ist die sogenannte 'Laube". 

Die niedere Wohnstube, durch deren Fenster nur das not- 
dürftigste Licht hereinkommt, ist einfach und schmucklos; ein 
paar möglichst buntfarbige Heiligenbilder hängen an der Wand, 
und über der Tür ist etwa ein Schränklein angebracht, wo die 



1 ISndlichen Hausbau 



249 



'Papier, BriefF und Handschriftlyn', die Quelle so manchen un- 
nötigen Prozesses sorgsam verwahrt sind. Ein ehrwürdig Institut 
aber darf nirgends fehlen, das ist der kolossale Kachelofen mit 
seinen steingedeckten übereinander geschichteten Ofenbänken. 
Dieser Ofen hat eine kulturgeschichtliche Bedeutung. Die 
Ofenbank heißt nicht umsonst die "Kunst' oder 'Chunscht"; auf 
ihr liegt der Wälder der edeln und freien Kunst des Nichtstuns 
und Schnapstrinkens ob, auf ihr brütet er seine feinsten Pfiffe 
und Schliche aus. auf ihr träumt er seine schönsten Träume . . . 

Iais unbewusster Pfleger historischer Sitte (ceterum intecti totos 
dies juxta focum atque ignem agunt , Tacitus Germ. c. 
xvni) . . . 
Auf der Hochebene seiner Berge, die nur durch wenige und 
'l nnzureichende Straßen in notdürftiger Kommunikation mit dem 
i Rheintal gehalten sind, und in der scharfen Gebirgsluft ist der 
I Hauensteiuer wol konserviert geblieben; er ist von allen 
Seh warn Wäldern derjenige, der am meisten ehrwürdigen Rost der 
Vergangenheit — aerugo nobilis — angesetzt hat, und die 
.StrHmnngen der letzten Jahrhunderte haben ihn, der so ziemlich 
'soBer, neben und hinter der Welt' sein Dasein abspinnt, nicht 
angehaucht. Während unten im Rheintal, wo seit Cäsars Zeiten 
der levissimus quisque Gallorum seine Zntlucht gefunden und 
allerhand fremdartige Ansätze aus der Wanderung der Völker 
sitzen geblieben, bunte Vermischung der Stämme stattfand, blieb 
die hier oben sesshafte rein alemannische Völkergruppe in den 
geographisch streng abgeschlossenen Grenzen ihres Territoriums 
anch physisch in sich abgeschlossen . . . Auch ist er der einzige 
Schwarz Wälder, dem jener Trieb des Wanderns in die weite 
Welt, des Handelns und Geldverdienens fehlt. — 

Scheffels anschauliche Schilderung und unsre Bilder zeigen 
uns die Eigentümlichkeiten von Hotzentracht und Hotzenhaus. 
Die Tracht — eine der schönsten und karaktervollsten des 
Schwarzwalds — ist leider völlig verschwunden. Wo sie noch 
auftritt, wie auf unserm Bild des Balthasarhofs zu Hottingen, 
ist sie kunstlich hervorgeholt. Und auch in solchem Falle zeigt 
sie sich alter Eigentümlichkeiten beraubt, wie z. B. ein Blick 
auf die Bilder beweist, die Josef Bader dem ersten Jahrgang 
seiner Badenia beigab. Es ist uns nicht mehr vergtjnnt, 
bunte Bild vor der Säckinger Fridolinskirche zu schauen, 
Scheffel so anziehend beschrieben hat, Fünfzig Jahre der 




250 



Pfnff 



, Kultur' liftben peniigt, um auch den am Alten so tr 
lialtenden Hotzen stamm, der weder von St. Blasien, noch Öster- 
reich, noch Baden Neuerungen ertragen wollte, seiner aclirlnen 
Traclit zu entkleiden, Ist das eigentlich „Kultur", das das Alte 
und Scliöne zerstört, ohne etwas Besseres an dessen Stelle zu 
setzen? 

Alter das alte Hotzenhaus steht heute noch, ein Runchhaus 
mit Srroh.liich und tief heral.geheudem Walm. Wer wUnie iiir-lii. 






AiifniilmE von fli. Buesemer, Badeu. 

bei seinem Anblick an die niedersächflischen Heuberffe erinnert? 
Ist schon das Bauernholzhaus des hohen SchwarKwaUls in den 
Herrschaften Neustadt und Lenzkirch usw. ein richtig'es Gebirgs- 
haus, dessen EigentUnilichUeiten sich großenteils aus seinem 
Standort erklären, so zeigt das Hotzenhaus als eine besondere 
Ausprägung derselben Grundl'orm noch andere Eigentümlich- 
keiten, die gleichfalls auf seinen Standort zurückzuführen sind. 
Das weitausladende, tief herabgezogene Dach des Scliwarzwald- 
hauses will die Wände vor Sturm und Wettersdilag schUtz«B 
und einen schneefreien Verkehr um das Haus oder auch eine 



L 



Zum ländlichen HauaWu 25X 

pedeckte Arbeitsstätte vor dem Haus bieten. Mehr in die 
Wellentäler des stärker eingekerbten Gebirgs geduckt, liat das 
Haus des holien Scbwarzwalds, wenn auch genug, doch weniger 
vom Sturme zu leiden als das Haus der ungedeckten freien Hoch- 
ebene des Hot.zenwalds. Wir sehen daher beim letztern nur ganz 
niedere Hauswfinde und tief herabreichendes Ganzwalmdach. Wir 
sehen den freien Platz vorm Wohnranm zu einer völligen Laube 
ausgebildet. , Schild" wird er genannt von dem deckenden Schild 
des Dachs. Dies strohgedeckte alemannische Mittelgebirgshaus 
steUt für die Landschaft und ihre Anforderungen au Menschen- 
wohnungen das Zweckmäßigste und Vollkommenste dar, das 
ersonnen werden kann , falls es gelingt die für unsre Zeit all- 
zugroße Feuergefährlichkeit zu mindern. Das kann aber nicht 
geschehen durch Auflegen einer harten Ziegeldeckung, wie sie 
jetzt amtliche Vorschrift ist, denn kein Ziegeldach hfilt auf diesen 
Höhen Sturm, Regen und Schnee und ebenso grobe Hitze ab 
und die künstliche Wanne des Innern zusammen. Da muss auf 
andere Mittel und Wege gesonnen werden, und diese sind, wie 
mir scheint, gefunden, so doss wir in der Lage sind, uns der 
8ache anzunehmen. 



Das feuerfeste Strohdach. 

Einem Anfsatze des Malers Hans am Knde in Worpswede 
in Sohnreys Deutscher Dorfzeitung vom 24. Februar 1907 ent- 
nehme ich darüber folgendes; 

Die Erfindung ist von einem Herrn Gernentz in Thürkow 
gemacht. Die Heretellung des Dachs beginnt mit der An- 
fertigung von Strohplatten von 7h cm im Geviert. Dazu ist 
ein hölzerner Doppelrahmen mit Scharnieren und Haken nötig; 
das Stroh wird in diesen Rahmen eingelegt und mit Draht 
durchnäht, so dass es in Plattenform zusammenhängt. Gleich- 
zeitig wird in einem Bottich aus Lehm mit einem gewissen Zu- 
satz von Maurergips und Gallwasser (aus TeerschwSlereien) ein 
dünnflüssiger Brei bereitet. In diesen werden die Strohplatten 
so lange eingetaucht, bis sie richtig durchtränkt sind. Dann 
werdet) sie nass auf die belattete Dachfläche gebracht und in 
der Weise doppelter Pfannendächer auf die Latten genagelt, so 
daaa sie also soviel übereinander fassen, dass sie überall in doppelter 
St&rke aufliegen. Die Lattung ist die des bisherigea Stroh- 



252 Pfaff 

dachs. Auch alte Strohdachgebäude können, ohne jede Ver- 
änderung weder des Dachstuhls noch des Unterbaus, benutzt 
werden. (Während ja für Hartdach der ganze Dachstuhl um- 
gebaut und der Unterbau verstärkt werden muss!) Das Dach 
ist in nassem Zustande zunächst schwerer als ein bisheriges, im 
getrockneten dagegen leichter. Die Kosten betragen für den 
Quadratmeter rund 1,30 Mark. Die Erfindung ist weder paten- 
tiert noch sonstwie geschützt, so dass jeder das Dach herstellen 
lassen kann, ohne dass dadurch besondere Mehrkosten entstehen. 

Da die drahtdurchflochtenen Platten, welche unverbrennbar 
sind, durch Nägel auf den Latten befestigt sind, so ist ein 
Herabgleiten im Brandfalle unmöglich und dadurch die Rettung 
von Menschen, Vieh und Sachen so wesentlich erleichtert, dass 
man hoffen dürfen wird, dass diese Bedachung in feuerpolizei- 
licher Hinsicht dem Hartdach usw. gleichgestellt werden wird, 
so dass insbesondere auch die Erhaltung des Wahns (Tohang) 
ermöglicht werden dürfte. 

Es sind an zwei Stellen Brandproben mit der neuen Er- 
findung vorgenommen worden, beide mit vollem Erfolge. Die 
eine in Teterow (Mecklenburg). Es ergibt sich daraus, dass das 
vollkommen ausgetrocknete neue Dach weder mit Streichhölzern 
noch mit petroleumgetränktem Zunder, noch mit petroleum- 
getränkten Strohwischen in Brand zu setzen war und auch nach- 
dem es einer dreiviertelstündigen lebhaften Feuersglut ausgesetzt 
worden, zwar bis auf die unversehrte Mitte verkohlt war, aber 
niemals gebrannt hatte und nicht — wie etwa zerspringende 
Ziegel — nach unten gefallen war. Es hatte niemals Flugfeuer 
entwickelt, auch hatten sich die Latten länger gehalten, als 
solches unter gleichen Verhältnissen bei Steindach der Fall 
gewesen wäre. Eine zweite Brandprobe fand in Rostock statt. 
Sie wurde vom „Feuerversicherungs verein für kleinere Landwirte 
Mecklenburgs" veranstaltet. — 

Da das Strohdach eine Lebensfrage für das Bauern- 
haus sowol Niedersachsens als auch des Schwarzwalds be- 
deutet, plant der Verein für Volkskunde in Gemeinschaft mit 
dem Oberrheinischen Architekten- und Ingenieurverein sowie 
dem Badischen Verein für ländliche Wolfahrtspflege auch eine 
solche Brandprobe hier in Freiburg vorzunehmen, um weiteren 
Kreisen Gelegenheit zu eigener Unterrichtung über diese hoch- 
wichtige Erfindung zu geben. 



Zum Iftndlichen Hausbau 253 

Ich will nicht verfehlen, auch die Mitteilungen hier zu 
veröffentlichen, die mir Herr Hauptlehrer P. Koch zu Preiburg 
i. B. auf meinen Wunsch über die Strohdächer in seiner Heimat 
auf dem Winterhauch am Katzenbuckel bei Eberbach im Oden- 
wald gemacht hat. 

Meine Ansichten über das Strohdach stützen sich lediglich 
auf eigene Erfahrungen. Das heutige Strohdach ist nicht mehr 
das, was es früher war. Die Vernachlässigung gründet sich darauf, 
dass seitens der Beamten dahin gewirkt wird, das Strohdach 
gänzlich zum Verschwinden zu bringen. Der Bauer lässt deshalb 
das bisherige Strohdach ohne Ausbesserung liegen, bis Er- 
satz durch Ziegel notwendig wird. Früher setzte man seinen 
Stolz in ein schönes Strohdach. Zum Decken hatte man nur 
sogenannte gelernte Decker. Jeder Bauer weiß wol, dass ein 
Strohdach teurer zu stehen kommt als ein Ziegeldach^; das 
schönste Stroh wurde „ausgeschlagen*^, so dass kurzes Stroh 
und gebrochenes in Wegfall kam, in „Schaben*** zusammen- 
gebunden und beim Decken verwendet. An den Giebelseiten, 
woran sich das Dach anschließt, wurden Weiden eingesteckt 
und zum Schutze umgebogen. Der Wind vermochte darum 
hier nicht sein Zerstörungswerk einzusetzen. Beim Decken 
wurde Lehm verwendet, den man mit Spreu, „Hälwe**, ver- 
mengte, jedenfalls zur besseren Haltbarkeit. Das Stroh wurde 
dachziegelähnlich aufeinander gelegt und die abgeschnittenen 
Enden mit Lehm beworfen. Dabei wurde am Stroh nicht ge- 
spart; je dicker es aufgelegt wurde, desto dauerhafter und auch 
wolfeiler war das Dach. 

Die Bedenken, die so oft über die Feuergeflihrlichkeit des 
Strohdachs geäußert werden, treffen nicht voll und ganz zu. 
Früher hat es bei der Strohdachdeckung nicht mehr gebrannt, 
als heute bei dem Ziegeldach. Ich habe selbst einmal bei einem 
Brande gesehen, dass Funken auf ein nebenstehendes Strohdach 
fielen; sie haben das Dach nicht entzündet. Wol ist ein frisch 
gedecktes Strohdach leichter zu entzünden als ein älteres. Mit 
der Zeit verbindet sich nämlich die Lehmmasse so mit dem Stroh, 
dass man auf dem Dach gehen kann, ohne einzusinken. Die 
Entzündbarkeit ist deshalb nicht so groß als man glaubt. Ist 



^ Doch wol nur da, wo das Stroh gekauft werden musste. 
* Mhd. schoup = Strohbüschel. 



254 Pfaff — Zum ländlichen Hausbau 

einmal ein Brand ausgebrochen, so konnten die Leute die nächst* 
stehenden Häuser viel besser schützen; auch beim brennenden 
Hause konnten Leitern aufgestellt werden und das Wasser in 
Kübeln und Eimern über das Dach geschüttet werden ; denn die 
Strohmasse brennt nicht lichterloh, sondern glüht nur. Wird 
bei den geföhrdeten Häusern das Strohdach mit Wasser ge- 
tränkt, so entzündet sich die Strohmasse nicht leicht. Beim 
Ziegeldach spritzen die Ziegel infolge der Hitze weg und machen 
ein Besteigen des Dachs unmöglich. Anerkannt ist es auch, 
dass ein Strohdach im Winter wän^t und im Sommer kühlt. 
Ferner hält ein Strohdach Regen und Schnee viel besser ab als 
6in Ziegeldach. 

Dies zeigt sich besonders in meiner hochgelegenen Heimat. 
Die starken Winde peitschen Regen und Schnee durch die Risse 
des Ziegeldachs durch. Fängt einmal der Sturm an abzudecken, 
so ist Tatsache, dass der Bauer sein Strohdach besser als ein 
Ziegeldach schützen kann. Das Stroh wird durch Stangen fest- 
gedrückt, damit ein Wühlen des Winds unmöglich ist. Beim 
Ziegeldach kommt der Wind gleich unter das Dach und treibt 
da sein Zerstörungswerk. 



Anzeigen und Nachrichten. 



Max Förderrenther. DieAUgäuerAlpen, Land und Leute. Kempten, 
Jos. Kösel, 1907. 525 S. gr. 8^. 12 M. 

Der rührige Verlag hat es sich in lobenswerter Weise zur Aufgabe 
gestellt, die Kenntnis des oberschwäbischen Lands in jeder Hinsicht zu 
fördern. Diesem Zwecke diente neben andern Werken die mustergültige 
Geschichte des Allgäus von Dr. Baumann, dienten die seinerzeit (Bd. 1, 
266ff., III 282 ff. und V 151 ff.) hier besprochenen Sagen und Gebräuche 
des Allgäus von Dr. Reiser; dem gleichen Zweck dient jetzt das schöne 
Werk Förderreutliers. In neun Abschnitten behandelt es das Land und 
seine Entstehung, die Landschaft, das Pflanzenkleid, Wild und Weidwerk, 
Denkmäler der Geschichte, die Bewohner, die Wohnstätten, sowie Klima 
und Leben und Treiben in den vier Jahreszeiten. Schon diese übersieht 
lässt erkennen, welch umfassende Aufgabe sich der Verfasser gesteckt hat. 
Und trefflich hat er sie gelöst; jede Seite zeigt den gründlichen Kenner 
V(jn Land und Leuten. ^lit Vergnügen folgt man ihm auf seinen Wan- 
deruniien im Alpenvorland wie im Hocligebirg, mag er die Eigenart der 



Anzeigen and Nachrichten 255 

einzelnen landschaftlichen Teilgebiete schildern oder di6 mannigfachen 
Überreste vergangener Zeiten vorführen. Mit gleich gewandter Feder be- 
schreibt er die wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes, genau Aufschluss 
gebend vor allem über die Haupterwerbszweige« Viehzucht und Land- 
wirtschaft, wie auch die Reize des beginnenden Frühlings im Hechgebirge 
oder die sondertümliche Schönheit einer spätherbstlichen Bergfahrt. Man 
merkt es allenthalben, dass das Buch wirklich «auf frohen Wanderfahrten" 
gereift ist, aber auf wol vorbereiteten Fahrten, die den fröhlichen Wan- 
derer alles irgendwie Bemerkenswerte sehen und nichts übersehen ließen. 
Genaue Kenntnis des ganzen einschlägigen Schrifttums, gewissenhafte Be- 
nützung aller verfügbaren Hilfsmittel, eifriges Ausforschen aller Wissen- 
den vom einfachsten Bauern bis zum wissenschaftlich gebildeten Fach- 
mann hat zusammengewirkt bei Ausarbeitung dieses Buchs. Und das Ge- 
biet, das es behandelt, ist durchaus nicht klein: es reicht von den Tälern 
des Lech und der Bregenzer Ache einerseits bis Lindau — Kempten— Füssen 
anderseits. Es ergänzt also die schon vorhandenen geschichtlicfaen und 
volkskundlichen Schriften über das Allgäu in ganz ausgezeichneter und 
sehr willkommener Weise. Auch die Mundartforschung kann daraus 
manchen Gewinn schöpfen; des zum Beweise sei nur auf die Sammlung 
von mundartlichen Ausdrücken des inselhaften Walser Tals S. 260 f. ver- 
wiesen, bei denen man ungern die Angabe des Geschlechts vermisst, und 
ferner auf die vielen bei der Käseerzeugung vorkommenden Fachwörter 
für Geräte und verschiedene Tätigkeiten. An dieser Stelle möchte ich 
mein Bedenken ausdrücken über die Berechtigung, die Benennungen ^^är- 
gund*" und «Bärgündele" zum Tiernamen Bär zu stellen, wie dies S. 170 u. ö. 
geschieht. Man spricht „Berrgündele*" und das weist auf Berggündele: 
wäre Bär Bestimmungswort, so hieße es wie bei den andern Namen 
Bäaragündele. 

Die Sprache ist durchweg schlicht, klar und fremdwortrein; wo es 
aber angebracht ist, erhebt sie sich zu fein empfundenem dichterischem 
Schwung. Der Druck ist sauber und ohne nennenswerte Fehler. Auf- 
gefallen sind mir zwei falsche Zahlen: S. 292 Z. 9 von unten soll es 1797 
heißen und S. 514 kommt bei Oberjoch eine durchschnittliche Nieder- 
schlagsmenge von 1568 heraus. Die Ausstattung ist sehr reich: nicht 
weniger als 428 Abbildungen sind im Text, dazu kommen noch 26 meibt 
farbige Kunstbeilagen nach Zeichnungen und Aquarellen bekannter Künstler 
sowie zwei Karten. Also gewiss ein Werk, das wegen seiner Gediegenheit 
und seines verhältnismäßig geringen Preises weiteste Verbreitung verdient. 
Meminingeu. Julius Miedel. 



256 Anzeigen und Nachrichten 

Nachtrag zur Erklärung Alem. N. F. YII, 310—320. 

Neben zastimmenden mündlichen und schriftlichen Äußerungen 
wissenschaftlicher und unbefangener Leser meiner Abwehr der Angriffe 
des Rabbiners Dr. A. Lew in zu Freiburg i. B. hat auch der letztere in 
Gemeinschaft mit der Schriftleitung der Monatsschr. f. Gesch. u. Wiss. 
des Judentums sich nochmals vernehmen lassen. Neues wird nicht vor- 
gebracht. Damit, dass man erklärt: „Soglauben wir Juden fest, dass wir 
von dem Blutaberglauben, der zum Menschenmorde führt, frei sind*, wird 
nichts bewiesen gegenüber den unzähligen Gegenzeugnissen. Ich bin 
genau wie Dr. A. Hellwig (Ärztl. Sachverständigenzeitung 1906, S.-A. 
S. 42) der wolgegründeten Ansicht: „Daher kann selbstverständlich auch 
ein abergläubischer — getaufter oder ungetaufter — Jude einen Mord 
begehen, um das Blut oder Körperteile zu Heil- oder Zauberzwecken zu 
verwenden.** In der „Erklärung** habe ich die Unrichtigkeit der un- 
geheuerlichen Beschuldigungen des Rabbiners Dr. Lewin Zug um Zog 
nachgewiesen und die Hoffiiung ausgesprochen, die Schriftleitung werde 
ihren Lesern den Inhalt meiner Erklärung in unparteiischer Weise be- 
kannt geben. Demgegenüber wagt der Rabbiner Dr. Lew in, der mich 
ungerecht beschuldigt und Ausdrücke wie „Arbeiten ähnlichen Kalibers*, 
„roheste Blutbeschuldigung**, „Hass**, „dieses gelehrte Gehirn, das glaubt 
lieber an das Mirakel**, „Aberwitz**, „die Volksphantasie des Mittelalters, 
die Greuelbilder der Dichter sind uralt demgegenüber was ein von Anti- 
semitismus Fanatisierter im 19. und 20. Jahrhundert ersinnen mag* — 
gegen mich gebraucht hatte, von „Schmähungen* zu reden, und beruft 
sich auf die Freiburger Zeitung (1903, Nov. 30, I) als Unterlage, obwol 
dieser allerdings nicht ganz zutreffende Bericht nichts von alledem enthält, 
was jener mir zuschreibt, er behauptet, der Vorstand der Gesellsch. f. Ge- 
schichtsk. habe die Bemerkung über die Verantwortlichkeit des Verfassers 
nötig gefunden — während das doch ganz allein meine Sache ist. und 
die Schriftleitung meint, dass des Rabbiners Dr. Lewin Angriff „inner- 
halb der Grenzen einer berechtigten sachlichen Kritikbleibt* 
und stellt die neue unwahre Behauptung auf, die angegriffenen beiden 
Veröffentlichungen seien in der Ztschr. der Freib. Gesellsch. f. Geschichtsk. 
erschienen. Immer dieselbe Unbesonnenheit, Leichtfertigkeit und Un- 
kenntnis! Es ist zwecklos mit diesen Leuten zu rechten, denn es fehlt 
ihnen offenbar an Selbsterkenntnis und Maßstab. Es gentigt, ihre Ans- 
lassuugen niedriger zu hängen. 

Freiburg im Breisgau. Fridrich Pfaff. 



Zur kirchlichen Geschichte im Quellgebiet 

der Donau. 

Von Wilhelm Hchnsten 

Mit zwei Abbildungen. 

Das Quellgebiet der Donau ist darum besonders interessant. 
weil seine Geschichte in wesentlichen Zügen noch unbekannt 
ist. Über die Vorgänge bei Besiedelung des ehemaligen Kelten- 
lands durch die Alemannen, über die Beziehungen der Römer zu 
diesem Gebiet, die sicher mittelst einer Heerstraße durch die 
Silva nigra (damals Silva Marciana oder Abnoba) die Verbin- 
dung aufrecht erhielten zwischen ihren Befestigungen am Rhein 
und denen in Schwaben (Kastell in Rottweil), über die Verteilung 
der Burgen, deren es garnicht wenige in unserem Gebiete gab 
(Waldau, Kirneck, zwei Falkenstein, StShlinbronn bei Peterzell- 
Stockwald, eine Burg bei Tennenbronn, Mönchweiler), und über 
die Hoheitsrechte der Ritter im hohen Schwarzwald, über die 
alte Bauerngeschichte in unserem Landgebiet liegt noch recht 
viel Dunkel ausgebreitet, wiewol allein schon, was z. B. die letz- 
tere — die Bauerngeschichte — angeht, die Art und Weise, wie 
die Bauernhöfe im Laufe der Jahrhunderte ^gewandert"" sind, 
d. h. sich verschoben haben, eine Fülle höchst anziehender Unter- 
suchungen darbieten würdet Über die religiösen und Idrch- 

' Ich habe in der Gemarkung des Kirchspiels St. Georgen an mehr 
als einem Punkt« — in sofort auffallenden und ökonomisch trefflichen 
Lagen — kleine gewölbte, weiter nicht beachtete Schutthügel gefunden, 
die sicherlich den Standort ehemaliger Hausbauten verraten; in einem be- 
sonders deutlichen Fall (bei Oberkirnach) steht je ein Haus einige hundert 
Fuß von der ehemaligen Baustelle entfernt [die Vorliebe für Höhen- oder 
Tiefenlage der Wohnung hat gewiss bei den Bauern (genau wie bei den 
Mönchen) mit den Zeiten gewechselt): eins dieser Häuser steht höher im 
Tal, eins tiefer; welches von diesen beiden nun ursprünglich an der heutigen 
runden grasOberwachsenen Schutthügelstelle in der Wiese (dem Aussehen 
Alemannia N. F. 8, 4. ^7 



Hohen Vorgänge im Quellgebiet der Donau sind wir besser, zum 

Teil annähernd gut unterrichtet, 

8t. Peters Hlrchlein in Peterzell. 

Der Grundstock dieses Kirchleins ist sehr alt. Der Ober- 
bau ist ganz neu (der letztere ist 1903 unter Dekan — jetzt 
Oberkirchenrat — Mayer gebaut worden). 

AlsBenediktinermbnche unter Hezelos, Freiherrn von Deger- 
nnu, Führung auf den Vertex Alemanniae, „Selieitel Aleman- 






pächfidtlstätte") gestanden Iiat, lässt sich nlclit sagen (die 
auch nichts mehr von der einstigen Sachlage, demnach 
durfte die jetzige wol schon lange bestrhen, durfte alt sein); daaa ooch 
ein drittle hesondereH Haus an dieser Stelle (nOrdh'ch vom Großen Meiers- 
tAle) zwischen den beiden andern HlluserD gestanden hat, wäre möglich, ist 
aber in Anbetracht der früheren geringeren Volksdiclite nicht wahrschein- 
lich. — Direkt aiu Weg nach Brigach stand früher (vor r. 3Ü .lahnn) 
der große Hof, welcher jetit mächtig stolz auf dem andern (linkeo) Ufer 
der Brigach ola .Unterer Bauer' am Berg Kohlbühl — an der Sonnen- 
seite! ~~ steht, wahrend auf seinem alten Keller y^tiX ein kleineres Hnua 
steht: das Motiv zur Versetzung des Hofs war für den Hofbauertt die 
Einsicht, dass die neue (jetzige) Lage am Berg ausgezeichnet schitn und 
gllustig wHre, denn dort schmilzt z. B. der Frflhjnhraschnee fast znerst 
in der gdnieii tiegeud (so lieobachtete ich eh auch nach ileiu hftrlen. 
schneereichen Winter 1900/07); das klimatisch-geologische Verständnis «it-r 
Nachfahren wsr also höher entwickelt als der des ehemaligen Vorfahren. — 
Sehr httulig, fa»t in den meisten FSllen, sind BrÜnde, die im Schutunswald, 
weil er durchweg Fichtcnhohbuuten hat, leicht ausbrechen, der AnUas 
zum Vertragen der Hofe, s<i beim Uerichtäbnf in Soniinernu hart nin Kamm 
der Wasserscheide, der sich (nach dem Brand) in znoi Hiife. den vorderni 
und hinteren Gerichtshof, nahe hei der alten Baustelle, tciltt.' üit hintere 
Gorichtsbauer hat den seinen aufgebaut mit dem Malvrial eines llofa am 
Rupertsberg, und diese Art von Vertragen der Höfe ist etwas sehr Häutiges. 
so dass also der Neubau ganz aus altem Holz und fast genau wie der 
alte aufgerichtet wiril; so kommt es. daas dieser neue H<if dann ganz alt 
aussieht ~ tatsächlich ist er es ja auch — und dem .\nBcbrin nach scbon 
Hunderte von Jahren an seiner Stelle steht. In der Nllhe der alten Kirclie 
in Buchenherg haben sich ebenso die Hfife (infolge Brnnd) verschoben, 
desgleichen sind im Glasbachtal bei der Ruine Waldau alte Baustellen. — 
Wie sich an der pommerischcn KUate aus den alten sclilechten kleinen 
Wendeusiedelungen GermanendOrfer stattlicher Art bildet«», habe ich ge- 
streift in einer historischen Novelle, die Ich 1901 während meines Studiums 
in Greifswald geschrieben habe (E.Piersons Verlag, Dread en, Titel : .Jaromsr. 
der Fürst von Rügen*. — Interessant ist, dnss nit^hta eigentlich von dem 
altan Material verloren geht, so dass wir auch in St, Georgen sicher 
noch ans der ersten und ältesten Zeit Steine In unsei'u HausmausTD 
haben. 




rdilitlien ' 



-.■hicl.l. 



:j Ijucllijcliiot ävr Di.ii 



ns", wie, karaktenstisch genug, ausdrücklich in der Stif- 
tuugsurkunde (notitia fiindationis) betont wird, im Jahre 1084 
zogen und An Stelle des heutigen Städtchens St. Georgen ein 
Kloster gründeten, stand schon im Tal eine halbe Wegstunde 
entfernt die St. Peters Kapelle'. .la, man führt die Grün- 
dung der Zelle St. Peters bis auf das karolingische 
Zeitalter BurU.k^ 




Peterzeil war ein Aullenposten des Klosters Reichenaii, 
und zwar der nördlichste. Wie die Mistel in unsern Bergen oft 

* Vertex Alemiinnine! Darauf legten die Mönche, die doch aucb 
noch für andereB als nur relij^iOae Dinge Sinn hatten, Wert. Ilcmnsch 
gebarte das heutige Baden Huch noch tu Aleniannien. Diesen Scheitel 
(qui locus propter aitmn terrae dlci potest et est ipse Vertex AiemannJBe) 
■ieht mnn als hochragende und besonders karakteriatische Hnhcnlage gnt 
Tom jet:tigen Ausaichtsturm bei Villingen ans. 

^ Der sehr ver<liente Pfarrei' KalchachmJdt schreibt in seiner ,0e- 

IBchiehte von -St, (ieorgen' (Heidelberg ]89-'>): „Sirber ist. dass sie (die 
Kapelle) weniexlens in die Zeit nnrh Karl dem (jrolSen Eurllekgehf (^. 2^). 



260 . Schuster 

von einem Zentralherd aus Verbreitung findet in die umliegen- 
den Gaue, ihrerseits sich freilich passiv verhaltend und nur ört- 
lich beschränkt auftretend, bis sie die Bauern von ihren Obst- 
bäumen eines schönen Tags wieder abraspeln, so streckte das 
Kloster auf der Seeinsel seine Fühlerarme nach allen Seiten aus 
und suchte und fand überall — isolierten — Besitz (ohne dass 
durch diesen Vergleich ein negatives Werturteil über Reichenau 
und die ausgedehnte Reichenauer Klostertätigkeit ausgesprochen 
werden soll). Wenn es wahr ist, was man von dem Abt von 
St. Georgen in späterer Zeit erzählt hat, dass er auf einer Reise 
nach Rom jede Nacht auf eigenem Grund und Boden habe 
schlafen können, solange er durch deutschsprachiges Gebiet 
kam, so trifft dies in noch bezeichnenderer Weise auf den Abt 
der Reichenau zu. 

Wenn man die klimatischen Verhältnisse unseres Landstrichs 
näher kennt, so muss man zugeben, dass die St. Georger Mönche, 
als sie sich auf der Höhe des Bergs ansiedelten (1084), sogleich 
einen glücklicheren Griff taten als der Gründer und Erbauer 
der im Tale an der Brigach liegenden Klosterzelle. Denn wenn 
es auch den Anschein hat, dass auf der Bergeshöhe (899,3 m) 
das Holzgebäude — damals erbaute man bei dem Wald- und 
Holzreichtum des Schwarzwalds das meiste Gebäu aus Holz, so 
auch das Kloster* — weit mehr Schneemassen, Wind und Sturm 
ausgesetzt war, so fiel doch ein anderer Umstand viel merklicher 
ins Gewicht: Zwischen der Bergeshöhe und dem Tal, bei an- 
nähernd 100 m Höhenunterschied (Peterzell lieg^ 805 m hoch), 
ist der Unterschied in den winterlichen Kältegraden auf 5 bis 
10 Grad anzuschätzen, d. h. auf dem Berg ist es zur Winters- 
zeit um 5 bis 10 oder noch mehr Grad wärmer als im Tal. 
Gegen Wind und Sturm schützte damals der dichte hohe Wald; 
bei der heutigen teilweisen Abholzung machen sich die 
Windstürme für das Städtchen St. Georgen manchmal 
freilich schon recht unangenehm bemerkbar^ 

* Darum ist auch so irui wie gjonicht^^ mehr von ihm in seiner ehe- 
nuili^u Erscheiuunc orh.ilten. 

•^ P;ibei imisii ich dix*h mvh etwas erwähnen, was nicht zum Vor- 
teil lior WäIiI eiue> so hivh Jielesieneu C*rts für das KK^ster ^Stadt) St. Ge- 
ora:en spricht. Ihe r.iuhe l.iift des laniTvii Winters wirkt auf die Dauer 
rx\*h: n^ich:*; ii: Auf die I. untre umi es keuimen verhältnismißig außer- 
o-iic :. : . u" ':: vi?', l.v.nj^ r.cüTt k::or.vn vi>r allem lur Wintersieit in diesen 



Zur kirdilicOien Gpstlikhte im liiiellgebiel der Donau ^61 

Ich vermute, dass zu gleicher Zeit, als die I'eterzeller Ka- 
peile gebaut wurde, oder nicht viel nachher oder vielleicht schon 
vorher ein Kirchlein in dem eine Stunde entfernten Buchenberg 
entstanden ist oder stand. Ich vermute das aus folgenden Grün- 
den: 1. Die alte Verkehvsstraße* zwischen dem offenen Schwaben- 
laiid (damals Alemannien) auf der Linie Villingen — Rottweil nsw. 
ging nicht wie die heutige Eisenbahn Über Peterzell — St. Georgen, 
sondern über Buchen berg (vielmehr die gegenüberliegende Höhe 
„Sieh-dich-für"), Langenschütach, Benzebene, Hornberg und 
durch den Schwarzwald (Gutachtal) weiter. An Verkehrs- 
s trauen pflegten aber zuerst Christen sich einzufinden und 
anzusiedeln bzw. dort wohnende Urinsassen, mit denen sie in 
Berührung kamen, christlich zu machen. Damit entstanden 
Kirchlein in diesen Lagen'. 2. In einer Schenkungsurkunde 

Höhenlagen vor. So vor allem IiiingenentiUBflimgeu [190fl/"" freilich war 
ilieaer Winter besotidera etreug: und wenn auch LangeneotzOniluD^fen 
(pDeumonieenl. bowuI die primSren oder kruppOsen wie die aekandSren 
öder katarrhaliBchen. Infektiuuskrsnkheiten sind, von Pneumokokken usw. 
vemraacht. ea werden sie doch durch das Klima K'f^QnBtigt; übrigens halte 
ich unsere gewöhnliche , Luii gen entzQn düng* fOr reine ErkBit uugH krank' 
heil], aber auch LuD^icnenreiteningen (tflmphyseme), Lungenkatsrrht u. a., 
und leicht verspürt auch der Ciesunde. welcher aus der Talebene herauf- 
kunimt, hier oben etwas Cnantceuehmea anf der Brnst oder Uuft sich ein 
Emphysem, wenn er in dieser dünnen Höhenluft nicht vorsichtig d. h. 
langsam geht. Vielleicht lat das auch der Grund, daaa es hier üben im 
Verh&ltnia wenig recht alte Leute giliL Freilich macht das Klima ja dem 
Landeseingeborenen wenig oder nichts aus. Jene Manche kamen aber 
auch aus der Tiefenlandschart. Doch waren sie gewiss abgehärteter und 
Wide rata ndanb ige r ala wir, da die Menacben damals noch nicht so ver- 
zärtelt waren wie heute, sah doch i. B. Sturm, Bouifazü Schüler, in der 
eiatreibenden Fulda vorUlierziebende slavische Kaufleul« sich baden. 
' Besonders stark wird freilich der Verkehr nie gewesen sein, 
' Auch bei Buchenberg haben sich die Wege verschohen. Die alte 
Kircbe erschien fUr den einstigen Wanderer als auf dein Berge liegend, 
jetzt zieht die UauptstralJe so durch den Ort bucbenberg, dasa die alte 

I Kircbe etwas niedriger und abseits liegend erscheint. — Wer in die Oe- 
gend von Schaffhausen reisen wollt« oder nach Konstanz und an den 
Bodensee, konnl« in Langenachiltach abzweigen nach PeUrzell und Vil- 
lingen, in welcher Uichtung die alte Verkebrsstrslie zwischen StraÜburg 
uiui SchaflFhausen-KonHtauz fllbrte. — Der Mittelpunkt des Verkehrs war 
noch bis in die neuere Zeit [ebe die sogenannte Kunststraße — 1835 ~- 

' und dann die Eisenbahn — IblZ — erbaut wurdenj Langenschiltach. wo 
im „GrOneu Baum* Poatstation mit bis zu 30 Pferden war. An diesem 
St«bewirtahaas beßndet sich noch ein altM schönes Poslwappen mit Dopjiel' 



D St«bewirtahi 



2()2 Schuster 

Karls des Großen wird ein Buchenberc genannt; die Schenkungs- 
Urkunde erstreckt, sich ungefähr auf unsere Gegend; ob darin 
unser Buchenberg gemeint ist, steht dahin. 3. Bei dem heutigen 
Buchenberg war eine altgermanische Wodans-Kultstätte; davon 
sogleich mehr. An Stelle der heidnischen Heiligtümer wurden 
geflissentlich christliche Gotteshäuschen gesetzt*. Ich vermute, 
dass auch nach der andern Seite hin, da wo heute Oberkimach 
liegt, und zwar am Kesselberg auf dem Gebiet des Stoffelbauem, 
schon bald nach der Herrichtung des Peterzeller Kirchleins eine 
Kapelle gestunden hat, jedenfalls vor der Zeit der Mönche von 
St. (Georgen. Denn auch dort war eine Wodansstätte und auch 
diese wurde in eine Christus geweihte Stätte, d. h. eine Kapelle 
umgeformt; diese Kapelle war dann später eine jener Feld-, 
AViesen- und Waldkapellen, gegen deren unnötige Häufigkeit sich 



»lUor viUo Fehler des Wap|H»iiscbildd sind undeutlich). Die Gebäude bei 
dit^em Haus dienten einst als Pferdeställe. Vgl. im übrigen , Geschichte 
v«n St, GoorgtMi* von K. Th. Kalcbschmidt S. 104. — Ob die alte Ka- 
p«^Ile in Huchenberg auch noch Reichenauer oder sogar St. Galler Besitz 
war. steht dahin: es wird dies angegeben. Das alte Kirchlein in Buchen- 
b^rg. das auf Staatskosten wieder in den alten Zustand gesetzt (wieder- 
hergt'citeUt^ wird, trägt auf der Westseite trüber dem eigentlichen, jetzt 
lugt^niauerten Kingang^ ein altes Wappen: Eine runde Kreisfläche mit 
ein^m Krt'^ut. t^A'vimal Kreis und Kreuz Qbervinander. Über dem heutigen 
Kiiigaug betlndet sich — aber in verkehrter Lage • Bedeutung?) — ein 
grx^lxMH lYerdehufei!*n befe^igt : Das alte Wodanszeich^i. 

'^ Ks isi ja aufTallend. wii^ geHissentlich die ersten christlichen Mis- 
siiMiar^ alle heidnischen Kult^^ätten in christliche umwandelten. Aus ver- 
schii!*deneii l^rAinie«: Kinmal war den betreHRniden Orten schon durch die 
Cberlieferung ein kullischer Karakier au^eprjigt. der gut ausgenutzt werden 
k^^nte. sodann hing die Hev^kerung an diesen PUtzen als altgewohnten 
and wfisi befanden sie sich auch in «Zärtlich günstiger Lage. Genau so 
haben e<s anch die Israeliten die Ibrim = die Hehrer = die Jenseitigen) 
gemachtv als sie vmi dem l^and jenseits des Ji^nlan Aber diesen einwan- 
derten in l^ftUstina: sie haben die »AÄ'here«'^. «Maieben^ usw.. al$o die 
heilige« l^l^le. Steine. Haine. tVrghe^Ugt^wer ier rrbev^dkerrnng in den 
DM^»st Jahwes g«K4e^;t. !ck Vse ittßU:;^ tn etseni Schreiben Papst 

iire^jcvvs *^s v»r\s"v« aa AV5 VtrlU:»*: »><ju>f« deaci \:urK<inns. zn welcher 
rV^';jeu.jt-?^Ä v>. r-jK*i "AVjcvr ^?-:*vi:*j:-i iW-r i:- Fekehrang der Eng- 
lAi^,»-»^r ivV.'*«"r'V* > - /aj^s :vAr: rJL:»r\v'i .£•? •••'Cjirtkinche« bei jenem 
\ .*'V > r .■?.: :i*^.^ •; • vr-.v. -v : zr i^ '-Jcr:?»!?'/'-«? tirin vernichten. 
s:>*.> .».M ;'.*;:• ' : ^^ -. '^.is^itr SfsrrvcrirsrT. V '.irv "?»*i*^*r ;ui4 Reliquien 
■> ^►-; ^',:'^v*' >' 1 V . •' V :.- .. -.; \ \>^? i-: ..--M.:":. s> ^ass^ man sie 
X "'^ .> . . . ■•• . >■ • * i " -. ' ' . ^» \ * "• *^ ■ ^ ,!..*^x* xsw. M^ne. 



Zur Urcbliclieii GcsdilcMe im Qu«llgcblet d«r Dun 



263 



Luther gewandt hat*; sie litirte spSter zu sein auf und ihre 
noch jetzt recht schönen Holzfiguren wanderten in die Kirche 
von Sf, Georgen. [Nach andern stammen diese Holzfiguren aus 
der alten Klosterkirche St, Georgen; die farbige (übrigens schSne) 
Bemalung ist, wie mir ein Kunstkenner versicherte, nicht sehr 
alten Datums, was man an dem sogenannten , laufenden Hund', 
einer das Gewand einfassenden Borde, erkennt.) 




1 IVltritll na.li .ler Wit.lerber^tellui 



Dass beide genannten Stätten, Bnchenberg und Oberkimach- 

I Kesselberg, germanische Kultstätten waren, ergibt sich u. a. auch 

' daraus: Wie die Eiche war die Buche ein heidnisch -germanischer 

I Kultbaum; die Buche geht aber nicht ganz auf unsern hohen 

[l Schwarzwaldkamm fSÜO— 1000 m) herauf; ee ist ihr hoch oben 

I zu rauh, wie denn ihre HöheuTerbreitungsgrenze im allgemeinen 

|. in SUddeutschlaud unter 1000 m liegt (das Laubholz überhaupt 

I überUssi die Höhenlagen dem widerstandsfähigen und vor allem 

L 



* Vipllvichl worden 8 



misHbrRui'bl. 



264 Schuster 

mit weniger Nahrung sich begnügenden Nadelholz, hier den 
Rotfichten und jetzt auch Weißtannen, woher unser Gebirg den 
Namen Schwarzwald führt); wo doch noch die Buche hier oben 
vereinzelt vorkommt, da wird sie von Menschenkunst gepflegt 
und sorgsam gehegt; nun findet sich gerade noch ein kleiner 
Duchenhain am Kesselberg (in fast 1000 m Höhe) und auch 
Buchen berg ist ja nach diesem Baum benannt worden — wenn 
auch heute keine Fagus silvatica mehr dort steht ^®. Wo Buchen- 
haine hier oben — wol mit viel liebevoller Mühe, aber nur in 
kleinem Bestand — gepflegt wurden, waren Heiligtümer. 
Dazu kommt noch, dass man — das Volk — sich von der Berg- 
höhe „s Engele" (bei Peterzell-Buchenberg) die altbekannte typi- 
sche Wodanssage erzählt, dass ein Reiter (vgl. Sage vom wilden 
JKger) zur Nachtzeit bzw. Mitternachtsstunde über den Berg 
reite; dass er seinen Kopf unterm Arm, nach anderer örtlicher 
Überlieferung in einer Schüssel, trage, wäre meines Erachtens 
ebenfalls ein alter volkstümlicher Zug, welcher die £nttronung 
des heidnischen Gottes durch den christlichen ausdrückt (decollatus 
est)^*. Vielleicht ist sogar auch der Name des Bergs selbst 

*^ Hoi DonAut^schingen sind in den tieferen Lagen schon wieder Bnchen- 
wftUior. Kino grittiere Nahruntrsmenge und also günstigeren Boden ver- 
laugt da$ [«aubholi schon deshalb, weil es alljährlich zur Bildung neuer 
HUttcr besondere Stoffe benötigt, welche die immergri&ne Fichte nicht 
auftuwomien hat. Auch nach Triberg hin steht am Sturz der rheinwärts 
so eindnicksvoll scharf abfallenden Berge ab und zu einmal eine ver- 
einielte Bache« so z, B. bei dem Hof Unter-Steinhalden. Ich glaube aber, 
dass sich diese vereinzelten Ihicben nicht von selbst angesamt haben, 
somiem dass sie irgendeinmal ein sorgsamer Hofbesitzer angepflanzt hat. 
*^ Die Ansicht einiger Historiker, dass in dem lateinischen Bericht 
ab^r «Us Siraf^^richt Karls des Or\>6en ober die Sachsen in&mlich dass 
er nach der IWiegting Widukinds an einem Tage bei Verden an der Aller 
4%^!^^ Aufslindisiche ^hinrichten* ließ • auch ein Schreibversehen sich ein- 
geschlichen habe uml stau delocat«s e^ geischriebeii worden sei decol- 
latns e<sf ^ein Sprachaus^imck des mittelaherlichen Latein*, ist mir sehr 
svmiMklhisch. denn das Niedermetxeln wi^i^pricbt ganz dem Karakter 
Kar^Ss <ias Ver|^tUnren w)<)ersfoensii<er UntertaDen dagegen entspricht ganz 
jl^r«vllu «Wm. w^ns vir <lber Sitte« und i^brische der damalwyn Zeit wissen. 

V.« \ttA%vcx>n — ttjkm^oh t^:« schÄses iWaw«siäck — zn der Umwand- 
^«\\i hcNitiiSv-^it^r vi%M:«'r ;::>»: Ht^\itfr. in ciiristl:che Ficnren Marienlegenden 
:rx .jV.:t^r., VÄr« r,>:AU:or. ^-.x ',;>ishr,.:j?T\-; it F.ia^äe»delB> — Siegfried 

>: •/'<N^:x V;'.:;: *:.i t* ,. >\->.«rs Arrji^.c?^. diss d<-r grolie slavische 
^*,;: *..* K.v^Lvr .S^Artt« :* TtTTt:. :r Aric-Tia. üri'^ terstC»n eine Tm- 
;. ^.,r,i .-^v . :.>: ! ..;-.: . •: *. c-r-r Wf^L'iitii a;sf Rügen von 



Zur kirchlichen Geschieht« im Quellgebiet der Dnii 



^65 



,s Engele" ein christlicher Euphemismus (Umschreibung: einer 
unangenehmen Sache durch mildere oder beschönigende Aus- 
drücke)'", wie ahnlich auf Oberkirnacher Gemarkung ein Berg 

. ,St. Wendel" heilit nach der alten Wendelskapelle, ein anderer 
.Schlosaberg" nach der längst ausgetilgten Burg in Oberkirnach; 
alte Namen erhalten sich auf dem Schwarzwald bei der zäh kon- 
servativen Bevölkerung sehr lange". 

Wenn der Turm (Steinturm) mitten in Burgberg, auf der 
Sohle des GlasbachtSlchens (nicht der Bergturni, die Burgruine 
, Weiberzahn" ist mittelalterlich), ein Römerturm ist, was einige 
behaupten, so stand er — auch übrigens an dem alten Verkehrs- 
weg gelegen — natürlich auch schon, als eine Stunde davon 
entfernt das Kirchlein oder die Cella S. Petrl gebaut wurde. 
Man kann sich nun fragen, was die Mönche, abgesehen 
von der' — 1084 sicher schon durchgeführten — ChrisUanisierung, 
im unwirtlichen Schwarzwald eigentlich gewollt und gesucht 
haben, da unsere Berge doch, wenigstens heutzutage, verhältnis- 
mäliig viel Monate im Jahr hohen Schnee haben oder schlechtes 
Wetter; auch der Boden konnte damals unmöglich viel hervor- 
bringen. Den Äbten aber kam es darauf an, neues schönes und 

' reiches Land zu dem alten Besitz hinzu zu erwerben. Da will 
es mir nun scheinen, als ob der Schwarzwald vor etwa tausend 
Jahren und früher weniger schneereich und winterlich kalt war 
als heute. Und zwar aus folgenden Umständen. ZunKchst nimmt 
man überhaupt schon für die Zeit Cäsars (und die folgende) eine 
wärmere Periode an aus den verschiedensten Anhaltspunkten, 
darunter einer Ist, dass Cäsar gar so keine grausige Schilderung 
vom deutschen Winter gibt, wie er als Römer hätte tun mlissen, 
nach heutigem Maßstab gemessen (vgl. seine Beschreibung des 
herzynischen Walds). Ferner berichten auch die allen Mönche 
St. Georgens in ihren hinterlassenen Papieren (Chroniken) nichts 
von besonders argen und harten Wintern. Gegen solche spricht 



" Wie das ja altbeliebtc Art nicht nur der MOache und trciatlichen, 
Mndern auch des Volks aelbat war imd elf^entlich heute nnch ist. 

" Liberale lilecn stehen im liSrtesten Widerspruch zu dem im tlerzen 

Bt4ckkonH«rvativcn alein onnischen Schwarz waldbauer; seiu ganzes Leben 

ist xah konservativ, fast slle aeine Sitten sind altgeprügteu Datums, und 

, der Sehwarxwftlder Ist vielleicht Überhaupt die das Alte erhaltende Natnr 

I iwt' Üoy+,v, d. Ii. der konservativste Maan ganz Deutecblands. wenigstens 

\ Bach meiner Schützung. 




Schuster 



auch, das3 damals docli wol mehr Buchenholz bei uns vorkani 
als heute, denn es sind die verschiedensten PlKtze und Dörfer 
nach der Buche benannt worden, wo heute keine mehr steht 
(wie JR auch der Weinbau viel weiter nach Norden zu verbreitet 
war). Vielleicht hat der damals viel dichtere und ungerodete 
Wald Eelbst für ein etwas mäßigeres Winterklima gesorgt". — 
Die Römer haben nicht von den Höhenlagen des Schwarzwalds 
dauernd Besitz ergriffen, nur Römerstraßen (Militär- und Han- 
delswege) führten über sie hin. Sie nannten den Höhenzug, 
welcher heute Schwarzwald hei(it, auch nicht Silva nigra, wie 
er bereits in der notitia fundationis (Stiftungsurkunde des Klosters 
St. Georgen 1083) benannt ist, sondern Silva Marciana oder Abnoba, 
was vielleicht auch bekundet, dass damals unser Waldgebirge 
nicht den total finsteren oder schwarzen Eindruck machte wie 
heute, sondern mehr von Laubwald (Buchen) durchstanden war. 
Vorgedrungen ist der erste Begründer von Peterzeil gewiss 
auf dem Wege durch das Donau- und alsdann Brigachtal auf- 
wärts, bis er so ungefähr an die Quelle des Brigach Aussehens 
kam, wo er dann Halt machte und seine Zelle (ein kleines Wohn- 
gebäude) und ein kleines Kirchlein (eine Kapelle) herrichtete. 
Als dieser Sendung aus dem üeichenauer Kloster die Gegend 
des heutigen Villingen passierte ^ über die er noch etwa 12 km 
hinauszog — , fand er auch dort schon eine Besiedelung vor, 
denn bereits im Jahr 817 wird der Name Filingas genannt, wel- 
cher mit dem Personennamen Filo zusnmmenhBngt und das Besitz- 
tum eines Manns namens Filo bezeichnet'*. Wir müssen uns 



" Daas wir jetzt witder einer irarmereQ Zeilapocho entgegengehen, 
glanbe ich aus Koolagischen Ersclieiniinjjjen in nalurwisscnachaftlichen Zeit- 
schriften (erstmalig im „Journal fUr Ornithologie', heransgegebcD von 
Prof. Dr. Reicfaenow in Berlin. I9m u. a.) nHchgewiesen eu haben. 
Bedeutende Zoologen haben sich dieses Gedankens mit ausdrücklicher 
Nennung meines Nachweises bemficktigt. so der Afrikareisende Schillings 
in seinem herrlichen Work ,Der Zauber der Elelescho* (ti. 12-'i). Dr. Enaaer 
in .Der Vogelzug und seine Rätsel' (S. 70), Dr. Floerii'ke in .Deut- 
sches Vogelhandbuch- (S. Wb). Rittmeister Kurt Graeser in .Der Zug 
der VSgel", ferner Jagdsckriftsteller Camillo Morgan. Fritz Tlrann, Karl 
Bojer u. a. Von geologischer Seite wird die obige These geatDtxt durch 
die R«ibisch-Simrothscbe Theorie der Erdpendulation (s. .Jahrbuch der 
Naturkunde* 1904, l'JUö und 1900). 

" Vgl. 0. Heilig, Die Ortsnamen des Grojthei-zogtums Baden ge- 
meinfftsslich dargestellt, S. 93: 817 Filingaa. 1094 Fillingeii. 1179 Vilingin, 
zum PN. Füo. 




Zur kirthlklien Geschiflite im Quellgebiel der Donau y(}7 

überhaupt die damaligen Verliältnisse so vorstellen, dass der 
Schwarzwald auch in seineo hohen oberen Lagen nicht gSnzlich 
unbewohnt war, sondern da und dort einzeln zerstreut die 
Höfe alemannischer Bauern la^en. Mitteninne lagen eben Kapelle 
und Zelle des Peterzeller Klerikers, der vielleicht als Einsiedler 
lebte, vielleicht Familie hatte; er braucht kein asketischer Mönch, 
sondern kann verheirateter Laien- oder Weltpriester gewesen 
sein. Sein Kirchlein bildete gewiss den religiösen Mittelpunkt 
für die umwohnenden christlichen Bauern. 

Im übrigen mag das Landsehaftsbild damals ungefähr ebenso 
susgesehen haben wie heute, nur dass unstreitig mehr Wald 
vorhanden war (und eben darunter vielleicht da und dort mehr 
Laubwald), Die geologische Formation des Brigachtals mag auch 
ungefähr die gleiche gewesen sein wie die heutige; nur möchte 
ich vermuten, dass die Brigachquelle früher etwas niedriger lag 
als sie jetzt liegt und dass sie sich allmählich mehr den Berg 
hinaufgezogen hat ; die jetzige hydrographische Lage ISsst 
das vermuten, wie ja ein ühnlicher Vorgang auch in andern 
SchwarzwaldhochtSlern sich vollzogen hat'". — 

Dass damals und noch Jahrhunderte später der Schwarz- 
wald als eine sehr wilde und wüste Gegend galt und es in der 
Tat auch war, ergibt sich aus der Geschichte des Herzogs Ernst 
von Schwaben. Ganz in unserer Nühe hatte er sich nach seinem 
Zerwürfnis mit Kaiser Konrad IL (1024—1030), seinem Stief- 
vater, niedergelassen, nämlich auf der Burg Falkenstein bei 
Schramberg ". Und es heilit von Herzog Ernst von Schwaben 

" Die ErdgostaJtung im gesamten Quellgebiot der Donau hat 
aich insofern bmleutend verändert, als früher auch Aitrach-Watach, 
£schach-Prtem (FHulenbach), £yaeh'<Schmiedia n. a. NebenflQsBe der Dudbu 
waren. Die ganze obere Donau wird noch eicher zum rheinlacbcn Fluss- 
geblot, abwSaserii, also auch Brigach nnd Breg, von dem Äugenblick an, 
wo der große unterh'dische Wasserkessel zwischen Donau -Tuttlingen 
und ÄBchquelle, welcher die gfinzlicb versickernde Donan aufnimmt, ein- 
mal einsinken und zuin offenen Flussbett sich umgestalten wird. Das ist 
uur eine Frage der Zeit, .Koamos*. läÜT, 8. 204. Schon jetzt epcist ja 
die znr Sommerszeit im BrQhl bei Immendingen ganzlich versickernde 
Dunan den Aachquelltopf mit 4 bis 1)^000 Liter die -Sekundo (je nach 
dem Wasserstand), kein Tropfen der Scbwarzwald-Donau konrmt im 
Sommer nach Württemberg. 

" Falkenstein liegt von Peteneil bzw. St. Georgen r. 15 km ent- 
fernt. Eduard Schuster in Freiburg. Baninspektor a. D., gibt zurzeit ein 
Werk über die .Schlässer und Burgen Badens* heraus. Aus diesem ist 



L 



N'hustor — Zur kirchlichen Geecbicfate im Qaeltgebiet der Dontn 

in den berichtenden Urkunden, dass er sich in der »Urwildnis" 
geborgen habe. Mit Werner von Kyburg, seinem treuen Freund, 
flüchtete er sich in die Schwarzwaldeinöde (Silva Marciana oder 
Abnoba der Römer, Silva nigra des Mittelalters), die auch zeit- 
weise „hevetische Einöde" hieli, bemUchtigte sich der „wilden 
Felsenbiirg" Falkenstein, führte dann sogar mit einer Schar ver- 
zweifelter Gesellen ein kühnes Räuberleben, bis Graf Mangold 
heranrückte, um au ihm die Reichsacht zu vollstrecken. In 
der Ebene der Baar (wahrscheinlich auf der Hochebene um 
Donauesehingen-Villingen) kam es zum Kampfe. Seite an Seite 
fielen im wütenden Handgemenge Ernst und Werner, aber auch 
auf der andern Seife Graf Mangold. Der Leichnam Herzog Ernsts 
wurde nach Lösung vom Daune in Konstanz bestattet '^ — 

xa ersehea. dass unsere Gegend, wie ich in einer der ersten Fußnoten 
bereits gesagt habe, verhältnismäßig reich au mittelalterlichen und vor- 
mittela1t«rliuhen üargen ond Schlössern war; Schuster nennt: Kimeck 
(Salvest) bei Un terkim ach -V Illingen, Slftnchweiler (jetzt sind keine Ruinen 
mehr vorhanden). Waldau im Glasbachtal bei Bucbenberg (jetzt vom Staat 
wiederhergestellt und da.t typische Bild einer kleinen mittelalterlichea 
Schwarzwaldbnrg), tWeiberzahn' in Burgberg (daselbst auch Rttinerturin? 
— in der NShe der Burgniiae Kimeck iKuft eine gepflasterte Räraerstraße 
durchs Tal der Kimachj, Triberg, Hornberg. Schiltach; wie mir der Ver- 
fasser schreibt, bestanden eine gewisse Zeit hindurch zwei Bnrgen Falken- 
etein, desgleichen befand sich eine Burg bei Tenneubronn; femer aber 
auch, wie mir Kenner der alten Verbfiltnisse aus 8t. Georgen aelbat mit- 
teilen, eine Bui^ zwischen Peteniell und Stockburg namens Stuhl iabvonn 
(nach der ein jetzt noch lebendes Adelsgeschlecht heißt), von deren Dasein 
E. Schuster bisher noch nichts erfahren hat. Vgl. Ä. Krieger, Topogr. 
Werterbuch von Baden. 2. Aufl., II, I0!I6 unter Stockhurg. 

" Ehe ich nnn diese Arbeit weiter fortführe — sie soll möglichst 
grOndlich und eingehend werden — . mues ich die Akten des alten 
Klosters Reichenau haben und einseheu, und zwar diejenigen, welche 
sich bis auf die älteste Zeit erstrecken bzw. über sie Auskunft geben. 
Ich denke, dass die Keichenauer Akten noch manches mehr oder minder 
Wichtige Aber die hiesige Gegend enthalten, was noch nicht bekannt ist: 
es wäre das vielleicht noch eine interessante Fundgrube fUr die filteato Ge- 
schichte unserer Gegend, soweit man von einer wirklich historisch bekann- 
ten Zeit sprechen kann. — Darüber, ob wirklich Melanchthon einninl in 
dem Peterieller Kirthlein gepredigt hat (Kalchschmidt schreibt: ,nach 
mündlicher Überlieferung — haben soll*), niuss ich auch noch weiter- 
gehende Untersuchungen anstellen; für Beihilfe bin ich in jedem Fall 
dankbar. 




Das EIRCHEN der Karolinger. 

Von Julias Schmidt. 

Beim Studium der Geschichte meines Pfarrorts üarchen, 
im badischen Bezirksamt Lörrach, musste ich auf die Streit- 
frage stoßen: Ist das Kirchen in den Urkunden aus der Zeit 
der Karolinger mein Kirchen, der badische Ort, oder das 
Kirchheim im Unterelsass im Kreis Molsheim des Kantons 
Wasselnlieim? 

Am entschiedensten spricht sich gegen das badische, 
aber für das elsässische Kirchen aus Aloys Schulte in 
der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N. F. IL, 
246/47; er beruft sich auf die Annales Fuldenses in den 
Monumenta Germaniae Historica, Scriptores I 404,14; 405,7 
und 410,15, auf Kraus, Kunst und Altertum in Elsass-Loth- 
ringen I, 126, besonders aber auf die „Existenz der alten 
Merowingerpfalz in Kirchheim-Marlenheim, deren Trümmer 
noch heute an einzelnen Stellen über den Boden emporragen.** 
Denselben Standpunkt nimmt ein Schöpflin in seiner Alsatia 
illustrata I, 704, wo auch wieder auf die Annales Fuldenses 
Bezug genommen ist, und Das Keichsland Elsass-Loth- 
ringen III, Ortsbeschreibung 1. Hälfte, S. 517. 

Im Gegensatz zu diesen erklärt sich für das badische 
Kirchen E. Dümmler in seiner Geschichte des ostfränkischen 
Reiches, 2. Aufl., III 277, Anm. 2, welchem Paul Friedrich 
Stalin in seiner Geschichte Württembergs von 1882 L, Abt. J, 
S. 123, Anm. 2 zustimmt. Dümmler wieder wird im topo- 
graphischen Wörterbuch des Großherzogtums Baden von 
A. Krieger, 2. Aufl., I 1172/73 zitiert wie das Urkunden- 
buch der Abtei S. Gallen von H. Wartmann, der seinerseits 
in den Anmerkungen zu den mit in Frage kommenden fünf 



...riliheini iCliiri- 
, •nach im (üoli- 



2(i8 ^^«•hn^tor — Zur kirchlichen Geschichte im Qiu 1' 

in den berichtenden Urkunden, dass er >!• y^. om ^,,,1 

ü^chortren habe. Mit Werner von Kvb* . i • |. , 

' icli Uli roi- 

Hüchtete er sich in die Schwarzwal- 

Abnoba der Römer, Silva nigra (!• 

weise .hevetische Einöde** hicl 

Felsenburfr- Falkenstein, führ* ' -iielilich E. Mühl- 

zweitVltcr Gesellen ein küli - ^'"»^ i^^-^- 1 '•■"'-• 

heranrückte, um an ihm • • r-tt-iii Aufsatz ihhIi 

der Ebene der Baar (v . •.. <n saiit vv alirr 

Donaueschingen-Villim :.*i»l I. Abt. II 7-^. 

Jielen im wütenden r V; Lömah . datnr 

auf der andern Seit. -; „ o SpruiH-r- 

wurde nach Lösu .. i. -. i ,. ii- 

.-. :'li in (Ich W kiur 

, , - - ^. .'Ul\ Aiiiii. \'2 schuii 
zu fTM'heii, ua^ 

iK'ieits j^rsagt - ' ^'^" •nilllKT 11. I'ik. 

mittolrtlterlid :.in«l 17 .luni n. IT,»; 

, , - - . "A.ri, Osttrank. Kt-irli 

wiederher 

Schwarz _ ^ - \ Mi-iniiiitr ^cmn Mi i- 

— in i' 1 . 

, , ^ - _.. imm aber ziiv/aW 
durch • - 

fasse - - . > i" i<li an drr Aiiitir 

^^^'^' ."1 M-liivibrii. Ab»r 



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'\i:\\ lii>lu'r auf «niiini 
• :: il dl m baili*»i lifii 
' • ^- liäfliLit. wif irh 1-» 
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Das Kirchen it<?r KAriilia^tr 



•271 



TOien aus geaclielien ist, abgesehen von der Ortsbeschreibung 
im K«ichsland Elsass-Lothringen a. a. 0. und Kraus, Kunst 
und Altertum in Elsass-Lothringen I 126 durch Baurat und 
Konservator Winkler. bzw. Dr. Plath', welcher iia«h dem 
Korrespondenzblatt der westdeutschen Zeitschrift für Ge- 
schichte und Kunst, lÖ Nr. 1 und 2 1900, beachtenswerte 
Nachgrabungen und Entdeckungen im elsässischen Kirchen 
gemacht hat. 

Die endgiltige Entscheidung, soweit möglich, herbei- 
führen zu helfen, das bezweckt diese Abhandlung, nicht zuletzt 
aber auch das Andere, an maLigebender Stelle Interesse und 
Förderung zu erwecken für Vornahme von NachgrabungeB 
auch auf hiesigem Grund und Boden, wie seinerzeit im 
elsässischen Kirchen, und zwar an der nach Lage, t^ber- 
lieferung und vorhandenen Mauerresten in Betracht kommenden 
und unten näher zu bezeichnenden Gemarkungsstelle. 

Fasse ich die bezüglichen Urkunden ins Ange. Das 
sind die fünf bei Wartmann im S. Galler Urkundenbuch und 
die drei in itet) Mouumenta Germantae Historica Scriptores, 
Folioausgabe I, Ann. Fuld. S. 404, 405 und 410, bzw. in 
Uühlbachers Regesten des KaiseiTcichs unter den Karolingern I, 
1, Aufl. S. (iö2/53, 2. Aufl. S, 719/20, womit zu vergleichen 
ist Mühlbachers Aufsatz in den Wiener Sitzungsberichten 92 
über ,die Urkunden Karls III.', besonders die tabellarische 
Übersicht am Schluss mit den unter Nr. 166—170 verzeich- 
neten Urkunden mit Actum Chiriheim und Ingelheim. 

Schulte bei'uft sich eigentlich nur auf die Aimales Ful- 
denses in den Monumenta Germaniae, deren Urkunden er an- 
führt, und spricht sich auf Gi'und dieser schon gegen das 
badische Kirchen und Dilmmler aus, der vor allem auf dem 
S. Galler Urkundenbuch von Wartmann und den Annales Ful- 
denses fuÜt und sich so für das badische Kirchen erklärt. 

Nun unterliegt es nach meinem Dafürhalten gar keinem 
Zweifel, dass in den beiden Urkunden des S. Galler Ur- 



* Nach Kit 
tTirtersuchiiDi 
imd Säst. 



a. 0. wurden echon frtther solche Nnchgrabnngen 
cIsSssischen Kirchen vorgenommen vou Dr. AdHin 



272 



■■i'Lmidt 



kundenbueha Nr. 1 und 2 aus den Jahren 815 und f 
nur das badisclie Kirchen gemeint sein kann sXa der Ort 
der Handlung und Ausstellung der Urkunden. Dieser wird 
da so bezeichnet: „Actum in villa, qui dicitur Cbirihlieini. 
coram frequentia popuü'. und „Actum Chirihaim villa 
publice". Nach dei' ereteren Urkunde überträgt ein gewisser 
Wolfini 2 Hörige nebst anderem Besitz ,in pago Brisicau- 
ginae et in villa nuncupaute Akaringa dem Kloster S. 
Gallen, „ubi vir venerabilis Wolfleoz episnopus praeesse dignus- 
citur". Nach der zweiten schenkt ein gewisser Sigifridus zur 
Erlangung des ewigen Lohns drei Hörige ,ad eccleaiam, quae 
est constructa in villa Fishingas in honore sancti Petri 
ceterorumque sanctonim, ubi vir venerabilis Wolphoto presbvter 
esse cognoscitur'. Nun ist Akaringa nichts anderes als das 
heutige Egringen, Fishingas das heutige Fisch ingen, 
jenes '/«, iliesea '/. Stunde von hier entfernt. Es ist gar nicht 
denkbar, dass das elsässische Kirchen als Ort der Handlung 
und Ausstellung dieser beiden Urkunden irgendwie in Frage 
kommen kann bei der — kurz ausgedrückt — in Betracht 
zu ziehenden Entfernung Basel — Straßburg, einer Entfernung, 
die in der damaligen eisenbahnlosen Zeit noch eine ganz andere 
war wie heute. Käme das elsässische Kirchen hier in Frage. 
80 müssten Akaringa und Fishingas unbedingt nach ihrer Lage 
näher bezeichnet sein, oder umgekehrt das Kirchen niDsste 
genauer be-stimmt werden, insbesondere, wenn das bei Straß- 
burg, nicht aber das unmittelbar nahe gelegene gemeint war 
Diese Notwendigkeit der näheren Bestimmung nach der einen 
oder andern Seite fiel aber weg bei der bekannten Nähe 
zwischen dem heute badischen Kirchen und Egringen und 
Fischingen. Oder gab es, oder gibt es in der Nähe des 
elsässiächen Kirchen eine villa Akaringa oder Fishingas?! — 
Trotzdem beruft sich, die grolie örtliche Entfernung einfach 
Übersehend, Schöpflin in seiner Alsatia illuatrata für dus 
elsässer Kirchen auf die zweite der genannten Urkunden, in- 
dem er in seiner Begründung I 705 schreibt: ,Sub Ludovici 
Pii Imperio An. VI Sigfridus quidam piam fecit donationem 
in cujus clausula legitur: Actum Chirihhaim villa pu' 




Das Kirchen der Kar 



273 



Das musa nacli dem oben Ausgeführte» falscli sein, folglich 
auch jede Berufung auf ihn oder jede weitere Folgerung aus 
seinem falschen Schhiss. 

Da Sehöpflin, der Beschreiber des Eleass, offenbar nur 
aoin Elsässer Kirchen kennt, so nimmt er ohne weiteres auch 
■wie Urkunde 2 so auch Urkunde Nr. 3 bei Wartmann, wo das 
Actum am Schluss „in Chiricheim in cubiculo regis pub- 
lice* lautet, für sein iülsässer Kirchen in Ansprach und sagt: 
,Suh Ludovico Germanico An. XXVII Regni ejus in orien- 
tali Francia, commutatio bonorum aliquot inter Grimaldum, 
S. Gaili Abbatem atque Totonom quendam factum eat ubi dici- 
tnr: „Actum in Chiricheim in Cubiculo regia publice." Der In- 
halt dieser Urkunde ist: Ein gewisser Toto vertauscht an Abt 
Grimald von S. Gallen 4 Jucharte in Prisigouwe in loco, qui 
dicitur Witinouwa und einen Weinberg in Äuia gegen den 
ausgereuteten und bebauten Klosterbesitz in saltu Svarzwald 
iuxta fluvium Melia, welcher das Flüsschen MöMin, ein Neben- 
flüsschen des Neumagen ist. — Ist nun das Chiriheim bzw. 
Chirichaim der beiden ersten Urkunden von 815 und 819 
unter Ludwig dem Frommen das badische Kirchen als 
s. gallischer oder kirchlicher Notariatsort, wenn ich 
mich kurz ausdrücken will, so ist gar nicht erfindlich, warum 
das Chiricheim der Urkunde Nr. Ü von 868 unter Ludwig dem 
Deutschen bzw. Karl dem Dicken („aub Karolo principe ejusdem 
Hludowic) regia filio"), welch letzterer nach der vorläutigen 
Teilung des Keichs anno 865' in sämtlichen Fi-ivaturkunden 
-des Breisgaus als dessen Graf erscheint, mein badischee 
Kirchen nicht sein könnte. — Da es sich in dieser Urkunde 
am ürtlichkeiten handelt, die vom hiesigen Kirchen immerhin in 
«iniger Entfernung liej^en, so ist meine Forderung, die ich bei 
den zwei ersten Urkunden, wenn sie für das elsässiache Kirchen 
rbeansprucht werden wollten, nicht erfüllt sah. hier erfüllt: die 
vom hiesigen, badischen Kirchen entfernter liegenden Ortlich- 
ikeiten sind nach ihrer Lage genauer bezeichnet, was für das 

' Vgl. Wartiuanii. Ukh. S. G. II Nr. 534 S. 147 Anm.. anch Wiener 
ichtn »2. .S34 Anm. 3. vEe Paul Priedricfa St&lin, Geschichte 
Vorttombergs I Abt. 1. S. 122/123. 

^ N. F. S. 4. 18 




274 Schmidt 

nahe Akaringa und Fishingas dort keineswegs nötig war. Heißt 
es über den ersten Ort inPrisichgouwe in loco, qui dicitur 
Witinouwa, so kann nur Wittnau am Hexental, im Landamt 
Freiburg, gemeint sein. Und ist in einem Atem ohne weiteres 
„Auia** genannnt, so ist dies natürlich das Au in der Nähe^ 
gleichfalls im Hexental und Landamt Freiburg, wie schon 
Wartmann in seinem Urkundenbuch a. a. 0. bemerkt. 

Hier aber, wo das Breisgau genannt ist, wie in Urkunde 
Nr. 1, alsbald die Frage: Was hat das elsässische Kirchen 
mit dem Breisgau zu tun, was weiter mit S. Gallen? 
Mit dem letzteren mit S. Gallen, hatte das Elsässer Kirchen 
nie Beziehungen, wol aber das badische, und in das erstere^ 
das Breisgau*, gehörte es nicht, wol aber das badische 
Kirchen. Nach dem Reichsland Elsass-Lothringen, Ortsbe- 
schreibung HI Abt. 1, S. 517 gab es im Elsass wohl eine Graf- 
schaft Kirchheim (comitatus Kilcheim, com. Kirichheim). 
Über die Entstehung derselben ist gleichen Orts gesagt: 
, gelegentlich, etwa im 11. oder 12. Jahrhundert vorkommende 
Bezeichnung für die Grafschaft Nordgau oder Unterelsass 
(s. d.)**. Schlagen wir dann im gleichen Werke HI, 2. Hälfte^ 
S. 780 nach, so ist dort über den Nordgau gesagt: ,Der 
Name kam zwischen 800 und 850 auf, als die Grafschaft 
Elsass in Durchfühnmg der von Karl dem Großen begonnenen 
Verkleinerung der Amtsbezirke in zwei Grafschaften, Nord- 
und Sundgau, zerlegt wurde. Der Name Nordgau wurde aber 
zu der Zeit, als die Grafen den Titel Landgrafen annahmen^ 
durch die Bezeichnung «Unterelsass* ersetzt.** Und das gleiche 
Werk sagt gleichen Orts S. 1132 über den Unterelsass: 
, Landgrafschaft, entspricht der alten Grafschaft Nordgau, die 
um die Mitte des 9. Jahrhunderts entstand, als das bisher einen 
Gau bildende und von einem Grafen verwaltete Elsass in zwei 
Grafschafton. Nordgau und Südgau (Ober- und Unterelsass), 
geteilt wurde. Die Bezeichnung LiUidgrafschaft dafür kam 
erst im 12. Jahrhundert auf. Im 11. Jahrhimdert wurde das 
Gebiet zuweilen auch Grafschaft Kirchheini tSitz der Karo- 

* Vi;]. S. «Tr» uit>vs Aijf>;Uzos. Aiim. ">. 



Das Kirrlicn der i 



275 



liugei' Pfalz) genannt.' — Also daa elsässer Kirchen war 
in der Karolingerzeit in der Grafschaft Noidgau oder ünter- 
elsasa gelegen, das badische aber im Breisgan*, Für daa 
Breisgau aber ei'sclieint Karl der Dicke von B65 an als dessen 
Graf, Mit dem Elsasa bekam Karl jedoch nach den Wiener 
Sitzungsb. 92, S. 335 (auch Anni. 2 a. a. 0.) erst von 876 an 
zu tun, da ihm bei der Zusammenkunft mit seinen Brüdern 
im Uießgau und bei der Teilung des väterlichen Ketchs 
nächst Alaniannien und Ghurwalchen wahrscheiiihch auch das 
Elsass zufiel. Die kritische Urkunde Nr. 3 bei Wartmann 
von 868 nennt aber, wie schon oben erwähnt, Karls Namen, 
der nach der vorläuligen Teilung des Reichs von anno 865 
an bis zum Tode seines Vaters beinahe ohne Ausnahme auf 
allen im Breisgau, aber auch n ur auf den im Breisgau 
ausgestellten Privaturkunden ersclieint, wie Wartmann in der 
Anmerkung zu S. 147, Bd. II ausführt. Schon darum kann 
also das Ciibiculum regis in Chiricheim von 868 nicht das 
eisässisehe, sondern nmss das im Breisgau gelegene badieche 
Kirchen sein, wo jener breisgauisehe Orte betretFendo 
Tausch vorgenommen wurde. 

Auch ist es gar nicht denkbar, dass, wo es sich um eine 
8. gallische Angelegenheit im Breisgau handelt, das nicht 
8. gallisclie elKässer Kirchen im Nordgau oder Unterelsass 
den Vorrang haben kann vor dem s, gallischen und für den 
8. gallischen Vertreter „Libo" außerdem näehstgelegenen 
Kii-chen im Breisgau. 

Ist nun das Chiricheim dieser Urkunde 3 von 868, was 
nach dem Gesagten kaum mehr zweifelliaft, auch das der 
beiden ersten Urkunden von 815 und 81il, so war mein 
badiaches Kirchen nicht nur ein s. gallischer oder kirch- 
licher Notariatsort, sondern auch der Ort, der ein Cubiculum 
regis hatte, gehabt haben muesste nach dieser Urkunde, und 
Machgrabungen auch hier, an der unten noch näher zu be- 
zeichnenden Gemarkungsstelle wären allein darnach schon an- 

■ ' Vgl. KurreBponUenzbktt der wfutii. Zeitaibrift filr (ieacliichtB und 

fc Konst 19 Nr. 1 und 2. 19Ü0. 

L 



276 Scliniicit 

gebracht und gerechtfertigt: vielleicht würden diese ein < 
facheres und klareres Ergebnis haben als beim elsäsBiBchen, 
■wo nach Baurat Winkler* drei Bauepochen zu unterscheiden 
sind: eine römische, merovingische und spätromamsche. 

Betrifft Urkunde Nr. 3 von 808 bei Wartmannn das badi- 
sche Kirchen mit seinem Cubiculum regis, so kann die Urkunde 
Nr. 5 von 887 bei Wartmann in ihrem Schluss „Actum Chiri- 
hfitn curtam reffiam" nur das gleiche, mein badisehes Kirchen be- 
zeichnen, um so mehr, als es sich wieder um s. gallische An- 
gelegenheiten handelt, sofern da Kaiser Karl der Dicke dem 
Kloster S. Gallen die Immunität' bestätigt, welche seine Vor- 
fahren diesem Kloster schon gewährt hatten, eben auch wieder 
im altherkömmlichen s. gallischen, kirchlichen und königlichen 
Notariatsort. Die Curta regia besagt hier dann wol gar nichts 
anderes als dort das Cubiculum regis. Mag auch das Signum 
domini Ärnolfl piissinii regis und das doniini Karoli serenissinii 
imperatoris augusti erst nachträglich zur Be-stätigung beigesetzt 
sein, Ort der Handlung und ÄuRstellung der Urkunde ist und 
bleibt die Curta regia in Chiriheim. — Von den fünf Urkunden 
des S. Galler Urkundenbuchs bleibt mir zur Besprechung so 
nur noch Nr. 4 von 886 übrig, welche die einfache Unterschrift 
trägt: „Actum in ChiriMieim pufdice presentibus quonnn hie siffna 
continentiir." Nach allem Vorhergesagten kann dies, da es sich 
auch wieder um eine Schenkung an S. Gallen handelt — 
die Schwestern Wiclind und Engiltrud schenken ihren väterlichen 
Besitz zu Sölden und Ämbringen' an S. Gallen und erhalten da- 
gegen eine Hufe zu Wulvilinshoven (vielleicht Wolfenweiler bei 
Freiburg i, Br.) auf Lebenszeit — nur mein badisches Kir- 
chen sein, wofür schon der Umstand mitspricht, dass unter den 
Zeugen dieser Urkunde sich ein „Ysanhart" und ,Uto' finden 
wie in der Urkunde Nr. 3, wo sie auch erscheinen, dort nur 
Uto zuerst, dann Isanhart. Dass das die gleichen Zeugen 

' MQhlbacher. KegeatoD a. a. 0. in beiden AuHaaicii. 

' Die entfernter lieguiidun Örtlichkeiten wieder geiiuuor bczeicbnet 
in Prinignuge et in Selfdon et Antparinitn inardia: hIsu im BreisKnu und 
zwar in SOldeti (Lsndanil Freiburg) und Ambringen, BeKirksomt StHufcn; 
vgl. Wartmann, Ukb. 



k 




Das Kivcheii der Eiirolinger 



277 



eein kCnnen, dagegen spricht doch wahrlich der Unterschied 
der 18 Jahi-e zwischen der Äusstellungszeit beider Urkunden 
nicht. 

Danach ei-scheint das Urteil Schu Ites über das badische 
Kirchen in einem eigenartigen Licht: „Das badische Kirchen 
ist ein unbedeutender s, gallischer Ort.' Nein, gerade 
weil es ein zweifellos bedeutsamer s. gallischer Ort war, des- 
wegen war es auch vom König beachtet und bevorzugt durch 
sein Cubiculum, seinen Curtis. Oder, um mich auch einmal 
aufs Gebiet der Vermutungen und Behauptungen zu begeben; 
Der als s. gallische Missionsstation am Oberrhein schon früher 
markierte und auch benannte Ort Uhirihheim* wurde auch 
weltlich markiert, indem die (Franken"- und) Kai-olingerkönige, 
bzw. deren Sendboten hier unmittelbar am Rhein und vorder 
Schweiz , namentlich bei ihren Zügen nach und von Italien, 
wenn auch nur vorübergehend ilu-e Residenz nahmen. Vollends 
unverständlich erscheint es mir aber, wenn Schulte das 
badische Kirchen nicht nur zu einem unbedeutenden s. galli- 
schen Ort ohne nähere Begründung degradiert, sondera auch 
die kühne Behauptung wogt, „dieser unbedeutende s. galli- 
sche Ort hätte gar nicht so lange und so oft die Ver- 
sammlung der Großen und die Hoflialtung König Karls des 
Dicken aufnehmen können!" Womit will er das begründen? 
Er macht keinen Versuch dazu. So will ich ihn machen, ob- 
wol mir zurzeit noch keine Trümmer einer alten Merowinger- 
pfalz hier zur Verfügung stehen, wie das bei Kircbheim- 
Marlenheim im Elsass der Fall ist, da eben hier noch keine 
Nachgrabungen veranstaltet worden sind, Nachgrabungen, die 
ich vielmehr erst veranlassen möchte. 

Der badische Markgrfiflerort Kirchen, der heute noch 
sein Notariat hat, ist nicht nur heute noch fast dreimal 
80 groß wie das elsässische Kirchlieim (972 gegen 379 Seelen), 

* Schon diu EnduDg -heim in Chirihheim bezeichnet den frankiscbon 
tJrapmng uuvh des hiesigen OrtsnameDS. 

° Vgl. dHxn auch F. Vetters Aufsatz: , Kaiser Heinrich derHeiligs 
und aeioe Stiftungen zu St«in, Bamberg und Basel' in den Baaler Niich- 
ridiUn 1905. 



27S Schmidt 

G8 war bereits 1767 ein Marktflecken geworden, der seiii^ 
eigene Apotheke erhielt. Doch das ist viel spätere Zeit. 
Neuzeit. Anders aber steht dieser Ort geschichtlich da, 
wenn ich darauf verweise, dass Kaiser Heinrich der Heilige 
dem Kloster Stein am Khein, welches er kurz vorher dem 
von ihm gegründeten Bistum Bamberg einverleibt hatte'", am 
1. November 1007 um des göttlichen Lohnes willen schenkte 
und übergab „qiietidum nostri iuris «c propridatis hcum Chilich- 
heim dictum in pago Prisichgowe'" et in comitatu Adelberonis" 
comitia situm cum oninibus eius pertinentiis videlicet ecclesiis. 
villia, servis, aneitUa, areis, aediliciis, cum hominibus terrisque 
censualibus, cum tributis et teloniis de navibus per Rhenum 
diBCurrenlilius vel undecumque noster fiscua circuniquaque 
illuc aliquod ins exigere aut sperare deberet" '*. Danach war 
also der nach Schulte „unbedeutende s. gallische Ort" Kirchen 
in Baden gar einmal um die Jahitausendwende Iteichsgnt 
ein ,orth vnserer gerechtigkeit vnd Aigen seh äfft', 
wie die deutsche Üboi-aetzung aus dem Karlsruher General- 
Landeaarehiv sagt. 

Von hier aus nun die Blicke gelichtet in die Geschichte 
rückwärts und vorwärts! Stimmt zu jener Feststellung in 
der Kaiserurkunde Heinrichs II., des Heiligen, von 1007 das 
Cubiculum regis von 868 und die „Curtis regia" von 887 zur 
Zeit Ludwig des Deutschen und Karl des Dicken nicht? Und 
dann die weitere Kaiserurkuude vom 30. November 1512'*, 
wonach Kaiser Maximilian von Hagenau aus dem Jacob Reich 
von Reichenstein für sich selber und als Lehensträger Anthonien. 
Hans Heinrichen, Cbristoffen und Marsen Reichen von Ueichen- 
stein, seiner Brüder, mit 64 fl rli. von der Markgrafsc 



'° Vgl. .S. 277 dieses Aiifsalzpsi, Anin. 9, 

" Wna ftlr ein Adnlbero daa ist, konnte ich bis jetit nicht am- 
findig inadien. 

■• Vgl. Neugftrt. Codex DiploniaticUB Alemiraiiiae II 23 im d Karls- 
ruht'r (ierieral-I.nndesnrchiv, Kirrhen (Aktenl Konv. 4 Nr. M LnodeHbt^iT- 
lirhkdt. 

" Orig. Porgamei il'or Oenernl-Iiamlesarchiv, Selokt der 

Kaiser- un<l KHiiig» iliwi 1. Kr. ll-SÜ. 



Das K[rclien der Karolinger 279 

Hochberg und Rütteln ab den Dörfern Kirchen, Efiingen und 
Eimeldingen '* belelint, dieselben iieichensteiner, die schon lange 
vorher, urkundlich nachweisbar, Kirchen mit de» zwei andern 
genannten Düifern aus der Xacbbai'scbaft als Pfandleheo 
inne gehabt hatten. So heißt es in einer Vertragaurkuade 
von 1429 .zwischen Henn Johanna Riehen von Hichenstein 
als Pfandlehenaherrn des Dorfs Kirclien eines und dasiger 
Gemeinde andern Tiieils": „Diser ibertrag vnd alles das, so 
dauor geschriben stat, sol dem heiligen Römschen Riche, 
von dem auch das obgenannt Dorffe Kilchein mit ainer zu- 
gehörde vnd auch mit andern Dörffeni obgeschriben Herrn 
Johanns Riehen pfantlehen ist pp. gar vnd gentzlich on- 
schedelich. " '^ 

Und in einem Kaufbrief des Hans Riche von Richenstein 
gegenüber dem Markgrafen Wilhelm zu Hachberg Sausenberg 
von 1431, wonach jener diesem füi- 1650 rhein. Goldgulden 
.die drü dörffere Kilchein, Efringen und Ej-metingen by dem 
Rine in Costeuzer bistum gelegen' mit allein Zugehör, eine 
Matte in Kirchen ausgenommen, verkauft, heißt es wieder 
ausdrücklich — und die Zustimmung des Kaisers Sigismund 
zum Verkauf ist in der Urkunde eingangs besonders vermerkt — 
,als denn das alles ich und min vordem von dem heiligen 
Räniischen riche in pfantlehenswise innegehepf. — Auch 
nachmals noch hebt mit Bezug auf diese Urkunde und die von 
1429 Ernst Friedrich von Leutruni in seinem achtbändigen 
Manuskriptenwerke , das in der Amnerkung 15 schon zitiert 



" EfriDgen 
\ «atfernt. 

I Koav. 5. Waidgi 
id 8193—3207 i 
f IftUBCS in der I.i 



I AlJouten, EimcldiLgeii eine IiaIK' Stunde! \ 



dem Karlsruher Genernl-Landesorchiv, Kirrlien (Akt*n) 

Ig Nr. 104. Vgl. auch E. i\ v. Leutruni V 3032. 3112 

seiner, Kurzen Besehreibung dar Rechte des had. Fünsten- 

idscliaft .Sauaeuberg und Herrschaft ROttoln sainbt eiiieei 

Jeden Orts tieschaffunheit in specie', wonach anno 1737 da« Original in 

^Fergatnent noch hei den Akten der Liemeinde in Kirchen war: konnte 

noch nicht nauhatlhem. 

K Üriginul-Perganii'nturkunde, ßtaataurchiv Basel (St.urk. n" 10S9); 

I Regesten der Markgrafen IE i IT. 

of die spateren Beziehungen Kirchens zn Badens Mnrkgrafen 




280 Schmidt 

wurde, im Bd. V, 3032 bei der Ortsbeschreibung von Kirchen 
gleich im Eingang hervor: „Nach allen Umständen ist dieser 
Ort vor alters ein Ritter orth gewesen", was er S. 3208 
nochmals wiederholt mit den Worten: „weiß die Gemeinde 
auch nichts mehr zu allegiren als Kirchen seye vor altera 
ein Ritterorth gewesen, wie supra erwehnet habe**. 

Daher ist klar, dass Kirchen der geschichtlich bedeutsame 
8. gallische Ort nicht nur war, nein auch königlicher ja 
kaiserlicher Ort, Reichsgut war^®, den sowol die Urkunden 
im S. Galler Urkundenbuch anführen in den Jahren 815, 819^ 
868, 886 und 887 als auch die Monumenta Germaniaex Ann» 
Fuld. p. IV und V im Jahre 887 und 894, wie auch Dümmler 
in seiner Geschichte des ostfr. Reiches, 2. Aufl., III 275 flf. 
auf Grund dieser letzteren Urkunden ausführt neben Mühl- 
bacher in der 2. Auflage seiner Regesten und zuerst in den 
Wiener Sitzungsberichten 92. 

Und da will ich nun vor allem aus den Annales Fuldenses 
gerade die Stelle herausgreifen, deren entscheidenden Ausdruck 
, circa Renum* (zweite Lesart ad R.) Schulte eigenartig 
wendet und dreht für das elsässische Kirchen. Er sagt 
wörtlich: ^Weun sich Dümmler in der Erklärung der Stellen 
der Annales Fuldenses (Mon. Germ. S. S. I 404,14, 405,7» 
410,15) an dem Ausdruck ,circa Renum' stößt, so ist dazu 
kein Grund vorhanden; denn ,circa Renum^ heißt in dem 
Zusammenhang: ,quem (filium Buosonis) circa Renum ad 
villani Chirichheim venientem' doch nur, dass der filius Buo- 
sonis bei Kirchheim zuerst in das Gebiet des Rheins gekommen 
sei: da er nun von Burgund kam, so kann er ebensowohl 
einen nördlichen Vogesenpass als den Weg durch die Schweiz 

gehe ich hier nicht weiter ein; notiere nur. dass der Markgraf wieder- 
holt hier beim Vogt abstieg draußen in der Mühle. 

'* Violleicht komme ich auch einmal zu einem Aufsatz über die 
Herren von Kilcbhoim und von Harnstein. Den letzteren fiel anno 1311 
beim Tode "NValthors von Rütteln die Burg Rotemberg bei Kirchen als 
Erbteil zu. eine Burg, die eben auch wieder auf dem Kapfrain zu suchen 
wäre und wol auch die frühere Curtis regia sein dürfte. (^Fecht, Südw. 
Schwarzw. 11 82<>. ;^'JT und o*J>.i 



Dns Kirchen der Karolinger 



281 



gemacht haben. Der Auedruck ,circa Renum' lässt eich also 
ebensogut für das elsässische Kirchheim ins Feld führen. 
Bestimmend scheint mir die Existenz der alten Merowinger- 
pfalz in Kirchheim-Marlenheim, deren Trümmer noch heute 
an einzelnen Stellen über den Boden empori'agen." Gewiss, 
diese Trümmer in Verbindung mit den Nachgrabungen 
Dr. Adams. Kasts und Dr. Plaths haben etwas Sprechendes 
fQr das elsässisehe Kirchen. Allein das Entscheidende ist 
Bchließlich die Lage des badischen und elsässischen 
Kirchen zum Ilhein. 

Da sagen nun nicht nur die Leute hier im badischen 
Kirchen, der Rhein ist früher — mit seinen Altwassern gar 
noch soweit es uns denkt — bis an unser Dorf gegangen, 
sondern selbst heute, nachdem der Rhein sein geregeltes 
Bett bekommen hat, läuft man bequem in einer Viertelstunde 
von unserem Dorf aus an den Rheui und die Kirchener Khein- 
föhi-e, ja unser Ort hat beute noch überrheinische, direkt am 
Rhein liegende Besitzungen, wie auch das Roichsland Elaass- 
Lothringen IH Ortsbeschreibung S, 517 unter Kirchen fest- 
stellt. Auch ist dabei die Kaiserurkunde von 1ÜU7 nicht zu 
vergessen, welche ausdrücklich von den Tributen und Zöllen 
und Schiffen, welche im Rhein Iiin und herumfahren, in Ver- 
bindung mit dem ,ortli vnserer gerechtigkeit vnd Aigenschafft 
■ Chilchaim genandt im Preisichgawe" redet und doch im 
Ernste wohl nicht für das elsässisehe Kirchen wird bean- 
sprucht werden wollen und können. 

Wie aber liegt das Elsässer Kirchen zum Rhein? Zu- 
nächst sind bei Spruner-Menke, Handatlas, Nr, üö, Deutsch- 
iland Nr. V auf der Gaukarte beide Chirihheim, die in Frage 
'kommen, verzeichnet. Und Schöpfün sagt in seiner Alsatia 
iUlustrata S. 704 „utrumque Palatiuin (gemeint ist Kirchheim 
und Marlenheim) quinque leucis distat Argentorato, utrumque 
prope fluvium Mossam versus Vogesum montem sitnm 
est". Berechne ich nun nach dem Aufsatz von Otto Cuntz 
Ifiber ,die elsäasischen Hömerstraßen der Itinerare" in der 
' Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Neue Folge XU, 
bind insbesondere nach den MaUstäben, die er auf der bei- 



I^cliroidl 



gefügten Karte S. 44-8/49 angibt, 9 Leugen = 20 km, oder 
1 Leuge = l'/a milia paBsiiuni. so ergibt sich für rias elsässer 
Kirchen eine Entfernung von 11,11 km oder 7 '/^ Meilen 
von Straßburg oder dem Rliein. Dies Kirolien liegt also 
ober zwei Wegstunden vom Itliein entfernt, dae liiesige aber 
kaum 2 km, knapp eine Viertelstunde vom heutigen Rhein. 
Und wo ist auch nur ein Mal das Elsässer Kirchen als am 
Rhein liegend bezeichnet in irgend einer Urkunde aus älterer 
oder neuerer Zeit? Beim badischen Kirchen ist dies wieder- 
holt der Fall wegen seiner uralten natürlichen Lage am Rhein, 
vom elsässer Kirchen aber berichtet selbst Schöpflin a. 0. 
prope fluvium Mossam (Mosig). 

Bei dieser Entfernung des elsässer Kirchen vom Rhein 
da ist es dann allerdings notwendig, dass man, wie Schulte, 
um das elsSäser Kirchen für die Urkunde und ihre Angaben 
zu retten, zu der Auslegung greift, zu sagen: „circa Ren um" 
heißt im Zusammenhang doch nur, dass der filius Buosonis 
bei Kirchbeim in das Gebiet des Rheins gekommen sei! Diese 
ganze geschraubte Erklärung wird aber unnötig, sobald man 
die natürliche Lage des badischen Kirchen am Rhein einfach 
in ihrer Tatsächlichkeit nimmt, dazu in Betracht zieht, dass 
die Kaiserurkunde Heinrichs von 1007 die Tribute und Zölle 
von der Rheinschiffahrt als Zugehör zum badischen Kirchen 
nennt und auch, wie oben S. 279 angeführt, der Kaufbrief von 
1431 die Lage des badischen Kirchen mit seinen beiden 
Nach bai'dör fern ober- und unterhalb, Ef ringen und Eimel- 
dingen, ausdrücklich als ,by dem Rine in Costenzer bistum 
gelegen" bezeichnet, von weiteren früheren und späteren Ur- 
kunden , welche ebenso veifahren . ganz abgesehen. Und 
schließlich gar noch die zweite Lesart in den Monumenla 
(Ann. Fuld, V, I 404 h) ,quem imperator ad rhenum villa 
chiricheim veniens obviam, honorifice suscepit ad hnminem, 
aibique adoptivum filium eum iniunxit" (so auch Schöpflin, Als. 
illustr. I 705); dazu Miihlbaeber in seinen Regesten, 2, Aufl. 
S. 719/20 , obviam quem imperator ad vilhim Oh. veniens*, 
wo beide Male nicht der Filius Buosonis, sondern dei' Imperator 
obviam jenem ad rhenum oder i 



Das Kiri-hen der Koroling.'r 283 

iaa kommt erst recht das badisclie Kirchen wegen seiner 
alten Lage am Rhein heraus. 

Mag dann auch der selige Öchöpflin, zwar zugebend ,exi- 
guiia hodie viculus est Marilegio (= Marlenheini t vilior", auf 
derselben Seit« seines Werkes zuletzt sagen: , Kirchhemium 
HDiplissiniutn olim locum extitisse, constans traditio et vasta 
ftedificioruni rudera produnt*, was auch von unserem badi- 
Bchen Kirchen recht wol gesagt werden kann, und weiter, 
die Tatsache der Ruine und \'estigia antiqiiitatis wiederholend, 
schließen, indem er den Beatus Rhenanus sprechen lässt: ,Nec 
miror cur veteres Francorum Meges illic hahitare volueiint, 
nam agrum habet amoenissimuni", so ist das ihm, dem elsässer 
Oeschichtsschreiber, der offenbar nur sein elsässer Kirchen 
kannte, zugiit zu halten und nicht so sehr anzureclinen. 

Die Rudera, die freilich bis jetzt im hiesigen Kirchen aus 
dem sogenannten .Kapfrain". der unsern Ort beherrschenden 
Höhe, welche früher durch die unmittelbar voriiberflieliende 
Kander imd den damals noch ganz nahe gerückten Rhein erst 
recht ein locus nicht nur amoenus, sondern auch fest und 
stark für eine Ritterburg später noch gewesen sein muss", 
eine tiefe Kiesgrube hereinragen, sie sind noch zu spärlich, 
als daas ich auf sie schon beweiskräftig pochen könnte. Allein 
meine bisherigen Ausführungen schon dürften doch vielleicht 
dazD nicht ungeeignet sein, die Aufmerksamkeit der mall- 
gebenden Stellen so auf das badische Kirchen und diese seine 
Odung, die vielleicht recht wichtige Mauerreste in ihi-em 
6choße noch birgt, zu lenken, dass auch hier einmal von einem 
interessierten Verein oder dem Staate Nachgrabungen wirk- 
'fich veranstaltet weivien. Würden aber selbst diese Nach- 
igrabungen nichts Wesentliches zu Tage fördern — es soll 
tbrigens auch noch aus dem Keller eines Bauemhauses. das 
ler ehemalige Pfarrer Wittich 1699 hier an der „Bronie", 
der andei-n Seite des Kapfrain, gebaut hat, ein unter- 
zugeniauerter ttang nach der früheren Burg auf 
Kapfrain führen — so wäre das immer noch kein Schlag, 




* A, D. o. S. aö-i mit Aiiiii. 7 und Ddmiiikr n 



I Stil. 



d 



284 t^c'hmidt 

der meine bisherige Beweisfülirung erschüttern oder vemichlES 
könnte. Dann wäre eben die alte Curtis regia an irgend 
einem andern noch unbekannten liiesigen Gemarkungsort (viel- 
leicht draußen an der Müldo) zu suchen. 

Wäre diese meine Orientierung und Beweisfühnmg Herrn 
Dr. Hermann Wartmann in S. Gallen, dem Heransgeber 
dea S. Galler Urknndenbuchs, schon bekannt gewesen, als er 
mir auf meine Anfrage, wieso er dazu gekommen sei, in jenen 
fünf Urkunden das ,Chii-iliht-im" als nnser badisches Kirchen 
anzumerken, am 18. Februar 1907 antwortete, so würde er 
mir vielleicht nicht geschrieben haben: .Ich muss Ihnen ge- 
stehen, dass mir das cubiculnm regia (II 534) und noch mehr 
die cnrtis regia (II 661) eher für die Erklärung Scbultes zu 
sprechen scheinen, als die von Dümraler und Krieger an- 
genommene meinige. Nicht so sicher steht es mit Nr. 654 
(II 258); doch finden sich hier immerhin zwei gleiche Zeugen 
— Uto nnd Isanhart — wie in Nr. 534 (II 147). Ich habe 
seinerzeit oß'enbar deswegen nur an Kirchen bei Lörrach 
gedacht, weil S. Gallen hier Besitz hatte, weil es sich in allen 
Urkunden um s. gallische Angelegenheiten handelt und weil 
mir das abgelegene elsässische Kirehhoim mit seinem Königs- 
hof außer Sicht war." Dagegen hat Herr Geh. Regierungs- 
rat Professor Dr. O, Holder-Egger in Berlin (Monumenta 
Germaniae Historie»), den ich in gleicher Sache brieflich 
wegen Dümmlers Ausführungen anging, mich durch seine 
freundliche Zuschrift in meiner Beweisfülirung bestärkt. Nach 
Feststellung der Tatsache, dass Dümmler in allen bezüglichen 
Urkundenstellen das badische Kirchen erkannte, dass aber 
nach dem bereits am 5. August 1902 erfolgten Ableben 
Dümmlers sich natürlich nicht mehr ermitteln lasse, aus wel- 
chen Gründen er sich für das badische Kirchen entschieden 
habe, bemerkt er: „Meiner persönlichen Meinung nach kann 
Kirehheim bei Marlenheim gegenüber der Angabe der Ann, 
Fuld. Süll obviam quem imperator ad Hrenuni villa Chirih- 
heim veniens nicht in Betracht kommen, da jener Ort viel 
zu weit vom Rhein abliegt; auch verschiedene andere Um- 
stände scheinen mir gegen jene Annahme zu sprechen. 



Das Kirchen der Karolinger 



285 



kann nicht anstehen, mich der Meinung von E. Dominier an- 
zuschließen, wenn anch immer zu beachten, dass sieh oft 
solche Ortsfragen nicht mit absoluter Sicherheit entscheiden 
lassen.* Und gerade Herr Professor Dr. Holder-Egger war 
es auch, der mich im gleichen Briefe in dankenswerter Weise 
darauf aufmerksam machte, dass Professor E, Mühlbacher in 
seiner ersten Auflage der Regest» imperii auf Grund des Auf- 
I sattes von A. Schulte sich zwar noch für Kirchheim. Kanton 
' Waaselnheim, entschied, in seiner zweiten Auflage Bd.I Abt.II, 
■die nach seinem Tode (1903) in Innsbruck 1904 erschien. 
;S. 720 Nr. 1749a aber, wie schon oben angeführt, sagt: 
I, .wahrscheinlicher Kirchen bei Lörrach, dafür Dümmler, 
tOstfränk. Reich 2. Aufl. 3. 277n 2, Spruner-Menke. Hand- 
Latlas Nr. 35'. Diese Wandlung in Mühlbachers Anschauung, 
j.die um so auffallender, als er sich nach Dümmler zu alier- 
ierst im Jahre 1878, wie sein Aufsatz in den Wiener Sitzungs- 
[lierichten 92, 342 isa dartnt, für das badische Kirchen ent- 
iBchieden hatte, diese Wandlung nochmals unterstreichend, wie 
[auch die Meinung von Professor Dr. Holder-Egger, erübrigt 
i«8 für mich, auf die drei Urkunden in den Monumenta Ger- 
jmaniae, Ann. Fuld. pars IV und V aus den Jahren 887 und 894, 
roder die Urkunden Nr. 116—170 in den Wiener Sitzungs- 
iberichten vom 30. Mai, Iti, und 17. Juni 887 (auch von 882* 
'und 23. Juni 887) näher einzugehen. Ich könnte nur wieder- 
'%olen, was Dümmler in der 2. Auflage seines Werks S. 275 ff. 
iUnd 381 bereits ausgeführt hat und zur Ergänzung dieser 
äueiner Ausführungen dort einfach nachzusehen ist. 

Doch gebe ich achlieülich zu, dass die Bestätigung für 
Kloster S. Martin in Tours und S. Medard in Soissons 
17. und 23. Juni 887), überhaupt alle, die das 
irchen näher oder mehr berührenden Urkunden dort a 
lin kOnnen. freilich nicht müssen. Denn das ist nach den 
.usgrabungen im elsässer Kirchen und deren bedeutsamem Er- 
ibnis kaum zu bestreiten, dass auch das elsässer Kirchen 
16 Curtis regia oder Cubiculum regium gehabt haben kann, 
ieht weniger dürfte das Gleiche aber auch nach meinen 
igen Darlegungen für mein badisches Kirchen feststehen, 



266 Si:limidt — Das Kiiuben der Karolinger 

für das ich jedenfalls alle Urkunden in Wartnianns S. Galler 
Urkundenbuch reklamiere. Wie die Karte in Spruuer-Menkes 
Handatlas, so dürfte in der Richtung nach beiden Kirchen 
weisen die Bemerkung Düinmlers, 2. Aufl. III 2H0, wo es heiUt: 
,Kari hatte von jeher, von seinem Vater in jungen Jahren 
zum Sehwabenkönig bestimmt, für Älamannien, das ihm zur 
Heimat geworden, eine besondere Vorliebe. Da oder im 
Elsass, dem seine Gemahlin entstammte, verweilte er am 
liebsten, und dabei' holte er sich am liebsten seine Katgeher 
{Ann. Fuld. P. V 887)". Diese allgemeine Bemerkung auf 
unsern speziellen Fall angewandt, dürfte für das in Älamannien 
gelegene badische und für das elsässtsche Kirchen die Möglich- 
keit vorübergehenden Aufenthalts des Kaisei-s oder der Kaiserin 
in beiden Orten als Lieblingsresidenzen ergeben, womit frei- 
lich die Streitfrage, welches der beiden Kirchen nun in den 
in Betracht konmienden Urkunden je gemeint ist, nur erneut 
aufgeroUt, aber wieder nicht entschieden ist. 

Dem badischen Kirchen seine Ebenbürtigkeit zum 
mindesten neben dem elsässischen im widerleg! ich schaffen 
könnten nur Nachgrabungen auch im badischen Kir- 
chen! Daher schließe ich meine Abhandlung mit dem doppel- 
ten Bemerken : Ich würde dankbar und erfrent sein, wenn es 
mir gelungen sein sollte, die Aufmerksamkeit der maßgeben- 
den Stellen auf mein badisches Kirchen so gelenkt zu haben, 
dass man die Mittel zu Nachgi'abungen auf dem „Kapfrain* 
hier bewilligte und die Arbeit selbst baldigst in Angrirt" nähme. 
Auch wäre ich dem Sachkundigen zu Dank verbunden für 
jede weitere Aufkläi'ung odei' Berichtigung, die mir um so 
willkommener wäre, je zeitiger sie mir zuginge, damit ich 
dieselbe bei der Abfassung meiner in Arbeit befindlichen 
, Chronik von Kirchen" noch berücksichtigen könnte. 



P 



" Vgl, auch liVicuer .SitziiDgabericlite i)2, aö7/.S58. 




Erasmns in seinen Beziehungen zur 
Universität Freiburg. 

Von Hermann Mayer. 

Allgemein bekannt und viel besprochen ist die Tatsache, 
dass in früheren Jahrhunderten bis ziemlich tief in die Neu- 
zeit hinein die den Universitäten zuströmenden Studenten im 
Durchschnitt einem viel früheren Lebensalter angehörten, als 
dies heute der Fall ist. Angehende akademische Bürger im 
17., 16. und 15. Lebensjahr waren eine ganz gewöhnliche Er- 
scheinung; aber selbst im 14. und noch jünger kamen sie'. 
Melanchthon z. B. bezog mit 12 Jahren schon die Universität 
Heidelberg, ebenso Eck, der dann später an unserer Alma Mater 
mit 16 Jahren als Lehrer der Artistenfakultät und mit 23 als 
Theologieprofessor tätig war. 

Dass demgegenüber aber auch Männer in viel reiferem, 
ja außergewöhnlich spätem Alter zur Hochschule kamen 
und sich immatrikulieren ließen, dürfte vielleicht weniger all- 
gemein bekannt sein. Freilich waren es dann, wie wir noch 
sehen werden, ganz andere Gründe, die zum Besuch der Uni- 
versität und zur Immatrikulation veranlassten. In diese Gruppe 
gehört auch ein Mann, dessen Name einer der berühmtesten 



^ V^l. z. B. Paulsen, Organisation und Lebensordnungen der deut- 
schen Universitäten im Mittelalter, Historische Zeitschrift XLV, 420 fL 
Eulenberg, Die Frequenz d. deutschen Universitäten, des XXIV. Ban- 
des der Abhandlungen der philol.-histor. Klasse der kgl. sächs. Gesell- 
schaft d. Wissenschaften Nr. II (1004), S. 23—2^: für Freiburg bes. 
meine Mitteilungen aus den Matrikelbüchern d. Univ. Freiburg, in d. 
Zeitschrift d. Freiburger Gesellschaft f. Geschichtskunde XlJl, 51-57, 
XVII, 49 — 50; endlich die Einleitungen der meisten bisher erschienenen 
cdaiisgaben. 



288 Mayer 

ist von allen den vielen, die im Verlauf der Jahrhunderte in 
das Matrikelbuch unserer altehrwürdigen Alberto-Ludoviciana 
■eingetragen wurden, Desiderius Erasmus von Rotterdam. 

Im benachbarten Basel, wo Erasmus seit 1521 weilte, 
kam gegen Ende der zwanziger Jahre der Protestantismus 
immer mehr zur Herrschaft; einer nach dem andern von denen, 
die dem Gelehrten nahe standen, riss sich von ihm los, nur 
wenige blieben ihm treu. 1527 starb dann auch noch der 
ihm allezeit ergebene Johann Frohen, „der Fürst der Buch- 
händler", und zwei Jahre später hatte die neue Lehre in der 
Stadt endgültig gesiegt. Jetzt fühlte er sich vollends nicht 
mehr sicher, und wie schwer es dem zweiundsechzigjährigen 
und kränkelnden Mann auch fiel, nochmals den Wanderstab 
^u ergreifen, so entschloss er sich doch, einen andern Auf- 
■enthaltsort zu suchen, und entschied sich für Freiburg, das 
sich schon seiner Nähe wegen empfahl, da er seinen schwäch- 
lichen Körper einer längeren, angestrengten Reise nicht unter- 
ziehen zu dürfen glaubte^. 

Erasmus verließ Basel im April 1529, um dieselbe Zeit, 
in der aus denselben Gründen wie er auch das Baseler Dom- 
kapitel aus der Stadt wich, um ebenfalls in Freiburg eine 
Zuflucht zu suchen und zu finden (worüber das Senatsprotokoll 
vom 24. Mai d. J. näheres berichtet), wie denn überhaupt in 
dieser Zeit vielfach Freiburg von solchen aufgesucht wurde, 
•die im protestantisch gewordenen Basel sich nicht mehr wol 
und sicher fühlten^. Die Reise, die einen Tag beanspruchte, 
erfolgte nach seiner eigenen Aussage in einem Brief an Willi- 
hald Pirkheimer zunächst bis nach Neuenburg den Rhein herab 



^ . . . coramigravimus Friburgura, id est Brisgoiae oppidum. diti- 
onis Ferdinandeae, distans Basiica iter dici. huc praeter alias causas 
invitavit vicinia, quo anxie metuebam, ne corpusculum hoclongius 
iter facere non posset. Brief an Andreas Critius, Bischof von Plozk, 
Tom 23. Juli 1529. 

^ Erasmus selbst sagt darüber in einem Brief an den Senat von 
Besan^on vom 26. Juli 1531: Huc enim se contulerunt et hodie conferunt, 
qui Basileam odio sectarum ecliquerint, a qu bus illi suspicantur 
instigari monarchas, ut rem eclesiasticam armis vindicent. 



Erasmus in seinen Biizic-bungen zur Univcraitit Freiburg 289 

YU Schiff; dort (in Neuenburg) traf er dann einige Freunde, 
4\e zu Pferd von Basel aus dahin geritten waren, um zusam- 
men mit diesen von hieraus sich nach Freiburg zubegeben*. 
In Freiburg war Erasmus unter dem Schutz des Königs 
Ferdinand, der ihn 1528 nach Wien eingeladen und jetzt 
der Stadt Freiburg warm empfohlen hatte'; hier fand er seinen 
alten Freund Zasius vor, hierher hatte sich einige Wochen vor- 
her (Ende Februar) auch Glarean, ebenfalls von Basel kom- 
mend, gewendet, um den Lehrstuhl der Poetik zu übernehmen. 
Dass Erasmus von seiten der Stadt', die sich geschmeichelt 
ftihlte, einen so großen Gelehrten in ihren Mauern aufnehmen 
zu dürfen, und bei der auch die erwähnte Empfehlung des 
Königs sicher ihren Eindruck nicht verfehlte, mit großer 
Jreude und, soweit er solche nicht (durch Glarean) abgelehnt 
hatte, mit Ehrenbezeugungen empfangen wurde, berichtet er 
■selbst mehrfach und mit Genugtuung*. Ob auch die Uni- 
versität bei seinem Empfang irgendwie vertreten war, er- 
fahren wir nicht. Überhaupt berichten in den ersten Jahren 
«eines Aufenthalts die Protokolle und Akten unserer Alma 

* Coodiicta est nuvis, quiie nie cum aliquot veheret Nenpolim. oppi- 
ima plus sntis adamiitum Rhenii Hiiinini. nam caet«ri terra faciebant 
iter eqais npud Nenpolim occiirsuri .... Brief an Pirkbeimer vom 
15. Juli 1529. 

* . , . habeo praeter alioa satis opulentaui amicum. inclituni Un- 
guiae Boliemiacque regem Ferdinand um; . . . bonorificia literia evo- 
cavit me e Basilea . . . addidt diplotiia. pet quod liceat per totain 
ditionem ipsius et per univeniBin unesareRin ire immunem, huius (sc. 
rriburgi) urbis mogiBtratus mediligenter et amanter commen- 
davit. qui auam iam pridem omnem detulerat humanitatem, desiguavit 
sedes plane regias, conaalutationibua, xeoiis, couviTÜs caeteruqiie offici' 
-orum genere proseeuturus. ni literjs ad Utareanum missia significaasem 
mihi fore gratin». ai a aolemnibus Ulis abatinerent. Brief ans Freiburg 
«n Daniel Stiber vom 14. Mai 15S!). Äbniicb scLreibt er in einem un- 
datierten Brief an Job. Choler. Prupat in Lbur: Cum Basileae res iam 
viderentur intolerabiles, ne viderer iia. quae ^erobantur, aasentiri, demi- 
gravi Friburguni, acd unte diligentercommendatua per regem 
Jetdinandum venerabiü buius urbis magiatratus . . . 

* Außer den in .\niu. 5 gennnuteu Stellea aucb in einem undaliert«li 
£rief an rirkheiiner: llt cnim nonnihil fuerit periculi Basileae, cert« 

itus me summa cnnt humanitate excepit. 
i. 19 




290 Mayer 

Mater nichts von ihm, wie er denn auch tatsächlich bis 1531 
mit der Universität als solcher in keine näheren Beziehungen 
getreten zu sein scheint^. 

Nur mit einzelnen Gliedern des akademischen 
Lehrkörpers und ihm Nahestehenden kam er in der ersten 
Zeit in Berührung — zunächst als Hausbewohner. Erasmus nahm 
bei seiner Übersiedelung Wohnung in dem Haus zur weißen Lilie^ 
jetzt Franziskanerstraße 3, das der kaiserliche Schatzmeister 
Jakob Villinger für Kaiser Maximilian hatte herrichten lassen» 
Es war dies eine der schönsten Wohnungen der Stadt — Eras- 
mus nennt sie selbst (s. Anm. 5) königlich — , die man ihm 
eingeräumt hatte; sie besass nur einen Fehler: in demselben 
Haus wohnte zu ebener Erde ein anderer Gelehrter, der 
Münsterprediger Dr. Othmar Nachtigall (Luscinius), der kurz 
zuvor aus Augsburg infolge von ähnlichen Gründen wie Eras- 
mus aus Basel gewichen war, und dem Erzherzog Ferdinand 
eine Theologieprofessur zu verschaflfen suchte. Beide Männer^ 
bisher Freunde und Gesinnungsgenossen, beide aber auch reiz- 
baren und heftigen Temperaments, gerieten bald in Streit mit- 
einander, namentlich weil Erasmus für sich das ganze Haus 
in Anspruch nehmen wollte, so dass Nachtigall schließlich 
auszog®. Da der nörgelnde Gelehrte aber auch nach dem Weg- 



' Er rühmt sich zwar in einem Brief an den Rat von Besan^on 
vom 26. Juli 1531: commendante me rege Ferdinando ad Friburgum Tici- 
num me contuli, ubi iam duos annos et ultra vixi, gratus omnibus 
sed imprimis academiae. 

® In dem schon oben (Anin. 5) erwähnten Brief an Propst Choler 
heißt es u. a.: (civcs Friburgenses) mihi detulerunt usum harum aedium^ 
quas exstruxit d. Jacobus Villingerus piae memoriae, parati ctiam maiori- 
bus officiis honorare me, si passus fuerim. has aedes tum occuparunt 
Ottomarus Luscinius et Augustinus Marius quondam ecclesiastea 
Basileae. mihi cum bis cessit aliqua pars, post octo fere menses migravit 
Marius dcditque, ut ait Luscinius, ilorenos duos civil itatis gratia. Lus^ 
cinius mansit diu. Letzteres (diu) ist nur relativ richtig. — In einem 
Brief an denselben Choler vom 5. Oktober 1582 schreibt Erasmus voll Ent- 
rüstung von Luscinius, der später in der Kartause wohnte: nuper apud 
cartusianos in convivio dixit Erasmum esse nebulonem et omnes, qui 
legunt ipsius libros, tieri nebulones. Dass solche Aussprüche einen sa 



1 llFzil'lllltlgeil 7. 



\ Freiburs 291 



gang Nachtigalls bald andere Veranlassung zur Unzufrieden- 
heit zu haben glaubte — er meinte nämlich, die Stadt werde 
ihn ehrenhalber unentgeltlich wohnen lassen — , so kaufte er 

I sich 1531 ein eigenes Haus (zum Kind Jesu genannt), das 

; heute einen Teil von SchiffstraÜe 7 bildet". 

I Für keinen unter den Lehrern der Universität hatte Eras- 

tniis größere Kochachtung, an keinem hing er mehr als an 

I dem ihm schon seit 1518 persönlich bekannten Ulrich Zasius. 

I Nicht genug kann er in seinen Briefen hervorlieben, wie selir 

II er den immer gleich lebhaften Geist des alternden Mannes 
I bewundere'", und er bedauert nur lebhaft, daas ihm der Um- 
] gang mit demselben so schwer werde, weil jener fast taub 
i sei, er selbst (Erasmus) aber eine schwache Stimme habe". 
l Am nächsten stand unserem Gelehrten unter den andern 
[ Professoren der ihm schon von Basel her bekannte und, wie 



Im übrigen 



eiteln Mann wie Eraeiaiia Furchtbar beieidigten. ist klar, 
vgl. Schreiber, (.Jearh. d, UniversitÄt Freiburg 11, 175. 

» Von einer baldigen Übersiedlung in Hein eigenes Hans spricht 
E. in einem Brief an Johannes Rinck vum 4. September 1531: et adbuc 
peregrinor in propriis nedjbua . . .. aed ob virus caicis aondum nu.slni 
tne illis credere. brevi tainen imnügrem oportet. 

" Habet (uni^ersitas) Zasiiim aetato senem. seil ingenio vivi- 
quem alium conferam in bis regionibus non invenio. Brief an 
Carolns Sucquelus, 2. Juli 152». — Nihil adhuc vidi in Öermnnia, 
qnod aeque sim admiratns atqne huius viri ingeninm. non est 
candidus in amicos, sed ipHe candor: corpiire conaenescit, aed vix credas, 
qnam adhuc totiis vigext animua. nihil decessit indicio, nil memoriae . . . 
Brief an Pirkheimer. 15. Juli 1529. Inter profesaores inria primae cele- 
liritatia est Zosius, homo lam extrcmae aenoctutia, sed ingenio viyido 
hauBta Facnndia. nihil adhuc in ßerniania vidi hoc nno vel 
vel candidius. Brief an den Kardinal Petrus Bembns, 25. Mfirz 
iSO. 2^ius autem promerentem sie multis annis amavi, nt prorsns inxta 
Pythagoricam rimnia mihi cum illo dnxerim communia. Brief an 
ob. Panntgartner. 8. Februar 1532. . . . Zasina, cuius aucturitatein in 
■libnB non aliter quam oraculuni aequi soleo. Brief an Franclecus Rn- 
ina, 8. September 15S3. 

"... verum, qnuminns saepe liceat illiua optatiasima conanetndine 
d in cnusR est, quod ruiu illo surdaater sit, ego sam pa- 
tlis. ut nihil est in rebus humanja, cui non aüquid admisceat 
Kemesis illa. Brief an Pirkheimer vom 15. Juli 1529. 
19* 




1 



292 






schon erwähnt, zu gleicher Zeit nach Freiburg übergesiedelte 
Henricua (Loriti gen.) Glaioanus. Eräsmus hebt an ihm .Mi 
rühmend hervor die Vielseitigkeit seines Wissens, dass er die *f^ 
Philosophie mit der Poetik, historische Kenntnisse mit mathe- ^ 
malischen vereinige. Er erwähnt auch — worauf ich später —2 
noch zu sprechen komme ^, dass Glarean nicht nur an der -^ 
Universität segensreich als Ordinarius lehre, sondern auch ji 
immer eine Anzahl wissbegieriger Jünglinge in einer Art von ^s 
Privatinstttut um sich vereinigt habe, so dass, wie der Mann 
selbst eine Zierde der Hochschule sei, sein Haus eine Werk- 
atätte der schönen Künste genannt werden könne'*. 

Wie spricht sich nun Erasmus femer über die Uni- 
versität Freiburg selbst aus? 

In einem Brief, der wenige Monate nach seiner Über- 
siedlung (am 2. Juli 1529) geschrieben wurde, gibt er der 
Albertina das Prädikat „nicht unberübinf und preist dann 
als die blühendste der Fakultäten die juristische. Er begründet 
Bodann diese Behauptung mit einem oben schon mitgeteilten 
Lob des Zaaius, gibt aber zu, dasa auch andere „nicht ge- 
wOlmlich Unten-icbtete" daselbst dozierten. Femer hebt er 
rühmend hervor die Eintracht, die zwischen Klerus, Magistrat, 
Bevölkerung und Universität bestehe — eine Eintracht, die in 
Wirklichkeit gewöhulich nicht allzulange dauerte". 



'* Henricus Glareanos. 
oltor, buc nobiscum demigravit, 

pralitetur publica SRliirio. Brief 

" (GlareaauB) est vir iit ei 

doctrina vario. rBcoudiU ei 



bonarum disciplinsrum perpetuus 
I Basilcne novar^iitur omnia. ia faic 
Bftpt. E^natius. 31. Kürt i:>30. 
4 alius integris et incuipHtis moribus, 
:acta, mullum disaimilis qnibusdam 



P 



qui quum decem versiculos possunt scribere, pro consammatis 1 
beri ToluDt. hie pbiloaopbiam i'Um poetiva. historiuain cognttloneni cam 
matheniaticia diaciplinis cuniunsit. profitetar bic publice, ordinario oalaria, 
nibilo Betiua priTslim iiiatituit aliquot aduloBcontulue, ut iltiaa domna 
re v«rB Sit optimarum artium ofCicina, ipse non niiiiimtim 
haiua academiae ornameutum. Brief au den Kurdinnibischor Bern- 
hard V. TrJent, Ptingatcn 1532. 

" Est |bic] et academia non iucelebris, in qua oulla faci 

magia floret quam iuris, babet Zaaium (a. Anm, 10); sont 

prael«r hunc et alii dou vulgariter eruditj. inier derum, niagiatratum, 
populum et academiani summa concordia est. 




Erasmos in seiDen Beziehungen zur Univeisitftt Freibnrg 293 

In einem andern Brief vom 25. März 1530, an den be- 
kannten Humanisten und spateren Kardinal Pietro Bembo ge- 
richtet, sagt er, die Universität sei zwar gut eingerichtet, 
aber schlechtbesucht, sie habe mehr ehrbare als zahl- 
reiche Schüler**. Sodann hebt er unter den Professoren 
wieder als Leuchten hervor Zasius und Glarean und beklagt 
namentlich das Darniederliegen des theologischen Stu- 
diums, während das der Sprachen mittelmäßig sei^*. 

Ungünstiger lauten die Urteile in den Briefen des Jahrs 
1531. Am 10. Dezember d. J. (an Ägidius Buflidius) beklagt 
er den Mangel an Sinn für die humanistischen Bestre- 
bungen, er habe schon öfters deswegen an die Professoren 
brieflich sich gewendet; und einige Tage später (14. Dezember, 
an Ägidius Buflidius) meint er sogar, alle Studien lägen 
darnieder außer der Rechtswissenschaft*' — was frei- 
lich etwas zu viel behauptet ist in einer Zeit, wo, abgesehen 
von Glarean, Männer wie der Mathematiker Ulrich Rieger 
(Regius), der Theologe Jo. Brisgoicus u. a. lehrten. 

Sehr schlecht zu sprechen war er namentlich auf dio 
Mediziner, von deren Kunst er nicht allzuviel gehalten zu 



^^ [Friburgum] habet tarnen academiam bene institutam ma- 
gis quam numerosam et honestis ornatam verius quam mul- 
tisdiscipulis. — Tatsächlich hatte die Frequenz auch unserer Uni- 
versität infolge der religiösen und sozialen Wirren in der zweiten Hälfte 
der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts bedeutend abgenommen, so 
dass man einen Durchschnitt von 77 Studenten berechnet hat (Eulen- 
bürg, Frequenz, Tab. II S. 55). 

^® Fr iget hie magis quam vellem theologia, sed ut spero brevi 
efflorescet — worauf sich diese Hoffnung gründet (etwa auf Erasmus 
selbst?), ist nicht ersichtlich — ; linguarum Studium viget medio« 
criter. bonas disciplinas omnes sat feliciter excitat Henricus Glareanus. 

" Hie neminem novi, quem ausim vobis commendare; adeo lue« 
haec opinionum corrupit studia. vestigabo tamen diligentiam et perscri- 
bam. nisi diligentia professorum advigilet, metuo ne tandem frigoat 
hoc collegium. mirum est humani ingenii fastidium; obdormi. 
seit, nisi subinde vel voluptate vel novitate excitetur. hac de re professo- 
res admonui per literas. — Omnia studia hie deficiunt excepta 
iurisprudentia. titulos tantum vidi constitutionum. hoc agunt, no 
nihil egisse videantur ypfjjjLaxoXoYot. 



294 



Mbj-i>l 



haben scheint. Einmal vergleicht er sie und die ihn I 
delnden Chirurgen geradezu mit Henkern'^ Es hängt die£6 
Abneigung gegen die Ärzte jedenfalls zusammen mit seiner 
langjährigen Kränklichkeit und Gebrechlichkeit und der daraus 
hervorgehenden trüben und ärgerlichen Stimmung '^ Bald litt 
er an Gicht und Podagra, bald hatte er Magenschwächen, 
bald plagte ihn ein anderes Leiden, und wenn er auch im An- 
fang seines Freiburger Aufenthalts mit dem Klima zufrieden 
war'", so klagte er doch später bald über die rauhe Luft und 
die Unbeständigkeit der Witterung. Und wenn es dies nicht 
war, so zitterte er vor der Pestgefahi' oder jammerte über 
das teure Leben in Freiburg*'. 

Doch kehren wir zurück zu seinem Verhältnis zur Uni- 
versität. In sozusagen offizielle Beziehung zu ilir trat er erst 
im Spätjahr l"i31, am 4. September d. J. kommt sein Name 
zum erstenmal in den Senatsprotokolleii vor. Durch Vermitt- 
lung des Theologen Johannes Brisgoicus" wandte sich da- 
mals die Universität an Erasmus, von dem sie wiisste, dass 



" Atistiite proximn cuitimedioinis etchlnirgU. liouestCBriii — 
ficibne. mihi fuit res, ob durum ac dirum apasteum |AbHZPHB|. a quo 
lente. aed felicitcr revalui. Bdef au Wilb. Monteioviua, IS. Mfirx 15äl_ 

'* Dem Äügaburger Bischof Christoph v. Stadion klagte er air» 
24. Juni 1530: mihi tertiutn iam mensem cum morte lucts est. und aim. 
Jo. Cleherger schrieb er am SO. Oktober 1.^32: . . . miaerum Erasmumv 
quem Baaileae bis vidiati semiauiroem. adhuc spirare (non enim ansind 
dicere vivere) . . .; uiiii im gleicliera Jahr 1.4. Augiiat) an Karl Utenhofen= 
accrescit labor et decreacunt vires. 

" In dem acbim angerührten Briet an Plrkbeimer fOhrt er ans ^ 
caelam autetn comperio tani ainicum meo corpueciilo. ut hie prapemodnic:^^ 
videar repubeacere. at ante mihi |ierBUti«uni erat hie Jovem esse triat^n^*- 
et inconimodum, semper nubiium ac nebulusura . . . 

" Der BelegsteUeu für aeine Klagen abeir schlechte Witterung siniS 
nniSbligc. Was die (angeblich) teuren Lebensverhältnisse betrifft, si.^ 
erwähne ich oine Stelle iu einem Brief an Wilh. Monteioyius vom 28. tiHnS- 
1529: ... hie tolerabili in statu sumus, excepta incredibili renim cari — 
täte . . .. und in einem solchen an Anton Fugger vom il. Juli 1529: nihiB 
incommodom eat, niei qnod nihil hie nun magno emitur. 

" Eigentlich Jo. CKlciatoria aus Broklngen (Amt Kenxingen) in« 
Breisgan: vgl. Ober tbn Scliceiber, Cr«Bcb. d. Univei-sitftt t'rciburg J> 
1 151—154, 



ErasiDQS in 



1 Beziehungen zur UaiversItSt Freibiii^ 295 



«r weitreichende Beziehungen in der Gelehrtenwelt hatte, mit 
der Bitte, ihr für einen frei gewordenen Lehrstuhl in 
der theologischen Fakultät eine geeignete Persönlich- 
keit zu bezeichnen, nachdem man vergebens in Heidelberg, 
Tübingen und Ingolstadt angefragt hatte. Erasmus versprach, 
nach Köln oder Löwen in der Angelegenheit zu schreiben, 
nur möge man ihm genauere Angaben machen über das (be- 
halt, das der zu Berufende zu beanspruchen habe. Die Uni- 
versität dankte ihm für seine Bereitwilligkeit, ob er aber wirk- 
lich sich verwendet hat, erfahren wir nicht; tatsachlich blieb 
die Stelle noch einige Monate vakant und wurde dann durch 
einen jungen Tübinger Gelehrten wieder besetzt". 

Erat fast anderthalb Jahre später erfahren wir dann wie- 
der etwas von Erasmus. Bekaimtlich durften damals die Stu- 
denten nicht eine beliebige Wohnung in der Stadt sich suchen, 
sondern waren genötigt, die Bui-sen oder Kollegien zu be- 
ziehen. Nur ausnahmsweise wurde von der Universitäta- 
behörde von Fall zu Fall die Erlaubnis gegeben, außerhalb 
der Bursen zu wohnen — man nannte dies extraordinarie stare, 
die so Wohnenden exti-aordinarie stantes oder domuncularii — , 
dann aber gewöhnlich nur hei einem Magister, also einem Mit- 
glied der Universität, der sie zu beaufsichtigen hatte und für 
sie verantwortlieh war. So findet sich in den Akten miserer 
Hochschule, namentlich in den Protokollen der Artistenfakultät, 
eine Reihe von Gesuchen einzelner Magister, junge 
Scholaren in ihre Wohnung aufnehmen zn dürfe» (ut 
extraordinarie secum starent et complerent aicut et scolares 
in bursis). Es wird ihnen dann gewöhnlich ob specialem fa- 
vorem oder ex benignitato diese Erlaubnis erteilt, jedoch meist 
nur widerruflich (usque ad revocationem} oder auf bestimmte 



" Seniitaprolokoll vom 4, Septem liur L'^^l ; Proposuit ilr. Jo, [Briagoi- 
«ns] theologus se eum doctore Erasmo Roterodciino locutum de n uvo 
' theo log o aliquo eignificando, si quem aciret. qui reaponderit ao 
Coloniam velle aut Lovaiiiam pro aliquo scribcre, madci reddatur certinr 
^'«■pw salario et domo certa. — DomiDi de universltate agunt doiniiio 
- Snsmo et dortori Jiilianni gratina pro ordinarii aolliclUtione, et placait 
^^^ aeribi Laurentio Haeriug. 



r Mribi Laurei 

L 



jrn.vtT 



Zeit (z. B. ad duos annos), oder auch unter verschiedem 
andern Bedingungen. Naiueiitlicli wird verboten, Bursen- 
bewohner anzulocken oder Zöglinge einander abzujagen und 
irgendwelchen Zwang beim „Keilen" auszuüben", was mit- 
unter trotzdem vorkam, weil die Magister bei ihrer wenig 
beneidenswerten finanziellen Lage auf Verdienst durch Halten 
von Pensionären angewiesen waren. Am liebsten erteilte man 
solche Erlaubnis älteren Lehrern der Hochschule, oflFenbar 
weil man zu ihnen mehr Zutrauen hatte, dass sie die ihnen 
so Anvertrauten streng genug behandelten, und weil man 
ihnen wegen ihrer Verdienste um die Univeraität gewisse 
Rücksichten schuldig war'\ 

In der genannten Weise hatte nun auch Erasmus, trotz- 
dem er nicht Mitglied des Lehrköi-pera war, junge Studenten 
bei sich wohnen. Dasa er die Universität um Erlaubnis ge- 
fragt hätte, ist uns nirgends überliefert, er hat eine solche 
wol für selbstverständlich gehalten, da er ja allenthalben und 
wegen seiner (oben genannten) Bemühungen für die Universität 
sich dazu befähigt und berechtigt fühlte und annehmen zu 
dürfen glaubte, dass der Senat schon mit Rücksicht auf seinen 
berühmten Namen keinen Einspruch erheben werde. Er hat 
sich aber offenbar nicht viel um das Leben und Treiben seiner 
Zöglinge gekümmert, denn im Januar 1553 erfuhr die Uni- 
versität zu ihrem nicht geringen Sehrecken, dass zwei bei ihm 
wohnende Studenten seihst die allererste Bedingung eines aka- 
demischen Bürgers nicht erfüllt hatten, dass sie nämlich noch 
nicht einmal immatrikuliert seien*^ Der Vorwurf 



" Ne all. 
abstroherput ei 

" Vgl. z 
Omnium Sancti 
quod scolareB 

habentiboH favorem facultati 
iDüturitate admisit. 

" (6. Januar 1533: Retulit dni 
Eraamum commuraDtca DODdui 
pul US jnrames nc lic«ntjosos incedere 



buraia vel extra buraaa i 



t uliia mag] Stria 

redigereut ad ae. 

B. daa .SenatHiirntokull vom 31. Oktober (domiDJca ante 

-uni) 1507: Dr. Jo. Calicatoris Brisgoicus pctiit a tacaltat«, 

acuin Start) possent ordiaarie secus cum aliia HeoioribiiB. 

eraitatia, et facti Itaa ioapecta eius 



rector duoa studentes apud d 
1 iaacriploa, item Ularoani disci 
contra statuta vestiaria. - 



3Ch I 

S8W I 





ErasmuB in seinen Beziehiugen zur Univeraitst Freiburg 297 

Ternachlassigung dieser wichtigen Pflicht traf neben den be- 
l'treffenden Studenten selbst in erster Linie den Erasmus, denn 
'wenige Jahrzehnte zuvor (1498) hatte der Senat allen den- 
jenigen, die Studenten bei sich wohnen hätten, vorgeschrieben, 
diese zu veranlassen, sich innerhalb eines Zeitraums von drei 
Tagen immatrikulieren zu lassen, und wenn sie dies nicht täten, 
nicht länger in ilirem Hau« zu dulden"^. Während aber, wie 
dieser allgemeine Erlass und auch Einzelfälle dartun, der Senat 
sonst streng in solchen Diugen vorging, so übte er diesmal 
p auffallende Nachsicht und drückte ein Auge zu, weil die zwei 
■Itetreffenden Studenten sich sonst ehrbar aufführten — in 
|"Wirklichkeit vielleicht noch mehr mit Rücksicht auf Erasmus 
Kselbst ''^. 

I Schon Über ein Jahr weilte Erasmus in unserer Stadt, 
als am 13. August 1533 der R«ktor (Paulus Getzonis) zur 
großen Freude der Senatsmitglieder folgendes melden konnte: 
Vor einigen Tagen, am 5. d. M., habe Erasmus in einem Ge- 
spräcli mit Jo. Brisgoicutj diesem gegenüber den Wunsch aus- 
gesprochen, in die Matrikel der Universität sich auf- 
nehmen zu lassen, und zu diesem Zweck das Statutenhuch 
gewünscht, um Einsicht nehmen zu können von den Artikeln, 
die bei der Immatrikulation zu beschwören waren, Mit Er- 
laubnis des Rektors brachte Brisgoicus dem Gelehrten die Sta- 
tuten, und Erasmus leistete den Eid wie jeder andere, 
der sich bei der Universität inskribieren iieli". Dem 

Veatur cum d. Erasmi familiaribus, cum alins se honeate ge- 
ranl. Prot. sen. 

" ScnatsbeschluBB vom üD, Mai ]493; Conduaum eat. qiiud omnibus 
habentibus scokreH mandetur per rectorem. ut mm intitulatum ultra tri- 
dnum noD tcneanL in bursa aut domo, seil eos compellant. ut faciant tm 
■ntitnlari. aut expellant de domo vel bursa. 

" Vielleiuht gehsrt hierher auch der Eintrag im Senateprotokoll 
Vom 15. Mai jenes Jahres (1033): Super studentibus nolentibus et recu- 
santibns uaqae ad festam corporis Christi inscribi conclusum. quod uni- 
versitas ad aliquod tempus iatra corporis Christi prescriptam dissi mutet. 
ititerea tameo per pedellum admoneantar. 

" Auffallend bleibt, daaa EraamuH, wie ea Bcheint, den Insliriptions- 
^id nicht in die Hllndc doa Kektors beim Einschreiben aelbst, Bondem 
dam (vielleicht ancb dazu beauftragten) Brisgoicua geleist«! bat. 



U 



d 



298 Mayer 

Rektor aber schickte er einen Zettel, auf dem er seinen 
Namen nebst Vornamen und Titeln so aufgeschrieben hatte, 
wie er in das Matrikelbuch eingetragen zu werden wünschte. 
Außerdem übermittelte er ihm eine Goldmünze, die offenbar 
als Inskriptionsgebühr gelten sollte^°. 

An demselben 5. August 1533 finden wir denn auch den 
großen Gelehrten in das offizielle Matrikelbuch unserer Alma 
Mater ohne jede weitere Bemerkungen eingetragen als 

Desiderius Erasmus Roterodamus theologiae 
Professor, 
wol nach dem von ihm selbst geschriebenen Wortlaut auf 
dem genannten Zettel — ob wol nur ein Titel dasteht *^ 

Zugleich bat Erasmus, dass jetzt, wo er der Universität 
(formell) angehöre, auch sein Haus (s. oben) in die Zahl der 
sogenannten privilegierten Häuser aufgenommen, d. h. von 
Steuer und Schätzung befreit werde, was natürlich ohne 
weiteres bewilligt wurde ^*. 

"* Senatsprotokoll vom 13. August 1533: Proposuit d. rector, quod 
superioribus diebus, puta quinta Augusti, fuerit Erasmus Roterodamus 
cum doctoro Johanne theologo loquens eidcm, quod nomcn suum vellet 
dare matricule universitatis, quod dr. Johannes valde in homine 
probaverit. roiserit postea Erasmus pro libro statutorum, ut videre posset 
articulos iurandos. dns ipse rector vices suas in hoc commiserit doctori 
Johanni, qui Erasmo librum statutorum exhibuerit, et dominus Erasmus 
iuravit iuranda sicuti alius uniyersitati inscriptus, mittens domiuo rec- 
tori schedam cum coronato [nach Du Gange = nummus aureus ducum 
Burgundiae et comitum Flandriae], in qua scheda scriptum erat nomcn 
cognomenque suum ac tituli, quibus volebat inscriptionem in album uni- 
Tersitatis suam fieri. — Die vorgeschriebene Inskriptionsgebühr betrug 
nur 3 Schillinge, vornehme und reiche Studenten zahlten aber gewöhnlich 
mehr, während Graduierte und Arme von der Gebührenzalüung befreit 
waren. Außer jenen 3 solidi mussto aber jeder zu Inskribierende noch 
dem Pedellen einen Blappert zahlen. Ob Erasmus dem Pedellen auch 
noch ein besonderes Geldstück verehrte, wissen wir nicht. 

"* Im Senatsprotokoll ist zu der Erwähnung dieses Eintrags die 
(grammatisch sehr anfechtbare) Bemerkung hinzugefügt: Gaudet universi- 
tas tanto nacto [!J alumno. 

^^ . . . petiisse quoque eundem Erasmum [bei seiner Unterredung 
mit Brisgoicus], ut domus sua recipiatur in numerum domorum privilegia- 
tarum. Und später: proinde conclusum est, quod domus Erasmi recipia- 



EraBuiua in seinen DezieliUDgen zur L'niveiaiUt Freiburg 299 

Femer wurde er, als Professor der Theologie, in den 
■Kat der theologischen Fakultät aufgonomnien ; dabei 
wird ausdi'ücklich hinzugefügt, daas er auch den Eid wie jeder 
'andere leiatete*\ Als Consiliarius theol. fae, hatte er das 
Recht, initzuberaten bei allen Angelegenheiten, die das innere 
Leben der Fakultät betrafen, und man hoffte jedenfalls, dass 
er seine umfassenden Kenntnisse und seine reiche Erfaluung 
"in den Dienst derselben stellen werde. 

Je. Brisgoieus, der, wie wir sahen, überall die treibende 
Tersönliclikeit war, beantragte aber auch ferner, da es nui' 
zum Vorteil der Hochschule und zu ihrer Ehre gereichen 
werde, dass Erasmus auch unter die Consiliarii der Uni- 
versität, d. h. also in den Senat aufgenommen werde, dessen 
Mitglieder die Geschicke der Gesamtuniversität zu leiten hatten, 
die den Rektor erkoren und aus deren Zahl anderseits der 
letztere gewählt werden rausste". Sei doch Erasmus, so fügte 
der Antragsteller begründend hinzu, bei dem König (FerdinandJ 
selbst und seinen Räten sowie \'ielen hervorragenden Per- 
sönlichkeiten so bekannt, dass er der Universität gute Dienste 
werde leisten können'^". Der Senat war zwar an und füi- sich 



domorum [irJTilegiaturuin . . . Sentttaprolokoll vuin 
18. August 1-^33. 

" Idem dominus Erasmus. ut rctulit doctor Johannes titeologus 
' est reeeptus in coDBiliadnin facultatis theologiae, iurans iuranda, ut alius 
'^aniversilatie consilinriuB. Ebcuda. 

»* Nicht iu verwecliseb ist dieaor (große) Rat (= Senat) der Uni- 
TerHitHt mit dem engeren (kleinen), nur aus zwei Mitgliedern bestehen- 
den Rat, der dem Rektor in der ÄusObimg seiner laufenden GeachSft« 
Inr Seite stand. Dieser bestand immer aus dem Rektor dea abgelaufenen 
'Semesters — die Rektoren wechselten bekanntlich damals halbjährlich — , 
»Ibo dem Ejirektor, und einem andern Mitglied des Senats, tierade so 
liatte auch jeder Fakultütsilekan zwei Beamte, von denen der eine aach 
jeweils der Dekan des abgelaufeneü Studionhalbjahra war. 

" Proposuit dr. Johannes theologus non indecenti fore nee abs rc 
oniTersitatia suo qiiidem voto et consilio, si etiam universitas domi- 
!iiuni Erasmum recipcret in coasiliarium eiua, quia regie maie- 
<tati atque regiis consiliariis sit notiHsimns multisque iiialgnibus viris 
'Igntisaimus, posse etiam olira eundem universitati prodcsse apud regem 
jjertbendo vel etiam consulendo, ai negotii arduitas illud deposcat. Ebenda. 



jjertbendo 



mit dem Vorschlag einverstanden, meinte aber, Brisgoicus^^.J 
solle zuerst sieh bei Erasrana erkundigen und zu erfahreo^Aiai 
suchen, ob er gewillt sei, das Amt anzunehmen". | 

Zwei Monate verstrichen. Da Ind am 5. Oktober Bris i 

goicus den Erasmus zusammen mit dem Professor der Kirchen- —~i 
geschichte Georg Amelius (Achtsnicht) zu Tisch. Im Gespräch -«rl 
fragte er den Erasmus: „Wann wirst du endlich ganz dei — ^ 

Unerige sein?" Erasmus, dem offenbar unterdessen die Ab- i 

sieht der Universität mitgeteilt worden war, erwiderte: j 
, Sprichst du von der Zugehörigkeit zum Rat der Universität?* 
Brisgoicufi bejalite dies und ließ — offenbar im Einverständnis- 
mit Erasmus — gleich am folgenden Tag vom Rektor an 
Erasmus die Statuten schicken, worauf dieser den gewohnten 
Eid der Consiliarii leistete; er verspi'ach auch, zur Ehre und 
zum Vorteil der Universität alles zu tun, nur möge man 
ihm keine verpflichtende Last auferlegen. Mit Freu- 
den vernalim der Senat diese Kunde und bestätigte alles, was 
BrisgoicuB mit Erasmus verhandelt hatte". 

Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Inskription des 
Erasmus in die Universitätsmatrikel eine Ehreninskription 



** CoDclusum . . . ^uod ipse doniinas BrasmuH recipiatnr in 
coBsilium uDiversitatiB honorarium et fiiluciarium. ut olim 
□ niTersitaa 8na Opera Dti pOBsit maiori cum coofidentia. commiB 
Hum tamen dominn d. Joaoni, priutiqnain domionm d. Erasmum acuedat 
nd reripiendum ipsuin in consJliA.rium, quod prius expiscatnr tnentem 
saam, derauta <:um vo iuxtti conciusuiii procedatur. Ebenda. 

" Senats Protokoll vom II. Oktober 1533: Retulit dr. lohsnnes theo- 
oguR, quod nuper udicub quinta die Octobria cum domino Erasrao HoLero- 
damn una cum domino Aiiielio ceoaTeTit dixeritque ad Eraamum ioter 
caetera: quando tandem totus noater erisV qui ei reaponderit; quid? 
dicia de coneilio univeraitatis? re^iponderit theologo; ita. ita etatim in 
erastiuuni, qui erat 6'e Octobria, miaerit ad rectorem pro statntis doctor 
.lohannes obtnleritque ille Erasmo, qui iuravit aolitnin conailiariiirum nni- 
Tersitatia iuramentum offerendo ad universitatis honorem et utilj- 
tatem, modonulla Kibi imponatursarcina. qu[ajerenda, nnm qnod 
dare t«neatur; cuj doctor Johaunea reaponderit: nil, sed fortasait ststim 
unirersitas aua indigeat opera, obtuüt ae fidelem fore universitatia clien- 
telnin apud regiam maiestatem et alia» apud quosuunque. factnm hoc 
■tum universitaa approbat et eum Hinguiari gaudio acceptat. 



Erasmus in seinen Beziehungen zur Universität Freiburg 301 

war — so wie man ähnlich schon früher und damals ade- 
lige Studenten zu Ehrenrektoren ernannte — und natürlich 
auch den weiteren Zweck verfolgte, an den zahlreichen Privi- 
legien und Freiheiten der Hochschule teilzunehmen. 
Das war ja nichts Neues: zahlreiche, schon in Amt und Würden 
stehende ältere Leute, Pfarrer, Kanoniker, Ärzte u. a., ließen 
sich zu diesem Zweck an einer Universität immatrikulieren, 
ohne je die Absicht des Lehrens oder Lernens zu haben ^®. 
Und dass Erasmus gleich von einer dieser Freiheiten, von der 
Steuerfreiheit, in Bezug auf sein Haus Gebrauch machte, haben 
wir ja oben gesehen. So war es also auch bei ihm weniger 
die Lehranstalt, die ihn anzog, als vielmehr die privi- 
legierte Korporation. — Ahnlich mag er sich auch die 
Aufnahme in das Konsilium der theologischen Fakultät wie 
in den Senat gedacht haben. Verpflichtet hat er sich eigentlich 
zu nichts, weder hat er je Vorlesungen in Freiburg gehalten, 
noch auch, soviel wir wissen, an den Sitzungen der theolo- 
gischen Fakultät oder des Senats teilgenommen. Da man 
sich auf des Erasmus Zugehörigkeit zur Universität, wie wir 
sahen, sehr viel einbildete, so wäre dies sicher irgendwie und 
irgendwo vermerkt worden. Aber nirgends finden wir die 
geringste Notiz. Und bei der fortwährenden Kränklichkeit 
und Vielbeschäftigtheit*® des Gelehrten lag es auch nahe, 
dass er sich keine Zeit mehr für solche Sitzungen nahm oder 
nehmen konnte. 

Um so mehr hofifte die Universität, wenn er sich als einer 
der Ihrigen fühlte, von seinem bewährten Rat, seinen aus- 
gezeichneten Verbindungen mit dem König und hochgestellten 
Persönlichkeiten, überhaupt seinem mächtigen Einfluss zu ge- 
winnen. Er hat es ihr ja auch versprochen; ob er dieses 
Versprechen aber auch gehalten hat, auch darüber erfahren 



" Vgl. Paulsen a. a. 0. S. 292; Eulenburg, Frequenz S. 19—22. 

'* Man vergleiche z. B. folgende Stelle aus einem Brief vom 24. Dez. 
1533 (Petro et Chriat**^horo Messiis fratribus): praesertim cum undique 
tot ad me literarum inundent fasciculi, idque propemodum quotidie, ut 
interdum vix suppetat otium ad legendum, tantum abest, ut vacet respon- 
<lere singulis. 



302 Mayer — Erasmus in seinen Beziehungen zur Universit&t Freiburg 

wir nichts, obgleich er noch bis zum Frühjahr 1536 in der 
Stadt weilte und es genug Gelegenheiten dazu gegeben hätte. 
Sieben Jahre hat Erasmus in Freiburg geweilt, verschie- 
dene Ehrenstellen an der Universität hat er eingenommen^ 
einen merklichen Gewinn, so wie sie es geho£ft, hat die Hoch- 
schule von ihm aber nicht gehabt. Die Würden nahm er 
an und besass er, die Bürden aber hatte er von vornherein 
abgelehnt. 



Hausinsclirifteii im oberen Sundgau. 

Von Theobald Walter. 

Das obere Elsass ist bekanntlich im Vergleich mit seinem 
Schwestergebiete, dem Unter-Elsass \ recht arm an sogenannten 
Hausinschriften und Bausprüchen. Spärliche Reste aus alten 
Tagen treflFen wir noch in den reichen Rebenstädtchen längs 
der Vogesenhänge und im hinteren Münstertal. Sie sind größten- 
teils zusammengetragen in Mündels Sammlung^ und in dem um- 
fangreichen aber nicht immer zuverlässigen Werke von Kraus'. 
Wenig bekannt dürfte es jedoch sein, dass auch im oberen 111- 
tal, das ehemals dem habsburgisch-österreichischen Sundgau an- 
gehörte, heute noch manch schlichtes Sprüchlein des Hauses 
Giebel schmückt. Merkwürdigerweise beschränkt sich indes die 
altehrwürdige Sitte fast nur auf das schmale Gebiet zwischen Hir- 
singen und Oltingen. Die Gebäulichkeiten sind dort durchweg 
aus Fachwerk aufgeführt, und da ist es meistens der sogenannte 
„Bundtram", d. h. der Bindebalken über dem Erdgeschoss oder 
über dem ersten Stockwerk, der die Inschrift trägt. 

So lesen wir in Bettendorf, dem ersten Illdörfchen ober- 
halb Hirsingen: 

Gott beware dises Haus 
all die gen ein und aus 

Dieses Haus hat gehauen Morand Kempf und Katharina Ertzer 

im Jahr 1847. 

Derselbe Spruch, mit andern Personen natürlich, kehrt im 
nahen Henflingen aus den Jahren 1829, 1834 und 1864 wieder. 



^ Vgl. die Zusammenstellung von Dr. Kassel im Jahrbuch XXI 
des V. C. 

- Mündel, Haussprüche und Inschriften im Elsass. Straßburg 1883. 
^ Kraus, Kunst und Altertum in Elsass-Loth ringen, II. 



304 Walter 

Sonst findet sich viel die einfache Form: Dies Haus hat ge- 
hauen N. N. . . . ohne weitere Zusätze. Ein Bauernhaus in 
Bettendorf trug ausnahmsweise längere Sprüche in verzierter 
Umrahmung innerhalb der unteren Fensterfachwerke der Giebel- 
seite ; sie sind leider, da sie auf Ealktünche aufgetragen waren, 
bis zur Unleserlichkeit abgeblichen. Doch lässt sich am Quer- 
balken noch lesen: 

Dis Haus ist aufgebaut worden durch Simon 
(Munck und Anna) Maria Lindin im Jahre Christi 

Anno MDCCLXXXVII. 

In Grenzingen hat ein Teil eines Psalmverses Verwendung 
gefunden : 

Sit nomen domini benedictum ex hoc nunc et usque 

in saeculum. Amen. Dieses Hans ist erbauen durch 

H. F. und M. M. R. anno MDCCCVI. 

Seltsamerweise weist ein Gebäude im entlegenen Rants- 
weiler, einem Dorfe des Kantons Landser, ganz vereinzelt den- 
45elben Spruch aus dem Jahre 1811 auf. 

Eine etwas seltsam klingende Aufschrift wählte sich ein 
Bürger in Waldighofen für sein 1806 errichtetes Heim: 

(Johannes Gisinger als ein ehemaliger Witling). 
Mit der Zeit nimt alles ein Ent, 
Dieses Haus stet in Gottes Hent. 
(Anno domini nach der Geburt Jesu Christi 1806). 

Den Mittelsatz sehen wir an einem Hause des oberen Dorfs 
aus dem Jahre 1825 wieder. Die Nachbarn Gisingers, Johann 
Schmitt und Maria Eva Stolz, dagegen klagen: 

O Weld, o Weld, wie sauer ist dein geltt 
wehr wenig suecht auf dieser welth, 
belohnet 

Sdiliiss und Datum der Aufschrift sind leider durch einen 
späteren Anbau verdeckt worden. Doch wird der letzte Teil 
wol jrekuitet haben: belohnet Gott im Himmelszelt, oder wie 
in einem ähnlichen Falle in Rufach: belohnet Gott in der 
Ewigkeit. 



Hausinschriften im oberen Sundgau 305 

Unweit Waldighofen öffnet sich das fruchtreiche Müspach- 
tal, in dessen Eesselgebilde sich die Dörfer Steinsulz, Ober-, 
Mittel- und Niedermüspach bergen. 

Im ersteren ist nur eine einzige Schrift aufzufinden; sie 
schmückt die Giebel wand des derzeitigen Bürgermeisters und 
lautet : 

Dies . Haus . hat . gebaud . Peter . Brant , 
und . Theresia . Bloch . im . Jahr . Christi . 1832 . beide 

Ehleit . von . Steinsulz . 
Gott . woU . geben . 
nach . dem . Zeitlichen . das . ewige . Leben , 

Für die drei Müspach ist die oft wiederkehrende Inschrift 
des mittleren typisch: 

Dies Haus stet in Gottes Gewalt 
ßewar es vor Feuer unt Brant. 
H. H. Ans. G. Anno 1726. 

Einsam liegt unfern aber schon im oberen Hunsbachertal 
das Dörfchen Knöringen, in alten Tagen dem Deutschen Orden 
2uständig. Dass auch dort einst der Hausspruch beliebt war, 
2eigt uns zunächst ein Inschriftrest am Eingange des Dorfs: 

Hier hat aufgebaut Lorenz Munch 
und Sophia Wagner und ist gemacht 
worden , 

Tor allem aber ein stolzer Pachwerkbau in des Dorfes Mitte, an 
dem nicht nur der Giebelbalken, sondern auch der Bindebalken 
in der Hausfront vollständig beschrieben ist. Am Giebel lesen 
wir die belehrenden Worte: 

Gewis ist der Dod. Ungewis der Dag 
Die Stund auch Niemand wissen mag. 
j Dorum thue Guts Gedenck darbey. 

Das jede Stund die letste sey MDCCCm, 

an der Vorderseite dagegen: 

Hier stand ich Gottes Gewalt für 
Stepanes Stürchler und Elisabetha Wagner 

Alemannia N. F. 8, 4. 20 



306 Walter 

aufgebaud in dem Jahr Christi anno 1803 
bin ich erdachd und durch Meister 
Mardin Bögly neu gemacht Dorum 
will Gott Behüden mich und 
all die mich Bewohnen in Gottes Zahl. 

Verwitterten Resten in Hausgauen und Tagsdorf nach zu 
schließen, scheint die Sitte früher das ganze Hunsbachertal bis 
nach Altkirch hinunter verbreitet gewesen zu sein. Doch kehren 
wir wieder in das Illtal zurück! 

Werenzhausen hat an rebenumsponnener Giebelseite eines 
schlichten Bauernhauses : 

Nam . JHS . Chlaus . Mislin . Anna Rodhnerin . 
Das . Haus . stedh . in . Godes , Gewald. 

In Mörnach berichtet eine fast erloschene Inschrift um- 
ständlicher: 

Dis Haus stet in Gotts Gewalth 
Wollte Gott das bewahren vor Wasser 
und Brant wie auch unser Lant. 

Das reiche Oltingen am Knie der 111 rückt schon dem Ge- 
birge näher; ihm ist daher auch ein sonderbares Gemisch von 
Stein- und Fachwerkbau eigen. Besonders fallt ein mächtiges 
burgähnliches Wohnhaus am rauschenden Mühlbach auf. Weite, 
zum Teil geblendete Fenster schmücken den hohen Giebel; vom 
Portal aber schauen bausbäckige Rokokoengelein hernieder, wäh- 
rend die Gedenkschrift ziemlich umständlich berichtet: 

Gott woll dies Haus wohl bewahren 
Auch welche drin vnd draussen wahren 
Christen Doli erbauwet mich fein 
Sein Hauß Frauw Elisabeth Ethelein 
Von Anfang bis zum End gemacht 
Vor dem Feüwr behfttt vns tag vnd nacht 

1624. 



Hausinschriften im oberen Sundgaa 307 

Eine der jüngsten und eigenartigsten Inschriften bietet 
Hellfrantskirch, das aber schon den Abhängen nach der Rhein- 
ebene hin angehört: 

Diese Bauhung ist mein: 

Nemesius Großkopf 

und es ist nicht mein 

es kommt ein anderer darein 

und es ist nicht sein. — 

Aufgebaut den 16. April 1875. 

Auch die öffentlichen Gebäude in den Niederlassungen des 
Sundgaus, die Kirchen, Schulen und Pfarrhäuser, sind arm an 
Sinnsprüchen und Gedenkschriften. Vielfach fehlt sogar jede 
Angabe der Bauzeit. 

Außer den von Kraus angeführten geschichtlichen Stein- 
schriften von Pfirt, Luppach, Aspach und Giltweiler* hat Schrei- 
ber dieses nur folgende wenige auf seinen Streifzügen durch 
das Land aufgefunden. 

DeCIMatores eXpen- 

sIs sVIs sVb Hen: Brobe- 

qVe hVIVs pagl VICarlo 

strVXere. 

Das eingestreute Chronogramm ergibt für das Pfarrhaus 
in Ballersdorf, an dem die Schrift in vergoldeten Buchstaben 
prangt, das Jahr 1762 ^ Ein ähnliches Chronogramm enthält 
das jetzt überbaute Portal der Dorfkirche von Eglingen aus 
dem Jahre 1778: 

DoMIne Vt sCVto bonae VoLVn- 
tatls tVae CoronastI nos.® 

Demselben Gebiete des mittleren Largtals gehören dann 
noch als Kircheninschriften an: 



* Kraus a. o. 0., 25, 123, 426 und 515. 
5 MDCCXXVVVVVVVIIIJIII = 1762. 
« MDCCLVVVVVm = 1778. 

20^ 



308 Walter 

(Hagenbach) Mit Freuden wollen wir 

in das Haus des Herrn gehen. 

Psalm CXXI V. 1 zu dessen ehren erbaut 1779 

Joan. Bapt. Schnebelin 

parochus. 

(Buetweiler) Domine . dilexi . decorem . domus 

tuae et locum habitationis gloriae 
tuae. Psal. 25. aedificatae 1736 
et turris 1759 adiudicatore 
Joan. Mauritio Gressare p. t. 
parocho loci Buetwillae. 

(Obertrau- Ademmus cum fiducia ad thronum 

bach) gratiae. ep. ad Hebr. 4. 16 Anno MDCCLXXXV 

Wir sollen hinzugehen mit Vertrauen 
zu tem Thron ter Gnaten 1785. 

Von lakonischer Kürze ist die Aufschrift des Portals der 
Kirche von Rädersdorf, die in dem einen Worte „Deo" besteht. 
Das hübsche Renaissancestück soll von der zerstörten Kloster- 
kirche der ehemals so berühmten Zisterzienserabtei Lützel 
stammen. 

Mittelmüspach hat sich für seine 1843 errichtete Kirche 
den Spruch gewählt: 

Haltet meine Sabathe und zittert 
vor meinem Heiligtum. Lev., 

Walheim dagegen: Elegi istum locum mihi 

in domum sacrificii, 

und Brunstatt: In domum Domini 

laetentes ibimus 

Haec est 

Domus Domini 1786. 

Das Bergkirchlein in Biedertal aber hält jedem frommen Waller 
die mahnenden Worte entgegen: 

O Christ, thue doch daß zu 
dem du da hinein gehst. 



Hausinschrifteo im oberen Snndgan 309 

Die Sonnenuhr der Kirche zu Obersteinbrunn trägt im 
Spruchband: 

Sors haec tota yiri solis ut 
umbra cadet 1866. 

und der sogenannte Eckstein der Kirche zu Schlierbach ist durch 
die Mitteilung gekennzeichnet: 

Hie lapis benedictus a D^^ Juif 

parocho Feretensi positus fuit sub 

Do parocho Griffen 

1823. 

Dem ehemaligen Zisterziensermönch Juif, der 1836 als 
Pfarrer in Pfirt starb, ist seither in dem entlegenen Juradörfchen 
Oberlarg, seinem Geburtsorte, wegen seines Eifers für die katho- 
lische Sache in den Tagen der f^^anzösischen Revolution ein ein- 
faches Denkmal errichtet worden. — 

Auch zwei alte Sitze des oberelsässischen Landadels, die 
uns in jener Gegend mit Inschriften noch erhalten sind, sollen 
zum Schlüsse Erwähnung finden; es sind dies das Wasser- 
schloss der Truchsesse von Wolhusen in Niedersteinbrunn und 
die Hügelburg der Edlen von Flachslanden in Dürmenach. Über 
dem Portal des ersteren, zu dem eine weite, heute vernach- 
lässigte Freitreppe emporführt, prangt unter den Wappengebilden 
der Truchsesse und der Andlau die Gedächtnisschrift: 

Frantz Ludwig Truchses von 
Wolhausen selig des Stammes der 
Letsere ich seine Hinderlosene 
Wittib Maria Francisca von 
Andlaw Erbauwen Mich 
Anno 1695. 

Franz Ludwig war als der letzte seines Geschlechts am 
14. Februar 1694 in Niedersteinbrunn verstorben. Seine Witwe 
verheiratete sich am 6. April 1699 mit Johann Konrad von 
Roggenbach und siedelte nach Birseck über. 

Das Schloss in Dürmenach wurde am Gründonnerstag 1694 
ein Raub der Flammen^. Die Eigentümer führten noch in dem- 



^ 8. April 1694: Aules praenobil. D. Christophori a Iilaxland in 
Dirmenach foedo conflugrant incendio in ipsa feria coena Domini. Ingold, 
Diarium do Murbach, I 27. 



310 Walter — Hausinschriften im oberen Sandgau 

selben Jahre den heutigen Bau auf, der zur Erinnerung an den 
unglückseligen Vorfall nachfolgende Aufschrift erhielt: 

Christoph Hanibal von 
Flaxland und Maria Anastas 
von Flasland gebohrne 
von Reinach. 
Unis in cineres annis 
me flammo sed unis me 
dedit in patrios unus una 
lares. Amen. 
1694. 




Anzeigen und Nachrichten. 

E. Banm^artiiert Geschichte und Recht des Archidiakonates 

MaiiiE undWflrEbuTg (Kirchenrechttii;1ie AbhandluDgen. heraus- 
gegeben von W. StutK. 39. Heft). Stuttgart, Ferd. Enke, 1907. 
XVI, 224 S. 8". 8.20 M. 
Eine bisher ebenso dunkle wie schwierige Frage des mittel- 
alterlichen Kirchenrechts mit erschöpfender Gründlichkeit und 
Klarheit gelöst zii haben, ist das Verdienst des vorliegenden 
Buchs von Eugen Baumgartner, der neben seiner anstrengenden 
Berufstätigkeit als Gymnasiallehrer die Zeit und den Mut ge- 
funden und, in gewissem Siune darf man es sagen, die Selbat- 
verieugnung besessen hat, einen vom Brennpunkt der auch bei 
der Wissenschaft nachgerade beliebten Zeit- und Tagesfragen 
■weit entlegenen Gegenstand zu untersuchen und nach allen 
Seiten abschließend zu behandeln. 

Es ist das Institut des Archidiakonats, Jenes nachweisbar 
bis in den Anfang des 4. Jahrhunderts zurückreichenden kiroh-- 
lichen Amts, dessen sich der Bischof bei der Verwaltung seiner 
Diözese vorzugsweise bediente. Damais hatte der Archidtakon 
den Unterricht und die Erziehung der jüngeren Kleriker, die 
Aufsicht über die Diakone und alle niederen Kirchendiener, 
die Verpflegung der Armen und die sonstige Unterstützung des 
Bischofs in allen Zweigen der Administration und Jurisdiktion. 
Au Würde dem Priester nachslehend, übertraf er diesen weit 
an Macht und Einfluss, besonders seit dem 6. Jahrhundert, wo 
er sogar Strafgewalt über die Priester und den Rang vor allen 
Priestern, selbst vor dem Archipresbyter erhielt, der den Bischof 
nur bei gotlesdienstlichen Handlungen zu unterstützen hatte. 
In den sieben ersten Jahrhunderten hatte jede Diözese nur 
einen Archidiakon, im Jahre 774 aber teilte Bischof Hetto 



4 



Straßburg sein Bistum in sieben Archidiakonate, und die meist^J^^H 
andern Bischöfe ahmten diese Einrichtung nach. ^^^| 

L I 



312 Anzeigen und Nachrichten 

Dies ist die Zeit, mit welcher Baumgartner seine Unter- 
suchung beginnt, deren Hauptgewicht ins 11. und 12. Jahr- 
hundert fällt als dem Höhepunkt der Macht der Archidiakone^ 
den es, selbst ein Lehenamt, durch die in jener Zeit erfolgte 
Ausbildung des Feudalwesens erreichte. Anfangs bloß Stellver- 
treter des Bischofs erhielten die Archidiakone nach und nach 
selbständige Gerichtsgewalt, auf Grund deren sie die Pfarrer und 
Dekane visitierten und straften, ihnen allerlei Abgaben aufer- 
legten, exkommunizierten und suspendierten und selbst Synoden 
abhielten. 

Baumgartner verfolgt zunächst die Entwicklung des Archi- 
diakonats in den Diözesen Konstanz, Basel, Straßburg, Speier,. 
Worms, Mainz und Würzburg und erörtert dann eingehend,, 
scharfsinnig und klar die rechtliche Stellung der Archidiakonen 
in den einzelnen Diözesen. Als typisch stellt sich dabei fürs 
ganze spätere Mittelalter geltend heraus, dass nur Domherren 
das Amt eines Archidiakons bekleiden können, dass dasselbe 
nur einzeln verliehen werden kann und dass der Archidiakon 
die Gerichtsbarkeit über den Klerus seines Sprengeis besitzt mit 
umfangreichen Einnahmen. Gegen diese Macht und Einkünfte 
machte sich schon im 14. Jahrhundert der Widerstand der dadurch 
in ihrem Ansehen und Einkommen schwer geschädigten Bischöfe 
geltend, zuerst durch die Einsetzung eigener bischöflicher Offiziale 
zur Ausübung der geistlichen Jurisdiktion und dann der General- 
vikare mit der Berufung nicht an den Bischof, sondern' nur an 
den Erzbischof. Der Kampf zwischen den beiden Gewalten vollzog 
sich in den einzelnen Diözesen verschieden rasch und heftig, im 
allgemeinen aber doch so, dass schon zu Anfang des 16. Jahr- 
hunderts der Begriff des Archidiakonats beinahe zur rein geo- 
graphischen Bezeichnung eines kirchlichen Verwaltungsbezirks 
herabgesunken war. Das Konzil von Trient besiegelte dann 
das Ende des Archidiakonatsamts, und heute erinnert nur noch 
der auf die ursprüngliche Funktion zurückgehende Titel der 
14 Diakone des Kardinalkollegiums zu Rom an das ehemals so 
glänzende Kirchenamt. Wer sich über irgend eine Seite des- 
selben, vornehmlich wie es sich in den oberrheinischen Bis- 
tümern im ganzen Verlauf seiner Entwicklung damit verhalten 
hat, unterrichten will, der wird Baumgartners gediegene Dar* 
Stellung mit ä» """ntaen ca Bäte ziehen. 

F P. Albert. 



Anzeigen iiud Nftcliriclileu ; 

E. Waldner. VeröffentlichunKen »äs dein Stndtarcliiv zu K 

mar. Im Auftrage der Stadtvern-altung beruusgegoben von dem i 
SUdtartliivar. Erstes Heft. Mit 1 Bild«. Kolmar 1Ö(J7, 1T7 S. 4 JC , 
Nach dem Vorgang anderer Städte hat sich neuestens auch 
das benachbarte Kolmar ku zwangloser Veröffentlichung seiner 
archivali sehen Schätze entschlossen, soweit sie von allgemeinerem 
Interesse sind, und bietet liier durch die Hand seines bereits 
durch eine Reihe ähnlicher Abbandliingen vorteilhaft bekannten 
Archivars Dr. Eugen Waldner ein inhaltsreiches erstes Bänd- 
eben, das wir mit Dank und Anerkennung begrüßen und dem 
wir zahlreiche und rasch sich folgende Fortsetzungen wünschen. 
Dieser Wfinsch ist in dem Inhalt des vorliegenden Heftes bedingt, 
das neben der Geschichte des Archivs der Stadt Kolmar 
(S. 1 — 12) Verordnungen des Rats der Stadt Kolmar 
1362—1432 (S. 13—84) und die Angelegenheit der 
Reichsstädte des Etsass am Reichstag und vor dem 
Schiedsgericht zu Regensburg 1663—1673 (S. 85—177) 
in einer umfangreichen Sammlung von Berichten, welche die ' 
Abgeordneten des elsässischen Stfidtebunds am Tag zu ßegens- 
burg über ihre Tätigkeit in den genannten Jahren an den Kolmarer 
Stadtrat sandten, zur Kenntnis weiterer Kreise bringt. Ist dieser 
zwischen Frankreich und den zehn Reichsstädten des Elsass 
wegen der Landvogteirechte länger als zehn Jahre lang geführte 
Streit, der hier in einer reichhaltigen Korrespondenz persönlich 
beteiligter Abgeordneter neue bedeutsame Beleuchtung erfährt, 
mehr auch fiir die allgemeine Geschichte Deutschlands und . 
seiner Beziehungen zu Frankreich lehr- und belangreich, so geben 1 
die vorausgehenden aus dem ältesten Stadtbuche Kolmars ge- 4 
zogenen und vom Herausgeber fürsorglich mit einem Namen- I 
und Sachregister versehenen Ratserlasse näheren Aufschluss über i 
die verschiedensten Seiten des Stadt Kolmarer Lebens und | 
Treibens, Handels und Wandels in einen Zeitraum von 70 Jahren, 
wie solches der Rat der Stadt von Zeit zu Zeit zu ordnen, zu 
ändern und neu zu regeln für gut fand: ein wechselvolles Bild 
kultur-, rechts- und verfassungsgeschichtlicher Natur. Eröfliiet 1 
nnd eingeleitet werden diese Mitteilungen billigerweise mit der 
Geschichte des Stadtarchivs, das, seit dem Anfang des 13, Jahr- | 
fatinderts bestehend, zum erstenmal 1495 durch den damaligen 
Stadtschreiber Konrad Wickram, einen Oheim des berühmten 
Schwank dichlers Jörg Wickram, mit einem Repertorium be- 1 




314 



I und Nadirioljtcu 



reicliert und seit Anfang des 17. Jahrhunderts von 
strator sachgemäH bedient wurde. Einen eigenen fachmännischen 
Verwalter erhielt es gegen Ende der 30er Jahre des vorigen 
Jahrhunderts in Louis Hugot, dem 1864 Xavier Moßmann, der 
erstmals den für die Geschichtsforschung wesentlichen Inhalt 
des Külmarer Archivs durch ein möglichst genaues Verzeichnis 
nutzbar zu machen begann, und diesem 1893 Eugen Waldner 
folgte, unter dessen erfahrener Leitung es nach einer Unter- 
brechung von sieben Jahren gegenwärtig wieder steht. Von 
seiner sachkundigen Hanil erhoffen wir noch viele Gaben aus 
dem Bestand des Kolmarer Archivs, einem der reicheren Stadt- 
archive Deutschlands, im Sinne und Rahmen der voriiegenden, 
die den Dank der Archivare und Geschichtsforscher gleiclmii 
verdient. 

Freiburg i. Br. P. AlbertJ 



. K. BoUer. Die 

18. Jahrhund 



wohnei 



iden, I 



der Stadt Di 
ivhaftlichen und kultur- 
geechichtliclieu VerliSltniaseu, dargestellt aus ihren Stamm- 
tafeln. Im Auftroge des Urnmierzogiich badiseheD MiDiateriuniS 
der Justiz, des Kultus und Unterrichts bearbeitet und heraua- 
gegeben. Karlsruhe. Braunscho Hofbuchd ruckerei, 19Q1. XXII und 
422 S. Text, 272 S. Tabellfn. 8". 9 M. 

Der Verfasser, seit einigen Jahren Hilfsarbeiter des badi- 
schen Generallandesarchivs für genealogische Forschung, hat 
sein inhaltsreiches Buch im Auftrag des badischen Unterrichts- 
ministeriums herausgegeben. Diese ministerielle Fürsorge fUr 
Wirtschaftsgeschichte und historische Statistik ist freudig zu 
begrüßen, denn die Wirtschaftsgeschichte hat bisher in Baden, 
abgesehen von Qotheins und Schultes vortrefflichen Werken, 
noch lange nicht die ihr gebührende Würdigung gefunden, und 
gar auf dem Gebiet der historischen Statistik ist in amtlichem 
Auftrag bisher überhaupt nichts geschehen; wenigstens hat man 
von den Arbeiten Buchers und Eulenburgs, die im Auftrag der 
badischen historischen Koiumission die -statistischen Verhältnisse 
Badens historisch untersuchen sollten, nie etwas gehört. Rollers 
dankenswertes Buch bildet daher hoffentlich den Anfang einer 
Heihe ähnlicher ^röfientlichungen, die sich allerdings nicht 
immer in dem fast etwas zu weiten Rahmen und Tabellenimifang 
**ollers werden halten können. Vielmehr 



Anzeigen Lin<] Nucli rieh ton 



315 J 



dfil-ften, da die historische Statistik infolge der Beschaffenlieit 
der ihr zur Verfügung stehenden Quellen meist nur annähernd 
richtige Resultate liefern kann, Untei-suchungen über die wich- 
tigsten hier in Betracht kommenden Fragen, wie Einwohner- 
zahl, Elle, Geburt, Todesfälle, berufliche Gliederung und üUn- 
liches genügen; wichtig aber wKre ts, diese Untersuchungen 
nach einheitlichem Arbeitsplan und Schema über ein weites Ge- 
biet auszudehnen, um einst die Resultate gegenseitig vergleichen 
zu können. Heute ist die Sachlage leider noch so, dasa die 
bekannten Bevölkerungszahlen der alten Städte nach ganz ver- 
schiedenen Methoden von recht verschiedenem Wert ermittelt 
sind und der Vergleich deshalb notwendig getrübt wird. Der 
Wert einer solchen Ausdehnung des Arbeitsplans braucht hier 
nicht besonders hervorgehoben zu werden; es ist selbstverständ- 
lich, dass eine genaue Kenntnis der früheren Bevölkeruugs- 
grölien und ihrer Bewegung die Grundlage der Schilderung der 
^virt schaftlichen, rechtlichen und kulturellen Verhältnisse bilden 






Die statistische Methode, die der Verfasser seiner Arbeit 
zu Grunde legte, ist die bisher in ähnlichem Umfang noch nicht 
angewandte genealogische. Sie besteht, kurz karakterisiert, in 
der Aufstellung von Familieustammbäiimen auf Grund des Ma- 
terials der Tauf-, Ehe- und Be grab nisbii eher und der gewisser- 
maßen (juerhorizontalen Auszahlung der gleichzeitigen Namen. 
Diese Art der Ermittlung unterscheidet sich also wesentlich 
von der sonst üblichen Methode der Ermittlung früherer Ein- 
wohnerzahlen durch Vervielfachung der Angaben von Steuer- 
registern, Bürger- und Kommunikantenlisten mit einer Reduk- 
tionsziffer (Stürke des Haushalts usw.)- Da aucli die zeit- 
faubende genealogische Methode nur AnnKherungaresultate zu . 
liefern vermag — allerdings genauere als die eben karakteri- i 
sierten Methoden, die ja ohnedies nur bei Ermittlung der ab- j 
soluten Bevölkeruugsgriitie in Betracht kommen — und von J 
vornherein das Vorhandensein lückenlosen Quelleninaterials für 
eine lungere Periode voraussetzt, also für die ältere Zeit oline- 
dies nicht in Betracht kommt, wäre ea lehrreich gewesen, wenn 
der Verfasser den Grad der Genauigkeit der mit der genealogi- 
schen Methode gewonnenen Resultate mit den Ergebnissen anderer 
Methoden verglichen hätte. Interessant ist jedenfalls, dass die 
drei aus dem 18. Jahrhundert Überlieferten Zählungen der Ein- 



316 Anzeigen und* Nachrichten 

Wohnerschaft Durlachs (S. 186), die wie alle alten Zählungen 
nicht die Ermittlung der an einem bestimmten Tage orts- 
anwesenden Menschenzahl zum Zwecke hatte, sondern irgend- 
welchen Verwaltungszwecken dienten und von ihnen beeinflusst 
waren, weit unter den von Roller nachgewiesenen Zahlen bleiben, 
obwol auch diese noch aus triftigen Gründen nur als annähernde 
Mindestzahlen bezeichnet werden dürfen. Ein solches Unter- 
treiben ist in früherer Zeit nicht üblich, und heute besteht 
unter den Forschern eher die Gefahr der Unter- als der Über- 
schätzung früherer Bevölkerungszahlen. Im einzelnen kann aus 
dem überreichen Inhalt des Buchs nur weniges hier besonders 
hervorgehoben werden. 

Durlach war während des ganzen 18. Jahrhunderts eine 
kleine Stadt, die von der andringenden Fabrikindustrie noch 
wenig verspürte, ja sogar eine rückläufige Entwicklung von 
der Handwerker- zur Ackerbaustadt durchmachte. Den Dreißig- 
jährigen Krieg hatte der Ort leidlich überstanden, wurde aber 
bei der Mordbrennerei von 1689 fast vollständig zerstört. Nur 
langsam fand sich nach diesem Jahr die Bevölkerung wieder 
ein, machte aber seit 1705 rasche stetige Fortschritte von 2276 
Einwohnern auf 3391 im Jahre 1715. Von da ab beginnt in- 
folge der Gründung Karlsruhes, 1715, und der Verlegung der 
Residenz dahin nach anfänglicher Steigerung der Einwohnerzahl 
auf 3492, die auf den anfänglichen Mangel an Wohngelegenheit 
in der neuen Stadt zurückzuführen ist, ein unaufhaltsamer und 
schon 1717 einsetzender Rückgang, der fast bis zur Mitte des 
18. Jahrhunderts anhielt und durch epidemische Krankheiten 
in den vierziger Jahren noch verstärkt wurde. Erst seit etwa 
1750 wuchs die Stadt, die nur noch etwa 2700—2800 Ein- 
wohner zählte, in langsamer Steigerung von jährlich durch- 
schnittlich nur 20 Seelen auf 3959 Einwohner im Jahre 1800 
an. Ihre bauliche Entwicklung hielt nicht mit dieser Aufwärts- 
bewegung Schritt; die Baulust war und blieb trotz verlocken- 
der Aufmunterung seitens der Regierung außerordentlich ge- 
ring, so dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine Wohnungs- 
not entstand, die nicht ohne Einfluss auf die Zahl der Heiraten 
und den Stand der Sittlichkeit blieb. Die ohnedies bescheidene 
Lage der Handwerker , die zum weit Über wiegenden Teil ohne 
Gesellen arb«it-^ ^ bf durch das Steigen der Bevölkerung 
eine Yer^ ^n dem Anwachsen der land- 



Anzeigen und Nach ricl] teil 317 1 

wirtschaftlichen Bevölkerung beraerkllch machte. Die Entwick- 
lung zur Garten- und Ackerbau Stadt, die noch heute dem nahen 
Karlsruhe die Lebensmittel liefert, begann also schon damals, 
FUr Durlach bedeutete die Verschiebung, nach verschiedenen 
Bemerkungen Rollers zu schliellen, trotzdem ein Steigen des 
Wolstands, der in den Jahren 1720 — 1750 empfindlich ge- 
litten, dann bis etwa 1790 stieg, um hierauf wiederum etwas 
zurückzugehen. 

Dieses Steigen, Fallen und Wiederansteigen, das hier nur 
ganz knapp skizziert werden konnte, spiegelt sich auch in den 
zahlreichen Tabellen, die der Verfasser in dem ersten rein sta- 
tistischen Teil seiner Darstellung und in einem Tabellennnhang 
von 272 Seiten Über Einwanderung, Abwanderung und Auf- 
enthaltsdauer, Geburten, Sterbefälle, Eheschlieilungen und Zahl 
und berufliche Gliederung der Bevölkerung und der Wohnungs- 
verhältuisse gibt'. Der Einfluss der wirtschaftlichen Lage auf 
alle diese Fragen ist überall deutlich zu erkennen. Der ge- 
stiegene Wolatand der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts 
äußert sich in einer Steigerung der Geburtenziffer und einem 
Sinken der Sterblichkeit, besonders unter den Kindern. Die 
nach 1700 recht bedeutende Einwanderung geht nach 1715 auf 
die Hälfte zurück und sinkt gegen Ende des Jahrhunderts, aU 
die Parzellierung des landwirtschaftlich benützten Bodens für { 
damalige Verhältnisse die untere Grenze erreicht hatte, auf ein , 
Drittel der Einwanderung des Jahrzehnts 1710—1720 (589 
gegen 1764). Den entsprechenden Gang zeigt die Abwanderung, 
2086 im Jahrzehnt 1710—1720 gegen 795 in der Zeit 1790 
bis 1800. Die Gründung von Karlsruhe erklSrt die erste Zahl, 
die zweite wird durch den Hinweis auf den Zusammenhang ^ 
zwischen Sesshaftigkeit, Wolstand und Bodenparzellierung ver- 
«tändlich. Im Endresultat übersteigt die Jahrhundertsumme der 
Abwanderer, 10273, die der Einwanderer, 9619, um 654; die ' 
obige Zunahme der Einwohnerzahlen ist also dem Überschusa , 
der Geburten über die Sterbefülle zu verdanken und gibt ge» | 
wiss kein ungünstiges Bild von der Kinderzahl frlüierer Jahr- 
hunderte, die von manchen Schriftstellern bekanntlich sehr ge- 

' Zu wnnsthen wäre gewesen, äana der Verfasser das Kapitel über . 

Zahl und tiliedernng der Bevölkerung vomngeatellt h«tt(s, um dem Leeer j 

Ton vornherein eine Vorstellung von den GröUeiiverhültniasen zu geben, , 
am die es sich hier handelt. 




318 Anztigeii und Nachiicliten 

ring etngescliützt wiril. Im Jalichundert durchschnitt kamen nut 
die Familie 4,89 Kinder (S, Uli); eioe genaue Feststellung der 
ehelichen Fruchtbarkeit hat der Verfasser leider nicht gegeben, 
obwol diese wichtige Frage gerade mit Hilfe der genealogischen 
Methode am sichersten zu beantworten gewesen wäre. Nicht 
zustimmen miSchte ich dem S. 79 ff. gemachten Versuch, einen 
Zusammenhang zwischen der Muskelarbeit der Väter nnd dem 
Geschleciit der Kinder nachzuweisen. Fraglich scheint mir 
schon, ob die Einteilung der Berufe in 1) Landwirtschaft, 
•2) Handwerker, 3) Kaufleute, Beamte, Bediente, 4) Militär, 
5) übrige Berufe (Fabrikarbeiter, Polizei, Postkutscher usw.) 
das verschiedene Mali der körperlichen Arbeit annähernd genau 
zum Ausdruck bringt; aber auch die Zahlen scheinen nicht für 
jenen Zusammenhang zu sprechen. Der Ruhezeit der Landwirte 
und Handwerker (S, 8-^ W.) in den Monaten Januar bis MSrz 
entspricht allerdings trotz sonstigen Knaben Überschusses ein 
hoher Prozentsatz von Mädchen geburten vom Oktober bis De- 
zember; aber wenn an dieser Erscheinung der winterliche Müßig- 
gang schuld sein soll, wie erklärt sich dann der starke Pro- 
zentsatz der MSdchengeburten in den Monaten April bis Juni, 
deren Zeugung in die arbeitsreichen Monate Juli bis September 
des Vorjahrs fallen muss? Auch die Verteilung der Geburten- 
häufigkeit auf die verschiedenen Jahreszeiten (S. 81 f.) dürfte 
nicht sowol mit der größeren oder geringeren körperlichen Ar- 
beitsleistung als solcher, sondern mit der zeitlich allerdings da- 
mit zusammenfallenden Verteilung der Eheschließungen über die 
Jahreszeiten zusammenhängen. In den niedrigen Geburtsziffern 
des zweiten Vierteljahrs zeigen sich die Folgen der geringen 
Zahl von Heiraten im dritten (Sommer-) Quartal des Vorjahrs. 
Auf den zweiten Teil des Buchs, der nacheinander Land- 
wirtschaft, Handwerkerschaft, Fabriken und Fabrikarbeiter, Kauf- 
leute, dienende Berufe, Post, Ärzte und Militär behandelt, kann 
hier leider ebenfalls nur ganz kurz eingegangen werden. Die 
Landwirtschaft zeigt die bekannten Folgen des Übergangs vom 
Dreifelderbau zu intensiverer Bodenbebauung, die zum Rück- 
gang der Weidewirtschaft und Vordringen der Stallfütterung in 
Verbindung mit Klee- und Haferbau führt. Der Weinbau geht 
stark zurück. Die Lage der Handwerker ist schon erwähnt. 
Die Fabrikindustrie hatte so wenig Einfluss, dass sie die Agrari- 
sierung des Städtchens nicht aufzuhalten vermochte, ja gegen 




AiizeigPii und Nüclirichtei: 



319] 



die guten Taglöhne in der Landwirtschaft nicht aufkam ; in. ] 
dieser Hinsicht, dem Ringen der alten Wirtschaftsordnung mit 
der neu aufkommenden Industrie, bietet das Beispiel Durlachs 
nicht viel von allgemeinem Interesse. Sehr aympathisch be- 
rühren die Ausführungen S. 398 if. über den Einfluss des Be- 
amtenstands und seines Pflichtgefühls auf die Besserung der 
Sitten; auch über das Verhältnis der verschiedenen Berufs- 
klassen und ihre geringe gesellschaftliche Differenzierung, die 
sich in zahlreichen Heiraten von Beamten- selbst Hofratstöch- 
tern mit Handwerkern äußert, linden sich sehr feine Beobach- 
tungen, doch muss ich mich begnügen, statt einer Hervorhebung 
dieser uniT vieler anderer Fragen das inhaltreiche Buch eindring- 
lich zum gründlichen Studium zu empfehlen. Nur ein Punkt 
sei hier wegen seiner besondern Bedeutung für die Volkskunde 
zum Schlusi nochmals hervorgehoben, das ist die Frage der 
Ein- und Abwanderung. Nach Roller S, 415 f. sind von den 
^038 Durlacher Familiennamen des IS. Jahrhunderts nur 109 
das ganze Jahrhundert daselbst nacliweisbar. Wie stark die» 
stete Zu- und Abwandern war, zeigt dann die Tatsache, dass 
von jenen 2038 Namen 1148 nur bis zu 10 Jahren, 289 bia 
zu 25, dann 338 bis zu 50, nur 166 bis zu 75 nnd 188 bis 
zu 99 Jahren genannt werden. Die Einwanderung kam zum 
überwiegenden Teil aus den Dörfern der Markgrafschaft und 
dem benachbarten Württemberg und zählte im ganzen Jahr- 
hundert .1811 (73,5 "/ü 'l^i' ganzen Einwanderung) Südfranken, 
1124 (21,68%) Alemannen, 74 (1,43«/,,) Bayern, 176 (3,397„)« 
Nordfranken, Sachsen, Thüringer, Friesen, 69 Romanen, 2&"| 
Slaven, 11 Skandinavier, Dänen und Engländer. Davon kamen 
64,187,, '<»m Lande, 35,827^ aus Städten. Bemerkenswert ist 
der Eintiuss der Religion; das lutherische Durlach hatte für die 
Katholiken wenig Anziehungskraft, so dass die Einwanderung zu 
^/, aus evangelischen Landern kam. Interessant ist die Beob- 
achtung, dass die einwandernden Protestanten zu '/, vom \ 
Lande, die einwandernden Katholiken aber zu mehr als der 
HKlfte aus Städten kamen. Dass dieses Verhältnis auf den 
geringeren Glaubenseifer der städtischen Bevölkerung zurück- 
geht, wie Roller meint, scheint mir fraglich; eher ist wol daran 
zu denken, dass die Fernw an derer, in diesem Fall die Katho- 
liken, wie auch anderwärts beobachtet wird, mehr aus Städten 1 
Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug 5 — 7 J 



320 Anzeigen und Nachrichten 

Jahre. Für den Forscher der Volkskunde ergibt sich nach 
diesen Verhältnissen die Frage, welchen Einfluss hatte dieser 
stete „Stoffwechsel'' auf Sprache und Sitten der einheimischen 
Bevölkerung Durlachs? Roller weist (S. 28 f.) darauf hin, dass 
die Einwanderung jährlich nur in verhältnismäßig geringer Zahl 
und dabei überwiegend aus stammverwandten Kreisen kam, so 
dass die Assimilierung in Sitten und Sprache ziemlich leicht 
war. Ganz richtig, aber wie wirkte der stete Umsatz der Be- 
völkerung in anthropologischem Sinne? Angesichts der mo- 
dernen Versuche, die Geschichte von der Grundlage der Rassen- 
eigentümlichkeiten oder gar der „Volksseele" aus zu schreiben, 
ist diese Frage von großer Bedeutung. Denn die Bevölkerungs- 
bewegung, wie sie Durlach im 18. Jahrhundert zeigt, ist na- 
türlich eine allgemeine Erscheinung und vielleicht in früherer 
Zeit sogar noch stärker gewesen. In Freiburg z. B., dessen 
Wanderbewegung im 16. Jahrhundert ich zurzeit untersuche, 
war der Besitzwechsel so stark, dass von 1450 bis etwa 1550 
in der Altstadt nur noch drei Familien im Besitz desselben 
Hauses waren, das ihre Vorfahren um 1450 besessen hatten, 
und die. Abwanderung betrug in je 10 Jahren (einschließlich 
der Sterbefälle) anfangs 30 — 40^'^ der Bevölkerung und ver- 
langsamte sich erst gegen Ende der Periode. Denkt man sich 
diese Blutmischung durch Jahrhunderte fortgesetzt, so ist klar, 
dass .ihre Einwirkungen ganz erhebliche sein müssen ; es wäre 
daher zu wünschen, dass auch die Anthropologen sich einmal 
eingehend mit diesen Wanderungsproblemen beschäftigen möchten. 
Soviel ist jedenfalls sicher, dass die angebliche Sesshaftigkeit 
früherer Zeiten, von der das „Zeitalter des Verkehrs" gerne mit 
Überhebung spricht, gar nicht bestanden hat. Das treffliche 
Buch Rollers ist dessen ein neuer Beweis. 

Freiburg i. Br. Hermann Flamm. 



Druck fe hie rberichtigung. 

Im , Nachtrag zur Erklärung** S. 256, Zeile 22 ist (gemäß Alem. 
N. F. VII, S. 314, Zeile 14) zu lesen: ^die Greuelbilder der Dichter sind 
matt (statt uralt) — "* F. P. 



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